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UNIVERSITY OF CALIFORNIA MEDICAL CENTER LIBRARY SAN FRANCISCO

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NEUROLOGISCHES CENTRALBLATT

ÜBERSICHT

DER

LEISTUNGEN AUF DEM GEBIETE DER ANATCHIE, PHYSIOLOGIE, PATHOLOGIE UND THERAPIE DES NERVEN- SYSTEMS EINSCHLIESSLICH DER GEISTESKRANKHEITEN.

HERAUSGEGEBEN R 4

VON

Dr. E. MENDEL, &

PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT BERLIN.

VIERTER JAHRGANG.

LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. TRITL TRRB: 2 oe

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NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten,

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Dritter AN Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei N ummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

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1885. 1. Januar. Ne: 1,

peratursinnes im gesunden und kranken Zustande, von Donath. el Fe Ana- tomie. 4. Ueber das Gliom des Rückenmarkes; Beschreibung eines hierhergehörigen Falles

malattia del Friedreich; note cliniche del Musso. 10. Zur Localisation des Centrum ano- vesicale im menschlichen Rückenmark, von Kirchhoff. 11. Du courant oonstant et du cou- rant induit dans le diagnostic des paralysies par Scolobonzoff. 12. On the early occurrence of ankleclonus in hemiplegia, by Pitres. 13. Sur la perte des röflexes tendineux dans le diabete sucre, par Bouchard. 14. Kakke-biori-shinsa, von Harada. 15. De l’accumulation des sels de potasse dans le s6rum pendant l’attaque d’&clampsie, par d’Espine. Psychiatrie. 16. Un caso di malattia di Parkinson complicata da disturbi psichici, per il dott. Bergesio. 17. Clinical observations on the blood of the insane, by Macphall. 18. Incurabilite et gu6ri- sons tardives en alienation mentale, par de Montyel. 19. Des degeneresoences psycho-cere- brales dans les milieux ruraux, par Cullöre. Therapie. 20. Ueber die Anwendung von Brompräparaten bei Neurosen, speciell bei Epilepsie, von Küssner. 21. Un cas de sciatique rebelle; Elongation, guörison, par de la Harpe. 22. L’hyosciamine par Peeters. Anstalts- wesen. 23. Ueber Irrenkliniken an der Hand eines Berichts über den Betrieb der Universi- täts-Irrenklinik zu Heidelberg, von Fürstner. 24. Bericht über die Verwaltung der Provinzial- Irren-Anstalt Bunzlau pro 1883, von Sloli. 25. Rechenschaftsbericht der Administration zur Verpflegung der mittellosen Geisteskranken der Rigaschen Stadtgemeinde über das Jahr 1888, von Tiling. 26. Der X. Jahresbericht des Brandenburgischen Hülfsvereins für Geisteskranke zu Eberswalde 1883/84, von Zinn. IN. Aus den Gesellschaften. IV. Bibliographie. V. Personalien.

I. Originalmittheilungen.

Ein zweiter Fall von Betheiligung der Gesichtsmusculatur bei der juvenilen Muskelatrophie. Von Dr. F. Mossdorf in Dresden.

Seit Aufstellung der juvenilen Muskelatropbie durch Er» ist die Frage der progressiven Muskelatrophie wieder so weit in den Vordergrund getreten, dass

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eine weitere Sichtung des vorhandenen Materials in Aussicht steht, zu welchem sich neue Fälle gesellen möchten, die vom neueren Gesichtspunkte aus beobachtet zum Aufschluss der Genese dieser Krankheit beitragen können. Wenn auch nicht gleich ganze Sammlungen von hierher gehörigen Fällen gebracht werden können, so wird doch schon ein einzelner werthvoll sein, wenn er charakteristisch genug ist, und glaubte ich schon deshalb nicht mit der Veröffentlichung des folgenden Falles länger zögern zu sollen, mehr aber noch, weil er sich dem von E. Remar! jüngst beschriebenen durch Betheiligung der Gesichtsmusculatur anreihen kann.

Naundorf, Knecht aus Skassa bei Grossenhain, wurde im Januar 1884 in der Poliklinik für Nervenkranke in Dresden aufgenommen. Der Kranke ist 33 Jahr alt, stammt von gesunden Eltern, weder Geschwister noch Anverwandte sind neuropathisch belastet oder von einer seiner ähnlichen oder andern Muskel- erkrankung heimgesucht worden.

Nach seinen Aussagen ist er ein strammer Junge gewesen, hat nie über Schwäche seines Körpers zu klagen gehabt, ist.aber von seinem sehr strengen Vater schon als kleiner Knabe, besonders aber von seinem 14. Jahre an zu harter Arbeit angehalten und gezwungen worden, meist recht schwere Gegen- stände zu tragen. Von seinem 18. Jahre an spürte er leichte Ermüdung im Rücken bei der Arbeit, und der Gebrauch der Arme wurde ein weniger aus- giebiger wie früher. Das Heben schwerer Säcke und das Aufrichten dabei aus gebückter Stellung wurde immer mühsamer, während er beim Zugreifen mit den Händen nicht die geringste Abnahme der Kräfte spürte Mit den Jahren hat sich die Gestalt seines Oberkörpers verändert, er magerte ab, doch nicht so rapid, dass er anzugeben vermag, welche Theile von der Abmagerung nach und nach ergriffen worden seien. Niemals will er eine dem Muskelschwund vorher- gegangene Anschwellung eines Muskels beobachtet haben, niemals hat er über Schmerzen oder irgend welche Sensibilitätsstörung zu klagen gehabt, niemals sind fibrilläre Muskelzuckungen verspürt worden, auf die ihn aufmerksam zu machen ich an einem andern Kranken Gelegenheit hatte. Erst seit seinem 28. Jahre, also 10 Jahre später, will er grössere Beschwerden beim Gehen ge- spürt haben, im Januar brauchte er zu einem Weg von !/, Stunde ca. 1?/, Stunde mit mehrfachen Ruhepausen. Veränderungen an den Händen will er erst seit höchstens 2 Jahren bemerken, er kann seitdem nicht mehr fest zu fassen, be- sonders mit der linken Hand und ist oft nicht mehr im Stande, sich vollkommen selbst anzukleiden. Von einer Betheiligung des Gesichts hat er erst durch mich Kenntniss erhalten. Die Haltung des Kranken ist eine rückwärts übergebeugte, der Bauch nach vorn gedrückt, die Schultern und Arme hängen nach vorn, die Füsse werden nach vorn geschleudert, ehe er sie aufsetzt, weil er sonst mit den Fussspitzen hängen bleibt und wird der Gang dadurch steigend, zugleich werden die Kniee nach Aussen gedreht. Entkleidet bietet der Kranke noch fast genau dasselbe Bild heute, wie im Januar, nur ist seine Haltung allmählich eine

ı E. Remar, Ueber die gelegentliche Betheiligung der Gesichtsmusculatur bei der juvenilen Form der progressiven Muskelatrophie. Neurolog. Centralbl. 1884. Nr. 15.

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gestrecktere geworden. Er hält den Kopf gerade, aber das Kinn etwas gewalt- sam nach dem Sternum gedrückt. Der Thorax zeigt vorn hochgradigste Ab- magerung, der Rippenrand tritt seitlich hervor, da der Leib an den Seiten ein- gezogen erscheint. Die Recti abdominis sind glatt gespannt. Die Pectorales sind fast ganz geschwunden mit Ausnahme der oberen Partien, der rechte Del- toideus ist gut erhalten mit Ausnahme seines hinteren Theiles, der linke dagegen fast ganz geschwunden. Der Biceps, Brachial. intern., Triceps ist beiderseitig fast ganz geschwunden, die Reste fühlen sich derb an. Die Schulterblätter stehen flügelartig vom Thorax ab, rechts bedeutend mehr als links, der Cucullaris bis auf seine obersten Partien, die dem Nacken durch ihre straffe Spannung eine breite und flache Gestalt geben, beiderseits geschwunden, ebenso vollständig die Latissimi dorsi, die Rhomboidei;. vom Serratus major ist nur links noch ein Rest zu bemerken, wodurch hauptsächlich wohl das linke Schulterblatt nicht derartig wie rechts absteht. Im grellen Gegensatz zu den abgemagerten Ober- armen stehen die kräftig entwickelten Unterarme, die aber beiderseitig eine lange flache Delle zeigen an Stelle des Supinator longus. Bei ausgestrecktem Arme hängt die linke Hand etwas herab und kann nur schwer mit nicht gestreckten Fingern zur Horizontalen erhoben werden, der rechte Unterarm vermag das besser auszuführen. Die Hände zeigen nur Atrophie der Interossei externi ], besonders links. Die Musculatur der unteren Extremitäten ist nicht in dem Maasse befallen, wie die des Oberkörpers. Die Glutaeen sind beiderseits normal. Der Sartorius hebt sich gegen den sehr geschwundenen Quadriceps scharf ab, daher auch das Auswärtsdrehen der Kniee beim Gehen. Links ist der Quadriceps etwas besser erhalten als rechts, daher ist auch links noch eine Andeutung vom Patellarreflex vorhanden, der rechts verloren ist. Beide Tibiales sind deutlich atrophisch, die Waden erscheinen nicht hypertrophisch, die Füsse sind normal.

Das Gesicht erscheint unsymmetrisch; beim Sprechen, mehr natürlich beim Lachen, wird nur die Musculatur der linken Gesichtshälfte verzogen. Das Auge kann nicht vollkommen geschlossen werden, es besteht dadurch auch an der Conjunctiva des untern Augenlides ein geringer Catarrh, die Stirn wird links deutlicher gerunzelt als rechts, die Nase wird links besser als rechts gerümpft, Pfeifen ist unmöglich, während er angiebt, vor nicht zu langer Zeit noch ge- pfiffen zu haben. Die Nasolabialfalte ist nicht vollkommen verstrichen. Die Musculatur der rechten Gesichtshälfte ist deutlich magerer als links. Wulstung der Lippen ist nicht vorhanden. Die Zunge wird gerade vorgestreckt, ist beider- seitig gleich, Gaumenbögen sind gleich, Schlingbeschwerden sind durchaus nicht vorhanden.

Was die elektrische Untersuchung anlangt, so ergab sie nirgends EAR, Wenn an den atrophischen Muskeln noch durch starke Ströme eine Zuckung nachzuweisen ist, so ist die KSZ kurz, in keinem der atrophischen Muskeln lang gedehnt oder die AOZ überwiegend. Im Gesicht erhält man sowohl vom Nerv, als von den Muskeln deutliche KSZ, vom Nerven deutlicher, aber schwächer im Vergleich zur linken Seite. Die faradische Erregbarkeit ist beiderseits fast gleich. Vom Supraclavicularpunkt aus erhält man rechts eine kräftige, etwas andauernde

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KSZ des Deltoideus und des Bestes des Biceps mit Hebung des Armes und Beugung des Vorderarms, sehr kräftig ist von diesem Punkte aus die Wirkung des faradischen Stromes, links ist die Wirkung beider Ströme von demselben Punkte aus eine sehr geringe, dagegen wird dabei das Schulterblatt mehr nach unten und aussen gedreht, als rechts. Hervorheben muss ich, dass die faradische Erregbarkeit aller überhaupt noch reactionsfähigen atrophischen Muskeln gegen ihre galvanische Erregbarkeit: gesteigert ist, besonders deutlich zeigte sich das vom Anfange an am rechten Biceps. Die Reaction der atrophischen Muskeln der untern Extremitäten ist genau wie die der obern Extremitäten, nirgends EAR.

Die Veränderungen, die der Kranke seit seiner Aufnahme in der Poliklinik zeigt, sind wohl bedeutend genug bemerkt zu werden, sowohl was die Volum- veränderung einiger atrophirten Muskeln, als auch die Functionsfähigkeit der- selben anlangt. |

Leider sind die Umfänge der Extremitäten bei der Aufnahme von mir nicht gemessen worden, aber der Muskel der Fascia lata und des Quadriceps scheinen zugenommen zu haben, vom letzten jedenfalls sehr gering der Vastus internus, und zwar beiderseitig gleich. Deutlich an Umfang hat aber der rechte Oberarm zugenommen, woran der Biceps hauptsächlich, weniger der Triceps Theil hat. Der anfangs gar nicht nachweisbare Serratus major rechts macht sich jetzt durch kleine Zuckungen einiger Muskelbündel bei faradischer Reizung bemerkbar, auch der Deltoideus und Biceps links hat an Volumen zugenommen. Die rechte Stirnhälfte wird mit der linken fast gleichmässig gerunzelt, das rechte Auge wird fast vollständig geschlossen.

Das Alter, in welchem der Kranke stand, als die ersten Symptome der Krankheit sich einstellten, die Localisation der Atrophie, das Fehlen der fibril- lären Muskelzuckungen, vor Allem aber das Fehlen der EAR berechtigen diesen Fall in die Gruppe der juvenilen Muskelatrophie einzureihen. Zwar sind bei dem Kranken auch die kleinen Muskeln der Hände theilweise betheiligt, es beginnen die Extensoren der Hände befallen zu werden, aber diese Umstände dürften nicht ausschlaggebend sein für eine andere Annahme, wenn man die lange Dauer der Krankheit berücksichtigt. Jedenfalls ist der Verlauf der Krank- heit gleich dem der juvenilen Muskelatrophie gewesen, vom Rumpf nach der Peripherie, nicht springend. |

Interessant ist gewiss die Betheiligung der Musculatur des Gesichts in diesem Falle, weil vom Autor dieser Krankheitsform selbst noch nicht beobachtet, und weil sie abweichend ist von der von REMAR zuerst beschriebenen Betheiligung der Gesichtsmusculatur an der juvenilen Muskelatrophie. In Remar’s Falle sind beide Hälften des Gesichts und wahrscheinlich gleichzeitig betroffen worden und ist der Krankheitsfall hereditärer Natur, in meinem Falle ist nur eine Hälfte des Gesichts befallen und ist die Krankheit eine quasi erworbene. Als eine zufällige Complication mit einer rheumatischen Gesichtslähmung leichter Art, ohne EAR kann die unvollständige Muskelthätigkeit der rechten Gesichts- hälfte unmöglich gedeutet werden, denn für solch’ eine leichte Form einer rheu- matischen Facialislähmung mit normaler, nur etwas herabgesetzter elektrischer

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Erregbarkeit ist die Dauer (der Kranke wird über 10 Monate beobachtet) zu lange und die grössere Abmagerung der betreffenden Gesichtshälfte dürfte wohl nur mit der Atrophie der übrigen Muskeln des Körpers in Zusammenhang ge- bracht werden können.

Ich habe vorliegenden Krankheitsfall als einen quasi erworbenen bezeichnet, weil es nach der Anamnese mir wohl gerechtfertigt schien, die Ursache der Er- krankung auf übermässige Muskelanstrengung zurückzuführen, die schon im frühzeitigen Knabenalter erfolgte. Deshalb könnte man aber auch von vorn- herein geneigt sein, hier eine myopathische Form anzunehmen, da auch in diesem Falle wegen Fehlen jeder Sensibilitätsstörung, wegen der, trotz der hoch- gradigen Atrophie wenig veränderten elektrischen Erregbarkeit eine multiple chronische Neuritis auszuschliessen ist, ebensowenig die durch Atrophie bedingte Facialparese auf eine Bulbärnervenkernerkrankung zurückgeführt werden kann, da nur halbseitig, bis zum Frontalis reichend, und Gaumen und Zunge voll- kommen frei sind. Immerhin wage ich nicht trotz der anzunehmenden Ursache (körperliche Anstrengung), gerade wegen der Betheiligung des Gesichts für diesen Fall eine myopathische Form anzunehmen, wie sie Remak für seinen Fall, wegen der hereditären Natur, als ziemlich bestimmt bezeichnen konnte.

In Bezug auf die Prognose der juvenilen Muskelatrophie sagt Er, dass sie viel langsamer verläuft, als die spinale Form, dass ein längerer Stillstand eintreten kann und dass sie schliesslich quoad vitam nicht gar so schlimm ist. Er theilt auch einige Fälle mit, in welchen durch passende Behandlung Besserung eingetreten war und sind dieses Fälle, die meist einer 6wöchentlichen elektrischen Behandlung unterworfen worden waren. Nach meinem vorliegenden Falle möchte ich annehmen, dass eine wesentliche Besserung wohl immer an der Geduld des Kranken scheitern wird. |

Ein Stationärbleiben oder vorübergehende Besserung der Krankheitserschei- nungen war bei meinem Kranken nie eingetreten, erst in den letzten 3 Monaten macht sich eine Besserung bemerklich. Er wird nun seit Januar 1884 mit Unterbrechung von 4 Wochen regelmässig wöchentlich 4mal behandelt und es ist wohl zu verwundern, dass bei einem so hochgradig vorgeschrittenen Fall überhaupt noch eine Besserung erzielt wird, auffallend jedenfalls und vielleicht recht günstig für die Prognose der Krankheit ist die nicht wegzuleugnende Zu- nahme einzelner atrophischer Muskeln. Wie schon bemerkt, ist die Zunahme des rechten Biceps nicht unbedeutend, aber auch die des linken Biceps und Deltoideus ist sichtlich. Während er bei seiner Aufnahme aus einer gebückten Stellung sich nicht allein erheben konnte, noch im Juli aber sich mit den Händen an seinen Beinen emporarbeiten musste, vom Stuhle sich nur mit einem Schwung des Oberkörpers und drehenden Bewegungen erheben konnte, richtet er sich behend, ohne die Hände an die Beine zu stützen und nicht ungeschickt auf. Sein Gang ist leicht geworden, er kann mit Jedem Schritt halten, obwohl er die Füsse noch immer wirft, wie bei einer Peronaeuslähmung. Die J.ordose der Wirbelsäule ist geringer, er hält den Bauch weniger nach vorn. Auch die Beweglichkeit der atrophischen Gesichtshälfte hat zugenommen. Er kann seit

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Anfang September den Ackerpflug wieder führen und hat sogar gegen Einde September eine Nacht hindurch flott getanzt. Eine solche Besserung kann ich nur auf die continuirlich fortgesetzte Behandlung zurückführen, denn weder in der Ernährung noch sonstigen Lebensweise des Kranken ist irgend eine Ver- änderung oder Besserung eingetreten. Die Behandlung besteht regelmässig in Galvanisation der Wirbelsäule mit absteigenden Strömen und der Behandlung am Halse. Absichtlich habe ich nur die Musculatur der Oberarme und der Schulter faradisirt, um einen etwaigen günstigeren Erfolg durch die locale Be- handlung an diesen Muskeln im Vergleich zu denen des Gesichts, des Rückens und der untern Extremitäten zu constatiren.

Sollte ich so glücklich sein, durch noch lange Zeit fortgesetzte Behandlung in gleicher Weise eine auffallende Besserung und sichtliche Zunahme der atro- phischen Muskeln zu erzielen, so würde ich die Photographie, die vor Kurzem aufgenommen ist, mit einer späteren veröffentlichen und wäre zu wünschen, dass der Fall nicht allein durch Betheiligung der Gesichtsmusculatur, sondern mehr noch durch die für diese Krankheit dann zu stellende Prognose werthvoll würde.

II. Referate.

Anatomie.

1) Ueber den feineren Bau der markhaltigen Nervenfasern, von Lawdowski. (Mitgetheilt in der October-Sitzung der St. Petersburger psychiatrischen Ge- sellschaft. 1883. Russisch.)

Es gelang Lawdowski, durch ein besonderes Verfahren die Markscheide mit Hämatoxylin intensiv blau zu färben: ein Stück eines frisch präparirten Ischiadicus vom Frosch wird auf einem trockenen Objectträger zerzupft, durch Alcohol entwässert und mit einem grossen Tropfen gekochten Hämatoxylins bedeckt; nach 12 Stunden wird das Präparat mit Wasser ab&espült und weiter in gewöhnlicher Weise behandelt. Die Markscheide nimmt dann eine schöne blaue Farbe an und bleibt dabei ganz durchsichtig, so dass der Axencylinder deutlich durchscheint. Diese Färbungsmethode kann nach L.'s Meinung vollständig die Osmiumsäure und das von Weigert in Vorschlag gebrachte saure Fuchsin ersetzen.

Die Markscheide besteht im frischen Zustand aus einer halbfesten durchweg homogenen Substanz und enthält nur schwache Andeutungen der Schmidt-Lanter- mann’schen Incisuren; die so häufig zu beobachtende Segmentation der Markscheide durch trichterförmige Spaltung ist ein Kunstproduct, bedingt durch sofortige Zer- setzung des Myelins nach dem Tode. Dieser Spaltungsprocess der Markscheide steht in directer Verwandtschaft mit der Eigenschaft des Myelins bei seiner Zersetzung so- genannte Myelinformen zu bilden. Letztere stammen aus der myelogenen (lecithin- haltigen) Substanz her, die sowohl in der Markscheide enthalten ist, als auch aus dem Eidotter oder Knochenöl durch geeignete chemische Bearbeitung sich herstellen lässt. „Diese myelogene Substanz verhält sich verschiedenen Reagentien gegenüber ganz ebenso, wie das Myelin der Nervenfasern, und bildet bei ihrer Zersetzung eben solche Figuren, wie die in der Markscheide vorkommenden. Auch das sogenannte Neurokeratin (Kühne) ist eine Erscheinung künstlicher Veränderung der myelogenen Substanz unter dem Einfluss von Alcohol, Aether etc. Nur zum Theil können die netzförmigen Bilder der Markscheide von der präformirten Plasmaschicht herrühren, welche das Nervenmark bedeckt. Diese Schicht, die besonders stark in der Um- gebung der Kerne der Schwann’schen Scheide ausgeprägt ist, wird durch Silbernitrat

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so intensiv gefärbt, dass sie das Vorhandensein einer Endothelialschicht auf letzterer vortäuschen kann. Eine solche Täuschung wird noch durch Rupturen begünstigt, an deren Rändern sich Niederschläge von Silberoxyd ansetzen. Durch solche Bilder hat nach L.’s Meinung Grünhagen sich irreleiten lassen, indem er die Structur der Schwann’schen Scheide mit derjenigen der Capillargefässe verglich.

Die von L. als Perilemma bezeichnete Schwann’sche Scheide, sowohl als die den Axencylinder umhüllende Scheide (Axolemma) bestehen bei allen Wirbelthieren aus einem structurlosen, ganz homogenen, ziemlich dicken elastischen Gewebe. Das Perilomma liegt der Markscheide überall fost an und löst sich von letzterer nur an den 6ötranglements annulaires etwas ab. Doch unmittelbar danach umschnürt sie den Axencylinder, und hier entsteht zugleich eine Verdickung des Axolemmas. Der Axen- cylinder selbst erleidet an den Einschnürungsstellen durchaus keine Discontinuität, und seine Fasern gehen durch sie ununterbrochen hinweg, entgegen der Behauptung von Engelmann. Beim Zerreissen des Axolemmas kann allerdings die Täuschung einer Discontinuität des Axencylinders entstehen, doch ist das eben nur eine Täu- schung. Das Axolemma lässt sich in deutlichster Weise vermittelst Färbung mit Pikrocarmin, Pikrinsäure, Hämatoxylin, Osmiumsäure oder Silbernitrat demonstriren.

P. Rosenbach.

Experimentelle Physiologie.

23) Rösume6 d’une serie d’experiences sur les effets de l’ablation des corps thyroides, par M. Schiff. (Revue möd. de la Suisse rom. 1884. 2.)

Durch Ergänzung seiner früheren Experimente (1856/57), bei denen er die operirten Thiere nicht lange genug beobachtete, kommt Sch. jetzt zu folgenden Re- sultaten: alle operirten Thiere (Totalexstirpation) sind gestorben, meist zwischen dem 6. und 9. Tage, einzelne erst am 27. Tage, nach völliger Verheilung der Wunde. Allgemein zeigte sich eine auffallende Somnolenz, träge Bewegungen; durch Geräusche wurden die schlafenden Thiere nicht erweckt, nur durch Berüh- rungen. Immer traten nach einiger Zeit fibrilläre Zuckungen auf, manchmal am ganzen Körper, auch an der Zunge; sie werden bisweilen so heftig, dass sie zu Steifigkeit der Glieder, selbst zu tetanischer Starre des ganzen Körpers führen, mit Temperatursteigerung bis 48%. Sch. lässt es unentschieden, ob es sich um traumatischen Tetanus handele, den Billroth 7mal unter 86 Kropfoperationen er- lebte. Muskeln, deren Nerv durchschnitten war, zeigten keine Zuckungen mehr. Als Zeichen erhöhter Erregbarkeit des N. phrenicus trat bisweilen die von Sch. so genannte „respiration cardiaque“ auf, d. h. Anfälle, in denen bei jedem Herz- schlage eine heftige Contraction des Zwerchfells erfolgte. Die tactile Sensibilität verschwand in den letzten Tagen vor dem Tode, ebenso die galvanische Erregbarkeit in verschiedenem Grade; die Druckempfindlichkeit blieb erhalten. Der arterielle Druck wird durch Erschlaffung der Gefässe nicht des Herzens sehr niedrig.

Sch. schliesst, dass die Schilddräsen in Beziehung stehen zur normalen Er- nährung des Centralnervensystems. Doch können sie in dieser Rolle durch andere Organe ersetzt werden. Die Section der operirten Thiere liess am Centralnerven- system nichts Abnormes erkennen. Hadlich.

3) Ueber die Grenzen des Temperatursinnes im gesunden und kranken Zustande, von Dr. J. Donath. Aus der Nervenklinik der Charit6, Prof. Westphal. (Arch. f. Psych. u. Nervenkrankh. XV. 3.)

In einer Anzahl sorgfältiger, bei 6 Gesunden und 10 an Tabes dorsalis leiden- den Individuen angestellter Untersuchungen hat Verf. versucht, diejenigen höchsten,

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resp. tiefsten Temnperaturen zu ermitteln, welche nicht mehr als solche, sondern als Schmerz empfunden werden, mithin gewissermaassen die Grenzen des Temperatur- sinnes repräsentiren. Zur Bestimmung der unteren Grenze oder des „Kälteschmerz- punktes“ dient das’ sog. Kryalgimeter, im Wesentlichen ein von —18 bis +34° C. reichendes 'Thermometer, dessen Quecksilbergefäss, eine in einer Ebene gewundene Spirale, der Haut aufgesetzt und mittels eines Aethersprays abgekühlt wird, während zur Feststellung des „Wärmeschmerzpunktes“ das Thermalgimeter verwendet wird, ein Thermometer, von +29 bis 105° C. getheilt und mit einem halb ellipsoid ge- formten Quecksilberbehälter versehen, welcher von einem durch den galvanischen Strom zu erwärmenden Platindraht umwunden ist. Mittels dieser relativ einfachen Apparate, über deren genauere Construction und Anwendung im Original nachgelesen werden muss, hat Verf. sowohl verschiedene früher von E. H. Weber und Nothnagel gemachte Beobachtungen bestätigt, als auch u. a. gefunden, dass bei Gesunden der Kälte- wie der Wärmeschmerz nach den verschiedenen Hautstellen variirt (jener zwischen —11,4 und -+2,8° C., dieser zwischen 36,3 und 52,6° C.), dass besonders empfindlich gegen jenen die Bauchhaut und die Dorsalfläche des Ellbogengelenks sind, dass die Vorderfläche des Rumpfes und die obern Extremitäten in dieser Hin- sicht empfindlicher sind, als die Hinterfläche und die untern, dass im Allgemeinen die linke Körperhälfte gegen Wärme- und Kälteschmerz sensibler ist als die rechte, dass ferner die Fingerspitzen gegen beide besonders unempfindlich sind. Die Aus- dehnung des Temperatursinnes betrug für die verschiedenen Punkte der Haut 35,1 bis 64,0° Celsius. Bei den Tabikern fand sich eine Herabsetzung des Kälte- und Wärmeschmerzes, welche in der Regel an den untern Extremitäten am stärksten war. Aus allen Untersuchungen ging ferner hervor, „dass der durch Kälte oder Wärme 'hervorgerufene Schmerz eine viel gröbere Empfindung ist, als die Temperaturwahr- nehmung (für mittlere Wärmegrade) und bei Weitem nicht das feine Unterscheidungs- vermögen der letzteren besitzt“. Brückner.

Pathologische Anatomie.

4) Ueber das Gliom des Rückenmarkes. Beschreibung eines hierher- gehörigen Falles mit anatomischer Untersuchung von Prof. Mar- chand, von Dr. Reisinger, Mainz. (Virchow’s Arch. 1884. Bd. 98. H. 3.)

Ein 26jähriger Schreiner P. S. erkrankte Anfang April 1882 an Schmerzen in der Halswirbelsäule, später auch in der linken Schulter und im linken Oberschenkel. Die Halswirbelsäule zeigte sich verbreitert, die Kniephänomene waren bedeutend ge- steigert, die Abduction des linken Oberschenkels war sehr behindert; leichte Sensi- bilitätsstörungen im Gebiete des N. crural. sin. Seit Ende Mai 1882 träge Defäcation, Harndrang und Enuresis; der Kopf fast unbeweglich; die Muskeln aller Extremitäten, besonders links, zeigen anhaltende spastische Contracturen, Bauchmuskeln bretthart, leichte Reize rufen stärkere Spasmen hervor; schmerzhaftes Gärtelgefühl. Elektrische Erregbarkeit der Muskeln erhalten.

Nach Jodkalium und Vesikantien im Nacken allmähliche Besserung in jeder Beziehung, sodass Pat., der seit dem 5. Mai im Krankenhause war, am 22. Juli entlassen wurde. Am 11. September kehrte er jedoch dahin zurück, stark abgemagert, mit heftigen Schmerzen im linken Beine; obere Extremitäten wenig afficirt, so dass Pat. sogar feinere Arbeiten verrichten konnte. Später permanente Contractur beider Unterschenkel, unfreiwillige Entleerungen; Kräfteverfall, Decubitus, Tod den 18. Jan. 83.

Bei der Autopsie zeigte sich, dass das Halsmark innerhalb der intacten Häute, den Wirbelcanal ganz ausfüllte. Schon dicht unter dem Pons beginnt die Anschwellung der Med. oblongata. An der Pyramidenkreuzung eine tiefe circuläre Einschnärung (vom Rande des Foramen magnum herrührend) und unterhalb derselben immer stärkere

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Zunahme der Anschwellung, sodass in der Mitte der Halsanschwellung die grösste Breite von 3,2 cm besteht; noch im oberen Brusttheil hat das Rückenmark 1,6 cm Breite bei 1,1 cm Dicke. Am mittleren Brusttheil zahlreiche kleinere knopfartige Höckerchen an der Oberfläche des Rückenmarkes.

Die Anschwellung des Rückenmarkes rührt her von einer Geschwulst im Innern desselben. Prof. Marchand sagt, es besteht ein chronisch myelitischer Process, „welcher von der Spitze des Calamus scriptorius nach abwärts bis in den unteren Theil des Dorsalmarkes herabreicht. Dieser Process ist in der Med. obl. in der Um- gebung des Centralcanals entwickelt und geht nach abwärts durch zunehmende Ver- mehrung der zelligen Bestandtheile in eine wirkliche Geschwulst-(Gliom-)Bildung über, welche die Halsanschwellung einnimmt mit entsprechender Verdrängung der Nerven- substanz.

Unterhalb des Halsmarkes lässt sich der Process bis in das untere Dorsalmark in Gestalt einer sklerosirenden, chronisch myelitischen Veränderung mit beginnender Spaltraumbildung (Syringomyelie) weiter verfolgen, doch beschränkt sich hier die Veränderung hauptsächlich auf den Hinterstrang der einen Seite, ..... Es ent- spricht der Zustand des Markes also ganz dem von Schultze beschriebenen Ver- halten.“

R. hat in der Literatur (seit 1869) 19 Fälle von Gliom des Rückenmarkes auf- finden können, und giebt eine Uebersicht der verschiedenen Ansichten über das Gliom und über Syringomyelie. Zweimal in allen 20 Fällen wurde intra vitam die richtige Diagnose gestellt, von Griesinger auf Erkrankung der grauen Substanz des Rücken- markes und von Strümpell auf Gliom des Rückenmarkes. Hadlich.

Pathologie des Nervensystems.

6) Recherches dynamomeötriques sur l’ötat des forces chez les hemi- plegiques, par P. Dignat. (Paris 1884.)

D. setzt die zuletzt von Friedländer (Neurolog. Centralbl. 1883. Nr. 11) unternommenen Untersuchungen über den Zustand der Kräfte bei Hemiplegischen fort. Das erste Kapitel, dem eine bis auf das 17. Jahrhundert zurückgreifende historische Einleitung vorangeht, behandelt die Muskelkraft in gesundem Zustande, bezüglich weicher er seine Untersuchungen auch auf die Hals- und Rumpfmusculatur erstreckte. Dieselben, an zahlreichen Individuen ausgeführt, ergaben Schwankungen bis zu 8 Kilo, welche durch fehlende Nahrungsaufnahme, Alcoholexcesse, Coitus etc. bedingt sind; eine Steigerung durch länger dauerndes „Dynamometriren“ (Carret) konnte D. nicht constatiren.

Im pathologischen, auf 29 Beobachtungen basirten Theile kommt D. zu folgenden Schlüssen: Bei cerebralen Hemiplegien zeigen die Extremitäten der nicht gelähmten Seite einen beträchtlichen Kräfteverlust; in nicht tödtlichen Fällen ist die Rückkehr der Kräfte eine für beide Körperhälften ungleiche; in nach kurzer Zeit tödtlichen Fällen sinken die Kräfte allmählich in allen 4 Extremitäten; die Hals- und Rumpf- muskeln zeigen bei Hemiplegie eine beträchtliche Kraftabnahme, deren Restitution in Fällen von Heilung ähnlich wie die der Extremitäten erfolgt. Die Kräfte Homi- plegischer zeigen Schwankungen, deren Ursache nicht immer aufzufinden ist. Die functionellen Störungen einzelner Extremitäten oder einzelner Muskelgruppen stehen in keinem bestimmten Verhältnisse zum Kraftverluste, können vielmehr bei nahezu normalen Kräftezustande vorhanden sein; diese functionelle Schwäche kann eine ganze Extremität, ein ganzes Organ oder auch nur einzelne Bewegungen beschlagen. Mit der letzteren Schlussfolgerung hat D. Erscheinungen im Auge, deren Mittheilung schon früher (Neurolog. Centralbl. 1884. S. 246) erfolgt ist. A. Pick.

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6) Ueber einen Fall von Tuberkulose des Kleinhirns nebst Bemerkungen über die Therapie der tuberkulösen Meningitis, von Dr. L. Löwenfeld. (Aerztl. Intelligenzbl. 1884. Nr. 43.)

Es handelt sich um einen Fall bei einem 9jährigen Mädchen, der einerseits durch die Grösse der zerstörten Partie, andererseits durch den remittirenden Verlauf bemerkenswerth ist.

Die Section ergab nämlich neben reichlicher Injection der Meningen und Ver- wachsung der Pia mit der Dura bedeutenden Hydrocephalus internus und die Um- wandlung fast des gesammten linken Kleinhirnlappens in eine gelbliche traubig-lappige Geschwulstmasse käsig-tuberkulöser Natur und mit breiartig erweichtem Centrum.

Was den Verlauf des Leidens betrifft, so hat sich wahrscheinlich ganz langsam und allmählich die Ablagerung der Tuberkelmassen vollzogen, bis endlich viel- leicht nach jahrelanger Dauer dieses ersten latenten Stadiums eine tuberkulöse Meningitis oder Hydrocephalus (oder beides) hinzutrat und im Anfang des 8. Lebens- jahres Symptome einer acuten diffusen Hirnerkrankung hervorrief. Nach etwa 5 Wochen schien die Patientin geheilt: sie konnte die Schule, wenn auch nicht gerade mit glänzendem Erfolge besuchen und wurde nur selten von leichten Schwindelanfällen betroffen; Gehstörungen schienen nicht vorhanden zu sein. Dieses zweite Latenz- stadium dauerte etwa ein Jahr und ging dann ohne besondere Veranlassung wieder in einen acuten Zustand mit Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen, rapid zunehmender Benommenheit und epileptiformen Convulsionen über, der nach kaum 2 Wochen den Exitus letalis bedingte. Mindestens ein Jahr hat die Patientin also mit einer völlig zerstörten Kleinhirnhemisphäre gelebt, ohne dass ein sicheres Zeichen einer ernsteren Gehirnerkrankung bestanden hätte.

Die Besserung nach dem ersten acuten Stadium, resp. die Heilung desselben, glaubt Verf. zum Theil auf die Therapie schieben zu dürfen. Nach dem Vorgange Moleschott’s und Coesfeld’s liess er nämlich auf den geschorenen Kopf dreimal täglich kräftige Einreibungen von Jodoformsalbe (4:30) machen; freilich lässt sich bei dieser Application nicht entscheiden, wieviel dem Jodoform und wieviel der Massage zuzurechnen ist. In einem anderen Fall hatte Verf. ebenfalls von dieser Methode einen günstigen Erfolg gesehen und eine weitere Prüfung scheint daher gewiss gerechtfertigt. Sommer.

7) Tumours of the cerebellum and phenomena associated therewith; with notes of a case and pathological specimen, by Dr. Strahan. (The British med. Journ. 1884. 6. Sept. p. 464.)

Der neue Fall von Kleinhimtumor betrifft einen 12jährigen Idioten, der im Alter von 7 Jahren einer Anstalt zugeführt worden war. Er vermochte nar sehr undeutlich zu sprechen, litt an Strabismus convergens und Nystagmus, und hatte immer einen unbeholfenen Gang. Sehr schwere Belastung durch hereditäre Neuro- psychopathie.

Im 3. Jahre seines Anstalisaufenthaltes entwickelten sich, nachdem Brechneigung vorausgegangen war, epileptische Anfälle. Im letzten Jahre wurde sein Gang noch unsicherer: besonders beim Umdrehen schwankte er so heftig, dass er umzufallen drohte und später war er wirklich nicht mehr im Stande, allein sich fortzubewegen; beim Hinstürzen waren keine bestimmten Rotationsbewegungen nachzuweisen. Einen Monat vor dem Tode, der in einem epileptischen Anfall erfolgte, trat Blindheit in Folge von Neuritis optica ein.

Bei der Section fand sich neben chronischer Meningitis, Periencephalitis und Rindenatrophie ein fester Tumor von etwa 30 gr Gewicht im Mittellappen des Klein- hirns, der aber noch symmetrisch in die hinteren und inneren Partien eines jeden

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Seitenlappens eingriff. Die umgebende Substanz des Kleinhirns war so erweicht, dass bei der Herausnahme des Gehirns der Tumor an der adhärirenden Dura zurückblieb. Sommer.

8) Ett fall af tumör i lilla bjernan, af R. Bruzelius och Wallis. (Hygiea. XLVI. 2. 3. Svenska läkaresällsk. förh. 1884. S. 2. 17.)

Der 20 Jahr alte Kranke war im Alter von 15 Jahren hart auf Nacken und Rücken gefallen, ohne dass direct danach bedeutendere Symptome auftraten, erst nach mehr als 2 Jahren bekam er, angeblich nach einer Erkältung, Kopfschmerz, Schwindel und Erbrechen. Diese Symptome schwanden zwar allmählich wieder, kehrten aber im Laufe der nächsten Jahre wiederholt zurück; der Schwindel wurde ärger, wenn Pat. auf dem Rücken lag oder in die Höhe sah. Schliesslich war der Kopfschmerz stets vorhanden, steigerte sich aber von Zeit zu Zeit zu heftigen Anfällen mit hef- tigem Schweiss, die mit Erbrechen endeten, am schlimmsten war er gewöhnlich Morgens, sein Sitz war meist in der Nackengegend, manchmal aber auch in der Stirn; auch der Schwindel war continuirlich geworden. Dabei hatte das Sehvermögen auf beiden Augen bedeutend abgenommen, auf beiden Augen bestanden Scotome, Doppelsehen war mitunter vorgekommen, die Pupillen waren gleich weit, aber sehr erweitert und reagirten schlecht; die ophthalmoskopische Untersuchung ergab- beiderseits Stauungs- papille. Auf beiden Ohren hatte Pat. Saussen und Brausen, besonders rechts, wo auch das Hörvermögen etwas vermindert erschien. Convulsionen, Zuckungen oder Lähmungen hatten nie bestanden, nur mitunter taubes Gefühl im rechten Arme, aber nur vorübergehend, später bildete sich partielle Lähmung des N. facialis aus. Die elektromusculäre Sensibilität und Contractilität war normal; Haut- und Sehnenreflexe waren normal, nur an der Achillessehne fehlte der Reflex. Die Coordination der Bewegungen war ungestört, der Gang aber schwankend. Seit kurzer Zeit hatte sich Erschwerung der Sprache eingestellt, aber ohne Schlingstörung. Strabismus convergens hatte seit der Kindheit bestanden, sich aber seit der Erkrankung vermehrt. Kurz vor dem Tode collabirte Pat., wurde anästhetisch und paralytisch, die Pupillen waren stark contrahirt, in der rechten Gesichtshälfte waren heftige Muskelzuckungen vor- handen. Bei der Section fand sich eine ungefähr ?/, der rechten und !/, der linken Hälfte des Kleinhirns einnehmende Geschwulst (zellenreiches Gliom), die in der ganzen Ausdehnung des Vermis inferior von einer nur 1—2 Millimeter dicken Hirnsubstanz überdeckt war; die an die Geschwulst angrenzende Hirnsubstanz zeigte keine Veränderungen. Bruzelius erwähnt bei dieser Gelegenheit einen früher schon von ihm veröffentlichten Fall (Hygiea. XLI. Svenska läkaresällsk. förh. S. 246. 1879), in dem die ersten Hirnsymptome 25 Jahre nach einem Fall auf das rechte Seitenwandbein auftraten. Walter Barger.

9) Bulle malattia del Friedreich (atassia locömotrice erediterla); note oliniche, del dott. G. Musso. (La Rivista clinica. 1884. Ottobre.)

Werthvolle Arbeit, der 6 eigene Beobachtungen von hereditärer Ataxie zu Grunde liegen, und die hier besonders in ätiologischer und klinischer Hinsicht besprochen werden sollen.

Zunächst sei hier des interessanten Stammbaums aller 6 Patienten gedacht. Sie setzen sich nämlich aus je 3 Brüdern und Schwestern zusammen, deren Mutter resp. Vater Geschwister gewesen waren; die gemeinsame Grossmutter war melancholisch- verblödet gestorben, ihr Bruder starb atactisch. Die 8 Söhne der Grossmutter zeigten sämmtlich eine psychoneuropathische Veranlagung und 6 von ihnen starben sehr früh; der eine der beiden erwachsenen Söhne erzeugte nun mit einer völlig gesunden Frau unter 7 Kindern 3 atactische Töchter und 3 Todtgeborene. Der andere Sohn scheint

Bes 19: 2

nicht verheirathet gewesen zu sein. Die einzige Tochter gebar in ihrer Ehe mit einem ebenfalls ganz normalen Manne unter 13 Kindern wieder 3 atactische Söhne und 4 Todtgeborene. Besonders auffallend ist die Thatsache, dass die schweren Nervenleiden die zweite Generation übersprangen und dass die der letzteren ange- hörige gesunde Mutter die Ataxie nur auf ihre Söhne und ihr Bruder nur auf seine Töchter vererbte. Auch der Kinderreichthum, in der zweiten Generation 9, in der dritten 7 resp. 13 Geschwister, und die grosse Zahl der Todtgeburten, 3 resp. 4, ist bemerkenswerth.

Ferner ist zu erwähnen, dass der Beginn der Incoordination der Unterextremi- täten bei den 3 Schwestern ohne sonstige Gelegenheitsursache kurz vor der Pubertät ausbrach, während die drei Brüder erst in den zwanziger Jahren, nachdem sie sämmt- lich eine Blatterninfection überstanden hatten, erkrankten. Vielleicht kann man hieraus schliessen, dass die männlichen Nachkommen überhaupt nur leicht belastet waren, da die hereditäre Prädisposition von der weiblichen Linie herstammte, und dass dem- entsprechend dem Ausbruch der bis dahin „latenten“ Ataxie eine bestimmte Schäd- lichkeit, die häufig das Rückenmark etc. angreift, vorausgehen musste.

Der klinische Verlauf war in allen 6 Fällen so ziemlich der gleiche: nach heftigen Stirnkopfschmerzen und unter vagen rheumatoiden Beschwerden entwickelte sich schleichend eine leichte Ermüdung der unteren Extremitäten, eine Schwerfällig- keit und Unbehülflichkeit des Ganges bis zur ausgebildeten Ataxie, die nach 2—3 Jahren selbst das Stehen völlig unmöglich machte. Die oberen Extremitäten wurden in allen Fällen ebenfalls, wenn auch später, ergriffen.

Gegenüber der gewöhnlichen Ataxie, in Folge der grauen Degeneration der Hinterstränge, sei hier hervorgehoben, dass die hereditäre Ataxie weit früher aus- bricht spätestens im Anfang der zwanziger Jahre —, dass in den vorliegenden Fällen immer die Oberextremitäten ergriffen wurden, dass nie die Sphincteren, die Augenmuskeln und der Opticus in Mitleidenschaft gezogen wurden und dass das Romberg’sche Symptom (Verschlimmerung der Incoordination in der Dunkelheit oder beim Schluss der Augen) nie constatirt werden konnte. Auch fehlten die bekannten Sensibilitätsstörungen der Tabiker.

Gegenüber der disseminirten Sklerose ist besonders das Fehlen des Zitterns, der Sprachstörung und der späteren Muskelrigidität zu bemerken.

Da Verf. keine Gelegenheit hatte, eine Section zu machen, so konnte er zur pathologischen Anatomie der hereditären Ataxie keinen Beitrag liefern. Gestützt auf die früheren Untersuchungen von Friedreich, Kahler, Pick und Brousse, glaubt er ebenfalls eine spinale Erkrankung annehmen zu müssen, welche aber wahrscheinlich nur die Innervation -der Extremitätenmuskeln durch das Kleinhirn hindere.

Sommer.

10) Zur Loocalisation des Centrum ano-vesicale im menschlichen Rücken- mark, von Dr. Kirchhoff in Schleswig. (Arch. f. Psych. u. Nervenkrank- heiten. XV. 3.)

Verf. beschreibt einen Fall von Fractur des ersten Lendenwirbels bei einem 30jährigen Mann, hervorgerufen durch Sturz vom Pferd auf die Nates, im An- schluss an welchen zunächst Paraplegie und Ischurie auftraten. Während erstere nach etwa einem Vierteljahr so gut wie ganz verschwunden war, trat an Stelle der letzteren nach ungefähr 3 Wochen Incontinentia urinae et alvi und in ihrem Gefolge eine hartnäckige, unter localer und medicamentöser Behandlung sich zwar vorüber- gehend bessernde, immer aber recidivirende Cystitis, zu welcher sich zuletzt eine Pyelonephritis gesellte, der der Kranke etwa 20 Monate nach dem erlittenen Fall erlag. Bei der Section fand sich der erste Lendenwirbel keilfürmig comprimirt (die Spitze des Keils nach vorn, die kaum 2 cm hohe Basis nach hinten gerichtet) und

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den Wirbelkanal etwa um 1 cm verengend. Das Rückenmark war durchweg atrophisch, im Gebiet des ersten Lendenwirbels abgeplattet und entsprechend der Verengerung des Wirbelkanals verschoben. Die Atrophie war am hochgradigsten im Conus me- dallaris in der Gegend der Austrittsstellen des 3. und 4. Sacralnerven und betraf den Conus sowohl in toto als besonders seine rechte Hälfte, sodass auf dem Quer- schnitt der rechte Vorder- und Hinterstrang hochgradig verschmälert, vom Seiten- strang aber nur ein kleiner Keil zwischen Vorder- und Hinterhorn erhalten war. Im rechten Vorderhorn fand sich in der gleichen Ausdehnung ein fast totaler Schwund der Ganglienzellen; die austretenden Nervenfasern erwiesen sich, soweit untersucht, intact. Die genannten Veränderungen im Bereich des Conus medullaris nimmt Vorf. als anatomisches Substrat für die intra vitam constatirte Blasen-Mastdarmlähmung in Anspruch und will in dem Gebiet desselben in der Gegend der Austrittsstellen des 3. und 4. Sacralnerven einschliesslich des dort gelegenen Stilling’schen Sacralkerns des Centrum ano-vesicale localisirt wissen. Brückner.

11) Du courant constant et du courant induit dans le diagnostic des paralysies par le Dr. Scolobonzoff. (Arch. de physiol. norm. et pathol. 1884. No. 8. p. 523—534.)

Es handelt sich um eine tendenziöse mit B. (vgl. dieses Centralbl. 1884. Nr. 16. 3. 384) gezeichnete, angeblich noch gemilderte Analyse der unveröffentlichten Arbeit eines Autors, dessen wissenschaftliche Qualification als Professor der Universität in Kasan genügend durch die einzige, ihm eigenthümliche Beobachtung gekenn- zeichnet wird, dass &r dieselbe erhöhte galvanische Reaction bei auf- gehobener faradischer Erregbarkeit, wie sie schweren Facialisläh- mungen nach dem Vorurtheil der deutschen Aerzte zukommen soll, auch ohne Lähmung und Degeneration bei locomotorischer Ataxie, Chorea, cerebralen Lähmungen und auch bei gesunden Personen mit zarter Haut gesehen haben will. Der sonst lediglich polemische Inhalt lässt sich am einfachsten so skizziren, dass, nachdem Duchenne mit der Einführung der Faradisation in die Diagnostik der Lähmungen alles nöthige bereits geleistet hatte, die bösen Deutschen mit Erb an der Spitze seit 25 Jahren ganz überflüssiger Weise es gewagt haben, auch mit dem therapeutisch ganz brauchbaren (wie nachsichtig! Ref.) galvanischen Strom untersuchen zu wollen, und, gestützt auf angeblich Nichts beweisende Experimentaluntersuchungen an Kaninchen, von Abnormitäten der Reaction, besonders von der famosen Entartungsreaction fabeln, welche wahrscheinlich nur eine Eigenthümlichkeit der Heidelberger Bevölkerung sei. Ä

Es hiesse diesem traurigen Elaborat zu viel Ehre anthun, auch nur eine Blumen- lese missverstandener und irreleitender Sätze zu geben, zumal jeder sachverständige Leser sofort übersieht, dass man es nicht nur mit grober Unkenntniss selbst der Anfangsgründe zu thun hat. Was soll man beispielsweise dazu sagen, dass die Erb’sche Entdeckung des Vorkommens vun Entartungsreaction in nicht gelähmten Muskeln in Fällen von Bleilähmung mit Verschweigung letzterer Thatsache dafür angeführt wird, dass Erb selbst Entartungsreaction in nicht gelähmten und nicht degenerirten Muskeln beschrieben habe?

An der wissenschaftlichen Elektrodiagnostik und ihren verdienten Vertretern in allen Ländern wird dieser impotente russisch-französische Ansturm spurlos abprallen. Zu bedauern ist nur, dass ein von hochverdienten Gelehrten geleitetes bedeutendes Archiv seine Spalten ebenso lächerlichen wie böswilligen chauvinistischen wie jeder Wissenschaft weit entfernten Anwandlungen geöffnet hat. E. Remak.

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12) On the early occurrence of ankleclonus in hemiplegia by A. Pitres. (Brain. 1884. October p. 310—314.)

Verf. bestätigt zunächst den Westphal’schen Satz, dass das Fussphänomen in der Regel erst zwischen 8 und 14 Tagen nach dem Insult bei Hemiplegie an der gelähmten Seite zu erzielen ist, hat aber folgende Ausnahmen beobachtet:

1) Ein Student, welcher 11 Stunden vor der Untersuchung im Duell einen Degenstich durch die rechte Orbita mit unmittelbarer completer linksseitiger Hemi- plegie bekommen hatte, zeigte bei absoluter linksseitiger Lähmung ohne Rigidität, Verlust des Muskelgefühls und Beeinträchtigung der Hautsensibilität, Steigerung des Kniephänomens links und das Fussphänomen rechts angedeutet, links ausgeprägt. Noch nach einem Jahre bestand Lähmung und Rigidität des linken Beins bei un- veränderten Sehnenphänomenen.

2) Bei einem 66jährigen Hemiplegiker (rechts) war 15 Stunden nach dem mit Bewusstseinsverlust verbundenen apoplectischen Insult, Fussphänomen rechts vorhanden, links nicht. Auch in diesem Falle persistirte die Hemiplegie noch nach einem Jahre.

Diese Fälle beweisen dem Verf., dass das Fussphänomen nicht an secundäre Degeneration geknüpft zu sein braucht. Mit Ausnahme eines Falles auf syphilitischer Basis, wo das Fussphänomen 35 Stunden nach dem Einsatz der Hemiplegie con- statirt wurde, und dennoch unter entsprechender Behandlung Restitution eintrat, ist Verf. das Auftreten des Fussphänomens innerhalb der ersten Stunden als ein übles prognostisches Zeichen erschienen. E. Remak.

13) Sur la perte des röflexes tendineux dans le diaböte suore, par M. Bou- chard. (Congrös de Blois, s6ance du 10. Septembre 84. Progr. möd. No. 41.)

Unter 66 diabetischen fand B. 19 Kranke, denen das Kniephänomen fehlte; der Mangel desselben sei kein constantes Symptom der Zuckerharnruhr; die Reflexe könnten wieder eintreten, sobald der Allgemeinzustand sich hebe. Sobald der Dia- betes in eine vorgeschrittene Phase der Verschlimmerung eintrete, pflege der Reflex häufig zu verschwinden. Für sehr wichtig hält B. das Symptom, wenn andere diabetische Erscheinungen fehlten. In einem Falle von plötzlich eingetretenem Coma und in einem anderen von Urinverhaltung mit schweren Allgemeinerscheinungen erleichtert der Umstand, dass das Kniephänomen fehlte, die Diagnose des Diabetes. Was die Pathogenese des Diabetes betrifft, so bietet nach B.’s Meinung der Verlust der Sehnenreflexe keinen Anhalt für die Annahme, dass ein solcher Fall von Diabetes auf einen rein nervösen Ursprung zurückzuführen sei. Fälle von „ner- vösen“ und nicht nervösen Diabetes bieten in gleicher Weise das Symptom des man- gelnden Kniephänomens dar. * Laquer.

14) Kakke-biori-shinse. Dr. Harada. (Tokio Idzi-Shinshi dai 334 335. Kigen 2544).

Verf. hat im Jahre 1882 575 Kakke--Kranke untersucht, davon 105 in’s Tokio- Daigaku-Krankenhaus aufgenommen, 470 poliklinisch. Von den gesammten Kranken waren 550 Männer (95,65 °/,) und 25 Frauen (nur 4,35 °/,). Jugendliche Leute sind am meisten befallen, und zwar 15—25 Jahr 74,26°/,, während die Kinder und alte Leute 6,26 resp. 1,2°/, betragen. Unter den jungen Leuten fand Verf. in grosser Mehrzahl Studenten (61,4°/,). Vom Geburtsorte ist die Kakke abhängig, so dass die neu nach Tokio gekommenen Leute im ersten halben Jahr am meisten er-. kranken (18,43°/,), während mit der Zeit allmählich die Disposition sich abschwächt; 3—6malige Erkrankung hat Verf. sehr selten gesehen. Kakke kommt besonders häufig im Sommer vor, und hat eine gewisse Beziehung zu dem Grundwasserstand.

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Steigen des Grundwassers mit der nachfolgenden grossen Hitze wirkt immer günstig für die Entwickelung der neuen Krankheitsfälle.. Verf. will aus diesen und anderen Gründen ein Miasma annehmen.

: Die leichtere Form hat die Dauer von 2—13 Wochen, schwere von 7—28 Wochen. Von den tödtlich endenden Fällen ist die Dauer gewöhnlich —90 Wochen, doch hat Verf. bei den acutesten Formen innerhalb einer Woche letal endende gesehen. Kakke kann fieberhaft sein (29,5°/, von den aufgenommenen Kranken), Fieber nicht über 38,50 und gewöhnlich von 1i—3 Tagen Dauer. Fieber tritt auf entweder als Vor- bote, oder im Verlaufe von Kakke, oder kurz vor dem Tode. Von den Complicationen, am meisten Bronchitis, Lungenkatarrh, Pleuritis, ferner Magenkatarrh, Malaria, In- sufficienzen der Herzklappen.

Ausgänge: 64,76°/, geheilt, 6,67°/, gebessert, 20,0°/, toät, 8,57°/, unbekannt.

Verf. hat zur obigen Erläuternng zahlreiche genaue statistische Tabellen beigefügt. Sakaky.

15) De l’accumulation des sels de potasse dans le sörum pendant l’attaque d’6clampsie, par A. d’Espine. (Revue de med. Beptembre 1884. p. 689.)

Von Feltz und Ritter (de l’urdmie exp6rimentale, Paris 1881) ist die Ansicht vertheidigt worden, dass nicht die Retention des Harnstoffs, sondern besonders die Anhäufung der Kalisalze im Blut die Ursache „urämischer“ Erscheinungen sei. Espine veröffentlicht zwei von Frütiger und Jaccard ausgeführte Blutanalysen in einem Fall von Scharlachurämie und in einem Fall von Schwangerschafts-Eclampsie. Beide Analysen ergeben eine Vermehrung des Kaligehalts im Blute während der Convul- sionen. Nebenbei sei bemerkt, dass der Aderlass in beiden Fällen von günstiger therapeutischer Einwirkung zu sein schien. Strümpell.

Psychiatrie.

16) Un caso di malattia di Parkinson complicate da disturbi psichici, per il dott. B. Bergesio. (Arch. ital. per le mal. nervos. ete. XXI. 1884. p. 260.)

Eine 48jährige Frau wurde mit den ausgebildeten Symptomen der Paralysis agitans am 20. September 1883 in die Turiner Irrenanstalt aufgenommen, weil sie ‘seit einigen Wochen von lebhaften Verfolgungs- und Vergiftungsvorstellungen auf Grund allgemeiner Sinnestäuschungen und von heftigen Angstanfällen gequält wurde. Dabei zeigte sie bereits eine bedeutende Demenz und besonders eine auffallende Verlang- samung ihres Ideenganges; das Gedächtniss schien indess noch nicht gelitten zu haben. Die Anamnese ergab, dass die Patientin, hereditär belastet, angeblich in Folge von Gemüthserschütterungen und Geldverlusten vor ca. 5 Jahren erkrankt sei. Auf heftige Blitzschmerzen im linken Arm nnd später auch im linken Bein wäre ein Tremor der linken Oberextremität gefolgt, der nur während des Schlafes aussetze. Seit etwa 3 Jahren sei auch die rechte obere Extremität ergriffen; gleichzeitig habe sich eine Rigidität des Halses mit Beugung nach vom, sowie die characteristische Haltung der Vorderarme und Hände bemerkbar gemacht, auch klage Patientin seit- dem tiber subjectives Hitzegefühl. In der letzten Zeit hat sich dann eine Unbehülf- lichkeit und bald sogar eine Unfähigkeit des Gehens ausgebildet und der Kopf ist ebenfalls in die Zitterbewegungen hereingezogen worden.

Während des kurzen Anstaltsaufenthaltes hat sich in dem gesammten Zustande der Patientin wenig geändert; sie starb unerwartet in einem apoplectiformen Anfall am 28. November desselben Jahres.

Die makroskopische Untersuchung des Gehirns und des Rückenmarkes ergab eigent- lich keine Abnormität. In der Medulla spin. fanden sich alte Adhärenzen zwischen

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Pia und Durs; die Meningealgefässe des Lumbartheils erschienen stark injicirt, das ganze Mark selbst soll leicht erweicht gewesen sein (20 Stunden post mort.) und die Schnittfläche dunkler als normal. Der Bulbus med. oblong. war auf der Höhe der Oliven härter als normal. Im Gehirn war nichts Abweichendes zu constatiren. Die mikroskopische Untersuchung wird seinerzeit veröffentlicht werden.

Sommer.

17) Clinical observations on the blood of the insane, by S. Rutherford Macphail. (Journ. uf ment. science. 1884. Oct.)

In dem ersten bis jetzt vorliegenden Abschnitte der von der Medico-psychological Association preisgekrönten Arbeit kommt Macphail zu folgenden Schlüssen bezüglich der 40 Fälle von Demenz und chronischer Manie: Das Prozent-Verhältniss des Hämo- globins ist ohne Rücksicht auf das Alter beträchtlich gegenüber der Norm verringert; verringert und zwar steigend mit dem Alter ist auch die Zahl der Blutkörperchen; das Verhältniss der weissen Blutkörperchen zu den rothen ist normal; Hämatoblasten finden sich spärlich; weder das nach dem 30. Lebensjahre abnehmende Körpergewicht, noch auch die Jahreszeit beeinflussen irgendwie die Verhältnisse der Blutbestandtheile.

A. Pick.

18) Incourabilit6 et gudrisons tardives en aliönation mentale, par Marandon de Montyel. (Arch. de Neurol. 1884. No. 22. p. 22.)

Die Frage der Unbheilbarkeitserklärung und der späten Genesungen der Geistes- kranken hat in Frankreich zur Zeit ein actuelles Interesse durch das Ehescheidungs- gesetz. Man muss bei dem Kranken berücksichtigen 1) die Prädisposition, 2) die Form der Seelenstörung und 3) den Geisteszustand nach der sogenannten Spät- heilung.

Für gewöhnlich entsteht keine Seelenstörung ohne Prädisposition, höchstens die traumatiscbe Psychose kann ohne eine solche entstehen. Nach der Genesung besteht die Disposition meist in verstärktem Maasse fort, das Gehirn kehrt überhaupt nicht in einen ganz normalen Zustand zurück. Dies ist für weitaus die grösste Mehrzahl der Fälle die Regel, eine kleine Minderzahl existirt, lässt sich aber leider nicht wissen- schaftlich genau diagnosticiren. Von den fortbestehenden Geistesstörungen ist die Dementia sicher unheilbar, aber leider giebt es partielle nicht fortschreitende Intelligenz- defecte, deren Inhaber gemüthlich noch erregbar sind und den vollen Familiensinn- besitzen. Sodann giebt es Fälle von scheinbarer Dementia, in denen die Kranken durch Hallucinationen etc. derartig gefangen genommen sind, dass sie stumpf er- scheinen; lassen die Hallucinationen nach, so ist man erstaunt, die geistigen Fähig- keiten wieder aufleben zu sehen. Auch hier ist die Diagnose schwer, in der Regel wird ein gewisser ‚tact medical‘ helfen, diesen darf man jedoch nicht zur Unterlage eines Gesetzes machen. Wenn also Prädisposition und klinische Form keine absolute Gewähr für das Urtheil bietet, so bliebe schliesslich noch die Dauer der Krankheit. Macphail kann Beispiele anführen, bei denen noch nach 12 Jahren Genesung ein- trat. Dass der nach so langer Dauer Genesene geistig nicht so ganz frisch ist, kann nicht wundern, doch gilt dieser Umstand, welchen wir auch nach schweren körper- lichen Krankheiten finden, auch in diesen Fällen nicht als Ehescheidungsgrund.

Die Bedenken wiegen um so schwerer, als das Urtheil auf Ehescheidung nicht, wie bei der Entmündigung, rückgängig zu machen ist.

Von den gesammelten 8 Fällen von Spätheilung werden 4 genauer mitgetheilt.

Siemens.

19) Des dögendresconces psycho-cöröbrales dans les milioux ruraux, par Cullöre. (Annales mödico-psychologiques. 1884. Nov.)

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Die Untersuchung Culldöres geht von dem Gesichtspunkte aus, dass ebenso, wie die grossen städtischen Centren Heerde für die Verbreitung von allerhand Uebeln und nicht zum Geringsten von gewissen Formen der Geistesstörung bieten, auch die ‚ländlichen Centren, d. h. in sich abgeschlossene Bezirke mit einer exquisit autoch- tonen Bevölkerung, welche stagnirt unter den der psychischen Degenerescenz günstigsten Bedingungen stehen muss.

Die Arbeit Cullöre’s scheint in der von ihm beobachteten Vendsde allerdings einen besonders geeigneten Boden gefunden zu haben.

Es werden drei von einander erheblich unterschiedene Bezirke der Vond6de, das Bocage, ein, der Schilderung nach, gewissen Theilen von Westfalen und dem nörd- lichen Schleswig-Holstein nicht unähnliches Gebiet, in welchem die älteste und un- vermischteste Bevölkerung in von dichten Wallhecken umzogenen Geländen wohnt, von den Bewohnern der Plaine und des Marais unterschieden, welche beide eine mehr vermischte und cultivirtere Bevölkerung aufweisen. Die Bewohner des Bocage werden als völlig von dem Treiben der Welt unberührte, zurückgezogen lebende, unsäglich abergläubige Leute geschildert, deren Lebensweise vom hygienischen Standpunkt eine möglichst anspruchslose sein soll. Besonders wird die durch das Gesagte schon er- klärliche Inzucht hervorgehoben, welche zur Folge hat, dass dieselben Namen hei einer Menge von Insassen der Irrenanstalt wiederkehren.

Die Zahlen, welche der Bezirk Bocage in die Anstalt Roche sur You liefert, sind 4,01 per mille, während der Marais °/,,, die Plaine 3,31 per mille aufweisen.

Die Untersuchung erstreckte sich auch auf die Zahlen der Gemeinden, welche im Verlauf der letzten 30 Jahre Irre in das Asyl gesandt haben, im Vergleich mit der allgemeinen Verbreitung der Psychosen in den Cantons.

Es stellte sich dabei heraus, dass das Bocage keine Gemeinde aufwies, welche nicht Irre in das Asyl gesandt hatte, während die. beiden anderen Bezirke eine er- kleckliche Anzahl freigebliebener Gemeinden enthalten (8 und 5).

Auch enthält das Bocage die grösste Anzahl von Orten resp. Gemeinden, welche Cullöre wegen der auffällig grossen Zahl von Geisteskranken für Herde der pay- chischen Degenerescenz erklären musste.

Die Ursachen der grösseren Degeneresconz im Bocage findet Verf. weniger in den Unterschieden der Rage und der allgemeinen hygienischen Verhältnisse von Boden und Klima, als in der Inzucht der abergläubisch furchtsamen, auf mystische Rich- tung und Speculation gerichteten, schlecht genährten und schlecht wohnenden Be- völkerung.

Sehr bemerkenswerth ist eine Aeusserung des Verf. über den Einfluss des Trunkes auf die Degenerescenz: Getrunken wird nämlich anscheinend in dem Bocage wie auch anderswo, trotz der Armuth des Landstriches. Doch legt Verf. Werth darauf, dass die Landleute dort eigentlich nur an Sonn- oder Festtagen trinken und sich be- rauschen, dass aber die grösste Wahrscheinlichkeit vorliege, anzunehmen, dass zu diesen alcoholisch geheizten Zeiten mehr Cohabitationen stattfänden, als an der Ar- beit geweihten Tagen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass nach dieser präsumirten Annahme mehr Kinder unter pathologischen Verhältnissen gezeugt wurden, als bei einer gleichmässigen I,ebensweise, liegt auf der Hand.

Es folgen noch einige interessante Notizen und ein Stammbaum von psychisch degenerirten Familien und der Nachweis der Zunahme von Sterilität in Folge der Inzucht. Jehn.

Therapie.

20) Ueber die Anwendung von Brompräparaten bei Neurosen, speciell bei Epilepsie, von Prof. Küssner, Halle. (Dtsch. med. Wochenschr. 1884. 49.)

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Küssner weist darauf hin, dass erst im letzten Decennium das Brom sich den ersten Rang unter den Mitteln gegen die Epilepsie erobert habe und hebt hervor, dass die Art der Darreichung und die Dosis von der grössten Bedeutung sei. Er em- pfiehlt die Methode von Prof. Weber (Halle): Kal. brom 8,0 in ?/,—1 Liter Wasser gelöst den Tag über zu verbrauchen; mitunter wird auf 10, höchstens bis auf 12 grm pro die gestiegen. Nach mehreren Wochen fängt man dann an, das Mittel nur jeden zweiten Tag zu geben, nach mehreren Monaten nur jeden dritten Tag, später in immer grösseren Pausen. „Die Gesammtdauer der Behandlung muss sich fast immer auf Jahre erstrecken.“

In Fällen, wo es auf schnelle Wirkung ankommt, giebt Küssner das Mittel in grösseren Einzeldosen (mehrere Gramme).

Ferner empfiehlt er bei nächtlicher Unruhe kleiner Kinder (bei der Dentition) Nachmittags Bromkalium 0,25 grm. auf zwei ee Mich vertheilt, zu geben.

Hadlich.

21) Un cas de scistique rebelle; dlongation, guörison, par le Dr. de la Harpe, Lausanne. (Revue möd. de la Suisse rom. 1884. 3.)

. Die Dehnung des N. ischiadicus sin. erfolgte, nach etwa 1!/,jährigem Bestehen einer sehr heftigen, allen Mitteln trotzenden Ischias, am 22. September 1883. Nor- male Wundheilung, Schmerzen sofort verschwunden, Anästhesie anfangs des Fusses und halben Wade, später nur noch von den Zehen bis zum Knöchel; der Nagel der grossen Zehe wird nach etwa 4 Monaten, unter mangelhafter Entwickelung eines neuen, abgestossen. Nur etwa 14 Tage nach den Operationen erschienen noch einmal neuralgische Schmerzen, aber nur wenige Tage lang; dann blieben sie fort (zuletzt constatirt den 6. Februar 1884); aber es blieb eine geringe Volumsabnahme des linken Beines, ein Gefühl von Taubheit in demselben, herabgesetzte Sensibilität und mangelhafte Lokalisation; Anästhesie an den Zehen. Seine Arbeiten konnte der Ope- rirte verrichten, wie vor der Krankheit.

Verf. stellt zum Schluss 132 Fälle von Neuralgien, bei denen Nervendehnung vorgenommen wurde, zusammen: in 94 Fällen erfolgte Heilung, in 21 Fällen Besserung, in 16 Fällen kein Erfolg, in 1 Falle Tod. Hadlich.

232) L’hyosciamine, par le Dr. Peeters, Gheel. (Bulletin de la soc. de nöd. mental. de Belgique. 1884. No, 33.)

Peeters giebt in vorstehendem Aufsatze eine Zusammenstellung der über das Hyoscyamin bisher gesammelten Erfahrungen. Was seine eigenen Beobachtungen an- betrifft, so hat P. guten Erfolg in einem Falle von acuter Manie gesehen, da- gegen keine beruhigende Wirkung in einem Fall von chronischer Erregtheit, aber in beiden Fällen unangenehme gastrische Störungen, auffallende rasche Abmagerung. Trotzdem scheint dem Verf. das Hyoscyamin der Beachtung werth, da seine schlaf- machende und beruhigende Wirkung feststehe. Hadlich.

Anstaltswesen.

23) Ueber Irrenkliniken an der Hand eines Berichts über den Betrieb der Universitäts-Irrenklinik zu Heidelberg während der Jahre 1878 bis 1883, von Prof. Dr. Fürstner. Heidelberg 1884.

Die kleine Schrift ist abgesehen von dem statistischen Material über die Heidelberger Irrenklinik (Warum nicht psychiatrische Klinik? Man sagt doch auch medicinische, chirurgische Klinik und der Ausdruck „Irre“ hat nun einmal etwas

——

Abschreckendes. Ref.) besonders jetzt von Interesse, wo die Errichtung derartiger Kliniken an den Universitäten mehr und mehr zur Nothwendigkeit wird. Die ge- stellten Forderungen des genügenden Zuflusses frisch Erkrankter, der möglichsten Vereinfachung der Aufnahmebedingungen, der Zahl von 100—120 Betten in 4 Ab- theilungen für Männer und Frauen (Beobachtungsstation, halbruhige, ruhige Kranke, Pensionäre) und 1 Abtheilung für Unruhige sind unzweifelhaft vollberechtigte. Dass die Geisteskranken durch ihre Verwendung zum Unterricht keinen Schaden leiden, bestätigt auch Verf. aus seiner Erfahrung.

Interessant sind noch einige Beobachtungen über Simulation von Irresein bei Gefangnen. M.

24) Bericht über die Verwaltung der Provinzial-Irren-Anstelt Bunzlau pro 1883, von Director Dr. Sioli.

Bestand am 31. Dec. 1882: 303 M., 243 Fr. 1883 aufgenommen: 71 M., 50 Fr. Abgang: 43 M., 21 Fr. Bestand am 31. Dec. 1883: 331 M., 272 Fr.

Die Krankheitsdauer vor der Aufnahme ist in der Regel sehr lang; die Warte- zeit beträgt für Männer 1?/, Jahr, für Frauen 1 Jahr. Die Zahl der aufgenommenen Paralytiker betrug: 5 M., 1 Fr. (Viele erleben hier die Aufnahme nicht mehr). Auffallend ist die grosse Zahl der an Tuberculose zu Grunde gehenden Kranken (17 auf 37 Todesfälle). In einem Fall passiver Melancholie trat der Tod durch Perforation des Oesophagus in den hintern Mediastinalvenen ein; in der Höhle fand sich eine vollständige Häkelnadel mit Griff, die mit der Spitze die Aorta perforirt hatte. Für Arbeit der Pfleglinge wurde ausreichend gesorgt. Pro Kopf und Tag betrugen die Ausgaben 1,13 Mark, davon auf die Beköstigung 0,45 Mark (billig, aber auch schlecht, wie der Director selbst hervorhebt, der eine Besserung der Er- nährung fortdauernd erstrebt). M.

25) Rechenschaftsbericht der Administration zur Verpflegung der mittel- losen Geisteskranken der Rigaschen Stadtgemeinde über das Jahr 1883, von Director Dr. Tiling.

Bestand 1873: 72 M., 75 Fr. Zugang: 47 M. 31 Fr. Abgang: 24 M., 16 Fr. Bei dem Zugang befinden sich 22 M. und 2 Fr., die an progressiver Paralyse litten, d. h. 30,7 °/, der Gesammtaufnahme. Die Kranken wurden möglichst viel beschäftigt. Die Verpflegung eines Kranken kostete im Jahre 1883 durchschnittlich 445 Rubel pro Jahr, die eines Freikranken 176 Rubel’ (1 Rubel = 2,13 Mark). Erwähnt sei noch (zur Nachahmung in Deutschland), dass der Director neben Amtswohnung und Beheizung 6000 Rubel, der zweite Arzt ebenfalls neben Amtswohnung und Beheizung 4000 Rubel Gehalt erhält. M.

26) Der X. Jahresbericht des Brandenburgischen Hülfsvereins für Geistes- kranke zu Eberswalde 1883/84, Vorsitzender Geheimrath Dr. Zinn, weist eine Einnahme von 4075 Mark nach (Capitalbestaud 14,262 Mark). Geld- unterstützungen an Geisteskrankoe wurden gewährt in Höhe von 875 Mark.

M.

II. Aus den Gesellschaften.

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung den 8. December 1884. 1. Vor der Tagesordnung stellt Sakaky einen Fall von Hemichores mit wahrer Muskelhypertrophie vor. Der Vortrag wird in diesem Blatt in extenso erscheinen.

—_ 2%

2. Diskussion über Mendel’s Vortrag „über präepileptisches Irresein“.

Lewin bemerkt noch, dass bei dem betreffenden Patienten auch kleinere prä- epileptische Bewustseinsstörungen öfters beobachtet worden sind (Zeugenaussagen). So ergriff er manchmal bei der Arbeit (Polieren) einen falschen Gegenstand und arbeitete an demselben herum, bis er darauf aufmerksam gemacht wurde: kurz darauf trat dann ein Anfall ein:

Liman will den mitgetheilten Fall, dessen Acten er sich bat kommen lassen, nicht als einen solchen von präepileptischem Irresein gelten lassen, weil es kein reiner Fall sei. Nach den Aussagen seiner Frau treibe der Patient seit 1875 starken Abusus spirituosorum, sei manchmal 14 Tage lang betrunken gewesen, und in der Trunken- heit oft aggressiv gegen die Seinigen geworden. Es scheine ihm auch, als würde den Aussagen des Kranken selbst zu viel Werth beigelegt, und es sei doch fraglich, wie weit dieselben verlässlich seien. Liman sei zwar weit entfernt, sich dagegen auszusprechen, dass der Patient für unzurechnungsfähig erklärt: sei, aber seiner An- sicht nach sei der Grund der Unzurechnungsfähigkeit nicht präepileptisches Irresein, sondern Delirium tremens; allenfalls könne er postepileptisches Irresein bei dem Patienten als nachgewiesen zugeben.

Mendel glaubt in seinem Vortrage genügend hervorgehoben zu haben, dass der Kranke potator sei, und dass eine Coincidenz von Epilepsie und Alkoholismus vorliege. Die Frage sei nur, in welcher Beziehung steht die verbrecherische That zu jeder dieser Krankheiten? Indem Mendel noch einmal eingehend die Vorgänge recapitulirt und besonders hervorhebt, dass nach eidlicher Aussage vieler Zeugen der Kranke am Tage der That nüchtern gewesen sei und keine Spuren von Delirium tremens gezeigt babe, kommt er zu dem Schlusse, dass es doch heissen würde, den Thatsachen Gewalt anthun, wenn man nicht die geschilderten pathologischen Zustände, die etwa eine Stunde vor dem schweren epileptischen Anfalle eingetreten wareu, als präepileptische bezeichnen wollte. Liman lasse sich seinerseits wohl zu sehr durch die Aussagen der Frau über die Trunksucht des Patienten beeinflussen; diese habe aber z. B. auch ganz fälschlich ausgesagt, dass ihr Mann, als der Feuerlärm entstand, betrunken ge- wesen sei; das sei aber notorisch falsch, denn da sei er eben, gleich nach dem An- falle, noch psychisch benommen gewesen. |

8. Richter, Pankow: Ueber Cannabinon.

Vortr.vervollständigteseine Angaben überdieCannabis-Präparate von ApothekerBom- belon aus Neuenahr (cf. Nr. 21. 1884). Die fortgesetzten Versuche haben in einzelnen Fällen überraschende Wirkungen gezeigt, mehr allerdings bei weiblichen Kranken und zwar bei solchen, denen Morphium, Chloral, Paraldehyd ohne alle Wirkung gereicht war. In mehreren Fällen trat gar keine Wirkung ein, eine üble Wirkung war ausser dem einen bereits erwähnten Falle nicht beobachtet; allerdings handelte es sich auch immer nur um kleinere Gaben von 0,1, höchstens 0,2; eine einzige Patientin, welche auch lediglich nur auf dieses Mittel reagirte, bekam im Laufe des Tages schliesslich 0,5 (des Morgens 0,2, Mittags 0,1, Abends 0,2). Dieser Patientin ist es nach sechs- wöchentlichem Gebrauch nunmehr innerhalb vier Tagen abgewöhnt worden. Irgend eine unangenehme Abstinenz-Erscheinung trat nicht auf. Die vorher durch das Mittel erzielte Beruhigung ist auch nach Wegfall desselben eine dauernde geblieben. Bei der in dem ersten Aufsatz erwähnten Patientin, welche einen leichten Collaps nach der Gabe von 0,1 Cannabinon bekam, wurde nach einem Zwischenraum von 7 Wochen der Controlle wegen 0,2 Cannabinon gegeben, und nunmehr mit Strenge darauf ge- halten, dass sie ruhige Bettlage einnehme. Es trat in diesem Falle kein Collaps ein. Einen erheblichen Unterschied mache es nach der Erfahrung des Vortragenden, ob

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das Mittel in einem möglichst wenig Nahrungsmittel enthaltenden Magen oder in einen mit Speisen gefüllten Magen gelangt. In ersterem Falle ist die Wirkung eine viel kräftigere. Es tritt auch alsdann bei kleineren Dosen Pupillen-Dilatation und leichte Benommenheit ein.

Der Vortr. demonstrirt die Präparate selbst und zeigt auch gleichzeitig ein ver- bessertes Haschisch-Präparat desselben Verfertigers vor. Einige Versuche damit in Gaben von 0,03 bis 0,05 haben in so weit gute Erfolge gehabt, als die Wirkung des Mittels sich zunächst in einer etwas gehobenen Gemüthsstimmung zeigte und nach circa zwei bis drei Stunden ein ruhiger guter Schlaf erzielt wurde. Irgend eine üble Nebenwirkung wurde nicht beobachtet, jodoch sind die hiermit angestellten Versuche noch sehr wenig zahlreich.

Ferner erwähnte der Vortr. die günstige Wirkung von Cocainum muriaticum- Injectionen bei Morphinisten, theilte speciell einen Fall mit, bei welchem er bei einem die Abstinenz in seiner Anstalt durchmachenden derartigen Patienten nach der Wiener Vorschrift bei den heftigen Abstinenz-Erscheinungen Cocain-Injectionen machte, und damit die fatalen Symptome der Morphium-Abstinenz sofort unterdrücken konnte. Es wurde 5°/, Lösung angewandt, und genügten in diesem Falle stets 3 bis 4 Theil- striche vollkommen. Der Vortr. macht darauf aufmerksam, dass sich diese Mit- theilung über die wohlthätige Wirkung des Cocainum muriaticum nur zunächst auf das von Merk in Darmstadt hergestellte Präparat bezieht, das von Gehe in Dresden dargestellte Cocainum muriaticum entschieden ganz andere Wirkung zeigt, und auch schon nach mehreren Richtungen hin äusserlich als ein von dem Merk’schen ganz verschiedenes Präparat sich bemerkbar macht. Es hat einen kleinen Stich in’s Gelb- liche, während das Merk’sche vollständig weiss ist; es ist etwas grobkörniger, es löst sich vollständig klar, während das Merk’sche eine leichte Trübung zeigt; es hat fast gar keinen Geruch, während das Merk’sche einen sehr starken, aromatischen, erfrischenden Geruch zeigt; es hat eine ausserordentlich starke nauseotische Wirkung in den Dosen, in welchen bei Merk’schen Cocainum muriaticum nichts derartiges zu bemerken ist. Nach einigen von dem Vortragenden gemachten Versuchen scheint bei einzelnen Individuen jedenfalls das Cocain die Wirkung des Morphiums vollständig aufzuheben, und umgekehrt. In einem Falle wenigstens liess sich dies mit der Sicher- heit eines chemischen Experiments wiederholentlich constatiren.

Vogelgesang, Dalldorf, hat seit ca. 3 Wochen mit dem Bombelon’schen Cannabinon auf der Frauenabtheilung Versuehe gemacht, und zwar hat er es subcutan 1 bis 2,0 auf 9,0 Ol. amygd., innerlich 1,0 bis 3,0 in Ol. Oliv. 150,0 angewandt; subcutan wurde es pro dosi bis 0,2, innerlich bis 0,4 und 0,6 gegeben, doch wurde später von den subcutanen Injectionen Abstand genommen, da sie irritirend auf die Haut einwirkten.

Eine günstige Wirkung hat V. nur bei einer Hysterischen beobachtet, bei der es allerdings gelang, durch das Mittel zeitweilig auftretenden Angstzuständen, mit Gesichts- und Gehörstäuschungen vorzubeugen, und dadurch die zeitweilig noth- wendig werdende Isolirung zu beseitigen. Bei den übrigen Patientinnen wurde ein sicheres Resultat nur ausnahmsweise erreicht.

Gnauck: Ich habe das Cannabinon in meiner Anstalt auch an 11 schlaflosen Kranken versucht und bin danach der Meinung, dass dasselbe in der That die Zahl unserer Schlafmittel vergrössert. Ich habe danach fünfstündigen Schlaf gesehen, einige Mal auch Schlaf die ganze Nacht hindurch. Allein die Anwendung des Mittels hat doch manche Bedenken und auch die Promptheit und Sicherheit der Wirkung anderer Mittel, vor Allem Chloral, wird keinesfalls erreicht.

Zuerst ist es unangenehm, dass die Wirkung nicht vor 2 Stunden eintritt, häufig erst nach 3—4 Stunden, dann ist der Procentsatz der Erfolge doch ein recht geringer. Von den 11 Kranken haben nach dem Cannabinon 3 gut geschlafen, 3 wenig und 5 gar nicht geschlafen. Was die angewendete Dosis betrifft, so

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habe ich 0,1—07 Cannabin. pro dosi verabreicht. Bei denjenigen Kranken, bei welchen überhaupt eine gute Wirkung eintrat, genügte 0,1—0,2, nach 0,3 trat einige Mal noch 3stündiger Schlaf ein; höhere Dosen vergrösserten die Wirkung niemals,

Abgesehen davon fordern aber noch andere Erscheinungen bei der Anwendung des Cannabin. zur Vorsicht auf. Zuerst haben die Kranken Trockenheit im Halse verspürt, welche mit der Höhe der Dosis zunahm. Ferner traten bei einer Kranken noch 0,1 C. (ohne Schlafwirkung) Kopfbeschwerden, wie Schwindel, Kopfschmerzen, leichte Benommenheit auf, bei einer anderen Kranken nach 0,15 C. (ohne Schlaf- wirkung) leichte Aufregung, Unruhe und Angst. Eine stärkere Intoxication habe ich bei einem Kranken nach 0,3 C. gesehen. Nach dreistündigem Schlafe erwachte Pat. mit heftiger Unruhe und Angst, Zittern am ganzen Körper, unsicherer und schwerer Sprache und Steifigkeit im Genick, dabei grosse Trockenheit im Munde; Pupillen weit, gut reagirend. Da sich der Zustand nicht besserte gab ich Morph. 0,61, wonach bald Beruhigung eintrat. Am nächsten Tage noch grosse Mattigkeit und Abgeschlagenheit und wüstes Getöse am Kopfe; am zweitnächsten Tage wieder Wohlbefinden.

Eine Kranke, welche wegen heftiger Schmerzanfälle täglich Morph. 0,2 subcutan erhielt, schlief nach 0,3 C. wohl 3 Stunden, allein sie war beim Erwachen immer erregt und hatte unangehme Kopfbeschwerden, was nach 3,0 Chloral nicht der Fall war. Möglicher Weise vertragen sich Morphium und Cannabinon nicht mit einander, ja aus dem oben erwähnten Falle scheint hervorzugehen, dass sie Antidote sind.

Diese Erscheinungen fordern, bes. in der Privatpraxis, doch zur Vorsicht auf und wmahnen, nie mit einer grösseren Dosis zu beginnen, als 0,1 Cannabinon. Aller- dings ist dies individuell sehr verschieden und ich habe einmal wie schon erwähnt, einer Kranken 0,7 ohne Nachtheil gegeben, allerdings auch ohne Erfolg.

Einen Vortheil des Mittels möchte ich dem Chloral gegenüber erwähnen: das Cannabinon hinterlässt nämlich, wenn es überhaupt wirkt, gewöhnlich keine unange- nehmen Nachwirkungen, wie Eingenommensein des Kopfes, Schwere etc., welche nach Chloral ja häufig auftreten. Uebrigens ist der Schlaf nach Cannabinon ruhig und tief.

Blumenthal: Bei 4 Patienten habe ich im Laufe der letzten Monate Cannabinon angewandt, bei zweien mit recht gutem Erfolge, bei zweien mit entschiedenem Miss- erfolg. Günstig wirkte es: .

1) bei einer Dame, die durch einen entzündlichen Process in den Halswirbein von enormen Schmerzen gequält und durch 4 gr Chloral und 0,02 Morph. Schlaf be- kam. Es wurde auf Mendel’s Rath stündlich 0,1 Cannab. gegeben und nach 2 Dosen trat Ruhe und mehrstündiger Schlaf auf, ohne irgend welche unangenehme Neben- wirkungen, ausser dass sie bisweisen Gehörstäuschungen hatte (Knarren der Thüren etc.). Die Dame nimmt diese Dosis jetzt bereits seit etwa 10 Wochen jeden Abend ohne Ausnahme und hat danach vollkommen gute Nächte;

2) bei einem jungen Manne, der an Emphysem leidet und jeden Abend 2 bis 4 gr Chloral seit Monaten schon gebraucht, wandte ich mit ebenfalls günstigem Erfolge 0,2 Cannabinon an ohne Nebenwirkungen.

3) Ein Herr, der an ächter Gicht leidet und ohne Morph. 0,02 keinen Schlaf hat, nahm 0,2 Cann. in 2 Malen. Eine Stunde, nachdem er es genommen, traten auf: Gefühl von Schwere, als „ob die Adern von den Füssen zum Epigastrium mit Blei gefüllt“ wären, grosse Schwäche, Empfindung als würde er auseinander gerissen; Uebelkeit, Schwindel, erschwerte Sprache, cyanotische Färbung des Ge- sichts, Hören von Geräuschen, dann trat unruhiger kurzer Schlaf ein; Dauer des Zustandes 3 Stunden, und bis zur vollständigen Wiederherstellung dauerte es 20 Stunden.

4) Eine Patientin nahm wegen Hemicranie 0,1 Cannab. Ich wurde im Anfall gerufen und habe selbst die Erscheinungen, die denen von Nr. 3 analog waren,

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beobachtet; dasselbe Gefühl von Schwere, Cyanose des Gesichts, dieselbe er- schwerte Sprache, Schwindel, Angst die Augen zu schliessen. Fermer Aufzucken der steifen gestreckten Arme und Beine und Werfen des Kopfes nach beiden Seiten. Dann Herzklopfen und Unregelmässigkeit des Pulses. Vor Allem charakteristisch ein enormer Meteurismus, wie man ihn nur bei der heftigsten Peritonitis findet, ver- bunden mit Nausea, Athomnoth etc. Dauer 4 Stunden, bis zur vollständigen Wieder- herstellung 12 Stunden.

Die Präparate waren in den Fällen 1 und 4 aus der Apotheke in Pankow, in denen 2 und 3 aus hiesigen Apotheken entnommen.

Mendel: Nach seinen Erfahrungen würde das Cannabinon weder das Chloral noch das Morphium verdrängen können; dagegen glaube er, dass es in manchen Fällen von Agrypnie bei Hysterischen gute Dienste leiste; nur in einem Falle habe er un- angenehme Nebenwirkungen gesehen. In Bezug auf das Cocain bemerke er, dass von ihm mit Cocain behandelte Neuralgien (das Quintus) von dem Mittel absolut un- beeinflusst blieben. |

(In Bezug auf das Cocain sei hier noch bemerkt, dass in dem Verein deutscher Aerzte in Prag (Sitzung vom 14. November 1884) Prof. Kahler eine interessante Mittheilung über die sehr günstige Wirkung einer Bepinselung der Pharynx und des Zungengrundes mit einer 10°/, Cocainlösung bei unstillbarem Erbrechen einer Hyste- rischen machte). Hadlich.

Sitzung der Berliner med. Gesellschaft vom 10. December 1884.

A. Eulenburg stellt einen Fall von typischer Tabes dorsalis complicirt mit ebenfalls typischer progressiver Muskelatrophie vor. Der Kranke, ein 39jähriger Schuhmacher, nicht hereditär belastet, hat jedoch viel an Hemikranie ge- litten; 1868 Lungentzündung; 1870/71 Feldzug, dabei lange im Bivouac vor Paris. Lues nicht nachweisbar. Die ersten 'Tabes-Symptome seit fast 10 Jahren; damals Gürtelgefühl, allmählig zunehmende Unsicherheit beim Gehen und Stehen; ferner seit jener Zeit sehr ausgebildete gastralgische Anfälle, in unregelmässigen 1—2—4 wöchentlichen Intervallen wiederkehrend und mit häufigem Erbrechen (min- destens 6— 7 mal täglich) und heftigem linksseitigen Stirnkopfschmerz verbunden. Öeftere lancinirende Schmerzen in den Beinen, Blasenstörungen, Potenzabnahme, nächt- liche Pollutionen, Brach-Romberg’sches Symptom, Westphal’sches Zeichen, Myosis (2 Mon.) und reflectorische Pupillenstarre. Sehschärfe und Ophthalmoskopbefund normal. Seit Pfingsten dieses Jahres haben sich nun die Erscheinungen der progressiven Muskelatrophie an den oberen Extremitäten aus unbedeutenden Anhängen schritt- weise entwickelt. Bei der ersten Vorstellung des Pat. in der Poliklinik (12. Juni 1884) bestand nur eine Schwäche im Opponens pollicis, besonders rechts, sowie Unfähigkeit den Daumen im Interphalangealgelenk zu beugen (Flexor brevis). Dann folgte all- mählig Betheiligung der übrigen Daumenballenmuskeln, der Muskeln desKleinfingerballens, des Interossei (besonders I ext.) und der Streckmuskeln am Vorderarm (Ext. dig. comm., Ext. indicis, Ext. dig. minimi; Abd. und Ext. pollicis longus, letztere bisher vorwiegend links). Andere Muskeln sind bisher an der Funktionsstörung und Atrophie noch nicht erheblich betheiligt, nur eine gewisse Schwäche der Rückenstreckmuskeln ist unverkennbar (Ursache einer leichten, angeblich auch aus den letzten Jahren stam- menden Kyphoskoliose). Die faradische Muskelreizbarkeit an den befallenen Hand- und Vordermuskeln mehr oder weniger erheblich herabgesetzt, auch die galvanische Muskelreizbarkeit im Allgemeinen herabgesetzt, nur an einzelnen Muskeln etwas er- höht mit prävalirender ASZ. ohne eigentliche EaR. Der Vortr. erwähnt schliess- lich die von Charcot der vorliegenden seltenen Complication gegebene Deutung, wonach es sich um eine directe Fortleitung des sklerosirenden Processes von den Hinter- strängen durch das Kölliker’sche (von den inneren Wurzelbündeln zu den motorischen

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Ganglienzellen der Vorderhörner, besonders zur äusseren Gruppe derselben ziehende) Faserbündel handle, hält aber diese Erklärung noch nicht für genügend erwiesen.

Acadömie des sciences zu Paris. Sitzung vom 24. November 1884.

Vulpian spricht über die physiologischen Wirkungen des Cocain. Bei Fröschen vernichtet bekanntlich die Durchschneidung des Rückenmarkes nicht die reflectorische Bewegung in den hinteren Extremitäten. Benetzt man aber den Hintertheil vorher mit Cocain, so bleiben die hinteren Extremitäten unbeweglich nach der Operation.

Das Cocain hat die Haut anästhetisch gemacht, und mit dem Verlust der Haut- sensibilität ist die Möglichkeit reflectorischer Bewegungen verloren gegangen.

M

Soci6t6 de Biologie, Paris. Sitzung vom 22. Nov. 1884.

Laborde kommt nach seinen Versuchen an Kaninchen und Hunden, denen er Cocain injieirte, zu folgenden Schlüssen über das Cocain:

1) Das Cocain führt fast immer eine allgemeine Analgesie herbei.

2) Vor jeder anderen Erscheinung tritt eine Periode von gesteigerter Erregbar- keit oder epileptiformen Convulsionen auf.

3) Die Mydriasis ist constant.

4) Die Anästhesie der Cornea tritt viel weniger hervor (letztere aber dann, wenn man direct die Cornea benetzt). M.

IV. Bibliographie.

Realencyklopädie der gesammten Heilkunde Med. chir. Handwörterbuch für pract. Aerzte. Herausgegeben von Prof. Dr. Albert Eulenburg. Zweite umgearbeitete u. vermehrte Auflage. Wien 1885. Urban & Schwarzenberg.

Nachdem die erste Auflage dieses Werkes, die 15 Bände umfasst, in der un- verhältnissmässig kurzen Zeit von 4 Jahren kaum zu Ende geführt ist, hat sich die Nothwendigkeit einer zweiten Auflage herausgestellt. Diese Thatsache allein genügt zur Empfehlung des Werkes, das ausserdem in seiner zweiten Auflage durch Aufnahme der medicinisch-propädeutischen Disciplinen, der Anatomie, Histologie, Entwickelungs- geschichte, Physiologie und physiologischen Chemie noch eine erhebliche Erweiterung erfahren wird.

Neben dem Herausgeber bearbeiteten das Gebiet der Neuropathologie und Pay- chiatrie: Arndt, Benedict, Berger, Bernhardt, Leyden, Mendel, Oppen- heim, Pelmann, Pick, Remak, Rosenthal, Sander, Seeligmüller, Westphal. Wir zweifeln unter diesen Umständen nicht an dem günstigen Erfolge dieser zweiten Auflage und wünschen ihn auch aus voller Ueberzeugung.

V. Personalien.

Die Assistenzarztstelle an der psychiatrischen Klinik der Kgl. Charite zu Berlin ist erledigt und sogleich zu besetzen. Meldungen an den Geh. Medicinalrath Prof. Dr. Westphal.

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

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Verlag von Veır & Come. in Leipzig. Druck von Merzenr & Wırric in Leipzig.

NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Dritter EN Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

1885. 15. J anuar.

No. 2

Inhalt. 1. Originalmittheilungen. 1. Zur Lehre von der spinalen Ataxie, von W. Erb. 2. Ucber die Bestandtheile der Hinterstränge des Rückenmarks auf Grund der Untersuchung ihrer Entwickelung, vorläufige Mittheilung von W. Bechterew.

ll. Referate. Anatomie. 1. Contributions to the anatomy of the lemniscus; with remarks on laden tracts in the brain, by Spitzka.. Experimentelle Physiologie. 2. Ueber die Phathogenese der Epilepsie, von P. Rosenbach. 3. Ein Wärmecentrum im Gross- hirn, von Aronsohn und Sachs. Pathologie des Nervensystems. 4. Post-hemiplegic Hemi-Chorea associated with Insanity, by Lewis. 5. A case of acute homiplegio chorea, by Canfieid and Putnam. 6. Un cas d’hemianesthösie de cause cörebrale, avec mouvements anor- maux du bras et de la jambe heıiniplegies, pe Raymond. 7. Ueber die posthemiplegischen Bewegungsstörungen, von Greidenberg. 8. Ueber einen Fall von spinaler Erkrankung mit krblindang und allgemeiner Paralyse; frühzeitige Diagnose durch Nachweis des Fehlens des Kniephänomens, von Westphal. 9. Du röle jou6 par la möningite spinale posterieure des tabetiques dans la pathogenie des sceleroses combinees par D&jörine. 10. Ein Fall von halb- seitiger multipler Hirnnervenlähmung von Nothnagel. Psychiatrie. 11. Note sur les lesions de la dure-mere cränienne, dans la paralysie gönerale, par Camuset. 12. Notiz zur I,ehre von der Heredität, von Pick. 13. Ueber eine Typhusepidemie in der Prov. Irren-Anstalt zu Osnabrück, von Rath. 14. Ueber Zwangsvorstellungen bei Nervenkranken, von v. Krafft- Ebing. 15. Trunksucht und Dipsomanie, von Kirn. 16. Ueber Dipsomanie, von Rothamel. Therapie. 17. Neuer Beitrag zur Frage von den Erfolgen des N. facialis bei Facialis- krampf, von Bernhardt. 18. Ein rag Sur Wirkung des Ergotins bei Psychosen, von Nebel, Nachtrag von Jäckel. 19. Zur therapeutischen Wirkung des Curarinum sulfuricum, von Lehmann. Anstaltswesen. 20. Presidential address, livered at the annual nıceting of the medico- psychological Association held at the royal college of Physicians, by Rayner. 21. II. ober- bayrische Kreisirrenanstalt zu Gabersee bei Wasserburg am Inn, von Bandorf.

Il. Aus den Gesellschaften. i

IV. Bibliographie.

V. Vermischtes.

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I. Originalmittheilungen.

l. Zur Lehre von der spinalen Ataxie. Von W. Erb in Heidelberg.

Die Theorie der tabischen Ataxie ist noch immer Gegenstand lebhaften Streites. Verschiedene Ansichten werden mit mehr oder weniger triftigen Gründen, mit mehr oder weniger zahlreichen und sicheren Thatsachen gestützt.

Die eine Anschauung, für welche sich in Deutschland um mich seines eignen geschmackvollen Ausdrucks zu bedienen besonders E. T,EYDEN „in’s

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Zeug legt“, sucht die Ataxie auf Störungen der Sensibilität, der centripetalen Leitungsbahnen zurückzuführen und hält diese Störungen bei der Tabes für constant genug vorhanden und für ausreichend, um die erhebliche Beeinträch- tigung der Motilität, die wir als tabische Coordinationsstörung kennen, zu erklären (sensorische Ataxie).

Die andere Anschauung, welche nächst FrrepreicH hauptsächlich von mir vertreten wird, glaubt die Ursache der tabischen Ataxie nur in einer Störung centrifugal leitender, „coordinatorischer‘‘ Bahnen finden zu können (motorische Ataxie).

Und endlich ist neuerdings von STRÜMPELL wieder diejenige Anschauung in etwas modificirter Form in den Vordergrund gestellt worden, nach welcher es sich bei der Ataxie um Störungen einer Art von reflexübertragen-

‘den, die Bewegungen regulirenden Bahnen zwischen sensorischem und moto-

rischem Apparat handele Es scheint mir nicht, dass es STRÜMPELL gelungen sei, diese Ansicht sehr plausibel zu machen; obgleich er selbst die Ataxie das hauptsächlichste motorische Symptom der Tabes nennt, zieht er dennoch gar nicht einmal in Erwägung, dass doch vielleicht auch auf der motorischen, centrifugalen Seite der bei der Coordination thätigen Leitungsbahn Störungen vorhanden sein könnten, welche die Ataxie bedingen.

So oft und viel ich auch diese schwierige Frage mir überlegt und mit Fachgenossen discutirt habe, so hat sich mir doch immer wieder mit geradezu zwingender Nothwendigkeit der Satz aufgedrängt, dass überall da, wo bei lang- gewohnten, eingeübten Bewegungen, für welche eine sensorische Controle absolut nicht mehr nöthig und auch gar nicht möglich ist, Coordinationsstörung eintritt. (besonders wenn dies bei offenen Augen geschieht) die Ursache für dieselbe lediglich in dem Theile der motorischen Bahn gesucht werden muss, welcher zwischen dem Willensorgan und den vorderen Wurzeln liegt. Diese Bahn führt wohl von dem Willensorgan über die Coordinationscentren zu den motorischen Apparaten und da die einfachen, directen cortico-musoulären Leitungsbahnen bei der Ataxie nicht gestört zu sein scheinen, müssen wir nothwendig noch andere centrifugal leitende Bahnen annehmen, welche eben diese coordinatorische Leitung besorgen („ooordinatorische“ Bahnen).

Ich verkenne dabei keineswegs, dass auch Störungen der Sensibilität, Störungen der „sensorischen Controle“ einen gewissen Einfluss auf die Ent- wickelung und den Grad der Ataxie haben können und ich habe es ja wieder- holt ausgesprochen, dass die sensorische Theorie der Ataxie mir zunächst recht ansprechend und plausibel erscheint, dass sie mir aber wegen bestimmter ent- gegenstehender Thatsachen immer wieder unannehmbar geworden ist. Ich meine auch, dass überhaupt mit aprioristischen Anschauungen und mit blossen Gründen diese schwierige und mit so viel Dunkelheit umgebene Frage nicht definitiv entschieden werden kann und dies um so weniger, als es überhaupt nicht leicht ist, sich eine ganz befriedigende schematische Vorstellung von den bei der Co- ordination und bei der Ataxie ablaufenden Vorgängen und ihren Wegen zu machen. |

Deshalb erscheint es dringend geboten, alle die vorliegenden Theorien an der Hand von Thatsachen auf ihren Werth zu prüfen: mit Thatsachen, die allerdings sorgfältig ausgewählt und genau festgestellt sein müssen; gegen ihre Logik wird sich kein Widerspruch erheben können und wer wirklich ernstlich nach einer Lösung der schwierigen Frage strebt, wird sie nicht einfach i ignoriren dürfen.

Speciell in Bezug auf die sensorische Thevrie der Ataxie muss ich immer wieder betonen, dass dieselbe absolut unhaltbar ist, wenn es nachweisbar Fälle giebt, in welchen 1. hochgradige spinale Sensibilitätsstörung besteht ohne Ataxie oder in welchen 2. ausgesprochene spinale Ataxie besteht ohne jede nachweisbare Sensibilitätsstörung.

Solche Fälle sind nicht sehr häufig; aber von beiden Kategorien existirt doch immerhin schon eine genügende Zahl, die von guten Beobachtern herrührt: erstaunlicher Weise werden aber Werth und Bedeutung derselben immer wieder in Zweifel gezogen und manche Autoren, die.derartige Fälle selbst zu unter- suchen nicht Gelegenheit hatten, verhalten sich, wie mir scheint, allzu skeptisch gegen dieselben. Es liegt auf der Hand, dass gerade Fälle von typischer Tabes sich nur selten für diese Beweisführung eignen, weil bei dieser Krankheit sich ja Sensibilitäts- und Coordinationsstörung in der Regel vereinigt finden; werth- voller sind diejenigen Beobachtungen, in welchen sich entweder Sensibilitäts- störung allein oder Ataxie allein in einer der tabischen möglichst ähnlichen Form vorfinden.

Ich veröffentliche deshalb den folgenden, jüngst in meiner Klinik längere Zeit beobachteten und genau untersuchten Fall von spinaler Ataxie ohne Sensibilitätsstörung, der auch nach verschiedenen andern Richtungen hin grosses Interesse bietet,

Peter Rickert, 52 Jahr alt, Zimmermann von Nieder-Selters, eingetreten am 9. November 1884.

Pat. stammt aus gesunder Familie; Eltern sehr alt gestorben, Geschwister gesund; in der Verwandtschaft keine ähnliche Krankheit. Er hat nie Syphilis oder andere sexuelle Infection gehabt; hat keine sexuellen Excesse begangen, ist kein Potator, war selbst nicht „nervös“, hat kein Trauma erlitten; beschuldigt Erkältung und Strapazen (viel Arbeiten im Wasser im Winter 1880/81) als Ursache seiner Krankheit.

Beginn der Krankheit im Februar 1881 mit zunehmender Schwäche und Unsicherheit im Gehen, besonders beim Treppenherabsteigen; Pat. musste sich bald eines Stockes beim Gehen bedienen. Ob Parästhesien der Füsse und Unter- schenkel im Beginn bestanden, ist nicht sicher, jedenfalls sind solche seit dem Sommer 1881 nicht mehr aufgetreten. Dagegen giebt der Kranke an, öfter ziehende und reissende Schmerzen in den Waden zu haben, besonders wenn ihm die Beine kalt werden und bei Witterungswechsel; doch ergiebt sich aus wiederholtem Befragen, dass diese Schmerzen sehr wenig Aehnlichkeit mit den lancinirenden Schmerzen der Tabes haben; sie sind in der neueren Zeit viel seltener geworden.

Nie Doppelsehen; uje Blasenschwäche; kein Gürtelgefühl; nie Schwindel, Er- brechen oder Hinterhauptsschmerz.

Pat. war im Sommer und Herbst 1881 lange Zeit hier auf der Friedrpich'- schen Klinik in Beobachtung: er bot damals dasselbe Bild wie heute; nur scheint

nach den damaligen Aufzeichnungen vielleicht eine grössere Tebhaftigkeit der Sehnen- reflexe und deutliche Muskelspannung in den Beinen bestanden zu haben.

Seitdem ist keine wesentliche Veränderung mehr eingetreten; Pat. war lange Zeit im Spital zu Marburg wegen einer Schnittverletzung oberhalb des rechten Hand- gelenks, durch welche einige Fingerbeugesehnen und ein kleiner Theil des Medianus geschädigt wurden.

Trat jetzt bei uns ein wegen Pediculi vestim. und wurde seiner Ataxie wegen dann zu längerer Beobachtung behalten.

Stat. praes. Pat. ist ein mittelgrosser, starkknochiger und muskelkräftiger Mann, fieberlos, mit normalen Brust- und Bauchorganen.

Er fällt alsbald auf durch seinen ausgesprochen atactischen Gang, der jedem Beobachter sofort die Vermuthung einer vorliegenden Tabes aufdrängt. Die genauere Untersuchung bestätigt jedoch nur, dass es sich in der That um eine unzweifelhafte Ataxie handelt, die mit der bei Tabischen vorkommenden voll- kommen identisch ist: dasselbe Wackeln beim Stehen mit geschlossenen Füssen, die- selbe Unfähigkeit auf einem Fusse zu stehen, dasselbe Heben der Foorse, Schleudern und Stampfen, dieselbe Breitspurigkeit beim Gehen; beim plötzlichen Anhalten, beim Kehrtmachen, beim raschen Aufstehen vom Stuhl, beim Treppensteigen u. s. w. genau die gleichen Bewegungen und Schwankungen wie bei tabischer Ataxie, so dass für den genauen Beobachter nicht der mindeste Zweifel über die Identität dieser Ataxie mit der tabischen bestehen konnte. Auch das Rückwärtsgehen ist dem Kranken fast unmöglich; er droht alsbald hinzufallen.

Ebenso ist bei der Untersuchung im Liegen die Ataxie sehr deutlich: Zickzackbewegungen beim Kreisbeschreiben, Wackeln beim Heben des Beines, Un- sicherheit beim Niederlassen desselben, Anstossen an das andere Bein dabei ete. ganz genau wie bei Tabischen.

Durch Augenschluss wird die Ataxie nur wenig. deutlicher. Die grobe Kraft der Beine ist ganz normal und erheblich gross. Muskelspannungen bestehen in ganz mässigem Grade (willkürliche Innervation?); keinenfalls besteht die vollkommne Muskelschlaffheit, wie so häufig bei Tabes.

Die Prüfung der Hautsensibilität selır häufig und mit grosser Surg- falt gemacht ergiebt nicht die leiseste Störung derselben: Tast-, Schmerz-, Tenıperatur-Empfindung, Drucksinn und Raumsinn, die faradocutane Sensibilität er- weisen sich durchaus normal. Selbst stereognostische Versuche an den mit unge- wöhnlich derber Epidermis versehenen Fusssohlen ergeben keine Anomalie: Pat. er- kennt Messer, Schlüssel, eine Nuss, eine Wachskerze mit befriedigender Sicherheit nach ihrer Form und Grösse.

Auch die Prüfung der Muskelsensibilität ergiebt ganz normale Ver- hältnisse oder doch nur so unerhebliche Störungen, dass dieselben kaum in Be- tracht kommen. Beim Schliessen der Augen mit etwas gespreizten Füssen tritt keine Spur von Schwanken ein; ebensowenig wenn die Fersen aneinandergesetzt werden; nur bei ganz geschlossenen Füssen, wo Pat. ohnedies schon etwas wackelt, tritt beim Augenschluss eine Verstärkung dieses „Wackelns‘“ ein (besonders wenn Pat. etwas erregt ist, z. B. einem grossen Auditorium vorgestellt wird), aber niemals eigent- liches Schwanken, wie bei Tabischen, die man zum Vergleich daneben stellt; er droht nicht umzufallen, macht keine wirklichen Schwankungen und man kann ihn unbe- stimmt lange Zeit unbesorgt stehen lassen, obgleich das „Wackeln‘“ dann ziemlich lebhaft werden kann. Es liegt also hier keine Störung des Muskelsinnes vor, son- dern nur eine Steigerung der atactischen Störung durch den Wegfall der Controle mit den Augen. Auch Geben mit geschlossenen Augen gelingt ganz gut; doch ist Pat. dabei wacklig und ängstlich.

Die Ausführung von allerlei complicirten Bewegungen mit geschlossenen Augen (Berührung des Kniees mit der anderseitigen Ferse, Berühren der vorgehaltenen Hand

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mit den Zehen etc.) geschieht so sicher und richtig wie bei Gesunden. Pat. bringt das eine Bein genau in dieselbe Lage, in welche man das andere vorher gebracht hat und macht bei diesen Versuchen nur hie und da kleine Fehler, die sich auf eine Differenz von wenig Centimetern belaufen. (Beim Vergleich mit 2 jungen Männern Soldaten —, welche dieselben und noch erheblichere Differenzen darbieten, zeigt sich zur Evidenz, dass solche geringe Fehler noch ganz in die physiologischen Grenzen fallen.) Ebenso giebt er die Richtung passiver Gelenkbewegungen mit geschlossenen Augen mit vollkommner Zuverlässigkeit an. (Doch waren diese Ver- suche nur unvollkommen auszuführen, weil Pat. die vollkommne willkürliche Er- schlaffung seiner Muskeln nicht zuwege brachte.)

Es bestehen also gar. keine oder doch nur ganz minimale, in die physio- logische Breite fallende Störungen der Muskelsensibilität.

Die Hautreflexe sind lebhaf. Die Sehnenreflexe durchaus normal, sehr lebhaft, aber nicht pathologisch gesteigert; jedenfalls sind sie nicht ver- mindert. Ernährung der Haut, der Muskeln, der Knochen etc. durchaus normal. Füsse meist warm, leicht schweissig.

Blasen- und Geschlechtsfunction vollständig normal; niemals die geringste Blasenstörung.

In den oberen Extremitäten keine Spur von Motilitäts- oder Coordinations- störung (mit Ausnahme der durch die Verletzung am rechten Handgelenk bedingten), keine Störung der Haut- oder Muskelsensibilität; Sehnenreflexe normal.

Sämmtliche Hirnnerven normal; speciell die Augenmuskeln, die Pupillen, die Sehschärfe vollkommen normal. Keine Störung der Sprache, der Intelligenz, des Gedächtnisses. Leichtes Kopfweh tritt hie und da einmal in der Stirngegend auf sonst besteht keinerlei cerebrales Symptom.

Eine Veränderung in dem Zustande des Kranken ist seither nicht eingetreten.

Ganz besonderes Interesse gewährte nun der Vergleich dieses Kranken mit wirklich Tabischen; da ich gerade mehrere derselben zur Verfügung hatte, so war es mir möglich, einen, der ungefähr denselben (nur um Weniges geringeren) Grad von Ataxie neben den übrigen klassischen Symptomen der Tabes darbot, unserm Kranken gegenüberzustellen. Das war sehr instructiv.

Beide Kranke zeigten genau dieselbe Art und fast genau den gleichen Grad der Coordinationsstörung: es gewährte einen ebenso komischen wie belehrenden Anblick, die Beiden nebeneinander durch den Saal marschiren, auf Kommando Halt oder Kehrt machen zu sehen und ebenso trat auch bei der Untersuchung im Liegen die voll- kommenste Identität der Bewegungsstörung bei Beiden zur Evidenz hervor.

Welcher Unterschied dagegen in der Sensibilität! Während bei unserm Kranken die genaueste Untersuchung kaum eine Spur von Sensibilitätsstörung nachwies, hatte der Tabische erhebliche Abstumpfung der Tast- und Temperaturempfindung an den Füssen und Unterschenkeln, Analgesie, verlangsamte Leitung, mangelhaften Raumsinn und so bochgradige Störungen der Muskelsensibilität, dass er beim Schliessen der Augen sofort in starkes Schwanken gerieth und nach wenigen Secunden hinstürzte; dass er ocul. claus. über die Lage und Stellung seiner Glieder höchst mangelhaft orientirt war und verlangte Bewegungen nur gänzlich unsicher ausführen konnte. Und dabei hatte er noch etwas geringere Ataxie als der andere Kranke!

Also bei den Beiden die vollkommenste Identität der Coordinations- störung und die hochgradigste Differenz in der Sensibilitätsstörung! Wahrlich, schon die Gegenüberstellung dieser beiden einzelnen Fälle muss den Glauben an die Richtigkeit des immer wiederholten Satzes erschüttern, dass der Grad der Coordinations- und der Sensibilitätsstörung immer auch nur annähernd parallel gehen!

Epicrise: Der im Vorstehenden beschriebene Fall bietet nicht geringe diagnostische Schwierigkeiten: das einzige Symptom, das der Kranke darbietet,

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ist eine hochgradige Coordinationsstörung von dem Charakter der spinalen Ataxie, ohne alle sonstigen Störungen, mit Ausnahme etwa der selten auftretenden und geringfügigen Schmerzen in den Waden und der zweifelhaften, ganz minimalen Herabsetzung des Muskelsinns. Jedenfalls ein sehr eigenthümliches Krank- heitsbild !

An eine cerebrale oder cerebellare Erkrankung ist wegen des Fehlens aller Kopferscheinungen und des absoluten Freiseins der obern Extremitäten wohl nicht zu denken; bleibt also nur eine spinale Localisation übrig.

Dass es sich nicht um eine gewöhnliche Tabes handelt, ist bei dem Fehlen aller initialen Symptome dieses Leidens kaum zweifelhaft: die Schmerzen haben nicht den Charakter der lancinirenden, ‚Parästhesien und Sensibilitätsstörungen fehlen, die Sehnenreflexe sind erhalten, die Blasenfunction, die Pupillen, die Augenmuskeln sind normal und doch besteht das Leiden schon 3 Jahre! Ausserdem hat der Kranke nie eine syphilitische Infection gehabt. Oder sollte es möglich sein, dass gelegentlich auch einmal die Ataxie das erste und aus- schliessliche Symptom der Tabes ist, dass die „coordinatorischen Bahnen“ einmal zu allererst von dem Leiden betroffen werden? Ich muss gestehen, dass mir dieser Gedanke nicht recht plausibel erscheint.

Ebenso wenig möchte ich annehmen, dass es sich etwa um eine im späteren Lebensalter aufgetretene Frieprzicn’sche Ataxie handelt; denn auch bei dieser pflegt denn doch die Ataxie nicht das einzige Symptom zu sein, ganz abgesehen von andern Erwägungen.

Da auch keine Alcoholintoxication vorliegt, muss die Diagnose also noch in suspenso bleiben. Der Fall bietet in seiner Eigenart schon als pathologische Rarität ein nicht geringes Interesse.

Gerade wegen seiner Eigenthümlichkeit habe ich natürlich auch die Mög- lichkeit einer etwaigen Simulation sorgfältig erwogen; es hat sich nicht der leiseste Anhaltspunkt für eine solche ergeben, ganz abgesehen von der Unwahr- scheinlichkeit, dass sich ein Mensch aus diesem Stande gerade dieses eine Symptom zur Simulation auswählen wird und von der, wie mir scheint, offenkundigen Unmöglichkeit, dasselbe bis in alle Details mit solcher Virtuosität nachzuahmen, wie dies hier der Fall sein müsste.

Es bleibt also unentschieden, von welcher Art und Localisation das doch wohl sicher spinale Leiden in diesem Falle ist. Es wäre müssig, darüber weitere Vermuthungen zu äussern, so lange nicht andere ähnliche Fälle vorliegen und bevor einmal die Möglichkeit der anatomischen Untersuchung des Rückenmarks in einem solchen Falle gegeben ist. Gleichwohl darf die Berechtigung nicht bezweifelt werden, diesen Fall für die Theorie der Ataxie zu verwerthen: die Coordinationsstörung ist eine so charakteristische, das Fehlen jeder nennens- werthen Sensibilitätsstörung mit solcher Sicherheit constatirt, dass ich nicht an- stehe, ihn. als ein hervorragendes Beispiel von spinaler Ataxie ohne gleichzeitige Sensibilitätsstörung zu bezeichnen.

Es ist klar, dass ich ihn nicht als einen absoluten Beweis. gegen die sen- sorische Theorie der Ataxie ansehe; denn die Ataxie könnte ja eine mehrfache

2 Be

Entstehungsweise haben, und eine ganz entscheidende Beweiskraft kommt selbst- verständlich nur den Fällen von spinaler Anästhesie ohne Ataxie zu. Immerhin aber ist unser Fall eine werthvolle Ergänzung für diese letzteren und reiht sich den anderen bekannten Beobachtungen ähnlicher Art an. Besonders wichtig scheinen mir in dieser Beziehung die interessanten Mittheilungen von RÜTIMEYER über hereditäre Ataxie!: unter seinen Beobachtungen finden sich mehrere Fälle mit hochgradiger Ataxie der oberen und unteren Extremitäten mit höchstens ganz minimalen Sensibilitätsstörungen, welche lediglich die von FRIEDREIOH bereits erhobenen Befunde bei solchen Kranken bestätigen. Und dann halte ich die Beobachtungen von Kasrt? für äusserst bemerkenswerth, welcher bei zwei Reconvalescenten von schwerer Compressionsparaplegie, nachdem die grobe motorische Kraft schon wieder vollständig hergestellt war, die exquisiteste Ataxie eintreten sah, ohne erhebliche Störung der Sensibilität, besonders ohne jede Störung des Muskelsinnes. Mit diesen Beobachtungen scheint mir ein Postulat der motorischen Theorie der spinalen Ataxie in sehr befriedigender Weise erfüllt.

Es ist übrigens nicht meine Absicht, hier noch genauer auf die Theorie der spinalen Ataxie einzugehen: ich würde dem, was ich bereits an anderem Orte? ausführlich besprochen und mit, wie mir auch heute noch scheint, unangreif- barer Folgerichtigkeit entwickelt habe, nichts Wesentliches hinzuzufügen und auch nichts davon zurückzunehmen haben; ich bin im Gegentheil durch die seither bekannt gewordenen Beobachtungen sowohl von Anästhesie ohne Ataxie, wie von Ataxie ohne Anästhesie nur in der Richtigkeit der dort vorgetragenen Anschauung bestärkt worden. Dass diese Anschauung ebenfalls noch viel Schwieriges und Hypothetisches hat, verhehle ich mir nicht, aber ich halte sie vorläufig noch für besser begründet, als die Theorie von der sensorischen Ataxie. Und auch der im Vorstehenden mitgetheilte Fall scheint mir für die Richtig- keit meiner Ansicht einzutreten.

Heidelberg, December 1884.

2. Ueber die Bestandtheile der Hinterstränge des Rücken- marks auf Grund der Untersuchung ihrer Entwickelung. Vorläufige Mittheilung von W. Bechterew aus St. Petersburg.

(Aus dem Laboratorium von Prof. FLecHsıe zu Leipzig.)

Bei der Untersuchung embryonaler Rückenmarke im Alter von 5 bis 7—8 Monaten habe ich gefunden, dass man nach der Zeit der Markbekleidung der Fasern in den Hintersträngen nicht, wie bisher angenommen wurde, zwei, sondern drei verschiedene Bündel unterscheiden kann.

ı RÜTIMEYeR, Ueber hereditäre Atarie. Virchow’s Arch. Bd. 91. 1888.

% A. Kıst, Ueber Bewegungsataxie bei acuten Querschnittserkrankungen des Rücken- marks. Festschrift, der 56. Vers. deutscher Naturf. u. Aerzte gewidmet von der naturforsch. Gesellsch. z. Freiburg i. B. 1883.

3 Erz, Handb. d. Krankh. d. Rückenmarks. 2. Aufl. Leipzig 1878. S. 95 ff, u. 8. 574 ff.

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Bei 5—-6monatlichen Foetus, bei denen in den Vorder- und Seitensträngen nicht nur die Pyramidenbahnen, sondern auch die directe Kleinhirnseitenstrang- bahn, die Grenzschicht der grauen Substanz (FLeonsıe) und ein Theil der sogen. vorderen gemischten Zone fast ganz marklos sind, bestehen auch die Hinterstränge, mit Ausnahme eines sehr beschränkten Abschnittes, zumeist noch aus myelin- losen Fasern. Zunächst sind die Goun'schen Stränge wohl durchweg marklos; was jedoch die BurpAacnH’sohen Stränge anbetrifft, so zerfallen dieselben in zwei Abschnitte einen hinteren peripheren inneren, der von der Eintrittsstelle der hinteren Wurzeln bis zu den Gouu’schen Strängen reicht und zum Theil aus ganz marklosen, zum Theil aus solchen Fasern besteht, die nur eine sehr zarte Markscheide besitzen, und einen vorderen, der sich längs der ganzen inneren Grenze der Hinterhörner bis zur hinteren Commissur erstreckt und fast ausschliesslich dicke, mit Myelin bekleidete Fasern enthält.!

Wenn man dagegen ein etwas älteres Rückenmark untersucht (ungefähr vom Ende des 6. oder Anfang des 7. Monates des fötalen Lebens), so erscheinen im Gebiet der Hinterstränge nur die Gozn’schen marklos, in (?) denen nur stellenweise markhaltige Fasern auftreten, während die BurpAcH’schen Stränge fast durchweg aus markhaltigen bestehen. In letzteren finden sich indess auch noch in diesem Alter einige Spuren der obenangedeuteten Differenzirung: das an die Hinterhörner grenzende Gebiet der Burpack’schen Stränge enthält, wie im ersteren Fall, dicke Fasern mit gut entwickelter Markscheide, während ihre hintere periphere, an die Gout’schen Bündel stossende Region aus Fasern besteht, die eine sehr zarte und dünne Scheide besitzen.?

Am Ende des 7. und im 8. Monat des Fötallebens bestehen bereits die ganzen Hinterstränge mit Einschluss der Gout’schen nur aus markhaltigen Fasern.

Die oben erwähnte Differenzirung einzelner Abschnitte im Inneren der Hinterstränge des fötalen Rückenmarkes tritt mit frappanter Anschaulichkeit besonders an Präparaten hervor, die nach Wrıserr’s Methode behandelt sind, indem die markhaltigen Fasern sich schwarz färben, die marklosen Gebiete da- gegen entweder ganz ungefärbt bleiben oder eine leicht gelbliche Färbung annehmen.

Es ist also offenbar, dass die Markbekleidung der Fasern in den Hinter- strängen, die ungefähr im 8. Monate des Fötallebens ihren Abschluss erfährt, nicht in allen Abschnitten derselben zu gleicher Zeit geschieht, sondern, wie auch in anderen Gebieten des Rückenmarkes dem Gesetze consecutiver Ent-

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! Dieser Theil der BuenacnH’schen Stränge besteht, wie auf Grund histologischer Untersuchungen bekannt ist, hauptsächlich aus den hier eintretenden Fasern des inneren Bündels der hinteren Wurzeln, welche in dieser Entwickelungsperiode des fötalen Rücken- markes in der Tbat meistens Fasern mit gut entwickelter Markscheide enthalten.

? Die Angabe, dass in fötalen Rückenmarken von 30 oder weniger Centimetern die Gour’schen Stränge zum grössten Theil aus marklosen Fasern bestehen, wurde bereits von Frecnsıs gemacht (s. dessen „Leitungsbahnen im Gehirn und Rückenmark des Menschen.“ Leipzig 1876).

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wickelung verschiedenartiger Bündel unterliegt. Zu allererst tritt die Mark- bekleidung in der vorderen äusseren, an das Hinterhorn grenzenden Portion der Burpacu’schen Bündel auf, die hauptsächlich aus Wurzelfasern bestehen; da- nach entwickeln sich die Markscheiden in dem peripheren hinteren Theil der Bunpach’schen Stränge, und noch später in den Goun’schen.

Dank diesem Gesetze der conseoutiven Entwickelung, oder Markbekleidung einzelner Bündel oder Systeme, besitzen wir die Möglichkeit, mit völliger Ge- nauigkeit die gegenseitige Lage und verhältnissmässige Grösse der besagten Be- standtheile der Hinterstränge (der Gour’schen Bündel und der obenerwähnten zwei Portionen der. Burpacu’schen) auf verschiedenen Höhenabschnitten des Rückenmarkes zu bestimmen, worüber ich bei der ausführlichen Veröffentlichung meiner Untersuchungen Näheres angeben werde.

Hier will ich nur noch bemerken, dass die Eintheilung der Burpacna’schen Stränge in zwei scharf gesonderte Portionen eine vordere äussere bezw. radi- culäre, welche die Bezeichnung „Grundbündel des Hinterstranges“ beibehalten dürfte, und eine hintere periphere von besonderer Bedeutung, sowohl in pathologisch-anatomischer, als auch in klinischer Hinsicht ist. Jeder der ge- nannten Theile der Burpacu’schen Stränge kann, wie ich auf Grund von Prä- paraten aus einigen Tabesfällen zu erschliessen vermag, mehr oder weniger isolirt erkranken, und deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass die nicht selten zu be- obachtende Verschiedenheit in den klinischen Symptomen des Anfangsstadiums dieser Krankheit zu der primären Localisation der Sklerose in diesem oder jenem der bezeichneten Abschnitte der Burpacn’schen Stränge in Beziehung steht.

Leipzig, den 10. December 1884.

Il. Referate,

Anatomie.

1) Contributions to the anstomy of the lomnicus. With remarks on centri- petal tracts in the brain, by E. C. Spitzka. (The Medical Record. 1884. Nr. 15—18. Vol. 26.)

Nach einer Reihe von kritischen und historischen Bemerkungen über den gegen- wärtigen Stand der Frage nach dem Verlauf und der Zusammensetzung der sogenannten Schleife (lemniscus) und nach kurzer Besprechung der verschiedenen hirn-anatomischen Untersuchungsmethoden und der gröberen anatomischen Verhältnisse des in Frage stehenden Faserzuges berichtet der Verf. über seine eigenen Untersuchungsresultate. Er studirte zunächst am Gehirn eines Individuums mit alter hämorrhagischer Erwei- chung in der linken Brücke (nahezu ausschliesslich auf das Faserareal der Schleife beschränkt) die secundären Emtartungen. Bei Verfolgung der secundären Degeneration in absteigender Richtung zeigte auf sämmtlichen Schnittebenen das Feld der Oliven- zwischenschicht (Flechsig) einen hochgradigen Faserausfall und Entartung; das atrophische Feld dehnte sich in den mittleren Querschnittsebenen der Medulla obl., zum Theil auch auf das zwischen unterer Olive und Pyramide liegende Faserareal aus. In den caudalen Ebenen des verlängerten Marks verbreitete sich die Degeneration, die Raphe kreuzend, in weitgehender Weise auf die circulären Fasern (Fibr. arciform.)

EIER. v per

der rechten Seite und zog, die Mehrzahl der Letzteren zum Schwunde bringend, zu den Kernen der Goll’schen und der Burdach’schen Stränge der rechten Seite, welche Kerne, (insbesondere der örsterwähnte) an der Degeneration sich erheblich betheiligten.! Die zarten und die Keilstränge zeigten sich intact.

Im Anschluss an die sorgfältige Untersuchung dieses Präparates studirte Verf. die Schleifenfaserung auch an nach verschiedenen Richtungen geschnittenen Gehirnen von normalen Menschen, vom Hund, Affen, Löwen etc. Er kommt unter Berück- sichtigung der Arbeiten von Flechsig, Homen, Meyer, Starr, Wernicke, des Referenten u. A. bezüglich des Ursprungs und der Zusammensetzung der Schleife zu folgenden Ansichten.

Die Schleife entspringt von unten in zweifacher Weise. Der Haupttheil ihrer Fasern wird gebildet durch die aus den Kernen der zarten und der Keilstränge stammenden circulären Fasern, welche die Raphe kreuzend (piniform decussation) in dem Areal der Olivenzwischenschicht aufwärts ziehen. Ein kleiner Theil der Schleife stamme vermuthlich aus dem Vorderstrangrest (Homen’s Fall), möglicherweise aber auch zum Theil direct aus den Hintersträngen; dies ist der sog. Fascicul. olivar. (Roller), welcher sich der longitudinalen Olivenfaserung anschliesst und die Olive durchsetzt. Auch das sogenannte solitäre Bündel (Respirationsbündel von Krause), dessen Beziehungen zum Vaguskern Verf. energisch bekämpft, rechnet er zur Schleifen- faserung. Dieses Bündel, welchem er den Namen ‚Trineural fasciculus‘“ giebt, soll sich, wie es auf manchen Querschnitten ersichtlich sei, ebenfalls aus der „piniform decussation“ (Kreuzung der Bogenfasern) bilden und ist Verf. geneigt, in dem soli- tären Bündel, welches in dem oben citirten pathologischen Präparat nur sehr un- bedeutend atrophisch war, eine Fortsetzung des Funic. olivar. zu erblicken; wahr- scheinlich ziehen Fasern aus diesem Bündel bis in die Gegend des Loc. coerul.

In den mittleren Ponsebenen finde innerhalb der Schleife eine Trennung statt in ein mediales Bündel (lemnisco-pedal tract.?) und ein laterales, von denen das erstere höchstwahrscheinlich nur abwärts, das letztere aber nach aufwärts und abwärts degenerire.

Wohin das mediale Bündel (lemnisco-pedal tract.) speciell von der Brücke aus ziehe, vermag der Verf. nicht mit Sicherheit anzugeben, er nimmt indessen an, dass der grösste Theil der Olivenzwischenschicht und somit auch der Schleife sich theils durch Vermittelung des Graus des Thal. opt. (?), theils direct in die hinteren Ab- schnitte der inneren Kapsel sich ergiesse und, wie sagittale Schnitte am Affengehirn zeigen, in die parietalen und z. Th. auch centralen Windungen des Grosshirns endige. Ein kleiner Faserabschnitt des lateralen Bündels, nimmt Verf. in Uebereinstimmung mit Flechsig an, ziehe zur Ansa peduncularis, doch liesse sich dies mit Sicherheit nicht nachweisen. Die Projectionsfasern des Trigeminus begleiten vermuthlich die Schleife in dem basalen Areal zwischen dem rothen Kern und der Substantia nigra.

Was die physiologische Bedeutung der Schleife anbetrefie, so ist Verf. aus klinischen und anatomischen Gründen sehr geneigt, diese Bahn in ihrem Haupt- bestandtheil (dem interolivaren Stratum) als eine der Fortleitung des Muskelgefühls (muscular-sense) dienende anzusehen, doch hält er es für zweifelhaft, dass die Schleife die einzige Bahn im Gehirn sei, der diese physiologische . Bedeutung zukomme. Möglicherweise diene die Schleife auch für die Leitung der cutanen Sensibilität.

v. Monakow.

1 Der Verlauf der nen Degeneration entspricht in diesem Falle, wie Verf. richtig hervorhebt, in überraschender Weise dem Operationserfolg, den Ref. nach Abtragung des Parietalhirns an einer neugeborenen Katze erhielt. Bei letzterer blieb aber der Kern der Keilstränge unlädirt.

? Irrthümlicher Weise identificirt Verf. dieses Bündel von Wernicke mit der vom Ref. entdeckten Rindenschleife. Vgl. meine Arbeit im Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1884. Nr. 6 u. 7.

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Experimentelle Physiologie.

2) Ueber die Pathogenese der Epilepsie, von Dr. P. Rosenbach. (Virchow’s Arch. Bd. 97. H. 3.)

Verf. stellte 2 Reihen von Versuchen an Hunden an, um zu entscheiden, ob der epileptische Insult von den Centren des Grosshirns oder den Centren des Pons und der Oblongata seinen Ausgangspunkt nimmt.

Bei der ersten Reihe wurde das Grosshirn mit Inductionsströmen gereizt. Auf hinlänglich starke Reizung eines der Rindencentren selbst verbreiten sich die in bekannter Weise entstehenden Krämpfe von der anfänglich erregten Muskelgruppe aus in bestimmter Reihenfolge auf solche, deren Centren in der Hirnrinde neben ein- ander liegen (Unverricht). Liegt aber die Reizstelle in nächster Nachbarschaft der Bewegungscentren, so beginnt der Anfall mit gleichzeitigen Krämpfen mehrerer, den zunächstliegenden Centren entsprechender Muskelgebiete; auch wird die Gesetz- mässigkeit in der Weiterverbreitung vermisst. Liegt dagegen die Reizstelle weit entfernt z. B. im Hinterlappen, so erfolgt zunächst eine kurze Latenzzeit, dann ein allgemeiner tonischer und endlich ein allgemeiner klonischer Krampf (Albertoni).

Unmittelbar nach Beendigung des Anfalls ist die Erregbarkeit der Hirnrinde ungemein erhöht, im Verlauf der nächsten 10—15 Minuten bedeutend herabgesetzt. (Vergl. Hitzig, Untersuchungen etc. S. 71.)

Nach Zerstörung der Bewegungscentren einer Hemisphäre bleibt die Reizung nicht excitabler Gebiete der gleichen Hemisphäre überhaupt, Reizung nicht excitabler Gebiete der anderen Hemisphäre, aber bezüglich der gleichzeitigen Musku- latur erfolglos. Werden die Centren während des Anfalls in grosser Ausdehnung zerstört, so kann die vollständige Ausschaltung der gegenüberliegenden Körperhälfte aus dem Anfall gelingen. Dagegen konnte R. nicht wie Munk, sowie Bubnoff und Heidenhain die Krämpfe in einzelnen Muskelgebieten durch Eliminirung ihrer Centren coupiren.

Gut isolirte Reizung der blosgelegten weissen Substanz löst epileptiforme Anfälle niemals aus. |

Bei der zweiten Reihe seiner Versuche reizte R. den Boden des IV. Ventrikels mit Inductionsströmen ohne und nach vorheriger Durchschneidung der Oblongata. Hierbei treten in allen Fällen intensive Muskelzuckungen, in keinem Falle Ver- längerung derselben über die Reizdauer ein.

Hiernach kommt R., unter kritischer Besprechung der aka Literatur und Heranziehung der epileptischen Aura, der rein psychischen Symptome der Epileptiker und der von ihm gefundenen Fähigkeit des Bromkaliums, die Production von Krampf- anfällen durch elektrische Reizung des Hundehirns zu sistiren, zu dem Schlusse, dass der Ausgangspunkt aller epileptischen incl. der corticalen Anfälle die Rinde, nicht aber die Oblongata sei. Er will deshalb in Zukunft nur noch zwischen „orga- nischer“ und „functioneller“ Epilepsie unterscheiden. Es wird lediglich davon ab- hängen, wo auf der Rinde der krampferzeugende Reiz entsteht und wie stark er ist, ob nur Aura bezw. welche Art von Aura, ob nur petit mal oder petit mal mit Aura, ob endlich auch Convulsionen mit oder ohne Begleiterscheinungen anderer Art ausgelöst werden. Hitzig.

3) Ein Wärmecentrum im Grosshirn, von E. Aronsohn und J. Sachs, Berlin. (Deutsch med. Woch. 1884. Nr. 51.)

Während Eulenburg und Landois, die beim Hunde ein Wärmecentrum ent- deckten, beim Kaninchen vergebens suchten, ebenso, wie Küssner und H. Rosenthal, gelang den Verff., die im Berliner physiologischen Laboratorium arbeiten, der Nach-

weis desselben, und zwar durch methodische Ausführung von Einstichen. Der wirk- same Einstich geschieht an einer Stelle, die einige Millimeter seitlich und hinten von dem Vereinigungspunkte der Sutura sagittalis und Sut. coronalis liegt. Hier wird in senkrechter oder leicht nach vorn geneigter Richtung bis auf die Basis cranii eingestochen: sofort beginnt die Temperatur zu steigen, ist nach etwa 1 Stunde 2—3° höher, als vor dem Stiche; gleichzeitig nimmt Puls- und Respirationsfrequenz zu, die Chloride im Harn vermindern sich. Nach 2—3 Tagen gehen die Er- scheinungen zurück, das Thier lebt wie unter normalen Verhältnissen. Nach einigen Wochen kann man das Experiment mit demselben Erfolge wiederholen. Wie am Kanninchen, so gelang den Verff. das Experiment auch an Meerschweinchen und Hunden. Doch glücken die Versuche nicht immer, da augenscheinlich die betreff. wirksame Stelle eine sehr circumscripte ist.

Eine andere ähnlich wirksame Stelle am Grosshirn war nicht zu finden. Die Hirnrinde ist der Sitz des Wärmecentrums nicht, aber etwas Genaueres lässt sich bis jetzt noch nicht sagen.

Historisch bemerken die Verff., dass Schreiber in Königsberg (1874 „Ueber den Einfluss des Gehirnes auf die Körpertemperatur‘) in einem seiner Versuche Tem- peratursteigerung um 3.5° dieselbe Stelle getroffen zu haben scheint, wie sie selbst. Christiani fand in manchen Fällen von Exstirpation der Thalami optici einen Temperaturabfall von 3—5°. Tschetschechin und nach ihm Naunyn und Quincke nahmen auf Grund von Rückenmarksdurchschneidungen an, dass ein Moderationscentrum im Gehirn vermittelst Fasern, die von ihm her durch das Rücken- mark herabziehen, auf die wärmebildenden Processe im Organismus einwirke. Neuer- dings ist Wood in Washington zu ähnlichen Resultaten gekommen; nach Durch- schneidung der Med. obl. an der Grenze des Pons ergab vermehrte Wärmeproduction und vermehrte Wärmeabgabe. Hadlich.

Pathologie des Nervensystems.

4) Post-hemiplegic Hemi-Chores associated with Insanity, by W. Bevan Lewis. (Journ. of ment, science. 1884. July.)

61jährige Frau, Heredität fraglich, schlechte Behandlung vom Manne, früher Rheumatismus acut. Vor 2 Jahren apoplectischer Anfall mit Lähmung des rechten Armes, der rechten Gesichtshälfte und Verlust der Sprache. Darnach bettlägerig, Fussgeschwüre; vor 6 Monaten verliert Pat. die Controle über die Bewegungen des rechten Beins, und zur selben Zeit treten in dem wesentlich erstarkten Arm die choreatischen Bewegungen auf, gleichzeitig auch Geistesstörung. Bei der Aufnahme Wahnideen ängstlicher Art bezüglich ihrer Familie, Abneigung gegen die Umgebung, Zeichen geistiger Schwäche. Sprachstörung articulatorischer Natur, clonische Krämpfe im rechten Facialisgebiete und der Zunge; choreatische Bewegungen des rechten Armes, in geringerem Masse des rechten Beines; die rechte Hand ist frei aber schwächer als die linke; der rechte Biceps brachii Zeichen von Entartungsreaction; Tricepsreflex fehlt am linken Arme, ist rechts sehr kräftig, Patellarreflex fehlt fast beiderseits; Haut- refiexe kräftig. Gang in Folge der Chorea des rechten Beins unmöglich, dieses selbst nicht auffallend schwach. Muskelsinn intact; Tastempfindung rechts etwas herabgesetzt. Die rechte Pupille starr bei Lichteinfall. Section: Im Sin. longitud. ein sich in die Sin. lat. fortsetzendes altes Gerinnsel, Gehirn atrophisch, die Oberfläche der Windungen besonders in den vordern Abschnitten faltig; in den feineren Venen der weichen Häute am Vertex feste entfärbte Blutgerinnsel; oberflächliche Erweichungsherde sassen in der Rinde des hintern Abschnittes des linken Gyr. supramargin. des an- grenzenden Theils des Gyr. angul. und des „second annectant Gyr.“ der Mittel- stücke beider hinterer Centralwindungen; kleine unbedeutende Erweichungsherde

2: 7

fanden sich am Gyr. frontal. quart. Im hinteren Abschnitte des linken Linsenkernes fand sich eine kleine frische Blutung, im präfrontalen Querschnitt rechts, wo der Kopf des N. caudat. zur Basis sich senkt, eine ältere Blutung. In der Epikrise spricht sich L. nicht mit Entschiedenheit über die Frage aus, auf welche Läsion die motorischen Störungen zu beziehen. Die unter dem psychischen Störungen hervor- stechende, bis zum Torpor gesteigerte Apathie ist er im Anschluss an frühere Mitt- tbeilungen geneigt, auf die Atrophie des Stirnhirns zu beziehen. A. Pick.

5) A case of acute hemiplegic chorea, by Dr. Canfield and Dr. Putnam. (Boston medical and surgical Journal. 1884. 4. Sept.) |

Ein 59jähriger robuster Mann, Potator, zeigte seit einigen Wochen leichte choreıtische Bewegungen im rechten Arm und Bein, ohne jede Andeutung parelischer Symptome. 3 Wochen vor dem Tode wurden die incoordinirten Bewegungen auf- fallend heftiger: sie pausirten dabei während des Schlafes, hielten im wachenden Zustande aber an und verstärkten sich wesentlich bei intendirten Bewegungen, immer auf die rechtsseitigen Extremitäten beschränkt. Die mechanische Kraft war völlig intact, die Sensibilität vielleicht auf der ergriffenen Seite etwas abgestumpft; auch die Intelligenz schien geschwächt. Fuss- und Kniereflexe waren links erloschen, während sie rechts in normaler Weise vorhanden waren. Ohne dass weitere Symptome von Seiten des Centralnervensystems eingetreten wären, verfiel Patient in einen comatösen Zustand und starb alsdann. Die Section ergab mehrere ganz kleine Erweichungsherde von kaum 2—3 mm Durchmesser in beiden Linsenkernen und einen grösseren Er- weichungsherd von fast einem Centimeter Länge und einem halben Centim. Breite im inneren Drittel des linken Grosshirnschenkels. Er reichte von der Grenze des Thalamus opt. fast bis an das linke Corpus candicans und hatte das innere Drittel des Fusses, der Substantia nigra resp. des Luys’schen Körpers und des Teginentum, fast bis zum rothen Kern, zerstört; der Querschnitt des Herdes würde ungefähr durch einen Kreis bezeichnet werden, den man auf der Abbildung No. 36 in Wernicke’s Lehrbuch der Gehirnkrankheiten (p. 64) mit einem Radius von 3 mm um das mediane Ende des Luys’schen Körpers beschreiben wollte.

Da die minimalen Erweichungsherde in den Linsenkernen auf beiden Seiten gleich zahlreich waren, glauben die Verf. sie für die Localisation der einseitigen Functionsstörung unberücksichtigt lassen zu dürfen; sie machen daher nur den Herd im Hirnschenkelfuss resp. die dort verlaufenden und aus dem Thalamus opticus stammenden Fasern und Ganglien für die choreatischen Bewegungen verantwortlich. (Cfr. übrigens den Fall von Greiff, Arch. f. Psych. XIV.) Sommer.

6) Un cas d’hemianesthösie de cause cöräbrale, avec mouvements anor- maux du bras et de la jambe hömiplegi6s par le Dr. Raymond, Paris. (Gaz. med. de Paris 1884. Nr. 30.)

Eine 59jährige tuberculöse Frau, früher hysterisch, bekam seit 1878 (als ihre Tuberculose noch nicht constatirt war) eine fortschreitende Schwäche des rechten Arms mit Abnahme der Sensibilität in demselben, sodass sie 1879 das Glied kaum gebrauchen konnte Nach 2 „Anfällen“ im Jahre 1879, nach denen eine leichte Sprachstörung eine Zeitlang zurückblieb, trat allmählich eine fast vollständige Ab- nahme der Lähmung, dagegen eine Zunahme der Anaesthesie ein, die sich auf die ganze rechte Seite ausdehnte und mit starken Beeinträchtigungen der sensorischen Funetionen, sogar gänzlichem Verlust des Geruchs einherging. Während nun aber die Pat. den rechten Arm wieder gut bewegen, damit arbeiten, nähen u. s. w. konnte, trat in demselben ein leichtes Zittern auf, anfangs auf die Hand beschränkt, das

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sich bei Bewegungsintentionen verstärkte. Hierzu kamen seit 1883 eigenthümliche Krampfanfälle im rechten Arme, bei denen dieser sich in Fingern, Handgelenk und Ellenbogen stark flectirt und auf den Rücken zu liegen kommt. In neuester Zeit macht auch das rechte Bein dabei eine analoge Bewegung. Diese Anfälle, die etwa 5 Minuten dauern und schmerzlos sind, werden dadurch hervorgerufen, dass Pat. eine grosse starke Bewegung ausführt, während sie kleine, vorsichtige Bewegungen ungestraft machen kann. Die rechtsseitige Anaestbesie ist jetzt complet, für Tast-, Schmerz-und Temperatureindrücke. Hadlich.

7) Ueber die posthemiplegischen Bewegungsstörungen, von Greidenberg. (Inaugaraldissertation. St. Petersburg 1884. Russisch.)

Die Arbeit enthält nach der Definition des Verf. einen Versuch, alle bisher be- kannten Thatsachen, betreffend die nach cerebralen Hemiplegien an den gelähmten Gliedern auftretenden Bewegungsstörungen, zusammenzustellen, nebst einer möglichst umständlichen anatomo-physiologischen Erklärung derselben, gemäss dem gegenwärtigen Standpunkt unseres Wissens. Das Material dazu lieferte einerseits die umfangreiche Literatur dieses Gegenstandes (Verf. citirt 267 einzelne Artikel aus englischen, fran- zösischen, deutschen, italienischen und russischen Zeitschriften), andererseits eigene Beobachtungen, z. Th. aus der Klinik von Prof. Mierzejewsky.

Er gruppirt die in Rede stehenden Bewegungsstörungen folgendermaassen:

klonische. Krämpfe | tonische.

intermittirende. Muskelrigidität. 1. Contracturen | frühe paralytische, passive, temporäre.

späte une veränderliche (latente).

. Steigerung der Sehnenreflexe. 3. Mitbewegungen.

roflectorisches Klonus. gewöhnliches Zittern. \ essentielles | Zittern in der Form von Yaralysis agitans. j Zittern in der Form von Sclerosis dissemin. [ beständige. \Coordinationsstörung bei willkürlichen Bewegungen Hemiataxie.

apoplectische |

1)

4. Zittern

5. Hemichorea

6. Athetose.

In besonderen Kapiteln werden die pathologische Anatomie und Physiologie der posthemiplegischen Bewegungsstörungen behandelt. Hier beschränkt sich Verf. auf eine kritische Besprechung der in Betracht kommenden Hypothesen, ohne sich mit Bestimmtheit für eine derselben auszusprechen. P. Rosenbach.

8) Ueber einen Fall von spinaler Erkrankung mit Erblindung und all- gemeiner Paralyse. Frühzeitige Diagnose durch Nachweis des Fehlens des Kniephänomens, von Prof. Westphal. (Arch. für Psychia- trie etc. 1884. Bd. XV. H. 3.)

Ein 45 jähriger Gymnasiallehrer, der von jeher etwas exaltirt gewesen, vor 4 Jahren Syphilis gehabt, erschien 1878 bei W. mit Klagen über allerlei subjective Empfindungen und in ängstlich-hypochondrischer Erregung. 12 Tage vorher war ein kurzer Anfall von Hemianopsie und Aphasie vorhanden gewesen.

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Ausser völligem Fehlen des Kniephänomens war kein objectives Zeichen einer Erkrankung des Nervensystems zu constatiren.

October 1880 begann ein Sehnervenleiden sich einzustellen, das rasch progressiv bereits Mitte 1882 zu vollständiger Erblindung geführt hatte. Ausser leichten Stö- rungen der Blasenentleerung war während dieser Zeit kein auf spimales Leiden zu beziehendes Symptom vorhanden. Anfang 1883"musste Pat. in die Charit6 aufge- nommen werden, weil sich plötzlich unter Entwickelung von Grössenideen mani- akalische Aufregung bei ihm eingestellt hatte. Die Pupillen waren reactionslos gegen Licht; es bestand leichte Sprachstörung. Keine Ataxie der Extremitäten; fehlendes Kniephänomen.

Pat. collabirte rasch und starb 14 Tage nach der Aufnahme.

Die Section ergab keine auf Lues zu beziehende Veränderung der Organe. Die Untersuchung der N. optici: einfache Sehnervenatrophie, gleichmässig über den Opticusquerschnitt verbreitet. Das Rückenmark zeigte bei der mikroskopischen Untersuchung eine Erkrankung der Hinterstränge, die, durch die ganze Länge sich erstreckend, im Hals-, oberen und mittleren Brusttheil aber nur auf einen schmalen Degenerationsstreifen längs der Hinterhörner beschränkt war, im unteren Dorsaltheil am ausgebreitetsten, fast die Gesammtheit des Querschnittes einnahm, im Jendentheil wieder grössere Abschnitte der Hinterstränge speciell peripherie- wärts freiliess. Eine Atrophie hinterer Wurzeln des Lendentheils liess sich gleichfalls constatiren.

In der Epikrise macht W. aufmerksam auf die auch in diesem Fall evidente Wichtigkeit des mangelnden Kniephänomens als frühzeitigen und einzigen Zeichens spinaler Erkrankung. Die Reihenfolge der Symptome in Fällen derselben Combination (spinale Erkrankung, Opticusatrophie, Geistesstörung mit dem Charakter der Paralyse) ist nicht immer dieselbe, wie bei dem mitgetheilten Fall, variirt viel- mehr mannichfach.

Dass die Erkrankung der Hinterstränge in dem betr. Fall, wie in ähnlichen, ohne sensible und motorische Störungen einhergegangen war, ist nach W. nur ver- muthungsweise zu erklären. Vielleicht rührte dieser Mangel der Symptome daher, dass die Erkrankung noch im Beginn und auf einen kleinen Theil der Hinterstränge beschränkt war. Möglich, dass auch der Grad der Betheiligung der peripheren Nerven dabei eine Rolle spielt.

Die Diagnose konnte sich nach dem fehlenden Kniephänomen nur auf die Er- krankung des äusseren Theiles der Hinterstränge am Uebergang des unteren Brust- theiles zum oberen Lendentheil beziehen.

Aestiologisch glaubt W. der vorausgegangenen Syphilis kein Gewicht beilegen zu müssen. Dagegen scheint ihm eine gewisse angeborene Disposition des centralen Nervensystems, sowohl des Gehirns als des Rückenmarkes, in diesem, wie in anderen Fällen, ätiologisch im Vordergrund zu stehen.

Eisenlohr.

8) Du röle jous par la möningite spinale postörieure des tabeötiques dans la pathog6enie des sclöroses combindes, par J. Dö6j6rine. (Arch. de physiologie normale et pathologique. 1884. No. 8. p. 454—486.)

1) Ein 45 jähriger Mann, welcher, nicht syphilitisch, seit 6 Jahren an atakti- schen Erscheinungen der Unterextremitäten, Incontinentia urinae, Impotenz, lancini- renden Schmerzen, Gürtelgefühl leidet, zeigt bei der Aufnahme exquisit tabische Er- scheinungen der Unterextremitäten mit hochgradigen Störungen des Muskelgefühls und Verlust der Sehnenphänomene, nebenher aber verminderte Kraft derselben. Letz- tere Parese steigert sich innerhalb von zwei Monaten zu einer fast vollständigen schlaffen Paraplegie. Ausserdem wurden gastrische, urethrale und rectale Krisen

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beobachtet. Die Hautanästhesie war als Analgesio mit Verlangsamung der Leitung in unregelmässigen Plaques an den Unterextremitäten verbreitet, so zwar, dass be- sonders an der Innenseite des rechten Kniees ein unregelmässiges Viereck von 5—7 cm Kante normale Sensibilität oder sogar Hyperästhesis darbot. Ausserdem Albuminurie, Oedema, später Decubitus sacralis.

Der Rückenmarksbefund war zunächst eine typische Hinterstrangssklerose, und zwar der Goll’schen Stränge, in ihrer ganzen Ausdehnung, der Burdach’schen am intensivsten in der Lendenanschwellung, in der Art, dass beiderseits hinter dem Austritt der hinteren Wurzeln ein dreisckiger Abschnitt mit peripherischer Basis ver- schont ist. Ferner besteht eine schon mikroskopisch constetirte Leptomeningitis posterior und lateralis, bei der histologischen Untersuchung aus concentrischen Schichten von Bindegewebslagen mit Periarteriis adventitialis und Trabekelbildung, auch in der Substanz der Seitenstränge. Letztere zeigen eine der jeweiligen Inten- sität der Leptomeningitis entsprechende, nach der Halsanschwellung abnehmende, in die Lumbalanschwellung ziemlich weit hineingreifonde BRandsklerose. Während die Spinalganglien keine Veränderungen zeigen, und in den hinteren Wurzeln nur etwa zu einem Drittel die Nervenfasern geschwunden sind, findet sich an den peripherischen Hautnerven, nach Färbung mit Osmiumsäure und Picrocarmin, eine geradezu colossale parenchymatöse Degeneration, so dass fast keine intacte Nervenfaser übrig ist. Diese degenerative Neuritis der Hautnerven entspricht völlig der Ausbreitung der intra vitam beobachteten anästhetischen Plaques, indem die Hautnerven der Innenseite des rechten Kniees nahezu intact sind.

In der Epikrise dieses Falles betont Verf., dass während in sonstigen Beobach- tungen combinirter Strangserkrankungen, besonders von Westphal, die Ataxie von vornherein mit Parese einherging, in diesem Falle lange Jahre eine typische Tabes vorlag, bevor mit der späteren Eintwiokelung der Seitenstrangserkrankung die Para- plegie eintrat. Die Neuritis cutanea ist bei ihrer verhältnissmässig viel grösseren Ausbildung von der Degeneration der hinteren Wurzeln unabhängig. Zu einer syste- matischen Hinterstrangssklerose sei, nicht in der Contiguität, sondern durch eine Leptomeningitis vermittelt, eine nicht systematische Lateralsklerose (Myelomeningitis) hinzugetreten.

2) Eine 52 jährige Frau, welche seit langen Jahren an Schwäche der Unter- extremitäten und blitzartigen Schmerzen leidet, zeigt schleppenden Gang. Steigerung des Kniephänomens, Fussphänomen, zerstreute anästhetische Zonen an den Unter- extremitäten, verändertes Lagegefühl. Tod in Folge von Bronchitis.

Der Befund am Rückenmark war hier ebenfalls eine chronische Leptomeningitis posterior, welche auf die Seitenstränge übergreift, eine typische Hinterstrangssklerose und eine Corticalsklerose der Seitenstränge. In Betreff der Hinterstrangssklerose ist bei den erhaltenen Sehnenphänomenen von besonderem Interesse, dass „unterhalb der Lendenanschwellung die Burdach’schen Stränge weniger alterirt sind, die Sklerose hier weniger intensiv ist, und sie eiue grössere Zahl von der Läsion respectirter Nervenfasern enthalten“. Die leptomeningitischen Alterationen verhalten sich zur Corticalsklerose der Seitenstränge wie im vorigen Falle. Die Atrophie der Haut- nerven entspricht derjenigen der hinteren Wurzeln.

In diesem Fall combinirter Strangsklerose sei die latente, in der Steigerung der Sehnenphänomene sich äussernde Affection von der geringen Läsion der Burdach'- schen Stränge im unteren Theil der Lendenanschwellung abhängig. Die Parese coincidirte in der That mit den sensiblen Störungen, und bestand ebensowenig eine combinirte Systemerkrankung, wie in den meisten Fällen dieser Art, sondern eben- falls eine durch die Meningitis inducirte, nicht systematische Randsklerose (Meningo- myelitis) als Complication einer systematischen Hinterstrangsdegeneration.

In einem längeren Excurse weist Verf. nachdrücklich die neueren Bestrebungen zurück, eine parenchymatöse und eine vasculäre Form der Tabes unterscheiden zu

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wollen. Er begründet ausführlich, dass je nach dem Stadium des Processes hier, wie bei secundären Degenerationen, grössere oder geringere interstitielle Vascularisa- tion sich findet. Entscheidend sei nicht ein charakteristisches histologisches Verhält- niss für die stets einheitliche Sklerose, sondern ihre systematische oder nicht syste- matische Topographie. E. Remak.

10) Ein Fall von halbseitiger multipler Hirnnervenlähmung, von Prof. Nothnagel. (Wien. med. Bl. 1884. Nr.9. C.f. A. 1884. S. 150.)

Ein junges Mädchen mit skrofulösem Habitus zeigt Parese des 1. Hypoglossus, Atrophie des linken Sternocleidomastoideus und Cucullaris, Lähmung des 1. Stimm- bandes in Folge Lähmung des N. laryngeus sup. und inf., Anästhesie der l. Kehl- kopfhälfte, Läbmung des linken N. glossopharyngeus, des 1. Acusticus, des Facialis in allen seinen Aesten, des linken Abducens und linken Trigeminus. Der Nerv. trochlearis, oculomotorius, opticus und olfactorius ist nicht gelähmt. Die oph- thalm. Untersuchung ergiebt beiderseitige Neuroretinitis. Am rechten Auge zeigen sich die ersten Symptome neuroparalytischer Ophtbalmie (Conjunctivalreizung). Im Bereiche der oberen und unteren Extremitäten findet sich keine Spur einer Lähmung. Dagegen kann die Kranke den Kopf nicht ordentlich nach vorn und hinten be- wegen, es besteht ein gewisser Grad von Nackenstarre und Druckempfindlichkeit der Halswirbel. N. glaubt, dass das vorliegende Krankheitsbild durch eine basale Menin- gitis bedingt sei. Wilbrand (Hamburg).

Psychiatrie.

11) Note sur les lösions de la dure-möre cränienne, dans la paralysie gönörale, par Camuset. (Annales mödico-psychologiques. 1884. p. 398.)

Die Läsionen der harten Hirnhaut haben im Verlaufe der allgemeinen Paralyse keinen besonderen Charakter aufzuweisen.

Sie sind dagegen sehr häufig, sodass Mendel unter 57 Fällen nur 10mal die Dura mater intact fand.

Camuset berichtet nun in vorwiegend compilatorischer Weise über die Er- scheinungsweise der einzelnen Affectionen der Dura. Hervorzuheben ist neben hinlänglich Bekanntem die Darstellung der Pachymeningitis interna.

Verf. nimmt an, dass nicht die Dura, sondern das parietale Blatt der Arach- noidea der Ausgangspunkt dieser pathologischen Veränderung ist. Die Dura mater ist wohl begleitend verdickt und hyperämisch, keineswegs aber der eigentliche Sitz des Leidens. Anfangs ist nur eine zarte, homogene Haut bemerklich, welche durch feinste Gefässe mit der darunterliegenden serösen Haut zusammenhängt. C. scheint die Meinung Mendel’s zu theilen, dass die formativen Bestandtheile dieser Neo- membranen ihren Ursprung in dem subepithelialen Gewebe der Serosa hätten. Von den Gefässwänden dieses Gewebes zweigten sich Wanderzellen ab, welche später das lockere Netzwerk des neuen Gewebes bilden würden.

So lange die Neomembranen eine so einfache Structur behalten, ist es möglich, dass sie im Leben, ohne irgend welche Erscheinungen zu machen, unbeachtet bleiben, zumal die gleichzeitigen echt meningealen Affectionen, welche bei keiner Paralyse fehlen, die Erscheinungen der pachymeningitischen Neubildungen verdecken werden. Verf. führt hier einen sehr instructiven Sectionsbefund an.

Die fibrinose Neubildung lag ganz deutlich in der serösen Höhle, also über dem parietalen Blatt der arachnoides.. Nur an einer Stelle hatte sich entsprechend eines Haufens pacchionischer Granulationen die fibrinose Flüssigkeit auch einen Weg

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in den subarachnoidealen Raum verschafit, sich in Folge straffer meningo-corticaler Adhäsionen jedoch nicht weiter als ca. 3 cm im Durchmesser ausgedehnt.

(Dies entspricht ganz genau den auf anatomischem Wege entdeckten Wesen der pacchionischen Granulationen, welche nach Untersuchungen von Prof. Fischer in Strassburg in die Lymphbahnen, welche supra- und subarachnoideale Räume verbinden intercalirte Körper darstellen. Ref.)

Bezüglich der Bildung der Hämatomata constatirt C. die jetzt vorwiegende An- nahme des vorherigen Vorhandenseins einer fibrinösen Ausschwitzung. Die leicht brechlichen und zu fettiger Infiltration neigenden Gefässe der Neomembranen würden dann die Häufigkeit der Blutungen allerdings leicht erklären. Nun erzeugt nach Sperling aber auch Injection von Blut in den Arachnoidealraum Pachymeningitis interna. Doch ist schon darauf hingewiesen worden, dass es keineswegs das Fibrin des injicirten Blutes zu Sein braucht, welches sich als Neomembran consolidirt, son- dern im Auge behalten werden muss, dass der Reiz des als Fremdkörper wirkenden Blutes eine Entzündung und Ausschwitzung der Serosa herbeiführen muss.

Den Östeomen der Dura mater legt C. keine besondere klinische Wichtigkeit bei. Mit Velpeau ist er der Meinung, dass sie gemeiniglich im Leben gar keine Erscheinungen hervorrufen. Dagegen erwähnt Verf. des deutlichen histologischen Unterschieds zwischen den Osteomen und echten, platten Knochen. Während die letzteren zwischen zwei solide Platten von Knochensubstanz mit regelmässigen haver- sischen Kanälen Diploö fassen, ist bei den Osteomen die Diploö niemals central, sondern unregelmässig zwischen die Maschen der Knochensubstanz eingelagert. Die von dem neugebildeten Knochen umschlossenen Vacuolen enthalten auch wohl Mark, erscheinen aber als erweiterte haversische Kanäle. Als allgemeine Ursache der die Dura mater betreffenden pathologischen Veränderungen, auch der Osteome, sieht . Camuset Hyperämie an. Jehn.

12) Notiz zur Lehre von der Heredität, von A. Pick. (Prager med. Wochen- schrift. 1884. Nr. 50.)

Ref. theilt nebst einigen Bemerkungen die nachstehende Erblichkeitstabelle mit.

1. Tochter blödsinnig, ledig ge- blieben.

2. Sohn ausschweifend, Tabes dorsalis c. Atroph. nervi opt. heirathet eine gesunde Frau.

j . ,|3. Tochter, epileptisch, im Alter Vater, in angeblich hemiplegisch und geistes-

unge krank, heirathet einen ge- sunden Mann.

1. Tochter, chronische Haut- affection (Syphilis?). 2. Tochter normal. 3 Söhne, davon 2 an (wahr- scheinlich) epileptischen Kräm- pfen leidend; 2 Töchter, eine bisher normal, die zweite cho- reatisch und psychisch abnorm. 1 Tochter normal, ein Ohr ver- bildet; 1 Tochter blödsinnig ; mehrere andere Kinder bieten bisher nichts Auffallendes.

Tochter ausschweifend, perio- disch geisteskrank, Mann gesund.

Mutter, geistoskrank. .

ent ne

5. Sohn ausschweifend, Tabes dorsalis c. Atroph. nervi opt., | 1 Tochter choreatisch, periodisch heirathet seine Cousine (Va- geistesgestört. ters-Bruders Tochter). 6. Tochter, angeblich normal. 1 kl. Kind, einen epileptischen Anfall. A. Pick.

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13) Ueber eine Typhusepidemie in der Prov. Irren-Anstalt zu Osnabrück, von Dr. Rath. (Allg. Ztschr. f. Psych. 1884. Bd. 41. H. 3.)

Die geschilderte Epidemie giebt durch ihren eigenthümlichen Verlauf in hygie- nischer Beziehung zu denken. Die am Typhus erkrankten Irren hatten keinerlei specifisch typhöse Cerebralsymptome, Roseola fand sich gar nicht oder nur sehr spär- lich, bis der zuletzt Erkrankte förmlich damit übersäet war. Die Dauer des Fiebers war nicht länger als gewöhnlich, die Reconvalesconz sehr kurz, Nachkrankheiten fehlten ganz, Complicationen treten nur bei 2 Kranken auf. Die Temperaturcurve zeigte bei den an primären Irreseinsformen Leidenden normales Verhalten; bei 6 schon seit Jahren Blödsinnigen jedoch stieg sie gleich zu Anfang steil an und hielt sich dauernd hoch, es starb nur einer davon, während die Uebrigen rasch genasen. Ausserdem kamen bei einer Blödsinnigen ganz abnorme Temperaturverhältnisse vor.

Die günstige Einwirkung des typhösen Fiebers auf den Verlauf der Psychosen war bei 21°/, derart, dass Genesung eintrat, bei 42°/, hielt die Besserung mehr oder weniger lange Zeit an, bei 29 °/, war kein Einfluss nachweisbar, 8°/, starben. Die Irreseinsformen der Genesenen waren noch als primäre zu bezeichnen; die Besse- rung des psychischen Befindens trat meist sofort mit dem Ausbruch des Fiebers ein. Weitere Einzelheiten s. im Original. Siemens.

14) Ueber Zwangsvorstellungen bei Nervenkranken, von v. Krafft-Ebing. (Sep.-Abdr. aus den „Mittheil. des Vereins d. Aerzte in Steiermark“. 1883.)

Von den mannigfachen elementaren, psychischen Störungen, welche bei Nerven- kranken vorkommen, unterzieht Verf. die Zwangsvorstellungen einer ausführlichen Besprechung. Nach seiner Erfahrung sind es insbesondere die an sogenannter Neu- rasthenie leidenden Individuen, ferner Hypochonder, Hysterische und Epileptiker, bei welchen Zwangsvorstellungen beobachtet werden, ohne dass diese letzteren sich übrigens in ibrer Entstehungsweise und ihrem Inhalt wesentlich von den bei wirklichen Psy- chosen vorkommenden unterschieden. Dagegen pflege die Wirkung, welche sie auf den von ihnen Befallenen ausüben, in der Regel insofern keine so verderbliche zu sein, als sie nach des Verf. eigenen Erfahrungen und den in der Literatur ver- zeichneten Fällen nicht, wie so leicht bei Geisteskranken, zu Zwangshandlungen führten. Der Grund dafür liegt nach seiner Ansicht darin, dass den Nervenkranken die krankhafte Veränderung des Bewusstseins und andere, complicirtere Störungen der psychischen Thätigkeit fehlen (z. B. psychische Anästhesie der Melancholiker). _ Den Schluss der Abhandlung, welche eine grosse Anzahl genau beobachteter, inter- essanter Fälle von Zwangsvorstellungen bei Nervenkranken enthält, bilden thera- peutische Winke, wobei mit Recht auf den Werth einer geeigneten, psychischen Be- handlung hingewiesen wird. Brückner.

15) Trunksucht und Dipsomanie, von Prof. Kirn. (Deutsche Med. Wochenschr. 1884. Nr. 34.)

Die Dipsomanie ist nicht, wie es auf den ersten Blick scheint, eine periodische Manie, sondern eine periodische Melancholie (Ref. hat diese Ansicht in seiner Arbeit über Manie S. 112 ebenfalls vertreten). Aetiologisch findet sich nicht selten erbliche Veranlagung zu Psychosen und Neurosen; gewisse Entwickelungsphasen des Körpers, moralisch deprimirende Ursachen sind Öfters die nächsten Ursachen.

In einem Fall erwies sich die systematische Opiumbehandlung sehr nützlich, die in Anwendung gezogen wurde, sobald die ersten Erscheinungen der Verstimmung sich einstellten. Verf. stellt schliesslich in treffender Weise die Differentialdiagnose zwischen Dipsomanie und Trunksucht in 5 Sätzen zusammen. M.

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16) Ueber Dipsomanie, Inauguraldissertation von Bothamel. (Berlin. 1884. 12. August.)

Nach einer ausführlichen Zusammenstellung der Literatur über die Dipsomanie wird ein Fall aus Mendel’s Clientel berichtet, in dem wiederholt es gelang, durch Morphiuminjectionen bei den ersten Zeichen des rückkehrenden Anfalls denselben zu coupiren. In einem andern Falle, den Verf. erwähnt, hatte Pat. selbst, um sich vor den Anfällen zu schützen, zur Morphium- und Chloralbehandlung gegriffen. Er ging an einer enormen Chloraldosis zu Grunde. Verf. macht endlich noch auf die durch Neurosen bewirkte Dipsomanie aufmerksam, von der er ebenfalls ein Beispiel aus der Moendel'schen Anstalt berichtet. H.

Therapie.

17) Neuer Beitrag zur Frage von den Erfolgen der Dehnung des N. facialis bei Facialiskrampf, von Prof. M. Bernhardt. (Arch. f. Psych. 1884. XV. 3.)

Am 14. Januar 1884 war bei einem seit 4!/, Jahre bestehenden hartnäckigen rechtsseitigen Tic convulsif die Dehnung das N. facialis gemacht worden. Es resul- tirte eine vollkommene Lähmung im Facialisgebiet; B. constatirte am 8. Febr. voll- ständige Entartungsreaction mit Steigerung der directen galvanischen Erregbarkeit. Am 1. April war theilweise Widerkehr der willkürlichen Beweglichkeit und beginnende Wiedererregbarkeit auf faradischen Strom in einzelnen Aesten zu notiren. Aber auch schon Anfang Mai kehrten die unwillkürlichen Zuckungen der rechten Gesichts- hälfte zurück und sehr bald war der frühere Zustand nahezu unverändert wieder da.

In sämmtlichen vier von B. beobachteten Fällen hatte die Dehnung nur einen temporären Erfolg; mit dem Schwinden der durch die Operation gesetzten schweren Lähmung des Facialis stellten sich jedesmal .die früheren Krämpfe wieder ein.

Aus der Analyse der bis jetzt publicirten 17 Fälle von Dehnung der Facialis bei Tic convulsif gehe hervor, dass die Operation nur in einem Fall (Southam) von dauernd gutem Erfolg war; unbekannt und ungewiss blieb das Resultat 2mal, Besserung ward erzielt Amal, kein Erfolg trat ein in 10 Fällen.

Von 2 nachträglich zu B.'s Konntniss gekommenen Fällen ist zu wenig Sicheres bekannt, um sie verwerthen zu können.

B. spricht sich daher jetzt zu NDHUnBNON der Facialisdehnung bei Gesichts- muskelkrampf aus. Eisenlohr.

18) Ein Beitrag zur Wirkung des Ergotins bei Psyghosen, von Dr. Nebel; Nachtrag von Dr. Jäckel. (Allg. Zeitschr. f. Psych. 1884. Bad. 41. H. 3.)

Einige mit der von französischer Seite empfohlenen „Mixture exhilariante“ (T. ergotini und -Sol. natr. phosphorici) gemachte Versuche bei Stuporösen und Melan- cholischen ergaben meist negative oder doch unsichere, nur z. Th. positive Resultate.

[Versuche in der Ueckermünder Anstalt bei geeignet erscheinenden Fällen fielen alle negativ aus. Ref.) Siemens.

18) Zur therapeutischen Wirkung des Ourarinum sulfurioum, von Dr. G. Lehmann. (Allg. Zeitschr. f. Psych. 1884. Bd. 41. H. 3.)

Versuche mit diesem Mittel bei motorisch erregten Geisteskranken ergaben theils inconstante, theils negative Resultate. Vorversuche und Einzelheiten s. im Original. Siemens.

Zu. 45, 5

Anstaltswesen.

20) Presidential address, livered at the annual meeting of the medico- psychological Association held at the royal college of Physicians, London, July 23rd 1884 by H. Rayner. (Journ. of ment. science. 1884. Oct.)

In seiner der Zukunft des Irrenwesens gewidmeten Ansprache streift R. eine ganze Reihe von Dingen, deren wichtigste zu erwähnen wir uns beschränken müssen. Bei der Besprechung der bevorstehenden Bill über die Umgestaltung der Irrengesetz- zebung tritt er für die Erhaltung der Privatanstalten ein, und warnt, indem er die Schäden, welche aus dem schwerfälligen Aufnahmsmodus resultiren, darlegt, vor weiterer Erschwerung desselben. Die Zunahme der Geisteskranken hält er nur für eine schein- bare und glaubt er mit Rücksicht auf die Erfahrungen der letzten Jahre einen Still- stand constatiren zu können. Für die frischen Fälle wünscht er kleinere Anstalten, den reichlichen Gebrauch der Narcotica verwirft er, ebenso wie auch die unterschieds- lose Unterdrückung der Isolation, für welche neuerlich in England agitirt wird; weiter beklagt er die geriuge Zahl der Hülfsärzte an den Anstalten und fordert schliesslich zur Sammelforschung bezüglich der Avtiologie auf. “A. Pick.

31) Von der II. oberbayrischen Kreisirrenanstalt zu Gabersee bei Wasser- burg am Inn (Director Dr. Bandorf), die als landwirthschaftliche Anstalt mit freien Verpflegungsformen für 500 Kranke projectirt, sind bis jetzt 2 Pavillons für je 31 unruhige Kranke, ein Hauptgebäude in Gabersee für Frauen und eins in YNlieghanı für Männer nebst den nöthigen Wirthschaftsgebäuden fertig gestellt. Im Ganzen finden dort jetzt ca. 125 Kranke Platz. M.

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III. Aus den Gesellschaften.

Zehnte Jahresversammlung der „American Neurological Society“ zu New York. (Nach den Protocollen im „Journal of nervous and mental disease‘, 1884, July p. 435 —517.)

Aus der grossen Reihe von Vorträgen und Demonstrationen können hier nur die wichtigeren kurz erwähnt werden. ‚Jedenfalls zeigen sie in erfreulicher Weise, dass auch unter den amerikanischen Neurologen ein reges Interesse für den Ausbau ihrer Wissenschaft herrscht.

Zunächst legte Wilder, Ithaca, mehrere Präparate vor; so demonstrirte er zwei neue Fälle von Fehlen des Corpus callosum bei Katzen, ein früherer Fall ist im vorigen Jahrgange dieses Centralblattes referirt worden und ein im Schädel er- härtetes Schimpansengehirn, dessen Corebellum von den Hinterhauptslappen des Gross- hirns völlig bedeckt war. Die letzte Mittheilung rief eine längere Discussion hervor, aus der sich im Allgemeinen ergab, dass das entgegengesetzte Verhalten, auch bei Verbrechergehirnen, als ein Kunstproduct anzusehen sei.

Ein anderer Vortrag Wilder’s über Abänderungsvorschläge in Bezug auf die Nomenelatur des Gehirns wurde »icht ganz zustimmend aufgenommen; mit Recht wurde von einem der Redner darauf hingewiesen, dass es sich hierbei eigentlich um eine internationale Angelegenheit handele und dass durch einseitige Umtaufung ana- tomischer Gebilde, wenn sie aus anderen Gründen auch noch so praktisch sei, Miss- verständnisse hervorgerufen werden müssten.

Rockwell, New York, theilte eine Krankenbeobachtung mit, in der er als Wahr- scheinlichkeitsdiagnose einen tonischen Krampf des Zwerchfells angenommen habe. Der Fall betraf eino 35jährige Frau, wolche seit etwa 12 Jahren an anfänglich sehr

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seltenen, später aber immer häufiger werdenden und von vornherein ausserordentlich schmerzhaften Attacken litt, die meistens mitten im nächtlichen Schlafe ausbrachen. Patientin erwachte dann mit dem Gefühl, als würde das untere Ende des Brustbeins gewaltsam an die Wirbelsäule herangepresst; dabei wurde die Inspiration ganz ober- flächlich und ein collapsähnlicher Zustand machte erst nach 30—40 Minuten dem als unerträglich beschriebenen Anfall ein Ende. Gallensteine und Hysterie konnten ausgeschlossen werden. Gegen die Annahme eines tonischen Zwerchfellkrampfes wurde aber ausgeführt, dass in den Bauchdecken keine dem Ansatz des Diaphragmas ent- sprechende Einziehung oder dergleichen beobachtet werden konnte. Anästhetica brachten jedesmal Linderung; die Application eines Ferrum candens längs der Wirbelsäule hat seit einem Monat die Anfülle völlig aufhören lassen.

Hammond sprach sich darauf in Bezug auf die Heilbarkeit der Tabes dorsalis dahin aus, dass er nicht an sie glaube. Einfache chronische Congestion der hinteren Stränge könne dieselben Symptome wie echte Sklerose bedingen und bei den an- geblich geheilten Fällen von Tabes hätte wahrscheinlich immer nur jene passagere Störung vorgelegen. Eine sehr lebhafte Discussion führte keine Entscheidung herbei.

Webber, Boston, gab dann klinische und pathologische Mittheilungen über 14 Fälle von multipler Neuritis bei Personen von 9—51 Jahren; die Mehrzahl der Erkrankungen fiel übrigens auf das dritte Jahrzehnt. Das Geschlecht schien ohne Einfluss zu sein,

Amidon, New York, demonstrirte die linke Grosshirnhemisphäre eines Patienten, der im Leben die Erscheinungen der Seelenblindheit und Taubheit dargeboten hatte, übrigens ohne jedes paralytische Symptom. Die Section ergab einen Erweichungsherd im Gyrus angularis und Gyrus temporalis 1. j

Dann sprach Bartholow, Philadelphia, über den therapeutischen Werth der Goldpräparate und speciell des Auronatrium chloratum, und empfahl dasselbe lebhaft bei allen Formen von Sklerose, bei tonischen Krämpfen und bei Hypochondrie, be- sonders mit sexueller Schwäche.

Birdsall, New York, besprach 2 Fälle von progressiver Augenmuskellähmung und glaubt diese bei dem auffälligen Intactbleiben der Ciliarmuskeln, der Iris und des Opticus auf eine specifische Erkrankung der Kerne des Oculomotorius, Trochlearis und Abducens zurückführen zu dürfen, die etwa der Labioglossopharyngealparalyse gleichstände.

ch eine Discussion übar den Zusammenhang von Ines und Tabes. Hier seien nuNginzelne Zahlen aus der amerikanischen Statistik mitgetheilt. Birdsall selbst fand frühere Lues bei 43 °/, von 525 Tabikern; Seguin unter 72 Fällen 22 °/, mit Lues seeund. und ausserdem 30 °%/, nur mit Ulcus; Webber 54°/, von 37 Tabikern mit gehauer Anamnese, und zwar gab die Hospital- praxis 68°/,, die Privatpraxis nur 38°/,; Spitzka fand 80°, von 61, Rockwell mindestens 40°/, von 44, und Putnam 49°, yon 34 Tabikern.

Von weiteren Vorträgen mögen hier noch aufgezählt werden: . Ott, Easton, über den Einfluss der Rückenmarksdurchschneidung auf die Kohlen- säureexcretion; Walton, Boston, über Ovariotomie bei Hysterie; Putnam, Boston, über die Entstehung von Hysterie bei Männern, speciell durch sogen. Rückenmarks- erschütterung bei Eisenbahnunfällen; Dana, New-York, über Folie du doute und Mysophobie; und endlich Jacoby, New York, über je \einen Fall von Paraplegie und Ataxie auf Grund von Bleivergiftung. Sommer.

Sitzung des physiologischen Vereins zu Berlin vom 1% December 1884.

A. Eulenburg hielt einen längeren Vortrag „Ueber Tempäratursinnsprüfung und Temperaturnerven“, unter Vorlegung seines neuen verbWserten, von W. A. Hirschmann angefertigten Thermästhesiometers (beschrieben se für die

\ |

RE \, ZERFRR

med. Wiss. 1884. Nr. 32). Das eine Thermometer ist dabei verstellbar; das andere feststehende wird durch den elektrischen Strom eines Chromsäureelementes erwärmt, und man kann durch einen als Nebenschliessung eingeschalteten Rheostat die Schnellig- keit und Intensität der Erwärmung innerhalb weiter Grenzen beliebig verändern. Mit diesem Instrument hat E. die Unterschiedsempfindlichkeit für Temperaturen geprüft, und zwar, von der Annahme besonderer specifischer Kältenerven und Wärmenerven ausgehend, in doppeltem Sinne (Kältesinns- und Wärmesinns- prüfung), indem die kleinste also noch merkbare Abweichung von der neutralen Eigentemperatar der Haut, resp. ihres thermischen Endapparates, nach unten oder nach oben hin (minimale Kälte- und minimale Wärmedifferenz) ermittelt wurde. E. hat hiernach eine Kältesinns- und Wärmesinnsscala der verschie- denen Hautgegenden aufgestellt. Beide stimmen zwar in ihren Hauptzügen, aber nicht durchgehends unter einadider überein. Obenan steht in beiden die Stirngegend (Glabella); am weitesten unten in der Kältesinnsscala die Regio epigastrica, in der Wärmesinnsscala die Rückenhaut, besonders in ihren seitlichen Abschnitten. Wahr- scheinlich sind hierbei nicht blos Zahl und Anordnung der präformirten Endapparate der Kälte- und Wärmenerven maassgebend, sondern auch der Grad der Uebung der- selben durch homologe Reize, welches ja regionär ein sehr verschiedenes ist, für Kälte speciell weit gerivger an den stets bedeckt getragenen, als an den unbedeckten Körperstellen. Die Zungenspitze zeigt keine besonders feine Unterschiedsempfindlich- keit. An den Extremitäten nimmt dieselbe (für Kälte und Wärme) an den Ober- und Unterschenkeln vom Kniegelenk in der Richtung nach dem Rumpfe wie nach dem Fusse zu ab. E. bespricht weiter ausführlich die von Maßnus Blix und Goldscheider neuerdings über die specifische Energie der Temperaturnerven und damit zusammenhängende Fragen angestellten Untersuchungen, welche er, soweit sie sich auf den Temperatursinn bezogen, auf Grund zahlreicher eigener Untersuchungen fast vollinhaltlich bestätigen konnte. Er legt eine grosse Menge durch Selbstversuche gewonnene Abbildungen vor, aus denen insbesondere hervorgeht: 1) dass es an den verschiedenen Hautregionen Punkte giebt, die nur Kälte, und solche, die nur Wärme empfinden (Kältepunkte und Wärmepunkte); 2) dass dieselben an verschiedenen Hautregionen nach Zahl und Anordnung ausserordentlich differiren; 3) dass sie auch an symmetrischen Hautstellen nicht an Zahl und Anordnung identisch sind; 4) dass Kälte- und Wärmepunkte nirgends zusammenfallen, in der Regel mehr oder weniger juxtaponirt und intraponirt sind; 5) dass diese Punkte eine grosse Constanz zeigen; 6) dass es mit einem Theil der Kälte- und Wärmepunkte identische Punkte giebt, an welchen auch der elektrische Strom, genau localisirt und nicht über eine gewisse Reizstärke hinaus angewandt, nicht die sonstigen elektrischen Sensationen, sondern die specifische Kälte- oder Wärmeempfindung hervorruft.

Es schloss sich an diesen Vortrag eine sehr lebhafte und lange Debatte, an welcher die Herren du Bois-Reymond, Hirschberg, J. Munk, Blaschko, Benda, Fritsch u. A. theilnahmen. M.

IV. Bibliographie, Das Gefühlsieben. In seinen wesentlichen Erscheinungen und Bezügen,

von Joseph W. Nahlowsky. 2. durchgesehene und verbesserte Auflage. (Leipzig 1884. Veit & Comp. 193 Seiten. 3 M. 60 Pfg.)

Wir können an dieser Stelle nur die Psychiater ganz besonders auf dieses Buch aufmerksam machen, das in klarer Sprache sowohl die Beziehungen der Gefühle zu den übrigen Seelenthätigkeiten erläutert, als die Gefühle selbst (1. formelle: Be- klemmung und Erleichterung, Erwartung, Hoffnung etc.; 2. qualitative: intellectuelle, ästhetische, moralische, religiöse) einer psychologischen "Untersuchung unterzieht, die

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viele fruchtbare Anregungen für die Erkenntniss der krankhaften Veränderungen jener Gefühle enthält. =.

Atlas der Hautnervengebiete, ein Lehrmittel für Aerzte und Studirende. von Dr. Jacob Heiberg, o. ö. Professor der Anatomie an der kgl. norweg. Fredriks - Universität zu Christiania, gezeichnet von Alfred Fosterud. (Christiania 1884. Verlag von Alb. Cammermeyer.)

10 sauber colorirte Tafeln zeigen die Ausbreitung der Hautnerven über den ganzen Körper. Die verschiedenen gewählten Farben bilden ein gutes Hülfsmittel, sich die Bezirke der verschiedenen Nerven einzuprägen. Ein kurzer Text neben den Tafeln erläutert dieselben. Wir können das kleine anatomische Werk nur bestens empfehlen und glauben, dass die Tafeln vergrössert und als Wandtafeln benützt, auch ein sehr gutes Hülfsmittel für den klinischen Unterricht in der Pathologie des Nerven- systems bieten. Die Ausstattung ist nach jeder Richtung hin eine gute. M.

V. Vermischtes.

Ein Gang durch die Irrenanstalt Grafenberg, von Lic. theol. Neveling.

In einem Vortrage, welchen Neveling, Pastor zu Gerresheim und an der rhein. Prov.- Irrenanstalt Grafenberg im Hülfsverein für Geisteskranke des Regierungsbezirks Düsseldorf hielt, finden sich Angaben über die Zahlen der Geisteskranken nach Zugehörigkeit zu den einzelnen Confessionen, welche sehr interessant sind.

Anfangs überwogen in Grafenberg die katholischen Kranken, in den letzten Jahren sind mehr evangelische da. Während in den ersten 8 Jahren des Bestehens der Anstalt 1457 evangelische gegen 1572 katholische Kranke aufgenommen wurden, traten im ersten Semester 1884 116 Evangelische gegen 95 Katholiken ein. Abzüglich von äusseren Un:- ständen, welche durch Veränderung der Aufnahmebezirke bedingt sind, ergiebt sich die ver- hältnissmässige Mehrerkrankung von Protestanten gegen Katholiken des Begierungebezirkes Düsseldorf doch immerhin. Dies wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, in dem ge- nannten Bezirk nach der letzten Volkszählung auf 9 evangelische 13 katholische Einwohner kamen, wäbrend vor der Abzweigung von Aufnahmebezirken vorwiegend katholischer Kreise auf 9 evangelische nur 11 katholische Geisteskranke kamen.

In sämmtlichen Irrenanstalten des preussischen Staates befanden sich am 1. Jan. 1879 neben 11915 evangelischen Kranken nur 4641 katholische, während doch die Zahl der evan- gelischon Rinwohner im ganzen Staate nicht ganz doppelt so gross ist, als die der katholischen.

Dieses Ueberwiegen der evangelischen Kranken erklärt sich Neveling daraus, dass die protestantische Bevölkerung in höherem Maasse als die Katholiken an dem Kulturleben der Gegenwart theilnehmen, welches mit seiner Hast und seinen mannigfachen Verwicklungen als gewichtigen Factor bei der wachsenden Ausbreitung der Geistesstörungen anzusehen ist.

Auch ist anzunehmen, dass die Protestanten, welche in ganz anderer innerlicherer Weise eine Glaubenszuversicht und Glaubensleben zu erringen haben, der Gefahr innerer Kämpfe und Zweifel mehr ausgesetzt sind, als die Alles der Kirche überlassenden Katholiken. Neveling erinnert daran, dass nach dem jüngsten Auftreten der Heilsarmee in der Schweiz von einem baseler Irrenarzt allein in Basel 10 Fälle von Geistesstörung constatirt wurden, welche mit jenem Erweckungsschwindel in deutlichem ursächlichem Zusammenhang standen.

Es sei gewiss in der Sache begründet, wenn gerade die Anhänger der kleinen sectirenden Gemeinden in besonders starkem Maassce der Geisteskrankheit ausgesetzt erschienen. Die Statistik bietet darüber keine sicheren Anhaltspunkte, da die Dissidenten einfach den Pro- testanten zugezählt sind.

In der Irrenanstalt Grafenberg licss sich nun constatiren, dass unter den 1457 aufge- nommenen Evangelischen sich 22 Dissidenten befanden, was auf 66 evangelische Kranke 1 Dissidenten ergäbe, während nach der Bevölkerungsstatistik für den Regierungsbezirk Düsseldorf auf 642125 Evangelische 4517 Sectirer fallen, also auf 142 Evangelische 1 Dissi- dent Zahlen, welche für sich selbst sprechen. Jehn.

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Vxır & Cour. in Leipzig. Druck von Merzoer & Wırrie in Leipzig.

NEUROLOGISCHESCENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Dritter AU DSEIn. Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

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1885. 1. Februar. N®:. 3.

Inhalt. 1. Orlginalmittkellungen. 1. Zur pathologischen Anatomie der Tabes dorsalis, vorläufige Mittheilung von Dr. Ed. Krauss. 2. Ueber die dyscrasischen Momente, welche bei der Genese der Neurosen und Psychosen eine Rolle spielen, von Dr. 0, Möller.

il. Referate. Anatomie. 1. Beiträge zur Frage von den Gewichts- und Grössenver- bältnissen des Gehirns, von Buchstab. 2. La synonymie des oirconvolutions de l’homme, par Köraval. Pathologische Anatomie. 8. Fall af multipla neurofibrom förenadt med sarkom bildning, af Wallls.. Easau age des Nervensystems. 4. Ueber einen Fall von Zerstörung des Schläfenlappens durch Geschwulstbildung ohne aphasische Störungen, Linkshändigkeit, von Westphal. 5. Aphasie transitoire toxique, e Dunoyer. 6. Ein Fall ron gummösen Geschwülsten der Hirnrinde, von Alexander. 7. Casuistische Mittheilungen, vn Hebold. 8. Maladie de Thomsen et paralysie pseudo-hypertrophique, par Vigouroux. ı. Muscular atrophy, after measles, in tbree members of a family, by Ormerod. 10. Ueber “reditäre progressive Muskelatrophie, von Zimmerlin. 11. Report of a slight outbreak of piaemic cerebrospinal meningitis, with notes of six oases, by Frew. Psychiatrie. ı2, Paralysie gönerale par insolation, par Parls. 18. Automutilations röpetses chez une melancolique, par Martineug. 14. De la folie de la pubert6 ou hebephrenie; legon clinique,

ar Ball. 15. De la folie gemellaire, ou alienation mentale chez les jumeaux, par Ball.

Therapie. 16. Hypnotismus zu Curzwecken, par de ulovanal. 17. 'IThe American Method “giving Potassium Jodide in very large duses for the later lesions of syphilis, more especially Sspbrlis of the Nervous System, by Seguin. 18. Weidenrinde als Füllung der Bettstellen unsauberer Geisteskranker, von Pütter. Anstaltswesen. 19. Bericht über die Verwal- tung der Westpreussischen Provinzial-Irren-Heil- und Pflegeanstalt zu Schwetz, von Wendt. 2». Neunter Verwaltungsbericht der Provinzial-Irren-Heil- und Pflege-Anstalt Rittergut Alt- ‚“herbitz, von Pätz.

Ill. Aus den Gesellschaften.

IV. Bibliographie.

V. Personallen.

IV. Vermischtes.

I. Originalmittheilungen.

1. Zur pathologischen Anatomie der Tabes dorsalis. Vorläufige Mittheilung von Dr. Ed. Krauss, Assistenzarzt. Aus der Krankenabtheilung des Breslauer städtischen Armenhauses (Prof. BERGER).

Wenn trotz der eingehendsten Arbeiten über die pathologische Anatomie der Tabes dennoch bis auf den heutigen Tag wichtige Fragen, wie die Patho- genese, die genaue Verbreitungsweise, die Erkrankung der peripherischen Nerven

ii, SB

ihrer Erledigung harren, so erklärt sich dieser Umstand zur Genüge aus den mangelhaften bisherigen Untersuchungsmethoden, wie aus dem beschränkten, mit genauem klinischen Befund versehenen Material. So dürfte denn die vor- liegende Arbeit, die sich auf 13 intra vitam sorgfältig beobachtete und mit Hülfe der neuen Färbungsmethoden anatomisch untersuchte Fälle von Tabes stützt, einen geringen Beitrag zur Lösung der obigen Fragen liefern. Das Material zu dieser Arbeit verdanke ich meinem verehrten Chef, Herrn Professor Dr. BERGER, dirigirendem Arzt des Breslauer städtischen Armenhauses, der sein lebhaftes Interesse bei der Abfassung dieser Arbeit bekundete und mir mit seinem Rath gütig zur Seite stand.

Bezüglich der Pathogenese der Tabes wird es sich wesentlich um die Frage handeln, ob im Parenchym oder im interstitiellen Gewebe der Ausgangs- punkt zu suchen ist. Denn die Ansicht, eine primäre Affection der Rücken- markshäute, speciell der Pia, anzunehmen, dürfte nur noch wenig Anhänger finden; auch in unseren Fällen zeigte sich nur einmal eine bedeutende Ver- dickung der Pia mit beträchtlicher zelliger Infiltration an der hinteren Peripherie, während in den übrigen Fällen nur eine geringe Dickenzunahme der Pia zu constatiren war; zuweilen liess sich an der hinteren Peripherie ein schmaler intacter Nervensaum nachweisen, der auch gegen eine primäre Leptomeningitis spricht.

Schwieriger ist es, darüber ein Urtheil zu gewinnen, ob die Nervenfasern oder der Blutgefäss-Bindegewebsapparat zuerst erkranken. Hat doch erst in jüngster Zeit Rumpr! auf Grund eines bedeutende Gefässalterationen darbieten- den Falles für eine gewisse Zahl von Tabesfällen eine Erkrankung der Gefässr als Ausgangspunkt angenommen, während STRÜMPELL „eine besonders hervor- tretende Betheiligung der Gefässwände‘“ nicht zu constatiren vermochte. Bevor wir unsere Ansicht in dieser Frage aussprechen, wollen wir kurz einige dies- bezügliche Ergebnisse der anatomischen Untersuchung mittheilen. In unsceu 13 Fällen fanden wir 10mal Verdickung der Gefässe und zwar 2mal hochgradiger Natur, zugleich Complication mit Aortenfehler darbietend, 5mal mittelstarke, 8mal mässige Verdickung. Was die Gefässalteration betrifft, so besteht sie in einer Verdickung der nach aussen vom Endothel gelegenen Scheiden. entweder bemerkte man eine einfache Zunahme des fibrillären Gewebes oder zu- nächst nach aussen vom Endothel eine leicht streifige, blasse, biswe.ien völlig structurlose, homogene, hyaline Schicht. Diese homogene Schicht enthielt zuweilen dicht am Endothel rundliche oder eckige Kerne; nach aussen ging sie allmählich in eine fibrilläre, mit spindelförmigen Kernen versehenen Schicht über, an welche sich ein lockeres, fasriges Maschenwerk an- schloss, in welchem bisweilen sehr zahlreiche kleine rundliche dunkelkörnige Zellen lagen, so dass alsdann von einer wirklichen Entzündung der adventitiellen Scheiden gesprochen werden konnte; in anderen Fällen war sowohl der sub-

! Rumpr, ‚Ueber Rückenmarksblutung nach Nervendehnung nebst einem Beitrag zur patholog. Anatomie der Tabes dorsalis.‘ Arch. f. Psych. 1884. Bd. XV. H. 2. ° STRÜMPRLL, ‚Beiträge zur Pathologie des Rückenmarke‘. Arch. f. Psych. Bd. XII.

Bra

adventitielle Raum wie die Gefässwandung selbst von grösseren, blassen, fein- körnigen Zellen durchsetzt, die als modificirte Körnchenzellen aufzufassen sind. Diese Gefässaffection tritt sowohl an kleineren wie. grösseren Gefässen auf, an letzteren besonders in der Nachbarschaft der hinteren Medianspalte; aber auch in den relativ erhaltenen Abschnitten des Hinterstrangs, ja auch im Hinterhorn und der Pia fand sie sich zuweilen vor. An den kleinen Gefässen und Capillaren zeigt sich die Gefässverdickung oft in Form einer hyalinen Schicht nach aussen vom Endothel. Die Fälle von Tabes mit vorausgegangener Syphilis weichen hinsicht- lich der Gefässverdickung nicht von denen ab, wo dieses ätiologische Moment nicht vorhanden war. Eine durch die Gefässverdickung bedingte, manifeste Ablenkung der Nervenfasern konnten wir nur selten wahrnehmen.

Die Nervenfasern zeigen das schon häufig beschriebene Aussehen: neben normalen Nervenfasern atrophische mit deutlicher Markscheide und Axencylinder, ferner zuweilen verdickte Nervenfasern mit undeutlichem Axencylinder, endlich solche mit zerfallener Markscheide und Bildung von Myelintropfen. Maschiges, fibrilläres oder auch wellenförmiges Gliagewebe, Corpora amylacea und Gliakerne in wechselnder Zahl fanden sich vor.

In Betreff! der Topographie der Hinterstrangdegeneration ergaben sich im Wesentlichen mit STRÖMPELL! übereinstimmende Resultate:

Im Lendenmark erkrankt zuerst die mittlere Wurzelzone, sodann das hintere äussere Feld, später das an der Fiss. long. post. gelegene längsovale oder schmale, saumartige Feld. Die vorderen Felder bleiben intact; während diese jedoch im mittleren und unteren Lendenmark der ganzen hinteren Commissur entlang sich erstrecken, ist im oberen Lendenmark meist der dem Sept. post. entsprechende Abschnitt degenerirt, |

Im Brustmark fand sich in unseren Fällen neben der mittleren Wurzel- zone der an der Fiss. long. post. gelegene mediane Keil (GoLn’sche Strang) mehr weniger afficirt, in vorgeschrittenen Fällen ausserdem das hintere äussere Feld, so dass alsdann die vorderen seitlichen Felder allein intact blieben; zu einer Degeneration dieser kam es in unseren Fällen nicht. Der Aussenrand und die Spitze des medianen Keils blieb gewöhnlich länger erhalten, als der hintere Abschnitt.

Im Halsmark liess sich in allen Fällen eine, wenn auch bisweilen sehr geringe Betheiligung der Gouw’schen Stränge nachweisen und zwar wiederum mit derselben Modification, wie im Brustmark. Demnächst fand sich die mitt- lere Wurzelzone am häufigsten afficirt; erst später erkrankte das hintere äussere Feld. Ein vorderer seitlicher Saum blieb stets intact.

Die Abgrenzung der degenerirten Abschnitte von den erhaltenen war nur in einzelnen Fällen eine ziemlich scharfe, oft war der Uebergang ein allmäh- licher. Dieses schwankende Verhalten bezieht sich nicht nur auf den einzelnen Fall in toto, sondern auch auf die einzelnen Segmente desselben; so zeigte sich bisweilen selbst bei distincterer Abgrenzung der Felder in Hals- und Lenden- mark im Brustmark keine scharfe Grenze.

1 STRÜMPELL, loc. cit.

==: 50 2

Zur Beurtheilung der Beziehung der Gefässverdickung zur Hinterstrang- degeneration bei Tabes untersuchten wir weiterhin vier Fälle von secundärer Degeneration nach Gehirnapoplexie und Ponserweichung, zwei Fälle von auf- steigender Degeneration bei Compressionsmyelitis. Eine geringe Verdickung fanden wir in 2 Fällen vor, eine beträchtlichere (mässige) in 2 anderen Fällen. Interessant war in diesen beiden letzteren Fällen von absteigender Degeneration der Pyramidenbahnen eine beträchtliche (mittelstarke) Verdickung der in der medianen hinteren Längsspalte gelegenen Gefässe. Lässt sich somit in unseren Fällen secundärer Degeneration auch keine hochgradige Gefässverdickung nach- weisen, so dürfte doch schon aus dem gegebenen Befund zur Genüge hervor- gehen, dass in dem Verhalten der Gefässe kein durchgreifender Unterschied zwischen Tabes und secundärer Degeneration bestehen kann, zumal selbst bei nicht unbeträchtlicher Tabes eine nennenswerthe Gefässverdickung fehlen kann. In Rompr’s! Fällen (22 Tage alte secundäre Degeneration bei einem 14jährigen Mädchen und 3 Jahr alte Tabes bei einem 58jährigen Mann) ergab sich aller- dings ein solcher; doch scheinen mir hier die Differenzen im Alter beider Indi- viduen, in der Dauer der Erkrankung zu bedeutend zu sein, um einen Vergleich zu erlauben, ganz abgesehen davon, dass ein einzelner Fall nicht entscheidet. Aber selbst wenn wir, wie Rumpr®? will, nur für gewisse Fälle von Tabes eine primäre Gefässalteration annehmen wollten, so fragt es sich, wo ist hier die Grenze zu ziehen? Sind schon jene Fälle mit mässiger, mittelstarker oder erst jene mit hochgradiger Gefässverdickung zu dieser Klasse zu zählen? Wir glauben, es liegt in dem gegebenen Befund keine Ursache vor, welche uns nöthigt, von der von den meisten Autoren acceptirten Annahme, dass der Tabes ein chro- nisch parenchymatöser Process zu Grunde liegt, abzuweichen. Wir sehen demnach die Gefässalteration als secundär oder höchstens concomitirend an.

Die Ansicht Strümpenn's,? dass es sich bei der Tabes um eine combinirte Systemerkrankung handele, ist angesichts der adäquaten Erkrankung in beiden Hintersträngen, der meist in einer gewissen Reihenfolge verlaufenden Degeneration der einzelnen Hinterstrangsgebiete, der Gesetzmässigkeit der klinischen Symptome verlockend genug, doch ist die Hauptstütze für diese Ansicht, der Nachweis der betreffenden Systeme, bis auf den heutigen Tag noch nicht erbracht worden.

Neben der genauen Localisation der degenerirten Abschnitte im Hinterstrang sind wir, nachdem LrYyopEen* zuerst eine Erkrankung der CLARKE’schen Säulen bei Tabes gefunden, in neuester Zeit durch die Untersuchungen Lis- SAUER’S® auf die regelmässige Erkrankung dieser Abschnitte aufmerksam gemacht worden. Auch meine Untersuchungen ergaben eine constante Faserverminderung dieser Theile. Jedoch zeigte sich, dass nicht stets die ganze CLArke’sche Säule, sondern dass zuweilen einzelne Theile intact bleiben. So fand sich in

1 Rumpr, loc. eit.

! Rumpr, loc. cit.

® STRÜMPELL, loc. cit.

* Leypen, Klinik der Rückenmarkskrankheiten. Bd. II. 2.

® LISSAUER, Ueber Veränderungen der CLarxe’schen Säulen bei Tabes dorsalis. Fortschr. der Medie. 1584. Nr. 4.

einem ziemlich entwickelten Tabesfall im untersten Brustmark bei annähernd voll- ständiger Degeneration des Querschnitts die ganze Cuarke’sche Säule degenerirt, während im oberen Brustmark, wo wesentlich der Gouw’sche Strang, nur wenig die mittlere Wurzelzone erkrankt war, nur die centralen Theile der Cnarxe’schen Säule etwas faserärmer waren. In einem Fall von secundärer Degeneration des Hinter- strangs war im unteren Brustmark neben einer Degeneration zwischen innerem und äusserem Abschnitt desselben mit theilweiser Erkrankung der mittleren Wurzelzone der äussere Saum der Cuarke’schen Säule intaot; im oberen Brust- mark, in dem sich die Degeneration auf einen schmalen Saum entlang der Fiss. long. post. beschränkte, zeigte sich normales Verhalten der Cuarxe’schen Säule. Bisweilen bleiben bei selbst intensiver Erkrankung der mittleren Wurzelzone einzelne Theile, wie z. B. ein äusserer Saum, intact.oder sind doch nur unwesent- lich afficirt. |

Von peripheren Nerven wurden in fünf Tabesfällen die Ischiadici untersucht. In zwei Fällen zeigte sich eine deutliche, bei Vergleich mit nor- malen Präparaten entschieden als pathologisch zu bezeiohnende Veränderung; neben normalen Sonnenbildchen fand sich auf dem Querschnitt eine grosse Zahl kleinster, atrophischer Nervenfasern, nur bei genauer Einstellung als kleinste Ringe mit centralem Axencoylinder erkennbar; oft fand sich kein Axencoylinder mehr vor, sondern nur ein durch Carmin diffus roth gefärbter kleinster Kreis, In dem einen Falle hatte sich eine Phlegmone in Folge Dehnung beider Ichiadici gebildet, die möglicherweise zu der hochgradigen Atrophie, die sich besonders auf die peripheren Bündel erstreckte, in Beziehung stand. In dem zweiten Fall war die Atrophie noch bedeutender, auf die Hälfte des Ischiadieusquerschnittes ausgedehnt, ohne dass eine andere Ursache, als die Tabes selbst, ausfindig ge- macht werden konnte.

Dieser Annahme stände die Beobachtung Friepexıon’s, welcher gleichfalls in einem Fall von Tabes Atrophie des Ischiadicus fand, zur Seite. Doch werden erst zahlreichere Untersuchungen uns über diese Frage Aufschluss geben.

In einem Fall untersuchte ich einen sensiblen Nerven (Hautast des N. sa- phenus major); es fand sich eine ziemlich beträchtliche Abnahme der normalen Nervenquerschnitte vor, an Stelle deren eine durch Carmin diffus roth gefärbte Masse sich vorfand, von den erhaltenen Nerven waren einige sehr schmal; ein zum Vergleich untersuchter sensibler Hautast einer an Marasmus senilis gestor- benen Frau zeigte jedoch gleichfalls eine nicht unbedeutende Atrophie, wenn auch etwas geringere wie die des Tabikers. .

Zum Schlusse dieser Mittheilung sei es mir gestattet, Einiges über die Localisation der Symptome bei Tabes anzuführen. STRÜMPELL! bezieht das Fehlen der Patellarreflexe und die lancinirenden Schmerzen auf die Er- krankung der mittleren Partien der Hinterstränge, die Ataxie vielleicht auf eine Läsion der grauen Substanz (Hinterhörner?), die Blasenstörung möglicherweise auf eine Erkrankung der Gouu'’schen Stänge. WEsTPHAL? in seiner neuesten

! StrüsreLL, loc. eit. und Lehrbuch der spec. Patholog. und Therapie. Bd. II. Th. I. * WestpHaL, ‚Ueber einen Fall von spinaler Erkrankung‘. Arch. f. Psyoh. XV. 8.

Arbeit erkennt nur die Localisation der .Patellarreflexe an, deren Fehlen „mit Sicherheit auf eine Affeclion der äusseren Theile der Himterstränge an dem Uebergang ‚vom unteren Brust- zum Lendentheil resp. am oberen Lendentheil“ zu beziehen sei. In Betreff der Schmerzen lässt er die Möglichkeit, dass sie auf eine Erkrankung der peripheren Nerven zu beziehen seien, zu. Zwei klinisch und anatomisch genau untersuchte Fälle von Hinterstrangsklerose dürften für die Looalisationslehre wichtig sein. Der eine Fall betraf ein 41jähriges Dienst- mädchen, welches klinisch die Symptome einer typischen Tabes, aber ohne Ataxie, darbot; bei der mikroskopischen Untersuchung fand sich neben einer mässigen Hinterstrangsklerose eine deutliche Degeneration der Cuarxze’schen Säulen, überhaupt unterschied sich die graue Substanz in nichts von den Fällen von Tabes mit Ataxie. Mit unseren heutigen Untersuchungsmethoden sind wir jedenfalls nicht im Stande, eine bestimmte Veränderung .der grauen Substanz als Ursache der Ataxie anzunehmen. In dem anderen Falle handelte es sich um eine 66jährige Handelsfrau, die in. Folge eines Falles von einer 15 Stufen hohen Treppe sich Motilitätsstörungen der unteren Extremitäten mit stechenden Schmerzen und eine vorübergehende Blasenstörung zuzog. Patellar- reflexe beiderseits erhalten. Bei der mikroskopischen Untersuchung des Rückenmarkes fand sich eine typische Degeneration vor, im Lenden- und unteren Brustmark in Form zweier Streifen zwischen hinterer Modianspalte und inneren Hinterhornrand, im oberen Brustmark auf die Umgebung der Fiss. long. post. beschränkt. Während hier die Cuarkx’schen Säulen normal waren, zeigten sie sich im unteren Brust- und Lendenmark bis auf einen äusseren Saum degenerirt. Die in das Hinterhorn einstrahlenden Wurzelfasern waren zum Theil atrophirt, Dieser Fall lehrt, dass die äusseren Hinterstränge oder besser ausgedrückt, die mittlere Wurzelzone zum Theil erkrankt sein kann, ohne dass der Patellarreflex auszufallen braucht. Dass in Betreff der Localisation der lanciniren- den Schmerzen und der Blasenstörung wir zu keinem Resultat gelangt sind, sei schliesslich der Vollständigkeit wegen noch angeführt,

2. Ueber die dyscrasischen Momente, welche bei der Genese der Neurosen und Psychosen eine Rolle spielen.

Von Dr. 0. Müller, Blankenburg.

(Vortrag, gehalten in der Section für Neurologie und Psychiatrie des internationalen medic. Congresses zu Kopenhagen.)

Meine Herren! Unter den Ursachen der Störungen in den Functionen des Nervensystems bildet die Aufnahme und Beimischung von Fremdstoffen zum Blute eine ergiebige Quelle von Erkrankungen. Viele derselben veranlassen bei ihrer Aufnahme in den Körper Intoxicationserscheinungen durch Entmischung und Veränderung desselben. Ihrem Wesen nach sehr verschieden, sind es theils acute, theils chronische Functionsstörungen des Nervensystems, welche aus ihnen

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resultiren, da dasselbe auf die Beimischung fremdartiger Stoffe zum Blute in sehr verschiedener Weise, je nach dem Quantum und Qualo derselben reagirt.

Welche Veränderungen in ihm hervorgerufen werden, wissen wir nur un- vollkommen. Uns ergiebt die. ärztliche Beobachtung die Thatsache, dass auf dem Boden eines z. B. durch Alcohol, Blei, Lues, Malaria u. s. w. entmischten Biutes bestimmte Krankheitserscheinungen im Nervensystem erwachsen, die wir uns nicht anders als durch Annahme einer specifischen Diathese in demselben erklären können, eine Bezeichnung, die, wenn sie auch keinen klaren physio- logischen Begriff ausdrückt und früher zu mannigfachen Irrihümern und Miss- verständnissen geführt hat, doch zunächst beibehalten werden mag.

Es handelt sich bei der Aufnahme von Fremdstoffen von Seiten des Or- ganismus sowohl um acute wie chronische Entmischungszustände. Wir ‚über- gehen die ersteren, die in der Mehrzahl der Fälle als eine acute Intoxication aufzufassen sein werden.

Uns interessiren hier die chronischen Formen in ihren Beziehungen zu der Genese der Neurosen und Psychosen, bei der es sich ja nicht von vorn- herein schon um destruotive Processe im Nervengewebe, sondern zunächst nur um diffuse, moleouläre Veränderungen handelt, über welche Mikroskop und physiologische Chemie uns noch im Dunkeln lassen, die aber zweifelsohne als die ersten Ursachen eines pathologischen Stoffwechsels angesehen werden müssen. Ä

Auf dem Boden solcher Entmischungszustände des Blutes entwickeln sich die Störungen im Gebiete des Nervensystems und wir sehen zunächst meist einen neuro- oder psyehopathischen Grundzustand sich ausbilden, auf dem nur vorübergehende oder periodische Störungen der Nerventhätigkeit sich zeigen, die noch keine ausgesprochene Krankheit sind, sondern im häufigen Wechsel Schwäche- und Reizerscheinungen von Seiten des Nervensystems beobachten lassen.

Das wechselnde Krankheitsbild, welches gerade diese Zustände charak- terisirt, seine periodischen Schwankungen zwischen Remission und Exacerbation lassen hier noch keine stabile oder localisirte Erkrankung des Nervensystems annehmen, sondern dieselben auf transitorische Veränderungen der Blutmischung und Circulation zurückführen. Der Symptomencomplex fast aller allgemeinen auf anämischer Basis entstandener Neurosen, der Asthenien, leichter melan- cholischer und hysterischer Verstimmung zeigt einen solchen Charakter.

Der Entwickelungsgang sowohl wie die Heilbarkeit dieser ersten Störungen der Functionen des Nervensystems ist uns ein deutlicher Fingerzeig, dass meist dyscrasische Veränderungen ihnen zu Grunde liegen. Auch die Folgezustände, welche wir im Reconvalescenzstadium nach Typhus, Diphtheritis nach Alcohol- missbrauch sich äussern sehen, dürfen wir bei der, wenn auch langsam, doch häufig erfolgenden restitutio ad integrum zunächst nicht als destructive Ver- änderungen des Nervensystems auffassen, sondern auch sie nur als die Folgen eines pathologischen Stoffwechsels ansehen, dessen Ursachen sowohl innerhalb wie ausserhalb des Organismus liegen können.

Ob bei demselben durch chemische Zersetzungen Stoffe gebildet werden, die

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eine krankhafte Reizung oder Erschlaffung des Nervengewebes herbeiführen oder wie dem Blute auf diesem Wege das normale Ernährungsmaterial (Albuminate, Proteinstoffe) entzogen wird, darüber kann man nur Vermuthungen anstellen. Für die erste Anschauung sprechen die Erfahrungen, welche man bei septischen Processen, ferner auch beim Diabetes, bei der Cholämie und Urämie gemacht hat, bei denen Ammoniakverbindungen, Aceton etc. direct im Blute nachgewiesen worden sind. Bei den auf alcoholischer Basis entstandenen nervösen Functions- störungen könnte ebenso wie bei den nach chronischen Magen- und Darm- katarrhen in Verbindung mit dyspeptischen Zuständen entstandenen Neurosen und Psychosen vielleicht ein Zusammenwirken beider Momente die Störung veraulassen.

Der Intensität nach muss die Intoxication eine sehr verschiedene sein, je nach dem Quantum und Quale ihrer Erzeuger. Sie muss sich abstufen von der wirklichen acuten Vergiftung bis zu den leisesten unbeachtet und chronisch verlaufenden Entmischungen des Blutes und ihren vitalen Folgen für das Nervensystem. Bei diesen Vorgängen handelt es sich:

I. Um die Beimischung von ausserhalb des Organismus vorhandenen und nun durch die Verdauungs- und Respirationsorgane in den Bilutstrom ein- geführten Fremdstoffen (heterogene Intoxication).

I. Um die Entwickelung und Bildung von innerhalb des Organismus erzeugten, als Product eines falschen Stoffwechsels anzusehenden Diathesen (antogene oder autochthone Intoxication).

Die erste Gruppe umfasst ausser den wirklichen Giftstoffen, die erst in unsern Tagen in ihrem Wesen genauer erkannten Krankheitserzeuger, die Bac- terien. Sie bilden die in ihrer Wirkung auf Blut und Nervensystem gefähr- lichsten Fremdkörper. Durch ihre rapide Vermehrung innerhalb des mensch- lichen Organismus schädigen sie denselben nach ihrer Aufnahme, rasch in ver- hängnissvoller Weise; in acuten Fällen wird die Existenz desselben nur zu oft in Frage gestellt. Es hängt von der Form der aufgenommenen Bacterien, von den für ihre Entwickelung günstigen Momenten ab, wie sehr und in welcher Weise das Nervensystem durch sie in Mitleidenschaft gezogen wird. Hier zeigen sich als acute Folgezustände zunächst schwere fieberhafte Reactionen, Lähmungen, Delirien, Neuralgien, kurz Störungen der Nervenfunotionen in den verschiedensten Gebieten. |

Darüber, dass es sich um eine schwere Entmischung des Blutes handelt, um eine wirkliche Dysorasie, herrscht nicht der geringste Zweifel, da direct durch Impfung des pathogenen Blutes auch gesunde Organismen inficirt werden können. Cholera, Typhus, Pocken, Lyssa, Diphtheritis, Tuberculose gehören hierher. Es scheint, dass gleichzeitig bei der Bildung der Mikroorganismen noch ein spe- eifischer deletärer Infectionsstoff erzeugt wird, der sich durch wiederholte Ueber- tragungen in seiner Wirkung vielleicht abschwächen lässt (Pasteur). Die Er- fahrungen bei den Vergiftungen durch Piomain (Panum), Leichengift etc. lassen hoffen, dass es vielleicht noch gelingen werde, uns über die bezüglichen Stoffe und Vorgänge weitere Aufklärung zu verschaffen.

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Nach ihrer Aufnahme reiht sich an das acute Infectionsstadium eine chro- nische Dyscrasie an, deren Zeitdauer mannigfach verschieden ist. Bei einigen sind es Defectzustände, die sich auf diesem Boden etabliren und die zuweilen überhaupt nicht, oft erst nach Jahren sich zurückbilden.

Andere pathogene Stoffe veranlassen nach ihrer Aufnahme in das Blut mildere Reactionserscheinungen bei schleppenderem Verlaufe. Es fehlen hier die acuten Reactionserscheinungen zuweilen ganz; ihre Einwirkung ist von vornherein eine subacute oder eine chronische, aber darum nicht minder bedenkliche (Sy- philis, Intermittens).

Noch andere heterogene Krankheitserreger, welche relativ pathogene Stoffe sind, können, wenn sie in verhältnissmässig geringer Menge aufgenommen - werden, lange Zeit dem Blute zugeführt werden, ohne dass sobald bemerkens- werthe Störungen des Nervensystems von ihnen ausgehen. Viele erhöhen, vor- sichtig genommen, sogar die Leistungsfähigkeit desselben, und erst ihr Missbrauch ist es, welcher demselben Schaden bringt. Zu diesen zählen Alcohol, Ergotin, von den narkotischen Mitteln das Opium, Morphium, der Tabak.

Darüber, dass auch sie nur vom Blutstrome aus und durch Veränderung der Mischung desselben wirken, ist gleichfalls kein Zweifel, wenn auch die qualitativen Veränderungen, mögen sie nun die Blutkörperchen, die Albuminate, oder irgend sonstige Bestandtheile desselben treffen, noch unaufgeklärt ge- blieben sind. |

Wir müssen annehmen, und die neueren Untersuchungen unterstützen diese Annahme, dass es die Nervenzellen selbst sind, in welchen die Ablagerung der pathogenen Stoffe erfolgt. Durch dieselbe wird die Function derselben gehemmt, in den schwereren Fällen direct aufgehoben, je nachdem der in ihr deponirte Fremdkörper, nur als Ballast ihre Vitalität hemmt, oder wie es bei den Bac- terien der Fall ist, den Zelleninhalt durch Vermehrung und Spaltung seiner Mikroben völlig verändert.

Es erklärt sich vielleicht hieraus, weshalb gerade diese Formen nicht nur ein geschwächtes Nervensystem, sondern meist wirkliche Defecte in den einzelnen Provinzen desselben hervorrufen.

Von schweren Folgen ist auch die Aufnahme mancher gasförmiger Stoffe in den Organismus. Die Einathmung von Kohlensäure, Kohlenoxydgas, Chlor, Stickstoff, Stickstoffoxydul bringt ihm Gefahr. Eigenthümlich ist es, dass alle diese Stoffe ganz specifische Störungen und Erkrankungen des Nervensystems veranlassen, die fast einen localisirten Charakter tragen. Einige wirken beson- ders auf das Centralnervensystem, auf die psychischen Vorgänge, noch andere auf die sensibeln und motorischen Bahnen, wieder andere auf die Sinnesnerven oder das sympathische Nervensystem. So hat das chronische Siechthum des Nervensystems, bedingt durch Alcohol, Blei, Tabak, Morphium, Ergotin etc. einen ganz specifischen Charakter angenommen und die ausgesprochene Locali- sation der pathologischen Vorgänge ist hier gewiss nicht ein primärer, sondern ein secundärer Vorgang, der seinen Grund in den uns noch unbekannten Be-

A mu. 358, 2

ziehungen dieser und analoger Stoffe zu gewissen Provinzen des Nervensystems hat, dessen Störungen nicht conform sind.

Nach diesen Analogien musste man geneigt sein, z. B. für die progressive Paralyse, für die Melancholie, für hysterische Zustände gleichfalls gewisse Ver- änderungen in der Blutmischung anzunehmen, wenigstens für die ersten An- fänge in derselben, welchen es sich noch um diffuse moleculäre Functionsstörungen des Nervensystems handelt, da die Ursachen für Genese oft gleichartige sind.

(Schluss folgt.)

Il Referate.

Anatomie.

1) Beiträge zur Frage von den Gewichts- und Grössenverhältnissen des Gehirns, von Buchstab. (Inauguraldiss. St. Petersburg 1884. Russisch.)

Nachdem durch Zusammenstellung der Literatur gezeigt ist, dass die Angaben verschiedener Autoren über genannten Gegenstand nicht übereinstimmen, berichtet Verf. über seine eigenen, unter Leitung des Professor Lesshaft angestellten Unter- suchungen, deren Genauigkeit übrigens nach der Beschreibung der angewandten Methoden zu urtheilen keinesfalls höher zu schätzen ist, als die seiner Vorgänger, um so mehr, als das den Messungen des Verf. zu Grunde liegende Material nur aus 239 Cadavern (116 Männer, 112 Weiber, 11 Foeten und Neugeborene) besteht. Die wichtigsten aus den einzelnen Zahlen berechneten Mittelgrössen sind folgende:

Das Gesammtgewicht des männlichen Gehirns beträgt 1370,9 grm (Hemisphären 1194,1; Kleinhirn 150,8; Medulla oblong. und Pons 26); des weiblichen 1229 (1009,9 + 135,1 + 24). Das Volumen des männlichen Gehirns ist 1325,2 ccm (1155,5 + 144,7 + 25), des weiblichen 1188,4 (1035,4 + 129,9 + 23,1). Im Laufe der ersten 12—15 Lebensjahre verdreifacht sich das Gehirngewicht; sein Maximum erreicht es zwischen 16 und 20 Jahren. Das Verhältniss des Gehirnge- wichts zum Körpergewicht gleicht beim Mann 1:38, beim Weibe 1:35; das Ge- wichtsverhältniss des Kleinhirns zum Gesammtgehirm = 1:9; zum Gewicht der He- misphären = 1:8; das Gewichtsverhältniss der Medulla oblong. nebst Pons zu den Grosshirnhemisphären ist bei M. 1:47, bei W. 1:45. Die Länge des Gehirns be- trägt bei M. 172,3 mm, bei W. 167,5; die Breite 141,5 und 135,7; der Höhen- durchmesser 81,9 und 78,2. Der Abstand zwischen Spitze des Frontallappens und oberem Ende des Sulcus Rol. beläuft sich bei.M. auf 152,9 mm, bei W. auf 140,6; der Abstand zwischen Spitze des Occipitallappens und oberem Ende der Fissura parieto-oceipit. beträgt bei M. 48,7, bei W. 51,4 mm. P. Bosenbach.

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2) La synonymie des circonvolutions o6r6brales de l’homme, parP. Köraval. (Arch. de Neurol. 1884. No. 23 et 24.)

Zusammenstellung von verschiedenen Bezeichnungen für die Furchen und Wind- ungen der menschlichen Hirnrinde (mit Ausschluss der tieferen Theile, 2. B. der Insel), mit beigegebener kurzer beschreibender Erklärung. Siemens.

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. Pathologische Anatomie.

3) Fall af multipla neurofibrom förenadt med sarkom bildning, af Prof. C. Wallis (Redogörelse för obductionerna vid Sabbatsbergs sjukhus: Hygiea XLVI. 9. S. 545. 1884.)

Ein 33 Jahre alter schon längere Zeit an Heiserkeit und Husten, seit einiger Zeit an den Symptomen des Magenkatarrhs und trägem Stuhlgangs leidender Mann erkrankte an linksseitiger Pleuritis sicca mit Bronchitis und geringem Fieber. Nach Zurückgang der Pleuritis hustete Pat. immer noch und war kurzathmig; zunehmende Dyspnoe stellte sich ein. An der linken Thoraxhälfte fand sich vorn und seitlich matter Perkussionsschall und kein Respirationsgeräusch. Das Herz war bedeutend nach rechts verschoben. Unter zunehmender Athemnoth sanken die Kräfte des Kr. immer mehr, Sopor stellte sich ein und der Kr. starb. Etwa 14 Tage vor dem Tode war Oedem der ganzen linken Körperhälfte eingetreten.

Bei der Section fanden sich zahlreiche Neurome an den Hautnerven der Arme und Beine, sowie auch an den tiefer gelegenen Nerven und fast am ganzen peri- pherischen Nervensystem. In den Hautnerven zeigte sich die Veränderung meist in Form von Knotenbildung, in den tiefer liegenden Nerven in Form von mehr allge- meiner Verdickung, besonders die Nerven am Stamme waren fast alle diffus verdickt, bis zum vier- und sechsfachen ihres normalen Durchmessers. Die grösseren Nerven- plexus waren alle stark vergrössert. Die Verdickung erstreckte sich bis in die Endigungen der Nervenverzweigungen. Beide Nervi vagi zeigten von ihrem Austritt aus dem Schädel an eine Verdickung, die im oberen Theile bis zur Höhe des Schild- knorpels mehr diffus war;.der Nerv hatte hier die Dicke eines gewöhnlichen Ischiadicus; weiter nach unten fanden sich an den Seiten des verdickten Nervenstammes runde oder längliche Anschwellungen von wechselnder Grösse, die ungefähr an der Bifur- cation der Traches am bedeutendsten war. Bechts bildete diese Verdickung eine spindelförmige, etwa 1 cm breite und 8 cm lange Geschwulst und weiter nach unten nahm der Nerv seinen natürlichen Umfang wieder an; am linken Vagus hatte die unterste Anschwellung die Grösse eines Hühnereies und ging nach hinten vor der Trachea vorüber in eine nach rechts sich ausdehnende Geschwulstmasse über; ausser- dem war die linke Pleurahöhle von Geschwulstmassen ausgefüllt, welche die Lunge zusammendrückten, das Herz und der Mediastinalraum nach rechts drängten und nach hinten zu mit der Vagusgeschwulst zusammenhingen. Von den übrigen Schädel- nerven zeigten Opticus und Olfactorius keine Veränderungen, die Gesichtsnerven einige Verdickungen, dpr Hypoglossus spindelförmige und diffuse, der Lingualis spin- delförmige Verdickungen. An allen verdickten Cerebrospinalnerven gingen die Ver- dickungen bis zu der Foramina intervertebralia, von da an: hatten die Nerven nor- males Aussehen. An den Sympathicis zeigten sich weder an den Hauptstämmen, noch an den grösseren Plexus in der Bauchhöhle Veränderungen. Hirn und Rückenmark waren anämisch, sonst aber nicht krankhaft verändert. In .der rechten Lunge fand sich Hypostase und Oedem, die rechte war trocken und lederartig. Alle Geschwäülste mit Ausnahme der am meisten nach unten zu gelegenen Vagusgeschwülste erwiesen sich als Fibroneurome; die Nerven selbst waren nicht verändert. An den Vagis zeigten die Geschwülste, nach unten zu zunehmend, grösseren Zeilenreichthum, die untersten Geschwülste erwiesen sich als zerfallende Rundzellensarkome.

Walter Berger.

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Pathologie des Baer

4) Ueber einen Fall von Zerstörung des Schläfenlappens durch Geschwulst- bildung ohne aphasische Störungen, Linkshändigkeit, von Prof. C. Westphal. Vorgetragen in der Berliner Gesellschaft f. Psych. und Nerven- krankh. am 10. Dez. 1883. (Berl. Klin. Wochenschr. 1884. Nr. 49.)

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Indem Ref. auf das nach dem obigen Vortrage s. Z. in diesem Centralblatte (1884 Nr. 1) erstattete Referat hinweist, ergänzt er dieses aus dem hier mitgetheilten Leichenbefunde: „der linke Schläfenlappen wird eingenommen von einem bis in’s Hinterhorn sich erstreckenden Gliosarcom mit Erweichung der Umgebung der Vorderlappen nach vorn und rechts herübergedrängt. Sämmtliche Hirnventrikel stark erweitert, mit klarer Flüssigkeit gefüllt. Von der Marksubstanz des linken Schläfenlappens ist nur hier und da ein schwacher Saum längs der Rinde übrig, aber auch dieser zeigt eine weiche Consistenz, die ganze übrige Marksubstanz des Lappens ist in die Geschwulst aufgegangen und zeigt keine Spur von normalem Ge- webe. Die Rinde der Aussenfläche des Schläfenlappens zeigt, von Aussen betrachtet, keine deutliche Veränderung in Farbe und Consistenz, dagegen ist die Rinde des basalen Theils sehr weich und lässt zum Theil Geschwulstmasse durchscheinen. Stark geschwollen ist Corp. striat. und Linsenkern der betroffenen Seite, der Thala- mus gleichfalls, aber weniger; auch die Inselwindungen links sind stark geschwollen und über die Oberfläche hervorquellend, sehr weich“.

Eine Function der Ganglienzellen einzelner erhaltener Rindenpartien (von er- weichter Consistenz) dürfte kaum noch stattgefunden haben, sagt W.; aber selbst dies angenommen, so wäre doch die gesammte Marksubstanz des Schläfenlappens in einer Weise durch den Tumor zerstört gewesen, dass eine Leitung durch dieselbe nicht wohl als möglich gedacht werden könne. Dabei von Worttaubheit oder sen- sorischer Aphasie nicht die geringste Andeutung. Möglich sei allein, dass in der letzten Zeit ante mortem Taubheit eines Ohres vorhanden gewesen sei, aber 08 sei unwahrscheinlich. (Es ist nicht speciell untersucht.)

Nachdem W. die Linkshändigkeit des Patienten nachträglich constatirt hatte, erklärt er, „dass dieser Fall nicht ohne Weiteres, wie es zuerst schien, gegen die Lokalisation sprachlicher Funktionen im linken Schläfenlappen verwerthet werden kann, selbstverständlich auch nicht dafür“.

W. bemerkt bei dieser Gelegenheit noch, dass ihm die gegenwärtig beliebte scharfe Trennung der verschiedenen Formen der Aphasie atactische, amnestische, sensorische u. s. w. klinisch nicht gerechtfertigt scheint. Er habe keinen Fall gesehen, wo die eine oder andere dieser Formen durchaus rein vorhanden gewesen sei, die Störung war nur nach der einen oder anderen Richtung hin ganz über- wiegend. Allerdings müsse man sehr sorgfältig und häufig wiederholt untersuchen.

Hadlich.

56) Aphasie transitoire toxique (& la suite de l’ingestion de la santonine), par le Dr. Dunoyer. (Gaz. med. de Paris. 1884. No. 39.)

Ein 20jähriges Mädchen im letzten Stadium der Tuberkulose nahm eines Tages Santonini 0,05, und ist bald darauf ausser Stande zu sprechen, bringt nur „mais mais —“ heraus. Nach etwa 4 Stunden ging die Aphasie vorüber, und die Pat. giebt nun an, sie habe plötzlich Alles gelb gesehen und sei in demselben Augen- blicke unfähig geworden, zu sprechen, ohne sich dabei unwohl zu fühlen; sie habe auch dabei Alles ganz gut gehört, gesehen, verstanden u. s. w. Als das Gelbsehen verschwand, bekam Pat. auch sogleich die Sprache wieder. Hadlich.

6) Ein Fall von gummösen Geschwülsten der Hirnrinde, von Dr. Conrad Alexander, Assistenten der Biermer’schen Klinik. (Bresl. ärztl. Zeitschr. 1884. Nr. 22.)

Ein 28jähriger Arbeiter, der sich 6 Jahre vor Auftreten von Himerscheinungen syfilitisch inficirt hatte, bekam sehr heftige Kopfschmerzen und Anfälle von partieller Epilepsie. Hierzu gesellten sich: Stauungspapille auf beiden Augen,

ERBE; nee

Nackenstarre und Gedächtnissschwäche. Pat. wurde schliesslich somnolent und ging unter Delirien zu Grunde, ohne jemals Lähmungserscheinungen dargeboten zu haben.

Das Ergebniss der Section war: eine Osteoporosis syphilitica am rechten Scheitel- bein und Gummata in der hinteren Centralwindung sowohl rechterseits als linkerseits mit Erweichung der darunterliegenden Marksubstanz. Epikritisch erklärt A. die Krampfanfälle für cortical-epileptische; der Mangel motorischer und sensibler Lähmungs- erscheinungen ergebe sich ans der Lage der Gummata im mittleren und untersten Theile der hinteren Centralwindung beiderseits, Die während des Lebens beobach- tete hochgradige Nackensteifigkeit führt der Verf. auf eine reflectorische tonische Innervation der Nackenmuskeln zurück, ausgehend von einer starken Reizung der sensiblen Nerven der Pia mater durch den corticalen Krankheitsprocess.

Laquer.

7) Casuistische Mittheilungen aus der Rheinischen Provinzial-Irren-Anstalt zu Andernach, von Dr. Otto Hebold. (Arch. f. Psych. XV. 3.)

Verf. theilt zuerst einen Fall von intramedullärem Gliom des Rücken- markes mit. Die Diagnose konnte wegen der geringen Lähmungserscheinungen intra vitam nicht gestellt werden, sondern Pat. ging nach 6monatlicher Psychose, unter dem Bilde der Progressiven Paralyse, durch Suicidium zu Grunde. Als be- sonderes Symptom war eine Störung der Innervation des Herzens (Delirium cordis) registrirt und als Effect einer centralen Störung angesprochen worden. Die Section ergab ausser Periencephalomeningitis eine Geschwulst, welche, unterhalb der Decus- satio pyramidum beginnend, sich durch das Halsmark erstreckte, nur eben noch in das Brustmark himeinreichend, mit der grössten Dimension an der Halsanschwellung, dort ist ihr Sitz central, aber ober- und unterhalb erstreckt sie sich mehr auf die linke Seite. Die sehr gefässreiche Geschwulst erweist sich als Gliom, das im retro- centralen Gewebe seinen Ursprung hatte.

Der 2. Fall betrifft einen schon zuletzt intra vitam diagnostieirten Tumor des Gehirns bei einem Epileptiker, der, nachdem er Jahre lang psychisch abnorm gewesen, die letzten 4 Jahre erst schwere Krampfanfälle bekam, in den letzten Monaten nun auch völlig erblindete, und im Status epilepticus zu Grunde ging. Die psych. Symptome bestanden in grosser Reizbarkeit, Gedächtnissschwäche, Bewusstseins- störung, schliesslich andauernder Benommenheit. Die epileptischen Erscheinungen machen alle Phasen vom leichten Schwindel bis zu den schwersten Attacken durch, bei letzteren wurde beobachtet, dass die Zuckungen stets rechts begannen, während Kopf und Bulbi nach links gedreht wurden, zuletzt gab es in den rechten Extremi- täten Anfälle von Tremor, Facialisparese war schon früher bemerkt, das rechte Auge erblindete zuerst. Die Section ergab ein Gliosarcom, welches das äussere Viertel des Streifenhügels links einnahm, es erstreckte sich unter dem Thal. opticus her, diesen eben berührend, bis nahe zum Ammonshorn, der Tumor nimmt einen grossen Theil der weissen Substanz des Schläfenlappens ein, baucht sich vorn an demselben an der Basis kleinapfelgross vor, hat auch den Pedunculus cerebri ergriffen. Stau- ungsnenuritis beider optici.

Im 3. Falle handelt es sich um Cysticerken im Gehirn und Rückenmark bei einer von Jugend an auffallonden Patientin, die in den letzten 7 Lebensjahren alienirt war, dann epileptisch wurde, 4 Jahre aber vor dem Exitus auch erblindete.

Pat. hatte während der originären Psychose die Unart, Koth zu verzehren und dadurch sich die Infection des Körpers und zumal des Gehirns und Rücken- marks mit Cysticerken zugezogen, durch welche erst die Epilepsie entstand, und durch welche die andern Erscheinungen von Gehirnreiz hervorgebracht wurden. Die Section ergab eine Cysticerkenblase an der vordern Seite des Rückenmarkes in der Höhe des ersten Brustwirbels unter der Pia, ausser einer grösseren Blase in der

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Flüssigkeit des Seitenventrikels, viele kleine, derbe Bläschen disseminirt in der ganzen Hirnrinde, von denen einige bis in die weisse Substanz hineinragten. Bei dem Mangel einer Erkrankung der N. optici wird die Erblindung als auf corticaler Ursache basirend, erklärt. Zander.

8) Maladie de 'Thomsen et paralysie pseudo-hypertrophique, par RB. Vi- gouroux. (Arch. de Neurol. 1884. No. 24. p. 272.)

Bei der Thomsen’schen Krankheit wurde in einer Anzahl von Fällen die Ver- mehrung des Volumens der Muskeln constatirt, während die Autoren sie in andern Fällen vermissten. V. beschreibt einen Kranken, welcher in deutlicher Weise die Symptome der Thomsen’schen Krankheit neben denen der Paralysis pseudohyper- trophica zeigte. Es handelte sich also in diesem Falle nach V. um eine Combi- nation beider Krankheitsbilder. Die Sehnenreflexe waren verstärkt. Die übrigen Details siehe im Original. Siemens.

8) Muscoular atrophy, after measles, in three members of a family, by J. A. Ormerod. (Brain. 1884. October p. 334—342.)

Von einer Familie mit 7 Kindern, deren sämmtliche Mitglieder die Masern über- standen, hatten drei (der Vater, eine Tochter und ein Sohn) Muskelatrophie nach denselben davongetragen.

1) Der 56jährige, früh gealterte aber sonst gesunde Vater hatte nach Aussage seiner älteren Schwester im Alter von 12 Monaten die Masern, wonach bis zum Alter von 3 Jahren der rechte Fuss verlahmte. Der Wadenumfang ist rechts 3 Zoll geringer als links. Es besteht schlaffe Paralyse der Unterschenkel- und Fussmuskeln und Parese der Strecker des Kniegelenks (Kniephänomen erhalten). Keine elektrische Untersuchung. Die schleichende Entwickelung spricht nach Verf. gegen eine spinale Kinderlähmung.

2) Eine 17jährige Tochter hatte im Alter von 6 bis 7 Jahren die Masern gehabt. Ungefähr einen Monat später begann der rechte Fuss zu kranken und wandte sich die Zehe nach ein- und abwärts. Nach Tenotomie dieses Fuases er- krankte der andere in derselben Weise. Wieder Tenotomie. Vor 5 Jahren erkrankten die Hände,

Es besteht hochgradige Muskelatrophie unterhalb der Kniegelenke, zeitweilig Schwellung der meist blaurothen Waden. Kniephänomen beiderseits erhalten. Voll- ständiger Verlust der elektrischen Erregbarkeit in beiden Peroneus- und Tibialis- Gebieten für beide Stromesarten. Ferner besteht ausgesprochene Muskelatrophie der Daumenballenmuskeln und Binnenmuskeln der Hand, Abmagerung der Vorderarmmuskeln, Klauenstellung der Finger. Während der inducirte Strom keine Zuckung in den Muskeln der Daumenballen und an den Interossei erzielt, besteht für den galvanischen herabgesetzte Reaction und zwar links AOZ=KSZ, rechts ASZ=KSZ. Dabei keine Reaction vom Ulnaris am Ellenbogen und Medianus über dem Handgelenk. (Also jedenfalls EAR, welche Verf. später in Abrede stellt. Ref.)

3) Ein 9jähriger Sohn hatte 4 Jahre zuvor nach Masern Schwäche beider Beine bekommen, welche innerhalb drei Monate zunahm. Innerhalb der letzten Wochen waren auch die Hände schwächer geworden. Auch hier bestand Atrophie unterhalb der Kniegelenke (beiderseits Steigerung des Kniephänomens). Atrophie des rechten Daumenballens. Keine vasomotorische Störungen wie bei der Schwester. Klauenstellung der Hände. Aehnliche elektrische Verhältnisse wie im zweiten Falle.

Verf. nimmt nun familiäre Disposition für die Affection an, während die Masern das unmittelbare ätiologischer Moment abgeben. Behufs der Diagnose ventilirt

u. BB 2

Verf. drei klinische Krankheitstypen: 1) die acute Poliomyelitis anterior (acute spinale Kinderlähmung); 2) die chronische Poliomyelitis anterior, chronische atrophische Spinallähmung der Kinder nach Erb (vgl. dieses Chbl. 1883, S. 169 u. f£) und Bennett (d. Cbl. 1883, 8. 542); 3) die hereditäre progressive oder juvenile Muskel- atrophie nach Erb (vgl. d. Cbl. 1884, S. 200) und entscheidet sich schliesslich für letztere Affection, obgleich er die wesentlichen Unterschiede in der Lokalisation u. s. w. nicht verkennt.

(Ref. erinnert daran, dass die als die „ersten“ Fälle von atrophischer Spinal- lähmung Erwachsener angesprochenen Fälle von M. Meyer, Zwillingsbrüder betrafen, „welche im achtzehnten Lebensjahre gleichzeitig an den Masern erkrankten, nach deren Verlauf bei beiden eine Lähmung beider Unterschenkel mit fortschreiten- der Abmagerung eintrat.‘‘) E. Romak.

DT ee BT

10) Ueber hereditäre (familiäre) progressive Muskelatrophie von Dr. Franz Zimmerlin. (Ztschr. f. klin. Med. Bd. VII. 8. 15.)

Verf. theilt aus der Basler medic. Klinik eine Reihe sorgfältig beobachteter Fälle von hereditärer Muskelatrophie mit, welche in einigen Punkten von den bisher beschriebenen Typen dieser Krankheit abweichen. Die erste Gruppe der Fälle be- trifft eine Familie Loosli, in welcher von 5 Geschwistern 4, 2 Brüder und 2 Schwestern, an Muskelatrophie leiden, während ein erwachsener Bruder vollkommen gesund und arbeitstüchtig ist. Die Krankheit begann bald nach der Pubertätszeit, zwischen dem 18. und 23. Lebensjahre. Sie trat doppelseitig symmetrisch auf und localisirte sich vorzugsweise in gewissen grösseren Muskeln der oberen Körperhälfte (Mm. serrati antici magni, Pectorales, Biceps, Triceps, Extensoren und Supinatoren am Vorderarm), während die Muskeln des Thenar, Antithenar und die Interossei vollkommen frei blieben. Die unteren Extremitäten waren in allen Fällen ganz oder fast ganz normal. In allen ergriffenen Muskeln fand sich eine einfache Atrophie ohne jede Lipomatosis luxurians. Fibrilläre Zuckungen fehlten vollständig, dagegen konnte in einem der Fälle in einzelnen (nicht in allen) atrophischen Muskeln eine Entartungsreaction mässigen Grades nachgewiesen werden.

Sonach unterscheiden sich diese Fälle wesentlich sowohl von der gewöhnlichen progressiven Muskelatrophie (Typus Duchenne-Aran) durch die familiäre Disposition zur Erkrankung, durch das Freibleiben der unteren Extremitäten, das Fehlen der Lipomatosis ete. Dagegen zeigt sich eine grosse Uebereinstimmung zwischen ihnen und der von Erb geschilderten „juvenilen Form der progressiven Muskelatrophie“.

Die zweite Gruppe von Beobachtungen betrifft eine Familie Schuhmacher, in welcher von 6 Geschwistern 3 Brüder an Muskelatrophie leiden, während die 3 Schwestern vollständig gesund sind. Von den Brüdern sind 2 in ihrem 13. bezw. 15. Lebensjahre erkrankt und bieten fast genau das gleiche Krankheitsbild dar, wie die Geschwister Loosli. Bei dem ältesten der Brüder dagegen, zur Zeit der Unter- suchung bereits 42 Jahre alt, begann das Leiden schon in seinem 7. Liebensjahre. Die Atrophie zeigte sich zuerst in der Liendengegend und in den unteren Eixtremi- täten, während sie erst später auf die obere Körperhälfte, ja sogar auf die mimischen Gesichtsmuskeln, übergrif. Dieser Fall nähert sich also wieder mehr dem gewöhn- lichen Typus der hereditären Muskelatrophie, obwohl auch er sich von dieser durch das Fehlen einer Pseudohypertrophie unterscheidet. Somit zeigt sich, dass die ver- schiedenen „Typen“ der Erkrankung unter sich doeh innig verwandt sind und jeden- falls nicht als principiell verschiedene Krankheitsformen aufgefasst werden dürfen.

Zum Schluss erwägt Verf. die Frage, ob es sioh in seinen Fällen um eine musculäre oder um eine spinale Erkrankung handelt. Ersteres erscheint ihm wahrschemlicher, worin auch Ref. ihm vollständig beistimmen muss.

Strümpell.

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11) Report of a slight outbreak of epidemico cerebrospinal meningitis, with notes of six cases, by Dr. Frew. (Glasgow med. Journ. 1884. p. 21.)

Mittheilung über eine auf 6 Erkrankungen (mit 4 Todesfällen) beschränkte Epidemie von Cerebrospinalmeningitis. Die einzelnen Krankengeschichten bieten nichts Besonderes; es waren nur Kinder ergriffen worden und in zwei Fällen konnte durch die Section mit den bekannten Leichenbefunden die Richtigkeit der Diagnose be- stätigt werden.

Von Interesse ist der ätiologische Zusammenhang zwischen den 6 Erkrankungen. Ueber den ersten Fall war nichts zu eruiren; der zweite Fall wurde durch die Schwester des ersten Patienten inficirt. Die Kranke Nr. 3 war die Schwester von Nr. 2 und wurde während ihrer Krankheit von ihrer Freundin besucht, die nun als Nr. 4 drei Tage nach der Visite erkrankte und ihrerseits den Fall 6 inficirte. Etwas zweifelhaft ist der Zusammenhang zwischen Fall 5 und den übrigen. Während die letzteren sämmtlich in einem Orte vorkamen, wohnte Patient Nr. 5 in einem Dorfe, das 4 engl. Meilen von jenem entfernt lag. Die Ansteckung erfolgte wahrscheinlich durch eihen Verwandten, der täglich mit der Mutter der kranken Geschwister 2 und 3 zusammen kam und ihr gegenüber wohnte; Nr. 5 wurde nun 2 Tage vor seiner eigenen Erkrankung von diesem Verwandten besucht und war den ganzen Tag mit demselben zusammen; es liegt daher nahe, in letzterem den Träger des „Infections- stoffes“ zu vermuthen, wenn er auch selbst nicht erkrankt ist; er war übrigens er- wachsen und daher vielleicht immun. Sommer.

Psychiatrie.

12) Paralysie gönerale par insolation, par M. Paris. (Annales medico-psycho- logiques. 1884. Nov. Archives cliniques. p. 436.)

Ein 39jähriger, dem Trunk nicht ergebener und auch im Uebrigen keine spe- cielle Aetiologie aufweisender Zimmermann wurde im Juni 1883 vom Sonnenstich befallen. Mit den augenblicklichen Zeichen schwerer Hirncongestion traten unmittel- bar Störungen der Ideenbildung auf. 15 Tage nach der Insolation in das Asyl gebracht zeigte er auch schon die vollkommenen somatischen Symptome der allgemeinen Paralyse.e Im Verlaufe von weniger als 5 Monaten machte der Kranke, welcher noch mit Bewusstsein seiner Erkrankung eintrat und selbst die Anstaltspflege verlangt hatte, alle Phasen der Paralyse durch und starb marastisch. Die Section konnte nicht gemacht werden. Jehn.

13) Automutilstions röpetöees chez une melancolique, par Martineug. (An- nales medico-psychologiques. 1884. Nov. Archives cliniques. p. 425.)

Eine nach langer Entkräftung durch übermässig langes Saugen ihrer Kinder melancholisch gewordene Frau machte in den Verzweiflungsanfällen der Psychose mehrere Selbstbeschädigungen. Einmal stach sie sich eine stählerne Nadel eines Compass in der Länge von 9 cm unter der untersten, linken, langen Rippe derart in das Abdomen hinein, dass die ganze Nadel in der Richtung von vorn nach himten, innerhalb der Bauchhöhle steckte.

Ferner riss sie sich, nachdem sie in Folge vorstehender Selbstverletzung in die Irrenanstalt Roche sur Yon gebracht war, dort das rechte Auge mit dem Sehnerr völlig aus, das linke beinahe.

Ebenso wenig wie die Extraction der Compassnadel, welche erfolgte, nachdem dieselbe 13 Tage in der Bauchhöhle gesteckt hatte, ohne irgend welche physiologische Beschwerden hervorzurufen, üble Folgen hinterliess, machte auch die Heilung der

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rechten ganz entleerten Orbita und des gewaltsam dislorirten linken, beinahe auch ausgerissenen Auges Schwierigkeiten. Die rechte Orbita heilte ohne Eiterung aus und der linke Bulbus, nachdem der aus der Orbita berausgerissene Musculus rectus inferior resecirt war, wieder mit Erhaltung des Sehvermögens ein ein neuer Beweis der wunderbaren Heilungschancen, welche die Irrsinnigen erfahrungsgemäss besitzen. Interessant ist, dass deutliche allgemeine Analgesie bestanden hatte und die Kranke grossen Schreck vor den Schmersen der kleinen Operation zeigte, welche nothwendig wurde, um die Nadel aus der Bauchhöhle zu entfernen. Die Kranke genas. Jehn.

14) De la folie de is pubert6 ou höbephrönie. Leegon clinique, par B. Ball. (L’Encöphale. 1884. No. 1.)

B. skizzirt das Bild der sog. Hebephrenie, wie es Kahlbaum und Hecker gezeichnet haben, indem er die wesentlichsten Punkte daraus hervorhebt.

Danach ist die Pubertätsentwickelung (die Zeit vom 16.—20. Lebensjahre) mit ihrer gemüthlichen Umwälzung, mit dem Auftauchen jener Massen von neuen (ke- fühlen und Strebungen den Prädisponirten und den geistig von Haus aus Schwachen besonders gefährlich. Die Mädchen sind mehr gefährdet als die Knaben, denn bei ihnen kommt noch das Erscheinen der Menses hinzu. Viel auch kann an dem Re- gime des Hauses und des Unterrichtes liegen. Der Ausbruch der Krankheit ist ent- weder plötzlich oder allmählich. In den Asusserungen der Kranken zeigt sich oft Veberschwenglichkeit und Geziertheit, oft tritt tiefe Melancholie ein, viele sind un- ruhig, andere still, häufig sind Hallucinationen. Oft hat die Krankheit den circulären Charakter. Bald erscheinen Intelligenzdefecte. Manche bewegen sich auch längere Zeit auf der Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit. Störungen der peripheri- schen Nerven und der Ernährung fehlen selten. Die Prognose ist im Allgemeinen düster, meist tritt völlige Verblödung ein. In Paris ist die Krankheit häufig (wohl auch bei uns). Die von B. betonte Möglichkeit der Verwechselung mit der einfachen „folie praecoce“ erscheint nicht gefährlich bei der so gut charakterisirten Form der Pubertätspsychose. Siemens.

15) De la folie gömellaire, ou aliönation mentale chez les jumeaux, par B. Ball. (L’Encöphale. 1884. No. 4. p. 385.)

Das Zwillingsirresein will B. von der „folie & deux“ und verwandten Formen durch folgende Merkmale unterschieden wissen:

1. Gleichzeitigkeit des Ausbruchs der Krankheit.

2. Parallelismus der Wahnideen und der übrigen Symptome.

3. Spontanes Auftreten derselben bei beiden Individuen (Zwillingen).

Es werden ausser einer eigenen Beobachtung noch einige Fälle aus der Literatur angeführt. Stets waren die Zwillinge körperlich sehr ähnlich und geistig von gleicher Beschaffenheit. Sie standen natürlich Beide unter dem identischen Einflusse der Heredität. Siemens.

Therapie. 16) Hypnotismus zu Curzwecken. (Aus „Atti del quarto Congresso d. Soc. freniatr. ital ten. i. Voghera“.) |

In einem auf dem vorjährigen Congress der italienischen Psychiater zu Voghera gehaltenen Vortrage theilte Prof. de Giovanni seine behufs therapeuti-

= Be

scher Verwendung des Hypnotismus angestellten Versuche und Erfahrungen mit. Dass der H. keine Panacee ist, dass er sogar Gefahren birgt und öfter im Stiche lässt, wo man Hilfe von ihm erwarten sollte, ist sicher. Welche andere Mittel thun das aber nicht? De Giovanni hat gleichwol gute und sogar glänzende Erfolge bei hartnäckigen Contracturen, langdauernden Neuralgien, nervöser Schlaflosigkeit mit Erbrechen und allerlei Krampfformen erzielt, die zu weiteren Versuchen auffordern. Die genannten Krankheitszustände werden vorläufig als Indication für den H. dienen; die Feststellung von Contraindicationen muss ebenso der Zukunft vorbehalten bleiben. Der hypnotische Zustand ist als eine eigenartige, tiefgreifende Funktionsänderung des Nervensystemes aufzustellen, die sich zunächst als Schlaf äussert.

Der hypnotische Schlaf ist nicht ganz derselben Art wie der natürliche, in welchen er, nach Berger, übergeführt werden: kann. Bei dem einen Individuum tritt er leicht ein; man braucht nur ein paar Minuten lang eine Fingerspitze auf 25 cm Entfernung mit den Augen fixiren zu lassen. Andere erbleichen dabei, die Augen brennen, schmerzen, röthen sich und thränen. Kopfschmerz, allgemeines Uebel- befinden stellt sich ein und es gelingt nicht, sie in Schlaf zu versetzen. Bei Andern dieselben Erscheinungen, aber schwächer fast rhythmisch, unter Schlingbewegungen, Respirations- und Pulsbeschleunigung oder partiellen Convulsionen, die sich in Schlaf auflösen. Die auf lang anhaltende Convergenz der Augäpfel (Strabismus nach oben und innen) eintretende Ermüdung der Bulbi stört das Sehen nicht (wie de G. au sich selbst erfuhr), ist aber auch nicht die Ursache des hypnotischen Schlafes, wie er bei einem Manne in der Klinik beobachtete. Gewöhnlicher Schlaf trat aller- dings bei einigen Frauen ein, denen man aufgegeben hatte, lange Zeit einen festen Punkt zu fixiren, in Folge von Müdigkeit, vielleicht auch in Folge der Ruhe und Stille um sie her; dieselben waren aber nicht in Schlaf mit hypnotischen Erscheinungen zu versetzen. Bezüglich des Einflusses 'der Blickrichtung mag ein Fall nicht unerwähnt bleiben. Eine Dame von ausgesprochenster Nervosität fühlt beim Herannahen ihrer hysterischen Krämpfe gewisse unwillkürliche Bewegungen auf der einen Körperhälfte; dreht sie nun die Augen nach der entgegengesetzten Seite, so bleibt der Krampfanfall aus. Nicht also die Ermüdung ist es, welche die Functionsänderung im Gleichgewicht der Centraltheile herbeiführt, sondern vielmehr die Bewegung der Augäpfel. Es geht das aus zwei weiteren Beobachtungen hervor, wo bei der einen Kranken eine Reihe von automatischen Bewegungen nebst gänzlicher Bewusstlosigkeit dem Schlafe voranging, bei der anderen ebenso.schliesslich ein richtiger hystero-epileptischer Anfall mit halbem Bewusstsein ohne nachfolgenden Schlaf eintrat. Derartige Fälle, wie auch der Fall von Finkelnburg, wo erhebliche und anhaltende Convulsionen nach der Hypnotisation eintraten, fordern allerdings zur Vorsicht auf. Gefährlich ist auch der Missbrauch, den geheilte oder gebesserte Kranke selbst damit treiben. So bekam eine, von hysterischer Contractur der Unter- Extremitäten und sonst unbezwingbaren Gliederschmerzen mittelst Hypnotismus ge- heilte Kranke, nach ihrer Entlassung periodische Krampfanfälle, da sie sich beim geringsten Anlass mehrmals willkürlich iu Schlaf versetzte. Dagegen geschieht das nicht bei Allen. Es liegen Fälle vor, wo monatelanges (1 3mal täglich) Hypnoti- siren nichts geschadet hat; ein Mädchen, das seit drei Jahren an linksseitiger Neu- ralgia brachialis mit bedeutenden trophischen Störungen und Schlaflosigkeit litt, wurde sogar 10 Monate lang ohne Nachtheil hypnotisirt.

Der Schlaf ist nicht bei allen Individuen gleich tief, tritt auch bei dem Einen früher, bei dem Andern später ein. Bei wenig tiefem Schlaf erhielt de G. günstigere therapeutische Erfolge. Sogar da, wo gar kein Schlaf eintrat, fühlte sich ein an Neuralgie leidender Kranker durch das blosse. Fixiren des Blickes erleichtert.

Die Sensibilität ist in manchen Fällen bis zu vollständiger Analgesie herab-

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gesetzt. In einem Falle konnte ein Stäckchen Kopfhaut (behufs mikroskop. Unter- suchung) ohne .die mindeste Schmerzäusserung losgetrennt, bei Andern ebenso das Glüheisen längs der Wirbelsäule applicirt, bei einem Kranken mit äusserst schmerz- hafter Coxitis der chirurgische. Verband angelegt worden, ohne dass jener es gewahrte. In andern Fällen wurde der Schmerz zwar wahrgenommen und erregte Reflexbeweg- ungen, Stöhnen und Umherwerfen, aber in unbestimmter Weise und bei denselben Personen, die im wachen Zustande regelrechte Abwehrbewegungen gemacht hatten. Daraus kann man auf Ausschaltung der Hirnrinde bei den Hypnotisirten schliessen. Eine Kranke äusserte nichts bei tiefen Nadelstichen, fühlte jedoch die leiseste Be- rührung einer Feder am Halse und im Gesicht. Andere fühlten Stiche und Schmerz- reize überhaupt nicht, erwachten aber bei leisem Anhauchen des Gesichtes. Drei Kranke griffen erst nach dem Erwachen nach den Stichstellen; die Dauer des Schmerzes schien bei ihnen länger als im wachen Zustande vorzuhalter.

Die Sinnesorgane werden im hypnotischen Schlafe stumpf, das Ohr später und in geringerem Grade als die andern. Schwache Geräusche erwecken die Hypnotisirten, starke werden von ihnen nicht wahrgenommen. Von besonderm Interesse ist in dieser Beziehung der Fall der Kranken, bei welcher ein Stäckehen Kopfhaut abgetragen wurde. Sie schlief sehr leicht ein und schlief lange. Während dessen beantwortete sie die ihr vorgelegten Fragen. Sie unterschied den Geruch von Essig, Ammoniak, Rosen-, und Nelkon-Essenz; ebenso den Geschmack und sogar die Form von Zuckersachen, die man ihr zwischen die Lippen steckte. Sie hörte nicht bloss Worte, sondern auch das Ticken der Uhr. Bei dem Versuch, ob sie sehe, musste man ihr die Lider mit Gewalt öffnen; die Augäpfel standen nach oben, die Pupillen waren nicht verengt. Man hielt ihr einen Spiegel vor und forderte sie auf hineinzusehen. Sie senkte die Augäpfel und lachte verwundert, als sie ein Bild mit aufgerissenen Augen erblickte, das sie nicht als das ihrige erkannte. Derartige Erscheinungen wurden bei Keinem der andern Kranken beobachtet, woraus folgt, dass die Aeusserungen des Hypnotismus auf besondern Verhältnissen des In- dividuums und seiner Krankheit beruhen.

Die Reflex-Erscheinungen lieferten widersprechende Ergebnisse. Zu be- merken ist der Fall, wo bei einseitigem Druck auf das Ovarium der Kopf der Kranken nach der gegenüberliegenden Seite sich bog, während der letztere unter Druck auf beide Ovarien sich wenig vom Kopfkissen abhob, während der Hals steif war. |

Auch die neuro-muskulare Hyperexcitabilität gab unsichere Resultate, Psychische Erscheinungen. In 2 Fällen während tiefen Schlafes zeigten sich die Patientinnen fähig mit der Umgebung in Rapport zu treten. Beide sprachen von intimen, etwas frivolen Verhältnissen in ihren Familien oder von Vorgängen iu der Klinik. Während des Wachens hatten Beide keine Ahnung von dem, was sid während des Schlafes gesprochen. Die Eine antwortete ohne die Stimme der Fragen- den zu unterscheiden, die Andere unterschied die letztern genau, bezog sie aber nicht auf die Anwesenden, sondern auf entfernte, ihr bekannte Personen, ihre Mutter, den Arzt in ihrer Heimath u. A.dgl.m. de G. nannte sie wegen Aehnlichkeit der Stimme „Emil“ und fragte verwundert, warum er auf einmal in fremdem Dialekt spreche. Sie ging auf alle Mittheilungen, sogar auf frei erfundene, als auf bekannte That- sachen ein. Während des Wachens hatte sie Alles vergessen, kam aber darauf zu- rück, sobald sie wiederum schlief und fragte nach Diesem und Jenem, was in einer früheren Sitzung erwähnt worden war. Sie ass und trank während des Schlafes, ohne beim Erwachen davon zu wissen, wahrend sie im Schlafe des geringfügigsten Umstandes sich entsann; man konnte dann jede Art von Gefühl und Erinnerung aus frühen Zeiten in ihr erwecken. Von kataleptischen Erscheinungen zeigte sie keine Spur. Bei einem zufälligen Druck auf den Kohlkopf verfiel sie jedoch in Lachkrampf. Dieselbe Kranke hat am ganzen Kopf und Körper keine Spur von

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Behbaarung. Die mikroskopische Untersuchung ihrer Kopfhaut ergab Atrophie der Hautnerven. Das Fettgewebe ist stark entwickelt.

Bei der an den Vortrag sich anknüpfenden Discussion erwähnt Prof. Tam- burini 2 Fälle von Hystero-Epilepsie, in denen die Anfälle in Folge des Hypnoti- sirens cessirten, während sie in einem dritten Anfalle ausbrachen. Prof. Morselli hat 20 Individuen hypnotisirt und dabei nicht unbedenkliche Zufälle entstehen ge- indess auch er hat Heilungen zu notiren, z. B. von heftigem Singultus.

Fränkel.

17) The American Method of giving Potassium Jodide in very large doses for the later lesions of syphilis, more especially Syphilis of the Nervous System, by E. C. Seguin. (Arch. of Med. 1884. Vol. XII. p. 114.)

Seguin behauptet, dass grosse Gaben Jod-Kali zu den in der Ueberschrift ge- nannten Zwecken zuerst von New-Yorker Aerzten verschrieben wurden. Unter „grossen“ Gaben sind Dosen von 10,0 bis 40,0 in 24 Stunden zu verstehen. Es folgen genaue Literaturangaben zum Beweise dafür, dass alle älteren amerikanischen Aerzte (bis vor 15 Jahren) und alle europäischen Aerzte bis auf den heutigen Tag sich vor grossen Gaben Jodkalium scheuen. 8. giebt zu, dass sich manche syphil. Erkrankungen des Nervensystems durch kleine Mengen Jod Kalium (bis zu 8,0 täglich) bessern lassen. Grosse Gaben seien in den folgenden Fällen indicirt:

1. Bei chronischem oder subacutem ulcerösen Syphilid, oder bei syphilit. Er- krankungen des Nervensystems.

2. Bei rapid vorausschreitendem spezifischem Geschwüre. Anfangs 10,0—15,0 täglich; in der darauffolgenden Woche zu steigern.

3. Bei acuten Schädel-Schmerzen auf syph. Grundlage beruhend. Mit 4,0 zweimal täglich zu beginnen; täglich um eine Dosis zu steigern, bis 32,0 (3 1) - erreicht ist.

4. Bei comatösen und stuporösen Zuständen in Folge von Syphilis, namentlich wenn durch Convulsionen oder Stauungspapille complicirt.

5. In Fällen von syph. Hemiplegie nutzen natürlich auch grosse Gaben Jod- Kalı nichts, sobald einmal grobe anatomische Läsionen gesetzt sind. Während den vorangehenden Irritationszuständen aber soll nicht gespart werden.

Verf. räth das Jod-Kalium immer bei leerem Magen und in Verbindung mit leicht-alkalischen Wässern zu verabreichen. Sachs, New-York.

a

18) Weidenrinde als Füllung der Bettstellen unsauberer Geisteskranker, von Dr. Pütter, Stralsund. (Berl. klin. Wochenschr. 1884. Nr. 47.)

Veranlasst durch Sander’'s Mittheilung (s. dieses Centralbl. 1884. Nr. 23) empfiehlt P. dringend Weidenruthenrinde, wie die Korbmacher sie abschälen; sie sei weich, man könne nackte Unreinliche darauf legen, und sie desodorire ganz auffallend. Sie sei gegenüber der Holzwolle ungemein billig. Bei Kranken mit Decubitus könne man ja Holzwolle unter die Decubitusstellen unterlegen. Hadlich.

Anstaltswesen.

19) Bericht über die Verwaltung der Woestpreuss. Provinsial-Irren-Heil- und Pflegeanstalt zu Schwetz vom 1. Aprü 1883 bis 31. März 1884, von Director Dr. Wendt.

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Bestand am 1. April 1883: 185 M., 189 Fr. Aufgenommen 23 M., 14 Fr. Entlassen 58 M., 55 Fr. Bestand am 1. April 1884: 150 M. 148 Fr. Von den aufgenommenen Kranken waren 7 forensische Fälle. Die geringe Sterblichkeit (2,68 °/, aller Verpflegten) bringt der Bericht in Zusammenhang mit der neuen Kanalisation. Ein Fali endete durch Selbstmord. Die Kosten für den einzelnen Kranken belaufen sich im Durchschnitt auf 575,36 Mark pro anno, d. i. 1,57 Mark pro Tag.

M

20) Nounter Verwaltungsbericht der Provinzial-Irren-Heil- und Pflege- Anstalt Rittergut Altscherbitze vom 1. April 1883 bis 31. Märs 1884, Director Dr. Pätz.

Bestand am 31. März 1883: 199 Männer, 153 Frauen. Bestand am 31. März 1884: 221 M., 160 Fr., zusammen 381. Aufgenommen 100 M., 69 Fr. Abge- gangen 78 M., 62 Fr., von den letzten 37 geheilt, 47 gebessert, 14 ungeheilt, 42 durch Tod. Ein Kranker 3. Klasse kostete 230,78 Mark Beköstigung, 32,41 Mark Bekleidung. (Generalkosten für denselben 355,61, in Summa 618,80 Mark.) Die günstigen Erfolge der Landwirthschaft, der Brennerei, Ziegelei etc., über die speciell Rechnung gelegt wird, sind bekannt. M.

IH. Aus den Gesellschaften.

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung den 12. Januar 1885.

Dr. Monako, St. Pirminsberg als Gast: Zur Kenntniss der Pyramide und Schleife mit Demonstrationen.!

Nach einigen kurzen, die gegenwärtig herrschenden Ansichten über die Bezieh- ungen der Pyramide zum Rückenmarksgrau berührenden Bemerkungen, wendet sich der Vortragende zu seinen eigenen diesen Gegenstand behandelnden exper. Unter- suchungen, die er nach v. Gudden’s Methode (operative Eingriffe an neugeborenen Thieren) ausgeführt hat. Bei einer Katze, der am Tage der Geburt eine beträcht- liche Partie des rechten Parietalhirns mitsammt den der Pyramide zugehörigen Stab- kranzbündeln abgetragen worden war und die sechs Monate nach der Operation getödtet wurde, zeigte sich als Effect des operativen Eingriffs unter Anderem ein totaler Defekt der rechten Pyramide, so dass z. B. ventral v. corp. trapez. auch mikroskopisch nicht ein einziges Nervenbündel zu entdecken war. Dieser Pyramiden- defect, der sich mit Leichtigkeit bis in das zwischen Vorder- und Hinterhorn liegende Seitenstrangarsal der gekreuzten Seite verfolgen lies, wurde ausgebeutet zur Feststellung eventueller Abhängigkeits-Beziehungen zwischen dem Rückenmarksgrau und der Pyra- midenbahn. Trotz dem völligen Schwunde sämmtlicher für die Pyramide so charak- teristischen zarten, zum Theil auch das Hinterhorn durchsetzenden Axencylinder im Areal des Seitenstrangs wurde in den Vorderhörnern nach atrophischen Veränderungen vergeblich gesucht; beide Vordersäulen waren gleich gut entwickelt und frei von patholog. Veränderungen. Hingegen zeigte sich in der gesammten Ausdehnung des Cervicalmarks, durch welches einige Hundert Serienschnitte verfertigt wurden, auf der dem oper. Eingriff gegenüberliegenden Seite, dass die in den grauen Balken der Processus reticular. eingebetteten oft gehäuft liegenden Ganglienzellen (an einzelnen Stellen wahre Kerne bildend) und zwar dicht anschliessend an den Faserausfall der Pyram. Seitenstrangbahn in ganz auffallender Weise degenerirt waren und in Folge Schwundes der grauen Grundsubstanz gedrängter lagen als auf der gesunden Seite.

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ı Vgl. Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1894. Nr. 6 u. 7

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Aus diesem Operationserfolg zieht der Vortragende den Schluss, dass die Pyra- midenbahn bei der Katze, wenn auch nicht im Sinne von Deiters, in der Gegend der Proc. reticular. in toto durch einen Ganglienzellenhaufen unterbrochen würde, Gieselbe doch abwärts allmählich sich in der Weise erschöpfe, dass sie (wenigstens innerhalb des Cervicalmarks) successive mit den Ganglienzellen der Processus reticul in Verbindung trete und in diesen ein vorläufiges Ende finde. Mit den Ganglien- zellen der Vorderhörner steht die Pyramidenbahn in ähnlichen Beziehungen nicht.

Auf demselben Wege gelang es dem Vortragenden über einen Theil der Faser- quellen der Schleife (Rindenschleife) einige nicht unwichtige Befunde zu machen. Nach Wegnahme des Parietalhirns zeigte sich nämlich in der Region der sogen. Schleifenschicht ein sich von der Defectstelle in der Rinde aus direct (durch Ver- mittelung des partiell atrophischen Thal. opt?) zu verfolgender Faserausfall, der sich abwärts durch die Olivenzwischenschicht auf die circulären Fasern (Deiters) der ge- kreuzten Seite fortsetzte und bis zum gekreuzten Kern der zarten Stränge, welcher an der Atrophie lebhaften Antheil nahm, verfolgt werden konnte. Es gelang also auf experimentellem Wege einen Zusammenhang zwischen Parietalhirn, Schleife (zarte medial und lateral gelegene Fasern) circulären Fasern und dem gekreuzten Kern der zarten Stränge nachzuweisen. Die kürzlich von Spitzka in New-York im Falle eines alten, auf das ]. Schleifenareal der Brücke beschränkten hämorrhagischen Herdes beschriebenen absteigenden und aufsteigenden secundären Degenerationen bestätigen für den Menschen das Vorhandensein ähnlicher Beziehungen zwischen Schleife und dem gekreuzten Kern der zarten Stränge, bis wohin in dem Spitzka’schen Falle die absteigende Degeneration ebenfalls vorgedrungen war. Entsprechend der Ausdehnung der Zerstörung über das ganze Schleifenareal in die Brücke waren die secundären Veränderungen viel ausgedehnter als bei der operirten Katze und hatten sich auch auf den Kern der Burdach’schen Stränge erstreckt. Hierauf folgte die Demonstration der bezüglichen recht instructiven Präparate.

Hierauf hält Remak einen Vortrag über das Verhältniss der Sehnen- phänomene zur Entartungsreaction, welches er in fünf in extenso mitgetheilten Beobachtungen von atrophischen Lähmungen der Unterextremitäten, darunter in einem Falle von amyotrophischer Lateralsklerose mit bestätigendem Obductionsbefund unter- sucht hat. Wir werden auf die im Archiv für Psychiatrie erscheinende ausführliche Arbeit zurück kommen. Auf Grund der in der Literatur vorliegenden und seiner eigenen Erfahrungen fordert R. zur Nachprüfung folgender Sätze auf:

1) Steigerung der Sehnenphänomene, insbesondere das Fussphänomen kann mit partieller Entartungsreaction der entsprechenden Muskeln nur bei spinalen Erkrankungen einhergehen und zwar nachgewiesenermaassen zunächst nur bei amyotrophischer Lateralsklerose.

2) Das Erhaltenbleiben der Sehnenphänomene (Kniephänomen) trotz ausge- sprochener partieller EAR ihrer Musculatur (Quadriceps femoris) kommt mit grosser Wahrscheinlichkeit nur bei atrophischen Spinallähmungen (Poliomyelitis anterior) vor.

3) Das Fehlen der Sehnenphänomene bildet die Regel:

a) bei allen schweren amyotrophischen schlaffen Paralysen (mit aufgehobener Nervenerregbarkeit) sowohl spinaler (poliomyelitischen) als peripherischen (neuritischen) Ursprungs und überdauert in Fällen der Rückbildung lange die galvanomuskuläre Entartungsreaction.

b) Auch bei leichtester primär peripherischer degenerativer Neuritis gemischter Nervenstämme, vielleicht selbst ohne alle Lähmung.

c) Bei absoluten peripherischen (vielleicht auch Kemn-) Paralysen auch leichter Art ohne nachträgliche Entartungsreaction. M.

4.77,

Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln. Sitzung den 15. October 1883.

H. Leichtenstern berichtet über 3 Fälle von schwerer Hyperidrosis uni- versalis., In zwei derselben (Geschwister von 50—60 Jahren) bestand das Leiden, das sie zur Unthätigkeit zwang, seit der Kindheit. Im dritten Falle entwickelte sich seit dem ersten Lebensjahre eine Atrophie und Lähmung mit Verkürzung und Con- tractur der rechten Ober- und Unterextremität und im Anschluss daran erst eine rechtsseitige, später eine allgemeine Hyperidrosis, welche Pat. für das grössere Leiden erklärt. Bei der Section fand L. eine kolossale Dilatation des linken Seitenventrikels, der die Grösse einer Männerfaust hatte; die darüber gelegenen Windungen waren ganz verstrichen, die Dicke der Aussenwand betrug nur 3 mm. Hadlich.

Gesellschaft der Aerzte des Cantons Zürich. Sitzung vom 13. Nov. 1884.

Prof. Krönlein stellt eine geheilte Schädel- und Hirnverletzung bei einem 12jährigen Mädchen vor, welches im neunten Lebensmonat mit seiner Mutter eine hohe Treppe hinuntergestürzt war. Das Kind war 5—6 Tage bewusstlos, erholte sich dann indess allmählich, als es aber nach 15 Monaten gehen lernte, wurde Ver- kürzung des linken Beines bemerkt, das auch stets im Wachsthum zurückblieb, auch entstand Flexionscontractur der linken Hand und des linken Ellenbogens, leichte Atrophie der linken Gesichtshälfte, keine Lähmung.

Auf der rechten Seite des Kopfes findet sich eine flache muldenförmige Ver- tiefung mit normalem Haarwuchs, ohne Narbe, in welcher man dem Radialpulse synchronische Pulsationen sieht. Die Palpation ergiebt einen entsprechenden Defect des Knochens von 9:3 cm Ausdehnung nach oben und hinten vom Tuber frontale, betrifft Stirn- und Scheitelbein.

Gesicht, Geruch, Gehör und Geschmack sind normal, die motorischen Hirn- nerven intact.

Die linke obere Extremität ist im Wachsthum sehr zurückgeblieben, die Beweg- lichkeit ist beeinträchtigt, die Gelenke sind schlaf. Die ‘untere Extremität, auch im Wachsthum zurückgeblieben, zeigt ankylotischen Spitzfuss. Die elektrische Erreg- barkeit ist erhalten, aber gleichmässig herabgesetzt, die Sensibilität zeigt am linken Arm Verminderung. An der Stelle des Defects bestehen Kopfschmerzen, auch hört Patientin öfter Geräusche, welche sich im Innern des Kopfes localisiren, der linke Fuss ist öfter eingeschlafen, sonst sind keine Störungen vorhanden.

Die Wachsthumsstörungen und Contracturen der ‚.entgegengesetzten Seite sind Folgen des Rindendefect, daher ist auch Aussicht auf Besserung nicht vorhanden.

Zander.

IV. Bibliographie,

Untersuchungen über ischämische Muskellähmungen und Muskelcontrac- turen, von Leser. (Leipzig 1884. Breitkopf & Härtel.)

Die nach zu fest angelegten Verbänden namentlich an Vorderarm und Hand, seltener an den unteren Extremitäten auftretenden Lähmungen und Contracturen sind nach RB. Volkmann bekanntlich als ischämische aufzufassen und von der Ab- sperrung arteriellen Blutes (bei gleichzeitig vorhandener venöser Stauung) herzuleiten. L. theilt mehrere Fälle derartiger Muskellähmungen (nach Fractur an den Ober- extremitäten und Gypsverband) mit; in allen war mässige Anschwellung, zuweilen auch leichte Cyanose des Arms vorhanden, Bewegung der Finger und Hand unmög- lich; dieselben standen in leichter Beugestellung; es war abnorme resp. fehlende

u 99 2

Erregbarkeit der Muskeln für elektrische Ströme vorhanden (faradische Muskelreiz- barkeit aufgehoben, während der constante Strom, „wenn auch stets abgeschwächte, so doch immerhin deutliche“ Contractionen hervorrief). Bei jedem Kranken wurden Muskelstücke excidirt; die mikroskopische Untersuchung ergab fast bei allen Fasern scharf gezeichnete Querstreifung, grosse Neigung zum discoiden Zerfall, keine Kern- vermehrung, im Gegentheil vielfach kernlose Fasern, dagegen deutliche Residuen stattgehabter Entzündung; reichliche Auswanderung weisser Blutkörperchen mit An- lagerung und stellenweise enormer Anhäufung an den Primitivbündeln; Neubildung jungen zellreichen Bindegewebes, wodurch die Primitivbündel auseinandergedrängt und weiterhin völlig zum Verschwinden gebracht werden. Nirgends Fettdegeneration. Dieselben Ergebnisse (partieller Untergang der Muskelfasern und intensive Ent- zündung des Muskels) zeigten sich auch bei den Versuchsthieren Kaninchen an welchen L. experimentirte (im Ganzen 23). Die hinteren Extremitäten wurden theils mit elastischen Binden oder Flanellbinden umwickelt, theils mit elastischen Schläuchen unterhalb des Poupart’schen Bandes abgeschnürt. In allen Fällen rief die Circulationsbehinderung eine durchaus gleichartige Schädigung der Muskelfunction hervor wie beim Menschen; die Lähmung war schon nach 3 Stunden ausgesprochen; schlaffes Herabhängen des Beines, Nachschleppen etc., auch Abkühlung; Sensibilität nicht wesentlich beeinträchtigt. Später Temperaturerhöhung, Schwellung, die nach 48—72 Stunden ihren Höhepunkt erreicht; kolossale entzündliche Reaction mit dem Charakter einer acuten Myositis; die Muskeln oft fast bretthart und fest anzufühlen. Die entzündlichen Erscheinungen dauern nach 8—14 Tagen noch fort, um dann all- mählich einer Bestitution Platz zu machen. In einem Falle (nach 18stündiger Um- schnürung) kam es zur Muskelstarre und nachfolgenden cicatriciellen Verkürzung des Muskels. Auch bei den Thierversuchen stellte sich überall die Unerregbarkeit des Muskels für directe faradische Reizung heraus, wogegen das Nervenleitungsvermögen (sensible und motorische Leitung) andauernd gänzlich unversehrt blieb. A. Eulenburg.

nn

V. Personalien.

An der Pommerschen Prov. Irren-Heil- und Pflege-Anstalt Ueckermünde ist zum 1. April die Stelle des Assistenzarztes (1200 Mark und freie Station 1. Klasse) zu besetzen. Meldungen an den Director der Anstalt Dr. Siemens.

vI Vermischtes.

In dem Etat des Preuss. Ministeriums der geistlichen etc. Angelegenheiten pro 1885/86 finden sich folgende Positionen :

Cap. 119 Tit.5. Zuschuss für die Universität Halle: 545915 Mark, mebr 82430 Mark, darunter: für einen ordentlichen Professor der Psychiatrie und für Nervenkrankheiten und gerichtliche Medicin Gehalt und Wohnungsgeldzuschuss 5460 Mark, für eine einzurichtende psychiatrische Klinik 15000 Mark.

Extraordinarium: Cap. 13 Tit. 20. Zur ersten Einrichtung einer psychiatrischen Klinik in Halle 30000 Mark. Bemerkungen: Die Einriehtung einer psychiatrischen Klinik ist im unterrichtlichen Interesse geboten. Zu diesem Zweck soll ein Haus Ann et werden, das Raum für 80 bis 40 Betten gewährt. Die erste Einrichtung ist auf 30000 Mark ver- anschlagt (cf. Neurolog. Centralbl. 1884 S. 528).

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Veır & Cox. in Leipzig. Druck von Marzeer & Wırrig in Leipzig.

NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten,

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Dritter Bu AED: Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuohhandlung.

1885. 15. Februar. N. 4,

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Inhalt. 1. Originalmittheilangen. 1. Zur Kenntuiss des Verlaufes der Hinterstrang- fasern in der Medulla oblongata und im unteren Kleimhirnschenkel, von Dr. Ludwig Edinger. 2. Ein weiterer Fall von Lähmung durch subcutane Aetherinjection, von Dr. Hugo Neumann. 3. Ueber die dysorasischen Momente, welche bei der Genese der Naurosen und Psychosen eine Rolle spielen, von Dr. 0. Müller (Schluss).

ll. Referate. Anatomie. 1. Sui solchi arteriosi dell’endocranio nei primati o nei micro- cefali, pel Danliie. Experimentelle Physiologie. 2. Ueber den Sitg der Nachbilder im Centralnervensystem, von Exner. 8. Ueber die Wirkung des Cocain auf die psycho- motorischen Centren, von Tumas. Pathologische Anatomie. 4. An ag of a vertebra, by Spitzka. 5. Ein Fall von ausgebreiteter Poren ie an der medialen Fläche der rechten Grosshirnhemisphäre, von de Ia Croix. Pathologie des Nervensystems. 6. Beiträge zur Aetiologie und Therapie der Tabes dorsalis, namentlich über deren Beziehungen zur hilis, von Eulenburg. 7. Ueber die ätiologischen Beziehungen zwischen Syphilis und Tabes, von Berger. 8. Sur les paralysies musculaires dans le cours de l’ataxie locomotrice, par Dejerine. 9. Jets over tabes dorsalis, door Klinkert. 10. Die Psendotabes der Alcoholiker, von Krücke. 11. Zur Frage über trophische range der Haut bei Tabikern, von Rosso» Nina 12. A new symptom and a new theory of locomotor ataxy, by Althaus. 18. Les

&vrites cons6dontives aux injections hypodermiques d’6ther, par Arnozan. 14. Ueber das Auftreten chronisch-epileptischer Zustände nach Scharlach, von Wildermuth. 15. Ueber Pru- ritus hiemalis, von Obersteiner. 16. Zur Diagnostik der Augenkrankheiten mit Bezug auf Localisation von Cerebrospinalleiden, von @rossmann. Psychiatrie. 17. Documents statistiques de la paralysie g6nörale, par Luys. 18. Des troubles paychiques dans la p6riode ea du tabes d’origine syphilitique, par Fournier,. Therapie. 19. Traitement

e la növralgie sciatique par la cong6lation, par Debove. Florensische Psychiatrie. 20. Misdea, pei Lombroso e Bianchi.

ill. Aus den Gesellschaften.

IV. Bibliographie.

V. Personalien.

IV. Vermischtes.

I. Originalmittheilungen.

l. Zur Kenntniss des Verlaufes der Hinterstrangfasern in der Medulla oblongata und im unteren Kleinhirnschenkel. Von Dr. Ludwig Edinger in Frankfurt a. M.

An menschlichen Früchten aus dem 8. Schwangerschaftsmonate sind die Fasern aus den Oliven zum Corpus restiforme noch ganz marklos, die Fasern der Hinterstränge sind alle markhaltig. Es lag nahe, solche Entwickelungsstadien zur

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Entscheidung der Frage zu benutzen, ob Hinterstrangfasern die Oliven durchbrechend in das Corpus restiforme gelangen. Bekanntlich nehmen ja mit Meynker sehr viele Autoren diese Umschaltung der betreffenden Fasern an. Die meisten Lehrbücher z. B. stellen die Sache so dar, als entstehe das Corpus restiforme aus Hinterstrangfasern, welche es aus der Olive der ihm gegenüberliegenden Seite erhalte. Nach Fuecnsıc gelangen die meisten Fasern in die Olivenzwischenschicht der gekreuzten Seite; dieselbe setzt sich bekanntlich nach oben in die Schleife fort. Ein Theil der Fasern aus den Keilsträngen tritt nach ihm in die Formatio reticularis derselben, wie der gegenüberliegenden Seite. Beziehungen zwischen Hintersträngen und Corpus restiforme scheint F. nicht ganz bestreiten zu wollen. Er sagt (Plan des menschlichen Gehirns. S. 24): „Dass die grossen Oliven Knotenpunkte darstellen, in welchen Fortsetzungen ven Fasern der Hinterstränge einer-, des Kleinhirns andererseits zusammen- treffen, ist wahrscheinlich. Indess ist hier noch Vieles dunkel insbesondere auch, ob Fasern der Gouu’schen oder Burpach’schen Keilstränge oder beide mit dem Strichkörper in Verbindung treten u. dergl. m.“

Meme Untersuchungen haben mich das Folgende über diese Verhältnisse gelehrt:

In der Höhe der Pyramidenkreuzung, namentlich gegen das obere Ende derselben hin, treten aus den Burpacn’schen Strängen Fasern in leichten Bogen durch die graue Substanz, kreuzen sich vor dem Centralcanal und legen sich nach aussen von den Pyramidensträngen, zwischen diese und das abgesprengte Vorderhorn, resp. die nach vorn von ihm auftretende Olive. Da wo die Pyra- midenkreuzung vollendet ist, sind diese Fasern besonders reichlich. Ihre sich kreuzende Lage wird seit Langem von den Autoren als „obere Pyramidenkreu- zung‘, „Schleifenkreuzung“ etc. beschrieben. Fuecasıe hat zuerst gezeigt, dass dieser obere, aus den Hintersträngen stammende Theil der Pyramidenkreuzung sein Mark lange vor den eigentlichen Pyramiden erhält.

Durch die Weıserr’sche Hämatoxylinfärbung ist es jetzt möglich, jede einzelne der Hinterstrangfasern weithin durch die graue Substanz und durch die fast ungefärbt bleibenden Pyramiden hindurch an die beschriebene Stelle, welche weiter oben zur „Olivenschicht‘“ wird, zu verfolgen. Successive Schnitte zeigen nun, dass die „Schleifenkreuzung“ sich nach oben weithin fortsetzt und zwar so lange fortsetzt, bis alle Hinterstrangfasern in die Olivenzwischenschicht eingetreten sind. In höheren Schnittebenen, da wo die Oblongata beträchtlich durch die Einlagerung der Oliven und die Zunahme der Substantia reticularis verbreitert ist, haben die Fasern aus dem Hinterstrang durch die graue Substanz zur Olivenschicht der gekreuzten Seite einen beträchtlich grösseren Weg zu machen, als weiter unten. Sie verlaufen dann in langgestreckten Bogen als Fibrae arcuatae internae dorthin. Auf ihrem Weg durchziehen viele dieser Fasern die gleichseitige Olive, treten aber durchaus in keine Be- ziehung zu ihr oder zur Substantia reticularis. Dies ist ganz sicher gestellt und mit der WsiserrT’schen Färbung leicht zu sehen, da in und um die Oliven noch keine markhaltigen Fasern anderer Herkunft vorhanden sind. Später,

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wenn auch aus den Oliven Nervenfasern kommen, sind die Hinterstrangfasern nicht mehr leicht von jenen zu trennen. Daher kommt wohl der Irrthum in der bisherigen Auffassung, dass Hinterstrangfasern in die Olive selbst eintreten. Es bleibt keine Hinterstrangfaser in den Oliven, alle treten in die Olivenzwischen- schicht. Im Maasse, als die letztere nach oben zunimmt, schwindet der Faser- belag der Hinterstrangkerne.

Wenige Fasern gelangen direct in das Corpus restiforme. Man sieht schon in den Schnittebenen der unteren Hypoglossuswurzeln, dann aber besonders deutlich etwas höher oben aus den Goun’schen Strängen Fasern heraus, um

HL: Hinteres Längsbündel.

OlZw: Oliven-Zwischenschicht.

O1.: Oliva inferior.

| Pyr.: Pyramiden (noch marklos).

Schnitt durch die Medulla oblongata einer menschlichen Frucht aus dem 8. Schwangerschafts-

monat. Alle markhaltigen Fasern durch Hämatoxylin geschwärzt. Die linke Olivenzwischen-

schicht und die rechte Fibrae arcuatae internae, desgleichen die Subst. reticularis zum grössten

Tbeil nicht eingezeichnet. Man beachte die Lage des markhaltigen „Rückenmarksantheils“ des Corpus restiforme.

die Peripherie des Markes herum in das Querschnittsfeld der Kleinhirn-Seiten- strangbahn derselben Seite treten, mit deren Fasern sie zum Cerebellum aufsteigen. Diese Fibrae arcuatae externae posteriores entspringen so -lange überhaupt noch ein Gout’scher Strang nach oben hin nachweisbar ist. Je näher in höheren Ebenen der Oblongata das Corpus restiforme, in welches die Kleinhirnseitenstrangbahn tritt, den Hinterstrangresten rückt, um so kürzer werden natürlich die genannten äusseren Bogenfasern.

In das Corpus restiforme gelangen ausserdem auch die Fibrae arcuatae externae anteriores, die bekannten Bogenfasern, welche die Pyramiden um-

Pe. man

spannend nach hinten aussen treten. Sie scheinen aus der Olivenzwischenschicht za stammen, doch kann ich darüber niehts ganz Sicheres sagen, und stellen dann einen Kleinhirnzuwachs aus dem Hinterstraug der gekreuzten Seite dar.

Aus dem Rückenmarke ziehen also die Hinterstränge (nur die BuRpAcH’- schen ?), in die Olivenzwischenschicht, resp. die Schleife der gekreuzten Seite. Ein kleinerer Antheil (nur aus den Gouw’schen Strängen ?) gelangt als Fibras arcuatae in das Corpus restiforme,

Im Striekkörper ist, wie schon FL.ecusıe angiebt, und ich bestätigen kann, vom 7.—8. Foetelmonat nur der Hinterstrangantheil markbaltig; ausserdem die Zuzüge aus dem Nervus acusticus und N. trigeminus. Alle diese Fasern ziehen in den Wurm, wo sie zum grossen Theil an der grossen Kreuzungscommissur sich betheiligen.

Es scheint, dass wir im Corpus restiforme drei sehr verschiedene Theile annehmen müssen. Erstens Fasern zu dem Rückenmark, zweitens solche zu den Nervenwurzeln mindestens des Acusticus und Trigeminus und drittens Fasern zu den Oliven. Die beiden ersteren treten in den Wurm und werden früher markhaltig als die letztere Fasergattung. Diese kann bis in das Vliess des Corpus dentatum verfolgt werden. So zerfiele der untere Kleinhirnschenkel in 1) Wurmtheil: enthält a) die Kleinhirnseitenstrangbahn,

b) Hinterstrangfasern, sicher aus dem gleichseitigen, fraglich auch aus dem gekreuzten Hinterstrang, c) Fasern zu den Nervenwurzeln. 2) Hemisphärentheil: enthält die Fasern aus den Oliven- und vielleicht noch andere Fasersysteme.

Mit der im ersten Theil dieser kurzen Darlegung gegebenen Schilderung des Hinterstrangverlaufes stimmen die uns bis jetzt bekannt gewordenen Be- funde bei secundärer Degeneration der Schleifenschicht sehr gut überein; speciell verweise ich auf das Referat über die Arbeit von Sprrzka in Nr. 2 dieser Zeitschrift und den Vortrag von v. Monakow in Nr. 3 h. a. Beide verfolgten nach Unterbrechung der Schleife die Degeneration durch die Olivenzwischenschicht und die Fibra arcuatae in den gekreuzten Kern der zarten Stränge. So be- stätigten erfreulicher Weise die Ergebnisse der Pathologie das durch Erforschung der Entwickelungsgeschichte Gefundene.

2. Ein weiterer Fall von Lähmung durch subcutane Aetherinjection.

Von Dr. Hugo Neumann, Assistenzarzt am städtischen Krankenhaus Moabit in Berlin.

Herr Dr. Remax stellte kürzlich in der Berliner mediecinischen Gesellschaft _ einen Fall von Badialislähmung in Folge einer Aetherinjection vor, dem Herr Prof. MEnDEL einen entsprechenden Fall anreihen konnte. Ich bin in der Lage von einer Lähmung mit der gleichen Aetiologie berichten zu können, die durch ihr gymmetrisches Auftreten besonders eigenthümlich und für die Diagnostik von Interesse ist.

a ER: in

Der 47jährige Cigarrenarbeiter H. leidet seit mehreren Jahren an Lunget- schwindsucht und hat seit dem Jahre 1882 wiederholt das städtische Kranken- haus Moabit aufgesucht; da er mehrmals bei seinem Eintritt das Bild schweren Collapses darbot, hat er schon häufig subcutane Einspritzungen von Schwefel- äther erhalten; nachtheilige Wirkungen haben dieselben jedoch nie gehabt. Am 22. October 1884 trat H. zum vierten Male und zwar wiederum in schwerstem Collaps in das Krankenhaus ein. Er erhielt auf meine Anordnung schnell hintereinander zwei subcutane Einspritzungen von Schwefeläther, und zwar applicirte sie der Wärter ziemlich symmetrisch an die beiden Vorderarme. Angeblich am dritten Tage wurde Pat. auf die Einstichstellen durch lokale Schmerzbaftigkeit und geringe Schwellung aufmerksam. Bei Bewegung der Hände traten Schmerzen auf der Streckseite des Vorderarmes auf, und Pat. bemerkte, dass sich die Mittelfinger, besonders der der rechten Seite, nicht strecken liessen; die Streckung der 2, und 3.. Phalanx der Mittelfinger blieb unbeeinträchtigt. Gleichzeitig stellte sich ein Gefühl von Taubsein ein, „wie wenn der Arm durch Druck auf den Ellbogen einschläft“; dieses Gefühl bestand angeblich auf der. ulnaren Seite der Dorsalfläche der Vorderarme, auf dem Handrücken über dem dritten Metacarpus, auf dem Rücken des dritten Fingers, in der Fingerbeere und (in geringerem Grade) an der Volarfläche des gleichen Fingers und in dem Handteller über dem dritten Metacarpus, um am Handgelenk dem normalen Gefühl Platz zu machen. Während die Schmerz- haftigkeit an den Einstichstellen bald zurücktrat und auch das Gefühl der Taubheit allmählich wieder verschwand, ist die Lähmung des den Mittelfinger versorgenden Bauches des M, extensor digit. commun., besonders rechterseits, noch nicht ganz gehoben.

Bei der Untersuchung des mässig stark abgemagerten, phthisischen Kranken (Mitte Januar 1885) weist objectiv nichts mehr auf die Stellen, wo die Injec- tionen gemacht wurden; hingegen bezeichnet der Kranke mit Bestimmtheit und zu wiederholten Malen in gleicher Weise als Einstichstelle am rechten, bezüglich linken Vorderarm einen Punkt, der auf der tilnaren Seite der Dorsalfläche ca. 11,5 cm, bez. 9,5—10 cm unterhalb der Spitze des ÖOlecran. ulnae liegt. Die Sensibilität ist am ganzen Körper normal, abgesehen von einem Defect an der rechten Wange, der die Folge einer unterhalb des rechten Kiefergelenks in der Kindheit vorgenommenen Drüsenexstirpation ist. Die Motilitätsuntersuchung ergiebt aus der gleichen Ursache ein leichtes Herabhängen des rechten Mund- winkels, sowie ferner die uns interessirende Parese der Extensoren der Mittel- finger. Dieselbe ist bei willkürlicher Bewegung und bei galvanischer und faradischer Reizung des Radialisstammes sowie des M. extens. digit. oomm. linkerseits nur noch angedeutet, rechterseits jedoch noch sehr auffällig. Erscheinungen eines Leidens des centralen Nervensystems fehlen.

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3. Ueber die dyserasischen Momente, welche bei der Genese der Neurosen und Psychosen eine Rolle spielen.

Von Dr. 0. Müller, Blankenburg.

(Vortrag, gehalten in der Section für Neurologie und Psychiatrie des internationalen medie. Congresses zu Kopenhagen.)

(Schluss,.)

Vom besondern Interesse ist der Einfluss des Intermittensprocesses auf die Störungen der Nerventhätigkeit. Diese tragen einen ganz specifischen periodischen Charakter, der in ganz regelmässig der Zeit nach wiederkehrenden Re- missionen und Exacerbationen oft Monate und Jahre lang sich ausdrückt.

Was nun zweitens die autogenen oder autochthonen Intoxicationen sowohl in ihren verschiedenen Formen betrifft, so ist die Entwickelung und Bildung von 'pathogenen Stoffen innerhalb des Organismus als Producte eines pathologischen Stoffwechsels in der Neuzeit öfters Gegenstand wissenschaftlicher Forschung gewesen.

Diabetes, Cholämie, Urämie sind die häufigsten solcher Filinischungeiuklände auf autochthoner Basis. Die comatösen Zustände, welche wir als die schwersten Intoxicationen durch sie hervorgerufen sehen, sind wirkliche acute Lähmungs- zustände, die oft in überraschender Weise zum Tode führen.

Dass auch dyspeptische Zustände oft comatöse und bedenkliche acute nervöse Erscheinungen im Gefolge haben können, ist wiederholt und auch von uns ärztlich beobachtet. Ja selbst die einfachen Formen derselben verlaufen unter oft auffallender Schwäche und Verstimmung.

Lrrten und Senator haben ihre Beobachtungen und Erfahrungen über Coma dyspepticum, der erste auf der Naturforscherversammlung in Eisenach, der letztere in einer Sitzung der Berliner med. Gesellschaft mitgetheilt.

Die ausserordentlich schweren und hartnäckigen Dyspepsien, welche fast alle Psychosen, namentlich aber die mit heftigen Angstzuständen verbundenen Melancholien begleiten, zwingen uns fast, anzunehmen, dass auch durch sie subacute und chronische Entmischungszustände hervorgerufen werden können, welche bisher noch unbeachtet blieben.

Wie beim Diabetes und den urämischen Processen ist die Bildungsstätte der pathogenen Stoffe der menschliche Organismus selbst, sei es, dass Schlacken- stoffe desselben nicht zur Ausscheidung gelangen, sei es, dass durch perverse Zersetzungen solche hervorgerufen werden. Weitere Untersuchungen werden auch hier das Dunkel lichten, welches zunächst die physiologische Chemie durch das Studium der Processe in Bezug auf autogene Entmischungsvorgänge innerhalb des Organismus zu klären berufen ist.

Dieser ist beständigen Veränderungen unterworfen, je nachdem Bewegung und Nahrungsaufnahme während des Tages oder die Ruhe während des Schlafes ihren Einfluss auf das Vonstattengehen des Stoffwechsels geltend machen. Im beständigen Werden sehen wir Stoffe sich bilden und ausgeschieden werden,

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welche auf die Functionen des Nervensystems nicht ohne Einfluss bleiben und sowohl anregend wirken, wie auch sein Ruhebedürfniss bestimmen.

Wie Sie wissen, hat man die normal Abends eintretende Ermüdung auf die Anhäufung von Schlackenstoffen im Blute zurückführen wollen und PREYER hat geglaubt, dieselben in der Milchsäure gefunden zu haben.

Es ist nichts Zufälliges, dass alle diffusen Neurosen und Psychosen des Morgens, also nach der Ruhe der Nacht eine Exacerbation zeigen, dass die Kranken sich hinfälliger und verstimmter fühlen, als des Abends, während es doch nach vorhergegangener Ruhe umgekehrt der Fall sein müsste,

Wir sehen namentlich bei melancholischen Kranken in ganz regelmässiger Form, wie unter dem Einflusse einer Blutvergiftung schwere Erschöpfungszustände mit Benommenheit, Irrsein, Hallucinationen, Angstanfällen sich in der Form eines Anfalles früh morgens nach der Ruhe der Nacht einstellen und abends denselben Kranken sich des” besten Wohlseins wieder erfreuen. Sollten nicht aueh bei diesen Zuständen moleculare Veränderungen im Stoffwechsel, beziehungs- weise noch unbekannte dyscrasische Momente eine Rolle spielen? Wir sehen den Kranken mit der Normirung des Stoflwechsels, unter Hebung der Ernährung, Regulirung der Verdauung und Herzthätigkeit langsam wieder genesen, Schweiss und Urinsecretion sich wieder reguliren, während auf der Höhe der Krankheit abnorme Ausscheidungen von Phosphaten, harnsauern Salzen, im Urin etc. den pathologischen Stoffwechsel auf das Deutlichste diagnosticiren lassen.

Bei der Entwickelung aller diffusen Psychosen sehen wir einen ziemlich gleichartigen Entwickelungsgang der pathologischen Erscheinungen. Das bis dahin gesunde Individuum verliert den Appetit, magert ab, die Darmausscheidung stockt und kann nur durch Reizmittel in Ordnung gehalten werden. Schon früh wird der Schlaf gestört, derselbe ist oberflächlich, nicht erquickend, oft von schweren Träumen heimgesucht. Erschöpfung und Verstimmung steigern sich, bald schneller, bald langsamer, je nach der Widerstandsfähigkeit des Nerven- systems und dem Geschlecht. Meist erst in zweiter Reihe wird Herz und Gefäss- system in Mitleidenschaft gezogen, Wallungen und Stauungen treten auf und lassen in dem schlaffen frequenteren kleinen Pulse eine Abnahme der Energie des Herzmuskels und des vasomotorischen Nervensystems erkennen, die für die Blutvertheilung im Gehirn nicht ohne Folgen bleiben und zu Stauungen in den gefässreichen Häuten des Gehirns und Anämien seiner Substanz führen. Hiermit beginnt der Localisationsprocess und mit ihm weitere destructive Veränderungen des Nervensystems, bei denen dann ein stabileres Krankheitsbild auftritt.

Fragen wir nun, welche Organe bei der ersten Entwickelung der noch diffusen neuropathischen Erkrankung vorzugsweise in Betracht kommen und von denen die Bildung eines normalen Blutes und damit ein ungestörtes Vonstatten- gehen des Stoffwechsels abhängt, so nehmen ausser dem Verdauungstractus Milz, Leber, Nieren an der Regelung des Stoffwechsels den wichtigsten Antheil.

Wir sehen deshalb jede wesentliche Functionsstörung in diesen Organen von Folgen für die Ernährung des Nervensystems werden. Wenn hier die Milz durch die Bildung der Blutkörperchen eine Rolle spielt, so sind Leber und

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Nieren durch Gallen- und Harnausscheidung gleichwerthige wichtige Regulatoren für den Stoffwechsel, und gerade von einigen dieser Ausscheidungsstoffe wissen wir, dass ihre Einführung in das Blut toxische Erscheinungen hervorrufen.

Chronische Catarrhe des Magens und Darmes, entzündliche Schwellungen der Leber und Nieren, Vergrösserung oder Schrumpfung der Milz sind die gewöhnlichsten Ursachen und Begleiterscheinungen, welche hierbei Berücksich- tigung verdienen. Es mögen entzündliche oder nervöse Reizvorgänge in den überaus sensibeln Darmnerven wohl auch mit als die Quelle der Unlustgefühle und Wehempfindungen gegeben sein und psychisch als Verstimmungszustände zu den Centralorganen rapportirt werden, von ungleich grösserer Wichtigkeit sind aber die Beziehungen zum Stoffwechsel und den Functionen des Nerven- systems, die jeder Gesunde bei transitorischen Dyspepsien sofort an sich erfährt.

Auf die Beziehungen von Gicht, Rheumatismus, Diabetes (Acetonaemie), Albuminurie, Hämoglobinurie etc. zu den Erkrankungen des Nervensystems wollen wir nicht näher eingehen. Auch bei ihnen handelt es sich um autogene Dyserasien und deren Folgen, die noch weiterer wissenschaftlicher Aufklärung harren.

Von Wichtigkeit für den Stoffwechsel des menschlichen Organismus ist endlich der normale Austausch der für seine Existenz nöthigen gasförmigen Stoffe. Bei den engen Beziehungen derselben zum Blute dürfen wir uns nicht wundern, wenn gerade manche dieser Stoffe bei ihrer Aufnahme durch die Lungen toxisch wirken.

Zunächst in Betracht kommt hierbei der Sauerstoff der Luft als aufzuneh- mendes, die Kohlensäure als auszuscheidendes Gas. Wir erblicken in jedem Missverhältniss zwischen Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureausschei- dung eine wichtige Ursache für die Entwickelung von Entmischungszuständen des Blutes, da nur das sauerstoffreiche Blut im Stande ist, die Functionen des Nervensystems zu unterhalten. Wir wissen, dass jedes thierische Gewebe ein Sauerstoffbedürfniss hat und dass mit einer Beschränkung desselben seine Vi- talität verändert und sein Aufbau gehemmt wird, und das in dieser Beziehung das Nervensystem keine Ausnahme macht. Es steht fest, dass das Leben und Functioniren des Organismus in erster Reihe des Nervensystems als eine lang- same Verbrennung durch den Sauerstoff aufzufassen ist und dass die Oxydation die Quelle der Wärme und lebenden Kraft ist. Diese findet in den Weweben, nicht im Blute statt, wahrscheinlich auch auf mechanischem Wege, in dem die sauerstofftragenden Blutkörperchen die Gewebe durchdringen, zum Theil hier zerfallen und durch ihren nur locker gebundenen Sauerstoff die vitalen Processe anregen und aufrecht erhalten. Nur das an Sauerstoff reiche Blut ist somit im Stande, dieses zu vermitteln und sowohl von der Integrität der Sauerstofiträger und ihrer genügenden Imbibition mit Sauerstoff ist Stoffwechsel und Inner- vation abhängig.

Ein Analogon für diese Vorgäuge sehen wir in der Phosphorescenz der thierischen Gewebe, worauf HAmARSTEN! in Upsala aufmerksam gemacht hat,

1 O. Benexzr in Schmidt’s Jahrbüchern. 1882. Bd. 196. S. 118 ff.

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Dieselbe ist ein Oxydationsphänomen, welches je nach der Menge des zugeführten Sauerstoffes zu oder abnimmt, und die Spectralanalyse hat gezeigt, dass das Licht der Phosphorescenz identisch ist mit dem lebenden Thiere. Mit dem Ab- sterben derselben sehen wir diese Phosphorescenz allmählich erlöschen, wie wir sie um so stärker sehen, je lebensfähiger das Thier ist. Wie weit hierbei der Einfluss der Zelle (Priöücer), in der diese Phosphorescenz vor sich geht, im Verhältniss zur Schnelligkeit des Blutstromes und dem Gehalte desselben an Sauerstoff maassgebend ist, werden weitere Untersuchungen festzustellen haben.

Für uns haben diese Vorgänge dadurch ein so hohes Interesse, weil sie auf die Innervationsvorgänge im menschlichen Körper ein Licht werfen und ein genaueres physiologisches Verständniss derselben in Aussicht stellen.

Wir wissen, dass durch den Aufenthalt in sauerstoffarmer Luft durch Ein- athmung von Kohlensäure, Leuchtgas, Kohlenoxydgas acute und chronische In- toxicationszustände hervorgerufen werden. Es liegt nahe für die Genese asthe- nischer diffuser Neurosen und Psychosen in erster Reihe auch für die melan- cholischen Zustände, welche so häufig durch Mangel an Bewegung, sitzende Lebensweise, oberflächliches Athmen hervorgerufen werden, eine chronische, autochthone Intoxication durch verminderte Aufnahme von Sauerstoff be- ziehungsweise Kohlensäureanhäufung im Blute anzunehmen. Die Mischungs- und Circulationsveränderungen des Blutes sind oft die Ursache der Störungen .des Schlafes, indem sie auf die Mechanik der Bluteirculation im Gehirn verändernd einwirken, das Ruhebedürfniss desselben hemmen und damit seine Energie und Leistungsfähigkeit herabstimmen. Haben sich hier erst oder in andern Provinzen des Nervensystems locale Circulationsstörungen ausgebildet, so handelt es sich um die Entwickelung weiterer Erkrankung und nur zu oft um die Genese unheilbarer Zustände. Ueber die Beziehungen des in den feinsten Arterien und Capillaren kreisenden Blutes zu dem vasomotorischen Nervensystem sind wir noch nicht aufgeklärt, aber es liegt die grösste Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass die Mischungsverhältnisse des Blutes einen directen Einfluss auf dasselbe ausüben und dass auch die Gefässneurosen von einer veränderten Blut- mischung zum grossen Theile ausgehen. Die fast wunderbare Wirkung ein- zelner Stoffe bei ihrer Aufnahme in den menschlichen Organismus z. B. des Amylnitrits auf Herz und Gefässsystem lässt keine Zweifel darüber, dass schon die geringsten Mengen mancher Stoffe genügen, um schwere Folgen für das Nervensystem zu veranlassen.

Wenn ich mir erlaubt habe, Ihnen, meine Herren, von diesem Standpunkte aus meine Anschauungen über den Zusammenhang zwischen der Genese der Neurosen und Psychosen mit Veränderung der Blutmischung vorzutragen, so sind es zunächst die Beobachtungen und Erfahrungen, welche mir immer mehr und mehr die Teberzeugung aufgedrängt haben, dass wir nicht wie bisher die physiologisch-chemische Seite dieser so wichtigen Fragen unbeachtet lassen dürfen.

“Die physiologische Chemie scheint mir mehr als bisher berufen zu sein, ung Aufklärungen über den oft dunkeln Entwickelungsgang neuropathischer Er- krankung zu geben, die wir in letzter Zeit meist vom Mikroskop und von der

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pathologischen Anatomie erwartet haben, während sie und die Speotralanalyse uns vielleicht neue und andere Gesichtspunkte eröffnen könnte.

IL. Referate,

Anatomie.

1) Sui solchi arteriosi dell’endocranio nei primati e nei microocefali, pel dott. prof. S. Danillo. (Archivio di psichiatria, scienze penal. otc. 1884. V. p. 403.)

Die vom Verf. bereits früher mitgetheilte Thatsache, dass die Gefässfurchen auf der Innenfläche des menschlichen Schädels in 51 °/, auf der linken und nur in 12°/, auf der rechten Seite zahlreicher und stärker ausgeprägt seien (bei 37 °/, ist das Verhalten symmetrisch), dann der Fund Putiloff’s, dass die Dura über der linken Hemisphäre eine Oberfläche von 378 qem, die über der rechten nur eine Oberfläche 325 qcm habe, und endlich das von Boyd seinerzeit auf Grund von. 200 Gehirm- untersuchungen nachgewiesene Plus im Gewicht der linken Hemisphäre bei gesunden Erwachsenen, führten auf die Frage, ob ein ähnliches Prävaliren der linken Hemi- sphäre auch bei den Primaten und bei Microcephalen bestände.

Verf. fand nun an 37 Affenschädeln (6 Hylobates, 17 Gorilla, 12 Chimpanse und 2 Orangutang) stärkere und zahlreichere Furchen links bei 53 °/,, rechts bei 12°/,, während bei 35°/, das Verhältniss auf beiden Seiten gleich war.

Unter 19 Microcephalenschädeln fand er aber ein symmetrisches Verhalten bei nicht weniger als 79°/,, ein Prävaliren auf der linken Seite nur bei 16 und auf der rechten nur bei 5 °/,.

Während hiernach die normalen Menschen mit den höheren Affen in Bezug auf das Prävaliren der linken Hemisphäre und damit der rechtsseitigen Extremitäten ganz gleich stehen, zeigen die pathologischen Microcephalen ein völlig abweichendes Verhalten. Die atavistische Auffassung der Microcephalie scheint auch aus diesem Grunde völlig unhaltbar. Sommer.

Experimentelle Physiologie.

2) Ueber den Sitz der Nachbilder im Centrainervensystem, von Exner. (Sep.-Abdr. aus dem Repertorium der Physik. Wanderversammlung der chem. physik. Gesellsch. zu Wien am 18. März 1884.)

Schon vor einer Reihe von Jahren hat E. gezeigt, dass das positiv gleichgefärbte und das gleich nach Entfernung des Netzhautbildes auftretende positiv complementär gefärbte Nachbild im Wesentlichen auf denselben nervösen Vorgängen beruhen, und nur der Ausdruck eines verschieden raschen Absinkens der Erregung in jenen Nerven- bahnen sind, welche der Perception der verschiedenen Farben dienen. Weiter konnte er die Behauptung aufstellen, dass die Oertlichkeit innerhalb des Nervensystemes, an welcher diejenigen Vorgänge stattfinden, welche einem Nachbild seinen Charakter (Farbe, Art des Abklingens etc.) geben, verschieden ist für die beiden genannten positiven Nachbilder einerseits, und für das negativ complementärgefärbte andrerseits. Der Ort des Letzteren liegt nämlich der Peripherie des Nervensystemes, der Ort der ersteren dem Organe des Bewusstseins näher.

Durch Versuche mit Reizung der Netzhaut durch Inductionsschläge, wie durch Druck auf den Augapfel lässt sich nun zeigen, dass die beiden Zonen, welche ver- schiedenartigen Nachbildern als Sitz dienen, in der Netzhaut und nicht etwa, wie man wohl denken könnte, im Gehirn gelegen sind.

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Er weist demnach die Behauptung Parinaud's (Gaz. des höpit. 20. Mai 1882), dass das Gehirn der Sitz der Nachbilder sei, zurück. M.

3) Ueber die Wirkung des Oocaln auf die psychomotorischen Oentren, von Tumas. (Medicinskija Nowosti. 1884. Nr. 33. Russisch.)

Verf. untersuchte an trepanirten Hunden die elektrische Erregbarkeit des motorischen Rindenfeldes nach localer Application von Cocainlösungen (01—4°/,). Nach Bepinselung der Dura mater mit Cocaln. muriat. wird die Eröffnung derselben schmerzlos. Die Erregbarkeit der Rindensubstanz selbst, mit Hülfe der Rollenabstände eines Dubois’schen Inductionsapparates gemessen, die zur Erzeugung minimaler Con- tractionen der Glieder erforderlich sind, wird merkbar herabgesetzt und steigt erst wieder nach Verlauf einiger Zeit, indem sie dann zuweilen abnorm hoch wird. Die anästhesirende Wirkung des Cocalns erstreckt sich bei Bepinselung des Gehirns nur auf die oberflächlichen Rindenschichten, da bei Einsenkung der Elektroden in die Rindensubstanz die zur Reizung erforderliche Stromstärke durch Cocain nicht ver- ändert wird. P. Rosenbach.

Pathbologische Anatomie.

4) An anomaly of a vertebra, by E. C. Spitzka. (The medical Record. 1884. 20. Dec. p. 680.)

Ausgehend von der bekannten Erfahrung, dass abnorme Knochenprominenzen auf der Innenfläche der Schädelknochen oder des Wirbelcanals einen verderblichen Einfluss auf die Functionen des Centralnervensystems auszuüben vermögen, und ge- stützt auf eine eigene Beobachtung, bei der die operative Entfernung eines in Folge einer früheren Fractur mit Dislocation verheilten Splitters alle Symptome einer schweren Spinalirritation geheilt hatte, weist Verf. darauf hin, dass manche andere Fälle von Spinalirritation durch ähnliche raumbeengende Knochenneubildungen bedingt sein könnten, und bespricht in dieser Hinsicht eine gelegentlich in einer anatomischen Sammlung gefundene Abnormität eines 10. Dorsalwirbels, die in einer Verengerung des Rückenmarkcanals durch abnorme Ossification einzelner Bündelchen der Inter- vertebralligamente bestand. Sommer.

6) Ein Fall von susgebreiteter Porencephalie an der medialen Fläche der rechten Grosshirnhemisphäre, von Dr. Nicolai Jalan de la Croix, Petersburg. (Virchow’s Archiv. Bd. 97. H. 2.)

Ein bis dahin gesundes, blühendes Mädchen von 17 Jahren Dienstmagd erkrankte am 5. März 1882 und starb am 11. März an Meningitis basilaris. Zu allgemeiner Ueberraschung fand der Verf. bei der Section einen grossen Gehirndefect, welcher fast ausschliesslich die mediale Fläche der rechten Grosshirnbälfte betraf, 14,5 cm lang war, den grössten Theil des Gyrus fornicatus, den ganzen Lob. qua- dratus (Vorzwickel) und einen grossen Theil der medialen Fläche des Gyr. front. sup. weggenommen hatte. Die Uebergangswindung der beiden Gyri centrales war erhalten. Nach unten wird die grosse Lücke in ihren beiden hinteren Drittheilen von dem stark verdünnten Balken begrenzt, während sie im vorderen Drittheile sich direot in den rechten Seitenventrikel und in das Vorderhorn öffnet. Gleich hinter den Centralwindungen tritt der Defect an der Convexität der Hemisphäre zu Tage, indem hier ein 4,5 cm langes, 1,7 cm breites Stück des oberen Schläfenläppchens fehlt. Auch von dem mittleren Theil der oberen Stirmwindung ist ein Stück in den Defeet hineinbezogen.

a, 594: se

Es war nicht nur die graue Rinde, sondern auch ein beträchtlicher Theil der Marksubstanz unter ihr zerstört. Der Grund des Defocts war von einer gefässreichen Bindegewebsmasse überzogen, während die Arachnoides die Lücke überbrückte und einen mit gelblicher leicht getrübter Flüssigkeit gefüllten Hohlraum bildete.

Ventrikel stark dilatirt; die grossen Ganglien sehr breit, abgeplattet, stark er- weicht. Schädeldach an mehreren Stellen auffallend durchscheinend, stark asym- metrisch, rechts bedeutend umfangreicher; ebenso der Schädelgrund.

Nachträglich wurde ermittelt, dass Eltern und Geschwister vollkommen gesund sind, dass die Verstorbene aber von Kindheit an auf dem linken Fusse etwas gehinkt habe. In der Schule ist sie ganz gut vorwärts gekommen.

Genaue Messungen ergaben nun, dass die linke untere Extremität 1,9 cm kürzer war (Oberschenkel 1,5 cm), als die rechte; ebenso die linke obere Extremität 1,5 cm (Oberarm 1,1 cm) kürzer, als die rechte obere; die linke Fusssohle war 0,4 cm kürzer, als die rechte.

Verf. findet nach seinem Präparate die Ansichten Kundrat's im Wesentlichen bestätigt, wonach anämische Necrose die Ursache der Porencephalie bildet, denn der beschriebene Defect liegt im Verbreitungsbezirke eines Hauptendastes der Arteria corp. callosi.

Der Fall ist allerdings besonders interessant: 1. durch das fast ausschliessliche Befallensein der medialen Fläche, was Kundrat unter 44 Fällen niemals gefunden hatte; 2. durch die fast vollständige Symptomlosigkeit trotz der bedeutenden Grösse des Defeocts.

Verf. führt Fälle von Grasset, Vauttier, Sabourin und Charcot an, wo bei umfangreichen Herden an der medialen Grosshirnfläche auch keine Symptome beobachtet wurden. In betreff der Function des Lobulus paracentralis scheint dem Verf. sein Fall zu lehren, dass, da hier der untere und hintere Theil des Lob. para- centralis zerstört, die Uebergangswindung der Centralwindungen aber ziemlich intact war, desshalb auch nur diese letztere es sein könne, die zur sog. motorischen Binden- zone gehöre, nicht der ganze Lob. paracentralia. Hadlich.

Pathologie des Nervensystems.

6) Beiträge zur Aetiologie und Therapie der Tabes dorsalis, namentlich über deren Beziehungen zur Syphilis, von Eulenburg. (Virchow's Archiv. Bd. 99. H. 1.)

7) Ueber die ätiologischen Beziehungen zwischen Syphilis und Tabes, von Berger. (Deutsche med. Wochenschr. 1885. Nr. 1 u. 2.)

Die Frage nach den Beziehungen zwischen Syphilis und Tabes scheint sich immer mehr zu Gunsten eines wirklichen Zusammenhangs beider Affectionen zu ge- stalten. Ebenso wie viele andere Forscher hat auch Eulenburg heute ein wesent- lich grösseres Procentverhältniss zwischen Tabes und vorausgegangener Syphilis zu verzeichnen, als früher. Unter 106 Tabesfällen bei Männern, die aus der letzten Zeit stammen, jedenfalls erst seit den Publicationen Erb’s über Tabes und Syphilis datiren, findet E. 67, bei welchen eine syphilitische Infection nicht vorausgegangen ist, 39, bei welchen eine Infection sich anamnestisch ergab. Unter diesen 39 hatten 28 eine unzweifelhaft typische Lues, während bei 11 nur ein vorausgegangener Chancre sich erweisen liess. Doch war auch in diesen Fällen zum Theil Quecksilber oder Jodkali gebraucht worden.

Es ergiebt sich demnach bei Mitberechnung dieser Fälle ein Procentverhältniss von 36,8 vorausgegangener Lues, ein Verhältniss, was im Laufe der Jahre und bei weiterer sorgfältiger Anamnese höchstwahrscheinlich ebenso noch steigen wird, wie das des Ref., das von 66°/, auf über 80°/, in die Höhe gegangen ist.

=, Be

Indessen glaubt E. der Lues nur ein schwächendes oder disponirendes Moment für die Entwickelung der Tabes zuschreiben zu können und hält dieselbe nicht ein- mal für die häufigste oder wichtigste Ursache der Tabes. Dagegen ergaben sich in der Aetiologie vielfach die verschiedensten mechanischen Einwirkungen. Einen Unter- schied zwischen der Tabes mit luetischer Vorgeschichte und anderen Fällen konnte E. nicht constatiren; doch sei vielleicht die Erkrankung cerebraler Nervenbahnen des Oculomotorius, Opticus etc. um ein geringes häufiger, als in den nicht syphilitischen Fällen.

Was die Behandlung betrifft, so scheint er mit der von dem Ref. in die Tabes- therapie eingeführten Behandlung mit dem faradischen Pinsel keinen Gebrauch gemacht zu haben; es würden wenigstens höchstwahrscheinlich die Resultate der Behandlung dann nicht so ungünstig sein. E. erwähnt nur zwei allerdings noch nicht genügend lange beobachtete Heilungsfälle, von welchen einer mit specifischer Behandlung, einer ohne specifische Behandlung bei vorausgegangener Lues sich günstig gestalteten.

Berger, der schon früher und unter den ersten die Frage nach dem Vor- handensein einer syphilitischen Tabes wenigstens mit Wahrscheinlichkeit bejahen zu müssen geglaubt hatte, bringt zu den ätiologischen Beziehungen zunächst zwei interessante 'Tabesfälle bei, von welchen der erste im 22. Jahre ein Ulcus durum acquirirte, im 24. Jahre an schwerer allgemeiner Syphilis (Ulcerationen der Nasen- höhle, Gummata des Gesichts) litt, die erst nach 2 Jahren und wiederholtem Ge- brauch von Quecksilber zur Heilung gelangten. Es blieb neben strahligen Narben eine Perforation der Nasenscheidewand zurück. Die Tabes entwickelte sich etwa 10 Jahre später und begann mit gastrischen Krisen.

Von grösserer Bedeutung ist der weitere Fall. Pat. von 72 Jahren hat in der Jugend zwar an Rheumatismus, ferner einmal an Chorea und an Intermittens gelitten, war aber seit 12 Jahren gesund.

Im 68. Lebensjahr aquirirte er eine syphilitische Infection, die auf der Breslauer Klinik für Hautkrankheiten und Syphilis mit ihren Folgen, einem Exanthem, Drüsenschwellung und iritischen Veränderungen verfolgt wurde.

Zwei Jahre später stellten sich die ersten Erscheinungen der Tabes ein, die auf Grund der Ataxie, des Schwankens bei geschlossenen Augen, des Fehlens der Sehnenreflexe im 72. Jahre diagnosticirt wurde. |

Nach 1?/, Monat starb der Pat. und die Obduction ergab in Betreff des Rücken- markes typische graue Degeneration der Hinterstränge mit zahlreichen Körnchenzellen entlang der Gefässe. Die genauere mikroskopische Untersuchung ergab neben den bekannten Bildern der grauen Degeneration hauptsächlich im Lendenmark und Brust- mark, in den Hintersträngen eine Verdickung der Gefässe, die vor Allem die Media betrifft, die subadventitielle Scheide gefüllt mit zahlreichen runden und ovalen Zellen und zum Theil Dilatation der Gefässe. Auf: die Bilder, wie sie die einzelnen Durch- schnitte in Bezug auf die Ausdehnung der Erkrankung boten, auf die gequollenen Nervenfasern etc. hier einzugehen, würde zu weit führen.

In der Schlussfolgerung drückt sich Verf. allerdings vorsichtig aus, glaubt aber einen ätiologischen Zusammenhang zwischen der auch anatomisch relativ frischen Erkrankung der Hinterstränge und der 3!/, Jahre vor dem Tode acquirirten sicher nachgewiesenen Syphilis als „mindestens wahrscheinlich“ bezeichnen zu müssen.

Weiterhin theilt Verf. mit, dass er unter 100 Tabeskranken 43 Fälle mit secundärer Syphilis beobachtet hat, unter 85 Männern 39, unter 15 Frauen 4.

Manifeste Zeichen der Syphilis fanden sich mit Ausnahme der oben ausführlich mitgetheilten Fälle bei keinem der Kranken. In klinischer Hinsicht konnte auch B. einen Unterschied zwischen Tabesfällen mit luetischer Vorgeschichte und anderen nicht constatiren, höchstens seien bei den ersteren Augenmuskellähmungen häufiger.

Was die Behandlung betrifft, so vertragen nach B. Tabische mit Atrophia nervi optici Quecksilbercuren auffallend schlecht. Jedenfalls hält er die Aussichten auf

SE: Er

Heilung für gering und glaubt eher, dass in einem geheilten Fall von auscheinender

Tabes nur eine Functionsstörung der Hinterstränge stattgefunden habe, bedingt durch

gewisse specifische Läsionen, die event. in den RBückenmarkshäuten ihren Sitz haben. Rumpf.

8) Sur les paralysies musculaires dans le cours de l’ataxie locomotrice, par Dejerine. (Soc. de biologie, söance du 18. Oct. 1884. Progr. med. 43.)

Muskellähmungen bei Tabes dorsalis, die besonders häufig im Bereiche des Oculomotorius vom Vortr. beobachtet werden, ist er geneigt auf periphere Neuritis der betroffenen Zweige zurückzuführen. In einem Falle von doppelseitiger Lähmung des M. levator palp. sup. fand sich bei der Autopsie in der That die Degeneration des betreffenden Nervenastes vor, während die andern Aoste und der Stamm der Nerven selbst unversehrt waren. Er setzt diese periphere Neuritis der motorischen Nerven in Analogie zu der von ihm bei Tabischen gefundenen Degeneration der peripheren Nerven, welche sensibler Natur sind.

Brown-Sequard giebt die Annahme D.’s nicht für alle Fälle peripherer Läh- mungen bei Tabes zu: Die Lähmungen seien oft vorübergehende und deshalb werden ausser der Neuritis wohl auch noch andere bisher nicht bekannte pathologische Ur- sachen dafür vorhanden sein. Laquer.

9) Jets over tabes dorsalis, door Dr. Klinkert. (Weekbl. van het Nederl. Tijdschr. voor Geneesk. 1884. Nr. 46.)

K. tbeilt 2 namentlich in diagnostischer Hinsicht interessante Fälle von Tabes dorsalis mit. Der 1. Fall betraf einen 46jährigen Mann, der seit Jahren jeder Be- handlung hartnäckig trotzende schiessende Schmerzen in den Beinen gehabt hatte. Ende Mai 1883 liessen die schiessenden Schmerzen nach und es traten periodische Anfälle von Erbrechen mit Pulsbeschleunigung und zusammenschnürendem Gefühl in der Magengegend auf, ohne dass in den freien Zwischenzeiten Erscheinungen eines Magenleidens vorhanden waren. Bei der Untersuchung fand sich reflectorische Un- beweglichkeit der Pupillen, die Patellarreflexe fehlten, die Coordination war nur wenig gestört, aber beim Stehen mit geschloäsenen Augen wankte Patient; der Geschlechts- trieb war beinahe aufgehoben. Im Alter von 19 Jahren hatte Pat. einen Schanker gehabt, dem aber keine secundären Erscheinungen folgten. Im Alter von 29 Jahren war ohne nachweisbare Ursache Defluvium capilloram eingetreten. In beiden Leisten waren harte Drüsen zu fühlen. K. versuchte Injectionen mit Hydrarg. formamidatum und gab später Jodkalium. Danach blieben die Magenkrisen aus, die Reaction der Pupillen auf Licht kehrte theilweise zurück, die blitzartigen Schmerzen hörten fast auf, der Geschlechtstrieb wurde normal und das Körpergewicht nahm zu. Der Patellar- reflex kehrte aber nicht wieder und beim Stehen mit geschlossenen Augen wankte Pat. noch etwas. Im 2. Falle trat bei einem 49jährigen Manne, nachdem einige Jahre lang heftige schiessende Schmerzen im linken Arme und Beine und im rechten Arme bestanden ‚hatten, in Folge eines Excesses in Venere drückender Schmerz im Hinterhaupt auf, kurze Zeit darauf Abducensparalyse auf beiden Seiten und zugleich reflectorische Pupillenstarre und Störungen im Gebiete des linken Halssympathicus. Ohne nachweisbare Ursache gesellten sich dazu Krampfhustenanfälle, die durch Ein- athmen kalter Luft, Reizung der Stimmbänder beim Sprechen oder durch Speise- theilchen, wenn Pat. beim Essen sprach, hervorgerufen wurden. Darauf stellte sich eine Neuralgie der Gefühlsnerven des‘ Magens (Uebelkeit und Drücken) bei voll- kommen normaler Verdauung ein; nach den Mahlzeiten nahmen Uebelkeit und Druck im Magen auf einige Stunden ab. Nun hörten die Hustenanfälle plötzlich auf und an ihrer Stelle erschienen Anfälle von heftigem Erbrechen mit Uebelkeit, starker Pulsbeschleunigung und verstärkter Herzaffection, eingeleitet von schneidendem Schmerz

er ST.

im Mesogastzium und begleitet von Druck im Hinterkopfe, bis zur Mitte des Sternum

ausstrahlend, so dass Pat. das Gefühl hatte, als wenn der Hals und der oberste. Theil der Brust zusammengeschnürt würde (Gürtelgefühl. Von da an wechselten Hastenanfälle, Brechanfälle und blitzartige Schmerzen ab, während Abducenslähmung, reflectorische Unbeweglichkeit der Pupillen und Gürtelgefühl am Halse unverändert blieben. Trotz mangelnder Ataxie bei vorhandenem Patellarreflex nimmt K. Tabes dorsalis, Sklerose der Hinterstränge im obern Theile des Halsmarks, an. In beiden Fällen traten die Brechanfälle gegen die blitzartigen Schmerzen in den Vordergrund und nahmen die dominirende Stellung unter den Symptomen ein. Von einer Vagus- reizung konnten diese Anfälle nach H. deshalb nicht abhängig sein, weil in beiden Fällen Pulsbeschleunigung damit verbunden war, was mehr auf eine Reizung der die Herzaction beschleunigenden Sympathicusfasern zu deuten scheint. Auch das Er- brechen selbst kann nicht auf einer einfachen centralen Reizung des Vaguskerns be- ruhen; mag auch die Erweiterung des Oesophagus darauf zu beziehen sein, die Contraction des Diaphragma, der Bauchmuskeln und der Därme, das Aufhören der Peristaltik, die als essentielle Erscheinungen zu den Brechanfällen gehören, müssen vermuthlich auf eine Reizung motorischer Darmnerven aus der Oblongata zurück-

geführt werden. . Walter Berger.

10) Die Pseudotabes der Alcoholiker, von Dr. Krücke, Marbach. (Deutsche Medicinal-Zeitung. 1884. Nr. 72.)

Verf. macht darauf aufmerksam, dass bei chronischem Alcoholismus functionelle Abnormitäten des Rückenmarkes und der von ihm ausgehenden Nerven vorkommen, welche, Ataxie verbunden mit Lähmungserscheinungen zeigend, das Bild einer Tabes vortäuschen können, es betrifft diese Erkrankung meist Leute der besseren Stände, welche ja selten reine Gewohnheitstrinker, sondern mehr nervöse Trinker sind, und bei denen also das Centralorgan von vornherein der Locus minoris resistentiae ist.

Die Pseudotabes nun zeigt fast die nämlichen Initielsymptome wie die echte, auch sind die Coordinationsstörungen ganz ähnlich, ebenso fehlen oft sogar die Sehnenreflexe, der Drucksinn und Temperatursinn erscheint herabgesetzt. Dagegen ist die Empfindlichkeit gegen den faradischen Strom sehr gross, während doch nur mässige Muskelcontractionen durch denselben ausgeübt werden. Der Augenspiegel- befund zeigt manchmal die Abblassung der Pupille, die Temperaturcurve zeigt ein auffallend weites Auseinanderliegen des Maximum und Minimum am gleichen Tage.

Die Behandlung bedingt natürlich Entziebung des Alcohols vor allen Dingen.

Zander.

11) Zur Frage über trophische Störungen der Haut bei Tabikern. Aus der Nervenabtheilung von Dr. O. Motschatkowsky am Stadthospital zu Moskau. Von G. Rossolymmo. (Arch. f. Psych. etc. 1884. Bd. XV. H. 3.)

Verf. beschreibt eigenthümlich trophische Veränderungen der Haut und der Haare an bestimmten Stellen des Gesichts, die er bei einem 41jährigen amaurolischen Tabiker beobachtete.

Diese Veränderungen bestanden in einer Anzahl scharf nscheiehäner unregel- mässiger, grösserer und kleinerer Flecken in der rechten Gesichtshälfte, Stirn, Schläfe, Wange, Seitenfläche der Nase, die durch Pigmentmangel hervortraten. Die an diesen pigmentlosen Stellen wechselnden Haare erschienen sämmtlich grau, d. h. eben- falls pigmentlos. Sensibilitätsstörungen, Anomalien. der Schweiss- und Talgsecretion an den betreffenden Hautstellen waren nicht vorhanden.

Verf. glaubt diese trophischen Störungen im Trigeminusgebiet auf eine Affec- tion der rechten aufsteigenden Trigeminuswurzel beziehen zu dürfen.

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Die Möglichkeit einer solchen Affection ist sehr wohl zuzugeben, indess zu erinnern, dass in den Fällen von anatomisch nachgewiesener Erkrankung der aufsteigenden Trigeminuswurzeln (vgl. besonders die Fälle von Westphal im Arch. f. Psych. Bd. VIII) mehr oder weniger hochgradige Sensibilitätsstörungen intra vitam bestanden hatten. Man wäre daher jedenfalls gezwungen, nur eine ganz par- tielle und in bestimmten Fasergruppen isolirte Erkrankung der betreffenden Regionen anzunehmen. Eisenlohr.

12) A new symptom and a new theory of locomotor ataxy, by Dr. J. Althaus. (British med. Journ. 1884. 11. Oct. p. 708.)

Verf. macht darauf aufmerksam, dass in vielen Fällen von beginnender Tales das Rückwärtsgehen bereits hochgradig erschwert ist, wenn auch sonst noch kein Zeichen von Ataxie, auch nicht bei geschlossenen Augen, nachgewiesen werden kann. In mehreren Fällen ist es ihm einzig durch dieses Symptom gelungen, die richtige und durch den weiteren Lauf bestätigte Diagnose zu stellen.

Die neue Theorie der Tabes besteht darin, dass Verf. in den centralen Hirn- ganglien, im Corpus striatum, Thalamus opticus etc. coordinatorische Endapparate annimmt, welche auf Grund ihnen zugeführter Empfindungen das harmonische In- einandergreifen der verschiedenen Muskeln zum Zweck der möglichst geringen Arbeits- verschwendung bei gewollten Bewegungen vermitteln. Ausserdem existiren in der Rinde des Cerebellum Gangliengruppen, welche ebenfalls auf Grund ihnen zugeführter Empfindungen über die momentano Stellung und Lage eines jeden Gliedes motorische Impulse aussenden, welche das Gleichgewicht des Körpers beim Stehen aufrecht er- halten. Die Verbindungsfasern centripetaler Natur für die „locomotorische Coordi- nation“ verlaufen von den hinteren Spinalnerven durch die Hinterstränge in die Hirn- ganglien, die für die „statische Coordination“ verlaufen entweder durch die Goll’schen Stränge oder (wahrscheinlicher) durch die directe Kleinhirnseitenstrangbahn in die Rinde des Kleinhirns. ‘Jede Unterbrechung dieser beiden verschiedenen Bahnen be- dingt den Ausfall der entsprechenden Empfindungen und damit den Eintritt der „locomotorischen“ oder der „statischen“ Ataxie._ Gewöhnlich aber werden beide Bahnen annähernd in gleicher Ausdehnung durch Sklerose etc. ausgeschaltet und dann stellt sich der bekannte Symptomencomplex der Tabes dorsalis ein.

Sommer.

13) Les Növrites cons6cutives aux injections hypodermiques d’öther, par M. l. d. Arnozan, prof. agrög6 a Bordeaux. (Gaz. hebdom. 1885. 9. et 16. Janvier.)

Ausser der Literaturangabe theilt A. genauer 7 Beobachtungen (davon 4 eigene) mit, in denen nach Aetherinjectionen Lähmungen folgten: 1. Lähmung der Extens. digit. 2. Fast sofortige Lähmung der Eixtensoren des Vorderarmes. 3. Lähmung der Extensoren beider Vorderarme. 4. Lähmung beider Vorderarme. 5. Lähmung des Extens. digit. quarti et minimi. 6. Lähmung des Ext. digit. min. 7. Lähmung der rechten unteren Extremität.

Aus den Untersuchungen über die Wirkung des Aethers auf die Nerven und den bei den Thieren gemachten Injectionen kommt A. zu dem Schluss, dass die Be- rührung des Aethers mit Nerven in denselben eine acute Entzündung hervorruft, und diese Entzündung ruft Paralyse, Anästhesie, trophische Störungen in dem Bezirk des entzündeten Nerven hervor. Man hat demnach in den tiefen Aetherinjectionen ein ausgezeichnetes Mittel, die Nenritis experimentell zu studiren. Für die Therapie ergiebt sich, dass man Aetherinjectionen nicht zu tief, sondern nur in das Unter- hautzellgewebe, nicht unter die Aponeurosen machen darf.

Mit Rücksicht auf nachfolgende Lähmungen sind bei der Injection die Extremi- täten und auch die Bauehwand zu vermeiden, und empfiehlt A. als zweckmässigste Injectionsstelle die Seitenwände des Thorax.

Im Uebrigen ist die Prognose derartiger Lähmungen günstig, sie werden durch tägliche Galvanisation schnell beseitigt. M.

14) Ueber das Auftreten chronisch-epileptischer Zustände nach Scharlach, von Dr.H. A. Wildermuth. (Würtemb. Med. Corresp. Blatt. 1884. Nr. 35 u. 36.)

Während den acuten Infectionskrankheiten bei der Epilepsie im Allgemeinen nur eine occasionelle Bedeutung zugeschrieben wird, führt W. eine Reihe von Fällen an, in welchen acute Infectionskrankheiten, besonders Scarlatina, die eigentlich be- dingende Ursache der Epilepsie war. Die Scharlacherkrankung fiel bei fast allen Fällen in die frühere Kindheit zwischen 1.—5. Lebensjahr, ferner ist fast durchweg die Schwere der Infection betont, Gehirnerscheinungen oder auch Hydrops waren vor- handen, dem entsprechend war auch die epileptische Erkrankung schwer, wenn auch in einigen Fällen Bromkali erheblich bessernd wirkte.

Für einen grossen Theil seiner Fälle sieht W. als directes ätiologisches Moment die bei Scarlatina nach Huguenin und Steffen oft auftretende Leptomeningitis der Convexität an, zwei zur Section gekommene Fälle bestätigen dies völlig. In anderen Fällen handelt es sich um Hirmhämorrhagien und encephalitische Herde.

Diesen Fällen reiht W. noch 2 andere an, bei denen zwar epileptische Zustände im Anschluss an Scarlatina sich einstellten, aber eine zur Epilepsie disponirende Hirmaffection schon bestanden hatte oder das Scharlachfieber nur eine Verschlimmerung bereits vorhandener epileptischer Erscheinungen herbeiführte. Zander.

16) Ueber Pruritus hiemalis, von Prof. Obersteiner. (Wiener Med. Wochen- schrift. 1884. Nr. 16.)

Von L. A. During ist 1874 in der Philadelphia med. Times eine Hautnourose beschrieben, welche darin besteht, dass sich gegen Ende des Herbstes oder Anfang des Winters ein sehr heftiges Hautjucken einstellt, welches wohl den ganzen Winter anhalten kann, niemals den Beginn des Frühjahrs überdauert. Für dieses Jucken sind Prädilectionsstellen die Haut an den Hüften und über den Waden; Hände, Füsse und Kopf bleiben frei. Trotz der oft schrecklich lästigen Intensität, welche nament- lich Abends sich noch steigert, ist an der Haut objectiv nichts Krankhaftes zu finden. Da diese Neurose auf den nördlichen Theil von Nordamerika beschränkt schien, ist sie sonst nirgends beschrieben, jetzt hat O. einen exquisiten Fall beobachtet an einem sonst gesunden Herrn, der in Cairo lebt, alljährlich im October von dem Jucken befallen wird, das im Frübling vergeht. Auffallender Weise trat nach Gemüthsaffecten Verschlimmerung ein. Eine erfolgreiche Therapie fehlt bisher noch. O. möchte den Sitz des Leidens in die Endorgane der Hautnerven verlegen. Zander.

16) Zur Disgnostik der Augenkrankheiten mit Bezug auf Localisation von Cerebrospinalleiden, von Dr. L. Grossmann. (Wiener Klinik. X. 1884. October. S. 279.)

Neues bringt der Verf. nicht in dieser Abhandlung mit Ausnahme eines selbst- beobachteten Falles von temporaler Hemianopsie. Eine 3ijährige kräftig genährte Frau stellte sich am 18. April 1884 mit der

Klage vor, am linken Auge seit einem Jahre völlig erblindet zu sein und mit dem

rechten Auge nur eine Hälfte von (Gegenständen zu sehen. Vor ungefähr zwei

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Jahren bemerkte sie eine allmähliche Abnahme ihres Sehvermögens. Im vorigen Jahre fiel der Kranken ein rasehes Sinken der Sehfunctioa am linken Auge auf. Jetzt erst holte sie ärztlichen Rath ein.

Als anamnestische Daten giebt Pat. ferner an, dass sis schon vor ungefähr vier Jahren an häufigen und heftigen Kopfschmerzen mit Schwindelanfällen und zeitweisem Erbrechen litt und seit ungefähr zwei Jahren hatten die angeblichen Cephalalgie aufgehört.

Die Untersuchung erwies eine totale Amaurose des linken Auges und völlig fehlende Hälfte der lateralen Seite des rechten Auges.

Die Prüfung ergab, dass Pat. mit diesem Auge vollkommen die rechte Hälfte von einer Person erkannte, während ihr die linke Hälfte derselben fehlte. Ander- weitige krankhafte Erscheinungen waren nicht vorhanden.

Ophthalmoskopisch wurde ein atrophisches Aussehen beider Papillen constatirt, linksseits schien das Gefässkaliber der Papille gegenüber dem rechten Auge etwas vermindert zu sein.

Die perimetrische Aufnahme konstatirte am rechten Auge eine genaue dürch den Fixationspunkt gehende Trennungslinie beider Gesichtsfeldhälften. In der functio- nirenden Retinalhälfte ist das centrale Sehen völlig erhalten (liest Snellen III), Licht- und Farbensinn, suwie peripheres Sehen ist daselbst normal.

Die Diagnose lautete: Amaurose des linken Auges und heternoyme laterale Hemianopsie des rechten Auges mit völliger Leitungsunfähigkeit der nasalen Ge- sichtsfeldhälfte.

Die scharf durch den Fixationspunkt gehende Trennungslinie gestattet den Schluss, dass das vorausgesetzte Neoplasma, welches das Chiasma ursprünglich in der Medianlinie comprimirte, in der Folge von da aus nach der linken Seite fort- wuchernd auch das ungekreuzte Bündel in Mitleidenschaft zog (paralysirte), wodurch die völlige Erblindung des linken Auges eintrat, während am rechten Auge die scharfe Grenzlinie mit einer functionirenden Retinalhälfte noch fortbesteht, aber auch die Er- blindung dieses Auges dürfte in Folge der Ausbreitung des Neoplasmas nach der rechten Seite eintreten. Wilbrand, Hamburg.

Psychiatrie.

17) Documents statistiques pour servir & l’ötude des conditions patho- göniques de la paralysie generale, par J. Luys. (L’Encöphale. 1884. No. 6.)

L. kommt auf Grund seiner statistischen Erhebungen bei einer Reihe von 140 Paralytikern zu folgenden Schlüssen. Das mittlere Alter zur Zeit der Erkran- kung beträgt bei Männern 43, bei Frauen 40 Jahre. In Bezug auf das Geschlecht der Kranken besteht in den höheren Gesellschaftsklassen ein grosses Ueberwiegen des männlichen, so dass auf jene 140 nur 4 Frauen kommen, während in den ärmeren Klassen beide Geschlechter gleichmässig betroffen werden. Unter seinen 40 Fällen sah L. 39 °/, von kleinerer, aber nur 3°/, von grosser Statur, unver- ehelicht waren 42 °/,. Auffallend war die geringe Nachkommenschaft, es kamen auf 81 Ehen 27 unfruchtbare oder 34 °/, und auf 53 fruchtbare Ehen kamen nur 80 Kinder, also nur je 1,50. Die Kinder von Paralytikern sollen ausserdem in der Mehrzahl der Fälle unregelmässig in ihrer Entwickelung, sowohl in Bezug auf ihren Körper, als ihren Geist sein. In Bezug auf die Ascendenz der Paralytiker hebt Luys in Uebereinstimmung mit den statistischen Untersuchuugen Ball’s und Rögis’ hervor, dass der Geisteszustand der Mutter von höchstem Einfluss auf die männliche Nachkommenschaft gewesen sei. Ferner behauptet L., dass in den meisten Fällen, ja von 20 in 19 auch die Geschwister von Paralytikern besondere Eigenthümlich- keiten in ihrem Wesen und Leben zeigten, doch giebt es auch brillante Ausnahmen.

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Nach diesen Erhebungen schliesst L., dass die Paralyse nicht eine Krankheit von Aussen kommend sei, wie Scharlach oder Variola, sondern nur das letzte Wied einer langen Kette von Vorbereitungen. Zander.

18) Des troubles psychiques dans la periode praeataxique du tabes d’ori- gine syphilitique, par A. Fonrnier. (L’Encöphale. 1884. No. 6.)

Ausser den verschiedenartigsten Gehirnsymptomen können auch psychische Stö- rungen bei der Tabes vor Beginn der eigentlichen Ataxie auftreten, indem sie dann gerade den ersten Ausbruch der Krankheit markiren. Diese Symptome, bestehend in allmählichem Einschlafen der Intelligenz bis zur völligen Lähmung aller psychischen Bewegungen, können in der Folge wieder völlig verschwinden, ähnlich den auch nur provisorischen Bewegungsstörungen der präatactischen Periode, sie können aber auch permanent bleiben. Häufiger ist es, dass nicht die psychischen Symptome die Scene’ eröffnen, sondern dass sie erst dann auftreten, wenn die Tabes sich schon durch andere ihr eigenthümliche Zeichen manifestirt hat, obwohl noch die Ataxie fehlt. Als solche psychische Symptome führt F. an, Abschwächung des Gedächtnisses bis zur völligen Amnesie, Umänderung des Charakters, der Stimmung und Gewohnheiten, moralische Verirrungen, Abschwächung der gesammten Intelligenz bis zum terminalen Blödsinn. Nicht selten vereinigen sich alle Symptome von Hirnsyphilis mit den Er- scheinungen der Tabes, und es entsteht dann das von Fournier als syphilitische Pseudoparalyse beschriebene Krankheitsbild. Zander.

Therapie.

19) Traitement de la nevralgie sciatique par la congölation, par Debove. (Soc. mödicale des höpitaux; s6ance du 8. Aottt 1884. Progr. möd. No. 34.)

Mittelst eines besonderen Zerstäube-Apparates applicirte D. eine Kältemischung von Methyl-Chlorür in der Gegend des Ischiadicus-Austritts und an den „Schmerzens- punkten‘ des Nerven so lange, bis er an den betreffenden Hautpartien eine Temperatur von kaum 23° erzielte. Diese Procedur, ziemlich lange, doch nicht bis zur Vesi- cation fortgesetzt, soll augenblickliche Beruhigung, in manchen Fällen auch definitives Verschwinden der Schmerzen zur Folge gehabt haben. Laquer.

Forensische Psychiatrie.

20) Misdea, pei Prof. Lombroso e Bianchi. (Arch. di psichiatr. science pen. etc. 1884. V. p. 381.)

Die Verff., der ausgezeichnete Gründer der criminellen Anthropologie in Italien und einer seiner Schüler, behandeln in einem längeren Aufsatz den viel besprochenen Fall „Misdes“. Misdea, ein junger Soldat, hatte bekanntlich ohne entsprechende Veranlassung mehrere seiner Kameraden und Unterofficiere in Zeit weniger Mimuten in der gemeinsamen Kasernenstube erschossen und wurde später standrechtlich füsiliert. Die Verff. weisen nın in nach Ansicht des Ref. überzeugender Weise nach, dass der ausserordentlich reizbare und schwer hereditär belastete Mann, der ausser- dem hochgradiger Potator war, an Epilepsie und besonders an sehr häufigen und sicher beobachteten epileptischen Schwindelanfällen litt, und dass er jene fast motiv- losen Mordthaten in einer als Aequivalent zu betrachtenden Geistesstörung verübt hat. Abnormitäten und Asymmetrie des Schädelbaues und viele andere Symptome waren nachweisbar, die für den Typus des „Delinquente nato“ charakteristisch sind.

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Der 1. c. p. 402 mitgetheilte Stammbaum des Misdea ist in Hinsicht auf psycho- pathbische Belastung vielleicht einzig in seiner Art. Trotz alledem wurde Misdea zum Tode verurtheilt und hingerichtet. Sommer.

IIL Aus den Gesellschaften.

In der Sitzung der Berliner medicinischen Gesellschaft vom 7. Jan. d. J. stellte Remak eine partielle Radisalisparalyse, beschränkt auf den Extensor communis, die Extensores proprii digitorum und den Abductor pollicis longus mit den elektrischen Kriterien einer schweren traumatischen Lähmung bei einer Patientin vor, welche diese Lähmung nach subcutanen Astherinjectionen in die Streck- ‚seiten beider Vorderarme im Coma einer Kohlenoxydvergiftung zurückbehalten hatte. RB. schliesst aus, dass diese Lähmung von der CO -Intoxication abhängig zu machen ist, weil er vor 3 Jahren bereits einen ganz analogen Fall (nur dass der M. indicis verschont war) bei einer Frau beobachtet hat, welche wegen drohender Chloroform- aspbyxie ebenfalls subcutane Astherinjectionen in die Vorderarme bekommen hatte. Letzterer Fall braucht 4 Monate von der Injection ab zu seiner Wiederherstellung. Es handelt sich nach R. um einen besonders deletären Einfluss des Aethors auf die peripherischen Nerven, speciell in diesem und in ganz analogen, von Arnozan beschriebenen Fällen auf den Ramus profundus des N. radialis nach der Durchbohrung des M. supinator brevis. Wahrscheinlich ist die Fascis antibrachii angestochen.

Ueber Neuritis degenerativa in Folge von Aetherinjectionen erwähnt R. vom Ischiadicus Erfahrungen von Charpentier und Barbier.

In der sich daran anschliessenden Discussion erwähnt Mendel, dass er soeben einen ganz ähnlichen Fall behandelt habe. Derselbe betrifft eine 37jährige Frau, der wegen einer bei der Entbindung (Querlage) eingetretenen Uterusblutung, die Puls- losigkeit berbeiführte, auf der Streckseite des rechten Vorderarms eine Aetherinjection gemacht worden war. Bald darauf Schwellung der Injectionsstelle, dann allmähliches Schwächerwerden des Arms, so dass es ihr unmöglich wurde, Gegenstände zu fassen oder zu halten, taubes Gefühl im ganzen Unterarm wie der Hand. Die Untersuchung ergab Lähmung der Extensoren des 3. und 4. Fingers, Herabsetzung der Sensibilität in dem betreffenden Bezirk; die rechte Hand und der Vorderarm in seinem unteren Drittel fühlten sich kälter an, als links. Die elektrische Untersuchung ergab keine Entartungsreaction, wohl aber Herabsetzung der galvanischen wie faradischen Erreg- barkeit. Die Heilung erfolgte in 3 Wochen. M.

Berlin, 25. Januar 1888. Sehr geehrter Herr College!

Durch einen in der Grossstadt nicht allzuseltenen Zufall habe ich seit einigen Wochen Gelegenheit, den von unserem Collegen Eulenburg in Ihrem geschätzten Blatte als einen Fall von Hypertonia musculorum pseudohypertrophica (1884. Nr. 17) beschriebenen Kranken öfters zu sehen und zu untersuchen.

Von der durch E. beschriebenen Muskelsteifgkeit ist zur Zeit nichts mehr wahrzunehmen; es ist leicht möglich, dass sich dieses Symptom durch eine fortgesetzte Behandlung im Laufe der Monate gebessert bezw. verloren hat. Da nun aber auch neben den pseudohypertrophischen deutlich atrophische Muskeln sich finden, ferner auch die von Eulenburg zur Zeit seiner Untersuchung vermissten Knie- phänomene sich beiderseits, wenn auch nicht leicht, so doch deutlich hervorrufen

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lassen, so kann ich Collegen Eulenburg, wie ich ihm dies auch selbst mit- gotheilt habe, nicht beistimmen, wenn er den in Bede stehenden Fall der sog. Thomsen’schen Krankheitsgruppe zugehörig betrachtet. Es ist das hier vorliegende Leiden keine schwere, centrale (intramedullär bedingte) Neuropathie, sondern es gehört nach meiner Meinung zu den Formen derjenigen Muskelleiden, die man als Dystrophia musculorum progressiv, um einen von Erb gewählten Namen zu ge- drauchen, bezeichnen kann.

Die ausführliche Beschreibung des Falles und die Begründung meiner Ansicht behalte ich mir für eine spätere Zeit vor.

Mit bestem Gruss und vorzüglicher Hochachtung Ihr Martin Bernhardt.

Entgegnung.

In einem Referate dieses Blattes vom 15. December 1884 8. 558 erfährt eine Abhandlung von mir „Ueber Neurasthenie und Hysterie“ (s. Deutsche Med. Ztg. 1884. Nr. 37—39) durch Herm Hadlich wiederholten Tadel.

Das betreffende kurze Referat geht in seiner Kritik wenig auf meine Anschauungen und Auseinandersetzungen ein, sondern äussert sich einfach absprechend über die Arbeit. Herr H. erwähnt, dass Neurasthenie und Hysterie in einen Topf geworfen sei. Er bemerkt missfälig, dass ich in der Einleitung anführe, beide Affectionen seien nach ihrem Wesen vollständig zusammen- gehörig, indem er sagt, dass wir das eigentliche Wesen derselben gar nicht kennen. Dieser Tadel hängt also hauptsächlich an dem Worte Wesen. Ueber das Wesen einer Neurose wird man natürlich aus ihren Erscheinungen Schlüsse ziehen können. Identität der Erscheinungen lässt aber identisches Wesen voraussetzen. In diesem Sinne schrieb ich die Abhandlung, deren Inhalt ich um so ruhiger dem Urtheile der Leser überlasse, als mir die Zustimmung durch Zuschriften von maassgebender Seite zeigt, dass ich mit meiner Meinung nicht allein stehe.

Ebenso überlasse ich die Berechtigung der Ausdrücke des Herrn H.: „Verstösse gegen strengere wissenschaftliche Forderungen“ dem Urtheile des Publikums, dem ja der Inhalt der betreffenden Arbeit jederzeit zugänglich ist.

Herr H. bemerkt zum Schluss: „Wenn Verf. der psychischen Behandlung eine ziemlich grosse Bedeutung beimisst (dadurch erreichte Sistirung von Krämpfen etc.), so erklärt sich dies vielleicht daraus, dass Verf. auf die Trennung simulirter Vor- kommnisse von wirklichen neuropathischen Zuständen nicht das erforderliche Gewicht in dieser Schrift wenigstens zu legen scheint.‘

Bezüglich dieses Ausspruchs erwähne ich, dass bei Hypochondrie und Hysterie die psychische Behandlung überhaupt als ein mächtiges therapeutisches Hülfsmittel von allen Autoritäten anerkannt ist. Dass Krämpfe und zwar nicht simulirte unter Umständen dadurch zu corrigiren sind, dass man den Kranken unterweist, hemmende Einflüsse gegen die Anfälle durch festes Einsetzen der Willenskraft hervor- zurufen, babe ich in meiner Arbeit „Ueber psychische Therapie motorischer Störungen der Hysterie“ bewiesen. S. Berl. klin. Wochenschr. 1880. Nr. 30.

San.-Rath Dr. Richter, Besitzer der Wasserheilanstalt Sonneberg i. Th.

Ich habe auf obige „Entgegnung“ nur zu bemerken, dass es doch nicht „ein- fach absprechend“ genannt werden kann, wenn ich sage (8. d. Ctrlbl. 1884. S. 558): „wir können mancherlei Gutes von der Schrift sagen, die eine ausführliche Berück- sichtigung der Symptome giebt und namentlich einen maassvollen, verständigen thera- peutischen Standpunkt einnimmt“. Ich habe ferner keineswegs die Berechtigung

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der psychischen Therapie überhaupt bestritten, sondern nur darauf hingewiesen, dass der Herr Verf. in dieser Beziehung etwas zu weit zu gehen scheint, und hierfür kann ich ihm gleich noch einen Belag anführen auf S. 54 seiner Schrift, wo er sagt: „es gehört also zu diesen (nämlich den psychischen) Einwirkungen eine methodische Erziehung und Umstimmung der Willenskraft, oder eine Umgestal- tung der Organe der Willensleitung (!), oder beides“; oder wenn der Herr Verf. (8. 29) anräth, dass der Arzt in den Fällen, „wo die Vernunft über der Krankheit stehen kann, sich nicht geniren darf, mit hoher Energie, ja mit psychischen Shocks zu arbeiten, damit die intensive Unvernunft durch den gegentheiligen Shock ausgetrieben werde“. Hadlich.

IV. Bibliographie.

Zur Einleitung in die Elektrotherapie, von Dr. C. W. Müller. (Wiesbaden 1885. Verlag von J. F. Bergmann. 176 Seiten.)

Wir besitzen in Deutschland aus den letzten Jahren zwei ausgezeichnete Hand- bücher der Elektrotherapie, von Erb (1882) und von Rosenthal-Bernhardt (1884). Das jüngst erschienene Buch von C. W. Müller in Wiesbaden gehört nicht zu den systematischen Lehrbüchern, sondern es behandelt in eingehender Darstellung eine Reihe der wichtigsten Kapitel aus dem Gebiete der Elektrotherapie. Der bedeutsame und originelle Inhalt des Werkes, voll neuer für die elektrotherapeutische Praxis principiell wichtiger Gesichtspunkte, zeigt auf den ersten Blick, dass es auf dem Boden strenger physikalischer Vorbildung und ausgedehnter praktischer Erfahrungen gereift ist. Jedem die Elektrotherapie ausübenden Arzte wird das sorgfältige Studium des Buches eine wissenschaftliche Grundlage gewähren und auch der langjährige Specialarzt wird die Arbeit mit vollem Interesse, wenn auch nicht ohne jeden Wider- spruch, aus der Hand legen.

Das Buch zerfällt in zwei Theile, von welchem der erste sich mit der Noth- wendigkeit, Möglichkeit und den Bedingungen einer sicheren Strommessung beschäftigt. Die Hülfsmittel zur sicheren Dosirung der zu wählenden Stromstärke waren bis in die jüngste Zeit noch äusserst mangelhaft. Auch das im Jahre 1879 von Gaiffe construirte absolute nach Milli-Weber graduirte Horizontal-Galvanometer erwies sich als unbrauchbar und das Edelmann’sche sogenannte Taschen-Galvanometer als un- genügend. Die Abhängigkeit des Horizontal - Galvanometers vom Erdmagnetismus besteht auch beim Vertical-Galvanometer; sie wird aber bei diesem ausgeschaltet, wenn sich die Ebene der Nadel in der auf der erdmagnetischen Meridianebene senk- recht stehenden Ebene, also in der senkrechten Ebene von Osten nach Westen, be- findet. Die Vertical-Galvanometer brauchen nur absolut nach Milli-Weber graduirt zu werden, während die Nadeln in der senkrechten Ost-West-Ebene schwingen, um sämmtlich unter einander vergleichbar zu sein.

Durch das neuerdings von Hirschmann construirte absolute astatische Vertical-Galvanometer dessen Hauptwerth in der Verwendung eines asta- tischen Nadelpaars zur Neutralisirung des erdmagnetischen Einflusses besteht ist endlich die erforderliche Sicherheit der Strommessung erreicht. Zahlreiche praktische Versuche illustriren diesen ersten Theil des Buches.

Der zweite Theil handelt in erster Reihe von der für die elektrotherapeutische Praxis zu verwendenden Stromstärke und der präciseren Bestimmung derselben in der Form eines einfachen mathematischen Ausdrucks für die Stromdichte. Von dieser hängt vielleicht zum grossen Theil die ganze Heilwirkung ab. Die Gleichung

D =; besagt, dass bei gleichem Querschnitt (Q) die Dichte D direct der Strom- stärke J proportional ist und dass bei gleicher Stromstärke sich die Dichte dem

2 596 Fe

Querschnitt umgekehrt proportional verhält. Man muss also die betreffende Strom- menge auf einer Fläche von bestimmtem Quadratinhalt in den kranken Theil ein- führen. Als Gesetz für eine gewisse mittlere für die Mehrzahl der Fälle zu empfehlende

Stromdichte fand Müller, indem in der Gleichung D =; die Eugen Jin

Mii-Weber, der Q in Quadratoentimetern bestimmt wurde: D = 2 = nn

d. h. soviel Mal die Rheophorenfläche 18 Quadratcentimeter enthält, so viel Milli-Weber Stromstärke sind erforderlich oder für die Mehrzahl der elektrotherapeutisch behandelten Fälle erweist sich der Durchschnittswerth einer Stromdichte von !/,, als am geeignetsten. Dieser an und für sich sehr geringe Stromstärkegrad muss aber bei gewissen functionellen Nervenleiden (Hysterie, Neu- rasthenie, Spinalirritation) und auch bei manchen durch anatomische Veränderungen bedingten Krankheitsfällen noch wesentlich herabgesetzt werden. „Leve, breve, saepe“ ist das elektrotherapeutische Glaubensbekenntniss des Verfassers. Nicht nur eine geringe Stromdichte („Princip der schwachen Ströme“), sondern auch eine ausser- ordentlich kurze Stromdauor 20 Secunden bis höchstens und ausnahmsweise 1—3 Minuten (,„Prineip der kurzen Stromdauer“) und eine continuirliche elek- trische Behandlung, event. mehrere Jahre lang, mit nicht zu langen Pausen (,„Princip der häufigen Stromanwendung“) sind die Fundamentalbedingungen der von Müller seit vielen Jahren erprobten Methode, „das Hauptgeheimniss und der oberste Grund- satz aller Elektrotherapie“. Hier beginnt unser Widerspruch.

Obwohl Benedikt in Wien bereits vor fast zwei Decennien im Allgemeinen die schwachen und kurz dauernden Ströme bevorzugte und wohl allen mit Elektro- therapie sich beschäftigenden Aerzten die Regel von Beard und Rockwell be- kannt ist: „Lieber viel zu wenig, als ein wenig zu viel“, so dürfte wohl Müller mit seiner, ich möchte fast sagen, homöopathischen in ausgezeichnet exacter Form angewandten Heilmethode fast allein stehen. Den casuistischen Beweisen für diese Methode stebt doch die grosse Zahl therapeutisch günstiger Erfahrung gegenüber, die viele andere Aerzte mit anderen Methoden zu verzeichnen haben. Der Müller’sche Satz, dass, selbst wenn eine geringere Stromdichte nur dasselbe leistete und nicht mehr als eine grössere, so wäre doch im Interesse des Allgemeinbeflndens und auch mit Rücksicht auf die Möglichkeit, eine Kur ohne die geringsten Nachtheile länger fortsetzen zu können, die geringere Stromdichte vorzuziehen, dürfte doch gerechtes Bedenken erwecken, da es doch auch von wichtigster Bedeutung für den Kranken ist, in möglichst kurzer Zeit hergestellt zu werden. Etwas höhere Stromstärke und längere Sitzungsdauer werden doch zweifellos fast immer ohne die geringsten Nach- theile vertragen und ob gerade die Müller’sche Behandlungsmethode das Heilziel am sichersten und besten erreicht, ist doch noch mindestens eine offene Frage. Die Bemerkung, dass die Elektricität ein so souveränes Heilmittel ist, dass es gewiss auch oft genug gelingt, diesen oder jenen Fall mit höheren Stromstärkegraden, als sie den Müller’schen Regeln entsprechen, günstig zu beeinflussen, kann unmöglich genügen. Hier stehen aber Erfahrungen gegen Erfahrungen. Patienten, die sich jahrelang einer elektrischen Behandlung unterziehen, gehören gewöhnlich zu den seltenen Ausnahmen, obwohl ich das von Müller über die Nothwendigkeit protra- hirter Curven bei chronischen Leiden bereitwillig unterschreibe Hinsichtlich der „polaren Methode“ (Brenner) spricht sich der Verf. bei aller Anerkennung der- selben für die Elektrodiagnostik ablehnend aus: Der elektrotherapeutische Erfolg hängt nicht von der specifischen Polwirkung, sondern von dem Grade der Stromdichte auf der ganzen Strecke des durchflossenen kranken Körpertheils und von der Strom- dauer ab. Wegen zahlreicher elektrotherapeutischer Details und der vielfach inter- essanten casuistischen Beiträge müssen wir auf das Original verweisen. Die Ver- werfung jeder peripheren elektrischen Behandlung ist etwas gar zu „radical“. Und

6 ;

wenn bei verschiedenen Neurosen (Tic douloureux, Ischias etc.) erst nach monate- langer centraler Behandlung die Heilung zu Stande kommt, mit welchem Recht soll da die Möglichkeit einer Naturheilung ausgeschlossen bleiben? Sind denn unsere Diagnosen hinsichtlich der centralen Localisation in jedem Falle so über allem Zweifel erhaben? Ich erinnere hier nur u. A. an die erst aus den letzten Jahren uns be- kannte multiple Neuritis. Den Fall von progressiver Muskelatrophie, der nach drei- jähriger centraler Galvanisation (der Halsanschwellung und der Lendenanschwellung) fast zur Heilung gelangte, halte ich trotz des elektrotherapeutisch interessanten Besultats nicht für eine echte spinale progressive Muskelatrophie, sondern für ein multiples Muskelleiden im Gefolge einer acut fieberhaften Krankheit (Typhus?). Der darch eine jahrelang ausdauernde centrale Behandlung erreichte Erfolg bei einem: fast 40jährigen Muskelleiden (Pseudo-Hypertrophie der Muskeln) verdient die: grösste Beachtung und die auf Grund des therapeutischen Effects ausgesprochene: Auffassung des Leidens (welches bekanntlich nach dem anatomischen Befund eine reine Myopathie darstellt) als einer ursprünglich, wenn auch nur functionellen Spinal- krankheit (der vasomotorischen, resp. trophischen Centren) ist eine nicht unberechtigte Hypothese. Neuerdings hat ja Erb eine analoge Auffassung für die multiple Neuritis ausgesprochen.

Alles in Allem verdient das Buch die allgemeinste Verbreitung, insbesondere erscheint eine sorgfältige und ernstliche Nachprüfung der eigenthümlichen Behandlungs- methoden angezeigt. Die Diction ist ausgezeichnet, klar und leicht verständlich, die Ausstattung tadellos. Berger (Breslau).

V. Personalien.

In Frankfurt a. M. starb am 3. d. M. Professor Lucae, 70 Jahr alt. Seine Verdienste um die Schädelmessung, seine Arbeiten über die „Architectur des Menschen- schädels“ und über die „Suturs transversa squamae occipitis“ u. a. sichern ihm auch in der Neurologie ein dauerndes Andenken. M.

VI. Vermischtes.

Die Cholera in Italien. Auch eine Irrenanstalt ist in der letzten Cholersepidemie nicht verschont geblieben. Soweit bis jetzt bekannt geworden, sind in der Provinzialanstalt Colorno bei Parma 15 Erkrankungen mit 10 Todesfällen vorgekommen. Ueber den weiteren Verlauf dieser localen Epidemie kann freilich erst später berichtet werden; der Director Dr. Focchi konnte der medicinischen Fachpresse bisher nur über die erste Woche seit dem Ausbruch der Cholera genauere Nachrichten zukommen lassen. Erwähnenswerth ist indess schon jetzt der Weg, auf dem die Cholera in die Anstalt trotz ihrer isolirten Lage einge- drungen zu sein scheint. Zu einem Bau auf dem Anstaltsterrain wurde das Wasser aus. einem Flusslaufe geschöpft, der vorher einen Theil der Stadt Parma durchfliesst und in den zahlreiche Abtritte direct einmünden. Da nun in jenem Stadttheil die Cholera bereits seit längerer Zeit herrschte, so ist die Möglichkeit nicht zu leugnen, dass mit dem Wasser De. jectionen und Bacillen weiter fortgeführt worden seien. Der erste Irre, der in der Anstalt erkrankte und der nach nur 11 Stunden als erstes Opfer erlag, war aber bis zur Erkrankung bei jenem Bau als Gehülfe beschäftigt worden, und es liegt daher nahe, die Infection auf

einen (übrigens vorher verbotenen) Trunk aus dem Wassereimer zurückzuführen. Sommer.

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Vsır & Cour. in Leipzig. Druck von Marscun & Wırrıe iv Leipzig.

NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Dritter DRIN Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

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1885. 1. März.

Na: 5.

Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Ueber die Verbindungen der Hinterstränge mit dem Gehirn, von Prof, Paul Fiechsig. 2. Ueber die hintere Commissur des Gehirns, von Dr. L. von Darkschewiisch. 3. Vorläufige Mittheilung über den Ursprung des Nervus acusticus, von Prof. Dr. Aug. Forel.

il. Referate. Experimentelle Physiologie. 1. Experimentelle Untersuchungen über das Kniephänomen, von Schreiber. Pathologische Anatomie. 2. Sur la nature cadavsrique de quelques lesions des centres nerveux, par Baillarger. 8. Ein Grosshirn- schenkelherd mit secundären Degenerationen der Pyramide und Haube, von Schrader. Pathologie des Nervensystems. 4. Ein Fall von centraler Gliomatose des Halsmarkes, von Remak. 5. zupegie iale införienre gauche, öpilepsie hömiplögique gauche, mort, autopsie, difficultes de diagnostic avant et apres la mort, par Landouzy et Siredey. Psychiatrie. 6. Ueber die Störung in der Fähigkeit des Lesens bei progressiver Paralyse, von Rabbas. 7. Zur Lehre vom epileptischen Irresein, von Fischer. Therapie. 8. Zwei Fälle heilsamer Einwirkung acuter Infeotionskrankheiten auf motorische Neurosen, von Ry- balkin. 9. Ueber Hyoscyamin bei Alcoholismus. Forensische Psychiatrie. 10. Eine Bemerkung üicer Dr. Badik’s Eintheilung von Verbrechern in 4 Typen, von Stadfeldt.

ill. Aus den Gesellschaften.

IV. Bibliographie.

V. Vermischtes.

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I. Originalmittheilungen,

1. Ueber die Verbindungen der Hinterstränge mit dem Gehirn. Von Prof. Paul Flechsig.

Die in der letzten Nummer dieses Blattes enthaltene Mittheilung von Enınser „Zur Kenntniss des Verlaufes der Hinterstrangfasern in der Medulla oblongata und im unteren Kleinhirnschenkel“, in welcher auch meiner Publi- cationen über diesen Punkt Erwähnung geschieht, veranlassen mich zu nach- folgenden Bemerkungen.

In meinem „Plan des menschlichen Gehirns‘ steht die graphische Dar- stellung der fraglichen Verhältnisse mit den Erläuterungen im Texte nicht vollkommen im Einklang. Auf der Tafel lasse ich „der Einfachheit halber‘ die

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Fasern der Hinterstränge, welche in die Oblongata übergehen, sämmtlich in Verbindung treten mit den Kernen der zarten (Gour’schen) und (BurpAca’schen) Keilstränge. Aus diesen gehen nach oben folgende drei Bahnen resp. Linien hervor:

1) aus dem Kern der (Burpacon’schen) Keilstränge

a) eine zur Formatio reticularis, b) eine gegen die grosse Olive ziehende, welch’ letztere hier aber nicht endet, sondern innerhalb der Olive nach oben verläuft und schliesslich in die Schleifenschicht gelangt.

2) Von dem Kern des zarten (Goun’schen) Strangs verläuft eine Linie, der unteren Pyramidenkreuzung nach oben anliegend, an die hintere Umgebung der Pyramiden bez. zur Schleifenschicht. Von besagter Linie zweigt sich alsbald eine andere (fein punktirte) ab, welche sich der sub 1b erwähnten anschliesst.

Diese Darstellung nähert sich, wie ich mich neuerdings insbesondere an von Herrn Dr. von BECHTEREw in meinem Laboratorium gefertigten Prä- paraten vom älteren Foetus überzeugt habe, dem wirklichen Sachverhalt weit mehr als die Erläuterungen im Text meines „Plans“. Hier ist die Möglichkeit noch offen gelassen, dass einerseits Fasern der Hinterstränge mit den grossen Oliven, andererseits die grossen Oliven mit der Schleifenschicht zusammenhängen was meines Erachtens beides angesichts der am foetalen Organ vorliegenden Bilder nicht haltbar ist. Die grossen Oliven haben weder mit den Hinter- strängen noch mit der Schleifenschicht irgend welche ausgiebigen Verbindungen. Sie stehen allerdings durch ein ziemlich umfangreiches Faser- bündel mit dem Grosshirn in Verbindung; dasselbe verläuft aber in der Oblon- gata nicht, wie man bisher so ziemlich allgemein angenommen hat, an der medialen Seite der grossen Oliven, also in der Olivenzwischenschicht, sondern liegt den Oliven aussen und hinten an. Herr Dr. von BECHTEREW wird in Bälde über dieses Bündel nähere Mittheilung machen. Der zwischen den grossen Oliven gelegene Raum enthält, abgesehen von dem am weitesten dorsal, in der Gegend der äusseren Nebenoliven gelegenen, bereits zur Formatio reti- cularis gehörigen Abschnitt, ausschliesslich Fasern, welche aus der oberen Pyramidenkreuzung bez. aus den Kernen der zarten und (Burnacn’schen) Keil- stränge hervorgehen.

Bei dem Versuch, die Frage bezüglich des Zusammenhanges von Hinter- strängen und grossen Oliven auf dem Wege der entwickelungsgeschichtlichen Untersuchung zu lösen, ist folgendes zu beachten.

Die unter dem Namen „obere Pyramidenkreuzung“ zusammengefassten Bündel, welche ich früher irrthümlich als eine entwickelungsgeschichtliche Ein- heit aufgefasst habe, zerfallen auf Grund der successiven Markumhüllung in mehrere wohlgesonderte Abtheilungen. Sehe ich zunächst ab von sehr frühzeitig (bereits bei ca. 25 cm langen Foetus) markhaltigen Zügen, welche der vorderen Commissur des Rückenmarkes entsprechen bez. angehören und welche meist zwischen Bündel der unteren Pyramidenkreuzung eingeschoben sind so ent- hielt die obere Pyramidenkreuzung mindestens noch zwei verschiedenwerthige Systeme:

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1) Ein bereits bei ca. 28 om. langen Foetus markhaltiges, dessen Fasern sich (wie die Bündel der Pyramiden-Seitenstrangbahnen) meist annähernd recht- winklig kreuzen. Die sagittale Ausdehnung der von diesem System gebildeten Kreuzungen ist grösser als die der sub 2) zu erwähnenden; erstere überragen letztere sowohl nach dem Gehirn, als nach dem Rückenmark zu. Die Fasern der frühzeitig markhaltigen Kreuzung gehen ausschliesslich aus den BurpacH’schen Keilsträngen bez. deren Kernen hervor und gelangen nach Ueberschreitung der Mittellinie theils in die Formatio reticularis, theils in die Olivenzwischenschicht (von hier aus schliesslich in die Schleifenschicht der Brücke etc., worüber Herr Dr. vox BEouterew nähere Mittheilungen machen wird). Einen Theil dieser Fasern hat Epmerr in der letzten Nummer dieses Blattes abgebildet, unter dem Hinweis, dass sie mit den grossen Oliven nicht zusammenhängen was ich bestätigen kann. Der in der Formatio reticularis endigende Theil, welcher be- sonders in den der unteren Pyramidenkreuzung unmittelbar anliegenden Ebenen stark entwickelt ist, ist EpmeEr entgangen; ich muss an seiner Existenz aber entschieden festhalten.

2) Ein erst bei ca. 43 cm. langen F'oetus, also gegen Anfang des 9. Schwanger- schaftsmonats markhaltig werdendes System, dessen Bündel sich mehr spitz- winklig kreuzen. Diese Kreuzung ist massiger, so dass sie weit mehr der un- teren Pyramidenkreuzung gleicht, als die oben sub 1) verzeichneten Kreuzungen und sie ist es vornehmlich, welche von den Autoren als „obere Pyramiden- kreuzung“ beschrieben wird. Die hier in Betracht kommenden Fasern gehen ganz überwiegend, wenn nicht ausschliesslich hervor aus den Kernen der zarten Stränge und gelangen nach Ueberschreitung der Mittellinie in die Olivenzwischen- schicht, deren Hauptbestandtheil (mindestens ca. ?/,) sie bilden. Sie biegen hier ganz überwiegend in die Längsrichtung um und verlaufen durch die Schlei- fenschicht zum Grosshirn (vergl. hierüber die Mittheilungen von BEOH- TEREW’S).

Nur bei Foetus, wo auch das hier in Rede stehende System markhaltig ist, lässt sich die Frage entscheiden, ob keines der aus den Hintersträngen hervorgehenden, in die grossen Oliven eintretenden Faserbündel in letzteren vorläufig ende. Ob Enmerr derartige Foetus untersucht, vermag ich aus seiner Beschreibung nicht mit Sicherheit zu ersehen. Nach meinen Beobach- tungen an solchen ist der Zusammenhang der grossen Oliven mit den Fasern des Systems 2), also mit Fortsetzungen der Gout’schen (zarten) Stränge unwahr- scheinlich, indess nicht mit so grosser Sicherheit auszuschliessen, wie der Zu- sammenhang zwischen Keilsträngen und Oliven.

Ein Theil der in die Olivenzwischenschicht eingetretenen Bündel des ie tems 2) verlässt diese Schicht wieder, umgürtet bez. durchbricht die Pyramiden und setzt sich in Fibrae arcuatae externae anteriores fort, die sich dem Corpus restiforme beigesellen. Ich bin noch nicht sicher, dass diese Fasern, welche ich an einer von Herm Dr. von DARKSCHEWITSCH in meinem Laboratorium gefertigten Schnittreihe besonders deutlich gesehen habe, regelmässige Bil-

dungen darstellen. Si sind;offenhar identisch mit dem von Eomerr erwähnten

PB"

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„Kleinhirnzuwachs aus den Hintersträngen der gekreuzten Seite“. Insofern diese Fibrae arcuatae niemals vor dem System 2 markhaltig ber. sichtbar werden, sondern gleichzeitig Markscheiden erhalten, liefert die Entwickelungs- geschichte den Beleg, dass sie nicht mit den Buzpacn’schen Keilsträngen (meinen „Grundbündeln der Hinterstränge“), sondern nur mit den Gour’schen Strängen zusammenhängen können ein Beleg, der ohne Berücksichtigung der Zeit der Markscheidenbildung nicht zu erbringen sein würde, da die Fibrae arcuatae externae der Oblongata zahlreiche verschiedenartige Systeme repräsentire.

Epmerr erwähnt schliesslich noch einer ungekreuzten Verbindung der Gouu’schen Stränge mit dem Corpus restiforme bez. Kleinhirn. So deutlich ich diese annähernd gleichzeitig mit 2) markhaltig werdenden Fasern an Präparaten des Herr Dr. von DARKSCHEWITSCH gesehen habe, so schwierig erscheint mir der Beweis, dass sie wirklich die von Epmezr angenommene Bedeutung haben. Allerdings nöthigt die Verfolgung der Markscheidenbildung, im Corpus restiforme ausser der directen Kleinhirnseitenstrangbahn und den Fasern zu den grossen Oliven noch ein weiteres System anzunehmen, da nach der Zeit, wo erstere, und vor der Zeit, wo letztere markhaltig werden, im Strickkörper ein ziemlich mächtiger Zuwachs von markhaltigen Bündeln zu constatiren ist, welche viel- leicht den Kernen der Hinterstränge entstammen (gekreuzt und ungekreuzt); indess bin ich hierüber noch nicht völlig in’s Klare gekommen. Eine directe Fortsetzung von Fasern der Hinterstränge, insbesondere der BurpAck’schen Keilstränge in’s Kleinhirn ist sicher nicht vorhanden.

Hiernach setzen sich die Hinterstränge, wie dies auf meinem „Plan“ richtig dargestellt ist, in der Hauptsache zur Olivenzwischenschicht und in die Schleifenschicht (nicht untere Schleife) fort. Die sog. „obere Pyramiden- kreuzung‘“ der Autoren verdient thatsächlich den von WERNIOKE gewählten Namen „Schleifenkreuzung“, wobei indess zu berücksichtigen ist, dass neben den Schleifenfasern auch eine Anzahl andersartiger Bestandtheile (Formatio reticularis) in ihr enthalten sind. Die grossen Oliven aber sind nicht, wie MEYnerT u. A. annehmen, eingeschaltet zwischen Rückenmark (Hinterstränge) und Kleinhirn, sondern zwischen Kleinhirn und Grosshirn und haben überhaupt mit dem Rückenmark nichts zu schaffen.

2. Ueber die hintere Commissur des Gehirns. " Von Dr. L. von Darkschewitsch aus Moskau. (Aus dem Laboratorium von Prof. P. FLeonsıe.)

Die Untersuchung der hinteren Commissur an älteren Foeten mit Hülfe der Weıgert’schen Hämatoxylin-Methode ergiebt, dass dieselbe aus verschiedenen Fasersystemen besteht. Ein durch besonders frühzeitig (nach den Untersuchungen von Herrn Dr. von BEcHTEREw bereits bei ca. 23 cm langen Foetus) erfolgenden Eintritt der Markumhüllung ausgezeichnetes Stück, das ich als ventralen Theil

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der hinteren Commissur bezeichnen will, lässt einen von den mehr dorsal ge- legenen Bündeln abweichenden Verlauf erkennen. Die in der Mittellinie meist annähernd parallel verlaufenden Fasern desselben, welche demnach wohl eine wirkliche Commissur ! darstellen, senken sich seitlich, dem Aussenrand des oentralen Höhlengrau dicht angeschmiegt, mit nach vorn gerichteter Convexität herab zur Gegend der hinteren Längsbündel und verlieren sich theils zwischen den Fasern letzterer, theils in, einem Herd kleiner Ganglienzellen, wel- cher sich dem bekannten grosszelligen Oculomotoriuskern nach oben dicht an- schliesst. Dieser Verlauf ist noch am reifen Foetus mit grosser Deutlichkeit zu sehen, da auch hier (noch mehr aber beim jüngeren Foetus) die besagten Bündel der hinteren Commissur wie die hinteren Längsbündel durch ihre starken Mark- scheiden von allen benachbarten andersartigen Faserzügen sich scharf unter- scheiden. Da der erwähnte Herd kleiner Ganglienzellen („oberer Oculomotorius- kern“?) vielfach Verbindungen zeigt mit dem grosszelligen Oculomotoriuskern und den hinteren Längsbündeln, da feruer in letztere zahlreiche Oculomotorius- fasern direct übergehen, so steht der ventrale Theil der hinteren Commis- sur offenbar in naher Beziehung zu den motorischen Augennerven, speciell zum Nervus oculomotorius, worauf auch die frühzeitige Ent- wickelung (nach Dr. von BECHTERRw zuerst von allen Faserzügen an der Grenze von Mittel- und Vorderhirn) hindeutet. Die hinteren Längsbündel, welche unterhalb des Eintritts (Abgangs) der hinteren Commissur noch einen beträchtlichen Querschnitt zeigen, sind oberhalb auf spärliche Fasern reducirt, welche, wie es scheint, noch weiter nach oben durch den Zutritt von Fasern aus dem mehrerwähnten „kleinzelligen Herd“ wieder verstärkt werden und zum Theil eine im centralen Höhlengrau des III. Ventrikels gelegene, ihre Convexität ventral wendende Commissur (Kreuzungen?) bilden. Seitlich legen sich andere Fasern an, die in die Linsenkernschlinge bez. den Luxs’schen Körper übergehen. Die ventralen Bündel der hinteren Commissur unterscheiden sich durch ihre Entwickelung auch deutlich von den Fasern des „tiefliegenden Markes“ des vorderen Vierhügels. Diese erhalten weit später Markscheiden als jene. Im tiefliegenden Mark gehen die Fasern, welche zur fontaineartigen Haubenkreuzung ziehen, allen andern weit voraus, so dass es mit Hülfe der „entwickelungs- geschichtlichen“ Methode möglich erscheint, auch das tiefliegende Mark des vorderen Vierhügels in seine Componenten zu zerlegen.

3. Vorläufige Mittheilung über den Ursprung des Nervus acusticus. Von Prof. Dr. Aug. Forel in Zürich. Es ist mir nach vielen vergeblichen Versuchen gelungen, bei einem neu- geborenen Kaninchen, am 21. Mai 1880, durch Perforation des linken Felsen- ı Einzelne Faserbündelchen scheinen allerdings nach spitzwinkliger Kreuzung in der Mittellinie in den vorderen Vierhügel überzugehen.

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beines den Nervus acusticus nahezu vollständig zu zerstören. Andere, ähnlich operirte Thiere gingen, meistens unter beständigen Drehbewegungen um die Längsaxe ihres Körpers, zu Grunde. Jenes Kaninchen blieb aber fast 6 Monate (vom 21. Mai bis 12. November) am Leben. Es trug stets den Kopf horizontal gedreht, das rechte Auge und das rechte Ohr nach oben, das linke Auge und das linke Ohr nach unten gewendet, frass auch in dieser Lage. BReizte man es etwas, so verlor es das Gleichgewicht und drehte sich um seine Längsaxe von rechts nach links, indem die Beine der rechten Seite den Boden verloren.

Das in doppelchromsaurem Kali gehärtete Gehirn wurde nun kürzlich von Herrn med. pract. B. Onurkowıoz geschnitten und zeigte eine vollständige Atrophie der hinteren lateralen und eine partielle, aber bedeutende Atrophie der sogenannten vorderen und hinteren medialen Wurzel des Nervus acusticus.

Das Ergebniss ist kurz und soweit die Untersuchung reicht, folgendes:

1) Der Nerv. acusticus hat nur zwei deutlich verschiedene Wurzeln: a) die sog. hintere und b) die sog. vordere. Die mediale (medialwärts vom Corp. restiforme gelegene) Abtheilung der hinteren Wurzel gehört gar nicht zu der- selben; sie ist nur die caudale Fortsetzung der sog. vorderen Wurzel.

2) Die eigentliche, sehr mächtige hintere Wurzel ist vielfach von- Nerven- zellen durchsetzt (wie gangliös angeschwollen) und erschöpft sich zum Theil in diesen Zellen, zum grössten Theil aber in dem sog. vorderen Kern des Acusticus von Mevnxeerr (lateraler Kern der vorderen Wurzel von Krause, Nucleus acusti- cus lateralis und Nucleus acusticus inferior von HenLe, untere und obere Ab- theilung des vorderen Kernes von Hvavenın, Nucleus accessorius acustici von SCHWALBE). Dieser eigenthümliche Kern mit seinen dichten, zum Theil von besonderen Bindegewebshüllen umgebenen Ganglienzellen bildet eine Art Ana- logon eines Spinalganglions für den Acusticus. Er ist auf der Exstirpationsseite (links) nahezu vollständig verschwunden, d, h. atrophirt, sowie die hintere Wurzel . selbst und deren Zellen.

3) Die partiell atrophische vordere Wurzel, d. h. diejenige, welche, medial vom Corpus restiforme, in das Innere der Oblongata, scheinbar in den gross- zelligen sog. äusseren Acusticuskern sich zerstreut, scheint in das Kleinhirn, gegen die medialen Kreuzungen, ventral vom Wurm sich zu begeben, was aber wegen der Ueberhärtung und Abbröckelung des Kleinhirns leider nicht mehr nachweisbar ist. Ein Theil derselben geht vielleicht auch in den vorderen Kern um und durch das Corpus restiforme.

4) Der sogenannte innere Kern des Acusticus (Hauptkern von SCHWALBE), der sogenannte äussere (grosszellige) Kern desselben (Derrers’scher Kern von LAaurA und v. MonaXkow), die Fibrae arciformes der Oblongata, die hinteren Längsbündel, die Bindearme sind beiderseits vollständig gleich gut erhalten, zeigen keine Spur von Atrophie. v. Monaxow (Archiv für Psychiatrie. XIV. 1) hat schon auf anderem Wege nachgewiesen, dass der sog. Drrrsus’'sche Ken oder äussere Acusticus-Kern mit dem Acusticus nichts zu thun hat. Das Gleiche gilt nach dem Gesagten wohl auch (zunächst wenigstens beim Kaninchen) vom sog. inneren Acusticus-Kern (CLARKE, MEYNERT), von den angeblichen gekreuzten

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Wurzelfasern des Acusticus in der Raphe (Mrvnerr), von seinen angeblichen Verbindungen mit dem hinteren Längsbündel (MEYxerr) und wahrscheinlich auch von seinen angeblichen Beziehungen zum Bindearm (MenpeıL). Gegen Letztere spricht auch die Thatsache, dass bei einem anderen Kaninchen mit vollständig atrophischem rechtsseitigen Bindearm der rechte Acusticus genau so stark ist, wie der linke.

Das Nähere über diese Verhältnisse wird demnächst in einer Arbeit von Herrn B. Onurkrowıcz beschrieben werden.

I. Referate.

Experimentelle Physiologie.

1) Experimentelle Untersuchungen über das Kniephänomen, von Prof. Dr. Julius Schreiber. (Archiv f. experimentelle Pathologie u. Pharmacologie. Bd. XVIDO. 8. 270.)

S. beweist zunächst durch Versuche an Kaninchen, dass das „Kniephänomen“ keineswegs nur durch Beklopfen des Ligamentum präpatellare hervorgebracht werden kann, sondern ebenso deutlich auch durch eine mechanische Reizung der umgebenden Fascien, der Kniegelenkkapsel und sogar auch der Gelenkflächen. In Be- zug auf die Streitfrage, ob die hierbei eintretende Muskelzuckung die Folge einer directen Muskölreizung oder reflectorischen Ursprungs sei, erklärt sich 8. auf Grund seiner Untersuchungen entschieden zu Gunsten der Reflextheorie. Die specielle Art des Auftretens der Zuckungen und insbesondere die contralateralen Zuckungen lassen sich mit der Annahme blos mechanisch fortgepflanzter Erschütterungswellen nicht in Einklang bringen. Auch die Thatsache, dass die Quadricepszuckung trotz einer künstlichen Anspannung des Muskels nur bei gebeugter, aber niemals bei gestreckter Kniestellung zu Stande kommt, lässt sich nur durch die Reflextheorie erklären. Denn da die Reflexe „bekanntlich meistens den Charakter der Zweckmässigkeit an sich tragen, so ist es natürlich, dass die Reizung der Streckmuskeln ohne Wirkung bleibt, wenn die Streckung des Beines bereits passiv bewirkt ist.‘ Zum Schluss bespricht S. noch einmal die bereits früher von ihm gemachte Beobachtung, dass man bei manchen Individuen durch Frottiren der Vorderfläche des Unterschenkels das ab- geschwächte ° oder fehlende Kniephänomen verstärken resp. erst hervorrufen kann. S. glaubt, dass die hierbei stattfindende Reibung der Fascien und Ligamente schliess- lich durch Summation der Einzelreize den betreffenden Effect erzielt.

Strümpell.

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Pathologische Anatomie.

2) Sur la nature cadavsrique de quelques lösions des centres nerveux, par Baillarger. (Annales medico-psychologiques. 1885. Janvier.)

B. glaubt berechtigt zu sein, anzunehmen, dass die miliare Sclerose und die Adhärenz der weichen Häute vielleicht mit cadaverösen Erscheinungen zusammen- hänge. Wenn dieselbe in Frankreich so häufig gefunden wird, so kann das seiner Meinung nach vielleicht eine Folge der durch Reglement vorgeschriebenen Zeit sein, welche die französischen Aerzte verstreichen lassen müssen, ehe die Section statt- finden darf. Abweichende Befunde, z. B. in Deutschland, geben dem Verf. Veran-

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lassıng, in Frage zu stellen, ob die in vielen Fällen früher gemachten Sectionen nicht deshalb die Adhärenz der weichen Haut nicht aufwiesen.

Es wird besonders auf eine Arbeit von Schulz über artificielle Alterationen cadaverösen und pathologischen Ursprungs im Rückenmark Bezug genommen. (Neuro- logisches Centralblatt. 1883. S. 529 u. 553.) Jehn.

3) Ein Grosshirnschenkelherd mit secundären Degenerationen der Pyre- mide und Haube. Inaugural-Dissertation von Adolf Schrader. Halle 1884.

In der sehr fleissigen, unter Prof. Hitzig’s Leitung ausgeführten Arbeit be- richtete der Verf. über einen Fall von Encephalomalacie u einem Hauptherd im linken Hirnschenkel.

Frau T., geb. 1825, seit ca. 16 Jahren an RER Aufregungszuständen leidend und zuletzt das Bild der hallucinatorischen Dementia bietend, erlitt März 1880 einen apoplectischen Insult, der zu einer rechtsseitigen Hemiparese mit Sensi- bilitätsstörung, sowie zu Ptosis, Mydriasis und Pupillenstarre am linken Auge führte. Die Sensibilitätsstörung, die am Tage nach der Attacke eine vollständige ward, bildete sich in ca. 18 Tagen erheblich (aber nicht vollständig) zurück, während die Motili- tät Rückschritte machte. Während der ganzen Dauer der Hemiparese zeigten sich (bei wiederholt angestellten Messungen) erhebliche Temperaturdifferenzen zu Ungunsten der gelähmten Seite. Am 16. Mai werden linksseitige sehr schmerzhafte klonische Zuckungen (am Kopf und Arm) beobachtet, die bei intendirten Bewegungen sich bis- weilen steigern. Zwei Monate nach dem apoplectischen Anfall bildet sich Atrophie der ganzen rechten obern Extremität heraus, später geschieht dasselbe an der rechten unteren Extremität. Im September 1880 wird Schwäche in der linken unteren Ex- tremität wahrgenommen. Die am 8. November angestellte ophthalmoskopische Unter- suchung ergab vor Allem am rechten Opticus Atrophia circum papillam und Ein- schränkung des Gesichtsfeldes beider Augen. Vom 12. November an sieht Pat. mit rechten Auge nichts mehr. Im Februar 1881: Vorübergehende Steigerung der Läh- mungserscheinungen rechts, Parese des rechten Facialie. Rechts leichte Mydriasis und Ptosis, während Oculomotoriusparese links fast gewichen. Unter Zunahme der Contracturen auf der rechten Seite und Oedementwickelung Tod durch Pneumonie den 29. April 1881.

Section: Thrombotische Obliteration der linken Arteria foss. Sylvii. Atrophie des linken Lobul. supramarg. und angularis. Atrophie eines kleinen Theils der obersten linken Schläfenwindung, Erweichung des ganzen linken Hinterhauptslappens. Atrophie der linken inneren Kapsel, des Corp. striatum und des Linsenkerns. Im linken Hirnschenkel in der frontalen Ebene der Oculomotoriusfaserung ein fast durch die ganze Höhe des Crus reichender Herd, der nur ca. 1 mm unversehrte Substanz an der Basis übrig lässt. Auf der rechten Seite: Windungen an der Grenze des Schläfen- und Hinterhauptslappens erweicht und atrophisch; kleiner umschriebener Herd im oberen und mittleren Drittel der ersten Stirmwindung.

Die mikroskopische Untersuchung der zahlreichen durch Brücke und Medulla oblongata geführten Schnitte ergiebt: absteigende Degeneration der linken Pyramiden- bahn, die sich zum ganz geringen Theil auch zur Schleifenkreuzung begiebt (?); absteigende Degeneration der linken medial. Schleife und eines Fasergebietes, „das lateral von dieser gelegen inneres und äusseres Olivenmark, sowie eine von der grossen Olive dorso-laterale, in den tieferen Ebenen bis zur Peripherie reichende Zone um- fasst“; Endigung dieser beiden Dogenerationen theils im Gebiet der Kerne des Hinter- strangs (insbesondere des Fun. cun. Kerns) der rechten Seite nach vorausgegangener Kreuzung, theils im gleichnamigen Vorderseitenstrang ; endlich Zweitheilung der er- krankten medialen Schleife vom oberen Ende des Keilstrangkerns bis zur Schleifen-

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kreuzung. Atrophie der linken unteren Olive. Keine pathologischen Veränderungen in den Vorderhörnern des Rückenmarks.

Dieser Fall (der 6. bis jetzt publicirte mit abst. Schleifenatrophie), der sich vor Allem an den von Spitzka beschriebenen anschliesst, zeigt in Uebereinstimmung mit den Befunden Spitzka’s durch die Verlaufsrichtung der secundären Degeneration, dass im Schleifenareal der Medulla oblongata Fasern verlaufen, die als circuläre die Raphe kreuzen und in den Kernen der zarten und der Keilstränge der gegenüber- liegenden Seite endigen.! Leider wurde die mikroskopische Untersuchung der fron- talen und dorsalen vom Grosshirnschenkelherd gelegenen vorderen Haubengebiete (Regio subthal. u. dgl.) unterlassen, so dass der vollständige Ursprung der absteigenden Degeneration in der Medulla obl., die sich vom Pedunculusherd allein schwerlich ab- leiten lassen dürfte, nicht ganz klar ist. v. Monakow.

Pathologie des Nervensystems.

4) Ein Fall von centraler Gliomatose (Syringomyelie) des Halsmarkes, von Dr. E. Remak, Berlin. (Deutsche med. Wochenschrift. 1884. Nr. 47.)

Ein 40jähriger Schlosser bekam 1873 nach einer Pneumonie Schmerzen und taubes Gefühl im linken Arm. Nach einem Typhus im Jahre 1875 traten perma- nente Zuckungen im linken Vorderarme auf, die mit Eintritt von Atrophie in dem- selben nachliessen; doch konnte Pat. noch bis Ende 1883 arbeiten. Zu dieser Zeit bekam er einen Zoster cervico-brachialis sin. mit langdauernder Geschwürsbildung, und im Mai 1884 eine schmerzhafte Anschwellung des linken Schultergelenks.

Ende August 1884 constatirte R. eine mässige Atrophie des linken Vorderarms, eine bedeutende der linken Hand, die in allen Gelenken gebeugt ist. Beständige fibrilläre Zuckungen im Deltoideus, Biceps und Tricepe. Keinerlei Lähmung der Schultermuskeln, aber Flexion der Hand kraftlos, die Function der Handmuskeln sehr beschränkt. Die faradische Reizung der Nerven und Muskeln des Vorder- arms herabgesetzt, resp. nicht vorhanden, bei galvanischer Reizung EAR in den Interossei und im Daumenballen. Links ist in Schulter, Arm und Hand die Haut- sensibilität herabgesetzt, der Temperatursinn vollständig aufgehoben, auch an der linken Halsseite und am linken Ohrläppchen. Kniephänomen beiderseits gut erhalten.

Eine peripherische, neuritische Affection schliesst RB. aus, weil 1. die Sensibili- tätsstörungen weit über den Bereich der von degenerativer Muskelatrophie betroffenen Nervengebiete hinaus gehen; 2. die fibrillären Zuckungen in den nicht gelähmten und atrophirten Muskeln damit nicht erklärt würden.

R. nimmt deshalb einen chronischen spinalen Process an, der die linke Vorder- säule nur im unteren Theile der Halsanschwellung, die Hintersäule aber fast durch die ganze Halsanschwellung hindurch ergriffen hat. Hadlich.

5) Hömiplögie faciale införieure gauche. Epilepsie hömiplögique gauche, Mort. Autopsie. Difficultös de diagnostio avant et apres la mort. Par L. Landouzy et A. Siredey. (Revue de med. 1884. De6c. p. 984.)

Am 27. August 1884 wurde in die Charit6 ein 29jähr. Mädchen aufgenommen, welches ohne jede bekannte Ursache (keine Tuberkulose, keine Syphilis) seit einigen Monaten an Krampfanfällen in der linken Gesichtshälfte und im linken Arm litt.

ı Vgl. anch v. Monakow, Experimentelle Beiträge zur Kenntniss der Pyramiden- u. Schleifenbahn. Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1884. Nr. 6 u. 7.

106. 2

Bei der objectiven Untersuchung fand sich eine Parese des linken unteren Facialisgebietes und eine ganz unbedeutende Schwäche des linken Armes. Sensibilität normal. Am ganzen übrigen Körper nichts Bemerkenswerthes, ausser einem leisen präsystolischen Geräusche an der Herzspitze. Die oben erwähnten Krampfanfälle traten auch im Spital in grosser Heftigkeit und mit zunehmender Häufigkeit auf. Dabei stellte sich Fieber ein (bis 40°); wiederholt wurde nach den Anfällen eine conjugirte Abweichung des Kopfes und der Augen nach rechts beobachtet. Die Kranke wurde immer mehr benommen, unfreiwillige Harnentleerung stellte sich ein und am 31. August erfolgte der Tod.

Die Diagnose war auf „Jackson’sche Epilepsie“ gestellt worden. Man nahm eine Herderkrankung (Gumma?) in der rechten vorderen Centralwindung an. Dem gemäss hatte die Behandlung auch in einer Mercurialcur und in der Darreichung von Jodkalium, ausserdem in der Verordnung von Bromkalium bestanden.

Die Section ergab aber trotz genauester Untersuchung des Gehirnes (die Gegend der Centralwindung wurde auch mikroskopisch untersucht, sogar auf Bacillen) ein vollkommen negatives Resultat. Ausser einer leichten Röthung mancher Stellen konnte im Gehirn und ebenso auch im Rückenmark nichts Abnormes entdeckt werden. Unter diesen Verhältnissen bleibt der Fall auch nach der Section unaufgeklärt. Eine hysterische Affection kann wohl ausgeschlossen werden. Mög- licher Weise handelt es sich aber um eine Epilepsie, und zwar um einen wirklichen „Stat de mal“ mit halbseitigen Krämpfen. Die inneren Organe (Nieren etc.) waren ebenfalls normal; an dem Mitralostium fand sich nur eine ganz geringfügige Ver- engerung. Strümpell.

Psychiatrie.

6) Ueber die Störung in der Fähigkeit des Lesens bei progressiver Pare- lyse, von Dr. Rabbas. (Allg. Zeitschr. f. Psych. 1884. Bd. 41. H. 3.)

R. beschreibt die (auch schon von Andern bemerkte) Erscheinung bei Para- lytikern, dass sie beim Lesen die Worte nur zum Theil richtig vortragen, zum Theil Silben verändern, zum Theil aber auch ganz etwas Anderes lesen, als was dasteht, etwas, was mit dem übrigen Text oder auch mit sich selbst keinen Zusammenhang hat. Verf., welcher die psychologische Analyse absichtlich ausser Betracht lässt, beschränkt sich auf die klinische und praktische Seite der Sache.

Das Symptom findet sich durchaus nicht bei allen Paralytischen, sondern e8 fehlt bei vielen ganz, andere haben es nur zeitweise, es ist unabhängig von den Sprachstörungen und knüpft sich auch nicht an ein bestimmtes Stadium der Krank- heit. Andererseits fand R. das Symptom bei Blödsinn ohne Paralyse niemals, auch nicht bei andern Geisteskranken, endlich nicht bei den alten Insassen des Pfründner- hauses, Unter Umständen kann daher das Symptom diagnostisch wichtig sein.

Siemens,

7) Zur Lehre vom epileptischen Irresein, von Dr. Franz Fischer. (Arch. f. Psych. XV. 3.)

Verf. wendet sich gegen die zu weit gehende Ansicht Samt’s, dass das epi- leptische Irresein der Frauen als hystero-epileptisches dem epileptischen Irresein der Männer gegenüber gestellt werden müsse. Zu dem Zwecke giebt F. die Kranken- geschichten zweier Frauen, welche epileptisches Irresein ohne jede hysterische Bei- mengung boten. Auch F. betont, dass Hysterie mit Epilepsie sich sehr verschieden- artig combinire, so dass sich schwer in den Uebergangsformen der Antheil jedes Coöfficienten beurtheilen lässt, aber doch ist die Hysterie eine bestimmt abgegrenzte Krankheit. F. hebt hervor, dass es sich, wie Pick schon bemerkt, bei den Epilep-

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tikern um einen Intelligenzdefect handelt unter den Erscheinungen einer Moral in- sanity, d. h. es fehlen gewisse höhere allgemeine Begriffe und Gefühle, wozu noch die specifische Reizbarkeit kommt. Was Westphal von der Moral insanity sagt, nimmt F. auch für die Epileptiker in Anspruch: „Durch die verkehrten Handlungen, die sie auf Grund dieser Dofecte begehen, erscheinen die Pat. oft bösartig, leiden- schaftlich, während sie einer eigentlichen Leidenschaft gar nicht fähig sind. Was als Leidenschaft erscheint, sind augenblickliche Antriebe und Impulse, denen sofort nachgegeben wird.“ Darnach sind die Ausdrücke l’öpileptique dgoiste et au coeur sec difficile a vivre hystero-epilept. Canaillen (Legrand du Saulle, Falret und Samt’s) zu erklären. |

Die weiblichen Epileptiker übertreffen aber die Männer durch ein gewisses Raffinement in der Handlungsweise und durch das Hervortreten des sexuellen Factors.

In den Krankengeschichten handelt es sich um 2 weibliche Kranke, bei denen zwischen dem ersten Auftreten der epileptischen Krämpfe und der epileptischen Seelenstörung jahrelange Zwischenräume liegen. In der Anstalt kamen schwere epi- leptischo Krampfanfälle mit verschiedenartigen rudimentären Anfällen zur Beobach- tung, typische Beziehungen zwischen Menses und Anfällen treten nicht hervor, Brom- kali vermindert die Anfälle einmal nur vorübergebend, im andern Falle tritt bei Verminderung der Anfälle zugleich vermehrte Reizbarkeit auf, sowie längere Dauer des epileptischen Irreseins bis zu mehreren Wochen. In beiden Fällen treten trieb- artiges Handeln, sehr schwere und allgemeine. Bewusstseinsstörungen auf, und F. sieht in diesen die Grundlage des epileptischen Irreseins, er ist durch die bisher publicirten Fälle von epileptischem Irresein ohne Bewusstseinsstörung nicht überzeugt.

Wegen der Details der sehr eingehenden Kraukengeschichten muss auf das Original verwiesen werden.

Einer eingehenderen Besprechung behält F. noch den im einen Falle bemerkten Zusammenhang zwischen Gesichtsfeldbeschränkung und epileptischen Anfall vor.

Zander.

Therapie,

8) Zwei Fälle heilsamer Einwirkung scuter Infectionskrankheiten auf motorische Neurosen, von J. Rybalkin. (Wratsch. 1884. Nr. 52. Russisch.)

In einem Fall handelte es sich um Anfälle von Tetanie, denen Pat. im Laufe von 10 Monaten fast täglich unterworfen war, und die Veranlassung zu seiner Auf- nahme in’s Marienhospital gaben. Hier erkrankte er an einer Gesichtsrose, und schon am dritten Tage des Verlaufs letzterer verschwanden die Erscheinungen der Tetanie; auch nach der Genesung von der Rose kehrten sie nicht wieder.

Im anderen Fall hatte ein junges Mädchen zwei Wochen lang am Veitstanz in ziemlich heftiger Form gelitten, als sie plötzlich an einer croupösen Pneumonie er- krankte. Anfänglich dauerten die choreatischen Bewegungen fort, begannen aber bald abzunehmen und verschwanden gänzlich am 11. Tage der Lungenerkrankung, um auch nach der Genesung wegzubleiben.

In beiden Fällen liess sich eine Coincidenz des Schwindens der krampfhaften Bewegungen mit dem Abfallen der Fiebertemperatur wahrnehmen.

P. Rosenbach.

8) Ueber Hyoscyamin bei Alcoholismus. (Cambridge Medical Society. 2. Jan. 1885. Brit. med. Journ. 1885. Febr. 7.)

Hills wandte in 6 Fällen Hyoscyamin (das nn von Merk) mit gutem Erfolge bei Delirium tremens an. Dosen !/, —!/,— Carver, wie Bacon, wandten Hyoscyamin mit us Erfolge bei Manie an.

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Forensiscohe Psychiatrie.

10) Eine Bemerkung über Dr. Badik’s Eintheilung von Verbrechern in 4 Typen, von Prof. Stadfeldt in Kopenhagen. (Virchow’s Arch. 99. 8. 391.)

In der in dieser Zeitschrift 1884 S. 545 referirten Arbeit hatte Badik asym- metrische Schädel ohne pathologische Veränderungen am Gehirn bei den schlimmsten Verbrechern gefunden. Gegen die Berechtigung, diese Asymmetrie des Schädels als ein Kennzeichen der „schlimmsten Verbrecher‘ zu benutzen, wendet sich Stadfeldt, indem er hervorhebt, dass in einer ebensogrossen Verhältnisszabl, d. h. 70 °/, bei moralischen Menschen Asymmetrie gefunden werde, als bei Verbrechern, so dass Dr. Badik vielleicht seinen eigenen Schädel assymmetrisch finden würde. St. hat in einer Abhandlung im Dublin Quarterly Journal 1864 bereits die „physiologische Asymmetrie“ behandelt.

Er betrachtet sie als eine Scolivse der Wirbel des Schädels, als ein Glied der angeborenen Scoliose, welche in der ganzen Wirbelsäule besteht, aber am meisten im Schädel wegen der grossen flächenartigen Ausbreitung der Kopfwirbel hervortritt.

RIESEN SUN M.

III. Aus den Gesellschaften.

Verhandlungen der Olinical society of London vom 14. und 28. November, 12. und 23. December 1884. (British medical Journal. December 1884 und Januar 1885.)

In der Sitzung der Clinical society of London vom 14. November 1884 ver- anlasste Morraut Baker durch Vorstellung und Besprechung von 3 Fällen der von Charcot zuerst beschriebenen Gelenkaffection bei Tabes eine sehr eingehende und grössere Dimensionen annehmende Discussion über die genannte Affeotion.

Die von B. producirten Specimina betrafen in 2 Fällen ein Kniegelenk, in 1 Fall beide Hüft- und Ellbogengelenke; in allen Fällen war die Ataxie ausgesprochen.

Baker stellte folgende Punkte zur Discussion:

1) Ist die Krankheit in der That neu?

2) Welches sind ihre Beziehungen, wenn solche vorhanden, zur rheumatischen Arthritis? 3) Wenn mit der letzteren verwandt, ist ihre Verbindung mit der Tabes reiner Zu- fall oder steht die eine zur andern im Verhältniss von Ursache und Wirkung?

4) Sind vielleicht alle Fälle von rheumatischer Arthritis (mit oder ohne Tabes) neu- rotischen Ursprungs? Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Tabes und rheumatische Arthritis beide von einem ursprünglichen pathologischen Zustand abhängen, der

sich bald in den Gelenken, bald im Nervensystem, bald in beiden manifestirt.

Die auf Grundlage vorstehender Punkte sich entspinnende Verhandlung fand zahlreiche Betheiligung und förderte die verschiedensten Gesichtspunkte zu Tage.

Es betheiligten sich an der Discussion eine Reihe der erfahrensten und hervor- ragendsten Kliniker. Wir geben den Gang der Discussion im Allgemeinen und die am meisten hervortretenden speciellen Anschauungen im Folgenden wieder.

Buzzard ist überzeugt, dass -die Affection nicht neu ist, sondern nur unsere Kenntniss derselben. Die verschiedene Häufigkeit der Beobachtung rührt von der Verschiedenheit des Materials her, Chirurgen werden einen höheren Procentsatz der Gelenkaffection finden, als interne Aerzte.

Barwell betrachtet die tabische Arthropathie und die rheumatische Arthritis (— es ist damit die Arthritis deformans gemeint —) als verachiadene Affeotionen, obwohl beide vielleicht neurotischen Ursprungs. B. macht auf gewisse anatomische Unterschiede aufmerksam, das Vorwiegen hyperplastischer Processe am Knochen bei typischer Arthritis deformans, während für die tabische Gelenkaffection der Schwund des Knochens charakteristisch sei. Ferner kommen nach ihm ‚Gelenkkörper viel häufiger bei Arthritis deformans, als in tabischen Gelenken vor. Ebenso

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bestehen klinische Unterschiede der beiden Aflectionen, besonders hebt.B. hervor, dass die Beweglichkeit des Gelenks bei Arthrit. deform. beschränkt, bei tabischer Arthropathie ‚häufiger excessiv sei durch verschiedenes Verhalten der Ergüsse. Schmerz fehlt bei letzterer, während er bei Arthritis deformans constant und per- manent ist. Ein wichtiger Unterschied liegt in der Localisation, tabische Arthritis befällt nie kleine Gelenke, Arthritis deformans letztere (Finger), wie die grossen.

Sir James Paget beantwortet die erste Frage des Vortragenden dahin, dass „Charcot’e Krankheit“ allerdings nou sei, insofern genaue Beobachter und Sammler von Präparaten innerhalb 30--40 Jahren vor der jetzigen Periode keine Beispiele der tabischen Gelenkaffeotion gefunden hatten. Unmöglich wäre dieselbe der Be- obschtung entgangen, glaubt P., wenn sie so häufig vorgekommen wäre, wie heutzutage. Im Uebrigen macht Paget bei aller Anerkennung der Unterschiede doch auf viele Anslogien der tabischen Arthritis mit der rheumatischen in bestimmten Fällen auf- mnerksam, ferner auf die Wahrscheinlichkeit einer Beziehung beider zur Syphilis. Schliesslich meint P, man sollte weniger dahin streben, bestimmte scharf abgegrenzte Typen aufzustellen, als die constituirenden Elemente der vorkommenden Krank- heitsbilder zu erforschen. .

Ord lenkt die Aufmerksamkeit auf die verschiedenen pathogenetischen Be- ziehungen der unter dem Namen rheumatische Arthritis O0. zieht die Bezeichnung Osteo arthritis vor zusammengefassten Fälle. Dieselben Veränderungen der Gelenke und Gelenkenden der Knochen stehen bald auf dem Boden einer Blutver- änderung (acuter Rheumatismus), bald entschieden auf neurotischer Grundlage.

Jonathan Hutchinson weicht in der Erklärung der Gelenkaffection und an- derer trophischer Störungen bei der locomotorischen Ataxie darin von Charcot ab, dass er keineswegs eine aotive Einwirkung des Nervensystems, sondern einen Defect der Innervation und dadurch begründete mehr passive Vorgänge als Basis der ge- nannten Störungen annimmt. Eben in diesem Defoet der Innervation, meint H, träfen auch die Störungen der Tabes und die trophischen senilen Veränderungen susammen; zu letzteren gehört ein grosser Theil der sogenannten rheumatischen Osteo arthritis. Die Unterschiede zwischen tabischer Arthritis und der gewöhnlichen Form der Arthritis deformans lassen sich nach H. zumeist auf das sonstige Verhalten des Nervensystems und des Patienten (Anästhesie, Ruhe oder Bewegung der Gelenke) zurückführen.

Paget bezieht die Affeetion nicht auf einen passiven Zustand des Nervensystems sondern schreibt dem letateren eine active Rolle bei der Production einer Reihe trophischer Affectionen zu (Beispiel: Herpes Zoster). Dagegen wird die Erscheinungs- weise dieser Affectionen wesentlich mitbestimmt und modificirt durch begleitende, nicht mit dem Nervensystem zusammenhängende Umstände So mag auch in den Fällen tabischer Arthropathie eine Reihe anderer krankhafter Zustände, Rheumatis- mus, Gicht, Syphilis, Scrophulose, eine Rolle spielen. Der Ausbruch der Affection ist aber immer an eine Einwirkung von Seiten des Nervensystems geknüpft.

Hulke: Für die Identität der tabischen Gelenkaffection und der rheumatischen Osteoarthritis. Erstere komme .auch in den kleineren Gelenken vor. Wahrscheinlich beruhen Tabes und Osteoarthritis auf einer gemeinschaftlichen Ursache (Syphilis?).

Dyce Duokworth macht Mittheilung von schriftlichen Aeusserungen Char- cot’s über den Gegenstand und von Präparaten, die Charcot geschickt, besonders dem Präparat eines tabetischen Fusses. Ch. betrachte die Gelenkaffection als sui generis, lege aber besonderes Gewicht auf die Abhängigkeit von spinalen Ver- änderungen. Wenn rheumatische Arthritis bei tabischen Individuen vorkomme, so sei das ein von der tabischen Gelenkaffection verschiedenes Ding. Die tabische Er- krankung betheilige die Diaphyse des Knochens sowohl als die Epiphysen.

Moxon kritisirt scharf namentlich die Analogisirung von Paget zwischen ta- bischer Arthritis und Herpes Zoster; beide hätten nicht die geringste Analogie. In

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Bezug auf die tabische Arthropathie macht er darauf aufmerksam, dass in keinem der mit Tabes complicirten Fälle von progressiver Paralyse seiner Beobachtung die erstere vorhanden gewesen. Er bezieht dies auf den Mangel an mechanischen In- sulten, der durch die Grundkrankheit bedingt werde (Mangel der Bewegung). Er denkt sich als sehr gut möglich, dass die Charcot’sche Affection eine durch die Tabes modificirte rheumatische oder traumatische Gelenkentzündung sei. M. erläutert in scharfsinniger Weise, von welcher Wichtigkeit die intacte Functionirung der correspondirenden sensiblen Nerven für die Ernährung und Existenz bestimmter Partien ist, und fordert zur Ueberlegung auf, ob nicht durch Insensibili- tät und Krampf eine ursprünglich einfache Gelenkentzündung aggravirt werden könne. Den mysteriösen Einfluss nervös-trophischer Störung auf locale Affectionen möchte M. möglichst zurückweisen. Aehnlich wie mit dem Hämatom des Ohres, meint er, könne es sich auch mit der tabischen Gelenkaffection verhalten. Um von einer directen Abhängigkeit der letzteren vom Nervensystem sprechen zu können, müsste eine Affection der zum Gelenk in Beziehung stehenden Nerven anatomisch nach- gewiesen werden. M. geht noch näher auf die Frage der trophischen Nerven und der trophischen Störungen ein und erläutert besonders an dem Beispiel des einseitigen Decubitus bei Hemiplegien, dass man sich das Zustandekommen derselben auf mecha- nische Weise erklären könne. Für letzteres Beispiel zieht er die Tendenz zum Rollen des Körpers nach der gelähmten Seite und den Wegfall der die arterielle Circulation erleichternden Muskelspannung heran.

Zum Schlusse übt Moxon unter Anerkennung der grossen Verdienste Char- cot’s, die sogar in der Provocation eines Dankesvotums von Seiten der Gesellschaft für Ch. gipfelt, eine sehr freimüthige Kritik an dem französischen Kliniker und dessen „Association mit dem Wunderbaren“ mit einem Seitenblick auf die bekannten Studien Ch.'s an Hysterischen.

Henry Morris führt 2 Fälle von Arthritis mit dem destruirenden Charakter der tabischen Gelenkaffection, aber ohne Ataxie an; in einem Fall war das betreffende Bein elephantisstisch, es bestand beiderseits Ulcus perforans des Fusses und exquisite Verdickung des Nerv. tibialis posticus.

Herbert Page tritt für die Wichtigkeit des Nerveneinflusses auf die trophischen Vorgänge in die Schranken und betont besonders die neueren Befunde von Degeneration der peripheren Nerven bei der Tabes und der zu Decubitusstellen gehenden Nerven- äste. Er spricht sich für die charakteristische Stellung der Charcot’schen Gelenk- affection und deren directe Abhängigkeit vom Nervensystem aus.

Pye Smith weist auf die mannigfaltige Erscheinungsweise der rheumatischen Osteoarthritis hin. Uebrigens bringe sowohl die Gicht, als der acute Gelenkrheu- matismus in einzelnen Fällen ähnliche Veränderungen in den Gelenken zu Stande, wie die chronische Osteoarthritis.

Die Existenz trophischer Nerven hält P. S. zwar für zweifellos festgestellt, nicht aber die Abhängigkeit der tabischen Gelenkaffection von trophischen Nerven. Denn letztere treten, soweit bekannt, mit den vorderen Wurzeln aus und haben keine Be- ziehung zu den Hintersträngen. Zwischen wahrer Gicht und Osteoarthritis besteht nicht die leiseste Verwandtschaft.

In der Sitzung vom 23. December stellt der Präsident Sir Andrew Clark in kurzen Zügen die Position Charcot's zur Frage der tabischen Arthritis dar.

Macnamara: Für die Verschiedenheit der tabischen Arthritis und der rheu- matischen Arthritis.

Broadbent ebenfalls für die Verschiedenheit beider Affectionen. B. bespricht aber auch gewisse Unterschiede und differente Formen der als chronische rheumatische Arthritis oder Osteoarthritis bezeichneten Krankheit. Bezüglich der Verwandtschaft beider Affectionen hält er für ansprechend den Gedanken, dass auch die gewöhnliche chronische Arthritis abhängig sei von einem Einfluss des Nervensystems.

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Hutchinson gegenüber betont Br., dass die tabische Gelenkaffection nicht allein von der Insultation anästhetischer Glieder herrühren könne, weil es keineswegs die Fälle mit ausgesprochener Anästhesie seien, die die Gelenkaffection bieten. Br. bedauert schliesslich, dass in das Dankesvotum Moxon’s für Charcot ein ironischer Zug sich gemischt habe.

Clemens Lucas möchte mehr Gewicht auf den klinischen Verlauf der Affec- tion gelegt wissen.

Maclagan erklärt, dass Ch.’s Krankheit weder mit Rheumatismus, noch mit Gicht, noch Osteoarthritis etwas zu thun habe. Er giebt einige Andeutungen, wie er sich pathogenetisch das Zustandekommen der Gelenkalteration bei Tabes und deren Vorwiegen in den unteren Extremitäten erklärt. Für mächtige mechanische Momente dabei hält er die Erschlaffung und den Sensibilitätsverlust des Bandapparats bei noch kräftig functionirender Musculatur.

Bastian bezweifelt, dass für die nach seiner Erfahrung äusserst seltene tabische Gelenkaffection die Anästhesie und die incoordinirten Bewegungen in Be- tracht kämen. In Betreff der Abhängigkeit der Gelenkleiden von N ervenstörungen weist er hin auf die Gelenkaffectionen bei Hemiplegie und bei progressiver. Muskel-

atrophie.

Wie bei diesen Affectionen, so dürfte wohl auch der tabischen Gelenkerkrankung zu Grunde liegen eine Alteration der spinalen Vorderhörner oder der peripheren Nerven. B. erwähnt ausdrücklich das neuerdings constatirte Vorkommen lediglich peri- pherischer Nervenerkrankung bei dem klinischen Bild der Tabes oder deren Coincidenz mit spinalem Befund. Er stellt die Vermuthung auf, dass Reizung im Verlauf der sensiblen Nerven oder der centralen sensiblen Nervenzellen eine Störung im peri- pherischen Verbreitungsgebiet so gut wie in der Haut, such in den Gelenken hervorrufen könne.

Barwell hebt hervor, dass die anatomischen Veränderungen der sogenannten rheumatischen Arthritis keineswegs charakteristisch für eine bestimmte Form von Er- krankung seien, sondern bei Gelenkaffectionen verschiedener Natur vorkämen, dass sie sich an acuten, an gonorrhoischen Rheumatismus, an acute Krankheiten anschliessen können. Die klinische Geschichte müsse für Beurtheilung des Processes berück- sichtigt werden.

Der übrige Theil der Discussion brachte noch verschiedene Aeusserungen über die schon vielfach erörterten Punkte, ob die Ch.’sche Affection früher nicht vorge- kommen sei, welche Rolle mechanische Insulten dabei spielten, auch die Frage, ob die Vorderhörner des Rückenmarkes in Beziehung ständen zu der Gelenkaffection, wurde ventilirt.

Zum Schluss sprach der Urheber der Discussion, Morrant Baker, noch einmal in positiver Form seine Meinung aus. Er hält dafür, dass die tabische Arthropathie identisch ist mit der Osteoarthritis oder Arthritis deformans. Letztere ist durch bestimmte Kennzeichen: Eburneation, Osteophytenbildung, fibröse Knorpeldegeneration, Schwund des Knochens charakterisirt und hat mit eigentlichem Rheumatismus und mit Gicht nichts zu thun. Mit der Tabes besteht eine enge Verwandtschaft insofern, als beide, Gelenkaffection und Ataxie, von einer gemeinschaftlichen Ursache abhängen. Es handelt sich um eine Krankheit, die bald das Nervensystem, bald die Gelenke, bald beide ergreift. M. B. kann sich nicht zu der Ansicht bekennen, dass die beiden Affectionen im Verhältniss von Ursache und Wirkung stehen; wohl aber modificirt die Coexistenz nervöser Erkrankung diejenige der Gelenke.

Hinsichtlich der Häufigkeit der Gelenkaffection bei Tabes stimmt M. B. Buz- zard bei, dass die betr. Fälle hauptsächlich zu den Chirurgen kämen: er glaubt in seiner Beobachtung 100 °/, Gelenkaffection zu haben.

Ob die Charcot’sche Affection neu, oder nur früher nicht beobachtet ist, ist nicht mehr zu entscheiden. Wahrscheinlich waren die betrefienden Fälle früher

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ebenso häufig, als jetzt und wurde nur ihre Bedeutung übersehen. Die Annahme Hutchinson’s von der Wichtigkeit mechanischer Insulte (Gehen) für den Schwund des Knochens, zieht B. in Zweifel. Mit Syphilis hat die Osteoarthritis nichts zu thun, auch die Tabes nicht.

Die Nummer des British medical Journal vom 10. Januar 1885 enthält noch einen Brief Charcot’s an den Herausgeber, der Bezug nimmt auf die referirte Dis- cussion. Ch. betont, dass die Frage der tabischen Arthritis nicht getrennt werden könne von der Geschichte der spontanen Fracturen bei derselben Krankheit. Greift die Veränderung in der Diaphyse des Knochens Platz, so entsteht eine Fractur, wenn in der Epiphyse, die sogenannte Arthropathie.

Charcot stimmt mit denjenigen nicht überein, die die tabische Arthropathie lediglich als eine Varietät des chronischen Gelenkrheumatismus betrachten; die ta- bische Arthropathie unterscheidet sich vielmehr wesentlich von der gewöhnlichen Arthritis sicca, besonders durch das rapide Schwinden der Knochenenden und durch ihre indolente Natur. Die Hauptsache ist ihm, dass die Veränderungen der Knochen und Gelenke in der Ataxie klinisch und anatomisch zu recognosciren eind.

R Eisenlohr.

Acad6dmie royale de mödecine de Belgique. Sitzung den 24. Oct. 1884.

Du Moulin: Veber ein neues Symptom der Bieiintoxication. Berührt man mit einem Glasstab, der in eine 5°/, Lösung von Schwefelnatrium getaucht ist, die Haut des Kranken, so schwärzt sich dieselbe, und zwar in frischen Fällen stärker als in alten. Wäscht man die Haut mit weinsteinsaurem Ammoniak, so bekommt, man in dem Waschwasser eine Auflösung von Blei als schwefelsaures' Salz, und die gewaschene Hautstelle reagirt nicht mehr auf die Betupfung mit der Schwefelnatrium- Lösung, thut dies jedoch wieder nach Ablauf einiger Tage. Hadlich.

IV. Bibliographie.

Der Zusammenhang der Geschlechtskrankheiten mit nervösen Leiden, und die Castration bei Neurosen, von Alfred Hegar. (Stuttgart 1885. Enke 83 Seiten.)

Erwünschter hätte eine Publication nicht erscheinen können, als die Abhandlung über ein Thema, welches gegenwärtig im Mittelpunkte der praktischen Gynäkologie und Neuropathologie steht, und auch nicht zeitgemässer, als in einer Epoche, für deren Generation die Signatur: „mehr Nerven als Nerv“ eine immer schlagendere Wahrheit bekommt. Damit ist zugleich die sociale und pädagogische Wichtigkeit des genannten Themas bezeichnet.

Wenn eine Hand wie die Hegar's, des bahnbrechenden Gynäkologen und aus- gezeichneten Klinikers, die Lösung einer so umfassenden, tief eingreifenden Frage übernimmt, so darf der Leser mit Recht eine hohe Leistung erwarten.

Die ausserordentlich reiche Erfahrung des Autors, seine Schärfe der Beobach- tung, sein weiter, nicht nur specialistisch einseitiger Blick, das kritisch fein abwägende, vorsichtige, aber aus einer Fülle gesicherter Thatsachen sprechende Urtheil ver- einigen sich, um den berühmten Freiburger Kliniker als besonders berufen für ein Thema erscheinen zu lassen, bei dessen Behandlung der ganze Arzt Physiologe, Anatom, Gynäkolog und Neurolog in Einer Person eintreten ınuss.

In der vorliegenden Brochüre hat Hegar eins nach allen diesen Seiten voll befriedigende Lösung gegeben. Aufgebaut auf ein grosses Beobachtungsmaterial, streng objectiv in dessen Verwerthung, überall mit grösster Sorgfalt den Boden der

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Thatsachen einhaltend, scharf in der Epicrise, überall bestrebt im Einzelnen auf das Ganze und umgekehrt zu schauen so ist das schwierige Thema in seiner Breite und Tiefe behandelt, bis es sich, soweit bis jetzt möglich, klar aufschliesst, und im Endergebniss für die Gynäkologie die festen Indicationen ergiebt speciell für die Castration, und im Weitern eine fruchtbare Perspective eröffnet auf gegenwärtig hochwichtige ätiologische und therapeutische Aufgaben für die Neuropathologie und Peychiatrie.

Den theoretisch wichtigsten Theil der Abhandlung bildet die Besprechung des in der Ueberschrift angegebenen Zusammenhangs. Daran schliesst sich die Besprechung der Castration im Speciellen an, soweit diese in Verbindung mit dem obigen Thema steht. Diese Specialfrage war Gegenstand des Vortrags Hegar’s auf dem internat. Congress in Kopenhagen gewesen; die vereinte Behandlung derselben mit dem Haupt- thema ein sehr glücklicher Gedanke giebt dem letziern auch den hohen praktischen Werth, wie unten noch gezeigt werden soll.

Eine Inhaltsangabe der Schrift in dem kurzen Rahmen, wie er einer einführenden Besprechung vergönnt ist, zu versuchen, ist nur in bescheidener Weise möglich. Die Schrift selbst muss Gemeingut der Aerzte werden; jeder wird daraus für sein Gebiet reiche Belehrung ziehen. Für den Ref. kann es sich hier auch nur um Auf- führung der klinischen resp. nosologischen Hanptpunkte handeln, um daran einen Ausblick auf deren Bedeutung speciell für die Neuropathologie und Psychiatrie zu knüpfen; die Gynäkologie ihrerseits wird zu dem sie betreffenden Detail Stellung nehmen müssen, was einer fachmännischen Hand überlassen bleiben muss.

Der erste Abschnitt ist der Castration im Allgemeinen gewidmet. Die letztere verfolgt einen doppelten Heilzweck: 1) durch Wegnahme eines degenerirten, als unmittelbarer Reizherd wirkenden Organs, und 2) durch die Erziehung eines Ausfalls der Eierstocksfunotion: durch den sog. antecipirten oder künstlichen Climax.

Im ersten Fall bildet entweder das pathologisch veränderte Ovarium oder dessen Umgebung (erkranktes Ligament oder Tube) als Irritationscentrum die Indication für operative Beseitigung, und der künstliche Climax ist nur das Accidens; im zweiten Fall ist dagegen die Beendigung der Ovulation das Operationsziel; hier kann unter Umständen der Eierstock selbst gesund sein. Die sorgfältige Exogese der noch sehr lückenhaft erforschten Allgemeinwirkungen, welche aus einem Wegfall der Keimdrüsen stammen, sei dieser künstlich oder durch angeborenen Naturdefect be- dingt, führt zu dem wichtigen Ergebniss, dass der weibliche Habitus im Allgemeinen nicht einfache Dependenz des Eierstocks ist, dass aber meist der Uterus nach jenem Eingriff sich verkleinert; manchmal stellt sioh auch unter derselben Wirkung die Heilung schwerer Neurosen und Psychosen ein. Auf diese Beobachtung der con- stanten localen Einwirkung einer Eierstocks - Exstirpation auf dessen functionelle Zusammenhänge speciell auf den Uterus einerseits, und auf die Konntniss des Ein- flusses des natürlichen Climax auf Gebärmutterkrankheiten andrerseits, baute Hogar 8. 2. die epochemachende Einführung der Castration bei Uterusfibromen auf. Schon an dieser Stelle wird, was später (Cap. III) nochmals in genauerer Präcision ge- schieht, als unerlässliche Bedingung für die genannte Operation das Vorhanden- sein einer pathologisch - anatomischen Veränderung des Eierstocks, des Uterus und seiner Anhänge oder auch der Scheide aufgestell. Im Folgenden werden die Ursachen der Vorurtheile gegen die Castration (als: zu starke Betonung des künstlichen Climax; Missverständnisse bei Aufstellung einer Allgemein- Indication; unrichtige Einzel-Indication; schlecht motivirte Operationen bei intaotem Sexualsystem) kritisch besprochen, und die darauf gegründeten Vorwürfe überzeugend zurückgewiesen.

Das Capitel schliesst mit einer allgemeinen Begrifisbestimmung der von den Genitalion ausgehenden Neurose Die letztere wird als eine sehr complicirte auf- gefasst, theils direct local, theils in entferntern Krankheitstheilen consensuell oder

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reflectorisch auftretend. Es gehören zu derselben die in den Plexus lumbalis und sacralis auftretenden nervösen Störungen die sog. Lendenmarksymptome s0- dann Erscheinungen in höhern Spinalpartieen, im Vagus und Sympathicus (Interonstal- Neuralgien, Mastodynie, Cardialgie, Globus, Aphonie, Husten, Asthma, Delirium cordis, Affectionen des Trigeminus und der höhern Sinnesorgane; uuter Umständen auch die grossen Allgemein-Neurosen der Chorea, Epilepsie, Hysterie), und endlich gewisse psychopathische Zustände. (Die häufigen secretorischen und trophischen Störungen der Haut, besonders der Talgdrüsen und der Schweissproduction, sind wohl gleich- falls hier unterzubringen. Ref.)

Das zweite Capitel: „über den ursächlichen Zusammenhang zwischen Sexualleiden und Neurosen“ führt auf das Hauptthema der Arbeit über.

Die Frage nach der nosologischen Natur dieses Causalnexus wird dahin und ganz richtig beantwortet, dass ein solcher überall bestehe, wo die Affection der Geschlechtsorgane als ein integrirender Factor für den Ursprung der nervösen Symptome sich nachweisen lasse; dabei braucht aber die erstere nicht die alleinige Ursache der letztern zu sein. Wie nun ist dieser Causalnexus zu verstehen? Als Beweis der vorurtheilslosen kritischen Reserve, mit welcher der Gynäkologe die nun folgende Beantwortung unternimmt, darf schon der an die Spitze der Ausführung gestellte Satz gelten: dass die gleichzeitige Anwesenheit anatomischer Veränderungen im Sexualapparat und einer Neurose an und für sich (für jene) nichts beweise Es müssen vielmehr gewisse Bedingungen noch hinzutreten, damit eine anatomische Veränderung lebendig wird, d. h. Wirkungen setzt. Hegar untersucht nun zunächst die klinische Natur der Genital-Neurose selbst. Vor Allem tritt er der Frage nach deren anatomischem Sitze näher, und entscheidet sich dabei aus pathologischen und physiologischen Gründen für das Lendenmark, resp. das in letzterm gelegene Centrum genitale als die erste Localisations-Ktappe. Jedoch ist diese keine aus- nahmslose und nothwendige, und ebensowenig der Causalnexus (trotz der anatomischen Zusammenhänge zwischen Genitalorgan und der genannten Spinalpartie) ein absolutes Postulat; es giebt gegentheils nachweisbare Genitalaffectionen ohne Lendenmark- symptome, und umgekehrt kann ein neurotischer Angriff auf das Tendenmark auch auf anderem Wege erfolgen, als nur von den Sexualorganen aus (z. B. durch starke Blutverluste, Zerrung von Baucheingeweiden, forcirte Beugungen der Wirbelsäule, Ueberanstrengung der Rückenstrecker etc., 8. u.). Von hoher Tragweite und Wichtig- keit ist dabei die Thatsache, „dass solche nicht von dem Geschlechtsapparat aus- gehende Einwirkungen, welche das Lendenmark treffen oder durch dasselbe hindurch- laufen, die Function und bei längerer Dauer wohl auch die Structur der Sexual- organe zu verändern vermögen.“ Auf diesem Wege erklärt Hogar die Einwirkung der Gemüthsbewegungen auf den Monatsfluss, welche bald eine fördernde, „bahnende“, bald eine sistirende, „hemmende“ ist. (In demselben Zusammenhang ist früher vom Ref. die Function ‚„spinaler Neuralgien‘“, als peripherer integrirender Factoren des depressiven Affectvorgangs aufgefasst worden.) So verdanken Dysmenorrhoe, Amenorrhoe, anteponirende Menstruation derartigen primären nervösen Einflüssen ihre Entstehung. Doch darf auch wiederum nicht übersehen werden, dass häufig beide Vorgänge Coöffecte irgend Eines Agens sind, welches gleichzeitig direct auf das Nervensystem und den Genitalapparat einwirkt.

Vom Lendenmark resp. den Zweigen des Plex. lumbalis und sacralis aus kann die einmal placirte Neurose auch in höhere Nervengebiete aufsteigen, und zu einer entfernter localisirten oder auch allgemeinen Nervenaffection sich ausgestalten. Ge- wöhnlich kündet sich diese Ausbreitung durch eine den Anfällen vorausgehende Aura an. Das Vorrücken kann etappenweise geschehen, manchmal erst nur einseitig, wobei die Beschränkung auf die dem leidenden Genitalorgan gleichsinnige Körperhälfte für den nosologischen Causalzusammenhang beider einen besonders grossen Werth besitzt. Ueber den Ursprung einer solchen entferntern Neurose lässt sich nicht selten aus

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dem Umstande, dass diese nervösen Symptome mit bestimmten Genitalvorgängen wechseln, ein sicherer Anhaltspunkt gewinnen.

Der genauere Weg, welchen die Genitalneurose bei diesem Vorrücken einschlägt, geschieht theils per continuitstem spinal und vasomotorisch oder aber con- sensuell. In letzterer Hinsicht giebt os gewisse Nerven und Nervenbezirke, welche eine besondere Prädilection zur Miterkrankung besitzen (Magen, Schlund, Brüste, Kehlkopf und Schilddrüse, Trigeminus). Jedoch ist dieses Zusammentreffen im ein- zelnen Fall noch nicht gerade immer beweisend.

Dem zeitlichen Verhältniss zwischen erstem Auftreten resp. weiterem Er- scheinen der Neurose einerseits, und gewissen Phasen des geschlechtlichen Lebens andrerseits möchte Hegar einen zu grossen diagnostischen Werth nicht zuerkannt wissen. In der Abschätzung dieses Factors, welcher so häufig kritiklos ausgebeutet wird als ob ein Zusammentreffen mit der Menstruation vielfach schon hinreichte, um darnach den Ursprung der Neurose als bewiesen anzunehmen zeigt sich ganz besonders die vorsichtig epikritische Methode des Verf. Er will durchaus, dass man sich nicht einfach mit dem Nachweis: dass das Sexualsystem überhaupt einen ätio- logischen Factor abgebe, begnüge, sondern er verlangt direct, dass auch der Antheil bestimmt werde, welchen dieser bei der Genese des Nervenleidens hat. Dies führt weiter zur Analyse des complicirten physiologischen Vorgangs, welchen wir unter dem Namen der „Menstruation“ zusammenfassen. Unter diesen verschiedenen Com- ponenten zu sondern und das nähere Moment, welches die Neurose hervorruft, zu bestimmen —- das erscheint dem scharfsinnigen Diagnostiker als die wirkliche und wichtige Aufgabe. Nicht selten werden sich hierbei noch weitere Glieder er- geben, welche sich in die anfänglich noch als einfach erschienene Causalkette ein- schieben ein namentlich den Psychiatern wohlbekanntes Factum, welches Hegar auch speciell durch Belege aus dem Gebiet der periodischen Psychosen zu stützen weiss. Gleichwohl ist und bleibt die zeitliche Congruenz (namentlich bei freiem Intervall) bemerkenswerth, wenn auch der Beweis des Zusammenhangs, nach den strengen Anforderungen des Verf., durch die Thatsache allein noch nicht erbracht ist. Eine sicherere diagnostische Stütze liefert das Verschwinden der nervösen Erscheinung während einer besonderen Phase des Sexuallebens. In freilich nicht so häufigen Fällen lässt sich das Auftreten der Neurose zu gleicher Zeit mit einer anatomischen Veränderung des Geschlechtsapparats (durch grobe Schädlichkeit) nach- weisen, und zugleich der homologe Verlauf beider. Hier liegen die Verhältnisse dann natürlich viel klarer.

Der Umfang und die Intensität des pathologischen Befundes braucht in keiner Weise mit der Intensität der Neurose in gleichem Verhältnisse zu stehen. Ein wich- tiger Satz! So erzeugen massige Carcinome oft keine nervösen Symptome, während eine scheinbar unbedeutende Lageveränderung oder eine kleine Narbe solche setzt. „Mit der Elle lässt sich gerade bei den Erscheinungen des Nervensystems nicht messen“ eine Wahrheit, welche jeder Neuropathologe anerkennen und be- stätigen wird.

Die klinische Thatsache, dass nervöse Anfälle durch absichtlich auf die Sexual- organe in Wirkung gesetzte mechanische Agentien künstlich beeinflusst (gehemmt) werden können, bildet die Grundlage der nun folgenden Ausführungen. Hegar kommt dabei zur Formulirung des zweifellos richtigen und hochwichtigen Gesetzes: „Dass ein nervöser Errscheinungscomplex, sobald er einmal in nähere oder entferntere Nervenbezirke sich „eingeschliffen“ hat, sehr leicht, besonders nach längerer Dauer seines Bestehens, durch Beize von ganz andern Körperstellen aus wieder hervor- gerufen werden kann, selbst dann, wenn mittlerweile der primäre Ausgangspunkt der Neurose entfernt worden ist.“ Es hat daher das genannte Experiment nur einen bedingten Werth für den Nachweis des Ursprungs gleichviel, ob mit dem künust- lichen Eingriff eine Auslösung oder eine Unterdrückung der Neurose bedingt wird.

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Hiernach ist die Erzeugung der Schmerzanfälle bei Neuralgia ovarica dureh Berührung des Eierstocks zu beurtheilen.

Für die Feststellung der Genese der Neurose verlangt Hegar die Erkun- dung der Art und Weise, in welcher der erste Angriff auf die Nerven erfolgt, und ferner der Stelle, wo dies geschieht. Nach des Verf. Ansicht geschieht derselbe entweder durch Druck oder Zerrung; dazu treten noch die mechanischen Beleidigungen auf freiliegende Nervenenden (Katarrhe, Erosionen, Ulcerationen). Aus der Erfahrung werden nun die pathologisch-anatomischen Grundlagen der Druck- und der Zerrungs- neurosen, sowie der Combination beider erläutert. (Dass Verf. unter dem reichen Detail auch die mit Schrumpfungsprocessen einhergehenden Scheidenkatarrhe besonders hervorhebt, ist für den Ref. eine werthvolle Bestätigung eigener Erfahrung gewesen; Bef. möchte nach seinem, allerdings ja ungleich bescheidenern Material diese Quelle nervöser Erscheinungen sogar für häufiger, als man gewöhnlich annimmt, be- trachten.) Unter den weitern Ausgangspunkten für die Genitalneurose führt Verf. an: Katarrhe des Sexualschlauchs und des Introitus mit Papillenschwellungen, Ero- sionen und Intertrigo, sowie bedeutende Insufficienz des Schlussapparats der Vagina mit erheblichem Klaffen des Introitus.

Soweit vorgedrungen, folgt nun in grossen Zügen, aber reich an feinem De- tail die Schilderung der zum nervösen Allgemeinleiden sich ausbreitenden ursprünglichen Localneurose. Es tritt jetzt das psychische Moment, zugleich mit Schlaflosigkeit und Verdauungsstörung, hinzu; die Kranke wird neuropathisch, neu- rasthenisch.. Mit der Einbeziehung des gestörten Hirnlebens in den neurotischen Bogen schliesst sich ein „Circulus vitiosus“: die ursprünglich nur unter der localen Irritation aufgetretenen Störungen werden von jetzt an auch unter die direct vom Centrum ausgehenden Innervationsströme gestellt: beide bedingen sich künftighin, steigern sich und lösen sich wechselseitig aus. Von diesem Zeitpunkte an ist 8 jetzt schwer zu sagen, was primär und secundär ist; hier kann nur noch die Anam- nese entscheiden. Wichtig und bedeutungsvoll ist, dass in der Folge das secundäre Element in der Causalkette sogar die primäre Ursache an Werth übertreffen kann.

(Hier ist der Punkt, an welchen die klinische Psychiatrie anzuknüpfen, und die Weiterentwickelung der jetet mit einer kranken Psyche combinirten Genital- neurose darzulegen hat. Diese Weiterentwickelung geschieht in einer immer in- timern Ausbildung. des „Circulus vitiosus“, wobei die durch die Genitalneurose ver- mittelten Gefühle allegorisirt und zur Grundlage eines systematisirten Wahns werden. Die psyehische Hirnstörung liefert die „Schablone“ des depressiven oder exaltirten Wahnsinns; die spinale Genitalneurose als wahnbildende Matrix dessen Inhalt. Eigens gefärbte Hallucinationen und Wahnvorstellungen und im Weiteren ein sehr mannig- faltiges, aber im Ganzen typisches Bild, die sog. spinale (sehr oft direct mastur- batorische) Verrücktheit sind die Folge- und Endschicksale dieses wechselwirkenden und klinisch zusammengehörigen Verhältnisses. Ref.)

Auch in diese immer verwickeltern Zusammenhänge versucht Verf. ein auf- klärendes Licht zu tragen. Er verlangt die Anwendung der Exclusionsmethode, d. h. dass unser Urtheil sich auf den Werth jedes einzelnen Zeichens gründe, auf die Bedeutung ihrer Combination und auf die Betrachtung des ganzen Krankheits- verlaufs. Da kommen nun zuerst Local-Erkrankungen ausserhalb des Sexual- systems in Betracht, welche nicht selten eine Neurose bedingen, die ihrerseits erst secundär ein Sexualleiden hervorruft (ein hochwichtiges Verhältniss. Bef.); sodann primäre allgemeine Neuropathien, als Neurasthenie, Spinal-Irritation, Hysterie.

Damit ist für den Verf. der Eintritt seiner Schilderung in die allgemeinen und speciellen ätiologischen Verhältnisse dieser grossen Nenrosen gegeben. Es folgt die Besprechung der angeborenen einfachen und der degenerativen neuropathischen Anlage, und speciell der Bildungsfehler. Letztere und die Neurose betrachtet Hegar als Coöffecte, und begründet diese Annahme aus den Analogisen und stufenweisen

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Uebergängen zu den ausgesprochenen kretinistischen Zuständen, wo Hirndefect und morphologische Anomalieen zusammentreffen.

Ausser dieser gleichzeitig congenitalen Veränderung der Nerven lässt Hogar aber auch die secundäre Entstehung der Neurose durch den Bildungs- fehler eines Organs zu (Uterusdefect bei normal functionirenden Ovarien), sowie die Annahme von Zwischengliedern in der Causalkette (durch vitinm cordis, oder durch Betheiligung der Psyche: depressive Stimmung nach Erkenntniss der sexuellen Missbildung).

An die angeborenen Neuropathisen reihen sich die Ursachen der erworbenen, immer mit vorzugsweiser Beziehung auf das hinzutretende sexuelle Moment. Wir führen hier nur die Hauptpunkte auf, welche zur Sprache kommen: 1) mangelhafte körperliche Erziehung und Pflege; 2) fehlerhafte geistige Erziehung; 3) Nicht- befriedigung des Geschlechtstriebs (Abstinenz, Onanie, frustraner Coitus und Coitus interruptus, männliche Impotenz); 4) psychische Schädlichkeiten als: aufreibende Pflege, plötzliche Affecte; unter den langsamer wirkenden: Liebeskummer; da und dort ist eine kurze interessante Casuistik eingeflochten; 5) schwere acute, besonders infectiöse Krankheiten (Diphtheritis, Typhus, Scarlatina), und chronische Leiden (starke Blutverluste, rasch folgende Wochenbette, Morphinismus etc.).

Das Verhältniss zwischen einem durch die eben angegebenen Momente bedingten Nervenleiden und der gleichzeitig bestehenden Sexualkrankheit ist wiederum am häufigsten das des Coöffeets. Sehr oft ist hier die nervöse Störung primär und erzeugt secundär das Genitalleiden, unter gleichzeitiger oder nachfolgender Ausbildung des Circulus vitiosus.

Die Entstehung der Sexualkrankheit auf dem Wege des Nerven-Einflusses ist noch ein dunkler Punkt in der Pathologie, und höchst wahrscheinlich vasomo- torisch, resp. direct oder indirect trophisch zu erklären. Die hier in Betracht kommenden Localerkrankungen sind ausser Menstruationsanomalien vorzugsweise: Ka- tarrhe und Form- und Lageveränderungen der Gebärmutter.

So explicirt sich nach des Verf. Schilderung und Ideengang die genitale Neu- rose: bald direct von einem Sexualleiden ausgehend, bald indirect durch ein Zwischen- glied vermittelt, bald secundär entstanden, bald als Coöffect, bald im Zusammenschluss mit der primär oder secundär ergriffenen Psyche (resp. dem erkrankten psychischen Centralorgan) zu einem Circulus vitiosus sich verbindend, und je nach Disposition und Anlage zu einer der grossen Allgemein- Neurosen sich transformirend. Da- mit sind jetzt der Diagnose, Prognose und vor Allem der Therapie die festen Wege vorgezeichnet.

Dieser therapeutische Weg ist im Cap. III und IV beschritten. Das erstere handelt „von der Indicationsstellung der Castration bei Neurosen‘“, das letztere „von den Misserfolgen der Castration“. Ref. muss aus Rücksicht für den ihm gebotenen Raum es sich leider versagen, den Inhalt dieser beiden Capitel so wiederzugeben, dass daraus die Fülle der in der Schrift niedergelegten gynäkologischen, resp. operativ- technischen Erfahrungen, und der auf scharfsinnigster Verwerthung des Vorausgehenden aufgebauten Epikrisen auch nur annähernd hervorginge. Beide Abschnitte dürfen füglich als ein Canon für den praktischen Gynäkologen bezeichnet werden bezüglich der Anzeigen zur Operation, sowie deren Grenzen und Gegenindicationen. Hierbei werden den vorher gewonnenen Gesichtspunkten noch neue hinzugefügt (so nament- lich die sehr interessante physio-pathologische Ausführung über die Folgewirkungen des verminderten intraabdominellen Drucks und die dadurch hervorgerufene Füllung der Unterleibsgefässe S. 71 ff.).

Die Indication für die Castration bei Neurosen wird von Hegar formulirt: „Die Castration ist bei einer Neurose, welche abhängig ist von einer pathologischen „Veränderung des Sexualorgans, dann indicirt, wenn andere Behandlungsweisen ohne „Erfolg angewandt worden sind oder solchen durchaus nicht erwarten lassen. Das

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„Leiden muss lebensgefährlich sein, oder die psychische Gesundheit entschieden ge- „fährden, oder jede Beschäftigung und jeden Lebensgenusa unmöglich machen. Die „Ursache der Neurose muss durch die Operation entfernt, oder ein ursächlicher Factor „muss dadurch weggeschafft werden, ohne dessen Beseitigung an eine Heilung oder „Besserung nicht gedacht werden kann. In letzterm Falle sollen die übrigen ätio- „logischen Momente ebenfalls der Therapie zugänglich sein.“

Eine Indication, welche sich auf den allgemeinen Effect der Castration stützt, giebt Hegar für jetzt noch nicht zu, wenn er auch die Möglichkeit einer solchen auf Grund künftiger Fortschritte in unserer klinisch-physiologischen Erkenntniss nicht in Abrede stellt.

Die Misserfolge der Castration leitet Hegar her: 1) von der nicht rationellen Stellung der Operation; 2) von der unvollkommenen technischen Aus- bildung; 3) von circumscripten Entzündungen im Bauchfell und Bindegewebe des Beckens, sei es in Folge der Operation (vom Schnürstück und der Ligatur aus, ferner von einer zurückgelassenen Tube oder einem Eierstocke); sei es als Exacer- bation früher schon bestandener Processe. Oft treten die Folgen erst nach Jahres- frist auf. In gewissen Fällen veranlassen diese Entzündungen resp. Schrumpfungen nicht nur einen Misserfolg bezüglich der Beseitigung der Neurose, sondern sie be- wirken auch unregelmässige, selbst typische Blutungen; dies sogar nach vollständiger Exstirpation beider Ovarien. Hegar räth deshalb bei sehr ausgebreiteten alten Entzündungsprocessen und Adhäsionen überhaupt nicht mehr zu operiren; den Pyo- salpinx mit verschlossenem Trichter jedoch ausgenommen. Castrirte Kranke müssen längere Zeit sorgsamst vom Arzte noch überwacht werden! 4) von hochgradigen Er- schlaffungen der Bauchdecken; hier vereitelt die Herabsetzung des intraabdominellen Drucks den Erfolg der Operation; es entstehen Hyperämien und Hypertrophieen, nervöse Irritationen durch Zerrung und Dehnung (mit Mobilisirung der Unterleibs- organe) und verstärkte Lendenmarkssymptome; letztere namentlich durch in Folge der Insufficienz der Bauchdecken forcirte Spannung der Rückenstrecker. Hier ist die Ordination einer sehr gut construirten Binde, eventuell die Vornahme einer Kolpoperineoraphie (bei mangelndem Scheidenschluss) angezeigt; 5) von Mangel an Schonung und Beaufsichtigung während der Nachbehandlung; namentlich darf die Operirte nicht zu früh in ihre gewöhnlichen Lebensverhältnisse zurückkehren.

Interessant ist die Beobachtung Hegar's, dass die nervösen Symptome, welche, analog denen beim natürlichen Climax, manchmal im Gefolge des künstlichen auf- treten, in der Regel wieder verschwinden, wenn auch hin und wieder erst nach Jahresfrist.

In einem Schlusswort, Cap. V, leitet Verf. das Endergebniss seiner Untersuchungen noch zu einigen praktischen Consequenzen für die Neuropathologie, Psychiatrie und Gynäkologie. Von der richtigen Voraussicht ausgehend, dass das Verhältniss zwischen den Nervenkrankheiten und Sexualleiden für alle drei genannte Disciplinen noch vielfach auf die Tagesordnung der nächsten Zukunft kommen werde, wünscht er, dass man aus der exclusiven specialistischen Richtung heraustrete. Speciell bei der Gynä- kologie hält er es an der Zeit „von etwas Anderm zu hören, als stets von Bauch- chirurgie und Antisepsis.“ Er schliesst mit der Betonung der Nothwendigkeit, dass auf diesem Gebiet eine Verständigung zwischen beiderlei Fachmännern und ein Zu- sammenarbeiten im Interesse der Wissenschaft und in erster Reihe auch der Kranken sehr wünschenswerth sei.

Ref. möchte an dieses Mahnung anknüpfen. Er hält vom Standpunkt seines Specialgebiets aus diesen Wunsch für durchaus berechtigt. Wenn es feststeht und der Beweis erscheint ihm durch die Hegar'sche Schrift voll und ganz erbracht zu sein: von welch eminenter Bedeutung die Sexualneurose für die wichtigsten und häufigsten Nervenkrankheiten (incl. vieler Psychosen) ist, und welche Rolle, primär oder secundär, dabei die sexuelle Localaffection spielt so kann und darf diese

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Thatsache praktisch nicht ignorirt werden. Man muss mit ihr rechnen, wie es auch bisher vielfach schon gescheben, wenn auch noch nicht mit der Ausrüstung der neuesten gynäkologischen Untersuchungstechnik. Aber es muss immer überzeugter jetzt geschehen, und unbeirrt durch eine Gegenströmung, welche auf eine vereinzelte Casuistik hin es vorzieht einem „laisser aller“ das Wort zu reden. Erkennen wir die wissenschaftlichen Begründungen Hegar's als berechtigt an, so müssen wir uns auch zu seinen maassvollen praktischen Consequenzen bekennen.

Ref. hat hier nur die Verhältnisse im Auge, welche sich für die Neuropathologie und speciell für die praktische Psyohiatrie aus dem von Hegar ausgesprochenen Wunsch ergeben. Hier sind nun namentlich einige Gesichtspunkte zu berühren, welche in der besprochenen Schrift nur kurz gestreift, und nicht mit Rücksicht auf die im gegentheiligen Lager bestehenden, und soweit begründeten, Einsprachen er- örtert sind. Es muss namentlich betont werden, und Hegar führt dies aus fremder Erfabrung auch an, dass wiederholt Fälle vorkamen, in welchen auf die gynäkologische Behandlung psychische Verschlimmerung, selbst: ausgesprochener Irrsinn folgte. Ref., welcher selbst mehrere solche erlebt hat, muss gleichwohl Hegar Recht geben, wenn er diesen keine vollwiegende Einrede gegen seine These zuerkennt, insofern es sich dabei ausnahmslos um neuropathische Individuen handelte, bei welchen Mangels des einen sich wohl ein anderes wahnbildendes Element gefunden hätte. Aber auch Hegar gegenüber muss von Ref. hervorgehoben werden, dass die Chloroform- Narcose bei einem stark belasteten Gehirn nicht so ganz leicht zu nehmen ist; auch hierfür liegen dem Ref. Beobachtungen vor, welche die directe Entstebung einer (selbst Monate hindurch dauernden) Psychose nach einer tiefen Chloroformirung ausser Zweifel setzen. Nicht selten begegnet es ferner, dass neuropathische Indi- viduen allerlei, die Charakter-Sincerität des Arztes verdächtigende Nachreden an eine stattgehabte Localuntersuchung knüpfen; Andere wieder erregen Aergerniss bei Dritten, indem sie das Detail jener indecent weiter erzählen.

Alles dies ist gewiss in praxi zu berücksichtigen und ernst zu nebmen. Aber Hogar begegnet selbst mit der richtigen und alle Gegenbedenken schlagenden Auskunft: „dass überall die Untersuchung da unterbleiben soll, wo der Irrenarzt sie für schäd- lich erklärt.“ Damit ist die Entscheidung ganz in die Competenz des Irrenarztes gerückt, und alle Einwürfe fallen. Seinem Urtheil und seinem Tact ist die Frage anheimgegeben. Wenn aber so der Irrenarzt die Entscheidung zugewiesen bekommt: darf er dann auch damit die Sache beruhen lassen? Muss ihm nicht vielmehr jetzt die gewonnene Erkenntniss der in der Hogar’schen Schrift so einleuchtend gegebenen Zusammenhänge ein um so dringlicheres Memento sein, die nöthige Klarheit sich zu verschaffen? Kann er sich auch für die einfacheren, und wohl für die Mehrzahl der Fälle ohne Localuntersuchung beruhigen, so werden ihm doch sicher auch andere, und nicht wenige, gegenübertreten, bei welchen die Entstehung und der Verlauf, der Wahninhalt und so manches andere klinische Symptom den Zusammenhang mit einem Genitalleiden mehr als wahrscheinlich macht. In diesen letzteren nun wird und muss auch nach des Ref. Meinung der Neuropathologe und Irrenarzt sich verpflichtet fühlen in Rücksicht auf die Kranke und seine eigene grosse Ver- antwortung, die Untersuchung anzustreben wann? und wie? bleibt seiner Er- wägung überlassen. Wie manchmal stehen wir doch 'rathlos vor einer schweren Hysterie, vor einer periodischen menstrualen 'Typose, vor einer sexuellen Dysphrenie, oder vor einer Maladie du doute mit obscönen Zwangsgedanken und localen Parästhe- sieen die Fälle liessen sich noch sehr vermehren —: hier dürfen wir die Hände nicht einfach nur in den Schooss legen, ohne uns auch noch die specielle diagnostische Gewissheit verschafft zu haben, welche allein uns ein sicheres therapeutisches Handeln giebt. Und wenn es nur wäre, um uns sagen zu können, dass wir Nichts versäumt haben! Aber oft genug das spricht Ref. aus eigener und anderer Erfahrung, wird man durch die gesuchte Aufklärung und damit durch eine richtige therapeutische

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Indication belohnt. Es würde zu weit führen hier in casuistische Belege, welche anderwärts vom Ref. früher schon beigebracht wurden und seither sich vermehrt haben, einzutreten.

Wenn der Neurologe und Psychiater sich berechtigt fühlen, vom Gynäkologen heutigen Tags neurologische und psychiatrische Kenntnisse zu verlangen, so ist die umgekehrte Forderung nur eine billige. Sie tritt durch die Hegar'sche Schrift nur um so schärfer jetzt an uns heran. Ueber die Art der Ausführung dieses Desideriums wird sich eine generelle Vorschrift nicht geben lassen; sie wird als interne Frage der einzelnen Asyle zu lösen sein. Am einfachsten liegt natürlich die Sache an den Universitätskliniken, wo die Zusammenarbeit beider Specialisten auch räumlich er- leichtert ist.

Therapeutisch haben wir bis jetzt mit der „kleinen“ Gynäkologie in unserer Anstaltsbehandlung ausgereicht. Sie hat ihre schönen Resultate zu verzeichnen. Nach der scharf präcisirten Indication für die Castration, wie sie uns Hegar in Cap. III formulirt hat, und nach den zunehmend sichern und günstigen Heilresultaten wird die praktische Nervenpathologie und Psychiatrie sich auch diesen grösseren Operationen gegenüber nicht principiell abschliessend verhalten dürfen. Der Vorgang von specialistischer Seite ist ja auch bereits gemacht. Beschränkt sich die genannte Eventualität auf Grundlage der exacten Hegar'schen Bestimmungen voraussichtlich auch nur auf seltene Fälle (zumal bei Psychosen), so ist es doch ganz gut möglich, dass darunter gerade mit die schwersten gehören (namentlich degeneratives hysterisches Irresein.. Wir wollen gleichwohl auch hier nur vorsichtig vorgehen, zumal die exacte diagnostische Erfassung des primären und secundären Moments und die genaue Be- messung der Einzelfactoren des „Circulus vitiosus“ erst noch besser klinisch ausge- baut werden muss. Aber so sicher wir auf diese Vertiefung unserer Diagnostik hoffen dürfen, so sicher wird auch die Zeit für die angedeutete Erweiterung des gynäkologischen Heilapparates im neuropathologischen und psychiatrischen Curplan kommen.

Der Hegar'schen Schrift wird durch ihre maassgebende Indicationsstellung, durch ihre genauen Vorschriften für die nach dem Einzelfall modificirbare Technik, womit sie die „Castration“ nunmehr auf den Rang einer auch im Effect immer sicherer bemessbaren Operation erhebt, dasselbe hohe praktische Verdienst gewahrt bleiben, welches ihr wissenschaftlich gebührt.

QDlenau, Januar 1885. Schüle.

V. Vermischtes.

Zu den Ausdrücken, die in der Neurologie mehr und mehr sich Eingang verschaffen, ohne dass sie dazu berechtigt wären, pehpre „peripherer‘‘ statt „peripherischer“ Nerv. Wie Virchow (Archiv 91. 1) mit Recht hervorhebt, bedeutet nspıpsgns: rund oder rollend, während es sich bei der betreffenden Bezeichnung um etwas handelt, was dem Umfange, negıpögpe:a, angehört, also 8 wen: ER

Von den Änatomen sprioeht Henle von peripherischen, Schwalbe von peripheren en: die Neuropathologen scheinen die Kürzung ziemlich allgemein vorgenommen zu

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Bei dieser Gelegenheit sei auch erwähnt, dass ein neuerdings mehrfach gebrauchtes Wort: „intrapontin“ (Nothnagel), da die pontinischen Sümpfe nicht von Pons abgeleitet werden können, unrichtig ist; das einzige Adjectivum von Pons heisst „pontilis“ (V = how).

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Vzır & Comp. in Leipzig. Druck von Merzaee & Wırria in Leipzig.

NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten,

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Dritter Rn Seln: Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

1885, | 15. März.

Ne 6.

Inhalt. 1. Orlginalmittheilungen. 1. Zur Anatomie der Schenkel des Kleinhirns, ins- besondere der Brückenarme. von W. Bechterew. 2. Ein Fall von Lähmung aller Augen- muskeln nach Diphtheritis faucium, von W. Uhthofl. 3. Zur Lehre von den diphtherischen Lähmungen, von E. Mendel. 4. Ueber den centralen Ursprung des N. accessorius Willisii, von L. Darkschewitsch. 5. Ueber eine Modification der neuen Weigert’schen Färbemethode für die markhaltigen Nervenfasern der Centralorgane, von M. Friedmann.

il. Referate. Anatomie. 1. Experimentelle Beiträge zur Kenntniss der Verbindungs- bahnen des Kleinhirns und des Verlaufs der Funiculi graciles und cuneati, von Vejas. Experimentelle Physiologie. 2. Weitere Untersuchungen über automatische Bewegungen enthaupteter Thiere, von Tarchanow. Pathologische Anatomie. 3. Ein Beitrag zur Kenntniss der Rüchenmarkserkrankung der Paralytiker, von Wagner. Pathologie des Nervensystems. 4. Klinische Beiträge zur Localisation des Grosshirnmantels, von Günther. 5. A case of traumatic aphasia, by Bribach. 6. A contribution to Jacksonian npileney and the situation of the Leg-Centre, by Osler. Psychiatrie. 7. Die krankhaften Erschei- nungen des Geschlechtseinns, von Tarnowsky. Therapie. 8. The insane hospital as a therapeutie implement, by Spray. 9. Zur operativen Behandlung der tiefliegenden trauma- tischen Hirmabscesse, von Qussenbauer.

I. Originalmittheilungen.

1. Zur Anatomie der Schenkel des Kleinhirns, insbesondere der Brückenarme. Von W. | Bechterew aus Petersburg. (Aus dem Laboratorium von Prof. Pau FLEOHsTe.)

Bei der Untersuchung reifgeborener, wenige Wochen alt gewordener Kinder überzeugte ich mich, dass man an den Querfasern der Varolsbrücke, den mitt- leren Kleinhirnschenkeln, zwei ihrer systematischen Stellung nach offen- bar ganz verschiedene Abtheilungen unterscheiden muss, von denen die eine im bezeichneten Alter noch marklos! erscheint, während die andere nur

ı Verlauf und Richtung der hier beschriebenen zwei Systeme lassen sich äusserst genau an einer Reihe von Querschnitten, die mittelst der Weiuert’schen Methode gefertigt sind, feststellen, da sich hierbei die marklosen und markhaltigen Elemente wie bekannt scharf sondern.

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aus markhaltigen Fasern besteht. Die erstere bildet hauptsächlich die obere (cerebrale), die zweite hauptsächlich die untere (spinale) Hälfte (ca.!) der Brücken- Querfasern.

a) Das marklose (obere) System nimmt im Brückenschenkel eine mehr jaterale Lage ein, indem es schräg zur Längsaxe geneigt von vorn nach hinten verläuft. Nach seinem Eintritt in das Kleinhirn liegt es zunächst im unteren Theil des äusseren Abschnittes der entsprechenden Hemisphäre und endigt hier in der Rinde der hinteren, basalen und seitlichen Bezirke. Nur ein geringer Theil der Fasern geht zur Rinde der oberen Fläche des Kleinhirns und zwar im Wesentlichen wieder zum Hemisphärentheil, nicht zum Wurm.

b) Das markhaltige (untere) System liegt im Brückenschenkel meist medial bez. etwas nach hinten vom vorigen. An der Brückenoberfläche ist nur ein Theil des Verlaufs sichtbar, während sich an Querschnitten aus der unteren (spinalen) Brückenhälfte die gesammte Anordnung klar übersehen lässt. Indem es unter dem sub a) beschriebenen System aus dem Kleinhirnmark hervortritt, läuft es senkrecht zur Längsaxe der Brücke von hinten nach vorn. Im Klein- hirn geht er aus der Rinde der oberen Fläche der Hemisphäre und des Mittel- stücks hervor. Die Markumhüllung dieser Fasern beginnt bereits vor Ende des Foetallebens, so dass dieselben bei völlig reifen Neugeborenen regelmässig mark- haltig gefunden werden. Zu dieser Zeit sind von den Brückenfasern sonst: nur noch die Pyramidenbahnen und alsbald näher zu beschreibende, nur in der unteren Brückenhälfte (ca.) stärker ausgebildete, von der vorderen zur hinteren Brückenabtheilung ziehende Bündel in der Raphe markhaltig. Die obere Brücken- hälfte enthält demnach bei reifen Neugeborenen nur einige markhaltige Längs- faserzüge, während in der unteren Ponshälfte der grösste Theil aller überhaupt verbundenen Faserzüge markhaltig ist. Ich werde nun in der Folge der Kürze halber die sub a) erwähnte marklose Abtheilung als cerebrales System der Brückenschenkel, die sub b) als spinales System etc. bezeichnen.

a) Das spinale System der Brückenschenkel steht in folgendem Ver- hältniss zur Brücke: Ein Theil seiner Fasern biegt unmittelbar nach dem Aus- tritt aus dem Kieinhirnmark medianwärts? in die tiefe Querfaserschicht der Brücke um, überschreitet die Raphe und verliert sich jenseits derselben in der grauen Substanz. Eine zweite (ebensogrosse?) Portion läuft an der seit- lichen Brückenoberfläche herab und verliert sich in der Hauptsache bis zur Mittellinie hin in der gleichseitigen Brückenhälfte; nur einzelne dieser Fasern überschreiten vorn die Mittellinie Das spinale System der Brücken- schenkel steht also jederseits mit beiden Hälften der Brücke, bez. den grauen Massen der untern (spinalen) Ponsregion in Verbindung nicht ausschliesslich mit der gegenüberliegenden Hälfte, wie bisher gewöhnlich be- züglich der gesammten Brückenschenkel angenommen worden ist. Eine Ver-

u

ı Hierbei kommen sie in nahe Berührung mit Fasern, welche zum Corpus trapezoideum gehören. Indess haben beide nichts mit einander gemein. Das Corpus trapezoideum geht im Wesentlichen hervor aus dem vorderen Acusticuskern und stellt eine centrale Bahn des Acusticus, bez. des VIII. Hirunerven dar (Freonsıe).

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bindung des spinalen Systems der Brückenschenkel mit Fasern des Hirnschenkel- fusses habe ich nicht wahrgenommen ein unmittelbarer Uebergang beider in einander ist sicher nicht vorhanden. Hingegen verlaufen aus dem Ausstrahlungs- bezirk des spinalen Systems in der Brücke zahlreiche Fasern zur Raphe, steigen in derselben senkrecht auf und gelangen zwischen den Schleifenschichten hin- durch in das Gebiet der dorsalea Brückenabtheilung, in den Haubentheil der Brücke. Diese Fasern treten nur im Bereich des spinalen Systems der Brücken- schenkel in Form dicker Bündel in der Raphe auf; oberhalb jenes Bereichs (der cerebralwärts durch eine zwischen beiden Trigeminus-Ursprüngen gezogene eerade Linie begrenzt wird) sind nur ganz vereinzelt markhaltige Fasern in der Raphe wahrzunehmen. Spinalwärts werden sie seltener in den Höhen des Ab- ducenskerns. Einige Autoren halten die in Rede stehenden geraden Fasern der Raphe für eine Trigeminuswurzel; indess lehrt die Entwickelungsgeschichte überzeugend, dass beide nichts mit einander zu thun haben. Sämmtliche Fasern des Trigeminus, welche zur Raphe ziehen, wie überhaupt sämmtliche Wurzel- fasern des Trigeminus sind schon bei 30 cm langen Foetus mit starken Mark- scheiden ausgestattet; die oben beschriebenen Raphefasern zwischen vorderer (Pedunculus-) und hinterer (Hauben-)Abtheilung des Pons werden erst gegen das Ende des Foetallebens markhaltig. Indem sie nicht nur aus dem Aus- strahlungsbereich des spinalen Systems der Brückenarme kommen, sondern auch gleichzeitig mit letzterem Markscheiden erhalten, ist eine nahe Beziehung beider (Verknüpfung durch graue Massen der unteren Brückenhälfte und direote Ver- bindungen?) im höchsten Grad wahrscheinlich. Die fraglichen Raphe-Fasern strahlen in dem Haubentheil der Brücke seitlich in die Formatio reticularis aus, besonders aber in einen bisher noch nicht speciell beschriebenen, beim Foetus und Neugeborenen ungemein scharf sich abhebenden Ganglienzellenkern, der zu beiden Seiten der Raphe gelegen sich seitlich in die Formatio reticularis hereinerstreckt und den ich mit Rücksicht auf seine Gestalt und Lage in Ueber- einstimmung mit Prof. FLecasıe als Nucleus reticularis tegmenti pontis bezeichnen will. Derselbe beginnt etwas nach oben vom Corpus trapezoideum, in Gestalt kleiner Anhäufungen von Ganglienzellen, die unmittelbar dorsal an den inneren Abschnitten der Schleifenschicht liegen. Nach oben nimmt der Querschnitt dieser Zellenhaufen rasch zu, so dass sie in der Höhe des Trigeminus da wo der Haubentheil der Brücke den kleinsten ventral-dorsalen Durch- messer hat den ganzen Raum zwischen den medianen Bündeln der Schleifen- schicht und den hinteren Längsbündeln ausfüllen. Ja sie umkleiden letztere noch nach aussen und dringen in die Schleifenschicht selbst ein. Hier wo der Nucleus reticularis tegmenti pontis seine grösste Entfaltung in sagittaler und transversaler Richtung zeigt, schickt derselbe jederseits drei compactere seitliche Fortsätze aus, welche flügelförmig gestaltet dem Querschnitt eine ungemein charakteristische Form verleihen; drei Fortsätze ragen in die Formatio retioularis herein, dergestalt, dass der ventrale unmittelbar der Schleifenschicht anliegende Fortsatz am weitesten lateralwärts vordringt, der dorsale (neben den hinteren Längsbündeln gelegene) am kürzesten erscheint. Weiter oben nimmt der Nucl.

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reticularis rasch am Querschnitt ab und endet etwa entsprechend der Grenze des oberen und mittleren Drittels der Brücke. In seiner Structur kommt er im Wesentlichen mit der grauen Substanz der ventralen Brücken-Abtheilung überein; doch sind seine Ganglienzellen grösser, als die der letzteren; hier wie dort sind die Zellen eingebettet in ein ungemein dichtes Netzwerk feiner Fasern. Die aus der Raphe in dep Nucleus reticularis eindringenden Fasern verlieren sich theils darin, tbeils gehen sie in weiter lateralwärts gelegene Abschnitte der Formatio reticularis über.

Im Bereich des Nucleus reticularis gehen an den Längsfaserzügen der Formatio reticularis wichtige Veränderungen vor sich. Man findet nach ab- wärts von der Region unseres Kerns weit mehr Längsfasern in der Formatio reticularis, welche wirklich zu letzterer in Beziehung stehen als oberhalb; ! es wachsen offenbar gerade in jener Gegend den Längsfaserzügen zahlreiche neue Elemente zu, welche nach abwärts in die äussersten Abschnitte der spinalen Vorderstranggrundbündel und Seitenstrangreste sich verfolgen lassen. Da letztere mit den Vorderhörnern des Rückenmarkes in Verbindung treten, so ist es denkbar, dass in dem spinalen System der Brückenschenkel, den oben beschriebenen Raphe-Bündeln etc. eine Bahn gegeben ist, welche eine Uebertragung von Im- pulsen seitens des Kleinhirns auf motorische Nerven des Rückenmarkes, bez. die entsprechenden Muskeln vermittelt.

b) Das cerebrale System der Brückenschenkel überschreitet in der Brücke in dicken Bündeln die Mittellinie, während mächtigere, in der gleichseitigen Brückenhälfte sich auflösende Züge nicht in die Augen fallen. Weiteres konnte ich über ihr Verhalten in der Brücke bisher nicht feststellen. In die Gegend, wo das cerebrale System der Brückenschenkel sich verliert, dringen von oben her zablreiche Bündel des Grosshirnschenkelfusses ein, insbesondere aus dessen inneren und äusseren Feldern; es ist mehr als wahrscheinlich, dass das cere- brale System der Brückenarme mit diesen Grosshirnschenkelbündeln durch graue Substanz der cerebralen Brückenhälfte in Verbindung steht. (Eine directe Verbindung wird dadurch ausgeschlossen, dass ich bei fast totaler secundärer Degeneration des linken Grosshirnschenkelfusses in den Brückenschenkeln irgend welche Zeichen von secundärer Degeneration nicht habe auffinden können.) Da besagte Grossbirnschenkelbündel nach den Untersuchungen von Prof. FLronsic zum grössten Theil direct aus der Grosshirnrinde hervorgehen, zum Theil wohl auch aus dem Streifenhügel, so setzt das oerebrale System der Brückenarme das Kleinhirn, bez. dessen Hemisphären in (wie die in frühen Lebensaltern ein- tretenden secundären Degenerationen lehren) gekreuzte Verbindung mit der Grosshirnrinde (insbesondere der Frontal- und Temporo-Oceipitalzone [FLEcHSIG)) und wahrscheinlich auch mit dem Streifenhügel.

Das Kleinhirn hat nach meinen Untersuchungen eine dreifache Verbindung mit dem Grosshirn:

! Ueber Faserzüge, welche oberhalb des Nucleus reticularis in der Furmatio reticularis längs laufen, und welche meist ausser Beziehung zu letzterer stehen, werde ich später be- richten.

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1) durch mehrere Fasersysteme der vorderen oder oberen! Kleinhirnschenkel;

2) durch das cerebrale System der Brückenschenkel (s. 0.);

3) durch die äussere Abtheilung der unteren Kleinhirnstiele (Strickkörper) und zwar jene Fasern, welche (gekreuzt) zu den grossen Oliven ziehen, von wo aus jederseits ein compactes Faserbündel, welchem ich den Namen „centrale Haubenbahn“ ertheile (Näheres hierüber in der nächsten Nummer dieses Blattes), den Haubentheil des Pons in dessen ganzer Länge durchsetzend zum Grosshirn verläuft. Sämmtliche das Kleinhirn mit dem Grosshirn verbindende Fasersysteme kreuzen sich also total! Die betreffenden Kreuzungen nehmen fast die ganze Strecke zwischen oberem Vierhügel und unterem Ende der Oblongata ein.

Wenn man den oberen (und unteren?) Kleinhirnstielen die Bedeutung einer centripetalen Bahn zuerkennt, auf welcher den Grosshirnhemisphären die dem Gleichgewichtsgefühl zu Grunde liegenden Empfindungen der räum- lichen Lage des Körpers zugeführt werden (wofür viele physiologische Erfah- rungen sprechen), so stellt das cerebrale System der mittleren Kleinhirnschenkel offenbar eine centrifugale Leitungsbahn dar, welche in der Grosshirnrinde gebildete Impulse überträgt auf die Hemisphären des Kleinhirns und so modi- ficirend auf die Lage des Körpers im Raum einwirkt.

2. Ein Fall von Lähmung aller Augenmuskeln nach Diphtheritis faucium. | Von Dr. W. Uhthoff, Assistent der Scuoxuer’schen Augenklinik.

Pat. W. H. aus Sp., ein 10Ojähriger, früher stets gesunder und kräftiger Knabe, litt vom 1. bis zum 17. September 1883 an Diphtheritis faucium, wie vom behandelnden Arzte constatirt worden war. Die Affeotion soll angeblich keine schwere gewesen sein, der Knabe war während dieser Zeit fast gar nicht bettlägerig, er musste sich sogar auf ärztlichen Rath hin, wie die Mutter erzählt, viel in der frischen Luft aufhalten während seines Halsleidens, das dann mit dem 17. September als geheilt betrachtet wurde Nur eine stark näselnde Sprache (Lähmung des Gaumensegels) blieb noch während der nächsten Zeit bei dem kleinen Pat, zurück. Gegen Ende September 1883 machten die Eltern zuerst die Wahrnehmung, dass der Knabe für die Nähe ganz schlecht sehe (nicht lesen könne ete). Am 6. October stellte er sich zum ersten Mal in der Prof. SchozLer’schen Poliklinik wegen dieser Sehstörung vor: Ophthalmosko- pischer Befund normal, manifeste Hyperopie von 2 Dioptrien, S = 1, mit starken Convexgläsern wird SNELLEN feinste Schrift fliessend gelesen, ohne Gläser konnte

! Die oberen Brückenschenkel (Bindearme des Kleinhirns) enthalten, wie die Verfolgung der Markscheidenbildung lehrt, drei Systeme: zwei nach totaler Kreuzung im rothen Kern der Haube vorläufig endende, und eine Commissur, welche bis zum unteren (spinalen) Bande der Bindearm-Kreuzung reicht.

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jedoch für die Nähe nur Sn X mühsam in 30 cm entziffert'werden. Es besteht also eine ausgesprochene doppelseitige Accommodationsparese nach Diphtheritis faucium mit völlig normalem Verhalten der Pupillenreaction. Die Beweglich- keit der Augen ist gut.

Am 16. October stellte Pat. sich zum zweiten Male vor. Ophthalmoskop. Befund, Sehschärfe, Refraction wie das erste Mal, nur wird heute schon Sn VII!/, für die Nähe mühsam ohne Gläser gelesen. Dagegen zeigt sich an den Augen- muskeln folgender Befund. R. A.: Vollständige Ophthalmoplegia externa, das Auge ist nach allen Richtungen vollständig unbeweglich. Das linke Auge zeigt ein ganz analoges Verhalten, nur ist hier noch eine ganz geringe Beweglichkeit im Sinne des Rect. externus erhalten. Beiderseits leichte Ptosis, jedoch können die Lider mit Anstrengung noch völlig gehoben werden. Es besteht gekreuzte Diplopie. Der Abstand der Doppelbilder bleibt in den verschiedenen Richtungen ziemlich derselbe, nur nimmt er beim Blick nach rechts um ein Geringes zu, entsprechend der minimalen Beweglichkeit im Sinne des linken Rect. externus, Fehlen jeder Convergenzbewegung und ebenso fehlt dementsprechend auch jede Pupillarreaction, wenn man den Pat. auffordert, auf ein nahe vor das Auge ge- haltenes Object zu sehen. Auf Licht reagiren die Pupillen ganz prompt.

Die Mutter giebt an, dass ihr seit dem 10. October zuerst „etwas Starres“ im Blick des Knaben aufgefallen sei und dass sich dann die Krankheit (Un- beweglichkeit der Augäpfel) in einigen Tagen so vollständig ausgebildet habe. Ferner ist nach Aussage der Mutter der Knabe in der letzten Zeit sehr schwach geworden, so dass ihm das Gehen sichtlich erschwert ist. Das Kniephänomen fehlt heute, ob es bei der ersten Untersuchung noch vorhanden war, ist im Journal nicht vermerkt.

Die nächsten 8 Tage bleibt der Zustand des Pat., was die äussere Augen- muskel anbetrifft, fast völlig derselbe, dagegen bessert sich die doppelseitige Accommodationsparese während dieser Zeit derartig, dass Pat. am 23. October schon wieder Sn. feinste Schrift in ca. 15 cm lesen kann. Das Kniephänomen fehlt auch jetzt noch. Die Schwäche namentlich in den unteren Extremitäten hat sich aber in der letzten Woche derartig vermehrt, dass Pat. zur Zeit kaum noch im Stande ist, ohne Unterstützung zu gehen.

Ein um diese Zeit von fachmännischer Seite aufgenommener Status praesens ergiebt kurz Folgendes: Die activen Bewegungen der unteren Extremitäten be- schränkt, die grobe Kraft erheblich herabgesetzt, besonders auffallend die Schwäche im Peroneus- und Extensoren-Gebiet. Gang breitbeinig mit starken Schwan- kungen des Rumpfes nach rechts und links, die Füsse werden schlecht vom Boden aufgehoben. Keine Atrophie der unteren Extremitäten, elektrische Erreg- barkeit normal. Bauchreflex und Cremasterreflex normal, Kniephänomen fehlt, Sohleureflex etwas herabgesetzt. Sensibilität, Blase und Mastdarm intact, keine Ataxie oder Muskelgefühlsstörungen. Die oberen Extremitäten sind im Wesent- lichen frei, nur besteht auch hier eine geringe motorische Schwäche und ist Druck auf den Stamm des Nerv. radialis, medianus und ulnaris etwas schmerz- haft. Keine Sensibilitätsstörungen.

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Am 27. October lässt sich bei jetzt wieder normalem Accommodationsver- mögen die erste deutliche Besserung in der Beweglichkeit der Augen im Sinne der äusseren Augenmuskel constatiren und hat sich eine geringe Bewegungsfähig- keit beider Augen nach unten (im Sinne der Recti inf.) und nach links (rechts Rect. int., links R. extern.) wieder eingestellt. Ebenso ist heute eine minimale Convergensbewegung möglich und dementsprechend eine deutliche Pupillen- reaction auf Convergens vorhanden. Die Beweglichkeit der Augen nach oben und nach rechts fehlt noch vollständig. Das sonstige Befinden des Pat. (moto- rische Schwäche der Beine etc.) noch unverändert.. Kniephänomen fehlt noch.

Nach weiteren 4 Tagen zeigt sich auch wieder eine geringe Beweglichkeit beider Bulbi nach oben, während die nach unten und links inzwischen ebenfalls steig zugenommen hat, nach rechts fehlt noch jede Bewegungsmöglichkeit, welche jedoch nach weiteren 4 Tagen auch anfängt, sich wieder herzustellen. Am 17. November ist die Beweglichkeit beider Augen wieder als fast völlig restituirt vermerkt, nur besteht: noch eine geringe Beweglichkeitsbeschränkung beider Augen im Sinne der assocürten Bewegungen nach rechts und links, um bald darauf auch völlig zu schwinden.

Die hochgradige motorische Sehwäche namentlich der unteren Extremitäten wächst erst allmählich, und zwar ist unter dem 5. November 1883 die erste entschiedene Besserung vermerkt, von welchen Zeitpunkt ab Pat. dann einer ziemlich schnellen Genesung entgegen geht. Das Kniephänomen fehlt nochı immer. Gegen Mitte Januar 1884 ist die Genesung als eine vollständige zu betrachten und ist jetzt auch zum ersten Mal das Kniephänomen wieder deut- lich nachweisbar.

Der mitgetheilte Fall von vollständiger doppelseitiger Ophthalmoplegia ex- terna nach Diphtheritis faucium scheint bis jetzt der einzigste in der Literatur zu sein, wenigstens habe ich einen analogen nicht aufzufinden vermocht. Am meisten zu vergleichen ist wohl damit ein Fall von doppelseitiger völliger Oph- thalmoplegia externa nach Kohlendunstvergiftung, welchen Knapp (Archiv für Augenheilkunde. 1880. Bd, 9. S. 229) mittheilt. In ca. 2 Monaten gelangte dieser Fall allmählich zur Heilung, nur blieb noch längere Zeit zurück eine Parese der inneren und oberen geraden Augenmuskel, des Sphincter pupillae und der Accommodation. Bemerkenswerth erscheint mir ferner die Art und Weise der Restitution der Beweglichkeit im Bereich der Augenmuskel, dieselbe erfolgt successiye im Sinne ‚der associirten Augenbewegungen nach rechts, links, oben und unten und nicht etwa im Sinne der von einem Nerven versorgten Muskelgruppen. Ich glaube, dass dieses Verhalten, sowie das Intactbleiben des .Sphincter pupillae beiderseits unzweideutig auf einen centralen Sitz der Lähmung hinweisen. Dass das Kniephänomen nach Diphtheritis faucium längere Zeit aufgehoben sein kann, ist eine hinreichend bekannte Thatsache, welche in unserem Fall von Neuem eine Bestätigung findet.

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3. Zur Lehre von den diphtherischen Lähmungen. Von E. Mendel.

Nanıae mit Demonstration der betreffenden Präparate in der medicinischen Gesellschaft zu Berlin am 11. Februar 1885.

Die Zahl der genaueren Untersuchungen des Nervensystems nach dem Tode bei diphtherischen Lähmungen ist immer noch eine so beschränkte, und die Controverse über die anatomische Begründung dieser Lähmungen noch eine so lebhafte, dass es einer besonderen Entschuldigung kaum bedarf, wenn ich’ einen Fall dieser Art hier mitzutheilen, und einige Bemerkungen daran zu knüpfen mir erlaube, zumal dieser Fall auch klinisch ein gewisses Interesse in Anspruch nehmen dürfte.

Der 8jährige Carl H., der vor 2 Jahren Masern, vor 1 Jahre Scharlach überstanden hatte, wurde vom 22.—28. September 1883 vom Herm Üollegen Ress wegen einer Rachendiphtherie mässigen Grades behandelt. Am 4. October hatte sich eine Lähmung des Velum eingestellt, die noch fortbestand, als am 2. November der Rath des Herrn Collegen Rss wegen inzwischen eingetretenen Sehstörungen und Schwäche aller 4 Extremitäten eingeholt wurde. Herr College HirscHBEre, an den der kleine Patient wegen seiner Gesichtsstörungen gewiesen wurde, schickte denselben mir zur genaueren Feststellung des übrigen Befundes, Der Status praesens am 5. November 1883 ergab Folgendes:

Augen: (Prof. Hrınscagers) Beiderseitige Ptosis, rechts stärker, Elevations- fähigkeit des obern Augenlides gering, rechts geringer. Rechts ist ausserdem paretisch der Musc. rect. ext, paralylisch der Muse. rect. int., paretisch der Rect. sup. und inf., links Parese der geraden Augenmuskeln. Keine Accommo- dationsparese, keine Gesichtsfeldbeschränkung.

Der rechte Facialis erscheint paretisch, bei der Intonation werden wenig ausgiebige Bewegungen der Pharynxwand gemacht, Velum und Uvula hängen schlaff herab. Die Zunge, gerade herausgestreckt, zittert erheblich. Pat. kann den Kopf nicht gerade halten, er sinkt etwas nach rechts (Parese der Nacken- musculatur).

An den obern Extremitäten und zwar auf beiden Seiten gleich ein geringer Grad atactischer Störung; es gelingt dem Knaben nur mit Mühe und unter Zittern den Löffel in den Mund zu bringen; die grobe motorische Kraft ist dem Alter und mangelhaften allgemeinen Kräftezustand entsprechend. Der Gang ist breitbeinig; Umdrehen fällt schwer; Stehen bei geschlossenen Augen ruft starkes Schwanken hervor. Im Allgemeinen ergiebt die Untersuchung ein stärkeres Ergriffensein der rechten Seite, ebenso wie an den Augen und am Facialis.

Die Untersuchung der groben motorischen Kraft an den Beinen ergiebt keine wesentliche Herabsetzung. Die Ernährung der Muskeln entspricht dem allgemeinen Kräftezustand.

Die elektrische Untersuchung der Arme wie der Beine mit dem fara-

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dischen und dem galvanischen Strom zeigte keine wesentlichen Abweichungen von der Norm.

Die Sensibilität erscheint im Gesicht, im Gaumen, wie an den obern Extremitäten normal, an den untern Extremitäten werden Berührungen und Temperaturunterschiede in normaler Weise empfunden und localisirt, bei Nadel- stichen besteht eine gesteigerte Empfindlichkeit.

Die Sinnesorgane functioniren, abgesehen von den Locomotionsstörungen der Augen, normal. j

Die Sehnenreflexe fehlen, weder die Cubitalreflexe, noch die Patellar- reflexe sind hervorzurufen; Fussclonus ist nicht vorhanden. Dagegen sind die Hautreflexe überall nachweisbar; Stechen in die Fusssohle bringt einen sehr starken Reflex hervor.

Vesical- und Rectalreflex sind intact.

Vasomotorische Störungen sind, abgesehen von einer gewissen Kühle der untern Extremitäten, nicht nachzuweisen.

Der Puls ist 100; die Temperatur in der Achselhöhle 38°. Die Unter- suchung der Lungen ergiebt die Zeichen eines diffusen Katarrhs; das Herz ist normal; in dem Urin eine geringe Menge Albumin; keine Cylinder oder andere pathologische Formbestandtheile.

Ohne dass neue Erscheinungen hinzugetreten wären, aber unter Steigerung der geschilderten Symptome an den Extremitäten, trat unter dem Bilde der Lungenlähmung am 11., also 6 Tage später, und etwa 10 Tage nach dem nachweisbaren Beginn der Lähmungserscheinungen an den Augen und Extremi- täten der Tod ein.

Die Section durfte sich leider nur auf das Hirn erstrecken. Sie ergab makroskopisch ein durchaus negatives Resultat und übergehe ich deswegen die Einzelheiten. Nur in Bezug auf den Bilutgehalt der Gefässe bemerke ich, dass sich makroskopisch derselbe als weder abnorm stark, noch als abnorm gering darstellte.

Nachdem einzelne Präparate vom frischen Gehirn gemacht worden, wurde dasselbe in Müuner’scher Flüssigkeit gehärtet, dann in gewöhnlicher Weise geschnitten und mit Carmin tingirt.

Die Untersuchung ergab Folgendes: Was zuerst die Gefässe betrifft, so zeigte sich in der von den vordern Vierhügeln beginnenden bis zur Pyramiden- kreuzung reichenden fortlaufenden Reihe von Querschnitten eine hochgradige Anfüllung der kleinen Arterien wie der Capillaren. In einer Reihe kleiner Arterien waren in den VıircHow-Rosmw’schen adventitiellen Räumen weisse und rothe Blutkörperchen angehäuft; öfter konnte man auch weisse Blutkörperchen in grösserer Zahl neben den Gefässen liegend finden. Verstopfungen der Gefässe liessen sich nirgends mit Sicherheit nachweisen. Dagegen fanden sich kleine capilläre Blutungen in grösserer Zahl und an verschiedenen Stellen, eine solche im intrapontilen Verlauf des Nerv. abducens rechts. Die Gefässwände boten nichts Abnormes.

An den Ganglienzellen der Nervenkerne es wurden in dieser Beziehung

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genau der Oculomotorius-, Abducens-, Vagus- und Hypoglossuskern untersucht liessen sich nachweisbare Veränderungen nicht constatiren; im Oculomotorius- kern erschienen die Zellen im Vergleich mit denen von normalen Präparaten auffallend gross, wie geschwellt; eine Veränderung des Inhalte, die ich als ano- mal bezeichnen könnte, liess sich nicht nachweisen.

(Meyer, auf dessen Arbeit ich unten zurückkomme, hat auch einzelne solche angeschwollene Zellen gesehen und Cuaroor betrachtet sie bei der Mye- litis als erste Stadien der Entzündung.)

Was die peripherischen Nerven betrifft, so war am auflallendsten die Veränderung in den beiden Oculomotoriis, im rechten stärker, als im linken.

1) Einmal erscheint der Querschnitt des Nerven im Gegensatz zu normalen Nervenpräparaten nach der Tinetion auffallend roth, die Markscheide hatte also das Carmin aufgenommen. Dass dies nicht besondere Verhältnisse der Prä- parationsmethode bedingten, also ein Kunstproduct darstellte, dürfte daraus hervor- gehen, dass andere Nerven desselben Präparats, wie z. B. der Qnintus im Querschnitt normal, d. h. mit gelben Markscheiden, erscheint, und dass an der Peripherie des Nervenquerschnitis, also die aussen sich befindenden Nerven- fasern des Oculomotorius ein normales Bild von ungefärbten Markscheiden, die den gefärbten Axencylinder umgeben, bieten.

2) In einer Anzahl von Markscheiden ist ein Axencylinder nicht zu er- kennen.

3) Die vorhandenen Axencylinder varüren in Bezug auf ihren Durchmesser an einem (Juerschnitt in ganz auffallender Weise: kleine und grosse Querschnitte wechseln mit punktförmigen ab.

4) Zwischen den Nervenfasern treten hier und da schollenartige, unregel- mässig geformte, roth gefärbte Gebilde hervor, in denen weder die Configuration der Markscheide, noch ein Axenoylinder zu erkennen ist.

5) Endlich zeigen sich an manchen Stellen in abnorm grosser Zahl die Kerne des Endoneuriums, ferner grosse Zellen mit stark körnigem Inhalt,

Aehnliche Veränderungen konnten auch ‚auf den Längsschnitten der Nerven in ihrem intrapontilen und intramedullären Verlauf oonstatirt.werden, besonders auffallend erschien die Vermehrung jener Kerne im Vagus, deutlich war sie auch im Abducens,

Was zuerst das klinische Bild des besshriebenen Falles betrifft, so ist hier hervorzuheben die doppelseitige Lähmung sämmtlicher Augenmuskeln. Es existirt, soviel ich ersehen konnte, nur noch ein Fall beiderseitiger Ophthalmo- plegia externa nach Diphtherie und dieser wurde von Hermn Uxruorr am 12. November 1883, also am Tage nach dem Tode meines Patienten in der. Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten vorgestellt. Auch hier war Ataxie der Beine vorhanden.

Der Fall, der einen 10jähr. Knaben betraf, wurde geheilt (cf. die vorstehende Mittheilung). |

Diese Coincidenz zweier seltner Fälle wird dadurch etwas weniger auffallend, dass die Diphtherie-Epidemie des Herbstes 1883 überhaupt durch auffallend

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häufiges Vorkommen der diphtherischen Lähmungen sich auszeichnete. Die Epidemien sind in dieser Beziehung ganz unzweifelhaft sehr ungleichartig.

Im Uebrigen gehört der Fall zu der nicht kleinen Zahl derer, die als Ataxie nach Diphtberie oder als diphtherische Ataxien zu bezeichnen sind. Diese Ataxien sind nach meiner Beobachtung viel häufiger, als die eigentlichen Paresen oder Paraplegien.

Diese Fälle haben, soweit ich sie selbst beobachtet habe und soweit sie in der Literatur beschrieben sind, dass Gemeinsame, dass bei ihnen der Patellar- reflex fehlt (of. auch Rumpr, Deutsches Arch. f. klin. Med. 20. 8. 120 Scauuszz, l. eodem 23. 8.360 und 85. S.474 und Er», Elektrotherapie S. 478). Ich möchte in dieser Beziehung nur als diagnostisch und prognostisch nieht un- wichtig bemerken, dass ebenso wie der Patellarreflex häufig noch fehlt, wenn die Patienten als geheilt aus der Behandlung entlassen werden, das Fehlen zu- weilen nachzuweisen ist, wo nur Gaumensegellähmung besteht und wo erst nach einigen Wochen sich die Ataxie der untern Extremitäten einstellt. In einem Falle, in dem neben Velumlähmung Acoommodationsparese bestand, blieb übrigens das Fehlen des Patellarreflexes, der erst nach Monaten wieder als vorhanden nachgewiesen werden konnte, das einzige Zeichen der Affection des spinalen Systems.

Die Sensibilität ist in derartigen Fällen z. Th. normal, z. Th. etwas herabgesetzt, in keinem scheint sie völlig erloschen gewesen zu sein, in dem vorliegenden bestand sogar eine Hyperästhesie an den untern Extremitäten, während im Uebrigen dieselbe normal war.

Ein grösseres Interesse dürfte der vorliegende Fall aber noch durch den pathologisch-anatomischen Befund erhalten.

Es ist noch nicht allzulange her, als man die Lähmungen, die nach Diph- therie eintreten, als sine materia bezeichnete; seit 2 Decennien haben wir aber eine grössere Zahl von genauen Untersuchungen zu verzeichnen, die mit seltenen Ausnahmen (VuLrıan in einem Fall, GAUCHER in einem Fall, Sann£ hatten negative Ergebnisse) anatomische Veränderungen als Ursache der Läh- mungen nachweisen konnten. Es ist nicht meine Absicht, eine Geschichte dieser Untersuchungen hier zu geben (Zusammenstellungen finden sich bei D£JERINE, Arch. de physiol. norm. et path. 1878. p. 107 und ganz neuerdings in sehr vollständiger Weise bei PauL Meyer, Virchow’s Arch. Bd. 85. S. 214), nur der Widerstreit der Meinungen mag in einem Ueberblick seinen Aus- druck finden.

1) Der eine Theil der Untersuchungen führte zu der Ansicht, dass die Ursache der diphtherischen Lähmung in einer Erkrankung der peripherischen Nerven liege. Dies ist der Fall hei Cuaroor et Vurıan (Compt. rend. de la Soci6t6 de Biolog. 1862), bei Loram et L£rme (Art. Diphtherie im Nouv. Dic- tionnaire. 1869). Lionviuue fand den Phrenicus verändert, Leyen, Ztschr. f. klin. Med. L S. 406 und Charit6-Annalen..V. S. 206, betrachtet die diphtherische Läbmung als hervorgegangen aus einer von dem ursprünglichen Herde auf-

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steigenden Neuritis, endlich hat PauL Merıer (l. c.) als Ursache derselben eine Neuritis nodosa neuerdings beschrieben.

2) Eine andere Reihe von Untersuchungen führte zu dem Schluss, dass der Ausgangspunkt des Processes in den Centralapparaten zu suchen sei.

Hier sind besonders die Untersuchungen von D£JERINE (Il. c. und Gaz. des Höpit. 1880. No. 42) zu nennen. Auch er fand die Neuritis, die er als parenchy- matosa bezeichnet, aber er hält diese Alteralionen an den Nerven für secundär und verlegt den ersten Angrifispunkt des Krankheitsgiftes in die graue Bub- stanz des Rückenmarks, in der sich eine interstitiell parenohymatöse Entzündung leichteren Grades (im Gegensatz zu den schweren Veränderungen bei den andern Formen von Poliomyelitis) entwickelt. Vunpıan hatte bereits in seinen Malad. du syst. nerv. 1876, eine mässige Atrophie der Zellen der Vorderhörner bei dieser Krankheit beschrieben.

Neuerdings trat noch für die poliomyelitische Natur der diphtherischen Lähmungen in der Royal Medical and Surgical Society in London Percy Kınp nicht ohne Widerspruch ein (Lancet. 1883. Jan. 13).

3) Diesen Anschauungen gegenüber orgab eine grössere Zahl von Befunden die erhebliche Betheiligung des Gefässsystems und seines Inhalts.

Buau (Ztschr. f. Biologie. 1867. 3. S. 359) fand capillare Blutungen im Gehirn, auch die Spinalwurzeln und Spinalganglien waren von ausgetretenem Blut und Exsudat umschlossen.

ÜERTEL (ZIEMSSEN, IL 2. Aufl. 1876. S. 608 u. 638) fand hochgradige Hyperämie sowohl in den Gefässhäuten, wie in der Substanz des Gehirns und BRückenmarks. Er sieht als directe Wirkung der Organismen der Diphtherie theils Erweichung der Hirnsubstanz und entzündliche Veränderungen, theils Blutungen, hervorgerufen durch Anhäufung von Mikrokokken in den Gefässen selbst und durch Compression derselben.

Diesen Befunden schliessen sich im Wesentlichen die von Kuss (Eulen- burg’s Realencyclopädie. IV. S. 167) an, nur hat er die Mikrokokken OERTEUTSs in seinen Fällen nicht gefunden, sondern reichliche Einlagerung stäbchenförmiger Elemente, mit Diapedese der rothen Blutkörperchen in Folge feinerer Ver- änderungen der Gefässwände (durch die Stäbchen). Der R. Marer’sche Befund, die Fälle von DamAascamo und Roger, endlich Lanpouzy (Des paralysies dans les malad. aiguös. Thöse de Paris. 1880) stützen die Annahme des Ausgangs- punktes des Processes von den Veränderungen in den Gefässen resp. der Ur- sache der Lähmungen in Thrombosen und Blutungen im nervösen Apparat.

Kuess bemerkt ausdrücklich, dass er in frischen Fällen die peripherischen Nerven frei fand und dass da, wo Veränderungen in diesen nachgewiesen werden, sie nur die Bedeutung secundärer Processe haben.

Der eine eigene anatomische Befund, den ich hier vorführen konnte, wird selbstverständlich die Frage zur Entscheidung nicht bringen, welche der hier eitirten Anschauungen die richtige ist.-”Er hat allerdings den Vortheil, einen Krankheitszustand zu betreffen, der tach kurzem Verlauf zum Tode führte, und dadurch die primären Veränderungen klarer zu zeigen, während bei längerer

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Krankheitsdauer es immer nicht leicht sein wird, zu sagen, wo der Ausgangs- punkt der gefundenen Veränderungen zu suchen ist.

In meinem Falle fanden sich deutlich ausgesprochen: 1. capilläre Hämorrhagien im Centralorgan, z. Th. in den in demselben ver- laufenden peripherischen Nerven. 2. die Zeichen der Neuritis interstitialis und parenchymatosa in Gestalt von Kernvermehrung des Neurilems und Veränderungen der Markscheide.

Die Veränderungen im peripherischen Nerven müssen nach dem Befunde als selbstständige, primäre, nicht etwa durch Alteration seiner Ernährungs- centren in den Ganglienapparaten hervorgebrachte gelten, zumal diese ja nor- male Verhältnisse ergeben. Danach möchte ich glauben, dass das diphtherische Gift ebensowohl die Gefässwände wie das Neurilemm und zwar in geeigneten Fällen gleichzeitig ergreift, und dass die exclusiven Vertreter der poliomye- litischen und neuritischen Veränderungen als Grundlage der diphtherischen Lähmungen eben so wenig und eben so viel Recht haben dürften, wie die- jenigen, die Alles von Tromben und Hämorrhagien resp. von Alterationen der Gefässwände herleiten.

Giebt man dies zu, dann hat es nichts Auffallendes, dass wir so häufig nach Diphtherie gerade Lähmungen des Gaumensegels finden: hier tauchen die Nervenendigungen direct in den diphtherischen Herd, und werden so unmittel- bar dem Entzündungserreger ausgesetzt.

Es ist in dieser Beziehung nicht ohne Interesse der Fall KussmauL’s, den Merer (l. c. p. 220) erwähnt, in welchem ein neugebornes Kind durch An- steckung an Nabeldiphtherie erkrankte, dem zuerst Lähmung der Bauch- musculatur folgte.

Auf der andern Seite lassen sich aber durch das Ergriffensein des Gefäss- systems allein jene Fälle erklären, in denen nach Diphtherie eine Hemiplegie unter apoplectischen Erscheinungen auftritt, und in denen die Section in der That auch einen hämorrhagischen Herd im Hirn nachweist. Im Ganzen sind solche Fälle sehr selten.

Henoch, der sicher über eine sehr reiche Erfahrung auf diesem Felde ge- bietet, giebt an, keine Hemiplegie nach Diphtherie gesehen zu haben (Vorlesungen über Kinderkrankheiten. 1881. p. 639). Mir selbst sind 3 Fälle zur Beobach- tung gekommen, von denen 2 tödtlich verliefen, der eine mit zurückbleibender Hemiplegie und Contractur am Leben blieb.

In allen 3 Fällen war die halbseitige Lähmung, die den untern Facialis, Arm und Bein ohne Störung der Sensibilität traf, und zwar zweimal rechts, und einmal links, plötzlich, aber ohne erhebliche Störung des Bewusstseins ein- getreten. Die Art der Entstehung wie der Verlauf schien jede andere ana- tomische Grundlage, als die der Embolie oder der Hämorrhagie auszuschliessen, in dem einen Fall, der zur Section kam, fand sich auch in der That ein kirsch- kerngrosser hämorrhagischer Herd, der das innere Glied des Linsenkerns ge- troffen und einen Theil der anliegenden innern Kapsel zerstört hatte. Ich möchte ührigens nach dem klinischen Bilde glauben, dass auch jene plötzlichen

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und räthselhaften Todesfälle in der anscheinend eingetretenen Reconvalescenz von Diphtherie ihre Ursache in Blutungen in die lebenswichtigen CGentren der Med. obl. haben. Genaue Untersuchungen des Centralorgans liegen für solche Fälle nicht vor.

Uebrigens zeigt eine genauere Durchsicht der Fälle, welche die Vertreter iler neuritischen Theorie veröffentlichten, dass auch hier meist sich Veränderungen im Gefässsystem fanden: Desesrme fand die Gefässe in der grauen Substanz des Rückenmarks erweitert und kleine interstitielle Hämorrhagien in den meisten Fällen neben Veränderungen der Gefässwände und nur PauL Meyer hebt in seinem sehr genau untersuchten Falle ausdrücklich hervor, dass er keine Thrombose oder Embolie, keine Degeneration der Wandung der Gefässe fand.

Es wird selbstverständlich die endgültige Entscheidung über die vorliegende [’rage so lange in suspenso bleiben müssen, als es überhaupt noch nicht ge- lungen ist, das diphtherische Gift, oder, wenn Sie wollen, den Diphtherie- Bacillus zu finden. Erst, wenn dies der Fall, dürfte sich die Möglichkeit er- sreben, das Verhalten der Gefässwände und des Neurilems gegen jenen Bacillus experimentell festzustellen.

4. Ueber den centralen Ursprung des N. acoessorius Willisii. Vorläufige Mittheilung von Dr. L. Darkschewitsch aus Moskau.

Die Ansichten der Autoren im Bezug auf den centralen Ursprung des N. acoessorius Willisii sind äusserst verschieden. HuGuEnI und WERNICKR nehmen für den oberen von der Med. oblongata entspringenden Theil des Nerven einen mit dem N. vagus und N. glosso-pharyngeus gemeinsamen Ursprung, und für den unteren von dem M. spinalis entstehenden Theile das Seitenhorn desselben an. DEITERS, KRAUSE, SCHWALBE, GEGENBAUR halten den unteren Theil des hinteren Vaguskernes für den Kern des oberen Theiles des Beinerven und den. Processus retioularis für die Ursprungsstelle seines unteren Theiles.. MEYNERT nimmt in der letzten Zeit auch zwei Ursprungsstellen an und zwar im Rücken- marke den Processus retioularis, in der Med. oblongata den vorderen Vagus- kern. Sroma lässt den Theil des XL. Nerven, der vom verlängerten Marke entspringt, bloss von dem „solitären Bündel“ seinen Anfang nehmen, während Houu diesen Theil zu dem N. vagus rechnet. RoLLzR nimmt nur einen Kern an und spricht die laterale Zellengruppe des Vorderhorns für denselben an, die er bis an das obere Ende der motorischen Pyramidenkreuzung verfolgen konnte.

Unsere eigenen Untersuchungen, zu denen hauptsächlich menschliche Em- bryonen benutzt wurden, führten uns zu folgenden Resultaten, die, wenn nicht im Ganzen, so doch im Wesentlichen mit denen der Untersuchungen RouLe’s übereinstiminen.

Der N. accessorius Willisii entsteht in der ganzen Länge seines Ursprungs, von oben bis unten, nicht aus verschiedenen Kernen, sondern vielmehr aus ein und demselben Zellenherde, der im Ganzen eine ununterbrochene Säule darstellt, wie es auf Längsschnitten sehr leicht zu constatiren ist.

185 °

Die Lage dieses Zellenherdes resp. Accessoriuskernes ist ohne Mühe zu be- sümmen sowohl in der Med. spinalis, als auch in der Oblongata, nach seiner Beziehung zur medialen Zellengruppe des Vorderhorns des Rückenmarkes und deren Fortsetzung im verlängerten Marke resp. zum Hypoglossuskerne, und zwar liegt derselbe immer etwas dorsalwärts und nach aussen von den genannten; im Rückenmarke bildet er die sog. laterale Zellengruppe des Vorderhorns.

Die Ausdehnung des Aocessoriuskernes ist ungefähr folgende: nach oben kann man denselben bis zum unteren Drittel der Oliven resp. bis zu der Gegend, wo der hintere Vaguskern sich zu zeigen beginnt, nach unten bis zum Ende des Ursprungsgebietes des 5. Halsnerven verfolgen.

Das äussere Ansehen der Zellen des fraglichen Herdes bleibt in seiner ganzen Länge das nämliche.

Die Accessoriuswurzel begiebt sich, nachdem sie den Kern verlassen hat, nie in einer geraden Linie zur Peripherie, sondern bildet immer einen sobarf geknickten Bogen, dessen concave Seite ventralwärts und etwas nach aussen gerichtet ist. Diese Verhältnisse sind wichtig für die richtige Auffassung der wirklichen Entstehungsstelle des Beinerven.

Der XI. Nerv hat also weder mit dem hinteren, noch mit dem vorderen Vaguskern etwas zu thun und ebensowenig steht er in irgend einer Beziehung zu dem „solitären Bündel“ oder zu dem Processus reticularis.

Wir wollen hier jedoch auf eine Eigenthümlichkeit der Zusammensetzung der Accessoriuswurzel hinweisen, über die unseres Wissens noch Niemand Mit- theilung gemacht hat.

In der Med. oblongata in der Höhe der Kerne der Hinterstränge kommen nämlich Fasern aus dem Burvach’schen Strang und diese gesellen sich zu der Wurzel des Beinerven, wonach sie sich in ihrer Gesammtzahl nach der Peri- pherie begeben. Es lässt sich nun auf Grund des histologischen Befundes. nstürlich nicht bestimmt sagen, welche physiologische Dignität diesen zuletzt erwähnten Fasern der Accessoriuswurzel zuzuweisen ist und welcher ıhr letzter Ursprung ist Zumal unsere Kenntnisse über die Herkunft der Fasern der BurpacH’schen Stränge nicht genügend geklärt sind. Das wird durch experi- ınentelle Studien weiter zu untersuchen sein.

5. Ueber eine Modification der neuen Weigert’schen Färbemethode für die markhaltigen Nervenfasern der Ä Centralorgane. Von Dr. M. Friedmann in Stephansfeld. Bei Untersuchungen über das Verhalten der zelligen Elemente der Central- urgane in pathologischen Zuständen, über die ich seiner Zeit berichten werde,

bin ich auf eine Modification der neuen im Allgemeinen ja Vorzügliches leistenden Weıgerr’schen Hämatoxylin-Färbemethode! aufmerksam geworden, welche mir

ı Weıcerr, Fortschritte der Medicin. 1884. Nr, 2 u. 6,

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speciell für die Verfolgung der tangentialen äussersten Nervenfaserlage der Hirnrinde von Werth erscheint. Die Modification beruht auf der Combination der Osmium> mit der Weıserr’schen Hämatoxylinfärbung, und es wird die Osmiumfärbung erzielt durch Anwendung der neuen Fuemmma’schen Kern- fixationsflüssigkeit? zur Härtung. Das Verfahren, das ich empfehle, ist folgendes: Kleine, d. h. nicht oder wenig über 1 cm grosse Stücke des Gehirns (womöglich im Beginn der Gehirnsection entnommen) werden sofort in ein Gemisch von 2 Theilen Osmiumsäurelösung von 2 per oent., 7 Theilen Chromsäurelösung von 1 per cent. und 0,2—0,5 Theilen Eisessig gelegt. Hier verweilen sie 5 Stunden bis 2 Tage, in der Regel 1 Tag, wobei sich die Oberfläche des Stückes hell- bräunlich bis schwärzlich färbt, welche Färbung auf dem Durchschnitt 1—2 mm in die Tiefe geht; der Best der Gehirnsubstanz bleibt weiss mit Stich in’s Graue. Nachher kurzes Abspülen des Stückes in Wasser und dann Einlegen in starken Alcohol zur Nachhärtung, die nach 1—3 Tagen vollendet ist. Dann Einbetten in Cellvidin und Schneiden unter Alcoholbefeuchtung des Mikrotommessers. Es ist wünschenswerth und gelingt in der Regel bei dieser Härtung leicht, ziemlich feine Schnitte anzufertigen. Die Schnitte kommen aus Alcohol direct in die gewöhnliche Bönmer’sche Alaun-Hämatoxylinlösung und werden in dieser, und zwar in der Regel mindestens 21/,—3 Stunden, im Wärmekasten einer Tem- peratur von 30—45° ausgesetzt, die dann tiefschwarz aussehenden Schnitte in Wasser kurz abgespült und hierauf in der von WEIGERT angegebenen Ferrid- cyankaliumlösung (Boracis 2,0, Kali ferricyanat. 2,5, Agq. dest. 100,0) differenzirt. Diese Differenzirung ist gewöhnlich schon nach 7—15 Minuten genügend vor- geschritten, was man daran erkennt, dass die graue Substanz braun mit Stich in’s Violette erscheint (der Rand bleibt braunschwärzlich), die weisse blausohwarz. Wartet man länger als ?/, Stunde, so entfärbt sich ein kleinerer Theil der Tangential- und ein grösserer Theil der Nervenfasern der tieferen Rindenschichten und des Marklagers; dafür treten die Tangentialfasern in der heller gewordenen Grundsubstanz um so schärfer hervor, was für die Betrachtung mit starken Systemen von Werth ist. Jetzt folgt Abspülen von der Ferridoyankaliumlösung aus in Wasser, Entwässern in Alcohol, Aufhellen in Nelkenöl oder Origanumöl und Einlegen in Damarlack oder besser Canadabalsaın.

In sämmtlichen Präparaten werden die Tangentialfasern sehr deutlich und sehen tiefschwarzblau aus, die übrigen mehr nach innen vom Präparatrand gelegenen Fasern besitzen die gewöhnliche gesättigte blaue Farbe. Diese letz- teren sehen vielfach nicht ganz ‘so glatt aus, wie bei der gewöhnlichen Härtung, es kann sich bei im Uebrigen scharfer Conturgrenze ein streokenweises Abgesetzt- sein und ein krümlich zackiges Aussehen des Randes zeigen, was dagegen da, wo die Osmiumwirkung (am Präparatrand und den Tangentialfasern speciell) mehr zur Geltung kommt, durchaus vermisst wird. Ein ähnliches Verhalten ergiebt sich bei Behandlung peripherischer Nerven nach der vorliegenden Me-

! Fusuuing, Archiv für mikroskopische Anatomie. 1884. S. 52; ähnliches Gemisch in FLeuming, Zellsubstanz, Kern etc. 1882. 8. 381.

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thode. Es wird durch weitere Untersuchungen zu entscheiden sein, wie weit es sich hier um präformirte Dinge oder um Gerinnungserscheinungen handelt. . Nach zu langem Verweilen der Stücke in der Härtungsflüssigkeit, wenn die ganze Schnittfläche graubraun geworden ist, fällt die WEıserr-Färbung zu tief aus, so dass die Fasern nicht mehr genügend deutlich unterschieden werden.

Man kann Kernfärbung durch Boraxcarmin, die aber nicht besonders schön wird, hinzufügen. Dagegen geben die nicht mit Wxıeerr’scher Färbung be- handelten Schnitte ausgezeichnet schöne und klare Kern- und Zellentinction mit den verschiedensten Kernfärbemitteln. Die Nervenfasern treten in ihnen nur wenig und in relativ kleiner Zahl hervor.

Die beschriebene Methode dürfte sowohl Vortheile vor der gewöhnlichen WeigerrT’schen Färbung nach Härtung in Müruze’scher oder Ernıckr’scher Flüssigkeit, die zu verdrängen sie jedoch nicht bestimmt sein kann, gewähren, wie vor der Exner’schen Osmium-Ammoniak-Behandlung der Hirnrinde. Gegen- über der ersteren färbt sie, abgesehen von der rascheren Härtung, die Tangential- fasern vollständiger und zuverlässiger, während jene doch sehr häufig bei sorg- fältiger Ausführung nur wenige derselben und wohl selten so viele Fasern zu Gesicht bringt, wie die combinirte Behandlung. Im Vergleich zur Exwae’schen Methode färbt sie mindestens ebensoviele Tangentialfasern. Ich will hier die Bemerkung nicht unterdrücken, dass ein Verdacht entstehen konnte, als ob die combinirte Behandlung auch Fasern aufzeigen kann, wo die Osmiumfärbung allein im Stiche lässt; doch wird darüber noch grösseres Material zu sammeln sein. Jedenfalls hat die Methode den Vortheil, dass die Präparate in Balsam conservirt werden können, und dass die gleiche Härtung für andere Färbungen vorzüglich geeignete Schnitte giebt.

Die Weıszer’sche Färbung unserer Präparate wird ermöglicht zweifelsohne durch die als Bestandtheil der Härtungsflüssigkeit figurirende Chromsäure. Man kann auch durch Chromsäurehärtung allein (von !/,—!/, per cent.) eine voll- ständige und sehr scharfe Wxeıserr’sche Färbung der markhaltigen Fasern erzielen. Die Tangentialfasern jedoch werden nicht reichlicher als nach Härtung in Erziczr’scher Lösung tingirt. Im Uebrigen haben diese Chromsäurelösungen, die mit Unrecht zu Gunsten der Salze von der Tagesordnung abgesetzt sind, für kleine Stücke angewendet den Vortheil, dass sie rascher härten und sehr schöne Kernfärbung (nicht mit Carmin, wohl aber mit Hämatoxylin) ermöglichen.

Stephansfeld, im Februar 1885.

a

I. Referate.

Anatomie, 1) Experimentelle Beiträge zur Kenntniss der Verbindungsbahnen des Kleinhirns und des Verlaufs der Funiculi graciles und cunesti,

von Dr. Pericles Vejas aus Korfu. (Arch. f. Psych. Bd. XVI. 1. 8. 200.)

Verf. studirte unter Anfertigung zahlreicher Schnittpräparate die Gehirne dreier

von Prof. Forel nach v. Gudden’scher Methode in folgender Weise operirter Thiere (2 Kaninchen, 1 Ratte):

= 3198: 2

1) Kaninchen a: Exstirpation des Funic. gracil. und cuneat. sammt ihrer Kerne rechterseits.

2) Ratte: Abtragung der rechten Kleinhirnhemisphäre mit dem Nucleus dentat., der rechten Flocke, sowie eines Theiles der Fasermasse der rechten Wurmhälfte.

3) Kaninchen b: Wegnahme der rechten Flocke, eines Theiles des rechten Nucleus dentat. und des rechten Brückenarms.

Die Thiere lebten nach der Operation 52—74 Tage.

Bei der Untersuchung der Gehirne zeigten sich folgende secundäre Atrophien:

1) Kaninchen a: a) rechter Hinterstrang unterhalb der Operationsstelle ad minimum reducirt; die Atrophie desselben glich sich abwärts bis zum Beginn des Dorsalmarks successive nahezu völlig aus; b) Reduction der Fibrae arcuatae des Funiculi auf der operirten Seite, entsprechender Faserausfall der gekreuzten Oliven- schicht, nachweisbar bis zum Corp. trapez.; c) partielle Atrophie der inneren Ab- theilung des Kleinhirnstiels, nebst in diesem eingelagerten Zellen. Im Uebrigen Alles normal, ganz besonders auch der Deiters’sche Kern.

2) Ratte: a) rechtes Corpus restiforme, rechter Seitenstrangkern, linke Olive hochgradig geschwunden; b) Atrophie des Bindearms, verfolgbar bis und in den gekreuzten rothen Kern; c) Schwund des rechten Brückenarms nebst grauer Substanz in der gekreuzten Brückenhälfte. Dachkern blieb unversehrt, Pedunculi cerebri normal.

8) Kaninchen b: Atrophie der rechten Kleinhirnhemisphäre einerseits, des rechten Bindearms (partiell) andererseits, während Dachkern und Corpus restiforme sich als normal erwiesen,

Diese secundär entstandenen Atrophien beutet der Verf. für den Faserverlauf im Kleinhirn und Adnexa aus, wie folgt:

1. Das Corpus restiforme setzt sich zusammen: a) aus der Kleinhirnseitenstrang- bahn, b) aus Fasern der contralateralen Olive (Haupttheil), c) aus dem Faserzuge des Seitenstrangkernr. Die vom Ref. angenommene Mitbetheiligung von Fasern aus dem Fun. cun. an der Bildung des Strickkörpers wird bestritten! Bezüglich der Endigung des Corp. rest. im Kleinhirn kam Verf. zu keinen bestimmten Resultaten.

2. Die innere Abtheilung des Kleinhirnstiels wird vorwiegend gebildet aus dem Kern des Fun. cun. entstammenden Fasern, im Weiteren aber auch aus Fasern der Formatio reticularis und aus den innerhalb jener Bahıı befindlichen Zellen. Als Eind- stätte dieser Bahn wird der Dachkern angesehen (Meynert).

3. Der Bindearm bezieht seine Fasern höchst wahrscheinlich aus allen Theilen der Kleinhirnrinde. Derselbe endigt im rothen Kern der gekreuzten Seite (v. Gudden, Fore)).

4. Der Brückenarm entspringt aus der Kleinhirnhemisphäre derselben Seite und zieht zur grauen Substanz der gekreuzten Brückenhälfte. Mit den Pedunculi cerebri steht derselbe in einer directen Verbindung nicht.

m

! Die vom Ref. nach Hemisection des Rückenmarks beobachtete Atrophie des Deiters’- schen Kerns (v. Archiv für Psych. XIV. 1) kann nach den Operationserfolgen des Verf. in der That nicht mehr durch Vermittelung des nach demselben Eingriff ebenfalls partiell strophirenden Corp. rest. und Fun. cun. erklärt werden. Die Betheiligung des Fun. cun. an der Bildung des Corp. rest. muss fallen gelassen werden. Ref. ist nach abermals vor- genommenen, sorgfältigen Durchmusterung der bezüglichen Schnittreihe, sowie durch auf anderem Wege gewonnene Versuchsresultate nunmehr zu der Ueberzengung gekommen, dass die nach halbseitiger Durchschneidung des Rückenmarks auftretende Atrophie der mächtigen Ganglienzellen im Deiters’schen Kern mit dem zu gleicher Zeit erfolgenden Faserschwunde in der Formatio reticularis (vgl. a. a. O. 8.7) in Zusammenhang gebracht werden müsse. Diese Fasern, aus den Seitensträngen derselben Seite stammend, zeichnen sich durch grosses Caliber aus, sie liegen in den Ebenen des Facialiskerns in etwas zerklüfteten (auf Quer- schnitten schräg ne) Bündeln dorsal von diesem und zwischen den Wurzeibündeln des N. Facialis; die letzteren schräg kreuzend, ziehen sie frontal-dorsalwärts n den Deiters’schen Kern zu und treten ohne Zweifel mit den Zellen desselbsn in Verbindung (vgl. auch Angaben von Deiters, I,aura u. A.).

-— 139

5. Der Funicul. gracil. nimmt Theil an der Bildung „) der Hinterstränge, und zwar in hervorragenderer Weise ala der Fun. cun., b) der contralateralen Oliven- zwischenschicht. Beziehungen dieses Faserzuges zur unteren Olive werden in Ab- rede gestellt.

6. Der Funicul. cuneat. steht mit dem Corp. restif. in keiner directen Verbin- dung. Auffallender Weise werden die Beziehungen des Fun. cun. zu dessen Kern in Zweifel gezogen. Die unteren Oliven stehen mit dem Fun. cun. in keiner Ver- bindung. v. Monakow.

Experimentelle Physiologie.

2) Weitere Untersuchungen über automatische Bewegungen enthaupteter Thiere, von Professor Tarchanow. (Wjestnik psychiatrii i nevropatologii. 1884. 11. Russisch.) |

Im 33. Bande des Archives für die gesammte Physiologie hatte Prof. Tarchanow eine vorläufige Mittheilung veröffentlicht, in welcher angegeben ist, dass das Rücken- mark enthaupteter Enten bei Einleitung künstlicher Athmung die Fähigkeit entwickelt, eine ganze Reihe complicirtar coordinirter Bewegungen auszulösen. Gegenwärtig be- richtet er über die Fortsetzung dieser Versuche an Enten sowohl, als einer Mange anderer Vögel (Gänse, Hühner, Tauben, Krähen, Spechte etc.), wobei er zu folgenden Ergebnissen gelangte:

Zum Gelingen der Versuche sind unumgänglich nothwendig energische künst- liche Athmung, Frische und Reinheit der zugeführten Luft, Vermeidung starker Blutverluste und jugendliches Alter der Versuchsthiere. Nach Durchschneidung des Rückenmarks allein können Enten 16—25 Stunden lang am Leben erhalten bleiben, während enthauptete Enten schon nach 1—2 Stunden zu Grunde gehen; der Grund hierfür liegt hauptsächlich in der starken Anämie, die sich in letzterem Fall ent- wickelt. Wenn man einer enthaupteten Ente während der Ausführung automatischer (Schwimm-)Bewegungen leichte periphere Reize applicirt, so sistiren dieselben sofort; falls dagegen die nämlichen Reize das Thier während einer Ruhepause treffen, so wird die Ruhe sogleich gestört und die automatischen Bewegungen beginnen von Neuem. Es bewirken also periphere Reize in den Rückenmarkscentren einen Zu- stand, der demjenigen entgegengesetzt ist, in welchem sie sich im Moment der Reiz- application befanden. Falls man einer Ente mit durchtrenntem Halsmark das Rücken- mark an noch zwei Stellen durchschneidet, so functionirt jedes isolirte Segment einige Zeit unabhängig von den anderen weiter. Nicht nur die Centren für coordinirte Bewegungen, sondern auch die vasomotorischen Centren des Bückenmarks äussern hierbei eine ungeschwächte Thätigkeit, wie Messungen des Biutdrucks lehren.

Nachdem die automatischen Bewegungen enthaupteter Enten (d. h. solcher, denen der Kopf durch kräftige Ligatur des Halses mit Ausschluss der Trachesa ab- geschnürt ist) einige Stunden fortgedauert haben, kommen die Thiere schliesslich zur Ruhe; doch können lebhafte coordinirte Locomotionsbewegungen vermittelst eines neuen Sehnittes durch das Rückenmark sofort wieder ausgelöst werden. Hieraus folgert Verf., dass die automatischen Bewegungen enthaupteter Vögel überhaupt Zwangsbewegungen sind, bewirkt durch die künstliche Reizung des Rückenmarks, welche bei Durchschneidung desselben entsteht. Hierdurch können alle complicirten Mechanismen für die Coordination der Bewegungen des Schwimmens, Fliegens, Hüpfens ete. (bei verschiedenen Vogelgattungen), die im Rückenmark enthalten sind, zur automatischen Thätigkeit angeregt werden.

Was die anderen 'Thiere Fische, Amphibien, Säugethiere anbetrifft, so hat bei ihnen bekannterweise Durchschneidung des Halsmarks trotz künstlicher Ath- mung vollständige Lähmung des Rumpfes und der Extremitäten zur Folge Zur

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Entscheidung der Frage, vb in dieser Hinsicht zwischen Vögeln und anderen Thier- gattungen ein wesentlicher Unterschied bestehe, unternahm Verf. eine Versuchsreihe mit Durchschneidung des Halsmarks unter variirten Bedingungen an verschiedenen Fischen, Eidechsen, Ratten, Meerschweinchen, Hasen und anderen Säugethieren. Allerdings stellte sich hier in den meisten Fällen nach Durchschneidung des Rücken- marks vollständige Lähmung der Glieder ein. Doch in einigen Versuchen an Hasen, Fledermäusen und Eidechsen gelang es im Verlauf von 5—10 Minuten nach der Durchschneidung automatische coordinirte Bewegungen der Extremitäten zu beobachten. Nach subcutaner Injection von 0,0005—-0,0008 Strychnini sulfur. stellten sich auch bei weissen Ratten nach Rückenmarksdurchtrennung coordinirte Locomotionsbewegungen ein. Verf. sucht deshalb den Grund, weshalb es bei den meisten Säugethieren in der Regel nicht gelingt, wie bei Vögeln, die im Rückenmark enthaltenen Coordinations- mechanismen vermittelst Durchschneidung desselben in Thätigkeit zu versetzen, darin, dass die Lebensfähigkeit und Erregbarkeit der zu automatischer Function befähigten Rückenmarkselemente zu rasch nach dem Einschnitt sinkt. P. Rosenbach.

Pathologische Anatomie.

3) Ein Beitrag zur Kenntniss der Rückenmarkserkrankung der Paralytiker, von Dr. Julius Wagner, Assistent an der Klinik des Prof. Leidesdorf. (Medic. Jahrbücher von Prof. Albert etc. 1884. S. 369.)

Wagner berichtet über einen Fall von progressiver Paralyse aus der Leidesdorf’schen Klinik, in welchem nach anfänglichen Gemüths- und In- telligenzstörungen apoplectiforme Anfälle, erhebliche Sprachstörung, Intentionszittern, spastische Paralyse, hochgradig gesteigerte Sehnenreflexe, Incontinentia alvi sich ein- stellten. Später trat Demenz ein; zwei Monate vor dem Tode wurden vollständige Paralyse der Unterextremitäten, Verschwinden der spastischen Phänomene an den- selben constatirt; die Patellarreflexe noch vorhanden. Ein Monat vor dem Tode schlaffe Lähmung der Unterextremitäten („das Volumen der Musculatur scheint abgenommen zu haben“), Verschwinden der Patellarrefiexe und der Hautreflexe an den Beinen, Die spastische Lähmung der Oberextremitäten bleibt bestehen. Elek- trische Untersuchung der anscheinend atrophischen Muskeln fehlt.

Die anatomische Untersuchung ergab hochgradige Atrophie des Gehirns besonders am Stirn- und Scheitellappen und ein „in seiner Masse reducirtes“ Rücken- mark, das makroskopisch nichts Abnormes zeigte. Nach der Härtung in Müller’scher Flüssigkeit wurden die Pyramidenbahnen, die Goll’schen Stränge und ein Theil der Kleinhirnseitensirangbahnen degenerirt gefunden, im Lendentheil auch partiell die medianen Partien der Hinterstränge.. Besonders auffallend erschienen aber die Ganglienzellen der Vorderhörner des Lendenmarkes verändert. Die Kerne derselben lagen zum Theil wandständig, häufig ragten dieselben über den Rand des Zellleibes hervor. An einigen Ganglienzellen sollen sogar die Kerne ausser- halb der Zelle gelegen haben. Verf. sah auch kernlose Ganglienzellen, die nicht nur artificiell ihres Kernes beraubt gewesen zu sein schienen. Die Form der Kerne war different; einmal fanden sich zwei Kerne in einer Ganglienzelle. (Echte Kern- theilungsbilder wurden nicht nachgewiesen). In vielen Ganglienzellen war ausserdem Vacuolenbildung vorhanden; andere waren gequollen und hatten ausgebauchte Con- touren. Die Zwischensubstanz war normal. Ueber die Beschaffenheit der vor- deren Wurzeln findet sich keine Angabe; die Musculatur wurde nicht untersucht.

(Ob wirklich Wanderungen des Kormes activer Art vorkommen, erscheint äusserst fraglich, passive Verlagerungen können durch verschiedene Gründe herbei- geführt werden. Ref.) Schultze (Heidelberg).

141 Pathologie des Nervensystems.

4) Klinische Beiträge zur Localisation des Grosshirnmantels, von C. Günther. (Ztschr. f. klin. Med. 1885. S. 1.)

G. theilt ‘hier in ausführlicher Weise seine Beobachtungen mit, deren Ergebnisse er bereits auf dem 3. Congress für innere Medicin (cf. d. Ctibl. 1884. S. 334) zu- sammengestellt hatte. Wir müssen aber von vornherein sagen, dass sein Material zum erheblichen Theil für den Zweck der Tiocalisation im Grosshirnmantel nicht zu verwerthen war. Fälle, in denen eine Hirnverletzung „zu einer ausgedehnten Er- weichung geführt hatte, welche bis an die Decke des Ventrikels ging“ (Fall 10), „eine Thrombosis der Carot. intern. dextr. eine Erweichung des hintern Theils des rechten Stirnlappens, der Centralwindungen und des ganzen Scheitellappens hervor- gebracht“ (Fall 3), „Tuberkulose der linken Hirnhälfte, wesentlich in der Rinde der oberen Partien der hinteren Centralwindung und der angrenzenden Partien der oberen Partien der hinteren Centralwindung und der angrenzenden Partien des oberen Scheitel- läppchens mit umgebender Erweichung“ (Fall 9) etc. etc. sind zum Beweis für den Satz, den G. an die Spitze stellt, dass „Herde innerhalb der motorischen Zone gesetz- mässig Lähmungen machen“, unbrauchbar; ebenso wie sich in Bezug auf den zweiten Theil jenes Satzes: „Herde ausserhalb derselben (motorischen Zone) haben nicht diese Eigenschaft, können aber unter gewissen Bedingungen ebenfalls zum Ausgangspunkt von Lähmungen werden“ gegen die Beweiskräftigkeit einer Reihe der mitgetheilten Fälle erhebliche Bedenken aus andern Gründen vorbringen lassen.

Während in einzelnen Fällen supponirt wird, dass das Bestehen von I,ähmungen übersehen worden, wird bei andern Pat., die immer im Halbschlummer vder somno- lent gefunden wurden (Fall 27, 32), die Bemerkung der Krankengeschichte: „voll- ständiges Fehlen von Lähmungen“ als richtig angenommen.

Es ist dem Ref. unverständlich geblieben, wie Verf. an die Spitze seines Schluss- resum6s stellen konnte: Das Material umfasst 62 Fälle von reiner Läsion des Grosshirnmantels.

5) A case of traumatic aphasia, by B. Bribach, St. Louis. (Archives of Me- dicine. Vol. XII. p. 233.)

B. giebt einen kurzen, aber bündigen Bericht über einen exquisiten Fall von traumatischer Aphasie.

W. M. ein gesundes 8jähriges Mädchen, wurde am 28. Juni von einem Maul- esel in der linken Temporalgegend verletzt. Nach einer Stunde schon wurde sie von B. untersucht. Derselbe constatirtoe eine Fractur des Schädels, die theilweise das Os frontale und zum Theil das Os parietale betraf; ferner beobachtete er vollkommen erbaltenes Bewusstsein, und da sonstige Gehirnerscheinungen fehlten, nähte B. die Wunde zu. Nach dem Erwachen aus der Narkose fiel Verf. die Aphasie auf; es wurde ihm dann auch mitgetheilt, dass das Mädchen seit der Verletzung nicht ge- sprochen hatte. Am nächsten Tage bestand die Aphasie noch, aber sonst waren keine Lähmungserscheinungen vorhanden. Nachmittags, 30 Stunden nach der Ver- letzung, wurde trepanirt, die Dura blieb unverletzt. Das Kind schlief volle 8 Stunden nach der Operation; beim Erwachen, begehrte sie einen Trunk. Zuerst wurden falsche Bezeichnungen gewählt; nach 10 Tagen wurde die Sprache ganz normal.

Verf. vergleicht die Stelle der Verletzung mit einem Seguin’schen Schema und kommt zu dem Schlusse, dass die verletzte Stelle und das angenommene Sprach- contrum sich nicht decken, dass das Sprachcentrum nur durch indireoten Druck be- einflusst wurde. Ob die Schädelbildung eine vollkommen normale war, wird nicht angegeben, darauf müsste aber bei solchen topographischen Schätzungen geachtet werden. Sachs, New-York.

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6) A contribution to Jacksonian Epilepsy and the situation of the Leg- Centre, by William Osler, F. R. C. P. Lond., Philadelphia. (Am. Journ. of. Med. Sciences. 1885. p. 31.)

Obiger Fall betrifft ein Mädchen, das das Alter von 15 Jahren und 9 Monaten erreichte. Die sehr ausführliche Krankengeschichte stammt von dem Vater einem Arzte. O0. stellt das Erwähnenswerthe aus- dieser Krankenbeschreibung in folgender Weise zusammen: „Rindenepilepsie, die sich über mehr als 14 Jahre erstreckt. Die Cunvulsionen, die in der linken Hand zuerst bemerkt wurden, blieben eine Zeit lang auf den linken Arm beschränkt (3 Monate), erstreckten sich dann auf das linke Bein; nach weiteren 2 Monaten treten allgemeine Convulsionen auf; keine Bewusst- losigkeit. Während der ersten 9 Jahre der Erkrankung Remissionen, die 6—7 Monate dauerten, einmal sogar ein ganzes Jahr anhielten. 6 Jahre nach Beginn der Erkrankung Schwäche und Steifigkeit des linken Beines. Vom 10.—13. Jahre der Erkrankung häufige Convulsionen. Während dieser Zeit eine Gwöchentliche Be- wusstlosigkeit mit 50— 80 Krampfanfällen täglich. Die Convulsionen sistirten voll- kommen während 10 Monate vor den letzten Anfällen, die nach einer Woche unter Bewusstlosigkeit und Coma zum Tode führten.

Autopsie: Dura normal; Arachnoidea nicht getrübt; Hemisphären gleich stark. Gefässe der Pia erweitert. Windungen der motorischen Zonen symmetrisch. Bei einem Frontalschnitte durch die aufsteigende Frontalwindung 2 cm nach vorn von der Fissura Rolando kam man auf eine dichte fibröse Masse, die nur die oberen Bündel der weissen Substanz betraf; die graue Substanz wurde scheinbar nur gegen die mediane Fläche zu ergriffen. Histologisch erwies sich der Tumor als Gliom. Verf. bemerkt ganz richtig, dass ein physiologisches Experiment nicht exacter hätte ausgeführt werden können. Die Rindensymptome sind demnach als Reizungserschei- nungen aufzufassen. Was das Beincentrum betrifft, so stimmt Verf. mit den An- sichten Ferrier’s, Charcot’s und Pitres überein. Sachs, New-York.

Psychiatrie.

7) Die krankhaften Erscheinungen des Geschlechtssinns, von Prof. Tar- nowsky. (Wjestnik psychiatrii i nevropatulogii. 1884. II. Russisch.)

Verf. hatte als Repräsentant des Katheders für venerische Krankheiten in St. Petersburg während langer Jahre reichliche Gelegenheit, Beobachtungen auf dem Gebiete perverser Aeusserungsweisen des Geschlechtstriebes zu sammeln, und in ge- nannter Schrift sind seine hierauf bezüglichen Erfahrungen in monographischer Form mit ausgiebiger Benutzung der einschlägigen Literatur niedergelegt. Hauptsächlich wird die Päderastie in ihren mannigfaltigen Modificationen besprochen, doch sind auch die anderen Arten perverser Geschlechtsthätigkeit herbeigezogen. Vom klinischen und ätiologischen Standpunkt ausgehend classificirt Verf. die behandelten Erscheinungen in folgender Weise:

Unter den Subjecten, die von perversen Greschlechtstrieben befallen werden, lassen sich zwei Gruppen unterscheiden solche, die von Geburt an dazu disponirt sind, meistens auf Grund hereditärer neuropathischer Constitution, und solche, die keine erbliche Belastung aufweisen.

Im ersten Fall kann die conträre Sexualempfindung dem Organismus von Geburt an in seinem Wesen anhaften, wie einem gesunden Menschen der normale Geschlechts- trieb (angeborene Päderastie); oder sie kann zeitweise, in Gestalt krankhafter Paroxysmen sich einstellen, bei Subjecten, die sonst zu normaler Geschlechtstbätig- keit befähigt sind (periodische Päderastie); oder sie kann bei Epileptischen als psychisches Aequivalent der Epilepsie auftreten (epileptische Päderastie).

Die zweite Gruppe geschlechtlicher Perversität umfasst alle Abnormitäten des (eschlechtstriebes, die durch mangelhafte Erziehung, schlechtes Beispiel oder als der

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Ausdruck lasterhafter Neigungen bei entsittlichten Personen sich entwickeln (er- worbene Päderastie). In diese Gruppe reiht Verf. auch die krankhaften Aeusse- rungen des Geschlechtstriebes ein, die bei seniler Demenz und paralytischem Blödsinn beobachtet werden (senile und paralytische Päderastie).

Die verschiedenen aufgestellten Typen können sich miteinander combiniren, und dadurch entstehen gemischte, complicirte Formen sexueller Perversität, die eine be- sondere Gruppe bilden.

Zum Schluss sind in detaillirter Weise die Veränderungen an den betreffenden Körpertheilen besprochen, die eine Constatirung stattgehabter Päderastie in foren- sischen Fällen ermöglichen; dieses Capitel ist selbstverständlich nur für den Gerichts- arzt von speciellem Interesse.

(Wie uns bekannt, beabsichtigt Prof. Tarnowsky, seine Arbeit auch in deutscher Sprache herauszugeben. Ref.) P. Rosenbach,

Therapie.

8) The insane hospital as a therapeutic implement, by J. C. Spray. (Ameri- can Journ. of Neurol. and Psych. 1884. p. 366432.)

Verf. bespricht die berechtigten Anforderungen, die man in technischer wie

administrativorvr und ärztlicher Hinsicht an eine neu zu errichtende und zeitgemäss zu leitende Irrenanstalt stellen darf. Zum Theil auf eigene Beobachtungen in hervor- ragenden Anstalten Europas gestützt, befindet er sich dabei in erfreulicher Ueber- einstimmung mit den Anschauungen der modernen Psychiatrie. Die lesenswerthe Arbeit bringt daher an und für sich nicht viel Neues und bedarf also hier keines eingehenden Referates. Von Einzelheiten sind indess viele interessant genug, um ihre kurze Wiedergabe zu rechtfertigen. Verf. empfiehlt vor Allem die Aufgabe des früher und besonders, wie 68 scheint, in den Vereinigten Staaten beliebten Zellensystems: gemeinschaftliche Wohn- und Schlafräume für je eine grössere Zahl von Kranken seien überall vortheilhafter für die Ruhe und Sicherheit der Patienten gewesen, als zahlreiche Einzelzimmer. Be- sonders deutlich habe man dies in zwei amerikanischen Anstalten beobachten können, die beide nach dem alten System der Einzelräume gebaut das Unglück hatten, theil- weise durch Feuer zerstört zu werden. In der Eile hatte man sich nachher ent- schliessen müssen, provisorisch grosse gemeinschaftliche Räume herzustellen, und beide Mal zeigte die Erfahrung, dass seitdem die Kranken ausserordentlich viel ruhiger und umgänglicher waren, als unter den früheren Verhältnissen.

Zu jeder Anstalt müssen Annexe geschaffen werden, die für Reconvalescenten und arbeitende an das Anstaltsleben gewöhnte Pfleglinge grössere Freiheit und Be- haglichkeit gewähren könnten. Beispielsweise sei erwähnt, dass in der Anstalt zu T,ondon, Ontario, von 900 Patienten 360 „Colonisten‘“ sind.

Sehr empfiehlt Verf. ferner die Anstellung zuverlässiger Oberaufseherinnen auf den ruhigeren Männerabtheilungen, die dort neben dem eigentlichen männlichen Wart- personal gewissermaassen die gute Sitte aufrecht erhalten sollen. Ebenfalls günstig spricht er sich für ausgedehnte Beschäftigung, ohne die der wünsclhenswerthe No restraint nicht durchführbar sei, dann für Schulunterricht, für Besuche und für Be- urlaubungen aus. Dass endlich der Briefwechsel im Gegensatz besonders zu englischen Anschauungen überwacht werden müsse, bestätigt der Verf. und führt ein trauriges Beispiel von den Folgen des gegentheiligen Systems an: durch die Briefe einer an Grössenwahn leidenden Patientin in einer amerikanischen Ausialt war ihr Bruder in Dänemark bewogen worden, sein kleines Geschäft in der Heimath aufzulösen und mit seiner grossen Familie zu seiner im Reichthum schwelgenden Schwester überzusiedeln. Selbst nun von Allen entblösst erfuhr er erst in der An- stalt die wahre Lage der Unglücklichen. Sommer.

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9) Zur operativen Behandlung der tiefliegenden traumatischen Hirn- abscesse, von C. Gussenbauer. (Prag. med. Wochenschr. 1885. Nr. 1—3.)

18jähr. Schüler, bis vor 3 Jahren gesund, dann Otitis med. suppur. mit Per- foration des Trommelfells, schwere Hirnerscheinungen, Stauungspapille, Trepanation des nicht veränderten Proc. mastoideus, darnach unter wechselndem Verlaufe Her- stellung zur Norm. Im folgenden Jahre Halsdrüsenschwellungen, die eine Cur in Hall fast schwinden macht.

12. Juni 1883 Revolverschuss gegen die Stirn, kein Bewusstseinsverlust, hoch- gradige psychische Erregung, sonst psychisch nicht abnorm; Eingangsöffnung des Schusscanals 3 cm über dem Margo supraorbitalis etwas nach rechts von der Mittel- linie, Extraction des dem Knochen aufliegenden Projectils, Periost zerrissen, Knochen unverletzt. Weiterer Verlauf bis auf einmalige Fiebersteigerung normal.

24. Juni Klagen über Schmerzen im linken Auge und Ohr, Zunahme der Se- cretion, Spaltung der Stirnhaut bis zur Glabella, der vom Periost entblösste Knochen weiss. Nach kurzer freier Pause vom 26. Juni ab hohes Fieber bis 3. Juli, dabei Wunde ganz normal, Schmerzen im linken Ohr, Uvula etwas nach links; die Unter- suchung des linken Ohres zeigt dicken Eiter im äusseren Gehörgang, Röthung des Trommelfells, Einziehung des Hammergriffes. Von da ab normales Befinden, mehr- fache Abstossung necrotischer Splitter; im August Strabismus convergens von wech- selnder Stärke, Abnahme der geistigen Functionen. Anfangs September linke Facialis- parese, die später schwindet und wiederkehrt; zeitweise Erbrechen, selbst beim Auf- setzen, Puls 40—60 Schläge. October: Theilnahmslosigkeit, Kopf nach links vorn- über hängend, Strabismus convergens, links Facialisparese, Extremitäten frei, leicht eintretende Somnolenz, Pupillen gleich, mittelweit, hochgradige Stauungspapille beiderseits; Zunahme der Erscheinungen.

Auf Grund von im Original nachzusehenden Erwägungen kommt G. zur Annahme eines Abscesses im rechten Stirnhirn, dessen Operation er am 10. October vornimmt; es fand sich an der vermutheten Stelle, zum Theil durch deutliches Fluctuations- gefühl nachgewiesen, ein etwa apfelgrosser Abscess. Während der Operation keinerlei bedrohliche Symptome, darnach schwacher Kopfschmerz, und Schmerz im Halse und linken Ohr, Bewusstsein gebessert, Facialparese verschwunden, die am folgenden Tage in geringerem Grade wiederkehrt; fieberloser Verlauf, zeitweise Erbrechen, Kinnbackenkrampf; allmählich Besserung der Erscheinungen, Schwinden der Facialis- parese, Abnahme des Strabismus, Zunahme der Ernährung. Ende November kurz- dauerndes Auftreten des Strabismus, coincidirend mit leichtem Fieber, Zunahme der Wundsecretion und starker Wucherung der Granulationen; auch der Augenspiegel- befund zeigt wieder eine Verschlimmerung an, die nach Entfernung mehrerer necro- tischer Knochenstückchen sistirt, Ende December Wunde geheilt. Die Untersuchung ergiebt Fehlen jeder nervösen Abnormität, Augenspiegelbefund nähert sich noch mehr der Norm. Pat. seither wohl, erkrankt am 13. April 1884 fieberhaft, rechts Stirn- kopfschmerz, bei Beugung des Kopfes Contractur der rechten Nackenmuskeln, bei Lateralblick links Nystagmus, Sensorium frei, später Apathie; 18. April, bei Abnahme des Fiebers, psychische Verworrenheit, epileptischer Anfall mit Krämpfen in der rechten Gesichtshälfte und im rechten Arm, der sich seither mehrfach wiederholt.

In den epikritischen Bemerkungen betont G. an der Hand der vorliegenden und eines zweiten, durch die Section erhärteten, kurz mitgetheilten Falles, gegen Berg- mann die Bedeutung des Fluctuationsnachweises; die Coincidenz der Wiederkehr der nervösen Erscheinungen mit stärkerer Granulationswucherung deutet er im Sinne der von Adamkiewicz gegebenen Erklärung der sog. Hirndrucksymptome, das Verhalten der Stauungspapille im vorliegenden Falle will er nur im Sinne einer Reizung erklären und nicht durch mechanische Momente. A. Pick.

Verlag von Veır & Come. in Teipzig. Druck von Marzezs & Wırrıa in Leipzig.

NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Meondel Dritter zB, Berlin. Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

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1885. 1. April.

Ne. T.

Rapporten der Commissioners in Lunacy. I. Aus den Gesellschaften. IV. Bibliographie. V. Personalien. Vi. Vermischtes.

I. Originalmittheilungen.

l. Ueber die innere Abtheilung des Strickkörpers und den achten Hirnnerven. B Von W. Bechterew aus Petersburg. (Aus dem Laboratorium von Prof. PauL Freonsıe zu Leipzig.) Bei der Untersuchung embryonaler Gehirne kann man in der inneren

Abtheilung des Corpus restiforme mindestens zwei gesonderte Bündel unter- scheiden: das eine umhüllt sich mit Mark in sehr frühem Alter bei ca. 28 bis

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30 cm Körperlänge, das andere, welches nach innen und unten (spinalwärts) von dem ersteren gelagert ist, wird erst bei ca. 88 cm Körperlänge markhaltig.

Das zuletzt genannte Bündel nimmt seinen Anfang in einer hinter (dorsal) dem Deırters’schen Kern gelegenen Gruppe kleiner Gang- lienzellen (zum Theil vielleicht auch im D.’schen Kern selbst). Indem es in der inneren Abtheilung des Kleinhirnschenkels in der Nachbarschaft der äusseren Wand des vierten Ventrikels emporsteigt, zieht es nach Eintritt in das Klein- hirn zum Theil zwischen den Fasern der Bindearme, zum Theil oberhalb der letzteren und verliert sich zwischen dem gleichseitigen Kugelkern und Pfropf; nur einzelne Bündelchen dringen bis an den Dachkern heran. Seine Fasern gehen nicht auf die andere Seite herüber und bilden also auch nicht eine Kreu- zung in der Medianlinie oberhalb der Dachkerne.

Das zweite Bündel des inneren Abschnittes des Strickkörpers verläuft un- mittelbar nach aussen und zum Theil nach vorn (cerebralwärts) von dem ersteren. Demzufolge steigt es zwischen dem oben beschriebenen kleinzelligen Kerne und den Fasern der äusseren Abtheilung des Strickkörpers empor, verläuft alsdann nach aussen und oben von dem vorderen Kleinhirnschenkel und zieht zu den Dachkernen. Ein bedeutender Theil dieses Bündels bildet oberhalb und zwischen letzteren in der Medianlinie die von M&ynert beschriebene Kreuzung (grosse vordere Kreuzungs-Commissur des Wurms, StiLLıne); ein kleiner Theil unseres Bündels scheint auch im gleichseitigen Dachkern sein Ende zu finden.

Anlangend den Anfang dieses Bündels im verlängerten Marke überzeugte ich mich, dass 1) ein (kleiner?) Theil seiner Fasern in Verbindung steht mit den oberen Oliven. Manche derselben scheinen nur zur Olive der entgegengesetzten Seite eine Beziehung zu haben, da sie nach ihrem Eintritt in die transversalen Fasern des Corpus trapezoideum um die gleichseitige Olive herumbiegen und alsdann auf die entgegengesetzte Seite hinziehen; jedenfalls hängt aber ein Theil unseres Bündels mit der gleiohseitigen oberen Olive zusammen; zum Theil dringen die betreffenden Fasern durch die Substantia gelatinosa und die auf- steigende Trigeminuswurzel hindurch, zum Theil umgürten sie letztere von aussen her. 2) Ein anderer Theil der frühzeitig markhaltigen Bündel zieht vom Kleinhirn zum verlängerten Mark herunter, zur Gegend bez. an die Basis des Deıters’schen Kerns, wo er verschwindet, ohne dass ich anzugeben vermag, wie bez. wo er endet.

Der Nervus acusticus zerfällt auf Grund der Markscheidenbildung in zwei wohlgesonderte Abtheilungen:

a) Eine bereits bei 25 cm langen Foetus markhaltige, welche sich im Wesent- lichen deckt mit der „vorderen“ Wurzel der Autoren; sie umfasst sämmt- liche medial vom Corpus restiforme in das Centralorgan eindringenden Fasern und geht hervor aus dem Nervus vestibularis, weshalb ich sie kurz als „Wurzel des Nervus vestibularis“ bezeichnen will.

b) Eine erst bei ca. 30 cm Körperlänge sich mit Mark umhüllende, welche übereinkommt mit der „hinteren“ Wurzel der Autoren; sie enthält sämmt- liche nach aussen vom Corpus restiforme verlaufenden Fasern und geht hervor

ei

aus dem Nervus cochlearis, weshalb sie „Wurzel des Nervus cochlearis“ heissen möge.

Keine dieser Wurzeln hat directe Verbindungen mit dem Kleinhirn; die Wurzel des Nervus vestibularis endet mit der Mehrzahl ihrer Fasern in den grauen Massen, welche in der Seitenwand des IV. Ventrikels dorsal vom Dartses’schen Korn gelegen sind; ein kleinerer Theil verläuft längs des letz- teren nach abwärts gegen das verlängerte Mark, streckenweise begleitet von den sub 2) beschriebenen Fasern der inneren Abtheilung der unteren Kleinhirnstiele. Die Wurzel des Nervus cochlearis endet zum grossen Theil in dem vorderen Kern des Acusticus (MEYxERT; Nucleus acustici „accessorius“, SCHWALBE), aus welchem das Corpus trapezoideum hervorgeht (FLecHysie).

Ueber weitere Verbindungen werde ich später Mittheilung machen; hier nur noch die Bemerkung, dass die Striae acusticae viel später markhaltig werden, als beide Wurzeln des N. acusticus, demnach offenbar nicht direct mit letzterem zusammenhängen.

2. Ein neuer transportabler Rheostat.

Von Dr. Ewald Hocker, Director der Kuranstalt für Nervenleidende zu Johannisberg a. Rh.

Der von Brenner in die Elektrotherapie eingeführte Rheostat, der bei der galvanischen Behandlung an Kopf und Hals füglich nicht entbehrt werden kann, hat leider durchaus nicht die Verbreitung gefunden, die er im Interesse der durch ein unvorsichtiges plötzliches Ein- und Austreten des Stromes oft schwer geschädigten Patienten verdiente. Er hat in seiner ursprünglichen Form als Stöpselrheostat mancherlei Uebelstände, welche Howswr (Riga) richtig hervor- gehoben, und in seinem Kurbelrheostaten vermieden hat. Aber auch bei der Housrt’schen Modification bleiben als Uebelstände der hohe Preis und die Un- möglichkeit, den Apparat leicht zu transportiren, bestehen. Von dem Bestreben ausgehend, gerade diese Fehler zu beseitigen, hat man (wie z. B. Reiniger in seiner z. Th. auf meine Anregung hin construirten Rheostatelektrode) kleinere und billigere Metallrheostaten mit 2000 8, E. Widerstand construirt, die im Nebenschluss eingeschaltet, ganz ausreichend functjoniren könnten, wenn nicht ein augenscheinlich - bisher (damals auch von mir) nicht genügend in Betracht gezogener Umstand ihre Wirkung vollständig illuspriseh machte. Die geringe Zahl der Contacte nämlich, die z. B. bei der Renuiszr’schen Rheostatelek- trode nur 10 beträgt, ermöglicht nyr eine zehnstufige Steigerung und Schwächung der Stromstärke. Schon bei einer Zahl von 10 Elementen also gewährt der Rheostat absplut keinen Vortheil gegenüber der Einschaltung von Element zu Element. Bei Anwendung yon mehr als 10 Elementen leistet er sogar weniger. Demnach können als Metallrheostaten nur solche von 30-50 Contacten in Frage kommen upd diese sind eben recht thener (126—160 Mark) und schwer transportabel.

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Alle diese Uebelstände sollte der von Runge angegebene Flüssigkeits-. rheostat vermeiden, der in der That sehr viele Vorzüge hat, vor allen Dingen ein ganz allmähliches Ein- und Ausschleichen des Stromes möglich macht. Ich habe ihn Jahre lang ausschliesslich benutzt und habe seine Vortheile schätzen, aber auch seine Nachtheile genügend kennen gelernt. Der ursprünglich von Runge construirte Rheostat mit nur einem Glasrohr bietet bei der allein vor- theilhaften Einschaltung in den Hauptstrom keinen genügend grossen Wider- stand: es sind daher in der Regel Rheostaten mit 2 und da auch diese nicht immer ausreichen neuerdings mit 4 Glasröhren in Gebrauch. Die- selben werden bekanntlich mit einer 40°/, Zinksulphat-Lösung gefüllt. Die Manipulation der Füllung, sowie die der Reinigung ist bei der Enge der Röhren recht umständlich und lästig. Das giftige Zinksulphat krystallisirt in Folge der Verdunstung des Wassers leicht aus, namentlich da die unten in Metallhülsen eingekitteten Röhren oft undicht werden. Die Krystalle bedecken dann in häss- licher Weise den Apparat und stören auch die freie Bewegung des Zinkstabes, der noch dazu leicht abbricht und dadurch eine unliebsame Stromunterbrechung veranlasst. Ferner ist die Bewegung von oben nach unten und umgekehrt, wie sie zum Ein- und Ausschieben des Zinkstabes nothwendig, mit schleifender Feder keine sichere und gleichmässige und endlich ist auch dieser Apparat kaum transportabel, schon wegen seiner Zerbrechlichkeit.

Seit einem Jahre nun habe ich einen neuen Rheostaten in täglichem Ge- brauch, den ich mir zunächst auf einfachste Weise selbst construirt hatte, dann aber in einer mich vollkommen befriedigenden Ausführung von W. A. HırscH- MANN habe herstellen lassen. Das Neue desselben besteht einfach darin, dass die sonst den Widerstand bildende Flüssigkeitssäule durch ein angefeuch- tetes leinenes Band ersetzt wird, auf welchem ein mit Kohle armirter Schieber, der die eine Leitungsschnur trägt, auf- und abgeschoben werden kann. Anfänglich hatte ich aus Furcht vor Polarisation ebenfalls schwefelsaure Zink- lösung zur Tränkung des Bandes benutzt und den Schieber von amalgamirtem Zinkblech hergestellt; doch konnte ich zu meiner Befriedigung davon Abstand nehmen, da ein Versuch mich belehrte, ‘dass man ebensogut gewöhnliches Wasser oder eine Kochsalzlösung verwenden und das Zink zweckmässiger durch Kohle ersetzen kann, ohne dass eine auch nur im geringsten störende Polarisation eintritt. Die Nadel des empfindlichen Hrırscnmann’schen Einheitsgalvanometers bleibt während eines mehr als 10 Minuten dauernden Stromschlusses bei Ein- schaltung des „Bandrheostaten“ absolut ruhig stehen.

Die Construction des überaus einfachen Apparates ist folgende:

An der Stimm einer 60 cm langen, 4cm breiten, 1?/, cm dicken Hart- gummileiste ist eine !/, cm dicke Kohlenplatte, die mit einem Messingbügel leitungsdicht verbunden ist, befestigt. Der Bügel trägt eine Klemmschraube zur Einleitung des Stromes. Auf der Leiste nun ist ein sich um die Kohle herumschlagendes und dadurch in Leitung gebrachtes, auf der unteren Seite der Leiste an einem Ende befestigtes 1'/, cm breites leinenes Band der Länge nach ausgespannt, welches durch eine einfache Vorrichtung am anderen Ende

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(beweglicher, durch Schraube fixirbarer Klemmklotz) angespannt und festgeklemmt werden kann.

Auf der Leiste, dieselbe mit zwei Schenkeln reiterartig umfassend, lässt sich ein schwerer und allein durch seine Schwere den Contact sichernder Messingklotz, der an seiner unteren Fläche mit einer ihm leitungsdicht angehefteten Kohlenplatte armirt ist, leicht hin- und herschieben. Derselbe trägt die eine Leitungsschnur mit Elektrode zur Ausleitung des Stromes. (Der Apparat ist also in Hauptschluss eingeschaltet.) Das leinene Band wird nun mittelst eines Schwammes mit Wasser oder, besonders in der Nähe der Kohle, besser mit Koch- salzlösung durchfeuchtet. Alsdann schaltet man eine beliebige Zahl von Elementen (15—380) ein, während der Schieber dicht am Klemmklotz steht und somit die ganze Jänge des feuchten Bandes als Widerstand wirkt. Jetzt schiebt man den Schieber ganz langsam nach der Kohle zu vor, wodurch ein sehr allmäh- liches und absolut gleichmässiges Anschwellen der Stromstärke erzielt wird, was man an dem durchaus gleichmässigen Vorrücken der Galvanometernadel con- troliren kann. Eine metallische Berührung des Schiebers mit der Kohle am Ende der Leiste muss man vermeiden, da dann die Stromstärke zu plötzlich anwächst. Ferner hat es sich zweckmässig gezeigt, das Band in seinem ersten Drittel doppelt übereinander zu legen.

Der Apparat hat mir bei täglich mehrstündiger Anwendung im Laufe eines Jahres noch nie versagt und keinerlei Uebelstände gezeigt. Er ist durchaus einfach, billig,’ leicht zu bedienen und leicht transportabel. Da man wenigstens als Specialist oft gerade die schwer Kranken, bei denen man auf den Rheostaten am wenigsten gern verzichtet, ausserhalb des Sprechzimmers zu behandeln hat, scheint mir der letztgenannte Vortheil noch besonders in’s Gewicht zu fallen. Ich möchte den Bandrheostaten daher recht dringend zur Benutzung empfehlen.

3. Ein Fall multipler Neuritis mit Athetosis. Von Dr. L. Löwenfeld in München.

Der Inhalt nachstehender Beobachtung wird deren Mittheilung an dieser Stelle rechtfertigen.

Franz Bauer, 44 Jahre alt, verheirathet, Bauersmann (Häusler) von Hof- acker, k. b. Bezirksamt Passau, Vater von 4 gesunden Kindern. Von den Eltern des Pat. starb der Vater 68 Jahre alt an Wassersucht, die Mutter an Schlag- fluss. Patient weiss von früheren Erkrankungen nur wenig zu berichten. Vor 18 Jahren will er eine Magenentzündung, ausserdem öfters Rheumatismus gehabt haben. Sein Biergenuss war angeblich immer ein sehr mässiger. 8 Wochen vor dem Beginne der gegenwärtigen Erkrankung zog sich Pat. eine intensive Erkältung zu, die jedoch anscheinend keine weiteren Folgen nach sich zog. Anfangs December 1883 wurde Pat. etwa 6 Nächte hindurch von sehr heftigem

ı W. A. Hınscamann (Berlin) fertigt ihn für 21 Mark an.

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Schwitzen heimgesucht; auch bei Tage war während dieser Zeit sein Befinden kein gutes. Nachdem dies überstanden war, machte sich eine gewisse Schwäche in den Beinen und zwar insbesondere in den Knieen bemerklich; Pat. konnte jedoch trotzdem seine Arbeit noch verrichten. Etwa 8 Tage nach dem Eintritt der erwähnten Schwäche stellte sich ein Gefühl von Pelzigsein und Ameisen- kriechen an den Klein-, Ring- und Mittelfingern beider Hände ein (Daumen und Zeigefinger blieben beiderseits völlig frei). Das gleiche Gefühl machte sich gleichzeitig an beiden Füssen an den 3 äusseren Zehen und ca. 8 Tage später auch an einer etwa 3 Finger grossen Stelle medial neben der linken Brust- warze geltend. In der Folge verbreitete sich das pelzige Gefühl an beiden Armen -von den genannten 3 Fingern und dem Kleinfingerballen aus nach aufwärts an der Ulnarseite des Vorderarms und der Innenseite des Oberarms bis in die Achselhöhle hinein. Bevor jedoch dasselbe die Achselhöhle erreicht hatte, dehnte es sich auch auf den Zeigefinger und Daumen und von hier aus allmählich auf die übrigen Partien des Armes aus. Letztgenannte Theile wurden jedoch erst einige Zeit nach der Ausbreitung des Pelzigseins über die Innenseite des Armes affıicirt. Zu gleicher Zeit mit dem Ueberhandnehmen der Parästhesie an den Armen wurde das Gefühl in der Hand stumpfer und trat eine weitere Ausbreitung der pelzigen Empfindung auch an den Beinen auf. Hier erstreckte sich die genannte Parästhesie zunächst über die beiden inneren Zehen, sodann über die Füsse und ging schliesslich auf beide Unter- und Oberschenkel über, um erst an der Leistengegend Halt zu machen. Noch ehe das Pelzigsein an den Beinen seine grösste Ausdehnung erreicht hatte, breitete sich dasselbe am Thorax von der oben erwähnten Stelle an gürtelförmig aus, und als das Gefühl die Wirbel rückwärts erreicht hatte, gesellte sich eine starke Constrictions- empfindung hinzu; später entstand auch weiter unten pelziges Gefühl von rück- wärts gürtelförmig nach vorne (hier etwa 2 Finger unterhalb des Nabels) ver- laufend, das seit etwa 6 Wochen mit einem Druckgefühle verbunden ist. Etwa 14 Tage nach dem Erscheinen der ersten Sensibilitätsstörungen an .der Brust trat auch zu beiden Seiten des Mundes pelziges Gefühl auf, dass sich allmählich weiter aufwärts gegen Auge und Schläfe und seitlich bis zu den Ohren erstreckte. Diese Sensibilitätsstörung im Gesichte besteht noch. Eigentliche Schmerzen, Reissen, Stechen, Brennen etc. waren nie vorhanden. Dagegen traten zeitweilig eigenthümliche blitzartige Empfindungen in den Armen (hier ins- besondere in den Händen) und an den Beinen auf. Pat. bezeichnet diese Sen- sationen nicht als schmerzhaft, sondern eher als wohlthuend. An den Händen beschränkten sich dieselben auf die 3 Ulnarfinger (Klein-, Ring- und Mittelfinger).

Mit den Sensibilitätsstörungen stellte sich auch eine gewisse Schwäche in den Armen ein, die jedoch in den letzten Monaten nicht mehr zunahm. Pat. fühlt auch jetzt keinen sehr hochgradigen Kraftmangel an den Armen, sondern mehr eine gewisse Schwere, insbesondere an den Vorderarmen. Die Schwäche an den Beinen nahm in den ersten Monaten der Erkrankung noch etwas zu; doch ist Pat. noch jetzt im Stande, eine Stunde weit zu gehen. Treppensteigen

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geht schlecht, noch schlechter jedoch das Abwärtsgehen. Zugleich mit den Sensibilitätsstörungen an den Armen stellte sich Doppeltsehen ein, das auch jetzt noch Morgens beim Aufwachen und Abends in der Dunkelheit auftritt. Das Gehör hat, wie Pat. glaubt, an Feinheit etwas verloren. Seit etwa 6 Wochen macht sich auf dem rechten Ohre ein leises Singen bemerklich. Der Appetit war während der ganzen Zeit gering; der Stuhlgang dagegen regelmässig. Beim Beginne der Erkrankung war öfterer Harndrang mit geringer Urinentleerung vorhanden. Die Blasenthätigkeit ist jedoch schon seit Langem wieder ganz in Ordnung, auch die Potenz ist erhalten.

Status praes. 5. und 6. Juli 1884. Uebermittelgrosse Persönlichkeit von ziemlich guter allgemeiner nahme Schädel von normaler Configuration und bei Percussion nirgends empfindlich.

Das linke Auge beim Geradeaussehen etwas einwärts rotirt (linksseitiger Strabismus convergens). Pat. sieht beim Linksdrehen der Augen die vorgehaltene Hand doppelt, beim Rechtsdrehen einfach, und so verhielt es sich nach seiner Angabe immer. Pat. giebt auch an, dass die Auswärtsrollung des linken Auges bedeutend grössere Anstrengung erheischt, als die des rechten. Uebrigens er- folgen die Auswärtsbewegungen beider Augen anscheinend etwas langsamer, als die übrigen Augenbewegungen, die sich in jeder Beziehung intact erweisen.

Pupillenreaction, Facialis, Zungenbewegungen, Sprache etc. normal. Am Halse keine Drüsenanschwellung. Die Musculatur an beiden Armen und am Thorax ziemlich gut entwickelt, doch verhältnissmässig schlaf. Auffallende Schlaffheit jedoch nur an beiden Mm. triceps. Am Halse und an den oberen Extremitäten kein Nervenstamm auffallend druckempfindlich oder angeschwollen. Die Haut an diesen Theilen von normaler Farbe und Wärme.

Von den Bewegungen im Schultergelenke die Erhebung der Oberarme be- schränkt, die übrigen Bewegungen in normaler Excursion, jedoch nur mit mässiger Kraft ausführbar. Im Elibogengelenke rechts die Beugung ziemlich kräftig, die Streckung schwach. Die Bewegungen in den Handgelenken sämmt- lich von geringer Kraft. Beugung und Streckung, Ab- und Adduction von normaler Excursion; Pro- und Supination fehlend. Von den Fingerbewegungen die Spreizung der Finger rechts mangelhaft, links die Entfernung des Ringfingers vom Mittelfinger unvollkommen. Händedruck beiderseits kraftlos. Greifen und Fassen mit den Händen ohne Beihülfe des Gesichts nicht möglich, da, wie Pat. angiebt, er nicht fühlt, ob er den Gegenstand in Händen hat oder nicht. Ein- und Ausknöpfen des Hosenträgers, der Hemdknöpfe etc. ist daher nur an Stellen ausführbar, die dem Gesichte zugänglich sind, gelingt hier aber mit völliger Sicherheit. Auch sonst lässt sich wenigstens bei offenen Augen eine Ataxie nicht mit Bestimmtheit constatiren. Beim Stossen mit dem Zeigefinger nach der Mitte der vorgehaltenen Hohlhand wird letztere meist getroffen. Dagegen wird bei geschlossenen Augen nicht nur die Nasenspitze anfänglich nicht er- reicht, sondern nicht einmal die Nase überhaupt. Pat. deutet an letzterer ganz vorbei.

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Ferner machen sich im Ruhezustande der Hand an den Fingern beständig, jedoch mit secundenlangen Intervallen, theils leise ruckartige, theils langsam fortschreitende ergiebigere Bewegungen (z. B. Beugung der extendirten Finger, Abduction des kleinen Fingers etc.) bemerklich. Diese Bewegungen lassen sich durch den Willen nicht völlig unterdrücken. Eine merkliche Störung der will- kürlichen Bewegungen wird aber durch dieselben auch nicht herbeigeführt. Pat. erwähnte spontan dieser Bewegungsphänomene in keiner Weise; meine Aufmerksamkeit wurde desshalb auf dieselben erst bei der elektrischen Exploration der Arme gelenkt, bei welcher mir auffiel, dass Pat. aller Ermahnung ungeachtet immer wieder einzelne die Untersuchung störende Bewegungen mit den Fingern ausführte. Bei näherer Untersuchung ergab sich nun obiges Verhalten.

Die Musculatur an den Beinen ziemlich gut entwickelt, doch auch hier ziemlich schlaff, besonders auffallend ist die Consistenzabnahme an den Mm. quadriceps beider Oberschenkel. Keine auffallende Druckempfindlichkeit an Nervenstämmen oder Muskeln beider Beine. Im Liegen sämmtliche Bewegungen im Knie- und Hüftgelenke in normaler Excursion, doch nur mit geringer Kraft ausführbar. Die Bewegungen im Fussgelenke ebenfalls von normalem Umfange, aber auch entschieden kräftiger. Gang ohne sehr auffallende Störung, nur schwerfällig, Umdrehen schwierig. Stehen auf einem Beine beiderseits möglich. Stehen mit geschlossenen Augen ohne Schwanken. Am Rücken die Dornfort- sätze der Wirbel von der Mitte der Dorsalwirbelsäule bis zum Kreuzbein herab ausserordentlich druckempfindlich; desgleichen die Musculatur am Rücken links neben den betreffenden Process. spinos. seitlich bis zur hinteren Axillarlinie (die Musculatur, nicht die Haut); die Musculatur über der linken Scapula im geringeren Grade druckempfindlich. Druck auf die zuerst erwähnten Mus- keln verursacht solchen Schmerz, dass der Pat. Thränen vergiesst.

Sensibilität: Im Gesichte die Unterscheidung zwischen Spitze und Knopf erhalten; die Tastkreise an keiner Stelle nennenswerth erweitert. An den Armen sowobl als an den Beinen die Lage- und Bewegungsempfindungen normal. Die Unterscheidung zwischen Spitze und Kopf an beiden Armen mangelhaft, doch an der linken Hand deutlich besser als an der rechten; auch an den Unter- extremitäten zum Theil (Unterschenkel) ungenügend. Bezüglich der Tastkreise ergab sich folgendes Verhalten:

Tastkreise r. Arm l. Arm

Kleinfinger 3 Phalanx Volars. 36 21/, c Ringfinger 3 Phalanx Volars. 3C 2cC Mittelfinger 21, c 26 Zeigefinger 31/6 26 Daumen | 21/, 6 20

Hohlhand Kleinfingerballen 31/, 6 21,6 Daumenballen 40 20 Vorderarm innen (unten) 61/, c 50 .s oben 9c be

ss aussen 12 c 6c

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Tastkreise r. Arm l. Arm Oberarm innen 13 ec De ni aussen 13 c 9c Handrücken, Kleinfingerseite unbestimmbar 56 ss Daumenseite Be 36 Kleinfingerrücken Bil, c 11), c Ringfingerrücken 4c 1!/, © Mittelfingerrücken 11/, 6 2c Zeigefingerrüücken 11, 0 2C Daumenrücken 1°), c 1!/,e

An dem Rücken der rechten Hand grenzt sich die Zone der Unbestimm- barkeit der Tastkreise derart ab, dass sie genau von dem Kleinfingerballen bis zum Zwischenknochenraum zwischen Ring- und Mittelfinger reicht. Links findet sich keine derartige scharfe Abgrenzung.

Tastkreise r. Bein 1. Bein Oberschenkel vorn Sc 5c . innen 8c 1lc Aussen Tec 6e Pr hinten 5!/, 6 BI, c Unterschenkel vorn 9e 10—12 c 55 hinten 76 Te Fussräckenmitte Ic 6c Fusssohlenmitte 3c Ic

Stich- und Kitzelreflex an der Fusssohle erhalten, dessgleichen das Kitzel- gefühl. Cremaster-, Bauch- und Glutaealreflex ebenfalls vorhanden, letzterer sehr lebhaft. Kein Kniephänomen, kein Fussphänomen, keine paradoxe Con- traction.

Bei der elektrischen Exploration zeigt sich die faradische Erregbarkeit der Nervenstämme und Muskeln an den oberen und unteren Extremitäten überall erhalten, nirgends eine auffallende Herabsetzung derselben. Die Prüfung mit dem galvanischen Strome ergab:

rechter Arm linker Arm N. medianus O. A. 21/, ma. KSZ. 4 ma. KSZ>AS2. N. ulnaris O. A. 5 ma. KSZ>KUZ2. 51/, ma. KS2Z. M. biceps 21/, ma. KSZ. 2 ma. KS2. M. triceps 2 ma. KSZ. 6 ma. KSZ>ASZ (Spur). N. radialis 3 ma. KS2. 5 ma. KSZ. M. extens. dig. coomm. 7 ma. KSZ>ANZ. 5!/, ma. KSZ. M. flexor digit. comm. 2 ma. KS2. 41/, ma. KSZ>ASZ.

Kleinfingerballen 1!/,: ma. KS2.

154

rechtes Bein linkes Bein N. cruralis 7 ma. KSZ>K0Z. 2 ma. KSZ. 5 ma. KSZ>ASZ. M. rect. femor. 12 ma. ASZ. 12 ma. ASZ.

14 ma. KOZ<ASZ>AOZ

15 ma. KSZ=ASZ>AUZ.

M. vast. int. 15 ma. KSZ>AS2. 12 ma. KS2.

M. biceps. fem. 12 ma. ASZ. 12 ma. KS2. 14 ma. KSZ=ASZ.

N. peroneus 7 ma. KS2. 9 ma. KS2,

M. tibialis. ant. 10 ma. KSZ>K0Z. 9 ma. KS2. | 10 ma. KSZ>ASZ.

M. gastrocnem. 15 ma. KSZ=ASZ>AUZ. 8 ma. KSZ.

sämmtlich sehr schwach. (Schluss folgt.)

II. Referate.

Anatomie

1) Sul peso specifico deli’encefalo umano, sue parti e del midollo spinale, e sulla determinazione quantitativa della sostanza bianca e della grigis, pel dott. E. Baistrocchi. (Rivist, speriment. di frenatr. e di medic. leg. 1884. X. p. 193.)

In der sehr ausführlichen und sorgfältigen Arbeit theilt der Verf. die Resultate seiner Untersuchungen über das specifische Gewicht des menschlichen Gehirns und einzelner wichtiger Theile desselben mit. Die Methode der Untersuchung, sowie die einzelnen sehr zahlreichen Wägungsresultate müssen in dem Original nachgesehen werden. Hier wird es genügen, anzugeben, dass die Bestimmung des specifischen Gewichts mit Hülfe eines sehr grossen Nicholson’schen Aracometers geschah; von jedem der 43 Gehirne (21 M. und 22 W.) wurden der Reihe nach die Gewichte in der Luft und im destillirten Wasser und zwar zunächst des Gesammtgehirns, des Mantels (nach Ausschälung der grossen Ganglien und des Mittel- und Kleinhirns), dann der Streifen- und Sehhügel, und endlich des Mittelhirns mit dem Kleinhirn, sowie der Medulla spinalis ermittelt. Ausserdem wurde jedesmal das specifische Gewicht der grauen und der weissen Substanz bestimmt und dann mit Hülfe der bekannten Archimedischen Regei die absolute Menge der einen und der anderen berechnet.

Die Hauptresultate lassen sich nun in der folgenden Zusammenstellung wieder-

geben. Das mittlere specifische Gewicht betrug bei

21 M. 22 Fr. im Gesammthin . . . 2.2.20... 1,0265 1,0338 im Mantel 2020.20... 1,0278 1,0285 im Streifen- und Sehhügel 202020. ..1,0453 1,0446 im Mittel- und Kleinhim . . . . . . .. 1,0479 1,0584 im Rückenmark . 1,0387 1,0348 in der weissen Marksubstanz der Hemisphären 1,0273 1,0289 in der grauen Rinde der Hemisphären 1,0206 1,0239 in der grauen Substanz der Ganglien . 1,0334 1,0346.

Die weisse Marksubstanz macht daher 71,2, resp. 74 ,, des Gesammthirns aus.

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Bei der Betrachtung dieser Zahlen darf indessen nicht übersehen werden, dass sie nur Mittelwerthe darstellen, also nur einen relativen Werth haben und nicht auf jeden concreten Fall zu passen brauchen, und ausserdem dass sie von Gehirnen ab- strahirt sind, die aus dem verschiedensten Lebensaltern stammen; auch die Zeit zwischen dem Tode und den Wägungen ist eine sehr verschiedene.

Hier ist ferner noch zu erwähnen, dass das specifische Gewicht des Gesammt- hirns mit dem absoluten Gewicht zu steigen scheint, während beim Mittel- und Kleinhirn das Gegentheil der Fall ist. Was den Einfluss des Lebensalters betrifft, so steigt das specifische Gewicht von der Foetalzeit bis zum 40. Jahre etwa, um dann langsam wieder zu fallen; doch ist dies Verhalten bei den Ganglien, beim Mittelhirn und Kleinhirn nur wenig ausgeprägt. Das Rückenmark soll in der Foetal- zeit das höchste specifische Gewicht besitzen.

Vom Einfluss pathologischer Vorgänge sei hier angedeutet, dass Sklerosen und andere interstitiale Processe das specifische Gewicht zu erhöhen, Erweichen dagegen . zu vermindern pflegen. Die beginnende Fäulniss setzt stets das spec. Gewicht herab.

Fast sämmtliche Resultate können natürlich nur den Anspruch auf annähernde Richtigkeit machen, da die Zahl der untersuchten Gehirne eine verhältnissmässig geringe ist; eine Sicherheit wird erst durch sehr zahlreiche Nachuntersuchungen gewährt werden können und diese erfordern, wie schon die vorliegende Arbeit zeigt, grosse Sorgfalt und Mühe, besonders auch um die etwaigen Fehlerquellen, die der Methode angehören, auszuschalten. Sommer.

Experimentelle Physiologie.

2) Ueber ein besonderes im vorderen Theil der Seitenstränge des Rücken- markes verlaufendes Bündel langer Fasern, von W. Bechterew. zur December-Sitzung der St. Petersburger psychiatrischen Gesellschaft. 1884. (Russisch.)

Auf Grund seiner im Laboratorium von Prof. Flechsig zu Leipzig angestellten Untersuchungen behauptet Verf. das Bestehen eines besonderen Faserbündels in der sogenannten vorderen gemischten Zone der Seitenstränge. Auf einem Querschnitt aus der Halsanschwellung des Rückenmarks erscheint dieses Bündel als ein Streifen, der dem inneren Rande der vorderen Portion der directen Kleinhirnseitenstrangbahn anliegt und vor letzterer an die Peripherie des Seitenstrangs tritt. In der Richtung nach vorn nimmt es allmählich an Breite ab und endet hinter der Austrittsstelle der vorderen Wurzeln. Das bezeichnete Bündel erhält seine Markscheiden ungefähr im Anfang des 8. Monats des Foetallebens vor der Markbekleidung der Pyramiden- bahn und später als die übrigen Theile der Seitenstränge. Sein unteres Ende lässt sich bis zur Höhe des unteren Abschnittes der Lendenanschwellung verfolgen, wo e8 in Gestalt eines sehr schmalen Streifens erscheint, der an der Peripherie des Seiten- strangs unmittelbar vor der hier stark verjüngten Pyramidenbahn liegt. In der Richtung nach oben nimmt sein Umfang allmählich zu. An fötalen Rückenmarken lässt sich das Bündel aufwärts bis zum sogenannten Seitenstrangkern verfolgen, wo nach Verf. Meinung seine Fasern unterbrochen werden. In pathologischen Fällen und bei Durchschneidung des Bückenmarks degenerirt dieses Bündel in aufsteigender Richtung zusammen mit der directen Kleinhirnseitenstrangbahn. Dadurch erklärt Verf. den Umstand, dass in solchen Fällen das Gebiet der aufsteigenden Degeneration die vordere Grenze der directen Kleinhirnseitenstrangbahn nach vorn überschreitet.

Auf Grund pbysiologischer Untersuchungen gelangt B. zu dem Schluss, dass das bezeichnete Bündel eine Leitungsbahn für die Schmerzempfindungen enthalte. Er theilt seine Versuche mit Durchschneidung verschiedener Rückenmarkstheile an Kaninchen und Hunden mit, und bestätigt die Untersuchungen Woroschilow’s in

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der Hinsicht, dass die Leitung von Schmerzempfindungen durch die Seitenstränge geschieht. Doch behauptet B., dass Durchsöhneidung der ganzen hinteren Hälfte des Rückenmarks sammt der hinteren Portion der Seitenstränge an den Thieren keine Analgesie bewirkt; das nämliche Resultat erhielt er, wenn nebst der hinteren Hälfte des Rückenmarks die graue Substanz und ein Theil der Vorderstränge durch- schnitten wurden. Hieraus folgert er, dass die Leitungsbahn für Schmerzempfindungen im vorderen Gebiet der Seitenstränge liegen muss. P. Rosenbach.

3) Experimentelle Untersuchungen über die Willensthätigkeit, von K. Rieger und M. Tippel. Jena 1885.

In dem ersten von R. gearbeiteten Abschnitte beschreibt und discutirt derselbe eine von ihm schon früher erwähnte Methode zur Untersuchung der Willensthätigkeit, die darin besteht, dass der zu Untersuchende bei (meist) gestrecktem und so lange als möglich horizontal gehaltenem Arme ein die Markirung besorgendes Object (Stecknadel) in der Hand hält, während der Untersucher die von dem Ende desselben auf eine rotirende Trommel geworfenen Schatten markirt; die auf solche Weise ge- wonnenen Öurven werden zu Schlüssen über die hier vorliegende Form der Willens- äusserung einer Dauerleistung benützt. An der Hand zahlreicher Untersuchungen zeigt nun R., dass sich die von in der Richtung der Willenssphäre differenten Indi- viduen in verschiedenen Stadien gewonnenen Curven sehr verschieden gestalten und zu Schlussfolgerungen über den Zustand der Willenssphäre benutzt werden können.

Als Grundbedingung aller Versuche bezeichnet R., dass das Versuchsindividuum so gut wollen muss, als es eben wollen kann, also nicht simuliren darf. Wenn nun Ref. auch nicht zu Jenen zählt, die dies als unüberwindliche Schwierigkeit im All- gemeinen ansehen und deren Zweifel R. widerlegt, so kann er doch gewisse Bedenken bezüglich der Anwendbarkeit der Methode auf Hysterische, welche R. gleichfalls in den Rahmen seiner Untersuchungen einbezogen, nicht verfehlen; wir wissen aus den zahlreichen Untersuchungen der sensiblen und sensoriellen Störungen der Hysterischen, welche wesentliche Rolle bei denselben unbewusste und nicht controlirbare psychische Vorgänge spielen, so dass die an denselben gewonnenen Resultate gewiss den von R. selbst als gefährlich bezeichneten unbewussten Fälschungen voreingenommener Experimentatoren gleichwerthig sind.

In einem 2. Capitel bespricht R. die physikalischen und physiologischen Grund- lagen seiner Methode.

Der zweite von T. gearbeitete Abschnitt handelt von der Beeinflussung der Willensthätigkeit durch Einathmen von Amylnitrit. In der physiologischen Einleitung werden die Angaben bezüglich der durch Amylnitrit hervorgerufenen Hirnhyperämie bestätigt und durch einen durch denselben Versuch gegebenen, Anämie des Gehirns und der Pia ergebenden, Sectionsbefund der wichtige Beweis der Möglichkeit hoch- gradiger Differenzen der cerebralen Circulation intra vitam und post mortem erbracht.

Als Resultat bezüglich der Beeinflussung der Willensthätigkeit durch Amylnitrit ergaben sich hochgradige individuelle Verschiedenheiten, im Allgemeinen jedoch eine Schwächung der Willensthätigkeit.e. Die Differenz gegenüber den Untersuchungen Kräpelin’s, der bei seinen psychophysischen Untersuchungen eine verkürzende Wir- kung des Amylnitrits fand, wird daraus erklärt, dass es sich hier, wie oben erwähnt, um die Prüfung von Dauerleistungen, bei Kräpelin um eine solche momentaner Bewegungen handle. Zahlreiche interessante Details bezüglich der Amylnitritwirkung müssen im Original nachgesehen werden. A. Pick.

=. BT: 2:

Pathologische Anatomie.

4) Denti a sega negli idioti, sordomuti e ciechi, pel prof. Dr. C. Lombroso. (Arch. di psichiatria scienze penal. ecc. 1884. V. p. 483.)

Verf. weist darauf hin, dass die meistens für congenitale Lues als pathognostisch angesehenen „sägeförmig zugespitzten Zähne“ wohl mit grösserem Rechte als „De- generationszeichen“ betrachtet werden können. Ausser bei Idioten finden sie sich nämlich auch bei Blindgeborenen (in ca. 16°/, unter 110 Fällen) und bei Taub- stummen (in ca. 6—8°/,), ohne dass bei den betroffenen Individuen Symptome here- ditärer Syphilis nachzuweisen wäre. Sommer.

56) Omicidio per paranoia allucinatoria, pel dott. Frigerio. (Arch. di psichiatria, scienze pen. ecc. 1884. V. p. 410.)

Ein Geistlicher hatte auf Grund befohlender Gehörshallucinationen auf offener Strasse den „teuflischen Geist“, der ihn seit Jahren quälte, in einer harmlosen Person entdeckt und mordete ihn unmittelbar darauf, weil „die Stimme Gottes ihn aufge- fordert habe, die Welt von jenem Uebelthäter zu befreien“. Er wurde später für geisteskrank erklärt und starb nach einigen Jahren in einer Irrenanstalt.

Das Interessanteste der kurzen Mittheilung liegt darin, dass bei der Section neben anderen Befunden eine sogenannte „mittlere Occipitalgrube“ mit Hypertrophie des Kleinhirnwurmes, wie so auffallend häufig bei Verbrechern, angetroffen wurde.

Sommer.

Pathologie des Nervensystems.

6) Cases of tumour of the corpus callosum, by John 8. Bristowe. (Brain. 1884. Oet. p. 315 333.)

I. Bei einem 46jähr. Manne nahm ein Tumor das Corpus callosum von vorn bis hinten ein, erstreckte sich aber beiderseits, besonders links in das Centrum semi- ovale (links bis hinein in die innere Kapsel, rechts bis an das Ende des Nucleus candatus). 13 Wochen vor dem Tode war zuerst Stirnkopfschmerz aufgetreten, dann allmählich zunehmende Lähmung des rechten Armes und Beines, Schläfrigkeit, Ver- lust der Intelligenz und des Gedächtnisses, schliesslich auch Parese des linken Augen- schliessmuskels, Coma.

U. Bei einem 41jährigen Manne nahm eine breite schlecht begrenzte Geschwulst die vordere Hälfte des Corpus callosum ein, erstreckte sich aber links weit in die Hemisphäre über die ganze vordere Hälfte ihrer weissen Substanz, die graue Sub- stanz der zweiten und dritten Stirnwindung und der vorderen Centralwindung, rechts ebensoweit in die weisse Substanz, ohne die graue zu betheiligen. Der Tumor sass über dem Niveau der Corpora striata und Thalami optici und der inneren Kapsel, welche intact waren. Die klinischen Erscheinungen waren nacheinander Sprachstörung, zunehmende Hemiplegis dextra, Neuritis optica, Aphasie, linksseitiger Kopfschmerz, Pupillendifferenz, Schwierigkeit die Zunge auszustrecken, Stupidität, rhythmischer Tremor der Arme bei willkürlichen Bewegungen.

Ill. Bei einem 5ljährigen Manne waren die vordern drei Viertel des Corpus callosum und die correspondirenden Theile des Fornix, sowie die vorderen Fornix- schenkel der Sitz eines Sarcoms, welches sich beiderseits in die vordere Hälfte des Centrum ovale fast über seine ganze Ausdehnung oberhalb des Niveaus des Corpus striatum ohne bestimmte Grenze gegen die gesunde Substanz ausbreitete. Die graue Substanz der Windungen, sowie die grossen Ganglien waren unbetheiligt. Nach einer

18

Bräune waren undeutliche Sprache, rechtsseitige Facialisparese, Schwäche beider Oberextremitäten mit Rigidität der linken, Schwäche der Beine (grösser rechts) auf- getreten, dann Benommenheit, Schlingstörung, Sprachlosigkeit.

IV. Ein vom Boden des rechten Seitenventrikels ausgehender, das Septum pel- lucidum, den Fornix einnehmender Tumor hatte das Corpus callosum nur zum Theil zerstört, aber stark dislocirt. Die klinischen Erscheinungen waren Kopfschmerz, Neuritis optica, Blindheit, linksseitige Hemiplegie, Somnolenz, Coma.

Verf. glaubt für die Diagnose der Tumoren des Corpus callosum aus seinen Beobachtungen folgende specielle Kriterien abstrahiren zu können: 1) die allmähliche allen Cerebraltumoren zukommende Erkrankung, 2) der graduelle Eintritt einer Hemi- plegie, 3) die nachherige Verbindung mit vagen hemiplegischen Erscheinungen der anderen Seite, 4) die Stupidität, Sprachlosigkeit mehr denn merkliche Aphasie, Schläfrigkeit, geringe Schlingstörungen, 5) die Abwesenheit aller und jeder Augen- nervensymptome und Störungen anderer Cerebralnerven, abgesehen von gelegentlichen Allgemeinerscheinungen (Kopfschmerz, Neuritis optica, Nausea etc.).

E. Remak.

7) Abscess in cerebellum: syphilitic symptoms: sudden blindness: great occipital pain: great benefit from calomel: death: autopsy, by Mon- tagu Hardfield-Jonas. (Brain. 1884. Oct. p. 398—405.)

Ein A6jähriger Kutscher mit 13 gesunden Kindern hatte 4 Jahre vor seinem Tode ein ihn 4 Monate an das Bett fesselndes rheumatisches Fieber, nach welchem eine rechtsseitige Hemiplegie zurückblieb, aber bald zurückging. 2 Jahre später trat vollständige Blindheit mit Geistesstörung ein, welche sich nach 14 Tagen zurück- bildete. Etwa 6 Monate vor dem Tode Hinterkopfsschmerz. Bei der Aufnahme Taubheit (seit Jahren). Hinterkopfsschmerz, anfallsweise Genickstarre, Delirien, Neu- ritis optica, Verstopfung, Erbrechen, keine Lähmung. Calomel führt zu Durchfällen und angeblicher vorübergehender Besserung.

Neben schon intra vitam diagnosticirten gummösen Neubildungen an der Tibia und Ulna fanden sich zwei durch eine Scheidewand getrennte, mit dickem Eiter ge- füllte Abscesse der rechten Kleinhirnhälfte, von welchem der äussere mit einer gummösen Pachymeningitis der adhärenten Dura zusammenhing. Verf. gesteht zu, dass die Vorgeschichte durch diesen Befund nicht aufgeklärt wird.

E. Remak.

8) Des attaques d’hystörie & forme d’öpilepsie partielle, par Ballet et Crespin. (Arch. de Neurol. 1884. No. 23 et 24.)

Die Hysterie „kleidet sich“ nicht nur in das Gewand der Epilepsie, und zwar sowohl des „Grand mal“ als des „Petit mal“, sondern sie kann auch in der Form der partiellen Epilepsie („Jackson’sche Epilepsie“ erscheinen.

Die von B. und C. auf Charcot's und Legrand du Saulle’s Abtheilungen in der Salpätriöre beobachteten Fälle zeigten charakteristische Krampfanfälle, theils halbseitig mit conjugirter Kopf- und Augendrehung nach der Krampfseite, theils bestehend in einseitigen Gesichtsspasmen oder auf ein Glied beschränkten Krämpfen. Die Verff. zweifeln nicht, dass, wenn erst die Aufmerksamkeit auf diese Dinge gelenkt ist, sich die Fälle rasch mehren werden.

In den mitgetheilten Fällen erscheint den Verff. das Fehlen jeder Temperatur- erhöhung bei den vielen Tausenden von Anfällen differentiell-diagnostisch wichtig, ein zweites wichtiges Moment ist das Fehlen jeder Lähmung in den von Krampf ergriffenen Theilen, ein drittes liegt in dem Umstande, dass bei wahrer Epilepsie eins 80 bedeutende Anzahl von Attacken von lebensgefährlicher Bedeutung wäre, während die betreffenden hysterischen Kranken ganz munter dabei bleiben. Zum

159

Vergleich beschrieben die Verff. einen Fall wahrer Jackson’scher Epilepsie eigener Beobachtung. Unter Nr. IV wird eine Hysterica ausführlicher beschrieben, welche die Diagnose zwischen Gehimläsion (Jackson’s Epilepsie) und Hysterie oder auf Combination beider Leiden sehr schwierig machte. Es halfen bier die oben erwähnten Zeichen, sowie eine concentrische Gesichtsfeldeinengung, welche deutlich für Hysterie sprechen. Zum Schluss werden noch 2 Fälle von partiellen Krämpfen in Form der Monoplegien bei Hysterischen beschrieben. Wenn hier auch die grossen hystero- epileptischen Anfälle mit den „grands mouvements“ und „hallucinations“ ganz fehlten, so machten doch gewisse andere Zeichen der Hysterie die Diagnose sicher. Siemens.

9) Epilepsie jacksonienne, par Bourneville et Bricon. (Arch. de Neurol. 1884. No. 24. p. 292.)

Der Kranke, in dessen Familie tuberculöse und nervöse Affectionen, sowie Al- coholismus vorhanden, war bis zu seinem 10. Jahre gesund und von normaler In- telligenz. Damals traten im Gefolge eines typhösen Fiebers Gehirnerscheinungen auf und es verblieb eine linksseitige Hoemiplegiee Diese bildete sich langsam zurück, wenigstens an den unteren Extremitäten, während am Arm die Lähmung noch fort- bestand und sich auch Contracturen in einzelnen Muskelgruppen zeigten. Mit 14 Jahren trat Epilepsie auf, anfangs nur Schwindelanfälle, später (mit 17 Jahren) Krampfanfälle: Augen und Gesicht wurden nach links gedreht, der Tonus auf beiden Körperseiten ziemlich gleich, während im Clonus die linke Seite länger zuckte, be- sonders der linke Arm. Bei gewissen Anfällen waren jedoch die Krämpfe auf die linke Seite beschränkt. Den Anfall kündigte eine Aura im linken Arm an, zuerst krümmte sich der Daumen; wenn es dem Kranken mit der andern Hand rechtzeitig gelang, den linken Daumen gewaltsam zu strecken, verzog sich der Anfall. Zuweilen traten auch eigenthümliche Sehstörungen auf. Zu verschiedenen Malen traten Serien von Anfällen auf, endlich starb der Kranke, 29 Jahre alt, in dem gewöhnlichen Symptomencomplexe des „Ktat de mal“.

Die Autopsie wies in der rechten Hemisphäre einen grossen alten Herd nach, der quer über die mittleren und unteren Partien der Centralwindungen sich noch weit nach vorn und hinten erstreckte.

Der Fall soll an anderer Stelle noch genauer beschrieben werden.

Siemens.

10) Möningite tuberculeuse en plaque & l’union du tiers moyen avec le tiers superleur du sillon de Rolando. Monoplögie brachiale, par Chantemesse. (Progr. mdd. 1885. No. 6.)

Bei einem 26jährigen Phthisiker stellt sich, ohne dass irgend welche diffuse Hirnsymptome vorausgegangen, allmählich eine Schwäche des linken Armes ein; er- griffen werden besonders die Muskeln des Vorderarms und der Hand, die Sensibilität bleibt völlig frei. In etwas geringerem Maasse dehnt sich die schliesslich com- plet gewordene motorische Lähmung auch auf die linke untere Extremität aus. Nachdem Erbrechen und geringer Kopfschmerz, sowie finale Zuckungen der Gesichts- musculatur eingetreten, stirbt der Kranke im Collaps etwa 14 Tage nach dem ersten Auftreten der Monoplegie des linken Armes.

Die Section ergiebt einen tuberculös-meningitischen Herd, der an der Ver- einigungsstelle des oberen und mittleren Drittels der Rolando’schen Furche seinen Sitz hat. Einige isolirte Tuberkelzüge erstrecken sich mit den Gefässen auch auf die unmittelbare Nachbarschaft, besonders bis in die Gegend des Paracentralläppchens. Sonst ist das Gehirn ohne jede Abnormität. Laquer.

=,1160: ==

11) Aphasia and other forms of loss of speech in brain disease, by E. C. Mann. (The Alienist and Neurolog. 1884. Oct. p. 577—612.)

Sehr ausführliche Literaturzusammenstellung über die anatomische Grundlage der Aphasie und ihre Combination mit rechtsseitiger (oder linksseitiger) Hemiplegie. Es wird natürlich der Sitz der pathologischen I,äsion im linken Vorderhirn und speciell in dem hinteren Abschnitt der Broca’schen Windung als fast constant bestätigt. Sommer.

m nn

12) Ein Fall von mehrere Tage dauernder, durch heftiges Erschrecken bedingter Aphasie, von Prof. Demme. (Wiener med. Bl. 1884. Nr. 51.)

Bei einem 6 Jahr alten Mädchen trat nach einer wegen Spitzfuss vorgenommenen Tenotomie (ohne Chloroformnarcose) augenblicklich eine Schrecklähmung in Form einer „motorischen Aphasie“ auf, die 3 Wochen anhielt. Irgend welche sonstige Lähmungserscheinungen waren nicht zu constatiren, das Kind war geistig und körper- lich normal entwickelt. Die Sprachstörung ging ganz spontan wieder zurück. Laquer.

Psychiatrie.

13) Contribution & l’6tude du sommeil pathologique chez les ali6önds, par Semelaigne. (Annal. möd. psych. 1885. Janvier p. 20.)

Der Fall betrifft einen an recidivirendem „lethargischem Torpor“ leidenden b6jährigen Mann, welcher, anscheinend nach einem Marsch in der Sonnenhitze über Land an Kopfschmerz erkrankte, dem sich bald Hallucinationen und melancholische Verstimmung hinzugesellten.

Nach einem 17 Monate anhaltenden Vorstadium, in welchem trotz der Benommen- heit und Starrheit das Bewusstsein noch erhalten war und noch Reflexe ausgelöst wurden, verfiel der Patient in einen Zustand völligen Stupors, welcher mit Unter- brechungen vom August 1875 bis zum Todestage (19. Juli 1883) andauerte. Der erste Anfall dauerte 221 Tage; dann folgten 36 kürzere, unter 50 Tagen, theilweise nur von 1—2 Wochen Dauer; der letzte, mit dem Tode endende, währte 465 Tage. Im Ganzen war der Kranke von den 2890 Tagen dieser Krankheitsperiode 1695 in völlig stuporösem Zustand, unregsam, unbewusst und musste künstlich ernährt werden. Ob die Annahme eines einfachen Schlafs hier berechtigt ist, muss nach der Dar- stellung bezweifelt werden, weil deutlich spastische Symptome, krampfhafte Contrac- tion der Masseteren, Aufwärtsrollung der Bulbi und eine dauernde Zwangsstellung einer Hand notirt sind, welche das Krankheitsbild der Catalepsie zuzuweisen scheinen.

er Jehn. 14) A case of idiocy with universal rigidity, the result of syphilitic disease of the central nervous system, by Angel Money. (Brain. 1884. Oct. p. 406410.)

Eine uneheliche Tochter einer an der Schwindsucht gestorbenen Mutter hatte, vorher gesund, im Alter von 2 Jahren 2 Krampfanfälle mit Bewusstlosigkeit, nach- her Unfähigkeit zu gehen, Blödsinn. Bei der Aufnahme im Alter von 3!/, Jahren bestand schwammige Schwellung des Zahnfleisches, Deformität der nussfarbigen Zähne, schwachsinniges Verhalten, spastische Gliederstarre bei der geringsten Störung, mit- unter auch spontan. Es trat dann Opisthotonus ein, Streckung der Beine in allen Gelenken, Adduction und Rotation der Arme bei Streckung der Ellbogen, Beugung der Hand- und der eingeschlagenen Finger. Diese.auch sonst constante Stellung wurde durch die Anfälle forcirt. Das Kniephänomen war beiderseits vorhanden, das

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Fussphänomen wegen der maximalen Rigidität nicht zu erzielen. Vor dem Tode trat Schlucklähmung, Regurgitation durch die Nase, mehrmaliges Erbrechen ein.

Die Obduction ergab Osteosclerose des Cranium, Verdickung der Dura mater, Opacitäten und Verdickungen der Pia mater, Atrophie der Gehirmwindungen bei auf- fallendster Consistenz, Wandverdickung und theilweise Thrombose der Basalarterien, Sclerose des Pons und des Rückenmarks, welches frisch den Eindruck des gehärteten machte. Die mikroskopische Untersuchung des Rückenmarks ergab eine „diffuse Form der Sclerose durch seine ganze Länge“ und wurde auf das Gehirn nicht ausgedehnt, dagegen eine wohl charakterisirte Arteriitis der Basilar- und mittleren Cerebralarterien constatirt.

Verf. reiht seinen Fall den von Bury (8. d. Ctbl. 1884. S. 207) beschriebenen Fällen von hereditärer Syphilis an. E. Remak.

156) Lypömanie compliquse d’une triple diathöse, par le Dr. Rousseau. (L’Encephale. 1884. No. 6.)

R. theilt einen sehr interessanten Fall aus der Anstalt von Auxerre mit, welcher eins melancholische Frau mit erblicher Belastung betrifft, die, nachdem sie erst von ihrem Mann sehr schlecht behandelt war, von diesem auch noch Syphilis acquirirte, darauf an Sehnervenatrophie mit motorischen und sensoriellen Lähmungen erkrankte. Pat. ging 4 Jahre nach Ausbruch der Psychose an einem Lungenprocess zu Grunde. Die Autopsie ergab eine gummöse Geschwulst der Dura an der Basis, welche links das Felsenbein necrotisirt hatte, den linken Gehirnnerv zerstört, dabei mit der linken Kleinhirnhälfte fast verwachsen war. Derselbe Theil des Kleinhirns war ausserdem der Sitz einer isolirten, central gelegenen carcinomatösen Neubildung; die centralen Ganglien, zumal die Thalami, waren misfarbig und breiig erweicht. Ausser der syphilitischen und carcinomatösen Diathese wurde als dritte nach Tuborculose gefunden, welche aber auf die Lungen beschränkt geblieben war. Zander.

16) Jumping, Latat, Myrischit, par Gilles de la Tourette. (Arch. de Neurol. 1884. No. 22. p. 68.)

Die Symptomencomplexe des „Jumping“ im Staate Maine, des „Latah“ der Malaien und anderer Asiaten und des „Myriachit“ in Sibirien sind Zustände von krampfhafter Reizbarkeit des Nervensystems, welche hauptsächlich in brüsken, reflex- artigen Zwangshandlungen bestehen. Derartige Symptome: Nachahmungstrieb, Wieder- holen der Worte der Ansprecher 'etc. etc. werden vereinzelt auch in Frankreich (und anderwärts) beobachtet. Siemens.

u

17) Ueber Selbstmord in Irrenanstalten, von Dr. Hasse. (Allg. Ztschr. f. Psych. 1884. Bd. 41. H. 3.)

Erörterung der beim Selbstmord der Irren in den Anstalten zur Geltung kommen- den Verhältnisse. Wie bekannt, ist der Selbstmord chronischer Kranker, von denen man nach jahrelanger Beobachtung ein solches Vorgehen nicht vermuthen konnte, sowie der Selbstmord Schwachsinniger aus Laune, nicht immer zu verhüten. Manche Hysterische fordern sehr zur Vorsicht auf; dass bei Melancholischen und von Prae- cordial-Angst Geplagten nur ein ganz zuverlässiges Wartepersonal helfen kann, ist selbtverständlich, aber leider lässt das Wartepersonal: oft zu wünschen übrig. Die Zahl der in Königslutter vorgekommenen Selbstmorde ist übrigens eine sehr geringe. [Ref. vermisst die Empfehlung einer guten Wachabtheilung, ohne welche die Ver- hütung des Selbstmordes in den Anstalten nun einmal nicht denkbar ist.]

Siemens.

162 -- 18) Case of sexual perversion in a man, by George H. Savage. (Journ. of ment. science. 1884. Oct.)

Der in der Aufschrift genannte, ganz kurz mitgetheilte Fall von conträrer Sexualempfindung bietet nichts Besonderes. Bemerkenswerth ist die Anmerkung, dass bei der Section eines Kranken derselben Art sich ein infantiler Uterus fand.

A. Pick.

Therapie.

19) Du traitement du t6tanos traumatiques et de la chorde par les appli- cations d’öther pulverisde sur la colonne vertöbrale, par Bouiteillier. (Progr. möd. 1884. Oct. No. 40.)

Ein Fall von Tetanus traumaticus gab B. Veranlassung, Aetherzerstäubung längs der Wirbelsäule anfänglich alle Stunden etwa 5 Minuten lang zu versuchen. . B. will den Heilerfolg, der erzielt worden, auf diese medicamentöse Application und nicht auf die innere Darreichung von Calabarbohne, die gleichzeitig angewandt wurde, zurückführen.

Der Fall von Chorea bei einem 11jährigen Knaben hatte trotz Anwendung von Opium, Arsenik, Bromkali und Calabarbohne 5 Wochen lang fortbestanden; die Intensität der choreatischen Erscheinungen hatte sich beträchtlich gesteigert. Nach Lubelski’s und Jaccoud's Vorschlag wurde auch hier die Application des Aether- sprays auf die Wirbelsäule versucht (Morgens und Abends 3—5 Minuten lang); schon nach 2 Tagen trat Besserung, nach 4 Wochen völlige Heilung ein.

Laquer.

20) Zur Aetiologie der Epilepsie. Die Epilepsie geheilt durch Nasen- polypen-Operation. Casuistische Mittheilung von Sanitätsrath Dr. Fincke, Halberstadt. (D. med. Wochenschr. 1885. Nr. 4.)

Ein 64jähriger Mann hatte seit etwa !/, Jahre häufig, besonders fast regel- mässig des Abends, ein apathisches, schlafsüchtiges Wesen gezeigt. Ganz plötzlich am 15. December 1882 Bewusstseinsverlust mit Hinstürzen und Krämpfen (schwere Kopfverletzung). Danach am 20. Februar 1883 von 11—5 Uhr eine Reihe schwerer epileptischer Anfälle in viertelstündlichen Pausen. In den nächsten Wochen langsam weichende Benommenheit, Unbesinnlichkeit, Störung der Sprache, des Schreibens etc. Am 23. März wird ein grosser traubenförmiger Polyp aus der rechten Nasen- höhle entfernt, und alsbald trat eine grosse Besserung des ganzen geistigen Befindens ein, Pat. wurde wieder frisch, lebhaft und psychisch leistungsfähig, wie früher, und es ist bis Anfang 1885 keine Andeutung eines epileptischen Anfalls wieder aufgetreten. Heoereditär lag nichts vor; niemals sollen vor dem 15. December 1882 Zeichen von Epilepsie dagewesen sein. Hadlich.

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Forensische Psychiatrie.

21) Ein coriminal-psychologisch denkwürdiger Gerichtefall. Als Beitrag zu den geistigen Störungen in der Pubertätsentwickelung, mitgetheilt von Prof. v. Krafft-Ebing. (Sep.-Abdr. aus den „Mittheil. d. Vereins d. Aerzte in Steiermark“. 1883.)

Mehrere Monate hindurch wurden in der Nähe eines Hauses in Pl. öfters Zettel meist von dem 15jährigen Sohn des Hausbesitzers Johann Kr. gefunden, welche die gemeinsten Schmähungen gegen den Kaiser, die Behörden und die Familie Kr. ent- hielten und voll obscönster Schimpfreden und Drohungen gegen dieselben waren. Auf

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die Anzeige des Johann Kr. und seiner Mutter und Schwester wurden mehrere Per- sonen des Ortes als der That verdächtig verhaftet, immer aber wieder als nachweis- lich schuldlos entlassen, bis zuletzt die Angeber selbst als die Thäter ertappt und zu wmehrmonatlicher Gefängnissstrafe verurtheilt wurden. Auf eine Nichtigkeits- beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde eine neue Verhandlung anberaumt und mit ihr eine gerichtsärztliche Exploration des J. Kr., dessen Benehmen während der Ver- handlung und ganze Persönlichkeit von vornherein Zweifel in seine Zurschnungs- fähigkeit hatte aufsteigen lassen. Das Resultat der letzteren war, dass man es bei J. Kr. mit einem originär verschrobenen, erblichen Einflüssen unterliegenden, ethisch defecten, dabei schwer. herzkranken Individuum zu thun hatte, welches, in Folge übermässig getriebener Onanie neurasthenisch geworden, unter der Einwirkung der Pubertätsentwickelung völlig in’s Schwanken gerathen war und sich sonach zur Zeit der incriminirten Handlungen in einem geistig krankhaften Zustand befand. Es erfolgte die Einstellung des Verfahrens gegen J. Kr. Brückner.

Anstaltswesen.

22) Reviews. (Journ. of. ment. science. 1885. Jan.)

Aus den Rapporten der Commissioners in Lunacy geht hervor, dass in England auf den 1. Jan. 1884 insgesammt 78528 Kranke versorgt waren, oder je einer von 345 Köpfen der Gesammtbevölkerung. Gegen das Vorjahr besteht eine Zunahme, aber dies ist noch kein Beweis für die Zunahme von Geisteskrankheit überhaupt, denn diese Zunahme resultirt zumeist aus der Ueberführung einer so grossen Zahl chronischer und siecher Kranker aus den Arbeitshäusern in die Anstalten in Lan- cashire, die Zabl der frischen Erkrankungen ist von 1875—1882 nicht gewachsen.

Der Procentsatz der Heilungen zu den Aufnahmen war für Männer 34,79, für Frauen 42,0°/,, total 38,50, Todesfälle 11,67 °/, für Männer, 7,60 °/, bei Frauen, total 9,47.

In Schottland waren auf den 1. Januar 1884 10511 Geisteskranke, von diesen waren 1939 Personen in Privatgebänden untergebracht, der Bericht rühmt sehr diese Versorgung in Familienpflege, ja die Commissioners geben dieser Art der Versorgung vor der Anstalt bei frischen Fällen geradezu den Vorzug.

Auch der irische Commissionsbericht ergiebt keine eigentliche Zunahme der Geisteskranken, in Irland waren auf den 1. Januar 1884 14088 Kranke auf ver- schiedene Weise versorgt, oder 1 auf 540 Köpfe der Gesammtbevölkerung.

Zander.

III. Aus den Gesellschaften.

In dem Verein für innere Medicin, Sitzung vom 2. März 1885, besprach Professor Eulenburg einen Fall von schwerer progressiver Muskeldystrophie, unter Vorlegung der von excidirten Muskelstücken entnommenen mikro- skopischen Präparate. Der Kranke, ein 36jähriger Maurer, zeigt eine enorme Ungleichheit beider Unterextremitäten; die linke ist im höchsten Grade hypervoluminös, die Musculatur an Ober- und Unterschenkel zu colossalem Umfange entwickelt, zeigt das bekannte unelastische, teigige Gefühl lipomatös-pseudohypertrophischer Muskeln. Das rechte Bein dagegen ist abgemagert, die Musculatur fühlt sich am Oberschenkel noch etwas derb, am Unterschenkel dagegen (besonders der Wade) schlaff und welk an. Bewegungen schwerfällig und langsam, Schwächegefühl besonders im linken Bein, dessen Leistungsfähigkeit sehr vermindert; baldige Ermüdung beim Gehen. Elektrische Reaction einfach herabgesetzt, namentlich die galvanische Muskelreizbarkeit beider- seits (und zwar vorwiegend auf der linken Seite) enorm vermindert; keine Spur von

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Entartungsreaction. Die Anamnese ergab, dass Pat. bis vor 10 Jahren gesund und vollkommen arbeitsfähig gewesen war, dann einen Fall (beim Bau, aus 4 m Höhe) erlitten hatte, wobei er mit der Lumbalgegend auf einen Balken aufschlug; es soll damals eine Parese und Anästhesie des ganzen Unterkörpers bestanden haben, sowie Ischurie und Incontinentia urinae, welche letztere zum Theil noch jetzt fortdauert. Im folgenden Jahre wurde Pat. im hiesigen St. Hodwigs-Krankenhause (San.-Bath Volmer) an Endocarditis und Pleuritis dextra behandelt; es entwickelte sich damals bei ihm eins Thrombose der linken V. cruralis, deren Erscheinungen längere Zeit andauerten; seitdem soll das linke Bein stets dicker gewesen sein, als das rechte und Pat. seine volle Arbeitskraft niemals wieder erlangt haben. Auf Veranlassung des Vortragenden wurden von Professor J. Wolff am 19. Februar in Chloroformnarcose zwei bohnengrosse Stücke aus dem äusseren Theile der Gastro- cnemii in der Mitte der Wade jederseits excidirt. Die von Dr. Sakaky in ein- gehenderer Weise vorgenommene mikroskopische Untersuchung ergab als wesentliche Befunde auf der linken Seite sehr erhebliche Vergrösserungen der Durch- messer der Muskelcylinder (dieselben betrugen hier durchschnittlich 77 u; maxi- mal 141, minimal 45 u), sowie theilweise sehr weit vorgeschrittene Fettdegeneration; und wachsartige Degeneration; ausser der Fettdegeneration des Muskelcylinder- inhalts, woselbst das Fett bei Osmiumsäurepräparaten deutlich in Form kleiner Tröpfchen erschien, zeigten sich auch die bekannten charakteristischen Reihen kleinerer und grösserer Fetttropfen, durch interfibrilläre und interfasciculäre Fettanhäufung, durch welche sich hier und da geschrumpfte dünne und degenerirte Muskelfasern hindurchzogen; ferner leere und collabirte Sarcolemmschläuche in gruppenweiser Anordnung. Auf der rechten Seite war die Vergrösserung der Muskelcylinder beträchtlich geringer (durchschnittliche Breite 67; maximal 109, minimal 26 u); Fettdegeneration und wachsartige Degeneration des Muskelfaserinhalts weniger vorgeschritten, die intramusculäre Fettanhäufung namentlich viel weniger ausgesprochen, als links. Veränderungen der Kerne, Bindegewebswucherungen und Gefässalterationen waren nicht zu erkennen. E. meint, dass, obgleich die Auf- fassung der in Rede stehenden Erkrankungsform als primärer Myopathie gegenwärtig vorberrsche,. doch für den vorgestellten Fall ein Zusammenhang mit traumatischer Myelitis nicht ganz abzuweisen sei; die Asymmetrie im Befunde glaubt E. auf die schwerere und anhaltende Circulationsstörung links in Folge der Thrombose der linken Femoralvene zurückführen zu müssen.

Soci6t6 de Biologie a Paris. Sitzung vom 10. Januar 1885.

Quinquaud stellte durch Versuche die Abnahme der motorischen Kraft eines Nerven zu verschiedenen Zeiten nach seiner Durchschneidung fest. Wenn z. B. ein Muskel bei Reizung seines motorischen Nerven 12 k hob, so hob er 24 Stunden nach Durchschneidung des Nerven nur noch 9,5 k, nach 36 Stunden nur noch 5,5 k, nach 48, resp. 76 Stunden nur noch 2, resp. 0,5 k. Sofort nach der Durchschnei- dung war die Kraft des Muskels ebenso herabgesetzt, wie 24 Stunden später. Ferner constatirte Q., dass ein Muskel, der bei Reizung seines motorischen Nerven 14 k hob, nur noch 4 k zu heben vermochte nach Durchschneidung der Med. spinalis.

Sitzung vom 31. Januar 1885.

Beaunis hat zur Entscheidung der Frage, ob ein Thier die Durchschnei- dung beider Vagi überleben könne was Philippeaux gegenüber Schiff behauptet hat —, zahlreiche Versuche an Kaninchen und Meerschweinchen angestellt und zwar 80, dass er zwischen der Durchschneidung des einen und des andern Vagus einen Zeitraum von 77—542 Tagen verstreichen liess: alle Thiere starben und zwar

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nach 4—53 Stunden und unter denselben Symptomen, wie bei gleichzeitiger Durch- schneidung beider Vagi, obwohl B. die Vernarbung des erstdurchschnittenen Vagus so vollkommen fand, dass weder eine Degeneration der N. recurrentes histologisch nachgewiesen werden konnte, noch das Bestehen einer Lähmung der Stimmbänder, auch die Reizung des Nerven die gewöhnlichen Herzsymptome hervorrief.

Sitzung vom 6. Februar 1885.

P. Bert bemerkt zu Beaunis’ (vorstehend mitgetheilten) Resultaten, dass auch er, wie Philippeaux an Ratten, bei einem sehr kräftigen Hunde gesehen hätte, dass derselbe die doppelseitige Vagusdurchschneidung überlebte. Es würde sehr interessant sein, zu ermitteln, warum Beaunis bei Kaninchen und Meerschwein- chen nur negative Resultate hatte.

Laborde theilt mit, dass ein von ihm operirter Hund die doppelseitige Vagus- durchschneidung einen ganzen Monat überlebt habe. Auch Ch. Richet sah Hunde die gleiche Operation lange Zeit überleben. Hadlich.

Soci6t6 mödicale des höpitaux, Paris. Sitzung vom 9. Januar 1885.

Lögroux, Rendu und Bucquoy haben bei Anwendung von Zerstäubungen von Methylchlorür bei schwerer Ischias (nach Debove’s Angabe) keinen oder höchstens ganz vorübergehenden Erfolg gesehen. Dem gegenüber will Desnos nach nur zweimaliger Anwendung 3 ganz wunderbare Heilungen erzielt haben, obwohl in einem Falle die Ischias bereits 14 Jahre bestand. Hadlich.

Socist6 zoologique de France. Sitzung vom 27. Januar 1885.

Dr. Manouvrier hat gefunden, dass eine bemerkenswerthe Verschiedenheit im Wachsthum des Affenschädels (Anthropviden) und Menschenschädels besteht. Während

- letzterer in der Zeit vom zweiten Jahre bis zum erwachsenen Alter sich nach allen

Richtungen erweitert, bleibt bei den Primaten das frontale Gebiet ganz unverändert, sowohl die Curve der Stirnbeinwölbung, wie der 'Theil der Schädelbasis von vorn bis zu den Foramina optica. Dagegen verlängert sich die Schädelbasis von den For. opt. bis zum Foramen magnum, und der Seiten - Hinterhauptstheil des Schädelgewölbes vergrössert sich nach oben, ohne sich jedoch zu verlängern. Hadlich.

Soci6öt6 de chirurgie & Paris. Sitzung vom 3. Februar 1885.

Zur Frage der „Coincidens von Traumen des Schädels mit krankhaften Zuständen des Gehirns, speciell Tuberkeln“ theilt Kirmisson einen inter- essanten Fall (von der Charcot’schen Klinik) mit. Ein 5%/,jähriger Knabe zeigte 8 Tage nach einem leichten Fall auf den Kopf eine Parese des linken Arms und Schiefheit des Gesichts, 2 Monate danach auch Parese des linken Beines. Während diese Symptome sich nach und nach verschlimmerten, fing etwa nach Jahresfrist der Knabe an über einen ziemlich heftigen Schmerz in der rechten Schläfengegend zu klagen und schrie während des Schlafes auf. Man trepanirte, aber ohne Erfolg. Der Knabe starb nach 24 Stunden. Die Autopsie ergab einen grossen Tumor (Tuberkel) an der Basis des Gebirns, der in den rechten Seitenventrikel hineinragte, Corp. striatum und Thalamus opt. nebst Capsula interna zerstört hatte und, den dritten Ventrikel ausfüllend, auch Thal. opt. der linken Seite verdrängt hatte. Die Rinde der Convexität war ganz normal.

Einen ganz ähnlichen Fall bat Hulke veröffentlicht.

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Terrillon (der über Kirmisson’s Fall referirt) meint, dass solche Vorkomm- nisse Ausnahmen sind: hier sei das angegebene Trauma irrelevant, der Tuberkel habe schon vorher bestanden. Im Allgemeinen sei ein fixer Schmerz nach einem Trauma des Schädels neben bestimmten Localsymptomen eine Anzeige zur Trepanation, nament- lich seitdem die Antisepsis die Trepanation relativ ungefährlich gemacht habe.

Hadlich.

IV. Bibliographie.

On visceral neuroses, being the Gulstonian Lectures on neuralgis of the stomach and allied disorders, delivered at the royal college of physicians in March 1884, by T. Clifford Albutt. (London 1884. J. & A. Churchill. 103 Seiten.)

Es ist gewiss bemerkenswerth und nicht dem blossen Zufalle zuzuschreiben, dass, während im Allgemeinen die Beziehungen des Nervensystems zu den Erkrankungen der andern Systeme eifrig studirt werden, ziemlich gleichzeitig in Deutschland die „nervöse Dyspepsie“, in England die visceralen Neurosen, welche jene in sich fassen, der Gegenstand der öffentlichen Besprechung sind.

Den Standpunkt, den A. in der vorliegenden Schrift vertritt, dass die visceralen Neurosen nur Erscheinungsformen eines allgemein geschädigten Nervensystems sind, ist bekanntlich auch bei uns ziemlich allgemein acceptirt, allein seine Darstellung ist eine meist so klare und selbstständige, dass in derselben eine dankenswerthe Be- reicherung der Literatur anerkannt werden muss.

Den Inhalt können wir natürlich nur flüchtig skizziren.

Nach einer in der Vorrede niedergelegten Polemik gegen den überhandnehmenden Specialismus, der über dem Einzelzuge das Gesammtbild vernachlässigt, präcisirt A. die Stellung der früher unter dem Namen Dyspepsie zusammengeworfenen Magenneurosen und erörtert in wir möchten sagen populärer Darstellung das Verhältniss zwischen Allgemein- und Localaffection.

Die zweite Vorlesung ist der Cardialgie gewidmet; ausführlich besprochen wird die Unrichtigkeit der Anschauung vom ausschliesslichen Vorkommen derselben bei Hysterischen, sowie deren Combination und Alterniren mit andern Neurosen.

In der dritten Vorlesung behandelt A. zuerst die reine Enteralgie, welche er nur von Wardell in R. Reynold's System of medicine befriedigend behandelt findet. In der Frage der Neuralgien der Abdominalorgane stellt sich A. auf die Seite der- jenigen (Anstie, Spender), welche solche Neuralgien annehmen, doch ist er auf Grund seiner Beobachtungen, die hier wie auch sonst überall zahlreich mitgetheilt sind, geneigt anzunehmen, dass Hepatalgien in der Regel wenigstens auf das Vor- handensein von Gallensteinen bei nervösen Personen zu deuten sind; die gleiche An- schauung hält er auch für die Nephralgie fest.

In einer Besprechung der Diathesen, welche bei den mit Visceralneuralgien Be- hafteten vorkommen, hetont A. ausser Asthma das Vorkommen von Eczema, Lichen und Psoriasis nicht blos gleichzeitig oder alternirend bei dem Pat. selbst, sondern auch in der Familie desselben; eine gleiche Rolle weist A. auch der rheumatisch- gichtischen Disthese, sowie der Phthise zu.

Aus dem Oapitel der Therapie heben wir die besondere Empfehlung des Chinins und Arseniks hervor.

Die innige Verbindung des Specialfaches mit der Gesammtmedicin, welche A. in allen seinen Ausführungen hochhält, die klare Darstellung des vielfach so dunkeln Gebietes, welche durch prägnante Casuistik überall gestützt wird, werden dem Buche auch bei uns, wie jenseits des Canals, zahlreiche Leser zuführen. A. Pick.

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Anleitung zur experimentellen Untersuchung des Hypnotismus, von Tam- burini und Sepilli. Deutsch von Fränkel. 2. Heft. (Wiesbaden 1885.)

Das vorliegende Heft (s. d. Bl. 1882. S. 449) befasst sich vorwiegend mit der Untersuchung und Analyse des lethargischen und kataleptischen Zustandes im Anschluss an die diesbezüglichen Beobachtungen Charcot’s und seiner Schüler. Aus der Fülle des Thatsächlichen können wir nur Einzelnes herausheben, so die Erhöhung der Sehnenreflexe im lethargischen Zustande, das Vorkommen der sogenannten paradoxen Contraction in demselben, die auch im wachen Zustande bei der betreffenden Kranken jedoch mit Schmerz zu erzielen ist, das sofortige Aufhören dieser Contraction bei Ueberführung des lethargischen in den kataleptischen Zustand. Thermische Reize unterbrechen die verschiedenen Zustände; beim Uebergang vom Wachen in den hyp- notischen Schlaf verengen sich die peripherischen Gefässe, wenn zuerst Katalepsie, sie erweitern sich, wenn zuerst Lethargie hervorgerufen wird; die Verengerung der peri- pherischen Gefässe beim Uebergang aus dem lethargischen in den kataleptischen Zustand ist sicherlich die Folge eines Gefässreflexes und an verstärkten Blutzufluss zum Ge- hirn gebunden; die Erweiterung der peripherischen Gefässe im lethargischen Zustande ist Folge der wieder eintretenden Ausgleichung im Blutlauf; während der Hypnose befindet sich die ganze Cerebrospinalaxe in erhöhtem Reizzustande ausser den motorischen auch die sensorischen und psychischen Centren (daher Hallucinationen etc.). Bezüglich zahlreicher weiterer Details muss auf das Original verwiesen werden, dessen dankenswerthe Uebertragung in's Deutsche den Wunsch nahe legt, es möchte dem Herrn Uebersetzer gefallen, öfters aus der werthvollen psychiatrischen und neuro- logischen Literatur Italiens deutschen Lesern etwas zu bringen. A. Pick.

Zur Geschichte der Suggestion.

Durch einen Zufall bin ich in der Lage, für die Suggestion, eine der interessan- testen Erscheinungen des Hypnotismus den Nachweis zu erbringen, dass es derselben ähnlich wie vielen andern Erscheinungen des letzteren gegangen, dass dieselbe näm- lich schon längst beobachtet und wieder in Vergessenheit gerathen, von neueren Be- obachtern als etwas ganz Neues hingestellt wird. Es handelt sich dabei um die eigenthümliche Form der Suggestion, über welche letzthin Bernheim und Pitres berichtet, die darin besteht, dass Befehle zur Ausführung von Handlungen, in der Hypnose gegeben, von dem Betreffonden zu der bestimmten Zeit im wachen Zustande in völlig zwangsmässiger Weise ausgeführt werden, ohne dass derselbe einen Grund dafür anzugeben wusste, es wäre denn ein von ihm nachträglich ersonnener.

In seinem Buche „Versuch einer Darstellung des animalischen Magnetismus als Heilmittel“ (Wien 1815. 1. Theil S. 166) berichtet Carl Alex. Ferdin. Kluge der Heilkunde Doctor und Professor an der königl. preuss. medicinisch-chirurgischen Pepiniere folgenden, von Monillesaux (Expose des cures de Strasbourg. T. III. p. 70—72) angestellten Versuch: „Dieser Magnetiseur befahl einer seiner Kranken, während sie in der Krise war, am andern Tage zu einer bestimmten Zeit bei Jemandem einen Besuch abzustatten, wo sie sonst nicht hinzugehen pflegte. Obgleich dieser Auftrag der Kranken gewisser Privatverhältnisse wegen sehr unangenehm sein musste, 80 versprach sie ibn dennoch auszuführen, weil ihr Magnetiseur eg wünschte. M. er- weckte nun die Kranke aus dem Schlafe, gebrauchte alle mögliche Vorsicht, dass sie im wachen Zustande von ihrem Versprechen keine Kunde erhalten konnte, und ver- fügte sich am andern Tage noch vor der festgesetzten Zeit mit einigen seiner Freunde nach dem bestimmten Orte. Mit dem Glockenschlage erschien die Kranke vor dem Hause, ging mit ängstlicher Unentschlossenheit mehreremal vorüber, und trat endlich mit sichtbarer Verlegenheit in's Zimmer. M. beruhigte sie gleich, indem er sie nun mit dem Vorgange bekannt machte; worauf sie ihm dann erzählte, dass ihr seit dem

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Augenblicke ihres heutigen Erwachens beständig der Gedanke vorgeschwebt habe, um die und die Zeit hierher zu gehen; sie habe sich dies auszureden gesucht, ... allein vergeblich; als die bestimmte Zeit herbeigekommen sei, habe sie eine innere Unruhe befallen, von welcher sie sich nur dadurch habe befreien können, dass sie sich auf den Weg machte.“

Es bedarf keines Beweises, dass es sich hier thatsächlich um das handelt, was die oben genannten französischen Forscher als „suggestion d’actes“ bezeichnen. Die Kenntniss desselben rührt demnach schon aus der ersten Zeit des Mesmerismus her, da, wie ich einer andern Stelle bei Kluge entnehme, die betreffende Schrift im Jahre 1789 in Druck erschienen ist. Eine ähnliche Beobachtung soll sich auch bei Wienholt, „Heilkraft des thierischen Magnetismus“ (1805/6. T. III. 3. Abth. 2. S. 124) finden. A. Pick.

V. Personalien.

Professor Dr. Paul Flechsig in Leipzig ist in Anerkennung seiner verdienst- vollen Untersuchungen über den Bau der Nervencentren von der Kgl. sächs. Gesell- schaft der Wissenschaften zu ihrem ordentlichen Mitgliede ernannt worden.

Dr. Scalosubow ist zum a. 0. Professor für Nervenkrankheiten in Kasan und Dr. Ssikorski zum a. o. Professor für Geistes- und Nervenkrankheiten in Kiew ernannt worden.

Am 14. März starb in Berlin der Wirkliche Geheime Ober-Medicinalrath Prof. Dr. Theodor von Frerichs, Director der medicinischen Klinik, im 66. Lebensjahre. Wenn die ruhmvollen Leistungen des Verstorbenen, welche demselben ein dauerndes Andenken in der Geschichte der Medicin sichern, auch wesentlich anderen Gebieten als den hier speciell vertretenen angehören, so hat doch auch die Pathologie des Nervensystems durch ihn manche werthvolle Anregung und Bereicherung empfangen. Es sei nur an die aus seiner breslauer Klinik durch Valentiner (1856) veröffent- lichten Fälle von partieller Gehirnsclerose, an seine Mittheilungen über Pig- mentembolie des Gehirns in Folge von Melanämie, und an die Bedeutung seiner chemischen Theorie der Urämie für die Auffassung und Behandlung der urämischen und verwandter Innervationsstörungen erinnert. A. E..

VI. Vermischtes,

Over pressure in schools, occasional notes of the quarter. (Journ. of ment. science. 1885. Jan.)

Auch in Kr pe sind eingehende Untersuchungen über die so er Ueberbürdungs- frage in den Schulen gemacht worden. Die Meinungen sind eilt, während auf einer Seite die Beweise für die Existenz der Ueberbürdung bis zur videnz zusammengetragen werden, leugnen andere Untersucher die Möglichkeit einer bare 3 TE indem sie den ersteren a Serie und Leichtgläubigkeit vorwerfen. Der Verf. der „occasional notes“ hält die Sache für weiterer gründlicher Prüfung bedürftig, zumal verschiedentlich die Erscheinung constatirt wurde, dass nicht sowohl die Schüler, als fast in höherem Grade die Lehrer überbürdet waren. Verf. fordert daher die Bildung einer Untersuchungs-Com- mission zur Entscheidung dieser Frage. Zander.

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Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen- -Ufer 7.

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Verlag von Vsır & Come. in Leipzig. Druck von Mezrzanr & Wırrıa in Leipzig.

NEUROLOGISCHESCENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten,

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Dritter Be. Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie

1885. 15. April, Na: 8,

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Inhalt. Originalmittheilungen. Ein Fall multipler Neuritis mit Athetosis, von Dr. L. Löwenfeid (Schluss).

il. Referate. Experimentelle Physiologie. 1. Ueber Muskelphänomene, von Rein- hardt. Pathologische Anatomie. 2. Ein Fall von centralem Angiosarcom des Rücken- ınarkse, von Glaser. 3. Sclerosi multipla del midollo spinale complicata a micosi, pel Rovighi. 4. Ett fall af cysticercus cellulosae i hjernan, af Runeberg. 5. Observations pour servir & Phistoire de l’Arachnitis et de la Lepto-Meningite spinale chronique; sclörose medullaire secondaire, par Riball. Pathologie des Nervensystems. 6. Bijdrage tot de localisatie- leer van bewegingsstoornissen in den hersenbast, door Stephan. 7. H&morrhagie sous-m6- ningee dans la region de la 2. circonvolution frontale droite; hemiplögie gauche et Epilepsie partielle, par Marfan. 8. Beiträge zur Differentialdiagnose der hysterischen und der kapsu- lären Hemianästhesie, von Kalkofl. 9. Les &ternuments növropathiques, par För6. 10. Vier Fälle von any nopn von Nothnagel. 11. Fördamning efter skarlakans feber, sjukdomsfall behandladt vid Sätra Brunn, af Wide. 12. Ein Fall von halbseitiger Gesichtsatrophie, von Spitzer. 13. Isolirte krampfhafte Contractionen der Musculatur der Ohrmuschel, von Blau. 14. Ein Fall von Tumor des Ganglion Gasseri, von Bezold. Psychiatrie. 15. Ueber die Störung der Schriftsprache bei Halbidioten und ihre Aehnlichkeit mit dem Stammeln, von Berkhan. 16. On alcohol in asylums, chiefly as a beverage, by Tuke. 17. The pathology of insanity, by Savage. 18. Some relations of delirium tremens to insanity, by Savage. 19. Fous et Bouffons, &tude physiologigne, psychologique, historique, par Moreau. 20. Un caso di pazzia a quatro, pel Verga. Therapie. 21. Elektrotherapeutische Beiträge, von Nettel. 22. Die ungleichartige therapeutische Wirkungsweibe der beiden elektrischen Stromes- arten und die clektrodiagnostische Gesichtsfelduntersuchung, von Engelskjön.

ill. Aus den Gesellschaften. IV. Mittheilung an den Herausgeber. V. Vermischtes.

I..Originalmittheilungen.

oe

Ein Fall multipler Neuritis mit Athetosis. Von Dr. L. Löwenfeld in München. (Schluss.)

Für die Diagnose vorstehenden Falles müssen wir zunächst die Entwicke- lang der Erkrankung in Betracht ziehen.

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Aus den anamnestischen Angaben des Pat. erhellt, dass bei dem bis dahin gesunden Manne unter fieberhaften Erscheinungen! sich eine gewisse Schwäche an den unteren Extremitäten ausbildete. Diese Art des Einsetzens motorischer Störungen findet sich nach unseren bisherigen Erfahrungen nur bei 2 Krank- heitsformen; bei Myelitis der grauen Vorderhörner (Poliomyelitis anterior, speciell der sogenannten Mittelform dieser Affection) und bei multipler Neuritis. Gegen erstere und für letztere Erkrankung spricht jedoch mit Entschiedenheit der weitere Verlauf des Leidens. Zu der Schwäche an den Beinen gesellte sich in rascher Folge Schwäche an den Armen, ferner Sensibilitätsstörungen an allen 4 Extremitäten am Rumpfe und im Gesichte. Die Sensibilitätsstörungen an sämmtlichen 4 Extremitäten waren anfänglich nicht diffus, sondern offenbar auf das Gebiet bestimmter Nerven beschränkt (an den Armen das Ulnarisgebiet,? mit grosser Wahrscheinlichkeit wenigstens, an den Beinen zweifellos das Ge- biet des lateralen Astes des N. peroneus superficialis. Eine derartige Begren- zung von Sensibilitätsanomalien ist nur bei einer Erkrankung peripherischer Nerven denkbar, und so sind wir schon durch diesen Umstand auf die Annahme einer multiplen Neuritis hingewiesen. Diese Annahme wird auch durch das Ergebniss der Untersuchung in ausreichender Weise gestützt. Wir fanden an allen 4 Extremitäten motorische Schwächezustände und Paresen, gepaart mit Anzeichen von Muskelatrophie, also Erscheinungen atrophischer Lähmung, daneben jedoch sehr ausgeprägte objective und subjective Sensi- bilitätsstörungen. Es ist bekanntlich ein Verdienst namentlich der Erp’schen Schule, gezeigt zu haben, dass die Gegenwart erheblicher Schädigungen der Sensibilität bei atrophischen Lähmungen die Diagnose der Neuritis gegen die spinalen atrophischen Lähmungen und Amyotrophien stützt. Kann demnach an dem Bestehen einer multiplen Neuritis in unserem Falle nicht gezweifelt werden, so wäre immerhin noch die Annahme möglich, dass es sich bei unserem Pat. um einen sogenannten unreinen Fall multipler Neuritis handelt, i. e., dass eine Affection des Rückenmarkes neben der Erkrankung der peripheren Nerven vorliegt. Es sind namentlich einzelne Symptome, welche Verdacht in dieser Richtung hervorrufen könnten: Die Gürtelsensationen und die Druckempfindlich- keit einzelner Wirbeldornfortsätze, ferner der allerdings nur geringe Grad von Ataxie an den ÖOberextremitäten. Erstere Erscheinungen sind indess bei mul- tipler Neuritis schon öfters beobachtet worden (DRESCHFELD®) und erklären sich ungezwungen aus der Antheilnahme einzelner Dorsal- und Lumbalnerven an

1 Dass das von dem Pat. erwähnte Schwitzen 6 Nächte hindurch in Verbindung mit dem Uebelbefinden unter Tags auf Fieber zurückzuführen ist, ünterliegt wohl keinem Zweifel. ? Das Ulnarisgebiet, sofern eben nur der N. ulnaris Aeste für sämmtliche in Frage stehende Finger (Klein-, Ring- und Mittelfinger) abgiebt. ® J. DeescareLp, On alkoholic paralysis. Brain. 1834. July p. 200. Auch in einem von LEYDEN mitgetheilten Falle multipler Neuritis (Ztschr. f. klin. Med. 1880. Bd. 1. H. 3. 8.421) fanden sich Gürtelgefühle und Druckempfindlichkeit der Wirbel; doch gehört dieser Fall eben zu den sogenannten unreinen, weshalb ich von einer Bezugnahme auf denselben absehe, obwohl auch in demselben die fraglichen Erscheinungen durch neuritische Processe verursacht gewesen sein dürften.

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dem neuritischen Processe. Für unseren Fall wird diese Annahme zur (ewiss- heit durch die Gegenwart hochgradiger Druckempfindlichkeit eines Theils der Rückenmusculatur. Letztere Erscheinung, eine Folge degenerativer Veränderungen im Muskel, gewinnt in Verbindung mit den beiden erstgenannten Symptomen’! für die Diagnose einer Neuritis im Bereiche der Dorso-Lumbalnerven ähnliche Bedeutung, wie die Gegenwart trophischer Störungen der Haut neben’ Sensi- bilitätsanomalien. Auch Ataxie ist nunmehr bei multipler Neuritis schon mehr- fach constatirt (D£serıne, DRESCHFELD, HiRrr).

Von den übrigen hier iu Betracht kommenden Erscheinungen (Anomalien der elektrischen Erregbarkeit, Mangel des Kniephänomens, Miterkrankung von Gehirnnerven) lässt sich ebenfalls keine speciell zu Gunsten einer spinalen Er- krankung verwerthen.

Berücksichtigen wir andererseits den Umstand, dass Störungen in den Ver- richtungen der Blase und des Mastdarms, sowie der Potenz und Pupillenver- änderungen Erscheinungen, die man so oft bei den verschiedenen Formen der chronischen Myelitis beobachtet bei unserem Patienten fehlen, so ergiebt sich, dass die Annahme einer Betheiligung des Rückenmarkes an der Erkrankung durch nichts gefordert ist.

Wir müssen, nachdem wir die Diagnose des Falles erledigt, nunmehr etwas bei den Einzelheiten desselben verweilen. Die Beobachtung bietet des Bemerkens- werthen Mancherlei. Was zunächst das Verhalten der Sensibilität anbelangt, so ist das Fehlen von eigentlichen Schmerzen (Reissen, Stechen, Brennen) sowohl im Beginne, als im späteren Verlaufe der Erkrankung um so auffallender, als die Erscheinungen in der sensiblen Sphäre im Krankheitsbilde keineswegs eine untergeordnete Rolle spielen. Ebenso wie spontane Schmerzen fehlt auch jeg- liche Druckempfindlichkeit an den Nervenstämmen. Von besonderem Interesse sind ferner die blitzartigen Empfindungen in den Extremitäten, deren Pat. Er- wähnung that. Soweit von blitzartigen Empfindungen bisher in der Literatur die Rede ist, haben wir es mit Schmerzen zu thun. Die Empfindungen, die Pat. hatte, waren jedoch nicht schmerzhaft, sondern eher wohlthuend. Es handelt sich hier also um eigenartige, bisher noch nicht beschrie- bene Sensationen.

Ueber die Ursache dieser Empfindungen liessen sich verschiedenerlei Ver- muthungen aufstellen, auf welche einzugehen ich mir jedoch vorläufig versage. Gürtelsensationen bestanden bei unserem Pat. sowohl am Rumpfe, als an den unteren Extremitäten. Diese Form von Sensibilitätsstörung findet sich bei multipler Neuritis öfters, wie bereits erwähnt. Die Druckempfindlichkeit der ee die bei unserem Pat. in sehr ausgesprochener Weise bestand, zählt

! Ich glaube, auf die Combination der 3 oben erwähnten Erscheinungen Gürtel- gefühle, Druckempfindlichkeit eines Theiles der Wirbelsäule und der Rückenmuskeln be- sonderes Gewicht legen zu sollen. So häufig auch bei Rückenmarkserkrankungen Gürtelgefühleund Druckschmerzhaftigkeit einzelner Wirbel gefunden werden, so sind diese Erscheinungen doch bisher noch nie in Verbindung mitexquisiter Druckempfindlichkeit von Rückenmuskeln beobachtet worden.

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dagegen zu den selteneren Vorkommnissen, wenigstens bei den nicht alcoholischen Formen der multiplen Newritis. Häufiger scheint dieselbe, nach den Angaben DRESCHFELD’s zu schliessen, bei der Neuritis der Alcoholiker vorzukommen.

Die Betheiligung des Trigeminusgebietes an der Erkrankung gehört eben- falls zu den selteneren Erscheinungen bei multipler Neuritis. Ich habe dieselbe noch in 2 anderen Fällen beobachtet. In der vorliegenden Beobachtung ist der Umstand bemerkenswerth, dass trotz des langen Bestehens subjectiver Sensi- bilitätsstörungen es dennoch zu keiner Schädigung der objectiven Sensibilität im Trigeminusgebiet kam. Es kann sich also hier nur um sehr leichte Veränderungen der betreffenden Nerven handeln.

Betrachten wir nun die Störungen auf dem motorischen Gebiete.

Die Untersuchung ergab neben Parese des linken Abducens an sämmtlichen Extremitäten Paresen und Schwächezustände, erheblicher an den Armen als an den Beinen, nirgends jedoch eine vollständige Paralyse. Von der Musculatur der Extremitäten zeigte sich nur der M. triceps an den Armen beiderseits und der M. quadrioeps femoris an den Beinen deutlich atrophisch. Der elektrische Befund ist in mehreren Beziehungen ein sehr auffallender. Während an den oberen Extremitäten, welche die beträchtlichere Motilitätsabnahme zeigten, sich verhältnissmässig nur geringe Abweichungen von der normalen Reaction nach- weisen liessen (bei der galvanischen Exploration u. A. Herabsetzung der Erreg- barkeit der beiden N. ulnares, rechts mit verfrühtem Auftreten von KOZ, ferner Erregbarkeitsherabsetzung im linken N. radialis), fanden sich an beiden Beinen beträchtliche Erregbarkeitsanomalien. Diese bestanden hanptsächlich in einer auffallenden Herabsetzung der galvanischen Reizbarkeit in sämmtlichen unter- suchten Nervenmuskelgebieten mit Ausnahme des linken Nervus cruralis, der quantitativ normale Erregbarkeitsverhältnisse darbot. Daneben machten sich auch Anomalien der Zuckungsformel bemerklich, namentlich im Quadriceps- gebiete beiderseits; dagegen zeigten nirgends die Zuckungen einen deutlich trägen Charakter, so dass von dem Vorhandensein einer E.R. keine Rede sein konnte. Ein ähnliches Verhalten ist bisher weder bei multipler Neu- ritis, noch überhaupt oonstatirt worden. Man hat allerdings wiederholt bei peripherer Lähmung nur Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit olme qualitative Veränderungen gefunden (BRENNER,! BERNHARDT?); diese Herab- setzung betraf jedoch die Erregbarkeit für beide Stromesarten. Die bei unserem Pat. Bauer constatirte Erregbarkeitsanomalie bildet übrigens nur eine der zahl- reichen Uebergangsformen zwischen normalem Verhalten und ausgebildeter EaR.?

Druckempfindlich zeigten sich von der gesammten Musculatur nur die linksseitigen Rückenmuskeln; diese zum Theil in einem so exquisiten Maasse,

1 BRENNER, Untersuchungen und Beobachtungen auf dem Gebiete der Elektrotherapie. 1869. Bd. 2. 8. 158 ff.

* BERNHARDT, Virchow’s Archiv. 1879. Bd.78. H. 2. S. 267.

® Ich habe mich hiervon in einem anderen Falle multipler Neuritis, der demnächst im Münch. ärztl. Intelligenzbl. zur Veröffentlichung gelangt, in recht augenscheinlicher Weise überzeugen können.

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wie ich es sonst; nie beobachtete. Erklärte doch Pat. bei einem mässigen Drucke, den ieh auf die Musculatur links neben der unteren Hälfte der Dorsalwirbel- säule und von dieser nach abwärts ausübte, dass er da ein Gefühl habe, als hätte ich ihn mit einem spitzen Instrumente durch und durch gestochen.

Neben den Paresen und Schwächezuständen liess sich an den oberen Ex- tremitäten nur ein gewisser Grad von Ataxie bei Augenschluss constatiren. Pat. traf bei geschlossenen Augen die Nasenspitze nicht, er fuhr an der Nase ganz vorbei, eine Erscheinung, die bei Gesunden nicht beobachtet wird, und die nur als Ataxie sich auffassen lässt. Der Umstand, dass Pat. bei offenen Augen nichts von Coordinationsstörungen an den Armen erkennen liess, spricht nicht gegen diese Auffassung. Der Einfluss des Gesichtssinnes war hier wie in manchen anderen bisher beobachteten Fällen ausreichend, um die motorische Innervation den gestellten Anforderungen entsprechend zu reguliren, um sozusagen den Aus- fall von coordinirenden Impulsen, der durch die Erkrankung der sensiblen Arm- nerven verursacht war, zu decken. Mit der Ausschaltung des Gesichtssinnes musste die durch die Erkrankung der Armnerven bedingte Störung der Coor- dination zu Tage treten. An den Armen des Pat. war indess noch eine erheblich interessantere Bewegungsstörung als die Ataxie zu beobachten. Liess man die Hand des Pat. auf einer Unterlage aufruhen oder, während man den Vorderarm festhielt, frei herabhängen, so waren auch, wenn Pat. sich bemühte, die Hand möglichst ruhig zu halten, an den Fingern eigenthümliche Bewegungen zu be- obachten, und zwar liessen sich im Ganzen zwei Arten von Bewegungen unter- scheiden. Entweder wurden einzelne Finger mit einem leisen einmaligen Rucke aus ihrer bisherigen Stellung verschoben (gebeugt, gestreckt, abducirt etc.), wobei jedoch die Locomotion der Finger nie eine sehr erhebliche war, oder aber man sah einzelne, meist jedoch mehrere Finger gleichzeitig und in gleicher Richtung in eine langsam fortschreitende Bewegung eintreten, wobei es schliesslich zu weit erheblicheren Ortsveränderungen der Finger kam, als im ersteren Falle. So wurden z. B. die extendirten Finger gebeugt oder die gebeugten extendirt, der Kleinfinger abducirt etc. Dieses Fingerspiel ging nicht völlig continuirlich vor sich. Zwischen den einzelnen Bewegsacten waren meist Intervalle der Ruhe von mehreren Secunden; andererseits wurde jedoch auch nie beobachtet, dass die Bewegungen im Ruhezustand der Hand längere Zeit sistirten. Pat. war nicht im Stande, selbst wenn er sich noch so sehr anstrengte, diese Bewegungen zu unterdrücken. Einen gewissen beschränkenden Einfluss des Willens auf dieselben möchte ich jedoch nicht negiren. Eine Störung der gewollten Be- wegungen durch das erwähnte Fingerspiel liess sich nicht constatiren. Ueber das Verhalten der Hände während des Schlafes konnte nichts Näheres ermittelt werden, da Pat. von den fraglichen Bewegungen nicht viel Notiz genommen zu haben scheint, und die Zeit seines Aufenthaltes dabier zu kurz war, um eine Information bezüglich dieses Punktes zu ermöglichen. Halten wir unter den derzeit bekannten motorischen Reizerscheinungen Umschau, um zu ermitteln, welcher Classe derselben wir die eben geschilderten Bewegungen zuweisen können, so ergiebt sich Folgendes:

—- 174

Mit der gewöhnlichen Form der Chorea, dem Tremor, der Paralysis agitans hat unsere Affection so wenig gemeinsam, dass wir auf eine Erörterung der Differentialdiagnose diesen Krankheiten gegenüber verzichten können. Auch der von FRIEDREICH als Paramyoclonus multiplex, von mir als Myoclonus spinalis multiplex beschriebenen Krampfform lässt sich dieselbe trotz mehrerer gemein- samer Züge (symmetrischer Betheiligung gewisser Armmuskeln, Andauer der Be- wegungen, Nichtbeeinträchtigung der Willkürbewegungen etc.) nicht zurechnen.! Dagegen kennen wir in der von HAammonp zuerst beschriebenen Athetosis eine Form von Hyperkinese, deren Erscheinungen so sehr dem in unserem Falle Beobachteten entsprechen, dass wir ohne Bedenken die in Rede stehenden Motilitätsstörungen als Athetosis bezeichnen können.

Nach Hammonp ? charakterisirt sich die Affection, der er den Namen Athetosis gab, hauptsächlich durch eine Unfähigkeit die Finger und Zehen in irgend einer Stellung, in die man sie verbringt, festzuhalten und durch ihre unaufhörliche Bewegung. Indess wurde schon von CHarcor? die Langsamkeit der Fingerbewegungen betont, desgleichen von verschiedenen anderen Autoren. Unmöglichkeit, die Bewegungen durch den Willen zu unterdrücken, fand sich in den meisten bisher beobachteten Fällen. Beschränkung der Störung auf die Hand wurde auch schon mehrfach beobachtet.* Wir sehen, dass alle wesent- liche Kriterien der Athetosis in unserem Falle vertreten sind. Man unterscheidet gegenwärtig und schon seit geraumer Zeit zwei Formen von Athetose: Eine sogenannte primäre oder primitive und eine symptomatische. Unter der ersteren Form werden jene Fälle verstanden, in welchem dem Auftreten der Athetosis- bewegung eine Erkrankung der Centralorgane nicht vorherging; die letztere wird bei centraler Erkrankung mit verschiedenem Sitze beobachtet und über- wiegend nach CHARcoT als eine Unterart: (Varietät) der Chorea posthemiplegica aufgefasst. In der That liegen auch Beobachtungen vor, welche den Uebergang der Chorea posthemiplegica in Athetose in deutlicher Weise bekunden (so z. B. GeEIFF’s Beobachtung’), so dass über die Zusammengehörigkeit der beiden Formen von Motilitätsstörung kein Zweifel bestehen kann. Was den nächsten Ausgangspunkt der Athetosisbewegung in den Fällen der zweiten Categorie an- belangt, so scheint die Mehrzahl der anatomischen Beobachtungen dafür zu sprechen, dass dieselben durch einen eigenartigen Reizzustand der Pyramiden- bahnen an irgend einer Stelle wenigstens ihres cerebralen Verlaufes, der durch einen in deren Nähe befindlichen Herd herbeigeführt wird, bedingt sind. Bei den Fällen sogenannter primärer Athetusis hat man die Frage des peripheren Ursprungs wohl gelegentlich gestreift, jedoch sich durchweg für eine centrale

! Ich verzichte hier aus räumlichen Gründen auf nähere Begründung dieser Behaup- tung und begnüge mich auf meine bezügliche Mittheilung (Ein weiterer Fall von Paramyo- clonus etc. Münch. Aerztl. Intelligenzbl. 1888. Nr. 15) zu verweisen.

* Hamumonp, Treatise on the disease of the nervuus system. 1876. 6. Aufl. S. 722.

® Cuarcor, Klinische Vorträge über Krankheiten des Nervensystems. Deutsch von Ferzer. 1876. Abth. II. Th. 1. S. 517.

* Vgl. Beraer, Art. Athetosis in Eulenburg’s Realencyclopädie,

® GREIFF, Arch. f. Psych, 1883. Bd, 14. H. 8. S, 614,

I

Localisation der zu Grunde liegenden nervösen Affectionen ausgesprochen. Man hat sich die Sache hierbei in der Weise zurecht gelegt, dass man annahm, es handele sich hier ebenfalls um einen Reizzustand gewisser intracerebraler Bahnen, nur sei hier die Veränderung im Gehirns nicht bedeutend genug, um auch Hemiplegie zu erzeugen. Dieser Auffassung gegenüber repräsentirt unsere Beobachtung ein gewichtiges Argument dafür, dass die völlige Ausschliessung des peripheren Ursprungs wenigstens bei der primären Athetosis keine Berechtigung besitzt. Und in der That, wenn wir die Fälle, die als primäre Athetosis beschrieben sind, durchmustern, so muss man sich wenigstens bei einzelnen derselben verwundern, dass man den vorhandenen Symptomen gegenüber die Möglichkeit einer peripheren Ent- stehung der Erkrankung nicht in eingehenderer Weise gewürdigt haf.!

Auch vom rein theoretischen Standpunkte kann die Annahme einer Ent- stehung der Athetosis durch peripherisch-neuritische Processe keinerlei Schwierig- keiten ausgesetzt sein. Die motorischen Antheile der peripherischen Nerven bilden mit den Pyramidenbahnen zusammen bekanntlich ein einheitliches Leitungssystem. Wenn Reizung des einen Abschnittes dieser Bahn (in specie des intracerebralen Verlaufes derselben) Athetosisbewegungen hervorrufen kann, so ist kein Grund zu ersehen, weshalb Reizung eines anderen Theiles derselben nicht die gleiche Folge sollte nach sich ziehen können. Ja, man darf in Ver- folgung dieses Gedankenganges es geradezu auffällig finden, dass bei multipler Neuritis bisher Athetosis nicht schon öfter beobachtet wurde. Dies wird sich künftig wahrscheinlich ändern.

Ich muss schliesslich noch beifügen, dass ich um Weihnachten v. J. (also etwa !/, Jahr nach der Vornahme der Untersuchung) von dem Pat. auf Anfrage die Mittheilung erhielt, dass bezüglich der Augen Besserung eingetreten sei, im Uebrigen jedoch sein Zustand noch keine wesentliche Veränderung erfahren habe.

I. Referate.

Experimentelle Physiologie.

1) Veber Muskelphänomene, von Dr. C. Reinhardt, 2. Arzt der Irrenanstalt Friedrichsberg-Hamburg. (Arch. f. Psych. u. Nervenkrankh. XV. 3.)

Verf. versteht unter Muskelphänomenen die durch mechanische Reizung eines Muskels hervorgerufenen Bewegungsvorgänge in demselben und unterscheidet sie in eine sich rasch über den gereizten Muskel ausbreitende Contractionswelle, welche er totale Contraction nennt, und eine auf den Ort der Reizeinwirkung beschränkte, lang- samer ablaufende und in Gestalt eines circumscripten Wulstes auftretende Contraction,

ı Es gilt dies namentlich für den von Gnauck (Arch. f. Psychiatrie. 1879. Bd. 9. H. 2. 8. 300) veröffentlichten Fall. In diesem begann die Erkrankung mit reissenden Schmerzen im Gesichte, es bestand einseitige Facislisparese und Herabsetzung der Sensibilität an den von Athetosis befallenen Extremitäten. Die Frage nach dem peripheren Sitze der Erkrankung wird von Gnauck gar nicht weiter erwogen, sondern eine cerebrale Localisation auf mir

nicht genügend erscheinende Argumente hin sofort angenommen, u

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welche er als locale bezeichnet, und welche der sonst als idiomusculären Contraction bekannten Erscheinung entspricht. Beide sind bei Individuen mit gesundem Muskel- und Nervensystem und allen Geisteskranken, bei denen eine gleichzeitige Betheiligung der motorischen Sphäre an der Erkrankung nicht vorhanden ist, auszulösen (jedoch bedarf es dazu bei der localen Contraction eines erheblich stärkeren Reizes), persistiren im Schlafe, um nur in der tiefen Chloroformnarcose insofern eine Veränderung zu erleiden, als in ihr die totale Contraction schwächer wird und zur Erzeugung der localen ein geringerer Reiz genügt, zeigen ein diesem eben geschilderten ähnliches Verhalten in der Agone und sind auch noch post mortem vorhanden, so zwar, dass, Fälle von sehr frühzeitig eintretender Todtenstarre abgerechnet, die totale Contraction noch ungefähr eine Stunde, die locale sogar 5—6 Stunden nach erfolgtem Exitus hervorgerufen werden kann. Beide Phänomene erleiden nun in allen den Fällen, die mit Krankheitszuständen der motorischen Sphäre verbunden sind, mannigfache Ver- änderungen, deren Details im Original nachgelesen werden müssen, und welche Verf. in folgenden Sätzen zusammenfasst:

1) Es giebt nur wenige Fälle, resp. nur gewisse Stadien central bedingter, nieht atrophischer Lähmungen, in welchen sich die mechanische Muskelerregbarkeit in jeder Richtung hin ganz normal verhält.

2) In den meisten Fällen, resp. Stadien dieser Lähmungsformen macht sich eine quantitative Aenderung der mechanischen Muskelerregbarkeit bezüglich der totalen Contraction beinerkbar, indem dieselbe bei schlaffer Lähmung herabgesetzt, bei rigider gesteigert zu sein pflegt. Die locale Contraction erleidet in diesen Zuständen fast gar keine Aenderung.

3) Bei atrophischen Lähmungszuständen handelt es sich nicht nur um quanti- tative, sondern auch um eine wichtige qualitative Veränderung der mechanischen Muskelerregbarkeit, welche sich als eine Abweichung von dem normalen Zuckungs-, resp. Contractionsmodus, d. h. durch grössere Trägheit im Entstehen und Vergehen ınanifestirt und sowohl die locale wie totale Contraction betrifft.

Was das Zustandekommen der in Rede stehenden Phänomene angeht, so fasst Verf. die totale Contraction als einen reflectorischen Vorgang auf, bei dem die Fascie des gereizten Muskels die Stelle der Sehne bei den Selinenreflexen vertritt, während er die locale ohne alle Vermittlung von nervösen Einflüssen als eine directe Aeusse- rung der contractilen Substanz, welche durch den starken, mechanischen Reiz in einen der Degeneration nahestehenden, dem bei grosser Erınüdung ähnlichen Zustand ver- setzt ist, entstanden wissen will. Brückner.

u

Pathologische Anatomie.

2) Ein Fall von centralem Angiosarcom des BRückenmarks, vun Dr. G. Glaser. (Arch. f. Psych. 1885. Bd. XVI. H. 1. S. 87.)

Der in der Ueberschrift bezeichnete Fall betraf eine 42jährige Frau ohne here- ditäre Belastung und ohne syphilitische oder nervöse Antecedentien. In den letzten Lebensjahren schwerer Kummer und Nahrungssorgen. Es fanden rasch hintereinander 7 Geburten und mehrere Aborte statt. Während der letzten Gravidität (also vor ca. 2 Jahren) kolikartige Schmerzen, welche lancinirend in die Beine ausstrahlten, dieselben steigerten sich gegen das Ende der Schwangerschaft. Im Puerperium Parese der unteren Extremitäten. Nach einigen Wochen Besserung, dann aber wieder Ver- schlimmerung: Coordinationsstörungen, Ataxie stellten sich ein, auch das Rom berg’sche Symptom. Dann wurde der Gang spastisch; dabei traten Parästhesien und Schwinden der Sensibilität ein, Harnträufeln und Obstipation. Jetzt litt auch die Psyche: Pat. wurde melancholisch und machte Selbstmordversuche. Nach vorübergehender Besserung neue Exacerbation; Schmerzen in den Gliedern, Parästhesien, Sensibilitätsverlust.

= ART 2

Sehnenreflexe waren verstärkt, es bestand reflectorische Pupillenstarre, Atrophie der Haut und der Musculatur, Incontinenz, Cystitis, Schlaflosigkeit. Endlich Decubitus und Tod.

Bei der Section fand sich der Duralsack des Rückenmarks an verschiedenen Stellen, bes. im Cervicaltheil, aufgetrieben, fluctuirend, die Dura gefässreich, trübe, verwachsen nach aussen und innen. Die Auftreibungen enthalten eine halbgeronnene Masse, welche schmierig ist und herausquillt, daneben Membranfetzen und hirsekorn- grosse Kömer von weisslicher Farbe Die Substanz des Rückenmarks ist stellen- weise von einer weichen schmierigen Masse durchsetzt, z. Th. haben sich Höhlen gebildet; in den Goll’schen Strängen findet sich stellenweise abnormer Gefässreich- thum und kleine Blutungen, auch graue durchscheinende Verfärbung. Eine caver- nöse Geschwulstmasse durchzieht das Centrum des Rückenmarks; die Details des mikroskopischen Befundes sind im Original einzusehen.

Es handelt sich nach G. um ein Neoplasma, welches central im BRückenmark durch die ganze Länge desselben sich hinzieht, welches von der Rückenmarkssubstanz ausgegangen ist und sich auf sie beschränkt (sie einfach verdrängt) hat und stellen- weise cystoid entartet (eingeschmolzen) ist. Der Ausgangspunkt ist wahrscheinlich die graue Substanz, die Gattung des Tumors die der Sarcome (Angiosarcom).

Siemens.

3) Scelerosi multipla del midollo spinale soomplicata a micosi, pel dott. A. Rovighi. (Rivist. speriment. di frenatria e di medic. leg. X. 1884. p. 227.)

Interessanter Krankheitsfall, der neben den bekannten Symptomen der multiplen Rückenmarkssclerose noch einige andere Erscheinungen darbot, die als ungewöhnlich bezeichnet werden müssen, die aber bei der Autopsie eine genügende Erklärung fanden.

Pat., ein etwa 28jähr. Mann, vor 5 Jahren luetisch inficirt, aber angeblich ganz geheilt, hatte nämlich in den letzten 5 Monaten seines schweren Krankenlagers nach kaum 1/, jähriger Dauer der Symptome seitens des Rückenmarks auch an ausserordentlich quälenden Wirbelschmerzen, an Sphinkterenlähmung, an brandigem Zerfall der Haut an sehr zahlreichen Stellen der unteren Hälfte des Körpers und in den letzten Tagen an sehr heftigen und schmerzhaften tonischen Convulsionen der unteren Extremitäten gelitten.

Bei der Section fand sich nun neben mehreren disseminirten sclerotischen Herden in den Vorder-, Seiten- und Hintersträngen ein grosser Herd im untersten Abschnitt des Dorsalmarks, der sich auf die Länge von fast 2 cm ausdehnte und fast voll- ständig den Querschnitt der Seiten- und Hinterstränge beiderseits einnahm. In dieser grossen sclerotischen Masse zeigte sich der hinteren Hälfte des linken Seitenstranges entsprechend ein grauweisser Sector, der von einem schmalen gerötheten Rande um- geben war. Aehnliche aber ganz kleine centrale Herde hatten sich übrigens auch in einigen der grösseren Sclerosen gefunden. Ausserdem ging von dem grossen Herde eine aufsteigende Degeneration der Goll’schen Bündel und eine absteigende aus, welche sich beiderseits auf eine schmale peripherisch gelegene Zone der hinteren Partien der Seitenstränge beschränkte.

Was nun die Epikrise betrifft, so sind die anatomischen Grundlagen für die Symptome der multiplen Sclerose evident; für die frühseitige Sphinkterenlähmung, für die heftigen Schmerzen und für den Decubitus ist wohl der grosse Herd im Beginn der Lendenanschwellung verantwortlich zu machen, der vom Verf. als Resi- duum einer 5 Monate vor dem Tode ausgebrochenen Myelitis transversa mit secun- därer Degeneration angesehen wird. Die terminale Steigerung der Schmerzen und die convulsivischen Muskelzuckungen führt Verf. auf die frischen Entzümdungsherde zurück, die sich in dem grossen und auch in einzelnen anderen Plaques gefunden hatten. Mikroskopisch zeigte sich im Centrum derselben je ein secundärer Erweichungsherd,

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der von einem Kranze strotzend mit Blut und zum Theil allein mit Coccobacterien gefüllter Capillaren umgeben war. Dieser mykotische Infarct wird auf eine von den Decubitusstellen ausgegangene septische Infection bezogen. Sommer.

4) Ett fall af cysticercus cellulosae i hjernan, af Prof. Runeberg i Helsing- fore. (Finska läkaresällsk. handl. 1884. XXVL 4. S. 187.)

Das Vorkommen von Cysticercus ist in Finland eine grosse Seltenheit, R. hat nur 3 Fälle beobachtet, von denen in 2 der Cysticercus im Gehirn sich fand. In dem einen dieser Fälle waren keine Hirnsymptome während des Lebens vorhanden gewesen und der Cysticercus wurde nur zufällig gefunden. Im 2. Falle litt der Kranke an wiederholten epileptiformen Anfällen, die anfangs seltener, später häufiger und schliesslich an einem Tage 11mal wiederkehrten, wonach der Kranke einen Tag lang vollständig bewusstlos blieb. Am 2. Tage begann das Sensorium allmählich wieder klar zu werden, aber am Tage darauf stellten sich Delirien ein, die ganz den Charakter der Alcoholdelirien hatten und bis zu dem, nach wenigen Tagen unter den Erscheinungen der Herzschwäche und des Collapsus erfolgenden Tode fortdauerten. Bei der Section fanden sich 13—14 Cysticerken, meist dicht unter den Meningen sitzend, einige aber auch in der Hirmsubstanz selbst. Offenbar bestand in diesem Falle Complication mit Alcoholismus, aber die Cysticerken spielten zweifellos eine Rolle bei der Entstehung der schweren Hirnsyüuıptome. Walter Berger.

6) Observations pour servir & l’histoire de l’Arachnitis et de la Lepto- Möningite spinale chronique. Scelörose medullaire secondaire, par M. Ribail, Paris. (Gaz. med. de Paris. 1885. No. 3 et 4.)

Verf. bringt zunächst 3 Beobachtungen von secundärer Sclerose des Rücken- marks bei Knochenplättchen der Arachnoidea.

Fall 1. Bei einer 64jähr. Frau begannen 6 Monate ante mortem Sensibilitäts- störungen in allen Extremitäten nebst Zittern und Ataxie, sodass Gehen und Schreiben unmöglich war. Tod an Pleuritis. Die Autopsie ergab etwa 10 Knochenplättchen auf der Arachnoidea des BRückenmarks, einige am Hals-, die andern am unteren Dorsal- und am Lendentheill.e Das Rückenmark zeigte nur an den diesen Knochen- plättchen entsprechenden Stellen oberflächliche (peripherische) Sclerose der Seiten-, resp. Hinterstränge.

Ganz ähnlich war Fall 2, in welchem bei einer 72jähr. Frau seit etwa 7 Monaten starkes Intentionszittern und beträchtlich verstärktes Kniephänomen, sowie leichter Fussclonus bestand; keine Sensibilitätsstörungen. Es fanden sich etwa 20 Knochen- plättchen von Linsengrösse auf der Arachnoidea, denen eine oberflächliche Sclerose der Medulla (Seitenstränge) entsprach; die grösseren Plättchen hatten flache De- pressionen des Rückenmarks erzeugt.

In einem 3. Falle konnte die 68jähr. Frau noch gut gehen: man fand auch hier Arachnoidea-Plättchen, aber in der Medulla keine Sclerose, nur sehr zahlreiche Corpora amylacea.

R. macht auf die symptomatologische Aehnlichkeit dieser Fälle mit der primären multiplen Sclerose aufmerksam, sowie auf das hohe Alter der Kranken.

Von Beobachtungen bei chronischer Meningitis theilt Verf. folgende mit:

1) Eine 68jährige Frau hat seit Winter 1883/84 zunehmende Schwäche und Taubheit in den Beinen bemerkt, sodass sie fremder Unterstützung beim Gehen be- durfte. Starkes Zittern des rechten Arms, wenn sie etwas mit der rechten Hand halten soll; links weniger. Sehnenphänomene an den oberen Extremitäten erhalten. An den Beinen dagegen sind die Sehnenphänomene verschwunden, die Sensibilität

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ist intact, doch bestehen blitzartige Schmerzen und grosse Schwäche der Bewegungen. Tod den 7. September 1884. Die Section ergab, ausser 2 Knochenplättchen der Arachnoidea des unteren Dorsaltheils, am ganzen Rückenmark eine ungleich auf- tretende Verdickung der weichen Häute, die schlaff und in hohem Grade schmutzig verfärbt sind. Das Rückenmark selbst zeigte überall eine oberflächliche Sclerose mit Uebergang von Markfasern, und zwar ist diese, entsprechend den hier stärkeren, dort schwächeren meningitischen Processe, bald mehr, bald weniger stark ausgesprochen.

2) Aehnlich, aber weniger entwickelt, war der Befund bei einem 68jähr. Manne, der seit 7 Jahren zunehmende Schwäche und Schmerzen in den Beinen gefühlt hatte. Das Kniephänomen war rechts verschwunden, links erhalten; rechts Fussclonus. Hyperästhesie beider Beine, besonders rechts. Der Gang mühsam, die Füsse schleifen auf dem Boden. Keine Ataxie, keine grössere Unsicherheit bei Augenschluss. Autopsie: chronisch-entzündliche Verdickung der Pia, leichte oberflächliche Sclerose der Medulla.

3) Ein 57jähr. Mann bemerkte seit 8—9 Jahren Schwäche der Beine, anfangs nur des linken, später beider; keine Coordinationsstörungen, niemals Schmerzen, Schwindel, Kopfweh etc. Im Januar 1884 konnte der Kranke noch etwas gehen, wenn er sich mit beiden Händen aufstützte; doch war er nicht mehr im Stande, die Füsse vom Boden zu erheben. Leichtes Stottern, Zittern des ganzen Körpers beim Aufsitzen, das beim Liegen verschwindet. Obere Extremitäten intact.

Am 20. April 1884 ein starker epileptiformer Anfall mit 3tägiger Bewusst- losigkeit und nachfolgender vollständiger Paraplegiee In einem neuen derartigen Anfalle am 16. Mai Exitus letalis. Bei der Section fand man Gehirn und Rücken- mark intact bis auf Folgendes: rechts im unteren Dorsaltheile sitzt ein von der Dura ausgehender Gummiknoten, reichlich erbsengross mit sich verjüngenden Rändern. Pia und Arachnoides sind in ihm aufgegangen. Das Rückenmark zeigt an der betreffenden Stelle oberflächlich Verdickung des interstitiellen Gewebes mit Schwund der Nerven- fasern (Ausdehnung?). Eine ähnliche, aber kleinere Geschwulst mit wenig entwickelter Sclerose der Medulia befindet sich am Halstheile.

In allen 6 Fällen soll das Gehirn ganz intact gewesen sein. Der Verf. folgert demnach, dass secundär nach Knochenplättchen der Arachnoides und nach entzünd- lichen Verdickungen der weichen Häute eine oberflächliche Sclerose des Rückenmarks eintreten kann, und zwar in jenen Fällen durch Compression und Irritation, in diesen durch directe Propagation. Hadlich.

Pathologie des Nervensystems.

6) Bijdrage tot de localisatie-leer van bewegingsstoornissen in den hersen- bast, door Dr. B. H. Stephan. (Weekbl. van het Nederl. Tijdschr. voor Geneesk. 1885. 1.)

Bei einem 17jährigen tuberkulösen Mädchen traten vom 30. Mai 1884 an Krämpfe im Gebiet der vom Facialis innervirten Muskeln an der linken Seite auf. Der Druck der linken Hand war weniger kräftig, als der der rechten, in den Beinen war kein Unterschied der Kraft festzustellen. Die linke Gesichtshälfte war röther als die rechte, das linke Auge, dessen Lider geschwollen waren, thränte, aus dem linken Nasenloch wurde Flüssigkeit secernirtt. Am 3. Juni Abends breiteten sich die Krämpfe auch auf den linken Arm aus. Kopfschmerz oder Erbrechen war dabei nicht vorhanden, auch die Pupillen waren nicht verschieden, Pulsfrequenz und Tem- peratur waren sehr gesteigert. Anomalien der Respiration bestanden nicht. Die Krämpfe wiederholten sich anfallsweise ohne Verlust des Bewusstseins; am 4. Juni wurde auch das linke Bein ergriffen; auch ein geringer Grad von Trismus bestand während der Anfälle und auf der Höhe derselben breiteten sich die Krämpfe auch,

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obwohl in geringem Maasse, anf die rechte Körperhälfte aus. Direct nach den An- fällen waren auch die Zeichen linksseitiger Facialisparalyse zu bemerken, sowie geringe Sprachstörung. Die Reflexe waren erhalten. Am 10. Juni trat Kopfschmerz in der Stirngegend auf. Am 12. Juni bestand linksseitige Facialisparese mit Aus- nahme der obersten Zweige, wiederholt erfolgte Erbrechen, und zunehmende Parese der linken Körperhälfte überhaupt. Der Allgemeinzustand litt immer mehr, am 20. Juni trat Somnolenz ein, die am nächsten Tage in Bewusstlosigkeit überging, die Pupillen waten weit und reagirten nicht auf Licht; am 22. Juni war die rechte weiter als die linke, an der rechten Seite traten geringe Krämpfe auf, unwillkürliche Entleerungen. Hand und Vorderarm waren links kälter als rechts, Haut- und Sehnen- reflexe links vermindert. Am 23. Juni traten Zuckungen in der rechten Gesichts- hälfte und im rechten Arme ein. Am 24. Juni war die Kranke zeitweise bei Be- wusstsein, es bestand kein Pupillenunterschied mehr. Schlucken und Sprechen waren erschwert und theilweise unmöglich, im rechten Arme stellte siclı etwas Starre ein. Unwillkürliche Entloerungen dauerten fort. Am 27. Juni war die linke Pupille zeit- weise viel weiter als die rechte, die Augen rollten nach links und kehrten dann mit ruckender Bewegung nach rechts zurück. Die Reflexe fehlten an beiden Seiten seit dem 24. Juni. Cheyne-Stokes’sche Respiration stellte sich ein und am 28. Juni starb die Kranke ruhig. Bei der Section fand sich ausgebreitete tuberkulöse Meningitis. In der rechten Hirnhemisphäre fand sich längs des rechten Sulcus Ro- lando, eindringend zwischen den Gyrus frontalis und parietalis ascendens, die hintere Wand des ersteren in hohem Grade, die vordere des letzteren etwas weniger affi- cirend eine tuberkulöse Masse, die sich nach unten in die Fossa Sylvii, nach oben bis an den Lobulus paracentralis ausdehnte und nicht tiefer ging, als die zwischen beiden genannten Windungen befindlichen Gewebe. In der Fossa Sylvii befand sich längs des ganzen Verlaufes rechts eine ganz gleiche Masse. Das Genu corporis callosi war sehr weich, beide Ventrikel waren weit und enthielten viel trübes Serum; beide Plexus chorioidei waren von Tuberkelwucherung eingenommen. Die zwischen dem 30. Mai und 20. Juni beobachteten Erscheinungen sind nach St. mit der Ent- wickelung der corticalen Tuberkelmasse in Verbindung zu bringen als Erscheinungen von Reizung der Centra für den Facialis und Hypoglossus; der BReizzustand breitete sich mehr nach oben aus und ergriff das mittlere Drittel des Gyrus frontalis ascen- dens, das Centrum für den Arm; später wurde auch der höher liegende Theil der sogenannten Centralwindungen ergriffen. Schliesslich machte der Reizzustand der Depression Platz und es stellte sich Paralyse der ursprünglich von den Krämpfen befallenen Muskelgruppen ein. Bemerkenswerth erscheint es St., dass die obersten Facialiszweige frei blieben und dass Störungen im Gebiete des Trigeminus bestanden (Trismus nach den Krampfanfällen). Ausserdem wies die Röthung der linken Gesichts- hälfte, das Thränen des linken Auges, die Schwellung der Lider auf eine vasomo- torische Störung hin, auf die wohl auch eine trophische Hautstörung, die nach An- wendung eines Liniments mit Veratrin auftrat, zu beziehen ist; ein Oedem der linken Hand und des Vorderarms mag wohl besser durch anhaltendes Liegen auf der linken Seite zu erklären sein. | Walter Berger.

7) Hömorrhagie sous-meningsee dans la region de la 2. circonvolution frontale droite. Hömipliögie gauche et 6pilepsie partielle, par M. G. Marfan. (Soci6t6 anatom. Sitz. vom 25. Jan. 1884. Progr&s med. 1884. Aoüt. No. 33.)

Ein 71jähriger Mann bekam eine Apoplexie, wurde bewusstlos und unter epi- leptiformen Anfällen in’s Hospital gebracht. Er bot eine complete linksseitige Hemi- plegie dar, erwachte von Zeit zu Zeit aus seinem Coma und bekam epileptiforme Zuckungen in den Muskeln des Gesichts und der Extremitäten jedes Mal, wenn man

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ihm zu trinken gab; Dauer derselben 2—-3 Minuten. Tod im Coma 48 Stunden nach dem ersten apoplectischen Insult.

Die Autopsie zeigt die linke Hemisphäre unversehrt. In der rechten findet sich ein grosser submeningealer Blutherd, welcher, von dem suboorticalen weissen Marklager der 1. Stirnwindung ausgegangen, diese durchbohrt hat und an der Hirn- oberfläche sich ausbreitet. Die Centralganglien sind völlig frei.

Die epileptiformen Anfälle erklärt Marfan durch die Nachbarschaft der moto- rischen Rindencentren, die Hemiplegie durch Druck auf die innere Kapsel, schliesst sogar die Annahme einer „hemiplegia postepileptica“ nicht aus.

Baillet hebt hervor, dass solche Fälle nicht als Beweise gegen die Localisations- theorie in’e Feld geführt werden könnten, denn es gebe besonders bei frischen und wiederholten Apoplexien gewisse Fernwirkungen, die man berücksichtigen müsse.

Laquer.

8) Beiträge zur Differentisldiagnose der hysterischen und der kapsulären Hemianästhesie. Inaug.-Diss. von Fritz Kalkoff. (Halle 1884.)

In der unter Seeligmüller gearbeiteten Dissertation wird zuerst sehr eingehend die diagnostische Bedeutung der Hemianästhesie besprochen, wobei sich K. in der bekannten Streitfrage bezüglich der Sehstörungen im Gefolge der hysterischen Hemi- anästhesie und in Folge von Läsionen des Carrefour sensitif auf die Seite Charcot’s stellt und das Grasset’sche Schema acceptirt. Des Weiteren schliesst sich K. auf Grund einer Anzahl recht ausführlicher, am Schlusse auch in Tabellenform zusammen- gestellter Beobachtungen aus Seeligmüller’s Praxis der Anschauung Charcot'’s an, dass die beiden in Rede stehenden Formen von Anästhesie durchaus übereinstimmende Symptomenbilder sind; nur bezüglich des Verhaltens der Reflexe wird mit Rücksicht auf die entgegenstehenden Angaben Rosenbach’'s und Moeli’s die Entscheidung offen gehalten.

Als interessant aus der Casuistik wird noch mitgetheilt: Der günstige Einfluss der Metallotherapie auf das Erbrechen der Hysterischen, Transfert hervorgerufen durch Aetzung der Clitoris bei halbseitiger Hyperästhesie, ferner die Beobachtung, dass eine in der Weise gekreuzte Hemianästhesie, dass auf der einen Seite des Kopfes bis zur Mitte des Halses Haut, Schleimhäute und Specialsinne, auf der andern Seite des Körpers vom Halse abwärts inclusive der Extremitäten Haut und Schleimhäute anästhetisch sind, sicher als hysterisch anzusehen ist. A. Pick.

9) Les 6ternuments növropathiques, par F6r6. (Progr. med. 1885. No. 4.)

Ein Fall von Nieskrämpfen, welchen F. bei einem neuropathisch belasteten Individuum beobachtete, giebt ihm Veranlassung, die verschiedenen andern Reizursachen, die ebenfalls ein heftiges oder krampfhaftes Niesen hervorrufen können, aufzuzählen. Es sind 1. locale Reizung der Nasenschleimhaut, 2. Reizung der Cornea, 3. Läsion des III. Astes des Trigeminuus, 4. Helminthiasis, 5. Schwangerschaft (Beobachtung Romberg's).

Indem F. vorausschickt, dass Brodie schon vor Jahrzehnten Nieskrämpfe bei einer Hysterischen beschrieben, schildert er die Krankengeschichte eines von Charco tt jüngst klinisch demonstrirten 16jähr. Mädchens, welches mütterlicherseits neuropathisch belastet ist und früher an Scrophulose gelitten hat. Sie zeigt eine linksseitige Homi- anästhesie mit Verlust des Muskelsinns, Verminderung der Sehnenreflexe und der motorischen Kraft und hysterogene Punkte. Die Anfälle, an denen die Pat. leidet, beginnen mit einer Aura, die in einer von den Ovarien zum Halse- aufsteigenden Sensation besteht. Dann gähnt die Kranke mehrfach. Die hysterische Attaque besteht aus der bekannten „Kreisebogen-Stellung“ („lattitude en arc de cercle‘“) aus

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krampfhaftem Lachen und Husten und aus den heftigsten Nieskrämpfen: Diese Phasen des Anfalls folgen in verschiedener Reihe aufeinander. Die Pat. niest oft 30 bis 40 Mal in der Minute, ja sie soll vom 21. Oct. bis 12. Nov. vorigen Jahres (die Affection besteht erst ein Jahr) 16195 Mal geniest haben; während es nach F.s Mittheilung eine Pat. Mosler’s bis auf 50000 „Nieser“ binnen 3 Tagen brachte. Die krampfhafte Bespiration in der Beobachtung För6’s ist von keiner Secretion der Nasenschleimhaut gefolgt, wie in ähnlichen Fällen. Auch soll sie von keines- wegs günstiger Prognose sein, sodass man, wie Fer6& meiut, nicht Allen, welche niesen, ein „Prosit!“ zurufen darf! Laquer.

10) Vier Fälle von Amyotrophie, von Prof. Nothnagel. Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte vom 14. Nov. 1884. (Wiener med. Bl. Nr. 47.)

1. Fall: Seit 2 Jahren bestehende gewöhnliche progressive Muskelatrophie (Typus Aran-Duchenne). 2. Fall: Mann von 21 Jahren: juvenile Form der Muskel- atrophie (Erb), Thenar und Hypothenar erhalten, dagegen atrophische Thorax- und RBückenmuskeln; Gang wie bei Pseudohypertrophie, doch derb anzufühlende Mus- culatur am Vorderarm vorhanden. 3. Fall dem zweiten ähnlich: Musculatur des Vorderarms und der Schulter schlaf? und welk, Hypertrophie der Wadenmuskeln; watschelnder Gang. 4. Fall: Mässige Atrophie des linken Hypothenar und Thenar, sowie des Vorderarms, grössere Atrophie dieser Partien linkerseits. Ferner Abmagerung der langen Rückenstrecker, der Schultermuskeln, der Thoraxmusculatur und Bauclı- presse. Absolute Unbeweglichkeit der unteren Extremität mit Atrophie; dabei Miss- verhältniss zwischen der an sich keineswegs bedeutenden Abmagerung und der com- pleten Lähmung gewisser Muskelgruppen. Im 2., 3. und 4. Fall keine EaR, dagegen in Fall 1.

Nach Vorstellung dieser 4 Fälle geht Nothnagel auf die differentialdiagnostischen Momente derselben näher ein, betont vor Allem nach Mittheilung der Theorien über die Localisation der verschiedenen amyotrophischen Processe den häufig vorkommenden Uebergang der Pseudohypertrophia muscularis (Fall 3) in die juvenile Form der Muskelatrophie (Fall 1): Auch Leyden’s „hereditäre Muskelatrophie“ scheine ihm in die Kategorie dieser Krankheitsbilder zu gehören. Den Fall 4 möchte N. am ehesten noch als Myelitis subacuta diffusa aufgefasst wissen, da der Kranke angiebt, dass er an einem Morgen plötzlich unter Schüttelfrost und Erbrechen erkrankt sei und seit jener Zeit eine leichte Ermüdung beim Gehen, sowie Ameisenlaufen in den unteren Extremitäten verspüre; später hätten sich Kraftlosigkeit in beiden Armen, Gürtelgefühl, blitzartig durchschiessende Schmerzen in den Beinen, sowie auch Rücken- weh eingestellt. Der Kranke klage auch jetzt noch über ein Gefühl von Pamstig- sein in der rechten Hand. Der amyotrophische Process hatte in diesem Falle die verschiedenen Körperstellen ohne systemmässige Localisation ergriffen, trotzdem doku- mentire sich das ganze Leiden auf Grund der Anamnese sowohl, als auch wegen des Missverhältnisses, in welchem die noch vorhandene Musculatur zu der durch den Process gesetzten Bewegungsstörung steht, als ein spinales: die diffuse Myelitis dürfte die verschiedenen Rückenmarksquerschnitte in verschiedener Höhe ergriffen und mit besonderer Intensität die Vorderhörner der grauen Substanz getroffen haben.

Laquer.

11) Fördamning eftor skarlakans feber, sjukdomsfall behandladt vid Sätra Brunn, af A. Wide. (Upsala läkarefören. förh. 1884. XX. 1. S. 36.)

Ein Mädchen, ohne erbliche Anlage, bekam im Alter von 1!/, Jahren ein schweres Scharlachfieber, das 9 Wochen lang dauerte; während der Krankheit entwickelte sich allmählich eine fast vollständige Lähmung; in den oberen Extremitäten kam das

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Bewegungsvermögen bald wieder, die unteren Extremitäten blieben gelähmt, so dass das Kind im 7. Jahre nicht einmal sitzen konnte. Pat. besuchte seit 1877 regel- mässig das Eisenbad Sätra; im 1. Jahre war sie bettlägerig, im 2. Jahre waren die Arme so weit gekräftigt, dass sie, sich kriechend fortbewegen konnte. Später bewegte sie sich, wie sie Prof. Björnström gelehrt hat, in der Weise fort, dass sie die Füsse mit den Händen fasste, von der Stelle hob und vorwärts setzte, wobei die ganze Körperlast von den Armen getragen wurde. Im Jahre 1884 (im Alter von 13 Jahren) lernte sie mit Krücken und Stützepparaten für die Beine gehen. Der Brustkorb ist gut entwickelt, das Rückgrat zeigt lordotische Knickung im Lendentheile und skoliotische Kräümmungen in den oberen Theilen, die Beweglichkeit der Wirbelsäule ist bedeutend vermehrt. Das Becken ist weit und gross. Schultern und Arıne sind stark. Die Beine, die willkürlich fast gar nicht bewegt werden können, sind an und für sich nicht bedeutend atrophisch, wohl aber in Vergleich mit den Armen (die Vorderarme baben 1!/, cm mehr Umfang als die Unterschenkel); sämmtliche Muskeln an ihnen geben schwache faradische, keine galvanische Reaction; die Peronaei reagiren an beiden Beinen am stärksten, danach die Adductoren der Schenkel, schlechter reagiren die Vasti interni und externi, die Flexoren der Ober- und Unterschenkel], am schlechtesten die Muskeln der Füsse. Die Sensibilität ist überall vollkommen normal, trophische Störungen in der Haut sind nicht beobachtet worden. Die innern Organe sind gesund. In Bezug auf die anatomische Diagnose liegt wohl die Annahme einer Poliomyelitis anterior acuta noch am nächsten, doch sind die anatomischen Ver- änderungen bei derselben gewöhnlich auf die Hals- und Lendenanschwellung begrenzt, während im vorliegenden Falle auch der dazwischen liegende Theil wahrscheinlich mit betroffen wurde, weil auch der Rumpf gelähmt war. Die Entwickelung des Knochensystems in den gelähmten Gliedern hat keine Hemmung erfahren, obwohl fast vollständige Lähmung mehrere Jahre bestand. Bemerkenswerth ist die langsame und doch stetig fortschreitende Besserung, die nach W. hoffen lässt, dass Pat. auch den Gebrauch ihrer Beine wieder erlangen könne, Walter Berger.

12) Ein Fall von halbseitiger Gesichtsatrophie, von Dr. Franz Spitzer, Wien. (Wiener med. Bl. 1885. Nr. 1.)

Die Abmagerung des Gesichts begann im 4. Lebensjahre und zeigt bei der jetzt 19 Jahre alten Patientin, welche sonst am Körper keinerlei trophische, sensible oder motorische Störungen darbietet, den bekannten Charakter. Bemerkenswerth nur er- scheint die Mittheilung, dass die hervorgestreckte Zunge nach links abweicht und durch eine tiefe Furche von der Zungenspitze bis zum Zungengrund in zwei Theile getheilt wird und zwar so, dass die linke Zungenhälfte blos ein Drittel der rechten ausmacht sich gleichsam nur wie ein Anhfngsel derselben ausnimmt; dabei sei die Geschmacksempfindung beiderseits völlig gleich. Ferner findet sich ophthal- moskopisch bei normaler Pupille und unveränderten Netzhautgefässen der ganze Fundus beiderseits mit kleinen hellen Flecken übersäet. Verf. erklärt diesen Augenspiegel- befund für ausser Connex stehend mit der vorliegenden Hemiatrophie. Ueber die Pathogenese der mitgetheilten Beobachtung kommt Verf. zu keinem Resultat, da nach seiner Ansicht alle über die Hemiatrophia facial. progr. aufgestellten pathologischen Hypothesen auf seinen Fall nicht angewandt werden könnten. Laquer.

u

13) Isolirte krampfhafte Contractionen der Musculstur der Ohrmuschel, von Louis Blau. (Berl. klin. Wochenschr. 1884. Nr. 33.)

Patient, 10 Jahre alt, nervös und bereditär nervös belastet, litt an hochgradiger Empfindlichkeit beider Ohrmuscheln und Gehörgänge bei Berührung, sowie an zeit-

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weise spontan in den Ohren auftretenden Schmerzen. Bei der Untersuchung zeigten sich ausserdem höchst eigenthümliche Bewegungserscheinungen an den Muscheln, die merkwürdiger Weise bisher weder von dem Knaben noch dessen Umgebung beachtet worden waren. Die Ohrınuscheln wurden nämlich, und zwar rechts stärker als links, in verticaler Richtung schnell auf- und abwärts gezogen, dieses währte ohne Unter- brechung mehrere Minuten lang, alsdann wurden die bisher ausgiebigen Bewegungen schwächer und cessirten auf einige Zeit gänzlich oder es stellten sich nur ab und zu einzelne leichte Zuckungen ein, worauf dann dasselbe Spiel von Neuem begonnen. Hervorrufen liessen sich diese Zuckungen, von welchen der Pat. übrigens nicht das geringste Bewusstsein hatte, jederzeit durch eine Berührung der Muscheln oder ein Ziehen an den Ohrläppchen; wurde dabei der Finger entsprechend der Lage des Musc. attollens auriculae aufgelegt, so konnte man deutlich die jedesmalige An- schwellung des Muskelbauches durchfühlen. Ohr sonst gesund, keine Bewegungs- erscheinungen am Trommelfell. Ebensowenig waren spastische Zuckungen an den übrigen Muskeln des Gesichtes oder an den Extremitäten oder choreaartigen Be- wegungen vorhanden. Eine äussere Schädlichkeit hatte auf den Knaben nicht ein- gewirkt. Verf. sieht als Ursache des auf die Ohrmuskelzweige des Nerv. facialis beschränkten Krampfes in diesem Falle die Otalgia nervosa an, wie ja bekanntlich die Irritation von Quintusfasern an irgend einem Punkte überhaupt sehr oft zu dem reflectorischen Auftreten von diffusem oder partiellem Facialiskrampf den Anlass liefert. Die Otalgia nervosa denkt er sich auf anämischer Basis entstanden. Die Therapie, welche in ca. 14 Tagen zur Heilung führte, beschränkte sich auf ein all- gemein roborirendes Verfahren, Abhaltung jedes Reizes von den Ohren und Ein- reibungen mit Morph. mur. 0,2, Ol. Olivarum 10,0 in deren Umgebung. Blau.

14) Ein Fall von Tumor des Ganglion Gasseri, von Friedrich Bezold. Aus dem Gesammtbericht über die 1881 —1883 inel. behandelten Ohren- kranken. (Arch. f. Ohrenheilk. XXI. 4. 8. 233.)

Patientin, eine 40jährige Agentenfrau, bot von Seiten der Ohren rechts einen alten chronischen Paukenhöhlencatarrb, links einen Abschluss der Tuba Eustachii mit Flüssigkeitsansammlung in der Paukenhöhle Ausserdem fanden sich bei ihr beider- seits in den Fossae retromaxillares harte Drüsenpackete, die schon seit Monaten viele Schmerzen verursacht hatten. Bald nach der ersten Untersuchung trat eine überaus heftige Neuralgie der linken Gesichtshälfte und in der Nase auf. Als Hauptsitz der Schmerzen wurde die ÖOberkiefergegend, der Jochbogen und das Innere der Nasen- höhle bezeichnet; locale Druckpunkte waren nicht vorhanden. Im Uebrigen liessen sich keine wesentlichen Anomalien constatiren; die Sensibilität blieb intact, desgleichen das linke Auge, an welchem auch keine vermehrte Thränensecretion bestand. Die anderen Kopfnerven waren sämmtlich in ihren Functionen frei. Die Nasenhöhle zeigte eine vermehrte Absonderung, am Dache und der linken seitlichen Wand des Nasenrachenraumes fand sich eine durch stark papilläres, auffallend derbes adenoides Gewebe bedingte Schwellung. Weiterhin gestaltete sich der Krankheitsverlauf in der Art, dass die neuralgischen Schmerzen immer mehr an Intensität zunahmen, der Pat. vollständig die Ruhe raubten und dass schliesslich ohne neue Complicationen der Tod durch Erschöpfung eintrat. Die Diagnose war intra vitam auf eine Geschwulst an der Schädelbasis in der Gegend des linken Ganglion Gasseri gestellt worden. Bei der Section fand sich ein blassrother, ziemlich derber, elastischer Tumor des genannten Ganglion selbst, von der Grösse einer halben Wallnuss und seiner histologischen Beschaffenheit nach ein Gliom. Derselbe wurde von der gänzlich unveränderten, nicht injicirten Dura überzogen und war mit ihr, sowie mit semer (durch ihn ver- tieften) kmöchernen Unterlage nur unbedeutende Verwachsungen eingegangen. Die

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Faserung konnte an seiner Oberfläche vom Eintritt der Wurzel des Trigeminus bis zu dessen drei Zweigen deutlich verfolgt werden. Blau.

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Psychiatrie.

15) Ueber die Störung der Schriftsprache bei Halbidioten und ihre Aehn- lichkeit mit dem Stammeln, von Dr. Berkhan. (Arch. f. Psych. 1885. XVI. H. 1.)

Von 44 Schülern der für Halbidioten oder Schwachsinnige eingerichteten Hülfs- klassen schrieben 20 die ihnen dictirten Worte verändert und entstellt. Dem Verf. war die Aebnlichkeit dieser Schriftveränderung mit der Veränderung der gesprochenen Worte bei Stammlern aufgefallen, doch konnte er bei genauerer Untersuchung keine Anhaltspunkte dafür finden, dass beide Fehler gleichwerthig seien resp. einer zu dem anderen innigere pathologische Beziehungen habe. Bei einigen dieser Schüler be- seitigte ein sachverständiger methodischer Unterricht den Fehler, der also der Be- handlung zugänglich ist. Siemens.

16) On alcohol in asylums, chiefliy as a beverage, by D. Hack Tuke. (Journ. of ment. science. 1885. Jan.)

Verf. bat von 100 Anstalten Auskunft erhalten über den Gebrauch der Alco- holide als Getränk. In 50 Anstalten ist der Gebrauch von Alcoholicis nur als Medi- cament in Gebrauch, in keinem Falle hat die Abschaffung, wenn früher die Darreichung von Bier etc. an die Arbeiter oder Wärter gewährt war, irgend eine nennenswerthe Störung hervorgerufen, fast überall wird bessernder Einfluss auf die Disciplin gerühmt, in manchen wurde ein Ersatz an Milch, den Wärtern aber ein Geldäquivalent gewährt. Einige Anstaltsvorstände vertbeidigten mit warmen Worten den ferneren Gebrauch des nicht so kostspieligen Recreationsmittels, indem sie den Biergenuss auf die gleiche Höhe mit dem Tabak stellen, den die meisten Patienten nur schwer entbehren mögen. Verf. kommt nach Abwägung aller geäusserten Meinungen zu dem Schluss, da das meistens gebrauchte Bier zu schwach sei, um irgend eine besondere Wirkung aus- zuüben, da aber der Kostenaufwand dafür doch nicht unerheblich sei, so müsse, wenn die Gesundheit der Patienten unter der Entziehung nicht leide, die Disciplin aber eine Besserung erfahre, es den Anstaltsvorständen unbeeinflusst von ihrer Behörde frei gegeben sein, die Entziehung durchzuführen, dafür aber die Diät zu verbessern und den Lohn der Bediensteten zu erhöhen. Zander.

17) The pathology of insanity, by Dr. Savage. (The British med. J0ur; 1884. 2. Aug. p. 239.)

Rede bei der Eröffnung der psychiatrischen Section der Britischen Aerztever- sammlung zu Belfort. Der allgemeine Inhalt der sonst recht interessanten Rede entzieht sich eines specielleren Referats. Verf. verwirft die üblichen Bezeichnungen Manie, Melancholie etc., da diese eigentlich nur Symptome und keine bestimmten Krankheitsbilder bezeichnen; dabei glaubt er, es kämen auch häufig genug einfache Functionspsychosen vor, die einer materiellen Grundlage entbehrten und führt mehrere bemerkenswerthe Krankenbeobachtungen an, die dies beweisen sollen.

Beiläufig sei erwähnt, dass Verf. kürzlich 2 Fälle von wochenlang andauernder Geistesstörung im unmittelbaren Anschluss an das Erwachen aus einer Chloroform- narcose bei früher völlig normalen Individuen beobachtet hat. Sommer,

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18) Some relations of delirium tremens to insanity, by Geo. H. Savage. (Journ. of ment. science. 1885. Jan.)

Verf. hebt in dem kurzen Vortrage hervor, dass nur in seltenen Fällen Trinken allein das Deliriunm hervorbringe, meist sei es das Zusammenwirken von Alcoho!- excessen mit nervösem Shock oder nervöser Depression, oft ergebe auch eine Kopf- wunde die nervöse Intoleranz selbst gegen geringen Alcoholgenuss, besonders aber sei es die durch Erblichkeit erzeugte Nervosität, welche zur Acquisition des Delirium disponire. Zander.

19) Fous et Bouffons, ötude physiologique, psychologique, historique, par Paul Moreau, Tours. (L’Enc6phale. 1884. No. 5.)

M. setzt in einer längeren Darstellung der Geschichte des Hofnarrenthums nach historischen Quellen auseinander, dass auch die durch ihren kaustischen Witz und Charaktereigenschaften einflussreichen Hofnarren, welche sogar grosse Berühmtheit erlangt haben, in Wahrheit zu den Missgeburten, sei es geistig, sei es körperlich, gehörten. Specielles, psychiatrisches Interesse bietet eigentlich nur der Abschnitt, in welchem M. auseinandersetzt, wie boch er den Einfluss acuter fieberhafter Krank- heiten auf die oft plötzliche Entwickelung der vorher schlummernden Intelligenz schätzt.

Zander.

20) Un caso di pazzis a quatro, pel profess. A. Verga. (Archiv. italian. per le malat. nerv. etc. 1884. XXI. Novembre p. 413.)

Nach einer Definition des Begriffs der „Folie A deux“ und nach einer historischen Uebersicht ihrer Literatur theilt Verf. eine Beobachtung von 4 zusammengehörigen Erkrankungsfällen mit, die er als „pazzia a quattro“ (gegenüber der „pazzia a due“

folie a deux) betrachtet.

Die active Person war eine jetzt 47jährige Frau, die früher gesund, wahr- scheinlich schon in den ersten Zwanzigern psychische Krankheitssymptome erkennen liess. Ihre Eltern waren zwar in keiner Weise psychopathisch, ihr Vater aber war in einem Findelhause aufgezogen und aus seinen vielfachen Bemühungen, später seinen wahren Erzeuger auszukundschaften, hatte sich bei der Tochter wohl schon in früher Jugend die Wahnidee ausgebildet, er stamme von reichen und hochgestellten Eltern ab, und sie, als seine Erbin, sei daher berechtigt, die so lange vorenthaltenen Beich- thümer und Würden endlich zu reclamiren. Bald war sie derartig von ihren para- noischen Wahnvorstellungen erfüllt, dass sie dann auch ihre Umgebung beeinflusste. Bei ihrer Mutter, die allmählich ein hohes Alter erreicht hatte und wohl etwas dement geworden war, gelang es sehr leicht, sie von der Richtigkeit der Erbansprüche ihrer Tochter zu überzeugen, und als sie starb, starb sie in dem felsenfesten Glauben, jeden Tag müsse endlich die Erbschaft eintreffen. Dann diente die erste Patientin längere Zeit als Kammerfrau bei einer feingebildeten Französin und bald hatte sie auch ihre Herrin völlig in ihre Wahnvorstellungen hineingezogen. Diese Dame, übrigens Mutter eines epileptischen Knaben, gab sich die grösste Mühe, ihrer Kammerfrau zur Erreichung der Erbschaft zu verhelfen und gelangte, selbstständig (?) die aufgenommenen Wahnvorstellungen weiter verarbeitend, allmählich soweit, dass sie einen General aus den Napoleonischen Kriegen für den Grossvater ihrer Clientin halten zu müssen glaubte und gleichzeitig behauptete, ausser dem Kinde habe er noch eine Million dem Mailänder Hospital hinterlassen. Bei den Vorständen des Letzteren, wie bei mehreren Rechtsanwälten querulirte sie nun umher, um den wahren Namen des von ihr präsumirten Generals zu erforschen, und einige Zeit wurden diese Bemühungen der anscheinend so verständigen Dame ernstlich von den Behörden unterstützt, obschon u. A. eine ähnliche Erbschaft niemals dem Hospital zugeflossen war. Endlich wurde ihre geistige Störung erkannt und bald darauf verliess sie auch

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ihren Wohnort, um sich wieder mit ihrem Gemahl zu vereinigen. 10 volle Jahre aber hat sie noch in lebhaftem Briefwechsel mit ihrer ehemaligen Kammerfrau ge- standen und diese immer weiter in ihren Recherchen unterstützt, bis die Briefe plötzlich ausblieben, möglicherweise weil die Ungläckliche endlich einer Irrenanstalt hatte übergeben werden müssen. Unterdessen hatte die erste Patientin geheirathet und jedenfalls in sehr kurzer Zeit ihren wenig Widerstand leistenden Gemahl in ihren Wahnkreis hineingedrängt. Da beide gemeinschaftlich zu Haus arbeiteten, um ihren kümmerlichen Unterhalt zu verdienen, und kaum ausgingen, so wurde die gegenseitige Beeinflussung immer kräftiger. Mit der Zeit entwickelten sich Ver- giftungswahnvorstellungen und zwar wurden diese, sowie vielfache unangenehme Gefühlsempfindungen in unklarer Weise auf die Inhaber einer grösseren Handlungs- firma als die eigentlichen Verfolger „mittelst der Influenz“ zurückgeführt. Von grösserer Wichtigkeit wurden indess „Stimmen“, die dem unglücklichen aber immer von Hoffnungen erregten Ehepaar Muth zusprachen: „Eure Sache hat gesiegt, Ihr seid die Erben“ etc. Endlich brachten die Zeitungen geheimnissvolle Andeutungen und wie bei Paranoischen merkwürdig häufig, an einem an und für sich ganz irrelevanten Tage, am 7. resp. 8. September 1882, glaubten die beiden Kranken, durch eine Abbildung mit satyrischer Unterschrift in einem politischen Witzblatt, durch welche thatsächlich die englischen Forderungen an die egyptische Finanzver- waltung verspottet werden sollten, sei ihnen der eclatante Beweis ihrer berechtigten Ansprüche geliefert, und gleichzeitig sei ihnen klar geworden, dass ihr eigentlicher Beschützer, der ihnen jetzt die Erbschaft aushändigen würde, der damals vielgenannte „Michael Dmitrijewitsch Skobeleff“ sei, obschon dieser für italienische Ohren ziemlich complicirte Name in der fraglichen Zeitungsnummer nicht einmal erwähnt war. In der Folge wurde das Ehepaar immer unruhiger und durch ihre ewigen Lamentationen immer auffälliger und störender. Ihre dann bewirkte Ueberführung in ein Irren- asyl und ihre demgemäss erfolgende Trennung brachte keine Aanderung in ihren Wahnvorstellungen hervor. Noch jetzt November 1884 erblicken sie in dem längst verstorbenen Skobeleff ihren Beschützer und erwarten den Tag seiner Ankunft, die active Patientin mit dem deutlichen Hinweis auf die dann zu nehmende Rache wegen der angeblichen Gefangenschaft, der passive Mann mit der fröhlichen Aussicht auf den zu erwartenden Reichthum. Sommer.

Therapie.

21) Elektrotherapeutische Beiträge, von Neftel. (Arch. f. Psych. u. Nerven- krankheiten. Bd. XVI. H. 1.)

Der etwas zu enthusiastische New - Yorker Elektrotherapeut riet in der vor- liegenden Arbeit eine Reihe kleinerer Mittheilungen zur Elektrotherapie.

Nr. 1 behandelt die elektrische Behandlung der Neuralgien und verwandter schmerzhafter Affectionen. Nach einigen Bemerkungen über die Behandlung der Neuralgien im Allgemeinen, über die Application der indifferenten Elektrode, resp. der Kathode auf dem Hypogastrium an Stelle des Sternums (eine Anordnung, die auch in Deutschland nicht unbekannt ist) beschreibt er eine Methode der Behand- lung, die er als symmetrisch polar bezeichnet.

Dabei setzt er die Anode auf den ergriffenen Nerven und die Kathode auf die symmetrische Stelle der anderen Seite.

Veranlasst wurde N. zu dieser Behandlung durch die Erscheinung, dass nach Schwinden der Schmerzen auf der einen Seite dieselben an der entsprechenden Stelle der anderen Seite auftraten, ein Vorgang, der nach dem Bekanntwerden des physio- logischen und pathologischen Transfert nichts besonderes Ueberraschendes darbietet, und welchen auch Ref. bestätigen kann,

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Eine audere Methode der besonderen Behandlung, besonders da, wo kleine Neurome vorhanden sind, oder Points douloureux sie vermuthen lassen, besteht in Kinführen einer Kathedernadel in den schmerzhaften Punkt, wobei der Strom Tanon in Seiner beträchtlichen Höhe gesteigert wird und etwa 1 1) , Minute wirkt.

N. macht dann einige Bemerkungen über die Behandlung visceraler Neuralgien nach eigener Methode (von deren besonderer Wirksamkeit sich übrigens Ref. nicht überzeugen konnte), ferner über die Sympathicus-Behandlung, welche er in manchen Fällen, die sich nicht näher präcisiren lassen, mit sehr starken Stromwendungen verbindet.

Weiterhin hat N. in veralteten Fällen von Neuritis durch Tetanisiren der ein- zelnen ergriffenen Nerven mit maximaler Flexion und Extension Erfolge gesehen.

Zum Schluss macht Verf. noch einige Bemerkungen über die Behandlung der Morphiumsucht.. Nachdem er einmal einen gefährlichen Collaps beobachtet hat, ent- zieht er das Morphium im Laufe einiger Wochen.

Nr. 2 betrifft die galvanische Behandlung der progressiven Muskel- atrophie.

Nach einigen einleitenden Bemerkungen beschreibt N. einen Fall von augeblicher progressiver Muskelatrophie, der unter der galvanischen Behandlung vollständig ge- heilt wurde.

Der Fall gehört zweifellos nicht zu den typischen Fällen und ist für die Be- handlung der letzteren in keiner Weise maassgebend.

Ref. hat in Fällen von wirklicher progressiver Muskelatrophie niemals einen Erfolg von der galvanischen Behandlung gesehen.

Nr. 3 betrifit die elektrische Behandlung des Schreib- und Klavier- spielerkrampfes.

Nachdem Verf. sich von der Erfolglosigkeit der üblichen elektrischen Methoden bei der Behandlung der coordinatorischen Beschäftigungsneurosen überzeugt hatte, bat er weitere therapeutische Versuche angestellt und er empfiehlt auf Grund der Resultate bei 4 Fällen, von welchen einer ausführlich geschildert wird, die Behand- lung mit an- und abschwellenden starken tetanisirenden Strömen in aufsteigender Richtung. Die Stromstärke wurde bis zur stärksten Flexion jeweils gesteigert, nach- dem eine kurzdauernde Galvanisation am Halse vorausgegangen war. Rumpf.

22) Die ungleichartige therapeutische Wirkungsweise der beiden elek- trischen Stromesarten und die elektrodiagnostische Gesichtsfeld- untersuchung, in Hauptzügen dargestellt von C. Engelskjön in Christiania. 2. Abtheilung. (Arch. f. Psych. etc. 1885. Bd. XVI. H. 1.)

Auch die zweite Abtheilung der im Titel genannten Arbeit verfolgt den Zweck, die in der ersten aufgestellte „Hauptwahrheit“ von der gegensätzlichen therapeutischen Wirkung der beiden Stromesarten zu erläutern und zu bekräftigen. Doch enthält dieselbe auch verschiedene Einschränkungen und Modificationen des Fundamentalsatzes. So wird stärker betont der Unterschied in der Wirkung der centralen und peripheren Behandlung, der „Elektrisirung des Hautorgans“. Dem entsprechend bilden die „reflectorischen Heilwirkungen“ der Stromesarten, die wieder einfache Reizwirkungen und specifische Reflexwirkungen sein sollen, den Gegenstand längerer Erörterung. Die „BReizwirkung“ beider Stromesarten kann nach E.'s Fällen eine ähnliche sein, während doch die specifische Wirksamkeit gegensätzlich ist. Verf. sieht sich ge- nöthigt, auf Grund dieser von ihm erst später entdeckten retlectorischen Stromwirkungen die Eigenthümlichkeiten mancher Fälle, die er früher „paradoxen Refiexen“ zuschrieb, anders zu erklären und seine Hypothesen über directe Beein- flussung der Ganglien bei visceralen Neurosen zurückzunehmen.

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Die bei der Aufzählung einzelner Krankheitsformen gegebenen Bemerkungen des Verf. über die Pathogenese der ersteren lassen auf kein besonderes Vertrautsein mit der pathologischen Anatomie der Erkrankungen des Nervensystems schliessen.

Wir können unser bei der Besprechung der ersten Abtheilung abgegebenes Ur- theil über den Werth der E.’schen Arbeit durch die Fortsetzung nur bestätigt finden. Dass die zahlreichen casuistischen Beiträge manches Interessante enthalten, mag dabei gerne zugegeben werden. Eisenlohr.

IIl. Aus den Gesellschaften.

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung den 9. März 1885.

Hadlich: Ueber einen Fall von Kopftetanus. Ein Knabe von 2 Jahren und 4 Monaten, der sich am 28. Juni 1884 eine unbedeutende Wunde an der rechten Wange zugezogen hatte, bekam am 10. Juli ein schiefes Gesicht Verziehung nach links —, vom 13. Juli an Trismus und etwa noch 8 Tage später ausgesprochene tetanische Anfälle, bei welchen Zuckungen des rechten Armes und Beines beobachtet wurden. Von Ende Juli an gingen die Erscheinungen nach und nach zurück; am 20. August war von Trismus nichts mehr zu bemerken, und etwas später verlor sich auch die Schiefheit des Gesichts vollständig.

Sehr interessant war in diesem Falle eine Erscheinung, auf welche Bernhardt bereits aufmerksam gemacht hat, nämlich das Bestehen spastischer Erscheinungen im Gebiete des gelähmten Facialis dexter. Es war sowohl der M. orbicularis oculi d., wie die rechte Hälfte des M. orbicularis oris beständig contracturirt, sodass die rechte Angenlidspalte anhaltend enger war, als die linke, und die rechte Mundhälfte in der Ruhe geschlossen, nur die linke gewöhnlich halb geöffnet war. Hierdurch wurde bewirkt, dass die linke Hälfte der Unterlippe einen etwas tieferen Stand einnahm, als die rechte. Sobald nun der Knabe weinte, oder wenn man durch den Versuch, den Mund zu Öffnen, einen stärkeren Trismus-Anfall hervorrief, verzog sich das Ge- sicht stark nach links und zeigte links kräftige Falten, während es rechts ganz glatt und unbewegt blieb; nur die rechte Augenlidspalte schloss sich dann auch fast voll- ständig. Charakteristisch war, dass der Knabe beim Trinken (— Schluckkrämpfe fehlen vollständig —) die Tasse an den linken Mundwinkel ansetzte und so die Milch zwischen den Zähnen hindurchsog.

Zu den 3 Fällen, welche Rose veröffentlicht hat, den beiden, welche Bern- hardt und Güterbock beobachteten, und den 10 von diesen beiden Autoren aus der Literatur gesammelten Fällen, kommt der Fall des Vortr. als der 16. Er be- trifft das jüngste Lebensalter. In den übrigen Fällen war das Alter 9, 18, 23 Jahre, dann ein Fall von unbekanntem Alter, und 11 Fälle von 28—52 Jahren. In 5 Fällen trat Heilung ein, 11 Kranke starben; und es ist bemerkenswerth, dass lediglich die 5 jüngsten Kranken von 2'/,—23 Jahren es waren, welche genasen.

In der Discussion theilt Remak mit, dass in dem von ihm mit Güterbock zusammen beobachteten Falle die Facialis-Lähmung das gewöhnliche Bild dargeboten hätte; er fragt, wie man sich die Erscheinung erklären könnte, dass Aeste eines gelähmten Nerven gleichzeitig Krampfzustände vermittelten.

Bernhardt berichtet zunächst von einem neuen, also 17. Falle von Kopftetanus, von Wagner beobachtet und aus Schmidt's Jahrbüchern entnommen. Zu einer Imks von der Glabella sitzenden Schusswunde trat am 6. Tage Trismus und Tetanas mit einer linksseitigen Facialis-Parese. Tod am 12. Tage. Der Mann war 42 Jahre alt. Der Sectionsbefund (Erweichungsherd vorn am Uebergang der 2. und 3. rechten Stirnwindung) ist wohl auf die Verletzung zu beziehen. Bezugnehmend auf seine

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Arbeit über Kopftetanus bemerkt B. sodann, dass allerdings spastische Erscheinungen im Gebiete des gelähmten Facialis mehrfach beobachtet seien, von ihm selbst in 2 Fällen. Eine Erklärung sei schwer zu geben.

Westphal hebt hervor, dass Analogien zu diesem eigenthämlichen Vorkommen doch vorhanden seien, z. B. in der Hysterie, wo häufig Lähmungen und Spasmen in denselben Gebieten gleichzeitig beständen. Bedingung sei dabei wohl, dass es sich nicht um schwere anatomische Veränderungen von Nerven handele, sondern um leichtere functionelle Störungen.

Hadlich kann bei dem Mangel einer Erklärung nur auf die genau beobachteten Thatsachen hinweisen. Die Facialis-Lähmung sei übrigens in seinem Falle nur eine mässig starke gewesen, denn in der Ruhe war die Verziehung des Gesichts nach links nur unbedeutend.

W. Uhthoff: TWVeber Neuritis optica bei multipler Herdsclerose. Im Anschluss an die Gnauck’schen Mittheilungen aus dem vorigen Jahre berichtet U. über einige neue Fälle von Neuritis optica bei multipler Sclerose. In 2 von diesen Fällen konnte er die Entwickelung der Sehstörung verfolgen und die Neuritis optica an der Papille beobachten, in einem 3. fand sich sozusagen ein neuritisches Gesichts- feld (centrales Farbenscotom, freie Gesichtsfeldperipherie) mit dem ophthalmoskopischen einer atrophischen Verfärbung der äusseren Papillenhälfte U. knüpft an diese Fälle weitere Betrachtungen über das Vorkommen von Neuritis optica bei multipler Sclerose überhaupt. Rechnet er auch noch die früher mit Gnauck zusammen beobachteten Fälle hinzu, so liessen sich bei einer Untersuchungsreihe von ca. 50—60 Kranken mit multipler Sclerose in ca. 10°/, neuritische Veränderungen an der Papille con- statiren und es werden ca. 25°/,, wenn nur die Kranken mit einem pathologischen Augenspiegelbefunde an der Papille gerechnet werden. Des Weiteren geht U. auf die Sehstörungen ein und hebt namentlich 1) das oft plötzliche Auftreten und die rapide Entwickelung, 2) die Rückbildungsfähigkeit, 3) das partielle Ergriffenwerden des N. opticus (Charcot) und 4) das Verhalten der Gesichtsfelder hervor. Alles spricht mehr für eine neuritische Sehstörung und lässt sich nicht vereinbaren mit einer primären, grauen Degeneration des Sehnerven, wie z. B. bei Tabes und bei der progressiven Paralyse.e Nach einigen weiteren Erörterungen über das eigentliche Wesen der neuritischen- Veränderungen an der Papille bei der multiplen Sclerose, demonstrirt U. dann zum Schluss Präparate von den Sehnerven einer Kranken mit multipler Sclerose und pathologischem Augenspiegelbefunde (ausgesprochene atrophische Verfärbung der äusseren Pupillenbälften, S=!/,), welche er während des Lebens wiederholt genau untersuchen konnte. Die anatomischen Veränderungen sind haupt- sächlich localisirt auf dem unmittelbar hinter dem Auge gelegenen Theil des N. opticus, während die weiter zurückgelegenen Theile frei bleiben. Es finden sich in den er- krankten Theilen einerseits Atrophie der Nervenfasen, auf der andern Seite aber auch deutliche Proliferationsvorgänge mit interstitiellem Bindegewebe mit Kermver- mehrung und Gefässneubildung. U. möchte nicht mit Sicherheit diese Veränderungen auf die anatomische Untersuchung dieses einen Falles hin als „neuritische Atrophie“ bezeichnen, auf jeden Fall aber unterscheiden sich diese Veränderungen deutlich von dem anatomischem Bilde der einfachen primären Opticus-Degeneration.

Hirschberg bemerkt, dass er im Allgemeinen die Mittheilungen des Vortr. bestätigen könne; es seien Sehstörungen und eine Verfärbung der Papille nicht selten in den betreffenden Fällen, bei denen allerdings die Diagnose, ob multiple Sclerose, ob Myelitis manchmal unentschieden bleibe. Eine Neuritis sei allerdings meistens nicht nachzuweisen.

Uhthoff hält eben zur Entscheidung der Frage, wie kommt in diesen Fällen die Sehstörung zu Stande? die Fälle für werthvoll, iu denen man eine deutliche Neuritis constatiren konnte. Hadlich.

191 IV. Mittheilung an den Herausgeber.

Geehrter Herr Bedacteur!!

Gestatten Sie mir, im Anschluss an die Bemerkungen des Herrn Bernhardt in der vorigen Nummer dieser Zeitschrift (S. 92), auch meinerseits einige Punkte in der Beobachtung des Herrn Eulenburg (diese Zeitschrift 1884. Nr. 17) richtig zu stellen.

Wenn Herr Eulenburg den von ihm beschriebenen Fall (den ich gleichfalls gesehen und untersucht habe) den von Thomsen zuerst beschriebenen und von mir bei Gelegenheit einer Demonstration als „Thomsen’sche Krankheit“ bezeichneten Fällen an die Seite stellen zu können meint, so ist dies ein grosser Irrthum, da in der That der Fall des Herrn Eulenburg so gut wie nichts, wenigstens nichts Wesentliches, mit der Thomsen’schen Krankheit gemein hat. Ich möchte glauben, dass Herr Eulenburg einen Fall der letzteren bisher nicht selbst beobachtet hat; jedenfalls gehört der von ihm beschriebene nicht dahin, sondern unzweifelhaft in das Gebiet der Muskelatrophie.

Von einer Rigidität der Muskeln habe ich ebensowenig etwas wahrnehmen können, als Herr Bernhardt; vorgetäuscht konnte dieselbe höchstens werden durch die Schwierigkeit, die es dem Patienten wie übrigens vielen andern un- geschickten macht, seine Beine passiv, in Ruhe zu lassen, sobald man mit den- selben manipulirt; er spannt dann vielmehr gern die Muskeln willkürlich an und führt auch wohl trotz allen Abmahnens diese oder jene willkürliche Bewegung aus, oder fixirt das Bein in einer bestimmten Stellung.

Das Kniephänomen ist nicht, worauf Herr Eulenburg besonderes Gewicht zu legen scheint, erloschen, sondern beiderseits hervorzubringen, sobald es nur gelingt, den Patienten von der willkürlichen Spaunung der Muskeln abzuhalten. Ebenso ist das Achillesphänomen vorhanden (Plantarflexion bei Klopfen auf die Achillessehne, wenn man den Fuss in leichter Dorsalflexion hält). Eine paradoxe Contraction ° dagegen, welche Herr Eulenburg constatirt zu haben glaubt, besteht in Wirklick- keit nicht; vielmehr kann auch hier höchstens der Schein einer solchen durch das willkürliche Festhalten des Fusses in Dorsalfiexion seitens des Patienten erweckt werden.

Schliesslich sei mir die Versicherung gestattet, dass ich mit der Veröffentlichung dieser Bemerkungen lediglich einen Irrthum aus der Literatur fern zu halten be- zweckt habe,

Berlin, 3. März 1885. Westphal.

Antwort.

Ich bin den Herren Bernhardt und Westphal sehr dafür verbunden, dass sie mir durch ihre vereinten Bemühungen (Gelegenheit gaben, die Lücke zwischen meiner vorjährigen und jetzigen Beobachtung des in Rede stehenden Krankheitsfalles zum Theil auszufüllen. Als die Bernhardt’sche Mittheilung erschien, war das Object derselben, jener in den Spalten dieses Blattes, wie in den Berliner Krankenanstalten herumirrende polnische Hebräer, auf seiner Rundtour durch die Berliner Polikliniken gerade wieder einmal in der meinigen angelangt, und ich hatte somit Gelegenheit, mich von der beträchtlichen Abnahme der Muskelrigidität, sowie von dem (übrigens nicht immer gleich deutlichen) Vorhandensein der Sehnenphänomene selbst zu über- zeugen. Zur Constatirung eines so einfachen Befundes hätte es des aufgebotenen kritischen Apparates vielleicht nicht bedurft. Der Fall zeigt eben jetzt eine gegen

! Der Unterzeichnete hält es für nothwendig, zu bemerken, dass er als Stellvertreter des auf Reisen abwesenden Redacteurs d. Ztschr. selbst die Verantwortlichkeit für die unveränderte Aufnahme des obigen Schreibens tbernommen hat.

A. Eulenburg.

früher (d. h. gegen die Zeit vor 9—10 Monaten) mehrfach veränderte Physiognomie; was um so weniger befremden kann, als ich selbst schon in meiner vorjährigen Mittheilung von einer günstigen Einwirkung der angewandten Therapie auf den Krankheitszustand gesprochen, und der Kranke inzwischen mehrere Monate in einem Hospitale und die folgende Zeit in der Behandlung eines sich mit Massage be- schäftigenden hiesigen Specialisten verbracht hat. Herr Westphal befindet sich übrigens, um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, „in einem grossen Irrthum“, wenn er voraussetzt, dass ich den beschriebenen Fall seinen Fällen von sogenannter Thomsen’scher Krankheit einfach an die Seite gestellt habe. Ich habe vielmehr ausdrücklich nicht weniger als 4 Hauptdifferenzpunkte hervorgehoben und den Fall nach seinen damaligen Haupterscheinungen als Hypertonia musculorum pseudo- hypertrophica bezeichnet. Dass er nach letzterer Bezeichnung auch dem Gebiete der Muskelatrophie (oder besser der Muskeldystrophie) zugerechnet werden kann, ist eigentlich selbstverständlich, reine Tautologie; von der typischen Form der pro- gressiven musculären Dysirophie ist er jedoch durch ziemlich ebenso wesentliche Züge getrennt, wie von der Thomsen’schen Krankheit.

Wenn somit Herr Westphal bei seiner Veröffentlichung die Fernhaltung eines Irrthums aus der Literatur bezweckte, so ist dieser Irrthum wohl nur als subjectiv nicht als objectiv vorhanden zu betrachten, da ich den Fall keineswegs als einen solchen von Thomsen’scher Krankheit habe darstellen wollen.

A. Eulenburg.

V. Vermischtes.

Unterbringung geisteskranker Verbrecher. Wie der Herr Minister v. Putt- kamer in der Sitzung des preuss. Abgeordnetenhauses vom 80. Januar d. J. mitgetheilt hat, sind erfreulicher Weise schon für das nächste Etatsjalır 1886/87 die Aussichten auf die Er- richtung einer Irrenstation im Anschluss an dic Strafanstalt zu Moabit vorhanden. Für die "Kosten der Einrichtung der Station werden etwa 30000 Mark einmaliger Ausgaben und für die Unterhaltung ctwa 20000 Mark erforderlich sein. Sommer.

Werthvolles Legat. Der Mailänder Irrenanstalt zu Mombello ist ein Legat zuge- fallen, dessen Zinsen im Betrage von ca. 800 Mark jährlich an solche Anstaltsbeamte ver- tbeilt werden sollen, welche sich ‚entweder im Allgemeinen oder durch wissenschaftliche Arbeiten oder durch Einführung empfehlenswerther Unterhaltungs- oder Beschäftigungsmittel um die Irrenpflege verdient gemacht haben. (Arch. ital per le malatt. mo 1884. Nov.)

ommer.

-—n

Ermordung eines Irren in einer Anstalt. In der Irrenanstalt zu Utica (Verein. Staat.) stürzte sich eines Morgens ein bis dahin völlig harmloser Geisteskranker auf einen Schicksalsgefährten, der ruhig auf dem Corridor entlang spazierte, und brachte ihm ohne die geringste Veranlassung einen tödtlichen Schädelbruch durch einen von hinten geführten Schlag mit einem Tischfuss bei. Er gab später an, er habe laubt, es sei ein Anstalts- beanıter gewesen und er habe sich plötzlich entschlossen, ihn niederzuschlagen, um sich seine Schlüssel anzueignen, und dadurch sich und die anderen Irren befreien zu können.

Dr. Bruch macht auf den forensen Werth dieser Mittheilung aufmerksam und glaubt nach seinen Erfahrungen, dass jeder amerikanische Gerichtshof das Todesurtheil über den Mörder ausgesprochen haben würde, wenn der Letztere sich noch nicht in ciner Irrenanstalt, sondern sioh beispielsweise noch in einem Gefängniss befunden hätte, wenn also seine Geistes- störung erst nach der .unseligen That den Richtern hätte demonstrirt an müssen.

ommer.

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. u Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Te EG ne

Verlag von Vzır & Come. in Leipzig. Druck von Merzesr & Wırrie in Leipzig.

NEUROLOGISCHESCENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten,

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Dritter Au AMTAN. _ Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

1885. 1. Mai. Ne: 9,

Inhalt. 1. Originalmittheilungen. 1. Weitere Mittheilung über den Ursprung des Ner- vas acusticus, von Prof. Dr. A. Forel und med. pract. B. Onufrowicz. 2. Ueber eine bisher unbekannte Verbindung der grossen Oliven mit dem Grosshirn, von W. Bechterew. 3. Zu- satz zu vorstehender Mittheilung, von Prof. Paul Fiechsig. 4. Identität der Epilepsie mit dem Gemühtswahnsinn und der angeborenen Delinquenz, von Prof. C. Lombroso. 5. Fall von Landry’scher Paralyse, geheilt durch Ergotin, von Dr. Sorgenfrey. 6. Ueber einige Prineipienfragen in der Rlektrotherapie, von Dr. C. W. Müller.

ll. Referate. Anatomie. 1. Eine Verbesserung der Hämatoxylin- Blutlaugensalz-Me- thode für das Centralnervensystem, von C. Welgert. Experimentelle Physiologie. 2. Ueber Zwangsbewegungen, die sich bei Zerstörung der Hirnrinde einstellen, von Bech- terew. Pathologische Anatomie. 3. Tumoren der Glandula pituitaria.. Patho- logie des Nervensystems. 4. Ein Fall von acuter aufsteigender Spinalparalyse von Mieth. 5. Des suggestions hypnotiques, par Pitres. 6. Spiritisme et hysterie, par de la Tourette. 7. Chorea bei Typhus abdominalis, von Peiper. 8. Aphasia and cerebral haemorrhage com- plicating-cougb, by Marshall. 9. Double infantile spastic hemiplegia, with the report of a case, by Nutt. 10. kallad bemiplegia spastica infantilis hos en 62 ärs gammal man, af Runeberg. 11. Revision nosographique des atrophies musculaires progressives, lecon de Charcot. Psychiatrie. Des anomalies, des abberrations, et des perversions sexuelles, par Magnan. 13. Notes of a case of Addison’s disease associated with insanity, by Macphall. 14. Four cases of melancholia in one family, by Wigiesworth. 15. Observation de folie du doute, par M. Roger. Therapie. 16. Cura morale nell isterismo, pel A. Blanchi. Forensische Psychiatrie. 17. I. Der Fall Hawranek, von Schlangenhausen, und Il. Revolte durch geisteskranke Verbrecher in einer Anstalt.

Ill. Aus den Gesellschaften. IV. Bibliographie. V. Mittheilung an den Herausgeber. Vi. Personallen. Vil. Vermischtes.

I. Originalmittheilungen. l. Weitere Mittheilung über den Ursprung des Nervus acusticus.

Von Prof. Dr. A. Forel und med. pract. B. Onufrowicz in Zürich.

Der ersten Mittheilung von Prof. ForeL in Nr. 5 dieses Blattes haben wir noch Folgendes hinzuzufügen.

Das Gehirn eines 2. Kaninchens, das auch im Jahre 1880, aber von Hrn. Collegen Dr. Kıurmann, ähnlich wie das erste, in unserem Laboratorium operirt worden war, wurde ebenfalls geschnitten. Dasselbe zeigte auch eine Atrophie

= I9E

des N. acusticus, aber weniger vollständig; namentlich war die hintere Wurzel nicht ganz atrophirt (etwa !/, davon war erhalten). Dagegen schnitt sich das Hirn gut. Das Kaninchen hatte anfangs und noch lange Zeit nachher keine Schiefstellung des Kopfes gezeigt. Eine solche entstand jedoch später durch eine von der Wunde ausgegangene käsige Eiterung, welche, wie sich nach der Tödtung zeigte, auf der Oblongata, in der Acusticusgegend, einen Druck aus- geübt hatte. Das Gehirn (die Oblongata) war aber in keiner Weise entzündlich verändert.

Diese zweite Schnittreihe, mit der ersten verglichen, erlaubt uns nun kurz noch das Folgende anzugeben, das uns vorher noch nicht sicher genug erschien.

Die bei den Nager wie der vordere Zweihügel von einer grauen Rinde überzogene paarige laterale Anschwellung der Oblongata, welche caudalwärts vom Crus cerebelli ad medullam oblongatam liegt, dem Tuberculum acusticum niederer Wirbelthiere offenbar entspricht, von MEYNERT und Anderen zur Flocke gerechnet, von Strepa Tuberculum laterale genannt und nach FoviLLe, Srır- LING, SCHRÖDER und StIEDA auch als Acusticuskern betrachtet wurde, zeigt sich auf der Exstirpationsseite entschieden, wenn auch nur sehr partiell atro- phisch. Besonders ist die tiefe Faserschichte atrophisch, welche der hinteren Acusticuswurzel dicht anliegt. Aber auch die in dieser Faserschichte zerstreuten und die als besondere Schichte darauf folgenden Ganglienzellen sind an Zahl vermindert. Die oberflächliche feinzellige Schichte dagegen ist nur unbedeu- tend verkleinert. Die Atrophie ist geringer als diejenige der Rinde des oberen Zweihügels nach Wegnahme des Opticus, ungefähr so wie diejenige der Subst. gelatinosa des Trigeminus, wenn man diesen Nerven peripher vom Ganglion Gasseri ausschneidet.

Demnach haben wir wohl diese Masse als Acusticuskern zu betrachten, äbnlich wie die Rinde des oberen Zweihügels Opticuskern ist, da sie den Gesetzen der partiellen Atrophie sensibler Nervenkerne folgt, während der gänzlich atro- pbirende vordere Kern entschieden als Spinalganglion des Acusticus gedeutet werden muss.

Dachkerne; Corpus geniculatum internum, unterer Zweihügel, Corpus trapezoides und Bindearm zeigen keine Atrophie.

2. Ueber eine bisher unbekannte Verbindung der grossen Oliven mit dem Grosshirn. Von W. Bechterew aus St. Petersburg. (Aus dem Laboratorium von Prof. Pauı Fuecasie in Leipzig.) Untersucht man das Gehirn eines ca. einen Monat alten Neugeborenen,

so gelingt es, durch die ganze Länge der Brücke und der Grosshirnschenkel in der Haubenregion einen voluminösen scharf ahregrenzten Strang markhaltiger

195

Fasern nachzuweisen, welcher nur streckenweise bekannt,! bez. richtig beschrieben ist, in seiner Bedeutung aber bisher nicht erkannt wurde. Ich will den- selben im Hinblick auf seine Lage im oberen Theil der Brücke und unteren Theil der Grosshirnschenkel als „centrale Haubenbahn“ bezeichnen. Die „centrale Haubenbahn“ kommt in der Oblongata an der dorsalen bez. äusseren Seite der grossen Oliven zum Vorschein, zwischen deren Windungen ihre Bündel emportauchen. Von der Mitte der Oliven an sammeln sich die Fasern mehr an der dorsalen Fläche dieser Gebilde zu einem compacten Strang, welcher rasch an Querschnitt zunimmt und am oberen Ende der Oliven in der Stärke; welche er weiter nach oben in Brücke und Hirnschenkel zeigt, in den Pons übertritt. Die „centrale Haubenbahn“ liegt hier zunächst eingebettet zwischen obere Olive und mediale Schleife (d. i. Schleifenschicht minus untere Schleife), ventral begrenzt vom Corpus trapezoideum. Weiter aufwärts rückt die centrale Haubenbahn mehr dorsalwärts, ist im oberen Theil der Brücke mitten in die Formatio reticularis eingelagert und nähert sich weiter nach oben zu mehr und mehr dem centralen Höhlengrau, welchem sie sich schliesslich in der Höhe des oberen Vierhügels, unmittelbar nach aussen vom hinteren Längsbündel anlegt. Die centrale Haubenbahn wird auf diesem Wege von der ventralen zur dorsalen Fläche der Haube, durchflochten von dem vorderen Kleinhirnstiel (Bindearm) und kommt schliesslich an die dorsale Fläche des rothen Kerns zu liegen, dessen dorsale Markkapsel sie bilden hilft. In den unteren Abschnitten der Brücke grenzt an die centrale Haubenbahn dorsalwärts ein anderes kleineres Bündel, welche viel früher beim Foetus markhaltig wird, bei Neugeborenen von ca. 1 Monat und darüber aber mit der centralen Haubenbahn theilweise zu verschmelzen scheint. Dasselbe sondert sich besonders bei ca. 7monatlichen Foetus sehr scharf von den übrigen Theilen der Formatio reticularis etc., und es ergiebt sich so, dass es mit der centralen Haubenbahn keinen Zusammen- hang hat, vielmehr aus Fasern besteht, welche aus grauen Massen der seitlichen Theile der Rautengrube in der Höhe des Trigeminuseintritts, bogenförmig in die Formatio reticularis einstrahlen, schräg nach unten bis zur gleichseitigen grossen Olive verlaufen, dieselbe von aussen hinten nach vorn innen durchsetzen und in der Olivenzwischenschicht (Formatio reticularis?) verschwinden.

Da, wo die Bündel des ventralen Theiles? der hinteren Commissur des Gehirns zu den hinteren Längsbündeln ziehen, durchflechten erstere theilweise die centrale Haubenbahn, sodass scheinbar beide in einander übergehen (daher der Irrthum Wernicke’s). Indess lehrt die Untersuchung ca. 7 Monate alter Foetus, wo besagte Bündel der hinteren Commissur starke Markscheiden besitzen, die centrale Haubenbahn aber noch völlig marklos ist, dass beide nichts mit

! Auch an Präparaten aus dem Centralorgan des Erwachsenen ist unser Strang ziem- lich deutlich zu erkennen. Bei SrıLıına (Pons Varoli) ist er z. B. auf Tafel II. e- sehr

schön abgebildet, aber fälschlich als Fortsetzung der Seitenstränge gedeutet. WERNIcKE be- schreibt einen Abschnitt unseres Stranges fälschlich als „Haubenbündel aus der hinteren

Commissur“. ® Vgl. dieses Centralblatt. 1885. Nr. 5. DarkscHhzwırtscH: Ueber die hintere Commissur

des Gehirns.

1%

einander zu thun haben. Vielmehr setzt sich die centrale Haubenbahn weiter nach oben gegen das Grosshirn fort, indem sie zwischen dem Boden des IIL Ventrikels und dem rothen Kern und zwar wenig entfernt vom ersteren nach vorn bez. ventral umbiegt, ohne dass ich vorläufig angeben könnte, wo sie central endet. Dass sie peripher mit den grossen Oliven zusammenhängt, dafür spricht Folgendes: Die centrale Haubenbahn erhält Markscheiden unmittel- bar nach dem System, welches die grossen Oliven gekreuzt mit dem Kleinhirn verbindet (Haupttheil des Corpus restiforme), d. h. im letzten Monat des Foetal- lebens. Erst zu dieser Zeit werden auch die in der grauen Substanz der Oliven sich auflösenden Faserzüge markhaltig. Auch lässt sich mit Sicherheit ein Uebergang der centralen Haubenbahn in das Rückenmark ausschliessen. Ferner ist der Querschnitt der centralen Haubenbahn und der die Verbindung von Kleinhirn grosse Oliven vermittelnden Bündel ungefähr der gleiche.

Dass die centrale Haubenbahn sich gerade bei ca. 1 Monat alten Neuge- borenen. insbesondere in der Brücke so deutlich sondert, beruht darauf, dass hier noch ziemlich umfängliche Faserzüge der Haube medial und lateral von jenen marklos bez. markarm sind, welche später sehr markreich erscheinen.

3. Zusatz zu vorstehender Mittheilung. Von Prof. Paul Flechsig.

Nach Durchsicht verschiedener Schnittreihen aus Gehirnen sowohl von Neu- geborenen als Erwachsenen, insbesondere einer Serie etwas zur Medianebene ge- neigter Sagittalschnitte, welche Herr Dr. v. Tscuusch in meinem Laboratorium gefertigt, komme ich zu der Ueberzeugung, dass die centrale Haubenbahn sich zum mindesten mit dem grösseren Theil ihrer Fasern in die Linsenkernschlinge fortsetzt, demgemäss mit dem Linsenkern in Verbindung tritt. Ein Theil der Fasern geht wohl auch durch bez. über den Luys’schen Körper bez. die innere Kapsel zum Linsenkern. MEYNERT, WERNICKE u. A. lassen die Linsenkern- schlinge in die hinteren Längsbündel übergehen, ein Irrthum, der bei Unter- suchung ausgebildeter Gehirne sehr nahe liegt, durch Untersuchung des fötalen bez. in der Entwickelung begriffenen Organes aber zu vermeiden ist. Nach meiner Auffassung würden also Kleinhirn grosse Oliven Linsenkerne einen zusammenhängenden Apparat bilden wofür auch der Umstand spricht, dass ich bei congenitalem totalen Defect des Kleinhirns die grossen Oliven fast vollständig, die centralen Haubenbahnen vollkommen fehlend und die Linsenkerne atrophisch gefunden habe. Es ist hierin auch eine neue Stütze für die Ansicht gegeben, dass die centralen Haubenbahnen mit den grossen Oliven zusammen- hängen.

197

4. Identität der Epilepsie mit dem Gemüthswahnsinn und der angeborenen Delinquenz.' Auszug von Prof. C. Lombroso.

Dank der Mitwirkung verehrter Collegen und einiger glücklicher Umstände, habe ich die klinische Form des Gemüthswahnsinns, die bisher vergeblich von den Irrenärzten gesucht worden var feststellen und auf den Typus der Epilepsie zurückführen können.

Beide Krankheitsformen stimmen vollkommen überein in dem verhältniss- mässig grösseren Körpergewichte, der Häufigkeit der Asymmetrie und Selerosen des Schädels, dem häufigen Vorkommen der mittleren Hinterhanptgrübchen, dem oft geringen, selten übermässigen Rauminhalte des Schädels, der grossen Häufigkeit der Meningiten und Encephaliten im Kindesalter.

Vollkommen ist die Uebereinstimmung in der Physiognomie und äussert sich dieselbe: durch die sehr, häufige Vorragung der Jochbögen und der Stirn- höhlen, die abstehenden Ohren, die männliche Physiognomie bei Weibern, die genau gleiche Häufigkeit des Verbrechertypus (26 °/,), die Abnahme der Schmerz- empfindlichkeit, die grosse Zahl linkischer Subjecte, die Häufigkeit des Dalto- nismus und der Dischromatopie; die häufige Ungleichheit der Pupillen; die er- höhten Sehnenreflexe; die Achseltemperatur von 37,3°—37,2°C, ausserhalb der Anfälle; und in psychologischer Hinsicht durch die Trägheit, oder umgekehrt, die übertriebene, aber zugleich aussetzende Thätigkeit, die unwiderstehlichen Triebe, welche die fehlenden Leidenschaften vorspiegeln; ferner die Amnesie, die Tätowirungen und vor Allem den Mangel der Gemüthsbewegungen, welche durch Triebe ersetzt sind, das ausserordentlich jähzornige Wesen, die Häufigkeit des Selbstmordes und den häufigen Missbrauch alkoholischer Getränke.

Der Statistik zufolge giebt es 5 Epileptiker auf 100 Sträflinge und 5 auf 1000 normale Menschen. Auch zeigen uns die statistischen Erhebungen, dass in Italien dieselben Gegenden, welche die grösste Anzahl Epileptiker liefern, zugleich auch die meisten Verbrecher aufzuweisen haben.

Uebrigens ist eg nunmehr bekannt, dass es eine Epilepsie ohne Krämpfe geben kann, während andere Epilepsien nur in den Kinderjahren mit Krämpfen einhergehen und noch andere lediglich in übertriebenen krankhaften oder ver- brecherischen Trieben bestehen. Es giebt viele Epileptiker, deren Krankheit, in klinischer Hinsicht, nur in angeborenen unsittlichen Trieben besteht.

Diese Formen kommen ferner am häufigsten in den ersten 15 I,ebensjahren vor, was so viel heisst, als dass sie meistens angeboren sind, und sie beruhen dann auf einer von epileptischen oder dem Trunke ergebenen Eltern übertragenen erblichen Anlage. Wenn sie aber erworben sind, so sind sie veranlasst durch Traumen, Trunkenheit, Meningitis oder psychische Ursachen.

1 Die vollständige Abhandlung erscheint in dem Archivio di psichiatria e soienze penali. Vol. VI. Fasc. 1.

18

Endlich beweisen die neuesten Untersuchungen, dass die Epilepsie nur auf der Reizung gewisser Punkte der Hirnrinde beruht. Damit aber wird keines- wegs der Atavismus ausgeschlossen, der, wie ich nachgewiesen, die erste Grund- lage der angeborenen Delinguenz abgiebt (welche ihrerseits, wie ich ebenfalls zeigte, mit dem Gemüthswahnsinn identisch ist): denn diejenigen geistigen Fähigkeiten, welche während der Entwickelung zuletzt auftreten, schwinden zu allererst im Beginne von Hirnerkrankungen, so wie im Greisenalter, durch Alkoholismus u. dgl.; übrigens hatten die Praktiker (Gowers) schon darauf hingewiesen, dass die Epileptiker nach ihren Anfällen oft thierisch-atavistische Handlungen ausführen bellen, beissen, miauen, rohes Fleisch und auch Menschenfleisch verschlingen.

5. Fall von LANDRY’scher Paralyse, geheilt durch Ergotin. Von Dr. Sorgenfrey aus Ackermann in Russland.

A. M., 57 Jahre alt, von kräftiger Constitution, an einem Frühjahrstage bei heftigem, den Rücken treffenden Wind von Regen durchnässt, fühlt sich die ersten Tage darauf relativ wohl; dann ca. 1 Woche nach der Erkältung Gefühl von Hitze im Körper, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit. Dazu gesellt sich Schwere in den untern Extremitäten, Schwäche beim Gehen, die derart zu- nimmt, dass er sich legen muss, Die Untersuchung am Abend des 7. April ergiebt: Temperatur 37,5° C. Lungen frei bis auf Emphysem, Herzdämpfung etwas nach rechts verbreitert, Töne rein, schwach; Puls regelmässig, schwach. Leberrand unter dem Rippenbogen eben palpirbar. Stuhl retardirt, Harn normal. Pat. kann wegen Schwäche der untern Extremitäten nicht stehen; liegend kann er mit ihnen noch jede Bewegung ausführen, wenn auch nur mit Mühe. Ueber spontane Schmerzen wird nicht geklagt, Nadelstiche und Kneipen werden normal empfunden. Hautreflexe vorhanden, das Kniephänomen fehlt. An den obern Extremitäten Motilität und Sensibilität normal. Rücken auf Druck und Be- klopfen nicht schmerzhaft; nur in der Lendenwirbelsäule Gefühl von Schwere. Da als Ursache dieser Erscheinungen Hyperämie des Rückenmarks angenommen werden konnte, wurde eine ableitende Behandlung angeordnet, bestehend in Blutegeln ad anum, trocknen und blutigen Schröpfköpfen auf die Lendengegend, kalten Umschlägen und Laxantien; aber ohne den mindesten Erfolg. Am 9. April Abends vollständige motorische Lähmung der untern, bedeutende Schwäche der obern Extremitäten, am 10. vollständige Lähmung aller Extremitäten, Dyspnoe, erschwerte Sprache bis zur Unverständlichkeit, klanglose Stimme, mühsames Schlucken Facies hippocratica. Es schien der Tod binnen Kurzem bevor- zustehen. Als letzter Versuch wurde verordnet: B Ergotini Bonjean 1,25, Aq. Cinnamomi 60,0, stündlich und theelöffelweise. Nachdem im Verlaufe der Nacht die ganze Quantität verbraucht worden war, fand ich am nächsten Morgen die Bulbärsymptome geschwunden, Arme beweglich, wenngleich schwach, Spuren von Bewegungsfähigkeit in den Beinen. Die Besserung schritt ohne weitere

19

Medication innerhalb einer Woche zur vollständigen Genesung vor, die über- dauert wurde durch das Gefühl eines Reifens um die Lendengegend, worüber der Pat. erst nach dem Weichen der Lähmung klagte.

Würden nicht vasomotorische Störungen als Ursache der Lanpry’schen Paralyse anzusehen sein?

6. Ueber einige Principienfragen in der Elektrotherapie. Von Dr. C. W. Müller in Wiesbaden.

Mein kleines Buch „Zur Einleitung in die Elektrotberapie“ hat kürzlich die Anregung zur Diskutirung einiger elektrotherapeutischer Fundamental-Fragen gegeben, deren Entscheidung mir von massgebender Bedeutung für eine erfolg- reiche praktische Thätigkeit zu sein scheint. Das letzte Wort in diesen Dingen kann freilich nur die Zahl der Erfolge und eine reiche Casuistik sprechen in meiner kurzen Einleitung habe ich aber selbstverständlich hiervon nur so viel bringen können, als zur Illustrirung der durch jahrelange Arbeit gewonnenen und nun bekannt gegebenen Grundsätze erforderlich schien; und ich habe dort nur einige besonders schwere Fälle mit, wie ich glaube, überzeugender Ausführ- lichkeit als Beweismittel beibringen wollen, indem ich ausgedehntere Mittheilungen in Aussicht stellte. Auch heute muss ich vorerst noch auf anderweitige Publi- cationen verweisen, und will ich nur einzelne Aufklärungen und Ergänzungen meiner Arbeit nachsenden, um verschiedenen Bedenken und Einwänden bei Zeiten zu begegnen. Ich gehe also sogleich in medias res.

Zunächst wie steht es mit der peripheren Behandlung bei centralen Leiden? Der Umstand, dass für mein Buch zur Demonstration der Wirkungen bestimmter Stromdichte-Grade nur einsinnig und rein central behandelte Fälle ausgewählt werden konnten ebenso wie auch mit Quecksilber, Jodkalium, Argentum nitricum etc. nebenbei behandelte Fälle dort feblen mussten hat zu der Meinung verleitet, dass ich jede periphere elektrische Behandlung ver- werfe. Aber schon die Aufstellung von Regeln für die Stromdichtegrade zum Zweck der stabilen (8. 77) und labilen (8. 84 ff.) peripheren Behandlung muss diese Meinung von vornherein widerlegen. Wenn es ein Mal S. 129 heisst: „mit einer Dosis peripherer Muskelreizung ist in allen centralen Fällen Nichts gethan“, so soll doch damit nichts Anderes gesagt sein, als was S. 155 des Näheren erläutert wird, dass „eine ausschliesslich symptomatische Behand- lung hier nur in vereinzelten Fällen etwas hilft“. Ich habe in den ersten Jahren meiner Praxis unendlich viel peripher und symptomatisch behandelt (auch mich selbst gegen Migräne, Anästhesien an beiden Oberschenkeln, auch Ischias in loco doloris etc.); dem Drängen der Patienten musste solatii causa und bei der Neuheit des Heilfachs auch später noch oft genug gegen besseres Wissen nach- gegeben werden: aber ich war mit den Erfolgen nur in seltenen Fällen zu- frieden. Auch heute noch kommen zahlreiche Patienten, die Monate und Jahre hindurch symptomatisch und peripher gegen centrale Leiden behandelt worden

2%

0 sind; sie kommen, weil diese Behandlung zu wenig oder gar nicht geholfen hat und viele werden durch die passende radicale Einwirkung auf den Krank- heitsherd von ihren mitunter schweren Affectionen (siehe unten) oft genug noch ganz geheilt. Der von mir (S. 125 fl.) beschriebene Fall von progressiver Pseudo- Hypertrophie der Muskeln kam seiner Zeit von einer Autorität in Nervenkrank- heiten (welche, um dies hier noch beizufügen, eine theilweise echte Hyper- trophie durch Harpunisirung constatirt hatte) mit der Weisung zu mir, sich peripher behandeln zu lassen aber da Jahre lang diese Behandlung nur vorübergehend auffrischend gewirkt, die Progression des Leidens aber nicht auf- gehalten hatte, und ich diese Krankheit als central bedingte (wenn auch damals noch nicht als centrale blosse Functionsstörung der trophisch-vasomotorischen Centren) auffasste, so behandelte ich nur die Lumbar- und Cervical-Anschwellung mit dem beschriebenen glänzenden Erfolge. Gleichwohl verwerfe ich durchaus nicht jede periphere Behandlung meine Ansicht in dieser Frage erlaube ich -mir vielmehr zur allseitigen Prüfung in folgenden Thesen näher zu präcisiren:

1) Eine periphere symptomatische Behandlung centraler Leiden hilft nie, wo die centrale am Krankheitsherd versagt;

2) sie hat auch nie den gleichen Heileffect wie Letztere;

3) die Progression eines centralen Leidens kann durch die ausschliess- lich periphere Behandlung nicht verhindert werden.

4) Eine Ausnahme von 2. und 3. machen vereinzelte noch frische organische Leiden, welche durch die reflectorische Einwirkung auf die centralen Blutgefässe zu beeinflussen sind (Faradisation nach Rumpr), und ver- schiedene centrale Functionsstörungen (Neurasthenie, Hysterie).

5) Als Pallistivum bei manchen centralen Neuralgien (Tabes), zur Auf- frischung dessen, was von functionirenden Muskeln und Nerven noch vorhanden ist, und zur Unterstützung in der späteren Reconvalescenz (wenn ich so sagen soll) ist die symptomatisch-periphere Behandlung sehr willkommen.

Ich selbst wende sie in passenden Fällen noch oft genug an und möchte hier noch ganz besonders der Faradisation des Kopfes bei activen Hyper- ämien gedenken, welche oft eine symptomatisch-periphere, häufig aber auch gleichzeitig eine causale Behandlungs-Methode darstellt. Dass der faradische Strom hier eine unmittelbar, während der Sitzung schon, sich geltend machende contrahirende Wirkung auf die Blutgefässe hat (ganz im Gegensatz zu EnGkı- sKJön’s Lehre: Arch. f. Psych. XV. 2), ist in leichteren Fällen alsbald zu con- statiren. Am eclatantesten aber tritt die anämisirende Wirkung bei ungeeigneten Fällen, d. h. bei blutarmen, ohnehin schon an hirnanämischen Zuständen leidenden Patienten ein. Als die Methode von Bearp und RockwELL im Jahre 1874 in Deutschland bekannt wurde, schien sie mir a priori bei der eben erwähnten Kategorie von Fällen absolut oontraindicirt zu sein. Ich probirte sie bei drei Fällen, indem ich im Voraus darauf aufmerksam machte, dass die von mir vermutheten Zustände von Hirn-Anämie eintreten würden: in der That stellten

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sie sich ein, und zwar in einer solchen Intensität die eine Patientin lag eine Stunde in Ohnmacht nach vorausgegangenem Schwindel, Erbrechen etc., in den beiden anderen Fällen blieb es bei langdauerndem Ohnmachtsgefühl, Schwindel, grosser Uebelkeit, Leichenblässe und Eiskälte des Kopfes dass mir zu weiteren Proben alle Lust vergangen war.! Diese Beispiele lehren die zweifellose Wirk- samkeit dieser Behandlungsmethode und geben zugleich einen bedeutsamen Wink in Betreff ihrer Wirkungsweise, so wie der Indicationen für dieselbe. So wenig die Faradisation des Kopfes bei hirn-anämischen Zuständen angewendet werden darf, so sehr ist dieselbe zu empfehlen in schwacher, kurzer Anwendungsweise (höchstens je 25 Secunden an den einzelnen Stellen) bei arterieller Hyperämie, ganz besonders auch nach schweren Schädel-Verletzungen mit Hirn-Läsionen, wenn die Fälle bereits in das chronische Stadium eingetreten sind.? (Schluss folgt.)

II. Referate.

Anatomie.

1) Eine Verbesserung der Hämatoxylin-Blutlaugensalz-Methode für das Centralnervensystem, von C. Weigert, Frankfurt a. M. (Fortschr. der Med. 1885. Nr. 8.)

Die Methode, die, wie sich Bef. überzeugt hat, ausgezeichnete Präparate liefert, wie bisher noch keine andere, ist nach den eigenen Ausführungen des Verf. folgende:

„i) Nach Härtung in doppelt-chromsaurem Kali kommen die mit Celloidin in bekannter Weise auf Kork (ohne untergelegtes Fliesspapier, das sich ablösen würde) aufgeklebten und festgewordenen Stücke in eine Lösung von neutralem essigsaurem Kupferoxyd (eine gesättigte filtrirte Lösung dieses Salzes mit gleichen Volumen Wasser verdünnt) und bleiben im Brütofen 1—2 Tage in der Lösung darin. Es macht nichts aus, ob die Stücke noch braun sind oder schon grün geworden sind, wenn sie nur überhaupt einmal gut gebräunt waren. Ja, es ist sogar besser, wenn sie vorber längere Zeit in Alkohol gelegen haben, da sich dann nicht so leicht Nieder- schläge an der Oberfläche bilden. Die Stücke sind nach der Kupferbehandlung grün, der Celloidinmantel ist blaugrün. Sie können nunmehr in 80°/, Alkohol: aufbewahrt werden.

2) Nach dem Anfertigen der Schnitte werden diese gefärbt. Auch hierbei habe

! Auch der faradische Strom also kann Schwindel durch Hirn-Anämie erzeugen.

? Was die praktische Ausführung der Faradisation des Kopfes betrifft, so applicire ich den einen Pol in Form einer längeren Platte von 70 gom auf die oberen Dorsalwirbel; den anderen legte ich anfangs in eine Schale mit Wasser: als ich aber eines Tages bei dieser Procedur 6 Mal den Strom durch meine Arme gehen lassen musste und danach todtmüde und zerschlagen war, änderte ich das Verfahren in der Weise, dass auf den Rücken der faradischen Hand nahe dem Handgelenk eine concave Platte aufgeschnallt wird, an welcher der eine Draht befestigt ist, und so der Strom nur quer durch die Hand zu gehen braucht. Auch bei dieser Applicationsweise fühlt die faradische Hand den Strom in der Regel eher und stärker als der Patient nur bei sehr reizbaren Fällen mit besonders hyperämischen, z. B. nach einem Trauma zurückgebliebenen druckempfindlichen Schädel-Partien kommt es vor, dass der Arzt den vom Patienten bereits genügend stark empfundenen Strom noch kaum bemerkt.

ich einige Modificationen zu erwähnen, wenn auch das Princip mit dem der früheren Methode übereinstimmt.

a. Es war ein Uebelstand, dass die Hämatoxylinlösungen erst „reifen‘ mussten. Dieses „Reifen“ kommt dadurch zu Stande, dass das Hämatoxylin durch das Ammoniak der Luft in eine dunklere Substanz übergeführt wird. Es ist merk- würdig, dass man diesen Umstand bisher nicht in Rechnung gezogen hat, denn man kann durch Zusatz eines Alkalis in der That momentan die Tinctionsfähig- keit herstellen, wie dieselben sonst nur dem „abgelagerten“ Hämatoxylin zukommt. Es wird wohl ziemlich gleichgültig sein, welches Alkali man benutzt. Ich selbst habe Lithion carbonicum in Anwendung gezogen und zwar 1 CC. einer kalt ge- sättigten Lösung auf je 100 CC. der früher angegebenen Hämatoxylinflüssigkeit. Die letztere nimmt hierdurch einen braunvioletten Ton an und färbt sehr gut. Es kommt in einer solchen leicht alkalisch gemachten Lösung auch nicht zur Bildung von Niederschlägen, die sich sonst oft einstellen.

b. In diese Lösung kommen die Schnitte hinein. Nach vorheriger Anwondung der Kupferbeize ist die Brütofentemperatur für die Färbung nicht mehr erforderlich, was gewiss erwünscht ist. Bei der alten Chromhämatoxylinfärbung der mark- haltigen Nervenfasern wurde auch durch eine prolongirte Färbung bei Zimmer- temperatur nur eine matte Tinction erzielt. Bei Anwendung des Kupferlacks ist dies nicht mehr zu befürchten. Die Länge der Zeit, welche die Schnitte in der Hämatoxylinlösung verweilen müssen, ist variabel. Im Allgemeinen gilt die Regel, dass, je länger man färbt, um so sicherer die feinsten Fasern deutlich werden. Für Rückenmarksschnitte genügen 2 Stunden. Bei Hirnschnitten be- darf es 24 Stunden, um sicher die ganz feinen Fäserchen der Rinde zu färben. In diesem Falle werden die Fasern des Hirnmarks aber so dick und dunkel, dass man ihren Verlauf nicht mehr erkennt. Kommt es Einem daher darauf an, gerade die Richtung der letzteren zu erkennen, so muss man kürzere Zeit färben (2 Stunden). Zur Erwärmung der Färbflüssigkeit wird man nur aus- nahmsweise bei Präparaten schreiten müssen, die in Folge ihrer Härtung etc. sehr schwer tingirbar sind.

Die Farbe der Fasern ist eine mehr blauschwarze, bei kürzerer Dauer der Hämatöxylineinwirkung eine dunkelblaue.

c,. Die einmal benutzte Färbflüssigkeit kann nicht wieder zu Nervenfärbungen ge- braucht werden, wohl aber in ähnlicher Weise wie Hämatoxylinalaun zur Tinc- tion von Alkoholpräparaten etc.

d. Für die Differenzirung muss die früber angegebene Blutlaugensalzboraxmischung mit dem gleichen Volumen Wasser verdünnt werden. Bei sehr difficilen Ob- jecten kann man die Verdünnung noch weiter treiben, wenn man die Differen- zirungszeit verlängern will.“ =.

Experimentelle Physiologie.

2) Ueber Zwangsbewegungen, die sich bei Zerstörung der Hirnrinde ein- stellen, von W. Bechterew. (Russkaja Medicina. 1885. Nr.1u.3. Russisch.)

Den an Hunden angestellten Versuehen B.’s zufolge liegt die Region der Hirn- rinde, deren Zerstörung zwangsweise Kreisbewegungen bewirkt, etwas nach hinten vom Gyrus sigmoides, in der Nachbarschaft der Längsspalte des Gehirns. Gewöhn- lich beginnt das Thier unmittelbar nach der Operation Kreisbewegungen in der Rich- tung der lädirten Seite auszuführen, wobei der Körper in der nämlichen Richtung eine leichte Biegung und die Augen ebendahin eine Deviation erleiden. Nach einigen Minuten kommt das Thier zur Ruhe und erlangt die Fähigkeit, in gerader Richtung

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zu gehen und zu laufen, ohne irgend welche Bewegungsstörungen aufzuweisen; doch im Laufe des nämlichen Tages, zuweilen auch später, kehren die Zwangsbewegungen, obwohl mit geringerer Intensität, anfallsweise wieder. Mit Rücksicht auf diese Um- stände, sowohl als in Anbetracht der Thatsache, dass sich eben solche Zwangsbe- wegungen ohne Exstirpation der bezeichneten Rindengegend durch Reizung derselben hervorrufen lassen, sieht B. in dem in Rede stehenden Symptom nicht eine Anfalls- erscheinung, sondern einen Reizeffect. Da anatomische Angaben dafür sprechen, dass im bezeichneten Rindengebiet eine centrale Endstätte des vorderen Kleinhirnstiels vorliegt, so ist seiner Meinung nach anzunehmen, dass in der Hirnrinde hinter dem motorischen Felde ein mit den sog. Gleichgewichtsorganen in enger Verbindung stehendes Centrum localisirt ist, welches vielleicht zur Appereption der Empfindungen unserer räumlichen Körperlage Beziehung hat.

Zum Beweis, dass die Thatsachen der Pathologie des Menschen mit der ge- schilderten experimentell begründeten Anschauung in Einklang stehen, führt B. zum Schluss einige casuistische Mittheilungen aus der neueren Literatur (Friedreich, Petfina, Mesnet) an, in welchen während des Lebens Zwangsbewegungen bestanden, und durch die Autopsie beschränkte Affectionen in einer Hemisphäre nachgewiesen wurden. Einen derartigen Fall, in dem an einem Geisteskranken exquisite Kreis- bewegungen von rechts nach links beobachtet wurden, und die Section nur einen kleinen encephalitischen Herd im Gyrus angularis der rechten Hemisphäre erwies, hatte B. Gelegenheit, in der Klinik von Prof. Mierzejewsky (1879—80) selbst zu untersuchen. Er hebt auf Grund der betreffenden Casuistik hervor, dass in patho- logischen Fällen Zwangsbewegungen vorzugsweise bei Affectionen des Schläfelappens auftreten. Rosenbach.

Pathologische Anatomie.

3) Tumoren der Glandula pituitaria. Sitzung der Pathological society of London vom 3. Febr. 1885. (The British med. Journ. 1885. p. 282.)

In dieser Sitzung wurden unter Anderem zwei Tumoren der Glandula pituitaria vorgezeigt.

Der erste Fall von Dr. Hale White glich einer grossen Haselnuss und stammte von einem Knaben, der unter den Erscheinungen von Meningitis gestorben war; ausserdem hatte beiderseitige Opticusatrophie bestanden, wie denn auch das Chiasma von der Neubildung erfasst war. Mikroskopisch bestand der Tumor aus quergestreiften Muskelfasern, die zum Theil bereits wieder in Atrophie begriffen waren, und aus eigenthümlich angeordneten Ganglienzellen und Nervenfasern; das ganze war durch- zogen und eingehällt von faserigem Bindegewebe.

Der andere Fall, von Dr. Bowlby vorgezeigt, stammte von einem 22jährigen Mann, der seit 10 Jahren an Krämpfen (,„fits“), und Kopfschmerzen gelitten hatte und bereits comatös in’s Krankenhaus aufgenommen worden war. Dieser Tumor be- stand aus einer unregelmässigen Knochenneubildung mit eingelagerten Epithelmassen und aus einer grösseren Geschwulstmasse, die aus faserigem Bindegewebe und zahl- reichen Epithelschläuchen zusammengesetzt war, welche ihrerseits zum Theil wieder zu Cysten degenerirt waren.

In beiden Fällen konnte man an eine ursprünglich teratologische Bildung denken; es wurde dabei auf den Zusammenhang des hinteren Lappens der Hypophyse mit dem Epithel und Bindegewebe der Rathke’schen Tasche am oberen Pharynxende hingewiesen. Sommer.

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Pathologie des Nervensystems.

4) Ein Fall von acuter außsteigender Spinalparalyse, von H. Mieth. Aus Prof. Seeligmüller’s Poliklinik in Halle. (Deutsche med. Woch. 1885. Nr. 5.)

Ein 42jähr. Fabrikarbeiter, ohne hereditäre Belastung, erkrankte am 6. Juli 1884 an Parese mit Parästhesien der Füsse und Unterschenkel und der Hände. Die Symptome steigerten sich nach 2 irisch-römischen Bädern rasch, sodass Pat. am 12. Juli nicht mehr stehen und gehen, die Füsse kaum eine Spur dorsal-flectiren, die Finger nicht mehr spreizen und nicht vollständig strecken konnte. Dagegen waren die Bewegungen in den Hüft-, Schulter-- und Elibogengelenken frei. Sub- jectiv Gefühl von Kriebeln und Taubsein. Berührungen werden normal empfunden, doch localisirt der Krauke schlecht. Die Patellarphänomene fehlen beiderseits.

In der nächsten Zeit angeblich auch Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken. Von Ende Juli an allmählicher Rückgang der Symptome. 30. Juli Aufnahme in’s Krankenhaus. Elektrische Erregbarkeit an den gelähmten Theilen ganz normal. Localisation der Berührungen gut, ausgenommen an den 3 ersten Zehen. Patellar- und Achillessehnenphänomene fehlen. Potenz erloschen. Blase und Mastdarm haben immer normal functionirt.

Unter täglicher Anwendung eines schwachen galvanischen Stromes, absteigend auf die Wirbelsäule applicirt, ging die Besserung ziemlich rasch vorwärts; am 13. Aug. wurden schon ungeschickte Bewegungen der Füsse und Hände möglich, und mit Hülfe eines Stockes konnte Pat. allein gehen, allerdings stampfend und mit durch- gedrückten Knieen. Am 13. Sept. geht Pat. bereits !/, Stunde weit, steigt Treppen. Am 4. Oct. Potenz wieder vorhanden. Patellarphänomene fehlen noch. Am 1. Dec. fängt Pat. wieder an zu arbeiten, jetzt sind auch die Sehnenphänomene wiedergekehrt.

Indem Verf. die Differentialdiagnose zwischen Landry’scher Paralyse und der subacuten resp. chronischen Poliomyelitis ant. bespricht, hebt er hervor, dass einzig und allein das elektrische Verhalten, die ganz normale Erregbarkeit, für die erstere Krankheit charakteristisch sei. Nach dem einen Westphal’schen, sowie dem Hunnius’- schen Falle sei nun hier zum dritten Male ein frühzeitiges Erlöschen der Sehnen- phänomene constatirt, welche erst nach vollständiger Genesung des Kranken wieder auftraten. Hadlich.

5) Des suggestions hypnotiques, par A. Pitres. (Bordeaux 1884. 62 Seiten.)

Klinische Vorträge mit Demonstrationen über gewisse Beobachtungen an einigen hysterischen Kranken, welche in der Hypnose höchst sonderbare Dinge darbieten. In der That, die Lehre von der „Grande hystörie“ und von der Hypnose der Hysterischen (es sind fast immer dieselben Damen des Demi-monde) hat in Frankreich in den letzten 5 Jahren grosse Fortschritte gemacht.

In den verschiedenen Stadien des hypnotischen Zustandes ist es möglich, durch Zureden („Suggestion‘) die Kranken ganz nach Belieben zu allerlei Sinnesempfindungen, Hallucinationen, Illusionen, Wahnideen, zu den darauf bezüglichen Handlungen, zu sensorischen und motorischen Lähmungen und zu Contracturen zu bringen. Doch nicht nur das. Es gelingt auch, in der Hypnose den Kranken Dinge einzureden, welche sie erst oder noch nach dem Erwachen in die Erscheinung treten lassen. Ein Beispiel als Illustration (p. 39): Emma ist eingeschläfert. Während des Wachens ist sie linksseitig hemianästhetisch (für gewöhnlich). Jetzt sagt der Experimentator zu ihr: „Ihre ganze linke Seite wird fühlen, dagegen wird Ihre ganze rechte Seite unempfindlich sein.“ In der That, die Kranke spürt jetzt rechts nicht das Mindeste. Nach dem Erwecken tritt der alte Zustand ein, sie ist links anästhetisch. „Wenn wir aber, ehe wir sie erwecken, der Krankon mit Bestimmtheit und Nachdruck

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(Autorit6) sagen, wie ich jetzt thue: ‚Nach Ihrem Erwachen werden Sie fortfahren, links zu fühlen und rechts unempfindlich zu sein‘, so wird die Wirkung der ‚Suggestion‘ auch im wachen Zustand andauern.“ Aber diese und ähnliche interessante Beobachtungen muss man im Original lesen! Siemens.

6) Spiritisme et hysterie, par Gilles de la Tourette. (Hospice de la Sal- pötridre. Progr, möd. 1885. No. 4.)

Eine kleine von G. beobachtete Epidemie von hysterischen Anfällen, die im Hause eines Militärs im Anschluss an spiritistische Sitzungen zum Ausbruche kam, giebt dem Verf. Gelegenheit, darauf aufmerksam zu machen, wie leicht neuropathische Individuen auf derlei phantastische Beize reagiren und wie sowohl excessive religiöse Uebungen, als auch überhaupt Alles, was die Phantasie zu übernatürlichen Betrach- tungen anzuregen vermag, häufig den Ausgangspunkt bildet für wirkliche Erkrankungen des Nervensystems, besonders für die Hysterie.

Der Adjutant an einer militärischen Besserungsanstalt Frankreichs, sowie dessen Frau, beide aus neuropathisch und arthritisch stark belasteten Familien stammend und selbst etwas nervös, suchten die Monotonie ihrer häuslichen Verhältnisse durch Theilnahme an spiritistischen Geistercitationen zu verscheuchen, welche alle Freitage von einigen Nachbarinnen in Scene gesetzt wurden. Ihr ältestes Kind, ein Mädchen von 13 Jahren, welches zwar schwächlich angelegt und immer leicht erregbar ge- wesen, doch niemals von irgend welchen Krämpfen heimgesucht worden war, nahm auf Wunsch der Eltern während der Pensions-F'erien, die sie zu Hause verlebte, an einer solchen Geistersitzung Theil. Von dem „klopfenden Geistertisch“ als Medium bezeichnet hatte sie dabei die Aufgabe, den Namen des sie inspirirenden männlichen Geistes: „Paul Denis“ niederzuschreiben. Kaum aber waren die bizarren Schriftzüge von dem Mädchen vollendet, als die schreibende Hand von Zuckungen ergriffen wurde. Das Mädchen rannte wie rasend durch das Haus, schrie und tobte, verfiel schliess- lich in allgemeine bysterische Krämpfe, die sich 2'/, Monat lang täglich 20—30mal wiederholten. |

Die hysteroepileptischen Erscheinungen des Mädchens wirkten ansteckend auf die andern beiden Kinder des Officiers, Knaben von 11 resp. 12 Jahren, die 6 Wochen, nachdem ihre Schwester erkrankt war, kurz nacheinander ebenfalls hysterische Con- vulsionen mit psychischen Erregungszuständen zu zeigen anfingen. Schliesslich, da alle angewandten Mittel erfolglos blieben, mussten alle drei in die Salpötriöre über- geführt und dort alsbald auch ihre Trennung bewerkstelligt werden, da, sobald der Eine einen Anfall bekam, die Andern dem Beispiele sofort zu folgen pflegten.

Die Hysterie dokumentirte sich bei den drei Kindern nach den Schilderungen G.s auf sehr verschiedene Weise: Das älteste Mädchen ist am stärksten afficirt; sie bekommt Anfälle von °/,—1!/,stündiger Dauer, in denen sie die sonderbarsten Be- wegungen ausführt. Sie dreht sich im Kreise, schlägt Purzelbäume, zappelt mit Händen und Füssen, stösst schrecklich grunzende Töne aus bietet also Attacken dar, die man in Frankreich mit „Clownismus“ zu bezeichnen pflegt. (Chorea major? D. Ref.) Die Anfälle können coupirt und auch provocirt werden durch Druck auf eine der hysterogenen Zonen, welche die Kranke an verschiedenen Körperstellen, an den Brüsten, in der Lendengegend, Waden und Malleolen darbietet. Die Pat. zeigt übrigens sonst keine hysterische Anomalien, weder cutane Anästhesie, noch Ovarie, dagegen eine gewisse Beschränkung des Gesichtsfeldes besonders für die Farben- . perception. Der jüngste Bruder dagegen, der vor seiner Erkrankung an rheu- matischen Schmerzen in den unteren Extremitäten litt, zeigt deutliche Sensibilitäts- störungen im Bereiche des Trigeminus, Verlust des Geschmacks und des Geruchs und ebenfalls Einengung seines Gesichtsfeldes. Ausserdem treten bei ihm täglich

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bis 5 Anfälle von hyster. Petit mal und Grand mal auf mit leichten hallucinatorischen Erscheinungen. Der ältere Bruder, sehr blass und anämisch und von jeher mit Gesichtsschmerzen behaftet ist am wenigsten von der Epidemie befallen. Er be- kommt nur anfallsweise, doch viel häufiger als sonst, seinen Tic douloureux. Daran schliesst sich ein Grimassiren, Augenverdrehen, Ausstossen von inarticulirten Lauten, nur selten erscheinen dann schwerere Attacken von hysterischen Krämpfen.

Die Isolation der drei Kranken hat zwar beruhigend auf die sehr stürmischen Anfälle gewirkt, aber ihre Besserung schreitet nur sehr langsam vorwärts.

Die geschilderten Krankheitsfälle scheinen uns wegen ihres epidemischen Ur- sprungs und der dabei wohl zum ersten Male sorgfältig beobachteten Beziehungen der schweren Formen von Hysterie zu den wieder modern gewordenen spiritistischen Schwärmereien ganz besonderer Beachtung werth. Laquer.

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7) Chorea bei Typhus abdominalis, von Dr. Peiper, Greifswald. (Deutsche med. Wochenschr. 1885. Nr. 8.)

Mit Rücksicht auf die grusse Seltenheit motorischer Störungen krampfhafter Natur im Verlaufe des Typhus theilt Verf. folgenden Fall mit: Ida F., 16 Jahre alt, öfter kränklich gewesen und psychisch leicht erregbar, übrigens ganz ohne erbliche Disposition, hat vor einem Jahre einen leicht verlaufenen Rheumat. articul. acut. durchgemacht. Im November 1884, während ihre Mutter und ihre Geschwister schon am Typhus krank lagen (die Mutter starb einige Tage darauf), bekam Ida F. mit dem Beginne eines Abdominaltyphus resp. noch während der Prodromi eine ausge- sprochene Chorea mit besonderer Betheiligung der rechten Körperhälfte. Der Typhus verlief regulär, mittelstark; übliche Kaltwasserbehandlung; letzte Fieber- bewegung am 25. December. Die Chorea verschwand schon am 4. December, während die Abendtemperatur noch 40° erreichte. Bemerkenswerth ist noch, dass während des Typhus, bis in den Anfang Januar 1885 hinein, der erste Ton an der Herzspitze unrein, der zweite Pulmonalton verstärkt war. Hadlich.

8) Aphasis and cerebral haemorrhage complicating whooping-cough, by J. N. Marshall. (Glasgow med. Journ. 1885. Jan. p. 24.)

Verf. theilt zwei Krankenbeobachtungen mit, in denen im Verlaufe eines hart- näckigen Keuchhustens Bewusstlosigkeit, Lähmung des rechten Arms und Aphasie eintrat. Im ersten Fall, der in allmähliche Genesung überging, deuteten zahlreiche Blutungen aus der Mundschleimhaut und eine subconjunctivale Blutung während heftiger Hustenanfälle auf eine gewisse „Zerreisslichkeit“ der kleineren Blutgefässe und damit auch auf den Zusammenhang jener cerebralen Symptome mit einer während eines Paroxysmus entstandenen kleinen Hirnblutuug hin; im zweiten Fall ergab die Section neben einer Blutung im linken Thalamus opticus, welche wohl die rechts- seitige Paralyse veranlasst hatte, noch ausgedehnte Corticalapoplexien in der weiteren Umgebung beider Centralfurchen, auf welche intercurrente Zuckungen der Gesichts- musculatur und das Coma bezogen werden. In der Literatur über die Complicationen des Keuchhustens sind nur zwei ähnliche Fälle verzeichnet. Sommer.

u.

9) Double infantile spastic hemiplegia, with the report of a case, by Sarah J. Mc. Nutt, New York. (Am. Journ. of Med. sc. 1885. p. 58.)

Verfasserin giebt nicht nur eine detaillirte Beschreibung dieses Falles, sondern sieht sich veranlasst, das betreffende Krankheitsbild genau zu entwickeln und giebt eine Zusammenstellung aller diesbezüglichen Fälle. (Im Ganzen 34, darunter 4 Fälle

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von doppelter Hemipl. spast. infant.). Der obige Fall wurde intra vitam nicht diagnosticirt. Die Arbeiten Kundrat’s und Henoch’s sind hier auch noch wenig bekannt.

In dem Falle, den die Verf. mittheilt, handelt es sich um ein Mädchen, das im Alter von 2!/, Jahren einer Broncho-Pneumonie erlag. Bei der Geburt präsen- tirte sich der Fuss; der Kopf wurde mit Instrumenten geholt.

Convulsionen während 9 Tage nach der Geburt. Von der Geburt an Deglutitions- und Athem-Beschwerden. Bei der Untersuchung 5 Monate vor dem Tode fanden sich die Finger halb flectirt. Mässige Paresis aller Extremitäten und geringe Rigi- dität der Muskeln, Arme und Vorderarme extendirt und pronirt. Untere Extremi- täten stärker abgemagert, als die obern. Kniephänomene erhöht. Verschiedene Con- tracturen. Dyspnoö. Intelligenz gering.

Die Autopeie (Amidon und Welch) ergab: Oedem der Pia. Bedeutende An- sammlung von Flüssigkeit über die atrophirte Umgebung der Fiss. Rolando beider- seits. In jeder Hemisphäre fand sich Atrophie des Lobulus paracentr., der Central- windungen und der Wurzeln der drei Frontalwindungen.

Makroskopisch wurde eine Sclerosirung des grösseren Theiles der motorischen Zone nachgewiesen, und zwar an beiden Hemisphären, mit secundär absteigender Degeneration der Pyramidenbahnen.

Der Arbeit sind gute Abbildungen beigelegt, die den geschilderten makro- skopischen Befund deutlich erkennen lassen. Sachs, New York.

10) S& kallad hemiplegia spastica infentilis hos en 62 ärs gammal man, af Prof. Runeberg. (Finskaläkaresällsk. handl. 1884. XXVI. 4. S. 261.)

Im Alter von einem Jahre war Pat. erkrankt, wobei eine Lähmung der ganzen rechten Körperhälfte auftrat; so lange sich Pat. erinnern kann, war sein rechter Arm fast ganz unbrauchbar, die Beweglichkeit des Beines war vermindert, aber Pat. konnte mit Stöcken gehen. Ungefähr im Alter von 16 Jahren traten spasmodische Zuckungen im rechten Arm auf, geringer im Beine und blieben seitdem. Bei der Untersuchung fand sich eine verhältnissmässig unbedeutende Affection im Gebiete des Facialis; die Muskeln der Lippen, der Backen und des Kinns zeigten unbedeutend verminderte Beweglichkeit, der ganze untere Theil des Gesichts war etwas schief, weil rechts die Muskeln und vielleicht auch die Knochen weniger entwickelt waren, als links. Pat. kaute links, die Zunge wich nach rechts ab; Zuckungen in den paretischen Gesichtsmuskeln kamen selten vor und waren unbedeutend. Der rechte Arın war kürzer und schwächer als der linke; in Folge von starker Contractur des Pectoralis und Latissimus dorsi wurde er dicht an den Körper gedrückt gehalten, im Ellenbogengelenk leicht, im Handgelenk stärker gebeugt, die Beugemuskeln des Ober- und Unterarms waren etwas contrahirt, die Finger unbedeutend flectirt, aber mit Leichtigkeit beweglich. Die Muskeln des Arms waren stark atrophisch, aber nicht vollständig gelähmt, Bewegungen aller Art, soweit sie die Muskelcontracturen zu- liessen, waren möglich, konnten aber nur mit geringer Kraft ausgeführt werden. Das rechte Bein war adducirt und nach innen rotirt und konnte nicht aus dieser Stellung gebracht werden, das Kniegelenk war in geringem Maasse flectirt, aber beweglich, der Fuss in starker Equinovarus-Stellung fixirt mit der Trittfläche über den Moeta- carpalknochen; der Schenkel war nur in geringem Grade atrophisch, der Unterschenkel dagegen sehr bedeutend; die spasmodischen Zuckungen waren geringer als im Arm; die Motilität war überall gut, nur war die Muskelkraft sehr vermindert; das rechte Bein war kürzer, als das linke, der Umfang war nur am Unterschenkel geringer. Die Wirbelsäule zeigte Scoliose mit der Convexität im Dorsaltheil nach rechts, im Lenden- theile nach links, Die ganze rechte Seite des Körpers war weniger entwickelt, als

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die linke. Die Sensibilität war überall erhalten, nur an den gelähmten Theilen war vielleicht etwas Hyperästhesie vorhanden, die Reflexe, besonders die Sehnenreflexe, erhalten oder etwas gesteigert. Die Reaction der Muskeln war für beide Stromes- arten überall qualitativ normal, quantitativ war die Irritabilität etwas herabgesetzt. Walter Berger.

11) Revision nosographique des atrophies musculaires progressives. Legon de Charcot, recueillie par Marie et Guinon. (Progr. möd. 1885. No. 10.)

Charcot’s Stellungsnahme zu der Frage von der klinischen Trennung der ein- zelnen Formen progressiver Muskelatrophie, wie sie jetzt nach der bekannten Erb’- schen Arbeit: „Ueber die juvenile Form der progressiven Muskelatrophie“ so vielfach discutirt wird, ist in dieser mit Kranken-Demonstrationen verbundenen Vorlesung kurz skizzirt. .

Die vor 10 Jahren von Charcot aufgestellte Lehre stellte 2 grosse Gruppen von progressiver Muskelatrophie fest: die deuteropathischen und die protopathischen Muskelatrophien. Beiden gemeinsam schien der spinale Ursprung der Krankheit, der Ausgang von den grauen Vorderhörnern des Rückenmarks zu sein, während jedoch bei den deuteropathischen Muskelatrophien die Läsion der Vorderhörner mehr als secundäre, accessorische Erscheinung auftrat, wie bei Myelitis diffusa, disseminirter Sclerose, Tumoren des Rückenmarks, bei Tabes etc., oder wie bei der sog. amyo- trophischen Lateralsclerose, wo die Erkrankung der weissen Substanz derjenigen der grauen Substanz voranzugehen pflegt, wurde die protopathische Muskelatrophie als eine reine primäre Myelitis der grauen Vorderhörner (Poliomyelitis anterior chronica) aufgefasst, klinisch charakterisirt durch das gewöhnliche Bild der, progressiven Muskel- atrophie vom Typus Duchenne-Aran. Die erste deuteropathische Classe der progressiven Muskelatrophien, meint Ch., besteht noch jetzt zu Recht, dagegen haben sich im Laufe der Zeit aus der zweiten Gruppe eine Reihe von rein myopathischen Affectionen aussondern lassen, welche die charakteristischen, wohlbekannten und un- verkennbaren Symptome der echten progressiven Muskelatrophie (Duchenne-Aran) der Ch. übrigens immer noch und in jedem Falle einen spinalen Ursprung zu- erkannt wissen will nicht darbieten.

Ch. fasst sie alle zusammen unter der Bezeichnung der primären Myopathien (Myopathies primitives): es handle sich, sagt er, in solchen Fällen um eine progres- sive Muskelerkrankung, welche ganz unabhängig sei von irgend einer Läsion der neurotischen Centren oder der peripherischen Nerven. Er rechnet zu diesen in erster Reihe die Pseudohypertrophie der Muskeln. An einem 19jährigen, mit dieser Krankheit behafteten Individuum setzt er die bekannten Charactere dieses Leidens auseinander und hebt hervor, dass an solchen Patienten häufig gewisse Muskeln be- sonders an den oberen Extremitäten eine Abnahme ihres Volumens zeigten; dadurch stehe die Pseudohypertrophie in gewissem Connex zu andern myopathischen Leiden, ganz besonders zu der von Erb beschriebenen juvenilen Form der progressiven Muskelatrophie. Nach Ch.’s Anschauung unterscheidet sich diese Krankheit zwar sehr wesentlich von der echten progressiven Muskelatrophie, dagegen sei sie nicht immer sicher zu trennen von der Pseudohypertrophie. Es gebe da mancherlei Ueber- gangsformen. Ch. stellt einen Kranken von 11 Jahren vor, bei dem nur die sehr charakteristische functionelle Muskelschwäche in die Augen fällt, aber weder eine Hypertrophie noch eine Atrophie der Musculatur zu constatiren ist. Die Krankheit begann im Kindesalter, jetzt zeigt der Knabe im Gange ganz die Eigenthümlichkeiten der Pseudohypertrophischen. Nach Ch. sind sowohl die juvenile Form der progres- siven Muskelatrophie als auch die Pseudohypertrophie verschiedene Entwickelungs- arten einer und derselben Affection, nämlich der primären progressiven Myopathie; beide können also in einander übergehen.

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Ch. will aber auch die hereditäre Form der progressiven Muskel- atrophie, wie sie Leyden beschrieben, und deren Symptomenbild er ebenfalls durch einen entsprechenden Fall demonstrirt, unter diese Myopathien rubriciren. Bei einem jungen Mädchen, das jetzt 24 Jahre zählt, begann die Affection im Alter von 14 Jahren mit einer Schwäche und Amyotrophie der Oberschenkel, die jetzt sehr ausgesprochen ist; nach 6 Jahren erst trat Schwäche und Abmagerung in den oberen Extremitäten, bes. im Thenar und Hypothenar der Hand hinzu. Diese Form gleicht den Er- scheinungen nach der Leyden’schen, nur ist Heredität nicht.nachzuweisen. (1?)

Als Varietät der echten progr. Muskelatrophie hat schon Duchenne eine infantile Form derselben geschildert, die Ch. aber nicht zu der progr. Muskel- atrophie vom Typus Duchenne-Aran gerechnet haben möchte, nachdem Dejerine und Landouzy bei Obductionen solcher Patienten eine spinale Läsion nicht nach- zuweisen vermochten. Ch. reiht auch diese Fälle unter die primären Myopathien ein. Ein solches Leiden begann bei einem 16jährigen Mädchen, das Ch. vorstellt, im zartesten Alter mit einer Parese des Mundfacialis, besonders des Oculomotorius; jetzt ist nicht nur diese Motititätsstörung im Gesicht zu bemerken; auch der obere Theil des Facialis, vorzüglich der Schliessmuskel des Auges erscheint paretisch. Im Alter von 14 Jahren traten in den oberen Extremitäten jene Störungen ein, wie sie für Erb’s „juvenile Form“ charakteristisch sind. Der Gang der Pat. aber ist wiederum ganz in der Art, wie die mit Pseudohypertrophie bebafteten Patienten zu gehen ge- nöthigt sind; Hypertrophie der Musculatur an den Beinen fehlt. Der Vater des jungen Mädchens, der im Alter von 44 Jahren steht, zeigt auch Paresen im Gebiete des Facialis; die von diesem Nerven versorgten Muskeln und die der oberen Ex- tremitäten sind atrophisch, Hypertrophie fehlt auch hier, ebenso die Atrophie der Handmuskeln. Auf Grund der Fälle von Remak (s. Centralbl. 1884. Nr. 15) und Zimmerlin (e. Centralbl. 1885. Nr. 3) der erstere demonstrirt die Mitbetheiligung der Gesichtsmuskeln, der letztere die Heredität bei der juvenilen Form sieht Ch. auch seine beiden vorhin kurz wiedergegebenen Krankengeschichten als Beweise dafür an, dass gar mannigfache Varietäten resp. Mischformen, die alle in die Kategorie der progr. primären Myopathien gehören, möglich sind. Er schlägt schliesslich an Stelle der früheren, jetzt in gewissem Sinne veralfeten Classification folgende vor:

I. Amyotrophien spinalen Ursprungs:

a) Amyotrophische ‚Lateralsclerose. b) Progressive Muskelatrophie vom Typus Duchenne-Aran. I. Progressive primäre Amyotrophien (myopathischen Ursprungs). a) Pseudohypertrophie der Muskeln. b) Erb’s „juvenile Form“. c) Infantilo Form nach Duchenne. d) Uebergangs- resp. Mischformen. e) Hereditäre Form der progressiven Muskelatrophie nach Leyden. Laquer.,

Psychiatrie.

12) Des anomalies, des abberrations," et des perversions sexuelles, par Magnan. (Communication faite ä l’Acadömie de meödecine dans la s6ance du 13 janvier. Progrös medical. 1885. No. 3, 4, 5.)

Magnan versucht in dieser ausführlichen Arbeit die verschiedenen Sexual- Symptome, welche bei den erblich schwer belasteten Geisteskranken (‚les degönöres“) in Erscheinung treten, anatomisch und physiologisch zu localisiren und sie danach in 4 grosse Gruppen einzutheilen. Die klinischen Belege für die Classification M.’s, die wir kurz skizziren wollen, sind von dem Verf. zum Theil schon an andern Orten veröffentlicht worden.

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Die I. Gruppe („Les spinaux“) umfasst die spinalen Geschlechtsano- malien, deren Sitz nach M. in dem genitalen Reflexcentrum des Lendenmarks (Budge-Goltz) liegen soll. Der Verf. schildert zur Illustration dieser Gruppe eine elende, geistig völlig verfallene 7jährige Idiotin, welche von ihrem 3. Lebensjahre unaufhörlich, fast automatisch masturbirte, und trotz aller angewandten Hülfsmittel und Kunstgriffe von dieser Manipulation nicht abzubringen war. M. glaubt, dass dieses Patientin, in deren Gehirn fast alle sensorischen Functionen als ausgeschaltet zu betrachten seien, nur auf ihr Rückenmark angewiesen auf Grund eines im genito- spinalen Centrum gelegenen krankhaften Reizes masturbirte. Ferner gehöre hierher eine 35jähr. musikalisch sehr beanlagte, von Haus aus nervöse Schülerin des Conver- satoriums, welche seit 12 Jahren jeden Morgen um 6 Uhr in einen Züstand sexueller Gereiztheit verfalle, der in Kitzel- und Wollustempfindungen der unerträglichsten Art bestehe. Jede Willenskraft, die die Pat. anwendet, sowie die geschlechtliche Be- friedigung durch den Beischlaf bleiben ohne jeden Einfluss auf dieses Leiden. Da- gegen hätte öfters eine auftretende Diarrhoe das Eintreten des Zustandes verhindert; Morphium-Injectionen brächten hie und da ein wenig Linderung der Beschwerden. Ferner ein neuropathisch belasteter völlig tauber Mann, der an einem anfallsweise auftretenden Priapismus leide: Geschlechtsgenuss beseitige ihn nicht, ebenso wenig könne der Wille diesen spinalen Reizzustand beeinflussen. Im Gegensatz zu den eben geschilderten reihen sich hier 2 Fälle von 2 Brüdern an, bei denen eine periodenweise ohne physische und moralische Ursache auftretende sexuelle Schwäche („temporäre Impotenz“) zu constatiren war; dieselbe trieb den Einen zum Conamen suicidii.

Die I. Gruppe („Des spinaux c6röbraux posterieurs“) setzt sich zu- sammen aus solchen Störangen, deren Ausgangspunkt innerhalb der abwärts von der hinteren Centralwindung gelegenen sensorischen Rindenregion zu suchen sein soll. Hier, sagt Magnan, sei die Zone der Begierden und Instincte, die in gewissem Sinne „automatisch“ das genito-spinale Centrum beeinflusse, sobald die vordere Gehirn- region aus irgend welchem Grunde nicht in Action trete. M. erzählt 2 Fälle von geschlechtlich ausserordentlich erregten Weibern, welche, ohne die Qualität ihrer Objecte zu beobachten, ganz ihfem instinctiven gewissermaassen thierischen Triebe zu folgen gezwungen sind. Die Eine sperrt sich schliesslich in ihr Zimmer ein, um keines Mannes ansichtig zu werden, weil jedes männliche Antlitz ihre Begierde aufs Höchste steigert. Die Andere, Mutter von 5 Kindern, früher an hysterischen Anfällen leidend, giebt sich aus derselben instinctiven, brutalen Begierde dem Ersten Besten hin; sie erklärt ihrer Mutter: „Ma nature de feu me pousse & tout et m’a fait commettre bien des fautes.“ Auch sie macht aus Verzweiflung über ihr Leiden schliesslich Selbstmordversuche.

Die III. Gruppe („Des spinaux c6rebraux anterieurs“) enthält die Fälle perverser und conträrer Sexualempfindung. Der unter normalen Verhältnissen beim Geschlechtsact von der vorderen Hirnregion ausgehende Wille, die „geschlechtliche Idee“ ist auf die Fortpflanzung der Art gerichtet. Bei gewissen Neuropathischen aber ist diese Idee krankhaft erregt, d. h. sie ist eine völlig verkehrte, ihre Neigung strebt nach Objecten, mit denen eine Vereinigung zu solchem Zwecke unmöglich er- scheint, und doch zeigt sich in solchen Fällen trotz der Erkrankung des cerebralen Centrums dasjenige des spinalen Reflexes in hohem Grade erregt. Die hierher gehörigen Beobachtungen betreffen ein Mädchen von 29 Jahren, welches schon früher eine Reihe psychopathischer Symptome, Stehlsucht, Zwangsvorstellungen dargeboten hatte, seit 8 Jahren aber von einer sinnlichen Liebe zu kleinen Knaben entbranut ist, die im Alter von 2—13 Jahren stehen. Sie hatte Neigung zu diesen Kindern, die übrigens ihre Neffen waren, nur so lange sie sich im zartesten Lebensalter be- fanden. Die sehr einsichtsvolle, fleissige Kranke ist ganz untröstlich über ihren Zustand. In ähnlicher Weise verhält es sich mit einer Frau von 32 Jahren,

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Mutter zweier Kinder, die einen Schulknaben von 13 Jahren lieb hat und nach ge- schlechtlichem Umgang mit demselben strebt. M. rechnet zu dieser Gruppe auch solche illegitime Liebschaften, die man weniger als Laster, vielmehr als Krankheiten auffassen müsse. Es werden Fälle aufgezählt, wo die neuropathisch belasteten Frauen sich nicht entblöden, ihren Ehemännern ohne Rückhalt von ihrer Untreue Mittheilung zu machen. Mehr noch, als diese Fälle scheinen uns die an conträrer Sexual- empfindung laborirenden Neuropathischen dem für diese III. Gruppe geforderten, Ein- theilungsprincip zu entsprechen. KM. theilt die autopathische Schilderung dieses Zustandes aus dem Munde eines hochgebildeten Mannes, eines Professors mit, welche zwar nichts von den bekannten Westphal’schen Fällen Abweichendes enthält, aber wegen der sorgfältigen Selbstbeobachtung des Autors im Original nachgelesen zu werden verdient. Bekannt in der Literatur ist der weitere Fall: ein auch sonst sehr leicht erregbarer Ingenieur, der sich nur an den Fesses von Knaben geschlecht- lich aufzuregen vermochte. Den Ursprung dieser conträren Empfindungen verlegt M. also ebenfalls in das Vorderhirn und schreibt darüber: „c'est en quelque sorte le cerveau d’une femme dans le corps d’une homme et le cerveau d’un homme dans le corps d’une femme“. Die Verkehrtbeit der geschlechtlichen Idee kommt sehr prägnant zum Ausdruck in den Fällen, wo sich Männer sexuell nur aufzuregen ver- mögen durch den Anblick von weissen Schürzen, von Nägeln an Frauenschuhen, von Nachtmützen alter runzlicher Weiber u. a. m. Ein Kranker der letzteren Art ist ganz unglücklich, dass er seine eheliche Pflicht nur erfüllen kann, wenn er im Stande ist, sich das Bild einer solchen Nachtmütze recht lebhaft zu vergegenwärtigen. Während aber auf der einen Seite eine solche Zwangsidee das spinale Centrum zu reizen im Stande ist, ist es interessant, aus einer ausführlichen M.’schen Beobach- tung von „Grübelsucht“ zu erfahren, dass Zwangsideen auch hemmend auf den Geschlechtsact einwirken können. So ergeht es einem 21jährigen Schüler der Kunst- akademie, der hereditär belastet und früher Onanist, der fatalistischen Bedeutung der Unglückszahl 13 eine grosse Reihe quälender psychopathischer Erscheinungen und Zwangshandlungen verdankt, die in M.’s Arbeit ausführlich besprochen werden.

In der IV. Gruppe („Cörebraux antsrieurs ou psychiques) treten die Erotomanen (Esquirol) auf. Bei diesen Kranken ruhen die niederen fleischlichen Triebe des Hinterhirns resp. des Rückenmarks vollständig, in der Frontalregion werden perverse Liebesideen producirt, ohne dass dieselben durch Vermittlung des spinalen Centrums in wirkliche Geschlechtsreize umgesetzt werden. Es sind seltsame pla- tonische Regungen, denen die betreffenden neuropathischen Individuen sich hingeben. Der erste Fall betrifft eine 47jährige, sehr intelligente alte Dame, die im Alter von 24 Jahren eine Verlobung zurückgehen liess, später alle Heirathsparthien ausschlug, aber im 30. Lebensjahre von einer solchen krankhaften Sehnsucht nach ihrem früheren Verlobten ergriffen wurde, dass sie auf den Strassen herumlief, um ihn zu suchen und um Verzeihung zu bitten, ganz unbekannte Leute anhielt und nach ihm fragte, und wenn die Angehörigen sie von ihrem Treiben zurückhalten wollten, so hoch- gradige Erregung zeigte, dass ihre Ueberführung in eine Anstalt mehrmals erfolgen musste. In der zweiten Beobachtung schildert M. einen etwas sonderbaren, erblich belasteten Schneider, der von einer sehr heftigen Neigung zur Mile. Van Zandt, der berühmten Sängerin an der komischen Oper zu Paris, entbrannt war und weil er glaubte, dass diese Dame seine Liebe erwiderte, die wunderlichsten Reisen machte und eigenthümliche Abenteuer ihretwegen erlebte, schliesslich aber von der Polizei in eine Anstalt gebracht wurde; dort wird er ruhiger und indem er versichert, dass seine Liebe zu Mille. Zandt eine absolut reine gewesen sei, leistet er endlich auf ihren Besitz Verzicht. Der dritte Erotomane ist ein junger Kunstschüler, der unter vielen andern psychischen Anomalien auch eine Zeit lang die Idee zeigte: Sein Ideal sei „Myrtho“, die sich in ein Sternbild zurückgezogen. Diesem bringt er alle Nächte seine Verehrung dar, richtet Verse an Myrtho etc,

212

Magnan schliesst seine Abhandlung mit einem Hinweis auf die psychischen Symptome, welche bei diesen Hereditariern neben den sexuellen Anomalien bestehen, sich aber nach M.’s Meinung von denen chronisch Verrückter sehr wesentlich durch die Unregelmässigkeit in ihrem Ablauf unterscheiden. Was aber die durch die Sexual- Anomalien selbst gesetzten Handlungen beträfe, so seien für diese die Hereditarier nicht verantwortlich zu machen. Diese Psychopathen seien nicht Originale oder Sonderlinge, sondern e8 seien wirkliche Geisteskranke, welche deshalb die Aufmerk- samkeit des Arztes und die Rücksicht des Richters verlangen könnten.

Laquer.

13) Notes of a case of Addison’s disease associated with insanity, by S. Rutherford Macphall. (Journ. of ment. science. 1885. Jan.)

Macphall berichtet über einen selbstbeobachteten Fall von Manie, complicirt durch die Symptome der Addison’schen- Krankheit. Die Section bestätigte vollauf die intra vitam gestellte Diagnose auf Destruction der Nebennieren, doch liess sich ein Causalnexus mit der geistigen Störung nicht nachweisen. Zander.

14) Four cases of melancholia in one family, by Joseph Wiglaeworn: (Journ. of ment. science. 1885. Jan.)

Wiglesworth bringt den gewiss seltenen Fall, dass in einer Familie ohne be- sondere erbliche Prädisposition (die Mutter war in ihrem höheren Alter gelähmt ohne Beeinträchtigung der geistigen Functionen) 4 Töchter an schwerer Melancholie mit Neigung zum suicidium erkrankten, 2 davon sind, nachdem sie geheilt die Anstalt verlassen, auf’s Neue erkrankt, durch Selbstmord zu Grunde gegangen. Auch ein Sohn war offenbar einige Zeit melancholisch, doch kam er nicht in Anstaltsbehandlung.

Zander.

15) Observation de folie du doute, par M. Roger. (L’Encöphale. 1885. No. 1.)

Roger berichtet über einen eigenthümlichen Fall von Zweifelsucht, welcher bei einem jungen Mädchen nach einem Typhoid auftrat. Patientin, Tochter eines Ge- wohnheitstrinkers, wurde von fortwährender Angst gequält, dass sie etwas Böses thun müsse, ihre Mutter umbringen, welche sie sonst schwärmerisch liebte, einen Raub ausführen, ein Feuer anzünden, Menschen vergiften, sich selbst tödten, kurz, von welchem Verbrechen sie nur hörte oder las, glaubte sie, dass sie es sicher aus- führen müsse. Dabei war die Urtheilsfähigkeit der Patientin sonst völlig intact.

Zander.

Therapie.

16) Cura morale nell isterismo, pel dott. A. Bianchi. (Archiv. italian. per le malat. nervose ecc. 1884. XXI. p. 426.)

Eine früher gesunde verheirathete Frau erkrankte im 40. Jahre unter den Erscheinungen gemüthlicher Depression und Unruhe mit besonderer Neigung sich zu isoliren und mit gelegentlicher Nahrungsverweigerung. Bald entwickelten sich Un- regelmässigkeiten in der Menstruation, lebhafte Ovarial- und Kopfschmerzen bei gleichzeitiger Abmagerung; die Stimmung wurde dabei ausserordentlich launisch und reizbar. Nach etwa einem Jahr war dann der gesammte Symptomencomplex schwerer Hysterie vertreten, indem die Patientin nun auch von gewöhnlich 2mal am Tage eintretenden Serien von abwechselnd tonischen und clonischen Krämpfen nach Art

213

der grossen hysterischen Anfälle ergriffen wurde. Die Anfälle waren aus je 10 bis 15 Einzelattaquen von ungefähr i Minute Dauer zusammengesetzt und wurden von heftigen Kopf- und Ovarialschmerzen eingeleitet. Nas Bewusstsein soll intact ge- blieben sein, während Hallucinationen des Gehörs und des Gesichts öfters beobachtet werden konnten.

Alle Arten der Behandlung waren erschöpft, während der Zustand immer schlechter geworden war. Da entschloss sich Verf. zu einem Versuch, ob eine „moralische Cur“ von günstigerem Erfolge sein würde. Im Einverständniss mit den Angehörigen theilte er eines Tages der Patientin mit, dass wenn die Krämpfe sich noch einmal wiederholen sollten, er als letztes aber sehr schweres, allerdings auch sehr schmerzhaftes Mittel die Cauterisation beider Ovarien vornehmen müsste. Verf. erschien dann mit Assistenten und den nöthigen Instrumenten am nächsten Tage zu der Zeit, in der die Anfälle zu kommen pflegten. Als sich aber trotz aller Ermahnungen doch ein Anfall vorbereitete, liess Verf. die Patientin unmittelbar nach Beginn der Convulsionen auf den Operationstisch legen, zeigte ihr ein rothglühendes Eisen und drückte es nachdem er es schnell in Wasser bis auf eine völlig erträgliche Temperatur abgekühlt hatte, trotz des heftigsten Widerstrebens der Patientin einige Minuten auf die eine und dann auf die andere Ovarialgegend. Ein Scheinverband entzog die „operirten‘“ Stellen der Untersuchung durch die Patientin. Die Convulsionen hatten unterdess völlig sistirt und es wurde der Kranken bedeutet, der Erfolg sei da und es würden keine Anfälle wiederkehren, sollte diess aber doch der Fall sein, so müsste die Operation immer wiederholt werden. Der nächstfällige Anfall blieb nun ganz aus; als am Nachmittag der zweite zu erwarten war, wurde Patientin einfach in einen Wagen gesetzt und auf den belebtesten Strassen umher- gefahren, nachdem sie darauf hingewiesen worden war, wie beschämend für sie ein eventueller Anfall vor allem Volk sein würde Richtig, auch diesmal blieb der Anfall aus und kehrte überhaupt nicht mehr wieder, da Patientin :längere Zeit hindurch bei jedem drohenden Anfall ohne Ausmahme auf die Strasse gebracht wurde. Eine gleichzeitig eingeleitete diätetische Cur und ein späterer Landaufent- halt befestigten die Heilung. Bis zum Tage der Veröffentlichung ist kein Rückfall eingetreten; die genauere Dauer der Heilung ist leider nicht angegeben.

Sommer.

Forensische Psychiatrie.

17) LI. Der Fall Hawranek, von Dr. Schlangenhausen. II. Revolte durch geisteskranke Verbrecher in einer Anstalt. (Allg. Zeitschr. f. Psych. 1884. Bd. 41. H. 3.)

I. Ein Irrer, welcher in Folge seiner Wahnideen verschiedene Homicidien ver- übte. Ein trotz der grausigen Details anders zu beurtheilender Fall als die sub II genannten Kameraden, welche den aus den Zeitungen bekannten Entweichungsversuch mittelst Brandstiftung in einer Berliner Anstalt machten. Dem Stossseufzer des Berichterstatters: „Wie lange werden solche anormale Zustände noch dauern. Sollen die Stimmen derjenigen maassgebend sein, welche sich weit vom Schuss halten, mit den irren Verbrechern Nichts zu thun haben und gleichwohl die Unterbringung der- selben in den gewöhnlichen Irrenanstalten befürworten, weil sie mit der Zeit doch schwachsinnig und lenkbarer würden?‘ schliesst sich Ref., dessen Anstalt unter der Anwesenheit einer Anzahl geisteskranker Verbrecher ebenfalls schwer leidet, aus voller Seele an. Siemens.

-—- 214

IIl. Aus den Gesellschaften.

Academie des sciences.

Die Sitzung vom 15. Juli 1884 brachte einen Vortrag von M. A. Pitres: Ueber die topographische Vertheilung der secundären Degenerationen, welche auf destructive Läsionen der Gehirnhemisphären folgen, bei Menschen und einigen Thieren.

Pitres stellt folgendes Gesetz auf:

1) Beim Menschen veranlassen destructive Läsionen selbst von grosser Ausdehnung, welche die nicht erregbaren Regionen der Hemisphären betreffen, absteigende Degeneration nicht.

2) Destructive Verletzungen, selbst von geringer Ausdehnung, der erregharen Regionen der Hemisphären (Stirn und aufsteigende Scheitelwindungen, Paracentrallappen, die unter diesen Regionen der Rinde liegenden weissen Bündel) rufen stets nach einigen Wochen absteigende Degeneration des Pyramidenbündels hervor.

3) Diese Degenerationen folgen bis in die vordere Pyramide des Bulbus der der Himverletzung entsprechenden Seite, im verlängerten Mark unterhalb der Pyra- ınidenkreuzung, nimmt die Irgeneration nicht unwandelbar die gleichen Regionen ein, bald ist der Sitz aus-chliesslich im Seitenstrang der der Verletzung ent- gegengesetzten Seite, bald in der innersten Partie des Vorderstrangs der corre- spondirenden Seite, bald besteht sie in beiden Seitensträngen. Bei Hunden und Katzen folgen auf Läsionen der nicht erregbaren Regionen keine secundären Degenerationen. Läsionen der erregbaren Regionen bedingen Degenerationen, welche im Pedunculus, der Protuberantia und der vorderen Pyramide des Bul- bus gleichen Verlauf wie beim Menschen haben, im verlängerten Mark hat die Degeneration gewöhnlich im Centrum des Seitenstranges der der Gehirnläsion entgegengesetzten Seite ihren Sitz, manchmal sind beide Seitenstränge er- griffen,

Bei Kaninchen und Meerschweinchen geht die Degeneration nie über den unteren

Theil des Bulbus. Bei Tauben und Hühnern entsteht eine absteigende Degeneration.

Sitzung vom 25. August.

De l’action des lösions du bulbe rachidien sur les 6changes nutritifs. Note de M. M. Couty, Guimaraes et Niobey.

Die gemeinschaftlichen Untersuchungen der drei Genannten haben ergeben, dass gröbere Verletzungen des Bulbus, verschieden nach ihrem Sitz und ihrer Ausdehnung folgende Veränderungen des Blutes bewirken.

1) Die Spannung in den Arterien ist vermindert, oft ganz rapide, manchmal nach ganz vorübergehender Periode von Vermehrung.

2) 1—2 Stunden nach der Piqüre ist der Zucker im arteriellen wie nervösen Blute merklich vermehrt.

3) Gleichzeitig oder schon etwas vorher ist der Sauerstoff und vor Allem die Kohlen- säure vermindert.

Diese 3 Erscheinungen treten stets gleichzeitig mit einander verbunden auf. Die Glycosurie ist ebensowenig wie die anderen Störungen für sich allein zu erwirken, sie ist nicht gebunden an die Verletzung einer Region oder eines begrenzten Cen- trums. Ausser diesen constanten und mit einander verbundenen Erscheinungen kommen zur Geltung noch wechselnde Störungen der Blutbeschaffenheit, der Temperatur sowie der Bewegungs- und Gefühlssphäre.

25

Sitzung vom 22. December.

Sur l’action anösthösique cutande du chlorhydrate de cocaine, note de M. J. Grapet.

Die subcutane Injection von 0,01 salpetersaurem Cocain lässt eine vollkommene locale Anästhesie entstehen ohne Allgemeinerscheinungen und ohne nachherige locale Erscheinungen von irgend welcher Bedeutung. Die Dauer der Anästhesie ist 5 bis 10 Minuten nach der Injection genügend zur Vornahme kleinerer Operationen.

SIE NEE Zander. Glasgow pathological and clinical society. Session 1884. Meeting II. 11. November 1884.

In der genannten Gesellschaft stellte Dr. Stoney Walker einen 51/,jährigen Knaben vor, der die Symptome halbseitiger Athetose darbot. Letztere sollten sich nach einer Kälteeinwirkung Waschen mit sehr kaltem Wasser (!) all- mählich entwickelt haben, indem zuerst der linke Arm, später das Bein von Rigidität befallen wurde, zu der sich dann die eigenthümlichen Bewegungen der Athetose ge- sellten. Neuropathische Diathese und Syphilis waren auszuschliessen. Die Erschei- nungen bestanden an der linken oberen Extremität neben Rigidität einzelner Muskel- gruppen in den bekannten alternirenden Beuge- und Streckbewegungen der Finger und Rotationsbewegungen der Hand. In der linken Unterextremität wesentlich Rigi- dität mit gelegentlichem kurzdauerndem tonischen Krampf bestimmter Muskeln. Im Schlaf und bei Ablenkung der Aufmerksamkeit hörten die Bewegungen auf und die Rigidität liess erheblich nach, Es war kein Unterschied in der Entwickelung der Muskeln, keine Temperatur- oder Sensibilitätsdifferenz zwischen beiden Seiten nach- zuweisen. Die Zunge wich deutlich nach links ab. Sonst keine Anomalien in Be- zug auf das Nervensystem. Von sonstigen Veränderungen sind notirt Zeichen ab- geläufener doppelseitiger Otitis media purulenta.

In der Discussion wurde die Annahme einer Gehirnläsion als sehr wahrscheinlich urgirt; im Uebrigen aber ergab sich kein neuer Gesichtspunkt. Eisenlohr.

IV. Bibliographie.

Realencyclopädie der gesammten Heilkunde. Med.-chirurg. Handwörterbuch für praktische Aerzte. Herausgegeben von Prof. Dr. Albert Eulenburg. Zweite umgearbeitete und vermehrte Auflage. (Wien u. Leipzig, 1885, Urban & Schwarzenberg.)

Von dem Werke, auf dessen Erscheinen wir in Nr. 1 dieses Jahrgangs aufmerksam machten, ist bereits der 1. Band (bis Arterien) vollendet.

Für den Neuropathologen sind in diesem Bande von besonderem Interesse die Artikel: Agoraphobie von Westphal (in der 1. Auflage nicht enthalten), Alcobolis- mus von Binz, Amblyopie und Amaurose von Hirschberg, Aphasie von Arndt, Armlähmung (mit neuen Abbildungen) von Seeligmüller.

Es genügt, die Namen dieser Autoren zu nennen, um auf jene Artikel aufmerksam zu machen, auf deren Inhalt wir ausserdem im referirenden Theile dieses Journals zurückzukommen gedenken. M.

V. Mittheilung an den Herausgeber.

Geehrter Herr Redacteur!

Herr Dagonet berichtet nenestens über einen während meiner Abwesenheit in der hiesigen Anstalt gemachten Besuch. Gegenüber einer seiner irrthümlichen

216 -

Angaben, die zu Missdeutungen Anlass geben könnten, bitte ich, der Berichtigung Raum zu geben, dass der Unterzeichnete während der ganzen Zeit seiner Directionsführung hier vollen No-Restraint durchgeführt hat, und nur in chirurgischen Fällen aus- nahmsweise von festen Handschuhen, die auch Dagonet gesehen, Gebrauch macht. Genehmigen Sie etc. Dobrzan, 21. März 1885. Dr. A. Pick.

vI. Personalien.

Am 5. März d. J. starb Gabriele Buccola, kaum 30 Jahre alt, einer der hervorragendsten unter den jüngeren Psychiatern Italiens, der besonders durch seine psychometrischen Untersuchungen weit über sein Vaterland hinaus sich einen Namen und Anerkennung zu erwerben gewusst hat. Auch diese Zeitschrift hat oft Gelogen- heit genommen, über seine Arbeiten zu referiren, und wir werden demnächst auf seine letzte, nach seinem Tode erschienene Arbeit: „Ueber die elektrische Reaction des Acusticus bei Geisteskranken“ zurückkommen. M.

VII. Vermischtes.

Die ee ob Paralyse wirklich in der neuesten Zeit häufiger zur Beobachtung kommt, als früher, scheint im Allgemeinen zu bejahen zu sein. Eine Statistik, die sich freilich nur auf die erfolgten Aufnahmen von Paralytikern in eine Anstalt bezieht, ist in dem Jahres- bericht der Irrenanstalt zu Utica (Vereinigte Staaten) für 1883 mitgetheilt. Dort sind von 1850 bis 1883 gerade 500 Paralytiker aufgenommen worden und zwar 455 Männer und 45 Frauen. Addirt man nun die Aufnahmen, welche in je 3 aufeinander folgenden Jahren vorgekommen sind, so erhält man folgende ziemlich regelmässig zunehmende Summen: 4, 19, 16, 24, 85, 48, 70, 73, 51, 69, 91. Das Verhältniss der aufgenommenen Frauer zu den Männern hat sich dabei übrigens nicht deutlich geändert. (Journ. of nervous and ment. disease. 1884. Oct. p. 7083.) Sommer.

Bei der Naturforscherversammlung in Strassburg (17.—22. Sept.) wird auch eine Aus- stellung von Instrumenten, speciell auch von elektrodiagnostischen und elektrotherapeutischen Apparaten stattfinden. Die qu. Gegenstände dürfen erst nach dem 1. Januar 1880 erfunden und construirt sein oder als erhebliche Verbesserungen älterer Apparate oder Erfindungen er nn Anmeldungen bis zum 1. Juli an Herrn Prof. Dr. E. Fischer in Strass

urg ı. Els.

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Preisaufgaben der Soci6t6 med. psych. für 1885. Prix Aubane] (2400 fr.): Ueber die Coexistenz von Delirien verschiedenen Ursprungs (alcohol., aralyt., epilept., paranoisch.) bei demselben Kranken mit Rücksicht auf Diagnose, Prognose, handlung und forensische Beurtheilung. Prix Belhomme (1200 fr): Für die beste Arbeit über Idiotie und besonders über die ana- tomischen Veränderungen der Nervencentren bei der Idiotie. Prix Esquirol (200 fr.): Für die beste ungedruckte Arbeit über einen Gegenstand der Psychiatrie. Prix Moreau (200 fr.) ebenso. Die Manuscripte oder gedruckten Arbeiten müssen bis zum 31. Dec. 1885 bei Dr. Ritti eingereicht werden.

Die Soci6t6 de Med. et de Chirurg. zu Bordeaux hat einen Preis von 1000 fr. für die beste Arbeit über die Jackson’sche Epilepsie ausgesetzt.

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Veır & Come. in Leipzig. Druck von Merzeer & Wirrie in Leipzig.

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NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten,

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mondel Dritter Bu Dernn Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

1885. 15. Mai. Ne: 10.

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Inhalt. Originaimittheilungen. 1. Ueber die Zeitdauer der einfachen psychischen Vor- gänge bei Geisteskranken, von W. von Tschisch. 2. Ueber einige Principienfragen in der Elektrotherapie, von Dr. C. W. Müller (Schluss).

il. Referate. Anatomie. 1. Ein neuer morphologischer Bestandtheil der peripherischen Nerven, von Adamkiewicz. Experimentelle Physiologie. 2. Untersuchungen über Reflexe, von Mendelsohn. Pathologische Anatomie. 8, Ueber Veränderungen des Rückenmarks bei Vergiftungen, von Tschisch. Pathologie des Nervensystems. 4. Zur Localisation der corticalen Sehsphäre beim Menschen, von Berger. 5. Contribution & l’ötude des l&sions sclöreuses des vaisseaux spinaux, par Demange. 6. Tabes dorsal etc., par Vulpian. 7. Une observation de sclörose en plaques fruste, par de Fleury. 8. Zur Casuistik der tro- phischen Störungen bei der Tabes dorsalis, von Hoffmann. 9. A case in which perforating ulcer of the foot was the first symptom of locomotor ataxria, by Suckling. 10. Locomotor ataxy etc., by Bennet. 11. Experimentelles zur Pathologie u. Therapie der oerebralen Neu- rasthenie, von Anjel. 12. Case of hysterical hemianaesthesia etc., by Walton. 13. The medico- legal significane of hemianaesthesia after concussion accidents, by Putnam. 14. Sclerose primitive des cordons de Goll, par Camuset. Paychiatrie. 15. Un cas de cloisonnement transversal du vagin observ6 chez une imbecile, par Giison. 16. De la folie consscutive au chol&ra, par Ball. 17. Contributo allo studio della temperatura negli alienati, del Tambroni. 18. L ie avec albuminurie, par Mabllie. Therapie. 19. Heilung einer Psychose unter dem Einfluss eines Erysipels des Kopfes, von Landerer. 20. Tubercular meningitis trested with free phosphorus, by Green. 21. The valae of electricity in the treatment of insanity, by Newih. 22. Behandlung der Psychosen mit Elektrieität, von Tigges. 22. Sub- cutane Eisenanwendung in Paychosen, von Nasse. 24. L’isolement dans le traitement de P’hysterie, par Charcot. 25. The cure of writers cramp, by de Watteville. 26. Tetanus trau- maticus, Heilung darch blutige Dehnung der beiden Nervi ischiadici, von Reichert.

IN. Aus den Gesellschaften. IV. Bibliographie. V. Personalien.

I. Originalmittheilungen.

1. Ueber die Zeitdauer der einfachen psychischen Vorgänge bei Geisteskranken. Vorläufige Mittbeilung von Dr. W. von Tschisch. Aus der Irrenklinik des Herrn Prof. Pauı Frecnsıe in Leipzig.

Die Anwendung des psychophysischen Versuches ist in der Psychiatrie meines Erachtens eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit. Aber nur e'

218

methodische, auf klarer Erfassung des Gegenstandes fussende Untersuchung kann von wissenschaftlieher Bedeutung sein. Als ersten Schritt in dieser Rich- tung hatte ich mir ausersehen, die Dauer der psychischen Elementar- processe die Reactionszeit, die Wahlzeit, die Associstionszeit und die Urtheilszeit! im Zustande der beginnenden Abnahme der psychischen Kräfte zu bestimmen. Als typische Beispiele eines solchen Zustandes dienten: l) ein Fall von progressiver Paralyse der Irren, 2) ein Kranker mit; Paranoia.

1) Dr. med. K., 36 Jahre alt, leidet bereits seit circa einem Jahre an progressiver Paralyse, in deren circulärer Form. Er hatte im Anfang eine mehrere Monate währende maniakalische Erregung mit unsinnigen Grössenideen und nach kurzer Rückkehr zur Norm einen intensiv melancholischen Zustand mit Wahnideen durchgemacht; motorische Störungen (Silbenstolpern, Pupillen- differenz etc.) waren schon seit längerer Zeit wahrmehmbar. Zur Zeit meiner Untersuchungen befand er sich in einer 2. Remission; es traten Zustände leichter manjakalischer Erregung mit schwachen Grössenideen (Ueberschätzung ims- besondere der geistigen Leistungsfähigkeit), bedrückte Stimmung (letztere meist nur tageweise und selten sich zeigend) und verhältnissmässig normale Momente vicarirend auf. |

2) Thierarzt P., 36 Jahre alt, zeigt beginnende psychische Sehwäche nach mehrjährigem hallucinatorischem Verfolgungswahn; die Stimmung ist indifferent.

Ausserdem untersuchte ich den Student 8. im Stadium der Genesung nach typischer Manie, welche ca. 8 Monate theilweise in höchster Intensität bestanden hatte. Zur Zeit meiner Untersuchungen ging der Erregungszustand allmählich in einen Zustand reactiver Erschöpfung über.

Die Versuche wurden im Februar, März und April 1885 in der Klinik des Herrn Prof. Fuecasıg stets um dieselben Tagesstunden (von 10 bis 12 Uhr Morgens) mit dem Hrpr’schen Chronoskop neuer Construction ausgeführt.

Die Ergebnisse meiner Untersuchung sind folgende:

Zshl Zahl Zahl Durch-

der der der schnitt bei

Ver- Ver- Ver Geistes- Reactionszeit K. suche P. suche 8. suche gesunden

(Signal: Schall durch Fallhöhe der Kugel Aufschlagen einer 57,5c (starkerSchall) 0,08 150 0,12 150 0,07 150 0,1 Secunde

fallenden Kugel) 8,5c (leiser Schall) 0,10 150 0,12 150 0,11 150 Wahlzeit (sammt Reactionszeit und u 027 200 032 200 0,24 200 08

scheidungszeit) Associationszeit . . 2. 2 2 2... 0,28 8300 1,39 800 0,28 300 0,7 ER Urtheilszeit . . 2 2 2 2 2 2 2. 0,29 200 1,89 200 0,35 200 0,8 An

Es muss hervorgehoben werden, dass ausser den in vorstehender Tabelle angeführten eine grosse Anzahl von Versuchen zum Zwecke der Einübung der Kranken ausgeführt wurde; besonders viel Zeit bemöthigte die Einübung des Patienten P.

.—

! Ich gebrauche diese Ausdrücke in dem von Wunpr definirtem Sinne (vgl. dessen Physiolog, Psychologie Bd, II).

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Es ergiebt sich aus dem oben Angeführten, dass in der Zeit der ein- fachen Reaction keine irgend erhebliche Abweichung nach der einen oder der anderen Seite hin sich bemerkbar macht. Die Unterschiede zwischen den betreffenden Zahlen dürfte man vielleicht am richtigsten auf Rechnung der Individualität setzen.

Etwas geringer als gewöhnlich ist die Wahlzeit bei den Kranken K, und S., aber die Differenz ist nicht so gross, dass man irgend welche positiven Schlüsse ziehen könnte.

Die Associationszeit hingegen ist bei K. und 8. mehr denn zwei Mal kleiner, als bei gesunden Leuten, bei dem Kranken P. aber zwei Mal grösser; dabei ist bei K. die Associationszeit kleiner als die Wahlzeit!

Mithin finden wir in der Associationszeit unzweifelhaft pathologische Abweichungen von der Norm. Im Zustande der psychischen Schwäche bei den Kranken K. und P. differirt die Associationszeit um das Sechsfache, und es kann nicht davon die Rede sein, eine so grosse Differenz der Individualität zu- schreiben zu wollen. Die Dauer der Association wird gewiss durch das Wesen des krankhaften Zustandes bedingt: bei K. läuft die Abnahme der psychischen Kräfte auf ein herabgesetztes Vermögen für feste und klare Gedankengänge hinaus, bei P. ist die Abnahme der psychischen Energie mit dem abnormen Vorwiegen einzelner Gedanken (Wahnideen) im Bewusstsein verbunden. Bei dem dritten Kranken S. ist zwar Geistesschwäche im engeren Sinne des Wortes nicht vorhanden, aber das Vermögen für klare und präcise Gedankengänge zu Folge der früher im Stadium der Erregung vorhanden gewesenen Verworren- heit einerseits, der jetzt vorhandenen Erschöpfung andererseits ebenfalls herab- gesetzt, weshalb bei ihm die Associationszeit ungefähr dieselbe ist, wie bei K. Die Werthe der Urtheilszeit stehen bei S. zu dem Werthen der Associationszeit fast in dem gleichen Verhältnisse, wie bei gesunden Leuten.

Demnach muss man den Schluss ziehen, dass bei Abnahme der psychischen Kräfte die Associationszeit bedeutend kleiner wird, wenn diese Abnahme nicht mit einer dauernden Fesselung der Aufmerksamkeit durch einzelne Gedanken (z. B. Wahnideen) verbunden ist, was seinerseits zu einer beträchtlichen Ver- zögerung der Associationsprocesse führt.

Eine vollständige Beschreibung meiner Versuche und deren Deutung wird in einem der nächsten Hefte der „Philosophischen Studien‘ erscheinen.

Zum Schlusse erachte ich es als angenehme Pflicht, meinen herzlichen Dank Herrn Prof. FLeousıe für seine Bathschläge und die Erlaubniss, in seiner Klinik zu arbeiten, auszusprechen, und auch Herrn Prof. Wunpr gegenüber meiner Erkenntlichkeit für Rathschläge und Aufmerksamkeit, die mir seinerseits bei dieser Arbeit zu Theil wurden, vollen Ausdruck zu verleihen.

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2. Ueber einige Principienfragen in der Elektrotherapie.

Von Dr. C. W. Müller in Wiesbaden. (Schluss.)

Ich komme nun nochmals auf die 3 von mir besonders betonten Principien meiner Behandlungsweise zu sprechen, auf die „schwachen, kurzen und häufigen Stromanwendungen“, und möchte hier zunächst einer Vorfrage begegnen, die ich mir bei der Conception meiner Arbeit selbst gestellt, die ich aber zu beantworten unterlassen hatte, weil sie auf die speciellen Fälle in meinem Buche keine besondere Anwendung haben konnte. Mit welchem Rechte soll die Möglichkeit einer Naturheilung ausgeschlossen bleiben, wenn bei verschiedenen Neurosen erst nach monatelanger centraler? Behandlung die Heilung zu Stande kommt? Ob hier das post hoc ergo propter hoc als Einwand berechtigt ist, können nur solche Fälle entscheiden, bei denen die Natur Jahre lang Zeit gehabt hat, die Heilung zu bewerkstelligen und das Leiden entweder sich gleich blieb oder immer schlimmer wurde wenn dann erst nach Beginn der Behandlung die erste Besserung sich zeigt, und wenn dies bei unzähligen Fällen immer wieder und wieder geschieht: da könnte doch kaum der grösste Skeptiker die Auffassung gewinnen, dass nun jedes Mal zur Zeit der eingeleiteten elektrischen Kur die Naturheilung begonnen habe. Da bei dieser Gelegenheit gerade der Tic douloureux erwähnt wurde, so füge ich hier folgenden schwerwiegenden Fall bei.

Die Frau eines Obersten consultirte wegen eines linksseitigen Tic douloureux vom Jahre 1877 an nach einander drei neurologische Autoritäten. Es wurde ihr von der ersten die elektrische Behandlung widerrathen, da dieselbe das T,eiden ver- schlimmern könne. Weil Letzteres nun aber unter Morphium-Gebrauch stetig zunahm, wurde sie von der zweiten peripher-symptomatisch elektrisirt die Schmerzen wurden so gesteigert, dass sie dann von der dritten zu einer chirurgischen Autorität geschickt wurde, welche die Neurektomie am linken Infraorbitalis machte. Abermals nahmen die Schmerzen zu, und es begann der Tic nun auch auf der rechten Seite. Man wird mir zugeben, dass das wirklich ein schwerer Fall von Tic douloureux war. Nach 5jährigem Bestehen des Leidens kam die Patientin zu mir in Behandlung, wurde im ersten halben Jahre bedeutend besser und nach etwa 2jähriger Behandlung (die Pausen abgerechnet) so erfolgreich geheilt, dass sie das Morphium sich abge- wöhnt hat, seit fast einem Jahre wieder im Kreise ihrer Familie lebt, von der sie Jahre lang sich trennen musste, der Haushaltung vorsteht, Gesellschaften besucht etc., und dass sie gar nicht weiss, wie sie ihren Dank bethätigen soll.

War das nun auch spontane Naturheilung? Und wieder wenn ein 20 Jahre alter Tio douloureux durch eine 1—-2jährige Kur beseitigt wird (wie ich 2 derartige Fälle verzeichnet habe), ist da die centrale Behandlung an dem Erfolge unschuldig

1 Die in einem Referate sich findende Bemerkung, dass die Ischias von mir central behandelt werde, ist wohl nur ein flüchtiger Ausdruck für die von mir gemachte Angabe, dass Ischias in loco morbi, nicht in loco doloris behandelt werden müsse, und der Locus morbi entweder im Plexus sacralis oder im Nervenstamm oder auf dieser ganzen Strecke liege, aber selten tiefer als bis zur Trochanter-Höhe.

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gewesen? So liegt es in meiner Absicht, noch eine ganze Reihe schwerer Fälle aus den verschiedensten Gebieten bekannt zu geben, welche sowohl allen sonstigen therapeutischen Eingriffen unzugänglich waren, als auch zu einer spontanen Ausheilung durchaus keine Tendenz zeigten, und welche schliesslich dennoch durch eine methodische elektrische Behandlung, wenn auch erst nach längerer Zeit, geheilt wurden.

Da ich hier die Dauer der elektrischen Kuren berührt habe, so sei noch eine andere hierauf bezügliche Frage zur Sprache gebracht, welche von dem Verhältniss der jedes Mal angewandten Stromstärkegrade und der Dauer der einzelnen Sitzungen zu der bis zur Heilung erforderlichen ganzen Kurzeit handelt. Giebt es in dieser Hinsicht schon sichere Erfahrungen? Besteht hier schon ein Gresetz über bestimmte Beziehungen zwischen Stromstärke und Sitzungs- dauer einerseits und der Gesammtdauer einer Kur andererseits? Man hat geglaubt, dass je stärker der Strom, desto kürzere Zeit die Gesammt- behandlung in Anspruch nehme. Wie bequem und leicht durchführbar wäre dann die Kur für den Patienten, und wieviel weniger angreifend die körperliche und geistige Anstrengung für den Arzt! Wie viel Worte des Trostes und der Aufmunterung und der Ermahnung zum geduldigen Ausharren blieben ihm da erspart! Ich kenne nur eine einzige Affection, bei der jene Anschauung Platz greifen darf, die Lumbago und ihr ähnliche Zustände doch musste ich in ıneinem Buche (S. 148) die Einschränkung zufügen: „Ist aber in höchstens 4 bis 5 derartigen Sitzungen die acute rheumatische Affection nicht beseitigt oder vielleicht sogar stärker geworden, so ist es Zeit, von der Ausnahme zur Regel zurückzukehren und die systematische Behandlung mit der regelrechten Strom- dichte vorzunehmen. Denn dann handelt es sich um eine rheumatische Affec- tion entweder der Wirbelgelenke oder der Nervenwurzeln, z. Th. auch der Nerven- stämme kurz um Fälle, wo eine Parforcekur schlecht angebracht ist.“ Tausend- fache Erfahrungen haben mich also das directe Gegentheil der vorher erwähnten Anschauungen gelehrt, nämlich dass eine Kur gerade schneller verläuft, wenn die Ströme schwach und kurz angewendet werden. Ein stärker, länger und seltener angewandter Strom ist nun und nimmer gleichzusetzen den „schwachen, kurzen und häufigen Stromanwendungen“. Oft genug gilt hier noch überdies der Satz: Je schwerer der Fall, desto schwächer und kürzer der Strom und die Nichtbeachtung dieser Lehre kann die Heilung dann nur in die Länge ziehen, wenn nicht überhaupt vereiteln.

Wenn es nun, wie es S. 148 in meiner Arbeit heisst, gewiss auch oft genug gelingt, diesen oder jenen Fall mit höheren Stromstärkegraden und, will ich hier noch hinzufügen, mit Sitzungen von längerer Dauer, als sie meinen Regeln entsprechen, günstig zu beeinflussen, so ist gleichwohl die geringere Stromstärke und Stromdauer, selbst wenn Sie nur dasselbe leisteten und nicht mehr als ein stärkerer und länger dauernder Strom, mit Rücksicht auf das Allgemeinbefinden und mit Rücksicht auf die Möglichkeit, eine Kur länger fortsetzen zu können oder zu müssen, gewiss vorzuziehen. Setzen wir einmal die regelrechte Stromdichte !/,, (für den Durchschnitt der Fälle) analog der

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gewöhnlichen Dosis eines Medicaments: so verträgt ja Mancher auch 3 Centigr. Morphium aber 1 Centigramm hätte genügt und ist als Durohschnittsdosis und Regel für die Mehrzahl der Fälle auch mehr zu empfehlen; ja manches Medicament zeigt in zu grosser Dosis einen Umschlag in die entgegengesetzte Wirkung. Warum also die unangenehme und in ihrer Wirkung unberechen- bare stärkere Dosis wählen, wenn die schwächere leichter und sicherer hilft? Und wenn auch gewiss, je mehr man sich der Regel nähert, desto mehr Menschen eine etwas grössere Dosis des Medicaments und einen etwas stärkeren Strom oder eine längere Stromdauer vertragen: so frage ich, warum will man in der Elektrotherapie nicht gewisse Regeln anerkennen? Wenn sie bis jetzt nicht so stricte wie in der Materia medica aufgestellt worden sind, und das Meiste dem Gutdünken überlassen war, warum sollte das für alle Zukunft ebenso sein?!

Ich finde den gesetzmässigen Zustand ausserdem viel bequemer und behaglicher, als wenn bei jedem neuen Falle die alte Unsicherheit und eine in weiten Grenzen schwankende Versuchsmöglichkeit gestattet ist. Wie weit hier die Grenzen gesteckt sind, erhellt z. B. aus einer neueren Angabe, welche bei dem betreffenden Fall die Wahl einer Stromstärke von 5—15 Milli- Weber gestattet der Querschnitt der Elektrode und die Stromdauer sind dabei nicht erwähnt und bleiben ebenfalls dem Urtheil jedes Einzelnen anheim- gestellt. Dass hier Abhülfe nöthig ist, leuchtet von selbst ein. Der erste be- wusste Versuch in dieser Richtung sollte eben mit meiner „Einleitung in die Elektrotherapie“ gemacht werden. Wenn diese Absicht auch erst in den Grund- zügen verwirklicht wurde und nicht sofort nach allen Seiten hin schon voll- kommen und erschöpfend durchgeführt sein konnte, so ist es doch zu verwundern, dass sie nicht überall verstanden worden zu sein scheint: hat doch ein Referent bei aller dem Buch gezollten Anerkennung nur eine ausführliche Darstellung aller wichtigen Dinge, die aber vorher schon sehr oft gesagt worden seien, und eine nachdrücklichere Betonung derselben darin gefunden. Ich behaupte aber im Gegentheil: viele dieser wichtigen Dinge sind seither zu wenig, zum Theil gar nicht berücksichtigt worden die Elektrotherapie folgte zu sehr bewusst oder unbewusst den Theorien der polaren Methode und beachtete unter deren Einfluss gerade das am allerwenigsten, was ich in meinem Buche als die Haupt- prineipien der elektrischen Behandlung zu demonstriren versucht habe. Ganz besonders erleichtert wird die elektrotherapeutische Thätigkeit und vor Allem die Controle der Stromwirkungen nicht nur für den An- fänger, sondern auch für den gewiegtesten Elektrotherapeuten, und eine je grössere praktische Thätigkeit er hat, um so mehr erleichtert wird sie ihm —: durch die Behandlung nach der absoluten Form der Stromdichte und für diese Hauptpointe meines Buches muss ich, wie ich sehe, mein Prioritäts- recht besonders. geltend machen. Nach dieser absoluten Form der Stromdichte müssen feststehende Stromstärke-Dosen zu Regeln gestaltet, und nicht minder ihre Ausnahmen in der gleichen und vergleiohbaren Form ausgedrückt werden.

In den Anfängen meiner Praxis habe auch ich stärker und länger elektrisirt

2993

1 Mal gelang es und 10 Mal gelang es nicht: ohne Grund ändert ein wissen- schaftlich arbeitender Arzt nicht seine Behandlungsweise. Als ich bessere Mess- instrumente zur Verfügung hatte, wurde über den Stromstärkegrad so wie über die Stromdauer und ihre Wirkungen bei jedem Patienten, auch in dem geringsten Falle, Buch geführt. Ich regulirte Stromstärke und Stromdauer so lange, bis ich gute Wirkung sah. Das geschieht nun ca. 13 Jahre und in den letzten Jahren meist mit einem Krankenbestande, dass in den Hauptmonaten schon über 100 Patienten im Tage elektrisirt wurden: ich dächte, wenn man so in der elektrotherapeutischen Thätigkeit Jahre hindurch aufgeht und eine grosse Zahl von Erfolgen überblicken kann, da könnte man schon ein Urtheil in diesen Fragen gewinnen. Eines Theils war es also die unverdrossenste Consequenz in der Monate, mitunter Jahre lang dauernden Behandlung (die freilich nur da- durch möglich war, dass die Patienten selbst die Fortschritte durch diese methodische Behandlung empfanden und anerkannten), andern Theils die minu- tiöseste Beachtung der momentanen Stromwirkung unter peinlichster Controle durch gute Galvanometer und die Secunden-Uhr, und endlich die häufige Be- handlung des eigenen Körpers, welche mich lehrten, dass ich auf dem richtigen Wege war. Das Resultat meiner so gewonnenen Erfahrungen hielt ich für so wichtig, dass ich es in den 3 Principien „der schwachen Ströme, der kurzen Stromdauer und der häufigen Stromanwendungen‘“ zu fixiren für nöthig fand, wobei ich dann noch besonders die Behandlung nach der absoluten Form der Stromdichte als conditio sine qua non eines sicheren elektro- therapeutischen Handelns bezeichnen musste.

Nur wenn auf diesen oder ähnlichen Wegen bestimmte Gesetze geschaffen und allgemein anerkannt worden sind, werden wir meiner Meinung nach auch in der Elektrotherapie allmählich zu sicheren Zuständen gelangen. So kann ich BERGER nur beistimmen, wenn er den Rath giebt, dass eine sorgfältige und ernstliche Nachprüfung der von mir geübten eigenthümlichen Behandlungsweisen vorgenommen werden möge! Dann wird, wenn derselbe Autor meint, dass ich mit meiner homöopathischen, in ausgezeichnet exacter Form angewandten Heil- methode jetzt noch fast allein stehe, dies, wie ich zuversichtlich glaube, später nicht mehr so sein. |

Anmerkung:

Uebrigens genügt, um die von mir empfohlene Durchschnitts-Stromdichte denn einmal wirklich kennen zu lernen, der einfache Versuch am eignen Körper, bei welchem man eine Elektrode von 18 oder 20 qcm auf die Wange, Stirn oder Schläfe, die andere von beliebiger Grösse auf die Hand bei 1 Milli-Weber Stromstärke applicirt. Die sofort eintretende Wirkung auf den Geschmack, die Sensibilität, bei Strom- unterbrechungen auch auf den Sehnerven etc. müssen Jedermann überzeugen, dass Stromdichte ?/,, oder ?/,, ganz und gar nicht homöopathisch ist. Auch die Wir- kungen im vasomotorischen Gebiet sind bei diesen und mitunter noch schwächeren Stromdichtegraden ganz offenbar. So behandle ich augenblicklich eine Patientin mit traumatischen Hirn-Läsionen unter Anderem quer durch beide Nn. optici des Vor-

mittags um 10 Uhr, und noch am Abend wird sie öfter wegen der an beiden Schläfen vorhandenen rothen Flecken von Bekannten interpellirt.

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2214 IL Reofeorate.

Anatomie.

1) Ein neuer morphologischer Bestandtheil der peripherischen Nerven, von Adamkiewicz. (Sitzung der math. naturw. Classe der Akademie der Wissenschaften zu Wien am 5. März 1885.)

Zwischen Schwann’scher Scheide und Markscheide befinden sich in Abständen von weniger als 1 mm längs der Nerven Zellen, die halbmondförmige Gestalt haben, und durch Safranin doppelt gefärbt werden: der Kern und die mittlere Partie der Zelle wird violett, der peripherische Theil der Zelle orangeroth. Diese Nervenzellen sind demnach durch den Gehalt an chromepileptischer Substanz ausgezeichnet. (Cf. dieses Centralbl. 1884. S. 151.) M.

Experimentelle Physiologie.

2) Untersuchungen über Reflexe, von M. Mondelsohn. 3. Mittheilung. (Sitz.- Ber. der kgl. preuss. Akad. d. Wissensch. zu Berlin vom 5. Februar 1885.)

Verf. untersuchte zur Begründung früherer Versuche (s. d. Cirlbl. 1884. 8. 33) die Verbreitungsart der Reflexe im Rückenmark bei multiplen Schnitten. Es ergab sich, dass die bei Reizung der oberen Extremität ausgelösten Reflexe den gleichen Gesetzen unterworfen sind, wie die bei Reizung der unteren ausgelösten und dass der Satz von der Nothwendigkeit des Zusammenhanges der sensiblen und motorischen Leitungsbahnen mit dem oberen Theil des Rückenmarks zur Auslösung der Reflexe für alle normalen durch Reizung einer beliebigen Extremität auslösbaren Reize gilt; es zeigt sich ferner, dass an jeder Stelle und in jeder Höhe des Rückenmarks die sensiblen und motorischen Bahnen mit einander verbunden sind, was auch bei mehr- facher Beschädigung des Rückenmarks die Auslösung der Reflexe ermöglicht, dass aber die normalen Reflexe die längeren Bahnen einschlagen; bei Unwegsamkeit der normalen Leitungsbahnen bedarf es zur Auslösung der Reflexe maximaler Reize. Ein Theil dieser Resultate ist auch durch mechanische Reizung zu erzielen.

A. Pick.

Pathologische Anatomie.

8) Ueber Veränderungen des Rückenmarks bei Vergiftung mit Morphium, Atropin, Silbernitrat u. Kaliumbromid, von W. v. Tschisch, St. Peters- burg. (Virchow’s Archiv. Bd. 100. 8. 147.)

Verf. stellte sich zum Ziele, die postmortalen Zustände des Rückenmarks zu untersuchen nach acuter resp. chronischer Vergiftung mit den oben genannten Prä- paraten, welche eine so grosse Rolle in der Therapie spielen, und von deren Ein- wirkung in pathologisch-anatomischer Beziehung wir doch so wenig wissen.

1) Morphium. Es wurden 2 Hunde (Nr. 1 und 2) mit 34—-50 Gran ver- giftet, die in 3 resp. 6 Stunden starben. 6 Hunde (Nr. 3—8) erhielten 125—-200 Gran in grösseren und kleineren Dosen, theils täglich, theils in Pausen von 1—2 Tagen, und lebten dabei 23—62 Tage.

Die gefundenen Veränderungen im Rückenmark betreffen besonders die Ganglien- zellen. Diese sind theils angeschwollen, trübe, die Fortsätze verdünnt und kurz oder gar nicht sichtbar; theils zeigen sie Vacuolenbildung; theils ist ihr Protoplasma unter feinkörniger Degeneration geschrumpft oder ganz homogen geworden; theils endlich findet sich Schwund der Zellen, an deren Stelle im letzten Grade ein hohler Raum getreten ist. Der Kern ist meistens erhalten, aber fast immer verändert, mit grossen Körmnern erfüllt, oder blass, mit wenigen kleinen Körnern.

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Auffallend erscheint die Angabe, dass auch nach acuter Vergiftung (Tod in 3—6 Stunden) viele Zellen angeschwollen und trübe waren, z. Th. Vacuolen hatten, „die Protoplasmafortsätze nur auf einer kurzen Strecke und bei wenigen Zellen er- halten“ waren. (Die Untersuchungsmethoden sind nicht angegeben.)

Seitens des Gefässsystems zeigten sich Hyperämie und Extravasate, und in der Nähe der Gefässe der grauen Substanz homogenes plasmatisches Exsudat. Ueberall kamen in der grauen Substanz Producte eines feinkörnigen Detritus vor, vorzugsweise dort, wo das Nervennetz zerstört war; des letzteren Deutlichkeit ist überall verloren gegangen.

2) Atropin. Es wurde Hund Nr. 1 mit 48 Gran Atropin vergiftet und starb nach 4 Stunden. Hund Nr. 2, 3 und 4 erhielten 240—460 Gran in 27, resp. 126, resp. 190 Tagen, in Dosen von 2—20 Gran alle 2, 3 oder 4 Tage gar nicht.

Die Veränderungen waren nahezu dieselben, wie bei Morphium, nur sind die Zellen etwas schwächer beeinflusst, selten vacuolisirt und geschrumpft; die meisten zeigen blasses homogenes Protoplasma. Die pathologischen Veränderungen der Ge- fässe und des Nervennetzes treten viel intensiver nach Morphium als nach Atropin auf.

3) Arg. nitricum. Vergiftung mit 20—202 Gran in Dosen von 1—30 Gran; Tod in 7—20 Stunden resp. in 17—189 Tagen; Erbrechen fast nach jeder Gabe des Mittels (per os).

Es fand sich mässige Hyperämie der Meningen, Oedem und Anämie des Gehirns und Rückenmarks. Leber und Milz thonfarben, teigig. Starke Veränderungen in Magen und Darm.

T. fand die Veränderungen im Gehirn und Rückenmark „ungemein scharf“, und sowohl bei den acuten Vergiftungen, als auch bei den chronischen. Die Gang- lienzellen zeigten ähnliche Veränderungen wie unter 1) und 2) beschrieben, doch kommen vorzugsweise Vacuolisation der Zellen vor, wenig solche mit blass-homogenem Protoplasma. Reichliche kleine Extravasate und plasmatische Exsudate.. Die Kerne wenig verändert.

4) Bromkalium. Hund 1 und 2 erhielten täglich 30 resp. 20 Gran, ersterer starb am 2., letzterer am 5. Tage; 4 andere Hunde erhielten im Ganzen 130—217 Gran und starben nach 22—78 Tagen.

Auch hier analoge Erscheinungen: trübe Schwellung der Ganglienzellen, Verlust der Fortsätze, Vacuolisation. Ausserdem fand sich eine beträchtliche Anzahl nalıezu ungefärbter Scheiben Reste von Zellen. Gefässe hyperämisch mit Kernwucherung in den Wandungen; in ihrer Nähe plasmatisches Exsudat „in ungeheuren Massen“, Nervennetz der grauen Substanz nirgends mehr zu unterscheiden.

In seiner Schlussbetrachtung glaubt T. Inanitionserscheinungen ausschliessen zu dürfen, wegen der analogen Befunde bei acuten Vergiftungen, ebenso Erhärtungs- und Präparationseinflüsse, in sofern wenigstens, als die gleichen Methoden bei ge- sunden Rückenmarken Gleiches nicht erzeugen. Die Veränderungen am Gefässsystem und die Exsudationen hält T. für das Primäre; die am meisten veränderten Zellen lagen in der Nähe der Gefässe. Trübe Schwellung und Vacuolisation fanden sich am ausgesprochendsten in den ganz acuten Vergiftungen; die grobkörnige Degene- ration, das blass-homogene Aussehen, die Atrophie und schliesslich der Schwund der Zellen bei dem chronischen Verlaufe.

Die Veränderungen der Zellen bei Vergiftung mit Morphium, Atropin und Brom- kalium gleichen sich mehr, als die bei Vergiftung mit Silbernitrat. An den Kernen dagegen liess sich nach Silbernitrat und Bromkalium nichts Charakteristisches und Constantes erkennen, während die Veränderungen derselben nach Morphium und Atropin scharf und bestimmt waren, und zwar entweder eine grobkörnige oder eine feinkörnig glänzende (fettige) Degeneration. Hadlich.

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Pathologie des Nervensystems.

4) Zur Localisation der corticalen Sehsphäre beim Menschen, von O. Berger. (Breslauer ärztliche Zeitschr. 1885. Nr. 1 u. 3—5.)

I. 71jähr. Mann, vor 7 Monaten Schwindel, Verschlechterung des Sehvermögens; ‘apoplectischer Anfall mit Schwindel, ohne Bewusstseinsverlust, plötzlicher vollstän- diger Verlust des Sehvermögens. Status: Leichte Benommenheit, antwortet auf Alles mit leicht lallender Sprache mit seinem Namen und „ich sehe ja nicht“; Gehör und Geschmack intact, Schmerzempfindlichkeit der rechten Körperhälfte mit Ausnahme des Gesichts etwas herabgesetzt; Gesichtssinn vollständig erloschen; Pupillenreaction nor- mal, Augenhintergrund normal. Sprachverständniss jedesmal anfangs normal, nach mehreren Fragen verloren; einzige Antwort auf Fragen die obige Phrase; Hemiparese rechts, Schlingen gut. In der folgenden Zeit Besserung des Sensoriums, der Sprache, der Hemiparese, in Folge von Leuchtgasintoxication stärkere Benommenheit, hoch- gradige Sprachstörung, leichte rechte Mundparese, Rigor der rechten Gelenke, Pem- phigus ähnliche Eruption an den 3 letzen Fingern der rechten Hand; später wieder Besserung bei Persistenz der Blindheit und der sensorischen Aphasie. Tod 1!/, Monat seit Beginn. Section: Der linke Lob. temp. besonders an der Spitze eingesunken und gelb verfärbt, Nerv. und Tract. opt. normal, vollständig erweicht, gelbröthlich der ganze linke Lob. occip., der linke Thalam. opt. fast völlig erweicht, 2 erbsengrosse Cysten je im vordern und hintern Theil des linken Linsenkerns; am rechten Lob. occipit. zeigt der mediale Theil der ersten Windung einen 10 Pf. grossen nur die Rinde beschlagenden Herd. Dies Verhalten wird auch mikroskopisch constatirt. Rückenmark frei.

Auf Grund eingehender Epikrise kommt B. zu folgenden Schlüssen: Der mitt- lere Theil der ersten Hinterhauptswindung hat besondere Bedeutung in der Sehsphäre, die Ausschaltung der Rinde desselben genügt zur Herbeiführung einer Sehstörung, die bei Intactheit der andern Hemisphäre eine transitorische ist; die Substitution erfolgt durch correspondirende Theile der andern Hemisphäre.

U. 65jähr. Potatrix, Emphysem, anscheinend nach einem Rausche Neigung zu Somnolenz, blande Delirien, Pupillen frei, Sehstörung, greift fehl, sobald ihr etwas gereicht wird; dreht den Kopf nach rechts, wenn von links angesprochen; keine Blindheit; Augenhintergrund normal. Tod am folgenden Tage. Sectionsbefund: Breiige Erweichung des grösseren Theils beider Hinterhauptslappen, der von zahl- reichen Blutgerinnseln bedeckte rechte Schläfelappen blutig verfärbt und breiig erweicht.

III. 68jähr. Mann seit mehreren Jahren Gedächtnissschwäche, vor 3 Monaten unter Schwindelgefühl plötzlich fast vollständige Blindheit, Erhaltensein der Licht- eımpfindung; Schwäche der Extremitäten; später leichte Besserung der Sehstörung; Pupillen etwas enger, Reaction nicht deutlich, Augenhintergrund bis auf Blässe der Papillen normal; Motilität, Sensibilität, frei. Section: Am linken Lob. occipit. Er- weichungsherd, der vorn noch den hinteren Theil der vor der Fiss. parieto-occipit. gelegenen Windung beschlägt, nach hinten und innen bis an den betreffenden Rand reicht und nach aussen ca. 4,5 cm vom hinteren Rande des 1. Sulc. tempor. entfernt bleibt; an der Basis desselben Lappens findet sich ein Herd begrenzt nach aussen durch die untere Schläfenfurche, nach innen beiläufig durch die Fiss. calcarin., nach vorn durch den Gyr. hippocamp., nach hinten durch die zwei hintersten Windungen. Am rechten Occipitallappen findet sich entsprechend dem zweiten Gyr. occipit. ein ji cm langer und breiter Herd; an der Unterfläche des Lob. occipit. dext. liegt zwischen Sulc. occipito-temp. inf. unter Sulc. temp. inf. ein etwa 3 cm langer und i cm breiter Herd, der 1 cm von der Spitze des Lappens entfernt bleibt.

A. Pick.

227 —-

5) Contribution & l’ö6tude des lösions scoldreuses des vaisseaux Sspinaux, sclöroses p6erivasculaires et hömorrhagies miliaires de la moelle 6pinidre, par le Dr. Emile Demange. (Revue de med. 1885. Janvier p. 1.)

Verf. berichtet im Anschluss an eins frühere Mittheilung über zwei neue Fälle spinaler Erkrankung, welche von einer Sclerose der Rückenmarksgefässe ihren Aus- . gangspunkt nehmen. Der erste Fall betrifft eine 72jähr. Wittwe, bei welcher sich seit ca. 2 Jahren Unfähigkeit zu gehen und Contracturen der Beine eingestellt hatten. Die Sensibilität war normal, die Sehnenreflexe ein wenig gesteigert. Die Contracturen der Beine nahmen allmählich immer mehr und mehr zu. Schliesslich traten auch Contracturen der Vorderarme und der Halsmuskeln ein, es entwickelte sich Incon- tinentia urinae und Decubitus, bis am 21. Februar 1884 der Tod erfolgte. Die Section ergab zunächst eine allgemeine Arteriosclerose mit Atherom der Coronararterien und Myodegeneration des Herzens. Senile Schrumpfnieren. Das Rückenmark zeigte bei der mikroskopischen Untersuchung eine sehr ausgebreitete Endo-Periarteriitis seiner Gefässe (Verdickung der Gefässwandungen etc.), im Cervicalmark einige, anscheinend mit den erkrankten Gefässen zusammenhängende sclerotische Herde und in der grauen Substanz durch das ganze Rückenmark zerstreute ziemlich zahlreiche miliare Hämorrhagien, welche wahrscheinlich von kleinen dissecirenden Aneurysmen ausgingen.

Der zweite Fall betrifft eine 80jähr. Frau, bei welcher sich ebenfalls in den letzten Lebensjahren Contracturen der Beine, verbunden mit ziemlich lebhaften Schmerzen, eingestellt hatten. Auch hier ergab die Section neben allgemeinem Arterienatherom im Rückenmark eine ausgebreitete chronische Endo-Periarteriitis, einige kleine sclerotischoe Herde und in der Fissura anterior des Halsmarkes einen älteren hämorrhagischen Herd.

Aus seinen Beobachtungen folgert der Verf., dass an den Rückenmarksgefässen ähnliche Veränderungen vorkommen können, wie sie an den Gehirngefässen schon längere Zeit bekannt sind: chronische Endarteriitis mit Bildung kleiner Aneurysmata dissecantia, Hämorrhagien, umschriebene Sclerosen u. dgl. Die hiervon abhängigen klinischen Symptome scheinen meist eine gewisse Aehnlichkeit mit den Erscheinungen der sogenannten spastischen Spinalparalyse zu haben. Strümpell.

un

6) Tabes dorsal. Acods de douleurs thoraciques, pröcordiales, & forme d’angine de poitrine; crises gastriques tres violentes, par M. Vulpian. . (Revue de med. 1885. Janvier p. 60.)

Fall von Tabes bei einem 33jähr. Friseur. Die ersten Symptome bestanden in sehr heftigen gastrischen Krisen (Erbrechen grünlicher Massen, verbunden mit Angstgefühl, Herzklopfen und allgemeinem Collapse) und Schmerzanfällen im Epi- gastrium und vom auf der Brust nach Art der Angina pectoris. Lancinirende Schmerzen im linken Bein; Parästhesien und vasomotorische Störungen in der linken Hand. Patellarrefiex links fehlend, rechts erhalten. (Verhalten der Pupillen nicht angegeben!) Ohne dass sich andere tabische Symptome einstellten, starb Pat. an acuter Lungentuberculose 5 Jahre nach Beginn seines Leidens. Die Untersuchung des Bückenmarks (nicht genügend genau angestellt) ergab eine geringe Affection im vorderen Abschnitte der Hinterstränge des Halsmarks. Im Brustmark konnte keine Erkrankung, im Lendenmark nur eine undeutliche Erkrankung der Hinterstränge gefunden werden. Strämpell.

7) Une observation de sclörose en plaques fruste, par Maurice de Fleury. (Revue de mdd. 1885. Fövrier p. 139.)

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Fall von multipler Sclerose, welcher theils die Symptome einer Tabes, theils diejenigen einer spastischen Spinalparalyse dargeboten hatte. Die richtige Diagnose war schon zu Lebzeiten des Kranken gestellt worden. Die Krankheit begann bei dem 19jähr. Patienten 1882 mit lancinirenden Schmerzen in den unteren Extremi- täten. Zunehmende Parese und Rigidität der Beine. Lebhafte Patellarreflexe und anhaltender Fussclonus. Schwanken bei geschlossenen Augen, spastisch- paretischer Gang. Trophische Störung der Nägel an den grossen Zehen. Sensibilität normal, keine Sprachstörung, kein Intentionstremor, kein Nystagmus. Normale Harnentleerung. Tod 1883 im apoplectischen Insult.e. Die Section ergab sclerotische Herde im Rückenmark und im verlängerten Mark. Strümpell.

8) Zur Casuistik der trophischen Störungen bei der Tabes dorsalis, von Dr. J. Hoffmann. Aus der medicinischen Klinik des Herrn Prof. Erb in Heidelberg. (Berl. kl. Wochenschr. 1885. Nr. 12.)

1) Der Hausdiener R., 59 Jahre alt, früher syphilitisch, bemerkte seit Winter 1881/82 lancinirende Schmerzen in den Beinen, später Urinträufeln, Gürtelgefühl, unsicheren Gang, leichte Ermüdung. Mitte September 1883 verspürte er beim ein- fachen Umdrehen auf der Strasse eine eigenthümliche Empfindung („Wirbeln‘“) an der Hinterfläche des linken Unterschenkels und kann seitdem nur noch mit Hülfe eines Stockes gehen: man constatirte später eine subcutane, spontane Ruptur der Achillessehne. Ausserdem bestand Ataxie der unteren Extremitäten nebst Sensibilitätsstörungen, Fehlen der Sehnenreflexe, Myosis und reflectorische Pupillen- starre. In der Literatur findet sich die Coincidenz von Sehnenruptur mit Tabes nicht erwähnt, sondern nur als vorwiegend das Alter von 40—60 Jahren.

2) Der 48jähr. Müller W., früher syphilitisch, verlor im Winter 1879/80 ohne bekannte Ursache in 8—14 Tagen alle Zähne des Oberkiefers und der „ganz weiche“ Alveolarfortsatz schmerzte lebhaft beim Kauen. Erst vom Herbst 1881 an begannen tabische Erscheinungen: lancinirende Schmerzen, Schwäche und Kälte der Beine, unsicherer Gang, Gürtelgefübl, Impotenz, Incontinenz des Urins bei Husten, Niesen etc. Ausser mässiger Ataxie noch reflectorische Pupillenstarre. Im ganzen Trigeminusgebiet beiderseits ist die Schmerzempfindung stark herabgesetzt, stumpf und spitz wird nicht unterschieden; Temperatursinn gut. Der Unterkiefer und seine Zähne sind normal. An den oberen Extremitäten dieselben Sensibilitätsstörungen wie im Trigeminusgebiete; Tricepsreflex fehlt beiderseits. An den unteren Extremi- täten Analgesie, dabei guter Temperatursinn, abgestampfte Tastempfindung, Fehlen der Sehnenreflexe. Weder Larynx- noch gastrische Krisen.

Verf. bemerkt, dass das doppelseitige Ausfallen der Zähne, die in anderen Fällen beobachtete Combination mit Vagus-Symptomen, mit Strabismus, auch die Analogie mit Herpes Zoster (Kaposi) mehr auf das centrale als das peripherische Nervensystem als Sitz der Ursache hinweisen. Auch fand ja Demange in zwei ähnlichen Fällen, die zur Section kamen, Sclerosirungen der Med. oblongata, Atrophie einzelner Kerne sowie der aufsteigenden Wurzel des Trigeminus; daneben Sclerosirung der Goll’schen und Burdach’schen Stränge.

3) Der A0jähr. Cigarrenmacher M., 1871 syphilitisch inficirt, bekam im Winter 1879/80 ziemlich plötzlich eine starke, aber ohne Röthung und Schmerz verlaufende Anschwellung des linken Hüftgelenks, welche nach 8 Wochen beseitigt wurde, aber eine starke Verkürzung des Beins (7 cm) zurückliess neben abnorm freier Be- weglichkeit im Hüftgelenk.

Erst danach traten die ersten tabischen Symptome auf. Im October 1884 fand man: ausser anderen Sensibilitätsstörungen an den unteren Extremitäten herabgesetzte Schmerzempfindung am linken Unterschenkel. Knie- und Achillessehnenphänomen fehlen; geringe Ataxie; an den oberen Extremitäten normales Verhalten bis auf das

229 Fehlen der Sehnenreflexe. Myosis und reflectorische Pupillenstarre. Besserung

- nach Schmierkur.

H. weist darauf hin, dass die Ansichten über die tabischen Arthropathien noch sehr auseinandergehen; Arthritis (deformans), Syphilis und Tabes concurriren; auch kennen wir ja noch gar keine trophischen Centren der Gelenkapparate. Doch schliesst sich Verf. der Ansicht von Charcot an, dass die charakteristischen klinischen Symptome eine Annahme besonderer tabischer Arthropatbien rechtfertigen.

Hadlich.

8) A case in which perforating ulcer of the foot was the first symptom of locomotor ataxis, by Dr. Suckling. (The Brit. med. Journ. 1885. 4. April. p. 696.)

Der früher völlig gesunde Patient hat im 35. Lebensjahre eine Affection des linken Fusses überstanden, die als Gicht bezeichnet wurde Im 38. Jahre bildeten sich allmählich auf der Plantarfläche beider grosser Zehen, dem ersten Interphalangeal- gelenk entsprechend, Verdickungen der Epidermis und als Patient fortfuhr, trotz der zunehmenden Schmerzen, umherzulaufen, entstanden an deren Stelle tiefe sinuöse Geschwüre, die bis auf die übrigens nicht nekrotischen Knochen drangen. Im 40. Jahre kam Pat. in die Behandlung des Verf. Die Geschwüre und die umliegenden Hautpartien boten das genaue Bild des Ulcus perforans, aber es bestanden durchaus keine Symptome von Tabes. Erst nach einem Jahre sah Verf. den Pat. wieder und jetzt war zweifellose Ataxie mit Fehlen des Patellarreflexes, mit Starre und Enge beider Pupillen und mit dem Romberg’schen Symptom (Verschlimmerung aller In- coordinationserscheinungen bei geschlossenen Augen) vorhanden. Die Ulcerationen waren unverändert. Sommer.

10) Locomotor ataxy, without disease of the posterior columns of the spinal cord, by Dr. A. Hughes Bennet. (The Brit. med. Journ. 1885. 7. März. p. 487.)

Der 48jähr. Patient starb nach kurzem Krankenlager an einer accidentellen Hirnentzündung; seit etwa 1 Jahre hatte er die klassischen Symptome der Tabes dorsalis dargeboten. Die Autopsie ergab aber, dass mit Ausnahme eines Abschnittes der Medulla oblongata und einer kleinen Partie des einen Vorderhorns im Lumbar- mark, nicht die geringste pathologische Veränderung im Rückenmark selbst vorhanden war. Dagegen fanden sich alle hinteren Wurzeln der Brust- und Lendennerven in eine sarcomatöse Neubildung eingeschlossen. Die Annahme, dass dem Krankheitsbilde der Tabes stets eine Affection bestimmter Abschnitte der Hinterstränge zu Grunde liegen müsse, wird durch diesen auch mikroskopisch genau untersuchten Fall wesent- lich erschüttert. Verf. zieht zur weiteren Beurtheilung desselben noch die Dejerine- schen Beobachtungen heran, in denen bekanntlich als Ursache der sämmtlich vor- handen gewesenen Tabessymptome einzig eine parenchymatöse Entzündung der peri- pherischen Endigungen der Rückenmarksnerven nachgewiesen werden konnte. Es dürfte nach ihm und in Uebereinstimmung mit den experimentellen Untersuchungen von Claude Bernard und van Deen ziemlich gleichgültig sein, an welcher Stelle die betreffenden Faserbündel in ihrer Leitungsfäligkeit unterbrochen würden; ihre Zer- störung in den hinteren Wurzeln oder erst in den Endausbreitungen der Nerven würde die tabischen Erscheinungen zum grossen Theil eben so wohl hervorrufen können, wie der gewöhnliche Sitz der Unterbrechung in ihrem Verlauf durch die Hinterstränge. Sommer.

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11) Experimentelles zur Pathologie und Therapie der cerebralen Neu- rasthenie, von Dr. Anjel, Zuckmantel. (Arch. f. Psych. etc. 1884. XV. 3.)

Verfassers an einer grossen Zahl Gesunder und Kranker mit dem Mosso’schen Plethysmographen angestellte Versuche bestätigten die schon von Mosso gefundene Thatsache, dass jeder auf das Hirn wirkende Reiz, sei er vorübergehend oder dauernd, von einer Volumsänderung der Blutgefässe begleitet ist, die nicht allein Haut- und Muskelapparat, sondern auch die drüsigen Organe betrifft.

Bei Neurasthenikern fand nun Verf., dass bei irgend welcher geistigen Be- schäftigung, Gemüthsbewegung oder sensiblem Eindruck das sonst regelmässig zu beobachtende Abschwellen des Arms, resp. die Action der Vasoconstrictoren, aus- blieb. Bei näherem Eingehen auf die Versuchsbedingungen stellte sich heraus, dass die Ursache dieses Ausbleibens in einer schon vor dem Versuch bei den betr. Kranken eintretenden Erregung des Gehirns und davon abhängiger peripherer Gefässdisposition liege. Gelingt es bei diesen Personen eine gewisse Abstumpfung des Hirnreizes ab- zuwarten, so antworten dann die Armgefässe auf reine schwache Hirneindrücke prompt durch eine Zusammenziehung, die in ungleichen Intervallen sich wiederholend abklingt, so dass allmählich das normale Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Bei Gesunden tritt bei Beendigung der Gehirnarbeit das normale Gleichgewicht rasch ein.

Bei künstlich erhöhten Tonus der Gefässe (durch eine Mahlzeit, ein Glas Wein) tritt auch bei Neurasthenikern die auf Gehimreize erfolgende Volumsverminderung des Arms prompt ein. Umgekehrt kann bei Gesunden der neurasthenische Gefäss- zustand künstlich erzeugt werden durch Anwendung von Mitteln, die von grossem Einfluss auf die Gefässnerven sind, als Schmerzerregung, Tabakrauchen. Besonders aber wirken lange dauernde deprimirende Gemüthszustände, Angst und Sorge alterirenä auf die reflectorische Gefässerregbarkeit ein.

Deprimirende Affecte, sexuelle Excesse und Tabakmissbrauch stehen nach An- sicht des Verf. in Folge ihres schädigenden Einflusses auf die vasomotorische Inner- vation so sehr im Vordergrund der Aetiologie der cerebralen Neurasthenie, dass er die Diagnose der letzteren überhaupt nur aus den angeführten ätiologischen Momenten begründen zu können glaubt. Wo diese nicht vorhanden sind, schliesst Verf. auf andere als blos functionelle Innervationsstörungen. Solchen „Fällen“, die als Folge übermässiger körperlicher Anstrengungen, Erkältungen, mangelhafter Ernährung u. a. aufgefasst werden, liegen nach Verf. tiefere organische Veränderungen oder habituelle abnorme Ernährungsprocesse zu Grunde; für sie, meint er, passe besser der Name Spinalirritation. Die Prognose ist bei diesen Fällen meist zweifelhaft, bei Neuras- thenie meist günstig.

Die weiteren Ausführungen über die Abhängigkeit der Vasomotoren von de- . pressiven Zuständen, von sexuellen Excessen, sowie die ganz einleuchtenden thera- peutischen Winke sehe man im Original nach, Eisenlohr.

12) Case of hysterical hemianaesthesis, convulsions and motor paralysis, brought on by & fall, by G. L. Walton. (Boston medical and surgical Journal. 1884. 11. Dec.)

Verf. vertritt bekanntlich seit geraumer Zeit die Auffassung, dass Hysterie als eine functionelle Neurose des Hirns zu betrachten sei und sich häufig im unmittel- baren Anschluss an eine Kopferschütterung entwickele.. Er theilt nun einen neuen Fall dieser Art bei einem jetzt 29jährigen, allerdings vorher schon neuropathischem Mädchen mit, das sofort nach einem Sturz von einer Kellertreppe seit nun 6 Jahren die in der Ueberschrift kurz angedeuteten Symptome schwerer Hysterie darbietet. Auch in diesem Falle sind neben der verminderten Sensibilität der rechten Körper- hälfte ein Verlust des Geruchs und des Geschmacks, eine Abschwächung des Gehörs,

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besonders für höhere Töne, eine Einschränkung des Gesichtsfeldes und erschwerte Farbenunterscheidung bei sonst völlig normalen Organen der rechten Seite nachweis- bar, Symptome, welche Verf. für sehr wichtig hält bei der Entscheidung, ob der unter dem Namen „Railway-spine“ bekannte Zustand, den er ebenfalls als traumatische Hysterie betrachtet, simulirt sei oder nicht. Sommer.

Mit demselben Thema beschäftigt sich die folgende Arbeit:

13) The medico-legal signiflcance of hemianassthesia after concussion accidents, by J. J. Putnam. (American Journ. of Neurology and Psychiatry. 1884. p. 507.)

Verf. steht bekanntlich in Bezug auf den Begriff der sog. „Railway-spine‘“ auf demselben Standpunkt, wie Walton; er theilt in der citirten Arbeit 2 neue Fälle ausführlicher mit, in denen Eisenbahnunfälle neben den gewöhnlichen nervösen Folge- zuständen Hemianästhesie und motorische Paresen bei den Verunglückten zurück- liessen; im ersten Fall war noch eine ganz auffallende psychische Depression und Apathie bemerkenswerth. Ein dritter Fall ist nur kurz skizzirt.

Verf. ist übrigens der Ansicht, dass die traumatische Hysterie welchen letz- teren Namen er beiläufig aus der medicinischen Nomenclatur wegen des ihm viel- fach beiliegenden Verdachtes auf die Möglichkeit der Simulation gestrichen zu sehen wünscht eine wesentlich günstigere Prognose als die idiopathische Hysterie gewähre.

Sommer.

14) Sclörose primitive des cordons de Goll, par Camuset. (Progräs med. 1884. No. 49.)

Ein 48jähriger pensionirter Polizist, dessen hereditäre Disposition nicht fest- zustellen war, bot während des Lebens eine leichte psychische Schwäche und eine Paraparese der unteren Extremitäten dar. Alle Sinnesorgane, Sprache, obere Ex- tremitäten und Allgemeinbefinden ohne jede Störung. Keine Erscheinungen, die auf allgemeine Paralyse hindeuteten. Die Sensibilität der unteren Extremitäten war erhalten, Ataxie oder sonstige ausgesprochen tabische Symptome; lancinirende Schmerzen etc. liessen sich nicht constatiren. 10 Tage vor dem Tode trat eine heftige maniakalische Erregung auf.

Bei der Autopsie zeigte sich eine ganz leichte chronische Meningitis im Hirn, sonst erschien dasselbe ohne jede Abnormität.

Mikroskopisch findet sich eine deutliche Sclerose des innern Theils der Hinter- stränge und zwar sind im Cervicalmark die Goll’schen Stränge in ihrem ganzen transversalen Durchmesser ergriffen, jedoch reicht die Affection vorn nicht vollständig bis an die Commissur heran. Im Dorsalmark ist nur der hintere Theil der Goll’- schen Stränge erkrankt, doch greift auf einigen Schnitten die Affection, wenn auch in geringerem Maasse, auch auf die benachbarten Hinterstrangfasern bes. linkerseits über. Im Lumbartheil des Marks hat die Sclerose einen nicht mehr so bestimmten Charakter, es sind noch Theile der Hinterstränge erkrankt, aber die Sclerose beginnt sich hier schon auf die hinteren Wurzeln auszubreiten. Epikritisch bemerkt der Verf., ohne die sehr ungenau beobachteten und beschriebenen cerebralen Störungen zu berühren, dass der Fall deshalb wichtig erscheint, weil er bewiese, dass eine Er- krankung der Goll’schen Stränge allein weder Ataxie noch blitzende Schmerzen hervorzurufen im Stande sei; die Goll’schen Stränge bestünden aus Commissuren- fasern; erst wenn die „Wurzelbündel“ (les faisceaux radiculaires) an die Reihe go- kommen wären, hätten sich die genannten Störungen eingestellt. Laquer.

m

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Psychiatrie.

15) Un cas de cloisonnement transversal du vagin observö chez une im- b6cile, par le Dr. H. Gilson. (L’Encöphale. 1885. I.)

Verf. berichtet über einen Fall von ‘querem Verschluss der Vagina bei einer 18jähr. Imbecillen, die schon vom 3. Lebensjahre an Masturbation vermittelst Reiben der Schenkel aneinander getrieben hatte. Bei ihr musste die Untersuchung der Geni- talien deshalb vorgenommen werden, weil sie fortgesetzt die Beschuldigung gegen einen Angestellten vorbrachte, er habe sie genothzüchtigt. Von den angeführten Theorien über die Entstebung dieser nicht sehr häufigen, theils completen, theils incompleten Querverschlüsse der Vagina erscheint die von Gilson als die wahr- scheinlichste, wonach sie embryonale Entwickelungshemmungen darstellen.

Zander.

16) De la folie cons6cutive au chol6ra, par M. B. Ball. (L’Encöphale. 1885. L)

Während die Entwickelung von Geistesstörungen im Gefolge von Erkrankungen des Digestionsapparates in der Literatur gebührende Würdigung erfahren hat, sind Beobachtungen über Alienation nach Cholera nicht angeführt, wenigstens nicht seit 1868. Ball bringt 5 Fälle, welche unter directem Einflusse der Cholera (1884) entstanden sind. In den ersten 4 Fällen handelt es sich um transitorische Delirien von kurzer Dauer, in 3 Fällen mit Ausgang in Genesung, im 4. Falle starb Patient, der sich bei einem Selbstmordversuch mehrere Kopfwunden beigebracht, an einem Erysipelas capitis; im 5. Falle trat ebenfalls im Laufe eines Choleraanfalles ein acutes Delirium auf, welches aber dann in eine dauernde geistige Störung überging.

Zander.

17) Contributo allo studio della temperatura negli alienati, del Dr. Ruggero Tambroni. (Rivist. sperim. di Freniatria ecc. 1884. X. p. 241—264.)

Verf. stellt selbst die wichtigeren Ergebnisse seiner zahlreichen Temperatur- messungen bei 36 Irren (18 M. und 18 Fr.) mit typischen Krankheitsformen in folgenden Schlusssätzen zusammen:

1) Die durchschnittliche Temperatur (in der Achselhöhle gemessen) bei allen Irren ist ungefähr dieselbe, wie bei Gesunden.

2) Ordnet man die einzelnen Irreseinsformen in absteigender Reihe nach der durchschnittlichen Temperatur derselben, so erhält man die Folge: Manie, Paralyse, Paranoia, Epilepsie, Imbecillität, Idiotie, Melancholie, (Pellagra), Terminalblödsinn, Melancholia stupida. A

3) Der männliche Irre hat eine etwas höhere Eigentemperatur, als der weibliche.

4) Die Eigenwärme der Irren richtet sich ziemlich deutlich nach der Wärme der umgebenden Medien.

5) Vormittags pflegt die Temperatur der Irren höher (um etwa !/, Grad) zu sein, als Nachmittags.

6) Erregungszustände werden im Allgemeinen von einer Temperaturerhöhung, Depressionszustände von einer Erniedrigung begleitet.

7) Auf den epileptischen Anfall folgt gewöhnlich eine Temperaturabnahme von etwa !/, Stunde Dauer und dann eine Steigerung von etwa 3 Stunden Dauer.

8) Paralytische Anfälle haben immer eine allerdings verschieden starke Temperatur- steigerung zur Folge. Sommer.

18) Lyp6ömanie avec albuminurie, par Mabille. (Annal. med. psychol. 1885. Mars. Archives cliniques. p. 236.)

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Eine 32jähr., an Verfolgungswahnsinn leidende und äusserst anämische Dame zeigte im Verlauf der durch plötzliche Ausbrüche und triebartige Handlungen charak- terisirten Psychose eine auflällige Wechselbeziehung zwischen Albumingehalt des Urins und den Exacerbationen der geistigen Störung. Auch die schliesslich ein- tretende Besserung ging dem Verschwinden des Eiweissgehalts parallel. Da niemals Formbestandtheile, welche auf Nephritis zu schliessen berechtigt hätten, bemerkt wurden, wohl aber Blutkörperchen, so vermutbet Mabille das Vorhandensein einer Bluterkrankung. (Nicht eher recidivirende Congestion durch nervöse Alterationen? Ref.)

Jehn.

Therapie.

19) Heilung einer Psychose unter dem Einfluss eines Erysipels des

Kopfes, von Dr. H. Landerer. (Allg. Zeitschr. f. Psych. Bd. 41. 8. 554.)

Fall eines Gesichts- und Kopf-Erysipels, mit Abscedirung unter die Kopfhaut

und profuser Eiterung, in deren Verlauf (Fieber nicht bis 40°) Genesung von einer immerhin noch als primär zu bezeichnenden Psychose erfolgte. Siemens.

20) Tubercular meningitis trested with free phosphorus, by W. E. Green. (The Practitioner. 1884. Dec. p. 438.)

Eine seit längerer Zeit an Kehlkopf- und Lungentuberculose leidende Dame er- krankte intercurrent unter den Erscheinungen einer Meningitis mit hohem Fieber, tiefer Benommenheit, leisen Delirien, ungleichen Pupillen, Schlucklähmung etc. Unter Darreichung von Phosphor in Oel gelöst, alle 4 Stunden !/,, Gran = 0,0037, schwanden alle Symptome von Seiten des Centralnervensystems; Patientin erlag erst 2 Monate später der fortschreitenden Phthise. Verf. denkt sich die Heilwirkung des Phosphors in der Weise, dass unter seinem Einfluss das in die Pia abgesetzte Exsudat einer acuten Verfettung unterliegt und dann leicht resorbirt werden kann.

Sommer.

21) The Value of elecotricity in the treatment of insanity, by J. H. Newth. (Journ. of ment. sc. 1884. Oct.)

Allgemein gehaltener Aufsatz, der nichts Neues bringt. Zum Erweise für die Bedenklichkeit der vom Verf. aufgestellten Thesen sei nur angeführt, dass er für die Anwendung der Elektricität in der Therapie einige wenige Regeln für ausreichend zur Erzielung eines beträchtlichen Erfolges hält. A. Pick.

22) Behandlung der Psychosen mit Elektricität, von Geh. Med. Rath Tigges. (Allg. Zeitsch. f. Psych. Bd. 41. p. 477.) Weitere Folge der fleissigen und mühevollen Arbeiten des Verf., welche sich wegen der vielen Einzelheiten zum Referate nicht eignen. Siemens.

23) Ueber subcutane Eisenanwendung in Psychosen, von Nasse, Bonn. (Allg. Zeitschr. f. Psych. Bd. 41. 8. 526.)

Bei den Versuchen, ein Eisenpräparat zu finden, dessen subcutane Anwendung man bei anämischen Geisteskranken ohne unangenehme Nebenerscheinungen machen kann, erwies sich dem Verf. das auf sein Ersuchen von H. Finzelberg, früher Besitzer der chemischen Fabrik in Andernach, dargestellte, aus dialysirtem basischen Eisenoxyd und Fleischpepton gewonnene Ferrum oxydat. solub. pro injectione Finzelb. als das Beste. Dasselbe kann monatelang angewendet werden und war von günstigem Einflusse auf das Befinden der Kranken. Siemens.

24) L’isolement dans le traitement de i’hysteörie, legon de Charcot, recueillie par Gilles de la Tourette. (Progr. med. 1885. No.9.)

Im Anschluss an eine Besprechung der Behandlungsmethoden, die Charcot jenen 3 Kindern, welche auf Grund einer spiritistisch-hysterischen Hausepidemie er- krankt und in die Salp6striöre gebracht worden waren (cf. dieses Centralbl. 1885. Nr. 9. S. 205) angedeihen liess, geht Ch. des Näheren auf die Nothwendigkeit der Entfernung der Hysterischen, sowohl der Kinder als der Erwachsenen, von ihrer gewohnten Umgebung ein. Er plaidirt für eine völlige Isolation der Kranken, wie solche allerdings meist nur in Anstalten möglich sei. Es sei dies eine nothwendige Vorbedingung für alle etwa mit den Patienten vorzunehmenden Kuren; man müsse auf eine solche Isolirung in jedem Falle bestehen, auch wenn, wie dies so häufig, die zärtlichen Angehörigen derselben widerstrebten. Ch. erwähnt einen Fall von hysterischer Anorexie bei einem 14jähr. Mädchen aus Angonulöme, welches 6 Monate jede Nahrung verweigerte, ohne dass irgend eine Deglutitionsstörung oder irgend ein Magenleiden zu constatiren war. Möglicher Weise ass sie, wie es diese Kranken nicht selten zu thun pflegen, heimlich; aber das, was sie zu sich nahm, war jeden- falls völlig ungenügend. Der Zustand glich schliesslich dem der höchsten Inanition. So wurde sie nach Paris in ein hydrotherapeutisches Institut gebracht, und obwohl Charcot den Eltern gerathen, die Tochter in jedem Falle zu verlassen, geschah dies erst, als der Zustand, der sich auch in jener Anstalt bei Anwesenheit der Eltern inmer noch mehr verschlimmerte, einen geradezu lebensgefährlichen Charakter anzu- nehmen schien. Die Kranke genas auch endlich, als sie auf Ch.’s energisches Einschreiten vollständig allein und nur der Pflege einer geeigneten Wärterin anver- traut blieb.

Ch. schliesst seine Vorlesung mit der Vorstellung der oben genannten kleinen Patienten, bei denen innerhalb 6 Wochen Dank vor Allem ihrer consequent durch- geführten Entfernung vom elterlichen Hause, ihrer gegenseitigen Trennung, sowie der Anwendung der statischen Elektricität und einzelner, ihrem Allgemeinbefinden dienender medicamentöser Mittel, eine beträchtliche Besserung, bei den beiden jüngeren, weniger von der Hysterie ergriffenen Knaben eine fast völlige Heilung erzielt worden ist. Ch. verfehlt übrigens nicht, die Priorität für die moderne Behandlung der Hysterie und Neurasthenie nach Weir Mitchell und Playfair (Isolation und Mast- kur), da er dieselbe schon seit 15 Jahren anwende und lehre für die Fran- zosen in Anspruch zu nehmen. Laquer.

25) The cure of writers cramp, by A. de Watteville. (Brit. med. Journal. 1885. 14. Febr. p. 323.)

Verf. bespricht 2 Fälle, in denen ein hartnäckiger Schreibekrampf durch Mas- sage sowie durch active und passive Gymnastik der Hand- und Fingermusculatur nach der Methode des Empirikers J. Wolff geheilt worden sind. Er schliesst sich daher völlig den Empfehlungen an, welche dem Erfinder dieser eigenartigen Behand- lung von Autoritäten, wie Billroth, Esmarch, Charcot u. A. ausgestellt worden sind.

Sommer.

26) Tetanus traumaticus. Heilung durch blutige Dehnung der beiden Nervi ischiadici. Mittheilung aus dem Garnisonlazareth Bamberg von Assistenzarzt Dr. Reichert. (Aerztl. Intelligenz-Bl. München. 1885. Nr. 5.)

Der Ulan J. H., 21 Jahre alt, gleich seiner Schwester leicht zu Ohnmachten geneigt, wurde am 1. August 1884 von seinem Pferde unbedeutend in den Rücken gebissen, fühlte sich in den nächsten Tagen unwohl mit ziehenden Kopf- und Rücken-

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schmerzen, that aber unausgesetzt Dienst. Am 11. August Abends bricht er ganz plötzlich unter Zuckungen der linken Körperhälfte bewusstlos zusammen; dabei erweiterte reactionslose Pupillen, Zähne fest auf einander geschlossen; bis Mitternacht ab und zu tonische und klonische Krämpfe in den Beugemuskeln der unteren Extremitäten, auch Opisthotonus. Um Mitternacht zu sich gekommen giebt Pat. correcte Auskunft, schläft dann ruhig bis zum Morgen. Am 12. August Sensorium frei, Pupillen etwas verengt, die Zahnreihen „fest auf einander gepresst, der Mund kann kaum zur Hälfte (?) geöffnet werden.“ Pat. ist ausser Stande, zu gehen oder zu stehen. Abends ein heftiger mit allgemein klonischen Krämpfen und mit Ver- lust des Bewusstseins verbundener Anfall. Am 14. ein ähnlicher sehr heftiger Anfall mit Opisthotonus und besonders starken tonischen Krämpfen der Beugemuskeln beider unteren Extremitäten. Diese Anfälle, die anfangs nicht immer, später regel- mässig von Verlust des Bewusstseins begleitet waren, zeigten sich immer häufiger (obwohl kürzer dauernd) bis zum 22. August. Die Nahrungsaufnahme war durch den Trismus sehr beschränkt, die Kräfte verfielen, alle angewendeten Mittel blieben. erfolglos.

Am 22. August wurden darum (vom Stabsarzt Dr. Röhring) beide Ischiadici unter der Glutäalfalte 10 Minuten lang centripetal und centrifugal gedehnt: sofort waren Trismus, Krampfanfälle, Asphyxie, kurz alle Krankheitserschei- nungen verschwunden und blieben es. Trotz der Verzögerung der Heilung durch ein schweres Erysipel konnten von Anfang October an Gehversuche gemacht werden; Ende November geht Pat. in seinem gewöhnlichen Schritt, doch kann er noch nicht den Laufschritt ausführen. Der Verf. hebt selbst die auffälligen Abweichungen seines von dem gewöhnlichen Bilde eines Tetanus hervor. (Sollte dieses Unicum nicht als eine Combination von Tetanus mit epileptischen Anfällen aufzufassen sein? Ref.)

Hadlich.

III. Aus den Gesellschaften.

Sociste de Chirurgie & Paris. Sitzung vom 24. December 1884.

Poulet berichtet über eine erfolgreiche Nervendehnung. Ein Soldat hatte einen Schuss durch die Ellbogenbeuge erhalten, durch welchen die Art. brachialis, Nerv. medianus und ulnaris getroffen waren, sodass die Unterbindung der Art. brach. in der Mitte des Oberarms nothwendig wurde. Sofort nach der Verwundung zeigte der Vorderarm Zittern, das auch trotz aller angewendeten Mittel bestehen blieb. Nach 9 Monaten bot der Kranke folgendes Bild: der Vorderarm und die Hand, fest gegen die Brust gedrückt, zeigen beständig leichte zitternde Bewegungen. Bei passiver oder activer Veränderung der Lage des Arms treten heftige Zuckungen in den Beugern auf, durch welche die Faust geräuschvoll gegen die Brust geschlagen wird. Willkürliche Bewegungen des Vorderarms und der Hand sind nicht möglich; die elektrische Erregbarkeit ist z. Th. herabgesetzt, an den Muskeln der Hand fast erloschen. Es besteht ausserdem Atrophie der Muskeln neben gewissen trophischen Störungen in der Haut.

Es wurde nun von P. die Dehnung der Nerven in der Achselhöhle vorgenommen und zwar mit Kraft von 6 Kilo am N. radialis und ulnaris, von 4,5 Kilo am N. medianus.

Sofort nach der Operation waren die Zuckungen (das Zittern) verschwunden. Nach einigen Tagen fing der Kranke an, wieder schwache willkürliche Bewegungen mit den betreffenden Muskeln machen zu können, die allerdings noch von ziemlich starken Oscillationen begleitet sind.

In der Discusion hebt Berger hervor, dass der Erfolg meistens nur vorüber- gehend ist, und dass die Gefahren der Operation nicht gering sind; er sah einen

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Patienten 48 Stunden nach Dehnung des Ischiadicus an eitriger Meningitis spinalis zu Grunde gehen.

Le Dentu hat bei Tic douloureux im ganzen Gebiete des Trigeminus guten Erfolg von der Dehnung eines einzelnen Astes gesehen, aber immer traten nach einigen Monaten Recidive auf; in einem Falle fehlte jeder Erfolg.

Pozzi bemerkt, dass er nach Besectionen erst nach einem Jahre RBecidive gesehen habe. Andere hatten Heilungen von 3 und 8 Jahren. Hadlich.

Soci6t& de Biologie & Paris. Sitzung vom 1. März 1885.

Brown-Söquard: Zur Frage der trophischen Nerven. B.-S. hat früher behauptet, dass niemals eine Durchschneidung eines Nerven (resp. Aufhebung der Thätigkeit eines Nerven in Folge einer Krankheit des Nervensystems) an sich eine trophische Störung zur Folge hätte. Das will er jetzt nicht mehr vertreten; aber er bleibt dabei, dass äussere Schädlichkeit, Traumen, die den betreffenden Theil treffen, eine bestimmende Rolle bei den trophischen Störungen spielen. Wenn man z. B. einem Meerschweinchen den Ischiadicus durchschnitten hat, so folgt danach die bekannte schwere Erkrankung der Pfote: Diese kommt aber nur dadurch zu Stande, dass das epileptisch gewordene Thier in den Anfällen sich in die Pfote beisst. Macht man in solchem Falle noch eine halbseitige Durchschneidung der Medulla im Dorsaltheile, so kann das Thier die Pfote in den Anfällen nicht mehr zum Munde führen und sie bleibt frei von der schweren Ernährungsstörung.

Sitzung vom 18. April 1885.

d’Arsonval fand, dass er oft bei der Prüfung der elektrischen Erregbar- keit von Nerven und Muskeln abweichende Resultate erhielt, und zwar deshalb, weil durch einen in gleichbleibender Richtung laufenden Strom der Nerv polarisirt wird und seine Erregbarkeit dadurch zuletzt erlischt. Liess d’Arsonval den Strom erst eine Inductionsrolle passiren, so wurde er dadurch so transformirt, dass er nur noch mechanisch wirkte, und die Erregbarkeit des Nerven zeigte sich fortan als eine gleichbleibende.

Sitzung vom 25. April 1885.

F6r& über „rapports entre l’exceitation intellectuelle et la force dynamo- mötrique“. F. fand bei sich selbst beim Erwachen 55 k Kraft in der rechten, 45 k in der linken Hand. Nach einer mässigen geistigen Arbeit dagegen 70, resp. 65 k; nach einer lebhaften Erregung 70—80 k. Dagegen sank nach angestrengter geistiger Thätigkeit die dynamometrische Kraft auf 40 k, und zwar für beide Hände; nach einigen passiven Bewegungen stieg sie hierauf wieder auf 60 k. Angestrengte und fortgesetzte Muskelanstrengung verringerte die dynamometrische Kraft nicht merklich; ja nach einer solchen Anstrengung der rechten Hand zeigte sich die Kraft der linken etwas erhöhter, als sie vor derselben war.

Hierbei erinnert F. daran, dass man bei Hypnotischen durch Ermüdung einer Extremität die motorische Aphasie beseitigen könne. Da es nun ferner bekannt sei, dass Gesticulationen das Reden erleichtern, so könne man vielleicht die Thatsache, dass wir mit der linken Hirnhemisphäre sprechen, daraus erklären, dass wir von Jugend auf gewohnt sind, mit dem rechten Arm zu gesticuliren. Hadlich.

Acad6mie des Sciences ä Paris. Sitzung vom 23. März 1885.

Vulpian: Becherches experimentales sur l’excitabilit6 du cerveau. Zur Beurtheilung der Rolle, welche bei der elektrischen Reizung des Grosshirns die graue Rinde, welche die darunter liegende Marksubstanz spielt, trug V. die Rinde ab und reizte die dazu gehörige weisse Substanz: der Erfolg war derselbe, als wenn

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die Rinde unversehrt war. Ferner erhielt V., was andere Forscher bestritten haben, nach Abtragung der Rinde und Reizung ihres Marklagers ebenso epileptische Anfälle, als wenn die Rinde intaot war. Die Rinde besitzt also nach V. keinerlei besondere Erregbarkeit. (Die Methoden, die V. bei den Experimenten anwendete, sowie die Stärke der elektrischen Ströme sind in dem Bericht nicht angegeben.)

In der Sitzung vom 20. April cr. entwickelte Valpian, sodann weiter, dass die Lehre, die Hirnrinde bestehe aus einzelnen psychisch - motorischen Centren, jedes mit besonderen Eigenschaften begabt, mehr auf scheinbaren, als stichhaltigen Gründen beruhe. Dass die Wirkung einer Reizung verschiedener Stellen der Rinde eine verschiedene ist, ist nach Vulpian nur darauf zurückzuführen, dass die Nerven- bahnen von der gereizten Stelle bis zu den peripherischen Enden der Nerven der unteren Extremitäten eine grössere Länge haben, als die bis zum Ende der Nerven der oberen Extremitäten resp. als die der Gesichtsmuskein u. s. w. Es müsse deshalb die Stärke des Stromes der Länge der Nervenbahn proportional sein.

Das bei der Hervorrufung eines künstlichen epileptischen Anfalls durch elektrische Reizung des Grosshirns die graue Rinde nicht in Betracht kommt, beweist V. dadurch, dass er die Rinde an der Reizstelle abtrug. Da man ihm aber eingewendet habe, es könne vielleicht die entsprechende Rindenstelle der anderen Hemisphäre vicariirend für die exstirpirte eintreten, so entfernte V. beiderseits die symmetrischen Stellen der Rinde und reizte nun die weisse Muskelsubstanz: es erfolgte ebenso ein epileptischer Anfall, als wäre die graue Rinde gereizt worden. Die Rinde ist also nicht unentbehrlich zur Erzeugung der Epilepsie.

Sitzung vom 30. März 1885.

Vulpian: Des phönomönes, qui se produisent an niveau des muscles de la vie organique pendant l’attaque d’öpilepsie.

V. wies zunächst darauf hin, dass bei Hunden, die durch elektrische Reizung des Grosshirns epileptisch gemacht werden, im Anfalle die Contraction des Herzens verlangsamt und zugleich verstärkt werde; ebenso werden die Respirationsbewegungen langsamer und heftiger. In Betreff der Drüsensecretionen constatirte V. im Anfall eine starke Salivation, und zwar kam die Hauptmenge des Speichels aus dem Wharton’- schen Gange; ferner eine sehr reichliche Gallenabsonderung; die Menge des Pankreas- Saftes bleibt unverändert, die Thätigkeit der Nieren schien gänzlich auszusetzen. Dieselben Verhältnisse zeigten sich auch, wenn die Hunde vor der Hervorrufung des epileptischen Anfalls curaresirt waren. Dabei waren ferner die Pupillen dilatirt, der Herzschlag verlangsamt, der Blutdruck in der Carotis erhöht. Dass dieser Erhöhung des Blutdrucks eine Contraction der Gefässe zu Grunde lag, wmanifestirte sich auch in der Blässe der Nieren und in der Kleinbeit der Milz. Die willkürlichen Mus- keln blieben erschlafft. Bei curaresirten Thieren läuft also der epileptische Anfall im Gebiete der glatten Muskeln ab.

Sitzung vom 27. April 1885.

Bei weiteren Versuchen über Elektrisirung des Grosshirns betäubte Vulpian die Hunde mit Chloral und fand, dass nur die Elektrisirung der Grosshirnrinde einen epileptischen Anfall auslöste, ganz wie nach der Curaresirung, d. h. die willkürlichen Muskeln reagirten nicht, aber die BRespirations- und Herzbewegungen gingen fort. Ein Unterschied trat jedoch in sofern hervor, als die Secretiongn nicht ebenso, wie nach der Curaresirung, modificirt wurden, sondern die Salivation sich verminderte. Ferner trat beim Anfall eine geringe Erniedrigung der Temperatur um 0,10 ein, während bei nicht anästhesirten oder morphinisirten Hunden eine entsprechende Erhöhung der Temperatur zu beobachten ist. Nach Curaresirung kommt es beim epileptischen Anfall gleichfalls zu einer geringen Temperaturherabsetzung, hier aber,

wie V. meint, durch Gefässoonstriction, dort dagegen durch Verlangsamung und Schwäche der Herzthätigkeit.

Endlich hat V. constatirt, dass er nach y, bis ®/, Minuten nach Aufhören des Herzschlages durch Elektrisirung des Grosshirns Zuckungen hervorrufen konnte, aber nur im Gesicht und zwar etwas stärker auf der Seite der Reizung: ein Beweis, dass es sich hier nicht um Wirkung vom Gehirn aus, sondern um fortgeleitete Elektricität (diffusion par voisinage du courant) handelte. Mit dem Aufhören der Circulation hört also sofort die Gehirnerregbarkeit auf.

Marey fragt, ob im Bectum oder an der Oberhaut die Temperatur gemessen sei? Er könne Vulpian’s Auffassung, dass die Temperaturerniedrigung im Anfalle bei vorher chloralisirten Hunden von der Gefässconstriction herrühre, nicht acceptären, da man bei einer solchen Constriction in anderen Krankheitszuständen vielmehr eine Erhöhung der Temperatur im Rectum constatirt habe.

Vulpian erwidert, dass er sich das Sinken der Scala nur als eine kurz dauernde Localwirkung denke, welche durch die Verengerung der Gefässe der Schleimhaut: des Rectum eintrete; es sei nämlich die Temperatur des Rectum gemessen worden.

Hadlich.

Soci6t6 de mödecine de Paris. Sitzung vom 11. April 1885.

Charpentier: De quelques troubles morbides pouvant indiquer 1’6pi- lepsie. 1) Eine Epileptische, die Nachts Anfälle hatte, von denen sie nichts wusste, hatte am Morgen nach einem nächtlichen Anfalle Taubheit auf dem rechten Ohre, Anästhesie der Ohrmuschel und der Gegend des Processus mastoideus; Alles verlor sich nach einigen Tagen. Da die Kranke keine Auskunft geben konnte, so war an den geschilderten Symptomen zu erkennen, wann ein Anfall gewesen war. 2) Ein Kind hat eines Morgens eine subconjunctivale Ecchymose; nach einem Jahre wieder; bald danach wurde ein epileptischer Anfall bemerkt. 3) Bei manchen Kranken geht dem Anfall eine Art „Zittern“ in der Brust voraus mit Oppression; anfangs kam danach ein Zustand von Verwirrtheit, später richtige epileptäsche Anfälle.

Antonin Martin hat gefunden, dass, wenn man einen Epileptiker hypnotisirt, sehr leicht dadurch ein Anfall hervorgerufen wird. Es sei dies vielleicht ein Mittel, um Simulanten zu erkennen.

Charpentier bestätigt dies.

Dubuc beobachtete einen Kranken, der an einer Zahn-Neuralgie litt, mit häu- figen Anfällen von Bewusstseinsverlust; kein Mittel wollte helfen; da gab ihm Dubuc 5 Monate lang Bromkalium und das Leiden heilte. D. glaubt deshalb, es mit einem Epileptiker zu thun gehabt zu haben.

Christian hebt hervor, dass die von Charpentier angegebenen Zeichen doch nur dann Werth hätten, wenn man eben danach oder vorher einen epileptischen Anfall beobachte; denn es seien theils auraartige, theils postepileptische Erscheinungen.

Hadlich.

Französischer Chirurgen-Congress 18885.

Ueber Trepanation. J. Boeckel empfahl sie in allen Fällen, wo eine Schädelfractur mit Depression besteht. Unter antiseptischen Cautelen hat B. bei allen 8 von ihm Operirten glückliche Erfolge erzielt.

Molliöre, Lyan, hat wiederholt die Lehren der Physiologen über Hirnrinden- localisstion nicht in Uebereinstimmung mit den Beobachtungen in der Praxis gefunden. So bestand z. B. bei einem Kranken mit traumatischer Aphasie keine Verletzung der unteren Stirnwindung. —. Da ferner ein 26jähr. Mann einen beträchtlichen Verlust von Gehirnsubstanz in der Schläfengegend ganz gut vertrug, so schliesst M. hieraus, dass der Chirurg nicht so ängstlich bei Operationen am Gehim zu sein brauche.

Diese Kühnheit hat sich ihm denn auch belohnt, denn er heilte durch die Trepana- tion (wo?) drei Kranke, von denen der eine an „folie traumatigue“, ein anderer an „folie mölancholique“, der dritte an „epilepsie traumatique“ litt (1).

Demons hält dagegen gerade die aus den Erfahrungen über die Gehirnlocali- sation zu stellende Diagnose einer Gehirnläsion für wichtiger, als die äussere Ver- letzung selbst.

Dr. Cauvy, B£ziers, vertritt die Sätze: 1) Die Trepanation ist ungefährlich und sehr häufig äusserst nützlich. 2) Sie sollte in allen Fällen von Schädelverletzung mit Knochendepression präventiv gemacht werden, auch wenn keine Gehirmmstörungen bestehen. 3) Sie muss immer gemacht werden bei Kopfverletzungen mit Gehirn- erscheinungen, mögen diese nun sofort, oder secundär, oder erst nach langer Zeit auftreten.

Pozzi hält für den praktischen Chirurgen die Beschaffenheit der Wunde für die wichtigste Directive bei der Frage nach der Trepanation. Die functionellen Er- scheinungen, beurtheilt nach der Lehre von den Gehirnlocalisationen, sind am Kranken- beite schwer zu verwenden, weil hier, besonders bei frischen Verletzungen, die Dinge meist zu complieirt sind. Denn es kommt zu den Symptomen der localen Verletzung die Commotion und Contusion des Gehirns hinzu. Circumscripte Convulsionen und Lähmungen kommen dabei sehr selten vor, oder sie haben wenigstens nichts Pathog- nomeonisches. Hadlich.

IV. Bibliographie.

Lehrbuch der speciellen Pathologie und Therapie der inneren Krank- heiten. Von Prof. A. Strüämpell, Leipzig. II. Band. IL Theil. Krank- heiten des Nervensystems. Zweite vermehrte und verbesserte Auge (Leipzig 1885. Vogel.)

Das günstige Prognostikon, welches man dem vortrefflichen Strümpell’schen DLehrbuch, speciell dem die Nervenkrankheiten behandelnden Theil, beim Erscheinen stellen konnte, dass sich dasselbe rasch Eingang in die Kreise der Aerzte und Stu- - denten verschaffen würde, hat sich bewahrheitet.

Von den Krankheiten des Nervensystems ist bereits, kaum ein Jahr nach dem Erscheinen der ersten, eine zweite Auflage nöthig geworden.

Ist die Darstellung auch im Ganzen dieselbe geblieben, so ergiebt doch eine genaue Durchsicht des Bandes die sorgfältige und glückliche Art, in welcher der Verf. das im ersten Wurf so gut gelungene Werk zu vervollkommnen bemüht war.

Eine geringe Umfangsezunahme von kaum 30 Seiten wird hauptsächlich bedingt durch die Aufnahme einzelner seltener, aber doch beinerkenswerther, oder ganz neuer- dings erst bekannt gewordener Krankheitsformen. Als solche neu hinzugekommene Abschnitte sind zu nennen die Besprechung zweier seltener Krampfformen: des Hypo- glossuskrampfes und des sog. saltatorischen Reflexkrampfes; im Capitel der Neuritis die von Lancereaux und Moeli zuerst besehriebeme ehronische Neuritis der Alkoholiker. Der Pseudohypertrophie der Muskeln ist die Erb’sche juvenile Form der Muskelatrophie als zweite primär myopathische Form der Muskelatrophie in kurser Darstellung zugesellt. Bei den Krankheiten der Medulla oblongata sind anhangsweise die selteneren Formen der ehronischen progressiven Bulbärparalyse und der Ophthalmoplegia progressiva besprochen.

Unter den erweiternden und corrigirenden Zusätzen zum Text der 1. Auflage seien besonders die zur „Tabes‘“ gemachten erwähnt. Strümpell spricht sich in dieser Auflage noch entschiedener als in der ersten zu Gunsten der Bedeutung der Syphilis in der Astiologie der Tabes aus. Als Procentverhältniss seiner Kranken giebt er 60°/, mit sicherer secundärer Syphilis, 90 °/, inclusive der Ulcera

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ohne Secundärerscheinungen an, Zahlen, die mit denjenigen der entschiedensten Verfechter der „syphilitischen Tabes“ ziemlich genau übereinstimmen. Die Angabe, dass der Patellar-Reflex constant in den ersten Stadien der Tabes fehle, schränkt Str. mit Recht in der vorliegenden Auflage ein.

Die täbetische Arthropathie betrachtet Str. (in Uebereinstimmung mit den Ansichten vieler englischer Autoren) als nicht direct von der Tabes abhängende, sondern nur durch die Anästhesie der Gelenke begünstigte, mehr zufällige (trau- matische z. B.) Complication.

Bei der Migräne hat Str. die früher adoptirte Hypothese von der primären Natur der vasomotorischen Erscheinungen (auf die Einwürfe von Möbius hin) viel weniger betont. |

Im Capitel Commotio spinalis haben die Bemerkungen über die sog. Railway- spine eine Erweiterung erfahren, indem die häufige Abhängigkeit der Symptome von dem psychischen Eindruck, also die öfter neurasthenische oder hysterische Natur derselben hervorgehoben wird.

Wir wünschen auch dieser Auflage des Strimpell’schen Lehrbuches die ver- diente Würdigung und Verbreitung. Eisenlohr.

B ographisches Lexicon der hervorragenden Aerste aller Zeiten und Völker, herausgegeben von Prof. August Hirsch in Berlin. (Wien u. Leipzig 1884. Urban & Schwarzenberg.)

Bisher sind 16 Lieferungen (bis Fournier) des Werkes erschienen, das gewiss von Allen, die sich für die Geschichte der Medicin wie für den Lebensgang, die Entwickelung und speciellen Leistungen der hervorragenden Träger dieser Wissen- schaft interessiren, mit Freude begrüsst werden wird. Für den Neuropathologen und Psychiater bringen die bisher erschienenen Lieferungen Artikel über Abercrombie, Arndt, Benedict, Berger, Blumroeder, Brierre de Boismont, Broca, Brown-Söquard, Charcot, Conolly, Duchenne, Erb, Esquirol, Eulenburg, Falret, Ferrier, Forel, Fothergill u. A.

Wir wünschen dem Werke einen günstigen Fortgang und zweifeln nicht daran, dass der Kreis der sich dafür interessirenden Aerzte ein sehr grosser sein wird.

_M.

V. Personalien.

Der Magistrat von Berlin hat dem Gesuche des Directors der städtischen Irren- anstalt, Sanitätsrath Dr. Ideler, der wegen andauernder Kränklichkeit um Pen- sionirung eingekommen, entsprochen und soll dieselbe am 1. October a. c. stattfinden.

Brandenburgsche Provinzial-Irrenanstalt Eberswalde bei Berlin. Zur Vertretung des 3. Arztes auf °/, bis 1 Jahr ein mit der Psychiatrie und dem ärztlichen Irren- anstaltsdienst vertrauter Arzt auf sofort gesucht. Gehalt monatlich 200 Mark bei freier Station. Möglichkeit einer späteren definitiven Anstellung vorhanden. Mel- dungen an Geheimen Sanitätsrath Dr. Zinn, Eberswalde.

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Veır & Coxr. in Leipzig. Druck von Merzeer & Wırre in Leipzig.

NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Vierter cn Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

1885. 1. Juni. N»: 11,

Inhalt. Originalmittheilungen. 1. Herr Prof. Adamkiewicz und die Tabes dorsalis, von Prof. Dr. Schultze in Heidelberg. 2. Bei zur pathologischen Anatomie der Tabes dorsalis und zum Faserverlauf im menschlichen Rückenmark, vorläufige Mittheilung von H. Lissauer. 3. Vorläufige Mittheilung über einige durch die „Atrophie-Methode“ erzielte Besultate, hauptsächlich die Commissura posterior betreffend, von E. C. Spitzka in New-York. 4. Zur Anatomie des Corpus quadrigeminum, von Dr. L. Darkschewitsch aus Moskan.

N. Referate. Anatomie. 1. Ueber ein besonderes noch nicht beschriebenes Bündel, welches in der oberen Etage des Hirnstammes verläuft; und 2. über zwei zam Bestand des inneren Abschnittes des Corpus restiforme gehörende Bündel, und über die Endigung der zum Kleinhirn aufsteigenden Trigeminuswurzel, von W. Bechterew. Experimentelle Physiologie. 8. Zur Physiologie der Bogengänge, von B. Baginsky. Pathologische Anatomie. 4. Hemicephalie und Aplasie der Nebennieren, von Weigert. Pathologie des Nervensystems. 5. Ueber das Vorkommen und die Bedeutung der sensorischen Anästhesie bei Erkrankungen des centralen Nervensystems, von Thomsen und Oppenheim. 6. Ueber concentrische Gesichtsfeldeinschränkung bei functionellen Störungen der Grosshirn- rinde und über Inoongruenz hemianopischer Gesichtsfelddefecte, von Wilbrand. 7. A propos de six cas d’hysterie chez l’homme, legons de Charcot, recueillies par Quinen.

ill. Aus den Geseilschaften. "

IV. Bibliographie.

V. Personalien.

I. Originalmittheilungen.

1. Herr Prof. Anamkıswicz und die Tabes dorsalis. Von Prof. Dr. Schultze in Heidelberg.

Herr Prof. Anamkızwıoz untersucht von Zeit zu Zeit einen Fall von Tabes dorsalis. Ueber den ersten Fali hat er im Jahre 1880 im 10. Bande des WestpuAu’schen Archivs, über einen zweiten vor Kurzem in dem XC. Bande der k. Akademie der Wissenschaften in Wien berichtet.

Glücklicher als andere Autoren hat er in jedem dieser beiden Fälle einen neuen anatomischen Typus der Erkrankung entdeckt. Er hat uns in seiner

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ersten Mittheilung die „ersten exacten Beweise“ des Vorkommens einer inter- stitiellen Tabes geliefert und in der letzten eine besondere Form der paren- chymatösen Tabesarten, nämlich „eine mit Schwund der Gorr’schen Stränge combinirte fleckweise Degeneration der hinteren chromoleptischen Partie“ ge- funden und ausgeschieden. Wir haben somit schon zwei Typen; und es ist nicht daran zu zweifeln, dass wir Dank seinen Bemühungen bald neue dazu bekommen werden, falls ein glückliches Geschick ihm neues anatomisches Ma- terial in die Hände spielt.

Man könnte nun erwarten, dass bei derartigen grundlegenden Beobach- tungen auch die Krankengeschichten entsprechend eingehend mitgetheilt sind, da sich die verschiedene anatomische Entstehungsweise der einzelnen Typen möglicherweise auch an dem bisher recht einheitlichen Krankheitsbild der Tabes ausprägen könnte, und da jedenfalls eine möglichst sichere Fundirung der Diagnose auf Tabes wünschenswerth erscheint. Dem ist indessen nicht so.

In dem zweiten Falle wird weder über das Verhalten der Pupille, noch der Patellarreflexe, noch über das Schmerzgefühl oder über lancinirende Schmerzen etwas angegeben; die mitgetheilten Symptome könnten auch bei einer chronischen Myelitis des Halstheiles eventuell beobachtet werden. In dem ersten Falle sind die Angaben über das klinische Verhalten des betreflenden Kranken ebenfalls sehr unvollständig, so. dass hauptsächlich der anatomische Befund erst die Diagnose auf Tabes völlig rechtfertigt.

Indessen soll an dem Vorhandensein des vollständigen klinischen Krank- heitsbildes der Tabes in den beiden beschriebenen Fällen durchaus nicht ge- zweifelt werden.

Zu um so grösseren Bedenken geben aber die Schlüsse aus dem anatomischen Befunde und in dem zweiten Falle der letztere selbst Anlass.

Zuerst möge erwähnt werden, dass der Autor die einleitenden Bemerkungen zu seiner zweiten Abhandlung über die Tabes offenbar zu einer Zeit geschrieben hat, in welcher ihm das Resultat seines anatomischen Befundes schon einiger- maassen entfallen war. Denn er bezeichnet auf S. 9 seiner Abhandlung (im Separatabdruck) als „Hauptzweck“ seiner Arbeit, zu zeigen, dass eine „reine“ Form der Tabes existire, bei der „weder die hinteren Wurzeln, noch die graue Substanz, noch endlich selbst die hinteren Wurzelzonen“ zu erkranken brauchen. Der anatomische Befund ergab aber (S. 18), dass die „hinteren Wurzeln, resp. deren Einstrehlungen an der inneren Seite der grauen Hörner in die Burpach’schen Stränge im Verlaufe des ganzen Brust- und Lendentheils degenerirt“ sind. Im Halsmarke „führten einige hintere Wurzeln vollkommen normale Nerven, andere nur degenerirte“; „die meisten liessen erkennen, dass ihre Nerven vor dem Eintritt in das Rückenmark sich normal verhielten, nach dem Eintritt in die Bunpach’schen Stränge vollkommen degenerirt waren.“

Am Schlusse der Abhandlung wird aber dessen ungeachtet von Neuem STRÜMPELL’3 Behauptung, dass die hinteren Wurzeln beständig bei der Tabes an der Degeneration theilnähmen, als „direct widerlegt“ betrachtet.

2483

Welch’ siegreiche Logik! Und wie „unrein“ mögen erst solche Formen sein, bei denen noch ausserhalb des Hinterstranggebietes die Augenmuskelnerven oder die peripherischen sensiblen Nerven zu entarten wagen, wenn schon die „reine“ Form von ApDamkıEwı0oz dergleichen Flecke aufweist!

Was dann die weitere Behauptung des Verfassers betrifft, dass in dem gleichen Falle weder die Wurzelzone, noch die graue Substanz erkrankt gefunden worden sei, so würde für den Fall, dass die Präparate einer zweckmässigeren Färbemethode, als derjenigen mit Safranin unterworfen gewesen wären, und dann z. B. bei Anwendung der neuen WeiserT’schen Methode ebenso ausgesehen hätten, wie sie auf den Zeichnungen der Abhandlung aussehen, jedenfalls eine Atrophie der Fasern der grauen Substanz und der sogenannten Wurzelzone ganz deutlich zu erkennen sein.

So aber ist es schwierig, anders als aus den analogen Beobachtungen so vieler sonstiger Autoren diesen Befund als höchstwahrscheinlich auch für den Fall von Anamkırwiıcoz vorhanden anzunehmen.

Dass die Safraninmethode selbst in den Händen ihres Entdeckers, ge- . schweige denn in andern, unzuverlässige Resultate ergiebt, das beweist ein Blick auf die Zeichnungen der Anpamkızwicz’schen Abhandlung auf das Deutlichste.

Die Markfasereinstrahlung in die Hinterhörner ergiebt nach der WEIGERT’- schen Methode ganz andere Bilder, wie in Fig. VI, auf der nach dem Autor ein „gesundes Hinterhorn“ dargestellt werden soll. Und Jeder, welcher eine grössere Menge von Tabespräparaten gesehen hat, die nur mit der gewöhnlichen einfachen Glycerinmethode, geschweige denn mit Hülfe der Weraerr’schen Färbung behandelt wurden, muss über die eigenthümliche Form der Degenera- tion auf der Fig. VIII der Abbildungen von ADAMKIEwIcCZ in grosses Erstaunen gerathen. Ein derartiger Gegensatz von völlig normal gefärbten Fasergebieten in der hinteren, an die Peripherie angrenzenden Partie des ganzen Hinterstrang- gebietes gegenüber einer so vollständigen Degeneration der mittleren und seit- lichen Abschnitte der Hinterstränge kommt wohl bei multipler Sclerose, nicht aber bei Tabes vor.

Wenn die Safraninmethode Recht hätte, warum spricht ADAMmkIEwIcz dann nicht auch in seiner Fig. I von einer Degeneration der Kleinhirnseitenstrang- bahnen, deren „chromeleptische Substanz“ doch offenbar beiderseits viel schwächer gefärbt ist, als die übrigen Theile der Seitenstränge?

Und wo ist in dieser Figur, welche „genau das Aussehn“ der entscheidenden Safraninbilder hat, etwas von dem feinen Nervennetz innerhalb der grauen Sub- stanz zu sehen, obwohl auch die sogenannten „marklosen‘“ Fasern der grauen Substanz „so besonders schön und vollständig“ gefärbt worden?

Auf weitere Einzelheiten will ich nicht eingehen und es auch nicht unter- nehmen, die von STRÜMPELL gefundenen Thatsachen gegen Einwürfe in Schutz zu nehmen, deren Basis durch eine so unzureichende Untersuchungsmethode geliefert wird.

"Während nun ADAMKIEWICZ in seiner oben besprochenen zweiten Arbeit die Gefässe und grösseren Bindegewebssepta gar nicht weiter berücksichtigt

2,004 =

er würde sonst Verdickungen derselben jedenfalls gefunden haben —, hat er in seinem ersten Falle nur mit Hülfe von Carmin untersucht.

Da das Carmin die Gefässwände, die Bindogewebssepta und die Glia intensiv färbt, so wird ganz naturgemäss die Aufmerksamkeit auf diese Theile besonders gerichtet; und es liegt psychologisch nahe, ihnen unter diesen Umständen eine primäre Erkrankung zuzuschreiben im Gegensatze zu solchen Fällen, in denen man Methoden anwendet, in welchen wesentlich die Nervenfasern und ihr Mark sichtbar gemacht werden. Jedenfalls dürfte das Richtige sein, alle überhaupt brauchbaren Methoden in ein- und demselben Falle anzuwenden, und zugleich die sonstigen Erfahrungen über das Verhalten von Gefässen und Glia bei anderen Erkrankungen des Nervensystems, besonders der secundären Degeneration herbei- zuziehen.

Von irgend einsm Beweise, dass in seinem ersten Falle von Tabes die Erkrankung von dem Gefäss- und Bindegewebsapparate ausgegangen sei, kann man bei ADAMKIEWICZ nichts finden. Denn dass auch bei secundärer Dogene- ration, also bei unzweifelhaft primärer Entartung der Nervenfasern die Grefässe etc. sich verdicken und in den entsprechenden Stadien der Entartung dasselbe Bild wie bei Tabes bieten, ist, wenn auch leider noch nicht Allen, die über diese Dinge schreiben, aber doch den Meisten bekannt. Wenn wirklich in seinem ersten Falle die Gefässe und die Bindegewebssepta den Ausgangspunkt der Er- krankung bildeten, warum war dann nicht eine multiple Sclerose die Folge, während eigenthümlicher Weise in dem zweiten Falle, in welchem die Grefässe eine secundäre Rolle spielten und gar nicht als erkrankt erwähnt werden, eine „tleckweise Degeneration“ sich einstellte ?

Auf das Gegenstück des „exacten‘“ Beweises für das Vorkommen inter- stitieller Tabes in seiner ersten Mittheilung, auf den im der zweiten Arbeit gemachten Versuch, vorgefundene Lücken im Neurogliagewebe, die ebenso gut durch den mechanischen Ausfall von Nervenfasern bei den technischen Mani- pulationen entstanden sein können, als primären Untergang der Nervenfasern zu erklären und die Verdickung der Neuroglia, welche, wie gewöhnlich, so auch in seinem Falle vorhanden war, als blosse Collapserscheinung aufzufassen, auf dieses Gegenstück der Beweisführung gehe ich gar nicht ein. Herr Prof. ADAMKIEWICZ dekretirt einfach: „Man hat sich vorzustellen“, dass die betrefien- den Lücken durch den primären Untergang der Nervenfasern herbeigeführt, sind, und damit ist: die Sache entschieden.

Meine eigene Auffassung über den betreffenden Gegeustand habe ich schon anderswo mitgetheilt und will sie hier nicht wiederholen. Der Zweck der obigen Zeilen soll nur der sein, ohne weitläufig auf eine ganze Menge von angreifbaren weiteren Punkten in den Anamkızwıicz’schen Arbeiten einzugehen, auf die Un- zulänglichkeit seiner Untersuchungen und der daraus gezogenen Schlüsse hin- zuweisen.

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2. Beitrag zur pathologischen Anatomie der Tabes dorsalis und zum Faserverlauf im menschlichen Rückenmark. Vorläufige Mittheilung von H. Lissauer.

(Aus dem pathologischen Institut zu Leipzig.)

An Präparaten des menschlichen Rückenmarks, welche nach der WEIGERT'- schen Hämatoxylin-Blutlaugensalz- Methode gefärbt sind, lässt sich folgendes Verhalten eines Theiles der in den hintern Wurzeln enthaltenen feinen Nervenfasern constatiren: Die betreffenden Fasern sammeln sich jedesmal an der Aussenseite der einzelnen Wurzelstämme, während sich dieselben zum Ein- tritt an das Rückenmark anschicken; die so entstehenden, aus lediglich ganz feinen Fasern zusammengesetzten Bündel wenden sich gleich nach dem Durch- tritt durch die Pia von dem Hauptwurzelstamme nach aussen ab, indem sie gegen den Seitenstrang hinzustreben scheinen. Sie werden jedoch, vertical um- biegend, in einer eigenen Schicht an der Spitze des Hinterhorns, zwischen Hinter- und Seitenstrang abgelagert. Diese Schicht (in topographischer Beziehung theilweise identisch mit dem Apex cornu posterioris einzelner Autoren) wird von den compacten hinteren Wurzelstämmen sehr nahe ihrer innern Grenze durchsetzt; auf Querschnitten zeichnet sie sich durch ihre gleichmässige Zusammensetzung aus feinen, longitudinalen Nervenfasern vor der umgrenzenden Substanz der weissen Stränge deutlich aus. Nach einer längeren oder kürzeren Periode verticalen Aufsteigens innerhalb jener Schicht dringen die feinen Fasern dann vorwärts in die gelatinöse Substanz und in die tieferen Regionen des Hinterhorns hinein. Ihre Bahnen sind jedoch, sobald sie den rein longitudinalen Verlauf aufgegeben haben, ausserordentlich complieirt und unter- einander verschlungen, sodass die Verfolgung einzelner Fasern in Schnittpräparaten nur selten auf grössern Strecken möglich wird.

Bei Tabes dorsalis fand sich, unter einem Beobachtungsmaterial von 12 Fällen, mit Ausnahme eines initialen Falles, stets eine Betheiligung der im Obigen kurz geschilderten feinen Fasern vor; dieselbe kennzeichnete sich am besten durch das Verhalten des oben erwähnten kleinen Feldes zwischen Seiten- und Hinterstrang. Hier also auch ein Stück weit ausserhalb des hinteren Wurzeleintritts .liess sich in den besagten Fällen eine mehr oder minder hochgradige Degeneration erkennen, welche erst bei Beginn des eigentlichen Seitenstranges abschnitt, und zwar gewöhnlich mit einer derartig präcisen Grenze, dass an der systematischen Natur des Processes nicht weiter gezweifelt werden konnte. Auch in früheren Stadien der Tabes kann es zu einer Betheiligung des bezeichneten Feldes kommen: es wurden 2 Fälle aus frühzeitigen Epochen der Krankheit untersucht (darunter einer mit leichter Seitenstrangsclerose), wo- selbst sich, im mittleren und oberen Lumbalmark, an der Spitze des Hinter- horns ein kleines Degenerationsfeld abzeichnete, dessen Ausdehnung mit dem Verbreitungsbezirk jener, aus den hintern Wurzeln herstammenden feinen Fasern auffallend übereinstimmte. Gleichzeitig bestand bei diesen Fällen

246

im Centrum des Hinterstranges ein zweiter, von dem ersteren räumlich getrennter und offenbar selbstständiger Degenerationsbezirk.

Es scheint somit, dass jenen, für das Hinterhorn bestimmten, zwischen Hinter- und Seitenstrang abgelagerten feinen Fasern eine systematische Sonderstellung gebührt, und dass die letztere in gewissen Stadien der Tabes durch den Degenerationsprocess respectirt wird.

Die feinen Fasern in den vorderen Schichten des Hinterhorns bleiben keineswegs im Laufe der Erkrankung ganz verschont; nur bleibt die Degene- ration derselben im Allgemeinen hinter der des geschilderten peripherischen Feldes mehr oder minder deutlich zurück, sodass ein Fortschreiten des Processes im Hinterhorn von der Peripherie nach der Basis wahrscheinlich wird.

3. Vorläufige Mittheilung über einige durch die „Atrophie- Methode“ erzielte Resultate, hauptsächlich die Commissura posterior betrefiend.

Von E. C. Spitska in New-York.

Einem 3 Tage alten Kätzchen wurde eine Verletzung des Thalamus und wahrscheinlich der angrenzenden Theile des Hirnschenkels beigebracht. Nach 3 Monaten wurde das Thier getödtet und dessen Gehirn und Rücken- mark behufs späterer mikroskopischer Bearbeitung gehärtet. Die Hauptbefunde zur Zeit der Section waren: 1. Atrophie der entsprechenden Schädelhälfte. 2. Die linke Hemispbäre durch einen dünnwandigen und geschrumpften Hohlsack ver- treten; blos der um zwei Drittheile des Normalen reducirte Tractus olfaotorius und der um die Hälfte verkleinerte Riechlappen zeigten eine normale gewebliche Structur. 3. Tractus opticus und Oculomotorius auf der entsprechenden Seite nicht auffindbar. 4. Linker Vorderhügel (Lobus opticus) um mehr als die Hälfte verkleinert und bedeutend abgeflacht. 5. Linke Pyramide fehlt ganz und gar. 6. Brücke scheint auf beiden Seiten etwas verkleinert. 7. Rechte Kleinhirn- hemisphäre etwas kleiner als die linke. 8. Thalamus fehlt.

Ein solch’ bedeutender Ausfall wichtiger Hirntheile, wie in diesem Falle ein- trat, ist mit so vielen Degenerationen der verknüpften Nervenbahnen verbunden, dass der Fall an und für sich von zweifelhaften Werth wäre. Durch Zusammen- stellung mit den reineren Fällen Merver’s, v. Monakow’s und v. GUDDEN’s, dagegen gewinnt er in so fern an Werth, als man die durch die genannten Forscher erzielten Faseratrophien abziehen kann und somit das „Mehr“ der in unserem Fall Beobachteten auf Rechnung der weiteren Zerstörung setzen darf. Da gegenwärtige Mittheilung eine vorläufige ist, beschränke ich mich auf das Anführen der auflallenderen Befunde. 2

1. Es war eine bedeutende Verkleinerung des gekreuzten Burpacna’schen Kernes vorhanden. Dieselbe war um Vieles auffallender, als die Atrophie des entsprechenden Kernes des zarten Stranges, an Volumen hatte er mehr als die

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Hälfte eingebüsst und fehlten die Faserstränge, welche unter normalen Verhält- nissen diesen Kern in Unterabtheilungen trennen und zu Fibrae arciformes werden.

2. Die Fibrae arciformes internae zeigten in verschiedenen Höhen der Oblongata differentes Verhalten. Caudal von der Olive und im unteren Drittel der Olivenhöhe fehlten dieselben vollständig auf der rechten (gekreuzten) Seite, in der Mitte der Olivenhöhe waren sie vertreten, aber die Stränge weniger zahl- reich und breit, als auf der linken. Im oberen Drittel war die Symmetrie wieder hergestellt.

3. Die rechte Olive schien ein wenig kürzer als die linke, wahrscheinlich in Folge der Abwesenheit oder schwachen Vertretung der durch deren caudalen Theil tretenden Fasern. Auch das in den Hauptkern der Olive eingeschlossene Faserfeld war kaum erkennbar auf der linken Seite. Diese Atrophie war also gleichseitig mit dem Hemisphären-Defect. An und für sich war die Structur der verkleinerten Olive normal. |

4. Ein bedeutender Unterschied 2wischen beiden Strickkörpern konnte nicht festgestellt werden; der linke schien um ein Zehntel grösser als der Rechte. Die „gezahnten“ Kerne des Kleinhirns waren auf beiden Seiten gleich gut entwickelt.

5. Die linke Olivenzwischenschicht war auf ein Fünftheil des normalen Volumens reducirt, auch war ein Feld, welches bei der Katze die Grenzgegend der beiden Schleifentheile bildet, auf derselben Seite bedeutend verkleinert, während der laterale Theil der Schleife beinahe gleich gut auf beiden Seiten vertreten war.

6. Die innere Abtheilung des reticulären Feldes der Haube zeigte ein selt- sames Verhalten. Zunächst war im dorsalsten Theil (Fortsetzung des hinteren Längsbündels) constant ein geringer Unterschied zu Ungunsten der linken Seite constatirt. In der Höhe des Abducens-Austritts war der Unterschied des übrigen Theiles, also jenes Feldes, welches zwischen H-Längsbündeln und Trapezium liegt, am auffälligsten, indem hier die Abducenswurzeln auf der defecten Seite bis auf die Hälfte der normalen Entfernung zur Raphe rückten. Der Defect erstreckte sich aber keineswegs auf das helle, neben der Raphe ge- legene Feld der grossen Axencylinder, dieses war ebenso gut entwickelt, wie auf der rechten Seite, und überwog sogar dieses letztere in allen Eibenen aus anzuführenden Gründen.

7. Der linke Oculomotorius war bis auf ein paar Fasern, die nicht den schtzigsten Theil des Normalen bildeten, geschwunden, hiermit war eine doppel- seitige Atrophie der Oculomotoriuskerne verbunden, und zwar mit einigen Ab- weichungen, ähnlich wie bei den von v. Guppen untersuchten Kaninchen. Der rechtsseitige Kern des rechten Oculomotorius ist bei der Katze ventral und lateral gelegen, seine Zellen erstrecken sich in die zwischen den Abtheilungen des hinteren Längsbündels gelegenen Ausläufer der Kernmasse. Der links- seitige (gekreuzte) Kern des rechten Oculomotorius ist dagegen eine der Raphe parallele, also im Querschnitt aufrecht stehende Zellensäule, und erstreckt sich

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beinahe bis an den Aquaeductboden. Er ist also bei der Katze medial und nicht dorsal, wie es von v. Guppen bei dem Kaninchen fand. Je näher dem vorderen Theil des Kernes, desto deutlicher sind die Kerne charakterisirt, und zwar fehlt der mediale (gekreuzte) Kern ganz vorne und steht weiter hinten vollständig senkrecht; nahe dem hinteren Ende des Kernes breitet er sich mehr nach der Seite aus, so dass hier ein dem von v. Guppen! geschilderten Ver- hältnissen ähnliches Bild entsteht; er erstreckt sich ebenfalls weiter nach hinten (caudal), als der ventro-laterale Kern. Diese principielle Uebereinstimmung mit dem Guppen’schen Befund bei zwei doch ziemlich verschiedenen Säugethieren ist eine der glänzendsten Beweise für die Zuverlässigkeit der Methode dieses Forschers. Der ventro-laterale Kern ist in seinem vordersten Abschnitt bei der Katze auch beinahe senkrecht gestellt.

Der Unterschied in den Dimensionen der beiden hinteren Längsbündel wird um so auffülliger, je weiter nach vorne die Schnitte gelegen sind. Bereits in der zwischen Oculomotorius- und Trochlearis-Ursprung gelegenen Ebene ist das linke Bündel auf weniger als die Hälfte reducirt und weder so deutlich begrenzt, noch mit so grossen Fasern versehen, wie das gegenseitige. In den oberen Ursprungsebenen des Oculomotorius ist es gar nicht mehr zu identificiren. Es ist deshalb anzunehmen, dass jedes hintere Längsbündel Nervenzuzüge von auf beiden Seiten gelegenen höheren Ganglien hat, und dass der gekreuzte Faserzuwachs etwas mehr caudal, als der directe Ursprung stattfindet. Da dieser Zuwachs in der Vierhügelregion stattfindet und die Atrophie des hinteren Längs- bündels im Zusammenhang mit Atrophie des einen Vorderhügels stattfand, sehe ich hierin eine Stütze für meine vor Jahren ausgesprochene Ansicht,? dass dieses Bündel ein Projectionsglied darstellt, dessen höheres Centrum die Vorder- hügel, dessen unteres Ende die Nervenkerne der Augenbewegungsnerven eventuell auch der Kopfdrehungsmuskelnerven darstellen. Dass an einen Ursprung im oder nahe am Linsenkern, oder von der Hirnrinde wie es MEYNERT und theilweise WERNICKR wollen gar nicht zu denken ist, erhellt daraus, dass bei Reptilien und bei Amphibien, deren Vorderhirn doch äusserst unentwickelt ist, das hintere Längsbündel die einzige Faserstrasse ist, die sich in der Vollständigkeit mit dem entsprechenden Bündel bei Säugethieren messen kann? Es sind nun aber gerade die Vorderhügel, die bei Reptilien als sog. Lobi optici unverhältnissmässig gut im Gegensatz zum Vorder- und Klein- hirn entwickelt sind. Da nun bei reiner Hemisphärenatrophie, wie im den Fällen der erwähnten Autoren, das hintere Längsbündel gar nicht beein- flusst wurde, in unserem Falle dagegen, wo ausserdem noch Vorderhügel- und

! Ueber die Kerne der Augenbewegungsnerven von Prof. v. Guppen. Tageblatt der Naturforscherversammlung zu Salzburg. 1881. 8. 186; referirt im Neurologischen Centralbl. 1882. Nr. 1. 8.9. Original nicht zugänglich.

° The Architecture and Mechanism of the Brain. Chicago Journal of nerv. and ment. disease. 1879. Part. II.

® Ich spreche hier von solchen mit gut entwickelten Augen. Bei Menotranchus ist das Bündel kleiner, bei Proteus noch weniger markirt.

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Thalamusatrophie erzielt wurden, dessen Vordertheil ganz fehlte, während die caudalen Strecken verringert waren, so ist anzunehmen, dass entweder im Op- ticus, im Thalamus oder im Vorderhügel das nutritive oder functionelle Cen- trum für das hintere Längsbündel zu suchen ist. Eine directe Verbindung mit dem Opticus kann ganz, mit dem Thalamus wahrscheinlich ausgeschlossen werden. Es bleibt dann die Wahl zwischen Feconsıa’s von den Meisten adoptirte An- sicht, dass dieses Bündel ein Verbindungsstrang der Nervenkerne (II, IV, VI und vielleicht Anderer) sei, und der meinigen. Für Fuecusic spricht erstens die Abnahme der Atrophie nach hinten (caudal); diese kann aber auch durch allmähliche Kreuzung mit Faseraustausch erklärt werden. Zweitens das Auf- hören der Atrophie mit dem Aufhören des medialen (gekreuzten) Oculomotorius- Kernes; auch dieses ist anderweitig zu erklären, ja muss durch Zuhälfenahme eines anderen Erklärungsmodus seine Lösung finden, da ein Bündel von solcher Mächtigkeit nicht plötzlich aus einem so kleinen Kern entstehen könnte. Diese - Lösung finde ich in dem von mir urgirten Uebergang der oberen Hauben- bogenfaserung, die aus den tieferen Schichten des Vorderhügels hervorzugehen scheint. Diese war auf der linken Seite bis auf unbedeutende Reste ge- schwunden, während auf der rechten Seite die prachtvollen Faserzüge in ihrem von FoRkEL so genau geschilderten Verhalten vorhanden waren; hiermit hing die Verkümmerung des linken Schenkels der fontainenartigen Haubenkreuzung wohl zusammen.

Wohl der seltsamste Befund ist das Ueberwiegen auf der linken, d. h. der atrophischen Seite, des grossfaserigen, nahe der Raphe und ventral vom hinteren Längsbündel gelegenen Feldes. Der Unterschied war am auffallendsten in der Höhe des hinteren Zweihügels, hier war mit blossem Auge das entsprechende Feld der rechten Seite gar nicht erkennbar, während das linke eine an Deut- lichkeit, dem hinteren Längsbündel nicht nachstehende viereckige Contour zeigte. Das mikroskopische Bild entsprach diesem Verhältniss. Es stellte sich nun heraus, dass das linke wohl entwickelte Feld, allmählich mehr dorsal rückend, direct in die hintere Commissur überging. Die Atrophie der anderen Gebilde liess diesen Uebergang als den eines compact bleibenden Bündels er- kennen, der einzigen normalen Faserstrasse, die sich auf der linken Seite verfolgen liess. Auf der rechten Seite fehlte ein irgendwie entsprechender Faserzug. Dagegen fehlten auf der linken Seite die aus der Thalamus-Substanz zur hinteren Commissur tretenden Bündel, eben der Thalamus, mit Ausnahme eines geschrumpften Wulstes, der wohl der Gegend des Zirbelstreifs entsprach, war geschwunden. Auf der rechten Seite waren die Thalamusbündel, prächtig mit Säurefuchsin gefärbt, klar zu sehen. Die Commissura posterior stellt also, wie MEYneert dieses behauptet hat, einen gekreuzten Ueber- gang von Thalamusfasern in die Haube dar, und zwar liegen dieselben in der Höhe des hinteren Vierhügelpaares, direct ventral vom hinteren Längs- bündel. Die Kreuzung scheint eine totale zu sein, da das linke Feld dem nor- malen entspricht, auch scheinen gar keine wirklichen Commissurfasern enthalten zu sein, da die Mächtigkeit der Commissur ziemlich genau der Hälfte der

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normalen eher mehr als weniger entspricht. Da der Unterschied des gekreuzten Feldes weiter caudal nicht so auffällig bleibt, dagegen sich im ge- ringeren Grade über das ganze im Querschnitt der Raphe parallele Feld erstreckt, ist eine entsprechende Verschiebung der Fasern, oder Beimischung von anderen Elementen anzunehmen. Selbst dort, wo der Unterschied der Haubenfelder am grössten, sind normale Bündel auf der rechten Seite zu erkennen, aber in sehr geringer Zahl und mehr lateral von der Raphe aus gelegen. Es ist überhaupt wegen der Asymmetrie des Raphe-Graues schwer zu sagen, ob diese kleinen Bündel wirklich dem linken Feld homolog sind, oder ob sie einer directen Haubenstrahlung entsprechen. Das lateral vom hinteren Längsbündel sich ven- tral erstreckende zerklüftete Haubenfold ist umgekehrt auf der rechten Seite gut entwickelt, und auf der linken Seite atrophisch.

9. Beide rothen Kerne der Hauben waren normal gebaut und ausgebildet; . jedenfalls spricht diese Thatsache, in Verbindung mit der normalen Entwicke- lung der Bindearme, für eine centripetale Function der durch diese Kerne vermittelten Nervenbahn. Es ist allerdings heute nicht mehr erlaubt, von der Richtung einer Ausfallsdegeneration allein auf die Richtung der in der be- treffenden Nervenbahn ablaufenden Functionen zu schliessen. Ich brauche die zahlreichen widersprechenden Beobachtungen nicht anzuführen,. Es genüge um einen einschlägigen Fall heranzuziehen eine Bindearmdegeneration nach Unterbrechung des Thalamusstückes dieser Bahn zu erwähnen, die MenneEn vor nahezu 3 Jahren beschrieb.! Selten ist noch eine so vollständige Demon- stration trotz Kernunterbrechung einer continuirlichen Bahn beschrieben worden, und doch war dieselbe in ihrer Richtung absteigend, also geradezu entgegengesetzt derjenigen, welche die Ausfallsatrophie einschlägt;? doch ist es jedenfalls auffallend, dass nach so vollständiger Vorderhirnatrophie, wie im vor- liegenden Fall, der rothe Kern und Bindearm gar kein Beeinflussungsmerkmal aufweist.

Die Faserkapsel des rothen Kernes zeigte beiderseits die gleichen Verhält- nisse; auf der linken Seite dagegen fehlte die Faserstrasse, die vom rothen Kern aus thalamuswärts läuft.

Da eine Anzahl der erhaltenen Schnitte mit Fuchsin und zwar sehr zu- friedenstellend gefärbt wurden, möchte ich die Aufmerksamkeit auf einige, wenn auch nicht ganz unbekannte, doch nicht oft erwähnte Verhältnisse lenken. In der Gegend der Einstrahlung der Ventrikelwurzel des Acusticus sind die ein- zelnen starken Fasern, jede deutlich oberhalb des hinteren Längsbündels, die Mittellinie kreuzend, bis zu einer Gruppe grosser fortsatzreicher Zellen zu ver- folgen; in mehreren Fällen gelingt es, eine einzelne Faser von dem Subependym- bündel der einen Seite bis zu einer Zelle der entgegengesetzten Seite klar und deutlich zu verfolgen. In einem Falle sah ich zwei Fasern einer Zelle sich mit Mark bekleiden, und zwar in einer so isolirten Lage, die jede Verwechslung

ı Neurologisches Centralblatt. 1882. Nr. 11. ? Bei der Katze ist die Bindearm-Kreuzung, dem Anschein nach, so vollständig wie beim Menschen.

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aussohloss. Die betreflende Zellengruppe liegt in der (Axen-)Höhe des Facialis- kernes, etwas mehr dorsal als dieser und dicht an das grossfaserige innere Haubenfeld grenzend.

Beim Trapezium sind mehrere Verhältnisse in den neueren Lehrbüchern übergangen worden, ja selbst in der bildlichen Darstellung vergessen oder ober- flächlich dargestellt, die von Dran und Andern mehr oder weniger klar erkannt wurden. So sieht man in Fuchsinpräparaten ziemlich compacte Bündel von der äusseren Seite und dem Hilum der oberen Olive! aus, nach der Peripherie zustrebend, die Trapezbündel rechtwinkelig kreuzen, ohne dass ihr Endziel zu enträthseln wäre. Eins dieser Bündel verliert sich in einer Gruppe kleiner, klar markirter eckiger Zellen, ventral von der oberen Olive und sehr nahe an die- selbe reichend, gelegen. Eine ähnliche, bedeutend grössere Gruppe Zellen findet sich im Trapezkörper mehr medial; in der Austrittsebene des Abducens, auf dem Sagittalschnitt, bilden diese Zellen ein wohl oharakterisirtes Ganglion, scheinbar die Durchflechtung des Trapezkörpers vermittelnd. In seinem Auftreten in ver- schiedenen Höhen und Breiten des Stammes deckt sich dies Ganglion mit dem Trapezkörper vollständig.

In eben denselben Ebenen, also wo ein Antheil der Acusticuswurzel den Strickkörper dorso-medial umkreist, sieht man ganz deutlich, wie ein Theil der Aousticus-Faserung in ein helles Feld tritt, welches medial vom Quintus-Quer- schnitt und dorsal von der oberen Olive etwas schräg gestellt ist. Ob nach ihrem Eintritt die Acusticuswurzel in diesem Felde verbleibt, ist auf einfach anatomischem Wege nicht festzustellen. Das Feld selbst ist unterhalb der Acusticusebenen nicht zu identificiren, es nimmt nach vorne (cephalwärte) zu, erreicht seine volle Breite oberhalb der Acusticusebenen und verläuft in dem sogenannten Schleifenfeld, d. h. in dem medialen Grenzgebiete des lateralen Theils derselben. Es sind die ventralen Bündel der betreffenden Wurzel, die in dieses Feld ziehen, die dorsalen ziehen in die die Raphe kreuzenden Fibrae transversae.

Es möge noch erwähnt werden, dass nennenswerthe Unterschiede in der Entwickelung anderer Hirnnerven, als des Opticus, Olfactorius und Oculomotorius, bis jetzt nicht aufgefunden worden sind.

4. Zur Anatomie des Corpus quadrigeminum. Von Dr. L. Darkschewitsch aus Moskau. (Aus dem Laboratorium von Prof. Pauu Fuecousıe zu Leipzig.) Bei unseren vergleichend-anatomischen Untersuchungen über die Structur des Corpus quadrigeminum vermochten wir vom Kaninchen Präparate zu er-

halten, an denen bei Tinction mit Hämatoxylin nach der Weıgerr’schen Me- thode die Vertheilung sowohl als die Endigung des Tractus opticus im oberen

1 Wohl besser Kern des Trapez-Körpers !

—_— a

Vierhügel sehr deutlich zu beobachten war. Unseres Wissens kommen in den Arbeiten, welche die in Rede stehende Frage betreffen, bis zur Stunde keine Abbildungen vor, wo die besagten Verhältnisse mit einer solchen Klarheit zu seben wären, und daher erachten wir es nicht überflüssig, hier eine Abbildung unseres Präparates zu geben.

Da wir eine ausführliche

ya Beschreibung des letzteren / | an anderer Stelle und bei

A anderer Gelegenheit zu lie- fern beabsichtigen, so wollen wir nur kurz erwähnen, dass der Tractus opticus (2) hauptsächlich in den zwei vorderen Dritttheilen des vorderen Zweihügelpaares derselben Seite sich vertheilt und dessen äussere Peri- pherie einnimmt, während der innere Abschnitt der Peripherie Fasern den An- fang giebt, welche (6) von dem Vierhügel nach der Rinde ziehen. Diese letzten Fasern sind wohl von denen

a zu unterscheiden, die, vom Bo mittleren Marke aus- er gehend (GAnsER), in der

inneren Kapsel nach der Frontalschnitt durch den oberen Vierhügel des Kaninchens: Rinde verlaufen; letztere 1. oberer Vierhügel; 2. Tractus opticus; 3. Corpus genic. stellen ein besonderes ext.; 4. Linsenkern; 5. Hirnschenkelfuss ; 6. Fasern, die S . aus dem Vierhügel nach der Rinde ziehen; 7. hintere Sy stem q a worüber wir Commissar. später Mittheilung machen

werden.

Die Vertheilung der Fasern des Tractus opticus in der grauen Substanz des Vierhügels erinnert im Gegensatz zu den übrigen Hirnnerven (excl. Olfac- torius) an die Vertheilung der Stabkranzfasern in der Grosshirnrinde.

II. Referate.

Anatomie.

1) Ueber ein besonderes noch nicht beschriebenes Bündel, welches in der oberen Etage des Hirnstammes verläuft.

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23) Ueber zwei zum Bestand des inneren Abschnittes des Corpus resti- forme gehörende Bündel, und über die Endigung der zum Klein- hirn aufsteigenden Trigeminuswurzel, von W. Bechterew. (Eingesandt zur Februarsitzung der St. Petersburger psychiatr. Gesellsch. 1885. Russisch.)

1) Auf Grund der Hirnuntersuchung Neugeborener in der frühesten Periode des extrauterinen Lebens beschreibt B. ein grosses compactes Bündel, das im verlängerten Mark in der Höhe der unteren Oliven, auswärts und dorsal von denselben beginnt und längs des ganzen Hirnstamms hinzieht. In der Höhe der unteren, Brückenportion liegt dieses Bündel zwischen der oberen Olive und der Schleifenschicht, weiter auf- wärts rückt es allmählich nach hinten und in der Höhe der mittleren Brückenportion liegt es bereits central inmitten der Haubenfasern. Unter der hinteren Vierhügel- erhebung verläuft es durch die sich kreuzenden Faserzüge der vorderen Kleinhirn- stiele, und indem es dann nach innen und oben vom rothen Kern zieht, vermischt es sich mit den Fasern desselben; in Folge dessen gelingt es nicht, seinen weiteren Verlauf mit Bestimmtheit zu ermitteln. In der Höhe des rothen Kerns treten an das beschriebene Bündel Fasern aus der hinteren Commissur heran, doch besteht zwischen ihnen durchaus keine Verbindung. Letzteres ist daraus ersichtlich, dass die Fasern der hinteren Commissur in einem sehr frühen Alter (nicht später als im 6. Monat des Foetallebens) ihre Markbekleidung erhalten, während die Fasern des von B. beschriebenen Bündels erst am Schluss des intrauterinen Lebens anfangen, sich mit Myelin zu bekleiden. B. nennt das von ihm beschriebene Bündel nach dessen Lage inmitten der Faserzüge der oberen Brücken- und Hirnschenkelregion „centrales Haubenbündel“ und hält eine Verbindung desselben mit den unteren Oliven für erwiesen.

2) Auf Grund der Untersuchung fötaler Gehirne beschreibt B. im inneren Ab- schnitt des Corpus restiforme zwei besondere Bündel, die sich durch die Zeit der Markbekleidung ihrer Fasern unterscheiden. Eines derselben, welches seine Myelin- scheiden nicht vor dem 8. Monat des intrauterinen Lebens erhält, steigt vom äusseren (Deiters’schen) Acusticuskern zum Kleinhirn auf und verläuft zum Theil zwischen den Fasern des vorderen Kleinhirnstiels hindurch, zum Theil unmittelbar über letz- terem, indem es weiter zwischen den grauen Massen des Kugel- und Pfropfkerns verschwindet. Da man an Fötalhirnen die Beziehung der tiefen Acusticuswurzel zum Deiters’schen Kern mit voller Sicherheit nachweisen kann, so hält B. das beschriebene Bündel für eine Fortsetzung der Acusticusfasern zum Kleinhim. Das andere, welches bereits sehr früh (nicht später, als im 5.—6. Monat des intrauterinen Lebens) Mark- scheiden erhält, verläuft auswärts vom ersteren, indem es den vorderen Kleinhirnstiel von oben unigeht und dann über und zwischen den Dachkern mit dem entsprechenden Bündel der anderen Seite sich kreuzt. Die meisten Fasern dieses Bündels endigen im contralateralen Dachkern, doch ein Theil derselben scheint auch zum gleichseitigen in Beziehung zu stehen. Im Gebiet des verlängerten Marks gelang es B., eine Ver- bindung der Faserzüge dieses Bündels mit der contralateralen, zum Theil auch mit der gleichseitigen Olive zu verfolgen. Die Wurzel, die vom sensiblen Trigeminus- stamm zum Kleinhirn aufsteigt, geht B.’s Untersuchungen zufolge nicht in die Mark- substanz der Kleinhirnhemisphären über, sondern endigt bereits in der Nähe des oberen Winkels der äusseren Wand des 4. Ventrikels, in einer besonderen Anhäufung grosser multipler Zellen, die in der Nachbarschaft der grauen Substanz der Klein- hirnrinde zerstreut sind. P. Rosenbach.

Experimentelle Physiologie.

3) Zur Physiologie der Bogengänge, von Dr. Benno Baginsky in Berlin. (Archiv für Anatomie u. Physiologie, physiologische Abtheilung. 1885.)

254

Der vom Verf. durch frühere Versuche (an Tauben, Kaninchen und Hunden) erbrachte Nachweis, dass die Bogengänge, bezw. deren Nerven mit dem Gleichgewichts- sinne nichts zu thun haben, dass vielmehr alle nach Verletzung der Bogengänge auftretenden Gleichgewichtsstörungen in ursächlichem Zusammenhange stehen mit Gehirnläsionen, welche bei den Bogengangsoperationen, sei 68 direct oder indirect, gesetzt werden, ist nicht ohne Widerspruch geblieben und ganz besonders glaubte Högyes, alle Störungen auf Reizung, bezw. Erschöpfung der vestibulären Acusticus- zweige beziehen zu können. Verf. hat deshalb von Neuem die Frage experimentell geprüft und ist zu dem Resultat gekommen, dass die Högyes’sche Versuchsanwen- dung, zumal am Kaninchen, nicht frei von Fehlerquellen ist; überdies widersprechen die Resultate seiner Versuche denen von Högyes. Auch weitere an Hunden ange- stellte Versuche beweisen, dass beim Erbrechen des Labyrinths Complicationen von Seiten des Gehirns eintraten (Anästhesie der Cornea) und dass es sich hierbei um Reizung der Gehirnbasis handeln muss, durch welche die zur Beobachtung kommen- den Erscheinungen ihre Erklärung finden.

Zum Schluss bespricht Verf. die von Bechterew nach Durchschneidung des Acusticus erlangten Resultate und bemängelt die Operationsmethode, welche unzweifel- haft Läsionen der Gehirnbasis setzen muss. M.

Pathologische Anatomie.

4) Hemicephalie und Aplasie der Nebennieren, von Professor C. Weigert. (Virchow’s Archiv. Bd. 100. 8. 176.)

W. fand in allen Fällen von Hemicephalie eine mehr oder weniger hochgradige Aplasie der Nebennieren, aber niemals ein vollständiges Fehlen derselben, wie Merkel, Förster, Ruge, Lomer es beobachteten. Er erklärt es für das Wahrscheinlichste, dass der Hirndefect die mangelhafte Entwickelung der Nebennieren bedingt; und zwar muss der diesen Einfluss ausübende Theil des Gehirns oberhalb des Athmungs- centrums liegen, weil ein Hemicephalus, der 18 Stunden lebte, auch die Aplasie der Nebennieren zeigte.

Mit Rücksicht auf einen hierbergehörigen Fall, in welchem W. Sonslatirte; dass das Ganglion cervicale supremum sympatbici fehlte, und auf ähnliche Beobachtungen am Sympathicus bei Nebennierenerkrankungen (Marchand) meint W. dass auch das betreffende Ganglion eine, wenn nicht directe, so doch indirecte Beziehung zur Ent- wickelung der Nebennieren haben dürfte.

Uebrigens betraf die Aplasie nicht nur die, nach den meisten Autoren allein für nervös gehaltene, Marksubstanz der Nebenniere, sondern auch die Rinde.

Hadlich.

Pathologie des Nervensystems.

5) Ueber das Vorkommen und die Bedeutung der sensorischen Anästhesie bei Erkrankungen des centralen Nervensystems, von Dr. R. Thomsen und Dr. H. Oppenheim. (Arch. f. Psych. XV. H. 3.)

OL. Die sensorischen Anästhesien der Hysterischen.

Die Verff. untersuchten 28 Hysterische (2 Männer und 26 Frauen) auf der Krampfstation der Charit6. Unter diesen vermissten sie überhaupt nur in zwei Fällen (Frauen) passagere oder stationäre Anästhesien. Aus den mitgetheilten Beobach- tungen konnten die Verff. eine Bestätigung der Charcot’schen Ansicht, „dass die hysterische Empfindungslähmung eine unilaterale sei, während es zu totaler Anästhesie relativ nur in seltenen Fällen komme, —- ferner dass die Anästhesie nicht die all- semeine Sensibilität allein, sondern stets die sensoriellen Apparate und zwar meist alle mitbetreffe“ nicht herleiten. Ihren Erfahrungen zufolge konnten dieselben

258

auch ebensowenig zu dem Satze, „dass die Hemianästhesie ein für die Hysterie fast pathognostisches und um so wichtigeres Symptom sei, als dasselbe da, wo es vor- komme, nahezu permanent bliebe“ ihre Zustimmung geben, denn sie fanden gegen- über Charcot in der Mehrzahl der Fälle von Hysterie die cutane Empfindungslähmung nicht einseitig total, sondern bilateral partiell nicht stationär, sondern in höchst capriciöser Weise an Intensität und Extensität schwankend gelegentlich abwechselnd mit einer mehr oder weniger scharfen Hemianästhesie. Eensowenig konnten die Verff. eine feste Beziehung im Verhalten der einzelnen sensorischen Apparate, der Haut- sensibilität zu einander constatiren. So fanden sie einerseits sensorische Anästhesie, bei durchaus und stets normaler Hautsensibilität, andererseits totale Unempfindlich- keit der Kopfhaut bei fast ganz normalen sensorischen Functionen.

In einzelnen Fällen besteht eine bilaterale Hautanästhesie bei vorwiegend uni- lateraler sensorischer und umgekehrt ist in wieder anderen Fällen der eine sensorische Apparat auf der einen, der andere auf der gegenüberliegenden Seite mehr betheiligt, es besteht z. B. eine grössere Gesichtsfeldeinschränkung links, eine stärkere Herab- setzung der Hörschärfe rechts etc.

Von den einzelnen Sinnesorganen: Geruch, Geschmack, Gehör kann jeder ein- zeine einmal eine völlige Anästhesie bei Intaktheit der übrigen zeigen, der Muskelsinn kann sich gestört erweisen, ganz unabhängig von der bestehenden Hautanästhesie, rein einseitig jedoch wurde, was besonders hervorzuheben ist, ein normales Verhalten des Gesichtsfeldes bei Affection der übrigen Sinnesorgane so gut wie nie gefunden.

Die Gesichtsfelder waren meist auf beiden Augen gleich stark concentrisch ein- geengt; analog dem Gesichtsfelde für weiss zeigten die Farbengesichtsfelder concen- trische Verengerung, zuweilen bestand bei hochgradiger Gesichtsfeldbeschränkung Achromatopeie für Roth und Grün. Die Sehschärfe zeigte ebenfalls die bekannte Verminderung.

Die sensorische Anästhesie wurde bei den schwersten und hartnäckigsten Formen so gut wie bei den leichteren und leichtesten Graden der Hysterie gefunden, gleich- gültig ob dieselbe mit oder ohne Krämpfe einherging.

III. Die sensorischen Anästhesien bei allgemeinen Neurosen.

Neben den Erscheinungen reizbarer Schwäche etc. wurde typische conc. Gesichts- feldeinschränkung für Weiss und alle Farben, daneben Störungen der Hautsensibili- tät, gewöhnlich auf einzelne Partien der Körperoberfläche (häufig die behaarte Kopf- haut) oder seltener auf eine Körperhälfte beschränkt, sowie functionelle Defecte in den übrigen Sinnesorganen gefunden. Oft ist die Gesichtsfeldeinschränkung die einzig nachweisbare Anomalie, andermal nimmt dieses oder jenes Sinnesorgan oder alle an der Erkrankung theil. Die Erfahrungen der Verff. schliessen sich in diesen Formen ziemlich eng an die des Referenten (siehe Archiv für Augenheilkunde. XII) bei Neurasthenischen an.

Unter 20 Fällen von Chorea konnten die Verff. in dreien derselben Anomalien der allgemeinen und speciellen Sensibilität nachweisen. Alle drei Fälle zeigen ziem- lich hochgradige concentrische Gesichtsfeldverengerung auf der Höhe der Krankheit.

In Fällen von reiner Hemicranie und einfachen Neuralgien wurde nur vereinzelt einmal eine mässige Gesichtsfeldeinschränkung aufgefunden.

Auch bei einer Reihe von Angstzuständen, als einzigstem oder doch hervor- stechendstem Symptom, wurde in den meisten Fällen eine concentrische Gesichtsfeld- einschränkung gefunden, gewöhnlich verbunden mit anderen sensibel-sensorischen Anomalien. Ganz besonderes Interesse bietet unter diesen Beobachtungen ein Fall (XXXVUII) mit Platzangst, bei welchem eine stationäre rechtsseitige laterale Hemi- anopsie besteht, zu welcher nun abhängig von den jeweiligen Angstzuständen eine mehr oder weniger hochgradige concentrische Gesichtsfeldeinschränkung der erhalten gebliebenen Gesichtsfeldhälften hinzukommt. Auf diese Beobachtung muss ganz be- sonders hingewiesen werden gegenüber den Behauptungen von F6r6 (Arch. de Neuro).

HB

II. p. 337 ) über concentrische Gesichtsfeldeinschränkungen bei Hemianopsie in Folge von Herden in der inneren Kapsel. IV. Sensorische Anästhesien im Gefolge von Kopfverletzungen und allgemeinen Körpererschütterungen.

Die Bezeichnung Hysterie für die Erscheinungen der hier behandelten Fälle ist durchaus nicht zutreffend. Eine dreifache Sympiomenreihe sehen wir im Gefolge der Kopfverletzungen und der allgemeinen Körpererschütterungen sich ausbilden:

1) Alterationen des psychischen Verhaltens,

2) gewisse nervöse Beschwerden und

3) Sensibilitätsstörungen im weitesten Sinne des Wortes.

Auch hier zeigen die Fälle (meist Folgen von Eisenbahnunglücken) die vor- erwähnten Anästhesien mit concentrischer Gesichtsfeldeinschränkung. Der Verlauf war jedoch in diesen Beobachtungen ein meist stabiler, er zeigte nicht das Wech- selnde, Sprunghafte, wie es der Hysterie charakteristisch ist; auch verbanden sich in einem nicht geringen Procentsatz der hierherzählenden Fälle Krankheitserschei- nungen, die auf eine irreparabele Erkrankung des Nervensystems hindenteten (refl. Pupillenstarre etec.).

V. Sensorische Anästhesien bei Erkrankungen, welche unter dem Bilde einer multiplen Herderkrankung verlaufen.

Aus den mitgetheilten Krankengeschichten geht hervor: die multiple Sklerose sowohl als auch Erkrankungen, die einen ähnlichen klinischen Verlauf nahmen, ohne dass ihre anatomische Grundlage bisher festzustellen war, verbinden sich zuweilen mit Störungen der sensibel-sensorischen Functionen. Von den letzteren scheint die concentrische Gesichtsfeldeinschränkung der constanteste Factor zu sein. Das Schwanken dieser Erscheinungen bei progressiver Tendenz der Erkrankung, ihr An- und Ab- schwellen in Abhängigkeit von Anfällen psychischer Natur, die fast reguläre Bila- teralität dieser Anomalien machen es wahrscheinlich, dass sie nicht der directe Aus- druok einer Herderkrankung sind.

VI. Bemerkungen über das Vorkommen sensorischer Anästhesien bei Erkrankungen des Gehirns, die sich als palpabel erwiesen haben oder denen intre vitam eine palpable Grundlage zuerkannt werden musste.

: Während Charcot und seine Schüler? es für erwiesen erachten, dass die Hemianästhesie der Ausdruck einer Erkrankung des hinteren Theils der inneren Kapsel ist, wendet sich Wilks entschieden gegen diese Auffassung; Erkrankungen dieser Gegend rufen nach seiner Erfahrung nur cutane Sensibilitätsstörungen hervor. Die Verff. neigen sich der Ansicht des Letzteren zu. Auch die Untersuchungen von Landolt widersprechen der Charcot’schen Ansicht, da sich bei genauer Prüfung Sehstörüngen auf beiden Augen fanden, wiewohl die cutane Hemianästhesie eine ein- seitige war.

' Vo. Beösume.

1)’ Die sensorische Anästhesie und Hemianästhesie ist nicht charakteristisch für

Hysterie, sondern findet sich bei vielen anderen Erkrankungen des Centralnerven-

mB.

2) Sie bildet einen typischen Symptomencomplex, der fast überall, trotz des jeweiligen Fehlens einzelner Glieder, das gleiche Bild zeigt.

3) Das oonstanteste Symptom ist die beiderseitige concentrische Gesichtsfeld- einschränkung.

4) Die Betheiligung der übrigen Sinnesergane und die outane und Schleimhaut- semsibilität ist eine schwankende.

' „Eine allseitige concentrische Gesichtsfeldeinschränkung und eine Hemianopsie sind auf on entgegengesetzte Erkrankung der Capsul. intern. mit Betheiligung des Corp. geniculat. zu beziehen.“

® Fer6, 1. co. Grasset, Ambiyopie croisde et ’hömiopie. Montpellier Med. 1888.

21570 -—

5) Eine feste Beziehung der Funktionsstörungen der einzelnen sensorischen Apparate und der Hautempfindung zu einander besteht nicht.

6) Echte Hemisnästhesien sind selten und existiren in dem Sinne, dass die andere Körperhälfte völlig unbetheiligt ist, überhaupt nicht.

7) Die sensorische Anästhesie tritt entweder auf stationär, dann meist mit mehr oder weniger starken Oscillationen nach Intensität und Extensität, oder passagere letzteres ist das Seltenere.

8) Fast alle Kranken mit sensorischer Anästhesie weisen bestimmte psychische Anomalien auf: entweder es besteht eine Trübung des Bewusstseins Hallucinations-, Traum- und Dämmerzustände oder es besteht eine Beeinträchtigung der affectiven Sphäre, Reizbarkeit und Gemüthsdepression, deren häufigste Begleiterscheinung die Angst mit oder ohne Vorstellungen ist.

9) Die Tiefe der sensorischen Anästhesie geht in den meisten Fällen direct parallel dem Zustande der. Peyche, in einzelnen Fällen tritt sie auf und verschwindet zugleich mit der psychischen Alteration.

10) Nervöse Beschwerden (Kopfäruck, Parästhesien der Sinnesorgane, Tremor etc.) fehlen dabei fast nie.

11) Die sensorische Anästhesie findet sich: bei Epilepsie, Hysterie, Hystero- Epilepsie, Alcoholismus, Nervosität, Neurasthenie, Chorea, Angstzuständen, bei Rail- way-Spine und Kopfverletzungen, ferner bei der multiplen Sklerose und der West- phal’schen Neurose, bei organischen Hirnkrankheiten und im Gefolge gewisser Psychosen, die noch nicht näher classificirt werden: können.

12) Die sensorische Anästhesie tritt demnach auf:

I. gemeinsam mit den genannten psychischen Anomalien als Balbeiakändiges Krank- heitsbild;

I. im Geleit anderer functioneller Erkrankungen des centralen Nervensystems Neurosen und Psychosen;

II. Auf der Basis palpabler Erkrankungen des Centralnervensystems. In diesem Falle kommt ihr dann, soweit sich aus unseren Beobachtungen schliessen lässt, nicht die Bedeutung eines Herdsymptoms, sondern einer ‚allgemeinen Cerebral- erscheinung zu.

13) Der Befund einer sensorischen Anästhosie oder Hemianästhesie gestattet keinen Rückschluss auf den Charakter und die Prognose der Grundkrankheit.

Wilbrand, Hamburg.

6) Ueber concentrische Gesichtsfeldeinschränkung bei functionellen Stö- rungen der Grosshirnrinde und über Incongruenz hemianopischer Gesichtsfelddefeote, von H. Wilbrand. (Klin. Monatebl. f. Augenheilk. 1885. Februar.)

W. löst den in Thomsen’s und Oppenheim'’s Arbeit constatirten‘ Widerspruch

concentrische Gesichtsfeldeinschränkung nach epileptischen Zuständen, Hemianopsie

bei organischen Läsionen des Hinterhauptslappens. Nachdem er zuerst die theo-

retische Möglichkeit einer concentrischen Gesichtsfeldeinschränkung bei doppelseitigen

Herdaffectionen der Hinterhauptslappen erwiesen, zeigt er zuerst, dass mit Ausnahme

des hemianopischen Flimmerscotoms alle functionellen Störungen der optischen Lei-

tung, Anaosthesia retinae, hysterische Ambiyopie, die grosse Mehrzahl der Flimmer- scotome, ganz analoge Erscheinungen mit den Befunden von T. und O. zeigen und ebenso, wie diese auf doppelseitige Störungen der Sehcentren zu beziehen sind. Unter

Annahme der von W. angegebenen Anordnung der corticalen Sehcentren, der zufolge

die maculären Rindenfelder eine nicht geringe Partie jener Centren einnehmen, wird

es verständlich, dass die im epileptischen Anfalle totale Amaurose im postepileptischen

Zustande concentrisch von innen nach aussen zurückgeht, da das maculäre Rinden-

feld als das für die Perception am besten ausgestattete, zunächst in Thätigkeit treten

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wird; für die mit der befallenen Hemisphäre zusammenhängenden Betinahälften ergiebt sich daraus eine contralaterale Hemianopsie mit je nach dem Stadium verschieden grosser concentrischer, in die hemianopischen Gesichtsfeldhälften vorspringenden Zoue erhaltenen Gesichtsfeldes, welcher Befund bei Annahme einer doppelseitigen Ver- änderung und gleicher Intensität derselben die gleichgrosse concentrische Gesichts- feldeinschränkung beider Augen ergiebt. (Bezüglich weiterer aus der Annahme un- gleich starker Betheiligung der Rindencentren sich ergebenden Details der Gesichts- feldbilder muss auf das Orig. verwiesen werden. Ref.)

Im Weiteren benützt W. zur Erklärung der functionell bedingten Gesichtsfeld- anomalien jene hemianopischen, durch stationäre Ausfallsherde bedingten Gesichts- felder, welche von der idealen Form höchstgradiger Congruenz mehr oder weniger stark abweichen, zeigt weitläufig, wie sich diese letzteren erklären aus dem ver- schiedenen Flächenverhältniss der Rindenfelder des Fasciculus lateralis zu denen des F. cruciatus und zieht für die Grösse und Congruenz der concentrischen Gesichtsfeld- einschränkung bei functionellen Störungen beider Sehcentren ausser der relativen Grösse und der verschiedenen Höhe der Störung derselben das vorerwähnte Flächen- verhältniss der beiden Fasciculi heran; ferner betont er, wie entsprechend dem Schwanken der functionellen Störung in diesen Fällen niemals so scharfe und stationäre Gesichtsfeldbilder zu erzielen sein werden.

Das von Thomsen und Oppenheim gefundene verschiedene Verhalten der Sehschärfe beider Augen erklärt W. aus der Möglichkeit schon vor der functionellen Störung vorhandener Herabsetzung der Sehschärfe oder peripberischer Störungen, ferner die Thatsache, dass die Patienten mit selbst hochgradigem verengten Gesichtsfeld sich im Gegensatze zu Kranken mit stationärer Hemianopsie, frei bewegen und in ihrer Orientirung wenig behindert erscheinen, daraus, dass der stationäre Gesichts- felddefect bei verschieden grossen Prüfungsobjecten stets dieselbe Grenze giebt, wäh- rend bei den functionellen Störungen die Grenze des Defectes innerhalb einer gewissen Zone sich als eine relativ von der Reizgrösse im umgekehrten Verhältnisse abhängige darstellt, dass in letzteren Fällen der Gesichtsfelddefeot kleiner ist, als ihn die Peri- meteruntersuchung darstellen kann, und dass bei diesen gleichfalls im Gegensatze zu den stationären Ausfallsherden die relative Einschränkung des Farbengesichts- feldes abhängig von der Grösse und Beleuchtungsintensität der Untersuchungs- objecte ist. A. Pick.

7) A propos de six cas d’hystörie chez l’homme, legons de Charcot, re- cusillies par Guinon. (Progr. möd. 1885. No. 18.)

Bei Gelegenheit einer Demonstration von 6 Fällen männlicher Hysterie wendet sich Ch., während er den englischen und amerikanischen Autoren Putnam, Walton und Page, welche den in Folge von Kisenbahnunfällen und ähnlichen traumatischen Ursachen eintretenden Symptomencomplex („Raillway-Spine resp. Railway-Brain“) als einen hysterischen zu kennzeichnen versucht haben, volle Anerkennung zollt, gegen die jüngsten Arbeiten zweier deutscher Neurologen, Thomsen und Oppenheim, die in dieser gerade für unsere moderne Reichsgesetzgebung so überaus bedeutsamen Frage zu ganz andern Resultaten gekommen sind (cf. das vorstehende Referat Nr. 5 8. 254). Ch. verwirft die vielfach unter den Aerzten noch verbreitete Annahme, dass ein hervorstechender Charakterzug der Hysterie in dem flüchtigen, unbestimmten, fast launenhaften Auftreten der mannigfachsten nervösen Phänomene zu suchen sei. Darauf beruhe auch die falsche Voraussetzung, deren er die genannten Be- obachter beschuldigt. Dass die nervösen Störungen, die nach Eisenbabnunfällen bei Männern einzutreten pflegten, darum nicht als hysterische aufgefasst werden dürften, weil sie beständig, hartnäckig und nicht veränderlich wären und die betreffenden männlichen Patienten gewöhnlich eine mehr depressive Stimmung zeigten, ist nach

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Charcot’s Ansicht eine völlig irrige Anschauung. Auch bei Frauen gäbe es Formen schwerer Hysterie, die gewisse dauerhafte permanente Erscheinungen Jahre und Jahrzehnte lang darböten. Er erinnert daran, dass er diese Art von permanenten Symptomen „hysterische Stigmata“ zu nennen pflege. 2 Veteranen der Hystero- Epilepsie sollen Ch.'s Behauptung illustriren. Die eine dieser Frauen steht jetzt im Alter von 63 Jahren ’und wird seit 14 Jahren auf’s Sorgfältigste beobachtet. Seitdem bietet sie eine complete rechtsseitige absolute sensorielle und sensitive Hemianästhesie mit Ovarie dar, die den verschiedensten Heilversuchen Widerstand zu leisten vermocht hat. Ausserdem zeigt sie eine Gesichtsfeldeinschränkung, be- sonders rechterseits seit 6 Jahren. Die andere 62jähr. Patientin hat ihre links- seitige Hemianästhesie bereits seit 34 Jahren und zeigt ebenfalls Gesichtsfeldeinschrän- kung, die zum ersten Male vor 5 Jahren untersucht worden ist und seitdem unaufhörlich bestanden hat.

Der erste zur Demonstration gelangende Kranke ist ein 42jähriger Ladendiener, der hereditär stark belastet ist und von dessen 5 Kindern eine 15jähr. Tochter an nervösen Anfällen, die andere jetzt 10 Jahre alte Tochter an Hysteroepilepsie leidet und die dritte eine mangelhafte Intelligenz zeigt. Als Knabe litt Pat. unter seiner grossen Aengstlichkeit, und zeigte die Erscheinung des Schlafwandelns. Im 19. und 29. Lebensjahre wurde er von schwerem acutem Gelenkrheumatismus, aber ohne Störungen von Seiten des Herzens, heimgesucht. Lues und Alcoholismus sind nicht vorhanden. Vor 9 Jahren bekam er, als er sich mit einem Rasirmesser durch Un- vorsichtigkeit eine Armvene verletzte, eine tiefe, langdauernde Ohnmacht, an deren Folgen er lange zu laboriren hatte. Vor 3 Jahren hatte er eine heftige Emotion, als er beim Rollen eines Fasses über eine Kellertreppe, nur mit Mühe einer schweren Verletzung entging. Er kam mit dem Schrecken und einer leichten Verletzung an der Hand davon. Wenige Minuten nach diesem Ereigniss trat ein Bewusstseins- verlust von 20 Minuten Dauer und mit nachfolgender Unfähigkeit zu gehen und zu arbeiten ein. Sein Schlaf war längere Zeit durch schreckhafte Träume gestört; 10 Tage nach jener Emotion bekam er den ersten hysteroepileptischen Anfall. Die Attacken wiederholen sich seitdem etwa alle 2 Monate und noch Öfter, treten in der Nacht auf. Hallucinationen angenehmen Inhalts hat der Pat. nie beobachtet; es kommt ibm nach Beendigung des Anfalls vor, als ob er sehr wüste Träume ge- habt hätte. Er zeigt eine doppelseitige Hemianästhesie in Plaques für Schmerz- und Temperaturempfindung; sensorische Anästhesien sind bis auf eine leichte Gehörs- störung linkerseits nicht zu constatiren. Doppelseitige Gesichtsfeldeinschränkung fehlt auch bei ihm nicht; sie ist rechts am ausgesprochensten. Es finden sich ferner am Körper des Pat. 2 hysterogene Punkte; der eine unter den rechten falschen Rippen, der andere in der rechten Kniekehle vor; es ist durch Druck auf dieselben möglich, die Aura des Anfalls, bestehend in Präcordialangst, Globus hystericus, Ohrensausen und Klopfen in den Schläfen hervorzurufen. Der intelligente Pat. ist von sanftem Charakter, sehr ängstlich, leicht besonders durch den Anblick kleiner Thiere erschreckt, neigt sehr zur Einsamkeit und Melancholie. Nachdem die schon näher präcisirte Aura vorüber, tritt der eigentliche hysterische Anfall ein, der sich aus 4 Perioden zusammensetzt: I. epileptiforme Zuckungen, II. Emprosthotonus und Opisthotonus-Bewegungen, „arc de cercle et mouvements de salutation.“ Dabei stösst der Kranke fürchterliche Töne aus. III. Theatralische Stellungen, die mit den Objecten seiner Träume, Kämpfen gegen Thiere oder mit dem oben geschilderten Unfall zusammenhängen; fortdauerndes Schreien. In der IV. Periode kommt Pat. zu sich, erkennt seine Umgebung, doch dauern die Hallucinationen noch einige Zeit an. Oft folgen 34 solche Attacken ganz kurz hintereinander.

Dieser Fall, den Ch. als Hystero-Epilepsie auffasst, wird mit statischer Elek- tricität und mit Tonicis schon ein ganzes Jahr lang erfolglos behandelt. Derselbe zeichnet sich, wie Ch. meint, durch die schwere hereditäre Belastung des Pat. (in

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der Familie sind viel Epileptiker) aus, sowie durch seine Entstehung im unmittel- baren Auschluss an den heftigen Schreck, welchen dem Pat. die drohende Gefahr, von einem Weinfasse lebensgefährlich getroffen zu werden, verursacht hat.

Dasselbe psychische Element ist auch in mannigfacher Form bei allen oben genannten Autoren der für die Entstehung solcher nervöser Affectionen maassgebende ätiologische Factor. Auch die übrigen 5 an männlicher Hysterie leidenden Patienten Charcot’s (die Wiedergabe der Demonstration wird in einer der nächsten Nummern des Progrös me6dical erfolgen) sollen ihre Erkrankung ähnlichen psychisch-trauma- tischen Ursachen verdanken. Laquer.

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IIL Aus den Gesellschaften.

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung vom 11. Mai 1885.

Westphal demonstrirt: 1) Einen Fall von amyotrophischer Lateral- solerose (Charcot). Der 30jähr. Pat. zeigt sehr abgemagerte Beine, an denen aber keine partiellen Muskelatrophien nachzuweisen sind; ihre Musculatur ist auf- fallend rigide, passive Beugungen in den Gelenken sind nur mit Mühe möglich und so, dass alsbald Becken und Rumpf mitbewegt werden. Pat. kann die Beine nur einige Zoll vom Bette erheben und nur mit starkem Zittern; auch die anderen Be- wegungen der Beine sind nur in geringem Maasse ausführbar; bei Streckungen ent- wickelt Pat. etwas mehr Kraft als bei Beugungen. Stehen und Gehen ist unmöglich. Patellarphänomen verstärkt, und zwar geräth dabei die ganze ‚Extremität in einen einige Minuten anhaltenden Zitterkrampf. Bei Klopfen der Achillessehne einfache Plantarflexion. Muskelgefühl gut. Sensibilität normal.

Etwas abweichend ist das Verhalten der Arme. Auch hier besteht eine sehr starke Abmagerung; ausserdem aber sind die M. deltoidei auffallend atrophisch, und die Spatia interossea I der Hand stellen tiefe Einsenkungen dar; auch die Fossae supraspinatse bilden tiefe Gruben.

Alle passiven Bewegungen an der oberen Extremität sind nur mit Ueberwindung eines gewissen Widerstandes möglich; eine eigentliche Contractur besteht jedoch nur im M. pectoralis, sodass Bewegungen im Schultergelenk kaum möglich sind. Die Hand steht in Flexion, vermag gar keine spontanen Bewegungen mehr auszuführen.

Auf Klopfen der Sehne des Biceps und Triceps erfolgt eine geringe Zuokung.

Auffallend ist die Sprache: undeutlich, näselnd, langsam. Die Zunge kann nur wenig vor die Zähne herausgestreckt werden, auch kann Pat. den Mund nicht weit öffnen. Das Gaumensegel bewegt sich nur schwach. Beim Schlingact tritt häufig Verschlucken ein.

An den Augenmuskein nichts Abnormes.

Pat. lacht viel in dementer Weise.

Elektrische Erregbarkeit überall ziemlich gut erhalten; nur an den hochgradig atrophischen Stellen keine Reaction, aber nirgends träge Zuckung.

Anamnestisch ist nur ermittelt, dass das Leiden vor etwa 2 Jahren begann und zwar in den Beinen einige Wochen früher, als in den Armen; viel später erst sind die Bulbärerscheinungen aufgetreten.

Aller Wahrscheinlichkeit nach besteht also eine Seitenstrangsclerose mit Atrophie der grauen Substanz in den oberen Theilen der Medulla; ferner Sclerose des Bulbus. Ob die Dementia genetisch mit dem Leiden zusammenhängt, ist fraglich, auch ist die Möglichkeit, dass es sich um eine multiple Sclerose handelt, nicht ausgeschlossen. Leyden’s Ansicht, dass in derartigen Fällen auch nur eine einfache Muskelatrophie vorliegt, hält W. deshalb nicht für zutreffend, weil hier doch die spastischen Läh- mungsersoheinungen an den Beinen ohne Atrophie bestehen.

23) Eine durch Eisenbahnunfall entstandene Neurose, Der Packmeister N. wurde am 14. Jan. 1885 bei einem Unfall vom Sitz geschleudert und bewusstlos aus den Trümmern des Wagens hervorgezogen, während sein Begleiter getödtet wurde. Er bot anfangs weder Verletzungen dar, noch hatte er Schmerzen, war nur ungemein aufgeregt, phantasirie von Unglücksfällen, schreokte oft aus dem Schlafe auf. Am 3. Tage heftige Schmerzen im Rücken und Kopf, Kribbeln in den Extremitäten, Taubsein in den Beinen, an wechselnden Körperstellen das Gefühl wie von Blasen- bildung und Aufplatzen der Blasen. Nach und nach zunehmende Schwäche in den Beinen und allgemeines Zittern. Immer ängstliche, schreckhafte Stimmung, Erschrecken beim Pfeifen einer Locomotive. Jetzt hat Pat. oft Schmerzen in den Gelenken „mit Knacken, als wenn ein Stück abgesprengt wird‘; auch kann er mit den Händen nicht mehr gut festhalten. Beim Augenschluss tritt starkes Taumeln ein, sodass Pat. gehalten werden muss.

Das Interessanteste ist jedoch eine fast totale Anästhesie An Rumpf, Extremi- täten, Kopf, Nasenscheidewand fühlt Pat. auch die tiefsten Nadelstiche nicht. Nur einige ganz kleine sensible Stellen bestehen: am unteren Sternalende, beiderseits symmetrisch dicht oberhalb des Handgelenks und oben-innen am Knie; ferner am Rücken links am Innenrande der Scapula; endlich sind Penis und Scrotum anästhetisch.

Geschmack und Geruch vollständig; das Gehör ist links schlechter, als rechts. Das Gesichtsfeld ist erheblich eingeschränkt. Die Cornea ist unempfindlich, der Berührungsreflex jedoch tritt ein. Das Muskelgefühl ist gestört. Epileptoide An- fälle sind niemals aufgetreten.

Der Auffassung von Charcot, dass es sich in Fällen dieser Art um hysterische Zustände handle, kann W. schon mit Rücksicht auf den psychischen Zustand, der entschieden kein hysterischer sei, nicht zustimmen.

Oppenheim: Charcot hat jüngst gelegentlich eines Vortrages über männliche Hysterie (cf. vorstebendes Referat Nr. 7) uns Thomsen und mich in einer Weise kritisirt, die zu lebhaftem Protest Veranlassung giebt. Er bezeichnet die psychischen und sensorisch-sensiblen Störungen bei Railway-spine (resp. nach Kopf- verletzungen und allgemeinen Erschütterungen) ohne Weiteres als Hysterie „rien que de l’hystsrie!“ und bekämpft unsere gegen diese Bezeichnung vorgebrachten Gründe, indem er gerade das Wichtigste unserer Argumente: Den Befund von Symptomen, die auf schwere und selbst irreparablo Veränderungen im Nervenapparat hinweisen (Pupillenstarre, Opticusatrophie, epileptische Anfälle etc.) einfach ignorirt. Bis jetzt hat wohl noch Niemand diese Befunde als zum Symptomenbilde der „Hysterie“ gehörig betrachtet. Wenn ferner Charcot das stabile psychische Verhalten, die bartnäckige „depression et tendance mälancolique“ in den Fällen der genannten Art vereinbar hält mit dem psychischen Zustand der Hysterischen, weil bei der männ- lichen Hysterie die Psyche keineswegs jenen launenhaften Wechsel der Erscheinungen zeige, wie es von den übrigen Autoren als charakteristisch für die Hysterie ange- sehen wird, so möchten wir doch das Bedenken äussern, dass das ohnehin so ver- schwommene Bild der Hysterie, wenn man derart das beste diagnostische Moment: das psychische hysterische Verhalten, einfach beseitigt, völlig auseinanderfährt und dass damit die Frage: „Was ist denn Hysterie?“ völlig unbeantwortbar wird.

Dass die Sensibilitätsstörungen als solche nicht für Hysterie charakteristisch sind, glauben wir sattsam nachgewiesen zu haben und so dürfen wir wohl dieses ebenfalls von Charcot gegen uns angeführte Argument als nicht berechtigt hin- stellen, zumal es sich in unseren Fällen keineswegs, wie Charcot von denselben berichtet, um Hemianästhesien, sondern um bilaterale (über beide Körperhälften ver- breitete) Anästhesien handelt.

Dass wir nicht glauben „quelque chose de particnlier, je ne sais queol 6tat pathologique non emcore döcrit“ gefunden und mitgetheilt zu haben, geht wohl für

262

Jeden, der unsere Arbeit im Original, nicht in einem vielleicht misszuverstehenden Referate gelesen hat, ohne Weiteres hervor.

Das eine wollen wir noch anführen, dass wir nach unseren inzwischen gesammelten neuen Erfahrungen allen Grund haben, an unserer Anschauung festzuhalten, da wir wiederum Fälle von Kopfverletzung und Eisenbahnerschütterung beobachteten, in welchen neben den psychischen Störungen und Sensibilitätsanomalien Symptome her- vortraten, die nimmermehr in den Rahmen der Hysterie gehören, wie: reflectorische Pupillenstarre, opthalmoskopisch nachweisbare Erkrankung der Sehnerven, epileptische Anfälle etc. etc.

Remak fragt, ob Herr Westphal glaube, eine organische, palpable Erkrankung annehmen zu sollen? Wenn nicht, so werde man doch vielleicht Charcot zustimmen können.

Westphal will es dahingestellt sein lassen, ob palpable Veränderungen vor- liegen; aber darum dürfe man doch noch nicht von Hysterie reden, man könne es ja Neurose nennen.

Hirschberg: Wenn ich einerseits die herumgereichte Zeichnung der bis auf ca. 15° beschränkten Gesichtsfelder beider Augen des Kranken betrachte; und anderer- seits sehe, dass der Mann sich mit Hülfe seines Gesichtssinns vollkommen frei orientirt: so muss ich wiederum (wie schon bei früherer Gelegenheit) betonen, dass die Zeichnung des Gesichtsfeldes unrichtig und werthlos ist: nicht das totale Ge- sichtefeld, sondern nur der mit relativ guter Sehschärfe versehene Theil desselben ist aufgezeichnet.

Richter, Dalldorf: Ueber secundäre Atrophie der optischen Leitungs- bahnen von den Occipitalwindungen aus nach dem Pulvinar. Der Vortr. hat bei 3 Gehirnen mit Erweichungen der Occipitallappen, welche Hemianopsien ver- ursacht hatten, vergeblich eine secundäre Atrophie nach dem Pulvinar aufzufinden gesucht. v. Monakow hatte an 2 Fällen diese nachzuweisen versucht, welche er im letzten und vorletzten Band des Archivs für Psychiatrie publicirte, der Vortr. könne jedoch beide nicht als geeignet zu einem solchen Nachweis erachten, da es überhaupt sehr schwer sei, am Gehirn eines Smonatlichen Foetus (1. Fall) differenzirte Bahnen nachzuweisen, zumal wenn es porencephalisch sei und da auch am Gehirn des 2. Falles mit multiplen Erweichungsherden die degenerirten Stellen zu viele Deutungen zuliessen.

Der Vortr. referirt nun einen Fall, bei dem eine homonyme linksseitige Hemi- anopsie ca. 21/, Jahr bestanden hatte. Die perimetrischen Aufnahmen verschiedener Zeiten ergaben dieselben Resultate und reicht der Vortr. die betr. Gesichtsfeldauf- nahmen herum. Der Kranke war epileptisch und starb in einem Anfall. Die Sec- tion des Gehirns ergab eine alte ringförmige Erweichung des rechten Occipitallappens und eine leichtere jüngere der basalen Theile des rechten Temporallappens; die tief- entarteten Theile waren der G. cuneis, die hinteren Hälften des G. temporo-occip. int. und ext. und die 3 Occipitalwindungen; sonst war an dem Hirne durchaus nichts Krankhaftes. Das rechte Pulvinar aber war viel kleiner als das linke. Da sich in den erkrankten Stellen Fettkörnchenzellen vorfanden, so hatte der Vortr. das Gehim von der Spitze bis zu den infracorticalen Ganglien in dünne Scheiben zerlegt und dieselben mittelst Zupfpräparaten auf ihre normalen oder abnormen Bestandtheile abgesucht.

Nach hinten, von dem entarteten Gürtel, waren die Schnittflächen durchweg krankhaft entartet und mit Fettkörnchenzellen besetzt. Nach vorn von ihm griffen sie zwar noch auf dem ersten Querschnitt um das ganze Ventrikellumen herum, sie waren jedoch an dessen Aussenwand am dichtesten; auf dem nächsten Querschnitte griffen sie bereits nicht mehr ganz um den Ventrikel herum und auf dem Quer- schnitt, der durch die Stria cornea geführt worden war, liessen sie bereits das oberste Viertel der Aussenwand des Seitenventrikels frei. In den erweichten basalen Theilen

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waren sie viel dünner vertreten und das Gewebe weniger entartet. Vor der Stria cornea befand sich das Gros der Fettkörnchenzellen nach aussen vom Schwanz des Schwanzkerness und zog sich in dünnen Streifen ausserhalb des Tapetum zu den basalen Temporalwindungen. Auf dem nächsten Querschnitt befand sich ihr Zug innerhalb des Schwanzes des Schwanzkernes; er war also unter letzterem weggezogen nach dem Uebergang zum Pulvinar. Er zog übrigens immer noch in dünnen Streifen nach aussen von der Tapeta- zu den Temporalwindungen.

Der nächste Querschnitt ging durch den hintersten Theil des Corp. gen. ext. Das Pulvinar war in dieser Höhe vollkommen entartet und die Entartung setzte sich ebenfalls nach unten hin fort, das Corp. gen. ext. jedoch blieb absolut intact. Der nächste Schnitt war so gelegt, dass er beide Corpora geniculata traf. Man sah nun zwei Züge von Fettkörnchenzellen; den oberen im Pulvinar, der untere ging von der halben Höhe des Corp. gen. ext. nach abwärts; aber beide Corpora gen. zeigten sich absolut intact.. Es war unterdessen der Linsenkern und die innere Kapsel in die Erscheinung getreten und es zeigte sich, dass der obere entartete Zug durch ein grosses Stück des Thal. opt. von der innern Kapsel getrennt war, also mit dieser gar nicht in Berührung kam.

Der folgende Querschnitt zeigte nur noch einen schmalen Streifen entarteten Thal. opt. (hinten-innen), zeigte ebenfalls die Corpora gen. vollkommen intact, den unteren entarteten Zug jedoch zeigte er an der Aussenwand des Seitenventrikels emporsteigen und in den innern Theil der hintern Cape. int. und von da in das Tegment. caud. ziehen. Auf dem letzten Querschnitt war der Thal. opt. ebenfalls vollkommen intact und man sah nur noch die Fettkörnchenzellen im Tegment. caud. ziehen. Auch die Corp. quadrig. waren vollkommen normal.

Der Vortr. hob hervor, dass er sich der Ansicht v. Monakow’s, nach dem ein Herd in den Oceipitalwindungen nicht nur eine Atrophie in dem Pulvinar, sondern auch im Corp. quadrig. sup. und Corp. gen. ext. setzen könne, durchaus nicht an- schliessen dürfe, sondern dass er bei der Klarheit seines Falles nur eine für das Pulvinar annebme. In dem Falle v. Monakow’s sei die Umgebung des Corp. quadrig. und des Corp. gen. erweicht gewesen und diese selbst in die Erweichung direct mit hineingezogen worden. Ausserdem hätte er auch nicht gesehen, dass die Stabkranz- bündel des Schläfenlappens nach ihrer Umkehr zum Theil in das Corp. gen. int. zogen, letzteres sei im Fall des Vortr. wie gesagt ganz intact gewesen und jene Bündel seien in das Tegm. caud. und von da in das Innere des Hirnschenkels ge- zogen. Vor dem Eintritt desselben in die Brücke hatten sie sich verloren.

Schliesslich hatte der Vortr. zwei der beregten Schnitte aufgelegt und zeigte vermittelst Zupfpräparaten, dass die Corp. geniculata vollkommen intact und dass Pulvinar und Tegm. caud. entartet waren.

Auf die Frage des Vorsitzenden, ob alle Möglichkeiten einer primären Er- krankung des Pulvinar ausgeschlossen seien, erwiderte der Vortr., dass kein Präparat für eine primäre Erweichung oder eine Blutung, wohl aber alle für eine allmähliche Degeneration gesprochen hätten. Hadlich.

IV. Bibliographie,

Ueber den Shock. Eine kritische Studie auf physiologischer Grundlage von G. H. Groeningen. (Wiesbaden 1885. J. F. Bergmann. 255 Seiten.)

Eine Monographie des „Shock“ auf der Basis wissenschaftlicher Kritik und Analyse schien gewiss ein sehr wünschenswerthes, sogar dringend erforderliches Unter- nehmen, da der ursprünglich nichts als „Schlag“, „Stoss“ bedeutende englische Ausdruck allmählich eine Umdeutung und pathologische Verwendung von fast ver- wirrender Vielseitigkeit gefunden hatte.

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Der Verf. des vorliegenden (durch Bardeleben mit einem kurzen Vorwort eingeleiteten) Werkes hat sich der gestellten umfassenden Aufgabe in gründlichster man könnte beinahe sagen, allzu gründlicher Weise entledigt. Hiervon giebt u. A. das ungemein vollständige Literaturverzeichniss (8. 245—255) Kunde, welches übrigens in sehr zwockmässiger Weise den einzelnen Capiteln des Buches entsprechend ge- ordnet is, Das ursprünglich für die obermilitär-ärztliche Prüfung geschriebene und auf Wunsch der Censoren veröffentlichte Work zerfällt in 17 Abschnitte. Nach einer kurzen Einleitung folgt zuerst eine sehr übersichtlich gehaltene geschichtliche Darstellung und eine Schilderung des allgemeinen Krankheitsbildes des Shock, welcher letztere von G. als „eine durch heftige Insulte bewirkte Erschöpfung der Medulla oblongata und des RBückenmarks“ definirt wird; sodann eine auß- führliche Erörterung der hämopathologischen und der neuropathologischen Theorien, welchen eine Besprechung des von G. nicht als besondere Species anerkannten sog. „erethischen“ und des „localen oder peripheren Shock“ angeschlossen ist. In weiteren Capiteln werden die Symptomatologie, die prädisponirenden Ursachen, Differentialdiagnose und Häufigkeit des Shock dargelegt. Auf eine kurze Würdigung des mit Recht so genannten psychischen Shock folgt dann eine den Haupttheil des Buches (8. 140—215) umfassende eingehende Schilderung des Shock nach Ver- letzungen und Operationen; endlich Bemerkungen tiber den Shock in forensischer Hinsicht, über Prognose, Prophylaxe und Therapie. In nicht weniger als 108 Schlusssätzen fasst der Verf. die Resultate zusammen, zu welchen er hinsichtlich des Shocks auf Grundlage aller bisher vorliegenden Thatsachen und Erfahrungen gelangt ist. Es ist selbstverständlich nicht möglich, an dieser Stelle auch nur aus den „Schlusssätzen“, welche 9 Seiten des Originals füllen, einen Auszug zu geben; im Allgemeinen drängt sich dem Leser unwillkürlich das Gefühl einer gewissen Unbe- friedigung auf, welches daraus entspringt, dass durch das gesammte Werk hindurch otwas mit der allergrössten minutiösen Sorgfalt in alle Details hinein verfolgt und durchforscht ist, welches als Ganzes denn doch nicht recht zur Geltung gelangt, nicht zur Höhe eines einheitlich abgeschlossenen und befriedigenden Krankheits- begriffes gebracht wird. In gewissem Sinne geht dies schon aus den beiden Schluss- thesen hervor, welche lauten: (107) „Es ist Aufgabe der Zukunft, für das Wort Shock das die zu Grunde liegenden Veränderungen adäquat wiedergebende Wort zu substituiren“. (108) „Bis diese Veränderungen nachgewiesen sind, empfiehlt es sich, das Wort Shock als Lückenbüsser beizubehalten und die hypothetische Veränderung der Medulla damit zu bezeichnen.“ A. Eulenburg.

V. Personalien.

Am 13. Mai starb zu Göttingen der Geheime Obermedicinalrath Prof. Dr. Friedr. Gustav Jacob Henle im Alter von 75 Jahren. Wenn auch an dieser Stelle nicht der Ort ist, den Verlust, den die Wissenschaft durch seinen Tod erlitten, in seinem vollen Umfauge zu würdigen, so muss doch der hervorragenden Verdienste, die sich Henle speciell um die Neurologie durch sein Handbuch der Nervenlohre des Menschen erworben, gedacht werden. Noch in den letzten Jahren seines Lebens haben seine „anthropologischen Vorträge“ gezeigt, wie er über den subtilen Einzelheiten, die die anatomische Untersuchung ergründete, den scharfen Blick und den philosophischen Sinn für die höchsten Probleme der menschlichen Wissenschaft nicht verloren hatte.

M.

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redastion sind zu richten an Prof. Dr. E. Meondel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Vzır & Come. in Leipzig. Druck von Merzesr & Wırrıa in Leipzig.

NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Vierter SU Sen. Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

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1885. 15. Juni. Ne: 12,

Inhalt. I. Originalmitthellungen. 1. Neue experimentelle Beiträge zur Anatomie der Schleife, vorläufige Mittheilung von Dr. v. Monakow. 2. Zur Kenntniss der Olivenzwischen- schicht, von Dr. Sigm. Freud.

il. Referate. Anatomie. 1. Sull’ anatomia minuta delle eminenze bigemine anteriori dell’uomo. Memoria premiata del R. Istituto Lombardo di scienze e lettere di Milano nella seduta del 15 Juglio 1884, del Tartuferl. Experimentelle Physiologie. 2. Ist ein unmittelbarer Einfluss der Grosshirnrinde auf die peripneren Gefässe nachgewiesen? von Raudnitz. 9. Experiences sur la contraction musculaire provoqude par une percussion du muscle chez l’homme, par Bloch. Pathologische Anatomie. 4. Arröt de he mont du cervelet chez un ali6ne, par Ingels. Pathologie des Nervensystems. 5. Ihe post-mortem appearances in a case of death from the action of electricity, by Shelld and Deilöpine. 6. Zwei Fälle von grossen erworbenen Defecten im Schläfenlappen, von Körner. 7. On the pathological anatomy of sensory aphasia, by Amidon. 8. Casuistische Beiträge zur Lehre von der Aphasie, von Kahler. 9. Cerebral Localisation. Brachial Monoplegia from cortical lesion, by Mickle. 10. Uncomplicated Brachial Monoplegia from Lesion of the Internal Capsule, by Bennet and Campbell. 11. Zur Casuistik der Linsenkern-Affectionen, von Kroemer. 12. Note pour servir & P’histoire des actes impulsifs des öpileptiques, par Fere. 18. Ueber das Verhältniss der Sehnenphänomene zur Entartungsreaction, von Romak, 14. De la anpan atrophique progressive (myopathie sans neuropathie), debutant d’ordi- naire dans l’enfance par la face, par Landouzy et Dejerine. Psychiatrie. 15. Contri- bution & l’6tude des complications viscerales de la paralysie gensrale, par Carrier. 16. Zur Kenntniss der progressiven Paralyse, von Rieger. 17. Note sur un cas curieux de trouble de Y6criture (paragraphie) dans le cours d’une paralysie generale progressive, par Rögis. 18. Essai sur les annösies principalement au point de vue 6tiologique, par Reulllard. Therapie. 19. Contrattura degli arti sinistri da lesione della zona motoria destra. Trapsnazione, pel Fenoglio. 20. Cases illustrative of cerebral aurgery, by Macewen. 21. Case of cerebral tumour, by Bennett. Ill. Aus den Gesellschaften. IV. Personallen.

I, Originalmittheilungen.

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1. Neue experimentelle Beiträge zur Anatomie der Schleife. Vorläufige Mittheilung von Dr. v. Monakow in St. Pirminsberg.

Bei einem Exstirpationsversuch an der Hirnrinde (ventral-caudale Partien des rechten Oceipitallappens!) einer neugeborenen Katze wurde durch zu tiefes

ı Es handelte sich speciell um die ventralen Partien der dem Gyri „postsplenial“ und „ectolatersl“, sowie die dorsalen Partien des Gyr. „post. composite“ des Hundes entsprechen- den Windungen (Bezeichnung nach J. N. JangLzy; vgl. Journ. of Physiology. 1884. Vol. IV. p. 248 ff.)

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Eindringen mit dem scharfen Löffel nicht nur die beabsichtigte Hemisphären- region abgetragen, sondern auch die rechte Brücke in der Gegend des Austritis des N. trigem. und der unteren Schleife erheblich lädirt. Diese Läsion geschah dicht unter dem Ganglion des untern Zweihügels, etwas schräg, so dass sowohl die untere als die laterale Schleife (zur lateralen Partie der Schleifenschicht gehöriger Antheil), und zwar in ihren frontalsten Ebenen, in einer Tiefe von ca. 1,5 mm, theils durchschnitten, theils gequetscht wurden. Der rechte N. trigem. wurde unmittelbar nach seinem Austritt aus der Brücke, soweit er dem vorhin bezeichneten Gebiete anliegt, etwas mit lädirt. Das Gehirn des Thieres, das 6 Monate nach der Operation getödtet wurde, bot, in eine Frontalschnittreihe zerlegt, folgende secundäre Atrophien:

Zunächst zeigte sich als Effect der Rindenläsion in Uebereinstimmung mit ähnlichen Versuchen am Kaninchen! und mit einem anderen, bisher noch nicht publicirtem Versuche an einer Katze, welcher das der Mun&’schen Hörsphäre -+ dem Gyr. Sylvii zugehörige Rindengebiet abgetragen worden war dass die der abgetragenen Zone entstammenden Stabkranzbündel, sammt ihrem Antheil im hinteren Abschnitte der inneren Kapsel, degenerirt waren und einen mit Carmin sich tiefroth färbenden Strang bildeten, sowie dass die lateral-caudale Partie des Corpus geniculatum intern. und dessen laterale Markzone (die direote Fort- setzung jener atrophischen Stabkranzbündel) eine nicht unerhebliche Volumens- verkleinerung und Atrophie darboten. Im Weiteren verrieth der Arm des unteren Zweihügels einen bis zu den caudalsten Ebenen deselben nachweisbaren Faser- schwund. Der untere Zweihügel selber war ebenfalls und sehr beträchtlich (wohl um die Hälfte seines Volumens) reducirt; es liess sich aber an dem Prä- parate schwer entscheiden, welcher von den beiden Läsionen, derjenigen der Hirnrinde oder derjenigen der Brücke, ein grösserer Antheil an der Atrophie dieses Körpers zuzumessen sei. Der untere Zweihügel atrophirt nämlich nach Wegnahme einer ganzen Grosshirnhemisphäre secundär, aber nicht beträchtlich; unter keinen Umständen dürfte hier also die Rindenläsion allein für die bedeu- tende Atrophie dieses Körpers verantwortlich gemacht werden; andererseits ist aber die Abhängigkeit der unteren Schleife vom unteren Zweihügel von Forer? auf experimentellem Wege nachgewiesen.

Die von der Durchtrennung der rechten unteren Schleife und ihrer Nach- barschaft abhängigen Atrophien lassen sich, wenn man diejenige des unteren Zweihügels nicht mit berücksichtigt, in folgender Weise zusammenfassen:

1) Nahezu totaler Schwund der gesammten unteren Schleife bis zur Endigung ihrer Faserantheile in den grauen Massen der Brücke und der Medulla oblon- gata, 2) eine völlige Atrophie der sogenannten lateralen Schleife (lateralen Hälfte der Schleifenschicht in der Brücke) abwärts, ebenfalls bis zu den Kernen der- selben, 8) partielle Atrophie der rechten aufsteigenden Trigeminuswurzel und der zugehörigen gelatinösen Substanz.

! Arch. f. Psych. Bd. XII. H.S. ı Tageblatt der Naturforscherversammlung in Salzburg 1881.

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Ad 1. a) Mit der Atrophie der unteren Schleife ging Hand in Hand diejenige der ventral vom unteren Zweihügel liegenden Anhäufung grauer Substanz; es bildet diese ein durch Fasern der unteren Schleife durchbrochenes netzartiges Geflecht (bestehend aus ziemlich grossen, multipelaren Ganglienzellen), das gegen die obere Olive zieht und caudalwärts medial-ventral von der unteren Schleife liegt; b) der frontal gelegene Theil der oberen Olive, sowie vom übrigen Theil derselben der dem ventralen Abschnitt der S-föürmigen Figur entsprechende, erschienen erheblich atrophisch, während der dorsale Bogen der S-förmigen nur unbedeutende Ver- änderungen zeigte; c) das der oberen Olive dorsal und lateral anliegende, auf Frontalschnitten bis zum Querschnitt des Bindearms reichende Mark (quer- durchschnittene Fasern), nahezu das gesammte jene dorsal-ventral begrenzende Faserareal umfassend (Fortsetzung der unteren Schleife nach abwärts) fehlte bis auf wenige Fasern vollständig; d) im Weiteren atrophirte von der Läsionsstelle an ein direct in das Rüokenmark ziehendes Bündel der unteren Schleife, das nach Hemisection des Rückenmarks ebenfalls zu atrophiren pflegt, und das ich mit dem Namen „aberrirendes Seitenstrangbündel“ bezeichnet habe! (äusseres Seitenstrangbündel (L) v. Meynerr?), Dieses Bündel liegt in den Ebenen des Facialiskerns zwischen letzterem und der aufsteigenden Wurzel des Trigeminus, lateral vom Corp. trapezoid. begrenzt, dessen Fasern es partiell durchsetzt; es zieht, stets dieselbe Richtung beibehaltend (ventral von der aufsteigenden Tri- geminuswurzel), direct in den Seitenstrang, wo es ein Markareal lateral vom Hinterhorn, am Rande einnimmt.

Ad 2. Die Atrophie der rechten lateralen Schleife (dieser Faserabschnitt fehlte vollkommen) liess sich abwärts verfolgen auf sämmtlichen Sehnitten im lateralen Areal der sogenannten Olivenzwischenschicht (in den unteren Ab- schnitten der Medulla oblongata mehr ventral von der unteren Olive, zwischen letzterer und dem Pyramidenquerschnitt liegend), durch die Raphe, die Fibrae arcuatae der linken Seite bis in den linken Gouu’schen Kern, sowie die mediale Abtheilung des linken Kerns der Buzpacon’schen Stränge, welche beide Kerne an der Atrophie lebhaften Antbeil nahmen. Auch der linke Goun’sche Strang erschien etwas schmäler als der rechte. Die laterale Abtheilung des Keilstrang- kerns (die Hinterstranganlage von WERNICKE) blieb anscheinend intact.

Ad 3. Die Atrophie in der aufsteigenden Trigeiminuswurzel betraf die dorsale Querschnittszone und liess sich in der ganzen Ausdehnung jener bis in’s Rückenmark nachweisen.

Aus diesen Befunden dürften folgende Schlüsse gestattet sein:

1) Ein Theil der Markstrahlung aus den ventralen Partien des Schläfen- Hinterhauptslappens bei der Katze (speciell aus den Eingangs genannten Win- dungen stammend) endigt in der lateralen Partie des Corp. geniculatum intern., und hat die normale Entwickelung des letzteren die Integrität jener Bündel zur Voraussetzung. Ein anderer Theil zieht höchstwahrscheinlich im Arm des unteren Zweihügels, mit dessen Randpartien er in einer innigen Beziehung steht.

ı Arch. f. Psych. Bd. XIV. H. 1. 2 Paychiatrie. 1884. S. 114 (Fig. 52).

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2) In dem mit „untere Schleife“ (Forer) bezeichneten Faserzuge ziehen Bündel, deren eines mit den ventral vom unteren Zweihügel liegenden grauen Geflechten, ein zweites, sich medial-caudal wendendes, mit dem frontalen Theil und dem ventralen Abschnitt des S der oberen Olive, in Beziehung tritt, während ein drittes (das „aberrirende Seitenstrangbündel“) in den dem Hinterhorn an- liegenden Bandpartien des Seitenstranges derselben Seite zieht und in der grauen Substanz des Rückenmarks (wo?) endigt. Der grösste Theil dieser 3 Faserzüge entstammt zweifellos dem unteren Zweihügel.

3) Die Fasern der lateralen Schleife (Hauptbestandtheil derselben: die dem Parietalhirn entstammende „Rindenschleife“ von mir) ziehen, ihre Lage (dorsal- lateral von dem Pyramidenquerschnitt bis zu ihrer Kreuzung, obere Pyramiden- kreuzung von MEynerr) beibehaltend, in der unteren Partie der Medulla obl. als Fibrae arcuatae in den gekreuzten Kern der GoLv’schen Stränge! und die mediale Abtheilung des gekreuzten Kerns der Burpacn’schen,? mit deren Gang- lienzellen sie in Verbindung treten.

2. Zur Kenntniss der Olivenzwischenschicht. Von Dr. Sigm. Freud in Wien.

Aus einer Untersuchung über den Faserverlauf in der Oblongata des mensch- lichen Foetus, welche ich in Professor Mrynerr’s Laboratorium mit Hülfe der Weıseeer’schen Hämatoxylintinction durchgeführt habe, sei hier Einiges über die Olivenzwischenschicht (beim Foetus von 5—6 Lunarmonaten) mitgetheilt. Vorauszuschicken ist eine gedrängte Darstellung des Acusticusursprungs, weil dieser Nerv derzeit das Bild beherrscht, und auch die in Rede stehende Faser- masse an ihn anknüpft.

Die Acusticuswurzeln bilden eine continuirliche, von aussen und unten . (spinalwärts) nach innen und oben (brückenwärts) verlaufende Reihe und endigen sämmtlich in grauen Massen derselben Seite: die äussersten im vorderen Acus- ticuskern (Acusticusganglion), die mittleren und ein Theil der inneren im inneren (gross- und kleinzelligen) Acusticuskern, ein Theil der inneren Wurzeln übergeht

ı Vgl. meine Arbeit im Correspondonzbl. f. Schweizer Aerzte. 1884. Nr. 6 u. 7 und Neurolog. Centralbl. 1885. Nr. 3. Vgl. auch die Angaben von SpitzKka, A. SCHRADER und EpInGeR.

? Eine nochmals vorgenommene sorgfältige Prüfung der Präparate von der des Parietal- hirns beraubten Katze (vgl. Correspondenzbl. f. Schweizer Aerzte. 1884. Nr. 6 u. 7) über- zeugte mich nachträglich, namentlich auch bei Vergleichung mit der Schnittreihe des vor- liegenden Katzengehirns, dass auch dort die mediale Abtheilung des Kerns der BurpacaH’- schen Stränge zweifellos und nicht unerheblich atrophisch war. A. a. O. hatte ich es dies noch nicht mit Bestimmtheit zu entscheiden gewagt. Die Rindenschleife endigt somit sowohl im Gouu’schen, als in der medialen Abtheilang des Burpscon’schen Kerns. Mit Rück- sicht auf die Atrophie dieser beiden Kerne nach Wegnahme des Parietalhirns möchte ich vor- schlagen, dieselben mit „medialer und lateraler Schleifenkern‘“ zu bezeichnen und den Namen Burpach’scher Kern nur für die laterale Abtheilung des Kerns der Keilstränge, die nach Läsion des Fun. cuneat. atrophirt und somit mit letzterem zweifellos in Verbindung steht, zu reserviren. "

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durch directe Umbeugung in die Querschnitte des äusseren Acusticuskernes (innere Abtheilung des Kleinhirnstieles, RouLLer’s aufsteigende Acusticuswurzel).

Von indirecten Fortsetzungen der Acusticuswurzeln sind ersichtlich:

1) Bündel vom Acusticusganglion zum inneren Kern.

2) Bogenbündel vom inneren Kern zur Dachkernkreuzung im Kleinhirn; von diesen lassen sich mehrere Abtheilungen unterscheiden, ein Theil derselben ist noch kaum markhaltig.

3) Fibrae arcuatae aus dem inneren Kern über die Raphe, mit Durch- flechtung des Facialis-Acusticuskernes und hinteren Längsbündels.

4) Fibrae arcuatae aus dem äusseren Kern über die Raphe in tieferen Ebenen und mit Durohflechtung der marklosen Mittelschicht des Innenfeldes der Oblongata.

5) Die Bündel des Corpus trapezoides, welche in ihrer ganzen Masse aus dem Austiousganglion hervorgehen (wie schon Fueoasıs bekennt), Die oberen derselben fassen die obere Olive in sich, welche durch ihren Stiel andererseits mit dem Facialisabducenskern verbunden ist.

Die Olivenzwischenschicht ist um die gekreuzte Fortsetzung des Corpus trapezoides spinalwärte, denn:

1) oberhalb des Corpus trapezoides sind an der der Olivenzwischenschichte entsprechenden Stelle keine markhaltigen Faserquerschnitte enthalten; die late- ralen Schleifen erweisen sich als kurze Bahnen, die in den grauen Massen der Hauben endigen, die mediale Schleife ist derzeit nicht entwickelt.

2) während der Kreuzung des Corpus trapezoides tauchen die Querschnitte der Olivenzwischenschichte auf und bilden nach demselben eine mächtige und compacte Schichte.

3) eine andere Fortsetzung der mächtigen und intensi. lingirten Bündel des Corpus trapezoides ist nicht aufzufinden.

Da nun die Olivenzwischenschiohte durch die „obere Pyramidenkreuzung“ mit den Hinterstrangskernen zusammenhängt, wäre in ihr eine Bahn gegeben, welche den Acusticus mit sensiblen Bahnen im Rückenmarke verknüpft. Indess könnte dies wahrscheinlich zutrefiende Verhältniss leicht complicirter sein.

Die Olivenzwischenschichte dürfte eine weitere Zerlegung zulassen, worauf die sonst zu statuirende Rückkreuzung dieser Fasermasse deutet. Die Menge der aus der oberen Pyramidenkreuzung entstehenden Fasern deckt nicht ganz die Fasermenge beim Ursprung aus dem Corpus trapezoides. Auch kenne ich einen ungekreuzten Zuzug zur Olivenzwischenschicht, welcher aus der ventralen und medialen Ecke des inneren Acusticuskernes hervorgeht, in locker angeord- neten, schön geschwungenen Zügen von sehr schrägem Verlauf die Facialis- wurzelfäden und den Stiel der oberen Olive kreuzt und unmittelbar oberhalb der Spitze der unteren Olive in die Olivenzwischenschicht eintritt, wobei ein Theil der Fasern auch aussen um die untere Olive herumläuft, Andere ungekreuzte Zuzüge zur selben Schichte zeigen sich an Oblongaten von höherer Reife.

Ueber das Verhältniss der medialen Schleife zur Olivenzwischenschichte gestatten Präparate der untersuchten Entwickelungsstufe keine Aussage. Keines-

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falls ist die obere Pyramidenkreuzung durch die Bezeichnung als „Schleifen- kreuzung“ erschöpfend charakterisirt. Dass die Ergebnisse anderer Untersuchungs- methoden zu der hier mitgetheilten Beobachtung stimmen, zeigt unter anderem die Angabe von Vxsas (Arch. f. Psych. 1885. H. 1), weleher nach Exstirpation der Hinterstrangskerne einer Seite beim Kaninchen die Atzophie der Oliven- zwischenschicht an der Gegenseite nicht über die Ebenen des Corpus trapezoides zu verfolgen vermochte. Wien, Mitte Mai 1885.

U Referate.

Anatomie.

1) Sull’anatomia minuta delle eminenze bigemine anteriori dell’uomo. Memoris premista dal R. Istituto Lombardo di scienzse e lettere di Milano nella seduta del 15 Juglio 1884, del prof. F. Tartuferi. Milano 1885.

In vorstehender Abhandlung macht der bereits durch eine Reihe hervorragender Arbeiten über die feinere Anatomie der Sehnervencentren bekannte Verf. neue Mit- theilungen über den histolegischen Bau der vorderen Zweihügel und diesem ent- stammenden Fasersysteme beim Menschen. Den eigenen Untersuchungen schickt der Verf. eine einlässliche kritische Besprechung sämmtlicher bisher über diese Region erschienener, an Controversen reichen Arbeiten voraus.

T. unterscheidet im vorderen Zweihügel des Menschen Schichten, die vorwiegend aus Nervenelementen und solche, die vorwiegend aus bindegewebigen Elementen ge- bildet werden. Er kommt im Ganzen auf 7 solche sich von einander ziemlich scharf abhebende Schichten, denen er eine besondere histologische Bedeutung vindicirt. Verf. studirte an frontalen und horizontalen Schnittreihen, sowie an Zupfpräparaten, und bediente sich vielfach der Behandlung mit Osmiumsäure An glücklich geführten frontalen Querschnitten gelinge es, namentlich unter Anwendung der Osmiumsäure, sämmtliche 7 Schichten deutlich zur Darstellung zu bringen. Von der Convexität des vorderen Zweihügels an in der Richtung des Aquaeductus Sylvii betrachtet präsen- tiren sich dieselben in folgender Reihenfolge: |

1. Bindegewebige Schicht (Ependymschicht), ca. 65 « dick, zumeist aus feinen spinnenzelligen Elementen bestehend.

2. Schicht der zonalen Fasern (Stratum zonale), die zum grossen Theil aus feinen, dem N. opt. Ursprung gebenden Fasern besteht. Sie geht lateralwärts allmählich in die 4. Schicht über.

3. Graue Kappe (cappa cinerea); sie umfasst das sog. „oberflächliche Grau“ (Ganser) und wird vorwiegend aus grauer Substanz gebildet. In der oberen Ab- theilung dieses Abschnittes sind die Ganglienzellen klein, von Herz- und ovaler Form, mit nach aussen gerichteten Protoplasmafortsätzen und ventralwärts ziehendem Axen- cylinder; in den tieferen Partien trifft man Nervenzellen von grösserem Kaliber, aber von derselben Form.!

4. Oberflächliches Grau und Mark (Strato bianco-cinereo-superficiale) setzt sich zusammen aus dem „oberflächlichen Mark“, „mittleren Mark“ und „mitt- leren Grau“ (Ganser) und ist die complicirteste Schicht.

Verf. sondert hier 3 Unterabschnitte:

ı Cfr. auch v. Monakow, Arch. f. Psych. Bd. XVI. H. 8.

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a) eine medial und dorsal liegende Region derberer Bündel, dem sog. Sulcus - cruciatus unmittelbar anliegend;

b) in dorsaler Richtung eine Querschnittszone feiner Fasern;

c) mehr ventralwärts, eine mit in zerstreuten Gruppen von dicht ainanie liegenden Bündeln grösseren Kalibers sich präsentirende Abtheilung, deren mediale Partie einen durch etwas graue Substanz von jenen getrennten Fascikelquerschnitt bildet.

Diese ganze Schicht ist reichlich mit Ganglienzellen grossen und grössten Ka- libers die vielfach den motorischen Rückenmarkszellen gleichen bevölkert. Die sub b) beschriebenen Fasern sind Retinafasern, während die sub c) angeführten grösstentheils dem Corp. genic. ext., vielleicht auch dem Thalamus opt., oder auch dem Stabkranz (Ganser, Ref.) entstammen. Die sub a) erwähnten Fasern kommen höchstwahrscheinlich aus der gekreuzten Seite und zwar aus der soeben zu be- sprechenden Schicht.

5. Tiefes Grau und Mark (Strato bianco-cinereo profundo), dem „tiefen Mark“ + dem ventralen Abschnitt des „mittleren Graus“ (Ganser) entsprechend. Ueber die anatomische Bedeutung dieser Zone konnte Verf. zu keinem abschliessen- den Resultate gelangen; er vermuthet, ein Theil der hier ziehenden Fasern nehme seinen Ursprung aus derselben, ein anderer, ebenso grosser, aus der gekreuzten Seite. Die erst gonannten Fasern entspringen aus den grossen Ganglienzellen der 4. Schicht; die letztgenannten wahrscheinlich aus derselben Gegend in der gegenüberliegenden Seite und endigen in den Ganglienkörpern der 5. Schicht, also dem ventralen Ab- schnitt des „mittleren Graus“ (Ganser), oder sie ziehen gegen die Raphe zu. Schliesslich sei auch die Möglichkeit, dass sie eine direote Fortsetzung der sub c) (Schicht 4) angeführten Fasern bilden, nicht auszuschliessen. Die Ganglienzellen dieser Schicht zeichnen sich durch sehr grosses Kaliber aus.

6. Centrales Höhlongrau (Grigio centrale) ist die graue Substanz, welche den Aquseductus Sylvii von der 5. Schicht trennt, sie besteht aus einem .zarten, ziemlich regellos angeordneten, grauen Fasernetz, in dem kleine Ganglienzellen mit ausserordentlich feinen Fortsätzen liegen.

7. Auskleidung des Aquaeductus Sylvii (Stratto connectivo centrale), eine ausschliesslich bindegewebige Schicht, die gebildet wird durch pyramidenförmige Epithelzellen, mit zarten Flimmern und langen, sich tief in die Substanz des Zwei- hügels .erstreckenden ramificirenden Ausläufern; letztere stehen vielfach mit den im ganzen Körper zerstreut liegenden Spinnenzellen in Verbindung.

Der Arbeit sind zahlreiche erläuternde Tafeln (meist schematisch gehalten) beigefügt. v. Monakow.

Experimentelle Physiologie.

2) Ist ein unmittelbarer Einfluss der Grosshirnrinde auf die peripheren Gefässe nachgewiesen P Vorläufige Mittheilung von R. W. Raudnitz. (Prager med. Wochenschr. 1885. Nr. 18.)

Auf Grund einer in H. Munk’s Laboratorium vorgenommenen Nachprüfung der Landois-Eulenburg’schen Angaben verneint R. die Titelfrage. Gegen die Deutung der Exstirpationsversuche führt er an: 1) Dass bei der bis 13° C. betragenden physiologischen Temperatursdifferenz beider Pfoten solche Temperatursunterschiede nur dann beweiskräftig sind, wenn sie bei jeden andern Einfluss ausschliessender Lagerung des Thieres constant sind, was weder Vulpian noch R. finden konnten. 2) Beweist selbst der constante Befund solcher Differenzen bei Hunden mit ein- seitiger Zerstörung der betreffenden Rindenfelder nichts für die These, da die Diffe- renzen aus der gleichzeitigen Abschwächung des Muskeltonus und dessen Einflusses

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auf die Gefässe erklärt werden können. 3) Konnte eine directe thermische Function betreffender Rindenzone an der gegenständigen Pfote nicht nachgewiesen werden.

Gegen die Beweiskraft der Reizungsversuche führt R. an, dass dieselben wegen der durch die gleichzeitig hervorgerufenen Bewegungen statthabenden Aenderungen des Blutumlaufes und der Temperatur der Pfote, an nicht völlig curarisirten Thieren vorgenommen, ohne Beweiskraft sind, dass er die von Landois und Reinke an- gegebene strenge Localisation der thermischen Centren nicht nachweisen konnte, und dass seine Versuche an curarisirten Thieren negativ ausfielen, die er wegen der zahlreichen, der von Jenen verwandten galvanometrischen Thermometrie anhaftenden Fehlerquellen und weil die von ihm constatirten schwachen Bewegungen selbst an- scheinend vollkommen curarisirter Thiere Jenen entgangen sein mochten, als beweis- kräftig ansieht.

Im Gegensatze zu Scheinesson und Rumpf fand R. dass zu Beginn der Morphium- und Aethernarcose die peripherische Temperatur in die Höhe geht.

A. Pick.

3) Exp6eriences sur la contraction musculaire provoqude par une per- cussion du muscle chez l’homme, par M. A. Bloch. (Journ. de l’anat. et de la phys. 1885. Janv. et För. p. 19.)

Wie Aeby gezeigt hat, contrahirt sich der direot gereizte Muskel nicht gleich- zeitig, sondern mit einer von der Reizstelle aus fortgepflanzten Geschwindigkeit von ca. 1 m in der Secunde, während dagegen bei Reizung der Muskeinerven der ge- sammte Muskel sich gleichzeitig zusammenzieht. B. hat diesen Versuch vom aus- geschnittenen Froschmuskel auf den Muskel des lebenden Menschen übertragen und zwar auf den M. rectus femoris und vastus internus, indem er durch eine ge- eignete Vorrichtung die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Contractionswelle von der direct percutirten Stelle aus zu messen suchte. Die Bestimmung beruht im Wesent- lichen darauf, dass 2 an einem horizontalen Arm befestigte elastischen Platten an von einander entfernten (5 cm) Stellen des Muskels angebracht werden und die ihnen durch successive Verkürzung des Muskels mitgetheilte Erhebung auf einer Schreib- trommel registriren. Die Percussion selbst wird durch einen kleinen nussgrossen Kautschukballon bewirkt, der ebenfalls mit dem Begistrirapparate in Verbindung steht, so dass dann zeitlich von einander verschiedene Curven, dem Zeitpunkte der Per- cussion und dem der Muskelverkürzung an den beiden explorirten Stellen entsprechend, gewonnen werden. Hiernach bestimmt sich der Zeitunterschied zwischen den beiden Explorationsstellen bei einem Abstand derselben von 5 cm auf !/,, Secunde, bei einem Abstand von 10 cm auf !/,, Secunde, was also ungefähr !/, m in der Secunde gleichkommen würde, oder dem doppelten der Geschwindigkeit, welche Aeby und Marey am ausgeschnittenen Froschmuskel constatirt hatten. (Auch Prüfungen bei 2, 4, 6 und 8 cm Abstand lieferten übereinstimmende Resul- tate.) Für das Kniephänomen stellte sich heraus, dass die Verkürzung gleichzeitig erfolgte, selbst wenn die beiden explorirten Stellen 12 cm von einander entfernt waren, der Muskel also hierbei in seiner Totalität gleich- zeitig verkürzt wird, was nach B. entschieden zu Gunsten der Reflextheorie spricht (die Latenzzeit wurde dabei von B. auf !/„—1/, Secunde bestimmt, je nach Stärke des Schlages, Lage der Extremität etc. verschieden). A. Eulenburg.

Pathologische Anatomie.

4) Arröt de dedveloppement du cervelet chez un aliönd. Cas observ6 A /’'Hospice-Guislain par le Dr. B. C. Ingels, Gent. (Bulletin de la Socists de me&d. ment. de Belgique. 1884. No. 35.)

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Am 11. August 1884 wurde im Hospice-Guislain ein 68jähriger Mann secirt, als schwachsinniger Epileptiker (Petit mal: ganz schnell vorübergehende Schwindel- und Krampfanfälle) seit langen Jahren Anstaltsinsasse. Es war ein geschickter und fleissiger Feldarbeiter, sicher und schnell in allen Bewegungen, an dem niemals die geringsten motorischen Störungen zu beobachten gewesen waren. Von seinen ge- schlechtlichen Functionen (die Organe waren gut entwickelt) ist nichts Abnormes bekannt geworden. Er starb im Status epilepticus, nachdem er etwa 8 Tage lang zahlreiche schwere Anfälle gehabt hatte. Er war von Charakter verschlossen, miss- trauisch, jähzornig und dadurch für seine Umgebung gefährlich. Am Gehim im Uebrigen nichts Abweichendes; aber das Cerebellum zeigte sich ganz auffallend klein, betrug etwa den 20. Theil des Cerebrum. Der Oberwurm war gut und gross genug entwickelt, aber der Unterwurm war klein, steckte so zu sagen in der Convexität des Oberwurms. Am meisten betraf die Verkleinerung die beiden Hemisphären, kleine nach aussen-hinten gerichtete pyramidale Lappen von 2—3 cm seitlicher Aus- dehnung. Uebrigens waren alle einzelnen Theile, Läppchen und Furchen, vorhanden, aber von sehr kleinen Dimensionen. Die Medulla oblongata zeigte nichts Unge- wöhnliches, aber der Pons Varolii, obwohl von gewöhnlicher Grösse in der Ausdeh- nung „de haut en bas“, war stark verschmälert, „r&duit dans sa profondeur & l’6paisseur d’une bandelette“ (ich gebe die etwas unklare Beschreibung wörtlich. Bef.), nicht vorspringend tiber die Pedunculi cerebri. Zwischen Wurm und unterem Winkel des 4. Ventrikels lag eine mit heller Arachnoidalflüssigkeit gefüllte häutige Blase. .— I. bezeichnet die Abnormität als Hemmungsbildung, nicht Atrophie. Das Prö- parat wird unzerschnitten im anatomischen Museum der Universität Gent aufbewahrt.

Hadlich.

6) The post-mortem appearances in a case of death from the action of electrieity, by Marmaduke Sheild and Sheridan Delöpine (The Brit. med. Journ. 1885. 14. März. p. 531.)

Es ist dies, soweit dem Ref. bekannt, das erste Mal, dass ein Bericht über den Sectionsbefund bei einem Individuum, das durch unvorsichtige Berührung elek- trischer Leitungsdrähte getödtet wurde, veröffentlicht worden ist. Die Seltenheit des Falles rechtfertigt wohl eine Wiedergabe desselben, obschon er nur äusserlich dem Gebiete der Neurologie angehört.

Ein 21jähr. kräftiger Arbeiter war in der Londoner riesen in der elektrischen Abtheilung beschäftigt und fiel, als er sich an einer Dynamomaschine zu thun machte, plötzlich bewusstlos zu Boden; er wurde sofort dam St. Georgs- hospital zugetragen, doch starb er bereits auf dem Transport. Weder an den Klei- dern, noch’an den Metallgegenständen, die er bei sich getragen hatte, war irgend eine Veränderung zu bemerken. Dagegen zeigte sich auf der Aussenseite des linken Zeigefingersa eine ovale Blase von !/, Zoll Länge und kaum !/, Zoll Breite. Die- selbe glich in jeder Beziehung einer durch Verbrennung entstandenen Blase, doch fehlte völlig die Hyperämie in der nächsten Umgebung und der bekannte Brand- geruch. Die Section der Leiche wurde (leider) erst nach 40 Stunden vorgenommen. Trotzdem war (im Monat September) die Leichenstarre noch auf voller Höhe; die Hautdecken, besonders aber auf der oberen Körperhälfte, waren auffällig geröthet. Die Musculatur war sehr fest und resistent; das Herz dagegen befand sich bei sonst normalen Verhältnissen in völliger Diastole und selbst der rechte Ventrikel enthielt nicht das geringste Gerinnsel. Das Blut war sehr dünnflüssig, aber bei sorgfältiger mnikroskopischer Untersuchung völlig normal.

Der linke Mediannerv, sowie die Haut des linken Zeigefingers wurden alsdann z. Th. in Osmiumsäure, z. Th. in Chromsäure gehärtet. Der Nerv zeigte sich jedoch ganz intact; dagegen bot die Haut aus der Gegend der Blase einige auffällige Ab- normitäten, die mit den gewöhnlichen Befunden bei einer Brandblase nicht überein-.

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stimmen sollen. Es gehören hierzu besonders eine Vacuolenbildung in dem Stratum corneum der Epidermis, eine eigenthümliche „Faserung“ des Protoplasmas im 80- genannten Stratum mucosum, und eine Abflachung aller Hautpapillen. Es muss in dieser Hinsicht auf das leicht zugängliche Original und besonders auf die Abbildung eines Hautquerschnittes (l. c. p. 532) verwiesen werden. Ob die dort angegebenen Veränderungen übrigens charakteristisch genug sind, um in forensen Fällen eine sichere Entscheidung zu ermöglichen, scheint dem Ref. nicht ganz zweifellos zu sein. Jedenfalls werden Unglücksfälle ähnlicher Art, wie der soeben mitgetheilte, bei der wachsenden Verwendung der Electricität im menschlichen Haushalt immer häufiger werden und es wird dadurch auch die Möglichkeit einer verbrecherischen Benutzung mächtiger Ströme näher gerückt. Wünschenswerth wird es daher unter allen Um- ständen sein, weitere Untersuchungen anzustellen, ob die Einwirkung eines starken elektrischen Stromes, der den Tod des Getroffenen herbeizuführen vermag, an der Berührungsstelle oder im ganzen Organismus charakteristische Veränderungen regel- mässig zu verursachen im Stande ist. Sommer.

Pathologie des Nervensystems.

6) Zwei Fälle von grossen erworbenen Defecten im Schläfenlappen. Aus der med. Klinik des Prof. Kussmaul, Strassburg. Von Dr. Otto Körner. (Berl. klin. Wochenschr. 1885. Nr. 17 u. 18.)

1) Eine 63jähr. Frau wurde am 17. November 1884 wegen eines Furunkels im linken äusseren Gehörgang und Gesichts-Erysipel in’s Krankenhaus aufgenommen; sie ging am 9. December an arterieller Darmblutung zu Grunde.

Bei der Section fand sich zu allgemeiner Ueberraschung ein grosser Defoct im linken Schläfenlappen; dieser war vom Gipfel des Gyrus angularis bis tur Spitze nur 9,4 cm lang, gegen 18,2 cm rechts; die erste Schläfenwindung hatte links 12, rechts 15,8 cm etc. Es fehlte links die Spitze und die unteren Partien des vorderen Theils der ersten Schläfenwindung; fast der ganze vor- dere Theil der zweiten; die ganze dritte Schläfenwindung; ausserdem die Spitze des Gyrus occipitalis lateralis.

Die mikroskopische Untersuchung (Dr. Stilling) ergab, dass die hintere Hälfte der ersten Schläfönwindung intact war; weiter vorn aber bot wohl die graue Rinde keine wesentlichen Veränderungen, aber an Stelle der Nervenfaserschicht bestand nur faseriges, ziemlich zellenreiches Bindegewebe; an den von der zweiten Schläfenwin- dung erhalten gebliebenen Theilen erwies die mikroskopische Untersuchung keine Abnormität.

Klinisch war zweifellos erwiesen, dass die Kranke vollkommen gut gehört hatte, und speciell auch auf dem rechten Ohre, denn das linke war einige Tage durch den Furunkel vollständig verschlossen gewesen. Sie las Briefe und Zeitungen im Kranken- hause. Anamnestisch liess sich feststellen, dass sie nooh in den letzten Wochen gut geschrieben hatte. Sie sprach deutsch und französisch. Die Sprache war im Kranken- hause für gewöhnlich etwas langsam, im Affect aber recht geläufig. Die linke Püpille war etwas enger als die rechte. Pat. war ausserdem in gewöhnlicher Weise rechtshändig. Den Angehörigen war früher niemals von einer körperlichen oder geistigen Störung der Pat. etwas bemerkbar geworden; erst seit etwa 2 Jahren hatte sie ein wunderliches Wesen angenommen, war eigensinnig und unverträglich geworden.

Der Defect musste ein sehr alter sein, vielleicht auf eine schwere Erkrankung zurückzuführen, welche die Pat. in ihrem 20. Jahre durchgemacht haben soll.

Also „ging der grösste Theil des linken Schläfenlappens mit Ein- schluss etwa der Hälfte des Wernicke’schen sensorischen Sprach-

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centrums bei einer rechtshändigen Person verloren, ohne dass sich das Wortverständniss oder die Sprache überhaupt oder aber das Gehör- vermögen auf einem oder beiden Ohren beeinträchtigt gezeigt hätte.“

2) Ein 60jähriger Mann wurde wegen Empyem am 2. Februar 1885 in das Strasseburger Krankenhaus aufgenommen und starb am 15. Februar. „Er machte den Eindruck eines geistesschwachen Menschen, doch liess sich eine Sprachstörung irgend welcher Art oder ein Unvermögen, den Sinn der einfachen Fragen zu ver- stehen, die wir an ihn stellten, nicht constatiren.“

Die Section ergab (abgesehen von dem Uebrigen) einen alten grossen Defect im rechten Schläfen- und Hinterhauptslappen, welcher fast die ganze untere Fläche beider Lappen umfasste, nämlich die ganze dritte und ein kleines Stück in dar Mitte der zweiten Schläfenwindung, ferner den ganzen Gyrus occipito-temporalis lateralis und den hinteren Theil des Gyrus uncinatus; auch die Rinde des Gyrus occipito- temporalis med. war durch Atrophie der zugehörigen Markstrahlung grösstentheils ausser Function gesetzt. Im äusseren Theile des Linsenkerns und an der Aussen- seite des Hinterhorns fand man links noch je einen ganz kleinen Erweichungsherd.

Anamnestisch wurde ermittelt, dass Pat. 1854 eine Meningitis cerebralis durch- machte. 1862 erkrankte er an einem Gehirnleiden, bei welchem sehr heftige Kopf- schmerzen bestanden, mehrmals im Beginne plötzlich die Rede versagte, „weil die Zunge plötzlich schwer wurde“; später wurden die Glieder gelähmt, besonders links; die linke Hand wurde ganz unbrauchbar und mit der rechten konnte er nicht mehr schreiben. Auffallend war ein dem Kranken sehr unangenehmes zwangweises Lachen. Von solchen Anfällen, die jedesmal mehrere Monate dauerten, machte Pat. bis 1864 vier durch. Der Gebrauch der Glieder stellte sich nach 1864 ziemlich gut wieder her, doch klagte Pat. über Steifigkeit im linken Beine und Ungeschicklich- keit beim Schreiben. Doch versah Pat. von 1870-1878 einen Posten als Ver- sicherungsbeamter zu voller Zufriedenheit, wobei er in die Häuser ging, Treppen stieg etc.; seine Kasse hielt er stets in Ordnung und sein Gedächtniss soll noch vortreffllich gewesen sein.

Pat. hatte auch bis zuletzt gutes musikalisches Gehör, sang noch 2 Monate vor seinem Tode; aber seit 1862 konnte er die Flöte, die er früher gern blies, nicht mehr spielen, auch nicht mehr mit den Lippen pfeifen.

Die Ursache der Encephalitis war nicht zu ermitteln; Arteriosclerose und Herz- klappenfehler bestanden nicht.

Der fern vom motorischen Hirnrindengebiete gelegene Defect hatte also wesent- lich nur Störungen der Motilität und Intelligenz zur Folge, keine Seh- oder Hör- störungen, obwohl unentschieden bleiben muss, ob man mit feineren Untersuchungs- methoden etwas aufgefunden haben würde Auch können die Bewegungsstörungen wohl ganz oder grösstentheils in Störungen des Muskelgefühls, nicht; nothwendig in motorischer Schwäche ihren Grund gehabt haben. Aber die Anfälle von Aphasie haben durchaus den Charakter atactischer oder motorischer Aphasie an sich; jedoch waren sie ganz vorübergehend, also nicht durch den Defect selbst bedingt.

Wie aber (so frägt ironisch Kussmaul) wollen wir es erklären, dass die Zer- störung der genannten „sensorischen“ Gebiete für die ganze Zeit des Lebens das Pfeifen und Flötenspielen unmöglich gemacht hat? „Hier bleibt für die Localisations- theorie ein Räthsel zu lösen, nachdem sie schon Alles so herrlich zum Abschluss gebracht.“ Hadlich.

7) On the pathological anatomy of sensory aphasis, by R. K. Amidon, New York. (N. Y. Medical Journ. 1885. Jan. 31. Febr. 14.)

Patientin, im Alter von 60 Jahren, bis zur Zeit der Menopause vollkommene Gesundheit. Seit der Zeit (9 Jahren) verschiedene Parästhesien. 6 Wochen ehe sie

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in die Behandlung des Arztes kam, hatte sie starke Kopfschmerzen, hauptsächlich links. Kopfschmerzen und Schwindel dauerten 3 Tage; darauf traten Verworrenheit in der Sprache und grosse Erregbarkeit auf. Der Zustand blieb bis zum Tode, bei- nahe 2 Jahre später, im Wesentlichen unverändert.

Es stellte sich aber bald heraus, dass sie nur dann verworren sprach, wenn sie auf eins Frage Antwort geben sollte. Auf die einfachsten Fragen: „Wie heissen Sie? Wie alt sind Sie?“ etc. kamen ganz verkehrte Antworten. Sie konnte weder zählen noch das Alphabet wiederholen. Hat man sie aber ganz frei reden lassen, so sprach sie correct und intelligent; beschrieb ihre Kopfschmerzen mit grosser Genauigkeit. Die Tochter nannte sie beim richtigen Namen, und alle ihre Freunde; nur ihren Mann soll sie nicht kennen. Den Sohn kannte sie, nannte ihn aber „Vater“. Gehör war normal, Gesten waren ihr verständlich.

Beim Versuch, laut vorzulesen, machte sie ganz unverständliche Laute; konnte auf der Strasse nicht den Weg finden, da ihr Hausnummern ganz unverständlich waren; konnte nicht nach Dictat schreiben; hat aber auch während ihres Wohlbefindens wenig geschrieben. Ihr musikalisches Gehör scheint sie nicht eingebüsst zu haben; jedenfalle konnte sie rein singen. Während der ganzen Dauer ihres Leidens hatte sie monatlich einmal einen Anfall spastischer Natur, in dem die rechte Hand con- trahirt und der Mund nach rechts verzogen wurde. Darauf traten dann allgemeine Krämpfe auf und unwillkürliche Entleerungen. Die Frau verflel nach einem solchen Anfalle in einen comatösen Zustand, in dem sie auch starb, 15 Monate nach dem ersten Anfalie.

Autopsie: Zerstörung des linken Lobus pariet. inf,, des ganzen Gyrus angularis, und der hinteren drei Viertel der ersten Temporalwindung, der oberen und hinteren Hälfte der zweiten Temporalwindung und eines Theiles der zweiten Occipitalwindung. Der übrige Theil des Cortex und die Insula waren normal.

Neben diesem Falle werden noch 23 ähnliche aus der Literatur gesammelte Fälle zusammengestellt. In allen wird besonders auf den anatomischen Befund ge- schtet. Manche dieser Fälle werden sich aber wohl im Sinne Lichtheim’s weiter differenziren lassen.

Verf. beschliesst, dass die sensorische Aphasie klinisch als Worttaubheit, oder Wortblindheit, oder als Verbindung beider gelten kann. Handelt es sich um einen Fall von Wortblindheit, so ist die Läsion wahrscheinlich auf die Umgebung des hin- teren Theiles der Fiss. Sylvii, auf den Lob. pariet. inf., auf den Gyr. ang. oder auf die Gegend der zweiten Oceipitalwindung links, eventuell auf die darunterliegenden Theile beschränkt. Handelt .es sich um Worttaubheit, so werden wohl die ersten und zweiten Temporalwindungen links oder die darunterlisgenden Theile den Sitz der Läsion abgeben. Die hier zusammengestellten Fälle liefern Beweise für die Richtig- keit dieser Anschauungen. Sachs (New York).

8) Ossuistische Beiträge zur Lehre von der Aphasie, von Kahler. (Prager med. Wochenschr. 1885. Nr. 16 u. 17.)

K. berichtet zuerst über einen Gehimbefund bei einer Frau, die während der Beobachtungszeit keinerlei Sprachstörung gezeigt hatte. An der linken Hemisphäre liegt in Folge vollständigen Klaffens der Sylvischen Grube die Insel frei; diese zeigt relativ spärliche Gyri recti; das Klaffen ist bedingt vor Allem durch eine Entwickelungs- hemmung des Stirn- und Scheitellappens, während die erste Schläfenwindung vielleicht etwas schmaler ist; die beiden G. centrales sind um etwa 3 cm verkürzt; das untere Scheitelläppchen ist in dem aus G. central. post. sich entwickelnden Abschnitte ausser- ordentlich schmal. Die 3. Stirnwindung speciell der G. opercularis ist ganz schmal und umschliesst mit dem sehr dünnen G. supramarginalis ant. (Rüdinger) den völlig offenen vorderen Schenkel der F. Sylvii; der G. supramarginalis (post.) erscheint .auf-

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fallend stark. Bei dem Fehlen jeder pathologischen Veränderung deutet K. den Be- fund als Entwickelungsdofect, dessen Entstehung er in den 5. Monat des Fötallebens verlegt. In der rechten Hemisphäre fand sich eine alte apoplectische Narbe, welche das vorderste Viertel des Thal. opt. einnahm. Während der 4 Jahre später fallenden Beobachtungszeit waren die auch theoretisch zu erwartenden Reste einer linksseitigen Hemiplegie beobachtet worden; die Angabe der Kranken, dass sie durch mehrere Tage sprachlos gewesen, deutet K. dahin, dass in diesem Falle das Sprachcentrum in der rechten Hemisphäre geldgen gewesen sein musste.

Ferner berichtet K. über den Sectionsbefund eines Kranken, dessen klinischen Befund er und Ref. in der Prager Zeitschr. f. Heilk. 1880. Bd. 1. H. 1 veröffentlicht hatten, für den aus den Erscheinungen der Sprachstörung eine Läsion des motorischen Sprachcentrums angenommen worden war. Die Section ergab jedoch auch eine Läsion der Insel und der Rinde der 1., theilweise auch der 2. Schläfenwindung; das Fehlen der zu postulirenden Worttaubheit erklärt K. auf Grund zahlreicher einschlägiger Beobachtungen aus der allmählichen Bückbildung derselben bei dem Kranken, der erst 3!/, Jahr nach dem Anfall zur Beobachtung kam.

Schliesslich bespricht K. die Hypothese Lichtheim’s für jene Fälle, welche neben motorischer Aphasie Alexie, aber keine Worttaubheit zeigen, die ein ungleich- mässiges Zurückgehen der Erscheinungen der anfänglich vorhandenen Totalaphasie annimmt. Aus der Anamnese eines sehr intelligenten Kranken konnte K. es wahr- scheinlich machen, dass vom Beginn ab bei demselben Aphasie und Alexie ohne Worttaubheit bestanden hatte. A. Pick.

(nn

9) Oerebral Localisation. Brachisl Monoplegia from cortical lesion, by Wm. Julius Mickle. (Journ. of ment. science. 1885. April.) Ä

Ein Soldat, der während seiner 18jähr. Dienstzeit in Indien 2mal an primären syphilitischen Geschwüren behandelt war, wurde wegen einer acuten Manie in die Anstalt aufgenommen, welche nicht zur Heilung kam. Nach jahrelangem Anstalts- aufenthalt erkrankte Pat. an Tuberculose, welche rasche Fortschritte machte Nach einem nur wenige Tage vorhergegangenen Anfalle allgemeiner Convulsionen trat am 28. October v. J. plötzlich eine Lähmung der rechten obern Extremität ein, ohne Störung des Bewusstseins oder geistige Veränderung, ohne Affection der Zunge, am folgenden Tage leichte Parese auch der rechten untern Extremität, Zunge wich jetzt etwas nach rechts ab. Am 30. epileptiformer Anfall, beschränkt auf die rechte Seite, von theilweiser Bewusstlosigkeit begleitet, dieser Anfall kehrte noch 2mal am gleichen Tage wieder. Pat. starb im Coma. Die Section ergab einen genau auf die graue Rinde des oberen Theiles der linken vorderen Centralwindung, die obere Stirnfurche und den benachbarten Rand der ersten und zweiten Stirnwindung begrenzten Zer- störungsherd, welcher genau den auf die rechte Seite beschränkten Lähmungserschei- nungen und den rechtsseitigen, einseitigen Convulsionen entspricht, und somit eine Stütze für. die Localisation der Functionen in der Grosshirnrinde abgiebt. Ueber etwaigen Zusammenhang des Herdes mit der bestandenen Syphilis ist nichts berichtet.

Zander.

10) Unoomplicated Brachial Monoplegia from Lesion of the Internal Cap- sule. (The Lancet. 1885. Vol. I. 8. 709.)

Dr. Hughes Bennet und Dr. M. C. Campbell theilten in der Medical Society of London einen Fall von Monoplegia brachialis mit interessantem pathologischen Befund mit. Ein 80jähr. gesunder Mann verlor plötzlich das Bewusstsein und 68 zeigte sich bei der Untersuchung Verlust der Sprache, Lähmung des linken Facialis und des linken Armes. Die krankhaften Erscheinungen gingen zurück mit Ausnahme

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der Paralyse der linken Oberextremität, ohne dass sich an den gelähmten Muskeln Bigidität nachweisen liess oder Sensibilitätsstörung des kranken Gliedes wahrzu- nehmen war. Als der Pat. 6 Wochen nachher, altersschwach, starb, fand man bei der Seotion einen circumscripten Erweichungsherd in dem vordern Theil der Capsula interna. Dieser Fall lehrt, dass in dem vordern Abschnitt der innern Kapsel die motorischen Fasern für die Oberextremität gesondert verlaufen und für sich afficirt werden können ohne Betheiligung der Fasern für den Facialis, welche nach vorn von ihnen liegen, und ohne Verletzung der am weitesten nach hinten ziehenden Bündel der Unterextremität. Das Intsctbleiben der hintern Abtheilung der Kapsel erklärt das Fehlen der Sensibilitätsstörungen und der Muskeloontracturen. Ruhemann.

11) Zur Casuistik der Linsenkern-Affeotionen, von Dr. Kroemer, Director der Provinzial -Irrenanstalt zu Neustadt, Westpreussen. (Deutsche med. Wochenschr. 1885. Nr. 19.)

Ein hereditär schwer belasteter Mann, 1840 geboren, nach einem Typhus im Jahre 1866 dauernd psychisch krank, verwirrt und reizbar, meist unthätig, mit inter- carrenten Tobsuchtsanfällen, periodisch starker Potator, wurde am 28. März 1884 in Neustadt aufgenommen. Ein mittelgrosser, gut genährter, blass livider Mensch mit dünnem Kopfhaar, ganz ohne Bart und Pubes, zeigt er keine Motilitäts- und Sensibilitätsstörungen. Sprache etwas langsam, Sehnenreflexe erhalten. Pat. delirirk viel in verwirrter Weise, fürchtet getödtet zu werden, hallucinirt (Gehör), ist zeit- weise sehr aggressiv.

Nach einem im October durchgemachten starken Erysipelas capitis, bei welchem .auffallender Weise gar keine Temperaturerhöhung eintrat, verfiel Pat. nach und nach körperlich und geistig immer mehr. Auch entwickelte sich eine rechtsseitige Facialis- Lähmung.

Am 12. Januar 1885 apoplectiformer Anfall. Zu Bett gebracht war Pat. som- nolent, liess sich aber anrufen, vollführte dann befohlene Bewegungen, verliess sogar auf Geheiss das Bett, ging aber sehr unsicher; nirgends an den Extremitäten nach- weisbare Lähmungen. Die linke Pupille sehr eng, die rechte weit; Zunge gerade, zittert, Sprache lallend, schwerfällig. Sensibilität sehr herabgesetzt; die Sehnenreflexe nicht auszulösen. Temperatur 33,5°;, sie sank weiter auf 31,3%. Puls 40.

Anfangs gelang es durch heisse Bäder und heisses Getränk die Temperatur auf 39,5 zu erhöhen, den Puls auf 60 Schläge. Aber vom 13. Januar an blieb die Temperatur unter 33,5°, sank am 16. Januar auf 29°, stieg am 17. noch bis 31,5°; doch am 18. Januar trat bei 27° der Tod ein, nachdem von Tag zu Tag die Reactionskraft des Körpers abgenommen hatte. Am 15. hatte er sich zum letzten Male aus dem Bette erheben können.

Section 19 hor. p. m. Starke Füllung der Hirngefässe; auf der Innenfläche der Dura alte rostfarbene, punktförmige Hämatome, geringes Oedem der weichen Häute. Hirnsubstanz von fester Consistenz. Im mittleren Gliede des linken Linsen- kerns ein bohnenförmiger Dofect mit glatter Wand, 1 cm lang, 4 mm breit, dessen Umgebung mikroskopisch nichts Abnormes bietet. Herz klein, seine Musculatur dünn und blass.

Mit Rücksicht auf die Experimente von Aronsohn und Sachs (8. d. Centralbl. 1885. S. 35) wirft K. die Frage auf, ob obiger Defect den Ort des Temperatur- centrums beim Menschen nachweise? In einem Falle von ähnlicher Defectbildung oben-aussen am Kopfe des Corp. striatum war von einer abnormen Temperatur nichts zu bemerken gewesen. Hadlich.

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12) Note pour servir & l’histoire des actes impulsifs des 6pileptiques, par Ch. För6. (Bevue de med. 1885. Förrier p. 131.)

Ein 9Yjähriger epileptischer Knabe wurde schnarchend, mit zerbissener Zunge im Zimmer seines kleinen Vetters gefunden, um ihn herum zerstörte Spielsachen und zerrissen Bücher, welche seinem Spielkameraden gehörten. Als der Kleine sich von seinem Anfall erholt hatte und sah, dass er alles Unheil angerichtet hatte, antwortete er auf die Frage, warum er dies gethan habe: „Er hat den Schwanz meines Pferdes ausgerissen.“ In der That stellte sich heraus, dass der Vetter des Pat. dies einmal vor zwei Jahren muthwilliger Weise gethan hatte.

F. deutet den Fall so, dass der Pat. in seinem Anfall die Spielsachen ohne Bewusstsein seiner That zerstört hat. Da er aber bei seinem Erwachen aus den äusseren Umständen sich selbst als Thäter erkennen musste, suchte er gewisser- maassen nach einer Selbstrechtfertigung und fand diese in dem früheren Vergehen seines Vetters. F. bemerkt, dass auch Hypnotische, welche unter dem Einflusse der Suggestion irgend welche an sich unmotivirte Vergehen begehen, nach ihrem Er- wachen zuweilen einen derartigen Vorwand angeben, welcher ihr Handeln peychologisch zu rechtfertigen scheint. Strümpell.

13) Ueber das Verhältniss der Sehnenphänomene zur Entartungsreaction,. von Bemak. (Arch. f. Psychiatrie. Bd. XVI. H. 1. S. 240.)

Im Anschluss an den Vortrag, den RB. in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten in der Sitzung vom 12. Januar 1885 gehalten hat (vgl. d. Centralbl. 1885. Nr. 3), haben wir aus der ausführlichen Arbeit noch Einiges nach- zutragen.

Auf Grund der in der Literatur vorliogenden und der eigenen Erfahrungen hatte R. folgende Sätze aufgestellt.

1) Steigerung der Sehnenphänomene, insbesondere das Fussphänomen kann mit partieller Entartungsreaction der entsprechenden Muskeln nur bei spinalen Erkran- kungen einhergehen und zwar nachgewiesenermaassen zunächst nur bei amyotrophischer Lateralsclerose.

2) Das Erhaltenbleiben der Sehnenphänomene (Kniephänomen) trotz ausge- sprochener partieller EAR ihrer Musculatur (Quadriceps femoris) kommt mit grosser Wahrscheinlichkeit nur bei atrophischen Spinallähmungen (Poliomyelitis anterior) vor.

3) Das Fehlen der Sehnenphänomene bildet die Regel:

a) bei allen schweren amyotrophischen schlaffen Paralysen (mit aufgehobener Nervenreizbarkeit) sowohl spinalen (poliomyelitischen) als peripherischen (neuritischen) Ursprungs und überdauert in Fällen der Rückbildung lange die galvanomusculäre Enntartungsreaction.

b) Auch bei leichtester primär peripherischer degenerativer Neuritis gemischter Nervenstämme, vielleicht selbst ohne alle Lähmung.

c) Bei absoluter peripherischer (vielleicht auch Kern-) Paralyse such leichter Art ohne nachträgliche Eintartungsreaction.

Die eigenen Fälle, auf welche der Verf. seine Untersuchungen stützt, sind:

I. Eine acut entstandene Paralyse einer Unterextremität bei einem 4!/, Monate alten Kinde ohne Erregbarkeitsänderungen, bei welcher die erste Bewegung schon am 17. Tage wieder vorhanden war. Der Patellarsehnenreflex fehlte.

II. Parese der Unterextremitäten ohne Atrophie und Sensibilitätsstörungen mit der Mittelform der Entartungsreaction bei einem Potator. Die Patellarreflexe fehlten.

Verf. betrachtet den Fall als eine leichte Neuritis. Bei der bekannten Ein- wirkung des Alcohols auf die Centren selbst neigt R. mehr der. Ansicht einer cen- tralen Affection zu.

\

- III. Schwere atrophischao Lähmung mit Entartungsreaction besonders im Cruralisgebiet. Die Sehnenreflexe fehlten noch, als in der Beconvalescenz die Erregbarkeit beider Nn. crurales schon wieder leidlich war.

IV. Mittelform der Entartungsreaction bei Poliomyelitis mit Erhalten- bleiben der Sehnenreflaxe.

V. Amyotrophisch -spastische Spinal- und Bulbärparalyse mit schwerer Mittel- form der Entartungsreaction in den Peroneis bei Erhaltensein der Sehnenreflexe von der Patellar- und Achillessehne.

Aus diesen Beobachtungen dürfte vor allem das Erhaltenbleiben der Sehnen- reflexe bei der Mittelform der Entartungsreaction interessant sein. Auch Ref. kann diese Beobachtungen für einen später zu veröffentlichenden Fall bestätigen.

Rumpf.

14) De la myopathie atrophique progressive (myopathie sans neuropathie), döbutent d’ordinaire dans l’enfance par la face, par L. Landouzy et J. Dejerine. (Rövue de med. 1885. Fovrier p. 81 et Avril p. 251.)

Schon vor Jahren hat Duchenne auf eine besonders in der Kindheit auftretende Form der progressiven Muskelatrophie aufmerksam gemacht, welche ihren Ausgangs- punkt in den Muskeln des Gesichts nimmt. Seitdem war diese Krankheitsform, ab- gesehen von vereinzelten Beobachtungen, so ziemlich in Vergessenheit gerathen. Landouzy und Dejerine berichten in der vorliegenden werthvollen Arbeit über ausführliche, hierher gehörige klinische Beobachtungen und hatten auch Gelegenheit, in einem ihrer Fälle durch die genaue anatomische Untersuchung den myo- pathischen Ursprung dieser Form der progressiven Muskelatrophie mit Sicherheit nachweisen zu können.

Die Beobachtungen der beiden französischen Forscher beziehen sich auf zwei Familien L... und M.... Bei der Familie L... lässt sich die Krankheit durch fünf Generationen hindurch verfolgen. Genaue Krankengeschichten liegen vor von einem männlichen Mitgliede der Familie, welches seit seinem 26. Jahre an der Krankheit litt, im 52. Jahre an Lungenphthise starb und von dessen (von einer gesunden Mutter stammenden) Kindern vier an Muskelatrophie erkrankten. 5 andere Kinder desselben (zum Theil klein gestorben) sind von diesem Leiden ver- schont geblieben. Wir geben im Folgenden nur einen Auszug aus den wichtigsten Krankengeschichten.

Vater L. Beginn des Leidens im 26. Lebensjahre mit Atrophie der Muskeln an der linken Schulter. Bald darauf Atrophie des rechten Armes. Mit 32 Jahren beginnende Atrophie der Gesichtsmuskeln. Langsam fortschreitende Ausbreitung der Atrophie über die Muskeln der oberen Extremitäten, des Rumpfes und der unteren Extremitäten. Charakteristischer Gesichtsausdruck (8. u.). Keine fibrillären Zuckungen. Aufhebnng der Sehnenreflexe. Vollständig intact bleiben die Muskeln des Pharynx, des Larynx, die Kaumuskeln und das Zwerchfell. Keine Spur von Sensibilitäts- störungen. Keine Schmerzen in den kranken Muskeln. Normale Sphincteren. Tod an Lungenphthise im 52. Lebensjahre. Keine Autopsie.

Eugöne L., Sohn des vorigen. Beginn des Leidens im dritten Lebensjahre mit Atrophie der Gesichtsmuskeln, welche Erscheinung das einzige Krankheits- symptom bis zum 17. Jahre war. Jetzt erst Auftreten von Atrophie an den Muskeln der oberen Extremitäten, welche sich von hier aus auf den übrigen Körper auesbreitet. Im 21. Jahre hat die Krankheit einen so hohen Grad erreicht, dass der Patient fast nur noch aus Haut und Knochen besteht. Das Gesicht hat ein eigenthümlich aus- drucksloses, schlaffes Aeussere. Die Lippen sind wulstig („bonche de tapir“). Mus- keln der Zunge, des Schlundes, des Kehlkopfes, sowie die Kaumuskeln normal; ebenso

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die Augenmuskeln und das Zweichfell. Normale Sensibilität und Sphincteren. Er- loschene Sehnenreflexe.. Elektrische Erregbarkeit entsprechend der Atrophie herab- gesetzt, aber nirgends Entartungsreaction. Im 24. Lebensjahre Tod an Tuber- culose. Bei der sehr genau ausgeführten Section konnten die erkrankten Muskeln noch genauer im Einzelnen festgestellt. werden. Im Gesicht sind die Frontales, Orbiculares oculi, Zygomatici, Orbiculares oris und Bucci- natores fast völlig geschwunden. Nur der Levator anguli oris hat seine ur- sprüngliche Form und Grösse bewahrt. Auch die Kaumuskeln sind vollständig normal, ebenso die Muskeln der Zunge, des Pharynx und des Kehlkopfes. An dem genau präparirten rechten Arm zeigten sich fo)gende Verhältnisse: Der Tra- pezius in hohem Grade atrophisch, der Deltoideus fast vollständig verschwunden. Dagegen der Infra- und Supraspinatus, der Subscapularis, Teres major und minor normal. Biceps und Brachialis internus sehr reducirt, Coraco- brachialis fast verschwunden, Triceps bis auf einen kleinen Strang atrophirt. Am Vorderarm sind der Supinator longus und der Extensor radialis. stark reducirt, dagegen Supinator brevis, Flexor digitorum sublimis und pro- fundus fast normal. An der Streckseite des Vorderarmes erscheint die obere Muskel- schicht (Extensor digitorum communis, Extensor digiti minimi, Extensor ulnaris) normal, während von den tieferen Muskeln der Extensor pollicis longus und der Indicator stark atrophisch sind. Weniger stark befallen sind Abductor longus und Extensor pollicis brevis. An der Hand ist nur der Abductor pollicis brevis in höherem Grade erkrankt, während die übrigen Muskeln des Daumen- ballens und die Muskeln des Hypothenar ihr gewöhnliches Aussehen zeigen. Die Lumbricales sind deutlich atrophisch, die Interossei höchstens in geringem Maasse. Am Rumpf sind die Pectorales stark atrophisch, die Serrati dagegen normal („bien que le malade ait les omoplates aildes‘“), ebenso die Sacrolumbales. Die genauere Präparation der unteren Extremitäten (starke Atrophie der Glutaei) musste unterlassen werden. Alle erkrankten Muskeln zeigten äusserlich eine blass- gelbliche Färbung. Wenn ein Muskel ergriffen war, so war er es in seiner Totalität und überall gleichmässig. Stärkere interstitielle Fettentwickelung fand sich nirgends. Das Nervensystem (Gehirn, Rückenmark und periphere Nerven, vordere Wur- zeln, intramusculäre Nervenzweige) erwies sich bei sorgfältiger mikroskopischer Untersuchung als durchaus normal. Die histologische Untersuchung der er- krankten Muskeln ergab überall eine einfache Atrophie der Primitivfasern, soweit dieselben überhaupt noch vorhanden sind. Daneben auch einzelne hyper- trophische Fasern. Nirgends Zeichen degenerativer Atrophie. Sehr geringe interstitielle Bindegewebs- und Fettvermehrung. Keine erhebliche Vermehrung der Muskelkerne.

Die Krankengeschichten der übrigen Geschwister bieten sehr ähnliche Verhält- nisse dar. Hervorheben wollen wir nur, dass hier in einem Falle die Atrophie an den Rumpfmuskeln begann und dann auf die Gesichtsmuskeln übergriff, während in einem anderen Falle wiederum die Gesichtsmuskeln zuerst befallen wurden. Die Patellarreflexe fehlten stets.

Von der Familie M. wurden zwei Brüder untersucht. Bei dem älteren Bruder L6on M. begann das Leiden in seinem 8. Lebensjahre. Atrophie der Gesichtsmuskeln, unvollständiger Augenschluss, eigenthümlich starrer Gesichtsausdruck. In den folgenden Jahren allmähliches Fortschreiten der Atrophie. Atrophie der Schultermuskeln (mit Ausnahme des Infra- und Supraspinatus) und Oberarmmuskeln. Betraction des Biceps, so dass der Vorderarm nicht vollständig ausgestreckt werden kann. Vorder- armmuskeln besonders an der Streckseite atrophisch (Supinator longus fehlt ganz), die Beugemuskeln noch grösstentheils erhalten. Atrophie des Daumenballeus. Im 17. Lebensjahre (1885) kann Pat. nicht mehr allein gehen. Sehr starke Lordose der Wirbelsäule, Atrophie der Oberschenkel etc. Sensibilität normal. Patellar-

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reflexe fehlen. Keine fibrillären Zuckungen. Keine elektrische Entartungsreaction. Ganz ähnliche Verhältnisse fanden sich bei dem jüngeren Bruder, Georges M.

Nach diesen Beobachtungen stellen die Verff. eine neue Form der myopathischen Muskelatrophie auf, die, zuerst von Duchenne beschrieben, von ihnen als Type facio-scapulo-humeral bezeichnet wird. Die Atrophie beginnt gewöhnlich in der Kindheit und zwar in den Gesichtsmuskeln, wodurch ein eigenthümlicher Gesichts- ausdruck („Facies myopathique“) entsteht. Dann greift das Leiden auf die Schulter- und Armmuskeln über. Fast immer intact bleiben der Supra- und Infraspinatus, der Subscapularis und die Beuger der Hand und der Finger. Auch die Kaumuskeln, Schlingmuskeln, Kehlkopf- und Athemmuskeln bleiben normal, ebenso die Augen- muskeln. In selteneren Fällen beginnt die Krankheit in den Schultermuskeln (zu- weilen sogar in den unteren Extremitäten) und die Gesichtsmuskeln werden erst später befallen. Charakteristisch ist die mehrmals beobachtete eigenthämliche Re- traction des Biceps. Fibrilläre Zuckungen fehlen stets. Niemals findet sich Ent- artungsreaction. Der myopathische Ursprung der Krankheit ist mit Sicherheit bewiesen worden.

Die Verff. halten die Krankheit für verschieden von den übrigen Formen der juvenilen und hereditären Myopathien, insbesondere auch für verschieden von der Pseudohypertrophie. Ref. glaubt, dass auch hier Uebergangsformen zur Beobachtung kommen werden, welche die Zusammengehörigkeit aller dieser Formen darthun werden.

Strümpell.

Psychiatrie.

15) Contribution & l’dtude des oomplications visosrales de la paralysie gönörale, par Carrier. (Annal. med.-psychol. 1885. Mars.)

Neben den rein nervösen Symptomen der allgemeinen Paralyse bestehen Com- plicationen durch Erkrankung der visceralen Organe, von welchen C. annimmt, dass sie bislang unterschätzt seien. Das vielfache Vorkommen dieser Complicationen im Verlauf der melancholischen Form der allgemeinen Paralyse lässt ihn vermuthen, dass hier, mehr als eine Coincidenz vorliege.

Als Basis seiner Betrachtungen führt C. 2 Krankheitsfälle vor, welche beide im Verlauf einer Paralyse depressiver Form unter Erscheinungen grosser hypochondrisch- ängstlicher Erregung denselben Symptomencomplex aufwiesen: indem unter geringen Fiebererscheinungen und mit Dyspnoö Congestion der Lungen, bald einseitig, bald doppelseitig auftrat, ohne dass Hustenreiz oder Auswurf vorhanden war. Gleichzeitig stieg die Menge des innerhalb 24 Stunden gelassenen Urins auf über 3 Liter, was um so auffallender ist, als die Patienten zwangsweis gefüttert werden mussten, also von aussergewöhnlicher Zufuhr flüssiger Nahrung wohl keine Rede sein kann. Der Urin musste bei einem der Kranken durch den Katheter genommen werden; krank- 'hafte Beimengungen enthielt derselbe nicht. Die Congestionserscheinungen der Lungen wie die übermässige Urinabsonderung schienen anfallsweise aufzutreten und hielten einige Tage an; in einem der Fälle leitete dieser Vorgang acuten Marasmus und das Erliegen des Patienten ein. Nur eine Section wurde gemacht. Diese ergab starke Congestion einer Lunge, geringere der entgegengesetzten. (Auffallender Weise war die hypostatische Pneumonie wie wir der Beschreibung nach die Erscheinung nennen würden in der Lungenhälfte gefunden, welche während des Lebens keine Infiltrationserscheinungen aufgewiesen hatte. Ref.)

Die Niere war lebhaft congestionirt. Verf. versucht den Nachweis, den psychischen Verrichtungen im engeren Sinne psycho-negative entgegenzusetzen, deren Centrum mit dem des Sympathicus für identisch angenommen wird.

In Uebereinstimmung mit einer neueren Arbeit des Dr. Mairet sucht Carrier dieses Centrum in der Rinde der Basis cerebri.

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Die im Verlauf der depressiven Form der Paralyse auffällige Veränderung des Bewusstseins, die Erscheinungen der Mikromanie etc. werden auf die Störungen des Allgemeinbefindens zurückgeführt.

Es erklärt dies, weshalb die visceralen Complicationen gerade im Verlauf der durch jene Gemeingefühlsstörungen wohl beeinflussten depressiven Form der Paralyse häufig sind. C. gesteht übrigens, dass. weitere Untersuchungen nothwendig sind, um jenen Zusammenhang überzeugend zu machen; zumal 'harrt die Hypothese bezüglich der Abhängigkeit jener Form von dem supponirten Corticalcentrum des Sympathicus noch der Bestätigung. Jehn.

16) Zur Kenntniss der progressiven Paralyse, von Dr. Rieger. (Sitzungsber. der phys.-med. Gesellsch. zu Würzbug vom 13. Dec. 1884.)

Verf. giebt eine interessante und nach bestimmten Methoden durchgeführte Ana- lyse des geistigen Zustandes eines Paralytikers, bei welchem eine 1883 von R. zuerst beschriebene Störung des Lesens besonders auffallend war.

Der betreffende Kranke, bei dem keine Herdsymptome oder einseitige Eirschei- nungen bestanden, keine nachweisbare Mitbetheiligung des Rückenmarks, konnte wohl einzelne kurze Worte und kurze, 2—-4stellige Zahlen ganz sicher lesen; er buch- stabirte auch lange Worte ganz gut und schnell, zählte die Buchstaben langer Worte ganz richtig, zählte von 1—100 etc. Sobald er aber einen Satz lesen sollte oder auch nur ein langes Wort oder eine längere Zahl, so wurde sein Isesen baarer Un- sinn. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass man ihn erst ein langes Wort oder einen Satz niederschreiben liess: er konnte dann auch das von ihm selbst richtig Geschriebene nicht richtig lesen, sondern las z. B. für: Weltverbesserer „wirklicher Besicherer“ oder „Weitlichenvergebenunserfreude“; für: das Mädchen aus der Fremde „das Mächtigen aus dem Festung“; oder für: Alles opferte ich hin, sprichst Du, der Menschbeit zu helfen, las er: „Alles öffentlich ich hin bestimmt der Menschheit zu behelfen“ oder „Alles öffnet es hin bestimmtest du des Menschenheit zu helfen“ oder „Als öffentlich ich hin bestimmten der Moenschenheit zu behäufen‘“ oder „Als öffentlich hin beprüft und des Meisten zu viel helfen“ etc. Dabei hatte er, ganz ohne Selbstkritik, keine Ahnung von dem Unsinn, den er las.

R. prüfte dann das Gedächtniss des Kranken nach den verschiedensten Rich- tungen hin, beim Schreiben, beim Nachsprechen, beim Bezeichnen berührter Körper- theile, suchte auch sein Combinationsvermögen festzustellen, und konnte auf diese Weise bestimmte genau zu bezeichnende Defecte seiner Intelligenz nachweisen.

Es kann hier auf Einzelnes nicht eingegangen werden; aber sicher ist des Verf. Methode eine fruchtbare, und wird es hoffentlich in weiteren Kreisen werden, wenn R., wie er es in Aussicht stellt, genaue Mittheilungen über seine Methoden als ein „Schema zur Aufnahme eines möglichst vollständigen Inventars der intellectuellen Leistungen und Defecte bei Hirnkranken“ veröffentlicht haben wird. Hadlich.

17) Note sur un cas curieux de trouble de l’dcriture (paragraphie) dans le cours d’une paralysie gönerale progressive, par E. Rögis, Paris. (Gaz. möd. de Paris. 1885. 13.)

Em Paralytiker mit deutlicher Sprachstörung litt an epileptiformen Anfällen, nach welchen eine Parese des rechten Arms, stärkere Sprachstörung und Benommen- heit einige Tage anzuhalten pflegten; bisweilen war die Aphasie vollständig, aber immer vorübergehend.

Am 11. Mai 1883 hatte Pat. noch einen ganz guten Brief nach Hause geschrieben. Am 15. und 20. Mai hatte er heftige epileptiforme Anfälle. Am 24. Mai schrieb

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er einen sehr merkwürdigen Brief, mit Ueberschrif, Datum, guter Beihenführung, Unterschrift etc., aber die Worte waren grösstentheils sinnlos, die meisten endeten auf 6t6 oder ats, z. B. relat6, termate, resamädts, ecaläts, relate, totald ete.; die Schriftzüge waren deutlich und relativ fest (s. im Original die Copien der Briefe). Interessant war es, dass Pat., von RB. aufgefordert, ihm den Brief, den er soeben geschrieben hatte, doch vorzulesen, einen ganz verständigen Inhalt vorlas, dabei noch hier und da an dem Geschriebenen etwas verbessernd.

Nach 8 Tagen konnte Pat. bereits einen viel besseren Brief schreiben und nach wieder einigen Tagen einen ziemlich fehlerlosen. Eine Wiederkehr dieser Schrift- störung wurde nicht beobachtet, und eben in diesem anfallsweisen Auftreten liegt, im Gegensatz zu der gewöhnlichen bleibenden Schrift der Paralytiker, das Interessante dieser Beobachtung. Hadlich.

18) Essai sur les anndsies principalement au point de vue 6tiologique, par A. Rouillard. (Thöse de Paris. 1885. p. 252.)

In dieser unter Ball gearbeiteten These, die den gewöhnlichen Umfang einer solchen Arbeit beträchtlich überschreitet, findet sich das casuistische Material mit nur wenige Lücken zeigender Vollständigkeit zusammengetragen und nach der im Titel angedeuteten Richtung verarbeitet. Ohne wesentlich Neues zu bieten, wird die Schrift des erwähnten Umstandes wegen für Arbeiter auf diesem Gebiete sich gewiss als nützlicher Begleiter namentlich in literarischer Hinsicht bewähren.

A. Pick.

Therapie,

18) Contratture degli arti sinistri da lesione della zona motorisa destra. Trapanazione, pel prof. Fenoglio. (Archiv. di psichiatris, scienze penal. ecc. 1884. V. p. 413.)

Ein 19jähriger, völlig gesunder und nicht neuropatbisch veranlagter Landmann war ohne bekannte Veranlassung dicht neben einem Bahngeleise bewusstlos umge: fallen und war, als er noch in der Betäubung da lag, von einem zufällig vorüber- fahrenden Zuge so gestreift worden, dass am Kopf eine Fractur der rechten Fronto- parietalgegend entstanden war. Nach etwa 4 Stunden war er dann erwacht und hatte ausser einer völligen Hemiplegia sinistra nur eine mässige Verwirrtheit, leichte aber nicht genauer beschriebene Sehstörungen und ein Gefühl von Eingenommenheit und Schwere im Kopf gezeigt. Während im weiteren Verlaufe nur die sensorischen Symptome wesentlich gebessert worden waren, hatte sich eine auffällig trübe und reizbare Gemüthsstimmung ausgebildet, die sehr mit dem früheren lebenslustigen Charakter des Patienten im Widerspruch stand, und ausserdem hatten sich etwa 9 Monate nach jenem Unfall 2 epileptische Krampfanfälle eingestellt; nach einer weiteren Pause von fast 4 Jahren kehrten daun die epileptischen Anfälle in schnell sich ausbildender Häufung wieder, so dass der Patient im 25. Lebensjahre bereits 4—-Dmal am Tage von denselben ergriffen wurde. Bei seiner Aufnahme in die Klinik zu Cagliari fand sich über dem rechten Parietalbein, annähernd dem vor dem Scheitel- höcker gelegenen mittleren Theil der Crista temporalis entsprechend, eine längliche Impression von 63 mm Länge, 15 mm Breite und ca. 10 mm grösster Tiefe; die Narbe war nicht besonders empfindlich. Der linke Oberarm war in Adduction, der Vorderarm in Semiflexion und Pronation, die Hand und die Finger in starker Flexion festgestellt, sodass sie federten; die nur paretische untere Extremität befand sich in ziemlich starrer Adduction mit bedeutender Drehung des Fusses nach innen, und konnte beim Gehen fast nur im Hüftgelenk bewegt werden. Der Patellar- und Fuss-

Fa

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reflex war dabei links sehr gesteigert, rechts dagegen beinahe erloschen. Ausserdem. bestand noch eine leichte Facialisparose.

Am 17. Mai 1884 wurde nun hauptsächlich mit Rücksicht auf die immer häufiger wiederkehrenden epileptischen Anfälle die Trepanation vorgenommen und es ‘konnte dabei ein abgesprengter Knochensplitter, der in der unter ihm liegenden Hirnrinde einen Eindruck hervorgerufen hatte, entfernt werden. Im Uebrigen verlief die Operation sehr glücklich: die epileptischen Anfälle sind zwar nicht völlig ge- schwunden, sind doch aber ausserordentlich viel seltener geworden. Interessanter aber ist die Thatsache, dass die Parese und Rigidität der unteren Extremität und die Facialislähmung völlig zurückging, trotz ihrer 5jährigen Dauer, und dass an der oberen Extremität wenigstens die Finger wieder functionsfähig wurden. Verf. schliesst daraus, dass der drückende Knochensplitter nur das Centrum der Ober- und Vorder- armmusculatur direct zerstört und demgemäss eine secundäre Degeneration der ent- sprechenden Nervenbündel bedingt habe; die Musculatur der Finger, sowie die der unteren Extremität und des Gesichts seien von dem localisirten Reize gewissermaassen nur „infiuenzirt“ worden und daher sei trotz der langen Dauer der Functionsstörung doch keine Degeneration etc. eingetreten. Uebrigens zeigten nach der Trepanation die Knie- und Fussreflexe das normale Verhalten.

Bemerkenswerth ist auch die mit Goltz’ Versuchen in gewisser Uebereinstim- mung zu stehen scheinende Umänderung des Charakters. Der früher lebensfrohe Mann war von dem Eintritt des Traumas an gemüthlich dauernd deprimirt und reizbar; gleich nach der Operation aber fand sich der frühere Optimismus wieder.

Sommer.

Anmerkung: An dieser Stelle mag eine 1. c. p. 417 mitgetheilte und dem „Journ. of nerv. and ment. disease, New York, 1883“ entnommene Statistik Mac Dou- gall’s über den Einfluss der Trepanation auf (wohl vorwiegend traumatische) Epi- lepsie reproducirt werden.

Es wurden operirt Fälle mit Heilungen, nz Besserungen, ohne Erfolg

von: Eccheverria 148 93 18 9 Walsham 26 20 6 Russel 50 24 6 4 10 Billing IR. VE 3

296 179 50 32 29.

20) Cases illustrative of cerebral surgery, by William Macewen. (The Lancet. 1885. Vol. I. p. 881.)

Verf. führt aus der Zahl von 17 mit Glück (Ausnahme von 3) operirten Gehirn- fällen 2 sehr interessante Trepanationen an.

Fall 1. F. N., 36 Jahre alt, stets gesund, fiel im August 1883, war 12 Stunden lang bewusstlos; etwas Blut floss aus einem Ohre heraus. Baldige Besserung bis auf leichtes Schwindelgefühl, beim Versuch zu gehen. Bewegung der Extremitäten frei, die höheren Sinne intect; allmählich stellte sich Schwäche ein, endlich Unfähig- keit zu arbeiten.

Status im November. Schwere im Kopf, leichte Atrophie der linken Armmuskeln, Händedruck links sehr schwach, oft Spasmen im linken Arm und stechende Schmerzen von der Schulter in die Finger ziehend. Innere Organe sonst gesund.

Diagnose: Durch Bluterguss bewirkte Läsion der mittleren Partie des Gyrus centralis anterior, Leptomeningitis und Encephalitis.

Auf Wunsch des Pat. Trepanation am 8. December am rechten Os parietale vorgenommen, der angenommenen Läsion des Gehirns entsprechend. Die freigelegte Dura mater ist unregelmässig geröthet, zeigt hier und da dunkle Flecke, Blutklumpen

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im subduralen Raum anzeigend. Nach einem Kreuzschnitt in die barte Hirnhaut wird reichlich eine klare Flüssigkeit entleert; darauf sieht man, dass eine dicke, gelbliche, opake Membran auf der aufsteigenden Frontalwindung liegt und sich bis in den Sulcus Rolando hineinzieht. Incission. Das darunter liegende Gehirngewebe ist mit kleinen Blutklumpen infiltrit, die spontan heraustreten. Beposition des tre- panirten Stückes etc.

Nach einer Woche ist die Kopfwunde per primam geheilt, nach 3 Tagen zeigen sich keine Gefühlsstörungen mehr im linken Arm; derselbe hat nach 6 Wochen seine alte Kraft wieder erlangt, nach 2 Monaten wird Pat. als gebeilt entlassen. 8 Monate später berichtet er selber, dass er so gut wie früher arbeite und sich einer aus- gezeichneten Gesundheit erfreue.

Fall 2. Mrs. McK., 25 Jahre alt, syphilitisch inficirt, bemerkte zuerst schmerz- hafte Empfindungen in den Muskeln des linken Armes und später auch im linken Beine. Darauf nahm die Kraft des linken Armes, später die des linken Beines all- mählich bis zur ausgesprochenen Paralyse ab.

An den gelähmten Extremitäten zeigte sich geringe Rigidität der Muskeln, Schwächung der Intelligenz und Abnahme des Gedächtinisss. Im Juni 1883 wurde der rechten vorderen Centralwindung entsprechend ein Zoll breites Knochen- stück aus dem Os parietale entfernt, dann Kreuzschnitt in die chronisch veränderte Dura mater. Die Gehirnoberfläche daselbst mit gelber, opaker, bröcklicher Masse bedeckt, entsprechend dem mittleren und obern Drittel der aufsteigenden Stirnwindung und dem Sulcus centralis. Beim Einschneiden in die obere Partie des Gyrus front. anter., woselbst sich das Gewebe resistent anfühlt, entleeren sich 7 kem einer dicken Flüssigkeit. Darauf Abmeisselung einiger Osteophyten an der Grenze des Os parie- tale nnd Os oceipitis.

Am Ende der ersten Woche vermag Pat. Finger und Zehen frei zu bewegen, nach 2 Monaten kann sie gut gehen, gewinnt allmählich fast ihre frühere Kraft in den linken Extremitäten wieder; nach 1 Jahr und 10 Monaten ist das Befinden der Pat. noch völlig zufriedenstallend. Ruhemann.

21) Case of cerebral tumour, by A. Hughes Bennett. (The British Medical Journal. 1885. 16. Mai.)

Ein 25jähriger Pächter war bis 1881 völlig gesund, als er von einem Stück Holz an der linken Kopfseite getroffen und wenige Minuten lang bewusstlos wurde; später öfter Kopfschmerzen; ein Jahr nachher leichtes Zucken in der linken Gesichts- seite und der Zunge; dann ein Krampfanfall mit auralen Erscheinungen, die vom Nacken und der linken Gesichtsseite zum linken Arm und Bein zogen. Später öfters leichtes Zucken im linken Arm und Bein. Danach leichte Parese der linken Ober- extremität, später der linken Unterextremität. Augenbewegungen frei, doppelseitige Neuritis optica; Kniephänomen und mechanische Muskelerregbarkeit links verstärkt; links Fussclonus. Zeitweises Erbrechen.

Am 25. November 1884 trepanirte Godlee entsprechend der oberen Partie der Rolando’schen Furche, durchschnitt die Dura mater auf der aufsteigenden Parietelwindung; daselbst Gliom gefunden, mit Hülfe des Volkmann’schen Löffels entfernt, die erfolgende starke Blutung galvanokaustisch gestillt.

Nach 4 Tagen kein Schmerz mehr, kein Erbrechen, keine Convulsionen. All- gemeinbefinden gut; Intelligenz unbeeinträchtigt; später noch die Wunde putrid, allmählich entwickelte sich eine Hernia cerebri von halber Orangengrösse. Trotzdem Befinden gut. 21 Tage nach der Operation plötzlicher Rigor.

Eine Woche später Tod durch locale septische Meningitis... Der durch die Operation bewirkte und durch nachfolgende Gehirnerweichung hinzugekommene (Gie- hirndefect umfasste ®/, des mittleren Theils der aufsteigenden Parietalwindung, das

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obere Drittel der aufsteigenden Stäirnwindung und das vordere Drittel der Supra- marginalwindung.

Der Fall ergab, dass die Operation auf einmal die krankhaften Symptome be- seitigte ohne eine Schädigung des Nervensystems oder des Allgemeinbefindens. Der Tod erfolgte an einer zufälligen ohirurgischen Complication.

In der Discussion meinte Hughlings Jackson, dass intensiver Kopfschmerz, 20—30 Anfälle am Tage oder die Möglichkeit der Errettung vom Tode die Trepanation indiciren, wenn auch immer an gewisse ungünstige Momente gedacht werden müsse, wie bedeutende Grösse des Tumors mit accidenteller, peripherischer Erweichung, wie das Vorkommen multipler Geschwülste, eventuell Irrthum in der Localisation. Handelt e8 sich um begrenzte Convulsion z. B. eines Armes, oder beginnt der Krampf an einer Extremität, die auch gelähmt ist, besteht doppelseitige Neuritis optica, so soll man an einen Tumor der Regio Rolandica denken und getrost trepaniren.

Ferrier plaidirte ebenfalls für den Standpunkt, dass die Trepanation gefahrlos zu machen sei und gute Resultate ergebe und führte ebenfalls einen dem geschilderten ähnlichen Gehirmnfall an, wo Sir Joseph Lister die Operation machte.

Die vorstehenden Fälle von Macewen werden angeführt.

Hughes Bennet zeigte das Gehirn eines Mannes, der trepanirt wurde und dem 8 in das Gehirn eingedrungene Knochenstücke entfernt wurden. Heilung aus- gezeichnet ohne Benutzung von Antisepticis; der Kopf lag permanent im Wasser- kissen. Keine Encephalitis, keine Meningitis. Tod durch Pleuropneumonie.

Horsley meinte, dass die Hämorrhagien, die bei der Verletzung des Gehirns entstünden, durch subeutane Morphiuminjectionen bedeutend verringert werden könnten, was er an Thieren gesehen hätte.

Godlee sprach dann über einige technische Punkte in Bezug auf die Ausfüh- rung der Trepanation und die Entfernung von Gehirmtheilen. BRuhemanın.

UL Aus den Gesellschaften.

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung vom 8. Juni 1885.

Westphal: Ueber einen merkwürdigen Fall periodischer Lähmung der vier Extremitäten.

Ein kräftiger, blühender Junge von 12 Jahren, der auch psychisch ganz normal ist und hereditär nicht belastet, bekommt seit 5 Jahren bald schwächere, bald stärkere Lähmungen von ganz vorübergehender Art, die meistens des Nachts auftreten.

So wurde er z. B. am 15. März d. J. von einem derartigen Falle betroffen, der in der Charit6 beobachtet wurde. Er bemerkte Nachmittags 4 Uhr eine Schwäche des rechten Fusses und fiel !/, Stunde später hülflos hin, weil seine Beine ihn nicht mehr trugen; danach wurden die Arme schwach, diese ohne sensible Störungen, während in den Hacken und Beinen unangenehmes Prickeln und Brennen, wie Nadel- stiche, bestand. Das Geniok war ihm etwas steif, auch bestand Durst und Hamn- drang, doch dauerte es 2 Minuten, ehe er den Urin lassen konnte Um 7 Uhr Abends konnte er absolut nicht stehen und in horizontaler Rückenlage nur in den Hüften schwache Bewegungen ausführen, sowie mit dem linken Fusse, alle anderen Gelenke waren unbeweglich.

Um 4 Uhr Morgens am 16. März wurde vollständige Lähmung aller 4 Ex- tremitäten constatirt, ohne Contracturen; die Sohlenreflexe fehlten, dagegen waren Cremaster- und Hautreflexe, sowie die Kniephänomene erhalten. Die stärksten faradischen Ströme lösen von den Nervenstämmen der 4 Extremitäten keine oder nur ganz schwache Zuckungen aus, dabei Schreien vor Schmerz.

Um 8 Uhr Morgens ist an den oberen Extremitäten sowohl mit faradischen wie mit galvanischen Strömen eine ganz gute Erregbarkeit zu constatiren, während

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dieselbe an den unteren Extremitäten noch fehlt, besonders sind die Nn. tibialis ant. noch ganz unerregbar; directe und indirecte Reizung verhalten sich dabei gleich, und treten Zuckungen auf, so sind sie immer blitzartig, nicht träge.

Im Laufe des Tages war die Lähmung der. Extremitäten zwar noch nicht ver- schwunden, wurde aber sehr gering; die Kniephänomene waren schwach. Die Zuckungen in den Streckmuskeln des Fusses blieben noch am längsten sehr schwach.

Am 17. März fand man und nur dieses einzige Mal eine Temperatur- erhöhung auf 39° im Rectum; dabei viel Schweiss und Durst.

Nachdem in der Zwischenzeit noch mehrere kleine Anfälle aufgetreten waren, beobachtete man in der Nacht vom 8. zum 9. April, um 2 Uhr, einen neuen starken Anfall ganz analoger Art, wie der obige: vollständig schlaffe Lähmung, die stärksten faradischen Ströme blieben fast wirkungslos. Morgens um 7 Uhr waren die Lähmungen ziemlich vollständig verschwunden und die elektrische Prüfung ergab überall ziemlich kräftige Zuckungen.

Von anderen Symptomen ist zu erwähnen, dass einmal Erbrechen auftrat; auch wurde einmal eine Spur von Albumen im Urin gefunden.

Aetiologisch war nur zu ermitteln, dass der Knabe im 7. Jahre an Scharlach- fieber und (vielleicht?) nachfolgender Nephritis gelitten hatte, aber ganz gesund geworden war, bis ganz plötzlich der erste Anfall von Lähmung eintrat. Die An- fälle kamen anfangs alle 4—6 Wochen, später auch mehreremals in einer Woche und dauerten !/, bis höchstens 1!/, Tage. Der Vortragende führt weiter aus, dass sich über die Natur der Lähmung ein sicheres Urtheil nicht fällen lässt. Auf Anfrage bemerkt W. noch, dass die Milz keine Anschwellung gezeigt habe.

Bernhardt: Bei Intermittens sind ja ähnliche Fälle beobachtet. Einen iden- tischen Fall hat Weber (Halle) beschrieben." Vielleicht auch könne man glauben, dass sich von Zeit zu Zeit ein den Ptomainen ähnlicher Stoff, ein Curare-artiges Gift im Körper bilde, das ganz vorübergehend die Nervenendigungen lähme.

Remak und Senator weisen auch auf das Intoxicationsartige des Falles hin; ersterer erinnert an den im Neurolog. Ctrlbl. veröffentlichten Fall von Emminghaus in Dorpat, der bei Kohlenoxydvergiftung ein acutes und vorübergehendes Erlöschen der elektrischen Erregbarkeit constatirte; letzterer zieht Vergleiche mit Malaria heran, bei welcher allerdings gerade über das Erlöschen der elektrischen Erreg- barkeit nichts angegeben ist.

Westphal: Der Knabe, kräftig und gesund, leidet seit 5 Jahren an diesen Anfällen; an Malaria-Cachexie ist also nicht zu denken.

Sander findet eine gewisse Analogie der Erscheinungen mit denen bei dem physiologischen Experiment, dem Stenson’schen Versuch, denn der Schweiss, der Durst, die Plötzlichkeit der Lähmungserscheinungen würden sich bei einem Gefäss- krampf erklären.

Westphal meint, dass dann wohl stärkere Sensibilitätsstörungen nicht, wie hier, fehlen würden; überhaupt könne dadurch nichts erklärt werden.

Die folgenden Demonstrationen resp. Vorträge der Herren Hirschberg und Remak werden als Originalartikel in einer der nächsten Nummern veröffentlicht werden. Hadlich.

V. Personalien.

Zum Director der städtischen Berliner Irrenanstalt (Dalldorf) wurde Dr. Jensen (Allenberg) gewählt.

Unser Mitsrbeiter Herr Dr. Paul Rosenbach hat sich als Privatdocent für Geistes- und Nervenkrankheiten an der kais. med. Academie zu Petersburg habilitirt.

ı C#. Ctrlbl. f. d. med. Wiss. 1875. S. 428. Verlag von Vaır & Come. in Leipzig. Druck von Marzenr & Wırzie in Leipzig.

NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten,

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Vierter sa Berlin. Jahrgang.

Monatlich erseheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

1885. 1. Juli. Na: 13,

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Inhalt. 1. Originalmitiheilungen. 1. Klinisches und Pathologisch - anatomisches von der Thomsen’schen Krankheit, vorläufige Mittheilung von Prof. Dr. W. Erb. 2. Ueber den Zusammenhang zwischen Epicanthus und Ophthalmoplegie, von Prof. 3. Hirschberg.

ü. Referate. Anatomie. 1. Sulla struttura dei talami ottici, ricerche istologichi von Marchi. Experimentelle Physiologie. 2. Sul decubito, osservazioni sperimentali von Uffreduzzi. Pathologische Anatomie. 8. Altsrations des nerfs peripheriques dans deux cas de maux perforants plantaires et dans quelques autres formes de lösions trophiques des pieds, 2 Pitres et Vailiard. Pathologie des Nervensystems. 4. Ueber den W der iingelskjön’schen elektrodiagnostischen Gesichtsfelduntersuchung, von Konrad und Wagner. 5. Ein Fall von Muskelatrophie mit ausgebreiteten Sensibilitätsstörungen, von Freud. 6. Ueber die Beziehungen des Kniephänomens zur Diphtherie und deren Nachkrankheiten, von Bernhardt. 7. Observations on the cutancous and deep Beflexes, by Knapp. 8. Ueber einige Fälle von geheilter Rückenmarkserkrankung, von Singer. 9. Ett fall aneurysma arteriae basilaris, af Mom6en. Psychiatrie. 10. Il tatuaggio nei pazzi, von Severl. 11.On uterine disease and insenity, by Wigiesworth. 12. De l’ötat des reflexes ches les paralytiques göndraux, par Bettenceuk-Rodrigues. Therapie. 13. Om hysteria major och Kastration, af Beiling. 14. Note on the use of permanganate of potash in cases of insanity associated with amenorrhoea, by Deas. |

il. Aus den Gesellschaften.

IV. Bibliographie.

I. Originalmittheilungen.

1. Klinisches und Pathologisch-anatomisches von der Teousen’schen Krankheit.

Vorläufige Mittheilung von Prof. Dr. W. Erb in Heidelberg.

Es ist schon fast ein Decennium verflossen, seit Tuomsen die jetzt nach ihm benannte, in seiner Familie heimische Krankheit zuerst beschrieben hat. Dieselbe ist von ebenso grossem praktischen wie wissenschaftlichen Interesse. Gleichwohl ist bisher nur eine sehr geringe Zahl von Beobachtungen dieser

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Krankheit bekannt gegeben worden; seit der ersten Beschreibung wurden noch kaum 2 Dutzend Fälle publicirt und von diesen geben manche noch erheblichen Zweifeln über ihre Zusammengehörigkeit mit der Taomsen’schen Krankheit Raum.

Obgleich die ganze Krankheit nur in einer einzigen, typischen Störung im willkürlichen Muskelsystem besteht, sind doch noch mancherlei Lücken in der Pathologie derselben, besonders in Bezug auf das Verhalten der Muskeln und ihrer Nerven gegenüber verschiedenen, zur Untersuchung dienenden Reizen vor- handen; über ihrer pathologischen Anatomie aber schwebt noch völliges Dunkel: denn in 5 Fällen, in welchen bisher excidirte Muskelstückchen unter- sucht wurden (Ponrick, PETRONE, JACUSIEL-GRAWITZ, Knut PONTOPPIDAN, Rıeper), boten dieselben angeblich nichts Abnormes dar. Die Section eines Falles von Taomsen’scher Krankheit scheint überhaupt noch nicht gemacht zu sein.

Auch über die theoretische Deutung der Krankheit, speciell über den eigentlichen Sitz und Ursprung derselben: ob sie als eine neuropathische oder eine myopathische Affeetion zu betrachten sei, bestehen noch ganz divergente Ansichten; zu ihrer definitiven Klarlegung ist natürlich vor allen Dingen eine möglichst umfassende Kenntniss der klinisch zu ermittelnden Thatsachen in Bezug auf motorische Nerven und Muskeln, demnächst aber auch eine Erweiterung unserer pathologisch-anatomischen Kenntnisse die erste Vorbedingung. Ohne diese erheben sich alle Anschauungen über das Wesen der Krankheit nicht über den Werth von Ansichten und Vermuthungen.

Zwei Fälle von Tuomsen’scher Krankheit, bei zwei Brüdern von 14 resp. 15 Jahren, die jüngst auf meiner Klinik sich zu längerer Beobachtung dar- boten, gaben mir die erwünschte Gelegenheit, zur weiteren Klärung unserer Ansichten über dieses merkwürdige Leiden etwas beizutragen. Ich legte dabei natürlich den Hauptwerth auf die eingehende Untersuchung der motorischen Nerven und der Muskeln, hauptsächlich mit mechanischen und elektrischen Reizen und bin dabei zu Resultaten gelangt, welche, wie mir scheint, eine nicht unerhebliche Vervollständigung unserer Kenntnisse darüber darbieten; anderer- seits bin ich bei der mikroskopischen Untersuchung excidirter Muskelstückchen glücklicher gewesen, als meine Vorgänger, indem ich sehr ausgesprochene posi- tive Veränderungen an den Muskelfasern entdeckte.

Die Ergebnisse dieser klinischen und pathologisch-anatomischen Studien will ich hier in Kürze vorläufig mittheilen, als Anregung für Andere, welche weiterhin solche Fälle sehen und in der Lage sein werden, die auch in meinen Untersuchungen noch vorhandenen mannigfaltigen Lücken auszufüllen.

Es wird aus der späteren ausführlichen Mittheilung zur Genüge hervor- gehen, dass es sich bei meinen beiden Kranken ganz um das typische Bild der Taomsen’schen Krankheit handelte: um ein angeborenes, in der frühesten Kind- heit schon bemerktes Leiden, dessen einziges Symptom die bekannte, im Beginne der nach längerer Ruhe ausgeführten willkürlichen Bewegungen eintretende, Muskelspannung und Steifheit ist, die zunächst noch zunimmt, bei fortgesetzter Bewegung jedoch sich wieder löst, um endlich freier Beweglichkeit Platz zu

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machen. Mächtige Entwickelung der Musculatur bei relativ mässiger grober Kraft; alle übrigen nervösen und sonstigen Körperfunctionen vollkommen nor- mal. In der Familie sind bisher ausser diesen beiden Fällen keine weiteren vorgekommen.

Die Untersuchung des motorischen Nervensystems und der Muskeln ergab:

Bei den willkürlichen Bewegungen ist die grobe Kraft verhältniss- mässig -— besonders gegenüber der athletischen Entwickelung der Muskeln recht gering, deutlich herabgesetzt. Beim Gehen, bei wiederhulten Beugungen des Vorderarms und ähnlichen Bewegungen treten die bekannten, schon oft beschriebenen Störungen ein: anfangs Verlangsamung und Erschwerung, zu- nehmende Steifheit und Spannung, dann allmähliche Lösung und endlich völliges Freiwerden der Bewegungen. |

Bei energischen willkürlichen Bewegungen, gegenüber einem kräftigen Widerstand, tritt sofort eine tonische, sehr pralle Contraction der Muskeln ein, die auch nach dem Aufhören der Willensaction bestehen bleibt und weitere Bewegungen zunächst hemmt; die Nachdauer dieser willkürlichen Contraction, dieses Tonus, beträgt ca. 10-25 Secunden.

Bei der objectiven Untersuchung mit mechanischen und elektrischen Reizen stellt sich nun eine deutliche Verschiedenheit zwischen den motorischen Nerven und den Muskeln heraus, so dass es zweckmässig ist, die Ergebnisse derselben für den Nerven und den Muskel getrennt in Kürze darzustellen.

Die motorischen Nerven zeigen gegen mechanische Reize (Beklopfen mit dem Percussionshammer) eine eher herabgesetzte Erregbarkeit; jedenfalls sind von denselben nirgends deutliche Zuckungen auszulösen.

Gegen den faradischen Strom reagiren dieselben quantitativ normal. Die Minimalcontractionen sind nicht nachdauernd; selbst die stärksten einzelnen Oeffnungsschläge rufen immer nur kurze blitzähnliche Zuckungen hervor. Da- gegen lösen summirte Reize, wie sie bei secundären faradischen Strömen mit freischwingender Feder zur Wirkung kommen, bei mittleren und höheren Strom- stärken eine deutlich nachdauernde Contraction aus.

Gegen den galvanischen Strom reagiren die Nerven in quantitativer Beziehung durchaus normal. In qualitativer Beziehung tritt nur deutlich her- vor, dass KaSTe relativ spät und erst bei hohen Stromstärken eintritt, z. Th. erst nach der Ka0Z. Die Zuckungen sind durchweg kurz, blitzähnlich und zeigen selbst bei KaSTe keine deutliche oder nur sehr geringe Nachdauer. Da- gegen ruft labile Reizung des Nerv. ulnaris (also Summirung der Reize!) in dem betreffenden Muskelgebiet eine tonische, deutlich nachdauernde Contraction hervor.

Anders die Muskeln: ihre mechanische Erregbarkeit ist beträcht- lich erhöht. Schon bei einfachem Drücken derselben, noch mehr beim Be- klopfen entstehen starke tonische Contractionen der betroffenen Bündel, z. Th. mit localen idiomusculären Wülsten. Diese Contractionen bleiben sehr lange bestehen und haben, je nach der Stärke des Reizes, eine Nachdauer von 12—30 Secunden.

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Mit dem faradischen Strom sind die Muskeln allenthalben leicht erreg- bar; die minimalen Contractionen zeigen keine Nachdauer; bei allen stärkeren Strömen aber tritt eine ausgesprochene Nachdauer bis zu 20 und mehr Se- cunden auf; einzelne Oeffnungsschläge jedoch geben selbst bei den grösst- möglichen Stromstärken immer nur kurze, blitzähnliche Zuokungen.

Für den galvanischen Strom sind die Muskeln sehr leicht, und schon durch bei Gesunden unwirksame Stromschleifen erregbar. Sie geben durchweg nur Schliessungszuckungen und zwar mit beiden Polen: Ka und An stehen sich in ihrer Wirkung ziemlich gleich: an einigen Muskeln überwiegt die KaSZ, an andern jedoch die AnSZ. Besonders auffallend jedoch ist die dabei zu be- obachtende Zuckungsträgheit und die lange Nachdauer der tonischen Contraction. Bei minimalen Reizen kann, besonders mit der Ka, die Schliessungs- zuckung eine kurze sein; aber bei geringer Steigerung der Stromstärke und oft schon von vornherein ist die Zuckung exquisit träge, tonisch, lange und gleich- mässig stehen bleibend; dabei treten die Muskeln mit stharfen Conturen prall hervor, oder die contrahirten Theile erscheinen mehr eingesunken, bilden Furchen und Dellen. Alle diese galvanisch erzeugten Contractionen zeigen eine ex- quisite und hochgradige Nachdauer, je nach der Stromstärke von 5—30 Sec.

Noch ein sehr auffallendes Phänomen zeigt sich aber an bestimmten Muskel- gruppen (z. B. an den Flexoren der Finger, am Vastus internus und externus): nämlich bei ganz stabiler Stromeinwirkung rhythmisch aufeinanderfolgende, hintereinander über die Muskeln hinlaufende wellenförmige Con- traotionen, die in ganz gesetzmässiger Weise von der Ka ausgehen und gegen die An hin gerichtet sind. Setzt man z. B. die eine Elektrode in die Hand, die andere in den Nacken, so treten bei genügender Stromstärke (16--20 El Stöhr.) diese wellenförmigen, ungefähr im Secundentempo (manchmal rascher, manchmal langsamer) aufeinanderfolgenden Contractionen in den Beugern der Finger auf: sie laufen nach aufwärts, wenn die Ka, nach abwärts, wenn die Anode sich in der Hand befindet. Dasselbe ist der Fall im Vastus internus, wenn die Elektrode unterhalb desselben neben der Patella sitzt.

Ein grosser Theil dieser Eigenthümlichkeiten ist, wie die Literatur zeigt, zum Theil und wenigstens andeutungsweiss von andern Beobachtern gesehen worden; sie sind aber meines Wissens noch nicht in solcher Vollständigkeit beschrieben.

Alle geschilderten Erscheinungen nun sind sozusagen fast über die ge- sammte willkürliche Musculatur verbreitet, soweit dieselbe überhaupt einer ge- naueren Untersuchung zugänglich ist: die Extremitäten in allen ihren Theilen zeigen die Verhältnisse am schönsten; sie fehlen aber auch nicht an den Schulter-, Rumpf- und Bauchmuskeln; sie sind weniger deutlich an den Gesichts- muskeln, lassen sich aber auch an diesen, besonders an den Muskeln am Kinn und der Unterlippe unverkennbar nachweisen; die Kaumuskeln zeigen dieselben ganz deutlich und eines der besten Objecte, um besonders die elektrischen Erregbarkeitsänomalien zu demonstriren, ist die Zunge.

Das Gesammtergebniss scheint mir das zu sein, dass es sich im Wesentlichen

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um eine Veränderung in der Contractionsform der Muskeln handelt: die auffallende Trägheit (— verlängerte Latenzzeit? —) und die Nachdauer der Contraction sind das Charakteristische davon. Der Kürze wegen kann man diese Anomalie, um den von STRÜMPELL eingeführten und wie mir scheint, ganz passenden Namen zu gebrauchen, wohl als „myotonische Contrastion“ oder als „myotonische Störung der Muskeln“ bezeichnen.

Dieselbe lässt sich vorwiegend durch directe Einwirkung auf die Muskeln (mechanische, faradische, galvanische Reize) auslösen; vom Nervensystem da- gegen, wie es scheint, nur dann, wenn eine rasche Folge von sich summirenden Reizen (Willenserregung, secundäre faradische Ströme, labiler galvanischer Strom) auf den Nerven einwirkt.

Die Summe der elektrischen Erregbarkeitsveränderungen an den motorischen Nerven und Muskeln bei der Tuomsen’schen Krankheit, die sich, wie ich später ausführlich darlegen werde, in charakteristischer Weise von der Entartungs- reaction, von der Reaction bei Tetanie, bei Muskelhypertrophie etc. unterscheiden, möchte ich der Kürze wegen mit dem Namen der „myotonischen elek- trischen Reaction“ bezeichnen.

Ob und in welcher Weise die geschilderten Veränderungen genaueren Auf- schluss über das Wesen der Tuomsen’schen Krankheit geben, ob sie zur Klärung der Ansichten über die eigentliche Localisation der Störung beitragen können, das denke ich in der späteren ausführlichen Arbeit zu erörtern.

Bei dem einen von meinen Kranken habe ich die Excision eines Muskelstückchens aus dem Biceps brachii machen lassen. An dem frischen Präparat konnte auch ich bei mikroskopischer Untersuchung nicht viel Abnormes finden, höchstens dass die Muskelfasern auffallend breit erschienen; sie zeigten aber schöne Querstreifung und von den Kernen war nichts Deutliches zu sehen.

Nach erfolgter Härtung in Möuuer’scher Flüssigkeit jedoch und Färbung mit Alauncarmin oder Hämatoxylin zeigten sich dagegen überraschende Ver- änderungen an den Muskelfasern, nämlich erstens eine ganz beträchtliche Hypertrophie derselben, weit über das Maximum der Breite der normalen Muskelfasern hinaus. Während die normalen Grenzwerthe der Muskelfaserbreite nach den Angaben der Histologen zwischen 25 und 65 u schwanken, fanden sich hier Grenzwerthe von 24—-180 u. Mehr als die Hälfte (56°/, der Fasern) zeigte eine Breite von 80—140 u; unter 40 u nur 2°/,, dagegen über 140 u noch 8°/,! (Vergleichende eigene Messungen am Biceps eines an acuter Krank- heit gestorbenen Erwachsenen, der nur wenig abgemagert war, ergaben als Grenzwerthe 12 und 80 u; es zeigten ca. 90°/, der Fasern eine Breite zwischen 20-60 u; mehr als die Hälfte (62°/,) zwischen 40 und 60 »; unter 20 « waren noch 7,5°/,; dagegen über 80 « gar keine Fasern; also ein ganz enormer Unterschied!) Vergleich von Schnitten unseres Falles mit solchen von normalen Muskeln giebt ein höchst drastisches Bild der vorhandenen Ürössen- unterschiede. Dabei sind die Fasern von mehr rundlicher Form, mit abgerun- deten Ecken, nicht so eng zusammengedrängt in polygonalen Formen, wie an

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den normalen Muskeln. Am Zwischenbindegewebe und an den Gefässen habe ich bisher noch keine Veränderung gesehen; jedenfalls besteht keine nennens- werthe Vermehrung des Zwischenbindegewebes und keine Kernwucherung in demselben.

Es findet sioh aber zweitens noch eine ganz beträchtliche Vermehrung der Muskelkerne (Sarcolemmakerne). Auch dies ist an Querschnitten schon sehr deutlich, indem am Rande eines jeden Faserquerschnittes ca. 3—12 Kerne in derselben Gesichtefeldebene sichtbar sind, während an normalen Fasern sich nur 1—8, häufig gar keiner zeigt. (Mittel aus einer grösseren Anzahl von Fasern bei den Tuomsen’schen Muskeln: 6,5 Kerne, bei normalen nur 1,8 Kerne.) Das giebt den gut gefärbten Präparaten ein höchst charakteristisches und zier- liches Aussehen: alle Faserquerschnitte sind ringsum wie mit rothen oder blauen Perlen besetzt! Auf Längsschnitten zeigt sich diese Kernvermehrung eben- falls, indem fast alle Muskelkerne verdoppelt, vervier- und versechsfacht er- scheinen, oft in ganz langen Zeilen („Semmelzeilenähnlich“) bis zu 12—20 hinter- einander liegen.

Im Uebrigen ist an den Fasern in Bezug auf die Querstreifung etc. nicht viel Abnormes zu erkennen; doch erschien mir die Querstreifung verhältniss- mässig sehr fein, oft etwas undeutlich.

Jedenfalls sind also in diesem einen Falle sehr beträchtliche und prägnante Veränderungen an den Muskelfasern vorhanden; e8 wird von Interesse sein, diese Veränderungen künftighin auch in andern Fällen zu constatiren und dann ihre Beziehungen zu der „myotonischen Störung“, zu den Veränderungen der mechanischen und elektrischen Erregbarkeit der Muskeln genauer zu erörtern.

Auf die Bedeutung auch dieser anatomischen Veränderungen für die eigent- liche Localisation des Leidens will ich hier nicht näher eingehen; ich kann es aber nicht unterlassen, vor einer jedenfalls verfrühten Verwerthung der- selben zu Gunsten der myopathischen Theorie der Tuomszn’schen Krankheit ausdrücklich zu warnen.

Heidelberg, Juni 1885.

2. Ueber den Zusammenhang zwischen Epicanthus und Ophthalmoplegie. Von Prof. J. Hirschberg.

(Nach einer am 8. Juni 1885 in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank- heiten gemachten Krankenvorstellung.)

Der 31jährige Patient M. A. aus Russland kam zuerst am 830. Mai 1885 mit typischer totaler Ophthalmoplegie beider Augen.

Es besteht beiderseits Ptosis. Die oberen Lider sind verbreitert, bis auf 28 mm. Die Augenbrauen hochgestellt. Zwei tiefgeschnittene wellenförmige Furchen in der Stirngegend zeigen die vicariirende Contraction des Frontal- muskels, welcher die zum Sehen nöthige Lidhebung zu leisten hat. Die Hebung,

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Abduction und Adduction des Auges ist beiderseits völlig aufgehoben, nur eine leichte Senkung mit Raddrehung um die Augenaxe (nach der Schläfenseite hin) markirt eine restirende Wirkung des Obliguus superior. Die Augen stehen in leichter Divergenz. Doppelbilder sind spontan nicht vorhanden und auch nach den üblichen Methoden (mit rothem Glas vor einem Auge etc.) nicht sicher zu eruiren. Die Sehkraft ist mässig (Astigmat.), Sn LXX:15‘, Sn 1!/, in 3—5”; Accommodationslähmung auszuschliessen. Die Pupillen mittelweit, normal rea- girend. Die Sehnerven normal. Das übrige Nervensystem ganz intact.

Als Patient mir versicherte, dass sein Zustand angeboren sei, wollte ich es ihm zuerst nicht glauben. Aber er erklärte, dass seine Mutter sowohl, wie auch sein Kind dasselbe habe, (seine Grossmutter soll einen ähnlichen Zustand in Folge eines heftigen Schlages erworben haben, doch liess sich diese Angabe nicht weiter prüfen;) und brachte Tags darauf seinen 9monatlichen Sohn zur Stelle.

Dieser zeigt das gewöhnliche Bild des paralytischen Epicanthus. Beider- seits besteht Pitosis, die Breite des oberen Lides ist verhältnissmässig sehr gross, die der Lidspalte sehr klein; erstere beträgt 20, letztere 8 mm. Die Distanz zwischen den inneren Augenwinkeln 25 mm. Die Hautduplicatur zur Seite des Nasenrückens fehlt. Hebung der Lider und Hebung der Bulbi ist unmöglich; Adduction, Abduction und Senkung befriedigend. Es besteht Divergenz ab- wechselnd mit krampfhafter Convergenz, wie ja auch bei der bekannten ein- seitigen Ptosis congenita die Verengerung der Lidspalte im Affeet einer plötz- lichen krampfhaften Erweiterung Platz macht.

M. H. Dieses hereditäre Verhältniss zwischen Ophthalmoplegie und Epicanthus, das übrigens meines Wissens noch nie beobachtet; worden, wirft ein neues Licht auf die Ursache des letztgenannten Fehlers.

v. Ammon beschrieb (in seiner Zeitschr. 1831. Bd. I. H. 4.) als Epicanthus eine beiderseitig vorkommende eigenthümliche Missbildung im inneren Augen- winkel, nämlich eine Hautfalte, welche daselbst vom oberen Lid auf das untere übergeht und mit einem lateralwärts concaven Rande die Lideommissur über- brückt. Es ist aber nicht ein Hautüberschuss das Wesentliche; sondern, wie A. v. GRAEFE hervorzuheben pflegte, eine Parese des Levator plp. sup. und des Rect. sup. Manz glanbt (Graere-SarsuscH. 1876. Bd. U, 1. S. 109), dass der Fehler in der Entwiokelung des Gesichtsskeletts liegt.

Mein Krankenpaar zeigt, dass es sich um eine nucleare angeborene Läh- mung (Aplasie der Centren) handeln dürfte. Nach Hansen und VÖLKERS (Arch. f. Ophthal. 1878. Bd. XXIV. H. 1) sind am hintersten Theile vom Boden des 8. Ventrikels und ferner am Boden des Aquaeductus Sylvii die dem Oculomotorius angehörenden Kerne in folgender Reihenfolge enthalten: für Accommodation, Pupillenverengerung, Contraction des Rect. int, sup., Lev. plp. sup. Rect. inf, Oblig. in. Bei dem Knaben fehlen in functioneller Hinsicht beiderseits die Kerne des Muse. rect. sup. und Lev. plp. sup., bei dem Manne noch alle übrigen ausser den beiden ersten für Pupillenspiel und Accommodation, und ferner auch die am Boden des 4. Ventrikels gelegenen Abducenskerne, während die Trochleariskerne wenigstens partiell erhalten sind.

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I. Referate.

Anatomie.

1) Sulla struttura dei talami ottici, ricerche istologichi del dott. Vitt. Marchi. (Rivista speriment. di freniatr. ecc. 1884. III. p. 329.)

In der vorliegenden Arbeit theilt Verf. die Resultate seiner in Golgi’s Institut angestellten Untersuchungen über den feineren Bau der Sehhügel mit. Die Ganglien- zellen des Thalamus opticus sind in der überwiegenden Mehrzahl gross zu nennen, mit einer Länge von 40—-60 u; kleinere Zellen von etwa 20-40 « sind nur spärlich vertreten. Ihre Form ist sehr verschieden, da sie bald eine spindelförmige, bald eine pyramidale oder gar eine polygonale Begrenzung zeigen. Alle besitzen mehrere Protoplasmafortsätze und einen Axencylinderfortsatz. Nur ausnahmsweise löst sich der letztere in seinem ferneren Verlauf in verschieden zahlreiche Aeste auf, die dann bald in dem benachbarten Fasergewirr verschwinden und wahrscheinlich mit den Ausläufern der Noeurogliazellen anastomisiren. Gewöhnlich aber behält der Axen- cylinderfortsatz seine „Individualität“, d. h. er geht ungetheilt in eine selbstständige Nervenfaser über. Die letzteren sind bündelweise vereinigt und verlaufen daher annähernd parallel zu einander; die verästelten Fortsätze dagegen bilden, wie schon erwähnt, ein wirres Netz von Fasern, das nach allen Richtungen die Zellengruppen und die Faserbündel durchkreuzt. Wahrscheinlich sind die „individuellen“ Fasern, resp. die zu ihnen gehörenden Ganglienzellen, ihrer Function nach als motorisch zu betrachten, und da sie die Zellen mit verästeltem Axencylinderfortsatz an Häufigkeit weit übertreffen, so wird man schon aus diesem Grunde den Sehhügeln eine vor- wiegend motorische Bedeutung zuschreiben müssen.

Die Neuroglia der Sehhügel bietet nichts Charakteristisches; dagegen ist hervor- zuheben, dass das Ependym aus Cylinderzellen besteht, deren verzweigte Ausläufer meistens in den Wänden der Blutgefässe enden.

In Hinsicht auf die Technik der Untersuchung empfiehlt Verf, die Sehhügel kleiner Säugethiere zu benutzen, weil dieselben im Ganzen der Osmiumsäure und der späteren Färbung unterworfen werden können; dem gewöhnlichen Härtungsver- fahren lässt Verf. eine Injection von zweiprocentiger Bichromatlösung in die Caro- tiden vorausgehen. Sommer.

Experimentelle Physiologie.

2) Sul decubito, osservazioni sperimentali del dott. G. Bordoni Uffreduzzi. (Giornale della R. Accademia di Medic. di Torino. 1884. Sett.)

Verf. vertheidigt auf Grund seiner in Gudden’s Laboratorium zu München an- gestellten Versuche die bekannte These, dass die Entstehung des Decubitus bei Er- krankungen des Centralnervensystems einzig auf die Einwirkung äusserer Schädlich- keiten zurückzuführen sei; er leugnet also die präsumirte Existenz besonderer „trophischer“ Nervenfasern vollständig, und erkennt im Decubitus nur die Folgen der Hautanästhesie, des äusseren Druckes und des Contactes mit etwaigen Faecalien, Schmutz etc. Die sich an die Mittheilungen der Experimente anschliessenden Folge- rungen sind daher für den therapeutischen Theil der Psychiatrie von wesent- lichem Interesse. Der Thatsache gegenüber, dass nach Mendel etwa 10°/, aller Paralytiker lediglich in Folge von Decubitus zu Grunde gehen, ist die Möglichkeit, die Entstehung desselben durch scrupulöse Beinlichkeit, durch vorsichtige Lagerung und durch häufige halbstündliche Aenderung in der Positur der Patienten vermeiden zu können, von grosser Wichtigkeit.

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Gudden gebührt das Verdienst, in seiner Anstalt praktisch gezeigt zu haben, dass man mit intelligentem, zuverlässigem und gut unterrichtetem Wartpersonal Decubitus sicher zu verhüten vermag. Sommer.

Pathologische Anatomie.

3) Alterations des nerfs pöriphöriques dans deux cas de maux perforants plantaires et dans quelques autres formes de ldsions trophiques des pieds, par Pitres et Vaillard. (Arch. de phys, norm. et path. 1885. 15. Fövrier. No. 2. p. 208.)

Untersuchungen zweier Fälle von Mal perforant (der zweite mit Endocarditis valv., Ichthyosis und Nageldystrophie an der .rechten Hand complicirt), sowie einiger Fälle von anderweitiger Fussdystrophie (Nageldeformationen, Hautschwielen, Clavi) führen den Verf. zu folgenden Resultaten: Die Läsionen der peripherischen Nerven, welche das Malum perforans an der Planta bedingen, erstrecken sich oft weit über die unmittelbare Nachbarschaft der Ulcerationsstellen hinaus; sie können alle Nerven des Fusses und Unterschenkels betheiligen, sogar bis zu den Nervenstämmen des Oberschenkels heraufreichen. Die Ausdehnung dieser neuritischen Veränderungen erklärt die bäufige Coincidenz des Mal perforant mit gewissen sensibeln, vasomotorischen, trophischen oder secretorischen Störungen in grösserer oder geringerer Entfernung von der Ulcerationsstelle (Anästhesien, Analgesien, lancinirende Schmerzen, scleröse Hautinduration, Erythroderma, Pigmentanomalien, Muskelatrophie, Gangrän, Örtliche Schweisse etc. am ganzen Fuss und selbst am Unterschenkel). Die Beziehungen des Mal perforant zur peripherischen Neuritis sind durch eine grosse Anzahl über- einstimmender histologischerr Befunde völlig ausser Zweifel. Der Einwand von Michaud, dass die pathologischen Befunde ohne Werth seien, weil auch unter normalen Verhältnissen die Fussnerven zahlreiche leere Scheiden und veränderte Fasern enthielten, ist den Verff. zufolge nicht begründet; bei jugendlichen und er- wachsenen Personen, deren Integumente völlig gesund sind, zeigen die peripherischen Nerven der betreffenden Extremitäten absolut die gleiche Structur wie an anderen Theilen des Körpers. Dagegen zeigen sich allerdings die terminalen Fäden der Fuss- nerven sehr häufig verändert bei solchen Individuen, deren Fäden der Sitz von Hühner- augen, Schwielen, Nageldystrophien und von ichthyotiformer Epidermis-Desquamation sind. Alle diese Läsionen der Haut und ihrer Anhangsgebilde scheinen dennoch echte Trophoneurosen zu sein, die auf der Basis leichter und partieller Neuritiden (Mal perforant dagegen auf der Basis einer ae ausgedehnten Neuritis) beruhen.

A. Eulenburg.

Pathologie des Nervensystems.

4) Ueber den Werth der Engelskjön’schen elektrodiagnostischen Gesichts- felduntersuchung, von den DDr. Eugen Konrad und Julius Wagner, Assistenzärzten der Niederöster. Landes-Irrenanstalt in Wien. (Archiv für Psychiatrie etc. 1885. Bd. XVIL H. 1.)

Die Verff. haben sich der dankenswerthen Mühe unterzogen, die Resultate, die Engelskjön von der Elektrisirung der Oblongats mit beiden Stromesarten auf die Weite des Gesichtsfeldes gesehen zu haben behauptete, durch eine Reihe methodischer Nachuntersuchungen zu prüfen. Nach Engelskjön ist die Beobachtung des Ein- flusses beider Stromesarten auf das Gesichtsfeld, der Erweiterung oder Verengerung der letzteren durch seine Applicationsmethode, ein sicherer Fingerzeig für die Wahl der im gegebenen Fall therapeutisch wirksamen Stromesart. Die Verff. fanden, dass

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Erweiterungen und Einschränkungen des Gesichtsfeldes nach der Elektrisirung in der That vorkommen, dass indess diese Veränderungen auch ohne Anwendung irgend eines Stromes, einfach nur bei nach einigen Minuten wiederholten Messungen sich nachweisen lassen. Als eine wahrscheinliche Ursache solcher zufälligen Veränderungen bezeichnen die Verff. die wechselnde Weite der Lidspalte, die ja ihrerseits durch den elektrischen Strom beeinflusst werden kann, wohl auch kleine, dem Augenschein nach nicht bemerkbare Verschiebungen in der Kopfhaltung.

Vorff, schliessen demnach, „dass der sogenannten elektrodisagnostischen Gesichtsfelduntersuchung zur Wahl der anzuwendenden Stromesart bei contralen Neurosen so viel wie gar kein Werth beizumessen ist.“

Eisenlohr.

6) Ein Fall von Muskelatrophie mit susgebreiteten Sensibilitätsstörungen (Syringomyelie), von Freud. (Wiener med. Wochenschr. 1885. Nr. 13 u. 14.)

Bei einem 86jähr. Manne entwickelten sich im Verlaufe von 2 Jahren folgende Symptome: Atrophie der Schulterrumpfmuskeln beiderseits und des linken Oberarms, Anästhesie am linken Vorderarm und der Hand, Analgesie und Temperatursinnläh- mung am ganzen Rumpfe bis zur 6. Rippe und an beiden Armen, Abscesebildung am linken Handgelenk. Neigung zu Hautnekrosen. Keine Affection der Beine F. glaubt, besonders mit Rücksicht auf den Fall Schultse’s zur Diagnose der Syringo- myelie berechtigt zu sein. M.

6) Ueber die Beziehungen des Kniephänomens zur Diphtherie und deren Nachkrankheiten, von Prof. M. Bernhardt, Berlin. (Virchow's Archiv. Bd. 99. S. 893.)

In 21 Fällen von Diphtherie fand B. das Kniephänomen beiderseits erhalten 7mal, einseitig erhalten imal, fehlend 13mal und theilt die betreffenden Kranken- geschichten hier mit. Er stellt ferner aus der Literatur 24 Fälle zusammen, bei denen 23mal das Westphal’sche Zeichen beobachtet wurde.

B.'s Schlussfolgerungen aus allen diesen Mittheilungen sind folgende: Häufig findet man nach schweren, manchmal auch nach leichten Fällen von Diphtherie Fehlen der Kniephänomene Es kann noch in der 6. bis 8. Woche nach Beginn der Krankheit zum Ausbleiben des Kniephänomens kommen, doch auch schon nach 3 Wochen und auffallend lange (5—6 Monate) so bleiben, nachdem alle anderen Krankheitserscheinungen, auch die Paresen und Ataxien, bereits verschwunden sind. Nicht selten komme das Verschwinden des Kniephänomens erst auf einer, danach auch auf der anderen Seite zu Stande; ebenso ist es oft beim Wiederauftreten der Quadriceps-Zuckung. Die Hautreflexe gehen dem Kniephänomen durchaus nicht parallel, sind oft gut erhalten, auch wo diese fehlen. Wenn ‚Atrophie oder eine Functionsstörung des M. quadriceps fomoris vorliegt, ist natürlich das Fehlen des Kniephänomens nicht zu verwerthen.

B. erörtert sodann das Fehlen des Kniephänomens nach anderen Infections- krankheiten : Bei Ataxie nach Intermittens beobachtete es Kahler, Lenhartz da- gegen nicht bei Ataxie noch Dysenterie, hier war im Gegentheil das Phänomen eher erhöht; und diese Erhöhung sah Strümpell auch nach Typhus, aber in Fällen, wo nicht zugleich Ataxie vorhanden war.

Westphal betont, dass da, wo bei Ataxie der unteren Extremitäten die Knie- phänomene erhalten sind, nicht die gewöhnliche Form der grauen Degeneration der Hinterstzänge zu Grunde liegt.

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Die pathologisch-anatomische Basis dieser Erscheinungen kann sowohl in Affec- tionen peripherischer Nerven und ihrer Wurzeln, als auch in solchen der Central- organe liegen und sind wahrscheinlich parasitär bedingt.

Ataxie kommt nicht selten gleichzeitig zur Beobachtung, aber durchaus nicht. immer, und zwar bleibt sie entweder ganz aus oder ihre Entwickelung tritt wuchen- lang später ein, als der Ausfall des Kniephänomens. Hadlich.

7) Observations on the outaneous and deep Refloxes, by P. C. Knap p of Boston. (Amer. Journ. of med. sciences. 1885. April p. 429.)

Diese Beobachtungen wurden im Boston City Hospital an 239 Kranken ange- stellt, die während des Jahres 1883 auf der dortigen Nervenabtheilung zur Behand- lung kamen. Es wurde in den meisten dieser Fälle das Verhalten aller Haut- und Sehnenreflexe genau untersucht und notirt. Wer sich näher mit diesem Gegenstande beschäftigen will, wird wohlthun, die sorgfältig ausgearbeiteten Tabellen des Verf. zu studiren. Zu einem eingehenden Referate an dieser Stelle sind dieselben aber nicht geeignet. Wir können hier nur neben verschiedenen früher allgemein accep- tirten Schlüssen die folgenden wiedergeben:

1) Fehlen des Plantar- oder Cremasterreflexes hat eine pathologische Bedeutung und ist auf eine directe Unterbrechung des Reflexbogens oder auf eine cerebrale Störung zu beziehen.

2) Fohlen anderer Hautreflexs ist nicht nothwendiger Weise als pathologisch aufzufassen.

3) Fehlen des Patellarreflexes kann möglicher Weise auf cerebralen Störungen beruhen, namentlich bei Alkoholikern.

4) Fuss- und Patellarclonus sind pathologisch.

5) Sehnenreflexe der oberen Extremitäten kommen häufig vor und haben keine besondere pathologische Bedeutung.

6) Der Costalreflex ist häufig zu constatiren, ohne dass die andern Reflexe erhöht seien, oder dass Phthisis zu erwarten sei.

7) Wenn die Reflexe beiderseits verschieden sind, so bedeutet das manchmal, doch nicht immer, eine einseitige Erkrankung des Nervensystems.

Sachs (New York).

8) Ueber einige Fälle von geheilter BRückenmarkserkrankung, von J. Singer. (Prager med. Wochenschr. 1885. Nr. 8.)

S. bespricht an der Hand einer Anzahl selbst beobachteter und mitgetheilter Fälle die günstige Prognose einzelner schwerer Rückenmarksaffectionen und den Modus der Rückbildung derselben. Einleitend bemerkt er, dass in erster Linie die trau- matischen solche Fälle sind, von welchen er zwei mitgetheilt (Stichverletzungen). In der Epikrise derselben betont er die Nothwendigkeit des Auseinanderhaltens von Reiz- und Ausfallserscheinungen behufs Localisation der Verletzung und stellt sich auf Grund eigener Untersuchungen auf Seite derjenigen, welche eine Regeneration nach Rückenmarksdurchschneidungen leugnen. Für einen dritten Fall, Sturz auf den Rücken, nimmt er einen myelitischen Herd an. In einem vierten Falle, plötzlich aufgetretene schwere Spinallähmung bei einem 14jährigen Mädchen, die allmählich zurückgeht, liegt wahrscheinlich eine Hämorrhagie und hämorrhagische Myelitis vor, deren Beziehungen zu den seit 2 Monaten ausgebliebenen Menses Singer offen lässt. Der letzte Fall, acute Myelitis mit Ausgang in seit 1 Jahre bestehende Heilung, ist interessant durch eine bald danach aufgetretene Atrophia nervi opt. des einen Auges. Der letztere Process markirt die Möglichkeit des späteren Auftretens einer multiplen Herderkrankung. Mit Rücksicht auf die völlige Bestitution der spinalen Functionen

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nimmt S. an, dass es sich nur um eine durch Transsudation und Compression der Nervenfasern oder durch vorübergehende parenchymatöse Erkrankung verursachte Leitungshemmung gehandelt habe. "A. Pick.

9) Ett fall af aneurysmea arteriae basilaris, af Dr. Homön. (Finskaläkaresällsk. handl. 1885. XXVI. 5 och 6. S. 389.)

Ein 29jähr. Mann hatte früher an acutem Gelenkrheumatismus gelitten; von einer Herzaffection, die damals vorhanden gewesen sein soll, liess sich nichts mehr nachweisen. Seit einigen Jahren litt Pat. an öfterem Schwindel und Schmerz im Nacken. Am 8. Mai 1884 wurde Pat. plötzlich ohnmächtig, blieb danach halb bewusstlos, tonische und klonische Krämpfe stellten sich ein und dauerten fort bis zum Tode, der am nächsten Tage erfolgte. Bei der Section fand man die Dura mater stark gespannt; zwischen den Meningen grosse Extravasate, theils mehr diffus ausgebreitet, theils in Form grösserer und geringerer Klumpen und Gerinnsel. Un- mittelbar unter dem Pons fand sich eine ungefähr mit der Mitte der Arteria basilaris zusammenhängende, von Blutgerinnseln umgebene, haselnussgrosse Geschwulst. Diese Geschwulst wies sich bei genauerer Untersuchung als ein sackförmiges Aneurysma aus, das zerrissen und mit mehr oder weniger fest an seinen Wänden haftenden Blutgerinnseln gefüllt war. Sonst fand sich ausser Blutmangel nichts Bemerkens- werthes im Gehirn. Walter Berger.

Psychiatrie.

10) Il tatuaggio nei pazzi, del dott. Alb. Severi. (Archiv. ital. di psich. scienze pen. ecc. 1885. VI. p. 43—62.)

Lombroso hat wohl zuerst darauf hingewiesen, dass die Neigung, sich zu tätowiren, häufig mit einer gewissen moralischen oder intellectuellen Perversität ver- bunden ist; er betrachtet daher die Tätowirung bei Personen aus civilisirten Völkern als ein wenn auch zweifelhaftes Stigma der Degeneration. Er erklärt hierdurch auch die Thatsache, dass soviel Verbrecher und besonders solche, die früher oder später als geistesschwach erkannt werden, sich früher tätowirt haben.

Severi hat nun statistische Untersuchungen über Tätowirungen bei denjenigen Irren angestellt, welche in den Irrenanstalten des ehemaligen Grossherzogthums Tos- cana verpflegt werden. Er fand bei 1137 männl. Irren 46 und bei 1206 weibl. Irren keine Tätowirte, was für die Männer einem Procentsatz von 4,04 entspricht. De Paoli hatte in Genua unter 275 männl. Irren 18=6,54°/, Tätowirte gefunden; von diesen 18 Irren waren 11=61,1°/, eriminell. Von Severi’'s 46 Irren waren 28=60,08°/, zweifellos und 4=8,7°/, höchst wahrscheinlich Verbrecher. In der Mehrzahl der Fälle war die Tätowirung schon im jugendlichen Alter, vor dem Aus- bruch der Geistesstörung, fast immer vor der Erkennung derselben vollzogen worden. 5 Individuen hatten sich im Alter von 10—15 Jahren, 8 im Alter von 15—20 Jahren, 14 im Alter von 20—25 Jahren und nur 4 im höheren Alter tätowirt; bei den Uebrigen war das Alter nicht zu ermitteln, aber wahrscheinlich daher sehr jung gewesen. 18 hatten sich im Gefängniss und 2 beim Militär tätowirt. Ein Zusammen- hang zwischen dem Inhalt der Tätowirung und den Wahnvorstellungen schien Amal angedeutet, doch ist dies wohl nicht als ganz sicher anzunehmen, da 68 sich in diesen 4 Fällen um religiöse Embleme handelte, die einerseits mit Vorliebe tätowirt werden, und andererseits ist gerade religiöser Wahnsinn in Italien sehr häufig, so dass das Zusammentreffen beider auch zufällig sein kann. Sommer.

11) On uterine disease and insanity, by Joseph Wiglesworth. (Journ. of. ment. science. 1885. Jan.)

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Verf. beleuchtet den Zusammenhang zwischen Erkrankung der Geschlechtsorgane und Geistesstörung nach 2 Seiten, der pathologischen und der klinischen und zwar sind beide Beobachtungsweisen tabellarisch zusammengestellt.

Die erste Tabelle ergiebt den Zustand der Geschlechtsorgane nach 109 Autop- sien, die Verf. selbst im Rainhill-Asyl gemacht hat, und zwar wurde keine Auswahl der Fälle getroffen, sondern alle der Reihe. nach notirt. Von diesen 109 weiblichen Leichen waren in 42 Fällen = 38,53 °/, die Geschlechtsorgane völlig normal, in 67 = 61,46 °/, waren diese Theile mehr oder weniger abweichend von der Norm, von letzteren konnten wichtige Schlüsse auf eine Verbindung zwischen Uterinleiden und Geisteskrankheit gezogen werden. Nach Abzug von 22 Fällen, welche entweder nur ganz geringfügige Störungen, oder einfache Folgezustände von einer jüngst stattgehabten Geburt, oder Folgen eines constitutionellen Allgemeinleidens Tuber- culose darstellen, bleiben noch 45 Fälle mit entweder angeborenen oder erworbenen schwereren Abnormitäten der Genitalapparate. Unter den angeborenen war 1 Fall von fehlendem Uterus, von den anderen 8 aber 4, welche wegen später acquirirter Anomalien unter die Reihe der erworbenen Genitalabnormitäten gezählt werden mussten.

Wenn man auch die rein angeborenen Abnormitäten abrechnet, bleiben noch 40 Fälle von erworbener Abnormität, welche die verschiedensten Unregelmässigkeiten darboten, einfache Lagerungsanomalien, Vergrösserungen des Uterus, Fibroma des Uterus. Alte Beckenperitonitis, Hypertrophie und Induration des Muttermundes, Uteruskrebs, Krankheiten der Ovarien und der Tuben, welche mehr oder weniger als Factoren zur Entstehung der geistigen Erkrankung betrachtet werden können.

Die Tabelle II giebt den Zustand der Geschlechtsapparate von 65 Individuen, welche bei Lebzeiten untersucht wurden, die Untersuchung wurde jedes Mal nach Anästhesirung ausgeführt und zwar will Verf. in keinem frischen Falle eine schlechte Wirkung davon auf den geistigen Zustand bemerkt haben, nur in 1 oder 2 chro- nischen Fällen von Manie ergab sich für wenige Tage eine geringe Vermehrung der Erregung. Ausser durch Touchiren, Speculum und Sonde wurde auch die Exploration vom Mastdarm aus noch in Anwendung gebracht. Nur in 9 Fällen waren die Ge- schlechtsapparate völlig normal, in 26 anderen war die Abnormität so gering, dass man sie praktisch wohl als normal ansehen durfte. In den übrigen 30 Fällen oder 46°/, fand sich eine bestimmt ausgesprochene erworbene Anomalie oder angeborene Difformität, deren Wichtigkeit allerdings beträchtlich variirte. Die Fälle waren ohne besondere Auswahl zur Untersuchung gekommen, nur einige, welche durch auf die Geschlechtstheile localisirte Gefühlshallucinationen eine Abnormität jener Sphäre a priori wahrscheinlich gemacht hatten, waren besonders zugezogen.

Verf. kann keinen Fall vorbringen, in dem die Behandlung des Leidens der Geschlechtsapparate das psychische Leiden auch günstig beeinflusst hätte, dies erklärt er aus der Seltenheit, dass die Fälle frisch zur Behandlung kommen, er empfiehlt die Untersuchung jeder Frau bei ihrer Aufnahme.

Die sehr interessanten Tabellen müssen im Original eingesehen werden.

Zander.

12) De l’ötat des reflexes chez les paralytiques gönsraux, par A. Betten- court-Rodrigues. (L’encöphale. 1885. No. 2.)

Dem Verhalten der Sehnenreflexe, vornehmlich des Kniephänomens in den ver- schiedenen Stadien der Paralyse sind viele aufmerksame Beobachtungen gewidmet, Verf. hat bei seinen Untersuchungen an 68 Paralytikern folgende Resultate gewonnen. Bei 43 Patienten war das Kniephänomen deutlich verstärkt, 11mal war das Phä- nomen verschwunden, aber unter diesen waren 2 Kranke erwiesene Atactiker, bei denen die Erkrankung unter Rückenmarkssymptomen ausgebrochen war, bei den übrigen war das Phänomen fast normal. Die Fälle mit verstärktem Kniephänomen

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hatten meist Delirien expansiver Natur. Bei diesen 68 Kranken wurde 22mal der Plantarreflex völlig aufgehoben gefunden, und von diesen gehörten wieder 16 zu denen, welche ausgesprochene Verstärkung des Kniephänomens hatten, bei 4 fehlte der Plantarreflex, das Kniephänomen war normal, bei 2 Kranken fehlten beide Phä- nomene gleichzeitig. Gerade jene Patienten, bei denen das Kniephänomen verstärkt, der Plantarroflex fast oder ganz aufgehoben erschien, waren aber solche, welche nur psychische Symptome boten, auch ohne Sprachstörung; ohne jede sonstige Störung von Seiten der Medulla. Verf. schliesst daraus, nach Vorgang von Bianchi und Byron Bramwell, dass allein das Gehirn Läsionen gehabt, und will diese Com- bination als pathognostisches Symptom im Anfangsstadium der Paralyse verwerthet wissen. Zander.

Therapie,

13) Om hysteria major och Kastration, af G. Bolling. (Upsala läkarefören. förh. 1885. XX. 2. 8. 85.)

Verf. theilt einen Fall von Hysteria major bei einem 16 Jahre alten Mädchen mit, in deren Familie Nervenkrankheiten nicht bekannt waren und die vorher stets ganz gesund gewesen war. Bei den grossen Anfällen, denen Globus hystercius voraus- ging und die besonders dann auftraten, wenn die meist vorhandenen rhythmischen Bewegungen des Torax und des Kopfes längere Zeit unterdrückt worden waren, begannen Schüttelkrämpfe in den Füssen, die aufwärts stiegen und allmählich sich über den ganzen Körper verbreiteten, und dann aufhörten. Nach einem Augenblick Ruhe traten Streckkrämpfe im ganzen Körper auf und, wenn diese eine Zeit lang gedauert hatten, vielfältig wechselnde Stellungen, wobei sich die Kr. wiederholt mit gestreckten Armen und Beinen gewaltsam nach hinten warf. Darauf konnte die Kr. die vorher geschlossenen Augen Öffnen und sprach manchmal in exaltirtem Tone ofk schmerzhaft, oft zeigte ihre Rede erotische Phantasien. Während des ganzen Anfalls war sie vollkommen bei Bewusstsein, konnte aber ihre Bewegungen und Reden nicht hemmen. Andere Male wurde sie steif am ganzen Körper und lag susgestrekt in Crucefixstellung, die sie auch während des Schlafes beibehielt; erst in der Chloroformnarkose trat Erschlaffung der Gelenke ein. Manchmal traten Tage lang andauernde Hustenanfälle oder Glottiskrampf, sehr häufig ein rhytmischer Zwerchfellkrampf, wobei sich der Magen in raschem Tempo auf- und abwärts bewegte; war dieser Zwerchfellkrampf nicht vorhanden, so hatte die Kr. heftigen Schmerz in der Magengrube. Der Uterus war anteflectirt, die Vagina sehr erweitert die Ovarien erschienen vergrössert. Ueber Kopfschmerz klagte die Kr. stets. Anästhesie oder Analgesie konnten nicht nachgewiesen werden, aber es bestand starke Hyperästhesie des Gefühls, des Geschmacks und des Geruchs. Trotz dieser Hyper- ästhesie aber ertrug sie Alles, was an ihr vorgenommen wurde, mit grosser Geduld, wenn sie 68 für zur Behandlung gehörig hielt. Beide Ovarien wurden exstirpirt. Im rechten, das die Grösse einer grossen Wallnuss hatte, fand sich eine Höhle, welche eine gelbröthliche Flüssigkeit und ein Fibringerinnsel enthielt. Das linke war etwas kleiner und enthielt eine Menge cystöser Räume mit gelblichem Inhalte. Die Wunde heilte rasch und ohne Störung. Schon 4 Tage nach der Operation be- gannen die Krämpfe wieder und wurden allmählig stärker; 10 Tage nach der Operation tratt der grosse Anfall wieder ein wie früher. Die Kr. wurde von Typhus befallen und starb daran; während des Typhus nahmen die Krämpfe immer mehr ab, namentlich an Intensität, hörten aber nicht ganz auf.

Bei der Section zeigte sich das Gehirn ungewöhnlich klein, 1010 Gramm schwer. Harte und weiche Hirnhaut blutreich, fest, hart; Hemisphären ungewöhnlich dicht an einander liegend. Die Gefässinjectionen zeichneten sich scharf von der sehnen- weissen Hirmhaut ab, welche von einer Windung zur andern übersprang, sodass die

Fossae und Sulci verschwanden und die Hirnoberfläche eine glatte Fläche bildete. Die Hirnwindungen waren etwas abgeplattet, die Paracentralwindung sprang auf beiden Seiten ungewöhnlich stark vor. Auf dem Durchschnitte fand sich keine Veränderung ausser einem kleinen, erbsengrossen, braunen, festen Herd im linken Thalamus opticus und einem ähnlichen, etwas grösseren im linken Centrum semiovale. Beide Herde bestanden aus einen netzförmig verzweigten bindegewebsartigen Gewebe mit Hämatoidincrystallen und enthielten auch normale Nervenfasern. Im Rückenmark ‚fand sich nichts Abnormes, im Darm fand sich charakteristischer Typhusbefund. Ent- zündliche Erscheinungen als Folge der Operation fanden sich nicht.

Die Erkrankung der Ovarien hatte zwar keine Entzündungserscheinungen mit sich gebracht, konnte aber wohl auf das Nervensystem eingewirkt haben. Die Ver- änderungen im Gehirn konnten nicht ohne Folge bleiben und deuteten auf die Ein- wirkung eines langwierigen Processes hin. Die sclerotischen Punkte waren wohl die Folgen sehr geringer Blutungen. Besonders hervorzuheben ist die starke Entwicke- lung der Paracentrallappen auf beiden Seiten. Nimmt man hier das motorische Centrum für die unteren Extremitäten an, so stimmt die Geneigtheit zu Krämpfen, die in den unteren Extremitäten begannen, damit überein. Auch steht die Beobachtung durchaus nicht in Widerspruch mit der Darstellung von Luys, der an ihre Bedeutung als psychomotorisches Centrum erinnernd, erwähnt, dass unruhige, - erregte, an Hallucinstionen Leidende oft eine hypertrophische Anschwellung dieser Himtheile zeigten.

Für die Auffassung der Krankheit als richtige Hysterie spricht auch der Umstand, dass sie auf noch 3 andere Kr. übertragen wurde, die mit der ersten eine Zeit lang in demselben Zimmer gelegen hatten und wegen anderer Affectionen in Behandlung standen. Kurz nachdem die erwähnte Kr. einen grossen Anfall gehabt hatte, brachen ähnlichen Erscheinungen bei 3 Mädchen aus; tonische und klonische Krämpfe, besonders Glottiskrämpfe und Gähnkrämpfe. Zwei genasen rasch, nachdem alle isolirt worden waren, bei der dritten aber, die wegen eines unbedeutenden Conjunctivalleidens mit Lichtscheu und Krampf im Orbicularis in Behandlung war, dauerte die Krankheit mit grosser Heftigkeit über 6 Monate und wurde durch Bäder, Eisen und Paraldehyd gebessert. Bisweilen traten Schüttelkrämpfe im ganzen Körper auf, die Tage lang anhalten konnten; die Augen waren meist geschlossen. Oft sperrte sie den Mund so weit auf, dass der Unterkiefer luxirt wurde und reponirt werden musste, legte die Zugenspitze rückwärts, heulte, weinte oder lachte. Mitunter trat starker Glottis- krampf gleichzeitig mit Opisthotonus auf, zeitweise anhaltender Husten, oft tägliches Erbrechen. Zu Anfang schlief die Kr. fast nie. Alle Sinne waren äusserst fein, das geringste Geräusch, die leiseste Berührung konnte einen Krampfanfall hervor- rufen. Grosse Anfälle, wie im ersten Falle, traten bei dieser Kr. nicht auf. Sie blieb immer wohl genährt und bei blühendem Aussehen. Walter Berger.

14) Note on the use of permanganate of potash in cases of insanity asso- cisted with amenorrhoea, by P. Maury Deas. (The Brit. med. Journ. 1885. 18. April. p. 778.)

Verf, hat im Anschluss an die therapeutischen Erfolge Sydney Binger's das übermangansaure Kali vielfach als Emmanagogum innerlich angewendet und empfiehlt nun dasselbe besonders in Fällen von Amenorrhoea mit gleichzeitigen nervösen und psychischen Störungen. Ein ausführlich mitgetheilter Fall bei einer Dame, die in Folge aufreibender Krankenpflege selbst leidend, amenorrhoisch und endlich melan- cholisch mit charakteristischen katstonischen Symptomen geworden war, und die nach zweimonatlicher Behandlung völlig genas, veranlasste den Verf., in zahl- reichen ähnlichen Fällen das Kali hypermanganicum anzuwenden. Bei genügender Ausdauer hat es immer guten Erfolg auf die nervösen Störungen ausgeübt, selbst wenn sein Einfluss auf die Wiederkehr der Menstruation nicht allzu. sicher schien.

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Die Dosis wurde allmählich von 3 auf 6 Gran (0,18—0,36 Gramm) täglich, in Pillenform, gesteigert. Als Constituens wird „Kaolin ointment“ (wohl durch Argilla etc. zu ersetzen) empfohlen; vor vegetabilischen und besonders vor zuckerhaltigen Pillen- massen wird gewarnt, weil Ulcerationen der Magenschleimhaut und dergl. öfters durch diese Ordination veranlasst sein sollen. Sommer.

III. Aus den Gesellschaften.

X. Wanderversammlung südwestdeutscher Neurologen und Irrenärzte in Baden-Baden am 13. und 14. Juni 18885.

Originalbericht von Dr. Laquer in Frankfurt a. M.

I. Sitzung den 13. Juni: Nachmittags 2?/, Uhr Eröffnung durch den letzt- jährigen Geschäftsführer Geh. Hofrath Schüle (Tllenau).

Auf Vorschlag des Alterspräsidenten Geh. Hofrath von Renz (Wildbad) über- nimmt Prof. Bäumler (Freiburg) den Vorsitz. Als Schriftführer fungiren: Docent Dr. Tuczek (Marburg) und Dr. Laquer (Frankfurt a. M.)., Anwesend sind 53 Mitglieder.

1. Prof. Immermann (Basel): Ueber Poliomyelitis anterior acuta und Landry’sche Paralyse.

Ein 22jähr., hereditär nicht belasteter Schuhmachergeselle wurde am 22. Nov. 1884 in die Baseler Klinik aufgenommen. Unter Fiebererscheinungen bildete sich eine aufsteigende, schlaffe motorische Lähmung der Musconlatur an den unteren und oberen Extremitäten heraus; Bauch- und Blasenmusculatur wurde ebenfalls allmählich paretisch. Die Sensibilität blieb nach allen Richtungen hin dauernd ungestört.

Am 27. traten bulbäre Erscheinungen auf. Während aber diese Symptome (Verschlucken und Respirationsbehinderung), sowie das Fieber und die Stuhl- resp. Urinbeschworden in den nächsten Tagen schwanden, blieb der Lähmungszustand der Extremitäten im Ganzen stationär, dagegen verloren sich die anfangs vorhandenen Reflexe. Letzterer Umstand veranlasste den Vortr., neben der Annahme einer Landry'- schen Paralyse auch an die Diagnose: acute aufsteigende Poliomyelitis zu denken.

Als jedoch die elektrischen Reactionen nach längerer Beobachtung keinerlei Anomalien, die Muskeln nicht die mindesten localen oder Allgemeinatrophien zeigten, wurde Vortr. in der Vermuthung, dass eine Landry’sche Paralyse vorliege, bestärkt und dies um so mehr, als die Lähmungen an den oberen Extremitäten sich zu bessern anfingen, während Rumpf- und Beinmuskeln gelähmt blieben. Die Behand- lung bestand anfänglich in Antipyrin-Medication, später wurde hydriatisch verfahren, der Rücken des Pat. galvanisirt, kurze Zeit wurden auch Strychnin-Injectionen ge- macht, zuletzt Soolbäder gegeben. Nachdem Patient bei gutem Allgemeinbefinden 4 Wochen lang fieberfrei geblieben war, erkrankte er an einer croupösen Pneumonie, die den Exitus letalis schon nach wenigen Tagen herbeiführte Die Obduction förderte, ausser den pneumonischen Veränderungen, in den Brust- und Bauchorganen nichts Besonderes zu Tage. Die Structur der Muskelsubstanz und der peripheren Nerven erwies sich als unversehrt. Im Gehirn war ausser Oedem und Cyanose keinerlei Abnormität zu finden. Dagegen zeigte die Medulla spinalis, bei äusserlich normaler Conflguration und normaler Beschaffenheit von Pia und Nervenwurzeln, in den grauen Vorderhörnern des Lenden-, Brust- und Halsmarkes ziegelrothe Flecken, welche sich theilweise recht scharf von der übrigen grauen Substanz abhoben. Mikroskopisch entsprach diesen Verfärbungen die durchgehende Erscheinung, dass die kleinen Gefässe strotzend mit rothen Blutkörperchen gefüllt, die multipolaren

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Ganglienzellen theilweise durch eine hyaline Masse ersetzt waren, und längs der Gefässe Körnchenzellen sich vorfanden. Die weisse Substanz war allenthalben un- versehrt. Der Fall beweist, dass es eine Form von Poliomyelitis ant. acuta giebt, welche in ihrem klinischen Bilde der Landry’schen Paralyse entspricht, die Landry’sche Paralyse und die acute Poliomyelitis anterior nur die graduell ver- schiedenen Bilder eines Krankheitsprocesses darstellen.

2. Prof. Erb (Heidelberg): Ueber die Thomsen’sche Krankheit. (Der Vortrag ist als Originalmittheilung in dieser Nummer veröffentlicht.)

3. Prof. Jolly (Strassburg): Ueber Paraplegie in der Schwangerschaft.

Es handelt sich um zwei Beobachtungen, die J. auf seiner Klinik zu machen Gelegenheit hatte. Im ersten Falle trat bei einem Mädchen von 16 Jahren, welches im ersten Schwangerschaftsmonat schon heftig zu erbrechen angefangen, im vierten Monat eine complete Lähmung der unteren Extremitäten ein; 14 Tage nachdem Patientin von einem Kinde entbunden, das bald darauf starb, constatirte J. eine schlaffe Lähmung beider Beine ohne Contractur. Die Sehnenreflexe waren erhöht, und es bestand eine beträchtliche Sensibilitätsverminderung, namentlich linkerseits. Die Extremitäten erschienen kalt und cyanotisch. Die elektrische Untersuchung er- gab einen hohen Leitungswiderstand der Haut, doch keinerlei Zuckungsanomalien in Nerven und Muskeln. Nach Anwendung des faradischen Stromes trat eine allmäh- liche Besserung der Lähmungserscheinungen ein; Pat. konnte nach 6 Monaten wieder an einem Stocke gehen, that dies aber unter Schüttelu des ganzen Körpers, beson- ders des Kopfes. Es trat auch vorübergehend Aphonie auf. Der Rest der Läh- mung verschwand sehr schnell, nachdem in Gegenwart der Pat. davon gesprochen worden war, dass das Glüheisen angewendet werden sollte.

Das frühzeitige Auftreten der Affection sprach gegen die Annahme einer Druck- lähmung, der günstige Verlauf gegen irgend ein schweres Spinalleiden, z. B. disse- minirte Sclerose.

Eine sogenannte Reflexlähmung möchte J. in diesem Falle ebenfalls nicht an- nehmen, dagegen erscheint ihm die Diagnose: „Functionelle resp. hysterische Läh- mung“ sehr plausibel. Man müsse für alle solche Fälle vermuthen, dass sich in Folge der Gravidität ein allgemein-hysterischer Zustand und zwar auf dem Wege centripetaler Reizung herausbilde; auf Grund dieser allgemeinen Reactionsänderung im Nervensystem käme dann die Paraplegie zu Stande.

Vielleicht spreche die Cyanose, die Kälte ‚und der hohe Leitungswiderstand in der Haut der unteren Extremität dafür, dass ein Reflex auf die Vasoconstrictoren die Ursache der Lähmung sei. Das lehre der zweite Fall, wo im Zusammenhang mit der Schwangerschaft Erbrechen und hochgradige allgemeine Ernährungsstörungen eingetreten seien. Im 5. Monate wurde künstliche Frühgeburt eingeleitet, nach welcher die hysterischen Erscheinungen im verstärkten Maasse einsetzten mit Para- plegie, Contracturen und sehr ausgesprochen vasomotorischen Phänomenen der unteren Extremitäten.

Der deutliche Effect einer psychischen Einwirkung auf die Lähmung der erst- erwähnten Pat. spricht ja auch mit grosser Sicherheit für Hysterie.

4. Prof. Fürstner (Heidelberg): Weitere Mittheilung über Gliose der Hirnrinde. Prof. F. beriehtet im Anschluss an seine vorjährige Mittheilung nunmehr über 4 Fälle von Gliose. Die Fälle betrafen 2 Männer und 2 Frauen, die im Alter von 40-56 Jahren standen. Bei Allen fanden sich Abnormitäten des Schädels, diffuse Trübung der Pis. Neben beträchtlicher, aber ungleichmässiger Atrophie des Vorder- hirns fanden sich zahlreiche, die Hirnoberfläche überragende Granula und Tubera, in deren Innern Höhlenbildung stattgefunden, ausserdem machten sich an der Ober-

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fläche zahlreiche Einziehungen bemerkbar. Beim Durchschnitt flel makroskopisch schon die erhebliche Verbreiterung der äusseren Bindenschicht auf, von der nach innen zu tumorartige intracorticale Gebilde gingen, die von fibrösem Gewebe umgeben waren, und in deren Innern sich, ebenso wie sonst in der Rinde, Höhlen fanden. Besondere Prädilectionswindungen für die Granula sind Klappdeekelpartien und Insel, ausserdem Gyrus reotus und fornicatus. Weitere Herde im Hirn fehlten, mit Ausnahme des ersten Falles, wo in Olivenhöhe der Nucleus arciformis links um das Doppelte verbreitert war, und von ihm aus in die Pyramide hinein eine krank- hafte Veränderung mit centralem Zerfall, theilweiser Zerstörung der Pyramidenkerne sich nschweisen liess. In allen 4 Fällen bestand Opticusatrophie und graue De- generation der Hinterstränge in sehr verschiedener Intensität, aber gleicher Locali- sation, intact blieb eine kurze hinter der hinteren Commissur und dem Hinterhorn parallel laufende Schicht und ein der hinteren Peripherie anliegender Streifen.

Bezüglich des klinischen Verlaufs wird namentlich hervorgehoben, dass in den Fällen, wo zuverlässige Anamnese zu erlangen war, sich Heredität nachweisen liess, . dass ausserdem von Kind an Abnormitäten im Centralnervensystem : intellectuelle Schwäche, Absonderlichkeiten, Reizbarkeit, krampfartige Erscheinungen in Hand- und Gesichtsmusculatur, später Jahre lang epileptische Anfälle vorhanden gewesen waren. Im Anschlusse an letztere traten dann schwere cerebrale und spinale Erscheinungen auf, in dem ersten Falle, nachdem über 20 Jahre eine functionelle Psychose be- standen, Demenz, die sich aber wesentlich von der Demenz bei Paralytikern unterschied, variable anderweitige psychische Anomalien, wässige Sprachstörung, frühzeitig aphasische Zustände. Der weitere Verlauf war 3mal durch die Erschei- nungen der Tabes, in dem einen Falle durch den Medullarherd charakterisirt. Als Ausgangsquelle und Hauptboden für den ganzen Process sieht F. die äussere Schicht an, die mikroskopischen Veränderungen derselben zeigen pathogenetische Eigenthüm- lichkeiten, die in der ausführlichen Arbeit genauer gewürdigt werden sollen.

Der Vortr. bespricht dann die gesonderte klinische Stellung dieser Fälle, giebt differentielle Merkmale für die Trennung von multipler Sclerose (Affection vorwiegend in der Rinde, Fehlen von Gefässverdickungen, Höhlenbildung), klinisch: das Fehlen von Intentionszittern, Nystagmus, typischer Sprachstörung; Prodromalersckeinungen bis in die Kindheit reichend, frühzeitiges Auftreten von epileptischen Anfällen und aphasischen Zuständen. F. erinnert an die Fälle, in denen sich zu multiplen Herden im Rückenmark diffuse Processe im Hirn entwickeln. Ausführlich behandelt F. die Trennung von der progressiven Paralyse, speciell von jenen Fällen, in denen sich zu den cerebralen Symptomen Tabeserscheinungen hinzugesellen. Anatomisch kennt F. für die Paralyse keinen specifischen Befund; in einem Theil der Fälle fände sich allerdings Atrophie des Vorderhirns, sowie Merk- male und Residuen hyperämischer Zustände, mit Betheiligung der Ge- fässwände. Letztere seien dann aber über die ganze Rinde verbreitet. Die Ganglienzellen könnten trotz eines ausgesprochen klinischen Bil- des von Paralyse völlig intact sein. Die Exner’sche Methode sei nicht frei von Fehlerquellen, über den Tuczek’schen Befund gebe er noch kein definitives Urtheil ab, specifisch sei der Tuczek’sche Nervenfaserschwund für die Paralyse nicht. T. habe selbst in einem Fall von zweifellos seniler Demenz den Faserschwund angetroffen. Wenn aber trotz des letzteren klinisch die somatischen Störungen, namentlich die paralytische Sprachstörung fehlte, so beweise dies, dass die Annahme Tuczek’s, die betreffenden Anomalien seien durch Ausfall der Asso- ciationsfasern zu erklären, nicht zutreffend sei. Der Vortr. betont dann, dass seiner Ansicht nach gewisse klinisch-oerebrale Symptomencomplexe, wie sie im Gefolge von Tabes, Syringomyelie, multiple Sclerose des Rückenmarks auftzeten, dass gewisse Zustände bei Syphilitischen (mit Ausschluss von Herd- und Gefässerkrankungen) mit Unrecht der Paralyse zugerechnet würden. Das wesentliche Symptom sei die Demenz;

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dieselbe sei aber (Eindzustände abgerechnet) ganz anders geartet bei der oben erwähnten Affection, als bei den eben besprochenen und der progressiven Paralyse. F. legt besonderen Werth darauf, diese verschiedenen Arten der Demenz (der Quantität in der Qualität nach) schärfer zu charakterisiren; ferner seien in diesen Fällen häufig die anderweitigen somatischen Erscheinungen der Paralyse, x. B. Pupillen- und Facialisdifferenzen nur theilweise und in geringerem Grade vorhanden oder fehlten ganz. Der vorliegende Process sei ein exquisit chronischer; dass er schon in der fötalen Periode zu hoher Entwickelung kommen könne, beweise der Fall Hartdegen’s, dass er in der Kindheit vorhanden sein könne, die Beobachtungen Brückner’s, Pollack’s und Bourneville’s. Die motorischen und psychischen Abnormitäten von Kindheit auf seien bedingt durch die Gliose in der Himnrinde; im späteren Alter, wenn diese eine gewisse Ausdehnung erhalten, treten dann umfangreichere cerebrale Symptome mit dem Charakter der Paralyse (thatsächlich aber keine eigentliche Para- lyse) auf, zu denen sich dann Opticusatrophie und Hinterstrangsdegeneration gesellten. Besonders zu beobachten und zu untersuchen seien nach F. also Fälle, wo von Kind an psychische oder somatische Anomalien (Krämpfe) vorhanden seien, wo dann später epileptische Anfälle, aphasische Zustände und schliesslich ein der Paralyse ähnliches Krankheitebild, Opticusstrophie und Tabes auftreten. Die Combination mit letzterer sei Variationen unterworfen. (Der Vortrag wird in extenso im Archiv für Psychiatrie erscheinen.)

5. Prof. Schultze (Heidelberg): Ueber Bleilähmung.

Es handelt sich um die vorläußge Mittbeilung über einen Fall von Bleilähmung mit Atrophie bei einem 26jährigen Mann, der, nachdem er A Jahre lang an der Bleivergiftung laborirt, in Folge von Granularatrophie der Nieren zu Grunde ging.

Die ausführliohe Arbeit Schultze’s, deren Abdruck im Archiv für ee erfolgen soll, wird die Details enthalten.

6 Dr. Zacher (Stephansfeld): Ueber Schwund markhaltiger Nervenfasern in der Grosshirnrinde bei der progressiven Paralyse und anderen chro- nischen Gehirnkrankheiten.

Dr. Z. berichtete über die Resultate seiner Hirmuntersuchungen, die er bei den verschiedensten Formen von Geisteskrankheit angestellt hat, um zu sehen, ob der von Tuczek bei der progressiven Paralyse constatirte Schwund markhaltiger Nerven- fasern in bestimmten Hirnrindenabschnitten sich stets und ausschliesslich bei dieser Geisteskrankheit vorfinde, oder aber ob derselbe nicht auch bei anderen Krankheits- formen sich nachweisen lasse. Untersucht wurden im Ganzen 30 Fälle und zwar zum Theil nach der Exner’schen, zum Theil nach der von Friedmann mitgetheilten Modification der Weigert’schen Methode. Hiervon gehörten 12 Fälle der progres- siven Paralyse an, und fand sich in allen diesen Fällen ein mehr oder weniger er- heblicher Faserschwund in der Hirnrinde, der in den meisten Fällen in den vorderen Gehirnabschnitten intensiver und räumlich ausgedehnter war, als in den mehr nach hinten gelegenen Hirnpartien; doch liess sich in einzelnen Fällen feststellen, dass der Faserschwund in der Rinde des Mittel- resp. Hinterhirns ebenfalls sehr deutlich ausgesprochen, sowie dass er bei 2 Fällen in diesen Partien sogar beträchtlicher war, als an den vorderen Hirnwindungen. Es fand sich ferner ein Schwund der Markfasern in 3 Fällen von Epilepsie, 3 Fällen von seniler Demenz, in 3 Fällen von Verrücktheit, sowie bei einem von Kindheit auf epileptischen Idioten in geringer Ausdehnung. Fälle von Melancholie und Manie liessen keinen deutlichen Faser- schwund erkennen. Sowohl in den 3 Fällen von Epilepsie, als auch in 2 Fällen von Verräcktheit war Alcoholmisbrauch die Krankheitsursache.

Ueber die Pathogenese des Faserschwundes spricht sich Z. nicht mit Sicherheit aus; er ist geneigt, denselben auf primäre Krankheitsvorgänge zurückzuführen, auch

bei der progressiven Paralyse, wo die Verhältnisse aber complicirtere seien. Neben den genannten Veränderungen, deren mikroskopische Details Z. genauer aus- führt, behandelt der Vortragende summarisch auch die sonstigen pathologischen Be- funde in der Rinde, besonders das ausgedehnte Vorkommen von Veränderungen in den sogenannten pericellulären Räumen. (Die ausführlichere Publication der Zacher'- schen Befunde soll später erfolgen.)

* * *

I. Sitzung den 14. Juni, Morgens 9!/, Uhr. Vorsitzender: Prof. Jolly.

7. Privatdocent Dr. Tuczek (Marburg): Beitrag zur Lehre von den: Bowusst- seinsausschaltungen.

Vortr. berichtet über einen Fall von transitorischer Tobsucht, welcher durch protrahirten Verlauf ausgezeichnet war, indem dem ersten Anfalle in mehrtägigen Zwischenräumen 2 weitere folgten, deren letzter durch ein mehrtägiges Dämmerstadium zur Genesung führte, so dass der Gesammtparoxysmus einen Zeitraum von etwa 14 Tagen umfasste. Der Fall betraf einen 31jähr. Bahnwärter, weder Epileptiker, noch Alcoholiker, frei von hereditärer Belastung, früher stets gesund, welcher, nach- dem er 40 Stunden lang ununterbrochen Dienst gethan hatte und der cumulirenden Wirkung heftiger Gemüthserregungen ausgesetzt gewesen war, plötzlich in einen Wuthzufall gerieth, in dem er sich und seine Mutter schwer verletzte. Dieser, wie die späteren ähnlichen Anfälle hinterliessen keine oder doch nur eine höchst sum- marische Erinnerung. In den Intervallen befand sich das Bewusstsein auf einer traumhaften Stufe, und sucht der Vortr. im Einzelnen nachzuweisen, wie die Er- innerungsdefecte proportional der Summe der ausgefallenen Vorstellungen, i. e. pro- portional dem Grad der Bewusstseinsausschaltung sind. Er exemplificirt dabei auf den normalen Traum und betont die Bedeutung der Verification von Träumen in Bewusstlosigkeitszuständen überhaupt. Er spricht die Ansicht aus, dass die bei derartigen Bewusstseinsausschaltungen, wie sie speciell bei der transitorischen Tob- sucht und dem Delirium der Alcoholiker vorliegen, angenommenen Sinnestäuschungen zum Theil auf derartigen Verificationen und traumhafter Umdeutung von Parästhesien beruben. Wie schwer, selbst nach erfolgter Genesung, derartige Irrthümer unter Umständen zu berichtigen sind, dafür führt Vortr. einen Fall von Bewusstseinsaus- schaltung auf traumatischer Basis an, an welche sich eine regelrechte, nur durch ihren schnellen, kaum 2 Monate umfassenden Verlauf ausgezeichnete Manie ange- schlossen hatte.

8. Prof. Grashey (Würzburg): Ueber Paralysis agitans.

Der Vortr. hat an 4 hochbejahrten im Alter von 74—-83 Jahren stehenden Kranken, welche an Paralysis agitans litten, den Rythmus der Zitterbewegungen näher studirt und die Umstände, welche hemmend oder fördernd auf diese Bewe- gungen wirken. Mittelst Marey’scher Sphygmographen wurden die Schwingungen der rechten Hand, der linken Hand und der Zunge graphisch dargestellt. Die vor- gelegten Curven, die auf elektrischem Wege mit einer genauen Zeiteintheilung ver- sehen wurden, veranschaulichen die grosse Regelmässigkeit dieser Schwingungen und lassen auch die Schwingungsdauer leicht berechnen. Für die Dauer einer ganzen Schwingung wurden folgende Werthe gefunden:

Maximum bei Pat. I: 0,271; bei Pat. II: 0,197; bei Pat. III: 0,194 Sec. Minimum bei Pat. I: 0,217; bei Pat. II: 0,178; bei Pat. III: 0,182 Sec. Durchschnitt bei Pat. I: 0,241; bei Pat. I: 0,190; bei Pat. III: 0,187 Sec.

Schwingungen der Zunge bei Pat. I: Maximum 0,232; Minimum 0,210; Durchschnitt 0,223 Sec.

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Es wurden aber auch die Schwingungen der rechten und linken Hand und der Zunge gleichzeitig graphisch dargestellt. Die vorgelegten Curven zeigen, dass gleichzeitige Schwingungen verschiedener Organe einer und derselben Person zuweilen von vollkommen gleicher Dauer, in der Regel aber nur von annähernd gleicher Dauer sind. Die bekannte Erscheinung, dass der Schlaf die Zitterbewegung sistirt, und dass willkürliche Bewegung des zitternden Gliedes den Tremor unterbricht, liess sich auch an diesen Fällen beobachten. Ausserdem zeigte sich noch, dass Steigerung der Körpertemperatur bis 38,5° C. den Tremor nicht unterbrach, sondern dass der Tremor bei dieser Körpertemperatur auch während des Schlafes fortdauerte, dass ein leichter Schlaganfall, welcher Parese der rechten Körperhälfte bedingte, sowohl den Tremor der rechten als auch den der linken Hand und der Zunge wochenlang bis zum Abschluss der Beobachtung sistirte, und dass das Zittern auch im wachen Zu- stande aufhörte, so lange die Patienten möglichst ruhig und gedankenlos vor sich hinbrüteten, dass aber jede Erregung der Aufmerksamkeit den Tremor hervorrief oder steigerte. |

9. Dr. Edinger (Frankfurt); Ueber den Verlauf der centrelen Hirnnerven- bahnen mit Demonstration von Präparaten.

E. spricht über die centralen Verbindungen der Hirnnervenkerne und zeigt die betreffenden Präparate und Zeichnungen vor. Von den Bildern ausgehend, welche Embryonen aus dem 5.—6. Schwangerschaftsmonate darbieten, verfolgt E. an der Hand der Markscheidenentwickelung die allmählich deutlich werdenden Theile der centralen Hirnnervenbahnen bis zum 1. Monat des kindlichen Lebens. Diese Unter- suchungen sind noch nicht zum Abschluss gediehen. Bis jetzt können hirnwärts von den Kernen nachgewiesen werden: Verbindungen mit dem Kleinhirn und wahr- scheinlich auch mit dem Grosshirn durch die Substantia reticularis zu den Kemen der gekreuzten (und der gleichen?) Seite. Namentlich konnte die Verbindung der Substantia reticularis durch die Raphe der Brücke zum Cerebellum deutlich demon- strirt werden. Sie wurde unabhängig von Bechterew, der sie vor Kurzem be- schrieb, aufgefunden. Weitere Züge enthalten die meisten oder alle Hirnnerven- kerne aus dem hinteren Längsbündel. Bis zum 7. Monat der Foetalzeit kann dieses nach vorn nur bis zum Oculomotoriuskern resp. dessen vorderstes Ende seitlich vom 3. Ventrikel verfolgt werden.

Was die Kerne des N. oculomotwrius und des N. trochlearis betrifft, so be- steht der erstere aus einer Anzahl von Zellgruppen, die jede einzeln ihre Fäserchen zum Nerv senden. Dorsal und ventral von jedem Oculomotoriuskern liegen, medial zum Hauptkern, je ein kleiner Kern spindelförmiger Zellen, dessen Beziehungen zum Nerv nicht sicher sind. Da wo der Oculomotoriuskern am kräftigsten entwickelt ist, liegt in der Mittellinie ein medisler Kern, der zum Nerven jeder Seite Fasern ent- sendet. Ber oder die Nuclei N. oculomotorii stehen in Verbindung mit Fasern aus dem tiefen Vierhügelmark (der gleichen und?) der gekreuzten Seite, die seitlich und ventral zu ihnen herantreten, mit den hinteren Längsbündeln, mit Fasern aus der Substantis reticnlaris der gekreuzten Seite. Die Weigert’sche Färbung enthüllt im Grau um den Aquaeductus Sylvi zahlreiche feine, mit den vorderen Vierhügeln zu- sammenhängende Fasern, über die, ihre Beziehungen zum Oculomotoriuskern abge- rechnet, Sicheres noch nicht zu sagen ist. Nach vorn und dorsal vom Hauptkern liegt unter den vorderen Vierhügeln eine weitere, nicht immer scharf vom Oculo- motoriuskern trennbare Ansammlung von Ganglienzellen: der Lage nach vielleicht der dorsale Oculomotoriuskern Gudden’s. E. demonstrirt noch Präparate, die nach Weigert gefärbt, durch eine bestimmte Schnittrichtung den ganzen Trochlearisverlauf übersehen lassen und die Kreuzung der Fasern dieses Nerven, welche von Mauthner jüngst für unwahrscheinlich erklärt wurde, beweisen sollen.

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10. Dr. Friedmann (Stephansfeld);: Zur Lehre vom Sopor und von den Willenshandlungen in Benommenheitszuständen.

Der Soporzustand ist principiell von dem Schlafzustand der nervösen Centren zu trennen, wie das Vorkommen von Schlaf mitten in tiefem Sopor beweist, aus welchem ein Aufwecken zum Sopor vermöge eines allgemeinen Auslösungsvorganges möglich ist. Dagegen hat er im Wesentlichen die gleichen motorischen Reizerschei- nungen gemein mit zahlreichen psychischen Dämmerzuständen und selbst primären Psychosen, welche durch eine reizbare Erschöpfung des psychischen Organs com- plicirt werden.

Speciell kommen hier dieselben automatischen Bewegungsexcesse häufig vor, deren Haupteigenthümlichkeiten die Disposition zu anhaltender einförmiger Wieder- holung derselben Bewegungsäusserung ist, sowie die Leichtigkeit, mit welcher dieselbe auf dem Wege des Reflexos ausgelöst werden kann. Es lässt sich daraus schliessen, dass in allen den fraglichen Zuständen innerhalb der höheren motorischen Centren ein eigenthümlicher Zustand gesteigerter Erregbarkeit herrsche, welcher durch eine Hemmung der Fortpflanzung von Erregungsvorgängen innerhalb des be- treffenden Contrums complicirt wird.

11. Dr. Witkowski (Hördt i. Els.): Ueber die Delirien der Alcoholisten.

Neben dem gewöhnlichen, symptomatisch oder durch Inanition bedingten Delirium tremens sind einerseits die sehr kurzen, traumähnlichen, auf gehäuften Excessen be- rubenden und in sich abgeschlossenen Verfolgungsdelirien zu unterscheiden, zu deren negativen Kennzeichen das Fehlen von Erinnerungsdefect, von Tremor, Schweiss, Fieber, Schwäche und dergl. gehört. (W. möchte sie -zum Unterschiede von den Inanitions-Delirien Intoxications-Delirien genannt wissen.) Andererseits handelt es sich um die spontan, ohne besondere Gelegenheitsursache auftretenden mehr sub- acuten Erkrankungen, die sonstiger Geistesstörung näher stehen. Sehr häufig kommen Mischformen vor, wobei die drei Elemente stadienweise oder mehr vermengt theil- nehmen und sich weiterhin noch mit epileptischen Erkrankungen compliciren können. Die hier verwertheten Beobachtungen W.’s stammen aus der Strassburger -psychia- trischen Klinik.

12. Docent Dr. Kast (Freiburg i. Br): Zur pathologischen Anatomie der subacuten Ataxie.

Ein 14jähriges Waisenkind, das früher immer ganz gesund gewesen war, er- krankte kurze Zeit, nachdem es eine leichte Halsentzändung überstanden, an Be- wegungsstörungen der oberen Extremitäten, die sich, als die Pat. in die Bäum- ler’schen Klinik verbracht war, als coordinatorische erwiesen. Mehrere Wochen nachher trat hochgradigste statische Ataxie in den Beinen auf. Pat. konnte schliess- lich nicht mehr stehen und gehen; die Einzelbewegungen waren intact. Bie Herab- setzung der Sensibilität in allen ihren Qualitäten war sehr ausgesprochen, es war ferner auch eine deutliche Verlangsamung der Schmerzleitung zu constatiren. Atrophisch erschienen nur die Interossei beider Hände und die Zungenmusculatur. Nirgends Entartungsreaction nachweisbar, doch nur schwache Zuckungen auch bei sehr starken Strömen. Die Patellarreflexe fehlten vollständig. Schliesslich traten zu den genannten spinalen Symptomen noch bulbäre, nämlich Gaumensegellähmung, Innervationsstörungen des Larynx und Schluckbeschwerden hinzu. Die körperlich sehr geschwächte Patientin erlag einer Schluckpneumonie, nachdem das Leiden im ganzen etwa 9 Monate bestanden hatte. Die klinische Diagnose ward mit Wahır- scheinlichkeit gestellt und lautete auf: Postdiphtheritische Affection der Hinterstränge und Degeneration der grauen Vordersäulen des Rückenmarks, sowie der betr. Kerne der Med. oblong. Bei der mikroskopischen und makroskopischen Untersuchung dieser

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Organe fanden sich aber normale Verhältnisse vor, ebenso erwies sich das Gehirn als intact, dagegen liess sich schon makroskopisch eine auffällige Degeneration peripherischer Nerven besonders der Hypoglossi, des Laryng. recurrens etc. nachweisen: Die mikroskopische Untersuchung der eben genannten Nerven entspricht dem makros- kopischen Bilde Die genauere Untersuchung der übrigen peripherischen Nerven steht noch aus, jedenfalls lässt sich aus dem, was bisher vorliegt, vermuthen, dass 08 peripherische Processe sind, die einen Symptomencomplex ver- schulden, der klinisch nur als ein spinales resp. bulbäres Krankheits- bild zu deuten war.

* * *

Die Versammlung wurde nach Beendigung der Vorträge, Sonntag, den 14. Juni Mittags 12 Uhr geschlossen, nachdem man wiederum Baden-Baden zum nächsten Versammlungsort bestimmt, und Geh. Hofrath Prof. Dr. Bäumler, sowie Dr. Franz Fischer (Pforzheim) zu Geschäfssführern gewählt hatte.

IV. Bibliographie.

Die motorische Endplattie und ihre Bedeutung für die periphere Lähmung, von Dr. med. H. Gessler. Mit 4 Tafeln. Leipzig, Vogel. 1885.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass das Verhalten der motorischen End- platte mehr Berücksichtigung verdient, als es bei den vielen Untersuchungen über Degeneration von Nerv und Muskel bisher gefunden hat.

Es ist deshalb eine verdienstvolle Aufgabe, welche sich der Verf. gestellt hat.

Als Untersuchungsthiere dienten von den Säugethieren das Meerschweinchen und von den Reptilien die grüne italienische Eidechse.

An beiden lässt sich die Endplatte gut nachweisen, die, wie G. glaubt, ver- mittelst des Nervenendgeweihs continuirlich in die Muskelfaser übergeht.

Die unter dem Geweih liegende granulirte Substanz, Kühne’s Plattensohle der Endplatte, hält der Verf. mit Krause und Kühne für nervöser Natur.

Nach diesen an die Geschichte der Nervenendplatte angeknüpften Bemerkungen schildert G. die Art seiner Untersuchungen.

Der operative Eingriff bestand beim Meerschweinchen stets im Quetschung der beiden Nn. ischiadici mit einer Pincette.

Zur Bestimmung der elektrischen Erregbarkeit wurde einerseits der Nerv. pero- naeus, andererseits der Musc. gastrocnemius und tibialis verwandt, während der Nerv. tibialis ausser Acht gelassen wurde, da er zu schwer isolirt zu treffen ist. Die Zahlen für die Erregbarkeit mit dem constanten Strom sind mit dem von Edelmann nach v. Ziemssen’s Angabe coonstrnirten absoluten Galvanometer gewonnen, die Werthe für den faradischen Strom in Bollenabständen des du Bois-Reymond'schen Schlittenapparates angegeben.

Die histologische Untersuchung erfolgte für den Nerv. peronaeus mittelst der Osmium-Pikrocarmin-Färbung Ranvier's, für die Endplatten und intermusculären Nerven einerseits mittelst interstitieller Injection von einprocentiger Osmiumsäure in den Musc. gastrocnemius oder tibialis und nachfolgender Pikrocarminfärbung zum Zwecke der Kernfärbung, andererseits behufs Darstellung der Nervengeweihe mit der Brenner’schen Goldmethode. ;

Die Resultate der Goldmethode glaubt der Verf. nur mit äusserster Vorsicht verwerthen zu können. Aus der ersten Versuchsreihe am Meerschweinchen (10 Ver- suche mit Erhebung des Befundes zwischen dem 2. und 80. Tage nach der Operation) ergiebt sich, dass zunächst in den Grundkernen der Endplatte Veränderungen auftreten, die indessen vorübergehender Natur zu sein scheinen. Denn schon wenige Tage nachher finden sich die Kerne und Geweihe wieder normal. Die Nerven-

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geweihe verschwinden erst, wenn die Atrophie der Muskelfaser einen gewissen Grad erreicht hat. Aus diesem Befunde ist G. geneigt, an eine Continuität zwischen Nervenendplatte und Muskolfaser zu glauben und hält ferner die granulirten Kerne der Endplatte für nichts Anderes, als für Kerne der Perineural- und Schwann’- schen Scheide. Weiter auf das Verhältniss der einzelnen Kerngruppen einzugehen, dürfte zu weit führen. Es muss in dieser Beziehung auf das Original verwiesen werden.

In hohem Maasse intersssant ist weiterhin der Umstand, dass die Regeneration der Endplatte das Erste ist, was von regenerativen Vorgängen bei der peri- pheren traumatischen Lähmung vollendet ist.

Die Untersuchungen bei der grünen italienischen Eidechse ergaben, dass die Degeneration der Nerven bis in ihre letzten Endigungen beim Kaltblüter in analoger Weise vor sich geht, wie beim Warmblüter. Aber der Ablauf ist beim Kalt- blüter ein viel langsamerer. Was beim Meerschweinchen schon am zweiten Tage nach der Nervenquetschung gefunden wurde, zeigte sich bei der Eidechse erst An- fangs oder Ende der zweiten Woche und in ähnlicher Weise werden die anderen Erscheinungen bei letzterem Thiere hinausgeschoben.

Bis sich bei dem Kaltblüter ausschliesslich degenerirte Endplatten fanden, müssen, wie dieses schon Kühne ausgeführt hat, mindestens 60 Tage nach der Nerven- resection verflossen sein. Eine Regeneration der Endplatte konnte Verf. bei der Eidechse nicht beobachten, da es ihm nie gelang, die Versuchsthiere so lang am Leben zu erhalten.

Dass auch G. bei dem Kaitblüter Entartungsreaction der Muskeln nicht con- statiren konnte, war nach den vielen sorgfältigen früheren Untersuchungen nur zu erwarten. Dieses eigenthümliche Verhalten hat auch Bernhardt schon Veranlassung zu ähnlichen Erwägungen gegeben, wie sie der Verf. folgen lässt. Er wirft die Frage nach den Ursachen der Entartungsreaetion auf und glaubt, dass die Ent- artungsreaction noch viel unabhängiger von der Degeneration des Nerven sein muss, als bisher angenommen wurde, und dass die Ursachen derselben einzig und allein in der Muskelfaser zu suchen sind und weiterhin meint er, dass die typische Entartungsreaotion im Muskel auch ohne Affeotion der Nerven und Nervenendapparate eintreten könne.

Ref. kann sich der letzteren Anschauung auf Grund aller bisher vorliegenden Beobachtungen nicht anschliessen.

Von der Degeneration der Nerven speciell kann die Entartungsreaction der Muskeln allerdings nicht abhängig sein, vielmehr haben beide eine gemeinschaft- liche Ursache, die in dem Wegfall der Erregungen seitens der Centralorgane gesucht werden muss.

Dass aber in dieser Beziehung Warmbläter und Kaltbläter verschieden reagiren, wird sich vielleicht durch die hohen Anforderungen des ersteren an seine Musculatur am besten erklären lassen.

Geht doch in dieser der grösste Theil der Oxydationsprocesse, die Wärme- production des Organismus; vor sich. Rumpf.

Druckfeblerberichtigung:

8.269 Z.14 von oben „bekannt“ statt „bekennt“. 2.18 von oben „nun“ statt „um“.

Um Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Vaır & Cour. in Leipzig. Druek von Murzaun & Wıryıa in Leipsig.

NEUROLOGISCHESGENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Vierter RB: Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

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1885. 15. Juli. | I No: 14,

Inhalt. Originalmittheilungen. Ein Fall von generelisirter Neuritis mit schweren elektrischen Alterationen auch der niemals gelähmten Nn. faciales, von Dr. Ernst Remak.

ll. Referate. Anatomie. 1. 1indice cerebrale, annotazioni del Lussana. 2. Sulla struttura della ghiandola pineale, nota preventiva del Cionin. Experimentelle Phy- siologie. 3. La reazione elettrica dell’acustico negli alienati, ricerche sperimentali di se- meiotica peichistrica del Buecola. 4. Experimental production of Chorea, von Money. Pathologische Anatomie. 5. Die patholog.-anatom. Veränderungen ete, an hungernden Kaninchen, von Ochotin. 6. Recherches sur l’anatomie pathologique de la sclerose en plaques et &tude une des diverses variötes de solöroses de la moölle, par Babinski. Patho- logie des Nervensystems. 7. Commotion de la moölle &piniere, par Dum6nil et Petel. 8. A case of painful paraplegia, death, autopsy revealing sarcoma of the vertebral, by Kemper. 9. A case of multiple tuberoular tumours etc. by Ross. 10. Kakke-biori-shinsa, von Harada. 11. Les nevrites peripheriques, par Roger. 12. Osteokopische Neurosen, von Lehmann. 13. Ein Fall von ischämischer Muskellähmung und Muskelcontractur in Verbindung mit Sensibilitätsstörungen, von Sonnenkalb. 14. Note sur quatre cas d’hyperesthäsie plantaire, par Barbillon. Psychiatrie. 15. Observation d’acc&s d’Hystero-Somnambulisme halluci- natoire, consecutifs & l’absorption d’une dose toxique de camphre, par Planat. 16. Pachy- meningite avec symptömes de paralysie gen6rale, par Christian. 17. Agoraphobie, von West- phal. 18. La ruminazione nella specie umana, per il Cantarono. Therapie. 19. Writers cramp audits treatment with the notes of several cases, by Robins. 20. Fall af migrän be- handladt med metalloterapi, af Huss.

il. Bibliographie.

IV. Vermischtes.

I. Originalmittheilungen.

Ein Fall von generalisirter Neuritis mit schweren elektrischen Alterationen auch der niemals gelähmten Nn. faciales.

(Krankenvorstellung in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankbeiten am 8. Juni 1885.)

Von Dr. Ernst Remak, Privatdocent. M. H.! Die Anamnese dieser schon seit dem 8. Nov. v. J. in meiner

Behandlung befindlichen Patientin, eines 30jährigen mir von Herm San.-Rath Dr. Horn überwiesenen Dienstmädchens aus Charlottenburg, ist nur lückenhaft.

2 A

Sie erkrankte angeblich gegen Pfingsten 1883 unter schmerzhafter An- schwellung beider Fussgelenke mit zunehmender Störung der Gehfähig- keit, so dass sie im September 1883 das Charlottenburger Krankenhaus auf- suchte, wo sie bis Ende März 1884 verblieb. Etwa 3 Monate nach Beginn der Krankheit soll mit Nachlass der Anschwellung und der ursprünglichen reissenden Schmerzen taubes Gefühl der Beine bis zu den Knieen auf- wärts aufgetreten sein, und will sie zu derselben Zeit 3 Monate lang doppelt gesehen haben, ohne dass sie angeben kann, nach welcher Richtung. All- mählich seien dann Schmerzen, taubes Gefühl, Zittern und zuletzt Ab- magerung der Hände eingetreten. Seit der Entlassung aus dem Kranken- hause soll das taube Gefühl in den Händen und Füssen sich mehr gebessert haben, als die Beweglichkeit. Niemals bestanden Blasenstörungen. Syphilis, Abusus spirituosorum, saturnine Intoxication sind nicht zu ermitteln.

Der Vater ist längst verstorben, die Mutter und die sie begleitende Schwester sind gesund.

Der Status ist seit der Aufnahme, also seit nahezu 7 Monaten bei uuver- kennbarer Besserung der Gehfähigkeit und der Sensibilität doch im Wesentlichen unverändert geblieben.

Zunächst ist bei der sich eines guten Allgemeinbefindens erfreuenden, mit ziemlich reichlichem Fettpolster versehenen, stets fieberfreien Patientin (über früheres Fieber fehlen die Anhaltspunkte) ein meist deprimirter und weiner- licher Gemüthszustand, ein stupides Verhalten, eine sehr erhebliche Gedächtnissschwäche auffällig. Die Sprache ist stockend, eigenthümlich zitternd und erinnert bei schwereren Wortbildungen etwas an paralytisches Sylbenstolpern, um so mehr, als dabei auch sonst bemerkliche kurze Zuckungen und Öscillationen der verschiedensten Gesichtsmuskeln sich zu kaninchen- artigen Bewegungen namentlich der den Mund umgebenden Muskeln steigern. Dabei besteht keine Abmagerung, Lähmung oder Contractur in den Facialisgebieten, indem Patientin die Stirn gut runzelt, die Augen kräftig schliesst, den etwas breiten Mund zum Pfeifen gut spitzt etc.

Während meiner Beobachtung haben niemals Augenmuskellähmungen be- standen. Nystagmus fehlt selbst bei grösster Excursion der Augenbewegungen. Die Pupillen sind von mittlerer und gleicher Weite, reagiren auf Licht. Pat. hat immer gut gesehen (vgl. Nachtrag). Keine functionellen Störungen anderer Sinnesnerven oder der Sensibilität am Kopfe.

Die Zunge ist nicht atrophisch, kommt gerade heraus, wird nach allen Seiten nicht auffallend schwer bewegt, zittert aber ziemlich stark und zeigt eigenthümliche vibrirende Öscillationen. Keine Anomalien des Velum. Niemals Deglutitionsstörungen.

Während die Nacken-, Schulter- und Oberarm-Muskeln nicht atrophisch, und die Vorderarme im Ganzen auffallend schmächtig sind, besteht an den Händen sehr deutliche Atrophie der Interossei, besonders des ersten, und des Daumenballens mit Andeutung von Klauenstellung.

Die Schulter- und Armbewegungen erfolgen mit anscheinend normaler

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Kraft. Auch in den Vorderarmen besteht nirgends eigentliche Lähmung; nur ist der Händedruck sehr schwach und von Mitbewegungen der anderen Hand begleitet. Die Einzelbewegungen der Finger sind kraftlos und, entsprechend der Atrophie, die Adduction und Spreizung beschränkt und die Opposition des Daumens gegen den 4. und 5. Finger nur bei Flexion der Endphalangen möglich. Die Hand- und Finger-Manipulationen erfolgen unter starkem, in ziemlich grossen Excursionen ablaufendem Intentionszittern, welches sich beim Zustossen auf den vorgehaltenen Finger zu einem leicht atactischen Verhalten steigert. Der Tremor hört aber auch in der Ruhe nicht auf; man sieht dann in un- regelmässiger Folge springende Bewegungen der Sehnen der Finger- extensoren, ruckartige Bewegungen der Interossei, durch welche die Finger bald gespreizt, bald adducirt werden. j

Bei der Aufnahme waren die Sensibilitätsstörungen bis zu den Ell- bogen aufwärts weit erheblicher, als jetzt. Noch immer besteht aber sehr er- hebliche Herabsetzung der Schmerzempfindung, wie sich dies auch durch die faradocutane Prüfung nachweisen lässt. Während früher kleinere Gegenstände bei ungeschicktem Palpiren nicht erkannt, und Geldstücke regelmässig zu klein taxirt wurden, palpirt sie letztere jetzt richtig heraus, unterscheidet an meiner Taschenuhr die glatte und guillochirte Oberfläche. Sie klagt noch häufig über reissende Schmerzen in den Armen, besonders im linken. Druck auf den Plexus brachialis ist beiderseits sehr empfindlich, aber Schwellungen weder hier noch an den Nervenstämmen zu fühlen. |

Patientin ist gegenüber der Aufnahme jetzt wieder im Stande, sich ohne Hülfe vom Stuhl zu erheben und lässt sich nur wenig beim Setzen in denselben fallen. Sie geht gebückt, breitbeinig, mit ziemlich kleinen Schritten auf den Fussboden blickend, etwas in der Richtungslinie schwankend, aber nicht eigent- lich atactisch. Beim Stehen mit geschlossenen Augen droht sie sofort umzufallen. Sie ist auch nicht unter Anfassen im Stande auf einen Stuhl zu steigen.

Die Unterextremitäten zeigen keine Atrophie. (Der Oberschenkelumfang 16 cm über dem oberen Rande der Patella beträgt 41 cm.) Es besteht hier kein Ausfall der Beweglichkeit irgend einer Muskelgruppe, und ist die Kraft der Einzelbewegungen eine recht erhebliche. Deutliche Ataxie ist nicht nach- zuweisen. Früher bestand auch in den Unterextremitäten Tremor, welcher nachgelassen hat und nur noch selten auftritt (vgl. unten. Niemals war während der Beobachtung das Kniephänomen zu erzielen. Während die Schmerzempfindung der Unterextremitäten auch jetzt noch bis zu den Knieen aufwärts herabgesetzt ist, bestehen keine gröberen Störungen der Berührungs-, Temperatur- und Druck-Empfindung. Auch will Pat. die Fugen der Dielen durch die Schuhsohlen hindurch deutlich fühlen.

Das Hauptinteresse unseres Falles liegt aber in dem elektrischen Be- funde, welcher sioh kurz so zusammenfassen lässt, dass die elektrische Er- regbarkeit während der ganzen Beobachtungsdauer jederzeit für gröbere Prüfung nahezu völlig in allen der elektro-diagnostischen Unter- suchung zugänglichen Nervenprovinzen aufgehoben ist. Dass dabei

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such die nicht gelähmten Nn. faciales, deren Untersuchung ich zuerst nur be- hufs Vergleichung gegenüber den spinalen Nerven nach der bekannten Er»’schen Methode unternahm, für die verfügbaren Inductionsströme nicht ansprachen, war ich dermaassen versucht auf eine Laune der Apparate oder Eigenthümlich- keiten der Leitungsverhältnisse der Haut zurückzuführen, dass ich alsbald mich veranlasst sah, Controlversuche mit anderen Inductionsapparaten stärkster Wir- kung und mit galvanischen Strömen zu machen, wobei sich dann eine ganz unerhörte Herabsetzung der Erregbarkeit herausstellte, indem Stromstärken, welche bei gesunden Personen maximale unerträgliche Zuckungseffecte erzielten, auch nur für die Zuckungsminima nöthig waren.

Des grossen Interesses halber lasse ich einige Maassbestimmungen der Minimalzuckungen der faradischen und galvanischen Prüfung folgen, wobei ich bemerke, dass an der Scala meines Inductionsschlittens als positiver Abstand die wirkliche Entfernung beider Rollen, als negativer die gegenseitige Deckung der 95 mm langen Inductionsspiralen bezeichnet wird. Gemeinhin liegen bei- läufig bei normalen Nerven die Schwellenwerthe der Zuckung für den secundären Inductionsstrom zwischen -+ 50 und + 15 mm und für die KSZ des galvanischen Stromes zwischen 1,5 und 4 Milliampere.

Bei dieser Patientin aber trat bei verschiedenen faradischen Prüfungen des Facialisstammes und seiner Aeste erst bei 85 mm bis höchstens 69 mm spurweise zitternde Contraction einzelner Gesichtsmuskeln, besonders der Zygomatici auf, während für die galvanische Prüfung bei den wegen des ein- tretenden Schwindels am Facialisstamme überhaupt verwendbaren Stromstärken Zuckungen der Gesichtsmuskeln nicht auftraten. Auch bei directer Reizung der Gesichtsmuskeln mit einer Elektrode von 4 D[Icm Flächeninhalt bei Längs- leitung durch den Kopf ist auch durch Vouta’sche Alternativen von etwa 25 M.-A. keine Reaction der Gesichtsmuskeln zu erzielen. (Das Hiınscamann’sche absolute Verticalgalvanometer gestattet exacte Strommessungen nur bis 20 M.-A.)

Auch an der Zunge ist für stark inducirte und galvanische Ströme bei den permanenten Spontanzuckungen nur sehr zweifelhafte Reaction erkennbar; der Hypoglossus über dem grossen Zungenbeinhorn erscheint nicht erregbar.

Am besten reagirt der Cucullarisast des Accessorius. Hier ist links bei 40 mm Minimalzuckung vorhanden, welche sich bei stärkeren Strömen nur wenig steigert und etwas träge eintritt. Die erste ebenfalls etwas träge KSZ tritt hier für nervöse Reizung bei 18 M.-A. auf, und etwa bei derselben Strom- stärke noch mehr träge für muskuläre Reizung. Der linke Biceps brachii ist weder für secundäre, noch primäre Inductionsströme erregbar, zeigt aber bei 19 M.-A. träge AnSZ, dagegen bis zu 25 M.-A. aufwärts keine KSZ2. Vom Medianus keine Reaction. Von beiden Radiales bei 95 mm (eingeschobenen Rollen) Spuren von Contraction des Supinator longus, ebenso in den Nn. ulnares nur bei maximalem Strom Spuren von Reaction. Bei galvanomuskulärer Rei- zung des Extensor digitorum communis und Extensor carpi ulnaris träge AnSZ bei 20 M.-A., keine KSZ. Beide Muskeln sind für secundäre Inductionsströme gar nicht und letzterer für den primären Strom etwas erregbar. Der linke

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N. oruralis ist bei 75 mm für den seoundären Inductionsstrom spurweise im M. vastus internus erregbar, und an demselben Muskel auch durch Stromanwen- dungen von 25 M.-A. des galvanischen Stromes. Dagegen fehlt die directe Erregbarkeit des M. extensor quadrioeps femoris für alle verfügbaren Strom- intensitäten selbst der Galvanofaradisation. (Nach diesen Reizversuchen tritt erheblicher Schütteltremor der ganzen Unterextremität auf) Der N. peroneus sinister reagirt bei —95 mm mit spurweiser Contraction des M. peroneus brevis, während bei direoter Reizung des M. tibialis anticus EAR bei 20 M.-A. auftritt. Alle diese Prüfungen mit maximalen Strömen sind nur bei der Stupidität und der sehr erheblichen Herabsetzung der elektrocutanen Empfindung möglich. Besonders erwähnenswerth erscheint, dass auch die excentrischen Empfindungen in der Verbreitung der von stärksten Reizungen bearbeiteten Nervenstämme und Plexus in Abrede gestellt werden.

Epikrise. Es liegt also eine anscheinend im Anschluss an einen Gelenk- rheumatismus beider Fussgelenke subacut unter Schmerzen entstandene, nach jedenfalls mehr als einjährigem Bestehen sich allmählich theilweise zurück- bildende Erkrankung vor, welche in unvollständiger Lähmung mit Sensi- bilitätsstörungen und theilweiser degenerativer Atrophie der Extremi- tätenmuskeln bei fehlenden Sehnenphänomen, in Demenz, Sprach- störung, Intentionszittern und unwillkürlichen Zuckungen besteht, ganz besonders aber charakterisirt ist durch schwere elektrische Alterationen (schwere Mittelform und schwere Form der Entartungsreaction und aufgehobene Reaction) in sämmtlichen auch nie gelähmten Nerven- muskelprovinzen, besonders auch in beiden Nn. faciales. Obgleich nämlich aus der gegebenen Beschreibung bereits hervorgeht, dass die Gesichtsmuskel- bewegungen Nichts von den bekannten Contracturen nach abgelaufenen schweren peripherischen Gesichtslähmungen darbieten, und auch die Patientin sowohl, als ihre Schwester versichern, dass niemals Lähmungserscheinungen des Gesichts bestanden haben, habe ich nicht versäumt, bei Herrn Collegen Aur Erkundigungen einzuziehen, welcher als einziger Krankenhausarzt zwar keine Journale führt, aber mit Bestimmtheit niemals während des Krankenhausaufenthaltes Erschei- nungen von Gesichtslähmung beobachtet zu haben versichert.

Während es nun längst bekannt war, dass bei der Heilung schwerer peri- pherischer Paralysen die Aufhebung der elektrischen Nervenerregbarkeit die Lähmungserscheinungen lange überdauert und dieses Verhalten nach der Erp’- schen Hypothese auf eine aufgehobene Reizaufnahmefähigkeit durch noch fehlende Restitution der Markscheiden zurückgeführt wurde, liegen erst wenige Erfahrungen vor, dass auch ohne Lähmung die Erregbarkeit der Nerven verloren gehen kann und Entartungsreaction der Muskeln auftritt. Zuerst hat Erb? bei Bleilähmung in nicht gelähmten Muskeln schwere Mittelform der EAR gefunden und BernHuArpr? und Buzzarn°® diesen

ı En, Ein Fall von Bleilähmung. Arch. f. Psych. 1875. V. 8. 445. ® Berl. klin. Wochenschr. 1878. Nr. 18 u. 19. s Brain. 1878. I. p. 121.

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Befund bestätigt; ebenfalls bei Bleilähmung fanden dann Kanzer und Pick! und Kasr? selbst aufgehobene Nervenerregbarkeit (schwere EAR) nicht ge- lähmter Muskeln. Aehnliche elektrische Befunde wurden von KAHLER und Pıck® in den meisten Nervengebieten eines von diesen Autoren damals als Polio- myelitis anterior subacuta angesprochenen Falles erhoben, welcher durch initiale Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, fibrilläre Zuckungen, Intentionszittern, An- deutungen von Ataxie, Fehlen der Sehnenphänomene schon bemerkenswerthe Aehnlichkeit mit dem vorliegenden Falle hat, ferner aber der einzige in der Literatur zu sein scheint, von welchem bereits ein Absinken und zitternde Contraction bei der faradischen Reizung auch in den nicht gelähmten Facialisstämmen und Aesten beobachtet ist (über die galvanische Unter- suchung fehlen hier die Angaben. Denn BERNHARDT* hat zwar ebenfalls Reactionslosigkeit der Nervenstämme ohne Lähmung in einem Falle beschrieben, erwähnt aber nicht die Nn. faciales.

Da nun schon die ;nitialen Schmerzen, die früher erheblichen, allmählich zurückgegangenen Sensibilitätsstörungen zusammen mit der die Extremitäten- enden betreffenden degenerativen Muskelatrophie, ferner auch die Entstehung der Affeotion nach acutem Gelenkrheumatismus nach den Erfahrungen von Kast° und F. C. MÜLLER® für eine subacute multiple Neuritis sprechen, so ist die Betheiligung beider Faciales in allen ihren Aesten an den elektrischen Alterationen von um so grösserem Interesse, als doppelseitige Facialisparalyse bei Polyneuritis acuta von Pızrson’ bereits beobachtet wurde. Dagegen ist die in der nahezu völligen Aufhebung der Erregbarkeit sich äussernde Miterkrankung beider Nn. faciales mit der Annahme einer Poliomyelitis anterior oder Polioencephalitis schwer vereinbar und dürfte dieselbe für eine peripherische Nervenerkrankung ebenso in’s Gewicht fallen, wie die in Nr. 12 dieses Centralblattes 1884 von mir beschriebene Betheiligung der gesammten Gesichtsmuskulatur an hereditärer Muskelatrophie bei der Abwesenheit von Bulbärparalyse eine myopathische Genese dieser Affection schon unabweisbar machte, bevor dieselbe neuerdings durch einen Obductionsbefund von Lanpouzy und DEJERINE bestätigt wurde (vgl. dieses Centralblatt. 1885. Nr. 12. S. 280. Man wird also in dem vorliegenden Falle mit einiger Wahrscheinlichkeit eine multiple (generalisirte) Neuritis de- generativa mit Betheiligung früher auch von Augenmuskeinerven (dreimonat- liches Doppelsehen) jetzt jedenfalls der Faciales und Hypoglossi annehmen müssen, welcbe nahezu völlige Aufhebung der Nervenerregbarkeit setzt, ohne dass Leitungs- störung der nicht gelähmten cerebrospinalen Nerven vorhanden ist. Vielleicht

! Kauuer und Pıck, Beiträge zur Pathologie und pathologischen Anatomie des Central- nervensystems. Leipzig 1879. S. 131 ff.

2 Centralbl. f. Nervenheilk. 1880. Nr. 8. 8. 137.

® 4.2.0. 8.136 ff.

* Vıacnow’s Archiv. 1879. Bd. 78. 8. 274.

6 Archiv f. Psych. 1881. Bd. XII. 8. 266.

® Archiv f. Psych. 1888. Bd. XIV. S. 669 ff.

Pırrson, Ueber Polyneuritis acuta (multiple Neuritis),. VoLkmann’sche Sammlung 1882. Nr. 229.

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könnte man in Anlehnung an die Erp’sche Hypothese an eine partielle, nur auf die Markscheiden sich beschränkende, die Axencylinder aber intact lassende Neuritis denken, wie sie von GoMBAULT! als segmentäre periaxile Neuritis bereits beschrieben worden ist. Jedenfalls hat dieselbe aber schwere, in Auf- hebung der Erregbarkeit oder qualitative EAR sich äussernde Alterationen der nur zum kleinsten Theil atrophischen Muskeln zur Folge gehabt, während es dahin gestellt bleiben muss, ob die beschriebenen Oscillationen und Zuckungen der Gesichts-, Zungen- und Extremitätenmuskeln von dieser Neuritis direct ab- hängig gemacht werden können. Erinnern sie doch in der That am meisten an die zuerst von Sonrrr? nach Nervendurchschneidung beschriebenen paralytischen Os- cillationen, welche neuerdings als pseudomotorische Wirkungen an der Zunge von HeIDEnHAIN,’ am unteren Facialisgebiete unter dessen Leitung von Rogowıcz ® genauer studirt worden sind. Noch zweifelhafter aber ist es, ob die an den Oberextremitäten beobachteten ruckartigen und springenden Muskelsehnen- bewegungen und das exquisite Intentionszittern, als der degenerativen Neuritis in der Regel nicht eigenthümlich, von der anzunehmenden generalisirten Neu- ritis allein abhängen können, oder nicht vielmehr noch ausserdem centrale vielleicht multiple sclerotische Herde wahrscheinlich sind, zumal die bestehende Demenz auf eine Betheiligung des Gehirns mit Nothwendigkeit hin- weist. In Bezug auf die ruckartigen Bewegungen der Finger erinnert übrigens dieser Fall an einen in diesem Centralblatt in Nr. 7 u. 8 d. J. von LöwEnFELD mitgetheilten Fall von „multipler Neuritis mit Athetosis“ (vgl. S. 152 u. S. 173): Nur halte ich die Bezeichnung Athetosis für derartige wenig ausgiebige, auch von LÖWENFELD nur zufällig entdeckte Bewegungen ohne die charakteristischen Verdrehungen der Gelenke für völlig verfehlte, worüber ich auf meine früheren Auslassungen in der Berliner klinischen Wochenschrift 1878 Nr. 21 S. 807 verweise.

Nachtrag. Die wegen des Fehlens von Sehstörungen leider versäumte ophthalmoskopische Untersuchung, welche am Tage nach der Vorstellung nach- geholt wurde, ergab eine doppelseitige Neuritis optica, weshalb ich die Patientin Herrn Collegen UmrHorr zur genaueren Untersuchung überwies, dem ich fol- gende Angaben verdanke: „Rechtes Auge S=!®J,. Ophthalmoskopisch findet sich Emmetropie. Die Papille erscheint leicht geröthet und deutlich getrübt, die Grenzen der Papille sind völlig verwischt bis auf die nach aussen gelegenen Theile, welche scharf erscheinen. An der Austritisstelle der Retinalgefässe zeigt sich in glänzend-weisslicher Herdform eine Bindegewebsentwickelung, welche den grossen Gefässen z. Th. sich anschliesst. (Die Retinalgefässe, namentlich die Venen, sind etwas abnorm geschlängelt, ohne jedoch wesentlich verbreitert zu sein.) Eine Prominenz der Papille ist nicht nachweisbar.

Linkes Auge: Astigmatismus myopicus. S=18/,,. Die Papille zeigt analoge

1 Archives de Neurologie. 1880. L p. 12—88 et p. 177—1%.

2 Sonır», Lehrbuch der Muskel- und Nervenphysiologie. Lahr 1858-59. S. 177 ff. ® Archiv für Anatomie und Physiologie. Physiolog. Abth. 1883. 8. 133.

* Pritser’s Archiv. Bd. 86.

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Veränderungen wie rechts, nur nicht so ausgesprochen, und namentlich fehlt die bindegewebige Verdickung der Gefässscheiden. Papille liegend oval. Keine wesentliche Prominenz. Beiderseits leichte aber deutliche Neuritis optica. Gesichtsfeld beiderseits frei, auch für Farben. Augenbewegungen gut. Pupillen- reaction erhalten, nur rechts deutlich träger als links.“

Es bedarf wohl keiner breiteren Auseinandersetzung, dass dieser Befund einer Neuritis optica (bemerkenswertherweise ebenfalls ohne wesent- liche Beeinträchtigung der Function) die Diagnose der generalisirten Neuritis bestätigt. Uebrigens wurde Neuritis optica als Theilerscheinung mul- tipler Neuritis bereits von EiICHHORST,! STRÜMPELL? und LöÖwENFELD? erwähnt.

II. Referate.

Anatomie.

1) L’indice cerebrale, annotazioni del professore Lussana. (Arch. italian. per le malat. nerv. 1885. XXH. p. 132.)

Verf. bezeichnet als „Index cerebralis‘“ das Procentverhältniss, in welchem die Breite zur Länge eines Gehirns steht. In Bezug auf das menschliche Gehirn fand er bereits einige Untersuchungen vor, deren kurze Ergebnisse hier folgen sollen. Calori fand bei Brachycephalie eine mittlere Länge des Hirns von 168 und eine mittlere Breite von 146 mm, also einen Cerebralindex von 87, während der mittlere Schädelindex 85 betrug; für dolichocephale Schädel sind die entsprechenden Zahlen 174 und 132, resp. 76 und 74. Krause fand einen durchschnittlichen Cerebral- index von 79, Passet dagegen von 82 bei Männern und 81 bei Frauen. Die Hauptarbeit des Verf. war nun darauf gerichtet, für möglichst viele Wirbelthiere analoge Zahlen zu finden; in dem vorliegenden Aufsatz hat er nicht weniger als 73 Gehirne verschiedener Thierarten gemessen. Eine Wiedergabe der einzelnen Resultate ist hier natürlich nicht möglich. Es sei nur bemerkt, dass er als ziemlich constanten Index bei Affen ca. 80, ebenso bei Reptilien, bei Pferden, Schweinen und Schafen ca. 85, bei Hunden ca. 90, bei Katzen, Nagern und Schlangen ca. 100, bei Vögeln und bei Fischen ca. 130 gefunden hat. Hiernach steht also die Form des Gehirns und natürlich noch weniger die des Schädels nicht in einem directen Zu- sammenhange mit der psychischen Entwicklung.

Es ergiebt sich daraus der einfache Schluss, dass man in Zukunft weniger sein Augenmerk auf die äussere Form des Gehirns und den Windungsverlauf, als auf den feineren anatomischen Bau desselben zu richten hat, wenn man die höhere oder niedere Entwickelung eines Gehirns beurtheilen will. Sommer.

2) Sulla struttura della ghiandola pineale. Nota preventiva del dott. Att. Cionini. (Riv. speriment. di freniatr. e di medic. legale. 1885. XI. p. 182.)

Im Gegensatz zu Hagemann und in wenigstens theilweiser Uebereinstimmung mit Clarke und Henle theilt Verf. mit, dass es ihm nicht gelungen sei, mit der

ı Vırcaow’s Archiv. 1876. Bd. LXIX. 8. 69.

® Archiv f. Psych. 1883. Bd. XIV. S. 389 ff.

® L. LöwenreLop, Ueber multiple Neuritis. Sep.-Ahdr. aus dem Aerztlichen Intelligenz- blatt. 1885. S. 15.

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zuverlässigen Färbungsmethode Golgi’s irgend welche Axencylinderfortsätze an den Zellen der Glandula pinealis (beim Menschen, Stier und Kalb) aufzufinden. Die Zellen derselben seien rundlich, seltener dreieckig und mit sehr zahlreichen feinen, gewundenen und verästelten Fortsätzen versehen; die einzelnen Zweige communiciren theils mit denen anderer Zellen, theils treten sie aber auch in die Gefässwände ein. Er bestreitet daher die Existenz nervöser Zellen in der Zirbeldrüse und konnte auch in dem Stiel derselben durch keine Färbungsmethode Nervenfasern nachweisen. Sommer.

nn

Experimentelle Physiologie.

3) La reazione elettrica dell’acustico negli alienati. Ricerche sperimentali di semeiotica psichiatrica del dott. Gabriele Buccola. (Riv. speriment. di freniatr. e di medicina leg. 1885. XI p. 1—71.)

Die angezeigte Arbeit ist leider die letzte, die der am 5. März d. J. in jugend- lichem Alter verstorbene Buccola der Wissenschaft geschenkt hat. Seine Verdienste und die experimentelle Psychologie und um die Psychiatrie sind überall bekannt und haben auch in diesem Blatt ihre Anerkennung gefunden. Die vorliegende Arbeit des Verf. über die elektrische Beaction des Acusticus bei Geisteskranken schliesst sich den früheren würdig an und bildet einen glänzenden Abschluss seines wissenschaft- lichen Strebens. Es sei dem Referenten gestattet, ausführlicher auf dieselbe ein- zugehen.

Nach einem kurzen Ueberblick über die Literatur der Acusticusreaction wendet sich Verf. zur Methode der Untersuchung und zu den Resultaten unter normalen Verhältnissen. Die „innere“ Application der differenten Elektrode giebt zu unan- genehmeren Nebenerscheinungen Anlass, als die „äussere“, bei der die scheibenförmige Elektrode einfach auf die Ohröffnung resp. auf den Tragus aufgesetzt wird, während die indifferente Elektrode (in Gestalt einer breiteren Platte) auf dem Nacken ruht. Er wendete nur die letztere Methode an, da man an und für sich schon starke Ströme braucht, um den tief gelegenen Acusticus zu reizen. Als Stromerzeuger wurde eine Siemens’sche Batterie von 38 Elementen, an die ein Hirschfeld’sches Verticalgalvanometer angeschlossen war, benutzt.

Die normale Reactionsformel des Gehörnerven lautet (unter den bekannten Ab- kürzungen):

Ka. S: Ton An. 8: Nichts Ka. D: Ton > An. D: Nichts Ka. O: Nichts An. O: Ton

Immer ist unter sonst gleichen Verhältnissen die Wirkung des Ka.S stärker, als die der An.O, sowohl was Intensität als Dauer des entstehenden Tones betrifft; mit wachsender Stromstärke wird der Ton gewöhnlich sonorer, „musikalischer“. Im Anfang der Untersuchung und von ungeübten Individuen werden übrigens häufig nur Geräusche wie Zischen, Brummen, Pfeifen etc. vernommen.

Unter pathologischen Verhältnissen des Gehörapparates kommt es nun zu manig- fachen Abweichungen von ‚jener „Formel“. Die hauptsächlichsten derselben sind, abgeseben von der einfachen Hyperästhesia acustica, bei der schon sehr wenig Elemente einen präcisen Ton hervorrufen, und einer Hypaesthesia acust, bei der sehr starke Ströme zur Erzeugung eines Tones erforderlich sind, 1) eine qualitative Umwandlung, indem ausser bei Ka.8, Ka.D und An.O, auch bei An.S, An.D und (selten) Ka.O Geräusche resp. Töne entstehen; 2) eine Umkehrung der ganzen Formel, indem Geräusche oder Töne bei An.8, An.D und Ka.O, nicht aber bei Ka.S, Ka.D und An.O vernommen werden; und 3) eine sog. „paradoxe‘“ Reaction,

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bei der auch in dem nicht gereizten Acusticus Töne ausgelöst werden: wenn das rechte Ohr z. B. der elektrischen Einwirkung ausgesetzt ist, so entstehen folgende Erscheinungen (die in praxi indess vielfachen kleinen Abweichungen unterworfen zu sein pflegen):

Rechtes Ohr. Linkes Ohr.

Ka.S: Ton Nichts Ka.D: Ton OO Nichts Ka.0: Nichts Ton > An.S: Nichts Ton An.D: Nichts Ton & An.0O: Ton > Nichts.

Buccola hat nun 53 verschiedene Geisteskranke aus der Münchener Irrenklinik auf die Regction ihrer Gehörnerven untersucht. Auf Grund seiner sehr reichhaltigen Beobachtungen ist er zu folgenden Hauptresultaten gelangt.

1) Der normale Ablauf der Reactionsformel ist bei Geisteskranken im Allge- meinen selten.

2) Bei Geisteskranken mit Gehörshallucinationen kommen fast constant und gewöhnlich sogar sehr bedeutende Abweichungen von der Norm vor; nur in einem einzigen Falle von hallucinatorischer Verrücktheit ergab die Untersuchung die nor- male Reaction, aber auch hier war wenigstens eine Hyperästhesie des Acusticus zweifellos. Es scheint daher der wichtige Schluss gerechtfertigt, dass allen hallu- cinatorischen Zuständen im Acusticus eine functionelle Störung des Gehörapparates zu Grunde liegt.

3) Es gelingt in manchen Fällen, vorwiegend wieder bei Individuen mit Paranoia, durch galvanische Reizung des Acusticus, aber ohne deutlichen Zusammenhang mit der Stärke und der Richtung des Stroms, klare und präcise Hallucinationen auszu- lösen, ganz im Sinne der Tamburini’schen Theorie über deren Entstehung.

4) Was endlich die Beschaffenheit der gefundenen Abweichungen von der normalen Formel betrifft, so sind bei weitem am häufigsten hyperästhetische Zustände des Acusticus mit qualitativen Differenzen; einige Mal konnte auch eine vollständige oder theilweise Umkehrung der Formel beobachtet werden. Die paradoxe Reaction trat bei 2 Individuen mit hallucinatorischer Paranoia ein. Bei 3 Individuen, 2 mit Epi- lepsie und 1 mit Dementia senilis, bestand eine Unerregbarkeit des Acusticus, selbst bei Einwirkung sehr starker Ströme, und in 2 anderen Fällen bewirkten schon sehr schwache Ströme derartige Nebenerscheinungen, dass auf die Erzeugung von Acusticus- reactionen verzichtet werden musste; es handelte sich beide Male um frische Melan- cholien, bei denen die allgemeine Hyperästhesie leicht erklärlich ist. Zum Schluss sei noch erwähnt, dass fast pathognostisch für Paralyse der frühe Eintritt auffallend heftiger Schwindelerscheinungen bei Acusticusgalvanisation zu sein scheint.

Sommer.

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4) Experimental production of Chorea. ('Ihe Lancet. 1885. Vol. I. p. 985.)

In der Royal medical and chirurgical Society of London hielt Dr. Angel Money einen Vortrag über experimentelle Erzeugung der Chores durch Capillarembolie. Benutzt wurden Kaninchen, Meerschweine, Katzen, Hunde. Das Injectionsmaterial war Arrow-root, Kartoffelstärke, Carmin. Das bemerkenswertheste Resultat war, dass bei Verstopfung der Capillaren des Rückenmarks (vor allem des oberen Theiles) un- willkürliche, den bei Chorea vorkommenden völlig gleiche Bewegungen erzeugt wurden, dass dagegen bei fast allen Gehirnembolien eine Art „uncontrolirbarer“ Bewegung entstand, die sich entfernt der Chorea anschliessen könnte. Bei den Versuchsthieren war die Reflexaotion im Rückenmark erhöht; ferner traten bei ihnen spinale und

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Gesichtslähmungen ein. Die Temperatur war immer erniedrigt. Die Capillarembolie ergab keine mikroskopische, geschweige denn makroskopische Läsion. RBuhemann.

Pathologische Anatomie.

6) Die pathologisch - anatomischen Veränderungen etc. an hungernden Kaninchen, von Ochotin. (Dissertation. St. Petersburg 1885. Russisch.)

Von den mannigfaltigen Untersuchungen des Verf, die hauptsächlich für die allgemeine Physiologie und Pathologie Bedeutung haben, sind hier nur die das Nerven- system betreffenden zu referiren. Er untersuchte Gehirn und Rückenmark hungernder Kaninchen in verschiedenen Stadien des Hungerzustandes. Letzteren theilt er in 4 Perioden, gemäss dem betreffenden Gewichtsverlust des Körpers. Die Beschreibung der mikroskopischen Veränderungen, die Verf. an zu Tode gehungerten Thieren im Nervensystem fand, stimmte vollkommen mit den Angaben früherer Autoren über diesen Gegenstand überein (vgl. die Mittheilungen des Referenten im Neurolog. Cen- tralblatt. 1883. Nr. 15 und Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, Archiv für Psychiatrie. XVI. H.1). Ganz die nämlichen degenerativen Veränderungen, nur mit geringerer Intensität ausgedrückt, konnte Verf. auch an solchen Kaninchen constatiren, die in früheren Stadien des Verhungerns zum Zweck der Untersuchung getödtet wurden sogar schon zu einer Zeit, wo der Gewichtsverlust des Körpers nur 10°/, betrug. Hierdurch ist der directe Gegen- beweis geliefert gegen die Behauptung, dass die durch Verhungern bewirkten Textur- veränderungen der Nervencentren sich erst kurz vor dem Tode einstellen.

P. Rosenbach.

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6) Becherches sur l’anatomie pathologique de la sclörose en plaques et 6tude comparative des diverses variötes de sclöroses de la moelle, par Babinski. (Archives de physiologie norm. et path. 1885. 15. Fövrier. "No. 2. p. 186.)

Aus seinen Untersuchungen an erhärteten und nach verschiedenen Methoden (Pikrocarmin; Eosin und Hämatoxylin etc.) gefärbten Rückenmarken gelangt B. zu folgenden Schlussfolgerungen: Das gewöhnliche Ausbleiben secundärer Degenerationen bei der herdweisen Sclerose steht nicht im Widerspruch mit dem Waller’schen Gesetz, rührt vielmehr daher, dass in den scolerotischen Herden die Axencylinder in der Regel erhalten bleiben. Wo dies ausnahmsweise nicht vollständig der Fall ist, da entwickeln sich gerade ebenso wie bei anderen Degenerativerkrankungen der Nervencentren secundäre Degenerationen, deren Intensität der Menge unterge- gangener Axencylinder proportional ist. Das Zugrundegehen der Markscheiden bei der herdweisen Sclerose ist nicht ein mechanischer Hergang (von Compression der Nervenröhren durch neugebildetes Bindegewebe abhängig), sondern vielmehr ein „vitales Phänomen“ und entspringt vorzugsweise aus der nutritiven Thätigkeit der Neurogliazellen und lymphatischen Zellen. Die Art der Degeneration der Nerven- röhren (ähnlich der im centralen Stumpf eines durchschnittenen Nerven in der Nähe der Schnittstelle), die Persistenz einer grossen Anzahl blossgelegter Axencylinder, die Intensität der Veränderungen in den Gefässwandungen, der oft völlige Schwund des Myelins im Centrum der Sclerose-Inseln bilden histologisch betrachtet die wesent- lichen Züge der „diffusen Sclerose“ (sclörose en plaques). Die Art der Degeneration in den Nervenröhren (analog der im peripherischen Theil durch- schnittener Nerven), die Abwesenheit freiliegender Axencylinder, die geringe Intensität der vasculären Veränderungen, die Persistenz einer grossen Anzahl markhaltiger Röhren charakterisiren dagegen die secundäre Systemsclerose in entscheidender

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Weise. Durch das mögliche Erhaltenbleiben einer gewissen Anzahl blossgelegter Axencylinder, durch die Intensität der Gefässalteration, durch den meist völligen Schwund des Myelins in den sclerosirten Strängen nähert die Tabes-Sclerose sich histologisch mehr der Sclörose en plaques, als der secundären Sclerose.

A. Eulenburg.

Pathologie des Nervensystems.

7) Commotion de la moölle &piniöre, par Dumö6nil et Petel de Rouen. (Arch. de Neurol. 1885. IX. No. 25 et 26.)

Die Frage nach den durch Erschütterung des Rückenmarks hervorgegangenen Störungen war bisher eine besonders schwierige durch das Fehlen einer genügenden pathologisch-anatomischen Grundlage. Neuerdings sind Ataxie und Muskelatrophien als Folgeerscheinungen der Rückenmarkserschütterung anerkannt; es finden sich all- mählich auch positive Befunde bei der Autopsie, welche auf die ganze Lehre ein neues Licht zu werfen geeignet sind.

Die Verfi. wollen als Bückenmarkserschütterung im engeren Sinne nur solche Fälle gelten lassen, in denen ein mechanischer Insult das Bückenmark getroffen hat, ohne dass herdweise Läsionen entstanden sind, und in denen die unmittelbar (primär) eingetretenen Functionsstörungen nicht von erkennbaren Structurveränderungen begleitet sind. Von besonderer Wichtigkeit sind die secundären Veränderungen, deren Bedeutung oft die der unmittelbaren Folgen bei weitem übertrifft. Sie beschreiben ausführlich einen derartigen Fall (bei dessen Beurtheilung nur der Umstand einige Unsicherheit zu erzeugen geeignet ist, dass, obwohl der Sturz mit dem Kopf voran geschehen und auch eine, freilich kurze, Bewusstlosigkeit gefolgt war, von den Er- scheinungen von Seiten des Gehirns nicht mehr die Rede ist, wie denn auch in dem Sectionsbericht, in welchem sich u. A. die Degeneration der Pyramidenbahnen findet, das Verhalten des Gehirns gar nicht erwähnt wird. Ref.] Die klinischen Erschei- nungen 8. im Original; verschiedenartige Lähmungs- und Reizungszustände, Muskel- rigidität, Contracturen, trophische Störungen der Muskeln, Tod am 197. Tage nach dem Sturz an Marasmus (Decubitus, Pyelo-Nephritis, Cystitis). Bei der Autopsie fand sich der Wirbelcanal intact, die Meningen des Rückenmarks desgleichen, das Bückenmark selbst gut consistent, etwas „congestionirt‘“ in der Cervicalgegend. In der oberen Partie des Dorsalmarks liessen die Schnitte ein Eingesunkensein des Vorderhorns erkennen. Mikroskopisch fand sich beginnende Sclerose des Seiten- strangs (Pyramidenbahn), granulöse Degeneration der motorischen Vorderhornzellen im Dorsalmark. | Bei der nun folgenden Kritik der Literatur unterscheiden die Verff. 4 Categorien von Fällen: 1) solche, in denen die anatomische Untersuchung bald nach dem Un- fall keine erkennbare Veränderung des Organs bietet, 2) solche, in denen man cir- cumscripte Läsionen findet, welche aber weder die Art noch die Stärke der Symp- tome erklären, 3) solche, bei denen die spätere Untersuchung nur secundäre Befunde zeigt, 4) solche ohne Autopsie, welche klinisch in die vorige Categorie gehören. In den Gruppen 3 und 4 findet man die consecutiven Muskelatrophien, Bulbärpara- lysen, secundären Degenerationen. Auch Ataxie (Tabes) kann Folgeerscheinung sein. Man muss eben annehmen, dass die secundären Veränderungen einmal diese, andere- male jene Elemente des Rückenmarks ergreifen. Siemens.

8) A case of painful paraplegia.. Death. Autopsy revealing sarcoma of the vertebral, by G. H. K. Kemper, Muncil. Indiana. (Journal of nerv.

and mental disease. 1885. p. 9.) Verheirathete Frau von 44 Jahren; 3 Kinder. Aus der linken Brust wurde

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vor 6 Jahren eine krebsige Geschwulst entfernt. Recidiv vor 3 Jahren, zu welcher Zeit die ganze Brust amputirt wurde. Bald nachher wurde eine deutliche Prominenz über dem 8. und 9. Dorsalwirbel bemerkbar. Beschränkte Beweglichkeit der Beine; Arme leicht beweglich; lag immer auf dem Rücken. Active Bewegungen des Kopfes unmöglich; bei passiven Bewegungen grosse Schmerzhaftigkeit. Sie klagte über ein Gefühl, als ob die Eingeweide aus der Bauchwand herausfallen würden. Der Schmerz, der über der rechten Schulter, den Intercostalräumen beiderseits und in den Lenden am quälendsten war, und sich später über die ganze rechte Seite des Körpers er- streckte, war das Hauptsymptom der Erkrankung.

Die Diagnose, die zuerst auf spinale Irritation gestellt wurde, lautete jetzt: Allmähliche Compression des Rückenmarkes durch eine krebsige Geschwulst der Wirbel.

3 Monate vor dem Tode motorische und sensible Störungen in beiden Beinen, im Körper und im rechten Arm besonders deutlich. Circa 4 Wochen später ent- wickelten sich der Reihe nach: Parese und Verlust der Sensibilität im Bereiche der Abdominalmuskeln, Tympanites, Parese der Darm- und Blasenmusculatur, Gürtelgefühl etwas oberhalb des Nabels.. Vollständige Paralyse des rechten Armes und Parese des linken Armes. Decubitus äusserst gering; starke Dyspnoö; Tod.

Die Tumormasse wurde von Milis in Philadelphia untersucht und als alveo- läres Sarcom diagnosticirt. Es fehlen nähere Mıehailungen über das Verhalten der Meningen und des Rückenmarks. Sachs (New York).

8) A cosase of multiple tubercular tumours, one of which was situated in the left Crus cerebri and caused Paralysis of the third Nerve of that side, while another was situated in the spinal Membranes of the left side, on a level with the function of the cervical dorsal BRegions, and produced Paralysis of the motor and sensory Branches derived from the seventh and light cervical and first dorsal Nerve- roots by James Ross. (Brain. 1885. January p. 501—-509.)

Eine 24jähr. Wittwe, welche in Folge cariöser Processe seit dem 2. Lebensjahre Ankylosen des rechten Knies und Ellbogens hatte und vor 5 Jahren wegen Erkran- kung des linken Fussgelenks eine Unterschenkelamputation überstanden hatte, zeigte als erste nervöse Krankheitserscheinung 6 Monate lang hartnäckigen Hinterkopfs- schmerz, dann linksseitige Ptosis und Oculomotoriuslähmung, dann plötzlich Lähmung der linken Hand. Es entwickelte sich hier hochgradige Atrophie der Binnenmuskeln der Hand und sämmtlicher Vorderarmmuskeln mit den elektrischen Erscheinungen der partiellen Entartungsreaction mit alleiniger Verschonung des Supinator longus. An der Innenseite des linken Oberarms und in der Ulnarisverbreitung im Vorderarm bestand Anästhesie. Später Blasenstörungen, Deglutitionsbeschwerden. Die Obduction ergab keinerlei Tuberculose der Lungen, dagegen einzelne Miliartuberkel in den Fossae Sylvii, einen Tuberkel von mehr als Erbsengrösse im linken Grosshirnschenkel. (Die mikroskopische Untersuchung ergab hier mehrere Tuberkel, von denen der eine die Oculomotoriusfaserung nach ihrem Austritt aus dem Hirnschenkel durchsetzte), einen (symptomlosen) Tuberkel im rechten Hirnschenkel, und verschiedene tuberculöse Ge- schwulstbildungen in den Rückenmarkshäuten, von denen eine zwischen dem 2. und 3. Cervicalnerven rechts keine erkennbaren Erscheinungen gemacht hatte, während die linksseitige Armlähmung durch eine tuberculöse Auflagerung von der Höhe des 7. Halsnerven bis 1. Dorsalnerven erklärt wurde, welche nach der mikroskopischen Untersuchung sowohl die vordern als hintern Wurzeln dieser 3 Halsnerven einge- schlossen hatten. Verf. hatte diese letztere Localisation des Processes aus der spi- nalen Lähmungslocalisation intra vitam' diagnosticirt, für welche der Fall verwerth- bar ist. E. Remak.

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10) Kakke-biori-shinsa, von Dr. Harada. (Kan-po dai 337. Kigen 2544.)

Von den 2 Kakke-Leichen (subacute Form), welche Verf. untersucht hat, will er nur Wichtiges hervorheben.

Haut stark Ödematös, besonders am Rücken. Muskel auch etwas Öödematös. In der Pericardial-, Pleural- und Peritoneal-Höhle Ansammlung von seröser Flüssigkeit. Rechte Ventrikel des Herzens erweitert, Musculatur stark verfettet, ebenso Papillen und Trabekeln; Endocardium mit zahlreichen Blutpünktchen versehen. Lunge hyper- ämisch, ödematös. Magen und Gedärme venös hyperämisch, zahlreiche Blutungen daselbst, besonders in der Magenschleimhaut. Leber ebenso venös hyperämisch, ver- grössert, ebenso Nieren und Milz; letztere dunkel, weich. Hirnhäute venös hyper- ämisch, Pia ödematös. In den Hirnventrikeln massenhafte Ansammlung seröser Flüssigkeit. Bückenmarkshäute mit stark geschlängelten, überfüllten Gefässen ver- sehen; Vermehrung der Spinalflüssigkeit.

Mikroskopische Untersuchung. Muskelfasern des Herzens verfettet, An- sammlung der Fettzellen in den verschiedenen Stellen, theilweises Verschwinden der Querstreifung. Diese Veränderungen sind besonders deutlich an der Hälfte des Herzens, zugleich mit der Verdünnung einzelner Muskelfasern, aber keine Vermeh- rung der Kerne in den interstitiellen Geweben. In den Papillen und Trabekeln ähnliche Veränderungen. Pericardium mit kleinen überfüllten Gefässen versehen; um diese herum Ansammlung zahlreicher Kerne. Ferner an einzelnen Stellen Extra- vasate in den Geweben. Endocardium und Klappen fast normal. Das Blut aus dem rechten Ventrikel ünd V. jugularis normal, keine Vermehrung der weissen Blut- körperchen. An den Nieren Ueberfüllung der feinen Gefässe, Epithelien der Harn- canälchen angeschwollen, getrübt und dadurch hier und dort Verengerung der Canälchen, ferner Verstopfung derselben mit den eiweissähnlichen Substanzen. An der Leber fettige Infiltration der Zellen.

Wadenmuskel: Verschwinden der Querstreifung mit Erhaltung des Längs- streifens, .oder blasse Färbung der Fasern mit eben solchen Veränderungen, oder abnorm starke Verdünnung der Fasern und häufig Verschobensein der Muskelsub- Stanzen innerhalb der Sarcolemma, welche zahlreiche rundliche oder elliptische Kerne besitzen, mit den abnorm verdickten Fasern gemischt, und mit den vermehrten inter- fibrillären, kernreichen Bindegewebe versehen sind. Alle diese Veränderungen be- sonders deutlich um die Gefässe. Auch im Perimysium int. Kernvermehrung, beson- ders um die Gefässe.. Auf dem Querschnitt der Muskeln sind die Fibrillen sehr ungleich; einige sehen granulirt aus. Dieser Befund beinahe ebenso in allen Muskeln des Unterschenkels, aber an der Oberschenkel-, Bauch- und Armmusculatur nicht so ausgesprochen, an Rücken- und Halsmuskeln kaum wahrnehmbar.

Gehirn normal, Hirnnerven ausser capillärer Hyperämie normal.

Rückenmark. Gefässe stellenweise aufgebaucht, Verdickung der Intima an dieser Stelle mit rundlichen Zellen, Media und Adventitia normal. Rückenmarks- substanz sehr undeutlich durch eine fibrinöse Exsudation; Ganglienzellen in den Vorderhömern atrophisch, rund oder unregelmässig geformt, granulirt, mitunter ohne Kern, Fortsätze oft auffallend dünn. Epithel des Centralcanals gewuchert, in der Umgebung rundliche Zellen. Alle diese Veränderungen sind deutlich unterhalb des Dorsalmarks, besonders in der Lendenanschwellung. Oberhalb des Halsmarks und in der Medulla oblongata fast normales Verhalten. Wurzel und Intervertebralganglien normal.

Die Nerven der unteren Extremität zeigen Vermehrung des Bindegewebe im Epi- und Endoneurium. Gefässe dickwandig mit dem verengerten Lumen, oder hyperämisch mit der Erweiterung. Nervenfaser sehr unregelmässig, entweder auf- gequollen und oft granulirt, oder atrophisch, Axencylinder oft sehr dünn. Dieser Befund sehr deutlich im peripherischen Theil des Tibialis und Peroneus, weniger im

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ischiadicus und Cruralis. Ferner deutlich im N. renalis und Vagus (besonders in den Rami cardiaci und gastrici), undeutlich im Phrenicus und Sympathicus. In den Halsganglien des Sympathicus kleine granulirte Zellen, oft ohne Kern.

Die aus der inneren Seite der unteren Extremität genommene Haut leicht ver- dickt, hyperämisch, Lymphräume stark erweitert, mit Rundzellen überfüllt, Schweiss- drüsen mitunter doppelt so gross, als normal. Sakaky.

11) Les növrites periphöriques, par G. H. Roger. (L’encöphale. 1885. No. 2.)

Verf. bespricht die klinischen Bilder, welche hervorgebracht werden durch die Affection des peripherischen Nervensystems, die Polyneuritis, welche Affectionen der Medulla vortäuschen kann. Zuerst wendet sich R. der localisirten Neuritis zu, der traumatischen sowie der nach Infectionskrankheiten auftretenden, welche trophische Störungen und Lähmungen erzeugen kann, ohne dass die Medulla irgendwie in Mit- leidenschaft gezogen wäre, so können auch bei Hautaffectionen Eczemen, Pemphigus, Herpes zoster, ja selbst Gangrän die Rückenmarksganglien völlig unbetheiligt sein, oder bei centralwärts fortschreitender Neuritis eine nur secundäre Affection zeigen.

In den Fällen, wo gleichzeitig periphere Nervenaffectionen und Veränderungen der Medulla vorhanden, ist die Unterscheidung natürlich schwer, bisher hat man der centralen Affection fast die ausschliessliche Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl in vielen Fällen der Krankheitsverlauf bewies, dass die Affecetion von der Peripherie zum Centrum aufgestiegen war. Hierher gehören viele Fälle der sogenannten Lan- dry’schen Paralyse, über welche eine reiche Literatur angeführt ist, hierher auch die von Duchenne unter den Namen „Paralysie gönsrale spinale subaigue‘‘ und „Para- lysie diffuse“ beschriebenen Fälle Als hierher gehörig führt Roger ausser andern mehrere Beobachtungen von Eisenlohr und Leyden an, in denen bei aufsteigender Muskelatrophie und Lähmung die hauptsächliche Läsion in den peripheren Nerven- stämmen gefunden wurde.

Der gewöhnliche Verlauf der Affection ist nach Roger folgender: Brüsker An- fall von heftigen Schmerzen in den Extremitäten, und zwar meist zuerst in den unteren, oft unter heftigem Fieber, danach folgen alsbald Lähmungserscheinungen, doch fehlen Contracturen, die Sehnenreflexe erscheinen abgeschwächt oder aufgehoben, die Hautreflexe verhalten sich verschieden; während die gelähmten Muskeln sehr schnell atrophiren, folgt auf die anfängliche Hyperästhesie meist bald Anästhesie, Druck auf die afficirten Nervenstämme aber erzeugt lebhaften Schmerz, die elek- trische Erregbarkeit der gelähmten Muskeln ist meist vermindert. Intellectuelle Störungen fehlen. Der Ausgang ist meist günstig, es folgt völlige oder doch theil- weise, aber langsame Heilung, tritt der Tod ein, so geschieht es unter pseudobul- bären Erscheinungen durch Asphyxie.

Veränderungen in der Medulla oder den spinalen Meningen sind dabei nur mögliche secundäre Complicationen, während man sie früher als die ausschliesslichen Träger der Störungen ansah. Die klinische Unterscheidung der diffusen Polyneuritis von der diffusen Myelitis ist oft sehr schwierig, Fehlen der visceralen Störungen ist das wichtigste Argument, um die Affection in die Peripherie verlegen zu können.

Die Aetiologie der Polyneuritis diffusa ist sehr dunkel, Westphal weist der Infection eine wichtige Rolle zu, Roger macht auf die häufige Coineidenz zwischen Tuberculose und peripheren Neuritiden aufmerksam. Die zahlreich angeführten Be- obachtungen müssen im Original nachgelesen werden. Zander.

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12) Osteokopische Neurosen, von Dr.L. Mean, Oeynhausen-Rehme. (Deutsche med. Wochenschr. 1885. Nr. 16.)

Verf. theilt 10 Fälle, in welchen jahrelang, einmal sogar bis zum Tode, sehr heftige, an bestimmten Theilen des Skelets localisirte Schmerzen auftraten. Beim Fehlen aller entzündlichen oder anderen ätiologischen Erscheinungen einerseits, dem remittirenden, paroxysmenartigen Charakter andererseits glaubt Verf. sie für Neural- gien halten zu müssen; alle weiteren sensiblen oder motorischen Störungen fehlten. Der Ort der Schmerzen waren theils die Metatarsalknochen und die Tibia, theils das Os ilium und die Clavicula, endlich auch die Wirbelsäule.

Alle Patienten waren Frauen, meistens blutarm, zum Theil an Spitzencatarrh leidend.

Das Leiden war immer sehr hartnäckig, doch wurden einige Fälle in Oeyn- hausen geheilt. Hadlich.

13) Ein Fall von ischämischer Muskellähmung und Muskelcontractur in Verbindung mit Sensibilitätsstörungen, von Dr. C. Sonnenkalb in Zwickau. (Deutsche med. Wochenschr. 1885. Nr. 17.)

Einem Arbeiter war wegen einfacher Fractur des Humerus am 5. September 1884 ein Schienenverband angelegt und dabei der Vorderarm bis zum Handgelenk mit Binden (zu fest) gewickelt. Bald darauf trat Anschwellung der Hand, Taubsein, aber nur unerhebliche Schmerzen ein. Am andern Tage wurde zwar der Verband abgenommen, aber der Vorderarm zeigte Blasenbildung und seine Musculatur war bretthart; der Verband lag dann im Ganzen 3 Wochen, der Arm später noch in der Mitella, er blieb ohne Gefühl und Bewegung. Am 3. December oonstatirte S., dass Vorderarm und Hand unbeweglich waren (Ellenbogengelenk frei); die Hand, in 150° zum Vorderarm, hatte Krallenstellung, die Sehnen der Beugemuskeln waren vollkom- men unelastisch und verkürzt. Die Musculatur am Vorderarm steinhart, besonders die Beuger. Die Hautsensibilität der Hand war vollkommen aufgehoben, die des Vorderarms dagegen vollkommen erhalten. Der faradische Strom löst auch in grösster Stärke am Vorderarın keine Zuckung aus, der galvanische nur eine minimale. The- rapie: Bäder, Massage, passive Bewegungen. Nach 4 Wochen (6. Januar 1885) war die Sensibilität der Hand wieder zurückgekehrt; am 21. Februar die Gelenke der Hand und der Finger passiv gut beweglich, activ nur sehr mangelhaft, besonders war die Streckung kaum möglich; auch waren die Beugemuskeln (resp. deren narbig geschrumpftes Gewebe) hart geblieben. Hadlich.

14) Note sur quatre cas d’hyperösthösie plantaire, par Barbillon. (Progr. med. 1885. No. 19.)

Der Verf. versteht unter „Plantar-Hyperästhesie“ eine Ueberempfindlichkeit der Haut beider Fusssohlen, welche unabhängig von irgend welcher localen Erkrankung des Fusses oder von einer Allgemeinerkrankung bei kräftigen, nicht nervösen Per- sonen sich einstellt und durch die ausserordentliche Schmerzhaftigkeit, die besonders tactile Reize bei solchen Kranken hervorrufen, das Gehen und Stehen beschwerlich, resp. unmöglich macht. Nur in einem einzigen von den vier mitgetheilten Krank- heitsfällen war die Aetiologie für die genannte Affection darin zu suchen, dass der Pat., ein Iaadendiener, von früh bis abends zu stehen gezwungen war. Die übri- gen 3 Patienten verdanken, wie B. meint, ihre Plantarhyperästhesie verschiedenen Ursachen: Zwei davon bekamen nämlich das Leiden im Krankenhause, als sie, der Eine wegen einer gonorrhoischen Arthritis, der Andere wegen einer Bronchitis, die ruhige Rückenlage einzunehmen gezwungen waren, die zu ihrer sonstigen Beschäfti-

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gung als Ausläufer resp. Circus-Clown in grellem Contrast stand. Die dadurch gegebene Circulations- und Ernährungsveränderung in der Haut der Fusssohlen be- schuldigt B. wenigstens bei diesen beiden Kranken als Ursachen jenes schmerzhaften Leidens, während bei dem oben erwähnten Commis durch das immerwährende Stehen eine Compression der Nervenendigungen in Haut und Oberhaut stattgefunden haben sol. Der vierte Kranke litt an einer generellen Psoriasis, welche ja zu Neuralgien und Hyperästbesien der Haut in derselben Weise disponirt, wie viele andere Haut- krankheiten: die Fusssohlen waren bei diesem Pat. gerade von psoriatischen Erup- tionen immer verschont geblieben. Die Anwendung von stark wirkenden Vesica- toren, sowie der von Debove für die Behandlung der Ischias empfohlenen Kälte- mischung (Zerstäubung von Methyl-Chlorür mittelst eines besonderen Apparates) hatte sowohl in den geschilderten Fällen von primärer Plantar-Hyperästhesie, als auch bei der in Folge von Allgemein- oder Localerkrankungen eintretenden Ueberempfindlich- keit der Fusssohlen die günstigsten Erfolge. Laquer.

Psychiatrie.

15) Observation d’accds d’Hystero-Somnambulisme hallucinstoire, cons6- cutifs & l’absorption d’une dose toxique de camphre, par Planat (Annal. möd.-psychol. 1885. Mars p. 224.)

Ein im Ganzen gesunder, wie es scheint aber wohl nervöser und zur Hypo- chondrie geneigter junger Mann, welcher gelegentliche Indispositionen selbst an sich zu kuriren bestrebt war, nahm bei solchem Anlass eine Dosis von ca. 20 Gramm Campher in Stücken zu sich. Sehr bald stellte sich darauf leichtes Frösteln, so- dann eine Art Besinnungslosigkeit ein, aus welcher der Patient mit dem Ausruf, er sei verrückt, aufschreckte. Ein Arzt entfernte den Campher zum grössten Theil durch ein Vomitiv.

Nach mehrtägigem, vorwiegend gastrischem Unwohlsein konnte der Kranke seine gewohnte Beschäftigung wieder aufnehmen; aber schon nach ca. 3 Wochen stellten sich bitemporaler Kopfschmerz, Globusgefühle und allerlei hysterische Sensationen, Gedächtnissverlust, Herzklopfen und Hallucinationen ein.

Ohne Anlass wurde der Patient ängstlich oder musste abwechselnd lachen und weinen. In der Ruhelage war ein Gefühl des Schwebens sehr empfindlich; ferner stellten sich Tags wie Nachts beständig Pollutionen ohne jedes sexuelle Reizgefühl ein und wurden mannigfache Gemeingefühlsstörungen bemerkt.

Im weiteren Verlaufe traten dann Zustände von Somnambulismus auf, sodass der Patient genau den Eindruck hatte, bestimmten complicirten Vorgängen, z. B. der Sitzung einer Deputirtenkammer bei genauer Vorstellung der Oertlichkeit wie der Einzelheiten der Handlung, anzuwohnen.

Auch war es ihm möglich, die Lösung schwieriger, in seiner Gegenwart ange- regter Fragen durch eine Art Divination und in einer Weise zu lösen, welche von allen Betheiligten als die allein zulässige bezeichnet wurde.

Der Krankheitsfall endete mit Genesung.

Ueber den Causalzusammenhang zwischen der Campherintoxication und jener bizarren Krankheitsäusserung spricht der Verf. mit begreiflicher Vorsicht kein Urtheil aus, zumal nicht auszuschliessen ist, dass etwa eine „latente nervöse Diathese“ durch jene Intoxication und die Folgezustände zur Auslösung gelangte. Jehn.

16) Pachymöningite avec symptömes de paralysie gönörale, par Christian. (Annal. m6d.-psychol. Archives cliniques. p. 233.)

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Die Section zeigte in einem Falle, dass ein von Geburt schwachsinniger Mensch, welcher zugleich Trinker war, eine Reihe von Symptomen geistiger Erkrankung darbot, welche in überzeugender Weise für die Annahme der allgemeinen Paralyse zu sprechen schienen, dass diese nicht vorlag, sondern jene Symptome einer recidivirenden Pachy- meningitis zukamen. Jehn.

17) Agoraphobie, von Prof. Westphal. (Eulenburg’s BRealencyclopädie der ge- sammten Heilkunde. 2. Aufl.)

In der classischen Schilderung des von ihm zuerst 1871 beschriebenen Zu- standes erwähnt W. ein neuerdings auf seiner Klinik beobachtetes Symptom: Bei einem Kranken nämlich, der u. A. auch einen gewissen Grad concentrischer Einengung des Gesichtsfeldes darbot, constatirte man nach jedem Anfall von Agoraphobie eine beträchtliche Mehreinengung des Gesichtsfeldes, die alsdann allmählich wieder ver- schwand.

Den Ausdruck „Platzschwindel“ verwirft W.; es handele sich eben überhanpt nicht um Schwindel, geschweige denn um einen „durch Schwäche in der Convergenz- fähigkeit und in dem Seitenblickvermögen“ entstehenden Schwindel, wie ohne jeden zureichenden Grund und den einfachsten Thatsachen geradezu widersprechend be- hauptet worden ist.

Der Vorgang bei der Entstehung der Platzfurcht ist als ein rein psychischer aufzufassen.

Die Platzfurcht kann für sich allein oder mit anderen Störungen des Nerven- systems combinirt auftreten; sie kann, obwohl sie etwas von der Hypochondrie ganz Verschiedenes ist, unter Umständen einmal innerhalb eines hypochondrischen Zu- standes als Nebensymptom auftreten; sie ist auch bei Epileptischen beobachtet, steht aber mit der Epilepsie deshalb nicht in engerem Zusammenhang, weil die Mehrzahl der an Platzfurcht Leidenden frei von Epilepsie ist. Mit dem Magenschwindel (Trousseau), dem Dö6lire ömotif Morel’s, auch mit den im engeren Sinne soge- nannten Zwangsvorstellungen ist sie nicht identisch.

Die Prognose ist in vielen Fällen günstig, doch sind Recidive nicht selten, und manchmal bleibt die Krankheit während des ganzen Lebens bestehen. Die Be- handlung muss tonisirend sein (Kaltwasserbehandlung). Bromkalium hat zuweilen Erfolg. Sehr wichtig ist die psychische Einwirkung des Arztes. Vorübergehend vortrefflich wirksam sind gewöhnlich alkoholische Getränke.

In den neuerdings beschriebenen Fällen von Clitrophobie und Claustro- phubie (Angst bei geschlossenen 'Thüren oder Fenstern) handelt es sich nach W. wahrscheinlich ‚um analoge Zustände, wie bei der Agoraphobie.

Dagegen gehört die Mysophobie und Toxiphobie (Furcht vor Beschmutzung, Vergiftung) u. s. w. zweifellos in eine andere Categorie, weil es sich bei diesen Zuständen um das primäre Auftreten gewisser Vorstellungen (Zwangsvorstellungen) handelt, welche erst secundär Angstzustände erzeugen. Hadlich.

18) La ruminasione nella specie umans, per il dott. G. Cantarono. (La Psichiatria ecc. 1885. p. 243.)

Nach einer sehr ausführlichen Angabe der Literatur über das Vorkommen des Wiederkäuens beim Menschen theilt Verf. selbst nmeun eigene Beobachtungen mit, die er bei genauerer Untersuchung unter den Insassen einer Irrenanstalt, der zu Neapel, aufgefunden hat. Unter ca. 400 männlichen Irren traf er 9 Wiederkäuer, gleich 2,125°/, und unter 300 Frauen keine einzige. Auch die früheren Schriftsteller haben das auffallend seltene Vorkommen der Ruminstion bei Frauen beobachtet: von

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69 mehr oder weniger genau beschriebenen Fällen kommen nur 5 auf das weibliche Geschlecht; ob freilich der vom Verf. angedeutete Hinweis auf den bei Frauen stärker entwickelten Sinn für das „Schöne“ genügen wird, um bei ihnen die Seltenheit des unästhetischen Wiederkäuens zu erklären, scheint fragwürdig. Weibliche Verblödete, um die es sich ja in den neueren Beobachtungen wenigstens vorwiegend handelt, „verthieren‘“ nach unseren Erfahrungen in höherem Grade als männliche.

Im Allgemeinen sind es vorwiegend Demente und Idioten, die wiederzukäuen vermögen und die es lieben; doch sind besonders aus der älteren Literatur nicht wenige Fälle bekannt, in denen der Geisteszustand der „Merycisten‘‘ als normal be- zeichnet wird. In 22 Fällen war der Zeitpunkt, in welchem zuerst das Wieder- käuen beobachtet worden war, genauer angegeben: 6 Individuen ruminirten seit dem ersten Lebensjahr, 3 seit dem ersten Lustrum, 6 seit dem zweiten Lustrum; bei 4 wurde das Wiederkäuen erst in den 20er Jahren und bei 3 sogar erst in den 30er Jahren auffällig. Bei den 9 neuen Fällen Jdes Verf. konnte keinmal mit Sicherheit der Beginn der Rumination angegeben werden; ihr geistiger Zustand war 4 mal Idiotie, 2 mal Imbecillität und 3 mal tiefster Blödsinn, ohne entscheiden zu können, ob es sich in diesen letzteren Fällen um einen angeborenen oder erworbenen handle. In einigen, besonders in älteren Fällen wird das Wiederkäuen als erblich in der betroffenen Familie bezeichnet; in einigen anderen Fällen hat man es zweifel- los mit einer üblen Angewohnheit zu thun, die durch „Imitation‘“ weiter verbreitet worden ist, so einmal von einer Gouvermante auf ihre beiden Zöglinge. Sonst wer- den im Allgemeinen eine abnorme Gefrässigkeit oder bedeutende Zahndefecte als mögliche Veranlassung zum Merycismus erwähnt, beide mit Rücksicht auf die grossen Bissen, die aus Mangel an Zeit oder an Fähigkeit zum masticatorischen Zerkleinern unzertheilt in den Magen gelangen und sich nun in ihrem relativ unverdaulichen Zzu- stande daselbst anhäufen.

Durch leichte Würgebewegungen werden sie von Zeit zu Zeit in den Mund zurückgetrieben und unter normalen Verhältnissen ausgespieen; nur ausnahmsweise und besonders bei hochgradig verblödeten Individuen, die sich nur noch ein gewisses excessives Hungergefühl bewahrt haben, kommt es dann zu einem behaglichen Wieder- käuen und Wiederverschlingen. Gerade das subjective Wohlbehagen an diesem sonst, so widerlichen Process wird als charakteristisch zu betrachten sein. In allen Fällen, die der Verf. selbst beobachtet hat, genügten ganz oberflächliche Contractioneu der Bauchpresse, um den Mageninhalt in den Mund zu treiben; niemals war irgend eine Anstrengung dazu nöthig oder machte sich eine unangenehme Empfindung oder eine Collapsandeutung dabei bemerkbar.

Die Ernährung war im Allgemeinen eine gute; einzelne Merycisten befanden sich allerdings in einem reducirten Ernährungszustande und fast die Hälfte litt an Diarrhoe. Das Wiederkäuen begann gewöhnlich schon einige Minuten, seltener erst !/, Stunde nach der Beendigung der letzten Mahlzeit und schien stets ein vollstän- diges zu sein, d. h. es wurde Alles, flüssige wie feste Nahrungsmittel, ruminirt; es existiren übrigens einige Beobachtungen, nach denen z. B. nur die Flüssigkeiten jenem Processe unterworfen zu werden pflegen.

In einigen Fällen hörte das Wiederkäuen mit dem höheren Alter auf; in einem trat eine spontane „Heilung“ ein und einmal soll eine solche unmittelbar nach dem ersten Coltus beobachtet worden sein.

Zum Schluss sei noch erwähnt, dass Verf. fast in allen seinen Fällen eine be- deutende Asymmetrie des Schädels und zwar in der Weise, dass die linke Hälfte in sagittaler Richtung nach hinten verschoben erschien, beobachtet hat. Sommer.

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Therapie.

19) Writers cramp audits treatment with the notes of several cases, by R. P. Robins. (Journal of Amer. med. sciences. 1885. April. p. 452.)

Verf. bespricht den Schreibekrampf und ähnliche functionelle Störungen. Statt der üblichen Bezeichnungen Schreibekrampf, Schusterkrampf etc. spricht er der von Dr. Poore empfohlenen Bezeichnung, „progressive functional ataxy“, das Wort. R. neigt sich der Ansicht, dass es sich in diesen Fällen um eine centrale Erkrankung handelt; den eigentlichen Sitz dieser Läsion aber genauer zu definiren, hält er für unmöglich. Es werden mehrere recht belehrende Fälle mitgetheilt. Hält der Krampf längere Zeit an, so werden die Bewegungsstörungen entweder spastischer, zitternder, oder paralytischer Natur. Was die Behandlung nun betrifft, so stellt Verf. ab- solute Ruhe oben an; nächstdem Massage nach Wolff’scher Methode (die neuerdings auch de Watteville stark empfohlen hat); schliesslich empfiehlt er den schwachen constanten Strom und zwar so, dass die Nerven des Plex. brachialis, hauptsächlich betroffen werden. R. spricht aber auch seine gerechten Zweifel über jede Behand- lungsmethode aus. Sachs (New York).

20) Fall af migrän behandladt med metalloterepi, medd. af gen. dir. M. Huss. (Hygiea. XLVI. 10. 11. Sveriska läkaresällsk. förh. 1884. S. 184. 186.)

Ein 54jähr. Beamter, der in Folge von Ueberanstrengung an heftigem nervösen Kopfschmerz litt, gegen den verschiedene Mittel ohne Erfolg angewendet worden waren, brachte während eines derartigen Anfalls durch Zufall einen eisernen Feuer- haken in Berührung mit seinem blossen Arme und verspürte schon nach wenigen Secunden Linderung des Kopfschmerzes, als er nun noch ein Eisenstück in die andere Hand nahm, fühlte er, wie der Kopfschmerz noch mehr abnahm, und nach 5 Minuten war er ganz beseitigt. Er wiederholte das Experiment und fand, dass der Kopf- schmerz stets verschwand, namentlich wenn er das Eisen mit dem Nacken in Be- rührung brachte.

Bei einem andern Kranken brachte Anlegung von Eisen an die Arme ebenfalls Linderung gegen Abends auftretenden Kopfschmerz und dadurch bedingte Schlaf- losigkeit.

Ein Analogon hierzu bildet ein von Dr. Anton Bergh (a. a. O. S. 182) er- wähnter Fall, in dem nach Anwendung eines eisernen Stützapparates eine schon lange bestehende Lähmung des betreffenden Beines heile. _ Walter Berger.

IV. Bibliographie.

„Neomalthusianismus“ im Zusammenhange mit Nervosität und Hysterie. Referat über die hierbergehörige neuere Literatur von Prof. A. Eulenburg.

Literatur: a) ärztliche.

Prof. Dr. Alois Valenta (Laibach), Ueber den sogenannten Coitus reservatus als eine Hauptursache der chronischen Metritis und der weiblichen Ner- vosität. Memorabilien. XXV. Jahrg. 11. Heft. (1880.)

Sanitätsrath Dr. Panthel (Ems), Der Neo-Malthusianismus. Ibid. XXVI. Jahrg. 2. Heft. (1881.)

Dr. G. Stille, Der Neo-Malthusianismus, ein offener Brief an Herrn Dr. Panthel in Ems. Ibid. XXVI. Jahrg. 8. Heft. (1881.)

Dr. E. Bergeret, Des fraudes dans l’accomplissement des fonctions gönsra- trices. Paris 1881.

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Geh. Medicinalrath Dr. C. Mettenheimer (Schwerin), Ueber den sog. Neo- Malthusianismus. Memorabilien. XXVIII. Jahrg. 1., 2. u. 3. Heft. (1883.)

Dr. C. Hasse, (Pseudonym für Dr. Mensinga-Flensburg), Ueber facultative Sterilität, beleuchtet vom prophylaktischeu und hygienischen Standpunkte für praktische Aerzte und Geburtshelfer. Dritte, verbesserte und vermehrte

Auflage. Neuwied 1883. Heuser’s Verlag.

(idem), Supplement zu „über facultative Sterilität“. (Das Pessarium acelusivum und dessen Application.) Dritte, verbesserte und vermehrte Auflage. Neu- wied 1883. Heuser’s Verlag.

Dr. C. Capelmann (Aachen), Facultative Sterilität ohne Verletzung der Sitten- gesetze. Siebentes Tausend (bei dem fünften Tausend umgearbeitet). Aachen 1884. Rudolf Barth.

G. M. Beard, Die sexuelle Neurasthenie. Herausgegeben von A. D. Rockwell. (Deutsche Ueberseizung. Wien 1885.)

b) nichtärztliche,

Annie Besant, The law of population, its consequences and its bearing upon human conduct and morals. (Ninetieth thousand.) London 1884. Free- thought publishing company. 63 Fleet Street.

Hans Ferdy (Pseudonym), Der Malthusianismus in sittlicher Beziehung. (Für Aerzte und Laien.) Neuwied 1885. Heuser’s Verlag.

Die erste Frage, die sich zahlreichen Lesern der Ueberschrift aufdrängt, ist vielleicht die, was „Neomalthusianismus“ sei, die zweite, was derselbe mit der Medicin und speciell mit der Neuropathologie (resp. mit der Psychiatrie) zu thun habe. Ich werde versuchen, diese Fragen auf Grund der vorstehend angeführten Literstur der letzten 5 Jahre so kurz wie möglich zu beantworten. Aus dieser Beantwortung wird zugleich hervorgehen, ob und wie weit es für den Nervenarzt räthlich, eventuell sogar geboten ist, sich mit dem Gegenstande näher zu befassen und von der dahingehörigen ärztlichen und nichtärztlichen Literatur, sowie auch von der (bisher allerdings wesentlich auf England beschränkten) populären Agitation zu Gunsten neomalthusianischer Bestrebungen Kenntniss zu nehmen.

Die wohl für immer an den Namen des englischen Pfarrers Malthus und an dessen „Essay on the principles of population“ (London 1798) geknüpfte Bewegung hat bekamntlich zum Ausgangspunkte das sogenannte Bevölkerungsgesetz („law of population“), welches Malthus selbst dahin formulirt, dass bei allen Lebe- wesen die Tendenz vorhanden sei, sich über die Grenzen ihrer natür- lichen Subsistenzmittel hinaus zu vermehren. Innerhalb der organisirten menschlichen Gesellschaft spricht sich dieses Gesetz in einer, ausser dem Verhältniss zum Einkommen der Familie stehenden Kinderzahl aus, welche letztere sodann, in- dem sie das Gedeihen der Familie hindert, die gute Ernährung und Erziehung der Kinder selbst beeinträchtigt, überhaupt naclı der Meinung der Anhänger dieser Lehre ein wesentliches Moment in den socialen Nothständen der Gegenwart bildet. (Vgl. namentlich die oben citirte Schrift von Annie Besant, welche eine Quintessenz der in England äusserst verbreiteten, durch die Agitation des bekannten Bradlaugh und Gründung einer sogenannten Malthusian league propagirten Anschauungen über diesen Gegenstand und ihrer praktischen Nutzanwendungen darstellt.)

Um: nun diesem Uebel entgegenzuwirken, hatte schon Malthus u. A. „kluge Gewohnheiten in Bezug auf die Ehe“ empfohlen, worunter einerseits Hinausschiebung der Ehe bis zu einem die natürliche Fruchtbarkeit einschränkenden Alter und anderer- seits moralische Enthaltsamkeit verstanden wurden.

Den neueren Malthusianern erscheinen jedoch diese Rathschläge zur Hei- lung des Pauperismus als ungenügend, und was sie unter „conjugial prudency“ ver- stehen, läuft daher im Wesentlichen auf den „präventiven Sexualverkehr“

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innerhalb der Ehe hinaus, auf die absichtliche Beschränkung der Kinderzahl mit Hülfe künstlicher Mitte. Von einem Conflict derartiger Maassnahmen mit der Moralität wollen die Anhänger dieser I,ehre nichts wissen, erachten vielmehr ihren Standpunkt als einen im höheren Sinne sittlich gerechtfertigten, wofür die oben erwähnte, sehr geschickt und dialektisch gewandt geschriebene Abhandlung von Ferdy einen interessanten Beleg liefert. Der pseudonyme Verfasser dieser Schrift definirt den (Neo-)Malthusianismus als „diejenige vorbedachte Begrenzung der Kinderzahl mit Hülfe künstlicher Mittel, welche sich nicht auf den Egoismus, sondern auf eine Vernunftforderung bezieht“, und sucht die Berechtigung dieser Lehren und der zu ihrer Verwirklichung vorgeschlagenen anticonceptionellen Mittel vom Standpunkte der Kant’schen autonomen Moral nach- drücklich zu erhärten. Wir brauchen ihm jedoch auf dieses Gebiet nicht zu folgen, weil uns als Aerzte weniger die Frage beschäftigt, ob der „Malthusianismus“ in seiner neueren Fassung theoretisch verwerflich, als vielmehr ob er gesundheitsschäd- lich für die ihn praktisch ausübenden Individuen und speciell ob er, wie mehrfach behauptet wird, eine Quelle chronischer Genitalleiden beim weiblichen Geschlechte in Verbindung mit Nervosität und Hysterie sein kann.

Ich müsste hierbei noch auf einige etwas heikle Details des praktischen Neo- Malthusianismus eingehen, beschränke mich aber darauf, in möglichster Kürze zu erwähnen, dass der neomalthusianische Heilmittelschatz um diesen Ausdruck zu gebrauchen sich im Wesentlichen aus einer Keihe theils chemischer, theils mechanischer Mittel und Verfahren zusammensetzt, von denen jedoch einzelne sich nicht der Beistimmung der Malthusianor von der strieten Observanz zu erfreuen scheinen. Dies gilt insbesondere für den sogenannten Coitus reservatus oder „Con- gressus interruptus“, auf welchen sich auch die nachfolgenden pathologischen Be- obachtungen von Valenta, Bergeret und Anderen fast ausschliesslich beziehen. Doch auch die von Dr. Charles Knowlton eingeführten Einspritzungen (einer 3°;, Zinksulfatlösung) und das von Annie Besant empfohlene Schwämmchen scheinen, als unzuverlässig in ihrer Wirksamkeit, wenigstens bei den deutschen Mal- thusianern nicht zu Ehren gelangt zu sein, während dagegen in diesen Kreisen das von Dr. Mensinga beschriebene sog. Pessarium occlusivum als sicher und angeblich unschädlich, allerdings aber nur unter ärztlicher Controle verwendbar, lebhafte Zustimmung findet.

Die an die Spitze des obigen Literaturverzeichnisses gestellte kurze Abhand- lung von Prof. Valenta in Laibach hat anscheinend bisher die verdiente Beachtung von gynäkologischer wie auch von neuropathologischer Seite nicht in vollem Maasse gefunden. V. macht hier auf Grund eigener Beobachtungen auf die nachtheiligen physischen und psychischen Folgen des Coitus reservatus aufmerksam, wie er in zahlreichen Ehen nach Geburt von 2 oder 3 Kindern systematisch geübt werde. Als derartige Folgezustände führt V. einerseits eine „colossale Hyperämie der immer- hin etwas empfindlichen, evident vergrösserten Gebärmutter, meistens begleitet von vorhandenen Erosionen um den Muttermund und von leicht blutenden ectropialen Geschwüren und einer sehr reichlichen Vagino-Uterinalsecretion“ auf andererseits das ganze Heer hysterischer Erscheinungen, welches sich selbst bei ursprünglich nicht nervös veranlagten, auch im Uebrigen in anscheinend glück- lichsten Verhältnissen lebenden Frauen auf dieser Basis entwickelt.!

———.

! Ich habe (Lehrbuch der Nervenkrankbheiten. 2. Aufl. II. S. 712) bei Betrachtung der ätiologischen Verhältnisse der Hysterie und des Einflusses der Ehe auf dieselbe u. A. die „femme de trente ans“ Balzac’s als die prädestinirte Hysterische bezeichnet. Ich zweifie nicht, dass manche der von mir dort in’s Auge gefassten und charakterisirten Fälle, zumal ausländische, sich bei intimerer Nachforschung als in die Valenta’sche Categorie gehörig herausstellen würden.

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Die Prognose dieser Zustände wird von V. als in der Doppelrichtung durchaus un- günstig, die Behandlung mit allen psychischen, medicamentösen und operativen Mitteln bei fortdauernder Hanptursache als gänzlich resultatlos bezeichnet. Dagegen können bei eintretender Empfäugniss alle Symptome sich bessern, ja unter Um- ständen sogar radical verschwinden. ‚„...Im Wesentlichen übereinstimmend sind die in den citirten Abhandlungen nieder- gelegten Erfahrungen von Bergeret, Panthel, Capelmann u. A., welche sich ebenfalls hauptsächlich auf die nachtheiligen Wirkungen des innerhalb der Ehe ge- übten Coitus reservatus beziehen. Ich übergehe natürlich an dieser Stelle die Ein- wendungen, welche die genannten Aerzte, sowie insbesondere auch Mettenheimer vom nationalöconomischen und sittlichen Standpunkte aus gegen den Neo-Malthusianis- mus erheben und gegen welche insbesondere Stille (l. c.), der schon früher in einer Brochüre als Vertheidiger malthusianischer Lehren aufgetreten war, dieselben in Schutz nimmt. Mit den so bestimmt ausgesprochenen Erfahrungen Valenta’s findet sich Stille, wie mir scheint, etwas zu leicht ab, wenn er dieselben einfach mit Rücksicht darauf negirt, dass „das Leben der höheren Gesellschaftsklassen unserer Städte wirklich ohnehin Anlass genug zu Nervenüberreizung bietet“, dagegen muss man ihm unzweifelhaft darin beistimmen, dass sich unter dem „eigentlichen“ Volk Hysterie und Nervenleiden weit eher bei Frauen entwickeln, die in beschränkter Lage lebend einen allzugrossen Kinderreichthum besitzen. Die hierbei concurrirenden Ursachen, wozu namentlich die so häufige Ausbildung chronischer Sexualaffectionen in Folge der mangelhaften Schonung bei Gravidität und Entbindung etc. gehören, liegen so auf der Hand, dass sie keiner weiteren Erörterung bedürfen. Mettenheimer (l. c.) geht übrigens insofern noch über Valenta hinaus, als er es für unzweifelhaft ‚hält, dass „eine grosse Menge von Fällen von Hysterie, von Unterleibs- und Nervenleiden bei beiden Geschlechtern ihren tiefsten Grund in den künstlich unfruchtbar gemachten ehelichen Beziehungen findet. Er führt u. A. ein Beispiel an, in welchem die unnatürliche Befriedigung des Geschlechtstriebes in der Ehe zur Psychose der Frau mit tragischem Ausgange (Melancholie und Selbst- entleibung) führte; in diesem Falle hatte ein wohlhabender Bauer, um die Zahl seiner Kinder nicht zu hoch anwachsen zu lassen und zu grosse Erbtheilung zu verhüten, die Cohabitation stets per rectum vollführt. Als ganz sicher betrachtet es M., dass „Unregelmässigkeiten der Menstruation, Metrorrhagien, Anschwellungen der Gebärmutter, neuralgische Schmerzen in den Beckenknochen, krampfhafte Be- schwerden der verschiedensten Art, sogar Asthma, langwieriger Catarrh des Uterus und Geschwüre am Mutterhals in Folge des gewohnheitsmässigen Coitus reservatus auftreten.“ Die nach ihm mehr psychische als physische, pathologische Rückwirkung auf das männliche Geschlecht erklärt er, bisher noch nicht in eine befriedigende Formel bringen zu können. Von Bergeret (l. c.) werden als nachtheilige Folgen des Coitus sterilis bei Männern entzündliche Catarrhe der Harnröhre, Prostatakrank- heiten, Impotenz; bei Frauen acute und chronische Metritiden, Uterinalcoliken und Geschwülste, heftige Metrorrhagien und Leukorrhoeen, Eierstockskrankheiten, schmerz- hafte Anschwellung der Brüste bezeichnet. Bei beiden Geschlechtern aber können sich nach Bergeret die traurigsten Rückwirkungen auf alle Organsysteme, ins- besondere auf das Nervensystem geltend machen (nervöse ohnmachtähnliche oder epileptoide Anfälle, allgemeine Nervenschwäche, Hypochondrie und Hysterie, Pay- chose); B. berichtet von solchen Fällen, die in noch nicht zu vorgeschrittenem Stadium durch Herstellung eines natürlichen Geschlechtslebens geheilt wurden. Ins- besondere bei Frauen trat fast sofortige Besserung der nervösen Beschwerden mit glücklich zu Stande gekommener Gravidität ein. Capelmann (l. c.) stimmt diesen Ausführungen durchaus bei und glaubt übrigens, dass, wo die „faculiative Sterilität“ angezeigt sei, die Enthaltung vom Coitus für die dem Beginn der Menstruation folgenden 2 vollen Wochen und für die der folgenden Menstruation vorhergehenden

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3—4 Tage als vollkommen zweckentsprechender und dabei unschädlicher Ersatz ärztlicherseits empfohlen zu werden verdiene.

Am Schlusse dieses Referates sei noch auf eine einschlägige Bemerkung von Beard in dessen nachgelassenem, soeben veröffentlichtem Werke über sexuelle Neu- rasthenie (Deutsche Uebers. S. 81) verwiesen: „Die widernatärliche Art des sexuellen Verkehrs, wie die plötzliche Unterbrechung des Coitus, der Gebrauch von Condoms und ähnlichen Vorrichtungen ist natürlich nicht nur weit schädlicher, als häufig geübter normaler Verkehr, sondern es ist hierbei noch der Umstand zu berücksich- tigen, dass, indem durch die widernatärliche Art des Ooitus die Möglichkeit einer Befruchtung fast vollständig verhindert wird, daraufhin weit öfter sexueller Verkehr und überdies noch in viel excessiverer Weise als normal geübt wird. Insbesondere ist in solchen Fällen auf die für das Nervensystem höchst nachtheiligen Folgen hinzuweisen, die ein übermässig langer sexueller Verkehr mit Verhinderung der vollständigen sexuellen Befriedigung nach sich ziehen kann.“!

Die Wichtigkeit der Sache und die Nothwendigkeit einer genaueren Inbetracht- nahme derselben für die Aetiologie gewisser, in neuerer Zeit mehr und mehr sich häufender Formen nervöser Störung dürfte wohl aus den vorstehenden Andeutungen genügend erhellen. Besonders wünschenswerth wäre es, wenn einerseits hervorragende Gymäkologen sich über ihre Erfahrungen in dieser Hinsicht äussern wollten anderer- seits auch von neurologischer und psychiatrischer Seite wirklich beweisende, d. h. ätiologisch sicher gestellte und möglichst eindeutige Einzelfälle zur Veröffentlichung kämen. Wie nützlich ein Zusammenwirken der beiden Disciplinen insbesondere auf “dem noch so verworrenen Gebiete der Hysterie zur Klärung und Entscheidung ge- wisser, namentlich therapentischer Fragen sein würde, hat ja einer unserer com- petentesten Gynäkologen erst kürzlich hervorgehoben und ein solches Zusammen- wirken mit warmen Worten empfohlen. Hier bietet sich dafür ungesucht eine Aufgabe, von deren Bearbeitung auch die mancherlei zu Tage liegenden Bedenken und Schwierigkeiten uns nicht abschrecken dürfen.

IV. Vermischtes.

Die Soci6te de Mödecine mentale de Belgique (Präsident Desguin, Secretär Ingels) ladet bei Gelegenheit der allgemeinen Ausstellung zu Antwerpen zu einer ausserordentlichen Versammlung vom 7.—9. September 1885 daselbst ein. In den Vormittagssitzungen sollen Discussionen 1) über die Herstellungen von Grundlagen für eine gute internationale Irren- statistik (Ref. Prof. Dr. Lefobvre, Loewen), 2) über die Beziehungen zwischen Verbrechen und Geisteskrankheit (Ref. Dr. Semal, Director der Irrenanstalt zu Mons) stattfinden; in den Nachmittagssitzungen sollen verschiedene Mittheilungen gemacht werden, deren Pro-

ramm noch aussteht. Der 10., 11. und 12. September soll zu Excursionen nach Gheel, ierneux, Gent, Mons oder Tournai verwandt werden. Meldungen bis zum 15. August bei den Secretär Dr. Ingels in Gent.

——

1 Auch an einer anderen Stelle äussert sich Beard dahin, dass manche Individuen zwar diese Gewohnheiten ohne wesentlichen Nachtheil ertragen, „doch in Fällen bedeutender Nervosität erfolgen hierdurch hochgradige functionelle nervöse Störungen, die wohl mit der Zeit und durch eine entsprechende Therapie fast gänzlich behoben werden können.“ Hier- nach scheint es sich um schon anderweitig prädisponirte Individuen zu handeln.

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Vrır & Cone. in Leipzig. Druck von Merzaer & Wırria in Leipzig.

NEUROLOGISCHESCENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Vierter zu Darin, Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

1885. 1. August. No: 15,

Inhalt. I. Originalmitthellungen. Ueber die Längsfaserzüge der Formatio reticularis medullae oblongatae et; pontis, von Dr. W. Bechterew.

Hl. Referate. Experimentelle Physiologie. 1. Zur Methodik der Sensibilitätsstö- rungen, besonders der Temperatursinnsprüfung, von Eulenburg. Pathologische Ana- tomie. 2. Una microcefala, pel Brunatl. 3. Selerotie changes in the vessels of the spinal cord, by Demange. Pathologie des Nervensystems. 4. Essai de localisation d’une cEeitE accompagnde d’hemichor6e, par Hallopeau. 5. Tumor. of the cerebellum with mono- cular hemianopia, by Eskridge. Psychiatrie. 6. Du delire aigu, par Ball. 7. Beitrag zur Aetiologie der allgemeinen progressiven Paralyse der Irren, mit besonderer Berücksich- tigung des Einflusses der Syphilis, von Reinhard. 8. Contribution & Pötude de l’agoraphobie et d’autres formes de nevroses ömotives, par Gros. 9. Paralysie gensrale d’origine trauma- tigue, par Mabille. 10. Et Tilfälde af Sindssygdom med iöjnefalsenden psykisk Tejlighed- saarsag, af Pontoppidan. Therapie. 11. Chronic chorea of forty-one years duration: nerve- stretching for relief of pain, by Macdougall.

ill. Aus den Gesellschaften.

IV. Bibliographie.

V. Personallen.

I. Originalmittheilungen.

Ueber die Längsfaserzüge der Formatio reticularis medullae oblongatae et pontis. Von Dr. W. Bechterew aus St. Petersburg. (Aus dem Laboratorium von Prof. Pau Fuecasıe in Leipzig.)

Die Längsfaserzüge der Formatio reticularis medullae oblongatae et pontis erhalten nicht alle gleichzeitig, sondern verschiedene Bündel zu verschiedenen Perioden des fötalen Lebens Markscheiden, und deshalb repräsentiren embryonale, bez. kindliche Gehirne das geeignetste Material, um Ursprung und Ende dieser Faserzüge festzustellen und deren Einschaltung in den gesammten centralen Mechanismus klar zu legen.

Die Längsfasern der Formatio reticularis stellen bekanntlich zum Theil eine unmittelbare Fortsetzung von Rückenmarksfasern dar, welche in den grauen Einlagerungen der Formation eine Unterbrechung erfahren, zum Theil +

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sie neu aus diesen Einlagerungen. Demnach halte ich es für nothwendig, vor der Beschreibung der Fasern, welche in die Zusammensetzung der Formatio reticularis eingehen, der Anordnung der grauen Substanz in der letzteren hier mit einigen Worten zu gedenken.

Nach Frecasıe pflegt man das gesammte weit ausgedehnte Gebiet der Formatio reticularis in zwei Hauptabschnitte ein inneres („Vorderstrangtheil‘“) und ein äusseres Areal einzutheilen. Das innere Areal der Formatio reticularis grenzt in der Medulla oblongata nach innen an die Raphe, nach aussen an die Bahn der Hypoglossuswurzeln (genauer an eine Linie, welche vom Hypo- glossuskerne zur Furche zwischen Olive und Pyramide gezogen wird); in den unteren Gebieten des Pons Varolii betrachtet man als äussere Grenze des inneren Areales der Formatio reticularis die Bahn der Abduoenswurzeln.

Das äussere Areal der Formatio reticularis grenzt in der Medulla oblongata nach innen an die Hypoglossuswurzeln, nach aussen an die austretenden Acces- sorius-, Vagus- und Glossopharyngeuswurzeln.

In jener sowohl als in dieser Partie der Formatio reticularis finden sich vereinzelte Nervenzellen von bedeutender Grösse zerstreut, Nervenzellen, die besonders im äusseren Areale der Formatio reticularıs in beträchtlicher Anzahl vorkommen. Ausser diesen zerstreuten Zellen sind in der Formatio reticularis stellenweise compactere Einlagerungen grauer Substanz vorhanden, welche den grauen Kernen anderer Theile des Centralnervensystemes ganz ähnlich erscheinen.

Von solchen Einlagerungen a) im äusseren Areale der Formatio reti- cularis unterscheiden wir: 1) die sog. Seitenstrangkerne der Medulla oblon- gata, zwischen unteren Oliven und aufsteigender Trigeminuswurzel befindlich, 2) die oberen Oliven im Niveau der unteren Brückenpartie gelagert und 3) eine besondere, ziemlich gut begrenzte Anhäufung von Ganglienzellen, welche in dem Gebiet der Haube des Grosshirnschenkels nach hinten vom rothen Kerne und nach innen von der Schleifenschicht sich lagert.!

b) In dem inneren Areale der Formatio reticularis begegnen wir drei grossen Kernen. 1) Dem, welcher von RoLuEr unter dem Namen Nucleus centralis beschrieben worden ist; derselbe erlangt seine höchste Entwickelung im Bereiche des oberen Endes der grossen Oliven. Hier besitzt dieser Kern ziemlich bedeutende Dimensionen, da er nach innen bis zur Raphe, nach aussen über die Hypoglossuswurzel hinaus, nach aussen und hinten fast bis zur grauen Substanz am Boden des vierten Ventrikels sich erstreckt. In einem vollständig entwickelten Gehirne besteht dieser Kern aus grossen, zum Theil polygonalen Zellen, zum Theil solchen von abgerundeter Form, die inmitten einer grossen Zahl quer und längs verlaufender Nervenfasern gelagert sind. 2) Ein anderer grosser Kern der Formatio reticularis, welcher von mir unter dem Namen „Nucleus reticularis tegmenti pontis“ beschrieben worden ist,? befindet

! Diese Anhäufung grauer Substanz, welche bis jetzt noch nicht beschrieben war, enthält kleine und mittelgrosse Nervenzellen, zwischen denen viele feine und theilweise auch dickere Fasern durchdringen.

® Nenrolog. Centralbl. 1885. Nr. 6.

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sich im mittleren und zum Theil unteren. Abschnitte der Brücke in der Nähe der Raphe. Dieser Kern kommt schun in der Gegend der Transversalfasern des Corpus trapezoideum zum Vorschein in Gestalt kleiner Anhäufungen grauer Substanz, die zu beiden Seiten der Raphe hart hinter dem Corp. trapezoideum hervortreten.! In der Richtung nach oben vergrössert sich dieser Kern schnell in seinen Dimensionen und nimmt bereits in den mittleren Brückentheilen fast die ganze Mittelpartie der Formatio reticularis ein, indem er von dem Niveau der Schleifenschicht bis zu der den Boden der oberen Gebiete des vierten Ven- trikels auskleidenden grauen Substanz sich erstreckt. Dabei bildet seine graue Substanz nach aussen zwei und an manchen Stellen sogar drei grosse Promi- nenzen. Noch weiter nach oben nimmt der Nucleus reticularis in seinen Dimensionen wieder ab und reicht ungefähr bis in das Niveau des vorderen Drittels der Brücke. Was seine Structur anlangt, so enthält dieser Kern meist mittelgrosse pulygonale Zellen, welche u. A. auch in transversaler Richtung von einer grossen Anzahl dicker markhaltiger, von der Raphe nach den äusseren (rebieten der Formatio reticularis ziehender Fasern durchsetzt wird.

Endlich begegnen wir gleich nach oben vom Nucleus reticularis, im Niveau des oberen Drittels der Brücke, einer besonderen Anhäufung grauer Substanz, die als ziemlich schmale Schicht zu beiden Seiten der Raphe beinahe auf der ganzen nach hinten durch das hintere Längsbündel, nach vorn durch die Schleifenschicht begrenzten Strecke gelagert ist. Dieser Kern, welcher Nucleus centralis superior heissen mag, erstreckt sich nach oben fast bis zur oberen Grenze der Brücke und wird gleich dem vorhergehenden in transversaler Richtung von einer grossen Anzahl dicker, aus der Rapho hervorkommender Fasern durchsetzt. Ausser den letzteren enthält derselbe noch Zellen mittlerer Grösse, die inmitten einer ziemlich reichlichen feinkörnigen Grundsubstanz ge- lagert: sind. |

Indem ich zur Betrachtung der Fasern der Formatio reticularis übergehe, will ich zunächst mit der Beschreibung jener Theile beginnen, deren Fasern als eine unmittelbare Fortsetzung von Rückenmarkfasern anzusehen sind.

I. Von allen Theilen der weissen Substanz des Rückenmarkes geht nur das Vorderstranggrundbündel und der Seitenstrangrest (Fuecasıe) unmittelbar in die Formatio reticularis über (vgl. das nachstehende Querschnitts-Schema, auf welches sich die dem Text beigefügten Zahlen beziehen).

In dem Seitenstrangrest kann man, wie ich mich überzeugte, nach dem Zeitpunkte der Umhüllung der Fasern mit Markscheiden, also entwickelungs- geschichtlich noch drei gesonderte Bündel unterscheiden: eines derselben (3) ist identisch mit der „seitlichen Grenzschicht der grauen Substanz“ (Fuecusic), die beiden anderen nehmen das Areal der „vorderen gemischten Seitenstrangzone“ (FuecHsig) ein. Eines der letzteren Bündel (2) entwickelt sich fast gleichzeitig mit dem Vorderstranggrundbündel, indem es in sehr frühem Alter markhaltig

_— no

u Die graue Substanz, welche im unteren Gebiete des Pons dorsal und theilweise ven- tral von der Schleifenschicht sich lagert, steht mit denı beschriebenen Kerne in unmittelbarer Verbindung und gehört deınselben wohl gleichfalls an.

340 °

erscheint und zwar schon bei Föten von ca. 25—28 cm Länge, bei welch’ letzteren alle anderen Theile des Vorder- und Seitenstranges noch aus myelin- losen Fasern bestehen und in den Hintersträngen nur der Wurzeltheil der Grund(Burpach’schen)bündel (7) markhaltig ist.

In Wirklichkeit giebt es zwischen dem ersteren Bündel (2) und dem Vorderstranggrundbündel keine scharfe Grenze, sondern beide Bündel gehen in der Gegend des Austritts der vorderen Wurzeln unmittelbar in einander über und stellen wahrscheinlich Bezirke von verwandter systematischer Bedeutung dar, weshalb man sie mit dem gemeinschaftlichen Namen „Vorderseitenstrang- grundbündel“ belegen könnte. Dabei kann man für den Theil, welcher nach innen von der Austrittsstelle der vorderen Wurzeln sich lagert, den alten Namen Vorderstranggrundbündel beibehalten, den anderen Theil aber, der nach aussen

t Querschnitt durch das Halsmark des Menschen in der Höhe des ersten Cervicalnerven.

ı Vorderstranggrundbündel.

2 Seitenstranggrundbündel.

2' die zur oberen Olive ziehenden Fasern der Seitenstranggrundbändel.

3 un Grenzschicht der grauen Sub- stanz.

4 laterales System der Seitenstrangreste

etztere umfassen 2?+2’+3+4).

5 directe Kleinhirn-Seitenstrangbahn.

6 Pyramiden-Seitenstrangbahn.

Pyramiden-Vorderstrangbahn.

7 Eineeinerangbundbünde frühzeitig ent- stehender Theil.

7 Hinterstranggrundbündel, spät entstehen- der Theil (Buxpac#’sche Keilstränge: 7+7

8 Gouw’sche Stränge.

vv vordere Wurzeln.

r Ah hintere Wurzeln.

Dieses Schema unterscheidet sich von dem Fıeonusıg’schen nur durch Einführung der rennungslinien z und y.

von den vorderen Wurzeln liegt, „Seitenstranggrundbündel“ nennen. Wie die Untersuchung von ca. 25—28 cm langen Fötus lehrt, ist der Antheil der Vorder- und Seitenstranggrundbündel am Gesammtquerschnitt der Vorder- und Seiten- stränge in den tieferen Theilen des Rückenmarkes, sowie überhaupt in den An- schwellungen besonders gross. Im Lenden- und Dorsaltheil ist neben ihnen nur noch die Pyramidenbahn vorhanden. Weiter nach oben tritt deutlich geson- dert die Grenzschicht der grauen Substanz hervor, desgleichen eine unmittelbar nach innen von der vorderen Partie der diresten Kleinhirnseitenstrangbahn ge- legene Zone, welche von nun an bis zur Oblongata hin das Seitenstranggrund- bündel nach aussen hin bekleidet, mit letzterem zusammen die vordere „ge- mischte Seitenstrangzone“ FLecHsıe’s bildet und in der Folge der Kürze halber als „laterales System der Seitenstrangreste“ (4) bezeichnet werden soll. Da letzteres sowohl als die „seitliche Grenzschicht der grauen Substanz“ nach oben allmäh- lich an Querschnitt zunehmen, so wird in Folge dessen das Grundbündel in den höheren Regionen des Rückenmarkes sowohl von der Peripherie des Seiten-

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stranges, als auch von der grauen Substanz abgedrängt. Dieses Verhalten offen- bart sich besonders prägnant im obersten Halsmarke. Hier beginnt die äussere Grenze des Grundbündels bereits etwas nach hinten von der Abgangsstelle der vorderen Wurzeln allmählich von der Peripherie sich zu entfernen. Ebenso liegt hier auch das Grundbündel nicht mehr der Aussenseite des Vorderbornes an; letzteres wird vielmehr an seiner ganzen Aussenseite von den Fasern der sich später (d. h. bei 23—31 cm langen Fötus) entwickelnden „Grenzschicht der grauen Substanz“ berührt (vgl. Figur).

Das zuletzt genannte System tritt am schärfsten im Brustmarke hervor, in welchem es den Raum zwischen Vorder- und Hinterhorn einnimmt. In den höheren Regionen des Rückenmarkes rückt es nach oben allmählich nach vorn und legt sich so erst im Halsmarke an die äussere Peripherie des Vorder- hornes (8).

Das laterale System der Seitenstrangreste wird zuerst nur bei Föten von ca. 831—33 cm Länge markhaltig. Die betrefienden Fasern kommen schon im Lendenmark zum Vorschein, wo sie unmittelbar nach vorn von der Pyramiden- bahn gelegen sind. In der oberen Hälfte der Brustregion erscheinen die Fasern dieses Systems schon sehr zahlreich. Hier liegen sie zum Theil zerstreut zwischen den Fasern der hinteren Partie des Grundbündels, zum Theil aber in dem Winkel, welchen die vordere Grenze der Pyramidenbahn mit der an der Peripherie des Rückenmarkes gelagerten Kleinhirnseiten- strangbahn bildet. Endlich noch oben von der Halsanschwellung lagert sich das in Rede stehende Bündel, indem es compact wird, in der peripheren Partie des Seitenstrangrestes, wo es zum Theil dem vorderen Abschnitte der direeten Kleinhirnseitenstrangbahn unmittelbar anliegt, zum Theil aber bis an die Peri- pherie des Rückenmarkes herantritt und nach vorn fast bis zu den äusseren Bündeln der vorderen Wurzeln sich erstreckt.!

Betrachten wir jetzt, auf welche Weise jedes der drei von uns beschriebenen Bündel in die Formatio reticularis sich fortsetzt.

Da die Fasern des Vorder- und des Seitenstranggrundbündels schon bei 25—28 cm-langen Föten markhaltig erscheinen, während alle übrigen Theile der weissen Substanz des Rückenmarkes mit Ausnahme des Wurzelgebietes der Hinterstranggrundbündel noch ganz marklos sind, so gelingt es auch, die Fort- setzungen jener in die Formatio reticularis an embryonalen Gehirnen im an- gegebenen Alter mit aller Genauigkeit zu verfolgen.

Fertigen wir eine fortlaufende Reihe von Schnitten aus einem solchen Ge- hirne an, so überzeugen wir uns, dass überhaupt alle Fasern des Vorderstrang-

1 Dieses System degenerirt in Fällen von Quetschung oder Continuitätstrennung des Rückenmarkes in aufsteigender Richtung zusammen mit den Fasern der Kleinhirnseitenstrang- bahn. Daraus erklärt sich der Umstand, dass in dergleichen pathologischen Fällen das Gebiet der aufsteigenden Degeneration längs der Peripherie der Seitenstränge des Rückenmarkes in der Richtung nach vorn sich erheblich weiter zu erstrecken pflegt, als die vordere Grenze dır directen Kleinhirnseitenstrangbahn, und so in manchen Fällen fast die Austrittsstelle der vorderen Wurzeln erreicht. Es giebt sonach im Seitenstrang zwei

aufwärts degenerirende Systeme. ®

—_ 2

grundbündels und die Fasern der vorderen Partien des Seitenstranggrundbündels in das innere Areal der Formatio retioularis übergehen. Nur ein verhältniss- mässig kleiner Theil der Fasern des Seitenstranggrundbündels zerstreut sich in dem inneren Theile des äusseren Areals der Formatio reticularis in nächster Nachbarschaft der Hypoglossuswurzeln. Ausserdem trennen sich manche Fasern des Seitenstranggrundbündels und zwar die in dessen zumeist nach hinten gelegenen Abschnitte befindlichen beim Uebergange des Rückenmarkes in das verlängerte Mark von den anderen Theilen des Grundbündels, lagern sich als- dann im äussersten Areale der Formatio reticularis längs der Peripherie ‘des verlängerten Markes dioht vor der directen Kleinhirnseitenstrangbahn und gehen nach oben in Gestalt eines gesonderten Bündels in die Brücke über.

Der Uebergang des Vorder- und des Seitenstranggrundbündels in das innere Areal der Formatio reticularis geschieht in der Weise, dass mit dem Zurück- weichen des Centralcanales nach hinten auch das Vorderstranggrundbündel, welohes zunächst das Aussehen eines compacten Stranges behält, mehr und mehr der dorsalen Fläche der Oblongata sich nähert und auch die vor- dere Partie des Seitenstranggrundbündels mit sich nimmt. Die Fasern des letzteren biegen um die graue Substanz des Vorderhornes herum und lagern sich alsdann im inneren Areale der Formatio reficularis ventral von den Fasern der Vorderstranggrundbündel. Dank diesem Umstand begegnen wir im inneren Areale der Formatio reticularis bereits im Niveau der mittleren Theile der unteren Oliven dicht zu beiden Seiten der Raphe gelagerten Fasern, welche auf Querschnitten als zwei massige Stränge erscheinen. Die dorsalen, mehr compacten Partien dieser Stränge (hintere Längsbündel) stellen ausschliesslich eine Fortsetzung der Fasern der Vorderstranggrundbündel dar, während ihr ventraler Abschnitt, welcher bis zur Olivenzwischenschicht reicht und weniger dicht gestellte Längsfasern enthält, von Fasern der Seitenstranggrandbündel gebildet wird.

Der übrige Theil der Fasern des Seitenstranggrundbündels folgt nicht un- mittelbar den Fasern des Vorderstranggrundbündels, sondern durchsetzt mit zerstreuten Fasern die Reste der Vorderbörner und lagert sich alsdann zum Theil in der Olivenzwischenschicht, zum Theil unmittelbar dorsal von der unteren Olive fast in deren ganzer Breite und endlich zu beiden Seiten der oben beschriebenen Stränge, insbesondere der hinteren Längsbündel nach aussen von den Hypoglossuswurzeln.

Verfolgen wir an einer fortlaufenden Reihe von Schnitten die einen und die anderen Fasern in der Richtung nach oben, so bemerken wir, dass bereits im Nivesu des Rouner’schen Centralkernes der grösste Theil der in den vor- deren Gebieten des inneren und äusseren Areales der Formatio reticularis gelegenen Fasern verschwindet. |

Mithin erfährt offenbar ein bedeutender Theil der aus dem Rückenmarke hervorgehenden Fasern der Formatio reticularis in den Elementen des Central- kernes eine Unterbrechung. Dabei zeigt eine Vergleichung der unmittelbar unterhalb und oberhalb von dem Centralkerne entnommenen Schnitte, dass im

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erwähnten Kerne hauptsächlich die Fasern sich verlieren, welche eine Fort- setzung des Seitenstranggrundbündels vorstellen. Nur ein verhältniss- mässig geringer Theil der Fasern des letzteren, welcher im äusseren Areale der Formatio reticularis nach vorn aussen vom hinteren Längsbündel gelagert ist (vielleicht aus dem Vorderstranggrundbündel hervorgehend?), entgeht der Endi- gung im Centralkerne, indem er weiter nach oben zieht. Desgleichen setzt sich die Mehrzahl der Fasern, welche aus dem Vorderstranggrundbündel hervorgehen und die unmittelbar vor dem hinteren Längsbündel gelegenen Abschnitte des inneren Areales der Formatio reticularis einnehmen, auch noch nach oben vom Centralkerne fort. Die einen sowohl, als die anderen der soeben erwähnten, nach oben von dem Centralkerne heraufsteigenden Fasern gelingt es an einer ununterbrochenen Reihe von Schnitten bis zu dem im Niveau der mittleren Brückenpartien gelegenen Nucleus reticularis zu verfolgen. Hier verschwindet wiederum eine grosse Menge der Fasern des inneren und äusseren Areals der Formatio reticularis, welche eine unmittelbare Fortsetzung des Vorder- und zum Theil Seitenstranggrundbündels des Rückenmarkes bilden. Nach oben vom Nucleus reticularis begegnen wir bloss einer verhältnissmässig kleinen Zahl mit dem Seiten- und Vorderstranggrundbündel in Zusammenhang (?) zu bringender Längsbündel, welche besonders nach vorn aussen von dem hintern Längsbündel gelegen sind; sie verschwinden sämmtlich im Nucleus centralis superior, über den hinaus cerebralwärts sich Fasern der vorderen gemischten Seitenstrangzone (FLEcHsıG) und Vorderstranggrundbündel nicht fortsetzen.! |

Das Verschwinden von Längsfasern der Formatio reticularis in dem Nucl. reticularis gelingt es an Gehirnen von 25—28 cm langen Embryonen mit aller Anschaulichkeit nachzuweisen. Bereits im Niveau des unteren Abschnittes dieses Kernes beginnen die zerstreuten in den äusseren Partien der Formatio reticularis gelegenen Fasern der grauen Substanz des Kernes sich zu nähern, indem sie sich zu beiden Seiten des letzteren lagern, und verschwinden bald darauf all- mählich in dem Kerne selbst. Die den hinteren Längsbündeln nach vorn an- liegenden Bündel der Formatio reticularis werden von den netzförmig angeord- neten Balken des Nucleus reticularis mehr und mehr durchsetzt, so dass schliesslich im oberen Drittel der Brücke vor den hinteren Längsbündeln com- pactere Läugsfaserzüge nicht mehr zu finden sind. Ein anscheinend bedeutender Theil der aus dem Rückenmark (?) kommenden Fasern passirt vor dem Ein- tritt in den Nucl. reticularis unter Bildung einer Kreuzung in der Medianlinie die Raphe.

Die hinteren Längsbündel, welche noch weiter nach oben ziehen, enthalten wohl bereits in dieser Höhe mit dem Rückenmark zusammenhängende Fasern nicht mehr, vielmehr entstammen wohl alle (?) Fasern den motorischen Augen- nerven. Dementsprechend gelingt es an Gehirnen ca. 28 cm langer Embryonen,

t Teberdies verlieren sich in der Gegend des Rorzr’schen Centralkernes wie des Nucleus reticularis zahlreiche Fasern der Hinterstränge, bez. der aus den Kernen der Bur- DacH’schen und GoLL’schen Stränge hervorgehenden Fibrae arcuatae, letztere nachdem sie

zum Theil in die Längarichtung übergegangen waren. 20

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die hinteren Längsbündel nach oben nur bis zum Niveau der Oculomotorius- kerne zu verfolgen, wo die betr. Fasern theils nachweislich in Oculomotorius- fasern übergehen, theils zwischen dessen Kernen verschwinden, theils endlich in die hintere Commissur umbiegen.

Die aus der zumeist nach hinten gelegenen Partie des Seitenstranggrund- bündels hervorgehenden und als gesonderte Bündel längs der Peripherie der Medulla oblongata in der Nachbarschaft der directen Kleinhirnseitenstrangbahn emporstrebenden Bündel gelingt es, nach oben bis zum Niveau der oberen Oliven zu verfolgen. In der letzteren, bez. in unmittelbarer Nähe derselben finden sie auch offenbar ihr Ende, wie es an einer fortlaufenden Reihe von nach WEIGERT gefärbten Schnitten sich zeigen lässt. Von einem Uebergange von Seitenstrangfasern in die untere Schleife ist am fötalen Organe trotz der ausnehmenden Klarheit der zu erlangenden Bilder nichts zu bemerken.

Mithin erscheinen als Endigungsstellen der Fasern der Formatio reticularis, welche directe Fortsetzungen von Fasern des Seiten- und des Vorderstranggrundbündels des Rückenmarkes repräsentiren, folgende Ge- bilde: für die aus der hinteren Partie des Seitenstranggrundbündels hervor- gehenden Fasern die oberen Oliven; für die Mehrzahl der übrigen Fasern des Seitenstranggrundbündels und für einen geringen Theil des Vorderstrang- grundbündels der RoLuer’sche Centralkern; für einen bedeutenden Theil des Vorderstranggrundbündels und einen kleinen Theil des Seitenstranggrundbündels der Nucleus reticularis; schliesslich für wenige Fasern, welche eine Fort- setzung (?) irgend welcher vorläufig nicht sicher bestimmbarer Partien des Vorder- Seitenstranggrundbündels ausmachen, der unmittelbar nach vorn von dem Nucleus retioularis gelegene Nucleus centralis superior.

Was endlich das laterale System der Seitenstrangreste anlangt, welches sich bei ca. 33 cm Körperlänge mit Mark umhüllt, so gelingt es, dasselbe an einer fortlaufenden Reihe von Schnitten nach oben mit Sicherheit nur bis an den Seitenstrangkern zu verfolgen, in welchem seine Fasern wahrscheinlich auch ihr Ende finden (se. u.).

Ein bedeutender Zuwachs markhaltiger Fasern wird in der Formatio reti- cularis im 8.-—-9. Monat des intrauterinen Lebens der Frucht (bei ca. 40 cm Körperlänge oder mehr) und weiter gegen die Zeit der Geburt beobachtet. Um die erstere Zeit umhüllen sich mit Mark compacte Fasermassen, des äusseren Areales der Formatio reticularis, deren Anfang und Ende mir noch nicht völlig klar geworden, später Längszüge, welche die Kerne des Areales der Formatio reticularis, sowie die grossen Oliven?! mit grauen Massen des Mittel- und Vorder- hirns verbinden.

Die bei ca. 40 cm-langen Fötus markhaltig werdenden Faserbündel der

ı Diese im Niveau der unteren Oliven unmittelbar nach aussen von denselben zum Vorschein kommenden Bündel, welche in der Brücke und höher ungefähr in der mittleren Partie der Haube sich lagern, habe ich bereits vor Kurzem unter dem Namen „centralen Haubenbahn“ beschrieben, und erscheint es daher überflüssig, hier wiederum über Lage und weiteren Verlauf derselben zu sprechen. Sie stehen mit der Formatio reticularis in keinem Zusammenhang, durchsetzen dieselbe vielmehr nur. (Vgl. Neurol. Centralbl. 1885. Nr. 9.)

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äusseren Areale der Formatio reticularis „Lateral-dorsales System der Formatio reticularis“ liegen in der Oblongata dicht unter dem grauen Boden der Rautengrube dorsal von den Seitenstrangkernen und nach innen von der aufsteigenden Trigeminuswurzel. Weiter nach. oben verlaufen sie fortwährend an entsprechender Stelle in den äussersten Theilen der Formatio reticularis, sodass sie im Niveau der unteren Brückenpartien nach aussen und hinten vom Facialiskern, im mittleren Theil der Brücke nach hinten innen vom motorischen Trigeminuskern, weiter oben in der Convexität des Bindearmes gelegen sind. Im Niveau der Kreuzung des letzteren werden unsere Bündel vielfach ausein- andergesprengt, sammeln sich aber oberhalb wieder und liegen im Grosshirn- schenkel unmittelbar nach aussen und hinten vom rothen Kerne. Auf dieser ganzen Strecke treten vielfach zerstreute wie zu kleinen Gruppen angeordnete Nervenzellen in dem lateral-dorsalen System der Formatio reticularis auf, welche vielleicht (?) zu unserem System in näherer Beziehung stehen. Im Niveau des rothen Kernes findet sich in seinem Bereich eine besonders grosse Anhäufung grauer Substanz, in welcher vielleicht ein Theil der Fasern eine Unterbrechung erfährt, doch ist auch die Möglichkeit gegeben, dass unser System unmittelbar in die „Haubenstrahlung“ (FLecHsıe) der inneren Kapsel übergeht, und so zu den Grosshirnhemisphären emporsteigt.

Was den Ursprung dieser Fasern spinalwärts anlangt, so kann ich auf Grund meiner Untersuchungen nur angeben, dass ein Theil derselben höchst wahrscheinlich aus der „seitlichen Grenzschicht der grauen Substanz (vielleicht auch aus dem lateralen System der Seitenstrangreste) hervorgeht die grössere Zahl der Bündel wächst indess erst im verlängerten Mark zu, ohne dass ich anzugeben weiss, aus welchen Bezirken (Trigeminus, Glossopharyngeus, Vagus ? Seitenstrangkern? dieser letztere liegt an der lateral-ventralen Peripherie des in Rede stehenden Systems). Beachtenswerth erscheint mir, dass aus- schliesslich im dorsal-lateralen System der Formatio reticularis Fasern gegeben sein können, welche ununterbrochen aus den Seitenstrangresten zum Mittel- und Grosshirn gelangen (sensible Bahnen?)

II. Was die Faserzüge anbetrifft, durch welche die Kerne der Formatio reti- cularis mit höher gelegenen Gebilden zusammenhängen, so gelingt es an Hirnen reifer Neugeborener insbesondere die Verbindungen des Nucleus reticularis teg- menti zu eruiren. Derselbe steht hiernach in Zusammenhang mit verschiedenen Gebilden des Mittel- und Vorderhirns und erscheint mit Rücksicht hierauf als einer der wichtigsten Knotenpunkte im gesammten Centralorgan. Ausser Fasern, welche unseren Kern mit den Elementen (Ganglienzellen?) der vorderen Brücken- abtheilung (Kleinhirn) verbinden, worüber ich bereits in einer früheren Mit- theilung gesprochen,! verlieren sich in demselben mindestens noch drei starke Bündel. Zwei der letzteren erscheinen markhaltig schon im Gehirne reifer Neugeborener, während sich das dritte nicht vor Ablauf einiger Wochen nach der Geburt mit Mark umhüllt.e. Von den ersterwähnten Bündeln dient das eine (8) zur Verbindung des Nucleus reticularis mit dem hinteren Vierhügel,

ı S. Neurol. Centralbl. 1885. Nr. 6.

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das andere (b) zur Verbindung unseres Kernes mit grauen Massen in der Umgebung des 3. Ventrikels.

a) Die Vierhügelfasern steigen fast parallel mit der Aussenfläche des Hirn- schenkels nach vorn-innen herab, um sich der Schleifenschicht dorsal anzulegen und in schräger oder transversaler Richtung nach innen zu den mittleren Be- zirken der Formatio reticularis zu verlaufen, wo sie sich im Gebiete des Nudl. reticularis verlieren. Sie verlaufen nach ihrem Austritt aus dem unteren Vier- hügel dicht neben (medianwärts von) den Fasern der unteren Schleife und sind von dieser nur mit Hülfe der entwickelungsgeschichtlichen Methode zu trennen. (Die untere Schleife erhält weit eher Markscheiden, als die Fasern zum Nucleus reticularis.! Offenbar liegt der Beschreibung der „unteren Schleife“ seitens der bisherigen Autoren die Anschauung zu Grunde, dass unsere Bündel einen Theil letzterer darstellen.)

b) Das zweite Bündel kommt nach vorn seitlich von dem Nucleus reticu- laris hervor und erscheint bereits bei seinem Anfange compact. Dieses Bündel lagert sich hart nach hinten von der inneren Partie des Haupttheils der Schleife? und steigt in seinem weiteren Verlaufe in nächster Nachbarschaft des Meynerr’schen Bündels empor. Das obere Ende (Sehhügel?) habe ich noch nicht feststellen können.

c) Das dritte später mit Mark sich umhüllende Bündel stellt nichts anderes dar, als die mediale, feine Fasern führende Partie der Schleifenschicht (REICHERT'- sche Schleife nach Guppen). Dass dieses Schleifenbündel im Nucleus reticularis sich verliert, indem es an denselben von der vorderen, d. h. ventralen Seite herantritt, und nicht zu der Olivenzwischenschicht heruntersteigt, wie MEYNERT vermuthete, davon überzeugte ich mich hauptsächlich durch das Studium eines Falles mit umfangreicher Zerstörung einer Grosshirnhemisphäre, in welchem besagtes Bündel völlig degenerirt war.?

Was das obere Ende des letzteren anlangt, so existiren in dieser Bezieh- ung bis jetzt noch keine sicheren Angaben. Möglich ist u. a. eine Verbindung mit dem Corpus striatum durch Vermittlung der Substantia nigra Sömmeringii.*

i Der untere Vierhügel hat also spinalwärts eine doppelte Verbindung. Vermuthlich leitet die untere Schleife centripetal, das oben beschriebene Bündel centrifugal.

3 Vgl. BsoHTerew, Untersuchungen über die Schleifenschicht. Berichte der Königl. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaft. Math.-phys. Cl. Sitzung vom 4. Mai 1885.

® Bekanntlich vermochte auch Gunppen, der die Degeneration dieses Bündels nach Zer- störung einer Grosshirnhemisphäre bei jungen Thieren beobachtet hat, die degenerirten Fasern nicht nach unten von den transversalen Fasern des Corpus trapezoideum zu ver- folgen.

* Vgl. Bscaterew, Untersuchungen über die Schleifenschicht. A. a. Q.

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I. Referate.

Experimentelle Physiologie.

1) Zur Methodik der Sensibilitätsstörungen, besonders der Temperatur- sinnsprüfung, von A. Eulenburg. (Ztschr. f. klin. Med. Bd. IX. H. 2.)

E. beschreibt die von ihm neuerdings angegebene (von W. A. Hirschmann angefertigte) Modification seines „Thermästhesiometer“, welche im Wesentlichen darin besteht, dass von den beiden mit fiachscheibenförmigen Gefässen versehenen Thermometern das eine mit einer Platinspirale umwickelt ist und durch einen in dieser kreisenden elektrischen Strom (eines Flaschenelementes) erwärmt werden kann; ein als Nebenschliessung angebrachter Rheostat gestattet, die Erwärmung beliebig zu beschleunigen oder zu verlangsamen. Mittelst dieses Apparates hat E. den „Kälte- sinn“ und den „Wärmesinn“ an verschiedenen Hautstellen besonders geprüft und danach eine Kältesinns- und Wärmesinnsscalse, d. h. Durchschnittswerthe für die minimale Kälte-, resp. Wärmedifferenz der einzelnen Hautstellen ermittelt. Die An- gaben darüber sind zum Theil von den bisherigen abweichend; sie zeigen u. A., dass Kälte- und Wärmesinn zwar im Grossen und Ganzen, keineswegs aber durchgängig sich parallel verhalten und sogar an einzelnen Regionen verhältnissmässig beträcht- liche Unterschiede erkennen lassen. Der zweite Theil der Arbeit beschäftigt sich mit einer Nachprüfung der Goldscheider’schen Versuche über die specifischen Energien der sensibeln Hautnerven, welche Verf., soweit sie sich auf die Temperatur- nerven beziehen, im Allgemeinen bestätigt und in einzelnen Punkten ergänzt un erweitert. M.

Pathologische Anatomie.

2) Una microcefala, pel dott. Ag. Brunati. (Arch. ital. per le mal. nervos. occ. 1885. XXI. p. 148.)

Ein 16jähriges nicht hereditär belastetes Mädchen wies neben Epilepsie und neben mangelhaftem Sprech- und Gehvermögen eine Idiotie mittleren Grades auf; die nach dem plötzlich erfolgten Tode vorgenommene Section ergab folgende Ab- normitäten: Der Schädel war klein, oxycephal, scaphocephal und brachycephal; der Horizontalumfang betrug 450 mm, die grösste Länge 150, die grösste Breite 132 mm. Trotz des jugendlichen Alters war keine Spur der beiden Sut. squamos. und des linken Astes der Sut. lambdoidea nachweisbar; die Gefässforamina waren rechts wesentlich weiter als links, wie auch die Schädelgruben rechts geräumiger waren. Alle Knochen des Schädeldaches waren sehr verdickt: die durchschnittliche Dicke des Schädeldaches betrug rechts 4,6 mm und links 5,43 mm. Das Gehirn wog abgesehen von dem nicht unbedeutenden Hydrocephalus externus 709 Gramm, bei einer Körperlänge von 1,33 m. Es wogen die linke Hemisphäre 303, die rechte 323, Kleinhirn und Brücke zusammen 74 und die Häute 9 Gramm. Die Windungen waren nicht atrophisch zu nennen; sie waren zwar in ihrem Verlauf und in ihrer Theilung vielfachen kleineren Anomalien, die im Original einzeln aufgezählt sind, unterworfen; im Allgemeinen indess hatte der Verf., wie er sich treffend ausdrückt, ein Gehirn „en ministure‘“ vor sich. Sommer.

3) Solerotic changes in the vessels of the spinal cord, by Domange. (Med. Times. Nr. 1818. 8. 589.)

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Verf. fügt seinen in der Revue de Mödecine veröffentlichten Fällen von Gefäss- veränderungen bei Sclerosis medullae spinalis (cf. d. Centralbl. 1884. S. 558) 2 neue Fälle hinzu. Während des Lebens bestand spastische Paraplegie; beide Male befand sich p. m. allgemeines Atherom des arteriellen Systems, besonders in den Spinal- arterien, sowohl endarteriitische, als periarteriitische Affectionen; dazu disseminirte sclerotische Herde, von der Peripherie der erkrankten Gefässe ausgehend und theils in den "Hintersträngen, theils in den Pyramidenseitensträngen gelegen; ausserdem zahlreiche, kleine Blutungen um die afficirten Gefässe; ihr Zustandekommen ist wohl als analog den Gehirnblutungen anzusehen, wie sie in Folge von miliaren Aneurysmen auftreten. Ruhemann.

Pathologie des Nervensystems.

4) Essai de localisation d’une c6cit6 sccompagnede d’hemichorde, par H. Hallopeau. (L’Enc6phale. 1885. No. 2.)

H. berichtet über den gewiss sehr seltenen Fall einer plötzlich auftretenden completen Blindheit; derselbe betraf einen alten Patienten von 83 Jahren, welcher seit langer Zeit an einer Aortenstenose leidend, sich dabei aber leidlichen Wohl- seins erfreute, bis plötzlich am 1. Januar d. J. nach einem mehrtägigen Anfalle heftiger Dyspnoe unter gleichzeitigen heftigen Kopfschmerzen eine ganz vollständige Blindheit eintrat, so dass selbst Licht und Dunkel nicht mehr wahrgenommen werden konnte. Dabei keine Paresen oder Störungen der allgemeinen Sensibilität, die etwas erweiterten Pupillen reagiren nicht, aber normale Augenbewegungen, absolut nega- tiver ophthalmoskopischer Befund. Bald darauf wurden die Glieder der linken ®ite von einer unaufhörlichen Agitation, choreaähnlich ergriffen, stetig abwechselnde Flexion und Extension der Finger und Arme, ebenso werden Schenkel und Fuss bewegt, der Kopf dreht sich in oftmaliger Wiederholung mit einer gewissen Gewalt von rechts nach links, Gesichtsmusculatur ohne Contractionen, aber die Muskeln der oberen Körperhälfte nehmen an der Rotation des Kopfes theil. Ordination von 1,0 Coffeine, wegen der DWyspnoe Sauerstoffinhalation. Am 4. Januar tritt allmählich Besserung der Chorea ein, auch schwindet allmählich die Blindheit, bis zum 17. Februar stellt sich die Sehfähigkeit so weit wieder her, dass Pat. grobe Schrift lesen kann.

H. erklärt den ganzen Symptomencomplex durch eine Embolie in eine der 3 Arterienstämme, welche die Corp. quadrigemina versorgen, und zwar muss die Läsion die rechte Seite getroffen haben. Zander.

5) Tumor of the cerebellum with monocular hemianopia, by J. T. Eskridge. (Journ. of nerv. and mental disease. 1885. XII. p. 1.)

Eine 32jährige Frau, die im 9. Jahre im Anschluss an Scarlatina auf dem rechten Ohr taub geworden, immer nervös war und während der Menses an links- seitiger Migräne zu leiden pflegte, erkrankte im November 1882 an heftigem Kopf- schmerz, der zwar seinen Ort häufig wechselte, vorwiegend aber auf den Scheitel und die Stirn localisirt war. Seit dem Februar 1883 blitzartige Erscheinungen bei geschlossenem rechten Auge, und langsam zunehmende Amblyopie; gleichzeitig ein Gefühl von Taubheit im rechten Arm und Bein. Seit April 1883 Vomitus und Aus- bleiben der Menses. Im Juni wurden die Kopfschmerzen im Scheitel und in der linken Kopfhälfte, sowie die neu hinzutretenden Schwindelgefühle so heftig, dass die Aufnahme der Pat. in eine Anstalt erfolgte. Hier wurde constatirt: Parese des rechten Armes und Beines, Ataxie beider Beine, die durch energische Willens- anstrengung wesentlich gebessert, durch Augenschluss aber verschlimmert wurde, verringerte Patellarreflexe, Nausea, Vomitus und Collaps beim Versuch einige Zeit

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aufrecht zu stehen, Abweichung der Zunge nach links, langsame und häsitirende Sprache, Fehlen des Geschmacks auf der rechten Zungenhälfte, Dilatation und mässige Starre der rechten Pupille, links frischere und rechts ältere Neuritis optica, tempo- rale Hemianopsie, die Medianlinie noch etwas überschreitend, nur auf dem linken Auge, und endlich Gravidität im 4.—5. Monat. Besonders nach dem Augenbefunde konnte die anfängliche Diagnose Hysterie und Schwangerschaft, nicht mehr aufrecht erhalten werden und es wurde nun ein Hirntumor vermuthet. Dem entsprechend machte die Krankheit in den nächsten Monaten weitere Fortschritte; die Kopfschmerzen wurden unerträglich, das Stehen und Gehen wurde unmöglich, und bald stellten sich auch psychische Störungen ein: Patientin wurde abends sehr unruhig, dann tob- süchtig und völlig verwirrt. Im December befand sie sich meistens in einem sopo- rösen Zustande; am 24. dess. Mon. traten die Wehen ein und ehe noch das (todte) Kind entwickelt werden konnte, verstarb die Kranke. Die Section ergab einen kastaniengrossen Tumor (Spindelzellensarcom) auf der oberen Fläche der rechten Kleinhirnhemisphäre. Verf. führt die seltene einseitige Hemianopie auf den Druck zurück, den der Tumor durch das Tentorium auf die „Sehsphäre“ des Ocecipital- lappens ausgeübt habe; nicht erklärt sei die rechtsseitige Geschmackslähmung, und auch die Besserung der atactischen Symptome durch Willensenergie bleibe ohne sicheren Aufschluss. Zu erwähnen ist noch, dass die äussere Kopftemperatur im Durchschnitt fast um einen Drittelgrad höher gewesen war, als die Axillartemperatur; man konnte hieraus schliessen, dass eine organische Hirnerkrankung vorbanden sei. Eine genauere Localisirung, etwa der Stelle der höchsten Kopftemperatur entsprechend, sei aber nicht zulässig, wie die im Original mitgetheilten Messungsresultate ergeben. Sommer.

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Psychiatrie.

6) Du delire aigu, par B. Ball. (L’Encöphale. 1885. No. 2.)

Verf. hat in seiner Klinik, anknüpfend an einen dort im Februar abgelaufenen Fall von Delirium acutum, ein Gesammtbild dieser Krankheit gegeben. Der betreffende Pat. ohne erbliche Belastung, der allerdings einige Sünden in baccho et venere be- gangen, zeigte 6 Wochen vor seiner Aufnahme in die Klinik eine auffallende Aen- derung seines Charakters, die aber als Residuen eines typhösen Fiebers angesehen wurden. Plötzlich verfiel Pat. in das Delirium mit Hallucinationen des Gehörs und Gesichts, mit completer Störung aller intellectuellen Fähigkeiten und gewaltiger Er- regung, bei absoluter Schlaflosigkeit. Daneben gab es zu beobachten absolute Nahrungsverweigerung, die als wahre Sitisphobie bezeichnet wird, aus der ein rapider Verfall der körperlichen Kräfte trotz Anwendung der Sondenfütterung resultirte. Unter dauernder Fiebersteigerung bis über 41 C. ging Pat. im Coma zu Grunde, 15 Tage nach seiner Aufnahme in die Klinik.

Die Section ergab nur einen Zustand ganz allgemeiner Congestion, sowohl in den Intestinis, wie in den Lungen, wie in der Musculatur, im Gehirn ebenfalls nur Congestion ohne Adhärenz der weichen Häute, ohne Flüssigkeitserguss in die Arach- noidea oder sonst irgend welche Verletzungen.

Verf. behauptet, dass das Delirium acutum nur Leute, die dazu prädisponirt seien, befalle, nie Individuen von völlig intacter Gesundheit. Als erste Prädisposition bezeichnet er die Erblichkeit, ausserdem deprimirende Einflüsse und Ueberanstren- gungen physischer wie geistiger Art,. Excesse in baccho et venere, schwere acute Krankheiten, schliesslich schon bestehende Psychosen. Die von Schüle besonders hervorgehobene Insolation zählt Ball nicht unter den ätiologischen Momenten auf. Ball unterscheidet 3 Stadien des Verlaufs, im Prodrumalstadium ist das wichtigste Symptom die complete Schlaflosigkeit, sodann völlige Verwirrung und Unfähigkeit zu denken, Kopfweh mit dem Gefühl der Fülle, Vorgefühl kommenden Unglücks Mit

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dem Entstehen der Sinnestäuschungen verliert der Kranke das Bewusstsein seines Zustandes. Schwere somatische Störungen schliessen das erste Stadium. Dann kommt das schwere maniakalische Delirium die melancholische Form und die gemischte (Schüle) übergeht Ball ganz mit totalem Bewusstseinsverlust, völliger Incohärenz der Rede. Der Inhalt des Delirs ist der tiefen Schreckens Daimonomanie Schüle zuweilen aber hat nach Ball das Delirium auch heiteren Inhalt.

Unter den psychischen Störungen nimmt das Fieber die erste Stelle ein, es übersteigt 41 C. Dies ist mit der Beschleunigung des Pulses eine Hauptdifferenz von der maniakalischen Erregung, dazu der rapide körperliche Verfall. Daneben wird die Steigerung der Reflexerregbarkeit hervorgehoben, die Schlundsonde z. B. ruft Convulsionen hervor. Schliesslich tritt allgemeine Paralyse ein. Das dritte Stadium ist das comatöse, in welchem die Kranken zu Grunde gehen. Die Section ergiebt nach Ball nur in einem Theile der Fälle anatomische Veränderungen nach Krafft-Ebing stets sie sind congestiver Nator.

Differentialdiagnose, die üble Prognose und Behandlung finden entsprechende Würdigung, die Auffassung des Deliriam acutum als Infectionskrankheit wird ziemlich kurz abgewiesen. Zander.

7) Beitrag zur Aetiologie der allgemeinen progressiven Paralyse der Irren, mit besonderer Berücksichtigung des Einflusses der Syphilis, von Dr. C. Reinhard. (Allg. Ztschr. f. Psych. Bd. 41. 8. 532.)

Bei der Untersuchung des ätiologischen Zusammenhangs zwischen Syphilis und Paralyse kommen verschiedene Fragen in Betracht. Zur möglichsten Vermeidung von falschen Resultaten untersucht R. nach folgenden Gesichtspunkten:

1) Wie gross ist das Procentverhältnisa der Syphilis bei den nicht paralytischen Geisteskranken ?

2) Wie gross ist es bei den Paralytischen?

3) Welche Werthe erhält man für das Procentverhältniss der Syphilis, wenn man zwischen Päralyse mit oder ohne gleichzeitige Tabes unterscheidet?

4) Welches Verhältniss ergiebt sich zwischen der Häufigkeit der Paralyse bei den Männern und bei den Weibern, ist dasselbe constant?

5) Wie verhält sich die Heredität procentisch bei nicht-paralytischen und para- lytischen Geisteskranken?

6) Wie verhält sich die Trunksucht (und andere ätivlogische Momente) procentisch bei paralytischen und nicht-paralytischen Irren? |

7) Welcher Unterschied ist zwischen der Häufigkeit der Paralyse bei Stadt- und Landbewohnern und bei den einzelnen Berufsarten ?

8) Lässt sich eine relative Zunahme der Geisteskranken insgesammt constatiren ?

9) Speciell eine Zunahme der Paralyse?

10) Nimmt die Syphilis zu?

Die Beantwortung der einzelnen Fragen muss im Original eingesehen werden. Dem Ref. erscheinen nicht alle Resultate einwurfsfrei. Verf. meint, dass Intensität und Frequenz der Syphilis überhaupt im Abnehmen begriffen seien. Die Intensi- tät: ja, die Frequenz aber kaum. Und es sind gerade, wie auch die französischen Autoren betonen, die „benignen“ Fälle der Syphilis, welche die Paralyse nach sich zu ziehen scheinen. Es sind offenbar nicht die specifischen, unmittelbar durch das syphilitische Gift im Centralnervensystem verursachten Veränderungen (solche werden bei der Section fast regelmässig vermisst), sondern secundäre, zwar durch die syphilitische Durchseuchung angeregte, später aber selbstständig sich weiter ent- wickelnde Processe im Centralnervensystem, wie sie auch bei andern Intoxicationen und Dyskrasien vorkommen. Dass bei der Aetiologie der Paralyse auch andere

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Momente eine Rolle spielen, ist ja ohne Weiteres zuzugeben. Wenn es möglich ist, sogar auf einfach mechanischom Wege (Mendel’s Versuche an gedrehten Hunden) Paralyse hervorzurufen, so kann die Syphilis nicht die einzige Ursache sein. Verf. constatirt zum Schluss, dass in erster Linie der gesteigerte Kampf um's Dasein und die zunehmenden Auswüchse und Schattenseiten des socialen Lebens verantwortlich gemacht werden müssen, dass in zweiter Linie die Trunksucht kommt, dass die Syphilis erst die dritte Stelle einnimmt, und dass der Erblichkeit der vierte Rang gebührt. Siemens.

8) Contribution & l’ötude de l’agoraphobie et d’autres formes de növroses ömotives, par Gros. (Annal. me6d.-psychol. 1885. Mai.)

Die 8 Beobachtungen der Arbeit betreffen theilweise echte Agoraphobie, aber auch Fälle, deren Zugehörigkeit zu jener Form sehr fragwürdig ist, Auch die 2 Fälle von sogenannter „Clithbrophobie“, wie man im Gegensatz zur Agoraphobie die Furcht vor geschlossenen Räumen genannt hat, würden sich, abgesehen davon, dass dieselben sehr ungleichartig sind, durch die Annahme von Zwangsvorstellungen. erklären lassen. Ausserdem werden Fälle von Folie du doute und Folie du toucher mitgetheilt. Jehn.

9) Paralysie göndrale d’origine traumatique, par Mabille. (Annal, med.- psychol. Archives cliniques. p. 233.)

Ein 33jähriger, von allgemeiner Paralyse befallener Mann, zeigte eine, von in früher Kindheit erlittenem Fall herrührende, Asymmetrie des Schädels. Die Section ergab an der alten. Bruchstelle des Stirnbeins Rauhigkeiten, Verdickungen und an anderen Stellen Schwund der Knochensubstanz und völlige Asymmetrie des gebrochenen rechten Stirnbeins zum linken, Adhärenz der Dura mater an der Bruchstelle, sowie Festhaften derselben über beiden Hemisphären. Die dem Bruch gegenüberliegende Hirnsubstanz war geschwunden, sodass eine nussgrosse, mit hellem Serum gefüllte Tasche entstanden war, welche das obere Drittel der 1. rechten Frontalwindung ein- nahm. In der Umgebung dieser Tasche war die Hirnrinde den weichen Häuten adhärent.

Ausser Hemmung der geistigen Entwickelung scheint jener Hirmdefect bis zum Auftreten der paralytischen Erkrankung, welche übrigens in gewöhnlicher Weise ver- lief, keine speciellen Erscheinungen hervorgerufen zu haben.

Mabille hält den ursächlichen Zusammenhang zwischen Trauma und der späteren Paralyse für erwiesen und nicht unmöglich, dass eine Wachsthumshinderung des ' Hirns durch Druck der rauhen Callusmassen, in einer Art von Fremdkörperwirkung, den Hirndefect hervorgerufen hätte, von welchem aus sich langsam eine allgemeine Alteration der Hirnrinde und der Häute verbreitet haben dürfte. Jehn.

10) Et Tilfälde af Sindssygdom med iöjnefalsende psykisk Lejlighedsaarsag af Knud Pontoppidan. (Hosp.-Tid. 1885. 3. R. III. 5.)

Eine 34jähr. Frau wurde im 6. Monat ihrer 3. Schwangerschaft, während wel- cher sich Erbrechen und mitunter Empfindlichkeit gegen die Kindesbewegungen und etwas geringe Depression gezeigt hatten, durch eine grosse Feuersbrunst obdachlos, musste sich mit ihren Kindern in Sicherheit bringen, hatte Sorge um das Schicksal ihres Mannes, der bei den Rettungsarbeiten beschäftigt war und war dabei Zeuge der grossen Feuerebrunst gewesen. Wenn sich ihre Augen vor Müdigkeit schlossen,

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sah sie das Flammenmeer vor sich, und wenn sie einschlafen wollte, hörte sie Deto- nationen, wie sie bei Sprengung während des Brandes vorgekommen waren. Die ersten 2 Tage erschien die Frau noch vernünftig, am 3. aber wurde sie von der Wahnidee befallen, sie sei die Brandstifterin und bringe dadurch sich und die Ihrigen in das Zuchthaus. Bei der Aufnahme war die Kranke passiv versunken, antwortete nicht und widersetzte sich der Untersuchung. Temperatur und Puls waren normal; der Harn musste mit dem Katheter abgenommen werden. Nach etwa 8 Tagen be- gannen die Wahnideen allmählich zu verschwinden, doch traten immer noch verwirrte Vorstellungen auf, nach etwa 14 Tagen war sie im Stande, das Verkehrte in ihren früheren Wahnideen einzusehen.

Dass die psychische Erregung als Gelegenheitsursache anzusehen ist, dürfte unzweifelhaft sein; die vorhandenen Wahnideen fussten auf der sie veranlassenden Begebenheit, aber der Fall zeigt auch, wie vorsichtig man sein muss, vorhandene psychische Ursachen als alleinigen ätiologischen Factor anzunehmen, da schon die Schwangerschaft für die Aetiologie von Geistesstörung von Bedeutung ist und ausser- dem noch während derselben der Geisteszustand der Kranken nicht als völlig normal betrachtet werden konnte, wenn auch nur Andeutungen von nervösen und psychischen ‚Störungen während derselben bestanden. Walter Berger.

Therapie.

11) Chronic chorea of forty-one years duration: nerve stretching for relief of pain, by Aymer RB. Macdougall. (The Lancet. 1885. Vol. L p. 742.)

Verf. berichtet über einen Fall von langdauernder Chorea, wobei er zur Be- seitigung intensiver, durch kein Mittel weichender Schmerzen im rechten Oberschenkel die Dehnung des Nervus cruralis dexter nicht ohne Erfolg vomahm.

Es handelte sich um die 50jähr. Mary A., die seit ihrem 9. Lebensjahre an Chorea litt; nach einem nicht näher angegebenen Insult, der die Lumbalgegend der Wirbelsäule betraf, stellte sich Abnahme der Kraft und choreaartige Bewegungen am linken Bein und im Verlauf einer Reihe von Jahren allmählich auch am rechten Bein, am Rumpf, an den Oberextremitäten und am Gesicht ein. Die Pat. zeigte im Anfang des Jahres 1881 das Phänomen der Retropulsion und klagte über einen seit etwa 4 Monaten bestehenden, schiessenden Schmerz an der innern und vordern Seite des rechten Oberschenkels. Der Schmerz war so intensiv, so dauernd, dass er der Kranken die Nachtruhe raubte. Die wegen dieser Klage vorgenommene Dehnung des Nervus cruralis dexter (am 31. März 1881) befreite die Pat. etwas über 3 Jahre

lang völlig von den Schmerzen, dann kehrten sie wieder, aber in sehr milder Weise. ' Ferner hatte die Operation auf die Chorea selbst eine unbeabsichtigte, günstige Wirkung insofern, als die Bewegungen nachliessen, so dass die Kranke, die früher nicht einmal mit Unterstützung gehen, die viele Monate weder sitzen noch liegen konnte (nur knieend konnte sie etwas Ruhe gewinnen), seit der Operation mit geringer Beihülfe sich fortzubewegen, zu liegen und zu sitzen vermochte. Buhemann.

III. Aus den Gesellschaften.

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung vom 13. Juli 1885. A. Lilienfeld: Krankendemonstration. L. stellt einen 26jährigen neuropathisch belasteten Patienten vor, der seit vielen Jahren Alkoholist vor nahezu 5 Monaten, nachdem Gefühl von Schwäche

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und ziehende Schmerzen in den Beinen vorausgegangen und vor 14 Tagen eine doppel- seitige Abducenslähmung aufgetreten war, gleichzeitig mit dem Ausbruch eines Alkohol- delirs an einer auffallenden Coordinationsstörung in den Beinen erkrankte, die so hochgradig war, dass Pat. weder zu gehen noch zu stehen vermochte und bei jedem Versuch, sich aufzurichten, alsbald zusammenstürzte. Dabei fehlten alle Zeichen von Ataxie bei horizontaler Lage des Pat. Die grobe Kraft war, besonders in den Beinen, herabgesetzt, es stellten sich weiterhin Lähmungen in einzelnen Muskeln ein (Strecker beider Daumen und des 4. und 5. Fingers links), ferner Paresen, Muskel- atrophien, weit verbreitete Druckschmerzhaftigkeit und Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit. Die letztere war für den faradischen Strom fast überall hochgradig herabgesetzt, zeitweise vollständig erloschen, Entartungsreaction bestand nur kurze Zeit auf der Höhe der Erkrankung in einzelnen Muskeln. Auffällig war dabei, dass die Störungen in der Motalität und der Ernährung der Muskeln in ihrer In- und Extensität keineswegs untereinander und mit denen der elektrischen Erregbar- keit parallel gingen und z. B. Entartungsreaction in nicht gelähmten, sondem nur leicht parstischen Muskeln (Tibial. ant., Extens. digit. brev.) bestand. Die gleiche Incongruenz mit den übrigen Erscheinungen boten die Sensibilitätsstörungen dar, die vorwiegend die unteren Extremitäten betrafen (reissende Schmerzen, Parästhesien, Abstumpfung der Tast- und Schmerzempfindung und besonders der faradocutanen Sen- sibilität bei normalem Muskelgefühl). Ferner bestand auf beiden Augen aus gesprochene Neuritis optica. Die Pupillen reagirten normal. Das Kniephänomen fehlte. Andauernde Pulsbeschleunigung, im Beginn leichte abendliche Temperatur- steigerungen. Funktion von Blase und Mastdarm normal. Abnahme der Potenz im Verlauf der Krankheit. Hyperhidrosis.

Rasche Besserung aller Erscheinungen. Psychischerseits blieb nur eine gewisse geistige Schwäche und Abnahme des Gedächtnisses zurück. Die Lähmung der Abduct. war schon im Beginn, bald darauf auch die der Finger geschwunden. Auf- fällig verhielt sich nur die Coordinationsstörung in den Beinen. Pat. vermochte zwar bald wieder aufrecht zu stehen und auch zu gehen, doch war der Gang eigen- thümlich steif und unsicher und zeigte sehr grosse Aehnlichkeit mit dem ataktischen Gang der Tabiker. Ebenfalls blieben alle übrigen complicirten Bewegungen der Beine (Besteigen eines Stuhles u. s. w.) erschwert oder ganz unmöglich. Auch jetzt keine Andeutung von Ataxie bei horizontaler Lage. Bei Augenschluss dagegen starkes Schwanken. Zur Zeit bildet ausser der psychischen Schwäche die auch nur noch geringe Coordinationsstörung in den unteren Extremitäten neben dem West- phal’schen und Romberg’schen Zeichen noch das einzige hervorragende Krankheits- symptom.

L. bringt den Fall in Parallele mit den in den letzten Jahren von G. Fischer, Löwenfeld, Dejerine u. A. mitgetheilten und von den ersteren, namentlich mit Rücksicht auf die gestörte Coordination in den Beinen, auf spinale Affeotionen zurück- geführten Krankheitsbilder, hält jedoch eine multiple Neuritig (Entzündung in den bindegewebigen Hüllen der Nerven ohne degenerative Atrophie), wie sie auch Dejerine in seinen analogen Fällen post mortem fand, für zweifellos, zumal da die- selbe an beiden Opticis ophthalmoskopisch sichtbar war. Hervorzuheben ist die starke Betheiligung der Hirnnerven bei einem im übrigen leicht verlaufenden Fall (Abduc.,, Optici, Vagi). Die gleichzeitigen psychischen Störungen weisen, ebenso wie in den Fällen der genannten Autoren, mit Bestimmtheit auf den Alkohol als Krankheitsursache hin, so dass L. im Gegensatz zur gewöhnlichen, vielleicht infec- tösen Form der Neuritis hier eine spezifische, von jener durch das Vorhandensein von psychischen und coordinatorischen Störungen sich unterscheidende Alkoholneuritis annimmt.

Die Therapie bestand neben der Entwöhnung vom Alkoholgenuss vorwiegend in

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Behandlung mit dem galvanischen Strom, daneben wurde Jodkali gegeben. Weitere Besserung, resp. vollständige Heilung ist ziemlich sicher zu erwarten.

Moeli: Bemerkungen über die Pupillenreaction. Vortr. hat im An- schluss an seine früheren Mittheilungen weiter ca. 1900 Kranke auf das Verhalten der Pupille untersucht, darunter waren 400 Paralytiker, ganz überwiegend Männer. Von den über 500 Paralytischen seiner gesammten Beobachtungsreihe hatten 47°], keine Lichtreaction, bei 4°/, war dieselbe zweifelhaft, bei 10°/, minimal. Bestätigen konnte der Vortragende die früheren Befunde, dass meist die Dilation auf sensible Reize aber, namentlich bei Frauen, nicht ausnahmslos an den lichtstarren Pupillen fehlte, und dass weit häufiger die Pupillarsymptome bei den Kranken ohne Kniephänomene sich zeigten. Die Convergenzverengerung fehlte nur sehr selten, Accommodationslähmung war nachweisbar nur in 1!/,°/, vorhanden, jedoch weist M. darauf hin, dass sich ganz allgemein diese Zahlen wegen des Zustandes vieler Patienten nicht feststellen lassen. Die Lichtstarre ist ein sehr wichtiges somatisches Symptom, viel werthvoller als die Ungleichheit der Pupille, sie ist besonders auch desshalb von Bedeutung, weil sie’ ein relativ frühes Symptom in vielen Fällen ist. Vortr. zeigt, dass bei Jahre lang beobachteten Kranken die Häufigkeit des West- phal’schen Zeichens relativ viel mehr zunimmt als die Häufigkeit der Lichtstarre, die doch im Ganzen über doppelt so oft vorkommt. Desshalb hat er, um die Be- deutung der Lichtstarre für die Diagnose der Paralyse näher zu prüfen, schon seit Jahren alle diejenigen Patienten genau verfolgt, welche Pupillenstarre ohne irgend welche anderen paralytischen Symptome wahrnehmen liessen. Die Gesammtzahl der- selben betrug nach Abzug der mit localen oder Opticusaffectionen Behafteten 56. Die durch Jahre fortgesetzte Beobachtung von 52 unter diesen Personen zeigte, dass schliesslich an Tabes litten 14 (resp. 12), dass bei 3 (resp. 5) Kranken ohne und 4 mit durch Alkoholismus erzeugten Symptomen weiterhin Zeichen der progr. Paralyse nach längerer Zeit noch hervortraten. 10 weitere Patienten, von denen 8 zur Section kamen, litten an Hirmerkrankungen verschiedenen Charakters (Er- weichungen, Sclerose, Meningitis mit Hydroceph. internus, bei Senilen Atrophie oder Anämie und Gefässveränderung ohne Herd etc). Nach Abzug dieser 31 Fälle bleiben noch 21, bei denen eine Paralyse trotz längerer Beobachtung sich nicht nachweissen liess. Hierher gehört eine Gruppe von 8 Kranken mit vorausgegangener Syphilis, dieselben boten nur zum Theil (meist einseitig) noch andere Oculomo- torius- oder Körperlähmungen, im Verlaufe der Krankheit grösstentheils nur die Lichtstarre bei guter Convergenzverengerung dar. Ausser bei einem gleichfalls früher syphilitischen Trinker sah M. unter einer grossen Zahl von Alkoholisten 4mal an- dauernde und 3mal vorübergehende Veränderung der Lichtreaction (hierunter einmal transitorisches Westphal’sches Zeichen). Die übrigen betreffen Fälle von Verrückt- heit, Verwirrtheit etc., indess ist nicht in allen über etwaiges Vorausgehen vor Syphilis etc. genügende Sicherheit gewonnen. Sonach ist nur in höchstens (wegen der nicht weiter beobachteten) 1,4°/, Lichtstarre bei wirklich Nichtparalytischen, und hier meist unter bestimmten Verhältnissen, gefunden worden. Wie oft dieselbe bei Nichtnervenkranken vorkommt, hat der Vortragende nicht untersucht.

M. erwähnt weiterhin die Untersuchungen Christiani’s, Bechterew’s, Gud- den’s und eigene Experimente, welche dazu führen, die für die Lichtreaction in Betracht kommenden Faserzüge des Reflexbogens ausserhalb der Vierhügel zu ver- legen und berichtet unter Demonstration von Präparaten über die mikroskopische Untersuchung der hintern und hintern seitlichen Wand des III. Ventrikels mittelst Osmium-Ammonisk und der Weigert'schen Hämatoxylinmethoden. Nur in Aus- nahmefällen, bei welchen sclerotische Processe sich einmischen, ist ein sehr grober, in manchen anderen ein mässiger Schwund der Fasern an der Hinterwand des III. Ventrikels nachweisbar. Es lässt sich indess eine directe Beziehung zum kli- nischen Befunde an den Pupillen nach M. keineswegs nachweisen, da er einestheils

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ähnliche Befunde auch bei alten Epileptischen, andererseits vollkommen guten Faser- bestand unter sehr verdicktem Epithel bei einem seit langer Zeit reflectorische Licht- starre zeigenden Tabischen constatirte.

Bei dem voraussichtlich sehr geringen Umfange der betreffenden Faserung sieht er andererseits diese Befunde keineswegs als für die Frage nach der Lage der Reflex- bahn irgendwie bestimmend an; um so weniger, weil er als Befund bei einem dementen Kranken, der bloss Lichtsarre ohne Veränderung der Convergenzverengerung und ohne andere somatische Symptome zeigte, einen kleinapfelgrossen Tumor demonstriren kann, der im III. Ventrikel, mit der Wand verschmolzen, sich entwickelt hatte, ohne die Vierhügel mit zu ergreifen oder wesentlich zu verdrängen, so dass hier die Ver- änderung der Lichtreaction auf die Veränderung der Ventrikelwände zurückgeführt werden kann.

Thomsen kann die Untersuchungen Moeli’s nur bestätigen. Von 1399 von ihm auf das Fehlen der Pupillenreaction (P.R) untersuchten Kranken waren 241 Paralytiker; von diesen fehlte die P.R bei 108 = 45°/,, dagegen fehlte von den übrigen 1158 nicht paralytischen Kranken die P.R. nur bei 17 = 1,5°/,. Unter diesen 17 Kranken waren 6 mit Dementia senilis, 2 mit Herderkrankungen, 3 mit Kopfverletzungen (davon einer auf Lues verdächtig), 5 Alkoholisten, von denen sich einer nachträglich als Tabet. herausgestellt hat und 4 Kranke mit chronischer Paranoia. Davon litt aber Einer an constatirter Tabes, zwei waren verdächtig auf Tabes. Eine andere Ursache für das Fehlen der P.R. liess sich bei diesen Kranken nicht nachweisen. Th. sah bei einem Alkoholisten im Verlauf eines Jahres sich einseitige Pupillenstarre allmählich entwickeln, ohne dass ein Symptom der Paralyse bis jetzt aufgetreten wäre. Bei den restirenden 215 Kran- ken (127 Epilepsie, 6 Manie, 6 Melancholie, 14 Hypochondrie, 36 Imbecillität und 26 Jementia simplex) fehlte die P.R. in keinem Falle.

Siemerling theilt die Resultate der Untersuchungen mit über 700 Fälle von geisteskranken Frauen. Die Untersuchungen wurden in Gemeinschaft mit Hrn. Dr. Uhthoff angestellt. Unter den 700 Fällen fanden sich 81 ausgesprochene Para- iysen. Von diesen 81 Fällen hatten 44 reflectorische Pupillenstarre, also 54,3 P/,. Von nicht paralytisch Geisteskranken fanden sich unter den 700 Fällen 10 mit reflectorischer Pupillenstarre. Dieselben vertheilen sich auf verschiedene Psycho- sen: 3 Dementiae seniles, 2 Epilepsie, 1 Paranoia (hatte 24 Stunden vor der Unter- suchung Morphiunichloral erhalten, später träge Reaction), 3 Tabes (1 Morphinismus,

2 mit Paranoia), 1 Lues der Hirnbasis. Zieht man die 5 letzteren Fälle ab, so erhält man 5 Fälle, also 0,6°/,, mit reflectorischer Papillenstarre unter den Nicht- Paralytischen.

Oppenheim: In der grössten Mehrzahl der Fälle der Nervenklinik, in welcher Pupillenstarre gefunden wurde, handelte es sich um Tabes dorsalis. Einige Male wurde Pupillenstarre bei Hirusyphilis beobachtet und ist es besonders zu betonen, dass die reflectorische Pupillenstarre im Verlauf der Hirnsyphilis vorübergehend das einzige oculäre Lähmungssymptom sein kann. Ferner wurde Pupillenstarre in zwei Fällen von Bailway-spine constatirt. O. richtet an Hrn. Moeli die Frage, ob er auch auf abnorm lebhafte Pupillenreaction geachtet habe und motivirt diese Frage damit, dass in der Nervenklinik gegenwärtig ein Patient beobachtet wird, welcher nach einer leichten Verletzung der Cornea an Hyperästhesia gegen Licht leidet und bei welchem nun die Pupille des empfindlichen Auges sich auf Lichteinfall bedeutend stärker ver- engt. als die des anderen Auges.

Uhthoff bemerkt zunächst Hrn. Moeli gegenüber, dass es wohl eine trauma- tische Pupillenstarre gebe, jedoch habe er eine solche dauernd nicht eintreten sehen, ohne sonstige schwerere und leicht nachweisbare Läsionen des Auges, namentlich Linsenluxation. U. hat im Vergleich mit den von den Vorrednern angeführten Re- sultaten noch das Material der Schoeler’schen Augenklinik mit herangezogen und

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eine Zusammenstellung in Bezug auf Pupillenstarre bei den letzten 10000 Augen- kranken vorgenommen. Unter Anderem fand sich unter diesen Fällen, deren ge- nuuere Daten wegen der vorgerückten Zeit nicht mehr mitgetheilt werden können, 2 mal angeborene Reactionslosigkeit der Pupillen mit erheblicher Erweiterung, beide Male jedoch war gleichzeitig nur eine ganz rudimentäre Entwickelung der Iris vor- handen. Ein Kind kam ferner zur Beobachtung, das eine doppelseitige Pupillenstarre zeigte, mit einseitiger Accommodationslähmung, bei sonst gutem Allgemeinbefinden, auch während einer längeren Beobachtungszeit. Dasselbe litt an Lues hereditaria, und U. glaubt, dass es wohl denkbar sei, dass bei Kindern mit Lues hereditaria eine Pupillenstarre eventuell schon im frühesten Alter vorkommen könne, wenn auch in diesem Falle der Beweis dafür nicht geliefert sei. Zweimal sah U. unter seinen Fällen bei engen, reflectorisch starren Pupillen, gleichzeitig Accommodationslähmung vorhanden, also ohne eigentliche Erweiterung der Pupillen. In zweiter Linie geht U. auf das Verhältniss der Accommodationslähmung zur reflectorischen Pupillenstarre etwas näher ein. Er hat zunächst der Reihe der gewöhnlichen reflectorischen Pu- pillenstarre, nach ihren ätiologischen Momenten geordnet, eine solche gegenübergestellt, wo die Accommodation und gleichzeitig der Sphincter pupillae gelähmt war. Diese beiden Reihen zeigen sich ihren ätiologischen Momenten nach geordnet sehr ver- schieden. In der 1. Reihe überwiegt durchaus die Spinalerkrankung und die pro- gressive Paralyse in der 2. die Syphilis.

W. Sander erwähnt, an den letztbesprochenen Fall des Vortragenden an- knüpfend, eines Tumors, den er vor etwa 2 Jahren zu beobachten Gelegenheit hatte, und der annähernd denselben Sitz, wie in dem Falle des Hrn. Moeli, hatte. Die Geschwulst, von der inneren Wand des Sehhügels einer Seite ausgehend, war in den Raum des 3. Ventrikels, in dessen hinteren Abschnitt hineingewachsen. Er hatte an dieser Seite die Wand des Ventrikels (die graue Auskleidung) zerstört, an der anderen Hemisphäre aber nur einen Eindruck gemacht, ohne die Substanz selbst zu schä- digen. Interessant war es nun, dass während des Lebens auf der entsprechenden Seite keine Lichtreaction des Auges vorhanden war, wohl aber auf dem anderen Auge, und hat Redner schon damals diesen Fall in Zusammenhang mit den physio- logischen Angaben Bechterew's gebracht. Weiterhin wünschte er einige Auf- klärung über Punkte, auf die der Vortragende nicht recht eingegangen, die aber doch von Wichtigkeit sind; er habe dabei im Auge, ob die Pupillenstarre nur doppel- seitig oder auch einseitig vorkommen und wie sich das Verhältniss in dieser Be- ziebung gestalte. Ferner wäre es wichtig, die ursprüngliche Weite der geprüften und starr befundenen Pupille zu berücksichtigen, ebenso die Beziehung der Starrheit zur Differenz der Pupillen u. a.

Moeli entgegnet, dass er hier absichtlich manche Fragen nicht berührt habe, er habe indess diese Verhältnisse berücksichtigt und namentlich eine Anzahl Pat. auch mit Cocaln (Sympathicuserregung) untersucht. Was die Frage nach einseitiger oder doppelseitiger Starre betreffe, so finde er in 10°/, Differenzen zwischen beiden Seiten, jedoch abgesehen von einseitiger Oculomotoriuslähmung meist nur mässigen Grades, nur sehr selten reagire eine Pupille gut bei aufgehobener Reaction der an- deren. Hochgradige Myosis sei nicht sehr häufig. Bei Lues kann Pupillenstarre als Rest einer verbreiteteren Lähmung allein verbleiben, sie kann für sich ganz allein bestehen, es kann auch zu bestehender doppelseitiger Lichtstarre vorübergehende Lähmung des Oculomotorius hinzutreten. M.

In der Sitzung der Königl. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften vom 4. Mai 1885 berichtete Paul Flechsig über die Resultate der in seinem Laboratorium an fötalen menschlichen Gehirnen ausgeführten Untersuchungen von Dr. v. Bechterew über die Schleifenschicht.

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Die Schleifenschicht der Brücke gliedert sich in eine Anzahl successiv sich ent- wickelnder, d. h. in das Stadium der Markscheidenbildung eintretender Fasersysteme. Im mittleren Theile der Brücke unterscheidet man zweckmässig zunächst drei grössere Abtheilungen: 1) eine laterale, 2) eine mediale und 3) eine zwischen beiden gelegene centrale; die letztere übertrifft die ersteren beträchtlich an Querschnitt und wird des- halb am besten als Haupttheil der Schleifenschicht bezeichnet. Auf Grund der suc- cessiven Markumhüllung sowie der verschiedenen Verknüpfungsweisen seiner Elemente gliedert sich der Haupttheil überdies in etwa fünf Theilsysteme.

Von den genannten Abtheilungen wurde zuerst markhaltig gefunden die laterale, und zwar ‘bei einem 26 cm langen Fötus. Sie enthält Fasern, welche von dem Ganglion des unteren Vierhügels gegen die obere Olive und das Corpus trapezoideum verlaufen, welch letzteres bei dem 26 cm langen Fötus markhaltig zu werden begann. Der in Rede stehende Theil der Schleifenschicht, der als „laterale‘ Schleife be- zeichnet wird, ist offenbar identisch mit der „unteren“ Schleife Meynert’s, Forel’s u. A. Doch umfasst er nicht alle aus dem unteren Vierhügelganglion gegen Brücke und Oblongata ziehenden Fasern, sondern nur einen Theil. Die von genanntem Ganglion zur Formatio reticularis ziehenden Faserbündel (soweit sie nicht dem Corpus trapezoideum sich beigesellen) werden erst weit später markhaltig (zur Zeit bezw. nach Erlangung der völligen Beife) und stellen somit ein besonderes System dar. Die Untersuchung von Gehirnen mit 26—30 cm langer Fötus nöthigt zu der An- nahe, dass das untere Vierhügelganglion durch die laterale Schleife (die streng genommen ganz allein die Bezeichnung Schleife verdient) mit der oberen Olive und dem Corpus trapezoideum (und hierdurch mit dem achten Hirnnerven) zusammen- hängt. Ein Uebergang der lateralen Schleife in das verlängerte und Rückenmark hingegen ist nicht zu erweisen. Zwar trifft man spinalwärts von der oberen Olive ein schmächtiges, .an Querschnitt kaum !|, der lateralen Schleife messendes Faser- bündel, welches sehr frühzeitig (schon vor der lateralen Schleife) Markscheiden zeigt und in die Seitenstränge des Rückenmarkes sich fortsetzt; indess ist e8 unwahr- scheinlich, dass dieses Bündel und die laterale Schleife unmittelbar zusammen- hängen bezw. gleichsinnig leiten.

Bei ca. 28—30 cm langen Fötus wurden einzelne Faserzüge des Haupttheils der Schleifenschicht markhaltig gefunden. Nach unten lassen sie sich bis in die Oliven-Zwischenschicht und von da unter Kreuzung zu den Kernen der (Burdach’- _ schen) Keilstränge verfolgen. Ein Theil dieser offenbar mit den Hintersträngen (Grundbündel) zusammenhängenden Bündel (zu denen sich übrigens auch Fasern aus dem fünften und neunten bezw. zehnten Hirnnerven zu gesellen scheinen) tritt noch im Bereich der Brücke in die Formatio reticularis über und zwar in die Gegend jener grauen Masse, die Verf. früher als Nucleus reticularis tegmenti pontis bezeich- net hat.- Die übrigen, in den Grosshirnschenkel weiter ziehenden markhaltigen Fasern des Haupttheiles schlagen zwei verschiedene Richtungen ein; ein Theil legt sich der lateralen Schleife an, gelangt so an die Aussenseite der Grosshirnschenkel- haube und tritt in ein bisher noch nicht beschriebenes Ganglion ein, welches seit- lich der Vierhügelplatte entsprechend der Grenze von vorderem und hinterem Hügel- paar gelegen ist (Nucleus lemnisci lateralis). Ein zweiter Theil verliert sich in die Formatio reticularis nach aussen vom rothen Kern der Haube. In das Grosshirn lassen sich bei 30 cm langen Fötus markhaltige Schleifenfasern nicht ver- folgen. Schon in der Gegend des oberen Vierhügels sind nur unmittelbar nach aussen vom rotben Kern einzelne markhaltige Schleifenfasern sichtbar; der in dieser Gegend mehr dorsal bezw. lateral gelegene Theil der Schleife („obere Schleife“, Forel) ist noch völlig marklos.

Bei einem ca. 33cm langen Fötus wurden beträchtlich mehr markhaltige Fasern im Haupttheil der Schleifenschicht gefunden. Dem entsprechend war auch die Oliven- zwischenschicht viel markreicher und liessen sich noch deutlicher markhaltige Züge

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von da zu den Kernen der (Burdach'schen) Keilstränge verfolgen. Der Uebergang eines Theils der in dem unteren Drittel der Brücke im Haupttheil enthaltenen Fasern in die Formativ reticularis (Gegend des Nucleus reticularis) war wesentlich deut- licher. Im oberen Theil der Brücke zerfällt der Haupttheil jetzt in zwei wohl- gesonderte Abschnitte, einen mehr nach aussen und ventral gelegenen markhaltigen und einen dorsal und nach innen gelegenen marklosen. Die markhaltigen Elomente des ersteren setzen sich theils wie bei den 28—30cm langen Fötus fort in den Nucleus lemnisci later. etc., ein anderer Theil lässt sich nach oben bis in das Grosshirn verfolgen. Die letzteren Fasern dringen zunächst in die äusseren Ab- schnitte der Substantia nigra Sömmeringii ein, steigen empor zu dem äusseren Rand des Luys’schen Körpers, durchsetzen von da aus quer die innere Kapsel und dringen so radiär in den Linsenkern ein, in dessen erstem und zweitem Glied sie sich ver- theilen, ohne die Grenze dieser Glieder zu überschreiten. In der inneren Kapsel, im Stabkranz u. s. w. finden sich bei dem fraglichen Fötus nirgends markhaltige Fasern. Dagegen ist die Meynert'sche Commissur markhaltig, deren Fasern mit den aus der Schleife kommenden zusammenzuhängen scheinen und andererseits in den Linsenkern eindringen.

Bei einem ca. 38cm langen Fötus zeigte der Haupttheil der Schleife einen mächtigen Zuwachs an markhaltigen Fasern. Die vorher noch zahlreiche marklose Bündel führende Olivenzwischenschicht erscheint fast vollständig markhaltig; und es lassen sich jetzt auch markhaltige Bündel aus derselben in die Kerne der zarten (Goll’schen) Stränge verfolgen, so dass oflenbar der Zuwachs an markhaltigen Fasern im Haupttheil der Schleifenschicht auf Rechnung von Fasern aus den Kernen der Goll’schen Stränge zu setzen ist. Im oberen Theil der Brücke ist jetzt auch die innere dorsale Abtheilung des Haupttheils markhaltig (die „mediale Schleife“ noch völlig marklos). In der oberen Vierhügelgegend ist auch der lateral-dorsale Abschnitt der Schleife („obere 8.“) markhaltig geworden; nach hinten legt sich ihm ein (bereits bei 33cm langen Fötus markhaltiges) Bündel an, welches vom unteren Vierhügelganglion gegen das Grosshirn zieht (nicht identisch mit dem brachium con- junct. posticum, welches erst gegen die Zeit der Reife markhaltig wird). Der dor- sale Abschnitt der Schleife in der oberen Vierhügelgegend („obere 8.“) setzt sich in Verbindung mit einzelnen Fasern des dem rothen Kern benachbarten Schleifentheils fort gegen das Corpus geniculatum externum und weiter an die Basis des Seh- hügels. Hier entzieht er sich dem weiteren Nachweis. Einzelne Fasern scheinen ‚direct bis in die innere Kapsel vorzudringen und hier an der Aussenseite des Tha- lamus gegen den Stabkranz emporzusteigen. Bei 45—-46cm langen Fötus sind in der That schon zahlreiche markhaltige Fasern im Linsenkern, im hinteren Abschnitt der inneren Kapsel und im Stabkranz der Scheitellappen markhaltig, welche man als Fortsetzung der vorerwähnten Schleifenbündel ansehen kann; indess bleibt doch fraglich, ob sie nicht im Sehhügel (und inneren Kniehöcker?) zunächst durch graue Massen unterbrochen werden.

Bei ca. 40cm langen Fötus legt sich dem Haupttheil der Schleifenschicht im unteren Drittel der Brücke noch ein weiteres markhaltiges Bündel an, welches in die Grenzregion von Olivenzwischenschicht und Nucleus centralis (Formatio reticu- laris übergeht, dessen Bedeutung vorläufig noch nicht klar gelegt werden konnte (Fasern aus den „Kernen der zarten Stränge?“).

Die mediale Schleife wurde noch bei einmonatlichen Kindern marklos gefunden, wird also erst längere Zeit nach der Geburt markhaltig. Sie verläuft nur zwischen Grosshirn und Brücke, geht also nicht in die Oblongata über. Sie verliert sich nach oben in der Gegend der Subst. nigra bez. des Corpus mammillare, dessen Faserzüge (Fornix, Vicq d’Azyr’sches Bündel) gleichfalls erst sehr spät markhaltig werden.

Aus dem Vorstehenden ergiebt sich in anatomischer Hinsicht u. A.; Der Haupt-

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theil der Schleife enthält überwiegend Fasern, welche als indirecte Fortsetzungen von Fasern der Hinterstränge des Rückenmarkes anzusehen sind. Die aus den Bur- dach’schen Keilsträngen hervorgehenden Faserbündel enden in gewissen Bezirken der Formatio reticularis von (Oblongata) Pons und Vierhügelgegend, im Nucleus lemnisci lateral. und Linsenkern; die von den Goll’schen Strängen kommenden Fasern enden entweder im Thalamus opticus (bez. inneren Kniehöcker?) oder gehen (nur theilweise?) ununterbrochen durch die innere Kapsel in den Stabkranz und von da zur Rinde der Scheitellappen. Flechsig.

IV. Bibliographie.

Zur Physiologie des Gehirnes, von Dr. Arthur Christiani, a. o. Prof. a. d. Universität zu Berlin. Mit 2 Tafeln. (Berlin. Enslin. 1885.)

Das Heft enthält in 8 Capiteln eine Anzahl von früher bereits publicirten nebst einigen neuen Abhandlungen des Verfassers.

Einen breiten Theil nimmt die Behandlung der Frage von der Localisation der Sehfunction und die Recapitulation, sowie eine Fortsetzung der mit Munk geführten Polemik ein.

Den ersten Theil der ersten, bereits in den Monatsberichten der Akad. d. W. 1881 publieirten Abhandlung, welcher Versuche über Athmungscentren und Athmungs- nerven enthält, übergehen wir. In dem zweiten Theile dieser Abhandlung weist Verf. nach, dass sich Kaninchen, denen das Grosshirn incl. Streifenhügel vor den Sehhügeln abgetragen ist, im Allgemeinen verhalten, wie nicht enthirnte Thiere. Sie vermögen also namentlich umherzugehen, ohne Zeichen von Blindheit zu verrathen.

Hält man äussere Reize von ihnen fern, so schlafen sie meist, erwachen gelegentlich aber auch „spontan“ und gehen dann umher. Gegen Gehörsreize zeigen sie eine erhöhte Reflexerregbarkeit. Nach medianer Trennung der Schhügel oder Abtragung derselben ist dagegen die Fähigkeit der Locomotion und die dazu, sowie zum Sitzen und Stehen erforderliche Coordination gänzlich verloren.

Das vorher angeführte Wort „spontan“ hat zu Missverständnissen Veranlassung gegeben. Während Munk meinte, Verf. habe damit willkürliche Bewegungen be- zeichnen wollen, lehnt letzterer diese Unterstellung entschieden ab, und hat darunter nur die längst bekannten, durch die inneren Reize der Verwundung angeregten Be- wegungen begriffen.

Die nächsten Capitel beschäftigen sich wesentlich mit der Vertheidigung der in der ersten Abhandlung und zwar vornehmlich bezüglich des Seheus der Enthirnten gemachten Angaben.

Munk nimmt bekanntlich an, dass alle Thiere der ganzen Reihe von den Vögeln an bis zum Affen aufwärts durch Ausschaltung des Grosshirns eventuell der von ihm sogenannten Sehsphären vollkommen blind wurden, derart, dass jeder Ein- fluss des Sehorgans auf die Regulirung der Körperbewegungen gänzlich fortfiele.

Verf. ist dagegen zwar „weit entfernt daran zu glauben, dass die des Gross- hirns beraubten Thiere so sehen können, wie die normalen Thiere“, nimmt aber an, dass in diesen Thieren (Kaninchen) optische Eindrücke noch zweckmässig verwerthet werden, indem die letzteren auf das im Sehhügel belegene Hauptreflex- und Coor- dinationscentrum (s. oben) so einwirken, dass die Thiere zu zweckmässigen Reflex- bewegungen gelangen.“ Die Meinungsverschiedenheit beider Autoren erklärt sich in folgender Weise:

Wenn Verf. sah, dass die Enthirnten Hindernissen noch ausweichen, so erklärt Munk dies aus Zufälligkeiten, z. B. Reitbahnbewegungen um einen zufällig im Cen- trum des zwangsmässig beschriebenen Kreises liegenden Gegenstand, während Verf.

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wieder das Vorkommen von Reitbahnbewegungen bei seinen Versuchsobjecten in Ab- rede stellt. Wenn andererseits Munk sich darauf stützt, dass seine Thiere blind- lings in die Hindernisse hineinliefen, so wendet ihm Verf. die allerdings wohl jedem Experimentator bekannte Thatsache ein, dass sich Kaninchen mit unangetastetem Gehirn und Auge unter Umständen ebenso benehmen.

Im Ferneren werfen sich beide Forscher gegenseitig operative Schwächen vor, insbesondere monirt Chr., dass Munk nothwendig Reste vom Streifonhügel, die als lebensfähige Aequivalente von Grosshirnresten noch Anlass zu einseitigen oder doppel- seitigen Erregungen geben konnten, habe stehen lassen müssen etc.

Ref. vermag diesen Versuchen, insoweit sie den Gesichtssinn enthirnter Kaninchen angehen, den von M. und Chr. ihnen beigemessenen Werth überhaupt nicht zuzuer- kennen. Die zu erweisende Uebertragung der optischen Reize auf die „Coordinations- centren“ wird in die dem Thalamus und den Vierhügeln zugehörigen Organe verlegt. Unmittelbar an der vorderen Grenze dieser Organe wird nun eine so eingreifende Operation, wie die Abtragung der Hemisphären, vorgenommen. Ob und in wie weit die Function der Ersteren hierdurch im Einzelfalle geschädigt wird, ist wohl kaum zu ermessen. Einzelne Forscher gehen, allerdings mit Unrecht, so weit, den un- mittelbaren Folgen relativ unerheblicher, die Binde betreffender Eingriffe jede Bedeutung abzusprechen.

Hier aber werden die Beweise geführt, lediglich mit solchen Vorgängen, die innerhalb von höchstens 50 Stunden so lange bleiben die Thiere höchstens leben nach der eingreifendsten Operation am Hirnstamme, in der unmittelbarsten Nach- barschaft der zu untersuchenden Uebertragungsapparate beobachtet wurden!

In den Capiteln V—VII giebt Verf. eine historische Uebersicht über die Frage von der Localisation der Sehfunction, um schliesslich in Capitel VIII „Rückblicke und Ausblicke“ als eigene Ansicht über die Natur der durch Eingriffe in das Hinter- hauptshirn gesetzten Sehstörungen die Hypothese vorzutragen, dass der Eingriff Reiz- wellen in centrifugaler Richtung ausschicke, welche zur partiellen oder totalen Inter- ferenz mit den normalen centripetal fliessenden Wellen und damit zur Sistirung der Function der subcorticalen Sehganglien führe. Hitzig.

V. Personalien.

Am 19. Juli starb zu Salzbrunn in Schlesien nach längerer Krankheit Prof. Dr. Oscar Berger im 41. Lebensjahre. Seit 1873 in Breslau habilitirt, wurde er 1878 Prof. extraord. daselbst, wo er bereits seit 1877 dirigirender Arzt des Armen- hauses war. Ausser einer Monographie: Die Lähmnng des Nerv. thoracicus long. (Breslau 1873) veröffentlichte er eine Reihe von umfangreichen klassischen Artikeln in der Eulenburg’schen Realencyclopädie (Epilepsie, Beschäftigungsneurosen, Para- lysis agitans, Tetanie), wie in verschiedenen Archiven und Zeitschriften aus dem Gebiete der Neuropathologie. Auch diese Zeitschrift zählte ihn zu ihren thätigen Mitarbeitern, und hat sowohl von ihm, wie von seinen Schülern werthvolle Beiträge erhalten.

So beklagen wir nicht nur den Verlust eines der thätigsten und tüchtigsten Neuropathologen Deutschlands, sondern auch den eines Freundes und Förderers dieser Zeitschrift. Möge ihm die Erde leicht sein!

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Vrır & Come. in Leipzig. Druck von Marzerk & Wırrie in Leipzig.

NEUROLOGISCHESCENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten,

Herausgegeben von

Professor Dr. E Mende)}- Vierter | in . Jährgang.

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Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

1885, 15. August.

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Ne 16.

Inhalt. 1. Originalmittheilungen. 1. Zur Symptomatolcgie der Ponserkrankungen, von Prof. 3. Mierzejewsky und Privatdocent P. Rosenbach. 2. Einige Bemerkungen zu Herrn Dr. E. Remak’s Mittheilung „Ein Fall von generalisirter Neuritis ete.“, von Dr. L. Löwen- feld. 3. Replik anf vorstehende „Bemerkungen“, von Dr. Ernst Renmak.

ll. Referate. Anatomie. 1. Ueber einen besonderen Bestandtheil der Beitenstränge des Rückenmarks und über den Faserursprung der grossen aufsteigenden Quintuswurzel, von Bechterew. Experimentelle Physiologie. 2. Ueber den Einfluss der Reizung sen- sibler Nerven auf das Gefässsystem des Menschen, von Istomanow. 8. Bei zur Kennt- niss des Muskeltonus, von Mommeen. Pathologische Anatomie. 4. Beiträge zur patholog. Anatomie des oentralen Nervensystems, von uapl: 5. Spinal sclerosis or degeme- ration following brain-lesion, by Mickle. Pathologie des Nervensystems. 6. Solitär- tuberkel im Kleinhirn, von Brieger. 7. Drei Fälle von Tabes im Kindesalter, von B. Remak. 8. Ueber die Exanthome der Tabetiker von Janovsiy. 9. A oase of ataxio arthropathy, by Breeks. 10. Zur Frage über die oombinirten Systemerkrankungen des Rückenmarks, von Erlitzky und Rybalkin. 11. La möthode graphique du Prof. du Moulin agpliguse an dieg- nostic de l!’alcoolisme et du saturisme, par Cuylits. 12. Muscular atrophy due to leadpoiso- ning, by Swekling. 13. Zur pathologischen Anatomie der, Bleiläihmung, von Oppenheim. 14. Alosholic Paralyais, by Hun. Psychiatrie. 15. Etude sur une affection nerveuse caraetörisse par de l’inooordination metrica aooompagnse d’6cholalie et de coprelalie, par de la Tourette. 16. Ueber die Beeinflussung der Geistesstörung durch Schwangerschaft, von Peretti. 17. Zur Lehre von der acuten hallucinatorischen Verworrenheit, von Konräd. 18. Om Drörtygning hos Mennesket, af Johannessen. Therapie. 19. Des injections hypodermiques d’ergokine daus le traitement de la paralysie gönsrale, par Descourtis. 20. De P’emploi du curare dans le traitement de l’&pilepsie, par Bourneville et Bricon. 21. Om massage af hals- oh) ar en vid tic douleureux, af Rossander. 22. On the use of the absolute galvanometer, with description of Hirschmann’s new instrument, by Sachs. | Mi. Aus den Gesellschaften. IV. Bibliographie. V. Personallen. IV. Vermischtes.

I. Originalmittheilungen. 1. Zur Symptomatologie der Ponserkrankungen.

Von Prof. J. Mierzejawsky und Privatdocent P. Rosenbach in St. Petersburg.

Ungeachtet der Mannigfaltigkeit der Symptome, die durch Affectionen der Varolsbrücke bedingt werden können, weist ihre Cumbination eine gewisse Be- ständigkeit auf, die die Diagnostik pathologischer Processe in diesem Hirngebiet verhältnissmässig leieht macht. Abgesehen von den gewöhnlichen, sogenannten gekreuzten Lähmungen, werden beschränkte organische Erkrankungen der Varols-

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brücke in selteneren Fällen von einer eigenthümlichen associirten Lähmung der Augenmuskeln begleitet, deren Entstehungsmechanismus bisher noch nicht völlig aufgeklärt. ist. -In Anbetracht dessen scheint es uns angezeigt folgende Be- obachtung zu veröffentlichen, die auch in anderer Hinsicht von Interesse. ist.

Am 6. Januar c. wurde in unsere Klinik ein 34jähr. Kaufmann (Israelit) auf- ‘genommen, mit- folgendem Status: |

Patient ist mittleren Wuchses, regelmässig gebaut; die Hantbedeckung anämisch, der allgemeine Ernährungszustand merkbar geschwächt. Seitens des Gesichts besteht vollkommene Lähmung des rechten N. facialis sowohl des unteren, als auch des oberen Astes desselben: die Musculatur der rechten Gesichtshälfte ist vollkommen unbeweglich, betheiligt sich nicht an der Mimik und contrahirt sich auch nicht reflectorisch. Die Nasolabialfalte ist rechterseits verstrichen, der rechte Mundwinkel herabgesunken und nach links verzogen, die Zungenspitze nach links gewendet; das rechte Gaumensegel steht niedriger als das linke. Die Furchen der rechten Stim- hälfte sind verstrichen, und das rechte Auge lässt sich nicht schliessen. Die elek- trische Erregbarkeit der gelähmten Muskeln ist im Vergleich zu derjenigen der gesunden Gesichtshälfte gesteigert, was bei faradischer sowohl, als bei galvanischer ‚Reizung deutlich zu Tage tritt. Die durch letztere hervorgerufenen Contractionen haben rechterseits einen ausgeprägt trägen Charakter; dabei ist KaSZ >AnSZ. Seitens der Extremitäten sind keine Lähmungserscheinungen vorhanden. Der Kranke ist zwar überhanpt sehr schwach, hält sich mit Mühe auf seinen Füssen und schwankt beim Gehen ein wenig zur linken Seite; doch weder an den oberen, noch an den unteren Extremitäten lässt sich eine Differenz der Muskelkraft oder elektrischen Er- regbarkeit zwischen rechter und linker Seite wahrnehmen. Die Kniephänomene fehlen beiderseits. Die Hautsensibilität ist am ganzen’ Körper vollständig erhalten, wie auch der Muskelsinn.

Das rechte Auge steht unbeweglich im inneren Winkel, und seine Auswärts- drehung ist vollkommen aufgehoben. Die Beweglichkeit des linken Augapfels in der Richtung nach anssen, oben und unten ist unbeeinträchtigt; nach innen jedoch lässt er sich nur bis zur Mittellinie drehen. Diese Lähmung des M. rectus externus des rechten und Parese des M. rectus internus des linken Auges treten nicht nur bei associirten Bewegungen beider Augen zu Tage, sondern auch bei monoculärer Unter- suchung. Die Pupillen sind an beiden Augen gleichmässig erweitert; die Reaction auf Lichtreize ist an beiden erhalten. Die Sehschärfe ist an beiden Augen, beson- ders am rechten in bedeuteudem Maasse herabgesetzt, und die ophthalmoskopische Untersuchung constatirt an beiden Neuroretinitis.

Die Herztöne sind rein, doch etwas abgeschwächt und beschleunigt. Percussion und Auscultation der Brust ergeben das Vorhandensein einer weit vorgeschrittenen Pneumonia chronica.

Pat. klagt über allgemeine Schwäche, Kopfschmerzen, .Schwindel und häufiges Erbrechen mit Uebelkeit. Sprache, Gedächtniss und Intelligenz bieten nichts Ab- normes.

Pat. giebt an, dass er vor 6 Wochen an heftigen Kopfschmerzen, vorzüglich im Hinterkopf, erkrankt sei; bald haben sich zum Kopfschmerz Anfälle von Erbrechen hinzugesellt, sowohl nach den Mahlzeiten, als auch unabhängig von letzteren. Vor 4 Wochen habe sich plötzlich Lähmung der rechten Gesichtshälfte nebst Schielen eingestellt, und zeitweise litt er an heftigem Schwindel mit Doppeltsehen. Zugleich begann er sich schwach zu fühlen und rasch abzumagern. Syphilitische Infection wird in Abrede gestellt; er will früher stets gesund gewesen sein, ist verheirathet und hat gesunde Kinder.

Bald nach seiner Aufnahme begann Pat. zu fiebern, und die Lungenerkrankung schritt rasch vorwärts, begleitet von stetiger Abnahme der allgemeinen Ernährung.

Das Erbröchen sistirte während der ersten Tage (Verabreichung von Opium und Codein), doch bald stellte es sich wieder ein, trotz der Verordnung narkotischer Mittel; es trat in Gestalt wiederholter Anfälle auf, unabhängig vom Speisegenuss. Letzterer war sehr beschränkt in Folge von Appetitlosigkeit. Der subjective Zustand verschlechterte sich immer mehr Pat. litt beständig an heftigen Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Husten und hohem Fieber.

Die Erscheinungen seitens des Gesichts und der Augenmuskeln blieben stationär bis zum Tode, der am 10. Februar (35 Tage nach der Aufnahme) eintrat. Die elektrische Erregbarkeit der gelähmten Gesichtsmuskeln wies während der ganzen Zeit die nämlichen Veränderungen auf, die oben beschrieben sind; in den letzten Tagen trat die Trägheit der Zuckungen an den gelähmten Muskeln noch deutlicher hervor. Doch am Morgen des 10. Februar (6 Stunden vor dem Tode) ergab die Untersuchung eine bedeutende Herabsetzung der faradischen sowohl, als galvanischen Erregbarkeit in den vom oberen Ast des rechten N. facialis innervirten Muskeln, während sie in der übrigen Musculatur der rechten Gesichtshälfte, wie früher, er- höht blieb.

Der Tod erfolgte unter den Erscheinungen äusserster Erschöpfung und Aus- zehrung durch die ausgebreitete Lungeninfiltration und hohes Fieber, ohne neue Hirnsymptome.

Die Section (46 Stunden post mortem) ergab Lungenschwindsucht mit tuber- culösen Ablagerungen und entsprechenden Veränderungen der parenchymatösen Organe.

In der Schädelhöhle fand sich eine Anomalie des Skelets der Boden der mittleren Schädelgrube war merkbar emporgewölbt, besonders an der linken Seite. Am Gehirn selbst war bei äusserer Besichtigung nichts Abnormes zu entdecken. Bei Durchschneidung der Varolsbrücke fand sich in der Substanz letzterer eine runde Geschwulst harter, elastischer Consistenz, mit stellenweise eingestreuten Erweichungs- cysten. Die Geschwulst besitzt die Gestalt einer fast regelmässigen Kugel, ungefähr 2 cm im Durchschnitt, und ist von der Gehirnmasse, in der sie frei eingeschlossen liegt, scharf abgetrennt. Sie liegt in der dorsalen Portion der Varolsbrücke, in der rechten Hälfte derselben, und hat die Raphe und linke Hälfte der Brücke nach links gedrängt. Dorsalwärts wölbt sie sich frei in die Höhe des 4. Ventrikels her- vor, indem sie sich ein wenig über dem Niveau der Rautengrube erhebt. Wie aus Figur A. zu ersehen ist, drängt sie auch hier die Raphe zur linken Seite; nach aufwärts hin reicht sie beinahe bis zur Uebergangsstelle des 4. Ventrikels in den Aquaeductus Sylvii, nach unten hin endet sie ungefähr 3 mm weit vor den Striae acusticae. In der Brückensubstanz entspricht der Tumor seiner Lage nach der Haubenregion, so dass nicht nur die Pyramidenbahnen, sondern auch der grösste Theil der Fibrae transversales pontis prof.-keine Verschiebung erlitten haben (vgl. Fig. B.).!

Die Abbildungen zeigen ausserdem, dass sowohl im verlängerten Mark, als im Pons, die linke Hälfte zur Seite gedrängt und merkbar verschmälert ist. Die Sub- stanz der Varolsbrücke selbst ist in Gestalt einer dünnen Schicht unmittelbar an der Peripherie des Tumors erweicht. Die Geschwulstmasse erwies sich bei mikro- skopischer Untersuchung als ein an Blutgefässen- reiches Gliom, mit stellenweiser käsiger Enntartung.

Sonst wies das Gehirn nichts Pathologisches auf, abgesehen von einer - merk- baren Erweiterung des Aquaeductus Sylvii und der Seitenventrikel. |

Die mikroskopische Untersuchung der Brücke und Medulla oblongata ergab, dass in der Nachbarschaft des Tumors eine chronische Entzündung des Hirngewebes stattgefunden hatte. .Die Neubildung hatte in der rechten Hälfte des Bodens des

ı Die beschriebenen Präparate wurden in der Februar-Sitzung der St. Petersburger psychiatrischen Gesellschaft demonstrirt.

_ BU

4. Ventrikels eine halbkugelförmige Einsenkung hervorgebracht (entsprechend dem in die Tiefe eindringenden Segment), und hier war das Ependym des Ventzikels völlig zerstört; unter dem Ependym war das Gewebe mit lymphoiden Elementen infiltrirt, die Blutgefässe waren beträchtlich erweitert, und daselbst fanden sich zahl- reiche Körnchenzellen, Amyoloidkörperchen, Verdickung der Bindegewebs-Rälkchen,

Fig. A.

Der Boden des 4. Ventrikels. s Segment des Tumors, der in die Rautengrube hervorspringt.

Querschnitt durch die Varolsbrücke, in der Höhe des oberen Endes des 4. Ventrikels. a Durchschnitt des Tumors.

Neubildung apinnenförmiger Zellen und Zerstörung der Nervenelemente (Zellen und Fasern). Diese am stärksten unmittelbar unter dem Ependym ausgeprägten Ver- änderungen setzten sich mit abnehmender Intensität in die tieferen Schichten der Formatio reticularis (in der Richtung zur Basis) fort. Vergleichung der rechten und

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Imken Hälfte der Querschnitte zeigte, dass auch in letzterer Proliferation der binde- gewebigen Elemente bestand; doch war hier der Process bedeutend schwächer aus- gedrückt und beschränkte sich vorzüglich auf die Nachbarschaft der Raphe.

Die der Lage des Tumors entsprechende Einsenkung des Bodens des 4. Ventrikels erstreckt sich in der Richtung nach unten bis zum Niveau des oberen Endes der Oliven (infer.), und auf den Querschnitten des verlängerten Marks von dieser Höhe ab erscheint das Ependym unversehrt; aber rechterseits ist die Proliferation des Bindegewebes unter letzterem auch hier, im Gebiet der hier eingelagerten Nerven- kerne stark ausgeprägt, vorzüglich in den inmeren Portionen der Schnitte. Das sub- ependymäre Gewebe ist stellenweise ganz erweicht, so dass das Ependym von dem- selben abgelöst ist, und einzelne Gruppen der Nervenzellen sind gänzlich zerstört, indem sich an ihrer Stelle Anhäufungen von Amyloidkörpern, Körnchen- und Spinnen- zellen gebildet haben; in der Nachbarschaft solcher Anhäufungen sind die Nerven- zellen zum Theil degenerirt, zum Theil erhalten, aber ihres Zusammenhangs mit anderen Nervenelementen beraubt. In der Höhe des oberen Endes der Oliven breitet sich der pathologische Process noch über die Raphe hinüber in die linke Hälfte des Querschnitts aus; doch in letzterer hat das Ependym überall seinen Zusammenhang mit dem unterliegenden Gewebe bewahrt, und nur letzteres ist hier in der Nähe der Raphe von zahlreichen Iymphoiden Elementen und nengebildeten Spinnenzellen durchsetzt.

In der Richtung nach vorn (zur Hirnbasis) erreicht der entzündliche Process weder rechts noch links die Oliven, so dass die vorderen Portionen der Schnitte beiderseits ganz normal erscheinen abgesehen von der bereits oben erwähnten Verringerung des Querdurchmessers der linken Hälfte. Letztere erstreckt sich auf den ganzen Verlauf der Medulla oblongata, nimmt in der Richtung nach abwärts allmählich ab und verschwindet gänzlich erst in der Höhe des Calamus scriptorius. Bis hierher lässt sich auch die lymphoide Infiltration und Neubildung von Spinnen- zellen verfolgen; doch vom Niveau der Mitte der Oliven ab beschränken sich diese Veränderungen nur auf die oberflächliche subependymäre Schicht und lassen die Nervenkerne völlig unversehrt.

Aus obenstehender Beschreibung ist ersichtlich dass der Tumor selbst. in dem von ihm eingenommenen Raum nicht zur Zerstörung des Hirngewebes ge- führt, sondern die Nervenelemente verdrängt und in seiner Umgebung einen chronisch-entzündlichen Process verursacht hat, der wie die Resultate der mikroskopischen Untersuchung zeigen an der Oberfläche der rechten Hälfte der Rautengrube sich fortpflanzte, zum Theil auch die linke ergreifend. Die Intensität der Entzündung, die am heftigsten in der den Tumor unmittelbar umgrenzenden Zone ausgeprägt ist, nimmt mit der Entfernung von demselben rasch ab. Die Zerstörung der Nervenelemente ist deshalb am grössten in der grauen Substanz im oberen Abschnitt der Rautengrube und in den Kernen des VII. und VI. Paares der rechten Seite; in letzteren sind ganze Gruppen von Nervenzellen untergegangen. Bedeutend geringer afficirt sind die Kerne des VIH. Paares rechts und diejenigen des VII. und VI. Paares links, da der Ent- zündungsprocess hier im Stadium der lymphoiden Infiltration stehen geblieben ist, ohne zu Proliferation von Bindegewebe und damit verbundener Atrophie der Nervenelemente fortzuschreiten. Noch schwächer und geringfügiger ist die entzündliche Reaction in den weiter unten gelegenen Kernen des IX., X., XI. und XII Paares. Auf Querschnitten aus dem Niveau dieser Kerne war nur eine unbedeutende Erweichung des Gewebes unmittelbar unter dem Ependym

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währnehmbar, die Kerne selbst aber vollständig erhalten. Wie bereits erwähnt, waren die äusseren und vorderen Portionen der Querschnitte aus der Brücke sowohl, als aus der Medulla oblongata, frei von jeglicher Affection; es waren also verschont geblieben die Wurzeln des Trigeminus, die Faserzüge der Klein- hirnstiele und der Schleife, die Oliven und die Pyramidenbahn; dagegen waren die Fasern des hinteren Längsbündels, das neben der Raphe verläuft, in einer grossen Strecke ihrer Bahn beiderseits zerstört.

(Schluss folgt.)

2. Einige Bemerkungen zu Hrn. Dr. E. Remar’s Mittheilung „Ein Fall von generalisirter Neuritis ete.“ Von Dr. L. Löwenfeld.

In einer in Nr. 14 dieses Centralblattes veröffentlichten Mittheilung über einen Fall generalisirter Neuritis erwähnt Remar u. A., dass in Bezug auf die ruckartigen Bewegungen der Finger sein Fall an einen von mir mitgetheilten von „multipler Neuritis mit Athetosis“ erinnere. Dem fügt er die weitere Be- merkung bei, dass er für derartige wenig ausgiebige Bewegungen ohne die charakteristischen Verdrehungen der Gelenke die Bezeichnung Athetosis für völlig verfehlt erachte.

Ich bin gerne bereit, diese Ansicht Remar’s zu unterschreiben, soweit die selbe seine eigene Beobachtung betrifft. Dagegen erscheint mir eine Identificirung, ja selbst eine Zusammengruppirung der von mir beschriebenen Bewegungsstörungen mit den von REMmAK beobachteten entschieden ungerechtfertig. Bei REMmax handelt es sich um einen gewöhnlichen Tremor, der bei Willkürbewegungen sich geltend macht und auch in der Ruhe sich nicht völlig verliert. Bei meinem Patienten war von einem Tremor bei Willkürbewegungen keine Spur vorhanden, und auch die in der Ruhe sich darbietenden Bewegungsphänomene hatten absolut nichts Tremorartiges an sich, wie aus meiner Darstellung für Jeden, der dieselbe aufmerksam liest, erhellen muss. Denn

1. betrafen die „ruckartigen“, wenig ausgiebigen Bewegungen immer nur vereinzelte Finger;

2. wechselten dieselben ab mit viel ausgiebigeren Bewegungen anderen Charakters, Bewegungen, die überwiegend den Eindruck langsam und zu ge- wissem Zwecke ausgeführter Willkürbewegungen (von Greifbewegungen z. B.) machten ;!

3. erfolgten die einzelnen Bewegungsacte zumeist in Intervallen von meh- reren Secunden;

1 „oder aber man sah einzelne, meist jedoch mehrere Finger gleichzeitig und in gleicher Richtung in eine langsam fortschreitende Bewegung eintreten, wobei es schliesslich zu weit erheblicheren Ortsveränderungen der Finger kam, als im ersten Falle.“ Neurolog. Centralbl. 1885. Nr. 8. 8. 173.

361

4. waren dieselben durch den Willen nicht zu unterdrücken, verschwanden dagegen sofort bei Ausführung von Willkürbewegungen.

Nur für die eine Gruppe der von mir geschilderten Bewegungen mag eine gewisse, oberflächliche Aehnlichkeit mit den von REemak beobachteten ruck- artigen zugegeben werden. Dagegen findet sich keine Andeutung von etwas der 2. von mir beobachteten Bewegungsgruppe auch nur Aehnlichem in Remax’s Fall. Wenn daher Remak seine und meine Be- obachtungen offenbar zusammenfassend glaubt, dass für „derartige wenig aus- giebige Bewegungen“ die Bezeichnung Athetosis völlig verfehlt sei, so ist diese Meinung, soweit mein Fall in Betracht kommt, jedenfalls unhaltbar, da es sich eben bei mir keineswegs lediglich um „derartige wenig ausgiebige Bewegungen“ wie bei seiner Patientin handelt, und überhaupt die von mir beobachteten Be- wegungsphänomene abgesehen von der nur einen Theil derselben betreffenden oberflächlichen Aehnlichkeit mit den von REmAkX constatirten nichts gemein haben.

Dies zur Richtigstellung des Sachverhaltes. Uebrigens kann ich nicht um- hin zu bemerken, dass ich das Schwergewicht meiner bezüglichen „Mittheilung nicht in der Bezeichnung des von mir Beobachteten, sondern in dem Thatsäch- lichen erblicke. Dieses liegt darin, dass ich bei multipler Neuritis gewisse, bei dieser Erkrankung noch nicht beobachtete Bewegungsstörungen wahrzunehmen in der Lage war. Für denjenigen, der mit dem derzeitigen Stande der Lehre von den Hyperkinesen vertraut ist, kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die fraglichen Bewegungsphänomene, sofern man dieselben nicht als eine neue, eigenartige Krampfform auffassen will, sich nur den als Athetosis beschriebenen Motilitätsstörungen anreihen lassen. Ich entschied mich für das Letztere, weil ich der Ansicht bin, dass man die Krankheitsbegriffe nicht ohne Noth vermehren soll, und andererseits nach reiflicher Durchsicht der Literatur diejenigen Kriterien, die man heutzutage als wesentlich für die Annahme einer Athetosis ansehen kann, sämmtlich in meinem Falle gegeben fand. Welche Momente hier in Betracht kommen, dies hab: ich bereits in meiner Mittheilung (Neurol. Centralbl. 1885. Nr. 8. S. 174) dargelegt; eine Wiederholung des Gesagten an dieser Stelle ist wohl überflüssig.

München, 17. Juli 1885.

3. Replik auf vorstehende „Bemerkungen“, Von Dr. Ernst Remak.

Als ich am 5. November 1877 mit einem bereits S. 319 citirten, auch im Archiv für Psychiatrie Bd. VIIL S. 773—779 abgedruckten Vortrag der Berliner Gesellsch. f. Psych. u. Nervenkrankh. einen Patienten mit halbseitigen „klavier- spielartigen“ Bewegungen der Extremitätenenden vorstellte, ergab die mit den Herren BERNHARDT, EwALp, WESTPHAL, SANDER geführte Discussion, dass unter den mannigfachen rhythmischen und nicht rhythmischen bereits von

7%

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Gowazs schematisirten Krampfformen als Athetosis nur die charakteristi- schen, meist unablässigen, zähen, langsamen ausgiebigen, gewalt- samen Bewegungen bezeiohnet werden dürfen, welche ihr erster Beschreiber HAMmMonND so genannt hat. Brraxr hatte sie in der Berl. klin. Wochenschrift 1877. 8. 31 ff. geradezu als grotesk beschrieben. Es hat sich bekanntlich be- stätigt, dass dieselben lediglich bei cerebralen Erkrankungen gewissermaassen als Abart: der cerebralen Chorea vorkommen; von RosengacH (Virchow’s Arch. Bd. 68) bei Tabes beschriebene Zuckungen kommen für eine etwaige spinale Pathogenese der Athetosis um so weniger in Betracht, als BarRwHARDT (Deutsche med. Wochenschr. 1876. Nr. 48) auf einen Linsenkernherd des R.’schen Falles hinwies.

Da nun Herr LöwEnFeLD nach seiner eigenen Erzählung 8. 152 die Krampf- bewegungen seines Kranken nur zufällig bei der elektrischen Exploration be- merkte, so bin ich der Zustimmung aller Neuropathologen, welche echte Athe- tosis gesehen haben, bei der Behauptung sicher, dass das äusserst sinn- fällige, nicht zu übersehende Symptomenbild der Athetosis auch nach der‘obigen Beschreibung nicht vorlag, zumal die Willkürbewe- gungen durch die Krampfbewegungen nicht gestört waren und letztere dabei völlig aufhörten. Weil die beobachteten Bewegungen nicht der Chorea, dem Tremor, der Paralysis agitans, dem Myoclonus multiplex angehörten (dies ist die Beweisführung auf S. 174) durfte die Athetosis noch nicht als lückenbüssende bereits in der Ueberschrift sensationelle Bezeichnung eintreten, wenn auch zu- gegeben ist, dass derselbe Fehler auch anderweitig mehrfach begangen ist. Dass es aber für die Wissenschaft wenig förderlich ist, auf Grund oberflächlicher Aehnlichkeiten ungleichartige Symptomencomplexe mit demselben Namen zu belegen, „nur um die Krankheitsbegriffe nicht ohne Noth zu vermehren“, beweist am besten die 8, 174 lediglich auf diese nivellirende Nomenclatur basirte Hypothese LöweEnreEup’s, dass zur „Athetosis“ ein Reizzustand der Pyramiden- bahn auch in ihrem peripherischen Verlaufe (sic!) führen möchte, weshalb das häufigere Vorkommen der „Athetosis“ bei multipler Neuritis prophezeit wird.

- Wenn ich also auch die Bezeichnung Athetosis nach wi6 vor als verfelilt halten muss, so habe ich den Werth der thatsächlichen Beobachtung des Vor- kommens eigenthümlicher Krampfformen anscheinend nur auf Grund multipler Neuritis am besten dadurch anerkannt, dass ich dieselbe trotz des für degene- rative Neuritis wenig beweisenden elektrodiagnostischen Befundes des L.’schen Falles überhaupt erwähnte, weil ich in meinem besser charakterisirten Falle Aehnliches beobachtet zu haben glaubte. Denn es handelt sich in meinem Falle nicht, wie Herr L. angiebt, um einen gewöhnlichen Tremor, der sich bei Willkür- bewegungen geltend macht und in der Ruhe sich nicht völlig verliert, sondern während desselben bei analogen Zuckungen der Gesichtsmusculatur um in un- regelmässiger Folge springende Bewegungen der Sehnen der Fingerextensoren, ruckartige Bewegungen der InterosseiÄ, durch welche die Finger bald gespreizt, bald addueirt werden (S. 315). In der That sehe ich auch jetzt noch nicht ein, weshalb Herr L. auch nur eine Zusammengruppirung dieser und der von ihm

doch ebenfalls bei Neuritis gesehenun Bewegungsphänomene perhorescirt, während er bei der Identificirung cerebraler und peripherischer Symptome viel nach- sichtiger zu sein scheint.

Berlin, den 24. Juli 1885.

I. Referate.

Anatomie.

1) Ueber einen besonderen Begtandtheil der Seitenstränge des Rücken- | marks und über den Faserursprung der grossen aufsteigenden Quintuswurzel, von W. Bechterew. (Wratsch. 1885. Nr. 26. Russisch.)

Auf Grund mikroskopischer Untersuchung embryonaler Rückenmarke an nach Weigert’s Methode behandelten Schnitten beschreibt B. als ein besonderes Bündel einen Abschnitt der Seitenstränge, der unmittelbar dem Austrittsort der hinteren Wurzelfasern anliegt, zwischen letzterem und der Pyramidenseitenstrangbahn. Die Fasern dieses Bündels, die sich auch im erwachsenen Rückenmark durch ihr kleines Kaliber von den umgebenden unterscheiden lassen, erhalten ihre Markbekleidung bereits bei einer Fötuslänge von 33—35 cm. Den Ausführungen B.s zufolge ent- spricht dieses Bündel demjenigen Abschnitt, dessen Degeneration unlängst von Lissauer (Neurolog. Centraibl. Nr. 11) bei Tabes beschrieben wurde. Es besteht aus aufsteigenden, dem äusseren Bündel der hinteren Wurzeln entstammenden Fasern, die später, zum Theil die Subst. gelatin. Rolandi durchsetzend, zum Theil letztere umbiegend, in die Hinterhörner eintreten. Nach Durchschneidung des Rückenmarks sollen die Fasern des beschriebenen Bündels in aufsteigender Richtung degeneriren.

Die aufsteigende Trigeminuswurzel (Meynert’s; absteigende Wurzel Stilling’s) erhält ihre Markscheiden bereits bei einer Fötuslänge von 25—28 cm, wo fast noch alle Rückenmarksfasen, mit Ausnahme derjenigen der Burdach’schen und Grund- bündel der Vorderseitenstränge, marklos sind. Die Untersuchung einer Schnittreihe aus bezeichneter Entwickelungsperiode lehrt, dass diese Wurzel im oberen Gebiet des Halsmarks, etwas unter der Pyramidenkreuzung entspringt, in der Weise, dass ein- zelne aus den Zellen der Hinterhörner entstammende Faserzüge nach vorn und innen von .der gelatinösen Substanz zusammentreten und, in der Höhe der oberen Pyra- midenkreuzung nach aussen umbiegend, ein compactes Bündel bilden, welches zum Austrittsort der gemeinsamen Quintuswurzel aufwärts zieht. In Anbetracht dieses Verhaltens erklärt B. die frühere Behauptung Krause’s, welcher die in Rede stehende Quintuswurzel aus der gelatinösen Substanz entspringen liess, für irrthümlich.

P. Rosenbach.

Experimentelle Physiologie,

23) Ueber den Einfluss der Reizung sensibler Nerven auf das Gefässsystem des Menschen, von S. Istomanow. (Dissertation. St. Petersburg 1886. Russisch.)

Das Object der sorgfältigen, im Laboratorium von Prof. Tarchanow ausge- führten Untersuchungen des Verf. ist das Studium der Einwirkung mannigfaltiger Reize der Haut und anderen Sinnesorgane (Kitzeln, Anblasen, Erwärmen und Er- kälten der Haut, Töne verschiedener Qualität und Intensität, Licht und Dunkelheit, wohl- und übelrischende Substanzen etc.) mittelst graphischer Methoden 1) auf die Circulation im Allgemeinen und 2) auf den Blutkreislauf im Gehirn im Besonderen.

370

Zum ersteren Zweck dienten genaue Messungen der peripheren Temperatur, des Pulses, Blutdrucks, des Volumens einzelner Glieder etc. bei Application benannter Reize. Das Gesammtergebniss dieser Untersuchungsreihe besteht darin, dass die meisten Erregungen sensibler Nerven, die allerschwächsten nicht ausgenommen, an der applicirten Stelle Sinken der Hauttemperatur und Abnahme des Volumens der betreffenden Extremität, zuweilen Steigerung des allgemeinen Blutdrucks und Ver- änderungen der Herzthätigkeit verursachen; dagegen hat eine andere Kategorie von Reizformen, und zwar einerseits Schmerzempfindungen, andererseits Wärme, angenehme Gerüche und süssschmeckende Substanzen, die entgegengesetzte Reaction zur Folge. Controlversuche, in denen anstatt wirklicher Reizapplication nur die betreffende Vor- stellung erweckt wurde, ergaben die nämlichen Resultate, und hierauf begründet sich die Annahme des Verf., dass die angegebenen Einwirkungen sensibler Reizung auf die Circulation nicht durch einfache vasomotorische Reflexe zu Stande kommen, son- dern dass auch die höheren Hirncentren daran betheiligt sind.

Der zweite Abschnitt der Arbeit enthält Untersuchungen über die Schwankungen des intracraniellen Druckes unter dem Einfluss der oben bezeichneten Erregungen. Hierzu dienten einerseits Thiere, deren Schädel nach Salathö’s Methode trepanirt und mit einem Polygraph verbunden wurde, andererseits zwei Subjecte (ein 11jähr. Knabe und ein 40jähr. Mann) mit pathologischen Schädeldefecten. Es erwies sich, dass diejenigen Reize, die Verengerung der peripheren Gefässe bewirken (schwache Hautreize, Kitzeln, unangenehme Gerüche, bittere und sauere Geschmackserregung, optische und acustische Reize), Erweiterung der Hirngefässe und Vergrösserung des Schädelinhalts hervorbringen; die andere Kategorie von Reizen hat die umgekehrte Wirkung. Der Grund dieses, durch zahlreiche Versuche sichergestellten Unterschiedes in der Reaction des Gefässsystems auf die angegebenen Nervenerregungen bleibt vor- läufig unermittelt. P. Rosenbach.

3) Beitrag zur Kenntniss des Muskeltonus, von J. Mommsen, Heidelberg. (Virchow’s Archiv. Bd. 101. S. 22.)

Der Nachweis eines vorhandenen reflectorischen Muskeltonus wurde durch Brond- geoest 1860 gebracht. Nachdem er einem Frosch (resp. Kaninchen) das Rücken- mark hoch oben und auf der einen Seite den N. ischiadicus (resp. cruralis) durch- schnitten, das Präparat an einem durch die Nase gezogeuen Faden aufgehängt, zeigte sich ein meist Stunden lang anhaltender Unterschied in der Haltung beider hintern Extremitäten im Sinne einer tonischen Erregung von Muskeln des Beines der nicht operirten Seite; der Tonus schwand, wenn die hinteren Wurzeln des Rückenmarks durchtrennt waren, es ist also ein Reflextonus. Verf. hat die Versuche wieder- holt und modifieirt (worüber im Original nachzusehen) speciell mit Rücksicht auf die Frage, ob der Reflexvorgang von der Haut (Cohnstein) oder vom Muskel ausgehe, der durch die Belastung gedehnt wird (Tschirjew). Danach kommt er zu dem Schluss, dass der Muskeltonus ein Reflexvorgang sei, der nicht ausschliesslich von der Thätigkeit sensibler Hautnerven abhänge, sondern ein Muskelreflex sei, bei dem das Beizmoment ein mechanisches ist: die continuirliche Anspannung des Muskels und seiner Adnexe, bedingt durch die anatomische Fixation der Muskelenden.

Wenn nun auch Muskeltonus und Sehnenreflex von einem Muskelreflexapparat abhängig sind, so ist es doch nicht gestattet, aus dem Verhalten der Sehnenreflexe jedesmal ohne Weiteres auf den Muskeltonus zu schliessen. Die Empfindlichkeit jenes Apparats für Einzelreize mechanischer Art (Beklopfen der Sehne) ist nämlich bei verschiedenen, auch gesunden, Individuen verschieden gross, olıne dass hiermit die Empfindlichkeit für die constanten Reizungen, welche den Tonus unterhalten, durchweg parallel geht. M.

81

Pathologische Anatomie.

4) Beiträge zur pathologischen Anatomie des centralen Nervensystems, von Dr. Th. Rumpf, Bonn. (Arch. f. Psychiatrie etc. Bd. 1885. XVI. H. 2.)

I. Ueber Gehim- und Rückenmarkssyphilis.

Ein bis dahin gesunder Steinmetz hatte im 29. Jahre Syphilis acquirirt (Haut- ausschlag und Halsgeschwär): Inunctionscur. 11 Monate darauf trat plötzlich eine rechtsseitige Hemiplegie auf, die unter specifischer und elektrischer Behand- lung sich nicht besserte. Zu dieser Hemiplegie gesellte sich nach mehreren Monaten zuerst eine spastische Lähmung der linken untern Extremität, die einige Zeit allein bestand. Dann kam eine Störung der Urinentleerung hinzu, die bald einer völligen Incontinenz wich. Die Stuhlentleerung war in derselben Weise gestört, in geringem Grade war auch Gürtelgefühl vorhanden. Einige Monate später auch Herabsetzung der Sensibilität an beiden untern Extremitäten und rasch um sich greifender Decubitus. Der Kranke erlag ca. 2 Jahre nach dem Auftreten der Hemiplegie.

Die Obduction ergab einen alten apoplectischen Herd in der inneren Spitze des Linsenkerns, etwas auf die Capsula interna und den Streifenhügel übergreifond links.

Im Rückenmark fand sich bei genauerer Untersuchung: 1) eine secundäre Degeneration des rechten Pyramidenseitenstrangs; 2) eine Degenera- tion des linken Seitenstrangs, die in der Pyramidenkreuzung begann, im Halsmark gegenüber der rechten Seite zurücktrat, aber nach unten an Umfang zu- nahm; 3) eine Degeneration der Goll’schen Stränge und mehr dem Brustmark zu auch der Keilstränge. Diese waren zurückzuführen auf 4) einen entzündlichen Process im Brustmark, der so ziemlich den gesammten Querschnitt des Rückenmarks einnahm und sich von hier aus noch bis in die Hinterstränge des Lendenmarks erstreckte. Die Pyramidenbahn in der linken Seite des Pons absolut intact, die der rechten Seite (secundär) degenerirt. Sämmtliche degenerirten Partien im Rücken- mark zeichneten sich durch stärkere Eintwickelung der Gefässe, Bindegewebs- und Kernvermehrung aus; der linke Seitenstrang aber in viel höherem Grade als der rechte. In beiden war der Process „im Wesentlichen“ auf die Pyramidenbahn localisirt, doch griff er im linken Seitenstrang auch auf die Umgebung über und erreichte Hinterhorn und die Pia in den hinteren Abschnitten.

R. fasst die Entwickelung des pathologisch-anatomischen Vorgangs so auf, dass an eine secundäre Degeneration der rechten Pyramidenbahn eine primäre Er- krankung des linken Seitenstrangs sich angeschlossen habe, welch’ letztere wieder in Beziehung zu der transversalen Myelitis im Brustmark gestanden habe und speciell mit der Lues in der Vorgeschichte des Patienten. Letzteres sucht R. hauptsächlich durch die durchgängig gefundenen Gefässalterationen im Rücken- mark wahrscheinlich zu machen.

Es handelte sich, wie RB. näher ausführt, um eine hochgradige Veränderung sämmtlicher Gefässwände, Verdickung, Kernvermebrung, Verschwinden der Differen- zirung der einzelnen Schichten der Gefässwand, in manchen kleineren Venen Throm- bosirungen. R. vergleicht diese Gefässalterationen mit den von Heubner für die Hirnsyphilis und von Greiff für die Rückenmarkssyphilis beschriebenen, erkennt aber allerdings an, dass diese Veränderungen, die Arteriitis und Phlebitis, etwas für Lues Charakteristisches durchaus nicht haben. Obschon ihm nun ein Zusammenhang der fraglichen Gefässerkrankung mit Syphilis in hohem Grade wahrscheinlich ist, postulirt er doch als sicheren Beweis die bis jetzt nicht geleistete Auffindung von Mikroorganismen.

372

lI. Atrophie der Centralwindungen nach spinaler Kinderlähmung.

Die Untersuchung des Gehirns, und Rückenmarks eines mit den Residuen von spinaler Kinderlähmung behafteten, im 18. Lebensjahr an Phthisis gestorbenen Cigarrenarbeiters ergab dem Verf. einen bemerkenswerthen Gehirnbefund.. Aus der Anamnese ist hervorzuheben, dass der Pat. im 3. Jahre im Anschluss an eine kurze fieberhafte Erkrankung von einer Lähmung der rechten Seite befallen wurde; die linke in den ersten Tagen mit betheiligte Seite kehrte rasch und vollständig zur Norm zurück.

Die Untersuchung nach 15 Jahren liess constatiren: ein erhebliches Zurück- bleiben des Gesichts und der Extremitäten im Wachsthum rechterseits. Schlaffe Lähmung der rechten oberen Extremität mit enormer Atrophie der Schulter- und Oberarmmusculatur, geringerer der Vorderarmmuskeln; dem entsprechend noch leidliche Function der Hand. Verkürzung der betreffenden Extremität, Reduction der rechten Körperseite, Verringerung des Brustumfangs und linksseitig convexe Scoliose, Atrophie der rechtsseitigen Rumpfmusculatur. Die rechte Unterextremität ebenfalls beträchtlich im Umfang zurückgeblieben, Schwäche sämmtlicher Muskeln ohne eigentliche Lähmungen, keine Muskelspannungen.

Speciell hervorzuheben ist eine Betheiligung mehrerer Hirnnerven, eine gewisse Schwäche der rechten Gesichtsmusculatur und Insufficienz der Func- tion der 3 Augenmuskelnerven. Sensibilität und Blasenfunction normal.

Die Untersuchung des in Alkohol aufbewahrten Rückenmarks ergab ein im Halsmark ausgesprochene, im Brustmark noch nachweisbare, jedoch nicht mehr im Lendentheil vorhandene Verkleinerung des rechten Vorderhorns und im obem Halsmark eine Verkleinerung des rechten Seitenstrangs.

Mikroskopisch zeigte sich im rechten Vorderhorn durch das ganze Rückenmark eine Veränderung des Gewebes mit der charakteristischen hochgradigen Ganglien- zellenatrophie. Die weissen Stränge des Rückenmarks zeigten keine Degeneration. In der Medulla oblongata und den Kernen der Augenmuskelnerven keine pathologische Veränderung. Dagegen zeigte sich eine unzweifelhafte Umfangverminderung der linksseitigen vorderen und hinteren Contralwindung beim Vergleich mit der rechten Seite. Auch liess sich an einem Horizontalschnitt durch das Gehirn eine schlechtere Entwickelung des motorischen Theils der linken Hemisphäre (Cap- sula interna, Linsenkern) deutlich erkennen. Die mikroskopische Untersuchung dieser Theile ergab keine Andeutung eines degenerativen Processes oder einer patho- logischen Läsion; auch keine Differenz zwischen den Centralwindungen beider Seiten. Daraus und aus der Abwesenheit secundärer Degeneration der Pyramidenbahn schliesst Rumpf, dass es sich um eine Entwickelungshemmung der motorischen Gehirnpartien der linken Seite im Anschluss an eine spinale Kinder- lähmung handelte. Es muss doch bemerkt werden, dass der erwähnte Defect der Gesichts- und Augenmusculatur rechts auf eine Mitbetheiligung wenigstöns der bul- bären Centren im Beginn hinweist. Diese Complication der spinalen Processe mit solchen im Bereich der Hirnnerven (die übrigens nach der Beobachtung des Ref. nicht allzuselten vorkommt), scheint die Möglichkeit einer primären Betheiligung der motorischen Grosshirnpartien nahe zu legen. Der Mangel mikroskopisch nach- weisbarer Degenerationen der betr. Partien schliesst diese Möglichkeit nach Ansicht des Referenten nicht absolut aus.

IH. Zur Pathologie des Kleinhirns,.

R. berichtet über einen interessanten Sectionsbefund bei einer 8 Wochen alten Katze, bei der aus den Symptomen intra vitam die Diagnose auf eine Affection des Cerebellum gestellt werden konnte. Die Erscheinungen bestanden in hoch- gradig atactischen Störungen bei der Locomotion, taumelndem Gang, mit event. Hinfallen,

313

Vornüberstürzen ohne jede Lähmung, ulne Störung des Sehvermögens, ohne epi- leptische Anfälle, Erbrechen.

Die Atrophie des Kleinhirns betraf bei dem Vorwiegen des Wurms gegen- über den Hemisphären bei der Katze var Allem den mittleren Theil, aber in ganz gleichmässiger Weise. Dieselbe wurde durch Messung und Vergleich mit dem Cere- bellum einer gesunden, gleichalterigen Katze des Genaueren festgestellt; eine weitere Anomalie nicht gefunden. Die Atrophie des Cerebellums war begleitet von eimer stärkeren Knochenentwickelung an der Basis cranii; ob diese als Ursache der Emt- wickelungshemmung zu betrachten ist, lässt R. unentschieden. Eisenlohr.

5) Spinal sclerosis or degeneration following brain-lesion, by Wm. Julius Mickle. (Journ. of mental science. 1885. April.)

Verf. theilt 9 Fälle von primärer Herderkrankung des Gehirns mit secundärer Affection des Rückenmarks mit, in 2 Fällen hatte die secundäre Affection beide Seitenstränge ergriffen, in den übrigen war die Degeneration entweder auf den rechten oder den linken allein fortgeschritten. Die Pyramidenkreuzungen waren jedesmal am stärksten afficirt.” Der Sitz der primären Gehirnläsion war sehr verschieden, in den beiden Fällen, wo beiderseits die Seitenstränge des Rückenmarks secundär ergriffen waren, fanden sich in beiden Corp. striat. primäre Herde. Wegen der Einzelheiten muss auf das Original verwiesen werden. Zander.

Pathologie des Nervensystems.

6) Solitärtuberkel im Kleinbirn, von Brieger. (Charit6-Annal. 1885. S. 154.)

Bei einem phthisischen 25jährigen Mädchen traten 10 Jahre vor dem Tode die ersten Erscheinungen einer Hirnerkrankung auf: Schmerzen im Hinterhaupte und leichte Schwindelanfälle, die sich später erheblich steigerten, und denen 3 Monate vor dem Tode Ambiyopie, Neuritis optica, und 2 Monate vor demselben Tremor manuum sich hinzugesellten.

Die Section ergab ausser allgemeiner Tuberculosis in der linken Kleinhirnhemi- sphäre einen Tuberkel von 4 cm Durchmesser. M.

7) Drei Fälle von Tabes im Kindesalter (aus Prof. Hirschberg's Augenklinik) von Dr. B. Remak. (Berl. klin. Wochenschr. 1885. Nr. 7.)

Zu 6, zum Theil nicht einwandfreien Fällen von Tabes im Kindesalter aus der Literatur bringt der Verf. 3 neue.

1) Ein 12jähr. Mädchen, welches im 9. Jahre einen Fall auf den Hinterkopf mit kurzdauernder Bewusstlosigkeit erlitten hatte, bekam danach zuerst Enuresis nocturna, später auch Incontinenz bei Tage, zeitweise Incontinentia fascium; dann Ohnmachtsanfälle, bisweilen mit Erbrechen. Im Jahre 1881 leichte Ptosis linker- seits, Doppeltsehen; 1883 starke Abnahme der Sehschärfe, Sehnervenatrophie. Prof. Mendel constatirte ausserdem Gürtelgefühl, Herabsetzung der Empfindung von Tast- und Schmerzeindrücken, absoluten Mangel der Patellarreflexe; ferner lancinirende Schmerzen, Parästhesien und gastrische Anfälle. Es trat nach Gebrauch von Jod- kalium und später Argentum nitric. Besserung ein, sodass z. Z. nur noch Blasen- störungen und das Westphal’sche Zeichen, ausser der hochgradigen Amblyopie, bestehen.

2) Ein 14jähr. Knabe, bei dem im Juli 1884 eine mehr als mittelstarke Soh- nervenatrophie beiderseits constatirt wurde, hat seit einigen Jahren rheumatoide

314

Schmerzen in den Extremitäten, seit 1 Jahre Enuresis nocturna, seit 1/, Jahre auch Incontinenz bei Tage. Das Kniephänomen fehlt beiderseits.

3) Ein 16jähr. Knabe zeigt im August 1884 starke Herabsetzung der Sehkraft; beide Sehnerven grünlich verfärbt und atrophisch. Er litt vor 3 Jahren über '/, Jahr lang an Enuresis nocturna, seit etwa 2 Jahren häufig an reissenden Schmerzen an den sonst ganz gesunden Schneidezähnen. Jetzt Schwanken bei geschlossenen Augen und bei scharfen Wendungen Gefahr hinzufallen. Sensibilität in den Beinen stellen- weise herabgesetzt; Kniephänomene fehlen beiderseits.

Bei dem ersten und dritten Kranken ist höchst wahrscheinlich Syphilis heredi- tarıa vorhanden. Im dritten Falle leidet ausserdem der Vater des Kranken selbst an „Tabes im ersten Stadium, vielleicht im Uebergang zum zweiten begriffen“.

R. wirft die Frage auf, ob Tabes im Kindesalter wirklich so selten sei, wie man annehme. Vielleicht datiren bei manchen Tabischen, deren Krankheit erst nach der Pubertät constatirt wird, die ersten Anfänge des Leidens schon aus der Kindheit.

Hadlich.

8) Ueber die Exantheme der Tabetiker (P) von Prof. Janovsky. (Wiener med. Presse. 1885. Nr. 8.)

Nach einer Uebersicht über die dieses Thema behandelnde Literatur beschreibt J. 5 Fälle von Tabes mit interessanten Hauteruptionen.

Die beiden ersten Fälle zeichnen sich durch das Auftreten eines Herpes zoster und zwar eines Z. thoracicus und lumbo-abdominalis resp. eines Z. cutaneus externus (am Oberschenkel) und genito-gruralis aus. Der letzte Kranke zeigt gleichzeitig Gummata am Unterschenkel. Der dritte, ebenfalls syphilitische Tabeskranke zeigt Purpura am Epigastrium und an den unteren Extremitäten ohne sonstige Be- gleiterscheinungen. Bei dem vierten Kranken complicirt sich eine tabische Arthro- pathie mit diffusem, um das erkrankte Gelenk herum sich entwickelnden Oedem und die Haut des Gelonkes bedeckenden, dichtgedrängten Purpura-Flecken. Den fünften Patienten endlich bezeichnet der Verf. wegen seiner eigenthümlichen Hautphänomene im Gegensatz zu der von Dujardin-Beaumetz geschilderten Femme autographique als Homme autographique. Bei diesem Kranken, dessen Spinalleiden erst seit 3 Jahren bestehen soll, genügt die geringste Berührung der Haut, um eine Urticaria factitia hervorzurufen. Besonders nach spinalen Schmerzanfällen treten Ziffern und Buch- staben, welche mit stumpfspitzigen Gegenständen auf die Haut geschrieben werden, sofort im Hautrelief hervor. Der Autor fasst die geschilderten Hautaffectionen als trophische und vasomotorische Neurosen auf, welche mit dem Grundleiden in ursäch- lichem Zusammenhange stehen. (Prof. J. nennt seine Kranken in diesem Aufsatze grundsätzlich „Tabetiker“; seitdem es eine „luetische‘‘ Tabes giebt, scheint der nicht grammatikalische „Tabetiker“ den „Tabiker“, der beinahe das etymologische Bürger- recht in der Fachliteratur erlangt hatte, wieder verdrängen zu wollen! D. Kef.)

Laquer.

9) A case of ataxic arthropathy, by Dr. Brooks. (The Lancet. 1885. Vol. 1. S. 890.)

Dr. B. theilt einen Fall von Arthropathie bei Ataxie mit: W. C., 40 Jahre alt, bemerkte vor einem halben Jahre eine rasch zunehmende Schwellung des linken Knies, wofür sich kein ätiologisches Moment finden liess. Diese bestand in einer starken Ansammlung von Flüssigkeit im Synovialraum; zugleich zeigte sich das obere Ende der Tibia und das untere des Femur gleichmässig verdickt; bei Bewegung im Gelenke hörte man lautes Krachen 2—3 Fuss weit; zu gleicher Zeit zeigte sich eine bedeutende Erschlaffung der Bänder, so dass bei Extension im Kniegelenk seit- liche Bewegungen gemacht werden konnten; ausserdem Subluxation im Kniegelenk

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nach innen und hinten; endlich beträchtliches Oedem unterhalb des Knies. Abgesehen davon zeigte Pat. das Romberg’sche Symptom, beträchtliche Ataxie; Patellarreflexe fehlten; Ungleichheit der Pupillen, Mangel des Lichtreflexes, dagegen Reaction bei Accommodation, Blässe der Papillae opticae, nagende Schmerzen in den Beinen. Sensi- bilität intact, Blasen- und Mastdarmfunction tadellos. Muskelkraft nicht herabgesetzt. Ruhemanın.

10) Zur Frage über die combinirten Systemerkrankungen des Rücken- marks, von A. Erlitzky und J. AyDarkIn (Wjestnik psychiatrii i nevro- patologii. 1885. I. Russisch.)

Die Beobachtung der Autoren betrifft ein 17jähr. Mädchen, das nach einer Er- kältung ohne jegliche Prodromalerscheinungen in rascher Reihenfolge von Ataxie der unteren und oberen Extremitäten befallen wurde. Ungefähr ein Jahr nach dem Be- ginn der Erkrankung wurde Patientin mit folgendem Status in’s Marienhospital auf- genommen:

Ausgesprochene Ataxie aller Extremitäten, heftiges Schwanken bei geschlossenen Augen, Fehlen der Kniephänomene, vollständiger Verlust des Muskelsinnes an den unteren und Herabsetzung desselben an den oberen Extremitäten; Hautsensibilität und Muskelkraft am ganzen Körper erhalten. Während der i1monatlichen Beobach- tungsdauer ım Hospital blieb das Krankheitsbild im Wesentlichen unverändert, nur stellte sich zuletzt an den Beinen Schwäche ein; kein Nystagmus, keine Störung der Sprache und Intelligenz. Patientin starb an einem Abdominaltyphus nach ungefähr 2jähriger Krankheitsdauer.

Im Gehirn fand sich nichts Abnormes. Im Bückenmark dagegen ergab die mikroskopische Untersuchung erhebliche pathologische Veränderungen sowohl in der weissen, als auch grauen Substanz. Die Hinterstränge waren in ihrer ganzen Länge und Breite sclerosirt, die Goll’schen intensiver, als die Burdach’schen; in letzteren konnte man noch eine geringe Menge erhaltener Fasern an der Grenze der hinteren Commissur und der Hinterhörner verfolgen. Die Degeneration erstreckte sich auch auf die hinteren Wurzelfasern, und zwar nicht nur auf die intramedullären, sondern ebenfalls auf die extramedullären Abschnitte derselben. Ferner waren beide Pyra- midenseitenstrangbahnen in ihrer ganzen Ausdehnung sclerosirt; die Intensität des Processes war hier bedeutend geringer, als in den Hintersträngen und nahm in auf- steigender Richtung allmählich ab; die Degeneration reichte aufwärts bis zur Subst. reticul. an der unteren Pyramidenkreuzung. Die Kleinhiruseitenstrangbahn, die Türk’schen Stränge, sowohl als die anderen Partien der Vorderseitenstränge waren vollständig normal. Die graue Substanz war in der ganzen Länge des Rückenmarks in der Gegend zwischen Vorder- und Hinterhörnern verändert; im afficirten Gebiet "bestand vollständiger Schwund der Nervenzellen, Wucherung der Neuroglia und Spaltenbildung. Zum Theil waren auch Zellen der Clarke’schen Säulen zerstört.

Trotz der Aehnlichkeit ihres Falles mit dem klinischen Bilde der Friedreich’- schen Krankheit, weigern sich die Autoren ihn letzterer zuzuzählen, in Anbetracht des Fehlens einiger für dieselbe typischen Symptome, als Nystagmus, Sprachstörung etc. In pathologisch - anatomischer Hinsicht betonen sie die gegenseitige Unabhängigkeit der Erkrankung der Hinterstränge und Pyramidenseitenstrangbahnen; die Affection der grauen Substanz dagegen stellen sie in causalen Zusammenhang mit der Sclerose der hinteren Wurzeln und Stränge; das Fehlen von Degeneration der Kleinhirnseiten- strangbahn bei Erkrankung der grauen Substanz (der Clarke’schen Säulen) erklären sie durch die geringe Ausdehnung letzterer. Ihre besondere Aufmerksamkeit fesselt der Uımstand, dass trotz völliger Degeneration der Hinterstränge die Hautsensibilität vollständig erhalten war, um so mehr, als zugleich Verlust des Muskelsinns bestand. Ihren Ausführungen zufolge sprechen diese Verhältnisse in ihrer Gesammtheit zu

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Gunsten der Hypothese, dass die centripetalen sensiblen Bahnen im Rückenmark in der grauen Substanz verlaufen. . P. Rosenbach.

11) La methode graphique du Prof. Du Moulin appliqude an diagnostie de l’alcoolisme et du saturnisme, par le Dr. Cuylits. (Bulletin de la soc. de la med. mentale de Belgique. 1885. I.)

Prof. Du Moulin hatte bei Bleiintoxication eine Schwarzfärbung der Haut mittelst Schwefelnatrium-Lösung nachgewiesen (s. d. Centralbl. 1883. H. 5. S. 112.) Verf. hebt nun unter Heranziehung mehrerer von ihm beobachteter Fälle hervor, dass bei der Ashnlichkeit der psychischen Symptome der Blei- und der Alkohol- Intoxication ihm das Du Moulin’sche Verfahren vorzügliche diagnostische Dienste geleistet habe. Die Schwierigkeiten der Diagnose, ob eine Bleiintoxication vorliege oder nicht, seien ohne jenes Hülfsmittel fast unüberwindliche gewesen, weil 1. die der Bleiintoxication ausgesetzten Arbeiter oft auch Potatoren seien, und 2. er gefunden habe, dass der blaue Rand des Zahnfleisches kein Zeichen einer allgemeinen Blei- intoxication, sondern nur ein primäres, durch den in den Mund gekommenen Bleistaub hervorgerufenes Symptom sei. Hadlich.

12) Muscular atrophy due to leadpoisoning, by Dr. Suckling. (The Brit. med. Journ. 1885. 4. April. p. 696.)

Ein nicht neuropatbisch veranlagter Mann hatte in Folge seines Berufs eine chronische Bleivergiftung erlitten und war im 36. Lebensjahre an schwerer Ence- phalopathie und Kolik behandelt worden. Nach der Genesung enthielt er sich jeder Beschäftigung mit Blei, doch hatte er immer mit Obstipation zu kämpfen und zeigte die charakteristische Bleifärbung des Zahnfleischrandes.

Im 43. Jahre entstand nun eine allmählich zunehmende Lähmung der Musculatur beider Vorderarme, besonders aber des linken, und bald auch der Hände. Bei genauerer Untersuchung stellte sich eine Atrophie des rechten Deltoideus, der Hand- und Fingerextensoren, sowie der Interossei heraus, dagegen war die Daumen- und Kleinfingerballenmusculatur normal und es fehlten die fibrillären Zuckungen in den ergriffenen Muskeln. Die elektrische Reaction war in jeder Beziehung die normale, speciell fehlte jede Entartungsreaction. Aus dem letzteren Grunde, sowie aus dem Umstande, dass die Functionsstörung im Verhältniss zur Atrophie eine auffallend grosse ist, dass ferner der Thenar wie der Hypothenar unbetheiligt sind, und be- sonders dass unter dem fortgesetzten Gebrauch von Jodkalium eine ganz bedeutende Besserung eingetreten ist Pat. konnte beim Eintritt in das Krankenhaus mit den Händen nur 40, resp. 45 Kilo heben, nach 2 Monaten aber 60, resp. 63 Kilo —. schliesst Verf., dass es sich im vorliegenden Fall nicht um eine progressive Muskel- atrophie im gewöhnlichen Sinne,‘ sondern um eine der Bleiintoxication zugehörige, wenn auch erst sehr spät zum Ausbruch gekommene einfache Muskelatrophie handele.

Sommer.

13) (Aus der Nervenklinik der Charit6. Prof. Westphal.) Zur pathologischen Anatomie der Bleilähmung, von Dr. Hermann Oppenheim. (Archiv für Psychiatrie. Bd. XVI. H. 2.)

Zu den vier bis jetzt bekannten, von Vulpian, Referenten, Zunker und Oeller publicirten Fällen von Bleilähmung, in denen die mikroskopische Untersuchung des Rückenmarks positive Resultate ergab, fügt Verf. einen neuen, in klinischer und ana- tomischer Beziehung gleich sorgfältig studirten Fall hinzu, der ziemlich rein ist und

BI

der sich hinsichtlich des Rückenmarksbefundes eng an den vom Ref. mitgetheilten anschliesst.!

Der Pat., ein 38jähr. Schriftgiesser, der viel mit Bleistaub umging, seit etwa 25 Jahren in seinem Berufe thätig, litt schon 1867 und 1869 an Bieikolik. Im Jahre 1879 erkrankte derselbe acut an encephalopathischen Erscheinungen und bald darauf an motorischer Störung, hauptsächlich in den unteren Extremitäten (Schwäche und Atrophie im rechten Cruralisgebiet mit fehlendem Kniephänomen, atrophischer Lähmung in der Wadenmusculatur beiderseits, sowie Lähmung degenerativer Natur in den Streckern des Fussgelenks).. Etwas später stellte sich beträchtliche moto- rische Schwäche in den Streckern der Finger und des Handgelenks (typische Ex- tensorenlähmung), sowie Cachexia saturnina ein. Unter galvanischer Behandlung trat etwas Besserung ein, so dass Pat. wieder fähig wurde, seinem alten Berufe nachzugehen. Anfang August 1884 plötzliches Auftreten encephalopathischer Er- scheinungen (Delirien, Coma, Kopfschmerzen, linksseitige Facialisparese) und rasche Entwickelung einer bedeutenden gangränösen Stomatitis. Die beiderseitige typische Extensorenlähmung in den Vorderarmen zeigte aufallende Verschlimmerung und ist rechts stärker ausgeprägt als links (der M. uln. ext. und abd. pollic. long. blieben frei, der Supinator longus wirkte unkräftig). In den gelähmten Muskeln Verlust jeder elektrischen Reaction, resp. Entartungsreaction und bedeutende Atrophie. In den unteren Extremitäten finden sich ebenfalls Störungen in der elektrischen Erreg- barkeit. 4 Tage nach der Aufnahme Tod.

Die Section zeigte: Granularatrophie der Nieren, Herzhypertrophie, einen hämor- rhagischen schwarzgrün verfärbten Herd im rechten Schläfelappen, eine apoplectische Cyste nach aussen vom Kopf des rechten Streifenhügels, Stomatitis gangraenosa, bronchopneumonische Herde in den Lungen. Von den Muskeln sind von der De- generation ganz besonders befallen die Extensoren der Vorderarme (Supinator long. nur leicht betroffen, Uln. ext. frei), die Wadenmusculatur, welche ohne Einbusse des Volumens in eine Fettmasse verwandelt erschien, der rechte Quadriceps und die Ad- ductoren am rechten Oberschenkel mit Ausnahme des Sartorius; ebenso zeigen sich die Extensoren der beiden Unterschenkel erheblich atrophirt.

Bei der mikroskopischen Untersuchung boten die ergriffenen Muskeln und Nerven- stämme (N. radial., tibial. post., peron.) die gewöhnlichen bekamnten Veränderungen bei den Bleigelähmten dar; die Muskelnervenzweige waren besonders stark ergriffen. Am interessantesten war der Rückenmarksbefund.. Hier zeigte sich nämlich bei Intactheit der weissen Substanz eine durch die grauen Vordersäulen fast des ganzen Rückenmarks hinziehende Erkrankung, die ganz be- sonders intensiv die Hals- und Lendenanschwellung ergriffen hatte. Es fanden sich daselbst Schwund und Schrumpfang der Ganglienzellen, Verarmung der grauen Substanz an Nervenfasern, Gliawucherung, Vermehrung, Erweiterung der Gefässe und Sclerosirung ihrer Wandungen. Das rechte Vorderhorn war stärker ergriffen als das linke. Das sog. Seitenhorn blieb, ähnlich wie in dem Falle des Ref., fast ganz unversehrt. Die vorderen Wurzeln, sowohl im Hals- als im Lenden- theil, im Wesentlichen intact. Clarke’sche Säulen ganz frei.

Verf. macht darauf aufmerksam, dass das ganze Krankheitsbild auf einen cen- tralen Ursprung des Leidens hinweise und sucht diesen Fall für den spinalen Ur- sprung der Bleilähmung zu verwerthen. Das Blei übe, wie es ja auch von Ver- tretern der myopathischen Theorie zugegeben werde, mit der Zeit einen deletären Einfluss auf die Ganglienzellen des Rückenmarks aus, und es sei sehr wahrscheinlich, dass die Functionen dieser Ganglienzellen lange Zeit, bevor sioh materielle Verän- derungen an denselben unserem Auge bemerkbar machen, gestört werden. Vermuth-

ı C£. auch Remak in d. Centralbl. 1882. 8. 149: Zur I,ocalisation saturniner Läh- mungen der Unterextremitäten.

3718

lich liege das Centrum für die Extensoren der Hand im medialen Kern des mittleren Theils der Halsanschwellung. Bezüglich der Hirnerscheinungen des Falles schliesst sich Verf. der von Lanceraux, Ollivier, Danjoy u. A. vertretenen Ansicht an und bringt jene mit der saturninen Nephritis in Verbindung. v. Monakow.

14) Alcoholic Paralysis, by Henry Hun, Albany. (American Journal of med. sciences. 1885. April. p. 372.)

Zwei sehr ausführliche Krankengeschichten. Wir entnehmen daraus:

1. Fall. Mann, 28 Jahre alt, unverheirathet, seit vielen Jahren dem Trunke ergeben. Starke Erkältung, danach grosse Schwäche und Schmerzen in Armen und Beinen. Eine Woche lang Gehen unmöglich. Späterhin musste er immer vorwärts laufen, um nicht zu fallen. Nach 2 Monaten aber bedeutende Besserung. Nach einer Pause von mehreren Monaten treten die früheren Symptome wieder auf; Schmerz, Taubheit, Parästhesien in Armen und Beinen beiderseits; ebenso Schwäche haupt- sächlich in den Beinen. Häufiger Urindrang. Kein Gürtelgefühl. Leichte Parese der linken Gesichtshälfte. Zungen- und Augenmuskeln unbetheiligt. Pupillen gleich; reagiren träge. Pat. kann die beiden letzten Finger jeder Hand nicht vollkommen extendiren. Ausgesprochene Ataxie der Handbewegungen links; weniger ausgesprochen rechts. Keine deutliche Atrophie der Armmusculatur. Ausgesprochene Hyperästhesie der Haut. Beim Stehen zittert der ganze Körper. Im Bette sind alle Bewegungen möglich.” Hautreflexe verhalten sich normal. Kniereflexe fehlen. Weder Fussclonus noch paradoxe Contraction. Die Behandlung besteht in Jodkali, Strychnin abwech- selnd. Faradischer Strom. Nuch mehreren Monaten vollkommene Besserung. Knie- phänomene wieder vorhanden etc.

2. Fall. 28jähr. Barbier. Krankengeschichte der obigen sehr ähnlich. Parese der Arme und Beine ganz wie im vorigen Falle. Dieselben Anästhesien und Par- ästhesioen. Dazu kommen noch: Verlust des Gedächtnisses, Schlaflosigkeit. Keine Verlangsamung in der sensiblen Leitung. Allgemeine Parese der gesammten Mus- culatur. Beine hochgradig abgemagert, aber nur wenig atactisch, Finger- bewegungen ungeschickt. Kein Kniephänomen.

Die Atrophie nimmt zu im weiteren Verlaufe Fibrilläre Zuckungen sind nur an dem rechten Gastrocnemius nachweisbar. Zustand bessert sich nicht wesentlich; verfällt schliesslich in einen halbcomatösen Zustand, in dem er stirbt.

Autopsie: Venen der Pia stark angefüllt. Vermehrte subarachnoidale Flüssig- keit auf der Hemisphärenoberfläche. Keine Dilatation der Ventrikel, und geringe Atrophie der Windungen. Zellendegeneration in der Rinde deutlich. Rückenmark im Wesentlichen normal. Vorderhörnerzellen vollkommen normal. Periphere Nerven wurden mikroskopisch nicht untersucht.

Letzteres ist umsomehr zu bedauern, da der eigentliche Beweis für die An- schauungen des Verf. nicht geliefert werden konnte. Wie er betont, handelte es sich hauptsächlich und wahrscheinlich in beiden Fällen um eine multiple Neuritis. Alkoholiker, meint Hun, seien zu multiplen Neuritiden ganz besonders geneigt, und die „alcoholic paralysis“ sei nichts weiter, als multiple Neuritis, complicirt durch andere alkoholische Symptome, geistige Störungen, Tremor und Ataxie.

Verfasser findet es auffallend, dass die Alkoholvergiftung hauptsächlich die peri- pherischen Nerven und die Hirnrinde beeinträchtigt, während das Rückenmark un- behelligt bleib. Man bedenke aber, dass dies für die obigen 2 Fälle allein sicher festgestellt ist. Sachs (New York).

39

Psychiatrie.

15) Etude sur une affection nerveuse caractörisde par de l’incoordination motrice accompagnöe d’dcholalie et de coprolalie, par Gilles de la Tourette. (Arch. de Neurologie. 1885. No. 25. 26. 27.)

Eine Anzahl eigener und fremder Krankengeschichten, welche Verf. mittheilt,

geben das Material zur Besprechung einer eigenthümlichen nervösen Affection, welche in ihrem Wesen an die Chorea erinnert und mit den unter Jumping, Latah, Myri- achit etc. beschriebenen Symptomencomplexen verwandt ist. Die Krankheit be- steht kurz darin, dass die Betroffenen unwillkürliche, incoordinirte, brüske Muskel- bewegungen (im Gesicht, an den Extremitäten etc.) bei allen möglichen Gelegenheiten gegen ihren Willen ausführen müssen. Manche stossen daneben Worte oder Laute aus, die sie mitunter ihrer Umgebung nachsprechen („Echolalie“), oder sie produ- ciren aus sich heraus Worte, welche einen schmutzigen, obscönen Inhalt haben („Coprolalie“). Die Krankheit pflegt in se Kindheit (zwischen dem 6. und 14. Jahre) sich zu zeigen und betrifft mehr das männliche als das weibliche Geschlecht; die Kranken sind in der Mehrzahl der Fälle erblich belastet, sie stammen aus allen Gesellschafts- klassen. Mit geringfügigen choreatischon Bewegungen im Gesicht und den Ober- extremitäten pflegt die Sache zu beginnen. Die Bewegungen werden bizarrer, ‚plötz- licher, schneller; alles Ermahnen und Tadeln, alle Selbstvorwürfe verschlimmern das Uebel. An manchen Tagen tritt es stärker auf, oft spüren die Kranken das schon gleich nach dem Erwachen, sie klagen dann über grosse Nervenschwäche. Im Schlaf cessiren die Erscheinungen „änzlich, andere Umstände mildern dieselben, z. B. inter- currentes Fieber, auch ganz von selbst kommen Bemissionen vor. Der körperliche Gesundheitszustand kann dabei ein recht guter sein, auch sind die Kranken sonst geistig normal dabei und haben keinerlei periphere nervöse Störungen. Viele der Kranken zeigen nur die choreaähnlichen Muskelsymptome, bei Andern nehmen sie die Form der Nachahmung oder der „Jumping“ an; endlich treten die oben ange- deuteten Nebensymptome von Seiten des Sprachapparates hinzu (Echolalie und Copro- lalie), [welche offenbar das Interessanteste des ganzen Krankheitsbildes sind und in Bezug auf den gleichen Charakter mancher Gehörshallucinationen viel zu denken geben. Ref.].

Der Verlauf der Krankheit ist ein langsamer, Remissionen und tückische Exa- cerbationen kommen vor, Heilung so gut wie nie. Diagnostisch können die einfachen motorischen Symptome von der Chorea durch das Plötzliche, Brüske der Muskel- entladung unterschieden werden, sonst hat die Diagnose keine Schwierigkeit. Eine wirksame Behandlung soll noch gefunden werden; palliativ am Besten bewährte sich die Isolirung, daneben roborirendes Regime, Hydrotherapie, constanter Strom.

Siemens.

16) Ueber die Beeinflussung der Geistesstörung durch Schwangerschaft, von Dr. Peretti. (Arch. f. Psych. XVI. H. 2.)

P.’s Beobachtungen führen auch ihn zu dem Schlusse, dass im Allgemeinen die Gravidität auf die bestehende Psychose vorwiegend einen ungünstigen Einfluss aus- übt. Während einer in den Verlauf einer heilungsfäbigen Psychose fallenden Schwanger- schaft kommt nur selten Genesung zu Stande. Wird auch die Prognose durch die Gravidität keineswegs immer eine ungünstige, so wird doch der Verlauf der Krank- heit meistens ein schwererer, die Genesung fraglicher, und dies um so mehr, je länger die Geistesstörung vor der Conception schon bestanden hatte. Dass bereits in das Stadium des Blödsinns übergegangene Psychosen von einer Gravidität nicht beeinflusst werden, versteht sich von selbst; der Entbindung folgt jedoch nicht selten

880°

eine vorübergehende grössere Erregung, während andererseits Schwangerschaft und Entbindung bei einer Geisteskranken manchmal auffallend gut und leicht, auch im Vergleich mit den voraufgegangenen Graviditäten und Entbindungen, verlaufen.

Von 23 selbst beobachteten Fällen werden 15 mitgetheilt und der Rest aus- geschieden. Siemens.

17) Zur Lehre von der acuten hallucinatorischen Verworrenheit, von Dr. E. Konräd. (Arch. f. Psych. XVI H. 2.)

Von der acuten hallucinatorischen Verrücktheit theilt: nach Meynert K. eine Form ab, welcher er mit diesem den in der Ueberschrift bezeichneten Namen giebt. Das Krankheitsbild wird bei ihr durch Sinnestäuschungen der verschiedensten Art beherrscht, die Stimmung ist daher wechselnd, das Verhalten sonderbar, die Reden unzusammenhängend und verworren, Aufregung wechselt mit Depression. Verfolgungs- und Grössenwahn stellen sich rasch ein, sind aber nicht immer stabil. Der weitere, Verlauf ist entweder der Uebergang in’s manische Stadium, mit allmählichem Zurück- treten der Hallucinationen, oder in das stuporöse resp. katatonische, oder in das gemischte maniacalisch-hallucinatorische Stadium. Der Ausgang des acuten Stadiums ist meist der in secundäre Schwächezustände oder (bei Stupor) in apathischen Blöd- sinn. Von 83 selbst beobachteten Fällen werden 3 ausführlich mitgetheilt; es ge- nasen 37, starben 7 und wurden secundär 39. Eine günstige Prognose haben die Fälle, bei denen das hallucinatorische Stadium in acute Manie übergeht. Von vor- ausgegangenen Erkrankungen wird erwähnt: Anämie und Chlorose in 21, Typhus in 8, Tuberculose in 6 etc. Psychopathische Veranlassung war in 28 Fällen, hereditäre Belastung in 13 Fällen nachzuweisen.

(Der Verf. meint, dass diese Krankheitsform in den Irrenanstalten nicht beobachtet bezw. nicht diagnosticirt wurde. Sie ist aber, wenigstens in Dentschland, in den Anstalten schon vor Konräd gekannt und diagnosticirt worden.) Siemens.

18) Om Drövtygning hos Mennesket, af Dr. Axel Johannessen. (Norsk Mag. f. Lägevidensk. 1885. 3. R. XV. 5. 9. 261.)

An die Mittheilung eines Falles von Wiederkäuen beim Menschen knüpft Verf. eingehende Betrachtungen über diese Affectiöon auf Grund von gegen 70 Fällen, die er seit Fabricius ab Aquapendente in der Literatur aufzufinden vermocht hat. J.'s Patient, ein gesunder, sehr kräftiger Mann, dessen Vater und Brüder eben- falls kräftig, nur zu Nasenbluten geneigt waren (er selbst zeigte dieselbe Neigung), pflegte viel und rasch zu essen ‚und schlecht zu kauen. Das Wiederkäuen war zu- erst aufgetreten im Alter von 3—4 Jahren während der Masern. Er pflegte 5. 10 bis 15 Minuten nach der Mahlzeit, !/,—1 Stunde lang, etwa !/—!/, des Ge- nossenen wiederzukäuen. Viel Trinken bei den Mahlzeiten machte die unwillkürlich vor sich gehende und dem Pat. sehr angenehme Rumination leichter und behaglicher, beim Versuch, sie zu unterdrücken oder sie hervorzurufen, empfand Pat. Schmerz. Bei Freude oder heftigen Gemüthsbewegungen ruminirte er nicht. Saures Aufstossen bestand nicht, auch Erbrechen trat selten auf und war schmerzhaft.

Die Affection scheint keineswegs so selten zu sein, als man gewöhnlich an- nimmt, und betrifft nach den von J. gesammelten Fällen auch keineswegs vorwiegend Demente und Idioten, die sich nur in verhältnissmässig geringer Zahl darunter be- finden. Die gebildeten Stände sind zahlreich, wenn nicht geradezu vorwiegend ver- treten; Aerzte, Professoren, Redner, Advocaten, wie Gelehrte überhaupt, sowie auch Künstler bilden den grossen Theil der Patienten. J. nimmt mit Recht an, dass eine grosse Menge von Ruminanten gar nicht zur ärztlichen Beobachtung komınen und

381

ııren Zustand so gut zu verdecken wissen, dass selbst die nächsten Umgebungen oft gar nichts davon erfahren, zum Theil wohl aus Schamgefühl; letzteres steht nach J. vielleicht damit in Verbindung, dass sich unter den Pat. nur sehr wenige Frauen finden. Der Umstand, dass wie bei J.'s Pat. auch in verschiedenen anderen Fällen Gemüthsbewegungen, Aufmerksamkeit und Einflüsse des Gehirns hemmend auf die Kumination einwirken, scheint J. für nervösen Ursprung derselben zu sprechen, viel- leicht beruht sie, wie Luchsinger für die Rumination der Thiere annimmt, auf der Wirkung eines eigenen Ruminationscentrums, auf welches durch den Einfluss des Gehirns hemmend .eingewirkt werden kann. Merkwürdig ist in dieser Beziehang ein von Squire (Mouthily arch. March 1834) mitgetheilter Fall, in dem ein ruminirender Geisteskranker aufhörte zu ruminiren, als die Geistesstörung sich besserte, und, als diese nach Jahren wieder auftrat, wieder ruminirte. Mehrfach findet sich in den Sectionsberichten Hypertrophie des N. accessorius Willisii erwähnt und J. ist, wie auch Bamberger (Virchow’s Handb. d. spec. Pathol. u. Ther. 1855. Bd. 6. Abth. 2. $. 155), geneigt, diesem Verhalten eine hervorragende Bedeutung für das Zustande- kommen der Abnormität zuzuschreiben. Walter Berger.

Therapie.

19) Des injections hypodermiques d’ergotine dans le traitement de la paralysie göndrale, par G. Descourtis. (L’Encöphale. 1885. No. 3.)

Nach dem Vorgange von Girma, welcher die Gehirnhyperämie bei Paralytikern erfolgreich durch innerliche Darreichung von Ergotin bekämpft hatte, hat Descourtis nun in schweren Congestivzuständen während -der apoplectiformen oder epileptiformen Anfälle bei Paralytikern Ergotin subcutan angewendet. D. theilt seine Beobachtungen an.6 behandelten Kranken mit und zwar ist bei mehreren dieser Patienten die gleiche Behandlungsweise in verschiedenen Perioden wiederholt zur Anwendung ge- kommen, in. einem Falle sogar 6mal. Der Erfolg war meist ein vorzüglicher, die bis zum Aufhören der Attacken injicirte Menge des Medicaments variirt von 4 bis 12 Gramm p. d., einmal wurden innerhalb 5 Tagen 18 Anfälle beobachtet, gegen welche 34 Gramm Ergotin eingespritzt wurden, worauf am 6. Tage, an dem schon keine Anfälle vorkamen, noch 6 Gramm. Danach völliges Aufhören der Anfälle. Meist wurden 2-4 Gramm auf einmal injieirt. Nur in einem Falle, der ein durch lange Krankheit geschwächtes Individuum betraf, ging der Kranke am 5. Tage doch noch im Anfalle zu Grunde. Die Anwendung des Ergotins, auch in den grösseren Dosen erscheint nach den Angaben von D. ganz unbedenklich. Zander.

—n

230) De l’emploi du curare dans le traitement de 1l’öpilepsie, par Bourne- ville et P. Bricon.. (Arch. de Neurol. 1885. No. 25. 26. 27.)

Obgleich die Verff. aus Gründen der Physiologie und Pathologie an der Wirk- saınkeit des Curare bei der Epilepsie zweifeln mussten, haben sie doch, veranlasst durch neuerliche Empfehlung des Mittels von anderer Seite, eine Reihe von Epilep- tischen in Bicötre mit subcutanen Injectionen von gehörig vorher gepräftem Curare behandelt. Die Fälle werden, die interessanteren z. Th. sehr ausführlich, mitgetheilt. Die Resultate sind meist negativ, nur in einem Falle war der günstige Effect deut- lich, bei einem trat leichte Besserung ein, bei einem dritten wurden die „secousses‘ gomildert. Das Curare ist also aus der Liste der Epilepsie-Mittel zu streichen.

Siemens.

31) Om massage af halssympathicus vid tio douloureux, af prof. Carl J. Rossander. (Hygiea. 1885. XLVID. 3. 8. 174.)

882

Wenn man auch bei der elektrischen Behandlung zweifelhaft sein kann, ob man damit den Sympathicus wirklich trifft, so ist dieser Einwurf doch nicht bei der Mas- sage gerechtfertigt, mit der man direct auf den Nerven einwirken kann, besonders auf dessen Ganglien. Gegen Neuralgien in den Endzweigen des Trigeminus bat sich die Massage schon vielfach bewährt, nur fragt es sich, ob zwischen Gesichtsneural- gien und Sympathicus Beziehungen bestehen können. R. hält sich für berechtigt, diese anzunehmen, und in einzelnen Fällen hat er von der Massage des Sympathicus auch Nutzen gesehen. Der Gedanke an die Möglichkeit wurde durch Dr. Setterblad in ihm geweckt, der, an einer Neuralgie der Endzweige des N. supra- und infra- orbitalis leidend, den Ganglien des Halssympathicus entsprechende schmerzhafte Punkte entdeckt und durch Massage des Sympathicus Heilung erzielt hatte. BR. hat in 4 Fällen, in denen ebenfalls schmerzhafte Stellen an einzelnen Ganglien des Sym- pathicus vorhanden waren, gleich günstige Ergebnisse dadurch erlangt, dass er die schmerzhaften Ganglien massirte. In zahlreichen andern Fällen, in denen er eben- falls den Sympathicus untersuchte, fand er keine Affection desselben. Bei Neural- gien, welche nur einen einzigen Nervenzweig betreffen, scheint R. der Sympathicus nicht mit im Spiele zu sein, wenn sich aber das Leiden über mehrere Zweige der Gesichtsnerven ausbreitet, dann lässt sich nach ihm eine Betheiligung des Sympathicus vermuthen. R. hält es für der Mühe werth, in Fällen von Gesichtsneuralgien zu untersuchen, ob schmerzhafte Punkte am Sympathicus vorhanden sind und ob sich durch dieses einfache Mittel vielleicht Hülfe bringen lässt. Walter Berger.

22) On the use of the absolute galvanometer, with description of Hirsoh- mann’s new instrument, by B. Sachs. (Journ. of nervous and mental disease. 1885. XII. p. 19.)

Vortrag in der Sitzung der New York Neurological Society vom 6. Jan. 1885, der das absolute Verticalgalvanometer von W. A. Hirschmann in Berlin allen Elektro- therapeuten warın empfiehlt. Sommer.

IIL Aus den Gesellschaften.

Sitzung der Royal medical and chirurgical Society vom 24. Februar 1885. (The Brit. med. Journ. 1885. 28. Febr. p. 435.)

On hereditary locomotor ataxy, by J. A. Ormerod.

O.s Vortrag fasste zunächst die bekannten Symptome, welche die hereditäre Form von der spontanen Tabes unterscheiden, zusammen. Es seien dies besonders: das gehäufte Auftreten bei Geschwistern, wie überhaupt die schwere neuropathische Veranlagung der ganzen Familie, der Ausbruch bereits im kindlichen oder jugend- lichen Alter, das Fehlen der neuralgischen und anästhetischen Symptome, mindestens im Beginn der Erkrankung, sowie endlich die terminale Complication mit Sprach- störung und Nystagmus. Der Vortragende besprach dann die von ihm genauer be- obachteten Krankheitsfälle aus zwei Familien. In der ersten waren von 7 Kindern 3 tabisch, 2 weibl. und 1 männl.; der Vater war ebenfalls tabisch, die Mutter epi- leptisch und eine Schwester derselben geisteskrank. In der anderen Familie, in der übrigens eine evidente neuropathische Belastung nicht nachweisbar war, fanden sich ° auf 9 Kinder 3, wahrscheinlich sogar 4 mit infantiler Tabes.

In der sich anschliessenden Discussion hob dann Althaus hervor, dass die hereditäre Ataxie besser als „Friedreich’sche Krankheit“ zu bezeichnen sei; klinisch sei sie durch das Fehlen aller Sensibilitätsstörungen, pathologisch durch den Sitz der Sclerose in der grauen Substanz, in den Seitensträngen und gelegentlich auch in den Vordersträngen vun der gewöhnlichen Tabes scharf geschieden. Er hält den

383

chronischen Alcoholismus der Vorfahren, besonders natürlich des Vaters, für die häufigste Veranlassung zum Ausbruch.

Buzzard weist darauf hin, dass in einem von ihm beobachteten Fall bei einer jungen Dame anfänglich die Diagnose auf Hysterie gestellt worden. sei. Auch Ormerod hat einen derartigen Irrthum erlebt; dagegen vertheidigt er gegen Alt- haus die pathologische Identität der hereditären und der spontanen Ataxie. In allen seinen secirten Fällen seien die Hinterstränge und anscheinend sogar zu allererst ergriffen gewesen. Sommer.

IV. Bibliographie.

Compendium der Elektrotherapie, von Pierson. Vierte, gänzlich umgearbeitete Auflage. Leipzig, Ambr. Abel, 1885.

Das bekannte und mit Recht beliebte Pierson’sche Compendium der Elektro- therapie liegt in einer neuen (Fiedler gewidmeten) Auflage vor. Dieselbe ist im Vergleiche zu den früheren in weitgehender Weise umgestaltet, wobei die neueren Leistungen auf dem Gebiete der Elektricitätslehre und ihrer medicinischen Anwen- dungen im Allgemeinen volle Berücksichtigung gefunden haben. Wie früher zer- fallt das Buch auch jetzt in folgende Hauptabschnitte: 1. Physikalische Vorbemer- kungen; 2. Elektrophysiologie; 3. elektrische Apparate; 4. Methodik (Elektrodiagnostik, allgemeine Elektrotherapie); 5. specielle Elektrotherapie.. Von der letzteren ist das- jenige, was sich nicht auf Pathologie des Nervensystems bezieht, in einen besonderen Abschnitt abgezweigt; ebenso wird ein solcher noch schliesslich durch die Anwendung der statischen Elektricität gebildet. Ueber letztere (Influenzelektricität) besitzt P. einige eigene Erfahrungen, welche einerseits das verbreitete Vorurtheil, als ob die „Franklinisation“ ein etwas rohes Verfahren sei, widerlegen andererseits aber doch der therapeutischen Wirksamkeit der elektrischen Methode sehr enge Grenzen ziehen (leichtere Neuralgien, bes. nervöser Kopfschmerz bei Frauen, und nervöse Schlaflosigkeit). A. Eulenburg.

V. Personalien.

Docent Dr. Wernicke zu Berlin wurde zum Professor extraord. in der med. Facultät zu Breslau ernannt.

VI. Vermischtes.

Für die Section für Nervenkrankheiten und Psychiatrie bei dem internationalen Con- gress in Philadelphia 1887 ist bereite der Vorstand gebildet: Präsident ist Weir Mitchell; Vicepräsidenten: Folsom, Gray, Jewell; Secretäre: Milis, Bartholow, Hamilton, Hay, Miles, Patnam, Webber, Wood, Van Bibber. Eine Discussion über die I1+- calisation im Hirn ist in Aussicht genommen. M.

Das vorläufig aufgestellte Programm für die 58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Strassburg vom 18.—23. Sept. d. J. bietet für die Neuropathologie bereits eine grosse Zahl von angemeldeten Vorträgen. Für die 18. Section für Psychiatrie und Neurologie (Sectionsführer Herr Jolly) sind angemeldet:

Herr Binswanger (Jena): Ueber die pathologische Histologie der Grosshirnrinde bei der Dementia paralytica. v. Gudden (München): Thema vorbehalten. Westphal (Berlin): Thema vorbehalten. Fürstner (Heidelberg): Ueber einige Erscheinungen nach apoplectischen und epilep- tischen Anfällen.

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Herr Grashey ne): Ueber die Bedeutung des Liquor cerebrospinalis für die Blut- | bewegung im Schädel. :Erb (Heidelberg): Demonstration von Präparaten von Dystrophia muscularis und von Thomsen’scher Krankheit. Rumpf (Bonn): Ueber die Behandlung der Tabes. Sechultze (Heidelberg): Ueber Porencephalie. Stein (Frankfurt a. M.): Die Anwendung schwacher galvanischer Ströme in der Elektrotherapie. .„ Smidt (Kreuzlingen): Ueber Psychosen bei Morphinismus und über die Wirkung des . Coeains bei Morphiumentziehung. Siemens (Ueckermünde): Zur Entstehung von Wahnideen aus Träumen. v. Renz (Wildbad): Ueber Schwangerschaftslähmungen. Hünerfauth (Homburg): Ueber Anwendung der Massage und Heilgymnastik bei Hysterie und Neurastheni®. Freusberg (Saargemünd): Ueber motorische Symptome bei einfachen ‘Psychosen. .Kräpelin (Dresden): Ueber die Verwirrtbeit. Wille (Basel): Ueber das Verhältniss der Tabes zum Alcoholiamas chronie&s und über traumatischen Stupor. Herr Director Dr. Stark in Stephansfeld ladet die Mitglieder der Section zu einem gemeinsamen Besuche der Bezirksirrenanstalten Stephansfeld und Hördt ein. Das Nähere über diesen Ausflug wird in der ersten Sectionssitzung bekannt gegeben werden.

Für die Section für innere Medicin (Sectionsfährer: Herr Kussmaul und Wieger): Herr Stein (Frankfurt a. M.): Ueber die modernen elektrischen Maasseinheiten und den

Einfluss der neueren Elektrotechnik auf die Elektrotherapic.

Adamkiewicz (Krakau): Ueber Sclerose en plaques im Gehirn und Räckenmark nach einer neuen Untersuchungsmethode.

Schuster (Aachen): Ein Fall von multipler Sclerose des Gehirns und Rückenmarks in Folge von Syphilis.

Eulenburg (Berlin): Ueber Urticaria factitia.

Rumpf (Bonn): Ueber pa hnache Monoplegien und Hemiplegien.

Sehnltze (Heidelberg): Neuer Befund bei progresasiver Muskolatrophie.

Für die Section für Physiologie (Sectionsführer: Herr Hoppe-Seyler und Goltz): Herr Herzen (Lausanne): Ueber den Temperatursinn. Biedermann (Prag): Ueber antagonistische Polwirkuaugen bei elektrischer Muskel- reizung. Exner (Wien): 1. Lage und Bedeutung der motorischen Rindenfelder des Hundes. = Ann (Krakau): Ueber die Nervenkörperchen und über die Ernährung der anglien.

Für die Section für Anatomie und Anthropologie (Sectionsführer: Herr Schwalbe und Jössel): Herr Kelnan (Basel): Rassenanatomie und Anthropologie der europäischen Menschen-

sc

Rabl: Demonstration von Präparaten über Segmentirung des Nechhirns bei Amphibien, Vögeln und Säugethieren. N

Rauber (Leipzig): Ueber das Gehirn der Antbropoiden.

Für die Section für Pädiatrie (Seotionsführer; Herr. Kohts): Herr Ranke (München): Ueber cerebrale Kinderlähmung. Henoch (Berlin): Ueber diphtheritische Paralyse. Kohts (Strassburg): Ueber Rückenmarkstumoren im Kindesalter.

Endlich für die Section für Ophthalmologie (Sectionsführer: Herr Laquer): Herr a nr York): Ein Fall von Neuritis optica bei tödtlich ver a in | yelitis. :

Berichtigung.

Nr. 15 S. 340 Z. 11 v.u. lieg „im unteren Lenden- und Sacraltheil“ statt „im Lenden- und Dorsaltheit“.

u Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

2 Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Vrır & Cour. in Leipzig. Druck von Mertzee& & Wırria in Leipzig.

NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Vierter zu ‚Berlin, Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

1885. 1. September. Ne: 17.

Inhalt. 1. Originalmittheilungen. 1. Zur Symptomatologie der Ponserkrankungen, von Prof. J. Mierzejewsky und Privatdocent P. Rosenbach (Schluss). 2. Herr Prof. Sohultze und seine Kritik, von Prof. Dr. Albert Adamkiewicz. 3. Bemerkung zu dem vorstehenden Aufsatze des Herrn Prof. Adamkiewicz, von Prof. Schultze.

ll. Referate. Anatomie. 1. Experimentelle und pathologisch-anatomische Untersuch- ungen über die Beziehungen der sog. Sehsphäre zu den infracorticalen Opticuscentren und zum N. opticus, von v. Monakow. Experimentelle Physiologie. 2. Experiences sur un Buprlie: par Regnard et Loye. 3. Bemerkungen zu den Beobachtungen Laborde’s an dem Kopfe eines Enthaupteten, von Herzen. Pathologische Anatomie. 4. Zur Frage über secundäre Degenerationen des Hirnschenkels, von Bechterew. 5. Ueber Syphilis des Rückenmarks und seiner Häute, von Jürgens. Pathologie des Nervensystems. 6. Etude sur P’aphasie dans les l&sions de l’insula de Reil, par Dejerine. 7. Contribution & ’&tude des tronbles de la parole par Luys. 8. Contribution A Y’etude des contractures hysteriques, par Mille. Klumpke. 9. Contribution a l’&tude de la paralysie hysterigue sans contracture, par Marie ot Souza-Leite. 10. Des zones hysterogenen et hpnogenes, des at- taques de sommeil, par Pitres. 11. De la nature et du traitement de la choröe, legon de Joffroy, resumee par Glibert. 12. Ueber Aetiologie der Chorea, von Thomas. 13. Ueber Nasen- Reflex-Neurosen, von Sommerbrodt. Psychiatrie. 14. Identitä dell’epilessia colla pazzia morale e delinguenza congenita, pel Lombroso. 15. A case of imbecility with well marked hereditary history, by Beach. 16. Du delire ambitieux, par Ball. Therapie. 17. Ueber den Einfluss der Osmiumsäure anf den thierischen Organismus und ihren therapeutischen Werth, von Newsky. 18. Ueber die Erfolge der Dehnung des N. facialis bei Facialiskrampf, par Zesas.

ill. Aus den Gesellschaften. IV. Bibliographie. V. Personalien. Vi. Vermischtes.

I. Originalmittheilungen.

l. Zur Symptomatologie der Ponserkrankungen.

Von Prof. J. Mierzejewsky und Privatdocent P. Bosenbach in St. Petersburg. | (Schluss.)

Zur epikritischen Beurtheilung unseres Falles schreitend, wollen wir zu- nächst notiren, dass das Fehlen einer Hemiplegie bei Affection der Varolsbrücke an unserem Patienten vollkommen durch die Localisation des Processes erklärt ist, der die Pyramidenbahn unversehrt lies. Ohne Zweifel wäre auch letztere in das Leiden mit hinein gezogen worden, wenn nicht die rasch verlaufende Schwindsucht dem Leben zu einer Zeit ein Ende gemacht hätte, als der Hirn- tumor noch verhältnissmässig kleine Dimensionen besass, und die reaotive Ent-

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zündung noch nicht in die Tiefe der Brücke eingedrungen war. In Anbetracht des am Boden des 4. Ventrikels ausgebreiteten Entzündungsprocesses ist es klar, dass im Falle längerer Krankheitsdauer neben linksseitiger Hemiplegie (in Folge von Ausbreitung der Affection auf die motorische Bahn in der rechten Brücken- hälfte) beiderseits Symptome seitens der Bulbärnerven aufgetreten wären, und zwar zuerst seitens des rechten Acustiocus und der linken Nn. facialis und Ab- ducens, deren Kerne auf dem Fortpflanzungswege der Entzündung zunächst lagen. In solchem Fall hätten wir ein scharf ausgeprägtes klinisches Bild vor uns, dessen anatomische Diagnose gar keine Schwierigkeiten bieten könnte.

Indessen zeigt die oben mitgetheilte Krankengeschichte, dass eine ziemlich ausgedehnte Affection der Varolsbrücke und des Bodens der Rautengrube sich abgesehen von unbestimmten allgemeinen Hirnsymptomen, wie Kopfschmerzen, Schwindel, Neuroretinitis und Erbrechen nur durch Lähmung des rechten Facialis und Abducens und Parese des linken M. rectus internus äusserte. Wir wollen jedes dieser Symptome einzeln erörtern.

Die Lähmung des Facialis betraf dessen beide Aeste, wie es bei peripheren Gesichtslähmungen der Fall ist. Doch abgesehen davon, dass die Combination der Symptome in ihrer Gesammtheit eine cerebrale Aflection annehmen liess, konnte die Facialislähmung wegen der eigenthümlichen Modification der elek- trischen Erregbarkeit gesteigerter faradischer und galvanischer Reaction mit träger Muskelcontraction, ohne Umkehrung der normalen Zuckungsformel nicht für peripher gehalten werden. Eine ähnliche Veränderung der elektrischen Erregbarkeit im Gebiete des Facialis bei eben solchem Ursprung der Lähmung desselben (Zerstörung des Facialiskerns am Buden des 4. Ventrikels) hat Wer- NICKE in seinem bekannten Fall von Ponserkrankung! beschrieben, der über- haupt viele Berührungspunkte mit unserer Beobachtung bietet, und auf den wir noch weiter unten zurückkommen werden. In diesem Fall blieb die faradische Erregbarkeit des linken Facialisgebiets (die Affection betraf die linke Seite der Rautengrube) normal, wie in den ersten Tagen, die galvanische der Muskeln zeigte Andeutung von Steigerung (l. c. S.514); später sank sowohl die faradische, als galvanische Erregbarkeit des Facialisstammes, während die galvanische Er- regbarkeit der Muskeln selbst bis zum Tode erhöht blieb. Unsere Beobachtung unterscheidet sich von dem soeben erwähnten Falle nur dadurch, dass an un- serem Patienten auch die faradische Erregbarkeit der gelähmten Muskeln ge- steigert war. Diese quantitative und qualitative Veränderung der elektrischen Erregbarkeit gilt bekanntlich als eine besondere Form der Entartungsreaction (E. REMAK, Er) und entspricht anscheinend einem Stadium der Nervenkerne- Erkrankung, in welchem die Zerstörung der Zellen noch nicht zur Atrophie der betreffenden Muskeln geführt hat, während dieselben im weiteren Verlauf der Bulbärparalyse Herabsetzung resp. Verlust der elektrischen Erregbarkeit oder Umkehrung der Zuckungsformel aufweisen.

Ausserdem ist unseres Erachtens die Thatsache bemerkenswerth, dass die Steigerung der Erregbarkeit, die anfänglich in beiden Aesten des Facialis gleich-

i Wernickz, Ein Fall von Ponserkrankung. Archiv für Paychiatrie. 1877. Bd. VIL

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mässig ausgedrückt war, später im Gebiet des oberen Astes (Mm. frontalis, orbieularis palpebrarum, corrugator supereilii) einer bedeutenden Herabsetzung Platz machte, während sie im Gebiet des unteren Astes, wie früher, bestehen blieb. Obgleich ohne Zweifel die Ursache der Lähmung beider Aeste in der Affection des Facialiskerns am Boden des 4. Ventrikels bestand, so lässt doch dieser Umstand darauf schliessen, dass die Innervationsquellen beider Aeste da- selbst nicht identisch sind. Zu derselben Vermuthung führt bekanntlich die durch sichere Beobachtungen festgestellte Thatsache, dass im Verlauf der Bulbärpars- lyse trotz der Betheiligung des ganzen Facialiskerns am atrophischen Process, die Atrophie der Gesichtsmuskeln sich stets nur auf das untere Facialisgebiet beschränkt und nicht auf die vom oberen Ast innervirten Muskeln ausbreitet. Unsere Beobachtung spricht allerdings nur im Allgemeinen zu Gunsten des Bestehens einer anatomischen Trennung der Kerne für die beiden Aeste, ohne bestimmte Voraussetzungen über ihre Localisation zuzulassen. Doch wenn die Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit, die sich in unserem Fall im oberen Facialisgebiet einstellte, als Ausdruck intensiverer Affeotion des entsprechenden Kerns (im Vergleich zum Kern des unteren Facialisastes) gelten könnte, so würde unser Fall einigermaassen die auf anatomischen Untersuchungen begründete Behauptung Duvar’s bestätigen, nämlich, dass ein Theil der Faecialisfasern aus dem Abducenskern stammt.! Letzterer hatte rechterseits bei unserem Patienten am meisten von der Aflection gelitten, und der rechte N. abducens war bei ihm vollständig gelähmt. . Seitens der Augenmuskeln bot unser Patient eine Erscheinung, die bei ähnlichen Bedingungen schon wiederholt beobachtet wurde, jedoch bisher noch keine befriedigende Erklärung erhalten hat: die Lähmung des rechten Abducens, die von der durch die mikroskopische Untersuchung constatirten Zerstörung des rechten Abducenskerns abhing, war von Parese des linken M. rectus internus, also von einer Innervationsstörung im Gebiet des linken Oculomotorius begleitet. Indessen war einerseits die Function der übrigen Oculomotoriusäste unbeein- trächtigt, andererseits beschränkte sich der pathologische Process auf die Varols- brücke und einen Theil der Medulla oblongata, und hatte sich aufwärts, in der Richtung zu den Oculomotoriuskernen, nicht ausgebreitet. In Anbetracht dessen, dass die bezeichnete associirte Lähmung der Augenmuskeln, wie bereits erwähnt, bei einseitiger Aflfection des Abducenskerns und Integrität des Oculomotorius- gebietes von verschiedenen Autoren wiederholt beobachtet wurde, kann man nicht daran zweifeln, dass diese Erscheinung durch eine bestimmte Innervations- verbindung des M. rectus externus mit dem rectus internus des anderen Auges bedingt ist. Aus der betreffenden Casuistik bieten 2 Fälle die ausschliessliche Eigenthümlichkeit, dass die Parese des M. rectus internus (an der der Affection gegenüberliegenden Seite) nur bei associirten Bewegungen beider Augen nach der Seite der Affection hin auftrat, und beim monoculären Sehen, so wie bei

! Duvan, Recherches sur l’origine r6elle des nerfs cräniens. Journal de l’anat. et de la physiologie. 1876 et 1877. i

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Convergenz der Augäpfel verschwand. Ein solcher Fall wurde von Fkrkou! beschrieben: Die Autopsie ergab einen Tumor in der dorsalen Schicht der Varols- brücke, unter dem Boden des 4. Ventrikels, hauptsächlich an der linken Seite; dementsprechend bestand während des Lebens vollständige Lähmung des linken N. abducens. Was jedoch das rechte Auge anbelangt, so waren der Be- schreibung Ffrkou’s zufolge alle Bewegungen desselben frei, wenn man es einzeln untersuchte, und auch bei Convergenz; nur wenn man den Kranken beide Augen nach links richten liess, so blieb das rechte merkbar zurück. Ferkol schliesst auf Grund dieser Verhältnisse, dass der innere Augenmuskel für associirte Bewegungen mit dem anderseitigen Rectus externus von der Varols- brücke aus innervirt werde, dass er jedoch an und für sich nicht vom Abducens- kern abhängig sei.

Ganz eben solche Beziehungen bestanden in einem Fall, der von Graux? beobachtet und beschrieben wurde. Doch ist diese Beobachtung nicht so rein, da hier ausser einer Affeotion an der reohten Seite der Rautengrube, die die Abducenslähmung bedingt hatte, noch ein Tumor in der rechten Kleinhirn- hemisphäre gefunden wurde, und während des Lebens Nystagmus seitens der Augen bestand.

In allen anderen in der Literatur bekannten Fällen von Ponserkrankung, in denen Lähmung eines Abducens mit Lähmung oder Parese des anderseitigen M. rectus internus verbunden war, bestand die motorische. Störung wie auch in- unserem Fall sowohl bei binoculärem, als bei monooulärem Sehen und bei Convergenz der Augen. Da die betreffende Casuistik noch in neuerer Zeit von verschiedenen Autoren (WERNIOKE,? NOTHNAGEL,* BERNHARDT® u. A.) zu- sammengestellt worden ist, so erscheint es uns überflüssig, hier die einzelnen hierhergehörigen Fälle zu besprechen.

Es ist jedoch zu bemerken, dass einige casuistische Mittheilungen, in welchen das in Rede stehende Symptom associirter Augenmuskellähmung bei einseitiger Brückenaffection beobachtet wurde, nicht zur Aufhellung der Pathogenese des- selben verwerthet werden können (Drsnos,® HuUGHLINGs-JacKson,’ BROADBENT,® LeEypen,’ Ewaup!® u. A.): in einigen derselben waren gleichzeitig andere Herd- erkrankungen im Gehirn vorhanden, in anderen dehnte sich die Ponsaffeotion auf das Kleinhirn oder die Kleinhirnstiele aus, und die Augenmuskellähmung war von Zwangsbewegungen und verschiedenen anderen Hirnsymptomen begleitet. 1 Ferfor, Union medicale. 1873. No. 47.

® Graux, De la paralysie du moteur oculaire externe etc. Paris 1878. Observ. VI. (p. 89 sq.).

8 WEBRNICEB |. c.

«4 NorunaseL, Topische Diagnostik. 1879. S. 138 ff.

5 BernHARDT, Beiträge zur Symptomatologie und Diagnostik der Hirngeschwülste. 1881. 8. 201 ff.

© Desnos, Bull. de la soc. med. des höpitaux de Paris. 1878. X.

HugcnuLınas-Jackson, Medical Times. 1874. January.

® BRoADBEnT, Brit. med. Journal. 1871. December.

® LEeypen, Klin. d. Rückenmarkskrankheiten, 1875. II. S. 65. 10 Ewaup, Deutsches Archiv f. klin. Med. 1877. Bd. XIX.

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Im Falle Fovinze’s! des ersten Autors, der die associirte Augenmuskel- lähmung mit Erkrankung der Varolsbrücke in Zusammenhang brachte konnte die Diagnose nicht durch Autopsie bestätigt werden, da der Kranke sich erholte. Die sogenannte assocürte Ablenkung der Augen und des Kopfes, die durch Aflection anderer Hirngebiete bedingt wird, kommt hier natürlich auch nicht in Betracht.

In Berücksichtigung aller dieser Umstände bleiben sehr wenige reine Be- obachtungen‘ übrig, deren Analyse auf das Zustandekommen der uns hier interessirenden Symptome seitens der Augenmuskeln Licht werfen könnte.

Hierher gehört zuvörderst die durch Genauigkeit und Vollständigkeit der anatomischen Untersuchung ausgezeichnete, bereits oben erwähnte Mittheilung Wernıoke’s. Die Beschreibung der Augenstellung seines Patienten bietet fast genau das Nämliche, was wir in unserem Fall beobachteten, und er betont auch, dass die Parese des M. rectus internus an dem der afficirten Seite gegenüber- liegenden Auge nicht beim monoculären Sehen verschwand. Die Geschwulst, die in der linken Hälfte des Bodens des 4. Ventrikels sass, hatte die Kerne des VIL und VL Paares und ausserdem einige andere Theile der oberen Brücken- etage (die Quintuswurzeln, den inneren Acusticuskern etc.) zerstört, die für die Lähmung der Augenmuskeln keine Bedeutung haben konnten. Die untere Brückenabtheilung war, wie auch in unserem Fall, frei von pathologischen Ver- änderungen, und dementsprechend war keine Hemiplegie vorhanden.

Ferner beschrieb Harıorzau? eine ganz isolirte Affection der Kerne des VI. und VI. Paares (Eminentia teres) linkerseits, die in Erweichung des Nerven- gewebes durch Gefässerkrankung bestand, an einer Kranken, die während des Lebens Lähmung beider Aeste des linken Facialis, Lähmung des linken Ab- ducens, Parese des rechten M. rectus internus und Parese der rechtsseitigen Extremitäten aufwies.

Vor Kurzem endlich wurde eine ähnliche Beobachtung isolirter Affection der Eminentia teres von DE Vincentus? publicirt: Bei einem 13jährigen Mäd- chen, das an Lungentuberculose litt, waren beide Augen in Folge associirter Lähmung der Augenmuskeln nach links gewendet; jegliche anderen Symptome seitens des Nervensystems, sogar Facialislähmung, fehlten bis zum Tode. Die Section ergab eine Geschwulst (einen käsig degenerirten Tuberkel) in der rechten Hälfte des Bodens des 4. Ventrikels, in dessen Höhle sie frei hervorragte. Der Tumor entsprach genau der Lage des Abducenskerns, indem er ungefähr 2 mm von der Mittellinie und 7 mm von der vorderen Fläche der Medulla abstand.

Die meisten Autoren, die Beobachtungen von der in Rede stehenden Kate- gorie beschrieben, beschränkten sich auf Constatirung der Thatsache, dass Affec- tion eines Abducenskerns Lähmung der Bewegungen beider Augen zur Seite der Affection bewirkt, und erklärten dies dadurch, dass aus dem Abducenskern

UA. FoYILLE, Note sur une paralysie peu connne de certains muscles de l’oeil etc.

Bull. de la soc. anat. 1858. Gaz. hebdomad. 1859.

3 HıuLopkau, Note sur un fait de thrombose basilsire. Arch. de physiolog. norm. et pathol. 1876.

3 Ds Vincentus, Contribuzione allo strabismo conjugato paralitico da tuberculo del sesto paio di nervi cranici. Annali di Ottalmologia. 1888. XII,

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nicht nur die Innervation für die Auswärtsrollung des entsprechenden Auges entspringt, sondern auch für assocürte Seitwärtsbewegung beider Augen. Diese Erklärung steht allerdings in vollkommenem Einklang mit solchen Fällen, in welchen die Parese des M. rectus internus an dem der Affection gegemüber- liegenden Auge nur bei associirten Seitwärtsbewegungen bemerkt wurde, und beim monoculären Sehen oder bei Convergenz verschwand. Doch wir haben bereits gesehen, dass solche Fälle Ausnahmen bilden, und dass’ meistens die Bewegungsfähigkeit des inneren Augenmuskels an und für sich, unabhängig vom anderen Auge, beeinträchtigt ist. Ausserdem ist der Umstand zu beachten, dass in den meisten hierhergehörigen Beobachtungen bei vollständiger Abducens- lähmung am M. rectus internus des anderen Auges nur von einer Parese die Rede ist. In Anbetracht dieser Verhältnisse ist die oben angegebene Erklärung nicht stichhaltig; indessen haben wie wir gleich sehen werden, anatomische und physiologische Forschungen auch nicht zu einer befriedigenden Lösung der uns beschäftigenden Frage geführt.

WERNIOKE sprach bei Beurtheilung seines Falles die Voraussetzung aus, dass für die associirten Seitwärtsbewegungen der Augen am Boden des 4. Ven- trikels, in der nächsten Nachbarschaft der Abducenskerne jederseits ein besonderes Centrum liege, und dass jedes derselben zum contralateralen Oculomotorius Fasern sende, die die Raphe in der Nähe der Abducenskerne kreuzen.! Aller- dings hatte schon Hucuenın vor längerer Zeit ein Nervenbündel angegeben, das die gegenüberliegenden Kerne des III. und VI. Paares verbinden soll. Später beschrieb Duvau in Gemeinschaft mit Graux und LABORDE einen im hinteren Längsbündel verlaufenden Faserzug, der den Kern des Abducens mit denjenigen der anderseitigen Trochlearis und Oculomotorius verbindet. Die nämlichen Au- toren behaupten auch auf Grund experimenteller Untersuchungen an Thieren, dass sowohl Reizung als Zerstörung des Abducenskerns an einer Seite der Rautengrube von assocürter Seitwärtsbewegung beider Augen begleitet wird.?

Den Ausgangspunkt der soeben genannten Arbeit Duvar’s und LABORDE’s bildete ihren eigenen Worten zufolge die Beobachtung Ferkon’s, in welcher die Parese des M. rectus internus ‘an dem der Abducenslähmung gegen- überliegenden Auge nur bei associirten Seitwärtsbewegungen bestand. Üflenbar stimmen die Resultate der anatomischen und physiologischen Untersuchungen der genannten Autoren mit solchen klinischen Thatsachen vollkommen überein, und bestätigen auch die Voraussetzung FovıLıE’s, die letzterer bereits im Jahre 1859 auf Grund seiner oben erwähnten Beobachtung machte. Doch ist zugleich ersichtlich, dass die angenommene Verbindung des Abducenskerns mit dem contralateralen Oculomotorius nicht die selbstständige Parese des inneren Augenmuskels erklärt, die in unserem Fall bestand, wie auch in den Beobach- tungen von WERNICKE, HALLOPEAU, DE VINCENTIS u. A. In der That, wenn

ı Vgl. die Verhandlungen der Berliner medic.-psycholog. Gesellschaft 1876. Arch. f. Psych. VII. S. 640.

% Duvau et LAsoRpE, De Y’innervation des mouvements associes des globes oculaires. Journal de Yanat. et de la physiol. 1880. Graux |. c.

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Zerstörung des Abducenskerns und der aus demselben entspringenden Commis- suralfasern die associirte Seitwärtsbewegung der Augen aufhebt, so muss doch . die Innervation des inneren Augenmuskels an und für sich unbeeinträchtigt bleiben, bei Integrität des Oculomotoriuskerns. Andererseits wäre dieses Symptom leicht zu erklären, wenn man annehmen könnte, dass das bezeichnete Faser- bündel den Abducenskern unmittelbar mit demjenigen Oculomotoriusast verbinde, der den contralateralen inneren Augenmuskel innervirt; doch müsste dann Zer- störung des Oculomotoriuskerns selbst nicht von Lähmung des letzteren be- gleitet werden.

Also ist die Frage über den Mechanismus der Combination von Abducens- lähmung mit Parese des contralateralen M. rectus internus bei einseitiger Affec- tion des Abducenskerns gegenwärtig noch als offen :zu betrachten, obgleich diese Combination selbst unzweifelhaft die Bedeutung eines wichtigen Symptoms für die topische Diagnostik von Erkrankungen im Gebiet der Varolsbrücke und des Bodens des 4. Ventrikels besitzt.

2. Herr Professor ScHULTZE und seine Kritik. Von Prof. Dr. Albert Adamkiewicz. |

In Nr. 11.d. Centralbl. (l. J.) hat Herr Prof. Scauutze in Heidelberg meine Arbeit „Die anatomischen Processe der Tabes dorsualis‘‘ (Sitzgsber. der k. k. Akad. d. Wissensch. zu Wien. XC. Bd.) einer kritischen Verunglimpfung unterworfen.

In dieser Arbeit habe ich an den mikroskopischen Rückenmarksbefunden eines klinisch constatirten Falles von Tabes Folgendes nachgewiesen:

Es giebt eine Form der Hinterstrangsdegeneration, bei welcher die primären Herde mitten in den Burnach’schen Strängen liegen. Diese Herde werden von Nervenfasern gebildet, welche zu einer durch mein neues Tinctionsverfahren dar- stellbaren Gruppe, der hinteren chromoleptischen Partie, in naher Beziehung stehen. Die Tabesdegeneration schreitet von den primären Herden in der Richtung nach innen und in der nach aussen (Hinterhörner) und hinten (hintere Wurzeln) fort. Die Ausbreitung des Processes in den beiden zuletzt genannten Richtungen tritt erst später ein und ist inconstant. In den jüngsten Herden, im Halsmark, kann man seinen excentrischen Verlauf verfolgen. In den ältesten Herden, im Brust- und im Lendenmark, erkennt man die directe Ab- hängigkeit der Betheiligung der grauen Hinterhörner und der hinteren Wurzeln an der Degeneration von der Extensität der Ausbreitung des Degenerations- processes. Der Inconstanz der letzteren zu Folge können, wie ich speciell an meinem Fall beweise, die Hinterhörner von der Degeneration auch einmal vollkommen verschont bleiben. Das absolute Fehlen von Sensibilitätsstörungen in sicher constatirten Tabesfällen beweist, dass auch die hinteren Wurzeln, so wie in meinem Fall die Hinterhörner, gar nicht zu erkranken brauchen.

Die Degeneration läuft innerhalb der primären Tabesherde in Form kleiner und nur mikroskopisch nachweisbarer Flecken ab. Sie beginnt in der Mark-

7%

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scheide der Nerven und speciell in einem sich besanders leicht färbenden Be- standtheil derselben, den ich die „chromoleptische Substanz“ genannt habe. Sie vernichtet zunächst die Markscheide und dann den Axeneylinder. Zu- letzt bleibt an Stelle des erkrankten Nerven eine Lücke zurück. Die Nerven gehen zu Grunde, ohne dass das Neurogliagewebe zu wuchern braucht. In meinem Fall fand eine Vermehrung dieses Gewebes nicht statt.

Von dieser parenchymatösen, primär in den Nerven ablaufenden, Tabes- degeneration, die als eine Grundform betrachtet werden kann, weil sie die haupt- sächlichsten Erscheinungen und Variationen der Tabesdegeneration gut erklärt, ist diejenige Grundform der Tabes anatomisch zu unterscheiden, bei welcher das Primäre eine Wucherung der Neuroglia ist. Diese Wucherung entwickelt sich zunächst längs der arteriellen Stämmchen der Hinterstränge, hat daher ganz bestimmte Angrifispunkte und breitet sich von diesen excentrisch über die Hinterstränge aus. Sie richtet die Nerven durch Druck zu Grunde. Deshalb bleiben hier an Stelle der untergegangenen Nerven im degenerirten Grund- gewebe Lücken nicht zurück.

Diese durch sorgfältige Untersuchungen festgestellten, in meinem Vortrage „Die Rückenmarksschwindsucht“ (Wien 1885. Toeplitz & Deuticke) detaillirt geschilderten und erweiterten und übrigens jederzeit leicht von mir demonstrir- baren Resultate haben keine Gnade vor ScHuLTze’s Augen gefunden. Er hat sie unbarmherzig zerpflückt und mir aus ihren Fetzen in diesen Blättern einen mich vernichten sollenden Scheiterhaufen errichtet.

Aber seltsam. Ich fühle mich von diesem Auto-da-fe nichts weniger, als angegriffen und sehe im Schein seiner falschen Flammen eine kritische Maske, hinter der sich recht seltsame Dinge verbergen.

Oder täuschte ich mich und ist es der Ausdruck einer neuen Art von Takt und Geschmack, wenn der kritische Autor meint, ich untersuchte „von Zeit zu Zeit“ einen Tabesfall. „Glücklicher als andere Autoren hätte ich bereits zwei Typen gefunden.“ „Es sei von meinen Bemühungen wohl auch noch ein dritter zu erwarten“ u. s. w.

Weiss denn der gestrenge Herr Kritikus, was ich untersuche und was von dem Untersuchten ich des Mittheilens für werth halte? Wie kann er es wagen, an der Existenz meiner beiden Typen zu zweifeln, da er meine, übrigens öfters demonstrirten und noch von Niemand beanstandeten, Präparate nicht kennt? Was soll die hämische Bemerkung, ich würde wohl auch noch einen dritten Typus finden, wenn sie nicht der geheimen Begierde entspränge, meine, wie ich mir bewusst bin, rechtschaffene Arbeit zu discreditiren ?

Und ist es der Ausdruck maassvoller Selbstschätzung, wenn Hr. SCHULTZE mit meiner Diagnose der Tabes Verstecken spielt; mich darüber unter- weisen will, in wie weit ich die klinischen Symptome dieser Krankheit be- rücksichtigen soll in Arbeiten, in welchen ich von deren „anatomischen“ Pro- cessen spreche; oder endlich gar mir seine Logik anpreist, trotz deren Grossartigkeit er nicht einmal begreifen kann, dass, wenn die primären Herde der Tabes mitten in den Burpaca’schen Strängen gelegen sind und ihre Aus-

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breitung nach den grauen Hinterhörnern und den hinteren Wurzeln erwiesener- maassen erst später eintritt, unbeständig und unregelmässig erfolgt und manchmal sogar vollkommen ausbleibt, vom anatomischen Standpunkt nur die primären Herde als eigentliche und zwar reine Tabesentartung, die Degenerationen der Hinterhörner und der hinteren Wurzeln dagegen als secundäre Begleit- und Folgezustände der Krankheit zu betrachten sind!

Fällt es denn irgend Jemand ein, die Peritonitis für einen wesentlichen Bestandtheil des Darmgeschwüres zu halten, nur deshalb, weil letzteres häufig das Peritonaeum erreicht ‘und angreift? Und hat irgend Jemand von denen, die die Erkrankung der Hinterhörner und der hinteren Wurzeln für einen wesentlichen Bestandtheil der Tabes erklären, den zur Stütze dieser Be- hauptung nothwendigen Beweis geliefert, dass Hinterhörner und hintere Wurzeln primäre d. h. selbstständige und von den Hintersträngen ganz unabhängige Angrifispunkte der Krankheit sind? Aber, wie dem auch sei, Herr SoHULTZze muss nun einmal seine überlegene Logik glänzen lassen und setzt deshalb dem Leser aus von mir ausgesprochenen Sätzen eine für diesen Zweck ihm passend erscheinende Mischung vor. So naiv wird hoffentlich Niemand sein, dieses Gebräu für die wahre Materie und Schuuttze’sche Logik für den richtigen Weg- weiser durch meine Arbeiten zu halten.

Was man ausser Logik sonst noch aus ScHuLTze’s Kritik lernen kann, das festzustellen, kann ich dem Leser überlassen. Vielleicht wird er den tiefen Sinn des mir gemachten Vorwurfes ergründen, dass ich das Netz der feinen Nerven der grauen Substanz in einer Zeichnung nicht wiedergebe, obgleich ich sage, dass meine Tinctionsmethode sie so schön zur Darstellung bringe. Mir. wenigstens ist dieser Vorwurf nicht ganz verständlich. Denn erstens war ich bis jetzt des Glaubens, es sei wesentlich dem Mikroskopiker selbst überlassen, von dem, was er beschreibt, so viel zu zeichnen, als ihm beliebt, nicht so viel, als die ScHuurtze's decretirev. Und zweitens ist Herrn Soauutze das merk- würdige Pech passirt, die Zeichnung, welche er so schmerzlich vermisst, in Fig. IV, Taf. I meines Vortrages „Die Rückenmarksschwindsucht“ so gänzlich übersehen zu haben.

Noch werthvoller ist offenbar Herrn Schuutze’s Argwohn, dass die be- kannten Lücken im tabisch degenerirten Gewebe, deren Ursprung aus dem pro- gressiven, concentrischen Schwund der Nervenfasern ich mit Hülfe meiner Tinctionsmethode (vgl. „Die Rückenmarksschwindsucht‘“) klar nachweisen konnte, bei mir durch „mechanisches Ausfallen“ der Nerven aus den Präparaten entstanden sein könnten.

Ich hoffe, man wird diesem Gedanken ScHuutze’s die verdiente Bewun- derung nicht versagen. Bisher hatte man die Vorstellung, Nerv und Neu- roglia seien fast miteinander verkittet. Man quälte sich, Methoden zu finden, diese beiden so innig verwebten Gewebselemente von einander „mechanisch“ zu trennen. Und siehe da! ScHuLtzE zeigt, dass diese Bemühung unnöthig und jene Vorstellung eitel Trug und Täuschung war, da doch offenbar die Nerven durch das Neurogliagerüst, wie Erbsen durch ein Sieb fallen, und man

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daher beim Behandeln der Rückenmarksschnitte leicht ein leeres Sieb in Händen behalte!

Dass Herrn SCHULTZE auch meine Zeichnungen nicht recht sind, dass er hier zu viel und dort zu wenig Farbe findet, das beweist nur, dass in der Wissenschaft auch der Pinsel ernst genommen sein will. Und da Hr. Schutze für all’ das Schöne seiner kritischen Leistung Dank gebührt, so möchte ich ihm denselben auch in Form einer kleinen Lehre abstatten. Sollte er in Zukunft wieder einmal den Beruf des Kritikers in sich fühlen, so möge er sich be- fleissigen, den Gegenstand, dem er seine Leidenschaft widmet, auch etwas kennen zu lernen. Hätte er beispielsweise das mit meiner Tinctionsmethode gethan, die er nicht theoretisch kennt und noch viel weniger praktisch beherrscht, die er aber trotzdem dreist kritisirt, dann hätte er es nicht nöthig gehabt, die unrichtige Behauptung aufzustellen, meine Methode sei unsicher. Denn sie steht thatsächlich den bisher bekannten Färbemethoden an Sicher- heit nicht nach, übertrifft sie aber meist an Einfachheit der Technik.

Er würde sich ferner selbst davon überzeugt haben, dass er sich in grossem Irrthum befindet, wenn er glaubt, dass meine Safraninmethode wesentlich die Nervenfasern und ihr Mark sichtbar macht, über den Zustand der Gefässwände, der Bindegewebssepta und der Glia aber im Unklaren lässt. Meine Methode färbt sowohl die Nerven-, als auch die Bindegewebselemente, jedes absolut scharf und jedes in seiner Art. Sie verbindet so die Vortheile der Methode WEIGERT’s mit denen der Carmintinction. Und weil sie ausser- dem noch wichtige Details kennen lehrt, welche die erstere nicht zeigt, so leistet sie offenbar mehr, als diese beiden ausgezeichneten Methoden zusammen.

Gerade die Ergebnisse meiner neuen Tinctionsmethode haben der früher von mir gefundenen interstitiellen Tabes noch eine besondere und unwiderleg- liche Stütze gegeben. Sie haben das absolut differente Detail der parenchy- matösen Tabesdegeneration gegenüber der interstitiellen klar und scharf kennen gelehrt. Und alle Scauutze’s der Welt werden nicht im Stande sein, die sich selbst bahnbrechende Erkenntniss von den Vortheilen meiner Methode auf- zuhalten, noch auch die feststehende Thatsache von der Existenz der beiden von mir beschriebenen Degenerationsformen zu erschüttern.

3. Bemerkung zu dem vorstehenden Aufsatze des Herrn Prof. ADAMKIEWICZ.

Von Prof. Schultze in Heidelberg.

Auf den Ton,! welchen Herr Prof. AnamkıEewıcz in dem obigen Aufsatze anschlägt, vermag ich nicht einzugehen.

! Auch die Redaction dieser Zeitschrift kann sich mit diesem „Ton“ nicht einverstanden erklären. Wenn trotzdem der Aufsatz des Herrn Pruf. Anamkırwicz in der vorliegenden Form Aufnahme fand, so wurde damit nur einem ausdrücklichen Verlangen des Herrn Prof. SchuLtze Genüge geleistet. | M.

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In Bezug auf die Sache habe ich vorläufig zu erwidern, dass mir die später erschienene Brochüre des genannten Autors „über die Rückenmarksschwindsucht“ zur Zeit der Abfassung meiner Kritik noch nicht bekannt war. Ich konnte demnach auch nichts in derselben „übersehen“. Ebensowenig konnte ich wissen, dass, wenn ein Autor im Texte ausdrücklich sagt, seine Figur (Fig. VI auf Taf. II der Abhandlung über anatomische Processe der Tabes dorsalis) sei „voll- kommen naturgetreu“ wiedergegeben, er demnach „von dem, was er be- schreibt, so viel zeichnen könne, als ihm -beliebt“. Der urkundliche Werth des Bildes geht dann verloren. Im Uebrigen sehe ich meine Bedenken gegen die Untersuchungsmethode und gegen die Schlussfolgerungen des Autors in keiner Weise widerlegt.

II. Referate.

Anatomie.

1) Experimentelle und pathologisch-ansatomische Untersuchungen über die Beziehungen der sogenannten Sehsphäre zu den infracorticalen Opticuscentren und zum Nervus opticus, von Dr. von Monakow in St. Pirminsberg, Schweiz. (Arch. f. Psych. u. Nervenkrankh. Bd. XVI. S. 151.)

a) Experimentelle Untersuchungen an Katzen.

Im Anschluss an seine früheren Arbeiten an Kaninchen (s. Arch. f. Psych. u. N. Bd. XIV. H. 3) giebt Verf. hier die genaue mikroskopische Untersuchung von zwei schon vor längerer Zeit von ihm gewonnenen Präparaten von Katzen, denen er Theile der Sehsphäre exstirpirt hatte und bei denen Atrophie der infracorticalen Opticus- centren eingetreten wa ferner die makroskopische Beschreibung zweier neuer der- artiger Präparate.

Das Resultat seiner Studien ist, dass in allen Fällen nach Abtragung von Rindenpartien aus der sog. Sehsphäre secundäre absteigende Atrophien im Corpus genicul. ext., im Pulvinar und im vorderen Zweihügel der operirten Seite auftreten, und zwar nach Verlauf von 6—-8 Wochen nach der Operation, nur ausnahmsweise schon früher; je nach Ausdehnung und Wahl des Operationsfeldes ist diese secundäre Atrophie verschieden gross.

Am Tractus und Nervus opticus dagegen trat bei diesen Experimenten nur dann eine Atrophie ein, wenn neugeborene Thiere zur Operation verwendet waren; sie blieb aus, wenn die operirten 'Thiere schon mindestens 4—5 Wochen alt waren. Es handelt sich also nach M. hierbei am Tractus und Nervus opticus nicht um wirkliche ‘Atrophien oder Rückbildungsprocesse, sondern um Wachsthumshemmungen.

Während nun bei Kaninchen sich engere Beziehungen zwischen umschriebenen Partien innerhalb der Sehsphäre und besonderen Regionen in den primären Opticus- centren nicht sicher auffinden liessen, fand sich bei den Katzen eine solche Beziehung. Nämlich so: in dem Falle, wo von der Sehsphäre die laterale Partie abgetragen war, beschränkte sich die secundäre Atrophie auf die mediale und frontale Partie des Corp. genicul. ext.; das Pulvinar war nur ganz unerheblich reducirt, im vor- deren Zweihügel dagegen fand sich sowohl im mittleren als auch im oberfläch- lichen Mark ein beträchtlicher Faserausfall und eine deutliche Reduction der grauen Kappe. In dem anderen Falle dagegen, wo die mediale und caudale Partie der Sehsphäre exstirpirt war, war umgekehrt der medial-frontale Abschnitt des äusseren Kniehöckers intact, aber seine laterale und caudale Partie hochgradig

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ergriffen, das Pulvinar in einen kleinen atrophischen Streifen verwandelt, der vor- dere Zweihügel aber kaum merkbar verkleinert. „Es steht also die mediale Partie der Sehsphäre beinahe ausschliesslich mit den lateralen, und die laterale mehr mit den medialen Partien der infracorticalen Centren in Verbindung, mit andern Worten die Anordnung der Sehsphären Projectionsbündel in der Haube ist gerade um- gekehrt wie die der zugehörigen Rindenzonen“, und demgemäss liegen auch in der inneren Kapsel die mit der medialen Sehsphäre in Verbindung tretenden Bündel mehr caudal-lateral, die aus der lateralen Sehsphäre stammenden mehr frontal-medial.

Endlich zeigte sich nach Exstirpation der lateralen Partie der Sehsphäre der Faserausfall im Sehnerven der operirten Seite stärker, als in dem der anderen Seite, und umgekehrt nach Abtragung der medialen Sehsphärenzone ein stärkeres Ergriffen- sein des gekreuzten Bündels.

» Tartuferi's abweichende Resultate (dass nämlich der N. opticus nur mit dem vorderen Zweihügel direct, erst indirect durch diesen mit Pulvinar und Corp. genical. ext. in Verbindung stehe) hält M. höchstens für das Kaninchen, nicht aber für die höher organisirten Thiere für richtig.

bpb. Pathologisch-anstomische Untersuchungen am menschlichen Gehirn.

Ein 66jähriger Mann erlitt 1878 und 1879 zwei apoplectiforme Anfälle, nach welchen linksseitige Paresen und eine eigenthümliche Sehstörung zurückblieben. An- fang 1882 ein neuer Anfall mit vorübergehender vollständiger Aufhebung des Seh- vermögens, mit Gesichtshallucinationen etc. Es blieb eine hochgradige Sehstörung zurück und vollständige Worttaubheit bei guter Articulation. Die Sehstörung war bedingt durch (Hemianopsie [?] und) Seelenblindheit. Wenn Pat. z. B. nach dem Nachtgeschirr verlangte und man es ihm hinreichte, so griff er nicht danach, son- dern hörte erst auf nach dem Topfe zu rufen, wenn man ihm denselben in die Hand drückte. Dabei bestand mässiger Schwachsinn.

Tod Ende 1882. Die Section ergab links einen bedeutenden Schwund des Gyr. tempor. I und Verschmälerung des Gyr. tempor. II, sodass der Sulcus tempor. I mit der Fossa Sylvii (horizontaler Schenkel) zusammenfiel. Ausserdem war das Mark sämmtlicher Occipitalwindungen erweicht und die zugehörige Rindenparlie gelb ver- färbt und degenerirt. :

Rechts bestand ein grosser Defect im medialen Theil des Lob. occipitalis: der Cuneus, Lob. lingualis und Gyr. descendens fehlten fast vollständig; ferner war der hintere Theil des Balkens und die caudale Partie des Gyr. hippocampi mit der rechten Fornix-Säule degenerirt, und im rechten Thalam. opt. und Corp. genic. ext., in den vorderen Zweihügeln fanden sich secundäre Veränderungen, das Brachium des rechten vorderen Zweihügels war auffallend dünn, das rechte Pulvinar bedeutend atrophirt, ebenso der rechte Tract. optic. und linke Sehnerv. Links bot der Thal. opt. nur eine geringe allgemeine Verkleinerung, das Corp. genicul. ext. war normal.

Die Analogie dieser Veränderungen mit den oben beschriebenen Befunden nach experimentellen Zerstörungen der Sehsphäre springt in die Augen. Dass die links- seitigen Erweichungen im Hinterhaupts- (und Schläfen-)Lappen keine merkbaren Atrophien erzeugt hatten, erklärt M. aus dem relativ jungen Bestehen derselben: sie waren höchstens 10 Monate, die rechtsseitigen 4 Jahre alt.

Dass aber die Atrophien in den rechtsseitigen primären Opticuscentren wirklich secundär, durch die Rindendefecte, bedingt waren, ergab sich bestimmt daraus, dass sich eine Körnchenzellendegeneration alten Datums im Gebiete der Gratiolet’schen Stränge (soweit dieselben aus der medialen Partie des Occipital- hirns stammen) von dem Defect an bis zu ihrem Eintritt in die entarteten primären Opticuscentren.

Auf verschiedene interessante Einzelheiten einzugehen, ist hier nicht Raum. Um so nachdrücklicher muss aber auf die Originalarbeit verwiesen werden, in welcher

397°

Verf. eine genaue Beschreibung der Resaltate seiner mit bewunderungswürdigem Fleisse durchgeführten mikroskopischen Untersuchung des betreff. Gehirnes nieder- gelegt hat. Hadlich.

Experimentelle Physiologie.

2) Experiences sur un supplici6, par Regnard et Loye. (Progr. möd. 1885. No. 29.)

Bei Gelegenheit einer Hinrichtung in Troyes haben sich R. und:L. die Mühe genommen, und haben nach einem ihnen vom Paul Bert vorgeschlagenen Plane die unmittelbar nach der Guillotinirung am Körper des Delinquenten auftretenden Er- scheinungen genauer beobachtet; ausserdem sind ihnen einzelne physiologische Ex- perimente gelungen, die sie am Körper des Gerichteten vorgenommen haben. Die Resultate ihrer Beobachtungen sind kurz etwa folgende: Im Augenblick, wo das Beil den Kopf vom BRumpfe trennt, tritt plötzlich als Folge der das Rückenmark treffenden Reizung eine allgemeine Starre der gesammten Körpermusculatur ein, die 2—3 Minuten andauert; irgend welche krampfhafte Contractionen oder vereinzelte Zuckungen der Körpermuskeln sind nach Aufhören der Starre nicht wahrnehmbar. Ebenso sind alle Reflexe um diese Zeit bereits aufgehoben, nur die Pupille contrahirt sich ein wenig bei einfallendem Licht. Die motorische Abhängigkeit der um die Bronchialverästelungen angeordneten Muskelfasern vom Nerv. vagus wurde dadurch festgestellt, dass ein Manometer im der Trachea befestigt, die Pleurahöhle geöffnet und der isolirte Vagus mit dem faradischen Strome gereizt wurde: Wenn der Strom zu wirken anfing, stieg die Flüssigkeit im Manometer. Diese Beobachtung war noch 32 Minuten nach der Execution möglich. Auch die directe Reizung der genannten Fasern verursachte noch eine Stunde nach der Hinrichtung ein Steigen der Flüssigkeitssäule 45 Minuten nach dem Tode wurde das Abdomen geöffnet: Bewegungen des Magens und des Darmes waren nicht sichtbar, erst auf Reizung der Vagi traten sehr deutliche Bewegungen des Magens und des Darmes ein, die sich bis zum Colon transversum ausdehnten. Der Magen war absolut leer und zeigt nur einen sehr intensiven Geruch nach Alkohol, den der Delinquent kurz vor seinem Tode genommen hatte. Wenn bei geöffnetem Magen der Vagus gereizt wurde, zeigt die Schleimbaut Falten und Runzeln und es entströmten derselben zahlreiche Tröpfchen von Magensaft: diese Erscheinung war über die ganze Innenfläche des Magens ausgedehnt. Endlich wurde noch die Function der Mm. interossei und lum- bricales der Hand geprüft: ihre Wirkung war die, welche Duchenne ihnen zuer- theilt. Eine direct in die Substanz des Herzens eingeführte Nadel zeigte noch 51 Schläge 12 Minuten nach der Execution an; erst 20 Minuten nach dem Tode stand das Herz völlig still. Laquer.

3) Bemerkungen zu den Beobachtungen Laborde’s! an dem Kopfe eines Ennthaupteten, von Prof. A. Herzen. (Revue mödicale de la Suisse romande. 1885. No. 8.)

H. ist der Meinung von Regnard und P. Bert, dass das Bewusstsein sofort nach der Enthauptung schwindet, denn: der Stenon’sche Versuch lehrt uns für das BRückenmark, dass sofort, wenn die Blutcirculation unterbrochen wird, die graue Sub- stanz aufhört zu functioniren, die weisse Substanz und die peripherischen Nerven später, noch später die Muskeln; und in umgekehrter Reihenfolge belebt die wieder- hergestellte Circulation die Theile. Dasselbe findet unzweifelhaft für die graue Sub- stanz des Gehirns statt, da ja hier schon eine Abschwächung der Circulation (in der

ı Cf. in dieser Nummer $. 406.

38

Ohnmacht) Bewusstlosigkeit und Erlöschen der Reflexe hervorruft, wie viel mehr also der völlige Stillstand und Verlust des Blutes.

Wenn Laborde nach 22 Minuten, und bei künstlicher Blutcirculation noch nach 50 Minuten Erregbarkeit der motorischen Rindenfelder beobachtet hat, so handelt es sich hierbei nach H. um directe Reizung motorischer (centrifugaler) Fasern. Was die Wiederherstellung psychischer Functionen resp. des Bewusstseins nach dem Er- löschen derselben in Folge der Enthauptung betrifft, so hält H. dieselbe entschieden für möglich unter gewissen Bedingungen, wenn man nämlich die Verhältnisse der Blutcirculation, Druck, Temperatur, Blutqualität etc. wieder herstellt, wie sie vorher waren. „Das geschieht beim Menschen nach einer Ohnmacht, es wird aber kaum jemals möglich sein (resp. schnell genug) nach einer Enthauptung.

Da aber H. der Ansicht ist, dass das Gehirnleben der Thiere nur graduell, nicht dem Wesen nach, von dem des Menschen verschieden ist, so sind für ihn Ver- suche beweisend, die er vor etwa 20 Jahren im Laboratorium von Schiff auge- stellt hat.

Er unterband bei Thieren (Hunden und Katzen) Carotiden und Vertebralarterien bei Herstellung künstlicher Respiration, und wartete, bis die Erregbarkeit der peri- pherischen Nerven und zuletzt auch die directe Erregbarkeit der Muskeln (Beginn der Todesstarre) verloren gegangen war; dann d. h. nach einigen Stunden löste er die Unterbindung der Arterien. Zwei Hunde starben ohne Wiedereintritt der Functionen des Nervensystems wegen zu grosser Abkühlung. Als er aber die Thiere während des Experimentes gehörig warm hielt, trat bei einem dritten ein unvollständiger, bei dem vierten ein vollständiger Erfolg ein: es kam zu sich, lief umher, frass etc. Es starb nach 2 Tagen an seinen Wunden. Hadlich.

Pathologische Anatomie.

4) Zur Frage über secundäre Degenerationen des Hirnschenkels, von W. Bechterew. Aus der Irrenklinik zu Leipzig. (Wjestnik psychiatrii i nevro- patologii. 1885. I. Russisch.)

I. Ein 58jähriger Mann hatte frequente apoplectoide Anfälle, im Gefolge deren sich eine stationäre rechtsseitige Hemiplegie mit Aphasie einstellte, ausserdem Hemi- anopsia dextra, Herabsetzung der Sensibilität rechterseits und Abnahme der Intelligenz. Der Tod trat nach ungefähr dreijähriger Krankheitsdauer ein. Die Section ergab aus- gedehnte Erweichung in der linken Hemisphäre und einen Herd von geringem Um- fang in der rechten. In ersterer waren an der Convexität fast die ganze Stirnregion, beide Centralwindungen, die Scheitel- und Schläfenwindungen nebst der Insel und der grösste Theil des Hinterhauptslappens zum Theil völlig zerstört, zum Theil von der Marksubstanz durch Erweichung abgelöst; ferner waren linkerseits äussere und innere Kapsel, Corp. striatum und die obere Portion des Sehhügels erweicht. In der rechten Hemisphäre beschränkte sich der Process auf den oberen Rand der ersten Schläfenwindung. Ausserdem wurde makroskopisch Atrophie des linken Brach. post. corp. quadrigem. constatirt; der linke Hirnschenkel und die linke Brückenhälfte waren abgeflacht, die linke Pyramide fast um die Hälfte kleiner, als die rechte. Die mikroskopische Untersuchung erwies fast vollständige Degeneration des linken Hirm- schenkelfusses, die sich nicht nur auf die Pyramidenbahn und den inneren Abschnitt des Fusses, sondern auch auf die äusserste Portion desselben (Türck’sches Bündel) erstreckte. In absteigender Richtung liess sich die Degeneration längs des Him- stammes zur Pyramidenbahn der gegenüberliegenden Rückenmarkshälfte verfolgen, wo sie sich bis zur Lendenanschwellung fortpflanzte; auch die Nervenzellen in der linken Brückenhälfte waren atrophirt. In der oberen Etage des linken Hirnschenkels

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fand sich ausgeprägte Atrophie der Subst. nigra Sömmer., der Faserzüge des Brach. poster. und der medialen Portion der Schleifenschicht.

B. sieht in dem Umstand, dass gleichzeitig die Nervenzellen der Brücke und das Türck’sche Bünde) des Hirnschenkels atrophirt waren, einen Gegenbeweis gegen - die ziemlich verbreitete Ansicht (Charcot), dass die äusserste Portion des Hirn- schenkelfusses der Leitung sensibler Impulse diene, und stimmt der Annahme Flechsig’s bei, demzufolge benanntes Bündel in den Nervenzellen der Brücke endet.

ll. Eine mikrocephale Idiotin, mit convulsiven Anfällen und ausgebreiteten Con- tracturen an beiden Körperbälften behaftet, die an Decubitus zu Grunde ging, ergab ein ungemein kleines Gehirn, dessen ganze convexe, sowohl als mediale Oberfläche sclerosirt, mit Cysten durchsetzt und geschrumpft war. Ein normales Aussehen hatten nur die basalen Windungen und die oberen Portionen der Centralwindungen bewahrt, vorzüglich linkerseits, Es besand starker Hydrocephalus, die Ventrikel waren sack- artig aufgetrieben, ihre Wandungen stellten eine dünne sclerosirte Capsel dar, anstatt weisser und grauer Hirnsubstanz. Ausserdem war am Gehirn hypertrophische Bil- dung beider Nucl. caud. und Verringerung der Sehhügel auffällig. Der Balken fehlte gänzlich, Corp. genicul. ext. und mamill. waren atrophisch. Die mikroskopische Untersuchung des Hirnstammes erwies fast vollständige Degeneration der inneren */, beider Hirnschenkel, mit Ausnahme eines schmalen, der Subst. nigra Sömmer. anliegenden Nervenbündels. Das äussere Fünftel des Hirnschenkels dagegen (das Türck’sche Bündel) war beiderseits erhalten. Die Subst. nigra war beiderseits etwa um das Doppelte verdickt.

In Berücksichtigung des oben beschriebenen Zustandes der Hirnoberfläche glaubt B. schliessen zu können, dass das Türck’sche Bündel zum Schläfelappen und dem basalen Theil des Hinterhauptlappens in Beziehung steht; zugleich erklärt er das

seltene Vorkommen secundärer Degeneration der Türck’schen Bündel dadurch, dass

die benannten Hirnwindungen, die von der direct aus der Art. basilaris stammenden Art. cerebri post. versorgt werden, verhältnissmässig selten von ausgedehnter Er- weichung befallen werden. Die Subst. nigra Sömmer. bringt er auf Grund seiner Beobachtungen, unter Herbeiziehung eines unlängst von Witkowski (Arch. f. Psych. XIV. 2) mitgetheilten Falles in Zusammenhang mit den Streifenhügeln.

P. Rosenbach.

6) Ueber Syphilis des Rückenmarks und Berner Häute, von nuesn 8. (Charit6-Annalen. 1885. S. 729.)

Im Anschluss an die Beschreibung von 5 Fällen von syphilitischer Rücken- markserkrankung (davon 3 Syphilis congenita) bemerkte Verf., dass alle bis jetzt bekannten Fälle von Rückenmarkssyphilis darin übereinstimmen, dass die Syphilis des Rückenmarks stets den Charakter einer diffusen entweder einfachen oder mul- tiplen Hoerderkrankung an sich trägt. Die syphilitischen Processe im Rückenmark breiten sich namentlich auf dem Wege der Lymphbahnen aus. Von besonderer Wichtigkeit sind die Gefässerkrankungen im Gefolge syphilitischer Processe, doch unterscheidet sich die einfache hyperplastische Form der Arteriitis deformans syphi- litica durch nichts von gewissen Formen der gewöhnlichen chronischen Arterien- erkrankung.

Die Rückenmarkssyphilis bietet folgende Hauptgruppen:

1) Syphilitische Erkrankung der Rückenmarkshäute.

a) Pachymeningitis et Arachnitis spinalis, chronica, fibrosa syphilitica.

b) ö Pr r , fibrosa et gummosa.

Diese Erkrankungen können complicirt sein mit protopathischer und deutero- pathischer Erkrankung des Rückenmarks «a) durch Uebergreifen der syphilitischen Processe von den Häuten auf das Rückenmark selbst, f) Raumbehinderung in Fulge

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der syphilitischen Neubildungen an den Häuten, y) durch Gefässerkrankungen (die verschiedenen Formen der Myelomalacien).

2) Syphilitische Erkrankungen des Rückenmarks und der Nervenwurzeln. a) Myelitis interstitialis chronica fibrosa diffusas syphilitica. b) Myelitis interstit. fibrosa et: gummosa. c) Neuritis et Perineuritis spinalis fibrosa et gummosa.

Degeneration an den nervösen Elementen des Rückenmarks und der Nerven- wurzeln sind immer denuteropathische Processe, resp. secundäre Entartungen im neuro- pathischen Sinne.

Verf. meint, dass die Systemerkrankungen des Rückenmarks mit der Syphilis nicht in einem genetischen Zusammenhang stehen. M.

Pathologie des Nervensystems.

6) Etude sur l’aphasie dans les l&sions de l’insula de Reil, par J. Dejerine. (Revue de mödecine. 1885. Mars. p. 174.)

Ein 2jähr. Phthisiker wurde plötzlich von einer ren motorischen Aphasie befallen. Der Kranke konnte nach kurzer Zeit kein. einziges Wort mehr aussprechen, ausser „oui“. Im Uebrigen brachte er nur ein beständiges „bu, bu, bu“ heraus. Er verstand aber genau alles Gesprochene und gab durch Zeichen mit den Fingern richtige Antworten. Auch Gelesenes schien er richtig zu verstehen. Ob er schreiben konnte, war nicht zu ermitteln, da sich bald nach dem Eintritte der Aphasie auch eine Lähmung des rechten Armes einstellte. In den folgenden Tagen entwickelte sich eine Lähmung auch des rechten Beines; dann stellten sich allgemeine epileptiforme Convulsionen ein, die den Tod herbeiführten. Die Autopsie ergab neben ausgebreiteten tuberculösen Veränderungen der Lungen eine umschriebene tuberculöse Meningitis, welche die zwei unteren Dritttheile der linken vorderen und hinteren Centralwindung, den Lobulus paracentralis und vor Allem die Insel- gegend betraf. Die Broca’sche Windung (dritte Stirnwindung) war vollständig verschont geblieben, sowohl auf ihrer Oberfläche, als auch in der Tiefe. Nur der hintere Rand dieser Windung, in der Furche zwischen ihr und der vorderen Central- windung war mit Exsudat bedeckt. Bemerkenswerth ist noch der Befund isolirter Tuberkelbacillen in der grauen Rindensubstanz an den betroffenen Stellen, ohne nachweisbare Tuberkelbildung. Eine secundäre Degeneration der Pyramiden- bahn im Rückenmark hatte sich noch nicht in nachweisbarem Grade entwickelt.

Die an diese Beobachtung sich anschliessenden allgemeinen Reflexionen über die verschiedenen Formen der Aphasie eignen sich nicht zum kurzen Auszuge. Hervor- zuheben ist nur noch, dass D. sich mit Rücksicht auf seinen Fall gegen die Auf- fassung Lichtheim’s wendet, wonach die Läsionen der Insel durch das Auftreten von Paraphasie und Paragraphie charakterisirt sein sollten. Strümpell.

7) Contribution & l’ö6tude des troubles de la parole, par J. Luys. (L’Enc6- phale. 1885. No. 3.)

Am 1. April 1885 wurde eine 61jährige Frau in die Charit6 aufgenommen, welche kein Wort sprechen, mit Mühe die Zunge zeigen, aber nicht völlig vorstrecken konnte, nur einige Gutturaltöne ohne Inhalt liess sie hören. Die Bewegungen der Hand waren schwach, reichten aber aus, um selbst Nahrung zu nehmen. Bechts war die Schwäche mehr ausgesprochen, Patientin konnte aufrecht gehen, keine In- continentia urinae oder alvi. 3 Jahre zuvor hatte Patientin nach den Angaben der Angehörigen einen acuten Congestivzustand des Gehirns gehabt, mit Aufregung und

N

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Delirien. Die acute Rhase dauerte 8 Tage, nach diesen zeigte Patientin eine rechts- seitige Hemiplegie und völligen Verlust des Sprachvermögens. Die Lähmung war allmählich verschwunden, aber die Sprachstörung blieb bis zur Aufnahme constant. Im Krankenexamen schien Patientin vermittelst des Blickes Verständniss für das, was man ihr sagte, zu erlangen. Worte vor den Ohren gesprochen, vernahm sie nicht, Hautanästhesie war nicht vorhanden, dagegen starke Depression. Patientin ging, nachdem durch Fortschreiten der Lähmung auf die Pharynxmusculatur die Ernährung sehr schlecht geworden, innerhalb 3 Wochen durch Inanition und fort- schreitende Lähmung zu Grunde. |

Bei der Section zeigte sich die 3. Stirnwindung intact, nur die von ihr aus- gehenden darunter liegenden weissen Fasern waren der Sitz eines alten Blutergusses, wenig ausgedehnt und theils resorbirt, welcher nicht so grosse Zerstörungen vor- anlasst hatte, um die völlige Sprachlosigkeit zu erklären, denn die concomitirende Hemiplegie war doch einer ziemlichen Herstellung der motorischen Kräfte gewichen. Gleichzeitig bestanden aber Verletzungen des Corp. striat. der anderen Seite in Ge- stalt gelblicher kleiner Flecke und runder kleiner Höhlen, so die verschiedenen Stadien der Rückbildung des ergossenen Blutes darstellend, und Veränderungen in der Brücke und den Hypoglossuskernen, theils Indurationen, theils Erweichungen. Die vorderen Pyramiden waren erweicht, blass, beide Oliven aber sclerosirt. Das Kleinhirn war geschrumpft, blass, im Corpus dentatum links war ein frisches Blut- extravasat. Zander.

8) Contribution & l’ötude des contractures hystöriques, par Mlie. A. Klumpke. (Revue de med. 1885. Mars p. 203.)

Sehr ausführlich mitgetheilte Krankengeschichte eines Falles von schwerer Hysterie bei einem 2ljährigen Mädchen: stärkste Contractur der Beine, später auch der Arme, der Zunge, der Masseteren; Hemianästhesie, Convulsionen, Tympanismus, gastrische Krisen, Polyurie, Incontinenz, Polydipsie etc. etc. Schliesslich, nach über Gjähriger Krankheitsdauer und vielfältigen Schwankungen, Tod an Lungentuberculose. Die genaue mikroskopische Untersuchung des Gehirns und Rückenmarks ergab, trotzdem dass noch unmittelbar vor dem Tode die Contractur in den Beinen mit lebhafter Steigerung der Sehnenrefiexe bestanden hatte, ein völlig negatives Resultat. Insbesondere waren die Seitenstränge, Vorderhörner und vorderen Wurzeln . des Rückenmarks ganz normal. Der Fall steht somit in bemerkenswerthem Gegen-

satz zu der bekannten Beobachtung von Charcot, welcher bei einer langdauernden,

angeblich „hysterischen‘“ Contractur der Beine eine Degeneration der Seitenstränge fand. En Strümpell.

9) Contribution & l’ötude de la paralysie hysterique sans contracture, par P. Marie et Souza-Leite. (Revue de med. 1885. Mai p. 421.)

Die Arbeit enthält 7 Fälle von schlaffer hysterischer Lähmung, theils in paraplegischer, theils in hemiplegischer Form. Rein monoplegische Lähmungen sind bei der Hysterie selten; wenigstens findet man meist neben der vorherrschenden Lähmung einer Extremität noch eine gewisse Schwäche anderer Theile. Ein Be- fallensein des Facialis baben die Verff. niemals beobachtet und halten auch die ver- einzelten mitgetheilten Beobachtungen von hysterischer Facialislähmung für nicht einwurfsfrei. Die Sehnenreflexe sind bei der schlaffen hysterischen Lähmung zu- weilen sehr schwach, manchmal aber auch recht lebhaft. Die Sensibilität ist in den gelähmten Theilen fast immer herabgesetzt, am constantesten der Muskelsinn.

In Bezug auf die Entstehung der hysterischen Lähmungen betonen die Verff. mit Recht den Einfluss psychischer Erregungen. Strümpell,

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10) Des zones hysterogönes et hypnogönes des attaques de sommeil, par A. Pitres. (Extr. de Journ. de meöd. de Bordeaux. 1884 Nov. 1885 Janr.)

Die erste der Vorlesungen ist der Besprechung der von Charcot zuerst nach- gewiesenen Zones spasmogenes und spasmofrönatrices (die letztere Bezeichnung giebt P. den den Anfall hemmenden Zonen) im Allgemeinen gewidmet; als neu ist zu er- wähnen das nicht seltene Vorkommen derselben an den Extremitäten, sowie ihr ailer- dings nicht constantes Vorhandensein bei einfacher, sog. kleiner Hysterie. In der zweiten Vorlesung behandelt P. die Localisation der Zonen in der Tiefenrichtung und unterscheidet dementsprechend cutane, subcutane und viscerale Die ersteren sind die seltensten, zu ihrer Erregung genügt der Reiz der leisen Berührung, des kalten Wassers, der strahlenden Wärme etc. Besonders auffallend ist. der Sitz dieser Zonen an vollständig anästhetischen Hautabschnitten. Die subcutanen Zonen sind die häu- figsten; P. ist geneigt, deren Sitz in die Nervenstämme zu verlegen; die visceralen betreffen die Mamma und das Ovarium; bei Besprechung der letzteren betont P. die Nothwendigkeit einer scharfen Trennung der ovariellen Zone von: den in jener Gegend gelegenen cutanen. Eine wesentliche Rolle spielen auch die Zonen in der Aura des hystero - epileptischen Anfalles: diese theilt sich in eine psychische hysterogene und ovarielle Phase, welche in der hier gegebenen Reihenfolge an einander anschliessen; jede dieser Phasen kann durch den ihr adäquaten Reiz, die psychische durch einen psychischen Eindruck, die hysterogene durch Reizung der hysterogenen Zone, die ovarielle durch Compression des Ovariums hervorgerufen werden, die ihr folgenden Phasen schliessen sich dann an. Zum Schlusse der Vorlesung exemplificirt P. die diagnostische und therapeutische Wichtigkeit der Kenntniss der hysterogenen Zonen. Die dritte Vorlesung behandelt die hypnogenen Zonen, mit welchem Ausdrucke P. umschriebene Körperstellen bezeichnet, deren Druck den sofortigen Eintritt des hyp- notischen Zustandes, oder eine Modification desselben, oder das plötzliche Aufhören desselben bewirkt. P. hat ausser den von Charcot, Richer und Dumontpallier nachgewiesenen (Vertex und Ovarium) zahlreiche andere entdeckt, die in wechselnder Zahl an den verschiedensten Punkten des Körpers situirt sein können. Die Haut über denselben zeigt nichts Abnormes, ihre Anordnung ist meist eine symmetrische, selbst bei Hemianästhesie; ihre Ausdehnung beträgt 1—5 cm im Durchmesser, in seltenen Fällen haben sie eine Ausdehnung von 2—3 Quadratdecimetern; zu ihrer Reizung genügt plötzlicher Druck, in einzelnen Fällen ein ganz leichter Hautreiz, und theilen auch sie sich in cutane, subcutane und viscerale. In gleicher Weise theilt sie P. je nach ihrer Wirkung in Zones hypnogenes und hypno-frenatrices. Je nach dem die Wirkung des Reizes eine, und zwar immer dieselbe Phase des hyp- notischen Schlafes, oder mit der Steigerung des Druckes successive andere Phasen desselben hervorruft oder nicht die Hypnose, sondern nur Aenderungen der einzelnen Phasen derselben hervorrufen kann, unterscheidet P. die Zones hypnogönes in simples, a effets successifs und & effets incomplets; die gleiche Eintheiling gilt auch für die Zones hypno-frönatrices; die erste Gattung reagirt auf Reizung durch sofortiges Er- wachen, die zweite durch allmählichen Uebergang aus der tiefen Hypnose durch die Zwischenstadien bis zum Erwachen, die dritte durch Uebergang‘ aus einer Phase tieferer Hypnose in die leichtere. P. betont die von ihm klinisch belegte Wichtig- keit dieser verschiedenen Eintheilungen.

In der vierten Vorlesung bespricht P. an der Hand eines eigenen ausführlich berichteten Falles die Anfälle von hysterischem Schlaf; er deutet denselben wie Charcot und Richer als eine unvollständige Form des grossen hysterischen Anfalls.

A. Pick.

11) De la nature et du traitement de la chorde, lecons de M. A. Joffroy, resumee par Gilbert. (Progr. med. 1885. No. 22. 24.)

403°

J. giebt in dieser Vorlesung eine Zusammenstellung der über die Natur der Chorea minor des Kindesalters in Frankreich vorherrschenden Anschauungen; er ver- wirft den besonders von G. S6e und Ganicourt hervorgehobenen Zusammenhang zwischen Chorea und acutem Gelenkrheumatismus. Sowohl seine eigenen einschlägigen Beobachtungen als auch die der genannten Autoren geben ihm keine Handbabe zur Annahme, dass die bei Choreakranken auftretenden Gelenkaffectionen eine primäre Rolle spielen sollten, oder dass ein grosser Theil dieser Patienten früher an wirk- lichem acuten Gelenkrheumatismus gelitten haben soll. Er will die „choreatischen Arthropathien“ mit jenen Gelenkerkrankungen in Analogie setzen, wie sie bei andern Affectionen des Centralnervensystems z. B. bei Tabes zur Beobachtung kommen. Dem acuten Gelenkrheumatismus könne höchstens die Bedeutung einer Gelegenheitsursache zugesprochen werden, in derselben Weise wie andere acute Krankheiten, Pneumonie, Masern, Scharlach etc. dem Ausbruche einer Chorea minor sehr häufig vorausgehen. Auch die nicht selten beobachtete Coincidenz von Herzerkrankungen, Meningitiden, Affectionen der Pleura und des Peritoneums mit der Chorea beweist nach J.s An- sicht durchaus noch nicht, dass die Natur der Chorea minor, wie Royer, See und Gassicourt meinen, eine „rheumatische“ sei. Diese Entzündungen ständen mit der Chorea in einem gewissen directen Zusammenhang, und man bedürfe, um sich das häufige Auftreten dieser Erscheinungen bei Choreatischen zu erklären, des acuten Gelenkrheumatismus als Zwischenglied nicht. J. will die Chorea minor als eine „cerebrospinale Entwickelungs-Neurose“ (n&vrose cöröbrospinale d’&volution) betrachtet wissen. Sie soll mit dem Wachsthum der cerebrospinalen Axe zusammenhängen. Die Gelenkerkrankungen will J. dann als spinale Arthropathien deuten und auch den Erkrankungen der serösen Häute und des Herzens einen gewissen trophoneurot. Ursprung zudictiren. (?!) Die Behandlung der Chorea minor, wie sie Joffroy im Höpital des Enfants-Malades zu üben pflegt, besteht vorzüglich in der Verabreichung von Chloral und zwar 3—4 Gramm pro die, in drei zu verschiedenen Tageszeiten besonders nach den Mahlzeiten zu verabreichenden Dosen. Bei schwereren Fällen verbindet er mit dieser Chloralbehandlung die Application der feuchten Einpackung, deren therapeutischen Werth er besonders zu rühmen weiss. Laquer.

12) Ueber Aetiologie der Chores, von Max Thomas. (Inaugural-Dissertation. Berlin 1885.)

Verf. hat 19 Fälle von Chorea aus der Mendol’schen Poliklinik speciell mit Rücksicht auf das Verhältniss von Rheumatismus und Chorea zusammengestellt und fand nur in einem einzigen Falle acuten Gelenkrheumatismus vorangegangen, von dem übrigens keine Herzaffection zurückgeblieben. Nur in einem Falle fanden sich Herzgeräusche, die als anämische bezeichnet werden mussten. Er kommt zu dem Schluss, dass der acute Gelenkrheumatismus mit oder ohne Herzaffection keine nennens- werthe Bedeutung in der Aetiologie der Chorea hat. M.

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13) Ueber Nasen-Beflex-Neurosen, von Prof. J. Sommerbrodt, Breslau. (Berl. klin. Wochenschr. 1885. Nr. 10 u. 11.)

Der Verf. bringt reichliches nenes Material (von 138 Kranken) zu obigem Thema, und bespricht zuerst „die vasodilatatorische von der Nase reflectirte Neurose der Bronchialschleimhaut ohne Asthma“, sich äussernd in Husten und Schleimrasseln, besonders Nachts, mit Druck auf der Brust, manchmal Schwindel und Migräne. Der sog. Catarrh sec entspricht wohl ungefähr diesem Bilde Cauterisation der Schwellorgane der unteren Muscheln erzielte sofort überraschende Besserung, Wieder- bolung derselben dauernde Heilung.

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Sodann theilt S. 4 Fälle von Migräne ausführlich mit. Es waren sehr schwere Formen, jahrelang tägliche Anfälle; auch solche Fälle, in welchen seit 15 Jahren regelmässig bei der Menstruation heftige Anfälle auftraten. Sie wurden durch Kau- terisationen der Nasenschwellkörper geheilt. Im Ganzen wurden von 14 behandelten Migränen 8 geheilt, 1 gebessert.

Von Asthma berichtet S. über 52 Fälle, bei denen er kauterisirt hat; davon sind 18 geheilt, 12 sehr gebessert, 5 ungeheilt geblieben, 8 noch in Behandlung, 9 nicht wiedergekommen.

Von der interessanten Form des halbseitigen Asthmas hat Vorf. einen neuen Fall gesehen. Bei 4 Kranken zeigte sich ihm ferner auf's deutlichste, dass nach Kauterisation nur einer Nasenseite bei der nächsten Wiederkehr des Asthmas alle Erscheinungen nur auf der nicht kauterisirten Seite auftraten. Die Kranken hatten dies selbst bemerkt und spontan angegeben.

Wenn S. wiederholt beobachtete, dass mit der durch die Kauterisation bewirkten Beseitigung des Asthmas eine deutliche Besserung des Appetites parallel ging, so ist hierbei ein directer Zusammenhang mit der Kauterisation wohl noch in Frage.

Lästige Reflexerscheinungen im Pharynx und Larynx, Niesekrämpfe, die beson- ders Nachts auftraten, Nasen-Husten (wobei auch willkürlich Hustenanfälle durch Berührung der vergrösserten Nasenschwellkörper ausgelöst werden können), Trigeminus- Neuralgien wurden durch den auf die Schwellorgane der unteren Muscheln applicirten Galvanokauter beseitigt; ein Fall von Tic convulsif wurde vergeblich behandelt.

Hadlich.

Psychiatrie.

14) Identitä dell’epilessia colla pazzia morale e delinguensa congenita, pel prof. Lombroso. (Arch. di psichiatr., scienze penal. ecc. 1885. VI. p. 1.)

Verf. weist von seinem bekannten Standpunkte darauf hin, dass im Allgemeinen die Epileptiker und jene degenerirten Individuen, welche er als „pazazi morali“ oder als „delinquenti nati“ bezeichnet, nicht nur in ethischer, sondern besonders auch in somatischer Hinsicht analoge Abnormitäten gegenüber dem normalen Menschen auf- weisen. Ein ausführliches Referat über die zahlreichen Einzelheiten ist bei der knappen Ausführung des Originalaufsatzes nicht angänglich; es mag nur nech wieder- holt werden, dass sich thatsächlich gar viele Verbrecher bei genauerer Untersuchung der objectiv ganz sicher nachweisbaren somatischen Abnormitäten als originär in jeder Beziehung defect angelegte Persönlichkeiten herausstellen werden. Beachtenswerth ist endlich die Tafel mit 56 Photographien von Epileptikern, die mehr oder weniger deutlich die bekannten Degenerationstypen aufweisen. Sommer.

15) A case of imbecility with well marked hereditary history, by Fletcher Beach. (Joum. of ment. science. 1885. July.)

Unter den Clinical notes and cases berichtet Verf. über einen imbecillen Knaben von 15 Jahren mit acuter Erregung, der, geboren mit Lähmung der linken Seite, vom 3.—11. Jahre an Epilepsie litt. Von seinen Geschwistern starben 11 an Con- vulsionen in der Dentitionsperiode. Durch 4 Generationen liess sich in diesem Falle die erbliche Belastung nachweisen. Der Urgrossvater war nicht ganz klar, der Grossvater sehr zurückhaltenden Charakters, die Grossmutter leicht erregbar und seltsam, des Patienten Vater reizbar, leicht erregbar, übellaunig und früher unmässig, Vaters Bruder und Schwester ohne Besonderbeiten, aber die Kinder beider psychisch abnorm. Patient selbst und 11 Geschwister litten an Convulsionen. So vererbte sich die nervöse Constitution und gewann in ihrer vererbten Fortpflanzung an In- tensität. Zander.

405

16) Du dölire ambitieux, par B. Ball. (l’Encöphale. 1885. No. 3.)

Obwohl sich Ball ausdrücklich einen Gegner der von Esquirol aufgestellten Monomanien nennt, obwohl er die Existenz beschränkter intellectueller Störungen unabhängig von der allgemeinen geistigen Degeneration bestreitet, so behauptet er doch Vorkommen von primären, systematisirten Ueberschätzungsideen, welche durch ihr Uebergewicht einen so entscheidenden Einfluss auf das Gesammtbild des Delirium ausüben, das ihnen um deswillen ein besonderer Platz gebühre, Megalomania oder Folie des grandeurs ein wirkliches partielles Delirium. Um dies zu erweisen, giebt Ball zwei klinische Beobachtungen, in welchen allerdings der Ueberschätzungswahn allein und völlig das ganze Wesen und Sein der Kranken beherrscht, so dass, ob- wohl übrigens die intellectuellen Fähigkeiten sehr wohl erhalten sind, doch bei den Kranken die frühere wirkliche Persönlichkeit ganz durch die neue selbstgeschaffene substituirt wird. Die Krankenberichte müssen im Original eingesehen werden; s0 interessant die Schilderung ist und so scharf die Beobachtung, so erscheint es: doch nach diesen Beobachtungen noch immer nicht berechtigt, das Dölire ambitienux als besonderes Krankheitsbild aufzustellen und zwar hauptsächlich, weil die Entwickelungs- geschichte dieser Fälle fehlt. Ball kennt die Vorgeschichte seiner Kranken selbst nicht. Zander:

Therapie.

17) Ueber den Einfluss der Osmiumsäure (OsO*) auf den thierischen Or- ganismus und ihren therapeutischen Werth, von W. Newsky. (Disser- tation. St. Petersburg 1885. Russisch.)

Auf Grund zablreicher Versuche an Kalt- und Warmblütern gelangt Verf. zum Ergebniss, dass Verabreichung von Osmiumsäure Herabsetzung der Reflexthätigkeit der Nervencentren bewirkt; auch die elektrische Erregbarkeit des motorischen Rinden- feldes (an Hunden) wurde durch intravenöse Injection des genannten Präparats ver- mindert, zur Hervorrufung corticaler epileptischer Krämpfe war intensivere faradische Reizung erforderlich, als im normalen Zustande, und die Dauer und Intensität der Anfälle erschien verringert.

In therapeutischer Hinsicht verfügt Verf. im Ganzen über 7 epileptische Kinder, die mit Osmiumsäure (0,001 pro dosi in Pillenform) behandelt wurden. Nur in 2 Fällen liess sich Abnahme der Frequenz der Anfälle nach längerem Gebrauch des Mittels constatiren. Verf. mahnt zur Vorsicht in der Verabreichung von Osmium- säure bei gastrischen Störungen, da letztere dadurch zunehmen.

- P. Bosenbach. 18) Ueber die Erfolge der Dehnung des N. facialis bei Facialiskrampf, von Zesas. (Wiener med. Wochenschr. 1885. Nr. 27. 28.)

Zusammenstellung der in der Literatur verzeichneten 19 Fälle von Nervendeh- nung bei Facialiskrampf einschliesslich eines Falles, den Z. selbst beobachtete und im vorigen Jahre veröffentlicht hat. Aus derselben ergiebt sich bei 3 Fällen (Southam, Navratil und Zesas) definitive Heilung, bei.4 wesentliche Besserung des Krank- heitszustandes, bei 10 negatives Resultat, bei 2 unbekannter Enderfolg. 10 Pat. konnten eine temporäre Besserung ihrer Beschwerden constatiren. Z. schliesst da- nach seine Betrachtungen über die Berechtigung zur Ausführung der Nervendehnung bei Krampf im N. facialis mit den Worten: „Die Operation kann in Fällen, wo die Ursache des Leidens nicht intracraniell liegt, als vielversprechender Eingriff (?) zu weiterer Ausübung in diesbezüglichen Krankheitsfällen mit gutem Gewissen empfohlen werden.“ Laquer.

—_ 406

I2IL Aus den Gesellschaften.

Sociöt6 de Biologie & Paris. Sitzung vom 9. Mai 1885. (Cf. in dieser Nummer 8. 397.)

Laborde: Experimente an einem Enthaupteten (Gamahut). L. fand, dass 25 Minuten nach der Enthauptung beim Aufheben des Augenlides die erweiterten Pupillen sich unter dem Einfluss des Lichtes verengten, und zwar liess sich dies zwei Mal hinter einander constatiren.

Bei elektrischer Reizung (Stromstärke?) des Gehirns 25—30 Minuten post mortem, und zwar bei Einsenkung der Elektroden etwa 1 cm tief in die Marksub- stanz, erfolgte 3mal bei 3 Reizungen Hebung der Augenlider und Bewegungen des Unterkiefer. Die Reizung des Bulbus und der Medulla spinalis ergab keine Wir- kung mehr.

L. schliesst hieraus, dass Vulpian’s Ausspruch: „wenn das Blut nicht mehr fliesst, ist das Gehirn nicht mehr erregbar“, nicht richtig ist.

In der Sitzung vom 30. Mai theilte Laborde weiter mit, dass Experimente an Thieren (Hunden, Kaninchen, Katzen) seine obigen Beobachtungen bestätigt hätten ; auch bei diesen blieb die Erregbarkeit des Gehirns 25—30 Minuten lang nach dem Tode erhalten. Nach dieser Zeit sind auch die stärksten Ströme ohne Erfolg. Zu bemerken ist nur, dass nach langsamen Verblutungen schon kürzere Zeit nach dem Tode die Erregbarkeit erlischt. Vulpian’s Meinung, dass os sich bei der- artigen Experimenten um eine physikalische Fortleitung des elektrischen Stromes der also genau genommen direct auf den Muskel wirke handle, sei falsch; denn warum sollte dann diese physikalische Leitung eine halbe Stunde nach dem Tode aufhören, da doch der Muskel bekanntlich viel länger erregbar bleibt?

Veranlasst durch die mitgetheilten Aeusserungen Laborde’s legte Vulpian in der Sitzung der Academie des Sciences vom 20. Juli d. J. die Resultate seiner Versuche über die Dauer der Erregbarkeit des Gehirns nach dem Tode vor. Er fordert sorgfältige Blosslegung des ganzen Gehirns, Entfernung der Häute etc. Die directe Erregbarkeit des Gehirns verschwand bei Hunden nach 45 Secunden, in einigen Fällen nach 1 Minute und wenigen Secunden; niemals war sie nach 1'/, Minuten noch erhalten. Hierbei beachtete er natürlich nur die event. Bewegungen auf der entgegengesetzten Körperseite. Gleichseitige Bewegungen konnte man noch viel später durch directe Wirkung des Stromes auf die Nerven erhalten; aber das geschah auch, wenn man das Gehirn durch einen Schwamm ersetzte, von Erreg- barkeit resp. Erregung des Gehirns war dabei keine Rede mehr.

P. Bert meint im Anschluss hieran, dass der Nutzen der Experimente an Ent- haupteten ein auf ganz specielle Fragen beschränkter sei. Versuche wie diejenigen, dass man von neuem Blut in die entleerten Arterien einspritze, um die Erregbarkeit des Gehirns neu hervorzurufen, seien entschieden verfehlt und auch vom juristischen Standpunkte aus zu verwerfen. Vulpian schliesst sich dem an, denn solche Ver- suche seien von vornherein zwecklos, weil unmöglich; sio erforderten allerwenigstens 15—20 Minuten Herstellungszeit, und da sei die Erregbarkeit des Gehirns längst definitiv erloschen. Hadlich.

IV. Bibliographie. Die hydroelektrischen Bäder, ihre physiologische und therapeutische Wirkung, von Lehr. (Wiesbaden 1885. J. F. Bergmann.)

Das Buch zerfällt in einen physiologischen und einen therapeutischen Theil. Im ersteren finden sich Versuche über den Leitungswiderstand des menschlichen Körpers

401

im Bade, über Stromvertheilung, elektrolytische und kataphorische Wirkung, Ver- änderungen der motorischen Erregbarkeit, der (faradocutanen) Sensibilität, über Einfluss auf Raumsinn, Blutdruck und Pulsfrequenz, Respiration, Körperwärme, Gesammtstoff- wechsel und auf einzelne Organe. Manches von den bezüglichen Angaben dürfte zu bestreiten sein; auch bleibt es zu bedauern, dass Verf. seine Untersuchungen nicht mit absoluten Einheitsgalvanometern gemacht hat und die Stromstärken daher stets nur nach Elementarzahlen und Gradablenkungen angiebt. Wichtiger ist der zweite (therapeutische) Theil des Lehr’schen Buches. Derselbe beschäftigt sich zunächst mit den Indicationen für elektrische Bäder (Angioneurosen, centrale und anderweitige functionelle Neurosen, organische Veränderungen des Centralnervensystems, sonstige Krankheiten, Gicht und Rheumatismus), ferner mit den Contraindicationen, mit An- zahl, Stromstärke, Temperatur und Dauer der Bäder, Vorzügen und Nachtheilen der einzelnen Wannenmodelle etc. und enthält schliesslich eine Anzahl von Kranken- geschichten (28), welche sich auf die Wirkungen hydroelektrischer Bäder bei den obigen Krankheitszuständen beziehen. Namentlich diese Krankenberichte sind es, welche dem Buche seinen Werth und seine Bedeutung für medicinische Kreise ver- leihen dürften, da es an genauen Beobachtungen über die therapeutische Wirksam- keit der Methode und an casuistischen Mittheilungen dieser Art noch fast vollständig mangelt. Die (übrigens sehr unvollständige) Einleitung über Geschichte und Literatur, sowie über Technik des elektrischen Bades muss Ref. als incorrect und leicht irreführend bezeichnen. A. Eulenburg.

Gedenktage der Psychiatrie aller Länder, von Dr. Heinrich Laehr. (Berlin 1885. Georg Reimer.)

Historische Studien so beginnt der Verfasser erfreuen sich auch in der Psychiatrie nicht besonderer Gunst; er hätte wohl hinzu setzen können: leider. Vieles weitschweifig als neu Publicirtes zeigt bei näherer Besichtigung nur Wieder- holung früherer Beobachtung, die dem Autor bei mangelnder historischer Kenntniss entgangen. Unter diesen Umständen ist gewiss jeder Versuch, zu historischen Studien anzuregen, nur mit Freude zu begrüssen und wir rechnen es daher dem Verf. als ein grosses Verdienst an, durch seine „Gedenktage“ nach dieser Richtung hin in der ausgedehntesten Weise aufgemuntert zu haben, und zweifeln nicht, dass der Erfolg nicht ausbleiben wird. Für die Psychiater bedarf es im Uebrigen wohl kaum einer besondern Empfehlung, da sie wohl Alle schon aus „ethischen“ Rücksichten ein Buch in ihren Händen werden haben wollen, das die bedeutsamen Ereignisse auf dem Ge- biete der psychiatrischen Wissenschaft und des Irrenwesens zusammenstellt. M.

Biographisches Lexicon der hervorragenden Aerste aller Zeiten und Völker, herausgegeben von Prof. August Hirsch in Berlin. (Wien und Leipzig 1885. Urban & Schwarzenberg.)

Vier weitere Tuieferungen (bis Gwinne) lassen uns nur das S. 240 d. Jahrg. in Bezug auf die ersten 16 Lieferungen Gesagte wiederholen. Die Biographien von Friedreich, Gall, Galvani, Gowers, Grasset, Gratiolet, Griesinger, v. Gudden, Guislain u. A. haben gewiss für jeden Neuropathologen das grösste Interesse. M. .

V. Personalien.

Am 22. August starb nach kurzem Leiden der Assistenzarzt der Irrenanstalt zu Marburg Dr. Hormann Eckelmann!

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vI Vermischtes.

On the necessity of all medical students attending a Course of lectures and receiving clinical instruction also in Psychological Medicine, by Ed- ward E. Moore. (Journ. of ment. science. 1885. April.)

Wie in Deutschland die Nothwendigkeit der Einfügung der case in den medi- cinischen Studienplan und die Examina von allen Seiten als nothwendig betont worden ist, so möchte Moore jetzt auch für England das Studium der Psychiatrie obligatorisch machen. Dem Einwurf, dass die Studienzeit der Mediciner jetzt schon allzusehr überlastet sei, be- gegnet M. mit dem Vorschlag, entweder minder wichtige Gegenstände zu streichen, oder aber die Studienzeit von 4 auf 5 Jahre zu erhöhen. Einen 3monatlichen Vorlesungscursus hält M. für genügend, doch wichtiger noch sei der klinische Unterricht, um alle Varietäten der Psychose wirklich gesehen zu haben. Curse im Gebrauche des Mikroskops und des Augenspiegels seien jetzt obligatorisch, obwohl sicherlich wenige practische Aerzte diese Instrumente für ihre Diagnosen verwertheten, weil ihre Geschäfte ihnen keine Musse dazu übrig lassen, wie könne aber ein approbirter Arzt ein Zeugniss über geistige Gesundheit oder Krankheit ausfertigen, wenn cr von den geistigen Erkrankungen nichts wisse. Früher oder später werde die öffentliche Meinung die Aufnahme der Psychiatrie in den Penplan erzwingen, weil so viele Fehler in der Beurtheilung des Geisteszustandes gemacht würden; deswegen weigerten sich ja auch schon manche Aerzte Gutachten abzugeben. Für 3 Classen sei es höchst wichtig, dass alle Aerzte psychiatrische Kenntnisse hätten: 1. die Aerzte selbst, 2. die Geisteskranken, 3. das Publicum insgesammt. |

1) Für die Aerzte ist der Gegenstand wichtig, weil das Gesetz sie zur Abgabe von Gutachten autorisirt, sie tragen also auch vor dem Gesetz die Verantwortung, wenn sie etwa falsche Diagnosen machen, und doch zwingt das Gesetz jetzt die Aerzte nicht, sich die nothwendigen Kenntnisse zu erwerben. Nur wenige Aerzte haben die Anstalten frequentirt, und so kann es kaum anders sein, als dass aus Mangel an practischem Wissen in irgendwie schwierigen Fällen diagnostische Irrthümer gemacht werden.

In 3 Hinsichten werden hauptsächlich ärztliche Gutachten erfordert:

1. Ueber die Fähigkeiten einer Person, eine gesetzliche Urkunde zu vollziehen. 2. Den Geisteskranken zu befreien von der Verantwortung für seine Handlungen. 3. Ueber die Nothwendigkeit, Beschränkung der Freiheit zu verhängen. R an 8 Gesichtspunkte sind von gleicher Wichtigkeit, wie M. an einfachen Beispielen ausführt.

2) Für den Geisteskranken ist es wichtig, dass der Arzt psychiatrische Kenntnisse hat, denn das Gesetz, welches doch den Geisteskranken schützen will, bestimmt, dass vom Arzte vorher begutachtet werde, ob der Betreffende auch wirklich geisteskrank sei. Der Arzt muss für Versetzung der Kranken in eine Anstalt sorgen, durch seine Kenntniss der Geistes- störungen wird er manchen Selbstmord verhüten, und so ihm vertrauende Familien vor schwerem Kummer bewahren.

8) Das Publicum verlangt Schutz vor den Acten Geisteskranker event. durch Ver- bringung derselben in eine Anstalt, die nöthigen Certificate, wodurch Jemand für geistes- krank erklärt wird, müssen aber vom Arzte gezeichnet sein, also muss auch das Publicum verlangen, dass der Arzt die nöthigen psychiatrischen Kenntnisse besitze. Das Publicum aber hat die Macht, die Hochschulen zu zwingen, die Psychiatrie zu einem obligatorischen Unterrichtsgegenstand zu machen. Zander.

Irritable spine, and spinal myalgie in particular, by S. J. Gee. (The Practitioner. 1884. Dec. p. 401.)

Verfasser bespricht eine besonders bei Frauen sehr häufig zu beobachtende Form der Spinalirritation, die er allerdings als reine Myalgie betrachtet. Es handelt sich nach ihm hierbei entweder um wirklich überangestrengte Muskelgruppen der Rückengegend oder um . solche, die es nur relativ sind, weil ihre gleichzeitige Ernährung zu mangelhaft ist; das einzige Symptom ist immer dasselbe: ein auf die Gegend von ein Paar Wirbeln beschränkter Schmerz von wechselnder Intensität, ohne objectiv nachweisbare Ursache. Die Behandlung besteht jener Auffassung entsprechend in Ruhe durch bequeme Lagerung, und in kräftiger Ernährung, eventuell mit excitirenden Alcoholicis. Sommer.

Die Societ6 de medecine zu Toulouse hat für 1887 folgende Preisaufgabe gestellt: Des troubles de l’intelligence et de la sensibilit€ dans le tabes dorsalis. Preis 300 Fr.

Die Bewerbungsschriften sind, französisch oder lateinisch, vor dem 1. Januar 1887 an den Secretair der Gesellschaft zu senden.

Verlag von Vzır & Comp. in Leipzig. Druck von Merzerr & Wrrrie in Leipzig.

NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Vierter en Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

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1885. 15. September. N®: 18.

Inhalt, 1. Originalmittheilungen. 1. Ein Fall von Tumor cerebri (Gliosarcom der Zirbel- drüse), von Dr. L. Feilchenfeld. 2. Zur Untersuchungsmethode des Kniephänomens, von Dr. Ernst Jendrässik.

ll. Referate. Anatomie. 1. Sopra un 0aso di doppio incrociamento dei fasci piramidali, pel Marchi. 2. The corpus callosum, by Hamilton. Experimentelle Physiologie. 3. Ueber die Krämpfe in Folge elektrischer Reizung der Grosshirnrinde, von Ziehen. 4. A Heat Centre in the Cerebram, by Ott. Pathologische Anatomie. 5. Experimenteller Beitrag zur Pathologie und pathologischen Anatomie des Rückenmarks speciell mit Hinsicht auf die secundäre Degeneration, von Homön. 6. Tumori endocranici basilari della dura-madre in un demente, nota dei Verga e Usuelli. 7. Ett fall af endotheliom i hjernan, af Home&n och Linden. Pathologie des Nervensystems. 8. Ueber nervöse Dyspepsie, von Leyden. 9. Trois autopsies pour servir & la localisation des troubles de la vision d’origine cörebrale, par Före. 10. Case of aphasia in which the chief lesion was scated in the supramarginal and angular gyri, Broca’s convolution being unaffected, by West. 11. Ett bidrag till frägan om de cere- brale lokalisationerna, af Wising. 12. Observation de localisation cer&brale dans un cas d’osteite syphilitique du cräne, par Brissaud. 13. Lesions of the Frontal Lobe, by White. 14. Casuistische Beiträge, von Thomsen. Psychiatrie. 15. Moral or emotional insanity, by Tuke. 16. Two examples of the effect of removal of higher power of self-control; one due to chronie insanity with recurrent outbreaks; the second due to the inhalation of chloro- form, by Savage. 17. Case of profound and somewhat prolonged suicidal Melancholia; diarrhoea with fever; recovery by Johnstone. 18. Epilessia larvata-pazzia morale; perizia dei Morselli e Lombroso. 19. Motorische Störungen beim einfachen Irresein, von Roller. 20. Beiträge zur Lehre vom transitorischen Irresein, von v. Krafft-Ebing. 21. Die conträre Sexualempfindung vor dem Forum, von v. Krafft-Ebing. 22. Zur Acetonurie Geisteskranker, von Lähr. 23. Die Variabilität der Wahnvorstellungen und Sinnestäuschungen, von Koch. Therapie. 24. Della trefusia agli alienati, pel Madone. 25. Parthenin in malarial Neural- gias, by Esperon.

ill. Aus den Gesellschaften. IV. Bibliographie. V. Vermischtes.

I. Originalmittheilungen.

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1.. Ein Fall von Tumor cerebri (Gliosarcom der Zirbeldrüse).

Von Dr. L. Feilchenfeld, Assistenzarzt am jüdischen Krankenhause in Berlin.

Am 21. Februar 1885 wurde Herr Lewiaski, 18 Jahre alt, aus Russland in das jüdische Krankenhaus gebracht. Die Nachforschungen in Bezug auf hereditäre und zufällige Disposition zu der vorliegenden Erkrankung waren ohne

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Resultat. Nur soll Pat. schon frühzeitig onanirt haben. Er zeigte in der Schule eine gute geistige Beanlagung und hat innerhalb 2 Monaten die deutsche Sprache während seines Aufenthaltes in einer hiesigen Kaltwasserheilanstalt erlernt.

Pat. erkrankte im Mai 1884 mit Kopfschmerz, Gefühl von Schwindel und Erbrechen. Er wurde apathisch und zeigte eine grosse Schwäche der unteren Extremitäten. Zuckungen traten im ganzen Körper auf und wurden zuletzt so heftig, dass er nicht mehr selbstständig essen und’ trinken konnte. Häufig Doppelsehen und Herabsetzung der Reflexe des Sphincter ani et vesicae. Seit ca. 3 Monaten besteht Stuhlretardation.

Der Blick des Pat. ist stier, wie in’s Leere gerichtet, in Folge einer voll- ständigen Lähmung der vom Oculomotorius versorgten Augenmuskeln; nur das Augenlid ist normal beweglich. Pupillenreaction träge, die rechte Pupille weiter als die linke. Bei der ophthalmoskopischen Untersuchung beiderseits beträcht- liche Stauungspapille. Der linke Facialis leicht paretisch.

An den oberen Extremitäten ist nichts Auflallendes wahrzunehmen ausser geringer Ataxie.e An den unteren Extremitäten gleichfalls Ataxie und erheb- liche Herabsetzung der groben motorischen Kraft. Sensibilität intact; doch ist die Perception im Allgemeinen entschieden verlangsamt.

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Die Hautreflexe sind normal, Scrotalreflexe, Kniephänomen vorhanden, Fuss- klonus nur auf der rechten Seite.

Der Pat. blieb bis zu seinem Tode in der Anstalt und zeigte sich während dieser Zeit ein eigenthümlicher Fieberverlauf, der durch die nebenstehende Temperaturcurve wiedergegeben ist. Das Befinden des Pat. verschlechterte sich von Tag zu Tag, das Zittern des ganzen Körpers wurde heftiger, die Nahrungs- aufnahme durch Schluckbeschwerden schwieriger, die Stuhlgänge seltener und der Schlaf gering. Pat. lag beständig in einem soporösen Zustande ohne jede Theilnahme für seine Umgebung.

An den inneren Organen der Brust und des Unterleibes zeigte sich niemals etwas Abnormes. Am 24. März 1885 erfolgte der Exitus.

Bei der am 25. März vorgenommenen Section ergab sich Folgendes:

In den inneren Organen des Rumpfes nichts Besonderes nachzuweisen.

Dura mater stark injieirt, Blutleiter und sichtbare Venen strotzend mit Blut gefüllt. Das Gehirn auf der Oberfläche von blassgrauer Farbe, auf dem

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Durchschnitt blass, ödematös, von zahlreichen Blutpunkten durchsetzt. Beide Seitenventrikel sind enorm dilatirt und mit einer grossen Menge seröser Flüssig- keit gefüll. Auch der 3. Ventrikel ist mit Flüssigkeit gefüllt. An der Basis des Gehirns sieht man (die Gegend unterhalb des 3. Ventrikels blasenförmig aufgetrieben und durchscheinend. Ueber die Lage des Tumors und die ge- schwulstartig veränderten Theile füge ich mit der gütigen Erlaubniss des Herrn Dr. WERNICKE dessen eingehenden, mir freundlichst übergebenen Bericht bei.

„Eine grauröthliche erweichte Partie 20 Pfennigstück gross an der Vereinigungs- stelle des oberen Kleinhirnschenkels mit dem mittleren und zwar der dem 4. Ven- trikel zugekehrten Fläche. Sie betrifft den mittleren Kleinhirnschenkel noch mit, vorzüglich aber den oberen Kleinhirnschenkel. Aquaeductus Sylvi nicht er- weitert. Zirbeldrüse etwas vergrössert, in eine feste Knorpelmasse verwandelt, dem vorderen Ende des vorderen Vierhügels fest aufgelöthet. Sie hängt mit einer grauröthlichen Geschwulstmasse zusammen, die sich an Stelle der hinteren Commissur und des Zirbelstiels entwickelt hat, seitlich noch auf den Sehhügel an der Stelle der Ganglia habenul. übergreifend und ihre grösste Ausdehnung in der Mittellinie hat. Auch die Zirbelstiele jedoch sind bis auf die Dicke eines Federkiels verbreitert, sie gehen in das schon erwähnte Mittelstück der Geschwulst continuirlich über, welche wie ein schlaffer, nicht vollständig gefüllter Sack in das Innere des 4. Ventrikels hinunterfällt, bis nach der Trichterregion hinein. Wenn man eine Sonde in den Aquaed. Sylvii einführt, kann man den Sack in die Höhe heben und gelangt so erst zur Ansicht dieses Mittelstückes des Tumors, Seiner Lage nach musste dieser Theil der Geschwulst den vorderen Eingang des Aquaed. S. verlagern. Das benachbarte Ependym des 3. Ventrikels, eben- falls grauröthlich verfärbt, setzt sich ohne deutliche Grenze in das Tumorgewebe fort. Hier und da in demselben hämorrhagische und Pigmentflecke. Die Haupt- masse der Vierhügel ist erhalten, ebenso die Hauptmasse der Sehhügel.

Der Hirnschenkelfuss beiderseits ohne Veränderung. Dem Aussehen nach ist der Tumor ein Gliosarcom.

Diese makroskopisch gestellte Diagnose wurde durch die mikroskopische Untersuchung bestätigt.“

An dem durch Abschaben von der erweichten Stelle in der Gegend des Kleinhirnstiels gewonnenen Präparate sah man unter dem Mikroskop zahlreiche Spindelzellen, eine grosse Menge runder Zellen, sowie eckige und geschwänzte, grosse runde Körnchenkugeln, viele Neurogliazellen und vereinzelte Riesenzellen.

Das gleiche Bild gewährten die in derselben Weise aus dem Tumor selbst gewonnenen Präparate. Die Geschwulst, sowie die geschwulstartig veränderten Partien untersuchte ich nach Erhärtung und Einbettung in Celloidin und fand das deutliche Bild eines Spindelzellensarcoms in den gefärbten Schnittpräparaten und auch zahlreiche Ganglienzellen innerhalb des sarcomatösen Gewebes.

Die bei Lebzeiten des Patienten gestellte Diagnose konnte wegen der Ver- schiedenheit der vorhandenen Symptome keine präcise, den Sitz des Tumors bestimmende sein. Die ausserordentlichen Schwankungen des Pat. beim Gehen und Sitzen, die Schwindelanfälle deuteten auf einen Herd im Kleinhirn, während

412 =

die bestehende Oculomotoriuslähmung den Sitz an der Basis vermuthen liess. Diese Schwierigkeit hat sich durch die Section aufgeklärt, so dass wohl ein Theil der Erscheinungen auf den Tumor der Zirbeldrüse und die Ausbreitung in der Umgebung namentlich nach den Vierhügeln hin zu beziehen ist, ein Theil aber auf die Metastase in dem Kleinhirnschenkel.

Auffallend bleibt indessen die eigenthümliche Fiebercurve, welche Pat. in den letzten Wochen dargeboten hat und vor allem das Fieber selbst. Es muss unentschieden bleiben, ob das Fieber durch die directe Läsion eines Wärme- centrums hervorgerufen wurde, oder ob vielleicht der stetig wachsende Hydro- cephalus einen indirecten Reiz auf jene Stelle ausgeübt hat und so die Temperatur- steigerung bedingt wurde.

2. Zur Untersuchungsmethode des Kniephänomens. Von Dr. Ernst Jendrässik, Assistent der I. med. Klinik in Budapest.

Wenn man die bis jetzt vorliegenden Berichte der verschiedenen Forscher über die Zahl der Fälle, wo bei Gesunden das Kniephänomen nicht nachweisbar war, mit einander vergleicht, findet man sehr grosse Differenzen, trotzdem die Zahl der Untersuchten eine genügende zu nennen ist (mehr als 6000). Be- kanntlich konnte BERGER! in 1,56°/, den Sehnenreflex bei Gesunden nicht antreffen, während ihn WESTPHAL immer vorfand, obschon er keine Statistik in dieser Frage mittheilte, ferner constatirte EuLENBURG? das Fehlen bei Erwach- senen in 4,8°/,, bei einjährigen Kindern in 4,21°/,, BLocu?® in 0,72°/,, Peuı- ZAEUS* in 0,04°/,. Die beiden Letzteren untersuchten zwar nur Schulkinder, BERGER hauptsächlich Soldaten, doch nachdem die Untersuchungen EULENBURG'S in verschiedenem Alter ungefähr dieselben Procente ergaben, können wir nicht ganz in diesem Umstande die Ursache der mehr als hundertfachen Differenz (4,8—0,04) suchen. Die Fehlerquelle kann nur in der Methode der Unter- suchung sein. Aus diesem Grunde verglich ich die verschiedenen Methoden der Untersuchung.

Zuerst versuchte ich in der bei uns gebräuchlichen Art, bei übereinander gelegten Oberschenkeln den Reflex auszulösen, bei der grossen Mehrzahl der Fälle gelang dies leicht; wenn es so nicht ging, setzte ich den Betıeffenden auf einen Tisch und liess seine Beine einfach herabhängen, oder noch besser unter- stützte ich seinen Oberschenkel in der Nähe des Kniegelenkes mit meiner Hand. Dass diese Methoden besser sind, als die erste, konnte ich bald erkennen; die Ursache ist indessen leicht erklärlich. Es giebt Menschen, die ihre Muskeln auf unsere Aufforderung nicht so erschlaffen lassen können, wie dies die Unter- suchung erheischt, und wir können uns von diesem Fehler nur dann überzeugen,

! Gentralbl. f. Nervenheilk. 1879. Nr. 4.

* Verhandlungen der Naturforscher zu Kisenach. 1882. 3 Archiv für Psychiatrie. XII

* Archiv für Psyebiatrie. XIV.

43

wenn wir das Gewicht des auf unserer Hand aufliegenden Schenkels controliren. In der Rückenlage ist die Untersuchung meist leicht, doch kommt es vor, dass aus dem eben erwähnten Grunde der Nachweis nicht gelingt.

Wie immer wir aber auch auf alle diese Nebenumstände achten, können wir doch bei einigen Menschen das Kniephänomen nicht erzeugen, obgleich wir allen Grund zur Annahme haben, dass bei dem Untersuchten weder im Rücken- marke, noch in den betreffenden Leitungswegen irgend eine pathologische Ver- änderung vorliegt. Dies bestätigt auch die öfters bewiesene Erfahrung, dass bei einigen Menschen zeitweise es gelingt, das Kniephänomen hervorzubringen, während andere Male alle Mühe umsonst ist. Peuızawus konnte bei der ersten Untersuchung bei 6 Kindern (was einem Procentsatz von 0,26 entspricht) den Sehnenreflex nicht erzeugen, während bei später erneuerten Versuchen die Her- vorrufung bei fünfen öfters gelang. Wir können annehmen, dass wenn Pru1- zaEus alle Kinder einer zweiten Untersuchung unterworfen hätte, würde er bei einigen negativen Erfolg bekommen haben, bei welchen bei der ersten Unter- suchung deutliches Kniephänomen war. Solche Fälle, wo bei ganz Gesunden beständig, oder nur zeitweise in Folge noch nicht ganz gekannter Ursachen der Sehnenreflex nicht hervorrufbar ist, erschweren die Untersuchung und vermindern ihren pathognomonischen Werth, besonders, wenn wir die Zahlen EULENBURG’s betrachten. Unter solchen Umständen wäre eine Methode sehr nothwendig, mittelst welcher wir in allen jenen Fällen, wo die bisherige Unter- suchungsmethode kein positives Resultat giebt, wo aber weder im Rückenmark, noch in den betreffenden Leitungsorganen eine Erkrankung vorliegt, das Knie- phänomen erzeugen konnten. Zu diesem Zwecke benutzte ich meine Erfahrung, ! nach welcher die Sehnenreflexe, besonders aber das K'niephänomen sich bedeu- tend steigern, wenn wir mit den übrigen Muskeln unseres Körpers grosse Kraft erzeugen. So z. B. fällt das Kniephänomen viel stärker aus, wenn wir die Muskeln der Arme stark anspannen. Ich setze das betreffende Individuum, welches mit der gewöhnlichen Methode kein Kniephänomen hatte, auf den Rand eines Tisches mit möglichst erschlafften Beinen, und während ich auf seine Patellarsehne klopfe, fordere ich es auf, die gebeugten Finger der rechten und linken Hand in einander zu hängen und sie bei nach vorne ausgestreckten (horizontal) Armen so stark als möglich auseinander zu ziehen.

Mit dieser Methode habe ich 1000 Menschen, verschiedenen Alters, theils ganz Gesunde, theils Kranke (ausgenommen waren Nervenkranke) auf ihr Knie- phänomen untersucht. Das Resultat ist folgendes:

Bei der gewöhnlichen Untersuchung zeigten sehr schwachen Reflex 9; beim Anspannen der Arme war die Zuckung immer stark.

Auf einer Seite fehlte das Phänomen bei 6; bei diesen war es auf der an- deren Seite nur schwach vorhanden, auf beiden Seiten konnte die Zuckung leicht und ausgiebig hervorgerufen werden, sobald der Untersuchte die Arme anspannte. |

a en Zus

i Archiv für klinische Medicin. XXXIIl.

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Auf beiden Seiten konnte der Reflex mit der gewöhnlichen Untersuchungs- methode nicht erzeugt werden, trotzdem dass ich sehr sorgfältig und mit allen Kautelen die Versuche anstellte, bei 16 (1,6°,,). Bei 15 von diesen gelang es nun leicht, beim Anspannen der Arme den Reflex zu erzeugen, während es bei einem vollständig fehlte, dieser war aber ein Kranker, der an Diabetes mellitus litt, bei welcher Krankheit jetzt schon mehrere Autoren das Kniephä- nomen vermisst haben.

5 von diesen 15 Fällen konnte ich öfters sehen, bei 2 gelang es manchmal auch mit der einfachen Methode den Reflex nachzuweisen, bei den 8 anderen, die ich während 1!/, Jahre oft untersucht habe, gelang die Prüfung nur bei angespannten Armen, so aber immer.

Auf Grund dieser Untersuchungen kann ich es sicher behaupten, dass in vielen Fällen, wu die einfache Untersuchungsmethode kein positives Resultat liefert, wir mit der beschriebenen schnell und leicht den Reflex hervorbringen können. Auch scheint es mir höchst wahrscheinlich, dass bei allen Menschen. die nicht durch eine Krankheit ihren Patellarreflex verloren haben, durch diese Methode das Kniephänomen bei der ersten Untersuchung nachweisbar ist.

Nach den Angaben von Boch und Pruizarus würde zwar der Fall sehr selten vorkommen, dass bei einem sonst Gesunden das Kniephänomen nicht nachweisbar wäre, doch sind ihre Zahlen darum nicht praktisch verwerthbar, weil sie nur gesunde Kinder betreffen. In meiner Statistik sind ungefähr 60 Kinder, bei allen war der Reflex einfach auslösbar. Nachdem wir aber diese Untersuchung besonders bei Kranken, die meistens in mittlerem und höherem Alter stehen, gebrauchen, muss eine Statistik, aus welcher wir über den pathognomonischen Werth des Symptoms urtheilen können, besonders aus solchen Leuten gesammelt werden. In diesem Falle ist die Procentzahl von BERGER, oder meiner, mit der gewöhnlichen Methode untersuchten Fälle (1,56 —1,6) schon von grosser Bedeutung auf den Werth des Symptoms. Da aber mit meiner Methode die Untersuchung angenommen jene Fälle, wo der Sehnenreflex durch eine Erkrankung erloschen ist 0 pro Mille ergiebt, su kann man schon mit einer Sicherheit über dieses Symptom urtheilen, wie kaum über ein anderes.

Seitdem ich diese Methode ausübe, habe ich schon einige Mal Gelegenheit gehabt, bei Nervenkranken in zweifelhaften Fällen durch den Nachweis des mit der gewöhnlichen Methode nicht hervorrufbaren Patellarsehnenreflexes die Stellung der Diagnose zu erleichtern. Solche Fälle werde ich ein anderes Mal mittheilen, jetzt berichte ich noch über einen Tabeskranken, bei welchem ich das Ausbleiben des Patellarreflexes beobachtet habe.

S.I, 31 Jahre alt, Kaufmann, kam den 8. October 1883 auf unsere Klinik und war bis zum 29. October ambulatorisch behandelt. Syphilis war nicht nach- weisbar, der Kranke leugnete auch, irgend eine venerische Affection gehabt zu haben. Er glaubt die Ursache seines Leidens dem Umstande zuschreiben zu müssen, dass er vor 3 Monaten die linke Fusssohle auf ein in Eis gekühltes Gefäss hielt. Anfangs hatte er im linken, etwas später auch im rechten Fuss,

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Knie und Schenkel stechende Schmerzen, bald wurde ihm das Gehen schwer, auch begann er trübe zu sehen. Bei der Untersuchung geht der ziemlich gut genährte Patient mit auseinander gespreizten Beinen ziemlich unsicher. In der Lage deutliche Ataxie. Gefühl in den unteren Extremitäten intact. Beginnende Atrophie beider Nervi optici. Der Patellarsehnenreflex fehlt auf der linken Seite, jedoch erscheint er, wenn der Kranke die Arme stark anspannt. Auf der rechten Seite kann man eine sehr schwache doch immerhin deutliche Zuckung sehen auf Beklopfen der Sehne, auch mit der einfachen Methode, sie wird aber bedeutend stärker, wenn die Arme angespannt sind. Bei der gal- vanischen Behandlung schien anfangs sein Zustand sich zu bessern, doch bald verschlimmerte er sich.” Am 24. konnte auf der linken Seite schon das Knie- phänomen auch bei angespannten -Armen nicht hervorgerufen werden, auf der rechten Seite war es nur nach meiner Methode nachweisbar. Einige Tage später blieb der Kranke aus und entzog sich der weiteren Beobachtung.

II. Referate.

Anatomie.

1) Sopra un caso di doppio incrociamento dei fasci piramidali, pel dott. V. Marchi. (Archiv. italiano per le mal. nervos. 1885. XXII. p. 255.)

Bekanntlich hat man die seltenen Fälle, in denen eine Hemiplegie auf derselben Körperseite, in der sich der Sitz der Hirmläsion befand, nachgewiesen werden konnte, durch eine theilweise oder ganz fehlende Kreuzung der Pyramidenstränge zu erklären versucht. Verf. veröffentlicht nun einen Fall, in dem gar eine doppelte Pyramiden- kreuzung angenommen werden muss: die erste Kreuzung findet sich im Anfangstheil der Varolsbrücke, die zweite aber an der gewöhnlichen Stelle im Bereich der Med. spinalis.

Ein 73jähriger, nicht hereditär belasteter Mann litt seit etwa A Jahren an epileptiformen Anfällen; 4 Wochen vor der Aufnahme wurde er von einem apoplecti- formen Insult ergriffen und zeigte seitdem ein sehr aufgeregtes Wesen mit Schlaf- losigkeit, Kopfschmerz und später auch Hallucinationen. Daneben bestand eine Parese des linken Facialis, übrigens ohne jede Sprachstörung; die Pupillen waren gleich, die Zunge wich etwas nach rechts ab; die Extremitäten der. linken Körperhälfte waren gelähmt und anästhetisch; die Reflexe fehlten links und waren rechts abge- schwächt. Der ganze Zustand verschlimmerte sich allmählich unter dem Eintritt einer Contractur des linken Armes und später auch einer Parese und Contractur des rechten Armes, ohne dass übrigens ein neuer apoplectiformer Anfall beobachtet worden wäre. Nach etwa 3 Monaten trat dann der Tod ein. Die Section ergab in der Rinde des linken Lobus pararolandicus eine haselnussgrosse ältere Blutung, die noch einen Theil des zugehörigen Markes zerstört hatte; ausserdem fand sich ein zweiter hämorrhagischer Herd von der Grösse eines Maiskornes im unteren Drittel des Pons, in der linken Hälfte, aber fast bis an die Medianlinie heranreichend. Am gehärteten Präparat konnte man nun von dem grossen hämorrhagischen Herde aus eine absteigende Degeneration durch das Centrum semiovale, durch die beiden vor- deren Drittel des hinteren Segments der Capsula interna, und durch die äussere Hälfte des linken Hirnschenkelfusses verfolgen. Im Anfangstheil der linken Brücken-

hälfte verschwand die Degeneration, doch fand sie sich bei sorgfältiger Prüfung in ..

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der rechten Brückenhälfte absteigend wieder vor, und an der Stelle der gewöhnlichen Pyramidenkreuzung, dicht unterhalb der Rautengrube, zog ein Theil der degenmerirten Fasern wieder in die linke Hälfte des Rückenmarks, während ein kleinerer Theil die directe Pyramidenbahn im rechten Vorderstrang innehiell. Von dem zweiten Herde in der linken Ponshälfte zog ebenfalls eine secundäre Degeneration aber in normaler Weise nach unten und zwar durch die gewöhnliche Pyramidenkreuzung in den rechten Seitenstrang. Auf den Querschnitten des Rückenmarks zeigte sich dem- nach eine Degeneration an drei Stellen: im rechten Vorderstrang und im linken hinteren Seitenstrang als Folge des hämorrhagischen Herdes der linken Hemisphäre, und im rechten Seitenstrang als Folge des kleinen Herdes in der linken Brückern- hälfte; aufsteigende Degenerationen nach der Hemisphäre oder nach dem Kleinhim zu hatten sich vom letzteren Herde aus noch nicht entwickelt.

Dieser Fall von doppelter Kreuzung der Pyramidenstränge dürfte zu den grössten Seltenheiten gehören; soweit dem Ref. bekannt, ist noch keine ähnliche Beobachtung veröffentlicht worden. Sommer.

2) The corpus callosum, by Prof. Hamilton. (Medical Times. 1885. Nr. 1829. p. 90. Journal of Anatomy and Physiology. 1885. July.)

H. untersuchte mit einer von ihm sogenannten mezzoskopischen Methode den Verlauf der Fasern des Corpus callosum, ihren Zusammenhang mit der Rinde, den in Betracht kommenden grossen Ganglien, der äusseren und inneren Kapsel. Dünne Gehirnschnitte, die mit einer Mischung von Kalilauge und Gelatine behandelt waren, lieferten das Substrat für die Untersuchung und wurden unter Loupenvergrösserung betrachtet. Ruhemann.

Experimentelle Physiologie.

3) Veber die Krämpfe in Folge elektrischer Reizung der Grosshirnrinde, von Theodor Ziehen. (Inauguraldissertation. Berlin 1885.)

Gegenüber den widersprechenden Angaben der Autoren, wonach die einen die epileptischen Krämpfe im Cortex, die andern in subcorticalen Nervencentren ihren Ausgangspunkt nehmen lassen, kommt Verf. auf Grund seiner im Laboratorium und unter Leitung des Hrn. Prof. Munk unternommenen Versuche, die im Original nachzusehen sind, zu dem Schluss, dass der Gesammteffect der elektrischen Reizung der Rinde ein clonisch-tonischer Krampf ist, der tonische Theil des Krampfes rährt von niedern, nicht corticalen motorischen Centren, der klonische von der corticalen Erregung her.

Dem entspricht auch das Ergebniss der Experimente, dass eine der corticalen Anordnung der motorischen Centren widersprechende Reihenfolge im klonischen Krampf an der Peripherie nie vorkommt, während der tonische Krampf nicht dieselbe Beihen- folge, wie der klonische, sondern oft eine mit dem corticalen Ursprung unverträg- liche zeigt (z. B. orbicularis oculi, Hinterbein, Vorderbein). Für die menschliche Epilepsie nimmt Verf. meist Entstehung in tieferen Centren und secundäre Erre- gung der Rinde mit klonischen Stadien an.

(Mit Recht ist Verf. in Bezug auf Uebertragung des Thierexperimentes auf die Deutung der menschlichen Epilepsie vorsichtig. Die Fälle von corticaler Epilepsie beim Menschen, deren Entstehung in der Rinde durch die Section bestätigt wird, stimmen in Bezug auf ihren meist mehr tonischen Charakter der Krämpfe eben- falls nicht mit den erwähnten Experimenten beim Thiere überein. Cf. auch Mendel: D. Med. Woch. 1884. Nr. 40.) M.

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4) A Heat Centre in the Cerebrum, by Ott. (Med. Times. 1885. Nr. 1832. p. 233.) Vor mehr als einem Jahre kündete Dr. J. Ott die Existenz eines Hitzecentrums in der Nähe der Corpora striata an, das nachher von Aronsohn und Sachs be- stätigt wurde. In einer Notiz (Medical News. July) beschrieb er einige Versuche, die die Lage des Centrums genauer feststellen sollten. In einem Zimmer von etwa 75° F. (ca. 24° C.) wurde an nicht gefesselten Kaninchen die Temperatur im Rectum gemessen, alsdann der Schädel trepanirt, und mit gewöhnlichen Nadeln das Gehirn bis zur Basis durchbohrt. Bei Verletzung verschiedener Gehirnpartien wurde eine nach wenigen Stunden verschwindende Temperatursteigerung beobachtet. Wenn die Nadel einen bestimmten Punkt an der vorderen, inneren Seite des Thalamus opticus nabe dem Streifenhügel erreichte, dann trat eine Temperaturerhöhung von 3—4!/," ein und hielt sich bis zum nächsten Tage. Wenn man die Gehirnrinde an ver- schiedenen Stellen entfernte, ergab eich eine schnell vorübergehende Steigerung der Wärme, ein Zeichen, dass die corticale Läsion nicht die so bedeutende und verhältniss- mässig lang anhaltende Temperaturerhöhung hervorgebracht haben konnte. Ruhemann.

Pathologische Anatomie.

5) Experimenteller Beitrag zur Pathologie und pathologischen Anatomie des Rückenmarks speciell mit Hinsicht auf die secundäre Degene- ration. Aus dem pathologischen Institute zu Helsingfors. Von E. A. Homön. (Fortschr. d. Med. 1885. Nr. 3.)

Verf. hat seit Herbst 1884 48 Hunde operirt, denen er eine Hemisection des Rückenmarks beibrachte, meistens in der Gegend der untersten Rückenmarkswirbel, bisweilen auch im Cervicalmark. Die Thiere lebten danach 1 Tag bis 9 Monate und gaben das Material zum Studium der secundären Degeneration.

Verf. stimmt sowohl in Bezug auf die entzündliche oder traumatische Degene- ration der Wundumgebung, als auch hinsichtlich der secundären Degeneration den Angaben Schiefferdeoker’s bei.

Schon 3 Tage nach der Operation constatirte H. eine Spur von Veränderung in den Hintersträngen oberhalb der Wunde, deutlicher vom 4. Tage au. Die Färbung des Axencylinders, an dem ein körniger Zerfall begann, gelang nicht mehr gut an einzelnen Fasern. Am 5. Tage war auch in den Seitensträngen unterhalb der Wunde eine Veränderung zu erkennen, vom 7. Tage an auch oberhalb derselben. Die Ver- änderung der Markscheide trat immer erst später als die des Axencylinders auf.

Nach 20 Tagen waren in den veränderten Partien sämmtliche Fasern ergriffen, nur in den Seitensträngen unterhalb der Wunde waren die erkrankten Fasern erst vereinzelt. An den am meisten ergriffenen Stellen zeigten sich jetzt auch die Neu- rogliazellen geschwollen, zu Sternzellen geworden; auch amyloide Körper traten jetzt auf.

Bei Thieren, die 1—2 Monate gelebt hatten, waren die veränderten Fasern von dem Neuroglia-Gewebe nur noch schwer zu unterscheiden. Die Kernvermehrung war auffallend, und zwar gehören die Kerne meistens den fixen Neurogliazellen an; Rund- zellen nur vereinzelt, Körnchenzellen fangen an aufzutreten.

Nach 5—6 Monaten ist die Störung makroskopisch deutlich. In den Hinter- strängen finden sich nur noch wenige dünne Fasern, schwer sind die degenerirten Nervenfasern von der Neuroglia zu unterscheiden. Nach 8—9 Monaten Zustand von Vernarbung, Entartung der Neuroglia auch etwas ausserhalb der Grenzen der ge- wöhnlichen Wege der secundären Degeneration.

Nicht ganz bestimmt spricht sich Verf. dahin aus, dass nach Monaten die Clarke’schen Säulen der operirten Seite oberhalb der Wunde Faserschwund und Zellenatrophie erkennen lassen.

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Die Veränderungen waren nach Compression oder Zerquetschung dieselben, wie nach dem Schnitt.

Die Veränderung ergreift die einzelnen Stränge in der Ordnung, dass zuerst die Hinterstränge und zwar meist in ihrer ganzen Ausdehnung von oben nach unten auf ein Mal erkranken, dann die Vorder- und Seitenstränge nach unten, und endlich die Kleinhirn-Seitenstrangbahn nach oben von der Wunde. Hadlich.

6) Tumori endocranici basilari della dura-madre in un demente, nota dei dott. Verga e Usuelli. (Arch. ital. per le mal. nervos. 1885. XXII. p. 139.)

Zwei grosse alveoläre Endothelialsarcome der basalen Dura mater, die wegen mangelnder Anamnese im Leben nicht diagnosticirt werden konnten. Der 42jährige hereditär belastete Patient wurde nach etwa 9monatlichem Aufenthalt in einer Krankenanstalt mit der Diagnose: hypochondrisches Irresein mit Uebergang in Ter- minalblödsinn, der Irrenanstalt Mombello zugeführt.

Hier wurden ausser linksseitiger Ptosis und Amaurose ebenfalls stuporöse Demenz und in den ersten Tagen seines Aufenthaltes einige Schwindel- und leichte epilepti- forme Anfälle mit Erbrechen beobachtet; nach weiteren 5 Monaten starb Patient apoplectiform, ohne dass neue Herderscheinungen hinzugetreten wären. Die Section ergab einen festen kastaniengrossen Tumor vom Duraüberzug des Planum ethmoidale ausgehend, der den linken N. opticus und die anliegenden Gebilde comprimirt hatte, und zweitens einen taubeneigrossen Tumor der von der linken mittleren Schädelgrube ausgehend den Oberkieferast des Trigeminus umgab. Abgesehen von den Com- pressionen, welche die Tumoren ausgeübt hatten, war das Gehirn im Uebrigen nor- mal. Die nachträglich eingeholte Anamnese ergab nun Daten, die völlig zu jenem Befunde stimmten und deren frühere Kenntniss jedenfalls die richtige Diagnose er- möglicht haben würde. Angeblich als Soldat hat Patient durch eine Explosion ein Trauma der linken Stirngegend erlitten, welches zunächst Blepharospasmus und später allmähliche Abnahme der Sehkraft herbeiführte. () 4 Jahre vor dem Tode zeigten sich dann die heftigsten Kopfschmerzen und eine Neuralgie im linken Oberkiefer, und unter den mannigfachsten Klagen, die von der Umgebung bei der anscheinend blühenden Gesundheit des Unglücklichen für hypochondrisch gehalten wurden, ent- wickelte sich allmählich die Ptosis, die Amaurose und der zu langsam zunehmende Stupor bis zum völligen Stumpfsinn, der endlich, als alle sensorischen Symptome sich verloren hatten, die Aufnahme des Patienten in die Irrenanstalt herbeiführte.

Sommer.

7) Ett fall af endotheliom i hjernan, af E. A. Homön och K. E. Linden. (Finska läkaresällsk. handl. 1884. XXVI. 4. S. 229.)

Ein 10!/,jähriges Mädchen, dessen Eltern und Geschwister gesund waren, während Grosseltern und Geschwister derselben an Lungenschwindsucht gestorben waren, war im Alter von etwa 4 Jahren (im Jahre 1878) auf den Hinterkopf gefallen ohne directe Folgen. Erst 1 Monat später stellte sich zeitweise Schmerz im Hinterkopfe ein und, als dieser Schmerz im Sommer 1878 sehr lange angehalten hatte, trat ein Krampfanfall auf, danach Somnolenz und wiederholtes Erbrechen; die Beine wurden schwach, Zittern in den Händen war nicht vorhanden. Wenn auch Wochen lang der Kopfschmerz aufhörte, stellte sich doch immer Erbrechen ein, und das Kind wurde matt. In beiden Augen fand sich Sehnervenatrophie. Nach Anwendung von Jodkalium besserte sich der Zustand Ende 1879 und fast alle Symptome nahmen ab. Ende 1880 trat aber von Neuem Verschlimmerung auf, das Sehvermögen nahm ab, die Krämpfe wurden heftig und ausgedehnter, der Gang wurde wackelnd und unsicher. In den freien Intervallen zwischen den Anfällen von Kopfschmerz und von

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Krämpfen war die Kranke benommener als früher. Im Herbst 1881 trat wieder Besserung auf, auch des Sehvermögens; im Juli 1882 Verschlimmerung, namentlich erlosch das Sehvermögen fast ganz; Schwäche in den Beinen war vorhanden. Ein vollständig apathischer Zustand trat ein mit Incontinentia urinae et alvi und Unver- mögen zu sprechen; das Bewusstsein war dabei ungestört. Nach 7 Wochen gingen die Symptome wieder zurück, aber das Sehvermögen erlosch nun vollständig und bald verschlimmerte sich der Zustand überhaupt wieder. Die Intelligenz war fast immer ungestört gewesen; Gehör, Geschmack und Geruch hatten keine Veränderung erfahren. Ueber Schmerz in den Füssen hatte Pat. nie geklagt, nur mitunter über Stechen in den Füssen bei Bewegungen. Im October 1883 wurde Pat. ziemlich be- wusstlos und blieb in diesem Zustande bis Anfang November. Zu dieser Zeit fand man die Stirn vorstehend, den Hinterkopf breit, die Fontanellen fest geschlossen, die Pupillen contrahirt ‚und reactionslos, die Bulbi machten langsame seitliche Bewe- gungen, wobei deutliche Divergenz bemerkbar war. In den Armen, von denen der linke in Pronationsstellung gestreckt war, wie in den Beinen, an denen Varo-Equinus- stellung sich zeigte, fand sich eine leichte Steifheit. Die Sehnenreflexe waren ver- stärkt, der Puls war stark beschleunigt. Nach einigen Wochen trat wieder etwas Besserung auf, aber nur vorübergehend und nur theilweise. Am 29. Januar 1884 starb die Kranke.

Bei der Section fand sich ein Kopfumfang von 56 cm, dünnes durchsichtiges Cranium, die Dura mater gespannt, fluctuirend mit venöser Hyperämie, die Pia inji- cirt. Die Gyri waren im höchsten Grade abgeplattet. An der Basis des Gehirns fand sich eine pflaumengrosse Geschwulst unmittelbar vor dem Pons, mit einem breiten Fortsatze unmittelbar in die benachbarte Hirnsubstanz übergehend. Diese Geschwulst, die mit dem vorderen Theil auf das Chiasma drückte, erwies sich als Endotheliom. Die Pia mater war in der Umgebung der Geschwulst stark infiltrirt, stellenweise cystös ausgebuchtet. Beide Seitenventrikel waren im höchsten Grade ausgedehnt von klarer seröser Flüssigkeit; der sie umgebende Hirnmantel war bis auf 1—2 cm Dicke verdünnt. Die Medullarsubstanz war feucht glänzend, vollkommen blutleer, die Corticalsubstanz blass, hellgrau, Thalami optici und Corpora striata äusserst blass, der Boden des 4. Ventrikels leicht ödematös mit einzelnen Blutpunkten, das Kleinhirn locker, schlaff, blutarm. Beide Nervi optici waren abgeplattet.

Dass der Fall auf den Hinterkopf die Krankheitsursache war, ist zwar höchst wahrscheinlich, aber nicht mit Sicherheit nachweisbar. Bemerkenswerth ist die wiederholte Besserung. Walter Berger.

Pathologie des Nervensystems.

8) Ueber nervöse Dyspepsie, Vortrag von E. Leyden in der Gesellschaft für Heilkunde in Berlin. (Berl. klin. Wochenschr. 1885. Nr. 30 u. 31.)

Anknüpfend an die Debatte über obiges Thema auf dem dritten Congress für innere Medicin im Jahre 1884 resumirt L. zunächst die hauptsächlichsten Ansichten über das Leiden. Leube definirt die nervöse Dyspepsie als dyspeptische Beschwerden, welche bei einer normalen Verdauung vorkommen, und welche wesentlich auf einen abnormen Erregungszustand der Magennerven zu beziehen sind. A. Ewald betrachtet sie als Theilerscheinung allgemeiner Nervenschwäche und zieht deshalb Burkart’s Bezeichnung „Neurasthenia gastrica oder dyspeptica“ vor. Rossbach verwarf über- haupt vom pathologisch-anatomischen Standpunkte aus die Aufstellung von Dyspepsie als besondere Krankheitsgenera. |

L., indem er die Definitionen giebt, „eine Krankheit ist doch nichts weiter, als eine Summe von Symptomen, welche sich in einer gewissen Häufigkeit und Regel- mässigkeit wiederholen‘ und „sie besteht doch nicht in den pathologisch-anatomischen

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Veränderungen, welche ein Organ zeigt, sondern in der veränderten Function desselben“, hält an der Berechtigung der Aufstellung vun Dyspepsien als Krankheitsbildern und speciell an der Dyspepsia nervosa fest.

.Dabei schliesst L. alle diejenigen Störungen der Magenfunction, welche mit anatomischen Veränderungen des Nervensystems resp. der Magennerven einher- gehen, von der „Dyspepsia nervosa“ aus, also die Störungen bei Tabes, bei Morbus Addisonii und analogen Zuständen, bei den Fällen, wo v. Recklinghausen und Jürgens anatomische Läsionen der Magennerven fanden.

Die Physiologie lehrt uns Einiges über Magenbewegungen und ihre Abhängig- keit vom Nervensystem (Magendie, Joh. Müller, Schiff, Goltz), sehr wenig über dio seiner verdauenden Tbätigkeit, obwohl wir auch diese letztere Abhängigkeit annehmen müssen.

Die Symptome der nervösen Dyspepsie bestehen nach L. in Störungen der mo- torischen und sensiblen und auch wohl der sekretorischen Nerven entgegen Leube, welcher den Verdauungsvorgang, also auch die Drüsensecretion für normal hält.

Die Diagnose gründet sich, bei Ausschluss eines organischen Magenleidens, nach Beard’s Formulirung darauf, dass 1) diese Krankheit vorzugsweise bei nervösen, besonders bei ausschliesslich mit dem Gehirn arbeitenden Personen vorkommt; 2) sie mit anderen nervösen Leiden, Kopfschmerz, Schwindel, Neuralgien, wechselt; 3) sie, als functionelles Nervenleiden behandelt, geheilt wird.

Astiologisch ist zu erwähnen, dass die nervöse Dyspepsie in jedem Alter vor- kommt, bei Schulkindern, die zu sehr angestrengt werden, ist sie gar nicht selten; sehr häufig ist geistige Ueberanstrengung die Ursache, oft auch körperliche Strapazen, sowie gemüthliche Depressionen; Hysterie und Uterinleiden liegen nicht selten zu Grunde.

Die Astiologie ist natürlich bei der "Therapie hauptsächlich zu berücksichtigen. Keine „Magenmittel‘“ oder doch nur nebenbei, sondern Berg- oder Seeluft, Entfernung aus den Geschäften, Ruhe und Zerstreuung u. s. w. Hydro- und Elektrotherapie als Beihülfe, ebenso die Massage. Unter Umständen Versetzung in eine Anstalt und methodische Behandlung und Fütterung daselbst nach dem Rathe von Mitchel und von Rockwell. Hadlich.

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9) Trois autopsies pour servir & la localisation des troubles de la vision d’origine cör&brale, par Ch. För6. (Arch. de Neurol. 1885. No. 26.)

F. theilt 3 neue Beobachtungen von Sehstörungen cerebralen Ursprungs mit Sectionsbefund mit:

I. 61jährige Kranke, 1873 rechtsseitige Hemiplegie und vorübergehende Aphasie. Status 1881: Leichte Facialisparese, vollkommene Lähmung mit Contracturen der Oberextremität rechterseits, Lähmung der Unterextremität weniger ausgesprochen. Verstärkte Sehnenphänomene rechts. Lähmung der Sensibilität rechterseits incl. Gehör, Geruch, Geschmack. Sehschärfe beiderseits 0,6. Kein Farbenausfall, wohl aber Ge- sichtsfeldeinengung besonders rechts, ohne ophthalmoskopischen Befund. Section: Atrophie des Pedunculus cerebri linkerseits in seinen mittleren Bündeln, Atrophie der linken Pyramiden, der linken Brückenhälfte. Alter hämorrhagischer Herd ausser- halb vom Linsenkern, nach hinten den „carrefour sensitif‘“ durchschneidend und bis unter die 3. Stirmwindung reichend; gelbbräunliche Verfärbung der hinteren 2 Drittel der Capsula interna und des schmalen Theils des Linsenkerns.

1I. 45jährige Klavierlehrerin. 1878 rechtsseitige Hemiplegie mit vorübergehen- der Aphasie, Contracturen auf der gelähmten Seite, intacte Sensibilität bis auf den Gesichtssinn: hemianoptische Gesichtsfeldeinengung, sich auf die rechte grössere Hälfte erstreckend. Störungen der Sprache und der schriftlichen Perception. Autopsie:

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Die immneren mittleren Bündel des linken Hirnschenkels deutlich abgeplattet und gelb- grau verfärbt. Iinke Brückenhälite deutlich schwächer, linke Pyramide schmäler und gelb. An der Hemisphärenoberfläche Erweichung, sich erstreckend über die obere Hälfte der Insel, die mittleren und hinteren Theile der 3. Stimwindung und den unteren Theil der vorderen Centralwindung. Ein schmaler Streifen zog sich längs der Sylvi'schen Spalte auf den beiderseitigen Windungen nach hinten. Alle Partien aussen vom Linsenkern erweicht. Mit Ausnahme der Carrefour sensitif sind die nach vorn gelegenen Partien der innern Capsel grau verfärbt.

Ill. 52jährige Frau, 1883 rechtsseitige Hemiplegie, welche vorüberging; es blieb nur eine partielle Sensibilitätsstörung und eine rechtsseitige Hemianopsie ohne ophtbalmoskopischen Befund. Bei der Section fand sich ausser dem Fehlen der grauen Commissur an den Hemisphären nur links eine oberflächliche gelbe Erweichung am Cuneus und der anliegenden zweiten Occipito-temporal-Windung (Falx-Seite).

Siemens.

10) Case of aphasia in which the chief lesion was sested in the supra- marginal and angular gyri, Broca’s convolution being unaffected, by S. West. (British med. Journ. 1885. p. 1242.)

Ein 66jähriger Mann mit Morb. Bright., Herzhypertrophie mit Dilatation und Fettdegeneration, mit Atherom und Bronchitis etc. verlor plötzlich die Sprache und bald darauf zeigte sich auch eine Parese des rechten Facialis und der rechten Ex- tremitäten, mit Ataxie der Finger- und Handmusculatur, und eine unvollkommene Hemianästhesie, ohne dass übrigens ein Bewusstseinsverlust zu beobachten gewesen wäre. Die Articulation war nicht gestört, da er einzelne Worte die Anzahl der- selben schwankte übrigens an den verschiedenen Tagen nicht unbedeutend ganz fliessend auszusprechen vermochte. Dagegen bestand bei voller Fähigkeit, alle Gegen- stände zu erkennen, die absolute Unfähigkeit, dieselben richtig zu benennen; er ver- stand ferner, was er las oder hörte, war aber nicht im Stande, vorzulesen oder mehr als einige Silben und auch das nur ausnahmsweise nachzusprechen.

Ohne wesentliche Veränderungen in der Sprachstörung erkennen zu lassen, wechselte der Patient in den nächsten 6 Wochen zwischen leichter Benommenbeit und klaren Perioden; gleichzeitig schwanden aber die Kräfte in rapider Weise und ohne besondere Agone trat dann der Tod ein. Die Section ergab eine corticale Er- weichung des linken Gyrus supramarginalis und angularis, auf welche Regionen die Wortblindheit bezogen werden kann; die Erweichung hatte aber, in allerdings ober- flächlicherem Crade, auch auf die erste Temporalwindung, auf den hinteren Abschnitt der Inselrinde und auf die hintere Centralwindung übergegriffen: auf diese Defecte ist wohl die Worttaubheit, die Hemiparese und die Ataxie der Finger- und Hand- musculatur zurückzuführen. Die völlige Erhaltung der Articulation stimmt zu der intacten Broca’schen Windung. Als letzte Ursache der ausgedehnten Erweichung wird ein Embolus des hinteren Hauptastes der linken. Art. fossae Sylvii anzusehen sein.

Sommer.

11) Ett bidrag till frägaen om de cerebrale lokalisationerne, af prof. P. J. Wising. (Hygiea. 1885. XLVII. 4. S. 239.)

Ein 4ljähriger Mann, der nie an Syphilis, aber 5mal an Lungenentzündung, vor 6—7 Jahren Ohrenfluss mit Ohrenschmerz geliabt, vor 3 Jahren nach einem Stoss auf die Brust Bluthusten und seitdem öfters Husten gehabt hatte, wurde, nachdem er einige Tage heftigen Kopfschmerz gehabt hatte, von heftigem Schwindel ergriffen und verlor das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, bemerkte er Schwäche und Ameisenkriechen im rechten Arme, der rasch ganz gelähmt wurde. Der Kopfschmerz, den Pat. gleichmässig auf beiden Seiten fühlte, dauerte fort. Bei

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der Untersuchung fand sich der rechte Arm vollständig gelähmt; nach 2 Tagen war auch das rechte Bein vollständig gelähmt; ausserdem fand sich Parese im untern Theile der rechten Gesichtshälfte und in der rechton Zungenhälfte und Lähmung des Levator palpebrae auf der linken Seite. Bald verfiel der Kranke in Sopor, Harn und Faeces gingen unfreiwillig ab und der Kranke starb, nachdem sich Zuckungen in Arm und Bein auf der linken Seite gezeigt hatten.

Bei der Section fand sich in der linken Grosshirnhemisphäre ein scharf be- grenzter Abscess, der das mittlere Drittel der hintern Centralwindung, einen ent- sprechenden Theil- des Bodens der Centralfurche und den benachbarten Theil der vorderen Centralwindung einnahm. Der Abscess hatte die Grösse eines kleinen Hühnereis, hatte den entsprechenden Theil der darunter liegenden weissen Substanz zerstört bis zu dem Seitenventrikel, die Capsula interna und die centralen Ganglien aber unberührt gelassen. Ausserdem fand sich ein scharf begrenzter Abscess im Gyrus supramarginalis am obern bintern Ende der Sylvi’schen Furche und am hintern Bogen dieser Windung'.

Nach der Art, auf welche sich die Hemiplegie auf der rechten Seite entwickelte, liess sich schon während des Lebens diagnosticiren, dass eine Zerstörung in der Rinde oder der darunter liegenden weissen Substanz vorhanden sein musste; zuerst entwickelte sich vollständige Lähmung der obern Extremität und Parese des Gesichts und der Zunge, während die Lähmung im Beine erst später hinzutrat. In Bezug auf den Sitz liess sich mit grosser Wahrscheinlichkeit annelımen, dass der die Mono- plegie des Armes bedingende Herd im mittleren Drittel der Centralwindungen sass. Die Lähmung des Gesichts und der Zunge war nie bedeutend und ging theilweise zurück, während die Paralyse des Armes vollständig wurde,

Ob Hemianopsie, wie man nach dem bei der Section gefundenen Abscess im linken Occipitallappen vermuthen sollte, vorhanden war, wurde während des Lebens zum Theil in Fulge des Zustandes des Kranken nicht festgestellt.

Die auf der linken Seite vorhandene Lälımung des Levator palpebrae war eine vollständig isolirte Lähmung, Strabismus fand sich nicht, die Pupillen waren gleich und reagirten auf beiden Seiten gegen Licht. Diese einzige Lähmungserscheinung auf der linken Seite musste mit der einzigen Veränderung in der rechten Hirnhälfte, der Zerstörung des Gyrus supramarginalis, in Verbindung stehen. Aus dem mit- getheilten Falle kann man, wie W. meint, mit Bestimmtheit schliessen, dass Zer- störung des Gyrus supramarginalis Ptosis auf der entgegengesetzten Seite hervorrufen kann, und dass ferner isolirte Ptosis cerebralen Ursprungs Veranlassung giebt, eine im Gyrus supramarginalis der entgegengesetzten Seite localisirte Krankheit zu ver- muthen. Walter Berger.

12) Observation de localisation cörebrale dans un cas d’osteite syphilitique du cräne, par Brissaud. (Progr. med. 1885. No. 19.)

Ein 30jähriger Mann, der eine ziemlich ausgedehnte syphilitische Ostitis am äusseren Augenwinkel der linken Seite zeigte, litt seit einigen Jahren an heftigen Kopfschmerzen, die sich auf die vordere Hälfte des linken Scheitelbeins beschränkten. In letzter Zeit hatten sich grössere und kleinere Anfälle von Jackson’scher Epilepsie hinzugesellt, welche sich aus Convulsionen der rechten Gesichts- und rechten Zungen- hälfte und des rechten Armes zusammensetzten; Bewusstseinsverlust war mit den- selben niemals verbunden. B. bringt diese Cerebralerscheinungen mit einem menin- gitischen Herd in Verbindung, der, von jener peripheren Knochenerkrankung ausgehend, eine Reizung gewisser Partien der Grosshirnrinde hervorgebracht habe. Topo- graphisch lässt sich nach B. annehmen, dass besonders der untere und äussere Theil des linken Stirnlappens in Mitleidenschaft gezogen sei. Da aber das einzige stabile Herdsymptom in einer Parese der linken Zungenhälfte bestand, so ist B.

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geneigt zu glauben, dass die 3. linke Stirnwindung die von jenem Herd meist be- lastete gewesen sei. Quecksilbereinreibungen und grosse Jodkalidosen brachten die motorischen Reizerscheinungen innerhalb von 2 Monaten zum Schwinden. Die Un- beholfenheit der Zungenbewegungen und eine gewisse Gedächtnissschwäche besteht noch fort. Laquer.

13) Lesions of the Frontal Lobe, by Dr. Hale White. (Brit. med: Journ. 1885. 17. Jan. p. 130.)

Verf. berichtet in der „Clinical Society of London“ über 2 Fälle von Erkran- kung des Stirnlappens mit verhältnissmässig wenig ausgeprägten Symptomen.

1. Eine 26jährige Frau, die vor 7 Jahren eine Kopfverletzung erlitten hatte, klagte seit 1 Monat über äusserst heftige Kopfschmerzen mit gelegentlichen Anfällen von Sehstörung. Dabei hatte sie aber ihrer gewohnten Beschäftigung noch ganz gut nachgehen können. Objectiv war einzig eine Neuritis optica nachzuweisen. Nach einmonatlicher Behandlung starb sie plötzlich ohne alle Vorboten. Die Section er- gab ein grosses centrales Gliom im. Stirnlappen.

2. Eine 31jährige Frau mit Aorten- und Mitralisinsufficienz wurde mit einer Taralyse des linken Arms und Beins aufgenommen; doch schien „die Lähmung nicht auf einem organischen Leiden zu beruhen, sondern rein functionell zu sein‘ (sic!); jedenfalls heilte sie schnell und complete. Nach zweimonatlichem Aufenthalt im Krankenhaus erlitt sie plötzlich einen epileptiformen Anfall mit nachfolgendem hef- tigem Erbrechen. Doch hatte auch dieser keine neuropsychopatbischen Störungen zur Folge und die Patientin erlag erst 2 Monate später ihrem Hoerzleiden.

Im Niveau des Corpus callosum fand sich central im Mark des rechten Stirn- lappens ein grosser Bluterguss, der nur die Rinde des Gyrus fornicatus zum Theil noch beeinträchtigt hatte. Sommer.

14) Casuistische Beiträge von Thomsen. (Charit6-Annalen. 1885. S. 562.)

ı1. Ein Fall von langdauernder postepileptischer Amnesie mit vorüber- gehender Pupillenstarre.

Nach 7—8 schweren epileptischen Anfällen an einem Tage tritt bei einem 31 Jahre alten Potator ein Zustand von hallucinatorischem Delirium ein, der 10 Tage dauert und plötzlich mit der Erkenntniss, dass die hallucinirten Ereignisse Täuschungen seien, endet. In den ersten Tagen dieses postepileptischen Irreseins bestand Pupillen- starre.

2. Ein Fall von typisch recidivirender Oculomotoriuslähmung mit psychisch nervösen Störungen und concentrischer Gesichtsfoldeinengung.

Ein 34 Jahre alter Schuhmacher bekommt seit seinem 5. Lebensjahre regelmässig im Mai, seit dem 29. Lebensjahre auch noch einmal im Herbst unter denselben Pro- dromen (Erbrechen, Kopfweh, Schmerzen im Auge) vollständige Ptosis mit Parese in anderen Zweigen ‘des Oculomotorius, die meist in 3—4 Wochen wieder verschwindet. Seit dem 13. Lebensjahre bestehen ausserdem noch in Folge eines Trauma epilep- tische Anfälle. Ob beide Affectionen in Zusammenhang stehen, ist zweifelhaft.

3. Ein Fall von vorübergehender, fast completer „Seelenblindheit“ und „Worttaubbeit“.

Ein 44 Jahre alter Kellner, der psychisch das Bild eines mässig aufgeregten

Schwachsinns mit Hallucinationen bietet, bemerkt plötzlich an sich selbst eine eigen-

thümliche Sehstörung: er erkennt Gegenstände, Buchstaben, Zahlen, Farben nur theil-

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weise, bezeichnet sie falsch, versteht nur einen Theil dessen, was zu ihm gesprochen wird, kann nicht lesen und schreiben. Dieser Zustand, der in den ersten 24 Stunden sich noch steigert, dauert 9 Tage, um dann plötzlich eben so acut, wie er eingesetzt, zu verschwinden. M.

Psychiatrie.

15) Moral or emotional insanity, by D. Hack Tuke. (Journ. of ment. science. 1885. July.)

Verf. zieht aus Fällen seiner eigenen Beobachtung und solchen, die von Andern mitgetheilt worden sind, den Schluss, dass es Fälle von geistiger Störung giebt, in welcher ein Verlust der Controle über die niederen Triebe existirt, in welcher die moralischen Empfindungen mehr als die intellectuellen Kräfte geschwächt und ver- kehrt sind, ja in denen gar kein Mangel an Talent, kein Verlust des Gedächtnisses, kein Mangel der geistigen Schärfe, keine Incohärenz der Ideen und Sprache, ebenso- wenig aber Sinnestäuschungen hervortreten; einzig und allein Mangel oder Abschwä- chung der moralischen Gefühle oder Selbstcontrole vorhanden sind, und zwar ent- weder als Entwickelung des dem Individuum natürlichen Charakters oder als gerades Gegentheil mit den früheren Eigenschaften.

Verf. unterscheidet erworbene z. B. nach acuten Infectionskrankheiten und an- geborene Erkrankungen, solche impulsiver und nicht impulsiver Natur, die mit Epi- . lepsie oder mit Trunksucht einhergehen. Das motivlose Handeln muss den Kranken vom Verbrecher unterscheiden, aber vor Gericht ist es schwer, die Geisteskrankheit zu erweisen, da die Richter an solche ohne Störung der Intelligenz schwer glauben. Der Name ‚‚moral insanity‘“ lässt sich anfechten, namentlich weil der Sitz der Er- krankung weist nicht eigentlich die moralischen Empfindungen selbst sind, sondern die höheren psychischen Centren, welche über jene die Controle ausüben sollen, doch kommen auch Fälle vor, in welchen die moralischen Empfindungen selbst krank sind, nämlich solche, in denen die altruistischen Gefühle gar nicht entwickelt waren.

Schliesslich versucht Tuke eine philosophische Erklärung der Entstehung der moral insanity zu geben. Zu wenig betont ist vom Verf., dass fast ausnahmelos in allen Fällen von moral insanity erbliche Belastung vorliegt und ebenso der con- genitale Ursprung der Krankheit, welcher denn doch immer einen gewissen Grad von Schwachsinn involvirt. (Vgl. auch Mendel’s Aufsatz in Eulenburg’s Enoy- clopädie.) Zander.

m

16) Two examples of the effect of removal of higher power of self-control; one due to chronic insanity with recurrent outbreaks; the second due to the inhalation of chloroform, by Dr. Savage. (Journ. of ment. science. 1885. July.)

Während der erste Fall nur den Bericht über regelmässig wiederkehrende An- fälle von heftiger Erregung ohne sichtbare Ursache bei einer chronisch kranken Frau betrifft, ist der zweite eigenthümlicher. Ein Mann hatte sich in seiner Erregung bei der Zerträmmerung von Fensterscheiben eine Verletzung des rechten Daumens zugezogen, in Folge deren allgemeine Entzündung mit mehrfachen Abscedirungen entstand, welche mehrfache Incisionen erheischten. Während dieser äusseren Er- krankung genas Pat. psychisch, als aber zur genauen Untersuchung des Daumens leichte Chloroformnarkose angewendet wurde, brach sofort die frühere maniakalische Erregung aus, ebenso entstand später jedesmal nach Anwendung von kleinen Dosen Hyoscyamin wieder eine dem ersten Anfall ganz gleichartige Erregung.

Zander.

425

17) Caso of profound and somewhat prolonged suioidael Melancholie; diarrhoesa with fover; recovery by Dr. Carlyle Johnstone. (Journ. of ment. science. 1885. July.)

Eine Ende des Jahres 1882 acut erkrankte Patientin äusserte länger als ein Jahr tief melancholische Verstimmung mit dauernder Schlaflosigkeit und mit steter Neigung zum Selbstmord, die sie in fortwährend wiederkehrenden Versuchen, sich selbst mit allen möglichen Instrumenten zu verletzen, so dass sie kaum genug be- hütet werden konnte, bethätigtee Im Mai 1884 trat nach emem Ohnmachtsanfall mit leichter Affection der linken Seite heftige Diarrhoe mit ziemlich bedeutender Fiebertemperatur ein. Im Juni zeigte sich mit körperlicher Genesung zugleich auch psychische Besserung, welche dann allmählich solche Fortschritte machte, dass Pat. Ende August als geheilt entlassen werden konnte. Auch ist sie seitdem - gesund geblieben. Zander.

18) Epilessia larvata-pazzia morale; perizia dei Prof. E. Morselli e C. Lom- broso. (Archivio di psichiatr., scienze pen. ecc. 1885. VI. p. 29.)

Ein 31jähriger Mann, den höchsten Ständen angehörig, hereditär sehr schwer belastet, seit früher Jugend in vino et venere excedirend und luetisch, lebte im Uebrigen ruhig und anscheinend normal seit langer Zeit mit einem jungen Mädchen zusammen, das er sogar gegen ihren Willen zu seiner Gattin zu machen beabsich- tigte.e Im Beginn des 30. Lebensjahres war er von 2 heftigen „Congestionsanfällen“ ergriffen worden, die eine auffallende Erschöpfung hinterliessen, und gleichzeitig änderte sich sein Charakter in ungünstigster Weise. Er wurde streit- und process- süchtig, er wurde jähzomig und thätlich bis zur Brutalität, besonders gegen seine Geliebte, die in der Folge öfters gezwungen war, vor seinen Misshandlungen zu flüchten. Freunden gegenüber vermochte er sich meistens noch zu beherrschen, doch fiel es allgemein auf, wie er durch den kleinsten Widerspruch gereizt, sofort tief congestionirt wurde, wm gleich darauf leichenblass mit weit aufgerisseonen Augen einige Momente regungslos in’s Leere zu starren; wenige Augenblicke später schien er sich dann zu besinnen und entfernte sich hastig, um einen Ausbruch seines Jäh- zorns nicht zu zeigen. Als derartige Anfälle mit oder ohne sich anschliessende Wuth immer häufiger wurden, zuletzt sogar bis Gmal an einem Tage ausbrachen, wurde ärztliche Hülfe nachgesucht, nachdem jede moralische Beeinflussung ohne Er- tolg geblieben war. Da ausser jenen Zornanfällen auch echte Anfälle von „petit mal“, Enuresis nocturna und frische Bisse in der Zunge mehrmals beobachtet worden waren, und da in den ruhigen Intervallen eine langsame Abschwächung des Gedächt- nisses und der ganzen Ueberlegung bemerkbar wurde, so konnten die Sachverstän- digen mit Sicherheit ihr Gutachten dahin abgeben, dass Patient an einer schweren Hirnerkrankung leide und gemeingefährlich sei.

Die Verff. weisen in ihrer Arbeit noch darauf hin, dass es in vielan, besonders in forensen Fällen sehr schwer sei, den Richtern klar zu machen, dass eine derartige Brutalität und Jähzornigkeit bei sonst nicht besonders ausgeprägten Symptomen einer geistigen Schwäche als krankhaft angesehen werden müsse. Wie sich auch aus dieser Beobachtung, welche allerdings noch keine eriminalistische Complication gehabt habe, ergebe, seien sehr häufig die Explosionen des sogenannten „moralischen Irreseins“ in Wirklichkeit solche der „larvirten Epilepsie“; wahrscheinlich seien beide Krankbeitsformen überhaupt identisch, oder beruhten wenigstens auf denselben ab- normen Hirnzuständen. Sommer.

46

19) Motorische Störungen beim einfachen Irresein, von C. F. W. Roller. (Allgem. Ztschr. f. Psychiatrie. 1885. XLII. 1. 8. 1—60.)

R. hat sich die Aufgabe gestellt, jene Anomalien in den motorischen Reactionen Geisteskranker zu untersuchen, welche nicht auf rein nervöse Störungen zurückzu- führen sind, wie die Krämpfe, Paresen, Ataxien u. s. f., sondern in einem gewissen näheren Zusammenhange mit der Psychose stehen und mit mehr oder weniger Be- rechtigung als bewusste Willkürbewegungen angesehen zu werden pflegen. An der Hand eigener und fremder Beobachtungen beschreibt er nach einander die Störungen der Stimme (Höhe, Klangfarbe), der Sprache (Logorrhöe, Echolalie, Neubildung von Worten, „emotive‘“‘ Sprachstörung, die Erschwerung und Veränderung der Sprache im Affecte), ferner die impulsiven Bewegungen und Handlungen (Bewegungsdrang, Wider- streben, absonderliche Gewohnheiten und Stellungen), paradoxe Bewegungen und Handlungen (Widerspruch zwischen Ausdrucksbewegung und Stimmung) alienirte Bewegungen und Handlungen (Zwangsbewegungen, Zwangshandlungen), endlich die antagonistischen Innervationen und die Bewegungen in Folge von Hallucinationen. In Bezug auf die Einzelheiten muss auf das Original verwiesen werden. Auf Grund dieser Studien kommt R. zu dem Ergebnisse, dass der motorischen Seite des Seelen- lebens nicht nur ein grosser willkürlicher Einfluss auf die Gefühle, Vorstellungen und Wahrnehmungen, sondern auch eine gewisse Selbstständigkeit zukomme, so dass eine grosse Reihe der Störungen auf diesem Gebiete als primär entstandene betrachtet werden müssten, welche erst indirect durch Rückwirkung auf das Bewusstsein die Entwickelung der complicirteren psychopathischen Krankheitsbilder erzeugten. Be- sonders bei jugendlichen Kranken soll diese Unabhängigkeit des motorischen Ge-. bietes klar hervortreten. Diese gewissermaassen secundäre Entstehungsweise so mancher Wahnideen u. s. f. soll uns nach R.’s Anschauung das Zwangsmässige der- selben, trotzdem „der logische Mechanismus richtig arbeitet“, begreiflich machen, und sie soll uns in der Praxis, speciell der Therapie, die völlige Verantwortungslosigkeit der Kranken eindringlich vor Augen führen, da sie uns auf die „mechanische“ Aus- lösung der krankhaften Processe hinweist. Das Irresein erscheint von diesem (der Jacobi'schen Auffassung verwandten) Standpunkte als ein durch krankhafte Zustände subordinirter Centren inducirter Vorgang. Ausdrücklich verzichtet dabei R. auf die Bearbeitung „der unlösbaren Aufgabe, vom Standpunkte des gesunden Seelenlebens aus unerklärliche Erscheinungen eben von jenem aus zu erklären“. Ref. muss ge- stehen, dass gerade diese letztere Aufgabe ihm auf dem Gebiete der Psychopatho- logie, wie auf demjenigen der übrigen Medicin von jeher als besonders anziehend und aussichtsvoll zugleich erschienen ist. E. Kräpelin.

20) Beiträge zur Lehre vom transitorischen Irresein, von Prof. v. Krafft- Ebing. (Jahrb. f. Psych. 1885. VI. 1.)

Zwei Fälle eines vorübergehenden pathologischen Affectzustandes theilt Verf. hier mit, in welchem es das eine Mal zu einer öffentlichen Gewaltthätigkeit, das andere Mal zu versuchtem Todtschlag gekommen war, und in welchen das gerichts- ärztliche Gutachten auf „Sinnesverwirrung“ ($ 2 des Oesterreichischen Strafgesetz- buches) lautete. -

Im ersten Falle handelte es sich um einen geistig nur mässig veranlagten Mann, der vor 4 Jahren eine mit Gehirmerscheinungen einhergehende längere Krankheit durchgemacht hatte und stets geistige Getränke schlecht vertrug. Nach einer un- gewöhnlich starken Gemüthserregung gerieth er erst auf Selbstmordideen, und dann nach Alkoholgenuss in einen heftigen Affect, in welchem er die angeschuldigte That beging; er hatte nur sehr ungenügende Erinnerung an das Vorgefallene und war gleich nach der That wie betäubt, lautlos im Grase liegend aufgefunden. Von Epi- lepsie war nichts nachzuweisen.

127°

Im zweiten Falle war bei einem intelligenten, aber energielosen Manne, der seit Monaten nervenkrank (Zustand reizbarer Schwäche) war, und der sich seit Wochen durch eheliche Untreue seiner Frau in einem höchst aufgeregten Gemüthszustand befand, bei einer Begegnung mit dem Liebhaber seiner Frau und als dieser ihm den Zweikampf in höhnischer Weise verweigerte, ein hochgradiger Affeetzustand aufge- treten, in welchem er um sich schoss und seine Frau verwundete Er will nicht die Absicht gehabt haben, Jemand zu erschiessen und es besteht auch bei ihm eine allerdings nicht vollständige Amnesie für den Zeitabschnitt, in welchen die incrimi- nirte Handlung fällt.

In beiden Fällen gab wohl die Amnesie, für deren Thatsächlichkeit die Um- stände sprachen, den Ausschlag für die Annahme eines pathologischen Zustandes.

Hadlich.

21) Die conträre Sexualempfindung vor dem Forum, von Prof. v. Krafft- Ebing. (Jahrb. f. Psych. 1885. VI. 1.)

Nach einer kurzen allgemeinen Einleitung (nebst vollständiger Literaturübersicht), in welcher Verf. sich dahin ausspricht, dass für das Thun der Urninge eine „Zwangs- lage, eine Nothlage aus organischem Zwange“ vorliege und dass daher die Gesell- schaft sie bedauern, aber nicht verachten, der Strafrichter sie nicht mehr als Jeden, der aussereheliche Geschlechtsgenüsse sich bereitet, belangen solle, theilt v. K.-E. die Selbstbiographien zweier Urninge mit. Hadlich.

22) Zur Acetonurie Geisteskranker, von Dr. Hans Lähr. (Allgem. Zeitschr. f. Psych. 1885. XLIL 1.)

In der 51. Versammlung des psychiatrischen Vereins zu Berlin theilt ].. mit, was er bei der Untersuchung des Harns von etwa 100 Geisteskranken mittelst der Gerhard’schen Eisenchloridreaction, der Lieben’schen Jodoformreaction (Rothfärbung mit Nitroprussidnatrium und Kalilauge, sodann Purpurfärbung mit Essigsäure) ge- funden hat. Die Rothbraunfäirbung mit Eisenchlorid zeigten von 8 abstinirenden Kranken nur 2, beide hatten schon einige Zeit vorher wenig genossen. Gleichzeitig trat bei ihnen auch die Legal’sche Reaction vom ersten Tage der absoluten Carenz ein. Die Legal’sche Reaction zeigte sich 3mal am 1., imal am 2,, 2mal am 3. Tage absoluter Carenz, 1mal trat sie auch nach 4tägigem Hungern nicht ein, dagegen zeigt das Destillat sofort bei absoluter Carenz die Lieben’sche und die Legal’sche Reaction, ebenso auch bei 2 Patienten, welche sehr wenig und unregelmässig assen und bei 1 Patientin, welche Monate lang nach jeder Mahlzeit bald Alles erbrach, jedoch im letzten Falle war die Reaction nicht constant. Der süssliche Apfelgeruch der Hungernden kam 2mal zur Beobachtung, in einem Falle davon roch auch der Urin so. Die Acetonreaction im Harm verschwindet oft bei länger dauernder Ab- stinenz allmählich wieder.

Ein Mal fand I. die TLegal'sche und die Lieben’sche Reaction im ITarndestillat bei einer nicht hungernden Person, dieselbe hatte früher öfter gehungert, jetzt aber den Harn geflissentlich 21/, Tage nicht entleert, später verschwand die Reaction wieder.

Die Acetonurie ist also nicht an schwere nervöse Zustände, sondern an unge-

nüsende Ernährung gebunden.

Man trifft bei Hungernden unter scheinbar gleichen Verhältnissen ein Mal Ace- tonurie, ein anderes Mal Diaceturie, es scheinen also beide nicht wesentlich ver- schieden, im einen Falle geht die Zersetzung schon theilweise im Organismus, im andern erst während der Destillation vor sich, wo aber die bei der Destillation Aceton gebenden Stoffe im Organismus gebildet werden, ist nicht bekannt. Schliess-

u, 8

lich hebt L. hervor, dass er zweifle, dass das Aceton schon im Harn der Hungernden vorkormme, vielmehr handle es sich seiner Meinung nach dort noch um Vorstafen des Acetons. ' Zander.

23) Die Variabilität der Wahnvorstellungen und Sinnestäuschungen. Mit weiteren Bemerkungen über diese. Von Koch, Zwiefalten. (Allg. Ztschr. f. Psych. 1885. XLIL. 1.)

K. knüpft an die Beobachtung, dass die aus Sinnestäuschungen entstehenden Wahnvorstellungen bei demselben Kranken variiren, dass es mit den sogenannten fixen Ideen Nichts ist, weitere Bemerkungen über die Natur und die Entstehung der Wahnvorstellungen. Siemens.

Therapie.

24) Della trefusia agli alienati, pel dott. P. Madone. (Arch. ital. per le mal. nervos. 1885. XXII. p. 267.)

Es liegt sehr nahe in Fällen von Geistesstörung, welche auf schwerer Anämie, Hydrämie oder auch auf constitutionellen Allgemeinerkr.nkungen zu beruhen scheinen, die Heilung durch eine Aenderung der Ernährung resp. der Blutmasse selbst in qualitativer und quantitativer Hinsicht zu unterstützen. Abgesehen von diätetischen Mitteln ist natürlich das Eisen in den verschiedensten Präparaten zu diesem Behufe versucht worden; in neuerer Zeit hat man sich Öfters zu einem direoten Eingriff in die Blutmischung, zur sogenannten Transfusion in ihren verschiedenen Methoden ent- schlossen, und jetzt wird wieder ein mehr diätetisches Verfahren empfohlen: die Trefusio nach Ricchi und Blessick. Dieselbe besteht in der innerlichen lrar- reichung eines eigenthümlichen Präparates, das aus Ochsenblut dargestellt wird und das Blutalbumin, sowie die Blutkörperchen in Gestalt eines trocknen Pulvers enthält. Die Dosis beträgt meistens 2mal am Tage je 3 Gramm in Milch gelöst und soll gewöhnlich gut vertragen werden; die Dauer der Anwendung betrug meistens einige Monate.

Von 34 anämischen und decrepiden Irren, unter denen sich allerdings 14 Fälle von Pellagra und 1 Idiot befanden, wurden 17 geheilt und 17 gebessert in soma- tischer Hinsicht; in psychischer Hinsicht wurden ebenfalls 17 geheilt und die Uebrigen nur in geringem Grade beeinflusste Da sich die geheiltien Irren fast ausschliesslich noch in den ersten Monaten ihrer Krankheit befanden, in denen die Aussichten auf eine Genesung ja überhaupt am günstigsten sind, so ist die Heilung wohl nicht allein auf die ‚„Trefusie‘ zurückzuführen. Unbestreitbar jedoch scheint der wohl- thätige Einfluss der letzteren auf die Besserung des gesammten Ernährungszustandes, die keinmal ganz ausblieb.

Ueber die Darstellung des Präparates ist auffallender Weise nichts genaueres mitgetheilt. Sommer.

25) Parthenin in malarial Neuralgias, by Dr. Esperon. (Medical Times. 1885. Nr. 1832. p. 197.)

E. empfiehlt in einem medicinischen Blatte von Habana Parthenin, das Extrakt einer einheimischen Pflanze, Escoba Amorga, als Mittel gegen Neuralgien, die durch malarische Infection entstehen. Er wandte es bei Ovaralgie, bei Coccygodynie und Gesichtsneuralgie mit gutem Erfolge an. Zweiständlich wird davon eine Pille gegeben. dieselbe enthält 0,16 gr. Ruhemann.

429

IH. Aus den Gesellschaften.

Clinical Society of London. Sitzung vom 24. April 1885. (Brit. med. Journ. 1885. 2. May. p. 893.)

Sporadischer Cretinismus, Vortrag und Demonstration von Dr. Sidney Phillips.

Ph. stellte ein 10jähr. imbecilles Kind, aus völlig gesunder Familie stammend, als einen Fall von sporadischem Cretinismus vor. Das Kind wog bei einer Länge von etwa 83 cm 16,2 Kilo’; sein Schädel war abnorm gross, die vordere Fontanelle noch nicht geschlossen. Im Gesicht bestand chronisches Myxoedem der Lippen und der Wangen; die Zunge war stark verlängert und verdickt; zu beiden Seiten des Halses waren grosse Massen von Fett abgelagert, während die Glandula thyreoidea völlig fehlte. Der Vortragende wies alsdann darauf hin, dass in der neuesten Zeit von verschiedenen Autoren (Curling, Hilton Fagge u. A.) 10 Fälle von Idiotie mit Myxoedem und Mangel der Gl. thyreoidea veröffentlicht worden sind. In der Annahme, dass ein gewisser causaler Zusammenhang zwischen diesen drei Abnormi- täten vorbanden sei, stimmt zunächst die alte Beobachtung Fodör6’s der sehr häufig chronische Oedeme bei cretinösen Kindern sah; ferner stimmt dazu, dass Horsley bei Affen durch Entfernung der Gl. thyreoidea Myxoedem hervorzurufen vermochte, und dass Kocher nach Exstirpation der Schilddrüse auch bei Menschen Imbecillität und Apathie eintreten sah.

Als auffällig wird noch erwähnt, dass in dem vorliegenden Fall ein heftiger Schreck der Mutter, während sie mit dem Kinde schwanger ging, vielleicht von Ein- fluss auf die Entstehung des cretinösen Zustandes gewesen ist. (?) Unter jenen 10 Fällen (incl. des neuen von Dr. Philipps) behaupteten dreimal die betreffenden Mütter einen derartigen Zusammenhang.

Mit demselben Thema, nämlich über den Zusammenhang zwischen Defect der Schilddrüse einerseits und Myxoedem und Imbecillität andererseits, beschäftigen sich auch zwei Vorlesungen, welche der schon erwähnte Dr. Horsley im December 1884 an der Londoner Universität gehalten hat (cfr. British ıned. Journ. 1885. 17. Jan... p. 111—115 und 31. Jan. p. 211— 213).

Nach seinen Untersuchungen besteht die Schilddrüse aus zwei verschieden functionirenden Theilen: ein Theil der Drüsensubstanz hat die Aufgabe, Mucin auf- zuspeichern resp. später zu zersetzen, während der Rest „blutbildend“ ist, Die Ex- stirpation der Schilddrüse bedingt daber eine Anhäufung von Mucin, besonders in den Organen, in denen an und für sich schon Schleimgewebe vorkommt, dann :..er auch die Aussonderung von Mucin durch Drüsen, die sonst kein Mucin excerniren, wie die Parotis, und ausserdem eine starke Beeinträchtigung der „Blutbildung“ (Ab- nahme der Blutkörperchen und Aenderungen im Gehalt an Eiweiss, Fibrin und Mucin). Ausserdem ist aber als regelmässiger Folgezustand eine Störung der motorischen Functionen der Körpermusculatur durch Paresen, Tremor und Rigidität, und eine sich öfters bis zum terminalen Coma steigernde Benommenheit und Demenz zu beobachten; über die Ursache dieser cerebralen Störungen liegen bisher freilich kaum Ver- muthungen vor. Jedenfalls stimmen die experimentellen Erfahrungen Horsley’s genau zu den bisherigen Beobachtungen über Combination von Cretinismus, Myxoedem und Defect oder Erkrankung der Schilddrüse. Sommer.

40 °

IV. Bibliographie.

Die Krankheiten des Bückenmarkes, von Byron Bramwell. 2. Auflage. Nach der 2. englischen Auflage vermehrt und verbessert von Dr. Max Weiss. (Wien 1885.)

Ueber Sclerose des Bückenmarkes einschliesslich der Tabes dorsalis und anderer Bückenmarkskrankheiten, von Julius Althaus. (Leipzig 1884.)

Die Bramwell’schen Vorträge über Rückenmarkskrankheiten erschienen in erster Auflage 1882 (vgl. die Besprechung derselben im 1. Jahrg. d. Ctrlbl. S. 384). Das Buch ist von sehr ungleichem Werthe. Seine wesentlichen, Vorzüge liegen nach der pathologisch-anatomischen Seite hin; hier fusst der Verf. auf eigenen Untersuchungen; die sehr zahlreichen Abbildungen (in den Text eingedruckte Holzschnitte und sehr gute Chromolithographien mikroskopischer Präparate) sind grösstentheils Originale, nur weniges davon den Arbeiten von Flechsig, Charcot etc. entnommen.

In meist genügender Weise ist auch die Physiologie und allgemeine Pathologie des Rückenmarks, sowie im Anschluss daran die Methodik der klinischen Unter- suchung (diese allerdings etwas schematisch) bearbeite. Hier ist beispielsweise der Abschnitt über die Untersuchung der sensorischen Functionen der Haut $. 148 recht oberflächlich; Prüfung der allgemeinen Empfindlichkeit für den elektrischen Reiz wird gar nicht erwähnt. Der speciell-pathologische Theil ist sehr ungleich; über manche Abschnitte haben dem Verf. offenbar keine eigenen Erfahrungen zu Gebote gestanden. Diesem Theile vorauf geht eine „tabellarische Classification der Rückenmarkserkrankungen“. Hier unterscheidet B. organische und functionelle Affeotionen, und weist der Rückenmarkserschütterung eine Rolle zwischen diesen beiden Hauptgruppen an. Auffällig ist, dass bei der tabellarischen Classification der Vorderhornerkrankungen die „Paralysis pseudohypertrophica“ mit aufgeführt ist und zwar unter den „primären Systemerkrankungen“, während die specielle Dar- stellung dieses Leidens dagegen aus dem Text entfernt und (wegen der Integrität des Rückenmarks, die neuere Befunde ergeben haben) in den „Anhang“ verwiesen wurde DB. selbst hat, wie schon aus der ersten Auflage bekannt ist, ebenso wie früher Drummond, Erweichung und Spaltbildung in der grauen Substanz, beson- ders entzündliche Erweichungsherde um die Blutgefässe in der Cervicalanschwellung in einem Falle gefunden. Uebersetzung und Ausstattung des Werkes sind r6cht gut.

Das Buch von Althaus, welches einen verwandten, wenn auch etwas engeren Gegenstand behandelt, legt im Gegensatze zum vorigen das Schwergewicht durchaus auf die klinische Seite der dargestellten, als „Sclerosen‘“ des Rückenmarks zusammen- gefassten Krankheitsformen. Den breitesten Raum nimmt hier selbstverständlich die Tabes dorsalis ein. Das zweite Capitel behandelt die pathologische Anatomie, das dritte die Pathogenese, das fünfte die Aetiologie dieser wichtigsten und häufigsten chronischen Erkrankungsform des Rückenmarks. Besonders eingehend und ausführ- lich ist das 6. Capitel: „die Erscheinungen: der Tabes“, wobei die jetzt gebräuch- liche Eintheilung in drei Perioden zu Grunde gelegt ist. In Capitel 7—9 werden die Diagnose, Prognose und Behandlung der Tabes abgehandelt. Aus dem thera- peutischen Capitel ist die Empfehlung des Ergotins als eines „werthvollen Tabes- mittels“ hervorzuheben. In der Faradisation der Haut sieht A. mit Recht nur eine Unterstützung, keinen Ersatz der galvanischen Behandlung. Die übrigen Capitel (10—17) des Buches beziehen sich auf Friedreich’sche Krankheit, spastische Spinalparalyse, amyotrophische Lateralsclerose, secundäre Seitenstrangsclerose, Sclerose der Goll’schen Stränge, multiple Sclerose, Pseudosclerose (Westphal) und oom- binirte Sclerose der Hinter- und Seitenstränge. Zahlreiche selbst beobachtete Kranken-

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geschichten (69), sowie neun in den Text aufgenommene Holzschnitte schema- tische Rückenmarksdarstellungen erhöhen die Brauchbarkeit des fliessend ge- schriebenen, für den Praktiker empfehlenswerthen Buches. A. Eulenburg.

Ueber einige Grundformeln des neuropathologischen Denkens, von M. Bene- dikt. (Wiener Klinik. 1885. Viertes Heft.)

Wiedergabe eines von B. in der Gesellschaft Wiener Aerzte am 27. Febr. 1885 gehaltenen Vortrags. Wenn auch die durch den Titel angeregten Erwartungen vielleieht nicht ganz dem wesentlichen Inhalte des Schriftchens entsprechen, so ist letzteres darum doch nicht minder interessant und, wie Alles, was aus B.’s Feder stammt, reich an originellen und frappanten Bemerkungen. In der Hauptsache beschäftigt sich der Vortrag mit den Principien, nach welchen die Symptome bei centralen, besonders bei den chronischen (progressiven) centralen Nervenerkrankungen zu beurtheilen, resp. diagnostisch zu verwerthen und von einheitlichen Gesichtspunkten aus aufzufassen sind. B. erörtert hier insbesondere den Begriff der „Systemerkran- kungen“, welcher nach seiner Ansicht nicht nothwendig eine primäre Erkrankung der Nervensubstanz involvirt, sondern ebensogut auch eine solche der Stützsubstanz oder der Gefässe; es kann daher auch bei Intoxication eine Systemerkrankung auf- treten, wenn alle (die nervösen und die nicht-nervösen) Theile eines Systems dieselbe Resistenzunfähigkeit gegen das schädliche Agens darbieten: syphilitische Tabes. Die Gruppirung der Erkrankung um die Gefässe (Adamkiewicz) spricht daher auch nicht gegen eine Systemerkrankung. Die Strümpell’sche Ansicht einer angeborenen Prädisposition der Muskeln bei Paralysis agitans wird von B. bekämpft, welcher in der genannten Krankheit vielmehr eine Form chronischer Neuritis centralis im Quer- schnitt des Oculomotoriuskerns (Vierhügelregion) zu erblicken geneigt ist; auch die progressive Muskelhypertrophie hält B. nicht für ein Muskelleiden, sondern für eine centrale Erkrankung, da sie ganz nach dem Typus der progressiven Spinalaffection fortschreitet. Weiter erörtert B. eingehend die Frage nach der Betheiligung der einzelnen Factoren des anatomischen Processes bei progressiven centralen Neurosen; besonders nach der Rolle des Stützgewebes. Die Frage der „Bindegewebswucherung“ entscheidet er im Anschlusse an Rokitansky und Frommann und auf Grund eigener Untersuchungen, dahin, dass das Bindegewebe zuerst in eine „blasenartige“ (hyaline) Masse umgewandelt werde, aus welcher dann erst das wuchernde Binde- gewebe hervorgehe; dass also der Neubildung eine Rückkehr des Gewebes in den blasenartigen (oder „embryonalen“ Stricker) Zustand ein „Rückgang so zu sagen in den Urbrei“ vorausgehen müsse Die essentiellen Gewebselemente erkranken nach B. mit primärer Schwellung, welcher aber (wegen ihrer grössern Labilität) Atrophie und Zerfall, resp. Ersatz durch das aus der blasenartigen Glia hervorgehende fibrilläre Gewebe sehr bald folgt. Auch die Gefässe betheiligen sich in Form von Hyperämie und miliaren Entzündungsprocessen (Clarke’s granular desintegration), zum Theil auch Umschmelzung ihrer Wandungselemente in eine ähnliche hyaloide Masse, wie die durch Umwandlung des Stützgewebes gebildete. Jeder der 3 Fae- toren, Stützgefässe, Nervensubstanz und Gefässe, kann unter Umständen primär affi- eirt sein; hervorzuheben ist aber, dass nach B. auch functionelle Reizungen zu einer primären Störung nicht in der Nervensubstanz, sondern im Stützgewebe eines be- stimmten Systems führen können; dass ferner nicht blos die Nervensubstanz, sondern auch das Stützgewebe auf Grund hereditärer Anlage sich widerstandsunfähiger gegen Schädlichkeiten (resp. gegen functionelle Reize) verhalten kann. Endlich kann auch bei primärer Circulationsstörung (durch Congestion, Stase und Exsudation) eine Schwellung sowohl des Stützgewebes wie des essentiellen Gewebes zu Stande kommen, wobei jenes wuchert, dieses aber zu Grunde geht. Die Bilder der pathologischen Anatomie liefern nach B. keine Sicherheit dafür, von welchem Gewebe der Process

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ausgegangen sei; die klinische Erfahrung spricht dafür, dass bei anscheinend gleichem Symptomenbilde der Mechanismus und die Entwickelungsart wesentlich verschieden sein können, was auch prognostisch von Wichtigkeit ist. A. Eulenburg.

Resalencyclopädie der gesammten Heilkunde, herausgegeben von Prof. Eulen- burg. (Wien 1885. Urban & Schwarzenberg.)

In der Fortsetzung des Werkes (Lieferung 11—20), auf dessen Erscheinen wir bereits 8. 24 und S. 215 d. Jahrgangs aufmerksam gemacht haben, sind folgende für den Neuropathologen wichtige Artikel erschienen: Ataxie von Pick, Athetose und Beschäftigungsneurosen von Berger, Atremie von Eulenburg, Augenmuskel- lähmungen von Hock, Basedow’sche Krankheit von Guttmann, Beriberi von Wer- nich, Bilateralismus von Samuel. Wir kommen auf die einzelnen Artikel noch referirend zurück. M.

V. Vermischtes.

Quarto censimento dei pazzi ricoverati nei diversi manicomj ed ospitali d'Italia,

per il dott. Andrea Verga. (Arch. ital. per le mal. nervos. ecc. XXII. p. 306.)

Aus der angezeigten Arbeit, die sich ihres statistischen Inhaltes wegen selbstverständ- lich einem kurzen Referate entzieht, seien hier nur einige interessante Zahlen mitgetheilt.

Am 31. December 1883 gab es im Königreich Italien 72 Irrenanstalten resp. Irren- abtheilungen an allgemeinen Krankenhäusern. Es befanden sich in denselben 19656 Irre, und zwar 10291 Männer und 9365 Frauen. Die Bevölkerung Italiens zählte an demselben Tage 14557405 Männer und 14453247 Frauen, zusammen 29010652 Individuen. Auf 100000 Einwohner kommen 67,75 Anstaltsinsassen (70,69 resp. 64,80); 1 Anstaltsinsasse kommt auf 1476 Einwohner und zwar auf 1415 Männer und auf 1543 Frauen. In den ein- zelnen Provinzen schwanken diese Zahlen schr bedeutend. So kommen in Ligurien 121,7, in der Emilia gar 127,3 Anstaltsinsassen auf 100000 Einwohner, in Neapel aber nur 24,0 und auf der Insel Sardinien gar nur 17,0. Sommer.

Therapie des Irreseins bei den Eingeborenen der Insel Luzon.

Geistesstörungen, wie jede andere Krankheit, können durch einen bösen Dämon, den Mangcoculam, veranlasst werden. Er braucht einer Puppe mit einer Nadel nur Stiche in den Kopf zu versetzen, um einer bestimmten Person Kopfschmerzen oder Irresein zu ver- ursachen. Ist Jemand dann psychisch erkrankt, so einigen sich die zur Hülfe herbeigerufenen Aerzte resp. Geisterbeschwörer gewöhnlich dahin, den Patienten zu martern, weil ja nicht er, sondern der Mangcoculam die Schmerzen empfände und dadurch leicht aus dem Körper des Kranken herausgetrieben werden können. Wenn die Angehörigen mit dieser Cur ein- verstanden sind, so wird der Patient fest gebunden und erbarmungslos geprügelt, bis er genesen oder todt ist. Kürzlich wurde wegen eines derartigen Falles die gerichtliche An- zeige bei den spanischen Behörden gemacht und in der Folge wurden die „Aerzte“ zu schweren Gefängnissstrafen verurtheilt. (Globus. 1885. XLVII. 8. 314.) Sommer.

————— mm mn

Die Zahl der gezählten Geisteskranken in den vereinigten Staaten Nord- ameorikas war 1865: 24042, 1870: 37432, 1880: 91959. Die Zunahme betrug also in 10 Jahren fast 150°),, während die Bevölkerung um 26°), zunahm. Die Zunahme beruht zum grossen Theil auf genauerer Zählung. Es sind 80 Staats- und 40 Privatanstalten in jenen Staaten. Im Staate New York giebt es 35 Irrenanstalten, die 11348 Run: haben.

Druckfehlerberichtigung. Auf Seite 395 (vorige Nummer) lies Zeile 7 von oben „dennoch“ statt „demnach‘“.

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Vzır & Com. in Leipzig. Druck von MeTz0eR & Wırre in Leipzig.

NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendoel Vierter | BUBEN: Jahrgang.

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Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhsndlung.

1885. 1. October. No: 19,

m

Inhalt. I. Originalmittheilungen. Beitrag zur Lehre der multiplen Neuritis bei Pota- toren, von Richard Schulz.

li. Referate. Anatomie. 1. The Plan of the Central Nervous System, by Hill. Experi- mentelle Physiologie. 2. Wie sind die Erscheinungen zu verstehen, die nach Zerstörung des motorischen Rindenfeldes an Thieren auftreten? von Bechterew. Pathologische Anatomie. 3, Ein Fall von Ependymwucherung mit subependymärer Sclerose im Bereiche der Hirnventrikel bei einem Paralytiker, vorzüglich auch als Beitrag zur Lehre von der pathologischen Fasernenbildung im Gehirn, von Friedemann. Pathologie des Nerven- systems. 4. Zur Symptomatologie der Epilepsia mitior, von Merklin. 5. Note sur un cas d’öpilepsie tardive, par Söglas. 6. Epilepsie tardive; amelioration progressive; hömorrhagie c6rebrale, marche de la temperature, mort, par Bourneville et Dubarry. 7. Ein Fall von syphilitischen (?) Geschwülsten der Gebirnhäute, von Althaus. 8. Ueber Complication von

erpes Zoster occipito-collaris mit schwerer peripherer gleichseitiger Facialis-Paralyse, von Voigt. 9. Ueber Complication von peripherischer Facial-Paralyse mit Zoster faciei, von Eulenburg. 10. Zur Pathogenese des peripherische Facialis-Paralysen gelegentlich compli- cirenden Herpes Zoster, von Remak. 11. Remarks on locomotor ataxia by Canfield. 12. Ein Fall von Parese beider Ober- und Unterextremitäten im Anschluss an Erysipelas faciei, von Brieger. Psychiatrie. 13. Ett fall af akut mani med plötslig död, af Holsti. 14. Mania accessuale con febbre 6 delirio acuto, per Peli. 15. Ein Fall von acutem, tödtlichem Irresein mit localisirten Krämpfen, von Levy. 16. Zum sogenannten hallicinatorischen Wahnsinn, von Mayser. 17. Tbe narrative of Mr. H. the portrait-painter, analiysed and critically examined, by Guy. Therapie. 18. Praktische Beiträge zur Anwendung der Elektricität bei Geistes- kranken, von von der Hayden.

IH. Aus den Gesellschaften.

I. Originalmittheilungen.

Tune —n

Beitrag zur Lehre der multiplen Neuritis bei Potatoren. (Aus dem herzoglichen Krankenhause zu Braunschweig.) Von Dr. Richard Schulz, Vorstand der medicinischen Abtheilung. Die Lehre von der „multiplen Neuritis“ ist verhältnissmässig neuerer Zeit und dürfte es deshalb eigentlich unnöthig sein, eine Darstellung der geschicht-

lichen Entwickelung derselben zu geben. Nur in Kürze seien die Hauptsachen angeführt. 2

434

Nach dem Lerypven! in seiner grundlegenden Arbeit über „Poliomyelitas und Neuritis“ die „multiple Neuritis“ als eigenartige wohl charakterisirte Krank- heitsform hingestelt und das bis dahin vorliegende ähnliche Material in er- schöpfender Weise kritisch gesichtet hatte, flossen die ersten gleichen Beobach- tungen, wie es stets bei einer neuen Lehre zu geschehen pflegt, spärlich (MELCHERT,? STRUBR,® Kast,* Casparı,’ PIERSoN®),

Durch die ersten Arbeiten Scueupe’s’ (Bäız, Zeitschr. f. klin. Med. 1882. Bad. IV. H. 4. S. 616: „Ueber das Verhältniss der multiplen peripherischen Neu- ritis zur Beriberi [Panneuritis eudemica]“.) über die japanische Kak-ke (Beri- beri) erhielt die neue Lehre wesentliche Unterstützung, welche durch die neuesten Arbeiten desselben Autors (Virchow’s Arch. 1884. Bd. 95. S. 146 und Bd. 99. H. 3. S. 531) nur verstärkt wurde und durch Könıser® besonders hinsichtlich der Aetiologie der Erkrankung nicht erschüttert werden konnte.

Weiterhin ist die Lehre sehr gefördert worden durch eine Arbeit STRÖM- PELL’s, „Zur Kenntniss der multiplen Neuritis“,® welcher sich rasch neue Beobach- tungen von MüLtLER!? und VIERORDT!! anschlossen. Aus neuester Zeit sind zu verzeichnen die Arbeit S. G. Wesper’s-Boston,!? welche zeigt, dass auch jenseits des Oceans das Studium der multiplen Neuritis mit Eifer betrieben wird, ferner die Beobachtungen von Hırr,!? LöwEnFreELn,!* OPpenHem!® und Remarx.!®

Das Verdienst, zuerst eine lehrbuchartige Darstellung gegeben zu haben, welche die Kenntniss derselben in die weiteren Kreise der praktischen Aerzte trägt, gebührt StrüömreuL (Lehrbuch der speciellen Pathologie und Therapie der Krankheiten des Nervensystems. 1884).

Von fast allen Autoren ist übereinstimmend angenommen worden, dass die multiple degenerative Neuritis eine Erkrankung rein peripherer Natur sei,

! Zeitschr. f. klin. Med. 1880. Bd. L H.3.

* Inaug.-Dissert. Greifswald 1881. Beitrag zur Diagnose der subacuten Poliomyelitis und multiplen degenerativen Neuritis.

® Deber multiple Neuritis. Berliner Dissert. 1881.

* Beiträge zur Lehre von der Neuritis. Arch. f. Psych. 1881. Bd. XII. S. 266.

5 Zeitschr. f. klin. Med. 1883. Bd. V. S. 537.

® Weber Polyneuritis acuta (multiple Neuritis). Volkmann’s Sammig. klin. Vortr. Nr. 229. Leipzig 1888.

7 Deutsch. Arch. f. klin. Medic. 1882. Bd. 31. H.1u.2. 9.141 und H.8u. 4. 8. 807. Bd. 82. H.1.u.2. 8. 88.

® Ebenda. 1884. Bd. 34. S. 419. Ueber epidemisches Auftreten von Beriberi in Manila 1882 und 1883.

® Arch. f. Psych. 1888. Bd. XIV. 8.839.

10 Ebendaselbst 8. 668. Ein Fall von multipler Nenritis.

11 Ebendaselbst 8. 678. Beitrag zum Studium der multiplen degenerativen Neuritis.

18% Multiple Neuritis. Arch. of Med. Vol. XII. p. 33.

18 Beitrag zur Pathologie der multiplen Neuritis. Neurolog. Centralbl. 1884. Nr. 21.

1 Ein Fall von multipler Neuritis mit Athetosis. Neurolog. Centralbl. 1885. Nr. 7.

15 Deutsches Arch. f. klin. Med. 1885. Bd. 36. H. 5 u. 6. 8. 561.

18 Neurol. Centraibl. 1885. Nr. 14. Ein Fall von generalisirter Neuritis mit schweren elektrischen Alterationen auch der niemals gelähmten N. faciales.

435

dass es sich ausschliesslich handle-um eine Affection der peripheren Nerven bei Freisein des Rückenmarks.

Es verdient aber ausdrücklich hervorgehoben zu werden, dass Er! in einer sehr scharfsinnigen Hypothese der Meinung Ausdruck giebt, dass die „periphere Natur dieser Affection keineswegs so über jeden Zweifel erhaben sei“, dass es möglich und wahrscheinlich sei, „dass rein functionelle, mikroskopisch nicht er- kennbare Störungen der trophischen Centralapparate gleichwohl an der Peripherie, in den motorischen Nerven und Muskeln, mikroskopisch erkennbare histologische Veränderungen herbeiführen könnten“. Für diese Annahme, welche in der That sehr viel Bestechendes hat, und welche ich schon früher einmal zur Erklärung der neurotischen symmetrischen Gangraen? herangezogen habe, glaubt Eısen- LOHR® bei einem von ihm beobachteten Falle von multipler Neuritis in dem Befunde ausgebreiteter Vacuolisation der Ganglienzellen der Vorderhörner eine gewisse Stütze gefunden zu haben, ohne sich jedoch Er, bezüglich der Fälle, in denen sich anatomisch nichts in den Centralorganen findet, anzuschliessen.

In einer Erwiderung auf diese beiden Arbeiten betont STRÜMPELL,? dass er „ın dem Befunde EisenLoH®’s eine erwünschte Bestätigung seiner früher schon ausgesprochenen Anschauung (Il. c.) erblicke, dass nämlich eine principielle Schei- . dung der Veränderungen im Rückenmark (Poliomyelitis) und in den peripheren Nerven (multiple Neuritis) überhaupt gar nicht unter allen Umständen zu recht- fertigen sei, dass die in Rede stehenden Affectionen unter einem einheitlichen ätiologischen Gesichtspunkte (infectiöse Krankheitsursache) aufzufassen seien, dass dieselben Krankheitserreger gleichzeitig und neben einander sowohl in den peri- pherischen Nerven, als auch im Rückenmark anatomische Veränderungen hervor- rufen könnten und dass andererseits die Krankheit sich vorwiegend oder sogar ausschliesslich bald in dem Rückenmark, bald in den peripherischen Nerven localisire.‘ |

Bezüglich der Aetiologie hat die Auffassung der multiplen Neuritis als einer bestimmten Form infectiöser Erkrankung besonders in Hinsicht auf die Beobachtungen Scheupe’s und auf den Krankheitsverlauf grossen Anklang gefunden. Andererseits sind aber auch nach und nach Fälle bekannt geworden, in welchen andere Schädlichkeiten, Berufsarbeit (Hırr), toxische Einwirkungen, besonders der Alkoholmissbrauch eine bedeutsame ätiologische Rolle spielten, sodass sich STRÜMPELL der Aufgabe nicht entziehen konnte, in der zweiten Auflage seines Lehrbuches (Krankheiten des Nervensystems S. 122) diese Form der multiplen Neuritis als eine besondere, wohl charakterisirte abzuhandeln, „die

1 Neurolog. Centralbl. 1884. Nr. 21. Bemerkungen tiber gewisse Formen der neuro- tischen Atrophie (sog. mult. degen. Neuritis).

! Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 85. S. 190.

3 Neurolog. Centralbl. 1884. Nr. 7 u. 8. Ueber progressive atrophische Lähmungen, ihre centrale oder periphere Natur.

* Neurolog. Centralbl. 1884. Nr. 11. Ueber das Verhältniss der multiplen Neuritis zur Poliomyelitis.

436

chronische Neuritis. der Alkoholiker“ (Pseudotabes der Alkoholiker, Ataxie der Trinker).

In einem über „Nervenerkrankung der Alkoholisten“ am 25. Nov. 1884 in der medicinischen Gesellschaft zu Leipzig gehaltenen Vortrage (s.. Berliner klin. Wochenschr. 1885. Nr. 32. 8. 519) führt: derselbe Autor die Erscheinungen bei Alkoholneuritis genauer aus, als in seinem Lehrbuch und unterscheidet specieller die Neuritis der motorischen und sensiblen Nerven mit ihren charakteristischen Erscheinungen.

Als Fälle dieser Art, bei welchen theils die während des Lebens gestellte Diagnose post mortem ihre Bestätigung fand, welche aber auch theils in Heilung ausgingen, sind meiner Auffassung nach, welche ich weiter unten zu begründen suchen werde, anzusehen der erste Fall Stkümeeuv's (l. c.), der MüLLEr’s (l. c.), die Beobachtungen Moxur’s! und DeESCHFELD’s.?

Weiterhin sind hierher zu rechnen, wie ich in En mit EISENLOHR (s. Referat Neurolog. Centralbl. 1884. S. 498) annehme, die beiden Fälle G. Fıscuer’s® und der erste Fall Löwenreup’s,* schliesslich überein- stimmend mit Moruı (s. Referat Neurolog. Centralbl. 1884. S. 182) die beiden Beobachtungen Desgame’s.°

Vorstehenden Fällen schliesst sich in allerneuester Zeit noch die Beobach- tung LiwLienreup’s an (s. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank- . Sitzung vom 13. Juli 1885. Referat Neurolog. Centralbl. 1885. Nr. 15.

S. 353).

Diesen Beobachtungen einen weiteren Fall der schwersten Art mit Ausgang in Heilung als Vervollständigung der Casuistik anzureihen, ist Zweck nach- stehender Zeilen.

Am 16. September 1884 wurde dem herzoglichen Krankenhause von Schöppen- stedt aus der Musikus Ludwig M., 33 Jahr alt, zugeführt, angeblich an Delirium tremens leidend.

Der Patient war bei der Aufnahme vollständig ruhig, aber geistig so unklar und verwirrt, dass eine Anamnese nicht aufgenommen, auch auf seine Angaben bei Aufnahme des Status prassens bezüglich seiner subjectiven Empfindungen (Sensi- bilität, Muskelgefühl etc.) kein wesentliches Gewicht gelegt werden konnte. Erst nach seiner Wiederherstellung wurde anamnestisch Folgendes von ihm selbst erfahren. Er sei Musiker von Profession, unverheirathet und will durchaus nicht viel getrunken haben, er will immer gesund gewesen sein, abgesehen von Kinderkrankheiten. Sein Vater sei 74 Jahr alt geworden, die Mutter lebe noch, 72 Jahr alt und sei gesund. Eine Schwester sei im Wochenbett gestorben. Neuropathische Belastung nicht vor- handen. Es mag hier eingeschaltet werden, dass Erkundigungen bei dem Herrn Physicus Dr. Fromweın in Schöppenstedt eingezogen bezüglich des Potatoriums Fol- gendes ergaben:

! Statistisches und Klinisches über Alkoholismus. Charit&-Annalen. 1884. 8. 541.

? On alooholic paralysis. Brain. 1884. July p. 200212.

® Ueber eine eigenthüimliche Spinalerkrankung bei Trinkern. Arch. f. Psych. Bd. XII. H. 1. 8. 1.

* Veber Spinallähmung mit Ataxie. Arch. f. Psych. 1884. Bd. XV. H. 2. S. 488,

s Etude sur le nervo-tabes periphörique. Arch. de Physiol. norm. et path. 1884. No. 2. p. 231.

471°

„Der p. Märtens habe immer stark getrunken, dabei wenig gegessen und über- . haupt sehr unregelmässig gelebt. In Folge davon seien wiederholt Anfälle von Delirium tremens aufgetreten, der erste schon vor längeren Jahren, die aber meist schnell vorüber gegangen seien.“

Patient selbst giebt weiterhin an, dass seine letzte jetzt überstandene Erkran- kung Ende August 1884 begann mit Öfterem Schwindel, Schwäche in den Extremi- täten, welche nach und nach zunahm. Von der späteren Zeit bis’ zur Zeit seiner Aufnahme Mitte September weiss Pat. nichts mehr anzugeben. I,ues wird geleugnet.

Stat. praes. den 16. September 1884.

Mittelgrosser Mensch, mit kräftig entwickeltem Knochenbau, liegt apathisch da mit schlaff ausgestreckten Gliedern, antwortet kaum verständlich auf an ihn gerich- tete Fragen, schwatzt unklares, unverständliches Zeug vor sich hin. Percussion des Kopfes angeblich nicht schmerzhaft. Klagen über Bilder und eigenthümliche Ein- genommenheit und Unklarheit des Kopfes. Hochgradiger Strabismus conver- gens in Folge beiderseitiger Abducenslähmung, rechts stärker. Pupillen ziemlich eng, beiderseits gleich, leidlich reagirend. Lungen und Herz normal. Beim Ver- such, den Patienten auf die Beine zu stellen, knickt derselbe schlaff in den Knisen zusammen.

Musculatur der Arme und Beine bedeutend abgemagert, schlaf. Muskel- kraft in den Armen und Beinen hochgradig herabgesetzt. Sensibilität an allen Extremitäten anscheinend erhalten, ob Parästhesien vorhanden sind, ist nicht zu er- fahren, ebenso nicht, ob Schmerzen in den Extremitäten bestehen. Anscheinend sind die grossen Nervenstämme bei Druck nicht schmerzhaft. Ueber das Muskelgefühl ist bei der Unklarbeit des Pat. ebenfalls nichts zu erfahren. Auf Ataxie kann nicht untersucht werden, da Pat. keine Bewegungen auszuführen vermag.

Die Patellarreflexe sind vollständig aufgehoben. Die Bauchreflexe und die Plantarreflexe sind ziemlich lebhaft.

Der weitere Verlauf war folgender: Der Patient lag meist ruhig vor sich bin, war bald klarer, auf an ihn gerichtete Frage einigermaassen Antwort gebend, bald verwirrter, ass und trank, was ihm gereicht wurde, war wegen der lähmungsartigen Schwäche nicht im Stande, selbst zu essen, liess Stuhl und Urin unter sich gehen. Der Strabismus convergens nahm zu, die rechte Pupille wurde etwas weiter als die linke, träge Lichtreaction.

Eine am 25. September zuerst vorgenommene elektrische Untersuchung ergab höchstgradige Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit der Nerven und Muskeln für beide Ströme. ohne qualitative Veränderungen. Am 29. Sept. klagte Pat. zuerst über Schmerzen in den Armen und Beinen. Während bisher kein Fieber vorhanden war, traten leichte Fieberbewegungen bis 38,4° C. auf, die am 4. und 5. October eine Höhe von 40,2 unter Zunahme der Schmerzen, Schwellung und Böthung verschiedener Gelenke, des linken Ellenbogengelenks, linken Fuss- und Kniegelenks, erreichten, aber auf Gebrauch grösserer Dosen von Natr. salicyl. schon in .den nächsten Tagen mit dem Fieber abnahmen und am 12. October vollständig verschwunden waren. Gleichzeitig hatte der Strabismus convergens be- deutend abgenommen. Die Abmagerung der Extremitäten hatte um diese Zeit noch zugenommen. Die Musculatur war vollständig schlaff und lappig.

Eine am 15. October zum zweiten Male vorgenommene elektrische Untersuchung ergab genan die Verhältnisse, wie am 25. September, wiederum keine Entartungs- reaction. Ohne besondere Klagen lag Patient in seinem Bette, der Zustand blieb im Wesentlichen längere Zeit unverändert und wurde dann allmählich besser. Auf eindringliche Fragen liess er Klagen über Schwäche in den Extremitäten und über Kopfschmerzen laut werden.

Am 6. November findet sich in der Krankengeschichte notirt: Pat. ist geistig noch völlig wirr. Körperlich ist das Befinden bedeutend besser geworden. Pat.

2

438

kann ohne Hülfe essen und trinken, setzt sich auch selbst im Bette auf und kann die Beine aus dem Bette heben.

Die Therapie hatte in dieser ganzen Zeit seit Verschwinden des Fiebers bestanden in Kal. jod. 5,0:150,0 3mal täglich 1 Esslöffel.

Am 9. November findet sich in der Krankengeschichte: Pat. ist jetzt recht gesprächig, erzählt auf Verlangen aus seiner Vergangenheit, scheinbar vernünftig. Die Patellarreflexe, welche die ganze Zeit fehlten, sind wieder schwach angedeutet. Muskelkraft der Beine besser, ebenso des rechten Armes, weniger des linken. Pat. kann Urin und Koth halten. Nervi ischiadici und bra- chiales auf Druck sehr schmerzhaft. Keine objectiven Sensibilitätsstörungen. Leichte Parästhesien.

Ordination. Tägliche centrale und periphere Galvanisation.

Der Zustand besserte sich nun immer weiter.

Eine am 21. November vorgenommene Untersuchung ergab die Hautreflexe, Plantar-, Cremaster- und Bauchreflex sehr lebhaft, die Patellarreflexe ange- deutet, keine Ataxie, Muskelgefühl normal, Muskelkraft noch immer sehr herabgesetzt, aber doch schon gestiegen. Eine vorgenommene Messung der Beine ergab: Umfang der Oberschenkel 20 cm oberhalb des Capit. fibulae rechts 36,5 cm, links 36 cm. Umfang der Kniee über der Mitte der Patella gemessen rechts 32 cm, links 31 cm. Umfang der Waden 24 cm oberhalb des Malleol. intern gemessen, rechts 29 cm, links 28,5 cm.

Während bis jetzt mit beiden elektrischen Stromarten keine Reaction zu erzielen war, wurde am 26. Nov. angedeutete faradische Erregbarkeit constatirt und wurde von jetzt ab jeden zweiten Tag kräftige Faradisation der Wirbelsäule und Extremi- täten vorgenommen. Pat. wurde von Tag zu Tag frischer, sass viel im Bette mit heraushängenden Beinen und vermochte mit Unterstützung einige Schritte zu gehen, jedoch klagte er hierbei viel über Schmerzen in den Beinen. Der Gang war ängst- lich und breitspurig, unsicher und unbeholfen, hatte etwas an Ataxie Erinnerndes. Die Musculatur wurde fester und kräftiger, die psychischen Störungen verschwanden mehr und mehr.

Eine am 9. December von Herrn Augenarzt Dr. SoHÄrER vorgenommene Unter- suchung ergab ophthalmoskopisch vollkommen negativen Befund. Mitte December war die galvanische und faradische Erregbarkeit der Extremitäten-Nerven und -Muskeln vollkommen normal.

Pat. war seit Mitte Januar den ganzen Tag ausser Bett, es bestanden aber immer noch Klagen über Schmerzhaftigkeit in Beinen, Druckempfindlichkeit der grossen Nervenstämme, Flimmern vor den Augen.

Am 28. Januar war der Oberschenkelumfang an den früher angegebenen Stellen gemessen: rechts 41,5 cm, links 40,5 cm, das Knie über der Patella rechts 35 cm, links 34 cm, der Wadenumfang beiderseits 34,5 cm.

Der Pat. wurde am 16. März mit einem Körpergewicht von 158 Pfund geheilt entlassen. Die Patellarreflexe waren deutlich, aber immer noch etwas schwach. Der Gang hatte noch etwas steifes und eckiges atactisches, mit den Fussspitzen nach aussen, er erinnerte an den Gang alter Tanzmeister.

(Schluss folgt.)

459

Il. Referate.

Anatomie.

1) The Plan of the Central Nervous System, by Alex. Hill. (Dissertation. Cambridge 1885.)

Des Verfassers Standpunkt bei der Darlegung des Aufbaues des Centralnerven- systems ist in den einleitenden Worten niedergelegt „Das Nervencentrum ist die Chimera der Anatomen, eine erdichtete Mischung von nicht Zusammengehörigem, die nirgendwo wirklich nachweisbar ist“. Er beabsichtigt zu zeigen, dass nur zweierlei auffindbar ist; motorische und sensible Leitungsbahnen im basalen Theile des Systems und ein höherer corticaler Mechanismus, mit dem diese Fasern in Verbindung stehen. Die Resultate der bisherigen mikroskopischen Untersuchungsmethoden können nur mit äusserstem Misstrauen aufgenommen werden; es ist an der Zeit, sich zu den funda- mentalen morphologischen und physiologischen Betrachtungen zu wenden, wenn der Structurplan des betreffenden Organs begriffen ‚werden soll (Fast wörtlich. RBef.).

Mit so grossen Absichten tritt er nun an die Betrachtung der anatomischen Verhältnisse heran. Die Ganglienzellen sind nur Knotenpunkte zahlreicher Fasern. In sie münden die peripherischen Nerven. Bis hinauf zum Mittelhirn (inclus.) bildet die centrale graue Substanz nur die „primären Metamerencentren‘“ für die aus den betreffenden Theilen kommenden Nerven. Vom Sacralmark bis zum Thalamus stehen die Nervenelemente in deutlicher numerischer Beziehung zu den eintretenden oder abgehenden Fasern. Auch da, wo die sogenannten Centren (in der Oblongata) liegen, ändert sich dieses Verhältniss nicht. Auch die Basalganglien werden dieser Auf- fassung eingezwängt. Der Thalamus ist nur das primäre Metamerencentrum des Opticus. In seinen vordersten Theil mündet via Fornix der Olfactorius. Bei Pho- caena, welcher einen auffallend dünnen Olfactorius hat, ist kein Lobus pyriformis, kein Hippocampus major und nur ein sehr rudimentärer Fornix vorhanden. Das Corpus striatum entspricht einem Stück des höheren corticalen Centrums. Es atro- phirt nicht, wenn auch ein grosser Theil der Rinde untergeht (oberflächliche Unter- suchungen an einem mikrocephalen Gehirn). Es ist hier nicht möglich, auf alle die wesentlich speculativen Angaben des Verfassers einzugehen. An Vorstehendem ist gezeigt, in welcher Weise er sich mit den zahlreichen und aller Welt bekannten bereits feststehenden Facten der Hirnanatomie abfindet.

Der zweite Theil der Dissertation behandelt den höheren corticalen Mechanis- mus. Vorn am centralen Nervenrohr, welches aus einer inneren grauen und einer äusseren weissen Schicht besteht, tritt ein äusserer grauer Ring neben diesen Schichten auf, die Rinde. Die von ihr überzogenen Hemispären haben eine Spiralwindung nach rückwärts durchgemacht. So ist der Verlauf des Fornix zu erklären, so kommt es, dass die ursprünglich aus dem Thalamoencephalon stammenden Olfactorii eine secundäre Verbindung mit dem hinteren und unteren Theil des Vorderhirns einge- gangen sind. Doch windet sich Verfasser nur mit grosser Mühe um die Schwierig- keiten, die einer solchen Auffassung des Olfactoriusursprunges entgegenstehen, herum. Netzhaut und Bulbus olfactorius sollen ganz oder fast ganz gleich gebaut, die Gang- lienzellen in ihnen homolog den Spinalganglien anderer Nerven sein. Vom corti- calen Mechanismus ist nicht viel die Rede. Die Arbeit, welche vom hohen Ross der Speculation herab die Facta der Hirmanatomie recht willkürlich zurecht legt, wirkt vielleicht anregend, aber nicht befriedigend.

Edinger, Frankfurt a. M.

MM

Experimentelle Physiologie.

2) Wie sind die Erscheinungen zu verstehen, die nach Zerstörung des motorischen Rindenfeldes an Thieren auftreten? von Dr. W. Bech- terew in St. Petersburg. (Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. XXXV.)

Im Gegensatz zu Schiff, welcher die nach Exstirpation des motorischen Rinden- feldes an Thieren beobachteten Bewegungsstörungen auf Beeinträchtigung des Tast- gefühls zurückführt, hält B. seine Ansicht! aufrecht, dass es sich dabei um Zerstö- rung echter Bewegungscentren handele. Denn wenn man genau nur das motorische Centrum einer Extremität, ermittelt durch die vermittelst schwacher Ströme erhaltenen Zuckungen, exstirpirt und nicht in benachbarte Rinde übergreift, so erhält man keine nachweisbare Sensibilitätsstörung an dieser Extremität. Fand Schiff eine solche, so ist er, wie er auch selbst zugiebt, über die Grenzen des betreffenden Centrums mit seinem operativen Eingriff hinausgegangen. B. theilt einen neuen Versuch an einer Katze ausführlich mit, bei welcher bestimmt keine Sensibilitätsstörung neben den Lähmungserscheinungen eintrat, bei welcher also diese auch nicht von einer Sensibilitätsstörung abhängen konnten.

Wenn aber, frägt B, ein Hund mit exstirpirtem motorischen Centrum der rechten Vorderpfote diese ‘auf Verlangen nicht mehr reicht, weil er, wie Schiff meint, die betreffenden Tastvorstellungen verloren bat, warum sollte er sich dann nicht durch den Muskelsinn und das Gesicht leiten lassen, da eine Bewegungsläh- mung nach Schiff doch nicht vorliegen soll?

B. meint nun seinerseits, dass nach Exstirpation eines Centrums des motorischen Rindenfeldes die Thiere Bewegungsstörungen zeigen, welche „in mehr oder weniger vollständigem Verlust aller derjenigen beabsichtigten oder willkürlichen Bewegungen bestehen, die nicht zur Kategorie der associrten, wie die Bewegungen der Extremi- täten beim Gehen, Laufen, Klettern und die sogenannten Schwimmbewegungen, ge- hören und nicht Reflexacte sind. Die Auffassung von Goltz scheint B. ganz plausibel, „dass zwischen dem Organ des Willens und den Nerven, die den Willen ausführen, sich irgendwo ein unbesiegbarer Widerstand aufgebaut hat“. Wenn aber eine gegebene Bewegung ganz unmöglich oder in bedeutendem Maasse beeinträchtigt ist, so pflegen wir einen solchen Zustand als Lähmung oder Parese der Bewegung zu bezeichnen. Hadlich.

Pathologische Anatomie.

3) Ein Fall von Ependymwucherung mit subependymärer Sclerose im Bereiche der Hirnventrikel bei einem Paralytiker, vorzüglich auch als Beitrag zur Lehre von der pathologischen Faserneubildung im Gehirn, von Friedemann. (Arch. f. Psych. Bd. XVI. 8. 289.)

F. behandelt an der Hand eines genau beobachteten und untersuchten Falles allgemeine genetische Fragen, von denen er die wichtigste, die nach der Herkunft der neugebildeten bindegewebigen Fasermassen, dahin beantwortet, dass dieselben ausschliesslich in directem Zusammenhange mit spinnenartigen Zellenformen gebildet worden sind.

In dem von F. als typisch (? rechtsseitige Parese, später Contractur, Sections- befund! Bef.) bezeichneten Falle von Paralyse fand sich folgender Sectionsbefund: Graue Verfärbung im linken Hinterstrang, im Gehirn rechts alte und frische Pachy- meningitis int. haem., Leptomeningitis chron., Atrophia cerebri, Hydrocephalus int,,

1 Dieses Centralbl. 1883. Nr. 18.

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beiderseitige, besonders stark linksseitige gelbe Verfärbung und Verschmälerung des Kopfes des Nucl. caud., ferner mikroskopisch Sklerose in der innern Kapsel.

Zur mikroskopischen Untersuchung erhielt F. nur die Basalganglien der linken Hemisphäre; bezüglich deren auf 9 eng gedruckten Seiten mitgetheilten Details muss auf das Original verwiesen werden. In der Discussion desselben betont F. zuerst den schon Eingangs hervorgebobenen Satz, forner die vom Ependym aus in die darüberliegende Nervensubstanz speciell bis in die Kapsel sich fortsetzende binde- gewebige Verdichtung, die, im Gegensatze zur gewöhnlichen Consistenz, mit der Spinnenzellenwucherung einhergehende Auflockerung des Gewebes; die Ursache dieser Consistenzverminderung sieht er in der Massenhaftigkeit und lockeren Anordnung der Spinnenzellen. | |

Die Gründe für seine Ansicht bezüglich der genetischen Abhängigkeit der als Sclerose bezeichneten parallelfaserigen Verdichtung mit Untergang der Nervensubstanz von dem Faserwerk spinnenzellenähnlicher Formationen fassen sich dahin zusammen: 1. die topographische Zusammengehörigkeit, 2. der histologische Zusammenhang, 3. die Gleichheit der Gefässveränderungen, 4. das Fehlen einer formlosen Grund- substanz, aus der die „Sklerose“ entstanden sein konnte.

Für derbere Faserzüge nimmt er einen secundären Verdichtungszustand an, ihre Richtung erklärt er aus der der präexistenten Faserung. Bezüglich der pathologisch auftretenden Spinnenzellen ist F. geneigt, zwei Formen anzunehmen: eine, die ge- - wöhnliche, wo eine allgemeine, die wenig zahlreichen Fasern betreffende Schwellung mit mehr homogener sich stark imbibirender Substanz vorliegt, und die er als Pro- ducte der entzündlichen Schwellung oder der Resorption und hyalinen Substanzum- wandlung auffasst, und die zweite, deren Zellen eine grosse Masse mehr feiner Aus- läufer zeigen und denen eine gewebsbildende Function zukommt.

Zur Erklärung der sclerotischen Veränderungen der unter dem Ependym liegen- den nervösen Abschnitte nimmt F. auf Grund der histologischen Befunde die zwei ersten der von ihm aufgestellten Typen 1. chronische Entzündung des Ependyms mit Fortsetzung derselben in die Tiefe, 2. diffuse in den nervösen Schichten be- ginnende Sclerose, 3. Gliomatoese in Anspruch, deren genetische Zusammengehörig- keit er aufrecht erhält. (Bezüglich zahlreicher anderer Details muss auf das Origi- nal verwiesen werden.) A. Pick.

Pathologie des Nervensystems. -

4) Zur Symptomatologie der Epilepsia mitior, von Dr. A. Merklin. (Arch. f. Psych. Bd. XVL)

Die rudimentären Anfälle der genuinen Epilepsie sind sehr vielgestaltig. M. beschreibt einen Krankheitsfall, in welchem auf dem Boden einer theils hereditär begründeten, theils durch fortgesetzte hypnotische Experimente erzeugten allgemeinen Nervosität bei einem Jüngling eigenthümliche Anfälle mit kurzer Bewusstseinspause eintraten, welche mit „Däsen“ bezeichnet wurden. Der Zusammenhang mit der Epi- lepsie wurde durch wiederholte im weiteren Verlauf der Krankheit eintretende typische epileptischoe Krampfanfälle bewiesen. Auch in den rudimentären Anfällen konnten einige, den epileptischen Anfällen zugehörige Symptome constatirt werden. Von be- sonderem Interesse ist einmal die Thatsache, dass aus den durch vieles Hypnotisiren gesetzten Schädlichkeiten bei einem Prädisponirten echte Epilepsie entstand, zweitens, dass die beschriebenen Anfälle von petit mal durch gewisse psychische Einwirkungen und auch willkürlich durch den Kranken hervorgerufen werden konnten, eine Be- obachtung, welche auch schon von Anderen mitgetheilt ist, Die Diagnose: Hysterie glaubt M. in diesem Falle ablehnen zu müssen. Siemens.

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5) Note sur un cas d’epilepsie tardive, par le Dr. J. Söglas. (Revue de Med. 1885. Juin p. 484.)

Fall von typischer Epilepsie bei einem 64jährigen, aus nervös beanlagter Fa- milie stammenden Manne. Beginn der Krankheit erst im 62. Lebensjahre. Eine Tochter des Patienten bereits im 10. Lebensjahre unter Krämpfen gestorben, ein Sohn desselben vollständiger Taugenichts. Die nervöse Degeneration nimmt also von Generation zu Generation zu. Strümpell.

6) Epilepsie tardive; ams6lioration progressive; hemorrhagie o6örebrale, marohe de la temperature, mort, par Bourneville et Dubarry. (Progrös möd. 1885. No. 25.)

Der Fall betrifft einen von Haus aus gesunden, hereditär nicht belasteten Kossel- schmied, welcher erst im Alter von 48 Jahren und zwar nach einer heftigen Emotion den ersten Anfall von Epilepsie bekam, die nur als echte, idiopathische Epilepsie gedeutet werden konnte. Der Anfall war von einer hochgradigen nervösen Taubheit gefolgt; derselbe wiederholte sich in den ersten 5—6 Jahren nur einmal alljährlich, dagegen traten später die Attacken in solcher Frequenz auf, dass die Ueberführung des Patienten nach Bicötre nothwendig wurde. Er verblieb dort 7 Jahre: anfäng- lich nahm die Häufigkeit der Anfälle noch etwas zu, später dagegen immer mehr ab, und ein Jahr vor seinem Tode war die Epilepsie überhaupt verschwunden. In- tellectuelle Störungen traten nicht ein. Schliesslich wurde der Kranke von einer Apoplexie befallen, die in Rücksicht auf die danach aufgetretene Lähmung und die Contractur der linksseitigen Extremitäten und auf die Deviation der Augen nach rechts, als eine rechtsseitige cerebrale Hämorrhagie gedeutet wurde. Die Section ergab einen ziemlich ausgebreiteten, frischen Blutherd in den Centralganglien der rechten Hemisphäre. Besonderes Gewicht legen die Autoren auf die Temperatur- messungen in diesem Falle, welche abweichend von sonstigen Beobachtungen bei tödtlich verlaufenden Apoplexien ist, nach der anfänglichen Erniedrigung der Tem- peratur ein rapides Steigen derselben bis über 40° nicht ergaben; die Temperatur stieg im Ganzen nur bis 39°, und die Curve war noch von einzelnen Remissionen unterbrochen. Laquer.

7) Ein Fall von sypbhilitischen (P) Geschwülsten der Gehirnhäute, von J. Althaus. (Arch. f. Psych. Bd. XVI. 8. 541.)

Ein 14jähriges Mädchen ohne neurotische Anlage, seit einem halben Jahre un- behälflicher Gang, Schwierigkeit im Gebrauch der linken Hand, Kopfschmerz, Er- brechen, Zunahme der Lähmung der linken Körperhälfte, zunehmender comatöser Zustand. Status: Sopor, geringe psychische Reaction, nicht zitternde Zunge etwas nach rechts abweichend, Pupillen weit, gut reagirend, Augengrund normal, keine Augenmuskellähmung nachweisbar; bei Lachen der rechte, untere Facialis paretisch; links Hemiparese, die linke obere Extremität etwas byperästhetisch, zeigt keine Atrophie, normale Sehnenphänomene; links pes equinus, Sensibilität rechts normal, links Hyperästhesie, rechts kein Kniephänomen und kein Achillesreflex; anscheinend beginnende Incontinenz der Blase. Diagnose: Kleiner Tumor cerebri. Tod 9 Tage später. Section nur die rechte Gehirnhälfte betreffend: Verdickung und Trübung der mit der Hirmrinde verwachsenen Hirnhäute, welche mit einer Menge knotiger graugelblicher Geschwülste von fester Consistenz und '/,—2 mm Grösse besetzt und durchsetzt waren. Die Gefässe zeigten sich stellenweise bis in's Mark hinein, von solchen Knötchen besetzt, ihr Lumen durch dieselben verengert; die Tumoren er-

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wiesen sich mikroskopisch als Gummata, die Gefässveränderung als syphilitische Arteriitis; im Uebrigen erwies sich die Rinde als normal.

A. discutirt die mit der Anamnese im Gegensatz stehende gummöse Erkrankung der Hirmhäute, deren auf nicht specifischem Boden erfolgende Entstehung er für möglich erklärt. Es folgen dann einige differentialdiagnostische Bemerkungen gegen- über der früher in dem Falle auf Hysterie gestellten Diagnose bezüglich des Knie- phänomens, A. Pick.

8) Ueber Complication von Herpes Zoster occipito-collaris mit schwerer peripherer gleichseitiger Facialis-Paralyse, von E. Voigt. (St. Peters- burger med. Wochenschr. 1885. Nr. 45.)

8) Ueber Complication von peripherischer Facialparalyse mit Zoster faciei, von Prof. A. Eulenburg, Berlin. (Centralbl. f. Nervenheilk. etc. 1885. Nr. 5.)

10) Zur Pathogenese des peripherische Facialisparalysen gelegentlich complicirenden Herpes Zoster, von E. Remak. (Ibidem. 1885. Nr. 7.)

8) V. hatte in Romak’s Poliklinik obige Complication beobachtet. Es waren am 9. September heftige Schmerzen am Hinterbaupt, in der Ohr- und seitlichen Ge- sichtsgegend links aufgetreten, am 10. rothe Flecke, am 11. Herpes-Eruption und Facialis-Lähmung. Am 19. September war die Erregbarkeit des Facialis für beide Stromesarten aufgehoben und blieb es längere Zeit; die Herpes-Bläschen trockneten bis zum 27. September ab. Der Hautausschlag folgte der Verbreitung der sensiblen oberen Halsnerven (N. occipitalis magnus und zum Theil 3. Ast des Trigeminus, in welchen Nervengebieten zum Theil auch Sensibilitätsstörungen nachgewiesen wurden).

V. nimmt mit Remak an, dass die Facialis-Lähmung wie der Zoster beide der- selben gemeinsamen (Erkältungs-) Ursache, als neuritische Erkrankung benachbarter Nerven, zuzuschreiben seien.

8) Mit Bezug auf obigen Fall erinnert Eulenburg an einen ähnlichen von P. David unter seiner Leitung in einer Inaugural-Dissertation 1884 bearbeiteten, 1878 von ihm beobachteten Fall. Es war eine leichtere linke Facialis-Lähmung, bei welcher Herpesbläschen in der Gegend des linken Kiefergelenks, „dann in der seitlichen Halsgegend bis zur Mittellinie, nach hinten links oben an den Halswirbein und ersten Dorsalwirbeln“ auftraten. E. knüpft hieran die Betrachtung, dass viel- leicht „im Stamm des Facialis selbst wenigstens streckenweise Fasern verlaufen, deren entzändlicher Reizzustand den Zoster vermittelt, welche also als trophische Nerven der Gesichts- und Halshaut anzusprechen wären“; er weist auf ähnliche Combinationen, die im Bereich des Plexus brachialis vorgekommen sind, hin, sowie auf eine Mit- theilung von Vernon, der einmal Zoster ophthalmicus in Verbindung mit partieller Paralyse des Oculomotorius beobachtete.

10) Gegen die Anwendung dieser Auffassung Eulenburg’s auf den von Voigt beschriebenen Fall wendet sich dann wieder Remak. Indem er betont, dass in jenem Falle (8.) sich der Zoster auch über den vorderen Cucullaris-Rand und über die obere Nackenpartie bis in die behaarte Kopfhaut hinauf ausgebreitet habe; dass forner im Bereiche des abgelaufenen Zoster eine erhebliche Hautanalgesie nachgewiesen sei; dass klinisch niemals auf Grund einer Erkrankung des Facialis-Stammes Haut- Sensibilitätsestörungen des Gesichts und Halses vorkämen, meint er, dass es viel un- gezwungener sei, neuritische Alteration einerseits des N. facialis, andererseits benach- barter sensibler resp. trophischer Nervenäste (des 3. Trigeminus-Astes und der oberen Halsnerven) auf derselben refrigeratorischen Basis anaunshmeg.

Dagegen führt R. einen Fall von rechtsseitiger Facialislähmung an, in welchem zu der Gesichtslähmung am 3. und 4. Tage reichliche Herpesbläschen am rechten Zungenrande (vordere zwei Drittel) sich hinzugesellten. Die Bläschen heilten nach

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8—10 Tagen ab, die Facialis-Lähmung war eine schwere, und war nach dem Ab- lauf des Herpes 4—5 Wochen lang mit einer äusserst lästigen Empfindlichkeit des rechten Ohres für Geräusche complicirt. Eine Geschmacksalteration bestand nie. Hier habe es sich also in der That um eine eigenthümliche Aeusserung der neu- ritischen Betheiligung der Chorda tympani innerhalb ihres Verlaufs in der Bahn des Facialis gehandelt. Hadlich.

11) Remarks on locomotor ataxis by R. M. Canfield. (The Lancet. 1885. No. 3. Vol. I. p. 110.)

In einem Vortrage vor der Hunterian society of London am 8. April 1885 machte Verf. auf die Schwierigkeit der Diagnose zwischen Tabes und Cerebellaraffec- tionen aufmerksam, da bei beiden ähnliche Symptome vorkommen, und selbst das Fehlen der Patellarreflexe bei letzteren nach den Erfahrungen des Verfassers meist zu konstatiren ist. Dagegen legt er einen grossen diagnostischen Werth auf die Art des tabischen Ganges gegenüber dem bei Kleinhirnaffectionen. Bei den letzteren resultiren die seitlichen Schwankungen von der Gehrichtung aus den willkürlichen Bewegungen, die der Kranke macht, um das Gleichgewicht zu halten, bei ersterer sind die Bewegungen selbst die Ursache des Schwankens, weil eben die Coordination der Muskelbewegung gestört ist. Aus der genauen Beachtung des Ganges vornehm- lich gelang es dem Verf., ein Cerebellarleiden zu konstatiren, während der betreffende Arzt wegen Fehlens der Patellarreflexe, Vorbandenseins des Romberg’schen Symp- toms, herumziehender, zwar nicht lancinirender Schmerzen, wegen Unsicherheit im Gehen Tabes diagnosticirte. Die Sektion eagab ein den IV. Ventrikel ausfüllendes Blutkoagulum, Blutspuren im Aquaeductus Sylvii und einem anderen Blutklumpen im III. Ventrikel. Ausserdem bestand eine alte Affection fast der ganzen rechten Hemisphäre des Kleinhirns, die sich teigig anfühlte. Ferner Ruptur eines kleinen Zweiges der Art. cerebelli anterior inferior nebst zerissenen kleineren Gefässen. Im Rückenmark nichts Pathologisches.

Ferner weist Verf. auf ein noch nicht bekanntes, von ihm oft beobachtetes Symptom hin, das ihn in den Stand setzte, die Tabes in einer sehr frühen Periode zu diagnosticiren.. Wenn nämlich ein Rückenmarksschwindsüchtiger sich lange in horizontaler Lage befunden hat, z. B. während der Nacht, und seinen Fuss plötzlich aber nicht heftig auf den Boden setzt, sich mit dem Körper darauf stützend, so hat er ein eigenthümliches Gefühl an der Sohle in der Gegend der articulatio tarso- metatarsea, das von den Patienten als eine dem Eingeschlafensein ähnliche Sensa- tion geschildert wird. Bei dem Falle, den er als Beispiel hierfür beibringt, und der nach Verf. als ein typischer Fall von Tabes angesehen wurde, fand sich bei der genauesten und sorgfältigsten mikroskopischen Behandlung kein pathologisch-anate- mischer Befund im Centralnervensystem. Daran anknüpfend und die Fälle von Tabes betrachtend, bei denen ebenfalls kein pathologischer Befund zu konstatiren war, kommt der Verf. zu der sonderbaren Ansicht, man könnte die Tabes den functionellen Gehirnkrankheiten zurechnen (?). Die grauen Degenerationen seien secundärer Natur (?). Ruhemann.

12) Ein Fall von 'Parese beider Ober- und Unterextremitäten im An- schluss an Erysipelas faciei, von Brieger. (Charit6-Annalen. 1885. S. 147.)

Ein 16jähriges Mädchen wird in der Reconvalescenz von einem linksseitigen Gesichtserysipel von vagen Schmerzen an verschiedenen Körpertheilen befallen, die anfallsweise auftreten und sich schliesslich in den oberen Partien der Brustwirbel- säule localisiren. 31/, Monate nach Beginn des Erysipel erst Lähmung des

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rechten Armes, 3 Tage später des linken Armes, dann des rechten Beines, und am Tage darauf des linken Beines. Dabei abnorme Sensationen und erhöhte Reflexe. Schliessiich auch Lähmung der Nacken- und Blasenmusculatur. Elektrische Erregbarkeit erhalten, Sensibilität herabgesetzt, zugleich Muskelatrophie, besonders rechts. Heilung nach 10 Monaten bis auf ein leichtes Eingebogensein der Finger. Verf. glaubt wegen des elektrischen Befundes nicht an eine peripherische Neuritis, sondern an eine Herd- erkrankung des Rückenmarkes. M.

Psychiatrie.

13) Ett fall af akut mani med plötslig död, af Dr. Holsti. (Finska läkare- sällsk..handl. 1884. XXVI. 4, S. 196.)

Ein 25jähriger Phthisiker, der den Winter in Italien zugebracht hatte, bekam auf der Rückreise 2mal rasch vorübergehende Anfälle von Unruhe, später wieder einen heftigen Anfall von Unruhe mit verschiedenen anderen Nervenerscheinungen. Nach Familienunglück war seine schon vorher heftige Stimmung wechselnd geworden und er litt viel an Schlaflosigkeit, wogegen er Chloral in Gaben von !/, Drachme (2,0 grm) nahm. Das Herz war von verschiedenen Aerzten untersucht worden, aber keiner hatte Veränderungen daran gefunden; auch H. konnte keine feststellen. H. verordnete Valerianainfus mit Bromkalium und liess das Chloral aussetzen. Am nächsten Tage hatte sich bei dem Pat., wohl in Folge heftiger Gemüthsbewegung (seine Frau hatte in der Nacht abortirt) eine heftige Manie entwickelt. Da Mor- phiuminjectionen nichts nützten, verordnete H. Chloral in der gewohnten Gabe. Bald darauf wurde Pat. allmählich ruhiger und schien zu schlafen, nach etwa drei Stunden fand ibn aber H. collabirt und pulslos und !/, Stunde später erfolgte der Tod. Bei der Section fand sich ausser nicht weit vorgeschrittenen Verdichtungs- herden in beiden Lungen bedeutende Hyperämie des Gehirns und der Pia mater, Insufficienz der Aortenklappen mit Fettentartung des kaum vergrösserten Herzens in geringem Grade. Der Tod könnte vielleicht die Folge der Hirnhyperämie sein, möglicher Weise konnte er aber auch durch das Chloral bedingt sein, dessen An- wendung bei Herzleiden die grösste Vorsicht erfordert. Wenn auch der Kranke vorher oft Chloral ohne Nachtheil genommen hatte, waren doch die Umstände nach dem Auftreten der Manie andere; vielleicht konnte die heftige Erregung und gewalt- same Muskelbewegung während des maniakalischen Anfalls einen deprimirenden Ein- fiuss auf das Herz ausgeübt und dadurch Disposition zum Eintritt der Herzlähmung bedingt haben. Die nach dem Chloral eintretende Ruhe konnte schon durch den beginnenden Collaps bedingt sein; der Tod trat zu einer Zeit ein, zu welcher das Chloral den Höhepunkt seiner Wirkung erreicht haben musste.

Walter Berger.

14) Mania accessuale con febbre e delirio acuto, per il dott. G. Peli. (Arch. ital. per le mal. nervos. 1885. XXII. 219.)

Ein gesunder 22jähriger Mann, in dessen Ascendenz allerdings ein Fall von Geistesstörung vorgekommen war, erkrankte wohl in Folge von bedeutenden Excessen in Baccho et Venere unter den Erscheinungen schwerster Tobsucht; in etwa 14 Mo- naten wurde er von 5 derartigen Anfällen mit Fieber, Nahrungsverweigerung etc. ergriffen, die in jeder Hinsicht einem „Delirium acutum“ glichen; der Tod trat aller- dings erst auf der Höhe des fünften Anfalls ein. Die Dauer der einzelnen Erregungs- zustände betrug 124, 36, 35, 16 und endlich 9 Tage; die Dauer der fieberfreien Remissionen und der klaren Ruheperioden betrug 112, 21, 48 und 19 Tage. Die Section ergab einzig eine colossale Hyperämie der Pia und der Hirnrinde, die nirgends

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mit einander verwachsen waren. Bacterien fanden sich weder im Hirn noch in den Capillaren.

An der Hand der sehr ausführlich mitgetheilten Literatur bespricht Verf. dann die Berechtigung der Diagnose; jedenfalls existirt also eine auf einfacher Hyperämie beruhende Manie, die ganz den Charakter des Delirium acutum trägt und die den- selben Ausgang wie dieses, wenn auch erst nach mehreren Intermissionen, nimmt. Zum Schluss vertheidigt er noch auf das Lebhafteste die Anwendung localer Blut- entziehungen und des Restraint bei der Behandlung des Delirium acutum.

Sommer.

15) Ein Fall von acutem, tödtlichen Irresein mit localisirten Krämpfen, von Dr. Sebastian Levy. (Allgem. Zeitschr. für Psychiatrie. 42. I.)

Verfasser berichtet über einen sehr interessanten Fall einer innerhalb 8 Tagen tödtlich endenden ganz acuten Psychose, welche weit entfernt von dem Bilde eines acuten Deliriums, vielmehr ganz analog jenen vereinzelt dastehenden von L. Meyer berichteten und von ihm „acute tödtliche Hysterie“ benannten 3 Fällen verlief.

Ein junges Mädchen von 19 Jahren, Tochter einer hysterischen Mutter hatte im Januar 1884 einen sehr tragisch endenden Liebesroman erlebt, war dann nach Berlin in ein Pensionat gekommen, wo sie schon einige Zeit durch ihr kindisch- lustiges und andererseits reizbares Wesen auffiel.

Am 25. October 1884 grade während der Menstruation wohnte Patientin einem Begräbniss bei und erkältete sich bei dem heftigen Schneesturm, so dass sie an einer mässig fieberhaften Occipital-Neuralgie erkrankte. Am 31. October abends brach plötzlich heftige Aufregung aus, die nach einigen Standen wieder verging, auf Chloral folgte ruhige Nacht und auch der folgende Tag war ruhig, bis abends wieder so heftige Tobsucht eintrat, dass Patientin in die Anstalt verbracht werden musste. Dort dauerte die Erregung an; es schien wälrend der ersten 4 Tage sich eine .richtige Manie entwickelt zu haben, allerdings traten am zweiten Tage allgemeine Convulsionen ein, die sich auch in den folgenden Tagen wiederholten, aber am Abend des vierten Tages war Patientin ziemlich bei sich, klagte über heftiges Stirnkopf- weh. Temperatur 38,4, fieberhafter Puls und stark belegte Zunge. In der folgen- den Nacht sollen ebenfalls Zuckungen eingetreten sein, am nächsten Tage wurden morgens und abends Convulsionen der linken Gesichtshälfte und des linken Armes beobachtet, in der Zwischenzeit lag Patientin ganz starr und fast ganz gefühllos da. Den 5. November blieb Patienein völlig apathisch, Temperatur erhebt sich abends auf 39°. Nach einer unruhigen Nacht kommt Patientin am 6. gar nicht mehr zu Sich, so dass sie keine Nahrung erhalten kann. Bei passiver Rückenlage ist der Kopf nach links gerichtet, ebenso die Augen, im linken Facialisgebiet bestehen fortwährende Zuckungen, auf Nadelstiche erfolgen fast keine Reactionen, Mit Aus- nahme des beschleunigten Pulses erscheinen alle Organe normal, Temperatur 38,3. Am 7. November der nämliche Zustand, ausser im linken Facialisgebiet treten auch Zuckungen des linken Armes auf, beide Hände machen Greifbewegungen, die be- wusstlose Patientin lässt den Urin unter sich. Temperatur 38,3—39,7. Nachts blieb der Zustand unverändert. Am 8. fortwährende Convulsionen im linken Facia- . lis, von Zeit zu Zeit aber auch in der rechten Gesichtshälfte, im rechten Arm und Bein, dabei ist die Zunge sehr zerbissen, Temperatur 40,7. Hinten rechts wurde jetzt Dämpfung und Rasseln constatirt, der sehr beschleunigte Puls wurde klein und wenig gespannt. Gegen Mitternacht hörten dann die Krämpfe auf und unter zu- nehmender Herzschwäche erfolgt eine Stunde darauf der Tod.

Die Section widerlegte durch den durchaus negativen Hirnbefund die Diagnose Meningitis, welche intra vitam als die wahrscheinlichste angesehen werden musste, dagegen boten Ovarien Dermoidcysten und allgemeine cystöse Entartung dar und

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bestand Oophoritis chronica fibrosa.. Da intra vitam keine Hysterie bestand, so passt trotz des Sexualleidens der von Moyer gewählte Name acute tödtliche Hysterie nicht. Verfasser will auf den Mangel einer richtigen Bezeichnung für solche Fälle hinweisen. Zander. 16) Zum sogenannten hallicinatorischen Wahnsinn, von Dr. P. Mayser. (Allg. Zeitschr. für Psychiatrie. 42. I.)

Kraft-Ebing hat in der 2. Auflage seines Lehrbuches, während er die primäre Verrücktheit unter die psychischen Entartungen reiht, unter der Gruppe der primären heilbaren Psychoneurosen ein Krankheitsbild, das er hallucinatorischen Wahnsinn nennt, aufgestellt, welcher auf dem Boden einer functionellen Erschöpfung steht, einer Asthemie des Nervensystems in Folge von schwächenden acuten oder chroni- schen Krankheiten überhaupt, ähnlich der primären Dementis;, er ist ausgezeichnet durch lähmungsartige Schwäche der höchsten psychischen Functionen neben gleich- zeitiger, ja erhöhter Erregbarkeit der Sinnescentren und der psychomotorischen Centren in der Rinde. Der Beginn ist acut, zahlreiche Sinnestäuschungen und daraus sich bildende fliegende Wahnideen mit entsprechendem Stimmungswechsel und Handlungsanomalien sind die Symptome. Der Ausgang ist in Genesung oder in schliesslichen apathischen Blödsinn.

Diese Form ist von verschiedenen Autoren verschieden bezeichnet als hallucina- torische Verwirrtheit, acute Verwirrtheit, acuter Wahnsinn oder primäre Verwirrtheit. Verfasser findet den Namen hallucinatorischer Wahnsinn für die gut charakterisirte Krankheit nicht glücklich, er schlägt die Bezeichnung acutes asthenisches Delirium vor. Die Krankheit befällt erblich notorisch belastete Individuen, meist weiblichen Geschlechts, deren Nervensystem längere Zeit vorher Ernährungsstörungen und Er- schütterungen ausgesetzt war, und bei dem nun irgend ein zufälliger, oft nicht ein- mal heftiger Reiz genügt, um eine plötzliche Störung der gesammten Psyche hervor- zurufen. Verfasser erklärt das Entstehen der psychischen Störung ganz analog dem Zuckungsgesetz bei einem asthenischen Nerven; die Anspruchsfähigkeit für Reize "ist bei asthenischen Muskelnerven eine erleichterte und wird durch effectiven Reiz noch gesteigert, alsdann aber verliert die Faser bei fortgesetzter Erregung ihre Kraft schneli und stirbt schliesslich ab.

Wie bei Reizung des asthenischen Muskelnerven die Muskelcontraction erst ver- längert, dann tetanisch wird, so reagirt das asthenische Gehirn auf einen energischen Reiz unter tumultuarischer Entladung seiner Kraftvorräthe und kehrt nur langsam wieder in die Gleichgewichtslage zurück, bei hochgradiger Asthenie kommt es zum Erlöschen der Erregbarkeit, zur Functionsunfähigkeit. Danach theilt Verfasser das asthenische Delir in ein acutes von mehrwöchentlicher bis zweimonatlicher Dauer, und ein mehr chronisches von 4 Monaten bis 1!/, Jahren, oder dauernder Unheil- barkeit.

Für das acute wie das chronische asthenische Delir bringt Verfasser einige gut gewählte Beispiele eigener Erfahrung.

Während bei den Frauen Anämie der hauptsächlichste Factor zur Erzeugung der Asthenie des Gehirns ist, ist bei den Männern der schlimmste Factor der Alkohol.

Zander.

17) The narrative of Mr. H. the portraits-painter, analysed and critically examined, by W. A. Guy. (Journ. of ment. science. 1885. Juli.)

Verfasser hat denselben Gegenstand schon vor Jahren in seiner Abhandlung über The factors of the unsound mind besprochen. Es handelt sich um einen Portraitmaler, der durch Verkettung wunderbarer Umstände dazu veranlasst wird, in einer ihm bis dahin völlig unbekannten Familie das Portrait einer verstorbenen

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Tochter, von welcher ein Bild nicht existirte, zu malen. Mit dieser Tochter be- hauptet. der Maler, welcher seine eigenen Erlebnisse selbst beschreibt, 3 Mal zu- sammengekommen zu sein, und will von ihr, obwohl sie damals schon gestorben, ein Bild, welches ihr sehr ähnlich, empfangen haben, welches aus dem Album der Familie verloren gegangen war, auch hat er von der Dame 2 Bleistiftskizzen gemacht. Nach diesen Skizzen und dem erhaltenen Bilde malt der Maler ein sehr ähn- liches Portrait und macht dadurch den trauernden ‚Vater, welcher über seinen Verlust melancholisch geworden und stets mit Selbstmordgedanken umging, wieder gesund. Guy weist nach, dass der Maler, welcher factische Erlebnisse, die ihm selbst wunderbar erschienen, erzählen wollte, den Inhalt von Sinnestäuschungen wieder- gegeben hat, dass sowohl die Familie, als namentlich die Dame, welche ihm nach ihrem Tode ein im Hause ihres Vaters verloren gegangenes Bild gab, ihn auch in seinem Atelier in London besucht hatte, ein Product krankhaft erregter Phantasie gewesen sei. Diese Erzählung war von Dickens mit einem Vorworte versehen und hatte jeden Falls viel Aufsehen erregt. . Zander.

Therapie.

18) Praktische Beiträge zur Anwendung der KElektricität bei Geisteskran- ken, von von der Heyden. (Allgem. Zeitschrift für Psychiatrie. 42. 1.).

Verf. berichtet über die in Endenich in den letzten 6 Jahren bei Anwendung der Elektricität bei Geisteskranken gemachten Erfahrungen. In Gebrauch gezogen wurde die stabile Längs- und Quergalvanisation des Kopfes mit absteigendem Strome bei 3—8 Elementen während 3—5 Minuten und zwar wurde mit der Quergalvani- sation, weil dieselbe weniger empfindlich sein sollte, angefangen, dann bald zur Längsgalvanisation übergegangen. |

Die Galvanisation des Kopfes geschah bei 9 Paralytikern, 2 Melancholikern und einem Falle von periodischem Irresein. Bei 3 Melancholikern kam die allgemeine Galvanisationsanode in den Rücken, Kathode in Wasser von 36—38 C., in welchem die Füsse des Patienten bis an die Waden standen in Anwendung, die Galvani- sation des Sympathicus in einem Falle von hypochondrischer Verrücktheit. In 11 Fällen handelte es sich um mehr locale, mit der Psychose aber in Zusammen- hang stehende Beschwerden.

Bei den Paralytikern war mit Ausnahme eines ziemlich frischen Falles, der eine länger dauernde Intermission zeigte, kein Effect auf die Psychose zu constatiren, ob jene Intermission auf Rechnung der Galvanisation zu setzen, ist natürlich auch zweifelhaft; in einem andern Fall schwanden sehr quälende perverse Sensationen.

. In 3 Fällen erst nach kürzerer Zeit bestehender Melancholie trat erhebliche Besserung ein, vorübergehend eine solche auch bei einer alten hypochondrischen Verrücktheit, sonst trat bei älteren Melancholien eine Wirkung auf die Psyche nicht hervor, dagegen besserten sich periphere Innervationsstörungen, namentlich des Uro- genitalsystems. Auf den Schlaf wirkte die Galvanisation bei 2 Paralytikern günstig.

| Zander.

III. Aus den Gesellschaften.

Bericht über die Jahresversammlung des Vereins der Deutschen Irrenärzte. Baden-Baden, den 16. u. 17. Sept. 1885. Am Vorstandstische: v. Gudden, Laehr, Schüle. Der Vorsitzende v. Gudden eröffnet die Versammlung mit geschäftlichen Mittheilungen und gedenkt der ver- storbenen Vereinsmitglieder: Schlager, Kind, Salomon, Eckelmann.

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In den Vorstand werden gewählt resp. wiedergewählt Westphal und Pelman, nachdem der bisherige Vorsitzende Nasse, den die Versammlung telegraphisch begrüsst, wegen augenblicklicher Erkrankung eine Wiederwahl abgelehnt.

Schüle: Ueber die Frage der Beschränkung der Heirathsberechtigung bei belasteten und irre gewesenen Personen.

Der Vortragende bespricht an der Hand des Jllenauer statistischen Materials diese für die Prophylaxe der Geisteskrankheiten so hochwichtige Frage, welche psychiatrischor Seite schon mehrfach angeregt wurde (Dick, Nasse, Hagen, Oobeke, Erlenmeyer un. A.). Die Resultate seiner Statistik sind wenig ermuthigend für die Dick’sche Lehre. Der Vortragende schlägt vor, in allen Anstalten Er- hebungen über diesen Gegenstand anzustellen, womöglich mit Nachfragen über die erkrankt Gewesenen in ihrer Heimath. Zu diesem Zwecke hat der Vortragende ein Schema aufgestellt, welches als Zahlblättchen von den Anstalten benutzt werden soll. Die Wichtigkeit einer solchen Erhebung liegt auf der Hand, sie soll dem Arzt sichere Unterlagen für die Rathschläge an die Hand geben, welche er den Familien im gegebenen Falle ertheilen ınuss. Leider ist nicht zu verkennen, dass diese Rath- schläge doch meist nicht befolgt werden. Trotzdem ist es wünschenswerth, dem Publikum auf breiter statistischer Basis eine Aufklärung zu geben, um unheilvolle Ehen zu verhindern. Solche sind die Ehen zwischen chronisch epileptischen, chronisch hysterischen, chronisch schwachsinnigen und chronisch alcoholistischen, endlich zwischen schwer erblich belasteten Personen. Der Staat ist zur Prophylaxe der Psychosen und zur Verhinderung einer erblich belasteten Nachkommenschaft ver- pflichtet, er kann diese Prophylaxe ausüben durch fürsorgliche Entmündigung der Betreffenden.

Discussion: Mendel findet das Mittel der Erhebungen am Heimathsorte bedenk- lich, weil dadurch leicht unliebsame Störungen in gute, friedliche Ehen hineingetragen werden können. Die Gesetzgebung erscheint hier machtlos, da oft Familieninteressen etc. eine Rolle spielen, das Einzige wäre noch die Entmündigung der Heirathscandidaten während der .Anstaltsbehandlung.

Schüle erwidert, dass die Erhebungen in der Heimath, von taktvollen Ver- trauenspersonen ausgeführt, nicht bedenklich seien.

v. Gudden meint, dass die vorgeschlagene, den Anstalten obligatorisch gemachte Statistik wenig Aussicht habe, ordentlich ausgeführt zu werden.

Gerlach berichtet, dass in Westphalen (von Marsberg aus) bereits. derartige Erhebungen gemacht werden.

v. Krafft-Ebing betont, dass die Statistik, wenn sie allein von den Irren- anstalten gemacht würde, unvollständig sei. Man müsse auch die schweren Neurosen und die leichteren psychischen Abnormitäten, welche nicht in die Anstalten kommen, mitzählen. Ihre Zahl ist Legion. Daher müssten auch die Collegen ausserhalb der Anstalten mitwirken.

Binswanger hat für seinen relativ kleinen Bezirk eine derartige Untersuchung bereits angestellt. Er fand relativ wenig Nachkommen früherer Anstaltsinsassen in den späteren Listen wieder. Er erblickt in der versuchsweisen Entlassung resp. Beurlaubung ein Mittel, zweifelhafte Fälle vom Heirathen abzuhalten.

v. Gudden bemerkt, dass auch die versuchsweise Entlassenen heirathen dürfen, sofern sie nicht entmündigt sind. Vorsichtige Berathung der Angehörigen ist das Einzige, doch wird es meist vergeblich sein.

Fürstner wünscht das Schema zu vereinfachen, befürwortet jedoch die Statistik

Schüle beantragt den Beschluss der statistischen Erhebungen für eine Reihe von Jahren.

v. Gudden meint, eine freiwillige Betheiligung sei ausreichend, es möge also das Ersuchen an die Collegen gestellt werden, die vorgeschlagene Erhebung zu machen. Die Versammlung beschliesst demgemäss.

v. Gudden: Ueber die Einrichtung von sogen. Ueberwachungs- stationen.

Die Abtheilungen sind für die Irrenanstalten zuerst von Parchappe vorge- schlagen worden, und zwar sollen in ihnen diejenigen Kranken Platz finden, welche körperlich schwerkrank, selbstmordsüchtig oder mit üblen Angewohnheiten behaftet sind. Er schliesst Agitirte höheren Grades, Unreinliche und Epileptische aus.

Die Einrichtung und Form einer solchen Station hängt wesentlich von den in- dividuellen Verhältnissen der Anstalt ab. v. Gudden construirt ein einfaches Schema für Anstalten von 400 öffentlichen Kranken, wovon etwa 10°/, in die Ueberwachungs- station gehören. Ein grosser Theil der der sorgfältigsten Pflege bedürftigen Kranken sind Paralytische in späten Stadien, welche man, um sie nicht mit anderen reinlichen und empfindlichen Kranken zusammenzubringen, in einem Nebensaale .unterbringt. Er schlägt daher zwei grössere, nebeneinander liegende Säle vor; ein Tagraum ist für bettlägerige Oder selbstgefährliche Kranke überflüssig bezw. bedenklich, dafür kann im Wachsaal ein Raum frei bleiben. 2 Bäder (eins für die unreinlichen), 1 Bequisitenraum sind erforderlich, sodann mehrere Einzelzimmer. Letztere sind Bedürfniss für gewisse, die Luft verpestenden Kranken, für die Umherwandernden etc. Ein Zimmer mit Thürfenstern zur Ueberwachung für Gefährliche. In den Sälen beiderseitig Fenster mit dickem Glase. Abort oder halbverdeckter Nachtstuhl im Nebenraum. Luftheizung, Gasbeleuchtung. Controluhr.

Laute nnd störende Kranke müssen entfernt werden, dafür sind besondere Abtheilungen bei den Unruhigen zu machen. Pensionäre ebenfalls besonders. Für Unreinliche die regelmässige Anhaltung zum Entleeren der Bedürfnisse.

v. Gudden empfiehlt die Ueberwachungsstationen auf's Dringendste.

Fürstner empfiehlt sie ebenfalls auf's Wärmste. Schwierig ist die Frage nach dem wachenden Wartpersonale, die gleichzeitige Beaufsichtigung der Isolirten, der den Abort Benützenden. Für die Paralytischen ist besondere Wache nöthig, sodass die Anforderungen an das Personal sehr starke sind.

v. Gudden hält eine Nachtwache (von 2 Wärtern) im Wachsaal für ausreichend, ein dritter Wärter muss zur Reserve da sein. Ein besonderes Gebäude für die Wachabtheilung ist wünschenswerth.

Grashey ist einverstanden mit dem Plan v. Gudden’s. Er fragt nach dem Turmus der Wachen.

v. Gudden erläutert.

Siemens beschreibt die Wachabtheilungen, welche er in seiner Anstalt ein- richtete und erläutert den Dienst in denselben.

Laehr fragt die Collegen aus den Privatanstalten, ob auch sie derartige Ein- richtungen haben.

Mendel erwähnt die Richter’sche Anstalt in Pankow als solche.

Kleudgen hat 1 Zimmer für 4 Kranke mit permanenter Ueberwachung.

HD. Sitzung vom 17. September früh.

Siemens trägt vor: Ueber die Behandlung der Nahrungsverweigerung der Irren. Der Vortrag erscheint in extenso in einer der nächsten Nummern dieses Blattes.

Oebeke als Correferent, giebt eine historisch-kritische Darstellung der Fragen und bespricht die nach längerem Hungern bei Thieren gefundenen pathologischen Veränderungen des Nervensystems, weist auf die bei schweren Dyspepsien consta- tirten Degenerationen im Bereich des Nervenplexus des Magens und Darms hin und berichtet des Näheren über die bisher geübten drei verschiedenen Methoden der Be- handlung der Verweigerung: Mittelst Zuwartens, durch Fleischpepton- und Wein- Klystiere oder durch die Schlundsonde. Er findet, dass dieselben sich untereinander

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ergänzen und in geeigneten Fällen m Anwendung gezogen werden sollen. Er ver- wirft jede Einseitigkeit in diesem Punkte.

In der Discussion nimmt Grashey den vermittelnden Standpunkt ein und will Extreme vermieden wissen. Das Füttern mit der Sonde ist nicht so gefährlich. Es sollte nicht als extremes Mittel, sondern als ein Versuch, als ein wohl anzuwenden- des Hülfsmittel, betrachtet werden.

v. Gudden sagt, obwohl ihm viele Unglücksfälle bekannt sind, sei die Sonde in der Hand des gewissenhaften und geschickten Arztes nicht gefährlich. Sodann fragt er nach dem Wege der Berechnung der Gewichtsabnahme des Gehirns bei Carenz von 1°/,, des Gesammtverlustes. Er hält die Berechnung für unmöglich.

Siemens hat sie der Literatur entnommen.

Preyer bestätigt die physiologischen Untersuchungen, warnt aber vor Anwen- dung der Versuchsresuliate bei Tauben und Katzen für den Menschen.

Witkowski findet die Schwäche, in welche die Abstinenten verfallen, bedenk- lich, weil sie leicht dann jeder Schädlichkeit erliegen. Die Lehre von der Retar- dation des Stoffwechsels ist doch noch zweifelhaf. Dass Melancholische viel Nahrung vertragen, beweist die Playfair’sche Mastkur.

v. Gudden: Ueber die Frage der Localisation der Functionen der Grosshirnrinde,.

Die grossen Widersprüche in den Resultaten der Experimentationen müsse bedenklich machen. Die landkartenartige Abgrenzung der Bezirke mache ihn auf's Aeusserste stutzig. Eher habe man Grund, die verschiedenen Schichten der Gross- hirnrinde zu differenziren, es gäbe Beobachtungen, welche dafür sprächen, dass sie getrennt erkranken könnten. Munk’s Resultate seien ihm zweifelhaft, die seinigen widersprächen ibnen bezüglich der sogen. Sehsphäre durchaus. v. Gudden’s Ver- suche, bei denen er das ganze Hinterhaupthirn beiderseits an jungen Kaninchen exstirpirte, bewiesen, dass die Thiere ausgezeichnet sehen können nach dem Ein- griff. Ein solcher positiver Versuch beweise mehr, als unzählige negative. v. Gudden ist nicht gegen jede Localisation, sondern nur gegen die Landkarten. Die Verschiedenheiten einzelner Hirntheile lassen sich experimentell-anatomisch er- kennen. So stehe z. B. fest, dass der Lobus olfactorius in Beziehung zum Geruchs- sinne stehe. Extirpire man den Bulbus, so atrophire auch der Tractus olfact., trotz- dem entwickle sich der Lobns olfactorius makroskopisch normal, mikroskopisch finde man jedoch eine Abnahme der Rindenzellen (vielleicht spielt hier eine leichte Menin- gitis auch mit eine Rolle??). Man muss daher annehmen, dass der Lobus olfactorius, wenn ihm seine normale Erregungsquelle abgeschnitten werde, andere Erregungen erhalte, welche seine Atrophie verhinderten. v. Gudden war selbst der Erste, nicht Flechsig, welcher nachgewiesen hat, dass die Pyramidenbahnen eine directe Fort- setzung nach der Gehirnrinde haben. Er fand, dass die Bahn schwindet nach Ex- stirpation des Stirnhirns. Umgekehrt, wenn Alles exstirpirt wird ausser dem Stirnhirn, so blieben die Pyramiden stehen. Ebenso geht die Schleife zu Grunde, wenn die Hemisphbären abgetragen werden, hier sind Scheitel- und Hinterhauptshirn wahrschein- lich das Wesentliche. Extirpirt man Scheitel- und Hinterhauptshirn, so atrophirt das Corp. geniculatum internum, auch das Corp. mammillare. Diese Beziehungen sind anatomisch nachgewiesen, weitere Localisation existirt nicht. Im Grossen und Ganzen steht v. Gudden auf dem Standpunkt von Goltz, nur sind die bisherigen Methoden viel zu roh, um brauchbare Resultate zu haben.

Eine genaue Untersuchung der Rindenschichten und der Faserzüge ist zu machen, bestimmte Züge sind zu durchschneiden und dann der Atrophie der Rinde nachzu- spüren. Will man die Rinde angreifen, so macht G. das mittelst der intracra- niellen Methode. Er legt eine Spalte an im Schädel und lässt sorgfältig alles Blut heraus, vermeidet auch die Verletzung der Sinus und grösseren Gefässe. Aseptische Cautelen. v. G. hat so die sogenannte motorische Sphäre bei Kätzchen abgetrennt

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und die Thierchen haben nach einigen Stunden keine motorische ‚Störung mehr gehabt.

Discussion. Mendel sagt, die Schichten der Rinde seien bereits vielfach unter- sucht, und er sei der Ansicht, dass eine verschiedene Structur an verschiedenen Stellen der Rinde, die übrigens stellenweis makroskopisch zu erkennen (Vicq-d’Azyr), auch ihre verschiedene Function beweise.e. M. ist Anhänger der Localisation, ob- wohl er zugiebt, dass die „Landkarten“ noch viele zweifelhafte Provinzen enthalten.

v. Gudden verlangt noch mehr Durchforschung der Rinde und des Faserver- laufs.. Die Anordnung der Schichten ist im Wesentlichen überall dieselbe, sodass eine scharfe Abgrenzung nach Territorien unmöglich ist. Auch das durch die Weigert’sche Methode bewiesene Filz- und Fasernetz spricht für einen Zusammen- hang der Rinde als ein Ganzes.

Nissl bemerkt, dass der Ö5schichtige Bau- der Rinde an Präparaten, welche blos die Ganglien gefärbt zeigen, stets zu erkennen sei. Kleine Abweichungen kämen vor.

Preyer vindicirt der stufenweisen Erwerbung der Centren ihr Recht, manche sind bei der Geburt da, viele entwickeln sich erst, z. B. die Sprache, Abhängung von der Sinneswahrnehmung, den Erfahrungen etc.

v. Gudden: Das Sprachcentrum ist ein erworbenes. Aber bei Taubstummen entwickeln sich die betrefienden Bezirke der Rinde auch, ebenso wie die sogenannte Sehsphäre bei von Geburt Blinden.

Die Function der Rinde erscheint als eine fluctuirende, ausschlaggebend ist die Günstigkeit der Bahnen für die Erregungen, diese Verhältnisse lassen aber Ver- änderungen zu.

Mendel: Der gerichtliche Sachverständige und der Ausschluss der freien Willensbestimmung des $ 51 des Deutschen Strafgesetzbuches.

Der Vortragende geht von einer über dieses Thema stattgehabten Discussion in der Berl. med. Gesellschaft (Verhdlg. Bd. XV. p. 123) und einer gegen seine Auf- fassung gerichteten Polemik des Herrn Schäfer (Lengerich) in der Eulenberg’schen Vierteljahrsschr. Bd. 42 S. 57 aus, indem er in Bezug auf letztere nachweist, dass der theoretische Theil an eine unrichtige Wiedergabe des $ 51 anknüpft, und der als Beweis beigebrachte Fall ärztlich wie forensisch falsch beurtheilt ist. Die freie Willensbestimmung, also auch der Ausschluss derselben ist kein ärztlicher Begriff, kann daher auch von einem ärztlichen Sachverständigen nicht beantwortet werden. Es geht aber ausserdem aus den Motiven des Gesetzes, wie aus den Aussprüchen hervorragender Rechtslehrer und der Commentare zum Deutschen Strafgesetzbuch hervor, dass die Beantwortung des Schlusspassus des & 51 dem Richter, nicht dem Arzte zukommt. Die betreffenden Stellen werden mitgetheilt. Der Vortrag wird in extenso in der Eulenberg’schen Vierteljahrsschrift erscheinen.

Vortrag v. Witkowski: Klinische Notizen. Melancholie und Verrücktheit lassen sich nicht so scharf klinisch trennen, wie die Autoren meinen. Es sind überall flioessende Uebergänge. Auch werden die Verrückten schwachsinnig in verschiedenen Graden bis zum tiefsten Blödsinn. W. meint, dass die Geisteskranken von vorn- herein alle in gewissem Grade schwachsinnig sind, die Lähmungserscheinungen u vor gegen die Erregungssymptome.

v. Krafft-Ebing hätte viel dagegen anzuführen, doch bedürfen Be wich- tigen Fragen einer gründlichen Darlegung und einer eingehenden Discussion, welche für später zu verschieben ist.

Die Versammlung vereinigte sich am 16. Abends zu einem Festmahl im Stephanienbad, und besichtigte am 17. mittags die Apparate für künstliche Massage und mechanische Heilgymnastik im Friedrichsbad. Siemens.

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Von der Versammlung der deutschen Neturforscher und Asorste in Strassburg v. 18—23, September 1885,

Section für Psychiatrie und Neurologie.

v. Gudden (München): Ueber die Sehnerven, die Sehtraotus, das Voer- hältniss ihrer gekreuzten und ungekreuzten Bündel, ihre Seh- und Pupillar- fasern und die Oentren der letzteren,

1. Der Vortragende theilt eine von ihm herrührende neue Methode der Isolirang des ungekrenzten Bündels mit. Beim neugeborenen Thiere geht man in der Sagittal- naht mit einem feinen, schmalen, nicht zu spitzen Messerchen ein und durchschneidet auf der Schädelbasis das Chissma. Neben der Uebung gehört auch Glück dazu, das noch winzige Chiasma gerade in seiner Mitte zu treffen, aber. auch wenn die Mitte nicht getroffen wird, unbrauchbar ist fast kein Erfolg einer solohen intracraniellen Operation. Zeichnungen werden vorgelegt nach. Präparaten des Vortragenden vom Kaninchen und nach solchen (Durchschneidung des einen Tractus) des Harn Dr. Ganser von Katzen.

2. An Querschnitten der Tractus optici von Katzen, denen erst, nachdem 8io erwachsen waren, in der Aethernarcose ein Auge enucleirt worden (vor der Operation wurden dje Augenlider abgetragen und nach derselben vernäht), wird nachgewiesen, dass die Lage des gekreuzten und ungekreuzten Bündels in denselben im Wesent- lichen dieselbe ist, wie sie Vortragender beim Menschen (Archiv für Ophthalmologie XXV, 4) beschrieben habe. Es wird ferner an Zeichnungen von isolirten gekreuzten und ungekreuzten Bündeln (Präparate von zwei Katzen, bei denen Herr Dr. Ganser nach der unter 1 angegebenen Methode die Tractus einer Seite getrennt hatte), an den Qüerschnitten dieser Bündel, an lückenlosen Horizontalschnittreihen zweier Chias- men von Katzen, denen im erwachsenen Zustande ein Auge enucleirt war, endlich an Querschnitten normaler Katzensehnerven (verschiedenen Stellen der Nerven ent- nommen vom Austritte aus dem Chiasma bis zum Eintritte durch die Lamina cribrosa) nachgewiesen, dass die Kreuzung des gekreuzten und ungekreuzten Bündels sich bei diesen Thieren im ganzen Querschnitte des aus dem Chiasma austretenden Nerven vollzieht, und dass die Fasern dieser Bündel sich erst nach und nach im Verlaufe des Nerven sondern, um zu ihren bezüglichen Retinahälften zu gelangen. Diesen Vorgang begleite selbstverständlich auch die Gestaltung des inneren Balkengerüstes (der secundären Scheiden). An zwölf verschiedenen Stellen entnommene Querschnitte des gekreuzten und ungekreuzten Bündels der Katze wurden bei zehnfacher Vergrösserung photographirt, die Photographie ausgesehnitten und auf einer chemischen Waage ge- wogen. Die Querschnitte des gekreuzten Bündels wogen 0,2875, die des unge- kreuzten 0,1775 gr, das Grössenverhältniss der Querschnitte des ersten zum zweiten ist also wie 5:3.

Noch wird bemerkt, dass sowohl die makroskopische wie mikroskopische Unter- suchung des Chiasmas einer erwachsenen Taube, der acht Tage nach dem Aus- schlüpfen aus dem Ei intracraniell ein Tractus durchgeschnitten war, das Resultat ergab, dass diese Thiere nicht im Besitze eines ungekreuzten Bündels sind. Das Chiasma wurde frontal geschnitten.

3. Auf der Naturforscher-Versammlung in Eisenach (Tagblatt 307—-10) habe Vortragender nachgewiesen, dass man durch eine nicht zu tief greifende Fortnahme eines oberen Hügels ein Kaninchen auf der entgegengesetzten Seite blind machen könne, ohne dass die Pupillenbewegung leide. Der Sehnerv fände sich bei der Section zwar kleiner, sei aber weiss, enthalte normale Nervenfasern, und die weitere Unter- suchung ergebe eine allgemeine, nicht eine locale Verminderung der Nervenfasern in der Netzhaut. Der Vortragende müsse, um sich nicht zu wiederholen, auf das ge- nannte Tagblatt verweisen, constatire hier aber ausdrücklich, dass er zwar schon damals das Vorhandensein von zwei Fasersystemen im Opticus nachgewiesen habe

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(ein System von Sehfasern und ein solches von F'asern, die auf reflectorischem Wege die Pupillenbewegung beherrschen), dass aber nach dem Resultate seiner Versuche noch ein drittes System mit einem dritten Centrum vorhanden sein müsse, worüber von weiteren Untersuchungen weitere Aufklärung erwartet werde.

Diese Aufklärung könne auch jetzt noch nicht gegeben werden, die mikroskopische Untersuchung der bezüglichen Schnittreihen habe bis jetzt nur zwei Centren nach- weisen lassen, das eine im Corp. geniculat. extern., das andere im oberen Hügel des Corpus quadrigeminum (woraus indessen noch nicht folge, dass das supponirte vor dem oberen Hügel gelegene nicht dennoch aufgefunden werde, obgleich zugegeben werden müsse, dass möglicherweise statt dessen eine Leitung concurrire), ein Fort- schritt sei unterdessen aber doch gemacht worden, und dieser bestehe in dem Nach- weise von zweierlei im Kaliber verschiedenen Fasern, die keine Mittelformen wahr- nehmen lassen. Das schönste Object für die Untersuchung böten die Optici der Katzen. Der Unterschied falle sofort in die Augen. Derselbe sei aber auch nach- weisbar beim Menschen (wie schon Key und Retzius, erste Hälfte, Tafel 74, Fig. 2, angegeben haben), nur seien die dicken Fasern hier weniger auffallend dick, ebenso beim Kaninchen, nur dass hier die dünnen Fasern weniger auffallend dünn seien, bei den durch Abtragung des oberen Hügels auf der entgegengesetzten Seite ohne Störung der Pupillenbewegung blind gemachten Kaninchen habe aber die Untersuchung der fein der Quere nach geschnittenen, gut gefärbten atrophischen Nerven in sofort wieder in die Augen fallender Weise die mächtige Ansammlung der dicken Fasern ergeben. (Präparate.)

Bei der Katze mit Durchschneidung des einen Tractus opt. sieht man dann noch (an den Querschnitten der Nerven), dass die dicken Fasern denselben Kreuzungsver- hältnissen unterliegen, wie die dünnen, mit andern Worten, dass das gekreuzte wie das ungekreuzte Bündel auch eine seiner Grösse entsprechende Zahl dieser Fasern führt.

Discussion. Dr. v. Mouakow (Zürich) hat nach zweierlei Richtungen gegen den Vortrag des Herrn v. Gudden Einwendungen zu machen: 1) Ist die experimen- tale Methode an neugeborenen Thieren bei der Bestimmung des Lageverhältnisses der verschiedenen Bündel im Sehnerven nicht ganz maassgebend, indem eine Ausgleichung der atrophischen und nicht atrophischen Fasern denkbar ist. In einem Fall von hochgradiger Degeneration eines Tractus opt. beim Menschen hingegen, in dem Redner die secundäre Degeneration in beide Sehnerven verfolgen konnte, war die Degeneration auf besondere Bündel beschränkt; auf der nicht gekreuzten Seite war das dorsal- laterale Querschnittsfeld des N. opt., auf der gekreuzten mehr das ventral mediale und zwar relativ scharf umschrieben atrophisch. 2) Was das Verhalten der lateralen Zone des Corp. gen. ext. nach Wegnahme des contra-lateralen Bulbus anbetrifft, so kann M. allerdings an mit Karmin behandelten mikroskopischen Präparaten nachweisen, dass die Ganglienzellen nach jenem Eingriff relativ hübsch erhalten bleiben, dagegen zeigte die graue Grundsubstanz einen erheblichen Defect, so dass die blasig etwas aufgetriebenen Ganglienzellen auffallend dicht an einander liegen.

Aus der Section für Physiologie.

A. Herzen (Lausanne): Ueber die Spaltung des Tomperatursinnes in zwei gesonderte Sinne.

Aus seinen Untersuchungen kommt er zu folgenden Schlüssen:

1. Dieselbe Region der Hirnrinde (Gyrus sigmoideus bei Hunden) enthält das Centrum (oder die zu demselben führende Leiter) für Tast- und Kälteempfindungen.

2. Beiderlei Empfindungen werden im Rückenmark durch die Hinterstränge geleitet.

3. Beide werden durch Druck auf die peripherischen Nervenstämme aufgehoben.

4. Die Beobachtungen am gesunden und kranken Menschen zeigen, dass bei

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pathologisch oder experimentell aufgehobener Empfindlichkeit für Kälte die Empfind- lichkeit für ‘Wärme meistens erhalten ist; sie wird demnach von anderen Nerven, durch andere Bahnen, zu anderen Hirncentren vermittelt.

5. Also besteht der „Temperatursinn‘“ aus zwei Sinnen: einem Kältesinn und enem Wärmesinn, dia von einander unabhängig sind, sowohl physiologisch wie anatomisch.

Obgleich nun die Tast- und Kältesinne einerseits und die Schmerz- und Wärme- sinne anderseits näher aneinander gebunden zu sein scheinen, darf man sie dennoch gewiss nicht identificiren, oder etwa die Temperaturempfindungen als eine Modalität der Tast- oder Schmerzempfindungen betrachten. Gegen eine solche Annahme giebt es übrigens, ausser manchen Wahrscheinlichkeitsgründen, einen ganz entscheidenden experimentellen Grund: die von M. Blix entdeckte und von Eulenburg, Gold- scheider und anderen bestätigte Existenz besonderer, isolirter, unregelmässig auf der Haut zerstreuter Puncte, von denen die einen nur Kälte, die anderen nur Wärme, die dritten nur Berührung empfinden. Indem Vortr. die Blix’schen Beobachtungen wiederholte, und an verschiedenen Körperstellen bestätigte, stiess er auf eine Gegend, die sich in dieser Beziehung ganz eigenthümlich verhält: die Oberfläche der Glans penis des Menschen, obgleich sie der feineren tactilen Unterscheidungen, Localisationen etc. entbehrt, während sie etwas gröbere Berührungen deutlich wahrnimmt, ist für Kälte vollständig unempfindlich. Am Präputium fühlt man die Kälte im Gegentheil sehr intensiv, aber die dafür empfindlichen Puncte liegen relativ sehr entfernt von einander; in den Zwischenräumen ist nun das Tastvermögen ausserordentlich fein, s0 dass die leiseste Berührung sogleich deutlich empfunden und localisirt wird.

Die peripheren Empfangsorgane sind demnach nicht dieselben, folglich können es auch die centripetalen Leiter nicht sein: es handelt sich also um specifische Nerven, und es erhellt nun, dass ihr gemeinsamer Verlauf in den hinteren Rücken- markssträngen und ihre gemeinsame ne in derselben Gegend der Hirnrinde, nur scheinbar gemeinsam sind.

Aus der Section für Gynaekologie.

H. W. Freund (Strassburg): Ueber die feineren Veränderungen der Ner- vensapparate im Parametrium bei einfacher und parametritischer Atrophie.

F. hat das Ganglion cervicale uteri (Frankenhäuser'sche Ganglion) bei normalen puerperalen Genitalien, dann bei der einfachen Atrophie des Beckenbindegewebes, und - bei der sog. Parametritis chronica atrophicans untersucht. Der Befund bei der letzteren ergiebt Folgendes.

Inmitten des narbigen, sklerosirten Bindegewebes findet man auf mikroskopischen Schnitten durch Präparate, bei denen die Affection ihre höchsten Grade noch nicht erreicht hat, das Nervengeflecht eingeengt und eingedrückt. Der normalweise an- nähernd elliptische Contour des Ganglions ist vielfach eingebogen, im ganzen ver- schmälert und in die Länge gezogen. Das interganglionäre Bindegewebe imponirt als eine mehr gleichmässig das Geflecht beherrschende Masse und färbt sich lebhaft in Carmin. Die Bindegewebsringe um die einzelnen Ganglienzellen sind in der all- gemeinen fibrösen Masse aufgegangen. Die Ganglienzellen sind geschrumpft und haben die polygonale Gestalt eingebüsst. Der Korn ist in vielen nur mit Mühe zu erkennen. Dabei sind sie sämmtlich gelb-braun pigmentirt. In diesem Stadium der Krankheit sind die austretenden Nerven nicht erheblich beeinträchtigt.

Noch grossartiger sind aber die Veränderungen in Präparaten, welche die ex- tremsten Grade der narbigen Schrumpfung darstellen. Hier erscheint das peri- ganglionäre Gewebe als eine fast homogene, undurchdringbare, tief roth gefärbte Masse mit verdickten Arterien und varicöosen Venen. Von einem circumscripten Contour des Ganglions ist so gut wie nichts mehr zu sehen; als ansehnliche Stränge vereinigen sich die Massen des interganglionären mit denen des periganglionären

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Bindegewebes und treten ganz nahe an die Ganglienzellen, die sie zusammendrücken und in Gestalt und Grösse bedeutend beeinträchtigen. Die Zellen sind hier viel spärlicher als normal und sammt und sonders gelb pigmentirt; nur an wenigen er- kennt man noch einen Kern. Aber auch die austretenden Nervenzüge sind spärlich vertreten, schmal, ohne Ganglienzellen; an einigen Stellen verschwinden sie wie ab- gebrochen in den Narbenzügen.

Wir haben es somit hier mit einer interstitiellen Wucherung, einem cirrhotischen Vorgang zu thun, der, wie alle übrigen im Beckenbindegewebe gelegenen Organe, auch den dortigen grossen Nervenapparat ergriffen hat, ein Befund also, der zu er- warten stand. Dies ist aber nicht eine histologische Subtilität, sondern ein Befund, der in pathologisch-anstomischer, wie in klinischer Hinsicht vom grössten Interesse ist, Der die Hauptmasse der Beckenorgane mit Nerven von hoher functioneller Be- deutung versorgende Apparat ist von einer schweren, progredienten Erkrankung be- fallen, welche zum Untergang seiner wichtigsten Elemente, der Ganglienzellen und eines Theils: der Nervenfasern geführt hat. Dass hier der Punkt im aligemeinen Nervensystem liegt, der, durch das wuchernde Bindegewebe anfangs gereizt, dann krank gemacht, endlich zu Grunde gerichtet auf bequemen Bahnen Symptome im spinalen, sympatbisöhen, cerebralen Nervengebiete auftreten lässt, ist nicht zu bezweifeln. Für einige bestimmte Formen der Hysterie, diejenigen nämlich, welche im Gefolge einer Parametritis chronica atrophicans auftreten und welche in der Arbeit seines Vaters Gymaekologische Klinik I ausführlich beschrieben sind, ist er im Stande, eine Er- krankung des Ganglion cervicale uteri als Ursache nachzuweisen; aber auch nur für diese. Dass es unter den Formen der Hysterie wahre Neurosen, d. h. rein functionelle Störungen der Nerventhätigkeit ohne nachweisbare anatomische Erkrankung eines Nerven giebt, wird Niemand bezweifeln, dieselben sind sogar vielleicht die häufigeren Formen der Hysterie.

x Aus der Section für Paediatrie.

Kohts (Strassburg) spricht über Rückenmarkstumoren im Kindesalter. Er beschreibt eingehend 3 Fälle im Alter von 15, 5!/, und 1!/, Jahr mit Tumoren von hirnmarkähnlicher Beschaffenheit resp. zwei Tuberkel, und einen Fall von peri- pachymeningitischem Tumor, und kommt zu folgenden Schlussfolgerungen:

1.’ BRückenmarks-Tumoren sind in den Fällen zu diagnosticiren, wo bei sonst ganz gesundem Organismus, bei dem Mangel mechanischer Insulte, ohne nachweisbare Ursache plötzlich heftige excentrische Schmerzen und, wenn auch nur geringe, moto- rischd Störungen auftreten, die im weiteren Verlauf unter dem Bilde einer Apoplexie zu fortschreitenden Lähmungen Veranlassung geben.

2. Solitäre Rückenmarks-Tuberkel lassen sich nur ausnahmsweise bei gleich- zeitiger Tuberculose anderer Organe, speciell einer Cerebrospinalmeningitis mit einiger 'Wahrscheinlichkeit diagnosticiren. Als Anhaltspunkte für eine derartige Diagnose sind zu erwähnen, excentrische Schmerzen in einer Extremität mit Formicationen, und allmählich fortschreitende Lähmungen. Bei Tumoren in den unteren Parthien des Rückenmarks zwischen Brust- und Lendenmark kann, selbst für den Fall, dass fast die ganze Hälfte der Rückenmarks-Substanz von der Geschwulst eingenommen wird, die Symptomatologie eine vollkommen negative sein.

3. Bei peripachymeningitischen Auflagerungen entwickeln sich ganz der secun- dären Degeneration analoge Veränderungen, selbst wenn eine Continuitäts- Unter- brechung der Rückenmarks-Substanz nicht vorhanden ist.

(Fortsetzung des Berichts über die Versammlung folgt.)

Berichtigung. In dem Referat von Prof. Eulenburg über Benedikt’s Grundformeln lies 7. 20 v. u. (Nr. 18 S. 481) „blastemartig“ statt „blasenartig“.

Verlag von Veır & Coume. in Leipzig. Druck von Merzeer & Wırrie in Leipzig.

NEUROLOGISCHESCENTRALBLATT

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten,

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Vierter Det. Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direot von der Verlagsbuchhandlung.

1885. 15. October. No. 20,

Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Ueber die Behandlung der Nahrungsverweigerung bei Irren, von Director Dr. Siemens. 2. Beitrag zur Lehre der multiplen Neuritis bei Pota- toren, von Richard Schulz (Fortsetzung statt Schluss).

Il. Referate. Anatomie. 1. Cellule ganglionari nei nervi facciale, intermediario del Nabe: grande e piccolo petrosi Anpenc el, pel Varaglia. 2. Methods of staining nervous tissue, by Starr. Experimentelle Physiologie. 8. Die elementaren Störungen ein- facher Functionen nach oberflächlicher, umschriebener Verletzung des Grosshirns, von Loeb. Pathologische Anatomie. 4. The pathological anatomy of acute locomotor ataxia, by Putzel. Pathologie des Nervensystems. 5. Case of cerebral abscess, by Fox. 6. Zwei Fälle von Verletzung der Grosshirnrinde, von Kiemenciewicz. 7. Etudes sur les fonctions du centre ovale, par Farge. 8. Zur Lehre von der Chorea minor, von Kaulich. Psychiatrie. .9. Sur les terreurs morbides et le dölire &motif en gönsral, par Doyen. 10. On N alternating with spasmodic asthma, by Norman. 11. Influence de la men- struation sur transformation de la manie en dölire aigu; acces de manie. Symptomes graves de delire aigu & !’&poque des rögles; gu6rison, par Balliarger. Therapie. 12. Nerve suture; strangulation at point of junction; operation; rapid recovery of sensation and motion, by Pye. 18. Partial excision of the inferior dental nerve for persistent facial neuralgia, by Grant.

. ill. Aus den Gesellschaften.

IV. Personalien.

V. Vermischtes.

I. Originalmittheilungen.,

l. Ueber die Behandlung der Nahrungsverweigerung bei Irren. Von Director Dr. Siemens in Ueckermünde. Vortrag im Verein der deutschen Irrenärzte in Baden-Baden am 16. September 1885. M. H.! Mit Freude begrüsste ich den Beschluss unseres Vereinsvorstandes, die Frage nach der Behandlung der Abstinenz der Irren auf die Tagesordnung

der diesjährigen Versammlung zu setzen; bewies der Beschluss mir doch, dass diese Frage noch immer für eine wichtige gehalten wird. Wie Sie wissen,

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hat die Literatur der letzten Jahre verschiedene Anregungen in dieser Sache gebracht, und es darf gesagt werden, dass zum Theil eine Aenderung in den Anschauungen der Psychiater eingetreten ist. Es ist wohl zweifellos, dass die gewaltsame Fütterung der Abstinenten, insbesondere die mit der Schlundsonde, jetzt überall ganz erheblich viel seltener vorgenommen wird, wie früher, und dass auch diejenigen Aerzte, welche sie für unentbehrlich halten, de facto sie nur dann und wann noch anwenden, während Andere bereits viele Jahre lang ohne die Sonde ausgekommen sind. Lassen Sie mich, m. H., hier gleich erklären und diese Erklärung wird, denke ich, jedes Missverständniss verhindern —, dass auch die Gegner der Sonde dieses nützliche Instrument durchaus nicht völlig verwerfen, dass es ihnen nicht einfällt, die Anhänger der Sonde, wie man sich ausgedrückt hat, in den Bann zu thun. Insbesondere verwerfen wir die Sonde nicht aus Principienreiterei. Wenn nicht anders als durch die Sonde das Leben des Kranken zu erhalten ist, werden wir die Sonde natürlich an- wenden. Ueber diese vitale Indication lässt sich nur von Fall zu Fall ent- scheiden, es ist da lediglich das ärztliche Gewissen das, was den Ausschlag giebt. Ja, m. H., es giebt derartige Fälle, wir gestehen das zu, aber, m. H, sie sind ausserordentlich selten, sie kommen manchmal in einer Anstalt in vielen Jahren nicht vor.

Nach dieser vorweggegebenen Erklärung lassen Sie uns näher auf die Sache eingehen. Vor 2 Jahren habe ich in einer Arbeit im WestpHAu'schen Archiv,! deren Inhalt ich wohl als bekannt voraussetzen darf, nachzuweisen mich bemüht: einestheils, dass die Haupt -Nahrungsverweigerer unter den Geistes- kranken, die Melancholischen und die Hypochondrischen, an Störungen des Stoffwechsels und der Verdauung leiden, in Folge deren sie de facto weniger Nahrungsstoffe gebrauchen und ein Mehr nicht vertragen, und andererseits suchte ich nachzuweisen, dass die Carenz an sich für die Geisteskranken sowohl, wie auch für andere Leute, nicht solche gefährlichen Folgen hat, wie ihr nach- gesagt worden ist, und dass selbst längere völlige Carenz innerhalb bestimmter Grenzen meist ohne nachhaltigen Schaden vertragen wird.

Auf diese letztere Seite der Frage will ich heute nicht weiter eingehen. Ich glaube, es ist Niemand, welcher anzweifelt, dass Geisteskranke und andere Leute, vorausgesetzt, dass ihre Kräfte sonst nach Möglichkeit geschont werden, eine Zeit lang (ohne Wasser bis zu 12 oder 14 Tagen, mit Wasser bis zu mehreren Wochen) existiren können, ohne dass sie Nahrung zu sich nehmen. Die Carenz allein verursacht innerhalb gewisser Grenzen keine Organerkran- kungen; insbesondere ist es völlig ausser Zweifel gestellt, dass das Gehirn und die psychischen Functionen durch die Carenz nicht nachhaltig leiden. In den zahlreichen Fällen. langdauernder Abstinenz, welche ich gesehen, habe ich nie- mals beobachtet, dass das Gehirn Schaden gelitten hättee Nach dem auf ana- tomisch-physiologischem Wege, beim Thierexperiment, erhobenen Befunde, dass das Gehirn an seinem Gewicht bei der Carenz nur verschwindend wenig ein- büsst (1 pro mille des Gesammt-Verlustes), so ist ja auch nichts Anderes zu

ı Bd. XIV, H.3 und Bd. XV, H. 1.

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erwarten. Und wenn klinisch festgestellt wird, z. B. dass ein halbes Jahr nach der Genesung von einer schweren Psychose, in deren letzte Periode noch eine lange absolute Carenz fiel, der Betreffende eine geistige Kraftleistung wie das grosse juristische Staatsexamen vollbringt, so kann von einer durch die Inanition gesetzten Schädigung des Gehirns wohl nicht die Rede sein. Auch in andern, nicht geheilten Fällen, bei Paranoischen etc., zeigte sich nach der Hungerperiode weder unmittelbar danach, noch später eine besondere Störung der Hirn- functionen, welche der Inanition zur Last zu legen war. Diese Thatsachen be- weisen mehr als die zweifelhaften Befunde an den Ganglienzellen des Hirns von hungernden oder verhungerten Kaninchen, wie Trübung etc.

Bei dieser Categorie der Abstinirenden kann man also ruhig zuwarten, sie fangen bei einigermaassen geschickter Behandlung alle wieder an zu essen, das Gegentheil ist äusserst selten. Sterben lassen wir aber von ihnen an Inanition keinen, eher greifen wir zur Sonde. In einem solchen mir vorgekommenen und auch veröffentlichten Falle! genügte eine einzige demonstrative Sondenein- führung; zu einer wiederholten oder gar dauernden Sondenfütterung lassen es diese Kranken wohl niemals kommen.

Ganz anders die Melancholischen, sie machen uns durch ihre hartnäckige Abstinenz viele Sorgen. Ihre Ernährungsverhältnisse aber müssen weitaus in den meisten Fällen ganz anders beurtheilt werden, sie sind durch die Krank- heit verändert und stehen dauernd unter ganz abnormen Bedingungen. Es ist ja allbekannt, dass ein depressiver Affect, dass Präcordialangstt den Appetit lähmt und die Verdauung stört. Dauernd gedrückte Gemüthsstimmung ist niemals ohne Magenstörungen, sie stellt das Hauptcontingent für die nervöse Dyspepsie. Auch die Collegen von der innern Klinik schenken diesen nervösen Magenstörungen jetzt mehr Beachtung, ich erinnere Sie nur an den neuesten Vortrag von Leypen® über die nervöse Dyspepsie. Ich hätte nur gewünscht, dass die leichten und leichtesten Psychose-Formen, jene chronischen oder auch periodischen, mit Angstempfindungen, Magenbeschwerden und Obstipation einher- gehenden leichten melancholischen und hypochondrischen Verstimmungen von den betr. Collegen mehr gewürdigt würden, sie sind in der That so häufig wie Bronchialcatarrıh oder Schnupfen und füllen die Sprechzimmer der Aerzte und alle möglichen Curorte. Wie auch Lxypen sagt, heilt man diese Magenbe- schwerden (fälschlich Magencatarrhe genannt) nicht durch Medicamente und Diätkünste, sondern durch Beseitigung der Krankheitsursachen: geistige Ruhe, psychische Umstimmung, Versetzung in andere, bessere Umgebung, Entfernung aus den Geschäften, den Sorgen, den Aufregungen, der Ueberbürdung; man heilt sie durch Zerstreuung, Erheiterung, Interesseerweckung, kurz durch geistige Diätetik. Gelingt diese psychische Umstimmung, so verschwinden die Magen- beschwerden von selbst.

In den höheren Graden der psychisch depressiven Verstimmung, in den schweren Formen der Melancholie, sind die Störungen der Appetenz und der

! Neurolog. Centralbl. 1884. Nr. 18. ® Klin. Berl. Wochenschr. 1885. Nr. 30 u. 31.

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Digestion so bedeutende, dass die Kranken fast alle dazu kommen, die Nahrung ganz oder theilweise, dauernd oder zeitweise zu verweigern. Bei Manchen ist es deutlich zu verfolgen, wie sie in den angstfreieren Zeiten willig Nahrung nehmen, während sie dieselbe sonst verweigern. Die Kranken haben nicht nur einen instinctiven Widerwillen gegen die Nahrung, sondern sie sind durch die Selbstbeobachtung belehrt, dass sich der Zustand nach Einführung von Nahrung verschlimmert. Ich habe mir von unzähligen Melancholischen sagen lassen, dass die Angst, die schreckliche Unruhe, das Brausen und die Benommenheit im Kopfe, die Nerven- und Blutgefässerregung, welche ‚zeitweise ein Gefühl ver- ursacht, als flüge der Körper, oder als hätten sie Fieber, dass alle diese höchst quälenden Symptome durch die Nahrungsaufnahme auf’s Unerträglichste ge- steigert werden. Es ist ja bekannt, dass bei der Verdauung auch beim nor- malen Menschen sich eine sphygmographisch nachweisbare Veränderung in der Gefässinnervation einstell. Bei Neurasthenikern wird diese Reaction sich ver- stärkt zeigen, noch stärker bei Geisteskranken mit präcordialen Sensationen und Angst, sie verschlimmert bei ihnen das subjeotive Befinden in hohem Maasse. Ein an intermittirender Präcordialangst leidender Officier in meiner Anstalt giebt stets an: „Wenn ich in diesem Zustand esse, so wird der Erwürgungsdruck bei mir derart gesteigert, dass ich keine Luft mehr bekomme.“ Noch einen an- dern lehrreichen Fall will ich kurz erwähnen: Es ist eine Frau von 55 Jahren, welche seit dem Klimakterium an alle 4 Wochen wiederkehrenden Anfällen von Aufregung, Präcordialsensationen und deliriumartigen Zuständen leidet. Sie pflegt auf der Höhe des Anfalls etwa während 5 Tagen absolut zu abstiniren, geniesst also auch kein Wasser. Den folgenden 6. und 7. Tag trinkt sie viel Wasser und dann isst sie wieder Alles ganz regelmässig. Diese Anfälle gleichen sich untereinander ja sehr, doch zeigen sie nicht immer die sogenannte photo- graphische Treue (welche auch bei andern periodischen Psychosen ziemlich oft vermisst wird), eg kommen zuweilen kleine Abweichungen vor. So hatte die Kranke im Juni cr. in einem ihrer Anfälle entgegen ihrer Gewohnheit und wohl aus Versehen von den ihr hingesetzten Speisen genossen, aber sie vertrug Nichts und erbrach es sogleich wieder. Sie abstinirte nunmehr ihre gewöhn- liche Zeit lang und nahm dann wieder Alles, ohne zu erbrechen. Dasselbe Vorkommniss hat sich kürzlich bei ihr noch einmal wiederholt. Solche Bei- spiele lassen sich nach Belieben vermehren.

Ich habe in meiner Arbeit dann weiter betont, dass der Stoffwechsel dieser Melancholischen retardirt und das Nahrungsbedürfniss ein vermindertes sei, und dass der Organismus in Folge dieser Störung in der Lage sei, mit weniger Nahrung als im normalen Leben auszukommen. Ich verkenne nicht, dass an exacten Beweisen für diese Lehre, welche BEnERE u. A. aufgestellt, noch viel fehlt, besonders eine Serie ad hoc angestellter Stoffwechsel-Untersuchungen. Ich hoffe sehr, dass unsre jüngeren Collegen diese Arbeit vornehmen, dass sie Stoff- wechsel-Untersuchungen bei abstinirenden und nicht abstinirenden Melancho- lischen ausführen und darüber berichten werden. Es wäre das in hohem Grade wünschenswerth und sicherlich von grosser Bedeutung auch für die Therapie.

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TuczeX’s hübsche Untersuchungen! sind zwar auch von grossem Interesse, sie beweisen aber speciell für diese Frage nichts, da sie zwei Paranoische betreffen, und T. hat deshalb sehr Recht, wenn er am Schlusse seiner Arbeit sagt, „er hüte sich, die für die Ausscheidungen gefundenen niedrigen Ziffern im Sinne eines durch die Psychose als solche herabgedrückten Stoffwechsels zu deuten“. Seine untersuchten beiden Fälle waren ja auch von ganz anderer klinischer Beschaffenheit, es bestand bei ihnen keine dauernd depressive Verstimmung, sondern im Gegentheil gehobenes Selbstgefühl, Grössenwahnvorstellungen etc.

. Bis die wünschenswerthen Untersuchungen an Melancholischen uns sichere Zahlen an die Hand geben, müssen wir uns auf die Ergebnisse der klinischen Beobachtung des Befindens dieser Kranken verlassen. Und diese beweisen, dass die Kranken mit einem erheblich geringeren Kostquantum, als man nor- maliter annimmt, dauernd auskommen, dass sich das Körpergewicht constant erhalten kann bei einer Nahrungszufuhr, welche sogar bis auf die Hälfte und darunter der Vorr’schen Kostration hinabgeht. Solche Fälle sind in meiner Arbeit beschrieben.

Gestatten Sie, m. H., dass ich hier noch auf ein paar Punkte zu sprechen komme, welche für die Lehre von der Inanition wichtig sind. Zunächst auf den Acetongehalt der Ausscheidungen der Abstinenten. Die Erfahrungen mehren sich, welche diesen Stoff bei aller Art von Inanitionszuständen des Körpers als charakteristisch gefunden haben. Dieses scharfe Reagens des Organismus kann nun auch einen Fingerzeig für die therapeutischen Maassnahmen geben. Denn wenn ein Kranker, welcher dauernd wenig Nahrung zu sich nimmt, niemals Aceton zeigt, und ein constantes Körpergewicht, so ist das ein Beweis, dass für seinen retardirten Stoffwechsel die wenige Nahrung genügend ist und dass er dabei bleiben kann ohne Schaden, während das Auftreten des Acetons uns mahnen muss, dass die Kostration unzureichend ist und dass der Organismus von seinen eigenen Stoffen zusetzt.

Einen anderen Umstand möchte ich noch erwähnen, das ist die \Wasser- zufuhr. Ich habe schon in meiner Arbeit darüber gesprochen, und möchte noch hinzufügen, dass die Einverleibung von viel Wasser in manchen Fällen den Kräftezustand augenblicklich zu heben im Stande ist. Fast alle diese Absti- nirenden bekommen dabei auch zu wenig Wasser; in Folge der Wasserarmuth verringert sich natürlich auch das Blutquantum, und ebenso wie eine Salz- wasserinfusion den verbluteten oder den durch die Cholera ausgetrockneten Or- ganismus augenblicklich wieder kräftigen und den Puls wieder heben kann, so kann man auch bei Hungernden durch Wassereingiessung per anum oft eine momentane Kräftigung erzielen. Man kann das einfach unter der Firma „Clystier“ machen, man lässt das Wasser im Darm, wo es’ begierig resorbirt wird. Mein Herr Correferent wird Ihnen sicher auch das Lob der Ernährungs- klystiere singen; m. H., ich stimme in dieses Lob mit ein. Wir haben jetzt in dem Kemmesıca’schen überall käuflichen Fleischpepton ein vorzügliches Mittel für Eingiessungen per anum. Wir haben es bei einzelnen abstinirenden

1 Archiv für Psychiatrie. Bd. XV. H.3.

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chronisch Melancholischen, mit dem nöthigen Kochsalz und etwas Alkohol ver- setzt, in dünner Lösung per Clysma einverleibt und davon stets eine beträcht- liche Hebung des Pulses gesehen.

Dies Alles und die schon früher beschriebenen Maassnahmen: vorsichtiges Zuwarten, stete Controle des Befindens, Conserviren der Kräfte durch Bettruhe, genaue Beobachtung und Benützung der Eigenthümlichkeiten des einzelnen Kranken, stetes Naherücken und Erleichtern der Nahrungsaufnahme, machen fast für alle Fälle die gewaltsame Fütterung der widerstrebenden Kranken überflüssig. Sagt uns aber unser ärztliches Gewissen: dieser Kranke ist nur durch die gewaltsame Einführung der Sonde vom Tode zu retten, wohl, so werden wir sie anwenden. Aber, m. H., diese Fälle sind enorm selten.

2. Beitrag zur Lehre der multiplen Neuritis bei Potatoren. (Aus dem herzoglichen Krankenhause zu Braunschweig.)

Von Dr. Richard Schulz, Vorstand der medicinischen Abtheilung. (Fortsetzung.)

In Kürze zusammengefasst sahen wir bei einem Potator strenuus, nicht neuropathisch belastet, nie syphilitisch, unter geistiger Unklarheit im Verlauf ungefähr eines Monats eine alle vier Extremitäten betreflende höchstgradige atrophische Lähmung sich entwickeln. Es bestanden keine Sensibilitätsstörungen, abgesehen von leichten Parästhesien, keine Störungen des Muskelgefühls, wie in der Reconvalescenz zu erfahren war, Schmerzen in Armen und Beinen, Druck- empfindlichkeit der grossen Nervenstämme, vorübergehend fieberhafte Gelenk- affection, keine eigentliche Ataxie, sondern nur Aehnlichkeit mit derselben, Auf- gehobensein der Patellarrefiexe bei erhaltenen Hautreflexen, Blasen- und Mast- darmparese (siehe unten), Aufhebung der elektrischen Erregbarkeit der Extremi- täten-Nerven und -Muskeln für beide Ströme ohne qualitative Veränderungen, vorübergehende beiderseitige Abducenslähmung. Im Verlauf von fast 2 Monaten sahen wir ferner zuerst Gleichbleiben des Zustandes, dann mit eintretender grösserer geistiger Klarheit Verschwinden der Blasen- und Mastdarmparese, Verschwinden der Abducenslähmung, Zunehmen der Kraft in den Extremitäten, allmähliche Wiederkehr der elektrischen Erregbarkeit, Zurückkehren der Patellar- reflexe, immer fortschreitende Besserung, sodass Patient nach sechsmonatlicher Behandlung geheilt entlassen werden konnte.

Die Diagnose machte besonders anfänglich nicht geringe Schwierigkeiten. Dass nicht ein gewöhnliches Delirium tremens vorlag, war auf den ersten Blick klar. Gegen acute aufsteigende Paralyse sprach vor allen Dingen der mit dieser Krankheit gar nicht übereinstimmende klinische Verlauf, ferner besonders die veränderten elektrischen Erregbarkeitsverhältnisse. Progressive Paralyse konnte im Anfang nicht ganz ausgeschlossen werden. Gegen einen myelitischen Process waren vor Allem die geringen Störungen der Sensi-

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bilität einzuwenden. Am annehmbarsten schien im Anfang die Diagnose „sub- acute Poliomyelitis anterior“ zu sein, wenngleich auch schon zu dieser Zeit an „multiple Neuritis“ gedacht wurde, wie aus der Untersuchung auf Schmerzhaftigkeit der grossen Nervenstämme bei der Aufnahme hervorgeht.

Für die Diagnose „subacute Poliomyelitis anterior“ sprachen die ausgebreitete atrophische Lähmung mit höchstgradiger Herabsetzung der elek- trischen Erregbarkeitsverhältnisse, allerdings ohne qualitative Veränderung, die geringen Störungen der Sensibilität, die Aufhebung der Patellarreflexe, dagegen das Vorhandensein lebhafter Hautreflexe, die Lähmung der Nn. abducentes, die Blasen- und Mastdarmlähmung.

Letzteres Symptom würde allerdings auch gegen die endgültige Diagnose „multiple Neuritis“ sprechen und möchte ich schon jetzt meine Auffassung darüber in dem vorliegenden Falle aussprechen. Ich bin geneigt, in meinem Falle die unfreiwilligen Entleerungen der Blase und des Mastdarms nicht als Folge einer wirklichen Lähmung der betreffenden Nerven anzusehen, sondern sie mehr auf Rechnung der geistigen Verwirrtheit und vollständigen Apathie des Patienten zu setzen und möchte als Beweis für diese Auffassung darauf hinweisen, dass, sobald Patient geistig wieder klar war, die Secessus involuntarii sofort sistirten, während die übrigen Erscheinungen wenig verändert waren.

Zu der Zeit, als bei dem Patienten unter Fieberbewegungen die Gelenk- affection sich einstellte, stattete Herr Professor STRÜMPELL meiner Abtheilung einen gelegentlichen Besuch ab und regte bei flüchtiger Vorstellung des Pat. wiederum die Frage an, ob wir es nicht doch mit einer multiplen Neuritis, bei welcher gerade die Gelenkaffectionen häufig vorzukommen pflegen, zu thun hätten.

Ich behielt diese Frage weiter im Auge und gewann im weiteren Verlauf der Krankheit, besonders als Patient klarer wurde und bei der Untersuchung genaue Auskunft geben konnte, immer mehr die Ueberzeugung, dass wirklich eine multiple Neuritis vorgelegen hatte. Die Diagnose stützt sich auf fol- gende Punkte: Die Multiplicität des Processes, welcher die Extremitätennerven

und die Nervi abducentes ergriffen hatte, die hochgradige atrophische Lähmung mit höchstgradiger Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeitsverhältnisse aller- dings ohne qualitative Veränderung, die geringen nur in Parästhesien sich äussernden Sensibilitätsstörungen, die Gelenkaffection, die Aufhebung der Patellar- reflexe bei erhaltenen Hautreflexen, die Druckempfindlichkeit der grossen Nerven- stämme, die ziehenden Schmerzen in den Beinen bei Gehversuchen. Was die dagegen sprechende Blasen- und Mastdarmstörung anbetrifft, so habe ich oben meine Auffassung zu begründen gesucht. Schliesslich spricht für die Diagnose noch die Wiederkehr der elektrischen Erregbarkeit der Patellarreflexe, der end- liche Ausgang in Heilung unter Entziehung des Alkohols. Da dieser günstige Ausgang eintrat und nicht durch Section die angenommene Degeneration der peripherischen Nerven nachgewiesen werden konnte, so wird mir immerhin noch eingeworfen werden können, ob nicht doch vielleicht keine multiple Neuritis, sondern ein centraler Process vorgelegen haben könne.

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Um diesen Einwand noch weiter zu entkräften und die gestellte Diagnose „multiple Neuritis“ noch sicherer zu begründen, glaube ich am besten solche gleiche oder dem mitgetheilten wenigstens höchst ähnliche Fälle zum Vergleich heranziehen zu sollen, bei welchen durch die Section die Diagnose ihre Be- stätigung gefunden hat. Ich beschränke mich bei der Auswahl absichtlich auf die Veröffentlichungen der letzten Jahre, seit der Symptomencomplex der mul- tiplen Neuritis bekannt und genauer beachtet wurde. Wie ich schon in der Einleitung hervorhob, möchte ich als mit meinem Falle fast genau übereinstimmend ansehen die Fälle Srrümprıu's (Fall J, 1. c.), Müurer's (l. c.) und Moxur's (L c.), wobei zu bemerken ist, dass kleine unwesentliche graduelle Unterschiede selbst- verständlich bestehen. Um die Vergleichung dieser Beobachtungen zu erleichtern, gebe ich eine tabellarische Zusammenstellung (siehe Talle I in nächster Nummer) der Symptome dieser 3 Fälle und des meinigen. Der Fall DRESCHFELD's (. c.) ist mir im Original nicht zugänglich gewesen. Nach einem von OPPENHEIM! gegebenen Referat glaube ich jedoch mit Bestimmtheit den dort erwähnten Fall von Alkohollähmung mit atrophischer Lähmung der Extremitäten, Entartungs- reaction, aufgehobenen Sehnenreflexen, abgestumpften Hautreflexen, Hyper- ästhesien, lancinirenden Schmerzen, Cerebralerscheinungen, bei welchem sich das Rückenmark und die hinteren Wurzeln intact, die peripheren Nerven aber er- heblich degenerirt fanden, den’ tabellarisch zusammengestellten Fällen analog ansehen zu müssen. Auch der Fall EısentLonr’s,?® einen 25jährigen Potator betreffend, mit atrophischer Lähmung beider unteren Extremitäten, Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit, Druckempfindlichkeit der Muskeln und spontanen Muskelschmerzen, intacter Sensibilität (Hyperästhesie und schmerzhafte Sensa- tionen), normaler Blasen- und Mastdarmfunction, normalem Rückenmark und ausgesprochener Degeneration des N. ischiad. und Muskelnerven dürfte hierher zu rechnen sein.

Der bei den Beobachtungen EısEnLonR’s, STRÜMPELL’s und MÜLLER’s gleichzeitig gefundenen Tuberculose, welche auch in anderen Fällen von multipler Neuritis wiederholt beobachtet worden ist, möchte ich in ätiologischer Beziehung nicht den Werth beilegen, wie es Moeuı thut, möchte vielmehr die Alkoholintoxication als wichtigstes ätiologisches Moment ansehen.

DEBESOHFELD (]. c.) sowie STRÜMPELL (Sitzungsbericht) unterscheiden durch- aus richtig unter den in Folge von chronischem Alkoholismus vorkommenden Lähmungsformen zwei Gruppen, deren eine im Wesentlichen durch Lähmung, deren andere vorzugsweise durch Ataxie charakterisirt ist, welche beide als anatomische Ursache eine Degeneration der peripherischen Nerven haben. Alle soeben besprochenen Fälle gehören zur ersten Gruppe; zur zweiten durch Ataxie ausgezeichneten Gruppe sind zu rechnen, wie ich schon oben bemerkte, die beiden Fälle Fısoner’s (1. c.), der erste Fall LöweEnreuv’s (l. c.) und die beiden als „nervo-tabes p6ripherique‘“ beschriebenen Beobachtungen Desterme’s (l. c.),

1 Neurolog. Centralbl. 1884. 8. 449. b ? Idiopathische subacute Muskellähmungen und Atrophie. Centralbl. f. Nervenheilk. 1879. Nr. 5. 8. 100.

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ferner noch die von Krüchke-Marbach! als „Pseudotabes der Alkoholiker“ mit- getheilten zahlreichen Fälle, welche nach ihm nur in functionellen Abnormitäten des Rückenmarks und der Nerven ihren Grund haben sollten, sowie der Fall LiLIENFeLD’S (l. c.). Von all’ diesen Fällen hat nur bei den beiden Patienten Deserine’s bei der Section das Freisein des Rückenmarks und die hochgradige Degeneration der peripherischen, besonders der sensiblen Nerven nachgewiesen werden können. Da wir nun, wie aus der tabellarischen Zusammenstellung der Symptome auch dieser Fälle hervorgeht (siehe Tabelle II in nächster Nummer), es wohl unzweifelhaft mit übereinstimmenden Erkrankungen zu thun haben, so wird auch in den zur Heilung gelangten Fällen eine multiple Neuritis als Krankheitsgrundlage anzusehen sein. Auch unter diesen Fällen finden sich naturgemäss graduelle Verschiedenheiten je nach der Schwere der Erkrankung, in den Hauptsymptomen jedoch, welche ich, um nicht weitschweifig zu werden, nicht noch einmal wiederholen will, stimmen sie überein. Hervorzuheben ist jedoch, dass in den schwersten Fällen, welche tödtlich verliefen, das Muskel- gefühl herabgesetzt oder aufgehoben war, während es in den zur Heilung gelangten Fällen sich nicht verändert zeigte.

Zwischen der paralytischen und atactischen Form der chronischen Alkohol- lähmungen finden sich selbstverständlich auch Uebergänge. Der von mir vor- stehend mitgetheilte Fall darf als eine solche Mittelform wohl insofern angesehen werden, als in der Reconvalescenz der Gang etwas an Ataxie Erinnerndes hatte.

Wichtig sind besonders in prognostischer Beziehung die differential- diagnostischen Momente zwischen der atactischen Form der Alkohollähmung und der wirklichen Tabes hervorzuheben. Die Differentialdiagnose gründet sich auf den verhältnissmässig rascheren Verlauf, besonders auf den frühen Eintritt atrophischer Lähmungen, welche bei Tabes nur in den spätesten Stadien ein- zutreten und auch dann nicht mit der rasch auftretenden Atrophie einherzugehen pflegen, vor allen Dingen aber auf die in allen Fällen constatirten hochgradig veränderten elektrischen Erregbarkeitsverhältnisse, bestehend in hochgradiger Herabsetzung der Erregbarkeit mit oder ohne quali- tative Veränderungen, während bei der Tabes nach Ere im Anfang eher eine Steigerung, in den späteren Stadien eine mehr oder weniger deutliche Verminderung der elektrischen Erregbarkeit ohne qualitative Veränderungen zu constatiren ist. Weiterhin ist zu beachten, wie auch STRÜMPELL angiebt, die reflectorische Pupillenstarre, das Gürtelgefühl, die Blasen- und Mastdarm- störungen, welche bei der Alkoholneuritis wenigstens in der Regel zu fehlen scheinen. leichtere Fiebererscheinungen scheinen fast in allen Fällen von Alkoholneuritis vorzukommen und sprechen mehr für diese, als für Tabes.

Bevor ich diese Mittheilung schliesse, möchte ich mir erlauben, noch in Kürze eine Frage allgemeiner Natur die in Rede stehende Erkrankung betreffend zu besprechen und zwar die über den centralen oder peripherischen Ursprung der Erkrankung. Wie schon in der Einleitung hervorgehoben wurde, stimmen die meisten Autoren darin überein, einen peripherischen Ursprung der Erkrankung

ı Deutsche Medizinalzeitung. 1884. Nr. 72.

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anzunehmen, allerdings ist STRÜMPELL entgegenkommend genug, auch eine mögliche gleichzeitige centrale Erkrankung nicht von der Hand zu weisen. Dieser Standpunkt ist auch zur Zeit wohl der einzig richtige. Die casuistische Grundlage ist gegenwärtig noch zu unbedeutend, um ein sicheres Urtheil abgeben zu können und ist aus diesem Grunde jede Mittheilung der- artiger Fälle, natürlich vorzugsweise solcher mit Sectionsbefund mit Freuden zu begrüssen. Es ist nicht zu leugnen, dass gerade die Fälle von multipler Neuritis auf alkoholischer Basis mit ihrer geistigen Störung den Gedanken an einen centralen Ursprung des Leidens sehr nahe legen, um so mehr, da es bekannt ist, wie schwer chronische Alkoholintoxication anf das centrale Nerven- system einzuwirken pflegt. Allerdings spielen sich die in’s Auge fallenden pa- thologisch-anatomischen Processe vorzugsweise in den Meningen ab, welche in den Fällen von multipler Neuritis alcohol., die zur Section kamen, frei gefunden worden sind. Den Veränderungen des Gehirns und Rückenmarks bei chro- nischer Alkoholintoxication ohne multiple Neuritis dürfte aber andererseits noch nicht die nöthige Berücksichtigung zu Theil geworden sein. Es darf mit grosser Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass bei Untersuchung des Gehirns und Rückenmarks bei chronischer Alkoholintoxication mit unseren neuesten Untersuchungsmethoden doch mehr zu Tage gefördert werden dürfte, als bisher bekannt ist.

Weiterhin dürfte für den centralen Ursprung der Erkrankung schwer in’s Gewicht fallen, dass fast von allen Autoren, welche multiple Neuritis alcoholica zur Behandlung bekamen, zunächst die Diagnose auf ein centrales Leiden ge- stellt wurde. Im schroffen Widerspruch mit dieser von vornherein gewiss nicht zu verwerfenden Auffassung steht nun, dass in allen Fällen von Alkoholneuritis das Rückenmark post mortem vollkommen normal befunden wurde und speciell die Ganglienzellen der Vorderhörner, welche nach der Hypothese Erp’s in erster Linie hätten Veränderungen zeigen müssen, in keiner Weise Abweichungen er- gaben und nur die peripheren Nerven sich hochgradig degenerirt fanden. In manchen Fällen multipler Neuritis auf nicht alkoholischer Basis ist nun eine geringe Veränderung der Ganglienzellen der Vorderhörner bestehend in glasiger Beschaffenheit, Vergrösserung, Gequollensein und vereinzelter Vaouolenbildung in denselben gefunden worden. Von verschiedenen Seiten ist jedoch mit Recht darauf hingewiesen worden, dass die Intensität des eventuellen centralen und peripherischen Erkrankungsprocesses nicht in dem richtigen Verhältnisse stehen, um letzteren aus ersterem erklären zu können. LEYDEN! sagt: „Wollte man, wie dies in neueren analogen Beobachtungen geschehen ist, die Sache umgekehrt auflassen, nämlich die spinale Erkrankung (Poliomyelitis) als das Primäre und die peripherische Nerven- und Muskelerkrankung als das Secundäre, so steht dem nicht allein der Verlauf und das Missverhältniss der Intensitäten gegen- über, sondern es ist auch unbegreiflich, dass eine so geringfügige Poliomyelitis eine so hochgradige trophische Störung der peripheren Apparate herbeiführen kann.“ Noch weniger zulässig möchte aber eine solche Auffassung werden,

ı Zeitschr. f. klin. Med. 1880. Bd. I. H.3. S. 410.

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wenn es sich durch weitere Beobachtungen ergiebt (wie es jetzt wirklich ge- schehen ist), dass bei einem ganz analogen Krankheitsbilde eine Erkrankung der peripherischen Apparate bei völliger Integrität des Rückenmarks vor- kommen kann. Weiterhin sagt derselbe Autor (S. 428): „Aehnliches (gering- fügige Läsionen der Ganglienzellen, glasige Beschaffenheit eines Theiles mit Vacuolenbildung) ist namentlich von Dumfnıu geschildert, unter entschiedener Betonung der Schlussfolgerung, dass diese geringfügigen anatomischen Läsionen im Rückenmark im grellen Widerspruch stehen zu der massigen Atrophie der Muskeln der Unterextremitäten und der starken degenerativen Atrophie der Nerven. Dasselbe muss gesagt werden von dem Falle Deserme’s! und dem Falle BäumLer’s, wenn auch hier die Atrophie der Ganglienzellen etwas mehr ausgesprochen war. Indessen gerade Derserine legt das Hauptgewicht seiner Beschreibung auf die Vacuolenbildung in den Zellen, welche doch unmög- lich als der Grund der Atrophie der Muskeln angesehen werden kann.“

Bezüglich der Befunde bei postdiphtheritischen Lähmungen, welche mit denen der multiplen Neuritis die grösste Aehnlichkeit haben, spricht sich Pavu Meyer in seiner Arbeit „Anatomische Untersuchungen über diphtheritische Lähmung“? in folgender Weise S. 202 aus: „Die Zahl der degenerirten Zellen steht gar nicht im Verhältnisse zu der hochgradigen Veränderung der peri- pherischen Nerven.“ „Es fehlt uns somit jeder sichere Anhaltspunkt, um das Primäre der ganzen Erkrankung in den grauen Vordersäulen zu suchen.“ „Es scheint uns viel naturgemässer, die auffallende Verbreitung der degenerativen Veränderungen an peripherischen und centralen Theilen des Nervensystems ein- fach darauf zurückzuführen, dass der diphtheritische Infectionsstoff an den verschiedenen Punkten des Nervensystems einzuwirken vermag, an der Peripherie ebensowohl, wie am Centrum spinale.“ (Cf. STRÜMPELL.)

In dem von EimsentLome im Neurolog. Centralbl. 1885. Nr. 7 u. 8 mitge- theilten Falle von multipler Neuritis fand sich nun nicht wie in einzelnen früheren Fällen Vacuolisation einer geringen Zahl von Ganglienzellen, vielmehr eine so ausgebreitete Vacuolenbildung in den Ganglienzellen der Vorderhörner im Sacral-, Lumbal- und Halstheil des Rückenmarks, dass EısenLoHR besonders im Hinblick auf die oben erwähnte Hypothese Erp’s die hochgradige Degenera- tion der peripherischen Nerven, welche sich in seinem Falle fand, als secun- dären Process auffasst.

Es ist nicht zu verkennen, dass der Befund EmenLonr’s, besonders zu- sarmmengehalten mit der nicht lange vorher von Er» ausgesprochenen Hypothese in der That etwas Verführerisches hat, die Veränderung der Ganglienzellen als das Primäre der Krankheit anzusehen. Trotzdem möchte ich davor warnen, zu rasch dieser Verführung nachzugeben.

Die Frage über die Bedeutung der Vacuolenbildung, ob pathologisch oder Artefact, ist zur Zeit noch nicht endgültig entschieden.

! Atrophie musculaire et paraplögie dans un cas de syphilis maligne pr6coce. Arch. d. physiologie norm. et pathol. 1876. p. 480. ® Virchow’s Arch. Bd. 86. H. 2. S. 181.

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Von mir! wird die Vacuolenbildung (s. Anmerkung) in Uebereinstimmung mit CHarcor als arteficieller Process aufgefasst, trotz der zahlreichen mühsamen und gewiss anzuerkennenden Untersuchungen des Centralnervensystems ver- hungerter und mit verschiedenen Substanzen vergifteter Thiere Popow’s,? Rosen- BACH’S,® TscHiscH’s.* Abgesehen davon, dass mir auch die hierbei gefundenen, künstlich erzeugten Veränderungen in Rückenmarken von Thieren nicht so ohne Weiteres, als ganz besonders beweiskräftig auf die Verhältnisse bei Menschen übertragen werden zu können scheinen, fand sich auch bei diesen Untersuchungen die Vacuolisation durchaus nicht als die hervorstechendste und auffallendste Veränderung vor. RosengBacH sagt S. 339 1. c. nach eingehender Beschreibung der Veränderung der Ganglienzellen „der Zellkörper, welcher im normalen Zu- stande von glatten Ebenen umgrenzt ist, wird eckig, schrumpft stellenweise zu- sammen und erleidet Substanzverluste, die meistens unregelmässige Einbuch- tungen an der Oberfläche der Zelle hervorbringen, nicht selten auch in der Gestalt von im Innern des Zellkörpers eingeschlossenen Vacuolen erscheinen.“

TscaıscH sagt {l. c.) bei der Morphiumvergiftung der Thiere: „Eine andere Veränderung, die in allen Fällen vorkommt, obwohl in geringer Zahl, ist die Vaouolisation.“ Bei der Atropinvergiftung bemerkt er 8. 154: „viel seltener kommen vacuolisirte Zellen vor.“ TscrıschH steht der Frage, wie aus den nach- stehenden Citaten hervorgehen wird, ziemlich schwankend gegenüber. S. 165 sagt er: „Sowohl aus dem Grunde, dass Zellen mit Vacuolen eine häufige pa- thologische -Veränderung in den Rückenmarken von Hunden ausmachten, die durch acute Vergiftung zu Grunde gegangen waren (bei mehr chronischer Ver-

! Neurolog. Centralbl. 1884. Nr. 23 u. 24 und 1884. Nr. 6.

Anmerkung. Bezüglich der Natur der Vacuolenbildung spricht sich DEIERME |, c. p. 438 und weiterhin p. 441 folgendermasssen aus: „Quant & la nature du contenuo de ces vacuoles, elles n’est point encore r&solue, transparent et röfractant peu la Iumiere, il differe cependant de l’infiltration colloide par ces caractöres, mais sa nature intime est encore in- determinde.“

„Nous avons cependant rencontrö une alteration qui pourrait faire songer a un £tat irritatif du processus, nous voulons parler de l’alt6ration vacuolaire; observ6e par HavEm dans les myelites experimentales cons&cutives aux arrachements de nerfs, elle a &t& con- stat6e par le m&me auteur dans la myelite aigu& oentrale, mais moins fröquemment. Dans notre cas, on observait sur presque toutes les pr&parations quelques &löments ainsi alteres et pr&sentant des formes variees; cette altsration, et c’en est trös-probablement une ne se rencontre guere sur les moölles saines: pour notre part, nous ne l’avons jamais rencontröe, et c’est ce qui devrais avoir lieu si elle produisait sous P’influence des r&actifs; est-elle le phenomöne initial le debut du processus, qui amöne l’atrophie de l’6l&ment nerveuse? nous ne le pensons pas, car nous n’avons jamais pu la suivre jusqu’a l’atrophie; les cellules va- cuolaires ont en gönsral leur volume normal ou augmente, le plus souvent elles ont conserve leurs prolongements, et c’est toujours ainsi qu’elles se sont montrees a notre observation; nous n’avons pas observ6ö de vacuoles sur les cellules atrophides on en voie d’atrophie.“

% Beiträge zur Lehre von der acuten Myelitis toxischen Ursprungs. Dissertation. St. Petersburg 1883. Virchow’s Arch. 1888. Bd. 93. H. 2. 8. 358.

® Neurolog. Centralbl. 1888, Nr. 15. Ueber die durch Inanition bewirkten Texturver- änderungen der Nervencentren.

* Virchow’s Arch. Bd. 100. H. 1. S. 147. Ueber Veränderungen des Rückenmarks bei Vergiftungen mit Morphium, Atropin, Silbernitrat, Bromkalium.

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giftung waren diese Zellen weniger vertreten), als auch aus dem Grunde, dass die Zellen durch Vacuolen in jene sichelförmigen Reste verwandelt werden, glaube ich, es wäre das Richtigste, die Vacuolen als locale Atrophien anzu- sprechen, welche sehr schnell die völlige Zerstörung der Zelle herbeiführen.“ S. 166 bemerkte er jedoch weiter: „Seitens einiger Autoren (IwANnorFF) ja selbst maassgebender (CHAarcor) wurde in der letzten Zeit die pathologische Natur der Vacuolisation angezweifelt und es ist die Vermuthung ausgesprochen, ob nicht diese Veränderung von der Methode der Erhärtung abhängig sei. Insofern ich bei meinen Untersuchungen mich überzeugen konnte, hat eine solche Vermuthung gewisse Begründung. In der That schienen in schon gehärteten Rückenmarken vacuolisirte Zellen in grösserer Menge vorzukommen, auch die Vacuolen grösser und zahlreicher zu sein.“ Schliesslich sagt er: „Angenommen, dass eine schwach angedeutete Vacuolisation doch keineswegs für den pathologischen Zustand der Zellen be- weisend ist, dass vielleicht die Vacuolisation unter dem Einflusse der Erhärtungs- flüssigkeit stärker hervortritt, behaupte ich auf Grund der Untersuchung von 40 Hunde-Rückenmarken und 30 menschlichen Rückenmarken, dass eine Zelle mit einigen grossen Vacuolen unbedingt pathologisch ist. Somit, wenn auch die Vacuolen ein Product der Erhärtung repräsentiren, so ist dieses jedenfalls ein Product, welches nur bei pathologischen Zellen zu Stande kommt.“

Aus diesem Schlusssatze ist ersichtlich, dass wir Beide uns bezüglich unserer Auffassung in nicht sehr grosser Differenz befinden, wie man aus einer Ver- gleichung des Schlusssatzes meiner Erwiderung an RosenBAcH, Neurolog. Centrlbl. 1884. Nr. 6. S. 124, entnehmen mag. Es heisst; dort: „In den Ganglienzellen entzündeter Rückenmarke können die Vacuolen oft und sehr ausgebreitet vor- kommen. Die krankhaft veränderten Ganglienzellen haben eine geringere innere Cohäsion, sie sind nicht im Stande, Einwirkungen des Alkohols bei der Härtung, mechanischen Einwirkungen bei frischer Präparation den Widerstand entgegen- zusetzen, wie gesunde Ganglienzellen, es tritt daher die Vacuolenbildung in ihnen öfter auf. Daraus darf jedoch noch lange nicht der Schluss gezogen werden, dass nun auch die Vacuolenbildung ein pathologischer Process sei (s. oben Tscrisca, Differenz), sie ist vielmehr meiner Meinung nach ein rein mecha- nischer durch äussere Einwirkungen herbeigeführter Vorgang, der sowohl in normalen, als in krankhaft veränderten Ganglienzellen vorkommen kann und dem deshalb eine hervorragende, besonders auch eine pathologische Bedeu- tung nicht zukommt.“ j

Der „prompte Widerspruch verschiedener anderer Untersucher“ gegen meine in den oben citirten Arbeiten entwickelten Anschauungen, wie EisenLoHr 8. 178 l. c. sagt, redueirt sich auf die schon oben erwähnten Einwendungen RosEn- BACH’s auf Grund seiner Untersuchungen an verhungerten Thieren und auf eine Reclamation Pıcx’s! des Inhalts, dass ich die Arbeit Kanter und Pick’s?

ı Neurol. Centralbl. 1884. Nr. 2. S. 82. ? Beiträge zur Pathologie und pathologischen Anatomie des Centrainervensystems. Leipzig 1879. „Ueber Vacuolenbildung in den Ganglienzellen des Rückenmarks.“

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unberücksichtigt gelassen hatte, in welcher Bemerkung ausserdem noch erwähnt wird, dass „einzelne Ganglienzellen mit Vacuolen schon früher öfter von beiden Autoren gesehen worden seien, ohne dass sie diesen Befund als pathologisch betrachtet hätten.“

EISENLOHR spricht sich in einer früheren Arbeit! über die Vacuolenbildung in folgender Weise aus: „Die Frage nach der Bedeutung der Vacuolenbildung ist meines Erachtens nach noch nicht definitiv gelöst. Während sie von ver- schiedenen neueren Autoren als entschieden pathologisch präformirte Erscheinung und Zeichen von Erkrankung der Ganglienzellen aufgefasst wird, kann ich nach meinen mikroskopischen Erfahrungen dieser Deutung nicht unbedingt beitreten, die Vacuolenbildung kommt entschieden auch in gesunden Rückenmarken vor.“ (s. Anmerkung). In seiner Arbeit „über progressive atrophische Lähmungen, ihre centrale oder periphere Natur“ (Neurolog. Centralbl. 1884. Nr. 7 u. 8) hat er seine Ansicht rasch geändert in der Richtung, dass er die Vacuolisation jetzt für eine Form der degenerativen Atrophie der Ganglienzelle erklärt und zwar deshalb, weil er eine reichlichere Vacuolisation in seinem Falle gefunden hat.

Wie ich schon in meiner Antwort auf Pıog’s Bemerkung? hervorhob, scheint es mir bezüglich der Sache selbst ziemlich einerlei, ob die Vacuolenbildung in reichlicher Weise oder sparsam und vereinzelt sich zeigt. Eine Entstehungs- ursache kann man füglicherweise nur annehmen und von dieser Auf- fassungsweise habe ich vorläufig keinen Grund abzugehen.

Von der Vacuolenbildung jedoch ganz abgesehen, fand EısenLoHR in seinem Falle zweifellose degenerative Veränderungen der Ganglienzellen bei völlig nor- malem Befunde der übrigen Rückenmarksbestandtheile.

Bezüglich der Bedeutung derselben als Ursache der sehr ausgesprochenen und ausgebreiteten peripherischen Nerven- und Muskeldegeneration kann ich EISENLOHR nicht beipflichten, möchte dieselbe vielmehr mit Srömpeuı als eine gleichzeitig neben der peripheren bestehende centrale Erkrankung auffassen, die wahrscheinlich erst in der späteren Zeit zu der peripheren Erkrankung hinzu- getreten ist und wie die beiden zur Section gekommenen Fälle DEsERINE’s mit vollkommen normalem Rückenmark auch bezüglich der Ganglienzellen zeigen, ebenso gut hätte fehlen können.

Weitere Mittheilungen vorzugsweise mit Sectionsbefund werden uns nach und nach hoffentlich immer weitere Klarheit bringen.

Braunschweig, Mitte August 1885.

! Deutsches Arch. f. klin. Med. 1880. Bd. 26. H.5 u.6. 8.563. „Ueber einige Lähmungs- formen spinalen und peripheren Ursprungs.“

Anmerkung. EisentoHuRr hätte noch hinzusetzen können „und fehlt vollständig in vielen erkrankten Rückenmarken“.,

® Neurolog. Centralbl. 1884. Nr. 2. S. 88.

(Schluss folgt.)

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II. Referate.

Anatomie.

1) Celiule ganglionari nei nervi facciale, intermedisrio del Wrisberg, grande e piccolo petrosi superficiali, pel dott. S. Varaglia. (Archivio di psichiatria, scienze pen. ecc. 1885. VI. p. 141.)

Verf. hat die Stämme des Nervus facialis, des Nervus intermedius Wrisbergi und beider Petrosi superficiales einer sorgfältigen mikroskopischen Durchmusterung unterworfen und hat dabei die Existenz einzelner Ganglienzellen im weiteren Ver- lanf der genannten Nerven constatirt; besonders in dem Abschnitt des Facialis, der im Canalis Fallopiae liegt, hat er die Ganglienzellen häufig gefunden. Sie sind meistens rundlich, von einem Durchmesser von 25—75 u; nur die Zellen aus den beiden Petrosi sind durchschnittlich kleiner, 20—40 u, sonst aber ebenso wie die aus dem Facialis und Intermedius, dunkel pigmentirt, mit einem grossen Kern und mit Nucleolus. Sie sind in eine Kapsel eingeschlossen, deren Innenfläche mit deut- lichen Endothelien ausgekleidet ist.

In denselben Nerven hat Verf. ausser jenen Ganglienzellen eigenthümliche Körper gefunden, die an der Peripherie wie die sog. „Corpora amylacea‘“ concentrisch geschichtet sind, während ihre Mitte von einer rundlichen granulirten Masse einge- nommen wird, die sich in Carmin und Picrocarmin intensiv färbt. Sommer.

23) Methods of staining nervous tissue, by Dr. Allen Starr. (Journ. of ner- vous and mental disease. 1885. April p. 143.)

Verf. giebt in klarer und prägnanter Darstellung eine Uebersicht über mehrere Färbungsmethoden, die sich in neuester Zeit als werthvoll bei mikroskopischen Unter- suchungen des Centralnervensystems erwiesen haben. Genauer bespricht er die be- kannten Färbungen Weigert’'s mit Hämatoxylin und mit saurem Fuchsin, die Verf. beide sehr angelegentlich empfiehlt. Weniger befriedigt zeigt er sich durch Sahli's Färbungen, durch die Saffraninmethode von Adamkiewicz und durch Seguin’'s Modification der durch Bevan Lewis 1882 eingeführten Färbung mit Nigrosin (Anilinblauschwarz 1:3000 bis 4000). Sommer.

Experimentelle Physiologie.

3) Die elementaren Störungen einfacher Functionen nach oberflächlicher, umschriebener Verletzung des Grosshirns, von Dr. Jacques Loeb. (Pflüger’s Archiv. 1885.)

Verf. hat die Versuche, über die wir in Nr. 21 des vorigen Jahrganges dieses Centralbl. referirten, inzwischen unter Leitung von Goltz und Zuntz fortgesetzt. An Hunden, denen er oberflächliche und umschriebene einseitige Verletzungen des Grosshirns beigebracht hatte, wies er nach, dass sie bei so erzeugter „Hemiamblyo- pie“ zwar nach einem Fleischstück aufspringen, wenn dessen Bild auf die schwach- sichtige Gösichtsfeldhälfte fällt, dass sie dasselbe aber zu Gunsten eines zweiten Fleischstückes vernachlässigen, wenn dessen Bild unter gleichen Umständen gleich- zeitig auf die normalsichtige Gesichtsfeldhälfte fällt. Lässt man aber das erste Fleischstück oscilliren, so vernachlässigt der Hund das zweite. Die von Goltz ge- fundene und vom Verf. bestätigte Thatsache, dass am Hirn verstümmelte Hunde, welche auf ein ihnen vorgehaltenes Fleischstück zugehen, nach der lädirten Seite hin abweichen und sich langsamer nach dieser Seite hin umdrehen, bringt Loeb derart

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in Beziehung zu den angeführten Erfahrungen, dass er aus beiden allgemeine Ge- setze, welche alle nach oberflächlicher Verletzung des Grosshirns bisher beobachteten Störungen umfassen sollen, glaubt ableiten zu dürfen.

Diese seien nämlich nichts Anderes, als. der Ausdruck von zwei rein mecha- nischen Momenten, die Loeb folgendermaassen zu Gesetzen formulirt: „I. Treffen zwei Reize, welche in der Qualität und Intensität einander gleich sind, gleichzeitig symmetrische Stellen der Retina oder der Haut, so kommt der Reiz auf der ge- kreuzten Seite weniger zur Wirkung, als der Reiz, welcher auf der Operationsseite angreift. Durch Erhöhen der Intensität des Reizes (Oscilliren Ref.) auf der gegen- überliegenden Seite kann man diesem jedoch dieselbe Wirksamkeit ertheilen. II. Wenn ein der Qualität und Intensität nach bestimmter Reiz auf der gekreuzten Seite an- greift, so tritt die Reaction später ein und läuft langsamer ab, als wenn derselbe Reiz auf der Operationsseite angreift.“

Rücksichtlich der Auffassung der Motilitätsstörungen sei dem peripherischen Reize (Fleischstüäck p.p.) ein vom Centralorgane ausgebender Reiz zu substituiren.

Loeb’s Aufsatz trägt den Charakter einer vorläufigen Mittheilung an sich. Wir werden also die thatsächlichen Unterlagen und die Begründung jener Gesetze noch zu erwarten haben. Da sie nach der Behauptung des Verf. alle die hier in Frage kommenden Störungen umfassen, dürfen wir unter Anderem auf den Nachweis, ob und wie er die vom Ref. unter der Bezeichnung „Störung des Muskelbewusstseins“ beschriebenen atactischen Erscheinungen durch Erhöhung der Intensität des vom Centralorgane ausgehenden Reizes zur Ausgleichung bringt, allerdings gespannt sein.

Hitzig.

Pathologische Anatomie.

4) The pathological anatomy of acute locomotor ataxia, by Dr. L. Putzel. (Journ. of nervous and mental disease. 1885. April p. 176.)

Ein 35jähriger Mann, verheirathet, nicht hereditär belastet, nicht luetisch, nicht Potator, erkrankte etwa im Januar 1883 mit rechtsseitiger Ptosis und Doppeltsehen; kurse Zeit darauf stellten sich Blitzschmerzen in Armen und Beinen ein, die Nachts (und beim Nahen eines Sturmes) schlimmer wurden. Schon nach wenigen Wochen musste er jede Arbeit aufgeben, weil die Schmerzen zu heftig werden, und weil die Muskelkraft der unteren Extremitäten rapid abgenommen hatte. Im Juni vermochte er nicht mehr allein zu gehen und zu stehen, da sich nun auch Ataxie und sogar schon Blasenincontinenz eingestellt hatte. Im October 1883 alle Symptome ausge- bildeter Tabes dorsalis: starkes Schwanken beim Stehen mit geschlossenen Augen, stampfender Gang, Anästhesie und Analgesie der Haut der Unterextremitäten, Fehlen der Patellarreflexe, Taubheitsgefühl in den Fingern und mässige Incoordination der oberen Extremitäten; ausserdem bestand Pupillenstarre, aber bei Mydriasis. Im weiteren Verlauf wurde die Ataxie immer bedeutender, während sich die Ptosis verlor und die grobe Muskelkraft der Unterextremitäten im Gegensatz zu einer allmählich sich entwickelnden Atrophie der Muskeln zurückzukehren schien. Ohne dass übrigens neue neurotische Störungen eingetreten seien, erlag Patient im Januar 1885 einer Phthisis pulmonum.

Die mikroskopische Untersuchung ergab exquisite Sclerose der Hinterstränge in ihrer ganzen Längenausdehnung mit enormer Vermehrung der Neuroglia und der Kerne, und mit Erweiterung und Verdickung der Blutgefässe und ihrer Wände. Der Querschnitt der Hinterstränge war nicht überall in gleicher Ausdehnung ergriffen: die der hinteren Commissur nahe gelegenen Abschnitte, sowie die Wurzelzonengegend enthielten häufig noch ganz intacte Gruppen von Nervenfasern. Die bindegewebige Stützsubstanz war auch in den Seiten- und Vordersträngen stark vermehrt; die graue Substanz zeigte sich indess überall völlig normal.

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Verf. stellt sich nun vor, dass zuerst eine leichte diffuse interstitielle Myelitis ausbrach (Paresen, Blitzschmerzen und Incontinenz), dass diese im Allgemeinen ab- heilte, während in den Hintersträngen der interstitielle Process weitere Fortschritte machte (Ataxie, Anästhesie, Fehlen der Reflexe etc.) und so allmählich unter gleich- zeitigem Schwinden der paretischen Symptome das Bild der gewöhnlichen Tabes dor- salis hervorrief. Verf. hat in den letzten Jahren öfters Gelegenheit gehabt, Fälle von Tabes zu sehen, die sich fast acut entwickelt und nur im Beginn der Erkran- kung Lähmungssymptome in den Muskeln der Unterextremitäten dargeboten hätten; er betrachtet diese Fälle als Analoga zu dem oben ausführlicher mitgetheilten.

Sommer.

Pathologie des Nervensystems.

5) Case of cerebral abscess, by Arthur E. W. Fox. (Brain. 1885. July.)

Ein 25jähriges, bisher vollkommen gesundes Mädchen erkrankte plötzlich mit Lähmung des 3., 4. und 5. Fingers der linken Hand, nach 4 Tagen trat Lähmung der ganzen linken Hand und des linken Vorderarms hinzu; der linke Oberarm war weniger gut beweglich als im normalen Zustande, linke Hand bläulich gefärbt und kälter als die rechte, leichte choreaartige Bewegungen des linken Armes, sonst keine Abnormitäten. Nach 14 Tagen traten Kopfschmerzen in der Stirngegend und ab und zu Erbrechen auf; nach 4 Wochen erfolgt der Tod.

Bei der Obduction fand sich ein taubeneigrosser Abscess, welcher, am oberen Ende der Rolando’schen Furche beginnend, hauptsächlich in der vorderen Central- windung sass. Derselbe reichte bis an die Hirnoberfläche, so dass die graue Sub- stanz fehlte. Die obere und mittlere Stirnwindung waren leicht mitergriffen.

Gnauck.

6) Zwei Fälle von Verletzung der Grosshirnrinde, von Rud. Klemenciewicz, Professor in Graz. (Wiener med. Wochenschr. 1885. Nr. 7.)

Il. 21jähriger Fusskanonier erhielt einen Schlag auf das linke Seitenwandbein des Schädels; Knochenbruch mit Verlust von Gehirnsubstanz.. Völlig erhaltenes Bewusstsein. 2 Tage nachher Paralyse des rechten Armes und halbseitige epileptische Krämpfe rechterseits. Später Zuckungen und Lähmung des linken Facialis. Sonst keine Störungen zu constatiren. Tod am 11. Tage nach der Verletzung. Die Section ergab eine Zerstörung des obersten Theiles der vorderen Centralwindung linkerseits, Meningitis bis gegen die Rolando’sche Furche. Auch waren theilweise der Gyrus frontal. sup. und med. getroffen. Die Verletzung drang 3 cm weit in Trichterform gegen die weisse Substanz hin ein. (Ob die rechte Gebirnhemisphäre nicht auch erkrankt war [„Lähmung und Krampf des linken Facialis intra vitam‘“] wird nicht mitgetheilt. D. Ref.)

H. Fractur der linken Stirnbeinhälfte durch Fall; Gehirnerscheinungen nicht nachweisbar. Bewusstsein erhalten. Störungen im Gebiete der Sensibilität und Motilität nicht zu bemerken. Dagegen war sehr auffällig die Heftigkeit des Tem- peraments, Neigung zu Schimpfworten, Rauflust; thätliche Insulte der Besucher und Beobachter, obwohl der betreffende Patient, ein Dienstmann, nie dem Trunke ergeben und stets von ruhiger Gemüthsart gewesen sein soll.

Mehrere Wochen nach der Verletzung starb der Kranke an Pyämie: Vereiterung des Kniegelenks, das beim Fall ebenfalls verletzt worden.

Bei der Section erwies sich die Fractur des Schädelknochens als völlig geheilt. Die Schädelhöhle enthielt keinen Eiter und kein. Blut, keine Vermehrung der serösen Flüssigkeit. Der ganze Rindentheil zwischen dem Sulcus supraorbital und dem Sulc. orbitalis der orbitalen Unterseite bis 1 cm tief in die weisse Substanz des Stirnhirns

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verletzt. Der Gyr. rect. sowie das mediale Drittel des Restes der Orbitalfläche fallen in das Gebiet der Verletzung. Nach rückwärts ist die Spitze des Trigon. olfact. die Grenze; von der III. Stirnwindung ist nur das Ende verletzt; die vordere Wurzel der oberen Stirnwindung erscheint gequetscht. Rechts sind analoge Stellen wie - links getroffen, nur ist da die Läsion von geringer Ausdehnung. Die vorliegende ganz reine Stirnhirnaffection, welche hauptsächlich auf den Gyrus rectus beider Seiten beschränkt blieb, bringt K. mit der während des Lebens beobachteten „Alte- ration des Temperaments“ in Zusammenhang, ohne allerdings Genaueres über den Verlauf und die Natur der beobachteten psychischen Störung hinzuzufügen; er meint, dass Beschreibungen solcher circumscripter Läsionen im Gebiete des Stirnhirns eine Auffindung „functionell verschiedener Territorien‘ in demselben erleichtern würden. (Zur Auffindung der „psychischen Centren‘“ im Frontallirn gehören wohl vor Allem ausführliche Krankengeschichten mit genauesten Anamnesen! D. Ref.) Laquer.

7) Etudes sur les fonctions du centre ovale, par Farge. (L’Encöphale. 1885. No. 4.)

Verf. berichtet über eine 21jährige epileptische Kranke, welche schon früher mehrmals wegen hysterischer Anfälle in Behandlung, im December 1884 wegen schwerer epileptiformer Convulsionen in die Klinik aufgenommen wurde. Die da- maligen Anfälle sind stärker als die früheren, der ganze Körper nimmt an den Con- vulsionen Theil und daneben zeigt sich eine Lähmung, verbunden mit lebhafter Schmerzhaftigkeit der rechten Seite. Die Anfälle wiederholten sich über 100 Mal an einem Tage, verschwanden dann aber auf grössere Dosen Bromkali allmählich wieder und zugleich auch besserten sich die Lähmungserscheinungen, jedoch kehrten letztere bald wieder theilweise zurück. Unter allmählich sich steigerndem Fieber, begleitet von heftigem linksseitigen Kopfschmerz trat, ohne dass sich die epileptischen Anfälle wiederholt hätten, Coma ein und erfolgte plötzlicher Tod vielleicht an Pyämie nach hochgradigem Decubitus. Die Autopsie ergab im linken Centrum semiovale, entsprechend der ersten Hirmwindung, eine Cyste, welche Verf. als End- stadium eines Myxoglioms auffasst, unter der zweiten Stirnwindung dagegen lag eine derbere Neubildung, welche als Fibrogliom bezeichnet wird. Da die Neubildungen in der vordersten Zone des Centrum semiovale liegen, deren Zerstörung nach Pitres und übereinstimmenden Beobachtungen Anderer zu Bewegungsphänomenen niemals Anlass giebt, so erklärt Verf. die Entstehung der Convulsionen und der Lähmungen als ein Product der Reizung, welche die Neubildungen auf die Nachbarschaft aus- geübt haben müssen. Zander.

8) Zur Lehre von der Chorea minor, von Jos. Kaulich. (Prager med. Wochenschr. 1885. Nr. 29 u. 30.)

Dem Vortrage liegen 62 neuere Beobachtungen zu Grunde, von denen 19 Knaben und 43 Mädchen betreffen; die Maximalzahlen treffen mit dem Beginn und der grössten Intensität des Unterrichts und dem Beginne der Pubertät zusammen; die durchschnittliche Dauer der Krankheit betrug 9 Wochen; 12mal wurden RBecidive beobachtet, ebenso oft Complication mit Klappenfehlern; von 4 Todesfällen waren 3 durch die Chorea allein bedingt.

Indem K. auf seine vor 25 Jahren gegebene Deutung der Krankheit als eine Störung im Gesetze der isolirten Leitung hinweist, anerkennt er selbst der jüngsten Gegenwart nur in sofern einen Fortschritt, als die Auffassung vom Site der Krank- heit eine einheitlichere, gleichartigere geworden ist.

Auf Grund klinischer Erwägungen kommt K. zu dem Schlusse, dass dieser in jenen Regionen des Grosshirns zu suchen ist, wo die rein psychischen Functionen

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ablaufen und in welchen die motorischen Centren localisirt sind. Unter jenen seien hervorgehoben die psychischen Störungen, die in der Mehrzahl der Fälle von Chorea beobachtet wurden; von den drei mitgetheilten ist besonders jener interessant, wo sich im Verlaufe der Chorea ein Grad von Stumpfsivn einstellte, der mit der natür- lichen Begabung des Pat. scharf contrastirte.

Bezüglich der Betheiligung des Muskelsystems bezeichnet K. im Gegeusatze zu andern Angaben die Musculatur des Auges als selbst in schwersten Fällen intact.

Das Ergebniss pathologisch-histologischer Untersuchung (Chiari) in einem der lethalen Fälle war ein negatives bezüglich des Gehirns; stellenweise fand sich Hyper- ämie, namentlich in den Stammganglien.

Ein causales Verhältniss zwischen Klappenfehlern und Chorea anerkennt K. nicht; gegenüber den Empfehlungen des constanten Stromes constatirte K. für schwache Ströme ein negatives Resultat, für relativ starke eine auffällige Ver- schlimmerung. A. Pick.

Psychiatrie.

8) Sur les terreurs morbides et le delire ömotif en göndral, par Doyen. (L’Encöphale. 1885. No. 4.)

Verfasser bespricht die von Westphal unter dem Namen Agoraphobie, von Legrand du Saulle als Platzangst beschriebene psychische Aberration, welcher er die verallgemeinerte Form, die Panophobie, anfügt, und jede durch eine Reihe von gut skizzirten Fällen illustrirt. Den Ursprung dieser Störungen besprechend, legt Verf. das Hauptgewicht auf die erbliche Belastung, sodann aber ist die Hysterie der günstigste Boden, ferner aber auch allerlei Ursachen, welche als gemeinsame Signatur die Schwächung des Organismus haben, wie Cholera und Typhus, Alkoholismus.

Zander.

10) On Insanity alternating with spasmodic asthma, by Conolly Norman. (Journal of mental science. 1885. April.)

Verf. hat schon in der allgemeinen Versammlung der British Medical Association vom letzten Herbst einen Vortrag über „Irresein verbunden mit nervösem Asthma“ gehalten, in welchem er betonte, dass die zu Grunde liegenden Fälle derartig ge- wesen, dass bei ihnen Irresein und Asthma einen gewissen metastatischen oder alter- nirenden Charakter dargeboten hätten. In der Discussion über den Gegenstand wurde ihm entgegengehalten, dass die physikalischen Symptome nur eine Maskirung der psychischen dargeboten hätten, diesen Einwand erklärt Verf. für haltlos.. Das oft- malige gleichzeitige Vorkommen von Irresein und Asthma erklärt sich leicht aus der nervösen Natur des Asthmas, Lungenaffectionen haben aber überhaupt, wie zahlreiche Fälle aus der Literatur beweisen, einen engen Causalnexus zur Entstehung von Psychosen. Verf. bringt nun eine neue Reihe von Fällen, in welchen wirklich ein alternirendes oder vicariirendes Auftreten von Asthma und Irreseins-Anfällen bewiesen wird. Der erste Fall ist der deutschen Literatur entnommen, ein Fall von Kelp, - der in der Zeitschrift für Psychiatrie. Bd. XXIX. H. 4 mitgetheilt ist. Es folgen 7 Fälle eigener Beobachtung. Das Asthma verschwindet und alsbald kommt ein acuter Irreseinsanfall zur Beobachtung, mit dem Uebergang des acuten Irreseins in Heilung oder, wie im ersten Fall, in chronische geistige Schwäche kelıren die asth- matischen Anfälle sofort wieder, die acuten Irreseinsanfälle können sowohl als Melan- cholie wie auch als Manie auftreten.

In einem Falle war familiäre Anlage zur Phtisis, erbliche psychische Belastung war ebenfalls nur in einem Falle vorhanden. Zander.

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11) Influence de la menstruastion sur la transformation de la manie en deölire aigu. Accös de manie. Symptomes graves de delire aigu ä l’öpoque des rögles; guerison, par Baillarger. ‘(Annales med. psych. 1885. Juillet p. 46. Archives cliniques.)

Der den Inhalt schon nahezu wiedergebenden Ueberschrift wäre noch hinzuzu- fügen, dass die acute Manie dei einer 33jährigen Arbeiterin in Folge Ueberanstren- gung bei schlechter Ernährung aufgetreten war. Gelegenheitsursache scheint eine brandige Entzündung eines Armes gewesen zu sein; die acute Manie trat mit aus- gesprochenem Grössenwahn auf, während nur ganz geringe körperliche Lähmungs- symptome, eine gewisse Disharmonie der Bewegungen und völlige Analgesie vorhanden waren; nach etwa 4—-Ötägiger Dauer dieses Zustandes verschlimmerte sich der bis dahin einfach maniakalische Zustand unter Auftreten von delirienhaften hypochon- drischen Vorstellungen zu dem charakteristischen Bilde des Delirium acutum.

Es gelang, die bedrohlichen Krankheitserscheinungen zu mildern. Unter viel- fachen wirrem und delirienhaftem Auftreten der anfänglichen hypochondrischen Grössen- und Wahnvorstellungen gingen die Symptome des acuten Deliriums ganz zurück, doch blieb noch längere Zeit eine, dem ursprünglichen Einsetzen der Manie ent- sprechende lebhafte Erregung bestehen.

Genau mit dem Eintreten des acuten Deliriums wurden Spuren von Menstruation bemerkt, welche jedoch nicht zu Stande kam.

B. scheint geneigt zu sein, das Delirium mit diesem letztgenannten Umstande in Zusammenhang zu bringen (wenn man den bezüglichen Satz der Originalarbeit um ein wohl durch Druckfehler vergessenes „que“ ergänzt. Ref... Wunderlicher Weise wurde am Schluss der Beobachtung, als alle sonstigen verdächtigen Symptome geschwunden waren, Ungleichheit der Pupillen bemerkt, welche noch fortbestand, als die Kranke genesen entlassen wurde, Jehn.

‘Therapie.

12) Nerve suture; strangulation at point of junction; operation; rapid recovery of sensation and motion, by Walter Pye. (Brain. 1885. July.)

Es handelt sich um eine Verletzung des linken Nervus ulnaris gerade unter dem Handgelenke vor der Theilung in dem Ramus superficialis und profundus durch die Splitter einer Glasflasche. Die Enden des dabei zerschnittenen Ulnaris wurden vereinigt und die Wunde heilte schnell. Doch blieben die Ränder der Narbe sehr hyperästhetisch und die Hohlhand magerte sichtlich ab.

Eine Untersuchung 16 Monate nach der Verletzung ergab, dass die leiseste Berührung der Narbe in der linken Hohlhand eine Contraction der Beuger des linken Handgelenks hervorrief. Sensibilität am fünften Finger und an der Ulnarseite des vierten Fingers stark herabgesetzt. Daumenballen und Spatia interossea deutlich atrophisch. Bewegungen der Finger ungeschickt, doch möglich, mit Ausnahme der Adduction des Daumens und der vollkommenen Streckung der Finger.

Bei einer erneuten Oeffnung der Wunde zeigte sich der Nervus ulnaris an der Stelle der Sutar von Narbengewebe eingeschlossen, so dass er gleichsam strangulirt erschien; zugleich war er deutlich angeschwollen; oberhalb und unterhalb dieser Stelle keine Abnormität.

Nach vorsichtiger Loslösung des Nerven trat binnen 3 Wochen vollständige Heilung ein. Gnauck.

13) Partial exceision of the inferior dental nerve for persistent facial neuralgia, by F. W. Grant. (The Lancet, 1885. Vol. II. No. I. p. 61).

N

Eine 45jährige Frau litt seit ihrer ersten Schwangerschaft (1862) in der linken Gesichtsseite an schiessenden Schmerzen, die vom Kieferwinkel bis zum Seitenwand- bein hinzogen und besonders im Unterkiefer wütheten. Vom Jahre 1863 bis zum Jahre 1884 wurden ihr 17 Zähne ausgezogen, ohne dass die Schmerzen nachliessen. Zahlreiche Aerzte erschöpften ihre Heilkunst und Mittel umsonst, bis nach 23jähriger Dauer des Leidens die operative Entfernung eines Stückes des Nervus alveolaris inferior (im Februar 1885) die Patientin vollkommen von ihren Schmerzen und bis- her dauernd befreite. Ruhemanı.

III. Aus den Gesellschaften.

Von der Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte in Strassburg vom 18—23. September 1885. (Fortsetzung.)

Section für Anatomie.

Kollmann (Basel); Ueber Rassenanatomie der europäischen Menschen- schädel. Aus den Schlussfolgerungen heben wir folgende hervor:

1. Die Varietäten des europäischen Menschen, welche schon seit dem Diluvium die nämlichen sind, sind älter als die sprachliche Gliederung. Die Sprachen sind später entstanden als die rassenanatomische Differenzirung.

2. Sowohl grosse als kleine gentilicische Einheiten (Völker) bestehen aus den Abkömmlingen verschiedener Varietäten oder Rassen. Die Völker sind von dem rassenanatomischen Standpunkte aus niemals nur Abkömmlinge einer einzigen Rasse gewesen. In keinem noch so alten Grabfeld Europas werden nur Abkömmlinge einer und derselben Rasse gefunden. Ueberall in Europa sind vielmehr die Völker das Product der Penetration verschiedener europäischer Rassen und der stets damit verbundenen Kreuzung.

3. Die rassenanatomischen Unterschiede der Völker hängen nicht von klima- tischen Einflüssen ab, sondern sind das Product der Zusammensetzung aus verschie- denen Varietäten. Diejenige Varietät oder Rasse, die am zahlreichsten rein vertreten ist und deshalb auch in den Mischformen am häufigsten zum Durchbruch kommt, giebt jedem Volk ein bestimmtes somatologisches Gepräge.

4. Die Zähigkeit der rassenanatomischen (morphologischen) Merkmale schliesst die Einwirkung der Natur auf die Function bestimmter Organe nicht aus. Die morphologischen Merkmale sind stabil, die Phyainlogisohen Merkmale des mensch- lichen Organismus labil.

Section für innere Medicin.

Schuster (Aachen): Fall von multipler Sclerose des Gebirms und Rückenmarks in Folge von Syphilis, auf dessen Einzelheiten auf das Tageblatt 9. 242 verwiesen werden muss.

Rumpf bezweifelt in der Discussion, dass es sich um einen Fall von typischer multipler Sclerose handle und bestreitet die Verbindung zwischen Syphilis und mul- tipler Sclerose. Ihm schliesst sich Renz (Wildbad) an.

Rumpf: Ueber syphilitische Monoplegien und Homiplegien. In zwei Fällen von typischer Monoplegie des Armes resp. des Beines mit Rindenepilepsie auf syphilitischer Grundlage war die Sensibilität durchaus intact, und ist RB. der Ansicht, dass das sogenannte motorische Centram mit der Fühlssphäre nichts zu thun hat.

In zwei andern Fällen, die mit Wahrscheinlichkeit als Rindenaffectionen zu be- trachten waren, waren bei nicht oder nicht wesentlich gestörter Motilität im linken Arm Herabsetzung der Sensibilität, besonders auch des Muskelgefühls vorhanden und fasst R. diese als Rindenerkrankung der Fühlssphäre anf.

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Von den 4 Kranken wurden 3 wieder hergestellt, über den 4. fehlt nähere Nachricht.

Section für Physiologie.

Sigm. Exner (Wien): Ueber eine unter seiner Leitung im physiolo- gischen Institute zu Wien von Hrn. Dr. Vareth ausgeführte Untersuchung über Lage, Ausdehnung und Bedeutung der motorischen Bindenfelder an der Hirnoberfläche des Hundes.

Die Widersprüche in den Angaben der Autoren über dieses Gebiet waren die Veranlassung zu dieser Arbeit. An Hunden mittleren Alters wurde in mässig tiefer Morphiumnarcose durch elektrische Reizung der Hirnoberfläche das zu verschiedenen Muskeln der Extremitäten, sowie des Facialisgebiets gehörige Feld bestimmt. Die elektrische Reizung geschah mittelst constanter Ströme von immer gleicher Dauer und abstufbarer Intensität. Die Muskeln, mit Ausnahme des_Orbicularis palpebrarum, dessen Contractionen durch Inspection festgestellt wurden, schrieben mittelst zweier Marey’scher Trommeln ihre Zuckungen auf. Nachdem das Feld, von dem aus Con- tractionen eines bestimmten Muskels zu erzielen waren, zunächst eruirt worden war, wurde dasselbe partienweise 'zuerst umschnitten, dann unterschnitten. Sollte die Existenz von Fasern bewiesen sein, welche von der betreflenden: Partie direct in die Tiefe ziehen und unter Vermittlung subcorticaler Centren Contractionen des betreffen- den Muskels veranlassen, so musste die elektrische Reizung nach Umschneidung, d. i. nach Abtrennung der gereizten Partio von der benachbarten Hirmrinde noch ungefähr denselben Effect haben wie zuvor; es war dann ausgeschlossen, dass der- selbe auf indirecter Reizung benachbarter Partien durch bogenförmige Fasern be- ruht habe.

Die Unterschneidung, d. h. die Durchtrennung der Verbindungen der ge- reizten Stelle nach der Tiefe musste den Effect der Reizung aufheben; hierdurch war ausgeschlossen, dass derselbe auf Stromschleifen nach der Tiefe beruht habe. Nur von jenen Partien, die nach Umschneidung noch Contraction ergaben, nach Unterschneidung nicht mehr (ausser bei beträchtlich gesteigerter Stromstärke) wurde angenommen, dass sie zu dem betreffenden Muskel gehören: dass sie das Rindenfeld dieses Muskels bilden. Doch war es manchmal nöthig, mehrere Versuche zu com- biniren, weil der einzelne Versuch, wegen des Absinkens der Erregbarkeit der Hirn- rinde durch operative Eingriffe, Blutverlust etc. unvollständig blieb. Das Resultat jedes Versuchs wurde auf einem Diagramm des Hundehirms notirt.

Trägt man die dergestalt gefundenen motorischen Felder der einzelnen Muskeln zusammen auf ein Diagramm auf, so ergiebt sich, dass dieselben nicht von einander getrennt und nicht punktförmig sind. Vielmehr ist der hintere und äussere Theil des Gyrus sigmoideus das gemeinsame Gebiet der Extremitätenmuskeln (Flexor, Extensor digitorum und Abductor pollicis . der yorgerpfoiet Flexor und Extensor digitorum der Hinterpfote).

Die Rindenfelder dieser einzelnen Muskeln decken sich zum grössten Theile, scheinen aber doch etwas gegeneinander verschoben zu sein.

Die dem Gyrus sigmoideus nach aussen anliegende Windung bildet das Gebiet des Musculus orbicularis palpebrarum; Facialis- und Extremitätengebiet sind voll- ständig getrennt; letzteres ist nach hinten scharf abgeschnitten.

Das durch diese Versuche eruirte Gebiet entspricht demjenigen, welches nach pathologischen Erfahrungen am Menschen als „absolutes Rindenfeld“ bestimmt wurde. Die „absoluten Rindenfelder“ der einzelnen Muskelgruppen liegen bekanntlich auch beim Menschen vielfach in einander.

Durch den Nachweis, dass den einzelnen Körpertheilen auf der Hirnoberfläche weder punktförmige „Centren“ noch mit scharfen Grenzen aneinderstossende Felder zugewiesen sind, sondern dass für die Extremitäten ein grösseres Areal oexistirt und

49 °

dass die Gebiete verschiedener Muskeln derselben in einander liegen, die Gesichts- muskeln aber separat localisirt sind, erscheinen viele Widersprüche in den Angaben der Autoren über die Lage dieser „Centren“ aufgeklärt. Die in Rede stehenden Rindengebiete sind ausschliesslich „absolute Rindenfelder“, wenn man mit diesem Namen jene Rindentheile belegt, von denen aus directe Stabkranzfasern in die Tiefe gehen, die den betreffenden Muskel in Contraction zu versetzen vermögen. Dabei muss jedoch hervorgehoben werden, dass Zerstörung auch anderer Rindengebiete („relative Rindenfelder“) die Functionsweise der betreffenden Muskeln alteriren kann.

Goltz: Es gereicht mir zur grössten Genugthuung, dass der Hr. Vortragende constatirt hat, dass die Richtigkeit der von mir veröffentlichten Thatsachen allgemein anerkannt sei. Ich meinerseits erkläre gern, daes ich die Thatsachen, welche die elektrische Reizung liefert, ebenfalls anerkenne, aber das Bedenken nicht unter- drücken kann, dass die Deutung dieser Versuche noch grosse Schwierigkeiten hat, und dass ihre Ergebnisse sich nicht in Einklang bringen lassen mit den Exstir- pationsversuchen. Die Möglichkeit, dass die Erfolge der elektrischen Reizung von einer unvermeidlichen Mitreizung der weissen Substanz abhängen, scheint mir nicht ausgeschlossen.

Wenn es sich um die Reizung der grauen Substanz handelte, so frage ich, warum die graue Rinde nicht überall erregbar ist? Ich frage ferner, warum nach Exstirpation von sogenannten Centren und Herstellung der geschädigten Function nicht neuerstandene Reizungspunkte zu ermitteln sind? Der Vortragende hat zu meiner Freude den Satz mit vertreten, den ich für unzweifelhaft erwiesen halte, dass jede Hirnhälfte mit den Muskeln böider Hälften des Körpers zusammenhängt. Warum aber bekommt man, wenn doch nach Ausrottung eines linken Centrums das rechte die Stellvertretung übernimmt, nach diesem Eingriff doch immer nur Zuckungen der gekreuzten Körperhälfte, wenn man das erhalten gebliebene Centrum reizt?

Heidenhain bemerkt, dass man zur Controle des Verdachtes auf Stromschleifen bei der Beizung der Hirmoberfläche statt der Unterschneidung der gereizten Stelle die functionelle Ausschaltung der grauen Rinde durch Narcotica (Morphbium und Chloral) vornehmen könne. Bei dem richtigen Grade der Narcose sind sehr starke Ströme von der Hirnoberfläche aus unwirksam, die weisse Substanz nach Wegnahme der grauen gegen verhältnissmässig sehr schwache -Ströme reactionsfähig. Die Ein- wirkung der Rindenreizung auf die gleichseitigen Extremitäten komme durch Quer- leitung im Rückenmark von der Gegenseite zur gleichen Seite zu Stande.

Exner hebt hervor, dass, wie durch besondere Experimente ermittelt wurde, eins Schicht Blut, die sich in einer Schnittspalte des Gehirns ansammelt, keinen hier in Betracht kommenden Einfluss auf den Verlauf der Stromschleifen bei elektrischer Reizung der Rinde ausübt.

Goltz: Ich halte es nicht für möglich, hier die weitere Discussion in er- schöpfender Weise fortzusetzen und wollte den Hrn. Vorredner nur darauf anufmerk- sam machen, dass neuerdings Hr. Sherrington eine sorgfältige anatomische Unter- suchung des Rückenmarks der von mir operirten Thiere vorgenommen hat. In einer vorläufigen Mittheilung über die Ergebnisse dieser noch nicht abgeschlossenen Arbeit, die im „Journal of physiology“ erschienen itt, hat Sherringtoe bekannt gemacht, dass die absteigende Degeneration der Seitenstränge vollkommen symmetrisch in beiden Rückenmarkshälften nach einseitiger Verstümmelung der einen Hirn- hälfte erfolgen kann.

An diese Discussion schloss sich eine Demonstration von Hunden, die Goltz im physiologischen Institute zeigte, über die in nächster Nummer berichtet werden soll.

(Fortsetzung folgt.)

480 -

IV. Personalien.

Unser Mitarbeiter Herr Dr. C. v. Monakow hat sich als Docent für Neuro- logie an der Universität Zürich habilitirt.

. Mn 1 1 rs

Am 5. September starb in Paris im Alter von 63 Jahren Dr. Lunier, Generai- Inspector des Irren- und Gefängnisswesens, Begründer und Generalsecretair der französischen Gesellschaft gegen Alkoholmissbrauch und bekannt durch eine Reihe von Arbeiten auf allen Gebieten der Psychiatrie, von denen wir hier nur: Des aliönes dangereux 1869; de l'influence des grandes commotions politiques et sociales sur le döveloppement des maladies mentales 1874 anführen wollen.

Zum Nachfolger des verstorbenen Prof. Berger als dirigirender Arzt des städtischen Armenhauses zu Breslau wurde seitens des Magistrates Herr Prof. Dr. Hirt gewählt.

V. Vermischtes,

Am 16. November d. J. wird in Rom der erste internationale Congress für criminelle Anthropologie eröffnet werden. Aus den zur Discussion gestellten Programmfragen seien folgende hier hervorgehoben:

I. Abtheilung.

1. In welche Categorien soll man die Delinquenten eintheilen, und welche wesentliche SEBan son Iegehincn Charaktere kommt bei dieser Unterscheidung in Betracht? (Referenten: Bertillon, Romiti, Marro, Lombroso, Ferri.

2. Ob ein allgemeiner biopathologischer Charakter existire, der zum Verbrechen prä- disponirt und ob verschiedene Quellen und Modalitäten desselben vorhanden seien. (Kefe- renten: Sergi, Taverni.)

4. Ob sich der Selbstmord im umgekehrten Verhältniss zum Morde vermehre. (Refe- rent: Morselli.)

5. Ueber die Epilepsie und moralische Folie in den Kerkern und Irrenhäusern. (Befe- renten: Tonnini, Frigerio, Lombroso.)

6. Ueber die Simulation der Irrsinnigen. (Referenten: Venturi, Marro, Solivetti.

II. Abtheilung.

Die Gutachten des sachverständigen Arztes im Strafprocesse. (Referenten: Pasquali, Tamassia, Giuriati, Filippi.)

Es soll dabei eine Ausstellung von Sohädeln, Gehirnen, Photographien, Zeichnungen, Grapnisahen Tabellen und von Illustrationen aller Art stattfinden, die zum Studium der

elinquirenden Menschen dienen können.

Gleichzeitig tagt der dritte internationale Gefängnisscongress ebendaselbst.

Meldungen zur Theilnabme, die mit Fahrpreisermässigungen (30—50 °,) und anderen en verbunden ist, an Herrn Advocaten Vito Porto, via uffici del Vicario Nr. 13

m.

Berichtigung. S. 448 in Nr. 18 unter Therapie lies: Heyden statt von der Heyden.

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Vsır & Cone. in Leipzig. Druck von Merzezr & Wırrıa in Leipzig.

NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Meondel Vierter ne. Jahrgang,

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

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1885. | 1. November. i N». 21.

Inhalt. I. Dig ak ve ungen. 1. Kurze Notiz, die Lumbal-Anschwellung des Rückenmarks betreffend, von E. C. Spitzka. 2. Beitrag zur Lehre der multiplen Neuritis bei Potatoren, von Richard Schulz (Schluss). j

il. Referate. Anatomie. 1. Beiträge zur Vergleichung der Hirnfurchen bei den Carni- voren und den Primaten, von Famlliant. 2. Ueber die Verbindungen der oberen Oliven und ihre wahrscheinliche physiologische Bedeutung, von Bechterew. Experimentelle Phy- siologie. 8. Zur Physiologie des Geschlechtsapparates des Frosches, von Tarchanow. Pathologische Anatomie. 4. Demonstration eines Idiotengehirns, von Könlg.

Ill. Aus den Gesellschaften.

IV. Bibliographie.

V. Personalien.

VI. Vermischtes.

I. Originalmittheilungen.

1. Kurze Notiz, die Lumbal-Anschwellung des Rückenmarks betrefiend. Von E. C. Spitzka, New York.

Bekanntlich stellen die Robben das Ende einer Iintwickelungsreihe der Landraubthiere dar, die sich vor Allem durch Atrophie der hinteren Extremi- täten und deren Umwandlung in Flossen kennzeichnet. Diese Verkümmerung ist von einer entsprechenden Verkürzung und Schrumpfung des Lendenmarks begleitet, und zwar reicht das Ende des Conus terminalis bloss bis zum Zwischenknorpel des siebenten und achten Dorsalwirbels bei einem grossen Seelöwen (Zalophus Gillespieii), und enthält ein Querschnitt der grössten Breite der Lendenschwellung kaum das halbe Areal des Cervicalmarks. Die verschie- denen Zellengruppen des Vorderseitenhorns sind alle wie bei anderen Raub- thieren und beim Menschen vertreten und in ihrer Vertheilung letzterem ähn- licher, als den zoologisch näher verwandten Thieren. Es ist aber ein ungeheurer Unterschied sowohl in der Grösse der Zellen, als auch ihrer Anzahl vorhanden,

-- 482

und dieses macht sich besonders in den Ursprungsebenen der Sacralneren geltend hier ist es besonders die hinterste äusserste Zellensäule, die bei der Katze zum Beispiel bis in den verkleinerten Theil des Conus noch wohl aus- geprägte Polygonalzellen zeigt, welche beim Seelöwen kaum zu identificiren ist und bei näherer Untersuchung sich als aus ganz kleinen, fortsatzarmen Nerven- elementen zusammengesetzt zeig. Auch zeigt sich bei Landraubthieren im vordersten Theile des Vorderhorns, im Conus, eine Zellenreihe, die sich schlank an der Grenze der weissen Substanz entlang zieht und durch ausgiebige Ver- bindungen mit der vorderen Commissur ausgezeichnet ist, ja man kann „Axen- cylinder“-Fortsätze weit über die Mittellinie verfolgen. Beim Seelöwen ist auch diese Gruppe, aber in ebenso atrophischem Zustande als die vorige, vorhanden.

Im oberen Theile der Schwellung reicht die centrale Zellengruppe nicht so weit nach oben, als beim Menschen. Eine innere vordere Gruppe, die sich in das innerste Wurzelbündel hineinschiebt, und die hintere Abtheilung der äusseren

2. Beitrag zur Lehre der mul-

(Aus dem herzogl. Kranker- Von Dr. Richard Schulz, Vorstand Erste 5 5 | Drock: | Meche- |

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48

Gruppe sind in diesen Ebenen allein gut vertreten. Der Ausfall der anderen Seitengruppe ist ein so totaler, dass die graue Substanz dadurch ungewöhnlich tief eingekerbt erscheint. Auffallend sind die starken Einstrahlungen aus den Seitensträngen in die äusseren Zellengruppen, was wohl mit der ebenfalls über- raschenden Thatsache, dass die Pyramidenstränge gut entwickelt sind, zusammen- hängen mag.!

Bei dieser Gelegenheit möchte ich eine Thatsache erwähnen, die an dem betreffenden Präparat bestätigt wurde, und in Zusammenhang mit der von ScHuLz in diesem Centralblatt veröffentlichten Warnung von Interesse ist. Es wurde nänlioh künstliche Vacuolisation an den Ganglienzellen des sonst gesunden, an Pneumonie verstorbenen Thieres durch längeres Conserviren in Glycerin erzielt.

! Beim Schweinefisch (ebenfalls einem durch hohe Hirnentwickelung ausgezeichneten Warmblüter) fehlen die Pyramiden ganz.

0.1

tiplen Neuritis bei Potatoren.

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Ausgang. , Anfäng- Alter. licher (Geschlecht. Verlauf. Moe | Potator. + | Mehr- | maliges 34 Jahr. : Delirium. männlich. | Lange Zeit | reissende | Schmerzen in den Beinen. | Leichte | Ermüdbar- | keit. | | Se ale | Potator eine Heilung. | Syphilis. 33 Jahr. , Wieder- | männlich. | holtes Delirium. | Allmäh- | | liche Er- | ı krankung | mit | Schwindel und | Schwäche (zuneh- miend) in den Extre- mitäten. Autor. | Aetiologie. Ausgang. | Anfäng- Alter. licher Geschlecht. | Verlauf. Ber aa Fischer. | Potator, Fall 1. Keine | i Syphilis. | Heilung. Allmäh- 36 Jahr. licher männlich. Beginn.

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II. Roferate,

Anatomie.

1) Beiträge zur Vergleichung der Hirnfurchen bei den Carnivoren und den Primaten, von Victoria Familiant. (Dissertation. Bern 1885.)

Unter Flesch’s Leitung hat die Verfasserin die Hirnoberfläche des Löwen einer neuen Untersuchung unterworfen. Dem Auftreten der Hirmfurchung geht, wie sie glaubt, jene Regelmässigkeit ab, welche bei allen anderen Organen besteht und eine feste Grundlage durch weithin zu verfolgende Vererbung erhalten hat. Bei nahe verwandten Thieren kann wenig ausgebildete neben verhältnissmässig reich entwickelter Furchung gefunden werden. So ist auf entwickelungsgeschichtlichem Wege der Nach- weis specieller Homologien unter einzelnen Windungen des Säugethiergehirns kaum zu erbringen. Die topographisch am leichtesten zu vergleichenden Furchen treten gar nicht überall in derselben Reihenfolge auf. Es bleibt nur übrig, die Homologien, so weit als möglich, auf Grund des Nachweises gleichartiger Lagerungsbeziehungen zu den benachbarten Organen zu bestimmen.

Das ist die Aufgabe, welche sich die Verfasserin bei der Untersuchung des Löwengehirnes gestellt hate Auch der Hund und die Katze wurden zum Vergleich herangezogen. Ihre Resultate fasst sie selbst in der folgenden Weise zusammen:

1. Die Hauptfurchen des Carnivorengehirns sind auch am Primatengehirne nach- zuweisen.

2. Die wesentlichen Unterschiede zwischen den Furchen des Carnivorengehirns

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Anatomischer

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Ataxie (im Liegen nicht).

und homologen Furchen des Primatengehirns sind theils auf unvollkommene Aus- bildung oder vielleicht Rückbildung einzelner Theile, theils auf Zusammenfliessen einzelner Abschnitte ursprünglich getrennter Furchen zurückzuführen.

3. In gewissen Varietäten der Furchung des Menschengehirnes kommen zuweilen die primitiven Verhältnisse des Carnivorengehirnes wieder zum Ausdruck.

4. Die Parieto-Occipital-Furche oder innere Hinterhauptfurche ist eine selbst- ständige im Carnivorengehirne nicht enthaltene Bildung.

5. Homologe Furchen sind folgende: a) Fiss. centralis und Fiss. coronalis’ b) Fiss. splenialis und callosomarginalis; c) Fiss. rhinalis posterior und Fiss. occi- pitotemporalis; d) Fiss. praesylvis und Fiss. frontalis inferior.

Eine theilweise Homologie besteht: a) zwischen Fiss. lateralis + ansata Krueg (= hinterer lateraler Hauptfurche Pansch) und vorderem Theil der Fiss. supra- sylvia einerseits, Fiss. parietalis andererseits, ferner b) Fiss. suprasylvia hinterer Theil und unterer Temporalfurche; c) Fiss. postica Krueg (hinterer Theil der unteren Bogenfurche, Pansch) und oberer Schläfenfurche.

6. Die secundären Furchen, vor allem im Stirnlappen des Menschengehirnes beruhen auf einem selbstständigen Furchungsmodus, der erst spät aufgetreten ist, und daher weitgehenden Schwankungen unterliegt.

Der Arbeit sind zwei schön ausgeführte Tafeln beigegeben.

Edinger, Frankfurt a. M.

23) Ueber die Verbindungen der oberen Oliven und ihre wahrscheinliche

physiologische Bedeutung, von W. Bechterew. (Wratsch. 1885. Nr. 32. Russisch.)

490

Die aus den oberen Oliven entstammenden Fasern erhalten ihre Markscheiden in einem sehr frühen Alter, und zwar ungefähr im 5—6 Monat des Fötallebens, bei 28—30 cm langen Früchten, wo die meisten Fasern des Hirnstammes und auch diejenigen der äusseren Portion der Formatio reticularis noch ganz marklos sind. Die Untersuchung solcher Hirne lehrt, dass die oberen Oliven sehr ausgebreitete und mannigfaltige Verbindungen besitzen.

Zuvörderst entspringen aus ihnen zwei grössere Bündel, von denen eins zum Gebiet der hinteren Vierhügel aufsteigt, das andere zum Kleinhirn zieht. Das erstere entspricht der sogenannten unteren Schleife und wäre, nach B.’s Meinung, besser als seitliche Schleife zu bezeichnen, da seine Fasern nicht aus der Zwischenolivenschicht stammen, sondern ein eigenes Bündel bilden, das hauptsächlich aus der grauen Sub- stanz der gleichseitigen oberen Olive, zum Theil auch aus der contralateralen ent-

: springt. Die meisten dieser Fasern endigen im Kern der hinteren Vierhügel, ein

geringer Theil in der letztere umgebenden grauen Substanz. Das zweite, zum Kleinhirn ziehende Bündel verläuft im inneren Abschnitt des unteren Kleinhirnstiels und ist von B. bereits früher beschrieben worden. (Neurolog. Ctribl. 1885. Nr. 7.)

Ausser diesen zwei Bündeln lassen sich an Schnitten aus fötalen Hirnen noch andere Verbindungen der oberen Oliven nachweisen, und zwar 1) mit dem vorderen Acusticuskern (Meynert’s Nucleus anterior, Schwalbe’s Nucleus acustici „acces- sorius‘), 2) mit dem Abducenskern und 3) mit dem Grundbündel der Seitenstränge des Rückenmarks. Die zum Acusticuskern tretenden Fasern verlaufen zum Theil in den transversalen Zügen des Corpus trapezoideum zur gegenüberliegenden Olive; ein Theil der zum Abducenskern ziehenden Fasern geht in das Gebiet des hinteren Längsbündels über und verläuft wahrscheinlich zu den Oculomotoriuskernen.

Die mannigfaltigen Verbindungen der oberen Oliven mit verschiedenen Gebieten des Hirnstammes sprechen, nach B.'s Meinung, dafür, dass sie die Bedeutung eines wichtigen reflectorischen Centrums besitzen. Da sie einerseits mit den Kernen des Abducens und Acusticus, andererseits mit dem Kleinhirn in Zusammenhang stehen, so ist anzunehmen, dass durch die oberen Oliven sowohl die reflectorische Augen- ablenkung vermittelt wird, die durch acustische Reize zu Stande kommt, als diejenige, welche bei Elektrisation oder Läsion des Kleinhirns eintritt; schliesslich lässt die Verbindung der oberen Oliven mit dem Grundbündel der Seitenstränge vermuthen, dass sie auch reflectorische Bewegungen anderer Muskelgruppen, z. B. des Kopfes, vermitteln. P. Rosenbach.

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Experimentelle Physiologie.

3) Zur Physiologie des Geschlechtsapparates des Frosches, von Professor Tarchanow. (Russkaja Medicina. 1885. Nr. 30—32. Russisch.)

Verf. hatte Gelegenheit, während der Brunstzeit an mehreren Hunderten von Fröschen Beobachtungen und Experimente über den Begattungsact anzustellen, auf Grund derer er zu mehren höchst interessanten Entdeckungen gelangte. Er richtete sem Augenmerk zuvörderst auf die Frage, aus welchem Organ die Impulse ausgehen, die das Männchen zur Begattung antreiben. Im Anschluss an Goltz’s Versuche, durch welche gezeigt wurde, dass Amputation der Gliedmaassen oder des Kopfes, sowohl als Exstirpation der Hoden den Begattungsact beim Frosch nicht stört, suchte T. den Einfluss der Exstirpation anderer Organe auf den in Rede stehenden Process zu ermitteln. Es stellte sich heraus, dass man dem Frosch während der geschlecht- lichen Umarmung das Herz, die Lungen, die Leber, Milz, Magen, Darmkanal und Nieren exstirpiren kann, ohne den Begattungsact zu stören oder den Trieb dazu herabzusetzen, abgesehen von der vorübergehenden Schwäche und Erschöpfung,

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die durch den betreffenden operativen Eingriff und Blutverlust bewirkt werden. Da- gegen hat Verletzung der Samenbläschen oder operative Entleerung letzterer sofortige Unterbrechung der geschlechtlichen Umarmung zur Folge, und falls die Samenbläschen völlig zerstört oder exstirpirt sind, so verschwindet auch der Begattungstrieb, indem das Männchen danach dem Weibchen gegenüber indifferent bleibt. Den nämlichen Effect hat auch Ligatur der Samenbläschen, durch welche die Nervenleitung von letzteren zum Centralnervensystem aufgehoben wird. Falls die Wandungen der künst- lich entleerten und dadurch zusammengefallenen Samenbläschen vermittelst Milch- oder Wasserinjection in gewisse Spannung gebracht werden, so stellt sich wieder Neigung zur geschlechtlichen Umarmung ein. Aus den angegebenen Thatsachen zieht Verf. den Schluss, das die Erregung der Wandungen der Samenbläschen durch die in letzteren enthaltene Samenflüssigkeit (wahrscheinlich spielt hierbei mechanische Reizung der Wandung durch die fortwährend in Bewegung befindlichen Spermatozoen die Hauptrolle) den physiologischen Reiz abgiebt, durch welchen Impulse entstehen, die den Trieb zur geschlechtlichen Umarmung erwecken und den Mechanismus letz- terer in Thätigkeit bringen.

Eine andere Versuchsreihe war auf die Erforschung der Bedingungen gerichtet, durch welche die Geschlechtsthätigkeit beim Frosch gehemmt wird. Die Möglichkeit, eine angefangene geschlechtliche Umarmung durch peripherische Reizapplication auf- zulösen, ist im Allgemeinen im Beginn des Begattungsactes leichter, als dann, wenn letzterer bereits längere Zeit gedauert hat, und erweist sich zudem als individuell sehr verschieden; in letzterer Hinsicht überzeugte sich Verf., dass die Widerstands- fähigkeit des Umarmungsmechanismus in directer Abhängigkeit vom Füllungszustand der Samenbläschen mit Samenflüssigkeit steht. Durch Enthauptung des Frosches wird die Möglichkeit, die geschlechtliche Umarmung vermittelst peripherischer Reize zu lösen, in bedeutendem Maasse erschwert, in manchen Fällen sogar ganz aufgehoben. Einen eben solchen Effect, wie vollständige Enthauptung, hat Durchschneidung des Hims unmittelbar hinter den Zweihügeln, während Frösche, denen bloss die Gross- hirnhemisphären abgetrennt sind, bezüglich des Resistenzvermögens ihres Umarmungs- mechanismus äusseren Reizen gegenüber sich ebenso verhalten, wie normale Thiere. Hierauf begründet Verf. die Annahme, dass ein hemmender Einfluss auf die Rücken- markscentren, die bei der geschlechtlichen Umarmung in’s Spiel kommen, nur von den mittleren Theilen des Grosshirns ausgehen kann.

Zur näheren Bestimmung letzterer stellte er folgende Versuche an: Während des Begattungsactes wurde dem Männchen das Gehirn blossgelegt, und Reizung ver- schiedener Hirntheile durch Einsenkung feiner Nadeln bis an die Hirmbasis vorge- nommen. Während nun Reizung der Hemisphären, des Kleinhirns und des ver- längerten Markes ohne jeglichen Einfluss auf die geschlechtliche Umarmung blieb, hatte ein Stich in die Sehhügel oder vorderen Portionen der Zweihügel sofortige Unterbrechung letzterer zur Folge. Das nämliche Resultat, d. h. Erschlaffung der Umarmung wurde in diesen Versuchen auch dann erhalten, wenn zuvor diejenigen Muskeln der Vorderextremitäten durchschnitten oder abgetrennt waren, welche zu den bei der Umarmung thätigen antagonistisch wirken; hierdurch wird die Annahme ausgeschlossen, dass Reizung der benannten Hirntheile die Erschlaffung der Um- armung durch Erregung der antagonistisch wirkenden Muskeln hervorbringe Da-- gegen will Verf. die von ihm gefundenen Thatsachen in dem Sinne auffassen, dass Reizung der Seh- und Zweihügel des Frosches eine Functionshemmung derjenigen Centren im Gehirn oder Rückenmark bewirkt, deren physiologische Erregung dem Mechanismus der geschlechtlichen Umarmung zu Grunde liegt. :

P. Bosenbach.

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Pathologische Anatomie.

4) Demonstration eines Idiotengehirns in der 51. Versammlung des psychiatr. Vereins zu Berlin am 15. Dec. 1884, von Dr. König. (Allg. Ztschr. f. Psych. Bd. 42. H. 1.)

K. zeigt das Gehirn eines 11jährigen Idioten, der am 19. Nov. 1884 in der Berliner Idiotenanstalt verstorben. Der Knabe war das 4. Kind einer Mutter, welche 3 Monate vor der Conception vom eigenen Manne, einem Potator, Lues acquirirte. Das Kind kam scheinbar gesund zur Welt, zeigte aber am Ende des ersten Jahres eine Drüsenerkrankung, die sich Monate lang hinzog und mit Lähmung aller Ex- tremitäten endete. Gehen und Sprechen lernte das Kind nie. Das Kind ging an Marasmus zu Grunde. Gehirngewicht 730 gr. Corp. callosum Fornix und Sept. pelluc. sehr atrophisch, Seitenventrikel stark erweitert, enthalten viel Flüssigkeit. Am Grosshirn fällt auf: 1) mangelhafte Entwickelung, namentlich der Hinterhaupts- und Schläfenlappen, am besser ausgebildeten Stirnlappen fehlt die Fissura praecentralis. 2) Ein grösserer, beiderseits ziemlich symmetrischer Defect. Die Rinde des Scheitel- lappens fehlt beiderseits am lateralen Theile vollständig. Der Defect erstreckt sich aber auch auf die vordere Centralwindung und auf einen Theil der 3 Temporal- windungen in der Grenzgegend zwischen Hinterhaupts- und Schläfenlappen. Auf den medialen Flächen ist das Gehirn unverletzt. Unterschieden sind beide Hemisphären dadurch, dass links die Fossa Sylvii als breiter Spalt erscheint, bis in die Fissura parieto - occipitalis reicht, während sie rechts schmäler und von gewöhnlicher T,änge ist. Rechts ist eine Andeutung vom obern Theil der vorderen Centralwindung. Diese fehlt links. K. spricht die Ansicht aus, dass etwa im 5. Monat der Fötalzeit sich eine Encephalitis entwickelt habe, dass aber diese nach der Geburt noch einige Zeit fortgeschritten sei, so zur Lähmung der Extremitäten führend. Der Sitz der Läsion in der motorischen Rindenzone erklärt die beobachtete Parese der Extremitäten, welche -rechts stärker war, übereinstimmend mit dem grösseren Defect der linken Hemisphäre. Zander.

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III. Aus den Gesellschaften.

Philadelphia Neurological Society. Sitzung vom 28. April 1884 zu Phila- delphia. (Journ. of nervous and mental disease, 1884 October, pag. 627.)

Dr. J. H. Lloyd besprach einen Fall von pseudo-hypertrophischer Muskel- paralyse mit eigentbümlichen Knochendegenerationen. Es handelt sich um ein 17jähriges junges Mädchen, hereditär nicht belastet, aber in kümmerlichen Verhält- nissen aufgewachsen. Ihre vegetativen Organe waren völlig normal; wann die Muskel- erkrankung begonnen, war nicht genau zu eruiren, jedenfalls hatte sie als kleines Kind eine Zeit lang gehen können. Seit vielen Jahren war sie indess ganz hülflos und musste in einem Krankenhause verpflegt werden. Bei der genaueren Unter- suchung zeigte sich neben sehr ausgebildetem Panniculus adiposus eine bedeutende Volumvergrösserung aller Muskeln der Oberarme, besonders des Deltoideus, der Lumbarmuskeln, und der unteren Extremitäten, besonders der Gastrocnemiüi bei fast completer Aufhebung ihrer Functionsfähigkeit. Die elektrische Untersuchung ergab ebenfalls eine enorme Herabsetzung der Reaction, während dieselbe für die dem Anschein nach etwas atrophischen Vorderarmmuskeln und für die Peronei fast normal erschien. Behufs mikruskopischer Betrachtung wurden mittelst der Harte’schen Harpune einige Muskelstückchen exstirpirt, es zeigt sich eine interstitielle Bindege- webshyperplasie ohne deutliche Verfettung, während die Muskelfasern zum grossen Theil fettig granulirt waren und ihre Querstreifung verloren hatten. Zu diesen classischen Befunden der Pseudohypertrophie gesellten sich. nun aber in dem vor- liegenden Falle eigenthümliche Knochenveränderungen, wie sie wohl bei Tabes, aber noch nie bei der Pseudohypertrophie beschrieben worden sind. Beide Ellbogengelenke

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waren in Folge von beträchtlicher Atrophie aller Epiphysen schlotternd und nach allen Richtungen frei beweglich. Auch die Humerus- und Femurgelenke waren durch Atrophie der Gelenkköpfe abnorm beweglich, in den Kniegelenken waren vor- läufig nur die Patellae auf die Hälfte ihres Volumens reducirt. Die hochgradige Skoliose nach rechts konnte gleichfalls auf eine asymmetrische Atrophie der Wirbel- körper zurückgeführt werden.

In der sich anschliessenden Discussion erwähnt Ch. K. Mills, dass auch er kürzlich Gelegenheit gehabt habe, einen complicirten Fall von Muskeldegeneration der oberen Körperhälfte mit trophischen Störungen anderer Organe, speciell der Knochenepiphysen und Gelenke der rechten Hand, und mit mannigfachen Anästhesien bei einer Mulattin zu sehen, deren Hautfarbe sich seit der Erkrankung in eine eigenthämliche Bronzefärbung verwandelt habe.

Sitzung vom 27. October 1884.

Dr. C. Woodnut besprach einen Fall von „Erythremelalgia“. Ein 53jähriger Mann, stets gesund, frei von Lues und Alkoholismus, wurde von eigenthümlichen Schmerzen befallen welche vor circa 3 Jahren zuerst in der linken zweiten Zehe und zwar auf ihrer inneren Seite ausbrachen, sich nach einem Jahre auf die dritte, dann die vierte und seit einigen Monaten auf die grosse Zehe desselben Fusses, und seit einem Jahre auch auf die zweite, dritte und vierte Zehe des rechten Fusses ausbreiteten. Der Schmerz war zuerst brennend, dann reissend und heftig, nach einigen Wochen trat eine röthlich-violette Verfärbung der Haut dazu, die sich in unregelmässigen empfindlichen und bei Druck verschwindenden Flecken zuletzt bis an die Knöchel erstreckte, am rechten Fusse war die Verfärbung weit weniger deutlich. In den letzten Wochen sind ähnliche und empfind- liche Flecken auf dem linken Unterschenkel und in der Mitte des Rückens ent- standen. Beim Gehen, und wenigstens im Beginn der Erkrankung beim Warm- werden. im Bett, wurden die Schmerzen verstärkt. Ausserdem traten gelegentlich Blitzschmerzen in den unteren Extremitäten, längs der Wirbelsäule und bis in die Plexus brachiales ausstrahlend ein. Ferner ist die Sensibilität im linken Bein abgesehen von den schmerzhaften Flecken herabgesetzt. Die Behandlung bestand in absoluter Ruhe, Massage, Elektricität (absteigender galvanischer Strom), Chlor- goldnatrium, Arsenik, Ergotin etc. und blieb ziemlich erfolglos, die Amputation der zweiten linken Zehe, mit deren Schmerzhaftigkeit die ganze Erkrankung angefangen hatte, linderte etwas die Empfindungen im ganzen linken Fuss.

In der Discussion wurde hervorgehoben, dass ähnliche Fälle gar nicht allzu selten seien. Im Allgemeinen habe man wohl eine spinale Erkrankung, vielleicht einen myelitischen Process, als Ausgangspunkt der Störungen anzusehen. Einige Mal soll es sich auch um Hysterie gehandelt haben.

In derselben Sitzung theilte noch Dr.@Guy Hinsdale seine und Dr. Mitchell’s Erfahrungen über den Werth des bromsauren Kalis (K Br O,) bei Epilepsie mit, und warnte vor seiner Anwendung, da es unter 9 Fällen nur einmal etwas genützt habe, und da es schon in kleinen Dosen unangenehme Nebeneinwirkungen hervorriefe.

Sommer.

Von der Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte in Strassburg vom 18.—23. September 1885.. (Nach dem Tageblatt.) (Fortsetzung.) Section für Physiologie. Goltz zur Einleitung seiner Demonstration: Meine Herren, ich werde ihnen 5 Hunde vorstellen, von denen ein jeder eine ausgedehnte Verstümmelung des Gehirns erfahren hat. Keines dieser Thiere zeigt

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an irgend einem Punkte seines Körpers eine Aufhebung der Empfindung, keines zeigt eine Lähmung eines Muskels. j

Dem ersten dieser Thiere ist die Rinde der linken Hirnhälfte in sehr grosser Ausdehnung zerstört. Die sogenannte erregbare Zone fehlt ihm in einem solchen Umfange, dass er unbedingt mindestens einige der sogenannten motorischen Centren oder Fühlsphären verloren hat. Gleichwohl hat er überall Empfindung. Ich fordere diejenigen Herren, welche Munk’s Angaben für richtig halten, auf, sich davon zu überzeugen, dass dieser Hund überall Empfindung hat und auf Druck der Pfoten mit Aeusserungen des Unwillens oder selbst Beissen antwortet. Seine Hinterpfoten hebt er beim Harnen wie ein gesunder Hund, und zwar bald die linke, bald die rechte.

Der zweite Hund, den ich Ihnen vorstelle, hat eine ausgedehnte Zerstörung der beiden Hinterhauptslappen überstanden. Nach Munk müsste dieser Hund, wenn er eine vollständige Abtragung der Sehsphäre erlitten hätte, stockblind sein. Dass er dieses nicht ist, ist leicht zu beweisen, denn das Thier geht Hindernissen mit voller Sicherheit aus dem Wege. Wollte man annehmen, was ja zutreffen kann, dass das Thier Restchen von Sehsphäre behalten hat, so müsste er, wenn Munk Recht hätte, sich verhalten wie ein Hund mit Netzhautdefect. Dies trifft aber durchaus nicht Der Hund nimmt ein Stück Fleisch nicht wahr, in welchem Theile des Sehraumes sich dasselbe auch befinden mag. Er beachtet ebenso wenig Bedrohungen mit der Faust oder der Peitsche. Es ist eben wahrnehmungsschwach geworden und geblieben, obwohl er in den Monaten, die seit der letzten Operation verstrichen sind, Erfah- rungen genug hätte machen können. Er weiss auch die übrigen Sinneseindrücke nicht zu verstehen und zu verwerthen. So macht er sich gar nichts aus dem hef- tigsten bedrohlichen Zuruf, obwohl er die sogenannte Hörsphäre noch besitzt. Er verwerthet auch die Tasteindrücke so schlecht, dass er sich nicht entschliessen kann, aus einer niedrigen Umzäunung herauszusteigen.

Das dritte Thier, welches ich Ihnen vorstelle, hat eine tiefe und grosse Zer- störung der linken Hälfte des Vorderhirns erfahren. Ich zeige Ihnen diesen Hund als Probe davon, wie bei den vorn operirten Thieren die Lebhaftigkeit der Bewe- gungen sich anormal steigern kann. Sie sehen, wie das Thier in den Armen des Dieners zappelt, der es kaum fostzuhalten vermag. Losgelassen macht der Hund einen unermüdlichen Rundlauf durch den Raum und lässt sich durch keine begütigende Zurede in seinem Beginnen hemmen.

Das vierte Thier, welches ich Ihnen zeige, soll dazu dienen, darzutbun, dass die vollständige Durchtrennung der Capsula interna keineswegs, wie allgemein an- genommen worden ist, eine Lähmung der Muskeln der gekreuzten Körperhälfte zur Folge hat.

Bei dem Hunde, den Sie hier vor sich sehen, habe ich in frontaler Richtung eine breite Zerstörung der erregbaren Zone bis in eine solche Tiefe vorgenommen, dass nach Durchdringung des linken Seitenventrikels die Hirnmasse bis auf wenige Millimeter von der Basis durchschnitten ist. Das Thier hat keinerlei Lähmung und auch nirgend eine Aufhebung der Empfindung. Die einzige in die Augen fallende Störung, die der Hund zeigt, sind Reitbahnbewegungen nach links herum. Sie über- zeugen sich aber nunmehr, dass dieser Hund trotz der scheinbaren Zwangsbewegungen im Stande ist, einen Futternapf, den ich ibm darbiete, zu erreichen. Sie sehen auch, dass er selbst grössere Strecken geradlinig durchschreitet, wenn ich ihm mit dem Futternapf vorangehe. Endlich können sie auch beobachten, dass er den Kopf unter Krümmung der Wirbelsäule nach rechts wendet, sobald ich ihm das dargebotene Fleischstüäck nach rechts vorüberführe.

Endlich zeige ich Ihnen noch ein Thier mit grosser und tiefer Zerstörung der sogenannten motorischen Zone beider Himhälften. Sie sehen, dass die Bewegungen

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desselben änsserst plump sind. Er kann aber gehen. Kein Muskel seines Körpers ist gelähmt. Kein Punkt seiner Haut ist ohne Empfindung. Dieser Hund ist aber ausser Stande, von selbst zu fressen. Man muss ihm die Bissen unmittelbar vor das Maul halten, wenn er sie verzehren soll. Er zeigt ferner eine ausgeprägte Seh- störung, obwohl seine Sehsphären sicher wenigstens zum Theil erhalten sind.

Es folgt die Vorstellung der Hunde.

4. Sitzung: Montag Nachmittag 4 Uhr, im physiolog. Institut, unter Vorsitz des Herrn Exner

Goltz: Meine Herren, ich lege Ihnen hier 4 Gehimme vor, die von 4 der heute früh vorgestellten Hunde herrühren. Das Hauptgewicht lege ich auf den Befund, welchen das Gehirn des heute zuerst vorgestellten Hundes darbietet. Der linken Hälfte dieses Hirnes fehlt der Stirnlappen vollständig. Die sogenannte erregbare Zone der Rinde ist gleichfalls bis zu grosser Tiefe vernichtet. Ich fordere Sie auf, mir irgend ein erhaltenes Centrum zu zeigen. Auch die Sehsphäre ist linkerseits bis auf einen kleinen Rand des Hinterhauptlappens zerstört. Mehrere von den Herren haben sich heute noch vor dem Tode des Thieres überzeugt, dass der Hund nach Druck auf die rechte Vorder- oder Hinterpfote lebhafte Schmerzäusserungen machte. Dieselben Herren überzeugten sich ferner, dass dieser Hund auch noch das besass, was Hitzig Muskelbewusstsein der Pfoten nennt. Dass er keine Spur von Lähmung hatte, haben Sie alle gesehen. Gleichwohl fehlten ihm linkerseits die Centren für die Gliedmaassen wie alle übrigen sogenannten Fühlsphären.

Das Gehirn des zweiten heute vorgestellten Hundes zeigt rechts wie links voll- ständige Zerstörung der Sehsphäre. Links ist ausserdem die sogenannte Fühlsphäre des Auges vernichtet. Das Thier hätte nach Munk stockblind sein müssen, was es nicht war.

Das dritte Gehirn rührt von dem zuletzt vorgestellten Hunde her, der sich besonders dadurch auszeichnete, dass er ganz ausser Stande war, selbstständig Nah- rung aufzunehmen, obwohl er keinerlei Lähmung noch eine Aufhebung der Empfin- dung hatte. Die Ausdehnung der Verletzung bei diesem Thier ist viel grösser, als ich erwartet hatte. Unversehrt ist beiderseits nur der Stirnlappen. Die soge- nannte motorische Zone ist beiderseits vollständig vernichtet, und greift das Zer- störungsgebiet hinten weit in die Sehsphäre hinein, von der nur rechts eine Rand- zone besteht.

Was das Gehirn des Hundes anbelangt, dem ich einen tiefen Schnitt durch die linke Hirnhälfte gemacht hatte, so wird von einigen Herren bezweifelt, dass bei diesem Thier wirklich eine vollständige Durchtrennung der Capsula interna besteht. Ich brauche auf diesen Fall indess kein Gewicht zu legen, da das zuerst besprochene Gehirn zum Beweise genügt, dass die Endigung der gesammten Ausstrahlung der Capsula interna vernichtet sein kann, ohne irgend welche Lähmung zu erzeugen.

Nothnagel (Wien) meint, dass allerdings angesichts der heute Vormittag ge- gebenen Demonstrationen in vivo cane einerseits und andererseits der soeben vorge- legten anatomischen Präparate der von Goltz behauptete Gegensatz zu dem Munk’- schen Standpunkte in der That zu Recht zu bestehen scheine. Doch müsse er daran festhalten, dass eine derartige Zerstörung fast einer ganzen Hemisphäre, wie sie 30- eben beim Hunde fast symptomenlos verlaufend demonstrirt ist, nach allen bis jetzt vorliegenden pathologischen Erfahrungen beim Menschen schwere Störungen, insbe- sondere Hemiplegien, nach sich ziehe. Es scheine sich hier eben um Unterschiede in der Functionsfähigkeit von compensatorischem Eintreten einer Hemisphäre für die andere beim Menschen und Hunde zu handeln.

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[Ref. war zwar aus äusseren Gründen nicht in der Lage, eine genauere Unter- suchung der vorgeführten Hunde anzustellen, hat auch nicht die Absicht, auf die Controverse zwischen Hrn. Goltz und Hrn. Munk hier einzugehen, kann aber doch die Bemerkung nicht unterdrücken, dass das klinische Bild, das die 4 Hunde, denen die Hirnrinde an verschiedenen Stellen (1. Rinde der linken Hirmhälfte, 2. Zer- störung der beiden Hinterhauptslappen, 3. Zerstörung der linken Vorderhirnhälfte, 4. Zerstörung der sogenannten motorischen Zone beider Hirnhälften) entfernt war, ein so differentes war, wie sich auch aus der obigen Schilderung ergiebt, dass die Cardinalfrage, ob überhaupt eine Localisation der verschiedenen Functionen in ver- schiedenen Theilen der Hirnrinde besteht, auch nach dieser Demonstration unzweifel-

haft bejaht werden muss. Ist aber dieses erst allgemein zugegeben und man kann sich trotz der heftigen Polemik des Eindrucks nicht erwehren, als ob die diametralen Gegensätze früberer Jahre bedeutend abgeschwächt wären dann

dürfte die Fortsetzung der Untersuchungen und Beobachtungen auch das Specielle erledigen. Was die einzelnen Hunde betrifft, so sei nur erwähnt, dass der Hund ad 1 beim Laufen ganz unzweifelhaft die rechte Hinterpfote in anderer Weise aufsetzte, wie die linke, die erstere zeigte das gewöhnliche Verhalten der Hirnrinden- ataxie.e Der Hund ad 3 war im psychiatrischen Sinne nicht „verrückt“, wie Herr Goltz meinte, sondern blödsinnig. Er bot das nicht ganz seltene Bild jener Dementen in den Irrenanstalten, die fortwährend um den Tisch oder durch den Garten u. s. w. ziel- und zwecklos laufen. Das Thier machte den Eindruck, als ob gewisse Hemmungen hier fortgefallen wären, nicht den activer Reizung. ]

Section für Psychiatrie und Neurologie.

Grashey (Würzburg): Ueber die Bedeutung des Liquor cerebrospinalis für die Blutbewegung im Schädel. Vortragender knüpft an die vorjährigen Demonstrationen (cf. diese Ztschr. 1884. S. 474) an. Er hatte dargethan, dass die Cerebrospinalflüssigkeit für die Bluteirculation im Schädel von grosser Bedeutung ist; man konnte sagen: Bei freiem Abfluss der Cerebrospinalflüssigkeit sinkt der intra- cranielle Druck auf Null und die Blutcirculation bleibt unbehindert, bei aufgehobenem Abfluss dagegen steigt der intracranielle Druck mit dem Blutdruck und es folgt eine bedeutende Circulationshemmung unter Umständen, welche sonst die Circulation be- schleunigen und fördern.

Nun aber bildet völlig freier und völlig aufgehobener Abfluss der Cerebrospinal- Flüssigkeit Grenzwerthe der Versuchsbedingungen, welche am unversehrten mensch- lichen Schädel nicht vorkommen. Die Cerebrospinalflüssigkeit hat ja bekanntlich im Schädel und in der Rückgratshöhle weder ganz freien Abfluss, noch ist sie voll- kommen abgeschlossen; sie kann aus der Schädelhöhle in die weniger starrwandige, etwas erweiterungsfähige Rückgratshöhle ausweichen, sie kann ferner abfliessen in die von Key und Retzius nachgewiesenen Lymphgefässe der Nasenschleimhaut und Subarachnoidalräume der peripherischen Nerven, und durch die Arachnoidalzotten oder Pacchionischen Granulationer in das Venensystem, und endlich kann sie in die Blutbahn, aus welcher sie stammt, zurücktreten durch Resorption. Andererseits aber kann die Cerebrospinalflüssigkeit aus der Blutbahn beständig neuen Zuwachs erhalten; mit einem Wort, die Cerebrospinalflüssigkeit ist beweglich und in quantitativer Be- ziehung nicht constant, sondern variabel.

Es fragt sich also, wie diese quantitativ variable Flüssigkeit sich zum intra- craniellen Druck verhalte und vor Allem, wie eine solche Flüssigkeit, welche weder ganz freien noch ganz aufgehobenen Abfluss hat, physikalisch und hydrodynamisch aufzufassen sei.

Letztere Frage ist leicht zu beantworten, eine Flüssigkeit hat ganz freien Ab- fluss, wenn sie unter unendlich kleinem Druck abfliesst, und sie hat ganz aufgs-

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hobenen Abfluss, wenn sie nur. unter unendlich grossem Druck abfliesst. Nach dieser Definition ist der Lig. cerebrosp. physikalisch eine Flüssigkeit, welche unter einem endlichen positiven Druck abfliesst.

Und nun bleibt nur noch zu untersuchen, ob die Gefässschwingungen und die durch sie bedingte Circulationshemmung auch an einem elastischen Gefäss auftreten, welches umgeben ist von einer beweglichen, quantitativ variablen und unter positivem Druck abfliessenden Flüssigkeit. Diese Frage hat Vortragender mittelst des oben erwähnten, hier vorliegenden Apparats experimentell geprüft: Zunächst war dafür gesorgt, dass die Flüssigkeit Fl., welche den Liquor cerebrospinalis repräsentirt, Zu- finuss und Abfluss erhalte und dass beide so regulirt werden können, dass die Flüssig- keit unter beliebigen constanten, abnehmenden oder zunehmenden positiven Druck komme. Dies lässt sich sehr leicht erreichen durch Benutzung zweier Hähne, von welchen der eine den Zufluss aus einem kleinen Reservoir, der andere den Abfluss regulirt, und durch Benutzung eines Glasmanometers, welches den Druck angiebt, unter welchem die Flüssigkeit Fl. steht.

Ausserdem ist zu beachten, dass im Allgemeinen jede Steigerung des intra- craniellen Drucks bedingt ist durch eine Zunahme des Schädelinhalts und umgekehrt jede Minderung des intracraniellen Drucks durch eine Abnahme des Schädelinhalts, dass aber das Verhältniss zwischen Inhaltszunahme und Druckzunahme einerseits und zwischen Inhaltsabnahme und Druckabnahme andererseits ein sehr variables sein kann; bei einem starrwandigen Gefäss z. B. ist eine minimale Inhaltszunahme schon von einer ganz bedeutenden Druckzunahme begleitet, während bei einem sehr dehn- baren Gefäss eine minimale Inhaltszunahme auch nur von einer minimalen Druck- zunahme begleitet sein kann.

Um diesen Verhältnissen in der Versuchsanordnung gebührend Rechnung zu tragen, sind in dem Apparat Glasröhren verschiedenen Kalibers als Manometerröhren aufgesetzt. Bei Anwendung einer sehr engen Manometerröhre steigt der Druck auch bei geringer Flüssigkeitszunahme schon sehr bedeutend, während bei Anwendung einer weiten Manometerröhre derselbe Flüssigkeitszuwachs nur mit einer geringen Drockzunahme verbunden ist.

Nach diesen Vorbereitungen lässt sich nun sehr leicht zeigen, dass die eben erwähnten Gefässschwingungen mit Circolationshemmung nicht nur bei geschlossenem „Apparat (Schädel) eintreten, sondern auch bei offenem Apparat, wenn nur der intra- cranielle Druck einen bestimmten positiven Werth erreicht. Ferner lässt sich con- statiren, dass e8 für das Zustandekommen der Gefässschwingungen vollständig gleich- gültig ist, ob der intracranielle Druck die erforderliche Höhe erreicht durch ver- mehrten Zufluss des Lig. c. sp. oder verminderten Abfluss desselben, oder durch Ausdehnung des elastischen Gefässes (Blutgefässes) in Folge Steigerung des Blut- drucks, oder durch Zusammenwirken aller dieser Factoren. Und endlich lässt sich zeigen, dass bei Anwendung sehr enger Manometerröhren der intracranielle Druck schon bei relativ geringer Ausdehnung des elastischen Gefässes diejenige Höhe er- reicht, welche den Eintritt der Gefässschwingungen und der Circulationshemmung herbeiführt. (Alle diese Sätze werden an dem Apparate experimentell demonstrirt.)

Vortragender muss also die gestellte Frage bejahen und sagen, dass circulations- hemmende Gefässschwingungen auch an einem elastischen Gefässe auftreten können, welches wie die Hirngefässe umgeben ist von einer beweglichen, quantitativ variablen und unter positivem Druck abfliessenden Flüssigkeit.

Dieses Ergebniss, so einfach es auch erscheinen mag, ist nicht ohne praktische Bedeutung; es ist nämlich von vornherein als sicher anzunehmen, dass der Abfluss der Cerebrospinalflüssigkeit nicht bei allen Individuen unter demselben Druck erfolgt; bei dem einen Menschen können zahlreichere und durchgängigere Abflusswege vor- handen sein, als bei dem anderen, so dass bei gleichem Zufluss der Cerebrospinal- flüssigkeit dieselbe bei dem einen unter geringerem Druck zu stehen kommt, als bei

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dem anderen. -Ferner ist denkbar, dass bei gleichen Abflussbahnen der Zufluss ein variabler wird und dass aus diesem Grunde der Druck, unter welcbem die Cerebro- spinalflüssigkeit sich befindet und abfliesst, verschiedene Werthe erreicht. Sowie nun dieser Druck einen bestimmten, gar nicht hochliegenden Werth überschreitet, tritt die beschriebene Circulationshemmung ein und die regelrechte Ernährung des Gehirns leidet, ohne dass besondere Schädlichkeiten auf das Gehirn eingewirkt haben.

Besondere Bedeutung aber erlangt das leichtere oder schwierigere Abfliessen der Cerebrospinalflüssigkeit, wenn erheblichere Schwankungen des Blutdrucks oder der Dehnbarkeit der Hirngefässe eintreten. Jede Steigerung des Blutdrucks in der Carotis bewirkt eine Erhöhung des intracraniellen Drucks und setzt das Gehirn der Gefahr einer Circulationshemmung aus, wenn erstere nicht rasch vorübergeht oder wenn nicht ein entsprechend stärkerer Abfluss der Cerebrospinalflüssigkeit ein Sinken des intracraniellen Druckes herbeiführt.

Die gleiche Bedeutung haben Dehnbarkeitsschwankungen der Hirngefässe; an- genommen die Hirngefässe zweier. Individuen seien in Folge vasomotorischer Einflüsse sehr eng geworden und die Gehirne derselben seien in Folge dessen schlecht er- nährt; nun soll die Contraction der Hirngefässe plötzlich aufhören und folglich die Dehnbarkeit derselben erheblich wachsen, so resultirt zunächst für beide Gehirne eine Erhöhung des intracraniellen Drucks, welcher sich auf dieser Höhe halten oder abnehmen oder zunehmen kann. Welche dieser drei Eventualitäten eintritt, hängt vorzugsweise ab von der Beschaffenheit der Abflussbahnen des Lig. cerebrospinalis.

Diese seien bei dem einen Individuum zahlreich und leicht durchgängig, dann wird der erhöhte intracranielle Druck durch vermehrten Abfluss des Liq. cerebrosp. rasch sinken und die circulationshemmenden Gefässschwingungen werden aufhören, ehe nennenswerthe Stauungsproducte auftreten konnten. In dem Maasse, als der abfliessende Lig. cerebrosp. Platz macht, werden die dehnbarer gewordenen Him- gefässe sich erweitern, eine erheblich grössere Blutmenge wird in der Zeiteinheit das Gehirn durchströmen und die Ernährung desselben fördern.

Bei dem anderen Individuum aber, welches schlecht entwickelte Abflussbahnen des Lig. cerebrosp. haben soll, wird der erhöhte intracranielle Druck nicht sinken, die circulationshemmenden Gefässschwingungen werden fortdauern, und die Stauungs- producte werden ihre Wirkungen geltend machen. Unter letzteren ist insbesondere ein Stauungsödem, d. h. ein vermehrter Zufluss des Lig. cerebrosp. von Bedeutung, welcher selbst wieder steigernd auf den intracraniellen Druck wirkt.

Auf diese Weise wird das Gehim, welches ursprünglich in Folge stark contra- hirter Hirngefässe schlecht ernährt war, auch nach Lösung der Gefässcontraction abnorm ernährt werden in Folge von Blutstauung, d. h. es wird aus dem Zustande arterieller Anämie verfallen in einen Zustand venöser Hyperämie.

Derartige, die Genese der Psychosen beleuchtende Folgerungen ergeben sich noch mehrere: man kann z. B. sagen, dass Menschen, deren Abflussbahnen für den Liquor cerebrospinalis eng und dürftig sind, eine grössere Disposition zu Störungen der Hirnernährung haben als andere und ausserdem kann man sich vorstellen, dass das schwer definirbare Wesen der erblichen Disposition zu Psychosen, zum Theil in dürftig angelegten Abflussbahnen des Liquor cerebrospinalis anatomisch begründet ist.

Discussion. Mendel: Die hohe Bedeutung der mitgetheilten Versuche für die Circulationsverhältnisse im Gehirn ist klar. Dagegen möchte ich einige Bedenken in Bezug auf die Uebertragung auf pathologische Verhältnisse äussern. Einmal haben wir es unter diesen Verhältnissen sehr häufig nicht mit elastischen Röhren, wie hier, sondern mit mehr minder krankhaft veränderten Gefässwänden zu thun, wodureh deren Elasticität gestört ist. Dadurch müssen natürlich die Druckverhält- nisse, Schwingungen etc. verändert werden. Ferner möchte ich nicht Störungen der Circulationsverhältnisse, Anämie, Hyperämie, mit Melancholie, Stupor etc. identificiren.

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Zum Zustandekommen dieser psychopathologischen Zustände gehören noch andere Bedingungen als grössere oder geringere Blutfülle.

Grashey: Je elastischer die Blutgefässe seien, um so leichter komme es caet. par. zu den demonstrirten circulationshemmenden Gefässschwingungen. Wenn nun auch die Gefässelasticität abnehmen könne, so werde doch wohl nie eine so hoch- gradige Abnahme eintreten, dass die Schwingungen vollständig ausgeschlossen wären. Dass die Begriffe Melancholie und arterielle Hirnanämie einerseits und Stupor und venöse Hirnhyperämie andererseits sich nicht decken, sei nicht im mindesten zu be- zweifeln. Dass aber Circulationsstörungen, venöse Stauungen u. dgl. für die Func- tionen des Gehirns nicht indifferent seien, lasse sich nicht bezweifeln; man solle sich nur erinnern, dass eine rasclı eintretende hochgradige Hirnanämie OWUERSESINB: störungen bedinge und epileptische Krämpfe.

Jolly fragt an, ob der Vortragende an Thieren Erscheinungen einer ähnlichen intermittirenden Circulation beobachtet habe, wie sie an seinem Apparate zu Tage treten. Jolly selbst hat bei Beobachtung der Gehirncirculation durch ein einge- schraubtes Glasfonster am uormalen Thier nichts Analoges beobachtet; wohl aber trat bei Steigerung des Gehirndrucks deutlicher Venenpuls ein. Ob dieser Puls synchron mit der Herzbewegung war, wurde damals nicht beachtet. Jolly hält es aber jetzt für möglich, dass dies nicht der Fall war, dass es sich vielmehr um ein ähnliches Intermittiren der Circulation gehandelt habe, wie in Grashey’s Versuchen.

Auch der von anderen beobachtete Venenpuls in den Jugularis interna könnte möglicherweise von gleicher Bedeutung sein.

Grashey erwidert, dass er seine Untersuchungen auf Thiere noch nicht aus- gedehnt habe und dass man auf eine graphische Darstellung der Gefässschwingungen mittelst der bisher üblichen Methoden jedenfalls verzichten müsse, weil diese Me- thoden nicht im Stande seien, so rasche Schwingungen aufzuzeichnen. Vom Menschen sei ihm,indess ein Phänomen "bekannt, welches höchst wahrscheinlich auf den ge- schilderten Schwingungen beruhe, nämlich das Schädelgeräusch der Kinder.

Kräpelin (Dresden) weist darauf hin, dass nach Exstirpation der Schilddrüse psychische Degenerationen beobachtet wurden, die man auf einen Ausfall von Lymph- oder Blutreservoirs zurückgeführt hat. Die Versuche des Vortragenden würden es begreiflich machen, wie eine derartige Ausschaltung von Nebenbahnen ernstere Cir- culationsstörungen. innerhalb der Schädelhöhle zur Folge haben könnte.

Grashey erwidert: Wenn sich die Schilddrüse in der That als ein Reservoir für die aus dem Schädel abfliessenden Flüssigkeiten erwiese, so würde ihre Exstir- pation sicher mit dem geschilderten Phänomen in Zusammenhang gebracht werden müssen, weil eben jede Verengung oder Verschliessung von Abflussbahnen des Liquor cerebrospinalis von Bedeutung sei für die Höhe des Gehirndrucks.

Binswanger (Jena): Ueber die pathologische Histologie der Grosshirn- rinde bei der Dementia paralytice.

1. Ueber pathologische Veränderungen der grossen Ganglienkörper. Im An- schluss an frühere Untersuchungen über die grossen Betz’schen Riesenpyramiden- ganglienzellen der Centralwindungen wurden im Laufe der letzten Jahre die dem Sprachgebiete zugezählten Abschnitte der untersten Stirmwindung und der Inselwindung bei einer Reihe von Paralytikergehirnen durchforscht. Es wurden ausschliesslich Gehirne von Paralytikern, welche im Endstadium verstorben waren, verwandt, oder von Kranken, welche des Sprachvermögens völlig verlustig gegangen waren. Die Ergebnisse wurden beständig mittelst Bearbeitung derselben Rindentheile relativ normaler Gehirne controlitt. Es fand sich nun, dass überall die der 3. Rinden- schicht zugehörigen grossen Ganglienkörper in den zwischen dem vordern aufsteigen- den Schenkel der Sylvischen Furche und dem Uebergangstheile gelegenen Partien grösstentheils zu Grunde gegangen waren. Die pathologischen Vorgänge an den

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Ganglienzellen waren die gleichen, wie sie der Vortragende bei den früheren Unter- suchungen über die Riesenpyramidenzellen genauer beschrieben hat. Dia krankhaften Veränderungen sitzen entweder an den Zellkernen oder dem Zellkörper. Im ersteren Falle bestehen die Anfänge in einer trüben Schwellung und Blähung des Kernes, Schwinden des feinkörnigen Inhalts derselben und führen schliesslich zu einer eigen- thümlich homogen klar glänzenden Beschaffenheit des Kernes, welcher durch Farb- stoffe nur schwer tingirbar geworden ist. Doch giebt es Bilder, welche einen direceten Zerfall, ein Zerstieben und Auflösen des geblähten Kernes beweisen. Die Verände- rungen des Kernkörperchens gehen in der früher beschriebenen Weise Hand in Hand; nur muss bemerkt werden, dass mit abnehmender Grösse der Ganglienzellen in diesen Rindengebieten gegenüber denjenigen des Paracentrallappens die Studien über die Beschaffenheit’ des Kernkörpers entsprechend schwieriger und unsicherer geworden sind.

Die Veränderungen des Zellkörpers bestehen entweder in einfacher atrophischer Schrumpfung desselben mit Verlust der protoplasmatischen Ausläufer, der Spitzen und der Basalfortsätze bis zur Bildung unförmlicher, mit Carmin stark gefärbter klumpiger Körper oder aber in einer eigenthümlichen Zerklüftung einzelner Stellen des Zellkörpers, der dadurch ein zerrissenes, durchlöchertes Aussehen erhält und schliesslich auseinander fällt. Hierzu gesellt sich fast regelmässig eine Zunahme des physiologisch vorhandenen Zellpigments und diese pigmentöse Degeneration dient gewissermaassen zum Wegweiser in den erkrankten Rindengebieten, indem wir an der Hand dieser Pigmenthaufen auf die Reste der Ganglienkörper hingeführt werden. (Die Einzelheiten dieser Untersuchungen werden durch mikroskopische Präparate demonstrirt.)

2. demonstrirt der Vortragende eigenthümliche, nur selten beobachtete Verän- derungen der Lymphgefässscheiden der Rindengefässe bei Paralytikergehirnen, welche von Kranken, die unzweifelhaft syphilitisch gewesen waren, stammten. Dieselben bestehen in Verdickungen, Einschachtelungen und Abkapselungen einzelner Lymph- scheidenabschnitte, Proliferation der Lymphendothelien innerhalb dieser abgeschlossenen Räume und Ansammlung von Lymphkörperchen daselbst. Die dadurch entstöhenden Bilder gleichen am meisten Miliartuberkeln oder den kleinen L,ymphomen bei Typhus, perniciöser Anämie etc. Ob ein Causalzusammenhang dieser Veränderungen mit der syphilitischen Erkrankung besteht, ist für den Vortragenden eine noch unentscheid- bare Frage, doch muss darauf hingewiesen werden, dass von anderer Seite neuer- dings bei der Rückenmarks-Syphilis anatomisch eine Erkrankung der Lymph- scheiden häufiger gefunden worden ist.

Nissl (München): Ueber die Untersuchungsmethoden der Grosshirn- rinde. Stellt man Versuchsreihen mit allen jetzt bekannten Härtungsflüssigkeiten an, so findet man, dass der Alkohol die schönsten Nervenzellenbilder liefert, während er die Faser vernichtet, andererseits Lösungen von doppeltchromsaurem Kali die Faser erhalten, auf die Zelle aber mehr oder weniger destruirend wirken.

Aus dieser Thatsache ergiebt sich für die Untersuchung ein eminent wichtiger Schluss: wir müssen wissen, was wir sehen wollen: Nervenzellen oder Nervenfasern.

Für die ersteren brauchen wir den Alkohol, für die Fasern die Chromsalzlösungen als Härtungsflüssigkeiten.

Zur Beobachtung von markhaltigen Fasern leistet die Weigert’sche Hämatoxylin- methode nach ihrer neuen Modification, was bisher noch keine andere Methode er- reicht hat.

Für die Untersuchung der Nervenzellen, Bindegewebskerne und der Gefässwände können wir die Anilinfarben nicht entbehren. Aus der grossen Reihe derselben sind besonders geeignet Magentaroth, Dahlia, Vesuvin. Bezogen sind die Farben von Diehl, München, Neuhausgasse 33. Sie werden in concentrirten wässerigen Lösungen versandt.

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Die Methode ist sehr einfach. Man bringt nach der Section, die innerhalb eines Zeitraumes von 9—-30 Stunden post mortem stattfindet im Sommer muss die Leiche kühl liegen und dürfen 24 Stunden nicht überschritten werden! nachdem man den Ort des herausgenommenen Rindenstückchens genau bestimmt hat, dasselbe in 95° Alkohol und lässt es liegen, bis es schnittfähig ist. Will man das ganze Hirn härten, so muss man mit schwachem Alkohol zuerst beginnen. Eine Ueber- härtung kommt nicht vor. Dann klebt man mit Gummi das Stückchen auf und scheidet mit alkoholbefeuchteter Klinge. Die Schnitte sammelt man in einer Schale von 95° Alkohol. Aus diesem heraus bringt man den Schnitt in eine Schale mit filtrirter wässeriger Anilinfarblösung.

Die Schale mit der Farblösung wird so lange erhitzt, bis sich ein leichter Dampf zeigt. Sodann lässt man die Schale langsam erkalten und bringt den Schnitt in eine Schale von 95° Alkohol, in der die Farbe oberflächlich abgewaschen wird. Dann kommt der Schnitt sofort in Nelkenöl, wo die Hauptentfärbung vorgenommen wird, so lange bis keine grösseren Farbstoffwolken mehr weggehen. Vertreibung des Nelkenöls mit Benzin. Canadabalsam.

Diese Methode entspricht allen Anforderungen zur schönen Darstellung aller zelligen Elemente in der Hirnrinde,! während die neue Weigert’sche Methode das gleiche für die markhaltigen Fasern leistet. So ergänzen sich beide Methoden. Meine Methode hat den Nachtheil, dass die Präparate nicht haltbar sind, hat aber den enormen Vorzug, dass sie Structuren der Zelle darstellt, ferner pathologische Ver- änderungen sofort anzeigt. Von den genannten Farben leistet das Magentaroth am meisten.

Mit den bisherigen Methoden können wir in einem und demselben Schnitte nicht die Fasern und Nervenzellen der menschlichen Hirnrinde zugleich darstellen. Der Grund hierfür liegt nicht in der Farbentechnik, sondern im Härtungsverfahren. Wir brauchen also noch ein Härtungsmittel, das Zellen und Fasern intact lässt und eine gleichzeitige Tinction von Faser und Nerv erlaubt.

Vortragender betont mit grösstem Nachdruck die Vergleichung mit normaler Hirnrinde. Erst wenn dieser Vergleich stattfindet, kann die Untersuchung annähernd genau werden. Um dies aber zu erreichen, muss man immer ein in Alkohol ge- härtetes normales Hirn bereit haben, was freilich, da die Bedingungen hierzu selten eintreffen, schwer zu erreichen ist. Hierher gehören Hime von ganz gesunden 20—40jährigen Individuen, die durch Unglücksfall (nicht durch Selbstmord) rasch zu Grunde gegangen sind. Der Vergleich selbst wird dadurch bewerkstelligt, indem man Schnitte aus der normalen und pathologischen Rinde macht, die aus homologem Orte stammen; das pathologische und normale Schnittobject wird in ein und der- selben Schale weiter behandelt. So werden die Fehler nur gering sein.

Erb (Heidelberg): Demonstration von Präparaten von Dystrophia mus- cularis und von Thomsen’scher Krankheit (cf. d. Ctrlbl. 1885. 8. 289).

Derselbe demonstrirt Muskelpräparate von einem Fall von Thomsen'’scher Krankheit, welche die Hypertrophie der Fasern, die Kermvermehrung ete. in sehr exquisiter Weise zeigen; ausserdem Präparate von Muskeln eines nach einer Opera- tion gestorbenen Mannes, welche genau dieselben Veränderungen der Muskeln in ausgesprochener Weise zeigten: Die Befragung der Wittwe des Betreffenden ergab mit ziemlicher Sicherheit, dass derselbe wohl intra vitam an einem allerdings nur mässigen Grade der Thomsen’schen Krankheit gelitten habe.

Im Anschluss hieran demonstrirte Prof. Erb noch Präparate aus 3 Muskeln eines an sogenannter Pseudohypertroph. infantil. muscul. (Dystrophia musculor. pro-

! Die demonstrirten Präparate zeigten in der That die Ganglienzellen und die Ver-

änderungen derselben in vorzüglicher Weise, so dass die weitere Benutzung der Nissl’schen Methode nur empfohlen werden kann.

502

gressiva, Erb) leidenden Knaben. Im Gastrocnemius fand sich Hypertrophie vieler, neben Atrophie anderer Muskelfasern (ausserdem Bildung von Längsspalten in einzelnen Fasern), ferner Wucherung und Kernvermehrung des Bindegewebes; auch in den Muskelfasern Kernvermehrung.

Im Infraspinatus vorwiegend atrophische Fasern, mit viel reichlicherer Wucherung des Bindegewebes; keine Fettzellenanhäufung.

Im Latissimus dorsi fast nichts mehr von Muskelfasern, dagegen Massen ven Bindegewebe und von Fettzellen.

Redner ist demnach der Ansicht, dass der ursprüngliche Process bei der s0g. Dystrophia muscularis nicht die Wucherung des Fetigewebes, nicht eine sog. Pseudohypertrophie, sondern vielmehr eine mit Atrophie. vieler Fasern einhergehende wahre Muskelhypertrophie mit gleichzeitiger Bindegewebshyperplasie ist; dieselbe Anschauung ist ja auch von Anderen schon auf Grund anatomischer Untersuchungen gewonnen worden.

An der nun folgenden Discussion betheiligen sich: Schultze (Heidelberg) und v. Recklinghausen (Strassburg).

Schultze (Heidelberg) demonstrirt Präparate von einem Falle von allgemeiner Muskelatrophie und meint, dass bei der sogenannten Pseudohypertrophie bisher nicht nachgewiesen werden könne, dass der Atrophie einer Muskelfaser stets Hypertrophie voranginge.

Er demonstrirt sodann Präparate, welche von Hrn. Weigert nach seiner Me- thode und nach der Safraninmethode von Adamkiewicz angefertigt wurden; er spricht sich zugleich gegen die Richtigkeit der Lehre von den chromoleptischen Zonen aus.

Schultze bespricht 'sodann einen Fall von Porencephalie.

In der Discussion über den Vortrag bemerkt er noch, dass die Pyramiden in seinem Falle völlig fehlten und der Schädel nahezu normal war.

Zum Schluss bittet Hr. Dr. D. Hack Tuke (London) durch Hrn. Dr. Freus- berg (Saargemünd) die deutschen Neurologen um Unterstützung in seinem Studium über spontanen Somnambulismus, und um Mittheilung von gut beobachteten Fällen nach Hanwell, London.

Die Section für Psychiatrie und Neurologie hatte unter Führung des Herm Jolly Gelegenheit, die neue psychiatrische Klinik in Strassburg zu sehen, deren Pläne demonstrirt wurden. Sie folgte ferner sehr vollzählig der Einladung des Herrn Stark nach Stephansfeld und Hördt. Die dortigen Einrichtungen, besonders aber auch die Beschäftigung der Kranken in der Landwirthschaft, wie die sichtbaren Erfolge derselben fanden die allgemeinste Anerkennung und diese allgemeine Be- friedigung gab sich auch in der angeregten Stimmung bei dem in Stephansfeld ge- botenen Mahle deutlich kund.

Section für Ophthalmologie.

Knapp (New-York): Ueber einen Fall von acuter Myelitis mit beider- seitiger Ophthalmoplegie und Stauungspapille.

Der Fall war dadurch ausgezeichnet, dass bei einem gesunden Manne, welcher vor 8 Jahren Syphilis hatte, nach einer ungewöhnlichen Ausschweifung in Baccho, gleichzeitig Amaurose und eine an den Zehen beginnende, aufsteigende Körperlähmung auftraten, wozu sich am 15. Tage nucleare Augenmuskelparalyse und am 17. Tage Bulbärparalyse gesellten, welch letzterer der Kranke am 21. Tage erlag. Die klare klinische Diagnose wurde durch den Leichenbefund bestätigt. Vortragender will hier nun das Wichtigste aus der Krankheitsgeschichte und dem Sectionsergebniss mittheilen:

Er. J. B. C., alt 32 J., aus New-York, erblich nicht belastet, contrahirte vor 8 Jahren Chancre mit Pharyngitis, Boseola und recidivirender Hodenanschwellung, welche durch Quecksilber heiltee Er war zu geschlechtlichen Excessen geneigt,

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trank nicht viel, rauchte stark. Ende December 1884 war er bei der Eröffnung der Weltausstellung in New-Orleans zugegen und trank Nachts sehr viel. Tags darauf bemerkte er eins Abnahme des Sehvermögens beider Augen und Schwäche in beiden ‘Beinen. Diese Erscheinungen nahmen so rasch zu, dass er am 3. Tage die Heimreise nach New-York antrat, am 5. Tage, halbwegs, schon so schlecht sah, dass er sich nicht mehr allein führen und auch nicht mehr ohne Stütze gehen konnte. Am 7. Tage kam er in New-York an, besuchte Vortragender am 8. Tage, gestützt auf den Arm seiner Frau. Beide Beine waren paretisch, sein Gang etwas atactisch. Rechtes Auge blind mit mittelweiter unbeweglicher Pupille, linkes Auge unterschied noch hell von dunkel, hatte gleichfalls mittelweite, aber sehr träge Pupille, Seh- nervenscheiben blass (anämisch).

Oberflächliche und tiefe Reflexe verstärkt; Constipation; beständiges Harnträufeln. Sexuelle Functionen, Appetit und Gemüthsstimmung gut. Vortragenger rieth dem Patienten, sich von einem mit Nervenkrankheiten vertrauten Arzte behandeln zu lassen.

Am 9. Tage der Erkrankung waren beide Pupillen unbeweglich, nur in einem engen Theile des linken Sehfeldes Lichtperception erhalten. Die Sehnerven sahen jetzt normal ans. Die Beine waren schwächer. '

Am 12. Tage S=0 und Pupille unbeweglich auf beiden Seiten. Die Pupillen und ihre Umgebung waren hyperämisch und Ödematös. Paralyse der unteren Ex- tremitäten total. Reflexe sehr verstärkt. Sensibilität der unteren Extremitäten ver- mindert. Hyperästhetischer Gürtel in der Regio epigastrica. Blase und Mastdarm gelähmt. Urin durch Katheter entleert. Uebelkeit.

In den nächsten 5 Tagen Sensibilität und Reflexe von den Zehen anfangend verschwindend. Decubitus.

Am 17. Tage beiderseitige Ophthalmoplegie.. Bewegungen aufwärts aufgehoben; links sehr, rechts weniger beschränkt, abwärts fast normal. Nausea; Vomitus. Rechts ausgesprochene, links beginnende Stauungspapille. Rechter Arm gelähmt.

Am 20. Tage Verschlimmerung aller Erscheinungen, grosse Athemnoth. _

Am 21. Tage Tod durch Ersticken.

Die Behandlung: Grössere Gaben von Hg. und Kal. jod. hatten keinen Einfluss auf den Gang der Krankheit gehabt.

Die am nächsten Tage an der vollkommen conservirten Leiche von Dr. L. Wald- stein ausgeführte Section des Rückenmarks und Gehirns ergab: Hyperämie der Rückenmarkshäute, reichliche Entleerung trüber Flüssigkeit beim Einschneiden der- selben, Lendenanschwellung und oberes Dorsalmark gänzlich, das ganze Dorsalmark beträchtlich erweicht; das Halsmark consistent, verfärbt, Subarachnoidalflüssigkeit des Gehirns reichlich, Pia der Basis hyperämisch; Chiasma, Tractus und Nervi optici geschwollen, weich, röthlich gran.

Bei der mikroskopischen Untersuchung (von Waldstein) zeigten die Arterien fast überall eine bedeutende hyaline Verdickung der Intima mit verengtem Lümen, während die Venen strotzend mit Blut gefüllt und von Rundzellen reichlich umgeben waren. Im Chiasma und den Sehnerven Untergang von Nervenfasern, Verbreiterung der Septen, Rundzelleninfiltration, Endarteriitis und abnorme Füllung der Venen.

(Fortsetzung folgt.)

IV. Bibliographie.

The blot upon the brain, studies in history and psychology by W. W. Ireland. Edinburgh 1885. (361 Seiten.)

Unter den obigen nach einem zum. Motto genommenen Verse Tennyson’s ge-

wähltem Titel behandelt der Verfasser des bekannten Werkes über Idiotie in einer

_ grösseren Reihe von zum Theil schon trüher veröffentlichten, jetzt zumeist erweiterten

504 --

Aufsätzen, Studien über pathologische Psychologie mit deren Anwendung an geschicht- liche Ereignisse.

Von der Reichhaltigkeit des gebotenen Materiales mag der nachstehende Auszug des Inhaltsverzeichnisses eine Vorstellung geben. In 13 Abschnitten behandelt Verf. die Hallucinationen, speciell die des Gesichts und Gehörs, die Hallucinationen Moba- med’s, Luther's und Swedenborg’s, den Charakter mit Hallucinationen der Jeanne d’Arc, den Wahnsinn der Macht (die römischen, russischen Kaiser und einen indischen Sultan umfassend), die Geschichte der hereditären Neurose in der spanischen Königs- familie, den bl. Franz Xaver, die Zwangsvorstellungen, Folie & deux, die sog. be- wusstlose Gehirnthätigkeit, das Denken ohne Worte und die Beziehung der Worte zum Denken, Linkshändigkeit und Rechtshirnigkeit, Spiegelschrift, die zwiespältige Funktion des doppelten Gehirns.

Es kann natürlich nicht der Zweck dieser Zeilen sein eingehend die verschie- denen Aufsätze kritisch zu behandeln, es mag vielmehr genügen darauf hinzuweisen, dass I. sich auf all den so disparaten Gebieten als tüchtiger Kenner erweist; bei der ausgesprochenen Bestimmung des Werkes auch für Nichtfachleute handelt es sich in den speciell für die letzteren wichtigeren Abschnitten nicht um die Dar- legung durchaus neuer Forschungen, aber die volle auf eingehender Benutzung der Literatur basirte Beherrschung des Stoffes wird selbst für jene viel Belehrendes bringen, zumal als überall die reiche Erfahrung des Verf. erläuternd herangezogen ist Mit der in England zumeist geübten klaren Darstellung des Stoffes harmonirt die gleichfalls dort übliche prächtige Ausstattung des Werkes. A. Pick.

Nachtrag. Ref. glaubt sich berechtigt bei dieser Gelegenheit darauf hin- weisen zu dürfen, dass sein bekannter Fall von sogen. partiellen Hallucinationen (Jahrb. für Psych. I) auf Grund eines irrthämlichen Referates mehrfach schon auch von Ireland wieder für eine peripherische Pathogenese der Gesichtshallu- cinationen benutzt wird, wozu derselbe sich durchaus nicht eignet. A. Pick.

V. Personalien.

Dr. Rabbas, bisher Assistent an der psychiatrischen Klinik zu Würzburg, wurde zum Assistenzarzt der Irrenheilanstalt zu Marburg gewählt.

VI. Vermischtes.

Es darf billig an dieser Stelle eines kürzlich Verstorbenen gedacht werden, der, wenn

auch nicht Arzt, in der Geschichte des Irrenwesens eine wichtige Rolle gespielt. Es ist dies Lord Shaftesbury, dem es zuerst gelang, anknüpfend an die berühmte Enqu&te vom Jahre 1815, im Jahre 1828 in Verbindung mit Mr. Gordon eine Bill über das Irrenwesen durchzubringen, dessen Werk das Irrengesetz vom Jahre 1845 war und der schliesslich durch mehr als 50 Jahre als Vorsitzender der Lunacy Commission keinen geringen Theil an dem hohen Stande hat, den das englische Irrenwesen seither erreichte. Als er kürzlich, mit ver- schiedenen Reformvorschlägen nicht einverstanden, von seiner Stelle zurücktreten wollte, war von Seiten der englischen Irrenärzte eine Ovation für ibn geplant. A. Pick.

Berichtigung. Auf S. 478 lies Dr. Paneth statt Dr. Vareth.

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof, Dr. E. Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Veır & Cour. in Leipzig. Druck von Merzezu & Wrrria in Leipzig.

NEUROLOGISCHESCENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten,

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Vierter zu Berlin. Jahrgang,

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Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

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1885. | 15. November. - N»: 22.

Inhalt. 1. Originalmittheliungen. Eine Bemerkung zur Säufer-Epilepsie, von Moeli.

il. Referate. Anatomie. 1. The anatomy of a hydromikrocephalous brain, by Hlil. Pathologische Anatomie. 2. On secondary and tertiary degenerations in the spinal cord of the dog, by Sherrington. Pathologie des Nervensystems. 3. Ein seltener Fall von atrophischer Lähmung des Nervus hypoglossus, von Erb. 4. Zur Kenntniss der fortschreitenden Bulbärparalyse, von Freund. 5. ji case of lodgment of a breech-pin in the brain; recovery, br Kemper. 6. Casuistische Mittheilungen von Hebold. 7. Sur un cas de paralysie alterne d’origine pedonculaire, par Ramey. 8. Tuberkel im Hirnschenkel, von Mendei. 9. An Analysis of the Nerve. Phenomena in a case of anaesthetic Leprosy, by Sturge. 10. Fall af hemiatrophia facialis progressiva, af Warfvinge. 11. Asphyxie locale et gangröne symmetrique des extrömit6s, de ziekte van Raynaud, door van der Hoeven. 12. A propos de six cas d’hysterie chez l’homme, legons de Charcot. 13. Ueber eine eigenthümliche Form spastischer Lähmung mit Cerebralerscheinungen auf hereditärer Grundlage. Multiple Sole- rose, von Pellzäus. 14. Ein Fall von Chorea spastica, von Roller. 15. The prechoreie stages of Chorea, by Straton. Psychiatrie. 16. General Paralysis of the insane. A study of the deep reflexes, and pathological condition of the spinal cord, by Beatley. 17. Considera- tions sur les relations, qui existent entre les symptömes psychiques de la paralyse gön6rale et les lesions anatomiques de cette maladie, par Camuset. 18. Paretic dementia, 7 Kiernan. 19. Et Par Momenter af Sindssygdommenes almindelige lm: af Lange. Therapie. 20. Zur Therapie des Morbus Basedowii. 21. Behandlung der Epilepsie, von Mills. An- staltswesen. 22. Bericht des Dr. Sommer über die von demselben ausgeführte Informations- reise. 23. Verwaltungsbericht der Bezirks-Irrenanstelt bei Saargemünd für das Jahr 1884/85 von Director Dr. Freusberg. 24. The insane population of the United States, by Sylvester.

IN. Aus den Gesellschaften.

I. Originalmittheilungen.

Eine Bemerkung zur Säufer-Epilepsie. Von Dr. Moeli, Privatdocent und Oberarzt der städt. Irrenanstalt in Dalldorf.

Die Annahme Macnan’s, dass nicht der Alkohol, sondern namentlich der Absynth bei den französischen Trinkern an dem Auftreten epileptischer Anfälle Schuld sei, ist allgemein bekannt.

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Immer jedoch ist auf die sehr grosse Häufigkeit epileptischer Anfälle gerade bei den Berliner Alkoholisten hingewiesen. WEsTPHAL giebt an, dass bei '/, der in die Charit6 aufgenommenen Deliranten bereits früher epileptische Zustände bestanden, und dass im Anfall etwa eine ähnliche Zahl epileptisch wurden. FÜRsTneR! sah unter 226 Deliriumtremens-Kranken 68mal Epilepsie als Com- plication (in 31°/,). Ich habe 36—40°/, gefunden.?

Die Anzahl der Kranken mit Krampfanfällen unter den in Berlin wegen des Alkoholismus in Anstalten Aufgenommenen, erscheint danach auf den ersten Blick als eine höhere als bei den Pariser Alkoholisten, bei welchen MaanAn und BoucHzrau unter 377 nur 31 Epileptiker = 8°/, und Maanan® unter 291 nur 15 Epileptiker = 5°/, fanden. Es ist jedoch bei der Nebeneinander- stellung dieser Zahlen zu berücksichtigen, dass die Berliner zum grössten Theile Deliranten waren und dass bei mehr chronischem Verlaufe der psychischen Ab- weichungen, entschieden viel weniger häufig Krämpfe gefunden werden, an- scheinend nur gegen 10°/,.*

davon schwere Trinker

| 8. 4. I Ä 5.| Nordhäuser mit Verschiedenem (Himbeer etc.) . | 97 17 | 46 15 | 35 6.} Nordhäuser mit Bittern oder Ingwer ; | 80 | 7 22 | 14 | 46 7.| Getreide mit Rum . . BE | 25 Ä 20 | 80 | 6 | 24 8. | Getreide allein od. mit anderem als Rum u. Bittern 24 '9 87 | 11 46 9.| Kümmel mit anderem als Rum und Bitten. .| 2 | ı1 50 1 32 10.| Korn mit oder ohne Zusatz. . . . 2.2... 20 | 8 40 7 85 11.| Kümmel rein. . 2 2. 2. 2 2 2 2 2 00. 20 | 5 25 8 15 Summa: | 399 "158 | #0

12.| Ganz vorwiegend Bier und Wein, Schnaps bei- |

läufig (meist Cognac) . . . . 2 2.2. | 21 | ; ! 1 5

ı Fünstner, Zur Behandlung der Alkoholisten. Allgem. Zeitschr. für Psychiatrie. Bd. 84. 8. 199.

? Statistisches und Klinisches über Alkohol. Charit&-Ann. 1884. 8. 536.

® Maonan, De l’Alcoolisme. p. 82.

* Charite-Ann. 1884. 1. c.

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Es lag nun die Frage vor, ob vielleicht die hier gebräuchlichen Schnaps- sorten in Beziehung auf die Entstehung der Krampfanfälle Verschieden- heiten darböten. Schliesse ich die Kranken aus, bei denen schon vor der Trunksucht nervöse Störungen bestanden, sowie die, bei denen andere Momente, Trauma etc., hineinspielen, so reducirt sich die Zahl der in den letzten Jahren zu meiner Kenntniss gekommenen Fälle auf ca. 600. Nur 420 jedoch machten genügend sichere Angaben, um die Art des Alkoholgenusses feststellen zu können, während die Uebrigen theils in der Schnapssorte gewechselt hatten, theils sich widersprachen. In vorstehender Tabelle sind die Befunde zusammengestellt. Als schwere Trinker sind die berechnet, welche gewohnheitsgemäss für mehr als für 30 Pfg. pro Tag zu consumiren angaben, natürlich ist diesen Zahlen ein besonderes Gewicht nicht beizulegen. |

Sonach zeigt sich, dass (da die Nr. 11 wohl zu wenig Beobachtungen um- fasst, um das Resultat zu ändern) aus der Tabelle ein Unterschied für den Einfluss der verschiedenen Sorten auf die Epilepsie nicht gefolgert werden kann. Auch ist das Ergebniss der Nr. 12 erwähnenswerth. Wenngleich ausser der relativ geringeren Schädlichkeit des Weins und Biers hier auch noch die Wahrscheinlichkeit einer besseren Qualität des Schnapses berücksichtigt werden muss, so hatte doch der Alkoholmissbrauch, abgesehen von den Krämpfen, die gewöhnlichen psychischen und somatischen Folgezustände hervorgerufen. Es wäre deshalb erwünscht, wenn diejenigen, welche derartige, vorzugsweise Wein- und Bierdeliranten in grösserer Anzahl zu beobachten Gelegenheit haben, über die Häufigkeit der Krämpfe bei dieser Klasse von Alkoholisten sich äussern wollten.

u. Referate.

Anatomie.

1) The anatomy of a hydromikrocephalous brain, by A. Hill. (Journ. of Anat. and Phys. 1885. July.)

Hill theilt in dieser Schrift die Resultate des in seinem „Plan des centralen Nervensystems“ (Neurol. Ctrlbl. 1885. Nr. 19) erwähnten hydromikrocephalen Gehirns mit. Das Wichtigste ist, dass, obgleich das ganze Vorderhirn bis auf einen kleinen Theil des Stirn- und des Schläfenlappens zu Grunde gegangen war, das Corpus striatum auch bei sorgfältig messender Vergleichung mit einem normalen Gehirn keine Atrophie erkennen liess.

Dies Resultat steht in Uebereinstimmung mit den Ergebnissen Gudden’scher Versuche und den von Wernicke und Referent mitgetheilten Untersuchungen über die Bedeutung des Corpus striatum als Analogon der Rinde resp. als Ursprungs- gebiet eigener Fasern. Verf. sieht in seinem Befunde auch einen neuen Beweis für seine Theorie, dass das Corpus striatum selbstständig sei und als vorderstes Stück der ästhesodischen Region den zwei ersten Hirnnerven Ursprung gebe. Die grösste Einbusse hat natürlich die Capsula interna erlitten, welche ausserordentlich ver- schmälert erscheint. Natürlich fehlt auch das Corpus callosum. Die vordere und hintere Commissur sind normal, der Fornix verdünnt.

Edinger (Frankfurt a. M.).

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Pathologische Anatomie.

2) On secondary and tertiary degenerations in the spinal cord of the dog, by Charles 8. Sherrington. (Journ. of Physiologie. Vol. VL Nr. 4 and 5.)

In dieser vorläufigen Mittheilung berichtet Verf. über Befunde im Rückenmark von Hunden nach Zerstörung der Hirnoberfläche. Das Material stammt zum grössten Theil von Goltz. Die vordere Grenze der Region, deren Zerstörung zu secundären Veränderungen im Rückenmark führt, legt er in die vordere Grenze des vorderen Gyrus sigmoideus und in eine von der Höhe der Fissura suborbitalis zu der grossen Longitudinalfissur etwa unter einem rechten Winkel gezogenen Linie. Die seitliche Grenze dieses Gebietes scheint nach aussen von der anterior supra-sylvian-fissure gelegen. Für die hintere Grenze kann er nur im Allgemeinen eine Linie senkrecht vom hintersten Punkte der ecto-sylvian-fissure construiren, in diese Linie hinein- fallende Verletzungen haben noch secundäre Degeneration zur Folge. Am 9. Tage nach der Zerstörung im Gehirn sind sowohl in den Pyramiden als im Rückenmark Veränderungen bemerkbar. An einzelnen Fasern ist eine unvollkommene Tinctions- fähigkeit und Schwellung bemerkbar, dazu kommt eine leichte Vermehrung der Neu- rogliazellen. Makroskopisch ist in dem einige Wochen in Ammoniumbichromat ge- härtetem Rückenmarke eine hellere Färbung der Pyramidenbahn bemerklich. In der 3. Woche nach der Hirnläsion haben die Maschen des Bindegewebsgerüstes eine ge- wisse Unregelmässigkeit erlitten, die gegen Ende des 2. Monats zu deutlicher Ver- dickung mit Zunahme der Neurogliazellen erheblichen Grades vorgeschritten ist.

Um diese Zeit findet sich auch an derselben Stelle des gleichseitigen Seiten- stranges eine Degeneration, welche der Autor mit der an der gegenüberliegenden Seite in der 2. Woche constatirten vergleicht. Den befallenen Faserzug schlägt er vor als zurückgekreuzte „re-crossed“ Pyramidenbahn zu bezeichnen. Im 4. Monat ist für das blosse Auge die helle Färbung in beiden Seitensträngen schärfer be- grenzt; während aber die helle Stelle im gegenüberliegenden Seitenstrang von Anfang an bis m das Lendenmark zu verfolgen war, ist sie um diese Zeit im gleichnamigen Seitenstrang zwischen dem 2. und 9. Dorsalnerven nicht deutlich sichtbar.

Im 5. Monat geht die Degeneration im gegenüberliegenden Seiten-Pyramiden- strang von oben nach unten an Umfang abnehmend bis zum 2. Lendennerven. Die Abnahme ist nicht gleichmässig, sondern in der Höhe der Pyramidenkreuzung, in der Halsanschwellung und in dem oberen Lendenmark ist sie besonders stark. Da- gegen ist in dem gleichnamigen (zurückgekreuzten) Pyramidenzuge die Degeneration in der oberen Halsregion und dem unteren Dorsalmarke viel stärker als in den nächst höberen Abschnitten. Besonders schwach ist sie im mittleren Brustmarke. Das Bindegewebe ist viel weniger verdichtet.

Im 7. Monat zeigen die Pyramidenfasern unter der Oliven-Zwischenschicht sich von gesunden Nervenquerschnitten umgeben, welche die degenerirten Bündel ring- artig einfassen. (Diesdo Fasern sind bei 3wöchentlichen Hunden schon mit Mark- scheiden versehen, dagegen fehlen solche noch an den Pyramidenfasern.) In dem gleichnamigen Seitenstrange bleibt die Bindegewebszunahme mässig, während im gegenüberliegenden das Bindegewebe sehr stark verdickt ist und vorzugsweise die feinen Nervenfasern zerstört zu sein scheinen.

Im 11. Monat nach der Gehirnverletzung ist auf der eleichnannigen Seite wegen der geringen Bindegewebszunahme die Veränderung nur sehr wenig ausgesprochen.

Nach möglichst vollständiger Zerstörung der beiderseitigen Gehirnpartien sind in beiden Seitensträngen weniger gesunde Fasern zurückgeblieben, als nach ein- Beitiger Läsion.

Die ungleichmässige Vertheilung der Degeneration im gleichnamigen Seitenstrang scheint mit den Gliedmaassen zusammenzubängen. Sh. denkt, dass hier ein System

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kürzerer Fasern liege, das später als die Pyramidenbahn des gegenüberliegenden Seitenstranges, nämlich zwischen der 3. und 8. Woche, Veränderungen zu zeigen beginnt. Er nimmt an, dass ein „nodal point“ zwischen dem gekreuzten Pyramiden- zuge und dem zurückgekreuzten läge, welcher die Degeneration gewissermaasen ver- zögere. Auch bei Rindenreizung treten Bewegungen in den Muskeln derselben Körper- hälfte erst nach Steigerung der Stromstärke des Inductionsapperates auf. Zunächst sind es dann die Nacken- und Vorderbeinmuskeln „und zuerst tritt im „zurückge- kreuzten“ Strange die Degeneration zwischen dem 3. und 7. Cervicalnerven auf.“ Die Verzögerung in der gleichseitigen Degeneration des Rückenmarkes und der grössere Widerstand, den Reizungen zu überwinden haben, um gleichseitige Muskeln zu be- wegen, wird von dem Autor auf die Einschaltung von Ganglienzellen zwischen ge- kreuzter und zurückgekreuzter Pyramide bezogen.

Die schon früher von Langley und dem Autor erwähnte „tertiary-degeneration“ (vgl. Jahrg. 1884 S. 418) fand sich im Rückenmark von Hunden, die 8—21 Monate nach der Verletzung gelebt hatten, wieder. Im Halsmark, vorzugsweise in den Vordersträngen nachweisbar, nimmt die Degeneration nach unten besonders in den Hintersträngen zu. Vorzugsweise in der an das Hinterhorn anstossenden Partie der Burdach'schen Stränge liegen degenerirte Fasern. Auch in den hinteren Wurzeln liegen solche, spärlicher in den Seitensträngen. Niemals finden sich degenerirte Fasern in der Kleinhirn-Seitenstrangbahn oder den vorderen Wurzelbündeln. Von der Histologie der tertiären Degeneration erwähnt der Autor vorläufig blos das Aus- bleiben von Verdickungen des interstitiellen Gewebes.

Die Sehnenphänomene sind in der 1. Woche beiderseits abgeschwächt, Ende der 2. auf der gegenüberliegenden Körperhälfte stärker vorhanden und später nehmen sie an beiden Hinterbeinen sehr an Lebhaftigkeit zu.

Nach doppelseitiger Hirnverletzung und Pyramidendegeneration ist nur eine leichte Unbeholfenheit bei feinen Bewegungen vorhanden.

Sh. schliesst, dass in den Seitensträngen des Halsmarks ausser den Fasern der gekreuzten und rückgekreuzten Pyramidenbahn, Fasern, welche der tertiären De- generation anheimfallen, und ausserdem noch andere sich finden, welche weder secundär, noch tertiär degeneriren. Die nicht degenerirenden Fasern erhalten ihre Markscheiden zum Theil gleichzeitig mit den andern, sodass sich der Umfang der Pyramide, wenn man von der Markscheidenbildung ausgeht, grösser darstellt, als wenn man die Degeneration zu Grunde legt.

Zu der interessanten Arbeit bemerkt Referent, dass er die Angaben des Herm Verfassers über das makroskopische Verhalten des in Chrompräparaten gehärteten Rückenmarkes nicht im Detail angeführt hat und dass er, nach der Art, wie sich auch an gesunden Rückenmarken die hintern Abschnitte der Seitenstränge öfter heller abheben, derartigen Farbenunterschieden eine so weit gehende Bedeutung nicht ohne Weiteres beilegen möchte. Moeli.

Pathologie des Nervensystems

3) Ein seltener Fall von atrophischer Lähmung des Nervus hypoglossus, mitgetheilt von Prof. Erb. (Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. XXXVL. S. 265.)

Bei einem 13jährigen Tagelöhnerssohne, welcher am 15. Januar 1885 auf die Heidelberger Klinik gebracht wurde, fand sich als einzige nachweisbare krankhafte Veränderung eine Lähmung des rechten Nervus hypoglossus d. i. der rechten Zungenhälfte mit degenerativer Atrophie und completer Ent- artungsreaction derselben. Ueber die Entstehung des Leidens konnte nur

Weniges ermittelt werden. Mit Sicherheit bemerkt worden ist der Zustand zuerst ®

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im Juni 1884, seit welcher Zeit er keine erheblichen Fortschritte mehr gemacht zu haben scheint. Der Beginn des Leidens fällt aber wahrscheinlich in eine weit frühere Zeit.

Die hervorgestreckte Zunge ist nach rechts gerichtet, ihre Spitze gleichzeitig nach rechts gekrümmt. Die ganze rechte Zungenhälfte erscheint viel kleiner, als die linke und fühlt sich schlaff und weich an. Fibrilläre Zuckungen sind nur in geringem Grade vorhanden. Die Gesammtbewegungen der Zunge sind auffallend wenig gestört. Die Sprache ist fast vollkommen normal, eine Schlingstörung nur andeutungsweise vorhanden. Der Stamm des Nervus hypoglossus am Halse oberhalb des Zungenbeins ist links faradisch und galvanisch leicht erregbar, rechts unerregbar. Ebenso können die Muskeln der Zunge selbst, sowie auch die Muskeln am Boden der Mundhöhle (Genioglossus, Geniohyoideus), auf der rechten Seite faradisch nicht in Zuckung versetzt werden. Die galvanische directe Reizung der Zunge ergiebt dagegen gesteigerte Erregbarkeit mit ausgesprochen trägen Zuckungen, wobei die AnSZ meist grösser, als die KaSZ sind. Sensibilität und Geschmack auf der rechten Zungenhälfte vollständig normal. Farbe, Blutgehalt etc. der Zungenschleim- haut sind auf beiden Seiten genau gleich.

Ueber die Entstehung des Leidens lässt sich, wie gesagt, nichts Sicheres er- mitteln. Es handelt sich wahrscheinlich um eine isolirte peripherische Lähmung des Hypoglossus, die in ihrem Verhalten eine gewisse Aehnlichkeit mit schweren rheumatischen Facialislähmungen hat. Ob eine 1880 durchgemachte Diphtherie in Beziehung zu dem Leiden steht, ist auch nicht zu entscheiden.

Als allgemeine Ergebnisse der mitgetheilten Beobachtung sind hervorzuheben:

1) Bei einseitiger Hypoglossuslähmung weicht nicht nur die ganze vorgestreckte Zunge nach der gelähmten Seite ab, sondern ihre Spitze ist ebenfalls nach der gelähmten Seite hin gekrümmt.

2) Mit der Sensibilität der Zungenoberfläche hat der Hypoglossus beim Menschen Nichts zu thun.

3) Bei der bekannten galvanischen Auslösung von Schluckbewegungen hat die Reizung des Hypoglossus gar keine Bedeutung. Bei dem in Rede stehenden Pat. konnten die Schluckbewegungen trotz der Unerregbarkeit des rechten Hypoglossus von beiden Seiten des Halses aus in genau gleich leichter Weise durch galvanische Reizung hervorgerufen werden. Es handelt sich also hierbei jedenfalls um reflec- torische Erregungen, wahrscheinlich vom N. laryngeus superior u. a. aus. Auf- fallend ist es, dass man beim Menschen nur durch den galvanischen Strom, niemals durch faradische Reizung Schluckbewegungen auslösen kann. Strümpel!.

4) Zur Kenntniss der fortschreitenden Bulbärparalyse. Aus der medicinischen Klinik in Bern. Von Dr. Hermann Freund. (Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. XXXVII. S. 405.)

Die Arbeit enthält einen klinisch und namentlich anatomisch sorgfältig unter- suchten Fall von progressiver Bulbärparalyse, dessen Hauptdaten folgende sind.

Klinischer Verlauf: Beginn mit Sprachstörungen im Februar 1882 bei dem damals 47 Jahre alten Patienten. 4 Monate später Schluckbeschwerden. Kurz darauf Abmagerung und Schwäche der Hände und Arme (Atrophie der Daumen- ballen, Kleinfingerballen, Interossei, Deltoidei). Vermehrte Speichelabson- derung. Atrophie und Lähmung der Zunge und der Lippenmusculatur beiderseits. Fibrilläre Zuckungen in verschiedenen Muskeln; in den atrophischen Muskeln Ent- artungsreaction. Plötzliche Verschlimmerung des Zustandes im Februar 1883. Athem- noth und Pulsbeschleunigung. Tod an Verschluckungspneumonie am 18. Febr. 1883.

Anatomische Untersuchung: Degenerative Atrophie der Zungen- und Lippen-

5ll

musculatur, der kleinen Handmuskeln u. a. Partielle Atrophie der zu den degene- rirten Muskeln führenden Nerven und der vorderen Wurzeln des Rückenmarks in der Halsanschwellung. Hochgradiger Schwund der Ganglienzellen in den Hypo- glossuskernen, weniger bedeutend im hinteren Vaguskern. Fast keine Ver- änderungen im Facialiskern. Schwund der Ganglienzellen in den Vorderhörnern des Rückenmarks. Geringe Sclerose der Pyramiden und der Pyramidenseiten- strangbahn im Kückenmark.

In anatomischer Hinsicht gehört der Fall somit zur „amyotrophischen Seiten- strangsclerose“, obgleich spastische Erscheinungen im Krankheitsbilde fehlten. (Leider finden sich keine genauere Angaben über das Verhalten der Sehnenreflexe.) Verf. neigt sich zu der Ansicht hin, dass die „Bulbärparalyse“ fast stets mit Sclerose der Pyramidenseitenstrangbahn combinirt sei. Besonders hervorzuheben ist der Umstand, dass der Facialiskern trotz der Atrophie der Lippenmuskeln nur sehr geringe ana- tomische Veränderungen darbot. Auch kann die klinische Thatsache, dass in fast allen Fällen von progressiver Bulbärparalyse nur das untere Gebiet des Facialis er- krankt, zur Zeit noch nicht genügend erklärt werden. Strümpell.

56) A case of lodgment of a breech-pin in the brain; recovery, by Dr. G. W. H. Kemper. (American Journ. of the medical sciences. 1885. January. Nach einem Referat im Journal of nervous and mental disease. 1885. April. p. 229.)

Ein junger Mensch erlitt dadurch, dass sein Gewehr beim Abfeuern platzte und dass die Schwanzschraube die rechte Hälfte des Stirnbeins über dem oberen Ende des Sinus frontalis zertrümmerte, eine schwere Hirnverletzung. Die Schwanzschraube selbst war durch den Knochen noch einen halben Zoll (ca. 1.5 cm) tief in das Ge- hirn gedrungen und wurde mit einer Kornzange entfernt. Bemerkenswerthe Symp- tome von Seiten des Hirns traten erst am Abend des vierten Tages auf und zwar in Folge von Eiterretention. Nachdem freier Abfluss hergestellt war, hörten die Convulsionen auf und kehrten überhaupt nicht wieder. Verf. empfiehlt daher sorg- fältige Drainage jeder Hirnwunde. Sommer.

6) Casuistische Mittheilungen von O0. Hebold. (Arch. f. Psych. Bd. XVI. S. 547.)

I. Erweichungsherd in der Insel. Aphasie. 7ijährige Frau, ohne deut- liche neurotische Anlage, vor 1!/, Jahren apoplectischer Anfall obne Sprachstörung, mit anschliessender zunehmender Gedächtnissschwäche. Status Juli 1883: „Schwächere Innervirung der rechten Gesichtshälfte“, linke Pupille > rechte, Sprache langsam, nicht abnorm, Kniephänomen vorhanden, Hautreflexe rechts erhöht, hochgradige Gedächtnissschwäche; für senile Demenz typisches Verhalten. Am 29. September obne bestimmt constatirten Anfall Parese der rechten Körperhälfte hinsichtlich der Motilität und Sensibilität, Reflexe rechts erhöht, Zunge nach links. Die Kranke scheint die Anrede nicht zu verstehen, antwortet nicht; am folgenden Tage versteht sie, kann aber nicht sprechen; später kann sie nur undeutlich ja und nein sagen; später noch 10 Tage vor dem Tode apoplectischer Anfall mit Zunahme der rechten Parese. Section: Frische Pachymeningitis haemorrh. int. über dem linken Schläfe- lappen, in der linken Hemisphäre fast kirschgrosser graurother Erweichungsherd, die weisse und graue Substanz des vorderen Drittels der Insel einnehmend, im Thalam. opt. kirschkerngrosser Erweichungsherd hinter dem vordern Drittel, 0,5 cm unter der Oberfläche; im Mark am vorden Ende des Gyrus fornicatus linsengrosse Cyaste. Mikroskopisch erwies sich, dass anstossend an den Inselherd eine kleinerbsengrosse Stelle der 3. Stirnwindung gleichfalls erweicht war; in der linken inneren Kapsel

u

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fanden sich zahlreiche Körnchenzellen, zumal an der medianen Seite, ebensolche konnten auch in den Pyramidenbahnen des Pons besonders reichlich links nachge- wiesen werden.

II. Sarcom des Stirnhirns. 73jährige Frau, Apoplexien in der Verwandt- schaft, vor 1 Jahre Gedächtnissschwäche, später schlechter, steifer Gang, kindisches Benehmen, unrein, Kopfschmerz, Hallucinationen des Gesichts und Gehärs fraglich, Gefühlstäuschungen. Status: Zunge fibrillär zitternd, Sprache frei, linke Gesichts- hälfte schlaffer, Gang schwerfällig, Pat. liegt gekrümmt im Bett, den Kopf permanent nach vorn und rechts gebeugt. Diese Haltung behielt sie bis nahe zum Tode bei Demenz. Die Section ergab apfelgrossen Tumor im rechten Stirnlappen, etwas auf den linken Stirnlappen drückend.

Unter aller gebotenen Reserve deutet H. auf die von Munk für die Function des Stirnhirns gemachten Angaben hin. A. Pick.

7) Sur un cag de paralysie alterne d’origine p6donculaire, par Ramey. (Revue de med. 1885. Juin.)

52jähriger Mann; Beginn der Erkrankung mit Parästhesien im rechten Fuss; dann Oculomotoriuslähmung (mit Ausnahme des Lev. palp. sup.) links, rechts: Bect. sup., inf. und extern. gelähmt mit Atrophia nv. optici. Bechtsseitige Facialisparese, rechtsseitige Parese des Armes und Beines. Steigerung der Pa- tellarreflexe auf beiden Seiten, später Fussclonus auf beiden Seiten. Vorübergehende rechtsseitige Hemianästhesie. Vasomotorische Störungen rechts (herabgesetzte Tem- peratur). ,

Die Section ergiebt neben Lungentuberkulosis einen mandelkerngrossen Tuberkel in der Haube des linken Hirnschenkels, der gleichzeitig auch den linken Thal. opt. zerstört hatte. Secundäre Degenerationen wurden nicht gefunden. Die Affection des rechten Oculomotorius erklärt sich aus einer circumscripten Arach- nitis an der Subst. perfor. postica, welche die Oculomotorii comprimirt und erweicht hatte. M.

8) Tuberkel im Hirnschenkel, von Mendel. Demonstration in der med. Ge- sellschaft zu Berlin. (Klin. Wochenschr. 1885. Nr. 29.)

4°/ jäbr. Knabe, der zuerst Intentionszittern im rechten Arm, dann Schwäche im rechten Bein, später Oculomotoriuslähmung mit Ptosis links und Facialis- und Hypoglossusparese rechts zeigte. Die Paresen im rechten Arm und Bein nahmen zu, es trat Flexionscontractur am Arme auf. Sensibilität, Reflexe, Augenhintergrund normal. In der rechten Lunge Verdichtung. 14 Tage vor dem Tode, der nach etwa 1!/, Jahre langem Bestehen der Krankheit eintrat, Lähmung des rechten Oculo- motorius ohne Hinzutritt anderweitiger Lähmungen auf der linken Körperbhälfte. Die Obduction bestätigt im Wesentlichen die während des Lebens gestellte Diagnose auf einen Tuberkel im linken Hirnschenkel. Derselbe von einer Länge von circa 2 cm und Höhe von etwa 1,25 cm nahm vorzugsweise den mittleren Theil der Haube des Hirnschenkels ein und reichte nach vorn bis zum Corpus subthalam.

Die zuletzt aufgetretene rechtsseitige Oculomotoriuslähmung fand ihre Erklärung in einer circumscripten tuberculösen Meningitis im Trigon. intercrurale. Die genaue Untersuchung des Präparats steht noch aus. M.

8) An Analysis of the Nerve. Phenomena in a case of anaesthetic Leprosy by W. Allen Sturge. (Brain. 1885. April p. 40—64.)

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Der 53jährige Patient war im Alter von 23 Jahren während eines Aufent- haltes in Bermuda nach einem angeblichen Malariafieber an einer Hautaffection er- krankt. Zuerst an der Stirn und am Abdomen, allmählich auch am Rücken, den Armen und Beinen, welche damals von Brown-S6equard für Lepra erklärt wurde, Der Hautausschlag war später zurückgegangen und sind nur noch wenige, von ge- wöhnlicher Psoriasis nicht unterscheidbare Eruptionen vorhanden. Nicht lange nach dem Ausbruch der Hauterkrankung trat Hyperästhesie der Extremitäten ein, und mit dem Nachlass später Gefühlsstörung mit vollständiger Anhidrosis der betreffenden Hautpartien. Damit ging Schwäche und Abmagerung der Muskeln einher.

Zur Zeit besteht vollständige Anästhesie im ganzen Bereich der oberen und unteren Extremitäten und anstossenden Rumpfzonen, während der übrige Rumpf frei davon ist. Zwischen einer anästhetischen Hautregion und einer anstossenden gesunden ist ein Hautrand von der Breite eines halben Zolles hyperästhetisch.h Die Muskel- atrophie betrifft beide Hände, am linken Vorderarm alle Streckmuskeln einschliesslich des Supinator longus, während Biceps, Brachialis internus und Triceps gesund sind, die Fussmuskeln, die Streckmuskeln der Oberschenkel. Am Gesicht besteht absolute Anästhesie der Stirn und Augenlider, während der Rest des Gesichts und der Kopf- haut sensibel sind. Dem entspricht eine Atrophie des Occipito-frontalis, der Corru- gatores supercilii und Orbiculares palpebrarum mit seit Jahren bestehender Unfähigkeit, die entzüäudeten Augenlider zu schliessen. Die übrigen Gesichtsmuskeln, die Zungen- muskeln etc. sind intact, ebenso die Sprache. Die Sensibilität für tiefen Druck ist überall erhalten. (Keine elektrische Untersuchung.)

In einer weitläufigen Epikrise dieses Falles von anästhetischer Lepra vertritt Verf. die Ansicht, dass der Process an den peripherischen Enden der Hautnerven begonnen und immer weiter aufwärts, bis schliesslich auf die grossen Nervenstämme übergegriffen habe. E. Remak.

10) Fall af hemiatrophia facialis progressiva, af Dr. F. W. Warfvinge. nr (Hygiea. 1885. XLVII. 8. Svenska läkaresällsk. förh. S. 146.)

Die 19jährige Kranke, in deren Familie Nervenkrankheiten nicht erblich waren, hatte in ihrer Kindheit eine Zeit lang an Ohnmachten, im Alter von 5 Jahren an einer Erkrankung in der linken Hüfte gelitten, nach der Hinken zurückblieb. Sie hatte !/, Jahr lang in einer Buchbinderei, 2 Jahre in einer Wollenfabrik gearbeitet, in der die Luft sehr staubig war. Vor ungefähr 4 Jahren begann sie an Kopf- schmerz, fast ausschliesslich rechts, besonders in der Wange, der Schläfen- und Scheitelgegend, zu leiden, Seit einem Jahre (Frühjahr 1884) erschien das Gesicht etwas schief, später sanken Wange und Schläfe rechts ein; diese Einsenkung nahm zu, wobei der Kopfschmerz unverändert blieb. Für ihr Leiden, das ausser der Ent- stellung keine Störung verursachte, wusste Patientin keine Ursache anzugeben. Die Atrophie, die alle Gewebe, von der Haut bis zu dem Knochen betraf, erstreckte sich von der Temporalgegend bis zum Unterkieferrand, war am stärksten ausgeprägt in der Temporal- und Massetergegend und an einem dreieckigen Bezirk, den unten der Unterkieferrand, nach oben eine vom Mundwinkel horizontal nach aussen und hinten zum Kieferwinkel verlaufende und nach vorn eine vertical von der Mitte des Kinns nach der Unterlippe verlaufende Linie begrenzte. Von der Nasenwurzel ver- lief schräg nach oben und rechts eine centimeterbreite Furche. Die mittlern Theile der rechten untern Gesichtshälfte erschienen nach rechts verzogen. Die Haut über den atrophischen Theilen liess sich in dünnen Falten emporheben und verschieben. Von den Knochen waren besonders das Oz zygomaticum und der Arcus zygomaticus wie der Unterkiefer atrophisch. Seitenbewegungen des Unterkiefers konnte Patientin nicht nach links, wohl aber nach rechts ausführen. Die Reizung des Masseters mit dem Inductionsstrom ergab rechts schwächere Reaction als links, eben so fand sich

Ze BR

ein Unterschied zwischen beiden Temporales, aber nicht so gross. Die mimischen Gesichtsmuskeln reagirten normal auf den Inductionsstrom, an den Muskeln des weichen Gaumens fand sich nichts Abnormes; Muskelzuckungen bestanden nicht. Die Sensibilität erschien an der rechten Gesichtshälfte normal oder nur sehr wenig herabgesetzt, die elektrocutane Sensibilität nicht abgeschwächt. Parästhesien kamen manchmal in der rechten Gesichtshälfte vor in Form von Formicationen oder Kälte- gefühl. Die Contractilität der Capillaren erschien an beiden Gesichtshälften gleich, die Haut war rechts weder abnorm trocken, noch abnorm feucht, Flecke zeigten sich nicht auf derselben. Die Haare waren auf beiden Kopfhälften gleich gefärbt, aber rechts dünner. Die Zunge war rechts atrophisch, der Geschmack aber auf beiden Seiten gleich. Die Pupillen waren gleich weit. Sonst fand sich am ganzen Körper keine Abnormität ausser den Folgen einer Coxitis an dem linken Beine.

Obgleich die Atrophie die von Ramus III N. trigemini innervirten Muskeln be- traf, handelte es sich doch nicht um Erb’s masticatorische Paralyse, da die be- treffenden Muskeln nie gelähmt waren, progressive Muskelatrophie liess sich aus- schliessen, weil ausser den Muskeln auch subcutanes Bindegewebe und dessen Fett und Knochen atrophisch waren. Von den übrigen veröffentlichten Fällen unterschied sich W.’s Fall dadurch, dass die Haut normales Aussehen hatte und nicht fleckig war. Ein Zusammenhang zwischen der Atrophie und einer Affection des Trigeminus, namentlich seines Ramus tertius, liegt im vorliegenden Fall nahe.

Walter Berger.

11) Asphyxie locale et gangröne symmötrique des extrömitös, de ziekte ven Raynaud, door Dr. L. van der Hoeven. (Weekbl. van het Nederl!. Tijdschr. voor Geneesk. 1885. Nr. 30.)

Der von v. d. H. mitgetheilte Fall betrifft eine 31jährige, in Westindien ge- borene, sonst stets gesunde Frau, die an Prolapsus uteri litt. Sie bekam Schmerz in mehreren Fingerspitzen mit Verfärbung derselben und Abnahme der Sensibilität in denselben. Rechts waren Zeige- und Mittelfinger, links Zeige- und Ringfinger afficirt. Es entwickelte sich an diesen Fingern Gangrän und mit der Ausbildung derselben hörte der Schmerz auf. Sehr langsam stiessen sich die gangränösen Par- tien ab. Diabetes konnte ausgeschlossen werden, Lepra war nicht wahrscheinlich, Secale cornutum war nicht angewendet worden. Walter Berger.

12) A propos de six cas d’hystörie chez l’homme. Legons de Charcot, recneillies par Guinon. (Progr. möd. 1885. No. 23 et 33.)

In Nr. 11 dieses Jahrganges des Neurolog. Ctrlbl. ist über den ersten der von Charcot demonstrirten Fälle von männlicher Hysterie ausführlich referirt worden. Die Krankengeschichten der 5 übrigen Patienten, deren Besprechung weiteren Vor- lesungen vorbehalten war, bedürfen nur einer ganz kurzen Skizzirung, da sie im Wesentlichen der bereits mitgetheilten analog sind. Was die Bedeutuug der zu schildernden Krankheitserscheinungen und ihre Abhängigkeit von vorausgegangenen „psychischen Traumen“ betrifft, können wir uns ebenfalls auf das in Nr. 11 gegebene Referat berufen; wir lassen die Beobachtungen Ch. hier folgen:

II. Beobachtung: 32jähriger, seit langer Zeit mit Neurasthenie behafteter Ver- solder, der vor 12 Jahren, auf der Plattform eines Omnibus sitzend, den ersten Krampfanfall bekam; derselbe wiederholte sich nach weiteren 7 Jahren in Folge eines Raubanfalls, dem Patient ausgesetzt gewesen, in viel heftigerem Grade. Der Kranke wurde damals in’s Hötel Dieu aufgenommen und dort wurde die complete linksseitige Hemianästhesie constatirt, die heute noch besteht. Ein im Juli 1885

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in der Salpetriere aufgenommener Status weist ausser der eben genannten completen linksseitigen cutanen und sensorischen Hemianästhesie bei guter Ernährung eine psychische Depression auf, ferner Gesichtsfeldeinschränkung ohne Abnormitäten des Augenhintergrundes und sehr heftiges linksseitiges (neurasthenisches) Kopfweh. Die hysterischen Attacken des Patienten sind entweder spontane oder lassen sich von drei hysterogenen Zonen aus, die rechts und links unter der Mamma und in der rechten Lumbargegend liegen, hervorrufen. Sie bestehen in einer Aura cephalica (Klopfen in den Schläfen, Ohrensausen etc.), epileptoiden Spasmen, Arc de cercle, fürchterlichem Geschrei, Lach- und Weinkrämpfen, Zungenbiss und unwillkürlicher Urinentleerung.

II. Beobachtung: 27jähriger Schlosser, der vom 17.—21. Lebensjahre stark in Baccho et venere excedirt und schliesslich durch einen Messerstich sein linkes Auge verloren hatte. Danach traten nächtliche Hallucinationen ein, die ihm den Schlaf raubten: Sehen von Schreckgestalten etc. Nachdem er eine Commotio cerebri durch Sturz aus der Höhe erlitten, an welcher er 2 Monate lang laborirte, gesellten sich zu den Hallucinationen spasmodische Anfälle leichter Art bei erhaltenem Bewusstsein hinzu, die immer intensiver wurden und von neuem eine Hospitalbehandlung erfor- derten. Sie begannen mit einer schmerzhaften Empfindung im rechten Hoden, welcher auch die einzige hysterogene Zone darbot. Nach dem Epigastrium und Rachen aufsteigende Sensationen leiteten dann die epileptoide Periode des eigentlichen hysterischen Anfalls ein, welcher sich aus Clownismus, Salutations-Bewegungen, dem Arc de cercle und Opisthotonus zusammensetzte und mit einer motorischen Aphasie seinen Abschluss fand. Abbildungen (Moment-Portraits) demonstriren die einzelnen Stadien dieser schweren Hysterie eines Mannes in sehr charakteristischer Weise. Auch in diesem Falle war eine Hemianästhesie, ferner noch rhythmisches Zittern der rechten Hand vorhanden.

IV. Beobachtung: 16jähriger Bäckerbursche, der hereditär etwas belastet. 2 Jahre vor der Erkrankung litt er an Lungencatarrh; in der Reconvalesconz wurde er von 2 jungen Leuten überfallen und trug eine nächtliche Schreckhaftigkeit mit schweren Träumen davon. Später traten die hysterischen Attacken auf, die wiederum theils spontane, theils provocirte sein konnten. Ein hysterogener Punkt fand sich in der linken Iliacalgegend.. Hier begann auch die Aura, es folgte ihr ein Con- strictionsgefühl im Halse, Verlust des Bewusstseins, epileptische Krämpfe von kurzer Dauer, dann unter grossem Geschrei Dreh- und Streckbewegungen des Rumpfes und der Extremitäten in bekannter bysterischer Manier. Den Schluss bilden Aeusserungen und Attitüden des Affects, entweder freudige oder traurige und wüthende, je nach- dem der Anfall ein spontaner oder provocirter gewesen. Disseminirte cutane Anästhesie, Obnubilation der Sinnesorgane links, doppelseitige Gesichtsfeldeinschränkung.

V. Beobachtung: 22jähriger Maurer, dessen Familie 4 Hysterische und einen Alkoholiker aufweist. Früher Potator, seit der Krankheit nicht mehr. Die In- telligenz des Kranken ist schwach entwickelt. Vor 3 Jahren litt er an acutem Gelenkrbeumatismus und Erysipel, später machte er eine Bandwurmkur durch. Beim Anblick des entleerten Wurmes grosse Emotion, Beginn von Hallucinationen, in denen der Bandwurm eine grosse Rolle spielt. Als er schliesslich bei Gelegenheit einer Schlägerei mit einem Manne zusammengerieth, der einen Stein auf ihn schleuderte, traten die eigentlichen hysterischen Attacken auf, welche mit Constrictionsgefühl im Epigastrium und im Halse einzusetzen pflegen. Dann wird die Zunge steif und nach links verzogen, die Gesichtsmusculatur und der Kopf nach links gedreht; es tritt Extensionsstarre in den oberen Extremitäten rechts und links ein, schliesslich dreht sich der ganze Körper nach links, der Kranke verliert das Bewusstsein, hallucinirt von Kämpfen mit Würmern, von Steinwürfen etc. Wenn er erwacht, hat er keine Erinnerüng für das Vorgefallene. Sonst bietet.er eine in verschiedenen Plaques

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vertheilte allgemeine Anästhesie dar, eine beiderseitige Beschränkung des Gesichts- feldes, sowie 2 hysterogene Punkte an der rechten Clavicula und unter den falschen Rippen der rechten Seite. Für bemerkenswerth hält Ch. diesen Fall wegen seiner Aehnlichkeit mit der partiellen Epilepsie.

VI. Beobachtung: 18jähriger Maurer, Vater Alkoholist, eine Schwester sehr nervös. Der Pat. selbst war immer sehr schreckhaft und litt vom 5.—7. Lebens- jahre an Incontinentia urinse. Mit 16 Jahren überstand er einen Gelenkrheumatis- mus, der wahrscheinlich durch eine Herzaffection complicirt war. Vor 18 Monaten fill er 2 Meter hoch herunter und verletzte sich das Schultergeleonk. 3 Tage nachher trat eine unvollständige schlaffe Lähmung des linken Armes auf. Er kam in’s Hötel Dieu, dort wurde die Lähmung vollständiger, ausserdem liess sich eine linksseitige Hemianalgesie, eine doppelseitige Gesichtsfeldeinschränkung und eine Aorteninsufficienz nachweisen; er verliess trotz mannigfacher therapeutischer Eingriffe ungeheilt die Anstalt. 10 Monate nach Eintritt der Lähmung nahm ihn Charcot auf. Die eben genannten Erscheinungen waren noch vorhanden, die gelähmte Ex- tremität zeigte keinerlei elektrische Anomalien, keine Atrophie der Muskeln, nur eine leichte Erhöhung der Sehnenreflexe und völlig aufgehobenes Muskelgefühl. Man war sehr schwankend über die diagnostische Auffassung dieses Falles, besonders da die vorhandene Gefässerkrankung zur Annahme eines localisirten Hirnherdes verleitete. [Die ausführlichen differentiell-diagnostischen Erörterungen Charcot's können im Original nachgelesen werden.] Man fand endlich drei hysterogene Punkte, von denen aus sich hysterische Attacken, die den in den ersten Beobachtungen geschilderten ähnlich waren, auslösen liessen. Bei den späteren Anfällen nahm auch der ge- lähmte Arm an den krampfhaften Bewegungen Theil, und von diesem Augenblicke an war der Kranke von seiner hysterischen Monoplegie geheilt. Endlich gelang es Ch. noch nach vollbrachter Heilung kurz nach einem hysterischen Anfall durch Suggestion im wachen Zustande wieder eine Monoplegie des Kranken zu erzeugen, die indess nur 24 Stunden anhielt. Spätere Experimente dieser Art misslangen voll- kommen, zu hypnotisiren war der Patient nicht. _ Laquer.

13) Ueber eine eigenthümliche Form spastischer Lähmung mit Cerebral- erscheinungen auf hereditärer Grundlage. Multiple Sclerose, von Fr. Pelizäus. (Arch. f. Psych. XVI. S. 698.)

Der Stammvater der bisher 5 (1 Sohn, 3 Enkel, 1 Urenkel) an der gleichen Affection erkrankte Glieder aufweisenden Familie war körperlich und geistig gesund (im späteren Alter energielos), keine Heredität in der Ascendenz, keine Verwandten- ehe; sämmtliche Kranke sind männlichen Geschlechts, directe Vererbung fehlt, viel- mehr wird die Krankheit von selbst frei bleibenden weiblichen Mitgliedern über- tragen. Bei dem ersten der zur Untersuchung gekommenen Kranken, einem 8jähr. Knaben (von 3 früher verstorbeuen konnte genügende Anamnese erhoben werden), fand sich: Horizontaler Nystagmus bilateralis, der, !/, Jahr nach der Geburt auf- tretend, sich allmählich steigerte, eine als Bradylalia nach Kussmaul zu bezeich- nende Sprachstörung, die im 3. Lebensjahre allmählich auftrat, nachdem das Sprechen- lernen anfänglich normal erfolgt war, eine schon in der 2. Hälfte des 1. Jsebensjahres beginnende Bewegungsstörung der Arme, die als Ungeschicklichkeit und Unsicherheit charakterisirt wird, spastische Lähmung der unteren Extremitäten, gleichfalls in jenem frühen Lebensalter beginnend, ohne Atrophie, ohne Sensibilitätsstörungen mit erhaltener faradischer und elektrischer Erregbarkeit der Muskeln und gesteigerten Sehnenphänomenen. Kein Hydrocephalus, Gesichtsausdruck blöde, Gesichtsmuskeln agiren langsam; Pfeifen unmöglich; Schwachsinn, vielleicht in Folge von Vernach- lässigung; Gedächtniss gut.

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Der. Befund bei dem zweiten Kranken, einem 28jährigen Manne, ist ziemlich identisch mit dem ersten.

P. nimmt eine multiple Sclerose als die Grundlage der geschilderten Krankheit an, während er zur Erklärung des typischen fast identischen Krankheitsbildes eine auf hereditärer Entwickelung beruhende Anlage zur Erkrankung einzelner Partien des Centralnervensystems postulirt. A. Pick.

14) Ein Fall von Chorea spastica, von C. F. W. Roller. (Arch. f. Paych. xXV1. S. 826.)

Ein 10jäbriger Junge, von schwächlichen Eltern, lernt nie gehen, zu !/, Jahre Schielen eines Auges, Verdrehen der Augen und krampfhafte Bewegungen der Arme, zu einem Jahre Sprechen einzelner Silben. Status: Strabismus convergens sin. Mund steht offen, etwas Salivation, fast permanente Contraction der Nackenmuskeln ohne Contractur, Gesichtsmuskeln fast fortwährend in Action; bei willkürlichen Bewegungen der oberen Extremitäten erfolgen sie unzweckmässig und durch unbeabsichtigte ge- stört; so gerathen die Finger in Streckung, wenn er zufassen will; das willkürliche Gehen unmöglich, bei Gehversuchen gerathen die Beine in Streckcontractur; reflec- torisch sind die Beine beweglich; bei Bauchlage gerathen die Strecker der Wirbel- säule einseitig in Contraction; die Masseteren sind frei; bei Beklopfen der Patellar- . sehne geräth das Bein in Streckcontractur, der Fuss in Hyperextension. Der Körper des Kranken ist mit Ausnahme des Schlafs in fortwährender Bewegung der ver- schiedensten Art. Hyperästhesie der Haut der Unterschenkel; Patient ist hoch- gradig schwachsinnig, ängstlich, Sprache mangelhaft. Das Eigenartige des Krankheits- bildes will R. durch die Bezeichnung als Chorea spastica ausdrücken.

A. Pick.

15) The prechoreic stages of Chorea, by C. R. Straton. (Brit. med. Journ. 1885. p. 437.)

Originelle Auffassung der Chorea, die ähnlich wie die postdiphtheritischen Läh- mungen als der Folgezustand einer bisher aber nicht genauer bekannt gewordenen Infectionskrankheit betrachtet wird. Verf. stellt sich den Vorgang folgendermaassen vor: Neben mehr oder weniger ausgeprägten Fiebererscheinungen entwickeln sich unter dem Einfluss von bestimmten Mikroben Erosionen und kleine Geschwüre in der Nasen- und Rachenschleimhaut und Vegetationen auf der Mitralis; die letzteren zerfallen bald und mit dem Detritus werden Mikroben in den Kreislauf eingeführt, die dann embolische Infarcte besonders im Centralnervensystem, in den Muskeln und in der Nähe der Gelenke hervorrufen. Die entsprechenden klinischen Symptome sind leichtes Fieber, allgemeines Krankheitsgefühl, rheumatoide Schmerzen, Schwellungen der Gelenke und psychische Benommenheit. Häufig genesen jetzt die Patienten und die Diagnose, wenn überhaupt eine gestellt worden ist, lautet meistens Endocarditis oder Scarlatina ohne Exanthem oder auch fieberhafte Anämie etc. In vielen anderen Fällen treten aber während der eigentlichen Reconvalescenz von der primären und ansteckenden Krankheit ähnlich wie nach den Stärke- oder Carmineinspritzungen beim Thierexperiment, die eigentlichen choreatischen Erscheinungen in den Vordergrund und besonders häufig, wenn das mit minimalen Embolis durchsetzte und daher ab- norm reizbare Hirn durch Schreck und ähnliche psychische Eindrücke, etwa durch den Anblick eines anderen choreatischen Kindes, heftig erschüttert wird; jetzt beginnt erst das Krankheitsbild, das man als selbstständiges Leiden, als Chorea, zu betrachten gewohnt ist.

Wenn diese Auffassung auch nicht ganz neu ist man denke an die bekannten Untersuchungen über den Zusammenhang von Rheumatismus, Scarlatina, Endocarditis

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und Chorea, so ist sie doch wohl noch nicht mit derartiger Consequenz und mit der Präsumtion einer bisher unbekannten Infectionskrankheit, die aber ganz bestimmte Allgemein- und Localsymptome hervorruft, ausgeführt worden. Jedenfalls erklärt sie ganz befriedigend die einzelnen Krankheitserscheinungen und entbehrt daher nicht einer inneren Wahrscheinlichkeit. Sommer.

Psychiatrie.

16) General Paralysis of the insane. A study of the deep reflexes, and pathological condition of the spinal cord by William Cramp. Beatley. (Brain. 1885. April p. 65—77.)

Von 65 Fällen von Dementia paralytica war das Kniephänomen normal in 11, leicht erhöht in 8, deutlich gesteigert in 18, vermindert in 5 und fehlend in 18 Fällen; in 5 Fällen war dasselbe auf beiden Seiten verschieden entwickelt. Fussphänomen fehlt in 47 Fällen, und war in 17 vorhanden, und zwar ausgeprägt in 7, nur an- gedeutet in 7; in 3 Fällen war es nur einseitig vorhanden. Von den 18 Fällen, in welchen das Kniephänomen nicht deutlich gesteigert war, hatten 16 Fussphänomen. Verf. hat den Eindruck gehabt, als wenn die psychischen Symptome der allgemeinen Paralyse in den mit Tabes dorsalis complicirten Fällen ohne Kniephänomen inniger ausgeprägt waren, als in den mit normalen oder gesteigerten Selinenphänomenen. In 3 zur Obduction gelangten und mitgetheilten Fällen ohne Kniephänomen fand sich Sclerose der Hinterstränge auch in der Lendenauschwellung. E. Remak.

17) Considörations sur les relations, qui existent entre les symptömes psychiques de la paralyse generale et les lösions anatomiques de cette maladie, par Camuset. (Annales med. psych. 1885. Juillet p. 28.)

Den verschiedenen Hypothesen, welche über den Zusammenhang der psychischen Erscheinungen der Paralyse mit den organischen Veränderungen derselben Krankheit aufgestellt worden sind, steht C. im Ganzen skeptisch gegenüber, da man nur im Allgemeinen berechtigt sei anzunehmen, dass die seelischen Vorgänge in der Hirn- rinde stattfänden, über das wie und wodurch jedoch nichts wisse. Um so ungewisser sei daher die Beurtheilung der Entstehung krankhafter seelischer Vorgänge.

Als positiv glaubt C. nur annehmen zu dürfen, dass wenn die Zellen des Hirns in Function treten, gleichzeitig wie gleichmässig ein Zustand von Hyperämie in den Geweben des Mediums hervorgerufen werde, in welches die Zellen eingebettet sind; dass aber zur Entstehung des „delire“ noch etwas mehr als einfache Hyperämie nöthig sein müsse. Weniger seien es wohl die Alterationen des Hirns selbst, welche die Erreger der Wahnvorstellungen würden, als vielmehr die durch die Anwesenheit von krankhaften Veränderungen hervorgerufenen Ernährungsstörungen der nervösen Elemente, welche aber auch durch alle möglichen anderen Ursachen hervorgerufen werden könnten. Speciell die allgemeine Paralyse anbelangend führt C. die verschie- denen Theorien über das Wesen dieser Krankheit auf. Am verbreitetsten sei in Frankreich wie anderswo die Annahme einer diffusen interstitiellen Sclerose des Ge- hirns, Rückenmarks und selbst der grösseren Nervenstämme; dagegen suchten Bonnet und Poincar6 die Entstehung der Paralyse in einer Läsion der sympathischen Ganglien; Luys und Thompson brachten die Sclerose des Hirns mit Spasmus der Hirngefässe in Zusammenhang, Tuczek sucht neuerdings den Grund in dem Schwunde der markhaltigen Fasern des Gehirns, den Meynert’'schen Verbindungsfasern der Granglienzellen.

Als anatomisch nachweisbare Grundlage der Paralyse lasse sich dagegen bislang

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nur die chronische Meningitis mit unregelmässig fortschreitender Zerstörung der nervösen Gebilde des Hirns nachweisen; diese mögen in Zusammenhang mit hyper- ämischen resp. ischämischen Circulationsstörungen stehen.

Diese Läsionen genügen völlig zur Erklärung sämmtlicher körperlicher Symp- tome der Paralyse, aber sie erklären noch nicht die Entstehung des „dölire“. Alle bisher über diesen Punkt aufgestellten Theorien sind nicht stichhaltig und die sehr plausible von Luys, wonach jeder einzelne Theil des Körpers im Gehirn ein eignes Centrum habe, welches unter (krankhafter) Hyperämie resp. Ischämie dem Bewusst- sein in (paralytisch) vergrösserter, exaltirter oder verkleinernder Weise (Anihilation) erscheine, ist eine ohne jede anatomische Begründung dastehende Hypothese.

Es bleibt daher nur übrig die Entstehung des „delire“ in den Modificationen der Circulation zu suchen, indem die Function der Hirnzellen durch diese entweder gesteigert oder herabgedrückt würden. Mit der Tuczek’schen Auffassung will sich C. nicht befreunden. Einmal sei die anatomische Thatsache noch nicht zweifellos erwiesen; dann aber sei nicht erklärlich, wie Tuczek’s Annahme als richtig vorausgesetzt im Verlaufe der Paralyse das „dölire“ plötzlich verschwinden könne, wenn der doch irreparable Schwund der Associationsfasern die Veranlassung der Wahn- gebilde war. Es wird ferner Tuczek die Meinung imputirt, er halte jede einzelne Zelle für den Träger einer Idee und gegen solche Annahme geltend gemacht, dass doch die einfachste Idee durch die Concurrenz vieler Zellen erst "entstehen könne.

C. verzweifelt daran, aus den bekannten pathologischen Befunden der Paralyse eine Erklärung der bei dieser Krankheit vorkommenden charakteristischen Wahnge- bilde herzuleiten und schliesst sich der dualistischen Anschauung (Baillarger's Unterscheidung „echter Paralyse [Dementia] gegenüber der Folie paralytique“) an.

Jehn.

18) Paretic dementia, by Jas G. Kiernan. (Alienist and Neurologist. 1885. VI. p. 65.)

Verf. stellt 34 Fälle von Paralyse zusammen (28 M. und 6 W.) und findet, dass fast ausnabmslos die psychischen Störungen durch einen Depressionszustand eingeleitet worden waren. Nur in 2 Fällen, bei Luetikern, setzte die Paralyse gleich mit optimistischem Wohlbehagen ein, und in einem Fall, der freilich als secundäre Paralyse zu betrachten ist und der zufällig auch einen Luetiker betraf, gingen dem Optimismus Jahre lang die Symptome des paranoischen Querulantenthums voraus.

Verf. untersucht dann, ob die Anamnese vielleicht bei seinem Patienten Momente aufweist, welche eine initiale Depression rechtfertigen könnten, und findet, dass dies höchstens bei 16 der Fall ist; die übrigen 15 wurden also ohne bekannte Veran- lassung melancholisch gestimmt, und man darf daher wohl annehmen, dass die an- fängliche Depression im Allgemeinen bereits der Paralyse als solcher angehört. End- lich sei noch hervorgehoben, dass von den 34 Patienten 4 (3 M. und 1 W.) vor dem Ausbruch der Paralyse, die hier übrigens constant mit Depression begann, an Tabes, 1 an Myelitis und 1 an Rückenmarkserschütterung (in Folge von Eisenbahn- unfall) gelitten hatten und dass 8 Männer luetisch gewesen waren. Sommer.

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19) Et Par Momenter af Sindssygdommenes almindelige Atiologi (Alder og Dannelse), af Dr. Fr. Lange. (Hosp.-Tid. 1885. 3. R. III. 32. 33. 34.)

Zur Untersuchung über die Bedeutung des Alters für das Auftreten der Geistes- störungen hat Verf. aus dem Materiale der Irrenanstalt der Inselstifte in Dänemark 1000 Fälle ausgewählt, in denen Nachrichten über die Vergangenheit der Kranken sich feststellen liessen. Männer und Weiber sind in ungefähr gleicher Anzahl ver- treten, acute und chronische Fälle gemischt. Das Durchschnittsalter bei der Auf-

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nahme betrug in allen 1000 Fällen genau 38 Jahr (37,5 für die Männer, 38,6 für die Weiber); die jüngsten Individuen waren bei der Aufnahme 9 und 12 Jahre alt, aufwärts wurde das 70. Jahr nur in 2 Fällen überschritten. Der Zeitpunkt, zu welchem die Kranken zuerst von Geistesstörung ergriffen wurden, liess sich annähernd in 671 Fällen bestimmen, in einzelnen Fällen musste man bis in die Kindheit zu- rückgehen, nach dem 70. Jahre trat der 1. Anfall in einem einzigen Falle auf; als Mittel ergab sich das 29. Jahr (für die Männer 29, für die Frauen 28,9) als Zeit des ersten Auftretens der Geistesstörung. Der grosse Einfluss der Disposition als ursächliches Moment in der Jugendzeit ergiebt sich auch nach L.’s Untersuchungen. Während die Häufigkeit der Disposition für das ganze Material 58 °/, betrug, können von ersten Erkrankungen im Alter zwischen 10 und 20 Jahren nicht weniger als 81°/, darauf zurückgeführt werden. Zieht man dabei in Betracht, dass viele Fälle in einem spätern Alter zur Behandlung kamen, so dass die Antecedentien dabei nicht iınmer ganz genau zu bestimmen waren, so folgt daraus, dass das Procentverhältniss in Wirklichkeit jedenfalls noch höher sein muss. Namentlich die eigentlichen De- generationszustände, und zwar in erster Reihe der erworbene Idiotismus, sind die diesem Alter am meisten eigenthümlichen Krankheitsformen. Auch im Alter von 20—25 Jahren macht die erbliche Disposition ihren Einfluss noch in hohem Grade geltend; in den ersten Jahren dieses Abschnitts kommen noch Geistesstörungen vor, die ganz die charakteristischen Kennzeichen der Pubertätspsychosen besitzen. Später nimmt der Einfluss der Disposition zwar etwas ab, bleibt aber immerhin noch be- deutend. Dass die Disposition wirklich von Bedeutung war, geht daraus hervor, dass in nicht weniger als 74°/, aller Fälle mit Disposition, diese direct in abstei- gender Linie war.

Die Gelegenheitsursache, das Motiv der Geistesstörung war ausschliesslich psy- chischer Natur in 46 Fällen, deren Durchschnittsalter beim ersten Auftreten der Er- krankung 27,3 Jahre betrug. Von diesen 46 Individuen war bei 40 Disposition vor- handen (87 °/,, davon bei 70°/, in direct aufsteigender Linie), in den 6 übrigen Fällen waren die Verhältnisse sehr zweifelhaft. Bei Verrücktheit war die erb- liche Disposition als causales Moment in 66,6 °/, vorbanden, aber auch andere causale Momente kamen hierbei in Betracht, z. B. Contusionen des Kopfes, Potatorium. Das Durchschnittsalter bei der Aufnahme betrug 41,7 Jahre, das für das erste Auftreten 37,1 Jahre. In den 37 Fällen von reiner und unzweifelhafter Paralyse, die sich in L.'s Material finden, betrug das Durchschnittsalter bei der Aufnahme 44,4 Jahre, das bei der ersten Erkrankung in den Fällen, in denen sich diese feststellen liess, 40,9 Jahre, Disposition war in 31°/, der angegebenen Fälle vorhanden. In 67 Fällen von Psychosen in Folge von 'Trunksucht war das Durchschnittsalter bei der Aufnahme 42,5 Jahre, das für die erste Erkrankung in 32 Fällen 40,7 Jahre, das Verhältniss der erblichen Disposition betrug 48,9 °/,. Für Senilitätspsychosen, secundäre Geistesstörungen nach anderen Krankheiten lag zu wenig Material zu statistischer Berechnung vor. Die Manie und die Melancholie hat L. nicht berück- sichtigt. In einer Tabelle hat L. das Alter beim ersten Anfalle in den 67 Fällen, in denen es sich bestimmen liess, und das bei der Aufnahme in sämmtlichen 1000 Fällen zusammengestellt.

Beim 1. Anfalle. Bei der Aufnahme. 10—20 Jahre 195=29,1°/, 89= 89°, 21—25 150=224 126=12,6 26—30 88=13,1 133=13,3 31—35 %„ 61= 91 132=13,2 ‚, 36—40 49= 73 134=13,4 41—45 , 42= 6,2 103=10,3

585 717

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Beim 1. Anfalle.. Bei der Aufnahme. 585 717 46—50 Jahre 25= 3,7), 883—= 8,8°/, B1— 55 23= 34 70= 70 ,„

56—60 24= 36 49= 4,9

61—65 li= 16 4A= 44

66-70 2= 03 2= 22

über 70 1= 0,1 ,„ 10= 1,0 671 1000

Man könnte hierbei die Vermuthung aufstellen, dass diese Abnahme in höherem Alter der entsprechenden Abnahme in der gesammten Bevölkerung entspräche, doch ist nach der officiellen Statistik Dänemarks der Unterschied der steigenden Alters- klassen in der Gesammtbevölkerung ganz verschwindend im Vergleich mit dem bei den Geisteskrankheiten.

Nach diesen Unterlagen kommt L. zu dem von der gewöhnlichen Annahme etwas abweichenden Resultat, dass von allen Lebensperioden die Jugend im höchsten Grade dem Angriffe der Psychosen ausgesetzt ist, während die Neigung dazu von da an mit zunehmendem Alter abnimmt, und zwar mit einer gewissen Regelmässig- keit. Die ursächlichen Momente, welche sich in dieser am meisten gefährdeten Periode überwiegend geltend machen, müssen nach L. demnach auch die gefahr- drohendsten und verderbenschwangersten überhaupt sein, und unter diesen nimmt den ersten Rang die erbliche Disposition ein, die noch bis in das Mannesalter hinein von bedeutendem Einfluss bleibt. Die gesammte Summe aller andern causalen Momente vermag nicht den Krankheitskeim aufzuwiegen, den das Individuum so oft mit in das Leben bringt. Wenn das Mannesalter mit seinen verschiedenen Gefahren über- standen ist, dann werden die Aussichten weniger drohend, aber selbst das höhere Alter ist nicht ganz frei von der Möglichkeit einer psychischen Erkrankung.

Zur Bestimmung des Einflusses der Bildung auf die Entstehung von Geistes- störungen hat L. einen neuen Weg eingeschlagen und hat die einzelnen Individuen nach dem Bildungsgrad, der sich aus der persönlichen Beobachtung ergab, gesondert; selbstverständlich konnte er nur Patienten benutzen, die er selbst genau kennen gelernt hatte. Von den 1000 Fällen blieben nach Abzug der wiederholt Aufge- nommenen und der aus einem andern Grunde nicht verwendbaren 906 (442 Männer, 464 Weiber) übrig, von denen er 187 (91 M., 96 W.) zu den gebildeten Klassen rechnete, 719 (351 M., 368 W.) zu den ungebildeten. Einen Vergleich dieses Ver- hältnisses mit dem in der Gesammtbevölkerung konnte L. nicht anstellen.

An Pubertätspsychosen litten 180, davon gehörten 41 (14 M. und 27 W.) der gebildeten, 139 (64 M., 75 W.) der ungebildeten Klasse an; das Verhältniss zu den gesammten Vertretern der beiden Klassen ergab sich in beiden Klassen ziemlich gleich. Von den 41 Gebildeten aber war nur bei 4 (1 M., 3 W.) absoluter geistiger Untergang eingetreten (kaum 10°/,), von den 139 Ungebildeten bei 47 (21 M., 26 W.), gegen 34 °/ ; andere Umstände zur Erklärung dieser Erscheinang hat Verf. nicht ausfindig machen können. Das überwiegende Vorkommen betraf für beide Klassen das Alter von 16—19 Jahren, früherer Ausbruch gehörte bei beiden Klassen zu den Ausnahmen. Disposition fand sich bei den 41 Gebildeten bei 36 (88 °/,), bei den 139 Ungebildeten bei 104 (75 °/,); bei allen 4 geistig zu Grunde gegangenen Gebildeten war Disposition vorhanden, von den 47 Ungebildeten nur bei 37 (80 °/,). Um den ersten Anfall in der Pubertätszeit handelte es sich bei 77 Individuen (39 M., 38 W.). Von den 39 M. gingen nur 6 (15°/,) im 1. Anfalle zu Grunde, 31 wurden geheilt oder wesentlich gebessert (80 °/,), 2 starben; von den 38 W. gingen 15 (39°/,) im 1. Anfall zu Grunde, 22 (58°/,) wurden entlassen, 1 starb.

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Das Ueberwiegen des weiblichen Geschlechts ist in jeder Beziehung in die Augen fallend. Von den 39 M. waren 29 (74°/,) disponirt, von den 38 W. 29 (74 °/,)-

Vollkommen ausgebildete primäre Verrücktheit war in 72 Fällen (37 M., 35 W.) vorbanden, von diesen betrafen 9 (3 M., 6 W.) Gebildete, 63 (34 M. und 29 W.) Ungebildete (12,5:87,5°/,). Von den 37 M. gehörten nur 3 der gebildeten Klasse an (8 Io) 34 (92°/,) der ungebildeten, von den 35 W. 6 (17°/,) der gebildeten, 29 (83°/,) der ungebildeten Klasse, der Unterschied zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht tritt also stärker hervor in der gebildeten, als in der ungebildeten Klasse.

Auf diese beiden Krankheiten, Pubertätspsychosen und primäre Verrücktheit, hat L. seine Untersuchungen beschränken müssen, für andere Formen war entweder das Material zu gering oder die Verhältnisse waren zu complicirt.

Schliesslich erwähnt L. die Verhältnisse der Disposition in den beiden ver- schiedenen Bildungsklassen. Unter den 187 Gebildeten konnte erbliche Disposition mit Bestimmtheit bei 149 (71 M., 78 W.) = 58°/, nachgewiesen werden, davon war bei 106 (71°/,) Disposition in direct absteigender Linie vorhanden. Unter den 713 Ungebildeten fand sich bei 416 (195 M., 221 W.) = 58°/, erbliche Dispositon, bei 268 (64°/,) in direet absteigender Linie. Der Unterschied lässt sich sicher nicht allein durch die Annahme erklären, dass bei den Gebildeten die Angaben voll- ständiger waren.

Aus seinen Ergebnissen ist L. geneigt, den Schluss zu ziehen, dass die wahre Bildung, die sich erst spät und langsam entwickelt, das beste Schutzmittel gegen das Fortschreiten der erblichen Geistesstörung durch Generationen sei.

Walter Berger.

Therapie.

20) Zur Therapie des Morbus Basedowi. New York Neurological Society. Sitzung vom 7. April 1885. (Journal of nervous and mental disease. April 1885. p. 183.)

Dr. A. Rockwell bespricht seine Erfahrungen über die Behandlung des Morbus Basedowii. Er hält die Prognose für relativ günstig und empfiehlt absolute körper- liche und geistige Ruhe, sowie eine milde blande Diät, am besten Milchdiät, sehr dringend. Gleichzeitig giebt er Eisenmittel und Tonica, je nach dem individuellen Zustande des betreffenden Patienten; eine Combination von Eisenpräparaten mit Zink, Digitalis und Ergotin scheint ihm besonders wirksam. Den grössten Werth legt er jedoch auf regelmässige und geduldig fortgesetzte Anwendung des constanten Stromes, wobei die Kathode auf die Struma aufgesetzt werden soll, während die Anode in der Gegend des Plexus solaris raht. Anfänglich applicirt er gewöhnlich den Strom in der Weise, dass die Kathode über dem Centrum ciliospinale ruht, während die Anode in Absätzen vom Kieforwinkel am inneren Rande des Sternocleidomastoideus entlang zum Sternum herabgeführt wird.

Verf. hat im Ganzen 15 Fälle strumöser Kachexie mit enormer Pulsfrequenz, mit Herzpalpitationen und Exophthalmus behandelt; von diesen sind 9 vollständig oder fast vollständig geheilt, 3 sind wesentlich gebessert, 1 hat eine kleine Besserung erfabren und 2mal konnte gar kein Erfolg erzielt werden.

Dr. Seguin hat im Allgemeinen keine günstigen Erfolge gesehen. Gegen die Pulsfrequenz (bis 160 Schläge) und gegen die subjectiven Beschwerden schien ihm noch am wirksamsten das Aconitin zu !/,ooo gran = 0.0006, in viel Wasser gelöst den Tag über zu nehmen. In einem Falle ist er bis zu ?/,. gran = 0.0018 pro die gestiegen.

Dr. Webber beobachtete eine Frau von 50 Jahren, welche zur Zeit ihrer

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Menopause wegen subjectiven Hitzegefühls, Exophthalmus, einer Pulsfrequenz von 146—160 und wegen rapiden Körperverfalls seine Hülfe in Anspruch nahm. Nach einem Jahre waren sämmtliche Symptome geschwunden, und 4 Jahre sind seitdem ohne Rückfall verstrichen.

Dr. Dana weist endlich darauf hin, dass es wahrscheinlich mehrere Formen von Morbus Basedowii gebe. Eine „neurotische“ Form gewähre die ungünstigste Prognose, während die „symptomatische“ Form oft durch absolute Bettruhe und Milchdiät, oder auch spontan heilen könne. Sommer.

21) Behandlung der Epilepsie von Mills. Philadelphia Neurological Society. Sitzung vom 22. December. (Journ. of nerv. and mental disease. 1885 April.)

Bekanntlich sind die Ansichten über die Erfolge der Therapie bei dieser Krank- heit sehr verschieden, und während z. B. Gowers eine grössere Zahl von Heilungen erwähnt, deren Fortbestand er noch nach 4—7 Jahren habe constatiren können, vermag Mills im besten Fall 7 Heilungen von 1—3 Jahren Dauer aus seiner sehr grossen Zahl von Beobachtungen aufzuführen. Trotz der Aussichtslosigkeit einer völligen Heilung hält er die energische und geduldige Behandlung der Epilepsie für durchaus nothwendig, eine Besserung sei wohl meistens zu erzielen.

Er führt dann die sämmtlichen Medicamente und Combinationen an, die er ge- prüft hat, und es sind deren einige 20 Stück. Die Bromsalze haben auch ihm die besten Resultate gegeben; er empfiehlt eine Combination von Bromkalium, Brom- natrium aa gr. XV=1.0 mit Solut. arsenic.e Fowl. gtt. ii und ii—v, am Tage 3—4 mal zu nehmen. Bromkali mit Digitalis, von Gowers sehr empfohlen, sei nur bei complicirenden Herzfehlern angezeigt. Bromwasserstofisäure müsse so stark verdünnt werden, dass das Quantum der Lösung bald unerträglich würde. Muss einmal mit dem Brompräparaten ausgesetzt werden, so sind Zinksalze (Valerianat oder auch einfaches Oxyd) und Argoent. nitric. der beste Ersatz. Chloralhydrat und Belladonna hält er für relativ unwirksam; vor Cocculus indicus und Kalium nitric. warnt er sogar.

Im Uebrigen hält er darauf, dass die Behandlung Jahre lang durchgeführt wird. Anfänglich lässt er gewöhnlich Bromkalium, 3mal 15 gran, nehmen und von dieser Dosis aus so lange steigen, bis die Anfälle deutlich seltener und schwächer werden. Dann giebt er mehrere Bromide zusammen oder die oben mitgetheilte Combination mit Arsenik und Conium; dazu wird Ruhe empfohlen, Diät gehalten und hygienisch gelebt. Eventuell wurden noch Leberthran, Eisenpräparate, Chinin etc. verordnet. Narben, Neurome etc. wurden natürlich exstirpirt; Hautreize, speciell das Ferrum candens, sollen häufig von grossem Nutzen sein.

In den Discusionen wird zunächst von Reichert hervorgehoben, dass Brom- kalium am sichersten wirke, obschon es am wenigsten Brom enthielte.e Bromlithium habe 92°/,, Bromammonium 81 °/, Bromnatrium 77°/, und Bromkalium nur 67 °/, Brom. Ganz allgemein wird ferner zugegeben, dass Bromkalium das beste Ant- epilepticum sei. Dr. Morris-Lewis bemerkte dagegen, dass es ihm in einem Falle nicht geglückt sei, mit Bromkalium irgend welchen Erfolg zu erzielen, Bromammonium habe sich dann als sehr günstig erwiesen. Dr. Lloyd hält es für wichtig, all zu lange Dauer des Schlafes, wie sie gerade bei Epileptikern häufig sein soll, und etwaige Obstipation zu verhindern, die Combination des Bromkaliums mit dem Am- monium- und Natriumsalze, sowie mit Jodkalium scheint ihm sehr empfehlenswerth.

Sommer.

5214 Anstaltswesen.

22) Bericht des Assistenzarztes der Provinzial-Irren-, Heil- und Pfiege- anstalt Allenberg, Dr. Sommer, über die von demselben ausgeführte Informationsreise.

S. hat im Auftrage des Landesdirectors der Provinz Östpreussen eine Infor- mationsreise betreffs Unterbringung der Geisteskranken gemacht. Der Bericht, den er erstattet, beschäftigt sich nun nicht nur mit der Beschreibung der betreffenden Anstalten und Einrichtungen (hervorgehoben sind die Einrichtungen Bremens, dann Iltens in Hannover), sondern erörtert eine Reihe wichtiger allgemeiner Fragen, speciell die familiäre Verpflegung der Geisteskranken und die Unterbringung der criminellen Irren. Wir empfehlen die Schrift der Aufmerksamkeit der Fachgenossen; die zahl- reichen Details, wie die besonderen Beziehungen zu Ostpreussen gestatten ein aus- zügliches Referat nicht. M.

23) Verwaltungsbericht der Bezirks-Irrenanstalt bei Saargemünd für das Jahr 1884/85 von Director Dr. Freusberg.

Bestand am 1. April 1884: 193 M. 227 Fr. Summa 420.

Aufnahme: 77 M., 63 Fr. in 140. Abgang: 71 M, 41 Fr. m 112. Bestand am 1. April 1885: 199 M., 249 Fr. 448.

Verpflegungskosten pro Tag in der Normalklasse 0,41 Mark. Von den Auf- genommenen litten an paralytischer Psychose 22 M. und 8 Fr. an Alkoholismus 5. M.

24) The insane population of the United States, by W. E. Sylvester. (The Alienist and Neurologist. 1885. VI. p. 32.)

Verf. giebt eine Zusammenstellung der Zahl der Geisteskranken in den einzelnen Staaten Nordamerikas, wie sie sich aus den Jahresberichten der Anstalten und aus den Zählungen aufstellen lässt. Fast überall wird die Klage der Ueberfüllung der bestehenden Asyle laut; einzelne Staaten haben allerdings ?/,, selbst °/, aller ge- zählten Irren in einer Anstalt. Wenn freilich einige Staaten, wie Colorado, Nevada und Oregon, alle gezählten Irren in einer Anstalt und ausserdem noch freie Plätze in derselben haben, so ist der Census wohl nicht als zuverlässig zu betrachten. Da im Jahre 1880 in den „Staaten“ 91959 Irre gezählt worden sind, während sich 53192 in Anstalten befanden, so sind etwa 56°/, aller Geisteskranken in Anstalten verpflegt, ein Procentsatz, an den Deutschland leider bei weitem nicht heranreicht. Wie gross übrigens die Ueberfüllung ist, geht daraus hervor, dass die bestehenden 80 öffentlichen und 40 privaten Irrenasyle nur für 40000 Insassen bestimmt waren, während sie thatsächlich jene 53000 verpflegen. Der Zuwachs der gezählten Irren betrug von 1870—80 über 100°/,, während die allgemeine Bevölkerungszunahme nur 26°/, ausmachte.

Die Angaben für die einzelnen Staaten können natürlich hier nicht reproducirt werden. Einige Einzelheiten seinen indess mitgetheilt.

Der Staat New York z. B. besitzt über 15000 Irre, von diesen sind unter- gebracht in den gewöhnlichen Staatsanstalten 3647, in Stadtasylen 5016, in Bezirks- armenhäusern 1869, in Privatanstalten 558, in der Staatsanstalt für irre Verbrecher 144 und in der für irre Einwanderer 109, zusammen 11343=76°/,.

Von 2405 Irren in New Jersey befinden sich 1400 in den beiden Staatanstalten und 710 in 5 Bezirksanstalten, während der Rest von nur 13°/, in Armenhäusern oder bei dem Angehörigen lebt.

55 -

Im District Columbia mit der Bundeshauptstadt Washington befindet sich ein „Government Hospital for the Insane“ mit 1155 Insassen, von denen aber nur 860 dem Districte angehören, während die übrigen 295 Kranken aus der Bundes-Armee und Flotte herstammen.

In den 8 Territorien wird die Zahl der Irren auf 619 angegeben; in Californien ist es unmöglich, die Zahl der Geisteskranken zu schätzen, während sich in den dortigen Anstalten 2650 Insassen befinden. Sommer.

Ill. Aus den Gesellschaften.

Von der Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerste in Strassburg vom 18.—23. September 1885. (Nach dem Tageblatt.)

(Fortsetzung) Section für Psychiatrie und Neurologie.

Pflüger (Bem): Ueber Erregung und Miterregung im Bereich homo- nymer Gesichtsfeldbezirke.

Untersuchungen über die verschiedensten Gesichtsfelderregungen bei Hysterischen, Hypochondern, Neurasthenikern u. s. w. führen den Vortragenden zu dem Schluss, dass identische Punkte beider Netzhäute nicht in einem einzigen Centralorgan ihre Endverbindung finden, sondern in zwei unmittelbar neben einander gelegenen.

Stein (Frankfurt a. M.): Die Anwendung schwacher galvanischer Ströme in der Elektrotherapie.

Vortragender knüpft an die Müller'schen Darlegungen (cf. d. Ctrlbl. 1885. S. 94) an, spricht sich auch für die Anwendung schwacher Ströme aus. Nach seiner Er- fahrung genügt für die stärksten, in den seltensten Fällen nothwendigen therapeu- tischen Effecte ein Strom von 8 Milliamp£öres, für die Mehrzahl reichen 3—4 Milli- ampöres aus. Er benützt als „ärztliches Normalelement“ ein solches, dessen erregende Flüssigkeit aus Gelatine, Salicylsäure, Salmiak und Glycerin besteht.

Derselbe: . Veber die Fortschritte der Technik bei der Application elektrischer Bäder.

St. hat früher für das bipolare Bad nur Holzwannen empfohlen, er wendet jetzt ebenso gut lackirte oder emaillirte Metallwannen an, in die er grosse Rheophore ge- nügend isolirt hineinhängt. Die letzteren bestehen aus einer Metalltafel, die von mit Luft aufgeblasenen Kautschukröhren umgeben sein können, wodurch Anlehnen mit dem Rücken möglich. Ausser den Rheophoren an den Füssen, hinter dem Rücken und an den Seiten des Badenden soll noch eine weitere Platte senkrecht in der Mitte der Wanne zwischen den Füssen stehend eingeschaltet werden (nur beim fara- dischen Bade).

Freusberg (Saargemünd): Ueber motorische Symptome bei einfachen Psychosen.

Der Vortragende führt an beweisenden Krankengeschichten aus, dass bei ein- fachen Psychosen im acuten Initialstadium, paroxysmelle Anfälle von Starre oder von krampfartigen Bewegungen vorkommen können, und dass solche Anfälle durch- aus nicht eine epileptische, hysterische, alkoholistische Complication der Psychose beweisen. Solchen Uebergangsformen der einfachen Psychosen und complicirten Psychosen gegenüber ist streng die Reinheit der typischen Krankheitsbilder festzu- halten und insbesondere vor der Ausdehnung der sogenannten epileptoiden Geistes- störungen zu warnen.

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Kräpelin (Dresden): Ueber Verwirrtheit. Als charakteristisch für die Ver- wirrtheit bezeichnet Vortragender 1. die Unfähigkeit, sich in der Umgebung zu orien- tiren, 2. die Zusammenhanglosigkeit des Vorstellungsverlaufs.

Die erste Categorie sensorische Verwirtheit kommt besonders durch Hallucinationen zu Stande (hallucinatorische Verwirrtheit).

Als illusionäre Verwirrtheit bezeichnet er die Zustände, in denen der Kranke völlig unfähig ist, über die bestehende Situation irgendwie eine klare Vorstellung zu gewinnen, wo ihm Alles räthselhaft, unheimlich erscheint.

Die deliriöse Verwirrtheit bildet den Uebergang zu der zweiten Categorie, welche sich vorzugsweise durch den Mangel eines innern Zusammenhangs auf dem Gebiete der intellectuellen Functionen charakterisirt und somit vielleicht als intellectuelle Verwirrtheit bezeichnet werden kann. Hierher gehört die Ideenflucht; ferner gewisse Zustände der Erregung bei primärer Paranoia (combinatorische: der Kranke com- binirt in der verwickeltsten und fantastischsten Weise).

In den Terminalzuständen kommt eine räsonnirende Verwirrtheit und eine stereotype vor. Bei ersterer zeigen die Kranken noch ein gewisses geordnetes Benehmen, bei letzterer ist mit der völligen intellectuellen Verarmung der Intelligenz gleichzeitig Zusammenhanglosigkeit eingetreten.

Rumpf (Bonn): Ueber die Behandlung der Tabes dorsalis.

Vortragender berichtet über neuere günstige Erfolge der Behandlung der Tabes mit dem faradischen Pinsel. Er verband diese Behandlung bei vorausgegangener Lues gleichzeitig mit einer antiluetischen Behandlung.

Nur in einem der 24 auf diese Weise behandelten Tabesfällen blieb eine dauernde Besserung der tabischen Erscheinungen aus.

4 Fälle können klinisch als geheilte Fälle von Tabes bezeichnet werden (ein Fall befindet sich schon seit 5!/, Jahren in diesem Zustande), 10 Kranke können wieder, allerdings mit Defecten, in ihrem Berufe thätig sein, nachdem dies vorher unmöglich war, in einem Fall war die Besserung so, dass der bettlägerige oder auch im Zimmer nur im Rollstuhl sich bewegende Patient wieder leidlich umhergehen konnte. Zur Erklärung der Wirkung macht BR. auf folgende Punkte aufmerksam:

Der erste betrifft die schmerzstillende Wirkung des faradischen Pinsels. R. hat schon früher hervorgehoben, dass nach der Application desselben die Prüfung der elektrocutanen Sensibilität eine beträchtliche Herabsetzung der ersten Schmerzempfin- dung zur Folge hat. Er hat diese Frage mit seinem Schüler Laufenberg weiter verfolgt und hier hat sich ergeben, dass auch bei normalen Menschen nach der faradischen Pinselung mit mittelstarken Strömen eine Herabsetzung der Schmerz- empfindung eintritt, während die erste Empfindung sogar gesteigert sein kann.

Weiterhin hat R. auf die Erhöhung der Sensibilität unter der betreffenden Application aufmerksam gemacht und erwähnt, dass in einem Fall die Sensibilität an der Fusssohle gemessen mit dem Weber’schen Tasterzirkel von 6,4 cm auf 2,4 gestiegen war. R. könnte diesen Zahlen eine grosse Anzahl weiterer hinzufügen.

BR. hat aber auch am normalen Menschen eine Reihe von Versuchen angestellt, und bei diesen fand sich, dass nach 3 und 4 Tagen nach einmaliger Application die Erhöhung der Sensibilität nachweisbar war, während die einfache Schwammelektrode in gleicher Weise applicirt, schon nach einer Reihe von Minuten einen Einfluss auf die Sensibilität nicht mehr zeigte.

Weiterhin hat R. auf gewisse reflectorische Wirkungen aufmerksam gemacht, die Erweiterung der Pupille, den Schwund der Myose und refiectorischen Starre, über die er sich noch Mittheilungen vorbehalte, nachdem eine Reihe von weiteren Versuchen abgeschlossen ist. Auch an Veränderung der Circulation in den Central- organen, an Veränderungen der Wärmeregulation unter dem .intensiven Beiz muss

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man ebenfalls denken, wenn man berücksichtigt, dass die vorher kalten Extremitäten unter dem Einfluss der Behandlung warm werden und dauernd ihre Wärme behalten.

Discussion. Jolly hat in einem Falle eine jetzt seit 2 Jahren bestehende Remission mit Hülfe der Rumpf’schen Methode erzielt, dagegen fand er in einer Reihe anderer Fälle mit lancinirenden Schmerzen in den Beinen die Behandlung ab- solut wirkungslos und richtet daher an den Vortragenden die Frage, ob er nicht über ähnliche Misserfolge zu berichten habe.

Rumpf berichtet, dass es an einigen Misserfolgen, besonders in Bezug auf die Crises gastriques, Mastdarmneuralgien etc. nicht fehlt, doch sind völlige Misserfolge in Bezug auf die lancinirenden Schmerzen selten.

Jehn (Merzig) fragt an, ob und welche antiluetischen Kurversuche gleichzeitig mit der faradischen Behandlung vorgenommen wurden.

Er erwähnt, dass bei einem Tabesfalle, welcher im Verlaufe einfacher Psychose auftrat, die elektrische Behandlung im Sinne Rumpf’s allerdings bei gleichzeitiger Application schwacher constanter Ströme auf das Rückenmark von bestem Erfolge war. Der Fall war um so interessanter, als nach Heilung des intercurrenten Rücken- marksleidens die zeitweise zurückgetretenen Erscheinungen der Psychose wieder in ihr Recht traten.

Für die in Zusammenhang mit luetischer Encephalitis, welche oft unter dem Bilde der Paralyse erscheinen kann, auftretenden Tabesfälle kann die kräftige anti- luetische Behandlung, wie solche von Fournier angegeben ist, mit gleichzeitiger galvanischer und faradischer Behandlung nur empfohlen werden.

Bumpf antwortet, dass er die verschiedensten antiluetischen Behandlungs- methoden mit der elektrischen verbunden habe.

Aus der Section für Pädiatrie. Ranke (München): Ueber cerebrale Kinderlähmung.

R. geht von der Strümpell’schen Beschreibung der Poliencephalitis der Kinder aus (cf. dieses Centralbl. 1884. 8. 502) und theilt aus seiner eigenen Beobachtung Folgendes mit.

Im vergangenen Sommersemester fanden sich unter seinem poliklinischen Ma- teriale an Lähmungen, nebeu einigen nicht hier in Frage kommenden Formen:

9 Fälle von Poliomyelitis,

kein Fall von Gehirnblutung,

kein Fall von Gehirnembolie und

9 Fälle von Encephalitis, welche letztere dem von Strümpell aufgestellten Symptomencomplexe der. Poli- encephalitis in fast allen Punkten genau entsprachen. Die Affection ist also offenbar auch in Bayern so häufig, als Strümpell sie in Sachsen gefunden hat.

6 von meinen Fällen zeigten die hemiplegische, 3 die monoplegische Form. Bei allen Patienten datirte die Krankheit aus früher Jugend.

In 3 Fällen waren die Eltern der Meinung, das Leiden sei angeboren. Ueber das Initialstadium war meist nicht viel Genaues zu erfahren. Einige Male scheint es ganz gefehlt zu haben.

In andern Fällen wurden Krämpfe und Bewusstlosigkeit beobachtet. Ueber das damit verbundene Fieber waren keine genaueren Angaben zu erhalten, in einigen Fällen wurde entschieden behauptet, es sei überhaupt kein Fieber vorhanden gewesen. Stets war bei den hemiplegischen Formen der Arm der stärkst afficirte Theil.

In allen diesen Fällen, ebenso bei dem einen Fall von brachialer Monoplogie, liess sich eine beträchtliche Wachsthumshemmung des Armes nachweisen, die von 0,5 cm bei einem 1°/ jährigen Kinde bis zu 4, selbst beinahe bis zu 5 cm bei Kindern betrug.

528 --

Die Ernährungsstörung bezog sich stets vorwiegend auf die Muskeln und Knochen, während das Fett im Unterhautbindegewebe wenig oder nicht davon betroffen war.

Bei sämmtlichen 6 hemiplegischen Fällen zeigten sich athetotische Bewegungen der Finger, bei einigen stark ausgeprägt, bei andern nur andeutungsweise, bei 3 hemi- plegischen Fällen waren auch Andeutungen von Athetose an den Zehen bemerkbar. Bei dem einen Fall von brachialer Monoplegie fehlten dieselben. 2 der hemiple- gischen Fälle zeigten Störungen der Intelligenz. Ein Knabe wurde 4 Jahre, nach Eintritt der Lähmung, epileptisch.

In allen Fällen war die Lähmung nicht eine schlaffe, wie bei Poliomyelitis, sondern es bestanden stets leichte Muskelspannungen, jedoch fanden sich keine stärkeren Contractionen.

Die Sehnenreflexe waren im Gegensatz zu ihrem Verhalten bei Poliomyelitis bei allen Patienten in den befallenen Gliedmaassen vorhanden, wenn er auch nicht wie Strümpell stets eine Steigerung derselben constatiren konnte.

Die Sensibilität der gelähmten Glieder liess keine wesentliche Abweichung von der Norm erkennen.

Eine Veränderung des Muskelsinnes konnte er so wenig wie Strümp ell nachweisen, doch haben derartige Untersuchungen bei jungen Kindern ihre Schwierig- keiten, so dass er auf das Ergebniss derselben noch kein zu. grosses Gewicht legen möchte.

Eine Betheiligung des Facialis an der Lähmung habe er bisher nicht beobachtet.

Besondere Aufmerksamkeit verwandte er auf die Untersuchung des elektrischen Verhaltens der gelähmten Glieder, wie die am Schluss mitgetheilten Krankenbefunde erkennen liessen.

Niemals wurde die Erregbarkeit von Nerv und Muskel gegen beide Stromarten wesentlich herabgesetzt gefunden, niemals wurde Entartungsreaction beobachtet.

Seine Fälle entsprachen also in allen Punkten dem von SrrOmD ell gezeichneten Symptomencomplex.

Section stand leider keine zu Gebote, weder eines alten noch eines frischen Falles, so dass er vom pathologisch-anatomischen Standpunkte Nichts beizufügen habe.

Die Symptome der Erkrankung aber scheinen ihm in der That mit grosser Be- stimmtbeit auf die motorischen Rindenbezirke hinzuweisen, so dass er keinen Anstand nahm, die von Strümpell vorgeschlagenen Namen Poliencephalitis acuta, cerebrale Kinderlähmung, als anscheinend vollkommen passend zu acceptiren.

Hagenbach (Basel) hat auf die Mittheilung von Strümpell hin seine Fälle Revue passiren lassen und ist zur Ueberzeugung gekommen, dass einige der Fälle, die er als Poliomyelitis anterior aufgefasst hatte und die er als Rückenmarkserkran- . kung nur schwer erklären konnte, hierher zu zählen sind. Er theilt ferner mit, dass Roth, path. Anatom in Basel, schon vor vielen Jahren, im Beginn der 70er Jahre, auf die Analogie des pathologischen Befundes von Poliomyelitis anterior und Encephalitis von Virchow aufmerksam gemacht hat: dieselben multiplen Herde, derselbe histologische Befund etc.

(Fortsetzung folgt.)

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

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Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mondel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Veır & Come. in 1 Leipzig. Druck von Mr1zeer & Wırrio in Leipzig.

NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiolögie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel

Vierter a aaa Jahrgang,

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

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1885, 1. December.

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No: 23.

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Inhalt. 1. Originalmittheilungen. Ueber eine durch eine klinisch bisher nicht verwer- thete Untersuchungsmethode ermittelte Form der Sensibilitätsstörung bei einseitigen Erkran- kungen des Grosshirns, kurze Mittheilung von Dr. Hermann Oppenheim.

il. Referate. Anatomie. 1. Ueber die Vertheilung der motorischen Nervenendapparate in den quergestreiften Muskeln der Wirbelthiere, von Sandmann. Experimentelle Phy- siologie. 2. Experimente über den Gefühlssinn, von Haycraft. Pathologische Ana- tomie. 3. Pankratiasten-Ohren bei einem japanischen Ringer, von Virchow. 4. Zur Casu- istik anomaler Befunde an Gehirnen von Verbrechern und Selbstmördern, von Flesch Pathologie des Nervensystems. 5. Ataxie, von Pick. 6. Diabetes insipidus in Folge von Se lien von Hösslin. 7. Hereditary or degenerative Ataxia. Six cases in one family. Death of one case, and Autopsy, by Everett Smith.. 8. A case of spinal Ataxia without Loss of sensation and with increased Patellar-Tendon Reflex. A Contribution to the Stady of spinal ataxy, by Prince. 9. Un caso di tetania, storia e considerazioni del Maroni. 10. Ueber das Verhalten des Kniephänomens beim Diabetes mellitus, von Rosensteln. 11. Du röflexe tendineux dans le cholcra, par Josias. 12. Ueber Lähmungen des N. medianus, von Bernhardt. 13. Zum Kapitel über Arbeitsparesen, von Cöster. Psychiatrie. 14. Case of moral insanity or congenital moral defeot, with commentary by Tuke. 15. Two cases of thrombosis of cerebral sinuses, by Wiglesworth. 16. A contribution to the study of the cir- culatory system in the insane, by Grenelles. 17. Note sur la transformation de la folie en folie veritable, par Parant. Therapie. 18. Hydrobromate of Hyoscine. Its use in cases of Insanity, by Peterson and Langdon. 19. Het genezen van duorgesneden zenuwen, door Waller. 20. Neuralgia trigemini rami III, af a

I. Aus den Gesellschaften. IV. Bibliographie. V. Personalien.

I. Originalmittheilungen.

Ueber eine durch eine klinisch bisher nicht verwerthete Untersuchungsmethode ermittelte Form der Sensibilitäts- störung bei einseitigen Erkrankungen des Grosshirns.

j Kurze Mittheilung von Dr. Hermann Oppenheim, Assistent der Klinik. [Aus der Nervenklinik der Charite.]

Jacguzs LozB hat durch oberflächliche, umschriebene Verletzung des Grosshirns bei Hunden Functionsstörungen hervorgerufen, über deren Charakter

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und deren Deutung er im XVIL Bande des Pflüger’schen Archivs eine kurze Mittheilung gemacht hat.! Der Autor hatte die Freundlichkeit, mir wieder- holentlich die interessanten Erscheinungen an seinen Versuchsthieren zu demon- striren und hat mir dadurch die Anregung zu den Untersuchungen gegeben, über deren Besultat ich nachstehend kurz berichte.

I. Frau Malick, 74 Jahre alt, wurde am 14. August d. J. im Zustande voller Bewusstlosigkeit in die psychiatrische Abtheilung der Königl. Charit6 aufgenommen. In den folgenden Tagen hellte sich das Bewusstsein auf, e8 trat eine rechtsseitige Hemiplegie mit Aphasie und epileptiformen Zuckungen in den gelähmten Gliedern in die Erscheinung. Patientin wurde in die Nervenklinik verlegt.

Status: Die Aphasie ist eine gemischte, besonders stark ausgeprägt ist der atak- tische Charakter der Sprachstörung. Der rechte Arm ist nahezu complet gelähmt, während das rechte Bein noch einen geringen Grad von Beweglichkeit besitzt, der rechte Mundfacialis ist nur im geringen Grade betheiligt. An den paretischen Gliedmaassen werden alle Reize: Berührung, Druck, Stich, Kälte, Wärme exact wahrgenommen, aber, wie die Patientin angiebt, nicht ganz so deutlich wie links. Die rechten Ex- tremitäten werden häufig von Convulsionen ergriffen, die Zuckungen sind sehr kurz, wie durch einen elektrischen Schlag erzeugt. Auch ist die Neigung zu Mitbewegungen in der rechten Oberextremität sehr ausgesprochen. Keine Contractur, keine Steige- rung der Sehnenphänomene.

In der zweiten Woche nach der Aufnahme stellt sich ein leichter Grad ven Activitität im rechten Arm ein, aber wenn Patientin nach einem Ziel zu greifen versucht, treten ungewollte Bewegungen auf, welche die Extremität von demselben ablenken.

6. September. Auch in dem der gelähmten Körperhälfte entsprechenden Gesichts- felde ist, wie man mit Bestimmtheit nachweisen kann, das Sehvermögen erhalten. Wenn man aber, während Patientin beide Augen geöffnet hält und gerade-aus blickt, gleichzeitig von rechts und von links her 2 gleichgrosse Gegenstände (Schlüssel) aus der Peripherie nach der Mitte hin bewegt, so wird der von links hereingeführte sofort wahrgenommen, während der von rechts herkommende erst wenn er in den Fixir- punkt oder in die Nähe desselben gelangt, die Aufmerksamkeit der Patientin in Auspruch nimmt. Dieser Versuch wird häufig und an mehreren Tagen wiederholt und führt immer zu demselben Resultate. Es wird ausserdem festgestellt, dass, wenn man den Reiz in der rechten Hälfte des Gesichtsfeldes stärker betont, dadurch, dass man den Gegenstand in oscillirende Bewegungen versetzt, Patientin zuerst und sofort auf diesen Gesichtseindruck reagirt.

An der rechten Hand werden Nadelstiche, auch die leichtesten, prompt wahr- genommen; applicirt man nun gleichzeitig an entsprechenden Stellen beider Hände zwei gleich-starke Nadelstiche, so gelangt regelmässig nur der die linke Hand treffende Reiz zur Wahrnehmung; dasselbe Resultat wird erzielt, wenn man je ein mit eis- kaltem Wasser gefülltes Gefäss gleichzeitig mit den beiden Händen der Kranken in Berührung bringt, sie betont, dass sie nur links fühlt, während sie jeden die rechte Seite allein treffenden Reiz richtig percipirt.

Ganz dieselbe Erscheinung trat an den unteren Extremitäten hervor, weit weniger constant im Gesicht.

1 J. Lozs, Die elementaren Störungen einfacher Funotionen nach oberflächlicher, um- schriebener Verletzung des Grosshirns.

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Die Patientin musste schon am 14. September auf ihren Wunsch hin entlassen werden und kann über den weiteren Verlauf nichts ausgesagt werden.

U. Frau Beierlein, 45 Jahre alt, wurde am 10. September 1885 in die Nervenklinik aufgenommen. Die bis da gesunde Person erlitt vor 14 Tagen einen Schlaganfall, der rechtsseitige Hemiplegie mit Aphasie im ‘Gefolge hatte.

In den ersten Tagen ist die Aphasie eine nahezu complete und auch das Wort- verständniss zeigt sich nicht unerheblich gestört. Eine Prüfung des excentrischen Sehens, der Geruchs- und Geschmacksfunction führt zunächst zu keinem klaren Er- gebniss. Die Hörfähigkeit ist jedenfalls nicht wesentlich alterirt, da leise Flüster- sprache auf beiden Ohren gut wahrgenommen wird. Während in der rechten Gesichts- hälfte Nadelstiche gut percipirt werden, ist das Schmerzgefühl an den rechten Extremitäten nicht unerheblich vermindert. Die Untersuchung wird in den nächsten Tagen mehrfach wiederholt und gewinnt man den Eindruck, als ob die ersten Nadel- stiche gar nicht, die folgenden aber mit wachsender und schliesslich nahezu normaler Intensität wahrgenommen werden. |

12. October. Nadelstiche werden jetzt an den rechten Extremitäten deutlich empfunden und, wie die Patientin betont, mit demselben Schmerzgefühl, wie die an der linken Körperhälfte applicirten.

Die Aphasie hat sich inzwischen unter der Anwendung einer Mercurialcur eben- falls erheblich gebessert.

24. October. An der rechten Oberextremität werden Nadelstiche constant wahrgenommen. Wird nun gleichzeitig die rechte und die linke Oberextremität von je einem Nadelstich getroffen, so wird nach Angabe der Patientin constant nur der linksseitige wahrgenommen; sobald aber der Reiz die rechte Seite allein trifft, reagirt Patientin stets auf denselben. Bei symmetrischer Application wird selbst, wenn der die R. O. E. treffende schmerzhafte Eingriff ein etwas stärkerer ist, dieser negligirt Patientin hört auf beiden Ohren den Schlag der Uhr, wenn jedes Ohr einzeln geprüft wird. Bringt man nun gleichzeitig zwei gleich stark schlagende Uhren in gleicher Entfernung vor beide Ohren (bei Augenschluss!), so wird constant nur die vor dem linken Ohr schlagende Uhr gehört, sobald letztere aber entfernt wird, wird die vor dem rechten Ohr wahrgenommen. Die Versuche werden an den folgenden Tagen mit demselben Resultate wiederholt.

28. October. Man kann die gleichzeitige Wahrnehmung der beiden Nadelstiche dadurch erreichen, dass man den rechts applicirten Reiz durch kräftigeres Einstechen der Nadel steigert. Das excentrische Sehen ist in keiner Weise gestört etc.

IH. J. Kuhlmey, 54 Jahre alt, wurde am 29. November 1884 mit den Er- scheinungen des Delirium alcoholicum aufgenommen. Nachdem diese Symptome zurückgetreten und Patient in der letzten Hälfte des Monats December wiederholent- lich über Kopfschmerz geklagt, tritt am 28. December ein sehr heftiger Krampfanfall auf, der die gesammte Musculatur der linken Körperhälfte ergreift und ohne wesent- liche Trübung des Bewusstseins verläuft. Diese halbseitigen Krampfanfälle wieder- holen sich in der nächsten Zeit sehr häufig, treten oft mehrmals am Tage auf. Die linken Extremitäten, namentlich der Arm, zeigen einen mässigen Grad von Schwäche, ausserdem tritt im Arm eine als motorische Ataxie zu bezeichnende Bewegungs- störung hervor: Bei durchaus erhaltenem Bewusstsein von der Lage der Glieder ist Patient nicht im Stande, die Hand nach einem bestimmten Ziele zu führen, sondern es wird dieselbe durch allerhand Spreiz- und Schleuderbewegungen von demselben weit abgeführt, auch dauert es dann sehr lange, bis das einmal eingeleitete Spiel der Bewegungen zur Ruhe kommt.

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Die Gegend des rechten Planum temporale ist auf Beklopfen sehr empfindlich.

Augenmuskelinnervation ungestört. Es besteht eine Hemianopsia bilateralis homon. sinistra mit concentrischer Gesichtsfeldeinschränkung der erhaltenen Gesichts- feldhälfte des linken Auges.

Sensibilität: Nadelstiche werden in beiden Gesichtshälften wahrgenommen. An den linken Extremitäten und der linken Rumpfhälfte ist das Gefühl für Berührung und Temperaturreize herabgesetzt. Nadelstiche werden aber constant wahrgenommen und mit deutlicher Schmerzempfindung.

Der psychische Zustand des Patienten ist schwer mit wenig Worten zu schildern. Es besteht ein gewisser Grad von Dementia mit einer eigenthümlichen Heiterkeit, die nicht selten für kurze Zeit ohne äusseren Anlass in’s Gegentheil umschlägt. Tage lang ist Patient ganz verwirrt, bringt die wunderlichsten Dinge vor, deren Inhalt aus Hallucinationen und Träumen geschöpft zu sein scheint. Kämpfe der linken Körperhälfte treten häufig auf und führen jedesmal zu einer Steigerung der links- seitigen Parese.

18. September 1885. An der linken Hand ist die Sensibilität für tactile Reize nahezu völlig aufgehoben. Nadelstiche werden schmerzhaft percipirt, aber, wie es scheint, nicht mit so intensiver Schmerzempfindung als rechts. Während nun jeder die linke Oberextremität allein treffende schmerzhafte Eingriff sofort wahrgenuminen wird, empfindet Patient bei gleichzeitigem Einstechen in die linke und rechte Hand immer nur den die rechte treffenden Reiz. Diese Erscheinung ist eine constante. Wenn man aber die Intensität des links angewandten Reizes durch sehr kräftiges und sehr tiefes Einstechen der Nadel erheblich steigert, während man rechts nur ganz schwach zusticht, gelingt es, beide Reize gleichzeitig zum Bewusstsein des Patienten zu bringen.

Iv. H. Reich, 40 Jahre alt. Beginn der Erkrankung im Juli 1884 mit anfallsweise auftretenden Zuckungen im rechten Bein, bald mit, bald ohne Bewusst- seinsstörung. In der Folgezeit breitet sich der Krampf, der immer im rechten Bein beginnt, häufig auch über die rechte Rumpfhälfte und die rechte Oberextremität aus, erreicht zuweilen auch die rechte Gesichtshälfte. In der Zwischenzeit macht sichı eine Schwäche im rechten Bein bemerklich, die anfangs vornehmlich das Peroneus- gebiet betrifft.

Im October 1884 stellt sich nach einem solchen Krampfanfall Aphasie ein, die aber bald wieder schwindet.

Im Februar 1885 tritt ein heftiger (halbseitiger) Krampfanfall auf, welcher Aphasise und Hemiplegia dextra im Gefolge hat.

Gegenwärtig ist der rechte Arm im mässigen Grade paretisch, das rechte Bein nahezu complet gelähmt (mit Contractur).

Auf der rechten Körperhälfte werden alle Reize (Berührung, Druck, Stich, Kälte, Wärme) exact wahrgenommen; Gehör, Geruch, Geschmack sind nicht beeinträchtigt.

Werden gleichzeitig die beiden Gesichtshälften oder die beiden oberen Extremi- täten von zwei identischen Reizen getroffen, so gelangen sie regelmässig beide zur Wahrnehmung. An den beiden unteren Extremitäten werden zwei gleichzeitig ange- wandte tactile Reize prompt wahrgenommen, dagegen gelangt von zwei gleichstarken Nadelstichen immer nur der links applicirte zur Cognition. Sticht man nicht gleich- zeitig, sondern kurz hintereinander in’s rechte und dann in’s linke Bein oder um- gekehrt, so hat Patient zwei gesonderte Empfindungen.

Nachtrag: Bei diesem Patienten ist die Erscheinung schon nach Verlauf einiger

Tage geschwunden, sodass gegenwärtig keinerlei Störung der Sensibilität bei ihm nachweisbar ist.

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Controlversuche lehrten, dass die geschilderten Erscheinungen bei Gesunden niemals vorkommen.

Auch habe ich unter einer grossen Anzahl von Personen, die an Herd- erkrankungen im Gehirn leiden, bisher nur in diesen 4 Fällen die beschriebene Störung aufgefunden.

Obgleich meine Beobachtungen noch sehr unvollkommen sind, halte ich es doch für geboten, die Aufmerksamkeit der Fachgenossen auf diese Unter- suchungsmethode zu lenken in der Ueberzeugung, dass weitere umfassendere Prüfungen in dieser Richtung unsere Kenntnisse über die Störungen der Sinnes- functionen bei Erkrankungen des Gehirns bereichern werden.

Berlin, den 1. November 1885.

IL. Referate.

Anatomie.

1) Ueber die Vertheilung der motorischen Nervenendapparate in den quergestreiften Muskeln der Wirbelthiere, von G. Sandmann. (Archiv für (Anatomie und) Physiol. 1885.)

Diese von der Berliner medicinischen Facultät (1883) mit Preis gekrönte Arbeit sucht die Widersprüche den Angaben W. Kühne’s und W. Krause’s über die Nervenendigungen in den quergestreiften Muskeln zu vereinen. Dieser meinte, dass jedes Muskelprimitivbüändel sowohl pleiomerer wie monomerer Muskeln nur eine Nervenendigung erhalte, Jener fand, dass längere Muskelfasern zwei und mehrere Nervenendorgane besitzen. Die erzielten Resultate verdankt Verf. der Anwendung der schon von Kühne empfohlenen schwefligen Säure, die er in der Concentration, wie sie im Handel zu haben ist, und mit folgenden Kunstgriffen in Gebrauch zog. Er präparirt den zu untersuchenden Muskel heraus, schneidet ihn, falls er zu volu- minös ist, seiner Faserung parallel in einzelne, nicht zu dicke Streifen, thut ihn sodann in ein Reagensglas mit schwefliger Säure und lässt ihn wohl verkorkt, je nach seiner Grösse, Dicke und seinem Reichthum an Bindegewebe 1—8 Tage stehen. Hierauf wäscht er ihn tüchtig in destillirtem Wasser aus und kocht ihn in einem ebenfalls mit destillirtem, Wasser gefüllten BReagensglase 3—4 Male über einer Spiritusflamme und zwar So, dass er vor dem jedesmaligen Aufkochen ihn erkalten lässt oder das heisse Wasser durch kaltes ersetzt.

Wenige starke Schüttelschläge zerlegen den Muskel jetzt in elegantester Weise in seine Primitivbündel, welche Querstreifung und Muskelkerne in deutlichster Weise erkennen lassen. Die Nervenendigung wird, wie Verf. durch den Vergleich mit frischen, in 0,6 procentiger Kochsolzlösung untersuchten Präparaten fand, nicht tangirt. Die nervösen Theile färbt Verf. mittelst einer von ihm selbst angegebenen Methode in einer 1procentigen, wässerigen Goldchloridlösung. Diese Behandlung bietet grosse Vortheile für die Untersuchung der schwer zu zerfasernden Muskeln der Säugethiere, insbesondere wo es darauf ankommt, einen Muskel auf etwaige pathologische Veränderungen seiner nervösen Endelemente, wie Degenerationen und dergl., zu durchsuchen.

Verf. untersuchte die Nervenendigungen an den Mm. gastrocnemius, sartorius, cutaneus, rectus abdominis, semimembranosus, gracilis des Frosches, an den Schenkel- muskeln des Kaninchens, den Mm. sartorius und cucullaris des Hundes und den Oberschenkelmuskeln der Ratte. Verf. kam zu den Ergebniss, dass in den Muskeln

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der Kaltblüter die Primitivbündel mit 2 oder mehreren Nervenendigungen, in den pleiomeren Muskeln warmblütiger Thiere dieselben mit einer Endplatte versehen werden. Dadurch wird der Widerspruch zwischen den Angaben Kühne's und Krause’s auf befriedigende Weise geschlichtet, da Jener mehr an Froschmuskeln, Dieser mehr an Warmblütern seine Untersuchungen anstellte.

Verf. bewies alsdann auf experimentellem Wege, dass ein Muskelbündel von zwei verschiedenen Centren aus innervirt werden könne.

Ferner untersuchte Verf. den M. cucullaris der Säugethiere, der von verschie- denen Centren aus durch verschiedene Nerven, dem N. accessorius und einzelnen Zweigen des Plexus cervicalis versorgt wird, und fand an jedem Muskelbündel nur eine Nervenendigung, trotzdem derselbe Muskel verschiedenen Functionen nämlich als Körper- und acessorischer Athemmuskel dient. Verf. meint, dass hier die von den verschiedenen Nerven versorgten Muskelbündel ebenso durcheinander vertheilt sein müssen, wie das für andere Muskeln durch die elektrische Reizung des einen der zu- gehörigen Nerven, bei der trotzdem der ganze Muskel sich contrahirt, schon wahr- scheinlich gemacht ist. Ruhemann.

Experimentelle Physiologie.

2) Experimente über den Gefühlssinn, von Haycraft. Proceedings of the Phy- siological Society. 1885, May 10. (Journal of Physiol. Vol. VI. Nr. 4 and 5.)

NH. demonstrirt ein Instrument, das aus speichenartig angeordneten Stahlbändern in einer radreifartigen Fassung auf einem Brett besteht. Wenn man zwei Finger über diese Bänder gleichzeitig und mit gleicher Schnelligkeit wegzieht, so lässt sich die Häufigkeit der Reizungen variiren, je nachdem die Finger näher oder entfernter dem Centrum stehen. H. liess auf diesem Instrument Stellungen der Finger ausführen, bei welchen dieselben durch die Reifen verschiedene Reizungen erfuhren, deren Differenz der eines gewöhnlichen musikalischen Intervalls analog war. So fand er, dass eine gewöhnliche Person ein Intervall, das einen halben musikalischen Ton gleichkam, genügend unterscheiden konnte. Moeli.

Pathologische Anatomie.

3) Pankratiasten-Ohren bei einem japanischen Ringer, von RB. Virchow. (Virchow’s Arch. Bd. 100. S. 387.) _

Während V. bis dahin keinen Fall kennt, in welchem er bei einem gesunden Menschen durch äussere Gewalteinwirkung diejenige Ohrverbildung, wie sie aus dem Othämatom hervorgeht, gesehen hatte, bot ihm jüngst ein japanischer Ringer Mija- moto, den er in Berlin untersuchte, solche Ohren in vollendeter Gestalt. Der Be- sitzer derselben erklärte ihr Entstehen dadurch, dass beim Ringen in Japan mit der Seite des Kopfes ein heftiger Stoss gegen die Brust des Gegners geführt wird.

Hieraus ergiebt sich, dass das Othämatom auch einen rein traumatischen Ur- sprung haben kann (wie Gudden wollte), während allerdings wohl in den meisten Fällen Proliferations- und Erweichungsheerde im Ohrknorpel die Prädisposition geben.

Hadlich.

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4) Zur Casuistik anomaler Befunde an Gehirnen von Verbrechern und Selbstmördern, von M. Flesch. (Arch. f. Psych. XVI. S. 689.)

Unvollkommene Bildung der Grosshirnsichel mit unsymmetrischer Entwicke- lang der Hemisphären. Bei der Untersuchung des Gehirns eines Selbstmörders fand

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sich, dass die Falx cerebri sich allmählich von hinten nach vorn verschmälernd etwa in der halben Länge des Gehirns endet, dass sich in dieser vorderen Hälfte eine Arachnoidealplatte über die Spalte zwischen den Hemisphären frei hin wegspannt, und dass etwa 6 cm über dem Stirnende die Mantelkante der linken Grosshirn- hemisphäre etwa 5 mm nach rechts über die Mittellinie hervorgewölbt ist, während rechts eine entsprechende Einsenkung besteht.

Die Anomalie der Falx erklärt sich aus einer Bildungshemmung, während unter den für die Erklärung der Vorwölbung der linken Hemisphäre in Betracht kommen- den Erklärungen eine sichere Entscheidung nicht möglich ist.

Bei der Besprechung der ausführlich mitgetheilten Windungsverhältnisse betont F., dass die Fortsetzung seiner Untersuchung von Verbrechergehirnen „nichts ergeben, was für eine Specialität der Windungsverhältnisse in dem von Benedikt erörterten Sinne verwerthbar wäre, während andererseits das verhältnissmässig häufige Vor- kommen atypischer Anordnungen der verschiedensten Art an den Gehirnen von Ver- brechern und Selbstmördern“ ihm „als sicher gestellt erscheint.“ A. Pick.

Pathologie des Nervensystems.

56) Ataxie, von Pick. (Eulenburg’s Realencyklopädie. 1885. II. Auflage.)

Nach Erörterung der verschiedenen Theorien über die Entstehung der Ataxie (centrale, motorische, sensorische) kommt Verf. zu dem Schluss, dass die sensorische (Störung in den controlirenden, centripetal von der Peripherie zu den Coordinations- centren verlaufenden Bahnen) Natur der Leitungsataxie vollständig erwiesen ist.

Er unterscheidet eine Rindenataxie, cerebellare, bulbäre und spinale Ataxie, denen die bei Neuritis parenchymatosa (Dejerine) und (aus gleicher Ursache) bei Alkoholikern anzureiben ist.

Der sehr lesenswerthe Aufsatz schliesst mit der Schilderung der sog. acuten Ataxien nach Infectionskrankheiten, als deren anatomisches Substrat Verf. (abgesehen von den schnellen zur Heilung kommenden) eine fleckweise Myelitis annimmt.

M.

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6) Diabetes insipidus in Folge von Gehirnsyphilis. Aus der Klinik des Herrn Geheimrath Ziemssen. Von Dr. R. von Hösslin. (Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. XXXVII. S. 500.)

Ein früher gesunder 34jähriger Mann, welcher vor 14 Jahren ein Ulcus (ohne Secundärerscheinungen) gehabt und vor einigen Monaten ein Trauma des Stirnbeins erlitten hatte, erkrankte an Diabetes insipidus, verbunden mit Gehirnsymptomen, wie Kopfschmerz, Uebelkeiten, Ohnmachtsanfälle und dergl. Die tägliche Harnmenge schwankte meist zwischen 4000 und 6000 ccm. Das specifische Gewicht des Urins betrug 1005—1002, zuweilen noch weniger. Im weiteren Verlaufe gesellten sich noch andere nervöse Erscheinungen hinzu, Unsicherheit beim Gehen, dabei zwangs- ınässiges Abweichen nach rechts, Retentio urinae, Arythmie des Pulses u. a. Nach- dem Extract. Valerianae, Bromkali und Arsen ohne Erfolg verabreicht waren, wurde Jodkali und daneben eine Inunctionscur verordnet, unter welcher Behandlung nach 5 Wochen eine völlige und dauernde Heilung des Zustandes eintrat. (Ref. kann aus eigener Erfahrung den Nutzen einer antisyphilitischen Behandlung in Fällen von Diabetes insipidus, welche mit Lues zusammen zu hängen scheinen, bestätigen.)

Strümpell.

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7) Hoereditary or degenerative Ataxia. Six cases in one family. Death of one case, and Autopsy, by H. Everett Smith. (Boston med. and surg. Journal. 1885. Vol. CXIII. p. 361.)

In der Familie W. wurden der Vater und 5 Töchter von dieser Krankheit heimgesucht. Die Familie bestand ursprünglich aus den Eltern und 13 Kindern 8 Mädchen, 5 Knaben. 2 Mädchen starben, eine davon wahrscheinlich an der obigeu Krankheit; 2 Töchter sind gesund geblieben; 5 Töchter sind in gleicher Weise er- krankt. Die Söhne sind von dieser Krankheit verschont geblieben. Keine starke hereditäre Belastung, nur hat in de» Vaters Familie der Alkoholismus eine bedeutende Rolle gespielt, und in der Familie der Mutter sind verschiedene etwas unbestimmte nervöse Erkrankungen vorgekommen. Die 5 Töchter sind sämmtlich iin Alter von 6—9 Jahren unter denselben Symptomen erkrankt, namlich gastrische Störungen, Herzklopfen und atactisches Gehen. Smith beschreibt die 5 Fälle in allen Details. Wir wollen uns an den Fall III halten.

Clara W. wurde im October 1882 zuerst untersucht; war damals 29 Jahre alt; war vollkommen gesund bis zum 9. Jahre, klagte zu der Zeit über Herzklopfen, Dyspnoö und Muskelschwäche in den unteren Extremitäten. Bald darauf entwickelten sich die atactischen Erscheinungen. Treppensteigen wurde unmöglich, da sie die Füsse nicht hoch genug heben konnte. Vor 8 Jahren machte sie eine Erkrankung durch, in der sie an starken Kopfschmerzen und an Schmerzen der Wirbelsäule ent- lang litt; war 14 Tage hindurch im Delirium. Seit der Zeit ist sie immer mehr oder weniger schläfrig. Im October 1882 fand S. starke Dyspnoö, starke Anämie, gürtelähnliche Schmerzen, Schwindel; ferner rechte Scoliose nebst Kyphose; fast complete Lähmung beider Extremitäten; Füsse in Equino-varus-Stellung und Fuss- gelenke unbeweglich.. Muskeln der Oberschenkel und der Waden stark contrahirt. An der oberen Extremität waren die Muskeln weniger stark atrophirt als sonst am Körper. Bedeutende Schwäche der Rumpfmusculatur. Keine Facialparalyse. Deut- lich scandirende Sprache. Verlangsamte und verringerte Hautempfindung. Formi- vationen am Rumpf und an den unteren Extremitäten. Nystagmus. Kein Strabismus. Pupillen normal, reagirten gut. Unter elektrischer und anderweitiger Behandlung besserte sich der Zustand etwas bis August 1883. Es traten dann sehr heftige Schmerzen auf im Bereiche des rechten Ischiadicus; fernerhin alle Symptome einer cervico-dorsalen Myelitis mit Neigung zu Opisthotonus; verstärkte Dyspnoö und Herz- klopfen; Blase und Darm functionirten normal; kein Decubitus; unter allınäh- lichem Schwinden der Kräfte trat nach 3 Wochen der Tod ein.

Nach dem Autopsie-Berichte der Herren Putnam und Quincy (Boston) sind die folgenden pathologischen Befunde am Kückenmarke nachgewiesen:

Intensive Sclerosirung der ganzen Hinterstränge, beider Pyramidenbahnen in dem Dorsalrückenmarke und der Pyramidenseitenstrangbahnen im Lumbalräckenmarke. Zerstörung der Nervenfasern in den Hinterhörnern, in einem geringen Grade auch in den Vorderhörnern. Die Axencylinder waren nirgends hypertrophirt. Atrophische Fasern waren vielfach vorhanden. Deiters’sche Zellen nicht vermehrt.

Der Verf. glaubt, der Process deute auf eine Hemmung in der Entwickelung der Nerven und Nervenzellen. Weitere Details sind in der sorgfältigen Original- arbeit nachzulesen. Sachs (New York).

8) A case of spinal Ataxia without Loss of sensation and with increased Patellar-Tendon Reflex. A Contribution to the Study of spinal ataxy, by Morton Prince. (Boston medical surgical Journal. 1885. Vol. CXII. p. 371.) :

Angeregt durch die Arbeit von Smith theilt P. einen ähnlichen (?) interessanten Fall mit. Es handelt sich um ein 17jähriges Mädchen, dass im Alter von 15 Jahren

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iin Januar 1884 über Schwäche in den Beinen und allgemeines Unbehagen klagte. Seit der Zeit sind etwa folgende Symptome zu beobachten. Patientin kann ohne Stütze weder stehen noch gehen. Die grobe Kraft ist nicht herabgesetzt; die Muskel- störungen sind rein atactischer Natur. Keine Störungen der Sensibilität; keine lan- cinirenden Schmerzen; kein Gürtelgefühl; keine Atrophie und keine Rigidität der Muskeln; Blase und Mastdarm normal. HKrhöhte Patellarreflexe, aber kein Fuss- clonus. Nystagmus wurde beobachtet bei Bewegungen nach rechts oder links. Keine Gehirnsymptome. P. erkennt die Schwierigkeit einer sicheren Diagnose; ist aber geneigt, diesen Fall als Friedreich’sche Krankheit aufzufassen. Das Erhaltensein der Kniephänomene erklärt Verf. sich dadurch, dass er annimmt, dass der Krank-

heitsprocess sich nicht auf das Lumbalmark erstreckt hat. Sachs (New York).

u

9) Un caso di tetania, storia e considerazioni del Dott. Arrigo Maroni. (Gazetta medica Italiana-Lombardia. 1885. Nu. 25.)

Nach einer Besprechung der sehr vollständig mitgetheilten Literatur über die sogenannte „Tetanie“ giebt Verf. die eigenthümliche Krankengeschichte eines jungen Mannes von 21 Jahren, die zweifellos unter jene Diagnose einzureihen ist. Patient, dessen Mutter ebenfalls an ‚convulsivischen Zufällen“, ohne Bewusstseinstrübung, aber mit Sehstörungen vergesellschaftet, leidet, ist früher niemals ernstlich krank gewesen, dagegen wird er seit seinem 2. Lebensjahre in unregelmässigen Zwischen- räumen von gehäuften Serien tetanischer Contracturen der Flexoren, besonders der Unterextremitäten, ergriffen. Eine Zeit lang im Winter traten sie jeden Morgen ein: sobald der Pat. beim Aufstehen aus dem Bett den Fussboden berührte, bildete sich jene Starre aus und hielt oft 2—3 Stunden an. Später wurden die Anfälle wieder viel seltener: nur alle 6—8 Monate kamen einige gewöhnlich recht nasskalte Tage, an denen sie sich regelmässig zeigten und durclı allge- meines Krankheitsgefühl, durch sensible Störungen (Ameisenkriebeln, Schmerzen) und unmittelbar vor dem Ausbruch durch eine Tetanie der Fingermusculatur angemeldet wurden. Ausser den Flexoren der Unterextremitäten wurden jetzt nun gewöhnlich auch die der Oberextremitäten, seltener auch die Muskeln des Halses und des Thorax von ähnlichen übrigens recht schmerzhaften Contracturen befallen. Die Attacken selbst dauerten einige Stunden und waren von Dyspnoö, Angstgefühl, Hyperidrosis, Mydriasis und völliger Pupillenstarre und Aufhebung der Sehnenreflexe begleitet; die Mydriasis, nicht aber die Starre, blieb gewöhnlich noch längere Zeit über den An- fall hinaus bestehen, die Sehnenreflexe kehrten schnell wieder. Nach längerer Be- sprechung der einzelnen Symptome kommt Verf. sodann zu dem Schluss, dass die Localisation des fraglichen Leidens nicht in den motorischen Centren des Grosshirns zu suchen sei, sondern in der grauen Substanz des oberen Rückenmarks (Gegend der Medulla vblongata und des Centrum ciliospinale). Es lagen den periodisch eintre- tenden Störungen peripherische Reize zu Grunde, die sich je nach ihrer Intensität verschieden lange summiren müssten, bis sie den normalen Widerstand des Sym- pathicus resp. des vasomotorischen Nervensystems zu überwinden vermöchten.

Die allgemeine Therapie, deren Erfolg bei der kurzen Beobachtungsdauer und den langen Intervallen allerdings nicht ersichtlich ist, würde in der Verordnung von Bromkalium, Tonicis, kräftiger Nahrung, in protrahirten warmen Bädern und feuchten Einpackungen bestehen. Die Therapie des Anfalls beschränkt sich auf die Dar- reichung von Chloral und Morphium, eventuell per clysma, Schröpfköpfe längs der Wirbelsäule etc. etc. Sommer.

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10) Ueber das Verhalten des Kniephänomens beim Diabetes mellitus, von Prof. S. Rosenstein in Leiden. (Berl. klin. Wochenschr. 1885. Nr. 8.)

Anknüpfend an Althaus, der allein das Fohlen des Kniephänomens bei Dia- betes bisher näher gewürdigt und des Weiteren behandelt habe, theilt R. 9 Diabetes- Fälle mit, bei denen nach seiner Meinung von beginnender Tabes nicht die Rede sei, und wo doch 6mal das Kniephänomen gefehlt habe. Wenn Althaus in dem Vorhandensein des Kniephänomens beim Diabetes für zweifelhafte Fälle das unter- scheidende Zeichen von Tabes sehen wolle, so kann sich R. dem nicht anschliessen, da eben in vielen Fällen von Diabetes das Kniephänomen fehle. Nach seinen bis- herigen Beobachtungen findet R.:

1. In einer Reihe von Fällen von Diabetes fehlt das Kniephänomen dauernd, auch nach vorheriger subcutaner Strychnin-Injection.

2. Das Fehlen des Kniephänomens steht weder in Beziehung zur Höhe des Zuckergehaltes, noch zu dem die Eisenchloridreaction gebenden Körper des Harns, noch zum Aceton, und kann darum nicht als toxische Erscheinung aufgefasst werden.

3. Es ist ebenso unabhängig von den allgemeinen Ernährungsverhältnissen, vom Kräftezustande des Kranken.

4. Die Störung des BRückenmarks ist dabei nur eine functionelle und beruht nicht auf organischer Veränderung (nach vorläufiger Untersuchung eines einzigen Falles).

Eine besondere prognostische Bedeutung kann R. nach seinen 9 Fällen in dem Fehlen des Kniephänomens beim Diabetes auch nicht sehen und steht hiermit im Gegensatz zu Bouchard, der von 47 Fällen von Diabetes mit erhaltenem Knie- phänomen nur 2, von 19 Fällen mit Fehlen desselben dagegen 6 sterben sah. Auch desselben Autors Angabe, dass für das Coma diabeticum das Fehlen des Knie- pbänomens charakteristisch sei, kann R. nicht bestätigen, weil er es auch beim urämischen Anfalle fehlen sah. Hadlich.

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11) Du re6flexe tendineux dans le cholöra, par Josias. (Progr. möd. 1884. No. 53.)

Arbeiten von Strümpell und Ballet hatten festgestellt, dass beim Typhus abdominalis die Sehnenreflexe gesteigert wären. J. untersuchte die von ihm behan- delten Cholerakranken auf ihre spinale Reflexerregbarkeit. Er kommt auf Grund von 30 Fällen von Cholera, die ihm zur Verfügung standen, und von denen er 7 Fälle ihrem Krankheitsverlaufe nach kurz skizzirt, zu folgenden Resultaten: Bei Cholerakranken sind die Sehnenreflexe mehr oder weniger deutlich gesteigert im Be- ginne und im Stadium der Akme der Krankheit; etwas weniger Steigerung und ein normales Verhalten zeigen dieselben in der Periode der Reconvalescenz und sobald völlige Heilung eingetreten. In den schweren rapid verlaufenden Fällen von Cholera scheint die Steigerung der Sehnenreflexe ein constantes Symptom zu sein. In den schweren Fällen, die einen mehr schleppenden Verlauf zeigen, scheint die Steigerung der Reflexe nur ein häufiges Symptom zu sein; in leichten Fällen sind die Sehnen- reflexe normal. Bei dem jetzigen Stand der bezüglichen pathologisch-anatomischen Kenntnisse erscheint es dem Verf. unmöglich, eine pathogenetische Erklärung für die Uebererregbarkeit des Rückenmarkes bei Cholerakranken zu geben.

Laquer. 12) Ueber Lähmungen des N. medianus. kin Beitrag zur Pathologie peri- pherischer Lähmungen, von Prof. Dr. M. Bernhardt, Berlin. (Centralbl. f. Nervenheilk. 1885. Nr. 16.)

An 5 ausführlich mitgetheilte Fälle von traumatischer Medianuslähmung knüpft Verf. eine Reihe von Betrachtungen an. Er rügt die Nichtbeachtung der schon

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früher und auch jetzt wieder von ihm gefundenen Thatsache, dass der N. medianus auch die Dorsalflächen der Nagel- und Mittelphalangen des 2. und 3. Fingers und dieselben Phalangen auch an der Radialseite des 4. Fingers versorgt.

Verf. betont ferner, dass 4 von seinen 5 Fällen sich durch das tiefere Ergriffen- sein der sensiblen Fasern vor den motorischen auszeichnen, entgegen der altbekannten klinischen Wahrheit von der grösseren Widerstandsfähigkeit oder der schnelleren Restitutionsfähigkeit der sensiblen Fasern bei Lähmungen peripherischer Nerven; entgegen auch den Ergebnissen der Lüüderitz’schen Experimente und den gerade bei Medianus-Verletzungen gemachten Beobachtungen französischer Autoren.

Noch interessanter ist die 'Thatsache, dass hier bei tiefer Schädigung gewisser Muskelgebiete, kenntlich an der elektrischen Unerregbarkeit resp. Entartungsreaction, dieselben doch in ihren motorischen Functionen so gut wie intact waren, und zwar schon in den ersten 4—-6 Wochen nach der Verletzung. Rückkehr der activen Thätigkeit gelähmt gewesener Muskeln, welche noch Entartungsreaction zeigen, komme ja nicht selten vor, aber immer erst in späteren Stadien; oder aber es war elek- trische Erregbarkeit nie ganz verloren gegangen. Allerdings sind seit 1875 Be- obachtungen von Entartungsreaction auch in niemals gelähmt gewesenen Muskeln gemacht worden (Fälle von Bleilähmung‘ und sogenannter acuter oder subacuter atrophischer Spinallähmungen Erwachsener); aber da sei überall eine centrale Ur- sache des Leidens nicht ausgeschlossen, wäbrend hier Verletzungen peripherischer Nerven mit ungestörter activer Beweglichkeit vorliegen: ein Novum. Analog einem. Falle von Tillaux hat es sich wahrscheinlich bier um unvollständige Durchtrennungen des N. medianus gehandelt, von dem einige erhalten gebliebene Fasern die Innervation unterhielten. Jedenfalls, sagt Verf, kann man jetzt nicht mehr, wie er es früher gethan, Verlust oder enorme Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit ohne Willens- lähmung, und zwar im Beginn oder auf der Höhe des Leidens, als Argument für ein centrales Leiden anführen. Hadlich.

13) Zum Kapitel über Arbeitsparesen, von Dr. Cöster in Neumarkt in Schlesien. (Berl. klin. Wochenschr. 1884. Nr. 51.)

Verf. theilt 4 Fälle einer eigenthümlichen Erkrankung bei Cigarrenarbeiterinnen mit, welchen die Herstellung sogenannter „Wickel“, also das Zusammendrücken des Inneren einer Cigarre, obliegt; solcher „Wickel“ fertigt eine fleissige Arbeiterin 800—900 täglich an. Die Erkrankung bestand in den leichteren Fällen in einer gewissen Steifigkeit der Schulter, der Ober- und Unterarmmuskeln und in nächtlichen Schmerzen ebendaselbst, welche bei der Arbeit verschwinden. Bei höheren Graden des Leidens tritt Schwäche in Hand und Unterarm, brennende Schmerzen und Ein- geschlafensein auf, die Interossei, Daumen- und Kleinfingerballen atrophiren, die Mus- culatur ist an verschiedenen Stellen schmerzhaft auf Druck. Die Muskeln werden im Ganzen schlaff und auch an Ober- und Unterarm geringer an Umfang, sowie weniger erregbar durch den inducirten Strom. Störungen der Hautsensibilität fehlten. Hadlich.

Psychiatrie.

ı4) Case of moral insanity or oongenital moral defect, with commen- tary by D. Hack Tuke. (Journ. of ment. science. 1885. Oct.)

Tuke theilt einen Fall von „moral insanity“ mit, der sich von frühester Jugend an durch die schrecklichsten Neigungen und Rohheit des Gemüthes auszeichnete, besonders aber bemerkenswerth erscheint durch die Wirkung, welche der Anblick von Blut auf ihn hatte. Tuke nennt eg eine Fascination und knüpft daran andere

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Fälle, welche es ihm fast gerechtfertigt erscheinen lassen, von einer Mania sanguinis zu sprechen. Dr. Kerlin hat in Bezug auf die moralisch imbeciellen Menschen die Ansicht ausgesprochen, man solle sie ausschliessen von jedem Schulunterricht, um ihnen 80 ein sehr wichtiges Mittel, durch welches sie doch der Menschheit nur schaden, vorzuenthalten, sie sollen nur zu physischer Arbeit erzogen werden. Die praktische Frage nach der Strafbarkeit solcher moralisch imbecillen Menschen, der obige war mit Gefängniss bestraft, entscheidet Tuke dahin, dass solche für ihre Handlungen straffrei sein müssen, er will moralisch auf sie einwirken, im äussersten Falle sie in einer Anstalt behandeln. Kerlin’s Ansicht verwirft er, weil wir nicht das Recht haben, Menschen der Vortheile der Erziehung zu berauben. Zander. 15) Two cases of thrombosis of cerebral sinuses, hy J. Wiglesworth. (Journ. of ment. science. 1885. Oct.)

Der erste Fall von Sinusthrombose betrifft eine m ganz kurzer Zeit tödtlich verlaufende Erkrankung. Eine Frau wurde nach einein geringfügigen Anlass heftig erregt, so dass sie schnell in eine Anstalt gebracht werden musste. Dort zeigte Patientin continuirliche Agitation bis zur Jactation, tiefe Bewusstseinsstörung, welche dann nach wenigen Tagen in Apathie und völligen katatonischen Stupor überging. Am 12. Tage erfolgte der Tod. Die Section ergab eigentlich nur Thrombose der Sinus longit. und lateral.

Der 2. Fall betrifft eine Frau, die schon Jahre lang völlig verblödet in der Anstalt gelebt hatte, deren Krankengeschichte kein weiteres Interesse bietet. Locale Ursachen für die Thrombosirungen lagen in beiden Fällen nicht vor.

Zander.

16) A contribution to the study of the circulatory system in the insane, by T. D. Grenelles. (Journ. of ment. science. 1885. Oct.)

Verf., dem für seine ausführliche Arbeit von der Medico-psychological Association ein Preis zuerkannt ist, untersucht auf Grundlage einer bjährigen Statistik einer Anstalt und nach 218 Autopsien den Zusammenhang zwischen Krankheiten der Cir- culationsurgane und Geistesstörungen. Auf der Tafel, in welcher die Todesursachen der 218 Fälle zusammengestellt sind, nehmen Herzkrankheiten die dritte Stelle mit 14,67 °/, ein, sie kommen noch, wenn auch nur um einige Procentbruchtheile, häu- figer als Phtisis vor. Die Untersuchung über den Zustand des Herzens und der Gefässe bei Geisteskranken, und die Beziehung zwischen der pathologischen Ver- änderung im Circulationssystem und der Geisteskrankheit, theilt Verf. in 2 Theile, den statistischen und den pathologischen. Bei der Untersuchung des Herzens am lebenden Geisteskranken fanden sich 13°/, als mit diagnosticirbarem Herzfehler be- haftet, und fast 44°/, hatten functionelle Störungen des Herzens oder des Pulses ohne eigentliches vitium cordis, und zwar zeigen zumeist die frischen und acuten Psychosen functionelle Störungen, während die alten und chronischen Psychosen in jedem vierten Fall organische Herzfehler aufweisen. Abschwächung der Circulation kam auch ohne Organerkrankung der Zahl nach am häufigsten bei der Demenz vor, regelmässig soll die Pulszahl Abends niedriger als Morgens sein, durchschnittlich un 5 Schläge. Während einer 5jährigen Periode starben an Herzkrankheiten 13,51 °/,, in 68,7°/, aber fanden sich ausser der anderweitigen Todesursache auch noch Er- krankungen des Herzens oder der Circulationsorgane.

Intra vitam fand sich Vitium cordis öfters bei Frauen, als Todesursache aber ist es häufiger bei Männern.

Dem Alter nach prävalirt das höhere zwischen 60-70 Jahren. Bei einer Bevölkerung von 39791 Patienten mit einer Sterblichkeitsziffer von 3498 in ver-

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schiedenen englischen Anstalten, kommen 7,05 °/, der Todesfälle auf Herzkrankheiten. Eine geographische Zusammenstellung ergiebt, dass in den Gegenden, in welchen die Zahl der Herzkranken grösser ist, auch die Zahl der Geisteskranken über den Durch- schnitt hinausgeht.

Der pathologische Abschnitt bietet nichts wesentlich Neues. Wegen der Ta- bellen und Abbildungen muss auf das Original verwiesen werden, es behandelt alle am Herzen und den Gefässen, namentlich auch des Gehirns gefundenen Abnormitäten; ihm sind 2 Tafeln mit mikroskopischen Zeichnungen beigegeben. Zander.

17) Note sur lea transformation de la folie en folie vöritable, par Parant. (Annales medico-psychologiques. 1885. Juillet.)

Im Verlaufe einer gerichtlichen Verhandlung gegen einen rückfälligen Ver- brecher, welcher Irrsinn simulirte, wurde, nachdem schon durch Sachverständigen- Spruch die Abwesenheit von Geistesstörung constatirt war, bei der Wiederaufnahme der Verhandlung (das 1. Urtheil war in Folge Formfehlers cassirt worden) seitens der Vertheidigung der Einwurf gemacht: es könne inzwischen die Sachlage völlig geändert sein und, wie schon so oft, aus der Simulation des Irrsinns factische Geistesstörung entstanden sein. P. stellt nun Alles auf diese Frage Bezügliche aus der Literatur zusammen. Danach sind nur ganz vereinzelte Thatsachen für die Möglichkeit der Entstehung von wirklicher Geistesstörung aus Simulation bekannt, z. B. der von Laurent mitgetheilte Fall, dass 2 in englische Kriegsgefangenschaft gefallene französische Matrosen, welche 6 Monate lang Irrsinn simulirten, schliesslich wirklich von demselben befallen wurden.

Dagegen liegen entgegengesetzte Beobachtungen vor, nach welchen lange be- kannt ist ein Fall von 14 Monate hindurch geübter Simulation fortgesetzte Ver- stellung nicht zum Irrsinn führte. j

P. schliesst daher, dass factische Beweise für jenen von juristischer Seite be- haupteten Zusammenhang keineswegs vorlägen und die Frage: ob Irrsinn aus Simu- lation von Geistesstörung entstehen könne, eine rein theoretische sei. Jehn.

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Therapie.

18) Hydrobromate of Hyoscine. Its use in cases of Insanity, by Fre- derick Peterson and Charles H. Langdon. (New York medical record. 1885. Sept. 19.)

Die Verff. sprachen sich im Ganzen ungünstig über dieses Mittel aus, welches sie bei Geisteskranken in Anwendung brachten. Es werden 36 Fälle in nur zu de- taillirter Weise mitgetheilt. Das Mittel wurde entweder innerlich oder hypodermatisch verabreicht. Die Dosis schwankte gewöhnlich zwischen !/,—!/,, gr 2—3mal täglich und etwa eben so oft Nachts, wenn es als Schlafmittel dienen sollte. Als Hypnoti- cum, meinen die Verff,, wirke das Mittel nicht prompt genug; der Schlaf, der da- durch erzeugt wurde, dauerte auch nur wenige Stunden. Soll es als Narcoticum wirken, so ist die hypodermatische Anwendung vorzuziehen.

Bei lang fortgesetzter Anwendung traten störende allgemeine Symptome auf (Erweiterung der Pupillen, Kälte der Extremitäten, Schwindel, Anorexie etc.). Die Anwendung des Mittels bei Melancholikern verschlimmerte den Zustand. Bei chro- nischer Verrücktheit, Dementia und Dementia paralytica hat das Mittel auch wenig geleistet. Sachs (New York).

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19) Het genesen van doorgesneden zenuwen, door Dr. G. Waller. (Weekbl. van het Nederl. Tijdschr. voor Geneehk. 1885. Nr. 35.)

Ein 26 Jahre alter Mann hatte nach einem Stoss an den Kopf eine Beule am rechten Tuber frontale bekommen, seitdem hatte er häufig an heftigem Kopfschmerz gelitten, der von der rechten Vorderseite des Kopfs ausging, und sich über den ganzen Kopf ausbreitete.e Da gegen den sehr heftigen Schmerz kein Mittel half, wurde die subcutane Durchschneidung des Nervus supraorbitalis (der durch das Infiltrat verlief) dicht oberhalb der Incisura supraorbitalis ausgeführt. Danach hörte der Kopfschmerz auf und die Schwellung nahm ab; es bestand totale Anästhesie an einer handtellergrossen Hautstelle, die sich nach hinten gegen den Scheitel hin ausdehntee Nach !/, J. war die Anästhesie noch eben so stark, hatte aber nach der Seite zu etwas abgenommen. Diese Beobachtung spricht gegen die Annahme, dass durchgeschnittene Nerven beim Menschen rasch wieder zusammenheilen, wenn die Schnittenden nur genau gegen einander gelegt werden. Walter Berger.

20) Neuralgie trigemini rami III, af 4. A.Berg. (Hygiea. 1885. XLVII. 2. S. 96.)

Bei einem 24jährigen Manne wurde wegen der Neuralgie die Neurectomie und Dehnung gemacht; am 7. October 1882 wurde Patient geheilt entlassen, im Februar 1883 aber wieder aufgenommen, da die Neuralgie schon wenige Wochen nach der Operation wieder aufgetreten war. Die Anfälle, die von Krampf in den Kaumuskeln -und-reichlicher Salivation begleitet wurden, waren äusserst heftig und trotzten allen Mitteln. Nachdem der Canalis alveolaris inferior mittelst des Meissels zugängig ge- macht worden war, wurde die Neurectomie und Dehnung des N. alveolaris inferior ausgeführt. Am Tage nach der Operation traten noch einige schwache Anfälle auf, aber seitdem blieb die Neuralgie aus. Walter Berger.

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III. Aus den Gesellschaften.

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung vom 9. November 1885.

1. Herr Uhthoff demonstrirt einen Fall von einseitiger Aufhebung der Thränensecretion. Die Patientin erkrankte Mitte August d. J. an heftigem Ge- sichtsreissen, besonders im Gebiete des 2. Astes des rechten Trigeminus. Sie liess sich, da sie einen schlechten Zahn für den Grund der Schmerzen hielt, diesen aus- ziehen, bekam aber danach noch viel heftigere Schmerzen rechterseits, die nach Auge, Wangen und Schläfen ausstrahlten. Als sie wegen dieser heftigen Schmerzen weinte, bemerkte ihre Schwester, dass die Thränen nur aus dem linken Auge liefen, das rechte Auge trucken blieb. Die Schmerzen im linken Auge verloren sich nach einigen Tagen, doch blieben abnorme Sensationen bestehen: das rechte Auge erschien der Pat. kalt, zu gross, das Augenlied zu schwer. Herr U. fand bei der Unter- suchung Parästhessien im Gebiete des 2. Astes N. trigem. dextri, Druck auf den N. infraorbitalis schmerzhaft. Reize, welche das linke Auge reichlich mit Thränen füllen, lassen das rechte Auge trocken. Jetzt sind ausser der Unterdrückung der Thränenabsonderung (welche mittelst Bestreichung mit Zwiebelsaft demonstrirt wird) alle übrigen Symptome geschwunden. Es ist anzunehmen, dass es sich um eine aufsteigende Neuritis des 2. Astes des Trigeminus dextri gehandelt hat, welche viel- leicht mit der Zahnextraction in Verbindung zu bringen ist. Man hat ja auch bei Lähmung des N. lscrimalis (nach experimenteller Durchschneidung) Aufhören der Thränenabsonderung beobachtet; aber diese Beobachtungen werden doch andererseits bestritten. Zu bemerken ist noch, dass auch bei psychischen Anlässen Patientin

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nur mit dem linken Auge weint; das rechte Auge ist übrigens glänzend und feucht, nur obne Thränen. Alteration der Schweisssecretion hat U. nicht beobachtet.

Hierzu bemerkt Herr Oppenheim, dass er einen ähnlichen Fall beobachtet habe, in welchem bei Lähmung des N. oculomotorius und N. trigeminus der rechten Seite in Folge von Syphilis die betreffende Kranke bei psychischen Veranlassungen auch nur mit dem linken Auge weinte.

Herr Remak: Einseitiges Weinen bei Trigeminus-Neuralgie während der An- fälle ist ja häufig zu sehen, aber auf der afficirten Seite, wo es sich also um eine Reizung des N. lacrimalis handelt.

2. Herr Krause: „Ueber Functionsstörungen des Kehlkopfes bei Er- krankungen des Centralnervensystems.“

Unter Benutzung des Materials der Prof. Westphal’schen Klinik hat Hr. K. etwa 200 Patienten mit Erkrankungen des Centralnervensystems untersuchen können. Die Einzelheiten der mitgetheilten Beobachtungen können hier nicht ausführlich berichtet werden. Es sei nur bemerkt, dass K. bei Chorea Zittern der Stimmbänder bei oft sehr schwacher Spannung derselben fand, aber keine eigentlich choreatische Bewegungen. Bei Bleilähmung Zittern der Stimmbänder und Paresen. Bei Lues und Tumor cerebri mannigfache Störungen. Bei hysterischer Hemi- anästhesie war auch die betreffende Seite des Larynx anästhetisch. Bei Rail- way spine fand K. auffallend träge Reaction der Glottis auf Berührung. Das Hauptinteresse boten die Paralysis progress., die multiple Sclerose, die Bulbärpara- lyse und Tabes.

Die oft sehr mühsame Untersuchung der Paralytiker ergab, dass die oft näselnde Sprache derselben auf Parese des Velum palatinum beruht; die Reflexerreg- barkeit desselben ist herabgesetzt. Eine abnorm tiefe Sprache tritt auf die Parese der Adductoren der Glottis. Manchmal Totallähmung eines Stimmbandes.

Bei multipler Sclerose finden sich selten Lähmungen. Die rauhe, tiefe Sprache wird hier bewirkt durch auffällige Schlaffheit der Stimmbänder. Dagegen bietet die progressive Bulbärparalyse relativ die meisten Larynx-Affectionen, und zwar so hervorstechende, dass sie bisweilen das ganze Krankheitsbild beherrschen. Ausser anderen Lähmungen kommt hier bisweilen auch die sog. Posticus-Lähmung zu Stande K. nimmt an, dass hier, ebenso wie bei peripherischer Erkrankung, die Inactivität der M. postici bedingt ist durch eine spastische Contractur der Adduc- toren, und beschreibt eingehend einen derartigen Fall, wo es zur 'Trachectomie kam, der Tod eintrat und die Section eine wahrscheinlich von einem apoplectischen Er- gusse herrührende Auflagerung auf den Vagus- und Accessoriuskern ergab.

Auch bei Tabes sind Motilitätsstörungen im Larynx häufig und mannigfaltig. K. beobachtete unter 38 Fällen 13mal erhebliche Störungen, die übrigens oft wech- seln, verschwinden und von Neuem auftraten. Man kann hier ausgesprochen atactische Bewegungen sehen: plötzliches Stehenbleiben unter Abbrechen der Stimme mitten im Worte, und ruckweises Uebergehen in die Inspirationsstellung; nicht selten schlagen auch die Stimmbänder ruckweise zusammen.

Die sog. Larynx-Krisen beginnen mit einem Kitzel und gehen durch Würgen, Krampfhusten und krähende Töne in Folge behinderter Inspiration zu starkem Spas- mus glottidis über, der dann langsam wieder abklingt. Der Anfall wird ausgelöst durch Druck auf bestimmte Stellen, so auf den N. laryngeus sup., wo er in den Larynx tritt, Druck auf die Trachea dicht unter dem Larynx, Druck auf den Innen- rand des Musc. sternocleidomastoideus zwischen ihm und dem Kehlkopfe u. s. w. Berührung des Larynx mit der Sonde ruft eine solche Krise sofort hervor. Dass hier Reizerscheinungen im Gebiete des N. laryng. sup. vorliegen, dafür spricht auch der in der Gerhardt’schen Klinik beobachtete gute Erfolg der Cocain-Bepinselungen. Es dürften also bei diesen Anfällen Reflexcontracturen der Adductoren vorliegen, während man auch hier sog. Posticuslähmungen angenommen hat.

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Hr. Thomsen macht nähere Angaben über einen von Hm. Krause erwähnten Fall von allgemeiner Paralyse, wo schon in sehr frühen Stadien und als noch kaum Dementia bestand, Lähmungen im Larynx auftraten.

Hr. Remak bezweifelt, dass alle Fälle von Posticuslähmung auf Spasmen der Adductoren zurückgeführt werden können, namentlich nicht die centralen Fälle mit einseitiger Localisation, wo diese einseitigen Symptome im Zusammenhang mit dem ganzen Krankheitsbilde als Ausfallserscheinungen aufgefasst werden müssen. Wenn Contractur der Adductoren vorhanden ist, so kann diese secundär nach Lähmung der Postici eingetreten sein (Frühcontractur bei spinaler Kinderlähmung).

Hr.K. will seine Erklärung nicht auf sämmtliche, wenn auch die meisten, cen- tralen Fälle von Posticuslähmung angewendet wissen. Aber Ausfallserscheinungen an einer Stelle können neben Reizerscheinungen in anderen Nervengebieten einher- gehen; dafür liegen positive Beobachtungen vor. Auch ist beobachtet, dass die starren Spannungen der Stimm- bänder oft ganz plötzlich auftreten: da kann doch keine secundäre Contractur vorliegen. Jedenfalls ist die ausschliessliche Er- klärung der betreffenden Fälle durch Posticuslähnung nicht aufrecht zu erhalten.

3. Hr. Oppenheim: Beiträge zur Kenntniss der multiplen degeners- tiven Neuritis (mit Demonstration der Präparate). Der Vortragende berichtet bei der vorgeräckten Zeit nur ganz kurz über einen Fall mit tödtlichem Ausgang. Es handelt sich um einen etwa 40jährigen Mann, der im November 1884 somnolent zur Klinik kam. Anamnestisch war nur: zu ermitteln, dass er seit etwa 2 Monaten erkrankt sei mit Schmerzen in den Beinen, Taubheitsgefühl in den Sohlen und rasch zunehmen- der Schwäche. Die Untersuchung und weitere Beobachtung ergab Lungenphihise, welche rasche Fortschritte machte. Basch zunehmende Schwäche in den Beinen mit rapid sich steigernder Atrophie; besonders stark gelähmt sind die Strecker der Fuss- gelenke. Später bei starken faradischen Strömen nur schwache Zuckungen. Im Gebiete des N. tibialis ant. Entartungsreaction. Die Sensibilität war nicht gestört, nur das Muskelgefühl. Die Sehnenphänomene an den unteren Extremitäten waren aufgehoben. Blase und Mastdarm functionirten gut, Obere Extremitäten normal An den Beinen Druck auf die Muskeln, später auch auf die Nervenstämme schmerz- haft. Tod im Februar 1885.

Die Autopsie ergab (ausser der Lungenphthise) hochgradige Atrophie der Mus- culatur der Beine und auch der Mm. latissimi dorsi, auf welche intra vitam nicht geachtet war. Gehirn ohne Herdaffection, Rückenmark makroskopisch nicht abnorm. Die degenerative Atrophie der Nerven war eine verbreitete und fand sich am stärksten ausgesprochen in einem in den Musculus tibialis anticus eintretenden Muskelast. Die mikroskopische Untersuchung des Rückenmarkes ergab einen auffallenden Be- fund, nämlich im oberen Lendentheil eine ganz circumscripte Entartung des rechten Vorderhorns; dasselbe war stark geschrumpft und zeigte Kernwucherung bei Unter- gang der Ganglienzellen. Ausserdem aber waren auch die vorderen Wurzeln an dieser Stelle partiell degenerirt, sowie die hinteren Wurzeln, neben einer geringen Entartung des Hinterstranges in derselben Höhe.

Die starken Veränderungen der Peripherie sind wohl nicht auf diesen kleinen centralen Herd zu beziehen; vielmehr muss man annehmen, dass die Krankheits-Noxe an zwei Stellen gleichzeitig angegriffen hat, im Centrum sowohl, wie an der Peripherie. (Eine ausführliche Publication wird folgen.) Hadlich.

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Von der Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte in Strassburg vom 18.—23. September 1885. (Nach dem Tageblatt.) (Schluss.) Aus der Section für Laryngologie. Hopmann (Köln): Ueber Reflexneurosen und Nasentumoren.

Von 136 Patienten mit gutartigen Nasenpolypen hatten 20 ausgesprochenes Asthma, von denen fast die Hälfte zu den typischen Fällen von nasalem Asthma, welches sich nach Beseitigung der Polypen und passender Nachbehandlung erheblich besserte oder ganz verlor, gehörte.

In 35 Fällen (die obigen mitgerechnet) kamen Migräne, Supraorbitalneuralgie, Cophalalgie, Schwindel, plötzliche Obnmachten, Anfälle von Herzklopfen, Ciliarneurosen u. 8. w. vor.

Aus der Section für Anatomie.

Flesch (Bern): Ueber die Hypophyse einiger Säugethiere.

F. unterscheidet statt Vorder- und Hinterlappen: Epithelial- und Hirntheil. Der . erstere zerfällt in 2 Schichten: eine dünnere, welche als Epithelialsaum dem Hirn- theil anliegt, während eine dickere äussere die Hauptmasse des Organs, den Körper, darstellt. Der Körper besteht aus Zellketten, deren Aufbau aus zwei, nach Grösse, Verhalten gegen Farben, Beschaffenheit des Kerns verschiedener Zellformen bereits von Hans Virchow besprochen worden ist.

F. glaubt, dass die Hypophyse nicht ein rudimentäres, im Uebergang befindliches Gebilde sei, sondern eine bestimmte physiologische Function habe.

Flesch: Structur der Nervenzellen in peripherischen Ganglienzellen.

In den Spinalganglien, auch im Ganglion Gasseri verschiedener Thiere lassen sich zwei verschiedene Formen von Ganglienzellen unterscheiden.

In den grösseren hellen Zellen ist der Kern rund, reticulirt, in den dunkeln Zellen ist er oval, zackig; an Tinctionspräparaten färbt sich der letztere diffus, der erstere wird nur in seinem Chromatingerüst deutlich tingirt. Im Ganglion Gasseri überwiegen die dunkeln Zellen erheblich, während in den Spinalganglien beide Zell- formen annähernd gleiche Verbreitung haben.

Schwalbe hat im Ganglion spirale der Schnecken ebenfalls solche differente Formen gefunden.

Aus der Section für Ophthalmologie.

Pflüger: Ueber periodische Nuclearlähmung.

Zu den 7 bekannten Fällen, die er citirt, und dem Mauthner'schen Fall, der wahrscheinlich dazu gehört, fügt P. einen neuen.

22jähriges Mädchen; erster Anfall im 18. Lebensjahre nach heftigen Schmerzen in der Umgebung des linken Auges Paralyse des linken Oculomotorius, die nach 2 Monaten zurückgeht und Paralyse des linken Facialis von einmonatlicher Dauer hinterlässt. 2 Jahre später zweiter Anfall in derselben ‚Weise auf der rechten Seite, 8 Tage dauernd; später wieder nach 2 Jahren (April 1885) dritter Anfall: zunächst Neuralgie über dem rechten Auge, dann Lähmung des Oculomotorius dext. Mitte Juli lancinirende Schmerzen vom linken Proc. mastoid. nach dem Nacken, dann Paralyse des linken Abducens und linken Facialis. Heilung Ende Juli.

Pflüger: Schussverletzung beider Occipitallappen.

In Folge eines Flintenschusses totale Blindheit, Pupillen gleich gross, ziemlich weit, reagiren langsam, Stauungspapille.e Am folgenden Tage konnte Pat. Licht von Dunkelbeit unterscheiden, nach 5-6 Tagen zählte er Finger in 3 Schritt Eintfer- nung. Section ergiebt Verletzung und Blutergüsse in rechten und linken Oceipital-

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lappen und hält P. den Fall für den Typus einer doppelseitigen Hemianopsie durch Schussverletzung beider Hinterhauptslappen, welche auf einer Seite m auf der andern Seite unvollständig war.

Medical society of London. Sitzung vom 2. November 1885. (Brit. med. Journ. 1885. 7. Nov.)

Die klinische Bedeutung der Sehnenrefiexe.

Gowers leitet die Discussion mit der Frage über das Zustandekommen des normalen Kniephänomens ein. Er glaubt, dass dasselbe weder durch reinen Reflex, noch durch directe Muskelreizung allein zu Stande komme, sondern erklärt es folgen- dermaassen: die mässige Spannung des Quadriceps, wie sie zum Zwecke der Unter- suchung vorgenommen wird, reizt die „afferirenden“ Nervenfasern, die im interstitiellen Gewebe endigen, dadurch wird reflectorisch ein gesteigerter Tonus hervorgerufen, und in diesem Zustand verursacht eine locale mechanische Reizung, ein Schlag, eine kurze Contraction.

Der Patellarreflex fehlt bei Gesunden fast nie (gegentheilige Beobachtungen beruhen meist auf Untersuchungsfehlern), er kommt jedoch vor bei Tabes, doch soll man sich hier nicht durch Contractionen, die durch starke Hautreflexe entstehen, täuschen lassen. Bei Diphtherie fellt er häufig; bei Paralysis pseudohypertrophica ist er herabgesetzt oder fehlt, weil in dem interstitiellen Muskelgewebe die Nerven- endigungen in die Erkrankung gezogen sind.

Bei hysterischer Paraplegie kommt häufig ein „falscher Fussclonus“ vor, der von einer willkürlichen Contraction der Wadenmuskeln herrühre, die den Fuss herunter- drückt, und in ihrer Intensität wechselnd, wechselnden Clonus hervorbringt. Wahren Fussclonus betrachtet G. als Ausdruck organischer Erkrankung.

Hughlings Jackson hat ebenfalls Tabiker mit erhaltenem Patellarreflex ge- sehen. In Bezug auf die Entstehung des Clonus theilt J. nicht Gowers’s Ansicht, dass dabei eine gesteigerte Reizung der Vorderhörner (z. B. bei der Lateralsclerose) stattfände, sondern meint, es handle sich hier um eine Zerstörung der localen Hemmungs- centren, so dass die „Muskelcentren“ in hyperphysiologische Thätigkeit treten.

Er geht näher ein auf die Fälle von temporärem Verlust des Patellarreflexes oder von gesteigertem mit Fussclonus nach epileptischen Anfällen; im ersteren Fall nimmt er eine Erschöpfung des Hemmungscentrums und des Muskelcentrums an; in letzterem nur eine solche des ersteren: die Controle geht verloren.

Buzzard schliesst sich in Bezug auf das regelmässige Vorhandensein des Patellarreflexes bei Gesunden Gowers an, und hebt die Untersuchungsmethode von Jendrassik (cf. d. Ctrlbl. 1885. S. 412) und dessen Befunde ganz besonders her- vor. Verlust des Kniephänomens bei Hysterie hat er nicht gesehen. Seine Beo- bachtungen bei diphtherischen Lähmungen bestätigen die von Bernhardt, Mendelu.A. (cf. d. Ctrlbl. 1885. S. 131 u. 298); bei Tabes, wie bei diphtherischer Paralyse braucht der Verlust des Kniephänomens nicht mit Ataxie verbunden zu sein. Bei 3 Fällen von Diabetes fand B. keinen Patellarreflex. Fehlen des Patellarreflexes zusammen mit Fussclonus sah B. nicht selten bei multipler Sclerosis. Im Gegensatz zu Gowers findet B. unzweifelhaften Fussclonus bei Hysterischen. (Auch Ref. hat einen solchen Fall bei einem hysterischen Manne beobachtet und oft demonstrirt.)

Althaus spricht über reflectorische Pupillenstarre, dann über die Steigerung der Sehnenreflexe bei Tetanie, dann über die in seinem Buche über Sclerose des Rückenmarks erwähnten 3 Formen von gesteigerten Reflexen, dem cerebralen, spinalen und dem muscularen, bei denen er auch graphische Unterschiede gefunden hat, end- lich über die excessiv gesteigerten Sehnenreflexe bei syphilitischer Hemiplegie und

Monoplegie, denen er im Gegensatze zu Fournier eine pathognostische Bedeutung beilegen will.

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Money fand bei Typhus gesteigerte Reflexaction, Patellarreflexe und Muskel- erregbarkeit, zuweilen auch Fussclonus; gewöhnlich zeigten sich diese Symptome in der zweiten Woche. Dieselben Symptome fand er auch bei Phthisis. Den Patellar- reflex erhält man am leichtesten, wenn man den Fuss in die linke Hand, wie in einen „Steigbügel“ legt und das Bein in entsprechender Beugung im Knie hält.

M. American Neurological Association. Transactions of Eleventh Annual Meeting. June 17. 1885. (Journal of nervous and mental disease. 1885. July.)

Aus den Verhandlungen des obigen Vereines wollen wir Einiges hervorheben. Die Sitzungen erstreckten sich wie immer über 3 Tage.

Die erste Sitzung wurde von dem abgehenden Präsidenten, Ott, durch einen kurzen Bericht über seine Arbeiten, die thermischen Centren betreffend, eröffnet. Diese Centren, die er als wirkliche Hitzecentren hinstellt, verlegt Vortragender in den vorderen inneren Theil der Sehhügel.

Dr. A. D. Rockwell: „A case of chronic Myelitis; Becovery.“

Ein 16jähr. Mädchen sass längere Zeit auf nassen Steinen. Am selben Abende konnte sie nur mit grosser Anstrengung gehen. Nach einer Woche vollkommene Lähmung beider unteren Extremitäten, sowie Lähmungen der Sphincteren. Am Ende der 6. Woche stellte sich ein leichter Decubitus ein. Elektromusculäre Erregbarkeit soll vollkommen aufgehoben sein. Contractur beider Beine. Tactile Sensibilität er- halten. Nach 3 Monaten begann R. mit der galvanischen Behandlung des Rücken- markes und der Extremitätenmnskeln, deren Anwendung 2 Monate hindurch er den schliesslichen Heilerfolg zuschreibt.

Discussion: Seguin hält dies für einen Fall von Poliomyelitis anterior, zu der die Symptome der Sphincteren-Parese und der abgestumpften Sensibilität hinzugetreten seien. Er bezweifelt ferner, dass der galvanische Strom die Heilung bewirkte; Prognose und Behandlung der chronischen Myelitis seien durch vorliegenden Fall nicht gebessert.

Gray betont die Schwierigkeiten, auf die wir bei der Feststellung der ver- schiedenen Formen der Myelitis stossen.

Jacoby: „On the Use of Osmic Acid in peripheral Neuralgias.“

J. berichtet über die Anwendung von Osmiumsäure in 18 Fällen von peripherischen Neuralgien. Davon wurden 8 geheilt, 2 gebessert und 8 blieben unverändert. Die geheilten Fälle waren sämmtlich chronisch verlaufende; das Mittel ist aber auch nur ausnahmsweise in frischen Fällen zur Anwendung gekommen. Bemerkenswerth ist der dritte Fall in dem wegen einer starken Cervical-Brachial-Neuralgie Osmiumsäure- Einspritzungen über die Umschlagstelle des Radialis gemacht wurden. Nach der sechsten Einspritzung traten alle Symptome einer Radialparalyse auf. J. empfiehlt die sorgfältige Anwendung des Mittels in chronischen Fällen und namentlich bei chronischer Ischias.

Discussion: Ref. hat Erfolge, und meistens auch bei chronischen Fällen, erzielt; er musste das Mittel aber als ultimum refugium betrachten. (Seit der betreffenden Sitzung haben sich die so geheilten Fälle gehäuft.)

Seguin setzt das Mittel unter die von Luton empfohlenen reizenden Injectionen von Arg. nitr, Chinin u. s. w.; er berichtet auch über zwei Fälle, in denen durch tiefe Einspritzungen (von Chloroform) bei Trigeminus-Neuralgie Anästhesie und Para- lyse der oberen Lippe verursacht wurden.

V.P. Gibney erzählt von dem Erfolg seiner Behandlungsmethode bei 2 Fällen

von Spina Bifidea. In dem ersten Falle wurde der Tumor aspirirt, und nach voll- kommener Entleerung wurde eine Lösung von Jod, Jodkali und Glycerin eingespritzt.

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20 Tage darnach starb das Kind (1 Monat alt) an den Folgen eines chronischen Hydrocephalus. In dem zweiten Falle (Kind, 3 Wochen alt) wurde erst Compression versucht; nach 2 Wochen wurde aspirirt und dann obige Einspritzung vorgenommen. In 20 Tagen vollkommene Heilung. Nach 4 Monaten bezeichnete eine derbe narbige Masse die Stelle des früheren Tumors. Vortragende zieht diese von Morton in (lasgow empfohlene Methode den üblichen Heilmethoden vor.

Dr. L. C. Gray: „On the use of Strychnia in nervous Affootions.“

G. bekämpfte die vor einigen Jahren von Jewell vertheidigte Anwendung von Strychnin in grossen Dosen (0,006) bei den verschiedensten Formen der Myelitis und bei spinaler Neurastbenie. In Folge seiner cumulativen Wirkung, behauptet G., wird das Mittel schlecht ertragen.

Discussion: Dana bezweifelt, ob es je zu einer cumulativen Wirkung bei der Anwendung des Strychnins kommt. Er hat namentlich bei functionellen Erkrankungen des Rückenmarkes bis zu 0,06 täglich in 3 Dosen nehmen lassen.

Seguin weist darauf hin, dass Brown-Söquard schon vor Jahren erkannte, dass in Fällen von spinaler Anämie Strychnin in toxischen Dosen ertragen wird. Seguin spricht die Vermuthung aus, dass die ‘toxische Wirkung kleiner Dosen Strychnins als differential-diagnostisches Moment zwischen organischen und functionellen Erkrankungen des Rückenmarkes dienen könnte.

Damit waren die therapeutischen Mittheilungen erschöpft.

Der vergleichende Anatom und zeitige Präsident Wilder wählte als Titel seiner Antrittsrede „Paronysm versus Heleronysm as Neuronymic Principles.

Aus dem Titel wird der Uneingeweihte nicht ahnen, dass es sich hier um die Einführung einer neusn Gehirnnomenclatur handelt. Die Principien derselben lassen sich hier nicht gut wiedergeben. Es sei hier nur so viel gesagt, dass W. durchaus lateinische Termini technici in englischem Gewande angewendet haben will. Die lesenswerthe Arbeit ist in extenso in dem Journal of nervous and mental disease ‘(July 1885) veröffentlicht worden.

Spitzka: „On the Belations between the symptoms and Lesions of Posterior spinal sclerosis.“

S. hat in sehr ausführlicher Weise fremde und eigene Fälle studirt. Was sein eigentliches Thema betrifft, so kommt er zu folgenden Schlüssen:

1. Degeneration der Goll’schen Stränge bedingt Störungen des Muskelsinns im Bereiche der unteren Extremitäten.

2. Degeneration des kommaförmigen inneren Feldes der Burdach’schen Stränge bedingt eine ähnliche Störung an den oberen Extremitäten.

3. Degeneration des dreieckigen Feldes zwischen der Peripherie des BRücken- markes und dem Eintritte der hinteren Wurzel bewirkt Entwickelung von Analgesien.

4. Degeneration der Clarke’schen Säule und der directen Kleinhirmbahn (Fo- ville) steht in nächster Beziehung zu Störungen des Raumsinnes.

Die ausführliche Arbeit ist im „Alienist and Neurologist“ (July 1885) abgedruckt.

Keine eigentliche Discussion. Seguin bemerkt nur, dass ihm schon seit Jahren bekannt ist, dass Tabiker Aconitin in auffallend grossen Dosen nehmen können, ohne dass die üblichen sensiblen Störungen zum Vorscheine kommen. Er vermuthet, dass Erkrankung der grauen Substanz Schuld daran ist.

Spitzka stimmt dem bei und glaubt alle Parästhesien auf Beeinträchtigung der grauen Substanz zurückführen zu können; deswegen neige er auch zu der An- sicht, dass bei Tabes die primäre Läsion in der grauen Substanz, wenn nicht in den hinteren Wurzeln ihren Sitz habe.

Von den übrigen Verhandlungen sei nur noch erwähnt, dass Wilder über eine Arteria termatica berichtete, die gewöhnlich von der Cerebralis anterior abgeht; und

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fornerhin über zwei weniger bekannte Fissuren: die eine, Fissura inflecta, vor der Präeentralfurche, und die andere, auf der meso-ventralen Fläche des Temporallappens von dem horizontalen Theile der Sylvi’schen Furche ausgehend: „Postrhinal fissure“ soll diese Furche getauft werden.

Zu erwähnen wäre ausserdem, dass Starr über neuere Tinctionsmethoden für das Nervensystem Bericht erstattete, in dem er den Weigert’schen Methoden das Wort redete. Von Adamkiewicz’s Saffraninfärbung ist er weniger erbaut.

Sinkler berichtete über 2 Fälle von Friedreich’scher Krankheit ohne here- ditäre Veranlagung; und Seguin über einen Fall von Tumor des Kleinhirns im Vermis superior. Ganz zuletzt wurden die Vorzüge des Cocain von Dr. Bandny ans St. Louis des Längeren auseinandergesetzt.

Nächste Sitzung im Juni 1886. Sachs (New York).

IV. Bibliographie.

Die Neurosen des Magens und ihre Behandlung von Primararzt Dr. Oser. (Wiener Klinik 1885, Heft 5 und 6.)

Diese ebenso ausführliche wie scharfsinnige Arbeit behandelt die Functionsstörungen der Magennerven ohne bestimmte pathologisch-anatomische Grundlage. Man ist nicht berechtigt, bestimmte klinische Bilder von Magenkrankheiten nicht als solche anzu- erkennen, weil die anatomischen Gründe dafür nicht bekannt sind. Unser physio- logisches Wissen über den die Magenfunctionen regulirenden Nervenapparat ist eben noch äusserst mangelhaft.

Wir theilen die Neurosen des Magens in Motilitäts-, Sensibilitäts- und Sekre- tionsneurosen. Ueber vasomotorische und trophische Neurosen sind nur Vermuthungen mitzutheilen.

A. Motilitätsneurosen.

Man hat nur bisher im Allgemeinen angenommen, dass in den Bahnen des Vagus und Sympathicus die motorischen Nerven für den Magen gelegen seien. Oser hat nun in seiner neuesten Arbeit über die Innervation des Pylorus (Jahrbücher der k. k. Gesellschaft der Aerzte, 1884) den Pylorus als Versuchsterrain gewählt, weil er vorzugsweise aus Ringmuskeln besteht, deren Contractionen und Erschlaffungen sich leichter graphisch darstellen lassen. Er führte beim Hunde vom Duodenum oder vom Magen aus eine federnde Zange in den Pylorus, deren innere Branchen durch jede Contraction desselben aneinander gedrängt wurden, deren correspondirende äussere dagegen mit dem von Basch’schen Wellenschreiber in Verbindung gebracht waren, und beobachtete damit bald kräftigere seltnere, bald häufigere schwächere Pyloruscontractionen, die in gleicher Weise auch bei Durchschneiduug der Vagi am Halse und der Splanchnici in der Brusthöhle fortbestanden. Reizung des Halsvagus rief constant Pyloruscontraotionen hervor, Reizung der Splanchnici unterdrückte die spontanen Contractionen. Also der Vagus bewirkt die Contractionen, der Sympatbicus die Erschlaffungen des Pylorus.

Der zu Anfang der Verdauung geschlossene und erst gegen Ende sich Öffnende Pylorus eröffnet sich wahrscheinlich deshalb, weil durch die Resorption von Nähr- substanzen im Magen die Splanchnicusfasern gereizt werden.

Die pathologischen Vorgänge im motorischen Nervenapparat des Magens ent- stehen nun entweder durch Verringerung des Muskeltonus oder durch erhöhte motorische Reizbarkeit und Steigerung der normalen Peristaltik.

Zur ersten Gruppe, den Hypokinesien, gehören:

1) die Rumination oder der Merycismus. Hauptmoment ist hier Ataxie oder Lähmung der Cardia. Schon Fabricius ab Aquapendente bespricht diesen Zustand, wobei ohne Ekelgefühl oder Brechreiz das Verschluckte theilweise, zuweilen selbst

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mit einem gewissen Behagen, wieder in die Mundhöhle steigt. Bisweilen zeigt diese Neurose einen schweren Verlauf, in vielen Fällen können aber Trockenkost, Ruhe nach dem Essen, energisches Wollen die Heilung herbeiführen. Wahrscheinlich besteht dabei, ausser der Cardiainsufficienz, auch gesteigerte Peristaltik des Magens.

2) die Insufficienz oder Incontinenz des Pylorus. Man findet sie, wenn seine Muskelfasern in Krebs oder Nervengewebe untergegangen sind, bei Compression oder Neurosen des Dünndarmes (so bei Wanderniere) oder als reine Neurose ohne mechanische Ursache (Ebstein). Bläht man den Magen durch eine Kohlensäure- mischung auf und ist der Pylorus verschlussfähig, so grenzen sich die Magencon- touren deutlich ab, bei Insufficienz entwickelt sich dagegen Tympanie des Ober- bauchs. Dass der Pylorusverschluss zum Leben nicht nothwendig ist, beweisen die einzelnen glücklichen Resultate seiner Besection. Therapeutische Erfahrungen über seine Incontinenz liegen nicht vor.

3) die Gastroplegie, Ataxie oder musculäre Insufficienz des Magens eine Neurose, die zur Gruppe der Magenerweiterung gehört. Die Ursache für die durch veränderten Nerveneinfluss atonisch gewordene Magenmusculatur kann peripherisch oder central sein die Behandlung ist als mechanische am wirksamsten. (Spülung.)

Als zur Gruppe der Hyperkinesien, Neurosen mit Steigerung der motorischen Kräfte gehörig, sind hervorzuheben:

1) der Krampf der Cardia. Es giebt einen Dilatator und Nervi constrictores cardiae. Die krampfhafte Contraction der Cardia hemmt bisweilen die Einführung der Oesophagussonde, sie bedingt auch die oft mehrstündige Tympanitis des Magens ohne Eructation. Die Behandlung des Cardiakrampfes ist die mechanische Sondirung.

2) Krampf des Pylorus, ein durch anatomische Veränderungen oder durch abnormen Mageninhalt ausgelöster Reflexkrampf: es entsteht dabei Neurose mit Dila- tation des Magens.

3) Gastrospasmus. Es giebt tonische Contractionen des Magens, die das Gefühl des Zusammenziehens, aber keinen Schmerz bedingen und zur Hypertrophie des Mus- cularis führen. Die meisten Magenkrämpfe sind aber reine Gastralgien.

4) Peristaltische Unruhe. Von Kussmaul genauer geschildert. Bei solchen, an nervöser Dyspepsie leidenden Patienten, sieht man die lebhaftesten peristaltischen Magenbewegungen insbesondere während der Verdauung entstehen. Die Magenspü- lung, Reguliruıng der Diät, Faradisation und hydriatische Proceduren werden hier meist hülfreich sein.

5) Eructatio, nervöses Aufstossen. Da sich in jedem Magen Luft befindet, su liegt das Aufstossen im Bereiche einer physiologischen Verdauung, besonders bei raschem Essen und unvollkommenem Kauen. Bei allen abnormen Gährungen ent- stehen ausserdem Gase im Magen. Neuropathische Leute, besonders Hysteriker, stossen oft Tag und Nacht Luft aus. Die Luft gelangt bei ihnen in den Magen durch Verschlucken oder durch Aspiration. Bei vermehrter Magenperistaltik und offener Cardia kann Luft ohne Schluckbewegung in den Magen aspirirt werden. Bis- weilen stellt sich dieser Zustand als eine Reflexneurose von Erkrankung des weib- lichen Genitalapparates dar. Die allgemeine Behandlung durch Höhenluft, Seebäder und hydriatische Proceduren bildet auch hier die einflussreichste Therapie.

6) Vomitus nervosus. Es handelt sich hier um eine complicirte Action will- kürlicher und unwillkürlicher Muskelapparate, deren gleichzeitiges Auftreten doch nur von nervösen Centren ausgehen kann. Das Brechcentrum dürfte vielleicht mit dem Athemcentrum zusammenfallen. In den meisten Fällen ist Erbrechen eine Reflex- neurose. Bei Hirnkrankheiten walten die motorischen, bei Rückenmarkskrankheiten die Sensibilitätsneurosen des Magens vor. Das weibliche Sexualsystem steht in inniger Beziehung zu den Magenneurosen, Entzündungen und Tumoren im Bauchraum erzeugen Zerrungsneurosen desselben. Es giebt kein Specificum gegen nervöses Erbrechen, die Hauptsache bleibt die causale Therapie und entsprechende Diät wobei die

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Eismilch in kleinen Dosen sich vorzugsweise wirksam zeigt. Eine Solution von Cocain, 0,15 auf 150 kinderlöffelweise genommen, hat gleichfalls einen oft unverkenn- baren Erfolg.

B. Sensibilitätsneurosen.

Die sensiblen Magennerven verlaufen in den Vagusbahnen, obwohl auch aus dem Plexus coeliacus sensible Sympathicusfasern zum Magen gehen.

Der physiologische Magen fühlt nur wenig, eigentlich nur Hunger und Sättigung, der kranke Magen ist reich an schmerzhaften Gefühlen, die entweder in Verände- rungen physiologischer Empfindungen bestehen, wie z. B. Fühlen des Hungers und Sättigungsgefühle, oder Heisshunger, Bulimie, oder in wirklich pathologischen Em- pfindungen, die man in gewisse Gruppen bringen kann: a) Temperatur und Be- wegungsgefühle, zeitweises Brennen, Kältegefühl, Pulsationsgefühle und arhythmisches Klopfen, b) Uebligkeits-- und Ohnmachtsgefühle, c) Druckgefühle ohne bestehende Dyspepsie, d) eigentliche Cardialgie oder Gastralgie, wobei der Rückenschmerz oft intensiver ist als der Magenschmerz. Einzelne dieser Sensibilitätsneurosen treten als distinctere Krankheitsbilder auf. Dahin gehört die nervöse Dyspepsie, eine Druck- empfindung nach jeder Nahrungsaufnahme, wobei die Verdauung ganz normal sein kann, die Kranken aber trotzdem immer mehr herunterkommen. Hier hilft oft Zwang zum Essen trotz des Druckes. Bisweilen erzeugt die Hyperästhesie der Magen- schleimhaut heftigen Schmerz nach jeder Nahrungseinnahme, was die Kranken häufig zum Morphinismus verleitet. Bisweilen ist eine intermittirende Gastralgie der Aus- druck von Malaria und weicht dem Chiningebrauche innerlich oder in Clysmen. Sind schwere Gastralgien Folge von Centralleiden, so liegt ihnen Reizung der bulbären Vaguscentren mit Wahrscheinlichkeit zu Grunde: doch können auch psychische Ein- flüsse, Rückenmarkskrankheiten, Neurasthenie, Hysterie etc. so schwere Gastral- gien bedingen. Bei solchen Sensibilitätsneurosen ist die Verdauung intakt, die phy- sikalische Untersuchung ergiebt keine objectiven Veränderungen und viele der be- treffenden Beschwerden treten bei nüchternem Magen auf und verschwinden, während er functionirt. Therapeutisch geht man jedoch immer sicherer, wenn man eine zwei- deutige Neurose zunächst als substantielle Magenerkrankung behandelt. Lässt sich dann die Causa nocens der Magenneurose nicht beseitigen, so ist man auf eine symptomatische Therapie hingewiesen Magenspülung, Bromnatrium, Chininum arsenicosum, Opiate, psychische Einwirkung. Ausspülungen mit Chloroformwasser (1 Gramm auf 1 Liter), constanter Strom (Epigastrium und Rücken), Atropin, Senn, Morphiuminjectionen etc. verdienen dabei Berücksichtigung.

C. Sekretionsneurosen.

Man ist zu ihrer Annahme berechtigt, denn es scheint, dass im Magen selbst befindliche Ganglien die Sekretion seiner Drüsen reguliren. Nervöse Störungen des Chemismus ohne substantielle Magenerkrankung kann man unter dem Namen Dys- pepsie zusammenfassen, und zwar als neurogene Dyspepsie, als Folge der fehlerhaften Drüseninnervation. Es entwickeln sich dann Gährungs- und Zersetzungsprodukte im Mageninhalt und die Speisen bleiben viel länger im Magen liegen. Meist sind es psychische Einflüsse, die die Sekretion des Magensaftes quantitativ und qualitativ alteriren man findet dann häufig eine Sekretionsverminderung der Salzsäure, zeit- weilig auch des Pepsingehaltes, und hat die Therapie deshalb alle betreffenden Details zu berücksichtigeu.

D. Vasomotorische Neurosen.

Brown-Söquard, Schiff u. A. haben solche experimentell hervorgerufen, Charcot führt die als vicariirende Menstruation auftretende Magenblutung als solche an: auch dürften manche Formen psychischen Erbrechens hierher gehören.

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Die im Obigen angedeutete Schilderung der Gastroneurosen hat aber nur die Bedeutung eines Schemas, welches die verschiedenen Formen nacheinander darstellt, im Leben bilden aber die combinirten Neurosen die Regel, und diesem vielge- staltigen Symptomencomplex hat man den Namen ‚„nervöse Dyspepsie“ gegeben. Je mehr aber die pathologische Anatomie und Chemie an Terrain gewinnt, desto mehr wird sich das Gebiet der functionellen Neurosen unter den essentiellen Magen- krankheiten einengen und beschränken. A. Eulenburg.

Lectures on the diagnosis of diseases of the brain delivered at the Uni- versity College Hospital by W. RB. Gowers. London 1885.

G. hat sich, abgesehen von seinen Specialarbeiten, durch eine Reihe von Werken theils originaler, theils zusammenfassender Art schon solche Anerkennung erworben, dass man dem vorliegenden Buche mit Spannung entgegensehen durfte, und sich in der That nicht enttäuscht sieht. Um unser Urtheil sofort zusammenzufassen, können wir es als eine ganz eminent tüchtige Leistung bezeichnen, die inhaltlich und formell selbst weitgehenden Anforderungen gerecht wird. Was die Darstellung betrifft, so zeichnet sie sich durch Klarheit und Nüchternheit aus, welch’ letztere Eigenschaft nicht wenig dazu beigetragen, dass es möglich gewesen, auf 237 Seiten nicht engen Druckes den ganzen Stoff in für die Zwecke der Vorlesungen durchaus entsprechender Weise durchzuführen. Dass dabei nichts von Bedeutung fortgelassen, versteht sich bei einem Autor, der mitten in der wissenschaftlichen Bewegung steht, wohl von selbst, und wenn man von einem andern Standpunkte aus, als demjenigen des Ver- fassers vielleicht manche Thatsache in etwas andere Beleuchtung gestellt sehen, einen oder den andern Gesichtspunkt entschiedener betont haben möchte, so wäre es müssig, darüber mit dem Autor zu rechten, umsomehr, als seine Arbeit wie aus einem Gusse erscheint und noch dadurch ein, wir möchten sagen nationales Giepräge erhält, dass die Anschauungen von Hughlings Jackson den rothen Faden für das Ganze bilden.

Der ganze Stoff ist in 18 Vorlesungen gegliedert, von denen nach einer kurzen Einleitung 3 der Anatomie des Gehirns gewidmet sind; unterstützt von einer Anzahl zumeist recht praktischer Schemata findet sich in ihnen Alles kurz abgehandelt, was vorläufig für die Diagnostik verwendbar erscheint. Daran schliesst sich eine allge- meine Symptomatologie der Gehirnaffectionen, worin die der Hirnnerven und der Sprache mit offenbarer Vorliebe bearbeitet erscheint. Die 13. und 14. Vorlesung sind der Localdiagnostik, die 4 letzten der pathologischen Diagnostik gewidmet; einige Bemerkungen bezüglich der Differentialdiagnose vorwiegend von der Hysterie machen den Beschluss.

Die Ausstattung des Buches ist die in England zumeist übliche ausgezeichnete, von der zu wünschen wäre, dass sie auch der voraussichtlich nachfolgenden deutschen Uebersetzung zu Theil würde. A. Pick.

V. Personalien.

Zum Director der Irrenanstalt Nietleben bei Halle a./S. wurde Herr Dr. Sig- mund Fries, seit Juli 1883 zweiter Arzt der Anstalt, gewählt.

Die 1. Assistenzarztstelle an der psych. Klinik der Universität Halle ist mit einem Arzt, der sich bereits mit Geisteskrankheiten beschäftigt hat, zu besetzen. Gehalt ca. 1400 Mark, Antritt nach Uebereinkunft mit dem jetzigen Inhaber.

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 5

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.

Verlag von Veit & Come. in Leipzig. Druck von Merzen& & Wırne in Leipzig. 5

NEUROLOGISCHESÜENTRALBLATT

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten,

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel Vierter BUBEN. Jahrgang,

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direot von der Verlagsbuchhandlung.

1885. . 15. December. No: 24,

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Inhalt. 1. Originalmittheilungen. 1. Ein Fall von Tumor der Zirbeldrüse, von Dr. Knud Pontoppldan. 2. Die chemische Reaction der grauen Substanz, von 0. Langendorfl.

Il. Referate. Anatomie. 1. Sulla cariocinesi delle cellule del Purkinje consecutiva ad irritazione cerebellare, pel Mondino. Experimentelle Physiologie. 2. De Paudition »uloree, par Giraudeau. 83. Zur Lehre von den Vorstellungen über die Lage unserer Glieder, ‚on Sternberg. Pathologie des Nervensystems. 4. De la contracture tabetique progressive ou sclörose diffuse d’origine vasculaire simulant la sol&örose fascieulde, observ6e ”hez les vieillards atheromateux, par Demange. 5. Contributions & l’etude des paralysies radiculaires da plexus brachial. De la partieipitation des filets sympathiques oculo-pupillaires dans ces paralysies, par Kiumpke. 6. Ueber Störungen des Besange und des musikalischen - Gehörs bei Aphasischen, von Kast. 7. Beiträge zur Pathologie der Hirnkrankheiten, von Oppenheim. 8. Ueber das Fussphänomen, von Axenfeld. Psychiatrie. 9. Del tribadismo nei manicomi, pel Lombrose. 10. Sitofobia paradossa, per il Cougnet. 11. Syphilis und Dementia paralytica, von Mendel. 12. Un cas de paralysie generale a P’äge de 17 ans, par Regis. Therapie. 13. Tv& fall af meningitis tuberculosa med tödlig utgäng, ett fall behandladt med Js Or ingru ni heisa, af Nilsson. Anstaltswesen. 14. Jahres- "richt der Kreisirrenanstalt München für das Jahr 1884, von v. @udden.

Ill. Aus den Gesellschaften.

IV. Beriohtigung zu dem Aufsatz: Beiträge zur pathologischen Anatomie des centralen Nervensystems, von Rumpf.

V. Personalien.

Register.

I. Originalmittheilungen.

1. Ein Fall von Tumor der Zirbeldrüse. Von Dr. Knud Pontoppidan, Kopenhagen.

Als mir die Mittheilung der Herren Dr. FEIıLcHunreLo und Dr. WERNICKE in Neurolog. Centralbl. v. 15. September d. J. über einen Fall von Tumor cerebri vor Augen kam, war ich soeben damit beschäftigt, eine ganz ähnliche Gehirn- geschwulst zu untersuchen. Zwar waren weder die Lage noch die Symptome absolut dieselben (besonders ist mein Fall durch das Auftreten von ausgesprochenen wangsbewegungen charakterisirt); jedenfalls aber bieten die zwei Fälle so grosse

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Aehnlichkeiten dar, dass es mir von Interesse scheint, dieselben zusamme stellen.

A. S., Maler, 31 Jahre alt, wurde am 29. Mai 1885 im Kopenhag Kommunehospital aufgenommen. Im Jahre 1883 constitutionelle Syphilis, d Merkur geheilt. Erkrankte vor 2 Monaten mit Kopfweh und Schwindel. 14 Tagen plötzliche Verschlimmerung, wonach psychische Trägheit, Unfähx des Stehens und Gehens, involontäre Excretionen. Bei der Aufnahme s benommenes Sensorium, leerer Gesichtsausdruck. Kraftlose zitternde Bewegu: der Extremitäten; linkerseits ist vielleicht die motorische Schwäche mehr : gesprochen. Keine Facialisparalyse. Pupillen dilatirt, träge reagirend. Sta Blick mit beschränkter Beweglichkeit nach allen Richtungen, aber ohne Schi: oder Doppelsehen. Sehschärfe normal; die Grenzen der Papillen sind aber ı wischt, die Venen erweitert und geschlängelt.

Der Kranke zeigt eine Neigung, die linke Seitenlage einzunehmen kann gehen und stehen, wenn hinlänglich unterstützt, zeigt aber dabe- ausgesprochene Neigung, nach hinten zu fallen, so dass er von hinten her. stützt werden muss. Statt vorwärts zu gehen, marschirt er zuerst auf der und nachher rückwärts, indem er gewöhnlich zugleich ein wenig seitwärts 2 links ablenkt; gleichzeitig neigt er den Rumpf nach links hinüber. Selten v eine Andeutung von Drehung nach links um die Körperaxe herum beobach: Temperatur und Urin normal. Puls zwischen 70 und 90.

Während des Aufenthaltes zunehmender Sopor, profuser Schweiss, Opis tonus, einzelner epileptiformer Krampfanfall. Weitere Entwickelung der \ ritis optica mit Exsudaten und Blutungen. Conjugirte Ablenkung der Au nach rechts. Tod am 30. Juni 1885.

Section: Starke Spannung der Dura mater mit völliger Applanation Gehirnoberfläche. Sehr bedeutende Dilatation der Ventrikel, die mit Kt Flüssigkeit gefüllt sind. Einzelnen Ecchymosen des Ependyms.

In der Fissura transversa oerebri, auf den Corpore quadrigemina und Crura cerebelli ad cerebrum ruhend, prominirt ein wallnussgrosser Tui der zum Theil grauröthlich gelatinös, zum Theil dunkelroth erscheint. | Geschwulst liegt in der Mittellinie auf der Stelle der Glandula pinealis; vorderer Theil fühlt sich als von feinen, sandartigen Partikeln infiltrirt. Tumor lässt sich in seiner Totalität zusammen mit Tela und Plexus choroil entfernen und steht mit der Gehirnsubstanz nirgends in Zusammenhang. Corpora quadrigemina sind unter der Geschwulst comprimirt; die Crura ı belli ad pontem sind an keiner Stelle in directem Contact mit der Gesch Keine Metastasen in den übrigen Organen des Körpers.

Mikroskopisch zeigt sich die Geschwulst sehr blutreich, zum nei zahlreichen freien Blutungen. Uebrigens ist. dieselbe von Rundzellen aufg® ohne deutliche Zwischensubstanz. Die Gefässe sind meistens weit und ıF wandig, es werden aber ‚auch solche gefunden, die eine verdickte, homf Wand zeigen, ähnlich wie bei Endarteritis obliterans. Nach diesem er #

“ir zweifelhaft, ob die (Greschwulst als ein stark vascularisirtes Rund‘

5b

sarcom aufzufassen sei, oder vielleicht als eine Ghsralslionsseschwalet auf Grund- lage von syphilitischer Gefässerkrankung im Plexus choroideus entwickelt. Unter letzterer Voraussetzung wäre die Glandula pinealis als erst secundär in Mitleiden- schaft gezogen aufzufassen. Diese Frage mögen meine weiteren Untersuchungen aufklären; als ein Beitrag zur Localisationslehre dürfte die Krankengeschichte schon jetzt verwerthbar sein.

2. Die chemische Reaction der grauen Substanz. Von O. Langendorff in Königsberg.

In einer kurzen, vor drei Jahren veröffentlichten Mittheilung! habe ich einige Angaben über die chemische Reaction des Centralnervensystems bei Fröschen gemacht. Beim normalen lebenden Thiere hatte ich dieselbe alkalisch gefunden; dagegen hatte ich schnell Säuerung eintreten sehen, wenn das Thier erstickte oder wenn Gehirn oder Rückenmark aus dem Körper entfernt wurden. Ich hatte angenommen, dass die Säuerung sich nur auf die graue Substanz erstrecke, nicht auf die weisse.

Im Anschluss an diese Versuche habe ich schon damals auch solche an Säugethieren gemacht. In der Hoffnung, dieselben weiter ausdehnen zu können, verschob ich ihre Veröffentlichung. Da ich indess seither nicht Zeit fand, sie fortzusetzen, und vielleicht auch so bald nicht Zeit dazu finden werde, so er- laube ich mir hiermit, meine Versuchsergebnisse, die immerhin schon Jetzt einiges Interesse beanspruchen dürften, mitzutheilen.

Als bekannt darf ich voraussetzen, dass nach der Meinung der Meisten der Gehirnrinde im Gegensatz zum Marke eine saure Reaction zukommt. Man stützt sich hierbei besonders auf die Angaben von GsCHEIDLEN, und noch jüngst hat Epmerr? durch ein eigenes Verfahren den Nachweis von der Aci- dität der Rinde zu führen gesucht.

Meine Versuche haben mich hingegen zu dem Ergebniss geführt, dass diese Annahme wohl für die todte und scheintodte, nicht aber für die lebende Grosshirnrinde richtig ist. Die Versuche wurden an Kanin- chen und Meerschweinchen angestellt. In den meisten Versuchen waren die T' iere durch Chloralhydrat oder Aether tief betäubt; in einigen Vergleichsver- suchen wurde die Narcose unterlassen.

Zur Prüfung der Reaction diente sehr empfindliches blaues und rothes Lakmuspapier, von SCHUCHARDT in Görlitz bezogen, und violettes, das ich mir selbst; bereitet hatte. Instrumente und Schwämme waren auf Eis gekühlt. Das mit Messer oder Scheere abgetragene Rindenstückchen wurde nach schneller

ı Centralbl. f. d. med. Wissenschaften. 1882. Nr. 50.

? Arch. f. d. ges. Physiologie eto. Bd. VIIL S. 171. Daselbat auch die frühere Literatur.

8 Arch. f. d. ges. Physiologie eto. Bd. XXIX. 8. 251. Und: Zehn Vorlesungen, über den Bau der nervösen Centralorgane. Leipzig 1885. 8. 19.

556

Abtrocknung auf gekühllem Fliesspapier auf einer auf Schnee stehenden Porcellan- platte zwischen zwei Lakmuspapierstreifen mittelst eines eiskalten Porcellan- pistills schnell zerquetscht.

In allen Fällen, und ich habe wohl hundertmal die Reaction der Gross- hirnrinde untersucht, fand ich dieselbe deutlich alkalisch. Bothes sowie violettes Lakmuspapier wurde gebläut, blaues blieb unverändert, oder, falle es rothe Töne enthielt, wurde stärker blau.

Längeres Freiliegen der entblössten Gehirnoberfläche an der Luft änderte die Reaction nicht.

Wird die Prüfung eines Rindenstückchens einige Minuten nach der Ex- stirpation vorgenommen, so ist bereits Säuerung nachweisbar. Je höher die umgebende Temperatur, desto schneller tritt diese Reaction ein.

Wird das Thier oder nur das Gehirn durch Abklemmung der vier Gehirn- arterien oder durch Verblutung erstickt, so geht die alkalische Reaction der Rinde schnell in die saure über. Zunächst nimmt die Bläuung des Reagenspapieres ab, dann wird weder violettes Papier, noch blaues oder rothes verändert, endlich wird das blaue deutlich geröthet. Sauere Reaction kann schon zwei Minuten nach Eröffnung oder Ligatur der Halsgefässe vorhanden sein; sicher deutlich ist sie nach vier Minuten. Später nimmt die anfangs geringe Acidität merklich zu. Die Grosshirnrinde getödteter Thiere fand ich stets sauer.

Von Wichtigkeit ist die Thatsache, dass die durch Hemmung des Blutstromes sauer gewordene Rinde nach Wiederfreigebung desselben wieder alkalisch werden kann. Doch schwindet die Säure nur langsam, um so langsamer, je längere Zeit die Anämie gedauert hat. Den Versuch des Abhaltens und Wiederzulassens des Blutes habe ich mit demselben Erfolge hintereinander dreimal wiederholen können. Obwohl die jedesmalige Arterienklemmung 5, 7 und 9 Minuten ge- dauert hatte,! wurde die eingetretene Säuerung durch den zugelassenen Blutstrom jedesmal wieder getilgt, das letzte Mal freilich so langsam, dass 38 Minuten nach der Lösung der Arterienklemmung erst neutrale, aber noch nicht alkalische Reaction eingetreten war.?

Eine merkwürdige Ausnahme von dem beschriebenen Verhalten macht das Grosshirn neugeborener Thiere. Die Reaction der lebenden Rinde ist hier sehr kräftig alkalisch. Weder Verblutung noch Erstickung noch der auf andere Weise herbeigeführte Tod des Thieres vermag die Reaction sauer zu machep. Selbst nach 24 Stunden findet man das im Kalten oder Warmen aufbewahrte Grosshirn überall alkalisch® Wahrscheinlich hängt dies mit der reichlichen Durchtränkung des jugendlichen Gehirns mit alkalischen Säften zusammen, die

! Bei diesen länger andauernden Abklemmungen: wurde künstliche Athmung unter- halten.

* Die Grosshirnrinde kann noch viel längere (über !/, Stunde) Zeit absolut anämisch sein, ohne dass ihre Fähigkeit, zur normalen Function zurückzukehren, erlischt. Bei späterer Gelegenheit werde ich einige darauf bezügliche Erfahrungen mittheilen.

® Nur die Hirmrinde des bekanntlich in sehr ausgebildetem Zustande geborenen Meer- schweinchens zeigt spät eintretende aber deutliche Säuerung.

517

eine auftretende Säure nicht zu neutralisiren oder gar zu überneutralisiren ver- mag. Würde man den Alkalescenzgrad der Rinde quantitativ bestimmen, so fände man vielleicht auch hier eine Abnahme desselben. Doch wäre es auch denkbar, dass in der Grosshirnrinde des Neugeborenen überhaupt eins Säure- bildung nicht stattfindet.

Die Erstickung der Grossbirnrinde, wahrscheinlich die der grauen Substanz überhaupt, ist somit durch das Auftreten einer Säure coharakterisirt. Welche Natur dieselbe haben möge, wage ich nicht zu entscheiden. Vielleicht tritt freie Milchsäure auf, die GscHEinLen thatsächlich aus der grauen Rinde dar- stellen konnte; vielleicht handelt es sich um ein saures Salz, etwa saures Natriumphosphat, das durch Abspaltung aus den phosphorhaltigen organischen Verbindungen der Rindensubstanz entstehen mag.

Den Process, der zur Bildung der Säure führt, halte ich für keinen cada- verösen, sondern für einen vitalen, fortwährend ablaufenden, der in ähnlichen Beziehungen zu der Thätigkeit der grauen Substanz zu stehen scheint, wie der Säuerungsprocess beim Muskel zur Muskelthätigkeit. Wäre die Säuerung eine Leichenerscheinung, so wäre ihr schnelles Auftreten und ihr schnelles Schwinden schwer verständlich, und die thatsächlich mögliche functionelle Restitution einer erstickten Hirnrinde ganz unfassbar.

Dass am durchbluteten Gehirn nichts von dieser Säurebildung erkannt wird, liegt an der fortwährenden Beseitigung des fortwäbrend sich bildenden Productes durch den Blutstrom. Wird er gehemmt, so häufen die Zersetzungs- producte sich an und werden nachweisbar.

Je thätiger die graue Substanz, desto reger wird ihr Stoffwechsel, desto reichlicher vermuthlich auch die Säurebildung sein. Das wird beim Warmblüter nicht anders sein können, wie beim Frosche, bei welchem ich durch Strychnin- vergiftung die Säurebildung steigern konnte.

Von der tiefen Narcose könnte man vielleicht erwarten, dass sie diese Processe lahmlege oder wenigstens verringere. Ob das letztere nicht wirklich der Fall ist, müssten quantitative Versuche entscheiden. Dass die schlafende Rinde aber chemisch nicht unthätig ist, dass sie wenigstens noch eine Vita minima führt, das beweisen die obigen an

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II. Referate,

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Anatomie.

1) Sulla carlocinesi delle cellule del Purkinje consecutiva ad irritagione corebellare, pel dott. C. Mondino. (Arch. di psichiatria, scienze pen. occ. 1885. VI. p. 295.)

Vorläufige Mittheilung, die wohl geeignet ist, das Interesse für die bald zu er- wartende ausführliche Arbeit des Verf. zu erwecken. Verf. glaubt, in den Ganglien- zellen der Hirnrinde, sobald dieselbe künstlich in einen „Reizzustand“ versetzt worden war, die karyokinetischen Figuren beobachtet und in neuester Zeit auch in den Purkinje’schen Zellen des Kleinhirns nachgewiesen zu haben. Sommer.

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5 Experimentelle Physiologie.

2) De l’audition coloröe, par C. Giraudeau. (L’Encöphale. 1885. No. 5.)

G. bespricht die auch von andern Seiten schon anerkannte Wahrnehmung, dass bei gewissen Individuen jedesmal durch das Hören von. Tönen auch die Wahrnehmung einer bestimmten Farbe erweckt werde, und zwar je höher der Ton, um so leuch- tender die Farbe. Nicht jeder Ton ist gleich geeignet, Farbenwahrnehmung zu er- regen, gemischte Geräusche, wie Kanonenschüsse, der Lärm einer Menschenmenge, bringen das Phänomen nicht hervor. Die Fähigkeit, Farben zu empfinden zugleich beim Hören eines Tones kommt bei verschiedenen Menschen in verschieden hohem Grade vor. Eine annehmbare Erklärung dieses wunderbaren Phänomens der gleich- zeitigen Beizung zweier Sinne vermag Verf. nicht zu geben. Zander.

3) Zur Lehre von den Vorstellungen über die Lage unserer Glieder, von Sternberg. (Pflüger's Arch. 1885. XXXVIL)

Auf Grund seiner Versuche am gesunden Menschen, dessen Details im Original nachzulesen, kommt Verf. zu dem Schluss, dass die Vorstellung von der Lage eines Gliedes auf dem Zusammenwirken verschiedener Empfindungen beruht, unter denen den Empfindungen in Muskel und Sehne eine besondere Wichtigkeit zukommt; dass wir femer bei activen Bewegungen auf die von den bewegten Gliedern uns etwa zukommenden Lageempfindungen nicht nothwendig achten, sondern gewohnt sind, mit dem Willensimpulse sofort die Bewegung für ausgeführt zu halten. M.

Pathologie des Nervensystems.

4) De la contracture tabötique progressive ou solörose diffuse d’origine vasculaire simulant la sclörose fasciculde, observ6e chez les vieillards athöromateux, par le Dr. Demange. (Bevue de möd. 1885. Juillet p. 545.)

Bei einer 75jährigen Frau entwickelte sich eine Contractur aller 4 Extremitäten. Am stärksten war die Beugecontractur der Beine. Sehnenrefiexe erhöht. Sensibilität normal. Incontinentia urinae et alvi. Ausserdem Anzeichen allgemeiner Atherose. Einige Monate später trat, nachdem sich ein Decubitus am Kreuzbein entwickelt hatte, der Tod ein. Die Autopsie ergab zunächst ein starkes Atherom der meisten grösseren und mittleren Arterien. Das Rückenmark sah makroskopisch normal aus. Bei der mikroskopischen Untersuchung des gehärteten Rückenmarks fand sich eine Sclerose im Gebiete der Pyramidenseitenstrangbahn des Lumbal- und Dorsalmarks. Im Halsmark zeigten sich die Goll’schen Stränge erkrankt und, wie es scheint, auch die Gegend der Kleinhirnseitenstraugbahnen. Die Gefässe in den degenerirten Partien zeigen verdickte Wandungen und sind von dichterem Bindegewebe - umgeben.

Auf Grund dieses Falles und einiger ähnlichen schon früher gemachten Be- obachtungen (s. d. Ctrlbl. 1884. S. 558) stellt D. eine besondere Form der „Tabes mit Contracturen‘“ auf, welche nur bei alten Leuten nach dem 70. Lebensjahre auf- treten soll, deren Symptome in einer allmählich zunehmenden Contractur der Extremi- täten, besonders der unteren, mit Steigerung der Sehnenreflexe bestehen sollen. Die anatomische Erkrankung ist „strangförmig“, aber nicht systematisch und soll durch die neben dem allgemeinen Arterienatherom bestehenden atheromatösen Veränderungen der kleinen Spinalarterieon bedingt sein. D. schlägt vor, den’ in Rede stehenden Zustand, dessen Unterschiede von der spastischen Spinalparalyse und der amyo- trophischen Lateralsclerose er ausführlich bespricht, als „contracture tab6tique pro- gressive des athöromateux‘ zu bezeichnen.

559

Ref. erlaubt sich hierzu zu bemerken, dass zunächst die Bezeichnung der Krank- heit ihm nicht passend zu sein scheint, da das Adjecotiv „tabstique“ doch leicht zu Missverständnissen und Verwechselungen mit echter Tabes führen könnte. Ausser- dem scheint ihm die Abhängigkeit der anatomischen Veränderung im Rückenmark von einer Gefässerkrankung nicht ganz sicher bewiesen zu sein. Sollte die „strang- förmige‘“ Erkrankung nicht doch eine combinirte Systemerkrankung gewesen sein? Die Gefässveränderungen, welche der Verf. beschreibt, sind dieselben, wie sie bei jeder Degeneration des Rückenmarks vorkommen können. Strümpell.

5) Contributions & l’ötude des paralysies radiculaires du plexus brachial. De la participitation des filets sympathiques oculo-püpillaires dans ces paralysies, par Mlle. A. Klumpke. (Revue de med. 1885. Juillet p. 591 et Septembre p. 739.) i |

Die Verfasserin beschäftigt sich in dieser mit vielem Fleisse ausgeführten Ar- beit vorzugsweise mit der Frage nach der Ursache der bei Lähmungen des Plexus brachialis schon wiederholt beobachteten gleichzeitigen Symptome von Seiten des

Sympathicus, nämlich Myosis, Verkleinerung der Lidspalte und Retraction des

Bulbus auf der gelähmten Seite. Sie fand zunächst auf oxperimentellem Woge, dass

die genannten Symptome bei Hunden nur dann hervorgerufen werden können, wenn

der RBamus communicans des ersten Dorsalnerven selbst zerstört wird oder die Verbindung desselben mit dem Rückenmark durch Durchschneidung des ersten

Dorsalnerven im Niveau seines Zwischenwirbelloches aufgehoben wird. Durch eine

genaue Analyse aller bisher bekannten klinischen Beobachtungen, denen die Verf.

einen neuen interessanten Fall hinzugesellt, kommt sie zu dem Schluss, dass die genannten Sympathicus-Symptome auch beim Menschen nur durch eine Verletzung des Ramus communicans vom ersten Dorsalnerven hervorgerufen werden können. Bei der sogenannten Duchenne-Erb’schen Form der Plexuslähmung fehlen die oculo- pupillären Symptome constant, weil es sich hierbei um eine Läsion der Fasern aus dem 5. und 6. Cervicalnerven handelt. Vasomotorische Erscheinungen im Gesicht können nur dann zu Stande kommen, wenn die Fasern aus dem 3.—6. Paare der Dorsalnerven betroffen sind. Bei den Lähmungen des Plexus brachialis fehlen sie stets, Strämpell.

6) Ueber Störungen des Gesangs und des musikalischen Gehörs bei Aphasischen, von Prof. A. Kast in Freiburg i. B. (Aerztl. Intelligenzbl. 1885. Nr. 44.)

Ein 25jähriger Mann hatte sich durch ein Kopftrauma rechtsseitige Hemiplegie mit Aphasie zugezogen. Zur Zeit der Beobachtung (2 Monat nach Beginn) hatte sich die Fähigkeit des Nachsprechens schon wieder hergestellt; es bestand aber noch Broca’sche Aphasie und mangelndes Schriftverständniss. Beim Versuche zu singen (Pat. war ein guter Sänger gewesen) zeigte sich, dass der Rhythmus der Melodie stets richtig getroffen, dagegen unrichtige Töne und falsche Intervalle zu Tage kamen. Gab der Pat. dem Arzt Töne an, die dieser nachsingen sollte, so entgingen dem Kranken selbst geringe Abweichungen nicht. Während das musikalische Gehör also ungestört war, hatte Pat. die Fähigkeit verloren, sowohl willkürlich, als nach Vor- singen u. dgl., musikalische Töne bestimmter Höhe in der von ihm gewollten Weise correct anzuschlagen.

Für die Untersuchung derartiger Kranken, soweit sie musikalisch ausgebildet waren, würde sich empfehlen: 1. spontanes Singen, 2. Nachsingen, 3. Beurtheilung musikalischer Töne und Tonfolgen, 4. Erkennen einzelner Noten und in Noten ge- jetzter Melodien, 5. Niederschreiben von Melodien aus dem Gedächtniss und nach Angabe. | M.

5%

560

7) Beiträge zur Pathologie der Hirnkrankheiten, von Dr. Hermann Oppen- heim. (Charit6-Annalen. 1885. S. 335.)

I. 42jährige Frau. Kopfverletzung im Januar 1883. Im März krankhafte Er- scheinungen Seitens des Cerebrum. Parese der rechten Körperhälfte. Aphasie. (Es kommt häufig zu Articulationsbewegungen der Lippen und Zungenmusculatur, ohne dass dieselben von einer Tonbildung begleitet werden.) Stauungspapille Linke Stirn- und Scheitelgegend auf Beklopfen sehr empfindlich. Ein Tag vor dem Tode trat Bewusstlosigkeit, sowie conjugirte Abweichung des Kopfes und der Augen nach links ein.

Obductionsbefund: Gliosarcom im hintern Theile der mittleren linken Stirn- windung.

I. 54jährige Frau. 6 Wochen ante mortem: Linksseitige Hemiparese, links- seitige Hemianaesthesie (mit Einschluss der Sinnesorgane), Hemianopsia sinistra bi- lateralis, conjugirte Deviation des Kopfes und der Augen nach rechts. Keine Stauungspapille. Pupillen lichtstarr. Geruchs- und Geschmackshallucinationen.

Obductionsbefund : Citronengrosser Tumor im rechten Parietallappen, secundäre Compression des rechten Thalamus opticus.

II. 38jähriger Mann. Tuberkel in der linken Ponshälfte, der auf die rechte übergegriffen, und Lähmung der rechten Körperhälfte mit Contractur und Abstumpfung des Gefühls, wie Lähmung des linken Abducens und rechten Rectus internus her- vorgerufen hatte. Deviation der Bulbi nach der gelähmten Körperhälfte. Später Schlingbeschwerden, Lähmung des linken Facialis in allen Zweigen, Anästhesie im obern Aste des linken Trigeminus, sowie Trübung der linken Cornea.

IV. 63jährige Frau erleidet plötzlich Lähmung der rechten Körperhälfte: mit Aphasie, Alexie und Agraphie und Herabsetzung der Sensibilität. 4 Monat ante mortem epileptiforme Anfälle mit Zuckungen in der linken Körperhälfte, Abweichung von Kopf und Bulbi nach rechts. Cheyne Stokes.

Obductionsbefund: Alter Erweichungsherd im linken Schläfenlappen, Insel und hinterem Theile des Linsenkerns; rechts: basaler Abschnitt der untern Stirnwindung, nahezu die ganze Inselwindung und ein Theil der äussern Kapsel erweicht; Process rechts frischeren Datums.

Degeneration des rechten Pyramidenstranges, während intra vitam die Lähmung der Extremitäten eine schlaffe gewesen war.

V. An einen Fall von gummöser Meningitis basilaris mit Thrombose der Art. foss. Sylvii und nachfolgender ausgedehnter Erweichung knüpft Verf. die Besprechung von 4 anderen klinisch beobachteten Fällen ohne Section, in denen er ebenfalls eine basale syphilitische Meningitis annimmt. Hauptsymptome: reissende Schmerzen im Kopfe, im Nacken, Brechneigung und Erbrechen, Schwindel, Ohnmacht, Krampf; Lähmungserscheinungen besonders in den Augenmuskelnerven oder den N. optici. In allen Fällen Pupillenstarre. Verlauf mit Remissionen und Exacerbationen, häufig unter apoplectischen Erscheinungen Homiparesen. Psychisch: Aufregungszustände, Delirien, Verwirrtheit etc.

VI. 30jährige Frau, die psychisch das Bild der hypochondrischen Melancholie bot, aber beiderseits typische Stauungspapille hatte. M.

8) Ueber das Fussphänomen, von Prof. Axonfeld. (Arch. f. Psych. XVI. H. 3.)

Während hochgradige Steigerung und völliges Fehlen dieses Reflexes leicht zu bestimmen sind, so fehlt es an einer vergleichenden Bestimmung der Schwingungssahl bei Gesunden. A. giebt eine einfache Methode an, um dies zu ermitteln; man lässt den zu Untersuchenden auf dem Sopha oder einem nicht zu hohen Stuhle bei ge- bogenen Knie- und Fussgelenken sitzen, sodass bloss die Fussspitze den Boden

2.50 =

berührt. Bei einer gewissen, leicht herauszufindenden Stellung tritt eine periodische Oscillation des Beines ein, welche sich verstärkt und vom Willen emancipirt. Ver- setzt man so beide Beine in Schwingungen, so kommt es vor, dass sie in ungleichem Tempo und mit verschiedenen Schwebungen schwingen. A. fand als Mittel bei Gesunden eine Schwingungszahl von 7 in der Secunde. Siemens.

Psychiatrie.

9) Del tribadismo mei manicomi, per il Prof. C. Lombroso. (Archivio di psichiatria, scienze pen. ecc. 1885. VI. p. 218.) "

Verf. bespricht die auch in unseren Irrenanstalten vereinzelt zu beobachtenden Fälle von Tribadie unter den nymphomanisch erregten Frauen, und die Mittel, die dagegen zu ergreifen wären. Die sofortige Entfernung einer derartigen Kranken würde wegen der rapiden Verbreitung, die sonst die Tribadie findet, am besten sein, ist aber nicht oft ausführbar. Bromkalium, Campher, Atropin haben sich nie bewährt; Cauterisation der Clitoris schützt nur einige Tage (und entspricht wohl nicht ganz den modernen Behandlungsweisen. Ref) Es bleibt daher nur die sorgfältigste Ueberwachung am Tage und Isolation während der Nachtzeit. Ausserdem ist es nothwendig, zu derartigen Excessen geneigte Kranke in verschiedenen Abtheilungen unterzubringen, obschon dadurch die Gefahr der Verbreitung vergrössert wird. Bei einer solchen Patientin, einer Cretine, konnte Verf. neben einem auffälligen Habitus virilis eine bedeutende Hypertrophie des linken Labium majus und der Clitoris nachweisen. Sommer.

10) Sitofobia paredossa, per il dott. Cougnet. (Archivio di psichiatria, scienze penal. ecc. 1885. VI. p. 213.)

Unter obigem Titel beschreibt Verf. einen eigenartigen Fall von Nahrungsver“ weigerung. Ein Melancholiker (wohl ein Paranoiker) hatte sich im Verlaufe seine! Geistesstörung schon häufig geweigert, Nahrung zu sich zu nehmen, weil ihm die durch Stimmen verboten sei. Die Abstinenz war indessen nie eine besonders hart“ näckige gewesen. Als er aber eines Tages sah, wie ein anderer Kranker mit der Sonde gefüttert wurde, fing er von Neuem an zu fasten und war auf keine Weise zu bewegen, von selbst zu essen oder zu trinken. Es blieb zuletzt nichts übrig, als auch ihn mit der Sonde zu füttern, was er sich ohne das mindeste Widerstreben gefallen liess. Ja, nach kurzer Zeit führte er sich freiwillig die Sonde ein und nährte sich mit deren Hülfe selbst. Dabei weigerte er sich auf das Hartnäckigste, irgend etwas auf dem gewöhnlichen Wege zu sich zu nehmen, und jeder Versuch, ihm die Sonde zu entziehen, bedingte absolute Nahrungsenthaltung.

Den Grund zu dieser eigenartigen „Sitophobie“ erklärte der Patient selbst durch seine Wahnvorstellungen. Die Stimmen riefen ihm dauernd zu, er dürfe nicht essen, weil sein Magen gänzlich angefüllt sei und weil er daher bei der geringsten Nahrungs- aufnahme in den Magen sterben müsse, und dabei empfand er persönlich den grössten Hunger und Durst. Aus diesem Conflict zwischen den Stimmen und seinem Hunger- gefühl gewährte ihm der Anblick der Sondenfütterung einen erwünschten Ausweg: er glaubte, die Sonde sei so lang, dass sie durch den Magen hindurch bis in die Därme geführt werde, und dass die eingegossene Nahrung daher direct in den Darm fliessen könne, ohne den Magen zu füllen. Sommer.

52

11) Syphilis und Dementis paralytica. Nach einem in der medicinischen Ge- sellschaft zu Berlin am 1. Juli 1885 gehaltenen Vortrag. Von Prof. Mendel. (Deutsche med. Wochenschr. 1885. Nr. 33.)

Verf. erörtert zunächst, warum die statistischen Zusammenstellungen über die vorliegende Frage aus grossen Öffentlichen Krankenanstalten so abweichende Resultate ergeben von denen aus kleineren Privatanstalten: jene sind eben in Bezug auf die Erhebung der Anamnese viel ungünstiger gestellt. Darum schwanken die Angaben zwischen 16°/, und 32—77°/,, wenn von vorhergegangener Syphilis die Rede ist.

Immerhin finden die verschiedensten Beobachter, dass von den Paralytikern ein viel grösserer Procentsatz früher syphilitisch war, als vou den nicht paralytischen Geisteskranken. Obersteiner fand dort 21,6%, gegen 4,1°/,, Lange 33 °/, gegen 20/,, Oebeke 25°/, gegen 8°%/,, Nasse 35°/, gegen 1°/,, Reinhard 73°], (Pensionsklasse) resp. 16,7 °/, (öffentliche Anstalt) gegen 8,9°/,, Mendel 75°/, gegen 18°/,. .

Unzweifelhaft spreche die Statistik für den Zusammenhang.

Uebergehend zu der Besprechung, wie dieser Zusammenhang wohl zu erklären sei, kommt Verf. auf seine früheren Experimente von Hunden kurz zurück (8. d. CtriblL. 1884. S. 229), in denen er durch Drehung der Thiere auf einer Scheibe eine der Paralyse ähnliche Krankheit bei ihnen erzeugte. Dies gelang ihm leichter und schneller, wenn er durch Sublimatinjectionen vorher die Gefässwände im Gehirn alterirte (nach Popow): es konnte sich dann bei dem erleichterten Durchtritt der Blutkörperchen und des Plasmas aus den Gefässen die diffuse interstitielle Rinden- Encephalitis, welche sich bei den betreffenden Hunden fand, leichter entwickeln.

Verf. ist nun der Meinung, dass ähnlich wie bei den Hunden der Sublimat, so beim Menschen die Syphilis Gefässalterationen setzt, welche zur Erwerbung der Para- Iyse disponiren.

Denn Gefässerkrankungen finden sich im Gehirn der Paralytiker immer vor, und zwar nicht als secundäre Erscheinungen, sondern auch in ganz acut verlaufenen Fällen, der sog. galloppirenden Paralyse. Ferner fand M. in 2 Fällen von Melan- cholie ohne paralytische Erscheinungen bei jungen Männern, die Syphilis durchgemacht hatten, bei der Obduction (der eine starb an Tuberkulose, der andere an Suicidium) jene Gefässveränderungen vor. Auch Jürgens hat hervorgehoben, dass die Veränderungen an den Gefässen als Rest eines abgelaufenen syphilitischen Processes bestehen bleiben können.

Ein prägnanter Beweis, dass es sich hierbei um syphilitische Enndarteritis han- dele, sei freilich nicht zu führen.

Bestehen nun aber bei früher Syphilitischen solche Prädispositionen seitens der Gefässe, so können resp. müssen wiederholte Hyperämien des Gehirns, wie sie durch angestrengte geistige Arbeit, durch Gemüthsbewegungen etc. bedingt werden, jene . unheilvollen Folgen, die progressive Erkrankung der Hirnrinde, viel leichter nach sich ziehen.

Selbstverständlich ist die so gewonnene Erklärung nicht auf alle Fälle von Paralyse anzuwenden, da ja zweifellos auch ohne vorangegangene Syphilis Paralyse entsteht.

Therapeutisch ist festzuhalten, dass von antisyphilitischen Kuren nur zur Zeit der ersten Prodrome der Paralyse etwas zu erwarten ist. Für spätere Stadien möchte Verf. dem Ergotin das Wort reden. Die Centrifugalkraft zur Verminderung des Blutgehaltes des Gehirns zu benutzen (Kopf des Kranken im Mittelpunkt einer Dreh- scheibe, die Beine an der Peripherie) läge nach dem Vorhergesagten nahe. Auch habe schon Darwin der Grossvater am Ende des vorigen Jahrhunderts derartiges angeregt; doch sei der Drehstuhl in der Charit6 im Anfange dieses Jahrhunderts bei Geisteskranken in Gebrauch gewesen, ohne dass Erfolge damit erzielt seien.

Hadlich.

5

12) Un cas de paralysie göndrale & l’äge de 17 ans, par E. Rögis. (L’Enc#- phale. 1885. No. 5.)

Rögis, der vor 2 Jahren über einen Fall von Paralyse bei einem 19jährigen Menschen berichtete, theilt jetzt einen Fall noch früherer Erkrankung aus eigener Beobachtung mit, der ein erblich belastetes, unehelich geborenes Individuum betrifft, weiches im zartesten Kindesalter durch seine Amme wahrscheinlich Syphilis acquirirt hatte. Die Krankheit machte bald nach dem Ausbruch rapide Fortschritte, Patient verfiel, ohne jemals Grössendelir gezeigt zu haben, sehr schnell in tiefen Blödsinn, die Lähmungserscheinungen machten fast unaufhaltsam Fortschritte, specifische Be- handlung wurde schlecht vertragen, war erfolglos. Bemerkenswerth war bei dem Kranken eine wunderbare Neigung zu Gefässzerreissungen. Ungefähr 4 Jahre nach dem Auftreten der ersten Krankheitssymptome, rechtsseitiger Ptosis, starb Patient; leider ist die Autopsie nicht gemacht. Aus der Erfolglosigkeit der specifischen Be- handlung in diesem wie in vielen Fällen von Coöxistenz der Paralyse und der Syphilis möchte R. den Schluss ziehen, dass sich Paralyse bei unzweifelhaft syphi- litischon Menschen doch unabhängig von der Syphilis als völlig selbstständige Er- krankung bilden könne, und dass die durch Syphilis erzeugte Paralyse eigentlich eine Pseudoparalyse sei. Spruchreif ist diese Frage jedenfalls noch nicht.

Paralyse in so jugendlichem Alter dürfte wohl noch nicht "beobachtet sein; BR. knüpft daran die Bemerkung, dass die Berichte von Fällen vorzeitiger Paralyse sich mehren, er meint, dass das mittlere Alter, in welchem Paralyse auftrete, jetzt all- mählich ein niedrigeres geworden sei als früher, ebenso wie er nicht zweifle, dass die Zahl der Erkrankungen an Paralyse im staten Wachsen sei. "Zander.

Therapie.

13) Tvä fall af meningitis tuberculoss med dödlig utgäng, ett fall be- handladt med jodoformingnidning helsa, af Dr. Emil Nilsson. (Hygiea. 1885. XLVIL. 7. 8. 393.)

In einer Familie, in der von mütterlicher Seite Anlage zur Schwindsucht be- stand, war früher ein Kind im Alter von 8 Monaten an einer Brustkrankheit gestorben, ein 2. im October 1884 an Keuchhusten mit Pneumonie. Kurz hintereinander starben im Jahre 1885 2 Kinder im Alter von 6 und 1 Jahre an tuberkulöser Meningitis. Etwa gleichzeitig mit diesen beiden letztern Geschwistern begann eines der beiden noch übrig gebliebenen, ein 8jähriger Knabe, zu kränkeln; anfangs klagte Pat. nur über Schwere im: Kopfe und Müdigkeit, später wurde der Schlaf unruhig, Jammern während desselben stellte sich ein, Kopfschmerz und Erbrechen. N. fand das Kind somnolent, mit regelmässiger, nicht beschleunigter, aber bisweilen seufzender, manch- mal fast pausirender Bespiration, unruhig sich hin und her werfen. Der Puls hatte 80 Schläge, die Temperatur wechselte zwischen 37,9 und 88.5°. Etwa 8 Tage lang blieb der Zustand unverändert, dann trat eine merkbare Verschlimmerung ein; das Kind lag fortwährend in einer Art von Halbschlaf mit nach oben verdrehten Anug- äpfeln, aber mit gleich weiten Pupillen, und nahm nichts zu sich. Bisweilen wurden die Wangen rasch geröthet und dann warf sich das Kind unruhig hin und her. Bald darauf stellten sich in Armen und Beinen krampfhafte Zuckungen ein, die immer heftiger und anhaltender wurden; vor und nach denselben rötheten sich immer die Wangen; manchmal zeigten sich auch Zuckungen in den Gesichtsmuskein. Nachdem die Haare abgeschnitten waren, rieb N. Jodoformsalbe (1:10) ein und wiederholte die Einreibung 3—4mal, danach stets den Kopf des Kindes mit einer Wachstaffetmütze bedeckend. Schon am Tage nach der ersten Einreibung wurden die Krämpfe gelinder und seltener und hörten schliesslich ganz auf, der Schlaf wurde ruhig und das Kind zeigte Bewusstsein. Nachdem die mit der Wachstaffetmütze

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bedeckte Salbe 38 Stunden gelegen hatte, wurde sie entfernt. Heftiger Schnupfen und Husten stellte sich ein. Die Exspirationsluft roch stark nach Jodoform, angeb- lich noch mehr als 8 Tage nach der Entfernung der Jodoformsalbe.. Die Genesung machte rasche Fortschritte und bald befand sich das Kind ganz wohl. Auch Sondön (Hygiea. XLVII. 8. Svenska läkaresällsk. förh. S. 151.) theilt einen Fall mit, in dem durch Einreibung einer Jodoformsalbe an Kopf und Rückgrat in einem Falle von Meningitis tuberculosa, in dem wenig Aussicht auf Besserung vorhanden zu sein schien, dennoch Heilung erzielt wurde. Walter Berger.

Anstaltswesen.

14) Jahresbericht der Kreisirrenanstalt München für das Jahr 1884, er- stattet der kgl. Regierung von Oberbayern im August 1885 von dem Director Obermedizinalrath Dr. v. Gudden.

Es ist dies der erste Jahresbericht der am 1. November 1859 eröffneten An- stalt, welcher gedruckt erscheint. Derselbe giebt uns auf 107 Seiten nicht bloss die Geschichte der Anstalt, sondern durch die beigefügten „Satzungen“, die „Haus- ordnung“, die „Feuerlöschordnung“, die „Dienstes-Anweisung für das Pflegepersonal“, dieselbe „für das Oberpflegepersonal“, für die Assistenzärzte, die Einkünfte und Aus- gaben, einen vollständigen Blick in das Leben des Krankenhauses. Den Schluss bilden statistische Tabellen, aus denen wir Folgendes hervorheben.

Bestand am 1. Januar 1884: 306 M., 311 Fr.; Summa 617. Aufnahmen 1884: 156 M., 110 Fr. Abgang: 184 M., 129 Fr. Bestand ult. December 1884: 278 M. (durch einen Druckfehler nur 178), 292 Fr. Summa 570.

Von den Aufgenommenen litten 75 (37 M., 38 Fr.) an Melancholie, 62 (36 M,, 26 Fr.) an Manie, 35 (17 resp. 18) an secundärer Seelenstörung, 51 (43 resp. 8) an Paralyse, 8 (5 resp. 3) an Seelenstörung mit Epilepsie, 3 (2 resp. 1) an Idio- tismus und Crelinismus. Kine Reihe Tabellen geben uns ausserdem über Dauer der Krankheit, Alter, Erblichkeit, forensische Beziehungen, Todesursachen etc. Aufschluss. In Bezug auf letztere sei noch bemerkt, dass kein Selbstmord und kein Unglücks- fall vorkam. M.

II. Aus den Gesellschaften.

Acadömie des sciences & Paris. Sitzung vom 2. November 1885.

Vulpian: Nouvelles recherches sur l’origine des fibres nerveuses glandulsires et de flbres nerveuses veso-dilstetrices, qui font partie de le corde du tympan et du nerf glossopharyngien,

Die Fasern der Chorda tympani, welche die Drüsennerven und die gefäss- erweiternden Nerven enthalten, kommen aus der Medulla oblongata; keine aus dem Trigeminus. Die Geschmacksfasern der Chorda, von denen schon Lnssana angegeben, dass sie aus dem Facialis. stammen, laufen im Nervus intermed. Wrisbergii, der als hintere Wurzel des Facialis zu betrachten ist. Die Chorda tympani ist demnach nicht eine Anastomose, die der Facialis von anderen Nervenstämmen erhält, sondern sie ist ein Ast des Facialis selbst und ist ganz dem trophischen Einfluss des Gang- lien gesiculi unterworfen.

Ebenso stammen die Fasern des Glossopharyngeus, die zur Parotis geheu, und die gefässerweiternden für den hinteren Theil der Zunge aus dem Glossopheryngeus selbst, in dem sie ontbalten sind, da, wo er die Medulla oblongata verlässt.

In der Sitzung vom 28. November fasste Vulpian das Ergebniss seiner Unter- suchungen dahin zusammen, dass der N. int. Wrisb. gleichzeitig Geschmacks-, Secre- tione- und Gefässerweiterungsnerv sei und dass derselbe auch die Geschmacksempfin- dung des Vel. palat. vermittle. M.

565 °

Acad6ömie de mödecine. Sitzung vom 10. November 1885.

Dujardin-Beaumetz empfiehlt als neues Schlafmittel das Phenyl-Methyl- Aceton (C,H,COCH,), das er wegen seiner Wirkung Hypnon nennt. Dosis 2 bis 4 Tropfen in Kapseln mit Glycerin. Keine unangenehme Nachwirkung als einen starken und hartnäckigen Geruch der Athmung, der an bittere Mandeln erinnert. M.

IV. Berichtigung

zu dem Aufsatz: Beiträge sur pathologischen Anatomie des centralen Nervensystems, von Dr. Th. Rumpf. R

Ich werde von Herrn Collegen Schulz in Braunschweig darauf aufmerksam gemacht, dass sich in dem ersten der unter obigem Titel erschienenen Aufsätze: 1) Ueber Gehirn-Rückenmarkssyphilis, auf Seite 11 des Separatabdrucks der Seite 418 des XVI. Bandes des Archivs für Psychiatrie und Nervenkrankheiten! ein unange- nehmer Fehler eingeschlichen hat. Es handelt sich um eine Verwechselung von rechts und links.

Bei dem betreffenden Patienten war eine Cyste im linken Linsenkern vor- handen und dementsprechend fand sich eine secundäre Degeneration in der linken Ponshälfte und durch die Pyramidenkreuzung hindurch im rechten Seitenstrang.

Nun heisst es von: Zeile 26 ab: „Die mikroskopische Untersuchung des Pons ergab nun auf der linken Hälfte absolutes Intactsein der motorischen, den Pons passirenden Pyramidenbahnen. Bechts waren dieselben in der gewöhnlichen Weise der Degeneration im Rückenmark entsprechend verschmälert mit reicherem Binde- gewebe durchzogen, gefässreich.“

Es muss hier heissen, dass die rechte Hälfte des Pons absolut in- tact, die linke degenerirt war.

Allerdings wird der Druckfehler im Folgenden alsbald klar, indem es heisst, dass auch Schnitte durch die obere Hälfte der Oliven den gleichen Befund be- treffs der Pyramidenbahnen, rechts keine Spur einer Erkrankung, links deut- liche secundäre Degeneration ergaben.

Immerhin wird es besser sein, diese Verwechselung von rechts und links richtig zu stellen und bin ich Hrn. Collegen Schulz zu besonderem Danke verpflichtet.

‘Bonn, November 1885. Dr. Th. Rumpf.

In dem Referat über Hill: „The anatomy of a hydromikrocephalous brain“, Ctrlbl. 1885. Nr. 22. 8. 507, fehlen Zeile 5 von unten hinter „und“ die Worte: „und dass der Thalamus“, Der Satz heisst dann: „und dass der Thalamus als vorderstes Stück der ästhesodischen Region den zwei ersten Hirmerven Ursprung gebe.“

Edinger.

V. Personalien.

Dr. Wähner ist zum Director der Irrenanstalt Allenberg erwählt. Amtsantritt Ostern 1886.

Dr. Hallervorden, bisheriger 2. Arzt der Irrenanstalt Allenberg, wurde zum Director der am 1. October 1886 zu eröffnenden Irrenanstalt Kortau bei Allenstein gowählt. Amtsantritt Ostern 1886.

ı Cf. d. Ctribl. 1885. 8. 871.

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15.

Register 1885.

L Originalaufsätze.

. Ein zweiter Fall von Betheiligung der Sal BTRUEhNIE. Ds has jareen

Muskoelatrophie, von Dr. F. Mossdorf, Dresden . . . es Zur Lehre von der spinalen Ataxie, von W. Erb. . Ueber die Bestandtheile der euren, des Rückenmarks auf Grund der Unter- Bao nung ihrer Entwickelung, vorlä ee le von W. Bechterew . . Zur pe aloeıneen: Anatomie der Tabes dorsalis, vorläufige Auen von Dr. rauss, Breslau .

; Ueber die dyscrasischen Momente, welche bei der Genese der Neurosen und

Psychosen eine Rolle spielen, von Dr. 0. Müller, Blankenb

. Zur Kenntniss des Verlaufes der Hinterstrangfasern in der Medulla oblongata a

im unteren Kleinhirnschenkel, von Dr. Ludwig Edinger, Frankfurt a.M. . .

. Ein weiterer Fall von Lähmung durch subcutane Aetherinjection, von Dr. Hugo

Neumann, Assistenzarzt am städtischen Krankenhaus Moabit in Berlin

. Ueber die Verbindungen der Hinterstränge mit dem Gehirn, von Prof. P. Flechsig . Ueber die hintere Commissur des Gehirns, von Dr. L. von Darkschewitsch . Vorläufige Mittheilung über den Ursprung des Nervus acusticus, von Prof. Dr. Aug.

Forel, Zürich

. Zur Anatomie der Schenkel des Kleinhirns, insbesondere der Brückenarme, von

W.Bechterew .

. Ein Fall von Lähmung aller Angenmuskeln "nach ch, Diphtberiti fancium, von Dr.

ung W. Uhbthoff, ‚Assistent der Schoeler’schen Augenk Zur Lehre von den er ne di Lähmungen, von E. Mendel Ueber den centralen des N. accessorius Willisii, vorläufge "Mittheilung von L. v. Darkschewitsch, Moskau. . Ueber eine Modification der nenen Weigert’schen Färbemethode für die markhaltigen Nervenfasern der Centralorgane, von M. Friedmann, Stephansfeld

. Ueber die innere Abtheilung des Strickkörpern und den achten Hiranerven, \ von

W. Bechterew aus Petersburg 2 a Ein neuer transportabler Rheostat, von ‘Dr. Ewald Hecker. a

. Ein Fall multipler Neuritis mit Athetosia, von Dr. L,. Löwenfeld in München 149.

. Weitere Mittheilung über den Ursprung des Nervus ROBIN, von Prof. Dr. Aug. :Forel und med. pract. B. Onufrowioz.. .

. Ueber eine bisber unbekannte verbindung der gronen Oliven mit dem Grosahim,

von W. Bechterew. .

. Zusatz zu vorstehender Mitiheilung,, von Prof. Paul Flechsig Se 3 La .“ Pre ie mit dem Gemühtswahnsinn und der gereen Delinquenz,

von Pro r080.

. Fall = Lendryscher Paralyse, „geheilt durch Ergotin, von Dr. Borgenfroy

aus Ackermann in Rusalan

. Ueber einige Principienfragen in der Elektrotherapie, von Dr. C. W. Müller in

Wiesbaden

. Ueber die Zeitdauer der einfachen "paychischen Vorgänge bei Geisteskranken, von

Dr. W. v. Tachisch .

. Herr Prof. Adamkiewicz und die "Tabes dorsalis, von Prof. Dr. "Schultze in

nobep. zur pathologischen Anatomie der Tabes dorsalis und zum Faserverlanf im Feinde lichen Rüokenmark, vorläufige Mittheilung von H. Lissauer .

. Vorläufige Mittheilun über einige durch die „Atrophie -Methode“ ersielte Resul-

tate, ee ie Commissura ‚posserlor Bei: end, von E. = Spitzka in New-York f) . . . o e [) . f} . |} o 1] [} |} .

246

567

529 555

29. nn des Corpus gUaEIg Tainem, von Dr. L. Darkschewitsch aus oskau . . 30. Neue experimentelle Beiträge zur Anatomie der Schleife, vorläufige Mittheilung von Dr. v. Monakow . h 81. Zur Kenntniss der Olivenzwischenschicht, von Dr. Sigm. Freud. . 32. Klinisches und Pathologisch-anatomisches von der Thomsen’schen Krankheit, vor- läufige Mittheilung von Prof. Dr. W. Erb in Heidelberg . . 88. ve > er zwischen ala und Ophthalmoplegie, von Prof. irschberg . 84. Ein Fall von Fererllsier Neuritis mit schweren elektrischen Alterationen auch der niemals gelähmten Nn. faciales, von Dr. Ernst Remak, Privatdocent . . . 35. Ueber die Täogafaserzüge der Formatio reticularis medullae 'oblongatae et pontis, von Dr. W. Bechterew aus St. Petersburg . 86. Zur Symptomatologie der Ponserkrankungen, von Prof. J. Mierz ejewaky und Privatdocent P. Rosenbach in St. Petersburg 1. 87. Einige Bemerkungen zu Herrn Dr. E. Remak's Mittheilung „Ein Fall von "gene ralisirter Neuritis ete.“, von Dr. L. Löwenfeld . .. Ir br oe 38. Replik auf vorstehende „Bemerkungen“, von Dr. Ernst Remak . 89. Herr Prof. Schultze und seine Kritik, von Prof. Dr. Albert Adamkiewicz x 40. Bemerkung zu dem vorstehenden Aufsatze des Herrn Prof. Adamkiewicz, von Prof. Schultze in Heidelber 4 4. al von Tumor cerebri (Gli osarcom der Zirbeldrüse) von Dr. L. Feilchenfeld - in Berlin . 42. Zr Untersuchungsmehode d des "Kniephänomens, von Dr. Ernst Jendrässik in udapest . . 43. Beitrag zur Lehre der multiplen Neuritia bei Potatoren, von Dr. Richard Schulz, Vorstand der med. Abtheilung des herzogl. Krankenhauses zu Braunschweig 438. 462. 44. ass die Behandlung der Nahrungsverweigerung bei Irren, von Director Dr. iemens . 45. Kurze Notiz, die Lumbel- Anschwellung des Rückenmarks betreffend, von E. C. Spitzka, New York . 46. Eine Bemerkung zur Säufer-B ile lepsie, v von "Dr. Moeli, Privatdocent und "Oberarzt der städt. Irrenanstalt in D 47. Ueber eine durch eine klinisch bisher nicht verwerthete Untersuchun methode er- mittelte Form der Sensibilitätsstörung bei einseitigen Erkrankungen des Grosshirns, kurze Mittheilung von Dr. Hermann Oppenheim. . - . 48. Ein Fall von Tumor der Zirbeldrüse, von Dr Knud Pontoppiden, Kopenhagen 49. Die chemische Reaction der grauen Substanz, von O. Langendorff in Königsberg od. Namenregister. Adamkiewiez 224. 391. Barwell 108. 111. | Binswanger 449. 499. Albutt 166. Bastian 111. . irdsall 46 (2). Alexander (Conrad) 60. Beach 404. Blau 188. Althaus 88. 882. 481. 442.546. | Beard 883. Bloch 272. Amidon 46. 275. Beaunis 164. Blumenthal 22. Anjel 280. Bechterew 81. 121. 145. 155. | Boeckel 238. Arnozan 88, 194. 202. 258. 337. 856. 369. | Bolling 802. d’Arnsonval 236, 898. 440. 489. Bouchard 14. Aronsohn 85. Benedict 481. Bourneville 159. 881. 442. Axenfeld 561. i Bent 229. 277. 286. 287. | Bouteillier 162. rg 542. Bowlby 208. Bacon 107. Ben reelau) 84. 226. Bramweli 430. Baginsky 258, Berger (Paris) 285. Bribach 141, Baillarger 108. 476. Bergeret 882. Bricon 159. 881. Baistrocchi 154. io 15. Brieger 373. 444. Baker ng alt: Ber 185. Brissaud 422. Balinski Bersuardt 44. 189. 288. 298. | Bristowe 157. Ball 65 @) "oa. 849. 405. 588. Broadbent 110. Ballet 158. Bert 165. 406. Brooks 874. Bandny 549. Besant 883. Brown-Söquard 236. Bandorff 45. Bettencourt-Rodrigus 301. Brunati 847. Barbillon 828. Bezold 184. Bruzelius 11.

Bartholow 46. Bianchi 91. 212. Buccola 216. 821.

Buchstab 58. Bucquoi 1685. Buzzard 108. 388. 546.

Campbell 277. een 41. 281. 518. Canfleld 37. 444. Capelmann 338. Carrier 282.

Carver 107.

de Cauvy 239. Chantemesse

159. Charcot 112. 208, 234. 258.

514. Charpentier 288, Christian 238. 329. Christiani 359. Cionini 320. Clark 110. Coster 539. Cougnet 561. Couty 214. Cramp 518. Crespin 158. Cullere 16. Cuylits 876.

Wana 46, 523. 548. Danillo 82.

Darkschewitsch 100. 184. 251.

Deas 8083.

Debove 91.

Dejerine 89. 86. 280. 400. Delepine 273.

Demange 227. 347. 558, Demans 289.

Dubuo 288.

Duckworth 109. Dujardin-Beaumetz 568. Dumanil 924.

Dunoyer 60.

Wdinger 78. 809. Engelskjön 188,

Erb 25. 289. 501. 509. Erlitzky 375.

Eskridge 348.

Esperon 428.

d’Espine 15.

Eulenburg 23. 24. 46. 84. 1693. 191. 215. 832. 347. 482. 448,

Exner 82, 478. 479.

Wamiliant 488.

Farge 474.

Feilohenfeld 409. Fenoglio 284.

Fer6 181. 236. 279. 420.

568

| Fe rely 339.

N 2387.

Fincke 162.

Fischer 106.

Flechsig 97. 196. 356. Flesch 534. 545 (2).

227. Forel 101. 193, Fourier 91. Fox 473, Fränkel 167. Freud 268. 298. Freund 455. Freund (Bern) 510. Lensberg 524. 525. Frew Friedmann 185. 810. 440. Frigerio 157. Fürstner 18. 305. 449. 450.

Gtee 408. Gerlach 449. Gessler 811. Gibney 548. Gilles de la Tourette 161. 205. 284. 379. Gilson 232. Giovanni 65. Giraudeau 558. Glaser 176. Gnauck 21.

Godlee 287.

Goltz 479. 493. 495.

Gowers 546. 552.

Grant 476.

Grapet 215.

Grashey 308. 450. 451. 499 (3).

Gray 547. 548.

Green 283.

Greidenberg 88.

Grenelles 540.

Gröningen 262.

Gros 851.

Grossmann 89.

v. Gudden 449. 450. 451 (2). 452. 458. 564.

Guenther 141.

Guimaraes 214.

Guinon 258. 514.

Gussenbauer 144,

Guy 447.

Madlich 189. 190, nbach 528, Hallopeau 348, Hamilton 416, Hammond 46. Harada 14. 326. Hardfield-Jones 158. de la Harpe 18. Hasse 161. 333, Haycraft 534. Hebold 61. 511. Hecker 147. He 112. Heiberg 48.

ı Heidenhain 479.

Herzen 897. Herzen (Lausanne) 454. + den 448.

Hirschberg. 190. "262. 294. v. Hoesslin 585.

van der Hoeven 514. Hoffmann 229.

Holsti 445.

Homeön 300. 417. 418. Hopmann 545. Horsley 287. 429. Hulke 109.

Hun 9178.

Huss 382.

Hutchinson 109.

Immermann 304. Ingels 272. Ireland 508. Istomanow 389.

Jackson, Hughlinge 287. 546. Jacoby (New ' York) 46. 547. Jaeckel 44.

Jalande de la Croix 88. Janovsky 374,

Jehn 527.

Johnstone 425. Jolly 805. 499. 527. Josias 588.

Jürgens 399.

MAahler 276. Kalkoff 181. Kast 810. 559. Kaulich 474. Kemper 824. 511. Keraval 58. Kiernan 519. Kirchhoff 12. Kirmisson 165. Kirn 48. Klemenciewiez 473. Kleudgen 450. Klinkert 86. ang 401. 559. Knapp 299. 502. Koch 428. König 492. Körner 274. Kohts 456. Kollmann 477. Konräd 297. 380. Kraepelin 499. 526. v. Krafft-Ebing 43. 162. 426. 427. 449. 452. Krause (Berlin) 548. 544. Krauss (Ed.) 49.

Krömer 278. Krönlein 71. Krücke 87.

Küssner 17. Kussmaul 274. Waborde 24. 165. 406. Lähr 407. 450.

Landonzy 105. 208, Langendorff 555. Langdon 541. Lange 519. Lawdowski 6. Legroux 165. mann 44. 328, Lehr 406. Leichtenstern 71. Leser 71. Lewin 20. Lewis 36. 523. a 446. Leyden 419. Lilienfeld 352. Liman 20. Linden 418. Lissauer 245. Lloyd 492. 5283. Löb 471. ' Löwenfeld 10. 149. 169. 366. Lombroso 91. 157. 197. 404. 425. 561. Loye 997. Lucas 111. Lussana 320. Luys 90. 400.

Mabille 232. 851. Mac-Dougall 285. 852, Macewen 285. Maclagon 111. Macnamara 110. Macphall, Rutherford 16. 212. ee n

nan 209. Mann 160. Manouvrier 165. Marandon de Montyel 16. Marchi 296. 415. Marey 288.

64.

er 441. Mendel 20. 28. 92. 128. 449.

450. 452 (2). 498. 512. 562. Mendelsohn 224. Mettenheimer 838. Merklin 441. Mickle 277. 873. Mierzejewsky 861. 885. Mieth 204.

569

Mills 498. 5283.

Moeli 354. 503.

Molliöre 288.

Mommsen 870.

v. Monakow 69. 265. 895. 454. Mondino 557.

Money 160. 822. 547.

Moore 408.

Moreau 1886.

Morris 110.

Morselli 68. 485.

Mossdorf 1.

Moxon 109. 110.

Müller (Blankenburg) 54. 78. . (Wiesbaden) 94. 199.

Musso 11.

Wahlowsky 47. Nasso 238. Nebel 44. Neftel 187.

Norman 475. Nothnagel 41. 182. 495. Nutt 206.

@bersteiner 89.

Ochotin 828.

Oebeke 450.

Onufrowiez 198.

Oppenheim 254. 261. 855. 376. 529. 548. 544. 560.

Orä 108.

Ormerod 62. 382. 888.

Oser 549.

Osler 142,

Ott 46. 417. 547.

Parant 541. Paris 64.

es gr (8)

r 525. 545 8 Philfops 429.

Pick 42. 535.

Pierson 8883.

Pitres 14. 204. 214. 297. 402. Planat 8329.

Pontoppidan 851. 558.

Poulet 285. Pozzi 236. 289. Preyer 451. 452. Prince 587.

@uinquaud 164. Mabbas 106.

Rath 48. Raudnitz 271. Raymond 97. Rayner 45. Regis 288. 568. 897. Reichert 234. 528. Reinhardt 175. 850. Reisinger 8. Remak (B.) 878. Remak 70. 92. 105. 180. 262. nn 288. 318. 867. 448. 548.

Rendu 165.

Ribail 178.

Richet 168.

Richter (Dalldorf) 262.

miele (Pankow) 20. ioger 156. 283.

Bobins 882.

Bockwell 45. 522. 547.

Roger 212. 827.

Boller 426. 517.

Rosenbach (Breslau) 85.

ei (Petersburg) 861.

Rumpf 871. 477 (2). 528. 527. 566

Runeberg 178. 207. Rybalkin 107. 875.

Sachs 85. Sachs (B.) 882. Sakaky 19. 164. Sander (W.) 288. 850. Sandmann 588. Sav 162. 185. 186. 424. Schlaar, hausen 218 ) enhausen s Schrader 104. Sehreaiber 103. Schüle 449. Schultze (Heidelberg) 241. 907. 394, 508.

570

ar rennen eg) 488, Strahan 10.

Straton 517. Schuster - A. Strümpell 289. 442. Se neo 18. Sturge 512. Söglas 442 Suckling 229. 876. en 68. 522. 547 (2). 548. Sylvester 524. Semelaigne 160. Tambroni 232. Senator 288. Tamburini 68. 167. Sepilli 167 Tarchanow 189. 490. Severi 800 Tarnowsky 142. Sheild a Tartuferi 270. Sherrington Terrillon 166. Siemens 450 “e) 451. 457. Thomas 408.

Siemerling 855.

Si 299. Sinkler 549.

Sioli 19.

Siredey 105. Smith 110. 586. Sommer 524.

Sommerbrodt 408.

a ae 328. orgenfrey 198. Souza-Laite 401, Spitzer 188. Spitzka 38. 88. 246. 481. 548.

Stein 525 (2). Stephan 179. Sternberg 558. Stille 832.

Abducenslähmung 387. Accessorius Willisii 184. re: Geisteskranker 427. 461 Acustious, Ursprung 101. 146. 198. 268. elektr. Reaction 321. Verbindungen 490. Addison’sche Kran heit und Psychose 212. Aetherinjectionen, Lähmung aduren 16. 88. 92. spra bei Tetanus etc. 162, irkung auf Nerven 88. Agoraphobie 880. 851. coholismus : Delirien 810. Hyoscyamin dabei 107. Läh- mung 378. mit Neuritis 358. 488, 462. 482. mit Pseudo- tabes 87. cf. Del. tremens, Dipso- manie, Trunksucht. ne mit Hemichores 848, cf. Localisation, Sehen. Arnnesie 284. postepil. 428, Amyotrophie 182. 208,

Thomsen 254. 855. 423. 344.

erg

Tippel 156. schisch 217. 224. Tuczek 808.

Tuke 185. 424. 589. Tumas 88.

Uffreduzzi 296. Uhthoff 125. 190. 355. 542. Usuelli 418.

Waillard 297. Valenta 382. Vareglia 471.

Vejas 137.

Verga 186. 418. 482. Vigouroux 62,

III. Sachregister.

cf. auch Bleivergiftung, Mer airoplte; Poliomye-

litis

Amyotrophische rs eumIanB sclerose 260.

Anästhesie, ae orinis 254. 257. 261.

Analgesien 548.

Au LenrO0I des Rückenmarks

N En cf. Irre ; Aphasie 59. 60. 141. 160 (Br 206. 274. 275. 276. 400 (2) N er 511. 559. T exia sanguinea, Tempe- al dabei 442. Arachnitis spinal. 'chron. 178, Arbeitsparesen 5839. nt. nitr., Veränderungen 08 Rückenmarks durch Ver-

iftung 225. Arteria Dasilaris, Aneurysma _ ER 549.

Virchow 584. Vogelsang 21. Voigt 442.

Vulpian 24. 227. 286. 237 (2).

238. 406. 564.

Wagner 140. 297.

Walker 215.

Waller 542.

Wallis 11. 59.

Walton 46. 2380.

Warfringe 518.

de Watteville 284.

Webber 46. 522.

Weigert 201. 254.

Wendt 68.

West 421.

Westphal 88. 59. 190. 191. 260. 262. 287. 2388. 880.

White 208. 423,

Wide 182.

Wiglesworth 212. 300. 540.

Wilbrand 257.

Wilder 45. 548. 549.

Wildermuth 89.

Wising 421.

Witkowski 310. 451, 452.

Woodnut 498.

Tacher 807. Zesas 406. Ziehen 416.

| Zimmerlin 68.

Zinn 19.

ae locale 514. Psychose dabei 475. A Therapie Biei ergift taxie 585. Bleiv ung 46. —_ mens 131. auch diphtherische Läh- Dune s Se Friedreich’sche Krank- Ataxie spinale 25. subacute, patholog. Ana tomie 310. Athetosis 149. 174. 215. 866.

868. Atropin, Veränderungen des Rückenmarks 225. ATI EL ÄIDRURE ASS0-

—_ diphtherische 125. 128.

periodische reeid. 428. 545.

pro ive 46,

Auro-Natr. chlorat. 46.

AuFonaEache Bewegungen 139.

Malken 45. 157. 416. Basedow’sche Krankheit 522. gUNgBNEUTOBEN, cf. Arbellssaresin. Bewusstseinsausschaltungen

808. a Lexicon 240. Bleilähmang 307. 876. ana sche 46. 876. Mus Sszonne dabei 876. Bogengänge, bee ie 258. Brompräparate bei Neurosen 17. bei Epilepsie 162. 628, Brückenarme, Anatomie 121. ne ee progr. 510.

—_ Kan dabei 548. Burdach’sche Stränge 82. 548.

Campherintoxioation 829. Cannabinon 20. Capsula interna 277. 420. 42t. 494 (bei Hunden). Carrefour sensitif 420. 421, Castration der Frauen, cf. Ovariotomie. Centralnervensystem ,. Plan desselben 489. cf. Hirn, Rückenmark. Centra, motorische 440. 85. cf. Localisation. Centrum ano-vesicale im Rückenmark 12. Centrum ovale, Function 474. Cerebellum, cf. Kleinbirn. Cholers in Irrenanstalten 96. Sehnenreflexe dabei 538. Chorda Tympani 564. Chorea 474. experimentelle 922. Aetiologie 206. 402. 408. sensor. Anästhesie 255. mit Coprolalie u. Echolalie 879. prächor. Stad. 517. spastica 517. Aetherspray dabel 162. Nervendehnung Clarke’sche Säulen 52. 598. Claustrophobie 830. Clitrophobie 880. 851. Cocain 21. 24 (2). 88. 215. Combinirte Strangerkrankung des Rückenmarks (cf, auch dieses) 39. 875. Commissur, hintere, des Ge- hirns 100. 246. Contractur, hyster. 401.

Corp. quadrigem,, cf. Vierbügel. Corpus callos.,

cf. Balken. y restiforme 76. 188. 145.

Corpus striatum 507. Cretinismus 429. Crus cerebri, cf. Hirnsohenkel.

571

Curarin.sulf.b. Geisteskranken 44. bei a ad 881.

Cysticercus im Hirn 178 und Rückenmark 61.

Becubitus 296.

Degeneration, secundäre 104. 373. 898. 417. 479. 560 und tertiäre 508. topograph. Ver- ee 2 214.

ef. Neuritis, Rückenmark.

peychische 16.

Delirium acutum 849. 445. 446. 476.

ambitionis 406.

Deliriam tremens 186. 810. cf. Alcoholismus. Ä Dementia (cf. Psychosen, Pars-

Iya- progr. Tumoren in der ädelhöhle dabei 418. paralytica, ef. Paralyse progr. Deviation, conjugirte 560. Diabetes insipidus 585. Sehnenrefleze dabei 14. 538. Diphtherie, : Lähmungen 125. 128. anatom. Befund 131. Patellarreflex 131. 298. 546. Dipsomanie 48. 44. Dura mater cranii, Läsionen 41. Endothelialsarcom 418. Dynamometrie 9. 236. Dyspepsie nervöse 419. 549. Dystrophia muscoularis 62. 69. 182. 191. 208. 209. 492. 501. mit Betheiligung der Ge- sichtemusculatur 1. 280.

WEcholalie 879. Kaligehalt des

Elektrodiagnostik 18. 188. 287. des Gesichtsfeldes 297. . myotonische Reaction 298, cf. En tion. Elektrotherapie 18. 94. 187.

199. 220. 283 (2). 888. 448.

522. 525. 526.

Eminentia teres 889.

Endotheliom 418.

Endplatte, motor. 311.584.812.

Entartungsreaction des Facia- lis ohne Lähmung 816 und

Sehnenreflexe 70. 279.

Ependymwacherung 440.

Epicauthus und Ophthalmo- plegie 294.

Epilepsie:

Experimentelles 237. 416.

Pathogenese 85.

Symptome 238. mitior 441. tarda 442. larvata 425. nach Scharlach 89. bei Nasenpolypen 62. hemi-

plegica 105. partielle 60. 142. 158. 159. 180. 422, der Säufer 505. präepilept. Irresein 20. n 106. Identitätmitmoral.Wahn- sinn 197. impulsive Hand- kun 279 und moral. Wahnsinn 404. Päderastie 142. postepilept. Amnesie 423

Patholog. Anatomie 61.

Therapie 528. Bromppt. 17. Curare381. Operation 162. Osmiumsäure 405. Tre- panation 285.

forens. 91.

Ergotin beiLandry’scher Para- yse 198. bei Paralys. progr. 881.562 bei Psychosen 44.

Erotomanie 211.

Eructatio 550.

un; Ion faciei mit folgenden aresen 444. Erythremelalgie. 498. Wacialis Dehnung bei Krampf

44. 405. elektr. Alterat. 316. Ganglienzellen in dems. 471.

Facialisparalyse mit Herpes Zoster 443

08 ; Färbemethode für das Nerven- system 135. 201. 471. 549. Faradischer Strom, cf. Elektrodiagnostik und «therapie. Fissura postrhinalis (Him- rinde) 549.

cf. Zwillingsirresein. Folie du doute, of. Zweifelsucht. Forensische Fälle 91. 108. 157. 162. 218. 426. 427. Stellung des Arztes 452. Format. reticularis 387. Foss. oceip. med. 157. Friedreich'sehe Krankheit 11. 882. 586. 537. 549. Fühlsphäre 477. Funiculi cunesti 187. Funiculi graciles 187. Fussphänomen (cf. Sehnen- exe) 14. 299. 546. 561.

Galvanometer 382. Ganglienzellen, Darstellung 500. im Facialis 471. Struc- tur 545. Vacuolenbildun 467.488. Karyokinese 567. Ganglion cervicale uteri 455. Ganglion Gasseri Tumor 184. Gastroplegie 550. Gastrospasmus 550. Gefässsystem, Reizung sen- sibler Nerven darauf 369. Gefühlsleben 47. Gefühlssinn 534.

rg bei Tabes, Tabes.

nd 490.

188. Gesichtafeld - Untersuehung, elektrische 297. Gesichtefelderregung 525. Giandulapinealis,Structur820. Tamor 409. 559. Glandula pituitaria, ‘Straotur 545. Tumoren 208.

Gleichgewiohtssinn 254.

Gliomatose centrale 105.

Gliose der Hirnrinde 808.

Glossoph: eus 565.

Goll’sche 8 92. 51. 281. 548

. Birnrinde. Greise, tabische Contractur bei ıhnen 558. Grübelsucht 211, Gummöse Geschwülste der Hirnrinde 60. Gyrus angularis 46. 276. 421. —_ u 2. 4718 (2). rensrgiaäile 421. 429. temporalis 46. cf. auch Lobus, Locali- sation. Misliucinationen 351. 504. elektrische Acusticuszeac- tion dabei 822. Haubenbündel 258. Haubenbahn, oentrale 195. Haubenkern 250

Hautveränderung bei Tabes87, cf. Tabes.

Hautnerven 48.

Hautreflexe 299.

Hebephrenie 65.

Heniaml ID. b.Hunden 471.

Hemianästhesie 87. 181. 256. 259.

Hmizcp legen 546.

merkrankı om.

himer erkug 848. tem- porale 89.

Bel nn

ichtentrophie

Hemicephalie 254.

Hemichorea 19. 36. 87. 848.

Hemicranie von der Nase 404. Metallotherapie 352.

rie

105. Kraft der nicht gelähmten Seite 9. bei Een 200. hilit. 4 H L. inf paak. 206. 207. a erpes Eoeler para- lyse 448. bei Tabes 874. rl el ans

Hinrichtung, hysiolog. ji periment® dabei ser, Hintersträn des ls: V Verlauf 13. V Pbindung at er 8. Ve mi Gehirn 97. mit Schleife 859.

Erkrankung 88. of. Tabes, Goll’sche, Bur- dach’sche Stränge. Hirn: Anatomie. Färbungsmethe- den cf. diese, chts-

Inder 820. spec. Gewicht Physiclgie (ef. m nanen) 2336

397 406. elektr. Reizung 416. Einfluss derselben auf Gefässe 2372. Pathologische Anatomie bei Idioten 492. Trauma 71. 168. 284. 511. der Ver- en und Selbetmörder

Hirnabscoen473. Operation 144. AmaBu, syphil. Geschwulst Birnnorrenbabnen, oontrale Hirnnervenlähmung, mult. 41. Hirnrinde: Untersuchung 500. Karyo- kinese in Ganglienzellen 657. Furchen 488. chem. Reaction der grauen Substanz 555. Geschwulst 80. Gliose 805. Sensibilitätsstörung b. halb- seitiger ee 529, _—_o Hirnschenke Erweichungs- herd 87. 104 secundäre Degeneration 998. Tuberkel 825. 512 (2). Hirmwindungen 58, cf. die einzelnen Lobi und Gyri und Localisation. Hören mit Farbensehen 558, cf. Localisation. Hofnarrenthum 1886. Hungern, patholog.-anat. Ver- änderungen dabei 828. Hydromikrocephalus 507.

n 565. Hypnotiem 65. 167 (2). 204. Hypochondrie Auro-Natr.chlor. Hypoglossus stroph. Lähmung

Hiypophyei, cf. Glandul. pitaitar. " Efraplone,k 2o me, hysterogene Zone 402. mit Jaokson’scher Epilepsie 169. Homianäs- thesis 181. 230. sensor. Anästhesie 254.261. Som-

Aetiologie bei Männern 46. 258. 514. Trauma 231. Pathol. Anatomie. Nerven- arbame im Parametrium

Therapie 212. 284. Ovario- tomio 46. 802.

Backson’sche Epilepsie, cf. Epilepsie partielle. Idiotismus mit allgem. Rigidi- tät 160. Schri 185. Zähne 157. Verschluss der Vagina 283. Gehirn 10. 492. Infeetionskrankheiten, Eimwir- kung auf Neurosen 107. Insel, onen derselben 277. en 511, n.

Internationaler Congress 383.

Jodoform bei Meningitis taber- culosa 568,

Irrenanstalten 18.19 (2). 45 (2). 48. 68. 69. 163. 192. 524. Alcohol in diesen 185 (3). 564. als Heilmittel 143. Selbstmord in diesen 161.

Irresein,

ef. Psychosen

Ischias, Mekhylchlorür dabei91. 165. Nervendehnung 13.

Jumping 161.

Mältesinn 455.

Kakke 14. 326.

Kal, bromat., Veränderung des Rückenmarks durch Vergif- tung 225.

Kal. hypermang. bei Psych.

u snisseirnge) Den 828, yanin . 101. Hyoson, hydrobsom. 541. mit Ammorrhoe 808,

Kal. jodat bei Syphilis 68. | Karyokinese in Ganglienzellen : 557.

Kehlkopf bei Erkrankung des

Centralnervensystems 548. Kinderlähmung, cerebrale, cf. Polioencephalitis. spinale,

of. Poliomyelitis. Kleinhirn: Karyokinese in Purkinje’schen Zellen 557. Experimentelles 137. Ab- scess 158. Entwickelungs- hemmung 272. Atrophie bei -einer Katze 372. Gliom 11. Spindelzellensarcom 848. überkel 10. 378. Tumor 10. 549. Kleinbirnschenkel, Anatomie 121. Verbindungsbahn 137. Kniephänomen 109. 272. 298. 302. 412. 538 (2). 546, cf. Sehnenrefiexe, West- phal’sches Zeichen. Kopftetanus 189. ähmung, cf. Paralyse. Lageempfindungen 558. reise Paralyse 198. 204. 04

Latat 161. Lateralsclerose am m. cf. Amyotroph. Seiten- strangescl.

Leitungsbahnen optische 262. Lemniscus cf. Schleife. Lesen, Störungen bei Paralyse 283.

Lethargie 160.

Linsenkern, Blutung 37. De- fect 278. Erweichungsherd 87. Schlinge 196.

Sr cerebrospinalis 496.

Lobus frontalis 428. 474. Sar- com 512. Gliosarcom 560.

oceipitelis 226. 262. 545.

parietalis 560.

temporalis 46. 59. 274. 276. 277. 560,

cf. Gyri, Hirnrinde, Lo- calisation.

Localisation im Hirn 141. 180. 181. 287. 284. 286. 287. 859. 451. 471. 478. 493,

für den Arm 159. 277.

für Aphasie 60. 141. 160. 274. 275. 276. 400. 401. 421. 511.

Bein 142. Facialis 180.

Fühlsphäre 477.

Hemianästhesie 256.

Hemichorea 87.

Hören 46. 60. 275. 276. 277. 396. 421.

Levator palpebr. 422.

859. 395. 896. 420. 4231. 471.

545.

——

573

Localisation für Temperament

für Wärme 35. 271. 278. 417. 547.

f. Zwangsbewegungen 202.

im Rückenmark 53. 548.

für Anus und Blase 12.

-— im Gehirn u. Rückenmark durch Augenuntersuchung 89

L manie, : ke Melancholie.

Mlagenneurosen 166. 549. Malum perforans 229. 297. Manie, acute 445. und Del. acutum 476. mit Fieber 445. Hyoscyamin dabei 18. Medianus, Lähmungen 538. Medulla oblong., Anatomie 887. Einfluss auf nutritive Ver- änderungen 214. ne mit Albuminurie

mit dreifacher Diathose 161. 4 Fälle in einer Familie 212. Selbstverstiimmelung dabei 64. mit Stauungspapille 560. mit Suioidiale rang 425, mit Verrücktheit 452. Meningitis cerebrospinalis 64. spinalis chronic. 178. bei Tabes 39. tuberculosa, Jodoformsalbe 10. 568. Phosphor 283. syfilitica basalis 560. Merycismus 830. 331. 880. 550. Metallotherapie 832. Methylchlorür bei Ischias 91, 168. a eerune 82. 347.

6, cf. Hemicranie. Milchsäure in grauer Substanz 1»)

667. Monoplegie 477. brachialis 159. 277 (2). cf. Localisation. Morslischerr Wahnsinn 197. 404. 424. 425. 559. Morphium, Veränderung des Rückenmarks bei Vergiftung 224

Muskelatrophie, cf. Amyotrophie, Dystroph. muscul. r BEN progress, Typus Duchenne- n 208. Mi der Kindheit 280. bei Tabes 28. mit Sensibilitätsstörungen

298. elektr. Behandlung 188. Muskelcontracturen 71.

‚— ischämische 828,

Muskelhypertrophie, wahre 19. 298. falsche 62. 68. 168. 208. 492,

cof.auch Dystroph. muscul.

Muskellähmungen 71.

ischämische 828.

rg -Nervenendapparate

38

Muskelphänomene 175. 272. Muskelsinn 548. Muskeltonus 370. Myalgie spinale 408. Myelitis,

cf. Rückenmark. scute 502. chron. 547. Myotonia cong.,

of. Thomsen’sche Krankh. a elektr. Reaction

93

Myriachit 161. Mysophobie 46. 380. Wachbilder, Sitz derselben 82. N verweigerung 450. 457. paradoxe 561. Nebennieren, Aplasie 252. Neomalthusianismus 332. Nerven, cf. einzelne Nerven, Ab- ducens etc.

Anatomie 48. Bau 6. 224. motorische Endplatte 311. 588.

re motor. Kraft 164. Einfluss auf Gefäss- system 369. für Tempe- ratur 47. trophische 236. 296. 297.

MLVen BunE 18. 44. 284.

235. 852. Nervendurchschneidg. 542 (2). Nervenexcision 476. Nervennaht 476.

Nerve neration 812, Nervenschwund in der Hirn-

rinde 807.

Neuralgien, elektr. Behand-

lang 187.

Neurectomie 542 (8), cf. Dehnung. ÖOsmiumsäure 547. Parthenin 428. Neurasthenie, cerebrale 230.

sensor. Anästhesie dabei 255.

und Neomalthus. 335. Neuritis multiple 46. 149. 169.

818. 326. 327. 352. 366. 488.

462. 482. 544.

optica bei multipler Scle-

rose 190.

Neuropatholog. Denken 431. Neurosen, Aetiologie 54. 78. Einfluss von lInfeotions-

krankheiten 107.

multiple 59. osteocopische 328 u. Sexual-

leiden 112.

574

Neurosen, viscerale 166. Paralys. saturn.,

Nieskrämpfe 181. cf. Bleilähmung. Nucl. lentif.,

cf. Linsenkern. 218. und Melancholia 452. ©ccipitalgrube, mittlere 157, | "arnplegie in der Schwanger Oceipitalhirn, Gurke Parkinson’sche Krankheit,

of. Lob. u. Localisation. ef. Paral it Oculomotoriuskern 101. 309. B ya. agil.

Paronysmus 548.

Oculomotoriuslähmung, a 2 ef. Angenmuskellähmung. Beten Da enralgien 428. aan gopprome bei| cf. Hirnschenkel. Ohrmuschelmusenlatur, Con- | mn Ben olven Er 489 a ar cn nn = India Phosphor bei Meningit. taber- gr alla Sn | eulosa 288.

ı Poliencephalitis 527.

94. Zwischenschicht 268, | Plexus brachislis, Lähmungen

Ophthalmoplegia externa (cf. Augenmuskellähmungen). | p eu n n Poliomyelitis ant. acuta 182, nach Diphtherie 125. 128. ; 304. 879.

und Epicanthus 294. bei Myelit. aeut. 502. Opticuscentren (of.Localisation für Sehen) 895. 458. Opticusleitungsbahnen 262. Osmiumsäure 405. 547. Osteome der Dura mater 42. Otalgia nervosa 184. Othaematom 584. Ovariotomie 112. 802.

Pachymeningitis und Para-

l 329. Pädersstie 142.

Paneratiasten-Ohr 534. Panophobie 475.

3 phie bei einen Para- lytiker 288.

Paralysis agitäns 15. 808.

= aponodica aller 4 Extrem.

Paralys. progr. der Irren 518. 519.

ı Polyneuritis diffusa, cf. Neurit. multiple. Pons, Anatomie 837. Erkrankung 361. 385. 560. Porencephalie 83. 502. PosthemiplegischeBewegungs- störungen 38. Preisaufgaben 216. 408. Pruritus hiemalis 89. Pseudohypertrophie, cf. Dystrophie u. Muskel- hypertrophie. Pseudotabes der Alkohol. 87. Psychiatrie, Gedenktage 407. Studium 408. Psychophysik 217. Psychosen (cf. die einzelnen: anie, Melancholie u.8.w.) Allgemeines 185. - Aetiologie 520. Heredität 42. Degenerescenz 17. dys- krasische Momente 54. 78.

Symptomatologie: Pubertät 65. 520. bei vier

ch. Reactionszeit 218. Personen a Ayalreige 20. törung des Lesens 106.288. | epilept. 106. Tabea 91. Cho- des Schreibens 288. lera 232. Chloroform 424. Temperatur bei paralyt. An- | weibliche Geschleohtsorgane fällen 232. pillen 354. | 112. 800.

viscerale Compl. 282. Kehlkopf dabei 543. Reflexe dabei 801. 518.

Aetiologie 64. 90. 216. 350. 851. 562. 568.

Diagnose von Gliose der Hirnrinde 806. von Paohy-

Symptomat. u. Complicat. Acetonurie 427. 461. Ad- dison’sche Krankheit 212. Asthma 475. Blut 16. Cir- culationssystem 540. elektr. Reaction des Acustieus 821. motorische Symptome 426.

meningitis 3329. 525. Neigung zum Täto- Pathol. Anatomie 499. 518. | wiren 300. Paralys. agit. 15. 562. Psychophys.Untersuchungen Dura mater 41. 218. Temperatur282. tranai- Nervenfaserschwund 306. | torische 426. Tribadic 561. 807. Wiederkäuen, Ependymwucherung 440. of. Merycismus.

Rückenmark 140. 518,

Verlauf: Einfluss von Ery- Therapie: Ergotin 881.

sipelas 288. von Typhus 48.

: Schwangerschaft 379. Hei- lungen 16.

Paranoia, psych. Rescotionszeit | Psychosen, Therapie: Curarin

44. Eisen (subcutean) 233. Elektr. Behandlung 233 (2). 448. Ergotin 44. Hyoscin hydrobr. 541. Kali byper- mang. 8038. bei Nahrungs- verwei g 450. 457. Tre fusioe 428. bei Unsauberkeit 68. auf Insel Luzon 432. for. Heirathsberechtigung 449, Ptosis u. Gyr. supramarg. 422. Pupillarreaction 354. ° Pupillenstarre 428,

urpura bei Tabes 374. Pyramide der Med. 69. doppelte Kreuzung 415,

d auch Degeneration.

uintus, of. Trigeminus.

Madialislähmung 92. Railway spine 231. 261. Raumsinn 548. Realencyclopädie 24. 215. 432. Reflexe 224. 299, cf. Haut, Sehnenrefleze, Westphal’sches Zeichen. Reflexneurosen von der Nase 403. 545

Respirationsbündel,

of. solitäres Bündel.

Rheostat 147.

ee motorische 440, isati

cf. OD. Rückenmark (cf. Landry’sche Paralyse, Myelitis, Polio- myelitis, Tabes etc.). natomie: Hinterstränge, Entwickelung 81. 73, cf. diese. Lumbalan- we 481. stränge 155. 889. verlauf 245. Physiologie: Stilling’scher Sscralkern als Centrum 13. Pathologie: Multiple Scle- diese. Combinirte

rose, of. Systemerkrankungen 375. rschütterung 824. Syphilis 871. Tumoren im Kindes- alter 456.

Patholog. Anatomie: com- binirte Strangerkrankg. 39. bei Tabes 58 (of. diese). bei Paralyse 140.518. bei Ver- i 224. An i m

giftungen giosarco 176. Gliom 8.61. Gefäss-

veränderungen 848. Sypnilis i 899. Ausgänge, Heilung 299.

Therapie 198.

Rückenmarkagefässe, Sclerose derselben 207.

hi

Rückenwirbel, Sarcom 824.

Rumination, \ of. Merycismus.

sichädel, Affe u. Mensch 165.

.- Rassenanatomie 477.

> der Verbrecher 108.

-- Bintbewegung in demsel- ben 496.

schilddrüse, Beziehung zum Centralnervensystem 7. 429.

Schleife 33. 69. 265. 856.

Schluckbewegungen 510.

Schreibkrampf 188. 234. 382.

Seelenblindheit, cf. Localisa- tion (Sehen), 4283.

Sehnenreflexe 14. 299. 546. bei

Diphtherie 131. 298. 546.

bei Diabetes 14. 538. und

Enntartungsreaction 70. 279. bei Kleinhirnaffeotionen 444. bei Tabes N i

cf. Opticu.___, »ehstörungen, oerebrale,

cf. Localisation für Sehen

und ÖOpticus.

seitenstränge,

cf. Rückenmark.

»eitenstrangsclerose, amyotro-

phische, cf. rn a Seiten- strangsclerose.

- 3lbstmord in Irrenanstalten

161. Hirn dabei 584.

-ensibilitätsstörungen, Metho-

dik 347. bei einseitiger Er-

krankung des Grosshirns 529, cf. phäre, Gefühls- sinn, Localisation, Rücken-

mark. .exuglleiden u. Neurosen 112. exualempfindung, Anomalien

209.

- conträre 162. 427.

hock 263. imulation 541. »„imusthrombose 540. Sitophobie, paradoxe 561,

cf. Nahrungsverweigerg.

> clerose, miliare, des Hirns 108.

Erklärung der Verände- Ju 441.

- - multiple 177. 227. 823. 477. 516.

-- Gefässveränderungen dabei

348. »- Kehlkopf dabei 543. Neurit. opt. dabei 190. kolitäres Bündel 34. opor 310. Ipina bifida 548. inalirritation und Verenge- zung des Rückgratkanals 83.

L /

bei progr. Paralyse 302. 518. cf.Westphal’sches Zeichen.

575

EpInNpara.TES, acute aufstei- gen

e, cf. Landry’sche Sp. Spiritismus 205. Sprachcentrum, cf. Aphasie. Statistik der Irren 48. 432 (2). 524,

Strickkörper, cf. Corp. restiforme. Strychnin bei Nervenkrank- heiten 548,

Suggestion 167. 204. Sympathicus, Massage dessel- ben 981.

Syphilis von Gebirn u. Rücken-.

mark 871. Behandlung mit Jodkalium 68, of. Paralyse, Tabes,. Syringomyelie 9. 105. 298. Systemerkrankungen des Rückenmarkes, cf. dieses. combinirte 875.

"Wabes-Fälle 86.

Theorie 88. 241. 430. 444. 548.

Aetiologie im Kindesalter 873. hereditäre,

cf. Friedreich’sche Krank-

heit.

Symptomatologie: Ataxie 25.

Exantheme 374. Gelenkaffectionen 108. 229. 374 (2). Kehlkopf dabei 548. Localisation der Symptome 53. 548. Magenkrisen 86. 227. Mal perforans 229. 297. Muskelatrophie 28, Muskellähmungen 86. porn Symptome 91. upillen 354. Temperatursinn 8. trophische Störungen 228, der Haut 87, cf.Westphal’schesZeichen. Patholog. Anatomie 39. 49. 62. 242. 245. 391. 472. Malum perforans 297. ohne Erkrankung der Hinter- stränge 229, cf. Pseudotabes. Ausgänge, Heilbarkeit 46. Therapie 526. Tabische Contractur, progres- sive 558.

.\| Tätowiren bei Geisteskranken

300. Thal. opticus 262. 296, of. Opticus. Temperatur-Einfluss der Gross- hirnrinde 271, cf. Localisation f. Wärme.

Temperaturnerven 46. 454. Temperatursinn 7. 46. 847.

454. Tetanus, Aetherspray dabei 162. Dehnung 234. Tetanie 587. Thermästhesiometer 847. Thomsen’sche Kranklıeit 62.

289. 501. Thränensecretion, einseitige Aufhebung 542.

Tinctionsmethoden, cf. Färbungsmethoden. Toxiphobia 830. Trefusin 428. Tremor manuum bei Kleinhirn- erkrankung 373. Trepanation 238. 284. 286. 286. 287. Trib&die in Irrenanstalteu 561. Trigeminus-Neuralgie, Thera- pie 220. 286. 881. "476. Neuritis 542. Trigeminuswurzel 253. 969. Trochleariskern 309. Trophische Störungen, cf. Nerven, Paralyse, Ta- bes u. 8. w. Trunksucht u. Dipsomanie 48. Türck’sches Bündel im Hirn- schenkel 399. is convulsiva, Aphasie dabei 206. Typhus, Chorea dabei 206. bei Geisteskranken 43. Sehnenroflexe 547.

Veberbürdung 168. UVeberwachungsstation 450. Unzurechnungsfähigkeit, cf. forens. Fälle. Urticaria factitia bei Tabes 374.

Vacuolenbildung in den Gang- lienzellen 467. 4883, ee 164. 65. Verbrecher, geisteskranke 192. Him 584, cf. forens. Fälle u. moral. Wahnsinn. Verrücktheit, cf. Paranoia, Verwirrtheit 526. Verworrenheit, acute halluci- natorische 380. Vierhügel, Anatomie 270. Vomitus nervosus 550, Vorderstränge des Rücken-

Wärme, of. Temperatur u. Locali- sation.

& a‘

5716 Wärmecentrum im Grosshirn ! Willensthätigkeit, experiment. | Zirbeldrüse,

35. 271. Untersuchung 1586. cf. Glandul. pineai: im Linsenkern 278. sei Zune Abweichung deı Sehhügel 417. 547. und Lobi. lähmten Seite 510. . Wärmesinn 455. Worktaubheit, Sensibilität 510. Wahnsinn, hallucinat. 447. cf. Looslisation (Hören) | Zwangsbewegungen 202. Wahnvorstellungen, Variabili- und Lob. temporal. 423, Zwangsvorstellungen 43.

‚tät 428. Wrisberg’scher Nv. intermed. Zweifelsucht 46. 212. Westphal’sches - Zeichen 38. | 471. 565. | | Zwerchfellkrampf 46.

299. 801. 518. 546. Zwillingsirresein 65. 186. Wiederkäuer, Zähne bei Idioten 157.

cf. Meryoismus. ı Auwsfallen bei Tabes 228. |

——.

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, Berlin, NW. _Kronprinzen-Ufer T.

-—.—

Verlag von Vzır & Come. in Leipzig. Druck von Merzenn & Wrrrie in n Leipzig.

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