Digitized by

the Internet Archive

in 2014

littps://arcliive.org/details/newyorl<ermedizin4189unse

New Yorkier

Medicinische Monatsschrift

Organ für praktische Aerzte in Amerika

unter Mitwirkung von

Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Ramdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert.

Herausgegeben von

Dr. F. €. HEPPENMEIMER.

1892.

APR -1 1901

NEW YORK :

VERLAG DER MEDICAL MONTHLY PUBLISHING COMPANY.

Druck der Cherount Printing and Publishing Co.; 17 to 27 V^andewater Street, N. Y.

New Yorker Medicinische Monatsschrift.

Herausgegeben von Dr. F. C. Heppenheimek,

Inlialtsverzeicliiiiss von Band IV.

ORIGINALAKBEITEN :

Seite.

Anus, Die häufigsten Fremdkörper in ano. Von Dr. Fest 469

AsHEViiiLE, N. C, und seine Vorzüge als Curort für Lungenkranke. Von

Dr. J. W. Gleitsmann 449

Augenlid, Unwillkürliche Hebung des obern Augenlids bei bestimmten

Bewegungen des Unterkiefers. Von Dr. A. Schapringer 10

Augenpraxis, Mittheiiungen aus der Augenpraxis : 1. Polyp der Conjunc-

tiva ; 2. Krystalle in der Netzhaut. Von Dr. F. E. D'Oench. . . . . 184

AcHYLiA, Ueber Achylia gastrica. Von Dr. Max Einhorn .220, 267

Atropinintoxication, Eine Atropinintoxication nach epidermatischem

Gebrauch einer Belladonna-8albe. Von Dr. S. J. Meitzer 216

Bemerkungen, Bemerkungen zu dem Artikel des Herrn Gleitsmann : ,,Ein neues und einfaches Verfahren zur Beseitigung der unangeneh- men Folgezusfände nach Gebrauch der Galvanocaustik bei Hyper- trophien der Nase. Von Dr. W. Freudenthal 15

Cellularpathologie, Der heutige Stand der. Von Dr. C. Heitzmann 378

Cholera, Die Aetiologie und Prophylaxis der Cholera Asiatica. Von Dr.

L. Heitzmann :i ^ ., <., 415

Cholera, Pathologie und Tb orftdiie' '<der <(<5h(Mer{i'<' Asiatica, Von Dr. L.

Weber ./. 422

Darmresection, Ueber Darmresection -bei cangränösön. Hbrniün. Von Dr.

CarlBeck 249

Dementia, Psn chologische Erscheinuögeli in Dementia Epileplica. Von

Dr. H. Engel ............. ^ 409

Desintection, Die Deslnfcctionsmcthö^e^ in BeJclii!".. tiii,d Hamb arg wäh- rend der Cholera. Ein B>?nolLt'.' 'tön Di.:A. Seibert 460

DÜNNDARMKATARRH, Ucber die Vortheilhafte Wirkung einiger gerbsäure- haltiger Arzneistoflfe beim chronischen nicht complicirten Dünn- darmkatarrh. Von Dr. L. Weber 49

Eierstock, Zur Pathologie des Eierstockes. Von Dr. Franz Foerster 225

Erblindung, Ueber plötzliche einseitige. Von Dr. W. F. Mittendorf. 209

GANGRäN, Ein Fall von Gangrän der Hand nach doppelseitiger Pneumonie.

Von Dr. A. von Grimm 289

Gelenk, Die Pathogenese der gonorrhoischen Gelenkafifectionen. Von Dr.

H. S. Stark 335

Gelenk, Das permanente warme Bad bei Gelenkentzündung. Von Dr. A.

Rose 427

Harnröhre. Eine Haarnadel in einer männlichen Harnröhre. Von Dr. S.

J. Meitzer 264

Harnröhre, Ein verbesserter Catheter, sowie einige Bemerkungen betreffs

Behandlung der Harnröhre. Von Dr. C. Waechter 291

Hydbocele, Ein einfaches und sicheres Verfahren bei der Einspritzung

der Hydrocele mit Carbolsäure. Von Dr. L. Weber 52

Inhaltsverzeichniss. iii.

Seite.

Iritis, Ueber Iritis bei Eiterung der Nase nud ihrer Nebenhöhlen. Von

Dr. S. Ziem 177

Influenza, Soor des Hachens und der Nasenhöhle bei einejii Erwachse- nen als Begleiterscheinung der Influenza. Von Dr. M Thorner . 53 Insol.itio, Ein Fall von Insolatio mit sehr hoher Temperatur. Von Dr. J.

Wohlfarth 339

Jod, Ein Fall von hämorrhagischem Exanthem nach Jodsalzeu. Von Dr.

Hoening 59

Koch, Ein Plaidoyer für die Koch'sche Lymphe. Von Dr. J. H. Tyndale.. 98

Kreosot, Ueber Kreosotvergiftung. Von Dr. W. Freudenthal 169

Labyrinth, Labyrinthnekrose und Facialislähmung. Von Dr. M. Toeplitz 369 Magen, Ueber die Anwendung des Sj^rays bei der Behandlung von Magen- krankheiten. Von Dr. Max Einhorn 381

Oesophagus, Beitrag zur Kenntniss von Fremdkörpern im Oesophagus.

Von Dr. Carl Beck U2

Stuhlverstopfung, Ueber. Von Dr. I. Adler 129

Tripper, Beiträge zur Diagnose und Therapie des Trippers. Von Dr. H.

Goldenberg 1

Tuberculose, Ueber Guajacolbehandlung der Tuberculose. Von Prof. Dr.

Max Schneller Ifi

Tuberculose, Plan einer öffentlichen Heilanstalt für Tuberculose aus der

arbeitenden Klasse. Von Dr. A. Rose 379

Tuberkelbacillen, Lebensfähigkeit der. Von Dr. H. Heiman 149

TuBERCULOCiDiN, Ueber. Von Dr. Geo. W. Rachel 329

EDIT0RIELLE8 :

Chloroform, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes bei Anwen- dung des Chloroforms und anderer Inhalations-Anästhetica 103

Cholera, Das Umsichgreifen der 302.

Cholera, Die künstliche Schutzimpfung von Thieren gegen Cholera

asiatica, ^43

Erythromelalgie, Ueber 471

Influenza, Die Erreger der 61

Immunität, Die neuesten Anschauungen über das Zustandekommen der. . . 237

iMMUNiTäT, Ueber Immunität gegen Abdominaltyphus 392

Larynxcroup, Zur Aetiologie des primären 273

Pylorusstenosen, die chirurgische Behandlung der 24

Rabies, die Prophylaxis der 186

Todesstrafe, der Bericht des Komite's der ,,Medical Society of the State

of New York" über die 155

Wasserversorgung, Zur Frage der 435

KEFERATE.

Augenheilkunde. Referirt von Dr. A. Schapringer. . ..162 166, 188—189, 361 —363.

Chirurgie. Referirt von Dr. Geo. Degner .28 29

Chirurgie. Referirt von Dr. F. Torek. . .29-31 106—107, 241 -243, 348—350, 479-482.

Cibculation, Krankheiten der Circulationsorgane. Referirt von Dr. Max

Einhorn 158, 188, 277, 305, 393

Dermatologie. Referirt von Dr. H. Goldenberg 75, 306—307, 358—361

IV.

Inhaltsverzeichniss.

Seite.

Oynaekologie. Referirt von Dr. Beettauee 193—194, 278—279, 357—358,

440—142.

Innebe Medicin. lieferirt von Dr. Ad. Zederbaum 67—69, 157—158, 239—

241, 303—304, 345—348, 442—445. Kindeeheilkuxde. Eeferirt von Dr. .Sara Welt. .31-32, 73—74, 110—112, 194

—196, 280—281, 363—365, 395—397. NEEVENHErLKUNDE. Referirt von Dr. Geo. W. Jacoby 108—110, 190 - 191,

351 -356. 476—479.

Pathologie und Bakteeiologie. Referirt von Dr. Louis Heitzmann. .69 -72,

196-198, 307—809, 437—440. Respieationsoegane. Referirt von Dr. J. W. Gleitsmann. . . .25—26, 159 -162,

472—476.

YEEDAruNG.sAPPAEAT. Kraniiheiten des. Referirt von Dr. Max Einhorn. 27 28, 159, 187, 277, 305—306, 394.

SITZUNGSBERICHTE :

Deutsche Medicisische Gesellschaft von New Yoek. .33 37, 76 81, 112

119, 244 -247, 282—286, 397—401. Wissenschaftliche Zusammenkunft deutschee Aeezte in New Yoek. 40, 119

—120, 198 -204, 310—317. Vebein dkutschee Aeezte zu San Feancisco.42, 125—126, 204—206, 317-319.

ALLERLEI. 46, 87-88, 127—128, 168, 208, 247—248, 287—288, 320—323, 365—

368, 401-405, 445—447, 482-485.

BRIEFKASTEN 86, 126, 319, 365, 407

:BUECHERTISCH . .44, 206—208, 323—328, 368, 405—407, 447—448, 485-488 FEUILLETON. Aerztliche Denkwürdigkeiten aus d em Feldzug Napoleons

von 1812 gegen Russland. Yon Dr. A. Rose 274, 293, 383

NEKROLOGE 45 84—85, 166—167, 323

PERSONALIEN 48, 128, 168, 208, 248, 288, 328, 368, 408, 448

AUTOKENREGISTER :

Seite

Adlek, J 129

Beck, Cael 142, 249

D'Oench, f. E 184

EiNHOEN, Max 220, 267, 381

Engel, H 409

Fest, Feanz T. B 469, 470

Foeester, F 225

Feeudenthal, W 15, 169

Gleitsmann, J. W 448—460

Goldenberg, H ... ... 1

Geimm, A. von . 289

Heiman, H 149

Heitzmann, C 378

Heitzmann, L 415

Hoening 59

Seite.

Meltzee, S. J 216, 264

MiTTENDOBF, W. F 209

Rachel, Geo. W 329

Rose, A 379, 427

Schuellee, Max , 18

Selbebt, A 460—468

Staek, H. S 335

Toeplitz, M 369

Thoenee, M 53

Tyndale,J. H 98

Waechtee, J. C 291

Webee, L 49, 52, 422

Wohlfaeth, J 339

Ziem, S 177

New Vorker

Medicinische Monatsschrift.

Organ für praktische Aerzte in Amerika

unter Mitwirkung von

Dr. A. F, Buechler, Dr, Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert herausgegeben von Dr. F. C. HEPPENHEIMER. Verlag der Medical Monthly Publishing Company, 17-27 Vandewater Street, N,

Bd. IV. New York, 15. Januar 1892. No. 1

OEIGINALARBEITEN. I.

Beitnöge zur Diagnose und Therapie des Trippers.

Vortrag, gehalten in der Deutsehen Medicinischen Gesellschaft von New York am 7. Dezember 1891.

Von

Dr. HERMANN GOLDENBERG.

New York.

Es ist eine unter den Laien leider allzusehr verbreitete Ansicht, dass der Tripper eine der nicht zu ändernden, alltäglichen Unannehmlichkei- ten des menschlichen Daseins ist, eine harmlose Affection, der, sofern sie den Träger nicht allzusehr belästigt, keine weitere Bedeutung beige- legt wird. Leider ist diese Ansicht auch unter vielen Aerzten gang und gäbe. Sie betrachten den Tripper als ein nothwendiges Uebel und glau- ben ihre Schuldigkeit zu thun, wenn sie den Patienten mit Copaiva und Aehnhchem so lange füttern, bis der Magen remonstrirt, oder eine der vielen Inj ectionen, deren Zahl in umgekehrtem Verhältniss zu ihrem respectiveu Werth steht, mit der Tripperspritze einspritzen lassen. Sie glauben, dass der Tripper eine bestimmte Krankheitsdauer habe, die durch die Behandlung nicht sehr viel abgekürzt werden könnte. Die natürliche Folge dieses indifferenten Verhaltens, veranlasst durch eine zu skeptische Anschauung, ist die, dass sich täglich die Zahl der chro- nischen Tripperfälle mehrt, die nicht nur die Gesundheit des befallenen Individuums dauernd stören können, sondern auch im socialen Leben von eingreifender Bedeutung sind. Männer, die mit latenter oder mani- fester Gonorrhoe in die Ehe treten, inflciren ihre Frauen und es entste- hen dann die Ihnen Allen bekannten Erkrankungen des weiblichen Geni- taltractus, auf die Noeggerath, als durch den chronischen latenten Trip- per des Mannes veranlasst, zuerst hingewiesen hat.

Ich glaube durch die Arbeiten der letzten Jahre, auf die ich hier nicht näher eingehen will, ist der Beweis erbracht, dass die Gonokokken die Träger des Tripperkontagiums sind. Ich glaube an die pathogno- monische Bedeutung der Gonokokken wegen der Constanz des Vor- kommens, der, wenn auch spärlich, gelungenen Einimpfung und Züch- tung auf menschlichem Blutserum.

Wer in dem Gonokokkus den ätiologischen Factor der Gonorrhoe sieht und sich vor Augen hält, dass dieser Parasit im Anfang auf der Ober- fläche der Schleimhaut gelegen ist und erst später in die Tiefe dringt, dass er ferner in den ersten Tagen sich in viel geringerer Anzahl findet, als gegen den achten bis zehnten Tag, darf sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, ihn in geeigneten Fällen dann anzugreifen, wenn sich die besten Chancen dazu bieten und mit Mitteln, die einerseits stark ge- nug sind, um die Gonokokken zu tödten, andererseits aber keine ver- derbliche Wirkung auf die Schleimhaut selbst ausüben. So läge denn die Berechtigung für einen möglichst frühzeitigen und gründüchen Ein- griff auf der Hand, falls derselbe mit dem alten hippokratischen Grund- satz des -TpüTov öe TO fiTj ß7,ä-eLv nicht kollidirt. Ich habe mich, wie jedenfalls die Meisten unter Ihnen, trotz des erwähnten wohl ganz logischen, the- oretischen Eaisonements, doch lange abhalten lassen, die alte konser- vative Behandlung zu Gunsten eines energischen Verfahrens aufzugeben, weil ich eben befürchtete, dass der gleich zu schildernde Eingriff für den Patienten mit akutem Tripper gefährlich sei. Seitdem habe ich mich in- dessen in einer genügend grossen Anzahl von Fällen von der Grund- losigkeit der früheren Bedenken überzeugt und führe die rückläufigen Irrigationen in allen Fällen der Privatpraxis aus, wo es die äusseren Verhältnisse erlauben. Ich beginne mit der Behandlung, sobald sich die ersten objectiven Anzeichen des Trippers eingestellt haben. Nach- dem der Patient urinirt hat, führe ich einen dünnen, weichen geknöpf- ten Katheter, mit 4 rückläufigen Oeffnungen an dem Knopfe, 1-1^ Zoll weit in die Harnröhre und irrigire dieselbe mit einer möglichst warmen . Lösung von V3o,ooo-V2o,ooo Subhmat oder 'Aooo-Viooo Argentum nitricum oder Kalium permanganicum. Nach einer Weile führe ich den Kathe- ter allmählich tiefer in die Harnröhre ein, schliesslich bis zum Bulbus derselben und beriesele so in langsamem, rückläufigem Strom die ganze vordere Harnröhre.

Ich schicke als bekannt voraus, dass die Urethra durch den mus- culus compressor urethrae in zwei Theile getheilt wird, und dass dieser Muskel, der auch Schliessmuskel der Harnröhre genannt wird, das tiefere Eindringen von Flüssigkeiten, die in den vorderen Abschnitt ein- gespritzt werden, verhindert. Diese Behandlung wird täglich einmal ausgeführt ; falls der Patient sehr empfindlich ist, nach vorheriger Cocainisirung. Häufig beobachtet man schon nach 3-4 Tagen eine sehr erhebliche Besserung, so dass sich der Patient für geheilt hält, aber auch in diesen Fällen muss man die Behandlung noch wenigstens 5-6 Tage fortsetzen.

3

Fragen Sie mich nun, ob ich mit dieser Methode sämmtliche Patien- ten kurirt habe oder kuriren zu können beanspruche, so antworte ich „Nein", nicht Alle, aber doch fast Alle und zwar innerhalb 10-12 Tagen. Jedenfalls habe ich damit ungleich bessere Resultate erzielt, als mit der Tripperspritze, einem Instrument, das „endlich mit seinen beiden, gleich- falls vom Irrigator verdrängten Schwestern, der Veginal- und Wund- spritze die längst verdiente Ruhe als Antiquität im Instrumentenschrank finden sollte." Unangenehme Nebenwirkungen habe ich bei dieser Be- handlung nicht beobachtet; ich bin sicher, dass dieselben bei der nöthi- gen Vorsicht und gehörigen Asepsis vermieden werden können.

Die Vorzüge der erwähnten Methode sind: sachverständige, intensive und wirksame Applikation, die in die in der Harnröhre vorhan- denen Krypten und Lakunen eindringen kann, Abkürzung der Behand- lungsdauer, Beschränkung des Processes auf die vordere Harnröhre und Verhütung der Gonorrhoea posterior, "einer weit häufigeren Folge- erkrankung des Trippers, als man gewöhnlich annimmt.

Beiläufig bemerkt, bitte ich diese Methode nicht mit der neuerdings in Frankreich wieder häufig angewandten Abortivkur zu verwechseln, über die mir eigene Erfahrungen fehlen.

In den meisten Lehrbüchern über Gonorrhoe finden Sie die Ansicht ausgesprochen, eine Betheiligung der hinteren Harnröhre am Tripper- process trete nicht innerhalb der ersten 3 Wochen auf, und auch dann nur in Folge äusserer Schädlichkeiten (Excess in baccho, Cöitu, Tanzen, Reiten u. s. w.) oder in Folge skrophulöser und syphilitischer Diathese. Der Schliessmuskel, von dem ich vorher gesprochen habe, wird von Vie- len als eine Barriere angesehen, die das Fortschreiten des Trippers in die hintere Harnröhre verhindert.

Die klinische Beobachtung lehrt uns indessen, dass dem nicht so ist. Durch die auf Statistik begründeten Mittheilungen Letzel's, Rona's und Heisler's auf das häufige Vorkommen von Gonorrhoea posterior auf- merksam gemacht nach Letzel in 92 % aller akuten Fälle, nach Heis- LER in ca. 80% habe ich mich hei zum ersten Male Inficirten davon überzeugt, dass häufig schon am zehnten oder zwölften Tage die pars membranacea mitafficirt ist, selbst bei Patienten, die nicht eiogespritzt und sich nicht äusseren Schädlichkeiten ausgesetzt hatten. In diesen Fällen, wo der Tripper nach hinten fortgeschritten ist, kann man von einer Einspritzung, durch den Patienten ausgeführt, erst recht Nichts erwarten, da er unter gewöhnlichen Verhältnissen den Widerstand des m. compressor urethrae nicht überwinden kann. Deshalb tritt auch bei der Urethritis posterior, und bei ihr erst recht, die vorher beschriebene Behandlung in ihr Recht. Ich lasse den Patienten uriniren, passire nach vorheriger Behandlung der vorderen Harnröhre, den m. compressor mit einem dünnen, weichen Katheter und lasse unter massigem Druck ca. 300 cbcm. Argentum nitr. oder Kalium permang. V2000-V1000 durch die ganze hintere Harnröhre hindurch in die Blase fliessen und darauf nach Zurückziehung des Katheters den Patienten wiederum uriniren.

4

Bei manchen Patienten findet man einen beträchtlichen Widerstand von Seiten des musculus compressor, es gelingt aber auch da meist in 1-2 Minuten die hintere Harnröhre zu entriren. Bei solchen, meist empfind- lichen Patienten bediene ich mich an Stelle des gewöhnlichen weichen Katheters eines Mercier.

Bei dem im Gefolge der akuten hinteren Gonorrhoe häufig auftreten- den Harndrang und Harnzwang verschafft Nichts eine derartige Er- leichterung als eine Irrigation der hinteren Harnröhre mit einer Höllen- steinlösung, die weit besser und sicherer wirkt als alle Narcotica, gleich- gültig in welcher Form die letzteren gegeben werden.

Herr Präsident und meine Herren! Ich wage nicht zu hoffen, dass ich Sie nun mit meinen diesbezüglichen Bemerkungen sofort zu Anhängern dieser, mit der alten konservativen Methode in Widerspruch stehenden Behandlungsweise gemacht habe, aber ich bitte Sie, mit dem alten Dog- ma, das, wie Nichts Anderes, dem Fortschritt in der Medicin sehr häu- fig im Wege steht, zu brechen. Sie werden dann durch die Kesultate am besten überzeugt werden.

Ist die akute Gonorrhoe nicht genügend oder unzutreffend behandelt worden, so geht sie in das chronische Stadium über. Ich möchte indes- sen keineswegs so verstanden sein, dass ich den Grund einer jeden chro- nischen Gonorrhoe darin suche, dass der akute Tripper nicht nach der erwähnten Methode behandelt wurde und andererseits auch nicht die Behauptung aufstellen, dass eine sachverständige Behandlung im An- fangsstadium stets die Chronicität verhindere. Hier spielt zweifellos die Individualität eine grosse Kolle; in einem geschwächten oder zu Katarrhen leicht geneigten Individuum ist der Tripper häufig hartnäcki- ger, eine Erscheinung, die sich nicht auf das Einzelindividuum be- schränkt, sondern zuweilen bei mehreren Mitgliedern einer Familie zu konstatiren ist. Wenn wirklich zwischen den meisten Blutkörperchen^ den Phagocyten und den Gonokokken ein Kampf um's Dasein stattfin- det, in welchem der Schwächere unterliegt, so könnte man eine Er- klärung der erwähnten Individualität in einer grösseren oder geringe- ren Lebens- und Widerstandsfähigkeit der Zelle finden.

Ist nun der Tripper aus dem einen oder anderen Grunde chronisch geworden, so kommt es vor Allem darauf an, denselben zu lokalisiren. Denn hier bedienen wir uns zur Behandlung differenterer Mittel, als beim akuten Tripper und wir müssen uns bestreben, deren Anwendung auf die afiizirten Stellen zu beschränken. Zur Feststellung der Loka- lisation bediene ich mich dreier Methoden:

1) der Untersuchung des CJrines

2) der Knopfsonde

3) des Endoskopes.

Die beiden ersten dienen zur Bestimmung des Sitzes, die letztere zur Bestimmung der Natur und der Ausdehnung der Erkrankung.

Die Untersuchung des Urines in zwei Gläsern, gewöhnlich die Thomp- SEN'sche oder ULTZMANN'sche Urinprobe genannt, ist auf die, es sei schon

hier bemerkt, nicht richtige, Voraussetzung basirt, dass jegliches Secret das vor dem Schliessmuskel liegt, nach vorne, Alles hinter ihm, also in der hinteren Harnröhre Gelegene, nach hinten in die Blase abfliesst. Enthält das erste Glas des am Morgen entleerten Urines Tripperfäden oder Flocken, während der Urin im zweiten Glas klar ist, so schUesst man daraus, dass nur eine Gonorrhoea anterior vorliegt; enthalten beide Gläser trüben oder flockigen Urin, so besteht, sagt man, eine Gonorrhoea posterior oder eine Cystitis und zwar die erstere, falls das erste Glas trüber als das zweite ist, im umgekehrten Falle eine Cystitis.

Ich habe mich durch Untersuchungen überzeugt und in einem klei- nen Artikel vor ca. 3 Jahren nachgewiesen, dass diese Urinprobe in der geschilderten Form falsche Resultate liefert. Bei spärlichem Ausfluss, wie wir ihn in den chronischen Fällen finden, fliesst das Secret nicht aus der hinteren Harnröhre in die Blase, sondern bleibt ruhig in loco nascendi liegen. Die erste Urinportion reinigt im Vorbeifliessen zunächst die hintere, dann die vordere Harnröhre und eine Trübung oder Fäden im ersten Glas, klarer Urin im zweiten Glas, beweist also weiter Nichts, als dass nicht die Blase, sondern nur die Harnröhre afQcirt ist, gibt uns aber keinen Aufschluss darüber, welche der beiden Harnröhrenhälften betheiligt ist.

Führt man dagegen, ehe man den Patienten uriniren lässt, einen weichen Katheter bis dicht vor den m. compressor urethrae ein und ir- rigirt die vordere Harnröhre gehörig mit destillirtem Wasser oder einer schwachen Borlösung, um sie von dem in ihren Buchten sitzenden Schleim, Eiter und Detritus zu reinigen und lässt dann den Patienten in 2 Gläser uriniren, so erweist sich diese Probe als ein überaus zuverläs- siger diagnostischer Behelf. Ist die Ausspülflüssigkeit klar, frei von Tripperfäden, so ist die vordere Harnröhre gesund. Ist der Urin im ersten Glas trübe und enthält er Tripperfäden, der im zweiten Glas klar, so beweist dies eine Affection der hinteren Harnröhre bei gesunder Blase. Trübung in beiden Gläsern beweist eine Cystitis oder Gon. post., je nach- dem die eine oder andere Urinportion trüber ist, wie leicht verständlich.

Ich sehe zu meiner Freude, dass seitdem ich und später Jadassohn auf den Vorzug dieser Modifikation aufmerksam gemacht haben, sie in Deutschland allgemein in der angegebenen Verbesserung angewandt wird.

Lassen Sie mich schon an dieser Stelle bemerken, dass die Urin- untersuchung nicht nur für die Lokalisirung, sondern auch für die In- tensität, den Grad der Erkrankung von Werth ist. Finden wir neben den Tripperfäden Gebilden, die aus Epithelien, Eiterkörperchen und ver- bindendem Mucin bestehen Trübung des Urines, so beweist dies eine diffuse katarrhalische Affection des betreffenden Harnröhrenabschnittes, während Tripperfäden in klarem Urin auf eine circumskripte, plaque- förmige Affection hinweisen. In wie 'weit die mikroskopische Unter- suchung der Tripperfäden von Werth ist, werde ich später zu zeigen versuchen.

6

Die zweite TJntersuchungsmethode, über die ich mich kürzer fassen will, ist die mit dem Bougie a boule, einer Knopfsonde aus Stahl oder Hartgummi, und dem Oxis'schen Urethrometer. Sie geben uns Auf- schluss über Empfindlichkeit, Lumen und Elasticität der Harnröhre. In Fällen, wo das Secret so gering ist, dass es sich nicht spontan entleert, kann es mit der Knopfsonde zu Tage befördert werden. Ich untersuche zunächst die vordere Harnröhre, irrigire dieselbe darauf mit Wasser und explorire erst dann den hinteren Abschnitt, um sicher zu sein, dass das eventuell herausbeförderte Secret wirklich aus der hinteren Harnröhre stammt und, um eine durch die Untersuchung veranlasste Verschlep- pung des Secretes von der vorderen in die hintere Harnröhre zu ver- hüten.

Die dritte und wichtigste Untersuchungsmethode, die leider noch nicht allgemein die Beachtung und Anwendung findet, die sie verdient ist die vermittels des Endoskopes.

Zwei Gründe stehen der Verbreitung und Verallgemeinerung der okularen Untersuchung im Wege. Der beschäftigte Praktiker hat, so sagt man, nicht die Zeit, seine Patienten zu endoskopiren und will sich kostspielige, komplicirte Instrumente nicht anschaffen. Was die Zeit betrifft, so muss ich sagen, dass, wenn man einigermassen Uebung hat und die muss sich jeder Arzt auch für die Untersuchung mit dem Kehl- kopf- und Augen^iegel erst aneignen— das Endoskopiren nicht länger dauert als das Larynkoskopiren oder eine exakte perkultorische und auskultorische Untersuchung.

Kostspielige, komplicirte Instrumente, die viel Zeit und Geld kosten, um sie im Stande zu halten, sind unnöthig. Der Bequemlichkeit halber bediene ich mich des LEiTER'schen Endoskopes und der FoRü'schen Storagebatterie, mit welch' letzterer ich überaus zufrieden bin, kann aber ebenso gut mit gewöhnlichem guten Lampenlicht und einem Keflector auskommen.

Wenn Specialisten das Endoskopiren für überflüssig halten, „weil sie mit der Hand eben so gut zu sehen glauben als mit dem Auge," so muss ich diesem unberechtigten Argumente die Behauptung gegenüber stellen, dass es Fälle gibt, in denen es absolut unmögUch ist, die Diag- nose durch irgend eine andere Untersuchungsmethode als die endos- kopische, zu stellen. Ich habe drei Fälle von Harnröhrenpolypen be- schrieben (New York Medical Journal, May 9, 1891 ; Medical Kecord, November 4, 1891) und seitdem zwei weitere Fälle gesehen, die unter dem Bilde des chronischen Trippers verliefen, objectiv sowohl als sub- jectiv. Hier hätte keine andere Untersuchung die Diagnose ermöglicht.

Ich will aber keineswegs behaupten, dass das Endoskopiren eine oder gar die einzige Untersuchungsmethode sei für alle Fälle von Gonorrhoe, die eine gewisse Zeit, sagen wir 6 8 Wochen, gedauert haben. Die Endoskopie soll die anderen Methoden nicht verdrängen, sondern sie ergänzen. So sollte eine Untersuchung des Urins der endoskopi- schen stets vorausgehen. Trüber Urin, der auf eine diffuse katarrhali-

7;

sehe Eatzüaduag hinweist, ist für mich eine Indikation nicht zu endos- kopiren.

Ich will nun nicht versuchen, Sie mit der Schilderung des endosko- pischen Befundes zu langweilen ; nur durch eigene Uebung kann man erlernen, das, worauf es ankommt, zu sehen und das was man sieht, richtig zu beurtheilen.

Erlauben Sie mir noch, die Behandlung des chronischen Trippers einer kurzen Betrachtung zu unterziehen. Es kann nicht in meiner Ab- sicht liegen, hier sämmtliche gebräuchliche Methoden und Instrumente anzuführen, ich will mich vielmehr auf eine kurze Schilderung der Principien beschränken, die für die einzuschlagende Therapie massgebend sind.

Bei der diffusen mucösen chronischen Gonorrhoea, bei welcher man, wie ich schon erwähnt habe, trüben, flockigen Urin findet, wende ich im Anfang Irrigationen von Viooo übermangansauerem Kali oder i/iooo Vsoo Höllensteinlösung an, welche ich mit einer Bepinselung mit einer i 2% Höllenstein-, 1 2% Kupfer-, oder 2 4% Thallinlösung mittelst des Ultz- MANN'schen Pinsels abwechsele. Für die hintere Harnröhre bediene ich mich der ÜLTZMANN'schen oder GuYON'schen Spritze oder des Gschirr- HAKL'schen Pinsels und der zuletzt erwähnten Medikamente. Bei Applikationen in der hinteren Harnröhre lasse ich den Patienten iiicht, wie wir es bei der akuten Gonorrhoe thuo, seine Blase vollständig entleeren, um die instillirte und in die Blase fliessende Flüssigkeit zu verdünnen und die erstere nicht unnöthig zu reizen.

Hat man es mit circumscripten Plaques in der Harnröhre zu thun, so ist eine energische topische Behandlung nöthig, die auf die betreffende Stelle lokalisirt werden muss, ohne die Nachbarschaft mitanzugreifen. Das geschieht durch das Endoskop sowohl für die vordere, als auch die hintere Harnröhre. Bei empfindlichen Patienten sehe ich von einer häufigen endoskopischen Behandlung der hinteren Harnröhre ab, ich bediene mich nach Festsstellung der Lokalisation der vorhergenannten therapeutischen Methoden (ültzmann, Gshirrhakl, Güyon). Die Concen- tration der Höllenstein,- Thallin-, Kupfer-, oder Jodlösungen, die ich anwende, hängt von der Empfindlichkeit des Patienten und von der Ausdehnung der Affection ab ; ich habe mich früher nicht gescheut 10—20% Höllensteinlösungen zu instilliren, komme aber von den starken Lösungen immer mehr ab und gebrauche jetzt nur ausnahms- weise eine 10% Höllensteinlösung, da ich mit schwächeren Lösungen (bis zu b%) ebenso gut zum Ziele komme, ohne dem Patienten lästige Keizerscheinungen zu verursachen. Thallinlösungen werden in einer Stärke von 10—12% ohne alle Beschwerden ertragen, ob sie ebenso wirksam sind, wie Höllenstein, vermag ich nicht zu sagen, da ich sie noch nicht lange genug gebrauche. Gegen trachomartige Erkrankungen und stärkere Granulationen bediene ich mich neuerdings der Trichlor- essigsäurekrystalle vermittelst desselben Instrumentes, das von Dr. Gleitsmann angegeben und gebraucht wird. Sie macht einen trockenen,

8

auf die applicirte Stelle beschränkten Schorf und ist jedenfalls dem Höllenstein in Substanz vorzuziehen. Ueber die intraurethrale galva- nokaustische Behandlung besitze ich noch nicht genügende Erfahrung, um sie empfehlen oder verwerfen zu können. Neben diesen circum- scripten Applikationen wende ich einmal wöchentlich ein Bougie an und zwar mit YorUebe die BENNiguEsche Sonde, deren Krümmung genau den anatomischen Krümmungsverhältnissen der Harnröhre angepasst ist.

Ist das submuköse Gewebe in Mitleidenschaft gezogen und in Folge dessen die Elasticität der Harnröhre herabgesetzt, so lege ich den Schwer- punkt der Behandlung auf eine Sondenkur mit Massage der afficirten Partieen. Zur lokalen Applikation im Endoskop verwende ich in in diesen Fällen mit Vorliebe Jodpräparate, entweder Tinct. Jodi pur. oder mit einer gleichen Menge Tinct. Gallarum gemischt, oder Jod mit Jodkalium in einer .2 5% Lösung in Glycerin.

Bezüglich der Sondenkur will ich noch bemerken, dass ich kein An- hänger der extremen Dilatation bis zu 40 F. bin, auf der anderen Seite mich aber auch nicht damit begnüge, Sonden bis zu 26 der französischen Skala einzuführen.

Um die gestörten Elasticitätsverhältnisse wieder herzustellen und durch Druck resorbirend zu wirken, muss man Sonden passiren, die die Harnröhre vollständig ausfüllen und so auf die Wände einen genügend starken, aber doch nicht allzugrossen Druck ausüben. Eine normale Harnröhre ist, falls der Meatus gross genug ist, meist für In- strumente von 30—31 Charriere passirbar. Ich sehe desshalb keinen Grund, weshalb ich Instrumente von dieser Grösse nicht auch in der erkrankten Harnröhre gebrauchen soll. Der Meatus kann leicht bis zu dieser Grösse blutig oder mechanisch erweitert werden. Damit die Sonden, während sie in der Harnröhre liegen, keine allzugrosse Span- nung des Meatus und dadurch Schmerzhaftigkeit hervorrufen, ver- wende ich konische Sonden, deren, der äusseren Harnröhrenöffnung ent- sprechender Theil, wenn in situ, um einige Nummern dünner als der Best ist. Die Sonde soll nicht, wie es noch so oft geschieht, mit Vaselin oder Gel, sondern mit Borglycerin bestrichen werden, da eine auf die Sondi- rung folgende Applikation einer wässerigen Lösung auf die eingeölte oder eingefettete Harnröhrenwand wirkungslos ist.

Ich beanspruche nun keineswegs hiermit die Therapie des chroni- schen Trippers erschöpft zu haben, ich wollte Ihnen nur eine kurze Skizze der Behandlungs-Principien geben, wie es in den Kähmen meiner Arbeit passt.

Wie ist die Prognose einer chronischen Gonorrhoe zu stellen ? Eicord sagt „Une chande pisse, passee ä l'etat chronique, peut mourir de vieil- lesse, wozu ein anderer französischer Autor, dessen Name mir nicht ge- genwärtig ist, bemerkt „Elle peut s'eterniser et durer jusqu' ä la fin de la vie." Jedenfalls gibt es derartige Fälle, bei denen trotz allen Mitteln eine restitutio ad integrum nicht zu erreichen ist.

9

Wie soll man sich bei der chronischen Gonorrhoe in Bezug auf die diätetischen Vorschriften verhalten und soll man dem Patienten die Ausübung des Beischlafes erlauben? Ich erlaube meinen Patienten den massigen Genuss von Alcoholicis, anfänghch kleine Quanta,allmäh- hch die Empfindlichkeit der Harnröhre abstumpfend. Patienten, die Monate lang weder Bier noch Wein getrunken haben und dann als geheilt entlassen werden, feiern dieses leider zu häufig gestörte Freu- denfest durch einen abiisus in Baccho eventuell auch in Venere, dessen Folgen nicht ausbleiben. Desshalb gestatte ich auch einem Patienten, der nur noch eine am Morgen hie und da verklebte Harnröhre und Trip- perfäden im Urin hat, den Beischlaf, wenn in den Tripperfäden Gonokok- ken nicht mehr nachweisbar sind. Da wir aber nicht nur Pflichten gegen den Patienten sondern auch gegen" die menschliche Gesellschaft haben, so erlaube ich die Ausübung des Coitus zunächst mit Condom, da trotz negativen Gonokokkenbefundes eine Infectiosität doch möglich ist. Heirathskandidaten, die ich wegen chronischer Gonorrhoe behan- dele, lasse ich der Sicherheit halber, nachdem sie sich vielleicht Monate lang einer stricten Abstinenz befleissigt haben, den Beischlaf mit Con- dom ausüben, um zu sehen, ob der sexuelle Verkehr auf die allem An- schein nach geheilte Harnröhre irgend welche unangenehme Wirkungen hat. Ich halte dies Experiment unter den genannten Umständen nicht nur für erlaubt sondern für geradezu geboten, denn es ist in Bezug auf die Frage, ob der Tripper geheilt ist, oft von grösserem Werth als die mikroskopischen Untersuchungen.

Zum Schlüsse erL.uben Sie mir noch die in der Praxis überaus wich- tige Frage zu erörtern, wann die Ansteckungsfähigkeit des Trippers aufhört und wann man dem Patienten des Eingehen der Ehe gestatten kann.

Leider hat die Untersuchung des oft spärlichen Sekretes oder der Tripperfäden auf Gonokokken nur einen begrenzten Werth, insofern nur ein positiver Befund beweiskräftig ist, ein negativer dagegen durchaus nicht die Infectiosität ausschliesst. Die Gonokokken können sich Monate lang in den Krypten der Harnröhre aufhalten, ohne im Secret zu erscheinen, bis eine Steigerung des Processes eine vermehrte Seere- tion und mit ihr ein Wiedererscheinen der bisher latent gebliebenen Gonokokken verursacht. Ich rufe desshalb dem Vorschlage Neisser's und Finger's folgend, eine künstliche Reizung und Secretion hervor durch eine Einspritzung einer Sublimat- oder Höllensteinlösung und untersuche dann das Secret auf Gonokokken. Findet man dann bei einer nochmaligen sorgfältigen Untersuchung keine Gonokokken, so hat man die Wahrscheinlichkeit, aber immer noch nicht die Geicissheit, dass eine Infectionsgefahr nicht vorliegt. Die mikroskopische Untersuchut]g der Tripperfäden gibt einen weiteren werthvollen Anhaltspunkt in der Frage. Bestehen dieselben ausschliesslich aus Epithelien ohne Bei- mengung von Eiterkörperchen und konstatirt man diesen Befund bei einer mehrmaligen Untersuchung, so stehe ich nicht an, sie nicht mehr

10

als Zeichen eines noch bestehenden Trippers und einer noch vorhan- denen Infectionsgefahr anzusehen. Sie beweisen vielmehr eine einfache Epithelialdesquamation, die häufig von selbst aufhört, sobald man die lokale Behandlung aussetzt.

Um ganz sicher zu sein, dass der Patient nicht Gefahr läuft, die In- fection in die Ehe zu verschleppen, lasse ich ihn, wie schon vorher be- merkt, ehe ich ihn als geheilt betrachte, den Coitus experimenti causa ausüben. Falls dann keine Erscheinungen auftreten und die vorher erwähnten Untersuchungen negativ ausgefallen sind, halte ich mich für berechtigt, dem Patienten das Eingehen der Ehe zu gestatten. Nach diesen Grundsätzen habe ich in mehreren Fällen gehandelt und habe keinen Fall zu verzeichnen, in dem ich es zu bereuen gehabt hätte.

Wie vorsichtig man übrigens grade in der Beantwortung der soeben erörterten Frage sein muss, zeigte mir ein Fall, den ich in den letzten Monaten beobachtet habe. Der Patient war, als von einem chronischen Tripper geheilt, entlassen worden. Als ich ihn 2 3 Monate später wiedersah, klagte er über einen ihn belästigenden Wulst auf dem dorsum penis. Bei der Untersuchung stellte es sich heraus, dass sich in der Medianlinie eine erbsengrosse Schwellung der Vorhaut vorfand, mit einer kleinen Oeffnung an der Spitze, aus welcher sich auf Druck etwas Eiter entleerte, der Gonokokken enthielt. Mit einer Haarsonde gelang es mir in einen etwa 1 cm. langen Hohlgang einzudringen, der sich nach Spaltung, Auskratzen und Ausbrennen bald schloss. Dieser Fall wird mir als Lehre dienen, Mass auch ausserhalb der Harnröhre, am Penis Tripperaffectionen vorkommen, die mr erst ausschliessen müssen, ehe wir den Patienten als geheilt ansehen können.

Dies, Herr Präsident und meine Herren, sind meine Erfahrungen, die ich Ihnen, soweit es die Zeit erlaubte, mittheilen wollte.

Wenn ich dazu beitrage, Ihr Interesse für diese im socialen Leben überaus wichtige, aber häufig stiefmütterlich behandelte Erkrankung zu erwecken, dann ist der Zweck, der dieser kleinen Arbeit zu Grunde lag, vollständig erreicht.

26 Ost 62. Strasse.

IL

Unwillkürliche Hebung des obern Augenlids bei be- stimmten Bewegungen des Unterkiefers.

Von

Dr. A. SCHAPRINGER,

New York.

Tie Aufmerksamkeit der ärztlichen Welt wurde zuerst im Jahre 1883 durch Marcus Günn in London auf eine seltsame, an gewisse Bewegun- gen der Kinnlade geknüpfte Bewegungserscheinung am oberen Augenlide gelenkt. Die Erscheinung besteht in einer, mit der Contraction be-

11

stitiimter Gruppen der den Unterkiefer bewegenden Muskeln synch ro- nischen, ruckweisen Hebung des einen Oberlids, in der Mehrzahl der Fälle des linken. Die Majorität der seither bekannt gemachten Fälle betrifft weibliche Individuen und das die abnorme Bewegungserschei- nung darbietende Oberlid ist zumeist mit angeborener Lähmung behaftet.

Die Mittheilung Gunn's bezog sich auf ein 15j ähriges Mädchen, welches er der Ophthalmological Society of the United Kingdom vor- stellte, mit angeborener Ptosis am linken Auge, bei welchem jedesmal, wenn das Mädchen den Unterkiefer nach rechts verschob, das gelähmte Oberlid gleichzeitig in die Höhe ging. Die Pupille des mit Ptosis behaf- teten Auges war enger als die des andern. Es wurde von der Gesell- schaft eine Commission eingesetzt, bestehend aus Gowers, Stephen Mackenzie, Abercrombie und William Lang, deren Aufgabe es war, den Fall von Gunn genauer zu studiren. In dem Berichte dieser Commis- sion wird zur Erklärung des merkwürdigen Phänomens angenommer, dass aus dem Kerne des Trigeminus, dessen motorische Wurzel be- kanntlich die Kaumuskeln innervirt, ausnahmsweise eine Anzahl Fasern in die Bahn des Oculomotorius übergehe, während derjenige Theilkern dieses letzteren Nerven, welcher zum Levator palpebrae superioris in Beziehung steht, mangelhaft entwickelt sei.

Die nächste Mittheilung über diesen Gegenstand erfolgte im Jahre 1887 durch Helfreich in Würzburg. Nach dem Bericht über die 19. Versammlung der ophthalmologischen Gesellschaft, Heidelberg 1887, wo Helfreich den Gegenstand zur Sprache brachte, war bei zwei jungen Mädchen im Alter von 14 und 17 Jahren auf je einem Auge zunächst Ptosis vorhanden und blieb beim Blicke nach oben auch unter Inan- spruchnahme des stärksten Willensimpulses, wie unter Mitwirkung des Musculus epicranius frontalis, die Erhebung des betreffenden Oberlides beträchtlich hinter der am andern Auge zurück. Wurde nunmehr der Mund geöffnet, so erfolgte plötzlich und gewissermaassen ruckweise, sowie ohne jegliches Anzeichen von Mitaction anderer Muskeln eine weitere und zwar eine sehr erhebliche Emporziehung des vorher unge- nügend gehobenen Augenlides an dem betreffenden Auge, während an dem des andern nicht die geringste Bewegung bemerkbar war. Dieses Emporschnellen des einen Oberlides bei der Oeffnung des Mundes trat auch bei ruhigem Blicke gerade aus und nach abwärts ein und war demgemäss vor Allem auch beim Kauen bemerkbar. Bei der einen Patientin war neben der einseitigen Ptosis auch ein sehr defectes Lei- stungsvermögen des Musculus rect. sup. auf dem gleichnamigen Auge vorhanden. Die Bewegungsanomalie war seit der frühesten Jugend bei den beiden Patientinnen beobachtet worden und die Annahme einer hereditären Uebertragung wie auch einer pathologischen Entstehungs- weise ausgeschlossen.

Aus einer Keihe von Gründen, welche Helfreich eingehend ent- wickelte, geht es nicht an, das Phänomen auf eine sogenannte Mitbe- wegung zurückzuführen. Der Bewegungsvorgang beruht vielmehr

12

offenbar auf einer Besonderheit der anatomischen Einrichtung für die Innervation des Levator auf den betreffenden beiden Augen und ist an- zunehmen, dass dieselbe dem genannten Muskel aus zwei Quellen zu- geht. Neben dem gewöhnlichen Innervationsgebiete für den Levator (Kern des Nerv, oculomot.) kommt noch jenes in Betracht, welches den Muse, biventer versorgt (Kern des Facialis oder Trigeminus). Helfreich nimmt an, dass, annähernd analog dem wechselseitigen Faseraustausche, welchen die aus dem Kerne des Nervus oculomotorius und N. abducens entspringenden Fibrillen bei ihrem Durchgange durch das sogenannte hintere Längshündel der Medulla oblongata häufig zeigen, in den zur Besprechung gebrachten beiden Fällen ausnahmsweise aus dem Kerne eines der beiden Nerven, die sich zu dem Musculus biventer begeben (N. focialis und N. trigeminus), eine gewisse Menge von Fasern in das hintere Längsbündel und damit in die Oculomotoriusbahn übergeht, ohne mit dem Oculomotoriuscentrum selbst in Beziehung zu treten. Das Oculomotoriuscentrum für die betreffenden beiden Augen ist in seiner lateralen und mittleren Partie als unvollkommen entwickelt an- zunehmen. Mit Rücksicht auf die eigenthümliche anfängliche Verlaufs- weise des Nerv, facialis hält Helfreich es für wahrscheinlich, dass aus ihm die accessorischen Fasern für den betreffenden Muse, levator her- vorgehen.

Der Erklärungsversuch Helfreich's stimmt mit dem von der früher erwähnten englischen Commission aufgestellten überein, doch war Helfreich unabhängig zu demselben gekommen, da ihm zur Zeit der Commissionbericht noch nicht bekannt war.

Seit der Publication Helfreich's sind weitere einschlägige Fälle ver- öffentlicht worden von Fuchs, Fraexkel (Chemnitz), Bernhardt, Just, O. Bull (Christiania), v. Reuss, Uhthoff, Laqueur. Proskauer (Nürn- berg) und Vossiüs. Die Fälle von Fuchs und Just unterscheiden sich von den übrigen dadurch, dass bei ihnen von Ptosis keine Rede ist. Bei Fraenkel handelt es sich um ein Tjähriges Mädchen mit ganz nor- mal agirenden Augen- und Lidmuskeln, bei welchem jedesmal, wenn bei gesenkter Blickebene gekaut wurde, das rechte Oberlid ruckweise sich hob. Dieser, übrigens angeborene Zustand, hielt sich noch drei Jahre, nachdem er zuerst in Beobachtung getreten war, später trat eine mässige Ptosis ein und das in Rede stehende Phänomen trat nicht mehr so deutlich hervor, wie früher, wo die abnorme Lidhebung die physio- logische Wirkung des Levator weit übertroffen hatte. Bull beschreibt den Fall eines 19jährigen Burschen, bei welchem angeborne rechtssei- tige Ptosis bestand, ausserdem aber auch die Beweglichkeit des rechten Augapfels sehr beschränkt war. Wenn er den Mund öffnete, wurde die Lidspalte so weit, dass fast die ganze Pupille zu Tage trat. Ebensoweit konnte er das Auge öffnen, wenn er das andere geschlossen hielt, weiter wurde aber die Lidspalte nicht, wenn alsdann der Mund geöffnet wurde. Anders war es bei dem Falle von v. Reuss. Bei ihm handelte es sich um einen 18jährigen Mann mit angeborener Hnksseitiger Ptosis und

13

Schwäche des Rectus superior. Beim Oeffaen des Mundes, bei Eechts- bewegung des Unterkiefers, sowie beim Vorschieben desselben erfolgte weites Oeffnen der Lidspalte. Bei Verschluss des andern Auges war eine massige Action des Levator möglich, welche aber, im Gegensatz zu dem Falle von O. Bull, beim Oeffnen des Mundes noch eine Steige- rung erfuhr.

Der Umstand, dass in der amerikanischen Journalliteratur bisher noch kein einziger Fall dieser Art veröffentUcht ist, möge mir als Ent- schuldigung dienen, wenn ich an dieser Stelle die Casuistik um einen mir kürzlich untergekommenen Fall vermehre, obwohl ich demselben neue Seiten abzugewinnen nicht in der Lage war. Der Zweck der Ver- öffentlichung ist nur, die Aufmerksamkeit weiterer Kreise hierzulande auf den Gegenstand zu lenken.

Dora S., eine 25jährige, aus Russland gebürtige, verheirathete Frau, stellte sich mir am 19. November 1891 wegen gewisser Beschwerden vor, welche mit dem gleich wiederzugebenden Befunde am rechten Auge in keinerlei Beziehung standen und auf welche desshalb hier gar nicht eingegangen zu werden braucht. Beim ersten Anblick der Patientin fällt die Ptosis des linken obern Augenlids auf, nach Angabe der Pa- tientin ein angeborener Zustand. Bei Prüfung der Beweglichkeit des Augapfels ergiebt sich dieselbe als nach allen Eichtungen hier unein- geschränkt, ausgenommen nach oben (Ausfall der Wirkung des Muse, rectus superior und einer Theilwirkung des Muse, obliquus inferior). Da mir das Vorkommen von einseitiger, unwillkürlicher Liderhebung geknüpft an gewisse Bewegungen des Unterkiefers, gerade bei Fällen von angeborener Ptosis, aus der Literatur bekannt war, Hess ich die Patientin verschiedene Manöver mit dem Unterkiefer ausführen und beobachtete dabei das Verhalten der oberen Augenlider. Beim Oeffnen des Mundes, beim Vorstrecken des Kinns und bei Verschiebung des Unterkiefers nach links verhielt sich das gelähmte Oberlid ebenso wie das andere, unbeweglich, verschob jedoch die Patientin die Kinn- lade nach rechts, so machte sich dabei ein ruckweises Erheben des gelähmten linken Oberlids deutüch bemerkbar. Herr Dr. Henry Koplik hatte auf mein Ersuchen die Freundlichkeit, sich von dem Eintreten dieser Erscheinung durch eigene Beobachtung zu über- zeugen. Die Patientin gab auch an, dass beim Kauen härterer Speisen ein fortgesetztes Spiel des Hebens und Senkens des be- treffenden Lids stattfinde. Da sie nicht des Auges halber Hülfe suchte, gab sie sich zu den angestellten Versuchen nur unwillig her und entzog sich denselben vorzeitig, so dass ich unter Anderem auch keine Gelegenheit fand, das Verhalten des gelähmten Lids bei Verschluss des andern Auges festzustellen. Es soll hier noch aus- drückhch hinzugefügt werden, dass das Verhalten des rechten Ober- lids und die MotiUtätsverhältnisse des zugehörigen Bulbus vollkommen normal waren.

Die oben wiedergegebene GowERs-HELFREicn'sche Hypothese über das anatomische Substrat der hier besprochenen Bewegungsanomalie

14

beschäftigt sich nur mit dem Oculomotorius einerseits und dem Trige- minus und dem Faciahs andererseits ; der Sympathicus ist ganz aus dem Spiele gelassen. Bedenkt man aber, dass eine Erhebung des obern Augenlids nicht nothwendiger weise durch eine Zusammenziehung des durch den Oculomotorius innervirten Muse, levator palpebrae superio- ris bewirkt zu werden braucht, sondern dass der durch den Sympathi- cus innervirte, aus glatten Fasern gebildete Heinhich MüELLER'sche Orbitalmuskel eine ähnliche Wirkung hat, ferner dass im GuNN'schen Falle eine verengerte Pupille auf der Seite der Ptosis bestand und in dem Falle von Bernhardt ein Zurückgesunkensein des Augapfels, bei- des Symptome von Lähmung gewisser, in der Bahn des Sympathicus verlaufender Nervenfasern, so kann man das Bedenken nicht unter- drücken, dass der Sympathicus bei den bisherigen Deutungsversuchen etwas zu kurz gekommen ist.

Mit den hier angeführten Fällen zu analogisiren ist offenbar ein merkwürdiger Fall von Adamük. Er beobachtete bei einer 4:0jährigen russischen Nonne, dass bei jeder Kaubewegung beide oberen Augenlider der Kranken sich stark aufwärts hoben und zurückzogen, während die Augäpfel immer mehr hervortraten. Dadurch wurde der Gesichtsaus- druck ein sehr auffallender und unangenehmer, da die Augen schliess- lich so weit entblösst hervorstanden, dass kaum das hintere Drittel der- selben von den Lidern bedeckt erschien. Als Patientin das Kauen ein- stellte, gingen die Lider nach und nach in ihre normale Lage zurück, so dass keine Spur ihres Hervorstehens oder der Ketraction der Lider zurückblieb ; auch sonst boten die Augen der Patientin nichts von der Norm Abweichendes dar. Adamük glaubt den Grund dieser abnormen Erscheinung in einem eigenthümlichen topographischen Verhältnisse der der Augenhöhle entstammenden venösen Gefässe zu den Kaumus- keln suchen und das fragliche Phänomen als das Eesultat einer venö- sen Stauung ansehen zu müssen. Dass dieser mechanische Erklärungs- versuch nur wenig Einnehmendes für sich hat, liegt auf der Hand.

Nachtrag. Seitdem das Obenstehende zum Druck befördert wurde, habe ich Gelegenheit gehabt, einen weitern Fall dieser Art zu beobachten. Er betraf einen 9jährigen Knaben, Charles Strafford, der gegen Eude December 1891 auf die Abtheilung des Herrn Dr. E. Grue- NiNG im Mount Sinai Hospital aufgenommen wurde, um wegen seit frühester Kindheit bestehender Ptosis des rechten Auges operirt zu werden. Herrn Dr. Gruening bin ich für die Erlaubniss, den Patienten zu untersuchen und seiner hier Erwähnung zu thun, zu Dank verpflich- tet. Der Knabe hat fünf Brüder und zwei Schwestern; alle Geschwister erfreuen sich normaler BewegUchkeit der Augenlider. Patient soll im Alter von 10 Wochen Convulsionen gehabt haben und das Herabhängen des rechten obern Augenlids soll als Folge derselben zurückgeblieben sein. Während die Beweglichkeitsverhältnisse der Lider und des Aug- apfels der linken Seite vollkommen normale sind, hängt das obere Lid des rechten Auges beim Blick geradeaus so weit herab, dass der grösste

15

Theil der Pupille verdeckt erscheint. Die Excursionsfähigkeit des rech* ten Bulbus ist nach oben beschränkt, nach allen anderen Richtungen jedoch frei. Hiermit im Einklang giebt der Knabe auch an, beim Blick nach oben Doppelbilder zu sehen. Die rechte Pupille zeigt dieselbe Grösse wie die linke und normale Beweglichkeit. Im Augenhintergrund keine Abnormität. Refraction beider Augen mässig hypermetropisch. Beim Öffnen des Mundes und bei Verschiebung der Kinnlade nach links geht das gelähmte rechte Oberlid jedesmal ruckweise in die Höhe, so dass die Lidspalte dieser Seite nun weiter geöffnet erscheint, als die der gesunden Seite. Wird der Unterkiefer nach rechts verschoben, so ver- hält sich das in Rede stehende Oberlied regungslos. Wird das linke (normale) Auge mit der Hand verschlossen, so geht das gelähmte Augen- lid ein wenig in die Höhe, und wird nun der Mund geöffnet, so hebt es sich noch um ein Bedeutendes höher. Beim Kauen erfolgt jedesmal wenn der Unterkiefer vom Oberkiefer entfernt wird, eine Hebung des Lids, das sich beim Anstemmen der Kinnlade gegen den Oberkiefer wie- der senkt, welches fortgesetzte Spiel einen seltsamen Anblick gewährt

Literatur.

Makcus Gunn: Lancet, 1883, Vol. II, No. 3. Helfreich: Festschrift f. A. von KöLLiKER, 1887. Auszugsweise im Bericht über die 19. Ver- sammlung der Ophthalmol. Gesellschaft, Heidelberg, 1887. Fuchs: Discussion über Helfreichs Mittheilung in demselben Berichte. Frankel (Chemnitz): Zehender's klinische Monatsbl., November 1888. Just: Berhner klin. Wochenschr., No. 42, 1888. Bernhardt: Cen- tralbl. f. Nerv. XI, 5, 1888. Uhthoff: Berliner Min. Woch., No. 36, 1888. OLE Bull; Arch. of Ophthalm., XVIII, 2 p. 144, 1888. v. Reuss: Wiener klin. Wochenschr., No. 4, 1889. Adamuek: ZEHEXDER'sche klin. Monatsbl., Mai 1888. Laqüeur: Centralbl. f. pr. Augenh., Oktober 1890. Proskauer, Theodor: Centralbl, f. p;r. Augenh. April 1891. Vossius: Deutsche Med. Wochenschr., 29. Oki;9fo3r 1891 (Vorläufige Mit- theilung). ' - ^

Bemerkungen zu .dem Artikel, des H^?^l:GLEITSMAN.^:: Ein neues? und einfiiftlies T erfahren .-^ur Beseitigung der unan- genehmen Folgezustände nach Gebrauch der Gal- vanocaustik bei Hypertrophien der Nase.'^

Von

Dr. W. Freudenthal,

New York.

Seitdem vor mehr als 8 Jahren von authoritativer Seite die Chrom- säure emphatisch empfohlen worden war, wandte ich dieselbe in einer Unzahl von Fällen chronischer hyperthrophischer und hyperplastischer Zustände in der Nase wie im Halse an, und meine Erfahrungen lehrten mich nach etwa 4^5 Jahren, das Mittel gänzlich aufzugeben, denn ich habe nach Anwendung der Chromsäure nicht nur die allgemein bekann-

16

ten Reactions-Erscheinungen wie Mattigkeit, Benommenheit, Tonsillitis, Angina etc. entstellen sehen, sondern ich beobachtete auch 2 Mal ganz ausgesprochene Fälle*) von acutem Gelenkrheumatismus, ähnlich wie dies auch schon Hack beschrieben hatte.

So kam es denn sehr erwünscht, als ein neues Mittel an Stelle der Chromsäure empfohlen wurde. Dieses Mittel war die von Alexander VON Stein zuerst in Anwendung gebrachte Trichloressigsäure. Ich wen- de dieselbe auch seit mehr als einem Jahre in der Deutschen Poliklinik an und kann nur allen denen beistimmen, welche dieselbe als recht gu- tes Kausticum empfehlen in Fällen, wo man aiis Opportunitätsgründen den Galvanokauter nicht benutzen kann. Für solche Fälle hat mir, wie gesagt, die Trichloressigsäure recht gute Dienste geleistet, und ich be- nutze dieselbe auch jetzt noch aus Opportunitätsgründen in der Deut- schen Poliklinik. Sie ist entschieden der Chromsäure vorzuziehen.

Wenn aber Gleitsmann**) die Trichloressigsäure als ein neues und einfaches Mittel „zur Beseitigung der unangenehmen Folgezustände nach Gebrauch der Galvanocaustik bei Hypertrophien der Nase" auf Grund von 80 so behandelten Fällen empfiehlt, so kann ich ihm darin ganz und gar nicht beistimmen.

Doch bevor ich auf diesen Punkt weiter eingehe, möchte ich die Frage auf werfen: Ist denn die Gefahr der Eeactionserscheinungen nach gal- vanokaustischen Brennungen in der Nase überhaupt eine so grosse? Man kann entschieden nicht ohne Weiteres mit „Ja" antworten. Ist es doch merkwürdig genug, dass trotz des grossen Gefässreichthums der Nase, und trotzdem sie beständig der Infection durch fortwähr- enden Zutritt der atmosphärischen Luft ausgesetzt ist, die Eeactions- erscheinungen in der Regel so auffallend gering sind. Aber ge- rade in dem freien Zutritt^ qnfi^Jbesooders Inder fortwährenden Circu- lation der Luft, ist, vfc^til.' dei; Gsrunil f \ir djese relative Immunität der Nase gegen Infpctio^o gegeben (Treitel). ,Wiq ausserordentlich tole- rant mitunter, die^Näse ist, habe ich^ vor kurzem jvieder durch ein sehr eklatantes Beiepiel erfahren, auf d,aä ,i'jh hier leider nipht näher eingehen kann. ' ^ . < c , c,

Dochabgesehe.ii'y9i'SölGhen eu^nahmsweisc^nV^allen muss zugestan- den werden, dass ein gewissöi', culerdbigs nurldeinef Procentsatz unserer besonders galvanokaustisch behandelten Nasenfälle eine Reaction zei- gen, sei es in der nächsten Umgebung der operirten Stelle oder in wei- terabgelegenen Organen, wie im Pharynx oder in den Ohren. Wir wissen nicht, weshalb in dem einen Falle eine Reaction eintritt und in dem andern nicht, oder warum bei ein und demselben Patienten zu einer Zeit starke Reactionserscheinungen auftreten, und das andere Mal gar

*) Nur einer der beiden Fälle ist veröffentlicht. Siehe Monatsschrift für Ohrenheilkunde 1887. pag. 317.

**) Vergl. diese Monatsschrift No. 11, 1891 und Annais of Ophthalmology and Otology No. 1, 1892.

17

keine. Thatsache ist, dass dieselben ohne unser Verschulden auftreten und dass wir sie gerne verhindern möchten, wenn wir es könnten.

Ich begrüsste daher mit Freuden den oben citirten GLEiTSMANN'schen Artikel, doch muss ich bekennen, dass ich nach der Leetüre desselben noch nicht daran glauben konnte, dass das ganze Problem schon jetzt gelöst wäre.

In einem früheren Artikel**-) über die Trichloressigsäure kommt nämUch Gleistmann zu dem folgenden sehr richtigen Schlusssatz: "Trichloracetic acid compares favorably with other caustics in hyper- trophic conditions of the throat and nose, and is a valuable addition to the remedies now in use."

Es ist also die Trichloressigsäure nach G's eigenen Erfahrungen ein Kausticum. Wenn wir nun nach der Kauterisation mittels des electri- schen Brenners, wie es G. empfiehlt, noch ein anderes Kausticum in Ge- stalt der Trichloressigsäure hinzufügen, so musste ich aprioristisch an- nehmen, dass diese beiden Kaustica zusammen nur noch eine stärkere Reaction bewirken würden, als jedes von ihnen getrennt. Und die That- sachen entsprachen auch wirklich den Voraussetzungen.

Um das GLEisTMAXN'sche Verfahren zu prüfen, untersuchte ich 2 Klas- sen von Patienten: 1. Solche, die schon früher mit der Galvanokaustik allein behandelt waren und 2. Solche, die noch nicht in Behandlung ge- wesen waren. Von der ersten Klasse untersuchte ich 5 Patienten. Bei dreien traten keine oder nur höchst geringe Reactionserscheinungen auf. Bei den beiden anderen, die ich in meiner Privatpraxis behandelte, war die Reaction aber so stark,wie man sie nur selten zu Gesicht bekommt Der Kürze halber erwähne ich nur den einen Fall. Herr H. H. war schon 4 Mal vorher kauterisirt worden und hatte nie eine Reaction ge- zeigt. Am 19. December 1891 wurde er zuerst galvanokaustisch ge- brannt, und dann wurde nach Gleitsmann eine Schicht Trichloressig- säure über die ganze Parthie gelegt, Am 21. December sah ich ihn wieder. Er hatte Schüttelfrost, Fieber und eine äusserst schmerzhafte Tonsillitis. Die Nase war geröthet, geschwollen und ebenfalls sehr em- pfindlich. Am 23. Dec. war das Fieber geschwunden, und auch die übrigen Erscheinungen gingen in den nächsten Tagen zurück. Der Herr verbat sich energisch jede fernere Trichloressigsäure-Behandlung.

Von der zweiten Kategorie, also solchen, die vorher noch gar nicht behandelt waren, sah ich 15 Patienten. Abgesehen von ganz leichten Reactionserscheinungen, die absolut keine Beschwerden machten, hatte ich auch hier 4 Patienten (2 männlich und 2 weiblich), die eine starke, und einen Patienten, der eine sagen wir mittelstarke Reaction zeigte.

Wir haben demnach unter 20 behandelten Fällen 7 mit Reactions- erscheinungen, oder 35% aller Fälle ! Dies ist nun ein Prozentsatz, den wohl Alle als einen sehr grossen bezeichnen müssen, ja, der entschieden grösser ist, als wir ihn sonst bei der einfachen Galvanokauterisation

***) Medical Record, March 14. 1891.

18

2u sehen bekommen. Doch ich gebe zu, dass bei meinen Experimenten der Zufall eine starke Eolle gespielt hat, und dass der Procentsatz viel- leicht nur ausnahmsweise so gross ist. Wie aber verhält es sich mit den GLEiTSMANN'schen Zahlen ? Bei ihm waren von 80 Fällen 18 „von einem oder dem anderen unangenehmen Symptom begleitet", d. h. also etwa 23% der GLEiTSMANN'schen Fälle zeigten eine deutliche Keaction. Nun ich glaube nicht, dass dieses Kesultat ein so günstiges ist. Wie ich schon oben bemerkte, verlaufen die meisten galvanokaustischen Brennungen ohne jede subjectiv wahrnehmbare Eeaction. Wenn daher Herr Gleits- MANN mit seiner neuen Methode immer noch 23%' Misserfolge zu ver- zeichnen hat, so dürfte das wohl schwerlich als ein Fortschritt zu be- trachten sein.

Nach meinen persönlichen Erfahrungen haben wir auch bei der ein- fachen Kauterisation entschieden nicht mehr als 2S% mit nachfolgenden Reactionserscheinungen (ich kann natürlich keine statistischen Daten dafür beibringen). Wenn also Herr Gleitsmann diese Zahlen nicht heruntersetzen kann, so muss ich sein Mittel wohl als ein neues, ab^r keineswegs sicheres Verfahren zur Beseitigung der unangenehmen Folge- zustände nach Gebrauch der Galvanokaustik ansehen. Ich kann es den Herren Collegen nicht empfehlen.

1054 Lexington Ave.

IV.

lieber Guajaeolbehaudluiig der Tuberkulose.*

Von

Prof. Dr. Max Schneller

aus Berlin.

(A u tor ef er at.)

Nach einleitenden Dankesworten an den Herrn Präsidenten und die Herren Collegen der Deutschen Medicin. Gesellschaft der Stadt New York gab der Vortragende zunächst einen kurzen Ueberblick über die ge- schichtliche Entwicklung der von ihm eingeführten Guajacolbehandlung der Tuberkulose. Schon in den Jahren 1878 bis 1880 hat er durch zahl- reiche Thierversuche und histologische Untersuchungen zuerst die künstliche Erzeugung von Gelenktuberkulose und ihre Entstehungs- weise dargethan, Versuche, welche neuerdings in allen wesentlichen Punkten von verschiedenen Autoren durch gleiche Versuche mit Tu- kerkel-Bacillen bestätigt worden sind. Er stellte schon damals mit grosser WahrscheinUchkeit die aetiologische Zusammengehörigkeit von Tuberkulose, Skrophulose und Lupus, sowie ihre Abhängigkeit von be- stimmten Mikroorganismen fest, was durch die Entdeckung des Tuber- kelbacillus erwiesen zu haben das ungeschmälerte Verdienst Kob. Kochs

*) Nach einem in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von NeM' York am 4. Januar 1892 gehaltenen Vortrage.

19

ist. Zugleich machte der Vortragende damals zahlreiche therapeuti- sche Versuche mit verschiedeDen Mitteln bei tuberkulös inficirten Thieren (so mit Natr. benzoic, Extract. lign. Guajaci, Guajacol, Kreosot etc., mit Pilocarpin, mit Chlorzink u. a. m., tlieils in Form einer Allge- meinbehandlung, theils in localer Anwendung). Die Ergebnisse seiner damaligen experimentellen Beobachtungen und histologischen Unter- suchungen sind ausführlich mitgetheilt in seinem im Jahre 1880 erschie- nenen Buche (ScHUELLER, Experimentelle und histologische Untersuchun- gen über die Entstehung und Ursachen der skrophulösen und tuberku- lösen Gelenkleiden, nebst Studien über die tuberkulöse Infection und therapeutischen Versuchen. Mit 30 Abbild, im Texte. Stuttgart, F. Enke, 1880, 236 Seiten). Doch hat er auch nach dem Erscheinen dieses Buches einige Versuche durch seine früheren Schüler fortsetzen lassen, welche in deren Dissertationsarbeiten erschienen sind.

Nach kurzer Darlegung der ihn bei seinen therapeuthischen Ver- suchen leitenden Gesichtspunkte bemerkt er, dass er bei der Prü- fung der verschiedenen Mittel an Menschen sehr bald dazu gekom- men sei, dem Extract. Guajaci und dem Guajacol und auch dem Kreosot vor den übrigen den Vorrang zu geben. Von diesen wirkte besonders das vom Vortragenden zuerst experimentell und therapeutisch verwen- dete Guajacol (ein Bestandtheil des Guajacholzes) schon in verhältniss- mässig kleinen Mengen entwicklungshemmend auf Culturen aus tuber- kulösen Gewebemassen ein. Es wurde auch nach neueren Unter- suchungen mit Tuberkelbacillen sowohl im Keagenzglase wie am Versuchsthiere eine nicht unbeträchtliche anti-bacilläre Einwirkung des Guajacols festgestellt. Der Vortragende hat diese Mittel seit dem Jahre 1880 beim Menschen in Anwendung gezogen und seine Ergebnisse bei Lungen-Tuberkulose, besonders aber bei den sogen, chirurgischen Tuberkulosen im Sommer 1891 in einem besondern Buche mitgetheilt (M. ScHUELLER, Eine neue Behandlungsmethode der Tuberkulose, beson- ders der chirurgischen Tuberkulosen. Wiesbaden, bei J. F. Bergmann, 1891). Er giebt kurz die Zahlen und die sich bis zu 10 Jahren erstreckende Beobachtungsdauer der dort besprochenen Fälle an und weist bezüglich des Näheren auf die Arbeit selber. Seit dem Erscheinen dieses Buches hat er Gelegenheit gehabt, die günstigen Erfolge der Guajacolbehand- lung an einer grossen Zahl neuer Patienten zu beobachten und seine Er- fahrungen hierüber zu erweitern. Auch sind sie schon von anderen Be- obachtern bestätigt worden.

Der Vortragende schildert dann seine Anwendungsweise des Guaja- cols bei verschiedenen tuberkulösen Erkrankungen.

Bei Lungentuberkulose lässt er von Kindern 2-3 Tropfen, von Er- wachsenen 3-5 Tropfen des reinen Guajacols viermal täglich in einem Glase mit Salzwasser, Milch, Bouillon, bei Erwachsenen auch je nach Umständen mit Wein etc. verrühren und trinken. Das Guajacol, welches jetzt auf Veranlassung des Vortragenden in der chemisch-pharmaceu- tischen Fabrik von I. D. Kiedel in Berlin möglichst rein hergestellt wird, ist wasserhell, relativ leicht löslich, schmeckt und riecht nicht un-

20

angenehm und ist bisher von allen Patienten leicht vertragen worden. (Dasselbe wird hier durch die Herren Lehn & Fink, Vertreter von I. D. Eiedel, geliefert werden können.)

Die Darreichung des Guajacols in Pillen hat der Vortragende gänz- lich aufgegeben und hält sie für durchaus unzweckmässig. Auch das- selbe in Kapseln zu geben hält er nicht für so praktisch, wie die oben ange- gebene einfache Form. Soll es in Kapseln gegeben werden, so empfiehlt er, stets unmittelbar vorher und nachher eine Flüssigkeitsmenge von im Ganzem etwa einem gewöhnlichen Wasserglase voll zu nehmen. Sowie es Vortragender oben angegeben hat, ist das Guajacol von seinen Pati- enten viele Monate bis zu 1^ Jahr ohne Beschwerde genommen worden. Der Vortragende lässt bei den Patienten mit Lungentuberkulose, wo es erforderlich erscheint, neben dem Guajacol, welches nicht ausgesetzt werden soll, gelegentlich Expectorantien, Digitalis, Fiebermittel brauchen. Das ist besonders im Anfange der Behandlung erforderlich, da das Guajacol erst nach längerem Gebrauche, und zwar in indirecter Weise herabsetzend, auf das Fieber einwirken kann. In vielen Fällen wendet er auch Inhalationen von schwachen Guajacolwasserlösungen (5 : 3000 5000) oder Terpentinöl m. Campher u. a. m. an. Dieselben müssen beständig vom Arzte controUirt werden, und vor allen Dingen jede Ueberanstr engung beim Einathmen verhütet werden. Der Vortra- gende hat in der Regel anfänglich eine vermehrte, aber zugleich eine erleichterte Expectoration eintreten sehen ; dann eine allmähliche Um- wandlung der geballten eitrigen Sputa in mehr schleimige, catarrhalische Aufhellung der Dämpfung, Nachlass des Hustens, Hebung des Körper- gewichts, Besserung des Allgemeinbefindens, endlich Verschwinden der Tuberkelbacillen u. s. f. Vortragender führt die Krankengeschichten einiger sehr eclatanter Fälle an, darunter mehrere, welche vorher ver- geblich mit Tuberkulin behandelt worden waren. Bei einem der Patienten wurden zugleich seit mehreren Monaten bestehende, wahrscheinlich auf Darmtuberkulose beruhende profuse, zuvor jeder Behandlung trotzende Diarrhoen schon etwa 8 Wochen nach Beginn der Guajacolbehandlung dauernd beseitigt. Wenn er auch in mehreren Fällen gleich schon in den ersten vier bis fünf Wochen eine ganz auffällige, geradezu über- raschende Besserung aller Erscheinungen beobachten konnte, so bean- sprucht die Behandlung mindestens sechs bis acht Monate. Er lässt das Mittel aber auch nach dem Verschwinden der Tuberkelbacillen und der localen Krankheitserscheinungen noch einige Monate fortsetzen und hält es für selbstverständlich, dass es später sofort wieder gebraucht wird, falls sich wieder Krankheitserscheinungen zeigen sollten. Er hat bis jetzt 18 Patienten mit Lungentuberkulosen ausgeheilt, von denen einige schon mehrere Jahre in Beobachtung und bei wiederholter Unter- suchung vollkommen gesund erwiesen worden sind.

Bei den sogenannten chirurgischen Tuberkulosen, d. h. denjenigen tu- berkulösen Organerkrankungen, welche mehr oder weniger, neuerdings in immer grösserer Ausdehnung einer chirurgischen Behandlung zugäng- lich sind, hat er gleichfalls die Allgemeinbehandlung mit Guajacol con-

21

sequent durchgeführt, und hält sie deshalb für zweckmässig resp. uner- lässlich, weil einmal viele dieser Patienten thatsächlich gleichzeitig mit der dem Chirurgen zunächst vorliegenden tuberkulösen Erkrankung schon in einem oder dem andern Organe tuberkulöse Heerde, wenn auch oft nur Initialerkrankungen haben, dann aber weil sie nicht selten später selbst nach Ausheilung ihres Localleidens noch an Tuber- kulose der Lungen, Meningen und anderer Organe oder an acuter Mihartuberkulose erkranken.

In einer Reihe von solchen Fällen sah er Besserung und Heilung ein- treten ohne operative Eingriffe, allein unter Anwendung der Guajacol- behandlung. Viele dieser Patienten sind seit 2—10 Jahren gesund ge- blieben, sehen blühend aus. Sogenannte chronische skrophulöse Eczeme, in deren Secret vom Vortragenden mehrfach Tuberkelbacillen nachgewiesen wurden, heilten in sehr kurzer Zeit definitiv aus, und gingen danach auch die begleitenden Drüsenschwellungen zurück. Aber auch grössere noch nicht verkäste tuberkulöse Drüsenanschwel- lungen können binnen 3 6 Monaten zum Schwinden gebracht werden; einfache Fälle von Gelenktuberkulose unter Aufhören der Schmerzen, Zurückgehen der Schwellung, Beseitigung der Functionstörung zur Ausheilung gebracht werden. Auch mehrere Fälle von Wirbeltuber- kulose hat der Vortragende in verhältnissmässig kurzer Zeit zur Aus- heilung gelangen sehen. Als ein besonders interessantes Beispiel führt Vortragender die Krankengeschichte eines 6jjährigen Knaben mit Hals- wirbeltuberkulose und Tuberkulose an andern Theilen des Skelets an, bei dem, nachdem er schon vorher in der verschiedensten Weise behan- delt worden war, im Winter 1890 auch längere Zeit Tuberkulinin jec- tionen angewandt worden waren. Dabei waren stets sehr prompte Re- actionen eingetreten, leider aber auch neue tuberkulöse Heerde an anderen Knochen, sowie am Erkrankungsheerde der Halswirbelsäule eine erhebliche Verschlimmerung, zunehmende Schwellung und Er- weichung, erhöhte Schmerzhaftigkeit, Compressionserscheinungen unter andauerndem Fieber entstanden, so dass schliesslich die Tuberkulinin- jectionen wieder ausgesetzt werden mussten. Hier hörte schon nach vierwöchentlichem Guajacolgebrauch das auch nach Aussetzen der Tuberkulininjectionen seit einem halben Jahre beständig andauernde hohe abendliche Fieber vollkommen auf, während im Weiteren die sehr grosse Schwellung und Druckempflndlichkeit an den erkrankten Wir- beln, sowie die heftigen ausstrahlenden Schmerzen in den Armen immer mehr schwanden, so dass sechs Wochen nach Beginn der Guajacolbe- handlung die bis dahin unentbehrliche Extensionslage aufgegeben werden und Patient seitdem mit einem Korsettsich ausser Bett bewegen konnte- Von den übrigen tuberkulösen Heerden des Patienten gingen kleinere spontan zurück, 2 andere wurden operativ entfernt. Ferner sah Vor" tragender auch eine seit etwa 14 Jahren bestehende tuberkulöse Caries mit sehr bedrohlichen meningealen Erscheinungen unter dem Guajacol- gebrauch zur Ausheilung kommen u. s. f. Vielleicht können so auch einfache Fälle von Tuberkulose andrer Organe, z. B. der Nieren, aus-

22

heilen. Weniger scheint dafür Hodentuberkulose geeignet. Bei der grossen Mehrzahl der chirurgischen Tuberkulosen hält er neben der innern Guajacolbehandlung eine locale Behandlung, speciell ein chirur- gisches Eingreifen für erforderlich. Die Gründe dieser Auffassung hat er ausführlich dargelegt in seiner letzten Veröffentlichung (Wiesbaden, 1891) ; ebenso hat er dort seine eigenen localen Eingriffe und Operations- verfahren ausführhch beschrieben und an zahlreichen Fällen, welche seitdem durch neue erheblich vermehrt wurden, erläutert. Er verweist auf das Studium dieses Buches und führt nur kurz noch einige neuere Beispiele von Fällen an, welche die ausserordentliche Brauchbarkeit seiner Methoden darlegen.

In der neueren Zeit hat er u. a. auch local an den Erkrankungsheerden das Guajacol meist in wässriger Lösung oder in Verbindung mit 10% Jodoformglycerinmischungen iujicirt. Beim Lupus wurden die Knöt- chen und infiltrirten Stellen mit dem Thermokauter ausgebrannt, dann wurde, jedoch nur auf Steilen von beschränkter Ausdehnung, subcutan oder endermatisch in die Umgebung der Lupusknötchen Guajacol in- jicirt. Darüber JodoformcoUodium verband. Diese Injectionen machen stets eine sehr starke ödematöse Anschwellung, welche 1 bis zwei Tage andauert, auch mit Schmerzen verbunden ist, dann rasch zurückgeht und eine verhältnissmässig schnelle, glatte Heilung zur Folge hat. So verfuhr der Vortragetide bei einem 4:7jährigen Fräulein aus Erlangen, welches wegen hochgradigen Gesichtslupus schon seit Jahren in ver- schiedener Weise behandelt worden war, im Winter 1890 auch 38 Tuber- kulinin jectionen erhalten hatte, wonach aber eine sehr beträchtliche, rapide weitere Ausbreitung des Lupus eingetreten war. Das ganze Gesicht sah dickgeschwollen blauroth und braunroth aus, die Stirn-, Wangen- und Kinnhaut war von Lupusknötchen durchsetzt, die Nase und Oberlippe zum Theil zerstört, das rechte Ohrläppchen kirschengross glasig aufgequollen, mit frischen Lupusknötchen. Desgleichen solche im Zahnfleische und in der Schleiinhaut des harten Gaumens ; endlich noch bohnengrosse Lupusheerde mit tuberkulöser Infiltration des um- gebenden subcutanen Bindegewebes am linken inneren Fussrande und in der Knöchelgegend. Zugleich bestand Bronchialcatarrh mit Tuber- kelbacillen in den Sputis, aber keine Dämpfung. Es verdient wegen der Sohwierigkeit des Bacillennach weises bei Lupus hervorgehoben zu wer- den, dass in der beim Thermocauterisiren des rechten Ohrläppchens aus- fliessenden wasserhellen serösen Flüssigkeit sehr schöne Tuberkelbacil- len nachgewiesen werden konnten. Die oben beschriebene Lupusbe- handlung wurde vom Vortragenden bei der Patientin Mitte September begonnen. Von Woche zu Woche war eine zunehmende Abheilung wahrzunehmen. Ende November, also nach 2i Monat, wurde die locale Behandlung abgeschlossen. Das Gesicht war überall abgeschwollen, sah viel schmäler und blässer aus ; der Lupus ist anscheinend ausge- heilt, ebenso auch die tuberkulösen Heerde am Fusse. Doch soll die Patientin wegen des noch bestehenden Catarrhes das Guajacol fortsetzen. Auch bei Gelenktuberkulose hat Vortragender mit den Jodoformin-

23

jectionen solche von Guajacol in das Gelenk verbunden, und ist in hohem Masse befriedigt von den Erfolgen. So hat er u. a. 4 Fälle von schwerer Coxitis, welche früher sämmtlich hätten resecirt werden müssen, durch solche Injectionen in die Knochenheerde, Kapsel und umgebende Ge- webe, wie er es schon früher beschrieben, so vollkommen zur Ausheilung gebracht, dass weder eine Verkürzung, noch eine Schmerzhaftigkeit, noch eine Schwellung mehr nachzuweisen ist, während das Gehen ohne Mühe möglich ist. Bei zweien ist sogar schon geringe Beweglichkeit wieder bemerkbar. Er macht auf den beträchtUchen Fortschritt dieser Behandlung gegenüber allen andern nicht-operativen Methoden wie auch der Resection gegenüber aufmerksam, welche bisher gerade am Hüftgelenke sehr unvollkommene Leistungen aufzuweisen hatten. Aber auch bei allen Exstirpationen, Excisionen, Resectionen wegen tuberku- löser Affectionen der Organe, welche er überall wo schon Verkäsung oder ausgedehnte Zerstörung durch fungöse Granulationen vorhanden ist, für geboten erachtet, hat er dadurch wesentlich bessere Resultate, Heilung per primam ohne Fisteln, Fernbleiben von Recidiven u. s. f. er- zielt, dass er gleich nach Vollendung der Operation in die Wände der Wundhöhle (in die entblössten Knochen, in die Weichtheile, etc.) eine Mischung von Guajacollösung und Jodoformglycerin injicirt. Dann wird stets ohne Drainage sowie ohne Tamponade genäht und darüber der Verband angelegt. Stets erfolgte Heilung per primam. So ope- rierte Patienten mit Resectionen des Knies, des Fussgelenks konnten mit ihrem resecirten Beine im Wasserglasverbande vollkommen schmerzlos schon 14 Tage nach der Operation herumgehen. Bei allen Patienten mit chirurgischen Tuberkulosen soll aber auch stets innerlich Guajacol gebraucht werden, welches er auch nach operativen Eingriffen für unerlässlich hält. Er hat durch seine vielfachen Beobachtungen seit vielen Jahren die Ueberzeugung gewonnen, dass gerade auf dieser von ihm eingeführten Combination des innerlichen Guajacolgebrauches mit einer entsprechenden chirurgischen Localbehandlung die schönen Heilerfolge beruhen, welche er bei seinen Patienten beobachtet hat, und hofft, dass sich das Verfahren auch in den Händen seiner Collegen in diesem Welttheile bewähren wird.

24

NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für praktische Aerzte in Amerika. Redigirt von De. f. C. HEPPENHEIMEK.

EDITORIELLE NOTIZEN. 15. Januar 1892.

Die chirurgische Behandlung der Pylorusstenosen.

Unter diesem Titel ist im Medical Record vom 7ten und 14ten November 1891 eine ausgezeichnete Arbeit von N. Senn erschienen, und wir sehen uns veranlasst, dieselbe hier einer genaueren Besprechung zu unterziehen.

Pylorusstenosen zerfallen in solche, die bedingt sind durch narbige Stricturen und solche deren Ursache ein Carcinom ist. Beide Arten führen, sich selbst überlassen, sicher, wenn auch zuweilen langsam, zum Tode; in beiden Fällen ist man imstande durch Operationen Hilfe zu leisten. Bei den narbigen Stricturen werden Heilungen erzielt, bei den Carcinomen erhebliche, wenn auch nur temporäre Besserungen geschaf- fen. Es ist also die Aufgabe des Arztes, möglichst früh die Diagnose auf eine Pylorusstenose zu stellen, denn je früher operirt wird, desto sicherer der Erfolg.

Neben den klinischen Symptomen bietet die moderne Magenunter- suchung Anhaltspunkte für eine diesbezügliche Diagnose. Untersucht man den Magen des Patienten des Morgens im nüchternen Zustande mit dem Schlauch und findet darin Speisen vom Tage zuvor, so wird so- fort der Verdacht auf eine Pylorusstenose rege. Oonstatirt man das- selbe Resultat bei wiederholter Untersuchung trotz zweckmässiger diä- tetischer Behandlung, so kann man wohl aus diesem Befunde allein die Diagnose auf eine Pylorusstenose stellen. Die Frage, welcher Natur die Stenose ist, ob sie durch eine narbige Strictur oder durch Carcinom bedingt ist, kommt erst, in Rücksicht auf eine Operation, in zweiter Linie in Betracht, da man dieses nach Eröffnung der Bauchhöhle sicher und leicht feststellen und danach das chirurgische Verfahren dann aus- führen kann.

Allein auch klinisch ist es gröstentheils nicht schwer die Differential- diagnose zu machen. Am entscheidensten ist der Nachweis eines Tumors, ferner das stete Fehlen der Salzsäure im Mageninhalte für Carcinom.

Für narbige Stricturen des Pylorus wird jetzt allgemein die von Heinere und Mikulicz angegebene Pyloroplastik geübt ; die Operation besteht darin, dass der Pylorus vorn längs gespalten, die Incision nach dem Magen und Duodenum hin in gerader Linie verlängert und die Schnittränder aneinander quer (d. h. quer zum Längendurchmesser des Magens) angenähet werden ; auf diese Weise wird durch die Naht die vordere Magenwand mit dem Duodenum direct vereinigt und ein neuer

25

Pyloruscanal gebildet. Senn hat nun in zwei Fällen diese pyloropla. stische Operation ausgeführt und zwar mit dem besten Erfolge.

Bei den malignen Stenosen des Pylorus (fast immer Carcinom) kom- men zwei Operationen in Betracht, nämlich die Pylorectomie und die Gastroenterostomie. Erstere Operation lässt sich nur dann ausführen, wenn das Carcinom um den Pylorus herum liegt, scharf abgegränzt ist und noch keine Nachbartheile oder Drüsen mitergriffen hat, sonst wird die Gastroenterostomie geübt, d. h. Anlegung einer neuen Oeffnung zwischen Magen und Jejunum. Unter 21 Gastroenterostomien, die Kockwitz aus der Literatur zusammengestellt hat, war die Mortalität 57,2%. BiLLROTH berichtet über 28 Operationen für maligne Pylorus- stenosen, wo 14 infolge der Operation gestorben sind.

Diese hohe Mortalität ist erstens bedingt durch den grossen Schwächezustand derartiger zur Operation kommender Fälle und zwei- tens durch die lange Dauer der Operation selber.

Senn hat sich nun bei der Anlegung der Gastroenterostomien seiner bekannten durchlöcherten entkalkten Knochenplättchen bedient und hat dadurch die Dauer der Operation bedeutend verkürzt ; infolge dieser Modification waren auch seine Kesultate besser, als die oben angeführ- ten ; Senn berichtet in seiner Arbeit über 15 Magenoperationen (darunter 13 Gastroenterostomien wegen mahgner Pylorusstenose) mit einer Mor- tahtät von 33,3^.

Es ist also auf diese Weise durch Senn ein grosser Fortschritt auf dem Gebiete der Magenchirurgie zu verzeichnen.

REFERATE.

Krankheiten der Respirationsorgane.

Referirt von Dr. J. W. GLEITSMANN.

The etiology and treatment of atrophic rhinitis. J. Wright. (Medical Kecord, Aug. 15, 1891.)

Nach ausführlicher Besprechung der Aetiologie und Pathologie der Krankheit gibt W. die Grundzüge seiner Behandlung. Er betont die unumgängliche Nothwendigkeit des Reinhaltens der Nase und spricht dann über die 3 Methoden, welche er versucht hat, nämlich die mecha- nische mittelst der GoTCSTEiN'schen Tawponade, die electrische mittelst Galvanisraus und der Galvanocaustik mit leichter Eothglühhitze und die medicinische oder chemische. Obwohl nicht ungünstig über die ersten beiden urtheilend, hat er doch hauptsächlich die letztere und von diesen vorzugsweise Thymol, Menthol und Aristol gebraucht. Thymol gab ihm die besten Resultate und hat er dasselbe ohne Unter- brechung die letzten 4 Jahre angewandt. Er findet, dass es ein gutes Antisepticum ist, einen angenehmen Geruch hat, für Sprays genügend löslich ist, die Schleimhaut stimulirt, nicht giftig ist und eine con- trahirende Wirkung auf die Gefässe ausübt. Seine Vorschriften sind: Thymol gr ^-gr ^f3 Alcohol und Glycerin an Aq ad 3 i.

Der Patient muss auf eine monatlange (4 bis 8 Monate) Behandlung jeden 2. Tag sich gefasst machen und auch nachher ist ein einwöchent- licher Besuch beim Arzte noch längere Zeit fortzusetzen.

26

A brief communicationon nasal Vibration (massage) with report of cases. N. H Pierce. (Journ. Am. Med. Asso., Oct. 10, 1891.)

P. hat die Methode von Braun, über welche ein Keferat in dieser Zeitschrift in der Januar- Nummer sich befindet bei sechs Patienten mit foetider atrophischer Ehinitio in Chiari's Klinil^ in Wien angewandt und ist zu Eesultaten gelangt, die nicht völlig mit denen von Braun über- einstimmen. Die Patienten wurden mit Ausnahme Sonntags, täglich vier Monate lang in der von Braux vorgeschriebenen Weise behandelt und fand P., dass

1. Die Reinigung der Nase die Hauptursache des Verschwindens der Secretion, der Krusten und des Foetors ist.

2. Die Vibrationen mögen durch Stimulirung des Lymph- und Ge- fässsystems von einigem Vortheil sein, aber

3. sie haben keinen Einfluss auf die Atroptie selbst, die nach wie vor vorhanden war.

A preliminary report on the treatment of atrophic rhinitis with Ichthyol. D. Philipps. (N. Y. Med. Jour., May 16, 1891.)

Die Beobachtung, dass Ichthyol günstig in atrophischen Zuständen und besonders in Hautkrankheiten wirkt, war Veranlassung, dass Ph. das Mittel in atrophischer Rhinitis anwandte. Nach vielfachem Experi- mentiren fand er, dass eine 5procentige Lösung in Kerolin die beste Combination ist. Nach vollständiger Reinigung der Nase mittelst einer alkäischen Flüssigkeit und deren Austrocknung mit Watte wird die Lösung mittelst des Watteträgers anfänglich jeden zweiten Tag, später in grösseren Zwischenräumen gründlich applicirt. Ausserdem gebraucht der Patient eine Iprocentige Lösunor in 8 bis 5 Theilen Albolene Mor- gens und Abends zu Hause nach Auswaschung der Nase.

Ph. hat bis jetzt 27 Fälle behandelt und meist schon Besserung nach der zweiten Application, Sistirung der Krustenbildnng nach sieben bis zehn Tagen beobachtet.

A Report of two cases of large sublingual dermoid cysts ; one case of fatty tumor of pharynx and nasopharynx. Von I. A. Bach. ( Medi- cal Age, May 25, 1891.)

Beschreibung des Verlaufs und der erfolgreichen Operation dieser seltenen drei Fälle. Das Lipom des dritten Falles füllte den ganzen Pharynx aus, hatte seinen Ursprung rückwärts von der rechten EusTACHi'schen Röhre und bestätigte das Microscop die klinische Diagnose.

Subcutaneous injections of creasote oil,in pulmonary phthisis. Von P. Guerder, Paris. (Ibidem.)

G. benützt zu seinen Injectionen eine von ihm angegebene Modifica- tion des GiiiBERT'schen Apparates. Er fand, dass er bei dieser Appli- cationsmethode grössere Mengen Creosot dem Organismus beibringen konnte, als sonst der Magen vertrug, wenn per os genommen. Er be- ginnt mit 15 bis 30 Tropfen per diem und steigt täglich um 5 bis 10 Tropfen. Seine Maximaldose war 60 Tropfen bei einem Patienten. Da- Oel wird mit 14 Theilen Mandelöl gemischt und können 8 bis 10 Drachs men der Mischung in einer halben Stunde und länger injicirt werden.

A case of intrinsic Cancer of the larynx, treated by thyrotomy. Von J. D. Grant, London. (New Orleans Medical and Surgical Journal, May, 1891.)

Der Patient, 50 Jahre alt, nicht hereditär belastet, hatte bei seiner Aufnahme im Central Throat and Ear Hospital folgende Erscheinungen:

27

Einer Erkältung vor acht Monaten folgte Heiserkeit mit allmählig folgendem Verlust der Stimme. Schmerzen gegen das linke Ohr aus- strahlend, traten erst in den letzten Wochen auf. Bei der Palpation fühlte sich die linke Larynxhälfte voller an als die rechte und zeigte das Laryngoscop die Umwandlung des linken Stiiiunbandes in eine knöt- chenförmige, blasse Geschwulst und Unbeweglichkeit derselben während Artieulation und Respiration. Die mikroscopische Diagnose eines ent- fernten Stückes war Epitheliom.

Nach vorausgeschickter Tracheotomie und Spaltung des Schildknor pels wurden, da auch das rechte Stimmband verdickt erschien, sämmt- liche Schleimhäute und Periost mittelst Easpatorium und Scheeren vom Innern des Larynx entfernt und die Knorpel bh^ssgelegt. Der Wund verlauf war günstig; nach vier Tagen wurde die Trachealcanüle entfernt, nach weiteren sechs war die Wunde geschlossen und eine Woche später verliess der Kranke das Hospital. Sechs Monate nach- her war noch kein Recidiv eingetreten und ging der Patient seiner ge- wöhnlichen Beschäftigung nach. Die Larynxknorpel haben sich mit Gewebe bedeckt und eine Falte, die gegen das Innere des Larynx vor- springt, ermöglicht ein verständliches Flüstern.

Krankheiten des Verdauungsapparates. Referirt von Dr. MAX EINHORN.

1. Eine operative Behandlung der Magenerweiterung. Von H. Bircher-

(Correspondenz-Blatt für Schweizer Aerzte, 1891 Nr. 23.)

In Fällen von Atonie der Magenmuskulatur, die mit einer anatomi- schen Dilatation des Magens einhergehen, hat B. versucht, den Magen durch Faltung desselben zu verkleinern. In drei geeigneten Fällen, wo die Therapeutik für die Dauer nicht viel nützte, hat B. diese Operation mit Erfolg ausgeführt. Dieselbe wird in folgender Weise vorge- nommen:

Parallel dem 1. Rippenrand wird ein 15 cm. langer Schnitt durch Haut, Fascien und Muskeln bis auf das Peritoneum geführt und nach Stillung der Blutung auch dieses incidirt. Der Magen wird sodann aus der Bauchhöhle hervorgehoben und ausgebreitet. Die vordere Magen- wand wird mm durch Faltung verkleinert, indem der untere Rand der grossen Curvatur mit dem oberen Rand der kleinen Curvatur der Länge nach mit Seide aneinander genäht wird. Es hängt somit im Innern des Magens eine der Längsaxe parallel gehende Falte von oben nach unten herab. Die Bauchwunde wird geschlossen.

Der Magen wird also bei dieser Operation nicht geöffnet, und ist die- selbe daher weniger gefährlich, wie eine etwaige Resection eines Ma- genstückes.

[Wenn auch die angeführten Erfolge B.'s ziemlich gute waren, so er- laubt sich Ref. doch die Frage, warum nicht die betreffende Operation zunächst an Thieren genauer geprüft wurde; denn es sollte doch zu- nächst festgestellt werden, ob die in den Magen hineinhängende Falte nicht für die Dauer doch noch manche Schädlichkeiten mit sich bringt.]

2. Beiträge zur Methodik der Salzsaurebestimmung im Mageninhalt.

Von Th. Rosenheim. (Deutsch, med. Wochenschr. 1891, Nr. 49.)

Es ist wichtig, die Menge der freien Salzsäure (d. h. derjenigen Salz- säure, welche nach Bindung der Eiweisskörper frei zurückbleibt) im Mageninhalt zu bestimmen. Dieses wurde nun von Moerxer dadurch ausgeführt, dass er dem Mageninhaltfiltrate solange '/lo Normalnatron- lauge zusetzte, bis Congopapier nicht mehr gebläut wurde. Mintz be-

28

diente sich als Endreaction der Phloroglucin-Yanillinprobe. Letztere Probe ist zwar sicherer, aber die Ausführung durch häufige Entnahme der Tropfen etwas umständlich, und Bosenheim sucht dies dadurch zu verbessern, dass er aschenfreies Fhesspapier mit der Guenzburg'- schen Lösung tränkte und trocknete. Dieses Reagenspapier in den Mageninhalt getaucht und auf einer Schale verbrannt, lässt am Rand bei Anwesenheit freier Salzsäure eine Rothfärbung entstehen. Dieses Phloroglucin-Vanillinpapier ist ebenso empfindlich, wie die Lösung selber.

3. Eine neue Methode zur quantitativen Bestimmung der Salzsäure im Mageninhalt. Von J. Ltittke. (Deutsch, med. Wochenschr. 1891, Nr. 49.)

Das Princip dieser neuen Methode stützt sich auf das verschiedene Verhalten der organischen und anorganischen Verbindungen der Salz- säure beim Verbrennen derselben. Die Verbindungen der Salzsäure mit organischen Körpern werden in der Hitze zerlegt, und die freige- wordene Salzsäure verflüchtet sich ebenso wie die ursprünglich schon frei gewesene. Anders verhalten sich die anorganischen Verbindungen der Salzsäure, die Chloride, die erst bei starker Rothgluth sich zer- setzen und Chlor abgeben.

Das Verfahren besteht nun kurz darin, dass zuerst die gesammte Chlormenge im Mageninhalt direkt nach der VoLHAKD'schen Methode zur Bestimmung von Haloiden vorgenommen wird, und dann in einer zweiten Portion erst nach Veraschung des Inhaltes die übrig gebhebene (gebundene) Chlormenge festgestellt wird; zieht man nun die gebundene Chlormenge von der gesamijnten Chlormenge ab, so hat man das Chlor der Salzsäure, und danach wird die Salzsäure quantitativ berechnet.

Chirurgie. Referirt von Dr. GEO. DEGNER.

The Treatment of Hydrocele by Carbolic Acid Injections. By S. E. Milliken, M. D., New York. (Ann. Surgery, Vol. XIV, No. 4.)

M. erklärt die Carbol-Injection für eine sichere Behandlung der Hydrocele. Von 57 Fällen erschienen 9 nach der ersten Injection, 5 nach der ersten Woche nicht wieder, 4 sind noch in Behandlung, 36 wurden geheilt. (Wie lange? Ref.) Unangenehme Nebenfolgen, Schmerzen oder Abstossen von Geweben hat er nie gesehen. Er spritzt 5 15 m. an vertheilten Stellen ein, (2 3 m. pro Stelle) und massirt nach- her leicht das Scrotum, um den Sack überall in Contact mit der injicir- ten Flüssigkeit zu bringen.

Arthrodesen bei der Kinderlähmung. Von Prof. J. Dollinger. Pesth.

(Cbl. f. Chir., 1891, No. 36.)

Da DoLLiNGER bei der gewöhnlichen Methode der Arthrodese (glattes Abschneiden der Gelenkflächen und möglichst genaue Apposition mit Fixii ung) keine knöcherne Vereinigung erhielt, versuchte er nach dem Vorgang Schede's durch aseptische Blutgerinnsel, die sich organisiren sollen, den Vorgang einer subcutanen Fraktur möglichst nachzuahmen. Den Knorpel entfernt er radical, und um den unebenen Bruchflächen des Knochens möglichst nahe zu kommen, schneidet er in die glatten Kno- chenschnittflächen unregelmässige Furchen, die sich mit dem Blut an- füllen können, auch wenn die Knochenflächen aneinander liegen. Nach Abnahme des EsMAKcn'schen Sehlauches näht er die Weichtheilswunde sorgfältig, über dieselbe antiseptischer, über die ganze Extremität Gyps- Verband. Natürlich raodiflcirt sich das Verfahren nach den ver- schiedenen Gelenken. Zur Fixirung des durch Wegnahme des Knorpel-

29

Überzuges verkleinerten Schenkelkopt'es iu der ebenso vergrösserten Pfanne, benutzte er eine Schraube die durcli Trochanter, Scheul^elhals und Kopf und Pfanuengrund in's Becken gefüiirt, und durcii eine Schraubenmutter am Trochanter, und durch eine andere an der Innen- fläche des Beckens, die durch eine Incision unterhalb des Lig. Poupart. und einwärts von der Spina ant. sup. extraperitoneal eingeführt wird. In Zukunft wird er sich eines Silberdrahtes mit Metallplatten bedienen, die er liegen lassen kann. So gelang es ihm in einigen Fällen knöcherne Vereinigung herzustellen, bei denen die gebräuchliche Methode erfolg- los gewesen war.

Zur Colotomia iliaca. Von D. M. Landow, Göttingen. (Cbl. f. Chir., 1891, No. 30.

L. empfiehlt das MADELUNö'sche Verfahren, das abführende Darm- ende zu vernähen und zu versenken, aufzugeben, und beide Darm- lumina in den künstlichen After zu vernähen, da ausser den Gefahren, die dem versenkten Darm (bei Kectalcarcinom) durch Ansammlung jauchiger Massen oberhalb der Geschwulst drohen, nicht immer mit Sicherheit festzustellen ist, welches das zu-, welches das abführende Darmstück ist, wie sich bei 2 in der Göttinger Klinik operirteu Fällen herausstellte.

Zur Technik der Magenfistelanlegung. Von Prof. 0. Witzel, Bonn.

(Cbl. f. Chir., 1891, No. 32.)

Um den unsicheren Verschluss bei Magenflstel, Ausfliessen des Mageninhaltes u. drgl. zu vermeiden, schlägt W. vor, durch 2 parallele Falten der Magenwand, die zu beiden Seiten des einzuführenden Drain- rohres liegen und über demselben mit Lambert's Nähten vereinigt wer- den, einen Kanal zu bilden in dem das Rohr festgehalten wird. Die Oeffnung in der Magen wand für das Drain macht er möglichst klein.

Als Schnittführung empfiehlt er Hautschnitt fingerbreit von und paral- lel mit Rippenbogen, Durchtrennung des M. Rectus und Transversus. ab- dom. in der Richtung ihrer Fasern. So kreuzen sich die Ränder der Haut, des Rectus und Transversus und fassen das Drainrohr wie eine Kreuzklammer in sich. In 2 Fällen hat sich das Verfahren sehr gut bewährt.

Chirurgie. Referirt von Dr. F. TOREK.

The Treatment of the Graver Forms of Pelvic Suppuration by the Intra- peritoneal lodoform Tampon. Von Charles K. Briddon, M. D. (N. Y. Med. Journ., Vol. LIV, p. 561.)

Die Krankengeschichten von 8 Fällen eitriger Entzündung im Becken werden erzählt, in denen B. sich der Tamponnade resp. Drainage mit Jodoform-Gaze bedient hat. Es waren dies 7 Fälle von Pyosalpinx und 1 Ovarialabscess. In allen Fällen bestanden ausgedehnte Adhaesionen mit den Nachbarorganen ; bei No. 7 und 8 gelang es, die Eitersäcke ohne Ruptur zu entfernen ; bei No. 3 aspirirte B. ^ Liter stinkigen Eiters und nähte dann die Tubenwand an das parietale Peritoneum ehe er den Abscess öffnete ; in sämmtlichen übrigen Fällen platzten die Abs- cesse während des Versuches, die Adhaesionen zu lösen. In allen, ausser No. 3, wurde die Peritonealhöhle irrigirt. Die Jodoform-Gaze legte Autor als Tampon um ein dickes Glasrohr herum ; in dem letzten Falle führte er auch einen Streifen in das Rohr. Was die Resultate an- betrifft, so starb ein Fall (No. 6) 3 Tage nach der Operation, 3 wurden gänzlich geheilt (1, 7, 8), die übrigen 4 mit einem Fistelgang aus der Behandlung entlassen. In seinem letzten Falle bediente sich B. der TRENDEi*ENBURQ'schen Lage und spricht sich zu Gunsten derselben aus.

.^0

Besonderes Interesse bot Fall I, bei welchem etwas geschah, das schon mehreren anderen Operateuren passirt war, wenn auch nicht immer mit demselben günstigen Ausgang ; es riss nämlich bei dem Versuch, die Adhaesionen zu lösen, das Rectum quer durch, B. nähte das obere Darmende in die Wunde ein und machte 6 Wochen später die Enterorrhaphie, die er in folgender Weise ausführte : Umschneidung und temporärer Verschluss des Anus praeter-naturalis ; Bauchschnitt von hier aus bis zum Nabel ; Lösung der Adhaesionen zwischen Rectum und Peritonaeum parietale. Düren die Circumferenz des unteren Endes des Rectum wurden dann J Dutzend Schlingen gelegt, deren Enden mit einander verknüpft, durch das Darm-Lumen zum After hinausgeführt, und dort als Zügel benutzt, um den Darm f Zoll weit einzustülpen, eine Methode, die von Lange angegeben wurde und die den Zweck hat, eine breitere Contact- Fläche zu bieten. In den oberen Darmabschnitt wurden ähnliche Schlingen gelegt und ebenfalls durch den After geführt; mit Hilfe dieser wurde der obere Darmabschnitt telescopartig in den unteren eingeführt und dann die circuläre Enterorrhaphie beigefügt. Es erfolgte Heilung.

In den Schlussbemerkangen erklärt B., im Gegensatz zu Lawson Tait's Ansicht, dass in vielen der schlimmeren Fälle von Pyosalpinx nicht die ganze Eiter secernireude Fläche entfernt werden könne, dass zuweilen ein Theil adhaerenter Tube zurückbleibe, und dass die Gene- sung der Behandlung durch die offene Methode zuzuschreiben sei. Den Tampon entfernt B. ungefähr am 5ten Tage, nachdem er zuvor das Glasrohr herauszieht.

My Personal Experience wi^h Vaginal Hysterectomy. Von Florian Krug", M. D. (American Journal of Obstetrics and Diseases of Women und Children, Vol. XXIV, No. 7, 1891.)

Die Gegner dieser Operation behaupten : 1.) dass sie gefährlich, 2.) dass sie betreffs des Endresultats zu unzuverlässig sei. Des Ver- fasser's Erfahrung stimmt hiermit nicht überein ; er verlor aus 15 Fällen nur einen, und diesen Todesfall schreibt er dem Gebrauche von Klam- mern statt Ligaturen zu. Was das Endresultat anbetrifft, so ist der Autor ebenfalls mit der Operation zufrieden ; von seinen Fällen waren 12 zweifellos durch microscopische Untersuchung als mahgne befunden worden ; den einen Todesfall abrechnend, ist von den übrigen 11 nur einer recidivirt und gestorben, die übrigen erfreuen sich alle (den 23. März, 1891) der besten Gesundheit. In den letzten 4 Fällen ist aller- dings noch nicht ein Jahr seit der Operation verflossen. Als Erklärung, warum die Statistiken vieler anderer Operateure weniger günstige Re- sultate aufweisen, stellt der Verfasser folgende 3 Sätze auf : 1.) Dass manche der Fälle sich zur Radical-Operation nicht eigneten, 2.) dass nicht alles Krankhafte entfernt worden ist, 3.) dass die Technik fehler- haft war. Um den ersten Puakt und somit auch die Möglichkeit des zweiten zu bestimmen, untersucht K. alle diese Fälle unter Narkose. Wo die Entfernung alles erkrankten Gewebes nicht möglich ist, wird die Operation nicht empfohlen.

Die Technik des Authors ist folgende: Schon bei der Untersuchung unter Narkose wird alles septische Material aus der Uterushöhle oder von der Cervix mittelst Curette, Messer oder Scheere und dem scharfen Löffel entfernt und mit dem Paquelin catuiersirt. Dann wird etwa eine Woche lang die Scheide häufig ausgewaschen und manchmal Tannin und Jodo- form applicirt, bis eine sauber aussehende Oberfläche erzielt wird. Vor Beginn der Operation wird die Scheide gründlich mit lOprozentigem Creolin-Mollin ausgebürstet und dann mit Sublimat ausgerieselt. Bei der Exstirpation werden dieGefässe mit starken Seiden-Ligaturen ver- sehen, deren Enden langgelassen werden, und nach Beendung der Ope-

31

ration wird die Peritonealhöhle mit Jodoform-Gaze ausgestopft, während die Stümpfe der Unterbindungen zu gleicher Zeit etwas nach der Scheide zu evertirt werden. Des Author's Einwände gegen den Gebrauch der Klammern sind folgende; 1. Es ist unchirurgisch, eine Klammer Hegen zu lassen, wo man unterbinden kann. 2. Es ist ein Irrthum, zu glauben, dass durch den Gebrauch der Klammern viel Zeit gewonnen werde. 3. Sind Ligaturen gebraucht worden und Asep- sis beobachtet worden, so kann man die Jodoform-Gaze ruhig acht Tage liegen lassen und findet dann die Peritonealhöhle gut abgeschlos- sen, wogegen es andererseits gefährhch ist, schon nach 24 bis 30 Stun- den die Wunde behufs Entfernung von Klammern zu stören.

Ueber eine Modifikation des Chloroformirens. Von Dr. Otto Zuckerkandl.

(Centralblatt für Chirurgie, 181)1, Nr. 43.)

Z. macht auf die von Demeter vorgeschlagene Methode aufmerksam, das Chloroform in langsamem Tempo tropfenweise auf die Maske zu träufeln. Er sagt, dass auf diese Weise weniger Chloroform gebrauclit wird (durchschnittlich 0,6 g in der Minute), dass der Eintritt der Nar- kose dabei nicht verzögert werde, und der Verlauf derselben ein ruhi- gerer sei, ohne störende Nebenerscheinungen.

Kinderheilkunde. Referirt von Dr. SARA WELT.

An unrecorded Symptom of Pertussis. (The Lancet, June, 1891.)

Dr. HüGüiN lenkt die Aufmerksamkeit auf ein bisher unerwähnt ge- bliebenes Symptom im Stadium invasionis des Keuchhustens. Fast in allen seinen Fällen (wie vielen ? Ref.) konnte Photophobie mit Dilatation der Pupille constatirt werden, ohne dass zuvor irgend eine medicamen- töse Behandlung vorausgegangen wäre. Mit Zuhülfenahme dieses pro- dromalen Symptoms will H. im Stande sein, die Diagnose auf Pertussis zu stellen, selbst wenn noch kein anderes für die Krankheit charakte- ristisches Zeichen besteht.

Einige Bemerkungen über Diabetes mellitus bei Kindern. W. Kühl.

(ügeskrift f. Lager, Nov. 24, 1890. Der Kinderarzt, Heft 2, 1891.)

Nach den Angaben des Verfasser's befällt der Diabetes mellitus im Kindesalter weit häufiger Mädchen als Knaben, während bekanntlich bei Erwachsenen das Umgekehrte stattfindet. Aetiologisch spielt He- redität eine Hauptrolle; sei es, dass D. m. schon bei den Eltern aufge- treten war; oder es lassen sich Neuropathien in der Familie nachweisen. K. betont besonders den starken Zuckergehalt des Urins, der sich in so hohem Grade bei Erwachsenen nicht findet. Der Verlauf der Erkran- kung ist bei Kindern ein sehr rapider und die Prognose absolut schlecht. Die leichten Formen sieht K. als ein frühes Stadium des D. m. an und glaubt, dass sie um so häufiger und schneller einen schweren Charakter annehmen, je jünger die Patienten sind. Das öftere Vorkommen der schweren Formen in den ärmeren Klassen führt Verf. darauf zurück, dass das erste Stadium der Erkrankung bei ihnen übersehen wird.

Zur Behandlung des Prolapsus recti nach der Thure-Brandt'schen Me- thode. Von Dr. J. Csillag. (Archiv für Kinderheilkunde, XIV. B.)

C. berichtet über vier Fälle von prolapsus recti, die nach Thure- Brandt's Methode mit Massage und Gymnastik erfolgreich behandelt wurden. Das Alter der Patienten schwankte zwischen sechs Monaten und fünf Jahren. Der Prolaps, der sich in Folge von Enterocatarrh entwickelt hatte, bestand jedesmal längere Zeit, ehe die Patienten in

32

Behandlung kamen; trotzdem konnte schon nach wenigen Sitzungen ein Erfolg constatirt werden. Die ganze Behandlung dauerte zwei bis drei Wochen und wurde während dieser Zeit eine vollständige und dauernde Heilung des Prolapses erzielt.

Das eingeschlagene Verfahren bestand in:

1. ) Massage des Kectum und Spincter ani.

2. ) S romanum Hebungen, welche letztere nach Thure-Brandt fol- gendermassen ausgeführt werden: „Patient liegt in Steinschnittlage. Der Arzt stellt sich auf die rechte Seite desselben. Während der Arzt nun seine Unke Hand auf die linke Schulter des Patienten legt, setzt er seine rechte Hand medianwärts von der linken crista ilei an und schiebt sie unter feinem Schütteln tief in's Becken hinein. Währenddessen werden die Fingerspitzen gekrümmt und dann mit den Bauchdecken unter gleichzeitigem Druck nach oben geführt.

3. ) Kreuzbeinklopf ung nach Beendigung der täglichen Sitzung; da- durch sollen die zu den betreffenden Theilen gehenden Nerven erregt werden.

Bei älteren Kindern wird ausserdem die Ausführung der Heilgym- nastik empfohlen.

On the Complications of Mumps. By John B. Hellier, M. D. (British Med. Journal, June, 1891.)

Die Mittheilung betrifft ein 15 Jahre altes Mädchen, welches von ihrem jüngeren Bruder Mumps aquirirte. Beide Parotisdrüsen waren ergriffen, besonders die linke; an welcher Seite sich auch eine partielle Lähmung des Faciahs entwj^ckelte und erst nach dreiwöchentlichem Be- stehen verschwand. Trotz der nahen Beziehungen zwischen Parotis- drüse und Facialis sind Lähmungen dieses Nerven bei Mumps nur selten beobachtet worden.

Es scheint, dass der Nerv dem Fortschreiten der Entzündung von benachbarten Geweben, wie an anderen Körpertheilen, so auch hier, Widerstand leistet.

Aus der inneren Abtheilung des Kaiser und der Kaiserin Friedrich Krankenhauses. Croupose Pneumonie. Fieberverlauf und anti- pyretische Therapie. Von Adolph Bag^insky. (Archiv für Kinder- heilkunde, vol. XIII.)

Die interessanten und lehrreichen Beobachtungen erstrecken sich über 30 Fälle von fibrinöser Pneumonie in Kindern bis zum 11. Jahre. Die Mortalität war = 0. Erbrechen wurde häufig als Initialsymptom be- obachtet; ebenso Schmerzen in der Abdonimalgegend; fast immer wurde während der Dauer des entzündlichen Prozesses hohes Fieber constatirt; doch wird ein l^jähriges Kind erwähnt, das eine physikalisch nachweis- bare, rasch sich zurückbildende Pneumonie mit nahezu fieberfreiem Ver- laufe durchmachte.

In relativ grosser Anzahl der Fälle stellte sich am Tage vor der Krise, meist des Morgens, eine prokritische Eemission ein, welche Jedoch von einer vorübergehenden starken Temperatursteigerung gefolgt wur- de; dabei bestand gewöhnlich ein Zustand der Euphorie; doch nahm die Frequenz des Pulses und der Respiration nicht in einer der niederen Temperatur entsprechenden Weise ab. B. will diese prokritische Re- mission strenge getrennt wissen von dem im Laufe von Pneumonie oft beobachteten Temperaturabfall, welcher von tagelangem, hohem Fieber wieder gefolgt sein kann; eine Beobachtung, auf die Henoch und Andere die Aufmerksamkeit gelenkt hatten. Die Krise wurde, abgesehen von den gewöhnlichen Merkmalen, häufig durch Colik -Attacken mit Diarrhoe gekennzeichnet. Der tiefste Temperaturstand wurde nicht so-

33

fort am kritischen, sondern zumeist erst am nächstfolgenden Tage er- reicht, wenngleich die Differenz nur einige Bruchtheile eines Grades be- trug.

Bei der Anwendung der Antifebrilia warnt B. mit Recht vor der rück- sichtslosen Unterdrückung der Teinperatursteigerung, da dadurch der Organismus vielleicht des besten Schutzmittels und der ganzen Eigen- hülfe gegenüber den feindlichen bacteriellen Einflüssen beraubt wird und stellt hierüber folgende Sätze auf:

1) Die antipyretische Behandlung darf beim Kinde nur insoweit zur Geltung gebracht werden, als mit der zu erstrebenden Herabsetzung der Temperatur, eine Schwächung der Muskelkraft des Herzens nicht be- dingt wird.

2) Von solchen antipyretischen Mitteln, welche in erheblichem Grade eine feindselige Wirkung auf den Herzmuskel oder auf die Blutmasse (Blutkörperchen) ausüben, darf bei Kindern nur mit der äussersten Vor- sicht Gebrauch gemacht werden.

3) Entschliesst man sich zur Anwendung von antipyretisch wirken- den Arzneien oder Eingriffen, so ist durch die gleichzeitige Darreichung solcher Mittel, welche die Erhaltung der Muskelkraft des Herzens för- dern, den schädlichen Nebenwirkungen der angewandten Antipyretica vorzubeugen.

Von allen antipyretischen Mitteln gibt B. wegen der geringen schäd- lichen Nebenwirkung auf das Herz sowohl, als des erfrischenden Einflusses auf das Nervensystem, dem kalten Wasser den Vorzug, sei es in der Form von Bädern (20—21° R.), oder Einwicklung in kalte Decken, welches letztere er für die wirksamste Methode hält.

Diese Behandlung ist bei Kindern mehr zu empfehlen als bei Er- wachsenen, weil die im Verhältniss zur Körpermasse grosse Hautober- fläche zur Wärmeabgabe besser geeignet ist. Der wärmeentziehende Effect ist nicht in allen Fällen gleich und kann sogar ganz ausbleiben; im letztern Falle sind häufig auch innerlich angewandte Antipyretica unwirksam. B. glaubt, dass man in dem Ausbleiben des antipyretischen Effectes der Einpackung eine Handhabe zur Beurtheilung der Schwere der Erkrankung hat; und ist die Prognose in diesen Fällen eine nicht sehr günstige.

Deutsche Medicinische Gesellschaft von New York.

17 West 43. Strasse. Sitzung vom 14. September 1891. (Fortsetzung.)

Compression Hess sich, wie gesagt, in meinem Falle nicht anwenden. Ligatur der ganzen Geschwulst stand bei einer Basis von sieben Zoll Umfang ganz ausser Frage. Was die Behandlung durch Injection von Jodtinktur anbetrifft, so ist das Kesultat jedenfalls noch schlechter, als die Statistiken zeigen ; denn die Fälle, welche entweder direct nach der Injection oder ein paar Tage später sterben, werden gewöhnlich nicht berichtet. Ich entschloss mich also, die Geschwulst zu exstirpiren. Da ich glaubte, dass die Umhüllung der Flüssigkeit zu einer einzigen Lage verschmolzen wäre, und dass sich der Bruchsack nicht von seiner Bedeckung lösen lassen würde, nahm ich mir vor, den ganzen Sack längs zu spalten, die überflüssigen Theile abzutragen, und die Lappen zu vernähen. Eine grosse Schwierigkeit schien mir der ausserordent- liche Blutreichthum zu bieten, da kaum ein halber Quadrat-Cm. ohne Blutgefässe zu sein schien. Ich hatte vor, die Blutung dadurch zu be- wältigen, dass ich die Lappen temporär mit breiten Klammern fassen, und dann durch die Naht genügende Compression der evertirten Lap- penränder ausüben würde.

34

Am 3. September Operation unter Chloroform Narkose. Obgleich ich vorhatte, den ganzen Sack zu spalten, machte ich dennoch erst sehr Vorsichtig einen Hautschnitt längs über die Geschwulst und war hoch- erfreut, als ich sah, dass sich dennoch zwei Lagen von einander trennen Hessen, die eine der Bruchsack, die andere die Hautdecke. Adhäsionen gab es viele, und die vorher beschriebenen Bänder mussten mit der Scheere oder dem. Messer durchschnitten werden. Die Ablösung des Bruchsackes Hess sich um so leichter bewerkstelligen, je näher ich an die Bruchpforte kam. Beim Anfang der Arbeit schnitt ich, ohne es zu beabsichtigen, ein Loch in den Sack zur linken Seite von der Mitte des- selben. Ich liess die Flüssigkeit langsam heraus, fand jedoch, dass sich nur ein Theil des Bruchsackinhaltes entleerte, und dass ich nur eine Cyste geöffnet hatte. Es zeigte sich später, dass mehrere (ich glaube vier) solcher Cysten sich in Verbindung mit der linken Hälfte und der Kuppe der Geschwulst befanden, während die rechte Hälfte des Bruch- sackes frei war. Die Gegenwart dieser Cysten erklärt wahrscheinlich auch den Umstand, dass es schon bei dem neugeborenen Kinde nicht möglich war, die Geschwulst zu reponiren.^) Den Hals des Sackes löste ich mit dem Griff des Scalpells von der knöchernen Bruchpforte, an welcher er haftete. Die Pforte mass höchstens ein und ein halb Cm. im Durchmesser, war also viel kleiner, als ich erwartet hatte. Bei Eröffnung des Sackes zeigte es sich, dass ein klein wenig Gehirnmasse etwa einen halben Cm. weit aus der Pforte hervorlugte; nichtsdestoweni- ger betrachteich die Geschwulst nicht als eine Encephalo-Meningocele, sondern als reine Meningocele und erkläre mir diesen kleinen Prolaps da- durch, dass das offenbar hydrocephalische Gehirn dem Druck von innen an der Stelle, wo es keinen Gegendruck von aussen fand, nachgab. Es liess sich sehr leicht reponiVen. Jetzt band ich den Sack, wie bei Czerny's Hernien-Operation, mit starkem Catgut, das ich dreimal um den Stiel legte, ab, stutzte die Hautlappen, und schloss die Wunde mit Catgutnähten, liess jedoch eine ziemlich beträchtliche Oeffnung zum Zweck der Drainage, wozu ich Jodoform-Gaze benutzte. Beim Abbin- den des Sackes riss mir derselbe etwas ein, und das Gehirn lugte wieder hervor ; doch ich hatte nicht Zeit, den Riss zu vernähen, da das Kind bereits pulslos war und schon stark hypoderniatisch mit Brandy stimu- lirt wurde. Die Operation dauerte 35 Minuten.

Ich liess den ersten Verband sechs Tage liegen, während welcher Zeit das Kind leichte Temperatur-Erhöhungen hatte. Vor der Opera,- tion war dieselbe ebenfalls etwas erhöht. Beim Verbandwechsel ein paar Tropfen Secret. Temperatur jetzt normal. Später wieder einige leichte Steigerungen ; vom 14. September an blieb die Temperatur nor- mal. Die Wunde ist jetzt geschlossen, mit Ausnahme der Drainage- Oefifnung, an welcher Stelle der gangränös gewordene Stumpf des Bruch- sackes sich heraus arbeiten will. Das Kind hat trotz des schweren Ein- griffes an Gewicht zugenommen, denn es wiegt jetzt, obgleich der mindestens ein halb Pfund schwere Tumor entfernt ist, noch ebensoviel, wie bei der Aufnahme ins Hospital, viz. 6| Pfund.

Inder Literatur sind drei Fälle von Meningocele verzeichnet, die operirt worden sind. Ich beziehe mich hier nur auf Meningocelen, nicht auf Encephalocelen. Ein Fall von MaeshallJ) starb vier Wochen nach der Operation. Autopsie zeigte frische Entzündung auf der Gehirnober- fläche. Ein Fall von TillmanI) wurde operirt und geheilt ; genaueres über die Operation und den Fall weiss ich nicht, da mir die Original - Beschreibung (in schwedischer Sprache) nicht zugänglich war und ich

*) In Mazzuchelli's Fall war die Geschwulst reponirbar.

X) Lancet, London, 1885, T, p. 890.

t) Hygiea, Stockholm, 1890, LH, 484—486.

35

auch kein Referat über den Fall ünde. Mazuschelli*) hatte das Glück, einen sehr günstigen Fall zu operiren und zu heilen : Neun Monate altes Kind, gesund, kräftig, mit kleinem, gänzhch reponiblem Tumor (Längsdurchmesser 40 Cm., Querdurchmesser 3.} Cm.).

Mein Fall war in mehreren Hinsichten lehrreich. Erstens zeigte er mir, dass selbst die papierdünne Hülle der Meningocele, die sich hier bot, kein unüberwindliches Hinderniss zur regulären Bruchoperation lieferte ; selbst hier Hess sich der Bruchsack von seiner Bedeckung lösen. Ferner kann man nach dem Umfang der Basis des Tumors nicht auf die Weite des Bruchsackhalses schliessen ; der Hals war hier viel enger, als ich angenommen hatte. Endlich war noch das Verhalten der Blutge- fässe lehrreich : wie gesagt, war der Bruchsack von einem dichten Venennetz durchzogen, von dem ich mir sehr lästige Blutung und somit bedeutende Verlängerung der Operationsdauer erwartet hatte ; jedoch es waren erstaunlich wenige Unterbindungen nöthig ; die Gefässe schienen zu collabiren und sich zu schliessen, sobald als die Spannung im Sack durch Entleerung desselben gehoben war.

In Betreff der Operations-Methode wäre zu überlegen, ob man (wie ich) eine Längsincision machen soll oder lieber die zwei seitlichen Lappen sogleich bilden und somit ein ovaläres Stück Haut auf der Kuppe der Geschwulst belassen soll. Ist der Stiel der Meningocele klein, so wird man jedenfalls zwei seitliche gebogene Hautschnitte wählen, da dadurch viel Arbeit des Loslösens erspart würde. Ist die Basis des Tumors breit, so ist die Zeitersparniss durch zwei seitliche Incisionen fraglich ; man muss sich dann nach dem einzelnen Fall richten ; sollte man die zwei seitlichen Incisionen gewählt haben, so muss man sich die Lappen wenigstens bei starker Spannung der Haut , ziemlich gross vorzeichnen, da dieselben enorm schrumpfen, sobald die Spannung nachlässt. Wenn man über die Natur der Geschwulst im Zweifel ist, wird man jedenfalls eine Längsincision wählen. In meinem Falle war der Grund für die Auswahl der Längsincision der, dass, wie oben gesagt, die Operation ganz anders geplant worden war, als sie ausgeführt wurde.

Die Behandlung des Bruchsackes wird sich auch nacn dem einzelnen Fall richten : man kann ihn entweder abtragen und die Oeffnung ver- nähen, oder, wie ich, abbinden und dann abtragen. Ersteres ist sau- berer, letzteres schneller.

Die Operation bietet jedenfalls keine aussergewöhnlichen Schwierig- keiten und verdient, meiner Meinung nach, öfter ausgeführt zu werden.

Diskussion :

Dr. J a c o b i hebt hervor, dass das gewöhnliche Hinderniss bei Ausführung der Kompression bei Meningocele der Umstand ist, dass der Kopf m der Regel klein und daher zu wenig Raum für den Rücktritt der Flüssigkeit vorhanden ist. Redner fragt, ob in dem vorgestellten Falle keine Konvulsionen mehr vorhanden sind,

Dr. T o r e k erwidert, dass seit der Operation keine Konvulsionen mehr vorhanden seien.

2. Dr. Jacobi stellt an Stelle von Dr. Willy Meyer, der verhindert ist, zur Sitzung zu kommen, dessen Patienten vor, einen Fall von Carcinoma oesophagi mit ausgeführter Gastrotomie nach Hacker.

Patient George Waitz, 70J Jahre alt, aus der Isabella- Heimath.

1. Carcinoma oesophagi (fast ganz obstruirend vor der Operation).

2. Operation im Deutschen Hospital am 6. April ds. J. Gastrotomie nach VON Hacker durch Musculus rectus sinister. Nahtl. Tamponade.

3. Am 8. April Eröffnung des Magens mit dem Messer: kleine Oeff- nung, Niemals Danebenfliessen, niemals Ekzeme.

^) Gazz, med. lornb., Milano 1890, XLIX, 171—174.

36

Gewicht vor der Operation: Pfund 117, am 4. Juni " 138,

" S.Juli " 136,

" 29. Juli " 127.

(Damals Magenbeschwerden.) Patient ist noch fähig, Flüssigkeiten zu schlucken.

Discussion:

Dr. J a c o b i fragt, wie sich die HACKER'sche Methode zur alten verhalte in Bezug auf ihre Kesultate.

Dr. Gerster beantwortet diese Frage dahin, dass die Resultate schlecht sind. Da wo es sich nicht um Krebse handelt, sind die Resul- tate besser, aber bei Carcinom schlecht, weil man nur durch die Fistel ernähren kann. Das Resultat in dem von Dr. Meyer operirten Falle ist jedoch ganz gut. Die Gewichtszunahme kommt nur da zu Stande, wo kein Lecken des Magens stattfindet. Bei der alten Methode kam dieses Lecken sehr oft vor. Die HACKER'sche Methode ist jedenfalls ein Fort- schritt. Redner hat sie selber zweimal ausgeführt, allein jetzt sind wieder manche dagegen, und zwar da hauptsächhch, wo die Muskeln schwach sind. Jetzt ist eine noch neuere Methode aufgefunden worden durch Einführung eines Drainrohres in die Magen wand und Einstülpung derselben, so dass eine Art Tunnel entsteht. Redner wird selber bald diese Methode bei einem Patienten anwenden und dann genau be- sprechen.

Es folgt der angekündigte Vortrag von Dr. C. Heitzmann: Wie gelangen die Trichinen in die Muskeln ?

Diskussion.

Dr. Einhorn meint, dass die HEiTZMANN'sche Erklärung der Auf- nahme des Fetts im Darm durch besonders zu diesem Zweck vorhan- dene Oeffnungen noch den Umstand ungerechtfertigt erscheinen lasse, dass keine Aufnahme von feinen Kohlenpartikelchen oder anderen kleinen Körperchen ausser dem Fett erfolgt, wie Dr. Heitzmann ja selber in seinem Vortrag aus Experimenten, die von anderer Seite gemacht wurden, angeführt habe.

Dr. S e i b e r t ist erfreut, dass durch seine Bemerkungen ein so in- teressanter Vortrag veranlasst worden sei. In Bezug auf seine Erklä- rung der Bahn, welche die Trichinen nehmen, möchte er hinzufügen, dass, wenn die Trichinen die Muscularis reizen, im Dickdarm eine Ent- zündung veranlasst wird und dadurch die Trichinen an dieser Stelle leichter resorbirt werden.

Dr. J a c o b i : Dr. Heitzmann hat zwar hervorgehoben, dass man die Embryonen nicht im Blut oder in der Lymphe finde; allein er habe gelesen, dass sie doch dort gefunden worden sind. Nun wäre aber die Erklärung jetzt leicht. Zur Zeit der Invasion ist der Darm wahrschein- lich krank. Hier findet zuerst eine Hypersekretion (Diarrhoe) statt ; Epithelien werden abgestossen, und so ist die Aufnahme in das Blut leicht.

Dr. Heitzmann beantwortet in seinem Sehl uss wort die Frage des Dr. Einhorn, warum die anderen festen Körperchen nicht auch in den Darmepitheiien gefunden werden, dahin,dass sie durchfiltrirt werden. Die Theorie des Dr. Jacobi sei zwar möglich, aber wir haben dieselbe nicht nöthig. Gegenüber der Bemerkung des Dr. Jacobi, dass die Trichinen im Darm an Stellen, wo Epithelien abgestossen sind, aufge- nommen werden, möchte er betonen, dass die Diarrhoe erst die Folge der Invasion ist, nicht die Ursache.

Dr. Jacobi bemerkt noch, dass ja die Lymphgefässe fast immer klaffen. Sie werden zuweilen offen bis ins interstitielle Gewebe hinein

37

gefunden, und so dürften die Auseinandersetzungen Dr. Heitzmänn's ganz gerechtfertigt sein.

Es folgt der angel^ündigte Vortrag des Dr. Max Einhorn: Die direkte Galvanisation des Magens bei hartnäckigen Gastralgieen, Als neue Mitglieder werden hierauf vorgeschlagen : Dr. CoNSTANTiN BjERiiiNG, voo Dr. Georg Meyers ; Dr. N. Mandelstamm, von Dr. Tyndale ; Dr. A. Marcuse, von Dr. Tyndale ; Dr. A. VON GRiaiM, von Dr. Edebohls.

Schlußs und Vertagung.

Dr. Max Einhorn,

Protokollirender Sekretär.

Sitzung vom 5. Oktober 1891. 17 West 43. Strasse. Präsident: Dr. A. Jacobl

Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und angenommen.

Dr. F. T o r e k bemerkt zu seinem in der vorigen Sitzung vorge- stellten Fall von Meningocele, dass das Kind in der Zwischenzeit ge- storben sei. Eine Woche vor dem Tode trat eine Steigerung des Hydro- cephalus ein. Bei der Sektion fanden sich beide Ventrikeln vollgefüllt. Die Flüssigkeit sah trüb aus und war mit Fibrinflocken gefüllt. Die Operation scheint somit gerechtfertigt gewesen zu sein. Demonstration von pathologischen Präparaten.

Dr. L. Weber demonstrirt zwei Nieren mit ungemein grossen Steinen und einem in den Darm hinein perforirten Abscess, von der Niere ausgehend. Steinkrankheit war nicht in der Familie des betref- fenden Patienten gewesen, dagegen war eine Striktur seit Jahren vor- handen, welche zu Catarrh und wohl infolge davon Anlass zu dieser Steinbilduug gab.

Philip D., alt 56, Kaufmann, aus gesunder, langlebiger Famihe stam- mend, hier geboren, verheirathet, kinderlos, kehrte letzten Sommer von Aachen, wo er wegen eines Syphilis recidivs zur Kur gewesen, hieher zurück und stellte sich mir am 7. Juli 1891 vor. Patient, gross und schlank, mager, mit leidendem, doch mehr kachectischem Gesichtsaus- druck, hatte vor 12 Jahren Syphilis acquirirt, die ihm jedoch wenig zu schaffen gemacht hatte und jetzt keine sichtbaren Symptome darbot. Seit 20 Jahren aber, und angeblich in Folge von Gonorrhoeen, hatte sich ein Blasencatarrh entwickelt, und Patient war mir denn auch mit der Diagnose „Chronischer Blasencatarrh", der aller Behandlung seit vielen Jahren getrotzt hatte, zugegangen. In den letzten 4 Jahren hat Patient gelegentliche Anfälle von Erbrechen, ammoniakalisch riechendem Athem und Schweiss bei vollständiger Appetitlosigkeit und grossem Schwächegefühl gehabt, die sich 2 3 Wochen hinzogen und ammoniämisch betrachtet wurden.

Patient hat nie Kreuzschmerzen, dagegen Paraesthesien und bren- nende Schmerzen in der Harnröhre und Blasenhalsgegend bei und nach der Urinentleerung. Harngries war nie bemerkt worden. Die Unter- suchung wies nach eine weite, etwas elastische, wandständige Striktur, 5) Zoll vom meatus des ungewöhnlich langen Penis, eine etwas bilateral vergrösserte Prostata, eine scheinbar grosse, schlaffe und glattwandige Blase. Auffallend war mir, dass von Zeit zu Zeit, Tagsüber mit wenig Urin gemischter Eiter und dann wieder grössere Mengen eines trüben, ammoniakalischen Urins entleert wurden. Patient konnte allerdings uriniren, doch brachte er es der Blasenschwäche wegen nur sehr lang- sam und mühevoll von Statten, bediente sich deshalb schon seit längerer Zeit eines Merciers. Im Urinsediment fand ich Eiter und hie

38

und da Nierenepithelien, keine Cylinder. Etwas Schmerzhaftigkeit auf Druck den R. Ureter entlang, keine Schmerzen bei Druck in der Nieren- gegend.

Herr D. war im Begriffe nach dem Westen zu reisen und konnte von einer genaueren Beobachtung zunächst keine Rede sein. Er wurde instruirt seine Blase zweimal täglich mit ResorciDlösung auszuwascheu, und versprach sich bei seiner Rückkehr im. Herbst wieder vorzustellen. Am 20, December 1890 wurde Patient in ganz desolatem Zustande nach hier zurückgebracht. Im hohen Grade abgemagert und kachectisch bot er im Allgemeinen die Erscheinungen der Sepsis dar ; vollständige Appetitlosigkeit, Erbrechen, Fieber, Apathie u. s. w. Von Zeit zu Zeit bedeutende Massen Eiter aus der Blase per Katheter entleert. Bauch aufgetrieben, in der Ileocoecal-Gegend eine teigige Anschwellung, mit Druckempflndlichkeit daselbst und gegen Colon ascendens zu. Nach Reinigung des Darms durch Klystire zeigt sich, dass gelegentlich etwas Jauche den Darm herunter kommt.

D.: Pyelonephritis dextra purulenta chronica Abscessus ichorosus in regione lateris posterioris Coeci, der den Darm perforirt hatte.

Exitus letalis 27. December.

Die Autopsie am 27. December musste auf das Abdomen beschränkt werden und ergab : Beide Nieren sind von ausserordentlich dicken Fettpolstern bedeckt (nahezu zwei Zoll), die R. Niere in einen Sack um- gewandelt, der einen grossen rauhen Stein von Gewicht enthält. Pleura- geschwürige Perforation der hinteren Wand der Cysten mit Bildungeines Eiterganges, der von da gegen das coecuum herunterleitet und die hintere Wand des col. asc. perfo^jirt und daselbst ein grosses Ulcus mit dicken Rändern gebildet hat. Diesem ulcus gegenüber hat sich in der vorderen Wand des betr. Darmstückes ein Geschwür entwickelt, das bis zum Peritonelüberzug vorgedrungen war. Die L Niere war ebenfalls zum grössten Theile in eine Eitercyste umgewandelt, in welcher drei gegeneinander facettirte Steine liegen, zusammen mindestens so gross als der Stein der R Niere.

Beide Ureteren weiter als normal, die Blase ungefähr doppelt so gross als normal, dünnwandig mit Atrophie der Schleimhaut und mus- cularis. Prostata wenig vergrössert, pars prostatica urethrae trichter- förmig, weiter als normal, am peripheren Ende der p. membranacea ure- thrae seitliche Verengerung, die No. 22, die ich eben zur Hand hatte von vorn nach hinten leichter als umgekehrt passiren lässt. Der Magen ist etwas dilatirt, schlaff, dünnwandig, Schleimhaut schiefergrau, atrophisch.

Diskussion:

Dr. T o r e k fragt, ob nie Blut im Urin gefunden wurde.

Dr. L. Weber erwidert, er habe den Harn untersucht, aber weder Blut noch Sand gefunden. Die Diagnose hätte bei weiterer Exploration wohl gestellt werden können, allein der Patient habe sich keiner län- geren Behandlung unterziehen wollen.

Dr. J a c o b i bemerkt, dass es sich hier zwar nur um eine relative Striktur handle, aber doch muss dieselbe Ursache der Steinbildung ge- wesen sein, denn hier sind in beiden Nieren Steine gefunden worden. Man sollte noch nachsehen, ob das Centrum des Steines aus Harnsäure bestehe. Die Grösse sei jedenfalls etwas ganz Seltenes.

Dr. L. Weber: Die Bemerkung Dr. Jacobi's ist richtig. Was das Centrum des Steins betrifft, so besteht es aus Harnsäure, die Aussen- seiten aus Phosphaten. Die Striktur ist eine faltenförmige gewesen.

Dr. T o r e k fragt, wie eine Striktur von No. 26 geschnitten werden sollte. Er meine, dass sie alle erweitert werden müssen.

Dr. L. Weber beantwortet diese Frage dahin, dass es Strikturen giebt, die sich bei gewisser Grösse nicht mehr dilatiren lassen.

39

Dr. C. Heitzmann verliest hierauf die Adresse, welche er zu ViRCHOw's siebzigstem Geburtstag verfasst hat, und welche ursprüng- lich zum Druck für die Medicinische Monatsschrift bestimmt war. Er stellt den Antrag, dass diese Adresse mit dem Namen des Vereins ver- sehen und an Virchow abgeschickt werden möchte.

Der Antrag wird nach längerer Debatte mit der Bestimmung ange- nommen, dass der Verwaltungsrath ermächtigt wird, etwaige Veränder- ungen in dem Wortlaut der Adresse vorzunehmen.

Dr. S e i b e r t stellt sodann den Antrag, ausserdem eine Kabelde- pesche an Virchow abzuschicken.

Dieser Antrag wird ebenfalls angenommen.

Es folgt der Vortrag von Dr. C. A. von Ramdohr: Die Indicationen für Craniotomie mit einschlägigen Fällen.

(Abgedruckt in der Medicinischen Monatsschrift.)

Diskussion:

Dr. R i s c h fragt, ob 7 8 Züge und nicht mehr bei der Zange er- laubt seien.

Dr. von Ramdohr erwiedert, dass, sobald die Zange angelegt wird und man in Eile ist, dies genügen dürfte.

Dr. von Grimm fragt, ob man die Perforation nach der Wen- dung machen könnte.

Dr. ^on Ramdohr bejaht diese Frage.

Demonstration von Instrumenten:

Dr. Foerster demonstrirt einen von ihm konstruirten Operations- tisch.

(Abgedruckt in der Medicinische Monatsschrift.)

Die in der letzten Sitzung vorgeschlagenen Candidaten, Dr. Fergu- son, Dr. BiERKiNGr und Dr. Marcuse, werden in der nun folgenden Ab- stimmung als Mitglieder aufgenommen.

Als neue Candidaten werden vorgeschlagen :

Dr. L. Hiebe, von Dr. Tyndale ; und

Dr. RoMM, von Dr. W. Freudenthal.

Nach Schluss des wissenschaftlichen Theils der Sitzung ergreift Dr. L. Weber das Wort, welcher mit Dr. Foerster das Committee für den geselligen Theil des Sitzungsabends bildet. Er theilt mit, dass der gesellige Abend im Juni .^45 gekostet habe, während der letzte Abend infolge einer Aenderung nur $22 Kosten verursacht habe. Er möchte bitten, dass aus der Mitte des Vereins der Antrag gestellt wer- den möge, diese Kosten zu bezahlen.

Dr. Freudenthal stellt einen bezüglichen Antrag, welcher zur Annahme gelangt.

Präsident Dr. A. Jacobi bittet vor Schluss der Sitzung noch die Mitglieder, da im Anfang der Saison wenig Material da sei, früh- zeitig Vorträge anmelden zu wollen.

Schluss und Vertagung.

Dr. Max Einhorn,

Protokollirender Sekretär.

40

Wissenschaftliche Zusammenkunft deutscher Aerzte in

New York.

(110 West 34. Strasse.)

Sitzung vom 25. September 1891,

Vorsitzender: Dr. Schottky. Schriftführer : Dr. E. Fridenberg.

Vorstellung von Patienten.

L. W e i s s stellt eine Frau mit „Liehen ruber acuminatus*' vor.

Frau E. H., 33 Jahre alt, regulär menstruirt, bemerkte im Sommer 1890 einen Ausschlag, der sich damals auf beide Unterschenkel be- schränkte. Derselbe verursachte ziemliches Jucken, besonders wäh- rend des heissen Wetters uQd verschwand im darauffolgenden Winter. Im April d. J. begann das Jucken wieder auf den Beinen sowohl als am Körper und alsbald entwickelte sich die Eruption. Dieselbe begann an den Fusssohlen und an den Zehen, schritt den Unterschenkeln entlang weiter, überzog den Steiss, die Arme u. s, w. Merkwürdig ist es, dass, trotzdem über das Jacken hauptsäclilich in der Hitze geklagt wird, Patien- tin in der Nacht im Bette davon verschont ist. Jedoch stellt es sich wäh- rend des Entkleidens ein und ist auch während des Ankleidens gegen- wärtig. Es ist also gewiss, dass Temperatur-Unterschiede Jucken her- vorrufen können. Bei erhitzender Arbeit stellt sich ebenfalls Jucken ein. Das durch das Jucken hervorgerufene Kratzen macht Patientin sehr matt. Sie wird magerer, ihr Allgemein-Beflnden ist nicht das Beste, sie ermüdet schneller und ist weniger ausriauernd in der Arbeit.

Wir haben hier einen Fall von überaus reichlichem Auftreten der Eruption. Der ganze Körper ist besäet von Lichenknötchen, die in Reihen, entsprechend den normalen Hautfurchen, auftretend, zu Leisten und in weiterer Folge zu grösseren Infiltraten confluiren. Die von Hebra. beschriebene chagrinlederartige Beschaffenheit solcher Stellen ist besonders an den Gelenkbeugen gut sichtbar. Fusssohleu und Flachhand sind ergriffen und besonders erstere inflltrirt.

Der Pariser Dermatologen-Congress scheint die Lichenfrage keines- wegs geordnet zu haben. Während Kaposi Liehen ruber und Pityriasis rubra pilaris (Devergie) für identisch hält, erklärt Neuman in Wien, dass man einen Liehen ruber acuminatus (Hebrae) anerkennen müsse und daher dieser nichts mit Liehen ruber planus gemein habe. Gleichzeitig ist er der Ueberzeugung dass der Liehen ruber von Hebra nicht iden- tisch mit Pityriasis rubra pilaris sei.

V. Hebra jr. ist der Meinung, dass sein Vater diese beiden Formen mit einander verwechselte. Während einer Sichtung der alten Kran- kengeschichten in Wien konnte er die Acuminatus-Fälle, von solchen von Pityriasis trennen.

BüLKLEY (N. Y.) erklärt sich für die Existenz eines Acuminatus, er sowohl als Sherwell und Robinson halten die drei Formen auseinan- der. Was die Behandlung anbetrifft, werden die reducirenden Mittel äusserlich, besonders die UNNA'sche Carbol-Sublimat-Vaselin-Salbe (20,0 : 0,5 1,0 : 500.0) und innerlich Arsenic zur Anwendung kommen.

(Bericht nach vier Wochen: Auf obige Behandlung trat bereits Besserung ein. Die ganze Eruption ist im Schwinden begriffen.)

Discussion:

Goldenberg hält den Fall für „Liehen ruber planus." In dem jetzigen akuten Stadium desselben würde er Arsenik nicht geben; äusserlich empfiehlt er aber die UNNA'sche Salbe.

41

Oberitdorfer und Pollitzer halten den Fall ebenfalls für „Liehen ruber planus."

L. W e i s s stellt eine Frau mit Tuberkulösem Syphilid serpiginösen Charakters vor.

Frau R. J., 24 Jahre alt, Mutter von drei Kindern wovon Eines an Bronchitis starb, bemerkte vor zwei Jahren am Kücken einen Aus- schlag von der Grösse eines Centstückes; derselbe breitete sich, da eine Behandlung nicht erfolgte, aus, und nimmt jetzt in grossem Halbkreis und mit der Convexität nach aussen die rechte Nacken- und Rücken- gegend ein. Die Läsion stellt ein Tuberculo-serpiginöses Syphilid vor, welches reichlich mit Borken und sclimierigem Eiter belegt ist.

In der Mitte des Halbkreises sind bis halbdollargrosse, hellglänzende, etwas strahlige Narben, die darauf hinweisen, dass die Eruption sich im Centrum allmälig involvirte und sich nach der Peripherie hin ausbrei- tete. Seit Monaten Cervicaldrüsenschwellung.

Auamnestisch wäre zu bemerken, dass Patientin vor drei Jahren eine Periostitis der rechten Tibia hatte, die auf antiluetische Behand- lung wich. Von den Schwestern der Patientin hat eine Lues nasi, die Andere weist zahlreiche Drüsennarben am Halse auf. Sonstige Erschei- nungen von Syphilis sind bei der Patientin nicht vorflndlich.

Der Anamnese nach hätte der Fall leicht für hereditäre Lues ange- sehen werden können. Nämhch Vater und Mutter sollen vor Jahrzehn- ten an einem Ausschlag gelitten haben, den sie von einem bei ihnen wohnenden luetischen Verwandten acquirirten. Ob Patientin vor dieser Affaire geboren wurde, Hess sich nicht feststellen. Da auch sonst here- ditäre Lues gerne andere Prädilectionsstellen sich aussucht, wird der Fall als einer von gewöhnlicher tertiärer Syphilis anzusehen sein. (Bericht nach vier Wochen: Auf Jodkali innerlich, Hg. Pflaster äusser- lich trat vollständige Vernarbung ein. )

D i s c u s s i o n :

L e V i s e u r: Das einseitige Auftreten der Eruption ist bemerkens- werth. Er beobachtete bei einem inficirten Heizer einen auf die dem Feuer ausgesetzte Seite des Patienten beschränkten Ausschlag.

Oberndorfer bezweifelt das Auftreten eines sorpiginösen Syphilids bei hereditärer Lues nach dem fünfzehnten Jahre. Wenn keine ganz deutlichen Symptome der hereditären Lues vorliegen, so muss man eine Infektion annehmen, selbst wenn Primäraffektion nicht nachzuweisen ist.

A. Jacobi: Die Ansteckungskraft so vieler syphilitischer Läsio- nen, Gumma u. s. w., ist in der letzten Zeit bewiesen worden. Das sehr spaete Auftreten der hereditären Syphilis wird dadurch noch^ zweifel- hafter gemacht.

Pollitzer stellt einen Mann mit symmetrischem tuberkulösem Syphilid des Rückens vor.

Dr. P. demonstrirt ferner einen Fall von tuberkulösem Syphilid an einem Manne von 55 Jahren, der nie eine gründliche antiluetische Be- handlung durchgemacht hat. Der Ausschlag besteht schon seit zehn Jahren und ist bemerkenswerth wegen seiner Ausdehnung und Sym- metrie. Er hat die Form von zwei Dreiecken, deren gemeinschaftliche Grundlinie in der Mittellinie der Lendengegend und des Kreuzbeines liegt, während die Spitzen in der rechten und linken Leistengegend er- scheinen.

Pollitzer stellt einen Mann mit Xanthoma tuberosum multiplex vor.

Der Kranke, den ich die Ehre habe, Ihnen heute Abend vorzustellen, leidet an einer verhältnissmässig recht selten vorkommenden Hauter- krankung. Er ist 31 Jahre alt, Baumeister, und mit Ausnahme einiger

42

kolikartiger Anfälle während der letzten 11 Jahre, die sein Arzt, ohne dass jedoch Gelbsucht dabei auftrat, auf Gallensteine zurückführte, erfreut er sich einer blühenden Gesundheit.

Die Hautaffection, die wir jetzt an ihm beobachten, besteht seit vier Jahren. Es handelt sich um eine Eruption, welche die grossen Zehen, die Fusssohlen, die Hände, Ellbogen, Hüften und Hinterbacken nach der Keihe befiel. Seit zwei Jahren zeigt die Affection keine wesentliche Veränderung.

Bei der näheren Untersuchung dieser Theile sehen Sie, dass es sich um disseminirte Gruppen von Knötchen handelt ; dieselben besitzen eine derbe Consistenz, sind hanfkorn- bis erbsengross, von citronengel- ber Farbe und erheben sich zum grössten Theile ein wenig über das Niveau der Haut, obwohl manche so tief liegen, dass ihre Anwesenheit nur durch Palpation eruirbar ist. Jede Gruppe besteht aus 10 bis 35 Knötchen. Viele zeigen eine bestimmte Anordnung ; so ist dieselbe z. ß. auf der Palmafläche der Haut annulär, auf dem Oberarme linear in zwei parallelen Streifen.

{Fortsetzung folgt.)

Verein Deutscher Aerzte zu 8an Francisco,

Sitzung vom 1. September 1891.

Dr. EosENSTiRN hielt seinen angekündigten Vortrag über Wesen und Therapie der Perityphlitis. (Der Vortrag wird anderweitig in extsnso veröffentlicht werden.)

Diskussion : Dr. Cohn will nicht vom chirurgischen Standpunkt sprechen. Der Vortrag hat nicht <li(' Frage beantwortet, welche die Chirurgie der inneren Klinik schuldet. Nur vereinzelte Autoren haben sich für absolutes Operiren in allen Fällen entschieden, während be- sonders von deutschen Autoren einschränkende Indicationen gestellt werden. Es giebt Fälle, wo ein operativer Eingriff absolut noth wendig ist ; dass man aber bei jeder beginnenden Appendicitis kritiklos operiren soll, ist von der Hand zu weisen. Nur ein Chirurg, der grosse Hospi- talpraxis hat, kann in dieser Frage mit einiger Sicherheit entscheiden, während dem Durchschnittsarzte in der Privatpraxis die Entscheidung meist sehr schwer wird. Man nehme den conereten Fall : Ein junger Mensch erkrankt am Fieber, Erbrechen, Schmerzen in der rechten Seite des Hypochondrimus. Die Symptome werden bedrohlich, der Fall zieht sich selbst zwei Wochen hin, um schliesslich unter zweckmässiger in- terner Therapie (Eis und Opium) in Genesung überzugehen. Es ist sehr schwer, hinterher zu sagen, worum es sich gehandelt hat, welcher Art die anatomische Veränderung gewesen. Die Frage, ob ein seröses Exsudat, eine eitrige Entzündung und drohende Perforation vorlag, kann nur mit Wahrscheinlichkeit beantwortet werden. Die Antwort hierauf sind die Chirurgen schuldig und selbst Körte in Berlin, dem, ge- wiss nicht der Vorwurf der Messerscheu gemacht werden kann, hat zu- gegeben, dass viele Fällen, in denen alle Symptome auf eine drohende Perforation hindeuteten, unter der zweckmässigen internen Therapie ge- nesen. Es wäre ungerechtfertigt und ungerecht, bei den Erfolgen, welche die Chirurgie, seit Antisepsis resp. Asepsis sie begleiten, errun- gen hat, sich der Vortheile, die ein operativer Eingriff bedeutet, zu entäussern ; aber die Entscheidung, wo und zu welchem Zeitpunkt der chirurgische Eingriff statthaben soll, ist oft schwer oder gar nicht zu treffen' und das sogar selbst bei abgekapselten Eiterungen. Anderer- seits muss der interne Arzt zugeben, dass manche Fälle noch kurz vor dem Tode einen günstigen Eindruck machen, um plötzlich lethal zu

43

enden und den Vorwurf nahe zu legen, dass ein ev. operativer Eingriff ein Menschenleben hätte retten können.

Dr. V. Hoffmann : Die Statistik Dr. Rosenstirn's ist irreführend. Sie beweist, dass so und soviele Fälle von Perityi)hlitis gesehen worden sind; man lernt aber aus ihr nicht den Prozentsatz der Mortalität zur Morci- dität kenneu. Sehr viele Fälle von eigentlicher Typhlitis stercoralis können überhaupt nicht geheilt werden. Die Erkrankungen des Wurm- fortsatzes könnten geheilt werden, wenn man eine exacte anatomische Diagnose stellen könnte. Es sind jedoch die differentiellen Symptome zwischen Typhlitis stercoralis und Perityphlitis so undeutlich, dass die Diagnose in vielen Fällen absolut unmöglich ist. Was die Operation selbst anbetrifft, so liegt die Sache noch in der Kindheit. Man schnei- det ein, ohne zu wissen, was man entfernen will, da man nicht genau anatomisch vorher diagnosticiren konnte. Die meisten Fälle heilen wohl ohne Operation und blos die mit der Anti- resp. Asepsis eingeris- sene Kühnheit in operativen Eingriffen hat die Operationswuth unbe- rechtigter Massen auf dieses Gebiet hingeleitet.

Dr. Kreützmann : Wir haben aus dem Vortrage viel gelernt und manches Neue daraus erfahren. Vor Allem ist uns die Wichtigkeit und Häufigkeit der Erkrankung anderen Krankheiten gegenüber vor Augen geführt worden. In den meisten Fällen ist eine Erkrankung des Pro- cessus vermiforis vorhanden und das richtige therapeutische Verfahren ist oft sehr schwer zu finden. Soviel jedoch steht fest, dass das opera- tive Eingreifen unter allen Umständen einen Fortschritt bedeutet. In jedem einzelnen solchen Falle müssen wir von vornherein an die Opera- tion denken. Einige Fälle machen vage Symptome, andere sind klar und fordern gewisseimassen durch ihren Verlauf zur Operation auf. Leider sind wir oft gezwungen, in extremis und daher ohne Erfolg zu operiren. Aber oft ist der operative Eingriff sicherlich von Erfolg be- gleitet, wo zu warten den Tod gebracht hätte. Die Scheu vor dem in- traperitonalen Operiren ist heute, wie vielfache Erfahrungen gelehrt haben, unberechtigt.

Dr. Kkotoszyner : Dr. Rosenstirn hat uns dankenswerther Weise in seinem Vortrage reichliches statistisches Material geliefert, aus dem her- vorgeht, dass, seitdem vor operativen Eingriffen nicht zurückgescheut wird, durch das Messer viele Fälle, die sonst unrettbar verloren wären, gerettet werden können. Auch die Tracheotomie wird nicht nur von Laien, sondern selbst von messerscheuen Aerzten als nutzlos perhorres- cirt; leider wird sie, wie Henoch klagt, meist zu spät vorgenommen und sicherlich würde die Prognose der Perityphlitis eine günstigere sein, wenn man von vornherein einen operativen Eingriff in Erwägung ziehen und diesen, sobald die Indicationen dafür gegeben, ungesäumt ausführen würde. Diese Anschauungen kamen auch in der vor beiläufig zwei Jahren in der Berliner medizinischen Gesellschaft stattgehabten Debatte über die Therapie der Perityphlitis zum Ausdrucke und bestehen heute noch, unbeschadet der Erfolge der inneren Kliniker, zu Rechte. Dass die anatomische Diagnose nie mit Wahrscheinlichkeit gestellt werden kann, ist wahr ; wäre das nicht der Fall, so würde die ganze Diskussion über diese Frage überflüssig sein. Desswegen erscheint es angebracht, an das von Leyden und Israel angegebene, in diagnostischer Beziehung sehr wichtige Symptom zu erinnern, nach dem Abcessbildung mit völli- ger Sicherheit geschlossen werden kann, wenn bei Fällen, in denen zu- erst mit der Operation gezögert wurde, nach Ablauf der typischen Krankheitssymptome eine Fieberbewegung, Vermehrung der Pulsfre- quenz, Zeichen der peritonitischen Reizung und Verschlimmerung des Allgemeinbefindens zu konstatiren sind.

Dr. Rosenstirn : Nicht jeder leichte Fall von Perityphlitis soll operirt werden ; in vielen Fällen sind jedoch die Indicationen für den operativen

44

Eingriff gegeben und da, wo die Abkapselung des Abcesses und circum- scripter Peritonitis die Gefahr auftritt, dass der Eiter durchbricht, soll und muss operirt werden. Bei wiederholten Attacken von Perityphlitis ist die Operation in den freien Intervallen indicirt, da durch die fort- währenden Anfälle der Lebensgenuss der Patienten so getrübt wird, dass die Operation das Kleinere Uebel ist. Dass durch zurückbleibende Adhsesionen nach erfolgter Operation oft auch Schmerzen auftreten, ist keine Gegenindication, ebenso wie nach der Operation für Pyosalpinx peritonitische Adhaesionen bleiben und den Erfolg trüben. Der Stand- punkt, alle Fälle mit internen Mitteln heilen zu wollen, ist ebenso zu verwerfen, wie das Operiren ohne strikte Indicationen. Sind diese aber gegeben, so soll der innere Kliniker bei Zeiten das gefährdete Leben des Patienten dem Messer des Chirurgen überantworten.

(Sbhluss der Sitzung.)

Dr. M. Keotoszyner,

protokollirende Secretär

BücheHiscb.

Fromme's Oesterreichischer Medicinal-Kalender mit Recepttaschenbuch für das Schaltjahr 1892. 47. Jahrgang. Herausgegeben von Dr. Theodor Wiethe. Elegant in Leinwand gebunden 1 fl. 60 kr., Brief- taschen-Ausgabe 2 fl. 20 kr. Wien, k. u. k. Hofbuchdruckerei Carl Fromme.

Der vor uns liegende Oesterreichische Medicinal-Kalender mit Pveoepttaschenbuch pro 1892 ist besonders reichhaltig und schön ausge- stattet. Der Kedacteur wusste auch diesmal gleichwie in den Vorgän- gern eine Fülle von Artikeln, TabeUen u. s. w. zu bringen, welche alle für den praktischen Arzt von grösster Wichtigkeit sind und von ihm täglicl) zu Rathe gezogen werden. Aus dem reichen Inhalt des Kalen- ders fällt ganz besonders das völlig uß?gearbeitete und dem Stande der heutigen Wissenschaft in prägnanter Weise angepasßte Recepttaschen- buch auf. Dem Redacteur stand hier augenscaeinlich eine Fülle des interessantesten Materiales zu Gebote. Der wesentlich rectificirte Schematismus der Aerzte Wiens ist auf jene in den nun mit Wien ver- einigten Vororten wohnenden Aerzte ausgedehnt. Auch das Verzeich- niss von der modernen Therapie entsprechenden Recepten, die Artikel : Untersuchung des Harnes, Untersuchimg des Blutes, Balneologische Uebersicht der Curorte, ferner die TabeUen : Maximaldosen für einen Erwachsenen, Tropfen-Tabelle, Zeitrechnung der Schwangerschaft, Incubationszeit für die wichtigeren Infectionskrankheiten werden dem Besitzer des Kalenders gewiss willkommen sein. Die Ausstattung des Kalenders ist wie die aller FEOMME'schen Kalender eine praktische und durchaus gediegene. Wir können daher den Kalender allen Aerzten nur auf das Wärmste zur Anschaffung empfehlen.

The Physician as a Business Man ; or How to Obtain the Best Financial Results in the Practice of Medicine. By J. J. Taylor, M. D. (Phila- delphia. The Medical World, 1520 Chestnut St. 1891.)

Der Grundgedanke des Buches ist, die flnanciellen Verhältnisse des ärztlichen Standes zu heben.

Es werden im vorliegenden Werkchen vorzügUche Regeln und An- weisungen gegeben, um die materiellen Verhältnisse des Mediciners zu

45

heben. Im Allgemeiaeii werden die ärztlichen Leistungen sehr schlecht honorirt, verglichen beispielsweise mit den Leistungen des Advokaten. Es wird im Buche vielfach hervorgehoben, wie nützlich und werthvoll selbst ein winziger Rathschlag eines Arztes ist. Das Buch ist sehr inter- essant geschrieben und ist dazu angethan, jedem Arzt beim Lesen des- selben etwas Nützliches zu bringen.

Nekrol(»g. Dr. ERNST HOFFMANN.

Plötzlich und unerwartet hat am 8. d. M. der Tod einem rastlosen, unruhigen, die gewöhnlichen Bahnen menschlichen Lebens meidenden Dasein die ewige Ruhe verliehen. Wenn auch keinen grossen Kreis, wird doch so manchen Leser dieser Blätter die Kunde von Dr. E. Hoffmann's jähem Daliinscheiden welimüthig berühren, denn rastlos und unstät, wie er sein Leben gestaltete, in der Freundschaft, in der Anhänglichkeit an diejenigen, die ihm näher getreten waren, in der Er- kenntlichkeit für jede kleine Freundlichkeit, für jeden Liebesdienst, den man ihm erwiesen, ist der nun Dahingeschiedene immer unwandel- bar treu und gleich geblieben, und hat so in der kurzen Zeit, die er in unserer Stadt verweilte, sich manchen Freund erworben, der sein An- denken auch nach seinem Tode ihm noch treu bewahren wird.

Ernst Philipp Ludwig Hoffmanx, geboren in Worms a. Rh. am 28. August 1839 und vorbereitet auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt, bezog 1857 die Universität Utrecht um dem driugenden Wunsch seiner Eltern gemäss, entgegen seinen eigenen Neigungen und Willen, Theologie zu studiren. Im Frühjahr 1860 Hess er sich in Giessen im- matriculiren, um nach bestandenem theologischen Examen sowohl Giessen wie auch der Theologie und auch dem väterhchen Hause Valet zu sagen. Er fand eine Stelle im KLosE'schen Knabeninstitut in Cannstadt, woselbst er zwei Jahre thätig war. 1863 bezog er die Uni- versität Heidelberg, um dort Philologie zu studiren, widmete sich aber mehr, seinen Neigungen folgend, dem Studium der Mathematik und Naturwissenschaft. Nach einigen Semestern ging er wiederum nach Giessen als stud. med., bestand sein erstes Examen (Philosophicum) mit No. 1, begab sich aber nach einer wissenschaftliclien Centroverse mit dem betr. Prof. der Zoologie und Entwickelungsgeschichte nach Halle, um dasselbe Examen zum zweiten Male mit grosser Auszeichnung zu bestehen. Nach einigen Semestern ging er nach Berlin, um dort die Kliniken zu besuchen. Schliesslich siedelte er nach Freiburg i. B. über, wo er im Jahre 1867 das Staatsexamen machte.

Nachdem er in verschiedenen kleinen Ortschaften der Oberpfalz prakticirt, machte er als Schiffsarzt auf mehreren Linien Reisen, be- sonders nach Südamerika, nahm dann in der Nähe von München eine Landpraxis auf, um abermals als Schiffsarzt nach New York zu fahren. 1886 Hess er sich in New York nieder, ging 1887 nach Mendota, III., und von da, wo er sich so lange sehr wohl gefühlt hatte, 1890 plötzlich nach Amboy, Minn.. wo er am 8. Januar 1892 nach kurzer Krankheit uner- wartet starb.

Krankheit und Krankheitsgefühl, die ihn immer verfolgten, ausser- dem der Druck einer verfehlten, ihn in seinen Gesinnungen und Neigun- gen widersprechende Bahnen ziehende Jugenderziehung, Hessen ihn selten zu einem festen Entschluss kommen, und trugen zu dem wechsel- vollen Verlauf seines bewegten Lebens unendlich viel bei.

Zu seinen Liebhabereien gehörte das Studium der Lehren Darwin's, mit denen er sich frühzeitig und gründlich befasste. Er besass eine ungewöhnliche philosophische Bildung, und war ein ebenso scharfer

46

Denker, als schlagfertig in der Debatte über irgend ein naturwissen- schaftliches Thema.

So endet der Tod ein vielversprechendes Dasein, das aber durch die Ungunst der Verhältnisse zu keinem fruchtbringenden geworden war, doch werden die, die ihm näher standen, den guten, edlen Seiten seines durch und durch ehrlichen, wenn auch manchmal sonderbar scheinen- den Charakters liebevolles Angedenken bewahren, und ihm die Ruhe, die er im Leben nicht finden konnte, gönnen. R. i. p.

Allerlei.

Folgende Einladung zum II. Internationalen Dermatologischen Con- gress in Wien, 5.-10. September 1892, ist an uns ergangen:

Laut Beschluss des 1. Internationalen Dermatologischen Congresses vom 10. August 1889, in Paris, wird der IL Internationale Derraatologi- sche Congress im Jahre 1892 in den Tagen vom 5.-10. September in Wien abgehalten werden.

Wir beehren uns hiermit Sie, geehrter Herr Collega, zur Theilnahme an diesem Congresse höflichst einzuladen und zu bitten, möglichst bald Ihren Beitritt zu demselben erklären zu wollen.

Die Statuten des Congresses, so wie das vorläufige Programm der Verhandlungsthemata werden später bekanntgegeben werden.

Anmeldungen zum Beitritt, sowie von Vorträgen und Demonstra- tionen nimmt entgegen der unterzeichnete Generalsecretär.

Das Organisations-Committee: Die Mitglieder: Prof. J. Neumakn; Prof. E. Lang; Docent H. von Hebra, Prim. Docent M. Mraceck, Docent Joseph Grünfeld (Wien); Prof. F. J. Pick; Prof. V. Janowsky (Prag); Prof. E. Lipp (Graz); Prof. A. J arisch (Innsbruck ; Prof. A. Rosner (Krakau); Prof. E, Schwimmer (Budapest). Prim. Docent G. Riehl, Generalsecretär, 1/20, Bellariastrasse, 12, Prof. M. Kaposi, Präsident, IX/2 Aiserstrasse 28, Wien.

Vom Organisations-Committee aufgestellte Themata. 1. Ueber lymphatische Erkrankungen der Haut, vompath.-anatom. Standpunkte: Doc. R. Paltauf (Wien).

2. Ueber den gegenwärtigen Stand der Lepra in Europa: Dr. Arning (Hamburg), Dr. Petersen (Petersburg).

3. Ueber Dermatomykosen, unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Frankreich: Dr. Feularrd (Paris).

4. Ueber tardive Syphilis, Neibiann (Wien).

5. Ueber Anatomie und Entwickelung des Oberhautpigments: Prof. Jarisch (Innsbruck).

6. Ueber Psorospermosen: Prof. Neisser (Breslau), Prof. C. Boeck (Christiania).

7. Ueber die Principien der Gonorrhöebehandlung. Prof. Neisser (Breslau),

8. Ueber Lupus erythematosus: Dr. Malcoln Morris (London), Dr. Th. Veiel, (Canstatt).

Zu Vorträgen haben sich gemeldet:

Die Herren; Besnier, Paris, Dermatologisehes Thema; Fournier, Paris, Syphilis; Pick, Prag, Dermatologisches Thema; Doütrelepont, Bonn, Dermatologisches Thema; Schwimmer, Budapest, Dermatholog. Thema; Riehl, Wien, Dermathologisches Thema.

Gleichzeitig mit dem II. Internationalen dermatologischen Congresse veranstaltet des Organisations-Committee in den Räumen des neuen Universitäts-Gebäudes in Wien eine Ausstellung von die Pathologie und Therapie der Hautkrankheiten und der Syphilis, sowie der verwandten Fächer betreffenden Gegenständen, als: Wissenschaftliche Werke, Ab- bildungen, Photographien, plastische Reproductionen (Moulages), ana-

47

tomische, histologische, bakteriologische Präparate, Mikroskope und andere wissenschaftliche Apparate, alle zur Behandlung der Hautkrank- heiten und der Syphihs dienenden Objecte, chirurgische Instrumente, Verbandstoffe, chemische und pharmaceutische Präparate etc.

Die Morphiumsucht nimmt in Paris täghch zu und fordert immer zahlreichere Opfer. Um dem steigenden Bedarf entgegenzukommen, haben kürzhch spekulative Köpfe zwei Etablissements eröffnet, in welche sich das Pubhkum drängt, um das Verlangen nach dem süssen Be- täubungsmittel zu stillen. Das eine ist für Männer, das andere für Frauen bestimmt. Die PoHzei kennt diese Häuser sehr gut, hat aber keine Veranlassung zum Einschreiten, da alles geordnet und decent her- geht. Die Wartesäle sind luxuriös ausgestattet und mit Büchern, Zeitungen u. s. w. versehen. Für die erste Morphium-Injection werden 5 Frcs. verlangt, die folgenden kosten nur die Hälfte. Der grösste Theil der Besucher und das ist charakteristisch besteht aus jungen Männern und jugendlichen Frauen.

Wie Barroughs vor der „Brit. Pharm. Conf." mittheilte, ist die em- pfehlenswertheste Form, Ricinusöl zu nehmen, eine Mischung mit glei- clien Theileu Malzextrakt; letzteres verdeckt den Geschmack des Oels vollständig.

Eine zweckmässige Verfügung ist im Herzogthum Sachsen- Meiningen zur Verhütung von Missgriffen bei Arzneimitteln erlassen worden: es sollen die zum innern Gebrauch verordneten flüssigen Arzneien nur in runden Gläsern mit Zetteln von weisser Grundfarbe, die zum äusseren Gebrauch verordneten flüssigen Arzneien dagegen nur in sechseckigen Gläsern, an welchen drei nebeneinander liegende Flächen glatt und die übrigen mit Längsrippen versehen sind, mit Zetteln von rother Grund- farbe abgegeben werden dürfen. Die qu. Bestimmung tritt am I.Januar 1892 in Kraft.

Um dem Malthusianismus, welcher in Frankreich viel zur bedenk- lichen Abnahme der Bevölkerungszahl beiträgt, entgegenzuwirken, hat

der bekannte Professor der Geburtshülfe an der Pariser medieinischen Fakultät und derzeitige Präsident der ,,Academie de Medicine", Dr. Tarnier, einen Preis von 100 Frcs. jeder Familie seiner Vaterstadt Aresur-Tille (eines 10,000 Einwohner zählenden Ortes), ausgesetzt, welcher im Laufe des Jahres 1892 ein Kind geboren wird.

Das Lehnbach'sche Bild Rudolph Virchow's ist vorläufig in der Bi- bliothek der Berliner Medieinischen Gesellschaft aufgestellt. Später wird es seinen Platz im Langenbeck-Hause erhalten, das voraussichtlich im nächsten Jahre seiner Bestimmung übergeben werden kann.

Ein Professor der Hygiene hatte jüngst in einem frankfurter Blatte aus Anlass der Trichinosis in Alteno behauptet, die Trichinenschau sei überflüssig, sowie ferner, dass bei amerikanischen Schweineproduc- ten jede Trichinengefahr ausgeschlossen sei, da in dem amerikanischen Fleischimport Trichinen lebend nicht mehr vorkämen. Bei der Wich- tigkeit der Angelegenheit wandte sich die Redaction derAllgem.Fleischer- Ztg. mit einer Anfrage an Virchow, der in liebenswürdigster Weise um- gehend antwortete: „Es wäre mehr als thöricht, lautet u. A. die Ant- wort — wenn man auch nur darüber discutiren wollte, ob die mikros- kopische Untersuchung wieder aufgegeben werden solle. Wenn dieselbe keine absolute Sicherheit gewährt, so verkleinert sich doch die Gefahr in einem so hohen Masse, als es durch menschliche Einrichtungen über- haupt möglich ist. ... In Preussen sind im letzten Jahre (1890-91) allein etwa 520 Schweine trichinös befunden worden. Welcher Schaden würde dadurch angerichtet worden sein, wenn diese sämmtlich in den Handel

48

gelangt wären !" Was nun das Vorkommen lebender Trichinen in ameri- kanischem Schweinefleisch betrifft, so hat Virchow im Jahre 1884 eine umfassende Recherche in Deutschland veranstaltet. Das Ergebniss derselben war in der Hauptsache negativ, doch kamen in Bremen auch einige Fälle vor, die zu Bedenken Anlass bieten konnten. In Folge des- sen bestand Virchow, wie er schreibt, darauf, dass auch das importirte Schweinefleisch einer Untersuchung unterzogen werden müsse.

An Stelle des zum ordentlichen Professor für innere Medicin ernann- ten Prof. von Schrötter ist der bekannte Laryngolog Prof. extraord. C. Stoerk ^.um Direktor der laryngologischen KUnik an der Wiener Univer- sität ernannt worden.

Die französische Gesellschaft für Hygiene bestimmt eine Goldme- daille im Werthe von 200 Frcs., eine silberne Medaille und zwei Bronce- medaillen den Autoren der besten Arbeiten über das Thema: „Welches Verfahren ist am besten vor der Ankunft eines Chirurgen zu befolgen bei Personen, welche die Opfer von Unfällen in Fabriken, oder auf öffent- lichen Strassen geworden sind ? Näheres ist zu erfahren in der Office der Gesellschaft, 39 Rue de Dragon, Paris.

Ein sicher wirkendes, von schädlichen Nebenwirkungen freies ört- liches Anaestheticum, erzeugt durch Kälte, bildet die Anwendung flüs- siger Kohlensäure, welche concentrirt werden kann in eine me- tallene Klammer, ein Haadstück, dem man eine beliebige Form, selbst die der zartesten Sonde (Katheder-Form) geben kann, so dass eine Ver- wendung auch für therapeuthische Zwecke geeignet erscheint. Welche Bedeutung dieses Anaestheticum bei grösseren Operationen gewinnt, ist jüngst im Marienkrankenhause zu Hamburg im Beisein mehrerer Aerzte constatirt worden. Dr. Kümmel hat das Mittel mit dem besten Erfolge bei einer Schenkeloperation an einem 13jährigen Knaben angewendet. Derselbe sah ohne Zucken zu, wie der über 12 cm. lange und tiefe Ein- schnitt angelegt wurde.

Man hielt bis jetzt flüssigen (durch Druck und Kälte konaensirten) Sauerstoff für farblos. 0 1 s z e w s k y , dem es gelang, eine 30 Mm. dicke Schicht desselben herzustellen, fand, dass er eine hell himmelbaue Far- be hat.

Personalien.

Gestorben: Dr. Charles Vogler, aus Newark, N. J. Verzogen: Dr. Wm. G. Mangold, nach No. 70 Seventh St.

Dr. Max. Einhorn. ; Stellvertretender Redacteur.

An die Lesei*.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w., sind zu richten an : " Medical Monthly Publishing Co.," 17—27 Vandewater Street, New York.

Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Herausgeber zu richten.

Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse unseres Blattes im Osten thätig.

New Yorker

Medicinische Monatsschrift

Organ für praktische Aerzte in Amerika

unter Mitwirkung von

Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert herausgegeben von Dr. F. C. HEPPENHEIMER. Verlag der Me<lical Monthly Publishing Company, 17-27 Vandewater Street, N. ¥•

Bd. IV. New York, 15. Februar 1892. No. 2

ORIGINALAEBEITEN. I.

Ueber die vortheilhafte Wirkung einiger gerbsäurehaltiger Arzneistoffe beim chronischen nicht coniplicirten Dünndarmcatarrh .*)

von

Dr. Leonard Weber.

Mein klinischer Beitrag für heute Abend umfasst die Betrachtung der Wirkungsweise von extr. Monesiae, extr. rad Columbae und radix. Rhatanhae, dreier Mittel, von welchen ich besonders die zwei ersten eine Reihe von Jahren hindurch in der Behandlung des chronischen nicht complicirten Dünndarmcatarrhs erfolgreich verwendet habe.

1. Extractum Monesiae, aus der Rinde von Chrysophyllum glyciphlo- rum, einem in Brasilien heimischen Baum gewonnen, wurde, wie mir der hier verstorbene Dr. Gescheidt, als er mich vor vielen Jahren auf das Mittel aufmerksam machte, mittheilte, in den 40er und 50er Jahren ziem- lich viel gebraucht, ist aber später in Vergessenheit gerathen. Hey- denreich (1839) fand in dem Extract 52% Tannin und 36% einer süss- lichen Substanz, wahrscheinlich Glycyrrhicin, die mit SO3 nicht praecipitirte noch gährungsfähig war. Es kommt in den Handel in un- regelmässigen dunkelbraunen Stücken, ist in Wasser löslich und hat einen Anfangs süsslichen, adstringirenden später andauernd herben Ge- schmack. In kleinen Dosen von l ^ gramm stimulirt es den Magen, in grösseren von 1-2 gramm stört es die Magenverdauung und ver- stopft.

2. Die bekannte Ratanhawurzel, radix Krameriae, stammt von einem Strauchgewächs aus den Gebirgen von Bolivia und Peru. Die

*) Vortrag gehalten in der Sitzung der Deutschen Medicinischen Gesell Schaft von New York am 1. Februar 1892.

50

Payta Satanha soll besser sein als die Savanilla Varietät. "Wittstein (1854) fand darin 18% Tannin, etwas Wachs, Gummi und ziemlich viel nicht krystallisirbaren Zucker. Das Extract schmeckt schärfer als das von Monesia, ist ihm in der Wirkung ähnlich, erzeugt aber leichter dys- peptische Beschwerden und wird weniger gut vertragen.

3. Eadix Columbae, die Colombowurzel, hat den Namen von Kolumb, die afrikanische Benennung der Wurzel. Sie entstammt einem mächtigen Schlinggewächs, das in den Wäldern von Mozambique und S. O. Afrika vorkommt. Boedeker und Buchner fanden darin Columbin, Berberin, sodann eine der Wurzel eigene Säure, ziemlich viel Stärke, etw^as Harz, Gummi und Wachs. Seit lange schon wird das Extract und besonders die Tinctur als stomachicum gebraucht entweder für sich oder wie Gentiana als Zusatz zu Mixturen. Eine besonders adstringirende oder verstopfende Wirkung habe ich von diesem Mittel nicht beobachtet, obschon es in Indien gegen Diarrhoe und Dysenterie in Form von Aufguss oder Abkochung viel gebraucht wird.

Aus der ziemlich ansehnlichen Reihe von Fällen (ca. 30) von chroni- schem uncomplicirten Dünndarmkatarrh bei Erwachsenen beiderlei Geschlechts, welche ich in den vergangenen 25 Jahren mit diesen Mit- teln, resp. mit Monesia oder Rhatanha mit Columba - Zusatz behandelt habe, will ich nur jene herausgreifen und Ihnen kurz mittheilen, welche schon lange bestanden und verschiedenen Behau dluugsweisen getrotzt hatten, bevor jene Arzneien für sie verordnet wurden :

1. C. K , Kaufmann, alt 50, seit Jahren in New Orleans, U. S.

ansässig, litt jeden Sommer dort an Diarrhoen und kam im Herbst 1864 in kläglichem Zustande hierher, war ausserordentlich abgemagert und hydropisch geworden, nicht mehr im Stande zu gehen. Chinin, Bis- muth, Bleisalze und Opium etc., waren reichlich ohne jeden Er- folg, mit und ohne Klimawechsel, lange Zeit gebraucht worden. Or- ganische Erkrankung konnte mit grosser Wahrscheinlichkeit ausge- schlossen werden. P. nahm die ersten 3 Wochen von extr. Monesiae 2 Gramm pro die mit Conserva. Rosarum und Honig in Form einer Lat- werge gegeben, dabei 0.06 extr. Opii aqu. Morgens und Abends, um der Hyperperistaltik des Darms Einhalt zu thun, die nächsten 3 Wochen dieselben Gaben ohne Opium, die letzten 3 ein Gramm pro die und war nach 3 Monaten wiederhergestellt.

2. Frau R , ca. 45 J., aus Georgia, acquirirt chronische Diarrhoe

im Anschluss an Malaria und Febris remittens. Als sie in meine Be- handlung trat im Jahre 1872, bestand das Leiden schon nahezu 2 Jahre, P. hatte verschiedene Kuren durchgemacht, wohnte schon seit langem in gesunder Gegend, war malariafrei, konnte aber den Darmcatarrh, der sie sehr herunter gebracht, nicht los werden. Mit Monesia Extract in ziemlich derselben Weise wie Fall 1 behandelt (aber ohne andern Zu- satz) wurde sie binnen 3 Monaten geheilt.

3. Frau L , Bäckersfrau, alt 48, war wegen chronischen Darm- catarrh, der aus einem acuten hervorgegangen war, seit zwei Jahren

51

behandelt worden und kam im Jahre 1885 nicht geheilt zu mir. In 6 Wochen gelang es P. mit extr. Monesiae ohne andere Mittel von ihrem Leiden zu befreien, und waren etwa 24 Gramm in Gaben von ^ Gramm 3 Mal täglich verbraucht worden.

In den nächsten 3 Fällen, welche ich noch mitzutheilen habe, und in mehreren anderen verordnete ich das Mittel nicht mehr in Latwergen, sondern Pillenform mit extr. Columb. Zusatz und zwar so : Extr. Mone- siae, Columb, ca. 15.0. Extr. Gent, et Glycer. q. s. f. pil. 120. Die Pillenmasse soll weich sein und mit Hilfe von Glycerin so erhalten wer- den. Die Pillen können auch in Gelatinkapseln dispensirt werden.

Von diesen Pillen lasse ich 2-3-4 Stück 3 Mal täglich nehmen. Es macht sich diese Art der Verordnung natürlich viel bequemer als die Latwerge.

4. Herr C. W . . ., Kaufmann, 44 J., seit ca. 5 Jahren Neurastheniker, ziemlich schwere Form, bekam während seines Aufenthaltes in Europa vor 3 Jahren ziemlich heftigen Anfall von Verdauungsstörung, die in Diarrhoe überging und trotz zweckentsprechender Diät und Arznei- mittel verschiedener Art chronisch wurde. Auch in diesem Falle be- währten sich die beiden Mittel, der Catarrh wurde mit etwa 4 Schachteln voll der genannten Pillen im Jahre 1889 zur Heilung ge- bracht und ist es geblieben.

5. Frl. H. . . ., 40 alt, Köchin, früher gesund, fing an im Herbst 1890 ganz profus ex utero zu bluten und wurde ihr Zustand bald so bedenk- lich, dass ein radikales Verfahren nothwendig wurde, um das Leben der P. zu retten. Im Deutschen Hospital im letzten Winter aufgenommen wurde sie von Herrn Dr. Krug operirt, resp. Uterus und Ovarien ent- fernt.

Die Heilung und Wiederherstellung des P. ging gut von Statten. Nachdem P. das Hospital verlassen, ging sie zur Erholung zu einer ihr bekannten Familie in Far Bocka way, wurde dort bald dyspeptisch, und fing an an Diarrhoe zu leiden. Als ich sie im Oct. v. Jahres wiedersah, fand ich sie ausserordentlich heruntergekommen, die Diarrhoe nicht geheilt. Da der Zustand 'doch eben subacut war, so glaubte ich mit Bettruhe, stricter Diät und Bismuth, in Verbindung mit kleinen Dosen Morphin zum Ziel zu kommen. Doch half das nicht, grössere Dosen Opium und Bismuth auch nicht. Auch hier bewährten sich die Monesia und Columbapillen und war P. bald durch dieselben geheilt, ist jetzt wohl und im Stande zu arbeiten.

6. C. F. M. . . ., alt 42, Tabakshändler, hat früher viel getrunken und geraucht und leidet seit ca. 3 Jahren an chronischer Diarrhoe, auf wahrscheinlich nervöser Basis. P. ist noch nicht besonders herunter- gekommen, sieht jedoch blass und angegriffen aus. Organische Erkran- kung habe ich bis jetzt nicht nachweisen können, habe aber mit den genannten Mitteln bis heute nur Besserung erzielt. P. ist jetzt 10 Wochen in Behandlung und hat ungefähr 30,0 von jedem Mittel in Pillenform genommen. Es ist wahrscheinlich, dass in diesem Falle ein

52

complicirendes Moment vorliegt, welches mir bis jetzt bei der Unter- suchung entgangen ist, das aber den Heilungsverlauf stört, vielleicht vereitelt.

Wenn es die in diesen Mitteln enthaltene Gerbsäure ist, welche die anerkennenswerthen Heilresultate geliefert hat, so könnten, wenn die- selbe für sich gegeben würde, dieselben Wirkungen erzielt werden. Ich habe das auch probirt aber dabei gefunden, dass es gar nicht lange dauerte, bis nach Darreichung von nicht eben grossen Dosen Tannin dyspeptische Beschwerden entstehen und das Mittel bei Seite gelassen werden musste. Monesia und Columba zusammen machen nicht nur keine Magenbeschwerden, sondern werden gut ver- tragen und scheinen bei ihrer weiteren Aufnahme im Magen-Darm- kanal die ihnen eigenen adstringirenden Principien in einer Weise zur Entfaltung zu bringen, wie es Tannin für sich nicht im Stande ist. Es ist auf diesen Umstand sowohl als auch beson- ders darauf Gewicht zu legen, dass wir bei Behandlung mancher chronischer Störungen ein positives Eesultat erhoffen dürfen, wenn wir im Stande sind, gut wirkende Mittel lange genug zu geben, ohne Gefahr zu laufen, durch unangenehme Nebenwirkungen die Heil- kraft derselben aufzuheben. Sowohl die Beobachtungsreihe der Fälle als die darüber hingegangene Zeit sind lang genug, um mir die Be- rechtigung zu geben, genannte Mittel und deren Verbindungen Ihrer gefälligen Beachtung zu empfehlen.

II.

Ein einfaches und sicheres Verfahren bei der Einspritzung der Hydrocele mit Carbolsäure.*)

Von

Dr. L. Weber.

New York.

Die Mitglieder erinnern sich wohl, dass ich vor etwa 5 Jahren vor dieser Gesellschaft vortrug über meine Modification der LEVis'schen Methode der Einspritzung von 2,0 acid carbol. conc. in den Hydrocelensack zum Zwecke der Erregung adhäsiver Entzündung und Heilung der Hydrocele.

Nach Abfluss des Hydrocelenwassers spritzte ich durch die in situ gebliebene Kanüle von einer Mischung von acid carbol. Alcohol und Wasser aTa 2 bis 3 Unzen in den Sack, agitirte die Flüssigkeit ein paar Minuten ähnhch wie bei Einspritzung mit LuGOL'scher Lösung und liess sie dann möglichst vollständig wieder ablaufen. Die betreffende Kanüle darf nicht weniger als 3 mm Querdurchmesser haben, und muss dieHydrocelenflüssigkeit möglichst vollständigvorher entfernt sein, sonst giebt es flockige Gerinnung und Schwierigkeiten bei der Entleerung der

*) Nach einer in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York

im December l.s91 gemachten Mittheilung.

53

eingespritzten Flüssigkeit. Icli sagte ferner, dass genannte Ein- spritzung geradezu schmerzlos sei, und dass ich 7 Fälle nach dieser Methode und ohne irgend üble Zufälle oder Recidiv geheilt habe. Eine Anzahl CoUegen hier und an anderen Orten sind mit den Ergebnissen dieser Behandlungsart der Hydrocele zufrieden gewesen in geeigneten Fällen. Wenige Monate später publicirte Keyes von hier, dass er sich nach Levis der concentrirten Carbolsäure zur Einspritzung des Hydro- celensacks bediene und damit in einer grossen Reihe von Fällen vor- zügliche und dauernde Heilresultate gehabt habe. Keyes geht in der folgenden Weise vor. Im unteren Umfange der Geschwulst sticht er die Hohlnadel eines kleinen Aspirators geschlossenen Hahnes ein, unmittel- bar darauf etwa 1" 1^" davon nach aufwärts inserirt er in den Sack eine zweite Hohlnadel, durch welche er die Einspritzung macht. Jetzt aspirirt er durch die erste das Exsudat, entfernt die Nadel und spritzt durch die in situ gebliebene, obere Nadel eine Drachme mit Glycerin flüssig gemachter Carbolsäure in den Sack, die nach sofortiger Entfer- nung der Hohlnadel im Sack verbleibt, ohne jemals lokalen oder all- gemeinen Schaden angerichtet zu haben, wie er mir kürzlich mittheilte.

Meine letzten 3 Fälle habe ich nun erfolgreich, und bis jetzt ohne Recidiv, in folgender ganz einfacher und vom praktischen Arzte leicht zu handhabender Weise operirt. Ich steche mit diesem 10 ctm langen und 1 mm weiten Trokar tief ein und lasse das Serum vollständig ab- laufen, was nur wenige Minuten in gewöhnlichen Fällen in Anspruch nimmt, setze dann meine mit der Hohlnadel genau ins Trokarlumen passende Spritze an, welche 1 Drachme Flüssigkeit hält und mit 2 Theilen Carbolsäure und 1 Theil Alcohol gefüllt ist, und spritze den ganzen Inhalt derselben ein, entferne die Nadel sofort und mache, mit der einen Hand die Leistengegend comprimirend, mit der anderen leicht reibende Bewegungen über dem Hodensack, um die Flüssigkeit gut zu vertheilen und die schmerzlose Operation ist beendet. Der Sack schwillt in den nächsten Tagen wieder an, ohne Beschwerden zu machen, verkleinert sich aber bald und kehrt im Laufe von 2 3 Wochen zur Norm zurück. Alle dünnwandigen Hydrocelen serösen Inhalts eignen sich für diese sowohl bequeme als nach jeder Beziehung gefahrlose Behandlung. Die betreffenden Instrumente können von Tiemann, 107 East 28. Str., bezogen werden.

III.

Soor des Rachens und der Nasenhöhle bei einem Erwachsenen als Begleiterscheinung der Influenza.

Von

Dr. Max Thorner,

Cincinnati, O.

Unter den Mycosen des Mundes und des Rachens hat der Soor (engl.: thrush, französ.: muguet) bis vor Kurzem noch eine eigenartige

54

Stellung eingenommen; Einmal war es die Verschiedenheit der Mei- nungen hinsichtlich der Natur des pathogenen Fungus, der von den älteren Autoren als Oidiiim albicans bezeichnet, später aber als iden- tisch mit dem Oidium lacüs angesehen wurde. Neuere Forscher clas- sificirten ihn als Mycoderma vini (Grawitz), oder Saccharomyces albicans (Rees), oder Monilia Candida (Plaut). Andererseits aber waren die Ansichten hinsichtlich seines Vorkommens bei Erwachsenen, und namentlich seine pathognomonische Bedeutung bei ihnen, sehr getheilt. Im Allgemeinen kann man sagen, dass Soor am häufigsten bei jungen Kindern, bei Säuglingen, angetroffen wird, und namentlich bei solchen, die schlecht genährt oder aus anderer Ursache schwächlich sind, oder die in ungeeigneten hygienischen Verhältnissen leben. Höchstwahr- scheinlich geht der Ansiedelung des Pilzes eine Verletzung der Schleimhaut voran. „Der einzige astiologische Factor, der von allen Seiten zugestanden wird," sagt Forchheimer,^*) in seiner kürzlich er- schienenen, vortrefflichen Monographie über die Krankheiten des Mundes bei Kindern, „ist das Vorhandensein einer catarrhalischen Stomatitis, entweder vor dem Auftreten des Soors, oder gleichzeitig mit demselben." Uebrigens gibt derselbe Autor auch an, dass es Fälle gibt, in welchen augenscheinlich vollkommen gesunde Säuglinge mit Soor behaftet sind. Bei älteren Kindern, und namentUch bei Er- wachsenen, ist Soor im Allgemeinen eine ziemlich seltene Erscheinung, obwohl die meisten Autoren rückhaltslos zugeben, dass sich derselbe in jedem Alter entwickeln kann. Doch selbst neuere Schriftsteller legen besonderes Gewicht darauf, dass Soor bei Erwachsenen meistens nur im Gefolge von chronischen und erschöpfenden Krankheiten ge- sehen wird, obgleich einige Ausnahmen vorhanden sind. So beschreibt EiCHHORST^) den Fall eines zwanzigjährigen Mädchens, die ein und ein halb Jahr lang mit Soor der Zunge behaftet war. Sie war immer bleich und schwächlich gewesen ; im Uebrigen konnte jedoch bei ge- nauester Untersuchung nichts Abnormes entdeckt werden. Löri^) berichtet über einen Fall, in welchem eine fünfzigjährige Frau ausge- dehnte Auflagerungen von Soormassen auf der Schleimhaut des Mundes, Pharynx, Oesophagus, der Epiglottis und den Aryepiglotti- schen Bändern hatte. Die Frau war sonst völlig gesund und starb nach sechs Monaten an Erschöpfung. Derselbe Autor sah ebenfalls einen Fall einer kritisch endenden fibrinösen Pneumonie, bei welcher mit dem am siebenten Tage stattfindenden Eintreten der Krise sich ein schnell sich ausbreitender Soor zeigte, der sich über Mund, Pharynx und Larynx erstreckte. In diesem Falle genas der Patient.

*>) The diseases of the Mouth in Children (Non Surgical). By F. Foech- HEiMEE. Phila., 1892, p. 54 sequ.

^) Specielle Pathologie und Therapie. Wien.

2) Die durch anderweitige Erkrank, bedingt. Veränderung d. Rachens, u. s. w. Stuttgart, 1885, p. 67. '

55

FoRCHHEiMER») thut ebenfalls der Thatsache specielle Emähnung, dass wir bei Erwachsenen auch in acuten Krankheiten, die von grosser Schwäche begleitet sind, Soor vorfinden können. Schech^) sagt, dass Kachensoor auch bei gesunden Personen vorkommen kann ; dass er aber hauptsächlich bei Erwachsenen sich bei schweren Krankheiten und marantischen Zuständen findet. Die meisten Autoren sind jedoch der Ansicht, dass Soor bei Erwachsenen sich fast ausschliesslich als das Eesultat schwächender Krankheitsprocesse von langer Dauer, als Phthisis pulmonum, Krebs, Diabetes, Leukämie, Typhus, chronische Entero-Colitis u. s. w., zeigt. Einige Autoren sehen sogar das Auftre- ten des Soors im Laufe dieser Krankheiten als ein prognostisch sehr ungünstiges Symptom an. So schreibt Helmkampf^), dass man ihn bis auf seltene Ausnahmen nur am Ende langwieriger, erschöpfender Krankheiten auftreten, und deshalb dem tödtlichen Ausgange nahe vorausgehen sieht. „Hier ist er deshalb prognostisch ein schHmmes Zeichen." ^ Henry T. Butlin^) sagt: "It occurs almost only in adults who are subjects of slowly progressive and fatal diseases." Gleicher Ansicht ist Jules Simon^) : „Le muguet survenant ä la fin des maladies consomptives, la phthisie par exemple, se montre comme l'expression symptomatique d'une fin prochaine." In ähnlicher Weise sprechen sich J. Solis-Cohen*^), Soltmaxn'), Leube^) und viele Andere aus.

Der folgende Fall von Soor beansprucht ein gewisses Interesse, weil er sich bei einem Erwachsenen, der sich vorher der allerbesten Gesundheit erfreut hatte, während der vorherrschenden Influenza-Epi- demie, nach dreiwöchentlicher Krankheitsdauer, entwickelte.

Am 18. Januar 1890, wurde ich spät Abends in grosser Eile zu einem Patienten des Herrn Dr. Wm. Carson gerufen, um eine heftige Nasenblutung zu stillen. Der Patient, ein junger Mann von 17 Jahren, ausserordentlich kräftig entwickelt für sein Alter, hatte seit etwa drei Wochen einen schweren Anfall von Influenza, An demselben Tage hatte er schon einmal leichtes Nasenbluten gehabt ; während des Abends wurde es sehr stark, so dass die Eltern mit gewöhnlichen Mitteln dasselbe nicht stillen konnten. Ich fand den Patienten sehr geschwächt, so schwach in der That, dass er bei dem Versuche vom

') loc. citat.

2) Die Krankheiten d. Mundhöhle, d. Rachens u. d. Nase, Aufl., Leipzig und Wien, 1888, p. 187.

^) Diagnose u. Therapie d. Erkrankung d. Mundes u. Rachens. Stuttgart, 1886, p. 134.

4) Diseases of the Tongue. London, 1885, p. 383.

•^) Nouveau dict. de Med. et de Chirurg, prat., Paris, 1877. Tome 23, p. 173.

6) Pepper's System of Medicine. Vol. II., p. 332. ') Realencyclop. der ges. Heilk., 2. Aufl., 1877. Bd. xviii., p. 376, Specielle Diagnose d. inn. Krankb., 2. Aufl., p. 2X6.

56

Bett zu einem Stuhle zu gehen, der nur wenige Fuss entfernt war, ohn- mächtig wurde. Die rhinoskopische Untersuchung ergab eine Erosion an der linken Seite des knorpeligen Septums, aus welcher man das Blut herauströpfeln sah, und an der Stelle, wo man in der Mehrzahl der Fälle von Epistaxis die Ursache derselben findet. Cocain- und darauffolgende Chromsäure-Application schlössen die Erosion und brachten die Blutung zum Stillstande. Einige Tage später fand eine nochmalige, geringe Nasenblutung statt, bei welcher Patient jedoch nur wenig Blut verlor.

Am 27. Januar ersuchte mich Dr. Carson, da er krank war, den jun- gen Mann wegen einer intercurrirenden Halsaffection in Behandlung zu nehmen, die sich am Tage zuvor eingestellt hatte. Der junge Mann schien mir bei meinem Besuche noch schwächer als früher zu sein. Er klagte über Schmerzen im Mund und Halse, ausserordentliche Trockenheit in demselben. Seine Temperatur war etwas über der Norm, der Puls schwach, jedoch regelmässig. Status jpi^aes.: Die Schleimhaut des weichen Gaumens und des Eachens ist tief roth, ausserordentlich glänzend und trocken. Auf beiden Mandeln befinden sich zahlreiche weisse Flecken von verschiedener Grösse, die sich ohne grosse Mühe entfernen lassen. Das Bild, das sich zeigte, war, man möchte sagen, typisch für Tonsillitis follicularis. Ein einfaches, antiseptisches Gurgelwasser wurde verordnet, und im Allgemeinen das frühere regime des Hausarztes beibehalten. Am folgenden Tage war folgende Veränderung wahrzunehmen : Anstatt einer grossen Anzahl weisser, disseminirter Flecken war jetzt eine zusammenhängende, membranähnliche weisse Auflagerung auf beiden Mandeln. Aehnliche weisse Flecken, von kleinerem Umfange, waren auf dem weichen Gau- men und dem Zäpfchen zu sehen, ein Bild, das dem der Diphtheritis sehr ähnlich war. Gegen diese Diagnose sprach jedoch die Tempera- tur und der allgemeine Zustand des Patienten. Am folgenden Mor- gen konnte ich eine Ausdehnung des Processes auf die Seiten und die hintere Rachenwand wahrnehmen, und zu gleicher Zeit feststellen, dass der Process sich herdweise verbreitete, und dass die grossen, plaques-ähnlichen Auflagerungen sich aus kleinen, circumscripten Herden durch Confluiren derselben bildeten. Es war nunmehr augen- scheinlich, dass hier eine Mycose vorlag. Es war nicht schwierig ein Stückchen dieser Massen vom Pharynx zu entfernen, unter denen die Schleimhaut tief roth, und von samtartiger Rauhigkeit war. Das ent- fernte Stückchen wurde von mir und Herrn Dr. J. L. Krouse mikros- kopisch untersucht. Es bestand aus zahlreichen Epithelzellen und einem Gemisch von Pilzmassen. Untersuchungen in ammoniakalischer Lösung und in Glycerin wurden gemacht, gaben aber kein so gutes Bild als wir erhielten, wenn wir nach tüchtigem Zupfen mit Nadeln in einfachem Wasser untersuchten. Es ergab sich dann, dass die Pilze Oidium albicansi) waren. In der That waren die zur Untersuchung

1) Cf. Einleitung, bez. der botan, Classi^catlon dießes Pilzes,

57

gelangenden Präparate typisch ; man konnte neben den Epithelzellen deutlich die schlanken, gegliederten Mycelfäden, die Kerne in ihren langen cylindrischen Zellen, die Sporangien und einzelnen Sporen unterscheiden.

Während der folgenden Tage ereignete sich etwas ganz Unerwarte- tes. Der weisse, membranartige Belag dehnte sich allmählig nach oben in den Nasenrachenraum aus, wobei er schliesslich das ganze Kachendach und die Gegend der Tuba Eustachii einnahm. Der Patient empfand dieses Fortschreiten des Processes in sehr unangenehmer Weise, indem er nicht nur ein höchst belästigendes Gefühl von Fremd- körpern im Nasenrachenräume und der Völle des ganzen Kopfes hatte, sondern auch an Schwerhörigkeit und snbjectiven Geräuschen litt. Es war leicht und zugleich sehr interessant, das Fortschreiten der Pilzmassen mit dem rhinoskopischen Spiegel zu verfolgen, wie sie nach und nach die Choanen erreichten und dann sich in beide Nasenhöhlen fortsetzten. Zur Zeit, als die Mandeln, der Gaumen und der untere Theil des Rachens schon keine Auflagerungen mehr vorzeigten, er- schienen dieselben zuerst im rechten Nasenloche, während sie im lin- ken erst am folgenden Tage auftraten. Bei dieser Gelegenheit sah Dr. Krouse den Patienten, und einige Massen, die von der Nasenhöhle entfernt wurden, zeigten unter dem Mikroskop dieselben histologi- schen Eigenschaften wie das erste, vom Pharynx entfernte Specimen. Während dieser Wanderung der Pilzmassen durch die Nase litt Patient ausserordentlich an Verstopfung der Nase.

Die lokale Behandlung bestand hauptsächlich in Auswaschen des Nasenrachenraums und der Nase mit einer Lösung vonNatr. bicarbon. Die Dauer dieser Affection, von dem Tage an, wo sie zuerst bemerkt wurde, bis zum Tage ihres Verschwinden von den Nasenlöchern, war zwölf Tage. Während dieser Zeit war die Temperatur nie über 39,5° gestiegen. Jedoch war Patient während der ganzen Zeit ausserordent- lich schwach. In der That sah Dr. Carson ihn als denjenigen seiner Patienten an, der am allermeisten die allgemeine Prostration nach In- fluenza zu der Zeit zeigte. Seine Reconvalescenz ging sehr langsam vor sich, und es bedurfte vieler Wochen und einer Reise nach Cid Point Comfort und Florida, bevor er seine frühere Gesundheit wieder erlangt hatte.

Wir haben es hier mit einem Falle von Soor beim Erwachsenen zu thun, der in Folge eines ungewöhnlich heftigen Anfalls von Influenza sehr geschwächt war. Der Punkt grössten Interesses scheint jedoch die Lokalität zu sein, in welchem sich der Pilz entwickelte. Man mag zugeben, dass die Pilzwucherung ihren Ursprung irgendwo an der Zunge, dem gewöhnlichsten Sitz dieser Affection, genommen habe, selbst einige Tage bevor die Halssymptome zur Untersuchung des Halses aufforderten. Nachdem der Soor die Mandeln und die Rachen- wand erreicht hatte, nahm er einen ganz ungewöhnlichen Verlauf, als er von dort in den Nasenrachenraum fortwucherte und von dort in die J^aseßliöhlen, bis er den ^^senlöcbern angelangt war uftd Wer durcli

58

die Epidermis am weiteren Fortschreiten verhindert wurde. Die meisten Autoren sind der Ansicht, dass die Gegenwart von Pflaster- epithel eine der Hauptbedingungen für die gedeihliche Entwickelung der Soorpilze sei, und dass aus diesem Grunde die Nase beinahe immer von der Ansiedelung dieses vegetabilischen Parasiten verschont bleibe. So sagt Henoch') ; " Bemerkenswerth ist, dass der Soor, auch wenn er im Pharynx noch so stark entwickelt ist, sich doch nie in die hintere Partie der Nasenrachenhöhle hineinerstreckt." Eichhorst^) citirt Keubold, dass Schleimhäute, die mit Cylinder- oder Flimmerepithel ver- sehen sind, energischen Widerstand gegen das Wachsthum des Soors bieten. Nur in Ausnahmefällen würde er im Magen, in der Nase u. s. w. gefunden. Auch Bütlin^) und Vogel-*) sprechen von dem Auf- treten des Soors als auf diejenigen Theile der Schleimhaut beschränkt, die Plattenepithel haben. Jules Simon-^) sagt : „Rarementil s'etend ä la face posterieure du pharynx et jamais on ne le voit se propager dans la cavite des fosses nasales, ni dans la trompe d'Eustache." Ferner sagen J. Solis-Cohex*^), Adolph Struempell") und andere, dass Soor nie im Nasenrachenraum oder der Nasenhöhle beobachtet sei. Da- gegen finden wir jedoch, dass Schech») und Moldenhauer^) von der Möglichkeit sprechen, dass der Soorpilz vom Mund und Pharynx in die Nase wandere, bei Kindern sowohl als auch bei Erwachsenen in marantischen Zuständen, obwohl Flimmerepithel keinen günstigen Boden für das Wachsthum des Pilzes abgebe. Soltmannw) schreibt : „Wie nach unten, so wuchert umgekehrt der Mycel auch nach auf- wärts, ohne sich durchaus nicht an die Pflasterepithelstätten zu hal- ten; denn man findet bei Kindern mit angeborener Gaumenspalte auch die Schleimhaut des Vomer und der Conchen mit Soormassen gefüllt. Und Valentini'), in Bern, hat den Fall eines neunjährigen Mädchens berichtet, bei dem der Soor sich über die Schleimhaut des harten Gaumens, des Nasenrachenraums und der Gegend des Ostium tubae Eustach. erstreckte, und wo der Pilz im Mittelohr gefunden wurde, wo die Nase jedoch frei blieb. Und F. Förch heim er i-) spricht sich in die- ser Beziehung so aus, dass „Plattenepithel eine sehr untergeordnete Rolle in der Entwickelung des Soors spiele".

') Vorlesungen üb. Kinderkrankh., II. Aufl., Berlin, 1888. p. 80.

2) Loc. citat.

3) Loc. citat.

4) Ziemssen's Specielle Pathol. u. Therap., II. Aufl., Leipzig, 1878, vol. VII., p. 64.

Loc. citat.

6) Loc. citat.

7) Lehrb. d. speciell. Pathol. u. Therap., III. Aufl., Leipzig, 1886, vol. L, p. 515.

s) Loc. citat.

9) Die Krankheit, d. Nasenhöhlen. Leipzig, 1886, p. 126. 1") Loc. cit.

Ji) Citirt von Sajous' Annais of the Univers, Med. öcienc 1889, vol. IV., c, 16. ItQQ, citat,

59

Dieser Fall stellt demnach zwei Thatsachen fest: Erstlich, dass Soor sich beim Erwachsenen im Gefolge acuter Krankheiten, die mit grosser Schwäche einhergehen, einstellen kann, und dass sein Auftreten als ein prognostisch nicht so absolut schlechtes Zeichen anzusehen ist, als einige Autoren zu glauben scheinen; und zweitens, dass Soor, wenig- stens in Ausnahmefällen, sich in der Nasenhöhle entwickeln kann, ein Beweis, dass Flimmerepithel nicht ein unüberwindbares Hinderniss für seine Entwickelung abgibt. Ob ähnliche Fälle während der letzten drei InÜuenza-Epidemien beobachtet worden sind, konnte ich aus der mir zur Verfügung stehenden Literatur nicht ersehen.

366 West Eighth strebt.

IV.

Ein Fall von haemorrhagischem Exanthem nach Jodsalzen.

Von Dr. Hoening,

Hoboken.

Am 4. Mai 1891 kam Mr. E., 64 Jahre alt, wegen einer Infiltration der Oberlippe in meine Behandlung. Ausser einem kurze Zeit dauern- den Icterus vor drei Jahren ist er niemals ernstlich krank gewesen. Er ist auffallend starkknochig und musculös. Organe gesund, ausser beginnender Cataract des linken Auges und leichter Sclerose der Kadia- lis und Temporaiis. Syphilitische Infection wurde geleugnet ; auf der Haut, an Lymphdrüsen, Knochen und Schleimhäuten nichts für Lues Beweisendes. Die ganze rechte Hälfte der Oberlippe wird von einer knorpelharten ziemlich glatten Infiltration von Grösse und Form einer halben Wallnuss eingenommen, welche innerhalb der letzten vier Monate entstanden sein soll. Erst seit einigen Wochen besteht eine frischrothe runde Erosion von etwa einem halben Centimeter Durch- messer am Lippenrande, deren Grund weich ist und leicht blutet, wäh- rend der Eand sich derb anfühlt und etwas erhaben ist. Die ganze Anschwellung ist wenig schmerzhaft, die Lymphdrüsen des Mund- bodens sind auf beiden Seiten gleich gross, weich und unempfindlich.

Die Operation wurde abgelehnt, und ich verordnete Kai. jodat., Natr. jodat. aa 10,0 Aq. 150. Dreimal täglich 1 Theelöffel voll in 1 Glase Wasser. Nach zwei Wochen schien mir die Geschwulst in der Peri- pherie etwas weniger derb zu sein. Nachdem innerhalb zwanzig Tagen vierzig Gramm Jodsalze verbraucht waren, erschien im Zeitraum von zwei Tagen ein haemorrhagisches Exanthem von papulösem Character, über den ganzen Körper verbreitet. Jucken und Brennen in der Haut, leichte Fieberbewegungen (bis 38,3) und Stirnkopfschmerz begleiteten die Eruption. Zugleich trat Heiserkeit und leichte Bronchitis auf. Am Gaumenbogen beiderseits unregelmässig fleckige Köthe, Wangen- ßchleimtiaut frei, Pie Untersuchung des Kehlkopfs w^r wegen starker

60

Brechneigung nicht ausführbar. Eine']Woche nach erfolgter Eruption trat rechterseits eine plastische Iritis auf, sowie lästiges Kauschen in den Ohren. Die Erosion nahm allmählich den Character eines Ge- schwüres an, secernirte aber wenig. Eine Probeexcision ergab Epithe- liom, und die ganze Geschwulst wurde exstirpirt. Heilung per primam, bis jetzt kein Recidiv. Die Geschwulst bestand aus einer Epithel- wucherung mit seichten Zapfen an der Stelle des Geschwüres; die Hauptmasse bestand aus einem derben bindegewebigen Gerüste mit reichlicher Einlagerung von Rundzellen, welche etwas kleiner waren als Leukocythen. Keine necrotische Partien, keine Riesenzellen. Das Exanthem verbreitete sich über die ganze Körperoberfläche, selbst über den behaarten Kopf, in den Handtellern und Fusssohlen, zwischen den Fingern, an Penis und Scrotum.

Zuerst erschienen derbe Quaddeln von Linsengrösse bis zur Grösse eines Shillings, wenig prominirend. Diese erhoben sich in den näch- sten Tagen deutlich über das Niveau der Haut und wurden dunkelroth bis bläulich. Nach anhaltendem, kräftigem Druck erschien jede solche Papel blaugrau. Die Streckseiten der Extremitäten waren bevorzugt. Am rechten Arm bis zum Ellbogen zählte ich 32 solche Stellen. Am Scrotum begannen mehrere der Papeln oberflächlich zu nässen ; Bor- säurepuder beseitigte dies bald. Das Jucken und Brennen wurde durch warme Bäder und Menthol- Vaseline gemildert. Die Iritis verlief unter Atropin in schwach erhelltem Zimmer günstig. Heiserkeit und Ohren- sausen verloren sich erst nach etwa sieben Wochen. Ein auffallendes Verhalten bot der Puls dar, indem jeder vierte oder fünfte Schlag aus- setzte, was zwei Wochen andauerte. Nach acht Wochen waren die Erhabenheiten in das Niveau der Haut zurückgesunken. Die grösseren Papeln, besonders an den Stellen wo die Cutis dünn ist, zeig- ten feine weisse Abschilferung ; einige dieser Stellen an Handrücken und Stirne sind noch jetzt gelbbraun. Der Allgemeinzustand ist gut. Es handelt sich mithin um ein ächt haemorrhagisches Exanthem nach mäsoigem Jodgebrauch. Die Haut war stark betheiligt, die Schleim- häute weniger. Ob das Alter des Patienten und die bestehende Arterio- sclerose die Gefässzerreissung begünstigte, oder ob dieselbe als Folge einer speciflschen Arteriitis aufzufassen ist, wage ich nicht zu entschei- den. Jedenfalls enthielt die excidirte Geschwulst nichts, was das Be- stehen einer Syphilis bewiesen hätte.

192 Hudson Str.

61

NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für praktische Aerzte in Amerika. Redigirt von De. f. C. heppenheimer.

EDITORIELLE NOTIZEN. 15. Februar 1892.

Die Erreger der Influenza.

Die Deutsche Medicinische Wochenschrift vom 14. Januar 1892 bringt drei wichtige Arbeiten, welche alle für die Aetiologie der Inßuema grundlegend sind. R. Pfeiffer hat zunächst einen bei den Influenza- kranken vorkommenden charakteristischen Bacillus entdeckt; Kit asato ist es gelungen, Reinculturen von diesem Bacillus aus dem Sputum der Influenzakranken anzulegen; und Canon hat schliesslich nachgewiesen, dass dieselben Bacillen sich auch im Blute der Influenzakranken vor- finden. Am bedeutungsvollsten ist die Arbeit von Pfeiffer, in welcher Verfasser folgende Schlüsse aufstellt, die wir mit seinen eigenen Worten hier wiedergeben möchten:

1. In allen Fällen von Influenza fand sich in dem charakteristischen eiterigen Bronchialsecret eine bestimmte Bacillenart. Diese Stäbchen waren in uncomplicirten Influenzafällen in absoluter Reincultur und meist in ungeheuren Mengen nachweisbar. Sehr häufig lagen sie im Protoplasma der Eiterzellen. Befällt die Influenza Personen, deren Bronchien schon vorher anderweitig erkrankt waren, z. B. Phthisiker mit Cavernen, dann findet man im Auswurf neben den Influenzastäb- chen auch andere Mikroorganismen in wechselnder Menge. Aus den Bronchien können die Bacillen in das peribronchitische Gewebe ein- dringen, und sie gelangen sogar bis auf die Oberfläche der Pleura, wo sie im eitrigen Belage in zwei obducirten Fällen in Reincultur ange- troffen wurden.

2. Diese Stäbchen wurden ausschliesslich bei Influenza gefunden. Sehr zahlreiche Controlluntersuchungen ergaben ihre Abwesenheit bei gewöhnlichen Bronchialkatarrhen, bei Pneumonieen und Phthisen.

3. Der Bacillenbefund hielt gleichen Schritt mit dem Verlaufe der Krankheit, erst mit dem Versiegen der eiterigen Bronchialsecretion verschwanden auch die Stäbchen.

4. Die gleichen Bacillen hatte ich schon vor zwei Jahren bei dem ersten Auftreten der Influenza in Sputumpräparaten Influenzakranker in derselben ungeheuren Menge gesehen und photographirt.

5. Die Influenzabacillen erscheinen als winzig kleine Stäbchen, etwa von der Dicke der Mäusesepticämiebacillen, aber nur der halben Länge derselben. Oefters findet man drei bis vier Bacillen kettenför- mig aneinandergereiht. Mit den basischen Anilinfarben lassen sie sich ziemlich schwierig färben. Bessere Präparate erhält man mit ver- dünnter ZiEL'scher Lösung und mit heissem LoEFFLER'schen Methylen- blau. Dabei sieht man fast regelmässig, dass die Endpole der Bacillen

62

den Farbstoff intensiver aufnehmen, sodass Bilder entstehen, die man sehr leicht mit Diplokokken oder Streptokokken verwechseln kann. Ich möchte in der That glauben, dass einige der früheren Beobachter die von mir beschriebenen Bacillen gleichfalls gesehen haben, dass sie aber, durch das besondere tinctorielle Verhalten getäuscht, dieselben als Diplo- oder Streptokokken beschrieben haben. Der GRAM'schen Färbung sind sie nicht zugänglich. Im hängenden Tropfen sind sie unbeweglich.

6. Diese Bacillen lassen sich in Keincultur erhalten. Auf 1^% Zuckeragar erscheinen die Colonieen als kleinste, oft nur mit der Lupe wahrnehmbare, wasserhelle Tröpfchen. Die fortgesetzte Cultur auf diesem Nährboden macht Schwierigkeiten und ist mir über die zweite Generation hinaus bisher nicht gelungen.

7. Es wurden zahlreiche Uebertragungsversuche auf Affen, Kanin- chen, Meerschweinchen, Ratten, Tauben und Mäuse vorgenommen. Nur bei Affen und Kaninchen können positive Resultate erhalten wer- den. Die übrigen Thierspecies verhalten sich gegen Influenza re- fractär.

8. Ich halte mich nach diesen Ergebnissen für berechtigt, diese eben beschriebenen Bacillen als die Erreger der Influenza anzusprechen.

9. Die Ansteckung erfolgt sehr wahrscheinlich durch den mit Krankheitskeimen überladenen Auswurf, und es muss demnach in prophylaktischer Beziehung die Unschädlichmachung des Auswurfs Influenzakranker dringend gefordert werden.

FEUILLETON. Der Uebergang der Arzneidispensirung in die Hände der

Aerzte.

Von

Dr. FR. HOFFMANN,

New York.

Wenn man die seit Jahren in der Fachpresse und in Vereinsver- sammlungen geführten Diskussionen, Vorschläge und ,, Pläne " über die in dem Vordergrund stehende Tagesfrage der sogenannten Preis- schneiderei " summirt, so hat es den Anschein, als ob die Aufgaben und der Zweck der Pharmacie hauptsächlich nur noch in dem Handel mit Verkaufs- und gebrauchsfertig gelieferten Specialitäten {Froprietary articleti), mit Geheimmitteln, mit allerhand Galanterie- und Luxus- waaren, mit Tabak und Cigarren, und in dem Ausschank von Erfrisch- ungsgetränken und Spirituosen bestände, und als ob das ursprüngliche legitime Arbeits- und Erwerbsgebiet, die Arzneidispensirung auf ärztliche Verordnung, die sogenannte Receptur, Nebensache geworden oder abhanden gekomtnen sei. In Wirklichkeit ist wohl das eine wie das andere der Fall. Bei den ausserordentlich ungleichen Zuständen in den verschiedenen Theilen des Landes hinsichtlich der Herkunft und ursprünglichen Nationalität, sowie der Vertheilung und der Dichte der Bevölkerung, der Sitten und Gebräuche, sowie des ungleichen Wohlstandes derselben, repräsentiren auch die mehr als 32,000 Drug- stores'' nach ihrer Vertheilung auf dem Lande und in den mittleren

63

oder grösseren Städten, und in diesen in den verschiedenen Stadtthei- len, ein sehr ungleichartiges Contingent hinsichtlich ihrer Geschäftsart und ihres Geschäftsumfanges und Betriebes. Ein Bruchtheil derselben, namentlich in den grösseren Städten mit reicheren Bevölkerungsklassen und mit Aerzten in lucrativer Praxis, mag noch ein einträgliches Re- cepturgeschäft nach altem Herkommen haben. Diese sind indessen die Ausnahmen. In der grossen Mehrzahl unserer Drugstores namenthch im Lande, bildet dasselbe nur noch einen geringfügigen Factor im Geschäfts umsatz: ja die Zahl solcher Geschäfte, in denen, ähnlich wie in England, das Erscheinen eines Receptes und die Anferti- gung solcher ärztlicher Verordnungen, welche nicht nur ledighch in der Angabe fertiger Artikel bestehen, zur Seltenheit wird, ist eine grosse und ist stätig zunehmend. Als Beispiel wie weitgehend dieser Wandel sich bereits vollzogen hat, genüge es, die Thatsache zu erwähnen, dass in atlantischen und weit mehr noch in Inland- und den Golf-Staaten, sowie an der Pacificküste Städte bekannt sind, welche bis zu 20 Dimg- stores" haben, und darunter zuweilen solche in Händen tüchtiger deutscher Pharmaceuten, in denen Receptur allmählig zur Mythe ge- worden ist, weil alle Aerzte nicht nur selbst dispensiren, sondern auch auf die Abgabe von Arzneien an ihre Patienten als einer durch Gewöh- nung fest etablirten, vermeintlichen Prärogative und als wesentliche Erwerbsquelle mit Argusaugen wachen.

Diese Erfahrung machen die Apotheker zunehmend im ganzen Lande. Wo sich in mittleren und kleineren Orten der Gebrauch ärzt- licher Verordnungen und deren Anfertigung in Apotheken theilweise noch erhalten hat, da bezieht sich dies hauptsächlich auf die wohl- habenderen Bevölkerungsklassen und auf wohlhabende ältere oder in Europa gebildete Aerzte, oder auf solche, welche mit dem bevorzugten Apotheker unter der Hand in gemeinschaftlicher Theilung des Ge- winnes für die von ihnen gemachten und der betreffenden Apotheke speciell zugewiesenen Verordnungen stehen. Indessen ist auch diese sogenannte Receptur " im Laufe der Zeit und der Accommodirung der Aerzte an die Gestaltung der modernen pharmaceutischen Fabrik- industrie mehr und mehr der Art geworden, dass das manuelle Geschick und die technische Fertigkeit der einstigen Apotheker k uns t dabei wenig oder gar nicht zu Geltung kommen. Die Dispensirung besteht vielmehr hauptsächlich nur noch in der Aufmachung von Verordnungen, welche das Abmessen von dispensirfertig gekauften flüssigen Präpara- ten (Elixire, Syrupe etc), öder das Abzählen ebenso erworbener über- zogener Pillen, Tabletten, Suppositoria etc. erfordern.

In Folge dessen ist es nicht befremdend, dass die Zahl der jungen Pharmaceuten, denen technische Fertigkeit und namentlich Uebung und Gewandtheit in der eigenen Anfertigung dieser Arzneiformen sehr oder völlig abgeht, stets zunimmt. Aus diesem Grunde und um den- selben wenigstens eine flüchtige Kenntnissnahme dieser abhanden- kommenden Kunst darzubieten, haben mehrere pharmaceutische Fachschulen neuerdings begonnen, ihrem Unterrichtspensum eine Art Practicum in der Receptur hinzuzufügen. Für die Mehrzahl der in dieser Richtung unerfahrenen Studirenden hat der fragmentarische EinbKck in diesen Theil der traditionellen Apothekerkunst indessen nur theoretische Bedeutung, denn bei dem Rücktritt in die Geschäfts- praxis bietet sich für deren Ausübung und Verwerthung stets geringer werdende Gelegenheit dar.

Fragen wir nun nach den Ursachen des allmäligen Abhandenkom- mens der Receptur und des Rückganges derselben in Apotheken, so ist das Emporkommen und der massenhafte Gebrauch der Geheimmittel und Specialitäten jedenfalls ein die ärztUche Arzneiverordnung wesent- lich beschränkender Factor gewesen, und hat andererseits auch mitge-

1

64

wirktjdie Aerzte zum Selbstdispensiren zu veranlassen. Die hauptsächlicht ste Ursache ist indessen wohl die Existenzfrage gewesen. Dafür sprich- schon die aus der Statistik sich ergebende Thatsache, dass in den Städten, ungerechnet der öffentlichen Dispensiranstalten und Hospitäler, im Durchschnitt auf 800 bis 1200 Einwohner 1 Drugstore und auf 400 bis 600 Bewohner 1 Arzt kommen. Auf dem Lande mag sich dies Ver- hältniss für beide Heilberufsarten etwas günstiger gestalten. Diese Zahlen bekunden indessen, dass im Durchschnitt das legitime Geschäft für Apotheker wie für Aerzte einen ausreichenden Erwerb nicht mehr ergeben kann, so dass die Mehrzahl in beiden Berufszweigen andere naheliegende Erwerbsquellen für ihre Existenz hinzuzuziehen hat. Die Pharmacie hat das von jeher in ausgiebiger Weise gethan, ist aber in der Annectirung von Verkaufsartikeln aus anderen Kleinhan- delsbranchen so ziemlich an der Grenze angelangt. Anderseits sind auch manche früher von derselben monopolisirten Waaren, wie z. B. die Geheimmittel und Specialitäten, Parfüm erien, Seifen etc. mehr und mehr in andere Handelsbranchen und in die modernen Waarenbazare übergegangen und durch die im Detailhandel aller derartigen Artikel eingetretenen Schleuderpreise unergiebige Verkaufsartikel geworden. Daher die in der Existenz eines grossen Theiles der Apotheker einge- tretene und zunehmende Calamität und die derzeitige Controverse über Preissschneiderei und Unergiebigkeit im Geschäftsbetriebe.

Den Aerzen bietet sich ein beschränkteres Feld zur Aufbesserung ihres Erwerbes dar. Nur die Minderzahl gelangt langsam und oftmals erst in späteren Lebensjahren in eine befriedigend einträgliche oder lucrative Praxis. Die grosse Mehrzahl müht sich in dürftiger Existenz zur Erreichung dieses Zieles ab, greift aber mehr und mehr zu der nächstliegenden Quelle eines Nebenerwerbes, der Selbstdispensirung der Arzneimittel und wird damit auf dem legitimen Gebiete des Apothe- kers dessen empfindlichster Conkurrent. Bei der einstmals spärlichen Bevölkerung des Landes war die Führung und die Abgabe von Arznei- en seitens der Aerzte früher ein Erforderniss, welches zur Haltung gangbarer Hausapotheken der Aerzte und vielmals zur Etablirung ärzt- licher „Drugstores" führte. Diese Verhältnisse gehören indessen längst der Vergangenheit an, haben sich aber in umgekehrter Kichtung neuerdings in so fern wieder eingestellt, als die Menge der von den zur Zeit nahezu 160 ärztlichen Schulen alljährlich in's Land gehenden Aerzte im Verhältniss zur Bevölkerungszahl derart angewachsen ist, dass für die Mehrzahl derselben durch die Ausübung der abstracten Praxis allein kein hinlängliches Arbeits- und Erwerbsfeld vorhanden ist. Dieselben kehren daher für Existenz zu dem einstigen Modus des Selbstdispensirens zurück und festigen diesen Brauch in der eigenen Praxis und im Publikum. In vielen Gegenden und Orten ist das Pub- likum schon in dem Maasse an die Arzneidispensirung an Kranke seitens der Aerzte gewöhnt, dass man sich für die Anfertigung oder die Repe- tition von Arzneien auf anderweitig oder auf Reisen erhaltener Recepte nicht an die „Drugstores", sondern an den selbstdispensirenden Fami- lienarzt wendet, weil jene vielfach nicht mehr als Anfertiger und Dis- pensirer, sondern als Händler von verkaufsfertigen Arzneien gelten. In Wirklichkeit ist ja auch in vielen Geschäften der Arzneibetrieb und Handel der geringere Theil des Waarenlagers und des Umsatzes.

Der Brauch des ärztlichen Selbstdispensirens findet im Weiteren zu- nehmend Förderung und Boden in den ärztlichen Schulen selbst, theils aus Utilitäts- und humanen Rücksichten, theils aber auch in dem Glauben, dass dem Interesse der Kranken und dem öffentlichen Wohle damit besser gedient sei. Nicht nur die Mehrzahl der Professoren der Materia medica und der Therapie befürworten und prägen den Studiren- den der Medicin die Praxis sowie den Nutzen des Selbstdispensirens

65

ein, i) sondern auch die ärztliclien Fachblätter befürworten diesen Brauch, und die CUnilcen und Post-graduate Schulen und deren ''Dispen- saries " geben dafür theoretische und praktische Anleitung und Uebung.

Diese Praxis wäre aber, Angesichts einer so grossen Ueberzahl von Apotheken, welche alle nach Absatz und Erwerb um jeden Preis rin- gen, nicht leicht und biUig für jeden Arzt ausführbar, wenn nicht die neuere Gestaltung des Arzneiwesens und der pharmaceutischen Fa- brikindustrie die Wege dafür gebahnt hätte und alle Mittel in com- pacter, dosirter, dispensir- und gebrauchsfertiger Form lieferte. Da- mit wird den Aerzten das armamentarium meclicinae in ähnlich hand- licher Form für Selbstdispensirung geliefert, wie es bisher nur die ho- möopathischen Aerzte besassen und von vorneherein sich zu Nutze ge- macht haben. Zur Führung der gebräuchlichsten Arzneimittel in der Concentration der Fluidextrakte, der Pillen, der Tabletten für inneren Gebrauch sowie zur Herstellung subcutaner Injectionen, der Supposi- toria u. s. w. gehört nur ein geringer Raum im Consultationszimmer und in dem Hand-Etui des Arztes. Dieser Praxis leisten Fabrikanten und der En gros-Drogenhandel allen Vorschub, indem sie, ausser den Apothekern, mehr und mehr auch die Aerzte durch Geschäftsreisende, vielmals studirte Aerzte, für die Einführung und den Absatz ihrer Produkte besuchen lassen, und durch Gratisproben in eleganten wohl- gefüllten Etuis mit Gehalt- und Gebrauchsanweisung aller neuen Ar- tikel, mit Umgehung der Apotheker, direkt durch die Aerzte Eingang zu verschaffen wissen. Auch dient im weiteren dafür die Herausgabe, an Aerzte gratis ausgesandter, instruktiver Kataloge, Prospekte und Monatsschriften.

Die Aerzte werden somit von allen Seiten und in nachhaltiger Weise zur Selbstdispensirung herangezogen ; die grosse Mehrzahl ergreift die dargebotene Instruktion und die ergiebige Erwerbsquelle um so be- reitwilliger und gewöhnt sich und das PubUkum daran, als dieses da- durch desto fester an den Arzt gebunden wird, und sich nicht nur für ärztliche Behandlung, sondern auch für Arzneibedarf vorzugsweise an diesen hält.

Mag dieser Wandel, wie zuvor erwähnt, in den grössten und grösse- ren Städten sich bisher für die Mehrzahl der Apotheker weniger fühl- bar machen und mögen die besser situirten sich ihrer begünstigten

1) Wie weit diese Stellungnahme namhafter ärztlicher Lehrer und Autoren geht, mag von vielen nur durch ein Beispiel aus einem der gebräuchlicheren und besten Lehrbücher der ''Maieria medica. Pharmacy and Therapeuiics" von Prof, Dr. L. O. L. Potter (2. Aufl. 1890, S. 434 und 444) bezeichnet werden:

"It is a fact familiär to every observer, that the old-time confidential re- lations between the professions of physician and pharmacisthave almostpassed into oblivion. The tendency of pharmacy of the present day is towards the Position of a mere trade in drugs and nostrums. The drug störe has degene- rated so far from its legitimate business, that physicians are compelled in seif defense to dispense their own medicines, thereby protecting their patients as well as their own interests. . . . If physicians take the dispensing of medicines into their own hands the evils of the nostrum-nuisance and counter-practice will largely be eliminated. There is nothing unprofessional or deragatory in the dispensing of his own medicines by ihe physician. In England it has been the uni- versal practice for centuries in all places except the largest cities . . It is high time, that physicians assert their independence from the drug-store and make use of those means which are recommended by their individuul judgment as promotive of the best results to their patients and themselvs. To this end a small stock of reliable fluid-extracts, of gelatine-coatedpills and compressedor triturate-tablets is sufficient."

I

66

Stellung erfreuen und dem Abhandenkommen und dem Verfall der Receptur im Lande mit Gleichgültigkeit oder Zweifel gegenüber- stehen, so ändert dies nichts an der Thatsache, dass die vorstehende Schilderung des allmähligen Ueberganges der Arzneidispensirung in die Hände der Aerzte eine durchaus zutreffende ist und von der grossen Mehrzahl qualificirter Apotheker des Landes vielleicht schwerer empfunden wird, als in den grösseren Städten der Uebergang des Ge- heimmittel- und Specialitätenhandels in die Bazare.

Dieser Gestaltung des Arzneidispensirwesens steht die Pharmacie machtlos gegenüber. Die Zahl und die Macht der Aerzte sind zu gross, um jemals auf legislativem Wege diesem theil weisen Ueber- gange des Arzneidispensirens aus der Hand der Apotheker in die der Aerzte Einhalt zu thun. Auch gehen das Interesse und das Eingreifen der Staatsgewalt hier nicht weiter, als Bestimmungen für die gute Qualität der Arzneimittel und für die Qualification der Dispen- sirenden festzustellen und so weit als thunlich zu kontrol- liren. Ob Apotheker oder Arzt diese Mittel an den Kranken abgeben, ist dem Staate gleichgültig. Für die Qualität der fertig gekauften Mittel ist in letzter Instanz der Darsteller derselben, der Fabrikant verantwortlich. Diese üben bei grosser Konkurrenz, zur Zeit unter sich eine strenge Kontrolle und leisten im Bestreben der Erhaltung des guten Geschäftsrenommes eine weit sicherere Gewähr für die Güte ihrer Produkte, als sie alle Gesundheitsämter herbeizuführen oder zu erhalten vermögen. Das zuweilen gehörte Argument, dass Fabrikan- ten an Aerzte theilweise weniger gute Präparate liefern, als an Apothe- ker, ist ein willkürliches und unbewiesenes. Das Risiko für den Fa- brikanten ist in dem einen wie anderen Falle das gleich grosse, und es ist für Aerzte von nicht geringerem Interesse und ebenso leicht, wie für Apotheker, sich gelegentlich und in Zweifelfällen von der Qualität der Mittel selbst oder durch Andere zu überzeugen.

Mit der neuerdings angestrebten Modification der Pharmaciegesetze in der Weise, dass Aerzte von der Haltung von Apotheken ausge- schlossen oder nur dann dazu berechtigt sein sollen, wenn sie eine Prü- fung vor einer Staats-Pharmacie-Commission bestanden haben, dürfte für die Pharmacie für die Dauer weniger erreicht werden, als vielfach angenommen wird, denn das Selbstdispensiren in der eigenen Praxis kann den allopathischen ebensowenig wie den homöopathischen Aerz- ten entzogen werden. Auch werden jedem dahin gehenden Versuche, sowie jeder Verkürzung ihrer vermeintlichen Prärogative, immerdar der gesammte Aerztestand, dessen Vereine, die ärztlichen Schulen und deren Alumni- Associationen, sowie die ärztliche Presse in geschlosse- ner Phalanx entgegentreten.

Mit diesen Factoren muss die Pharmacie in dem sich stetig zu- spitzenden Existenzkampfe rechnen. Dieser wird sich, wie wieder- holt in diesen Spalten erörtert, innerhalb der eigenen gewerblichen Sphäre im Laufe der Zeit nolens volens durch grössere Sonderung der beruflichen von der rein mercantilen Geschäftspraxis in ähnlicher Weise wie in älteren Culturländern gestalten. Mag bei der Grösse, dem Räume und den Ressourcen unseres weiten Landes, bei dessen Entwickelungsfähigkeit und grösserem Wohlstande, sowie der Elasti- cität, welche diese Prämissen und die Gewerbefreiheit in mancher Richtung noch darbieten, diese Metamorphose sich weniger empfind- lich und in längeren Zeiträumen, als es z. B. in England geschehen ist, vollziehen, so bekunden die bezeichnete Ueberfüllung des Aerzte- berufes und die Erfordernisse für ihren Erwerb und Existenz, die Gestaltung des Arzneiwesens und -Handels, sowie die gewerbliche Strömung der neueren Zeit unverkennbar, dass die Bahn der

67

legitimen Pharmacie sich stetig verengt und dass der Existenz- kampf derselben kein geringerer, als auf anderen Handels- und Ge- werbsgebieten ist und bleiben wird. Vor diesen hat die Phar- macie allenfalls den Gewinn voraus, dass sie durch ihre traditionelle Stellung im Heilberufe, durch die in derselben verbleibenden conserva- tiven Elemente, durch ihre Fachschulen und durch den Bestand, die ■Weitergestaltung und Festigung der Pharmaciegesetze auf dem Wege und in der Lage ist, den früher oder später unvermeidlichen Läute- rungs- und Sonderungsprocess, allerdings nicht ohne Decimirung, wohl zu bestehen.

Mag sich indessen das berufliche Gebiet des Pharmaceuten auch für die Zukunft nicht erweitern lassen, mag es sich auf dem Lande in mancher Weise anders als in grösseren Städten gestalten, für den um- sichtigen, beruflich geschulteren und mercantil gebildeteren und ge- wandteren Theil, welcher sich den modernen Anforderungen und den Zeitverhältnissen anzupassen vermag, wird auf der Arena der Heil- kunst und des Sanitätswesens auch für die Pharmacie nach wie vor ein zustehendes Arbeitsfeld verbleiben.

REFERATE.

Innere Medicin. Referirt von Dr. AD. ZEDERBAUM.

Ueber Sarcom mit sogenanntem chronischem Rückfallfieber. Von Dr. C. Puritz in St. Petersburg. (Virchow's Arch., Bd. 126, Heft 2.)

W. Epstein beschrieb im Jahre 1887 eine neue " Infectionskrank- heit, die sich durch einen eigenthümlichen klinischen Verlauf, haupt- sächlich aber durch eine eigenartige typische Fiebercurve auszeichnet. Die Krankheit wurde von ihm chronisches Rückfall fieber" benannt. Aehnliche Fälle wurden seitdem von Pel, Renvers, Haiisek, Voelkeks u. A. veröffentlicht. Der pathologisch-anatomische Befund bei sämmt- lichen dieser zur Autopsie gelangten Fällen ergab, als Grundlage der Krankheit, ein Neoplasma, u. z. ein malignes Lymphosarcom. P., der ebenfalls einen solchen Fall gründlich zu studiren Gelegenheit hatte, fand, dass die Fiebercurve keinen recurrirenden, sondern eher einen wellenartigen Verlauf darstelle. Er stimmt mit E. überein, dass die Krankheit auf eine sarcomatöse Neubildung in den lymphatischen Drüsen oder in anderen Organen beruhe, und dass dieselbe einen infectiösen Ursprung habe. Für letzteres spreche die eben eigenartige Fiebercurve, die von sämmtlichen Beobachtern constatirt werden konnte. Ein entsprechender Microbe ist zwar bis jetzt für die Krank- heit noch nicht gefunden worden, doch giebt es ja bekanntlich eine Reihe von anderen Krankheiten (Masern, Scharlach, Flecktyphus, Pest, Gelbfieber etc.), die wir, nur auf Grund der klinischen Thatsachen, für unbedingt infectiöse halten, ob zwar die Erreger derselben bisher noch nicht entdeckt worden sind. In den Schnittpräparaten, die P. gleich nach der Autopsie aus der Neubildung verfertigt und mit Methylenblau gefärbt hatte,|fand er übrigens, im Protoplasma der Zellen, kleine Körn- chen eingestreut, die viel intensiver gefärbt erschienen, als das übrige Plasma. Diese Körnchen machten auf ihn den Eindruck von Parasiten, welche vielleicht dem Reiche der Protozoa angehören. Doch legt P. nicht darauf das Hauptgewicht, sondern vielmehr auf die wellenartige Fiebercurve, welche, nach seiner Ansicht, vorkommendenfalls ein sonst bei Lebzeiten nicht festzustellendes inneres Sarcom zu diagnosticiren ermöglicht.

68

A case of so-called Laryngeal Vertigo. By Dr. I. Adler in New York.

(The N. Y. Med. Journal, Jan. 80., 1892.) Ein bis daiiin gesunder, kräftig gebauter 53jäiiriger Mann wird, im Anschluss an eine Bronchitis,von heftigen, Anfangs selten, später immer häufiger auftretenden Hustenanfällen befallen, welche im weiteren Ver- laufe von kurzdauernder, jedoch absoluter Bewusstlosigkeit begleitet tiind. Eine Aura pflegt diesem Zustande nicht voranzugehen : ohne Aufschreien, ohne sonstige objectiv wahrnehmbare Veränderungen, aber auch ohne jedwede subjective Sensationen stürzt P., inmitten eines Hustenanfalles, zu Boden hin, um jedoch schon nach kürzester Zeit sich von selbst aufzurichten, als ob gar nichts geschehen wäre. Nach Aus- sage der Hausgenossen ist während dieser Anfälle das Gesicht des P. roth und turgescent. P. selbst gibt an, dass er jedesmal die Empfin- dung habe, als ob er ersticken müsse ; er habe das Bedürfniss zu husten, sei aber nicht im Stande, einen Hustenstoss hervorzubringen. Interne sowohl, als lokale Behandlung erwies sich vollständig erfolglos. Der Zustand desP. verschlimmerte sich immer mehr, namentlich seitdem er in der Zwischenzeit einen InfluenzaAnfall durchgemacht hatte. Und doch konnte, trotz mehrmals vorgenommener sorgfältigster Unter- suchung, nichts Derartiges entdeckt werden, was als direkte Veran- lassung für diese sonderbaren und beängstigenden Anfälle angesprochen werden könnte ! Eine Abnormität indessen, die Anfangs, wegen ihrer geringen Bedeutung, wenig beachtet wurde, zog jetzt auf sich die Auf- merksamkeit: das Zäpfchen erwies sich übermäsbig verlängert. Nach- dem alle möglichen therapeutischen Massnahmen zu absolut keinem Hesultat geführt hatten, entschloss sich A. das Zäpfchen zu kürzen. Hatte doch Gleitsmann einen ähnlichen Fall durch Entfernung von adenoiden Vegetationen am Zungengrunde geheilt, und Charcot durch Cauterisation in einem Falle von granulöser Pharyngitis denselben Effect erzielt! Der Erfolg blieb auch hier nicht aus; nach dieser Opera- tion ereignete es sich zum ersten Male, dass P. zunächst in 24 Stunden blos einen Anfall hatte. Von da ab verminderte sich die Zahl der Anfälle stetig, bis sie zuletzt dauernd ausblieben. In welcher Weise das Zäpfchen vorher die beschriebenen Anfälle auslöste, lässt sich mit Sicherheit nicht erklären. Wahrscheinlich geschah dies durch direkte Reizung der Rima glottidis. Dieser Fall gehört in die Kategorie der zuerst von Chakcot beschriebenen Laryngealky^isen. Charcot ist geneigt dieselben als eine Krankheit sui generis, ähnlich der sogen. MENiERE'sehen Krankheit, auf- zufassen. A. selbst sucht die von ihm geschilderten Symptome mit Hilfe der bekannten WEBER'schen Experimente f olgendermassen zu erklären. Die forcirten exspiratorischen Bewegungen des Thorax bei krampf- haft geschlossener Glottis bewirkten im concreten Falle während einer jedesmaligen Hustenattacke eine abnorme Steigerung des intrathoraci- schen Druckes, welche schliesslich eine derartige Höhe erreichte, dass nicht allein das Herz selbst, bis zu einem gewissen Grade, sondern in erster Reihe auch die beiden Hohlvenen comprimirt wurden. In Folge dessen wurde der Zufluss des Blutes zum Herzen erst vermindert und später ganz abgesperrt; es stellte sich daraufhin im Gehirn eine arterielle Isohaemie bei gleichzeitiger venöser Hyperaemie ein. Der Puls wurde schwächer und verschwand zuletzt ganz und gar, das Herz iiam zum Stillstand und würde in diesem Zustande verharren, falls nicht jedesmal, noch bevor der Höhepunkt erreicht wurde, die Glottis sich wieder eröffnen und normale Repiration sich von Neuem einstellen würde. Dieser Vorgang sei es eben, der es verständlich macht, dass «in heftiger Hustenanfall, wie im vorliegenden Falle, einen vorüber- gehenden Zustand von completer Bewusstlosigkeit herbeiführen Iconnte.

69

Nouvelles recherches sur Temploi de la teinture de coronille bigardee en th<'rapeutique. Par le Dr. M. V. Poulet, de Plancher-les Mines. (Bull. Gen. de T[ierapeuti(iiie, 15 Dee. 1891. j

Verf. spricht von den Wirkungen dieses Präparates mit Begeiste- rung. Er gebraucht dasselbe seit 2 Jahren und führt eine Reihe von Krankengeschichten an, die in der That geeignet sind Interesse für dieses neue Herzmittel zu erwecken. Frühere Aufsätze über denselben Gegenstand sind von ihm im „Bulletin de la Sociele de med. pratique", 23 Oct. 1891, und in den „Bulletins et Memoires de la Soc. de med. pra- tique " veröffentlicht. Zu seinen Versuchen bediente er sich bisher ausschliesslich der Tinktur, hergestellt aus der Gesammtpflanze von Coronaria varia („Schaflinsen," „bunte Peitschen," aus der Familie der Papilionaceen). Da das Präparat durchaus keine kumulative Wirkung zeigt, so kann dasselbe in grossen Dosen, bis 3 Gramm und darüber pro die, ohne jedweden Nachtheil gegeben werden. Es erwies sich als besonders nützlich und rasch wirkend in Fällen von paroxysmaler Tachycardie, ferner bei den verschiedensten krankhaften Empfindungen im Gefolge von Herzklappenfehlern. Bei kardialem Asthma soll seine Wirkung zuweilen geradezu „zauberhaft " gewesen sein. Es erübrigt noch hervorgehoben zu werden, dass die genannte Tinktur die Ver- dauungsorgane nicht nur nicht angreift, sondern, im Gegentheil, sogar günstig beeinflusst. Das wirksame Princip der Coronilla, ein Glycosid CoronUlin, ist von den Chemikern Schlagdenhauffex und Reeb (Journ. der Pharmacie von Elsass-Lothringen, Mai, 1888) hergestellt worden.

Ueber das Volumen der rothen und weissen Blutkörperchen im Blute des gesunden und kranken Menschen. Von D. Judson Daland in Philadelphia. („Fortschritte der Medicin," 1891, No. 20 und 21.) Die Benutzung der Centrifugal kraft zur Bestimmung des Volumens der rothen Blutkörperchen stammt von Prof. Blix in Upsala (1885) her. Hedin hatte darauf diese Methode für die Krankenuntersuchung brauchbar gemacht und konstruirte zu diesem Zwecke ein besonderes Instrument, welches er „Hämatokrit " benannte. Auf Veranlassung von Prof. Jaksch hat nun D. es unternommen, die klinische Verwend- barkeit dieses Instruments zu erproben. Zur Verdünnung des zu un- tersuchenden Blutes bediente sich D. stets einer 2,5\ Kaliumbichro- matlösung, welche er, nach zahlreichen und mühselij^en Experimenten, als am besten für diesen Zweck geeignet findet. Um ein konstantes Volumen der rothen Blutkörperchen zu bekommen, sind 100 Umdre- hungen des grösseren Kades der Centrifuge nöthig : es gehören dazu blos 66 bis 67 Sekunden. Centrifugirt man das Blut länger, also zwei oder mehrere Minuten, so kann man nur sehr selten noch eine Ver- minderung des Volumens erhalten. D. fand nun an einer Keihe von Untersuchungen, dass das physiologische Volumen der rothen Blut- körperchen bei jungen Männern in 100 Vol. Blut zwischen und 66 schwankt. Die Bemühungen, das Volumen der weissen Blutkörper- chen zu bestimmen, stiessen auf Schwierigkeiten, wegen des schmalen, weissen Kinges, welchen diese Gebilde bei der Untersuchung liefern. Die Volumina der rothen Blutkörperchen bei verschiedenen pathologi- schen Zuständen sind vom Verf. in einer übersichtlichen Tabelle zu- sammengestellt. Die Construktion des Hämatokrits und die Ge- brauchsweise desselben können hier nicht näher dargestellt werden.

Pathologie und Bacteriologie. Referirt von Dr. LOUIS HEITZMANN,

Beitrag; zur Aetiologie der katarrhalischen Ohrenentzündungen. Bak- teriologische Beobachtungen von Dr. A. MAGGIORA und Dr. G.

70

GRADENIGO. (Centralbl. für Bakt. u. Parasitenkuude. Band X, No. 19, 1891.)

Verfasser theileii ihre Untersuchungen in 3 Kategorien ein:

a) Bakteriologische Prüfung des Sekrets der Nasenhöhle, der Nasen- Rachenhöhle und der Eustachi'schen Ohrtrompete in Fällen von akuter und subakuter katarrhalischer Mittelohrentzündung.

b) Prüfung des Sekrets der Nasenhöhle, der Eustachi'schen Ohr- trompete und der Trommelhöhle, erhalten durch Paracenthese des Trommelfells in Fällen von katarrh. Mittelohrentzündungen.

c) Prüfung des Sekrets von Wunden, welche konsekutiv nach gal- vanischer Kauterisation der Nasenschleimhäute entstanden sind.

Im Ganzen wurden 20 Fälle untersucht, wovon 16 mal in der Nasen- Rachenhöhle oder im Mittelohr die Existenz von pathogenen Formen nachgewiesen werden konnte und zwar in der ersten Kategorie von 9 Fällen einmal Staphilococcus pyogenes aureus, viermal Staphylococcus pyogenes albus; in der zweiten Kategorie von 4 Fällen dreimal Staphylococcus pyogenes aureus, einmal albus; in der dritten von 7 Fällen fünfmal Staphylococcus pyogenes albus, zweimal aureus. Nur in 4 Fällen der ersten Kategorie konnten mit Agar- und Gelatinekulturen keine pathogenen sondern nur saprophyte Formen isolirt werden. In einem handelte es sich um eine relativ alte Mittelohrentzündung; bei den an- deren glauben V., dass die pathogenen Keime zwar vorhanden waren, aber in so kleiner Menge, dass sie bakteriologisch nicht nachgewiesen werden konnten. Sie kommen zu dem Schlüsse, dass die klinische Eintheilung der Mittelohrentzündungen in eiterige und katarrhalische vom bakteriologischen Standpunkte aus nicht gerechtfertigt ist, weil beide Arten von Erkrankungen von denselben pathogenen Mikroorga- nismen bedingt werden. Die Erscheinung, dass das Exsudat in einem Falle katarrhalisch, in einem anderen eiterig ist, hängt wohl von Differenzen im Zustande des Substrats und von der individuellen Kon- stitution ab.

Weitere Mittheilungen über Panophthalmle-Bacillen. Von Professor 0. HAAR. (Fortschritte der Medicin. Bd. 9, No. 19, 1891.)

Schon früher wurden aus Häab's KUnik in Zürich Mittheilungen ge- macht, welche zeigten, dass bei vielen, vielleicht den meisten Fällen von Panophthalmie nach Fremdkörperverletzung Bacillen die Entzündung im Auge verursachen. Solche Bacillen hat V. nun rein gezüchtet und verimpft und dabei wieder Panophthalmie erzeugt. Von einem solchen Fall wurde der Bulbus sofort nach der Enucleation im Aequator mit sterihsirten Instrumenten halbirt und der mit sehr zahlreichen kleinen, rundlichen grau-gelben Eiterherden von vorn bis hinten dicht durch- setzte Glaskörper und eine eitrige Schicht zwischen letzterem und der Retina zu Deckglaspräparaten und zur Herstellung von Kulturen be- nützt. Die Agar- Stichkulturen zeigen nach einigen Tagen an der Oberfläche eine dicke runzelige, leicht bräunliche Haut und entlang dem Stichkanal starkes Wachsthum in kurzen, radiären, dichten Streif chen. Am oberen Ende ist der Stichkanal leicht kugelig angeschwollen und hat einige wolkige Trübungen, die von der Oberfläche des Agar herabhän- gen, um sich. Die Gelatine-Stichkulturen zeigen kein Wachsthum. Die Agarplatten sind in grosser Ausdehnung von einem gelbbräunlichen Rasen bedeckt, der fein gezackte Ränder hat. An einzelnen Stellen fin- den sich kleine, runde, im Centrum fast weisse, nach der Peripherie mehr gelb-braune Scheibchen.

Die Untersuchung sämmtlicher Kulturen ergibt Reinkulturen von Bacillen, theils einzelne 0.5-0.7 m. dicke, durchschnittlich 2-3 m. lange

71

Stäbchen, theils Ketten solclier von 2-3 Stücken. Letztere enthalten oft dunklere Körner. Kokken sind keine vorhanden. Einige Tage später zeigen auch die Gelatine-Platten grauweisse in geringem Um- kreis verflüssigende Pünktchen, nicht ganz hirsekorngross. Auf Kar- toffeln wachsen die Bacillen rasch als braune, feuchtglänzende runzlige Haut.

Die Verimpfung der Bacillen in den Glaskörper von Kaninchen- Augen ergibt Iritis mit Exsudat im Pupillarbereich und rasche Infiltration des Glaskörpers. Die mikroskopische Untersuchung ergibt dieselben Ba- cillen im Glaskörper. Einbringen von Bacillen-Kultur in den Con- junctivalsack eire3 Kan'ncheos ergiebt keine Conjunctivitis. Einreiben solcher Kultur an einer Stelle der Kaninchenkornea, wo das Epithel ab- gekratzt worden, ergibt keine Keratitis.

Ob wir es hier mit einem bereits bekannten Bacillus oder einer noch nicht beschriebenen Art zu thun haben, kann noch nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Nach H.'s Beobachtungen können auch Bacillen, welche als nicht pathogen gelten, z. B. der Wurzel-Bacillus, wenn in den Glaskörper des Kaninchens gebracht, eine ganz ähnliche, wenn auch schwächere Entzündung hervorrufen. Somit könnte dieser Bacillus unter dem bereits bekannten nichtpathogenen möglicherweise figuri- ren. Auffallend ist, dass er unter die Haut und in die kornea gebracht, keine nennenswerthe Entzündung hervorruft.

Beiträge zur bakteriologischen Technik. Von Dr. Schill. (Centralblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde. Band X, No. 20.)

Da der allgemein übliche Verschluss der Reagenzgläser mit Watte mancherlei Unbequemlichkeiten hat, die gründliche Deslnfection des Wattepfropfens, und die Anfertigung des Pfropfens selbst viel Zeit und Mühe in Anspruch nehmen, ferner sich auf der Oberfläche oft Bakterien- und Schimmelkeime aus der Luft ablagern, welche hindurchwachsen und den Inhalt des Reagenzglases verunreinigen können, verwendete Schill statt des Wattepfropfens Doppel-Reagenzgläser, d. h. Reagenz- gläser, auf welche ein zweites, etwas weiteres als Deckel aufgestülpt ist. Dieselben sind aus etwas stärkerem Glase als die gewöhnlichen gefer- tigt und haben keinen umgebogenen, sondern gerade auslaufenden glatten Rand. Das untere Reagenzglas erhält als Deckel ein zweites, welches im Verhältniss zum unteren um so viel weiter ist, dass es sich leicht über das andere herüberschieben lässt, dass aber zwischen Aussenwand des unteren und Innenwand des oberen Glases nur ein papierdicker Zwischenraum bleibt. Das als Deckel dienende Reagenz- glas hat Vs der Länge des unteren. Der Verschluss ist durchaus bak- teriensicher. Bei dem längeren Aufbewahren der Nährböden ist die Verdunstung eine sehr geringe, andererseits dringt für aerobe Bakterien eine genügende Luftmenge ein. Eine grosse Bequemlichkeit bieten die Gläser bezüglich des Signirens der Nährböden während der Sterihsation. In der trockenen Hitze wie im Dampfstrom, fallen mit Gummi aufge- klebte Papieretiquetten leicht ab. Hier wird ein dünner, nicht gummir- ter Papierstreifen mit Bleistift beschrieben, ringförmig zwischen Reagenzglas und Glasdeckel eingefügt. Wenn man zu bestimmten Zwecken den Wattepfropf beibehalten will, so dient der Glasdeckel weit besser zum Schutz desselben, als Gummihütchen.

Beim Filtriren von Nährgelatine, welches immer beträchtliche Zeit in Anspruch nimmt, besonders weil die filtrirende Fläche in den ge- bräuchlichen Filtrirtrichtern eine sehr kleine ist, kann man das Fil- triren durch Vergrösserung der Bodenfläche bedeutend beschleunigen, indem man sich eines Trichters bedient, in welchen in etwa i Höhe vom oberen Rande eine siebartige, durchlochte Glasplatte eingelegt ist.

72

auf welcher das Filtrirpapier tellerförmig ausgebreitet wird. Noch einfacher ist ein Apparat, welchen man sich mit Leichtiglceit aus einer Konservebüchse selbst herstellen kann. Der obere Rand der Büchse wird glatt abgeschnitten und der Boden mittelst einer Ahle in konzen- trischen Ringen dicht mit Löchern versehen. Ueber diesen Trichter wird ein den Boden um ca. 2 cm. überragendes Filtrirpapier, auf dieses eine doppelte Lage entfetteten Mulls gelegt und diese Auflagerungen nach Anstreichen der Ränder mittelst eines breiten, straff umgeleg- ten Gummibandrings festgehalten. Eine noch grössere Beschleuni- gung der Filtration kann man durch einen Apparat erzielen, bei wel- chem eine Blech- oder Glasflasche am Boden mit zahlreichen Löchern versehen und über den Boden Filtrirpapier und entfetteter Mull ge- legt und befestigt wird. Der Flaschenhals trägt einen durchbohrten Stöpsel, durch welchen ein Glasrohr bis fast unmittelbar zum Boden der Flasche herabreicht, welche oben durch ein Stück Gummirohr mit einem kleinen Trichter verbunden ist. Sobald eine dünne Schicht der zu filtrirenden Gelatine den Boden bedeckt, drückt die in der Flasche nun gänzlich abgesperrte Luft auf die ganze Oberfläche der Gelatine im Apparat und treibt sie rasch durch das Filter. Man darf nur nicht zu rasch nachgiessen, da der Druck sonst zu heftig wird und die Filterlagen abgerissen werden können.

Uebertragungsversuche mit Sarkom- und Krebsgewebe des Menschen auf Thiere. Von Dr. F. Fischel. (Fortschritte für Medicin. Bd. X., No. 1, 1892.)

F. hat Uebertragungen von Carcinomen und Sarkomen auf 23 Rat- ten vorgenommen. Er verwendete 3 Fälle von Scirrhus mammae, 9 Fälle anderer Carcinome. ein kleinzelliges Sarkom des Oberarms und ein Melanosarkom der Drüsen. Sämmtliche Uebertragungen erfolg- ten längstens \ Stunde nach Extirpation der Tumoren, und wurde in- traperitoneal, unter die Haut und intravenös geimpft. Die Einheilung sämmtlicher Tumoren erfolgte ohne Eiterung. In keinem der unter- suchten Tumoren war vor oder nach der Implantation eine Bakterien- invasion oder der Nachweis von Psorospermien durch Färbung mög- lich. Impfungen auf die verschiedensten Nährmedien blieben ohne Wachsthum irgend eines pathogenen oder nicht-pathogenen Mikro- organismus.

In allen untersuchten Fällen war das Resultat in Bezug auf das an- gestrebte Ziel der Uebertragung der Tumoren vom Menschen auf Thiere ein negatives, jedoch ergaben die Untersuchungen einige er- wähnenswerthe Beobachtungen. In allen Fällen fand eine beträcht- liche, mit starker Durchfeuchtung der Tumormasse parallel gehende leucocytäre Einwanderung in den Tumor statt. Die Zahl der nach- weislichen Leucocyten im Centrum der Tumoren war im Vergleich zur Masseninvasion an den periphergelegenenParthien eine verschwindend kleine. Es scheint, dass die Leucocyten, je mehr dieselben gegen das Centrum vorgedrungen sind, um so zahlreicher zu Grunde gehen. Die Veränderungen sprechen sich makroskopisch in einer Durchfeuchtung der Tumormasse, namentlich im Centrum, aus, welche bei länger ein- geheilten Geschwulstmassen eine so hochgradige war, dass beim Ein- schneiden die Schnittfläche von seröser Flüssigkeit überfloss. Dem- entsprechend erschienen die eingeheilten Tumorpartikeln stark ver- grössert und Hess sich als Ursache dieser Vergrösserung mikrosko- pisch zum Theile das mechanische Auseinanderdrängen der zusammen- setzenden Gewebstheile durch Wanderzellen, zum Theile auch ein Ge- quollensein der zelligen Elemente nachweisen. Schon nach 20 Stun- den war ein Undurchsichtigwerden und Trübung des Zellprotoplasmas,

73

sowie das Verschwinden der chromatophilen Substanz der Kernmem- bran und der farblosen Kernfäden zu beobachten. Die Form der Zell- liörper war ziemlich gut erhalten. Bei einem Melanosarkom war nach 3 Wochen die ursprünglich tiefschwarze Färbung der Geschwulst völ- lig verloren gegangen. Es scheint, dass die negativen Resultate bei diesen Uebertragungen von der chemischen Einwirkung des lebenden Eattenblutserums auf die zelligen Elemente der implantirten Tumoren abhängig sind.

Kinderheilkunde. Referirt von Dr. SARA WELT.

Report of a Gase of Haematophilia, or a Family of Bleeders. By A. Vanderveer, M. D. (Archives of Pediatrics, Vol. VIII., No. 94.)

Die Mittheilung bezieht sich auf eine Bluterfamilie mit indirekter Vererbung; wie gewöhnhch der Fall ist, kommt auch hier Prädisposi- tion zur Hämophilie mehr den männlichen Familiengliedern zu, während die Vererbung der Krankheit von den selbst gesunden Töchtern aus- geht.

Zuerst machte sich die Affection im Grossvater bemerkbar, welcher an häufigen Anfällen von Hämaturie litt, ohne dass tntra vitam oder post mortem ein causales Moment hierfür nachweisbar war: er hinter- liess mehrere gesunde Kinder; ein Sohn leidet häufig an Epistaxis; die älteste Tochter verheirathete sich an einen gesunden Mann und hatte 7 Kinder; die beiden ersten, ein Knabe und ein Mädchen, sind keine Bluter; das dritte, ein Sohn ging an einer Blutung zu Grunde nach einer Verletzung der Zunge durch einen Fall. Das vierte Kind, ein Knabe, starb im 20ten Monate an Verblutung nachdem 8 Tage zuvor wegen Dentitionsbeschwerden das Zahnfleisch eingeschnitten worden war. Das sechste, wieder ein Sohn, hatte nach einer kleinen Verwun- dung am Finger eine schwer zu stiUende Blutung. Das siebente Kind, ein Mädchen, litt zu verschiedenen Malen an Gelenkaffectionen, welche von V. auf einen, von der hämorrhagischen Diathese abhängigen, se- rösen Erguss in die Gelenke zurückgeführt werden.

Aus der Ehe der zweiten Tochter mit einem gesunden Manne ent- stammten 4 Kinder. Ihr zweites Kind, ein kräftiger Knabe, ging nach einer Verletzung an der Stirne durch Blutung zu Grunde. Ihr drittes, wieder ein Knabe, ging ebenso zu Grunde, nachdem er sich zufällig auf die Zunge gebissen hatte. Auch das vierte Kind starb in ähn- licher Weise.

Die Anfordemngen der Gesundheitspflege an die Beschafienheit der Milch mit Rücksicht auf die hier bestehende Kindermilchstation. Von Stadtphysikus Dr. H. Engelbrecht. (Monatsblatt für öffent- liche Gesundheitspflege, 1891, No. 12.)

Verfasser weist darauf hin, dass bei der Beurtheilung des Rohpro- duktes, nicht diejenige Milch als die beste hingestellt werden soll, die den grössten Gehalt an Nährstoffen, namentlich Eiweiss und Fett, hat, sondern dass es besonders auf den „diätetischen Werth", die Qualität der in der Milch vorhandenen Stoffe in Summa, ankömmt. Abgesehen vom Zusatz von Chemikalien und dem Taufen der Milch wird die letz- tere besonders minderwertig durch die Anwesenheit von Spaltpilzen. Professor Lehmann in Dresden fand in 1 cctm. Marktmilch 1.2 1.5 Millionen Keime, und sogar in der unter allen antiseptischen Cautelen

74

gemolkenen Milch pro cctm. 100,000—500,000 Keime; erst die ganz zu- letzt gemolkene Milch erwies sich als keimfrei, so dass also in den Milchgängen des Kuheuters Spaltpilze in grosser Anzahl vorhanden sein müssen.

Auf dieses gestützt, stellt E. die sehr zeitgemässe Forderung, dass die amtliche Untersuchung der Marktmilchsich nicht auf den Nachweis des Gehaltes an festen Bestandtheilen, besonders Eiweiss und Fett, be- schränken soll: Milch, die irgend welchen unangenehmen Beige- schmack hat, oder sichtbare Verunreinigungen enthält, sollte bean- standet werden. Es sollen ferner zeitliche Grenzwerte für die zu for- dernde Haltbarkeit der Milch bei einer gewissen Temperatur aufge- stellt werden.

Im Anschluss schildert E. die in Braunschweig bestehende Kinder- milchstation, die unter Aufsicht einer ständigen Commission des dor- tigen ärztlichen Kreisvereins in Verbindung mit einem Thierarzt und zwei Chemikern steht. Die Kesultate sind, sowohl was die Qualität der Milch selbst betrifft, als mit Kücksicht auf ihre Bekömmlichkeit für die kleinen Patienten sehr gute.

Cases of Concurrent Scarlatina and Measles. By N. Morrisson Mac Farlane, M. D. (The Lancet May 16. 1891.)

Wegen des seltenen gleichzeitigen Vorkommens von Masern und Scharlach in einem Individuum, sieht Verfasser sich zu seiner Mit- theilung veranlasst. Diese ist um so interessanter, da drei Kinder derselben Familie hinter einander efkrankten. Der erste Fall betrifft «inen 4^jährigen Knaben, welcher an Scharlach litt ; am dritten Tage nach dem Beginne der Affection stellte sich Conjunctivitis, Coryza und Husten ein und bald darauf ein papulöses Masernexanthem. Patient genas, nachdem er noch eine Lymphadenitis und Otitis media suppu- rativa bestanden hatte. Im Laufe der nächsten drei Wochen erkrank- ten zwei jüngere Brüder an Scharlach, dem am dritten respective vier- ten Tage seines Bestehens eine characteristische Maserneruption folgte. Beide Fälle verliefen letal.

The Administration of duinine to children. (Ibidem.)

Da es oft schwierig wird, Kindern Chinin, besonders in grössern Mengen per os zu verabreichen, ist von einigen Kinderärzten die An- wendung des Chinins in äusserlicher Application angerathen worden. Um zu bestimmen, wieviel Chinin dabei absorbirt wird und in welcher Form die percutane Administration die besten Erfolge erzielt, hat Dr. Troitzky Untersuchungen an 50 gesunden Kindern angestellt. Dabei erwiesen sich Salben, mit Vaselin, Fett oder Lanolin dargestellt, als unbrauchbar. Mit mehr Erfolg wurden Chininlösungren angewendet. (1 Theil Chinin, hydrochlorat. zu 30 Ph. spirit rectif.) Von dieser Lösung wurde 1—1^ Theelöffel zweimal täglich in die Haut gerieben, bis sie ganz trocken wurde. Der Urin wurde mit der Chlorwasser- oder Jod- probe auf Chinin untersucht. Dabei zeigte es sich, dass Chinin zweifel- los absorbirt wurde, doch war die absorbirte Menge unsicher und ausserhalb jeder Controle.

T. glaubt, dass der gute Effect, der nach Einreibungen von Chinin- lösungen in fieberhaften Zuständen beobachtet wurde, mehr auf die abkühlende Wirkung des verbrauchten Spiritus zurückzuführen ist.

Case of acute, rapidly fatal, general Peritonitis in a child, associated with Vulvo- Vaginal Catarrh. By John Lindsay Steven, M. D.

(The Lancet, May 30. 1891.)

75

Ein 4,jähriges, bis dahin gesundes Mädchen, wurde plötzlich von heftigem Leibweh befallen und starb 24 Stunden später unter den Zeichen einer acuten, diffusen Peritonitis. Bei der Untersuchung hatte Patientin eine Stuhlentleerung und bei dieser Gelegenheit wurde ein leucorrhoischer Ausfluss aus der Vulva bemerkt ; derselbe hatte nach den Angaben der Mutter schon seit einiger Zeit bestanden, ohne dass sie jedoch ihn weiter beachtet hätte. E. ist geneigt bei dem Mangel eines andern Causalraomentes, den Vulvo-vaginalen Catarrh für die Entstehung der Peritonitis verantwortlieh zu halten. Eine post mor- tem Untersuchung wurde leider nicht gestattet.

Dermatologie.

lieber Wundbehandlung mit Dermatol von Dr. Victor v. Rogner.

(Wiener Medicinische Presse, 1891, No. 33.) (Autoreferat.)

Dermatol wurde von Dr. v. Rogner auf der II. chirurgischen Ab- theiluüg des K. K. Krankenhauses Wieden in Wien durch einen Zeit- raum von mehr als 6 Wochen als einziges Trockenantiseptikum an Stelle von Jodoform angewandt. Zur Behandlung kamen alle Arten von Wunden : frische, eiternde, jauchende; ferner ausgedehnte Phleg- monen, Verbrennungen, Verletzungen aller Art u. s. w.

Verwendet wurde das Dermatol : *)

1. Pur, als Streupulver (mit Pinsel aufgetragen).

2. In Salbenform; nach folgender Vorschrift. Rp.

Dermatol Hoechst 20, Vaselin flav. 80, M. f. Ungt.

3. In CoUodiumemulsion : Rp.

Dermat. Hoechst 15,« Collod. 100,0 S. Aeusserlich.

4. Als 10-20^ Gaze (die vor dem Gebrauch zu sterilisiren ist). Oberflächliche, wenig secernirende Wunden sind mässig dünn zu bestreuen; stark eiternde dagegen sind mit ausgiebigen Mengen Der- matol zu besorgen. Incidirte Abscesse, Phlegmonen u. s. w. sind vor- her mit einem flüssigen Antiseptikum (Sublimat) gründlich zu reinigen und mit Löffel und Scheere von nekrotischen Fetzen zu befreien ; dann erst ist Dermatol einzupudern.

Mit Dermatol bestreute Wunden sind, zur Verhütung des Verkle- bens mit dem Verbandstoff, je nach Bedarfsfall mit einem Silkfleck zu bedecken.

Das Dermatol erwies sich in allen Fällen als vorzügliches adstrin- girendes-sekretionsverminderndes Wundheilmittel. Kleine ober- flächliche Wunden heilten unter Eintrocknen in kürzester Zeit. Bei grossen Operationswunden wurde meist prima intentio erzielt. Stark eiternde Wunden, incidirte Pflegmonen, gespaltene Anthraces reinig- ten sich in überraschend kurzer Zeit; nach 1 2 Tagen schon war eine schöne reine, wenig secernirende Wunde erzielt. Vorzüglich war die Wirkung bei Verbrennungen I. und II. Grades, der Dermatolverband übertrifft bei Verbrennungen das Jodoform; die Brandwunden sind ge- ruchlos und trocknen äusserst schnell ein.

Unangenehme Erscheinungen (speckige Belege, Ekzeme u. s. w.)

*) Zuhaben bei Schultze-Berge, Koechl und Movius, 79 Murray St., N. Y,

76

fehlten durchaus; Vergiftungserscheinungen wurden niemals beobach- tet. Dabei führt das Derrnatol im Gegensatz zu dem Jodoform nie zu Keizerscheinungen in der Umgebung der Wunde; im Gegentheil werden solche, wenn vorhanden, durch Dermatol rasch beseitigt. Ne- ben der Ungiftiglceit und Reizlosigkeit besitzt das Dermatol vor dem Jodoform den Vorzug absoluter Geruchlosigkeit. Diese vorzüglichen Eigenschaften veranlassen den Verfasser, das Dermatol als derzeit bestes Trockenantiseptikum hinzustellen.

Deutsche Medicinische Gesellschaft von New York.

17 West 43. Strasse. Sitzung vom 2. November 1891. Präsident: Dr. A.Jacobi.

Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und angenommen. Vorstellung von Patienten:

Dr. Max Einhorn stellt einen Patienten mit Herpes zoster vor, und zwar wegen des therapeutischen Interesses. Von dem Gesichts- punkt ausgehend, dass vielleicht, wie Pfeifer annimmt, bei Herpes zoster Protozoen die Ursache der Erkrankung sind, gab er dem Pa- tienten Methylen-Blau innerlich. (Bekanntlich hat in der letzten Zeit Ehrlich nachgewiesen, dass dasselbe die Malariaplasmodien, gleichfalls zur Gruppe der Protozoen gehörige Organismen, tödtet.) Das Resultat dieser Behandlung war bei dem Patienten von gutem Erfolg begleitet; am zweiten Tage nach der Methylen- Blau-Einnahme hat Patient sämmtliche Schmerzen verloren, und am 7. Tage der Behandlung waren alle Herpes-Bläschen bereits verschorft und beinahe geheilt. Die Do- sis war 0,2 täglich.

Demonstration von pathologischen Präparaten:

Dr. G. M. E d e b o h 1 s demonstrirt ein der Vagina und Peritonealhöhle entnommenes Holzstäbchen. Das Stäbchen ist rund, 11- cm. dick, 28^ cm. lang, mit einem schön abge- rundeten und einem spitz-zackigen Ende. In' demselben, der Länge nach, sind vier Nägel befestigt, je f cm. über die Oberfläche hervor- stehend.

Das beschriebene Stäbchen fand seinen Weg in die Vagina und Pe- ritonealhöhle auf folgende Weise: Frau C. B., eine 63jährige Wittwe, versuchte am 7. October, 1891, von der Haustreppe durch's Fenster in ihr Zimmer zu steigen, stürzte aber bei dem Versuche über das Gelän- der in den drei Meter tiefer liegenden Hof. Ein Laden des Parterre- Fensters stand halb geöffnet. Diesen riss sie im Fallen mit sich fort, und demolirte ihn beinahe vollständig. Dabei wurde das oben be- schriebene Holzstäbchen in die Vagina und, durch dieselbe durch, in die Bauchhöhle gestossen. Die Frau erhob sich und ging mit dem Stäbchen im Leibe durch's nächste Haus in ihr Zimmer, wo sie eine halbe Stunde später Dr. P. J. Leyendecker besuchte.

Keine Schmerzen ; mehrmahges Frösteln, bedeutender Shock. Da es Dr. L. nicht gelang, durch mässiges Anziehen den Stab zu entfernen, ersuchte er um Zuziehung Dr. E.'s.

Die nach gründlicher Desinfection der Scheide vorgenommene Un- tersuchung ergab Folgendes : Dei Stab hatte seinen Weg durch die Scheide, ohne weitere Verletzungen des Eohres, gefunden, hatte das vordere Lacquear dicht vor dem Uterus perforirt, die Blase abhebend, und war in der Bauchhöhle bis zum Nabel, wo das obere Epde deutlich

77

palpirbar, vorgedrungen. Etwa 18 cm. Holz lagen in der Bauchhöhle, 10 cm. in der Scheide und ausserhalb der Vulva.

Vor der Extraktion wurde versucht, festzustellen, ob die Blase lae- dirt, und zwar auf folgende Weise. Ein Catheter wurde eingeführt und eine kleine Menge klaren Urins ohne Blutspuren, entleert. Da es weiter nach sorgfältigem Suchen mit dem Catheter nicht gelang, eine Oeffnung in der Blasenwand zu finden, durch die man das in Situ be- lassene Holz zu touchiren vermochte, konnte eine Verletzung der Blase ausgeschlossen werden.

Die Extraction gelang nun ohne grosse Mühe, nachdem festgestellt wurde, dass ein hervorstehender Nagel, der die eine Lippe der Perito- nealwunde fasste, das Hinderniss bei dem früheren Versuche abgab.

Der sorgfältig desinficirte Zeigefinger konnte nun bequem durch die Wunde im vorderen Lacquear vaginae in die Peritonealhöhle ein- geführt werden und die Gedärme deutlich fühlen. Es wurde nun noch- mals versucht, den eingeführten Finger mit dem Catheter von der Blase aus zu touchiren, was jedoch nicht gelang. Weder der extrahirte Stab noch der im Peritoneum tastende Finger waren blutig, noch erweckten dieselben bei Auge oder Nase den Verdacht der Berührung mit Darm- contenta. Auch die Richtung, welche das Stäbchen durch die Perito- nealhöhle verfolgte und das schön abgerundete eindringende Ende Hessen annehmen, dass der Darm wahrscheinlich verschont geblieben.

Die Laparotomiefrage trat natürlich heran, wurde aber aus folgen- den Gründen negativ entschieden: Alter der Patientin ; ungünstige Verhältnisse in Bezug auf Asepsis ; ausgesprochener nervöser Shock ; Fehlen von Symtomen innerer Verblutung ; positiver Ausschluss von Verletzung der Blase ; und grosse Wahrscheinlichkeit, dass die Därme unversehrt geblieben.

Die Wunde in der Decke der Vagina und die Vagina selbst wurden mit Jodoformgaze austamponirt und ein Dauer-Catheter in die Blase gelegt.

Patientin starb an acuter Peritonitis Contact-infection vom Fremdkörper nach 60 Stunden. Autopsie verweigert.

Von gynäkologischem Standpunkte ist das Eindringen des Ii cm. dicken Stabes zwischen Uterus und Blase, ohne Verletzung Letzterer, von besonderem Interesse. Der Schwerpunkt der Technik bei der va- ginalen Hysterektomie liegt eben im Vermeiden der Perforation der Blase bei Trennung Letzterer vom Uterus.

Dr. Edebohls deraonstrirt ferner einen beiderseitigen Ovarialabscess mit chronischer interstitieller Salpingitis. Die Tuben sind beiderseitig bis auf 2^ cm. im Durchmesser verdickt. Die Proportionen vergrössert.en Lumina enthalten spärliches schleimiges Sekret, keinen Eiter. Die Ovarialabscesse sind beide beinahe kugelrund; der rechtsseitige misst 7 cm., der linksseitige 8 cm. im Durchmesser. Eine 3 mm. dicke pyogene Membran kleidet die Innenwände beider Abscesshöhlen aus.

Das Präparat wurde durch Laparotomie am 28. Oetober, 1891, ge- wonnen, und entstammt einem 23jährigen Mädchen, welches angibt, erst seit 4 Wochen mit Schmerzen im Unterleibe und Rücken zu krän- keln. Die Untersuchung ergibt beträchtlich vergrösserte Tuben und Ovarien beiderseits, den Beckeneingang so ziemlich ausfüllend und den Uterus fixirend. Da die Probepunktion rechtsseitig Eiter ergiebt, wird zur Salpingo-oophorectomie geschritten, bei der sich allseitige Ver- wachsungen des Omentum, Dick- und Dünndarmes und Processus ver- miformis mit den erkrankten Adnexen fanden. Der linke Ovarialabs- cess wurde ohne Eiteraustritt entfernt ; der rechte riss ein und eine geringe Menge Eiter ergoss sich in die Bauchhöhle. Aufwischen mit-

78

telst sterilisirter Gaze, Irrigation und Trocknen der Bauchhöhle. Schluss ohne Drainage. Soweit, 6. Tag, vollständiges Wohlbefinden. (Den 10, November wird von Edebohls hinzugefügt, dass Patientin in- dess ohne Zwischenfall genesen ist. E.)

Es ist dies das erste Mal, dass E. bei seinen Laparotomien einen beiderseitigen Ovarialabscess angetroffen, auch finden sich dieselben in der Literatur nur äusserst spärlich verzeichnet. Bei 29 wegen grösse- ren Eiteransammlungen in Tuben und Ovarien von E. vorge- nommenen Salpingo-oophorectomien fanden sich

Einseitige pyosalpinx 2 mal

Doppelseitige pyosalpinx 12

Doppelseitige tuberculöse pyosalpinx 3

Pyosalpinx und Ovarialabscess derselben Seite 2

Beiderseitige pyofealpinx und einseitiger Ovarialabscess 6 Abscess des einen Ovariums 3

Abscess beider Ovarien 1

Eine genauere Aufnahme der Anamnese in unserm Falle ergibt eine deutliche Geschichte gonorrhoischer Infection. Eine bakteriologische Untersuchung des Eiters ist leider versäumt worden. Die mikros- kopische Untersuchung der Eiterhöhlenwandungen ergibt das Fehlen jeder Spur einer epithelialen Bekleidung, womit die Deutung des Befundes als vereiterte Ovarialcysten ausgeschlossen sein dürfte.

Von verschiedener Seite sind bereits vereinzelte Fälle berichtet, in denen der Gonococcus im Eiter eines Ovarialabscesses nachgewiesen wurde. In unserem Falle dürften Anamnese und Befund der Tuben wohl den Kückschluss auf genorrhoischen Ursprung des Leidens ge- statten.

Dr. Edebohls demonstrirt ferner eine kleine pyosalpinx gonorrhoica, die dadurch'von Interesse, dass sie 34 Tage nach dem inficirenden Coitus als pyosalpinx sicher erkannt, um zwei Tage darauf durch Salpingo-oophorectomie entfernt zu werden.

Die Krankengeschichte, welche ein 19 jähriges Mädchen betrifft, ist kurz gefasst folgende:

16. 4. 91. Coitus.

20. 4. 91. Urethritis gonorrhoica. Vulvitis, vaginitis und endome-

tritis gonorrhoica in rascher Folge. 26. 4. 91. Beginnende doppelseitige Salpingitis. 30. 4. 91. Pleuritis acuta sinistra, mit mässiger Exsudatbildung.

Kesorption in drei Wochen. 15. 5. 91. Pelvi-peritonitis acuta.

20. 5. 91. Probepunktion der leicht vergrösserten linken Tube er- gibt Eiter.

22. 5. 91. Salpingo-oophorectomie. Frische pelveo-peritonitis mit diffuser Schwartenbildung. Leichte Lösung und Ent- fernung beider kranken Tuben. Linke Tube kleinfinger- dick, enthält etwa 5 gramm Eiter. Abdominales Ende offen, gestattet freien Austritt des Eiters in die Bauchhöhle. Trockene Eeinigung der Beckenhöhle. Schluss ohne Drainage. Glatte Heilung und sofortige Euphorie. Der Fall kam in Behandlung, nachdem Infection der üterushöhle bereits vollendete Thatsache war.

Dr. Edebohls demonstrirt ferner seinen aus Glas und galvanisir- tem Metal angefertigten, mit besonderer Berücksichtigung der beque- men Irrigation und der Bedürfnisse der TRENDELENBURG'schen Hoch- lagerung des Beckens construirten combinirten gynaekologi- schen Operations- und Laparatomietisch. Der Tisch wird des Näheren im Medical Eecord beschrieben werden.

79

Dr. Florian Krug demonstrirt elf Präparate, eine Auswahl aus beiläufig dreissig intraperitonealen Eingriffen, die er zwischen dem 15. September und 30. Oktober dieses Jahres vorgenommen hat.*)

1. Ein grosses multiples Fibromyom des Uterus inclusive Tuben und Ovarien von den Bauch decken aus totaliter exstirpirt. Patientin litt an vorgeschrittener Pott'scher Kyphose.

2. und 3. Carcinomatöse Uteri durch die Scheide entfernt. Dies ist Krug's 16. und 17. Fall von vaginaler Hysterectomie. Er verlor nur seinen 4. Fall, somit ist seine Mortalität nunmehr etwas über fünf Procent.

4. Grosses doppelseitiges CoUoidsarkom der Ovarien ; Colloide De- generation des Omentum majus ; hühnereigrosse CoUoidcyste des Processus vermiformis. Sämmtliche durch Laparotomie erfolgreich entfernt.

5. Carcinom des linken Ovariums und breiten Ligaments, das ganze Becken ausfüllend. Laparotomie. Glatte Heilung.

6. Doppelseitige Pyosalpinx, abgekapseltes intraperitoneales Exsu- dat und enorm grosser rechtsseitiger Ovarialabscess, der anderthalb Quart stinkenden Eiters enthielt. Bauchschnitt. Glatte Heilung.

7. und 8. Doppelseitige Pyosalpinges mit ausgedehnten Adhäsionen in Folge gonorrhöischer Infection. Laparotomie. Heilung.

9. Eine grosse Hydrosalpinx. Patientin litt an totalem Uterus- prolaps. Amputatio cervicis; Colporrhaphia anterior, Salpingectomia,. Ventrofixatio uteri. Drei Wochen später Colpo-perineorrhaphia. Völ- lige Heilung.

10. und 11. Zwei Präparate von Extrauterin Schwangerschaft, beide durch Laparotomie entfernt. Die erste Patientin genas ohne Zwischenfall; die zweite starb an Lungenembolie der einzige Todes- fall in einer langen Keihe von complicirten Operationen.

Dr. Garrigues zeigt eine von ihm konstruirte Zange f ürUterus- tamponade vor. Sie ist wie eine Uterinsonde gebogen und hat einen Knopf wie diese, um Durchbohrung des Uterus zu verhindern. Die Zange ist so schlank, dass sie oft ohne Erweiterung des Cervix ge- braucht werden kann. Die Innenseite des letzten Zolls der Branchen ist gerieft, um den Gazestreifen festhalten zu können. Zu demselben Zwecke ist am hintern Ende ein Schluss.

Das Instrument erleichtert in hohem Grade die Einführung von Gaze in den Uterus. Patientin ist in Kückenlage, Cusco's Spekulum wird eingeführt, die Uterinzange wird, mit dem Ende des Gazestreif ens armirt, geschlossen bis zum Fundus hinaufgeführt. Dann geöffnet und bis zum Os herausgezogen. Hier ergreift sie eine neue Stelle, führt sie zum Fundus hinauf u. s. w. bis die Uterushöhle voll ist. Dann lässt man ein freies Ende in der Scheide hängen, um den Streifen heraus- ziehen zu können.

Dr. J, M ount Bleyer demonstrirt:

1. Künstliche Respirationsröhre.

2. Canülenartige Kehlkopfelektrode.

3. Eine kombinirte Tracheotoraie- und Intubationscanüle.

Discussion:

Dr. Kammer er glaubt, dass man bei Stenosen das Instrument sehr schwer werde einführen können.

Dr. Bleyer erwidert, dass sich das Instrument sehr leicht ein- führen lasse.

*3 Siehe Originalartikel.

80

Dr. Einhorn bemerkt, dass O'Dwyer bereits auf dem letzten Congress of American Physicians Canülen behufs künstlicher Respi- ration vorgezeigt habe.

Dr. B 1 e y e r erwidert, dass er das Instrum ent bereits vor 1^ Jahren bei Windler in Wien habe machen lassen.

Die Abstimmung über die vorgeschlagenen Candidaten Hibbe, Fer- gusson und Mandelstamm ergiebt die Aufnahme derselben als Mit- glieder.

NominationvonBeamten.

Präsident: A. Jacobi lehnt ab.

Lilienthal lehnt ab. C. Heitzmann.

F. Lange. Newman.

Vieep räsi den|t : Caille.

G. W. Jacoby lehnt ab. Seibert lehnt ab. Rachel.

Protokoll. Sekretär: Einhorn.

Stellvertretenderprot. Sekretär: L. Heitzmann. Freudenthal lehnt ab. Torek.

Korrespondir ender Sekretär: " FreudenthaL Schatzmeister: L. Weiss. A uf nah me c 0 mmit t e e :

Willy Meyer.

L. Weber.

C. Heitzmann.

Garrigues.

A. Jacobi.

Foerster.

Edebohls.

Krug.

Seibert.

Kammerer.

Es folgt Vortrag von Dr. H. F. Risch: Eine Art der Be- handlung der Diphtherie; ferner

Vortrag von Dr. L. Fischer: Frühzeitige Diagnose der Diphtherie, mit Demonstrationen.

(Ist in der Monatsschrift abgedruckt worden.) Discussion.

Dr. A. Jacobi bemerkt, dass es ihm scheine, als ob der Vortrag von Dr. Risch eine Mittheilung sei, die er, Dr. Risch, nicht kritisirt haben möchte. Was dagegen den Vortrag von Dr. Fischer zur Ver- vollständigung der Diagnose betreffe, so sei derselbe an der Tages- ordnung. Manches sei darin nicht richtig mitgetheilt worden; so zum Beispiel habe Prüdden selber später angegeben, dass er die Loetfler'- schen Bacillen findet.

Dr. Seibert erklärt, dass er sich über den Vortrag von Dr. Fischer sehr freue; es sei ihm zwar nicht vergönnt gewesen, viel Bac- teriologie zu treiben, gleichviel gelang es ihm schon vor einem Jahre,

81

die LoEFFLER'schen Bacillen in den Diphtheriemembranen direkt unter dem Mikroskop durch Färbung mit Methylen-Blau nachzuweisen. Dr. Jacobi hatte in der Kritik über seinen Vortrag noch angegeben, dass Prudden den Loeffler- Bacillus nicht anerkennt. Was die Diagnose betreffe, so sei dieselbe gewöhnlich schon ohne den Nachweis der Ba- cillen sicher gestellt.

Dr. L. Fischer bezweifelt, dass Dr. Seibert die Diagnose ohne weiteres machen könne; er glaube nicht, dass man die Membranen be- hufs mikroskopischer Untersuchung auf streichen könne; nur der Be- fund der Bacillen stelle die Diagnose sicher.

Dr. A. Jacobi fragt, ob Baginski und Fischer genügend Fälle untersucht haben, um zu zeigen, wie viele der follikulären Anginen zur Diphtherie gehören. Er war stets der Ansicht, dass viele davon Diph- therie wären.

Dr. Fischer beantwortet die Frage dahin, dass die Mehrzahl sich als diphtherisch erwiesen haben.

D r. A. Jacobi hebt hervor, dass dies seine alte Erfahrung bestä- tige, dass nämlich die Mehrzahl der Fälle diphtherisch sind.

Dr. C. Heitzmann erwähnt, dass er vor einem Jahre bei Klein den Diphtherie-Bacillus gesehen habe. Klein habe auch Impfungen an Katzen vorgenommen und zwar mit Erfolg. Derselbe habe über- haupt sehr schöne Arbeiten auf diesem Gebiete geleistet und daher falle es ihm auf, dass der Vortragende seinen Namen nicht erwähnt habe.

Dr. L. Fischer bedauert, dass er Klein's Arbeiten übersehen habe.

Als neue Mitglieder werden vorgeschlagen:

Dr. Brettauer, von Dr. Freudenthal. Dr. Alfons Mueller, von Dr. F. Torek Schluss und Vertagung.

Dr. Max Einhorn,

protokoUirender Sekretär.

Deutsche Medicinische Gesellschaft von New York.

17 West 43. Strasse. SitzuDg vom 7. December 1891, Präsident Dr. A. Jacobi.

Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und angenommen.

Demonstration von Instrumenten. Dr. L. Weber zeigt einen Hydrocelen Troikar und Spritze vor. Discussion:

Dr. Roth fragt, ob die Spritze mit dem Troikar zusammen heraus- gezogen werde.

Dr. A. Jacobi fragt, ob der Urin untersucht wurde.

Dr. Weber antwortet, dass er keine Veranlassung gehabt habe, den Urin zu untersuchen.

Jahresberichte:

Der Jahresbericht des korrespondirenden Sekretärs, der Bericht des protokoUirenden Sekretärs und des Schatzmeisters werden verlesen.

Bericht des protokolUrenden Sekretärs über das Vereinsjahr 1891.

Im verflossenen Vereinsjahre fanden 10 wissenschaftliche Sitzungen statt.

In denselben wurden:

11 Patienten vorgestellt,

82

46 Präparate und 8 Apparate resp. Instrumente demonstrirt und 23 Vorträge gehalten. Letztere vertheilten sich auf die einzelnen Specialfächer folgender-

maassen:

Innere Medicin 12

Chirurgie 5

Histologie und pathologische Anatomie 2

Kinderheilkunde 1

Dermatologie 2

Gynaekologie 1

Dr. Max Einhorn, protokollirender Sekretär. Als ßevisions-Committee für die Kasse werden ernannt: Dr. C. Heitzmann und Dr. L. Weber.

Dr. von der Goltz resignirt als Mitglied; die Resignation wird angenommen.

Es folgen die angekündigten Vorträge:

Dr. H. G o 1 d e n b e r g : Beiträge zur Diagnose und Therapie des Trippers. (Ist in No. 1, 1892, der Medicinischen Monatsschrift abgedruckt worden.)

Discussion.

Dr. Newman bemerkt, dass, nach dem Vortrag zu schliessen, die Behandlung des Trippers leicht erscheine. Er beschäftige sich 25 Jahre mit dieser Frage, auch mit dem Cystoskop, allein in frischen Fällen könne man selten Sonden einführen, ebensowenig das Cystoskop. Es gebe Tripper, die keine Gonokokken haben, und doch sei bei der Behandlung die Wegschafifung der Gonokokken das Wichtigste.

Dr. C. Heitzmann hebt hervor, dass man eine Trennung zwischen Tripper mit Gonokokken und Tripper ohne Gonokokken vornehmen sollte. Letztere Form sollte als ein katarrhalischer Ausfluss bezeich- net werden. Mit der Behandlung des Trippers müsse man sehr vor- sichtig sein. Ein Arzt, den er lange wegen Nephritis behandelt hatte, wollte sich verheirathen, und er rieth ihm dazu. Später kam Patient zu ihm zurück und erzählte ihm, er habe 3mal versucht, seine Frau zu de- floriren, jedesmal aber bekam er einen Tripper bei dem Versuch. Bum habe nachgewiesen, dass in der Vagma der Micrococcus subflavus da ist, der den Frauen nicht schadet, aber bei Männern in der Urethra Gonorrhoe erzeugen kann. Diese Gonorrhoe sei also nicht durch Gonokokken bedingt und müsse als eine Urethritis catarrhalis bezeich- net werden.

Dr. Goldenberg bemerkt in seinem Schlusswort mit Rücksicht auf die Ausführungen des Dr. Newman, dass er bei einem akuten Tripper das Cystoskop nicht anwende. Neisser habe nachgewiesen, dass die Gonokokken die Ursache der Gonorrhoe sind. Redner fragt, ob nicht die Gonokokken und der Micrococcus subflavus identisch seien.

Dr. A. Jacobi meint, dass man sich daran gewöhnen sollte, einen Ausfluss mit Gonokokken als Tripper zu bezeichnen und einen anderen als katarrhalische Urethritis.

Die Abstimmung ergibt die Aufnahme der in der vorigen Sitzung vorgeschlagenen Kandidaten.

83

Als neue Kandidaten werden vorgeschlagen :

Dr. H. A. Hkrrmann, 696 Madison Ave., von Dr. C. Heitzmann.

Dr. F. E. Sondern, 36 West 33. St. )

Dr. W. C. GuETH, 253 East 71. St. V von Dr. Franz Torek.

Dr. F. H. ZiTz, 596 7. Ave. )

Dr. Halpern, 230 Broadway, von Dr. M. Komm.

Dr. A. ScHüLMAN, 319 East 10. St., von Dr. Edebohls.

Dr. Ohas. A. Powers, 35 West 35. St., von Dr. Edebohls.

Dr. Sara Welt hält darauf den angekündigten Vortrag: Beitrag zum Vorkommen von geistigen Störungen nach akuten Krankheiten im Kindesalter»

Discussion.

Dr. G. W. J a c o b y hebt hervor, dass Kinderärzte und Neuro- logen bei dieser Frage sehr interessirt sind. Ist denn ein Unterschied zwischen den Psychosen bei Erwachsenen und Kindern überhaupt vor- handen ? Redner ist der Ansicht, dass die Psychosen im Kindesalter anders sind als bei Erwachsenen, glaubt jedoch nicht, dass diese be- sprochenen Psychosen infolge der akuten Infectionskrankheiten ausge- brochen seien. Man werde immer andere Momente finden, die für den Ausbruch der Psychose verantwortlich sind.

D r. L. Weber hält es für wichtig, hier über die Epilepsie zu sprechen. Diese sei gleichfalls eine Psychose, und er könne mehrere solche Fälle anführen, wo Epilepsie nach akuten Infektionskrankheiten entstanden ist. Der erste Fall betraf ein Mädchen, wo Epilepsie im 15. Lebensjahr nach bösen Masern eintrat. Im 2. Fall trat nach schwe- rem Scharlach im 8. Lebensjahr Epilepsie im 14. Lebensjahr ein. In beiden waren keine anderen Momente für die Entstehung der Epilepsie vorhanden.

Dr. Rachel theilt mit, dass ein Knabe von 6 Jahren, der kürz- lich „ Nerventieber Typhus abdominalis, gehabt, dann zänkisch und widerspruchsfertig ward und versuchte, alles Papier und Leinen zu kauen und zu verschlucken. Gleichzeitig bestand hochgradige Anorexie und Darmkatarrh. Durch gehörige Behandlung besserte sich der Magenkatarrh und gleichzeitig änderte sich der geistige Zustand des Kindes. Redner meint nun, dass gewisse Ptomaine. die beim Darmkatarrh entstehen und resorbirt werden, eventuell in dieser Weise auf das Gehirn gewirkt haben mögen.

Dr. Einhorn glaubt, dass diese Erklärung insofern unwahrschein- lich ist, als man sonst öfters bei den Magen-Darmkatarrhen der Kinder ähnliche Erscheinungen beobachten sollte.

D r. R a c h e 1 erwidert, dass man in der That bei Kindern öfter solche Erscheinungen finde.

Dr. A. J a c o b i : Wenn geistige Störungen nach akuten Krank- heiten vorkommen, so werden verschiedene Gehirne gewiss für die Entstehung von Psychosen prädisponirt gewesen sein. Ueberall müsse etwas Prädisponirendes als Ursache da sein. Vor einer Reihe von Jahren habe Seibert nachgewiesen, dass bei der Pneumonie in einer grossen Anzahl von Fällen eine Bronchitis vorangegangen. Die Statistik leiste übrigens bei den Psychosen sehr wenig. Die betreffen- den Kinder kommen nicht in die Anstalten. Idioten seien unter den Kindern häufig, sie würden im Dispensary gesehen; dasselbe sei mit den Geisteskrankheiten im Kindesalter der Fall. Neuralgien sind sehr jaäufig, Hysterie nicht selten im Kindesalter. Im letzten Heft für

84

Psychiatrie berichtet Nolde über das Vorkommen von multipler Skle- rose nach akuten Infectionskrankheiten. Redner hat selbst Gelegen- heit gehabt, einige Fälle von akuter Psychose nach Infectionskrank- heiten zu beobachten. Die Handbücher enthalten sehr wenig darüber, am ausführlichsten sei der Gegenstand bei Struempell besprochen.

Was ist nun die Ursache der Entstehung von Geisteskrankheiten nach der Inf ectionskrankheit ? Eine schwere Anaemie ist die Ur- sache; anderseits kann ein entzündlicher Zustand vorhanden sein. Meningitis ist bei Typhus und Rheuma vorhanden : warum soll sich nun nicht hieraus später ein abnormaler Geisteszustand entwickeln ?

Seine Fälle waren jedoch nicht so leicht verlaufen. Ein Fall von Psychose trat nach Scharlach ein, und das Kind ist jetzt in einer An- stalt. Der zweite Fall betrifft einen Knaben, der in seinem 2. Lebens- jahr an tuberkulöser Meningitis litt. Später war er stets unartig und ist jetzt in einem Irrenhause. Redner hat noch andere Fälle gesehen, aber in allen diesen war Meningitis vorhanden.

Dr. G. W. J a c o b y fragt, ob Fälle vorkamen, wo Psychosen nach akuten Krankheiten aufgetreten sind, ohne dass hereditäre Belastung vorhanden war.

Dr. A. Jacobi erwidert, dass ihm Fälle, wie sie Dr. Welt be- sprochen habe, nicht viele vorgekommen seien ; seine Fälle seien grösstentheils erblich belastet gewesen ; auch die Fälle von Nolde waren erblich belastet ; jedoch habe er selber Irrsinn in 2 Fällen ge- sehen, wo keine erbliche Belastung vorhanden war.

Dr. Sara Welt hebt hervor, dass in zweien ihrer Fälle ebenfalls keine hereditäre Belastung vorhanden war.

Es folgt nunmehr die Abstimmung über die Wahl der Beamten, welche folgendes Resultat ergibt:

Dr. C. Heitzmann, Präsident; Dr. G. W. Rachel, Vice-Präsident; Dr. M. Einhorn, ProtokoUirender Sekretär; Dr. F. Torek, stellvertretender prot. Sekretär; Dr. W. Freüdenthal, Correspondirender Sekretär; Dr. L. Weiss, Schatzmeister; Aufnahme-Committee: Dr. L, Weber ; Dr. A. Jacobi ; __ Dr. F. Foerster; " . ]

Dr. F. Kammerer ;

Dr. Willy Meyer.

Schluss und Vertagung,

Dr, Max Einhorn, ^ _ protokoUirender Sekretär.

Nekrologe.

Prof. Dr. ERNST WILHELM RITTER v. BRUECKE.

Der berühmte Physiologe, Prof. v. Bruecke, erlag der Influenza am 7. Januar d. J. Sein äusserer Lebenslauf war sehr einfach : geboren zu Berlin am 6. Juni 1819 als Sohn des Portrait- und Historienmalers Johann Gottfried B., studirte er Medicin in Berlin und Heidelberg, promovirte 1842, wurde 1843 Assistent von Johannes Mueller, 1844 Privatdocent an der Berliner Universität, 1846 Lehrer der Anatomie an der Berliner Academie der bildenden Künste, 1848 Extraordinarius

85

für Physiologie in Königsberg und endlich 1849 Professor der Physio- logie und Histologie in Wien, wo er bis zur Niederlegung seines Lehr- amtes im vorigen Jahre ununterbrochen wirkte. B. hat nicht ein specielles Kapitel der Physiologie ausschliesslich oder mit besonderer Vorliebe bearbeitet, sondern auf allen Gebieten der Biologie geforscht und die jElesultate seiner Studien in einigen Büchern und in zahlreichen Abhandlungen (nach Exner beläuft sich die Zahl derselben auf 127 !) niedergelegt. Von Letzteren erschienen die meisten in „Mueller's Archiv" und späterhin in den „Sitzungsberichten der Wiener Academie der Wissenschaften.*' Einer grossen Verbreitung unter den Studiren- den erfreuen sich noch bis heute seine gediegenen „Vorlesungen über Physiologie" (zuerst 1873 erschienen), welche mehrere Auflagen erlebt haben. Sein letztes Werk behandelt das Thema über „Schönheit und Fehler der menschlichen Gestalt".

Prof. Dr. KARL L. LIMAN.

Der Professor der gerichtlichen Medizin in Berhn, Dr. Karl L. LiMAN, ist am 22. November v. J. gestorben. Derselbe wurde 1842 promovirt, 1861 Privatdozent für gerichtliche Medizin, 1865 Professor e. o. Seit vielen Jahren war derselbe gerichtlicher und Stadtphysikus und leitete die praktische Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde in Berlin. Ausser zahlreichen kleineren Abhandlungen gab Liman Ricord's „Briefe über Syphilis" in deutscher Uebersetzung heraus, ferner seines Oheims J, L. Casper „Handbuch der gerichtlichen Medizin" in neuer Bearbeitung und in mehreren Auflagen. Von seinen grösseren Arbeiten heben wir hervor : „Zweifelhafte Geisteszustände vor Gericht" (Berlin 1869).

Sir MORELL MACKENZIE.

Der hervorragende enghsche Laryngo- und Rhinologe, ein Schüler Czermak's, Sir Morell Mackenzie, ist in London am 3. Februar d. J. nach einem kurzen Krankenlager, an acuter Bronchitis gestorben. Geboren in Leytonstone (Grafschaft Essex) im Jahre 1837, studirte M. Medicin zuerst in London, später in Paris, Wien und Budapest. Er practicirte in London seit 1862 und gründete dort im darauffolgen- den Jahre das musterhafte " Hospital of the Diseases of the Throat." Im selben Jahre erhielt er vom Royal College of Surgeons den „Jack- sonian prize" für eine Abhandlung über die Krankheiten des Kehl- kopfes. Ausser seiner umfangreichen schriftstellerischen Thätigkeit auf dem Gebiete seines Spezialfaches, hielt M. auch Vorlesungen im London Hospital. Sein Hauptwerk ist das bekannte, in zwei Bänden erschienene Buch " Diseases of the Throat and Xose ", welches auch in's Deutsche und Französische übersetzt wurde. M. war MitgUed verschiedener wissenschaftlicher Gesellschaften in Europa und Ehren- mitglied der American Laryngological Association. Bekanntlich hatte M. den verstorbenen Kaiser Friedrich behandelt. Der Streit, der da- mals zwischen M. und seinen deutschen Collegen entbrannte, ist noch Allen in Erinnerung. Eine Vertheidigungsschrift (" The Fatal Illness of Frederic the Noble"), die M., nach dem Tode des Kaisers, veröffent- licht hatte, zog ihm die Feindschaft seiner Londoner Collegen zu und veranlasste ihn, sein Lehramt am College of Physicians niederzulegen.

86

Briefkasten. Elfter Congress für innere Medicin.

Wiesbaden, Januar 1892.

Sehr verehrter Herr Eedacteür !

Sie würden das unterzeichnete Committee zu dem wärmsten Danke verpflichten, wenn sie die Güte haben wollten, die nachstehenden No- tizen über den 11. Congress für innere Medicin in dem redactionellen Theile Ihres geschätzten Blattes zu berücksichtigen.

Das Geschäftscommittee für innere Medicin. Immermann. v. Ziemssen. BÄumler. Mosler. Im Auftrage:

Emil Pfeiffer,

Ständiger Sekretär des Congresses.

Der elfte Congress für innere Medicin findet vom 20.— 23. April 1892 zu Leipzig im Deutschen Buchhändlerhause, Hospitalstrasse, unter dem Vorsitze des Herrn Professor Curschmann (Leipzig) statt.

Die Themata, welche zur Verhandlung kommen sollen, sind:

Mittwoch, den 20. April: Die schweren anämischen Zustände. Refe- renten: Herr Biermer (Breslau) und Herr Ehrlich (Berlin).

Freitag, den 22. April: Die chronische Leberentzündung. Referen= ten: Herr Rosenstein (Leyden) und Herr Stadelmann (Dorpat).

Die nachstehenden Vorträge sind bereits angemeldet: Herr Emmerich (München): Ueber die Ursache der Immunität und die Heilung von Infectionskrankheiten. Herr Peiper (Greifswald): Ueber Urämie. Herr Rob. Bins wanger fKreuzlingen-Constanz): Ueber die Erfolge der Suggestiv-Therapie. Herr Goltz (Strassburg): Ueber die Folgen der Ausschneidung grösserer Stücke des Rückenmarkes (Bericht über Beobachtungen, welche von den Herren Goltz und Ewald an Hun- den angestellt wurden). Herr Schott (Nauheim): Zur Aetiologie der chronischen Herzkrankheiten. Herr v. Jaksch (Prag): Thema vorbe- halten. — Herr Fürbringer (Berlin): Zur Kenntniss der sogenannten Leberkolik und Pseudogallensteine. Herr Vucetic (Mitrovitz): Be- handlung des Alkoholismus. Herr Minkowski (Strassburg): Weitere Mittheilungen über den Diabetes meUitus nach Pancreasexstirpation. Herr Ebstein (GöttiDgen): Thema vorbehalten, Herr Adamkiewicz (Krakau): Ueber die Behandlung des Carcinomes. Herr Finkler (Bonn): Die verschiedenen Formen der Pneumonie. Herr Gerhardt (Berlin): Thema vorbehalten. Herr Geppert (Bonn): Thema vorbe- halten: Herr Israel (Berlin): Ueber die secundären Veränderuncren der Kreislaufsorgane bei Insufficienzder Nierenthätigkeit. Herr Landois (Greifswald): Ueber den therapeutischen Werth der Bluttransfusion beim Menschen. Herr Rütimeyer (Basel-Richen): Zur Pathologie der Bilharziakrankheit. Herr Grawitz (Greifswald): Ueber die hämorrha- gischen Infarcte der Lungen. Herr Klebs (Zürich): Ueber die Heilung der Tuberkulose und die Biologie der Tuberkelbacillen. Herr G. Klemperer (Berlin) und Herr F. Klemperer (Strassburg): Untersuchun- gen über die Ursachen der Immunität und Heilung, besonders bei der Pneumonie. Herr Buchner (München): Ueber Immunität gegen In- fectionskrankheiten. — Herr v. Ziemssen (München): Ueber subcutane Bluttransfusion. Herr F. Wolff (Reiboldsgrün): Ueber das Verhält- niss der Infectionsgefahr zum wirklichen Erkranken bei Tuberkulose. Herr Löffler (Greifswald): Thema vorbehalten. Herr Richard Stern (Breslau): Ueber Darm-Desinfection. Herr H. Leo (Bonn): Beobach- tungen über Diabetes mellitus. Herr Schreiber (Königsberg): Ueber Circulationsstörungen in den Nieren.

87

FMit dem Congress ist eine Ausstellung neuerer ärztlicher Apparate, Instrumente, Präparate u. s. w. verbunden. Anmeldungen für dieselbe sind an den Lokal-Sekretär des Congresses, Herrn Privatdocenten Dr. Krehl, Leipzig, Thalstrasse 31, zu richten.

Allerlei. »

Gelegentlich der Chicagoer Weltausstellung im Jahre 1893 ist von dem Committee der Weltausstellung die Abhaltung eines internationa- len hygienischen Congresses in Aussicht genommen. Das genannte Committee hat sich bereits mit der ständigen Commission des internatio- nalen hygienischen Congresses in Verbindung gesetzt, um eine Verein- barung dahin -au treffen, dass der für das Jahr 1893 in Budapest abzu- haltende VIII. Congress erst im Jahre 1895 daselbst stattfindet.

Der zweite internationale dermatologische Kongress wird vom 5. bis 10. September 1892 in Wien abgehalten werden. Präsident des Or- ganisations-Committees ist Prof. Kaposi. Das Committee hat bisher folgende Themen aufgestellt : I. Ueber lymphatische Erkrankungen der Haut, vom path.-anatom. Standpunkte : Doz. K. Paltauf (Wien). II. Ueber den gegenwärtigen Stand der Lepra in Europa: Dr. Arning (Hamburg), Dr. Petersen (Petersburg). III. Ueber Dermato- mykosen, unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Frankreich : Dr. Feulard (Paris). IV. Ueber tardive Syphilis : Prof. Neumann (Wien). V. Ueber Anatomie und Entwickelung des Ober- hautpigments : Prof. Jarisch (Innsbruck). VI. Ueber Psorospermo- sen : Prof. Neisser (Breslau), Prof. C. Boeck (Christiania). VII. Ueber die Principien der Gonorrhöebehandlung : Prof. Neisser (Breslau). VIII. Ueber Lupus erythematosus : Dr. Malcolm Morris (London), Dr. Th. Veiel (Canstatt). Zu Vorträgen haben sich gemeldet: Bes- nier (Paris), FouRNiER (Paris), Pick (Prag), Doutrelepont (Bonn), Schwimmer (Budapest), Kiehl (Wien). Gleichzeitig mit dem Kongresse findet auch eine Ausstellung von die Pathologie und Therapie der Hautkrankheiten und der Syphilis, sowie der verwandten Fächer be- treffenden Gegenständen statt. Anmeldungen nimmt entgegen der Generalsecretär des Congresses, Dr. Riehl (Wien I., Bellariastr. 12).

Das erste Land, welches dem Missbrauch der Hypnose einen Kiegel vorzuschieben sich bemüht hat, ist Belgien. Die Volksvertretung in Brüssel hat einen Gesetzentwurf nachstehenden Inhalts angenommen : § 1. Wer ein durch ihn oder durch jemand Andern hypnotisirtes In- dividuum zur öffentlichen Schau stellt, wird mit Haft von zwei Wochen bis zu sechs Monaten und mit einer Geldbusse von 26 bis 1000 Francs bestraft. § 2. Wer als Nichtarzt ein Individuum hypnotisirt, welches das einundzwanzigste Jahr noch nicht erreicht hat oder nicht im voll- ständigen Besitz seiner Geisteskräfte ist, wird mit Haft von zwei Wochen bis zu einem Jahre und mit einer Geldbusse von 26 bis 1000 Francs bestraft, auch dann, wenn das hypnotisirte Individuum nicht zur öffentUchen Schaustellung benützt wurde. In dem Falle, wenn auch eine solche Uebertretung geschah, welche das die ärztliche Praxis regelnde Gesetz gleichfalls ahndet, kann auch dieser Paragraph angewendet werden. | 3. Mit Haft bestraft wird derjenige, der mit der Absicht, zu betrügen oder zu schädigen, durch ein hypnotisirtes Individuum eine solche Urkunde unterschreiben lässt, welche einen Vertrag, eine Verfügung, Verpflichtung, Lösung oder Erklärung ent- hält. Dieselbe Strafe trifft denjenigen, der jene Urkunde zu seinem Nutzen verwerthet hat. ^ 4. Im Falle der Verletzung des vorliegenden

88

Gesetzes sind die Bestimmungen des im § 85 des Cap. VII. im I, Band

des Code penal in Anwendung zu bringen.

Das Wasserstoffsuperoxyd erfreut sich, besonders in den Vereinigten Staaten, einer immer mehr zunehmenden therapeutischen Verwen- dung. Es scheint in der That, dass diesem mächtigen Parasiticiden eine grosse Zukunft bevorsteht, indem die günstige Wirkung desselben bei verschiedenen Krankheiten, nach den zahlreichen Berichten com- petenter Fachgenossen, eine noch mehr ergiebige Verwerthung dieses Mittels erwarten lässt. Am zuverlässigsten scheint sich übrigens das Ch. MARCHAND'sche „Peroxide of Hydrogen Medicinal " darge- stellte W., weil sicher und unschädlich in seiner Wirkung, bewährt zu haben. Derselbe Chemiker hat auch specielle Hand-Sprayapparate zur Inhalation des W. hergestellt. Dass das W. früher von den Medi- cinern so wenig beachtet wurde, erklärt sich wohl dadurch^ dass die bisher gelieferten Fabrikate unzuverlässig und nicht haltbar waren, und weil sie ferner in einer Form geboten wurden, die die Anwendung des W. erschwerten. Das unverdünnte flüssige W. ist an sich höchst unbeständig und zerfällt bei der mindesten Erschütterung, unter Ex- plosion, in Wasser und Sauerstoff. Es wird daher zu praktischen Zwecken stets in verdünnter Lösung gebraucht. Das für ärztliche Zwecke von Marchand (28 Prince Street, New York) dargestellte Präparat ist ein 15-Volumhaltiges W. (es enthält nämlich das 15-fache seines Vol. an nascirendem Sauerstoff) und ist eine wasserklare, fast geruch- und geschmacklose Flüs- sigkeit, zu der, behufs besserer Haltbarkeit, etwas Salzsäure zugesetzt ist. Es wird in Pint- Flaschen zu 9 Dollar das Dutzend geliefert. Die Flaschen müssen kalt aufbewahrt werden, die Lösung darf nicht mit metallenen Gegenständen in Berührung kommen, denn sie zersetzt sich dabei sehr leicht. Die 15-Vol. Lösung ist zwar nicht giftig, doch ist es immerhin besser, sie zu therapeutischen Zwecken zu verdünnen. So z. B. genügt zur Irrigation des Mundes, der Nase, der Rachens eine 2-Volumhaltige Lösung. Man bereitet sich die Lösung selbst zu, in- dem man zu 1 Pint Wasser 2 Unzen von der ursprünglichen Lösung zusetzt. Zum Gurgeln (bei Scharlach, Diphtherie) eignet sich eine 3- Volumhaltige, für Scheidenirrigationen (Krebs u. s. w.) eine 1- Volum- haltige Lösimg.

Dr. Max Einhorn,

Stellvertretender Redacteur, 120 E. 64. St.

An die Leser.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w., sind zu richten an : " Medical Monthly Publishing Co.," 17—27 Vandewater Street, New York.

Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Herausgeber zu richten.

Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse unseres Blattes im Osten thätig.

New Yorker

Medicinische Monatsschrift.

Organ für praktische Aerzte in Amerika

•unter Mit-wirkung von

Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert herausgegeben von Dr. P. C. HEPPENHEIMER. Verlag der Medical Monthly Publishing Company, 17-27 Yandewater Street, N, T.

Bd. IV. New York, 15. März 1892, No. 3.

ORIGINALARBEITEN. I.

Wanderniere und Frauenkrankheiten.*)

Von

Dr. John Schmitt.

In einem Vortrage über Wanderniere beschwerte sich vor einiger Zeit ein Arzt über einen Collegen, der die Eierstöcke einer mit beweglicher Niere behafteten Patientin entfernte. „Die Eierstöcke büsste Patientin wohl ein, die Wanderniere mit ihren quälenden Symptomen behielt sie."

Die Ueberlegungen, die sich an diese Beschwerde anschliessen, er- geben so viele, interessante Punkte, dass ich es der Mühe Werth er- achte, dieselben in zusammenhängender Form Ihnen vorzutragen. , Wenn man es sich zur Aufgabe macht, alle Frauen, die wegen wirk- licher oder vermeintlicher Sexualleiden zur Beobachtimg kommen, auf Dislocation der Niere zu untersuchen, so ist man über die Häufigkeit letzterer Erkrankung erstaunt. Ich übertreibe nicht, wenn ich be- haupte, dass unter zehn Frauen mindestens eine mit einer mehr oder weniger vorgeschrittenen Senkung meistens der rechten Niere behaftet ist. Freilich darf man Zeit und Mühe, die eine gründüche Nierenun- tersuchung erfordert, nicht scheuen. Ohne sie werden die Anfangs- stadien der Nierensenkung, die sehr häufig vorkommen, leicht über- sehen. Unter günstigen Bedingungen lassen sich die unteren Pole nor- mal gelagerter, pathologisch nicht vergrösserter Nieren abtasten. Man bedient sich am besten der bimanuellen Methode, indem man, während Patientin mit gebeugten Ober- und Unterschenkeln auf den Rücken oder die gesunde Seite gelagert ist, die eine Hand in der Lumbargegend, die andere vorn unter dem Rippenbogen eindrückt. Sind die Batich-

*) Vortrag gehalten in der Sitzung der Deutschen Mediz. Geeellflchaft, vdn New York, den 1. Februar 1892. Mit Vorstellung von Patienten.

,90

decken nicht zu fett, die Därme leer und stellen sich während der Untersuchung keine partiellen Oontracturen der Bauchmuskeln ein, dann gelingt es in den allermeisten Fällen, namentlich bei tiefer Inspi- ration, den unteren Abschnitt normaler Nieren zu palpiren. Die An- fangsstadien der Wanderniere, die in einer einfachen Nierenlockerung bestehen, lassen sich mit dieser Methode unschwer erkennen. Sie tritt bei der Inspiration über Gebühr herab, sie lässt sich auf der Höhe der Inspiration festhalten und am Zurückschlüpfen während der Expira- tion verhindern.

Von der einfachen Lockerung der Niere bis zur Lagerung im Becken sind alle Zwischenstationen möghch. Im Allgemeinen senkt sie sich retroperitoneal zwischen den Blättern des Mesocolon herab, bald mehr nach innen unter demRippenbogen hervorragend, bald mehr nach aussen das äussere Blatt des Mesocolon ausdehnend. In der Regel hat sie den Darm vor sich, doch kann sie auch bei genügender Lockerung und Ausstülpung des Peritoneum's direkt hinter die Bauchwand zu liegen kommen. In den hochgradigen Fällen von Nierenwanderung findet man die Niere entweder in der fossa iUaca oder am Eingang des kleinen Beckens seitlich vom Promontorium.

Im Allgemeinen wird man nicht fehlgehen, einen in der seitlichen Bauchgegend, hinter dem Darm gelegenen, ovalen, derben, leicht ver- schieblichen, bei Druck empflndUchen Tumor als eine Wanderniere an- zusprechen. Manchmal überrascht die Veränderlichkeit des Befundes: man hat bei der ersten Untersuchung zweifellos eine Wanderniere ent- deckt; bei der darauf folgenden kann man sie nicht finden. Ich rathe in diesem Falle Patientin husten zu lassen, oder sie im Sitzen oder Stehen zu untersuchen.

Ich erlaube mir Ihnen zwei Patientinnen vorzustellen, bei denen Sie die abnorme Beweglichkeit der rechten Niere mit Zuhülfenahme der oben erwähnten Untersuchungsmethode leicht feststellen können.

Bei der einen derselben wurde wegen nervöser Beschwerden der rechte Eierstock entfernt, die Anwesenheit einer Wanderniere aber ausser Acht gelassen. Mit demselben Rechte hätte man ihr die Wan- derniere exstirpieren und den Eierstock belassen können. Denn die Symptome, wie sie durch die Wanderniere hervorgerufen werden, sind denjenigen durch gewisse Sexualerkrankungen verursachten ausser- ordentlich ähnlich.

Kranke mit beweglicher Niere haben ein unangenehmes Gefühl von Druck und Schwere im Leib, ein Gefühl von Ziehen, als ob ein Gewicht in der Bauchhöhle sich nach abwärts senke, Sie klagen über Rücken- schmerzen, meistens der Seite der Dislocation entsprechend. Anhal- tende Arbeit, Bewegungen, Erschütterungen des Körpers verschlim- mern, Ruhe, Rückenlage erleichtert die Beschwerden. Solche Patien- ten fühlen am besten Morgens, wenn sie das Bett verlassen; Herum- gehen und Aufnahme der gewohnten Beschäftigung bringt ihnen das Leiden wieder in unangenehme Erinnerung. Nach längerem Bestehen der Krankheit verschafft ihnen auch die Bettruhe nicht die gewünschte

191

Erleichterung. Sehr gewöhnlich sind Erscheinungen von Seiten des Magens. Sie wechseln von dyspeptischen Beschwerden, Uebelkeiten, Erbrechen, Druckgefühl bis zu den heftigsten Cardialgieen. Durch Dehnung des Peritoneums können Heizerscheinungen von Seiten dieses auftreten. Es können sich ausserdem theils durch directe Weiterver- breitung theils durch Reflex Schmerzen in allen benachbarten und ent- fernten Nervengebieten hinzugesellen. Man bedenke nur welch' wich- tige Nervengebilde in der Nachbarschaft der Niere gelegen sind. Sie werden durch die sich herabsenkende Niere gezerrt und gedrückt und geben zu den mannigfachsten nervösen Störungen Anlass. Allmäh- lich entwickelt sich bei solchen Patienten der ganze Symptomencom- plex der Hysterie; selbst geistige Störungen können sich hinzugesellen.

Soweit habe ich Ihnen die Wanderniere nur in ihrem Einfluss auf das Nervensystem geschildert; es liegt nicht in meiner Absicht Ihnen ein erschöpfendes Krankheitsbild der beweglichen Niere sondern nur jene Symptome zu schildern, die mit denen durch gewisse Sexual- erkrankungen verursachten identisch sind. Aehnlich wie gewisse uterine und ovarielle Leiden stellt die bewegliche Niere die Resistenz- fähigkeit des Nervensystems in hohem Grade auf die Probe. Frauen mit nervöser Schwäche, mag sie nun ererbt oder durch verfehlte Er- ziehung, lang dauernde Erkrankungen, Sorgen u. s. w. erworben sein, werden am verhängnissvollsten beeinflusst. Es giebt Individuen, bei denen die bewegliche Niere gar keine Symptome macht. Bei andern beschränkt sie sich fast nur auf eine einzige Erscheinung und in andern Fällen tritt das ganze Heer aller möglichen Symptome zu Tage. Die- selbe Erfahrung machen wir bei den Sexualerkrankungen. Dasselbe Leiden, das die eine Patientin wenig oder gar nicht beläßtigt, kann die andere zum körperhchen und geistigen Invaliden machen.

Man kann die Beziehungen, die Wanderniere und Sexualorgane zu einander haben, ,von verschiedenen Gesichtspunkten aus beleuchten. Einen Punkt, der sich mit der Aehnlichkeit der Symptome befasst, habe ich bereits in Betracht gezogen. Der Vollständigkeit halber ob- gleich nicht zu meinem Thema gehörig möchte ich hier kurz aus- einandersetzen, in wie weit Wanderniere, Schwangerschaft, Geburt und Menstruation sich gegenseitig beeinflussen.

Wandernieren, die im Becken gelagert sind, hat man gelegentlich bei Schwangerschaften oder während der Geburt entdeckt. Sie haben, soviel ich aus der mir zugänglichen Literatur ersehen kann, nie zur Unterbrechung der Schwangerschaft oder zu Geburtsstörungen Ver- anlassung gegeben. Im Becken fixirte Wandernieren können Anlass zu diagnostischen Irrthümern geben, die in der Regel nach der Lapa- rotomie aufgeklärt werden. Erworbene Wandernieren lassen sich von den seltenen Fällen einer späteren Fixation der Niere in Folge ad- haesiver Peritonitis abgesehen gewöhnüch von der Beckenhöhle nach oben verschieben; während im Becken fixirte Nieren meistens oongeni- taler Natur sind. Sie bieten auch die Form der Niere deutlicher, als die congenitalen Nierendislocationen, bei denen Verändeningen der

92

Form, Anomalien der Gtefässursprünge nicht so selten sind. (Orth.) Die Beschwerden der Wanderniere werden während der Schwanger- schaft meistens gelindert; der in die Höhe wachsende Uterus drängt die Niere nach oben und bildet für dieselbe eine natürliche Unter- stützung. Doch giebt es auch Ausnahmen zu dieser Regel Ich be- obachtete eine Schwangere, die von zeitweilig heftigen Schmerzen auf der Seite der Wanderniere, selbst noch in den späteren Schwanger- schaftsmonaten befallen wurde. Im Wochenbette können die Be- schwerden wieder zurückkehren, selbst bevor die Patienten das Bett verlassen. Wenigstens habe ich im Verlaufe des Wochenbettes, die von einer rechtsseitigen Wanderniere abhängigen nervösen und dyspep- tischen Beschwerden, die in der Schwangerschaft fast verschwunden waren, wiederkehren sehen. Wahrscheinlich hatte die während der Geburt längere Zeit in Anspruch genommene Bauchpresse die Rück- kehr der Nierendislocation mit ihren Folgeerscheinungen verschuldet.

Was ich Ihnen sonst noch von dem Einfluss normaler oder physio- logisch veränderter Genitalorgane auf die bewegliche Niere zu berich- ten habe, ist wenig. Es giebt Aerzte, die behaupten, dass bei jeder Menstruation auch eine Congestion zu den Nieren erfolgt. Diese führe allmählig zu einer Erschlaffung und Lockerung der Befesti- gungsmittel des Organs und schliesslich zur Nierensenkung. Es ist dies selbstverständlich nur eine Hypothese, die Sie nach Belieben glauben oder bezeifeln können. Sicher ist, dass die Beschwerden einer Wanderniere sich bisweilen zur Zeit der Menstruation verschlimmern. Sind die Beziehungen von Wanderniere zu normalen Sexualorganen, die ich Ihnen soeben kurz auseinandergesetzt habe, von mehr unter- geordnetem Interesse, so erweist sich das Thema, das die Beziehungen der Wanderniere zu gleichzeitig bestehenden Sexualerkrankungen be- leuchtet, ungleich fruchtbarer und interessanter. Ein Theil der Geni- talerkrankungen steht in durchaus keinem Zusammenbang mit Wan- derniere; sie stellen zufällig gleichzeitig bestehende Leiden dar. Ich wüsste wenigstens nicht, welche Verwandtschaft eine Gonorrhoe oder ein Pyosalpinx oder ein Cervicalriss mit einer Wandemiere haben könnte. Andererseits giebt es aber eine Anzahl von Sexualerkrankun- gen, die häufig mit Wanderniere zusammen vorkommen, so dass die Annahme eines gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisses und na- mentlich einer gemeinschaftlichen Aetiologie gerechtfertigt erscheint. Dahin gehören Rückwärtslagerung und Senkung der Gebärmutter, Cysto- und Rectocele, sowie chronische Entzündungszustände des Uterus und der Ovarien.

Um Ihnen den Zusammenhang dieser Leiden mit Wandemiere verständlich zu machen, halte ich es zunächst für nöthig die Aetiologie der Wanderniere Ihnen in's Gedächtniss zurückzurufen.

Manche Aerzte schreiben dem festen Schnüren, das indirect durch Druck auf die Leber die Niere aus ihrer Lage drängt, einen Hauptan- theU an dem Zustandekommen der rechten Wanderniere zu. Andere lege» mehr Gwicht auf einen Schwund des Kapselfettes, das die Niere

93

umlagert und an die benachbarten Gebilde befestigt. Schwindet das Fett in Folge von Krankheiten, dann tritt Lockerung und Senkung der Niere ein. Anhaltender Husten, Pressen bei chronischer Constipation, überhaupt alle Vorkommnisse, bei denen das Zwerchfell öfters und län- ger in Inspirationsstellung verharrt, sind geeignet eine Dislocation der Niere hervorzurufen. Wahrscheinlich spielen congenitale Verhältnisse, Abnormitäten in der Befestigung der Niere insofern eine Rolle, als sie Individuen zur Erwerbung der beweglichen Niere mehr disponirt machen. Aus alledem geht aber hervor, dass die Ursachen, die zur Wanderniere führen, nicht immer dieselben und für jeden einzelnen Fall mittelst Untersuchung imd Anamnese zu ermitteln sind. In einem Punkte scheint aber eine auffallende Uebereinstimmung zu herrschen, dass nämlich Frauen, bei denen die Elasticität der Bauchdecken durch Schwangerschaften, Tumoren, Laparotomien, Ernährungsstörungen u. s. w. Noth gelitten hat, verhältnissmässig häufig an Wanderniere leiden. Der Zusammenhang der Wanderniere mit Erschlaffung der Bauchdecken ist leicht zu verstehen, wenn man die physiologische Thätigkeit der Bauchwandungen sich vergegenwärtigt.

Das Bauchinnere ist eingeschlossen von elastischen Wänden : Zwerchfell mit Lungen, unterer Theil des Thorax, Bauchwandungen und Beckenboden. Der Druck, der von diesen Wänden auf die Bauch- contenta und in erster Linie auf die elastischen Gedärme, den Magen eingeschlossen, ausgeübt wird, erzeugt in der Bauchhöhle eine Span^ nung, die wir intraabdominalen Druck nennen.

Einen hervorragenden Antheil an dem Zustandekommen dieses übernehmen die Bauchdecken. Einem elastischen Bande vergleichbar umspannen sie die Baucheingeweide und passen sich den physiologi- schen und pathologischen Volumsveränderungen der Bauchhöhle ver- möge ihrer Zusammenziehungs- und Ausdehnungsfähigkeit an. Sie stützen und halten die Bauchcontenta zusammen, sie üben auf diese einen Druck aus, der neben den anatomischen Befestigungsmitteln ein wesentliches Unterstützungsmittel zur Erhaltung der relativen Lage der Bauch- und Beckenorgane ist.

Werden nun die Bauchdecken durch irgend welche Ursachen in- sufficient, so ist die nächste Folge eine Herabsetzung des intraabdomi- nalen Druckes. Mit ihr treten eine Reihe von Störungen in der Bauch- höhle ein, die sich auf die Lage der Bauch- und Beckenorgane, auf die Blutcirculation und auf die Verdauu7igsvorgänge beziehen. Die Störun- gen der Lage bestehen in einer Senkung der Gedärme, der Leber, Nie- ren, in einer Abflachung des Zwerchfelles ; ja man hat manche Fälle von Magenerweiterung und Verlagerung des Quercolon im unteren Bauchraum direct mit Insuöicienz der Bauchdecken, oder, was dasselbe bedeutet, mit Verminderung der intraabdominellen Spannung in Zusam- menhang gebracht. Die Lage des uterus ist nun nicht in so hervor- ragendem Maase von der intraabd. Spannung abhängig, obgleich diese gleichmässig in Bauch- und Beckenhöhle vertheilt ist. Hier müssen erst noch andere Momente hinzutreten, um eine Dislocation anzubah-

94

nen. In der That ist mit Erschlaffung der Bauchdecken sehr häufig eine Metritis und Erschlaffung des Beckenbodens gleichzeitig verbun- den. Chronische Entzündungszustände des Uterus, des Endometriumus, Metro- und Menorrhagieen können sehr wohl die Folge ungenügend wirkender Bauchwandungen sein. Was nämlich für den energischen Blut- und Lymphstrom in den Extremitäten die Thätigkeit der Mus- keln, das ist für die Circulation und namentlich für den venösen Blut- fluss in der Bauchhöhle das respiratorische Wechselspiel, das aber nur dann seine volle Wirkung entfalten kann, wenn durch contractionsf ähige Wände eine physiologische Spannung im Bauchinnern aufrecht erhal- ten werden kann. Fehlt sie oder ist sie ungenügend, so kann eine Ueberfüllung des Venensystems^ mit ihren Folgeerscheinungen leicht Statt haben.

Es giebt noch eine Reihe von Symptomen, die sich alle auf dieselbe gemeinsame Ursache der verminderten abdominalen Spannung in Folge erschlaffter Bauchdecken zurückführen lassen. Dahin gehören chro- nische Constipation, Verdauungsbeschwerden, Schmerzen in Folge Zerrung am Peritoneum, den Nerven, Lumbarschmerzen u. s. w. Hegar schreibt das Zustandekommen letzterer dem Umstände zu, dass Frauen mit insufficienten Bauchdecken ihre Lendenwirbelsäule in Lor- dose und ihr Becken in stärkere Neigung bringen, um ihren Schwer- punkt weiter nach vorn zu verlegen. Die Rückgratsstrecker werden in Folge dessen stärker gespannt ; ihre stärkere Anspruchsnahme er- zeugt das Gefühl der Ermüdung, Zerschlagenheit und Schmerzen im Rücken und Kreuz.

Nach allen diesen Auseinandersetzungen, werden Sie es, meine Herren, erklärlich finden, dass manche Autoren die Wanderniere nicht als eine selbstständige Erkrankung, sondern nur als eine Theilerschei- nung der verminderten intraabdominalen Spannung in Folge In- sufQcienz der Bauchwände auffassen. Die Baucheingeweide haben einen Theil ihrer Stütze verloren ; die Leistung der anatomischen Befestigungsmittel wird mehr als gewöhnlich in Anspruch genommen. Durch Zerrung des mesenteriums, des Peritoneums werden so be- haupten sie Störungen im Magen, den Eingeweiden und Nerven her- vorgerufen. Diese Auffassung hat sicherlich für jene Fälle von be- weglicher Niere ihre Berechtigung, bei denen eine ausgesprochene Erschlaffung der Bauchdecken also dünne, gefaltete Decken mit schwacher Contractionskraft, Diastase der recti u. s. w. gleichzeitig vorhanden ist. Sie hält nicht Stich für jene nicht unbeträchtliche An= zahl von Nierensenkungen, bei denen eine Ursache zur Erschlaffung der Bauchdecken nicht vorausgegangen und demgemäss die Bauch- wände straff und normal functionirend gefunden werden.

Ich habe Ihnen bis jetzt Nichts von dem Antheil des Dammes an dem intraabdominalen Druck mitgetheilt. Er betheiligt sich an der Erzeugung dieses in ähnlicher Weise wie die Bauchwände. Er schliesst als eine elastische Wand die Bauchhöhle nach unten und hin- ten ab und nimmt an den Athembewegungen Thejl; bei der Inspiration

95

wölbt er sich etwas vor, bei der Exspiration flaciit er sicli ab. Sein Ein- fluss auf das Zustandelcommen des intraabdominalen Druckes ist frei- lich nicht von so hervorragender Wichtigkeit, wie der der Bauchdecken» da die Elasticität des Dammes sich in einem Winkel und mittelbar durch die Zickzackformation von Uterus und Scheide, die wie eine Feder wirkt, auf den Bauchinhalt geltend macht.

Mit Insufficienz des Dammes, wenn dieselbe unbedeutend ist, braucht nicht eine Herabsetzung des intraabd. Druckes verbunden zu sein, da Uterus, Scheide und Best des Dammes genügend elastische Wider- stände bieten können. Sind diese jedoch ungenügend, dann ist eine Abnahme der intraabdominalen Spannung die nothwendige Folge« Dieselbe ist am grössten in der Beckenhöhle; die schädlichen Folgen werden hauptsächlich die Beckenorgane betreffen und um so markan- ter, wenn höher oben in der Bauchhöhle durch die Action normal functionirender Bauchwände eine annähernd physiologische, nicht we- sentlich verminderte, intraabdominale Spannung erzeugt wird. Diese wirkt nach allen Seiten und wird im Becken, als dem Orte verminderten Widerstandes zu Dislocationen der Beckenorgane, zu Descensus uteri, Recto- und Cystocele Veranlassung geben. Ob Erschlaffungen und Continuitätstrennungen des Dammes allein genügen, eine Lockerung der Baucheingeweide und Senkung der Niere zu veranlassen, wage ich nicht zu behaupten. Jedenfalls sind sie aber begünstigende Factoren, die im Vereine mit insufQcienten Bauchdecken in hohem Grade geeig- net sind, die Dislocation hervorzurufen.

Analog sind die circulatorischen Störungen im Becken. Die venöse Hyperämie der Beckenorgane wird um so markanter auftreten, je grösser die Differenz zwischen abdominalem und vaginalem Drucke ist, ein Zustand, der bei Insufficienz des Dammes bei verhältnissmässig gut functionirenden Bauchmuskeln besonders leicht eintreten kann. Jedenfalls hat die Annahme, dass die Coincidenz von Wanderniere und chronisch entzündlichen Zuständen der Genitalorgaue nicht zufällig ist, sondern auf gemeinsame aetiologische Momente zurückgeführt werden kann, durchaus nichts Gezwungenes.

Dass die Sachlage nicht immer so sein muss und dass namentlich locale Verhältnisse gelegentlich die Hauptrolle spielen können, brauche ich kaum hinzuzufügen.

Verschweigen darf ich aber nicht die von mancher Seite aufgestellte Behauptung, dass Verschiebungen der Beckeneingeweide durch Zug an den Ureteren eine Dislocation der Nieren verursachen können.

Es bleibt mir noch übrig, die Störungen in der Urinabsonderung bei Erkrankungen der Sexualorgane, sowie bei Nierendislocation zu be- sprechen. Beckenexsudate, Tumoren, Rückwärtslagerung der Gebär- mutter können durch Compression oder Torsion des Ureters Stauungen des Urins mit ihren Folgen hervorrufen und durch Hydronephrose und entzündliche Zustände der Niere zur vermehrten Schwere und Senkung dei5 Orgaös Verfinlftssung geben,

96

Andererseits kommen auch ohne Sexualerkrankmigen Urinstauungen bei Wanderniere nicht selten vor. Sie entstehen durch Knickung des Ureters und geben zu acuter Hydronephrose, heftigen Coliken, Fieber, Erbrechen u. s. w. Veranlassung.

Nur Eins ist dabei auffällig, dass wir trotz der Häufigkeit von Sexualleiden und Wanderniere so selten in die Lage kommen, die für den Verschluss der Ureteren (oder eines derselben) charakteristischen Folgen: Verminderung der Secretion, Blutharnen, vorübergehende Albuminurie, Nierenkolik, am Krankenbette zu beobachten. Wahr- scheinlich werden die in den Anfangsstadien der Hydronephrose auf- tretenden Beschwerden verkannt, oder sie sind so unbedeutend, dass selbst der Patient nicht auf sie achtet. Die Störungen der Urinpassage gleichen sich durch den Druck des gestauten Urins in den meisten Fällen von selbst wieder aus; ohne durch heftige Coliken, oder einen palpabeln, wiederjverschwindenden Nieren-Tumor die Aufmerksamkeit des Arztes zu erregen.

Bezüglich der Behandlung erscheint es fast überflüssig zu bemerken, dass Derjenige die besten Erfolge haben wird, der beide Krankheiten gleichzeitig zu heilen sucht. Wer wegen Lumbarschmerzen, dispepti- schen und nervösen Beschwerden seine Behandlung ausschliesslich auf Störungen im Bereiche der Genitalien richtet, ohne die Wanderniere zu berücksichtigen, darf sich über einen halben Erfolg oder ein Fiasco nicht wundern. Wer die Beschwerden einer Wandemiere durch eine elastische Binde zu lindern sucht, ohne gleichzeitig die Festigkeit des Beckenbodens wiederherzustellen, wird kaum mit seinen Kesultaten zufrieden sein.

Ich habe schon Anfangs erwähnt, dass die durch Wanderniere und Sexualerkrankungen hervorgerufenen ähnlichen oder gleichen Symp- tome hauptsächlich nervöser Natur sind. Die Aehnlichkeit erstreckt sich sogar auf die Behandlung. Man hat bei nervösen Zuständen, bei Epilepsie die Wanderniere exstirpirt mit derselben Begründung, wie man dislocirte Eierstöcke oder krankhafte Uterusanhänge bei Anwesen- heit nervöser Symptome entfernt hat.

Die Berechtigung dieser Eingriffe ist wiederholt lebhaft erörtert worden. Die Entfernung der gesunden Wanderniere ist mit Recht verdammt und die der Uterusanhänge wesentlich eingeschränkt wor- den. Wenn die Salpingo-Ovaritis purulenter Natur ist, ist 'die Entfer- nung der erkrankten Theile vollständig gerechtfertigt. Ist sie soge- nannter katarrhalischer Natur, macht sie aber durch Schmerzen und recidivirende Peritonitis so viele Beschwerden, dass sie Lebensgenuss und Erwerbsfähigkeit im hohen Grade beeinträchtigt, dann ist gegen die Entfernung der Anhänge Nichts einzuwenden. Wer aber so ent zündete Uterusanhänge in der Voraussetzung entfernt, mit den loca- len, entzündlichen Zuständen auch allgemein nervöse Beschwerden zum Verschwinden zu bringen, wird neben Erfolgen auch Enttäuschun- gen zu verzeichnen haben. Wir haben bislang noch keine wissen- schaftlich begründete Anhaltspunkte, auf die gestützt wir dem Patien-

97

ten im Voraus mit Bestimmtiieit die Heilung seiner nervösen Beschwer- den durch die Operation versprechen können. Wer aber wegen dieser Indikation operirt, sollte sicherlich vorher sich über eine etwa vorhan- dene Wanderniere oder Insufficienz der Bauchwandungen vergewissern und vorerst feststellen, in wie weit die nervösen Symptome durch eine geeignete Behandlung günstig beeinflusst werden. Diese erstreckt sich nicht allein auf die Wanderniere sondern auch auf die Kräftigung der Constitution und des Nervensystems.

Die Beschwerden der Wanderniere lassen sich in den meisten Fällen durch eine passende, elastische Leibbinde mildern. Der Erfolg ist da am eclatantesten, wo gleichzeitig eine Erschlaffung der Bauchdecken vorhanden ist. Derselbe ist zum mindesten zweifelhaft in den Fällen, in denen die Niere in ihrer abnormen Lage fixirt ist.

Wahrscheinlich ist der günstige Erfolg einer elastischen Leibbinde zum grössten Theile, wenn nicht ausschliesslich der Unterstützung der Bauchdecken zuzuschreiben. Man hat wohl eine grosse Anzahl ver- schiedener, zum Theil complicirter Bauchbandagen konstruirt mit der Idee, die Niere reponirt zu halten. Wenn man aber bedenkt, dass ein direkter Druck auf die Niere meistens [nicht möglich ist, da die Niere hinter dem Darme liegt, so ist die Wirksamkeit solcher, mit Platten und Federn ausgestatteter Apparate sehr fraglich. Starker Druck wird nicht vertragen. Die Niere schlüpft gewöhnlich unter dem Ver- bände wieder nach unten. Wir müssen uns begnügen indirekt durch Druck auf die Bauchdecken und die Gedärme auf die Fixation der Niere einzuwirken. Diesen Erfordernissen wird in der Regel durch eine elastische Bauchbinde genügt, unter die ich rechts der Lage der Niere entsprechend ein gepolstertes Kissen unterschieben oder an die Binde befestigen lasse. Die elastische Binde bedeckt den ganzen vor- deren Bauch bis zur Schossfüge und dem ligament. Poupartii und ist um ein Rutschen zu vermeiden mit zwischen den Beinen durchgehen- den elastischen Schnüren versehen.

Ausnahmsweise begegnet man Frauen, die von der Leibbinde keine Beseitigung ihrer Beschwerden erfahren. Lässt auch eine allgemeine, auf Kräftigung und Abhärtung des Nervensystems gerichtete Behand- lung im Stich, und ist Wohlbefinden und Arbeitsfähigkeit im hohen Grade beeinträchtigt, dann ist Nephro rrhaphie nach den jetzt vorlie- genden Erfahrungen eine gerechtfertigte und segensreiche Operation. Nur hat man dafür Sorge zu tragen, dass auch der eigentliche Zweck der Operation die Fixation der Niere richtig erfüllt und durch Spaltung der Capsula propria der Niere, Vernähen derselben sowie der Niere mit den tiefen Schichten der Wunde eine innige Verwachsung der Niere herbeigeführt und ein Recidiv verhindert wird.

Nach der Operation empfiehlt es sich, die Leibbinde auch fernerhin tragen zu lassen.

125 2d Ave.

98

II.

Ein Plaidoyer für die Koch'sche Lymphe.*)

Von

Dr. J. Hilgard Tyndale.

In unserer vorigen Sitzung bekamen wir ein Loblied über die An- wendung des Guajacol bei der Tuberkulose zu hören. Ich bin zu der Ueberzeugung gelangt, dass es an der Zeit ist, der ziemlich allgemeinen Verdammniss der Kocn'schen Lymphe entgegenzutreten und zwar mit Thatsachen, die eine Widerlegung von vornherein ausschliessen. Ich werde mich nur an die Lungen-Tuberkulose halten und zwar vom Standpunkte des Klinikers.

Alle in das Bereich der inneren Medicin gehörigen Lungenkrank- heiten, mit mehr oder weniger chronischem Verlauf, kann man unter zwei Rubriken zusammenstellen:

1. Mechanische Processe. Dazu gehören die Produkte rein entzünd- licher Vorgänge, ob als Ueberbleibsel von akuten Processen oder als langsam fortschreitende Bindegewebsveränderungen: Peribronchitis chronica (fälschlicher Weise als Bronchitis chronica bezeichnet) und Pleuritis chronica adhaesiva. Beide Befunde sind als mechanische Hindernisse für die Respiration zu betrachten und führen allmählich zu bedeutender Beeinträchtigung der nöthigen Respirationsfläche und ungenügender Oxygenation des Blutes.

2. Die Tuberkulose. Während wir es bei den mechanischen Hin- dernissen mit chronischer Entzündung zu thun haben, haben wir in der Tuberkulose eine Infection zu bekämpfen.

Gewisse „Veranlagungen" lassen sich beim Menschen nicht wegleug- nen. Es gibt Veranlagungen zum destruktiven Stoffwechsel, eiteri- gem Zerfall sowie solche zum konstruktiven Stoffwechsel Wider- standsfähigkeit der Gewebe, die sich in Bindegewebsbildung kund gibt. Zu den Destruktiven gehört die Anlage zur Verkäsung (die alte Skrophu- lose) und die sogenannten Bluter. Zu den Construktiven gehören hauptsächlich die Rheumatiker.

Wir haben es heute Abend lediglich mit der Tuberkulose zu thun, ob dieselbe in der Lunge als eine primäre Infection sich präsentirt oder mit den schon existirenden oben erwähnten mechanischen Processen als sekundäre Invasion auf günstigem Nährboden auftritt.

Welche Erwartungen knüpfen sich nun an das Tuberculin ? Koch selbst sagte darüber:

„Das Mittel tödtet also, um es noch einmal zu wiederholen, nicht die Tuberkelbacillen, sondern das tuberkulöse Gewebe. Damit ist aber

*) Vorgetragen in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York am 1. Februar 1892,

99

auch sofort ganz bestimmt die Grenze bezeichnet, bis zu welcher die Wirkung des Mittels sich zu erstrecken vermag. Es ist nur im Stande, lebendes tuberkulöses Gewebe zu beeinflussen; auf bereits todtes, z. B. abgestorbene käsige Massen, nekrotische Knochen u. s. w., wirkt es nicht; ebensowenig auch auf das durch das Mittel selbst bereits zum Absterben gebrachte Gewebe. In solchen todten Gewebsmassen können dann immerhin noch lebende Tuberkelbacillen lagern, welche entweder mit dem nekrotischen Gewebeausgestossen werden, möglicherweise aber auch unter besonderen Verhältnissen in das benachbarte noch lebende Gewebe wieder eindringen könnten."

Zwei Elemente sind bei der Behandlung der Lungentuberkulose ab- solut auszuschliessen:

1. Das direkte Tödten der Tuberkelbacillen.

2. Die nachweisbare gänzliche Ausrottung des Bacillus aus dem menschlichen Körper.

Daraus ergibt sich die Aufgabe der Therapie von selbst, und zwar haben wir dafür zu sorgen, dass

1. Die Tuberkelknötchen theilweise eingekapselt werden, während oberflächlich gelegene zerfallen und durch Expektoration entfernt werden.

2. Der Widerstandsfähigkeit der Gewebe, resp. der allgemeinen Er- nährung zu Hülfe zu kommen, d. h. der Fett- und Blutbildung. Zu er- wähnen ist noch die Theorie, dass die Schädigung, welche die Gewebe- zellen durch die parasitirenden Mikroorganismen erfahren vor Allem in der giftigen Wirkung ihrer Stoffwechselprodukte besteht, wonach es also ein Theil unserer Aufgabe wäre, diese Produkte zu neutralisiren, d. h. unschädlich zu machen und es dadurch den Leucocyten im Körper zu ermöglichen, im Kampf mit den Bacillen siegreich hervorzugehen. Ich verweise auf die N. Y. Medicinischen Monatsschriften von August und September 1891 (Hertwig's Theorie und Ein Erklärungsversuch der er- worbenen Immunität gegen Infectionskrankheiten).

Wenn wir uns nun über diesen Punkt klar sind, so fragt es sich zu- nächst, ob wir es mit einer örtlichen Infiltration der Lunge zu thun haben einerlei ob mit gutem oder schlechtem Allgemeinbefinden oder mit einer allgemeinen Bacillen-Invasion, welche die Lymphbahnen beherrscht. Und hier gilt der Satz: Bei örtlicher Tuberkulose sollte der örtliche Befund und der Allgemeinzustand einigermassen miteinan- der Schritt halten. Bei Lymphbahnen-Tuberkulose ist die herunter- gekommene Ernährung ausser allem Verhältnisse zu einem oft fast negativen Befund. Gegen die Lymphbahnen-Invasion gibt es einst- v^ilen kein Mittel. Davon liefert die ausgebreitete pleuritis tuberculosa e.u Beispiel.

Also schreiten wir zur Inkapsulation, verbunden mit partieller Ab- stossung, und wenn Sie, meine Herren, ausser Tuberculin ein Mittel wissen, welches dies vollbringt, so bitte sagen Sie es jetzt. Zar Inkap- sulation resp, Abstossung ^uf Oberflächen gehört vermehrte Vaskulari-

100

tät, d. h. massige nicht zu häufig angeregte Gefässtiiätigkeit. Ueber- mässige oder zu häufig angefachte Vaskularität begünstigt ebenso rasche Nekrose. In dem ersten Falle rücken wir, wie Siegmund ganz richtig sagt, mit den gewehsernährenden Eigenschaften in's Feld; im zweiten Falle von grossen Gaben und kurzen Intervallen be- günstigen wir Zerfallprodukte, die, statt expectorirt, wieder incorporirt werden.

Und Jetzt komme ich direkt zur Frage: Woran liegt es, dass die KocH'sche Methode eine so allgemeine Verdonnerung erfuhr ? Ich will es euch sagen :

Vor Allem sind daran Schuld, gründlich falsche Diagnosen und eben- so falsche Indikationen für die Therapie. Zur richtigen Feststellung der Diagnose gehören:

1. Subjectives Wohlbefinden allgemeine Malaise eine Ab- weichung von der physiologischen Norm der verschiedenen Körper- funktionen.

2. Objektiver Allgemeinzustand Fettpolster und ob mässige oder hochgradige Änaemie vorhanden.

3. Ausschluss von akuten Infektionskrankheiten (Typhus), chroni- scher Infektion (Syphilis) und auf centrales Nervenleiden beruhende Zustände (Diabetes.)

4. Oertlicher Befund in der Lunge.

5. Mikroskopische Untersuchung der sputa.

Nehmen wir nun an, dass der behandelnde Arzt den Allgemeinzu- stand nebst Exklusion festzustellen weiss. Bei der Auskultation der Lunge aber, behaupte ich jetzt, dass weitaus die grosse Mehrzahl der Collegen einfach nach trockenen oder feuchten Rasselgeräuschen oder cavernösem Athmen fahnden. Meine Herren ! Rasselgeräusche sind nichts weiter als ein die tuberkulöse Infiltration „begleitender Catarrh** (associated catarrh). Unendlich wichtiger sind die Respirationsverän- derungen im Rhytmus, in der Tonhöhe (pitch) imd der Klang-Farbe, Timbre (quality.)

2. Die Indikationen für den Gebrauch des Tuberculins.

3. Dosis und Intervalle. Diesen Punkt will ich gleich erledigen. Ich fange stets mit 'Ao milligramm an und steigere nur dann die Gabe» wenn nach Verlauf von circa 2 Wochen der örtliche Befund sich nicht gebessert und der Allgemeinzustand damit Schritt gehalten.

Also zum letzten Capitel:

Welche Fälle eignen sich zur Behandlung mit Tuberculin ? Ueberall da, wo die Untersuchung ergibt, dass bei ziemlich rascher Einkapsuli- rung einerseits und Zerfall (Expectoration) andererseits, die Möglich- keit geboten ist, dem Patienten ein für die Oxygenation des Blutes ge- nügendes Lungenterritorium zu erhalten.

Um nicht zu viel Zeit in Anspruch zu nehmen, werde ich solche Fälle, die sich zur Behandlung mit Tubercuün eignen, kurz zusammen- fassen.

In Bezug auf die Feststellung der Diagnose bitte ich nochmals, fol-

101

gende Momente im Auge zu behalten. Es handelt sich also: In Bezug auf den Ällgemeimustand um den subjectiven Befund (allgemeine malaise) eine Abnahme des subjectiven Wohlbefindens. Zweitens um den objectiven Befund des Fettpolsters und der Anaemie.

Der örtliche Befund beruht auf dem Resultat der Auscultation und Perkussion nicht umgekehrt der Lunge und dem Nachweis des Tuberkelbacillus.

Mit Nachweis des Bacillus. Allgemeinzustand gut oder schlecht. Oertlicher Befund: 1. Begrenzter sogenannter „Spitzenkatarrh; 2. Ausgedehntere Infiltration, die mit oder ohne Cavernenbildung zur Ausheilung gelangen; 3. Bereits bestehende Cavernen mit peripheri- scher Infiltration. Der diese tuberkulöse Infiltration begleitende Catarrh resp. Eiterung, wodurch mit Knötchen vermischter Eiter an die Oberfläche befördert wird, ermöglicht die Demonstration des Ba- cillus.

Ohne Nachweis des Bacillus, a. Allgemeinbefund: Subjective malaise^ Abnahme des Fettpolsters und fortschreitende Anaemie. Oertlicher Befund: Vermischtes (unbestimmtes) Athmen oder Bronchialathmen oder cavernöses Athmen; aber keine Rasselgeräusche, kein Sputum und daher keine Möglichkeit den Bacillus nachzuweisen. Dämpfung oder gedämpfter Schall. Hier kommt uns die Exklusion zu Hülfe. Dieses sind also die Fälle in welchen Allgemeinzustand und örtlicher Befund mit einander Schritt halten, gerade wie bei den zuerst erwähnten Fällen, mit dem Unterschiede, dass keine sputa zu haben sind.

b. Jetzt kommen wir zu den Fällen, wo die Diagnose auf dem ört- lichen Befund beruht, mit gutem oder mittelmässigem Ällgemeimustand. Oertlicher Befund: Vermischtes Athmen oder tubuläres Athmen oder spärliche trockene Rasselgeräusche bei Auskultation ; leicht gedämpf- ter oder blos mässig hoher Schall (high pitched percussion note) bei der Perkussion. Kein Auswurf.. Wiederum muss die Differential-Diagnose (Exklusion) zu Hülfe genommen werden.

c. Zuletzt last but not least gibt es Fälle, deren es mehr gibt^ als in den Lehrbüchern steht und mehr als mancher College sich träu- men lässt. Das Bild ist folgendes: Zunehmende subjective malaise; objektiver Befund: Schwund des Fettpolsters nicht gerade rasche Abmagerung, wohl aber unaufhaltsam progressive; dazu hochgradige Anaemie. Oertlicher Befund, negativ; höchstens eine Störung des Ath- mungs-Rhytmus staccato Inspiration wie sie auch bei Neuras- thenie vorkommen. Also haben wir es hier lediglich mit dem Allgemein' zustand zu thun und zwar ist das der Befund, den ich in meinem Vortrag vor der American Climatological Association beim letzten Congress in Washington als den „pretuberkulären Zustand" bezeichnete. Ebenso gut aber kann man ihn als eins der zwei ersten Stadien der Lungen- tuberkulose bezeichnen. „Eins von den zwei Anfangsstadien", habe ich gesagt, Anfänge die ein witziger College einst als „the commencement of the beginning" bezeichnete. Und nun stelle ich die folgenden Sätze auf;

102

Die allerersten Anfänge der Lungentuberkulose können allgemeiner oder örtlicher Natur sein. Bei den „allgemeinen" braucht es nicht erst einen örtlichen Befund, wenn eben keiner vorhanden. Bei dem auf ört- lichem Befund beruhenden Anfang ohne Rasselgeräusche und ohne Sputum brauchen wir nicht erst zu warten, bis der Allgemeinzustand mit demselben Schritt zu halten beginnt.

Zweiter Satz: "Wenn ich den oben beschriebenen Allgemeinbefund als „pretuberkulären Zustand'' bezeichne, so will ich damit nur gesagt haben, dass er sowohl, wie der alleinstehende örtliche Befund eine nicht durch das Mikroskop nachweisbare Tuberkulose ist.

48 East 3. St.

103

NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für praktische Aerzte in Amerika. Redigirt von Dr. f. C. heppenheimer.

EDITORIELLE NOTIZEN. 15. März 1892.

Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes hei Anwendung des Chloroforms und anderer Inhalations-Anästhetica.

Unter obigem Titel ist von Dr. A. Kühner in der Berliner Klinik soeben eine ausführliche Abhandlung erschienen, die ohne Zweifel all- gemeines Interesse verdient.

Der Grundgedanke dieser Schrift ist der Nachweis, dass den Aerzten eine gewisse Ausnahmestellung vor dem Gesetze zuzubilligen sei zum Wohle der leidenden Menschheit, zum gedeihlichen Wirken der ärzt- lichen Thätigkeit, die ohne diese Zubilligung erschwert, beschränkt und aufgehoben würde. Die Aerzte wollen Niemanden an der Gesund- heit schädigen, sie wollen heilen und hilfreich sein, sie wollen dem Kranken, dem Verletzten den Schlaf verschaffen, der ihm Schmerzen erspart, die das unumgängliche Instrument, die sachkundige Hand des Operateurs verursachen muss. Um aber Tausende heilen zu können, um vielleicht Hunderttausenden Schlaf anstatt unsäglicher Schmerzen zu bringen, sind sie der Gefahr, Ja oft nur dem Argwohn ausgesetzt. Jemanden an der Gesundheit, am Leben zu schädigen. Man darf wohl angesichts der kolossalen Leistungen und Fortschritte der Naturwis- senschaften in unserem Jahrhunderte fragen: Werden wir die Vor- theile der Narcose missen können und wollen wir es in Anerkenntniss der Thatsache, dass diese Neuerung, selbst bei gemessener Verwendung, gelegentlich einmal Menschen schädigt ?

In jedem Falle, in welchem es sich um eine strafrechtliche Verant- wortung eines Arztes bezüglich berechtigtermassen verwendeter Inha- lationsanästhetica handelt, njöchte man doch bedenken, dass die Wohl- that der allgemeinen Anästhesie dem zn explorirenden, oder zu operi- renden Kranken zukommt. Als in Paris ein Arzt in der Chloroform- narkose unter Beistand eines Eleven der Medicin eine Operation vor- zunehmen im Begriff stand, bei welcher der Kranke, wie vom Bhtz ge- troffen, beim ersten Athemzuge niederstürzte, rettete Velpeau die vom ZuchtpoHzeigericht verurtheilten beiden Mediciner in der Berufungs- instanz durch den Ausspruch : „Der Ausgang dieses Processes berührt mehr die Gesellschaft als den ärztlichen Stand. Es ist einleuchtend, dass, wenn im Augenbhck der Anwendung des Chloroforms der Arzt

104

die Möglichkeit eines Ereignisses bedenkt, welches für ihn eine gericht- liche Verfolgung nachziehen kann, er alsdann, wie gross auch sein Wunsch, dem Kranken Schmerzen zu ersparen sein mag, ohne Anwen- dung eines anästhetischen Mittels operiren wird,"

Es giebt keine Art der Chloroformirung, die als Yollkommen sicher und gefahrlos zu betrachten wäre und die Wahl des Verfahrens muss auch jetzt noch, wie vor mehreren Jahren, dem Arzte überlassen bleiben.

Folgende Vorsichtsmassregeln sollten, wo es nur geht, stets be- obachtet werden: 1. man sollte nie ohne Einwilligung des Kranken oder seiner Angehörigen chloroformiren ; 2. die Zuziehung eines zwei- ten Arztes ist stets erwünscht; 3. was die Wahl des Anästheticum an- langt, so ist Chloroform als das energischste Inhalations-Betäubungs- mittel zu betrachten; dass Aether weniger gefährlich wäre, ist vor- läufig noch nicht nachgewiesen worden. Im allgemeinen sollte die Aethernarcose nur bei Leuten vorgenommen werden, die dem Alcohol- genuss in grösserer Menge und concentrirter Form abhold sind. Die der Narcose vorausgeschickten Morphiumin jectionen in massigen Dosen (bei Frauen 0,01, bei Männern 0,02, bei Trinkern 0,03—0,05) bie- ten den Vortheil, dass sie eine geringere Menge Chloroform nöthig machen, eine raschere und ruhigere Narcose erzeugen imd ihre Dauer verlängern. 4. Das anzuwendende Chloroform muss gut und rein sein und den, ihm eigenthümlichen, süssen angenehmen Geruch zeigen. 5. Das Chloroformiren möchte weder bei Gaslicht noch bei Petroleum- beleuchtung vorgenommen werden, weil durch Zersetzung des Chloro- forms bei genannter Beleuchtungsart für die Athmungsorgane schäd- liche Gase entstehen, die schwere Gefahren unter Umständen mit sich bringen können. 6. Die Menge des verbrauchten Chloroforms sowie der Eintritt der Narcose sind nach der Individualität ganz verschieden, und lässt sich eine normale Dosis keineswegs angeben. Manche, namentlich jüngere und schwächliche Individuen sind nach 2 3 Minu- ten in tiefster Narcose und haben dabei 8—15 Gramm verbraucht. Andere, namentlich solche, die an den Genuss alkoholischer Getränke gewöhnt sind, brauchen 8 10 Minuten bis zur tiefsten Narcose und consumiren 60 120 Gramm und zuweilen noch mehr. Die bereits von Simpson, dem Entdecker des Chloroformirens, angegebene Eegel, dass bei der Anwendung des Chloroforms nicht dessen Quantität, sondern die Wirkung entscheidet, besteht auch jetzt noch. 7. Während des Chloroformirens muss der Kranke stets so gelagert sein, dass die Athembewegungen vollkommen frei und ungehindert vor sich gehen können. Während des ersten Zeitraumes des Chloroformirens, im Stadium der Aufregung, soll der Kranke vor Selbstbeschädigungen ge- schützt werden. 8. Als Vorbereitung des Kranken kann die Vorsieh ts- massregel gelten, dass vor Beginn der Operation der Mund desselben auf fremde Körper (falsche Zähne, Kautabak, Speisereste) untersucht, ferner, dass der Kranke nie unmittelbar nach reichlichem Genuss von Speisen und Getränken chloroformirt werde, vielmehr immer ein Zeit- raum von etwa 3—4 Stunden dazwischen liegen soll, um das sonst

105

leicht eintretende Erbrechen und die damit verbundene Erstickungs- gefahr zu verhindern.

Das wären die hauptsächlichsten Vorsichtsmassregeln, welche über- all während der Narcose zu beobachten sind, bei eintretender Gefahr, d. h. sobald sich etwa Unregelmässigkeiten in der Respiration und im Pulsschlage oder gar ein Sistiren beider sich plötzlich einstellt, sind folgende Hauptpunkte für die Behandlung die massgebendsten;

1. Das Inhaliren des Chloroforms muss sofort ausgesetzt und durch OefCnen der Fenster die chloroformhaltige Atmosphäre in der Umgebung des Kranken gereinigt werden.

2. Alle etwaigen Respirationshindernisse, die den freien Ein- und Austritt der Luft in den Kehlkopf und die Lungen stören, müssen vor Allem beseitigt werden; dazu dienen folgende Manipulationen: a) Elevation des Thorax sowie Rückwärtssenkung des Kopfes und des Halses; b) das Lüften des Unter-Kiefers; c) das Vorziehen der Zunge und das Lüften des Kehldeckels mit dem Finger,

3. Als Cardinalmittel bei eintretender Gefahr eines Chloroformtodes gilt die Einleitung der künstlichen Respiration, nach den bekannten mechanischen Methoden; ausserdem sind zu diesem Zwecke Strychnin- injectionen in die Herzgegend sehr wirksam; ferner die Applikation des galvanischen Stromes rechts und links vom Kehlkopf, an dem Nervus phrenicus. Ist die Chlorof ormasphyxie bedingt durch einen etwaigen Verschluss des Kehlkopfes, und gelingt die Einführung eines Katheters nicht, so muss die künstliche Respiration mit der Laryngo- oder Tracheotomie verbunden werden.

4. Bei eingetretenem Herzsti^stand ist Acupunktur eventuell die Electropunktur zu versuchen.

5. Reizmittel, welche auf dem Wege des Reflexes die stillstehende Respiration wieder in Gang bringen (Spritzen mit kaltem Wasser, star- kes Frottiren der Herzgegend, wiederholtes starkes Schlagen auf den Rücken etc.).

6. Die Inversion des Chloroformscheintodten, d. h. die Lagerung desselben in der Art, dass der Kopf am tiefsten zu liegen kommt, bildet eins der wirksamsten Belebungsmittel.

Alle angegebenen Vorsichtsmassregeln und Hilfsmittel bei eintreten- der Gefahr erweisen sich zuweilen als fruchtlos, und darin liegt gerade die Hauptgefahr des Chloroformtodes, dass derselbe öfter plötzlich ohne irgend welche Vorboten eintritt, und jede Hilfe zu spät ist.

Als Schluss seiner interessanten Abhandlung stellt Kühner folgen- den Satz auf:

„Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Anwendung des Chloro- forms und anderer Inhalations-Anästhetica kann nur anerkannt und dem Arzt zugerechnet werden, wenn er bei dieser Anwendung die er- forderliche Aufmerksamkeit durch einen groben Verstoss gegen die all- gemein gültigen Vorsichtsmassregeln aus den Augen setzte und in Folge Fahrlässigkeit nachweisbar den Tod bezw. eine Schädigung der Gesundheit verursachte"

ti^ 106

REFEKATE.

Chimrgie.--Keferirt .ivon.'iDr. F4T0REK.

Erysipelbehandlung nach 'Lücke. Von Dr. ^Ernst Winckler. (Wiener Med. Wociiensclirift, 1891, No. 46—48.)

^ In dieser trefQichen Arbeit^ berichtet ^W. über^ 22 Fälle,^— 2 davon an seiner eigenen Person, in weichen er sich des von Lücke empfoh- lenen Ol. terebinth. bediente, und die sämmtlich durch diese Behand- lung zum Stillstand gebracht wurden. Er führte die Behandlung in folgender Weise aus: Vor der ersten Terpentinapplikation gründhche Reinigung der erysipelatösen Haut mit bchwefelaether oder absolutem Alkohol. Dann Einreiben mit Ol. terebinth. rectiücat. mit einem Pinsel oder Wattebausch. Um Verschleppung der Keime zu verhüten wird das Erysipel von der Peripherie aus nach dessen Mitte zu gerieben. Ueber die gepinselte Hautstelle wird Verbandwatte gelegt und durch eine Mullbinde üxirt. Die Pinselung wird, je nach der Ausdehnung des Ealles, alle 2—4 Stunden wiederholt, und der alte Verband wird ver- nichtet. Die vermuthete oder nachweisbare Eingangspforte der In- fektion wird gründlich desinfizirt. Kleine Geschwüre werden von den anhaftenden Borken befreit und mit Gottstein's Sublimatlauolin be- deckt (Hydrarg. bichlorat, 0,25 auf Aq. 7,5 dann verrieben mit Lanolin 22,5 und Vasel. 2,5). Bei Gesichtserysipelen, besonders wenn verbunden mit Ekzema narium, muss die Nasenhöhle sorgfältig untersucht wer- den, um etwaige Läsionen, die entweder primär oder sekundär intizirt worden sind, zu reinigen. W. braucht zu diesem Zwecke mit Vorliebe Liq. Burowii, 5 20X- Exkoriationen au den Aperturen der Nasen- höhlen werden nach gründlicher Reinigung mit Sublimatlanolin be- deckt. Die Nähe der Augenlider wird bei den Pinselungen vermieden.

Sehr bald nach der ersten Einreibung stellt sich intensives Jucken und Brennen ein, das aber nach mehrmals wiederholter Applikation abnimmt. Das Gefühl der Spannung lässt nach ungefähr ö Applika- tionen nach. Bei den beobachteten J^'ällen nahm der ürin schon nach den ersten Einreibungen den bekannten Veilchengeruch an, den er auch noch einige Tage nach Aussetzen der Behandlung beibehielt. Albumin wurde nicht gefunden. Ealls der Urin schon vor der Behand- lung Albumin enthielte, so wäre die Terpentinbehandlung nicht zu em- pfehlen. W. hält zwar die antiseptische Behandlung, viz. Kraske's Stichelungen oder Riedel's Incisionen, für die rationellbte, ist aber mit der LüCKE'schen sehr zufrieden. Nach gründlicher Ausführung die- ser fand in den 22 Eällen^ein Weiterschreiten des Erysipels nicht statt. In 5 Eällen, wo das Erysipel Neigung zum Weiterschreiten offenbarte, wurden auch WöLFLEK'sche Einschnürungen angewandt, doch erreichte das Erysipel diese nicht. Nichtsdestoweniger hält Autor es für richtig, in geeigneten Fällen sich dieser nebenbei zu bedienen. W. glaubt, dass sich beim Gebrauch des Ol. terebinth. rectif. Sauerstoff entwickelt, der die Erysipelkokken schädigt. (Ref. hat seit der Veröffentlichung obiger Arbeit dreimal Gelegenheit gehabt, die beschriebene Behand- lung anzuwenden, zweimal mit demselben günstigen Erfolg, wie W. in seinen Fällen; beim dritten Fall jedoch schritt das Erysipel trotz strikt durchgeführter Behandlung weiter und erstreckte sich fast über den ganzen Körper. Der Pat. war ein äusserst geschwächtes Individuum, 22 Monate alt, das innerhalb 9 Tagen eine schwere Diphtherie, Pneu- monie, Phlegmone am Hals von den Drüsen ausgehend und Augina Ludovici bekam. Das Erysipel fand an der Operationswunde, die für die Phlegmone gesetzt wurde, seinen Eintritt.)

107'

A Gase of Sacra! Hysterectomy. Von Fred. Kammerer, M. D. (Med. Record, February 20th, 1892.)

35 Jahre alte Frau, die wegen fortdauernder Blutung einen Gynäko- logen konsultirte, wurde von diesem, wahrscheinlich wegen Carcinom, einer Cervix- Amputation unterzogen. Hierauf Besserung, die einige Monate währte. Letzten September ging sie wegen erneuter Blutung und stinkendem AusÜuss in's Hospital, wo sie in K.'s Behandlung kam. Anämische, abgemagerte Person; Uteruskörper nicht beweglich; das linke breite Ligament stark kontrahirt und in der Nähe des Lterus in- ültrirt. K. beschloss, die sacrale Hysterectomie auszuführen. Pa- tientin wird auf ihre rechte Seite gelegt mit den Beinen in leichter Flexionsstellung, der linke Schenkel etwas stärker ilectirt, als der rechte, incision vom Anus aus G Zoll lang in der Medianlinie. Nach Ablösung der Weichtheile wird der unterhalb der dritten Foramina ge- legene Theil des Sacrum mit der Knochenzange quer durchschnitten und entfernt. Mit dem Imken Zeigefinger im Kectum wird dieses von seineu Verbindungen losgeschnitten. Das Peritoneum lässt sich leicht dadurch erkennen, dass es bei Druck auf das Abdomen sich bläht; es wird incidirt. Es zeigte sich nun, dass der Tumor sich auf das Perito- neum ausgedehnt hatte und au der Flexura sigmoidea durch eine breite Adhäsion verbunden war. Die Krebsmasse schloss auch einen Theil des linken Ureters ein; dieser wurde abgebunden und durch- schnitten. Der Darm wurde vom Tumor abgelöst, und jetzt schien die Entfernung des letzteren eine leichte Sache. Die Gefässe wurden ab- gebunden, sobald sie durchschnitten waren, der Tumor wurde von Blase und Kectum gelöst, nachdem die Vagina quer incidirt worden war. Tamponnade der Peritonealhöhle mit J odotormgaze. Dauer der Operation 2 Stunden. Am ersten und zweiten Tag nach der Operation wurden je 2^ Unzen Urin entleert, am dritten Tage 20 Unzen, dann wie- der weniger, da etwas von dem zerschnittenen Ureter in die Wunde ab- lief. Am vierten Tage Symptome von Jodoform-Vergiftung. Ent- fernung der Jodoform-Gaze. Am siebenten Tage Tod. Bei der Autopsiö fand man noch einen Streifen Jodoform-Gaze zwischen den Eingewei- den. Keine Peritonitis.

K. empfiehlt die beschriebene Seitenlage zur sacraleu Hysterecto- mie und zwar soll die Patientin auf der üem infiltrirten Mutterbande entgegengesetzten Seite liegen. Wenn es sich jedoch darum handelt am Kectum zu operiren, zieht er die Knie-Ellenbogenlage vor. Was die Incision betrifft, so gibt ihm die mittlere genügend Kaum. Zur Durchtrennung des Knocliens bedienter sich einer Knochenzange, weil diese nicht den Knochen zersplittert und ferner auch den Sacrallianal schüesst und durch Compression die Blutung aus dem Knochen stillt. K. empfiehlt die sacrale Methode der Uterusexstirpation in Fällen, in denen der Tumor nicht mehr auf den Uterus beschränkt ist.

The Poro-plastic Feit Jacket, for Spinal Troubles. Von Ferd. King, M. D.

(International Journal of Surgery, November, 1891.)

Die Vortheile, welche das poröse plastische Filz-Corset dem Gyps- Corset voraus hat, sind mannigfach; es ist leichter, mehr porös und mehr resistent. Es schmiegt sich leicht mit der grössten Genauigkeit an alle Unregelmässigkeiten der Oberfläche. Zur Verfertigung des- selben musß man zuerst ein genau passendes Gyps-Corset haben, das in der üblichen Weise angelegt wird. Pat. wird suspendirt und die Gypsbinden über ein eng anliegendes Hemd applicirt; Breite der Bin- den 2 3 Zoll, je nach der Grösse des Pat. ; 6 Binden von je 5 Yards Länge genügen. Die ersten Touren sollten um die Hüften gehen min- destens 2i " unterhalb der crista ilii ; auch sollte die untere Hälfte des

108

Gyps-Corsets erst ein wenig hart werden, um als Stütze für den oberen Theil zu dienen. Das Corset soll gut hinauf in die Achselhöhle reichen. Wenn das Gypscorset etwas hart geworden ist, so wird es der Länge nach durchgeschnitten. K. thut dies indem er eine Einne aus Zink unter das Hemd schiebt und auf dieser den Gyps mit einem scharfen Messer durchschneidet. Die Känder des entfernten Corsets werden sogleich wieder zusammen gebracht und mit einer Binde flxirt, bis der Gyps vollständig gehärtet ist. Xun wird dieses Corset benutzt, um einen Abguss des Körpers zu machen, und auf den Gyps-Rumpf wird dann der Filz angepasst, der erst in heissem "Wasser erweicht worden ist. Das hart gewordene Filz-Corset kann man dann nach Beheben noch mit weiteren Lagen Filz verstärken; auch kann man zwischen die Lagen Filz Stahlschienen legen. Die Eänder des Corsets werden mit weichem Leder gesäumt. Vorn werden dann Oesen eingeschlagen, durch welche die Schnürbänder gezogen werden. *

Nerven-Heilkunde. Referirt von Dr. GEO. W. JACOBY.

The Natura and Cause of the Scleroses of the Spinal Cord. C. L. Dana.

(New York Medical Journal, January 9th, 1892.)

Dana theilt die spinalen Sclerosen ein in 1) primäre Degenerationen, 2) sekundäre Degenerationen, 3 j entzündliche und reparative Sclerosen, 4) gemischte Formen. Ueber die erste dieser Formen herrscht noch die grösste Dunkelheit, und die Hauptaufmerksamkeit der neurologi- schen Forscher ist ihr zugewandt. Die primären Sclerosen sind, Tabes dorsalis, Seitenstrangsclerose, die kombinirten Strangsclerosen, mul- tiple Sclerose, progressive Muskelatrophie, und ihre Modifikation die amyotrophische Lateralsclerose. Es sind diese Sclerosen nicht mehr als parenchymatöse Entzündungen aufzufassen, sondern sie sind als ein Absterben und Tod der Nervenfasern und Zellen anzusehen. Die Dähere Ursache dieses Absterbens ist noch unbekannt; diesbezüglich bespricht D. die Toxine und die Senilität-Theorie; er selbst neigt sich letzterer zu. Die Frage, ob diese sogenannte Sclerose nicht eine Gliose sei, möchte Dana bejahend beantwortet wissen. Was die Auffassung der entzündlichen Veränderungen, welche zu Sclerose fünren, anbe- langt, so glaubt Yerf., dass die Neurologen eine ähnliche Klassifikation annehmen dürften, wie sie von den allgemeinen Pathologen befürwor- tet wird, und demnach diese Entzündungen in plastische, und infek- tiöse eintheilen sollten. Primäre und chronische Myelitis wären hier- nach zur Seltenheit zu rechnen, welches ja auch unseren klinischen Er- fahrungen entspricht,

Ueber Mitbeweg^ungen und Ersatzbewe^ngen' ,bei Gelähmten. H. Senator. (Berliner Klinische Wochenschrift, Jan. 4. 1892.)

Mitbewegungen oder Ersatzbewegungen, die unter pathologischen Verhältnissen auftreten, theilt Verfasser in drei Gruppen.

1. Unwillkürliche Bewegungen, welche in willkürlich beweglichen Muskeln auftreten, zugleich mit oder an Stelle von anderen gewollten Bewegungen. 2. Unwillkürliche Bewegungen, welche in willkürlich nicht beweglichen Muskeln, zugleich oder an Stelle von gewollten Be- wegungen auftreten. 3. Unwillkürliche Bewegungen, welche zugleich mit einer anderen unwillkürhchen Bewegung oder an deren Stelle auf- treten. Tie Ursachen dieser Bewegungen und die näheren Vorgänge, welche ihnen zu Grunde liegen, hat man in verschiedener Weise zu er- klären versucht, ohne dass eine für alle Fälle befriedigende Erklärung gegeben worden ist. In einem Punkt aber herrscht Uebereinstimmung

109

darin, dass der Ursprung jener Bewegungen in die Centraltheile des Nervensystems zu verlegen sei; ob aber das Grosshirn, oder die tiefer abwärts gelegenen Theile den Ausgangspunkt bilden, darüber herrschen verscliiedene Ansichten. Die Erklärung von J. Müller sowohl wie die Theorie von C. Westphal, welche auf den Auseinandersetzungen von Müller basirt ist, sind nicht für alle Fälle ausreichend. Dem Ver- fasser scheint die Ansicht Hitzig's, dass unterhalb des Grosshirns, im Hirnstamm und Rückenmark anatomische Einrichtungen vorgebildet sind, welche zur Zusammenfassung einfacher Bewegungen und dadurch zur Bildung combinirter Bewegungen dienen, am meisten für sich zu haben.

Welche Erklärung auch für die gegebene Mitbewegung oder Ersatz- bewegung anzunehmen ist, so ist es bis Jetzt Niemandem eingefallen, die Ursache dieser Bewegung in dem peripherischen Nervensystem zu verlegen. Senator beschreibt nun hier einen Fall, bei welchem die wesentliche Ursache der Mitbewegungen im peripherischen Nerven- system gelegen ist, während die Centraltheile, entweder gar nicht oder erst in zweiter Linie in Betracht kommen. Es handelt sich um einen Fall von Hemiehorea posthemiplegica et Glossoplegia dextra mit eigen- thümllchen Mitbewegungen in dem gelähmten Arm. Sobald die Zunge herausgestreckt wird, wird der gelähmte Arm krampfhaft im Ellen- bogengelenk gebeugt, und die Hand mit gestrecktem Zeigefinger in die Höhe gecrhnellt. Es macht keinen Unterschied, ob die Zunge willkür- lich von dem Patienten herausgestreckt oder passiv durch einen anderen hervorgezogen wird. Das Hervorbringen des Reflexes durch passives Hervorziehen der Zunge spricht dafür, dass ein grob mechanischer Vorgang, etwa eine Zerrung der Armnerven den Anlass zu jener Be- wegung gibt.

Diese Annahme wird auch dadurch bestätigt, dass ein Druck auf eine empfindliche Stelle, am Halse unterhalb des Kieferwinkels, ebenfalls im Stande ist, die krampfhafte Armbewegung hervorzubringen. Zum Verständniss des Vorganges muss betont werden, dass bei dem Pati- enten seit einem vor 12 Jahren erlittenen Trauma, eine Empfindlich- keit in der Tiefe der rechten Halsgegend bestand, welche wahrschein- lich von einem chronischen entzündlichen, mit Verdickungen und Verwachsungen einhergehendem Prozesse, abhängig ist. Mithin könnte eine Zwangsbewegung welche auf den Druck folgt, eine durch Schmerzempfindung hervorgerufene Reflexbewegung sein, oder der Druck könnte als centrifugaler Reiz direkt auf die motorischen Nerven wirken und die Muskeln in Zuckung versetzen. Der Zusammenhang der Zungenbewegung mit der Zwangsbewegung liesse sich dann so er- klären, dass an Stelle des äusseren Druckes, eine Zerrung der ent- zündlichen Verwachsungen der Nerven jener Gegend, welche mit dem Herausziehen der Zunge verbunden ist, tritt.

ün Gas d'Acromegalie ; Autopsie. Gabriel Gauthier. (Progres Medical, Jan. 2. 1892.)

Der Patient dessen Krankengeschichte in No. 21 des „Progres Medical " für 1890 gegeben worden ist, starb am 11. April 1891, und der Sectionsbefund wird jetzt beschrieben. Der Hauptbefund bestand bei diesem, wie bei anderen Fällen von Acromegalie, in einer Hyperthropie der Hypophyse. Der hier vorgefundene Tumor war etwa zwei Daumen- gross, und verursachte durch seine Grösse verschiedene Druckerschei- nungen.

Behandlung der Chorea St. Viti mit Exalgin. Hugo Löwenthal. (Berli- ner Klinische Wochenschrift, Feb. 1. 1892.)

Pie Veranlassving dieser Arbeit war der Ausspruch Dujappiit-

110

Baumetz, dass Exalgin nicht nur schmerzstillend wirkt, sondern dass die Wirkunsr sich auch auf das Cerebrospinalsystem erstreckt, und dass krampfartige Zustände ^ünstiff beeinflnsst werden. L. behandelte 35 an Chorea leidende Patienten mit Exal^^in. Die Dosis betrug 0,02. drei bis fünf Mal tätlich; das Alter der Patienten schwankte zwischen 3 und 18 Jahren, die Dauer der Behandluns: zwischen 8 Tasren und 4 Monaten. Besonders hervorgehoben wird die Wirkung des Mittels bei psychischen Erregungen u. s. w. Auch übele Nebenwirkungen des Mittels wurden selbst bei den kleinen' angewandten Dosen beobachtet. Diese Nebenwirkungen waren Uebelkeit, Erbrechen, Schwindel, imd in drei Fällen Icterus. Verf. ist aber der Meinung, dass diese Neben- wirkungen uns nicht davon abhalten sollten die Exalginbehandlung bei Chorea zu versuchen.

Zur Aetiolo^e des Acuten ansrioneurotischen** oder umschriebenen Hautödems''. H. Bauke. (Berl. Klin. Wochenschrift, Feb. 8. 1892.)

Verfasser welcher Gelegenheit hatte viele Fälle von „umschriebenem Hautödera" zu behandeln, hat sich von der rein nervösen Natur dieser Krankheitserscheinungen überzeu^rt, \md sucht durch die hier ver- öffentlichten Fälle den Beweiss hierfür zu führen. Beide Patienten waren Nervenkranke, mit allgemeinen cerebralen und spinalen Beizzu- ständen, bei denen iede andere Krankheitsursache und besonders Jed- welche organische Erkrankung auszuschliessen war. Die Hautschwel- lungen traten in Folge nervöser, psychischer Erregung in Verbindung mit Neuralgien auf, und Besserung oder Verschlechterung des nervösen Grundleidens, mit Häufigkeit und Intensität der Hauterscheinunfren. Eine Betrachtung der von Anderen veröffentlichten Fälle, zeugt eben- falls auf das Vorhandensein^ von Keizznständen im centralen Nerven- system. Es wird aufmerksam gemacht auf Alkohol-Missbrauch als ätiologisches Moment, sowie auf das Zusammentreffen von Urticaria und dieses in Betracht stehende Hautödem.

Verfasser meint, dass es sich bei allen diesen Fällen um central be- dingte, durch Störung des vasomotorischen Centrums, hervorsrerufene Neurosen der Haut, die sich in Krampf oder Lähmung der Vasodila- toren oder Vasoconstrictoren äussern, handeln müsse. Die verschie- denen Arten des neuropathischen Oedems werden von der spasmodi- schen oder paralytischen Natur dieser vasomotorischen Störungen a,b- hänsrig sein. Die Behandlung wird immer die des Grundleidens, des Nervenzustandes, sein müssen.

Kinderheilkunde. Referirt von Dr. SARA WELT.

A Gase of Myositis Ossificans. Bv R. Gordon Mac Donald. (The British Medical Journal, Aug. 29. 1891.^

Die Beobachtung betrifft ein vierjähriges intelligentes Mädchen, welches, als sie 14 Monate alt war, an Keuchhusten litt, sonst aber immer gesund wai. Die Erkrankung, die zwei Jahre zurück datirt, raanifestirte sich zuerst durch das Auftreten und oft spontane Ver- schwinden von harten Knoten an verschiedenen Theilen des Skeletes fos frontale, beide scapulae, Processus spinosi einiger Wirbel.) Mit dem Fortschreiten der Krankheit, stellte sich eine zunehmende Unbeholfen- heit des sonst gesunden Kindes ein; zuletzt konnte der Kopf weder ge- streckt noch rotirt werden, während die Ellbosren nicht weiter als 8" von den Seiten entfernt werden konnten. Die Ursache dieses Zustan- des lag in einer totalen oder partiellen Verknöcherung der Muskeln, welche in sehr symmetrischer Weise beide Seiten des Bumpfes befiel,

III

Die Muskulatur der unteren Extrentiitäten blieb verschont, und an der oberen Extremität waren nur die am Rumpfe entspringenden Muskeln ergriffen.

Die Behandlung: mit grossen Dosen von Jodkali, 20 gr. 3mal täglich, ebenso wie Einreibungen mit IJnguent. Hydrarg. einer, wurden auffällig gut vertragen; doch konnten sie den Verlauf der Krankheit nicht be- einflussen.

In Bezug auf das causale Moment, bestand Verdacht auf Lues.

Ringfworm in Elementary Schools. By Dr. Malcolm Morris. (The British Med. Journal, Aug. 15. 1891.)

Zur Verhütung der Verbreitung dieser bei Schulkindern häufigen Dermatomycose, deren Hartnäckigkeit, wenn sie die behaarte Kopf- haut befallen hat. durch die Ansiedelung der Pilze zwischen den Wur- zelscheiden der Haarfollikel bedingt ist, zum Theil aber auch durch die Nachlässigkeit der Eltern, besonders in den ärmeren Klassen, empfiehlt M., dass in .jeder Schule die Köpfe der Kinder in kurzen Zeitintervallen von befähifirten Personen inspicirt werden sollten; ausserdem befürwor- tet er die Etablirung von besonderen Schulen oder Klassenzimmern, in denen die erkrankten Kinder isolirt und behandelt werden könnten; in dieser Weise würde auch die Erziehung keine Unterbrechung leiden.

Scorbutus in Infants; American Cases. By William P. Northrup,

M. D. (Archives of Pediatrics I, 1892.)

In einer kleinen sehr interessanten Schrift veröffentlicht N. fll) amerikanische Fälle von infantilem Scorbut. 2 davon sind eigene Be- ol)achtungen ; 2 haben sich in der Litteratur gefunden ; die übrigen 7 sind mit Aufwand von grosser Mühe aus mündlichen und schriftlichen Mit- theilungen von Collegen gewonnen. Das Alter der kleinen Patienten schwankte zwischen 11 Monaten und 6 Jahren. Als Ursache der Er- krankung konnte in der Mehrzahl der Fälle ungenügende Ernährung, bedingt durch den Gebrauch von Patentnährmitteln, nachgewiesen werden.

Die Symptome des Scorbut waren oft nicht alle vorhanden, und beschränkten sich zuweilen auf eine geschwollene, bei Berührung schmerzhafte, untere Ertremität und sponga\s verändertes Zahnfleisch; 4 Fälle verliefen letal und konnte bei der Autopsie die intra vitam ge- stellte Diagnose bestätigt werden. Bezüglich des essentiellen Wesens der Krankheit wird nichts Neues mitgetheilt.

(Die Thatsache, dass die beschriebenen Fälle in den letzten 2 3 Jahren beobachtet wurden; ferner die Leichtigkeit mit der die Symp- tome missdeutet werden können, wie in Fall 3, wo die Ablösung der Epiphysen der humeri als eine traumatische angesehen wurde, und die häufige Anwendung des einen oder andern Patentartikels für die Ernährung der Kinder, lässt die Annahme berechtigt erscheinen, dass der infantile Scorbut in Amerika nicht zu den sehr seltenen Krankheiten gehört. Anm. v. Pvcf.)

Umbilical Faecal Fistula in an Infant cured by Radical Operation. By Francis J. Shepherd, M. D. (ibidem.)

Ein 3 Monate alter gesunder Knabe, in welchem nach dem Abfallen der ungewöhnlich dicken Nabelschnur am fünften Tage, das Entweichen von flatus und fceces durch den Nabel, bemerkt wurde. Bei der Ope- ration, die in Chloroformnarcose ausgeführt wurde, wurde die Bauch- hohle eröffnet, wobei es sich herausstellte, dass es sich um ein vom Dünndarm abgehendes Diverticulum handelte, welches mit der Koth- fistel in unmittelbarer Verbindung stand. Nach Abtragung des PivertikelSj hart am Darme, wurde der letztere mit einer doppelten

112

Reihe von Seidennäthen geschlossen; darauf Vernähung der Bauch- wunde und Jodoformverband. Heilung per primam.

The -Cerebral Atrophies of Childhood. With Special Reference to the Operation of Craniotomy for Imbecility, Epilepsy and Paralysis. By M. Allen Starr, M. D. (Medical Eecord, January 23d, 1892.)

Gestützt auf pathologische Befunde einerseits und andererseits auf die Resultate der Craniotoraie an 23 aus der amerikanischen, französi- schen und deutschen Litteratur zusammengestellten Fällen, denen er zwei neue, mit günstigem Erfolge operirte, zufügt, beschliesst er seine sehr zeitgemässe Arbeit mit folgenden Sätzen.

1) Hemiplegie, Sinnesdefekte und Schwachsinn bei Kindern, mit oder ohne Epilepsie, sind chronische Krankheiten, welche der internen Behandlung unzugänglich sind.

2) Die pathologischen Zustände, welche diesen Symptomen zu Grunde liegen, sind entweder grobe Defekte und Atrophieen des Ge- hirns, oder beruhen auf einer Entwicklungshemmung in den Gehirn- zellen, und ist dabei für das unbewaffnete Auge keine Veränderung wahrzunehmen.

3) Es ist gegenwärtig unmöglich, in einem gegebenen Falle den pa- thologischen Zustand ohne explorative Operation zu bestimmen.

4) Solche Eingriffe sind nicht gefahrlos; doch kann die Gefahr durch vorsichtiges Eröffnen der dura mater und eine möglichst schnelle Be- endigung der Operation vermieden werden.

5) Bei atrophischen Zuständen des Gehirnes ist die Operation er- folglos; sie kann aber von günstigem Einflüsse sein, wenn es sich um eine Entwicklungshemmung handelt; und die Aussieht auf Genesung wird erhöht, wenn vorhandene Blutcoagula, Cysten oder Tumoren ent- fernt werden. Hat man es mit einem mikrocephalen Schädel in Folge von zu früher Vereinigung der Näthe zu thun, so mag der durch den Eingriff geschaffene Raum das Wachsthum und die Entwicklung des Gehirnes begünstigen.

6) Epileptische Anfälle werden oft nach der Craniotomie seltener, und ihr Charakter modiflcirt; bleibt die Oeffnung im Schädel nur von Weichth eilen bedeckt, so wirkt sie nach Art eines Sicherheitsventils, so dass Veränderungen im intracraniellen Inhalte keinen Gehirn druck er- zeugen.

7) Während Hemiplegie, Aphasie, Athetosis und Sinnesdefecte durch die Operation gebessert wurden, ist es vorläufig unmöglich vor- auszusagen, ob Schwachsinn dadurch beeinflusst werden kann.

8) Mittheilungen über Fälle von Craniotomie sollten ausführlich ge- macht werden, doch nicht vor Ablauf von 6 Monaten nach der Opera- tion, da es einer längern Beobachtung bedarf, um sichere Schlüsse zu ziehen.

Deutsche Medicinische Gesellschaft von New York.

17 West 43. Str. SitzuDg vom 4. Januar 1892. Präsident Dr. A. Jaoobi. Vorstellung von Patienten.

Dr. Louis Heitzmann stellt einen Fall von Tuberculosis ver- rucosa cutis vor. Derselbe betrifft einen 29jährigen Mann der bis vor etwa zwei Jahren ganz gesund war. Damals war er Farmarbeiter und schnitt sich eines Tages einen tiefen Schnitt mit einer Sense in die Dorsfe,lseite der linken Hand. Die Wunde heilte nur langsam zu und

113

bald nachher bemerkte er kleine Auswüchse, wie er sich ausdrückte, an derselben Stelle, die immer grösser und grösser wurden. Behand- lung von verschiedenen Aerzten blieb erfolglos. Als der Mann im November letzten Jahres zuerst gesehen wurde, bot er an der Dorsal- fläche der linken Hand das ganz characteristische Bild von der von Riehl und Paltauff im Jahre 1886 zuerst beschriebenen TuherculosiH veri'ucosa cutis dar. Der ganze Plaque war ungefähr 4 Cm. lang und IJ breit. Der äusserste Eand war von einem erythematösen, nicht elevirten Hof umgeben. Je näher dem Centrum, desto elevirter wurde jedoch der Plaque und zeigte eine unregelmässig höckerige Oberfläche mit warzigen Auswüchsen. Die Oberfläche war mit kleinen Krusten bedeckt. Beim ersten Anblick iraponirte die Krankheit als Lupus verrucosus wurde jedoch bald durch mehrere Punkte klar gestellt. Der relativ kurze Bestand liess schon an und für sich die Diagnose Lupus als zweifelhaft erscheinen. Was nun die Therapie anbetrifft, so ist von einer einfachen localen Behandlung wohl wenig zu hoffen, ob- wohl die Anwendung eines 10 bis 20 procentigen Salicylplasten, Acid Salicyl 10—20, Empl. Diachyl. und Empl. Saponat aa 50.0 eine entschie- dene Besserung hervorgerufen hat. Auskratzungen mit dem scharfen Löffel mit nachheriger Aetzungoder die Anwendung des Galvanocauter dürfte wohl dauernde Besserung oder sogar Heilung bewirken.

Discussion:

Dr. A. J a c o b i fragt, was Dr. Heitzmann von der Behandlung er- warte ; man könnte vielleicht die Stücke excidiren, resp. cauterisiren.

Dr. Heitzmann erwidert, dass seine Behandlung da anzuwenden sei, wo kein operativer Eingriff vorgenommen werden solle.

Dr. C. Beck stellt einen Patienten mit angeblicher Wirbelluxation vor. Die Luxation besserte sich nach Jodkalium-Gebrauch.

Meine Herren ! Der Ihnen hier vorgestellte SOjährige Patient ist dadurch interessant, dass er das äusserlich sichtbare Bild einer Wir- belluxation nach vorn darbietet, ohne dementsprechende Folgeer- scheinungen einer solchen, wenigstens nicht in ausgesprochenem Masse zu zeigen.

Als er am 4. December vor. Jahres in meine Behandlung trat, gab er an, vor 4 Wochen gefallen zu sein (18 Treppen hinab und Kopf vornüber). Er will ^ Stunde bewusstlos gewesen sein und habe dann bemerkt, dass sein Hals steif und jede Bewegung an demselben schmerzhaft war. Ausserdem hatte er seither leichte Schwindelanfälle und eine auffal- lende Schwäche in den Beinen. Ich fand ungefähr dasselbe Bild, wie Sie es jetzt sehen, nur in viel intensiverem Grade.

Kopf zurückgebogen und vorderer Halstheil, namentlich Kehlkopf, sehr hervorragend. Am Nacken, zwischen 5. u. 6. Halswirbel, eine tiefe Furche, welcher entsprechend der in die Rachenhöhle eingeführte Finger eine abnorme Perminenz fühlt. Das Schlucken macht Schwie- rigkeiten. Bei dieser Gelegenheit sei zugleich erwähnt, dass die laryn- goskopische Untersuchung durch Dr. FREmJENTHAL eine derartige Verlagerung des Kehlkopfes ergab, dass er grosse Mühe bei der Spie- gelung hatte.

Es fielen ferner auch der ängstliche Gesichtsausdruck (die Augen erinnern an Exophthalmus) und die grosse Schmerzhaftigkeit der Um- gebung der Halswirbelsäule auf.

Aufrichten und Emporheben des Kopfes lässt den Patienten cyano- tisch werden, auch kommen sofort Ohnmachtsanwandlungen, so dass vorläufig von weiteren Repositionsversuchen abgesehen wurde.

Da Patient vor Jahren an geschwürigen Processen am Oberschenkel gelitten hat, so keimt in mir der Verdacht, dass er luetisch sein könnte und schien es mir nicht unwahr^cheiöUeh, dass in Folge davon eine

114

geringere Resistenzfähigkeit, eine Art Relaxation der Ligamente einge- treten wäre, welche ihn leichter zur Dislokation disponirt hätte.

Diese Theorie wurde bestärkt durch die auffallende Besserung, welche eine kräftige vierwöchentliche Jodkalikur erzielt hat. Sein subjektives Befinden ist seit don letzten Tagen gut. er kann schlucken, hat keine Schmerzen, der Einschnittswinkel am Wirbel ist stumpfer geworden und die Beweglichkeit der Wirbelsäule ist 'eine ganz anständige.

Man ist gewöhnt, der Wirbelluxation ein sehr schlechtes Progno- stikon zu stellen und betrachtet einen Fall wie diesen als ein äusserst seltenes Vorkommniss, so dass der Zweifel, ob es sich um eine wirk- liche Luxation oder bloss um eine Diastase handelt, sehr nahe liegt. Auch hätte man an eine Neubildung denken können. Aber gegen letz- tere sprach die Vorgeschichte des Traumas und gegen die Diastase der tief eingeschnittene Winkel und die ganz convexe Prominenz des larynx. Vorliegende Illustration hat mit dem Fall ziemliche Aehn- lichkeit.

Discussion:

Dr. W. F r e u d e n t h a 1 hat Gelegenheit gehabt, den Patienten im Anfang seiner Krankheit zu untersuchen. Das Larynxgerüst war nach oben gerückt ; der Versuch, in den Kehlkopf hineinzusehen, crelang nicht ; im Kehlkopf war eine Prominenz vorhanden, die auch jetzt noch vom Munde aus mit dem Finger zu fühlen ist, wenn auch nicht in so hohem Masse wie früher.

D r. A. J ac o bi bemerkt, dass hier eine antiluetische Behandlnn«? vorliege, die von Erfolg gekrönt war; er habe im deutschen Hospital einen ähnlichen Fall gehabt, wo eine Schwellung auf luetischer Grund- lage am 2. Brustwirbel vorhanden war (keine Luxation) und der Patient nach Jodkali besser wurde.

Dr. C. Beck demonstrirt die KRAMER'schen Universalschienen.

Ich erlaube mir die Aufmerksamkeit der Herren Collepren auf die vorliegende, sogenannte KRAMER'sche Universalschiene, welche meines Wissens in New York ziemlich unbekannt ist, zu lenken. Dieselbe besitzt einen Grad von Modellirfähigkeit, wie er mir in ähnlicher Weise bei keinem anderen Material bekannt ist, sie hat ferner den Vorzug leichten Gewichtes und billigen Preises.

Speciell für den allgemeinen Praktiker, welcher den Gipsverband nicht völlig zu beherrschen glaubt, dürfte dieses Ideal einer Schiene eine willkommene Gabe sein.

Discussion :

Prof. Dr. Schnell e'r^fragt, was das'f ür ein Metall sei. Dr. Beck kann es nicht genau angeben.

Demonstrati o n von Präparaten.

Dr. Willy Meyer demonstrirt den Uterus von einem Fall mit Tubenschwangerschaft.

Dr. G. Räch el demonstrirt ein Herz, an welchem ein gemischter Thrombus, in fettiger Degeneration begriffen, gefunden wurde. Das Fett an der Herzspitze zeigrt nichts Pathologisches.

Das Präparat, welches ich mir vorzuzeigren erlaube, ist das Herz eines fünfjährigen Mädchens, welches nach dreitägiger Erkrankung starb.

Ich wurde am Nacli mittag des Danksaguugstages orerufen und fand ein kräftig erebautes Kind in Convulsionen. Es wurde mir berichtet, dass das Mädchen schon seit etwa einer Woche über Kopfschmerzen, Gliedej^schm erzen und allgemeine Mattigkeit geklagt habe, dass sie

115

aber bis zum Vormittag desselben Tages sich nicht schlecht genug be- funden habe, um zu Bette zu gehen. Erst gegen Mittag klagte sie so sehr über Kopfweh und Hitze, dass die Mutter sie in's Bett steckte. Kurz darauf begannen die Convulsionen und hielten mit geringrer Un- terbrechung an, bis ich etwa um 2 Uhr kam. Alle Mu!=;keln des Körpers, die des Gesichtes ebenfalls, nahmen an denselben Theil. Es bestand bedeutende Dyspnöe, Cyanose und der Puls war unregelmässig, 160 etwa, die Temperatur 106^ F. Ich gab sofort eine subkutane Injektion von '/3fin Gran (0,0001) Atropin und V,o Gran (0,005) Morphium. Nach wenigen Minuten Hessen die Krämpfe nach und der Puls ward kräftiger, wenn er auch noch ziemlich unregelmässicr, circa 140 Mal in der Minute schlug. Die Untersuchung des Herzens ergab die bekannten klingenden Geräusche, wie sie bei subacuter Endo- carditis auf rheumatischer Basis im Kindesalter stets zu hören sind. Es bestand jedoch wie in dpr Mehrzahl der Fälle kein wirklich blasendes Geräusch, das auf Klappenfehler hätte schliessen lassen. Der Urin war stets, wie ich hier einschalten möchte, eiweissfrei. Ich Hess nun Atropin und Mornhium in denselben Dosen zweistündlich geben, ordnete an, dass dem Kind, welches ganz kolossal perspirirte, reichlich Flüssigkeit zugeführt, und dass ihm theelöffel- weise Champagner und Fleischbrühe erereicht werde.

Abends um 9 Uhr snh ich das Kind wieder. Es waren keine Krämpfe wieder aufgetreten, nur der intensive Kopfschmerz bestand weiter, aber das Bewusstsein, welches auch in den Interwallen zwischen den Convul- sionen stets wiederkehrte, war vollständig vorhanden. Die Tempera- tur war 105°, der Puls 120. Ich verordnete nun Natr. Salicylicum mit Digitalis-Infus.

Am anderen Morgen, am 27. November, war die Temperatur unter 104° gesunken, doch war der Allgemeinzustand nicht verändert: nur der Kopfschmerz hatte sich gebessert. Die Therapie blieb dieselbe.

Am Abend war die Temperatur auf 103° gefallen, der Puls wahr- scheinlich unter dem Einflüsse des Dijritalis auf 112 heruntergperangen. Ich gab nun Natr. Salicyl. in Pulverform und Strophautus-Tinktur, 3 Tropfen zweistündlich.

Das Kind hatte eine ziemlich gute Nacht gehabt, doch gegen Mor- gen begann die Dyspnöe zuzunehmen und die kleine Patientin warf sich viel im Bette umher. Die Temperatur war um 10 Uhr am 28. Nov. 104°, der Puls sehr imregelmässig, 96 in der Minute. Die Picspiration war sehr unregelmässig imd schwer, 40 in der Minute. An der Basis beider Lungen zeigten sich leichte Rasselgeräusche, doch kein Cre- pitus. Die Herzgeräusche waren während der ganzen Zeit dieselben geblieben, kein Blasen war jemals zu hören.

Um 2 Uhr sah ich das Kind wieder, es war bewusstlos, T. 106°, P. 120, sehr unregelmässig und aussetzend. Um 5 Uhr trat der Tod ein, nachdem die Cyanose nach der Schilderung der Eltern extrem gewor- den war. Doch waren nirgends Ecchymosen weder im Leben noch im Tode zu finden.

Dr. Geo. Lixdfamayr war so freundlich, die Sektion vorzunehmen, welche sich auf Wunsch der Eltern auf das Herz zu beschränken hatte.

Es war wenig Serum im Porikardium, doch zeigte dasselbe, sowie die Herzobfrfläche eine weissliche Verfärbung, welche offenbar von fibrinösem Exsudate hf^rrührte.

Die Herzhöhlen selbst zeigten ebenfalls, dnss das Endocardium in entzündlichem Zustande sich befand. Als direkte Todesursache erwies sich jedoch ein grosser Thrombus, welcher die Oeffnung zwischen rechtem Vorhof und rechtem Ventrikel und dieses selbst ausfüllte. Derselbe hat die Form eines sogenannten Herzpolypen und zwar hat er nicht ein, sondern zwei Stiele deren einer im rechten Herzohre und

116

der andere in den Papillarmuskeln der Trikuspidalklappe angeheftet ist. Der Thrombus ist längHch-eiförmig und etwa 2^ cm. lang und 1^ cm. dick. Es befinden sich noch ausserdem in dem Netzwerk der Muse, papillär, und Chord. tendin. zwei kleinere Thromben, deren einer gegenwärtig noch festsitzt, während der andere sich bei der Unter- suchung loslöste.

Dr. LiNDENMAYR war so freundlich von dem grossen Thrombus, welcher zu den sogenannten weissen Thromben gehört, einige Schnitte zu machen. Er berichtet darüber Folgendes:

Der äussere Theil ist gemischt. Erst finde ich aussen eine Auflage- rung rother Schichten, dann eine Schicht weisser Auflagerungen, welche durch Fibrinschichten getrennt sind. Dann finde ich weisse Blut- körperchen, welche durch Fibrin in kerniger, meist in faseriger Form getrennt sind. An zwei oder drei Stellen finde ich weisse Blutkörper- chen im Zustande fettiger Degeneration.

Ich würde die Diagnose machen:

Gemischter Thrombus in fettiger Degeneration begriffen. Das Fett an der Herzspitze zeigt nichts Pathologisches.

Discussion.

Dr. A. J a c o b i fragt, wie lange das Kind krank war. In 5 Tagen hat der Blutfaserstoff Zeit gehabt, sich abzusetzen; was aber die ur- sprüngliche Todesursache war, ist noch nicht eruirt.

Dr. Edebohls demonstrirt mehrere, bei drei Laparotomien während des verflossenen Jahres gewonnene

Lipomata omenti majoris,

sämmtlich Kesultate der chronischen Pelveo-peritonitis darstellend.

Das erste Lipom, 10 cm. im Durchmesser, stammt von einem 24- jährigen Mädchen, welches seit sechs Monaten an krampfartigen Schmerzen im Unterleibe und atypischen Metorrhagien litt. Die Un- tersuchung ergab eine noi mal grosse Uterushöhle, mit einem runden, harten, 10 cm. grossen Tumor, der vorderen Corpuswand aufsitzend. Beide Tuben waren beträchtlich verdickt und fest verwachsen im Douglas zu fühlen. Ovarien leicht vergrössert, an's Becken Peritoneum gelöthet. Die deutliche Adnexenerkrankung gab die Indikation zur Laparotomie. Bei derselben ergab sich salpingo-oophoritis chronica beiderseitig, chronische Pelveoperitonitis mit Bildung vieler kleiner Peritonealcysten, und das vorgezeigte Lipom des unteren Endes des grossen Netzes. Dasselbe sass in der plica vesico-uterina, mit dersel- ben, der vorderen Fläche des Uterus und dem Fundus fest verwach- sen. Lipom, beide Tuben und Ovarien wurden entfernt.

Im zweiten Falle handelte es sich um ein 23jähriges Mädchen, bei welchem andererseits, wegen sonst unstillbaren Metrorrhagien, vor 6^ Jahren beide Tuben und Ovarien entfernt wurden. Seitdem kein wei- terer Blutverlust. Das vorher äusserst magere Mädchen wurde nun übermässig fett. Sie kam vor etwa drei Monaten mit Druckbeschwer- den und Schmerzen im Becken in E.'s Beobachtung. Die Unter- suchung ergab Abwesenheit der Tuben und Ovarien; eine etwas ver- kleinerte Uterushöhle und vier, von 5 bis 15 cm. grosse, harte, dem Uterus allseitig aufsitzende und mit demselben fest verwachsene Tu- moren. Dieselben erwiesen sich bei der Laparotomie als die vorge- legten derben Lipome des grossen Netzes. Die Verwachsung mit dem Uterus war so intim, dass die Trennung durch die Corticalpartieen der Tumoren selbst geführt werden musste.

Sämmtliche Tumoren wurden ausgeschält und sammt einer be- trächtlichen Portion gesunden Omentums entfernt.

Das von der dritten Patientin stammende Lipom ist länglicher

117

Form, 10 cm. lang bei 6 cm. im grössten Durchmesser. Die 30jährige, verheirathete Patientin, Mutter von 8 Kindern, wurde mir von Hn Kollege W. Hassloch zur operativen Behandlung einer kurz nach ihrer vor 7 Wochen erfolgten letzten Entbindung entdeckten, linksseitigen Beckengeschwulst zugesandt. Die harte Geschwulst von der oben be- schriebenen Grösse, lag dicht neben dem Uterus in der Eegion des linken Parametrium. Linke Tube und Ovarium nirgends zu ent- decken; rechtsseitige Adnexen normal. Bei der Operation fand sich das Lipom fest um hnke Tube und Ovarium geschlungen, dieselben im Centrum des Tumors beherbergend, und fest mit den Vorder- und Hinterflächen des ligamentum latum verwachsen. Salpingo-oophoritis sinistra ohne beträchtliche Vergrösserung der Adnexen. Entfernung des Tumors mit den hnksseitigen Adnexen. Die normal aussehende rechte Tube und Ovarium bleiben.

Glatte Genesung sämmtlicher Patientinnen. Die alten Beschwer- den bleiben verschwunden.

Die Aetiologie der Tumoren ist in allen drei Fällen in der Pelveo- peritonitis chronica zu suchen. Diese bedingte die Verwachsungen des freien Bandes des Omentum mit den Beckenorganen. Die ver- grösserte Blutzufuhr mittelst der Verwachsungen führte zu Hyper- plasien, der anUegenden Omentalparthieen, die dann aUmählich zur Dignität wahrer Lipomata heranwuchsen. Die Pelveoperitonitis war die direkte Folge der Salpingo-oophoritis in zwei Fällen, beiderseitig im ersten und einseitig im dritten t>erichteten Falle. In einem Falle ist die Entstehungsweise der Pelveoperitonitis etwas unklar, wenn man nicht annimmt, dass dieselbe der 6^ Jahre früher ausgeführten Sal- pingo-oophorectomie folgte.

In Bezug auf die Diagnose wurden sämmtliche Tumoren vor der Operation als Fibrome angesprochen. Im ersten Falle Hessen die Symptomen und die harte, runde, mit der vorderen Uteruswand auf's Innigste verbundene Geschwulst kaum eine andere Deutung übrig. Im zweiten Falle täuschten die Geschwülste multiple Uterusfibrome vor, obwohl viele der subjektiven Klagen fehlten. Im dritten Falle Hessen Härte, Contour und Lokalisation des Tumors auf ein intraliga- mentäres Fibrom schliessen, und das, trotzdem die Möglichkeit eines Omentaltumors dem Untersucher deutlich vorschwebte.

Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und angenommen.

Ansprache des scheidenden Präsidenten.

Dr. A. J a c o b i : Es ist Sitte, dass der Präsident über die Ergeb- nisse der Arbeiten während des verflossenen Jahres spricht. Er sei mit den Vorträgen sehr zufrieden gewesen; er hebe nur beispielsweise diejenigen von Lange, Heitzmann und L. Fischer hervor. Es sei ihm ein Vorwurf daraus gemacht worden, dass er eine Wiederwahl zum Präsidenten abgelehnt habe. Aber so lange ein Verein immer diesel- ben Beamten wähle, bilde sich leicht eine Oligarchie aus, und der Ton bekomme eine gewisse einseitige Richtung, was nicht geschehen solle. Im Verein sollten alle vertreten sein, auch die jungen Kräfte. Der Verein bilde keine Akademie im europäischen Sinne, obwohl wir einige internationale Berühmtheiten unter unseren Mitgliedern haben, wie Kjjapp, Lange, Heitzmann. Wir bilden jetzt keine Brücke mehr zwischen Amerika und Europa; denn unter den Amerikanern sind jetzt ohnedies viele vorhanden, die deutsch lesen und alles, was in Deutsch- land vorgeht, selbst ausfindig machen können. Der Verein sei haupt- sächlich der Ort für solche, welchen die englische Sprache nicht ganz geläufig ist. Auch das ethische Leben finde hier weitere Ausbildung.

Kachdem der Verein über ein Dutzend Jalire klein gewesen, sei''er erst durch Dr. Heitzma^n gross geworden; ihm seien die Mitglieder vor allem zu Dank verpflichtet, wenn auch Dr. Webee sehr viel für den Verein geleistet habe. Es gereiche ihm daher zu grosser Ehre, den Vorsitz jetzt Herrn Dr. C. Heitzsiann zu überweisen.

Ansprache des neu erwählten Präside^nten.

Dr. C. H e i t z m a n n : Er habe seinerzeit, [als ihm seine Tochter gestorben, Zerstreuung gesucht und sei unter anderem auch in den Verein gegangen. Damais sei er Präsident geworden, in einer Sitzung, in der nur 6 iViitgüeder anwesend waren, die sämmtlicn zu Beamten ge- wählt wurden. Er habe nun damals zuerst gesucht, die deutschen Aerzte unter einen Hut zu bringen. Die Schwierigkeiten waren grosse, aber er habe sie überwunden. Nach Ablegung seines Amtes sollte jeder ein väterliches Interesse für den Verein bewahren. Man könne jetzt mit dem Verein wohl ziemlich zufrieden sein, allein es seien doch noch bedeutende deutsche Aerzte hier, die dem Verein noch nicht an- gehörten; dann seien auch deutsch sprechende Amerikaner vorhanden, die ebenfalls herkommen könnten. Er möchte ferner fragen, ob nicht das Material der jACOBi-Sitzungen hier auch verweithet werden könne. Er habe eigentlich beabsichtigt, heute Abend über die Cellular-Patholo- gie zu sprechen. Virchüw habe soeben eine Triumphrede gehalten, worin er sagte, dass seine Cellularlehre nach so vielen Jahren fest da- stehe. Er sei dagegen anderer Ansicht. Da indess noch viel für den Abend vorliege, so wolle er die beabsichtigte Rede lieber ein anderes Mal halten una jetzt das Wort Herrn Prot. Schueller ertheilen.

Es folgt der angekündigte Vortrag des Prof. Dr. Max. Schuelier aus Berlin (als Gast): Ueber Guajacolbeiiandliuiy der luberculose. (In der Monatsschrift abgedruckt.)

Discussion:

Dr. C a h e n fragt, wie es komme,^dass bei hypodermatischer Injek- tion so wenig bei Phthisis erreicht werde. enn dies antibakteriell wirke, warum wirke es nicht hypodermatisch, dagegen per os.

Prof. Schuelier erwidert, dass Gilbert (Jreosotoel subcutan gegeben und gute Resultate erzielt habe. Auch andere berichten das- seibe. Wenn aber die subcutane Injektion wirklich weniger wirke, so liege dies daran, dass dann die Ausscheidung aus dem Blut zu schnell von statten gehe. Er glaube, dass die Wirkung nicht allein antibakte- riell ist, sondern sich auch anderweitig geltend macht. Amidobenzoe- säure mit Guajacol solle eine gute Verbindung darstellen. Allein er sei mit seinem alten Präparate zufrieden.

D r. L. W e b e r hat mit Creosot, Guajacol und Benzolguajacol ge- arbeitet; er habe 15 20 Fälle von Tuberculosis pulmonum in 4: Jahren behandelt, und zwar habe er diese Mittel nach dem FRAENZEL'schen . System gegeben; keiner von diesen Patienten sei am Leben. Mit Guajacol habe er wenig Erfolg gehabt; die Wirkung bestehe in der Hebung der Ernährung, und vielleicht werde der Nährboden für die Bazillen schlechter. Benzoylguajacol habe nicht gut gewirkt.

Dr. Carl Beck fragt, ob Prof. Schueller die Fälle chirurgisch behandelt habe.

Prof. Schueller erwidert, dass er in diesen Fällen in der letzten Zeit Injektionen mache. Creosot wirke nicht so gut wie Guajacol; letzte- res werde besser vertragen.

Dr. W. Freudenthal stellt den Antrag, dem Professor Schueller für seinen interessanten Vortrag den Dank der Versammlung auszu- sprechen. Dies geschieht.

119

Die in der letzten Sitzung voigcfcchiagenen Kandidaten werden zti Mitgliedern gewählt.

Als neue Mitglieder werden vorgeschlagen: Dr. S. M. Landsman, von Dr. L. Fischee. Dr. I. E. Pastebnor, von demselben. Dr. (Je. W. Tkscuner, von Dr. G. Kachel. Schluss und Vertagung.

Dr. Max Einhorn,

protokollirender Sekretär.

Wissenschaftliche Zusaiunienkuut't deutscher Aerzte in

New York.

(110 West 34. Strasse.) Sitzung^vom 25. September 1891. (Fortsetzung.)

Subjectiv fast keine Beschwerden. Der Handteller j uckt zuweilen, die Fusssohlen sind manchmal schmerzhaft, besonders im Winter.

Wir können über die Diagnose nicht zweifeln, es handelt sich hier um ein Xanthoma tuberosum multiplex, eine Erkrankung von der bis jetzt nur etwa 45 Beobachtungen veröffenilicht sind. Ich kann hier nicht auf die Pathologie dieser Affection eingehen ; ich möchte nur daran erinnern, dass es sich bei diesen Knötchen um eine wirkliche Neubildung handelt. Dieselbe gehört in die Kategorie der Naevi pigmentosi und ist ähnlich wie diese microscopisch ein Endotheliom, welches sich aber von den gewöhnlichen Malern dadurch unterscheidet, dass die Zellen der Neubildung reichlich gelbes Pigment und grosse Quantitäten von Fett enthalten. Die gelbe Farbe ist nicht allein auf das Pigment, sondern nach TouTON, der sich am Eingehensten mit der Pathogenese dieser Af- fection beschäftigt hat, hauptsächlich auf die in der Neubildung enthal- tenen Fettmassen zurückzuführen.

Obwohl die Neubildungen höchst wahrscheinlich auf congenitaler Anlage beruhen, müssen wir zweifellos Erkrankungen der Leber als Gelegenheitsursache gelten lassen. In Vg der Fälle finden wir chronische Gelbsucht, auf verschiedene Ursachen, so z. B. Gallensteine, Krebs u. s. w. rückführbar, anwesend. Diesbezüglich sind die schon erwähnten An- fälle von vermuthlicher Gallensteinkolik von Belang.

Ich habe einzelne der Knötchen excidirt und werde Ihnen nachher die Schnitte demonstriren.

Was die Behandlung anbelangt, sind wir leider nicht in der Lage, irgend etwas für unseren Patienten zu thun. Ich versuchte bei Dem- selben einen mässigen und anhaltenden Druck auf einige Stellen auszu- üben, da ich glaubte, dass man vielleicht dadurch eine Kesorption her- beiführen könnte, und liess den Patienten daher starkdrückende „Com- press-Gaiters " tragen. Der Patient behauptet, dass an der Achillesferse die Geschwülste in der That kleiner geworden wären.

Noch ein Wort bezugs der Differential-Diagnose: Es ist mehrmals vorgekommen, dass die makroscopische Diagnose auf Xanthoma ge- stellt wurde, es sich dann aber unter dem Mikroscope herausstellte, dass es sich nur um Atheromcysten handelte. Ich habe selbst einen Fall von multipler Cystenbildung veröffentlicht, den ich in London sah und welcher von verschiedenen Mitgliedern der London Dermatol. Soc. zur Zeit als Xanth. tub. diagnosticirt wurde. Es handelte sich in diesem Falle um circa 150 in kurzer Zeit entstandene Dermoidcysten' bei einer 24jährigeQ Frau,

120

D i s c u s s i o n.

L e V i s e u r behandelte einen ähnlichen Fall bei einem neunjährigen Kinde, neun Monate lang im Randalls Island Hospital. Die Flecken nahmen Arm, Rücken und Brust ein, waren so gelb wie bei Xanthoma palpebrarum, verschwanden zum Theil spontan, und recidivirten nach Exstirpation nicht. Therapie hatte keinen Erfolg.

Schapringer stellt einen Fall von Vaccine blepharitis vor.

Discussion.

A. J a c o b i schlägt therapeutisch die subcutane Einspritzung stär- kerer Antiseptica vor.

Mittheilungen aus der Praxis.

Sara Welt beobachtete bei einem dijährigen Jungen in der Con- valescenz nach akuter Krankheit Delirien. Dieselben traten in der Ab- schuppungsperiode eines leichten Scharlachs bei dem blassen, anaemi- schen Kinde zweimal, an konsekutiven Tagen auf, dauerten jedesmal eine halbe Stunde, wurden als Inanition's oder asthenische Delirien ge- deutet und mit Alcoholicis behandelt.

Discussion.

A. J a c o b i würde in solchen Fällen Amylnitrit oder Nitroglycerin verschreiben.

Schluss und Vertagung.

Sitzung vom 23. Oktober 1891.

Vorsitzender: Caille. Schriftführer: E. Fride?iberg.

Vorstellung von Patienten. Toeplltz stellt einen jungen Mann mit symmetrischem Defect im Gaumenbogen vor.

W. B., 23 Jahre alt, hat im fünften Jahre Scharlach mit Rachenbräune durchgemacht, woran er ein Jahr lang gelitten haben will. Zu gleicher Zeit hatte er eine doppelseitige Trommelfellentzündung und Zellge- websentzündung auf beiden Brüsten, die durch Punktion, Entleerung und Ausspülung geheilt wurde.

Bei der Inspektion des Rachens sieht man auf jeder Seite, parallel dem Rande des vorderen Gaumenbogens je eine längsovale Oeflfnung von ca. i Zoll Länge, die frei unterhalb des Bogens in die Rachenhöhle münden. Die Ränder sind glatt, ohne Narben; nur in der Nähe der rechten Oeffnung, etwas nach unten, erscheint die Schleimhaut etwas naroig. Keine Spur von ]\[andeln.

Ausserdem ist das rechte Trommelfell perforirt; beide Nasenhälften enthalten Reste von Nasenpolypen. In dem Nasenrachenraum findet sich Hypertrophie der Rachenmandeln.

Der Fall reiht sich den von Wolters, Felix Cohn, Chiari und Schap- ringer beschriebenen an. Das symmetrische Vorkommen, die Abwesen- heit der Mandeln, die Glätte der Ränder und, in andern, nicht in unserem, das Fehlen eines vorausgegangenen entzündlichen Prozesses machen den kongenitalen Ursprung des Zustandes sehr wahrscheinüch.

Discussion.

Schapringer stellte vor mehreren Jahren dieser Gesellschaft einen ähnlichen Fall vor, in dem jedoch der vordere Schenkel sehr schmal, beinahe strangförmig verlief, die Defekte jedoch bedeutend

121

grösser waren. Seitdem hat er einen zweiten Fall [mit sehr kleinen

Defekten beobachtet.

T o e p Ii t z stellt einen Mann mit hahnenkammälinlichem Granu- lom des Larynx in Folge von Tuberknlose vor.

M. B., 27 Jahre alt, aus Ungarn, seit 19 Jahren hier, ist ein klinischer Patient des „Montefiore Home", in welches er vor zwei Monaten wegen hochgradiger Lungenschwindsucht aufgenommen wurde. Er will schon seit 7 Jahren heiser sein, überhaupt an seinem Halse leiden, hat jedoch erst vor zwei Jahren zum ersten Male Blut ausgeworfen.

Bei der Inspektion des Kehlkopfes, der uns hier am meisten inter- essirt, fällt sofort eine Geschwulst auf, welche auf der vorderen Fläche der hinteren Kehlkopf wand breitbasig aufsitzt, röthlich ist, von harter fibröser Konsistenz, etwa ^ Zoll Länge, bei tiefer Inspiration frei in die Glottis hineinragend, bei Phonation die beiden Aryknorpel ein wenig überragend.

Vortragender hält die Geschwulst für ein Granulom und betont, dass es nicht zu verwechseln sei mit den auch bei Kehlkopf tuberculose vorkommenden Granulationen auf geschwürigem Grunde also einen selbständigen Tumor in Folge von Tuberkulose, wie sie höchst selten vorkommen.

Die Behandlung besteht in der operativen Entfernung.

Discussion.

Felix Cohn stellte seiner Zeit einen ähnlichen Fall vor. Bis zum Auftreten von Ulceration sei operatives Eingreifen contraindicirt.

Gleitsmann. Da die mikroskopische Untersuchung dieser Ge- schwülste Bacillen ergeben hat, so solle man Tumor (und Bacillen) ent- fernen.

Felix Cohn stellt einen Fall von luetischer Ulceration des Zungengn^des vor.

Willy Meyer stellt einen Fall von Totalresektion des Ober- kiefers wegen Spindelzellensarkom vor.

Ferner einen Fall von Dannobstruktion, durch vordere Colotomie behandelt.

Beide Fälle wurden mit Anilinfarben behandelt.

Discussion.

E. Fridenberg behandelte ein Sarcoma Orbitae, welches sich 18 Monate nach Exstirpation eines gleichseitigen Thränendrüsensarcoms einstellte, 6 Monate lang mit steigenden Dosen von Methylblau. Mit 0.1 bis in die anfangend, nahm der Patient zuletzt 0.6 bis in die ohne Störung des Allgemeinbefindens. Das Wachsthum des Tumors wurde entschieden verlangsamt, jedoch nicht verhindert und wurde derselbe dann im Deutschen Hospitale durch Exenteratio orbitae entfernt.

J a c o b i hat nie mehr als OS pro die geben können. Einige können nur ganz geringe Dosen mit Opium vertragen. Er hat die Ueberzeu- gung gewonnen, dass in allen Fällen das Wachsthum des Neoplasma be- deutend verlangsamt wird, und häufig das Abheilen maligner Ulcera- tion beobachtet.

Willy Meyer stellt einen Fall von Entfernung der Tonsille, der ganzen rechten Pharynxwand, der Epiglottis und der Zunge wegen Sarkom vor.

Pathologische Präparate.

Goldenberg demonstrirt:

a) Drei Harnröhren-Polypen,

b) Blasensteine, durch den hohen Blasenschnitt gewonnen.

122

Dr. H. Goldenberg demonstrirt zwei weitere Polypen, die er in den letzten Tagen aus dem hinteren Theile der männlichen Harnröhre entfernte.

Der eine, ein gestieltes Papillom wurde mittelst des Oberlaender'- schen Tamponecrasements aus dem prostatischen Theile der Harn- röhre eines Patienten entfernt, dessen Symptome vollständig denen der Urethritis posterior chronica entsprechen. Die Diagnose konnte in dem Falle nur durch das Endosliop gestellt werden.

Im zweiten Falle handelte es sich um ungestielte breit aufsitzende Papillome der pars membranacea urethrae, die durch die Polypenzange und die erwähnte OsERLAENDER'sche Methode entfernt wurden.

Bei beiden Patienten war eine Genorrhoe vorausgegangen, dieselbe ist jedenfalls in ätiologischem Zusammenhang mit den Polypen. Der Vor- tragende bespricht dann die OsERLAENDER'sche Methode ausführlicher und hält sie für die einfachste und ungefährlichste. Er macht ferner auf die Nothwendigkeit der endoskopischen Untersuchung in allen chronischen Fällen aufmerksam und sciiliesst aus der Thatsache, dass er innerhalb 1^ Jahren 5 Polypen zu beobachten Gelegenheit hatte, auf die Häufigkeit dieser gutartigen Tumoren der Harnröhre.

Dr. Goldenberg demonstrirt ferner zwei Steine, die er bei einem 50jährigen Patienten vor fünf Tagen durch den hohen Blasenschnitt entfernt hat. Der Verlauf ist ein überaus günstiger, die Temperatur normal. Die Operation war durch eine beträchtliche Skrotalhernie erschwert, aber doch leicht ausführbar.

Zusatz: Die Wunde in der Blase war nach Verlauf von drei Wochen vollständig geschlossen. Der Patient entleert seinen Urin zur vias naturales.

Mittheilungen aus der Praxis.

Northrup berichtet über einige Fälle von nebeneinander er- folgter Masern- und Scharlacherkrankung. (Abgedruckt in der Medic. Monatsschrift.)

Discussion.

A. J a c o b i. Das Zusammentreffen acuter Exantheme kann speciell dort, wo viele Kinder und viele Ausschläge zusammenkommen, beob- achtet werden, also in grösseren Kinderheilanstalten. In der Privat- praxis ist dieses Zusammentreffen selten. J. kann sich nur 2 ähnlicher Fälle deutlich erinnern. Die Anzahl von veröffentlichten Fällen ist auch eine beschränkte.

Goldenberg. Gilt dies auch von Masern und Röthein ?

A. J a c o b i ist noch im Zweifel, ob eine Krankheit „Röthein " exis- tirt. Darin steht er nicht allein. Masern und Pocken, Vaccine und Pocken kommen gelegentlich zusammen vor.

Schluss und Vertagung.

Sitzung vom November 1891.

Vorsitzender . Dr. D'Oench. Schriftführer : Dr. E. Fridenberg.

Vorstellung von Patienten.

Dr. Goldenberg stellt vor 1) Ein Kind mit inficirter ritueller Circumcisionswunde.

(Wird in extenso anderwärts veröffentlicht werden.)

Discussion.

Willy Meyer sah vor circa vier Jahren ein Kind, welches in derselben Weise mit Tuberkulose inficirt worden war. Geschwüre tra-

123

ten nach acht Tagen auf. Später Schwellung der Inguinaldrüsen. Dieselben wurden exstirpirt und enthielten Bacillen. Solcher Fälle sind Viele schon veröffentlicht.

Schar lau hat vier ähnliche Fälle beobachtet. In dem einen Falle war der Beschneider entschieden tuberkulös. Jedoch wird die Infektion mittelst schmutziger Messer und Klemmen wahrscheinlich öfters von anderen Kindern übertragen.

Dr. Goldenberg stellt vor 2) ein Kind mit überzähligen Fingern und Zehen.

Dr. Max Einhorn stellt zwei Fälle von Atrophie der Magenschleim- haut vor. Die klinischen Zeichen dieser Erkrankung sind das voll- ständige Fehlen des Magensaftes oder vielmehr seiner specifischen Elemente HCl, Pepsin, Lab.; findet man bei einem Patienten constant das Fehlen aller dieser Substanzen, so ist man berechtigt, die Wahr- scheinlichkeits-Diagnosie auf Atrophie zu stellen. Eine zweifellose Diagnose auf Atrophie der Magenschleimhaut kann nur nach dem Tode durch die Autopsie und den mikroskopischen Befund gemacht werden. Es wäre jedoch angebracht, einen passenden Namen für den Zustand zu haben, wo kein Magensaft geliefert wird, gleichviel welcher Natur die pathologische Grundlage sein möge, und als solchen würde Redner „Achylia gastrica" oder im Deutschen „Magensaftlosigkeit" vorschlagen. Redner entnimmt bei beiden Patienten Proben ihres Mageninhalts und zeigt darin das Fehlen des HCl. und des Labferments ausserdem die grobe Beschaffenheit der einzelnen Speisestückchen.

Brettauer stellt einen Fall von Uterus snbseptus cum vagina duplici vor.

Es handelt sich um 'eine 24iährige' seit zwei Jahren verheirathete Frau, die wegen profuser Menstruation und dysmenorrhoischen Be- schwerden leichtern Grades ärztlichen Rath in Anspruch nimmt ; in Wirklichkeit aber scheint ihr die Kinderlosigkeit ihrer Ehe mehr Sor- gen zu machen. Die Anamnese ist kurz : Aus gesunder FamiHe stam- mend, besitzt Patientin nur eine Schwester, die schon mehrere Kinder geboren. Mit 14 Jahren wurde Patientin menstruirt ; stets regelmässig in vierwöchentlichen Intervallen, schmerzlos; 4 5 Tage dauernd, reichlich. Letzte menses vor 12 Tagen. Vor 15 Monaten abortirte sie nach ca. dreimonatlicher Schwangerschaft ; abgesehen von am Tage zuvor verrichteter etwas härterer Hausarbeit, weiss Patientin keine Ursache anzugeben. Eine ernstere Erkrankung mit Fieber be- ' gleitet, fesselte sie durch sechs Wochen ans Bett. Seit jener Zeit sind die menses viel profuser von siebentägiger Dauer und oft schon nach 20—22 tägigen Intervallen wiederkehrend, verbunden mit leichter Schmerzemptindung im Beginne, Trägheit der Darmfunktion. Stat. pr.: Etwas anämische doch kräftig gebaute Frau, deren sonstige Organe keine Abnormitäten nachweisen lassen.

Genitalbefund : Normale Vulva ; Introitus vag. durch eine in ihrem vordem und hintern Ansätze den Columnen entsprechende Scheide- wand getheilt, dieselbe verläuft durch die ganze Länge der Vagina und setzt sich in den Cervix bis zu seiner Mitte fort. Von den zwei durch dieselbe gebildeten Scheiden ist die rechte bedeutend weiter als die linke, doch können in beide zwei Finger leicht eingeführt werden. Beide sind ca. 8 Ctm. lang. Die Scheidewand ist am Uebergange in den Cervix dünner und schlaffer als am Introitus, woselbst die beiden Schleimhautflächen durch eine ziemlich dicke Lage von Zellgeweben getrennt sind.

Beiden Scheiden entspricht ein eigenes orificium externum, die bei eingeführtem Speculum leicht von einander zu unterscheiden sind durch die Anwese^heit eines kleine» Schleimhautpolypen in dem rech-

124

ten orif . Das linke erscheint im Spiegelbild nicbt median sondern ganz nach rechts gelegen.

Portio sehr kurz, breit, Cervix abnorm breit ; Uterus gross, ante- flectirt, in seiner Beweglichkeit etwas beschränkt und durch Narben- stränge in der Gegend des orif-intern. sich ansetzend in toto retropo- nirt gehalten.

Zwei in die beiden Orificia eingeführte Sonden treffen sich erst in einer Entfernung von zwei Ctm. und lassen sich leicht in eine acht Ctm. lange Uterushöhle einführen. Die Diagnose nach dem Befunde wäre also die eines Uterus subseptus. Doch zwingt uns das verhältniss- mässig seltene Vorkommen dieses Zustandes gegenüber dem relativ häufigen des Uterus septus, die Möglichkeit im Auge zu behalten, dass es sich wahrscheinlich um einen Uterus septus ursprünglich gehandelt habe, wo im Verlaufe der Schwangerschaft oder bei der vorzeitigen Ausstossung des Eies oder endlich durch mögliche Eingriffe von Seite eines Arztes während der Erkrankung der Patientin die Scheidewand zerstört wurde und im Uteruscavum geschrumpft ist.

Es liesse sich dies vielleicht durch Dilatation und Abtastung ent- scheiden, doch sind wir nicht berechtigt, den Eingriff vorzunehmen.

Was die Aetiologie dieses Zustandes betrifft, wissen wir, dass zwischen der achten und zwölften Woche des Embryonallebens irgend welche mechanische Einflüsse das Verschmelzen der beiden Mueller' sehen Gänge behindert haben, welcher Art dieselben sind, sind wir nicht im Stande anzugeben, glauben aber, dass das so oft bei Uterus bicornis gefundene sog. ligamentum recto-vesicale für unsern Fall nicht in Betracht kommen kann, zumal am Fundus nichts Abnormes con- statirt werden konnte.

Diskussion.

Sara Welt beobachtete bei einer 26jährigen, acht Jahre lang verheiratheten, steril gebliebenen Frau eine doppelte Vagina mit dop- peltem Uterus ; rechts waren Vagiua und Cervix klein.

Willy Meyer beobachtete vor Kurzem einen dem WELT'schen ähnlichen Fall, in dem der eine Uterus geboren, der andere jungfräu- lich gebUeben.

Brettauer. Die von Welt beschriebene Hemmungsbildung ist eine viel bedeutendere und datirt mindestens zehn Tage weiter zurück. Doppelte Vagina ist häufig, Uterus subseptus sehr selten.

Kammerer stellt eine Frau vor, bei der er eine luetische Nekrose der Stimme, durch Abmeisselung der Knochen behandelte, und den Defekt mittelst unterminirter Hautlappen deckte.

Willy Meyer stellt vor. 1) Angeborenen Klumpfuss bei einem 17jährigen Jungen, durch PnELPs'sche offene Operation innerhalb zehn Wochen geheilt.

2) Einen 53jähriger Mann bei dem er einen hinter der Prostata lie- genden Blasenstein, welcher mittelst Sonden nicht zu fühlen war, mit dem Cystoskop entdeckte und durch den hohen Blasenschnitt ent- fernte. Demselben Patienten entfernte er mit dem Lumbalen Nieren- schnitt einen grösseren Nierenstein.

Mittheilungen aus der Praxis.

A. J a c o b i hat in der letzten Zeit verschiedene Male bei Erwach- senen, häufiger bei kleinen Kindern, Fiebererscheinungen mässigen Grades aber längerer Dauer beobachtet, welche durch Constipation bedingt waren. Die Thatsachen sind bekannt, müssen aber nicht ver» gessen werden.

Sohluss und Vertagung,

125

Verein Deutscher Aerzte zu San Francisco,

SitzuDg vom 6. October 1891.

Dr. Barkan (Kranken Vorstellung): Dem Pat. ist am 3. Juli beim Baumfällen ein Stück Stahl in's Auge geflogen. Kein Schmerz, keine Reaction von Seiten des Auges; gutes Sehvermögen in den nächsten Wochen. Nach ca. 4 Wochen trat am verletzten Auge Iritis auf, bald darauf konnte Cataracta traumatica constatirt werden. Zwei Monate nach der Verletzung wurde das Stahlstück vermittels des Elektro- magneten entfernt. Dasselbe hatte im Glaskörper gesteckt. Jetzt zählt Pat. Finger in Entfernung von 3'.

Sodann berichtet Dr. Barkan über einen ähnlichen zweiten Fall, wo der Extraktionsversuch missglückte und die Exstirpatio bulbi ange- schlossen werden musste. Der Fren dkörper wurde im hinteren Theile der Sklera gefunden.

Schliesslich demonstrirt Dr. Barkan t inen Fall von operirtem Em- pyem des Warzenfortsatzes mit Fistelbildung. Am Grunde der ge- schaffenen ausgedehnten Höhle wurden Massen eines Cholecteatoms erkannt und entfernt.

Hierauf bespricht Dr. Wagner die Pathologie und Therapie der tonsillären und peritonsillären Entzündungen.

Besonders hervorhebenswerth sind die therapeutischen Bemerkun- gen des Vortragenden, der mit den von Seibert in New York ange- gebenen Sublimat- resp. Creolin-lnjektionen die besten Resultate er- zielt hat und sie angelegentlichst empfiehlt. Wagner hält die Seibert'- sche Methode für die beste Abortivbehandlung dieser Affectionen. Hieran anschliessend bespricht der Vortragende die nach der Tonsil- litis auftretende Allgemeininfection, welche auf Ptomainwirkung be- ruht. Mehrere Male hat er nach Tonsillitis Lähmung des weichen Gaumens gesehen. Die Ptomainwirkung würde ähnlich wie die nach Diphtherie auftretenden Lähmungen zu erklären sein, weshalb Ver- suche mit Strychnininjektionen, die bei diphtherischen Lähmungen so wirksam sind, indicirt wären.

Dr. Rosenstirn zweifelt die therapeutischen Vorschläge des Vortra- genden an. Eine Abscedirung wird nach den SEiBERT'schen Injectionen nicht verhindert; wo nach den Injectionen keine Abscedirung eintritt, bleibt der Zweifel bestehen, ob überhaupt auch ohne Injectionen eine phlegijionöse Tonsillitis aufgetreten wäre. Nach Eröffnung des Ab- scesses tritt regelmässig spontane Heilung ein. Die bakteriolog. Seite dieses Gebietes lässt auf Vollständigkeit und üebereinstimmung von massgebender Seite viel zu wünschen übrig. Sicher findet die Allge- meininfection von Seiten der Tonsille als Eingangspforte öfters statt als im Allgemeinen angenommen und gewürdigt wird.

Dr. Cohn : Es ist mir neu, dass man eine so typisch verlaufende Krankheit so intensiv behandeln soll. Bettruhe und Eis heilen die meisten Tonsillaraffectionen. Bildet sich Eiter, so wird breit eröffnet und der Patient ist ohne jede Nachbehandlung genesen. Treten noch hinterher Lähmungen auf, so ist Verdacht vorhanden, dass es sich um Diphtherie gehandelt habe.

Schluss der Sitzung.

Dr. M. Krotoszyner,

Protokollirender Secretär.

Sitzung vom 1. Decemberl891.

Dr. Krotoszyner stellt einen Fall von Bulbaerparalyse vor» (Der Fall ist bereits im März 1890 vorgestellt worden; cf. Med. Mo- natsschrift, V. 1890.) Interessant ist die Feststellung des Weiter-

126

schreitens der durch den Krankheitsheerd gesetzten Lähmungen und Athrophieen. Hervorhebenswerth ist : Starke Athrophie der beiden I. Intercostalräume. An den Armen Muskeln stark athrophisch, ver- dünnt. Fibrilläre Zuckungen. Mechan. Erregbarkeit deutlich er- höht, besonders am Triceps. Der ganze Process links mehr ausge- sprochen als rechts. Grobe Kraft links sehr herabgesetzt. Patellar- reflex bedeutend erhöht. Kein Pussclonus. Auch an den unteren Ex- tremitäten Zuckungen, die fibrillären ähnlich sind. Weicher Gaumen total gelähmt. Profuser Speichelfluss. Schlucken sehr erschwert. x4.throphieen im Bereiche des facialis, bypoglossus und recurrens be- deutend zugenommen. Sprache vollständig unverständlich etc.

In der Discussion bemerkt Dr. Ne^\-:*iaek: Es scheint 2 Formen von Bulbaerparalyse zu geben, eine athroph. und paralyt. Form. Hier ist die paralyt. Form mehr ausgesprochen. Die Athrophie an den Händen scheint auf Affection des Vorderhirnes schhessen zu lassen. Man könnte annehmen, dass es sich um einen ähnlichen Process wie bei amyothroph. Lateralsklerose handle.

Schluss der Sitzung.

Dr. M. Krotoszyner,

Protokollirender Secretär. In der am 5. Januar 1892 stattgefundenen Sitzung wurden für das Jahr 1892 folgende Beamten gewählt :

Präsident : Dr. Eosenstirn.

Vice-Präsident : Dr. Krotoszyneii.

Sekretär : Dr. Newmark.

Bibliothekar : Dr. Pirchl.

Schatzmeister : Dr. Stern.

Briefkasten.

Berlin, 12. Februar 1892.

An die Redaction der

„New Yorker medicinischen Monatsschrift"

New York.

Sehr geehrter Herr College! In den politischen Zeitungen Amerika's, vornehmlich in denen Cincinnatis, wird mit dem Namen Virchows folgender Missbrauch ge- trieben :

In den genannten Zeitungen kündigt sich der „grosse deutsche Arzt" Dr. Karl Virchow ScmcKAuan, dersoebenaus Berlin in den betr. Ort- schaften angekommen ist und seine Consultationen eröffnet hat. Er behauptet, dass er in der „Keimbehandlung chronischer Krankheiten" wichtige Entdeckungen gennacht habe, und dass sein Recept von 806 Aerzten in Europa angewendet werde. Laut den amtlichen Verzeich- nissen gibt es einen solchen weder in Berlin, noch in Preussen, noch hat es je überhaupt einen solchen gegeben, auch nicht in den übrigen Staaten des Deutschen Reiches. Die Absicht des betr. Herrn ist eine ganz durchsichtige. Das grosse Publikum soll einfach durch den Namen Virchows irregeleitet werden. Ich ersuche Sie, sehr geehrter Herr College, in Ihrer Zeitschrift, sowie in den Ihnen zugänglichen polltischen Zeitungen möglichst diesen Brief zu veröffentlichen, was wohl den betr. Zeitungen genügend Anlass gibt, dem betr. Herrn ge- bührend entgegenzutreten.

Mit vollkommenster Hochachtung Ihr

ganz ergebenster

Dr. S. GüTTMANN, * "

Redacteur der „Deutschen medicinischen Wochenschrift.**

127

Von Dr. Tobias Siegel aus Detroit, Mich., ist folgender Brief mit der Bitte um Aufnahme in diese Monatsschrift eingelaufen.

Zur ISelbstdispeiisatiüii.

Die Dispensation von Arzneistoffen durch die Aerzte selber wird nicht nur wegen der Concurrenz, sondern Zwecks eigener Sicherstellung und Erfolgssicherung in letzter Zeit für jeden Arzt geboten.

Schon im Engros-Geschäft beginnt die Substitution billigerer Medi- cinen für theurere, und bei den Apothekern erreicht dieselbe ihren Höhepunkt. Nur wenige Apotheker sind im Stande durch Einkauf der neueren Präparate mit dem Fortschritt Schritt zu halten doch werden alle Recepte effectuirt. Criminelle Substitutionen sind durch- aus keine Seltenheit.

Wer nicht betrogen sein, Erfolg sehen und eine Praxis aufbauen will, verwende Medizinen, auf die er sich verlassen kann. Da gangbare Recepturapotheken selten sind, so sind die Droguen in denselben meist veraltet und wirkungslos.

Allerlei.

Neue medicinische Zeitschrift. Vorigen Monat kam das erste Heft des „International Medical Magazine" heraus ; dieses Blatt, welches der medicinischen und chirurgischen Wissenschaft gewidmet ist, er- scheint monatlich in Philadelphia unter der Redaction von Dr. Judson Daland. Das Heft ist schön aösgestattet und enthält mehrere ge- diegene Originalarbeiten. Wir wünschen der neuen Zeitschrift, auch künftighin ähnhche Artikel zu bringen und sind sicher, dass das Blatt grossen Erfolg haben wird.

Ueber die Niitzlichkeit der Circumcision citirt Hutchinson (Archives of Surgery) die Thatsache, dass ihm nicht ein einziges Bei- spiel von Carcinom des Penis bei Circumcisirten begegnet sei. Auch wären die syphilitischen Schanker bei Personen ohne Präputium ungleich seltener.

Die Londoner Buchhändlerflrma Luzac & Co. giebt eine neue Zeit- schrift International Medical Bibliography heraus. Die erste Liefe- rung enthält ein Verzeichniss der in den ersten drei Monaten dieses Jahres erschienenen medicinischen Arbeiten.

Da Salol im Magensaft ungelöst bleibt, sich aber in Pankreassaf t löst, so ist, anstatt des Keratinirens, dessen Verwendung als Ueberzug für solche Pillen empfohlen worden, deren Lösung erst nach dem Passiren des Magens bezweckt wird. Das Ueberziehen der Pillen geschieht mittelst einer Lösung von 1 Th. Tannin und 4 Th. Salol in 20 Th. Aether in ähnlicher Weise, wie Pillen mit Callodium- oder Harzlösun- gen überzogen werden, nämlich durch wiederholtes Befeuchten und Rollen der Pillen in der Lösung bis zum Trocknen. Da Salol indessen im Darm in Salicylsäure und Carbolsäure zerfällt, so ist diese Art Pil- lenüberzug nicht unbedenklich und nur dann statthaft, wenn wissent- hch vom Arzte verordnet.

Der bekannte Berliner Chirurg, Prof. A. von Bardeleben feierte am 15. December v. J. sein öOjähriges Doctorjubiläum. Einen nachträg- lichen Glückwunsch zu diesem Feste fand der Jubilar am Weihnachts- abend auf dem Festtische vor. Die „Berhner Medicinische Gesell- schaft " hatte nämlich dem verdienten Gelehrten, der am Jubiläums- tage selbst fern von Berlin weilte, um sich allen Ovationen zu ent- ziehen, eine vom Hofmaler Nahde künstlerisch ausgeführte Glück- wunschadresse auf dem Weihnachtstische niederlegen lassen. Die- selbe zeigt auf dem ersten Blatte zur Seite eine weibliche Figur, die Hygiea darstellend, oben bekränzen Engelgestalten, in ornamentalen Verzierungen stehend, das Portrait des würdigen Jubilars. Das zweite Blatt enthält den ebenfalls vom Hofmaler Nahde in Schwabacher

128

S3hrift kalligraphirteri Text : ,,ü.o Bsrliaer Medicinische Gesellschaft theilt mit Ihaea am heutigen Tage die Freude über die Jahre voll Mühe und Arbeit, über die reichen Erfolge und über die wohlverdiente Anerkennung, auf die Sie an Ihrem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum blicken. Die Medicinische Gesellschaft ist stolz darauf, Sie als ihr Mitglied zu kennen. Sie weiss, was Ihnen die deutsche Chirurgie dankt, ist doch Ihr in sieben Auflagen erschienenes Lehrbuch das beste bekannte Zeugniss für deren Entwickelung in der langen Zeit, da Sie wissenschaftlich wirkten, Altes sammelten. Neues schufen und so lebhaft als unermüdlich lehrten. Indem die Gesellschaft Sie zu dem Geleisteten beglückwünscht, wünscht sie Ihnen noch lange die Frische im Amte und die Freudigkeit im Berufe, die Sie auszeichnen."

Prof. Biermer in Breslau, seit 36 Jahren im akademischen Lehr- berufe, ist beim Unterrichtsministerium um seine Entlassung aus dem Lehramt nachgekommen. In Göttingen hat der bekannte Anatom Wilh. Krause seine Professur niedergelegt, nachdem er 30 Jahre lang im Dienste der Georgia Augusta gestanden hat. Obwohl das Studium des feineren Baues des Nervensystems und im weiteren Verlaufe das der Sinnesorgane, besonders des Auges, stets Mittelpunkt seines For- schens war, so hat er ausser der Physiologie und der pathologischen Anatomie, auch die Anthropologie, die Frauenheilkunde, die öffent- liche Gesundheitspflege und die Psychiatrie gepflegt, und die Zahl seiner Veröffentlichungen übersteigt das Hundert beträchtlich. In Halle ist Prof. Graefe, der Begründer des augenärztlichen Unterrichts an der dortigen Universität, von seiner Professur zurückgetreten. Zu dem grossen Handbuch der Aagentieilkunde " verband er sich mit Saemisch und zog die namhaftesten Augenärzte zu gemeinsamer Ar- beit heran. Der berühmte Albrecht von Graefe war sein Verwandter und Lehrer. Privatdocent Dr. Thierfelder, der sich kürzlich, mit einem Vortrag über Gährungen, als Privatdocent eingeführt, tritt beim hygienischen Institut als Assistent des Professors Rubner ein. Dr. Rene du Bois-Reymond, ein zweiter Sohn des berühmten Physiologen der älteste ist Augenarzt und Privatdocent hat als erster Assis- tent von Professor Raoul Pictet wichtige Untersuchungen im phar- makologischen Institut über die Frage angestellt, ob unreines Chloro- form schädlich ist. Auf Grund eines schlagenden Beweismaterials wird diese Frage bejaht und also SeoiLLOx's meist angezweifelte Lehre bestätigt, dass die Gefahren der Chloroform-Narkose nicht zum klein- sten Theil auf der mangelhaften Reinheit des Mittels beruhen. An Stelle von Prof. Dr. Klebs in Zürich ist Prof. Dr. Ribbert in Bonn beru- fen.— Dr. Miller, Amerikaner von Geburt, vom Berliner zahnärzt- lichen Institut der Universität, hat einen Ruf als Professor der Histo- logie an die pennsylvanische Universität erhalten. Seit Begründung jenes Institutes ertheilte er an demselben den Unterricht in der opera- tiven Zahnheilkunde und beschäftigte sich hauptsächlich mit bakte- riologischen Untersuchungen.

Der XIV. Balneologen-Kongress wird unter Vorsitz von Prof. Dr. Liebreich vom 10. bis 13. März 1892 in Berlin stattfinden. Anmel- dungen zu Vorträgen sind an Dr. Brock, Berlin, S. O., Schmidtstrasse 42, zu richten.

Personalien.

Herr Dr. Carl Beck hat soeben eine Specialabtheilung für „Chirur- gische Krankheiten des Halses*' in der Deutschen Poliklinik, 78 7 St., errichtet, und wünschen wir ihm viel Glück zu diesem neuen Uui/ir^* nehmen.

Verzogen: Dr. Max Rosenthal vom Montefiore Home nach 130 E. 82. St.

New Yorker

Medicinische Monatsschrift.

Organ für praktische Aerzte in Amerika

unter Mitwirkung von

Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert herausgegeben von Dr. F. C. HEPPENHEIMER. Verlag der Medical Monüily Publishing Company, 17-27 Vandewater Street, X. T.

B(J. IV. New York, 15. April 181)2. No. 4.

ORIGINALARBEITEN. I.

lieber Stuhlverstopfung.

Von

Dr. I. ADLER.

Es giebt kaum ein Kapitel der praktischen Medicin, in dem so viel Unklarheit und Verworrenheit der Begriffe herrscht, im Laienpublikum sowohl als unter den Aerzten, in dem so viel gesündigt wurde und wird, als in der Lehre von der Stuhlverstopfung. Kaum eine Krank- heit giebt es, deren Aetiologie nicht zu einer Zeit auf Obstipation zu- rückgeführt wurde. Und auch heute noch ist der Laie gerne bereit, seine sämmtlichen Gebrechen auf „torpid Uver," „biliousness" und „ungenügende Stuhlentleerung" zurückzuführen. Ein jedes Fieber, jeglicher Kopf- oder Gliederschmerz werden immer noch gerne von der Volksmedicin mit Abführmitteln behandelt. Und auch unter den Aerzten erfreut sich der alte Ausspruch „qui bene purgat, bene curat" einer weitverbreiteten und kritiklosen Zustimmung. Die neueren For- schungen über Darmfäulniss, Ptomaine, Autointoxikation, missver- standen und zu voreilig auf die Praxis übertragen, werden vielfach dazu benutzt, einen Schein von theoretischer Begründung und wissen- schaftlicher Dignität dem zu verleihen, was eigentlich nur ärztliches Vorurtheil und Bequemlichkeit ist.

Während so auf der einen Seite die Bedeutung und Tragweite der Stuhlverstopfung weit überschätzt ist, wird sie andererseits in ihren Ursachen und ihren Folgezuständen lange nicht allgemein genug, na- mentlich in der täglichen Praxis des Arztes, gewürdigt. Es dürfte daher nicht ganz ohne Interesse sein, einmal an dieser Stelle einige Fragen auf diesem Gebiete, welches ja zur täglichen Arbeit des Arztes gehört, einer kurzen Erörterung zu unterziehen. Es ist nicht meine Ab-

sieht, Ihneü heute Abend die Lehre von der Stuhlverstot)füng motio- graphischer Bearbeitung vorzuführen; ich möchte nur an der Hand langjähriger, auf dieses Gebiet gerichteter eigener und fremder Be- obachtungen Ihnen einige wichtigere Punkte zur Discussion vorlegen.

Es muss leider von vornherein bekannt werden, dass trotzdem in den letzten Jahren viel über diesen Gegenstand geschrieben und gear- beitet wurde, trotzdem im Lichte der neuern chemischen, bacteriologi- schen und experimentell-pathologischen Forschung viele neue Gesichts- punkte in der Lehre von den Darmerkrankungen und der Stuhlver- stopfung gewonnen wurden, immerhin die theoretischen, physiologi- schen sowohl wie pathologischen Grundlagen unseres Wissens und iSandelns noch äusserst dürftige sind, und dass ein hinreichend klares Verständniss der hier massgebenden Verhältnisse noch lange nicht erreicht ist.

Ehe wir auf die Pathologie der Stuhlverstopfung eingehen, werden Sie mir vielleicht gestatten, mit einigen Worten an die physiologischen Verhältnisse zu erinnern. Der vom Magen gelieferte Speisebrei wird durch den Darm befördert vermittelst der Darmperistaltik. Man stellte sich früher vor, dass diese Peristaltik in Gestalt einer fortlaufen- den Welle vom obersten Darmabschnitt an verlaufe. Wir wissen jetzt, namentlich durch die Untersuchung von Braam-Houckgeest und Nothnagel, dass dem nicht so ist. Die Peristaltik besteht aus localen Contraktionen mit dazwischen eingeschalteten Ruhepausen, so dass der Darminhalt gewissermassen ruckweise in längeren und kürzeren Zwischenräumen vorwärts geschafft wird und auf diese Weise dem Darmchemismus und der Resorption genügende Zeit für ihre Thätig- keit eingeräumt wird.

Normalerweise verläuft die Dünndarmperistaltik viel rascher als jene des Dickdarms, so dass der Dünndarminhalt in verhältnissmässig wenigen Stunden (5 bis 6) an der Bauhinischen Klappe anlangt. Dass die Peristaltik von der Nerventhätigkeit beeiuflusst und regulirt wird, lässt sich heute wohl kaum mehr bezweifeln. Es spricht dafür nicht nur eine überwältigende Summe klinischer Erfahrungen, sondern auch das physiologische Experiment. Der Versuch Engelmann's seine wie sich später herausstellte, auf irrthümlichen Voraussetzungen ba- sirenden Erfahrungen am Ureter, wonach die durch den mechani- schen Reiz des Inhalts ausgelöste Contraktion der glatten Muskelzelle ohne Mitwirkung des Nervensystems fortlaufend von Zelle auf Zelle einfach übertragen werden soll, auch auf den Darm anzuwenden und welcher seiner Zeit viele Anhänger fand, darf wohl jetzt als gänzlich gescheitert angesehen werden. Wir dürfen ferner als sicher anneh- men, dass es sich bei der Darmperistaltik um zweierlei Arten von Ner- venthätigkeit handelt, von welchen die eine active Contraktionen der Darmmuskulatur auslöst, die andere dagegen hemmend wirkt. In welchen Bahnen diese beiden entgegengesetzten Nerventhätigkeiten verlaufen, ist bis jetzt mit irgend welcher Sicherheit nicht auszusagen, doch ist es höchst wahrscheinlicli, dass den in der Darm wand selbst

131

gelegenen Nervenelementen, dem MEissNER'schen und AuERBAcn'schen Plexus, eine hohe Bedeutung bei diesen Vorgängen zukommt. Im Dickdarm verläuft die Peristaltik viel langsamer als im Dünndarm, so dass ganz allmälig die Kothmassen durch das S romanum in das Rec- tum befördert werden.

Die Frage, warum der normale Mensch in der weitaus überwiegen- den Mehrzahl der Fälle nur einmal in 24 Stunden eine Stuhlentleerung habe, wird von Leichtenstern und Nothnagel dahin beantwortet, dass die Darmnerven auf diese Periodicität beim Menschen gewissermassen „eingestellt " seien. Folgende Betrachtung dürfte dies etwas genauer präcisiren : Während es unzweifelhaft richtig ist, wie schon Traube behauptet hat, dass von jeglicher Stelle des Verdauungstractus aus durch Reize peristaltische Bewegungen ausgelöst werden können, so scheint es doch höchst wahrscheinlich, dass die eigentlich austreiben- den, kräftig nach abwärts drängenden peristaltischen Bewegungen auf Reizungen des Rectums, resp. des untern Theils der Flexur ausge- löst werden. Es spricht dafür neben vielen anderen klinischen Er- fahrungen die Wirkung der gewöhnlichen Klystiere, die selten mehr als die Ampulle füllen, der Seifenzäpfchen, der minimalen Glycerinein- spritzungen u. dgl. m. Somit ist es wahrscheinlich, dass sich im un- tern Theil des S romanum und im Rectum erst eine gewisse Menge festen Kothes, also beim normalen Menschen etwa eine 24:Stündige Menge, angehäuft haben muss, ehe der mechanische Reiz, welchen die- selbe ausübt, gross genug ist, um die austreibende Peristaltik des un- tern Darmendes auszulösen.

Aus dieser kurzen physiologischen Betrachtung ergeben sich schon ohne Weiteres die verschiedenartipjen Bedingungen, welche zur Stuhl- verstopfung führen können :

Erstens, die rein mechanischen Momente, Verlegung des Weges durch das Darmrohr, durch Geschwülste, Lageveränderungen, Ab- knickungen u. dgl. m.,

zweitens, Veränderungen im Darmrohr selbst, welche einmal die Darmcontenta in ungünstiger Weise beeinflussen, oder aber auf die austreibende Muskelkraft schwächend einwirken können, Entzündun- gen, Catarrhe, Muskelatrophien etc. ,

drittens, rein nervöse oder functionelle Störungen, welche durch spastische Contraktionen oder durch übermächtige Anregung der Hemmungswirkung der Nerventhätigkeit die Stuhlentleerung behin- dern oder unmöglich machen, und

schliesslich, Combinationen mehrerer oder sämmtlicher die- ser Typen.

Für unsere Betrachtung wollen wir uns auf jene Arten von Stuhl- verstopfung beschränken, welche catarrhahsch-entzündlichen und atro- phischen Zuständen des Darms ihren Ursprung verdanken, sowie auch auf jene, welche ohne nachweisbares anatomisches Substrat mehrfunc- tioneller, d. h. nervöser Natur sind und gewöhnhch als habituelle Obstipation bezeichnet werden.

m

Eine grosse Anzahl der dem Arzte zur Behandlung vorkommenden Fälle von Obstipation beruht auf chronisch-catarrhalischen Processen im Darmtractus, entweder nachweislich aus acuten catarrhalischen An- fängen entstanden, oder in Folge von Unterdrückung des normalen Stuhldranges allmählig herangebildet, oder auch ohne dass ein be- stimmtes ätiologisches Moment zu eruiren wäre. Je nach der Locali- sation und Ausdehnung der catarrhalischen Affection lassen sich auch hier bestimmte Typen unterscheiden. Bei Dickdarmcatarrh sind die Stühle meist sehr hart, oft in kleinen, schafkothähnlichen Ballen, in dicken, glasigen Schleim eingehüllt. Ist der Mastdarm besonders hochgradig afficirt, so kommt neben, manchmal bedeutendem, Stuhl- zwang auch die Entleerung reinen Schleimes in grösseren oder kleine- ren Klumpen vor. Ein natürlicher Stuhlgang erfolgt, wenn überhaupt, nur alle zwei oder drei Tage, oft nach viel längerer Zeit, doch kann auch Diarrhoe mit Stuhlverstopfung abwechseln. In vielen Fällen müssen die Patienten immer zu künstlichen Mitteln behufs Stuhlent- leerung greifen. Die subjectiven Besi'hwerden sind meist nicht sehr bedeutend : Völle und Unbehaglichkeit im Leib, vermehrte Flatulenz, gelegentlich Kopfschmerzen werden häufig geklagt.

Ist neben dem Dickdarm auch der Dünndarm betheiligt, so wech- selt oft Stuhlverstopfung, bez. Stuhlträgheit mit Diarrhoe ab, oder es besteht totale Stuhlverstopfung. Neben den mit Schleim bekleideten Scybala kommen dann breiige, innig mit Schleim gemischte, oft un- verdaute Speisereste enthaltende Stühle vor. Eine besondere Abart dieser Form von Obstipation stellt folgender Symptomencomplex vor : Es besteht eine Reihe von Tagen, manchmal auch Wochen, Stuhlver- stopfimg, oder aber die Patienten haben anscheinend regelmässigen Stuhl, meist jedoch ohne das Gefühl der vollkommenen Entleerung, dann tritt nach Tagen oder Wochen ohne voraufgegangenen Diätfehler oder sonstige schädliche Einwirkung das Gefühl allgemeinen Krank- seins ein, Appetitlosigkeit, welche sich bis zum Ekel vor allen Speisen steigern kann, Müdigkeit in allen Gliedern, Benommenheit und Schwindel im Kopf, üebelkeiten, welche sogar bis zum Erbrechen führen können, Herzklopfen, psychische Depression, zuweilen sogar Ohnmachtsanfälle. Dazu kommt meistens auch aufgetriebenes Abdo- men und die öftere Entleerung meist sehr übelriechender Darmgase. Unter Kollern im Bauch und mehr oder weniger heftigen Leibschmer- zen erfolgen dann eine Eeihe von dünnen, breiigen und wässrigen, äusserst übelriechenden Stühlen, worauf vollkommene Euphorie ein- tritt und der Cyclus abgeschlossen ist, um meist sofort wieder zu be- ginnen. Es handelt sich in diesen Fällen um ausgebreitete chronische Catarrhe des Dick- und Dünndarms mit abnormer Darmfäulniss, in den späteren Stadien von Dilatation des obern Dickdarmtraktus be- \ gleitet, so dass die faulen, sich zersetzenden Fäcalmassen oft lange , Zeit im Coecum und Colon ascendens sich stauen können. Dabei j kommt dann eine echte Autoinfection mit Ptomainen und sonstigen , j Fäulnissproducten unter oben angegebenen Symptomen zustande. j

183

Im Ganzen selten sind die Formen von Verstopfung, welche als Colitis mucosa oder Enteritis membranacea s. tubulosa beschrieben worden sind. Es handelt sich um Fälle, welche wohl zu unterscheiden sind von jenen rein nervösen, und jenen, welche auf intensiven Ca- tarrhen des Mastdarms beruhen. Ich habe eine Anzahl Fälle sowohl intra vitam, als auch auf dem Secirtisehe zu sehen Gelegenheit gehabt, doch muss ich mir versagen, auf diese interessanten Befunde hier näher einzugehen. Es handelt sich hierbei im Allgemeinen um inten- sive Catarrhe des obern Dickdarmendes, vom Coecura an bis über die Flexura hepatica hinaus, öfter mit bedeutender Atrophie der Musku- laris und Muersa verbunden. Natürlicher Stuhlgang erfolgt selten, sehr oft bestehen die Stuhlgänge ausschliesslich aus Fetzen, Mem- branen oder röhrenartigen Gebilden, welche chemisch und mikrosko- pisch sich als Schleim erweisen.

Die Enteritis membranacea ist vielfach, auch in der amerikanischen Literatur von Woodward, Da Costa und anderen, beschrieben worden, Zur Erklärung der Schleimmembranen und Köhren dürfte die Auf- fassung Marchand's geltend gemacht werden, wonach die Schleimhaut des leeren untern Dickdarmendes ^nd Mastdarms sich in schmälere oder breitere Längsfalten legt und dadurch der hier von der normalen oder catarrhalisch gereizten Schleimhaut abgesonderte Schleim die eigenthümlichen Formen erhält.

Schliesslich sei noch einer Form der Obstipation Erwähnung gethan, welche ausschliesslich auf Erschlaffung und verminderter Keizbarkeit des Kectums beruht. Die Peristaltik und Absonderung des Dünn- und Dickdarms ist hier vollkommen normal und die Faeces werden in durchaus normaler Weise bis in das Rectum vorgeschoben, hier aber stauen sich dieselben und können sich, zu steinharten Massen ausgetrocknet, oft in unglaublicher Menge ansammeln. Es scheinen eben in solchen Fällen die austreibenden Kräfte des Rectums voll- kommen geschwunden zu sein. Hier helfen auch oft absolut keine anderen Mittel als die manuelle Ausgrabung der Massen. Diese Form der Stuhlverstopfung kommt meistens bei alten, marastischen Frauen vor, nicht ganz so häufig bei Greisen, gelegentlich auch bei jüngeren Leuten, besonders nach langen, erschöpfenden Krankheiten. Auch habe ich einige Male ganz junge Kinder gesehen, bei welchen diese Zustände in eclatanter Weise ausgebildet waren.

Wir kommen nun zu den functionellen, bez. rein nervösen Formen der Stuhlverstopfung ohne nachweisliches anatomisches Substrat. Es ist eine allgemein bekannte Thatsache, dass die Peristaltik, wie kaum eine andere Function des menschlichen Körpers, von den viel- seitigsten Nerveneinflüssen afficirt wird. Ein jeder kennt den Einfluss, welchen Gewöhnung an Zeit und Ort auf die Regelmässigkeit der Darmentleerungen ausübt. Ich kenne einen Herrn, dem es unmöglich ist, irgendwo anders als in dem Closet in seinem eigenen Hause eine Stuhlentleerung zu haben. Wir alle wissen, dass psychische Affecte, plötzlicher Schrecken, wie plötzliche Freude, alle möglichen Emotionen,

134

zuweilen Diarrhoe, zuweilen auch Stuhlverstopfung hervorbringen können. Darauf bezügliche Erfahrungen stehen jedem Arzte in grosser Mannigfaltigkeit zur Gebote. Diese functionellen und nervösen Obstipationen sind fast ausschliesslich ein Vorrecht der wohlhabenderen und sogenannten gebildeteren Klasse. Die weitaus häufigste Form, mit welcher der Arzt unter diesen Verhältnissen zu kämpfen hat, ist etwa folgende : Die Patienten geben an, dass sie bis zu einer gewissen Zeit, vor Wochen, Monaten oder Jahren, ihre regelmässige tägliche Stuhlentleerung hatten. In Folge irgend eines psychischen Einflusses, häufig jedoch weil die Patienten im DraDge der Berufs- oder gesell- schaftlichen Pflichten versäumten, das natürliche Stuhlbedürfniss zu befriedigen, wurde der Stuhl unregelmässig, d. h. er setzte einen oder mehrere Tage aus. Dem wird mit Abführmitteln, mit Rhabarber, mit Senna, mit Aloes, mit Bitterwässern abzuhelfen gesucht. Diese helfen vielleicht auch kurze Zeit, vielleicht auch nicht. lieber Kurz oder Lang kommt immer wieder eine neue Periode der Verstopfung, welche auf ähnliche Weise behandelt wird, und es bildet sich allmälig ein Zustand heraus, in dem die Leute, wie sie angeben, ohne Abführmittel keine Stuhlentleerung mehr erzielen können. Solche Patienten sind meist gut genährt und sonst kräftig, auch bei gutem Appetit und guter Verdauung. Die Beschwerden, welche sie angeben, sind meist etwas übertrieben, und sind namentlich was den Magen angeht, mehr als Folge der Therapie als des Grundübels aufzufassen. Diese Klasse von Patienten liefert ein grosses Contingent der Kurgäste von Karls- bad, Kissingen, Saratoga u. s. w. Während der Dauer der Kur, oft auch noch eine Zeitlang danach, sind sie von ihrem Uebel befreit, doch kehrt dasselbe stets wieder. Oft genügt auch eine einfache Reise ohne Brunnenkur, ein einfacher Ortwechsel. Ich kenne einen 21jährigen jungen Mann, welcher durchaus gesund ist und seit früher Kindheit mit dieser Form von Obstipation zu kämpfen hat. So lange derselbe in der Stadt ist, kann er keinen natürlichen Stuhlgang bekommen und hat im Laufe der Jahre schon alle erdenklichen Abführmittel durch- probirt. Von dem Momente ao, dass er die Stadt verlässt und seine Geschäfte führen ihn auf, oft viele Wochen lange. Reisen hat er regelmässig täglichen Stuhlgang ohne jeghche künstliche Nach- hülfe, ganz gleich, welche Unregelmässigkeiten in der Diät und sonstigen Lebensweise er sich zu Schulden kommen lässt.

Dies ist in allgemeinen Zügen der Typus der sogenannten habituellen Verstopfung. Die Einzelheiten variiren innerhalb weiter Grenzen. Doch ist das Bild im grossen Ganzen genügend klar, um mir das Eingehen auf Details zu ersparen. Ganz anders gestaltet sich das Bild bei den Hypochondern und Neurasthenikern, bei Leuten, die sich täglich dutzende Mal die Zunge beschauen, viele Stunden des Tages auf dem Closet verbringen, ihre Stuhlgänge beschauen und beriechen, die vor lauter Angst und Vorsicht nicht gehörig essen, daher elend, schwach und abgemagert sind und dazu noch von dem Heer von hypochondrischen und neurasthenischen Parästhesien und

135

psychopathischen Einflüssen geplagt werden. Leute, die an dieser Form von Hypochondria oder Neurasthenia gastro-intestinalis leiden, führen natürlich alle ihre Beschwerden auf den Zustand ihres Magens, resp. Darms zurück, und es ist unter Umständen schwer, ja unmög- lich, solche Patienten von ihren Ideen abzubringen. Doch muss man Dunin vollständig beipflichten, dass in diesen Fällen, wenn anders keine anatomische Läsionen vorliegen, die Stuhlverstopfung, sowie die übrigen gastro-intestinalen Beschwerden, nicht Ursache, sondern Folge, resp. Theilerscheinung des allgemeinen abnormen Nervenzu- standes sind. Ich kann jedoch mit dem genannten Autor nicht über- einstimmen, wenn er alle Fälle von habitueller Obstipation auf erwor- bene oder hereditäre Neurasthenie zurückführen will.

Schhesslich sei noch kurz der rein hysterischen Obstipation gedacht, denn es giebt eine solche ebenso gut, wie es eine hysterische Diarrhoe gibt, und zwar acute, foudroyante Formen, die leicht eine schwere Darmocclusion vortäuschen können, als auch chronische Formen, welche der habituellen Obstipation ähnlich sind. Gestatten Sie mir, Ihnen kurz einen solchen Fall von hysterischer Darmocclu- sion, der ja ein recht seltenes Vorkommniss ist, vorzuführen : Ein 17jähriger Jüngling von deutscher Abkunft, in Frankreich erzogen, zeigt von Kindheit an leicht neurotische Tendenzen und ist auch hereditär neurotisch belastet. Derselbe will seit einigen Jahren öfters an Colikanfällen gelitten haben, welche gekennzeichnet werden durch Stuhlverstopfung, aufgetriebenen Bauch und Leibschmerzen. Diese Colikanfälle werden manchmal auf Diätfehler zurückgeführt, manchmal auch nicht. Leichte Abführmittel und die innerliche Anwendung von Belladonna sollen dieselben stets nach einigen Tagen unter reichlicher Stuhl- und Gasentleerung beseitigt haben. Der junge Mann ist organisch vollkommen gesund, sieht wohlgenährt aus, hat guten Appetit und gute Verdauung und täglich normale Stuhlent- leerung. Da bekommt er plötzlich ohne nachweisbare Ursache Schmerzen im Leib, verbunden mit Kollern und dem Gefühle von Aufgetriebensein. Der Leib nimmt rasch an Ausdehnung zu und erreicht nach 24 Stunden wahrhaft colossale Dimensionen. Das Zwerchfell ist hoch hinaufgeschoben, die Hautdecken bis zum Zer- platzen gespannt, der ganze Leib empfindlich auf Druck. Es besteht kein Fieber, der Puls ist ruhig und nur mässig frequent, die Zunge nicht belegt. Erbrechen nur ausnahmsweise, nach Aufnahme gewisser Speisen. Der Urin normal, doch reich an Phosphaten. Die Blasen- entleerung, wahrscheinlich in Folge des colossalen Meteorismus, erschwert, so dass mehrmals catheterisirt werden muss. Es ist unmöglich, einen Stuhlgang oder auch nur den Abgang eines einzigen Flatus zu erzielen. Die verschiedensten Laxantien, innerlich verab- reicht, werden entweder erbrochen oder erweisen sich als wirkungs- los. Wassereinläufe in den Mastdarm werden nur in ganz kleinen Mengen tolerirt nnd sofort ohne jeglichen Effect wieder ausgestossen. Die Digitaluntersuchung des Rectums ergiebt stark erweiterte und in

136

die Höhe gezogene Ampulle, dermassen, dass der obere Sphincter mit dem Fioger nicht zu erreichen ist. Sonst nichts Abnormes. Dieser Zustand dauert fünf bis sechs Tage. Die verschiedensten Mittel, innerliche sowohl als äusserliche, bleiben ohne Wirkung. Atropin, selbst in minimalen Gaben, wurde nicht vertragen. Ganz plötzlich, nach einigen wenigen Gaben von Calabarextract und Nux vomica, erfolgte die Entleerung per anum von grossen Mengen Gas, mit darauffolgendem reichlichen Stuhlgang. Und damit war mit einem Schlag das anscheinend so schwere Krankheitsbild behoben und der Patient wieder vollständig wohl. Einige Monate lang erfreute sich der junge Mann vollkommener Gesundheit, da traten plötzlich wieder dieselben Erscheinungen, nur noch in viel erschreckenderem Masse auf. Innerhalb verhältnissmässig weniger Stunden erreichte die meteoristische Auftreibung des Bauches wahrhaft unglaubliche Dimensionen. Die Respiration war bedeutend behindert und der Patient konnte unter grossen Qualen nur auf der Seite liegen. Diesmal halfen auch Calabar und Xux vomica nichts und der wirklich beängstigende Zustand des Patienten dauerte über eine "Woche. Dann trat nach einem Warmwasserciystier, dem wenige Tropfen Baldrian beigemengt waren, die Gasentleerung mit sofortigem Schwinden aller krankhaften Symptome ein. Im Laufe der nächsten Monate traten noch mehrere Anfälle ähnUcher Art auf, dann reiste Patient nach Frankreich zurück und ich verlor ihn aus der Beobachtung.

Es ist wahrscheinlich, dass es sich in solch einem Falle wie der eben beschriebene um eine wirkliche acute Darmobstruction spastischer Natur handelt. Solche spastische Contractionen bei Hysterischen sind ja auch an anderen Stellen des Verdauungsschlauches schon lange bekannt, z. B. am Oesophagus, und wie Meltzer und neuerdings auch Leichtensterx gezeigt haben, auch an der Cardia, ferner am Pylorus u. s. w. Es giebt auch eine mehr chronische Form der hysterischen Obstipation, die wahrscheinlich nicht auf spastischer Obstruction sondern auf abnorm gesteigerter Hemmung beruht. Hysterische, die sonst entweder normale Stuhlentleeruug hatten, oder die an Diarrhoe litten, bekommen, meist im Zusammenhang mit anderweitigen hysteri- schen Symptomen, Stuhl Verstopfung, welche Tage, ja Wochen, anhalten kann. Meist besteht dabei ein mehr oder weniger ausgebildeter Meteorismus, reichhches Kollern und mannigfache Schmerzen. Abführ- mittel sind hier meist wirkungslos oder verschlimmern gerade den Zustand. Mit Nachlass oder Veränderung der anderweitigen hysteri- schen Zeichen tritt hier die Besserung meist ganz plötzlich ein.

Es ist neuerdings der Versuch gemacht worden, auch für die habituelle Obstipation, wenigstens für eine grosse Anzahl hierher gehöriger Fälle, bestimmte anatomische Verändernngen als Ursache nachzuweisen. Schon vor fielen Jahren hat Virchow darauf aufmerk- sam gemacht, dass Verlagerungen der Därme Stuhlverstopfung bewirken können, namentlich wenn solche Verlagerungen durch alte peritonitisohe Adhäsionen fisirt sind, und so Knickungen des Darm-

187

rohrs zustande kommen. Jacobi hat vor längerer Zeit schon darauf hingewiesen, dass bei kleinen Kindern die Flexura sigmoidea, wenn mit abnorm langem Mesocolon versehen, weit nach rechts. Ja bis in die Fossa iliaca dextra verlagert sein kann und auf diese Weise zu hart- näckiger Obstipation führe.

Vor einigen Jahren hat Glenard gewisse Verlagerungen der Bauch eingeweide in ein neues System und in bestimmte Beziehungen zur Stuhlverstopfung zu bringen gesucht. Nach Glenard kommen gewisse Verlagerungen des Colons viel häufiger vor, als man zu glauben bisher geneigt war. Durch Verlängerung der Ligamenta colo-hepaticum und colo-lienale neigt das Colon transversum zum Heruntersinken. Durch eine straffe Verbindung mit der Pylorus- gegend des Magens, welche Glenard Ligamentum colo-pyloricum nennt, wird an dieser Stelle das herabsinkende Colon aufgehalten, gewissermassen abgeknickt. Hier sollen nun die sich vorwärts bewegenden Kothsäulen ein Hinderniss finden und sich anstauen. Als Folge davon erscheint die Colongegend rechts von diesem Liga- ment verdickt, gefüllt und median wärts verlagert, links davon ist der Querdarm zusammengefallen, contrahirt und leer und als derber, meist etwas empfindlicher querer Wulst, als „corde colique trans- verse" bezeichnet, abzutasten. Eine ähnliche Verlagerung soll an der Grenze zwischen S romanum und Colon descendens stattfinden, wonach wieder der untere Theil des S romanum, leer und zusammengezogen, als Wulst die „corde colique gauche" zu fühlen ist.

Ich kann hier nicht in alle Einzelheiten der GLENARD'schen Lehre von der Enteroptose eingehen. Seitdem mir die diesbezüglichen Arbeiten bekannt wurden, habe ich an Lebenden und an Leichen dem Gegenstand viel Aufmerksamkeit geschenkt und ich kann mich voll und ganz den EwALo'schen Ausführungen anschliessen. Die Enterop- tose, entweder nur einzelne Bauchorgane betreffend oder ganz allge- mein mehr oder weniger alle Bauoheingeweide umfassend, ist häufiger als man bisher glaubte und ist bei einiger Uebung, eventuell unter Zuhülfenahme von Lufteinblasungen nicht allzuschwer zu constatiren. Weitaus die meisten Fälle betreffen Frauen mit mehr oder weniger ausgebildetem Abdomen pendulum. Die Deutung aber, die Glenard diesen Verhältnissen gegeben, scheint eine irrige zu sein. Das Liga- mentum colo-pyloricum hat sicherlich nicht die Bedeutung, welche ihm Glenard zuschreibt. Rückt das Colon transversum nach unten, so geschieht dies meistens im Bogen mit abwärts gerichteter Con- vexität, und der Magen folgt dieser Bewegung nach (Gastroptose). Die „corde colique transverse", wenn überhaupt fühlbar, ist mit grosser Wahrscheinlichkeit als Pancreas anzusprechen. Die „corde colique gauche" ist bei jedem Menschen mit schlaffen oder nicht allzu fetten Bauchdecken ganz unabhängig von irgend welcher Verlagerung zu fühlen. Auch das muss noch betont werden, dass Verlagerungen der Därme, mögen dieselben noch so hochgradig sein, wohl kaum zu Kothstauung führen können, so lange die verlagerten Därme frei

13.8

beweglich sind. Selbst die hochgradig verlagerten Därme, so lange sie nur frei beweglich sind, setzen der Vorwärtsbewegung des Darm- inhalts kaum grössere Schwierigkeiten entgegen, als dies normaler- w'eise im Colon ascendens und an der Flexura hepatica geschieht. Man denke nur daran, wie oft bei grossen Bauch- oder Scrotalbrüchen, wo ein grosser Theil der Intestina ausserhalb der Bauchhöhle liegt, die normale Defäcation ganz unbehindert vor sich geht. Ich kenne einen Fall von completer Splanchoptose, wo neben beweglicher Leber und beiderseits palpabler beweglicher Niere das Colon transversum bis unterhalb des Nabels heruntergesunkeu ist, die kleine Curvatur des Magens in der Mitte zwischen Processus xyphoideus und dem Nabel steht, das Pancreas deutlich abzutasten ist, und dennoch keine habituelle Verstopfung besteht. Die Darmverlagerung wird erst dann zum Defäcationshinderniss, wenn in Folge von peritonitischen Ver- wachsungen oder sonstigen Ursachen die Darmschlingen an einer oder mehreren Stellen angeheftet sind, so dass dieselben der Peristaltik nicht mehr vollkommen nachgeben können und es auf diese Weise zu leichteren oder schwereren Abknickungen kommt.

Fragen wir nun nach der Bedeutung der Stuhlverstopfung für den Gesammtorganismus, so ist es klar, dass dieselbe verschieden sein muss je nach der dem Leiden zugrunde liegenden Ursache. Was zunächst die habituelle Constipation anbetrifft, so scheint dieselbe in ihrer Wichtigkeit überschätzt zu werden. Allerdings können durch den rein mechanischen Reiz, welche lange im Dickdarm aufgestapelte harte Fäcalmassen ausüben, Hyperämien, Catarrhe, in seltenen Fällen wohl auch Druckdecubitus entstehen. Das Pressen und Drängen beim Entleeren harter Kothballen kann, namentlich wo hereditäre Anlage dazu besteht, zur Entwickelung von Hämorrhoiden führen. Subjective Beschwerden mannigfaltigster Art können davon hergeleitet werden. Das ganze Heer schwerer Erkrankungen jedoch, welche man früher so leicht geneigt war, mit Stuhlverstopfung in causalen Zusam- menhang zu bringen, wie Perityphlitis, Peritonitis u. dgl., sind jetzt als mit Sicherheit unabhängig davon erkannt worden.

In neuerer Zeit ist viel von Autointoxication und Absorption von Ptomainen durch den Darm die Rede gewesen. Senator und Litten haben schwere Fälle von Selbstinfection beschrieben und die Infection mit Gastrointestinalstörungen in Beziehung gebracht. Manche Formen von Chlorose sind von Sir Andrp:w Clark und xlnderen als Selbstinfection in Folge von Stuhlverstopfung aufgefasst worden. In dieser Beziehung muss man daran festhalten, dass Intoxication vom Darm aus nur bei flüssigem Darminhalt und bei gestörten chemischen und anatomischen Verhältnissen stattfinden kann. Es ist also wohl kaum denkbar, dass jene Fälle, welche man als habituelle Obstipation bezeichnet, wo es sich um festen, trockenen Darminhalt handelt und wo keine Catarrhe oder Ulcerationen der Schleimhaut vorhanden sind, zur Autointoxication führen können. Auch muss ich gestehen, dass jene Fälle von Chlorose, bei welchen Eisen angeblich

139

nicht zum Ziele führt und welche durch Abführmittel geheilt werden, mir in ihrer Auffassung als Autointoxicationen nicht ganz eindeutig erscheinen.

Anders liegen natürlich die Verhältnisse, wo es sich um Verstopfung in Folge von Dick- oder Dünndarmcatarrhen handelt. Namentlich bei jenen Zuständen, wo Verstopfung und Diarrhoe mit einander abwech- seln, können Autointoxicationen sehr wohl vorkommen und sind solche leichtern Grades, wie oben angedeutet, auch oft zu beobachten.

Aber auch ohne Autointoxication können jene Zustände zu schwerer Schädigung des Organismus führen, sowohl durch locale Einwirkung der gestauten Kothmassen auf den kranken Darm (Geschwüre, Atro- phien, Dilationen u. dgl. m.), als auch durch Beeinträchtigung der Dünndarmverdauung und Resorption und dadurch zu schwerer Schä- digung der allgemeinen Ernährung. Vor einigen Jahren fand ich bei einem Fall von acuter Darmocclusion mit Ileus post mortem als alleinige Ursache des Darmverschlusses bei dem sonst ganz gesunden Manne eine fest in die Bauhinische Klappe eingekeilte Kothmasse.

Die Zeit gestattet mir leider nicht, auf die interessanten diagnosti- schen Details einzugehen bezüglioli der Frage, ob Catarrh vorhanden, ob die Störung eine rein functionelle ist, und nach der Localisation der Catarrhe. Ich muss auf die vortrefflichen Arbeiten Nothnagels in dieser Richtung verweisen. Lassen Sie mich nur im Allgemeinen sa- gen, dass die Entscheidung dieser Fragen nicht immer ganz leicht ist. Das makroskopische Verhalten der Stühle, die Anamnese, die khni- schen Bilder, die sorgfältigste Palpation des Unterleibs nebst Explora- tion des Rectums liefern meist genügende Anhaltspunkte. Oefters entscheidet die mikroskopische Untersuchung der Dejeetionen. Finden sich gallig gefärbter Schleim und gallig gefärbte Cylinderepithelien, so liegt mit Bestimmtheit ein Dünndarmcatarrh vor. Vermehrter Indi- cangehalt des Harns tritt nie bei ausschliesslichem Dickdarmcatarrh auf, kann aber auch bei intensivem Dünndarmcatarrh gänzlich fehlen. Die Rossbach 'sehe Probe hat mir stets für alle Fälle von Dünn- und Dickdarmcatarrh ein negatives Resultat ergeben.

Schliesslich noch einige Worte zur Therapie. Es ist Thatsache, dass es Menschen giebt, welche nur alle zwei bis drei Tage eine Darm- entleerung haben und dabei in jeder Beziehung vollkommen gesund sind. Solche Menschen soll man überhaupt nicht behandeln, man richtet da stets nur Schaden an.

Als oberstes Princip für die Behandlung aller Formen von Obstipa- tion muss gelten : möglichste Einschränkung des Gebrauchs von Ab- führmitteln und kann ich auf die Grundsätze verweisen, die Trousseau in klassischer Weise aufgestellt hat. Es würde ins Unendliche führen, wollte man nur einen Theil dessen, was für die Behandlung der Ver- stopfung an Abführmitteln und sonstigen Kuren empfohlen worden ist, einer Kritik unt'^irziehen. Auch will ich hier nicht auf die Behandlung der Darmcatarrhe eingehen. Neben sorgfältiger Regelung der . Diät und der allgemeinen Lebensweise sind hier sicherlich oft Brunnen-

140

euren (Karlsbad, Kissingen, Marienbad, Saratoga) von dauerndem Nutzen, während dieselben bei den rein functionellen Obstipationen selten bleibende Vorth eile bieten, wenn nicht geradezu schädlich wirken.

Als weitaus rationellste und zuverlässigste Behandlungsmethode für catarrhalische und habituelle Obstipationen möchte ich Ihnen auf das Dringendste die Massage in Verbindung mit der ZAXDER'schen mecha- nischen Behandlung, wo letztere nicht zu haben ist, die Massage allein empfehlen. Contraindicirt ist diese Behandlungsweise nur in jenen Fällen, wo überhaupt die Peristaltik nicht angeregt werden darf, bei acuten Entzündungen im Abdomen, bei Eiterungsprocessen, bei malig- nen Geschwülsten, bei Darmobstruktion durch Tumoren u. dgl.

Vielfach ist die Electricität, sowohl galvanische als faradische, em- pfohlen worden. Meine Erfahrungen damit sind trotz einzelner Er- folge, nicht ermuthigend. Die Methode ist umständlich, nicht immer zuverlässig und wird von vielen Patienten nicht vertragen.

Ueber die neuerhch von Flataü empfohlene Einpuderung mit Bor- säure habe ich keine Erfahrung. Glycerinklystiere und Glycerinsup- positorien versagen sehr oft und wirken bestenfalls nur als vorüber- gehendes Palliativum.

Ganz anders wirkt die mechanische Behandlung nach Zander. Durch ihre mächtige Wirkung auf die Cirkulation im Allgemeinen und auf den Stoffwechsel sowie durch Anregung der Peristaltik, Kräftigung der Bauchpresse und Beförderung der Blutcirkulation im Unterleib ist dieselbe in der That, besonders wenn mit zweckmässiger Massage ver- bunden, ein rationelles Kurverfahren, welches die schönsten Erfolge aufzuweisen hat. Wo die ZANDER'sche Methode nicht ausführbar ist, genügt in fast allen Fällen eine 4 bis 6 wöchentliche Massagekur, doch sind bei derselben als Conditio sine qua non eine Anzahl von Massre- geln strengstens zu befolgen. Abführmittel irgend welcher Art sind während der Kur auf's Strengste verpönt. Der Patient wird verstän- digt, dass der Stuhlgang von selbst erfolgen muss, selbst wenn er 14 Tage oder noch länger ohne Stuhlentleerung sein sollte. Werden die subjectiven Beschwerden zu gross, so kann ausnahmsweise durch ein Clysma oder ein Glycerinsuppositorium nachgeholfen werden. Dies ist jedoch nur in den allerseltensten Fällen nöthig, meist kommt schon nach 2 bis 4 Tagen die erste spontane Stuhlentleerung, und die Pa- tienten, welche auf eine 14tägige Verstopfung vorbereitet waren, sind glücklich über den Erfolg der Kur.

Die Diät muss sorgfältig regulirt und solche Speisen ausgeschaltet werden, welche massigen Koth oder viel Gase verursachen (Kartoffeln, die verschiedenen Kohlsorten, Brot, Backwerk u. dgl.). Demnach be- steht der Speisezettel hauptsächlich aus zarten, nicht fetten Fleisch- sorten, Milchspeisen, Hafer, Reis etc., leichten Gemüsen und viel Obst, daneben reichhches Getränk, hauptsächlich Wasser oder ein leichtes Bier. Für reichliche Bewegung in frischer Luft muss gesorgt werden und wird namentlich Eeiten empfohlen. Ein Hauptpunkt ist ferner,

141

wie schon Trosseau hervorhebt, dass der Patient täglich mit peinlich- ster Gewissenhaftigkeit zur bestimmten Stunde den Abtritt besucht, ganz gleichgültig, ob Stuhldrang besteht oder nicht.

Neben dieser allgemeinen diätischeu Behandlung wird innerlich Nux vomica und Atropin, wo Letzteres nicht vertragen wird, Calabar- extrakt gereicht.

Wass nun die Massage anbetrifft, so muss sie die ersten vier Wochen täghch angewendet werden, mit Vorliebe am frühen Morgen oder Abends vor dem Einschlafen. Es ist gleichgültig, von welchem Punkte angefangen und nach welcher Richtung hin massirt wird, wenn nur der Bauch gehörig kräftig dabei mit richtigen Griffen durchge- knetet wird. Diese Bauchmassage soll mit allgemeiner Massage des Körpers verbunden werden und wo keine ZANDER'sche Behandlung zu haben ist, können zweckmässiger Weise schwedische Resistenzbewe- gungen benutzt werden. Auf diese Weise gelingt es fast ausnahmslos, selbst viele Jahre dauernde Obstipationen zu überwinden. Ich selbst verfüge über eine recht grosse Anzahl, zum Theil sehr hartnäckiger Fälle von Verstopfung, die alle auf diese Weise dauernd von ihrem Leiden befreit wurden. Ob jemals, eine chronischer Darm catarrh wirk- lich zur Heilung kommt, möchte ich sehr bezweifeln, sicher ist es je- doch, dass man auch bei ausgedehnten chronischen Dünn- und Dick- darmcatarrhen dauernd regelmässige Stuhlentleerung herbeiführen kann und damit nicht nur dem Fortschreiten der catarrhalischen Af- fection ein Ziel setzt, sondern auch die subjectiven Beschwerden ent- weder ganz heben, oder auf ein Minimum reduciren kann.

Nachstehend die näheren Nachweise einiger der wichtigsten in Obigem an- gezogenen Schriften.

Xoihnagel. Beiträge zur Physiologie und Pathologie des Darmes. BerUn, 1884.

Van Braam- Houckgeest. Pflueger's Arch, f. Physiol., IV. Bd. Engelmann. Pflueger's Arch. f. Phys., II. Bd. Leichtenstern. Ziemssen's Handbuch, VII. Bd Lambl. Aus dem Franz-Josefs Kinderspitale in Prag, 1860. Woodward. The Medical and Surgical History of the War the Eebellion, Part IL, Vol. I.

Da Costa. Am. Journal of Med. Sciences, 1871. Trousseau. Clinique de l'Hotel Dieu, Bd. IH.

Litten. Ueber einen eigenthümlichen Symptomencomplex in Folge von Selbstinfection bei dyspeptischen Zuständen. Zeitschrift f. khn. Med., Bd. VII. Glenard. De l'enteroptose, 1889.

Nothnagel. Ueber habituelle Obstipation. Wiener med. Presse, 1890, No.

11 und 12.

Ewald. Ueber Enteroptose und Wanderniere. Berl. klin. Wochenschrift,

12 und 13, 1890.

Dunin. Ueber habituelle Stuhlverstopfung, deren Ursachen und Behand- lung. Berliner Klinik, Heft 34, 1891.

Zuntz. Die Ursachen des Meteorismus. Deutsch, med. Wochenschrift, No. 44, 1884.

142

II.

Beitrag zur Keuutniss von den Fremdkörpern im Oesophagus.*

Von

Dr. CARL BECK.

Sitzung vom 3. Mai 1891.

Vor einer Woche wurde die 18 Monat alte, in Russisch-Polen, geborene Deborah Lefkowitz auf meine Abtheilung in der Deutschen Poliklinik gebracht unter der Angabe, dass sie beim Spielen v o r vi e r Wochen ein Vierteldollarstück verschluckt habe.

Die alsbald herbeicitirten Aerzte machten vergebliche Extraktions- versuche; sie Hessen die kleine Patientin erbrechen, bis Hirnsymptome eintraten und riethen dann den fleissigen Genuss von Milch und Kartoffelbrei in der Hoffnung, den Fremdkörper per vias naturales abgehen zu sehen, eine Erwartung, welche sich trotz des ingeniösen medicinischen Heilapparates als trügerisch erwies.

Flüssige Speisen werden schwer und unter Würgebewegungen geschluckt, seit einigen Tagen aber regurgitiren auch diese und gleich- zeitig treten Fieberbewegungen ein, wesshalb sich die auf dem Lande wohnenden Eltern entschlossen, anderweitige ärztliche Hilfe zu requiriren.

Als ich die Krankengeschichte hörte, klang sie mir fast wie ein Märchen. Ich konnte an dem in relativ gutem körperlichen Allge- meinzustand befindlichen Kinde nichts Aussergewöhnliches entdecken, auch ergab insbesondere die Inspektion und Touchirung des Eachens nichts Abnormes und mehr, um meiner Pflicht gerecht zu werden als in der Erwartung weitere Aufklärung zu finden, führte ich einen GRAEFE'schen Münzenfänger ein.

Ich muss hier bemerken, dass ich eigentlich nicht begreifen konnte, wie ein so grosses Geldstück so lange Zeit im Oesophagus hätte ver- weilen können und dachte, dass das Kind eher ein Opfer zahlreicher curativer Massnahmen, als eines Fremdkörpers wäre. Als ich jedoch den Isthmus passirt hatte, stiess ich auf einen starken Widerstand. Instinktiv drehte ich mein Instrument, ich fühle, dass es festhakt und ziehe, erst leise und dann stärker, bis ich ein Nachgeben des Widerstandes fühle.

Dann wiederum tritt eine Hemmung ein, welche selbst nach stär- keren Traktionsversuchen nicht zu überwinden ist. Nunmehr gehe ich in den Rachen mit dem Zeigefinger ein und kann zu meiner Freude das Geldstück fühlen, welches ich nun durch Gegendruck leicht her- ausbefördern kann, dem vortrefflichen Rathe Langenbecks folgend, das bereits in dem Pharynx sichtbare Ende des Münzenfängers gegen die hintere Pharynxwand anzudrücken.

(* Anschliessend an einen vor der Deutschen Medicinischen Gesellschaft der Stadt New York demonstrirten Fall.)

m

Wie Sie sich leicht überzeugen können, hat sich das Aussehen des Geldstückes erhebhch geändert. An einigen Stellen ist eine dicke Schleimkruste, wohl da, wo es in die Schleimhaut fest eingebettet war, zu sehen und an anderen, wolil den freiliegenden Stellen, ist es blank, wie von Säure beeinflusst.

Die Patientin gesundete alsbald und ihre Eltern waren so gross- müthig, mir dieses Ihnen vorliegende Geldstück zum Präsent zu mächen.

Meine Herren ! Ein Fall, wie dieser, steht meines Wissens einzig in der Literatur da. Albert z. B. schildert den Fall Krishabers, (Lehrbuch der Chirurgie und Operationslehre, 3. Aufl. Bd. L, p. 562.) welcher einem vierjährigen Kinde ein F r a n k s t üc k , also eine kleinere Münze, auszog, als etwas ganz Unerhörtes, während doch mein Fall ein viel jüngeres Kind betrifft. Ferner ist der Umstand, dass der grosse Fremdkörper ohne erheblichen Schaden vier Wochen lang ertrageil wurde, schon an und für sich ein ganz aussergewöhn- licher.

Die vielfachen und zum Theil ihrer grotesken Einfälle wegen bewundernswerthen Versuche, welche ich nicht bloss bei der Chirurgia rusticana, sondern auch bei anerkannt tüchtigen Collegen in urbe beobachtet habe, machten mir den Eindruck, dass bei kaum einem anderen Leiden so wenig Methode herrscht, als in der Fremdkörper- therapie des Schlundes. Die Proceduren, welche der beklagenswerthe arme oder reiche Schlucker auszuhalten hat, spotten zumeist aller Beschreibung und erinnern an die schlimmsten Orgien der spanischen Inquisition.

Ich halte es desshalb nicht für überflüssig, einige Bemerkungen über Beurtheilung und Therapie der Fremdkörper im Oesophagus zu machen.

Die üblichen Massnahmen, denen man zumeist begegnet, sind : Würgen und Schlingenlassen, Wasserschlucken, weiche Bissen hinter- drein, Finger in den Hals stecken, um Erbrechen zu erregen, Brech- mittel in gewöhnlicher Weise oder nach vorhergegangener Darreichung von sehr vielem Hühnereiweiss, Einspritzung von Tartarus emeticus, Kitzelversuche mit borstigen Instrumenten und dergleichen. Solciie Proceduren flndet man oft Tage lang fortgesetzt, was dem Käthe von Laien oder einer sogenannten erfahrenen Levatrix wohl zu verzeihen ist, nimmermehr aber von einem Arzte entschuldigt werden kann.

Diesem bleiben nur 3 Wege vorgezeichnet :

1. Die Extraktion durch den Mund,

oder 2. Das Hinabstossen in den Magen,

oder 3. Die Oesophagotomie.

Ob er extrahiren oder hinabstossen soll, muss er so sofort entschei- den können, so dass er zielbewusst nach der einen oder anderen Rich- tung hin seine Massnahmen treffen kann, nach deren Erfolglosigkeit eben nur der Speiser öhremchnitt und nur dieser allein übrig bleibt.

Fremdkörper, welche noch im Bereich des Rachenraumes gesehen

144

oder mit Finger resp. Sonde gefühlt werden können, sollten ex ore ex- trahirt werden. Sehr oft kann man grössere Gegenstände mit einer Schlundzange oder mit dem gekrümmten Zeigefinger packen.

Sobald der Isthmus passirt ist, soll man hinabstossen; auch kann man versuchen, weiche Fremdkörper, wie Fleisch oder Kartoffeln von aussen hinabzustreichen. Sind Athembeschwerden vorhanden, so ist es anzurathen, das Kinn des Patienten gegen die Brust zu drücken oder den Larynx von der Wirbelsäule wegzuheben.

Du J ARDIN- liEAüMETZ (Bull. de la Soc. de Chir., Oct. 30. 1875), em- pfiehlt namentUch bei Kindern, welche Geldstücke geschluckt haben, den Patienten auf den Leib und glatt auf den Tisch zu legen, so dass der Kopf über den Eand des Tisches hinausragt. Der Kopf wird von einem Assistenten gehalten und nun wird ein Finger in den Mund ein- geführt, um die Zunge niederzudrücken, worauf das Geldstück am Finger lieruntergleiten soll. Das Verfahren ist gewiss bisweilen er- folgreich, in den meisten Fällen hat aber das Geldstück kaum die Ge- fälligkeit, in dieser Weise einem entgegenzukommen.

Sehr grosse Körper mit rauher Oberfläche, namentlich solche, die mit Kanten und Spitzen versehen sind, wie Nadeln, Nägel, Knochen- stücke, dürfen niemals hinuntergestossen werden, da hierbei ja jeg- licher Wegweiser fehlt. Hierbei ist unter allen Umständen die Ex- traktion zu versuchen und ist auch hierfür der Gräfe'sche Münzenfän- ger zu empfehlen, welcher in meinem Fall so ausgezeichnete Dienste geleistet hat.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht verfehlen, zu Lob und Preis dieses vorzüglichen Instrumentes einen meines Wissens nicht zur Ver- öffentlichung gelangten Fall zu erwähnen, welchen ich das Vergnügen hatte, im Jahre 1876 auf der LANGENBECK'schen Klinik mitzubeobachteu.

Einem jungen BerUner, welcher an Rachencatarrh litt und dem sein Arzt gerathen hatte, mittelst eines Drahtpinsels sich zu behan- deln, reichte derselbe nicht tief genug in den Schlund hinab, wesshalb er in einer Anwandlung von Heroismus den für den Einsatz von 2 Fin- gern kreisförmig gekrümmten Theil des Drahtes aufdrehte, so dass die Länge des Pinsels ungefähr derjenigen eines langen Bleistifts ent- sprach. Nunmehr ging der schneidige Patient in seinem unstillbaren Heiltrieb so tief hinab, dass er eine unwillkürliche Schluckbewegung auslöste, worauf der Pinsel verschwand.

Langenbeck führte nunmehr den Münzenfänger unzählige Male ein, konnte mit demselben den Draht deutlich fühlen aber nicht packen. Nun wurde beschlossen, die Gastrotomie andern Tages vorzunehmen ; da fiel es einem der jüngeren Assistenten des berühmten Meisters ein, noch einmal vorher den Versuch mit einem anderen Münzenfänger zu wagen, der an seiner Oese zerbrochen war (was, beiläufig erwähnt, von ihm zufällig nicht bemerkt wurde). Und in diese zerbrochene Stelle klemmte sich der Pinselstiel ein und wurde glücklich extrahirt !

Man muss alle Schlundinstrumente vor dem Gebrauch gut einölen; bleibt ein solches irgendwo hängen, so geht man zunächst nicht weiter, sondern manövrirt in loco ganz leicht und mehr lateral wärts.

145

Zum Hinabstossen eignet sich ganz besonders der Schlundstösset* von WiTES, welcher aus ein Fischbeinstab, an dessen unterem Ende ein Stück Schwamm festsitzt, hergestellt ist.

Zum Ausziehen wäre die CnARRiERE'sche Schnabelzange und der WEiss'sche Schlundschirm zu empfehlen, der grade wie eine Bürste zum Keinmachen der Flaschen das Lumen der Speiseröhre beim Oeffnen ausfüllt, so dass in den Schweineborsten, aus welchem der Schirm besteht, die Fremdkörper sich fangen.

Ein ingeniöses Verfahren hat Goldsmith (Bedford-Lancet, II, 17.) ausgedacht um einen verschluckten Angelhaken herauszubefördern. Er nahm ein Stück Ligaturseide, befestigte dieses an die Darmsaite des Angelhakens, fügte dünnen Draht um dieselbe und führte diese Leitungssonde .in den Oesophagus, wodurch es ihm gelang, des Angelhakens habhaft zu werden.

Nach Balck (New York Med. Journal, 1875) wäre bei Fleischstücken auch die künstliche Verdauung zu versuchen. Er berichtet Fälle, in welchen Stücke Fleisch durch Salzsäure und Pepsin verkleinert wurden und dadurch leicht hinabgestossen werden konnten.

Erwähnen möchte ich hierbei noch den Rath von Bourgeois (Bulletin de Chir. C. IL), welcher empfiehlt, recht viel Eis schlucken zu lassen und dann den Schlundstösser anzuwenden. Das Eis soll den Oeso- phagus zu Contraktionen veranlassen und auch die Empfindlichkeit abstumpfen.

Schlagen alle die genannten Versuche fehl, so ist ohne Aufschub die Oesophagotomie zu unternehmen, welche heutzutage in weitaus der grössten Mehrzahl der Fälle ein günstiges Resultat ergibt.

Um die Indikationen etwas genauer zu stellen und zu verstehen, halte ich es für nöthig, über die Form und Art der Fremdkörper mich etwas eingehender zu verbreiten.

Ich halte mich hier an die ausgezeichnete Eintheilung nach König, welcher unterscheidet :

1) Körper mit rauhen, spitzen, schneidenden Oberflächen: Knochen- stücke, Gräten, Pfeifenspitzen, Nadeln, Dornen, Nägel, Stacheln, Sonden, Bolzen, Zinke, Grannen, Angelhaken, künstliche Gebisse und Obturatoren, Münzen, Messer, Gabeln,

2) Körper mit mehr glatter Oberfläche: a) weiche, wie Fleisch- stücke, lebende Thiere, Früchte, Eier, Kuchen, Tücher, Bälle, b) harte: Steine, Ringe, Knöpfe, metallene Tassen, Fingerhüte, Schlösser, Löffel, Holzstücke, Lederstücke,

3) Unbekannte Körper.

Nach den sub.I. bezeichneten FremdKörpern treten sofort sehr alar- mirende Symptome auf. Der Patient merkt beim Schlucken, dass der zu grosse Bissen nicht weiter ging. Er fühlt einen Druck auf Larynx oder Trachia, bekommt Dyspnoe, wird cyanotisch und hat vielleicht das Glück, durch Würgebewegungen den Körper nach oben oder unten weiter zu spediren.

Sehr häufig aber tritt auch am Esstisch Erstickung ein, ehe noch

146

ärztliche Hilfe zur Hand ist, da der Fremdkörper die Epiglottis bedeckt oder gar in den Larynx eindringt.

Uns Allen ist der unendlich tragische Fall noch frisch im Gedächt- niss, welcher vor wenigen Tagen in unserer Nachbarstadt Brooklyn sich zutrug.

Ein bekannter, in der Mitte der Dreissiger stehender Pastor will seinem kranken Kinde einen Löffel voll Medicin verabreichen. Er hält in der einen Hand den Esslöffel, in der anderen die Medicinflasche und den Kork derselben zwischen den Zähnen.

üeber den Grimassen, welche der kleine Patient ob der bitteren Arznei schneidet, muss der Papa lachen und hierbei geräth der Kork in die Kehle. Die Beschwerden waren in den ersten Tagen so gering, dass der sehr willensstarke Patient sogar noch predigte ; am fünften Tage aber zeigten sich bronchitische Erscheinungen und steigende Dyspnoe, so dass die Tracheotoraie vorgenommen wurde. Es gelang hierbei wohl, in einen Bronchus eine Zange einzuführen, nicht aber den Kork zu extrahiren, so dass der Patient der unausbleiblichen Broncho- pneumonie erlag.

Selten ist Jemand so glücklich, solch ausgezeichnete Hilfe in unmit- telbarer Nähe zu haben, wie der junge Neffe Langexbecks, welcher sich im Garten damit amüsirte, einen kleinen Apfel in die Höhe zu werfen und mit dem Munde aufzufangen.

Bei einem solchen Jougleurdebut gelangte der Apfel in den Rachen, der Junge wurde sofort asphyktisch und stürzte zu Boden. Langen- BECK befand sich zufällig wenige Schritte von ihm entfernt und steckte, ohne dem Spiel Beachtung geschenkt zu habeh, instinktiv seinen Finger in den Schlund und es gelang ihm wirklich, sich in den Apfel einzuhaken und denselben zu extrahiren.

In Fällen, in denen ein Fremdkörper in den Larynx oder Trachea dringt, wäre doch wohl die sofortige Tracheotomie anzurathen.

Man darf sich hier durch ein gewisses Wohlbefinden, das ausnahms- weise sehr wohl vorübergehend eintreten kann, auch wenn der Fremd- körper dicht vor der Stimmritze sitzt, nicht von diesem Grundsatz abwendig machen lassen.

Bei Serie No. 2 der Fremdkörper wirken dieselben weniger durch ihren Umfang, als durch ihre scharfen Ecken und Kanten, welche schwere Verletzungen der Schleimhaut und der Nachbarorgane her- vorbringen. Besonders zu fürchten sind Knochen und Gräten, welche sich ausserordentlich leicht in den Falten der Schleimhautduplikaturen einnisten.

Bei diesen Fällen sind also die primären Erscheinungen nicht sehr fulminant, der Patient braucht während der Mahlzeit noch nicht ein- mal zu verspüren, dass ein Knochen oder eine Gräte in der Speiseröhre festsitzt und kann erst später dort eine Empfindung haben. Da die Symptome nicht quälender Natur sein können, so liegt der Gedanke nahe, dass es sich nur um eine Arrosion der Schleimhaut handelt wie es ja auch glücklicherweise oft genug der Fall ist und dass das

117

corpus delicti weiter gegangen ist, so dass oft viele Wochen vergehen, ehe die Ueberzeiigung vorhanden ist, ob eingekeilter Fremdkörper oder \>\oss Verwundung beim Passiren desselben, bis entweder dauernde Euphorie oder ein die Anwesenheit des Fremdkörpers ver- rathender Folgezustand, beispielsweise Blutung oder Entzündung der benachbarten Kespirationsorgane eintritt.

Von merkwürdigen Fällen dieser Art, welche keinerlei prägnante Symptome zeigten, will ich bei dieser Gelegenheit einen Fall von VoLTOLiNi citiren, in welchem dieser eine Nussschale mit Hilfe eines von ihm construirten Spekulums aus dem Larynx eines lOjährigen Knaben entfernte, dessen Sprache fast normal und dessen Stimmritze vollständig durchgängig war. (Berliner klinische Woch. XII. 6.)

Einen noch merkwürdigeren Fall beschreibt derselbe Autor wie folgt :

Er hatte einen Mann an Kehlkopfpolypen operirt. Dieselben waren wieder gewachsen und da wegen des herrschenden strengen Winters der Patient die weite Reise zu Voltolini scheute, wurde von einem Spezialarzt die Entfernung der Wucherungen mittelst der von Tuerck angegebenen Zange vorgenommen. Dabei brachen beide Mäuler der Zange nebst Stiel in der Länge von 3j €entimeter ab und fielen in den rechten Bronchus hinab.

Patient bekam Husten, Blutungen, Fieber, Schmerz in der rechten Lunge, der Pertoralisgegend entsprechend und ertrug diesen Zustand ungefähr f Jahre lang.

Er wurde dann immer kränker und bei einem so schweren Husten- anfall, bei welchem er zu ersticken glaubte, so dass er sich zur Erde legen musste, kam das Zangenfragment heraus, wonach der Patient sich bald erholte.

Larynx, Trachea, Bronchien und Lungen können verletzt und com- primirt werden. Sehr häufig ulceriren .die Wände, so dass eine Per- foration Speisepartikel eintreten lässt. Ferner kann die Pleura affi- cirt werden und Pyopneumothorax zur Folge haben oder Aorta, Caro- tis und Arteria pulmonalis können arrodirt werden und zu lethaler Blutung Anlass geben. '

Was die Prädilektionsstelle der verschiedenen Fremdkörper betrifft, so findet man die grossen und scharfkantigen zumeist noch im Pharynx, die übrigen dagegen an den 3 engen Stellen der Speiseröhre, als da sind der Isthmus, die Durclilassstelle am Diaphragma und die Cardia.

Die Anamnese pflegt zumeist über die Form dös Fremdköri)ers Aufschluss zu ertheilen und so auch den wahrscheinlichen Sitz zu erui- ren, manchmal aber können die Patienten wirklich nichts angeben und dann werden sehr häufig Fremdkörper von Geisteskranken verschluckt, auf deren Angaben man sich selbstverständlich nicht verlassen kann.

Das untrüglichste Symptom bleibt dann die Dysphagie. Ausser- dem ist noch übrig, zu lokalisiren entweder unter Spiegeluntersuchung oder, wenn diese keinen Aufschluss ertheilt, mit der Sonde.

Trotz dieser Hilfsmittel gibt es nach der Beschreibung von Adel-

148

MANN (Prager Viertel] ahrsschrift, 1867), eine Menge von Fällen, in de- nen der ganze diagnostische Apparat nicht im Stande ist, befriedigen- den Aufschluss zu geben und erst eine verwegene Operation 9der die Autopsie Klarheit bringt.

Es passirt wohl selten, dass ein Arzt Gelegenheit hat, so genau zu beobachten, wie Dieffenbach, der, als er einer Dame gegenüber sass und gerade ihre schönen Zähne einer kritischen Ocularinspektion unter- zog, das doppelreihige Gatter bei einer ungeschickten Schluckbewe- gung seiner Besitzerin verschwinden sah, worauf dieselbe alsbald cyanotisch wurde.

Natürlich hatte der scharfe Beobachter dije Dislokation bald wieder reponirt.

Man kann resumiren, dass also bei umfangreichen und weichen Fremdkörpern eine grössere Augenblicksgefahr durch Suffokation besteht, während bei den spitzen und harten Körpern die Gefahr erst nach vielen Monaten noch durch Perforation nach Geschwürsbildung eintreten mag.

Nicht gar zu selten tritt Naturheilung bei spitzen Körpern ein, so sind z. B. schon Knochen, Fragmente einer Gabel, Nadeln und der- gleichen aus allen möglichen Theilen des Körpers an das Tageslicht gelangt.

Verschluckte Nadeln scheinen überhaupt nicht besonders verhäng- nissvoll zu sein, haben doch die Thierexperimente von Omboni und

FOJA

(ViNCENzo Omboni, Annali. univers., pag. 517, Giugno, 1869.)

(Giovanni Foja, Gazz. Lombard. C. 186.) bewiesen, dass von 127 an Thiere verfütterten Näh- und Stecknadeln 110 per rectum ausgeschieden wurden, ohne sichtbare Beschwerden an den noch jungen säugenden Thieren (10 Katzen und 2 Kaninchen) zu zeigen.

Eine Nadel wurde über dem Sphincter ani im Kectum frei, eine andere ebenda eingestochen, vier frei im Magen und eine in denselben eingestochen gefunden. Zwei fanden sich im processus vermiformis.

*Eine auffallende Eeaktionslosigkeit des Verdau ungstraktus wird vielfach bei Geisteskranken gefunden. So erinnere ich mich, in einer deutschen Heilanstalt einen Me]an<;holiker gesehen zu haben, welcher zwei mit Schrauben versehene Kleiderhaken von mindestens vier Zoll Länge durchpassiren liess, ohne zu klagen. Nur bei dem Defäkations- act schien er sich weniger zu amüsiren.

Eine auffallende Erscheinung ist, dass das männliche Geschlecht ein doppelt so grosses Contingent für Fremdkörper im Oesophagus stellt, als das weibliche. Nur bei einen einzigen Fremdkörper lassen sich die Frauen den Vorrang nicht streitig machen, nämlich bei der Nähnadel, wie dies ja auch nicht gerade wunderbar ist.

Immerhin kann man wohl sagen, dass eine grosse Zahl von Menschen alljährlich an Fremdkörpern des Oesophagus zu Grunde geht, wenn auch der Procentsatz der Mortalität, welcher nach Adelmann

149

die erschreckende Ziffer von ein Drittheil beträgt, zweifellos über- trieben ist.

Man muss freilich bedenken, dass viele Fälle gar nicht ärztlich be- handelt werden, sondern dass ein sehr grosser Theil aller Fremdkörper durch Erbrechen, Lachen, Niesen und Hinabrutschen in den Magen entfernt wird.

Allerdings bleiben dann namentlich die Fälle übrig, welche nach Tagen, Monaten und selbst nach Jahren noch lethal endigen und welche bei frühzeitig vorgenommener Oesophagotomie zum aller- grössten Theil bestimmt gerettet worden wären.

187 Secjond Avenue.

III.

Lebensfähigkeit der Tuberkelbacillen.

Eine einfache und schnelle Methode zum Färben dieser Organismen-

Die Wirkung einiger starken Antiseptica auf ihre chemische Zersetzung.*)

Von

Dr. HENRY HEIMAN.

Es kann nicht meine Absicht sein, mich auf eine ausführliche Ar- beit über die Tuberkelbacillen einzulassen. Eingehende Literatur wurde bis jetzt darüber vom bakteriologischen, vom hygienischen und in letzter Zeit besonders vom therapeutischen Standpunkt aus, ver- öffentlicht.

Die Beobachtungen, die ich mir Ihnen vorzulegen erlaube, beziehen sich :

1) Auf die Frage des Nachweises von Tuberkelbacillen ausserhalb des Körpers, wenn sie der gewöhnlichen Zimmertemperatur ausgesetzt sind,

2) auf eine einfache und schnelle Methode zur Färbung,

3) auf die Wirkung einiger stark desinficirenden Mittel betreffs ihrer chemischen Zersetzung.

Meine Versuche datiren bereits vom 15. Januar 1891; im März d. J. erschien eine Brochure ähnlichen Inhaltes von Dr. A. K. Stone, Boston. ')

Leider musste ich alle meine Versuche in meiner Office ausführen ohne Hilfe eines eigens für diesen Zweck eingerichteten Laboratoriums. Meine Abhandlung mag Ihnen eine Zusammenfassung dieser müh- samen und sorgfältigen Arbeit sein. Auf die vielen Fragen über die Dauer der Möglichkeit, Präparate zu färben ob Tage, Wochen oder Monate nach ihrer Entnahme konnte ich nicht mit Bestimmtheit antworten.

*) Vortrag gehalten in der ,,Harlein Medical Association" am 7. October 1891. 1) American Journal of Medical Science.

150

Auf die verschiedenen Agentien, die ich zur Färbung anwandte, werde ich später zu sprechen kommen, üm Ihnen vorweg eine schnellere Uebersicht über die Färbeversuche im Betreff der Zeit- dauer nach Entnahme des Sputum und Aussetzung desselben der gewöhnlichen Zimmertemperatur zu geben, habe ich die Kesultate in Tabellen zasammengestellt, von welchen ich mir nur einige anzufüh- ren erlaube.

Präparat No. I.

Präparat No. II.

Präparat No, III.

Präparat No. IV.

Anzahl der gefunde-

Anzahl der gefunde-

Anzahl der gefunde-

Anzahl der

gefunde-

nen Bacillen.

nen

Bacillen.

nen Bacillen.

nen Bacillen.

1.

Januar 17. 1891 . .

.b

Januar 15. 1891...

.b

Januar 20. 1891 . .

.0

Januar 25.

1891...

.0

2.

" 20.

b

17.

.c

" 22.

. .c

26.

.c

3.

" 22.

.b

20.

.c

" 26.

.c

" 29.

.0

4.

" 26.

-b

22. ..c

, e

" 28.

Februar 2.

.c

5.

"28.

.c

26. ...

.0

" 31.

."b

5.

c

6.

" 31.

.c

28.

.0

Februar 3.

..b

8.

.0

7.

Februar 3.

.b

31.

.b

6.

11.

. c

8.

6.

.b

Februar 3.

.b

9.

.0

9.

" 9.

.b

6.

.b

12.

\t

.c

10.

" 12.

.b

9.

.b

" 16.

..b

20.

.c

11.

16.

.b

12.

.b

18.

" 23.

.c

12.

" 18.

.b

16.

b

21.

-.i

" 26.

.c

13.

" 21.

.b

18.

.b

"24.

.b

März 1 .

.0

14.

" 24.

.b

21.

.b

27.

.b

4.

.0

15.

" 27.

.b

24.

.c

März 2.

.b

7.

.c

16.

März 2.

.b

27.

5.

" 10.

.c

17.

5.

.b

März

2.

.0

8.

" 13.

.c

18.

8.

.b

5. c, e, f

11.

.0

" 16.

.0

19.

11.

.b

8.

.c

14.

.c

19.

.0

20.

14.

.b

11.

.c

" 18.

.0

26.

.c

Schlüssel zur Tabelle: a. Sshr grosse Anzahl. b. Beträchtliche Anzahl, c. Spärliche Anzahl, d. Garteiae. e. Gebrochenes Aussehen, f. In Gruppen.

Die Thatsache wird Ihnen sofort ins Auge springen, dass ich in keinem einzigen Falle verfehlt habe, die Anwesenheit der Tuberkel- bacillen nachzuweisen, nachdem ich deren Vorhandensein zum ersten Male constatirt hatte. In höherem Masse wird Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen durch den grossen Wechsel in der Zahl der Bacillen, die sich bei einzelnen Fällen in denselben Präparaten vorfin- den. Hierüber sei nur soviel erwähnt, dass sich melirere Theorieen hinsichtlich dieses Punktes aufstellen lassen, deren wahrscheinlichste nach meiner Meinung die ist, dass der Färbeprocess des Sputum beim Absetzen der wässrigen Bestandtheile als Bodensatz die festen Theile zusammen mit den Tuberkelbacillen zurücklässt. Ihre Anzahl variirt desshalb im umgekehrten Verhältniss der Menge des übrig gebliebe- nen Sputum und der mechanischen Handgriffe bei Entnahme und Aus- breitung auf den Objektträger. Auch ist zu berücksichtigen, dass die constante Abnahme der Tuberkelbacillen in einigen Proben auf die be- ständige Entziehung tuberkulösen Materials zurückzuführen ist, und ausserdem auch, weil die Tuberkelbacillen nur bei Bluttemperatur und in mehr günstig angelegten Culturen als im gewöhnlichen Auswurf wachsen und sich vermehren.

Die erfolgreiche Färbung meines ältesten Präparates fand an einer Probe, die aus dem Besitz des Dr. E. Friede>'beeg stammt, am 5. März 1891 statt und, obwohl bereits 20 Monate vergangen waren, iand ich

die Bacillen bei jedem der 16 Versuclie vor. Um die Möglichkeit, dtass Tuberkelbacillea von aussen in meine Versuchsflaschen gekommen, auszuscheiden, liess ich bacillenfreies Sputum eine Flasche sogar unbedeckt inmitten des tuberculösen stehen, war jedoch nach mehrfacher Anstellung dieser Versuche nicht im Stande, Tuberkel- bacillen in den Controllflaschen nachzuweisen. Auch bei dem ver- suchten Nachweise der Bacillen in dem Sputum nicht an Tuberkulose Leidender habe ich nur negative Resultate erzielt. Eben dies ist gründlich von Koch') in seinem Meisterwerk dargestellt, wie auch von Fraentzel und Balmer^) und von Ziehl^), die bei ihren zahlreichen Versuchen zu demselben negativen Resultate gelangten.

Das Auffinden dieser lebenden virulenten Keime, wie Dr. Stone gezeigt hat, halte ich vom praktischen Standpunkt aus für eine eminent wichtige Thatsache. Cornet^) hat durch viele Versuche ein- dringlich und sehr gerechtfertigt auf diesen Punkt hingewiesen und betont besonders vom hygienischen Standpunkt die Wichtigkeit der Füllung der Spuknäpfe mit Wasser, um eine Verbreitung der Tuber- kelbacillen zu verhindern.

Aus den erhaltenen Resultaten können wir den Schluss ziehen, dass die Tuberkelbacillen vermuthlich gemäss ihrer Sporenformation eine ähnliche Lebensfähigkeit zeigen wie die anderen Bakterien. So sah ich Koch mit einer Reinkultur von Milzbrandbacillen demonstriren, die ihre Uebertra'gungsfähigkeit 18 Jahre beibehalten hatten. Was die veränderte Färbung im Lauf der Zeit betrifft, so schienen sie meines Dafürhaltens die Färbeagientien nicht in dem Masse anzu- nehmen und eine mehr bräunliche Färbung zu zeigen.^)

Um das Vorhandensein der Tuberkelbacillen bei chirurgischer Tuberculose nachzuweisen, habe ich die eitrigen Abgänge in 40 Fällen untersucht, darunter Gelenkentzündung, kalte Abscesse, tuberculöse Drüse, und für diesen Zweck 80 Proben vorbereitet. Nur in einer, welche von einer tuberculösen (käsigen) Halsdrüse stammte, entdeckte ich die Tuberkelbacillen ; indess glaube ich deren Vorhandensein auch in allen anderen Fällen annehmen zu müssen. Koch'') erwähnt drei Fälle frisch exstirpirter skrophulöser Drüsen, in deren zwei die Bacillen enthalten waren, ausserdem vier Fälle tuberkulöser Gelenkentzündung, in deren zwei ebenfalls die Bacillen vorkamen. Es ist eine bekannte Thatsache, dass wir selten im Eiter die Bacillen finden, gewöhnlich aber in käsigen Massen. Dr. Kanzler') berichtet von 31 Fällen skro- phulöser Drüse, in deren 14 er aus 213 gewonnenen Präparaten die Bacillen constatirte, und von 13 Fälle Knochentuberculose in deren acht der Nachweis der Bacillen erfolgte.

1) Berliner Klinische Wochenschrift 1882, No. 15.

2) Berhner Klinische Wochenschrift 1882, No. 46.

3) Deutsche Medicinische Wochenschrift 1883, No. 4.

4) Berhner KHnische Wochenschrift 1889, No. 12.

5) Leitz Ocular I., Oelimmersion "/jj» A-bbes Condenser.

6) Berliner Klinische Wochenschrift 1882, No. 15.

7) Berliner Klinische Wochenschrift 1884. No. 2 und 3.

152

Um auf den Zweiten Punkt, die geeignetste und schnellste Methode zur Färbung der Bacillen, zu kommen, so kann ich hier nicht alle bekannten Methoden anführen oder auch nur alle diejenigen, welche ich bei meinen Versuchen anwandte. Für einzelne Fälle benutzte ich die Methode von Koch^), von Ehrlich^), von Biedert^) und von Gram") ; in mehr als ^00 Fällen wandte ich Friedlaenders Methode an, wie sie von Dr. W. Manges^-) beschrieben worden ist. In Folge der einfachen Handhabung der letzteren war ich im Stande, die Arbeit schnell zu Ende zu führen, da sie bei Reinlichkeit, Gewandtheit und Sicherheit wenig Auslagen erfordert. An Stelle des Methylblau verwandte ich Malachitgrün zwecks intensiverer Färbung und schnellerer Erkennung der rothgefärbten Bacillen, als es bei Methylblau erfolgen kann.

Immerhin zeigen sich bei Anwendung von Friedlaenders Methode einige Uebelstände in der Art und Weise das Sputum auf den Objekt- träger zu bringen. Das beständige und durchgeführte Reiben verur- sacht allzu schnelles Trocknen, wodurch eine grosse Anzahl kleiner Partikeln losgelöst werden, welcher Umstand unser eigenes Respira- tionssystem der Gefahr der Infection aussetzt. Weichselbaü]m6) hat endgiltig festgestellt, dass nach Einathmen tuberkulösen Sputums sich in den Lungen sowohl wie in den anderen Organen Bacillen vor- finden. Auf diesen Punkt ist die besondere Aufmerksamkeit der- jenigen zurichten, die, selbst prädisponirt zu Tuberkulose Unter- suchungen darüber anstellen.

Nach Friedlaenders Methode gebrauchte ich sechs Minuten zur Färbung und Untersuchung, besonders wenn das Sputum bereits alt ist. Zu Ihrer Orientirung mögen einige Worte über diese ausgezeich- nete Methode folgen. Um jede MögUchkeit eines Irrthums bei meinen Versuchen auszuschliessen, verwandte ich nie alte Objektträger. Indem ich das Sputum in kleinen Flaschen mit weitem Halse aufbe- wahrte, hatte ich nicht nöthig, es auf ein ührschälchen zu übertragen.

Die Lösungen, die für diese Versuche gebraucht wurden, sind:

1) Ziehl's Solutio :

Fuchsin, 1,0 95% Alkohol, 10,0 5% Sol. Acid. carbol, 100,0

2) Entfärbelösung:

Acid. nitr. 5,0 9b% Alkohol, 85,0 Aqua Sest. 15,0

1) Berhner Klinische Wochenschrift 1884, No. 2 und 3.

2) BerUner Khnische Wochenschrift 1883, No. 1.

3) Virchows Archiv 1884 Bd. 98 S. 911.

4) Fortschritte der Medizin 1884, No. 2, S. 185.

5) Medical Record November 22, 1891.

6) Wiener Medicinische Presse 1883, S. 1574.

153

3) Färbelösang :

Concentrirte wässerige Malachitlösung, die in der Weise hergestellt ist, dass übersättigte Lösung von Malachitgrün in Wasser zwei Tage lang stehen gelassen und dann filtrirt wird.

Man reinige den Objektträger und sterilisire ihn, indem man ihn langsam durch die Flamme zieht. Mit einem sterilisirten Platinhaken nehme man sodann etwas Sputum auf und breite es inmitten des Objektträgers ungefähr in der Grösse eines 1-Cent-Stückes aus, bis es trocken ist und zieht das Objekt 10-20 mal durch eine Flamme. So- dann gebe man mit der Pipette 15 bis 20 Tropfen ZiEHL'scher Lösung, wodurch auch die getrennten Partikeln bedeckt werden. Nachdem die Lösung fünf Minuten gewirkt, halte man das Objekt unter Hinundherbewegen über eine kleine Spiritus- oder Bunsenflamme, bis Dampf aufsteigt, wasche mit Wasser und trockene mit Filterpapier. Sodann gebe man etwas von der Entfärbelösung, lasse dieselbe 30 Sekunden einwirken oder besser, bis fast jede rothe Färbung ver- schwindet, wasche nochmals und trockne mit Filterpapier. Zum Schlüsse bedecke man mit einigen Tropfen Malachitlösung das Objekt, wasche nach circa 10 Sekunden und trockene mit Filterpapier. Giebt man sodann einen Tropfen Cedaröl darauf, so ist das Präparat für die Untersuchung fertig. Zur Aufbewahrung betröpfle man es mit Canada- balsam und thue ein Deckglass darauf. Obwohl die Methode im An- fang entmuthigend scheinen könnte, so erhält man nach wenigen Ver- suchen eine schöne glatte Sputumfläche, die für erfolgreiche Unter- suchung sehr wichtig ist.

Ueber die Wirkung einiger stark desinficirender Mittel auf die Tuberkelbacillen konnte ich leider nur wenige Untersuchungen aus- führen und auch diese nicht erschöpfend durchführen, da grosse Schwierigkeiten meiner Arbeit im Wege standen. Zur exacten Aus- führung dieser Versuche sind biologische Experimente und direkte Uebertragung auf Lebewesen unumgänglich nothwendig, wozu mir das Haupterforderniss eines für diesen Zweck eingerichteten Laboratori- ums fehlte. Ich beschränkte mich deshalb auf die Beobachtung der Wirkung einiger stark desinflcirend wirkender Mittel unter dem Mikroskop.

Koch») hat bereits nachgewiesen, dass tuberculöses Sputum sogar im trockenen Zustande noch nach zwei bis vier sogar bis zu acht Wochen seine Uebertragungsfähigkeit behält ; schliesslich sterben die Organismen oder werden in Sporen verwandelt und verlieren ihre Fähigkeit sich zu färben. Im abgestorbenen Zustande nehmen sie sicher Färbeagentien an bis zu ihrer chemischen Zersetzung, was ich Ihnen auch vor Augen führen kann, wenn ich desinficirende Mittel in Anwendung bringe. Fünfprocentige Carbollösung zerstört die che- mische Natur der Bacillen nicht, da wir sie in der ZiEHL'schen Lösung anwenden; deshalb gebrauchte ich zehnprocentige Carbolglycerin- lösung, wobei ich eine Färbung der Bacillen erzielte. Schiller und

^^1) Berliner klinische Wochenschrift, 1882, No. 15.

154

Fischer!) stellten bei ihren Untersuchungen über die Wirkung der desinficirenden Mittel durch Inoculation fest, dass die Tuberkelbacillen durch eine dreiprocentige Carbollösung binnen 20 Stunden getödtet werden.

A.Yersin^), ein f ranzösicher Beobachter, tödtete sie, wie er berichtet, durch Erhitzen bis auf TO'^ Celsius während 10 Minuten. Pamponkes^') in Athen erhitzte bis zu 120*^ 0. mit demselben Resultate, obwohl sie die Färbeagentien annahmen.

Ich verwandte Sublimatlösung 1:1000 und 1:500 und war, nachdem ich die Lösung mit tuberkulösem Sputum zusammen tüchtig geschüttelt, im Stande die Bacillen zu färben.

Diese grosse Widerstandsfähigkeit gegenüber einer so grossen Hitze und sogar gegen die stärkste desinücirenden Mittel zeigt uns diejenige Art der desinficirenden Mittel, die zur chemischen Vernichtung ge- eignet zu verwenden sind. Als letztes und stärkstes Mittel gebrauchte ich Chlorlösungen 25%', 50% und in concentrirter Form, in keinem einzigem Falle konnte ich nach Anwendung dieser starken Lösungen die Anwesenheit von Tuberkelbacillen oder anderer orga- nischer Substanzen im Sputum nachweisen. Ungeachtet seines unan- genehmen und stechenden Geruches steht heute das Chlor als eines der wenigen stark desinficirenden Mittel gegen diese gefährlichen Keime obenan.

Diese Veröffentlichung möge hauptsächlich denjenigen Herren Aerzten dienen, die fern von ihren Collegen wohnen, welche sich mit klinischer Mikroskopie beschäftigen. Der Arzt sollte den Patienten dazu anhalten, sein Sputum in eine stirilisirte Flasche mit weitem Halse zu entleeren und mit einem Wattepfropfen zu schliessen ; am ge- eignetsten ist es, das erste Sputum des Morgens zu sammeln, da der Mucus im Laufe des Tages die Tuberkelbacillen verdünnt. Bei Ueber- sendung dieser Probe an den untersuchenden Arzt lässt sich dasselbe Resultat eruiren wie wenn das Sputum kurz vorher entnommen ist.

Zum Schlüsse spreche ich Herrn Dr. B. Stiefel meinen warmen Dank für seine Unterstützung bei meinen Untersuchungen aus.

220 Ost 116. Strasse.

Central blatt für Bakteriologie und Parasitenkunde, HI., No. 18.

2) Centraiblatt für Bacteriologie und Parasitenkunde, III., No. 18.

3) Centralblatt für Bacteriologie und Parasitenkujide, 1891, IX., No. 139,

155

NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für^praktische Aerzte in Amerika. Redigirt von ' Dr. f. C. HEPPENHEIMEK.

EDITORIELLE NOTIZEN.

15. April^l892.

Der Bericht des Comite's der jjMedical , Society of the State of New York" über die Todesstrafe.

Die medicinisclie Gesellschaft des Staates New York hatte in der Session von 1891 ein Comite zur Prüfung der Frage über die Todes- strafe vom medicinischen Standpunkte aus ernannt ; dasselbe bestand aus folgenden bekannten Aerzten :

A. Jacobi, New York, Präsident, W. C. Wey, Elmira,

B. F. Sherman, Ogdensburgh.

Am 3. Februar d. J., hat das Comite seinen diesbezüglichen Bericht der „Medical Society of the State of New York" vorgelegt, und es erscheint uns von grossem Interesse, unsere Leser mit den Hauptpunk- ten des in so mancher Hinsicht denkwürdigen Berichtes bekannt zu machen.

Rücksichtlich der Bestrafung vermittelst Hinrichtung sind zwei grosse Parteien vorhanden, die eine rechtfertigt dieselbe und stützt sich vielfach auf die Bibel, die andere negirt die Berechtigung einem Mitmenschen wegen Verbrechens das Leben zu nehmen und dem nach- zuahmen, was der Mörder selber gethan hat.

Das Comite hat die Todesstrafenfrage nicht vom philosophischen Standpunkte aus beurtheilt, sondern vom rein wissenschaftlichen und medicinischen.

Jedes Verbrechen ist die Folge eines bösen Impulses, der hätte controllirt werden sollen ; als Controllmächte dienen die Hirnfunctionen des Urtheils und Willens ; wer nun für seine Verirrungen und INIisse- thaten als verantwortlich betrachtet wird, wird als Verbrecher be- zeichnet und bestraft ; wer dagegen als unverantwortlich angesehen wird, wird nicht mehr als ein strafwürdiger Verbrecher sondern als ein Irrsinniger bezeichnet, vor dem sich die Welt schützen muss. In der That dient in der civilisirten Welt beides, die Bestrafung des Ver- brechens und die Incarceration des Wahnsinnigen, ledigUch der Selbstvertheidigung (oder sollte nur dazu dienen ; die Wiederver- geltungs- und Rachetheorie wird vom humanen Standpunkte aus nicht anerkannt).

156

Die Frage, ob jemand für eine schlechte Handlung verantwortlich gemacht werden kann oder nicht, ist jedoch sehr oft schwer zu ent- scheiden ; und sind wir zuweilen nicht im Stande zu sagen, ob der Missethäter als Verbrecher oder Irrsinniger bezeichnet werden muss. Die Entscheidung dieser Frage wird noch viel schwerer, wenn man die Beobachtungen Benedict's zu Hilfe nimmt, wonach das Gehirn der Yerbrecher eine Deviation vom normalen Typus aufweist.

Das Comite weist in seinem Berichte auf die vielfachen Ursachen, welche zu einer Art Verbrechendisposition führen, sie beruhen sehr häufig auf abnormen Zuständen im Verhalten des Gehirns und Nerven- systems, — und kommt im Ganzen zu folgenden Schlüssen :

„Es giebt viele Ursachen für eine Verkehrtheit des Urtheils und des Willens.

Die Ursachen, welche durch die physikaUsche Beschaffenheit des Körpers bedingt sind, sind entweder angeboren oder erworben. Sie können erworben werden, sei es durch eine fortschreitende Entwicke- lung einer ererbten oder angeborenen Disposition, oder durch da- zwischenkommende Krankheiten, oder aber durch eine Störung der Hirnentwickelung, durch schlechte Erziehung, schlechtes Beispiel und sociale Einflüsse.

Die Verschiedenheit der Ursachen, sowohl der anatomischen wie der functionellen, ist derart, dass eine exacte Diagnose äusserst schwierig wird. Die unter Eid abgegebenen Meinungen der Sachver- ständigen sind ziemlich oft widersprechender Natur. Hirnanomalien und Hirnläsionen sind sehr häutig unseren Untersuchungsmethoden unzugänglich.

Sobald in einem individuellen Fall von Verbrechen ein Zweifel be- züglich der Verantwortlichkeit oder NichtVerantwortlichkeit entsteht, ist es immer sicherer, den angeblichen Verbrecher als erkrankt zu be- trachten, als den Kranken für einen Verbrecher auszugeben.

In vielen Fällen ist der Unschuldige und der anatomisch Kranke der Todesstrafe unterworfen worden ; zuweilen haben sich zweifelhafte Fälle gleich nach dem Processe als solche von vollständigem Wahn- sinn entpuppt.

Die Kenntniss derartiger Vorkommnisse ist theilweise ein Grund dafür, weswegen die Geschworenen einem Todesverdict abgeneigt sind, weswegen ein so kleiner Procentsatz der Mörder hingerichtet wird, und wesw^egen so viele frei kommen und eine stete Gefahr für die Sicherheit des Publikums abgeben.

Die menschliche Gesellschaft und der Staat sollen zwar für den Schutz und die Sicherheit Aller sorgen, dürfen aber dabei keinen Fehler machen, es sei denn in der Richtung der Barmherzigkeit und Mensch- lichkeit.

Der ärztliche Stand darf keine Fehler gestatten, die zu umgehen sind. Die medicinische Gesellschaft des Staates New York drückt, i Anbetracht der Schwierigkeit, trotz physiologischer Kenntnisse, immer correct zu sein und in Anbetracht der absoluten Unmöglichkei

157

eine positiv sichere Diagnose in jedem Falle von angeblichem Yer- brechen oder verdächtiger Hirnkrankheit oder Anomalie zu stellen, ihre Opposition gegen die Ausübung der Todesstrafe aus und giebt sich der Hoffnung hin, dass man Mittel finden wird, die Gesellschaft durch weniger unsichere und weniger unmenschliche Methoden zu schützen."

REFERATE.

Innere Medicin. Referirt von Dr. Ad. ZEDERBAUM:.

Ueber die Wirkung der Ureterenunterbindung auf die Absonderung- und Zusammensetzung der Galle. —Von Dr. A. Michailow. (!Sr . Pe- tersb. Med. Wochenschr., 1892, No. 2.)

Die Eesultate seiner Untersuchungen fasst Verf. folgendermassen zusammen : Die Gallenmenge bei Thieren (Hunden) mit unterbun- denen Ureteren nimmt im Allgemeinen im Vergleich mit unter gleichen Bedingungen hungernden Thieren ab. Die Menge des festen Rück- standes und das speciflsche Gewicht der Galle sinkt, ihre Eeaction wird neutral (bei absolutem Hungern war sie alkalisch). Taurochol- säure verschwindet aus der Galle, u. z. in kurzer Zeit. Harnstoff, welcher in der normalen Galle in kaum merklichen Mengen oder gar nicht gefunden wird, tritt in der Galle von Thieren mit unterbundenen Ureteren in beträchlicher Quantität auf. Die Pigmentmenge nimmt bedeutend ab, ebenso die Menge des Gesammtstickstoffs und des Stickstoffs der Extractivstoffe.

Untersuchungen über den Einfluss hydrotherapeutischer Einwirkungen auf den Widerstand der Muskeln gegen die Ermüdung. Von Dr. A. Maggiora und Dr. G. S. Vinaj. (Blätter für klin. Hydrotherapie, Januar, 1892.)

Auf Grund ihrer zahlreichen Versuche gelangen M. und V. zu folgen- den Schlüssen : Die hydriatischen Applicationen üben einen mächti- gen Einfluss auf das Muskelsystem aus, welcher sowohl von der thermischen als auch von der mechanischen Action der Procedur ab- hängt. Was den thermischen Einfluss betrifft, so erhöht die Kälte die Leistungsfähigkeit des Muskels, die Wärme hingegen (wenn sie nicht gleichzeitig einen mechanischen Einfluss ausübt) schwächt die Muskel- kraft. Wenn Wärmeeinwirkungen mit mechanischen Eingriffen verbun- den sind, so können sie auch eine deutliche Steigerung der Leistungs- fähigkeit der Muskeln bewirken, die jedoch stets geringer ist als jene, die nur durch die mechanische Wirkung der temperirten Douche, oder durch kalte (resp. Wechsel warme) Temperaturen zu erzielen ist.

Typhoid Fever its Treatment by the Use of Water by the Mouth and Rectum. By Dr. G. G. Roy of Atlanta, Ga. (Virginia Med. Monthly, 1892, No. II.)

Verf. berichtet von vier sehr schweren Typhusfällen, in welchen er die Wasserbehandlung mit ausgezeichnetem Erfolge consequent durchgeführt hat. Er liess seinen Patienten grosse Mengen warmen Wassers (J bis 1 Gallone) ein bis zwei mal täglich per Klysma einver- leiben und gab ihnen ausserdem zum Trinken so viel kaltes Wasser, als sie überhaupt vertragen konnten. Sämmtliche Kranken befanden sich bei dieser Behandlung sehr gut.

158

The Treatmsiit of Malarial Fever with Methylene-Blue. By Dr. Thayer in Baltimore. (Bull, of tlie John Hopkins Hosp., 1892, No. 19.)

Th. berichtet über sieben mit Methylenblau behandelte Malaria- Fälle, darunter solche, die zu den schwersten chronischen Formen dieser Krankheit gehören, bei welchen Chinin und Arsen meist im Stiche lassen. Die Wirkung des Methylenblau wurde stets durch sorgfältige microscopische Untersuchung des Blutes controllirt. In den meisten dieser Fälle konnte in der That ein successives Abnehmen der Plasmodien mit der Menge des verbrauchten Arzneistoffes con- statirt werden, einige Fälle konnten schon nach kurzer Zeit als geheilt entlassen werden. Es wurden Dosen von 0,1 Methylenblau fünfmal täglich dargereicht.

Ein Fall von Cholangitis suppurativa. Von Dr. B. Goldenberg in Odessa. (Deutsche Med. Woch., 1892, No. 5).

Im Jahre 1868 beschrieb Kussmaul, auf Grund eines von ihm beobachteten Falles, eine „neue Erkrankung", bestehend in eitriger Entzündung und sackförmiger Erweiterung der Gallengänge der Leber, mit zahllosen, durch Concremente Im Ductus Choledochus hervorgerufenen, abscessähnlichen Hohlräumen. Einen ähnlichen Fall beschreibt nun G. Die Krankheitserscheinungen äusserten sich in continuirlichem unregelmässigem Fieber, Icterus, Schmerzen in der Lebergegend. Leberdämpfung nach unten vergrössert, die Leber selbst lässt sich hinter dem Rippenbogen leicht abtasten. Die Func- tion förderte zu Tage eine schmutzige, mit Blut untermischte und Eiterkörperchen enthaltende Flüssigkeit. Für die Diagnose eines Leberabcesses fehlte ein aetiologisches Moment, auch erinnerte die durch die Function erhaltene Flüssigkeit am wenigsten an den dicken, rahmigen Eiter eines Leberabcesses. Es wurde daher ein entzündlicher Vorgang in der Leber diagnosticirt, der sicli vermuthlich in den Gallengängen abspielte und die Bildung von multiplen Gallenabscessen verursachte. Die Kranke (38jährige Frau) ging an Erschöpfung zu Grunde. Die Section bestätigte vollständig die klinische Diagnc^se. G. nimmt an, dass P. wahrscheinlich au Gallensteinen gelitten hatte, von denen einer im Ductus liepaticus stecken geblieben war und zur Dilatation des ganzen Gallengangsystems und zur eitrigen Entzün- dung desselben führte.

Krankheiten des[Circulations- und Verdauungsapparates. Referirt von Dr. MAX. EINHORN. .... ^

Zur Frage tiber Bradycardie. Von Dr. W. Opitz, sen. (Centralbl. f. klin. Medicin 1892, Xo. 8.)

Verfasser beschreibt zwei Fälle von ausserordentlich langsamem Pulse, wo sich keine Ursache für diese Anomalie hat nachweisen las- sen. Der eine Fall betrifft einen kräftigen Handarbeiter, der wegen einer Lungenentzündung in Behandlung kam; auf der Höhe der Er- krankung war der Puls nur 60. Mit eintretender Genesung sank die Anzahl der Herzschläge auf 10.

Der zweite Fall betrifft eine 78-jährige, wohlgenährte, für ihre Um- gebung den Jahren entsprechende Theilnahme zeigende Frau; dieselbe zeigte in den Monaten Juni, Juli, August 1891 für gewöhnlich 28 30 Herzschläge in der Minute. Als diese Frau einen ilagendarmkatarrh hatte, sank die Pulszahl bis auf 20. Bei dieser niedrigen Zahl blieben die Pulswellen der Radialis voll und kräftig, nur klagte die Kranke über Schwindel und Kopfschmerz. Die Herzdänipfung zeigte sich nicht

159

vergrössert, die Herztöne waren rein, in regelmässiger Aufeinander- folge. Ohne dass im Allgemeinbefinden eine wesentliche Aenderung sich einstellte, stieg die Zahl der Herzschläge im December auf 80, und war im Jahre 1892 das Herz bei dieser Leistung verblieben.

Treatment of Oesophageal Stricture by Permanent Tubage. By Walter F. Chappell, M. D. (N. Y. Medical Record, Febr. 20. 1892.)

Bei malignen Stricturen des Oesophagus sind Dauercanülen, wie allgemein bekannt, von Mackenzie und später von Renvers und Ande- ren angewandt worden. Chappell hat nun in vier Fällen von dieser Methode Gebrauch gemacht und spricht warm für dieselbe. Ch. empfiehlt die Dauercanülen für alle Arten von Stricturen (maligne, narbige und spastische).

(Die Litteratur des Gegenstandes ist nicht genügend angeführt, und das Beweismaterial des Verfassers kein ausreichendes. Referent.)

Laparatomy for Perforating Round Ulcer of the Stomach. By Robert F. Weir, M. D. (International Medical Magazine, February 1892.)

W. giebt eine ausführliche Zusammenstellung der meisten in der Litteratur bekannten Fälle, wo bei perforirendem Magengeschwür die Laparatomie ausgeführt wurde. Da die Erkennung eines Geschwüres im Magen /.uweilen, selbst bei genauer Inspection, Schwierigkeiten bieten kann, so empfiehlt es sich, da, wo wegen Gescliwür eine Opera- tion vorgenommen wird, den Magen weit zu öffnen und denselben handschuhförmig umzustülpen, damit s^ie ganze Innenfläche aufs Ge- naueste betrachtet werden könnte. Hat man das Ulcus entdeckt, so werden dessen Ränder an einander genäht, oder aber die ganze ge- schwürige Stelle excidirt und dann erst die Ränder mit einander ver- einigt; der Magen wird dann mit LEMBERT'schen Nähten zugenäht und die Bauchwunde geschlossen.

Krankheiten der Respirationsorgane.— Referirt von Dr. J. W. GLEITSMANN.

Die galvanocaustische Behandlung der Rachendiphtherie. Von M. Hagedorn. (Der Aerztliche Praktiker, 11. Februar 1892.)

H. gibt der Galvanocaustik den Vorzug von allen anderen Mitteln in Behandlung der Diphtherie, weil sie

1) das stärkste Antisepticum ist, das wir besitzen,

2) weil der aspetische Brandschorf dem Eindringen der Streptokok- ken einen Damm vorsetzt, und

3) weil sie genau localisirt werden kann und dem Kranken nicht schadet.

Nach Chloroformirung oder Cocainisirung wird die kalt eingeführte Electrode auf dem Geschwür zum Glühen gebracht und nun wie mit einer glühenden Curette der Geschwürsgrund vollkommen rein ausge- kratzt. Mit der glühenden Fläche eines Flachbrenners wird dann die Umgebung des Geschwüres im Umkreis von ca. 1 cm bestrichen, um auch diese zu sterilisireu. Das Fieber soll meist nach 12 Stunden fallen, die örtliche Reaction sei gering.

Bloebaum, welcher zuerst diese Methode gegen Diphtherie empfahl, behandelte 40, Govis 3, Hagedorn 41 Fälle, im ganzen 84 Fälle, mit 3J proc. letalem Ausgang. Die durchschnitthche Heilungsdauer bei Bloe- baum betrug 3, bei H. 4^ Tage.

Bei Scharlachdiphtherie rathet er von der Galvanocausik ab. Die neuerdings durch submucoese Injectionon erzielten günstigen Resultate finden in dem Artikel keine Erwähnung.

leo

Symmetrical Congenital Defects in the Anterior Pillars of the Fauces.

M. TOEPLITZ. (Archives of Otology, Vol. XXI, Nr. 1, 1892.) Der siebente in der Literatur beliannte Fall dieser seltenen Affection. Der Patient erinnert sich der beiden symmetrischen Oeffnungen in seinem Gaumensegel von der frühesten Kindheit an. Dieselben sind ungefähr J Zoll lang und y^g ^^11 weit, und eliptisch in Form. Von Narbenbildung ist keine Spur vorhanden.

A Gase of Intrinsic Epithelioma of the Larynx. By M. J. Asch. (N. Y.

Medical Journal, Feb. 27th, 1892.)

Patient, selbst Arzt, suchte im Herbst 1889 Hülfe wegen Heiserkeit. Die laryngoscopische Untersuchung war schwer wegen der hängenden Epiglottis, doch wurde eine Schwellung des linken Taschenbandes con- statirt. Locale Applikationen besserten die Heiserkeit und der Patient ging in seine Heimath im Süden zurück. Im Frühjahr 1890 war sein sudjectives Befinden dasselbe, nur hatte die Schwellung -des linken Taschenbandes zugenommen, und schien auch das rechte etwas verdickt. Obwohl auf den möglicherweise ernsten Charakter seines Leidens auf- merksam gemacht, war der Patient doch guten Muthes, hoffte Besse- rung von milderem Klima und ging wieder nach Hause. Unerwartet im März 1891 kam er nach New York zurück, diesmal mit beträcht- licher Dyspnoe. Der Larynx war durch eine von beiden Seiten aus- gehende Geschwulstmasse fast völlig geschlossen, und nur ein kleiner Spalt für die Athmung sichtbar. Im linken Unterkieferwinkel befand sich eine kleine geschwollene Lymphdrüse. Obwohl sich gegen die Tracheotomie sträubend, musste er wegen zunehmender Athemnoth sich derselben dennoch bald unterwerfen, und fühlte sich durch die- selbe beträchtlich erleichtert. Bald nachher bekam er Influenza , von der er sich nie ganz erholte und Anfang Juli starb er in einem Anfall von Dyspnoe.

Die mikroscopische Untersuchung ergab Epithelioma, das den ganzen Larynx verschlossen hatte, und sich noch unterhalb der Stimmbänder in einem Zoll langen Fortsatz fortsetzte. Nach A. ist die Ursache der Dyspnoe dunkel, doch wahrscheinlich auf die eben erwähnte Geschwulstmasse zurückzuführen, da ähnliche Bildungen in den Obern Luftwegen geeignet sind, asthmatische Anfälle zu veran- lassen.

The Results of the Shurly-Gibbes Treatment of Tuberculosis at Asheville, N. C. By H. S. Taylor. (Therapeutic Gazette, Dec. 15th, 1891.)

T. hat im verflossenen Jahre 22 Patienten mit Injectionen von Jod und Goldcnlorid behandelt. Er injicirt die ersten 2 Wochen die Mini- maldose von Vi2 gr. Jod und 1/30 Oold entweder täglich mit dem Mittel .wechselnd oder eine Woche das erstere, die andere das zweite, und steigert allmählig die Dose, bis 2 gr. Jod und Ve bis l gr. Gold erreicht ist. Er findet bessere Resultate von öfters wiederholten kleinen, als grossen Dosen, und beobachtete z. B. nach 1 gr. Jod Schwellung und Oedem der aryepiglottischen Bänder. Seine Resultate sind folgende: Keine Besserung in 6 oder 27 perc von bereits stark vorgeschrittenen Fällen, Besserung in 8 oder 36 perc von Fällen derselben Categorie und ebenso 8 Fälle von beträchtlicher Besserung bei beginnender oder auch sehr ausgesprochener Erkrankung.

Er empfiehlt diese Methode in Combination mit dem bekannten günstigen Clima Asheville's für alle Fälle.

Treatment of incipient phthisis by the Shurley-Gibbes method. Von W. L. Bryan. (Medical Age, Sept. 10, 1891.)

Krankengeschichte eines Falles von Lungenphthise mit Tempera- turen bis 102°, Nachtschweissen und Dämpfung an beiden Lungen-

ir,i

spitzen. Vier Tage nach Beginn der Injectionen begann die Tempera- tur zu fallen und war sie normal nach zehn Tagen. Der Husten hörte fast ganz, die Schweisse völlig auf, und bemerkenswerth war das Ver- schwinden der feuchten Kasselgeräusche, Wie viele Injectionen gemacht wurden und wie lange der Patient in Behandlung war, ist leider nicht angegeben.

Is Tuberculin a failure? Von Karl von Ruck. Asheville. N. C.

(Soutliern Medical Eecord, Sept. 1891.) Dr. R. sucht die Frage auf Grund seiner ausgedehnten Erfahrung in seiner Heilanstalt für Schwindsüchtige in Asheville zu lösen. Er war von Beginn seiner Experimente darauf bedacht, die von Andern beobachteten unangenehmen Nachwirkungen zu vermeiden, und gab demzufolge im Anfang blos kleine Dosen : V20 bis '/^o milhgramm. Referent hat bei einem läng:eru Besuche der Anstalt während seines Aufenthaltes in Asheville im verflossenen Herbst selbst die guten Resultate dieser vorsichtigen Behandlung beobachtet. Ruck sagt in den Schlussbemerkuugen seines Artikels, dass er Tuberkulin für ein speciflsches Mittel für locale Reconstructionsprocesse hält, das Atrophie und Absorption des tuberculösen Gewebes erziele, dass ferner jede Gabe welche Fieber und constitutionelle Symptome hervorrufe, eine zu grosse Dose sei, und schliesslich, dass neben Tuberculin auch noch andere Heilmittel, Clima, passende Ernährung u. s. w. angewandt werden sollen.

Respirationsorgane. Referirt vbn Dr. W. FREUDENTHAL.

The Ganses for Failure in the Diagnosis of the Early Stage of Pulmonary Tuberculosis. Von Karl von Ruck, Asheville, N. C. (Gaillard's Med. Jour.)

Das wichtigste Mittel, um eine frühzeitige Diagnose zu ermöglichen, ist: den Patienten zu untersuchen. So bekam Verf. einen Patienten in Behandlung, der 8 Monate lang von einem anderen Arzte wegen Husten behandelt war, ohne dass jemals seine Brustorgane un- tersucht worden wären. (So traurig diese Thatsache auch ist, so dür- fen wir uns doch nicht verhehlen, dass dieselbe auch in New York möglich ist. Ref.) Die nächste Aufgabe ist : den Patienten genau zu untersu(;hen und zwar jeden Patienten, der durch seine Anamnese oder sonstige Erscheinungen auch nur entfernt an die Möglichkeit, dass er Tuberkulose habe, erinnere.

Von den Mitteln, die Verf. hierzu empfiehlt, erwähnen wir nur, dass er das von Ziemssen'sche Plessimeter anwendet, um die Lungen- grenzen oberhalb der Clavicula zu bestimmen. Neben anderen be- kannten Dingen empfiehlt er auch den häufigen Gebrauch des Spiro- meters, um die Lungen-Capacität festzustellen.

Treatment of Laryngeal Phthisis. Von Robert Levy, Denver, Colorado.

(Repr. from the Meeical and Surgical Reporter.)

Verf. giebt eine ausführliche Uebersicht über die Literatur des Ge- genstandes während der letzten 10 Jahre. Eingehender werden be- sprochen die Behandlung mittelst Menthols, worüber aber keine reinen Versuche des Verf. vorliegen— Jodoforms und Milchsäure. L. ist ein grosser Freund des Jodoforms und bläst dasselbe in- den Larynx ein in folgender Mischung :

R. Morph, sulfur. 0,6. Jodoform, pulv. 2,0. Pulv. acaciae 8,0. Auch die Milchsäure wendet L. in ausgedehntem Maasse an. Seine Resultate sind höchst befriedigende. Bei der Besprechung der clima-

tischen Therapie kommt Verf. zu dem Schluss, dass während hochge- legene climatische Kurorte nicht ebenso wohlthätig bei Larynx- als bei Lungenphthise sind, sie dennoch nicht in nennenswerther Weise schäd- lich sind !

The Cure of Pulmonary Tuberculosis. Von Karl von Ruck, Asheville,

N. C. (The Dietetic Gazette, November, 1891.)

Aus den Worten des Verf. spricht der erfahrene Praktiker, der einen grossen Ueberblick über das jeden Arzt interessirende Gebiet der Lungentaberculose gewonnen hat. Es würde aen Raum dieser Zeitschrift überschreiten, wollten wir des Näheren auf jede vom Verf. ventilirte Frage eingehen, wie z. B. die Tuberculin-Behandlung, oder die Frage der inneren Darreichung von Medicamenten, von welch' letzteren Verf. sich gar nichts verspricht hervorgehoben sei jedoch, dass für den Verf. die ganze Frage der Therapie bei der Lungeutuber- culose in der zweckmässigen Ernährung des Individuums gipfelt. „Der Schlüssel zum Stillstand oder zur Heilung der Lungentubercu- lose ist in der Ernährung zu suchen, sowohl lokaler als allge- meiner, und jedes Heilmittel steht und fällt, je nachdem es nützlich oder schädlich für diesen Zweck ist. Die grössere oder geringere Brauchbarkeit desselben hängt auch von dieser Erwägung ab".

The Treatment of Tuber cular Laryngitis. Von C. P. Ambler, Asheville,

N. C. (Therapeutic Gazette, May 15th, 1891.) Von der Kocn'schen Behandlung sah Verf. nur in den Anfangs- stadien Erfolge. Bei vorgeschrittener Erkrankung des Larynx war dieselbe hingegen eher schädlich zu nennen. In solchen Fällen ist die von Krause und Hering empfohlene Methode des Curettements u. s. w. viel mehr von Vortheil. Verf. beschreibt mehrere Fälle, in denen er diese Methode der chirurgischen Behandlung der Larynxphthise mit Erfolg angewandt hat.

Asheville N. C, and its Climate. Von Karl von Ruck. (The Climatolo- gist, September, 1891.) A. ist auf einem von hohen Bergen umgebenen Plateau in einer Höhe von 2350' über dem Meeresspiegel gelegen. Es ist in Folge seiner climatischen Verhältnisse sowohl für den Winter als auch für den Sommeraufenthalt geeignet, da die Hitze im Sommer nur selten 89° F. erreicht, und im Winter die Kälte nicht so streng ist, dass die Patienten nicht täglich ausserhalb des Hauses sein können. Da sich Berge und Wälder Meilen weit erstrecken und keine Sümpfe oder dergl. in der Nähe sind, so ist die Luft und der hohe Ozongehalt derselben be- weist es absolut rein. Unter den Eingeborenen selbst soll Phthise gar nicht vorkommen.

Augenheilkunde. Referirt von Dr. A. SCHAPRINGER. 1. Further Contributions to Keratometry. Von Swan M. Burnett in Washington. (Ther. Journal of the American Med. Assoc, Septem- ber 5th, 1891.

Verf. benutzt das Ophthalmometer von Javal-Schjötz seit nunmehr sieben Jahren. In Uebereinstimmung mit anderen Beobachtern findet er in der überwiegenden Mehrzahl von Fällen eine gewisse Constanz in dem Unterschiede zwischen dem mittelst dieses Instruments gemesse- nen Hornhautastigmatismus und dem durch die Gläserprobe bestimm- ten Totalastigmatismus des Auges. Dieser Unterschied, der durch nichts anderes erklärt werden kann als durch astigmatische Wirkung der Krystall-Linse, beträgt gewöhnlich eine halbe Dioptrie Brechungs- zuwachs im horizontalen Meridian gegenüber dem verticalen. Be- kanntlich ist die Hornhaut der Regel nach im verticalen Meridian stär-

103

ker gekrümmt als im horizontalen. Beträgt nun dieser Unterschied gerade eine halbe Dioptrie, so wird sie durch den dasselbe Mass dar- bietenden, aber entgegengesetzt wirkenden Linsenastipmatismus auf- gehoben und der resultireude Totalastigmatismus ist gleich Null, Ist das Krümmungsübermass des verticalen Hornhautmeridians stärker als eine halbe Dioptrie, so ergiebt sich der Gesammtastigmatismus, wenn man vom Cornealastigmatismus eine halbe Dioptrie abzieht. Sind dagegen die beiden Hauptmeridiane der Hornhaut gleich stark gekrümmt, so ist der Linsenastigmatismus allein wirksam und der Ge- sammtastigmatismus beträgt die als unveränderlich anzusehende Grösse des Linsenastigmatismus, nämlich eine halbe Dioptrie stärkerer Brechung im horizontalen Meridian, Ist endlich, was selten der Fall ist, der horizontale Hornhautmeridian der stärker gekrümmte, dann wirken die beiden in Betracht gezogenen Componenten in gleichem Sinne und der Gesammtastigmatismus erscheint als ihre Summe. G. J. Bull (Paris) räth, als gewöhnlichen Werth des Linsenastigmatismus 0,75 D in Rechnung zu bringen, was VerL für einen zu hohen Werth betrachtet. Bedingt wird der Liusenastigmatismus wahrscheinlich durch Schiefstellung der Linse, dergestalt, dass man dieselbe um ihre verticale Achse gedreht denkt. Der Gebrauch des Ophthalmometers macht die Anwendung accommodationslähmender Mittel in den mei- sten Fällen überflüssig, aber nicht in allen, wie das von mancher Seite behauptet wird. Sobald der Totalastigmatismus um mehr als 0,5 D vom Cornealastigmatismus verschieden ist, hält Verf. die Anwendung eines Mydriaticums für angezeigt.

2. Onwillekeurige Medebeweging van een ptosisch Ooglid bij andere Spierbewegingen. (Unwillkürliche Mitbewegung eines gelähmten Obern Augenlids bei anderen Muskelbewegungen.) Von D. J. Blok. (Sep.-Abdruck aus Nederl. Tijdschrift voor Geneesk., Jaarg. 1891, 2de Deel.)

Verf. hat zwei Fälle dieser seltenen und räthselhaften Anomalie im Gasthuis voor Ooglijders in Utrecht zu beobachten Gelegenheit gehabt. Sie betrafen zwei Brüder im Alter von 17 bez. 10 Jahren, beide mit angeborner Ptosis der linken Seite behaftet. Bei beiden hebt sich das gelähmte obere Lid, sobald der Unterkiefer nach unten oder nach rechts bewegt wird. Am deutlichsten tritt die Erscheinung bei nach unten gerichtetem BUck auf. Bei stark nach oben gerichteter Blick- linie tritt die Mitbewegung nicht mehr auf, ebenso auch nicht bei ge- schlossenen Augen. Bei dem Jüngern der beiden Brüder tritt sie auch beim Schlucken, insbesondere auch beim Leerschlucken, sowie auch beim Aufblasen der geschlossenen Mundhöhle ein. Sowohl Ptosis, wie auch die abnorme Mitbewegung sind angeboren und haben in frühester Jugend zugenommen, beim altern der beiden Brüder bis zum zehnten Lebensjahr, bei dem Jüngern, zur Zeit der Beobachtung zehnjährigen, war noch kein Stillstand in der Zunahme der Ptosis und der Mitbewe- gungserscheinungen eingetreten. Verf. führt die Erklärung an, welche die englische Commission (mit Gowers als Vorsitzendem) aus Anlass der ersten Mittheil ung Gunn's über dieses merkwürdige Phänomen aufstellte, und die im Wesentlichen damit übereinstimmenden Ansich- ten Helfkeich's und Beknhardt's. Gegenüber Helfreich, der neben dem Trigeminus auch den Facialiskern als Quelle ansprechen möchte, aus welcher die abnorme Innervation des vom Oculomotorius in ungenügender Weise versorgten Lidhebers erfolgt, glaubt Bern- hardt, dass man mit Inanspruchnahme des Trigeminuskerns allein aus- kommen und den Facialiskern ganz gut aus dem Spiele lassen könne, welcher Ansicht sich auf Verf. zuneigt, (Für Zusendung der vorste- hend ref erirten Arbeit ist Kef . Herrn Prof, Snellen in Utrecht zu Dank verpflichtet,)

164

3. A Contribution to the Histology of Some of the Rarer Forms of Tumor of the Choroid. Von Ward A. Holden in New York.

(Archives of Ophthalm., Vol. XXI., No. 1, 1892.)

Anatomische Untersuchung drei pathologischer Augäpfel: 1) Metastatisclies Carcinom der Chorioidea und der' Sclera. Bei der histoloejischen Durchmusterung eines, einer Präparatensammlung entnommenen Bulbus stiess Verfasser zufällig auf das Bild von Car- cinomknoten, wovon zwei, ein grösserer, aber flacher, und ein ganz kleiner in der hintern Parthie der Chorioidea sassen, ferner ein dritter im hintern temporalen Abschnitt der Sclera. Obwohl die zugehörige Krankengeschichte leider nicht mehr aufzutreiben war, steht Verfasser nicht an, diese drei Geschwülste als metastatische Neubildungen anzu- sprechen, und wohl mit Kecht. Der Typus des Scleraltumors, des kleinern Chorioidealknotens sowie des äusseren Antheils der grösseren Chorioidealgeschwulst war der des Carcinoma Simplex oder scirrhosum, derjenige des Innern Antheils der letztern Geschwulst nahezu der des Carcinoma medulläre oder molle. 2) TeleangiectatischeH Sar^com der Chorioidea. Linkes Auge eines 42jährigen Mannes. Die histologischen Details sind im Original nachzusehen. 3) Angiosm^com der CjLorioidea. 22jähriger Patient (Geschlecht nicht angegeben), rechtes Auge. Aus der Hauptmasse des Tumors entspringen zahlreiche Blutgefässe, welche in den Glaskörperraum hineinragen und denselben fast voll- ständig erfüllen.

4. Monocular Diplopia. Von J. H. Thompson in Kansas City, Mo.

(The Journ. of the Amer. Med. Assoc, 12. Sept. 1891.)

Patientin, 35 Jahre alt, trug in einem Eisenbahnunfall anscheinend blos eine leichte oberflächliche Verletzung in der linken Stirn-Schlä- fengegend davon. Erst am folgenden Tage wurde sie einer Eractur des Steissbeins gewahr, welche Verletzung sie dann vier Monate (! Kef,) ans Bett fesselte. Gegen das Ende dieser Zeit trat binoculäre Diplopie auf. Aus dem Verhalten der Doppelbilder schloss Verfabser auf Parese des äussern und untern graden Augenmuskels der linken Seite. Schadenersatzklage gegen die Eisen bahngesellschaft. Bei einer erneuten Untersuchung stellte sich nun die höchst merkwürdige (und die Skepsis in höchstem Masse herausfordernde, Kef.) Erschei- nung der beiderseitigen monoculären Diplopie heraus, welche mittler- weile neben der noch fortbestehenden binoculären Diplopie sich ent- wickelt hatte. „Richtete Patientin in einem verdunkelten Zimmer ihren Blick auf eine Kerzenflamme, so sah sie vier Flammen. Wurde ein Prisma, mit der Basis nach unten, von unten her vor das eine Auge geschoben, so wurden in dem Momente, wo die Prismenkante in das Pupillarbereich eintrat, aus den vier Elammenbildern sechs." Auf den Zeugenstand gerufen, giebt Verfasser seine Ansicht dahin ab, dass die Parese der zwei graden Muskeln des linken Auges hystero-trau- matischer Natur, und dass die beiderseitige monoculäre Diplopie als Folge von Autosuggestion anzusehen sei. Die brechenden Medien beider Augen zeigten keine Abnormität, welche als Anhaltspunkt zu einer physikalischen Erklärung des Zustandekommens von Doppel- bildern hätte dienen können. Verfasser bespricht die bisher in der Journallitteratur niedergelegten Fälle von monoculärer cerebraler Diplopie, welche theils hysterischer Natur sind, theils aber auf zwei- fellosen organischen Veränderungen des Centrainervensystems beruhen. Zu den letzteren gehören die Fälle von John Aberckombie (London), bei welchem die Autopsie einen Abscess im linken Occipital- lappen nachwies, Shaw (St. Louis) mit Tumor des Kleinhirns und TiLLEY (Chicago), bei welchem es nicht zur Autopsie kam und die auf Cerebralabscess gestellte Wahrscheinlichkeitsdiagnose vorläufig noch

ohne Bestätigung dasteht. Eine einigermassen befriedigende Erklä- rung der nicht-hysterischen, monoculären cerebralen Diplopie ist bis- her noch von keiner Seite aufgestellt worden. Auffallend ist. dass diese krankhafte Erscheinung gewöhnlich mit Abducensparalyse vergesellschaftet vorkommt.

5. Die Anwendung von Sublimat bei Trachom. Von Emil Bock in

Laibach. (Wiener klin. Wochensch r., 1891, Nr. 37, 38, 39.)

Trotz mancher erfreulichen Ei folge konnte Verfasser nicht zu der Anschauung gelangen, Sublimat sei ein in allen oder wenigstens fast allen Fällen von Trachom sicher wirksames Mittel. Es sind uns wie bisher Argentum nitricum und Cuprum sulf uricum noch immer unent- behrlich und werden es wohl auch bleiben. „Aber gerade in Fällen, bei denen man sich vergebens mit unseren traditio]^ eilen Mitteln plagt, eine Besserung zu erreichen, kann man mit Sublimat Resultate erzielen, welche so ausgezeichnet sin I, dass man seine Anwendung nur Wärmstens empfehlen kann." Verfasser begann in seiner Versuchreihe mit Lösungen von 1 : 5000 und stieg bis zu 1 : 1000 und 1 : 500, je nach der beobachteten Reaction in jedem individuellen Falle. Die Wirkung des Sublimats bei Trachom ptäcisirt Verfasser nach seinen Erfahrungen dahin : In frischen Fällen ist Sublimat meist wirkungslos, d. h. der Process bleibt entweder stationär, oder aber das Trachom wuchert trotz der Behandlung weiter, ja Stellen, welche nach Anwendung von Blaustein schon normal zu sein schienen, bedecken sich wieder mit Körnern. Ist aber eine Complication von Seite der Cornea vorhanden, so übt in vielen Fällen Sublimat eine sehr günstige Wirkung aus, indem unter Schwinden der so lästigen Lichtscheu sich das subjective Befinden der Kranken bessert und sich auch die Cornea aufhellt. Dieser Erfolg ist desto überraschender, als er sich meist bei Fällen einstellt, deren Intoleranz gegen Lapis und Blaustein die Geduld des Patienten und des Arztes ai,f die härteste Probe stellte, nachdem ja in solchen unglücklichen Fällen oft der ganze oculistische Arzneischatz vergeblich angewendet wird. In recenten, durch keine Hornhauter- kraukung complicirten Fällen wird aber die bisher geübte Behandlung mit Lapislösungen und Blaustein noch immer den Vorzug verdienen.

6. The Causes of Asthenopia. Von D. B. St. John Roosa in New York.

(Transactions of the Medical Society of the State of New York, 1891.)

Nach Verf.'s Ansicht giebt es keine sogenannte musculäre Astheno» pie. Der Gebrauch dieses Ausdrucks verräth nach ihm blos unzu- reichende Bekanntschaft mit den wirklichen Ursachen, welche den asthenopischen Beschwerden zu Grunde liegen, und das sind Refrac- ^ tionsanomalien Hypermetropie und Astigmatismus, vorzüglich hy- ' permetropischer Astigmatismus. Gegen sogenannte Insufficienzen nützen nach seiner Erfahrung weder Prismen noch Tenotomien, son- dern nur die vollständige Correction der Brechungsfehler. Die Be- stimmung der Correction wird ungemein erleichtert durch Anwendung des jAVAL'schen Ophthalmomet-^rs, mittelst dessen der Astigmatismus rasch und sicher erkannt werden kann, wodurch die für den Pat so be- schwerliche Atropineinträufelung entbehrlich wird. Ausser den Re- fractionsfehlern wären noch krankhafte Allgemeinzustände, wie die Neurasthenie, als Grundlage der Asthenopie anzuerkennen, aber In- sufficienzen von einzelnen Muskeln niemals. Die Gleichgewichtsstö- rungen der äusseren Augenmuskeln sind nur Folgen von Refractions- anomalien; sind also nur relativ und verschwinden nach ausreichender Correction der Refractionsfehler sofort.

166

7. A Gase of Disseminated Sclerosis, Presenting; the Clinical Aspect of Primary Spastic Paraplegria, with Atrophy of Both Optic Nerves. Von C. Zimmermann in Milwankee. (xirchives of Ophthalmologv, Vol. XX., No. 3, 1891.)

In Uebereinstimmung mit dem Ausspruche Oppenheim's, dass, wenn das klinische Bild der primären spastischen Paraplegie mit Atro- phie der Sehnerven vergesellschaftet ist, man auf disseniinirte Sclerose schliessen könne, war Verf. in einem, in allen Einzelheiten genau wie- dergegebenen Falle im Stande, aus dem Befunde im Augenhinter- grunde, zusammengehalten mit den Erscheinungen an den übrigen Körpertheilen, welch' letztere eben das Bild der primären spastischen Paraplegie zusammensetzten, die Diagnose der disseminirten Sclerose zu stellen. Die Sehschärfe war nur auf ganz kurze Zeit, und nur auf dem einen Auge, beeinträchtigt gewesen, sie wurde wieder normal trotz ausgesprochenem Bilde der Selinervenatrophie. Es wird dieses Ver- halten erklärt dadurch, dass blos die Markscheiden der Nervenfasern dem Degenerationsprocess zum Opfer fallen, die Axencylinder aber da- bei unversehrt bleiben. Der Fall betraf einen SOjähriffpn Anstreicher, bei welchem die ersten Krankheitszeichen bis in die Kindheit zurück datirten, indem Verf. das seit jener Zeit bestehende Stottern und die überstürzte Sprachweise als Initialsymptoine der in Fragte stehenden Krankheit ansieht. Verf. bekam Patienten zum ersten Mal in dessen 26. Lebensjahre zu Gesichte, als Pat. über Abnahme des Sehvermögens und Doppeltsehen klagte. Es bestand Parese des M. rectus internus des rechten Auges, Herabsetzung der S 'hschärfe auf dieser Seite und Blässe der Schläfenseite beider Sehnervenköpfe. Die Sehschärfe wurde wieder normal und die Lähmung des Muskels ging ebenfalls zurück, die Blässe der Papillen blieb jedoch bestehen. Als Verf. den Pat. nach einem Zwischenraum von etwa vier Jahren wiedersah, zeigte Letzterer ein wohlausgeprägtes Bild der primären spastischen Para- plegie mit der charakteristischen Gangart, den erhöhten Sehnenreflexen und sonstigen motorischen, sensiblen und psychischen Störungen. Die temporalen zwei Drittel beider Sehnervenpapillen sind noch immer weiss verfärbt, die Sehschärfe dabei normal, ebenso das Verhalten der Pupillen. Der vorliegende Fall schliesst sich einem von Gnauck und vier von Uhthoff beschriebenen Fällen an, bei welchen ebenfalls die Augensymptome die allerersten sich kenntlich machenden Zeichen der sich ausbildenden disseminirten Sclerose waren.

Nekrolog**.

PROF. DR. CREDE.

Der berühmte Gynaecologe und ordentlicher Professor der medicJJ Facultät zu Leipzigj^Dr. Karl Siegmund Franz Crede, ist am 14ten März d. J. aus dem Leben geschieden. Geboren zu Berlin am 28. December 1819, studirte er Medicin in Berlin und Heidelberg und erwarb sich den Doctorgrad im Jahre 1842. Er unternahm darauf eine grössere wissenschaftliche Reise durch Deutschland, Oestreich, Italien, Frankreich u. s. w. 1843 trat er als Assistentsarzt bei der unter Prof. Busch stehenden geburtshülflichen Klinik ein und behielt diese Stel- lung bis zum Jahre 1848. Zwei Jahre nachher habilitirte er sich als Privatdocent für Geburtshülfe an der Berliner Univei'sität und wurde 1852 zum Director der BerUner Hebammenschule und zum dirigirenden Arzte der Gebärabtheilung, und bald darauf auch der von ihm zuerst begründeten gynäcologischen Abtheilung der Charite ernannt. 1856 folgte er einem Rufe als Prof. Ord. undDirector der Entbindungsanstalt

IßT

und Hebaramenschule nach Leipzig, woselbst er eine geburtshülfliche und gynäcologische PolikliDik begründete und auch eine Abtheilung für Frauenkrankheiten in der Gebäranstalt einrichtete. Die grosse Fülle des Lehrmaterials in sämratlichen diesen Anstalten machte die- selben schon in kurzer Zeit zu einem hervorragenden Anziehungspunkte für Studirende, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus dem Aus- lande. C r e d e hat sich als academischer Lehrer, als Arzt und als Schriftsteller grosse Verdienste um die von ihm vertretenen Disciplinen erworben. Sein Hauptwerk aus der Berliner Zeit bildet das zweibän- dige Buch, welches unter dem Titel Klinische Vorträge über Geburts- hülfe" im Jahre 1853 erschienen ist. Dem schliesst sich ausser mehreren academischen Gelegenheits Schriften, eine Reihe von Abhand- lungen an, über einzelne Gegenstände seiner Wissenschaft, welche in den „Verhandlungen der Gesellschaft für Geburtshülfe in Berlin", in der Neuen Zeitschrift für Gel)urtskunde", im Archiv für Gynäcolo- gie'' und in noch anderen Fachzeitschriften veröffentlicht worden sind. Von 1853 bis 1869 redigirte er die von ihm mit B u s e h, von S i e b o 1 d, H e c k e r, von R i t g e n und Martin herausgegebene Monatsschrift für Geburtskunde von 1870 ab, in Verbindung mit Spiegelberg, das Archiv für Gynaecologie Das im Königreich Sachsen amtlich eingeführte, von G r e nte r verfasste „Lehrbuch dör Hebammenkunst" wurde von C r e d e und W i n c k e 1 neu bearbeitet (3. Auflage, 1882). Im April 1887 legte er, durch ernstliche Leiden veranlasst, die Leitung der Klinik und das Lehramt nieder und beschränkte sich von nun an auf die Redaktion des Archivs " und auf den Vorsitz in der Prüfungs- commission für Aerzte.

PROF. DR. D. HAYES AGNEW.

Dr. Ag n e w, der berühmte amerikanische Chirurg, starb in Phila- delphia am 22ten März d. J., im Alter von 74 Jahren. Als Sohn eines s. Z. ebenfalls sehr bekannten Arztes, studirte A. Medicin an der University of Pennsylvania " zu Philadelphia, der er auch später seine pädagogische und wissenschaftliche Thätigkeit während eines Zeitraumes von 35 Jahren widmete. Er bildete sich Anfangs zum Anatomen aus und hat sich als Docent der Anatomie durch eine Reihe gedankenreicher „Introductory Lectures", sowie durch mehrere weit verbreitete Werke anatomischen Inhalts einen schrifistellerischen Namen erworben. Seit 1863 beschäftigte er sich voi wiegend mit Chi- rurgie. Im Jahre 1870 wurde er zum ordentlichen Professor der Operativen Chirurgie an der Universität zu Philadelphia ernannt, welche Stellung er bis an sein Lebensende behielt. Er erwarb sich einen grossen Ruf als Forscher, Chirurg und Lehrer und hinterlässt einen Namen, dessen seine Landesbrüder stets in Ehren gedenken werden. A. war es auch beschieden, den durch Mörderkugel verun- glückten Präsidenten G a rf i e 1 d zu behandeln und an ihm, behufs Ex- traction des Geschosses, eine Operation zu vollziehen, die jedoch, wie bekannt, das erwähnte Ziel nicht erreicht hatte.

Allerlei.

Dem Prof. Hertz in Bonn wurde für seine Studien über die Ueber- tragang der elektrischen Kraft von der Turiner Akademie der Wissen- schaften der Bressia-Preisim Betrage von 12,000 Francs verliehen.

Herr Dr. H. Tyndale ersucht uns nachträglich zu bemerken, dass er für die Demonstration der zu seinem Vortrage ,, Ein Playdoyer für Koch's Lymphe" gehörigen Tuberkelbacillenpräparate der vorge- stellten Patienten Herrn Dß. Louis Fischer zu grossem Danke ver- pflichtet ist.

1G8

Prof. F. Lbffler in Greifswald glaubt ein Mittel entdeckt zu haben zur Beseitigung der verheerenden Feldmausplage. Die Abhilfe soll dadurch erreicht werden, dass die schädlichen Nagethiere mit dem Typhusbacillus inficirt werden. Die bisherigen Versuche Löffler's mit der Züchtung der Bacillen in dem Dünger, welcher dem Boden zugeführt wird, haben geradezu überraschende Resultate er- geben.

Nach einer Reihe von Versuchen, den widerlichen Geschmack des Ricinusoels zu verdecken, ist es Dr. Standke in Bremen gelungen, ein Präparat herzustellen, welches allen Anforderungen genügen dürfte. Dasselbe wird im Laboratorium von Töllnee und Bergmann in Bremen folgeiiderweise zubereitet ; Feinstes Eicinusöl wird weiderholt mit weichem Wasser behandelt, dann mit soviel Saccharin versüsst, dass es wie ein dünner Syrup schmeckt. Minimale Mengen Aldehyd des Ceylonzimmtöls und' ein wenig Vanillearoma verdecken die letzten Spuren des ursprünglich kratzenden Geschmacks. „Ol. Ricini aroma- ticu Ii''"' wird, wie Dr. St. versichern kann, von den Patienten ohne Be- anstandung und ohne jenen gegen Eicinusöl fast allgemein bestehenden Widerwillen eingenommen. (D. Med. Woch., 1892, No. 4.)

Der Akademie der Medizin in Paris ist von Dr. Eoger eine Jähr- liche Rente von 500 Francs gewidmet worden, aus der alle fünf Jahre ein Preis von 2500 Francs für das beste Werk über die Behandlung von Kinderkrankheiten geschaffen werden soll.

Personalien.

verzogen:

Dr. Fred J. Leviseur nach „Hoffman Arms", 640 Madison Ave. Dr. A. Schapringer, von 130 E. 59th nach 131 E. 59th Str. Dr. Max Einhorn wird seine OfBce im Mai nach 107 E. 65. verlegen Dr. W. G. Mangold, No. 70 Siebente Strasse.

Dr. A. Seibert ist zum Visiting Physician im New York Infant Asylum ernannt worden.

Dr. Max Einhorn,

Stellvertretender Redacteur, 120 E. 64. St.

An die Leser.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w., sind zu richten an : Medical Monthly Publishing Co.," 17-27 Vandewater Street, New York.

Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Herausgeber zu richten.

Hei r Karl Kcüder, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse unseres Blattes im Osten thätig.

Stellegesucli eines deutselien Arztes.

Ein in Deutschland graduirter Arzt sucht im Süden oder im mildern Klima einen guten Platz. Briefe adressire man an die N. T. M. Mo AiiUBi^in."

New Yorker

Medicinische Monatsschrift.

Organ für praktische Aerzte in Amerika

unter Mitwirkung von

Dr. A. F, Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert herau.«gegeben von Dr. F. C. HEPPENHEIMER. Verlag der Medical Monthly Publishing Company, 17-27 Vandewater Street, ¥•

Bd. IV. N< w York, 15. Mai 18 )2. No, 5

ORIGINALARBEITEN. I.

Ueber Kreosot-Tergiftung.

Yon

Dr. ^W.lFREUDENTHAL, ')

New York.

Die innere Darreichung von Kreosot hat seit der ersten Veröffent- lichung Sommekbrodt's^), die sich auf 5000 Fälle stützte, einen sogrossen Aufschwung genommen, und die Dosen, die Sommerbrodt selber An- fangs gab, sind so bedeutend vermehrt worden, dass es fast merk- würdig erscheinen könnte, dass bis jetzt noch nicht über einen Fall von Kreosot-Vergiftung berichtet worden ist. Ja, es war uns unmöglich, eine durch innere Darreichung von Kreosot erfolgte Intoxication in der Literatur überhaupt aufzufinden.

Doch bevor ich über den einen Fall von Kreosot- Vergiftung be- richte, den ich zu beobachten Gelegenheit hatte, möchte ich gleich hier konstatiren, dass die Zeiten, in denen man 1 3 oder 5 Tropfen Kreosot gab, und damit den armen Patienten zu helfen glaubte, vorüber sind. Jetzt giebt es wohl nur wenig Aerzte mehr, die eine solche Dosis nicht zu erhöhen wagen, die Majorität der Collegen weiss jedoch, dass wenn Kreosot überhaupt etwas helfen soll, es in viel grösseren Dosen gege- ben werden muss, als früher.

Der Erste nun, der Kreosot in grösserem Maassstabe anwandte, war BoucHARD^). Seine Recept-Formel wurde von SoMMErBRODx An-

') Nach einem am 7. März, 1892 vor der Deutsch. Medicin. Gesellschaft von New-York gehaltenen Vortrage.

^) Berl. Klinische Wochenschrift, pag. 258, 1887 und Ibidem 1891. 3) Bull. gen. de ther., 1877.

ITO

fangs angewandt, jedoch später aufgegeben. S. gab anstatt dessen Kapseln von 0,05 Kreosot mit 0,2 Tolubalsam. Und so gross war anch damals noch die Furcht vor grossen Kreosot- Gaben, dass er am Ende seiner ersten Veröffentlichung emphatisch bemerkte, dass er es schon bis auf 0,5 Grammes Kreosot pro die gebracht hätte 1

Eine grosse Anzahl von diesbezüglichen Artikeln folgte nun dieser ersten Veröffentlichung Sommerbrodt's, und die meisten Autoren hoben den grossen Werth dieses Mittels rühmend hervor. Unter diesen möchte ich an erster Stelle FRäNTZEL nennen, der jedoch von grossen Dosen abräth, ferner Peter K\atzer, v. Braun, Sqdziak aus Warschau (Gaz. Jekarska, 1888), Kossow-Geronay, S. Engel, E. Holm, Schetelig und besonders Driver aus Keiboldsgrün. J. Rosenthal empfiehlt das Kreosot in kohlensäurehaltigem Wasser. Strümpell ist einer von den sehr wenigen, die keine guten Resultate erzielten. Hopmann hingegen, der dasselbe in einigen tausend Fällen versuchte, empfiehlt es sehr warm. Er befürwortet grosse Gaben Kreosot und giebt es in der be- kannten Form von 1 Kr. : 2 Tinct. gentianae. Dies ist die Formel, die ich und wahrscheinlich auch noch viele andere Aerzte benutzte und zwar benutzte ich sie bis zum Ende des vorigen Jahres. Ich gab diese Mixtur in Wein, Whiskey, Brandy, Milch oder Wasser, hin und wieder auch in Ol. jecoris aselli. Ich fing in der Regel mit 2 Tropfen 3 Mal täglich an, und vermehrte dieselben jeden Tag oder jeden zweiten Tag um einen Tropfen. Und zwar vermehrte ich die Tropfen so lange, als es der Patient nur vertragen konnte, d. h. also so lange keine gastri- schen Erscheinungen auftraten. Und ich bin zu der Ueberzeugung Sommerbrodt's gelangt: Je mehr Kreosot der Patient ertragen kann, desto besser ist es für ihn. So habe ich 30, 50, 80, ja auch 100 Tropfen der HoPMANN'schen Lösung 3 Mal täglich gegeben, und die Patienten ertrugen es, allerdings mit so manchen Ausnahmen, ganz ausgezeich- net. Bis zu welchen ungeheuren Dosen es einige Patienten bringen können, und wie doch andererseits durch plötzliche starke Steigerung der Dosis eine Intoxication entstehen kann, mag der folgende Fall lehren.

Derselbe ist kurz folgender :

Frau H. H., 30 Jahre alt, aus Ungarn gebürtig, wurde von ihrem Hausarzte wegen Beschwerden im Halse zu mir geschickt. Ich sah sie zum ersten Male am 24. Februar 1891. Sie ist srtt 10 Jahren ver- heirathet und hat 9 Kinder geboren, von denen 4 noch am Leben sind. Ihr Vater starb in seinem TOsten Lebensjahre an „Herzschwäche". Ihre Mutter lebt noch. Sie selbst war stets gesund gewesen. Doch hätte sie sich vor einem Jahre stark erkältet und huste seit 6 Monaten. Seit dieser Zeit habe sie auch Schmerzen auf der Brust. Seit 3—4 Wochen fühle sie ein Kratzen im Halse, und seit einer Woche habe sie besonders beim Schlucken starke Schmerzen. Wenn sie sich zu Bett legt, „kocht es in ihrem Halse, wie Oel ".

Die Patientin hatte sich eine acute Pharyngo-laryngitis zugezogen, die unter einer leichten Behandlung nach kurzer Zeit verschwand,

171

worauf ich den folgenden Status praesens aufnehmen konnte : Die Schleimhäute des Pharynx und Larynx äusserst anaemisch, oberfläch- liche Ulcerationen an der Uvula, und tiefere zahlreiche an der Epiglot- tis und an den Stimmbändern. Die hintere Larynxwand stark infil- trirt. Auf der Brust war vorne Dämpfung auf beiden Seiten bis zur zweiten Rippe, L. H. O. Dämpfung, bronchiales Athmen, und zahlreiche gross- und kleinblasige Rasselgeräusche über der ganzen Brust.

Patientin hatte wiederholt Haemoptoe gehabt, der Puls war rapide und äusserst schwach, sie hustete fast beständig, hatte keinen Schlaf, keinen Appetit, und ihr Kräftezustand war so gesunlcen, dass ich mit dem Hausarzte übereinstimmen musste, der die Prognosis als eine pessima hingestellt hatte. Und in Wirklichkeit machte Patientin den Eindruck, als ob sie beinahe schon moribund wäre. Dies war gerade zur Zeit, als die Kocn'sche Tuberculin-Behandlung unter ihrem Zenith stand, und ich machte daher den Vorschlag, es doch noch mit den KocH'schen Injectionen zu versuchen. Da zu dieser Zeit aber alle hiesigen Hospitäler bis zum letzten Platze mit Phthisikern überfüllt waren, so musste von dieser Behandlung Abstand genommen werden und ich gab ihr faut de mieux Kreosot, indem ich mich absolut keinen Illusionen in Bezug auf die Wirksamkeit desselben in diesem Falle hingab. Sie bekam es nach der HoPMANN'schen Vorschrift, und ich sagte ihr zugleich, dass je mehr Tropfen sie davon vertragen könnte, desto eher könnte sie auf eine Besserung ihres Zustandes rechnen. Als sie mich darauf fragte, ob diese Tropfen ihr überhaupt etwas hel- fen würden, sagte ich ihr, es wäre allerdings meine innerste Ueber- zeugung, dass wenn irgend eines von den uns bekannten Mitteln helfen könnte, so wären es diese Tropfen. So kam es, dass sie bald ohne mich zu fragen, die Anzahl der Tropfen aus freien Stücken vermehrte. Sie nahm gemäss meinen Aufzeichnungen am

15. April 1891 bereits 60 Tropfen der Lösung 3mal täglich, also im Ganzen GO Tropfen Kreosot pro die, welche sie sehr leicht vertragen konnte. Sie fühlte sich schon etwas wohler. „Es kocht noch sehr stark im Halse", aber nicht so wie früher. Ihr Husten ist auch etwas besser, so dass sie schon verhältnissmässig gut schläft, indem sie nur 2—3 Mal Nachts aus dem Schlafe erwacht.

Ich möchte noch hier bemerken, dass unter anderen Verordnungen, die ich der Patientin gab, auch die bestand, sich möglichst viel im Freien zu bewegen, d. h. natürlich mit den nöthigen Vorsichtsmass- regeln.

2 2. April 1891. „Es kocht noch immer im Halse", doch fühlte sie sich verhältnissmässig gut. Sie nimmt jetzt 70 Tropfen der Lösung t. i. d. Die Ulcera an der Uvula sind geheilt, ebenso die an der Epig- lottis jedoch sind neue Ulcerationen an der letzteren entstanden.

5. J u 1 i 18 91. Patientin hatte schon 100 Tropfen 3 Mal täglich genommen, als eines ihrer Kinder krank wurde, was sie veranlasste, beständig im Zimmer zu bleiben. Und so gross war der Einfluss, den die Zimmerluft auf sie ausübte, dass wenn sie zu dieser Zeit auch

172

nur 10 Tropfen nahm, sie sich doch schwindelig fühlte, und gerade so^ als ob sie betrunken wäre. Sie war daher gezwungen worden, die Tropfen ganz aufzugeben, so lange sie im Hause bleiben musste.

12. August 1891. Patientin war nach Long Branch gegangen, und „da sie dort im Stande war den ganzen Tag im Freien zuzu- bringen", so nahm sie mit Leichtigkeit 100 Tropfen 3 Mal täglich. Im Halse hat sie fast keine Schmerzen mehr.

6. Decemberl891. E. V. keine Dämpfung mehr. K. H. in der Höhe der Spina scapulae Kasselgeräusche. L. V. und H. Kasselge- räusche in den oberen Parthieen. Patientin hatte sich während des Sommers sehr gut erhoit. Sie sieht jetzt besser aus und fühlt sich wohler, als je zuvor. Sie nimmt 200 Tropfen aber nur 2 Mal täg- lich, da sie nicht Zeit hat, so oft auszugehen.

Von jetzt ab nahm sie die Tropfen überhaupt immer nur 2 Mal täglich, indem sie dieselben stetig vermehrte, so dass sie im Januar dieses Jahres bereits 3 00 Tropfen 2 Mal täglich nahm, also 200 Tropfen Kreosot pro die.

Am 2 6. Januar 1892 nahm sie die Tropfen, die ich abgezählt hatte, in meinem Sprechzimmer, und verliess dasselbe, um sofort ihren Spaziergang anzutreten. Auch diese Dosis (von 300 Tropfen) vertrug sie mit derselben Leichtigkeit, wie früher.

Am 2 9. Januar 1892 um 11 Uhr Vormittags nahm sie wiederum ihre gewöhnlichen 300 Tropfen, und giog dann spazieren. Da sie sich aber nicht wohl fühlte, kam sie bald zurück und trank ein Glas Wein^ Doch auch dieses half nichts, und da kam ihr der Gedanke, dass die Tropfen ihr doch immer so gut gethan hätten, und dass sie doch eigent- lich noch schneller gesund werden könnte. Sie nahm also sofort noch eine Dosis von 300 Tropfen. Die Ereignisse, die sich jetzt abspielten, waren höchst stürmischer Natur. Sie hatte kaum Kraft ^enug, um sich nach dem Bette zu schleppen, wo sie bewusstlos hinfiel, und volle 8 9 Stunden bewusstlos dalag. Als ich sie Abends etwa 8 Stunden nach diesem Vorfall sah, machte sie auf mich den Eindruck einer unter Nar- kose befindlichen Person. Ihre Augen waren geschlossen und sie blies bei der Exspiration fortwährend ihre Backen auf, gerade wie Leute in tiefer Narkose es oft thun. Die Zähne waren fest aneinander gelegt, so dass man die Kiefer gar nicht von einander bewegen konnte (inten- siver ^Trismus). Puls 128, Kespiration etwa 30. Die Lippen waren cyanotisch, die Pupillen contrahirt und reagirten nicht. Die Sensibilität war erloschen, und es war eine Lähmung aller Keflexbewegungen ein- getreten. Schon von weitem hörte man laute, grossblasige Rasselge- räusche auf der Brust. Patientin Hess den Harn ins Bett gehen, aber das Bettzeug ^wurde dadurch nicht gefärbt. Der Urin war hell ge- wesen.

Nachdem ich die Patientin eine Weile beobachtet hatte, bekam ich bald den Eindruck, dass die Attaque sich ihrem Ende nähere. Als ich ihr dann Salmiak unter die Nase hielt, wandte sie ein klein wenig ihren Kopf ab. Nachdem sie ein heisses Fussbad aus Senf und Eis-Umschläge

173

auf den Kopf bekommen hatte, erwachte sie bald, ohne irgend welche Beschwerden zu fühlen. Auch im späteren Verlaufe der Krankheit traten keinerlei Nachwirkungen der Intoxication ein. Es war leider infolge eines Missverständnisses, dass ich weder den Harn von dieser Nacht, noch auch den vom nächsten Tage erhielt. Der erste Urin, den ich bekam, war vom zweiten Tage nach diesem Anfall. Doch darüber später.

Wenn wir die Krankengeschichte unserer Patientin überblicken, so sind es 2 Punkte, die uns von Interesse zu sein scheinen : 1. Die enorme Menge Kreosot, die Patientin zu nehmen vermochte, und 2. Die Intoxications-Erscheinungen, gleich nachdem sie die an und für sich schon grosse Dose plötzlich verdoppelte.

Wie man mir sagte, war das Kreosot in früheren Zeiten viel theurer, als jetzt, und dies ist vielleicht ein Grund, weshalb es so häufig verun- reinigt in den Handel kam. Unreine Carbolsäure ist diejenige Sub- stanz, die am häufigsten an Stelle des Kreosots substituirt wurde, und daher waren auch die Vergiftungserscheinungen gewöhnlich die der Carbolsäure. Nachdem Kreosot wohlfeiler geworden war, lohnte sich die Verimreinigung nicht mehr, und wir konnten ohne Gefahr zu grösseren Dosen schreiten, natürlich immer vorausgesetzt, dass wir das reine Buchenholz-Kreosot bekamen.

Die Wirksamkeit des Kreosots erinnert bei manchen Patienten sehr an die des Alcohol. Es ist eine Substanz, an die sich der Organismus langsam gewöhnen kann, ebenso wie man sich an grosse Dosen Alco- hol, an Arsenik und Morphium gewöhnt, und die Accumulation dessel- ben im Körper war, soviel mir wenigstens bekannt ist, nie von schlech- ten Folgen begleitet. Als ich anfing, grössere Dosen zu verschreiben, fürchtete ich, dass doch vielleicht die Nieren angegriffen werden könn- ten. Aber wiederholte Untersuchungen bei Frau H, bewiesen, dass davon absolut nicht die Rede sein konnte. Auch bei anderen Patien- ten untersuchte ich den Harn öfters, aber stets mit einem negativen Resultat. So geht denn meine Erfahrung mit Kreosot, welches ich seit dem Jahre 1887 an mehreren hundert Patienten erprobte, von denen alle mit einer oder der anderen Form von LarynxphthUe behaftet waren, dahin, dass alle Patienten, die das Kreosot vertragen konnten, davon günstig beeinflusst wurden, und je mehr sie davon nahmen, desto wohler fühlten sie sich dabei.

Und nun müssen wir uns doch wohl die Frage vorw^erfen : Wie viel Kreosot nahm denn eigentlich die Patientin dem Gewichtt nach ? Um dies zu eruiren, liess ich mir von der Patientin ihren Tropfenzähler geben und von Herrn Thomas Latham, aus dessen Apotheke die Medicin geholt war, die Messung vornehmen. Zu meinem grössten Erstaunen fand er Folgendes :

15 Minims = 45 Tropfen von dem Tropfenzähler (Pipette) der Patientin 1 " = ^ Min. Kreosot. Specif. Gewicht von Kreosot etwa = 1,08 300 Tropfen von der Pipette der Pat. = 7,34: Grammes Kreosot = l der Lösung = 2,40 Grammes.

174

Patientin hatte also in den letzten 2 Monaten 2,4 pro dosi, oder was wahrscheinlicher ist 5 Grammes reines Kreosot pro die genommen. Diese Zahlen überraschten mich als ausserordentlich klein, wie gross sie auch immer erscheinen mögen im Vergleich zu unserer früheren Praxis. Ich bat daher Herrn L. um ein anderes Tropfglas, und gar bald fanden wir eins, bei dem dieselbe Anzahl von Tropfen genau die doppelte Quantität Kreosot ergab. Mit dieser letzteren Pipette würde also Patientin 9 10 Grammes Kreosot täglich genommen haben.

So allgemein bekannt diese Thatsachen auch sein mögen, so oft vergisst man sie doch wieder, und ich hielt es darum für angebracht, auf die Unzulänglichkeft dieser Ordinations-Methode abermals hin- gewiesen zu haben. Seitdem mir dieses wiederum klar geworden ist, hörte ich auch auf Kreosot in Tropfen zu verschreiben. Und ich glaube, wir Alle sollten desgleichen thun, wenn wir Gewissheit in Bezug auf die Quantität Kreosot, die wir den Patienten geben, haben wollen, und wenn wir ferner Einmüthigkeit in unseren Versuchen und Gleich- mässigkeit in unseren Eesultaten erzielen wollen.

Nachdem ich die verschiedensten Combinationen versucht hatte, wie z. B. in Emulsion oder in Pillenform u. s. w., bin ich zu dem Eesul- tate gelangt, dass es am Besten wäre, das Kreosot in Pillenform mit Pulvis et succus liquiritiae zu verschreiben und diese etwas länglich hergestellten Pillen noch in Kapseln thun zu lassen. Diese doppelte Verpackung geschieht deswegen, damit das Kreosot sich nicht ver- flüchtige, wie es schon beobachtet worden ist, wenn man es allein in Pillen oder allein in Kapseln gab. Dass wir in dieser Form auch dem Gescbmacke Kechnung tragen, und ausserdem ein viel genaueres Maass haben, als mit der Pipette, sind Vorzüge, die ich nicht erst hervorzuheben brauche. L. Weber giebt es in ähnlicher Form, die ich aber nicht erprobt habe. Uebrigens muss ich constatiren, dass diese Form einer ganz alten Verordnung entstammt, deren Autor mir aber unbekannt ist.

Wenn wir nach dieser Vorschrift verschreiben und allmählich die Dosis steigern, wird eine Intoxication wohl selten eintreten, und wir können die Portion so lange steigern, so lange der Magen des Patien- ten dagegen nicht revoltirt. Wie unbegründet aber die Furcht vorder Kreosot-Vergiftung ist, beweisen die sehr wenigen und noch dazu zweifelhaften Fälle, die in der Literatur berichtet sind. Denn mit Aus- nahme zweier Fälle von Taylor und Manouvriz, in denen Kreosot nicht als Medikament vom Arzte verschrieben war, konnte ich überhaupt keinen klinischen Bericht über Kreosot-Vergiftung austindig machen. Taylori) berichtet in seinem Handbuche den folgenden Fall : „Das Oleum tartari (oil of tartar) ist ein starkes pflanzliches Gift. Im Jahre 1832 verursachten etwa 10 Drachmen desselben den Tod eines Herrn, dem es irrthümlicher Weise anstatt einer schwarzen Mixtur geschickt worden war. Der Apotheker, der es gesandt hat, wurde wegen Mordes

1) A. S. Tayloe : On Poisons, etc., Philadelphia, 1875. Pag. 212.

175

verklagt, jedoch freigesprochen. Die giftigen Eigenschaften des Oels rühren von Kreosot, Carbolsäure und anderen Beimengungen her ". Ich glaube, dass in diesem Bericht entweder ein Druckfehler oder ein Irrthum seitens Taylor's vorliegt. Denn das oil of tartar ist eine starke Lösung von Kai. earbon. und sal tartar. Die Lösung ist vollständig farblos und nicht schwarz. Dahingegen dürfte aber das oil of tar die hier erwähnten Eigenschaften haben. Wie dem auch sein mag, der Fall ist mindestens unklar.

Auch der andere Fall von Anatole Manoüvriezi) nicht im Stande viel Licht auf diese Frage zu werfen. Der Fall betraf ein elf- tägiges Ziehkind, das Kreosot in seinen Mund bekommen hatte. Einige Minuten später fand man es beinahe erstickt, stark nach Kreosot riechend, blase und den Mund halb geöffnet. Es krümmte sich und machte starke Anstrengungen zu athmen und zu husten. Yon Zeit zu Zeit stiess es einen heiseren Schrei aus. Flüssigkeiten konnte das Kind nicht schlucken, da dieselben wieder durch die Nase heraus- kamen. Es starb nach elf Stunden, während welcher Zeit es nur ein Mal im Stande gewesen war, zu schlucken.

Aus diesen beiden Fällen können wir natürlich keine sicheren Schlüsse ziehen, da wir nicht wissen, wie viel Kreosot jedes Mal gegeben wurde. Auffallend ist es, dass in dem MANOuvKiEz'schen Falle das Kind den Mund halb geöffnet hielt, während meine Patientin die Zähne fest auf einander geschlossen hielt. Doch kann man sich aus den Verbrennungen, die sich bei der Section des Kindes im Pharynx und Larynx vorfanden, die Athemnoth und infolge dessen das Offenhalten des Mundes ebenso wie die Unmöglichkeit zu schlucken wohl erklären, was ja bei meiner Patientin nicht zutraf.

Dass sich ferner das Kind fortwährend krümmte, ist ein Zeichen starker kolikartiger Schmerzen, die bei meiner Patientin auch niemals auftraten. Nur zur Zeit der Menstruation bekam sie in den letzten Monaten der Behandlung leichte Schmerzen im unteren Theil des Abdomens, so dass sie auf meinen Rath hin die Tropfen während dieser Zeit ganz weg Hess. Ja als sie sogar s. Z. die 600 Tropfen auf ein Mal genommen hatte, fühlte sie auch keine Schmerzen. Ich war daher einigermassen erstaunt in Brünton's Pharmakology (pag. 69) die folgende Bemerkung zu finden : „Grosse Dosen (d. i. von Kreosot) innerlich genommen, verursachen Schwindel, Erbrechen, kolikartige Schmerzen und Diarrhoe." Diese Bemerkungen scheinen in mehr als einem Punkt unzutreffend zu sein. Denn wenn grosse Dosen, wie Brünton behauptet, Erbrechen erzeugen, so würde doch der grösste Theil oder alles Kreosot durch den Brechakt aus dem Magen entfernt werden, und es ist nicht leicht zu verstehen, wie der Patient da noch Diarrhoe und Kolik bekommen soll. Doch möchte ich hierbei erwähnen, dass sich diese Idee vom Erbrechen nach grossen Dosen Kreosot wie ein rother Faden durch die meisten Lehrbücher zieht.

1) Ann. d'Hyg., pag. 175, 1882,

176

(Vergl. unter Anderen auch das Lehrbuch 'der Toxikologie von L. Lewin.)

Auch Diarrhoe hatte meine Patientin nicht. Ein weiterer Punkt von der grössten Wichtigkeit ist der Urin, Als ich anfing grosse Dosen Kreosot zu geben, war ich einigermassen besorgt, dass die Patientin Nephritis bekommen könnte. Doch, wie ich oben schon bemerkte, klagte sie weder über Schmerzen in der Nieren-Gegend, noch war etwas Besonderes im Urin, den ich zuletzt alle vier Wochen untersuchte, zu entdecken. Auch L. Weber hat bei seinen allerdings kleineren Dosen nie Nephritis gesehen. Dagegen behandelte Dr. MANGES,wie er mir vor Kurzem mittheilte, einen 25jährigen Mann, dem er anfangs zehn Tropfen der HoPMANN'schen Lösung gab. Er ver- mehrte dieselben jeden zweiten Tag um zwei Tropfen. Als Patient 150 Tropfen nahm also 50 Tropfen Kreosot bekam er Schmerzen in der Nierengegend und hatte eine ausgesprochene Nephritis (albumen und Cylinder, kein Blut), wie Dr. Manges nachzuweisen im Stande war. Diese Nephritis verschwand drei Tage, nachdem das Mittel ausgesetzt worden war. Der Harn war nicht dunkel gewesen. Dies ist der einzige Fall von Nephritis, der mir nach dem Gebrauch von Kreosot bekannt ist.

Wie ich ebenfalls schon oben erwähnte, wurde mir aus Versehen der Urin, der gleich nach der Intoxication gelassen wurde, nicht zuge- sandt. Aber eine Thatsache konnte ich mit aller Bestimmtheit consta- tiren, dass der Urin niemals schwarz war, noch auch jemals dunkler als der gewöhnliche. Auch in dieser Beziehung ist also keine Aehn- lichkeit mit Carbolsäure zu entdecken. Selbst bis zum heutigen Tage war der Urin stets hell, doch soll er, worüber allerdings Patientin und ihr Ehemann uneinig sind, am Tage nach der Intoxication stark nach Kreosot gerochen haben. Dasselbe soll auch am 13. Februar d. J. der Fall gewesen sein, an welchem Tage Patientin, die immer noch an heroische Dosen glaubt, drei Theelöffel der Mixtur genommen haben will

Den Harn, den ich am zweiten Tage nach der stattgehabten Intoxi- cation erhielt, sandte ich an meinen Freund Dr. H. Schweitzer, der ihn untersuchte und mir mittheilte, dass der betr. Harn weder Kreosot noch dessen Transformationsproducte enthielte.

Und nun, meine Herren, gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zur Therapie der Kreosot- Vergiftung. Als ich meine Patientin zur Zeit als sie sich vergiftet hatte, sah, glaubte ich, dass zunächst nichts gebotener erschiene, als die äusserliche Application von starken Excitantien, der Erfolg dieser Methode war ja auch bald deutlich zu sehen, da Patientin sehr kurze Zeit darauf erwachte. Ob dies blos zufällig war oder nicht, wage ich nicht zu entscheiden. Sollten Ihnen jedoch, meine Herren, Fälle vorkommen, wo diese einfachen Mittel nicht zum Ziele führen, so möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Harei) aus Philadelphia an Thieren experimentirt hat, die mit

1) University Med. Magazine, April 1889.

177

Kreosot vergiftet worden waren. Er fand, dass als Antidot ebenso wie bei Carbolsäure so auch bei Kreosot die lösliciien Sulfate zu empfehlen seien. Er wies ferner nach, dass sonst tödtliche Gaben von Kreosot unschädlich waren, wenn man den Thieren genügende Mengen dieser löslichen Sulfate gegeben hatte.

Zu der Kranken-Geschichte möchte ich noch nachtragen, dass Patientin nach der Intoxication wieder ihr Kreosot aufnahm und dass sie in der früheren Weise aufstieg und bald wieder ihre 300 Tropfen übersehritten hatte. Sie hatte es schon bis auf 500 Tropfen zweimal täglich gebracht, als sie eine linksseitige Pneumonia bekam, an der sie noch darniederliegt. Sie befindet sich jedoch schon in der Eecon- valescenz.

Ferner möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass Patientin jedes Mal nach dem Aussetzen des Mittels mit den Tropfen von vorne anfangen musste, dass sie dann aber sehr schnell bis zu der vorher erreichten Höhe ansteigen konnte.

Sie sehen also, meine Herren, dass das Kreosot zweifellos ein starkes Gift ist, und dass es natürlich giftig wirken wird, wenn man plötzlich eine grosse Menge davon nimmt, oder wenn man, wie es meine Patientin that, eine grosse Dose, an die man sich schon gewöhnt hatte, plötzlich sehr hoch steigert. Es giebt aber andererseits wenig Mittel, an die man sich so gut gewöhnen kann, und die auf die Dauer der Zeit so gut vom Organismus vertragen werden, wie das Kreosot. Und im Gegensatze zu einer neulich von Beverley Kobinson aufge- stellten und von Anderen unterstützten Behauptung, dass hier in den Vereinigten Staaten grosse Dosen Kreosot nicht gegeben werden können, im Gegensatze hierzu muss ich behaupten, dass unsere Patienten das Kreosot ebenso gut vertragen können, wie die unserer Collegen in Deutschland und ich möchte auch für Amerika den Satz aufstellen, dass je mehr Kreosot ein Patient nehmen kann, desto besser es für ihn sei.

II.

lieber Iritis bei Eiferimg der Nase und ihrer Nebenhöhlen.

Von

Dr. S. ZIEM,

Danzig, Preussen.

Die vor 5 Jahren von mir angeregte Frage von der Abhängigkeit mancher oder so und so vieler Entzündungen der Kegenbogenhaut von primären eitrigen Erkrankungen der Nase oder ihrer Nebenhöhlen'), durch Verschleppung von Eiter mittelst der Venen oder Lymphgefässe in den üvealtractus beziehungweise das Gewebe der Iris, hat sich

1) Centralbl. f. pract. Augenheilkunde von J. Hirschberg. 1887, S. 358.

178

vieler Zustimmung bisher nicht zu erfreuen gehabt und noch in einer Ende des Jahres 1889 in der Gesellschaft der Aerzte in Wien stattge- habten Verhandlung über die Eiterung der Oberkieferhöhle ist dieser Zusammenhang der Dinge als unerwiesen bezeichnet worden. Mit Be- stimmtheit eingetreten für meine Anschauung ist meines Wissens bis- her nur Dr. Koenigstein in Wieni). Die Frage kann in zweifacher Weise zur Entscheidung gebracht werden, entweder erstens durch Massenuntersuchungen über das Zusammentreffen von Iritis mit Nasenerkrankungen, wozu das mir selbst zu Gebote stehende Beobach- tungsmaterial allerdings nicht ausreicht, oder zweitens durch genaue Schilderung einzelner, -besonders prägnanter Fälle. Den letzteren Weg habe ich schon früher eingeschlagen. Wenn ich vor 5 Jahren die Ge- schichte eines Kranken mitgetheilt habe, der an rechtsseitiger Iritis 13 Tage lang mit Atropin und innerlich mit Calomel behandelt worden, ohne dass jedoch und zwar trotz vollständigster Erweiterung der Pupille die äusserst heftigen, die Nachtruhe so gut wie gänzlich raubenden Schmerzen in der Umgebung des Auges und in der Stirngegend irgend- wie gemindert worden wären, und der dann sofort nach dem Durch- spülen der Nasenhöhle mittelst der Druckpumpe, wobei ein entsetzhch riechender Eiter aus der rechten Nasenhälfte in reichlicher Menge sich entleerte, eine bedeutende Erleichterung im Kopfe und Auge fühlte und ohne weitere Anwendung von Atropin bei Kataplasmiren des Auges mit Chamillen, Schwitzen mittelst Jaborandi und täglichem Ausdouchen der Nase in 12 Tagen vollkommen hergestellt worden und seit dieser Zeit auch durchaus augengesund geblieben ist, so weiss ich in der That nicht, inwiefern die Bedeutung der gleichzeitigen Behand- lung der jauchigen Eiterung in der Nase für die schnelle Ausheilung des Prozesses hier in Abrede gestellt werden kann.

Ein zweiter, vor 2 Jahren von mir veröffentUchter^) Fall der Art sei hier nochmals kurz mitgetheilt,

Im November 1889 wurde ich von einer hiesigen Dame consultirt wegen einer bereits 5 Monate lang ärzthch behandelten recidivirenden Iritis des rechten Auges, die zu vollständigem Abschlüsse der Pupille mit schildbuckelförmiger Vortreibung der Iris, Spannungszunahme und Amaurose des Auges geführt hatte, ohne dass der Krankheits- process jedoch zur Euhe gekommen wäre : es bestanden hier noch immer Schmerzen, ciliare Injection, Unmöglichkeit ohne Verband zu gehen, selbst Druck im zweiten Auge bei jedweder Anstrengung des- selben. Es wurde auch hier die Nase untersucht und wenn auch keine das Lumen in irgendwie erheblicher Weise beeinträchtigende Schwel- lung, so doch beim Ausspülen mittelst der Druckpumpe etwas, ent- schieden eitriges Secret gefunden; auch hatte die Kranke schon seit Jahren und zwar vor dem Auftreten des Augenleidens, an oft äusserst heftigen Kopfschmerzen gelitten. Der Vorschlag, die rechte Kiefer-

1) Die Behandlung der häufigsten Augenkrankheiten u. s. w. Wien. Brau- müller. 2. Heft.

2) Berliner Klinische Wochenschrift 1890, No. 36, 1891. No. 24.

179

höhle anzubohren, auf deren Erkranktsein auch das Vorausgehen von Schmerzen in den oberen Backzähnen in früheren Jahren sowie eine ansehnUche Verdickung im Bereiche der ehemaUgen Alveolen jener schon längst entfernten Zähne hinzudeuten schienen*), dieser Vorschlag hatte zur Folge, dass die Kranke zunächst ausblieb, um die einfache Ausspülung der Nasenhöhle, welche ihr an und für sich schon eine gewisse Erleichterung besonders im Kopfe gemacht, für sich allein zu Hause fortzusetzen. Erst am 3. Februar 1890 trat sie wieder in meine Behandlung, jetzt allerdings zu jener Operation entschlossen, weil der Zustand des Auges sich noch nicht geändert hatte und das Tragen eines Verbandes noch immer erforderte. Mit Hilfe des Schwungrades wurde die Anbohrung alsbald vorgenommen, wobei zwei oder drei Tropfen Blut geflossen sind und wonach einige Eiterflocken von schwe- felgelber Färbung, die sich in der Schale zu Boden senkten, beim Durchspülen der Kieferhöhle sich entleerten. Am nächsten Tage schon war das Auge blasser und etwa 14 Tage später, bei täglicher Durch- spülung des Sinus mit Salzwasser, eine so wesentliche Besserung einge- treten, dass der 8 Monate lang getragene Verband weggelassen werden konnte ! Das Gesichtsfeld des linken Auges, das noch am 12. Februar eine ziemlich starke Einschränkung gezeigt hatte, war am 6. März so gut wie normal geworden und Keinerlei Beschwerde seitens des Auges mehr vorhanden. Ein Rückfall ist seitdem, d. h. seit 25 Monaten nicht eingetreten.

Ein dritter hierhergehöriger Fall ist der Folgende : Am 21. März d. J. tritt der 37-jährige Zimmermann Z. in meine Be- handlung wegen einer, seiner bestimmten Angabe nach, erst seit 5 bis () Wochen bestehenden Erkrankung seines rechten Auges. Seit dieser Zeit bemerkt er das Sehen verdeckende und in dem Auge herum- flottirende Trübungen, die mehr und mehr zunahmen und seine bis- herige Beschäftigung ihm endlich unmöghch machten. Schmerzen in diesem Auge haben niemals bestanden. Auf dem linken Auge und nur auf diesem hat er in seiner Kindheit eine Entzündung gehabt und seit- dem ist es immer schwachsichtig gewesen. Objectiv findet sich Fol- gendes : Beide Augen sind ohne rechten Glanz und von etwas starrem Ausdrucke. Die Pupille eng, unregelmässig contourirt, beiderseits in sehr geringem Grade auf Licht und Schatten reagirend und durch

*) Es ist hier natürlich nicht der Ort über die Diagnostik der eitrigen Er- krankung der Oberkieferhöble mich eingehender auszvisprechen und es sei auf Grund von 459 Eröffnungen der Kieferhöble in meiner Praxis nur das Eine be- merkt, dass mit Hilfe der von einigen Autoren ja sehr überschätzten electri- schen Durchleuchtung zwar in vorgeschrittenen Fällen der Erkrankung, bei einem massigen Empyem, die positive Diagnose auf Anwesenheit von Eiter öfters gestellt, in Anfangsstadien oder überhaupt bei wenig entwickelter Er- krankung jedoch die Abwesenheit von Eiter nur und allein durch die Probe- ausspülung nachgewiesen werden kann. Man vergleiche hierzu auch die Arbeit von L. Lichtwitz in Bordeaux ; De l'empyeme latent de l'antre d'Highmore etc. Anaales des maladies de' loreille et du larynx, No. 2, Fevrier 1892.

180

zahlreiche, offenbar ziemlich breite, graiiweissliche Verwachsungen an die Linsenkapsel angeheftet; auch bei nachdrücklichem Atropinisiren des rechten Auges in den nächsten Tagen wird die Pupille nur sehr wenig und in un regelmässiger Weise erweitert, während in das linke Auge Atropin überhaupt nicht eingetropft worden ist. Iris beiderseits hyperämisch, nach vorn getrieben, Vorderkammer sehr eng. Mit dem rechten Auge werden Finger auf 4 Meter, Zahlen von Nieden 7 (Snellen 4) als kleinstes auf 18 Centim., mit dem linken Finger auf 3,5 Meter, Zahlen von Nieden 8 (Snellen 5) auf 15 Centim. erkannt. Das Gesichts- feld des rechten Auges ist mässig stark, das des linken stark einge- schränkt. Ophthalmofecopisch : Trübungen der brechenden Medien.

IlmM

links \NSc>^!^I^;;^

Innen 21. März. Aussen 27. März.

Tafelzeichnnng auf 30 Ctm. Abstand. ^/^^ der natürl. Grösse.

Syphilis oder Gonorrhoe hat der Kranke nie gehabt, auch irgend welche andere Infectionskrankheit in der letzten Zeit nicht durchge- macht. Seine Wohnung ist gesund, durchaus nicht modrig.

Die stark verstopft klingende Sprache des Kranken war mir sofort aufgefallen, weshalb denn eine Untersuchung der Nase vorgenommen wird. Es findet sich hier erstens eine so gut wie vollständige Versper- rung der linken Nasenhälfte durch Hereinragen der verbogenen Nasenscheidewand, sodass das Einziehen von Luft durch diese nur bei abgehobenem Nasenflügel möglich ist; zweitens eine mässig starke Anschwellung der Schleimhaut am Hinterende der linken unteren Nasenmuschel; drittens ziemliche Geräumigkeit der rechten Nasen- hälfte, ohne, bei vorderer Khinoscopie, irgend wie sichtbare Ansamm- lung von Eiter oder eitrigem Schleim in derselben, der aber und zwar in ziemlich reichlicher Menge und von ausgeprägt schwefelgelber Färbung sofort zum Vorschein kommt, sowie eine Durchspülung der Nase mittelst der Druckpumpe vorgenommen wird. Zähne gut, im oberen Alveolarbogen keine Zahnlücke.

In Ermangelung irgend welcher anderer hier in Betracht kommen- der ätiologischer Momente war ich der Ansicht, dass die Eiterung der

181

Nase bei der Entstehung der Iritis auch hier von Bedeutung sei und beschloss desshalb das Folgende zu thun : Es wurde nur das rechte, nicht aber das linke erstbefallene, Auge atropinisirt, sodann zweimal täglich die Nasenhöhle mit Salzwasser durchgespült, endlich und zwar gleich am nächsten Tage jener Yorsprung des Septum mit einer durch das Schwungrad getriebenen Stichsäge') abgesägt, wobei es allerdings etwas geblutet hat und wodurch ein schöner Durchlass für die Luft hergestellt und die Nasenathmung sehr viel freier geworden ist.

Schon am folgenden Tage war das Sehen auf beiden Augen besser, dieselben besitzen mehr Ausdruck und Glanz, die Vorderkammer ist tiefer. Nach 6 Tagen, am 27. März, betrug die Sehschärfe rechts=V24, links für deutsche Buchstaben=yg„, für Haken=V36 und es wurden mit dem linken Auge Zahlen von Nieden 3^ S. (Snellen 1^/^) auf 11 Centm. richtig erkannt. Auch das Gesichtsfeld zeigt beiderseits eine erheb- liche Vergrösserung. Der Kranke lässt sich nicht davon abhalten, seine Arbeit jetzt wieder aufzunehmen.

Von grossem Interesse an diesem Falle ist die bedeutende Besserung des centralen (um 'V-)wie des peripherischen Sehvermögens andemschon seit vielen Jahren schwachsichtigen linken Auge, obwohl hier örtlich doch ganz und gar nichts vorgenommen worden war : nicht einmal eine Schutzbrille war angewendet, sondern es war nur das rechte, atropinisirte Auge mit einem Verbände versehen worden. Zwar hatte bei der am 22. vorgenommenen Operation in der linken Nase eine, allerdings nicht beträchtliche Blutung stattgefunden, welche bei den zahlreichen Verbindungen zwischen den Gefässen des Sehorgans und denen der Nase immerhin eine so und so grosse Entlastung der hyperämischen Gefässe des Bulbus bewirkt haben mag. In dieser Beziehung sei noch besonders bemerkt : Erstens, dass ich und zwar schon vor 12 Jahren während meines Aufenthaltes in Alexandrien bei vielen Augenkranken Blutentziehungen in der Nase mit oft auffallen- dem Erfolge vorgenommen habe, unter Anderen bei einem durch adhäsive Iridocyclitis im Gefolge von Variola bis auf Unterscheiden von Hell und Dunkel erblindeten jungen Araber, bei welchem die vorge- schlagene Iridectomie nicht zugelassen worden, welcher aber in der ge- nannten Weise zum Selbstorientiren auf der Strasse und zum Erken- nen grosser Gegenstände wie der Speichen eines Rades, ja selbst eines unter ein Schriftstück gesetzten Stempels gelangt ist ; Zweitens, dass solche Erfolge, die schon von Peter Frank und besonders von F. Hyrt^l) gegebene Empfehlung, bei gewissen ihrer Natur nach unbe- kannten, aber mit schönklingenden lateinischen und griechischen Namen ausgestatteten Krankheiten des Kopfes und der Augen Blut- entziehungen in der Nase versuchsweise vorzunehmen, durchaus recht-

1) Vergl. meine betr. Arbeit in Mr. Natier's Revue internationale de laryn- gologie etc. No. 4. Avril 1892. Paris.

2) Hyrtl, Handbuch der topographischen Anatomie. B. Aufl., 1872, Bd. 1, S. 64.

182

fertigen und zwar um so mehr, als drittens, in den Ciliarfortsätzen des Auges ein richtiges, auf ein so und so Vielfaches ausdehnbares Schwell- gewebe gegeben ist, wofür ich der vergleichenden Anatomie und Physio- logie entnommene Beobachtungen und Argumente kürzlich beige- bracht habe'). Aber es erscheint doch in hohem Grade zweifel- haft, dass im obigen Falle die von Tag zu Tag fortschreitende Besserung auf diese, zudem nur einmalige Blutentziehung allein zu- rückgefülirt werden Rann; es ist vielmehr äusserst wahrscheinlich, dass die wenigstens z. Th. bewirkte Wiederherstellung erstens der nor- malen Nasenathmung in Folge der Operation wie auch der Durch- spülungen der Nase, und in der des Oefteren von mir dargelegten Weise, durch Vermehrung der Aspirationsgrösse der Lungen für das kreisende Blut, somit auch zweitens des normalen Blutunilaufs in der Nase und den Nachbarorganen einen sehr wesentlichen Einfluss hier gleichfalls ausgeübt hat. Der Versuch würde in dieser Hinsicht allerdings noch beweiskräftiger ausgefallen sein, wenn erstens irgend welche Blutent- ziehung in der Nase nicht stattgefunden hätte und wenn zweitens auch rechts, ohne jede Application von Atropin in das Auge, nur Durch- spüluDgen der Nase gemacht worden und eine Besserung des Sehver- mögens dennoch erzielt worden wäre. Das hier noch Fehlende und aus meinen Arbeiten über intraoculare Erkrankungen bei Nasenleiden überhaupt^), nicht von selbst sich Ergebende, werde ich an geeigne- ten Fällen von Iritis gelegentlich nachholen. Denn offenbar ist nicht jedweder Fall von Entzündung der Regenbogenhaut zu einem solchen Versuche geeignet, da es bei acuter Erkrankung derselben natürlicher Weise darauf ankommt, durch Anwendung eines Mydriaticum erstens die Hyperämie der Iris und somit die Schmerzhaftigkeit der Affection zu mindern, zweitens die Bildung von Synechien möglichst zu verhüten, Indicationen also, welche in dem vorliegenden Falle bei der bereits eingetretenen ausgiebigen Verwachsung der linken Iris über- haupt nicht zu erfüllen beziehungsweise bei dem Mangel jeder Schmerz- empflndung ja hinfäUig waren.

Mit Rücksicht hierauf ist es auch zu erklären, dass ich bei Durch- sicht meiner Krankenbücher nur so wenig hier zu verwerthende Fälle gefunden habe. Bei acuter Entzündung habe ich mich nicht für be- rechtigt gehalten, von der schulgerechten Anwendung des Atropins abzustehen— in dem ersten der hier mitgetheilten Fälle ist der weitere Gebrauch desselben desshalb unterblieben, weil ja bereits maximale

1) Virchow's Archiv 1891. 126. Bd., S. 467.

2) Internationale Klin. Rundschau. Wien. 1888. No. 10 und 11. BerUner Klinische Wochenschrift 1888, No. 37, 1889, No. 38. Deutsche Medicinische Wochenschrift 1889, No. 5.

Monatsschrift iür Ohrenheilkunde und Nasenkrankheiten 1886, No. 4, S. 137, 1889, No. 7 und 8.

Arch. internation. de laryngologie etc., von Ruault & Luc, No. 3, 1892.

Paris.

Münchener Mediz. Wochenschr. 1892.

183

Mydriasis bestand und es ist meistens auch noch eine Allgemeiü- Behandlung, sei es bei luetischer Grundlage durch Quecksilbereinrei- bungen, sei es bei nicht specitischer Erkrankung durch Ableitung auf die äussere. Haut mittelst Jaborandi oder dergl. vorgenommen wor- den, so dass die allerdings in fast jedem Falle gleichzeitig mit unter- nommene Behandlung der Nase oder ihrer Nebenhöhlen eben nur ein unterstützendes Heilverfahren dargestellt hat. Zwar sind durch dieses combinirte Verfahren in einer Reihe derartiger Fälle sehr schnelle Heilungen erzielt worden, desshalb wohl, weil bei Erkrankung der Regenbogenhaut auch in Gefolge einer Allgemeininfection, wie Lues, Variola und anderer, oder einer örtlichen Infection wie einer Gonorrhoe der Sexualorgane und dergl. oder einer Erkältung " der Grund für Locahsation jenes Virus oder jener Schädlichkeit gerade auf die Regen- bogenhaut in manchen Fällen beider, in anderen sogar nur des einen Auges oft oder vielleicht immer in der Präexistenz einer Circulations- störung oder einer Eiterung in der nächsten Umgebung des Auges, vornehmlich in der Nasenhöhle gefunden und diese letztere Schädlich- keit durch entsprechende Behandlung dann beseitigt wird : aber zu breiterer Fundamentirung der ganzen Frage können natürlich nur den oben mitgetheilten ähnliche Beobachtungen verwendet werden, in wel- chen also, wiebesondersin Fall 2 und 3(links)wedereineörtlicheBehand- lung des erkrankten Auges noch eine allgemein einwirkende Medication Platz gegriffen hatte. Auch im ersten Falle war die nach der Durch - Spülung im Kopfe und im Auge sofort eingetretene Erleichterung eine so auffällige, dass jener doch w es e n tli c h er Antheil bei der schnel- len Heilung zugeschrieben werden muss, w^enn schon erstens durch Anwendung der feuchten Wärme auch eine örtliche Einwirkung auf das Auge, zweitens durch die Schwitzkur auch eine allgemeine Ablei- tung hier stattgefunden hat.

Dass die Besserung im Sehvermögen des linken Auges im dritten Falle auf die Besserung des rechten Auges nicht allenfalls zurückge- führt werden kann, ist selbstverständlich, da das linke 'Auge das erst- ergriffene gewesen ist. Im Gegentheil dürfte di e Annahme eher zu- lässig sein, dass die Entlastung der angeschwollenen Regenbogenhaut und des Ciliarkörpers, besonders der Ciliarfortsätze des linken Auges einen fördernden Einfluss auf die Ausgleichung auch der rechtsseitigen Erkrankung ausgeübt habe, dass letztere somit als eine auf sym- pathischem Wege, ginz schleichend angebahnte und durch irgden welchen Umstand schliesslich stärker hervorgetretene anzusehen wäre.

Dass viele Augenärzte eine ein- oder doppelseitige Iridectomie in die- sem Falle sofort vorgenommen haben würden, in der Absicht, eine breite Verbindung zwischen der Vorderkammer und dem retroiritischen Spalte, der sog. hinteren Augenkammer herzustellen und Pupillarab- schluss zu verhüten, das ist sehr wahrscheinlich und steht ja auch in Uebereinstimmung mit der augenblicklich noch herrschenden, aber einseitigen Annahme, dass, abgesehen von dem zweifelhaften Werthe der Mydriatica und Myotica, das allein wirksame Mittel zur Herab-

184

Setzung des intraocularen Druckes nicht sowohl die Herstellung oder Anbahnung der physiologischen Circulationsverhältnisse in der näch- sten Umgebung des Auges und somit auch im Binnenraume des Eulbus, als vielmehr die Vornahme einer Iridectomie sei. Doch gibt die Rück- sicht auf die Grundsätze Anderer eine Veranlassung natürlich nicht ab, in einem concreten Falle ebenso zu handeln, wenn das Ziel den Kran- ken wieder arbeitsfähig zu machen, auch auf nicht operativem Wege erreicht werden kann, einfache und durch Berücksichtigung des ur- sächlichen Zusammenhanges wahrscheinlich auch sicherer und gründ- licher. In dieser letzteren Hinsicht sei noch besonders hervorgehoben, dass in unserem zweiten Falle eine Ausheilung jener Iridocyclitis des rechten und vollste Sehtüchtigkeit des linken Auges eingetreten ist, ohne dass die nach den Ptegeln der Schule hier unerlässlich erschei- nende Iridectomie am rechten Auge vorgenommen worden wäre. Und wenn ein Rückfall bis heute hier nicht eingetreten ist, so ist das aber- mals ein Beweis für die Richtigkeit der schon vor Jahren besonders von C. Schweigger ausgesprochenen Ansicht, dass die Ursache der Recidive bei Iritis nicht in dem Zurückbleiben von Synechien zu suchen sei.

Miltheilungen aus der Augenpraxis.

Von

Dr. F. E. D'Oench,

New York.

Wegen ihres seltenen Vorkommens dürften die beiden folgenden Fälle einiges Interesse bieten :

I. Polyp der Conjunctiva.

Frau A. L., 33 Jahre alt, hat seit etwa zwei Monaten einen kleinen Tumor bemerkt, der sich auf der Conjunctiva des untern Lides, nahe dem äussern Winkel des rechten Auges, entwickelt hat. Eine Ursache dafür weiss sie nicht anzugeben. Bei gewöhnlicher Betrachtung ist er nicht sichtbar, zieht man jedoch das untere Lid herab und lässt die Patientin nach oben blicken, so springt eine läogliche, abgeplattete Ge- schwulst hervor, die sich nur mit einiger Schwierigkeit reponiren lässt. Sie sitzt mit einem sehr dünnen Stiele nahe dem äusseren W^inkel fest, und blutet leicht beim Zusammenkneifen der Lider. Nach unten endet sie mit einem scharfen Rande, nach oben ist sie etwas abgerundet. Ihre Länge beträgt etwa 11, ihre Breite 8, ihre Dicke 4 mm., ihre Con- sistenz ist härtlich. Nach ihrer Abtragung folgte eine ziemlich starke Blutung, die aber bald aufhörte, und war der Ort, an welchem der Polyp festgesessen hatte, nachher kaum aufzufinden. Vier Wochen später kam die Frau wieder, es hatte sich ein zw-eiter Polyp von der- selben Form wie der erste, aber nur von der halben Grösse, entwickelt, der an genau derselben Stelle seinen Ursprung hatte. Er blutete sehr leicht und heftig, und wurde mit der Scheere entfernt. Alsdann wurde die Wurzel mit dem Silberstift und Glüheisen zerstört, und hat sich seit- dem kein Recidiv gezeigt. j

185

II. K r y sjt'a IJl e in der Netzhaut.

Fanny C, 24 Jahre alt, klagt über Symptome, die sich auf eiüe einfache Conjunctivitis zurückführen lassen. Mit ihrer Sehschärfe ist sie zufrieden, obwohl sie ein wenig kurzsiclitig ist (etwa 1-50 D). Der Augenhintergrund zeigt nichts Besonderes, bei scharfer Einstellung im aufrechten Bilde sieht man jedoch nach unten und aussen von der Papille eine Menge kleiner, glänzender Krystalle, die durch diesen Theil der Netzhaut zerstreut sind, die Gegend der Macula jedoch frei lassen. Dass sie sich in der Netzhaut befinden geht schon daraus her- vor, dass sie auch auf den Blutgefässen zu sehen sind. Ihre Form ist wegen ihrer Kleinheit nicht genau zu erkennen, doch sind an vielen scharfe Kanten zu bemerken, wodurch sie sich als Krystalle und nicht als drusige Gebilde zu erkennen geben.

Die Natur dieser Krj^stalle kann nur vermuthet werden. Im Allge- meinen ist man geneigt, sie für Cholesterin zu erklären, da sie grosse Aehnlichkeit mit den Krystallen dieser Substanz besitzen, die man bei Synchisis scintillans im Glaskörper findet. Eine microscopisch-anato- mische Untersuchung derselben liegt meines Wissens nicht vor.

186

NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für praktische Aerzte in Amerika. Eedigirt von De. f. C. HEPPENHEIMEE.

EDITORIELLE NOTIZEN.

15. Mai 1892.

Die Prophylaxis der Rabies.

Unter dieser üeberschrift erschien soeben in dem Bulletin general de Therapeutique ein von dem bekannten Pariser KUniker Dr. Dujardin- Beaujietz, dem dortigen Stadtratlie unterbreiteter Berieht über dieses Thema. Da der Sommer die Zeit ist, wo die meisten Fälle von Hunds- wuth vorkommen, erscheint es zeitgemäss obige Frage hier zu erörtern und den Hauptinhalt des Berichtes mitzutheilen. Letzterer enthält statistische Daten über das Verhalten der Hundswuth seit dem Jahre 1881 bis 1891. Die Zalil der in Paris an Kabies verstorbenen Menschen bildet in den verschiedenen Jahren eine Curve, delen Ascensions- und Descensionslinie Schritt hält mit der Zahl der an Rabies erkrankten Hunde, nur seit dem Jahre 1887 zeigt sich eine Ungleichheit im Verhalten beider Curven ; die Todesfälle der an Rabies erkrankten Menschen werden seltener, trotzdem die Zahl der an Rabies leidenden Hunde im Jahre 1887 und 1888 im Zunehmen begriffen ist ; diese Ungleichheit wird bedingt durch das Aufkommen der PASTEUR'schen Behandlungs- methode. Dujardin-Beaumetz weist durch statistische Belege nach, dass dieselbe die Mortalität der Rabieskranken bedeutend herabgesetzt hat. Während nämlich nach Leblanc und anderen Autoren die Mortali- tät der Rabies, wenn nicht nach Pasteur behandelt, etwa W% beträgt, ist dieselbe bei den nach Pasteur Inoculirten nicht ganz 1%. Diese Ziffern beweisen den Nutzen der PASTEUR'schen Behandlungsmethode und legen die Durchführung derselben jedem ans Herii. Obwohl aber die PASTEüR'sche Methode im Stande war, die Mortalität der Rabies so sehr herabzusetzen, so ist doch einerseits die Zahl der Erkrankungs- fälle dieselbe geblieben, andererseits sterben aber viele an der Rabies infolge nicht erfolgter Behandlung, sei es, dass die betreffenden Indivi- duen nicht gewusst haben, dass der Biss von einem tollkranken Hunde herstammte, sei es, dass es ihnen infolge von Umständen nicht möglich ist, sich der PASTEUR'schen Behandlung zu unterziehen. Will man die menschlichen Rabiesfälle ganz und gar von der Mortalitätsliste ent- fernen, so könnte man dies nur dadurch erreichen, dass man zunächst die Krankheitsursache beseitigt ; die Rabies rührt aber beim Menschen stets vom Hunde her und letzterer wieder wird niemals spontan son-

187

dern durch Ansteckung von einem an Tollwuth leidenden Hunde krank. Somit sollte man alle Mittel in Anwendung ziehen, welche dazu bei- tragen, die Erkrankung der Hunde an Hydrophobie zu verhüten. Als vorzügliches Mittel in dieser Hinsicht hat sich das Tragen des Maul- korbes seitens der Hunde erwiesen. Das in Paris bestehende Gesetz diesbezüglich lautet : 1. „Die administrative Behörde kann unter Arrest anordnen, dass sämmtliche auf den öffentlichen Verkehrs- strassen circulirenden Hunde entweder mit Maulkörben versehen sein müssen oder an der Leine geführt werden". 2. „Sobald ein Fall von Hydrophobie in einer Gemeinde constatirt worden ist, hat der Bürger- meister für wenigstens sechs Wochen die Circulation der Hunde zu verbieten, ausser wenn dieselben an der Leine geführt werden". Duj ARDIN- Beaumetz wcist nun durch statistische Zahlen nach, dass unter strenger Durchführung obiger Anordnungen in Paris die Zahl der rabies-kranken Hunde abgenommen, und unter Nichtbeachtung der- selben die Zahl wieder in die Höhe gegangen ist. D. weist ferner darauf hin, dass in Preussen und einigen anderen Ländern, (Belgien, Holland) wo obige Anordnungen seit einigen Jahren streng durchgeführt wer- den, jetzt gar keine rabieskranken Hunde und somit auch keine Hydrophobieerkrankungen unter den Menschen vorkommen.

Die Behörden Pari^' sowie ganz Frankreich's möchten auf die strenge Durchführung jener zwei Anordnungen bestehen, dann ist die Hoffnung da, dass auch aus diesem Lande die Hydrophobie ver- schwinden wird.

Es erscheint uns sehr wichtig, dass auch die amerikanischen Behör- den von den durch Dujardin-Beaumetz nachgewiesenen Thatsachen in Bezug auf Hodrophobie Kenntniss nehmen, und gleich dem Pariser Stadtrath, das Herumlaufen von Hunden auf den öffentlichen Verkehrs- strassen ohne Maulkorb und ohne Leine streng verbieten sollten.

REFERATE.

Krankheiten des Circulations- und Verdauungsapparates. Referirt von Dr. MAX EINHORN.

1. Ueber Farbenreaction des Mundspeichels. Von J. Rosenthal.

(Berlin, klin. Wochenschr. 1892, No. 15.)

Kosenthal hat die von Rosenbach unlängst angegebenen in dieser Zeitschrift ref erirten Reactionen des Mundspeichels an einem grösseren klinischen Materiale einer Nachprüfung unterzogen und kam zu fol- genden Schlüssen :

1. Jeder Speichel giebt beim Kochen mit Salpetersäure und nach- folgendem Zusatz eines Alkali eine Farbenveränderung, die der Xantho- proteinreaction sehr ähnlich und wahrscheinlich mit ihr identisch ist.

2. Die Intensität der Reaction hängt von dem Eiweissgehalte des Speichels ab ; sie ist am grössten einige Stunden nach dem Essen, hat eine mittlere Stärke bei ganz nüchternem Magen und erscheint am schwächsten kurz nach der Einnahme der Mahlzeiten, sowie bei cachectisch-marastischen Individuen.

188

In gewissen Fällen tritt im Speichel bei Behandlung mit Salzsautö ein Rosafärbung, bei Behandlung mit Salpetersäure eine schöne roth- violette Farbe auf.

4. Die Bildung und Ausscheidung des Chromogens des letzter- wähnten Farbstoffs, ist bei normalen Menschen ohne stärkere Reizung der Speicheldrüsen nicht zu erzielen ; aie Farbenreaction ist in patho- logischen Fällen von grösster Intensität bei Carcinom des Magens und bei starker Nephritis ; bei Gesunden tritt sie nur bei besonderer Rei- zung der Speicheldrüsen auf, z. B. beim Rauchen, beim Genuss von Gewürz u. ä.

2. lieber die normaliter hei jeder Respiration am Thorax sichtbaren Zwerchfellsbewegungen. Von M. Litten. (Deutsch, med. Wochen- schr. 1892, No. Vö.)

Während die älteren Autoren annahmen, dass man die Contrac- tionen des Zwerchfells nur in wenigen pathologischen Fällen sehen kann, hat Litten die Beobachtung gemacht, dass man die Zwerchfells- bewegungen als eine physiologische, ganz constante, bei jeder Respira- tion wiederkehrende Erscheinung bei jedem gesunden Manne am Thorax sehen kann, ebenso aber auch bei jedem Kranken, soweit es sich nicht gerade um eine hochgradige Erkrankung des Respirations- apparates handelt. Die Erscheinung läuft in Form einer Wellenbe- wegung ab, welche beiderseits etwa in der Höhe des sechsten Inter- costalraumes beginnt und als gerade Linie oder seichte Furche, bei tiefster Inspiration mehrere Intercostalräume weit, zuweilen bis an die Rippenbogen herabsteigt, um bei der Exspiration um das gleiche Mass wieder in die Höhe zu steigen. Bei oberflächlicher Athmung schwankt das sichtbare Spiel des Zwerchfells nur um 1 1^ Intercostalräume. Diese sichtbaren Zwerchfellsbewegungen können lediglich im Liegen wahrgenommen werden. Um die Erscheinung w^ahrnehmbar zu machen, muss der zu Untersuchende so gelagert sein, dass er ins Licht sieht, und dass das volle Licht, womöglich Tageslicht, auf den Thorax fällt, während der Beobachter vorn und etwas seitlich steht. Die Bedeutsamkeit des Phänomens liegt darin, dass es durch die Sichtbar- machung der Zwerchfellsbewegungen bei tiefer Respiration zeigt, ob die Athmung frei und ungehindert von statten geht.

Man kann hieraus Schlüsse machen auf die freie Beweglichkeit der unteren Lungenränder, auf die Ausdehnbarkeit der unteren Lungen- abschnitte und die Excursionsfähigkeit des Diaphragma. Bei pleuriti- schem Erguss sind die sichtbaren Ausschläge des Zwerchfells auf der erkrankten Seite sehr gering, während man auf der anderen Seite die Bewegungen desselben in ganz normaler Weise sieht. L. hofft, dass es ihm gelingen wird, die Excursionen des Zwerchfelis auch graphisch in Form einer Curve darzustellen.

Augenheilkunde.— Referirt von Dr. A. SCHAPRINGER.

„La Grippe as a Cause of Retro-bulbar Neuritis and other Ocular Nerve Lesions. Von John E. Weeks in New York. (The N. Y. Med. Journal, 8. August 1891.)

Ein 24jähriger Mann wurde Ende Januar 1890 von der Grippe befallen. Eine Woche darauf Sehstörung, welche bis Mitte März zunahm und von einer ganzen Anzahl nacheinander zu Rathe gezo- gener Augenärzte als Amblyopia ex abusu angesprochen wurde. Als er Ende December 1890 in Verfassers Behandlung kam, bestand beiderseits ein centrales Scotom mit unregelmässiger, nicht symmetri- scher Begrenzung und allmäligem Uebergang in das sehtüchtige peri-

189

phere Gesichtsfeld. Papillen blass, besonders die temporale Hälfte derselben. Urin normal. Syphilis, Rheumatismus, Tabes sind ausge- schlossen. Behandlung: : Tonica. Im weitern Verlaufe war eine nur geringe Besserung des Zustandes zu constatiren. Aus der vom Ver- fasser mit Umsicht zusammengestellten Litteratur geht hervor, dass von den 15 bisher bekannt gemachten Fällen von Neuritis optica ex influenza neun Fälle weibliche und nur sechs Fälle männliche Indivi- duen betrafen. Entzündungserscheinungen an der Sehnervenscheibe wurden blos in vier Fällen beobachtet, bei den übrigen elf Fällen ist von Abblassung der Papille die Rede. Annähernd vollständige Wieder- herstellung des Sehvermögens trat nur in einem einzigen Fall ein, bei allen übrigen war die mehr oder minder bedeutende Beeinträchtigung des Sehvermögens eine bleibende. Die Affection tritt bald ein- bald doppelseitig auf. Soweit die bisherigen Erfahrungen reichen, sind alle Behandlungsarten wirkungslos. (Ref. constatirte Mitte Januar 1892 bei einer 28jährigen Frau, welche ihm durch die Güte von Dr. S. Welt zugewiesen wurde und welche zwei Wochen vorher von der Grippe befallen worden war, eine Entzündung des Sehnervenkopfes und der unmittelbar angrenzenden Netzhautparthie des linken Auges. Am neunten Tage nach dem Einsat z der Intluenzaattaque war Patien- tin von starkem Stirnkopfschmerz befallen worden und den darauffol- genden Tag trat Verdunkelung vor dem linken Auge auf. Der peri- phere Theil des Gesichtsfeldes war erhalten. Das andere Auge war in keiner Weise beeinträchtigt. Patientin stellte sich nach der ersten Untersuchung nicht mehr wieder ein.)

A Gase of Orbital Cellulitis and Primary Mastoiditis Interna Complicating Influenza; Opening^ of Mastoid Process; Recovery. Von C. Zimmermann in Milwaukee. (Arch. of Otology, Vol. XXL, No. 1, 1892.)

Ein lOjähriges Mädchen wurde gegen Ende März 1891 von Influenza befallen nud bot schon am dritten Tage der Erkrankung das Bild einer linksseitigen Orbitalphlegmone von mildem Character. Die Beweg- lichkeit des Bulbus war nach oben und innen eingeschränkt und das obere Lid gelähmt, woraus Verfasser schliesst, dass der obere Theil der Orbitalhöhle der Sitz der Entzündung war. Es bildete sich keine Chemosis, woraus zu folgern, dass die Entzündung nicht indenTenon'- schen Raum vordrang. Unter Eisumschjägen gingen die Erschei- nungen am Auge zurück, dagegen trat wenige Tage darauf heftiger Schmerz im linken Warzenfortsatz auf. Gegen letztern wurde nun auch mit Eisumschlägen angekämpft, anfänglich mit scheinbarem Erfolg, später musste jedoch nichtsdestoweniger zur operativen Eröffnung und Drainage des Proc. mastoideus geschritten werden. Im äussern Gehörgang der betr. Seite zeigte sich zu keiner Zeit Eiter, das Trommelfell und die Paukenhöhle waren also nicht wesentlich angegriffen. Ausgang in Heilung. Sehr dankenswerth ist die vom Verfasser unternommene kritische Zusammenstellung der Litteratur über Orbitalphlegmone und Tenonitis nach Influenza.

On the Operative Treatment of Divergent Strabismus. Von E.

Gruening in New York. (American Ophthalmological Society

Transactions, 1891.) Zur Heilung des primären, nicht auf Muskellähmung beruhenden Auswärtsschielens, bei welchem also der Beweglichkeitsbogen unver- kürzt besteht, ist die, dem Grade des jeweiligen Falles entsprechend ausgeführte Rücklagerung der beiden Mm. recti externi vollkommen ausreichenrl und die Vornähung der Interni immer entbehrlich. Letz- teres Verfahren ist nux bei der Heilung paralytische^ Schielformen up-

190

umgänglich. Verf. tenotomirt beide Externi nach ausgiebiger Blossle- gung ihrer Insertionsstellen immer in einer Sitzung. Beträgt die Di- vergenz nicht über zwei Mm., so soll die Sehne genau an der Ansatz- stelle abgelöst werden, beträgt sie Jedoch über zwei Mm., so durch- trenne man die Sehne um so ferner von der Insertionsstelle, je höher der Grad des Schielens. Beträgt die Schielablenkung z. B. fünf Mm., so durchtrenne man die Sehne fünf Mm. hinter ihrem Ansatz an die Sclera. Den Schluss der Operation bildet eine beide Augen adducirende Sutur, welche über dem Nasenrücken geknüpft und 24 Stunden belassen wird.

Nerven-Heilkunde. Referirt von Dr. GEG. W. JACOBY.

What can we expect from the Surgical Treatment of Epilepsy? By B. Sachs. (New York Medical Journal, Feb. 20th, 1892.)

Epilepsie ist ein Symptom, nicht eine Krankheit, und häufig ist sie nur ein Glied in der Eeihe von Symptomen, welche auf organische Gehirnerkrankung hindeutet. Eälle von idiopathischer Epilepsie kommen viel seltener zur Beobachtung als man früher annahm ; viele Fälle, welche so aufgefasst wurden, müssen jetzt als abhängig von secundärer Degeneration des Cortex angesehen werden. Es handelt sich hierbei um eine schwer oder gar nicht zu erkennende Lesion mit darauf folgender Degeneration. Praktisch wird es sich darum handeln, die Entwickelung dieser Sclerose zu verhindern, oder wenn dieses nicht möglich ist, um die Effecte zu neutralisiren ; diese erste Anforderung ist allerdings eine sehr schwer zu erfüllende, da wir die genauen Ver- hältnisse unter welchen sich die Sclerose entwickelt hat nicht erkennen können ; der ursprüngliche Herd sollte aber vermindert oder aufge- hoben werden. Dieses ist gleichbedeutend mit einer Anforderung in traumatischen und organischen Fällen, sehr früh zu operiren. Ist die Sclerose einmal entwickelt, wie soll sie neutralisirt werden ? Dieses kann nur durch Excision der erkrankten Area geschehen.

Was die traumatischen Fälle von Epilepsie anbelangen, so verlangt Verfasser, dass diese Fälle verhütet werden sollten, da ihre Heilung, wenn sie einmal entwickelt sind, sehr schwer fällt ; es sollte von dem behandelnden Arzt bei jedem Falle von scUwerer Schädel-Verletzung sofort eine explorative Operation vorgenommen werden, um sich zu vergewissern, ob eine Knochendepression besteht oder nicht. Weiterhin geht Verfasser auf die Fälle von Epilepsie ein, welche mit cerebraler Kinderlähmung verbunden sind ; diese Fälle sollen eine grosse Propor- tion von allen Epilepsien abgeben, und in völlig 95 Procent dieser Fälle ist die initiale Lesion in dem Cortex zu suchen ; demgemäss scheint auch einfache Trepanation in diesen Fällen von mehr Erfolg begleitet zu sein als in den traumatischen Fällen.

A Gase of Scirrhus of the Brain secondary to that of the Breast. By Thomas Wilson. (The Lancet, February 27th, 1892.)

Dieser Fall bietet Interesse von verschiedenen Gesichtspunkten aus ; es ist wahrscheinlich, dass Carcinom des Gehirns durchaus nicht zu den Seltenheiten gehört, sondern dass viele Fälle von secundärem Gehirn-Carcinom, und auch einige von primärem Carcinom sympto- menlos verlaufen, und weil später die Schädelhöhle nicht untersucht wird, vollständig übersehen werden. In dem vorliegenden Falle gab die Gehirnerkrankung sich durch epileptiforme Anfälle und Hemiplegie kund. Alle Symptome deuteten auf ein Tumor der rechten Hemi- sphere, und da einige Zeit zuvor ein Carcinom der Brust bei derselben Patientin entfernt worden war, lag es sehr nah, dass es sich im Gehirn wohl auch um ein Carcinom handeln würde. Die Section erwiess die Bichtigkeit dieser Vermuthung.

191

Convulsiva Tic; its Nature and Treatment. By Graeme M. Ham- mond. (The Medical Record, Feb. 27th, 1892.)

Die Ansicht, welche zuerst von Demange ausgesprochen wurde, und welche jetzt fast allgemein angenommen wird, dass die verschiedenen Formen clonischer Krämpfe durch Erkrankung irgend welchen Theiles der motorischen Gehirnbahn hervorgebracht werden können, theilt Hammond nicht ; er glaubt, dass Lesion gewisser Theile der motoiischen Bahn immer von tonischem Krampf und niemals von clonischem gefolgt wird.

Indem ein grosser Unterschied in den Symptomen besteht, welche durch Lesion der motorischen oder coordinatorischen Zellen einerseits und Lesioneri der Leituiigsfasern andererseits hervorgebracht werden, hat Hammond hierauf hin ein Studium der veröffentlichten Fälle vor- genommen und kommt hiernach zu dem Schluss, dass alle Formen clonischen Spasmus, einschliesslich des Tic convulsiv, von Lesionen des motorischen Gehirn-Cortex, des Thalamus, des Streifenhügels und der Zellen-Bezirke der Brücke und der Medulla abhängig sind. Die Natur der Lesion muss eine irritative sem ; in jenen functionellen Fällen von clonischem Spasmus, bei welchen Genesung entweder spontan oder unter Behandlung eintritt, muss der irritative Process ein nicht organischer sein. Der zweite Theil der Arbeit wird der Behandlung des Tic convulsiv gewidmet ; hier hat H. die besten Resultate von der innerlichen Anwendung von Conium und Atropin gesehen und glaubt, dass die Heilwirkung dieser Mittel noch durch das gleichzeitige Verabreichen von Brompräparaten gesteigert wird.

Zur Frage von der Aetiologie der peripherischen Facialislähmung. Von M. Bernhardt. (Berliner klin. Wochenschrift, Feb. 29. 1892.)

Diese Untersuchung, welche eine Reihe von 71 Fällen betrifft, ergiebt ungefähr dieselben statistischen Resultate als Bernhardt bei früheren Arbeiten gewonnen hat. Ein Resume dessen, was über das Vorkommen von peripherischer Faciahslähmung bei Diabetes, Lues, im Puerperium, in dieser Arbeit gebracht wird, ergiebt das Resultat, dass eine gewisse Anzahl von Facialisparalysen (abgesehen von den durch Ohrenaffectionen und Verwundungen entstandenen) nicht ein- fach auf refrigeratorische Einflüsse zurückgeführt werden kann. Ob jedes Mal in den hier angeführten Beobachtungen eine wahre Neuritis des N. Facialis vorgelegen, will Verfasser nicht behaupten, sondern er glaubt, dass in vielen Fällen eine Betheiligung der Kernursprünge des Facialis an dem pathologischen Process nicht von der Hand zu weisen ist.

IJeber die Heilwirkung der Elektricität bei Nerven- und Muskel- leiden. Von Dr. Friedrich Schnitze. (Wiesbaden 1892.)

Es wird hier in etwas veränderter Form ein Vortrag veröffentlicht, welcher schon 1887 in Dorpat gehalten wurde.

Bei der Beurtheilung so schwieriger Fragen, wie derjenigen des etwa herbeigeführten Heilerfolges bei Krankheiten des Nervensystems, ist es sehr schwer unbeirrt und klar zu sehen, besonders wenn, wie es vielfach geschieht, noch andere Mittel neben der Anwendung der Elec- tricität benutzt werden. Indem wir nun aber eine genauere Kenntniss der in Betracht kommenden Krankheiten haben und die Krankheiten mit anatomischen Störungen von den sogenannten functionellen besser trennen können, sollte die Frage eine immer leichter zu beantwortende sein.

Von der Frage ausgehend, in wie weit der electrische Strom bei Nervenkrankheiten heilen resp. bessern könne, geht Schultze zuerst darauf ein, ob organische Erkrankungen, mit anatomisch nachweisbaren

192

Störungen verbunden, überhaupt durch den electrischen Strom beein- flusst werden können oder nicht. Am einfachsten zu beurth eilen wären klare und anatomisch gut studirte Fälle von peripherer Degene- ration der Nerven ; wesentliche Aenderungen in der Heilung solcher Erkrankungen wurden niemals beobachtet, auch wenn die electrische Behandlung sehr frühzeitig begonnen wurde. Geringfügige Verände- rungen unmittelbar nach einer Sitzung konnten gelegentlich beobachtet werden, indessen hielten diese anscheinenden Besserungen nur ganz kurze Zeit an und waren ohne Einfluss auf den Heilungsverlauf im Allgemeinen. In dieser Erfahrurg befindet sich S. in Uebereinstim- mung mit fast allen Neurologen und Electrotherapeuten. Ein directer Einfluss auf die Wachsthumsvorgänge in den erkrankten Nerven kann, von vornherein nicht abgeleugnet werden, jedoch fehlt hier jedwelcher direkter Beweis. Was nun die Erkrankungen des Kückenmarks, welche mit Degeneration und überhaupt mit anatomisch nachweis- baren Veränderungen desselben einhergehen, betrifft, so hat man auf die Wirksamkeit des electrischen Stromes, besonders bei der Poliomyelitis und bei der Tabes, grosse Hoffungen gesetzt.

Bei der Behandlung der Poliomyelitis hat sich Verfasser grosse Mühe gegeben, um gegen die schweren Folgezustände derselben anzu- kämpfen, aber der Erfolg war ein sehr unbefriedigender. Bei der sogenannten Poliomyelitis chronica werden allerdings bessere' Heil- resultate angegeben, indessen ist ein grosser Theil der hierher gerech- neten Fälle auf multiple Degeneration der peripheren Nerven zu beziehen. Was weiterhin die Tabes betrifft, so ist ein allseitiges Ein- verständniss vorhanden, dass eine specifische Heilwirkung der Elec- tricität bei dieser Krankheit nicht existirt, bei einzelnen Symptomen jedoch mag die Electricität von Nutzen sein.

Was die sonstigen acuten und chronischen Kückenmarkskrank- heiten anbetrifft, so ersieht man aus einem Studium der Literatur, dass nur bei solchen Erkrankungen, welche ihrer Natur nach an und für sich Besserungen zulassen, über günstige Kesultate mittelst Anwen- dungen des electrischen Stromes berichtet werden, während bei den gleichmässig progressiven Zuständen niemals von Erfolg gesprochen wird. Ganz ähnlich wie bei den auf groben anatomischen Verände- rungen beruhenden Kückenmarkskrankheiten steht es mit den ent- sprechenden Krankheiten des Gehirns.

Wenn demnach bei den anatomisch nachweisbaren groben Verän- derungen des Nervensystems kein besonderer Heilerfolg mittelst der Electricität zu erzielen ist, so sollte man meinen, dass bei den soge- nannten functionellen Erkrankungen die Sache sich anders verhielt. Diesbezügliche Betrachtungen fängt Schültze bei den Neuralgien an ; hier ist eine Thatsache sicher zu constatiren, nämlich, dass es uns noch nicht gelungen ist, den Chirurgen entbehren zu können. Bei den leich- ten Neuralgien hingegen wird die Wirksamkeit des electrischen Stromes nicht bestritten ; über die Behandlung der Ischias mit dem electrischen Strome allein besitzt Verfasser keine Erfahrungen. Bei den clonischen und tonischen Krampfzuständen hat S. nur äusserst spärliche Kesultate erzielt, und über Behandlung der Psychosen mit Electricität besitzt er" ebenfalls keine Erfahrungen. Was die allge- meinen Neurosen anbelangt, so ist von der Electricität bei Paralysis agitans nichts zu hoffen ; die Chorea minor schwindet auch ohne den electrischen Strom und über Erfolge bei Morbus Basedowii sind die Beobachtungen zu spärlich, um daraus Schlüsse ziehen zu können.

Entschieden wirksam entfaltet sich die Electricität bei der Hysterie. Zum Schlüsse erwähnt S. noch der Einwirkung des electrischen Stromes auf Erkrankungen der quergestreiften und der glatten Mus- culatur ; bei Myalgien und akutem Muskelrheumatismus ist der Erfolg

193

mcht selten günstig und rasch, immerhin ist dieser Erfolg nicht immer mit Sicherheit vorherzusagen ; die secundären Muskelatrophien nach Gelenkerkrankungen sind gewiss (ebenfalls durch die Einwirkung des electrischen Stromes günstig zu beeinflussen. Sehr günstig sind die Erfolge der verscliiedenen Applicationsweisen des Stromes bei gewissen Erkrankungen des Darmes, des Magens und der Blase.

Gynäkologie. Referirt von Dr. BRETTAUER.

Palliative Behandlung des Carcinoma uteri mit Alkohol. Von Dr. Hein- rich Schnitze. (Centralblatt f. G} näk., 1892, No. 13.)

Ueberzeugt von der baktericriden und eiweissgerinnenden Wirkung des Alkohols je nach der Auffassung der Aetiologie des Carcinouis begann Verf. seine Behandhmg der Carcinome. Es wurden 10 Fälle behandelt, doch ist die Behandlung nur in zweien abgeschlossen, deren Krankengeschichten ausfülirJich raitgetheilt werden (siehe Original). Es wurden entweder täglich oder jeden andern Tag von 5 lOCcm. absoluten Alkohols direkt in die Substanz des Uterus injicirt und nach 45 resp. 48 Sitzungen eine bedeutende Schrumpfung der Geschwulst constatirt. vorhandene ülccrationen sind geheilt, keine Blutungen mehr aufgetreten und in beiden Fällen subjectives Wohlbefinden, das im ersten Falle noch 4 Monate nach sistirter Behandlung andauerte.

[Trotz des speciell in den letzten Jahren so häufigen Auftauchens neuer Carcinomtherapien und den damit verbundenen Enttäuschungen, sowohl für die armen Patienten als auch für die ärztliche Welt, dürfte diese Behandlung ihrer Einfachheit wiegen in den weitesten Kreisen erprobt werden ; hoffenthch mit denselben Eesultaten, die uns vom Verf. geschildert werden. Ref.]

Myomectomia in graviditate. Von Dr. Strauch, Moskau. (Petersb. med. Wochensch., 1892, Xo. lO.j

Verf. fand bei einer 28jährigen im vierten Monate schwangern Frau oberhalb der linken Uterusecke eine ca. gänseeigrosse harte Ge- schwulst, die der Pat. heftige Schmerzen verursachte und für ein sub- seröses Myom gehalten wurde. Nach dreiwöchentlicher Beobachtung war die Geschwulst bis zur Grösse einer Mannesfaust gewachsen, an- scheinend fluktuirend. Die Diagnose wurde auf Ovarialcyste gestellt und da die Beschwerden sehr bedeutende waren, Laparatomie ge- macht. Es fand sich ein gestieltes Myom. Dauer der Operation von der Incision an gerechnet bis zum vollendeten Verbände, zwölf (12) Mi- nuten. Heilung und unuoterbrochene Schwangerschaft.

[Ref. vermisst nähere Angaben über das Aussehn der Geschwulst am Durchschnitte, speciell bezüglich ihres Blutreichthums, der die ge- stellte Diagnose ja leicht erklären Hesse. Da Pat. schon mehrere Jahre zuvor in Verf. Behandlung gestanden, wäre es wohl interessant zu wissen, ob bei keiner der vorhergehenden Untersuchungen das Vor- handensein eines kleinen Knotens constatirt wurde.]

Ventrofixation des Uterus mit absoluter Indication. Von Robert Asch. (Centralbl. f. Gynäk., 1892, No. 13.)

Im Centraiblatte für Gynäkologie, 1885, p. 404, hat Heileri n einen Fall beschrieben, bei dem Fritsch eine Episiokleisis ausgeführt hatte, wegen einer Blasenscheidenfistel, die nach mehreren operativen Ein- griffen nicht zur Heilung gebracht werden konnte. Nach Anlegung und Umsäumung einer Scheidenmastdarmfistel wurde die Scheide in sagittaler Richtung angefrischt und vernäht. Der Erfolg war ein voll- kommener und fühlte sich Patientin durch fünf Jahre lang vollständig

194

wohl, uriairte und menstruirte durch die Analöffaung. Da begegnete es ihr, dass sie auf einer Treppe ausgUtt und nur durch einen plötzUchen Ruck nach hinten das Gleichgewicht erhalten konnte. Dies war die Ursache von gleich nachher auftretenden Rückenschmerzen, Ueblich- keit und Erbrechen. Als A. die Pat. sah, fand er einen grossen, sehr empfindlichen retroflektirten Uterus. Aufrichtung in Narkose gelang leicht, die Erscheinungen sistirten für einige Tage, um dann in grösserer Intensität wieder aufzutreten. A. machte nun die Ventro- flxation mit gleichzeitiger Entfernung der Aduexa. Der Verlauf war ein durch mehrere Zufälle gestörter. Es entstand durch Einführung des Katheters von einer Wärterin Cystitis, die Blasenausspülungen nöthig machte, dann stiess sich aus dem Uterus ein membranöser Aus- guss ab, der aus dem Scheidenblindsack per rectum entfernt werden musste. Endlich war die Bauchwunde nicht vollständig geheilt; es restirte nach 6 Wochen noch eioe Fistel aus der ein flacher (ca. 30 Ctni. im Quadrat) Gasetupfer, entfernt wurde, der bei der Operation offen- bar vergessen worden war. Von da ab schnelle Heilung, Pat. befand sich 8 Monate nach der Operation vollständig wohl.

Pneumoniekokken im Eiter bei Pyosalpinx. Von Prof. Frommel, (Er- langen.) (Centralbl. f. Gyuäk., 1892, No. 11.)

Leichte Auslösung eines ca. kleinapfelgrossen Tumors der rechten Adnexe. Bei der Abbindung des uterinen Endes des Eileiters schneidet die Ligatur durch, es treten einige Tropfen eines rahmigen Eiters aus, von dem geringe Mengen trotz aller Vorsicht mit dem Peritoneum in Berührung kommen. Exitus letalis nach 60 Stunden unter dem Bilde einer schweren septischen Infektion. Obduktion ergibt keinen posi- tiven Befund; in der Bauchhöhle kein Eiter, kein Exsudat, Amputa- tionsstumpf nicht belegt; mässiges Lungenoedem. Die Sektion war erst 48 Stunden p. m. gemacht, daher bakteriologische Untersuchung der Bauchhöhle negativ.

Im Tubeneiter anscheinend eine Reinkultur von als Diplokokken aneinander gereihten Kapselkokken, die den FRäNKEL'schen Pneumo^- niekokken vollkommen entsprechen. Thiere, geimpft mit durch Plat- tenguss-Verfahren gewonnenen Kulturen, gingen alle schnell zu Grunde. Prof. FRäNKEL bestätigte die Identität mit Pneumoniekokken.

Kinderheilkunde. —Referirt von Dr. SARA WELT.

Haemorrhages in the New -Born. By Charles W. Townsend, M. D.

(Boston Med. and Surg. Journ., August, 1891.)

T. hatte Gelegenheit die Erkrankung an 32 Neugeborenen im Bos- ton Lying-in Hospital zu beobachten und ist dabei zu folgenden Schlüssen gekommen.

1) Haemorrhagie in neugeborenen Kindern ist fast immer eine acute, vorübergehende Erkrankung, welche in den ersten 10 Tagen auftritt; ihre Dauer beträgt 1 6 Tage.

2) Ihre Aetiologie wird vielleicht am besten durch die Infections- theorie erklärt.

3) In sehr seltenen Fällen wird die Erkrankung durch wahre HaemophiUe bedingt; manchmal liegt ihr Syphilis oder Septicämie zu Grunde.

4) Die Mortalität der Erkrankung beträgt, was auch immer ihre Ursache sein mag, etwa 7ö%.

5) Die Behandlung soll dem trausitorischen und vielleicht infectiö- sen Charakter der Krankheit entsprechen.

195

Asphyxia Neonatorum. ByC.^W. M. Brown, K.[D. (Archives of Pcdia- trics, January, 1892.)

Die Mittheilung betrifft ein schweres, nach einem protrahirten Ge- burtsakte mit der Zanj^e entbundenes Kind. Seine Hautdecken waren cyanotisch verfärbt, der P.ds unregelmässig und sehr verlangsamt, während die Athmung scheinbar aufgehoben war. B. entzog zunächst aus dem foetalen Ende der durchschnittenen Nabelschnur 2—3 Drach- men Blut und wandte nach Reinigung der Mund- und Rachenhöhle, kalte und warme Bäder, ebenso wie die Methoden von Sylvester und ScHULTZE zur Einleitung der künstlichen Athmung an, ohne jedoch irgend welchen Erfolg zu erzielen. B. versuchte nun Luft direkt in die Lungen einznblasen, indem er seinen INlund an denjenigen des Kindes anlegte. Der Thorax dehnte sich dabei aus und eine Exspiration er- folgte. Dieses Verfahren wurde durch 1^ Stunden wiederholt, worauf das Kind spontan und regelmässig zu athmen begann. [Der ange- wandten Methode wäre wohl die Katheterisation der kindlichen Luft- wege und nöthigenfalls das Einblasen der Luft durch den Katheter vorzuziehen. Ref.]

Ein Fall von Makrosomia. Von Dr. Adolf Bruenaner. (Wien. Med. Wochenschrift, No. 1, 1892.)

Während das Gewicht Neugeborener im allgemeinen zwischen 3200—3500 Gr. schwankt, wog der von grossen und kräftigen Eltern kommende Knabe bei der Geburt 4800 Gr.; im fünften Monat hatte er nahezu das Dreifache seines eigenen Gewichtes erreicht, 14,000 Gr., während gewöhnlich das Gewicht der Säuglinge im fünften Monat sich nur verdoppelt. Seine Körperlänge betrug um dieselbe Zeit 71 Ctm.; der Kopfumfang 43, und der Unterleib über dem Nabel 56.5 Ctm. Die einzelnen Organe waren alle gesund und die geistige Perception nicht zurückgeblieben. Der erste Zahndurchbruch erfolgte im dritten Monat und im sechsten Monat hatte das Kind bereits 12 Zähne,

Auffällig war die verminderte Pulsfrequenz, welche B. mit der grösse- ren Körperlänge in Verbindung zu bringen geneigt ist.

On Relapse or Recrudescence in Scarlet Fever. Two Cases, with a Note on the Literatnre of the Subject. By G. P. Boddie. (Edinb. Med. Journ., October, 1891.)

Wegen des relativ seltenen Auftretens eines wahren Recidiv's nach Scharlach, sieht sich B. zu seiner Mittheilung veranlasst.

Ein 14jähriger Knabe, Reconvalescent nach einem mässig schweren Scharlach; am 37. Tage nach dem Beginne der Erkrankung stellte sich, nach einer vorausgegangenen Erkältung, unter Frösteln und Kopfweh abermals Fieber ein; die Hautdecken aber wurden wieder von dem charakteristischen Exanthem bedeckt, welches bald von starker Desquamation gefolgt wurde. Das Recidiv dauerte 5 Wochen.

Der zweite Fall betrifft einen 9jährigen Knaben, bei welchem am 28. Tage nach dem Auftreten eines wohl definirten Scharlachs unter stärke- ren Fiebererscheinungen und Angina eine abermalige Eruption auf- trat, an welche sich eine starke Abschuppung der Haut anschloss. Es erfolgte Genesung. Zwischen der ersten und zweiten Invasion litt der Pat. an Varicellen.

Ueber abnorm kurze Incubationszeit des Scharlachs. Von Doc. Dr. Johann Bokai. (Archiv für Kinderheilkunde, XIV. Bd.)

Die Dauer der Incubationszeit des Scharlachs schwankt nach der An- gabe der älteren Autoren zwischen 8 14 Tagen; nach neueren Daten

196

beträgt sie in der überwiegenden Häufigkeit kaum 4 Tage; ja Sören- SEN beobachtete unter 38 Fällen 7 Male eine weniger als 24. Stunden betragende Incubationsdauer.

B. berichtet über zwei den SöRENSEN'schen ähnliche Fälle; beide wa- ren diptheriekranke Kinder unter 5 Jahren, welche wegen hochgradi- ger Athembeschwerden in die Diphtherieabtheilung des Stefanie-Kinder- spitales in Budapest aufgenommen wurden, während Scharlach da- selbst endemisch war; bei beiden Patienten wurde wenige Stunden nach der Aufnahme die Tracheotoraia superior ausgeführt; doch war die darnach folgende Erleichterung nur von kurzer Dauer; bald traten unter hohem Fieber erneuerte Athembeschwerden auf und nach kaum 24stündigem Spitalsaufenthalte zeigte sich bei beiden Kindern ein für Scharlach charakteristisches Exanthem. Der Exitus letalis erfolgte bei beiden weniger als 2 Tage nach der Aufnahme an Bronchitis crou- posa. Die kurze Incubationszeit ist nach B. dahin zu erklären, dass das Virus unmittelbar in die Blutbahn gelangte.

Gase of Imperforate Anus ; In^inal Colotomy. By Hamilton S. Lang- will. (Edinburgh Med. Journ., November, 1891.)

Zwei Tage alter, gesund und plump aussehender Knabe; mit deut- lich ausgesprochener Interglutealfurche; doch ohne Andeutung eines Anus. Da bei der Ih" in die Tiefe reichenden Incision an dieser Steile das untere Darm ende nicht gefühlt werden konnte, schritt L. sofort zur Ausführung der Colotomia inguinalis sinistra; nach Eröffnung der Bauchdecken wurde die Flexura sigmoidea sofort erkannt und mittelst zahlreicher und tiefer Xähte an die Wundränder befestigt; aus dem nun eröffneten Darme entleerte sich eine grosse Menge von Meconium. Watteverband. Das Kind schien den Eingriff gut zu vertragen; doch trat am fünften Tage nach der Operation Fieber auf und 2 Tage später zeigte es sich, dass eine Anzahl der Nähte aufgegangen war; aus der Wunde aber prolabirte ein mehr als 2' langes Stück des Darmes; trotz aller Versuche konnte L. nachdem Patient chloroformirt worden war, nicht mehr als die Hälfte reponiren. Tags darauf trat der Exitus letalis ein. Bei der Obduction wurde der Magen sehr ausgedehnt ge- funden; der künstliche Anus befand sich etwa 5" oberhalb des blinden Darmendes, welches unmittelbar hinter dem Blasenhalse lag.

Bakteriologe. —Referirt von Dr. LOUIS HEITZMANN.

Ueber eine bewegliche Sarcine. Von Dr. G. Maurea. (Centraiblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde. Band XI., No. 8.)

Bei der mikroskopischen Untersuchung von langer Zeit in einem Glasrohr enthaltener Ascitesflüssigkeit beobachtete M. Diplokokken und Tetraden, welche mit einer raschen Eigenbewegung begabt waren. Die einzelnen Kokken sind 1.5 u. dick. Auf der Gelatineplatte beginnt am siebenten oder achten Tage eine Verflüssigung, wobei sich ein Ziegelrothes Pigment bildet. Auf Agar zeigen die Organismen die Be- wegung nur in den ersten Tagen. Dieser Mikroorganismus kann nicht mit dem von Mendoza beschriebenen Micrococcus tetragenus mobilis ventiiculi identifizirt werden, weil letzterer die Gelatine nicht verflüs- sigt, ferner alte Kulturen Zuckerfarbe annehmen und nach Skatol riechen ; ebenfalls nicht mit Micrococcus agilis weil er auf Kartoffeln kein Wachsthum zeigt. Schon bei der Untersuchung in Bouillonkultur glaubte M. eine Andeutung richtiger Sarcinepaokete zu sehen und um sich zu überzeugen, säte er den Organismus auf Heuinfus aus. Schon am zweiten Tage konnte er zahlreiche Packete nebt Diplokokken und

197

Tetraden bemerken, welche in lebhafter Bewegung waren. Dieses Bakterium kann daher mit Recht Sarcina mobilis genannt werden, und stammt wahrscheinlich aus der Luft her.

Ein kleiner Kniff zur Gram'schen Methode der isolirten Bakterien- farbung. Von Dr. E. Botkin. (Ebenda.)

Jeder der sich mit der GRAM'schen Färbung beschäftigt, hat zuerst mit Misserfolgen zu kämpfen und zwar missglückt hauptsächlich das Entfärben, welches man erst durch gewisse Uebung bewältigen kann ; entweder bleibt das Präparat diffus violett gefärbt oder es wird zu viel entfärbt. Der Uebelstand wäre zu beseitigen, wenn man 1) das Präparat nach dem Gentianaviolett und vor dem Jodjodkalium ausspülen und 2) die Entfärbung etwas ruhiger ausführen könnte. Den beiden Zwecken schien Botkin das Anilinwasser als klare, die Anilinfarbe lösende und als Beize wirkende Flüssigkeit theoretisch zu entsprechen. Es erwies sich auch so in der That : die Schnitte oder Deckglasprä- parate wurden in Anilinwasser-Gentianaviolett gefärbt, dann in reinem AniHnwasser von der überflüssigen Farbe abgespült, und konnten so- dann viel länger im Alkohol liegen bleiben als die nach dem gewöhn- lichen Verfahren gefärbten, und kamen rein und zierlich heraus, wenn sie auch inehr als drei Minuten in der Jodlösung verweilt hatten. Be- sonders bei Milzbrandpräparaten waren die Stäbchen ganz gleichmässig gefärbt. Aehnliche Erfolge wurden mit folgenden Bakterien erzielt : Bacillus des malignen Oedems, Friedl^nder's Pneumococcus, Strepto- coccus, Staphylococcus, Bacillus des Schweinrothlaufs, der Mäusesepti- kämie, Micrococcus tetragenus und Actinomycesdrüsen.

Eine Methode zur Gewinnung von Reinkulturen der Tuberkelbacillen aus dem Sputum. Von Dr. E. Pastor. (Ebenda.)

Die Herstellung von Reinkulturen des Tuberkelbacillus nach dem von Koch angegebenen Verfahren nimmt sehr viel Zeit in Anspruch und ist das Resultat wesentlich von bacillenreichem und ganz frischem Tuberkelmaterial abhängig. Pastor ist es wiederholt gelungen, Rein- kulturen direkt aus dem Sputum und dem Inhalte phthisischer Kaver- nen zu erhalten. Das Prinzip des Verfahrens beruht auf der Platten- kultur und ist folgendes : Nachdem man sich durch die mikroskopische Untersuchung überzeugt hat, dass das Sputum sehr bacillenreich ist und verhältnissmässig nur geringe Verunreinigungen mit anderen Mikroorganismen aufweist, lässt man die Patienten wiederholt die Mund- und Rachenhöhle mit sterilisirtem Wasser ausspülen und darauf in ein sterilisirtes Reagenzglas expektoriren. Das so gewonnene Sputum wird durch Aufschütteln mit sterilem Wasser fein emulgirt und zur Entfernung von gröberen Partikeln durch ferne Gaze filtrirt. Von dem bacillenreichen Filtrat werden einige Tropfen mit flüssiger 10%" Nährgelatine vermischt, jedoch so, dass die Nährflüssigkeit da- durch nicht sehr getrübt wird. Die noch flüssige Gelatine wird sodann auf Platten ausgegossen, die bei Stubentemperatur unter Glasglocken - verschluss belassen werden. Nach Verlauf von 3 4 Tagen treten die verschiedenartigen Kolonien der das Sputum verunreinigenden Bak- terien auf. Mit der Lupe werden nun die zwischen den Kolonien klar- gebliebenen Stellen aufgesucht, vorsichtig mit einem desinfizirten Messer herausgeschnitten und auf die schräg erstarrte Oberfläche des Blutserums gebracht. Von 10 auf solche Weise geimpften Blutserum - Röhrchen wurden stets in einem, seltener in einigen, Reinkulturen von Tuberkelbacillen erhalten. Die übrigen zeigten schon in den ersten Tagen Verunreinigungen. Mit Kavernen erhält man noch bessere Resultate.

198

Macaroni als fester Nährljoden. Von Prof. G. de Lagerheim. (Zeitschrift für Bakteriologie und Parasitenkunde. Band XI, No. 5.)

Seit einigen Jahren werden bei Kartoffelkulturen bekanntlich meist Kartoffelstücke in Eeagirgläsern verwendet, da dies Verfahren viel handlicher ist. L. wendet nun statt Kartoffelstücke Macaroni an, und hat sich dieser Nährboden sehr gut bewährt. Man verschafft sich mög- lichst weisse Macaroni, die 5 mm. iin Durchmesser sind und ein Kaliber von 3 mm. haben. Dieselben werden in Stücke von 4,5 cm. zerknickt und in sterilisirte Reagenzgläser gethan. In die Eeagenzgläser thut man so viel Wasser, dass es 1 cm. über das Macaronistück steht. Die Macaronistücke werden jetzt so lange gekocht, bis sie angeschwollen und weich sind, wozu ungefähr eine viertel Stunde nothwendig ist. Das Wasser wird jetzt sorgfältig abgegossen, die Eeagirgläser werden mit Wattepfropfen versehen und in der gewöhnlichen Weise sorgfältig sterilisirt. Am Grunde des Reagenzglases bleibt etwas Wasser zurück, was aber nicht schadet. Wenn die Macaroni fertig sind, haben sie eine leicht gebogene Form. Sie sind fast ganz weiss und haben eine matt glänzende Oberfläche. Dieser Nährboden ist schneller herzustellen als der Kartoffelnährboden und beschmutzt nicht die Innenseite der Rea- girgläser. Die Oberfläche ist ebener und weisser. Einige Bakterien wachsen zwar auf Kartoffeln aber nicht auf Macaroni und können diese Nährböden auch zum Diagnosticiren verwendet werden.

Wissenschaftliche Zusammenkunft Deutscher Aerzte in

New York.

(110 West 34. Strasse.)

Sitzung vom 22, Januar 1892.

Vorsitzender : Dr. Grüening. Schriftführer : Dr. E. Fkidenberg.

Vorstellung von Patienten.

Dr. Fischer stellt vor ein 3^jähriges Kind mit Tripper und demonstrirt ein Gonokokken-Deckglaspräparat.

Discussion.

Dr. Scharlau hat mindestens vier Fälle von Tripperinfektion bei jungen Kindern beobachtet. Dieselbe rührt gewöhnlich von einer Art Coitus her, zu dem tripperkranke Dienstmädchen und dergleichen die Kinder missbrauchen, seltener von schmutzigen Instrumenten, z. B. Cathetern.

Dr. Goldenberg hat mehrere Tripperinfektionen bei jungen Kindern gesehen.

Pathologische Präparate.

Dr. Brettauer legt das Präparat einer geplatzten Tubar- schwangerschaft vor.

Die 34iährig:e Patientin hatte Anfangs August die letzten Menses. In der ersten Woche des Oktobers traten Schmerzen im ganzen Ab- domen auf, bald wieder verschwindend. Nach fünf Tagen Schmerz und Uterinblutung. Ein Arzt räumte in der Narkose den Uterus aus. Trotz Tamponade, Ergot u. s. w. hört Blutung nicht auf. Im Spitale constatirt man rechts vom etwas vergrösserten Uterus eine harte, schmerzhafte, elastische faustgrosse Geschwulst, nur mit dem Uterus beweglich. Aus dem Uterus konnte zur Feststellung der Diagnose

199

nichts ausgekratzt werden. Am 28. December neue starke Blutung. (Der Urin, verschiedene Male untersucht, ergab eine Spur Eiweiss, 1022, im Sedimente einige Eiterkörperchen). Am 31. December Laparotomie und Entfernen einer geplatzten Tubarschwangerschaft. Die Operation dauerte 40 Minuten. Kurz vor der Operation war der Puls 184, aber nicht schlecht. Sieben Stunden später Patientin anscheinend in gutem Zustande. Tags darauf Temperatur 100, Puls 178. Keine Auftreibung des Abdomens. Keine Nachblutung. Am folgenden Tage Abdomen etwas aufgetrieben. Eine Eöhre, in's Rektum eingeführt, entleerte viel Gas. Um 12 Uhr, nach tiefem Athemzug, plötzlich und ganz unerwartet Exitus. Autopsie ergiebt doppelseitige interstitielle Nephritis. Circum- scripte Peritonitis an der Operationsstelle. Das Präparat zeigt einen Embryo, der gegen Ende des zweiten oder Anfang des dritten Monates abgestorben war. Tube bedeutend erweitert. Placenta oder Decidua mikroskopisch nicht nachweisbar.

Discussion.

Dr. A. J a c o b i. Schon vor 25 Jahren behauptete Sims, dass solche Todesfälle, bei denen Fieber und Peritonitis fehlen, während das Be- wusstsein erhalten bleibt, auf akuter Sepsis beruhen.

Dr. Förster: Bei akuter Anämie, welche in diesem Falle beim Exitus die Hauptrolle spielte, tritt Sepsis etwas verschieden auf. Die Anämie war hier progressiv. Patientin blutete im Ganzen fünf Wochen. Bei Tubarsch wangeren ist das Kurettiren sehr gefährlich, da selbst ein geringer Reiz, wie das Einführen einer Sonde, Ruptur veranlassen kann.

Dr. Oberndorfer: In einem Falle von accidenteller, äusserst pro- fuser Blutung in der Wehenperiode starb nach vier Tagen die Mutter mit ungeheuer schnellem Pulse, aber trotz fötiden Ausflusses ohne Fieber.

Dr. Brettauer hat akute Sepsis ohne Fieber öfters beobachtet, jedoch waren Gesiehtsausdruck und Puls charakteristisch und wurden post mortem immer ausgesprochene Veränderungen an der Milz con- statirt.

Dr. Willy Meyer stellt eine Patientin vor. Patientin, 52 Jahre, im letzten Sommer. Alle Zeichen einer stricturirenden Mastdarm- Neubildung. Nach vier Monaten war Tumor vereitert. Man konnte in Narkose obere normale Schleimhaut fühlen. Vorbereit acht Tage lang, (darauf zehn Tage lang kein Stuhl), Operation nach Keaske, Bardenheuer in der Knieellenbogenlage. Nach Entfernen des Tumors, mit doppelter Naht beide Enden vereinigt. Nach zehn Tagen erster spontaner Stuhl. Prima intentio. Heilung mit trefflich functionirendem Sphinkter.

Dr. Brettauer. Ein Fall nach HoHENECK'scher Methode ver- heilte gut. Bei dem ersten Stuhl platzte der Darm und die ganze Wunde musste wieder eröffnet werden.

A. J a c o b i legt ein Herz mit ulcerativer Endokarditis, herrüh- rend von einem Falle von Septico-pysemie vor.

Ein seit 3 4 Wochen leicht kränkelndes Kind sah Jacobi vor 11 Tagen zum ersten Mal. T. 105 106°, Zunge normal. Kein erklärender Befund. Puls ging bald in die Höhe, 130 bis 140. Später einige Schmerzen in der Muskulatur. Alle Medikamente waren umsonst, bis auf Natr. Salicylicum, welches die Temperatur herunterzu- drücken schien. Probe war negativ. Am dritten Tage wurde .über dem Herzen ein systoliches Geräusch gehört, welches nach 2 Tagen permanent verschwand. 6 Tage lang konnte Diagnose nicht

2ÖÖ

gestellt werden. "Dann bemerkte man eine leichte Anschwellung in der Trochantergegend, welche bis zum folgenden Tage ohne viel Schmerz zu einer bedeutenden Schwellung gediehen war. Also Ulce- röse Endokarditis mit Osteomyelitis. Der Abscess wurde eröffnet. 2 Tage später Exitus. Als Eingangspforte der Infection fand man eine kleine offene Stelle an der Wange, welche durch Kratzen mehrere Wochen hindurch offen gehalten worden war.

Autopsie ergab: Eiter im Knochen. Epiphyse abgelöst. Alle Organe normal bis auf linke Lunge (Intra vitam leichte Dämpfung), an der pleuritischer Erguss, eine Reihe von Infarcten und pneumoni- schen Infiltraten gefunden, und Herzklappen normal, aber in der Scheidewand zwischen beiden Vorhöfen tiefes circuläres Geschwür, (mit Kokken übersät). An Gelenken sowie im Unterzellgewebe keine Veränderung.

A. J a c o b i legt ein Präparat von Lipomatosis des Bauchfells vor.

An dem 60-jährigen, an chronischen Diarrhöen stark herabgekom- menen Patienten, fiel der gewaltig dicke Bauch auf. Die Diagnose wurde auf Carcinom des Darmes gestellt. Sektion ergab grosse Fett- massen des Bauchfells speciell der Appendices Epiploicae.

B. Sachs legt vor das Schädeldacheines 4-jährigen, idiotischen und microcephalischen Kindes, an welchem nach einer von Gerster im letzteu Frühliüg ausgeführten Kraniotomie eine mässige aber un- verkennbare Verbesserung im geistigen Verhalten beobachtet wurde, welches aber einer zweiten 5 Monate späteren Kraniotomie 12 Stunden nach der Operation erlag. Die erste Schädelwunde ist mit ziemlich straffem Bindegewebe ausgefüllt. Das Gehirn ist nach rückwärts von der Präcentraifurche gut entwickelt, nach vorn schlecht. Dieser Befund ist bei Idioten-Gehirnen recht häufig. Die Kraniotomie sollte deshalb vorn in beiden Erontalbeinen und nicht, wie Lannelongue es angiebt, ausgeführt werden. Die Operationsresultate sind nicht günstig. Der Tod ist bei Kindern häufiger wie bei Erwachsenen. Je- den microcephalischen Schädel zu operiren ist Unsinn. Nur solche Fälle sind chirurgisch zu behandeln, in denen die mangelhafte Schädel- bildung direkt die mangelhafte Gehirnbildung bedingt hat; so durch prämature Synostose, aber auch durch congenitale Kleinheit des Schädels.

Discussion.

S c h a r 1 a u hat sich nicht für die Berechtigung der Operation ent- scheiden können. Im vorliegenden Falle besteht eine angeborene mangelhafte Bildung der Frontallappen. Was nützt da die Operation. Wenn es wachsen will, so treibt das Gehirn den Schädel auseinander, wie z. B. beim Hydrocephalus.

A. J a c o b i. Lannelongüe's Berichte stempeln ihn als einen Enthu- siasten, der nicht weiss, was Microcephalus ist. Microcephalus ist eine Gehirnhemmungsbildung, bei der die grossen Hemispheren oder die Basalganglien, oder beide— anstatt harmonisch klein zu bleiben— mehr oder weniger defect sind. Die Stirn ist eng. Der Schädel in der Regel dünn. Die Fontanelle bleibt lange offen. Die Fontanellenenden lassen sich verschieben. Also kein Druck. Vor 35 Jahren veröffentlichte er seine erste Arbeit über frühzeitige Schädelverknöcherung. Seitdem hat er gewiss 1000 Microcephalenschädel untersucht. Die frühzeitige Ver- knöcherung kann Kleinbleiben des Gehirnes bedingen. Da könnte die Operation nützen.

Willy Meyer hebt die grosse Gefährlichkeit der Operation her- vor. Er verlor einen Fall nach einfach linearer Kraniotomie an Meningitis, einen anderen bei dem die Dura gespalten und Punktionen gemacht wurden, trotz massigen Blutverlustes, nach 4 Stunden an

201

Schock. Peck in Buffalo hat guto üperationsresultate in einzelnen Fällen monatelang beobachtet.

B. Sach s. Eine vorurtheilsfreie Sichtung der Berichte wird jeden- falls die Berechtigung der Operation in sorgfältig ausgewählten Fällen klar maclien. Bei dem microcephalischen Gehirne handle es sich nur um Inhibition des Wachsthumes der höchsten Nervenelemente; die von Jacobi beschriebenen gröberen Defekte kaemen in die liubrik der Porencephalie. Dass im vorliegenden Fall die Frontallappen congenital defekt waren, sei unerwiesen. Die praktische Schwierigkeit im einzel- nen Falle ist, zu bestimmen, ob unter dem kleinen Schädel ein kleines Gehirn steckt.

A. J a c o b i. Microcephalie ist im wissenschaftlichen Sinne ein kleiner Schädel über dem kleinen Gehirne, Porencephalie ist ein ganz anderer Vorgang. Man kann fast in jedem Falle feststellen, ob früh- zeitige Verknöcherung oder mangelhafte Gehirnbildung vorliegt. Bei Kindern von 4 8 12 Monaten bedeutet ein harter- Schädel immer früh- zeitige Verknöcherung. Bei Kindern von 2 und mehr Jahren ist die Sache etwas schwieriger. Die frühzeitige Verknöcherung befällt nicht nur den Schädel sondern auch die Gesichtsknochen. So treten die Zähne frühzeitig auf. Die ersten Zähne brechen schon im dritten oder vierten Monate durch und zwar nicht in der gewöhnlichen Ptcihenfolge ; indem die oberen Incisoren zuerst durchkommen. Tritt Nichtpulsiren des Kopfes als Symptom noch hinzu, so ist die Diagnose ganz sicher gestellt. In solchen Fällen wäre eine Operation statthaft.

Schluss und Vertagung.

Sitzung vom 27. Februar 1892.

Vorsitzender: Dr. Balser. Schriftführer: Dr. E. Fridenberg.

Vorstellung von Patienten. Dr. D' O e n c h stellte ein ihm durch die Freundlichkeit von Dr. Caill^ zugewiesenes Mädchen mit folliculärem Trachom vor. Das linke Auge ist durch Ausdrücken der Körner mit der Zange behandelt wor- den, das rechte ist zum Vergleiche noch in seinem früheren Zustande belassen worden. Er bespricht kurz die Anwendung der Methode, und hält sie besonders für Fälle wie der vorliegende geeignet.

Diskussion.

Dr. E. Fridenberg hat eine grössere Anzahl Trachomfälle mittelst Zangenexpression behandelt. Die Eesultate waren äusserst günstige. Die Heilung erfolgt in einigen Wochen unter einfacher Nachbehandlung. Die Infectiosität hört sofort auf; subjective Be- schwerden verschwinden. Die Methode ist als entschiedener Fort- schritt zu bezeichnen.

Dr. G. W. J a c o b y stellt einen 17 Jahre alten Patienten vor, welcher an Diabetes, Epilepsie und einem eigenthümlichen Hautaus- schlag leidet. Der Zusammenhang und die aetiologische Entstehung dieser Symptome wurde von Dr. J. besprochen.

Diskussion:

Dr. Leviseur sah das Gegenstück zu dem vorgestellten Falle bei einem Diabetiker, w^elcher längere Zeit mit Brom behandelt worden. Der Ausschlag trat wieder auf, als Patient, welcher an Lues litt, Jod nahm. Trotzdem dieser Ausschlag dem Molluskum contagiosum sehr

ähnlich ist, und in der Lokalisation sich von der Bromacne unterschei- det, glaubt er, dass es sich um eine medikamentöse Hautkrankheit handelt. In seinem Falle ging der Ausschlag auf Bäder und Aussetzen der Medikamente zurück.

Dr. P o 1 i z e r hält den Fall nicht für Bromacne. Efflorescenzen sowie die Lokahsation sprechen dagegen. Es fehlt papillomatöse Wucherunec der grösseren Efflorescenzen. Es ist dies einer der seltenen Fälle von Xanthoma Diabeticorum. Sechs solche Fälle sind beschrieben. Einen hat er gesehen.

Dr. Goldenberg verwirft beide Diagnosen, ohne selbst eine stellen zu wollen. Bromacne könne nicht vorliegen, da im Handteller keine Talgdrüsen existiren. Beim Xanthoma Diabeticorum kommt es nicht zum Zerfall.

Dr. Heitzmann entscheidet sich für Xanthoma Diabeticorum.

D r. A. J a c o b i hat blos einen einzigen Fall beobachtet, in dem bei Diabetes Epilepsie auftrat, und zwar bei einem 16-jährigen Jungen. Im vorgestellten Patienten sind Radialis, und scheinbar auch Carotis sehr klein. Es wäre interessant die Arterien zu messen. Atheroma- töse Entartung der Arterien stellt sich sehr früh ein bei Diabetes mittleren Alters. Vielleicht hegt eine abnormale congenitale Anlage der Gefässe vor und beruht der Hautausschlag auf Gefässstörung durch congenitale Kleinheit bedingt."

Dr. Koller stellt ein Kind mit tuberkulöser Iritis vor.

Dr. Keller stellt einen Fall von Poliomyelitis und Polioencepha- litis anterior superior acuta vor. Der Patient, ein 6-jähriger Knabe, war vor 14 Tagen des Nachts aus dem Bette gefallen, von welchem Vorfalle der Vater des Knaben sein Leiden datirt. Es bestand Schie- len (Convergenzstellung der Augen), lähmungsartige Schwäche des rechten Armes und auch des rechten Beines. Das linke Bein zeigt gegenwärtig etwas erhöhte Temperatur, scheint aber sonst normal zu functioniren, soweit es eine an der grossen Zehe vorhandene Onychie zu beurtheilen gestattet. Der rechte Arm zeigt deutliche Herab- setzung der Muskelkraft; Druck der Hand sehr schwach. Die Augen stehen in Convergenzstellung, woran eine beiderseitige Lähmung des Abducens Schuld trägt; weder das rechte noch das linke können über die Mittelstellung hinaus nach aussen gedreht werden. Es soll auch Sprachstörung vorhanden seih, wahrscheinlich articulatorische, doch ist dies nicht mit Sicherheit zu ermitteln. Das früher lebhafte Kind soll seit dem Bestehen der Affection an Intelligenz beträchtliche Ein- busse erlitten haben.

In Anbetracht der Schwierigkeit, die gegenwärtig bestehenden Symptome von einer Verletzung abzuleiten, ist der Vortragende geneigt, den Fall aus dem Bette als secundär zu betrachten und die Affection als eine rechtsseitige Poliomyelitis anterior acuta mit gleichzeitigem Ergriffensein der Kernregion des Abducens beiderseits, also eine Polio- encephalitis anterior superior acuta aufzufassen.

Discussion,

Dr. Schapringer stellte dieser Versammlung vor einigen Jahren einen Fall von Miliartuberkulose der Iris vor. Eine lethale Prognose wurde gestellt. Das Kind starb nach einigen Wochen.

Dr. B. Sachs stellte einen sehr deutlichen Fall Morvan'scher Krankheit vor. Es handelte sich um einen Küchengehülfen im Alter, von circa 38 Jahren, der vor 4 Jahren viel mit Soda zu waschen hatte. Es sollen sich seit der Zeit die verschiedensten Veränderungen an den Fingern, hauptsächlich an der linken Hand, entwickelt haben. Zuerst Anschwellung, dann ein Panaritium an dem Zeigefinger, das schmerz- los geöffnet wurde; seit der Zeit die deutlichsten Anschwellungen der

203

Haut, Verkrümmunj? der Nägel und Schwellung sämmtlicher Weich- theile der Endphalangen, tiefe Sehrunden. Ausserdem Atroi)hie der intorossei ; fernerhin wurden bei der Untersuchung die deutlichsten Sensibilitätsstörungen constatirt. Verlust des Schmerzgefühls und des Temperatursinns bei Erhaltung der lokalen Sensibilität. Muskelsinn auch ganz normal. Die Aehnlichkeit zwischen dieser Erkrankung und Syringomyelie sei eine sehr frappante, nur wäre bei der Morvan'sclien Krankheit die periphere neuritis scheinbar der Ausgang der Erkran- kung.

Präparate.

Dr. Scharlau demonstrirt einen Gehirntumor. Derselbe stammt von einem 9-jährigen Kinde, welches vor G Monaten auf der Strasse fiel, bewusstlos liegen blieb und eine rechtsseitige Hemiplegie in Hemiparese übergehend zurückbehielt. Das Kind wurde im Mt. Sinai Hospital behandelt. Ophthalmoskopisch wurde Stauungspapille nach- gewiesen. Sonstige Symptome von Tumor fehlten. Ungleichmässige Formation des Schädeldaches war ausgesprochen. Die Suturen waren stark auseinander getrieben, ihre Decken nach aussen gewölbt. Die Diagnose wurde auf intimen Hydrocephalus gestellt. Gerster ver- suchte nach Trepanation den Unken Ventrikel zu punktiren. Flüssig- keit wurde nicht entleert. Das Kind starb am folgenden Tage.

Sektion ergiebt einen halbzolllangen Osteophyten, daneben einen enorm grossen Tumor, der vom Cortex bis in den Ventrikel hinein- reicht.

Dr. Adler demonstrirt. a) Multiples Aneurysma. Der 59-jährige Mann litt an hochgradigem chronischen Emphysem und an einem ge- wundenen Aneurysma der rechten Carotis. Von inneren Aneurj^smen keine subjectiven Symptome und wegen des Emphysems keine objek- tiven Zeichen. Die Sektion ergiebt: Aneurysma bulbi et Arcus Aortae, Seitliches sackförmiges Aneurysma der Bauchaorta.

b) Hochgradige atheromatös entartete Aorta eines 70-jährigen Mannes. Derselbe litt an allgemeiner seniler Degeneration. Einige Tage vor dem Tode traten an den unteren Extremitäten geröthete und inflltrirte Stellen auf. Es bildeten sich Blasen, dann Gangraen. Dieser Befund wurde als Thrombose resp. Embolie der Hautarterien durch Verschluss mittelst atheromatoeser Partikel aus der Bauchaorta ge- deutet, was durch die Section bestätigt wurde. Es fanden sich näm- lich an Bauch und Brustaorta atheromatoese Geschwüre mit Fibrin- gerinnsel bedeckt. In der Niere Abscesse zum Theil auf Embolien zurückzuführen, zum Theil Folge einer eitrigen Cystitis.

c) Allgemeine akute Sarkomatose. Der 24-jährige Patient war 2 Wochen lang krank mit Anschwellung des Bauches und Dyspnoe. Man fand bedeutende Ascites, Anasarca, Hydrothorax, Hydropericardium. Hochgradige Anaemie.

Sektion ergab Sarkom in allen Organen des Bauches und der Brust- höhle, besonders massenhaft in Mediastinum, Zwergfell, Bauchfell und retroperitonealen Drüsen. Die Affektion verbreitete sich offenbar erst über die serösen Häute und Lymphbahnen.

Mikroskopisch Exquisitis Lymphosarkom, i. e. Unmassen Lymph- körperchen ohne Pteticulum oder Intercellularsubstanz.

Es handelt sich beim allgemeinen akuten Lymphosarkom wahr- scheinlich um eine Systemerkrankung, wo infektives oder auch nicht, in den Lymphkörperchen massenhaft gebildet und in den Geweben abge- lagert werden.

ö) Prostata eines 57-jährigen Mannes. Derselbe erfreute sich in den letzten Jahren der besten Gesundheit. Im November vorigen Jahres traten Geschwüre im Nacken und an den Händen auf. Patient wurde

204

missmuthig, war appetitlos, fieberte leicht: Es folgten Geschwüre im Mund, am Kiefer, nicht an den Zähnen. Die Geschwüre an den Fingern wurden nie eitrig. Es bildeten sich Infiltrate, Blasen und dann ging der Process zurück. Sämmtliche Geschwüre verschwanden. Nach 8 Tagen traten Blasenbeschwerden auf, und zwar öfters schmerzhaftes Uriniren. Urin nicht verändert. T. 102'' 104°. Der linke Prostata- lappen war vergrössert, teigig, schmerzhaft auf Druck. Diagnose. Eitrige Entzündung des linken Prostatalappens. Derselbe wurde von Lange punktirt. Kein Eiter. Nach einer halben Stunde T. 107°. Am folgenden Tage Freilegung der Prostata vom Eectum aus. Punktion nach allen Seiten. Kein Eiter. T. 108^, Schüttelfrost. Tags darauf Kollaps. Exitus.

Section ergab. Körper normal bis auf septische Milz und in dem linken Prostatalappen multiple kleine Cysten mit jauchigem Inhalte.

Trotz der vielfachen Punktion waren die Heerde verfehlt worden. In einem ähnlichen Falle würde Adler mit dem Paquelin durchschnei- den. Wahrscheinlich bestand die Prostataaffection schon lange. Die Geschwüre waren der Ausdruck der septischen Allgemeinerkrankung.

Diskussion:

Dr. Goldenberg. Der Patient gab an, dass er einige Wochen vor dem Auftreten der Hautaffektion sich am Finger verletzt habe. Yon dieser unscheinbaren Wunde wird wohl die Inf ection ausgegangen sein.

Dr. K a m m e r e r hat 4 5 Prostataabscesse vom Perineum aus er- öffnet, nachdem die Punktion Eiter ergeben. Einen ähnlichen Fall hat er nicht gesehen.

Dr. Krug demonstrirt das Präparat einer Extra-uterinen Schwan- gerschaft, welche intra vitam diagnosticirt und glücklich durch Lapa- ratomie entfernt wurde.

Schluss und Vertagung.

Tereiii Deutscher Aerzte iu San Francisco.

Kegelmässige Sitzung vom 2. Februar 1892. Vorsitzender : Herr Kosexstien.

Tagesordnung. Diskussion über die letzte Influenzaepidemie.

Herr Krotoszyner kommt auf die Fälle zurück, deren Besprechung in der vorigen Sitzung begonnen wurde. Es handelte sich um drei Kinder in einer Familie, welche unter acuten Erschei- nungen in zwei Tagen starben. Trotz der erhobenen Bedenken halte er daran fest, dass hier eine schwere Influenzainfection vorgelegen habe. Inzwischen hat Redner noch einen ähnlichen Fall beobachtet : ein 4jähr. Knabe erkrankte am 5. Januar 1892 Nachmittags, um 9 Uhr Abends wurde eine Temp. von 103°, Puls 128, Resp. 40 constatirt. Patient war nicht benommen sondern im Gegentheil ziemlich munter, eine halbe Stunde später aber wurde er etwas soporös. Am nächsten Morgen Temp. 105,5, Puls unzählbar, Resp. 80. Sopor. Dr. Rosenstirn wurde dann zur Consultation hinzugezogen. Temp. stieg auf 106.° Am Thorax LHU. spärliche Rasselgeräusche und circumscriptes Bron- chialathmen ; sonst nichts Besonderes an den Lungen. Die Pupillen reagirten nicht, der Puls war unzählbar, das Abdomen war nicht ein- gezogen. Um 1 Uhr Nachmittags Exitus. In derselben Stadtgegend hat der Vortragende noch einen Fall ein paar Tage später beobachtet.

205

In den ersten drei Fällen wären Spuren von Eiweiss im Urin gewesen, in den anderen Fällen wäre der Urin nicht erhalten worden. Aus Mangel an sonstigen Symptomen müsse die Diagnose auf Grippe lauten, Meningitis, Pneumonie, Unterleibsaffektion wären nicht anzu- nehmen. Es sei hervorzuheben, dass alle Fälle in derselben Nachbar- schaft vorkamen.

Herr Eosens tirn: Eine Meningitis sei in dem erwähnten Falle als causa mortis docli nicht ohne weiteres abzuweisen. Die Pupillenstarre, der schnelle Puls, der Sopor machten grade den Ein- druck einer Meningitis ; aber diese Meningitis beruhte eben auf Influenzainfection.

Herr Kreutzmann nimmt auch eine Erkrankung des Centrai- nervensystems an, mahnt aber zur Vorsicht in der Deutung solcher Fälle. Er habe in Deutschland während des Besteliens einer Masern- epidemie Krankheitsfälle gesehen, wo, auch ohne dass ein Exanthem vorhanden gewesen, bei sehr hohen Temperaturen der Tod bald erfolgt sei. In der letzten hiesigen Grippenepideniie seien bei manchen Fällen die typhösen Erscheinungen besonders ausgeprägt gewesen, so dass die Diagnose Typhus fast gestellt worden wäre, doch haben sich die Patienten schnell erholt.

Herr Stern: Bei allen Infectionskrankheiten kommen mitunter foudroyante Fälle vor. Unter den Indianern auf den Keservationen in Arizona hat die Grippe stark gewüthet ; überhaupt richten sonst unschuldige Epidemieen, wie Morbilh, unter den Indianern Ver- heerungen an.

Herr Kosenstirn: der besonders heftige Kopfschmerz bei catarrhalischer Grippe sei während der letzten Epidemie auffällig gewesen.

Herr Kreutzmann hat diesen heftigen Kopfschmerz auch in den vorhergehenden Epidemieen beobachtet.

Dr. Newmakk,

Schriftführer.

Sitzung vom 1. März 1892.

Dr. Kreutzmann berichtete über die von ihm in 1891 im Deut- schen Hospitale ausgeführten Laparotomien.

Es wurde an 10 Patienten 11 Mal operirt, ein Todesfall. Indication war sechsmal Ovarialtumor, dreimal Pyosalpynx: einmal wurden die Uterusanhänge entfernt, um anticipirten Klimax zu erzielen, einmal Probeincision gemacht.

Im Einzelnen waren die Fälle folgende :

O V ;x r i o t o m i e während der Schwangerschaft im 3. Monate. Mehrgebährende; uniloculäre Cyste der rechten Seite von der Grösse des Kopfes eines Neugeborenen, leichte Operation, glatte Hei- lung; Pat. erwartet ihre Niederkunft täglich.

Doppelseitige Ovariotomie. NuUipara; beide Tumoren intraligamentär entwickelt, im Becken eingekeilt (Diagnose war auf Uteruslibroid gestellt worden), mit Schwierigkeit ausgeschält. Tod am vierten Tage p. op.; keine Autopsie. Es bleibt unentschieden, ob der Tod verursacht war durch septische Poritonitis (kein Tympanites, kein Erbrechen, Abgang von flatus und faeces),oder durch Bronchopneu- monie (chron. Bronchitis, Trachealrasseln bald p. op.) in Folge der Aetherinhalation.

Entfernung beider kleincystig entarteter Eier- stöcke; Ventrofixatio uteri retroflecti (1 tiefe Seidennaht). Nullipara. Genesung langsam, 5 Monate nach der Operation Ulterus vertical ge- lagert.

206

Ovariotomie wegen kleiner intraligamentärer Cyste; Nullipara. Glatte Heilung.

Bauchs clinitt wegen intraligamentärer Ovarialcyste. Nullipara; Cyste wiederholt von der Vagina aus punktirt; blutige Zer- setzung des Cysteninhalts. Pie Ausschälung gelang mit Schwierig- keit, ein Stiel Hess sich nicht bilden, desshalb Fixirung des Cysten- restes in der Bauchwunde. Glatte und rasche Heilung, völlige Gene- sung von langjährigem Siechthum.

Bauchschnitt wegen intraligamentärer Ovarial- cyste; Nullipara. Cyste kinderkopfgross, war von der Scheide aus punktirt; Cysteninlialt Eiter; Därme unlösbar verwachsen, beim Lösungs versuch wird der Darm auf 3 Centimeter weit aufgerissen; LEMBERT'sche Naht; Cyste in Bauch wunde eingenäht. Langsame Heilung ; Beckenexsudat, von Vagina aus eröffnet. Der Tumor schrumpft, eine Fistel existirt noch, ebenso Schmerzen 5 Monate nach der Operation.

Salpyngotomie wegen septischer linksseitigen Pyosalpynx; Glatte Heilung.

Bauch schnitt zur Entfernung fistulösen Gewebes nach doppelter Salpyngotomie wegen gonorrhoischer Pyosalpynx. Es bildete sich ein abgekapseltes seröses Exsudat in der linken Seite, für welches nochmals die Bauchhöhle geöffnet wurde, Drainage nach der Scheide durchgehend. Langsame Heilung.

Entfernung der er k ran ktenAn hänge (chron. Pelveoperi- tonitis) bei einer Melancholica mit profusester Menstruation zur Er- zielung eines anticipirten Klimax. Trotz Erfolg bez. Menses führte der Fall zur Irrenanstalt.

Pr o b ei n eis i o n , Diagnose: Pyosalpynx; es handelte sich um einen Psoasabscess, der das Beckenperitoneum abhob und so eine EiteransaramluDg im Peritouealraume vortäuschte. Glatte Heilung von der Laparotomie. Anderseitige chir. Behandlung.

Der Vortragende erwähnt, dass er die Tkendelenburg'scIic Becken- hochlagerung mit Vortheil häufig anwendet; neuerdings ist er wieder zur Anwendung des Chloroforms zurückgekehrt. Nach seiner (und vieler Anderer!) Erfahrung bedeutet eine glatte Heilung " nach der Operation nicht immer eine Heilung der Beschwerden für welche die Operation unternommen wurde, besonders in den Fällen, wo das Beckenperitoneum durch infectiöse (septische oder gonorrhoische) Vorgänge in Mitleidenschaft gezogen ist.

Hierauf demonstrirte Dr. Kreutzmann ein Präparat klein cystischer Entartung der Ovaria bei Eetroflexio Uteri.

Schluss der Sitzung.

Dr. Newmark, Schriftführer.

Biicliertisch.

Lehrbuch der Hebammenkunst von Dr. Bernhard Sigmund Schnitze» Geheimen Hofrath. u. s. w. X. Auflage, Leipzig : Wilhehn Engel- mann, pp. 380.

Eine neue Auflage dieses verdienten und so wohlbekannten Buches kann, wenn auch ohne wesentliche Aenderungen herausgegeben, nur mit Freuden begrüsst werden, da sie den zunehmenden Bedarf des Werkes am Besten illustrirt.

Sollte irgend einer der CoUegen in die Lage kommen, ein Lehrbuch der Hebammenkunst an Hebammen, Wärterinnen, oder sonst zu empfehlen, so ist das ScnuLTZE'sche bei weitem das Beste.

207

Clinical Observations of Occipito-Posterior Vertex Presentations. By S. Marx, M. D., N. Y. Autbors' repiiut froiu the Am. Journal of Obstetrics, Vol. XXV, No. 2, 1892.

M., welcher 11 Fälle vou (primären) Vorderhauptlagen (III. und IV. Schädellage) gesehen hat, hat nur viermal der Natur ihren freien Lauf g< lassen mit gutem Erfolge. Er behauptet aber, man solle eingreifen, wenn der Kopf sich nicht einstelle und zwar mit Forceps oder manueller Beuge des Kopfes, und wenn der Kopf sich im Becken nicht gedreht habe, durch „forcible" (künstliche) Kotation. Nur zweimal hat er mit der Zange den Kopf niclit rotirt extrahiren müssen, beide Male mit tiefem Dammriss.

Bei dieser Polypragmani fehlen leider die Kesultate bei Mutter und Kind. [Das Studium des platten Beckens ist jedem Arzte zu emijfeh- len, Ref.]

Zur Frage der inneren Desinfection Kreissender. Dr. E. Bumm, Privatdocent in Wurzburg. Centraiblatt für Gynäkologie, No. 5. März 1892.

„Normales Scheidensekret enthält keine pathogenen Keime, es schützt vielmehr direkt gegen die Ansiedlung solcher. Besondere Massnahmen gegen dieses Sekret sind desshalb nicht angezeigt. Bei eitriger Sekretbeschaffenheit (in ca. 40—50 Procent der Fälle) sind Kokkenformen nachgewiesen, welche mit den Infektionsträgern der menschhchen Sepsis identisch sind. Gerade diejenige Pilzform aber, welche wir regelmässig bei der puerperalen Sepsis antreffen, der Streptococcus ist im eitrigen Sekret nur vereinzelt gefunden worden. Die pathogenen Kokkenformen der Scheide sind nicht im Zustande der Virulenz. Dass diese Pilze bei normalem Geburtsverlaufe virulent und damit schädlich werden können und desshalb ihre Ausschaltung durch die innere Desinfektion Nutzen stiftet, ist durch die klinische Beobachtung bis jetzt nicht bewiesen, ja nicht einmal wahrscheinlich gemacht worden."

Bei operativen Eingriffen dagegen ist es geboten, den Scheidenkanal vorher zu desinficiren wegen der möglichen Verschleppung der Fäul- nisskeime in das Cavum Uteri. Ob die septischen Keime bei pathologi- schen Geburten leichter virulent werden, ist noch nicht klargelegt.

C. A. Von Ramdohr.

The Pocket Pharmacy with Therapeutic Index, by John Aulde, M. D.

(New York, D. Appleton & Co. 1892.)

Die Tendenz dieses kleinen Werkchens ist, der Verabreichung von fertigen Medicamenten durch den Arzt das Wort zu reden und beson- ders die WYETH'schen Tabletten zu empfehlen. Das vorliegende Buch erscheint uns keineswegs im wissenschaftlichen Tone geschrieben. Dieses kann man leicht aus folgender Stelle der Vorrede ersehen : „The author believes that it will prove especially useful to the recent graduate who, while supposed to be intellectually rieh, is often tech- nically poor. To write in a proper manner a complicated prescrvpüon in tJie presence of a patient is Ukely to cause a mental strain not exceeded in passing the examination inpractice or materia medica.'' Wollten die Aerzte nach den Angaben des Verfassers handeln, so dürften sie wohl niemals die Fertigkeit gewinnen, ein ordentliches Rezept zu schreiben.

Elektrotherapeutische Studien. Von Dr. Arthur Sperling. Leipzig.

Th. Grieben's Verlag (L. Fernau). 1892.

Verfasser glaubt an die Anwendung minimaler galvanischer Ströme ; der Kern des kleinen Buches wird von der Thatsache gebildet, dass ein galvanischer Strom von 0,5 M. A. auf eine Elektrodenfläche von 50 Cm.2 vertheilt, also von einer Stromdichte von ^Vßo (Vioo) eii^ö

208

unzweifelhafte therapeutische Wirliuog (Ansicht des Verfassers) auf krankhafte Zustände des Nervensystems ausübt, und zwar in so günstigem Sinne, dass sich daraufhin eine aeue Methode der Eiel^tro- therapie begründen lässt. Sperling ist der Ansicht, dass stärkere galvanische Ströme (20 M. A.) dem Organismus zuweilen schaden. Folgende Sätze sind für das Buch charakteristisch, und wir möchten deswegen dieselben hier anführen :

„Ich sehe es voraus, dass man die vorstehenden Mittheilungen über die schädUchen Wirkungen des elektrischen Stromes nur als eine Ansichtssache wird gelten lassen und vollgültige Beweise verlangen wird. Diese Aufgabe wird sich nur dadurch erfüllen lassen, dass man an geeigneten Fällen experimentirt, und nachdem man durch starke und energische Galvanisation den Menschen in irgend einen Zustand versetzt hat, de/' scJdechtet^ ist wie der frühere, das neue Ver- fahren versucld. Mir lulderstreben solche direkten Versuche, nachdem ich durch sorgfältige Beobachtungen bereits die feste Ueberzeugung gewonnen habe, dass es sich so verhält, wie ich nunmehr schon des öftern hervorgehoben habe."

Wir haben selber, ebenso wie die meisten anderen Collegen, in der Anwendung von galvanischen Strömen in einer Stärke von 15 25 M. A. in geeigneten Fällen keinen Schaden gesehen, und sehen uns vorläufig nicht bewogen von der üblichen Methode abzugehen. E.

Allerlei.

Prof. Ernst Leyden feierte am 20. April d. J. seinen sechzigjährigen Geburtstag, bei welcher Gelegenheit zu Ehren dieses verdienstvollen und beliebten Klinikers von seinen zahlreichen Freunden und Schülern Ovationen verschiedener Art veranstaltet wurden.

Auf eine einfache und dabei angeblich äusserst empfindliche Me- thode des Eiweissnachweises im Urin macht Jolles (Zschr. f. anal. Chemie) aufmerksam, Sie soll Vioo"o Eiweiss noch erkennen lassen : 10 Gern, des Urins versetzt man mit der gleichen Menge starker Salz- säure. Ohne zu schütteln bringt man mit der Pipette 2 3 Tropfen Chlorkalklösung hinzu. Ist Eiweiss zugegen, so tritt sofort eine weisse Trübung im oberen Theil der Röhre ein.

In der Akademie der Wissenschaften in Paris berichtete Dr. Cheau- VEAU kürzlich über die auch schon von anderen Autoren gemachten Be- trachtungen, welche sich auf die Verbreitung der Tuber cu lose durch Er d Würmer beziehen. Auf Grund sorgfältiger Unter- suchungen und Experimente konnte constatirt werden, dass der KocH'sche Bacillus in unglaublichen Mengen in solchen Erdwürmern gefunden wurde. Die Versuche an Meerschweinchen mit der Injection dieser Bacillen hatten sämmtlich den Tod der Versuchsthiere an Tuber- culose zu Folge. Auch in den Secreten dieser Würmer hat man den Tuberkelbacillus gefunden.

Personalien.

Verzogen : Dr. A. Schapringer, nach 165 Ost 60. St. Dr. Waterman, nach 165 Ost 60. St. Dr. Ad. Zederbaum, nach 179 Ost 109. St. Dr. S. J. Meitzer, nach 66 Ost 124. St. Dr. Max Einhorn, nach 107 Ost 65. St. ' .

Dr. Max Toeplitz, nach 123 Ost 62. St. Dr. Ernst Schalck, nach 103 West 104. St. Dr. C. H. Körner, nach 113 Ost 7. St.

Dr. Max Einhorn,

Stellvertretender Kedacteur, 107 E. 65. St.

New Yorker

Medicinisclie Monatsschrift.

Organ für praktische Aerzte in Amerika

unter Mitwirkung von

Dr. A. F. Buecbler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Ramdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert herausgegeben von Dr. F. C. HEPPENHEIMER. Verlag der Medical Monthly Publishing Company, 17-27 Vandewater Street, X, Y*

Bd. IV. New York, 15. Juni 1892. No. 6

ORIGINALARBEITEN. I.

lieber plötzliche einseitige Erblindungen.*)

Von

DR. MITTENDORF.

Auf die freundliche Einladung unseres Herrn Präsidenten hin, nehme ich mir die Freiheit, Ihnen heute Abend einige Fälle von mehr oder weniger plötzlicher Erblindung eines Auges mitzutheilen, die ich in meiner Praxis in den letzten Jahren zu sehen Gelegenheit hatte. Ich habe natürlich die Erblindung von directer Verwundung der Augen ausgeschlossen und werde nur die Fälle anführen, bei denen äusserlich auch nicht die geringsten Symptome oder Reizerscheinungen wahrzuneh- men waren und darunter einige, bei denen auch mit dem Augenspiegel selbst keinerlei Veränderungen vom normalen Zustande wahrzunehmen waren. Bei diesen Beobachtungen muss natürlich die Untersuchung mit dem Augenspiegel die grösste Rolle spielen. Ueberhaupt ist die Anwendung dieses Instrumentes eine so wichtige und zugleich auch leichte, aber doch von nur so wenig Aerzten geübte, dass ich nicht umhin kann, Ihnen, meine Herren, es dringend ans Herz zu legen, die Anwendung des Augenspiegels doch so oft als möglich zu benützen. Dank der Einführung des Cocaines in die Ophthalmologie durch unser Mitghed, Herrn Dr. Carl Koller, ist hierzu der Schlüssel gefunden worden, der eine solche Untersuchung zu einer grossen Leichtigkeit seitens des Arztes macht, und auch für den Patienten manches Beschwer- liche entfernt, wie zum Beispiel die Unannehmlichkeit der Accom- modationslähmung, in Folge des Atropingebrauches, und die unange- nehme Reizung und Lichtblendung, die oft mit solchen Untersuchungen zusammenhängen. Einige Tropfen einer Cocainlösung genügen, um

*) Nach einem in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York ge- haltenen Vortrage.

210

die Pupille zu erweitern, und mit einem sctirägen Spiegel, wie sie die meisten Ophthalmoscope jetzt haben, ist es so leicht das Innere des Auges zu inspiciren, dass irgend ein Student dieses in fünf Minuten lernen kann. Bei der Diagnose plötzlicher Erblindungen ist dieses von grosser Wichtigkeit, damit durch promptes Einschreiten seitens des Arztes oft grosses Unglück vermieden werden kann.

Die Ursachen plötzlicher Erblindung beruhen meistens auf plötzliche Ernährungsstörung, durch Mangel, und selbst gänzliches Aufhören der Blutzufuhr, oder auf Störung des Abflusses der Ernährungsflüs- sigkeit aus dem Auge. In dem ersten Falle genügt es, dass sich ein Embolus in dem Hauptstamm oder einem der Hauptzweige der Arteria centralis retinae bildet, wovon ich vor einiger Zeit die Ehre hatte, Ihnen einige Fälle mitzutheilen. Theilweise aber auch durch Veränderung in den Blutgefässen selbst, die dann zu mehr oder weniger bedeutenden Blutungen in der Retina und in selteneren Fällen sogar durch Eindringen des Blutes in den Glaskörper das Sehen in dem betroffenen Auge ganz unmöglich machen. Blutungen dieser Art sind für den allgemeinen Arzt von grosser Wichtigkeit, da dieselben recht häufig nur die Vor- läufer von Blutergüssen in anderen Theilen des Körpers und besonders im Gehirn sind, und möchte ich Ihnen nur in Kürze zwei Fälle mitthei- len, bei denen die Xetzhautblutungen in einem, respective in drei Jahren, von apoplectischen Anfällen gefolgt wurden, die Lähmungen und später den Tod des Patienten zur Folge hatten.

Im August des Jahres 1890 kam ein älterer Herr, der früher eine ein- flussreiche Stelle in der Verwaltung der Stadt inne hatte, mit der folgenden Krankheitsgeschichte zu mir : An einem heissen Morgen hatte er mit einigen Freunden die Ersteigung eines bedeutenden Berges unternommen. Kaum aber hatte er die Hälfte des Weges zu- rückgelegt, als er plötzlich schwach und schwindelig wurde und. von einem Freunde geleitet, den Bückweg antreten musste. Als er einige Zeit darauf, nachdem er vorher einige Zeit in seinem Zimmer geruht hatte, wieder ins Freie trat, fand er, dass sein linkes Auge ganz ver- schleiert war, und er selbst grosse Gegenstände nicht erkennen und auch natürlich mit dem Auge nicht lesen konnte. Sonst fühlte er sich ganz wohl. Bei der Untersuchung, die am nächsten Tage darauf stattfand, ergab es sich, dass der Glaskörper so mit Blut durchsetzt war, dass vom Hintergrunde des Auges gar nichts zu sehen war. Im Laufe der Zeit klärte sich der Glaskörper genügend und in der Netzhaut wurden dann eine grössere und noch zwei weitere kleinere Blutungen entdeckt. Die Ernährung der Netzhaut war aber, obgleich die Blutungen verhältnissmässig klein waren, so gestört worden, dass eine Neuritis nervi optici sich später dazu gesellte und das Auge fast gänzlich erblindete. Im folgenden Jahre ist der Herr dann auch plötz- lich in Folge eines apoplectischen Anfalles gestorben, nachdem er noch am Tage vorher einen ihn besuchenden Freund zur Hausthür geleitet und sich über seinen Zustand sehr befriedigend ausgesprochen hatte. Ein anderer Fall betrifft einen korpulenten Herrn, der gleichfalls am

211

linken Auge plötzlich erblindete, und bei dem ich bei der ophthalmos- kopischen Untersuchung eine ziemlich bedeutende Blutung in der Nähe der Macula lutea fand, die aber mit der Zeit ziemlich schnell ver- schwand und das Auge in ziemlich gutem Zustande zurückliess. Die- ses ereignete sich beinahe vor vier Jahren. Letzten Sommer kriegte der alte Herr, wie mir sein Sohn mittheilte, einen Schlaganfall mit Lähmung, dem dann einige Monate später ein anderer folgte, der den Tod des Patienten herbeiführte.

Ein ähnlicher nicht so schlimmer Fall, den ich vor einigen Monaten sah, ist deshalb hier von Interesse, als der Patient, nachdem ich ihm das Resultat der Untersuchung mitgetheilt hatte, mir antwortete: „Das ist gerade was mein Vater in meinem Alter bekam und in zwei Jahren darauf ist er in Folge eines Schlaganfalles gestorben; hoffentlich wird es mir nicht ebenso gehen".

Glücklicherweise sind nicht alle Netzhautblutungen so ernster Natur, und besonders bei jungen Leuten kann man eine ziemlich günstige Prognose stellen.

Netzhautblutungen findet man auch und zwar gar nicht selten bei Eheumatikern und sind es hier besonders Venen, die in Folge von plötzlich gesteigerten Druckverhältnissen der Augen oft nachgeben. Diese Blutergüsse sind meistens klein aber oft recht zahlreich. Ein Fall, eine ältere Dame betreffend, die ich neulich sah, möge als Beispiel dienen. Kurz vor dem Schlafengehen hatte die Patientin Stuhlgang, der äusserst beschwerlich war; dieselbe litt oft an Verstopfung. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, fand sie, dass sie auf dem rechten Auge ganz blind war. Bei der am zweiten Tage folgenden Untersu- chung mit dem Augensjnegel bot sich mir ein überraschender Anblick dar; an beinahe hundert kleinen Venen waren kleine runde Blutungen zu sehen; die Netzhaut hatte ganz das Aussehen einer Weintraube. Der Glaskörper war vollkommen klar und der Augennerv ganz ge- sund. Diese kleinen Blutergüsse richten in der That nicht soviel Unheil als die grösseren an, obschon sie zuweilen so zahlreich auf einmal auftre- ten, und auch in diesem Falle waren in einigen Monaten fast alle An- deutungen derselben verschwunden und die Sehkraft war fast bis zum normalen, zu l nämlich, wieder gewonnen worden.

Blutungen, den Gefässen der Choroidea entspringend, unterscheiden sich im klinischen Bilde von denen der Netzhaut dadurch, dass sie oft sehr bedeutend sind und leicht zu Trübungen des Glaskörpers führen.

Die Blutzufuhr zum Auge oder vielmehr zur Netzhaut kann aber auch nur temporär gestört sein, welches zu plötzlicher aber nur kurz anhaltender Erblindung führt. Verdauungsstörungen und Herzleiden sind dabei meistens ätiologische Factoren. Von grösserer Bedeutung sind die, die durch grosse Dosen von Chinin und auch von Alkohol hervor- gerufen werden, da dieselben zuweilen zu permanenter Blindheit führen. Im Augenspiegel-Bilde findet man gewöhnlich wenig ins Auge tretende Veränderungen. Nur erscheinen die Arterien klein und sehr blass, oft sogar blutleer und die Venen zeigen sich meistens sehr dunkel und

212

Von ungleichem Caliber verschiedener Theile desselben Gefässes; zu- weilen sind sie auch etwas geschlängelt.

Ein sehr interessanter Fall dieser Art betraf einen jüngeren Col- legen, der in meine Office eilte und mich bat, sein Auge zu untersuchen, das plötzlich erblindet wäre ; er hätte schon öfter solche Anfälle gehabt aber nicht so bedeutend. Dieser Anfall hatte sich nach dem Essen eingestellt vor ungefähr 10 oder 20 Minuten. Bei der Untersuchung ergab es sich, dass er mit diesem linken Auge fast ganz blind war ; nur einen ganz lileinen Theil meines Gesichtes konnte er zum Beispiel sehen, so klein war das Gesichtsfeld. Das andere Auge war ganz normal. Als ich ihn mit dem Augenspiegel untersuchte, fand ich, dass die Arterien wie kleine weisse Fädchen aussahen und auch . durch Druck auf den Augapfel konnte keine Circulation in denselben hervor- gerufen werden ; die Venen dagegen erschienen beinahe normal. Auf meine Anfrage wegen Verdauungsstörungen versicherte er mir, dass er gewöhnlich nicht daran litte, dass er aber seiner Landlady zum Trotz sehr viel gegessen habe, obschon er nicht darnach gefühlt hätte. Sein Herz war normal, doch erschien der Puls etwas schwach, der Magen aber war augenscheinlich sehr gut gefüllt und enthielt auch viele Gase. Ich kam auf die Idee, dass das Herz in seiner Thätigkeit durch den überfüllten Magen etwas gehindert sei, und Hess den Patienten, d. h. den Doctor, einige Male recht tief aufathmen, während ich das Auge ophthalmoskopirte, und siehe da, kurz darauf strömte das Blut mit blitzartiger Geschwindigkeit in das Auge zurück uijd der Patient sah so gut als zuvor. In diesem Falle möchte man an eine Stö- rung der schon an und für sich schwierigen Circulation, der sich mehrere Male im rechten Winkel biegenden Arteria centralis retinae denken.

Spasmodische Contractionen der Arteria selbst sind unter dem Namen Megrim oder Amblyopia fugens bekannt ; dieselben sind tem- porär und können ein oder beide Augen betreffen. Die Sehkraft bleibt selten geschädigt. Aber nicht immer verlaufen solche Fälle so günstig und ich könnte Ihnen mehrere Fälle mittheilen, in welchen die Ernährungsstörung bedeutend genug war, um zu einer Neuritis mit nachfolgender Atrophie des Nervens zu führen ; hier nur einer : Herr M., ein Buchführer, kam zu mir am 15. Januar dieses Jahres mit der Klage, dass beim Schreiben er plötzlich eine Verdunkelung des rechten Auges bemerkt habe, die Sehschärfe war ycc, die des linken 20/xxx mit -1- 24 = 20/xx. Ophthalmoskopisch war weiter nichts Ungewöhn- liches zu beobachten, als dass die Arterien sehr klein und die Venen unregelmässig dick und sehr dunkel erschienen. Durch Massage des Auges und Einathmen von Amylnitrate stieg die Sehschärfe auf s^yL. Ich verordnete nun Senffussbäder, Cathartica und Massage in Form von tüchtiger Einreibung des geschlossenen Auges mit Kosmarin- spiritus u. s. w. Beim nächsten Besuche war die Sehschärfe auf 20/xxx -|- gestiegen. Der Fundus oculi erschien ganz normal und der Mann kehrte zu seinen Büchern zurück. Ungefähr zehn Tage später

213

kehrte Patient zurück, über einen Rückfall klagend. Der Sehnerv sah dieses Mal aber verschwommen aus und bleicher als normal, auch verfehlten die angewandten Mittel ihre gute Wirkung, da die Sehschärfe nur von Vcc. auf ^'^/gg. stieg. Dor Patient legte nun seine Stelle nieder und ging aufs Land und machte sich viel Bewegung im Freien, aber es entwickelte sich bald markirte Atrophie des betroffenen Auges und hat derselbe jetzt nur Lichtempflndung in demselben. Der Patient hatte kurz vor dem ersten Anfalle an der Grippe gelitten und mag dieses von etiologischer Bedeutung sein. Netzhautblutungen sind häufige Begleiter von Entzündungen der Netzhaut und des Sehnerven, doch tritt in diesen Fällen die Erblindung selten plötzlich auf und leiden meistens beide Augen zugleich. Es gehören diese Fälle also nicht zu denen, die wir heute Abend besprechen.

In manchen von diesen Fällen von plötzlich eintretender Erblindung eines Auges muss man durch Ausschliessung anderer Indicationen auf Blutungen im retrobulbären Theile des Nerven selbst oder auf solche in die Sehnervenscheide, nämlich in den Schwalbischen Raum schliessen. Je nach dem Mitleiden der centralen Gefässe kann man diese Hämorrhagien in dem vordem oder hintern Theile des Nervens localisiren. Der folgende Fall ist in dieser Beziehung von Interesse. Eine junge Dame, die sich auf einer Yacht befand, aber doch nur wenig von der Seekrankheit gelitten hatte, bemerkte beim Essen, dass nach einem unbedeutenden stechenden Gefühle des rechten Auges, dasselbe sich plötzlich verdunkelte. Der so schnell als mög- lich consultirte Augenarzt konnte auch nicht die geringste patholo- gische Veränderung im Augenhintergrunde entdecken, aber die Seh- kraft war vollständig verloren gegangen und dasselbe Resultat erzielte auch ich, der ich die Dame nach einiger Zeit sah. Selbst ganz vor Kurzem, also beinahe 18 Monate nach dem Anfalle, erschien die Seh- nervenscheibe ganz normal, und obschon das Auge nur schwache Lichtempfindung hatte, war von einer Atrophie der Pupille des Augen- nerves nichts zu sehen, und muss die Läsion hinter dem Eintritte der Arteria centralis retinae gelegen haben.

Man möchte hier an hysterische Erblindung des Auges denken, aber alle angestellten Versuche beweisen wirkliche Blindheit des Auges und keine Simulation. So interessant es auch ist, die verschie- denen Methoden zu besprechen, die zur Entdeckung von simulirter Blindheit des einen Auges führen, so ist die Zeit heute doch zu kurz dazu. Von wirklich hysterischer Erblindung eines Auges allein habe ich noch keinen Fall selbst beobachtet, und selbst ein Fall, den ich An- fangs dafür hielt, stellte sich durch Heilung nach Entfernung eines eiternden Zahnes als Reflex-Blindheit heraus. Da diese Erblindung aber nicht plötzlich auftrat, gehört sie nicht unter unsere heutigen Be- obachtungen. Ferner gehören nicht die Fälle von Chininerblindung hierher, da sie meistens beide Augen betrifft.

Von grossem Interesse aber sind die Fälle von Amotio retinae, ob- schon diese, da sie sonst immer mit einem Trauma in Verbindung

214

stehen, eigentlich auch nicht in diese Rubrik gehören. Erst letzten Winter hatte ich einen Fall dieser Art unter Behandlung. Ein Knabe erhielt einen Schneeball aufs linke Auge und klagte sofort über plötzliche Erblindung desselben. Bei der Untersuchung fand ich etwas Blut in der vorderen Kammer und auch der Glaskörper war durch etwas Blat getrübt, aber nicht so sehr, um die plötzliche Erblindung zu erklären, da man den Fundus oculi ziemlich deutlich durchschimmern sah, aber leider nicht genug, um die milchige Trübung der Netzhaut mit Gewiss- heit constatiren zu können. Innerhalb einer Woche hatte das Auge, welches nur durch Tragen eines Druckverbandes behandelt wurde, seine normale Sehkraft wiedererlangt, und alle Reste von Blutung, die jeden- falls nur von den Gefässen der Iris herrührte, waren verschwunden und der Augenhintergrund erschien vollkommen normal.

Gompression des Sehnerven von Blutergüssen in die Nervenscheide habe ich schon früher erwähnt, und hierher gehören jedenfalls auch die Fälle, die man nach dem Fallen oder nach Schlägen auf den Kopf beo- achtet, und die mit Recht als Schädelfracturen, das Foramen opticum implicirend, angesehen werden müssen. Ich habe in den letzten zwei Jahren zwei sehr interessante Fälle dieser Art gesehen, von denen der eine durch die Verhandlangen in den hiesigen Gerichten vielfach be- kannt wurde; da aber Dr. Koller, wenn ich nicht irre, erst vor einiger Zeit Ihnen zwei derartige Fälle mittheilte, werde ich zu der nächsten Causalindikation übergehen, und dieses ist die Gompression des Nervus opticus durch Blutergüsse in die Orbita. Diese Fälle sind un- gleich seltener als die vorhergehenden und sind gewöhnlich traumati- scher Natur oder treten in Folge von Necrosis der Orbita auf. Der fol- gende Fall betraf einen mir befreundeten CoUegen, der an einer lästigen Ozoena litt und sich einer Operation unterzog, um etwaige necrotische Knochenreste, die als Grund derselben vermuthet wurden, zu entfer- nen. Irrthümlicherweise ergriff nun der Operateur das Keilbein und denkend, dass er es mit einem angegriffenen Seqestrum zu thun hätte, versuchte er dasselbe herauszureissen. Eine ungeheure Blutung der Nase verhinderte ihn daran, und nachdem diese gestillt und der Patient erwacht war, bemerkte man, dass das linke Auge ungeheuer geschwol- len und, in Folge der enormen Hervortreibung desselben, unbeweglich und auch ganz blind war. Die Pupille war, als ich ihn zuerst sah, starr und erweitert und der Sehnerv ganz atrophisch. Das Auge selbst war vollständig blind und ist es auch geblieben.

Erblindung eines Auges durch Druck auf den Sehnerven, wenigstens auf den intraoculären Theil desselben, durch eine allgemeine Druck- steigerung im Innern des Auges, wie wir es bei den acut auftretenden Fällen des Glaucomes haben, sind nicht sehr selten und brauche ich kaum derartige Fälle aufzuführen, da dieselben Ihnen genügend be- kannt sein werden.

Eine andere Art von plötzlicher Erblindung eines Auges ist im Ge- gentheil zu dem vorigen, von einer Druckerniedrigung im Innern des Auges begleitet, und hierher gehören in erster Linie die Fälle von

215

Ablatio retinae oder Netzhautablösung, die so leicht in kurzsichtigen Augen nach Aufregung oder plötzlichen Kraftanstrengungen oder Erschütterungen, aber auch zuweilen ganz spontan auftreten, und auf Ergüsse von Blut oder Lymphflüssigkeit beruhen und mit Verflüssigung des Glaskörpers und auch häufig mit Ruptur der Retina zusammen- hängen. Es ist die sofortige Diagnose dieser Krankheit von grosser Wichtigkeit, da die Prognose schon an und für sich ungünstig, durch Verzögerung in der Behandlung ungleich schlechter wird. Der folgende Fall ereignete sich im October vorigen Jahres. Frau H., die im 6. oder?. Monate schwanger war, machte grosse Anstrengungen, um einen vorüberfahrenden Omnibus zu erreichen. Kaum hatte sie in demselben Platz genommen, als sie auch schon eine Verdunkelung des linken Auges beobachtete, ohne dass sie irgend welche Schmerzen empfunden hatte. Als sie am nächsten Morgen zu mir kam, consta- tirte ich mit Leichtigkeit eine diffuse Netzhautablösung, dieselbe war beinahe total, aber auf keiner Stelle sehr prominent und sackartig her- vortretend. Durch Rückenlage und Behandlung mit Pilocarpin und Infusum Jaborandi war nach sechs bis acht Wochen das Gesichtsfeld fast ganz normal und die Sehschärfe beinahe so gut wie die des anderen Auges, nämlich mit 4 = ^/i.. Nach der Entbindung habe ich die Dame nur einmal gesehen und glaubt sie noch einen dünnen Nebel vor sich zu sehen, war aber ganz zufrieden so wie das Auge jetzt war. Durch sehr plötzliche Druckverminderung im Innern des Auges, wie wir dieselbe nach einer Iridectomie beim Glaukom zuweilen be- obachten, können leicht heftige Netzhautblutungen und Verluste des Auges folgen.

Eine sehr merkwürdige und allem Anschein nach auch ziemlich plötzliche Erbhndung eines Auges hatte ich Gelegenheit ganz kürzHch zu beobachten. Vor etwas mehr als einem Jahre wurde mir ein kleines Mädchen von vier Jahren zugeführt, bei dem ich ein Gliom des linken Auges diagnosticirte und dem Familienarzte sofortige Enuclea- tion des Auges anempfahl. Die Operation wurde jedoch von Seiten der Mutter verweigert und das Kind von einer Dispensary na(;h der andern geschleppt, schliesslich wurde zur Enucleation geschritten im November vorigen Jahres, aber leider zu spät, denn kurze Zeit darauf folgte starke Drüsenaffection an der Seite des enucleirten Auges und in der Orbita entwickelte sich bald eine Affection des dortigen Gewebes mit grosser Schwellung und Infiltration der Augenlieder. Im Februar wurde mir nun das Kind wieder vorgeführt, mit der Bemerkung, dass das Kind einige Tage vorher auf dem guten Auge erblindete und beim hellen Sonnenscheine die Mutter bat, das Licht anzuzünden, da es nicht mehr sehen könnte. Bei der Untersuchung stellte es sich heraus, dass das Kind auch nicht die geringste Lichtempfindung besass und doch zeigte der Opticus und die Retina nicht die geringste Veränderung, das Auge selbst war ganz normal. Der Vater sagte, dass das Kind fast fortwährend über heftige Schmerzen an der Seite des enucleirten Auges klage, die tief in den Kopf hineingingen. Es ist darnach an-

216

zunehmen, dass das Gliom schon vor der Enucleation den Augennerv angegriffen hatte und in diesem dann weiter wanderte, bis auch das Chias- ma angegriffen wurde und auf diese Weise die Blindheit des anderen Au- ges lierbeif ührte, welches die Abwesenheit aller Entzündungssymptome erklärte und auch zugleich die Möglichkeit der sympatischen Affection des Auges ausschloss. Die Kichtigkeit meiner Diagnose hat später die mikroskopische Untersuchung des Auges bestätigt.

Die Behandlung von einseitiger Erblindung muss, nach dem Vorher- gesagten, eine den ätiologischen Momenten angepasste sein und die Prognose ist im Allgemeinen, besonders wenn die Erblindung schon einige Tage anhielt, keine sehr günstige.

140 Madison Ave.

IL

Eine Atropiu-Intoxication nach epiderniatischem Gebrauch einer Belladonna-Salbe.

Von

Lr. S. J. MELTZER,

New York.

Die lange Controverse über die Resorbirbarkeit von nicht flüch- tigen Medicamenten durch die intacte Haut ist noch keineswegs zur Euhe gekommen. Von dem neuerdings eingeführten Lanolin als Salbengrundlage verspricht man sich in klinischen Kreisen einen för- dernden Einfluss auf die Resorption des beigegebenen Medicaments, während Liebreich selbst, der Entdecker des Lanolin, eine Resorption ausdrücklich in Abrede stellt und nur eine bessere locale Imprägnirung in die Haut vom Lanolin erwartet ; ja, gerade darin soll nach Lieb- reich eben der Vorzug des Lanolin sein, dass man mit seiner Hilfe eine locale Sättigung mit einem differenten Mittel erzielen kann, ohne die Nachtheile einer Allgemeinwirkung befürchten zu müssen. Vollends wird neuerdings jede Resorption von der intacten Haut aus ganz entschieden in Abrede gestellt in einer ausführlichen Arbeit von Gainard (Lyon med. 1891, No. 36-38), dessen vielfältige und gründliche Experimente (angestellt im Laboratorium des Prof. Arloing zu Lyon) als einwandsfrei und überzeugend hingestellt werden. Dieser bestimmten Verneinung gegenüber scheint mir die Publication von solchen klinischen Beobachtungen angebracht zu sein, welche eine gewisse Resorptionsfähigkeit der Haut zu demonstriren geeignet sind. In den letzten Tagen habe ich einen einschlägigen Fall zu beobachten Gelegenheit gehabt und will ihn daher hiermit kurz mittheilen :

Frl. L. klagte mir über eine Reihe von Beschwerden, von denen sie seit 8-10 Tagen heimgesucht wird. Sie verspüre eine ausserordent- liche Schwäche in den Beinen, so dass sie kaum gehen und stehen könne, leide beständig an Schwindel, Kopfweh, Uebelkeit, bitterm Geschmack, sehr trockenem Mund, Appetitlosigkeit. Die Patientin selbst

217

bezeichnete ihr Leiden kurzweg als ^Malaria. Eine objective Unter- suchung ergibt nur einen frequenten Puls, aber kein Fieber und auch sonst keinen greifbaren Anhaltspunkt für eine Diagnose. Ich entsann mich, dass Patientin vor etwa 6 Wochen mich wegen pruritus ani con- sultirt hatte und erkundigte mich nach ihrem jetzigen Zustande. Damit ist es in Ordnung, meint sie, es gehe ihr viel besser, sie gebrauche aber noch immer die Salbe, welche ich ihr damals ver- schrieben habe, sie habe schon mehrere Töpfchen davon verbraucht, sie verspüre eben, dass die Salbe ihr sehr „gut thue ". Nun hatte ich meine Diagnose ; die Salbe enthielt Extr. belladonnae in Lanolin (1:30). Ich constatirte auch gleich, dass die Pupillen dilatirt waren und frug sie, ob sie gut sehen könne. Ach ja, die Hauptsache habe sie beinahe ganz vergessen : sie könne manchmal fast gar nichts sehen, manchmal wiederum sehe sie ganz absonderliche Dinge. Sie empfinde auch einen starken Druck über den Augen, obschon der Hauptschmerz im Hinterkopf sitze. Sie leide auch an Kratzen und starker Trockenheit im Halse und sei oft ganz heiser. Stuhlgang habe sie jetzt sogar leichter als früher, aber mit dem Wasserlassen will es oft nicht recht gut gehen.

Die Patientin litt also an Muskelschwäche, Schwindel, Schmerz im Hinterkopfe und in der Supraorbital-Region, gestörtem Sehen, dilatirten Pupillen, frequentem Puls, Trockenheit von Mund und Hals u. s. w. Dieser Symptomencomplex ist ganz characteristisch für Vergiftungen mit mittleren Dosen von Atropin. Da die Patientin sonst keine Bella- donna- oder Atropinpräparate gebraucht hatte, so nahm ich daher an, dass die Einreibung der erwähnten Salbe alle Beschwerden verursacht hätte. Um für meine Annahme einen weitern Beweis zu haben, ver- ordnete ich der Patientin weiter nichts als die Weglassung der Salbe. Nach vier Tagen berichtete mir Frl. L., dass alle Beschwerden sie verlassen haben und dass sie nunmehr vollkommen wohl sei ; auch Pulsfrequenz und Pupillenweite normal.

Es kann demnach wohl keinem Zweifel unterliegen, dass in diesem Falle die epidermatische Einreibung einer dreiprocentigen Belladonna- salbe eine charakteristische Allgemeinvergiftung hervorgebracht hat ; die intacte Haut erwies sich in diesem Falle resorptionsfähig. Die gewöhnhche Einwendung, dass es sich vielleicht gar nicht um eine Hautresorption, sondern nur um Verdunstung und subsequente Inhalation des eingeriebenen Medicamentes handele, kommt hier wohl gar nicht in Betracht, da Belladonna nicht flüchtig ist ; und dann ist auch die in Ptede stehende Localität durch Kleidung vor Verbreitung flüchtiger Stoffe einigermassen ausreichend geschützt. Eine halt- barere Einwendung könnte gemacht werden gegen die Voraussetzung, dass es sich um eine intacte Epidermis handelte. Da die Patientin über Pruritus klagte, so wäre es wohl denkbar, dass durch heftiges Kratzen die Haut an verschiedenen Stellen von ihrer Epidermis ent- blösst gewesen wäre, und somit würde es sich in diesem Falle gar nicht um eine epi- sondern nur um eine endermatische Einreibung

218

gehandelt haben, von welcher eine Resorption selbstverständlich erwartet werden könnte. Dem gegenüber muss ich zunächst betonen, dass ich durch eine Inspection mich von der Intactheit der bezüglichen Epidermis überzeugt habe. Ferner ist aber noch Folgendes zu beden- ken : Das Jucken und somit auch das Kratzen waren gerade zu Beginn der Einreibung am stärksten. Wenn nun die Vergiftung auf die hypothetischen Kratzwunden zurückzufüliren wäre, dann müssten die Vergiftungserscheinungen gleich zu Anfang am deuthchsten her- vorgetreten sein. In Wirklichkeit jedoch zeigten sich Vergiftungs- symptome erst vier Wochen nach Beginn der Einreibungen, zu einer Zeit also, wann fast gar kein Jucken mehr da war.

Einige Umstände mögen indessen die Entstehung der Vergiftung in meinem Falle besonders begünstigt haben, deren Hervorhebung ein practisches Interesse haben dürfte, und vielleicht auch zur Lösung des Widerspruches mit den experimentellen Ergebnissen Gainards u. A. beitragen könnten, da die erwähnten Umstände bei den experi- mentellen Untersuchungen möglicherweise noch nicht in Betracht gezogen worden sind.

Als ein günstiger Umstand für die Resorption könnte die in meinem Falle in Betracht kommende Localität angesehen werden. Wenn man nämhch auch annimmt, dass Medicamente durch die intacte Haut resorbirt werden können, so meint man keineswegs, dass die intacte Epidermisschicht einfach durchlässig ist. Man stellt sich vielmehr vor, dass die medicamentösen Stoffe durch die Poren der Talg- und Schweissdrüsen in die knäuelförmigen und acinösen Höhlen derselben eindringen und von da durch üebergang in die umgebenden Lymph- und Capillargefässe in die allgemeine Circulation befördert werden. Nun ist es aber bekannt, dass die Drüsen der Analgegend (Gl. circum- ANALEs) dnrdi besondere Grösse ausgezeichnet sind. Somit dürften die Drüsen gerade dieser Gegenden für die Vermittelung der Resorp- tion besonders geeignet sein, indem sich eine grössere Quantität Salbe in diese Drüsen einreiben Hesse. Dabei will ich erwähnen, dass auch die Drüsen der AchselhöJde durch Grösse sich auszeichnen, eine Region, die von Manchem in der That für eine resorbirende Ein- reibung benutzt wird.

Als besonderes Hinderniss für das Eindringen von medicamentösen Stoffen in die Drüsengänge werden die Anfüllungen dieser Gänge mit Drüsensecret angesehen. In dem von mir angeführten Falle zeichnete sich die ei'krankte Hautjyartie durch besondere Trockenlieit aus, die wahrscheinlich auch die Ursache des Pruritus war. Man könnte danach annehmen, dass die bezüglichen Drüsen nur wenig secernirten, die Gänge nicht zu sehr ausgefüllt waren, was wiederum vielleicht als ein begünstigender Umstand für die Resorption in diesem Falle bei- getragen haben mag.

Ein beachtenswerther Punkt liegt ferner in der Thatsache, dass die Verglftungssgmptonie erst 4 5 Wochen noch Beginn der Einreibung aufgetreten sind. Bei einem andern Präparate, bei Digitalis z. B.,

219

könnten wir die lange Dauer auf eine cumulative Wirkung zurück- f üiiren, man könnte sagen, dass die Resorptionsfähigkeit an sich immer dieselbe bleibt ; nur bringt jede einzelne Einreibung blos minimale Dosen in das System hinein, die noch nicht toxisch wirken. Erst nach wochenlangen Einreibungen accumuliren sich die minimalen Quan- titäten zu einem wirksamen Grade. Bei Atropin wissen wir jedoch, dass es den Körper in kurzer Zeit wieder verlässt ; wir haben es ja auch in unserm Falle gesehen, wie bereits nach vier Tagen alle Ver- giftungszeichen verschwunden waren. Von einer auf Wochen sich belaufenden Accumulation kann bei Atropin nicht die Rede sein, und wir können demnach das späte Eintreten der Vergiftung unmöghch auf eine langsame Accumulation des Giftes zurückführen. Ich. denke mir vielmehr, dass die ResorptionsfäJdgkeit selbst mit der fortgesetzten Einreibung sich stets verbessert habe. Zuerst drang vielleicht gar nichts oder nur subminimale, nicht toxische Dosen bei jeder Einreibung in das Blutsystem hinein. Bei der fortgesetzten Einreibung verbesserte sich die Resorptionsfähigkeit immer mehr, so dass nach einigen Wochen schUesslich eine ein- oder mehrmalige Einreibung genügte, um einen toxischen ElTect zu bewirken und zu unterhalten. Es scheint mir ganz plausibel anzunehmen, dass bei einem länger dauernden Hin- einpressen von Salbe in die Hautdrüsen die Höhlen derselben stets mehr lind mehr erweitert und die Epithehelloi der Drüsemcandungen ausein- ander gedrängt werden, wodurch bessere Verbindungswege zwischen der Drüsenhöhle und den die Drüse umgebenden Lymph- und Capil- largefässen hergestellt werden. Ich bezweifle, ob diejenigen Unter- sut'her, welche der Haut jede Resorptionsfähigkeit absprechen, auch die Effecte einer langdauernden Einreibung in den Kreis ihrer Experi- mente gezogen haben. Und doch hat meine Annahme, dass die Resorptionsfähigkeit der intacten Haut mit der häufigen Wiederholung der Einreibung wachse, eine eminent practische Bedeutung. Bei der Fortsetzung der Einreibung könnte es auch dahin kommen, dass schliesslich auch eine töltliche Dose auf einmal resorbirt werden wird. Wenn ich z. B. in meinem Falle nicht sogleich auf die richtige Fährte gekommen wäre, dann hätte die Patientin die Einreibungen sicherlich fortgesetzt. Wer weiss, wie bald die Resorptionsfähigkeit auch die Maximaldose überschritten hätte ! Dabei war meine Salbe nur eine dreiprocentige. Gewöhnhch wird sie aber viel stärker gebraucht. Ich habe Formeln verzeichnet gefunden, wonach Extr. belladonnae geradezu die Hälfte der Salbe ausmacht ! Es ist anzunehmen, dass dann die Intoxicationsgrenze viel früher erreicht wird. Und dennoch habe ich nirgends eine Warnung gefunden.

220

III.

lieber Achylia gastrica.

Von

Dr. Max Einhorn,

Privatdozent an der N. Y. Postgraduate Medical School und Arzt am Deutschen Dispensary von New York.

Die Achylia*) gastrica (Magensaftmangel oder Magensaftlosigkeit) bildet das Hauptsymptom des bisher unter der Kubrik Magenatrophie " beschriebenen Krankheitszustandes.

Während man nun in den meisten Krankheiten zuerst das klinische Bild festgestellt hatte, und erst viel später die pathologisch-anatomische Grundlage aufsuchte, war der Gang der Dinge bei der in Kede stehen- den Krankheit, bei der „Magenatrophie" ein umgekehrter. Zuerst fand man bei Sectionen Mägen mit Schwund der Drüsen (Fenwicki), Lewy2), Ewald-^), Kinxicütt^); erst nachher hat man die für die Zustände während des Lebens passenden Bilder vorgezeichnet und auch vielfach gefunden.

Eine der ausführlichsten Arbeiten über diesen Gegenstand ist die von George Meyek^), betitelt „Zur Kenntnlss der sogenannten Magen- atrophie".

Ich kann um so eher von einer Besprechung der Litteratur dieses Gegenstandes absehen, als dieselbe in einer gründlichen Weise in der oben erwähnten Arbeit von Meyer angegeben ist.

Das khnische Bild der zuerst von Fenwick, später von Osler*^), Noth- nagel") u. A. beschriebenen Fälle von Magenatrophie entspricht genau dem der perniciösen Anämie.

Wenn nun angeführte Autoren aus dem Sectionsbefund (Atrophie der Magenschleimhaut) schliessen, dass die Magenerkrankung die Grundursache des Leidens, d. h. der Anämie ist, so ist dies allerdings wohl denkbar, allein keineswegs bewiesen. Erstens fehlt der Nachweis, dass jnan in allen perniciösen Anämien eine Atrophie der Magen- schleimhaut vorfindet, andererseits findet man nicht bei allen Fällen von Magenatrophie die Erscheinungen der perniciösen Anämie.

Vielleicht ist die Atrophie des Magens in diesen Fällen bedingt durch den schlechten Ernährungszustand infolge der perniciösen Anä- mie ?

*3 Abgeleitet von 6 ;i;)'Aoc=der Saft.

1) S. Fenwick, Atrophy of the Stomach. The Lancet, July 1877.

2) B. Lewy. Berliner klinische Wochenschrift, 1887, No. 4. ^) C. A. Ewald. Berliner kUn. Wochenschrift, 1886, No. 32.

KiNNicuTT. American Journal of Medical Sciences, October 1887. ■^) George Meyer, Zur Kenntniss der sogenannten Magenatrophie." Zeitschrift für klinische Medicin, Bd. XVI., p. 366.

6) Osler. American Journal of Medical Sciences, April 1886.

') Nothnagel. Deutsch. Arch, f. klin. Medicin. Bd. 24., Heft 4 und 5.

221

Ewald und Jjkwy haben später genaue mikroskopische Bilder über das Verhalten des atrophirten Magens gegeben. E. fand diesen Zu- stand öfter beim Krebs des Magens und bei Leuten, die an „Alters- schwäche" starben.

In all diesen Zuständen findet man nicht nur die Schleimhaut, son- dern auch die anderen Theile des Magens angegriffen. Meyer sagt daraufbezüglich :

Es ist aber auch bei der in Eede stehenden Affection meist die Muscularis des Magens in einer Weise betroffen, dass auch die Motion des Organs gestört ist. Dass bei der hochgradigen Veränderung der Magenschleimhaut auch deren resorbirende Thätigkeit aufhört, ist selbstverständlich. Es erlöschen also die drei Functionen des Magens durch den Schwund des Parenchyms. Letzteren bezeichnet man bei anderen Organen als Phthisis ; daher sehe ich keinen Grund ein, diesen Namen nicht auch bei den in Rede stehenden Zuständen des Magens anzuwenden, solange sie noch einen progredienten Character tragen, während man den Zustand, den die Phthisis schliesslich erzeugt, nämlich den ganzen Schwund des secernirenden Parenchyms mit seinen Folgen, nach einem Vorschlag von Ewald als Anadenie des Magens bezeichnen kann".

In Bezug auf die Symptomatik sagt Meyer :

Fasse ich die Symptome, aus denen auf eine Magenphthise unter Umständen geschlossen werden kann, kurz zusammen, so ergeben sich vorzugsweise die Erscheinungen der progressiven perniciösen Anämie, wobei die Zeichen von Seiten des Verdauungstractus in den Vorder- grund treten." . . . Die Dauer des Leidens scheint von mehreren Monaten bis zu etwa zwei bis drei Jahren zu währen. In letzteren Fällen tritt die Darmverdauung an die Stelle der Magenverdauung ; jedoch hat die Dauer dieser vicariirenden Darmthätigkeit ihre Grenzen und scheint nicht für allzulange Zeit zur Ernährung der betreffenden Patienten auszureichen.''

In den meisten in der Litteratur angeführten Fällen von Magen- atrophie handelt es sich somit um eine zum Tode allmählig führende Krankheit, bei der sämmtUche Functionen des Magens gestört sind ; der Name Magenphthise ist somit für dieselben sehr passend gewählt. Es sind jedoch vereinzelte Fälle von Magenatrophie beschrieben wor- den, wo die klinischen Symptome oder vielmehr die chemische Analyse des Mageninhalts zu obiger Diagnose zwang, die keineswegs eine so schwere irreparable Erkrankung darzubieten schienen ; in diesen Fällen konnten Sectionen nicht gemacht werden, und ist allerdings die Atrophie des Magens hier anzunehmen, aber noch nicht bewiesen. Fälle hierher gehörig sind von Grundzach'), Ewald^), Wolff'), Ja-

») J. Gbundzach. Berlin, klin. Wochenschr. 1887, No. 30.

2) C. A. Ewald. Ueber das Fehlen der freien Salzsäure im Mageninhalt« Berl. klin. Wochenschr. 1887, No. 30.

3) L. Wolfe, ibidem.

222

woESKi'), BoAS2), RosE^'HEm='), Litten^) und mir^) beschriebeD worden. Das Vorkommen dieser letzteren Kategorie hat Grundzach besonders hervorgehoben. In seinen fünf Fällen war folgendes Verhalten zu notiren :

„Mageninhalt : 1) Nüchtern stets leer. 2) Der Inhalt während der Verdauung zeigte immer neutrale oder äusserst schwach sauere Reac- tion. 3) Es fanden sich bedeutende Quantitäten Schleim. Trotz Mangels von Salzsäure bleiben die Gährimgsprozesse weg."

Grundzach bemerkt, dass bei derartigen Kranken hervorragende subjective Symptome öfters ausbleiben können, obwohl der Chemismus der Magenverdauung so stark gestört ist.

„Ob solcher Zustand lange dauern kann, ob endlich die Muskelhaut, in den Entzündungszustand hineingezogen, nicht mit der Zeit unter dem Einfluss feindlicher Factoren Veränderungen erduldet, welche ihr auf's Weitere die Erfüllung der mechanischen Function unmöglich machen, darüber ist es schwer etwas Entscheidendes zu sagen."

Da ich Gelegenheit hatte, vier ausgesprochene Fälle dieser soge- nannten Magenatrophie zu beobachten, darunter den bereits im Jahre 1888 mitgetheilten Fall, den ich 4 Jahre unter Beobachtung hatte, schien es mir von Werth diese Fälle zu veröffentlichen, um an deren Hand einige Punkte erörtern zu können.

Den Namen betreffend scheint mir bei diesen Fällen, wo vorläufig nur klinisch die Diagnose gemacht werden konnte und noch keine Ge- legenheit zu Sectionen sich vorfand, „Magenatrophie", „Atrophie der Magenschleimhaut", „Phthisis ventriculi" oder „Anad enia" ventriculi nicht ganz gerechtfertigt zu sein ; denn in diesem Namen liegt nur der Ausdruck für die pathologisch-anatomische Beschaffenheit des Ma- gens,— die wir ja vorläufig noch nicht mit Sicherheit kennen, und nur durch theoretische Gründe uns zu dieser Annahme veranlasst sehen.

Da wir es in diesen Fällen stets zu thun haben mit einem vollkom- menen Mangel des Magensaftes, so glaube ich, dass „Achylia gastrica" eine passende Ausdrucksweise für diese Erkrankungsform wäre; der Name giebt genau das an, was man klinisch bei diesen Patienten vor- findet.

Es sei mir gestattet der Reihe nach meine Fälle hier anzuführen : Fall 1. Louis T., (beschrieben in der N. Y. med. Presse, September 1888). Es handelt sich kurz um einen 21jährigen Mann, der seit 1886 an hartnäckiger Verstopfung, Erbrechen und Kopfschmerzen litt.

Der am 26. November 1887 aufgenommene Status war : Zunge stark belegt, Leib etwas aufgetrieben. Innere Organe bieten dem An-

^) Jaworski. Wiener med. Wochenschr. 1886, No. 49 52.

2) I. Boas. Münchener med. Wochenschr. 1887 No. 41 und 42.

3) RosENHEiM. Berlin, klin. Wochenschr. 1888, No. 51, 52.

4) M. Litten und Rosexgart, Zeitschr. f. klin. Medicin 1888, p. 573.

5) Max Einhorn, Ein Fall von continuirlichem Magensaftfluss und ein Fall von vollständigem Fehlen der Salzsäure im Magen. New Yorker Medi- zinische Presse, September 1888.

m

scheine nach nichts Abnormes dar; das Keimphänomen vorhanden; keine Sensibihtätsstörungen. Farbe der Lippen und Wangen blass, anämisch, doch ist Pat. nicht merkUch mager. Seine Hauptklage be- stand damals darin, dass er nach dem Genüsse von Speisen jeder Art brechen musste, besonders aber nach Fleisch. Die im Jahre 1887 im Verlauf von 3 ^Monaten vielfach vorgenommenen Prüfungen des Magen- inhaltes ergaben stets die Abwesenheit von Salzsäure und den Pepsin- und Labfermenten. Es wurde damals die Diagnose auf Atrophie der Magenschleimhaut mit aller WahrsclieinUchkeit gestellt. Die damals eingeschlagene Behandlung hatte bewirkt, dass sich Patient besser fühlte, und das Erbrechen weniger häufig auftrat als vorher. (Ge- naueres über die Krankengeschichte dieses Patienten ist in der oben angeführten Arbeit nachzulesen.)

Der Zustand des Patienten hat sich nun seitdem während der ganzen Zeit nicht viel verändert. An Gewicht hat Patient etwas zuge- nommen; seine Gesichtsfarbe ist jetzt gut; Farbe der Schleimhäute roth. Patient konnte im Allgemeinen mehr essen, als in den ersten 2 Jahren seiner Krankheit. Die Stuhlverstopfung bestand noch in alter Weise, und musste Patient die ganze Zeit hindurch zu Klystieren ab und zu auch zu Purgantien Zuflucht nehmen. Häufige Klagen des Patienten sind Kopfschmerzen und Gefühl von Vollheit und Unbehag- lich keit in der Regio gastrica ; vor etwa 8 Monaten stellte sich ein Gefühl von Brennen in beiden unteren Extremitäten ein; dieses Sym- tom konnte weder durch Medicamente, noch durch Elektrisation zum Stillstand gebracht werden ; nach halbjähriger Dauer ver- schwand dieses Gefühl des Brennens von selber. Das Erbrechen war in den letzten zwei Jahren äusserst selten aufgetreten.

Während der ganzen vier Jahre haben wir bei Patienten ungefähr einmal monatlich Prüfungen des Mageninhalts vorgenommen.

Wir fanden stets folgendes Verhalten :

Im nüchternen Zustande Magen gewöhnlich leer, nur ausnahms- weise einige cc. trüber, graiigrünlicher Flüssigkeit von alkalischer Reaction ohne Schleimbeimengung.

Eine Stunde nach Ewald's Probefrühstück ;

Mageninhalt kommt durch die Sonde sehr schwer heraus, weil die Sonde durch die gröberen Semmelstücke verstopft wird; der Magen- inhalt zeigt im Ganzen folgende Beschaffenheit : Die Semmelstück- chen sind beinahe gar nicht verändert; sie sehen so aus, als ob sie nur einige Zeit im Wasser gelegen hatten; Schleim nicht vorhanden; Re- action sehr schwach sauer (gewöhnlich etwa Acidität 2 4), Salzsäure nicht vordanden; Milchsäure in Spuren vorhanden; Propepton sowie Pepton nicht vorhanden; Labferment und Pepsin fehlen. Mageninhalt nicht zersetzt.

Auch einige Stunden nach einem Probemittagbrod war im Ganzen und Grossen obiges Verhalten zu notiren.

Fall 2. 15. August 1890. Isaac S., 35 Jahre, leidet seit 10 Jahren an Erbrechen,welches zuweilen gleich nach dem Essen, gewöhnlich aber etwa

224

2 bis 3 Stunden nach dem Essen auftritt. Zuweilen hörte das Erbrechen für eine Woche auf, dann stellte es sich aber regelmässig mit ver- stärkter Macht wieder ein. Nie Appetit. Kopfschmerzen, am stärk- sten des Morgens; nach dem Essen stellte sich stets das Gefühl ein, als ob Patient brechen müsste, welches nach einiger Zeit verschwand. Stuhlgang regelmässig. Schlechter Geschmack im Mund. Patient fühlte sich immer schwach, müde und schläfrig.

St. praes.: grosser, schlank gebauter Mann, sieht ziemlich mager aus; Farbe der Wangen blass; Schleimhäute anämisch. Brustorgane intact. Magen nicht erweitert.

16. August 1890. 1 St.n. Fr.: HC1==0; Acid=; Lab=0; Pepsin=0; Propept=0, Pepton=0, Achrood.=|= Erythrod=0. Die Zerkleinerung recht grob.

18. August, 1890. Nüchtern: 20 CG. gründlich schleimiger Flüssigkeit, keine Beimischung von Speisen; Keaction alkahsch. Diagnose: Achyha gastrica. Th.: Magenausspülungen; HCl.; Kumyss; Fleischpulver, Gymnastik. Kalte Abwaschungen.

Patien fühlt sich bedeutend besser, hat nicht gebrochen; Appetit gut; keine Kopfschmerzen.

Den 20. August, 1890. Nüchtern: Magen leer. Ausspülung; 4 Eier täglich zur früheren Kost.

Den 24. August, 1890. 1 St. n. Fr.: HC1=0; Acid=4; Lab^O; Pepton=0; Propepton=0; Achrood.+ viel; Erythrod. kaum Spur; Pepsin: 5 CO. Filtrat+ 2 Tropfen Acid mur.# Eiweiss nach G Stunden noch nicht verdaut; am folgenden Tage die Scheibe durchsichtig aber noch vor- handen. Das Filtrat enthält viele kleine Bröckelchen (wahrscheinlich vom zerfallenen Eiweiss); die Flüssigkeit enthält auch jetzt kein Pepton und kein Propepton. Pepsin daher abwesend.

Den 26. August, 1890. Durchspritzgeräusch vorhanden. Patient wird 10 Minuten hindurch vom Magen aus faradisirt.

Im Oktober 1891 giebt Patient an, etwa 4 Pfund im letzten Jahre zu- genommen zu haben. Patient hat während der ganzen Zeit nach den ihm angegebenen Vorschriften gelebt, hat sich gut gefühlt und nie er- brochen.

Eine Prüfung des Mageninhalts am 10. November 1891, eine Stunde nach dem Probefrühstück ergiebt: Reaction schwach sauer, HC1=0; Acid=4, Propet., Pept. nicht vorhanden; Lab und Pepsin fehlen; Achro- odextrin+ viel; Erythrodextrin fehlt; keine SchleimbeimenguDg; Zerklei- nerung grob; die Semmelstücke sehen so aus, als ob sie im Wasser auf- geweicht wären.

Schluss folgt.

225

IV.

Zur Pathologie des Eierstocks.

Von

Dr. FRANZ FOERSTER,

Instructor in Frauenkrankheiten (New York Post Graduate School and Hospital). Gynaecolog des Deutschen Dispensary der Westseite und des East Side Dispensary.

Jedem Gynaecologen kommen, und zwar gar nicht selten, Fälle zur Beobachtung, welche folgendes nahezu typische, klinische Bild darbie- ten : Frauen im productionsfähigen Alter klagen über fast permanent anhaltende Schmerzen in der Ovarialgegend, welche zur Zeit der Menstruation sich wesentlich verschlimmern, und welche nur in den direct auf die Menstruation folgenden Tagen eine massige Linderung erfahren. Der Allgemeinzustand leidet bald unter dem beständigen Gefühl des Unbehagens, sie magern ab und zeigen ein eigenthümliches, cachectisches Aussehen, das Auftreten von hysterischen und neuralgi- schen Symptomen vervollständigt das Bild. Wenig im Einklang stehend mit den geschilderten schweren Sj^mptomen finden wir den khnischen Be- fund. Die manuelle Untersuchung ergiebt nur selten Anhaltspunkte, welche uns veranlassen könnten, einer fehlerhaften Lage oder Erkrankung des Uterus einen Theil der Symptome zuzuschreiben; weitere Unter- suchung jedoch zeigt uns, dass es sich um eine Erkrankung der Adnexa, resp. der Ovarien handelt. Das eine oder auch beide Ovarien finden wir dann gewöhnlich als eine je nach der Intensität der überstandenen Pelveo-peritonitiden grössere oder kleinere Masse im DouGLAs'schen Eaume, auf Berührung ist diese Masse ausserordent- lich empfindlich und wird von unserer Patientin alsbald als der Aus- gangspunkt all ihrer Leiden bezeichnet. Es gelingt uns dann noch gewöhnlich, die Tuben als gewöhnlich mässig verdickte Stränge zu erkennen.

In solchen Fällen wird die Diagnose in der Kegel auf chronische Oöphoritis gestellt und palliative und roborirente Behandlung eingelei- tet. Diese Behandlung lässt selbst, wenn Jahrelang fleissig forge- führt, häufig im Stich, und man beginnt als ultima ratio an Oöpherec- tomie zu denken. Von Seiten der Kranken stossen wir auf keinen Widerstand betreffs eines dahin gehenden Vorschlags, denn längst ist ihr ihr Zustand als kaum erträghch erschienen, ja sie mag durch ihre Leiden bestimmt worden sein, zu versuchen, uns zur Vornahme einer Operation zu bewegen, vordem wir uns noch selbst von der Noth- wendigkeit einer solchen überzeugen konnten.

Bei der Operation finden wir dann häufig von Entzündungsproduc- ten umgeben ein oder auch beide Ovarien, welche ihrem äussern nach zu urtheilen nicht sehr dazu geeignet sind, uns den Eindruck so tief gehender pathologischer Veränderungen zu machen, wie solche be- standen haben müssen, um die geschilderten schweren Symptome zu

226

bedingen. Die Grösse der Ova^rien mag zwischen der normalen und sechsfaclien schwanken, die kleineren fühlen sich derb an, die grösseren zeigen gewöhnlich klein-cystische Degeneration, andere sind in eine längliche, bandartige Masse umgewandelt. Beim unmittelbar nach der Operation ausgeführten Längsschnitt finden wir in einigen Ovarien durch das Stroma zerstreute verdichtete Bildungen, welche von ihrer Umgebung nicht scharf abgegrenzt sind. In anderen mögen wir zu unserem Erstaunen ein sog. Corpus luteum verum finden, trotzdem die Patientin niemals schwanger war, oder doch Jahre seit letzter Schwangerschaft verstrichen sind ; bisweilen, und zwar nicht selten, finden wir im Ovarium ein Haematom von wechselnder Grösse.

Die Operirten erholen sich auffallend rasch und nehmen an Kräfte und Körperfülle zu, so dass sie nach Verlauf einiger Monate sich gewöhnlich wieder so wohl fühlen wie ehedem. Dieser günstige Aus- gang trifft jedoch nur dann zu, wenn gleichzeitig beide Ovarien ent- fernt werden. Lässt man aus Schonung und in Anbetracht der mög- lichen Befruchtung eins zurück, so mag sich über kurz oder lang das Krankheitsbild in dem nicht entfernten Organ repetiren.

Solch schwere klinische Symptome waren nach den bisherigen Anschauungen nach dem Befund in den Ovarien nicht erklärlich. Man betrachtete das Corpus luteum als Ergebniss der letzten Menstruation, wobei man allerdings zugeben musste, dass eine scharfe Grenze zwischen einem Corpus luteum spurium s. menstruationis und einem Corpus luteum verum s. graviditatis nicht existirte. Fand man Haema- tome, so hielt man diese entweder für apoplectische Herde, oder für mit Blut gefüllte Cysten.

Das Ungenügende dieser Anschauungen veranlasste mich aus einer, grösseren Anzahl von Oöphorectomien 25 solcher Ovarien auszuwählen, welche makroskopisch die wenigsten ausgesprochen pathologischen Veränderungen zeigten, und dieselben einer eingehenden mikroskopi- schen Untersuchung zu unterwerfen. Herrn Dr. C. Heizmann, in dessen Laboratorium ich diese Untersuchung ausführte, bin ich zu grossem Dank verpflichtet für die freundliche Unterstützung, welche er mir hat dabei zu Theil werden lassen. Ich bediente mich der Chromsäure- Härtung, selbst dann, wenn die Ovarien in Alcohol gelegen hatten. Ich färbte die mittelst Microtom gewonnene Serienschnitte mit Am- moniac-Carmiu, die Präparate wurden in Glycerin montirt.

Dr. M. D. Jones hat auf pathologische Processe aufmerksam ge- macht, welche ich mit verschiedenen ausgesprochenen Abweichungen in meinen Präparaten wieder fand, und werde ich mich im Folgenden der von ihm eingeführten Nomenclatur bedienen.

Die hier zur Besprechung kommenden pathologischen Befunde lassen sich in drei Gruppen eintheilen :

1) Gyrome, 2) Endotheliome, 3) Hacmaiome.

1.) Gyrome.

Schon mit freiem Auge erkennt man sowohl in der Cortical- als auch MeduUar-Substanz Knötchen von der Grösse eines Stecknadelknopfes

227

bis zu der einer Erbse von eigenthümlich seidenartigem Glänze, ohne scharfe Grenze gegen das benachbarte Stronia. Grössere Knoten sind von ausgesprochen derber Consisteiiz, Schnitte zeigen bei schwacher Vergrösserung gewundene Gebilde, wachsartig infiltrirt, entweder solid, oder mit einer centralen Höhle versehen. Für diese Bildung wurde der Name Gyrom vorgeschlagen.

Ein solides Gyrom (siehe Fig. 1) ist von dünnen Bindegewebszügen

Fig. 1. No. 100. Solides Gykom i n der Geenze von Cortex und Medulla. G G— Gyrom mit zarten Bindegewebszügen. C C— Entzündetes Bindegewebe.

A A Arterien, massige Sclerose und hyaline Degeneration. V Vene im Querschnitt. B Capillaren.

durchsetzt, in welchen keine Blutgefässe zu erkennen sind. Diese Züge theilen das Gyrom in gewundene Felder ab, indem sie stets in der Mitte einer Windung verlaufen. Das Gebilde ist von der Umgebung scharf abgegrenzt entweder von dichtem Bindegewebe oder es ist von einer entzündeten Zone umgeben, in welcher zahlreiche Blutgefässe auffallen. Bei hohlen Bildungen dieser Art treffen wir Windungen wachsartig infiltrirt von verschiedener Breite, während das Centrum entweder von myxomatösem Gewebe oder Blut ausgefüllt wird.

228

Zunächst wirft sich die Frage auf, woher stammen diese eigen - thümlichen Bildungen, welche man bisher als Endstadium eines Corpus luteum betrachtet hat. Schon Dr. M. P. Jacoby hat sie als etwas Pathologisches aufgefasst. Gyromata innerhalb des Cortex stammen unbestreitbar aus der Wand eines geborstenen Follikels (Siehe Fig. 2).

Bei der Ovulation berste ein Follikel und eine mässig verbreitete.

F

Fig. 2. No. 100.

Anfangsstadium der Entwickklung eines Gyeoms aus einer Follikel- Wand. F F Ueberreste coUabirter Follikel. W Wand des Follikels nicht erweitert. G Erweiterte Wand des Follikels, das zukünftige Gyrom. M Myxomatöses Gewebe des Innern des Follikels fullens. I Entzündungszone um den Follikel.

vielfach gewundene strukturlose Haut bleibt zurück, ohne sich weiter zu verändern, um mit der Zeit durch Schwund zu einem unscheinbaren, dünnen Band reducirt zu werden, wie wir solche in jedem gesunden Ovarium zu Dutzenden zu beobachten Gelegenheit haben. Unter pathologischen Verhältnissen erfolgt jedoch eine Verbeiterung dieses structurlosen Häutchens, und indem die Wandungen erhalten bleiben, wird daraus ein Gyrom. In der Abbildung sind zwei collabirte FolUkel und auch das Anfangsstadium eines Gyroms sichtbar. In letzterem fällt eine entzündliche Zone auf, welche augenscheinlich mit der Ent- wickelung des Gyroms in ursächlichem Zusammenhange steht.

229

In der Medullar-Siibstanz des Ovariums geht die Entwickelung des Gyroms wohl jedesmal aus durch Endarteritis obliterans und hyalin infiltrirten Arterien hervor (siehe Fig. 3). Die Windungen dieser Gyrome lassen sich ungezwungen aus der Thatsache erklären, dass die Arterien des Eierstockes einen ausgesprochenen gewundenen Verlauf nehmen. Die Wandung verstärkt sich dann beträchtUch, wenn ein Solidwerden des Arterienrohres eintritt. Das ehemalige Lumem der Arterie ist durch einen Bindegewebsstrang ausgefüllt, welcher selbstver- ständlich die Mitte der Arterie resp. Gyroms einnimmt und das Vor-

Endarteeitis obliterans und Ateriosclerosis. Ein zukuenftiges Gyeom. G— Gyrom C C. Entzündetes Bindegewebe. M —Muskel im Querschnitt. A Arterie im Querschnitt.

handensein von sich verzweigenden Bindegewebszügen im Gyrom erklärt.

Gyrome sind nicht selten von Pigmentkörpern durchsetzt, welche entweder einen gelben oder gelbbraunen oder selbst dunkelbraunen Farbenton aufweisen. Auch in der directen Umgebung der Gyrome finden wir solche Pigmentablagerungen.

In einem Falle habe ich bei einem Gyrom, dessen Inneres von Blut ausgefüllt war, reichliche Neubildung von Capillaren beobachtet (siehe Fig. 4).

Schon bei schwacher Vergrösserung war ein stark verzweigtes Protoplasmanetz in der Gyromwand zu erkennen, bei gleichzeitiger Anwesenheit von rothen Blutkörperchen in den durchgängig gewor- denen Capillarröhren. Starke Vergrösserungen lieferten die Ueber- zeugung, dass die Neubildung der Capillaren in der Gyromwand auf

230

die bekannte typische Weise vor sich geht, indem innerhalb der wachs- artig glänzenden Gyrommassen feine, zuerst solide, später vacuelirte Züge auftreten (siehe Fig. 5). Die Wandungen der ausgehöhlten Protoplasmazüge werden von Endothelien hergestellt, welche in der Seitenansicht die bekannte Spindelform zeigen. Vielfach hingen die soliden Züge mit den Pigmentklümpcheu zusammen, und aus dem Umstand, dass auch in diesen Pigmentklumpen Vacuolen auftreten.

Fig. 4, No. 100.

PiGMENTIETES UND VASCULARISIRTES GyBOMA MIT EINEM IM CeNTRUM SICH BILDEDEN HaEMATOM.

G G— Gyroma durchzogen von Pigmentklumpen und Capillarnetz. E Arteriole in der Wand des Gyroms. H Haematom .

O Arteriole im Rande des Gyroms.

C Entzündete Bindegewebe.

A Sclerotische Arterie im Durchschnitt.

V Vene und Capillaren in die Wand des Gyroms eintretend.

Hess sich der Schluss ziehen, dass auch die Pigmentklümpcheu an der Gefässbildung theilnehmen ; rothe Blutkörperchen waren sowohl in den Lichtungen der neugebildeten Capillaren, wie auch in den Vacuolen der Pigmentklümpcheu nachzuweisen.

Ich habe schon früher bemerkt, dass Gyrome bisweilen in einem

231

Ovarium in grösserer Menge bis zu acht oder zehn eingestreut gefun- den werden, und in der Regel von einem entzündeten Stroma umgeben sind. In der letzteren Thatsache mochte ich den Grund der schweren klinischen Symptome suchen, welche ja thatsächlich die einer chroni- schen Oöpheritis sind. Zum Verständniss der klinischen Erschei- nungen würde allerdings nothwendig sein, Nervenfasern in das Gyrom

Fig. 5, No. 500.

PiGMENTIRTES GyROMA MIT NEUGEBILDETEN CaPILLAR-BlUTGEFAESSEN.

G G— Leicht granulirte Basissubstanz des Gyroms. P P Sich verzweigende Pigmentklumpen. C C Capillar- Blutgefässe in Bildung begriffen. H Pigmentklumpen, Blutkörperchen enthaltend. B Augenscheinlich isolirte Bhitkörperchen.

hinein oder doch wenigstens in die nächste Umgebung desselben zu verfolgen, indessen ist mir ein derartiger Nachweis von Nerven bisher nicht gelungen.

2.) E n d o t h e 1 i o m e. '

Unter diesem Namen wurde eine Bildung beschrieben, welche in einem Ovarium stets in einfacher Zahl auftritt und im Wesentlichen mit der Structur eines Corpus luteum übereinstimmt. Ich habe eine Anzahl von Ovarien der Kuh, des Schafes und des Schweins untersucht und jedesmal bei vorhandener Schwangerschaft ein Corpus luteum gefunden ; entsprechend der Zahl der im Uterus anwesenden Embry-

232

onen, traf ich auf 2, 3 oder 4 Corpora lutea in einem oder beiden Ovarien; aucli beim Menschen ist unter solchen Verhältnissen das Bestehen eines resp. zweier Corpora lutea eine unbestrittene^Thatsache. Nun muss es doch recht auffallend erscheinen, wenn man einem solchen Corpus luteum von Erbsen- bis Kirschengrösse in einem exstirpirten Ovarium begegnet, von Frauen, welche niemals schwanger waren, oder bei welchen die letzte Schwangerschaft vor 5 6 Jahren abgelaufen war. In solchen Fällen wunderte man sich wohl betreffs der Grösse, doch *

Endothelioma, sogenanntes Corpus Luteum. Fig. 6. lOO.

E Convolutionen durch Endothelien aufgebaut, zwischen denselben be- finden sich Blutgefässe.

C Kai^sel des Endotbelioms, aus losen Bindegeweben bestehend. F Fibrinkem im Centrum des Endotbelioms. V Blutgefässe, tbeils venöse, theils Capillaren.

man nannte das Corpus luteum einfach Spurium sive menstruationis, indem man von der Idee ausging, dass in Folge der Ovulation jedes Mal ein Corpus luteum entstehen müsse. Zur Annahme dieser An- schauungsweise hat Dalton viel beigetragen, indem er anscheinend sorgfältige Studien über die Entstehung des Corpus luteum veröffent- licht hat, vsrelche zur Zeit auch in Europa als richtig angenommen wurden.

Ich bin überzeugt, dass diese Anschauung eine fehlerhafte ist, und

233

der von Dalton angeführte Fall einee jungen Mädchens, welche wegen der Eingangs geschilderten Symptome operirt wurde, dürfte meine Anschauung bestätigen.

Das Mädchen war nie schwanger, hatte in einem Ovarium ein kirschengrosses Corpus luteum, und wurde durch die Operation von ihrem jahrelangen Leiden vollständig befreit. Welche Bedeutung hat nun ein solches Corpus luteum ? Vergleichende Untersuchungen zwischen Menschen und Thieren ergaben eigenthümliche Unterschiede in den anatomischen Verhältnissen der Corpora lutea.

Thatsächlich ist jedes Corpus luteum ein Endotheliom. Bei den angeführten Thieren liegen die Endotheliome in einem durch Binde- gewebe oder durch Capillargefässe hergestellten Fachwerk und sind stets solid, d. h. nicht mit einem centralen Fibringerinsel versehen. Beim Corpus luteum des Menschen ist die Anwesenheit eines solchen Fibriukerns die Regel (s. Fig. 6). Die Endothelien sind häufig von beträchtlicher Grösse und spindelförmig ausgezogen.

Ueberdies erreicht das menschhche Endotheliom bisweilen eine beträchtliche, (bis Kirsch- und darüber) Grösse und ist von einer lockeren Bindegewebskapsel umgeben, in welcher sich zahlreiche grösstentheils venöse und capillare Blutgefässe vorfinden.

Offenbar ist das Corpus luteum spurium des Menschen das Resultat einer intensiven localen Reizung, möghcherweise eines stärkeren fol- liculären Blutgefässes, und das Product einer formativen Entzündung von fast unbegrenztem Wachsthum, ohne auf die Bezeichnung eines Tumors Anspruch machen zu können. Dieses pathologische Product hat eine ausgesprochene Tendenz zur Neubildung von Blutgefässen und ist die allergewöhnlichste Ursache des Haematoms, indem Blut- ergüsse auf diesem Wege in das Innere des Endothelioms stattfinden. Nach sorgfältiger Untersuchung von menschlichen und Thier-Eier- stöcken habe ich gefunden, dass die normale Ovulation nur von einer etwa stecknadelkopfgrossen Haemorrhagie gefolgt ist. Es können in einem Ovarium mehrere haemorrhgische Herde vorhanden sein, welche theilweise frisches Blut, theilweise desintegrirte rothe Blutkörperchen aufweisen, stets wird aber nur ein einziges Endotheliom zu finden sein, und zwar tast jedes Mal mit einem Fibrinkern.

Auf dieser Beobachtung beruht meine Aussage, dass das sog. Corpus luteum spurium des Menschen wohl grösstentheils ein pathologisches und zwar entzündliches Product sei, welches allerdings jedes Mal seinen Ausgang von einem geborstenen Follikel genommen habe.

So würden sich die klinischen und mikroskopischen Befunde einer chronischen Oöpheritis ungezwungen erklären lassen. Auch hier würde die Anwesenheit gezerrter Nervenfasern viel zur Aufklärung des klini- schen Bildes beitragen, indessen war auch hier mein Suchen nach Nerven innerhalb des Endothelioms erfolglos.

Ich behalte mir weitere Mittheilungen über das Corpus luteum bei Menschen und Thieren vor. Ich möchte jedoch jetzt schon darauf hinweisen, dass für die anatomische Bildung des Corpus luteum

234

genügende Erklärung gefunden wird darin, dass wir das Endotheliom als eine speeielle Art von myxomatösem Gewebe ansprechen. Im myxomatösen Gewebe finden wir ein Bindegeweb-Netzwerk, dessen Maschenraum mit myxomatöser Grundsubstanz erfüllt ist. Im Centrum des myxomatösen Faches treffen wir häufig ein kernartiges Gebilde. Wir brauchen nur die Vorstellung, dass die ursprüngliche protoplasmatische Füllmasse des Faches in protoplasmatischeni Zustand persistirt, dann haben wir sofort ein Bild der für das Corpus luteum charakteristischen Endothelien. Fügen wir hinzu, dass das

C

Fig. 7. No. 500. Myxomatöses Endotheliom. C Bindegewebszug, Capillar-Blutgetasse fiihrend. T Maschen von zartem Bindegewebe. M— Myxomatöse Basis-Substanz. N— Myxomatöse Basis-Substanz, Kerne führend. V Venen im Querschnitt.

Maschenwerk der Endotheliome sich häufig zu Capillaren entwickelt, dann haben wir eine Erklärung des Corpus luteum wie es beim Schwein in typischer Form auftritt. Diese Anschauungsweise findet eine wesentliche Stütze in einem meiner Eierstockpräparate, in welchem ein Endothehom thatsächlich von typischem myxomatösem Gewebe auf- gebaut wird (siehe Fig. 7). In diesem Fall ist von der protoplasmati- schen Füllung nur noch der Kern übrig und nur die gröberen Binde- gewebszüge tragen capillare Blutgefässe. Ein Endotheliom kann sich

235

sicherlich aus der Wand eines geborstenen Follikel entwickeln ; bis- weilen erfolgt jedoch diese Entwicklung aus einem Gyrom. Ich will nicht bezweifeln, dass das Gyro:n ein Endstadium eines Endothelioms darstellen kann, wie dies von anderen Forschern angenommen wird, ich bin jedoch sicher, dass der umgekehrte Weg, nämlich die Umwand- lung von Gyrom zu Endotheliom keineswegs selten ist ; wir sehen dann im Gyrom blasse vieleckige Protoplasma-Körper auftauchen. Die Entwicklung der Endothelien erfolgt mitten in der Grundsubstanz der

Fig. 8. No. 500. Gyrom in Umwandlung in Endotheliom begriffen. G G Gyrom.

P P— Protoplasma, rothe Blutkörperchen führend. Gyrome (siehe Fig. 8). Dann sehen wir Protoplasma in scharf wandigen Höhlen, diese Protoplasma-Körper führen in der Regel grosse Kerne in wechselnder Anzahl. SchliessUch sind von der Gyromsubstanz nur noch spärliche Ueberreste vorhanden, und der grösste Theil des früheren Gyroms ist zu Endotheliom oder eventuell Haematom umge- wandelt.

3.) Haematom.

Nach dem Gesagten wird es klar, dass wir für Blutergüsse im Eier- stock verschiedene Quellen nachweisen können. Zunächst geschieht es wohl bei der Ligatur, dass die Venen, wenn auch nur für kürzeste

236

Zeit, eher comprimirt und abgeschürt werden als die Arterien, die Folge davon muss eine Stauung des Blutstromes im Ovarium sein^ fügen wir dazu den durch Manipulation des Organes bedingten Druck, so mag dies zur Berstung zahlreicher kleiner Blutgefässe führen. So erkläre ich die bisweilen zahlreichen Infarcte im Ovariumgewebe und die mit frischem Blut erfüllten Cystenräume. Hier haben wir es also mit einem künstlich erzeugten Haematom zu thun.

Eine zweite Quelle von Haemorrhagien ist die Ovulation. Norma- lerweise ist diese Blutung nur punktförmig, oder übersteigt kaum die Grösse eines Stecknadelkopfes. Ausnahmsweise jedoch treffen wir grössere Haemorrhagien sowohl im Räume des geborstenen FoUiculs, wie auch in der Umgebung desselben. Die aufgerollten Ueberreste der follicular Membran führen uns dann zur sichern Diagnose der Quelle solcher Haematome.

Eine dritte Ursache finden wir in der eigenthümlichen Gefässanlage der Ovarien. Arterien wie Venen verfolgen einen äusserst gewundenen Gang, die Gefässe sind ausserdem denselben pathologischen Verände- rungen unterworfen, wie in andern Theilen des Körpers. "Wir sehen in Folge Varicositäten der Venen und anemysmatische Entartung der Arterien, letzteres besonders schön in einem meiner Präparate ersicht- lich, eine Ruptur kann unter solchen Umständen in irgend einem Theile des Ovariums stattfinden.

Eine vierte und durchaus nicht seltene Veranlassung von Haema- toma ovarii sind Endotheliome, welche nach vorausgegangener Bil- dung von Blutgefässen zu solchen umgewandelt werden.

Diese Haematome treffen wir im Cortex des Eierstocks, entweder an der Grenze zwischen Cortex und MeduUa oder an die freie Ober- fläche in Form eines blutrothen Hügels hervorragend. Ich habe an einigen Präparaten die Entwicklung des Haematoms mit stufenweiser Verdünnung der Kapsel deutlich verfolgen können. Thatsächlich wird die Kapsel schliesslich so dünn, dass ein leichter Druck auf das exstir- pirte Ovarium genügt, um das Blut hervortreten zu lassen. Bis- weilen erfolgt eine Ruptur des Haematoms mit lebensgefährlichem Bluterguss in die Bauchhöhlen, wie auch ein Fall von Boldt berichtet wurde. In zweien meiner Fälle erfolgte der Bluterguss in die Substanz der breiten Ligamente mit Bildung eines Extravasats von Kleinapfel- grösse. In beiden Fällen waren die Symptome ähnlich denen einer Ruptur drohenden Tubarschwangerschaft, in Wirklichkeit operirte ich den einen Fall unter dieser Diagnose.

Zum Schluss will ich bemerken, dass ich in meinem Aufsatz keines- wegs erschöpfend sein wollte, ich wählte die 3 beschriebenen Krankheits- formen, erstens, weil dieselben mit einander in Zusammenhang stehen» und zweitens, ihre Erkenntniss noch verhältnissmässig neu ist.

Ich habe die Besprechung der sogenannten kleincystischen De- generation vermieden, weil es sowohl meine, wie die Ueberzeugung anderer Gynäcologen ist, dass dieses Bild ein nahezu normales Vor- kommniss selbst bei Thieren ist und nicht zur Erklärung der Eingangs genannten klinischen Erscheinungen herangezogen werden kann.

237

NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für praktische Aerzte in Amerika. Redigirt von Dr. f. C. heppenheimer.

EDITOBIELLE NOTIZEN.

15. Juni 1892.

Die neuesten Anschauungen über das Zustandekommen der Immunitat.

Nachdem die Immunitätslehre in Frankreich begründet und im Pasteur'schen Institute durch viele geuiale Arbeiten und Thierexperi- mente auf eine wisseuschafthche Basis gestellt war, hat dieselbe in den letzten 2 Jahren auch in den anderen Ländern Europas, vornehmlich aber in Deutschland, in der Kocn'schen Schule, eine weitere Ausbil- dung und eine breitere praktische Bearbeitung gefunden.

Zunächst wurde die allgemein bekannte METSCHixiKOFF'sche Pha- gocytenlehre geschaffen. Die weissen Blutkörperchen sollten als Schutzwächter des Organismus dienen und denselben von jeder feind- lichen Mikroorganismen-Invasion befreien ; bei jeder bacillären oder Kokkenerkrankung des Organismus kämpfen die Leukocyten tapfer mit dem Feind, indem sie denselben aufzufressen suchen ; gelingt ihnen dieses, dann gesundet der Organismus, im widrigen Fall geht letzterer unter. Ein Thier wird gegen eine Krankheit nach dieser Theorie da- durch immun, dass die weissen Blutkörperchen eine grössere und schnellere Fertigkeit bekommen gegen den Feind anzukämpfen, d. h. die Mikroorganismen zu verzehren, so dass bei beginnender feind- licher Invasion der Kampf sofort mit Erfolg unternommen wird, so wird der Organismus von vornherein vor der l)etreffenden Erkrankung geschützt.

Später wurde in Deutschland der Nachweis geführt, dass dem Blute als solchem bactericide Eigenschaften zukommen. Auf dem letzten Con- gress für innere Medicin hat H. Buchner in seinem Vortrage : „lieber die Schutzstoffe des Serums" diese Verhältnisse genau geschildert. Nach ihm kommt diese keimtödtende Wirkung dem Blutserum zu ; letzteres übt aber auch auf andere lebende Zellen (rothe Blut- körperchen gewisser Thierarten) dieselbe Wirkung aus. Blutserum von normalen Hunden tödtet nicht nur Typhus-, Cholera-, Milzbrand- und andere Bacterien, sondern es vernichtet auch die Blutzellen vom Menschen, vom Pferd, vom Schaf, Kaninchen und Meerschweinchen, überhaupt von fast allen Säugern in kurz'jr Frist, Beispielsweise Ka- ninchenblutzellen werden bei Körperwärme von Hundeserum in 1 2 Minuten, jene des Meerschweinchens schon in weniger als 1 Minute, d. h. beinahe augenblicklich zerstört. Diese „globulicide Action" ist seit längerer Zeit, namentlich durch die Untersuchungen Landois' bekannt-

238

Diese Wirkung des Serums ist nicht etwa dem Concentrationsgrade der in demselben enthaltenen Salze zuzuschreiben, denn man braucht nur, wie es Buchner nachgewiesen hat, das Serum auf 55° C. zu erwärmen und die „globulicide" wie „bactericide" Eigenschaft desselben bleibt weg. Nach Büchner sind es gewisse in hohem Grade labile Eiweiss- körper des Serums, an denen die Wirkung haftet. Nach Büchner's Auffassung sind das nicht Eiweisskörper im gewöhnhchen Sinne, wie die reine Chemie- oder die Ernährungsphysiologie das auffasst, nicht so zu sagen todtes Eiweiss, sondern hochcomplicirte, in grösseren Mole- cül verbänden angeordnete, gewissermassen organisirte Eiweisskörper. Für diese wirksamen Eiweisskörper hat Büchner den Ausdruck „Schutzstoffe" oder „Alexine" gewählt. Es handelt sich hier um eine allgemeine Wirkung auf fremdartige Zellen überhaupt, also um eine Art von genereller antiparasitärer Schutzeinrichtung. Die Immunität kommt nach Buchner dadurch zustande, dass die Alexine, die durch die Bacterien erzeugten Toxalbumine (gleichfalls sehr labile Eiweiss- körper) zerstören.

Ende vorigen Monats hat die „Deutsche medicinische Wochen- schrift" mehrere hochwichtige Arbeiten über die Immunitätslehre ge- bracht. Die eine betitelt : „Ueber Immunität und Giftfestigung" von Dr. A. Wassermann, macht einen scharfen Unterschied zwischen „im- mun" welches meint, dass die Bacterien im betreffenden Organismus nicht leben und sich weiter entwickeln können, und zwischen „giftfest", welches bedeutet, äass die von den Bacterien erzeugten giftigen Pro- ducte (Toxalbumine) für den betreffenden Organismus unschädlich sind. Nach Wassermann enthält der Organismus selber Schutzstoffe gegen Mikroorganismen, allein nicht gegen alle; die Immunität wird aber dadurch erzeugt, dass die bereits vorhandenen Schutzstoffe eine speci- üsche Wirkung gegen die Krankheitserreger, für welche das Thier im- mun gemacht worden ist, erhält. W. nimmt an, dass die Bacterien selber in ihren Leibern complexe Verbindungen tragen, welche jene Specificität verleihen können. Wenn man, beispielsweise, eine drei- tägige Typhusbouilloncultur durch Thonfllter jagt und so keimfrei macht, dann behält man in dem Filtrate bekanntlich die Toxalbumine. Behandelt man damit Thiere vor, dann erhält man beinahe gar keinen Schutz. Filtrirt man dagegen nicht und spritzt die Bacterienkörper, in todtem Zustande, mit ein, dann erreicht man einen hohen Schutz gegen Typhus innerhalb 10—14 Tagen. Engt man eine derartige Cul- tur im Vacuum auf etwa »Ao ihres Volums ein und incorporirt so die Bacterienkörper concentrirt, denn erhält man dasselbe Resultat schon in 24—48 Stunden. Man sieht also eine directe Proportion zwischen Menge der Bakterienzells ubstanzen und Eintritt des specifischen Schutzes. Das giftige Princip, welches in einer solchen Cultur ent- halten ist, lässt sich, durch vorheriges Behandeln mit den antitoxischen Thymuszellsubstanzen, unschädlich machen, und so kann man dann grosse Mengen von den für die Krankheit specifischen todten Bacte- rienzellen dem Organismus einverleiben und ihn dadurch immunisiren.

239

Eine andere sehr bedeutungsvolle Arbeit ist die von den Prof. Brieger und Ehrlich, betitelt : „lieber die Uebertragung von Inunu- nität durch Milch".

Diese Forscher haben nachgewiesen, dass Ziegen, welche durch eine Thymus-Tetanus-Bouillon-Mischuug gegen den Wundstarrkrampf imnumisirt waren, eine Milch lieferten, welche einen erheblichen Schutzwerth enthielt ; so genügte die intraperitoneale Einführung von 0,1 cc. einer derartigen Milch, um Mäuse vor der Tetanuserkrankung zu schützen. Es ist kaum nöthig die grosse Tragweite dieser letzten Entdeckung zu betonen. Es eröffnen sich neue Gesichtspunkte und neue Hoffnungen für die Therapeutik der Infectionskrankheiten, und es scheint uns, als ob die Früchte dieser Arbeiten in naher Zukunft für die Praxis reif sein werden.

REFERATE.

Innere Medicin.— Referirt von Dr. AD. ZEDERBAUM.

Ueber den praktisch-therapeutischen Werth der Antimon Verbindungen. Von Prof. Dr. Erich Harnack. (Münchner Med. Wochenschrift, No. 11, 1892.)

Die Werthschätzung des Antimons als Heilmittel war zu verschiede- nen Zeiten eine sehr verschiedene und schwankende. Während noch im Jahre 1830 nicht weniger als 21 Antimonpräparate officinell waren, sind es heute nur zwei, u. z. der Brech Weinstein und der Gold- schwefel. Den Brechweinstein hält H. für vollkommen entbehrlich: als Emeticum wird er heutzutage überhaupt wenig gebraucht; über- dies sind seine Nebenwirkungen zumal recht unangenehmer Art, da er die Magen- und Darmschleimhaut (Durchfall !) reizt und auch vom Blute aus bedrohliche ErscheinuDgen hervorrufen kann. Das Apo- morphin ist als Brechmittel dem Tartarus stibiatus entschieden vor- zuziehen. Nur darf es nicht in zu grossen Dosen gegeben werden, um etwaigen Collapszuständen (Muskelcollaps !) vorzubeugen. Desgleichen ist der Brechweinstein als hautreizendes Mittel, zum Zwecke einer Ableitung auf die Haut, zu verwerfen. Er wirkt in dieser Hin- sicht manchmal zu heftig und kann sogar zu Necrose der Haut und der benachbarten Gewebe führen. Dieselbe „epispastische" Wirkung kann zweckmässig durch Crotonöl, Chrysarobin, Euphorbiumharz, Resorcin etc. erzielt werden. Auch als Diaphore ticum bedürfen wir des Antimons nicht, da wir über geeignetere Mittel verfügen, und was die Anwendung des Brechweinsteins als Fiebe r mittel anlangt, so hat man dieselbe mit Recht gänzlich fallen lassen. Die letzte Indication für die Antimonverbindungen ist ihre Anwendung als n a u s e o s e E x- pectorantia. Für diesen Zweck benützt man insbesondere den Goldschwefel, dessen Beibehaltung als Arzneimittel, namentlich in der Kinderpraxis (PLUMMER'sches Pulver !) vielleicht eher begründet sein dürfte. Allein auch in dieser Hinsicht vermag das Apomorpliin einen Ersatz zu bieten.

The Treatment of Pulmonary Tuberculosis by Creosote. By Dr. George H. Penrose in Washington, D. C. (Med. Record, No. 15, 1892.)

Verf. hatte Gelegenheit die Wirkung des Creosots in mehr als 200 Fällen von weit vorgeschrittener Phthise, als Arzt des „United States

240

Soldiers' Home", zu studiren und spricht sich über dieses Mittel in enthusiastischer Weise aus. Es wurden mit C. nur solche Fälle be- handelt, bei welchen alle klinischen Zeichen der Krankheit, sowie die Gegenwart von Tuberkelbacillen, zuvor zweifellos nachgewiesen wor- den sind. Es waren darunter Kranke, die buchstäblich nicht mehr auf den Beinen stehen konnten und ins Hospital durch die Ambu- lanz herübergebracht werden mussten. Das C. wird im genannten Hospital in Form einer Emulsion mit'Leberthran gegeben; jede Drachme der Emulsion enthält zwei Tropfen des Arzneimittels. Es wird mit einem Theelöffel 3-mal tägUch angefangen, nach einer Woche wird die Dose auf einen Theelöffel dreistündlich erhöht. Bei Eintritt von üebelkeit wird P. veranlasst, in liegender Stellung etwa ^ Stunde lang zu verweilen, was vollkommen ausreichend ist, um diese unangenehme Nebenwirkung zu beseitigen. Mit der Besserung des Betindens des P. wird auch die Tagesgabe des C. stufenweise erhöht, so dass schliess- lich Gaben von 48 bis 60 Tropfen Creosot pro die verabfolgt werden. Die Erfolge der Behandlung waren fast in sänimtlichen Fällen gerade- zu überraschend. Auf die einzelnen Symptome der in jedem dieser Fälle wahrgenommenen Besserung ist es überflüssig hier näher einzu- gehen. Nebenwirkungen wurden soviel wie gar keine beobachtet. Es hängt eben Alles von der Pveinheit des Präparates ab ! Im Hospital wird ausschliesslich das MERCK'sche Creosot angewandt. In Fällen von Larynxphthise werden heisse Inhalationen von C. mit Glycei in ver- ordnet, welche vorzügliche Dienste leisten. Verf. behauptet keines- wegs, dass seine Phthisisfälle durch C. vollkommen geheilt wurden; er kann nur versichern, dass viele von seinen Kranken, die sicherlich ohne diese Behandlung schon längst vielleicht todt wären, gegenwär- täg ihr Brod durch körperliche Arbeit verdienen und sich eines sehr befriedigenden Wohlbefindens erfreuen.

Zu den Beziehungen zwischen Erkrankungen der Gallenwege und ulceröser Endocarditis. Von Dr. I. Levra in Zürich. (Deutsche Med. Wocheusch., No. 11, 1892.)

Fälle von Erkrankungen der Gallenwege, complicirt durch ulceröse Endocarditis, sind in der deutschen Literatur bisher nicht veröffent- licht worden. Den Franzosen dagegen ist dieses Zusammentreffen von Choletithiasis, Entzündung der Gallenwege und ulceröser Endo- carditis schon eher bekannt. Verf. hatte Gelegenheit auf der Eichhorst' sehen KUnik zwei Fälle zu beobachten, bei welchen die Annahme be- rechtigt ist, dass die Endocarditis eine Folge der vorangegangenen Gallensteinbildung war. Der erste Fall betraf eine Patientin, die an typischen Gallensteinanfällen litt und plötzlich die Erscheinungen einer ulcerösen Endocarditis bekam, der sie in kurzer Zeit erlag. Bei der Section constatirte man verschiedene Steine im Ductus choledochus, die denselben erweitert hatten, ebenso eine Erweiterung der grösseren Gallengänge, daneben eine frische thrombotische Endocarditis der Tricuspidalis. Im zweiten Falle wurde Patientin moribund ins Kran- kenhaus gebracht. Bei der Untersuchung fanden sich die klinischen Zeichen einer Mitralstenose vor. Durch den starken Marasmus, durch die Schmerzhaftigkeit und Kesistenz in der Magengegend geleitet, vermuthete man mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Carcinoma ventri- culi. Die Section erweiterte und änderte die Diagnose nicht un- wesentlich, denn sie zeigte, dass auf dem Boden einer alten Mitralen- docarditis eine frische thrombotische (recurrirende) Endocarditis sich entwickelt hatte, dass Gallensteine und Erweiterung der Gallenwege, ein Pancreasabscess und eine eitrige Meningitis sich vorfanden.

241

Ein seltener Fall von Empyem. Von Dr. Rudolph. (Ctrbl. f. klin. Med., No. 18, 1892.)

Dei; Fall ist insofern beachtenswerth, als sich bei dem hier in Betracht kommenden IS-jährigen Patienten, im Anschluss an eine Pneumonie, zwei i s o 1 i r t e, zu verschiedenen Zeiten operirte Empyeme in einer Thoraxhälfte entwickelt hatten. Dass zwischen den beiden Empyemhöhlen keine Communication bestand, ging daraus hervor, dass der Eiter sich nicht durch die erste ofifene Empyemhöhle entleert hatte und dass ferner beim Ausspülen die Spülflüssigkeit nur durch die neu angelegte Oeffnung vorn oben zurückfloss. Der Eiter war in beiden Höhlen von derselben Beschaffenheit, mässig dicklich und ge- ruchlos. Das pathologisch Interessante ist hierbei noch die Bildung einer Scheidewand, die das Dach des unteren und den Boden des oberen Empyems darstellte. An etwa durch frühere Erkrankung entstandene Adhaesionen war hier nicht zu denken, da P. nie vorher krank gewesen war. Die Zwischenschicht musste eine sehr grosse Widerstandskraft besessen haben, da bei dem Ausspülen der ersten Empyemhöhle, als das zweite Empyem noch nicht operirt war, P. oft herausgehoben, nach der Seite und nach vorn gedreht wurde, um ein besseres Ausfliessen des Secrets und der Spülflüssigkeit zu ermöglichen, und dennoch kein Durchbruch nach der unteren offenen Empyemhöhle erfolgte !

Chirurgie. Referirt von Dr. FRANZ TOREK.

Electrolytische Behandlung der Strlkturen der Harnröhre und einiger Dermatosen. Von Prof. Eduard Lang. (Klin. Zeit- und Streit- fragen, V. Band, 6. Heft.)

Bei der electrolytischen Behandlung irgend eines Gewebes findet eine derartige Zerlegung desselben statt, dass die Anode die electro- negativen Bestandtheile, die Kathode die electropositiven zur Aus- scheidung bringt, an der Kathode sammeln sich die electropositiven Basen, an der Anode die electronegativen Säuren. Bei schwacher Stromesstärke auf begrenztem Gebiet angewendet und bei kurzer Dauer der Application kann durch lie statthabende moleculäre Decom- position eine einfache Verödung stattfinden ; anderenfalls kann die Wirkung bis zur Mortiflkation, unter Bildung eines matschen Schorfes, gesteigert werden. Als Beispiel beschreibt L. den Vorgang bei der Enthaarung wie folgt: Man braucht nur schwache Ströme (0,5 bis 2 M. A.) und stellt den Rheostaten so dass der Strom bei metal- lischem Schluss in der Stärke von 2 bis 4 M. A. fliesst. Die Nadel- elektrode wird mit dem negativen, die Schwammelektrode mit dem positiven Pol verbunden, erstere in die Haartasche eingeführt, letztere an einem indifferenten Punkt aufgesetzt. Meistens sieht man Wasser- stoffgas in Form von Schaumbläschen hervortreten ; stets wird die das Haar umgebende Haut bis zur Anaemie mit flüssigen und gasför- migen Kationen infiltrirt.

Das Haar lässt sich nun leicht entfernen ; die weisse Quaddel ver- schwindet in ein bis zwei Tagen. Die papilla pili ist auf diese Weise der Verödung durch moleculäre Zersetzung anheimgefallen.

Bei grösseren Objecten, Warzen, u. s. w., ist gewöhnlich eine solche Stromesstärke nöthig, dass das Gewebe zur Mortification gebracht wird. Es werden hier mehrere grade oder gekrümmte Nadeln mit dem negativen Pol in Verbindung gesetzt und in Distanzen von 1.5 bis 2 Mm. parallel zu einander durch die Basis des Gebildes gestochen. Hierauf wird langsam in den Strom eingeschlichen, der, je nach der Toleranz des Kranken auf 5—10 M. A. gesteigert wird, bis Schaumbil- dung, Abblassen des Gewebes, und endlich Mortification desselben eintritt.

242

Anstatt der beschriebenen unipolaren Methode kann auch die bipolare angewandt werden. Man armirt dann den positiven Pol eben- falls mit einer Nadel und zwar vorzugsweise mit einer Nadel aus Edel- metall, da Stahl von den frei gewordenen Säuren oxydirt würde; Bei kleineren Gewebstheilen genügen zwei Nadeln, die negative \md die positive, welche an zwei gegenüberliegenden Theilen des Gewebes bis in die Basis eingestochen werden ; bei grösseren sind mehrere Nadeln erforderlich, und zwar führt man die positive durch die Mitte der Basis, und zu beiden Seiten derselben werden die negativen Nadeln eingestochen. Natürlich muss man vorsichtig sein, dass die positive Nadel von keiner der negativen berührt wird.

Bei Acne rosacea und bei Angiomen gebraucht Autor nur den negativen Pol local. In ersterer Erkrankung führt er die Nadel längs der erweiterten Gefässe ein, parallel mit der Hautoberfläche. Auch bei Lupusheerden lässt sich die electrolytische Behandlung erfolgreich anwenden.

Von besonderem Werth findet L. die Elektrolyse bei Strikturen der Harnröhre. Er bedient sich dreier Elektroden, der biegsamen, der starren, gekrümmten, und der kurzen, graden Strikturenelektrode. Die genauere Beschreibung dieser würde zu weit führen ; es genüge zu sagen, dass sie bougieförmige Instrumente sind, bestehend aus einem isolirten Hohlcylinder mit einer Griffplatte an dem einen Ende, am anderen, einer sich vorn verjüngenden Olive, die Charriere No. 21 misst. Durch den Hohlcylinder lässt sich eine dünne Leitbougie, nicht stärker als No. 7 einführen. Die Striktur muss zur elektrolytischen Behandlung für Charriere 6 7 leicht passirbar sein, anderenfalls muss dieselbe erst bis zu dieser Grösse erweitert werden. Die Harnröhre wird desinficirt, der positive Pol, mit einer breiten, feuchten Elektrode verbunden, an einem indifferenten Punkt applicirt, und, bei Anwen- dung der biegsamen Elektrode, diese, bei zurückgezogener Leitsonde, bis an die Striktur vorgeschoben ; die Leitbougie wird jetzt in die Verengerung eingeschoben und die Strikturenelektrode mit dem nega- tiven Pol verbunden. Hierauf schleiche man in den Strom ein bis auf 5, eventuell bis 30 M. A. und drücke zugleich die Olive sanft gegen die Striktur an. Man fühlt deutlich das Vorrücken der Elektrode und ist meist nach 10—15 Minuten jenseits der Striktur angelangt. Jetzt zieht man die Elektrode wieder bis vor die Striktur zurück, schleicht aus dem Strom aus, und entfernt die Elektrode. Sodann injicirt man etwa 200 Gm. einer \ procentigen Zincum sulfocarbolicum-Lösung in die Blase und lässt den Patient dieselbe entleeren, um das Opera- tionsgebiet zu waschen.

Beim Gebrauch der starren, gekrümmten Elektrode, welcher der Author den Vorzug gibt, ist das Verfahren dasselbe ; nur muss man hier die Leitbougie zuerst in die Harnröhre einführen und nachher dieselbe in die Strikturenelektrode einfädeln. Der Gebrauch einer Leitbougie ist in allen Fällen anzurathen, da sich die Olive sonst in einer seitlichen Nische oder Falte verfangen und so einen falschen Weg bohren könnte.

Die Nachbehandlung besteht in Kuhe 3 bis 4 Tage lang, hierauf Ein- führung von Metallsonden alle 3 bis 8 Tage, beginnend mit No. 19 und aufsteigend, bis die gewünschte Weite erreicht ist ; dann ist die Sonde immer noch von Zeit zu Zeit einzuführen, um einer neuerlichen Ver- engerung vorzubeugen oder dieselbe früh genug zu entdecken. Die elektrolytische Beseitigung der Striktur kommt dadurch zu Stande, dass das strikturirende Gewebe zur Mortification gebracht wird, eine Thatsache, von der sich Autor bei der Behandlung einer am Oriflcium sitzenden Verengerung überzeugen konnte. Er räth jedoch vom Gebrauch der Elektrolyse am Meatus ab, da dieselbe dort viel Schmerz verursacht.

243

Gan^rene due to Carbolic Acid Solutions. Von F. C Husson, M. D.

(International Journ. of Surgery, Dec. 1891.)

Ueber vier Fälle wird bericlitet, bei welchen die Patienten wegen preringfügiger Fingerverletzungen Carbolumschläge gebrauchten, deren Concentration nicht genau festgestellt werden konnte. Das Ergebniss war ein oberflächlicheres oder tiefergehendes Gangrän, welches hier Amputation, da die Loslösung grösserer oder kleinerer gangränöser Weichtheilsfetzen benöthigte.

Zur Casuistik der Stirnhöhlenosteome. Von Dr. R. Poppert. (Mün- chener Med. Wochenschr., 1892, No. 3.)

Während Stirnhöhlenosteome überhaupt zu den selteneren Ge- schwülsten zählen, so sind diejenigen Fälle besonders selten, in welchen es gelang, die Neubildung durch operativen Eingriff radikal zu ent- fernen. P. referirt daher folgenden in der Klinik zu Glessen von Prof. Rose mit günstigem Resultat operirten Fall : 26 Jahre alter Mann ; erstes Auftreten der Geschwulst vor 9 Jahren ; erst langsames, in den letzten Ii Jahren jedoch schnelleres Wachsen derselben, besonders nach der rechten Seite hin. Verdrängen des rechten Auges nach vorn, aussen, und unten. Ausser Thränenträufeln und dem Auftreten von Doppelbildern keinerlei Beschwerden. Ueber dem rechten Auge be- findet sich eine halbkugelig prominirende Geschwulst, die sich vom lateralen Rande der Orbita bis fingerbreit über die Medianlinie erstreckt. Superorbitalrand verbreitert und nach unten verschoben. Tumor ist knochenhart. Rechter Bulbus steht etwa 2 cm tiefer als der linke und reitet auf dem unteren Augenhöhlenrande.

Operation : Querschnitt über dem oberen Orbitalrande. Zurück- schieben des Periosts zeigt, dass der Tumor an mehreren Stellen die obere Knochenlage durchbrochen und zum Schwund gebracht hat, sowohl in der vorderen Stirnbeinplatte, als an der oberen und medialen Wand der Augenhöhle. Die vordere Steinbeinplatte wurde jetzt in der Ausdehnung des Tumor mit Meissel und Elevfftorium entfernt. Die Geschwulst haftet immer noch fest durch Fortsätze in den linken Stirn- sinus, die Orbita, und die Nasenhöhle. Abmeisselung der Fort«ätze nach der linken Stirnhöhle und der Nasenhöhle. Hierauf Durch- meisselung der Basis des Tumor mit vertikalen Hammerschlägen in der Gegend des Septum. Nach Trennung des Stieles liess sich die Ge- schwulst heraushebeln. Es zeigte sich jetzt, dass die hintere Platte der Stirnhöhle nach der Schädelhöhle zu vorgedrückt und an mehreren Stellen perforirt war. Ein zwischen diesen Lücken befindlicher Theil der Platte wurde beim Hebeln mit dem Tumor zusammen entfernt, so dass ein markstückgrosser Defect entstand ; auch wurde die Dura leicht verletzt. Ein in der Nasenhöhle eingekeilter Auswuchs der Geschwulst wurde mit der Sequesterzange entfernt. Diese grosse Wunde, die mit der Nasen- und der Siebbeinhöhle communicirte, wurde mit lodoform-Gaze ausgefüllt und durch einige Hautnähte verkleinert. Heilungsverlauf normal. Entfernung des Tampon und Sekundärnaht am 7. Tage. Resultat, völliges Verschwinden des Exophthalmus ; beim Blick stark nach links treten noch Doppelbilder auf ; an dem Defect in der rechten Stirnbeinplatte fühlt man das Gehirn pulsiren.

244

Deutsche Medicinische (Gesellschaft von New Yorli.

17 West 43. Strasse. Sitzung vom 1. Februar 1892. Präsident : C. Heitzmann.

Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und angenommen. Vorstellung von Patienten.

Dr. Robert Newman stellt einen 52jährigen Patienten mit Ul- cus rodens des linken Auges und der Augenlider vor.

Discussion :

Dr. L. Weber räth die Wunde mit trockenen antiseptischen Mitteln (Aristol) zu behandeln.

Dr. Schmitt meint, dass entweder Pyoktanin oder Methylenblau hier angewandt werden sollte.

Es folgt nun der Vortrag von Dr. L. Weber:

Gerbsäurehaltige Arzneistoffe beim chronischen, nicht complicirten DünndarmkataiTh. (Abgedruckt in der „N. Y. Med. Monatsschrift" von Februar 1892.)

Discussion :

C. Heitzmanx fragt, ob sich nicht zuerst ein Catharticum empfehlen würde ; in Wien wurde sehr viel Rathania gegeben, hauptsächlich bei Kindern.

L. Weber erwidert, dass er entschieden für einen derartigen Be- handlungsplan wäre, um zuerst den Darm zu reinigen ; Rathania habe er nicht angewandt, dagegen Monesia und Colombo.

Es folgt nun der Vortrag von Dr. J. Schmitt:

Wanderniere und Frauenkrankheiten, mit Demonstration von Patienten. (Abgedruckt in der ,, Med. Monatsschrift".)

Discussion:

Edebohls hebt hervor, dass das vorliegende Thema vom grössten Interesse sei ; die Wanderniere ist sehr häufig ; vieles in Bezug auf die Symptomatologie ist sehr unklar, auch der Zusammenhang mit den Geschlechtskrankheiten ist nicht klar. Redner hat in mehreren Fällen durch Operation zunächst die Gebärmutterorgane in Ordnung gebracht, allein es folgte kein Schwinden der Krankheitssymptome, später Nephrorhaphie mit resultirender Heilung. Die „movable kidney" ver- ursacht mehr Beschwerden, als die „floating kidney" (herumwandern im ganzen Abdomen). Die Therapie betreffend hat Redner keinen Er- folg von den Binden gehabt, dagegen von der Nephrorhaphie. Die Operation muss gründlich gemacht werden ; die Capsula propria muss gespalten, ^ Zoll voq der Niere getrennt werden und dann die Suturen angelegt werden, auch ein Drainrohr ist einzufügen ; der Fettüber- schuss muss abgetragen werden.

Einhorn bemerkt, dass die Wanderniere sich sehr häufig bei Frauen mit Magendilatationen vorfindet ; er habe dieselbe in etwa X der Fälle constatiren können ; in den meisten seiuen beobachteten Fälle hat die Wanderniere an sich keine weiteren Krankheitserscheinungen hervor- gerufen. Therapeutisch hält Redner das Tragen einer Binde von Be- lang, da dadurch die erschlafften Bauchdecken eine Stütze bekommen.

L. Weber berichtet über 3 Fälle von Wanderniere, wo die Binde nicht viel Nutzen zeigte ; der erste Fall betraf ein Mädchen von 24 Jahren, welches nach einem Trauma eine Wanderniere bekam, verge- sellschaftet mit ürinbeschwerden ; es handelte sich um eine deplacirte Niere ; durch Tragen der Binde konnte hier nichts genutzt werden. Der zweite Fall betraf eine Frau, welche nicht geboren hatte ; die Wanderniere rühjte walirscheinlich ypn zu festem Schnüren her ; hier

245

war Druckempfindlichkeit vorhanden ; Binde nutzte nicht. Auch in einem dritten Fall hat die Binde nichts genützt. Die Binde nützt bei wirklicher Wanderniere (floating kidney ?). Der erste Fall hatte viel zu leiden, hier wurde der Vorschlag gemacht, die Niere anzunälien, aber dies wurde verweigert ; später wurde die Mastkur nach Weir- MiTCHELL vorgenommen ; Fat. behielt wochenlang die Rückenlage, hatte eine Eisblase auf der Nierengegend und wurde ausserdem der Mastkur unterworfen. Nach 3 ^Monaten kam sie nach New York zu- rück ; die Niere war noch nicht am Flatze, aber die Beschwerden waren weg.

C. Heitzmann bemerkt, dass Conrad vor einigen Jahren ähnliche Fälle beschrieben habe ; in einem Falle wurden die Ovarien durch Operation entfernt aber ohne Erfolg, dagegen nutzte eine Binde.

Schmitt bemerkt in seinem Schlussworte, dass die Weir-Mitchell'- sche Kur natürlich in Bezug auf Beseitigung der nervösen Symptome Einfluss haben kann, aber nicht auf die Localisation der Niere. Eine richtige Binde, gut angelegt, nützt fast immer. Dass Metritiken u. s. w. in Verbindung mit Wanderniere zusammen vorkommen, steht fest.

Es folgt sodann der Vortrag von Dr. J. H. T y n d a 1 e :

Ein Plaidoyer für die Koch'sche Lymphe. Mit Vorstellungen von Fällen. (In der „Med. Monatsschrift" abgedruckt.)

Die Discussion wird wegen der vorgerückten Zeit verschoben.

Es folgt sodann die Verlesung des Protokolls der Verwaltungsrath - Sitzung.

C. Heitzmann stellt den Antrag, dass der Verein beschliessen möchte, die Summe zurückzuerstatten. Wird angenommen.

Der Verwaltungsrath schlägt vor, die stetigen Lunch's abzuschaffen. Rachel unterstützt den Antrag.

S e i b e r t macht das Amendement, dass der Verwaltungsrath einen Saal finde, wo man nach den Sitzungen zusammenkommen möchte. Angenommen.

Als Mitglieds-Candidat wird Dr. Degener von Dr. A. Seibert vor- geschlagen.

C. Heitzmann theilt sodann der Versammlung mit, dass Ein- horn sich für bereitwillig erklärt habe, die Protokolle selber anzuferti- gen, und dass in Folge dessen der Stenograph abgeschafft wird, wo- durch dem Verein 100 Dollar jährhch erspart werden.

Schluss und Vertagung.

Dr. Max Einhorn,

protokollirender Sekretär.

Sitzung vom 7. März 1892. 17 West 43. St. Präsident : C. Heitzmann.

Dr. A. Selb e rt demonstrirt seine zur Diphtheriebehandlung ange- gebene, nunmehr verbesserte Spritze, ferner eine verbesserte Mund- sperre.

Dr. M. T o e p 1 i t z demonstrirt seine, zum Vortrag gehörende, kleine Patientin ; dieselbe hat Spuren einer deutlichen Facialislähmung.

Es folgt der von Dr. M. T o e p 1 i t z angekündigte Vortrag : Labyrinthnecrose und Facialislähmung.

Dar Vortragende berichtet zunächst über einen selbstbeobachteten Fall* von Labyrinthnekrose, weicher bei einem vierjährigen Mädchen,

*) Der Fall wird ia der April-Nutntner der ,,Archives of Otology", New York, herausgegeben von Knapp und Moos uud in der Deutschen Ausgabe derselben, der ,, Zeitschrift für Ohrenheilkunde", Wiesbaden, veröffentlicht werden. Eine Literaturübersicht bis auf die Gegenwart wird später erscheinen.

246

unmittelbar nach einem Scharlachanfall mit Facialislähmung, darauffolgendem Ohrenfluss und Gleichgewichtsstörungen einsetzte. Die Eiterung aus dem linken Ohre mit üppigen Polypenwucherungen dauerte etwas über zwei Jahre fort. Mit der Entfernung zweier Sequester durch den äusseren Gehörgang mittelst Schlinge und Löffel, letztere Operation in der Narkose ausgeführt, endete der Prozess mit Hinterlassung von kaum merklicher Gesichtslähmung und Taubheit im linken Ohre. Ohrenfluss und Polypen sind seit der Operation nicht wieder aufgetreten. Die Sequester bildeten Theile der Schnecke und wurden nebst Abbildungen demonstrirt.

Der Vortragende verbreitet sich dann über das Vorwiegen der Erkrankung beim männlichen Geschlecht und im Kindesalter und geht näher auf die Aetiologie der Krankheit ein, bei welcher die akuten Exantheme eine Hauptrolle spielen. Die Dauer des Prozesses beträgt mindestens ein Jahr, meist noch länger, oft über zwanzig Jahre. Die Affektion tritt meist einseitig ; in zwei von ca. G5 in der Literatur ange- führten Fällen (Grüber, Emanuel Max) trat sie doppelseitig auf. Die Nekrose entwickelt sich meist sekundär im Verlaufe einer Mittelohrer- krankung, in drei Fällen ergriff sie das Labyrinth p?-i??iä/' (Christinnek, Trautmaxn, Toeplitz). Der Ausfluss ist stets koatinuirlich und profus ; Fötor ist stets vorhanden. Schmerzen sind ganz konstant sowohl bei der Demarkation im Labyrinth, als auch beim Durchtritt durch das Mittelohr. Fieber und Schüttelfröste sind nur durch Komplikationen bedingt. Polypen kommen in allen Fällen vor. Gleichgewichtsstö- rungen sind nur in wenigen Fällen beobachtet, weil die Bogengänge von denen der andern Seite, ausserdem durch die Hautsensibilität, dem Muskelgefühl und dem Gesichtssinn kompensirt werden. Sie treten daher bei den doppelseitigen Fällen um so mehr hervor. Sub- jektive Gehörsstörungen flnden sich vor der Ausstossung des Sequesters nur ausnahmsweise. Daher sind sie nicht als Reizzuetand des N. Acusticus aufzufassen, sondern ihr Sitz ist weiter centralwärts zu suchen.

Der Redner erläutert bei der Hörprüfung die gegensätzlichen Ansichten über Perzeption durch die Schnecke, und er neigt sich, ent- gegen Gruber und Stepanon, der Ansicht zu. dass mit der Zerstörung, auch nur eines Theiles der Schnecke, das Geliör aufhöre. Wo noch Perzeption auf dem schneckenlosen Ohre beobachtet sei, da lässt sich das gesunde Ohr nicht ausschulten, die Lokalisation sei abhanden gekommen, oder es bestehe Selbsttäuschung. Der Verlauf des N. Facialis wird dann von dem Redner vom Eintritt in den Porus Acus- ticus Internus bis zum Austritt aus dem foramen stylomastoideum genau besprochen und sein Verhalten zur L-ibyrinthnekrose auch an Präparaten demonstrirt. Daraus geht hervTjr, dass in jedem Falle von Facialisparalyse, die neben länger dauernder Mittelohreiterung besteht, wenigstens mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht eine einfache Oberflächeneiterung, sondern ein schwerer destruktiver Knochen- prozess, meist im Labyrinth zu vermuthen ist. Auch das Verhalten der Chorda und das N. Petrosus Superficialis Major wird erläutert.

Mit kurzer Berührung der Prognose und Therapie der Erkrankung schliesst der Vortrag.

Discussion :

Dr. CowAN hat einen ähnlichen Fall beobachtet ; es handelte sich um ein Kind von 4 Jahren, wo die Sonde, in den Gehörgang eingeführt, auf entblössten Knochen stiess ; das Kind hatte auf derselben Seite eine Facialislähmung. Redner operirte, indem er die Muschel ablöste, und nahm mit dem scharfen Löffel sämmtliche necrotische Knochen- stücke weg ; Pat. genas nach 4 Wochen, allein es entstand eine Stenose des Gehörganges ; die Facialislähmung blieb zurück.

247

C. Heitzaiann fragt, wer als der eigentliche Entdecker der Schneckengänge als Efiuilibrirorgane gilt ?

M. ToEPLiTZ : Flourens war der Entdecker dieser interessanten physiologischen Thatsachen. Cowan's Fall betreffend, so möchte Red- ner erwähnen, dass kein Operateur die Muschel zum Zwecke der Operation abgelöst habe ; alle haben bis zur Loslösung des Sequesters gewartet.

F. Cohn : Es giebt manche Fälle von Labyrinthnekrose, wo kleine Knochenstücke bei der Ausspülung abgehen, ohne dass dieselben be- merkt werden ; diese Fälle können dann auch so zuheilen.

ToEPLiTz glaubt gleichfalls, dass derartige Fälle häufiger vorkom- men ; allein Labyrinthnekrose ist doch sehr charakterisch, und kann da wohl ein Sequester kaum unbemerkt abgehen.

Dr. Gleitsmann bemerkt, dass Dr. Toeplitz sein Thema in klarer, übersichtlicher Weise behandelt habe, und ist mit seinen An- sichten vollkommen einverstanden.

Bezüglich der Schwierigkeiten, die Dr. Cowan in einem Falle wegen der Enge des Gehörganges erfahren, sagt er, dass eine derartige Stenose ihm vor zwei Jahren bei einer Patientin mit Ohrenpolypen begegnet wäre. Dieselbe war schon längere Zeit von einem Ohrenarzt behandelt worden, ohne Heilung zu erzielen, und dabei mancherlei Eingriffen, Aetzungen etc. ausgesetzt gewesen. Hinter der wahrscheinlich durch diese Proceduren herbeigeführten narbigen Stenose war ein Polyp zu sehen, dem aber auf dem gewöhnlichen Wege nicht beizukommen war. Er benützte zur Dilatation das schon früher (,,N. Y. Medical Journal", Nov. 9, 1889) von ihm angegebenen Tupelo-Holz, und erzielte durch liessen zweimalige Introduction eine derartige Erweiterung, dass der Polyp in einer Masse entfernt werden konnte. Darnach trat per- manente Heilung ein.

Es folgt Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung.

Die Abstimmung ergiebt die Aufnahme der vorgeschlagenen Can- didaten als Mitglieder.

(Schluss folgt.)

Allerlei.

Den 28. vorigen Monats wurde das 35jährige Bestehen des Deut- schen Dispensary der Stadt New York in der Beethoven-Mänuerclior- halle von den Mitgliedern und Mitarbeitern dieses Institutes sowie von den Mitgliedern des Deutschen Hospitals und dessen Verwaltungsrath gefeiert. Der einzige auswärtige Gast war Herr Ottendorfer, der bekanntlich sich um das Dispensary in so hohem Masse verdient gemacht hat ; neben ihm sassen auf der einen Seite Herr Carl H. Schultz, das älteste Privatmitglied des Deutschen Dispensary, auf der anderen Seite Herr Kilian, Präsident des Deutschen Hospitals. Das Festcommittee bestand aus den Herren : Geo. W. Jagoby, Geo. Degner und A. Seibert.

Die Reden wurden von den Herren Geo. W. Jacoby, G. Degner und Dr. Zinszer (aus Wiesbaden) in geistreicher Weise gehalten. Die Festlieder waren witzig und gediegen. Nach dem Abendbrod wurde ein Theaterstück von den Mitgliedern des Deutschen Dispensary unter Mitwirkung des Schauspielers Lube aufgeführt. Der Hauptinhalt des Stückes war „Scenen aus der Dispensary-Krankenbehandlung". Alle Anwesenden haben sich in der köstlichsten Weise amüsirt.

Die Medicinisghe Monatsschrift gratulirt dem Deutschen Dispen- sary, diesem so segensreichen Institute, von Herzen und wünscht ihm ferneres Gedeihen und viele, viele glückliche Feste.

Dr. George M. Goüld aus Philadelphia hat in seinem vorzüglichen Artikel ,,The Etiology, Diagnosis and Treatment of the Prevalent

248

Epidemie of Quackery*' abgedruckt in den Medical News (May 7. 1892) einen Preis von 100 Dollar aufgestellt für die beste Arbeit, welche in einfacher und klarer Weise zeigt, wie lächerlich die Pretensionen der modernen Homöopathie, nach geschichtlicher und wirklicher Beleuch- tung, ausfallen. Arbeiten über diesen Gegenstand können bis zum 1. Januar 1893 an Dr. Gould, Philadelphia, eingesandt werden.

Professor Theodor Billroth feierte den Ablauf von 25 Jahren seit seiner Berufung an die Wiener Universität unter der grossartigsten ßetheiligung seiner Schüler und Bewunderer.

Professor Löfiler aus Greifswald, der in Thessalien mit Hülfe des Mäuse-Typhusbacillus gegen die Feldmäuseplage operirte, wurde in Athen ein grossartiger Empfang bereitet.

Die Leitung der medizinischen KUnikin Jena hat an Stelle von Prof. Rossbach, der von seinem Lehramt zurückgetreten ist, zunächst auf- tragsweise Prof. Stintzing übernommen, dem seit 1890 die Führung der dortigen medizinischen Poliklinik und die Ertheilung des klinisch- propädeutisf'hen Unterrichts oblag.

Fräulein Dr. Bayer, die erste Staatsärztin in Oesterreich, wurde in Dolny-Tuzla in Bosnien nach Ablegung des vorgeschriebenen Beamten- eides installirt. Der mohammedanischen weibhchen Bevölkerung Bosniens, welcher Sitte und Religion verbieten, einen männlichen Arzt zu konsultiren, hat die Regierung durch die Ernennung einer Staats- ärztin eine grosse Wohlthat erwiesen. Fräulein Dr. Anna Bayer ist die Tochter eines Brauereibesitzers in Böhmen. Nach schweren Kämpfen setzte sie es durch, in Zürich Medizin studiren zu dürfen. In Bern wurde sie zum Doktor der Medizin promovirt. Sie entschloss sich auch, das ärztliche Staatsexamen zu machen, und musste vorher an einem Schweizer Gymnasium nochmals die Maturitätsprüfung ablegen. Schon früher hatte sie in Dresden an der Entbindungsanstalt und an Pariser Kliniken Studien gemacht. In Bern war sie als Aerztin thätig, bis sie die Stelle in Bosnien annahm.

Nach den neuesten Statistiken beträgt die jährliche Sterblichkeit auf der ganzen Welt 33 Millionen, und zwar sterben durchschnittlich täglich 91,554, stündlich 3,730 und in der Minute 62. Die Durchschnitts- dauer des menschlichen Lebens beträgt etwa 38 Jahre. Ein Viertel der Menschheit stirbt vor erreichtem siebenten Jahre, die Hälfte vor dem siebenzehnten. Auf hunderttausend Menschen kommt einer, der hundert Jahre alt wird. Die Verheiratheten leben meistens länger als die Unverheiratheten. Unter 1000 Personen, welche das Alter von 70 Jahren erreichen, sind 43 Geistliche und Staatsbeamte, 40 sind Landwirthe, 33 sind Handwerker, 32 Soldaten, 29 Advocaten und Ingenieure, 27 Lehrer und nur 24 Aerzte.

Personalien.

Unser verehrter Mitarbeiter, Herr Dr. Willy Meyer, ist zum Pro- fessor of Surgery an der N. Y. Postgraduate Medical School ernannt worden, wozu wir ihm die herzliohsten Glückwünsche entgegenbringen. Verzogen : Dr. Edward Fridenbergf, nach 2019 5. Ave. Dr. J. H. Tyndale, nach 91 2. Ave.

Dr. Max Einhorn, stellvertretender Redakteur, 107 E. 65. St.

Billig zu verkaufen.

"Woods Complete Medical Library, 100 Volumes" gebunden und neu. Nähere Auskunft ertheilt,

Medical Monthly Publ. Co.

27 Vandewater Str.

New Yorker

Medicinische Monatsschrift.

Organ für praktische Aerzte in Amerika

unter Mitwirkung von

Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert herausgegeben von Dr. F. C. HEPPENHEIMER. Verlag der Medical Monthly Publishing Company, 17-27 Van de water Street,

Bd. IV. New York, 15. Juli 1892. No, 7.

ORIGINALARBEITEN. I.

lieber Darmresection bei gangränösen Hernien.

Von

Dr. CAEL BECK,

New York.

Vortrag, gehalten in der Deutschen Medizinischen Gesellschaft der Stadt New York, am 6. Juni 1892.

Herr Präsident ! Meine Herren ! Seitdem es dem Genie eines Czerny vorbehalten war, die erste Darmresection an der gangränösen Hernie einer 48-jährigen Frau mit unbestrittenem Erfolg vorzunehmen, schwankt die Frage, ob anus praeternaturalis oder Primärresection „von der Parteien Gunst und Hass verwirrt" in der Geschichte der Darmchirurgie.

Die glänzenden Erfolge Czerny's und ebenso Kocher's, später Schede's, Nicoladoni's, König's, Eydygier's und Anderer (der voranti- septische Fall Ramdohr's ist nicht völlig unanfechtbar) waren um so höher anzuschlagen, als sie schon im Jahre 1878 erzielt wurden, also zu einer Zeit, wo die Antisepsis noch in ihrem Embryonalstadium lag und gerade die wichtigsten Principien derselben, ihr Sündenregister unter dem Deckmantel des allbakterientödtenden Carbolsprays bergend, noch sehr lauwarme Beachtung fanden.

Man hätte nach diesen Glanzleistungen und der späteren eminenten Ausbildung der antiseptischen Methode erwarten sollen, dass der anus praeternaturalis zum chirurgischen Gerümpel geworfen werden wür- de und nur noch eine antiquarische Rolle so zu sagen hätte spielen Bollen. Diese Erwartung hat sich aber vorläufig durchaus nicht be- stätigt.

250

Hat doch sogar kein Geringerer als Hahn noch vor wenigen Jahren (Eugen Hahn, Berliner klinische Wochenschrift 1888, No. 26) mit Be- dauern erklärt, dass er sich in Folge eigener ungünstiger Resultate und übereinstimmender Berichte anderer Autoritäten veranlasst gese- hen hätte, die primäre Darmresection mit nachfolgender Enteror- rhaphie aufzugeben und zur Anlegung eines anus praeternaturalis nach der schon von Proxagoras (Caelius Aurelianus, lib. III. pag. 17) geübten uralten Methode zurückzukehren.

Zu diesen trostlosen Erfahrungen stehen die herrlichen Erfolge der oben erwähnten Operateure in grossem Gegensatz. Liest es sich doch beinahe wie eine Mirakel, dass Kocher, seitdem er ganz strenge Anti- sepsis übt, unter 13 Darmresectionen wegen brandiger Brüche nur 2 Todesfälle zu verzeichnen hat.

Wenn ich mich freilich nicht für berechtigt halte, meine Fälle mit denen der Paladine unserer heutigen Operationstechnik in Vergleich zu bringen, so dürften dieselben Ihnen, meine Herren, namentlich vom obeubezeichueten Standpunkte betrachtet, wie ihn Halin beispielsweise vertritt, immerhin einiges Interessante bieten.

Zunächst erlauben Sie mir, Ihnen die Geschichte des am heutigen Abend gegenwärtigen und völlig geheilten Falles einer doppelten Darmresection nach gangränöser Hernie vorzutragen :

Patient, die 57- jährige Wittwe Frau Lauterwasser, leidet seit unge- fähr 30 Jahren an einem Nabelbruch. Dr. Georg Stiebeling, welcher seit ebensoviel Jahren als ihr Hausarzt fungirt, konnte mehrmals im Lauf der letzten 20 Jahre die Hernie reduziren, welche von der äusserst nachlässigen Patientin nur unvollkommen durch ein Band controUirt wurde und desshalb wiederholte Excursionen machte.

Seit den letzten Jahren hatten mehrfache Entzündungsvorgänge stattgefunden, welche konsequenter Weise die Bildung von Adhäsionen zuliessen, sodass der schliesslich zu der enormen Grösse des Kopfes eines Erwachsenen entwickelte Bruch überhaupt nicht mehr in der Bauchhöhle zurückgehalten werden konnte.

Ende vorigen Jahres, nach dem gewaltsamen und erfolglosen Ver- such einer Stuhlentleerung, füllte der Bruch sich weit auf, es traten heftige Schmerzen, Uebelkeit und wiederholtes Erbrechen, kurz, die Symptomenreihe der Incarceration ein, welche von der Patientin in Folge der vielen vorangegangenen gleichartigen Anfälle nicht als solche aufgefasst wurde, sodass erst der übliche allgewaltige Kamillen- aufguss in seinen verschiedenen Spielarten versucht wurde.

Als Dr. St. am nächsten Tage gerufen wurde, war an eine auch nur partielle Reposition nicht mehr zu denken, und bei der alsbald statt- gehabten Consultation präsentirte sich mir folgender Befund :

Normal und kräftig gebaute Frau von eher kleiner als mittlerer Statur. Entwickelter Panniculus adiposus. Gewicht 170 Pfund. In der Umbilikalgegend ein kugliger, mehr als kopfgrosser Tumor, theil- weise mit der äusseren Haut verwachsen, welch letztere an einigen Stellen stark geröthet ist. Seit den letzten zwei Stunden war mehr-

251

maliges, fäkulent riechendes, Erbrechen eingetreten. Die Temperatur betrug 102,3 (in ore), der äusserst schwache Puls 135.

Es wurde die sofortige üeberbringung nach dem St. Marks Hospital angeordnet, woselbst ich alsbald, spät am Weihnachtsabend die Herniotomie vornahm. Nachdem der Magen ausgespült und die Operationsgegend mit Seife und Bürste, Aether und einer zwei pro mille Sublimatlösung gründlich gereinigt und mit Jodoformaether benetzt worden war, wird zur Narkose geschritten, und des schwachen Pulses wegen Aether verabreicht.

Es wird, dem grösseren Breitedurchmesser entsprechend, ein Quer- schnitt über die ganze Geschwulst hinweggeführt. Sogleich nach Durchschneidung der Haut, welche stellenweise sammt Bruchsack der Dicke eines Kartenblattes gleichkommt, zeigt sich aufgeblähter, hyperämischer Darm. Es fliessen ungefähr zwei Esslöffel voll einer bräunlich verfärbten, übelriechenden Flüssigkeit aus.

Eine Orientirung ist der vielen Adhäsionen wegen unmöglich, so dass erst der Deckel der Geschwulst, bestehend aus Haut und Bruch- sack, abgelöst werden muss.

Nunmehr liegt ein Convolut von gashaltigen hyperämischen Därmen vor mir, getrennt von einander durch eine Reihe fibröser Stränge, in seiner Anordnung der Samenkapsel einer Dolde im Kleinen nicht unähnlich.

Ich sah nunmehr keine andere Möglichkeit, mir die Einklem- mungsstelle, welche von dieser adhärenten Därmemasse bedeckt war, zugänglich zu machen, als dieselbe erst zu mobilisiren, was mir nach langer und mühevoller Arbeit gelang, indem ich eine ungefähr yard- lange Pteihe von Massenligaturen (Jodoformseide) anlegte. Hinter diesen konnte ich dann die Durchtrennung vornehmen. Vorher war die Haut der Umgebung, soweit sie mit den Därmen in Contakt kom- men konnte, mit einer drei procentigen Salicylsalbe bestrichen worden.

Ich muss noch hierbei bemerken, dass ich in Folge des völligen Aussetzens des Pulses beständig in der Angst lebte, eine „nicht mehr nöthig gewordene" Operation auszuführen.

Es war nunmehr ein Leichtes geworden, an den Bruchring zu gelangen und den eingeklemmten Darmtheil zu besichtigen. Derselbe war tief dunkelroth gefärbt und nur eine, der Grösse eines fünf Cent- stücks entsprechende Stelle, hatte ein mehr blauschwarzes Colorit.

Ich hielt es nun für gerathen, die Bauchhöhle mit Jodoformgaze abzuschUessen um eine additioneile Infektion zu vermeiden und die nunmehr zu applicirende Sublimatirrigation auf die extraabdominal liegenden Darmtheile lokalisirt zu halten.

Ich bemerke hierzu, dass ich furchtlos eine Lösung von ^pro mille zur Desinfektion des Darmes verwende mit der allerdings uner- - lässUchen Yorsichtsmassregel, gleich hinterher mit TniERscH'scher Solution nachzuspülen, von dem biUigen Grundsatze ausgehend, dass, wenn man sclwn einmal Desinficiren will, man dies aiiclt geling thun soll.

252

Da ich bei einer nicht unerheblichen Zahl von Ijaparotomien und Herniotomien in diesem Sinne zum Schrecken manches Collegen im Sublimatregen geschwelgt habe, ohne nachher solche Symptome gewahr zu werden, welche sich auf Merkurialgebrauch hätten zurück- führen lassen, so halte ich mich wohl zu der Ansicht berechtigt, dass die Mercuriophobie in dieser Hinsicht grösstentheils eine Chimäre ist. Wenn man absolut etwas zu fürchten haben muss, so soll man doch lieber seine Furcht auf eine Desinfektion concentriren, welche nicht ganz energisch durchgeführt wird, als auf eine Sublimat Vergiftung.

Nach dieser Keinigung also, wie geschildert, wird der verdächtige Darmtheil genauer inspicirt und bei dem Versuch, denselben hervorzu- ziehen und mittelst Streichens von seinem Inhalt zu entleeren, erfolgte ein Eiss an der oben beschriebenen verfärbten Stelle.

Sofort trat übelriechender Darminhalt aus, welcher glücklicher- weise noch rechtzeitig aufgefangen w^erden konnte.

Zur Vorsorge wird ein aseptisches Scbälchen untergeschoben. Nunmehr stand ich am Scheideweg ! Darmnaht oder anus prae- ternaturalis ? Ich entschloss mich zur ersteren und umschnitt, nach- dem ich im Hinblick auf die Möglichkeit der Beschmutzung von vorhin nochmals das Operationsterrain mit Sublimat überfluthet hatte, ein Stück aus dem Darm, bis ich anscheinend gesundes Gewebe vor mir zu haben glaubte und legte dann eine CzERNY'sche Doppelnaht mit fein- ster Jodoformseide an. Währenddem waren beiderseits die Eydygier'- schen Compressorien angelegt worden.

Hierauf erfolgte nochmalige Desinfection mit Sublimat und Borsa- licyllösung.

Die Keposition des während des ganzen Operationsverlaufes extra- abdominal gelagerten Darmstückes gelang nunmehr ohne nennens- werthe Schwierigkeit.

Die Nahtstelle wird mit zwei feinen Catgutnähten am Bruchring be- festigt, eine Sicherheitsmassregel, welche bei Separation der Nähte das sofortige Auffinden der resp. Stelle ermöglichen soll, sodass man einige Tage nach der Operation immer noch die Chance hat, die Entwickelung eines anus praeternaturalis zu begünstigen.

Der Bruchsack, eine grosse, zumeist collabirte Höhle darstellend, glich in seinem Aussehen nunmehr einem entleerten Uterus post partum.

Ich exstirpirte den ganzen Sack nebst dem grössten Theil der abun- danten äusseren Haut und legte in beide Wundwinkel, bis an den Brach- ring hinreichend, mehrere Jodoformdochte, welche als Saugdrainage allem mir bekannten Material, speziell auch den Jodoformgaze- streifen weit überlegen sind.

Hierauf folgte die Vereinigung der Hautwunde durch die Naht und ein Corapressivverband A^on Jodoformgaze. Darüber eine Eisblase. Operationsdauer 2 Stunden.

Patient war sehr coUabirt, kühl am ganzen Körper, Puls kaum per- ceptibel. Es waren ungefähr 30 Injectionen, theils aus Strophantus- tinctur, theils aus Campher und Cognac bestehend, gemacht worden.

253

Am anderen Morgen hatte sich die Qualität des Pulses etwas gehoben und die Frequenz war auf 108 gesunken, nachdem während der Nacht wiederholt Stimulantien subkutan verabreicht worden waren.

Erbrechen erfolgte nur fünf Mal ; auch war ein flatus als hochwill- kommener Gast erschienen.

Ordination: Mehrstündliche Morphiuminjectionen subkutan zur Be- einflussung der Peristaltik, ferner heisses Wasser in Theelöffeldosen per OS. Alle fünf Stunden ein Weinklystier mit Zusatz von Fleisch exträct.

Die Temperatur schwankt zwischen 101 und 102, der Puls beträgt durchschnittlich 100 und ist einen Tag nach der Operation schon quali- tativ besser.

Am 3. Tage Verbandwechsel. Die Hautwundränder sind gut ver- einigt, die Umgebung geröthet. Die Jodoformdochte sind mit bräun- licher Absonderung bedeckt. Beim Herausziehen folgt eine grössere Menge übelriechender Sekretion.

Ausspülung mit Sublimat, Erweiterung der Drainhöhle an dem einen Wundwiukel und erneute Ausstopf ung, diesmal mit einer grösse- ren Menge Jodoformdochte.

Am nächsten Tage Darminhalt in der Wunde. Es werden nekro- tische Fetzen entfernt. Seitdem ist die Temperatur beinahe immer normal gebUcben, der Puls jedoch blieb schwach und war trotz wieder- holten Digitalisgebrauches nicht unter 90 herabzudrücken. Eine Woche nach der Operation waren ungefähr ft der grossen Wunde per primam inteutiunem geheilt, das andere Drittheil war von einem wohl- etablirten, etwa fünfmarkstückgrossen anus praeternaturalis einge- nommen, aus welchem beständige Ausscheidung stattfindet.

Es ist interessant, das Spiel der Sehleimhaut zu beobachten, welches an ein vor dem Wind herwogendes Aehrecfeld erinnert.

Stuhlgang per Vias naturales findet v^n nun an nicht mehr statt. Die Ernährung, welche nunmehr so kräftig als möglich ist, geschieht per os.

Der weitere Verlauf wurde durch bronchitische Beschwerden und die beständige Furcht vor einer hypostatischen Pneumonie etwas getrübt. Es bildete sich in weiter Umgebung der Wunde ein schmerz- haftes Eczem, welches, mit Zinksalicylsalbe behandelt, nur mangelhaft heilt.

Für die Bedeckung des Anus praeternaturalis wurde Salicylgaze und darüber eine dicke Schicht Neustrelitzer Moospappe gebraucht, welch letztere ich bei dieser Gelegenheit wiederum Anlass nehme, Ihnen ihrer unerreichbaren Saugkraft wegen auf das Wärmste zu empfehlen.

Zwei Monate nach der Operation wurde Patientin trotz ihres Drän- gens nach einer plastischen Operation aus dem Hospital entlassen, da ihr schwacher Puls mich fürchten Hess, dass sie vorläufig eine so eingreifende Operation, als der plastische Verschluss des anus praeter- naturalis doch ist, schwerlich überstellen würde und so vertröstete ich sie auf später, nachdem sie sich zu Hause erholt haben würde.

Die Erholung trat jedoch nach vierwöchentlichem Aufenthalt zu Hause nicht ein, so dass ich schliesslich dem Drängen der Unglück-

254

liehen, deren Dankbarkeitsgefühl für ihre Lebensrettung, beiläufig gesagt, ein sehr limitirtes war, nachzugeben mich entschloss.

Am 7. April umschnitt ich nach gehöriger Vorbereitung die Darm- fragmente und löste sie von der schon beinahe knorpelhart gewor- denen Umgebung.

Ich entfernte dann mit dem scharfen Löffel einige Granulationen in der Umgebung der Darmschleimhaut und bediente mich zum völ- ligen Abschluss der Darmlumina der EYDYGiER'schen Compressorien, welchen ich vor den anderen Klemminstrumenten, namentlich auch den grossen PEAN'schen Zangen den Vorzug einräume.

Dieselben, welche bekanntlich aus zwei mit desinflcirten Gummi- röhren überzogenen Fischbeinstäbchen bestehen, werden senkrecht zur Axe des Darms gelegt und ihre vorstehenden Enden durch Gummi- fäden vereinigt. Von allen Fasszangen haben sie, wie Kydygier sehr richtig sagt, den Vorzug, dass ihre parallelen Branchen den Darm gleichmässig comprimiren, während jene, je näher dem Schloss liegend, desto grösseren Druck ausüben.

Demnach könnte an der einen Seite des Darms der Druck zu stark sein, so dass er zur Gangrän der betreffenden Stelle führen könnte, während an dem entgegengesetzten Theil derselbe eben noch aus- reicht, um keinen Darminhalt ausfliessen zu lassen. Dahingegen legen die parallel wirkenden Compressorien die Darm Wandungen glatt anein- ander und erhalten sie in der gegebenen Lage, wodurch das spätere genaue Nähen sehr erleichtert wird. Auch brauchen sie nie ihre Lage zu ändern, während es wenige Assistentenhände gibt, welche während der ganzen Operationsdauer unverrückt ihre Finger nebeneinander halten können. Auch nehmen die Klammern weniger Raum ein, als die Assistentenfinger.

Einem hiesigen hervorragenden Chirurgen, welcher in seinem aus- gezeichneten Lehrbuch die RYDYoiEK'sche Klammer für unpraktisch erklärt, weil man doch nicht bei jeder Herniotomie an das Mitnehmen derselben denken könne, möchte ich erwidern, dass ich keine beson- dere Schwierigkeit darin sehe, dieses vorzügliche Instrument bei jeder Unterleibsoperation bei mir zu haben.

Der Darm wird nunmehr von der äusseren Haut emporgezogen, und die Desinfektion und der Abschluss des Cavum abdominis nach den oben erläuterten Grundsätzen angestrebt.

Vom zuführenden Ende werden ungefähr 2, und vom abführen- den Ende etwa Zoll mit der Scheere in schräger Richtung abge- tragen.

Das Mesenterium wird gefaltet und nichts davon resecirt. Auf die genaueste Coaptation wird das grösste Gewicht gelegt.

Es werden ungefähr 40 Jodoformseideligaturen nach Czerny ver- wendet ; nach innen wird die Kürschnernaht gewählt.

Nach nochmaliger Desinficirung folgt Reposition des Darms. Die Nahtstelle wird wiederum prophylaktischer Weise mit zwei Catgut- fäden an der Bauchwand befestigt.

255

Sodann folgt Naht der inneren Oeffnung mit Jodoformseide dickster Nummer.

Die Spannung der Bauchdecken ist bedeutend. Darüber folgt dann eine zweite Etagennaht und zum Schluss die Vereinigung der Hautwunden, welche zuerst mit Messer und Scheere zurechtgestutzt werden müssen.

In beide Wundwinkel waren, wie bei der ersten Operation, drei Stränge Jodoformdochte gelegt worden.

Ich muss nachträglich hinzufügen, dass sobald ich den elliptischen Schnitt um die Lippen des Darms geführt hatte, die Patientin puls- und respirationslos wurde.

Ich musste desshalb die Operation auf fünf Minuten sistiren, bis nach der Anw^endung von Stimulantien der Puls wieder fühlbar wurde.

Ich vollendete nunmehr die ganze Operation, welche I2 Stunde dauerte, ohne weitere Anaesthetika zu verabreichen, was die äusserst geduldige Patientin verhältnissmässig leicht ertrug.

Der Verlauf war ein idealer. Die Temperatur stieg nie über 99^. Der Puls blieb 90 und schwach, aber regelmässig.

Die ganze Ernährung fand per rectum durch Wein- und Fleiscli- extraktklystiere statt. Mundausspülungen durften nach Belieben ge- macht werden, dagegen wurde erst vom 3. Tage an das Schlucken von heissem Wasser in Theelöffeldosen erlaubt.

Am dritten Tage wurden die von seröser Sekretion leicht durch- tränkten Jodoformdochte ausgezogen. Am 8. Tage, beim 2. Ver- bandwechsel war iie Wunde per primam geheilt. Erst vom 8. Tage ab wurde peptonisirte Milch, später Bouillon und Beeftea per os ver- abreicht, wonach Pat. sich überaus schnell erholte, so dass ich die Freude hatte, sie nach 3 Wochen aus dem Hospital zu entlassen und sie am 2:3. Tage nach der Operation schon meinen Zuhörern in der New York Postgraduate Medical School als völlig geheilt vorführen konnte.

Ich gedenke hier noch einer Episode, welche sich am 17. Tage nach der Operation zu meinem nicht geringen Schrecken ereignete. Als die Krankenwärterin auf einen Augenblick den Saal verlassen hatte, bat Pat. eine Eeconvalescentin, ihr ein Glas Trinkwasser, zur Hälfte mit Wein vermischt, zu reichen. Die thörichte Patientencolle- gin ergriff jedoch unbegreiflicher Weise eine in der Ecke stehende Sublimatflasche (1 : 1000) und kredenzte den gefährhchen Trank, der wegen des Weinzusatzes nicht am Geschmack sogleich wahrgenommen wurde, so dass die ganze giftige Mischung getrunken wurde. Zum Glück erbrach Patientin sogleich heftig und kam ohne weitere Störung über diesen Zwischenfall hinweg.

Wie Sie heute, 6 Wochen nach der Entlassung, sehen können, ist das Wohlbefinden der Patientin, ein ungetrübtes geblieben. Sie hat alle Speisen genossen und keine Verdauungsbeschwerden gehabt ; auch ist die Stuhlentleerung normal. Eine erhebliche Verbesserung der Cirkulationsverhältnisse manifestirt sich durch eine kräftigere und langsamere Pulsaktion.

256

Sie sehen, meine Herren, dass unter den denkbar ungünstigsten Verhältnissen eine zweimahge Eeselition mit schUesslichem Erfolg vor genommen werden konnte.

Nach der erstmaligen Operation trat allerdings derselbe Zustand ein, wie er auch nach der Bildung eines anus praeternaturahs sich eta- blirt haben würde. Hierdurch ist der Patientin kein Nachtheil erwach- sen. Würde aber die Primärnaht gelungen sein, so wäre diess allein schon im Hinblick auf die Gefahr einer zweiten gefährlichen Operation für die Patientin ein grosser Gewinn gewesen.

Erlauben Sie mir, dass ich zur Hlustration meiner weiter unten zu erläuternden Ansichten noch folgende Fälle erwähne, welche ich im Laufe der letzten 2 Jahre operirt habe, seit welcher Zeit ich die ganz strenge und energische Desinfektion bei Darmoperationen adoptirt habe. Es sind dies noch 4 Fälle, unter welchen sich ein vor einem Jahre geheilter Fall von nicht complicirter Darmresektion, 2 lethal verlaufene Fälle von Bildung eines anus praeternaturalis und ein ebenfalls tödtlich verlaufener Fall von Herniotomie befindet, bei wel- chem, wie die Autopsie kund that, Gangrän eingetreten war.

Fall 2. Darmresection, Heilung. John Dreher, ein 45- jähriger, kräftig genährter Mann, seines Zeichens ein Kohlenträger, seit etwa vier Jahren mit einer kleinen rechtsseitigen hernia inguinalis behaftet, stolperte auf der Treppe und fiel. Wenige Stunden darauf stellten sich heftige Schmerzen und Erbrechen ein. Der herbeigerufene Haus- arzt verordnete Eisblase und Opium, worauf „leider" vorübergehende Besserung eintrat.

Am nächsten Tage, 17. Mai 1891, Herniotomie. Bruchsack übelrie- chend, kein Bauchwasser. Beim Eröffnen des sehr dünnen Bruch- sackes stürzen hochrothverfärbte Darmschlingen hervor. Die einge- klemmte Stelle zeigt ein blauschwarzes Colorit und fühlt sich weich (matsch) an. Es wird eine fünf Zoll lange, zweifellos gangränöse Darm- schlinge resecirt und 27 CzERNY'sche Jodoformseidenälite angelegt. Irrigation und SubHmat.

Keine Mesenterialnaht. Operationsdauer 1^ Stunden. Keine Zwi- schenfälle von Bedeutung. Prima intentio mit Ausnahme der Stellen, wo die Jodoformdochte einlagen. Heilung nach vier Wochen. Patient ist seither ununterbrochen gesund gewesen und trug nur bis Anfangs dieses Jahres eine Pelotte.

Fall 3. Anus praeternaturalis. Exitus. Mrs. Tarlow, 76 Jahre alt, seit 20 Jahren mit einer kleinen, linksseitigen hernia femoralis behaf- tet, welche sie kaum belästigte, sodass sie kein Bruchband trug. Beim Wohnangsumzuge hatte sie sich überangestrengt. Tags darauf hef- tige Ohnmachtsanfälle, Schmerzen, Erbrechen.

Patientin weigerte sich von dem herbeigerufenen Hausarzt eine Lo- kaluntersuchung vornehmen zu lassen, sodass erst Tags darauf, als trotz dargereichter Narkotika sich Ileus einstellte, die Diagnose ohne Inspection klar wurde. Am 3. Mai, zwei Tage nach erfolgter Einklem- mung, Herniotomie,

257

Patientin zeigte bedenkliche Collapsersclieinungcn, sodass die Nar- cose nur unvollkommen unterhalten werden konnte.

Die Herniengeschwulst war gänseeigross und stark geröthet. Aus dem Bruchsack fliesst ein Esslöffel voll trüben, dünnflüssigen, übelrie- chenden Serums.

Die dunkel verfärbte eingeklemmte Darmschlinge reisst beim Her- vorziehen ein, jedoch erst, nachdem die Compressorien angelegt waren. Der Incarcerationsring war sehr eng.

Der Darm wird nach dem Debridement weiter hervorgezogen und nun mit TmEKScn'scher Lösung irrigirt. llesection eines 8 Zoll langen Stück Darmes, welches durch einige Sublimatseidenähte in der Wunde fixirt wird. Operationsdauer Stunde.

Am nächsten Tage bedeutende Besserung, etwas Kothabgang durch die Wunde. Puls 88, Temperatur 101. Tags darauf erneutes Er- brechen, Collaps. Temperatur subnormal. Am folgenden Tage exitus. Keine Obduction.

Fall 4. Anus praeternaturalis. Exitus. Mrs. Schnee, 43 Jahre alt, seit zwei Jahren an einem rechtsseitigen Schenkelbruch leidend, hatte bis vor wenigen Tagen ein Bruchband getragen. Beim Heben einer schweren Last weites Hervortreten der Hernie, Erbrechen und Diarrhöe. Letzteres sistirte am nächsten Tag.

Seither keine Defäkation mehr. Kepositionsversuche, vom Haus- arzt in Narkose vorgenommen, fruchtlos.

Herniotomie Tags darauf am 20. December 1890. Nach Eröffnung der unter dem rechten ligamentum Poupartii hegenden, gänseei- grossen Geschwulst, über welcher die Haut diffus geröthet ist, fliessen einige Esslöffel voll nicht riechenden, blutig serösen Bauchwassers ab. Das subkutane Zellgewebe ist ödematös und emphysematös. Darm in der Ausdehnung von ungefähr H Zoll gangränös. Bildung eines Anus praeternaturalis ; nachdem sorgfältige Irrigation mit Borsalicyllösung stattgefunden hatte. Operationsdauer Ii Stunde. Exitus nach 28 Stunden. Bei der Obduction findet sich das prävesikale, sowie das in nächster Umgebung des Bruchsacks befindliche Zellgewebe mit übel- riechender, sterkoraler Flüssigkeit durchsetzt. Das Bauchfell des Dünndarms ist weithin injicirt und mit klebrig eitrigen Belägen ver- sehen. Im Cavum peritonei kein Koth.

5.) Reposition. Exitus. Philipp Strohe], 24 Jahre alt, Uhrmacher, will erst seit wenigen Mo- naten eine rechtsseitige Skrotalhernie bemerkt haben, welche ihm nie- mals Beschwerden verursacht haben soll. Beim Baseballspiel trat der Bruch heraus und wurde irreponibel. Gegen das Erbrechen und die Obstipation wurde nun 3 Tage lang das thörichte Armamentarium domesticum in's Feld geführt natürlich mit dem schlechtesten Er- folg. Nun erst wurden durch einen herbeigerufenen Arzt zu spät Taxis- versuche angestellt. Am vierten Tage nach geschehener Incarceration Herniotomie.

258

Nach Eröffnung der faustgrossen Bruchgeschwulst findet sich nir- gendwo blauschwarz verfärbter Darm. Kein übler Geruch. Keine Spur von Bruchwasser. Zwischen Darm und Bruchsack einige lockere, leicht zu trennende Verkiebungen. Nach erfolgtem Debridement lässt sich der Darm, nur mit Borsalicyliösung bespült, leicht manipuliren und zurückschieben. Naht mit Sublimatseide. In beide Wundwinkel kommen Jodoformgazestreifen.

Dauer der Operation 30 Minuten. Am Tag nach der Operation war das Befinden leidlich. Temperatur 101. Puls 110. Trotz Opium- gebrauches am dritten Tage Diarrhöe, später Erbrechen. Collaps. Exitus. Die Obduktion ergibt eine centgrosse Perforationsstelle, der incarcerirt gewesenen Darmportion entsprechend. Diese selbst ist in der Länge von mindestens 12 Zoll gangränös.

Meine Herrn ! Wo Fälle reden, müssen Theorien schweigen und dem „Post hoc, ergo propter hoc" wohnt, wenn es auch nicht einwand- frei ist, ein gut Theil der Weisheit inne, welche der Amerikaner treffend mit dem Wort „Common Sense" bezeichnet.

Sie werden zugeben, dass, wenn ich bei den 2 Fällen, welche nach der Bildung eines Anus praeternaturalis starben, mir doch, wenn ich die Darmresektion versucht hätte, auch nichts Schlimmeres, als der Exitus hätte passiren können.

Wer kann mir aber beweisen, dass beide Fälle, wenn ich die Darm- resektion ausgeführt hätte, nicht noch am Leben wären ?

Oder gesetzten Falles, ich hätte bei den geheilten Kesektionsfällen segleich einen Anus praeternaturalis gebildet, würde dann die Frater- nität nicht geradeso gut haben vermuthen können, dass die Heilung nur dem Umstand zu danken gewesen wären, dass ich den unange- nehmen, aber sicheren Weg der Bildung eines widernatürlichen Anus eingeschlagen hätte ? Bei dem Fall, in welchem ich die Keposition des Darmes ausführte, in der irrigen Voraussetzung, dass derselbe noch lebensfähig sei, hätte ich vielleicht auch Heilung erzielen können, wenn ich mit der mir damals vor 2 Jahren— noch nicht bekannten Me- thode vertraut gewesen wäre, den Darm zur BeobachtuDg ausserhalb der Bauchhöhle in geeignetes Verbandmaterial eingehüllt, liegen zu lassen, um ihn erst später zu reponiren oder zu reseciren.

Dem Jahresbericht (1889) einer der hervorragendsten chirurgischen KUniken entnehme ich die Notiz, dass unter 5 mit Gangrän compli- cirten Hernien 2 Mal die Darmresektion ausgeführt und 2 Mal ein anus praeternaturalis gebildet wurde, und dass im 5. Fall die Kepositions- versuche fruchtlos ausfielen. Alle diese Fälle starben.

Wie sind diese traurigen Eesultate mit den VeröffentlichuDgen von Kocher z. B. in Einklang zu bringen, welcher ein Mortalitätsverhältmss von nur 15 Prozent bei der Darmresektion wegen gangränöser Hernie angibt?

Beim letztjährigen Chirurgencongress klagte Professor Helferich in Greifswald : „Das Operationsverfahren bei notorisch gaugränöser Darmschlinge ist vöUig verschieden, indem von Vielen die Anlegung

259

eines anus praeternaturalis, von Anderen die sofortige Darmresektion principiell bevorzugt wird." (Vgl. Helferich, Langenbeck's Archiv für klinische Chirurgie, 41. Band, pag. 337.)

Eine zufriedenstellende Lösung dieser Frage könnte nur geschehen, wenn wir eine in die Hunderte gehende Statistik hätten, welche mög- lichst viele gleichartige Fälle unter gleichartigen Verhältnissen (nament- lich auch vom gleichen Operateur gehandhabt) theils durch Kesection, theils durch Bildung eines anus praeternaturalis behandelte. Da dies noch ein pium desiderium ist, so habe ich schon im Jahre 1878 daran gedacht, die Frage durch das Thierexperiment beantworten zu lassen, indem ich bei 69 Katzen versuchte, die durch behinderten venösen Ab- fluss erzeugte Compressionsgangräne künstlich nachzuahmen, indem ich eine beliebige Darmschlinge mit einem dicken desinficirten Seidenfaden constringirte. Durchschnittlich 2 Tage später resecirte ich dann in der einen Hälfte der Fälle die zumeist blauschwarz verfärbte Darm- schlinge und vollzog die Enterorraphie, und legte bei der anderen Hälfte einen anus praeternaturalis an. Bei der Darmresection hatte ich eine Mortalität von 33%, bei der Bildung eines anus eine solche von 56% zu verzeichnen.

Mehrere Todesfälle beim anus paeternaturalis, welche erst später eintraten, waren meist auch auf Kosten der Inanition zu setzen, da ich die Operationsstellen zufällig weit oben im Dünndarm gewählt hatte.

Wenn sich die in meinen Versuchen gewonnenen Kesultate auch nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen lassen, so ist daraus doch manche gute Lehre zu schöpfen, die, ivenn erst beim Menschen nach melirmaligen Irrthümeim gewonnen, doch zu theuer erkauft wäre.

Jedenfalls beantworten meine Versuche die Frage in ihr'em Verhält- niss untereinander in einer Weise, wie dies beim Menschen auch heute noch nicht möglich ist, und da die Experimente unter ganz gleichen Bedingungen ausgeführt wurden, so sollte die geringere Mortalität bei der Darmresektion gegen den alten Grundsatz sprechen, dass „der anus praeternaturalis der zwar traurige aber einzige und verhältnissmässig ungefährlichere Ausweg wäre."

Man sollte doch auch nicht vergessen, dass die heutzutage bei der Behandlung von Schusswunden allgemein massgebenden Grundsätze nur durch den Thierversuch gewonnen wurden, und während noch vor wenigen Jahren der consultirende Chirurg die Weisheit des Hausarztes, bestehend in Eisblase und Opium, auch nicht um ein Atom chirurgi- scher Erleuchtung überstrahlen konnte, zögert er heutzutage keinen Augenblick mit der oft lebensrettenden Laparotomie.

Es ist vor Kurzem in dieser Gesellschaft auf die ausgezeichneten Thierexperimente von Nicholas Senn in Milwaukee hingewiesen worden, welche gewisse lebenswichtige Fragen, speciell die Art der Darmnaht und die Todesursachen nach der Operation betreffen, beson- ders auch mit Kücksicht auf Gangrän des Darmes bei innerer Ein- klemmung, zu beantworten suchen.

260

Es wurde bei dieser Gelegenheit behauptet, dass Senn das grosse Verdienst gebühre, zueilst kitzliche Probleme der Darmchirurgie durch den Tliierversuch der Entscheidung näher gerückt zu haben.

Wenn ich auch gerne zugebe, dass wir keinem einzigen amerikani- schen Chirurgen mehr Licht in der Darmchirurgie verdanken, als Senn, so muss ich doch für meine Person das Verdienst in Anspruch nehmen, zu allererst das Thierexperiment in diese Frage hineingezogen zu haben. Gcmz speciell nehme ich für mich die Idee in Anspruch, den patJtologischen Zustand des Darmes künstlich diuxh mein Verfahren nach- geahmt zu haben, wie dies auch von Professor Kydygier') in Krakau anlässlich seiner eigenen Thierversuche bereitwilligst anerkannt wurde. Vergleiche ferner König's^) Lehrbuch und Sonnenbukg^) hierüber.

Meine Experimente wurden im Jahre 1878 vorgenommen und sind im 25. Band des Langenbeck'schen Archiv's für klinische Chirurgie veröffentlicht, während Dr. Senn's'*) Publikationen im J ahre 1888 er- schienen.

Ich wollte zu meinen Thierversuchen ausserdem bemerken, dass dieselben zur Zeit der oberflächlichen Carbolantisepsis stattfanden und auch nicht in einem wohlequipirten Hospital, sondern privatim unter Assistenz von Laien, so dass manches Unvollkommene damals mit untergelaufen ist.

Schliesslich habe ich aus meinem Beobachtungsmaterial die üeber- zeugung gewonnen, dass die Primärresektion bei gangränösen Hernien nicht bloss das einfachere, sondern auch das iceniger gefährliche Ver fahren ist.

Ich bedaure lebhaft, dass ich durch namhafte Chirurgen beinflusst, mich mehrere Male zur Bildung eines anus praeternaturalis verleiten Hess, da so viele Stimmen über die Misserfolge der Besection in den letzten Jahren wieder laut geworden waren.

löh habe aber mehr und mehr die Ueberzeugung gewonnen, dass die Quelle dieser Misserfolge nicht in der Methode, sondern in der mangel- haften Ausführung, speziell zu schwacher Antiseptik und falscher Technik zu suchen sind.

Liefert doch Kocher eine sprechende Illustration hierzu, wenn er selbst zugiebt, in der Zeit der Carbolsprayperiode unter 12 Darmresec- tionen 9 Todesfälle gehabt zu haben, während er jetzt bei grösserer Uebung und Sublimatantisepsis unter 13 nur 2 Todesfälle zu verzeich- nen hat. Unter diesen Erfolgen befladet sich eine Kesection von einem 80 cm. langen Stück Darm und eine dreifache Darmresection (s. Kocher, Correspondenzblatt der Schweizer Aerzte, Jahrgang 1889).

1) Eydtgiee. Berliner Klinische Wochenschrift, Jahrgang 1881, pag. 621.

2) KÖNIG. Lehrbuch der speziellen Chirurgie für Aerzte und Studirende, Berlin, 1885. 2. Band, pag. 348 u. 349.

3) SoNNENBUEG. Centralblatt für Chirurgie, Jahrgang 1880, Seite 317.

^) NicHOLAS Senn. An expeiimental Contribution to intestinal Surgery. St. Louis, 1888.

261

Nehmen wir nun selbst den Fall im, dass alle diese glücklich Ope- rirten auch bei Bildung eines anus praeternaturalis am Leben geblie- ben wären, mit welch' erbärmliclien Zustand hätten sie dann ihr bloss vorläufig gerettetes Leben vertauscht. Zu der ekelhaften beständigen Beschmutzung gesellt sich die Eiterung mit den Gefahren der Sen- kungsabscesse, die Plage des Eczems und die Möglichkeit der Aussicht, bei einer zweiten Operation einen Misserfolg zu haben oder das Leben doch noch einzubüssen, fürwahr eine Perspective, welche bei einem noch so resistenten Nervenapparat ein Gefühl tiefster seelischer De- pression auslösen muss. Nach gelungener Darmresection erfreut sich der Patient durchschnittlich nach 3 bis 5 Wochen völliger restitutio ad integrum. Die Behandlung mit der DupuvTREN'schen Darmscheere ist auch ganz und gar nicht ungefälirlich und nach dem heutigen Stand- punkte der Chirurgie überhaupt kein würdiges Verfahren mehr.

Ich kann auch nicht einsehen, warum die Anlegung eines anus praeternaturalis die Infectionsgefahr auf ein Minimum reduciren soll. Wenn man keine genügende Desinfection hat ausüben können, dann tritt ja doch Sepsis ein und hat man gründlich desinflcirt, dann hätte man ja gerade so gut reponiren können.

Wenn alle Todesfälle nach Anus praeternaturalis übrigens ver- öffentlicht werden würden, so dürfte dessen Statistik sich zu Gunsten der viel seltener ausgeführten Darmresektion auch gewiss bedeutend verschlechtern.

Zum Schluss gestatten Sie mir folgende Thesen :

1) Bei gangränverdächtigem Darm ist derselbe vor die Bauch- wunde zu ziehen, dort in geeignetes Verbandmaterial zu hüllen (Salicyl- gaze), um ihn zu controlliren und nach eins bis zwei Tagen zu reponi- ren oder reseciren. Dasselbe Verfahren findet bei schon eingetretener Peritonitis statt.

2) Bei positiver Gangrän, welche sich durch blauschwarz verfärbte Stellen und in meisten Fällen durch den Geruch manifestirt, ist eine ausgedehnte Darmresektion auszuführen, welche selbst durch eine bereits bestehende Perforation niclit contraindicirt ist, vorausgesetzt, dass das anliegende Peritonium noch ein gesundes Aussehen hat.

3) Das Haupterforderniss eines Erfolges liegt in der sichereren Behinderung jeglicher Infektion.

Dieselbe wird erreicht.

a) Durch gründliche Desinfektion der Umgebung.

b) Durch sorgfältige Vermeidung des Austrittes von Darminhalt in die Bauchhöhle.

4) Die Resektion darf nur in gesundem Gewebe stattfinden, so dass man solche Wundflächen erhält, welche zu einer primären Verklebung geneigt sind. Es kann sehr leicht passiren, dass Darmparthieen ver- einigt werden, an deren Wandungen die Cirkulation bereits gestört ist und scheint mir die mangelhafte Beachtung dieses Umstandes der häufigste Grund des Nichthaltens der Naht zu sein.

262

Auch sollte man schräg schaeiden, so dass breite Flächen mit einander in Berührung kommen. Von dem concaven Darmtheil lasse man mehr stehen, als vom convexen.

5) Die Blutzufuhr vom Mesenterium muss auf das Sorgfältigste erhalten bleiben und ist desshalb keine Keilexcision vorzunehmen.

6) Zur Verhütung des Kothaustrittes sind die KYDYGiER'schen Com- pressorien zu verwenden.

7) Zur Enterorraphie ist die einfache LEMBERT'sche Naht nicht zuverlässig genug, wesshalb die CzERNY'sche Naht vorzuziehen ist mit der Modifikation, dass zur inneren Nahtreihe die Kürschnernaht gewählt wird. Es ist dies im Interesse rascherer Vollendung zu empfehlen, ein Umstand, welcher gerade bei dieser Operation beson- ders schwer ins Gewicht fällt.

Die SENN'schen Platten würde ich speziell da, wo schon so viel Disposition zu Gangrän besteht, nicht empfehlen, da sie durch ihre Compression derselben Vorschub leisten.

Die Naht, wie sie Czerny beschreibt, wird folgendermassen vorge- nommen : Man sticht mit einer möglichst feinen Nadel 2 bis 3 Milli- meter vom Wundrand entfernt in die Serosa ein und dicht vor der Schleimhaut aus. Am anderen Wundrand sticht man dicht vor der Schleimhaut ein und 2 bis 3 Millimeter weit von der Serosa aus. Wenn man diesen Faden knüpft, so liegen an der Innenseite des Darmes die Wundränder der Schleimhaut dicht aneinander und es berührt sich die wunde Fläche nebst einem 2 bis 3 Millimeter breiten Serosastreifen. Diese erste Reihe von Nähten liegt in Zwischenräumen von 3—4 Milli- metern.

Die Fäden werden ganz kurz abgeschnitten und darüber, aber dicht anliegend, ja theilweise noch die erste Reihe mitfassend, wird eine zweite Reihe von Kürschnernähten angelegt, welche nach Art der Lem- bert'schen Nähte die serösen Flächen in breite Berührung bringt. Es genügt, wenn die Nähte der zweiten Reihe in Zwischenräumen von i Centimeter und darüber liegen. Auch diese Fäden werden gleich nach der Anlegung geknüpft und kurz geschnitten.

Es ist von der grössten Wichtigkeit, dass Serosa genau an Serosa passt. Senn hat, eine gute Bedeckung für sehr essentiell haltend, den Vor- schlag gemacht, die ganze Nahtstelle in ein Netzstück einzupacken. Es lässt sich diese vorzügliche Idee gewiss in manchen Fällen ver- werthen ; im Allgemeinen jedoch dürfte man mit einer auf das Exak- teste angelegten Naht auskommen.

8) Zum Nähen ist die Jodoformseide dem Catgut als einem zu nach- giebigen Material vorzuziehen.

9) Die Ba,uchhöhle muss während der Operation mit antiseptischer Gaze abgeschlossen werden, so dass das Operationsterrain vollständig extraabdominal gehalten ist.

10) Der Bruchring ist möglichst ausgedehnt zu dilatiren.

263

11) Die Desinfection des ausserhalb liegenden Darmstückes hat mit einer 2 pro mille Sublimatlösung zu geschehen, welcher eine Xach- spülung mit Thiersch'scher Solution folgt.

12) Die Darmnahtstelle ist zur Sicherheit am Bruchring mit einigen Catgutnähten zu befestigen, damit sie leicht gefunden wird, falls die Symptome der Separation auftreten und die Bildung eines anus prae- ternaturalis nicht mehr zu vermeiden ist.

Ist der Verlauf ein normaler, so wird der Heilungsprocess durch diese Nähte später nicht gestört, was man von der in diesem Sinne pro- ponirton Fadensclilinge nach .Tobert nicht behaupten kann.

In die Wundwinkel sind Jodoformdochte zu legen, welche nach drei Tagen wieder entfernt werden können.

13) Auf den Deckverband, aus Jodoformgaze und Gummipflaster bestehend, kommt eine Eisblase, welche nicht blos ihrer gewöhnlichen Eigenschaften wegen, sondern auch, weil compressiv nach Art eines Schrotbeutels, günstig wirkt.

14) Die Ernährung hat die ersten 7 Tage einzig und allein per rectum durch Fleischextract und Wein zu erfolgen. Die ersten 2 Tage werden nur Mund Waschungen gestattet, die folgenden 5 Tage heisses Wasser in Theelöffeldosen per os.

Bei günstig verlaufenden Fällen, welche sich schon am nächsten Tage durch ihren zufriedenen Gesichtsausdruck als solche prophezeien, ist das Durstgefühl durchaus nicht erheblich. Die Darmperistaltik wird durch Morphiuminjektionen beeinflusst.

15) Die Technik der Darmresektion ist eine so enorm schwierige und mit der einer gewöhnhchen Laparotomie nicht im entferntesten zu vergleichen, so dass kein Chirurg dieselbe vornehmen sollte, bevor er sich nicht am Thier die nöthigeUebung verschafft hat. Man kann im Stande sein, eine Fussgelenksresektion summa cum laude auszuführen und kann eine Darmresektion recht primitiv vornehmen. Dann hat man freilich auch nur primitive Erfolge zu erwarten, die man dann gar zu gern der Methode an Stelle seiner eigenen mangelhaften üebung in die Schuhe schieben möchte. Wie leicht kann man jene durch das Thierexperiment erlangen. Und wenn 1000 Katzen ihr durchlauchtiges Herzblut verspritzen, um ein Menschenleben zu retten, so ist dieses Opfer wahrlich nicht zu theuer erkauft.

187 Second Avenue.

264

IL

Eine Haarnadel in einer männlichen Harnröhre.

Von

Dr. S. J. MEITZER,

New York.

Eine Haarnadel in einer Harnröhre eines erwachsenen, geistig gesunden Mannes ist gewiss ein sehr seltener Befund und verdient registrirt zu werden.

Die Mutter von Frank T., eines 17jährigen jungen Mannes, hatte Blutflecken auf dem von ihrem Sohne benutzten Bettlaken entdeckt ; sie fand auch bald aus, dass der Harn des jungen Mannes mit Blut vermengt war. Ich wurde um Rath gefragt. Da war auch eine lange verleitende Anamnese. Der junge Mensch kränkelte seit seiner Kind- heit, und zwar wäre der Sitz seiner Leiden stets im Uro-genital. Apparate gewesen, ein Chirurg habe schon vor vielen Jahren da eine Operation ausführen wollen. Auf Befragen gab der Patient an, dass er Urin ganz unbehindert lassen könne, er habe nur Schmerzen beim Uriniren ; dabei komme zuerst das reine Blut und nachher ein klarer Harn. Die letzte Angabe deutete darauf hin, dass die Ursache der Beschwerden in der Urethra ihren Sitz haben muss. Bei der Inspection des Penis fiel sofort die ungewöhnliche Länge und der gestreckte Zustand desselben auf, was einerseits auf Onanie, andrerseits aber auch auf einen Fremdkörper hinzudeuten schien, der den nicht eregirten Penis künstlich gestreckt hielt. Der Versuch, den Penis zu beugen, stiess auf einen gewissen mechanischen Widerstand und verursachte Schmerzen. Bei der Palpation der untern Fläche des Penis Hess sich deutlich die Anwesenheit eines Körpers in der Urethra erkennen, der die Form und die Grösse einer Stopfnadel hatte. Die Spitze dieser Nadel konnte zur Seite des Frenulum nicht nur durch Palpation, sondern auch mittelst Inspection deutlich wahrgenommen werden. Der junge Mensch leugnete jede Kenntniss, wie die Nadel da hinein- gerathen wäre und vermuthete, dass seine Mutter beim Repariren seiner Hosen die Nadel daselbst vergessen haben mochte, die dann un- bemerkt in seine Harnröhre hineingeschlüpft wäre.

Ich dachte zunächst, die Extraction der Nadel auf dem natürlichen Wege zu versuchen. Zu diesem Behufe ging ich mit einer Kornzange in die Urethra hinein, es gelang mir auch bald die Nadel zu fassen ; sie konnte jedoch weder nach vorn noch nach hinten bewegt werden, dabei verursachte die Procedur ziemlich heftige Schmerzen. Ich beschloss daher, den Patienten zu narcotisiren und zunächst denselben Versuch nochmals zu wiederholen, und sollte er misslingen, dann den durch die Nadelspitze angedeuteten Weg zu betreten, nämlich die Nadel durch

265

die Wand zu forciren. Zuvor jedoch habe ich den jungen Mann privatim vorgenommen und presste nunmehr von ihm das Geständnifcs heraus, dass er selber die Nadel hineingeschoben hatte, und zwar war es eine Haarnadel ! Ich versuchte nunmehr auch den andern Schenkel der Nadel herauszufühlen ; es war aber nicht recht möglich, die Nadel lag in der Urethra offenbar mit beiden Schenkeln senkrecht über einander, wobei der obere Schenkel in die Furche zwischen den Schwell- körpern hineingepresst war. Beim Versuche jedoch, den Penis über semen Rücken zu beugen, trat das runde Ende der Haarnadel an der untern Fläche der Urethra deutlich hervor, wodurch die Angabe des Patienten nunmehr auch objectiv festgestellt werden konnte. Unter diesen Umständen nahm ich von jedem Versuche Abstand, die Nadel per vias naturales entfernen zu wollen oder, wie ich es zuerst vorhatte, die fühlbare Spitze durch die Wand zu forciren. Ich entschloss mich, die äussere Urethrotomie zu machen, und zwar benutzte ich das hintere runde Ende der Haarnadel, welches bei der oben erwähnten Beugung des Penis genügend hervortrat, als Sonde, um darauf einzu- schneiden. Eine kleine Oeffnung ermöglichte die Extraction der Nadel. Der Heilungsverlauf war normal.

In diesem Falle bin ich also nur durch das erpresste Geständniss des Patienten auf den richtigen Weg geführt worden. Ohne diese Beichte, die wohl nicht immer zu erlangen ist, wäre ich auf die gewiss recht fern liegende Möglichkeit, dass es sich um eine Haarnadel handeln könne, vielleicht gar nicht gekommen. Ich wäre dabei ge- blieben, dass ich eine einfache Nadel vor mir habe und hätte versucht, dieselbe zunächst durch die Harnröhren-Mündung und dann durch eine Oeffnung neben dem Frenulum zu entfernen, und hätte wahrscheinlich nach langem Herumwühlen und Zerfleischen meinen Versuch aufgeben müssen. Der Grund für meine irrthümliche Voraussetzung lag darin, dass ich nur einen Schenkel und nur eine Spitze fühlen konnte, der andere Schenkel lag eben in der Furche zwischen den corporibus cavernosis versteckt, d. h. weil in meinem Falle die Schenkeln der Nadel vertical über einander lagen. Es will mir indessen scheinen, und darauf will ich hauptsächlich hinaus, dass die Lage der Haar- nadel in meinem Falle keine zufällige war ; dass vielmehr in allen Fällen, wo eine Haarnadel in eine männliche Harnröhre gelangt, die Position der Nadel dieselbe sein müsse, wie ich sie in meinem Falle angetroffen habe. Es liegen meines Erachtens gewisse Umstände vor, welche einen sozusagen typischen Modus bedingen, sowohl für das Eindringen der Haarnadel als auch für die bleibende Lage derselben innerhalb der Harnröhre. Diese Umstände verdienen besonders her- vorgehoben zu werden, und ich will sie daher im Folgenden näher detailiren.

1. Jede Haarnadel wird wohl stets mit dem runden Ende in die Harnröhre eingeführt ; dies braucht kaum eine besondere Begründung. Sollte es aber auch einmal passiren, dass die Nadel zuerst mit den Spitzen eingeführt wurde, dann würde sie schwerlich ganz in die Urethra

266

eindriagen können, die Spitzen der Nadel würden sich bald in die Schleimhaut der Urethra, namentlich in den Mündungen der Drüsen (Gland. Littriianse und Laccunae Morgagnii) fangen.

2. Die Haarnadel muss stets mit senkrecht über einander gelagerten Schenkeln in die Harnröhre eingeführt werden, weil die Spalte des Oriflcium externum senkrecht gerichtet ist.

3. Die am offenen Ende der Haarnadel weit auseinander stehenden Schenkel derselben werden beim Passiren durch das enge Oriflcium zusammengepresst ; sobald jedoch der äussere Zwang aufhört, werden die Schenkel durch ihre federnde Kraft das Bestreben haben, wieder auseinander zu gehen. Nun befindet sich bekanntlich unmittelbar hinter dem engen Oriflcium die Fossa navicularis, eine weite und nachgiebige Stelle der Urethra. Die Schenkel der Nadel werden daher, sobald deren Spitzen die enge Stelle passiren, sofort sich federnd erweitern und die Harnröhre in senkrechter Richtung gespannt er- halten ; und da die obere Wand der Glans nur wenig nachgiebig ist, so wird der federnde Druck sich hauptsächlich an der untern Wand bemerkbar machen. Die Haarnadel muss demnach durch die eigene federnde Spannung in derselben Position verbleiben, in welcher sie während des Durchtritts durch die äussere Harnröhren-Spalte sich befand. Es ist ferner zu erwarten, dass erstens die Nadel durch ihre gespannte Stellung verhindert sein wird, noch tiefer in die Urethra zu wandern, und zweitens, die Spitze des untern Schenkels sich stets an der untern Seite der Glans stark fühlbar machen wird.

4. Die Haarnadel wird in der eben erlangten Position um so eher verharren, als höchst wahrscheinlich jeder Mensch, erschreckt durch das Verschwinden der Nadel, sofort den Versuch macht, die Nadel wieder herauszubefördern, indem der Penis von hinten nach vorn mas- sirt wird, wodurch aber die Nadelspitzen nur noch tiefer in die Schleim- haut eingegraben werden.

Demnach ist a priori zu erwarten, dass jede Haarnadel stets mit ihren beiden Schenkeln vertical über einander gerichtet in der männ- lichen Urethra zu flnden sein wird. Ferner wird das runde Ende stets nach hinten gerichtet sein, während die spitzen Enden wahrscheinlich stets innerhalb der Glans penis, der Fossa navicularis ent- sprechend, verharren werden und zwar federnd gespannt und meistens in die Schleimhaut eingegraben.

Von jeder Haarnadel würde man demnach stets nur den untern Schenkel fühlen. Nun glaube ich aber jetzt, dass gerade das leichte und deutliche Fühlen eines Schenkels an eine Haarnadel mahnen soll, da eine einfache Nadel doch leicht ausweichen und in die Furche zwischen den Schwellkörpern sich verstecken kann. Mehr aber noch als das deutliche Fühlen des Schenkels muss das Prominiren der Spitze desselben durch die Haut für eine Haarnadel sprechen, weil bei einer einfachen Nadel nicht recht einzusehen ist, welche Kraft die Spitze stark nach aussen drängen soll.

267

Am leichtesten freilich dürfte die differentielle Diagnose dadurch gemacht werden, dass man den Penis über sein Borsum beugt, wodurch das runde Ende der Haarnadel deutlich hervortritt.

In der Litteratur des letzten Jahrzehnts finden sich zwei einschlägige Fälle verzeichnet, der eine ist von Güyon», der andere von Reginald Bailey-, beschrieben. Guyon hatte die Haarnadel wohl durch einen ähnlichen Schnitt entfernt, wie ich ihn gemacht habe. Bailey hingegen sagt : " I cut down upon one point, and after this was able to force the other through the glans ; then, by nipping off one of the arms as low down as possible and gently twisting the other succeeded in getting the remaining part quite free." Ich glaube nicht, dass diese Methode zur Nachahmung herausfordert.

III.

Ueber Achjlia gastrica.

Von

Dr. Max Einhorn,

Privatdozent an der N. Y. Postgraduate Medical School und Arzt am Deutschen Dispensary von New York.

(^Schluss.)

Fall 3. 1. October 1891. Frau Caroline P., 50 Jahre alt, leidet seit 20 Jahren an Magenbeschwerden (hatte zuerst Magenkrämpfe), später kam Erbrechen hinzu; gewöhnlich trat das Erbrechen alle 3 Jahre periodisch auf; seit einem Jahre brach sie beinahe jeden Tag und hatte Schmerzen im Epigastrium. Appetit niclit gut. Stuhlgang angehalten.

Status praesens : ziemlich gut genährte, stattlich gebaute Frau ; Farbe der Lippen und Wangen frisch und gesund. Zunge nicht belegt. Brustorgane intact; am Magen lassen sich keine Klatschgeräusche erzeugen. Epigastralgegend auf Druck schmerzhaft.

Den 5. Oktober 1891. 1 St. n. Probefr.: Der Mageninhalt kommt schwer heraus, weil sich die Sondenfenster häufig mit Semmelstückchen verstopfen; Reaction schwach sauer; HC1=0; Acid=^4; Milchsäure kaum nachweisbar; Propepton wie Pepton nicht vorhanden; Lab und Pepsin fehlen ; kein Schleim ; Achroodextrin # viel ; Erythrodextrin = 0.

In Anbetracht des langjährigen Bestehens des Leidens und des charakteristischen Mageninhaltsbefundes wurde gleich die Diagnose auf „Achylia gastrica" mit aller Wahrscheinlichkeit gestellt, und diese Diagnose durch das weitere Verhalten der Patientin bekräftigt.

1) Guyon, Corps etranger de l'urethre (epingle ä cheveux chez rhomme), Journal de Med. et de Clin, practique, 1889.

2) Balley, Impaction of a Hairpin in the Male Urethra. Brit. Med. Journal, 1887.

268

Die später viele Monate hindurch (etwa einmal oder zweimal monathch) vorgenommene Untersuchung des Mageninhalts ergab stets das nämliche Resultat: Fehlen von Salzsäure, sehr geringe Acidität; kein Pepton, kein Propepton, weder Lab noch Pepsin; keine Schleim- beimengung; die Semmelstückchen ganz unverändert.

Die Behandlung bestand zuerst in der Darreichung von Condurango, HCl und Chloralhydrat bis zum 29. October 1891, allein das Erbrechen war nicht verschwunden. Seit dem 30. October einmal wöchentlich directe Faradisation des Magens, seitdem kein Erbrechen. Appetit noch immer nicht gut, aber doch besser als vorher.

In Bezug auf die Diät wurde Patientin angewiesen, die Nahrung möglichst fein zu zerkleinern; sie nahm Kumyss, Fleischpulver, ge- riebene Krackers und Eier in Brühe durchgeschlagen.

Während des Winters haben sich die Schmerzen, über die Patientin zu klagen pflegte, beinahe ganz verloren, und sie konnte mehr essen; an Gewicht hatte Patientin weder zu- noch abgenommen, aber der All- gemeinzustand war so gut, dass von der Elektrisation abgesehen werden konnte.

Am 10. April 1892 war das Resultat der Magenuntersuchung, eine Stunde nach dem Probefrühstück, genau wie oben angegeben.

Fall 4. Achyliagastrica, complicirt mit R u m i n a t i o.

August B., 52 Jahre alt, Schreiner, war stets gesund und hat seit 20 Jahren keinen Arzt gebraucht, litt als Junge an häufigen Kopf- schmerzen, Leibweh und Abweichen bis zum 20. Lebensjahre; als Grund für die Leibschmerzen giebt Patient den Umstand an, dass er unter erbärmlichen Verhältnissen auferzogen wurde, er hatte gewöhn- lich wenig zu essen, ab und zu jedoch arbeitete er bei Bauern auf dem Lande, wo es viel des Guten zu essen gab, und hier pflegte Patient seinen Magen zu überladen.

Fleisch hatte Patient als Knabe vom 5. bis zum 14. Lebensjahre nicht bekommen ; seine Hauptnahrung bestand aus : Kartoffeln, Mehlsuppe, Brod, Wassersuppe nur als Extra ; Fleisch bekam er nur, wenn er gelegentlich bei Verwandten zu Besuch war ; Buttermilch, Kaffee hatte Patient nicht gern ; sobald er jedoch bei seinen Geschwistern zu Besuch war, pflegte er etwas Kaffee zu trinken, damit er den Zucker bekomme, der mit demselben servirt wurde.

Seit Patient sich erinnern kann, pflegte er oft nach dem Essen (etwa eine halbe Stunde später) das Genossene wieder heraufzubringen, zu kauen und wieder zu verschlucken ; er pflegte Kirschen zu essen, und erst später beim Hochbringen aus dem Magen in den Mund die Kerne auszuspucken.

Dieses Heraufbringen der Nahrung pflegte Patient hauptsächlich dann zu thun, wenn er sich gut fülilte ; beim zweiten Male des Kauens hat er denselben Genuss wie beim ersten ; oft kommt das Essen bissen- weise hoch, ohne dass Patient viel daran gedacht hat. Erbrechen hat Patient fast niemals, nur wenn er sich betrinkt, was etwa zweimal

269

während seines Lebens vorgekommen ist, war Erbrechen da, ebenso auf einer Seereise nach Deutschland, sonst nie.

Patient pflegt schnell zu essen, und die harten Sachen kaut er dann später ordentlich durch.

Patient kann die Rumination zu jeder Zeit hervorbringen, ausser wenn der Magen nur sehr wenig enthält, oder beinahe leer ist.

Wenn Patient die Rumination ausül^t, macht er es so, dass es Niemand merkt ; er pflegt dies Niemand zu sagen, und selbst seine Frau weiss nichts davon.

Status praesens : kräftig gebauter Mann von kleiner Statur, ist sehr gut genährt und mit reichlichem Fettpolster versehen: Brust- organe intact ; Magen dilatirt, untere Grenze reicht bis 1 Finger breit oberhalb des Nabels. Patient hat keinerlei Klagen, hat guten Appetit, regelmässigen Stuhlgang und fühlt sich in jeder Hinsicht gesund.

Das Einzige, was ihm auffällt, und weswegen er lange Zeit in Deutschland behandelt wurde und später zu mir kam, ist seine belegte Zunge.

Den 27. October 1891. 1 St. n. Probefr.: Patient bringt spontan eine kleine Menge Inhalts herauf (etwa 20 cc). Mit dem Schlauch kann gleichfalls nur eine geringe Menge (20 cc.) gewonnen werden. Die Semmelstücke sind nicht fein zertheilt und beinahe unverändert.

HCl = 0 ; Acid = 2 ; Milchs. ? ; Lab = 0 ; Propepton = 0 ; Pepton = 0 ; Erythro dextrin = 0.

Meltzer's Schluckgeräusche : Patient trinkt Wasser ; beim ersten Schluck hört man sofort das Durchschlürfen des Wasser (Darchspritz- geräusch) ; beim zweiten Schluck (der nach etwa 1 bis 2 Minuten aus- geführt wurde) hört man das Durchpressgeräusch nach etwa 8 Secun- den ; beim dritten Schluck hört man sofort das Durchspritzgeräusch und nach 10 Secunden ein Durchpressgeräusch.

Während dreier Monate hatte ich Gelegenheit Prüfungen des Mageninhalts bei Patienten vorzunehmen, und fand immer das oben beschriebene Resultat.

Dieser letzte Fall ist in vieler Hinsicht hochinteressant. Zunächst sehen wir, dass sich die Achylia gastrica bei einem finden kann, der seitens seines Verdauungstractus sich keinerlei Beschwerden bewusst ist und sich vollkommener Gesundheit erfreut.

Die anamnestischen Daten, die uns Patient liefert, scheinen darauf hinzuweisen, dass die Magenanoraalie in seiner frühen Jugend entstan- den ist ; denn nur damals schien er Beschwerden gehabt zu haben, später hat er jedoch gar keine Krankheit durchgemacht. Dieses würde somit deutlich zeigen, dass die Achylia gastrica 40 Jahre hindurch bestehen kann, ohne die Lebensfunctionen des Organismus zu ge- fährden.

Aetiologisch von Wichtigkeit ist die Angabe des Patienten, dass er in seiner frühesten Jugend gar kein Fleisch oder sonstige eiweissreiche Nahrung gegessen hatte ; da der Magen im Sänglingsalter einen Saft

270

absondert, der nicht reich an Salzsäure ist (s. meine Arbeit') im Y. Medical Journal" : The time required for the Stomach Digestion of different Foods in Infancy.), so wäre es denkbar, dass sich bei unserem Patienten diese Eigenschaft des Magens, einen sauren Saft zu liefern, nicht weiter entwickelt hat, weil der saure Saft bei der spärlichen hauptsächlich aus Vegetabilien bestehenden Kost des Patienten, wo sich fast ausschliesslich Amylaceen vorfanden, nicht nur von keinem Nutzen, sondern eher nachtheilig für die Verdauung wäre (bekanntlich wird die Stärkeumwandlung in Zucker durch eine massige Menge Säure gestört), so würde der Magen in den ersten Jahren des Knabenalters nur wenig HCl. geliefert haben, und später event. noch durch Hinzukommen anderer störender Einflüsse (acute Magenkatarrhe etc.) ganz und gar seine Secretionsfähigkeit eingebüsst haben. Das Wiederkäuen Hesse sich hier ätiologisch durch die früh entstandene Achylia gastrica oder Magensaftlosigkeit erklären. Denn bei der Achylia bleiben die vege- tabilischen Speisestückchen, dadurch, dass das einhüllende Pflanzen- ei weiss nicht gelöst wird, unzerkleinert im Magen liegen, wie dies Reichmann2) angegeben hat; die Stärkekörnchen, deren Hüllen noch nicht mechanisch im Munde geöffnet worden sind, entgehen so der Um- wandlung in Zucker ; es ist also das feine Zerkleinern der Speisen das beste Mittel, um diesem Uebelstande Abhülfe zu thun.

Vielleicht hat sich hier so aus teleologischen Gründen das Wieder- käuen—wodurch der Patient in Stand gesetzt wird eine feine Zer- kleinerung der Speisen beim abermaligen Kauen vorzunehmen, aus- gebildet.

Betrachtungen.

Gehen wir von neuem kurz die angeführten Fälle von Achylia gastrica durch, so finden wir, falls wir von dem vierten, zuletzt be- schriebenen Fall, in dem keinerlei Beschwerden sich vorfanden, ab- sehen, — dass die Klagen der betreffenden Patienten Bezug hatten auf häufiges Erbrechen, Appetitlosigkeit und Gefühl von Völle oder Schmerzen in der Epi- und Gastraigegend.

Das Aussehen der Pat. war ein gutes, d. h. sie waren gut genährt und keineswegs mager oder krank aussehend, mit Ausnahme von Fall 2, der aber seit begonnener Behandlung nichts am Körpergewicht ein- gebüsst hatte.

Im nüchternen Magen fand sich im Fall 1 und 2 in der ersten Zeit eine kleinere Menge trüber Flüssigkeit von alkalischer Eeaction vor, welche viele zerstörte Epithelzellen enthielt, nach kurzer Behand- lungszeit war der Magen leer ; in den beiden anderen Fällen war der Magen nüchtern leer.

In allen vier Fällen hatte der Mageninhalt eine bis 1^ Stunden nach Ewald's Probefrühstück folgende Eigenthümlichkeiten :

1. Die Semmelstückchen nicht fein zerkleinert und unverändert.

1) Max Einhobn. The Time required in the Stomach Digestion of Different Foods in Infancy. N. Y. Medical Journal, July 20th, 1889. ?) Reichmann, Deutsche med. Wochenschr. 1889, No. 7.

271

2. Keaction sehr schwach sauer oder neutral, gewöhnlich betrug die Acidität 4 (d. h. 100 cc. Mageninhalts-Filtrat werden durch 4 cc. Vio Normalnatronlauge gesättigt).

3. Salzsäure war nicht vorhanden.

4. Milchsäure in Spuren yorhanden, aber erst nachweisbar nach Aetherausschüttelung.

5. Weder Propepton, noch Pepton vorhanden.

6. Die Pepsin- und Labfermentproben fallen negativ aus.

7. Der Mageninhalt riecht nicht schlecht und zeigt auch sonst keine Erscheinungen der Zersetzung.

Die oben angeführten klinischen Punkte in Verbindung mit dem Ergebniss der Magenuntersuchung machen die Diagnose auf Achylia gastrica sehr leicht.

Die Behandlung hat ihren Hauptschwerpunkt auf die feine mecha- nische Zerkleinerung der Nahrung vor dem Genüsse zu legen, da der Magen selber durch den Wegfall der Eiweiss lösenden Kraft, wie bereits oben erwähnt wurde, nicht im Stande ist, das die Stärke- körnchen umgebende Eiweiss zu öffnen.

Tonisirende Mittel des Magens, wie Ausspülungen und directe Faradisation erweisen sich von Nutzen.

HCl. erwies sich nur in einem der Fälle von Vortheil, in den anderen schien es nicht viel Einfluss zu haben. Pancreatin, welches von Keich- MANN, Ewald') und Boas empfohlen worden ist, habe ich nur in einem Fall angewandt ohne entscheidende Wirkung.

Den Verlauf der Krankheit seit der Behandlung betreffend, scheint es mir, als ob der Nutzen, der durch die Diätregulirung eintritt, ein bedeutender ist. In den drei Fällen wo Beschwerden bestanden hatten, gelang es, das Erbrechen für die Dauer zu coupiren und auch die sonstigen Klagen der Patienten herabzusetzen.

In allen Fällen von Magensaftlosigkeit vollzieht sich der Verdau - ungsact vornehmlich im Darm ; ich sage nicht ausschliesslich, weil die Stärkeumwandlung in Zucker, soweit die Stärkekörnchen frei sind, im Munde begonnen und im Magen gerade hier beinahe zu Ende geführt wird ; wohl aber muss alles Eiweiss auf seine Verarbeitung bis zur Ankunft in den Darm warten. Sind die Speisen recht fein zer- kleinert, so tritt die vicariirende Darmthätigkeit leichter ein, und die Ernährung des Organismus kann so unbeeinträchtigt von statten gehen. Schafft der Magen seinen Inhalt zur rechten Zeit nach dem Darm, und ist letzterer im Stande, die von ihm jetzt verlangte ver- grösserte Arbeit zu leisten, so ist hiermit ein Compensationszustand vorhanden, und der Organismus wieder im Gleichgewicht ; in diesem Falle können die betreffenden Individuen viele Jahre hindurch selbst ohne Beschwerden leben.

Wenn wir vom Falle 4 Schlüsse ziehen dürften, so würde es scheinen, als ob die Compensation in der frühen Jugend leichter ein-

1) C. A. Ewald, Klinik der Verdatningskrankheiten.

272

treten und eine vollständigere sein kann. Denn, während alle drei anderen Fälle sich nach der ihnen vorgeschriebenen Diät zu richten habcD, um sich im Gleichgewicht zu erhalten, ist dies bei Patienten 4 nicht der Fall ; er isst alles und verträgt es gut ; das Wiederkäuen allein dürfte wohl nicht diesen Unterschied bewirkt haben, sondern unterstützt mit der sehr früh eingetretenen Gewöhnung des Darms, die Magenfunctionen zu ersetzen.

Nach obigen Auseinandersetzungen kann somit die Achylia gastrica nach eingetretener Compensation unbeschränkt viele Jahre hindurch bestehen (Fall 4 befindet sich wohl in diesem Zustand seit seiner frühesten Jugend, also etwa 40 Jahre ; Patient L. T. hat sich in den vier Jahren nach begonnener Behandlung nicht verschlechtert). Diesen Punkt möchte ich deswegen besonders hervorheben, als bisher in der Litteratur sich keine Angaben darüber finden.

Pathologisch-anatomisch dürfte man eine vollständige Atrophie der Magenschleimhaut in allen Fällen von Magensaftlosigkeit mit ziem- licher Sicherheit annehmen, obwohl dies noch nicht thatsächlich fest- gestellt worden ist.

Die Aetiologie der Achylia gastrica ist gleichfalls noch nicht mit Sicherheit bekannt. Es wird angenommen, dass schwere katarrhalische Zustände des Magens zur Atrophie und somit zur Achylie führen. Jaworski und Boas') haben deswegen die Form des Magenkatarrhs, welche mit einer erheblichen Herabsetzung der Salzsäureausscheidung und ohne Schleim bildung einhergeht, als die atrophische Form bezeich- net: „Catarrhus chron. atrophicans". Ich selber hatte Gelegenheit, mehrere Fälle von Magenerkrankang, wo Krebs mit Sicherheit aus- geschlossen wurde, mit stetem Fehlen der Salzsäureausscheidung aber mit Vorhandensein des Pepsin- und Labfermentes zu beobachten, ferner eine Dame ohne irgend welche Beschwerden von blühendem Aussehen, welche dasselbe Verhalten des Magens zeigte. Diese Fälle habe ich^) in meiner Arbeit Therapeutic Kesults of Direct Electriza- tion of the Stomach " genau beschrieben. Würde man die Beobachtung machen, dass in diesen Fällen von Salzsäuremangel mit der Zeit auch die Fermente für immer verschwinden, so wäre damit die Entstehung der Achylia gastrica aus den schweren Formen des Magenkatarrhs gegeben.

Vorläufig liegen derartige Beobachtungen noch nicht vor, und würde es sich empfehlen in Zukunft auf diese Punkte zu achten.

1) I. Boas. 1. c.

2) Max Einhorn. Therapeutic Eesults of Direct Electrization of the Stomach, N. Y. Medical Record, January 30th and February 6th 1892.

273

NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für praktische Aerzte in Amerika. Redigirt von Dr. f. C. heppenheimer.

EDITORIELLE NOTIZEN. 15. Juli 1892.

Zur Aetiologie des primären Larynxcroup.

Unter diesem Titel erschien soeben in der deutschen medicinischen Wochenschrift eine Arbeit von Eng. Fraenkel (Hamburg), welche allge- meines Interesse in Anspruch nehmen muss. Während nämhch hin- sichtlich der Aetiologie des sogenannten primären Rachencroup, d. h. der mit Exsudation fibrinöser Pseudomembranen auf den Gebilden des Rachens einhergehenden, sehr häufig auf Larynx und Trachea über- greifenden, als genuine Rachendiphtherie oder Synanche contagiosa bezeichneten acuten Infectionskrankheit, fast allgemeine Einigkeit dar- über besteht, dass der Klebs-Löffler'sche Bacillus als der Erreger die- ser Affection betrachtet werden muss, ist die Frage nach der Ur- sache der auf die Luftwege beschränkten, die Rachenorgane freilassen- den, gleichfalls pseudomembranösen Entzündung, welche als primärer Larynxcroup bekannt ist, noch keineswegs als abgeschlossen zu be- trachten, insofern dieses Leiden noch von Vielen als ein von dem genuinen Rachencroup principiell verschiedenes aufgefasst wird. F. hat nun an drei tödtlich verlaufenen Fällen von primärem Larynxcroup, wo die Section gemacht werden konnte und ein vollkommenes Intact- bleiben der Rachenorgane aufgefunden wurde, nachgewiesen, dass die den Larynx und Trachea überziehenden Pseudomembranen den Klebs-Löffler'schen Bacillus enthielten. Die Identität der gefundenen Bacillen mit dem Klebs-Löffler'schen wurde durch das Mikroskop, durch Anlegung von Culturen, durch ihre Reaction auf Bouillon (dieser Bacillus machte nämlich Bouillon ijach zweitägigem Wachsthum in dieser sauer und nach weiteren 2 3 Tagen wieder alkalisch, eine Eigen- thümlichkeit, welche nach Verfasser nur den echten Diphtheriebacillen zukommt) und durch das Thierexperiment nachgewiesen. Durch diese Ergebnisse seiner Untersuchungen hält sich Fraenkel für berechtigt, in Bestätigung der von einzelnen früheren Autoren bezüglich dieser Frage erhaltenen Forschungsresultate, den idiopathischen Croup des Kehlkopfes ätiologisch als identisch mit dem die genuine Rachendiphtherie so häufig begleitenden Croup der Luftwege zu erklären, d. h. ihn als durch den Effect des Klebs- Löffler'schen Bacillus entstanden aufzufassen.

274

FEUILLETON.

Aerztliche Denkwürdigkeiten ans dem Feldzug Napoleons von 1812

gegen Rnssland.

Von

Dr. A. ROSE.

Die Litteratur der Denkwürdigkeiten aus der Kriegszeit zu Anfang unseres Jahrhunderts ist, wenn sie auch in den letzten 25 Jahren kaum noch eine wesentliche Bereicherung erfahren hat, sehr umfangreich.

Neben den Werken, welche Aufschlüsse über grosse Fragen der Kriegsgeschichte und Politik jener Zeit geben, verdienen manche Auf- zeichnungen der Erlebnisse einzelner Theilnehmer jenes Feldzuges die Beachtung eines jeden, der die Geschichte jener denkwürdigen Zeit kennen lernen will.

Unter den vielen derartigen Veröffentlichungen fiel mir wegen ihrer schlichten, den Eindruck der Wahrheit machenden, und ergrei- fenden Darstellung eine von Ch. Jo. von Scherer (Reg. Ord. civil merit. eques Stuttgardtianis) im Jahre 1820 der medicinischen Facultät, Präsid. F. G. Gmelin, pro graduDoct. Medic. eingereichte Dissertation: Historia morborum, qui in expeditione contra Russiam anno 1812 facta legiones Wuerttembergicas invaserunt, praesertim eorum, qui frigore orti sunt, auf.

In der Voraussetzung, dass diese Dissertation wohl wenigen bekannt sein dürfte, will ich einen x4.uszug aus derselben geben, und im Anschluss daran noch andere, aus verschiedenen ärztlichen Memoiren über jenen Feldzug von 1812 zufügen.

Die Krankheiten, von denen die Soldaten in Russland befallen wur- den, dehnten sich zwar über die ganze Expedition aus: v. Scherer spricht jedoch nur von den Bemerkungen, die sich ihm namentlich unter den Württembergern (14 15 tausend Mann stark), bei denen er in diesem Feldzuge theils beim Regiment, theils in Spitälern als Arzt war, darboten.

Die im Jahre 1812 gegen Russland ausgerüstete Expedition war in 10 Divisionen abgetheilt, deren jede 50—60 tausend Mann zählte; alle gesunde, kräftige und zum grössten Theil durch langen Dienst körper- lich und geistig erstarkte Leute. Die Württemberger standen unter dem Infanterie-General Grafen von Scheeler und dem französischen Geueral Marchand; den Oberbefehl führte Ney. Anfang Mai kam das Heer an den Grenzen von Polen an, von da betrat es nach beschwer- lichen Eilmärschen in der Glitte des Juni die Ufer des Niemen, der die Grenze zwischen Polen und Litthauen bildet. Eine ungeheure Solda- tenmasse stiess bei der Stadt Kowno zusammen, ging am 18. Juni auf zwei Schiffsbrücken über den Fluss, und stellte sich auf dem jenseitigen Ufer, unter den Augen des Kaiser's, in unabsehbaren Reihen in Schlachtordnung.

Aber schon der mühsame Tag und Nacht fortgesetzte Marsch durch das sandige Polen, die beinahe afrikanische Sonnenhitze bei Tag, die Kälte bei Nacht in Verbindung mit Gewittern aus Norden, das Bivoua- kiren oft auf blosser durchnässter Erde, der überhandnehmende Mangel an reinem Wasser und frischen Lebensmitteln, die aus dt m Sande auf dem Wege aufgejagten ungeheuren Staubmassen, die gleich einer schwarzen Wolke den Zug auf viele Meilen bedeckten, alles dies hatte die Kräfte der Soldaten schon am Anfang des Feldzugs ge- schwächt. Viele erkrankten, noch ehe sie über den Niemen kamen.

275

Der Zug durch Litthauen wurde ebenso beschleunigt, wie der durch Polen, der Mangel an Lebensmitteln nahm zu, das Fleisch von erbeu- tetem, theils durch Hunger, theils durch Ermüdung gefallenem Vieh, war lange das einzige Nahrungsmittel der Soldaten, welches, zumal da es nicht gehörig gekocht wurde, den erschöpften Kräften der Soldaten nur sehr wenig aufhalf. Mehl und Brod fehlten ganz, und selten nur konnte man etwas Branntwein erhalten. Die ungeheure Hitze, der eingeathmete brennende Sand trockneten beinahe alle Feuchtigkeiten des Körpers aus; umsonst verlangte der Durstende nach einem er- quickenden Trünke Wassers, oft gewährten Pfützen und stinkende, von Würmern wimmelnde Teiche die einzige Gelegenheit zur Löschung des Durstes. Die gemeinen Soldaten Hessen sich beim Vorbeigehen an einem Sumpfe nicht abhalten, haufenweise auf das unreine Wasser zu stürzen und es ohne Maass \md Ziel zu verschlucken.

So betrat das Heer, im höchsten Grade ermüdet und die Anlage zu Krankheiten in Folge von Ueberanstrengungen und Mangel an Lebens- mitteln in sich tragend, den feindlichen Boden.

Noch dauerten die Eilmärsche während der Tageshitze fort, durch brennenden Sand und staubschwangere Luft; jetzt folgte auf die drückende Hitze schlechtes Wetter, Kegen und kalte Winde in seinem Geleite.*)

Mit dem unbeständigen Wetter trat zuerst eine allgemeine Diarrhöe, die sich schon nach dem Uebergang über den Niemen grezeigt, heftiger auf. Schnell wurden sehr viele davon befallen, unzählige traten, mit- ten auf dem Marsche, aus den Reihen. Von dem am Morgen verlasse- nen bis zu dem am Abend bezogenen Lager war der Weg, den das Heer nahm, von den fortwährenden stinkenden Ausleerungen solcher Kran- ken verunreinigt. Die Zahl derselben war zu gross, als dass alle, na- mentlich nach eingetretenem Mangel an Gegenmitteln, ordnungsmässig hätten behandelt werden können. Viele, die nicht weiter konnten, blieben am Wege liegen und erhoben sich nur mit grosser Anstren- gung, um dem Zuge sich nachzuschleppen ; einige, bei denen sich zur Diarrhöe noch ein anhaltendes Fieber gesellt hatte, starben schon in den ersten acht Tagen. Bei ihrer Sektion fand sich im Darmkanal nichts Besonderes.

Indess stemmte sich der grössere Theil des Heeres muthig gegen das umgreifende Uebel ; doch umsonst. Bald erlag auch die stärkste Constitution, entblösst von aller Hülfleistung, besonders von vegetabi- lischer, namentlich mehliger Nahrung, aller Pflege und allen Arznei- mitteln ; so dass das Uebel, dem keine Schranken mehr gesetzt werden konnten, zumal da auch das übrige Ungemach gleichmässig fort-

*) Ein Gewitter aus jener Zeit beschreibt Larrey in seinen Memoiren.

Am 10. Juli sollte bei VVilua um 4 Uhr Nachmittags eice Kevue stattfindeD, zu der Larrey mit seinem Sanitätscorps befohlen war. Sie begann erst um 6 Uhr. Das Wetter war heiss und ruhig, aber schwere Wolken bedeckten den Himmel und drohten mit einem Sturm, welcher in der That bald ausbrach. Als die Trompeten das Zeichen des Eintreffens des Kaisers Napoleon gaben, ertönte zugleich der Donner ununterbrochen, ein entsetzlicher Sturm erhob sich, der Himmel war so verdunkelt, dass man sich aus sehr kurzer Entfernung nicht erkennen konnte, ausser beim Leuchten des Blitzes. Ein starker Hagel, durch heftige Winde getrieben, verursachte, dass die Keihen gebrochen wurden und zwang die meisten Reiter abzusteigen, um nicht abgeworfen zu werden. Die erschreckten Pferde suchten zu fliehen und warfen sich aufeinander. Durch Ströme Kegen und Hagel waren wir im Augenblick durchnässt. Die Kavue musste abgebrochen werden. Napoleon und sein Stab war genöthigt, nach der Stadt zurückzukehren. Larrey sagt, dass er niemals einen solchen Sturm erlebt und fragt sich, ob dies wohl die Warnung vor dem die Armee erwartejiden Unglück gewesen sei?

276

dauerte, bald den höchsten Grad erreichte. Die anfänglich einfache und mehr rheumatische Diarrhöe ging bald in völhge Ruhr über, die jedoch nicht den gewöhnlichen, sondern mehr einen faulen Character hatte. Allgemein griff diese um sich, so dass, als das Heer an dem Ufer der Düna angelangt war, schon Tausende von den Württembergern in den Feldlazarethen lagen, und viele starben. Auf dem Wege, den das Heer nahm, besonders da, wo man des Nachts das Lager aufschlug, war die Luft durch die flüssigen, blutigen und aashaften Ausleerungen weithin verpestet. Auch die mit möglichster Strenge angeordnete Ab- sonderung der Gesunden von den Kranken in den nächtlichen Lagern konnte dem Umsichgreifen des Uebels keinen Einhalt thun. Jeden Morgen fanden sich unter dem kleinen württembergischen CJorps oft 30 und darüber, die über Nacht gestorben waren, und das nicht nur solche, welche schon krank angekommen waren, sondern auch viele, die man am Abend noch unter die Gesunden gezählt hatte. Jedes Nachtlager Hess sich an den vielen Todtenhügeln erkennen. Bei vielen für kräftig gehaltenen Leuten trat plötzlich auf dem Wege Nerven- erschoepfnng ein. Sie waren nicht mehr im Stande, sich von der Stelle zu bewegen : eine völlige Lähmung hatte sie ergriffen. Jetzt folgten plötzlicher Schwindel, unauslöschlicher Durst, Schmerzen über den Augen. Ohne Fieber, mit ganz langsamem Pulse und ohne irgend einen Schmerz im Unterleibe starben sie schnell, oft im Augenblicke und mit völliger Besinnung.

Bei der Oeffnung derer, welche an der Ruhr gestorben waren, fanden sich mehr oder weniger Störungen in den Ernährungs- organen ; der Magen und die dicken Gedärme, namentlich der Mast- darm waren entzündet, die innere Haut des Magens, des Zwölf- fingerdarms, zuweilen des ganzen Darmkanals völlig erschlafft und welk. Bei einigen kamen kleine Geschwüre mit gezacktem Rande im Magen, besonders dessen Grunde, und im Mastdarm zum Vorscheine; bei anderen hatte die Ruhr so um sich gegriffen, dass sich ziemlich grosse Geschwüre, die von dem Magen in die dünnen, und vom Mast- darme in die dicken Gedärme sifh erstreckten, von der Grösse einer Linse bis zum Durchmesser eines halben Zolles gebildet und beim Zu- nehmen der Krankheit die innere Haut, die eigenthümliche und die Muskelhaut, höchst selten aber die vom Bauchfelle herkommende Haut durchlöchert hatten ; bei vielen zeigten sich auf dem Grunde des Magens und im Verlauf des Darmkanals brandige Stellen. Der gänz- lich zersetzte Magensaft roch scharf sauer : die sehr häufig miss- farbige Leber enthielt eine bläuliche Flüssigkeit, die Gallenblase war in der Regel leer, oder enthielt nur wenig Galle ; der untere Theil der Leber war meist verhärtet und bläulich. Die Gekrösdrüsen waren meist entzündet, bisweilen eiterig, die Gekrös- und Eingeweide-Gefässe oft wie in Blut getaucht.

In dieser Periode der Krankheit litten die Kranken bisweilen an Bauchschmerzen, zeigten grosse Begierde nach Nahrung, besonders vegetabilischer ; waren aber gerade in diesem Zeiträume schnell und gänzlich ohne Fieber. Oft gingen sie mit Tornister und Waffen munter dahin, setzten sich aber plötzlich nieder und gaben den Geist auf. Um eben diese Zeit verfielen viele, und zwar die kräftigsten, in Melancholie, und legten Hand an sich selbst. Auffallend schnelles Verderben be- reitete auch der unmässige Genuss des Branntweins.

Der schädliche Einfluss desselben zeigte sich namentlich bei einigen württembergischen Abtheilungen, die in den ersten Tagen des Juli, während des Marsches, auf Requisition ausgeschickt worden waren und eine grosse Menge dieses Getränks auf den Edelhöfen entdeckt, sich ausser der ihnen zugemessenen Portion noch eine grössere Quan- tität verschafft und unmässig getrunken hatten.

277

Wer sich dem Braantweitigeausse zu sehr ergab, hatte den Tod um so gewisser und schneller zu erwarten. Sehr oft erfolgte dieser plötz- lich, und bei Eröffnung der Leichname ergab es sich, dass die Eingeweide meistentheils völlig destruirt waren.

Die Zahl der Erkrankten betrug allein in der württembergischen Armee auf dem Wege vom Niemen bis zur Düna dreitausend Mann, die man in den Lazarethen von Malaty, Wilna, Disna, Strizzowan und Wi- tepsk zurückgelassen hatte. Die Zahl der Todten nahm mit der Krank- heit von Tage zu Tage zu. Auch die Anzahl derer, die auf dem Marsche starben, war nicht gering. Die Zahl der in den einzelnen Spitälern Gestorbenen kann, da die Namenslisten verloren gingen, nicht genau angegeben werden ; mit Ausnahme dessen von Strizzowan, dessen Be- sorgung von Scherer sechs Wochen lang oblag. In diesem starben von 902 Kranken in den ersten 3 Wochen 310, in den folgenden 3 Wochen, während welcher die Kranken eine bessere Pflege genossen, nur 36, im Ganzen also 34G, worunter 2 Oöiziere.

(Fortsetzung folgt.)

REFERATE.

Krankheiten des Circulations- und Verdauungsapparates.

Referirt von Dr. MAX EINHORN.

1. Die Ernährung mit Kohlehydraten und Fleisch oder auch mit Kohle- hydraten allein. Von Eduard PÄüger. (Arch. für Physiologie, Bd. 5'2, Heft 5 und 6.)

In einer sehr ausführlichen Arbeit über obiges Thema kommt Pfloeger zu folgenden Ergebnissen :

1. Sehr oft reicht das zersetzte Eiweiss nicht aus, um das neugebil- dete Fett zu erklären, während nur Stärke oder Fleisch und Stärke ge- füttert worden ist.

2. Mastfett bildet sich nur, wenn ein Nahrungsüberschuss von Kohlehydraten vorhanden ist. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so entstellt selbst bei grösster „Ueberschwemmuug" des Körpers mit Kohlehydrat kein Fett. Das neugebildete Fett ist von gleichem Kraftinhalt wie der aus Kohlehydraten bestehende Nahrungsüber- schuss.

3. Mastfett entsteht nicht bei noch so grossem Ueberschuss von Eiweissnahrung, wenn keine Kohlehydrate gleichzeitig gereicht werden.

4. Bei Eniälirung mit Fleisch und Stärke oder allgemein mit ge- mischtem Futter hängt die Menge des neugebildeten Fettes in keiner Art davon ab, wie viel Eiweiss sich zersetzt, sondern nur wie gross der aus Kohlehydraten bestehende Nahrungsüberschuss ist.

Selbst dann findet noch Fettmast aus Kohlehydraten statt, wenn gar kein Eiweiss gefüttert) wird und der Stoffwechsel deshalb auf Kosten eines Theiles des Körpereiweisses mit unterhalten wird.

2. Hämatometrische Untersuchungen zur Kenntniss des Fiebers. Von Dr. H. Stein. (Centralbl. f. Klin. Med. 1892, No. 23.)

5. suchte vermittelst der letzthin erfundenen Methode der Dichtig- keitsbestimmung des Blutes (Hammerschlag) die von Maragliano und Anderen erörterte Frage, ob im Anstieg der Fiebertemperatur, bei spontaner oder künsthcher Entfieberung, und ob ferner unter dem Ein-

278

fluss gefässerweiternder Mittel Veränderungen im Blute selbst auf- treten.

S. kam nun zu folgenden Kesultaten :

Schwankungen der Körpertemperatur gehen mit Schwankungen der Getassweite und in der Mehrheit der Fälle auch mit Veränderungen der Blutdichte einher.

Hinsichtlich der arzneilichen Erweiterung der Gefässe beim nicht fiebernden Menschen waren die Ergebnisse nicht so klar. In der Mehrheit der Fälle wurde jedoch auch hier mit dem Eintritt der Ge- fässerweiterung Abnahme der Blutdichte constatirt.

Gynaecologie. Referirt von Dr. BRETTAUER.

The Operative Treatment of Retro-Displacement of the Uterus. By C. C. Frederick, M. D. (Buff. M. & S. J., 1892, No. 10.)

Nach einer kurzen Einleitung, in der Verf. der Rückwärtslagerun- gen der Gebärmutter als einer der Ursachen des bei so vielen Frauen gestörten Allgemeinbefindens erwähnt, wird speciell auf die Gefahren des retroflectirten schwangern Uterus aufmerksam gemacht. Die Fälle bei denen operatives Eingreifen indicirt ist, werden in zwei Cate- gorien getheilt.

1. Solche bei denen der reponirte Uterus nicht durch ein Pessar in seiner normalen Lage erhalten werden kann, und 2. solche, bei denen die Aufrichtung nicht gelingt.

Verf. führt verschiedene Operationsmethoden an, hat aber selbst nur die Annähung des Uterus an die vordere Bauchwand ausgeführt.

Es werden folgende Schlüsse gezogen :

1. Bei Rückwärtslagerungen combinirt mit Cervix- oder Perinaeal- Rupturen sollten die letztern unbedingt auch operirt werden.

2. Retroflexionen, die im Douglas fixirt sind, können nicht (?) manuell aufgerichtet werden, wenn die Adhäsionen alte sind ; es muss (?) La- parotomie gemacht werden.

3. Keine Verlagerung erheischt operatives Eingreifen, wenn sie keine Beschwerden macht.

The Treatment of Posterior Displacements of the Uterus with the Utero-Vaginal Ligature. By Dr. H. J. Boldt. (The Med. News, April 25th, 1891.)

In dieser kleinen Arbeit tritt Verf. sehr für die von Dr. A. ScHüCKiNG im Central blatt für Gynäkologie, 1888, No. XII, vorgeschla- gene Operation ein. Leicht beweglicher retroflektirter Uterus, der entweder durch ein Pessar nicht in normaler Lage gehalten wird, oder der nur durch beständiges Tragen des Pessars in derselben bleibt, die Patientin aber von dem Uebel vollständig geheilt sein will, wird als Indication angegeben. Es folgt in Kurzem die Beschreibung des Ope- rationsvorganges, wobei auch die von Thieme und Zweifel empfohle- nen Modificationen Erwähnung finden. Selbst hat Verf. die Operation neun Mal ausgeführt, wovon zwei erfolglos blieben.

Die Hauptgefahr bei dieser Operations weise, d. i. die Verletzung der Blase beim Durchführen der von Schücking angegebenen Nadel durch den Uterus, hält Verf. für sehr gering, ja gleich Null bei hinlänglicher Vorsicht. Ihm selbst passirte es im ersten Falle, in Folge der Anwen- dung einer nicht geeigneten Nadel.

Zum Schlüsse wird die Anzahl der von verschiedenen Operateuren ausgeführten Operationen und deren Erfolge angeführt, im Ganzen 103 für statistische Zwecke verwerthbare Fälle, darunter acht Misserfolge.

279

Leichenversuche über das ^Schiicking'sche Verfahren der vaginalen Fixation**. Von Dr. E.'Glaeser, Breslau. (Centralbl. f. Gynaek., 1892, No. 21.)

Bei einer nach der ScHüCKiNo'schen Methode operirten Patientin traten am nächsten Tage unerträgliche Schmerzen in Blasen- und Nierengegead auf, so dass die Ligatur entfernt werden musste. Dieser Umstand veranlasste Verf. die Operation an geeigneten Leichen auszu- führen, um über die eventuell möglichen Nebenverletzungen Kenntniss zu erlangen. Es wurde die Operation zehnmal genau nach der Angabe Schücking's ausgeführt und dabei einmal die Blase durchbohrt und einmal der rechte Ureter verletzt. Wenn auch die Verletzungen der Blase, wie die klinischen Beobachtungen verschiedener Operateure be- weisen, an und für sich nicht lebensgefährlich sind, so glaubt sich Verf. doch veranlasst, gegen diese Operationsmethode, als vollständig harm- los, aufzutreten. Nach seiner Ansicht ist es dem Operateur viel leich- ter, die Gefahren der Ventrofixation zu vermeiden, als die der vaginalen Ligatur.

Thirty-two Unselected Abdominal Sections. By Dr. Thomas Opie, Baltimore, Md.

In tabellarischer Anordnung theilt Verf. seine Erfahrungen mit, die er an 32 vom Vn ^'Ao 92 ausgeführten Bauchschnitten gemacht. Es sind drei Todesfälle an septischer Infection, einer an Shock ange- führt. Der Tabelle folgen kurze Bemerkungen über die einzelnen Er- krankungen, die die Operation indicirt hatten. Von besonderm In- teresse sind wohl die 6 Fälle, die unter der Rubrik „Chronische Oophori- tis" einzeln erwähnt werden, von denen einer an Sepsis gestorben, zwei von ihren frühern Beschwerden nicht geheilt und einer noch in Be- handlung ist.

Erwähnung verdient ferner ein Fall von cystischer Degeneration des Eierstockes, der durch eine übersehene Schwangerschaft im zwei- ten Monate complicirt war. Nach Eröffnung der Bauchhöhle wurde der Uterus vergrössert gefunden, und um die Ursache auszuflnden, so- gleich die Cervix dilatirt, ein ca. sechs wöchentlich es Ei entfernt und dann die beiderseitigen Ovarien entfernt. In der verdickten Wand des linken Eierstockes wurde eine wallnussgrosse Cyste entdeckt.

In neun Fällen war die Heilung durch Eiterung der Stichkanäle ge- stört, ohne jedoch dem Endresultate Eintrag zu thun. Verf. ist ent- schieden gegen das zu häufige Auswaschen und Drainage der Bauch- höhle ; er sah sich in nur drei Fällen genöthigt zu drainiren.

Perimetritic Cysts of Inflammatory Origin. By J. Schmitt, M. D. (Am. J. Obst., Vol. XXV, No. 1, 1892.)

Unter dem Namen „Perimetritic Cyst" versteht Verf. die abgekap- selten Exsudatreste nach sero-flbrinöser Pelveoperitonitis. Nachdem S. kurz die Pathologie der Bauchfellentzündung: mit serös-flbrinösem Exsudate erwähnt, befasst er sich eingehender mit der circumscripten Entzündung des Beckenperitonasum. Dieselbe, selten acut im Puer- perium oder bei Gonorrhoe, meistens durch chronisch entzündliche Adnexenerkrankungen bedingt, kann ebenso wie die Primärerkrankung infektiöser Natur sein, oder aber durch schädliche Einflüsse während der Menstruation, Sondiren des Uterus, vaginale Ausspülungen u. s. w. hervorgerufen werden. Den wohl hinlänglich bekannten Symptomen Fieber, Schmerz, Erbrechen und Tympanitis, fügt Verf. als seltenes Vorkommen noch die Ausscheidung von fibrinösen Massen aus dem Uterus hinzu. In den meisten Fällen wird nach Ablauf des akuten Stadiums das Exsudat resorbirt und nach einiger Zeit ist von der mit

280

so stürmischen Symptomen einsetzenden Erkrankung nicht die ge- ringste Spur zurückgeblieben.

In andern Fällen kommt es nicht zur vollständigen Resorption, das flüssige Exsudat ist von der Umgebung durch eine fibrinöse Wand ge- schieden, die letztere wird dicker, die ganze Masse fühlt sich cystisch an und kann jetzt die grössten Schwierigkeiten bei Feststellung der Diagnose bereiten. Die Probepunktion wird als wichtiges Mittel für die Differentialdiagnose angerathen, und speziell das erhöhte spezifi- sche Gewicht der hellgelblichen klaren Flüssigkeit zur Unterscheidung von Transsudaten verwerthet, was jedoch bei abgekapselten Exsuda- ten tuberculösen Ursprunges nicht Anwendung finden kann. Beinahe sichern Aufschluss gibt die Function, sollte es sich um die Differential- Diagnose zwischen abgekapseltem Exsudatreste einerseits und eines Beckenabszesses oder einer Haematocele retrouterina andrerseits handeln.

Die Punktion der, Cyste oder wenn nöthig die Incision derselben an der entweder der Scheide oder den Bauchdecken zunächst gelegenen Stelle, hat die schnelle Heilung zur Folge. Die guten Erfolge die Verf. von der Anwendung des Ichthyols bei der Behandlung der Pelveo- peritonitiden gesehn, müssen erwähnt werden.

Kinderheilkunde. Referirt von Dr. SARA WELT.

Note sur un cas de recidive de coqueluche. Par P. Le Gendre. (Revue des Mal. de L'Enfance, 1891.)

Bei der herrschenden Ansicht, dass ein einmaliges Befallenwerden von Keuchhusten eine fast absolute Immunität dieser Krankheit ge- genüber zur Folge hat, ist der berichtete Fall von Interesse.

Ein 25jährigeö Mädchen, welches in ihrem zehnten Jahre eine wohl definirte Attaque von Keuchhusten durchmachte, erkrankte mit Husten, Abmagerung und abendlichen Fieberbewegungen. Da die Patientin einer .phthisischen Familie entstammte und Verdacht auf Er- krankung der Luugen vorlag, wurde das Sputum auf Tuberkelbacillen untersucht ; doch war das Resultat ein negatives. Bald jedoch ver- änderte sich der Charakter des Hustens und langgedehnte Inspira- tionen wurden von convulsivischen Hustenstössen während der Exspi- ration gefolgt. Die Diagnose konnte nun mit Leichtigkeit auf Keuch- husten gestellt werden, um so mehr, da im gleichen Hause kurze Zeit zuvor, ein Kind an mit Pneumonie complicirtem Keuchhusten zu Grande gegangen war. Die Patientin genas vollständig nach Ablauf von 6 Wochen.

A Seeon d Attack of Varicella after an Interval of Ten Days. By Richard Neale, M. D. (The Lancet, November, 1891.)

Die Beobachtung betrifft einen 5i Jahre alten Knaben, bei dem Va- ricellen mit allgemeiner Eruption und den gewöhnlichen Beschwerden auftraten ; 10 Tage nach dem Verschwinden der acuten Symptome er- folgte ein abermaliger Ausbruch des Exanthems ; dabei waren die Pusteln zahlreicher vorhanden, als in der ersten Attaque, während die constitutionellen Störungen nur sehr leichte waren.

Fatal Rupture of an Ovarian Cyst in an Infant. By George B. Beale,

M. D. (Brit. Med. Journ., 1891, 11.)

Ein 6 Wochen altes Kind, welches mit mässigem Fieber, Erbrechen und Schwellung des Leibes erkrankte ; die Diagnose wurde auf Perito- nitis gestellt und der Exitus letalis trat nach 4 Tagen ein. Bei der Obduction fand sich eine ziemliche Menge einer purulenten Flüssigkeit

281

im Abdomen. Nach der Herausnahme des Uterus und seiner Ädnoxa wurden beiderseits Ovariencysten von Haselnussgrösse gefunden ; recliterseits aber befauden sich überdies die Reste einer rupturirteu Cyste ; und hält B. die Ruptur für die Entstehung der Peritonitis ver- antwortlich.

Empyema in Children. By L. Emmet Holt, M. D. (Archives of Pedia- trics, May, 1892.)

Bei bestehendem Verdacht auf Empyem räth H. zur frühzeitigen Ausfülirung der Probepunktion, die er nöthigenfalls an 10 12 ver- schiedenen Stellen des Thorax macht ; mitunter werden die Patienten zuvor oberflächlich chloroformirt. Bezüglich des operativen Eingriffes stellte sich in seinen Fällen die einfache Incision mit nachfolgender Drainage als die leichteste, schnellste und wirksamste Methode heraus; meistentheils erwies sich hierfür die locale Anaesthesie als hinreichend; die Rippenresection führte er in seinen Fällen nur dort aus, wo nach vorhergegangener Incision continuirlich hohes Fieber auf ungenü- gende Drainage schliessen liess. Ausspülungen der Pleurahöhle hält er nur bei fötidem Inhalte für angezeigt ; und wendet er hierfür ge- kochtes Wasser an.

Fatal Haemorrhage in an Infant after Scarification of the Coniunctiva. By J. A. Shirley, M. D. (N. Y. Med. Jour., Jan., 1892.)

S. berichtet über ein G Wochen altes hereditär luetisches Mädchen mit Blennorrhoe der Conjunctiva. Wegen der sehr beträchtlichen Schwellung der Lider wurden an beiden Augen ausgiebige Scarifici- rungen der Schleimhaut in den Uebergangsfalten vorgenommen. Da- bei war die Blutung aus den Einschnittsstellen anfangs nur eine mässige. Als S. das Kind 3^ Stunden später wieder sah, blutete es noch immer und besonders stark aus den Uebergangsfalten der oberen Lider. Nach Ectropionirung der Lider wurden heiese Schwämme auf die blutenden Flächen gedrückt ; und da die Blutung trotzdem anhielt, hintereinander Eis und Liquor, ferri persulf. applicirt, ohne jedoch damit irgend welchen Erfolg zu erzielen ; erst durch das Anlegen von Umstech ungsnähten konnte die Blutung beherrscht werden. Ergot in kleinen Dosen und Stimulantien wurden dargereicht ; doch trat der Exitus letalis bald darauf ein.

S. spricht bezüglich des causalen Momentes den Verdacht aus, dass es sich in diesem Falle um echte Haemophilie gehandelt haben mag.

(Da keine Angabe über andere Bluter in der Familie besteht, könnte wohl für die Erklärung dieser protrahirten und schwer zu stillenden Blutung eine durch Lues bedingte haemorrhagische Diathese zu Hilfe gezogen werden. Anm. v. Ref.)

On the Function of the Tonsils. By G. Lovell GuUand. (Edinb. Med. Journ., 1891.)

G. kommt am Schlüsse seiner interessanten Arbeit zu folgenden Resultaten.

1. Die Tonsillen und zwar sowohl der Fauces als auch der Zunge und des Pharynx sind Organe, welche die Reproduction von Leucocy- ten befördern.

2. Diese Reproduction findet besonders in den Keimzentren ver- mittelst mitotischer Theilung von preexistirenden Leucocyten statt.

3. Diese jungen Leucocyten werden zum Theil in den Lymphge- fässen nach dem Gefässsystem überführt ; theilweise aber verbleiben sie in den Tonsillen als stationäre Zellen ; oder sie wandern nach vor- hergegangener Perforation des Epitheiiums nach den Krypten.

282

4. Von da gelangen sie an die Oberfläche der Tonsillen und nehmen Fremdkörper, besonders Microorganismen in sich auf, welche sonst über die Tonsillen hinweggleiten würden.

5. Im Menschen bilden die Tonsillen der Fauces und der Zunge im Vereine mit der diffusen leucocytischen Infiltration an der ünterfläche des Velum palati eine schützende Zone zwischen der an Microben abundirenden Mundhöhle einerseits und dem Beste des Tractus ali- mentarius andererseits ; während die Pharynxtonsille und die leucocy- tische Infiltration an der obern Fläche des Velum palati und den Tubenöffnungen eine ähnliche Zone im obern Theile des Tractus respi- ratorius bilden.

6. Es liegt kein Grund für die Annahme vor, dass die Tonsillen Absorptionsfähigkeit besitzen. Die Reproduction von Leucocyten ist in der Eegel hinreichend lebhaft, um eine continuirliche nach aussen gerichtete Strömung dieser Zellen zu erhalten, und den Eintritt von Fremdkörpern in die Tonsillen zu verhüten.

7. Unter gewissen Umständen, wie bei allgemeiner Debilität, welche die Activität der Leucocyten hemmen, mögen pathogene Organismen aus dem Munde in die Tonsillen eindringen ; diese Microben können die Ursache eines localen oder allgemeinen infectiösen Prozesses werden.

Deutsche Jledicinische Gesellschaft von New York.

17 West 43. St. Sitzung vom 7. März 1892. (Schluss.)

Sodann folgt der Vortrag von Dr. A. S e i b e r t :

Syphilitische Bronchostenose im Kindesalter.

Discussion:

F. Lange fragt, in welcher Weise man sich die syphilitische Affec- tion einer Stenose vorstellen soll.

Seibert : Es bilden sich Gummata. Infiltrationen u. s. w., welche die Stenose bedingen.

Freudenthal wurde zu einem Kinde mit ähnlichen Anfällen, wie sie der Vortragende gi'schildert iiat, gerufen ; hier war zum Unterschiede auf der einen Seite in der Lunge gar kein Athmen zu hören. Redner erklärt sich diesen Zustand, als durch einen pendelenden Polypen be- dingt.

Gross hat Gelegenheit gehabt, die SEiBERT'schen Fälle zu sehen ; in einem Falle, den Fischer intubirt hat, erwies sich dieser Eingriff als nicht von Nutzen ; später stellte sich Pneumonie ein, und -das Kind ging zu Grunde. Redner glaubt, dass zuweilen nicht alle Symptome, die Seibert geschildert hat, an wissend sein müssen ; er habe subacute Fälle beobachtet, wo die stenotischen Erscheinungen stetig vorhanden waren ; in einem Falle, wo gleichfalls stets stenotische Erscheinungen vorhanden waren, hustet ; das Kind ein kleines Stückchen Eierscliale aus und genas.

Gleitsmann hat 2 Fälle von Bronchostenose, durch Syphilis bedingt, bei Erwachsenen gesehen, die Laryngostenosen sind nicht selten ; ein Fall wurde von Redner durch innere Mittel geheilt ; in diesem Falle sass das Hinderniss unterhalb der Stimmbänder, dieselben verdeckten bei ihrem Schluss die Anschwell ung ; durch Jodkali trat Heilung ein.

283

L. Weiss führt einen Fall au, wo bei einoin Kinde nach Masern stenotische Erscheinungen auftraten ; man dachte an Pseudocroup, tracheotomirte, allein das Kind starb, und die Section ergab einen Lymphknoten, der in der Gegend der Bifurcation auf die Luftröhre drückte.

F. Cohn sah vor Kurzem einen Fall, wo er Syphilis ausschliessen musste ; zuerst wurde die Diagnose auf Croup gestellt und die Intuba- tion für 8 Tage hindurch durchg(4"ülirt ; nach Herausnalime der Tube waren keine stenotischen Ersclieinungen, allein etwas später stellten sich dieselben ein ; im Larynx waren dabei keine Stenosen.

C. HErrz:\iANN erwähnt, dass Vikchow vor längerer Zeit die Behaup- tung aufgestellt habe, dass das Lungenemphysem ausserordentlich selten sei ; Virchow bezeichnet die Fälle, wo sich oben an den Lungen eine Ausdehnung der Alveolen findet, als Lungenblähung.

Seibert hebt in seinem Schlusswort hervor, dass der Freudenthal' sehe Fall von klinischem Interesse sei.

Es folgt sodann der Vortrag von Dr. W. F r e u d e n t h a 1 :

Kreosotvergiftung.

(Abgedruckt in der Medicinischen Monatsschrift.)

Als Mitglieds-Candidaten werden vorgeschlagen :

Dr. Guido Katzenmayer, von Dr. C. Heitzmann. Dr. Georg Schoeps, von Dr. Alfons Müller.

Dr. G. A. Kletzsch, von Dr. G. M. Edebohls.

Schluss und Vertagung.

Dr. Max Einhorn,

protokoUirender Sekretär.

Sitzung vom 4. April 1892.

Präsident : C. Heitzmann.

Dr. J. Adler hält seinen Vortrag :

Ueber Stuhlverstopfung.

(Abgedruckt in der Medicinischen Monatsschrift.) Discussion :

Dr. L. Weber erwähnt 3 Fälle, in denen ihm der aramoniakalische Geruch des Athems aufgefallen ist. Der erste dieser Fälle war Jahrelang für chronischen Magencatarrh behandelt worden. Patient hatte eigent- lich keine Stulilbeschwerden bis wenige Tage vor seinem Tode, als enorme Massen Stuhl entleert wurden. Patient starb an Lungenin- farkten ; die Autopsie ergab chronischen Darmcatarrh in der oberen Hälfte des Colon. Der zweite Fall, ein Junge von 10 Jahren, der unter den Erscheinungen der Sepsis starb, war auch für Magencatarrh be- handelt worden ; es fanden sich catarrhalische Veränderungen im Co- lon ascendens und der Flexura hepatica. Der dritte Fall zeigte eine enorme Erweiterung der Flexura sigmoidea bis nach der rechten Darmbeinschaufel. Da in allen diesen Fällen der ammoniakalische Geruch aus dem Munde wahrzunehmen war, so empfiehlt W., auf dieses Symptom zu achten, damit man sich klar werde, ob es diagnostischen Werth habe.

Langmann stellt die Frage auf, ob es wirklich physiologisch ist, in je 24 Stunden eine Stuhlentleerung zu haben. Er glaubt, es sei dies nur Gewohnheitssache und weist darauf hin, dass bei Kindern und un- civilisirten Völkern dies nicht der Fall sei. Er ist der Meinung, dass

284

man nicht absolut darauf dringen soll, dass alle 24 Stunden eine Stuhl- entleerung eintritt. Er hat einen Fall gehabt, einen Sljährigen Mann, der trotz aller Behandlung keinen regelmässigen Stuhl hervorbringen konnte. Dieser hatte auf einer 14tägigen Segeltour regelmässigen Stuhlgang ohne irgendwelche Behandlung. Bei seiner Rückkehr ans Land stellte sich die alte Unregelmässigkeit wieder ein. Langmann hat gefunden, dass die relative Dämpfung und leichte Empfindlichkeit ein Fingerzeig sei für die Lage der Kothmassen und für die Stelle, an welcher Massage ausgeführt werden solle.

Krug weist darauf hin, dass die Anamnese oft regelmässige Stuhl- entleerung ergibt und bei der rectalen Untersuchung dennoch eine Kothsäule oberhalb des Sphincter tertius zu finden ist. Was die Thera- pie dieser Verstopfungen betrifft, so hat er durch die bipolare Faradi- sation von der Scheide aus gute Erfolge erzielt.

Klotz ist es nicht verständlich, warum Auto-Intoxication nicht ebenso gut von festen, wie von flüssigen Stühlen ausgehen soll.

Rachel hat mehrere Fälle gesehen, in denen das Abdomen pendu- lum acut bei Primiparen entstanden ist und bei denen sich Stuhl Ver- stopfung einstellte.

Brettauer fragt, ob der Vortragende die unterbrochene Galvanisa- tion versucht hat. Er hat gute Erfolge davon gesehen. Bezüglich des vom Vortragenden beschriebenen Falles mit acutem Auftreten schwerer Symptome mit Auftreibuog des Leibes, u. s. w. frägt er, ob nicht Narkose in der Ordnung gewesen wäre.

Weber hebt hervor, dass ärmere Leute sich nicht massiren lassen oder in ZANDER'sche Institute gehen können. Bei diesen ist das Extr. Cascarae fi. zu empfehlen, besonders bei motorischen Paresen, in Quan- titäten von etwa gtt. X. 3mal täglich.

Im Schlussworte sagt Adler, dass er Cascara vielfach gebraucht hat ; es leistet in manchen Fällen Gutes, jedoch in vielen Fällen war es nutzlos. Ueber Electricität von der Scheide aus hat er keine Erfah- rung ; die anderen Methoden sind in manchen Fällen von Nutzen, in anderen nicht. Was Auto-intoxication betrifft, so glaubt er, dass der normale Darm Toxine nicht aufnimmt, sondern dass die Schleimhaut ver- letzt sein muss. Dämpfung in der Flexura sigmoidea ist normal ; Re- sonanz in dieser Gegend ist abnorm und ist der Entwickelung von Gasen zuzuschreiben ; über dem Colon transversum und der Flexura hepatica jedoch ist Dämpfung stets pathologisch.

Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und angenommen. ' Es folgt der von Dr. F. Foerster angekündigte Vortrag :

Zur Pathologie des Eierstockes.

(Abgedruckt in der Medicinischen Monatsschklft.) Discussio n :

Krug : Manche Frauen, deren Krankheitssymptome auf die Ovarien deuten, werden nach der Exstirpation nicht geheilt. Leider können wir die microskopische Diagnose an der Patientin eben nicht machen. Er hat übrigens wenig Erfahrung in der Entfernung makroscopisch normal aussehender Ovarien.

Brettauer fragt, ob Dr. Foerster das aus dem Gyrom entstandene Endotheliom als ein malignes ansieht.

C. Heitzmann ist der Ueberzeugung, dass durch Entzündung ein Haematom entsteht, das sich weiter verändert, aber nicht maligner Natur ist.

Foerster, im Schlussworte : Das Endotheliom ist nicht malign. Das beschriebene Krankheitsbild ist das einer chronischen Oophoritis ;

285

die Anamnese ergibt längere erfolglose Behandlung ; der Befund, Tu- moren kleineren Calibers, die beim Coitus u. s. w. Schmerzen verur- ursachen. Wir können zwar die microskopische Diagnose nicht machen, jedoch die einer chronischen Oophoritis, dann folgt monate- lange Behandlung ; wenn diese erfolglos bleibt, greifen wir zur Operation.

Abstimmung über den vorgeschlagenen Candidaten ergibt dessen Aufnahme.

Schluss und Vertagung.

Dr. Franz Torek, Stellvertretender protokollirender Secretär.

Sitzung vom 2. Mai 1892. Präsident : C. Heitzmann.

Demonstration von Präparaten und Instrumenten. Dr. Louis Heitzmann zeigt ein Präparat von Tuberkulose der rechten Lunge complizirt mit nicht tuberkulöser Pleuritis.

Ein 32jähriger homöopathischer Arzt wurde vor drei Jahren in Philadelphia von Hasmoptoe befallen. Da sich die Lungenblutungen wiederholten, Hess er sein Sputum bakteriologisch untersuchen und wurden Tuberkelbacillen nachgewiesen. Er magerte ab und wurde Mitte des vorigen Jahres von einer schweren rechtsseitigen Pleuritis befallen, die ihn so sehr herunter brachte, dass er in seine Heimath Utica reiste, um dort zu sterben. Dr. M. O. Terry in Utica aspirirte die rechte Pleurahöhle und sandte das aspirirte Exsudat zur Unter- suchung, ohne zu erwähnen, dass Verdacht auf Tuberkulose vorliege. Die mikroskopische Untersuchung ergab nebst spärlichen Eiterkörper- chen eine ziemlich reichliche Menge von Fibringerinsel, und da die Eiterkörperchen eine nur mässig heruntergekommene Constitution erwiesen, wurde die Pleuritis als eine nicht tuberkulöse erklärt und Hoffnung auf Heilung gemacht. Indessen sammelte sich stets mehr Flüssigkeit im rechten Pleuraräume an, so dass schliesslich Resection zweier Rippen vorgenommen werden musste. Der Patient magerte rasch ab. Abermals wurde pleuritisches Exsudat zur bakteriologischen Untersuchung eingesandt, und trotz sorgfältiger Untersuchung konnte ich keine Tuberkelbacillen nachweisen. Ende December vorigen Jahres starb Patient an Erschöpfung und bei der Obduktion fand man die rechte Lunge komprimirt in eine mässig derbe, pleuritische Schwarte eingehüllt. In der Substanz der Lunge fanden sich in dem Mittel- lappen etwa ein Dutzend zerstreute, erbsen- bis haselcussgrosse, käsige Herde vor, demnach unzweifelhaft Tuberkel. Ein über hasel- nussgrosser, käsiger Herd des Mittellappens war hart an die Pleura vorgedrungen und hatte die Pleuritis verursacht, was um so bestimmter ausgesprochen werden konnte, da an dieser Stelle die Pleura bis zu drei Millimeter verdickt gefunden wurde, während an allen übrigen Stellen die pleuritische Schwarte die Dicke eines Millimeters nicht übertraf. In dieser Schwarte konnten nirgends käsige Herde oder Miliar- Tuber- kel nachgewiesen werden. Die linke Lunge enthielt nur im Oberlappen einige käsige Herde von Erbsengrösse. Das Herzfleisch war mässig verfettet, die Leber zeigte das Bild der Muskatnuss mit gelben Inseln auf dunkelrothbraunem Grunde, demnach leicht fettig degenerirt. Beide Nieren waren im Zustande massiger chronischer interstitieller Nephritis.

Das Interesse des Falles konzontrirt sich auf die Thatsache, dass ein an die Pleura vordringender Tuberkel Pleuritis hervorrufen kann, welche selbst nicht tuberkulöser Natur ist. Noch vor 10 Jahren hat man alle in einem tuberkulösen Individium auftretenden Entzündungen

286

als tuberkulös aufgefasst ; heute dagegen sind wir durch Bakterien- untersuchung dahin gelangt, Entzündungsprozesse tuberkulöser Indi- dividaen, wenn sich Taberkelbacillen nicht nachweisen lassen, als nicht tuberkulös bezeichnen zu müssen.

Florian Krug demonstrirt einen von ihm angegebenen Vagi- nalinjector für den localen Gebrauch des Ichthyols. (Siehe Original- arbeit.)

Discussion:

Goldenberg fragt, ob Krug nicht Eczem nach Ichthyol beobachtet habe, ferner, ob das Glycerin, das damit verabfolgt wird, nicht auf den Stuhlgang wirkt.

Krug erwidert hierauf, dass er niemals Eczema danach beobachtet habe,

Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung. Dann findet die Ab- stinuuung über die Candidaten : G. Katzenmayer, G. A. Kletzsch und G. ScHOEPS statt, welche deren Aufnahme als Mitglieder ergiebt.

C. Heitzmann verliest den von der N. Y. Academy of Medicine an den Verein übersandten Dankesbrief für die ihr geschenkte Virchow- Medaille.

C. Heitzmann bringt dann den Antrag F. Lange's „dass der Verein Herrn Prof. Thiersch zum 70jährigen Geburtstage eine Depesche sen- det, zur Abstimmung, welche die Annahme des Antrags ergiebt.

Hierauf folgt der Vortrag von Dr. W. F. M i 1 1 e n d o r f :

Ophthalmologische Mittheilungen.

(Abgedruckt in der Medicinischen Monatsschrift.) Discussion:

Carl Koller könnte nur einen Fall von retrobulbärer Affection an- führen.

C. Heitzmann fragt, ob nicht Koller einen Fall von Netzhaut- ablösung mit Pilocarpin behandelt habe.

Mittendorf hat Pilocarpin mit Jaborandi combinirt. Sodann folgt der Vortrag von Dr. A. Kose:

Das permanente warme Bad bei Gelenkentzündung.

D iscus sio n :

F. Kammerer hat den Fall behandelt ; Eedner habe eine Anchylose befürchtet ; er habe jedoch den Fall nur eine Woche behandelt. Es ist die Aufgabe des Cüirurgen, die entstandenen Anchylosen zu behan- deln, nicht aber die rheum itischen Affectionen. In diesem Falle habe er keine absolut ungünstige Prognose gestellt ; die warmen Bäder haben jeien falls hier etwas Gutes geleistet,

Dkgner's Erfahrungen sind in Bezug auf Anchylosen ungünstig ; das hier von Dr. Rose erreichte Resultat regt zu weiteren Experimen- ten an.

C. Heitzmann fragt, was die Herren von der Massage halten ; er habe günstige Erfolge bei seiner Frau, welche eine chronische Synov- itis hatte, gesehen.

Rose hat absichtlich von der Massage abgesehen ; er habe darüber nicht viele Erfahrungen ; ausserdem sei das Bad billiger.

Schluss und Vertagung.

Dr. Max Einhorn, Protokollirender Secretär.

287

Allerlei.

Zur Feier der Entdeckung? Amerika's wird in New York während des nächsten Oktober im Madison Square Garden eine Nahrungsausstellung abgehalten werden. Damit verbunden wird eine Ausstellung der nationalen Molkereiprodukte stattfinden, welche unter der Aufsicht des Prof. James Cheesman stehen wird.

Wie Dr. Weyl in der „Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege" berichtete, erki'ankte in Berlin eine ganze Familie, bestehend aus Eltern, Kindern und Dienstpersonal unter akuten Ver- giftungssymptomen (Kopfschmerz, Brechen, Durchfall etc.). Als Ur- sache ergab sich nach vergeblicher Untersuchung der als Speise genossenen Materialien ein emaillirter Kochtopf, dessen Glasur stark bleihaltig war. Bei der häufigen Verwendung emaillirter Geräthe in den Ver. Staaten ist Vorsicht beim Gebrauch dringend geboten !

Pater Testevuide, Gründer des Leprahospitals auf dem Berg Fusi, Japan, ist gestorben. Derselbe hat für Japan dieselbe Bedeutung, wie seiner Zeit Pater Damjen für die Sandwich-Inseln. Im Jahre 1886 gründete der verstorbene Missionär, da in Japan die Leprakrankeu keine Theilnahme von Seiten der Kegierung und des Volkes fanden, aus gesammelten Geldern das erwähnte Hospital, dessen Organisation und Leitung er bis zu seinem Ende durchführte. Nach seinem Auf- treten haben auch Andere sich der Leprakranken angenommen, und gegenwärtig findet man drei Anstalten für Leprotische, wo vor 15 Jahren noch keine einzige war.

Der financielle Ueberschuss des Virchowjubiläums beträgt 23,550 Mark, 20,000 Mark sind von dem Festcomite erspart worden aus den reichen Erträgen der grossen Sammlung, und die 3550 Mark sind das Buchhändlerhonorar für die Beiträge zur Festschrift, deren Mitarbeiter, die Freunde und früheren Assistenten Virchow's, ihrerseits auf die An- nahme dieses Honorars verzichtet haben. Der gesammte Ueberschuss ist zunächst der Kudolph Virchow-Stiftung überwiesen worden, welche bekanntlich den Zweck verfolgt, wissenschaftliche Unternehmungen zu unterstützen, und die bisher über ein Vermögen von 97,000 Mark ver- fügte. Allerdings werden einige Tausend Mark wieder zurückzuzahlen sein, da das Festcomite unter Zustimmung Virchow's beschlossen hat, eine grössere Anzahl Bronzeabgüsse der grossen Festmedaille an die hauptsächlichsten Vertreter dei- entsprechenden Wissenschaft in Europa und an die bei der Feier betheiligten Körperschaften zu ver- theilen.

Dr. Bloebaum in Coblenz und auf seine Anregung Dr. Hagedorn in Hamburg hab(m die von dem Galvanokauter gelieferte Gluth zur Be- kämpfung der Dyphtherie in frühen Stadien zur Anwendung gezogen und mit ihrer Hilfe bemerkensw^ertlie liesultate erzielt. Fie theoreti- schen Gründe für eine solche Wirksamkeit sind ungefähr folgende : Die Glühhitze ist das sicherste Antisepticuni. Sie zerstört jeden Pilz ohne Ausnahme, vmd man kann sieher sein, dass nach ihrer Applica- tion an der befallenen Stelle, besonders wenn noch das gesund erschei- nende, thatsächlich aber sehr oft schon inficirte Grenzgebiet in den Bereich der Wirkung gezogen wird, kein entwickelungsfähiger Bacillus zurückbleibt. Ausserdem aber wird von der Glühhitze die in Angriff genommene Stelle getödtet, so dass alle Stoffe, dio sich in ihr befinden, festgehalten werden. Die Gifte, welche die Bacillen hier niedergelegt haben, können in Folge dessen dem Körper nicht mehr gefährlich werden, und mit Hilfe des Galvanokauters, der noch den Vortheil hat, dass man seine Wirkung sowohl in Breite als Tiefe auf das genaueste

288

berechnen kann, wird die gebrannte Stelle in einen Zustand versetzt, der sie zur weiteren Ansiedelung von Bacillen ungeeignet macht. Das genannte Verfahren erfährt insofern eine Einschränkung, als es bei der Dyphtherie des Kehlkopfes nicht anwendbar ist, desto leichter aber kann man es bei derjenigen der Mandeln, des Zäpfchens und des weichen Gaumens verwerthen, den Gebilden, an denen sich die Seuche am meisten und auch fast immer zuerst zeigt.

Das ,,Langenbeck-Haus in Berlin" ist nunmehr bis zur Fertigstellung des Rohbaues gediehen. Das Haus, welches von der „Deutschen Medicinischen Wochenschrift" zum Gegenstand einer sehr eingehenden, mit anschaulichen Plänen ausgestatteten Beschreibung gemacht wird, liegt inmitten Berlins, an der Spree, welcher es seine 28 Meter lange Front zukehrt, zwischen Weidendammer Brücke und Kupfergraben, mit dem Zugang von der Ziegelstrasse her. Durch einen fast vier Meter breiten Thorweg gelangt man in einen geräumigen, für Garten- anlagen reservirten Hof, an dessen Hintergrund sich das hier 31.5 Meter breite, ein Erdgeschoss und zwei Stockwerke umfassende Lan- genbeck-Haus erhebt. Die inneren baulichen Einrichtungen des Hauses werden der Bestimmung desselben, ärztlichen Vereinen ein Heim und wissenschaftlichen Arbeiten eine Sammelstelle zu bieten, in glücklichster und technisch bestgelungener Weise gerecht. Ausser dem grossen Auditorium oder Hauptsitzungssaale enthält der Bau noch vier Säle stattlicher Grössenverhältnisse, von denen zwei die Bibliothek der medicinischen Gesellschaft aufnehmen sollen, einer zum kleinen Sitzungs- oder Demonstrationssaal bestimmt ist, während der vierte die Präparatensammlung der Gesellschaft bergen wird. Dass der Bau so rasch in Angriff genommen worden und fortschreiten konnte, ist in erster Linie dem Geschenk des Kaisers zu danken, der sofort zur Ver- fügung gestellten Summe von 100,000 Mark. Die Beschaffung der noch fehlenden Mittel erscheint gesichert. Auch sind dem Langenbeck- Hause bereits viele und kostbare Geschenke zugegangen, bezw. stehen solche noch in Aussicht.

Personalien.

Verzogen : Dr. Charles L. Allen nach 19 E. 61 Strasse.

Dr. Max Einhorn, Stellvertretender Redakteur, 107 E. 65. St.

An die Leser.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s.w., sind zu richten an : " Medical Monthly Publishing Co.," 17—27 Vandewater Street, New York.

ManiLscHpte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Herausgeber zu richten.

Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse unseres Blattes im Osten thätig. Da derselbe dieses Jahr nicht reisen wird, so erweisen uns die geehrten Abonnenten einen grossen Gefallen, wenn sie ihren Abonnements-Beitrag einsenden.

Billig zu verkaufen.

" Woods Complete Medical Library, 100 Volumes " gebunden und neu. Nähere Auskunft ertheilt.

Medical Monthly Pübl. Co.

27 Vandewater Str.

New Yorkeir

Medicinische Monatsschrift.

Organ für praktische Aerzte in Amerika

nnter Mitwirkung von

Dr. A. F. Buecbler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos, W. Gleitsmann, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Ramdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert herausgegeben von Dr. F. C. HEPPENHEIMER. Verlag der Medical Monthly Publishing Company, 17-27 Yandewater Street, N. T.

Bd. IV. New York, 15. August 1892. No. 8

ORIGINALARBEITEN.

Ein Fall von Gangrän der Hand nach doppelseitiger Pneumonie.*)

Von

Dr. A. VON GRIMM,

New- York.

Patient, 62 Jahre alt, erkrankte Anfangs November v. J. Mitte November wurde ich von dessen Angehörigen ersucht, densel- ben zu besuchen.

Ich fand ihn an einer doppelseitigen Lungenentzündung erkrankt. Herz normal, doch Herztöne rauh. Chemische und mikroscopische Examinaiion des Ürines ergab : Chr. Nephritis.

Der Zustand des Kranken war äusserst precär, so dass ich eine zweifelhafte Prognose stellte. Patient verblieb in Behandlung seines Familien-Arztes.

Ende November wurde ich abermals zu Patienten gerufen, mit dem Ersuchen, dessen Behandlung zu übernehmen.

Ich fand ihn als Eeconvalescenten vor. Er erzählte mir, dass er seit 8 Tagen ein eigenthümliches Krabbeln in den Fingern der rechten Hand verspüre, dass dieselben wie eingeschlafen fühlten. Er habe dasselbe Gefühl für einige Stunden auch in der grossen Zehe des rech* ten Fusses verspürt, doch sei dies vergangen.

Ich fand des Patienten rechten Vorderarm etwas, die Hand bis zur Grenze der Möglichkeit geschwollen und mit Ausnahme des Daumens von tief braunrother Farbe, sowie äusserst schmerzhaft.

*) Vorgetragen in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York am 6. Juni 1892.

m

Nähere Untersuchung ergab Abwesenheit eines Pulses unterhalb der Axillar- Arterie. Examination des Femoral-Pulses des rechten Beines ergab vermindertes Volumen im Vergleich zur anderen Seite. Die Extremität selbst war in keiner Weise verändert.

Ich leitete ein tonisirendes Verfahren ein und suchte die Circulation durch warme Breiumschläge zu beeinflussen.

Unter dieser Behandlung besserte sich der Zustand des Armes und der Hand zusehends, nur die Finger mit Ausnahme des Daumens nah- men eine dunklere fast schwarze Färbung an so dass der Verlust der vier Finger unvermeidlich schien.

Mitte December jedoch begann sich eine Demarcationslinie ober- halb des Metacarpo-phalangeal-Gelenkes des Zeigefingers und 1 Zoll unterhalb des mittleren Gelenkes des Mittelfingers zu formiren. Die Geschwulst liess nach und die anderen Finger nahmen ein mehr natür- liches Aussehen an.

Ich consultirte nun die Herren Collegen Drs. W. G. Mangold, F. ToREK, später auch Dr. F. Lange. Diese Herren riethen mir, in der Behandlungsweise fortzufahren, jedoch mit der in Aussicht genomme- nen Amputation noch etwas zu warten.

Ende December war der Zeigefinger und die zwei letzten Gelenke des Mittelfingers vollständig mumificirt.

Am 4. Januar exarticulirte ich den Zeigefinger und rundete den Metacarpal-Knochen ab. Den Mittelfinger amputirte ich genau in der Demarcationslinie. Ich benutzte Aether, da ich annahm, dass des Pa- tienten erkrankte Nieren eher diesen als sein geschwächtes Herz Chloroform vertragen würde.

Ich wandte weder künstliche Blutleere noch Näthe an. Blutung war gering. Die Wunden heilten per Granulationen, doch wurde die Heilung durch entzündliche Processe in den Sehnenscheiden als auch dadurch, dass ich keine Lappen machen konnte, sehr verzögert. Auch heute 6 Monate nach der Operation sind die Wunden noch nicht ganz geheilt.

Was nun die Pathologie dieses Falles anbelangt, so ist meiner An- sicht nach anzunehmen, dass Vegetationen der Herzklappen sich loslös- ten, die Axillar- Arterie vollständig und permanent, die Femoral-Arterie theilweise und temporär occludirten, zweifellos unterstützt durch den atheromatösen Zustand der Arterien.

DieCollateral-Circulation wurde in überraschend kurzer Zeit herge- stellt und glaube ich den Verlust der beiden Finger secundären Em- boH zuschreiben zu müssen. Ich habe Ihnen, meine Herren, den Pa- tienten mitgebracht.

Wenn Sie ihn untersuchen, so werden Sie finden, dass die rechte obere Extremität auch heute noch pulslos ist, dass der Arm und die Hand etwas steif doch brauchbar sind, dass also ein anschemend hoff- nungsloser Fall, was nämlich die Hand resp. Finger betrifft, sich zur Zufriedenheit des Patienten und Arztes ammendirte. 31 First Street.

291

IL

Ein veHiesserter Catheter sowie einige Bemerkungen betreffs Behandlung der Harnröhre.

Von

Dr. C. WAECHTER,

New York.

Bei chronischen Erkrankungen der Harnröhre finden wir abge- sehen von Strikturen gewöhnlich den hinteren Theil der Harnröhre, besonders die pars prostatica, als den Sitz des Leidens ; der vordere Abschnitt ist meistens nur wenig in Mitleidenschaft gezogen, und es ist in Folge dessen nutzlos, mit einer gewöhnlichen Spritze Injectionen vornehmen zu lassen, welche die erkrankte Stelle nicht erreichen. Die Behandlung der chronischen Gonorrhoe z. B. bietet desshalb häufig Schwierigkeiten, die vermehrt werden, wenn man starke Adstringentien gebrauchen will, welche im vorderen Theil der Harnröhre bedeutende Schmerzen verursachen.

Es war daher seit längerer Zeit mein Bestreben, ein Verfahren aus- zufinden, welches ohne grossen Zeitverlust gestattet, nur den hin- teren Theil der Harnröhre mit starken Lösungen zu behandeln, denn solche sind zur Heilung gewöhnlich unerlässlich. Die zu diesem Zwecke vorhandenen Instrumente, z. B. Utzmann'sche Eöhre, Endo- scope u. s. w. genügten mir nicht. Nach manchen missglückten Ver- suchen ist es mir jetzt gelungen, einen einfachen Catheter herstellen zu lassen, welcher sich vortrefflich bewährt.

Die vorstehende Zeichnung lässt die Einrichtung leicht ersehen. Die bei „a" eingespritzte Flüssigkeit läuft durch eine dünne Röhre bei „b" durcii rüclswärts laufende Oeffnungen in die Harnröhre, berührt daselbst die erkrankte Schleimhaut und läuft bei „c" durch die Innen- wand des Catheters und schliesslich bei „d" wieder ab, so dass der vordere Theil der Harnröhre nicht berührt wird ; man kann in Folge dessen starke Adstringentien von denen ich das Argent. nitr. allen an- deren vorziehe anwenden, ohne dass der Patient bedeutende Schmer- zen empfindet.

Es möge mir gestattet sein, einige Worte über meine Behandlung hinzuzufügen. Stellt sich ein Patient mit einer chronischen Erkrankung der Harnröhre vor, so nehme ich zunächst eine vorsichtige Unter- suchung des erkrankten Organs durch Knopfsonde oder Endoscop

292

vor, und untersuche gleichzeitig deu Uria. Handelt es sich um eine längere Zeit bestehende Gonorrhoe, die ihren Sitz in der pars prostatica hat, so irrigire ich vorerst den Kanal mit einer schwachen antiseptischen Lösung wie Bor-Säure, oder das in neuerer Zeit von Prof. Winternitz (Blätter für klinische Hydrotherap.) empfohlene und sich gut bewäh- rende Heidelbeer-Decoct (Fructus myrtilli). Treten nach der ersten Untersuchung nur geringe Keizerscheinungen auf, so wiederhole ich am nächsten Tag die Irrigation, führe bis zum Blasenhals ein elast. Bougie ein, und beginne mit einer schwachen Lösung von Argent. nitr. (Vi6 gran p. Unze); ich lasse die Einspritzung den ganzen Kanal entlang laufen, um gleichzeitig im vorderen Theil die Empfindlichkeit undEeiz- barkeit zu mindern. Bei jeder folgenden Einspritzung wird die Lösung um das Doppelte verstärkt, ausserdem wende ich Sonden an, lasse Sitzbäder gebrauchen und empfehle zweckentsprechende Diät, inner- lich Alkalien u. s. w. Der Patient wird angewiesen, in der Zwischenzeit 1 bis 2 Mal täglich tiefe Einspritzungen mit Heidelbeer-Decoct vor- zunehmen. Sobald es die Eeizbarkeit der Schleimhaut gestattet, wende ich starke'Lösungen von Argent. nitr. mit oben beschriebenem Catheter an, indem ich bis zu 15 oder 20 gran p. Unze steige, und jeden zweiten oder dritten Tag eine Einspritzung vornehme ; dieselben werden in der Eegel gut ertragen, ohne beträchtlichen Schmerz zu verursachen. Auf diese Weise gelingt es mir meistens, selbst hartnäckige, seit Jahren be- stehende Fälle, herzustellen.

Es empfiehlt sich, sobald der Catheter eingeführt ist, eine Ausspülung von lauwarmem Wasser vorauszuschicken, wenn man die Harnröhre nicht erst irrigiren will. Während der Einspritzung drehe ich den Ca- theter langsam seitlich, um sicher zu sein, dass die ganze hintere Schleimhaut berührt wird.

Besonders gut bewährt sich dieser Catheter bei der Behandlung der Spermatorrhoe, hierbei gebrauche ich schliesslich Lösungen von Ar- gent. nitr. bis zu 60 gran p. Unze, ohne dass die Patienten über be- trächtliche Schmerzen klagen ; ganz anders verhält sich dagegen die Sache, wenn man so starke Lösungen den ganzen Kanal entlang laufen lässt. Die sonstige Behandlung der fragl. Erkrankung besteht in der Anwendung von umstimmend und anregend wirkenden hydropathi- schen Prozeduren, Massage, Electricität u. s. w.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich bemerken, dass die Sperma- torrhoe nach meiner Erfahrung häufiger vorkömmt, als im Allgemei- nen angenommen wird. Untersucht man bei Patienten, bei welchen die Prostata seit längerer Zeit erkrankt ist, und welche in Folge dessen an sexueller Schwäche, Neurasthenie oder Rückenmarkreizung leiden, den Urin, während der Defaecation gelassen, (am besten denselben filtriren) so wird man häufig den Grund des Leidens i. e. Sperma- tozoen finden. Selbst ein geringer unnatürlicher Samenverlust ver- anlasst häufig beträchtliche Störungen des Nervensystems.

Ich werde in nächster Zeit Versuche anstellen, ob sich ähnlich con- struirte Instrumente für Uterus und Rectum gebrauchen lassen.

293

Der fragl. Catheter ist aus hartem Gummi, ebenso die dazu pas- sende Spritze, ersterer ist in 3 Theile zerlegbar, leicht zu reinigen, und wird in verschiedenen Grössen angefertigt. Derselbe ist durch Instru- mentotimacher Otto Kloppe, 197 Avenue A, New York, zu beziehen. 220 Ost 10. Str.

FEUILLETON.

Aerztliche Denkwürdigkeiten aus dem Feldzug Napoleons von 1812

gegen Russland.

Von

Dr. A. ROSE.

(Fortsetzung.)

Arzneimittel fanden sich in den, während des Marsches in mittel- losen Orten in Eile eingerichteten Lazarethen entweder gar nicht, oder in unzulänglicher Menge vor. Was Boden und Klima darboten wurde von den Aerzten gebraucht, so Heidelbeere und Tormentillenwurzel im Spital zu Witepsk. Als v. Scherer nach Einrichtung des Spitals in Strizzowan im Schlosse daselbst, in der Scheune und zwei Ställen eine grosse Anzahl von Kranken mit Mühe untergebracht und bei gänz- lichem Mangel an Erfrischung für dieselben nicht ohne Anstrengung und Gefahr aus der Umgegend die zunächst nothwendigen Lebens- mittel sich verschafft hatte, wandte er in den ersten 3 Wochen theils als Arznei, tbeils als Nahrung folgende häufig daselbst wuchernde Pflan- zen, zum Theil mit wirklich günstigem Erfolge an :

1. Kohes Meerrettiglöffelkraut, cochlearia armoracea.

2. Kalmus, acorus calamus.

3. Knoblauch, allium sativum.

4. Rettig, raphanus sativus.

5. Blätter von Fieberklee, menyanthes trifoliata. G. Salbeikraut, salvia offlcinalis.

Im Laufe der folgenden drei Wochen erhielt er einige Tausend Gul- den mit der Weisung von Seiten des General's Grafen von Scheeler, damit den unter seiner Aufsicht stehenden Soldaten Linderung zu schaffen ; er erwarb denn auch aus weiter Entfernung, nämlich aus den polnischen Städten Mohilew, Minsk und Wilna, Lebens- und Arznei- mittel aller Art.

Die nun ermöglichte passende Diät in Verbindung mit Arzneimitteln war von vortrefflicher Wirkung. Dies ergiebt sich aus der schon er- wähnten verminderten Anzahl der Sterbefälle in den letzten 3 Wochen. ^Manche von den Geheilten hatten auf unbedeutende Veranlassung hin Rückfälle, zu diesen Veranlassungen gehörte der Genuss von Kar- toffeln. Sie wuchsen in der Gegend des Lazareths reichlich und wur- den von den Reconvalescenten heimlich oft in Menge genossen. Viele, die schon auf dem Wege der Besserung gewesen waren, starben daran ; bei den übrigen blieb lange eine grosse Schwäche des Darmkanales zurück.

Wunderbar war die Steigerung oder Verminderung der Krankheit in Folge heftiger Gemüthsbewegungen. Grosser Schreck oder grosse Freude bewirkte bei einigen schwer darnieder Liegenden plötzliches Aufhören der Ruhr. Oberarmeechirurg v. Kohlreuter war während und nach der Schlacht bei Smolensk Zeuge von dem grossen Einflüsse, den das Gemüth auf die Heilung des Körpers hatte. Voji viertausend

294

Württembergern, die Jener Schlacht beiwohnten, waren nur sehr wenige von der Ruhr gänzlich frei. Matt und niedergeschlagen schwankte das Heer einher ; als aber der Soldat aus dem noch entfernten Kanonen- donner den Beginn einer Schlacht erkannte, ermannte er sicii plötzlich aus seinem Schlummer ; die vorher traurige Miene drückte jetzt Freude und Heiterkeit aus ; freudig und mit seltener Tapferkeit nahm er am Treffen Antheil ; Hoffnung auf Befreiung von dem drückenden Mangel belebte den Körper und Geist. Während der vier Tage, welche die Schlacht dauerte, und auch noch einige Tage nachher, war die Ruhr wie durch magische Kraft verschwunden, kehrte aber bald in höherem Grade zurück, und mit ihr befiel den Soldaten bei fortdauerndem Man- gel völliger Stumpfsinn.

Eine grosse Magerkeit hob sich bei vielen Reconvalescenten nur sehr langsam ; noch auffallender war eine Art Sehwermuth oder viel- mehr Geistesträgheit, welche bei den Kranken zurückblieb ; selbst bei Offizieren, die v. Scherer als energische und heitere Männer gekannt hatte, liess sich lange Zeit ein mürrisches Wesen und eine auffallende Trägheit wahrnehmen. Alles behandelten sie langsam und oberfläch- lich, bisweilen sogar mit einer gewissen Bosheit, es zeigte sich ein Hang zum Stehlen oder etwas Unerlaubtes zu gemessen. Sie konnten oft nur mit Mühe zu einer Bewegung vermocht werden. Von Scherer sah sich veranlasst, den Reconvalescenten zu ihrer Erheiterung einen täglichen Spaziergang in Begleitung einer Wache zu verordnen ; und es erschien um so nöthiger, da fast bei Allen, welche immer regungslos auf ihrem Lager blieben, an den äussersten Theilen des Körpers sich Oedeme entwickelten, die bei einigen in völlige Wassersucht über- gingen.

Wie schädlich auch für diese Kranke der unmässige Genuss geisti- ger Getränke war, geht aus dem traurigen Schicksale dreier bereits hergestellter, aber noch schwacher Soldaten des v. Scherer'schen Ho- spitals hervor. Diese hatten sich aus dem Yorratliskeller des Spitals einige Flaschen mit Branntwein heimlich zu verschaffen gewasst und, um sich einen vergnügten Tag zu machen, denselben auf einmal ge- trunken. Bald stellten sich die gefährlichsten Symptome ein : grosse Schmerzen im Unterleibe, Reiz zum Erbrechen und Erbrechen selbst ; bald darauf erfolgte ein Thränen der hervorgetriebenen und entzünde- ten Augen. Besinnungslos fielen sie nieder ; in diesem Zustande er- folgten flüssige und höchst übelriechende Ausleerungen und am Ende, ungeachtet aller angewandten Gegenmittel, nach 6 Stunden der Tod.

Am Unterleibe, Hals, Brust und namentlich an den Füssen der Leichname fanden sich Brandflecken von verschiedener Grösse, ein deutlicher Beweis, dass diese schnell entstandene Entzündung, Brand und Fäulniss zunächst in der übermässigen Reizung des höchst ge- schwächten Körpers ihren Grund hatte. Eine Oeffnung der Leichname gestatteten die Umstände nicht.

Diese Leichenbefunde von an Alcoholintoxication Gestorbener stim- men mit Beobachtungen überein, die in einer anderen mir vorliegenden Dissertation : Consideration generales sur la congelation pendant l'ivresse, observee en Russie en 1812 par Marin Bunoust, Paris 1817, niedergelegt sind. Bunoust hat in seiner Arbeit darzulegen gesucht, dass der physiologische Effect der Trunkenheit mit dem des Frostes auf den Organismus identisch ist.

Bei der Armee, die in Eilmärschen (v. Scherer begleitete sie nach Aufhebung des Spitals von Strizzowan) über Ostrowon, Witepsk und Smolensk den Feind auf der Strasse nach Moskau verfolgte, hielt die Ruhr in hohem Grade an. In den Lazarethen von Smolensk, Wiasma und Gziat traf v. Scherer ausser denen, welche in den Treffen von Krasnog, Smolensk und Mosaisk verwundet worden waren, eine grosse

295

Anzahl Ruhrkranker an. Viele erlagen auf dem Marsche ; das Ganze bot einen höchst kläglichen, und die Lebensverachtung der Soldaten einen Grausen erregenden Anblick dar. Mit wilder und alles mensch- li(^he Gefühl verläugnender Freude fochten die Soldaten im Treffen von Mosaisk,*) gleich Rasenden stürzten sie sich auf den Feind, wo er am dichtesten stand, bei Eroberung einer Batterie wollte jeder der erste sein, unbeweglich gaben sie sich dem Feuer unzähliger Kanonen Preis, und über Leichenhügel hin erstürmten sie die feindlichen Batterien. Dies war wohl nicht das Werk der GesundJieit und Körperstärke, nicht besonnener Tapferkeit, sondern des höchsten Grads der Verzweiflung.

In dein Treffen von Mosaisk wurd» n ungefähr 1000 Wüittemberger verwundet. Bei vielen mussten chirurgische Operationen vorgenom- men werden. Bemerkenswert!! ist hier, dass bei diesen ohnedies im höclisten Grade geschwächten und entkräfteten Verwundeten die be- deutendsten Operationen bei weitem leichter von statten gingen und weit mehr Verwundete gerettet wurden, als unter den günstigsten Um- ständen der Fall zu sein pflegt. So machte von Kohlreuter, der dama- lige Oberarmeechirurg, die Bemerkung, dass im russischen Feldzuge die Exstirpation des Armes in Hinsicht des Blutverlustes weit leichter als in den sächsischen und französischen Feldzügen bewerkstelhgt worden sei, in welchen der Soldat noch rüstig, wohlgenährt und mit allen Hülfsmitteln reichlich, ja im Ueberflusse versehen war. Bei die- sen setzte, ungeachtet aller angewandten Vorsichtsmassregeln, der Blutverlust oft der ärztlichen Behandlung Hindernisse in den Weg und verursachte einen ungünstigen Ausgang, während im russischen Feld- zuge die meisten schweren Operationen, namentlich die Exstirpation des Armes, trotz dem Mangel an allen Hülfsmitteln und dem, für die Unterbringung der Kranken und Verwundeten so ungünstigen Terrain, glücklich abliefen und die Verwundeten zum grössten Theil geheilt wurden.

In Moskau, wo die Armee nach dem schrecklichen Treffen von Mosaisk (Borodino) 5. und 7. September, durch Hunger und Elend im höchsten Grade erschöpft, den 11. September ankam, war die Zahl der an der Ruhr leidenden Württemberger, für die man in einer Zucker- rafflnerie ausserhalb Moskau ein Spital errichtet hatte, überaus gross. Viele starben hier, der bei weitem grössere Theil wurde bei dem Rück- züge seinem Schicksale überlassen.

Das bis zum 19. October in Moskau dauernde Standquartier ver- besserte den Zustand des Heeres nur wenig. Vom Hunger verzehrt, von allen Bedürfnissen entblösst, war man angekommen, und die schreckhche Feuersbrunst der ungeheuren Stadt hatte die Hoffnung auf einen beque / en Aufenthalt und reichliche Genüsse sehr herabge- stimmt. Obgleich die dem Feuer entrissenen Lebensmittel den Sol- daten überlassen und denselben während ihres mehrwöchentlichen Aufenthalts daselbst Wein, Thee, Kaffee, Fleisch und Brod, aUes ge- sund und in reichlichem Maasse, zugetheilt wurde, so dauerte doch die Ruhr fort und hatte bereits bei dem grösseren Theile einen höchst ty- phösen Character angenommen. Ueberdies war im Heere jetzt auch der wahre Typhus aufgetreten ; sehr häufig zeigte sich ferner Gelb- sucht mit heftigen Magenschmerzen und fieberhaftem Pulse ; der Ty- phus selbst, der sich schnell durch Ansteckung verbreitete, führte bald grosses Verderben herbei und steigerte das Elend der Armee bis zum höchsten Gipfel. Die grosse Anzahl der Kranken, welche oft an schlechten Orten aufgehäuft wurden, der Geruch der unermesslichen Menge menschlicher und thierischer, nicht begrabener und von Fäul-

*) Diese entsetzlichste aller Schlachten wird bekanntlich auch Schlacht von Borodino und Schlacht an der Moskwa genannt.

296

niss ergriffener Leichname, die nicht allein auf den Schlachtfeldern, sondern auf allen Wegen, welche die Armee genommen hatte, oder gar in den Strassen von Moskau selbst umherlagen, namentlich der Geruch einiger Tausende kriegsgefangener und niedergemachter Küssen, die man auf den Strassen hatte liegen lassen, in Verbindung mit dem schon so lange erduldeten Hunger und Mangel an allen Lebensmitteln alles dieses hatte endlich einen pestartigen Typhus hervorbringen müssen.

Nachdem der Eückzug von Moskau beschlossen war, wurde noch einige Tage vor dem Abzüge der Armee Alles, was von so vielen Tau- senden von Kranken fortgeschafft, werden konnte, auf Wagen unter starker Bedeckung vorausgeschickt. Die Kranken führte man auf dem nächsten Wege Mosaisk zu, während die Armee die Strasse von Kaluga einschlug. Einige Tausende, welche vom Typhus angesteckt waren, liess man in Moskau zurück. Mit Ausnahme weniger kamen, nach später erhaltenen Nachrichten, diese Alle um. Von denen, welche, ob- gleich von der Krankheit schon ergriffen, doch noch so viel Kraft hat- ten, um sich auf Wagen fortführen zu lassen, wurden viele auf dem Wege wieder hergestellt, um nachher ein Raub der Kälte zu werden.

An Körper und Geist entkräftet, brach das Heer bei hellem Wetter aber kalten Nächten am 18. und 19. October von Moskau auf, und schlug in fiilmärsctien den Weg nach Kaluga ein. Bei Maloijoroslawez stiess man auf den Feind, der den Weg versperren wollte : ein hart- näckiges Treffen entspann sich, wobei die französische Reiterei stark Noth litt. Zwar wurde die russische Schlachtlinie durchbrochen und der Weg frei gemacht, aber die französische Armee hatte ihren To- desstoss bekommen. Die Ordnung, die das Heer bisher zusammenge- halten hatte, war erschüttert, dagegen rissen Unordnungen aller Art ein. Man schlug jetzt den Rückzug nach der Richtung von Mosaisk, Gziat und Wiasma ein ; die nämliche Strasse, die man im Herwege genom- men hatte, die schon zerstört und völlig menschenleer war. Anführer und Gemeine sahen, bei der schon jetzt eingetretenen Hülfslosigkeit, gleich hoffnungslos einer schrecklichen Zukunft entgegen.

Ueberau vom Feinde umzingelt, der es heftig bedrängte, musste sich das Heer einzig auf der Landstrasse halten ; wer dieselbe ver- liess, setzte sich unvermeidlichem Tode oder Gefangenschaft aus. Auf dem unermesslichen, verwüsteten Landstriche von Moskau bis Wilna sah man auf viele Tagereisen keinen Eingeborenen, kein Stück Vieh ; Städte und Dörfer waren in Rauch aufgegangen. Täglich nahm das Elend zu. Die wenigen Nahrungsmittel, die man von Mos- kau mitgenommen hatte, gingen auf der Flucht nach dem Treffen von Maloijoroslawez, noch ehe das Heer Mosaisk erreichte, sammt den Wagen verloren ; was jeder Einzelne bei sich hatte, war in den ersten Tagen verzehrt, und so trat völliger allgemeiner Mangel an allen Le- bensmitteln ein. Die Pferde, welche kein Futter bekamen, fielen in grosser Anzahl kraftlos am Wege iiin ; Kanonen und unzählige Wagen mussten, nachdem man sie zerstört, zurückgelassen werden.

Von den letzten Tagen des October bis in die Mitte December, zu welcher Zeit das Heer in Wilna anlangte, war Pferdefleisch die einzige Nahrung des bei weitem grössten Theils der Soldaten ; viele bekamen nicht einmal dies, sondern staroen schon vor dem Eintritt der grossen Kälte vor Hunger. Das Fleisch selbst aber, welches die Uebrisrgeblie- benen genossen, war entweder von ermüdeten und kranken Pferden, die nicht weiter hatten gehen können, oder von solchen, die längst todt am Wege gelegen waren. Mit der höchsten Gier warfen sie sich auf das todte Thier, und mit unmenschlicher Wuth schlugen sich, ohne Unterschied des Ranges, und alle militärische Zucht bei Seite setzend, Offiziere und Gemeine, um das Hirn, Herz und Leber der todten Thiere, als um die wohlschmeckenderen Theile : der Schwächere musste mit

207

Jeglicher Portion zufrieden sein. Viele verschlangen das Fleisch roh, andere spiessten es an, röstoten es am Feuer und genossen es so ohne alle Zugabe, oft mit vielem Wohlbehagen.

So traurig sah es aus, als die einbrechende Kälte das Unglück auf den höchsten Gipfel brachte. In den letzten Tagen des Octobers, als das Heer kaum Mosaisk erreicht hatte, erhoben sich plötzlich kalte Nordwinde. Am 26. October fiel der erste Schnee. Dieser machte den Weg für das entkräftete Heer im höchsten Grade beschwerlich. Die Kälte nahm von jetzt an täglich zu ; und bereits war das Zubringen der Nacht unter freiem Hiuünel für viele schrecklich ; den meisten, die weder init Feuer noch Kleidern sich sciiützen konnten, erfroren ein- zelne Glieder. In den ersten Novembertagen war allmäiich das Ther- mometer bis auf minus 12 Reaumur gefallen. Als verderbliche Wir- kungen dieser Kälte kamen bereits Geistesstörungen zum Ausbruch. Die erste und bei allen bemerkbare Wirkung der Kälte auf das Hirn war auch bei Starken und Gesunden der Verlust des Gedächtnisses. Gleich zu Anfang sah v. Scherer viele, welche die Namen der bekann- ten und alltäglichen Dinge, ja sogar der so heiss ersehnten Lebens- mittel entweder gar nicht, oder nur falsch angeben konnten, viele ver- gassen ihren eignen Namen und erkannten die nächsten Kameraden und Freunde nicht mehr. Andere sah man völlig geistesschwach, in der eranzen Miene drückte ihr Stumpfsinn sich aus.

Wer in Folge stärkerer Constitution an Körper und Geist frei von den schädlichen Einflüssen der Kälte geblieben war, dem verursachte es neben dem eignen Ungemach grossen Schmerz und Schauer, wenn er die Geisteskräfte der trefflichsten und vordem willenskräftigst^M.i Männer bald langsam, bald schneller sich vermindern, nach und nach in völligen Wahnsinn übergehen, hier und da für einige Augenblicke wieder aufblitzen, bald wieder hinabsinken sah.

Die grosse Kälte schwächte zuerst das Gehirn derjenigen, deren Gesundheit schon vorher Noth gelitten hatte, namentlich derjenigen, welche von der ansteckenden Ruhr befallen gewesen waren : bald aber äusserte sich bei ihrem täglichen Steigen ihr Einfluss auf Alle. In Folge der Einwirkung der Kälte wurden die inneren Gefässe, besonders des Gehirns und der Lungen überfüllt, bei vielen so, dass alle Lebens- thätigkeit aufhören musste.

Bei der Leichenöffnung waren die Hirn- und Lungen-Gefässe und die rechte Seite des Herzens aufgedunsen und ausgespannt ; bei einer Leiche waren die einzelnen Gefässe des Gehirns zerrissen und ziemlich viel Blut zwischen die Hirnhäute und das Hirn ergossen, bei den meisten hatte sich mehr oder weniger Wasser in den Höhlen gesam- melt. Die Leichname waren weiss wie Schnee, während die Centrai- organe bei jeder Section voll Blut gefunrlen wurden. Anfangs, da die Kälte noch erträglich war, hatte der Andrang der Säfte von der Ob<-r- fläche des Körpers nach den Centraiorganen nur unbedeutende Störungen der Functicmen jener Organe herbeigeführt, z. B. erschwertes Athmen, Geistesschwäche, in bald höherem, bald niederem Grade, Unempfindlichkeit, Verachtung aller Aussendinge, kurz was man damals den ru-Hsl^chen Simpd nannte. Jetzt waren alle Handlungen dieser Menschen Zeugen völliger Geisteslähmung und des höchsttMi Grades von Fühllosigkeit. Man kaim diesen Zustand mit dem des höchsten Greisenalters vergleichen, wenn Geist und Körper wieder in den Stand der Kindheit zurücktreten. Auch die Körper der durch Kälte stark Leidenden waren ausgemergelt und ruiizlich. Männer, früher voll Körper- und Geisteskraft, im Kriege erstarkt, schwankten auf einen Stab gestützt, gleich Kindern jammernd und wehklagend, auf dem Wege daher, bettelten um ein Stück Brod, und reichte man ihnen etwas zu essen, geriethen sie in eine wahrhaft kindische Freude

298

und vergossen nicht selten Thränen. Das Gesicht dieser Unglück- lichen war, je nachdem sie mehr oder weniger gelitten hatten, leiclien- blass, die Züge derselben sonderbar entstellt. Jünglinge glichen 80- jährigen Greisen und sie boten einen wahrhaft cretinenartigen Anblick dar. Die Lippen waren bläulich, die Augen matt, glanzlos und beständig thränend, die Venen sehr klein und kaum sichtbar, die äussersten Theile kalt, der Puls weder am Kadius noch an den Schläfen fühlbar, ein beinahe unüberwindhches Bedürfniss des Schlafs allgemein. Oft trat im Augenblick des Hinsinkens eine Lähmung der unteren Gliedmassen ein,kuiz darauf zeigten einige Blutstropfen aus der Nase den nahebevorstehenden Tod an. Gelöst waren alle Bande brüderlicher Liebe, erloschen alles menschliche Gefühl, auf den, der erschöpft am Wege hinsank, stürzton sich Unzählige, ja die besten Kameraden und Blutsverwandten, bemächtigten sich seiner Kleider und übrigen Habseligkeiten, nackt Hess man ihn im Schnee liegen, dem nun unvermeidlichen Tode preisgegeben; einzig lebte nur noch der Trieb der Selbsterhaltung.

In der letzten Hälfte des Novembers, besonders aber in den ersten Decembertagen, namentlich aber am 8., 9, und 10., als das Heer in Wilna ankam, war die Kälte auf das Höchste gestiegen. In der Nacht vom 9. auf den 10. zeigte das KEAUMUR'sche Thermometer minus 32°. Die kalte Luft verursachte heftigen Augenschmerz, ähnlich wie durch einen starken Druck erzeugt. Die Augen, welche bisher schon durch den anhaltenden Anblick des Schnees sehr geschwächt waren, litten ungemein durch diesen Umstand. Viele waren so geblendet, dass sie keinen Schritt vorwärts sahen, nichts erkannten, und mit einem vorge- haltenen Stabe den Weg sachten. Unzählige fielen auf dem Zuge hin' und erstarrten sogleich.

Während dieses Zeitraums bemerkte v. Scherer, dass wenn solche, die ohnedies schon genug von der Kälte gf'litten hatten, unglücklicher Weise auf den hart gefrorenen und mit Eis überzogenen Boden hin- fielen, bald starben, indem auf die durch die Erschütterung unzweifel- haft hervorgebrachte Verletzung des Rückenmarkes plötzlich eine all- gemeine Lähmung der unteren Gliedmassen, der Harnblase und des Darmkanals und ein unwillkürlicher Abgang des Urins und der Excremente erfolgte. Auch wenn sie nicht gefallen, also keine Erschüt- tefung erlitten, starben viele an fortschreitender Lähmung, die an den unteren Theilen begonnen hatte. Bei anderen trat völlige Hemiplegie ein, während die Geisteskräfte bis auf den letzten Augenblick ungestört blieben.

Der Regimentsarzt von Keller theilte v. Scherer folgenden Fall mit : Ich lag in der Nähe von Wilna zu Anfang Decembers, in einer der kältesten Nächte, mit mehreren deutschen Offizieren am Wege an einem Feuer, als sich ein Militärbedienter näherte und um die Edaub- niss bat, seinen Herrn, einen französischen Gardeoffizier, an unser Feuer bringen zu dürfen. Gern wurde dies gestattet, und zwei Gar- disten brachten einen grossen und starken etwa 30 Jahre alten Mann herbei, und setzten ihn zwischen sich auf die Erde. Als der Franzose die Anwesenheit eines Arztes erfuhr, erzählte er, es sei ihm etwas ganz besonderes zugestossen. Ungeachtet des grossen Elendes sei er bis dahin fröhUch und gesund gewesen, vor einer halben Stunde aber plötzlich von Erstarrung der Füsse und dem Unvermögen, weiter zu gehen, befallen worden, und habe bereits vom Schenkel bis zu den Zehen keine Empfindung. Ich hatte mich durch genaue Unter- suchung von dem Character dieses Uebels überzeugt: Die Füsse waren völlig starr, marmorweiss und eiskalt, indess der Offizier gut gekleidet und, obgleich in so traurigem Zustande, heiterer war als ich und meine Kameraden. Bald wurde er von einem heftigen Drange zu

299

Uriniren, befallen, den er vergeblich zu befriedigen suchte. Mit gröss- tem Wohlbehagen verzehrte er ein grosses Stück ara Feuer gebratenen Pferdefleisches, klagte aber bald über grosses Uebelbeflnden ; seine bis jetzt fröhliche Stimmung ging plötzlich in die höchste Niedergeschla- genheit über. Der Harnabgang unterblieb einige Stunden, was ihm heftige Schmerzen verursachte, den übrigen Theil der Nacht aber ent- ledigte er sich unwillkürlich der Excreniente und vielen Harns. Er schlief viel und der Athem war bis daher frei ; als aber der Tag graute, verfiel er plötzlich in kraftlosen Zustand und mit Tagesanbruch, noch ehe wir unser Feuer verliessen, war der starke vor 8 10 Stunden noch gesunde Mann ein Opfer des Todes."

Die trefflichsten und geistreichsten Männer im besten Alter litten alle mehr oder weniger von der Kälte. Mit Ausnahme weniger, waren bei allen die Sinne, wo nicht gänzlich zerrüttet, doch immerhin geschwächt. Den längsten zum Theil gänzlichen Widerstand leisteten der Kälte diejenigen, welche immer fröhlich und wohlgemuth waren, besonders diejenigen, welche sich durch das frühere grosse Elend und den grossen Mangel an den nothwendigsten Lebensbedürfnissen nicht hatten entmuthigen lassen, welche Pferdefleisch mit Wohlbehagen speisten und sich überhaupt in die Umstände fügten.

Ein mit tüchtigen militärischen Kenntnissen ausgestatteter würt- tembergischer Offizier wurde wenige Tagereisen vor Wilna von einer solchen Sinn- und Fühllosigkeit befallen, dass er mehr vegetirte als lebte, und maschinenartig im Zuge sich fortbewegte. Er war nicht krank, hatte kein Fieber, war noch ziemlich bei Kräften, hatte vorher nie, oder nur selten Mangel gelitten, und doch war sein ganzes Empfindungsvermögen im höchsten Grade von der Kälte angegriffen. Von ScHKRER sah ihn nach seiner Ankunft in Wilna in einer Schenke durch Wärme und Speise etwas hergestellt ; er geberdete sich jedoch ganz kindisch, die dargereichte Speise verzehrte er mit schreckhcher Geberde, während er ass, weinte und lachte er oft mehrere Minuten lang. Mit zerrüttetem Körper, doch zeitig wieder ziemlich hergestellt, kehrte er in das Vaterland zurück, brauchte aber zu seiner völligen Herstellung lange Zeit. Alle Spuren des Uebels verschwanden schliesslich, und eben so thätig wie früher, nahm er seinen Posten wieder ein.

Ein anderer Offizier, mit welchem v. Scherer einige Tage lang zwischen Krasnoy und Orscha reiste, hatte bis daher noch keinen Mangel gelitten ; er fuhr in einem wohlverschlossenen Wagen mit ziemlich rüstigen Pferden, hatte zwei Soldaten zu Bedienten, war gut gekleidet und empfand deshalb, die Kälte, die Ihm weniger als anderen zusetzte, abgerechnet, nichts von all dem grossen Elende, war aber dennoch so verstört und sinnlos, dass er weder v. Soherer, der einige Jahre in freundschaftlichen Verhältnissen mit ihm gestanden war, noch den einen von seinen Bedienten beim Namen nennen konnte ; beständig lief er neben dem Wagen her und behauptete, derselbe gehöre aeiu französischen Kaiser, dessen Bewachung ihm übergeben sei. Nur wenn er schlief, oder mit Gewalt, konnte v. Scherer ihn mit Hülfe seiner Bedienten in den Wagen bringen. Da seine Geistesschwachheit täglich zunahm, verliess v. Schereu, für sein eigenes Leben besorgt, ihn. Er kam nach Wilna, wurde aber gefangen und starb nachher.

Mehr oder weniger, doch der Hauptsache nach, den zwei angeführ- ten Beispielen ähnlich sind alle von v. Scherer beobachteten Fälle.

Aehnliche Beobachtungen über die Wirkung der Kälte machten auch andere Armeeärzte,

Oberarmeearzt v. Schmetter war beim Zuge gegen Russland mit dem Kronprinzen von Württemberg in Wilna zurückgeblieben. Er erinnerte sich vieler der Unglücklichen, die er in Wilna aufgenommen

300

hatte, welche durch Kälte und Elend aller Art so herabprekommen waren, dass die einst kräftigsten Männer ein wahrhaft knabenhaftes Aussehen hatten und geistig zerrüttet waren. Ein Eeiter aus dem Regimente Her- zog Louis, der im Februar 1813 in das nämliche Lazareth, an stillem Wahnsinn leidend, gebracht worden sei, habe immer etwas gesucht, ohne indess fieberhaft zu sein. Hände und Füsse seien stark erfroren gewesen. Bald sei er von dem herrschenden Typhus angesteckt wor- den und habe 14 Tage in mehr oder minder heftigen Delirien zuge- bracht. Nachdem die Wuth der Krankheit sich gelegt, habe er wieder angefangen etwas ängstlich zu suchen, und, nachdem ihn das Fieber gänzlich verlassf^n, erKlärt, mehr als 30,000 Gulden in Gold, die er mit- gebracht, seien ihm gestohlen worden. Indess habe man in Erfahrung gebracht, dass der Reiter unter denjenigen gewesen sei, welche mit Depeschen an Murat abgeschickt worden seien, und denselben in der Schlacht bei Mosaisk tapfer vertheidigt hätten, weswegen er ihnen auf dem Rückzüge einen mit Gold beladenen Wagen zur Plünderung über- lassen habe. Auf den Reiter seien mehr als 30,000 Gulden gekommen, die er auf vier Pferden transportirt habe ; da aber diese aus Mangel an Futter und vor Kälte unter ihrer Last endlich zusammengesunken, seien diese den Kosaken in die Hände gefallen. Der Mann sei ganz ausser sich gekommen, als man ihm während seiner Wiedergenesung gesagt, er habe kein Gold in das Lazareth gebracht ; nur nach und nach habe er von diesem Wahne sich abbringen lassen und endlich erklärt, er erinnere sich durchaus nicht, dass er auf dem Rückzüge ge- plündert worden sei, obgleich dieses durch Zeugen, denen das nämliche begegnet war, bestätigt wurde. Zwei Jahre erst nachdem er das Laza- reth und den Dienst verlassen, als er völlig wieder gesund und bei Kräften war, habe er sich erinnert, dass er in Polen während der hefti- gen Kälte von den Kosaken gefangen und halb nackt im Schnee besin- nungslos liegen gelassen worden sei, und dass er nicht wisse, wie und wann er in das Spital nach Vaihingen gebracht worden sei, indess dränge sich ihm öfters der Wahn auf, er habe das Geld mit in das Spi- tal jjeb rächt.

Ein anderer Reiter aus dem Regimente König sei mit vielen ande- ren aus Russland im höchsten Gra le stumpfsinnig nach Mergentheim gekommen, Hände und Füsse erfroren, gangränös. Er habe bald polnisch, bald russisch, bald deutsch untereinander gesprochen ; wie ein Kind habe man ihn ernähren müssen, weder seinen Namen noch Geburtsort habe ernennen können. Er starb an Erschöpfung 8 Tage nach der Aufnahme in das Hospital. Nach Eröffnung des ganz runz- lichen L'^ichnams, fanden sich die Gehirngefässe voll Blut, die Ventrikeln voll Wasser, auf der Oberfläche des Gehirns zwischen diesem und den Hirnhäuten mehrere grössere und kleinere Säcke voll gelber Lymphe, die Rückenmarkshöhle voll Wasser, im Rückenmark selbst deutliche Spuren von Entzündung. In den Lungen viel schwarzes geronnenes Blut, der rechte Ventrikel des Herzens ausgedehnt und ebenfalls voll Blut, desgleichen die Hohladern. Im Magen und Gedärmen viel Nar- ben, die Gekrösdrüse und die Bauchspeicheldrüse sehr entartet und mit Eiter gefüllt, im Mastdarm viele Narben und mehrere Geschwüre.

Ausser der oben beschriebenen wurden im Lazareth zu Mergent- heim noch 8 Leichen secirt, von mehr oder minder stumpfsinnig und von Kälte aufgeriebenen, aus Russland zurückgekommen und dort aufgenommenen Soldaten. Bei allen sei der Befund ein dem beschrie- nen ähnlicher gewesen.

Oberarmeearzt v. Köhlreuter beobachtete einen Infanterie-Offizier, der zu Inorawlow in Polen, wo der Rest der württembergischen Armee sich sammelte, ohne besondere Krankheit und Fieber ankam. Er ver- fiel in völlige Geistesabwesenheit. Grosse Geistesschwäche blieb ihm

301

längere Zeit, verliess ihn zuletzt aber gänzlich, Von einem anderen Stabsoffizier, der ihm nach jenem fatalen Eückzuge zur Behandlung übergeben worden war, erzählt K., dass er gerast, dass er aber später geistig gänzlich wieder hergestellt worden sei, er starb auf seinem Rückwege an der sächsischen Grenze an Entkräftung.

Ein Infanterie-Offizier war erst später in der Heimath eine Zeit lang völlig des Verstandes beraubt. Er brauchte längere Zeit zu seiner Wiederherstellung, genas aber doch ohne besondere ärztlicYve Hülfe.

Die Heilung der Wahnsinnigen leistete die Zeit, mildes Klima, der längere Umgang mit Anderen, nährende Speise ; die meisten erlangten schon auf ihrem Wege durch Deutschland, noch ehe sie in ihre Hei- math kamen, ihre völligen Geisteskräfte wieder, und nur eine geringe Anzahl brauchte längere Zeit und Arzneimittel zu ihrer Wiederher- stellung.

DerEinfluss der grossen Kälte auf die Wunden war sehr stark. Heftige Entzündung, ungeheure Anschwellung, kalter Brand wegen Mangels an allen Gegenmitteln. Grössere Wunden konnten auf dem Rückzüge oft gar nicht verbunden werden, und beim Anhalten der Kälte folgten Brand und Tod schnell aufeinander. Dieser Einfluss äusserte sich zum Theil eben so stark auf längst geheilte und vernarbte Wun- den, wie auf frische. Sehr schnell war der Verlauf, besonders bei Ver- wundung der äussersten Gliedmassen. Auffallend war der Einfluss nur mässiger Kälte auf verwundete Glieder durch schnelle Entzündung und kalten Brand. Erhöhte Kälte war von den schrecklichsten Folgen für die verwundeten äussersten Theile, wenn die Wunde auch längst geheilt und vernarbt war.

V. Harpprecht, Offizier im Regimente Louis, war in der Schlacht von Mosaisk am 7. September von einer Kanonenkugel getroffen worden. Obengenannter Dr. v. Köhlreuter nahm ihm bald nach Empfang der Wunde, seiner Gesundheit unbeschadet, den Schenkel ab. Ziemlich stark und vergnügt kam er wohlbehalten bis zur Berezina. Der Ueber- gang über diese war bekanntlich mit vielen Gefahren und Strapazen verbunden und, so war v. Harpprecht lange, ehe er hinüber kam, grosser Kälte ausgesetzt. Bald, nachdem er glücklich hinüber gerit- ten war, sagte er, ihm sei, wie wenn er den Stumpf seines amputirten Fusses verloren hätte, indem er gar kein Gefühl darin habe. Unvor- sichtiger Weise, was sich von ihm nicht hätte erwarten lassen, liess er sich bereden, an ein Feuer zu gehen ; bald aber fühlte er heftige Schmerzen im Stumpfe; es erfolgte eine heftige, weit sich erstreckende, mit starker Geschwulst verbundene Entzündung und wenige Tage darauf der kalte Brand, und endlich starb er, ungeachtet aller passen- den Mittel, bald nach seiner Ankunft in Wilna.

So zogen sich die, welche von der Kälte nicht in hohem Grade ge- litten, sondern an den nächtlichen Feuern die verwundeten Glieder ge- wärmt hatten, gewöhnlich den kalten Brand zu, der, immer typhus- artig, meist schnell den Tod herbeiführte.

(Fortsetzung folgt.)

302

NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für praktische Aerzte in Amerika. Redigirt von

dk. f. c. heppenheimer. EDITORIELLE NOTIZEN.

15. August 1892.

Das Umsich^eifen der Cholera.

Gegen Ende vorigen Jahres trat die Cholera epidemisch in mehre- ren Orten Syriens, so in Damascus und Bairut auf, und wurde von hier Anfang dieses Jahres nach Persien und Afglianistan verschleppt. Yon Meshed aus, einem in Persien gelegenen Wallfahrtsorte, wurde die Cholera Anfang Juni, wo sie täglich 100 250 Opfer daselbst forderte, von den Pilgern überall hin verschleppt und so auch nach den Orten, die an der trans-kaspischen Eisenbahn liegen, gebracht. Von dem kaspischen Meere aus wanderte die Cholera schnell zu Wasser und zu Lande und trat zunächst in Baku und Astrachan auf. Baku ist be- kanntlich eins der grössten Petroleumcentren Russlands und mit Eisenbahnen nach mehreren Richtungen hin versehen ; so wurde von hier die Cholera weiter nach Tiflis transportirt. Yon Astrachan aus nahm dagegen die Cholera ihren Weg der Wolga entlang. So war denn die Cholera in dem ungeheuren Russland vorhanden und fand hier, wo das Land durch die lange Hungersnoth und die sonstigen zerrütte- ten Verhältnisse, so zu sagen, für die Entwickelung aller schlechten Keime vorbereitet war, einen fruchtbaren Boden. Die Cholera schrei- tet nun mächtig überall hin, nach dem Westen und Norden, unaufhalt- sam fort. Im Juni, wurde noch von der russischen Regierung das Vorhandensein der Cholera im europäischen Russland, geläugnet ; An- fang Juli wurde nur von vereinzelten Fällen von Cholera gesprochen ; gegen Ende Juli dagegen liefen Nachrichten von den verschiedenen Centren Russlauds über den schweren Auftritt der Cholera und über die grosse Anzahl von Todesfällen ein. Am 26. Juli lautete der Re- gierungebericht Russlands über das Verhalten der Cholera, wie folgt .

Astrachan, 46 Fälle, 42 todt ; Voronesh, 15 Fälle, 10 todt ; Kasan, 9 Fälle, 7 todt ; Samara, 120 Fälle, 74 todt ; Saratoff, 91 Fälle, 61 todt ; Simbirsk, 68 Fälle, 38 todt ; Rostofif, 106 Fälle, 69 todt ; Taganrog, 5 Fälle, 4 todt ; Charkoff, 15 Fälle, 3 todt ; Orenburg, 9 Fälle, 6 todt ; Tsarizyn, 48 Fälle, 29 todt. In Warschau sind 4 Todesfälle an Cholera vorgekommen. Die Zahl der im gesammten russischen Eeiche am 3. und 4. August neu aufgetretenen Cholerafälle war, laut Regierungs-

*) Kabeldepescbe im N. Y. Herald vom 29. Juli 1892.

303

bericht aus Petersburg, 6741 mit 3694 Todesfällen. (N. Y. Tribüne, 8. August 1892.)

Es ist selbstverständlich, dass diese Berichte noch lange nicht den Sachverhalt klar darstellen, sondern, dass die Cholera in Wirklichkeit noch weit mehr Opfer fordert.

Ueber das Auftreten von einzelnen Cholerafällen in Frankreich, so in Paris ist bereits vor längerer Zeit berichtet worden, allein es scheint doch, dass trotzdem, wenigstens bis jetzt, keine Weiterverbrei- tung der Cholera daselbst stattgefunden hat. Am 31. Juli wird das Vorkommen von Choleraerkrankungsfällen in Oesterreich (Pressburg) gemeldet.

Die Cholera hat in allen früheren Epi- und Pandemien ihren Weg von Asien durch Kussland nach den übrigen Ländern Europa's und theilweise auch nach Amerika genommen : diesmal ist das Fortschrei- ten der Cholera durch die neuen Eisenbahnen im fernen Osten Euss- lands beschleunigt worden. Hoffen wir jedoch, dass es den verbesser- ten hygienischen und sanitären Massnahmen der letzten Jahrzehnte gelingen wird, die Cholera vom westlichen Theil Europa's und von unserem amerikanischen Boden fern zu halten.

REFERATE.

Innere Medicin.— Referirt von Dr. AD. ZEDERBAÜM.

Die Behandlung der Pleuritis. Von Prof. Germain See in Paris.

Autorisirte Uebers. nach einem in der Acad. de Med. in Paris gehaltenen Vortrage. (Allg. Wiener Mediz. Zeitung, No. 18 u. 19, 1892.)

Seine eingehenden Betrachtungen über die Behandlung der Pleuritis fasst Verfasser in folgenden Sätzen zusammen : 1) Die innerlich ver- abreichten Mittel, und zwar die Antirheumatica (Salic. Natron), Diuretica (Digitalis), Sudorifera (Pilocarpin), die drastischen und salinischen Purgantia, haben auf das Exsudat keinerlei Einfluss. Die Milch, sonst ein mächtiges Diureticum, spielt hier nur die Rolle eines leicht ver- daulichen und assirailirbaren Nahrungsstoffes. Das Pleura-Exsudat ist viel reicher an Albumin, Fibrin, Leucocythen, viel ärmer an Wasser, als die Transsudate. Durch den Aderlass wird die Affection ungünstig beeinflusst. Die einzig rationelle Methode ist die exspectative, denn die serös-librinöse Pleuritis durchläuft in zwei bis drei Wochen regel- mässige Phasen ; bis dahin ist jede Medication überflüssig. 2) Die Pleuritis ist fast nie eine essentielle Affection, sondern in 68 von 100 Fällen praetuberculös oder tuberculös ; aber selbst in diesen Fällen bleibt das Exsudat sero-fibrinös, ohne eitrig zu werden. Ueber- impf ungen des Exsudats auf tuberculisirbare Thiere erzeugten in mehr als 50 Prozent der Fälle Tuberculose. Die sero-fibrinöse Pleuritis wird ferner häufig durch Typhusbacillen, Pneumokokken und pneumonische Streptokokken erzeugt. Revulsivmittel sind unter allen Umständen contraindicirt und dienen nur dazu, Nephritiden und schwere Intoxica- tionen hervorzurufen. 3) Bleibt das Exsudat nach drei Wochen sta- tionär, so soll man punctiren, gleichviel, ob es sich um eine infectiöse Pleuritis handelt oder nicht. l3ie mit antiseptischen Cautelen ausge-

f

304

führte Punction ist gefahrlos und regt keinerlei Umwandlung des Exsudates au. Ein Empyem entwickelt sich von Beginn an als solches. Die Function ist sofort vorzunehmen, wo hochgradige Dyspnoe mit Cyanose besteht. Eine Dyspnoe ohne Cyanose kann thermischen, vasomotorischen, circulatorischen, psychischen, nervösen oder reflec- torischen Ursprungs sein und eine drohende Gefahr vortäuschen, ohne dass die Operation nöthig wäre.

Cremasterreflex als ein neues dyspnoetisches Phänomen. Von Dr. H. Leibiinger in Brody. (Wiener Mediz. ^Yochenschr., Xo. 21, 1892.)

Der Cremasterreflex wurde vom Verfasser bisher in nachfolgenden Affectioneu des Eespirationsorgans beobachtet : 1) Bei der Capillar- brouchitis, der Catarrhalpneumonie und beim Glottisoedem, bei welchem die Dyspnoe zeitweilig exspiratorisch ist ; 2) In denletzten Stadien der Phthise als Begleiterscheinung der denkbar stärksten Dyspnoe ; 3) Bei der acuten Miliartuberkulose, bei welcher in der Kegel Hustenparoxys- men vorkommen und eine Respirationsfrequenz von 40, 60, ja 70 Athem- zügen in der Minute beobachtet wird ; 4j Bei den verschiedenen Formen des Bronchialastlima's, während der auffallend verlängerten und forcirteu Exspiration ; 5j Beim Emphysem, bei welchem bekanntlich die höchsten Grade von exspiratorischer Dypsuoe vorkommen. Der Cremasterreflex wird bei der exspiratorischen Dyspnoe durch rein reflectorische Einflüsse ausgelöst ; durch die energische Wirkimg der Bauchpresse werden die angrenzenden Hautpartien an der Innenfläche der Oberschenkel Stellen der leichtesten Erregbarkeit für den Cremasterreflex gereizt, von welchen aus Letzterer erst geweckt wird. Ebenso wird beim Husten, infolge des Druckes der Bauchpresse, das Blut mit grosser Intensität aus den Bauchvenen in die Vena femoralis gedrängt, was möglicherweise zur Uebertragung des Reizes auf die ent- sprechenden Hautpartien beiträgt.

On the Value of Methylene-Blue in Malarial Fever. By Dr. W. S. Thayer in Baltimore. (Bulletin of the Johns Hopkins Hospital, Xo. 22, 1892.1

Ermuntert durch die ersten erfolgreichen Versuche mit Methylen- blau bei Malaria (siehe diese Monatsschr., Xo. 5, 1892), wurde dieses Mittel auf der Prof. OsLER'schen Abtheiluug des John Hopkin's Hospi- tals in noch weiteren 7 Fällen einer Prüfung unterzogen. Die Fälle wur- den derart ausgesucht, dass bei denselben eine Besserung durch Chinin- Behandlung mit Sicherheit erwartet werden konnte. Th. sieht sich nun berechtigt, auf Grund seiner bisherigen Erfahrungen Folgendes über das Methylenblau auszusagen : 1) Das Methylenblau beeinflusst das Malariafieber in unzweifelhafter Weise, indem es die specifischen Organismen, die diese Krankheit bedingen, vernichtet, doch ist es in dieser Beziehung weniger zuverlässig als das Chinin, welches oftmals noch sehr wirksam erscheint in Fällen, wo das Methylenblau ohne jedweden Xutzen verordnet wurde. 2) Die Wirkung des Methylenblau scheint eine sehr rasche zu sein, da Schüttelfröste und Fieber in den von ihm günstig beeinflussten Fällen schon in wenigen Tagen zu ver- schwinden pflegen. Wo jedoch im Organismus bei sonst gebessertem Zustande durch Methylenblau eine genügende Anzahl von Malaria- Erregern noch zurückgebheben sind, scheinen dieselben merkwürdiger- weise, gerade unter dem Einflüsse des Mittels, sich mit erneuerter Kraft zu vermehren, so dass bereits in sehr kurzer Zeit die Krankheits- erscheinungen wiederum zum Vorschein kommen. 3) Aus dem Vor- hergesagten ergibt sich, dass das Methylenblau keine Vortheile vor dem Chinin darbiete.

305

Krankheiten des Circulations- und Verdanungsapparates. Referirt von Dr. MAX EINHORN.

1. Die Zusammensetzung des Blutes in einem Falle von hochgradiger

Anämie und einem solchen von Leukämie. Von F. Krüger.

(St. Petersburg. Medic. Wochenschr., 1892, No. 21.)

Verf. hat nach der Methode der Blutanalyse von Al. ScnrnDT, welche darin besteht, dass man den Proceut Trockenrückstand erst im Gesammtblute, dann aber im Serum, und den Blutkörperchen getrennt feststellt, und so das ^'e^llält)liss der Blutkörperchen zum Serum berechnet ; in einem Falle von hochgradiger Anämie infolge eines Magenulcus und in einem Falle von Leukämie ausführliche Blutuntersuchungen vorgenommen. Das Blut wurde bei beiden. Patienten durch Venäsection gewonnen. K. kommt Grund seiner Untersuchungen zu folgenden wichtigen Schlüssen :

1. Im Blute Anämischer sind die rothen Blutkörperchen als solche gar nicht oder nur äusserst wenig in ihrer Zusammensetzung von der Norm verschieden, sodass die Veränderung des Blutes hauptsächlich auf einer Verminderung der Menge derselben beruht. Das speciüsche Gewicht ist bedeutend geringer als normal, und der Trockenrückstand gleichfalls niedriger wie beim Gesunden. Das ganze Blut ist wässeri- ger geworden.

Das anämische Blut ist demnach charalderisir-l durch eine Verminde- rung der Menge der rotlten Blutkörperchen, hei normaler Zusammen- setzung derselben, und durch gleichzeitige Verdümuing seines Serum.

2. Das leukämische Blut ist in Bezug auf die Mengenverhältnisse seiner vorwiegendsten Bestandtheile der Blutflüssigkeit und der in ihr suspendirten körperlichen Elemente (rothe Blutkörperchen) nicht gestört, dagegen haben diese selber eine Veränderung erlitten, welche sich dadurch kennzeichnet, dass das Serum reicher, die Blutkörper- chen ärmer an festen Bestandtheilen geworden sind, wobei letztere namentlich eine Abnahme an Hämoglobin aufweisen. Das speciüsche Gewicht des leukämischen Blutes ist nicht niedriger, als normal.

2. Zur Diagnose und Therapie der Krankheiten des Verdauungs-

tractus. Ein Fall chronischer Secretionsunttichtigkeit des Magens. (Anadenia ventriculi ?) Das Benzonaphtol. Von C. A. Ewald. (Berl. Khn. Wochenschr., 1892, No. 26 und 27.)

Wie allgemein bekannt, ist man in den letzten Jahren davon zurück- gekommen, den Nachweis der freien Salzsäure bei der Diagnosen - Stellung, Magencarcinom oder nicht, als ausschlaggebend zu betrachten. Ewald hat nun auch das Verhalten des gebundenen HCl geprüft, und auch hier zeigte es sich, dass das negative Resultat für die Diagnose Carcinom nicht mit Sicherheit verwerthet werden kann. E. führt einen Fall von chronischer Secretionsuntüchtigkeit des Magens " an, wo eben vollständiger Mangel der Salzsäure, sowohl der freien, wie der gebundenen bestand, ferner Mangel des Pepsins und des Labferments, und wo Carcinom mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden konnte. [Dieser Fall gehört zu der Reihe von Magenaffectionen, die ich soeben unter dem Namen Achylia gastrica " in der letzten Nummer der Monatsschrift beschrieben habe. Referent.] Die Schwierigkeit Magencarcinom auszuschliessen demonstrirt E. an einem anderen Falle, wo bei einor 52jährigen Dame eine Zeit lang Dysphagie bestand, der Schlauch aber ohne jeglichen Widerstand in den Magen gelangte ; nachdem Patientin sah, dass keine wirkliche Verengerung der Speise- röhre vorliegt, konnte sie nunmehr bald gut essen, und die meisten Symptome besserten sich ; daraufhin wurde die Diagnose : Krampf-

306

zustand der Speiseröhre event. auf hysterischer Basis " gemacht. Nach etwa ferneren sechs Wochen trat Verschlimmerung ein, und man konnte nun deutlich einen Tumor mit allen charakteristischen Zeichen des Carcmoms in der Magengegend fühlen, E. bespricht dann genau die Therapie dieser Fälle von Secretionsuntüchtigkeit oder Achylia ; zwei Aufgaben sind zu erfüllen : 1. Die Motilität des Magens zu kräf- tigen ; 2. Zersetzungen im Magen hmtanzuhalten. Die erste Aufgabe wird am besten durch die directe Faeradisation des Magens erfüllt, die zweite durch Darreichung von Salzsäure in grossen Mengen. Als ein ausgezeichnetes desinflcirendes Mittel des Magens und Darmes sieht Ewald das in letzter Zeit von französischer Seite empfohlene Benzo- naphtol an. Dasselbe hat keinen schlechten Geschmack und reizt in keiner Weise die Schleimhäute ; es kann in Dosen von 3 5 grm. täg- lich gegeben werden. E. giebt es gewöhnlich in Verbindung mit Kesorcin und Bism. salicyl. ^& sowie Beimengung eines Pflanzenpulvers als Schachtelpulver, zweistündlich ein Theel. zu nehmen.

3. Ueber den Einfluss körperlicher Anstrengung auf die Ausnützung

der Nahrung. Von S. ßosenberg. (Pflüger's Arch., Bd. 52, p. 40L)

K. hat eine Hündin erstens gleich nach dem Essen, zweitens aber etwa drei Stunden nach der eingenommenen Nahrung, mehrere Stunden hindurch laufen lassen und hat dann vergleichende Untersuchungen in Bezug auf die Ausnutzung der Nahrung in der Rahe und während der Arbeit vorgenommen. Verfasser kommt zu dem Schluss, dass beim verdaiiungsgesunden Hunde die Ausnützuug der Nahrung ganz unab- hängig davon ist, ob das Thier sich während der Verdauung in Ruhe befindet, oder eine sehr energische Arbeit leistet.

4. lieber neue Calciumsalze in der Therapie. Physiologische und

diätetische Behandlung der Magenkrankheiten. Von Germain See in Paris. (Deutsche med. Wochenschr., 1892, No. 22.)

Germain See rühmt die Wirkung des Chlorcalciums, als eines leicht absorbirbaren Körpers, auf den Organismus. Er giebt das Chlorcalcium in Mengen von 1—5 grm. pro die in einer grossen Anzahl von Magenkrankheiten (hauptsächlich Magenkatarrh und Carcinom, wo das Labferment oft fehlt, und durch das Chlorcalcium das Labzy- mogen in das betreffende Ferment umgewandelt wird).

Dermatologie.— Referirt von Dr. H. GOLDENBERG.

Der Streptobacillus des weichen Schankers. Von P. G. Unna.

(Monatshefte für pract. Dermatologie, 1892, No. 12.)

Unna fand in fünf hintereinander untersuchten reinen Fällen von weichen Schankern, die ausgeschnitten, in absolutem Alkohol gehärtet, mit alkalischer Methylenblaulösung gefärbt resp. überfärbt und mit- telst Glycerinäthermischung entfärbt waren, einen kleinen kurzen Streptobacillus, der in Form von Ketten wächst. Die letzteren ver- laufen ausnahmslos in den Lymphspalten zwischen den Gewebszellen.

Trotz noch nicht vorgenommener Impfversuche hält U. die pathogenetische Bedeutung dieses Streptobacillus für erwiesen, weil sich derselbe konstant und ausschhesslich in den nicht behandelten frischen Fällen von weichem Schanker vorfand, dagegen bei anderen Geschwürsformen speciell bei syphilitischen, herpetischen und varicoe- sen Geschwüren fehlte. (Jedenfalls ist der Bacillus mit dem von Ducrey im Öecrete weicher Schanker nachgewiesenen identisch.)

so?

Un cas de Reinfection Syphilitique par R. Pauly. (Annales de Der- matologie et Syphiligraphie, June 1892.)

Patient hatte vof 15 Jahren ein^n Schanker am frenulum und ein Ulcus durum der Unterhppe, Lymphadinitis, plaques muqueuses im Mund und Anus sowie speciflsche Alopecie Hospitalsbehandlung mit Hg. Acht Jahre lang symptoraenfrei.

Gegenwärtig oberflächliche pkKiues muqueuses im Mund, aus deren Aussehen der Verfasser schliesst, dass sie Symptome einer 6 12 Monate alten, unmöglich einer 15 Jahre alten Syphilis sein könnten. Ausserdem fand er Papeln an der Nasolabialfalte, plaques muqueuses am Scrotum und Anus und eine Pigmentsypnilis am Hals mit allgemei- ner Adenopathie. Die Initialeffecte sassen an der linken Wange, es finden sich daselbst noch zwei characteristische Narben auf einer infil- trirten Basis. Daneben besteht beträchtliche Schwellung der Sub- maxillardrüsen der linken Seite.

(Die wenigsten der bisher beschriebenen Fälle von syphilitischer Keinfection können einer strengen Kritik Stand halten, wesshalb Ke- ferent auf diesen Fall näher eingegangen ist. Pospelow hat neuer- dings einen unwiderleglichen Fall von Keinfection mitgetheilt.)

Pathologie und Bakteriologie.— Referirt von Dr. LOUIS HEITZMANN.

1. Ueber die Struktur des Bindegewebes und deren Bedeutung ftir

die Histologie der Entzündungsvorgänge. Von Prof. Paul G-rawitz. (Berliner klinische Wochenschrift, No. 6, 1892.)

2. Ueber die schlummernden Zellen des Bindegewebes und ihr Ver-

halten bei progressiven Ernährungsstörungen. Von demselben.

(ViRCHOw's Archiv., Band 127.)

3. Ueber die Gewebsveränderungen bei der Entzündung und ihre

biologische Bedeutung. Von demselben. (Originalreferat in der Berliner klini-.chen Wochenschrift, No. 28, 1892.)

Drei interessante Arbeiten; in welchen Verfasser bestätigt, was schon seit beinahe 20 Jahren bekannt ist, obwohl er glaubt neue Ent- deckungen gemacht zu haben. In dem ersten, vor der HuFELANo'schen Gesellschaft am 21. Januar d. J. gehaltenen Vortrage, zeigt Grawitz dass es ausser der Theilung fixer Bindegevvebszellen und der Aus- wanderung farbloser Blutzellen noch eine Möglichkeit für die Ent- stehung von Bindegowebszellen giebt, welche, wie er behauptet, bisher übersehen worden ist, obgleich sie eine sehr ausgiebige und bei manchen chronischen Entzündungen. (Endoarteriitis deformans) vielleicht die einzige Qaelle der Zellenbildung ist, nämlich die Bildung von Zellen aas der Intercellularsiüjstanz.

Das Hervortreten dieser neuen Zellen und Kerne neben den fixen Bindegewebszellen vollzieht sich nach ihm, in einer bestimmten Keihen- folge. Ein Theil der Zellen entsteht ganz evident innerhalb von Spal- ten. Bei der Vergrösserung der Zellen erweitert sich der Spalt, in ihm werden Kerne sichtbar, dann Zellsubstanz ; die fertige Zelle liegt als- dann in einem Saftkanal, wie es im losen Bindegewebe die sogenannten fixen Bindegewebskörperchen thun. Eine zweite Gruppe wird sicht- bar an der Wand des Saftkanals ; auch hier erscheinen zunächst Kerne, dann Spindelzellen, der vorher kernlose Spalt oder Kanal stellt nunmehr ein Rohr dar, welches ähnlich einer Capillare von endothel- artigen Zellen ausgekleidet ist. Eine dritte Reihe von Kernen erscheint neben diesen zellig gewordenen Saftkanälen in den Fasern selbst. Wenn man diese Vorgänge ungestört, das heisst ohne Einwan- derung weisser Blutkörperchen, ablaufen sieht, kann man sich über-

808

zeugen, dass wir bisher im derben Bindegewebe, z. B. der Cutis, kaum mehr als 5 oder 10 Prozent der Bindegewebszellen gekannt haben, dass dagegen die übrigen 90 oder 95 Prozent sich in einem Zustande befunden haben, welcher unseren Kernfärbungsmitteln nicht zugäng- lich ist, und den G. als den Schliimmerzustand der Bindegewebszellen bezeichnet.

Am Schluss sagt Grawitz dass, obwohl im Einzelnen noch zahl- reiche Untersuchungen nothwendig sein werden, das Eine doch schon jetzt sowohl für die Bindesubstanzen als für Muskeln und das peri- pherische Nervengewebe als ein durchgehendes Gesetz aufgestellt werden kann, dass alle diese Gewebe sich aus ursprünglich embryo- nalen Zellen aufbauen, und dass sie alle, eventuell nach Verlust ihrer charakteristischen Bestandtheile (Intercellularsubstanzen, Fett, Myosin, Myelin) in denselben zelligen Zustand zurückkehren, und end- lich wieder durch Uebergang der Zellen in den Schlummerzustand zu faserigem Bindegewebe oder Schleimgewebe umgewandelt werden können.

Die zweite Arbeit bringt die Definition der schlummernden Zellen", wie oben angegeben. Die Schlummerzelle entspricht der Bindegewebs- faser, welche direkt durch Umwandlung aus der Zelle, nicht als Ab- scheidung entstanden ist. Die erwachten Zellen " sind ein wichtiger und reichlicher Bestandtheil der entzündlichen Infiltration. Der eigent- liche Bindegewebseiter entsteht gerade durch diese Vorgänge, indem durch Zunahme der zelligen Elemente auf Kosten der Fibrillen eine Verflüssigung des Gewebes eintritt. Der Anfang ist bei allen progres- siven Processen im Bindegewebe im Princip derselbe, eine active Thä- tigkeit der Zellen und librillärer Intercellularsubstanz ; es ist also nur der weitere Verlauf dafür entscheidend, ob wir den Vorgang als Hei- lung, Hypertrophie, acute oder productive Entzündung oder als Ge- schwulstwucherung bezeichnen.

Den dritten Vortrag hielt Grawitz vor dem Chirurgen-Congress in Berlin am 9. Juni d. J. Derselbe ist meist eine Wiederholung des oben- gesagten. Er schliesst mit folgenden Worten : " So lässt sich also aus den vergleichenden Beobachtungen der verschiedenen Gewebe das Gesetz ableiten, dass alle Ernährungsstörungen einen Kückgang der Grundsubstanz bewirken in ein Stadium, welches zur Zeit der Ent- wicklung die Gewebe einmal durchlaufen haben ; die Entzündung ist ein Glied in der Keihe dieser rückbildenden Vorgäoge, und nicht von dem Beginne, sondern erst von dem letzten Ergebnisse hängt es ab, ob die neuentstandenen Zellen zur Kegeneration, zur Geschwulstbildung, zur eitrigen Schmelzung oder zum dauernden Untergang bestimmt sind." In der Discussion zu diesem Vortrag bemerkt Gussenbaüer, dass vor mehr als 20 Jahren bereits Stricker mit den damals viel ein- facheren Methoden zu demselben wissenschaftlichen Ergebniss wie Grawitz gekommen ist, dass nämlich die Intercellularsubstanz befähigt ist, sich umzuwandeln und in embryonalen Zustand zurückzukehren. Auch die Auffassung der Participation der Gewebszellen bei Ernährungs- störungen, insbesondere der Geschwulstbildung, sei Stricker's alte Lehre.

Es ist sehr erfreulich, dass ein ausgezeichneter Mikroskopiker wie Grawitz durch unabhängige Arbeit zu diesen oben angegebenen Kesul- taten gelangte. Nicht sehr erfreuhch aber ist es, dass ihm die Litteratur der letzten zwanzig Jahre über diesen Gegenstand so fremd geblieben ist. In Carl Heitzmann's Mikroskopischer Morphologie, 1883, befindet sich eine durch Abbildungen erklärte Darstellung des Entzündungs- und Eiterungsprozesses, wie er dies im Jahre 1873, also vor fast 20 Jahren, in den Sitzungsberichten der k. Akademie der Wissenschaften in Wien dargestellt und seither unverändert festgehalten hat. Stricker

309

hat sich erst im Jahre 1880 zu der neuen Lehre bel<:ehrt, und hat damals in einem in den „Wiener Medizinischen Blättern*' veröffentlichten Auf- satze offen erklärt, dass es ihm eine sechsjährige Arbeit gekostet hatte, bevor er sich von der Ei(;htigkeit der Anschauungen Carl Heitzmann's überzeugen konnte. Was Grawitz j<*tzt sagt, dass nämlich alle Er- nälirungsstöiungen einen Rückgang der Grundsubstanz bewirken, in ein Stadium, welches zur Zeit d<^r Entwicklung die Gewebe einmal durchlaufen haben, und dass die Entzündung ein Glied in der Reihe dieser rückbildenden Vorgänge ist, stimmt vollständig mit Carl Heitz- mann's Lehre überein. Solange man sich indess mit dem Namen „Zelle" abquält, wofür keine richtige Definition vorhanden ist, ferner solche . Ausdrücke wie „Schlumnierzelle" gebraucht und zu dem Resultate kommt, „dass bei ruhip^era Ablauf pathologischer Vorgänge woti lausgebildete grosse Zellen entstehen, bei stürmischem Ablauf hin- gegen Abortivformen, welche den mehrkernigen Leucocyten zum Ver- wechseln ähnhch sind," so lange ist ein Erfassen des Prozesses der Entzündung und Geschwulstbildung nicht zu erwarten.

Ueber die Verwerthung des Fleisches von tuberculösem Schlachtvieh. Von Prof. E. Perroncito. (Centralblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde. Band XI., No. 14.)

Verfasser hat in den Jahren 1889-90-91 eine Reihe von Versuchen an Meerschweinchen, Kaninchen, Schweinen und Hornvieh angestellt, um festzustellen, ob das Fleisch von tuberkulösem Schlachtvieh ohne Gefahr für die Uebertragung der Tuberkulose benützt werden könne. Das Fleisch betraf Hornvieh, welches in verschiedenen Stadien der Tuberkulose befunden wurde. Mehr als 200 Kaninchen und ebenso vielen Meerschweinchen wurde der Fleischsaft subkutan oder in die Bauchhöhle eingespritzt. Diese Thiere ergaben, eineinhalb, zwei, drei oder mehr Monate nach der Impfung getödtet, auch nicht eine Spur von Tuberkulose. Zwei Rinder wurden mit dem Fleischsafte subkutan geimpft, und als sie nach mehr als sechs Monaten getödtet wurden, zeigten sie keine Spur einer tuberkulösen Läsion. Eine Menge Ferkel w^urde Monate lang mit dem Fleische tuberkulöser Rinder genährt, ohne dass sie bei der Autopsie tuberkulöse Veränderungen dargeboten hätten. Denselben Ferkeln wurden später Eingeweide mit Tuberkel- knötchen zum Fressen gegeben und waren sie bei der Autopsie vollkom- men gesund. V. stellte am Schlüsse die Frage auf, wie es käme, dass Schweine, unter den schlechtesten hygienischen Verhältnissen gehalten, bei einer infizirten Ernährung gesund blieben, während jene, die nie Tuberkelknötchen noch tuberkulöses Fleisch zu sehen bekamen, einen beträchtlichen Prozentsatz zum Kontingent der furchtbaren Krankheit liefern ?

Schützt die durch Milzbrandimpfung erlangte Immunität vor Tuber- kulose ? Von Prof. E. Perroncito. (Ebenda.)

Mehrere Viehzüchter, die alljährlich Fälle von Milzbrand und einen nicht unerheblichen Ausfall durch Tuberkulose zu verzeichnen hatten, machten von der Milzbrandimpfung Gebrauch und erzielten dadurch nicht nur das Verschwinden des Milzbrandes, sondern es schien sogar, als ob mit dem Milzbrande auch die Tuberkulose aufhöre. In der Absicht, festzustellen, ob die für Milzbrand erlangte Immunität im Stande sei die Entwicklung des tuberkulösen Processes zu hf-mmen, oder doch zu erschweren, stellte P. Versuche an Kühen an, welche durch Impfung und Sättigung mit Milzbrandvirus gegen Milzbrand immun gemacht wurden. Diese Rinder wurden mit Tuberkelbacillen aus Rein- kulturen geimpft. Zwei und einen halben Monat später konnte man

310

bei der Schlachtung der Rinder entsprechend der Impfstelle eine leichte Hyperplasie des Bindegewebes finden. Sämmtliche Eingeweide waren vollkommen gesund. Eine abgemagerte Kuh mit diffuser Tuberkulose der Brust und Baucheingeweide, wurde mit Milzbrand virus geimpft und gesättigt. Nach zwei Monaten wurde das Thier getödtet und fand man die meisten Tuberkelknötchen verkalkt. Impfungen, welche mit den jüngeren Knötchen angestellt wurden, ergaben ein negatives Ilesultat.

Wissenschaftliche Zusammenkunft Deutscher Aerzte in

New York.

(HO West 34. Strasse.) . Sitzung vom 25. März 1892.

Vorsitzender : Dr. H. J. Boldt. Schriftführer : Dr. E. Fridenberg.

Vorstellung von Patienten.

H. Goldenberg stellt einen Patienten mit Ulcus durum des linken unteren Augenlides, seit circa 3 Wochen in Beobachtung, vor.

Patient suchte ärztliche Hülfe wegen einer schmerzhaften An- schwellung des unteren Augenlides. Dr. A. Strouse, der den Patienten zuerst sah, vermuthete eine specifische Affection. Um sicher zu sein, dass es sich nicht um ein Hardeolum handele, machte er eine Incision mit, wie erwartet, negativem Kesultat. Patient wurde darauf der Hautabtheilung des Vortragenden überwiesen. Bei der Untersuchung fand sich in der Mitte des unteren Augenlides, am Uebergang der Schleimhaut in die äussere Haut, eine scharf umschriebene, oberfläch- liche Ulceration, etwa von der Grösse eines 10 Cents-Stückes, auf einer indurirten Basis. Daneben Anschwellung der Praeauricular- und Sub- maxillar-Drüsen der befallenen Seite. Unter lokaler Behandlung mit rother Präcipitatsalbe ist die Ulceration nahezu verheilt, die Induration indessen noch so deutlich, dass an der Diagnose kein Zweifel möglich ist. Daneben Anschwellung der Praeauricular- und Submaxillar-Drü- sen und maculo-papulöses Exanthem.

Quelle der Infection : Vermuthlich ein Handtuch. Patient ist Kell- ner in einem Hotel, in welchem 150 Keilner beschäftigt sind. Gemein- same Benutzung der Handtücher ist übUch.

Vortragender macht darauf aufmerksam, dass eine Anschwellung der Praeauricular- und Submaxillar-Drüsen stets bei Schankern des Augenüdes gefunden werde.

In allen Fällen, die in der Literatur mitgetheilt sind, sei die er- wähnte Thatsache nahezu konstant beobachtet worden.

(Zusatz ; Die anatomische Erklärung für dies Verhalten ist die fol- gende : Die Lymphgefässe von der inneren Seite des Augenlides er- giessen sich in das ganglion submaxilare, die der äusseren Partie in die ganglia parotica, deren hauptsächlichstes das ganglion praeauriculare ist. Diese Adenopathie ist nahezu konstant, indessen können in Folge von Anastomosen zwischen den Lymphgefässen, eventuell ausnahms- weise auch andere Lymphdrüsen ergriffen werden.)

Discussion.

Schapringer behandelte vor 1 Jahre einen ähnlichen Fall. Das rechte obere Lid geschwellt. Beim Umklappen speckig belegte Stelle der Lidbindehaut. Präaurikular- und Submaxillardrüse ge- schwellt. Später maculöses Syphilid. Die Art der Infektion war nicht

311

zu eruireD. Das Belecken des Auf^es wird nicht nur für Fremdkörper, sondern auch für andere Augenaffektionen geübt und führt häufig zur Infektion.

Klotz. Bei harten Sohankern in dieser Gegend fehlt oft die A'leaitis Submaxillariti und Mentalis.

A. N. St ro use. Die primären Sklerosen am Auge kommen ge- wöhnlich an den Winkeln, speziell am inneren Winkel vor. Hier zu Lande sind sie sehr selten. Als dieser Fall in der opthalmologischen Sek- tion der Akademie of Medicine vorgestellt wurde, konnten von den Anwesenden nur 8 ähnliche Fälle citirt werden. Die Infektion findet ausser auf schon erwähnten Wegen öfter dadurch statt, dass syphili- tische Hebammen den mit Speichel benetzten Finger zum Eröffnen zugeklebter Kinderaugen anwenden. Die Adenitis Praeauricularis ist pathognomonisch.

S c Ii a p r i n g e r. Bei Vaccineinfektion des Lides findet man auch Adenitis praeauricularis. Die letztere ist also bei der Diffentialdiag- nose nicht ausschlaggebend.

Kiliani stellt ein Kind mit Fraktur beider Vorderarmknochen ohne Schmerzen vor.

Das anämische, mässig ernährte Mädchen M. S., 12 Jahre alt. müt- terlicherseits tuberculär belastet, kommt am Id. März 1892 ins German Dispensary, „weil ihr rechter Arm so „komisch" stehe und sie die Hand nicht gut drehen könne, seit sie am 3. März von einem laufenden Manne auf der Strasse umgerannt und mit dem rechten Arm aufs Pflaster gefallen sei."

Die Untersuchung ergiebt eine subcutane Fractur des Vorderarmes, die in unreponirter Stellung in Consolidation begriffen ist. Und zwar ist der Eadius am oberen (proximalen) Drittel gebrochen. Die Frag- mente bilden einen auffallenden, stumpfen Winkel nach innen von ungefähr 155°, dessen Schenkel in die Horizontalebene fallen bei reehtwinkheh flectirtem Unterarm und pronirter Stellung der Hand, der ganze Arm in der Sagittalebene gehalten.

Die Ulna ist in der Mitte fracturirt. Die Bruchenden bilden einen stumpfen Winkel nach unten von ungefähr 165°, dessen Schenkel in die Sagittalebene zu liegen kommen.

Die Hand steht in voller Pronation, Supination fast null. An den beiden Bruchstellen ist deutlicher Gallus zu fühlen; die Schwellung des zarten Armes gering.

Das Kind hat nun im Momente der Fractur und im weiteren Ver- laufe so wenig Schmerz geäussert, dass sie den Arm nicht einmal ein- wickelte oder in der Schlinge trug, täglich dreimal auf der frischen Fractur mit „Liniment" eingerieben wurde und mit dem Arme schrieb. Sie glaubt auch jetzt nicht, dass der Arm gebrochen war, sonst wäre sie gleich gekommen, aber sie „habe absolut keine Schmer- zen gehabt".

Ich fracturirte nun beide Knochen wieder (wegen der fehlerhaften Stellung die Deformität war auffallend) ohne Narcose, wobei das Kind mich ruhig ansah und keinerlei Schmerz äusserte.

Der Arm ist nun, drei Wochen nach der Fractur, in richtiger Stel- lung geheilt, Pro- und Supinationfrei.

Dass hier eine wirkliche Fractur beider Vorderarmknochen und nicht etwa eine Infraction bestand, geht aus der oben beschriebenen Stellung der Fragmente deutlich hervor, indem bei einer Infraction die Winkel der infracturirten Knochen erfahrungsgemäss in Farallelebenen liegen, da ja auch die Gewalt auf beiden Knochen in derselben Rich- tung einwirkt und Muskelzugwirkung der noch bestehenden Continui- tät wegen ausgeschlossen ist. Ausserdem, wenn man die Schmerzlo- sigkeit der Verletzung durch Infraction erklären wollte, so lässt diese

312

Erklärung vollständig im Stich bei der absoluten Schmerzlosigkeit der Eefracturirung, die, wie oben erwähnt, ohne Narcose oder Hypnose vorgenommen wurde.

Es muss also eine abnorme Unempfindlichkeit vorliegen.

Die Annahme einer schweren Hysterie würde hierfür am ungezwun- gensten eine Erklärung abgeben, obwohl, soweit mir bekannt, kein derartiger Fall bis jetzt beschrieben wurde. Es lässt sich hierfür bei diesem Mädchen aber nicht der geringste Anhaltspunkt finden und insbesondere lässt sich keinerlei Anästhesie im Armnervengebiet nach- weisen.

Ich muss desshalb eine Erklärung dieses eigenthümlichen Falles schuldig bleiben, den ich wegen seiner enormen Seltenheit vorstellen wollte.

He im an stellt eine 26 -jährige Frau vor. Dieselbe seit einem Jahre verheirath et ; keine Kinder oder Abortus. Leidet seit 6 Mona- ten an klonischen Krämpfen im rechten Arm, im Daumen und Zeige- finger anfangend, dann den ganze Arm befallend, 2 bis 5 Minuten an- haltend. Anfangs wurde Patientin bewusstlos, blss sich in die Zunge, es stand Schaum am Munde. Schmierkur und Jodkali hatte keinen Erfolg, nach Bromkali sofortige Besserung. Positive Diagnose zu stellen, sei wohl unmöglich, jedoch glaube er, dass es sich um eine cortikale Epilepsie handle.

Discussion.

Koller hat 3 verschiedene Male ophthalmoskopirt, aber einen negativen Befund constatirt.

A. J a c o b i. Die strenge Lokalisation der Anfälle und der Erfolg der Brombehandlung deuten auf cortikale Epilepsie.

F. C o h n demonstrirt einen Patienten mit Carcinoma Tonsillae sin.

Goldenberg stellt (für L. Weiss) einen Mann mit ungewöhn- lich grossen Paketen von Condylomata acuminata Glandulae Penis vor.

Golde nberg stellt ein 8 Monate altes Kind mit universeller Urtricaria pigmentosa vor und bespricht an der Hand dieses Falles das klinische Bild und das Wesen der Erkrankung.

Präparate.

Willy Meyer demonstrirt a) eine Niere, die er durch rechtsseitige Nephrektomie nach Czerny entfernte. Es trat später absolute Harn- retention ein, welches durch Nephrotomie glücklich bekämpft wurde.

b) Eine ektopische Schwangerschaft. Eine 28J-jährige Frau, seit 4 Jahren verheirathet, verlor 1888 zum ersten Male ihre Menses. Alle Symptome der Schwangerschaft waren vorhanden. Sie wurde wegen Abdominalschmerzen zuerst an Oophoritis behandelt. Als sich später Uterusblutung einstellte und eine Eihaut sich abstiess, wurde die Diagnose auf ektopische Schwangerschaft gestellt und mittelst Laparo- tomie die linke trächtige Tube exstirpirt. Anno '90 wurde Patientin abermals schwanger. Eine Geschwulst bildete sich rechts. Ohn- machtsanfälle. Blutabgang. Kolik. Diagnose. Ektopische Schwan- gerschaft. Laparotomie und Abbindung der rechten trächtigen Tube. Genesung. Patientin war überhaupt nur 2 Mal schwanger, jedes Mal tubenschwanger; 2 Mal Laparotomie mit Genesung. Keine Zeichen der Salpingitis wurden gefunden. Wahrscheinlich liegt Strictur des uterinen Tubarendes vor.

Kammerer demonstrirt 2 Processus Vermiformes. .

a) Der eine stammt von einem 29-jährigen Manne, der am vierten Tage einer akuten circumscripten Perityphlitis operirt worden. In demselben befand sich der übliche längliche Kothstein. Unkomplizirte Heilung.

318

h) Der Zweite stammt von einem Fall von allgemeiner Peritonitis. Am achten Tage des Anfalles wurde nach aussen vom Rectus die Laparotomie ausgeführt. Das Peritonaeum parietale war mit dem Colon verwachsen, und so wurde die Bauchhöhle nicht eröffnet. Foscie und Peritonaeum parietale wurden gangränös und stiesseu sich ab. Ein zweiter Abscess in der Lumbaigegend musste incidirt werden.

In einem dritten Falle trat trotz Eröffnung von vier Abscessen Exitus an allgemeiner Peritonitis ein; während in einem vierten tödlich ver- laufenden Falle trotz Rektaluntersuchung ein tiefliegender Abscess nicht entdeckt wurde.

Brettauer demonstrirt.

a) Pyosalpinx.

b) Ovarialcyste

Dr. Brettauer zeigt das Präparat einer lang gestielten „Parova- rialcyste".

Die 24 Jahre alte Frau hatte zweimal geboren, einmal abortirt vor circa drei Monaten, menstruirt regelmässig, klagt jedoch seit dem Abort über Schmerzen auf der linken Seite. Bei der ersten Untersuchung der sonst gesunden Frau fand sich unmittelbar vor dem etwas zurück- gesunkenen Uterus eine circa kindskopfgrosse, nach allen Richtungen frei bewegliche cystische Geschwulst, die für eine gestielte linksseitige Ovarialcyste gehalten wurde. Die Frau wurde in's Spital geschickt, die Operation für den 8. März festgesetzt. In der Nacht vorher ward Patientin plötzlich von heftigen Schmerzen im ganzen Unterleibe be- fallen ; üebelkeit, eine Temperatur von 103, Puls 120 waren die Begleit- erscheinungen.

Ruptur der Cystenwand, der erste Gedanke, musste ausgeschlossen werden, da per vaginam die Cyste deutlich gefühlt werden konnte, und zwar mehr nach links. Eine Stieldrehung wurde als Ursache der Symptome betrachtet, Eisbeutel auf das Abdomen und Opium gegeben. Nach 48 Stunden war die Temperatur normal, Puls 96, Schmerz geringer. Laparotomie am 12. März. Die Cyste war vollständig im ligamentum latum gelegen, liess sich jedoch so leicht entwickeln, dass der Stiel genau so behandelt werden konnte, wie der einer einfachen Ovarial- cyste. Heilung. Der Stiel war nicht gedreht, wohl aber ausgezogen, so dass die Cyste, die vom rechten Parovarium ausging, auf die linke Seite zu liegen kam. Dass eine Störung in der Circulation der Wand stattgefunden, zeigten die zahlreichen Ecchymosen in derselben, sowie der schwarz-flüssige Inhalt.

Ferner zeigt uns das Präparat, wie leicht es gewesen wäre, das liga- mentum latum zu spalten, die Cyste auszuschälen und Ovarium und Tube zu erhalten.

Dr. Brettauer demonstrirt ferner das Präparat einer „tubercu- lösen Salpingitis" mit Tubo-ovarialabscess.

Dasselbe stammt von einer 21 Jahre alten Frau, deren Anamnese keine Anhaltspunkte für Tuberculose ergeben. Intensiver Schmerz links und profuse Metrorrhagien waren die Beschwerden. Die Unter- suchung ergab einen grossen, retroflectirenden Uterus mit normal grossen, tiefer gelegenen, rechtsseitigen Adnexen und einem über hühnereigrossen, elastischen, unbeweglichen Tumor links, der in Nar- kose als Pyosalpinx angesprochen wurde.

Am 10. März. Laparotomie mit Beckenhochlagerung. Aeusserst schwierige Auslösung der mit Därmen fest verwachsenen Geschwulst. Drainage, da bei der Entfernung ausgedehnte Wundflächen geschaffen und käsige Massen in die Bauchhöhle gerathen waren. Heilung.

Das Präparat zeigt deutlich, wie die Abscesshöhle entstanden, näm- lich durch Durchbruch des mit käsigen Massen erfüllten, stark erwei- terten abdominellen Tubenendes in eine der zahlreichen Cysten des

314

Ovariums, welches durch ältere Adhaesionen inDig mit dem ersteren verlöthet war. Die Tube geschlängelt, ihre Wandung enorm verdickt, mit einzelnen Einschnürungen ; Uterinende verschlosseo, Tuberkel- bacillen konnten weder in der Tuben- noch in der Abscesswand nach- gewiesen werden.

Adler demonstrirt eine sehr kleine Leber.

Patient ein 26-jähriger Mann, der massigen Alkoholgenuss zugiebt, sonst aber nicht belastet, wurde nach dreiwöchentlichem Uebelbeünden Anfangs Januar ins Deutsche Hospital aufgenommen. Er litt an Unbehagen, Magenbeschwerden, Stuhlverstopfung. Ikterus nahm allmählig zu bis Patient schwarzgrün aussah. Gelegentliches Fieber 102° lOS"" 104°, dann wochenlang norjnale oder subnormale Tempera- turen. Im Harn eine Spur Eiweiss, durch eine floride Gonorrhoe be- dingt. Kein Zucken, dagegen Leucin und Tyrosin. Leberdämpfung anfangs etwas vergrössert, dann verkleinert. Profuse übelriechende, thonCarbige Diarrhöen. Kein Blut. Milz weder perkutorisch noch postmortem vergrössert. Pat. stirbt unter Delirien und Coma. Das klinische Bild deckt sich mit keiner der bekannten Krankheitsformen ganz, weder mit Lebercirrhose noch mit akuter Cholaemie, am nächsten kommt es der akuten gelben Leberatrophie. Sektion. Viscera verfärbt, sonst normal. Nur die Leber ist klein, schlaff und weich, zeigt gelbe und rothe Partieen.

Di s c u SS i o n.

A. J a c o b i. Ikterus war gleich sehr stark. Die Leber war zuerst etwas vergrössert, am unteren Eaude leicht schmerzhaft. Einfacher schwerer Ikterus wird als Ursache der akuten gelben Leberatrophie angegeben. Nach Gallenstauung tritt Anf üUung der Gallengänge bis in die kleinsten Verzweigungen auf. Der Druck bringt das Leberparenchym zur Atrophie.

Adler. Stauungsatrophien unterscheiden sich deutlich von dem vorliegenden Befunde. Hier sind die Gallencapillaren nicht erweitert. Die Gallenblase ist leer.

A. Jacobi. Im Anfange bestand unbedingt Gallenstauung. Der jetzt constatirte Zustand mag in den letzten Wochen eingetreten sein.

Adler demonstrirt ein Carcinom der Blasenmuskulatur, einen zufälligen Befund bei der Section eines 75-jährigen marastisch zu Grunde gegangenen Mannes. Derselbe litt an allgemeiner Schwäche und leichten Beschwerden beim Uriuiren. Die Prostata schien vom Rek- tum aus vergrössert.

Sektion ergab allgemeine Atherose, sonst normaler Befund. Die Blase aber war klein. Schleimhaut normal, und intakt, in derbe Carcinommasse eingehüllt. Der eine Ureter in der Masse festeinge- keilt, an der entsprechenden Seite Hydionephrose. Das Carcinom kann nur von den Samenbläschen ausgegangen sein.

Sara Welt demonstrirt ein Präparat von membranöser Dysmen- norrhoe.

Das Präparat, dass ich mir zu demonstriren erlaubte, wurde während der Menstruation eines 25-jährigen, sonst gesunden Mädchens ausgeschieden. Es hat die Gestalt eines dreizipfligen Sackes, und schliesst einen Kanal ein; die drei Enden aber entsprechen den beiden Tubenöffnungen und dem os interuum uteri; ein mikroskopischer Schnitt zeigt das Bild der interstitiellen Endometritis. Die Menses, die bei der Pat. im 15ten Jahre sich einstellten, sind immer profuse und mässig schmerzhaft gewesen. In den letzten 5 Jahren haben sich die Beschwerden bedeutend gesteigert; der Schmerz, der 1 2 Tage vor dem Erscheinen des Blutes einsetzt, nimmt an Heftigkeit bis zum 4 5 Tage zu, an welchem gewöhnlich mit dem Abgehen von Stücken, die

315

Fat. für geronnenes Blut ansah, die Beschwerden bedeutend nachlassen. Dabei war natürlich in der letzten Zeit das Allgemeinbeünden sehr ge- stört; es bestanden heftige Herzpalpilationen, Schlaflosigkeit und Müdigkeit, auch Schmerzen im Kreuze und den Seiten.

Ich sah die Patientin im letzten Herbst und fand bei der Unter- suchung per vaginam, einen etwas vergrösserten, retroflectirten, nicht leicht beweglichen Uterus ; die Umgebung des os externum erodirt und bei Berührung mit dem Sondenknopfe äusserst empfindlich ; das linke ovarium stand tiefer, war vergrössert und die Berührung sehr schmerzhaft; die bei der Menstruation ausgeschiedenen Stücke aber erwiesen sich als Theile der Uterusschleimhaut in mehr oder weniger zusammenhängender Gestalt.

Das therapeutische Verfahren bestand in der unter antiseptischen Cautelen vorgenommenen Auskratzung des Endometrium's, nachdem zuvor die Dilatation des Uterus vorausgegangen war, darauf wurde des Cavum uteri mit reiner Jodtinctur ausgewischt, und gegen die Ver- lagerung ein Thomas' Ketroflexionspessarium eingelegt. Der Eingriff wurde mässig gut vertragen ; die nächste Menstruation verlief völlig schmerzfrei, mit geringem Blutverlust ; eine Membran wurde nicht aus- gestossen. Das Allgemeinbefinden war sehr bedeutend gebessert und die Schmerzen im Kreuze und den Seiten Hessen nach ; doch sollen bei der folgenden Periode einige fadenförmige Fetzen abgegangen sein. Schluss und Vertagung.

Sitzung vom 22. April 1892.

Vorsitzender: Dr. Oberndoefer.

Schriftführer : Dr. E. Fridenberg.

Vorstellung von Patienten.

Goldenberg stellte einen Jungen mit PHca Polonica vor.

R o s e n t h a 1 stellte einen Mann mit MoRVAN'scher Krankheit vor,

Kamm e r e r stellt eine Patientin vor, die er im Deutschen Hospi- tal wegen eines Tumor abdominis operirt hatte. Der Tumor nahm den ganzen Abdomen ein und wuchs seit 3 Jahren. Die Uterussonde drang 6 Zoll weit hinein. Es bestanden starke Blutungen; systolisches Herzgeräusch, Anämie. Die Diagnose lautete Fibroma Uteri. Ein Medianschnitt bis zur Cortilago ensiformis legte ein grosses subseroeses Fibroid blos, welches mit vieler Mühe nach starkem Anziehen und nach stumpfer Durchtrennungen enucleirt wurde. Der sehr grosse Stiel wurde extraperitoneal fixirt. Am dritten Tage Fieber, Erbrechen, Puls 140. Patientin schien an einer schweren septischen Peritonitis zu leiden. Frische Laparotomie. Zwei Tassen eitrig seröser Flüssigkeit entleeren sich. Tamponade mit Jodoformgaze. Es entleert sich einige Tage lang viel seröse Flüssigkeit. Der Stumpf zieht sich in den Bauch zurück. Nach 14 Tagen Wandtrichter. Als die elastische Liga- tur entfernt wurde, ergoss sich Urin. Derselbe stammte aus dem rechten Ureter, resp. der rechten Niere, denn man fand in der rechten Lumbaigegend einen Tumor, der auf Druck eitrigen Urin aus dem Stumpfe austreten Hess, während der durch die Blase entleerte Urin klar war, und beim Einspritzen in die Blase keine Flüssigkeit aus dem Stumpfe austrat. Der eitrige Urin trat auch zeitweise durch den Cervix und die Vagina aus. Fieber 101—102'* Nephrektomie. Jetzt Urinmenge normal 1500—1800. Die Verletzung ist hier durch den Schlauch erfolgt. Gewiss seitliche Oeffnung in dem Ureter, weil zwei Wochen lang durch die Blase entleert wurde. Bei Vagina-Ureteren und Uterus-Ureterenfistel ist Nephrektomie angezeigt. Plastische Operationen mit Schluss der Scheide geben schlechte Resultate. Inder überbleibenden Niere findet Neubildung von secernirendem Gewebe statt.

#

816

Discussion :

Kilian i empfiehlt das permanente Wasserbad bei Ureteren- und Blasenfisteln. Dasselbe kann sehr einfach hergestellt werden, indem der Patient auf eiuem über eine Badewanne gespaQQteu Leintuche liegt und mit wollenen Decken bedeckt wird. Mit einem grossen Heber wird das Wasser abgezogen. Auch für Dekubitus empfiehlt sich das Wasserbad. Eine Patientin blieb in demselben ein und drei viertel Jahre liegen.

A. Jacob i. Das permanente Wasserbad wurde in New York von NoEGGERATH eingeführt und zwar vor ungefähr 15 Jahren im Mount Sinai Hospital.

Präparate.

Kammerer demonstrirt einen Processus Vermiforis. Derselbe stammte von einem Ißjährigen Mädchen, welches am fünften Tage der Erkrankung operirt wurde. Es bestand hohes Fieber. Druckschmerz, Tumor. Der Schnitt wurde nach aussen vom Rectum durch die Muskel geführt und eröffnete die noch nicht infizirte Bauchhöhle. Der Tui;nor bestand aus verklebten Därmen, und wurde sofort geöffnet. Von 16 Laparotomien wurde seclismal die freie Bauchhöhle eröffnet. Einmal wagte Kämmerer nicht, den Abscess zu eröffnen. Patientin starb an Pneumonie, ehe die weitere Operation ausgeführt werden konnte. Bei dieser Operation werden die gesunden Därme durch Schwämme ge- schützt, die Patientin auf die rechte Seite gelagert, der Abscess nach sorgfältigem Auseinanderschieben der verklebten Därme eröffnet, ent- leert, und die Abscesshöhle tamponirt oder dränirt. Die 5 Fälle ge- nasen.

Discussion:

A. J a c o b i. Die alte Operationsmethode in 2 Zeiten, i. e. Abscess- eröfifnung, 3, 4, 5 Tage nach dem ersten Schnitte, welche vor Jahren von Sands längere Zeit hindurch befolgt und dann aufgegeben wurde, wird wiederum von Sonnenberg in Fällen, wo man nicht leicht auf den Abscess kommt, empfohlen. Die einzeitige Operation ist vorzuziehen.

Kammerer. Die zweizeitige Operation ist gefährlich. Die Ab- scesse brechen nicht immer nach Aussen durch.

L. Stieglitz demonstrirt einen

Cysticercus der Mamma.

Discussion.

Schapringer. In Süddeutschland sind Cysticerken im Auge sehr selten, in Norddeutschland häufig.

G o 1 d e n b er g. Cysticerken im Auge werden in Berlin nicht mehr so häufig gefunden, seitdem die Fleischsehau strikter ausgeführt wird. Lewin und Hirschberg glauben an Autoinfektion von juckenden Hämorrhoiden aus. Auch können die Taenia durch rückläufige Peri- staltik in den Magen gelangen. Diese Infektionsmethode erkennt auch ViRCHOw an.

Gleits mann demonstrirt eine grosse hintere

Muschelhypertrophie,

die er durch die Nase mit der Schlinge entfernt.

Ferner die von ihm angegebene Platin um-Iridium Drahtschlinge- Instrumente.

A. Kose demonstrirt eine eiserne Vollkugel für Selbst-Bauch- massage nach Salice Beru. Mit derselben können die Patienten alle Massagebewegungen ausführen. Bei chronischer Stuhlverstopfung erzielte er günstige Resultate.

317

Discussion.

A. J a c o b i hat zu diesem Zwecke Kegelkugeln gebrauchen lassen und war mit dem Erfolg zufrieden.

L. Fi sc h e r demonstrirt den von Fiebig modificirten Einhorn'schen

Saccharometer.

Discussion.

Einhorn hat diesen Apparat ausprobirt. Derselbe ist nur für zehnfach verdünnte Harne berechnete Bei schwachzuckerhaltigen Urinen ist dies ein Nachtheil, üeberhaupt hat diese Modifikation seines Apparates keine Vorzüge.

Fälle iius der Praxis. A. Jacobi bespricht die nicht-operative Behandlung von Blutun- gen bei Uterusenyomeu. Seine Erfahrungen stammen hauptsächlich aus der vor-operativen Zeit und hat er durch diätetische Behandlung, durch Regelung der Cirkulation mittelst Digitalis, auch wenn einfache Anämie vorlag, verbunden mit intrauterinen Jod oder Chrombepinse- lungen häufig gute Resultate erzielt. J. warnt vor Chlorzink.

Discussion.

A. Rose empfiehlt aus theoretischen Rücksichten längere Voll- bäder, durch welche das Blut nach der Oberfläche gezogen wird.

Brettauer hatte mit Hydrastinin 0.15 per os. ti. d. oder 0.1 subkutan, in 2 Fällen einen eklatanten Erfolg, in 17 Fällen keinen Er- folg— mit dem galvanischen Strom dagegen in den meisten Fällen, selbst nach wenigen Sitzungen Besserung, in vereinzelten Fällen Ver- schlimmerung.

Von R a i t z hat seit 2 Jahren mit Elektrizität gearbeitet und öf- ters seine Patientinnen geheilt.

Schluss und Vertagung.

Verein Deutscher Aerzte zu San Francisco.

Regelmässige Sitzung vom 3. Mai 1892.

Dr. Stern: ,,Zur cosmetischen Chirurgie der Nase.

Vor etwa 5 Wochen consultirte mich ein junger Mann, der vor 2 Jahren durch einen Fall eine Fractur der Nase erlitten hatte. Die Fractur war gut geheilt, nur zeigten sich an der Bruchlinie, dicht über der Verbindung der knorpeligen und knöchernen Nase, über den untern lateralen Enden der Nasenbeine, 2 knöcherne Protuberanzen, welche die sonst wohlgeformte Nase des Patienten entstellten. Von diesen „entstellenden Höckern" wollte der junge Mann befreit werden. Im ersten Augenblicke dachte ich, durch einen medianen Schnitt und Zurückpräpariren der Weichtheile die Exostosen abzumeisseln. Dann erinnerte ich mich eines Artikels des Dr. John Roe von Kovester, der für derartige Deformitäten an der knöchernen Nase meines Wissens nach zuerst die subcutane Operationsmethode ersann und ausführte. Nachdem ich eine halbe Pravaz'sche Spritze einer 4% Cocainlösung über dem Nasenrücken an 3 verschiedenen Stellen eingeführt hatte und auch einen in 4% Cocainlösung getauchten Wattebausch häufig in das rechte Nasenloch eingebracht hatte, machte ich, nach Dr. Roe, einen linearen Einschnitt durch das Dach des rechten Nasen- zwischenloches, Nasenbein und cartilago triangularis. Von diesem Einschnitte präparirte ich die Nasenschleimhaut seitlich bis zur

m

Mitte der Nase herab. Hierdurch eröffnete ich mir genügenden Kaum zur Einführung der nöthigen Instrumente. Mit einem dünnen gelcnöpften Messer trug ich dann den ganzen Nasenrüclcen bis zu der hintern Grenze der Exostosen, fast bis zur Nasenwurzel, von der Icnöchernen Unterlage ab und reducirte die l^nöchernen Protuberanzen unter Controlle des von aussen aufgelegten Fingers mit Leichtigkeit und Exquisität auf das gewünschte Niveau iierab. Ausspülen mit Carbolwasser und Einblasen von Jodoform vervollständigte die Opera- tion. Nach Zurückschlagen der abgelösten Nasenschleimhaut konnte man kaum etwas von einem operativen Eingriffe im Naseninnern er- kennen. Mit einem Heftpflasterstreifen quer über den Nasenrücken drückte ich die abgelösten Weichtheile leicht an die knöcherne Unter- lage an und führte einen Wattebausch in das rechte Nasenloch ein.

Das Abtragen der Weichtheile des Nasenrückens von dem Knoclien geht überraschend leicht von Statten, nur muss man über den Exosto- sen vorsichtig sein, da hier aus begreiflichen Ursachen eine engere Verwachsung der Weichtheile mit der knöchernen Unterlage statt- gefunden hatte. Die etwa 20 Minuten dauernde Operation wurde ohne jede Empfindung von Seiten des Patienten ausgeführt und selbst das Abtragen der knöchernen Deformitäten verursachte nicht den gering- sten Schmerz.

In 3 Tagen war die Wunde per primam geheilt und das Kesultat ein ganz vorzügliches.

Dr. Kr eutzmann demonstrirte eine Anzahl Präparate die durch Laparotomie in den letzten Wochen gewonnen wurden.

1. (a.) Linksseitige Hydrosalpynx mit Colloidcysten der Tube und des Ovariums; wurde frisch vor derOounty Medical Society demon- strirt.

(b.) Rechtsseitige Pyosalpynx, linksseitige Hydrosalpynx mit Entar- tung beider Eierstöcke. Die Präparate in beiden Fällen dienen als Be- leg, was Alles versucht wird durch die Emmet'sche Operation zu hei- len; beide Frauen haben geboren und bei der Geburt einen physiologi- schen Excess in dem Muttermund erworben, ihre Leiden wurden durch den Cervixriss bedingt erklärt und derselbe durch die Naht geschlossen, ohne natürlich das Leiden zu heben. Im ersten Falle rasche, im zwei- ten Falle etwas verzögerte Heilung nach dem Bauchschnitt.

2. Vier Fälle von Pyosalpynx und gleichzeitig Ovarialcysten.

(a.) Doppelseitige Pyosalpynx, doppelseitige Ovarialcysten, hühner- resp. gänseeigross in frischem Zustande vor der California Academy of Medicine demonstirt. Starke Blutung von der flachen Lefte, Adhäsionen im Douglass'schen Baume; Jodoformgazetampo- nade, durch die Bauchwunde geführt. Heilung durch einen Abscess in der linken Bauchwand gestört.

(b.) Rechte Uterusanhänge entfernt in New York vor 8 Monaten; linke Pyosalpynx, Eierstock in ein orangegrosses Kystom umgewan- delt; Genesung langsam; Patient ist sehr anaemisch.

(c.) Rechtsseitige Pyosalpynx und geschrumpfter Kystomrest. Vor sechs Monaten war die vereiterte Eierstockscyste, da ihre Entfernung nicht gelang, in die Bauchwunde eingenäht worden; Secretion und Schmerzen bestanden weiter; Abdomen wiedergeöffnet, Cystenrest und Tube entfernt, 10 Tage nachher Abgang von faeces durch die Bauch- wunde, spontaner Schluss der Fistelnach einigen Tagen; sechs Wochen später Abgang von fäculent riechendem Schleim durch die Fistel für einige Tage; schliesslich Heilung.

(d.) Doppelseitige Pyosalpynx, linksseitige Ovarialcyste in Abscess umgewandelt. Langdauernde Operation; Tod am nächsten Tage in Folge von Shok.

3. Multiloculäre Ovarialcyste von einer im zweiten Monate schwan-

319

geren Patientin; Stiel war gedrelit, Blut in die grössere Cyste ergossen. Glatte Heilung.

4. Doppelseitige Pyosalpynx; Glatte Heilung.

Mit Ausnahme von la und 3 waren alle Operationen äusserst schwierig in Folge ausgedehnter fester Verwachsungen der Ge- schwülste mit Eingeweiden, Gebärmutter, breiten Bändern, Beckenbo- den.

Schluss der Sitzung.

Newmark, Schriftführer.

ßi-iefkasteii.

Rochester, N. Y., 2. August 1892. 97 Chatham Str.

An die Redaktion der New Yorker Medicinischen Presse, 23 Vandewater Str., New York.

Der Redaktion der New Yorker Medicinischen Presse übersende ich einliegend ein Circular der philosophischen Fakultät der Hochschule in Bern vom 10. Juli 1890, welches ich eben erst durch Vermittelung eines der Berner Professoren erhielt.

Es betrifft die gewerbsmässige Fälschung Berner Doktordiplome mit Hülfe des gestohlenen Universitätssiegels durch den früheren Do- centen der Musikgeschichte, L. von Gauting. Die Diplome waren in Ungarn gedruckt und fanden einige derselben zu 700 Francs Absatz. Als die österreichische Polizei den Schwindler in Wien fassen wollte, war er bereits nach Amerika entflohen, wahrscheinlich um hier sein unsauberes Handwerk fortzusetzen.

Eine Veröffenthchung des beifolgenden Oirculars in Ihrem geschätz- ten Blatte, mit der Aufforderung an andere Zeitungen zum Abdruck, dürfte indessen genügen, um das ärztliche, wie das allgemeine Publi- kum vor weiteren Betrügereien durch den etc. Gauting zu bewahren. Mit collegialischem Grusse

Franz Muecke, M. D.

Das betreffende Circular lautet wie folgt:

Die philosophische Facult^t der Hochschule in Bern.

Hochgeehrte Herren ! Die philosophische Fakultät der Universität Bern hat in Erfahrung gebracht, dass ein gewisser L, v. Ganting aus Bern, der sich später in Wien aufhielt und Anfang 1890 wegen verschie- dener Betrügereien flüchtig geworden ist, mit Hülfe eines gestohlenen Siegels der Universität Bern gewerbsmässig Doktordiplome der philo- sophischen Fakultät fälscht. Zwei solche Falsifikate wurden einge- zogen ; andere befinden sich noch im Umlauf. Die Fakultät warnt da- her Jedermann vor dem Ganting und weist daraufhin, dass ihr Doktor- titel nie durch Vermittlung irgend welcher Personen und auch nie an- ders als in Bern selbst durch ein Examen vor der Fakultät erworben werden kann.

Wir erlauben uns, Ihnen, hochgeehrte Herren, hiervon Kenntniss zu geben und Sie höflichst zu ersuchen, im redaktionellen Theil Ihres Blattes hiervon kurz Notiz nehmen zu wollen.

Hochachtungsvoll, im Namen der philosophischen Fakultät der Universität Bern,

Der Dekan : Prof. Dr. Hermann Hagen.

Der Sekretär : Prof. Dr. Ed. Brueckner.

Bern, den 10. Juli 1890.

320

Allerlei.

Der zweite Sohn des Zaren, Grossfdrst George, der krankheitshalber von seiner indischen Reise zurückkehren musste und sich seitdem ununterbrochen wegen Lungenleidens in ärztlicher Behandlung befindet, soll, wie die „Times" auf Grund eines Privatberichts aus Abbas-Tuman im Kaukasus schreibt, in dieser Stadt, wo er den Winter verbracht hat, eine höchst sonderbare Cur durchmachen. Die Gemächer seiner Wohnung haben kahle und untapezirte Wände, ihre Einrichtung be- steht aus einfachen Holz- und Rohrraöbeln ohne irgend welche Polster oder Bezüge, und er schläftauf einer sehr dünnen Matraze. Während des ganzen Winters hat in seinen Zimmern nur ein dürftiges Feuer gebrannt bei geöffneten Fenstern. Sein Gefolge hat unter der Kälte schwer leiden müssen. Die Aerzte hielten diese Art der Behandlung jedoch für geeignet, die Bacillen zu vernichten und die Tuberkelbildung zu verhüten. Dieselben behaupten, die Krankheit sei zum Stillstand gebracht und hoffen, falls die Cur fortgesetzt werde, den Patienten in zwei Jahren vollständig wiederhergestellt zu sehen.

In Brüssel wird ein internationaler Congress von Gynäkologen und Geburtshelfern vom 14. 19. Sept. d, J. stattfinden. Mit demselben wird eine Ausstellung von Instrumenten und Apparaten, die auf diesen Zweig der Medicin Bezug haben, verbunden werden. Es werden alle Behörden, Stadtverwaltungen, Universitäten, Schulen und gelehrten Gesellschaften aufgefordert, sich an diesem Congress durch Delegirte za betheiligen. Das Oiganisations-Comite besteht aus den Prof essoren Kufferath (Präsident), Debaisieux (Vicepräsident), Fraipont, Desquin und Tournay und dem Generalsecretär Dr. Jacobs. Etwaige Anfragen sind an letzteren unter der Adresse : Monsieur le Dr. Jacobs, 12 Rue des Petits Carmes ä Bruxelles " zu richten.

Berliner Blätter melden, dass die Höchster Farbwerke von Meister, Lucius und Brüning die Fabrikation des verbesserten" Koch'schen Präparates, dessen Specificum nunmehr festgestellt, erworben und bereits Einrichtungen für Herstellung desselben getroffen haben.

Auf dem diesjährigen Chirurgen-Congress in Berlin stellte Prof. Julius Wolff einen Patienten vor, dem er wegen einer bösartigen Geschwulst den Kehlkopf herausgenommen und den von Prof. Brüns angegebenen künstlichen Kehlkopf eingesetzt hatte. In der ersten Zeit functionirte dieser sehr gut, später aber stellten sich Unzuträg- lichkeiten ein, die den Patienten häufig nöthigten, den künstlichen Kehlkopf zu entfernen. Dem Vortragenden undProf. du Bois-Reymond, sowie einem Mechaniker ist es gelungen, nun einen Kehlkopf anzufer- tigen, der diese Unzuträglichkeiteu nicht mehr hat ; er kann über halbe Stunden lang, ohne zu ermüden, sprechen und zwar mit Stimmmodu- lationen. Die Vorführung dos bisher gesund gebliebenen Patienten, der sehr wohl aussieht, erregte Aufsehen, noch grösseres Staunen aber bemächtigte sich der Gesellschaft als derselbe mit lauter, ver- ständlicher und klangvoller Stimme Tell's Monolog vortrug und selbst das „Gaudeamus igitur" sing. Prof. Wolff betonte, dass dieser glänzende Erfolg zum grossen Theil der eigenen Anstrengung des Patienten selbst zu verdanken sei. Er hat unermüdlich daran gear- beitet, um mit dieser Vollkommenheit zu sprechen und zu singen. Die Verbesserung des Kehlkopfs besteht vor allen Dingen darin, dass verhindert wird, dass Speichel und Schleim in die Phonationsstelle gelangt ; ferner wird durch Verlängerung der Kanüle eine Verstär- kung der Tonresonanz hervorgei ufen. Durch Einrichtungen anderer Art erzielt man eine Tiefer- und Höherstellung der Stimme.

321

Die Zahl der an der Pariser Universität studirenden Frauen ist von 152 im Jahre 1890 auf 252 gestiegen. Der Faculte de medecine gehören 18 Französinnen, G Engländerinnen, 3 Rumänierinneu, 2 Türkinnen, eine Griechin, eine Amerikanerin und 103 Russinnen an ; die Zahl der Französinnen in der Faculte des sciences beträgt 5, die der Fremden 14 ; in der Faculte des lettres dagegen stehen 15 Fremden 82 Fran- zösinnen gegenüber.

Maass hat durch eine Modifikation der KöNia'schen Methode der Wiederbelebung bei Herztod nach Chloroformeinathmung zwei Per- sonen das Leben gerettet. Diese Methode besteht in der raschen Kompression der Herzgegend. Der Arzt tritt auf die linke Seite des Kranken, das Gesicht dem Kopfe desselben zugewandt, und drückt mit raschen, kräftigen Bewegungen die Herzgegend tief ein, indem der Daumenballen der geöffneten rechten Hand zwischen die Stelle des Spitzenstosses und den linken Sternalrand gesetzt wird. Die Häufig- keit der Kompressionen beträgt 120 und mehr in der Minute. Bei so raschem Tempo muss man in der Regel wohl mehr für genügenden Kraftaufwand bei den einzelnen Bewegungen Sorge tragen, als dass man fürchten müsste, zu stark zu drücken. Etwas Erleichterung bringt es, wenn gleichzeitig die linke Hand die rechte Thoraxseite des Kranken umgreift und den Körper üxirt. Die Wirksamkeit der Bemühungen ist kenntlich an dem Idinstlich erzeugten Karotidenpuls und der Pupillen Verengerung. Kraft und Schnelligkeit der Bewegungen muss dementsprechend bemessen werden. CJm den Effekt zu kontro- liren und gleichzeitig für das Freibleiben der Athemwege zu sorgen, tritt Jemand an das Kopfende des Kranken. So lange der Zustand sich nicht wesentlich gebessert hat, ist es zweckmässig, möglichst wenige und kurze Pausen zu machen. Später kann man jedesmal nach vollständiger Verengerung der Pupillen so lange warten, als diese klein bleiben und die spontanen Athemzüge andauern. Vorbedingung für den Erfolg ist natürlich eine gewisse Elasticität des Thorax ; sie fehlt jedoch nur selten. (Berl. klin. Wochenschrift 1892, No. 12.)

Die politischen Blätter erzählten neulich, welches Unheil ein rus- sischer Ingenieur, Namens Gutschkowsky, mit einem geheimnissvollen Heilmittel, welches er „Vitalin" benannte, in der Hauptstadt des Czarenreiches anrichten konnte. In den sogenannten besten Kreisen Petersburgs schwärmte man seit Wochen vom Vitalin, dem man Ver- jüngung und Heilung aller Krankheiten zuschrieb. Nachdem aber zwei hohe Persönlichkeiten, darunter der Stadthauptmann von St. Petersburg, General Gresser,, diesen Injectionen zum Opfer fielen, ist man bestürzt und schämt sich seiner Leichtgläubigkeit. Und nun erklärt der Erfinder selbst, dass „Vitahn" nichts anderes sei, als Borax und Glycerin also etwas recht Unschädliches. Im Mittelalter war es das Aurum potabile der Alchemisten, dem man die Kraft zuschrieb, ewige Jugend und Heilung aller Krankheiten verleihen zu können ; dann faselte man von der göttlichen Springwurzel, dann wieder von anderen Dingen, bis herab zu den elektro-homöopathischen Geheimmitteln des Conte Mattei und zu dem Kräuterschatze des Pfar- rers Sebastian Kneipp. Zu jeder Zeit und in aller Welt gelang es, resp. gelingt es noch heute, auf die Unvernunft und Schwäche der Menschheit zu speculiren und diese eine Zeitlang auszubeuten.

In London wüthete kürzlich eine Ekzemepidemie, die einzig in ihrer Art war. Sie betraf hauptsächlichst Greise. Von 350 in den Spitälern konstatirten Fällen starben 60. „British medical Journal" hat eine Enquete zum Studium dieser Epidemie einberufen, aus deren Publika- tion man Näheres über diese merkwürdige „Epidemie" erfahren dürfte.

f

322

Ein periodischer internationaler Congress für Gjmäkolo^e und Geburtshilfe wird auf Veranlassung der gynäkologischen Gesellschaft in Brüssel dortselbst am 14. September 1892 zusammentreten und bis 19. d. M. tagen. Auf der Tagesordnung stehen : 1. Beckeneiterungen. Keferent P. Segond, Paris. 2. Extrauterinsch-wangerschaft. Keferent A. Ma-Rtin, Berlin. 3. Placenta praevia. Eeferent Berry Hart, Edin- burgh. Der Congress soll alle vier Jahre abwechsend in Belgien und der Schweiz zusammentreten. Mit dem diesjährigen ist eine Ausstel- lung von gynäkol. und geburtshilfl. Instrumenten und Apparaten ver- bunden. — Einmahger Gründerbeitrag 300 Eres., Jahresbeitrag 30 Eres. Auskünfte ertheilt der General-Secretär Dr. Jacobs, 12 rue des Petits Carmes ä Bruxelles.

Wozu das Tabakrauchen nützlich ist, das hat erst jüngst Dr. v. Tassinari, ein anerkannter Hygieniker in Rom, des Näheren erörtert. Tassinari führt uns vorerst die Namen zahlreicher Aerzte an, welche das Tabakrauchen als bestes Prophylacticum gegen Infectionskrank- heiten hielten und citirt sodann die Versuche von Miller, New York und Vassiii, Neapel, welche lehrten, dass der Tabakrauch die Entwick- lung pathogener Mikroorganismen hemme, resp. ganz aufhebe. Zu den zahlreichen Versuchen, welche Tassinari selbst anstellte, benützte er die Mikroben der Cholera, des Anthrax, der Pneumonie u. s. w. Er nahm kleine Ballons, strich deren Innenflächen mit Gelatine an, welche bacterienhaltig war, und liess nun 10—30 Minuten lang den Tabak- rauch durch diese Ballons durchstreichen. Da zeigte sich dann die überraschende Thatsache, dass die Bacillen der echten asiatischen Cholera, resp. die Friedländer'schen Diplokokken, nach einer gewissen Einwirkungszeit des Tabakrauches völlig zerstört waren, einerlei, welche Tabaksorte hierbei zu Verwendung kam. Die Gelatine wurde durch den Tabakrauch geradezu sterilisirt. Der Anthraxbacillus wider- stand dem Rauche schon besser und der Typhusbacillus wurde hierbei kaum beeinflusst. Gegen Caries der Zähne schützt das Rauchen ge- wiss, was schon vor Tassinari viele andere Aerzte behauptet haben. Es ist selbstverständlich nicht einerlei, ob man die auf eine dünne Ge- latinfläche ausgesäten Bacterien durch längere Einwirkung von Tabak- rauch unschädlich macht, oder ob man es versuchen will, die in den menschlichen Organismus bereits eingedrungenen krankmachenden Mikroorganismen auf dieselbe Weise zu vernichten, da eine solche Durchräucherung unseres Körpers unmöglich ist.

Für alle naturwissenschaftlichen und medizinischen Lehranstalten

ist es von Wichtigkeit, zu wissen, dass die in den Ver. Staaten beste- henden Bestimmungen über Befreiung von Alkohol von Steuern im letzten November zu Gunsten wissenschaftlicher Lehranstalten abge- ändert wurden. Sekt. 3297 der revidirten Statuten der Ver. Staaten bestimmt, dass der Schatzsekretär autorisirt ist, irgend einem inkor- porirten oder „chartered" College oder wissenschaftlichen Institut Er- laubniss zu ertheilen, Alkohol in spezifizirten Quantitäten frei von Steuer zu beziehen, vorausgesetzt, dass derselbe zu Zwecken der Kon- servirung von Präparaten, oder im chemischen Laboratorium dienen soll. Das Gesuch um Erlaubniss zum Bezug steuerfreien Alkohols muss vom Präsidenten oder Curator der Anstalt ausgestellt sein, der einen Kontrakt auf den doppelten Betrag der Steuer auf den zu bezie- henden Alkohol unterzeichnet mit zwei genügenden Sicherheiten, welche von dem Kommissär für „Internal Revenue" zu billigen sind. Sollte der Alkohol ganz oder theilweise zu andern, als den angegebenen Zwecken verwendet werden, so hat jener Beamte oder seine Gewährs- leute, die Steuer auf den gesammten Alkohol zu bezahlen, nebst einem gleichen Betrag als Strafe. Diese fürchterhche Drohung wird jeden- falls jeden Versuch einer Defraudation im Keime ersticken.

323

Nekrologe.

Professor^ Biermer.

Der namhafte Breslauer Kliniker, Prof. Dr. Anton Biermer, starb im Maison de Saiite zu Berlin, nach langwierigem Leiden, am 24. Juni d. J. Geboren am 18. October 1827 in Bamberg, absolvirte B. seine Studien in Würzburg als Schüler Yirchow's nnd doctorirte im Jahre 1851. Er widmete sich darauf ganz der inneren Klinik und war zu- nächst als Privatdocent für dieses Fach in Würzburg seit 1855 thätig. Seine Berufung als ordentl. Professor nach Bern erfolgte 1861, nach Zürich 1867, nach Breslau 1874. Seine bedeutendsten wissen- schaftlichen Publikationen sind : „Die Lehre vom Auswurf", „Bronchial- krankheiten", ,, lieber die Ursachen der Volkskrankheiten, insbeson- dere der Cholera", „lieber Asthma bronchiale", „Heber progressive, perniciöse Anaemie" etc.

Professor Meynert.

Am 1. Juni d. J. verschied in Wien der berühmte Psychiater und Psychologe Prof. Theodor Meynert. Er wurde geboren am 15. Juni 1833 in Dresden, absolvirte die Universitätsstudien in Wien im Jahre 1861, ward 1865 zum Docent daselbst, 1866 zum Prosector des Wiener Irrenhauses, 1870 zum Vorstand der dortigen psychiatrischen Khnik und ausserordentlichen Professor der Psychiatrie und endlich 1873 zum ordentlichen Professor der Nervenkrankheiten ernannt. Er hat sich sehr grosse Verdienste durch seine gediegene Forschungen namentlich auf dem Gebiete der Anatomie und Physiologie des Gehirns erworben und die Resultate derselben in einer sehr grossen Anzahl von Abhand- lungen niedergelegt, deren ausführliches Verzeichniss im „Biograph. Lexicon der hervorragendsten Aerzte", von Prof. Hirsch, zu finden ist. Der Verstorbene war u. A. Redakteur des „Wiener Jahrbuchs der Psychiatrie" und Mitherausgeber des Berliner „Archivs für Psychiatrie und Nervenheilkunde".

Professor Demme.

Der bekannte Pädiater, Prof. Dr. Rudolf Demme, geboren als Sohn eines Arztes in Bern im Jahre 1836, starb daselbst am 16. Juni d. J. Er begann seine medicinischen Studien in seiner Vaterstadt und hatte darauf seine Ausbildung auf seinen Reisen in Wien, Paris und London vervollkommt. Nachdem er 1859 den Doctorgrad erlangt hatte, war er zuerst anatomischer Assistent bei Prof. Valentin, später klinischer Assistent bei Prof. Biermer, und wurde im Jahre 1862 zum Chefarzt des „Jenner'schen Kinderhospitals" in Bern und zum Professor der Klinik und Poliklinik der Kinderheilkunde daselbst ernannt. Von sei- nen grösseren Arbeiten sind zu verzeichnen : „Ueber Myocarditis und perniciösen Icterus", „Jahresberichte des Jenner'schen Kinderhospi- tals" (von 1862 an), „Erkrankungen der Schilddrüse", „Anaesthetica" (beide letztere Arbeiten erschienen im GERHARDx'schen „Handbuch der Kinderheilkunde"). Eine seiner letzteren Arbeiten war die Schrift „Ueber den Einfluss des Alcohols anf den kindlichen Organismus".

Bttchertisch.

The Diseases of the Stomach. By Dr. C. A. Ewald. Authorized trans- lation from the second german edition, with special additions by the author, by Morris Manges, A. M., M. D. With thirty Hlustra- tions. (New York, P. Appleton & Co. 1892.)

324

In der Vorrede zu dieser im Englischen erscheinenden Auflage des Buches sagt Ewald : I am greatly indebted to Dr. Manges f or the excellent manner in which he has performed his task. At the same time I wish to State that I have caref ully read his manuscript, and have made many additions to it. In this way, I beheve, I have included the very latest investigations on this subject. Hence the volume is not merely a rendering of the second German editlon, hut it practically repre- sents the third German edition, which will soon appear."— So haben wir denn hier eine neue verbesserte Auflage des klassischen Werkes „Khnik der Verdauungskrankheiten" vor uns und können dieselbe nur mit Freuden begrüssen. Das Buch ist prachtvoll ausgestattet, und liest sich, trotz der schwersten Themata, die darin abgehandelt werden, wie ein Koman.

Das Buch zerfällt in 12 Abschnitte : die beiden ersten Kapitel be- handeln die Untersuchungsmethoden bei den Magenkrankheiten. Das dritte und vierte Kapitel haben zum Thema : „Die Stenosen und Stricturen der Cardia und des Pylorus." Das fünfte Kapitel bespricht den Magenkrebs, das sechste das Magengeschwür, das siebente und achte die acuten und chronischen Entzündungen der Magenschleimhaut (acuter und chronischer Magenkatarrh) ; Kapitel neun, zehn und elf behandeln die Neurosen des Magens, und Kapitel zwölf die Wechsel- beziehungen zwischen Magen und anderen Organerkrankungen, und ausserdem den praktischen Werth der modernen chemischen Proben.

In diesem letzten Kapitel äussert sich Ewald folgendermassen über diese wichtige Frage des Werthes der modernen Untersuchungs- methoden :

„Wir haben im Verlauf dieser Vorlesungen die Magenkrankheiten mit steter Berücksichtigung der Erfahrungen besprochen, welche uns die neueren Untersuchungsmethoden, vornehmlich die Untersuchung des Chemismus des kranken Magens, an die Hand geben und haben so alt bekannte nosologische Thatsachen mit den neu gewonnenen diag- nostischen und therapeutischen ErgebDissen verbinden können. Es bleibt uns die Frage zu erörtern, welche Stellung der chemischen Un- tersuchungsmethode in der Diagnostik der einzelnen Magenaffectionen zukommt, wie weit sie zu bindenden Schlüssen auf die Natur des vor- liegenden Leidens berechtigt. Sind es speciflsche, charakteristische, dem Einzelfall als solchem stets und ausschliesslich angehörige Func- tionsstörungen, die wir mit Hülfe von Sonde und Reagensglas auf- decken, in dem Sinne, dass sie sich ausschliesslich und allein bei einer bestimmten Erkrankungsform vorfinden und für die Diagnose bestim- mend sind, wie etwa das Vorkommen von Tuberkelbacillen im Sputum oder von hyalinen Cylindern im Harn, oder sind es Zeichen mehr all- gemeiner Bedeutung, die mit einem specifischen Krankheitsprocess nichts zu thun haben? Sie wissen, dass man in letzter Zeit bereits so weit gegangen ist, die Magenkrankheiten einzutheilen in solche mit er- höhter Salzsäuresecretion, mit verminderter und mit fehlender Secre- tion, und einige von Ihnen haben es vielleicht vermisst, dass ich um „recht modern zu sein" unser Thema nicht in diesem Sinne angeordnet habe. Dies liegt mir ebenso fern, als es mir beifallen würde ein Lehr- buch der speciellen Pathologie zu schreiben, in dem die Krankheiten in solche mit Wassersucht und ohne Wassersucht, mit und ohne Gelb- sucht, mit oder ohne Eiweissharn u. s. w. eingetheilt wären. Vielmehr können wir aus unseren heutigen Erfahrungen, wenn wir uns von einer Ueberschätzung ders-^lben fern halten und auf dem Boden der That- sachen bleiben wollen, nur folgendes Facit ziehen :

Es giebt zwei grosse Gruppen chemischer Befunde, welche vom nor- malen Verhalten der Magensecretion abweichen : einmal das unzeitige

325

Vorkommen organischer Säuren, das andere Mal die Veränderungen des eigentlichen Verdauungssaftes, also der Salzsäure-, der Pepsin- und der Labsecretion, der Resorption und Motion des Organs.

Die organischen Säuren, vor allem die Milchsäure, sind, wenn sie während einer Phase der Verdauung auftreten, in der wir sie mit dem Ihnen bekannten Verfahren in der Norm nicht nachweisen können, im- mer für bestimmte pathologische zu subjectiver Empfindung des Kranken gelangende Processe charakteristisch und beruhen auf ab- norm verlaufenden Zersetzungs- resp. Gährungsvorgäugeu, deren Ur- sachen mvannigfaltiger Natur sein können, aber stets mit einem krank- haften Zustande, insofern wir darunter nicht nur einen abnormen che- mischen Befund, sondern mehr oder weniger erhebliche Beschwerden der betreffenden Individuen verstehen, verbunden sind. Darin liegt die Bedeutung des Nachweises der Milchsäure und der Fettsäuren, dem es keinen Abbruch thut, dass man mit umständlichen, der täg- lichen Praxis unzugänglichen Methoden der Persistenz geringer Men- gen von Milchsäure während der ganzen Dauer der normalen Ver- dauung nachgewiesen haben will, so wenig es die aus dem Zuckerge- halt des Urins gezogene Diagnose auf Diabetes beeinträchtigt, dass auch in normalem Urin Spuren von Zucker vorkommen. Da nun diese Gährungsproducte stets mit einem abnorm langen Aufenthalt der Ingesta im Magen, meist mit einer absolut oder relativ verminder- ten Salzsäureproduction verbunden sind, so können wir schon hieraus die Diagnose nach einer bestimmten Richtung präcisiren.

Viel complicirter gestalten sich die Verhältnisse, wenn es sich um die Verwerthung der Aenderungen der speciflschen Magensecretion handelt. Da das Verhalten der Pepsin- und Lababsonderung im Grossen und Ganzen mit der Abscheidung der Salzsäure Hand in Hand geht geringe, für die allgemeine Betrachtung nicht maass- gebende Abweichungen ausgenommen , so möge der Gang der Salz- säureabsonderung für die folgenden Betrachtungen als Paradigma dienen.

Ich bin nun der Ansicht, dass das Viel oder Wenig der Salzsäure- secretion eine Erscheinung ist, welche allerdings mit den verschiedenen Krankheitstypen insofern in Relation steht, als die einen entschieden mehr die Tendenz haben, die Säuresecretion zu steigern, die anderen mehr die Herabminderung oder das vollständij?e Fehlen derselben ver- anlassen, aber doch nvir in dem Maasse, als die verschiedenen Krank- heitsprocesse anatomische functionelle Störungen mit sich bringen, die naturgemäss eine Alteration der Salzsäureproduction benöthigen, so dass es ganz von der Ausdehnung dieses Factors in dem Krank- heitsgang abhängt, in wie weit davon die Säuresecretion berührt wird. Allerdings dürfen wir sagen, dass eine bestimmte Gruppe von Affec- tionen niemals zu einer Steigerung der Säuresecretion führt, vornehm- lich alle diejenigen Formen, in welchen eine ausgedehntere organische Zerstörung oder Veränderung des secernirenden Drüsenparenchyms statt hat. Wenigstens ist uns von einer vicariirenden Steigerung der etwa restirenden Drüsenzellen nichts bekannt. In diese Kategorif» würde nun die carcinomatöse Degeneration, die chronische Gastritis mit ihrer Consequenz, der Atrophie der Magenschleimhaut, die schlei- mige Degeneration der Magendrüsen, vielleicht noch gewisse Gefäss- erkrankungen chronischer Art,wne z. B. die amyloide Degeneration ge- hören. Ja es dürfte sich, wofür bereits einige Erfahrungen zu Gebote stehen, bei weiterer umfänglicher Beobachtung herausstellen, dass auch noch andere, zu chronischen Schwächezuständen führende Pro- cesse, wie tiefe Anämie, Tuberkulose, Herzfehler, Diabetes und ähn- liche Krankheitszustände zum Versiegen der freien Salzsäure führen. Aber schon wenn wir diesen Satz umkehren und sagen wollen, dass ge-

rn

326

wisse Krankheitsformen stets eine gesteigerte Secretion veranlassen, würden wir zu weit geiien. Die gesteigerte Secretion ist immer eine fnnctionelle Erscheinung, eine Reizerscheinung. Aber jede derartige üeberproduction l^ann bekanntlich auch in das Gegentheil umschlagen, ich meine nicht nur als Effect der Ermüdung nach einer vorhergegan- genen Hypererregung, sondern von Anfang an als Depressionserschei- nung. So kann es kommen, dass wir einen Zustand, der gewöhnlich mit einem starken Reiz der absondernden Elemente einherzugehen pflegt, wie das Ulcus ventriculi, gelegentlich auch ohne diesen antreffen. So kann eine Xeurose das eine Mal sich so äussera, dass nur während der eigentlichen Digestionsarbeit ein Ueberschuss an Säure producirt wird (Hyperacidität). das andere Mal so, dass ein andauernder Abson- derungsTciz stattfindet und eine Hypersecretion die Folge ist. Ebenso gut aber kommen Fälle vor, in denen eine Erschlaffung und Herab- setzung der Secretion in der Art besteht, dass die Salzsäure andauernd auf ein Minimum heruntergedrückt ist.

Nach alledem werden Sie mir zustimmen, wenn ich aus der nackten Thatsache eines höheren oder geringeren oder scheinbar normalen Aciditätswerthes, vorausgesetzt, dass wir denselben nicht auf andere Säuren, wie freie Salzsäure zu beziehen haben, im Allgemeinen keinen diagnostisch zwingenden Schluss gründe, sondern solche Erhebungen nur als einen wenn auch sehr wesentlichen Beitrag zur Abrundung und Erkenntniss des gesammten Krankheitsbildes betrachte. Ich möchte nicht missverstanden werden und betone ausdrücklich, dass ich keines- wegs mit dieser Betrachtung den Werth unserer Untersuchungen her- absetzen will im Gegentheil, wir können sie nicht mehr entbehren und fühlen uns in allen Fällen unsicher und des festen Bodens baar, wo sie Umstände halber nicht auszuführen sind. Sie finden, an jeder Stelle unserer bisherigen Besprechungen den Beweis dafür, wie sehr sich UQser ärztliches Können und Erkennen auf Grundlage der neueren Forschungsmethoden vertieft und erweitert hat. Aber gegen eine ein- seitige Ueberschätzung derselben glaube ich andererseits angesichts mancher Erscheinungen der jüngsten Zeit Einspruch erheben zu sollen. Nur die sorgfältigste und eingehende Berücksichtigung und Erwägung aller Erscheinungen des Krankheitsverlaufes mit allen Hülfsmitteln der Diagnostik kann uns die Erkenntniss des bestehenden Leidens bringen und wir haben auch in der genauesten Exploration des Chemismus des Magens nicht die Wünschelruthe in Händen, die aus dem harten Gestein dunkler Symptome den klaren Quell der Erkenntniss hervorzaubert. Noch heute gilt das alte Wort mit Recht :

Uti ratio sine experimentis mendax, Ita experientia sine ratione fallax."

[Dem Dr. Manges muss das Verdienst zuerkannt werden, eine recht gute Uebersetzung des EwALn'schen Buches geliefert zu haben. Dr. Mauges hat das Ewald'sche Buch mit mehreren Anmerkungen versehen ; davon sind manche ganz brauchbar, manche überflüssig und manche nicht ganz der Wahrheit entsprechend. So sieht sich M. veranlasst, an der Stehe, wo Ewald den von mir angegebenen „Magen- eimer" bespricht (S. 11), hinzuzufügen : „Its use is condemned by Boas, loc. cit, 2d ed., p. 112. Tr." Boas sagt allerdings an der betreffenden Stelle : ,Jch vermag in dem Apparat weder einen gefahrlosen, noch für den Kranken angenehmen Ersatz der Magensonde zu erblicken." Allein ich glaube nicht, dass es so besonders wichtig war, dieses dem Ewald'- schen Buche beizufügen,— als ob Ewald dieses nicht hätte zufügen können, falls er es für nothwendig gefunden hätte. Hier im Lande, wo das Mageneimerchen so vielfach angewandt wird, brauche ich wohl

327

nicht weiter liinzuzufügen, dass das, was ich in meinem Artikel darüber seiner Zeit geschrieben habe, sich vollkommen bestätigt hat, und dass von irgend einer Gefahr bei der Anwendung des Mageneimers keine Rede sein kann.

Auf Seite 63, wo mein Gastrodiaphan erwähnt wird, befindet sich wieder unten die Anmerkung: „The Instrument is condemned by Boas, loc. cit., S. 100. Tr." Ich vermag im Boas 'sehen Buche keine Verurtheilang des Gastrodiaphan vorzufinden ; nachdem Boas auf Seite 100 seines Buches die Gastrodiaphanie genau beschreibt, sagt er auf S. 101 : Ohne den weiteren Erfahrungen des Verfassers vorgreifen zu wollen, möchte ich schon jetzt darauf hinweisen, dass sicherlich das Verfahren Einhorn's, wie die Durchleuchtung der Körperhöhlen überhaupt vor der directen Beleuchtung und Inspection derselben schon wegen des hierbei in Anwendung kommenden einfachen Appa- rates den Vorzug verdient. Indessen möchte ich besonders mit Rück- sicht auf die wenig ermuthigenden Erfahrungen Gottstein's über die VoLTOHNi'sche Kehlkopfdurchleuchtung auch der Gastrodiaphanie, wenn überhaupt, so einen nur beschränkten diagnostischen Werth zu- erkennen." — „Wenn Einhorn mit dem Gastrodiaphan vor Allem die Grösse und Lage des Magens zu exploriren beabsichtigt, so möchte ich dem gegenüber bemerken, dass wir durch eine sorgsame Inspection, Percussion und Palpation eventuell Aufblähung, also immerhin durch einfachere Manipulationen dieses Ziel gleichfalls in den allermeisten Fällen in zufriedenstellender Weise erreichen." Diese Bemerkungen Boas's enthalten eine sachgemässe kritische Besprechung aber doch keine Verwerfung des Gastrodiaphans.] Dr. Max Einhorn.

The Principles and Practica of Medicine. Designed for the Use of Practitioners and Students of Medicine by William Osler, M. D., New York. (D. Appleton & Co. 1892.)

Verfasser dieses schön ausgestatteten Werkes, dem, wie jedermann bekannt, die reichste Erfahrung auf dem ganzen Gebiete der Medicin zur Verfügung steht, hat im vorliegenden Buche alle Kapitel der Medicin nach den gegenwärtig herrschenden Gesichtspunkten behan- delt, und dabei fast immer seine eigenen Ansichten und Erfahrungen mit eingeflochten. Im Kapitel über Tuberkulose, dem, nebenbei gesagt, 73 Seiten gewidmet sind, werden alle Formen dieser Erkrankung aufs Gründlichste geschildert, und die Tuberkelbacillen nach allen Seiten hin aufs genaueste beschrieben. Im Kapitel über die Erkrankungen des Magens werden die chemischen Punkte behufs Diagnosenstellung eingehend auseinandergesetzt und die modernen Hilfsmittel der Be- handlung der Magen affectionen geschildert.

Das Buch zerfällt in folgende Abschnitte : I. Specific Infectious Diseases. II. Constitutional Diseases.

III. Diseases of the Digestive System.

IV. Diseases of the Respiratory System. V. Diseases of the Circulatory System.

VI. Diseases of the Blood and Ductless Glands. VII. Diseases of the Kidneys. VIII. Diseases of the Nervous System. IX. Diseases of the Muscles. X. The Intoxications ; Sun-stroke ; Obesity^ XI. Diseases due to Animal Parasites.

Der Comfort des Kranken. Von Dr. Martin Mendelsohn, Arzt in Berlin. (Zweite Auflage. Berlin, 1892. Verlag von AuausT Hirschwald.)

828

Das kleine 68 Seiten umfassende Werkchen ist äusserst spannend geschrieben, und enthält zahlreiche nützliche Winke bei der Kranken- behandlung. Es wird hier den Aerzteu ans Herz gelegt, für den Comfort des Kranken zu sorgen, und dabei genau angegeben, wie solcher Com- fort zu verschaffen sei. Als Motto auf dem Büchlein stehen die Worte Hippokrates': „Es gibt auch Annehmlichkeiten für den Kranken."

Standesfragen. Betrachtungen eines Landarztes. Von Dr. med. Emil Mory. (Zweite Auflage. Basel. Verlag von Carl Sallmann. 1892.)

Obgleich das vorliegende Buch hauptsächlich die ärztlichen Ver- hältnisse der Schweiz schildert und dieselben zu bessern sucht, ist doch dasselbe auch für Nicht-Schweizer mehr als lesenswerth. Die Schreib- weise ist spannend und interessant, und es dürfte wohl jeder Arzt aus dem Werkchen etwas Gutes und Nützliches lernen. Verfasser schildert eingehend die Verhältnisse des Landarztes, der doch ebensoviel ge- lernt hat, wie der Stadtarzt,— und weist darauf hin, wie dessen Stellung nicht nur von der Bevölkerung als eine niedrigere betrachtet, sondern auch von manchen Stadtärzten als solche gehalten wird. Die Stadt- ärzte könnten aber viel thun, um das Ansehen ihrer Collegen auf dem Lande zu heben. Verfasser tritt für die Selbstdispensation, haupt- sächlich für die Aerzte auf dem Lande, ein. E.

Die chronischen Erkrankungen der oberen Luftwege und Unterleibs- brtiche. Von Dr. W. Freudenthal, New York. (Berlin, 1892, Neuwied. Heuser's Verlag.)

Eleventh Annual Report of the State Board of Health of Illinois. [Being for the Year ended December 31, 1888. | With an Appendix containing the Official Register of Physicians and Mid- wifes, 1892. (Springfleld, Iii. H. W. Rokker, State Printer and Binder, 1892.)

On the Respiratory Changes of the Intrathoracic Pressure, measured in the Mediastinum Posterior. By Dr. S. J. Meitzer. (Reprinted from the Journal of Physiology. Vol. XIII., Nos. 3 u. 1, 1892.)

Personalien.

Verzogen : Dr. Albert Lipmax nach 787 Lexington Ave.

Dr. Max Einhorn, Stellvertretender Redakteur, 107 E. G5. St.

An die Leser.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s.w., sind zu richten an : " Medical Monthly Publishing Co.," 17—27 Vandewater Street, New York.

Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Herausgeber zu richten.

Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse unseres Blattes im Osten thätig. Da derselbe dieses Jahr nicht reisen wird, so erweisen uns die geehrten Abonnenten einen grossen Gefallen, wenn sie ihren Abonnements-Beitrag einsenden.

Billig zu verkaufen.

" Woods Complete Medical Library, 100 Volidies " gebunden und neu. Nähere Auskunft ertheilt.

Medical Monthly Publ. Co.

27 Vandewater Str.

New Yorker

Medicinische Monatsschrift.

Organ für praktische Aerzte in Amerika

unter Mitwirkung von

Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Kxn^, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Ramdolir, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert herausgegeben von Dr. F. C. HEPPENHEIMER. Verlag der Medical Montlily Publisliinj? Company, 17 27 Vandewater Sti-eet, N, ¥•

Bd. IV. New York, 15. September 1892. No. 9

ORIGINALARBEITEN. I.

lieber Tuberculocidi ii . )

Ton

Dr. GEO. W. RACHEL,

Lehrer der Kinderheilkunde an der N. Y. Polyclinic, Inspizirender Arzt am St. Mark's Hospitale und Kinderarzt an der Deutschen Poliklinik.

Die Geschichte des KocH'schen Tuberculin's ist uns Allen noch so frisch im Gedächtnisse, dass ich mir wohl eine Kekapitulation dersel- ben ersparen kann. Wie ein Meteor erschien dasselbe am Firmamente der Medizin, um nach kurzem Aufleuchten ebenso schnell wieder zu erlöschen und in Dunkelheit zu vergehen. Und wie ein Meteor einen glühenden Aschenstreifen hinterlässt, der die Astronomen in den Stand setzt, seine Bahn zu bestimmen und die Kichtung, welche er ge- nommen, festzustellen, so haben auch die Jünger der Medizin durch den Lichtstreifen, welchen jenes Meteor zurückliess, gelernt, welches die richtige Bahn ist und in welcher Richtung sie weiter zu forschen haben.

Ohne auf die von Liebreich angegebene Methode der Injektion von cantharidinsaurem Kali einzugehen, welches nur eine Eigenschaft des Tuberculin besitzt nämlich diejenige, Entzündung zu erzeugen wollen wir uns gleich zu den Arbeiten derjenigen Forscher wenden, welche das Kocn'sche Mittel selbst zur Grundlage ihres Studiums ge- macht haben. William Hunter f) war der erste, der die Zusammen-

*) Vortrag gehalten in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft der Stadt New York am 12. September 1892.

t) British Med. Journ., July, 1891.

330

Setzung des Tuberculias genauer studirte und die besonderen Wirkun- gen seiner einzelnen Bestandtheile, nachdem er sie isolirt hatte, ex- perimentell feststellte. Das von ihm gefundene Resultat lässt sich im Allgemeinen dahin präcisiren, dass das TubercuUn vier Gruppen orga- nischer Substanzen enthält, welche in der complizirtesten Weise zusam- menarbeiten, um die verschiedenen Hauptwirkungen der KocH'schen Lymphe zu erzeugen. Und zwar isolirte Hunter, ausser den minerali- schen Salzen und dem Lösungsmittel Glycerin, folgende vier Gruppen :

1. Albumosen,

2. Alkaloide,

3. Extraktivstoffe und

4. Mucin.

Für den Kliniker ist das Ergebniss am wichtigsten, dass die wirk- liche Heilwirkung, welche H. dem Tuberculin auf das Positivste vindi- zirt, ganz unabhängig von denjenigen Substanzen ist, die das Fieber, die Entzündung und verschiedene Störungen des Allgemeinbefindens verursachen. Die Substanz nun, welcher er die spezifische Heilwirkung zuschreibt, ist eine Albumose, von der er annimmt, dass sie dem Plasma der Tuberkelbacillen entstammt und nicht ein Produkt der Entzündung ist, welche diese in den Geweben hervorrufen. Es würde zu weit führen, die in Gemeinschaft mit Cheyne ausgeführten Unter- suchungen hier eingehend zu besprechen. Es soll nur erwähnt wer- den, dass die Beobachtung der Wirkungen ihrer Präparate auf ver- schiedene Fälle von Lupus für die englischen Forscher massgebend war, weil dieselbe sie in den Stand setzte, alle Veränderungen deutlich wahrzunehmen.

Die günstigen Berichte, welche ausser in England auch hier in Amerika ^) über die Anwendung des von Hünter modifizirten Tubercu- lins veröffentlicht worden sind, scheinen die Ansicht zu unterstützen, dass hiermit der richtige Weg eingeschlagen worden ist, um die Ent- deckung Koch's im Dienste der leidenden Menschheit wirksam zu machen.

Auf ganz ähnliche Weise und von denselben Grundanschauun- gen ausgehend, hat Klees den eigentlich wirksamen Bestandtheil des Tuberculin isolirt. Er verwendet ausschliesslich das von Libbertz dargestellte Rohtuberculin, welches er durch Ausfällen der Alkaloide und Extrahiren mit Wasser in die von ihm Tuherculocidin genannte Substanz umwandelt. Den Namen wählte er desshalb, weil er sich durch Thierversuche davon überzeugte, dass dasselbe eine die Tuber- kelbacillen tödtende Eigenschaft besitzt, f)

In einer Broschüre X) nun, welche vor Kurzem erschien, veröffent- lichte Klebs eine Reihe von 75 Fällen von Lungentuberkulose, welche

*) KiNNicuTT, Med. Kecord, May 21st, 1892.

t) D. Med. Wochenschr., No. 45, 1891. J) Die Behandlung derTubercnlose mit Tuherculocidin, 1892, Verlag von Leopold Voss, Hamburg.

331

er mit Tuberculocidin behandelt hat und welche folgende Resultate er- gaben :

Ist nun auch diese Versuchsreihe viel kleiner, als dies wünschens- werth wäre, so sind die Resultate doch ermuthigend genug, um bei unserer noch so unsicheren^Therapie gegenüber der Lungenseuche zu weiteren Versuchen anzuspornen.

Die Zahl der Fälle, die im St. Mark's Hospital und ambulant be- handelt wurden, beläuft sich auf neun :

I. Fall. J. A., 36 Jahre ; Kutscher, wurde am 1. August 1891 ins St. Mark's Hospital aufgenommen. Er berichtete damals von einem seit 7 Wochen bestehenden Husten mit gelblichem Auswurfe. Nacht- schweisse und Gewichtsabnahme. T. 101.8° ; P. 104. Gewicht : 143 Ibs.

I>r. LiNDEXMEYR coustatirtc die Anwesenheit von characteristischen Tuberkelbacillen.

Die physikalische Untersuchung ergab ausgebreitete Spitzen- catarrhe auf beiden Seiten.

Unter Guaiacol-Behandlung verbunden mit entsprechender Diät u. s. w. besserte sich Patient in sehr befriedigender Weise. Die loka- len Symptome zeigten eine unzweifelhafte Rückbildung des Krank- heitsprocesses an und das Gewicht stieg ebenfalls auf 148 Pfund. Die Nachtschweisse hörten vollständig auf und Husten, sowie Auswurf wurden minimal. Das war im December. Im Januar änderte sich das Bild ohne sichtbaren Grund. Die Temperatur, welche zumeist unter 100° geblieben war, nie 101° überschritten hatte, fing an bedeu- tende Exacerbationen zu zeigen, bis zu 103° ; Nachtschweisse traten wieder ein. Husten und Auswurf nahmen zu und es entwickelte sich links oben und vorn eine Caverne.

Am 29. Januar wurde mit Injektionen von Tuberculocidin begonnen, von 5 mg. langsam zu 150 mg. aufsteigend. Anfang März bekam er täglich 200 mg., dann 250 mg., im April 300 mg., im Mai 3 4 mal wöchentlich, erst 300 mg., dann 400 .'mg., und Ende Mai (bis zum 27.) 500 mg. Gesammtmenge des verbrauchten T. ca. 17 Gm. Da die Tu- berkulose, unbekümmert um die Behandlung, langsam aber stetig wei- tere Fortschritte machte, die Abendtemperaturen von 103° bis 105^? be- trugen, so wurde von weiterer Anwendung des Tuberculocidin Abstand genommen. Erwähnenswertii ist, dass Patient stets berichtete, dass er an den Injektionstagen keine Nachtschweisse, später überhaupt nur sehr leichte, gehabt habe und dass auch der Husten geringer war. Diese Beobachtung wurde von den meisten andern Patienten ebenfalls gemacht.

Vollständig geheilt

Gebessert

Nicht gebessert

Gestorben

14 Fälle = 18.6%. 45 " = 60.2 " .14 " = 18.6 " 2 " = 2.6"

75

100 "

332

II. Fall. C. J., 24 Jahre alt, Mautelschneider, wurde am 5. Februar im St. Mark's Hospital aufgenommen. Seit zwei Monaten Fieber, Husten, Auswurf und Nachtschweisse ; bei der Aufnahme T. 103^, P. 126. Gewicht : 128 Pfund.

Auf der linken Seite wurde alles normal befunden, während rechts eine die Hälfte der Lunge einnehmende Infiltration hinten, sowohl wie vorn nachweisbar war. Tuberkelbacillen im Sputum.

Auch hier hielt das in steigender Dosis angewandte Tuberculocidin den Fortschritt der Krankheit nicht auf. Die Nachtschweisse wurden zwar anfänglich durch dasselbe auf ein Minimum beschränkt ; doch blieben Husten und Auswurf nahezu unverändert. Die Maximalmenge von 500 mg. wurde am 22. März erreicht und jeden zweiten Tag bis zum 20. Mai weiter eingespritzt. Gesammtmenge des verbrauchten T. ca. 15 Gm. Da aber der Krankheitsprozess unentwegt weitere Fortschritte machte, die Temperatur öfters bis auf 105° anstieg und die Tuberkelbacillen keine Verminderung resp. Veränderung zeigten, so wurde von weiterer Anwendung des Tuberculocidin Abstand genommen.

III. Fall. J. M., 35 Jahre alt, Schriftsetzer, wurde am 8. Februar ins St. Mark's Hospital aufgenommen.

Hat seit drei Jahren an einem linken Spitzencatarrh gelitten ; war im Jahre 1891 sechs Monate lang in Dr. Meuer's „Koch Sanitarium" in Denver City, Col., unter Behandlung gewesen. Der sehr intelligente Patient berichtete, dass er anfänglich keine Reaction auf die Lymph- injektionen zeigte bis die Dosis über 5 mg. stieg. Dann konnte er aber keine weiteren Injektionen vertragen, so dass er zuletzt nur zwei mg. ohne Reaktion bekommen konnte. Die Lymphe wurde nicht mehr angewandt und bei fortwährendem Aufenthalte im Freien besserte sich sein Allgemeinzustand in befriedigender Weise ; er nahm über sechs Pfund zu.

Bei der Aufnahme T. 100.°8, P. 94 imd Gewicht 133 Pfund.

Es fand sich bei dei; Untersuchung, dass rechts vorn und hinten eine mässige Spitzeninfiltration nachweisbar war, während links nur vorn an der Spitze etwas Dämpfung und beginnendes Bronchialathmen bestand. L. H. normale Verhältnisse. Tuberkelbacillen im Sputum, welches nur leicht gelblich tingirt ist.

Er wurde während eines Monates mit Tuberculocidin in steigender Dosis behandelt bis zu 200 mg. während der letzten fünf Tage. Gesammtmenge des Tuberculocidin 2085 mg. Schon nach der fünften Injektion hörten die Nachtschweisse auf und Husten sowie Auswurf wurden bald merklich geringer. Leider verliess Patient wegen Fami- lienverhältnissen— wie er mir brieflich mittheilte— das Hospital heim- lich am 9. März und es gelang mir erst nach einigen Monaten seiner habhaft zu werden. Er bedauerte es selbst sehr, dass er dies gethan und berichtete, dass er im Stande sei, die Hälfte bis Zweidrittel der Arbeitszeit hinter dem Setzkasten zu stehen, was ihm seit drei Jahren nicht anhaltend möglich gewesen.

333

Sein Gewicht, welches während des Hospitalaufenthaltes auf 131 Pfund gefallen, war auf 139 Pfund gestiegen, eine Zunahme von acht Pfund. Husten und Auswurf gering; selten Nachtschweisse. Die linke Lunge hatte sich vollständig restituirt, während rechts noch ein massiger Spitzenkatarrh bestand. Leider hat Patient sein Ver- sprechen, sich ambulant behandeln lassen zu wollen, nicht eingehalten. Wie ich höre, hat er die Stadt verlassen.

IV. Fall. F. W., 26 Jahre alt, Zimmermann ; wurde am 29. März in's St. Mark's Hospital aufgenommen.

Ich will Ihre Zeit nicht mit diesem Falle länger als nöthig in An- spruch nehmen. Seine Krankheit begann im Januar ; beide Spitzen infiltrirt und Tuberkelbacillen im Sputum nachweisbar. Da Patient am 28. April eine Nephritis bekam, welche bald in der intensivsten Weise auftrat, so wurde Mitte Mai kein Tuberculocidin mehr injizirt. Er starb am 18. Mai und konnten wir leider keine Sektion bekommen. Im Urin konnten keine Tuberkelbacillen gefunden werden.

V. Fall. H. E., 24 Jahre alt, Zuschneider ; wurde am 2. Mai in's St. Mark's Hospital aufgenommen.

Seine Krankheit datirt angeblich von einer Erkältung im Frütijahr 1891. Husten, Auswurf und gelegentlich Nachtschweisse. Hat gegen- wärtig namentlich über Brustschmerzen und Athemnoth zu klagen. T. 100°, P. 9G, Gewicht 130 Pfund.

Er hat beiderseitig Spitzenkatarrh, rechts ausgesprochener wie links ; doch sind am hinteren Thorax die Verhältnisse normal. Tuber- kelbacillen im Sputum. Am 2, Mai wurde mit Injektionen von Tuber- culocidin begonnen von 25 mg. an in schnell steigender Dosis ; bis zum 16. Mai war die Maximaldosis von 500 mg. erreicht und wurde damit bis zum 4. Juni täglich fortgefahren, dann jeden zweiten Tag. Ge- sammtmenge des verbrauchten T. ca. 16 Gm.

Seit Ende Mai ist Patient im Stande einen halben Tag täglich zu arbeiten ; den Nachmittag bringt er im Freien zu. Die einzige unan- genehme Wirkung des T. ist die, dass das Sputum gelegentlich mit Blut tingirt ist. Da Klebs angiebt, dass man diejenigen Fälle, welche sich eklatant bessern, nach Verwendung einer grösseren Menge von T. ca. einen Monat lang sich selbst überlassen soll, so habe ich dem betr. Patienten erlaubt, auf einige Wochen auf das Land zu gehen.

Die lokalen Symptome hatten sich entschieden gebessert ; nament- lich war auf der linken Seite nur noch etwas scharfes Athmen vorn an der Spitze zu hören. Kechts leichte Dämpfung bis zur 5. Kippe. Scharfes, aber nicht tubuläres Athmen, feines Rasseln stellenweise. Auch bei ihm beeinflusst das T. die Nachtschweisse in sehr günstiger Weise ; Appetit und Allgemeinbefinden sind befriedigend. Er wiegt gegenwärtig 138 Pfund, eine Zunahme von sieben Pfund.

Dr. LiNDENMAYR berichtete, dass die Tuberkelbacillen gegen früher spärlich vertreten und desintegrirt seien.

VI. Fall. N. S., 27 Jahre alt, Maschinen-Schneider (Operator), wurde am 5. Mai in's St. Mark's Hospital aufgenommen.

334

Dieser Patient hatte früher auch unter Behandlung mit Kocn'scher Lymphe gestanden. Er hatte seit Herbst 1889 an Spitzencatarrh mit gelegentlichem Bluthusten gelitten und wurde am 2. April 1891 im Hospital aufgenommen.

Er wurde damals drei Wochen lang mit Kocn'scher Lymphe behan- delt und besserte sich sein Zustand derartig, dass er nach Verlauf dieser Zeit wieder zur Arbeit gehen konnte und daher das Hospital verliess.

Bei seiner zweiten Aufnahme, also am 5. Mai d. J., berichtete er, dass er sich durch den Sommer und Herbst ziemlich wohl befunden habe. Erst im Winter sei Husten und Auswurf zurückgekehrt. Er habe liur einmal Blut aufgehustet.

Bei der Untersuchung findet sich auf der rechten Seite ein vorn und hinten nachweisbarer Spitzencatarrh ; die Dämpfung und das rauhe Athmen geht bis zur 5. Kippe herab. Links vorn leichte Dämpfung, etwas verstärkte Stimmresonanz und Vocalfremitus, sehr wenig ver- schärftes Athmen. T. 100°, P. 90, Gewicht 128 Pfund. Tuberkelbacil- len im Sputum. Am 5. Mai wurde mit Injektionen begonnen in schnell steigender Dosis. Die Maxiraaldosis von 500 mg. wurde am 15. Mai erreicht und dann erst täglich, hierauf vom 20. Mai ab einen Tag um den andern gegeben. Gesammtmenge des verwendeten Tuberculoci- dins ca. 10.5 Gm.

Das Allgemeinbefinden dieses Patienten sowie die lokalen Symptome besserten sich während der ersten zwei Wochen schon, so dass er seit- her etwas leichte Arbeit fast täglich verrichten kann. Er hat keine Nachtschweisse mehr und auch bei ihm zeigte sich das Sputum einige weni^ Male blutig tingirt.

Er berichtete am 6. Juni, dass er nur sehr selten noch huste und in der letzten Woche keine Blutstreifen mehr im Sputum gesehen habe, wie während der ersten Wochen gelegentlich. Er ging dann auf's Land und sprach im Juli gelegentlich vor, um eine Einspritzung zu bekommen. Lokale Symptome sind fast verschwunden. Gewicht 134 Pfund. Offenbar verursacht das Tuberculocidin ausser der von Klebs ihm zugeschriebenen Tuberkelbacillen tödtenden Wirkung einen erhöhten Blutzufluss, d. i. die EntzünduDgserreger, welche Hunter's Modifikation B enthält, müssen zum Theil noch darin ent- halten sein.

Ueber die übrigen drei Fälle möchte ich gegenwärtig nichts mit- theilen, da sie noch in Behandlung sind ; doch wird in zwei ein günstiges Kesultat sicher zu erwarten sein.

Um nun zum Schluss einen kurzen Kückblick zu geben, möchte ich mich zuerst entschuldigen, dass ich mit einer so beschränkten Anzahl von Fällen vor Sie trete. Doch glaubte ich, der Aufforderung unseres Präsidenten nachgeben zu müssen, um zu weiteren Versuchen mit dem verbesserten Tuberculin Anregung zu geben. Vor der Lymphe selbst hat das Tuberculocidin den grossen Vortheil, dass es fast niemals irgend welche Reaktion oder sonstige unangenehme Nebenwirkungen

335

im Gefolge hat, weil eben die delotären Stoffe Alkaloide und Ex- traktivstoffe — daraus entfernt sind.

Dass es in schweren Fällen ebensowenig Einfluss auf den Krank- heitsprocess hat, wie die Lymphe, beweisen die beiden Fälle L und III,, während die Fälle II., V. und VI. eine günstige Einwirkung ganz unzweifelhaft demonstriren. Wie lange dieselbe anhält, resp. wie oft man nach dem Vorgange von Klebs bei den betr. Patienten noch eine erneute Injektionskur vornehmen muss und wie weit eine dauernde Heilung zu erzielen ist, bin ich natürlich nicht im Stande zu sagen.

Immerhin aber sind die von Klkbs veröffentlichten Beobachtungen ermuthigend und sollten von Seiten der Collegen Nachahmung finden, damit bei grösserem Materiale auch sicherere Schlüsse gezogen werden können.

325 Ost 19. Sm

II.

Die Pathogenese der gonorrhoischen Oelenkaffectionen.

Von

HENRY S. STARK, A. M. M. D.,

Arzt am Mt. Sinai Hospital Dispensary und N. Y. Lying-in-Asylum.

Gewiss ist von allen Complicationen im Verlaufe der Gonorrhoe die Affection der Gelenke eine der selteneren, und deren Entstehung noch nicht vollkommen begründet und deren Behandlung noch vieles zu wünschen übrig lässt.

Eigentlich hätte man erwarten sollen, dass die rege Thätigkeit auf dem Gebiete der Bakteriologie uns die noch dunklen Punkte in der pathologischen Anatomie dieser Gelenkerkrankung aufzuklären im Stande gewesen wäre. Leider jedoch sind bis heute unsere Hoffnungen in dieser Richtung nur theilweise erfüllt.

Von der Zeit an, in der dieser Gegenstand zum ersten Male gründliche Forscher beschäftigt hatte, bis zum heutigen Tage waren eine Anzahl von Theorien in Geltung über ihre Entstehung und den Zusammenhang mit der Blennorrhoe. Die Entdeckung des Gonococcus brachte einige zu Falle, während sie andere, die auf der Kenntniss von pathogenen Mikroorganismen basirt waren, befestigte.

Seitdem jedoch der Zusammenhang zwischen Gonorrhoe und Gono- coccus als über jeden Zweifel erhaben sichergestellt ist, werden die Untersuchungen nur mit dem einen Zielpunkte weitergeführt, nämlich die pathologische Anatomie der Gelenksentzündungen im Anschlüsse an Gonorrhoe auf die Anwesenheit von specitischen Mikroorganismen in dem Sekrete der Gelenke zurückzuführen.

Nach unsern heutigen Auffassungen muss also jede Theorie, die diesen genetischen Zusammenhang unberücksichtigt lässt, als der modernen Medicin wiedersprechend fallen gelassen werden. Neben der

336

noch zweifelhaften Pathologie dieser Complication der Blennorrhoe, sind es noch andere wichtige und charakteristische Eigenschaften, die für den Gegenstand mehr als gewöhnliches Interesse in Anspruch nehmen. Das seltene Auftreten, in vereinzelten Fällen die Intensität, die Endresultate, als Ankylose und Hydrops articuli, das gewöhnhche Kecidiviren bei nachfolgenden Trippern, das Auftreten bei anscheinend sicherer Abwesenheit von Gicht und rheumatischer Diathese, die Eigen- thümlichkeit auf die gebräuchlichen Antirheumatica nicht zu reagiren ; alles das begründet das Dunkel in dem sich dieser Gegenstand noch befindet, trotz des Eifers und der Arbeit, die zur Aufhellung schon angewendet worden sind.

Ohne auf die verschiedenen Stadien, die die Ergründung dieses Gegenstandes vom Beginne an durchgemacht, eingehen zu wollen, genügt es zu constatiren, dass erst in neuerer Zeit wirkliche Erfolge darin errungen wurden. Ein historischer Rückblick zeigt uns, dass schon im 16. Jahrhundert das Bestehen dieser Complication bekannt war, ihre Natur jedoch, wie die damals aufgestellten Theorien beweisen, nicht verstanden wurde.

Bis auf den heutigen Tag sind bereits Experimente in grosser Zahl ausgeführt und klinisches Beweismaterial in Menge gesammelt worden, um Aufschluss über die Pathologie zu geben, und diese Bemühungen sind durch den Erfolg einer Umwälzung der Meinungen und der Be- handlungsweise seitens der medicinischen Welt gekrönt worden. Im- merhin haben die Schwierigkeiten bei der Pathogenese dieser Compli- cation viele Mühe verursacht. Warum sich bei manchen Personen eine verhängnissvolle Prädisposition zeigt, während andere sich einer verhältnissmässigen Immunität erfreuen ; warum das Uebel in einer grossen Anzahl von Fällen mit seiner früheren Virulenz und Stärke neue Anfälle von Urethritis wieder hervorruft das Alles sind medici- nische Fragen ebenso dunkel wie das Räthsel der Sphinx und mysti- scher als der Ausspruch der Sibylle.

In meiner Inauguralthese „Die Ursachen des Tripperrheumatis- mus" vom Jahre 1886, kam ich auf Grund persönlicher Analyse von 8 Fällen zu dem Resultat, dass Septicäinie die richtige Erklärung dieser pathologischen Erscheinung sei.

Auch heute im Besitze ausgebreiteter Erfahrung und nach eifrigem Studium dieses Gegenstandes kann ich nicht umhin derselben Ueber- zeugung, wiewohl ein wenig modiflcirt, Ausdruck zu verleihen, dass nämlich das Uebel von der Resorption eitrigen Secrets durch die Adern der Harnröhre und die Lymphbahnen hindurch verursacht wird. Mit anderen Worten halte ich den Tripperrheumatismus für eine metasta- tische Krisis, die auf Verschleppung des Krankheitsstoffes von dem ursprünglichen Sitz der Krankheit zurückzuführen ist.

Um meine Schlussfolgerungen logisch zu beweisen, wird es nöthig sein folgende Stadien zusammenzufassen : Erstens wird es nothwendig werden, die giftigen Grundursachen von der ursprünglichen und me- tastatischen Krankheitsgegend zu isoliren, sodann aber wird die un-

337

leugbare Identität hinsichtlich des Characters und Auftretens dieser toxischen Elemente bewiesen werden müssen. Wieweit die Arbeiten, die einen Parallelismus der Microben der ursprünglichen Krankheit und dieser Complication zu beweisen suchen, vorgeschritten sind, er- kennen wir, sobald wir die wichtigen Ereignisse der modernen Ge- schichte dieses Uebels am Auge vorüberziehen lassen. Wir sehen, dass diese Krankheit und ihre Complication in ursächlicher Beziehung zu den das Leiden verursachenden Bacterien stehen, die übereinstimmend in Grösse, Gestalt, Auftreten, Anordnung und Earbe, mit anderen Worten vollständig identisch sind.

Der erste Schritt war die Entdeckung des specifischen Tripper- giftes auf Grund bacteriologischen und klinischen Beweismaterials. Der zweite Schritt war die Auffindung derselben Gonococcen im Exsu- dat von Patienten, die an blennorrhoischen Gelenkcomplicationen litten. Bis auf den heutigen Tag ist eine grosse Anzahl solcher Entdeckungen zu verzeichnen. So waren Hall, Wyszemski, Volkmann, Smirnoff, Petrone, Horteloup, Kammerer, Hartley u. A. im Stande die Anwesen- heit von Gonococcen in dem Pas nachzuweisen, das bei der Punction und durch Einschnitt in die blennorrhoischen Gelenke entnommen war. Immerhin fehlt noch ein Glied in der Kette, um die Identität der Coccen der Blennorrhoe und derjenigen, die in den blennorrhoischen Gelenkerkrankungengefunden wurden, unzweifelhaft nachzuweisen, das ist die Thatsache, dass kein Experimentator, der die Gonococcen im Exsudat des gonorrhoischen Gelenksecrets fand, Culturen anlegte und den Virus inocuUrte. Ist dieser Schritt mit Erfolg ausgeführt worden, dann ist vernünftigerweise kein Zweifel mehr hinsichtlich der Natur des Tripperrheumatismus und der Art und Weise seines Zusammen- hangs mit Tripper ; denn dann werden alle Bedingungen, welche den Bacteriologen zu Folge existiren müssen, bevor eine Krankheit einem specifischen Organismus zuzuschreiben ist, voll erfüllt sein.

So ist denn genügend Grund zu der Annahme vorhanden, dass die toxischen Elemente des Trippers und des Tripperrheumatismus identisch sind ; aber die Thatsache, dass noch andere pathogenetische Organismen in dem Exsudat sich demonstriren lassen, nämlich die characterischen eitererzeugenden Coccen, scheint meine Schlussfolge- rungen etwas zweifelhaft zu lassen.

Kann wirklich die Anwesenheit der Streptococcen in den Exsudaten den Beweis abschwächen? Ich glaube im Gegentheil darin einen ver- stärkten Beweis sehen zu können, dass meine Voraussetzungen und Schlussfolgerungen logisch richtig sind ; denn wir wissen, dass der beliebteste Aufenthalt der Gonococcen in den Eiterzellen oder Leuco- cyten ist, dass diese Eigenthümlichkeit aber ausschliesslich den Gono- coccen eigen ist und das wesentliche biologische Moment derselben darstellt. Es besteht sozusagen eine unzertrennliche Verbindung zwischen Gonococcen und Streptococcen ; mit anderen Worten, blen- norrhagische Processe gehören in die Keihe der „Misch-Infectionen'* und es ist deshalb wahrscheinlicher, dass der secundäre Process der

338

Blennorrhoe zur selben Art der Infection gehört. Biologisch interes- sant ist auch wenn wir die Pathogenese dieser Complication studi- ren die Tendenz dieses Diplococcus die Intercellularsubstanz der Schleimhaut zu durchdriogen nach dem subepithelialen Gewebe, wo er auf dem Wege der Lym^hbahnen Eingang finden dürfte in die allge- meine Blutbahn und eine Ausgangspforte in oder um ein Gelenk. Diese längstbekannte Wanderung des Gonococcus erklärt sein Auftre- ten in verschiedenen und von einander entfernten Theilen des Körpers, Dieses biologische Factum zwingt uns zur Annahme, dass der Gono- coccus das lebende Agens der blennorrhagischen Gelenksaffectionen ist. Einen weiteren Beweis dafür, dass blennorrhagische Gelenks- affectionen entfernte Localisation des spezifischen Giftes des ursprüng- lichen Trippers sind, gibt die unläugbare Thatsache, dass nur nach wirklicher Blennorrhoe und nie nach einem pseudo-blennorrhoischen Processe (gutartige Urethritis oder nach Balanitis) eine blennorrhoi sehe Arthritis auftritt.

Pathologisch unterscheidet sich die Arthritis gonorrhoica von an- deren Arthritiden nur durch das specifische Gift ; sie liefert dieselben Entzündungsprodukte Fibrin, Serum, Eiter, Leukocyten, Mikroorga- nismen, Epithel, Knochen und cartilaginöse Ablagerungen im Ge- lenke— die wie gewöhnlich zu Stande kommen, Adhäsionen mit dem Gelenke schaffen und dadurch beträchtlich, ja selbst dauernd die nor- male Function des ergriffenen Gelenks hemmen.

[Wir haben hier auch dieselben' Stadien der Entzündung: die An- schoppung, die Exsudation und die Organisation, d. h. das Exsudat formt sich entlang den Conturen des ergriffenen Gelenks.]

In den günstigen Fällen werden die Entziindungsprodukte wieder resorbirt und damit endet der Entzündungsprocess, die schweren Fälle gehen in Eiterung aus mit theilweiser Zerstörung des knöchernen und knorpeligen Gelenks.

In einigen Fällen überwiegt das Serum Hydrarthrosis, in anderen Eiter Pyarthrosis. In zahlreichen Fällen, die ich beobachtet habe, trat Verdickung der gelenkigen Enden der Knochen ein, mit dem Nachlass der acuten Symptome ; die Hypertrophie blieb bestehen und erzeugte dauernde xinkylose. Die typische Arthritis und Periar- thritis gonorrhoica stimmt in Form und Wesen vollkommen überein mit den Arthritiden anderen Ursprungs, als Trauma, Septicämie, Pyämie, Syphilis und Tuberculose ; wir haben hier ebenso acute, sub- acute und chronische Formen und es kann ein Gelenk oder auch meh- rere erkrankt sein.

Es würde nun kein anderes pathognomonisches Zeichen für die Dif- erential diognose der blennorrhoegischen Gelenksaffectionen geben als die Anwesenheit des Gonococcus; und doch sind wir im Stande klinisch und aetiologisch ein ganz bestimmtes klinisches Bild der Arthritis gonorrhoica zu entwerfen selbe gehören nicht in den Bereich unseres Artikels. Ich habe absichtlich Verschiedenes in Bezug anf Ursprung und Entwicklung der gonorrhoischen Gelenksaffectionen unerörtert

339

gelassen, weil sie nur den Stempel des Alters tragen, jedoch nicht nachgewiesen sind durch die Bakteriologie den Prüfstein der mo- dernen Pathologie.

Eine dieser Lehren, die vaso-motorische Theorie, erklärt die Com- plication als eine reflectorisch wirkende vaso-motorische Störung, deren Ausgangpunkt die entzündete Urethra ist ; nach einer anderen Ansicht spielt die rheumatische oder gichtige Diathese bei gewissen Individuen eine Rolle und daher die Complication im Gelenke, welche also mit anderen Worten nur zufällig auftritt. Dass solche Theorien hinfällig sind, liegt auf der Hand und müssen selbe als veraltet angesehen wer- den im Lichte der heutigen Wissenschaft, die experimentell und auf dem Wege der Erfahrung lehrt, dass einzig und allein der Gonococcus der massgebende und entscheidende Factor ist.

Die Infectiou bei typischer acuter Blennorrhoe bleibt keineswegs in der männlichen Urethra oder in der Vagina stehen, sondern greift zumeist auch auf andere Organe und Gewebe über, daher sprechen Autoren von Endocarditis blennorrhoica, blennorrh. Exanthemen, blennorrh. Opthalmie, Iritis, Scleritis blennorrh. und Adenitis blenn.

Die einzige Erklärung für dieses Uebergreifen in wenigen Fällen müssen wir in der Natur des Gonococcus selbst suchen, in seiner vita- len Kraft und Fähigkeiten, ferner ob derselbe den günstigen Nähr- boden hat und andererseits, dass eine gewisse Idiosynkrasie des be- fallenen Individuums vorliegt. Nur so erklärt sich eine eigenthüm- liche Immunität gewisser Individuen und eine besondere Prädisposi- tion Anderer. In Ermangelung genügend beobachteter Thatsachen ist das Gebiet heute noch lange nicht abgeschlossen.

270 Ost 7. Str.

III.

Ein Fall von Insolatio mit sehr hoher Temperatur.

Von

Dr. J. WOHLPARTH,

New York.

Am 12. August d. J., Nachmittag gegen 4 Uhr, wurde ich von einem Unbekannten ersucht, sogleich mitzukommen seinen sterbenden Freund Patrick G., in der, einige Blocks entfernten Wohnung, zu sehen. Der Bote berichtete, sein Freund sei besinnungslos, konnte im Uebrigen keine nähere Auskunft ertheilen, drängte zur Eile und ich folgte dem vorauseilenden Hiobsboten so gut es die drückende Schwüle des feuchtwarmen Tages gestattete.

Im Hause angelangt, fand ich im zweiten Stockwerk in einem schat- tigen Zimmer einen grossen muskulös gut entwickelten, theilweise an- gekleideten Mann auf dem Bette ausgestreckt liegen. Der Patient war vollständig bewusstlos, mit tief cyanotischem Gesicht, die Pupillen

340

stecknadelkopfgross zusammengezogen, auf Lichtreiz nicht reagirend, die Conjunctive stark injizirt, die entblössten Körpertheile bei Berüh- rung trocken und brennend heiss ; die Halsadern pulsirten gewaltig ; die Athmung war langsam, unregelmässig, forcirt, stertorös ab und zu stöhnend ; Herzimpuls mit 116 Schlägen per Minute, regelmässig aber so gewaltig forcirt, dass man dieselben in einiger Entfernung vom Körper hören konnte und die breite kräftige Brust bei jedem Herz- schlag sichtlich erbebte; im Verhältniss zu diesem enormen Herzschlag war der Kadialpuls schwach ; für sich selbst betrachtet jedoch kräftig und hart. Das inzwischen in der Axilla placirte Thermometer zeigte 110° F. (43,33° C). Diese Temperatur, die Steifheit der Muskeln, sowie des Fehlen von Lähmungserscheinungen indicirten einen voraussicht- lich letal verlaufenden Fall von Insolatio stenotischer Natur.

Während ich mit dem spärlich herbeigebrachten Eis und Wasser und einigen zusammengesuchten Tüchern Umschläge auf alle entblöss- ten Körpertheile machte, war die einzige mir zu Gebote stehende Hülfs- person, der Freund, welcher mich gerufen hatte, spurlos verschwunden, nachdem ich ihm auf Befragen gesagt hatte, dass der Kranke wahr- scheinlich sterben würde, um in kurzer Zeit mit einem Diener der Kirche wiederzuerscheinen und während dem Sterbenden die letzte Oelung applicirt wurde, erschien (vermuthlich auf Veranlassung der Hauswirthin) ein Polizist in Begleitung eines Ambulanzarztes des Har- lem Hospital, welchem ich die weitere Pflege des Kranken um so lieber abtrat, als es unmöglich war hinreichend Eis für kalte Umschläge ge- schweige denn Uebergiessungen und Einwickelungen, im Hause aufzu- treiben und mir der Ambulanzarzt versicherte, dass sie (?) schon Fälle mit so hoher Temperatur durchgebracht hätten. Kurz vor Erscheinen der Ambulanz war die Temperatur auf 108° F. (42,22° C.) gefallen, doch berichtete ich dem Arzt die vorhergefundene Temperatur von 110 F. Als ich am nächsten Tag in dem Hospital vorsprach, wurde mir der freilich nicht unerwartete Bescheid, dass Patrick G. auf dem Wege nach dem Hospital gestorben sei, zu Theil.

Der Fall interessirte mich hinreichend, um Erkundigungen über das Verhalten des Verstorbenen vor dem Anfall einzuziehen, und er- mittelte ich von dessen Hauswirthin, dass Patrick G. in den Stallungen einer Express-Compagnie als Geschirr- und Wagenreiniger angestellt war, tlieils Tag- und theils Nachtdienst thuend ; er war Potator, jedoch nicht übermässig und mit vorzüglichem Appetit, welcher jedoch wäh- rend einiger Tage vor dem Tode nicht so gut wie gewöhnlich war, trotz- dem nahm er am Morgen des Sterbetages ein ziemlich gutes Frühstück zu sich, arbeitete bis Mittag, kam nach Hause, beorderte um 4 Uhr Nachmittags geweckt zu werden und begab sich auf sein Zimmer, wo man ihn gegen 4 Uhr in dem beschriebenen Zustande antraf.

Es dürfte überflüssig erscheinen über einen Fall, wie diesen, noch dazu mit letalem Ausgange zu schreiben, wenn nicht derartige Fälle in der Privatpraxis verhältnissmässig selten vorkämen und gerade ein aus der Privatpraxis berichteter Fall dürfte zu Vorschlägen über die

341

Behandlung, wie solche ausserhalb des Hospitals ausgeführt werden kann, besonders anregen, sei es gestützt auf praktische Erfahrung oder theoretische Grundsätze.

Die Pathogenese des Sonnenstichs ist noch sehr in Dunkel gehüllt und die Physiologie hat bis jetzt noch keine bestimmte Erklärung der plötzlich ansteigenden hohen Temperatur geben können ; dass eine Störung resp. Zerstörung des Wärme -Reg ulations Centrums stattfindet, wird zwar vermuthet aber nicht bewiesen.

Unter dem Kapitel über Aufspeicüerung der Wärme im Körper, sagt L.\NDOis in seinem Lehrbuch der Physiologie : „Wird die Körper- temperatur durch und durch um etwa C. erhöht, so tritt der Tod ein, wie beim Hitzschlag oder dem Sonnenstich. Es scheint bei diesem Wärmegrade eine molekuläre Decomposition der Gewebe vor sich zu gehen."

Aronsohn und Sachs, ebenso Richet haben durch direkten Reiz des Wärme-Centruins im Hirn von Kaninchen vorübergehende Tempera- tursteigerung des Körpers erzielt, Jedoch nicht hoch genug um Er- scheinungen zu erzeugen, wie sie beim Sonnenstich beobachtet wurden und bei wiederholten Reizen trat bedeutende Temperaturerniedrigung ein mit tödtlichem Ausgange, während bei Sonnenstich, wie später zu erwälinende Beispiele zeigen, der Tod bei steigender Temperatur statt- finden kann.

Die in neuester Zeit von Maas an Thieren angestellten Versuche veranlassten die Annahme der Anhydrämie-Theorie, doch vermag die- selbe besonders die Fälle stenotischer Natur nicht zu erklären, da dieser Theorie gemäss eine hochgradige Verminderung des Tonus der Blutgefässe und somit ein lebensbedrohendes Absinken des Blut- druckes bedingt wird. Otto Huebner fühlt sich in seinem ausführ- lichen Aufsatz über Hitzschlag in Eqlenburg's Real Encyclopaedie der gesammten Heilkunde, nach Auseinandersetzung der MAAs'schen Theorie und der darauf basirten Behandlung zu folgendem Ausspruch bewogen :

„Aber einen Punkt klärt auch die MAAs'sche sinnreiche Theorie nicht auf. Bei seinen Versuchen trat mit der Anhydrämie neben dem Absinken des Blutdruckes zugleich eine erhebliche Erniedrigung der Temperatur und selbst bei künstlicher Ueberwärmung des Thieres nur ein unerhebliches Ansteigen derselben auf. Dagegen sind die Körper- temperaturen beim Hitzschlag meistens excessiv, oder zum Mindesten recht hoch."

Der im Medical Record (1889, Vol. 36, No. 11) von Dr. R. Ellis er- wäimte Fall von Genesung bei einer Aftertemperatur von 109° F., Puls von 160, blassem Gesicht, schweissbedecktem Körper u. s. w. war nicht stenotischer Natur, so dass das kalte Bad und diverse Herztonica in diesem Falle zur Bekämpfung ausreichten.

Fünf Fälle mit Genesung, von Dr. H. A. Haubold im Medical Record von 1891 (Vol. 38, No. 18) rapportirt, waren stenotisch, dieselben wur- den im St. Vincent Hospital aufgenommen, mit Phlebotomie und

342

kaltem Bad behandelt und daraufhin empfiehlt Dr. Haubold Phleboto- mie in allen derartigen Fällen ; er betrachtet Phlebotomie als Rettungs- mittel sine qua non ; da jedoch gleichzeitig Eisbäder angewendet wurden, dürfte der Blutentnahme per se wohl kaum der Rang einge- räumt werden, welcher für dieselbe beansprucht wird, war ja auch in meinem Falle in ca. zehn Minuten die Temperatur bei nur theilweiser Befeuchtung des Körpers von 110° F. auf 108° F. gesunken. Von guten Autoren (z. B. Loomis) wird vor Venaesectio gerade in derartigen Fällen gewarnt.

Dr. L. Bremer in The Medical Fortnightly, [Vol. II., No. 4], nimmt, gestützt auf persönliche Beobachtungen, Anhydrämia" und „Supercar- bonization" wenn auch nicht als ausschliessliche Hauptfaktoren, so doch als Zustände von höchster Wichtigkeit an ; die Anhydrämia bekämpft er nach der MAAs'schen Theorie mit Zufuhr von physiologi- scher Kochsalzlösung, per os, per rectum und intravenös ; Venaesectio combinirt er mit Flüssigkeitszufuhr in desperaten Fällen.

Die „Supercarbonization" behandelt Bremer mit Sauerstoff-Einath- mung und in allen Fällen Abkühlung nach rationellen Methoden. In seinen Fällen mit letalem Ausgange, Fälle in welchen paralytische Symptome vorherrschten, schreibt er den Tod den von vorneherein stattfindenden Verletzungen der Respirations- und Herz-Centern zu.

Otto Hüebxer befürwortet irgend eine schnell ausführbare Abküh- lung durch kaltes Wasser oder Eis, reichliche Flüssigkeitszufuhr, künstliche Respiration. Gegen Herzschwäche subcutane Injektionen von Camphor oder Aether, innerlich wenn möglich Cognac u. dergi.

Samuel nimmt unter dem Kapitel „Heilung" in Eulenbürg's En- cyclopaedie 44° C. als todbedingende Temperatur bei Sonnenstich an ; nur wenn diese Maximal-Temperatur noch nicht erreicht ist, erfolgt bei Fortfall des erhitzenden Einflusses Reconvalescenz unter raschem Ab- sinken der Eigenwärme.

Den mündlichen Mittheilungen des Herren Dr. F. W. Stone ver- danke ich die Auskunft über den Verlauf von fünf Fällen von Sonnen- stich, die unter der Vermuthung von Trauma in den Jahren 1890 und 1891 in der chirurgischen Abtheilung des Bellevue Hospitals Aufnahme fanden.

In allen Fällen war das Eiswasserbad ausreichend die Temperatur in kurzer Zeit auf 102^ F. und 103° F. herabzusetzen und drei der Patienten, welche mit Erniedrigung der Temperatur das Bewusstsein zurückerlangten, konnten sehr bald als genesen entlassen werden, während zwei der Patienten mit Rectal-Temperaturen von 110° F. oder vielleicht noch mehr, da 110° F. das limitum der Thermometerscala war, bei Herabsetzung der Temperatur im Bade, das Bewusstsein nicht wiedererlangten und unter sehr schneller Wiederansteigung der Tem- peratur verschieden und zwar fuhr die Temperatur fort zu steigen noch kurze Zeit nach dem Tode.

121 Ost 128. Str.

343

NEW YORKER MEDICmiSCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für praktische Aerzte in Amerika. Kedigirt von De. f. C. heppenheimer.

EDITORIELLE NOTIZEN. 15. September 1892.

Die künstliche Schutzimpfung von Thieren gegen Cholera asiatica.

Jetzt, wo die Cholera in so vielen Ländern unseres benachbarten Continents wüthet, darf diese Infectionskrankheit und noch mehr deren eventuelle Behandlung wohl mit Eecht das höchste Interesse sämmt- licher Mediciner für sich in Anspruch nehmen. Brieger und Wasser- mann ist es gelungen durcli Injectionen von mit Thymusdrüsen- extract vorbehandelteuCholeraculturen, später einfach durch Injection von bei 65° C. fünfzehn Minuten lang erwärmten Choleraculturen, bei Meerschweinchen Immunität gegen Cholera hervorzubringen. Die Arbeit darüber findet sich in der „Deutschen Medicinischen Wochen- schrift," (1892, Nr. 31), und wir halten dieselbe für wichtig genug, sie der Hauptsache nach hier zu citiren. Brieger und Wassermann be- schreiben ihre Versuche, wie folgt :

„Alle unsere Versuche wurden mit einer aus Massauah stammenden Cultur ausgeführt, und zwar arbeiteten wir zunächst mit den Thymus- auszügen weiter. Wir verfuhren dabei in der Weise, dass wir Cholera- bacillen 24 Stunden lang auf dem Thymusnährboden wachsen Hessen, alsdann bei 65° C. fünfzehn Minuten lang oder auch bei 80° C. während zehn Minuten erwärmten und die so präparirte Cultur 24 Stunden im Eisschrank stehen liessen und alsdann damit die Thiere der Vor- behandlung unterwarfen. In der Regel verabreichten wir den Thieren, ausschliesslich Meerschweinchen, intraperitoneal 4 ccm. dieser Flüssig- keit innerhalb vier aufeinanderfolgenden Tagen. Die Thiere wurden alsdann, wie wir schon früher beschrieben haben, besonders nach der ersten Injection von mehr oder minder schwerem Unwohlsein befallen, welches aber am nächsten Tage bereits verschwunden war. Die Körper- temperatur zeigte in dieser Zeit gewisse auffällige Schwankungen. In den ganz leichten Fällen reagirten die Versuchsthiere 3—5 Stunden nach Beginn der Vorbehandlung mit erhöhter Eigenwärme bis zu40°C. Die Normaltemperatur von Meerschweinchen liegt zwischen 38—39° C. Traten indessen schwerere Allgemeinsymptome bei den Meerschwein- chen auf, so ging die Körpertemperatur für einige Stunden auf 2—3° C. unter die Norm herunter. Alle diese Thiere befanden sich jedoch am nächsten Tage wieder völlig wohl. Bei Wiederholung dieser Injection machten sich die gleichen Erscheinungen, aber in viel ge- ringerem Maase^von neuem bemerklich.

344

Derart vorbehandelte Thiere erwiesen sich sofort nach der letzten Injection, d. h. am 4. 5. Tage nach der ersten Injection, widerstands- fähig gegenüber den Cholera Vibrionen. Und zwar ertrugen dieselben von der für nicht vorbehandelte Thiere innerhalb 12—15 Stunden tödt- lich wirkenden Dosis das dreifache.

Gleich nach der Injection solcher vollvirulenten Choleraculturen stieg bei den vorbehandelten Thieren die Temperatur um einen Grad über die Norm, um alsdann im Verlaufe von zwei bis drei Stunden um zwei bis drei Grade zu fallen.

Die Controllthiere dagegen lagen zu dieser Zeit bereits schlaff auf der Seite, häufig von Krämpfen durchzuckt, und die Temperatur war bis auf 32° C. gesunken. Kurz darauf starben diese Thiere, während die vorbehandelten Meerschweinchen am nächsten Morgen sich wieder völlig erholt hatten.

Weiterhin haben wir untersucht, welche Minimaldosis dieser Schutz- flüssigkeit erforderlich ist, um ein Meerschweinchen gegen die sicher tödtliche Gabe vollvirulenter Choleraculturen widerstandsfähig zu machen. Nach unseren Erfahrungen genügt schon je ein Cubikcenti- meter der oben beschriebenen Schutzflüssigkeit, an zwei auf einander folgenden Tagen injicirt, um für ein Meerschweinchen von 300 400 gr. das gewünschte Resultat zu erzielen.

Da indessen diese Methode wegen der hierzu nothwendigen Ver- arbeitung von Thymus gewisse Schwierigkeiten bietet, suchten wir auf Veranlassung von Herrn Geheimrath Koch Wege zu finden, welche auf einfachere Weise gleich günstige Erfolge geben.

Am zweckentsprechendsten erwies es sich, Choleravibrionen in der gebräuchlichen Fleischwasserpeptonbouillon zu züchten und diese Culturen dann am folgenden Tage fünfzehn Minuten lang auf 65° C. zu erwärmen. Mit dieser Flüssigkeit wurden dann die Thiere in analoger Weise, wie oben erwähnt, behandelt.

Sämmtliche derart vorbehandelte Meerschweinchen haben die doppelt tödtliche Dosis vollvirulenter Choleraculturen ertragen, wäh- rend die Controlthiere ausnahmslos an Cholera zugrunde gingen.

Die geringste Dosis von erhitzten Bouillonculturen, welche noch Schutzkraft verleiht, betrug auch hier 2 com. Dieser Schutz trat bereits 48 Stunden nach der ersten Injection ein und hielt mit Sicherheit noch nach circa zwei Monaten vor, entsprechend den Angaben in unserer ersten Arbeit.

So haben wir Thiere am 12. Mai dieses Jahres nach dieser Methode vorbehandelt, und am 14. Mai, also nach 48 Stunden, vollvirulente Choleraculturen injicirt. Diese Thiere blieben völlig gesund und erhielten nun am 6. Juli dieses Jahres nochmals die doppelt tödtliche Dosis. Die Controlthiere waren am nächsten Tage todt, während die vorbehandelten Thiere auch gegen diese zweite Injection mit den vollvirulenten Culturen sich völlig widerstandsfähig zeigten und auch jetzt noch ganz wohlauf sind.

Da es hiernach den Anschein gewinnt, als ob die Cholerabacillen

345

allein schon durch Erhitzen so verändert werden, dass die giftige Wirksamkeit derselben zurücktritt, ihre immunisirende dagegen bleibt, und man gegen unsere früheren Methoden den Einwand erheben konnte, dass die Hitzewirkung alloin massgebend sei, so haben wir den Versuch noch in der Weise angestellt, dass wir zu dem Thymusextract von Agarcultaren abgekratzte Choleravibrionen zusetzten und auf Eis mehrere Tage Hessen. Mit dieser so vorbehandelten Flüssigkeit, die nicht erwärmt wurde, haben wir Immunität in gleichem Umfange erreicht und damit wiederholt den Beweis geliefert, dass der Extract der Thymusdrüse an und für sich die von uns in unserer früheren Arbeit geschilderte specifische Wirkung hat.

Die näheren Angaben, worauf diese Widerstandsfähigkeit beruht, sowie die ausführliche Mittheilung und die Protokolle über weitere Versuche werden in einer späteren Publication erfolgen."

REFERATE.

Innere Medicin— Referirt von Dr. AD. ZEDERBAUM.

Herzkrank oder Magenkrank ? Ein Beitrag zur Kenntniss der Inner- vationsstbrungen des Herzens. Von Dr. Th. Kirsch. (Deutsche Med. Wochenschr., Nr. 32, 1892.)

Verfasser beschäftigt sich in seiner Arbeit nur mit solchen Fällen ge- störter Herzinnervation, bei denen diese Störung zwar im Vordergrunde steht, jedoch als eine secundäre Erscheinung anerkannt werden muss, während das primäre Leiden im Magen begründet liegt. Die hier in Betracht kommende gestörte Herzfunktion äussert sich entweder als reine Tachycardie (enorme Pulsbesclileuniguug), oder als vollständige Arhythmie bei regelloser Folge der Pulse, oder endlicli als Intermittenz bei sonst regelmässigen Pulsvvollen. Die vom Verfasser in der Littera- tur über Herz- und Magenkrankheiten " gefundenen diesbezüglichen Fälle liefern unzweifelhaft den Beweis des intimen Zusammenhangs irregulärer Herzthätigkeit mit gestörter Verdauung. Die objectiven Krankheitserscheinungen pflegen bei diesem Leiden derart zu sein, dass der Patient durch die ihn alarmirenden und beunruhigenden Herz- l)alpitationen auf den Gedanken geleitet wird, dass er herzkrank sei. Eine sorgfältige Untersuchung des Herzens, sowie anamnestische Daten, verbunden mit einer längeren Beobachtung führen jedoch sehr bald zur richtigen Diagnose. Die in solchen Fällen von den Verdauungsorganen ausgehende gestörte Herzthätigkeit äussert sich entweder als paroxys- male (acute) oder als habituelle (chronische) Erkrankung.

Veifasser schildert nun eingehend das Krankheitsbild bei beiden Formen und sucht die hierbei in den Vordergrund treten- den Symptome genauer zu erklären. Als constante Begleit- erscheinung der irregulären Herzthätigkeit ist hier stets eine mehr oder weniger starke tympanitische Auftreibung des Magens und Colons infolge Ansammlung von Gasen (Atonie) zu verzeichen, so dass also, neben der reflectorischen Störung der Nerventhätigkeit des Herzens, auch eine rein mechanische Beeinflussung des Letzteren von Seiten des Magens, die einen schädigenden Einfluss auf die Herzbewegung ausübt, angonoinnien werden kann. Für die Abhängigkeit der Herzsymptome vom Verdauungsapparat und für die Annahme einer primären Er- krankung des Magens eventuell Darmes fällt ins Gewicht, dass die

346

Uaregelmässigkeit immer zuerst im Abdomen auf tritt, während bei den primären Herzerkrankungen, die ja auch mit Pulsarliythmie, Athem- besch werden, Aufgetriebensein des Leibes, Drang zur Defäcation, ein- hergehen, stets die Ei'sclieinungen der Angina pectoris den Abdominal- erscheinungen vorangehen. Die Prognose ist nicht ungünstig, da die EntWickelung eines organischen Herzleidens aus einer Herzneurosu, soweit bislier bekannt, nicht vorkommt. Entscheidend bleibt natürlich für die Prognose der Umstand, in wie weit das Grundleiden (der dys- peptische resp. atonische Magen) gebessert oder ganz beseitigt werden kann. Die Therapie wird natürlich den Hebel an der mangelhaften resp. gestörten Verdauung anzusetzen haben, da die sogenannten Herz- mittel hier selbstredend nutzlos sein würden. Sie hat sich nach den besonderen Verhältnissen zu richten und vor Allem die allgemeine Hyperaesthesie des Kranken zum Zielpunkt zu nehmen.

The Salts of Strontium. By Dr. Harry L. Clayton in Middletown, Del.

(„The Times and Register", 1892, No. 23.)

In ihrem chemischen Verhalten den Bariumsalzen sehr nahe stehend, unterscheiden sich jedoch die Salze des Strontiums, schon durch ihre Ungiftigkeit, wesentlicli von Ersteren. Baryt und Strontian kommen in der Natur stets nebeneinander vor, und es ist sehr schwer ein baryt- freies Strontiumsalz darzustellen. Dies mag wohl die Ursache sein, dass das Strontium bisher in der Therapie keine Verwendung gefunden hatte. In letzterer Zeit haben namentlich die Franzosen ihre Aufmerk- samkeit dem Strontium zugewandt und eine Reihe von Arbeiten ver- öffentlicht, die sowohl die Ungiftigkeit der Strontiumsalze, sogar in grösseren Dosen und bei längerem Gebrauch, bestätigen, als deren viel- seitigen therapeutischen Wertli demonstriren. Auch C. gelangt, auf Grund seiner Experimente an Thieren und an sich selbst, zu denselben Resultaten und prophezeit dem Strontium eine Zukunft als therapeu- tisches Mittel. Er fand, dass die Strontiumsalze verdauungsbef ordernd und appetiterregend wirken, uud dass sie sich besonders für Fälle von Verdauungsstörungen eignen, welche mit Flatulenz und Hyperacidität des Magensaftes einhergehen. Das Strontium bromid leistet dasselbe wie das Bromkalium und ist, namentlich bei Epilepsie, letzterem vor- zuziehen, da es den Magen nicht angreift und gut vertragen wird. Das Strontiumlactat hat entschieden diuretische Wirkung und verdient an- gewandt zu werden in Fällen, wo eine Steigerung der Diurese erwünscht ist. Die Strontiumsalze sollen auch die Albuminurie günstig beein- flussen, sowie überhaupt von guter Wirkung bei Nephritis sich erwiesen haben. Eine richtige Bedingung bei Anwendung der Strontiumsalze ist ihre chemische Reinheit. Beimengungen von Baryt werden nachgewie- sen durch doppeltchromsaures Kali, welches selbst in sehr grosser Verdünnung mit Barytsalsen einen Niederschlag giebt, der bei reinen Strontiumsalzen ausbleibt. Auf diese Weise kann man eine Verun- reinigung der Strontiumsalze durch 1/2000 Baryt nachweisen.

Sur l'emploi de la Solanine dans les Affections de l'estomac avec predo- minance de 1' element gastralg^que. Par le Dr. Desnos ä Paris. (Bull. Gen. de Therap., 30 Juin 1892.)

D. empfiehlt das Solaniu als sicher wirkendes Beruhigungsmittel bei denjenigen Affectionen des Magens, die von anhaltenden Schmerzemp- findungen begleitet sind, und versichert, dass dasselbe in dieser Bezie- hung viel zuverlässiger sei, als Cocain, Chloroformwasser uud das neuerdings in Frankreich aufgekommene Strontiumbromid. Zwar ist der Preis des Solanin noch sehr hoch, so dass es vor der Hand nur für reiche Leute zugänglich ist, doch ist dies nur so lange der Fall, als das Mittel für therapeutische Zweckenoch wenig gebraucht wird. Er selbst

347

hatte Gelegenheit, es in einer grossen Anzahl von Fällen (Gastralgie, schmerzhafte Dyspepsie, alcoholische Gastritis, mit und ohne Magendi- latation, etc.) zu erproben, und war stets mit den Resultaten ausseror- dentlich zufrieden. In einem Falle von Magengeschwür, einhergehend mit ßluterbrechen, erzielte er mit Solanin eine rasche Besserung der subjectiven Empfindungen. Derselbe Erfolg war zu constatiren bei einem Kranken mit Pyloruskrebs, complicirt durch oftes Erbrechen. Das Solanin wird von ihm in Dosen von 2 Grau in Pillen form ver- schrieben, da hypodermische Einspritzungen desselben zu schmerzhaft sind. Er lässt gewöhnlich eine Pille etwa eine halbe Stunde vor der Mahlzeit nehmen. Pro die sollen höchstens 2 Gran gegeben werden. Das Solanin ist bekanntlich in den Keimen den Kartoffeln enthalten. Es wird von manchen Chemikern als Alkaloid, von Anderen hingegen als Glucosid betrachtet, welclies, bei Bearbeitung mit Säuren, sich in Glucose \md Solanidin spaltet.

Zwei mit Syzygium Jambolanum behandelte Falle von Diabetes melli- tus. Von Dr. Wold. Gerlach" in Dorpat. (St. Petersb. Med. Woch., '^^ 1892, No. 19).

Die hier beschriebenen Fälle sind insofern von Interesse, als sie in keiner Weise den Erwartungen entsprechen, die man in letzter Zeit von verschiedener Seite auf die antidiabetische Wirkung des Jambul ge- setzt hat. Beide Fälle gehörten in die Kategorie der leichteren und besserungsfähigen Diabetesformen, Im ersteren trat auf Syzygium (20—40 Gramm pro die der in toto pulverisirLen Frucht) keine Besse- rang ein, im, zweiten (Tagesgaben von 30 bis 60 Gramm !) konnte sogar eine unzweifelhafte Verschhmmerung coustatirt werden. Einen Vor- zug hat übrigens das Jambul : das ist seine grosse Ungefährlichkeit, da selbst 60 Gramm des gepulverten Samens nur vorübergehende Uebelkeit und leichten Schwindel zu erzeugen vermochten. Trotz dieses ungünstigen Resultates ist Verfasser nicht geneigt, das Syzygium ganz zu verwerfen. Ueberblicken wir nämlich die Resultate einiger neuer Arbeiten über die Entstehung der Zuckerharnruhr, so finden wir, dass jedenfalls mehrere genetisch verschiedene Diabetesformen anzunehmen sind. So entsteht z. B. der experimentelle Phlorizin- diabetes offenbar durch eine Läsion in den Nieren, welche dieses Organ für Zucker durchlässiger macht, und es ist gerade bei dieser Form, bei der die günstige Wirkung des Jambul zuerst erzielt wurde. Wie sich die Verhältnisse bei den anderen Diabetesformen, und namentlich bei der durch Pankreasexstirpation erzeugten, viel schwereren Zucker- harnruhr in Bezug auf Jambul gestalten, wird vom Verfasser nicht näher erörtert. Er nimmt dIos an, dass seine zwei Fälle möglicher- weise zu derjenigen Form des Diabetes gehörten, welche für die Jam- bulbehandlung überhaupt ungeeignet sind, während in anderen Fällen und Formen eine günstige Wirkung des Mittels wohl denkbar ist. Experimentell ist für das Syzygium bisher, ausser einer günstigen Wirkung auf den Phlorizindiabetes, in neuerer Zeit jedenfalls eine hem- mende Einwirkung auf die zuckerbildende Kraft des Blutes, Speichels und Pancreassaftes festgestellt worden.

Urinary Troubles in Advanced Life Relieved by Phenacetine. By Dr. Traill Green in Easton, Pa. (University Med. Mag., June 1892.)

Bei häufigem Harndrang der alten Leute , namentlich in der Nacht- zeit, hat Verfasser, durch Zufall geleitet, in mehreren Fällen als sehr wirksames Gegenmittel das Plienacetin angewandt. Eine Einzeldose von 10 Gran vor dem Schlafengehen pflegt diesen Zustand für die 1^ ganze Nacht zu beseitigen und dem Patienten eine ungestörte Ruhe zu sichern.

348

lieber das Piperazin. Erfahrungen bei Gicht und Nierensteinleiden. Von Dr. Biesenthal in Berlin, (Fischer's Verlag, 1892.)

Verf. hat sich am eingehendsten von den praktischen Aerzten mit Piperazin beschäftigt und bereits früher von seinen Erfahrungen mit demselben in der .,Berl. klin. Woch." berichtet. Er empfiehlt auch jetzt das P. auf's wärmste, da es zum ersten Male alle von einem harn- säurelösenden Heilmittel geforderten Eigenschaften erfülle. Frei von jeder ätzenden Wirkung, übt es selbst bei grossen und lange fortge- setzten Gaben keinen schädigenden Einfluss auf Magen, Herz und Ge- hirn aus. Die grosse Lösungskraft für Harnsäure, die es im Keagens- glase aufweist, behält es auch im menschlichen Organismus, sowohl bei kleinen Dosen per os, als bei kleinsten subcutan. Das P. zeigt seine heilende Wirkung auch in den ältesten Fällen. Verf. ist für das P. so eingenommen, dass es für ihn geradezu zum diagnostischen Hilfsmittel geworden ist : wo es seine Wirkung versagt, dort liegt für ihn kein Gichtfall vor. Den Berichten über seine eigenen Krankheits- fälle fügt Verf. noch einige Krankheitsgeschichten hinzu, die ihm von befreundeten Collegen (Dr. Pfeiffer in Wiesbaden, Dr. v. Herget in Kralup, Dr. Eitter in Dresden, Prof. Schweninger in Berlin, welch' Letzterer über mehr als 150 erfolgreich mit Piperazin behandelte Gichtfälle verfügt) zugegangen sind.

Chirurgie.— Referirt von Dr. FRANZ TOREK.

Die operative Behandlung der Diphtherie in Fürth, 1874—1892. Von Dr. Wilhelm Mayer. (Münchener Med. Wochenschrift, 1892, No. 14.)

M. hat alle in der angegebenen Zeit in Fürth gemachten Tracheo- tomien zusammengestellt, im Ganzen 316 Fälle, von denen er 126 selbst operirt und bei weiteren 50 zugegen war. Geheilt wurden 103, = 32.5 Proc. Indication war stets die Erstickungsgefahr, Was das Alter an- betrifft, so dringt er schon vom 1. Jahr ab auf die Operation. Die Zeit ist, wegen des Widerspruchs der Eltern, mit wenigen Ausnahmen stets das letzte Stadium der Erstickung gewesen, viele Fälle wurden sogar in directer Agoue operirt. 12 Kinder blieben todt auf dem Tisch. Während eine Frühoperation selten erreichbar ist, so soll man andrer- seits die Operation ja nicht hinausschieben. Es ist wohl sicher, dass bei dauernder Stenose der oberen Luftwege die Blutüberfüllung Ate- lectase und entzündliche Infiltration besonders der unteren Lungen- partien hervorrufen muss. Emphysem der oberen Partien der Lunge durch Kückstauung der Luft in der Exspiration ist dagegen vielfach be- schrieben. Zuweilen sieht man auch, was Cnopf beschrieben hat, dass die Lungengrenzen sich beträchtlich tiefer stellen, ein Zeichen emphy- sematöser Ausdehnung auch der unteren Partien.

In lichtarmen Räumen operirt M. bisweilen am von der Tischplatte herabhängenden Kopf um besser zu sehen und den Hals gut anzuspan- nen. Bei der Tracheotomiasuperior wird nach der Bose'schen Methode die Fascie auf dem Ringknorpel quer durchschnitten ; dann fasse man mit zwei anatomischen Pincetten breit das Gewebe zu beiden Ssiten des Knorpels und ziehe so die Drüse nach unten ; jetzt öffne man die oberen Tracheairinge. Die Inferior ist leicht bei wenig Fett, wenig vollen Ge- fässen und längerem Hals, in der Mehrzahl der Fälle ist sie jedoch be- deutend schwerer, als die Superior. Ist die Trachea geöffnet, so lässt man sich zur Einführung der Canüle Zeit bis die Luftröhre frei von Häuten, Schleim, etc., ist. Zur Beseitigung dieser genügt fast stets kräftige künstliche Respiration. Der Catheter ist nur selten nöthig ; ausnahmsweise mag eine langgestielte Curette mit stumpfer Oese von

349

Nutzen sein, besonders bei Nachoperationen. Die Hautwunde wird vernäht.

Das Inhaliren hat Autor aufgegeben ; feuchte Luft im Krankenzim- mer, Bedeclcen derCanüle mit feuchter Gaze genügen. Den Hals jedoch pinselt er mit einer stärkeren desintlcirenden Lösung ; vorübergehend braucht er 1 pro mille Sublimat, für längeren Gebrauch die Rotter'schen Pastillen, 1 : 250,0 zum Gurgeln, 1 : 125,0 zum Pinseln.

Die Entfernung derCanüle geschieht, wenn eine an beiden Köhrchen gefensterte Canüle vorn verschlossen etwa 1 Tag lang die Kehlkopf athmung ermöglichte ; dies geschieht gewöhnlich in den ersten beiden Wochen. Ausnahmsweise erfordern Schwellungszustände oder Granu- lationsbildungen einen weiteren Eingriff; meist bringt langes Zuwarten an's Ziel (in einem Falle l Jahr lang).

Von der Intubation ist der Autor nicht erbaut. Seine Erfahrung be- schränkt sich auf 9 Fälle. In zweien dieser Fälle wurde die Intubation in der Nachbehandlung nach der Tracheotomie angewendet als die Canüle in der dritten Woche entfernt wurde. Diese verliefen günstig,- die ül)rigen sieben, jedoch starben entweder oder machten mindestens eine Tracneotomie nöthig. Er führt an, dass das Einführen der Tube und noch mehr das Heraushohm derselben einer sehr gründlichen üebung bedarf. Das Widerstreben der Kinder Hess ihn bald auf die Intubation ohne Narkose verzichten. Bei einem Fall hatte er die Tube verkehrt gestellt. In zwei Fällen ergab die Section disseminirte pneu- monische Herde, eine bessere Gelegenheit zu Schluckpneumonie sei ja auch gar nicht zu denken. Eine Tube wurde verschluckt. (Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, dass Fehler in der Ausführung, welche vermieden werden können, nicht als Einwand gegen das Verfahren der Intubation gelten dürfen, ferner, dass die Auffindung disseminirter pneumonischer Herde noch lange nichtbeweisend für Schluckpneumonie ist. Somit erscheinen des Autors Einwände gegen die Intubation schon bei 4 aus 7 Fällen als ungenügend. Ref.) Ein Fall hielt ihn in stän- digem Trab wegen Aushustens der Tube. Zweimal wurden mit der Tube Membranen in die Trachea geschoben und erforderten schleunigst die Tracheotomie. Die Vermeidung der Infection der Wunde unter- schätzt der Autor nicht, doch sind nur ganz wenige Kinder dieser Wuüddiphtherie direct erlegen. Die Leichtigkeit der Ausführung der Intubation wird unangenehm ilankirt durch die Not eventuell der miss- lungenen Intubation die Tracheotomie anschliessen zu müssen. Sehr richtig bemerkt M., dass er es für vermessen halte, wenn ein Arzt ohne Instrumentarium zur Tracheotomie an die Intubation ginge und ohne vollständig geübt in dem Luftröhrenschnitt zu sein.

Das Pental in der chirurgischen Praxis. Von Dr. Victor Rogner.

(Wiener Med. Presse, 1891, No. 51.

Pental (C, H,,,), so genannt weil es im Molecül 5 Kohlenstoffe enthält, wird als sicheres und ungefährliches Anaestheticum empfohlen. Es ist in Fläschchen zu 15,0 Gm. vorräthig, und diese Quantität stellt die Einzeldose dnr. Vorbereitungen zur Narkose sind dieselben, wie bei der Chloroform narkose, doch muss, wegen der Kürze der Narkose, Alles zur Operation fertig, das Terrain schon gereinigt, Operateur und Assistenten am Platze sein. Eist unmittelbar vor der Narkose wird das Pentalfläschchen geöffnet und der ganze Inhalt desselben auf ein- mal in eine mit Watte ausgekleidete Esmarch'sche Maske gegossen. Diese wird wie üblich vor den Mund gehalten, und um das Verflüchtigen zu verlangsamen, wird noch eine mehrfache Compresse darübergelegt. Nach 60 bis 70 Sekunden kann die Incision gemacht werden, obgleich meist der Cornealreflex nicht erlischt. Die Narkose tritt ohne jedwedes Excitationstadium ein, und verläuft ohne Erbrechen, etc. Das Er-

350

wachen fängt zu Beginn der 4ten Minute an und ist nach der 7ten Minute vollkommen wiedergekehrt. Die Pentalnarkose ist begleitet von vollständiger Empfindungslosigkeit bei theilweise nur im Anfange vorhandenem Bewusstsein und meist vollständig aufgehobener Willens- thätigkeit. Die Narkose kann auch durch nochmaliges Aufgiessen ver- längert werden. Es wird dem Pental absolute Gefahrlosigkeit nachge- rühmt.

(Prof. Gurlt, im Deutschen Chirurgen-Congress meldete 1 Todesfall aus 219 Pentalnarkosen. Eef.)

Pentalnarkosen. Von Prof. HoUaender in Halle a. S. (Deutsche Med. Wochenschrift, 1892, No. 33.)

H. bedient sich des Junker'schen Apparates, die er der Esmarch'- schen Maske vorzieht. Es muss bei der Narkose für genügenden Luft- zutritt gesorgt werden. Langsames Einführen des Pental in die Lungen sichert eine gute Wirkung. Es genügen 10 ccm. zur Narkose ; bisweilen sind nur 3 ccm. nöthig. Die Narkose tritt in 1 3 Minuten ein, und wird gekennzeichnet durch Hintenüberneigen des Kopfes, weit offene Augenlider gewöhnlich mit weiter Pupille, oder durch Schlaffheit der Extremitäten. Eine selbst geringe Aufregung ist äusserst selten. Uebelkeit und Erbrechen sah H. nie. Herzthätigkeit und Athmung werden kaum beeinflusst. Sehr aufgeregte, stark anämische Personen mit schlaffer Herzthätigkeit, mit altem Bronchialcatarrh, ertragen das Pental nicht so gut wie Gesunde. Unter etwa 900 Narkosen hat H. keinen Todesfall gehabt. Von anderer Seite seien in neuerer Zeit 2 Todesfälle berichtet worden, jedoch ohne Angabe von Einzelheiten. Einmal sah er Larynxstenose mit starkem Kribbeln in Händen und Füssen, einmal Opisthotonos. Häufig stellt sich nach der Narkose ein Heisshunger ein.

Die Urogenitalblennorrhoe (Gonorrhoe) der kleinen Mädchen. Von Dr.

Cahen-Brach in Frankfurt a. M. (Deutsche Med. Wochenschrift, 1892, No. 32.

Die Beobachtungen wurden an 21 Kindern im Alter von 2 10 Jahren gemacht. Neben bekannten und allgemein angenommenen Thatsachen hebt C. hervor, dass die Urethra der Haupt- und Lieblingssitz der go- norrhoischen Infection ist, dass eine Ausdehnung derselben in den Uterus oder bis in das Peritoneum äusserst selten ist, und dass man bei der Therapie die Vagina gar nicht zu berücksichtigen braucht, wenn die Eiterung nicht besonders profus ist. Folgendes sind die Schlus- sätze seiner Arbeit :

I. Die unter dem Namen ,, Vulvovaginitis" bekannte, mit eiterigem Ausfluss aus den Genitalien einhergehende Affection der kleinen Mäd- chen stellt zumeist 'eine Gonorrhoe dar.

2. Letzteres Leiden, dessen Natur aus der Gegenwart fast stets höchst zahlreicher Gonococcen erkannt wird, entsteht ziemlich häufig durch indirekte Ansteckung, wennsrleich auch die direkte (geschlecht- liche) Vermittelung nicht zu den Seltenheiten gehört.

3. Als typischer, geradezu pathognomonischer Sitz der gonor- rhoischen Entzündung erwies sich die wegen der oberflächlichen Lage ihrer äusseren Mündung einer Infection besonders zugängliche Harn- röhre, deren Secretion für die Dauer des Ausflusses gewöhnlich den Ausschlag gab.

4. Demgegenüber trat die specifische Betheiligung der Vulva und Vagina mitzunehmendem Lebensalter so sehr zurück, dass die Bezeich- nung „Vulvovaginitis" für vorhegende Erkrankung unzutreffend er- scheint.

5. Ein Fortschreiten des Processes nach dem Cervicalcanal und wei-

351

terhin nach den Tuben und dem Peritoneum wurde nie mit Siclierheit beobachtet, und mag die Ursache hierfür in dem festen Schlüsse des äusseren Muttermundes zu suchen sein.

6. Wegen der Seltenheit dieser Ausbreitung ist die Prognose der Gonorrhoe bei kleinen Mädchen wesentlich günstiger, als nach Eintritt der Pubertät, indem die das ganze Krankheitsbild beherrschende Urethritis innerhalb einiger Monate spontan abzuheilen pflegt. Ander- weitige Complicationen, wie Blasencatarrh, Gelenkergüsse, Ophthalmo- blennorrhoe kommen zuweilen vor.

7. Therapeutisch haben sich alle gegen die Entzündung der Urethral- schleimhaut gerichteten örtlichen Eingriffe als unzweckmässig heraus- gestellt. Der günstigste und relativ kürzeste Ablauf wurde durch ein- fache Reinhaltung der Genitalien und Bettruhe bei allenfallsigem innerlichem Gebrauch von Balsamicis erzielt.

Nerven-Heilkunde— Referirt von Dr. GEO. W. JACOBY.

Ein Fall von linksseitiger Hemiplegie begleitet von linksseitiger homonymer lateraler Hemianopsie und Hemianaesthesie. Von Paul Brasche. (St. Petersburger Medizinische Wochenschrift, 21. März (2. April), 1892.)

Der Veröffentlichungen über „Hemiplegie mit gleichzeitiger Hemi- anopsie und Hemianaesthesie bei Gehirnblutung", giebt es nur wenige. In dem hier beschriebenen Falle handelt es sich um einen 57jährigen Mann, welcher plötzlich ohne Bewusstseins-Verlust von einer Hemi- plegie befallen wurde ; die linksseitige Lähmung combinirte sich mit einer vollkommenen Hemianaesthesie derselben Seite, und dieser ge- sellte sich noch eine linksseitige Hemianopsie hinzu. Das Vorkommen von Hemianopsie bei schweren Gehirnblutungen ist nicht selten ; die- selbe pflegt aber meist rasch wieder zu verschwinden und muss somit als indirectes Herdsymptom aufgefasst werden. Wie die Hemianopsie, so kann auch die Hemianaesthesie in einer grossen Zahl der Fälle Seilwinden und es bleibt dann nur die motorische Störung zurück. In dem hier veröffentlichten Falle verhielt es sich umgekehrt ; schon in den ersten Wochen trat eine bedeutende Besserung in den hemiplegi- schen Erscheinungen ein, während die Hemianaesthesie sich weniger besserte, und die Hemianopsie unverändert bis zum Tode des Patienten fortdauerte. Es musste desswegen auch angenommen werden, dass die Hemianopsie hier ein direktes Herdsymptom sei. Was die topi- schc Diagnose des Sitzes der Zerstörung anbelangt, so könnte der Herd im hinteren Theil des Thalamus (Pulvinar), in der Marksubstanz des Hinterhauptlappens und im hintersten Drittel des Hinterschenkels der cai)sula interna, oder endlich in der grauen Rinde des Occipitallappens liegen. Aus evidenten Gründen nahm Verf. die zweitgenannte Locali- sation als die allein möglich richtige an. Die Autopsie ergab auch die Richtigkeit dieser Annahme. Das Interesse des Falles ist darin zu suchen, dass eine permanente Hemianopsie, wenn sie mit Hemianaes- thesie derselben Seite und vollends mit hemiplegischen Störungen verbunden ist, die Annahme einer Herderkrankung in der Markmasse des Hinterhauptlappens gestattet.

Ueber die Behandlung der Tabes. Von E. Leyden. (Berliner klin. Wochenschrift, 25. April und 2. Mai 1892.)

In diesen vor der Hufelandschen Gesellschaft gehaltenen Vortrag giebt Leyden seine Anschauungen und Erfahrungen über die Behand- lung der Tabes. Die wissenschaftliche Therapie im Allgemeinen wird vielfach zu streng r.nd 2u pessimistisch aufgefasst, und indem nur die

352

mechanische und chemische Localtherapie anerkannt wird, werden für die innere Medizin vornelimlich specifische HeiJ mittel gefordert. Von diesem Standpunlit aus sind lieine glänzenden Kesultate erzielt worden, und der nachtheilige Pessimismus hat entschieden au Boden gewonnen. Die Aufgaben der Therapie sind mannigfaltig ; Alles, was dem Patien- ten nützlich ist, was seinen Zustand bessern und erleichtern kann, ge- hört in das Bereich der Therapie. Es hat lange gedauert bis aner- kannt wurde, dass eine richtige Ernährung des Kranken ein wesent- licher Tlieil der Therapie ist, und so scheint es auch lange zu dauern bis anerkannt wird, dass psychische Behandlung zu einer Stellung in der wissenschaftlichen Therapie berechtigt ist. In der Therapie müs- sen Wissenschaft und Kunst stets vereinigt sein. Diese Betrachtungen finden bei der Behandlung der Tabes eine direkte AnwenduQg. Durch eine üebersicht über die Entwickelung der Therapie der Tabes zeigt L., dass der absolute Pessimismus von früher einem erfreulicheren Optimismus gewichen ist. Die Besprechung der einzelnen Behand- lungsmethoden beginnt Verf. mit den specifischen Mittel q ; hierunter liaben sich Argentum nitricam, Jod Kali, Aureo natrium chloratum, Arsen, Seeale, Strychnin u. a. m. einen besonderen Ruf erworben, sind aber alle nicht im Stande in irgend welcher Weise einen Effect auszu- üben. Bei Besprechung der Quecksilberbehandlung geht L. näher auf den Zusammenhang zwischen vSyphilis und Tabes eiu, und bezeichnet der Satz : ,,Ich gehöre zu denjenigen, welche den syphilitischen Ur- sprung unbedingt in Abrede stellen" sehr klar und deutlich die Stel- lung, welche er in dieser Frage noch immer einnimmt. Neue Argumente für diese Meinung werden nicht angeführt. Die von verschiedener Seite angedeutete Idee, es könne sich bei der Tabes um Entwickelung eines Toxin, welches den Grund zu der Veränderung der Nerven ab- giebt, handeln, ist L. sehr sympathisch, doch ist man noch nicht im Stande eine solche Theorie bestimmt formuliren zu können und sie zur Basis einer therapeutischen Methode zu machen.

Die Bädertherapie ist bei der Tabes nicht zu unterschätzen, doch fasst sich Verf. hierüber sehr kurz, weil er nichts Neues zu bringen vermag. Was die Elektrotherapie der Tabes anbelangt, so meint L., dass trotz aller Kritik die Elektrotherapie auch heute ein unentbehr- licher Theil in der Behandlung der Tabes bleibt. Die Electricität wirkt allerdings nicht durch Einfluss auf den anatomischen Process im Rückenmark, sondern durch Erregung der sensiblen Nerven, durch Einfluss auf die Muskeln und schhesslich durch ihren psychischen Eindruck. Die Massage-Behandlung der Tabes ist eine vollständig illusorische. Der Suspensionsmethode und anderen mechanischen oder chirurgischen Behandlungsmethoden steht Verf. nicht sehr freundlich gegenüber. Auf gymnastische Behandlung hingegen legt er grossen Werth ; es handelt sich hier um eine compensatorische Therapie, und die Ataxie wird ermässigt oder beseitigt, indem die ausgleichenden Potenzen, die Function der Muskeln, gestärkt und be- fördert werden. Die Leyden'sche Theorie der Ataxie macht eine solche compensatorische Beliandlung der Tabes vei ständlich.

Bei Besprechung der Behandlung der Complicationen der Tabes, bezieht sich L. hauptsächlich auf die neuralgischen Schmerzen und die verschiedenen Crisen. Vor dem Gebrauch von Morphin wird streng- stens gewarnt ; die neueren Mittel, Phenacetin, Antipyrin u. s. w. nutzen hier und da, lassen aber gewöhnlich im Stich.

Schliesslich werden noch zwei Fragen kurz berührt, die Prophy- laxe der Tabes und die ethische, ob und wie weit wir berechtigt sind, dem Kranken Aufschluss über die Natur seiner Krankheit zu geben.

353

Zur Theorie des Schlafs. Von Dr. Goldscheider. Gesellscliaft der Charito Aerzte. Sitzun<j: vom 17. Dezember 1891. (Berliner klioische Wochenschrift, 9. Mai 1892.

Goldscheider stellt ein 21.iähriges Mädchen vor, welches am ganzen Körper anästhetisch ist ; Hautoberfläche sowie Schleimhäute sind gleich empfindungslos. Gesichts- und Gehörssinn nicht verändert ; Geschmack und Geruch herabgesetzt ; Muskelsinn sehr stark herab- gesetzt. Werden dieser Kranken die Augen verbunden und die Ohren verstopft, so schläft sie ein. G. hält den Geisteszustand der Patientin für einen ganz normalen und da sie, obgleich hypnotisirbar, nicht sug- gestionsfähig ist, so glaubt er berechtigt zu sein in diesem Falle einen Beweis der PFLUEGKR'schen Annahme, dass das Gehirn, wenn alle Beize entfernt werden, in Schlaf versinkt, zu finden.

In der Discussion, welche der Demonstration folgte, sprach sich SiE:srERLiNG dahin aus, dass es sich hier nicht um wirklichen Schlaf, sondern um einen hypnotischen Zustand handle.

Dementia Epileptica. Improvement of this form of mental impair- ment following: linear Craniotomy. By Hugo Engel. (Medical Record, N. Y., June 4, 1892.)

Schnelle und oft staunenerregende Besserung lässt sich mittelst linearer Craniotomie bei der Dementia Epileptica erzielen, vorausgesetzt dass die Diagnose eine richtige ist. Mit dieser Diagnose werden nur solche Fälle bezeichnet welche folgende Eigenschaften und Verlauf darbieten. Das Kind ist bis zu einem gewissen Alter geistig und kör- pei lich normal entwickelt ; ohne premonitorische Symptome stellen sich starke, lang dauernde fast tonische Krämpfe ein. Gleichzeitig tritt die geistige Schwäche ein ; die Geschichte und Ursache der Er- krankung geben sich durch Inspection des Schädels kund, denn hier zeigt sich eine abnorme und erhöhte Knochenbildung, welche dem Schädel eine abnorme Form giebt. Körperliche Missbildungen fehlen.

Etiologie du Tabes Dorsalis. Von F. Raymond. (Progres Medical, Juni 11., 1892.)

Dieser Vortrag über die Etiologie der Tabes, bezieht sich haupt- sächlich auf den Zusammenliana* zwischen Syphilis und Tabes, und obgleich ausser einer Statistik von 13 Fällen bei welchen 12 unzweifel- haft syphilitisch waren, nichts neues gebracht wird, so ist der Vortrag als Zeichen der französischen Ansicht über diesen Punkt von Werth. Wenn R. im grossen Ganzen sich als Anhänger der syphilitischen Theorie beweist, so ist er doch in seinen Aussprüchen etwas moderirter als Erb es neuerdings gewesen ist. Raymond sagt: „Es ist nicht bewiesen, aber es ist höchst wahrscheinlich dass die Syphilis einen direkten oder indirekten Einfluss, bei der Entwickelung der Tabes aus- übt, wenn diese Krankheit sich bei einem Syphilitischen zeigt." „Es ist sicher dass das Vorhergehen von Syphilis zur Entwickelung der Tabes nicht nothwendig ist."

La sommeil provoque par Tocclusion des oreilles et des yeux chez les individus affectes d'anesthesie generalisee. Von G. Ballet.

(Progres medical, Juni 25., 1892.)

Der hier mitgetheilte Fall betrifft einen 36jährigen Mann, welcher seit 1886 an verschiedenen Symptomen leidet, und bei welchem seit 1887 zwei Neurosen constatirt wurden, nämlich Hysterie undBasedow'- sche Krankheit. Das Hauptsymptom seiner Hysterie und hierum han- delt es sich in diesem Vortrag, besteht in einer "allgemeinen Anästhesie. Die ganze Hautoberüäche und alle zugänglichen Schleimhäute sind

354

vollkommen empfindungslos. Muskelsinn fehlt ebenfalls. Geschmack und Geruchsinn fehlen vollständig, Gehörsinn ist herabgesetzt und beiderseits besteht eine Einschränkung des Gesichtsfeldes. Demnach steht Patient in Verbindung mit der Ausseuwelt, allein durch seinen Gehör- und Gesichtssinn, welche beide aber sehr herabgesetzt sind. Wird nun dieser Zusammenhang mit der Aussenwelt vollständig abge- schnitten, indem die Augen verbunden und die Ohren mit Watte ver- stopft werden, so tritt bei dem Patienten sofort ein Zustand von tiefem Schlaf ein.

Aehnliehe Fälle sind von Struempell, Raymond und Anderen beschrieben worden. Es besteht eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob sich dieser Schlafzustand als normaler Schlaf oder als Hypnose bezeichnen lässt. Offenbar ist die Entscheidung dieser Frage von Wichtigkeit, denn, handelt es sich um normalen Schlaf, so hätten wir hier ein Experiment an Lebenden welches viel zur Theorie des Schlafes beitragen würde.

Ballet fasst den Zustand bei diesen Patienten als einen hypnoti- schen auf, und begründet diese Auffassung auf folgende Umstände : Der Patient kann während dieses Schlafes Sachen ausführen, weiche ihm im wachen Zustande suggerirt werden ; er ist während des schla- fenden Zustandes empfänglich für Suggestionen, welche er später, nach dem Erwachen, ausführt.

Da Patient in dieser Hypnose seiner sämmtlichen Sinne beraubt ist, ist letztere Thatsache eine sehr befremdende, und sucht Verfasser sie dadurch zu erklären, dass er annimmt dass die während des Wachens constatirte Anästhesie, keine wirkliche sondern nur eine imaginäre (? Referent) Anästhesie ist,

On the diagnostic and prognostic value of tendon reflexes. By John Fer^son. (Medical Record, New York, July 2, 1892.)

Verfasser widmet diese Arbeit dem diagnostischen und prognosti- schen Werthe der Sehnenreflexe. Für fast alle Aeusserungen werden Belege aus persönlichen Erfahrungen angefülirt. Was die Physiologie der Sehnenreflexe anbelangt, so ist F. der Ansicht dass die spinalen Centren welche den Muskeltonus erhalten, ihrerseits unter cerebralem und cerebellarem Eiufluss stehen, so dass die Sehnenreflexe auch durch Störungen dieser Theile beeinflusst werden.

Wird durch Blutung, Tumor, Degeneration oder einen epileptischen Anfall die cerebrale Controlle aufgehoben, so steigert sich die Muskel- erregbarkeit und die Sehnenreflexe werden erhöht. Der Erniediigung oder dem Fehlen der Sehnenreflexe nach plötzlicher Gehirnblutung ist keine prognostische Bedeutung beizulegen, da diese Umstände von Localisation und Intensität der Blutung und nicht von ihrer Extensität abhängig sind. Inden meisten Fällen von cerebraler Blutung kehren die Sehnenreflexe bald wieder, wo dieses nicht der Fall ist, wird der Umstand wohl von Druck auf das Cerebellum abhängig sein. Bei Kleiiihirntumoren fehlen die Patellar-Sehnenreflexe gewöhnlich. Grösse und Localisation des Tumors werden diese zum Theil beein- flussen. Ueber die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Er- höhung der Sehnenreflexe und absteigender Degeneration nach Gehirn- läsionen, theilt Verfasser diejenige Ansicht, welche dieses Zi sammen- treffen nur als ein zufälliges betrachtet.

In Fällen von Verletzung des Rückenmarks ist das Fehlen der P. S. Reflexe, besonders nach Verlauf von einigen Wochen, als ein sehr bedenkliches Zeichen anzusehen. Es bedeutet vollständige Zermal- mung des Rückenmarks, und macht die Prognose zu einer hoffnungs- losen. Auch in allen Fällen von transverser Mj'elitis, Blutung im Rückenmark und Trauma, ist eine ungünstige Prognose zu stellen,

355

wenn die Sehnenreflexe fehlen. In allen Erkrankungen oder Ver- letzungen der motorischen Gehirnpartieen und der motorischen Bah- nen, ist eine schlechtere Prognose zu stellen, je früher eine Erhöhung der Sehnenrellexe eintritt. Bei Eotwickelung von Dementia Paraly- tica sollen die Sehnenreflexe genau beobachtet werden. Je früher liier eine Erhöhung eintritt und je schneller diese fortschreitet, desto schlechter muss die Prognose gestellt werden. Aus beobach- teten Fällen von Gehirn-Erschütterung zieht Verfasser die Schlüsse : 1. Je mehr die Patellar Sehnen reflexe gesteigert sind, desto grösser ist die Verletzung der Gehirnrinde. 2. Die allmälige Steigerung der Reflexe ist ein ungünstiges Symptom. 3. Die Wiederherstellung der normalen Reflexe ist ein günstiges Zeichen. Die prognostische Wichtig- keit der Sehnenreflexe bei Erkrankungen des Rückenmarks selbst, sowie auch bei der ^Multiplen Neuritis bespricht F. und geht dann auf das Fehlen der Patellar Sehnenreflexe bei allgemeinen Zuständen, Diphtherie, Asphyxie nach Kohlengas und Alcohohsmus ein. Schliesslich wiid betont, dass der Patellar Sehnenreflex bei voll- kommen gesunden Männern nur äussert selten fehlt. Bei 200 der- artigen Untersuchungen hat Verfasser den Reflex immer vorhanden gefunden. Bei zwei dieser Fälle musste der jENDKASsiK'sche Kunst- griff benutzt werden, um den Reflex auszulösen ; diese künstliche Er- höhung des Reflexes tritt nur dann ein, wenn die Herabsetzung durch keinen pathologischen Process bedingt ist ; ist eine Verminderung des Reflexes durch Erkrankung bedingt, so bringen Iceine Kunstgriffe eine Verstärkung des Reflexes hervor.

Outline of a plan for an epileptic colony. By F. Petersen. (N. Y,

Med. Journal, July 23, 1892.) Bei Einrichtung einer Colonie für Epileptiker müssen folgende Pimkte beachtet werden. Die Gebäude müssen veieinzelt dastehen und mit eigenen Gärten versehen sein. Das Ziel der Colonie ist, ein Heim, eine Schule, eine Gewerbeschule, und ein Hospital, zu bilden. Die Colonie muss 300-400 Acker Land haben, welches sich für Acker- bau u. s. w. eignet. Die Anlage sollte in der Nähe einer grossen Stadt geschehen. Die Gebäude sollen aus einem Haus für den Verwalter, einem Hospital, Wohnhäusern für Frauen ; Wolinhäusei n für Männer, Schulge- bäuden, Stallungen, Arbeitsstätten für die verschiedenen Handwerke, Küche, Wasch-Küche und schliesshch einem pathologischen Laborato- rium bestehen.

Verschiedene Empfehlungen betreffs Einrichtung der einzelnen Ge- bäude, Ventilation u. s. w., werden vom Verfasser gemacht. Der Plan entspricht vollständig jenen, welche in Europa schon in Anwendung gebracht worden sind.

Combination von Tabes dorsalis und Paralysis agitans. Von S. Placzek.

(Deutsche Med. Wochenschrift, 7. Juli 1892.) Zur seltenen Combination zweier unheilbarer Krankheiten, Tab es und Paralysis agitans, liefert P einen Beitrag, indem er einen solchen von ilmi beobacliteten Fall beschreibt. Beide Krankheiten sind durch die für sie characteristischen Symptome gekennzeichnet und ist die Dia- gnose einer jeden leicht zu stellen. In Anbetracht unserer mangel- haften Kenntnisse über die Pathologie der Paralysis agitans, ist jetzt noch nichts als ein zufälliges Zusammentreffen in dieser Combination zu sehen.

Ein Fall von Akroraegalie mit bitemporaler Hemianopsie. Von Rein- hold Boltz. (Deutsche Med. Wochenschrift, 7. Juli 1892.) Die interessante Erscheinung der bitemporalen Hemianopsie, wie sie bei dem hier beschriebenen Fall vorkam, ist bis jetzt noch bei

356

keinem untersuchten Fall von Akromegalie notiit worden. Zur Er- klärung dieses Plieuoinens muss eine Affection der im Chiasma nervi optici gekreuzten inneren Fasern des N. opticus angenommen werden, beim intactbleiben der äusseren ungelcreuzten Fasern. Dass Erlcran- kungen des Cliiasma, beruliend auf einem Trauma oder einem Tumor bitemporale Hemianopsien bedingen, ist bel^annt. Bedenkt man ferner, dass bei den bis jetzt zur Autopsie gelangten Fällen von Akromegalie eine Vergrösserung der Hypophysis cerebri gefunden worden ist, so dürfte man annehmen, dass es sich hier auch um einen Tumor der Hypophysis handelt, welcher durch seine Wucherung nach vorn, die inneren gekreuzten Fasern des Chiasma zur Atruphie gebracht hat.

Ueber einen Fall von Migräne Ophthalmique mit transitorischer epi- leptoider Geistesstörung. Von Th. Sacher. (Berliner klin. Wochen- schrift, 11. JuU 1892 )

Während die Beobachtungen über die verschiedenartigsten Störun- gen auf motorischem, sensiblem und sensoriellem Gebiete als Begleit- erscheinungen der Migräne, in den letzten Jahren ziemlich zahlreich geworden sind, scheinen Störungen auf psychischem Gebiete im Ge- folge von Migräne sehr selten zu sein. In dem hier mitgetheilten Fall handelt es sich um ein hereditär stark belastetes von Jugend auf neuropathisches Individuum, das in seiner Kindheit an Krämpfen g litten hatte, und bei welcliem im 14. Jahre Zustände von Schlafwandeln auftraten. Zu Anfang des Jahres 1890, stellten sich, nachdem Patient zuvor die Influenza durchgemacht hatte. Zustände geistiger Störungen ein. Diese periodisch auftretenden, depressiv-erregbaren Zustände, dauerten nur mehrere Stunden, stellten sich fast inmier Abends vor dem Schlafengehen ein und gingen allmälich in Schlaf über, aus wel- chem der Kranke ohne jegliche Erinnerung an den Anfall aufwachte. Diese Zustände geistiger Störung schlössen sich stets an stärkere Migräneanfälle an. Es bestanden hier zwischen den Migräneanfällen und den Zuständen psychischer Störung sehr nahe Beziehungen, die sehr an die Verhältnisse erinnern, welche bei der Epilepsie gefunden werden. Fast könnte man diese Störungen als epileptische bezeichnen. Es drängt sich demnach die Frage auf, ob man es nicht in diesem Falle mit eine Form der Epilepsie zu thun habe, ob nicht die Migräne- anfälle selbst, wie Fere es annimmt, als sensorielle Epilepsie aufzufas- sen sind. Die pathologischen Vorgänge in diesem Falle glaubt Verf. zu erklären durch die Annahme vorübergehender vasomotorischen Störungen im Gehirn.

Contribution clinique ä l'etude de la nevrite paludeenne. Von Dr. Combemale. (Progres Medical, 16 Juillet, 1892.)

Der Zusammenhang zwischen IMalaria und Neuritis ist nur wenig berücksichtigt worden, doch sollen Fälle von echter Neuritis infolge von Malaria-Infection häufiger vorkommen, als man nach der Litera- tur hierüber, anzunehmen berechtigt wäre. Wenn man aber bedenkt, dass die Malaria parasitärer Natur ist, so ist es leicht verständlich, dass eine solche Neuritis nicht weniger häufig vorkommen sollte als jede andere Toxische Neuritis. Verf. theilt hier ausführlich die Geschichte . eines 42jährigen Mannes mit, welcher jahrelang an Wechselfieber litt und bei welchem sich eine Multiple-Neuritis entwickelte. Per exclu- sionem kommt C. zu der Ansicht, dass die ^lalariainfection ätiologisch in direktem Zusammenhang mit der Neuritis stehen müsse.

357

Gynaekologrie.— Referirt von Dr. BRETTAUER.

The Limitations for Vaginal Hysterectomy in Malignant Diseases of the Uterus. By J. E. Janorin, M. D. (Med. Ree, July 9th, 1892.)

Seitdem A. Martin im Jahre 1887 so energisch für die vaginale Total- exstirpation des Uterus in die Schranken getreten ist, und deren Be- rechtigung nicht nur, sondern auch deren grossen Werth in allen jenen Fällen gezeigt hat, bei denen der krankhafte Process noch nicht auf die benachbarten Gewebe übergriffen, hat wohl für alle Operateure die alleinige Erkrankung des Uterus die Kichtschnur gebildet, nach der sie ihre Fälle zur Operation bestimmten.

Es ist nun um so erfreulicher, wenn von so massgebender Seite diese Grenze erweitert und die Berechtigung dazu durch die Erfahrung des Verfassers ausser Frage gestellt wird. Diese besteht allerdings nur in einem Falle, in dem das Carcinom sich auf die Schleimhaut der Vagina erstreckte. Anstatt den Cervix zu umschneiden und in typischer Weise vorzugehen, begann J. die Operation mit der Umsclmeidung und Ablösung der Vnguia circa einen halben Zoll von der erkrankten Partie. Die Frau ist heute, drei Jahre nach der Operation, ohne llecidiv.

Grösserer Uterus oder engere Scheide bilden keine Gegenindication, dieselben werden durcii seitliche Einschnitte behoben. Fixation des Uterus, wenn dieselbe nur entzündlicher Natur, ist ebensowenig eine Anzeige zur Unterlassung der Operation, die allerdings sehr dadurch erschwert wird.

Vaginal Hysterectomy for the Relief of Malignant Disease. By Alex. J. C. Skene, M. D. (Med. Ree, July 9th, 1892.)

Nach S. ist vaginale Totalexstirpation indieirt, wenn die Erkrankung kurz vor oder nach der Menopause auftritt (Ref. wohl die engste Grenze, die aufgestellt worden ist) ; wenn der Process im Endometrium, oder besser gesagt im Uteruskörper begonnen hat ; wenn die Diagnose gesichert ; wenn die Erkrankung weder Scheide noch Tuben nennbar ergriffen.

Wird die Operation vor demClimakterium unternommen, so werden die Patienten, bei Wegnahme der Ovarien, durch die frühzeitige Meno- pause derart in ihrem Allgemeinbefinden gestört, dass dadurch Recidiv begünstigt wird. Werden jedoch die Ovarien zurückgelassen, so wird die künstliche Amenorrhoe den Patienten grosse Leiden verursachen.

Exulcerirtes Carcinom des Cervix ist, unter allen Umständen, nicht passend für diese Operation, wegen der Unmöglichkeit aseptisch zu operireu.

Bei gestörtem Allgemeinbefinden (spez. Chlorose) wird, auch wenn die localen Bedingungen die möglichst günstigen sind, von jedwedem chirurgischen Eingriff abgerathen.

Kolik und tetanusartiger Anfall nach Injection von Jodtinktur in die Uterushöhle. Von M. Gordes. (Centralbl. für Gyn., 1892, Nr. 25.)

Bei einer 27 Jahre alten Patientin wurde wegen chronischer Endo- metritis dieUterushühle curettirt. Sechs Tage blieb Patientin zu Bette; nach einer angestrengten Bewegung leichte Blutung. Am nächsten Tage Injection von 0,5 gr. Jodtinktur mittelst Braun'scher Spritze. Gleich darauf heftiger Schmerz, ängstlicher Gesichtsausdruck, kleiner Puls, 12G, das Bevvusstsein war erhalten, Steifheitsgefühl im ganzen Körper, Bekle . mung in der Herzgegend, Spannung im Kiefcrgelenke, Unbewcglichkeit des Zeige- und Mittelfingers beiderseits, dieselben waren extendirt, die übrigen Finger gebeugt. Nach Verabfolgung

358

von 0,01 Morphin subcutan, langsame Besserung aller Symptome, Puls 82. Am nächsten Morgen beträchtliche Menge Eiweiss im Harn.

Verfasser glaubt, dass dieser Zustand nicht durch Aufnahrae von Jodlösung in den Kreislauf, sondern durch einen reüectorischen Vor- gang zu erklären ist.

Ueber Ventrofixatio uteri. Von Dr. F. Spaeth. [Aus der Prochownick'- schen Privat-Klinik.J (Münch. Med. Wochenschr., 1892, Nr. 27.)

In einem Aufsatze, der vor drei Jahren erschienen (siehe „Deutsche Med. Wochenschr.," 1889, Nr. 37) berichtet S. über 15 Annäherungen des Uterus an die vordere Bauchwand, über deren Endresultate wir heute Näheres erfahren. Die Krankengeschichten von 10 neuen Be- obachtungen werden kurz angeführt, und nun die 25 Fälle bezüglich ihres Ausganges analysirt. Nur bei 7 Fällen war die Ketrodeviation der Gebärmutter die alleinige ladication zur Operation. Nachdem alle 25 Patienten den Eingi-iff bestens überstanden, sind drei derselben accessorischen Krankheiten längere Zeit hernach erlegen und konnte eine Frau nicht eruirt werden. Von 21 restirenden Fällen, deren Beobachtungsdauer zwischen 6y^ Jahren und 7 Monaten schwankt, sind 17 ideale Erfolge zu verzeichnen ; in 4 Fällen nahm der Uterus nachträglich wieder seine fehlerhafte Lage ein.

Von den verschiedenen Operationsniethoden kam die von Czerny angegebene in der Mehrzahl der Fälle in Anwendung. Dieselbe besteht in Anlegung der Fixirungsnähte nur durch Peritonaeum und Fascie und Versenkung derselben. Gleichzeitig kam eine von Schede einge- führte Modification der Bauchnaht in Anwendung, deren Haupteigeu- schaft darin besteht, dass Bauchfell und Rectusscheide mit dünnem Silberdraht genäht und die Nähte unter einer mit dickerem Drahte durch die ganze Dicke der Bauchwand in ca. 3— 4 cm. langen Zwischen- räumen geführten Sutur verhenkt werden. Diese Vereinigung der Bauchwände soll dem Entstehen von Bauchhernien am sichersten vor- zubeugen im Stande sein, selbst ohne Tragen einer stützenden Bauch- binde.

Unter den vier Misserfolgen waren drei nach Czerny's Methode, jedoch mit Catgut behandelt, weshalb Verfasser sich berechtigt glaubt, resorbierbares Nähmaterial als nicht ausreichend zu verpönen.

Dermatologie.— Referirt von Dr. H. GOLDENBERG.

Beiträge zur Behandlung des chronischen Trippers. Von Dr. Trzcinski.

(Ergänzungshefte zum Archiv für Dermatologie und Syphilis, 1892, II. Heft.)

Der Verfasser schliesst sich bezüglich der Häufigkeit der Gonor- rhoea posterior den Anschauungen der meisten neueren Autoren an. Die Zahl der Fälle von Urethritis post. beträgt mindestens 90 Prozent der allgemeinen Zahl der Trippererkrankungen. Die Gon. post. ist nicht als Complication, sondern als die natürliche klinische Fortsetzung der gonorrhoischen Erkrankung des vorderen Harnröhre nabschuittes anzusehen. Im acuten Stadium empfiehlt er exspectative Behandlung. Er unterzieht die verschiedenen gebräuchlichen Behandlungsweisendes chronischen Trippers einer Kritik und bemerkt (mit Recht, Ref.), dass mit den Guyon'schen Instillationen ein Missbrauch getrieben wird. Das Schmerzgefühl, das für die Lokalisation der Erkrankung bestim- mend ist, wird meist an zwei Stellen (m. compressor urethrae und sphincter vesicae externus) angegeben, die gewöhnlich gar nicht afificirt sind.

359

Als weitere Schattenseite dieser Methode wird die grosse Schmerz- haftiglceit angegeben. In seinem absprechenden Urtlieil über diese Metliode geht Verf. so weit, dass er behauptet „auch nicht einen ein- zigen Fall von chronischem Tripper durch die Guyon'sche Methode ge- heilt gesehen zu haben". Er verwirft ferner (mit Recht, Ref.), die Cauteri- sationsbougies und spricht sich skeptisch über tlen Werth der Sonden- behandlung aus. Er will deren Anwendung auf wirkliche Stricturen beschränkt sehen und behauptet, dass man den genetischen Zusam- menhang der Stricturen der Harnrölire und des Trippers gewöhnlich überschätze. Der eudoscopischen Behandlung legt er keinen grossen Werth bei und meint, dass ,,das Endoscop allmählich den Credit ver- loren hat und heute als therapeutisches Instrument in Europa der Vergessenheit anheim gefallen ist". D igegen ist er ein warmer An- hänger der Neisser'scJien Irrigationen der vorderen und hinteren Harnröhre, mittelst eines weichen Nelaton'schen Katheters, nur findet er die von dem genannten Autor empfoiüenen Höllensteiulösungen CAdOfl— V2000) z^i stark und bedient sich einer Lösung von Vk.ooo— Vcooo anfangs täghch, später alle 2—3 Tage.

Gegen Epididymitis gonorrhoica empfiehlt er eine 10-prozentige Höllensteinsalbe, auf Leinwand aufgestrichen, 24 Stunden lang aufge- legt. Darauf Einwicklung des erkrankten Hodens in trockener Watte und später Langlebert'sches Suspensorium.

(Der Verf. gibt nicht an, ob er sich von der Nutzlosigkeit resp. Ge- fährliciikeit einer eingreifenden Behandlung beim akuten Tripper überzeugt hat. Sollte dies indessen der Fall gewesen sein, so muss ihm Ref., gestützt auf hinreichende diesbezügliche klinische und mi- kroscopische Untersuchung auf Gonococcen entschieden widersprechen. Neuerdings sind von Frankreich aus Irrigationen mit Kalium hyper- mang. warm für den acuten Tripper empfohlen worden. Ref. hat seine Ansicht über den Werth und die Uiigefährlichkeit dieser Methode früher in dieser Zeitschrift ausgesprochen. Was nun das Urtneil über die Guyon'sche Methode betrifft, so glaubt Ref., dass der Verf. in seinem Eifer zu weit gegangen ist. Sie dient allerdings nicht zur Lo- kalisirung des erkrankten Theiles, besitzt aber entschieden einen grossen Werth in vielen Fällen. Mit der vom Verf. behaupteten Schmerzhaftigkeit ist es nicht so schlimm und wenn er behauptet, dass „der Patient schweissbedeckt und stöhnend einige Tropfen häufig blutig tingirteu Harnes abgibt", so ist eben vom Verf. die Application nicht lege artis gemacht worden. Ref. lä^sst den Patienten vor der Instilla- tion niemals die Blase vollständig entleeren, grade um den vom Verf. abgegebenen Missstand zu verhüten. Unsere CoUegen in Frankreich bedienen sich der Methode Guyon's fast ausschhesshch und würden sich jedenfalls für die Insinuation bedanken, dass sie niemals einen ohron. Tripper damit geheilt hätten. Ref. glaubt ferner behaupten zu dürfen, dass giüklicherweise das Endoscop als diagnostisches und the- rapeutisches Hülfsmittel einer besseren Zukunft entgegen sieht als der ihm vom Verf. prophezeiten. Der gerügte Nachtheil, dass es reize und dass das Gesichtsfeld zu klein sei, wird hinfällig, wenn man zu in- dividualisiren gelernt hat und ein mittelgrosses Endoscop (etwa 24 26 F.) einzuführen versteht. Ref. glaubt auch an dieser Stelle noch- mals darauf aufmerksam machen zu müssen, dass papillomatöse Poly- pen ziemlich häufig vorkommen und dass dieselben meist durch keine andere Untersuchungsmethode diagnosticirt werden können. Auch über den Zusammenhang von Stricturen und chron. Tripper und über die Werthloslgkeit der Sondenbehandlung beim letzteren, ist Ref. ent- schieden entgegengesetzter Ansicht. Im Uebrigen ist es dem Ref. nicht verständhch, wie der Verfasser mit einer Höllenstemlösung von Viuooo tiefgreifende circumscripte ACfectioaen der Harnröhre heilen konnte.)

360

Ueber intraurethrale Sclerose. Von Dr. Georg Berg. (Monatshefte^für pract. Dermatologie, Band XV., No. 1.)

Verf. tlieilt einen Fall mit, bei dem acht Tage post coitum serös eiteriger, Gonococcen enthaltender Ausfluss konstatirt wurde. Sub- jective Beschwerden und objective Veränderungen am orificium ex- ternum wie bei einer Gonorrhoe.

Unter Injectionsbehandlung mit zwei prozentiger Kesorcinlösang bessern sich die subjectiven Beschwerden, während Secretion, Köthung und Schwellung anhalten. Achtzehn Tage nach der ersten Visite kon- statirt Verfasser Eintrocknung des Eiters in feste Borken um das Ori- ficium, Kesistenz hinter der fossa navicularis, „als ob ein Fremdkörper in der Harnröhre stecke." Die damals gestellte Wahrscheinlichkeits- diagnose wird etwa drei Wochen später durch die endoskopische Untersuchung bestätigt. Drüsenschwellung und Roseola folgten. Heilung der Sclerose durch Schmierkur. Jedenfalls handelte es sich um eine doppelte Infection, Lues und Gonorrhoe.

(Fälle von intraurethraler Sclerose sind in der Praxis nicht allzu selten. Man trifft sie meist direct hinter dem meatus und in der fossa navicu- laris. Referent hatte Gelegenlieit einen Fall zu beobachten, der dem des Verfassers in so fern entsprach, als Gonorrhoe und intraurethrale Sclerose combinirt waren. Die beiden Contagien waren im Falle des Referenten bei einem Coitus acquirirt worden, dementsprechend zeigte sich die Sclerose erst drei Wochen nach Beginn des Trippers. Die In- duration, die man in der Harnröhre fühlt oder zu fühlen glaubt, führt oft irre. Lymphstränge, w^ie man sie beim Tripper findet, geben zu- weilen Pseudoinduration. Das Secret beim Schanker, der nicht mit Gonorrhoe complicirt ist, ist dünn serös, meist blutig uud frei von Gonococcen. Finden sich beide zu gleicher Zeit so ist die Diagnose oft recht schwer. Meist kann man in diesem Falle selbst unmittelbar, nachdem der Patient urinirt hat, durch Druck auf eine bestimmte Stelle, welch' letztere der Sclerose entspricht, blutig seröses Secret zu Tage befördern. Ref.)

Die Fortschritte in der Dermatologie. Von Dr. G. Arnheim. (Der ärztliche Praktiker, 1892, No. 29.)

Der Verfasser lässt die Veröffentlichungen auf dem Gebiete der Dermatologie vom Jahre 1891 Revue passiren. Bezüglich der Wirkung des Tuberkulins auf Lupus kommt er zum Resultat, dass nach Abküh- lung der ursprünglichen Begeisterung sich die Mehrzahl der Autoren absprechend verhält. Bei Leprösen wirkt es direct schädlich, ähnlich wie die Jodpräparate. Jedenfalls findet ein Zerfall der leprösen Herde statt und durch Freiwerden und Uebergang der Bacillen in die Blut- bahn werden neue Herde gebildet.

Auf bakteriologischem Gebiete erwähnt Verfasser die Arbeiten über Trichophyton- und Favuskulturen. Die von einer Gelatinekultur an- gelegten Bouillonkulturen von Trichophyton ergaben ein positives Re- sultat. Bezüglich des Favuspilzes bestätigten die bakteriologischen Untersuchungen die klinisch schon lange gekannte Möglichkeit einer Uebertragung von Thier auf Mensch. Er bespricht ferner Unna's Untersuchungen über Plasmazellen und Jarisch's und Kaposi's Arbei- ten über das normale und pathologische Pigment. Der letztgenannte Autor sieht für viele Pigmentationsvorgänge die Ursache in dem Hämo- globin resp. Hämatin der rothen Blutkörperchen, für andere in der chromatopoetischen Function der basalen Retezellen.

Auf physiologischem Gebiete sind besonders die Arbeiten über die resorbironde Thätigkeit der Haut interessant. Traube kommt zum Resultat, dass die Hornschicht bis zum Stratum granulosum für Lösungen durchgängig ist.

361

Von den klinisch interessanten Fällen geschieht u. A. des Falles von ScHAPRiNGKR übor Vaccineblepharitis Erwähnung, der in dieser Zeit- schrift ausführlicher mitgetheilt ist. Erwähnenswerth ist der Fall von NEALEeines Varicellenrecidives, zehn Tage nach der ersten Erkrankung.

Bezüglich der Psorospermien glaubt Verfasser wie die meisten neueren Autoren, dass die parasitäre Natur dieser bei der DARiEii'schen Erkrankung und dem Molluscum contagiosum vorkommenden Gebilde nichts weniger als erwiesen ist. Sie sind jedenfalls nichts anderes als tlegenerirte Epidermiszellen.

Referent kann auf eine Reihe anderer klinisch interessanter Fälle hier nicht näher eingehen und verweist diesbezüglich auf das Original.

A few stray histological and bacteriological facts concerning some skin diseases. By A. E. Regensburger. (Faciflc Medical Journal, June 1892.)

Der Artikel bringt nichts Neues. Der Verfasser betrachtet Lupus vulgaris als eine localisirte Tuberculose der Haut, Lupus erythematodes als eine dfivon verschiedene entzündliche Affection des Coriums, An- sichten, zu denen sich die meisten neueren Autoren bekennen.

Bezüglich der Ansteckungsgefahr der Lepra bekämpft Verfasser die von Bulkley neuerdings wieder ausgesprochene Noncontagiosität und plädirt für stricte Verhütungsmassregeln.

Alopecia areata ist nach dem Verfasser eine Trophoneurose. Die parasitäre Natur der Erkrankung wird von ihm nicht anerkannt, da der Parasit weder einwandsfrei gezüchtet noch inoculirt worden ist. (Die Frage bezüglich der Aetiologie der Alopecia areata ist noch sub judice. Referent glaubt, dass es eine parasitäre und eine neurotische Alopecia areata gibt.)

Augenheilkunde.— Referirt von Dr. A. SCHAPRINGER.

A case of Palimptosis, alternating with Proptosis, following In- jury. By H. Davison Schwarzschild. (New York Med. Record* 14. Mai 1892.)

Der rechte Augapfel des sich vorstellenden 20jährigen Mannes liegt um sechs Mm. tiefer in der Orbita als der linke. Dieser Zustand der PaUmptosis (Enophthalmus) verwandelt sich in den entgegengesetzten der Proptosis (Exophthalmus), sobald Patient sich nach vornüber beugt, so zwar, dass dann der rechte Bulbus um sechs Mm. mehr vor- steht als der Unke, die gesammte lineare Excursion dieses „wandern- den" Augapfels also 12 Mm. beträgt. Aetiologisch wird festgestellt, dass Patient im achten Lebensjahre von einem Wagen gestürzt war und sich die Stirne verletzt hatte, wovon noch eine Narbe in der rech- ten Supraorbitalgegend Zeugniss ablegt. Ausser der Lageanomalie des rechten Augapfels besteht auch noch eine auffallende Asymmetrie des Gesichtes und des Schädels, indem die Knochengebilde der rech- ten Seite gegenüber denen der linken Seite im Wachsthum zurückge- blieben sind.

On Vaccine Blepharitis. By C. Zimmermann, Milwaukee. (Archives of Ophthalmology, Vol. XXI., No. 2, 1892.)

Verfasser theilt einen neuen Fall von zufälliger Uebertragung von Vaccine auf die Augenlider mit. Er betraf einen zwölfjährigen Knaben, an dessen rechtem unterm Augenlid zwei Geschwüre sassen,u. z. am freien Rande in der Nähe des äusseren Canthus. Ein jüngeres Schwesterchen, mit welchem Patient zusammen in einem Bette zu schlafen pflegte, war einige Tage vorher am linken Arme geimpft wor- den. Es entwickelten sich heftige Entzündungserscheinungen, doch

362

wurde die Hornhaut nicht angegriffen und die Erkrankung heilte ohne irgend welche Folgen zu hinterlassen. (Vgl. die vom Eef erent in dieser Monatsschrift, November 1890 und November 1891 mitgetheilten Fälle dieser Art.) Nicht unerwähnt darf die vom Verfasser mit anerkenneus- werther Sorgfalt zusammengestellte Litteraturübersicht gelassen werden.

A case of Dermoid Cyst of the Orbit By John Dunn. (Kichmond, Va. The American Journal of Ophthalmol., Febr. 1892.)

Im Innern Augenwinkel (ob rechts oder links, wird nicht ange- geben— Eeferent) eines 16jährigen Mädchens sitzt eine kleine, resistente Geschwulst, um deren Entfernung Verfasser angegangen wird. Sie hatte sich zuerst im dritten Lebensjahre der Patientin bemerklich gemacht, war viele Jahre von Grösse gleich geblieben und hat der Patientin nie Sc!imerz verursacht. Letzthin ist sie jedoch gewachsen, namentlich schwillt sie bei jedem Schnupfen der Patientin merklich an und wird dabei dunkelroth. Dieser letztere Umstand führte, obwohl nicht über Thräuenträufeln geklagt wurde, zu der, wie sich später her- ausstellte, irrthümlichen Annahme, dass der Tumor mit den Thränen- ableitungswegen in Verbindung stehe. Es wurde demgemäss der obere Canaliculus geschlitzt und. von da aus durch den Thränensack ein kleines Messer in die Geschwulst vorgestossen. Es entleerte sich ein halber Theelöffel einer fettig-krümeligen Masse, deren Aussehen das Irrthümliche in der gestellten Diagnose klarlegte. Zwei Wochen nach der Incision begann die Cyste wieder sich zu füllen und sich durch den Thränennasengang zu entleeren. Es bildete sich ein Abs- cess, welcher durch die äussere Haut eröffnet wurde, worauf anschei- nend vollständige Heilung erfolgte. Die Geschwulst zeigte sich jedoch bald wieder, wuchs binnen Jahresfrist zu Haselnussgrösse und begann schmerzhaft zu werden. Unter Cocainanästhesie wurde nun der sich als ziemlich derb erweisende Balg herauspräparirt, wobei mehrere straffe Adhäsionen durchtrennt werden mussten.

Zur Simulation concentrischer Gresichtsfeldeinengan^en mit Be- rücksichtignng der traumatischen Neurosen. Von H. Schmidt- Rimpler. Göttingen. (D. Med. Wochenschr., 16. Juni 1892.)

Verfasser opponirt der Meinung Oppenheim's, dass die Simulation concentrischer Gesichtsieldeineugungen entweder überhaupt nicht oder nur von einem besonders geschickten und geradezu geschulten Betrü- ger gemacht werden könne. Um sich vor Täuschungen zu schützen, soll man die Gesichtsfeldmessungen nicht nach der gewöhnlichen Schablone am Perimeter anstellen, sondern campimetrisch in verschie- denen Entfernungen prüfen. Man ergänze die Prüfung durch einen vom Verfasser angegebenen Prismen versuch. Dieser beruht darauf, dass man mit einem starken Prisma, z. B. von 30°, das Bild des peri- pher, augeblich eben erst gesehenen Probeobjectes auf eine noch weiter peripher gelegene Netzhautpartie wirft, welche angeblich nicht mehr empfinden soll. Handelt es sich um die Prüfung der temporalen Seite des Gesichtsfeldes, so hält man die Basis des Prismas nasalwärts, han- delt es sich um die nasale Seite, temporalwärts vor das Auge. Bei dieser Versuclisanordnung hat man beide Augen öffnen zu lassen, damit der Fixirpunkt durch das freigelassene andere Auge festgehalten werde. Das Nähere über die Ausführung des Versuchs ist im Origi- nale nachzusehen. Es wird auch ein Fall ausführlich mitgetheilt, bei welchem nach einem Trauma aDgeblich bedeutende Einschränkung des Gesichtsfeldes eingetreten war, was aber durch die Prismenprobe leicht als Täuschung nachgewiesen werden konnte.

3G3

A new Operation for the speedy ripening of Immature Cataracts. By Boerne Bettmann. Cliicago. (Medical Record, 30, Juli 1892.)

B. hat das FoERSTER'sche Verfahren zur künstlichen Reifuug lang- sam fortschreitender Altersstaare derart modificirt, dass er die Linse nicht mittelbar durch Streichen der Hornhaut massirt, sondern dieses Manöver durch einen in die Vorderkammer eingeführten und mit der vordem Linsenkapsel in Berührung gebrachten Spatel direkt ausführt. Eine Reihe mitgetheilter Fälle zeigen den Erwartungen entsprechende günstige Resultate. Bei den früheren Fällen sandte B. der Massage, ebenso wie Foerster, die Iridectomie voraus, bei späteren führte er das Verfahren bei intakt gelassener Regenbogenhaut aus.

Kinderheilkunde.— Referirt von Dr. SARA WELT.

Die Anwendung: von Jodum trihromatum gegen Diphtherie. Von Dr. E. Kraus. (Archiv für Kinderheilkunde, V. 1892.)

Auf Grund seiner Erfahrungen, die K. in einigen Fällen von Rachen- diphtherie mit dem Mittel machte, ist er zu folgenden Resultaten ge- kommen :

1. Dem Jodum tribromatum muss eine die Pseudomembranen lö- sende, antiparasitäre und antiseptische Eigenschaft zugeschrieben werden.

2. Es geht sehr rasch in den Blutkreislauf über, wenn es als Inhala- tion fleissig gebraucht wird.

8. Eoen deshalb sind die Lungen des Patienten sorgsam zu über- wachen, und bei bedenkhohen Erscheinungen mit den Inhalationen zu sistiren.

4. Das Jodum tribromatum scheint einen coupirenden Einfluss auf das Fieber auszuüben.

5. Es wird von den Patienten ohne jedes Widerstreben in allen Formen der Anwendung gebraucht.

6. Soll es günstig wirken, so muss es gleich von Beginn der Krank- heit in Gebrauch genommen werden. Bei schon ausgebreitetem Pro- cess und vorgeschrittenem Leiden versagt es. Das Jodum tribroma- tum (J2 + SBr, = 2 JBra) stellt eine dunkelbraune Flüssigkeit dar, von starkstechendem und unangenehmem Gerüche, die unter Ent- wicklung von die Athmungsorgane reizenden Dämpfen sich rasch ver- flüchtigt. Es wurde in wässeriger Lösung (1:300) für Inhalationen, Gargarismen und Ausspritzungen ordinirt.

Ueber Nervosität und Psychosen im Kindesalter. Von Dr. M. Fried- mann. (Münch. Med. Wochenschrift, Mai 1892.j

Die bisher vorliegenden statistischen Berichte über Kinderpsychosen sind aus auf der Hand liegenden Gründen nicht ganz zuverlässig. Anders als für die geistigen Km nkheiten der Erwachsenen, sind die ]5'niclite von Anstalten hierfür nicht massgebend, weil eben geistes- kranke Kinder nur in seltenen Fällen nach Anstalten gescliickt und Mufgeiiommen werden ; häufig auch werden die Symptome von geisti- ger Eikrankung bei Kindern anders gedeutet und verkannt ; und zu- letzt auch von den Angehörigen verheimlicht. Um so wünschens- werther sind daher Berichte von einzelnen Aerzten, wenn sich auch da- liei Fehlerquellen nicht gänzlich ausschliessen lassen. F. berichtet iW^Y 115 Fälle von Nervenerkranknngi-n bei Kindern ; darunter waren 4 Psychosen (ohne Idiotie) und 66 functionelle Neurosen, während der Rest organische und periphere Erkrankungen begreift ; so dass sich also unter den Nervenleiden übei haupt 3^—4 Procent, und unter den functionellen Allgemeinneurosen 6 Procent Psychosen finden ; bei den

364

während der gleichen Zeit behandelten Erwachsenen aber bildeten die Psychosen 16 Procent der Nervenkranken überhaupt und 27 Procent der functionellen Allgeineinneurosen.

Bezüglich des Causalmomentes konnte 'unter 70 Fällen von func- tionell nervösen Allgemeinerkrankungen bei Kindern 37 mal ein an- geborenes nervöses Naturell constatirt werden ; in 8 Fällen bildeten acute fieberhafte Krankheiten, und Ueberanstrengnng in der Schule 9 mal die Hauptursache.

F. hatte häufig Gelegenheit den nervösen Habitus bei Kindern zu beobachten, ehe derselbe zu einer spezifischen Neurose sich entwickelt hatte ; den Kernpunkt bildet dabei, nach seiner Ansicht, die psychi- sche Abnormität, fast stets die psychische Hyperaesthesie ; während im Allgemeinen eine Verwandtschaft mit dem neurasthenischen Zu- stand besteht, unterscheidet sich der nervöse Habitus bei Kindern wesentUch durch das Ueberwiegen der somatischen über die psychi- schen Reizerscheinungen ; und hält er mit Beard die Neurasthenie bei Säuglingen und Kindern für sehr selten.

Was nun die verschiedenen Formen der functionellen Neurosen an- langt, so bestand in einem Drittheil der Fälle Chorea minor ; er betont die Bedeutsamkeit der angeborenen nervösen Disposition für die Ent- stehung der Chorea und glaubt, dass die Mehrzahl der nervösen Kinder die Tendenz dazu in sich trägt.

Ein noch häufigerer Symptoraencomplex war die Schulnervösität. Aetiologisch handelt es sich dabei um Ueberanstrengung in intellectuel- 1er Beziehung bei nervenkräftigen Kindern, verbunden mit den Hem- mungen, welche das Schulsitzen der körperlichen Entwicklung auflegt. Ihre Prognose ist eine eminent günstige ; bei nervös disponirten Kin- dern aber ist der Einfluss der Schulanstrengung ein viel bedeutenderer und mag als eine Gelegenheitsursache für die Entwicklung von schwe- ren Neurosen wirken.

In 12 von den beobachteten (66) Fällen bestand Hysterie ; und zwar stellt sie eine der schwersten Ausgestaltungen der nervösen Anlage dar ; sie tritt durchschnittlich mit schweren Symptomen auf und wird oft in das spätere Leben mitgenommen ; F. glaubt, dass eine Tendenz des Kindesalters auch zu hysterischen Symptomen besteht.

In Bezug auf die psychischen nervösen Symptome machte sich die Häufigkeit der passageren Störungen bemerkbar ; und zwar äusserten sie sich hauptsächlich als Hallucinationen und Zwangsvorstellungen ; sehr selten aber traten Störungen von continuirlicher Dauer oder mit beständiger Wiederholung auf und sind letztere durch geistige Tor- pidität characterisirt.

Gase of Hysterectomy in a Child of Nine. By E. H. Bradford, M. D.

(Archives of Pediatrics, July 1892.)

Bericht über ein scheinbar gesundes, 9 Jahre altes Mädchen mit grossem Abdominaltumor ; derselbe hatte schon längere Zeit bestan- den, war aber erst in den letzten 3 Monaten rasch gewachsen und machte gar keine Beschwerden.

Bei der Operation stellte es sich heraus, dass der Tumor die Grösse eines Kopfes eines ausgetrag<^nen Foetus hatte ; an der einen Seite wurden Tube und Ovarium intact gefunden, während an der anderen Seite die Geschwulst über einen Theil der Tube gewuchert war und nur ihr Ende frei Hess. Erst nachdem zahlreiche Adhäsionen mit dem Darrae gelöst und die Ligamenta lata durchschnitten worden waren, konnte der Tumor aus der Beckenhöhle gehoben und mit dem Ecraseur vom Stiele getrennt werden; extraperitoneale Befestigung des Stieles.

Das Kind genas und ist bisher (4 Monate nach der Operation) kein Becidiv eingetreten.

365

Die mikroskopische Untersuchung des Tumors ergab ein Cystoma papilläre.

Pericardial Effusion in an Infant. By Michael Th. Sadler, M. D. (The Brit. Med. Journ., Nov. 1891.)

Ein 5 Monate altes, scheinbar gesundes Kind, bei dem nach einem leichten Stosse in der Gegend der linken Schläfe Convulsionen auftra- ten, von welchen es sich jedoch bald erholte; 2 Tage später aber wie- derholten sich die Krämpfe und kam das Kind ad exitum. Bei der 24 Stunden später vorgenommenen Autopsie wurde keine nennenswerthe Veränderung am Geliirn wahrgenommen. Das Pericardium aber war stark ausgedehnt und enthielt etwa 2 Unzen einer klaren serösen Flüssigkeit ; die linke Lunge war collabirt ; an den andern Organen wurde niciits abnormes gefunden.

Diphtheria from Rags after Nine Years. By L. J. Rhea, M. D. (The Medical Brief, January 1892.),

K. theilt einen Diphtherie-Fall bei einem Sjährigen Kinde mit, weicher im Laufe von 10 Tagen von 5 anderen Fällen gefolgt wurde. Bei der Eruirung, wie die Krankheit contrahirt wurde, stellte es sich heraus, dass 3 Tage vor der ersten Erkrankung der Yater des Kindes einen mit alten Lumpen gefüllten Sack von einem Nachbar kaufte, welche vor 9 Jahren aus einem Diphtheriehause entfernt wurden; wäh- rend der ganzen Zeit hatte der Sack unberührt in einem Nebenhause gelegen. Die Kinder eröffneten den Sack und spielten mit den in ihm enthaltenen alten Sachen.

Biiefkasteo.

New York, 5. September, 1892. An die Redaktion der New Yorker Medicinischen Monatsschrift.

In seiner Besprechung meiner Uebersetzung des EwALo'schen Buches sah Herr Dr. Einhorn sich veranlasst zu bemerken, dass : ,,Dr. Manges hat das EwALo'sche Buch mit mehreren Anmerkungen ver- sehen ; davon sind manche ganz brauchbar, manche überflüssig und manche nicht ganz der Wahrheit enti^prechemV (N. Y. Med. Monatssch., Aug. 1892, S. 326).

In Erwiderung dieser zum mindesten etwas unüberlegten Aeusse- rung möchte ich nur hervorheben, dass Herr Prof. Ewald nicht allein mein Manuscript durchlas, sondern in einem Brief, den ich vor einigen Wochen erhielt, ausdrücklich erwähnte : " I am very much indebted for the additional foot-notes, as theu concnr nearly everywJiere icith my op'in- ion and bring the book up to the latest Standard of science."

Hochachtungsvoll,

Dr. Morris Manges.

Allerlei.

In der jüngsten Sitzung der „Societe de Biologie" in Paris machte, nach einem Berichte der „Deutschen Med. Woch.", Dr. Gamaleia die Mittheilung, dass die Hunde für das Choleragift empfindlicher seien, als die meisten anderen Thiere, welche für die Experimente im Laboratorium in Betracht kommen. G. hat vornehmlich die intrave- nöse Injection der Cholerabacillen bei Hunden studirt , u. z. wurden entweder hochvirulente Cuituren oder Bacterien, welche in ihrer Wirk- samkeit durch Passage von Thier zu Thier eine erhöhte Giftigkeit er- langt haben, benutzt. G. formulirt, auf Grund seiner mannigfachen Experimente, folgende Schlusssätze : Die Cholera beim Hunde bietet

366

die ^rösste Analogie mit der des Menschen dar ; sie ist characterisirt durch die sauguinolenten oder reisförmigen Stuhlgänge und vornehm- lich durch das stundenlang anhaltende Erbrechen. Bei der Autopsie finden sich die characteristischen Veränderungen der Schleimhaut des Verdauungstractus. Ausserdem ist sehr bemerkenswerth die Schnel- ligkeit, mit welcher die Hunde Immunität gegen die Cholera erlangen. Injicirt man einem Thier eine Dosis des Giftes, welche nicht hinreicht dasselbe zu tödten, wohl aber die anderen Erscheinungen der Cholera, als Hinfälligkeit, Erbrechen, Diarrhoe, etc., herbeiführt, so werden sie bereits am folgenden Tage selbst gegen die stärksten Quantitäten des Giftes refractär.

Nach den kürzlichen Untersuchungen, die Dr. H-\ffkine aus Russland im Laboratorium des Institutes Pasteur in Paris mit Meer- schweinschen, Kaninchen und Tauben gemacht, übt die Einimpfung von Anticholeravaccine aus den Eeinculturen des Komma bacil- lus nach der PFEiFFER'schen Methode je in Verstärkung und Ab- schwächung bereitet auf Thiere verschiedener Art dieselbe Wirkung aus. Die Versuche auf den Menschen übertragend, machte zuerst sich H. selbst in die linke Weiche eine subcutane Injection von der soge- nannten ersten Art der Anticholeravaccine, und zwar in einer höheren als für die Thierimpfung gebrauchten Dosis. Das Unwohlsein, welches durch diese Impfung entstand, dauerte ca. 24 Stunden und bestand in einer Temperaturerhöhung um etwa 1 Grad mit leichten fieberhaften Symptomen (Kopfschmerz, Trockenheit im Munde, Harntrübung), ohne Beschwerden von Seite des Verdauungscanales. Als Localreaction bestand Schmerz an der Einstiehstelle mit leichter Anschwellung der Haut und der entsprechenden Drüsen ; der Schmerz war am 5. Tage, die Anschwellung in allmählicher Abnahme erst am 9. Tage verschwun- den. 6 Tage nach der ersten Einimpfung liess sich H. eine zweite in die rechte Weiche machen und zwar mit dem verstärkten Choleravirus (No. 2 der Vaccine). Es folgte wieder Temperaturerhöhung, bis auf 38,6^\ localer Schmerz, aber keine Schwellung, der Allgemeinzustand nach 28 Stunden wieder normal, der Schmerz nach 3 Tagen verschwun- den, keine Verdauungsstörungen. Die folgende Impfung, die bei einem Arzte aus St. Petersburg vorgenommen ward, verhef ebenso wie bei Haff k ine, die Impfung mit dem verstärkten Virus bheb jedoch bei- nahe reactionsios ; dasselbe war der Fall bei einem Arzte aus Tiflis, welcher bloss Vs der vorher angewandten Dosis erhielt. Dieselbe Menge ward einem Ingenieur aus Moskau, der einige Tage lang an leichter Diarrhoe gelitten hatte, subcutan am linken Arm injicirt, die Temperatur stiee: bis auf 38,5c», nni nächsten Tages wieder auf 37,4:" zurückzugehen, Schwellung und Schmerzan der Injectionsstelle hielten noch 4 Tage an ; die Diarrhoe war am Tage nach der ersten Impfung ausgeblieben. Die Einimpfung dieser beiden Arten von Anticholera- vaccine, deren Schutz für das Thier experimentell festgestellt ist, ist ohne Gefahr für den Menschen und Haffkine hegt die sichere Hoffnung, dass der Organismus des Menschen 6 Tage nach der Impfung die vollständigste Immunität gegen jede Cholerainfection erlangt haben wird. (Müuchener Med. Woch., 9. Aug., 1892).

Zur Behandlung von Cholerakranken gab die Societe de thera- peutique in der Sitzung vom 13. Juli d. J. folgende Instruktionen : Zur Stimulation empfiehlt sich die Verabreichung warmer Getränke, Alko- hol, Thee oder Eum, leichter Kaffee, sodann Abreibungen, Wärm- flaschen u. s. w. Gegen die Diarrhoe wird die Milchsäure empfohlen :

Rp. Acid. lactic 10,0

Syrup. spl 20,0

Tinct c. aurant 2,0

367

S. Das Ganze in einen Liter Wasser zu schütten und dem Kranken viertelstündlich drei EsslöffelvoU zu geben.

Das beste Anti-Emeticum ist das Menthol, ferner kleine Eisstück- chen, in kohlensäurehaltigen Getränken von Zeit zu Zeit verabreicht. Gegen das Erbrechen von Cholerakranken haben sich die Tropfen von

Laussedat sehr bewährt :

Kp. Tinct. Yalerianae aether 5,00

Laudani Sydenhami 1,00

Ol. Menthae aeih gutt. V

Liquor. Hoffmanni 5,00

Gegen Cholera infantum verordnet Sonnenberger (Allg. Med. Centralztg. Nr. 99, 1891) mit bestem Erfolge das Resorcin, und zwar bei Kindern in den ersten Lebensmonaten 0,1—0,12, bei älteren 0,15—0,2 pro die, mit oder ohne Zusatz von Opium. S. empfiehlt folgende Formel :

Rp. Resorcini 0,1—0,25

Inf. Chamom (15,0) 70,0

(Tinct. Opii simpl . gutt. I— II.)

Syrup. cort. auraut ... 20,0

MDS. 1— 2stündlich 1 Theelöffel.

Dr. Green (University Med. Magazine, June 1892) berichtet über einige Fälle von sehr häufigem Harndrang bei älteren Leuten, in welchen eine prompte Besserang durch Phenacetin (10 Gran vor dem Schlafengehen) von ihm erzielt wurde. Die Wirkung des Mittels war eine anhaltende, so dass auch während des darauffolgenden Tages die Zahl der Blasenentleerungen bedeutend reducirt erschien. Nach einer kurzen Zeit konnte das Phenacetin weggelassen werden, ohne dass die krankhaften Erscheinungen wiederum zum Vorschein kamen.

Berlin. Bei der am 1. August vollzogenen Wahl des Rectors und der Dekane des Studienjahres 1892-93 wurde zum Rector der Univer- sität Prof. Dr. YiRCHOw und zum Dekan der medicinischen Facultät Professor Dr. Jolly gewählt.

Unter den zahlreichen, werthvollen Hülfsmitteln der Therapie,

welche die Fabriken von Fr. Bayer & Co, in Elberfeld lieferten, ver- dient das Europhen spezielle Aufmerksamkeit. Nachdem sein Werth als antiseptisches Verbandmittel von verschiedenen Seiten zweifellos erwiesen war, äussert sich jetzt auch Dr. Petersen in der russischen med. Wochenschrift „Vratsch " dahin, dass nach seinen Beobachtun- gen Europhen in der kleinen Chirurgie und bei weichen Schankern ein gutes Ersatzmittel des Jodoforms sei, das vor Allem nicht den unan- genehmen Gerufh des letzteren besitzt.

The American Therapist. Unter diesem Namen erscheint seit dem 1. Juli unter der Redaktion von Dr. J. Aulde in New York ein monat- liches Blatt über die modernen therapeutischen Hilfsmittel.

Aus Paris schreibt man der Allg. Wiener Med. Zeitung " : Auf die, alle Kreise unserer Bevölkerung durchdringende Erkenntniss, dass die Zunahme unserer Bevölkerungszahl zu dem alljährlichen naturge- mässeu Abgange nicht in richtigem Verhältnisse stehe, ist die Bildung eines neuen Vereins zurückzuführen, der sich Socield pour la propa- gation de l'allaitement maternel *' nennt. Der grossen Sterblichkeit, die bei uns wie in aller Welt unter den künstUch erzogenen Neugebo- renen herrscht, soll in der Weise abgeholfen werden, dass man es den Müttern erleichtert oder überhaupt möglich macht, ihre Kinder selbst an der Brust aufzuziehen. Die Societe verfügt bereits über reiche

868

Geldmittel und hat erst vor einigen Tagen in der Avenue du Maine ein Gebäude feierlich eröffnet, in welchem jährlich circa 700 schwangere Frauen circa einen Monat lang unentgeltlich verpflegt werden. Die medizinische Facultät hat für dieses Wohlthätigkeits-Institut ebenfalls ein grosses Interesse, was die Professoren Tarxier und Pinard bei der Eröffnungsfeier in ihren Keden öffentlich bekundeten."

Laut einem an uns gerichteten Schreiben beabsichtigen Armour & Co., Chicago, während der nächsten Columbia- Weltausstellung in Chicago ein Auskunftsbüreau für Aerzte und Pharmazeuten einzu- richten, wo man sich über alles in der Ausstellung Vorgehende leicht unterrichten könnte. Bei dieser Gelegenheit ladet obige Firma die Aerzte ein, ihre verscliiedenen Laboratorien und ihre weltbekannten Schlachthäuser in Anschau zu nehmen.

Hüchertisch.

Eingesandt :

Cholera, Brechdurchfall und ihre verwandten Krankheiten. Von Dr. Gr. F. Wachsmuth. Schutzmassregeln und hygienisch-rationelle Behandlung, illustrirt durch die Statistik von Berlin nach amt- lichen Quellen. Mit Anhang : Ministerielle Bekanntmachung über das während der Cholerazeit zu beobachtende Verhalten. (Leipzig, Verlag von H. Härtung & Sohn [G. M. Herzog] 1892.)

Munchener medicinische Abhandlungen. München. Verlag von J. F. Lehmann, 1892. II. Reihe, Heft 5 : Ein Fall von Aneurysma der Arteria basilaris. Von Dr. W. Oppe. III. Reihe, Heft 2 : CJeber die Wirkung des Tuberculinum Kochii bei Lupus. Von Dr. K. Port. V. Reihe, Heft 3 : Acht Thesen gegen die Münchener Schwemmkanalisation. Von Dr. Max von Pettenkofer. VI. Reihe, Heft 5 : Die Prostitution. Von Dr. E. Miller. VII. Reihe, Heft 1 : Die Lendennerven der Affen und des Menschen. Von Dr. A. Utschneidek.

Personalien.

Verzogen ; Dr. S. Kohn, nach 805 Madison Avenue. Dr. Geo. W. Jacoby, nach 663 Madison Avenue. Dr. Frederic E. Sondern nach 134 VV. 34. Strasse.

Dr. Max Einhorn, Stellvertretender Redakteur, 107 E. 65. St.

An die Leser.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w., sind zu richten an : " Medical Monthly Publishing Co.," 17—27 Vandewater Street, New York.

21'anusc7i.pte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Herausgeber zu richten.

Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse unseres Blattes im Osten thätig. Da derselbe dieses Jahr nicht reisen wird, so erweisen uns die geehrten Abonnenten einen grossen Gefallen, wenn sie ihren Abonnements-Beitrag einsenden.

Billig zu verkaufen.

"Woods Complete Medical Library, 100 Volumes'* gebunden nnd neu. Nähere Auskunft ertheilt.

Medical Monthly Publ. Co.

27 Vandewater Str.

New Voriger

Medicinische Monatsschrift.

Organ für praktische Aerzte in Amerika

unter ISIitwirkung von

Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. "W. Gleitsmann, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert herausgegeben von Dr. F. C. HEPPENHEIMER. Verlag der Medical Monthly Publishing Company, 17-27 Tandewater Street, N# T#

Bd. IV. New York, 15. October 1892. No. 10,

ORIGINALARBEITEN. I.

Labjrinlhnekrose und Facialis] älimung.

Von

Dr. Max Toeplitz,

New York.

Vortrag gehalten am 7ten März, 1892, im Deutschen Medicinischen Verein von

New York.

Bei der Seltenheit der Labyrinthnekrose und bei dem damit verbun- denen, nicht nur für den Ohrenarzt, sondern auch für den Neurologen und Physiologen höchst interessanten Verlaufe mag es gerechtfertigt erscheinen, Ihnen, meine Herren, heute Abend eine zusammenhängende Darstellung des Gegenstandes zu geben.

Zunächst will ich Ihnen über einen selbstbeobachteten Fall,! mit Demonstration des Patienten, und des entfernten Sequesters berichten und daran meine weiteren Bemerkungen anschliessen.

Demonstration. Mamie Kaiser, 6^ Jahre alt, erkrankte gegen Mitte April 1889 an schwerem Scharlach mit einem, eine Woche dauernden Exanthem und leichter Halsaffektion. Am 6ten Mai bemerkte die Mutter, dass das Gesicht, besonders beim Lachen nach rechts verzogen war, und dass das Kind das linke Auge nicht schliessen konnte. Erst einige Tage später wurde sie auch auf einen reichlichen Ohrenfluss aufmerksam. Das Mädchen lag fünf Wochen lang im Bett, weil es ihm nach der

» Der Fall ist bereits in der April-Nummer der ,,Archives of Otology", 1892, herausgegeben von Knapp u. s. w., veröffentlicht.

870

Krankheit unmöglich war 2u stehen. Sie musste erst wieder gehen ler- nen, wozu sie über drei Wochen brauchte. Anfangs brachte sie die ge- ringste Bewegung in die Gefahr zu fallen. Am 17. Juni 1889 (also 9 Wochen nach Beginn der Erkrankung), stellte sich Patient zuerst im New York Ophthalmie and Aural Institute vor und der behandelnde Arzt (McMahon) notirte als Diagnose : Linke Facialisparalyse, Ohren- polypen (? Caries des Promontoriums ?), und entfernte noch an demsel- ben Tage mehrere Polypen. Später hat er noch häuflge Entfernungen mit dem scharfen Löffel vorgenommen und dabei waren auch mehrere kleine Knochenpartikel abgegangen, die jedoch formlos waren. Das Ohr entleerte fortwährend Eiter, und polypöse Granulationen bildeten sich immer wieder. Die Patientin hatte seit Beginn der Erkrankung niemals über Schmerzen und Ohrensausen geklagt.

Am 29ten Januar, 1891 bekam ich die Patientin zum ersten Male auf meiner Abtheilung des „New York Ophthalmie and Aural Institute" zu sehen. Von der Facialisparalyse war im ruhigen Zustande des Gesichts nichts zu bemerken, nur beim Lachen verzog sich das Gesicht nach rechts. Ich fand den linken äusseren Gehörgang mit Polypen angefüllt und entfernte noch an demselben Tage mehrere mit der i<calten Schlinge. Am 26ten Februar und 3ten April sind wieder Polypenentfernungen no- tirt. Dieselben wucherten trotz scharfen Löffels und Chromsäure immer noch fort. Anfang Juni 1891 bemerkte ich bei Sondenberührungen eine starke Kesistenz im knöchernen Gehörgang, die sich mir als rauher Knochen präsentirte. Ein Entfernungsversuch mit scharfem Löffel misslang wegen grosser Schmerzen, und weil der Sequester noch zu fest eingekeilt war.

Am 9ten Juli 1891 war derselbe bereits so locker geworden, dass es mir gelang, denselben mit dem Schlingenschnürer zu entfernen, wobei die spitzen Kanten der Patientin beim Durchtritt Schmerzen verursach- ten. Zwei Tage vor der Entfernung beklagte sich die Patientin zum ersten Male über kontinuirlicne Schmerzen, welche bis zum Tage nach der Entfernung des ersten Sequesters dauerten. Der Ohrenfluss hielt jedoch immer noch an, und Polypen waren auch noch spärlich vor- handen.

Am 6ten August 1891 wurde im äusseren Gehörgang wieder eine Resistenz entdeckt und sogleich in der Narkose mit dem Löffel ent- fernt.

Am 7ten August hörte der Ohrenfluss auf, um nie wieder zu erschei- nen.

Die beiden Sequester, welche hiermit demonstrirt werden, und wel- che Herr Dr. Ward A. Holden zu zeichnen die Freundlichkeit hatte gehören dem Felsentheile des Schläfenbeines an, u. z. sind beide Theile der Schnecke.

Der zuerst entfernte Sequester is ca. Vie Zoll lang und i Zoll breit ; er ist von einer fast runden Oeffnung durchbrochen, um die sich an einer Seite eine gekrümmte Furche anschliesst, deren Krümmung i Kreis ent- spricht.

371

Der zweite, kleinere Sequester, Vi« Zoll lang und i Zoll breit, zeigt zwei Oeffnungen, die in aufeinander zu laufende, gekrümmte Köhren endigen. Die beiden Sequester passen an den erodirten Stellen anein- ander.

Die von Herrn Dr. B. Sachs auf mein Ersuchen am Slten December 1891 freundlichst ausgeführte elektrische Untersuchung des N. Facialis ergiebt folgendes Kesultat :

„Es sind nur noch die Eeste einer Lähmung in allen Gebieten des N. Facialis voriianden. Das Auge kann gut geschlossen werden. Der Mundwinkel wird nur bei Anstrengungen und beim Lachen verzogen. Keine Deviation der uvula. Auch die elektrischen Reactionen sind wie^ der fast normal. Der Nerv ist durch starke faradische Ströme erreg- bar, aber natürlich bei 'weitem nicht in dem Maasse wie der gesunde Facialis.

Der Facialis der linken Seite antwortet auf sehr starken galvanischen Reiz (erste K. S. Z. bei 10 M. A.) ; während die Muskeln auf weniger starke Ströme reagiren (Orbicularis Oris. Erste K. S. Z. bei 6 M. A Erste A. S. Z. bei 8 M. A.). Auf der rechten Seite ist die erste K. S. Z. schon mit 3,5 M. A. zu erreichen. Es ist also nur noch eine Andeutung der früheren Störung der elektrischen Reaktion vorhanden. Am Tage der Untersuchung war keine Entartungsreaktion da. Vollkommene Heilung steht binnen kurzer Zeit in Aussicht."

Bei der Gehörprüf ung giebt die Patientin merkwürdigerweise an, dass sie die hohe und tiefe Stimmgabel sowohl durch Luftleitung, als durch Knochenleitung höre, aber sie hört auch die auf den rechten pro- cess. mastoid. aufgesetzte Stimmgabel nur auf dem 1. Ohre, auch bei verschlossenem r. Ohre.

Es ist aber nicht anzunehmen, dass noch Perzeption im 1. Ohre vor- handen ist, da bei der Jugend der Patientin eine genaue Lokalisation ausgeschlossen ist, und die Angabe einer Perzeption im 1. bei aufgesetz- ter Gabel auf dem normalen r., verschlossenen Ohr den physiologischen Thatsachen widerspricht. Die Sprache wird nur gehört, wenn sie ganz laut ins 1. Ohr geschrien wird, wobei Perzeption des r., wenn auch ver- schlossenen Ohres nicht ausgeschlossen ist.

Otoscopie des 1. Ohres zeigt, dass die Paukenhöhle mit einer gleich - mässig zarten Narbe bedeckt ist, die man als ein Pseudotrommelfell ansprechen muss.

Die Literatur über unsern Gegenstand ist von Bezold bis zum Jahre 1886 zusammengestellt. Seitdem sind etwa 20 neue Fälle veröffentlicht worden, im Ganzen also seit der ersten Veröffentlichung von Toynbee, 1830, ca. 65 Fälle.

Das männliche Geschlecht zeigt eine gewisse Prädisposition zur Labyrinthnecrose. Im ersten Jahrzehnt scheint eine besondere Prä- disposition vorhanden zu sein, welche sich zum Theile aus der Neigung zu Mittelohrprocessen insbesondere nach den acuten exanthematischen Erkrankungen in diesem Alter erklärt. Ferner hat das Labyrinth beim Neugeborenen bereits seine normale Ausdehnung erreicht ; es re-

372

präsentirt also im kindlichen Organismus etwa die l6-fache Grösse gegenüber dem des Erwachsenen. Das kindliche Labyrinth ist ausser- dem durch die Gefässe der fossa subarcuata in seinen knöchernen Wandungen viel reichlicher mit Gefässen versorgt als das des Er- wachsenen.

In den weiteren Jahrzehnten entspricht die Abnahme der Zahlen der successiven Verminderung der Individuenzahl mit dem wachsen- den Alter. Der älteste Patient war in dem von Blake und Spear berichteten Falle 72 Jahre alt.

In der Aetiologie spielen die acuten Exantheme, darunter der Schar- lach, eine Hauptrolle bei der Entstehung der Xecrose, welche in der Eegel zu den erst nach Jahren hervortretenden Nachkrankheiten des Scharlachs gehört. Zuweilen entsteht sie nach Morbillen, selten bei Scrophulose und Miliartuberkulose, nach Variola (Eman. Max), nach Eiterung in Folge von Nasenpolypen und Adenoiden Vegetationen (Erskine). In drei Fällen beruhte die Otorrhoe auf vorausgegangener traumatischer Einwirkung. Erscheinungen von Syphilis sind in keinem Falle angegeben.

Die Dauer des Krankheitsprocesses berechnet man am besten vom ersten Auftreten der Otorrhoe an, da es nur in wenigen Fällen möglich ist den Zeitpunkt zu bestimmen, in welchem der Entzündungsprocess auf das Labyrinth selbst übergegriffen hat. Danach hat der Process nach der BEZOLD'schen Zusammenstellung, mit Ausnahme von 4 Fällen, die weniger als ein Jahr bis zur Ausstossung des Sequesters brauchten, bei den meisten Kranken mindestens ein Jahr, meist aber noch viel länger, bei 21 Fällen über 4 Jahre, in 8 Fällen über 20 Jahre be- standen.

In der grossen Mehrzahl der beobachteten Labyrinthnecrosen kommt der Necrotisirungsprocess erst secundär im Verlaufe einer Mittelohreiterung zur Entwickelung. Eine Ausnahme hiervon bilden drei Fälle, 1. der von Christixnek aus der Poliklinik von Schwartze mitgetheilte Fall, der durch seine Dauer und Verlauf bemerkenswerth ist. Die Eiterung hatte bis zum Erscheinen der necrotischen Schnecke im Gehörgange nur zwei Monate gedauert. Der Patient wurde von plötzlichem Schwindel und Mattigkeit, mit Schmerzen in der rechten Kopfhälfte und Erbrechen, welches drei Tage anhielt, befallen. Kein Verlust des Bewusstseins. Zwölf Wochen später trat eine Eiterung aus dem Ohre ein, worauf Nachlass der Schmerzen erfolgte ; acht Tage später Facialislähmung.

2. Fall von Trautmann (Berl. Naturforsch. Versamml. 1886). Patient, 45 Jahre alt, erkrankt unter meningitischen Erscheinungen ; nach sechs Wochen Ohreiterung mit Granulationen, nach deren Entfernung die nekrotische Schnecke extrahirt wurde. Vernarbung. | Jahre später Cholesteatombildung, Operation, Heilung mit Facialisparalyse.

3. In meinem vorher beschriebenen Falle war das Lrbyrinth gleich von Anfang an affizirt. Die Facialisparalyse als Initialsymptom, mit drauffolgender Eiterung und gleichzeitig bestehenden^ Gleichgewichts-

373

Störungen deuten entschieden darauf hin. Der weitere Verlauf war allerdings ein langsamer.

Wir müssen also in diesen drei Fällen eine primäre in Nekrose endende Entzündung des Labyrinths annehmen.

Der Ausfliiss ist während der Entwicklung und des Ablaufs des Nekiotisirungsprocesses stets continuirlich und profus. Fötor fehlt in keinem Falle und wird auch durch antiseptische Behandlung bis zur Ausstossung des Sequesters nicht beseitigt.

Schmerzeri begleiten die Affection fast konstant, ein schmerzloser Verlauf, wie der in unserem Falle, ist selten. Die Schmerzen sind nicht nur vom Labyrinthprocess selbst, sondern auch von den Mittelohrpro- cessen abhängig, sind daher oft von jahrelanger Dauer. Sie betreffen oft die ganze Kopfhälfte. Bei Komplikationen vom Warzenfortsatz ist Druckempflndlichkeit desselben vorhanden. Die Demarkation und die Wanderung des Sequesters verursachen während der letzten Monate Schmerzen, die der Ausstossung vorausgehen, besonders wenn der Se- quester den mit sensiblen Nerven reich versehenen knöchernen Gehör- gang erreicht hat. Mit der Entfernung des Sequesters sind, wo keine Komplikationen vorhanden sind, die Schmerzen abgeschnitten, oft schon mit der Entfernung der Polypen, ^wodurch dem Eiter freier Ab- fluss geschaffen wird,

Fieber und Schüttelfröste sind meist durch Komplikationen von Seiten der Meningen, Sinuse, Proc. Mast, bedingt.

Polypöse Wacher imgen fehlen wohl in keinem Falle. Sie kommen oft vor der Labyrinthaffektion durch die Mittelohreiterung zu Stande, ent- stehen aber immer sicher während der Wanderung des scharfkantigen Sequesters durch die Paukenhöhle und Gehörgang. Die Wucherungen sind sehr üppig und erneuern sich, wenn der Sequester in ihnen einge- bettet ist, schon wenige Tage nach der Abtragung. Ihr Wachsthum hört nach Entfernung des Sequesters auf, worauf rasch eine Involution der zurückbleibenden Reste erfolgt, In Folgendem schliesse ich mich den lichtvollen Ausführungen von Eman. Max an :

GleicJtgewichtsstörungen werden nach Bezold nur bei einem Bruch- theile der Beobachtungen erwähnt, und bei diesen traten sie nur vorüber- gehend im Beginn der Erkrankung auf. Nach Floürens und bes. Goltz stehen die Bogengänge der Erhaltung des Gleichgewichts vor. W^enn ein oder alle Bogengänge der einen Seite ausgeschaltet ist, so überneh- men, nach Analogie, die intakten Bogengänge der anderen Seite ganz oder theilweise die Funktion. Treten die Bogengänge der einen Seite allmälig ausser Funktion, so wird das unversehrte Organ Gelegenheit haben, durch Anpassung an die gesteigerten Anforderungen gleichsam compensatorisch die Ausfallserscheinungen zu verdecken. Unterstützt wird es darin durch die Hautsensibilität, das Muskelgefühl und den Gesichtssinn.

Die Störungen treten deshalb bei einseitigen Labyrinthaffektionen weniger in den Vordergrund. Sie werden sehr erhöht, wenn die andere Seite afficirt ist, wie es bei dem von Em. Max erst voj: 2 Monaten be-

374

richteten Falle eintrat. Ich möchte hier nun einschalten, dass dieser Fall, mit dem von Gruber, die einzige Beobachtung von doppelseitiger Labyrinthnekrose darstellt, und deshalb, wie durch sein eingehendes Studium, mit zu den lehrreichsten Beispielen von Labyrinthnekrose in der Literatur gehört. Die Gleichgewichtsstörungen in dem MAx'schen Falle waren, weil doppelseitig, anfangs sehr stark. Der Patient konnte nicht die geringste Bewegung machen, ohne in die Gefahr des Fallens zu gerathen. Die Störungen nahmen zwar allmälig ab, ohne jedoch vollständig zu schwinden, da eine Wendung des Kopfes, rasches Gehen oder Bücken, oft auch keine äussere Ursache, die Anfälle sofort aus- lösen,

Die Bogengänge haben also nicht das Monopol der Erhaltung des Gleichgewichts, und es ist möglich, dass andere Sinne den Ausfall kom- pensiren.

Der Einwand, dass einzelne Abschnitte der halbzirkelförmigen Kanäle noch funktionsfähig bleiben können, ist nicht haltbar, da bei einer monatelangen Eiterung in einem allseitig communizirenden System von Hohlräumen mit nekrotischer Ausstossung eines grösseren Theiles der andere Theil nicht funktionsfähig bleiben kann.

Siihjective Gehörsempfindungen werden bei allen pathologischen Prozessen des Ohres, die vom äusseren Gehörgang bis zum nervus acust. verlaufen, angetroffen. Sie werden als Keaktion eines auf den nervus acust. wirkenden Kelzes aufgefasst. Daher sollte sie bei der Labyrinthnecrose sehr häufig zu fiüden sein. Doch hier finden sie sich nur ausnahmsweise vor der Ausstossung des Sequesters nach Bezold in zwei von 46 Fällen. Ausserdem sind sie bei Thies als vor und nach der Ausstossung auftretend angegeben. Bei Emanuel Max traten sie auf dem rechten Ohre nach Entfernung der Schnecke, inter- mittirend auf, auf dem linken Ohre bereits vor Beginn der Schmerzen als Initialsymptom, anfangs kontinuirlich, später intermittirend, dann aber immer seltener werdend.

Das Fortbestehen der subjektiven Empfindung nach Zerstörung des Labyrinths lässt es aber nicht zu, ihrer Auffassung als Eeizzustand des Endapparates allgemeine Gültigkeit zuzuschreiben ; ihr Sitz ist vielmehr weiter centralwärts zu suchen, entweder in dem der Degene- ration anheimfallenden Nervensystem oder in dem im verlängerten Marke befindlichen Akustikuskern.

Hörprüfung. Die Schnecke ist nach Helmholtz der eigentliche schallperzipirende Theil des Labyrinthes, der peripherische Endapparat des nervus acusticus im engeren Sinne. Die Wahrnehmung der verschie- denen Töne wird durch die quergestreifte membr. basilaris vermittelt, welche in Folge der ungleichen von der Basis gegen die cupola stetig zunehmenden Breite, ein System von aneinander gereihten Saiten dar- stellt, deren jede einzelne durch den ihr entsprechenden Eigenton in Erregung versetzt wird. Der Sitz für die hohen Töne befindet sich im unteren, für die tiefen im oberen Theile der Schnecke, und diese Theorie ist durch Baginsky und Corradi experimentell, durch Moos

375

und Steixbrüegge, Habermann und Schwabach klinisch gestützt wor- den. Dieser Theorie steht eine candere gegenüber, dass nicht jeder einzelne Querstreifen der menibr. biisilaris bestimmten Tönen diene, dass vielmehr jedem Nervenelement der Schnecke die Perzeption aller Töne zukomme.

Daran knüpft sich nun die Frage, ob neben der Schnecke noch andere Theile des Labyrinths zur Perzeption von Schalleindrücken befähigt seien. Die Experimente ergeben nach Zerstörung der Schnecke vollkommenen Gehörsverlust. Die Sektionsbefunde, welche sich bloss auf die Schnecke beschränken, wobei die anderen Labyrinthgebilde voll- kommen intakt wären, sind beim Menschen nicht gemacht worden. Die Argumente beschränken sich blos auf Beobachtungen an Patien- ten. Nach den Erwägungen von Em.\nüel Max, wäre ein Bestehenblei- ben der Funktion denkbar, wenn nur die mediale Paukenhöhlenwand affizirt wäre, dann wird die Ablösung und Ausstossung des Sequesters von der membranösen Unterlage und dem angrenzenden normalen Knochen besorgt und das Knochengeschwür heilt. Wenn aber der Nekrotisirungsprozess einen Theil des Labifrinthgehäuses z. B. die Schnecke, im Ganzen, so dass der Sequester ein ganzes Rohr darstellt, ergreift, so muss auch das darin eingeschlossene membranöse Laby- rinth ausgestossen und die häutige Kapsel eröffnet werden. Die Endo- lymphe fliesst frei ab und der Eiter dringt frei in die kommunizirenden Hohlräume. Die Endothelien werden vernichtet. Die Knochenwunde heilt durch Bildung von Binde- resp. Knochengewebe. Eine Funktion des so veränderten Labyrinthes ist natürlich undenkbar.

Trotz Alledem bestand bei Grüber und Stepanow, Perzeption der Stimmgabeln bei Knochenleitung und sogar noch Sprachverständniss auf dem sohneckenlosen Ohr.

Dagegen ist Folgendes einzuwenden : Das normale Ohr lässt sich nicht vollständig eliminiren. Den Patienten ist die Sicherheit der Lokalisation abhanden gekommen. Das Prüfungsresultat beruht auf Selbsttäuschung, und schliesslich sind die Prüfungsresultate der Stimmgabeln nicht über allen Zweifel erhaben. Ein vollständig siche- rer Beweis für die aus dem Schneckenverlust resultirende absolute Taubheit können wir an Fällen mit doppelseitiger Ausstossung dersel- ben erhalten. Solche Fälle sind von Grubee und Emanuel Max be- obachtet worden.

In dem ersten bestand beiderseits vollständige Taubheit für Sprache mit Hörrohr, Geräusche und Töne verschiedener Instrumente, Zungenwerke, Pfeife und Stimmgabel ; nachträghch entwickelte sich bei dem 12jährigen Knaben Taubstummheit.

In dem MAx'schen Falle besteht Verlust des Gehörs auf beiden Ohren. Jede Perzeption der Töne und Geräusche fehlt. Das Vibriren der Stimmgabel wird gefühlt.

Dass nach Rohrer der Akustikusstumpf noch für Schallwellen lei- tungsfähig sei, wird durch Ewald's Experimente widerlegt, welcher bei Säugethieren eine Degeneration des Akustikusstammes nach Aus-

376

bohrung der Schnecke feststellt ; nur bei Tauben bleibt der Acus- ticus intakt.

Selbst wenn beim Menschen keine oder nur späte Degeneration des Nerven einträte und derselbe für Schallwellen erregbar bliebe, so ist nur die Perzeption einer ganz unbestimmten, nicht spezifischen Gehörswahrnehmung zu erwarten.

Die Erkrankung des N. Facialis gehört zu den häufigsten Sympto- men der Labyrinthnekrose, was aus dem Verlauf des Facialis leicht zu erklären ist. Man kann, nach Bezold, den Verlauf des Facialis im Schläfenbein, mit Eücksicht auf die Gefährdung des Nerven bei Aus- stossung von Labyrinththeilen, in vier Abschnitte theilen :

TJieil I. Innerhalb des porus acusticus.

Theil II. Nur wenige mm. lang, vom Eintritt aus dem porus acust. intern, in den Canalis Fallopiae bis zu seinem Knie. Diese ganze Strecke liegt oberhalb der Schnecke, indess verläuft der Nerv gleich nach dem Eintritt in den Canalis Fallopiae sehr nahe über dem obersten Theile der ersten Schneckenwindung. Die knöcherne Zwischenwand zwischen dem oberen Ende der ersten Schneckenwindung und dem Anfang des Canals beträgt etwas weniger als l mm.

Theil III. Vom Knie horizontal rückwärts zuerst über der media- len Wand der knöchernen Tuba, dann der inneren Pankenhöhlenwand entlang bis zur zweiten bogenförmigen Umbiegung in der vertikalen Eichtung.

Iheil IV. Von der zweiten Umbiegung bis zum foramen stylo- mastoideum.

Was den ersten Theil innerhalb des Porus acust. int. betrifft, so wird er durch die Ausstossung des Porus acust. intern, der Facialis und Acusticus in der Function vernichtet.

Der zweite Theil wird trotz der innigen Nachbarschaft mit der Cochlea durch die Necrose derselben nur ausnahmsweise dauernd, meist nur vorübergehend in der Function bedroht.

Der dritte Theil ist in seinem Verlauf in der Nähe der Schnecke ziemlich geschützt. Die Necrose wird aber für das in der inneren Paukenhöhlenwand verlaufende Stück dieser Strecke gefährlich. Eine Ausstossung grösserer Bezirke der knöchernen Vorhofswandungen, insbesondere in Verbindung mit den Bogengängen oder auch nur ihren Anfängen, muss den Facialiscanal selbst necrotisiren. Eine Umgehung des Canals nach rückwärts wäre nur durch Ausstossung des Sequesters durch das Antrum mastoideum möglich. Daher sind auch in Fällen von Unversehrtheit des Facialis das vestibulum und die Bogengänge nie ausgestossen worden. In Fällen von Necrose des ganzen Laby- rinths ist jedoch der Faciahs dauernd gelähmt gewesen.

Die vierte Strecke des Canalis Fallopiae, von seiner zweiten Umbie- gung bis zum foram. stylomastoid., braucht durch die Demarkation des Labyrinths nicht primär zerstört zu werden, kann aber bei der Wande- rung des Sequesters, besonders durch das Antrum, in Mitleidenschaft gezögen werden. Ebenso wenn die Necrose sich auf die hintere Wand

377

der Paukenhöhle, den centralen Theil der Warzenzellen oder auf die hintere knöcherne Gehörgangswand erstreckt. Der Sequester braucht den Facialis nicht direct beim Durchtritt zu drücken oder zu zerreissen, sondern die Compression der den Sequester umgebenden Granulationen genügt, wie Schwartze nachgewiesen hat, um die Leitung zu unter- brechen.

Vorübergehende Paresen oder Paralysen des Facialis kommen auch durch einfache Fortpflanzung einer Jahre lang dauernden putriden Eiterung durch eine Lücke des Canalis Fallopiae zu Stande. Läh- mungen, welche durch einfache, nicht mit destructiven Knochenpro- cessen einhergehenden Eiterungen erzeugt werden, sind sehr selten. Da nun eine Facialislälimung in der grossen Mehrzahl der Fälle von Labyrinthnecrose verzeichnet ist, so ist man berechtigt, in jedem Falle von Facialis paralyse, die neben länger dauernder Mittelohreiterung besteht, wenigstens mit grosser WahrscheinHchkeit nicht eine einfache Oberflächeneiterung, sondern einen scJiweren destructiven Knochen- proceas zu vermuthen, welcher wohl in der Mehrzahl der Fälle das Labyrinth betrifft.

Die Clionla begleitet den Facialis nicht nur auf seinem ganzen Weg durch das Schläfenbein, sondern läuft auf einem nicht viel kürzeren Wege durch die Paukenhöhle wieder zurück. Daher wird sie auch in allen Fällen mit durchtrennt sein, in welchen die Elimination und Wan- derung des Sequesters zur Continuitätsunterbrechung des Facialis- stammes führt. Häufig wird sie aber auch auf ihrer isolirten Bahn durch Eiterung, Granulationen und durch direkte Verletzung des Se- questers leiden. Die Chorda ist also noch viel häufiger als der Facia- lis von der Labyrinthnecrose betroffen, obwohl die Autoren auf ihr Verhalten wenig Rücksicht nehmen.

Die seltene Betheiligung der N. petros. superf. major, die sich im Schiefstand der uvula nach der gesunden Seite hin zeigt, lässt sich in seinem Verlaufe mit dem Facialis, d. h. nur im Poms acust. intern, und im ersten kleinen Stück des Canalis Faliopiae, erklären.

Die Prognose der Labyrinthnekrose ist, wenn man die versteckte Lage und die gefährliche Nachbarschaf t des Erkrankungsherdes, ferner die schwere therapeutische Zugänglichkeit und die Schwierigkeit der Sequesterelimination berücksichtigt, sowohl quoad vitam (15% Todes- fälle) als auch quoad curam eine ganz unerwartet günstige.

Die Therapie richtet ihr Augenmark vor Allem auf die Entfernung der Granulationen, um dem Sequester und dem Eiter möglichst Luft zu schaffen. Dies geschieht am besten mit der kalten Schlinge und Eingiessungen von Alkohol.

Ausserdem behandle man das Ohr mögHchst antiseptisch.

Bei Betheiligung des Warzenfortsatzes muss dieser eröffnet werden, um den Sequester, wenn möglich, auf diesem Wege zu entfernen. Sonst warte man ruhig, bis der Sequester sich von selbst ausstösst.

123 Ost 62. Strasse.

378

II.

Der heutige Stand der Cellularpathologie.*)

Von

Dr. C. HEITZMANN.

Redner bespricht seine Entdeckung des reticulären Baues des Pro- toplasmas vor 20 Jahren. Trotzdem S. Stricker in Wien, vor 2 Jahren diesen Bau in einem „grobgranulirten" farblosen Blutkörperchen auf photo-mikrographischemWege bei 2500-facher Vergrösserung illustrirt hat, wird jetzt noch von „Mastzellen", „grobgranuhrten Zellen", „intra- cellulären Körnchen" u. s. w. gesprochen. Der Begriff der Zelle wurde vom Redner vor 20 Jahren als ein unhaltbarer hingestellt, seitdem er nachgewiesen hatte, dass in den Geioehen des Thierkörpers sämmtliche „Zellen" unter einander durch lebende Materie verbunden sind, weil die Grund- und Kittsubstanzen genau denselben netzförmigen Bau be- sitzen, wie das Protoplasma. Kürzlich ist es hier in New York Herrn Max Toch gelungen, das Netz im pflanzlichen Protoplasma und in der Grundsubstanz des menschlichen Dentin photographisch darzustellen- (Die Photographien werden demonstrirt). Der Kernpunkt der Cellu- larpathologie, dass die Zellen allein leben und prohferationsfähig sind, wird dadurch über den Haufen geworfen. Bei allen Neubildungen, Entzündung, Geschwulstbildung u. s. w. proliferirt ausschliesslich die lebende Materie, nicht nur der „Zellen", sondern auch der Grund- substanz, selbstverständlich, nachdem letztere verflüssigt wurde. Anfang dieses Jahres hat Prof. GRAWiTZ,in Greifswalde, behauptet, dass bei der Entzündung des fibrösen Gewebes aus der Grundsubstanz Elemente entstehen, welche er „Schlummerzellen" nannte, indem er sich vorstellt, dass die Bündel des fibrösen Gewebes aus Zellen aufge- baut werden, welche bei der Bildung der Grundsubstanz verschwinden und in einen Schlummerzustand gerathen, um bei der Entzündung wieder aufzutauchen. Shakespeare in Philadelphia beansprucht Priorität für den Ausdruck „Schlummerzellen". Kürzlich ist Prof. Weigert in Frankfurt den Anschauungen von Grawitz energisch ent- gegengetreten, indem er sagt, dass die Intercellular-Pathologie mit der Cellularpathologie unvereinbar sei. Weigert ist ein Anhänger der CoHNHEOi'schen Emigrationslehre, und hat von der Proliferation der Zellen im Sinne Virchow's keine Ahnung, da er die Bilder der Prolifera- tion durch Einwanderung farbloser Blutkörperchen in die Gewebs- zellen zu erklären versucht. Obwohl für die neuen Anschauungen des Redners noch keine Majorität zu gewinnen war, hofft er auf deren Sieg.

*) Autorreferat eines am 12. September 1892 in der Deutschen MediciniU sehen Gesellschaft von New York gehaltenen Vortrages,

379

III.

Plan einer öffentlichen Heilanstalt für Tuberculose aus der arbeitenden Classe.*)

Von Dr. A. ROSE,

New York.

Rem in medio ponam, quae tantum habet ipsa gravitatis, ut neque mea (quae nulla est) neque cujusquam, ad inflammandos vestros animos, eloquentia requiratur. Cicero.

Die vorgeschrittene Erkenntniss der Krankheitsursachen, die Fort- schritte auf dem Gebiet der Gesundheitspflege und der medicinischeii Wissenschaften überhaupt erzwangen und erzwingen einen vollständi- gen Umschwung in der Einrichtung unserer Krankenhäuser und Heil- anstalten.

Der modernen besseren Erkenntniss des Wesens der Tuberculose gegenüber jedoch fehlt es an Heilanstalten, in denen nicht bloss Bemit- telte, sondern auch alle weniger Bemittelten, die besten Bedingungen der Heilung finden können.

Nach dem Stand unserer Kenntnisse handelt es sich hier um clima- tis(3he Behandlung.

Den Gedanken die Einrichtung einer öffenthchen Heilanstalt für Tuberculose aus der arbeitenden Classe, gross genug, dass sie für die Kranken aus weiten Länderstrecken ausreiche, anzuregen, fasste ich vor einigen Monaten. College Tyndale kam mir bei Ausarbeitung des Planes mit seinen Kenntnissen der climatischen Verhältnisse der Ver- einigten Staaten zu Hülfe, und hier ist das Resultat unserer gemein- schaftlichen Arbeit.

Es wird vorgeschlagen eine Heilanstalt für Tuberculose nach fol- genden drei Grundsätzen ins Leben zu rufen :

1. Den Kranken die Vortheile der climatischen Behandlung in Ver- bindung mit den als besten anerkannten anderen Methoden zu gewäh- ren. Es soll sich hier nicht um eine solche Anstalt handeln, in welcher die Heilung in zweiter Linie steht und in welcher ein tödtlicher Ausgang der Krankheit vorausgesetzt wird. Es ist anzunehmen, dass 80 Prozent aller Tuberculosen heilbar sind.

2. Die climatischen Bedingungen für Heilung der Tuberculose sind Trockenheit, Bodenhöhe, gleichmässige Temperatur. Es handelt sich demnach um einen Platz der weit genug vom Ocean, der grossen Quelle für Feuchtigkeit der Atmosphäre, entfernt ist, der nicht weniger als 1500 und nicht mehr als 5000 Fuss über dem Meeresspiegel, und um einen solchen, der mehr oder weniger südlich gelegen ist, um die Gleich mässigkeit der Temperatur zu bieten, frei von ungewöhnlich niederen Kältegraden im Winter.

*) Nach einem in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York am 12. September 1892 gehaltenen Vortrag.

380

3. Unbedingt nothwendig ist eine Heilanstalt in grossem Massstabe für Kranke mit beschränkten Mitteln. Die Wahl sollte auf einen solchen Platz fallen, der von allen grossen Städten der atlantischen Seeküste leicht erreichbar ist.

Einzelheiten des Vorschlags.

1. Die Heilanstalt ist vor Allem bestimmt für Kranke mit be- schränkten Mitteln. Der Preis für Kost, Pflege und Behandlung sollte etwa fünf Dollars per Woche nicht überschreiten. Im Laufe der Zeit könnten besondere Einrichtungen für wohlhabende Kranke in Betracht gezogen werden.

2. Es ist anzunehmen, dass sich viele Kranke aus den grossen Städten der atlantischen Küste, Boston, Providence, New York, Brook- lyn, Philadelphia, Baltimore, Washington, Richmond und des Südens einfinden werden.

3. Die Lage sollte nicht nördlicher als die AUeghany und Blue Ridge Mountains von Virginia und West Virginia sein. Es wäre die Gebirgs- gegend zu wählen, welche die Grenze bildet zwischen Virginia und West Virginia und welche nördlich sich nach Maryland erstreckt.

Alle anderen Gebirgsgegenden nördlich von den soeben beschrie- benen, in welche an Tuberkulose Erkrankte von ihren Aerzten ent- weder in bestehende Sanitarien, oder sich selbst überlassen, geschickt werden, sind aus folgenden vier wichtigeu Gründen ungeeignet :

1. Die Plätze sind zu kalt im Herbst and Winter.

2. Nicht billig genug, die billigen nur für beschränkte Zahl von Kranken.

3. Zu weit von der Heimath entfernt für die meisten Kranken.

4. In den meisten fehlt es an systematischer Behandlung.

Um diesen Nachtheilen zu begegnen werden folgende Bedingungen an die Wahl des Platzes gestellt :

In Bezug auf Clima. Warm aber nicht heiss im Sommer: kühl aber nicht kalt im Winter. Verhältnissmässige Trockenheit der At- mosphäre in Folge hinreichender Entfernung vom Ocean. Bodenhöhe 1,500-2,500 Fuss über dem Meeresspiegel ; diese Höhe bedingt vermin- derten atmosphärischen Druck und trägt gleichzeitig zur relativen Trockenheit der Atmosphäre bei. Entsprechende Bodenhöhe sichert gegen übermässige Sommerhitze und südliche Lage gegen übermässige Winterkälte.

4. Die Theilnahme der Aerzte an der Ausführung des Planes ist durch die medicinischen Gesellschaften und die medicinische Presse anzuregen.

5. Eine Verbindung von climatischer Behandlung mit den anderen gegenwärtig vorgeschrittenen Methoden muss Resultate ergeben, welche grosses Interesse und Genugthuung sicheren.

6. Einer grossen Anzahl von Kranken rauss, um die Kosten der Anstalt zu verringern, hauptsächlich aber um diese Kranken von Trübsinn abzuhalten, Beschäftigung gegeben werden. Zu diesem Zweck sollte ein Stück Land erworben werden, gross genug um die

881

nöthigen Bodenerzeugnisse, Gemüse, Früchte für die Anstalt zu gewin- nen und Geflügel und Viehzucht für den Hausbedarf zu betreiben.

Es ist dies ein doppelt wichtiger Punkt, einerseits die Anstalt mit besten frischesten Producten zu versehen, anderseits Kranken Be- schäftigung zu geben.

Besondere Aufmerksamkeit ist dieserhalb in der Wahl des Platzes zu beobachten dass es nicht an fruchtreichem Boden fehle.

Die einstweilen vorgeschlagene Gegend hat den Vortheil nur 12 Stunden Eisenbahnfahrt von New York entfernt zu sein.

Günstige Plätze finden sich entlang der Chesapeake und Ohio RR. Afton und White Sulphur Springs möchten in dieser Beziehung erwähnt werden.

Nachdem ich obigen Plan niedergeschrieben fand ich in einer täg- lichen deutsch-amerikanischen Zeitung folgende Mittheilung, die ich in Anschluss an meinen Vortrag wiedergebe :

Asyl fiir Tuberkulose.

„Im Kanton Bern wird seit längerer Zeit die Errichtung eines Asyls für Tuberkulose angestrebt. Gönner und Förderer des Projekts sind besonders die ökonomische und gemeinnützige Gesellschaft, der Ver- ein für kirchliche Liebesthätigkeit und die medizinisch-chirurgische Gesellschaft des Kantons Bern. Der nach Pavillonsystem projektirte Bau soll auf Golderen (Hasliberg bei Meiringen) in sanitarisch äusserst bevorzugter Lage errichtet und mit dem Beginn so bald als nur möglich vorangegangen werden. Zur Ausführung des Projektes sind gegen- wärtig 22,000 Fr. vorhanden. Die medizinisch-chirurgische Gesellschaft des Kantons Bern hat kürzlich in ihrer ordentlichen Sommersitzung zu Langenthal beschlossen, neuerdings einen Jahresbeitrag von 1000 Fr. zu votiren. Natürlich genügt das vorhandene Kapital nur für die ersten Anfänge. Dagegen ist die Hoffnung eine berechtigte, dass die Ausfüh- rung des ganzen Projekts, das besonders den ärmeren Tuberkulösen zu Gute kommen soll, nicht nur auf keine Schwierigkeiten stossen, son- dern durch Legate und Geschenke von mildthätigen Privaten, Genossen- schaften und Behörden in kürzester Zeit möglich sein werde."

lY.

lieber die Anwendung des Sprays bei der Behaudlun;? von Magen-Krankheiten.

Von

Dr. Max Einhorn,

Privatdozent an der N. Y. Postgraduale Medical School und Arzt am Deutschen Dispensary von New York.

Die moderne Therapie hat ihren Hauptaufschwung vielfach der lo- calen Behandlungsmethode zu verdanken.

Auch bei der Behandlung der Magenkrankheiten sind mehrere Wege eingeschlagen worden, um diesen Apparat direct zu beeinflussen;

382

dieselben bestehen in der Anwendung der Magenausspülungen mit oder ohne medicamentösen Zusatz, und in der directen Application des electrischen Stromes. Jeder Versuch die locale Behandlung des Ma- gens zu erweitern, dürfte bei der Knappheit der Mittel, die uns dabei zur Verfügung stehen, willkommen sein.

Vermittelst des Sprays ist man im Stande mit verhältnissmässig geringen Flüssigkeitsmengen eine Berieselung grösserer Flächen vor- zunehmen ; man vermag auf diese Weise differente Mittel direct zu appliciren ohne Intoxicationserscheinungen hervorzurufen. Die grösste Ausbeute dieser Methode ist, wie allgemein bekannt, mit viel Erfolg bei der Behandlung der Halskrankheiten geschehen.

Es erschien mir von Wichtigkeit den Spray auch bei der Behand- lung von Magenkrankheiten heranzuziehen. Der gewöhnliche Spray- apparat kann in der Weise modiücirt werden, dass anstatt des Hart- gummiarms des gewöhnlichen Apparates, ein solcher (allerdings viel längerer) aus w^eichem Gummi geschaffen würde. Der Magenspray- apparat besteht daher aus einem gewöhnlichen Sprayapparat, an dem zwischen dem Hartgummisprayende (C) (1 Ctm. lang) und dem zur Flasche laufenden Arm (A) aus Hartgummi ein weicher Nelaton'scher Schlauch (Bj von 70 Ctm. Länge eingeschaltet ist, durch dessen Innere ein zweiter dünner Schlauch läuft und mit dem Hartgammiende des Capillarrohres verbunden ist.*) (S.beistehende Zeichnung.) Da der Spray

dadurch erzeugt wird, dass die durch den Ballon getriebene Luft sich mit der Flüssigkeit vor ihrem Austritt innig vermengt und dieselbe in Staubpartikelchen mit sich mitschleppt, so wird die benutzte Flüssig- keit überall hinkommen müssen, wo die hineingedrängte Luft gelangt. Ist der Magen leer, so muss beim Sprayen durch die hineingelangte Luft eine Auftreibung des Organs stattfinden ; die hineingetriebene Luft schleppt aber die gebrauchte Lösung überall hin mit sich fort, und so wird das ganze Mageninnere von der Flüssigkeit getroffen.

*) Der Magensprayapparat wird von J. Reynders & Co., 303 4. Avenue, New York, verfertigt.

383

Die Verwendung des Sprays in der Magentherapeutik dürfte viel- leicht eine geeignete Form sein, um folgende Aufgaben zu erfüllen : 1. Die Magenschleimhaut zu desinficiren ; 2. auf dieselbe adstringirend zu wirken und 3. bei Gastralgien, die localer Xatur sind, (Ulcus oder Narbe oder Carcinom) eine Analgesie hervorzubringen.

Methode.

Man kann den Magen natürlich nur in seinem leeren Zustande besprayen ; man wird daher am besten im nüchternen Zustande des Patienten, oder nach einer vorherigen Magenausspülung die Be- sprayung vornehmen. Eine vorgehende Ausspülung wird stets noth- wendig sein, sobald es sich darum handelt, desinflcirend oder adstrin- girend zu wirken, um so zuerst die etwaige Schleimschicht und die darin lagernden Mikroorganismen zu entfernen. Um analgesirend zu wirken, dürfte die Ausspülung eventuell weggelassen werden können.

Nachdem man das Fläschchen des Apparates mit der gehörigen Lösung und der einzuführenden Menge versehen hat, taucht man das Schlauchende in warmes Wasser und führt dasselbe in den Magen des Patienten ein ; am besten ist es, die Besprayung zu beginnen, sobald die Entfernung des eingeführten Schlauchendes von den Schneidezähnen des Patienten etwa 45 Ctm. beträgt ; ist die Oeffnung des Apparates nicht von der Magenwand verdeckt, so hört man zuweilen bereits in der Nähe des Patienten, sonst wenn man das Ohr an dieMagenwand anlegt bei der Besprayung, den letzterer charakteristischen Ton ; sobald aber die Oeffnung verdeckt ist, so geht gewölinlich kein Spray durch, und muss man den Schlauch etwas weiter hineinschieben. Auch da wo der Spray, von vorneherein gut arbeitet, wird es zweckmässig sein eine weitere Hineinschiebung des Schlauches vorzunehmen, um so die Be- sprayung von verschiedenen Punkten aus zu bewerkstelligen.

Ich habe nun in mehreren Fällen von dieser Methode therapeutisch Gebrauch gemacht, und kann nur sagen, dass die Anwendung dersel- ben leicht und gut von statten geht.

Ueber die erreichten Resultate behalte ich mir vor später, wenn ich genügende Erfahrung über diese Behandlung gesammelt habe, Mit- theilung zu machen.

FEUILLETON.

Aerztliche Denkwürdigkeiten aus dem Feldzug Napoleons von 1812

gegen Russland.

Von Dr. A. ROSE.

(S c h 1 u s s.) So weit von Scherer's Dissertation.

Unter der von mir gesammelten Literatur über den russischen Feldzug von 1812 finden sich Aufzeichnungen des weiland königlich preussischen Oberstlieutenants Johann von Borcke aus dem Krieger- leben von 1806 1815. Es sind dies nicht eigentlich ärztliche Denk-

384

Würdigkeiten, trotzdem aber im Anschluss an die Erzählung (eines Arztes) der Schicksale des württembergischen Korps wohl hierher ge- hörig, indem ich das, was für Aerzte von Interesse sein kann, aus V. Borcke's Mittheilungen über die Geschicke des westphälischeii Korps während des russischen Feldzuges anführen will.

Johann von Borcke hat viel erlebt, gut beobachtet und Erfahrungen gesammelt. Er befand sich gleich unserem von Scherer in unterge- ordneten Stellungen und deshalb bringen auch seine Aeusserungen keine Aufschlüsse über grosse Fragen der Kriegsgeschichte und Politik seiner Zeit. Er schildert lebendig eine Fülle ewig denkwürdiger Er- eignisse.

Er gehörte zu der grossen Zahl derjenigen Männer, welche durch den Jähen Zusammenbruch des preussischen Staates aus gesicherten Le- bensbedingungen in völlige Ungewissheit ihres Schicksals, in Noth und schwere Sorge versetzt und gezwungen wurden, ihr Vaterland zu ver- lassen, um in die Dienste eines ihnen aufgezwungenen neuen Landes- herrn, der ein Verbündeter des französischen Unterdrückers war, zu treten.

Von Borcke erbat und erhielt vom König von Preussen nach der Schlacht bei Jena den Abschied als Premierlieuteuant und trat im Jahr 1808 in westphälischen Dienst, in welchem er bis zum Ende des west- phälischen Reiches verblieb.

Ich empfehle das Lesen der v. Borcke'schen Aufzeichnungen den- jenigen, die sich für Kulturgeschichte der westphäUschen Zeit inter- essiren.

In den ersten Tagen des März setzte sich das zur Vereinigung mit der grossen französischen Armee bestimmte westphälische Korps von Kassel, woselbst die Truppen sich vorher vereinigt hatten, in Marsch. Zwei Regimenter, das 1. und 8., waren schon im Frühjahr 1811 nach Danzig marschirt; das 1. Linien-Regiment stiess später zum X. Armee- korps unter Macdonald und machte den Feldzug in Kurland mit, das 8., welches nach Russland nachgeschickt wurde, erreichte das Korps erst während des Rückzuges und ging gleich den anderen Truppen zu Grunde. Das 4. Linien-Regiment blieb vorläufig im Lande, ging später ebenfalls nach, traf erst, als der Rückzug bis Wilna gekommen war, bei der Armee ein und ward hier gleichfalls vernichtet.

Das westphälische Korps bestand aus zwei Divisionen; die eine kommandirte General v. Ochs, die andere General Tharreau. Später tauschten die beiden Generäle mit ihren Divisionen, und als General Tharreau bei Borodino gefallen war, führte General v. Ochs alle west- phälischen Truppen. Die Artillerie befehligte Divisionsgeneral AUix. Die Brigadegeneräle waren bei der Infanterie Damas, von zur Westen, Graf Wellingerode, Danloup Verdun (kam erst in Moschaisk zum Korps), bei der Kavallerie Wolf, v. Hammerstein, v. Lepel.

23,747 Mann westphälischer Truppen gingen nach Russland, von diesen sind höchstens 300 OMann zurückgekehrt.

Am 24. März zog das westfälische Korps über die Elbe und richtete seinen Marsch auf Glogau. v. Borcke litt damals an Wechselfieber und folgte seinem Korps, indem er an Fiebertagen im Quartier blieb, an fieberfreien nachging. Von Glogau ging er über die polnische Grenze. Mit dem Eintritt in Polen hörte jeder Ueberüuss der Verpflegung auf und selbst die wohlbesetzten Tafeln der Generäle verschwanden. Schon trat Mangel ein, weil nirgends Magazine vorhanden waren. Un- ordnung und Indisciplin begann bei den an strenge Manneszucht ge- wöhnten Truppen sich zu zeigen, als dieselben bei armen polnischen Bauern, die nichts geben konnten, einquartiert waren. Kein Mensch vermochte den vielen einlaufenden Klagen abzuhelfen und schon jetzt begann ein gefährliches Requisitionssystem im Grossen, indem ein

385

Tagesbefehl die Truppen ermächtigte, sich mit Lebensmitteln und Vieh zum weiteren Marsch zu versehen. „Nur mit trüben Blicken," sagt V. Borcke, „vermochte man unter solchen Umständen in die Zukunft zu schauen. Noch war der Krieg nicht erklärt und schon liefen wir Gefahr, zu verhungern." Die polnische Armee hatte bereits vor der Ankunft der Westfalen ihr eignes armes Land so ausgesogen, dass für die Nachfolgenden fast nichts mehr vorhanden war und das wenig vor- handene mit unerbittlicher Strenge genommen werden musste.

Die Soldaten wurden auf reichere Gegenden jenseits der Weichsel vertröstet. Diese Vertröstung, verdoppelte Strenge und Anregung des Ehrgefühls hielten die Bande der Disciplin noch zusammen. Dazu kam das allgemeine felsenfeste Vertrauen auf die Grösse des Feld- herrn, der die augenblicklichen Schwierigkeiten wohl herbeigeführt, der aber für fähig gehalten wurde, noch viel grössere mit Leichtigkeit zu überwinden.

Mit Hülfe von Chinin war v. Borcke von seinem Wechselfleber befreit worden, als die Westfalen Mitte Mai an der Weichsel ankamen; Um diese Zeit traf König Jerome in Warschau ein und übernahm den Oberbefehl über sein eignes Armeekorps, den er schon am 16. Juli, in Folge von Zerwürfnissen mit Napoleon, niederlegte, um nach West- falen zurückzukehren.

Am 5. Juli überschritt das westfälische Korps auf einer Ponton- brücke den Niemen. Es sollte mit den Polen zusammen den russischen linken Flügel unter Bagration verfolgen und Bagration den Weg nach dem Dnjeper verlegen. Die Westfalen marschirten bei grosser Hitze und unzulänglicher Verpflegung mit der grössten Anstrengung, ohne dass es Jerome gelang, mit dem Gros den Feind zu erreichen. In Folge dieser anstrengenden Märsche und der schlechten Verpflegung befand sich das Korps bei der Ankunft am Dnjeper in höchst bedenklichem Zustande, denn die Bataillone waren auf die Hälfte der Stärke zusam- mengeschmolzen. Viele Soldaten waren wegen Krankheit und Ermat- tung zurückgeblieben. Nun wurden Olficiere nach rückwärts geschickt, um sie zu sammeln. Da es den anderen Armeekorps nicht besser ge- gangen war, und sich gewiss alle aufgelöst hätten, wenn die Bewegungen noch weiter fortgesetzt worden wären, so liess Napoleon einen allge- meinen Stillstand des Vormarsches eintreten. Ein Tagesbefehl ordnete an, dass die Korps sich sammeln, die Verluste an Material, Munition und Pferden ersetzen und mit Lebensmitteln sich versehen sollten. Dieser Befehl tönte aus hundert Kehlen wieder, und hundert Federn schrieben ihn aus, aber seine Ausführung war unmöglich. Der General wurde von den Kommandeuren täglich und stündlich mit Anfragen be- stürmt, wo sie dies und jenes hernehmen, wie sie dies und jenes an- fangen sollten, um den Befehlen nachzukommen. Er selbst fragte wiederum bei den höheren Befehlshabern an, jagte die Adjutanten halb todt, erhielt aber nie eine befriedigende Antwort, und konnte so auch den Truppen keine geben und ihnen ebenso wenig helfen.

In den letzten Julitagen fiel ein anhaltender Kegen und der voraufge- gangenen Hitze folgte eine so rauhe Witterung, dass die Soldaten vor Frost zitterten und dazu in dem weichen Boden des Lagers einsanken. Um Lebensmittel herbeizuschaffen,wurdenaus allen Waffen zusammen- gesetzte Abtheilungen vier bis fünf Meilen weit in die Umgegend ge- schickt, die oft einige Tage ausblieben. Gelang es diesen Kommandos auch Lebensmittel aufzutreiben, so verzehrten die ausgehungerten Sol- daten unterwegs schon einen bedeutenden Theil derselben, ehe sie in's Lager zurückkamen, und wenig blieb für die Truppen übrig, besonders da Mangel an Beförderungsmitteln die Fouragirungen erschwerte. Da die Ausbeute derartiger Unternehmungen unzulänglich war, nahm die

386

innere Ordnung der Truppen immer mehr ab ; das durch die Noth ent- standene Kequisitionssystem artete in Plünderung und Zerstörung aus.

Der Flecken Orscha, nach dem die Westfalen kamen, war, wie viele Ortschaften, von seinen Bewohnern, ausser einigen Judenfamilien, ver- lassen. Die Generale mit ihren Stäben, die Verwaltungsbeamten und Alles, was mit oder ohne Kecht sich meist im Lager aufhielt, quartierte sich in dem elenden Neste und einigen benachbarten, gleichfalls ver- lassenen Klöstern ein. "Wer das Glück hatte, einen Wirth, der dann kein Anderer als ein Jude war, zu finden, der war geborgen und in einer beneidenswerthen Lage. Dem General v. Ochs und seinen Adju- tanten gelang es in einem solchen Judenhause unterzukommen. Der Wirth, ein ehrlicher, guter Mann, schaffte mehr aus Furcht und Gut- müthigkeit, als aus Habsucht, so lange Rath zu unserem Unterhalt, als es nur irgend möglich und etwas aufzutreiben war. Er gab, was er hatte, und wir lernten während des ganzen Aufenthalts den wahren Mangel nicht kennen. Als ganz zuletzt auch dem General der Mangel fühlbarer wurde und der Jude nichts mehr geben wollte oder konnte, da wurde dieser arme Teufel, der bis dahin mit seiner Einquartierung in Frieden gelebt hatte, etwas hart behandelt, seine versteckten Vor- räthe wurden ihm mit Gewalt genommen und die Leute des Generals peinigten diesen Mann, der offenbar ihr Wohlthäter gewesen war.

Der Mangel an ausreichender und ordnungsmässiger Verpflegung der grossen Armee, welcher mit dem Ueberschreiten der Weichsel be- gonnen, seitdem immer sichtbarer geworden und am Dnjeper bereits bis zum allgemeinen Elend gestiegen war, legte jedem Denkenden die Ansicht nahe, dass in diesem Kriege kein Heil zu erwarten sei.

Am 12. August, nach mehrwöchentliche tn Aufenthalt, brach das Westfälische Corps von Orscha auf und bewegte sich in der Richtung auf Smolensk, Man marschirte wie im tiefsten Frieden, ohne etwas von den Russen zu sehen. Die Verheeruog machte sich mit jedem Schritte mehr bemerklich, die Einwohner in den Ortschaften wurden immer seltener, so dass nicht einmal die nothwendigsten Wegweiser zu erlangen waren. Was die russische Armee nicht zerstört hatte, was von den mit ihr geflüchteten Einwohnern nicht mitgenommen war, das wurde jetzt zum wilden Raube und zur Beute von den nachziehenden hungrigen Westfalen. Ganze Dörfer r»nd ansehnliche Städte wurden dabei eingeäschert.

Die beiden russischen Armeen, deren Vereinigung Napoleon bisher zu verhindern gesucht, hatten Anfangs August bei Smolensk Fühlung genommen und so nahm man an, dass es liier zur Schlacht kommen würde. Das Westfälische Corps war bestimmt an diesem Treffen theil- zunehmen, kam aber, da der Führer desselben, der Herzog von Abran- tes, das Unglück hatte einen falschen Weg einzuschlagen, zu spät.

Dies war der zweite Fall, in welchem der Führer des westfähschen Korps Napoleons Erwartungen nicht entsprochen hatte. Ein dritter ähnlicher Fall trat in Folge der schlechten Führung des Herzogs von Abrantes, der die ersten Spuren von Geisteskrankheit zu zeigen begann, bald darauf ein.

Grauenhaftes Niedermetzeln eines westfähschen Bataillons im Treffen bei Valutina und anderes Unheil war der Unfähigkeit dieses Führers zuzuschreiben.

Vom 20. August bis 6. September folgten die Westfalen den weiteren Bewegungen der Armee auf der grossen Landstrasse. Staub und über- grosse Hitze machten diese Märsche höchst beschwerlich. Dabei waren die Nächte kühl, und täghch erkrankte eine Menge Menschen und blieb zurück, ohne dass man sich um sie kümmerte. Der Mangel an Lebensmitteln nahm mit jedem Tage zu, da die ganze russische Armee und sämmtliche französische Korps auf der einzigen grossen Strasse

887

sich bewegten, wobei die Westfalen sich am weitesten rückwärts be- fanden.

Brand und Verwüstung nahmen mehr und mehr zu, die Landstriche zwisclien Smolensk und Warschau wurden in der Breite von mehreren Meilen gänzlich verheert.

Die Westfalen kamen durch die ziemlich bedeutenden Städte Doro- gobusch, W.iasma und Gschatsk, die menschenleer, ausgeplündert und niedergebrannt waren. In Dorogobusch fand v. Borcke in einem Hause einen schwer verwundeten preussischen Husarenoffizier, schlecht verbunden und an Allem Noth leidend. Er liess einen Wundarzt her- beiholen und nahm sich nach Kräften des Kameraden an. Gross war seine üeberraschung, als er, sich nach seinem Namen erkundigend, erfuhr, dass es ein Lieutenant v. Borcke, ein Verwandter von ihm war. Es war ein Officier, der sich durch grosse Tapferkeit ausgezeichnet liatte ; er verlor einen Fuss, lebte aber noch im Jahre 1842 als Post- meister.

Am 6. September Abends kamen die Westfalen auf dem Punkte an, von welch'^m sie am andern Morgen zur Schlacht von Moschaisk oder Borodino vorgingen. Sie brachten die ungemein kühle Nacht vom 7. ruhig in zusammengedrängter Stellung zu. Mit Tagesanbruch kam der Befehl, den Paradeanzug anzulegen uud sich zur Schlacht vorzu- bereiten. Nachdem Officiere und Soldaten mit erstarrten Händen in dem nebligen Morgen Toilette gemacht, so Mancher zum letzten Mal, ordneten sich die Truppen und rückten vor. Der Tag sah in seinem Verlauf die denkwürdige Schlacht, welche nach der Meinung der Fran- zosen das Schicksal Kusslands besiegeln und das eigne Elend aufheben sollte. Die Westfalen standen nicht mehr unter dem unmöglichen Herzog von Abrantes, sondern unter dem Oberbefehl des Marschalls Ney.

Die Gräuel dieser Schlacht haben die Leser schon aus den v. Scherer'schen Schilderungen kennen gelernt. Am Abend derselben war das westfälische Korps auf etwa 1500 Mann zusammengeschmol- zen. Napoleon Destimmte diese zur Deckung des Schlachtfeldes, um die Unterbringung und Zurückbeförderung der ungeheuren Massen von Verwundeten zu besorgen, während das Heer gegen Moskau weiter zog.

Das, was für die unglücklichen Verwundeten geschehen konnte, war sehr wenig, denn es gebrach an allen Anstalten zu ihrer Hülfeleistung. Es war schlecht mit dem Lazarethwesen bestellt. Die Wundärzte der Truppen und der fliegenden Feldlazarethe verbanden und amputirten zwar während der Schlacht wie in den folgenden Tagen eine grosse Menge Verwundeter, aber Tausende blieben ohne Verband liegen und starben. Es fehlte an Beförderungsmitteln, sie fortzuschaffen, denn in den verheerten und verlassenen Ortschaften Hessen sich Wagen nicht auftreiben ; deshalb blieben auch die meisten derjenigen, welche bereits verbunden waren, liegen und kamen um. Die leicht Verwundeten und die, welche nur einigermassen kriechen konnten, schleppten sich den Truppen nach oder gingen auf gut Glück zurück, bis sie irgendwo eine elende Hütte oder gleichfalls den Tod fanden. Viele suchten in den seitwärts des Schlachtfeldes liegenden oft meilenweit entfernten Ort- schaften Unterkunft, wo sie später von den umherscb wärmenden Ko- saken aufgegriffen wurden.

Die Westfalen standen einige Tage, von Leichen und Sterbenden umgeben, auf dem Schlachtfelde, mussten aber des Geruchs wegen mehrmals den Platz wechseln. Die Scenen des Jammers und Elends, die sich hier auf Schritt und Tritt darboten, spotteten jeder Beschrei- bung, das Aechzen und Stöhnen der Verstümmelten und Sterbenden, das die Wächter auch dann noch verfolgte, als sie sich etwas weiter cAt-

m

fernten, und das besonders bei Nacht schrecklich für das Ohr war, er- füllte das Herz mit Grausen, v. Borcke sah, dass Soldaten solchen Unglücklichen, die weder leben noch sterben konnten, auf ihr Bitten mit abgewandtem Gesicht durch eine Kugel den Tod gaben. Bald be- trachteten sie das als eine Pflicht des Mitleids und wurden von den Offizieren dazu angeregt, solche, die nicht mehr zu retten waren, aufzu- suchen und von ihren Qualen zu befreien. Als v. Borcke am fünften Tage abermals das Schiachtfeld beritt, fand er Unglückliche neben Pferdeleichen liegen, an deren Fleisch sie nagten. Nachts sah man einzelne matte Flammen auf diesen Gefielden des Todes emporleuchten; sie rühirten von Feuern her die von Verwundeten, die zusammengekro- chen waren, angezündet worden, um sich vor der Kälte der Nacht zu schützen oder ein Stück Pferdefleisch zu rösten.

Am 12. September rüclvten die Westfalen in Moschaisk ein, welches von allen Einwohnern verlassen, ganz ausgeplündert und zur Hälfte abgebrannt war. Während der Schlacht hatten sich mehrere Tausend verwundete Rassen hierher geflüchtet, die nun theils todt, theils lebend, alle Häuser des Ortes anfüllten. Verkohlte Körper lagen auf den Brand- stätten, die Eingänge in den Ort waren fast damit verstopft. Die ein- zige Kirche, die auf dem Marktplatz mitten im Orte stand, füllten meh- rere Hundert Verwundete und vielleicht ebenso viele seit Tagen Ver- storbene an. Ein Blick in diese verpestete Kirche das Haar sträubte sich empor, und die schon abgestumpften Gefühle erstarrten. Die Aerzte eilten hinein, die Todten wurden auf dem Platze vor der Kirche aufgeschichtet, so den Leidenden die erste Hülfe gebracht, Ordnung geschaffen und nach und nach eine Art Lazareth eingerichtet. Aus den Häusern und den Strassen mussten durch kommandirte Soldaten und gefangene Russen die Leichen weggeschafft werden, und eine gründ- liche Reinigung des ganzen Ortes war nöthig, ehe derselbe von den Truppen in Besitz genommen werden konnte. Obgleich er ausser einem einzigen steinernen, nur etwa hundert hölzerne Gebäude umfasste, so nahm er doch jetzt das ganze Westfälische Korps auf. Nur die beiden Husarenregimenter und das Garde-Chevauxlegers Regiment, die zusam- men aber nicht über 300 Mann stark waren, hatten von einem benach- barten Kloster Besitz genommen. Die beiden Kürassier Regimenter waren mit den Franzosen nach Moskau gezogen.

Mit dem Einrücken in Moschaisk trat nun auch für die Westfalen eine Ruhezeit ein, während in Moskau die bekannten Ereignisse sich vollzogen. Das Schicksal der in Moschaisk gebliebenen war nicht be- neidenswerth, aber die Reste des zerstörten Ortes boten bei dem heran- nahenden Winter und den kalten Nächten ein Obdach, was nach den durchgemachten Entbehrungen ungemein zur Erholung der Soldaten beitrug. Täglich kamen Genesene und Zurückgebliebene an, eine Menge leicht Verwundete wurde wieder dienstfähig, und so wuchs die Stärke des Haufens auf 4500 Mann.

Als der Rückzug schon angetreten war, stiess wenige Märsche von Moschaisk in Gscliatsk das 8. Regiment zum Korps, welches, wie schon erwähnt ist, von Danzig aus nach Russland nachgeschickt worden war. Es war noch gut im Stande und zählte 1000 Mann. Das Leben in Mo- schaisk war ein beständiger Kampf um den Unterhalt. Einwohner gab es nicht, nicht ein einziger Hund oder irgend ein anderes lebendes Thier war zurückgeblieben ; zwar fanden sich in Häusern und Villen oder an abgelegenen Orten vergraben noch einige Vorräthe, die aber nur dem Finder zu Gute kamen, indessen das Städtchen für die Masse der Hun- gernden eine Wüste war. Kleine Kommandos mussten Lebensmittel aus der Umgegend herbeischaffen. In der ersten Zeit hatte diese Mass- regel guten Erfolg, und mittelst der gesammelten Vorräthe fand eine regelmässige Verpflegung statt. Aber schon längst gewohnt nur dem

389

Triebe der Selbsterhaltung zu folgen, dachte Jeder an sich ; die einzel- nen OfiQciere schickten unter der Hand Leute zur Einholung von Le- bensbedürfnissen aus, wobei es nicht selten zu Mord und Todtschlag kam. So trug sich jeder möglichst viel Vorräthe für den nahenden Win- ter zusammen. Marketender und Spekulanten begaben sich nach Mos- kau, um aus der allgemeinen Plünderung Nutzen zu ziehen und sich in den Besitz feinerer Bedürfnisse wie Kaffee, Zucker, Thee, Wein u. s. w, zu setzen. Ganz grosse Vorräthe von Esswaaren, feinen Gunussmitteln und Luxusgegenständen aller Art waren, trotz der Zerstörung von Mos- kau, den Franzosen noch in die Hände gefallen und übten ihre Wirkung bis in das 8 Meilen entfernte Moschaisk aus. v. Borcke war so glück- lich einen Vorrath von Kaffee, Thee und Zucker sich zu verschaffen, so dass er während des ganzen Aufenthaltes daran keinen Mangel litt. Anderen davon abgeben konnte und beim Abmarsch noch für einige Wochen genug hatte. Fleisch und besonders Brod war jedoch für die Masse der Soldaten keineswegs hinreichend vorhanden. Es waren vielleicht 10 Tage vergangen als die Lage derer in Moschaisk zu einer misslicheren sich gestaltete, als nämlich die Verbindung zwischen ihnen und Moskau durch Kosacken und bewaffnete Bauern unterbrochen wurde, Ordonanzen blieben aus, es kamen keine Genesene mehr an, die Nachrichten wurden immer seltener, und nach Lebensmitteln aus- ge-^chickte Abtheilungen wurden ganz oder theilweise aufgehoben.

Am 19. Oktober begann der Eückzug der französischen Armee, der Schlussact des grossen Trauerspiels. Am 28. langte Napoleon mit seinen Garden, von Browsk kommend, in Moschaisk an. An deinselben Tag brach das Westfälische Korps von Moschaisk auf und verliess den Ort auf dem wohlbekannten Weg über das Schlachtfeld, wo das grosse Hospital gewesen und mehrere Tausend Verwundete und Kranker la- gen. So betraten die Westfalen, 5000 Mann stark, als Vortrab der Franzosen wieder die unglückliche Strasse, auf welcher sie vor zwei Monaten gekommen waren, auf der sie die grässlichsten Spuren der Verwüstung zurückgelassen, und Elend und Entbehrungen aller Art ertragen hatten. Der Herzog von Abrantes hatte den Befehl erhalten das Hospital im Kloster Kolozkoje aufzuräumen, alle reisefähigen Kranken mitzunehmen und in Ermangelung von Wagen sich derjenigen des Korps zu bedienen. Dies geschah, soweit die Ausführung des Be- fehls möglich war. Die grössere Zahl der Schwerverwundeten blieb lie- gen. Was von diesen nur irgend kriechen oder sich mitschleppen konnte und keinen Platz fand, hängte sich eine Zeit lang an Wagen und Geschützen an, bis am Ende Alle ohne Ausnahme, der Eine früher der Andere später, durch die zunehmende Noth, durch Hunger, Kälte, und Entartung des Gefühls ihrer Kameraden im Stiche gelassen, umka- men oder den Russen in die Hände fielen.

Der Zug der Westfalen langte, als Vortrab der Franzosen, nament- lich seit dem Eintritt der grossen Kälte am 4 November, täglich mehr mit Hunger und Kälte kämpfend, unter all dem so vielfach beschriebe- nen Schrecknissen, am 9. November in Smolensk an. Mit Smolensk war das Ziel der verheissenen Winterquartiere erreicht, hier erhoffte man Ruhe und Erholung ; das bis dahin getragene Elend war beinahe vergessen. Diese Täuschung war nur von kurzer Dauer. Napoleon kam am 10. mit den Garden in Smolensk an, überzeugte sich aber bald dass hier seines Bleibens nicht sein konnt»^. Es fehlte zwar nicht an Lebensmitteln, und die Truppen erhielten Befehl, zum Empfang zu schicken, aber die Vertheilung geschah ohne Ordnung. Die Masse der stets nachrückenden Truppen imd der Nachzügler war zu gross; es traten Störungen in der Vertheilung ein, welche die Beamten veranlass- ten die Vertheilung zu unterbrechen, in der Hoffnung, dass sich Ordnung wieder hersteUeQ würde. Nur ein kleiner 'fheil der Truppen hatte et-

390

was Mehl, Branntwein und ein wenig Brot erhalten, die grosse Mehrzahl aber nichts. Die Folge war, dass in der Nacht vom 11. zum 12. die Magazine geplündert wurden.

Am 12. setzten die auf 1700 Mann zusammengeschmolzenen Westfalen den Kückmarsch nach Krasnyi fort. Napoleon mit den Garden folgte am 13. Hinter Smolensk war eine Anhöhe zu überwinden, welche für Bagagewagen und Geschütze des Glatteises wegen sich als unersteigbar erwies. Die Pferde waren zu matt und zu schlecht beschlagen, um einer solchen Anstrengung noch fähig zu sein. Alles westfälische Geschütz und fast alle Bagage ging hier verloren. Kälte und Hunger machten nun täglich weitere grässlichere Fortschritte ; auf dem Marsch sah man Soldaten, die anscheinend gesund in Keihe und Glied marschierten, plötzlich stehen bleiben, einige Augenblicke wie betrunken hin und her schwanken und dann erstarrt zusammenstürzen. Der Kamerad, der Freund beraubte im Augenblicke des Todes den fallenden, erstarrten Freund, den er bis dahin mit sich fortgeschleppt hatte, um ein Klei- dungsstück oder die wenigen Esswaren die der Gestürzte etwa bei sich trug, zu erlangen. Bald sah man die Gräben der Landstrasse mit nackten menschlichen Körpern angefüllt.

lieber Ljadi und Dombrowna gelangten die Westfalen am 19. bei Or- scha an den Dnjeper. Es war für sie ein neues Schauspiel Einwohner in ihren Häusern zu finden als sie die Grenze des alten Russlands endlich hinter sich Hessen. Unbeschreiblich war der Eindruck der jeden, über- haupt noch empfindungsfähigen überkam, als das Auge, welches seit Monaten nur Ruinen gesehen, menschliche Behausungen erblickte, als der Fuss, der bis dahin nur über Brand, Trümmer und Leichen ge- schritten, jetzt auf litthauischem Boden stand, wo noch Menschen wohn- ten. Gleichzeitig Hess die Kälte nach, es trat Thauwetter ein. Bei Orscha waren zwei Brücken über den Dnjeper geschlagen, hier standen frisch angekommene Truppen, und die Brücken waren vonGensdarmen bewacht, welche beauftragt waren die Ordnung beim Uebergang zu handhaben. Bald vermochten die Gensdarmen das Heer verhungerter Menschen, welches in immer dichter nachdrängenden Haufen mit wahn- sinnigen und verzweifelten Geberden die Brücken bestürmte, nicht mehr aufzuhalten. Sie wichen scheu und mit Entsetzen vor diesen Massen zurück, welche eher die Brücken zertrümmert und die sich ihnen ent- gegenstellenden in den Staub getreten hätten, bevor sie sich hätten auf- halten lassen.

In Orscha gab es reiche Magazine, frische Truppen und bespannte Geschütze. So schien es, als ob mit einem Mal der grässliche Winter, das Elend und der Hunger, ja für einzelne, die so glücklich waren, in den Hütten des Ortes Unterkunft zu finden, die Biwaks aufhören soll- ten. Aber das Alles war eine kurze Täuschung ; noch war das Mass der Leiden nicht voll. Tausende von Denen, die sich bis hierher gerettet, sollten noch fallen und der Wuth der grässlicher wiederkehrenden Kälte, dem Schwerte des Feindes und dem furchtbarer als bisher heran- brechenden Elend erliegen, von Borcke, in Begleitung des Generals von Ochs, fand den Juden wieder, dessen Hütte sie im August mehrere Wochen beherbergt hatte.

Der Rest der grossen Armee, mit dem Napoleon in Orscha einrückte, mochte an Streitbaren noch 10 bis 12 Tausend Mann, grösstentheils Garden, betragen. Von den Westfalen befanden sich vielleicht noch 400 Mann unter dem Gewehr. Einige 50 Tausend Unbewaffnete schleppten sich mit der Armee fort, der Tross hatte sich verringert, doch kam in Orscha neuer hinzu. Am 20. November wurde Orecha ver- lassen.

Dumpf schweigend, mit zur Erde gesenktem Blick schritt der Haufe sterbender Menschen gleich einem Leichenzug von Orscha der Beresina

301

Äu. Nur mit sich beschäftigt, im geschwächten Körper den Todeskeim fühlend, allein durch den Erhaltungstrieb daran erinnert, dass man noch Mensch sei, war man keiner Unterhaltung, keiner Mittheilung gegen Kameraden und Freunde mehr fähig. Der Geist war so abge- stumpft, dass man zum Thier herabgesunken war.

Jedermann kennt aus der Geschichte die Schreckenstage des Ueber- ganges über die Beresina.

Nach dem Uebergange kehrte der Winter mit grösserer Strenge als Je zuvor wieder. Wieder kennzeichneten sich die verlassenen Biwaks durch erfrorene Menschen und Pferde. Vom 8. Dezember an stieg die Kälte auf eine grässlicbe übernatürliche Höhe. Die Gesichter uncl lan- gen Bärte waren ganz mit Eis überzogen, jede Bewegung der Gesichts- muskeln verursachte Schmerz, es war kaum möglich einen Augenblick still zu stehen, um ein Naturbedürfniss zu befriedigen. Manchem, der dazu genöthigt war, brachte dies den Tod. Die quälende Kälte, der ver- zehrende Hunger trieb die Soldaten zu thierischen Handlungen. ' Am 9. Dezember wurde Wilna erreicht.

Die Tage von Wilna waren kaum weniger schrecklich als die von der Beresina.

Am 16. Dezember kam von Borcke mit seinem General von Ochs nach Schirwind, zum ersten Mal wieder in eine preiissische Stadt.

Sie erhielten in einer der besten Häuser, bei der Wittwe eines preussi- schen Offiziers Quartier angewiesen. Diese Dame sah die beiden mit grossen Augen an, als sie ihr Haus betraten, imd als sie hörte, dass ein General mit seinem Adjutanten, durch kein äusseres Abzeichen erkenn- bar, sondern in Schafpelze und Lumpen gehüllt, voller Schmutz, vom l^uch der Biwaks geschwärzt, mit langen Bärten, mit erfrorenen Glie- der, ihre Gäste sein sollten. Selbstverständhch gewöhnte sich der Kör- pern erst allmälig an das neue Leben.

Am 2. Januar 1813 langten von Borcke mit seinen Kameraden in Thorn an, wo sie sich aus dem grossen Schiffbruch gerettet betrach- teten.

Epidemische Krankheiten brachen in Thorn und in allen Orten an der Weichsel aus, wohin die Trümmer der Armee kamen. Die Laza- rethe waren überfüllt, kein Haus ohne Kranke, und der Tod hielt eine furchtbare Nachlese. Ein Nervenfleber ergriff gleich in den ersten Ta- gen den General v. Ochs, so dass man an seinem Aufkommen zweifeln musste. Sein Sohn dagegen, der den ganzen Eückzug verwundet und mit derselben Krankheit (Abdominal Typhus) belastet mitgemacht, den der General und sein Adjutant in einem Wagen unter unglaublichen Schwierigkeiten von Moschaisk mitgebracht, erholte sich, so dass er seinen Vater pflegen helfen konnte.

Alles was sich von Truppen des westfälischen Korps in, Thorn ver- sammelte, waren kaum noch 1500 Mann.

Von Thorn gelangten die Westfalen nach Krossen, demjenige Ort an der Oder der den Trümmern des westfälischen Korps zum zweiten Sammelpunkt bestimmt war. Hier fand sich auch der Eest der Kaval- lerie unter General v. Hammerstein ein. Während seines Aufenthalts in Krossen war von Borcke Zeuge der geistigen Bewegung, welche der denkwürdigen Erhebung Preussens voranging, als die Konvention des Generals York bekannt wurde.

Ich will hier abbrechen.

In meiner Sammlung von Aufzeichnungen solcher, die den russischen Feldzug mitgemacht, findet sich noch Vieles das des ärzthchen Inte- resses würdig ist, doch muss ich mir, durch andere Arbeiten verhindert, weitere Fortsetzungen der Denkwürdigkeiten, vorausgesetzt dass die- selben gewünscht werden, auf eine spätere Zeit versparen,

392

NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für praktische Aerzte in Amerika. Eedigirt von De. f. C. heppenheimer.

EDITORIELLE NOTIZEN.

15. October 1892.

; lieber Immunität gegen Abdominaltyphus.

Unter diesem Titel erschien eben in der „Deutschen medicinischen Wochenschrift" eine hochinteressante Arbeit von Dr. E. Stern. G. und F. Klemperer hatten belianntlich gezeigt, dass das Blutserum d'er Pneumoniker nach der Krise die Eigenschaft besitze, die Pneumococ- cenkrankheit des Kaninchens zu heilen, resp. diesem Thier Immunität gegen -dieselbe zu verleihen. Die auf Grund dieser Thatsache ange- stellten Versuche, die Pneumonie des Menschen durch lujection von Serum immunisirter Kaninchen oder Blutserum resp. Exsudatflüssig- keit von Pneumonikern nach der Krise therapeutisch zu verwerthen, haben bereits in einigen Fällen beachtenswerthe Kesultate ergeben. Sich anlehnend an diese erfolgreichen Versuche der Herren Klemperer und von demselben Gedanken ausgehend, dass nämlich nach dem kritischen Ueberstehen einer infectiösen Krankheit im Organismus immunisirende Stoffe gegen die eben überstandene Krankheit vorhan- den sein müssen, hat nun Stern das Verhalten des Blutes nach einge- tretener Krise im Typhus abdominalis geprüft. Stern unterwarf fol- gende drei Fragen einer eingehenden Prüfung :

1. Lässt sich im Blute des Menschen nach überstandenem Abdomi- naltyphus eine erhöhte bacterientödtende Kraft gegenüber dem Typhusbacillus nachweisen ?

2. Hat dieses Blut die Eigenschaft, auf die bei Thieren durch den Typhusbacillus verursachte Krankheit heilend einzuwirken?

3. Vermag dieses Blut die von Typhusbacillus producirten Gifte unschädhch zu machen?

Zu seinen vielfachen Versuchen bediente sich Stern des Blutes von 7 Typhusreconvalescenten und kam zu folgenden sehr beachtens- werthen Kesultaten.

1. Das Blut der nach Ablauf des Typhus untersuchten Personen hat, verglichen mit gewöhnlichem Blut, nicht nur keine gesteigerte, son- dern in der Regel eine auffallend geringe bacterientödtende Wirkung gegenüber dem Typhusbacillus.

2. Das Blut der Typhusreconvalescenten zeigte die Eigenschaft, Mäuse vorder Wirkung von Typhuskulturen zu schützen.

3. Da die Wirkung der Typhusbacillen bei den Versuchsthieren, wie allgemein angenommen wird, im wesentlichen eine toxische ist, so wird die schützende Kraft des Serums nach überstandenem Typhus nicht

393

auf einer Abtödtung der Bacillen beruhen, sondern vielmehr in einer speciellen Wirkung auf die Toxine, sei es, dass dasselbe diese zerstört oder den Organismus gegen dieselben unempfindlich macht.

Stern schliesst seine Arbeit mit der Bemerkung, dass nach seinen Versuchen, wie bei der Pneumonie so auch beim Typhus die Transfusion des Blutes von Menschen, welche die Krankheit über- standen haben, von tJierapeutischem Nutzen sein dürfte. „Für derartige Versuche wird es allerdings zunächst immer nothwehdig sein, sich vorher durch Thierexperimente von der Wirksamkeit des zu trans- fundirenden Blutes zu überzeugen".

REFERATE.

Krankheiten der Circulations- und Verdauungsorgane. Referirt von Dr. MAX EINHORN.

1. lieber Titration des Blutes. Von Dr. A. Loewy. (Centralblatt für

klin. MediciD, 1892, No. 34)

Die gewöhnliche Titration des Blutes wird bekanntlich so vorge- nommen, dass zuerst das Blut in neutrale concentrirte Lösungen von Mittelsalzen {NaßO^ oder MgSO^) eingetragen wird und dann die Alkalescenz dieser Mischungen durch eine organische Säure, z. B. Weinsäure, bestimmt wird. L. weist nun darauf hin, dass er in vielen, nach dieser Methode vorgenommenen Prüfungen, einen zu geringen Alkalescenzgrad vorgefunden habe; alle beobachteten Weithe blieben mehr oder weniger hinter dem wirklichen Alkalescenzgrad zurück. L. schlägt daher vor das Blut im lackfarbenen Zustande zu untersuchen; zu diesem Behufe wird das Blut zuerst entweder in Eiswasser oder noch besser in Glycerin eingeleitet, durchgemischt und in diesem Menstruum mit Weinsäure titrirt ; als Reagenzpapier diente Lack- moid.

2. Experimenteller Beitrag zur Lehre von der alimentären Glykosurie.

Von Dr. R. Kolisch. (Centralbl. für klin. Medicin, 1892, No. 35.)

K. hat die Function des Darmes hinsichtlich der Assimilation von Kohlenhydraten einer directen experimentelJen Prüfung unter- zogen. Es gelingt bekanntlich leicht Darmtheile ausser Function zu setzen, indem die Gekrösarterien unterbunden werden. K. hat nun in der Narkose bei vielen Hunden die Arteria meseraica sup. unterbunden und dabei constatirt, dass in allen einzelnen Experimenten, in welchen die Ligirung gelungen war, etwa 2 3 Stunden nach der gleich nach der Operation vollbrachten Einführung von Zucker in den Mai.-'en eine reichliche Zuckerausscheidung durch den Harn auftrat, welche 2—3 Stunden anhielt und dann wieder aufhörte. K. konnte auf diese Weise nach Unterbindung der Arter. meser. eine bedeutende Herabsetzung der Assimilationsgrenze für Traubenzucker nachweisen.

3. lieber einen Fall habitueller und paroxystischer Tachycardie mit

dem Ausgange in Genesung. Von Dr. P. Hampeln. (Deutsch, med. Wochenschr. 1892, No. 35.)

H. berichtet über einen äusserst interessanten Fall von paroxysti- scher Tachyoar die mit Ausgang in Heilung. Es handelt sich um einen 47jährigen Mann, der vor 15 Jahren nach einem acuten Gelenkrheu-

394

matismus eine schwere fibrinös-seröse Pericarditis durchmachte. Seitdem war sein Puls regelmässig, aber beschleunigt, er betrug für gewöhnlich 160-140 ; erst im Sommer 1877 ging der Puls nach einem längeren Aufenthalte des Patienten im Kurort Nauheim auf 120 herun- ter. Der Zustand des Patienten bUeb nun unverändert bis zum Jahre 1887, wo sich zu dieser habitutllen Tachycardie erstens Anfälle von nervösen Herzpalpitationen, zweitens aber Attaquen im Typus von Tachycardieparoxysmus hinzugesellten. Die Herzpalpitationen kenn- zeichneten sich durch Beschleunigung und grössere Heftigkeit des Herzschlages und traten nach jeder körperlichen Anstrengung ein ; die Pulsfrequenz war dann 160-180. In einigen Secunden, oder Minu- ten trat jedoch immer wieder Beruhigung ein. Die Anfälle von Tachy- cardieparoxysmus traten ohne sichtbare Ursache ein ; ihr Charakter war folgender : „Als sicheres Signal ging stets eine kurzwährende Verminderung der Pulsfrequenz auf 100 pro Minute unter Beklem- mungsgefühlen voraus. Plötzlich stieg dann die Frequenz auf 240, 260, ja 280 in der Minute. Dabei bemächtigte sich des Kranken leb- hafte Angst, eine verzweifelnde Stimmung, Schweiss trat auf die Stirne. oft stellte sich Brechneigung ein. Das Herz pulsirte regel- und gleich- mässig, doch so heftig, dass der ganze Thorax, die Bekleidung, der Kopf an den Erschütterungen betheiligt erschienen. Die Respiration hingegen verlief völlig ungestört. Nachdem der Anfall, während Patient regungslos auf seinem Lager ausharrte, 2-4-8 Stunden getobt hatte, sank, wiederum plötzlich, wie mit einem Ruck, die Pulsfrequenz von 240-280 auf 90 in der Minute ; das Todesgefühl wich der Empfin- dung der Befreiung und Erlösung ; und noch eine geringe Beklem- mung beschloss den Aufall, wie sie ihn eingeleitet hatte. Auch diese schwand, nachdem in wenigen Minuten der Puls seine gewöhnliche Geschwindigkeit von 130 pro Minute erreicht hatte."

Solche Anfälle hatte Patient in jedem Jahre, besonders häufig jedoch seit dem Winter 1886-87, den er in Mentone verbrachte. Patient erlebte dort die schreckliehe Erdbebenkatastrophe, und letztere wirkte auf ihn derart deprimirend, dass er hypochondrisch wurde. Auf Ver- anlassung von Hampeln wurde Patient im Sommer 1890 zum längeren Aufenthalt nach einer Anstalt für Nervenkranke geschickt. Patient kam etwas gebessert zurück. Nach einem schweren ^Anfall von Tachy- cardieparoxysmus im April 1891 kehrte der Puls zu seiner Norm zurück und blieb seitdem 74-76 pro Minute. Alle Beschwerden sind seitdem verschwunden, und Patient konnte als vollkommen genesen betrachtet werden.

Zur Erklärung dieses merkwürdigen Falles nimmt H. an, dass die bei der Pericarditis zurückgebliebenen Synechien keine vollständigen Contractionen des Cor zuliesseu, die habituelle Tachycardie hatte dann die Bedeutung eines mechanisch compensirenden Vorganges, um die durch das Herz in einer Zeiteinheit getriebene Blutmenge zu ver- grösseren. Die Herzpalpitationen und die Tachycardieparoxysmen betrachtet H. als Neurosen, für welche durch die erhöhte Leistung sämmtlicher zum Herzen gehörenden nervösen Apparate der Boden vorbereitet wurde.

Das Zustandekommen der Genesung erklärt H. durch eine stattge- fundene Losreissung der Synechien.

4. Ueber die Verschiedenheit gewisser Aetzwirkungen auf lebendes und todtes Magengewebe. Von E. Harnack ; Berl. klin. Wochenschr. 1892, No. 35.).

H. macht darauf aufmerksam, dass die Magenschleimhaut im leben- den Organismus sich vielen ätzenden Giften gegenüber anders verhält, als die Magenschleimhaut eines frisch verstorbenen Thieres. Er belegt

395

diese Ansicht mit folgendem an zwei Katzen gemachten Experiment: Die eine Katze wurde stark chloroformirt, so dass sie in Folge der Narkose bald verschied ; derselben wurde sofort 5 Cc. reinen Phenols per Schlundsonde in den Magen gebracht. Die andere Katze wurde weniger tief chloroformirt, und während der Narkose gleichfalls 5 Cc. reinen Phenols per Sonde in den ]\ragen gebracht; in etwa Ii Stunden starb das Thier unter den charakteristischen Symptomen einer Phenol- vergiftung. Bei dem ersten Thiere war nun die ganze Schleimhaut des Magens in eine zähe, structurlose, todte, unelastische Schorfmasse ver- wandelt, etwa von der Beschaffenheit zähen Leders; sie war gelb gefärbt, in starren Falten und roch intensiv nach Phenol. Die Magen- schleimhaut des zweiten Thieres dagegen zeigte nur eine starke sammtene Schwellung und uugleichmässige Hyperämie. Von ganz ähnlicher Beschaffenheit war die Darmschleimhaut, ein Phenolgeruch war an diesen Theilen nicht zu bemerken. Aus diesem Versuch ist so- mit zu ersehen, dass die lebende Magenschleimhaut einen bestimmten Schutz gegen die local-ätzende Wirkung verschiedener Gifte besitzt.

Kinderheilkunde. Referirt von Dr. SARA WELT.

Injections sous-cutanees d'eau salee dans la gastro-enterite des petits enfants. Von Dr. Paul Demieville. (Journ. de Med. de Paris, July 1892.)

Bericht über ein 4^ Monate altes, an Gastro-enteritis erkranktes Kind, welches mittelst subcutaner Injectionen einer sLerilisiiten, sechs i)rozentigen Salzlösung in die beiden unteren Extremitäten geheilt wurde. Die Menge der injicirten Flüssigkeit betrug etwa 150 Gim. Das manuelle Verfahren ist ein sehr einfaches. D. bediente sich dabei eines Irrigateur's mit IJm. langem Gummischlauche und einer Dieu- lafoy'schen Nadel.

Die Menge der zu injicirenden Flüssigkeit hängt ab von dem Volu- men der untern Extremitäten und dem Körpergewichte der Patienten ; nöthigenfalls kann auch die Haut des Abdomens für die Einstichstelle benutzt werden. Nach Beendigung der kleinen Operation sollen, zur bessern Vertheiiung der Flüssigkeit, die Theile massirt werden ; und ist letzteres für die Patienten etwas schmerzhaft.

D. ist der Ansicht dass dieses Verfahren auch bei Diphtheriekran- ken benutzt werden sollte ; der Organismus würde dadurch besser befähigt, den itifectiösen Elementen Widerstand zu leisten.

Die gonorrhoische Erkrankung der Mundhöhle bei Neugeborenen. Von Dr. Dohm. (Münch. Med. Wchschrft, 1891.)

D. beobachtete diese Erkrankung bei einem reif geborenen, 8 Tage alten Kinde. Die Kieferränder, der Zungenrücken und die hinteren Partieen des harten Gaumens zeigten erodirte Stellen, mit graugelbem Belag. Da die Mutter des Kindes ausgesprochene Zeichen von Gonor- rhoe hatte und das Kind an Ophthalmo-blennorrhoe litt, wurde auch die Erkrankung der Mundhöhle als eine gonorrhoische angesehen. Die Un- tersuchung excidirter Stückchen Hess im Gewebe Gonococcen erkennen, die von Fraenkel identiflcirt wurden. Nach 4 Wochen heilten die Erosio- nen ohne weitere Behandlung ab. D. glaubt, dass die Erkrankung schon gewiss früher gesehen wurde ; doch ist der Nachweis des gonor- rhoischen Ursprunges hier zum ersten Male erbracht worden.

lieber die Behandlung des Laryngospasmus. Von Dr. Kuert. (Wien. Min. Wochenschr., No. 22, 1890.). K. machte bei einem Kinde, das im Verlaufe d-es Keuchhustens von schweren Convulsionen und Stimmritze ukrämpfen befallen wurde, die

396

Entdeckung, dass er durch Keizung der Endfasern des trigeminus hemmend auf den nervus laryngeus recurrens einwirken konnte. Er machte davon beim Laryngospasmus der Kinder Gebrauch, und zwar wurde im Beginn des Anfalles sowohl, als auch in der anfallsfreien Zeit das in ein Gemenge von Chinin und Zucker getauchte Bartende einer Kielfeder in eine Nasenöffnung geführt, wodurch nahezu momentan jeder Anfall coupirt wurde. Diese Methode hatte auch eine curative Wirkung, indem die Anfälle darnach überhaupt erloschen. Doch lässt er, wenn auch die Anfälle sistiren, das Verfahren mehrmals des Tages, noch durch beiläufig zwei Woclien hindurch anwenden.

Congenital Absence of both Patellae. Dr. Railton. (Brit. Med. Journ., May, 1892.)

Ein neun Monate altes Mädchen, in welchem beide Kniescheiben vollständig fehlten. Linkerseits bestand genu valgum, und eine Nei- gung des Fusses zur Varusstellung ; und konnte das Bein so gedreht werden, dass die Fussspitze nach hinten sah. Das Kind war leicht rhachitisch, sonst aber vollkommen gesund.

Menstruation during Measles in a girl aged 9. By W. Gemmell. (Brit. Med. Journal, March, 1892.)

Die Ausscheidung von Blut aus der Scheide stellte sich während der Blüthe des Exanthems ein, und dauerte 5 Tage. Die mikroskopische Untersuchung des Excretes ergab, dass es vorzüglich aus rothen Blut- körperchen, Plattenepithel und Detritus zusammengesetzt war. Bei der digitalen Untersuchung konnte weder eine Laceration, noch irgend welche Abnormität der Scheide nachgewiesen werden. Das Mädchen war für ihr Alter gross und stark entwickelt.

Seitdem hat sich ein blutiger Ausfluss aus der Vagina nicht wieder eingestellt.

Zur Behandlung der Verbrennung im Kindesalter. Von Dr. Wertheimer.

(München, Mediz. Wochenschr., Aug. 1892.)

Was auch immer als die Todesursache nach Verbrennungen gelten mag; ob es sich dabei um einen Zerfall der rothen Blutkörperchen und Thrombosenbildung, oder ob es sich, nach den neueren Anschauungen, um die Resorption von auf den Organismus giftig wirkenden Ptomainen liandelt; so viel steht fest, dass die Gefahren nach Verbrennungen in kindlichen Individuen in Folge ihrer erhöhten Sensibilität und Reflex- erre^barkeit erhöhte sind. Um so wichtiger wird ihre Behandlung.

W. rühmt nach seinen Erfahrungen in einer Anzahl zum Theil sehr schwerer Fälle die Anwendung der SxAHL'schen Brandsalbe (AquaCalc. und Ol. lini oder Ol. oliv. die er dahin modiflzirt, dass er V20 bis Vio Prozent Thymol hinzusetzt, und fand er, dass beider Anwendung dieser thymolisirten Salbe die Wundflächen geruchlos blieben, bald eine Ten- <lenz zur Heilung zeigten und nur wenig sichtbare Narben hinterliessen. Wegen seiner „schmierigen Beschaffenheit" vertauscht W. das Lini- ment in der zweiten Woche mit einer Wismuth-Borsalbe (Bismuth. sub- niir. 9.0, Acid. boric. 4.50, Lanolin 70.0, Ol. oliv. 20.0), welche den Heilungs- process ebenso günstig beeinflusst. Innerlich verabreicht er dabei Seda- tive, warnt aber vor ihrer Anwendung in grossen Dosen, die leicht coilapsähnliche Zustände herbeiführen können.

Von der Anwendung des Jodoforms hat W. wegen der Intoxications- gefahr gänzUch Abstand genommen; er gibt aber zu, dass die als Intoxicationssymptome gedeuteten Erscheinungen auch als Folgezu^. ßtäncle der Verbrennung auftreten können,

397

Beobaditungen über Keuchhusten. Von Br. Berthold Ullman.

(Archiv für Kinderhlk., IV. Band, I. und II. Heft.)

Um die verschiedenen Behandlunp^smethoden des Keuchhustens zu prüfen, hat U. Beobachtungen an 66 Kindern mit Pertussis ange- stellt ; besondere Aufmerksamkeit wurde der Behandlung mit Bromo- form und schwefliger Säure zugewendet. Dabei konnte er die Angaben von Stepp utid Loewenthal über die Wirkung der neuen Mtitel nicht bestätigen. Er fand, dass die unter Behandlung mit schwefliger Säure oder Bromoform vorkommenden Besserungen sich auch bei der An- wendung anderer Mittel zeigen. Die Dauer der Krankheit wurde durch sie nicht verkürzt und das Auftreten von Kezidiven nicht ver- hindert. Complicationen jeder Art traten auch bei ihrer Anwendung auf und die Mortalität wurde nicht beeinflusst ; hingegen glaubt er, dass die Inhalationen und Eäucherungen mit schwefliger Säure manchmal Verschlimmerungen hervorrufen. Bei kleinen Kindern mag Bromoform als Narcoticum das Allgemeinbefinden ungünstig beeinflussen.

Hyperpyrexia in Influenza. By G-eo. 'B. Beale. (Brit. Med. Journal, March, 1892.

B. beobachtete bei einem 18 Monate alten Kinde, das an Influenza erkrankt war, eine Temperatur von 110°. Fat. befand sich in einem co- matoesen Zustande. Die Athmung war rapide und oberflächlich. Nach Anwendung von kalten Einwicklungen und Verabreichung von Anti- febrin sank die Temperatur auf 103° ; es bestanden noch während der nächsten & Tage leichte Fieberbewegungen ; das Kind genas.

Deutsche Medicinische Gesellschaft von New Yoik.

17 West 43. St.

Sitzung vom 6. Juni 1892.

Präsident : 0. Heitzmann.

Vorstellung von Patienten.

W. FßEUDENTHAL Stellt einen Fall von Larynxpolypen vor. Carl Beck stellt einen Fall von Elephantenfuss vor.

Im Hinblick auf die Seltenheit des Vorkommens der Elephantiasis^ in den Vereinigten Staaten erlaube ich mir, Ihnen einen Elephanten- fuss vorzustellen. Derselbe gehört einem 35 Jahre alten, sonst gesund gewesenen Barbier an, bei welchem die Schwellung des rechten Unter- schenkels die natürliche Circumferenz des linken gesunden Beines um das nahezu dreifache übertraf. Seiner Mittheilung nach war ihm ver- schiedentlich die Amputation angerathen worden; ich versuchte jedoch vor sechs Wochen die Unterbindung der Feuioralarterie nach Carno- chan, welche, wie Sie sehen, die Schwellung fast auf den Normalzustand reducirt hat. Ob dies von Dauer ist, wird die Zukunft noch zu lehren haben. Jedenfalls ist sehr viel Aussicht dazu vorhanden.

Discussion:

Oberndorfer fragt, wie denn der Druck auf eine Arterie eine Ver- kleinerung zustande bringen könnte; eher hat hier einfach die Bettlage gewirkt.

A. Seibert : Kammerer hat einen Fall von Elephantiasis zu amputi- ren gehabt ; das Gewicht des Unterschenkels betrug etwa 50 Pfund, und war dort die Amputation deswegen angezeigt, weil so hohe Be-

m

398

sch werden bestanden hatten; er freue sich, dass Beck nach Unterbin- dung der Hauptarterie ein so schönes Resultat zu erreichen vermochte.

Oberndorfer hat einen Patient mit Erisypel des Kopfes beobachtet; der Zustand am Kopfe war derselbe, wie er sich hier am Fusse vor- findet.

Beck. Patient leidet bereits seit 8 Jahren, allein durch Bettlagen ist niemals dieses Resultat erzielt worden. Der Druck auf die Femo- ralarterie genügt vollkommen zur Erklärung der Geschwulstabnahme, und es sind mehrere Fälle von Heilung nach dieser Behandlungs- methode berichtet worden. Im Seibert'schen Falle musste natürlich zur Operation geschritten werden.

Beck stellt ferner einen Patienten mit operirten Atheromen an der Kopfhaut vor. Er hat die Entfernung der Atherome durch Spaltung der Haut und Ausschälung der Atherome vorgenommen. Die Opera- tion in dieser Weise ist äusserst leicht und die Narben kaum zu bemerken.

Dieser Patient, aus dessen Kopfhaut ich vor 6 Wochen acht Atherome entfernte, soll dazu dienen, Ihnen meine, vor 6 Jahren in der „N. Y. Medicinischen Presse" veröffentlichte Methode der „subkutanen Exstirpation" zu veranschaulichen.

Ich habein diesem Fall zwei gleich grosse Tumoren (beide von der Grösse eines kleinen Hühnereis) ausgewählt und den einen mitteist breiten Sclmittes, den andern nach memem Verfahren ausgeschält.

Sie werden kaum im Stande sein, trotz der verhältnissmässig kurzen Frist, an der nach meiner Methode operirten Stelle, eine Narbe zu entdecken, während an dem durch den breiten Schnitt eröffneten Operationsterrain noch eine sehr dicke Narbe wahrzunehmen ist.

Meme Publikation hat wohl nur aus dem Grunde nicht die gebüh- rende Beachtung gefunden, weil ich das Verfahren damals nicht de- monstrirt habe und man sich schwer, ohne Augenzeuge bei der Opera- tion zu sein, vorstellt, wie eine grosse Cyste durch eine so kleine Oeff- nung durchgezogen werden kann.

Und doch verdiente es die Gunst der Collegen, namentlich da, wo geringe Adhäsionen vorhanden sind und es sich um kosmetische Rück- sichten, speziell z. B. um das Gesicht einer jungen Dame handelte. Die Ausführung des Verfahrens, will ich noch einmal kurz skizziren.

An irgend einer Stelle des Tumors wird ein Einstich mittelst eines Skalpels gemacht, gerade gross genug, um eine Sonde oder eine feine Pean'sche Zange durchzulassen. Das Anstechen des Grützbeutels selbst wird vermieden. Dann wird eine Sonde um die ganze Cirkum- ferenz desselben geführt, um ihn von seinen Adhäsionen zu lösen. Fühlt man, dass er frei gemacht ist, so sticht man den Grützbeutel mit einer Pean'schen Zange an, fasst ihn derb mit derselben und übt mit der einen Hand an ihr einen langsamen Zug aus. Zugleich quetscht man mit der anderen Hand aus, gerade wie man den Uterus beim Crede'schen Handgriff entleert. So kann man dann die Cyste in der- selben Weise, wie man eine grosse intraabdominal erst verkleinerte Ovarial Cyste durch die Bauchwunde herauszieht, den ganzen nach und nach entleerten Beutel entwickeln. Die Höhle wird dann mit SubU- mat irrigirt, und ein Druckverband angelegt. Nach 2, längstens 5 Tagen ist völlige Heilung eingetreten, welche bei der herkömmlichen Methode manchmal Wochen lang in Anspruch nimmt.

Narbenbildung ist kaum erkennbar und Blutstillung und Naht sind absolut unnöthige Dinge.

A. Seibert demonstrirt eine diphtherische Pseudomembran, die aus der Nase herauskam, und in der Millionen von Löffler- Bacillen sich befanden. Redner habe seit Jahren nach einem Mittel gesucht, um Membranen auflösen zu können; in der letzten Zeit ^habe er ein solches

399

Mittel gefunden; 'es ist das Javelle- Wasser, darin löst sich eine Diph- theriemembran in 15 Minuten vollständig auf ; untersucht man dann das Gemisch mikroskopisch, so findet man, dass die Bacillen nicht mehr da sind, dagegen ündet man noch Koccen. Kedner braucht vor- läufig das JaveÜe-Wasser, um nach Behandlung von Diphtherie- patienten seine Hände darin zu waschen.

Anknüpfend an das mikroskopische Präparat der Diphtheriemem- bran, macht Seibert folgende Bemerkungen: Baginski übt die Methode zur Untersuchung von Diphtherie, indem er mit den Membranstück- chen Culturen anlegt. In Boston ist kürzlich ein Mädchen an Diph- therie gestorben, bei der keine Bacillen gefunden worden sind. Redner hat viele Culturen angelegt, zuweilen bekam er Stäbchen, zuweilen Koccen. Wie kann dann der praktische Arzt aus den Culturen die Diagnose machen ? Er habe deswegen die Culturen aufgegeben, und untersucht deswegen die Membranen selber, nach Art der Tuberkel- bacillen-Untersuch ung.

C. Heitzmann weist darauf hin, dass die wenigen Worte, welche Dr. Seibert geäussert hat, von ungemein hohem praktischen Werthe seien.

Es folgt darauf die Verlesung des Protokolls vom 2. Mai, ferner das Protokoll der letzten Verwaltungsrathssitzung.

Brettauer demonstrirte : 1) einen Ausguss der Vagina von einer Frau, welche nach einer Blutung mit Liq. Ferr. sesquichlorat. behan- delt worden war.

2) Ein durch Hysterectomie entferntes Uterusfibrom.

Es folgt der Vortrag von Dr. Carl Beck : „Vorstellung eines Falles von Darmresection, nebst Bemerkungen über eingeklemmte Brüche". (Abgedruckt in der „N. Y. Med. Monatsschrift").

Darauf der Vortrag von Dr. A. von Griäim : „Ein Fall von Gangrän nach doppelseitiger Pneumonie, mit Vorstellung des Patienten". (Ab- gedruckt in der August-Nummer der „N. Y. Med. Monatsschrift").

Discussion:

ToREK. Die Ursache, weswegen zu einem längeren Abwarten ge- rathen wurde, ist die, dass früher die Schwellung grösser war, als zur Zeit der Untersuchung; es musste hier eine Thrombose angenommen werden, und in einem solchen Falle müsse man stets warten, damit sich eventuell eine collaterale Circulation bilden kann. Es ist nicht nöthig hier eine secundäre Embolie anzunehmen.

Beck betont gleichfalls, dass man mit der Amputation nicht rasch bei der Hand sein soll, da sich eine CoUateralcirculation erst spät bil- den kann.

Rose meint, dass das permanente Bad bei Gangrän das beste Mittel ist, um die Circulation wieder herzustellen.

Von Grimm meint, dass die angewandten Bfeiumschläge dem per- manenten Bade entsprechen.

Der Vortrag des Dr. Rachel wird für die nächste Sitzung ver- schoben.

Zu neuen Mitgliedern werden vorgeschlagen : Dr. B. Stiefel, 1186 Lexington Ave., von Dr. F. Torek, und Dr. KiLiANi, 143 East 21. St., von Dr. C. Heitzmann.

Schluss und Vertagung.

Dr. Max Einhorn,

protokoUirender Beere tär.

400

Sitzung vom 12. September 1892.

17 West 43. St.

Präsident : C. Heitzmann.

Vorstellung von Patienten.

Dr. Tyndale stellt in Abwesenheit von Dr. Degner, einen Fall von geheilter Tuberculose vor. Patient hatte tuberculöse Drüsen und eine taberculöse Affection der rechten Lungenspitze : Bacillen in den Drü- sen und im Sputum nachgewiesen. Tyndale hat nun Pat. mit Tuber- culocidineinspritzungen behandelt, während Degner die Drüsen unter Narkose entfernt hat. Seitdem ist der Infectionsherd verschwunden und Patient befindet sich im geheilten Zustande, d. h. es ist ein Arrest des Processes eingetreten; keine Expectoration.

Disc US s i o n :

Dr. Müller bemerkt, dass noch Drüsen vorhanden sind.

Dr. ToREK. Es lässt sich zwar nicht nachweisen, ob die vorhande- nen Drüsen tuberculös sind; dies könnte man nur nach Ausschnei- dung derselben darthun ; allein wenn man Drüsen in der Nähe eines tuberculösen Herdes hat, kann man wohl annehmen, dass dieselben tuberculös sind; ausserdem ist die ringförmige Anordnung derselben dafür charakteristisch.

Dr. MÜLLER fragt, wieviel Tuberculocidin eingespritzt wurde ?

Tyndale. Er fing mit 0,005 an und stieg bis 0,15. Gewöhnlich ge- nügt 0,05. Was die Drüsen anbelangt, so ist das Fühlen der Drüsen kein Beweis, dass dies tuberculöse Herde sind.

Dr. Stürmdorf. Bei der Auscultation hört man R. H. U. feuchte Rasselgeräusche; dies weist auf eine frische Infiltration hin.

Tyndale erwidert, dass es sich hier um frische pleuritische Adhä- sionen handelt; er wende in solchen Fällen Jod oder Quecksilber an.

Es folgt sodann der Vortrag von Dr. Geo. Rachel :

lieber Tuberculocidin.

(Abgedruckt in der Septembernummer der „Med. Monatsschrift".) Disc ussion :

Dr. Tyndale : Es handelt sich um 3 Momente : 1. entzündungs- erregend, 2. heilend, 3. giftige Eigenschaften. Er steige nicht rasch; da, wo Anämie da ist, die Ernährung keine Fortschritte macht, steige er nicht höher. Oertliche Tuberculose kann geheilt werden, aber nicht Aligemeintuberculose (Verdauungsstörung bildet die Hauptbeschwerde des Patienten). Redner hat 49 Fälle von Tuberculose mit Tuberculoci- din behandelt und gute Erfolge erzielt.

Dr. Freudenthal fragt, ob Dr. Rachel Erfahrungen hat über die Wirkung: des Tuberculocidin auf Larynxphthise ?

Dr. Rachel bemerkt in seinem Schlusswoit, dass seine Patienten keine Larynxphthise hatten. Redner freue sich, dass Ty^ndale eine so grosse Erfahrung über diese Behandlungsmethode hat. Man möchte jetzt nicht zu gering vom Tuberculocidin denken. Was die Quantität des Tuberculocidin anbelangt, so sei er der Ansicht, dass grosse Do- sen, wie sie von Klebs empfohlen worden sind, gebraucht werden möchten. Es handelt sich hier um einen fortwährend fortschreitenden Process, wo giftige Stoffe sich im Körper vorfinden; deswegen die Nothwendigkeit grosser Dosen.

Verlesung und Annahme des Protokolls der letzten Sitzung.

Abstimmung über die vorgeschlagenen Candidaten ergiebt deren Aufnahme als Mitglieder.

401

Es wird der Antrag gestellt, dass der nächste Sitzungsabend der Cholera gewidmet wird. (Dieser Antrag wurde von Dr. Webek schrift- lich eingereicht). Angenommen.

Es folgt der Vortrag von Dr. A. Rose :

Plan einer öffentlichen Heilanstalt für Tnberculose aus der arbeitenden Classe.

(Siehe diese Nummer, Seite 379.) D is cuss i o n :

Dr. Tyndale : Punkte dafür, die Sache ist eine edle und nützliche; dagegen, die wirklich gute Gegend liegt in Arizona, da dort die Luft vollkommen trocken ist. Arizona ist jedoch sehr weit entfernt, daher ist der Plan Rose's vollkommen zu billigen.

Dr. Rose. Er glaubte, dass die Discussion eine regere sein würde ! Es handle sich natürlich nicht um eine Geschäftssache.

Als neue Mitglieder werden vorgeschlagen :

Dr. Alex. Koch, 1130 Herkimer St., Brooklyn, von Dr. C. Heitzmann. Dr. J. WoHLFARTH, 121 East 128. St., und Dr. J. Sachs, 207 East Broadway, von Dr. Max Einhorn.

Dr. D. Robinson, 22 Rutgers St., von Dr. M. Romm. Sodann folgt der Vortrag von Dr. C. Heitzmann :

Der heutige Stand der Cellularpatholog^e.

(Siehe diese Nummer, Seite 378.)

Vorsitzender : Dr. Lilienthal. Schluss und Vertagung.

Dr. Max Einhorn, protokollirender Secretär.

Allerlei.

Die ,, American Electro-Therapeutic Association" hat soeben in der Academy of Medicine ihre zweite jährliche Zusammenkunft vom 4.-6. dieses Monats abgehalten. Das Programm war ausserordentlich reichhaltig und am meisten Interesse beanspruchten die Vorträge von Dr. W. J. Morton [Electric Cataphoresis ; Its üses in General Medicine] und Prof. E. J. Houston [The Physics of Cataphoresis]. Von den übrigen Vorträgen möchten wir folgende hervorheben :

The Use and Abuse of Electricity in Medicine. By Dr. A. D. Rock- well, of New York.

The Present Status of Electrolysis in the Treatment of Strictures. By Dr. Robert Newman, of New York.

Some Forms of Rheumatism and their Treatment. By Dr. F. von Raitz, of New York.

Rotary Transformers for Medical Use. By Dr. R. L. Watkins, of New York.

The Relative Foeticidal Value of the Galvanic and Faradic Cur- rents in Ectopic Gestation, wurde in Form einer Discussion von den Herren Rockwell, Lusk, Skene, Martin, Goelet, Smith, Brothers, McLean, McGinnis und Backmaster eingehend besprochen.

Gleichzeitig mit der Versammlung wurde eine Ausstellung von elektrischen Batterien und Instrumenten der bekanntesten hiesigen Firmen abgehalten.

Wir erhalten soeben ein vorläufiges Programm des bei der nächsten Weltausstellung in Chicago im Mai 1893 abzuhaltenden Kongresses

402

über medicinische Klimatologie. Unter den aufgestellten Thetnata heben wir folgende hervor :

The Leading Characteristics of the CUmates of the Various States, Countries and Sections of the World.

Relation of Climate to Consumption.

Changes of Climate Due to Cultivation. The Effects of the Destruc- tion of Forests, and other Changes Incident to Civilized Life. Geography of Carcinomatous and Sarcomatous Disease. Das Comite dieses Congresses besteht aus den Herren :

T. C. DuNCAN, Präsident.

I. N. Danforth, Vice-Präsident.

L. B. Hayman, Secretär.

J. D. Hartley.

A. K. Crawford.

F. D. Marshall.

J. B. S. King.

J. A. EOBINSON.

S. A. Mc Williams. A. L. Clark.

Ueber die Entdeckung der Wirksamkeit der antirabietischen Impfungen bei Epilepsie durch Pasteur wird der „Wiener Med. Woch." aus Paris geschrieben : „Im Jahre 1891 wurden zwei junge Epileptiker von wüthenden Hunden gebissen und im Pasteur'schen Institute behandelt. Die Behandlung war im doppelten Sinne erfolgreich, denn die Patienten wurden auch von ihrer Epilepsie geheilt. Pasteur theilte diese Entdeckung Charcot mit, und dieser sandte ihm vor einigen Wochen einen veralteten Fall von Epilepsie bei einem 12jährigen Individuum, der allen Behandlungsmethoden bisher getrotzt hatte. Es wurden einige abgeschwächte Impfungen vorgenommen, mit dem Erfolg, dass sechs Tage nach Beginn der Behandlung die bisher sehr häufigen Anfälle geschwunden waren. Es muss im ersten Momente befremden, dass ein Zusammenhang zwischen einer Neurose, wie die Epilepsie, und einer Krankheit herrschen soll, die durch den Eintritt von bestimmten Mikroben ins Blut entsteht. Allein schon Vulpian hat behauptet, dass die epileptischen Anfälle von einer erhöhten Erregbar- keit der MeduUa oblongata abhängen, und wir wissen auch, dass die Inkubationszeit der Hydrophobie verschieden lang ist, je nach der Entfernung der Impfstelle von der Medulla."

Ueber einen plötzlichen Todesfall durch Eindringen eines erbroche- nen Spulwurms in die Trachea berichten die „Archives de medecine etc. militaires" Folgendes: Ein ganz gesunder, seit 7 Monaten im Dienste stehender französischer Soldat klagte über Colikschmerzen und mehrtägige Verstopfung. Ein salinisches Abführmittel wurde er- brochen. Nach Genuss von etwas Kaffee trat neuerdings Erbrechen auf und wenige Minuten nachher war Patient todt. Die Sektion ergab : Alle Organe durchaus gesund. Im Dünndarm absoluter Verschluss des Lumens durch einen colossalen aus Spulwürmern bestehenden Ballen. In der Trachea, unterhalb der geschwollenen Glottis, liegt ein Spulwurm.

In Brüssel hat der Kaufmann Solvay, der bereits ein physiologisches Laboratorium für die Brüsseler Universität auf seine Kosten erbaut hat, neuerdings 500,000 Francs zur Errichtung eines Laboratoriums für medizinische Physik und physiologische Chemie bei der genannten Universität gespendet.

403

Es ist eine grosse Zahl voq namhaften Gelehrten aller Nationen z\l dem Zweclc zusammengetreten, eine Sammlung zur Errichtung eines Denkmals für den grossen Physiologen Prof. Ernst v. Brücke, der bekanntlich im Beginn dieses Jahres verstarb, einzuleiten. Das Denk- mal soll im Arkadenhofe der Wiener Universität, an welcher der Hin- geschiedeue mehr als 40 Jahre gewirkt hat, aufgestellt werden. Zu- sendimgen sind bis Ende Juli d. J. an Prof. S. Exner, Wien, IX., Schwarzspanierstrasse 17, zu richten.

Prof. Klebs hat die Berufung nach Chicago abgelehnt. Derselbe praktizirt gegenwärtig in Zürich und beabsichtigt im Herbste d. J. nach Karlsruhe überzusiedeln.

Die Gefahren des Genusses der Milch kranker Thiere und ihre Vorbeug^ngsmassregeln behandelt Baum in einer sehr ausführlichen, auf zahlreiche Versuche sich stützenden und die gesammte bisherige Litteratur (232 Nummern) vervverthenden Arbeit, welche im Arch. für Thierheilk." (1892, Bd. 18, Heft 3) erschienen ist. Die Milch stellt einen ausserordentlich günstigen Nährboden für Mikroorganismen der ver- schiedensten Art dar, und es können durch sie alle Infectionskrank- heiten übertragen werden. Was zunächst die Maul- und Klauenseuche betrifft, so ruft der Genuss ungekochter Milch von an dieser Affection erkrackten Thieren bei anderen Hausthieren die gleiche Erkrankung oder eine heftige Gastroenteritis oder seltener eine Kombination beider hervor. Beim erwachsenen Menschen wird durch eine derartige Milch und den aus ihr gewonnenen Produkten eine Erkrankung mit folgenden Symptomen erzeugt: mässiges Fieber, allgemeine Körperschwäche, Jucken in den Händen und Fingern, Schwellung der Mundschleimhaut, Auftreten kleiner, gelblich-weisser, schmerzhafter Bläschen im Munde, die bald platzen und kleine, in einigen Tagen verheilende Geschwüre hinterlassen. Seltener : ein ähnlicher Bläschenausschlag an den Hän- den und Fingern oder sonstwo am Körper, brennende Schmerzen im Munde, heftiger Durst und Diarrhoen. Viel häufiger als bei Erwachse- nen ereignen sich naturgemäss derartige Infectionen bei Kindern. Die Krankheitserscheinungen sind hier ähnlich denen bei Thieren und bestehen entweder in einem Bläschenausschlag der Mundhöhle oder einer Gastroenteritis oder seltener in einer Kombination beider. Durch- gehend erkranken aber Kinder viel schwerer als Erwachsene oder erliegen auch nicht selten dem Leiden. Durch gekochte Milch findet keine Infection statt. Zeigt die Milch maul- und klauenseuchekranker Thiere aber bereits ein verändertes Aussehen und gerinnt sie beim Erwärmen bald, so werden die Keime nicht mit Sicherheit durch das Kochen zerstört, solche Milch ist daher ebenfalls vom Genuss auszu- schliessen. Von grösserer Gefahr ist die Tuberkulose der Thiere. Wie Impfversuche des Verfassers ergeben haben, hat sich die Milch tuber- kulöser Kühe in 60 70 Prozent aller Fälle als infectiös erwiesen. Nahezu in allen Fällen war die Milch infectiös von Kühen mit genereller Tuberkulose oder mit Tuberkulose des Euters. Die Infectionsfähigkeit geht auch auf die Produkte der Milch über. Geringer erwies sich die Infectiosität bei Fütterungsversuchen, woraus hervorgeht, dass die Gefahren des Genusses tuberkulös inficirter Milch nicht ganz so grosS' sind, wie man a priori annehmen würde. Immerhin ist die Möglichkeit einer Infection auf diesem Wege vorhanden und in vielen Fällen auch' erwiesen. Diese Gefahr ist um so grösser, je weniger wirkungsfähig der Magensaft und je wenigsr widerstandsfähig der Verdauungskanal ist, denn der Magensaft und die im Darrnkanal sich abspielenden Fäul- nissprocesse hemmen die Lebenskraft der Tuberkelbacillen. Da, wie Versuche ergeben haben, das Kochen nicht immer die Virulenz der Milch tuberliulOsej: Thiejre vernichtet, 90 |§t auch die gekochte Milc^:

Äolcher Thiere vom Genuss auszuschliessen. Jede Milchkuh soll, bevor sie als solche eingestellt wird, mit Tuberkulin geimpft werden. Tritt danach eine Temperaturerhöhung von 0,6° auf, so ist das Thier als tuberkulös verdächtig von dem genannten Zweck auszuschliessen. Auch eine Uebertragung von Milzbrand und Tollwuth durch die Milch ist erwiesen, von Lungenseuche wahrscheinlich. Die Thiere scheiden ferner in der Milch gewisse Giftstoffe aus, die ihnen als Arznei ver- abreicht worden sind, z. B. Arsenik, Blei, Jod, Kupfer, Quecksilber, Opium, Morphium, etc. Die Milch von Thieren, die mit derartigen Medikamenten behandelt werden müssen, ist ebenfalls vom Genuss auszuschliessen. Die Milch kann auch schädlich wirken infolge Ver- änderung ihrer chemischen Beschaffenheit. Eine solche Veränderung wird herbeigeführt durch alle Eutererkrankungen, alle Krankheiten des Verdauungskanal, alle fieberhaften Affectionen, die Zeit vor und nach dem Kalben (die sog. Biestmilch, fünf Tage vor und fünf Tage nach dem Kalben). Es ist dringend nothwendig, dass polizeilicherseits die Mass- regeln zur Verhütung der Gefahren, die aus dem Genuss der Milch von kranken Thieren entstehen können, in dem bei den einzelnen Abschnitten angedeuteten Sinne festgestellt, resp. erweitert und ergänzt werden. Privatim ist durch Belehrung dahin zu wirken, dass die Milch stets nur in gekocktem oder sterilisirtem Zustand genossen wird, und dass niemals die Milch einer einzigen Kuh, sondern stets ein Gemisch von Milch mehrerer Thiere, sog. Sammelmilch zur Verwendung gelangt.

Der zweite Jahresbericht des unter Leitung von Dr. P. Gibier stehenden hiesigen „Pasteur-Instituts" zum Schutz gegen Hydrophobie ergiebt, dass anti-hydrophobische Behandlung in 113 Fällen ange- wandt wurde, nachdem die Hydrophobie der betreffenden Thiere erwiesen war. Bedürftige wurden gratis behandelt. Von den 298 im Institute in den letzten zwei Jahren Behandelten starben nur drei an Hydrophobie, was 0,66 Prozent entspricht.

Im Gegensatz zu der gewöhnlich geübten Chloroformnarkose mit- telst grosser Gaben in Zwischenräumen, befürwortet Gisevius die ste- tige und tropfenweise Anwendung des Chloroforms. Auf eine gewöhn- liche Flanellmaske, die Nase und Mund gleichmässig bedeckt, wird langsam tropfenweise aus einem Tropffläschchen ununterbrochen Chloroform geträufelt. Die Maske wird nicht gelüftet. Nach 5 bis 10 Minuten tritt Narkose ein, die beliebig lange durch Auftröpfeln gerin- ger Mengen in mässigen Zwischenräumen unterhalten werden kann. Ausserordentlich wichtig ist es dabei, dass der Patient vor dem Er- löschen der Reflexe vollkommen unberührt gelassen werde und dass im Operationssaal absolute Ruhe herrsche. Die Vorzüge dieser Methode bestehen zunächst im Beginn der Narkose in dem Wegfallen der für den Kranken so lästigen Reizungen der Schleimhäute (kein Husten, keine Salivation) und im Nichtvorhandensein eines eigent- lichen Excitationsstadiums. Auch das Stadium der tiefen Narkose, welche mit sehr geringen Mengen Chloroform unterhalten wird, ver- läuft ruhiger und gefahrloser. Die durchschnittliche Menge des bei dieser Methode verwendeten Chloroforms ist bedeutend geringer, als bei der alten Methode (früher etwas über 1,0 in der Minute, jetzt nur 0,6). Der Zustand beim Erwachen aus der Narkose ist viel ange- nehmer. Alle Beschwerden treten viel milder auf, bes. fehlt das fast unstillbare Erbrechen. Gerade bei langdauernden schweren Opera- tionen treten die Vortheile dieser Methode besonders hervor, da in den weiteren Stadien der Narkose minimale Mengen von Chloroform genügen. Deorepide Personen vertragen grössere Operationen bedeu- tend leichter, als früher. Auch bei den Potatornarkosen fehlt bei die-

405

ser Methode die E^citation oder dieselbe ist sehr gering, auch die Gefahr etwa eintretenden Collapses ist nicht so gross. Endlich macht diese Methode der Narkose die vorläufige Injection von Morphium überflüssig.

G. Sticker empfiehlt in der Wiener klin. Wochenschr. 1891 bei der Abortivtherapie der Gallensteinkrankheiten die Belladonna als Mittel, welches neben einer schraerzen-lindernden Wirkung in der Kolik die der Steinwanderung entgegenstehenden activen Widerstände des Organismus eliminirt. Die Belladonna hebt die der Steinwanderung entpregenstehenden Sphincterverschlüsse durch Lähmung der Sphincter- muskeln auf, ohne die treibenden Kräfte, vor allem ohne die Detrusor- wirkung der Gallenblase zu schwächen. Verf. benutzt statt der ein- fachen Morphiumlösung eine Morphiumlösung mit Atropinzusatz (im Verhältniss von 0,01 Morph. 0,001 Atropin). Die Linderung soll dal)ei zuverlässiger und freier von üblen Nebenwirkungen und Nachwir- kungen eintreten. Als Bedingungen für die Anwendung der Belladonna sieht St. folgende an:

Eintreten oder Herannahen einer Kolik, oder auch mehrtägige Ein- klemmung des Steines mit häufigen Kolikanfällen ; Abwesenheit jedes Symptomes, welches auf die Complication der Kolik mit tieferen Ge- websläsionen, also auf einen atypischen Verlauf derselben schliessen Hesse ; Abwesenheit von Collapserscheinungen, wie sie infolge zu grosser Schmerzen auftreten. Als Hilfsmittel der Belladonna dienen warme Getränke, warme Umschläge auf die Gallenblasengegend, mit- imter ein warmes Bad oder auch Zusatz von Spirit aeth. nitrosi zum Bei ladonnarecept.

Der Belladonnadarreichung (per os) muss häufig ein Abführungs- mittel folgen oder combinirt werden (Ricinusöl, Rheum, Senna).

Innerlich wendet Verf. das Infus der Blätter oder die wässrige Lösung des Extracts an. Die Dosis der Folia Belladonna ist 0,5 1.5 G. (!) in 6—12 Stunden derart, dass vor Beginn des Kolikanfalles alle ^ 1 Stuuden ein Esslöffel des Infuses von 1,0—1,5:150,0 gereiclit wird. Die Menge des Extractes entspricht dem zehnten Theil der Gabe von den Blättern, also 0,05—0,15 im Tage oder 0,005—0,015 pro dosi.

Auf Grund seiner mit Lysol angestellten Versuche kommt W. Ger- lach zu folpreuden Schlüssen :

1) Das Lysol ist nicht allein in Reinkulturen, sondern auch in Bak- teriengemischen wirksamer als Carbolsäure und Creolin.

2) Die Desinfection der Hände gelingt bei ausschliesslicher Verwen- dung einer 1 procentigen Lysollösung ohne Anwendung von Seife.

3) Zum Keimfreiraachen infectiöser Sputa und Stühle leistet es bei Weitem mehr als alle übrigen Desinfectionsmittel.

4) Durch Besprengen der Wände mittelst 3 procent. Lösung werden dieselben keimfrei gemacht.

5) Das Lysol ist von den Antisepticis, welche sich bezüglich ihrer Wirksamkeit mit demselben vergleichen lassen (bes. Carbolsäure, Creolin, Sublimat) das bei weitem ungiftigste.

Büchertisch.

Zur Aetiologie der Cystitis. Von Dr. Julius Schnitzler. (Aus dem Institut für pathologische Histologie und Pathologie in Wien. Wien und Leipzig, Wilhelm BraumuUer, 1892.)

Der Zusammenhang zwischen Infection des Blaseninhaltes und Entzündung der Blasen wand bildet den Gegenstand einer Reihe von

406

Arbeiten, von welchen als die letzte und inhaltsreichste die des däni- schen Chirurgen Rovsing zu nennen ist. Nach ihm ist jede Blasen- entzündung, abgesehen von den durch Medicam ente hervorgerufenen Irritationszuständen, durch Microben verursacht. Neben dem Ein- dringen der Microben ist eine mechanische Läsion der Blasenschleim- haut oder eine Retention des Urines zum Znstandekommen der Cysti- tis nöthig. Was nun die Microben betrifft, so muss, nach Rovsing, Jede Bacterienart, die Blaseukatarrh hervorrufen kann, die Fähigkeit besitzen, Harnstoff in kohlensaures Ammoniak zu zersetzen.

Nur der Tuberkelbacillus macht davon eine Ausnahme, insofern er eine eiterige Cystitis anregen kann, ohne Harnstoff zersetzende Eigen- schaften zu besitzen. Daraus folgt, (wenn die Prämisse richtig wäre) dass jede eitrige Cystitis mit sauerem Urin, tuberciilöser Natur ist.

Die Untersuchungen des Verfassers betreffen 25 Fälle von Cystitis mit ammoniakalisciiem Harn, der unter antiseptischen Kautelen ent- nommen, in sterilisirten Gefässen aufgafangen und unter Watte ver- scliluss, sodass, falls der Urin nicht schon ammoniakalisch entleert wurde, die nach einigen Stunden aufgetretene Entwicklung des kohlen- saueren Ammoniaks nur auf Rechnung der rnit dem Urin bereits ent- leerten Bacterien gesetzt werden kann.

Auf die Details der Untersuchungen bedauert Ref. nicht eingehen zu können.

In 17 Fällen gelang es dem Verfasser als Erreger der Cystitis einen Bacillus, raeist in Reincultur, aus dem Urin zu züchten, dessen Iden- tität mit dem Proteus Hauser er nachweist.

Ueberimpfungen auf Kaninchen, Meerschweinchen und weisse Mäuse zeigen, dass dem genannten Bacillus infectiöse Eigenschaften bei Thieren zukommen.

Wenn auch beim Menschen eine strenge infectiöse Wirkung im Sinne Koch 's nicht einwandsfrei bewiesen ist, so spricht nach dam Ver- fasser der Umstand, dass der Proteus von ihm 17 mal gezüchtet wurde, dafür, dass diesem Bacillus eine aetiologische Rolle bei der eiterigen Cystitis zufällt.

Der Proteus Hauser ist kein habitueller Urethralbewohner, zer- setzt den Harnstoff im Urin sehr rasch und fällt in Folge dessen der pilztödtenden Eigenschaft, die nur dem saueren Urin zukommt, nicht zum Opfer.

Bezüglich der anderen Bacterienarten, die Verfasser bei der Cystitis fand, glaubt er, dass sie keine derartige Aehnlichkeit mit den bisher bekannt gewordenen Urethralbacterien haben, dass ihr Ursprung aus der Urethra sichergestellt wäre.

Jedenfalls kann auch durch Bacterien, die den Harnstoff nicht zer- setzen, z. B. durch den Streptococcus pyogenes, eiterige Cystitis ent- stehen. Sauerer Harn bei Cystitis beweist keineswegs stets die tuber- culöse Natur des letzteren. Ziemlich abrupt stellt Verfasser als das Resultat seiner Untersuchunoren den Sat;; auf, dass zum Entstehen einer Cystitis ausser der Einführung der Bacterien nicht immer eine mechanische Verletzung oder eine Retentio urinae nöthig sei. Unter gewissen Umständen, namentlich wenn die Bacterien sich rasch in der Blase vermehren, kann auch ohne die beiden erwähnten Hülfsmomente die Einführung der Bacterien allein eine eiterige Blasenentzündung hervorrufen.

Symptomatologie und Histologie der Hautkrankheiten. Von Leloir und Vidal. (In deutscher Bearbeitung von Schiff. Hamburg und Leipzig : Leopold Voss. Den Inhalt der zweiten Lieferung bilden Atrophie der Haut, Beule der warnten Länder, Camties, iß^cteridieu, Milzbrand, Keloid, Colloid-

'407

Milium, Hühnerauge, Hauthora, Cystitercus und Dermatitides afolia- tivae.

Die beigegebenen sechs Tafeln sind musterhaft ausgeführt. Refe- rent bedauert, dass zwischen dem Erscheinen der ersten und zweiten Lieferung zwei volle Jahre verflossen sind. Da das Werk in neun Lie- ferungen erscheinen soll, so ist wohl zu wünschen, dass die folgenden Lieferungen in rascherer Folge kommen. Goldenberg.

Tabellen zum Gebrauch bei mikroskopischen Arbeiten. Von Wilhelm Behrens. (Zweite neubearbeitete Auflage. Braunschweig. Harald Bruhn, 1892.)

Diese Tabellen sind für den Mikroskopiker und Arzt sehr nützhch. Es ist eine Art Lexicon für alle bei mikroBkopischeu Arbeiten in Be- tracht kommenden Fragen. Man findet darin die Löslichkeitsverhält- nisse verschiedener Stoffe, namentlich aber von Farben, Balsamen, Harzen etc. Genau angegeben sind die verschiedensten Tinctions- mittel und Tinctionsmethoden, ferner die mikrochemischen Reagentien und Reaktionen. Ein Abschnitt behandelt „Vorschriften für Mikro- photographie."

Klinische Zeit- und Streitfragen. Herausgegeben von Prof. Dr. J. Schnitzler. Bd. IV., Heft 1 und 2 : üeber Erfolge und Misserfolge in der medizinisch-chirurgischen Praxis. Von Dr. A. Kuehner. Heft 3 : üeber Neuralgien und neuralgische Affectionen und deren Behandlung. Von Prof. Dr. Moriz Benedikt. Heft 4 : Die Heil- wirkung der Elektricität bei Nervenkrankheiten. Von Dr. med- DarmWicHMAN. Heft 5 und 6 : Klinische Mittheilungen über RALFocclusionen. Von Prof. Dr. Hofmokl.

Briefkasten.

New Havbn, Conn., 28. Sept., 1892.

Werther Herr Collega!

Als Folge einer einberufenen Versammlung der deutschen Aerzte im Staate Connecticut wurde am 27ten September a.c. in New Häven die „Deutsche Medizinische Gesellschaft des Staates Connecticut" ge- gründet. Zweck der Gesellschaft ist :

Vereinigung der Aerzte deutscher Schule im Staate zur Pflege der medizinischen Wissenschaft durch Vorträge, entsprechende Mitthei- lungen aus der Praxis, Berichte über die Fortschritte in der Heilkunde und gesellschaftliche Zusammenkünfte zur Wahrung der Standesinte- essen.

Die in der Versammlung gewählten Beamte sind : Präsident, Dr. R. Clemens, Bridgeport ; Secretär, Dr. W. Sprenger, New Häven ; Qusestor, D. E. L. Weiss, Ansonia. Censoren : Dr. Otto Niedner, Danbury ; Dr. H. Steudel, Birmingham.

Naturgemäss ist die Mitgliederzahl noch eine geringe, doch haben wir begründete Hoffnung auf stetigen Zuwachs.

Die Versammlungen finden am 2ten Freitag jedes Monats statt.

Mit coUegialem Grusse, zeichne

Dr. Sprenger, Secretär.

Wir wünschen der neu gegründeten Deutschen Medicinischen Gesell- schaft des Staates Connecticut viel Glück und Erfolg und hoffen mit wissenschaftlichen Beiträgen derselben oft beehrt zu werden.

Redaotion.

408

Personalien.

Verzogen : Dr. Herman Koenig, nach 705 Lexington Ave., zwischen 57. und 58. Strasse.

Dr. M. Komm nach No. 117 7. Strasse.

Dr. H. Lilienthal nach No. 43 Ost 29. Strasse.

Dr. JuL. Hoffmann nach No. 238 Ost 53. Strasse.

Dr. Max Einhorn. Stellvertretender Redakteur, 107 E. 65. St.

An die Leser.

Geschäftliche Zmchriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w., sind zu richten an : " Medical Monthly Publishing Co.," 17 27 Vandewater Street, New York.

Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Herausgeber zu richten.

Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse unseres Blattes im Osten thätig. Da derselbe dieses Jahr nicht reisen wird, so erweisen uns die geehrten Abonnenten einen grossen Gefallen, wenn sie ihren Abonnements-Beitrag einsenden.

Billig zu verkaufen.

"Woods Complete Medical Library, 100 Volumes'* gebunden und neu. Nähere Auskunft ertheilt.

Medical Monthly Pübl. Co.

27 Vandewater Str.

New York:er

Medicinische Monatsschrift.

Organ für praktische Aerzte in Amerika

unter Mitwirkung von

Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Ramdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert herausgegeben von Dr. P. C. HEPPENHEIMER. Verlag der Medical Monthly Publisliing Company, 17-27 Vandewater Street, N. Y^

Bd. IV. New York. 15 November, 1892. ^0. 11.

ORIGINALARBEITEN. 1.

Psychologische Erscheinungen in Dementia Epileptica.

Von

HUGO ENGEL. A. M., M. D.,

Mitglied der Am. Aeademy of Medicine, " etc.

Die epileptische Dementia, eine Krankheit, auf die ich schon vor einigen Monaten die Aufmerksamkeit der Kollegen richtete,*) hat besondere sie kennzeichnende Merkmale. Im Kindesalter entsteht eine rapide Verknöcherung der Schädelknochen, welche der natürlichen Ausdehnung des Gehirns in der wichtigsten Lebensperiode einen un- überwindlichen Widerstand leistet. Das Leiden wird dadurch erkannt, dass in einem bisher normal entwickelten Kinde plötzlich Convulsionen von dem Character der epilepsia gravier auftreten und dass zu gleicher Zeit (ein Fachmann würde schon lange vorher eine träge geistige Thätigkeit beobachtet haben) ein Stillstand jeder weiteren intellektuel- len Entwicklung eintritt, welche beiden abnormalen Zustände schliess- lich zu dem Symptomen-Complex der vollständigen epileptischen Dementia führen. Für das Bild der letzteren, die diagnostischen Hauptpunkte und die chirurgische Behandlung muss ich auf die er- wähnten Artikel verweisen. Hier gedenke ich allein eine eigenthümliche Störung des psychischen Daseins näher in Betracht zu ziehen, nachdem ich die Knochenerkrankung etwas eingehender erwähnt habe.

* Mental Improvement following Operation on the skull. ,,Med. News,»* April 23d, 1892, und Dementia Epileptica, ,, New York Med. Kecord," June 4th, 1892.

410

Die Krankheit beruht auf einer Bildungsstörung. Sie entwickelt sich stets im Kindesalter und hat am häufigsten ihren Anfang zwischen dem zweiten und siebenten Lebensjahre, Nach meiner Ueberzeugung, deren Bestimmtheit mit meiner wachsenden Erfahrung zunimmt, ist die erste und alleinige Bedingung für den Ausbruch der Krankheit eine patholo- gische Veränderung in dem Wachsthum der Schädelknochen. Ob diese auf einer allgemeinen Nahrungsstörung beruht oder ganz lokaler Natur ist, mag schwer zu entscheiden sein. Auf der einen Seite ist es befremdend, dass eine allgemeine Ernährungsstörung, die Knochen- gebilde betreffend, sich allein in den Schädelknochen äussern soll, und doch sind die Fälle häufig, in denen eine allgemeine Störung der Art ihren Ausdruck nur in einer Verdickung einer oder mehrerer Epiphysen, manchmal nur der der Vorderarmknochen oder der des Schlüsselbeines findet, während kein einziger anderer Knochen die geringste Spur einer pathologischen Formation zeigt. Es mag deshalb wohl der Fall sein, dass die hier besprochene Knochenerkrankung von einer allgemeinen Nahrungsstörung abhängt. Ebenso ist es möglich, dass gewisse cen- trale Vasomotor-Erregungen die lokale Entwicklung des Leidens in den Schädelknochen bedingen.

Wie dem auch sei, der pathologische Zustand, der uns zuerst in die Augen fällt, und der in den allerjüngsten Fällen seine Vollkommenheit schon erreicht hat, ist eine eigenthümliche Aenderung in den gesamm- ten Knochen des Cranium. Die Knochensubstanz ist arm an organi- schen Substanzen, während die mineralischen Bestandtheile im Ueber- schusse vorhanden sind. Der Knochen ist deshalb kreidiger Natur und sehr verdickt. In einzelnen von meinen Fällen war diese Ueber- wucherung der erdigen Masse im Knochen so stark, und hatte so früh begonnen und sich so schnell verbreitet, dass sie gegen Ende des zweiten Lebensjahres die grosse Fontanelle In eine massive und über den Kest des Cranium hervorragende kreidige Knochenplatte umge- wandelt hatte. Hier muss der Anfang des Leidens vor dem Schlüsse der Fontanelle stattgefunden haben. Beim gesunden Kinde finden wir stets, ungefähr im siebenten Lebensjahre, an Stelle der früheren grossen Fontanelle eine Vertiefung, und die Knochenhülle daselbst ist sehr zart und dünn und enthält gewöhnlich die organischen Substanzen im Ueberschuss, so dass an diesem Orte nur eine einzige glatte lamina ohne Diploe zu bestehen scheint, von deren Mitte aus die etwas hervor- tretenden Nähte radiiren. Bei der Krankheit, die wir hier betrachten, hat die verdünnte und gesenkte Stelle den Charakter eines dicken her- vortretenden Höckers angenommen, so dass der Schädel hier den Ein- druck einer gewissen Starrheit macht ; er sieht aus, als ob von Nach- geben keine Spur wäre und als ob statt umgebenden Veränderungen sich anzupassen, der Theil den Zweck hätte, alles ,WachsthUm der unter ihm liegenden weichen Hirnmasse zu verhüten und jeder Aus- dehnung der letzteren einen unüberwindlichen Widerstand zu setzen. Dieser Punkt, d. h. diese abnorme Knochenentwicklung und diese Starrheit, hauptsächlich in der Gegend der grossen Fontanelle, ist von

411

Wichtigkeit in diagnostischer sowohl als in prognostischer Beziehung. Nach meiner allerdings nicht massgeblichen Meinung ist die hier berührte Krankheit nicht gegenwärtig, wenn dieser pathologische Knochenbestand abwesend ist. Wir haben es dann mit einem anderen Leiden zu thun.

Obgleich nun diese abnorme Knochenwucherung in der angedeuteten Region ihren stärksten Ausdruck hat, habe ich sie doch überall am Cranium vorgefunden, wo ich behufs einer Operation am Gehirne eine Oeffnung im Schädel machen musste. Einmal vorhanden, an einer Stelle beobachtet, dann ist das Leiden auch über sämmtliche Schädel- knochen verbreitet ; aber am mächtigsten entwickelt, am weitesten vorgeschritten wird man es stets am Orte der grossen Fontanelle finden.

Wie erwähnt, entwickelt sich dieser pathologische Zustand in den Schädelknochen sehr früh, vor Verknöcherung der Näthe und wahr- scheinlich stets vor Schluss, der Fontanelle, während sein weiterer Gang, obgleich meistens ein rapider und schnell zur Erstarrung des ganzen Cranium führender, in den verschiedenen Fällen sehr variirt und deshalb manchmal langsamer, manchmal rascher seinem Ziele zustrebt, und zu den betreffenden Symptomen gestörte geistige Thätig- keit und epileptische Anfälle Anlass gibt, sobald die Krankheit, die fortschreitende Verknöcherung, einen gewissen Grad erreicht hat. In seltenen Fällen ist der Fortschritt des pathologischen Zustandes so schleichend, dass das die Ausdehnung des Gehirns verhütende Hinder- niss seine bemerkbare Wirkung erst gegen das zehnte Lebensjahr hin auszuüben scheint, obgleich ich der Ueberzeugung bin, dass in allen diesen Fällen ein aufmerksamer Beobachter Störungen im Intellect des Kranken schon früher entdeckt haben würde. Aber ob der weitere Gang des Leidens ein langsamer oder schneller, die unmittelbaren Folgen der einmal vollendeten Verknöcherung sind immer dieselben.

Die Natur hat alle nur möglichen Massregeln getroffen, der Hirn- masse Raum zu schaffen, und während sie den Sitz unseres Denk- vermögens durch die knöcherne Hülle zu schützen sucht, hat sie die letztere in den ersten Lebensjahren so eingerichtet, dass dem Gehirne Gelegenheit zum weiteren Wachsthum und genügend Raum zur Aus- breitung und Entwicklung gegeben sind. Die Fontanellen, die offenen Näthe, die eigenthümliche Struktur der letzteren, die Zusammensetzung der Knochen selbst im jugendlichen Alter, das lange Hinausschieben der Verknöcherung der endlichen letzten Stelle, der sella turcica, bis etwa zum 25. Lebensjahre und das Vorkommen von Höhlen, die wie die der Stirne zum Nachgeben speciell eingerichtet sind : alle diese deuten den gemeinsamen Zweck an : dem Gehirn so viel wie möglich Raum zu schaffen und seine Entwicklung zu befördern, aber demselben dennoch genügend Schutz gegen etwaige Verletzungen zu verleihen.

Dieser weise Zweck der Natur, in so manigfacher Richtung hin wirkend, wird in der in Rede stehenden Krankheit vereitelt. Gerade um die Zeit, wenn die ersten Eindrücke von der Aussenwelt dem Ge-

412

hirne den ersten Eeiz geben, wenn jeder neue Schritt vorwärts der letzteren eine bestimmte Richtung anweist ; wenn der Keim sich zu entfalten beginnt, da erhebt sich ein Widerstand ; starr und unbeweg- lich gleich einer Mauer stellt sich die feste Knochenmasse aller Aus- dehnung entgegen ; gehemmt ist aller Fortschritt ; verhütet der Urplan der Natur, und alle die schweren Folgen einer Hemmung in der Ent- wicklung des Hauptorgans des Systems machen sich alsbald bemerk- lich.

So klar schien diese Ansicht mir in manchen Fällen erwiesen, dass ich sie nicht mehr Theorie, sondern eine Thatsache, ein festgestelltes Factum der Wissenschaft nennen musste. Fälle sind unter meine Be- handlung gekommen, wo ich z. B. in einem zwölfjährigen Knaben genau feststellen konnte, bis zu welchem Jahre die normale Entwicklung des Gehirns unbehindert fortgeschritten war; wie dann von der Zeit an bis zu wieder einer bestimmten Periode dieser Entwicklung sich mehr und mehr ein Hinderniss entgegengestellt und wie endlich die starre Obstruktion jede weitere Entwicklung von einem gewissen Zeitpunkte an bis zur Jetztzeit absolut verhütet hatte.

Die unausbleiblichen Folgen eines solchen Hemmnisses sind nicht allein ein Stillstand jeder weiteren intellektuellen Entwickelung, nicht allein ein Verharren im Status quo, sondern noch ein viel gefährlicherer Zustand. Aus keinen Krankheitsfällen können wir das Bestehen von regulirenden Hemmungscentren besser ableiten, als aus denen der epileptischen Demention. Um wieder mit dem schon einmal citirten Beispiele zu illustriren, was ich zu deuten wünsche, will ich erwähnen, dass bei diesem Knaben sein Intellekt sowohl wie sein Gemüth bis zu dem ersten Stadium in der Entwicklung des Hindernisses seinen Eltern Freude bereiteten. In der zweiten Periode, während welcher nur we- nige Fortschritte gemacht wurden, machte sich eine eigenthümliche Gereiztheit kund. Der Knabe wurde launisch, und die frühere un- schuldige Freude, die er am Spiele hatte, seine Lust zu Vergnügungen, Aeusserungen der Anhänglichkeit und der Dankbarkeit hörten mehr und mehr auf. Aber in dem letzten Zeiträume zeigte es sich klar, wie allen schlechten Leidenschaften die Zügel genommen waren. Der ge- meine Gesichtsausdruck, der Gebrauch gemeiner Schimpf worte, das patzige Benehmen, die Neigung zum Stehlen und Betrügen, das gänz- liche Verschwinden jeder Offenbarung edler Triebe und Gefühle, das totale Erlöschen des Gemüthes, alle deuteten nur zu klar an, dass die Hemmungscentren zu existiren aufgehört hatten. In der Brust Aller schläft Etwas von thierischer Natur ; da liegen so manche leidenschaft- liche Regungen begraben ; aber Erziehung, der veredelnde Einfluss des Umganges mit guten Menschen errichten einen Zaun um jene, und es sind die Hemmungscentren, die uns verhindern, unseren Leidenschaf- ten freien Lauf zu lassen.

Hier ist ein junger Mann allein mit einem anständigen Mädchen ; der thierisehe Trieb erwacht in ihm, und doch bändigt er denselben ; das Mädchen ist der Gefahr entronnen ! Trotzdem die gelegentliche

413

Ausübung des „Lyach"-Gesetzes solchen „Viechern" eine Warnung sein sollte, wie oft hören wir nicht, dass ein brutaler Neger seine Leidenschaft nicht zu bändigen wusste. Der an einem Baumzweige oder Laternenpfahle befestigte Strick, an dem er am Halse hängt, ist die Strafe für seine Attacke auf ein weisses Mädchen ! Wie schwach war bei ihm die Hemmungs-Funktion?

Wenn in Folge von Unglücksfällen oder von wilder Spekulation das Haupt einer alten Firma den Sturz der letzteren kommen sieht und der Drang zum Selbstmorde stärker und stärker sich fühlbar macht, warum geben Einzelne dem Drange nach, während Andere mit Auf- bietung ihrer Willenskraft die schon erfasste Pistole unbenutzt von sich schleudern ?

A. und B. sitzen in einer Gesellschaft zusammen und ergötzen sich an der edlen „Johannisberger Auslese". Da fängt A. an, die Wirkung zu spüren ; er gedenkt aller möglichen Folgen, des Schadens an seiner Eeputation oder der Gardinen-Predigt, falls er nachgiebt und zu viel trinkt, und Nichts kann ihn bewegen, einen Schluck mehr zu nehmen, während B., dem vielleicht auf einen Augenblick dieselben Gedanken durch sein Gehirn flogen, der Welt Trotz bietet und sich „vollsäuft".

A. wird auf eine kurze Zeit in einem Zimmer allein gelassen, in wel- chem auf einem Tische viele Dollars zerstreut umherliegen. Der Ge- danke, das Geld anzurühren, entweder steigt gar nicht in ihm auf oder ein Etwas hält ihn ab, sich einen Cent von dem anzueignen, was ihm nicht gehört. B. dagegen kann der Versuchung nicht widerstehen, einige Dollars finden den Weg in seine Tasche, und wenn unentdeckt gebheben, macht er sich später keine Gewissensbisse, oder, je nach seinem Charakter, das Gewissen wird der Mahner !

Was in diesen Fällen uns abhält, Unrecht zu thun ; was, wenn schwächer in uns entwickelt, oder wenn überwunden durch zu heftige Neigungen uns das Unrecht begehen lässt ; die cerebralen Funktio- nen, die das entscheiden, liegen in den vorderen Hirnlappen. Und wenn deren Entwickeluog behindert ist, dann werden diese Hem- mungscentren geschwächt und zuletzt, mit dem Erlöschen ihrer Funk- tionen, gewinnen die thierischen Leidenschaften und alle Laster die Oberhand.

Der geistige Zustand bei den an epileptischer Dementia leidenden Kranken liefert einen klaren Beweis dafür. Während der die weitere Hirnentwicklung beeinträchtigende Widerstand mehr und mehr zu- nimmt, werden hier in umgekehrter Weise die Hemmungseinflüsse stetig schwächer, bis sie endlich total aufhören, und der Mensch, dem Thiere ähnlich, sich hauptsächlich durch seine Zügellosigkeit aus- zeichnet.

Das Kesultat der Behandlung bestärkt diese Ansicht noch mehr. Sobald das Hinderniss entfernt und damit den am Wachsthum verhin- derten Centren die Gelegenheit zur erneuerten Entwicklung wieder- gegeben ist, treten die Hemmungseinflüsse auch sofort in ihre Funk- tionen wieder ein. Derselbe Weg, der einst abwärts den Kranken dem

414

Abgrunde gänzlicher Versumpfung zuführte, bringt ihn jetzt schnell den Berg hinauf, bis die Spitze wieder erreicht ist.

Eine sehr interessante Frage, deren Erledigung uns hier zu weit führen würde, ist die : ob die erwähnten Funktionen nicht vielleicht durch Vasomotor-Centren regulirt werden, ob nicht eine Funktion „zügellos" wird und zur Leidenschaft ausartet, wenn das regulirende Centrum eine grössere Menge arteriellen Blutes den betreffenden Zellen in der grauen Kinde zuströmen lässt, während bei normaler Ausübung der Funktion des Centrum die Zufuhr von Blut beschränkt wird, ob nicht vielleicht bei zu starker Reizung einer Zelle Erwachen der Leidenschaft das betreffende Vasomotor-Centrum in einem in Folge dessen durch Rückwirkung gereizten Zustande die Blutzufuhr abschneidet und dadurch die Explosion verhindert das Gewissen erwacht ! Die Frage ist dann : ist der regulirende Reiz ein rein mechanischer oder wo ist der Theil, der ein solches Vasomotor-Cen- trum regulirt ? Mögen Andere die Beantwortung versuchen !

Es mag sein, dass bei der metaboUschen Thätigkeit der Zelle diese Thätigkeit selbst, oder vielmehr der Grad der Intensität derselben, je nach dem Verbrauche oder Bedarf e die Quantität der Blutzufuhr be- stimmt, und dass sobald eine Zelle oder eine zusammenwirkende An- zahl von Zellen auf solche Weise einen grösseren Reichthum an arterieller Zufuhr beansprucht, das regulirende Vasomotor-Centrum sofort den dann wo anders im Gehirn entstandenen und durch Störung des Gleichgewichts hervorgerufenen Mangel spürt, und dass die Wir- kung des letzteren den Reiz ausübt, welcher die Abschneidung der Zufuhr bedingt : die Anregung in uns wird mächtig, aber das Gewissen

der centrale Hemmungseinfluss und die resultirende mangelnde Zufuhr verhindert uns, der Regung nachzugeben. Die Nahrung- Zufuhr bleibt aus ; der metabolische Process steht still, und die Thätigkeit der Zelle, die eben noch so stark zu f unktioniren versprach,

und mit ihr die Leidenschaft erlischt !

Die epileptische Dementia und der oft wunderbare Erfolg der behufs Heilung in geeigneten Fällen unternommenen Operation illustriren das Gesagte. Der durch die starre Knochenmasse ausgeübte Druck ist am stärksten in der Gegend der vorderen und oberen Theile der Vorder- lappen des Gehirns ausgeprägt. Wenn das von der Krankheit befallene Individuum nicht mehr im Stande ist, seine thierischen Impulse zu zähmen, und wenn es seinen lasterhaften Neigungen freien Lauf lässt, dann können wir den Process schwer durch die Annahme von der Bil- dung neuer Centren erklären. Nur eine Theorie kann hier die richtige sein : dass die Ausübung der Funktionen der regulirenden Hemmungs- centren durch den starren Widerstand der alles Wachsthum des Ge- hirns verhindernden Knochenmasse verhütet ist. Die Entfernung der Obstruktion, wenn zeitig genug vorgenommen, gestattet das Erwachen der eingeschlafenen Centren ; und die Funktionen der letzteren, die Ausübung der regulirenden und den zügellosen Lauf unserer Leiden- schaften verhindernden Hemmungseinflüsse treten in ihre alte Thätig-

415

keit wieder ein. Und da diese Einflüsse sich gewöhnlich schon binnen einer Woche nach der erfolgreichen Operation auf's Neue kundgeben, kann auch hier nicht von erneuerter Erziehung die Rede sein.

Nur in einer Beziehung müssen diese Annahmen vielleicht be- schränkt werden : die Leistungsfähigkeit der hier in Betracht kom- menden Verbindungsfasern (associating) mag die Störung erlitten ha- ben, während das Centrum unberührt, sein Impetus nur nicht weiter geleitet ist. Für praktische Zwecke wäre dieser Unterschied nicht gross. Aber die Gegenwart von epileptischen Anfällen weist auf einen Druck der Eindensubstanz hin, weshalb wir eher eine Störung von Zellenfunktion, denn eine solche von Nervenleitung anzunehmen be- rechtigt sind.

Philadelphia, October 1892.

II.

Die Aetiologie und Prophylaxis der Cholera Asiatica.*

Von

Dr. LOUIS HEITZMANN,

New York.

Bis zum Jahre 1884 als Egbert Koch seine bald über die ganze Welt bekannt gewordene Arbeit über die Spirillen der Asiatischen Cholera veröffentlichte, war die Aetiologie der Krankheit in Dunkel gehüllt. Schon bald nach dem ersten authentischen Auftreten der Cholera in Europa, welches um das Jahr 1830 stattfand, wurden Theorien übör deren Entstehung laut, welche zur Zeit viele Anhänger fanden.

Eine der bekanntesten damaligen Arbeiten war die " Theorie der orientalischen Cholera" von Dr. C. Grueneberg, welche im Jahre 1836 erschien. Es ist sehr interessant wie das Entstehen der so gefürch- teten Krankheit gedeutet wurde. Dieser Autor sagt : „Die Krank- heitsursache steht auf irgend eine Art mit der Atmosphäre in Verbin- dung und gehorcht dem Gesetz der Schwere. Desshalb ist diese Krankheitsursache ein Stoff, und zwar ein ganz neuer, eigenthümlicher, mit der Luft verbundener, ponderabeler ; dieser Stoff, keiner der bis- her bekannten Urstoffe, muss durch einen chemischen Prozess ent- standen sein, und da kein chemischer Prozess ohne einen elektrischen gedacht werden kann, und zugleich zur Zeit des ersten Entstehens der Cholera in Ostindien viele Erscheinungen nur durch ein gestörtes Ver- hältniss der atmosphärischen Elektricität hervorgebracht werden konnten, so kann man daraus folgern, dass auch die elektrische Materie sich mit dem ponderabelen Stoffe verbunden hat und besteht das

* Vortrag gehalten in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft der Stadt New York am 3. Oktober 1892.

416

Wesen der Cholera demnach in einer Yerkohlstoffung des Organismus und einer Störung der normalen Verhältnisse seiner Elektricität, her- vorgebracht durch den ihm mitgetheilten, mit negativer Elektricität verbundenen Kohlenstoff." „Der negativ elektrische Kohlenstoff oder das Choleramiasma kann sich durch die Kespirationswege, Schlund, Darmkanal oder Hautoberfläche dem Organismus mittheilen und zwar als kohlensaures Gas, Kohlenstoffoxyd gas, oder Kohlenwasserstoffgas und dadurch die verschiedenen Hauptformen der Krankheit bedin- gen „Gelegenheitsursache ist bei der Cholera Alles, was die Er- zeugung des Kohlen- und Wasserstoffes ausserhalb des Organismus begünstigt und das normale Verhältniss der atmosphärischen Elek- tricität stört, daher Feuchtigkeit des Bodeus, bedingt durch Nähe von Flüssen, Sümpfen, stehenden Wassern; Zusammenleben vieler Men- schen an einem Orte ; Misswachs und gestörte Vegetation, Hitze, Süd- und Westwind, Fäulniss vegetabilischer Substanzen, Erdbeben, vul- kanische Ausbrüche, Kegen, Nebel und Lichtmangel."

Jahrelang wurde die Lehre von dem Choleragas als die richtige anerkannt. In 1854 jedoch sagte der berühmte Wiener Lehrer Skoda : „Es dürfte sich kühn behaupten lassen, dass das Cholera- Agens keine Gasart sei, dass weder das Wasser noch die Nahrungsmittel ein solches bergen, dass endlich die bisher gemachten Beobachtungen über Elektricität i:;^d Magnetismus nichts konstantes und haltbares gezeigt haben. Die Ursache der Cholera ist entweder eine Potenz, für welche bisher unter allen uns bekannten Kräften kein Analogen existirt, oder ein organisches Miasma, oder am wahrscheinlichsten ein organisches Contagium, welches in seiner Wirkungsweise dem Blat- terncontagium ähnelt."

Im darauffolgendem Jahre 1855 erschien die bahnbrechende Arbeit von Pettenkofer „Untersuchungen und Beobachtungen über die Verbreitungsart der Cholera", in welcher er die Beschaffenheit des Bodens als wichtigen Faktor bei dem Entstehen der Cholera in Mün- chen bespricht und erklärt. Er sagt : Ueberblickt man den Gang der Cholera-Epidemie, so gewinnt man die Ueberzeugung von dem wich- tigen Einflüsse, welchen die Terrainverhältnisse auf die Entwickelung und Ausbreitung der Epidemie äusserten, wie namentlich hoch und trocken gelegene Orte in weit geringerem Masse litten als tief und feucht gelegene. Von besonderer Wichtigkeit war, dass diejenigen Häuser und Strassen zunächst und am meisten litten, welche in Mul- den gelegen sind und deren lockeres Erdreich von der aus den defek- ten Kloaken oder Unrathsgruben ausgesickerten und in Zersetzung begriffenen Flüssigkeit reichlich getränkt war. Hierzu gehört ein zweiter Faktor, die speciflschen Cholera- Ausleerungen." Pettenkofer stellte folgende Theorie auf : „Nicht die den Cholera-Keim tragenden Exkremente an sich vermitteln bei ihrer Aufnahme in den Organismus die Cholera-Genese, sondern die Exhalationen, welche sich aus dem in porösen Boden gedrungenen und fein vertheilten Ausleerungen bei dem stetig fortgehenden Fäulniss- und Verwes ungsprocesse ent-

417

wickeln, und eben hier durch den specifischen Cholera-Keim eigen- thümlich modifizirt neben den übrigen Ausdünstungen als Cholera- Miasma hervortreten. Es ist dabei vollkommen gleichgültig, welcher Substanz der Keimboden angehört, wesentlich ist nur dass er feucht und mit verwesenden Cholera-Ausleerungen imprägnirt ist, und unter dieser Voraussetzung kann poröses Holz, Leinwand und ähnliche Stoffe ebenso wie ein Haufen Erde einen Keimboden für das Cholera- Miasma abgeben."

Schon seit Anfang der 50er-Jahre also wurde ein spezifischer Cho- lera-Pilz als Ursache der Krankheit vermuthet, doch führte keiner der zahlreichen Versuche zu einem sicheren Eesultat. Es wurde allge- mein angenommen, dass dieser Pilz zu den Protomyceten, wahrschein- lich zu den mehr kugeligen gehöre, welcher sich sowohl in der Luft wie besonders im Wasser stark vermehre, obgleich die Verbreitung durch die Luft nicht als Hauptmoment betrachtet wurde. Ferner wurde schon damals angenommen, dass selbst eine reiche Entwickelung des Pilzes, besonders im Wasser, durch Ueberwucherung von unschäd- lichen Fäulniss- und Gährangs-Bakterien vollständig zerstört werden könne, bevor eine ausgiebige Berührung mit dem menschlichen Or- ganismus stattgefunden hat. Dadurch versuchte man die auffallende Thatsache zu erklären dass an manchen Plätzen trotz scheinbar gün- stigen Umständen die Entwickelung der Seuche nicht recht zu Stande kommt. Genauer wurden Mikroorganismen bei Cholera von Pacini im Jahre 1854 und Klob in 1867 beschrieben.

So standen die Sachen als Robert Koch, welchen die deutsche Reichsregierung an die Spitze einer im Jahre 1883 zur Erforschung der Cholera nach Egypten und Indien entsandten Commission gestellt hatte, ein der echten Cholera eigenthümliches Bakterium in seinem Kommabacillus der Cholera Asiatica nachweisen konnte. Er fand in der Darmwand selbst, im submucösen Gewebe und im Inneren der tubulösen Drüsen, Bacillen, welche schon nach ihrem regelmässigen Vorkommen in unzähligen beobachteten Fällen mit den Krankheitser- scheinungen in festem Zusam nenhange zu stehen schienen, jedoch legte er zuerst kein Gewicht auf eines ihrer her vorstechendsten Merk male, die Krümmung. Bald fiel ihm aber dieses Kennzeichen auf und richtete er sofort seine schärfste Aufmerksamkeit auf diese besondere Gestalt der Mikrobe. Zahlreiche Untersuchungen und Autopsien, besonders bei der heftigen Epidemie in Calcutta, führten ihn bald zu der Ueberzeugung, dass diese Mikroben immer in gewissen Perioden der Krankheit vorhanden sind, und gelang es ihm durch künstliche Züchtung dieselben zu isoUren und in Reinkultur darzustellen. Die Lehre Koch's, dass in seinem Kommabacillus der Cholera Asiatica die einzige Ursache der Krankheit zu erbhcken sei, wurde zuerst von nur sehr wenigen Forschern als richtig anerkannt ; jedoch zahlreiche Nachuntersuchungen ergaben bald die Richtigkeit seiner Behauptung, und neutigen Tages wird wohl kaum Jemand daran zweifeln, dass der Kommabacillus die einzige Ursache der so gefürchteten und doch leicht

418

zu verhindernden Krankheit ist. Im Blut oder anderen Organen ausser dem Darm konnten die Kommabacillen trotz sorgfältigster Unter- suchung nie nachgewiesen werden.

Durch die mikroskopische Untersuchung allein ist es nicht möglich das Spirillum der asiatischen Cholera mit Bestimmtheit zu erkennen, da andere Spirillen, zum Beispiel der Finkler und PRiOR'sche Komma- bacillus der Cholera nostras, der von Gamaleia, im Darminhalt des Hausgeflügels gefundene Vibrio Metchnihjf, oder das von Denecke aus altem Käse cultivirte Spirillum tyrogenum, selbst für das geübteste Auge zuweilen von den echten Kocn'schen Kommabacillen nicht zu unterscheiden sind. Dazu sind Kulturen nöthig und wächst das KocH'sche Spirillum ganz charakteristisch in Gelatinkulturen, so zwar dass dieselben mit nichts anderem verwechselt werden können.

Zum Nachweis der Kommabacillen werden entweder frische Dejec- tionen benützt, womöglich solche von mehlsuppenartiger Beschaffen- heit, oder Wäsche die mit Dejectionen beschmutzt ist, oder der bei der Section entnommene Inhalt des Ileums. Koch hat beobachtet, dass auf feuchter Leinwand oder feuchter Erde zuerst gewöhnlich eine starke Vermehrung der Spirillen eintrat, und erst nach mehreren Tagen dieselben von anderen Bakterien überwuchert werden. Daher sind Betttücher und Unterwäsche, selbst wenn schon einige Zeit aufbewahrt, in der Regel noch gut zum Nachweis der Spirillen geeignet.

Die mikroskopische Untersuchung erfolgt dadurch, dass ein Tropfen der Dejection, am besten eines der kleinen Schleimflöckchen, die ge- wöhnlich in grosser Menge in der trüben Dejectionsflüssigkeit enthal- ten sind und die Kommabacillen am reichlichsten beherbergen, auf einem gereinigten Deckglase mittelst Platindrahtes ausgebreitet, ge- trocknet, dreimal durcn die Flamme gezogen und mit einer der ge- wöhnlichen Anilinfarben, am besten einer wässerigen Fuchsin- oder alkalischen Methylenblaulösung, gefärbt wird. Die für manche Ba- cillen sehr geeignete GRAM'sche Färbung kann für die Cholera-Bacillen nicht angewendet werden, da dieselben dabei die Farbe verlieren. Wenn die Kommabacillen nur spärlich vorhanden, oder wegen der grossen Anzahl anderer Bakterien nicht zu erkennen sind, empfiehlt sich das von Schottelius angegebene Verfahren zur Isoliruug : Man vermengt 100 200 Ccm. der verdächtigen Dejecta mit etwa der dop- pelten Menge leicht alkalischer Fleischbrühe, rührt das Ganze um und schüttet es in ein offenes hohes Glassgefäss, welches man 12 Stunden an einem warmen Orte, bei 30—40*^ C. aufbewahrt. Die sehr beweglichen Kommabacillen haben sich nach dieser Zeit an der Oberfläche der Flüssigkeit angesammelt und stark vermehrt, so dass man sie fast aus- schliesslich in Eeinkulturen erhält.

Unter dem Mikroskope sehen wir die Choleramikrobien hauptsäch- lich in Form leicht gekrümmter Stäbchen, welche etwa ^ oder | so laug wie die Tuberkelbacillen, aber dicker als diese, sind. Die jüngsten Spirillen zeigen nur eine sehr geringe oder gar keine Krümmung ; die älteren erscheinen deutlich gekrümmt, bald nur einen flachen Bogen,

419

bald einen förmlichen Halbkreis bildend. Oft begegnet man den S Formen, welche dadurch entstehen, dass zwei mit entgegengesetzter Krümmung versehene Kommabacillen mit einander verbunden bleiben^ Ich zeige Ihnen unter dem Mikroskope bei einer Vergrösserung von 800 ein solches Präparat, einer frischen Eeinkultur entnommen« Ausser den erwähnten Bildungen trifft man auch mehr oder weniger lange fädchenförmige Verbände, die aus 10 oder 20 engen Windungen bestehen können. Diese Verbände trifft man weniger in gefärbten Prä- paraten als im lebenden Zustande bei der Beobachtung im hängenden Bouillontropfen im hohlen Objectträger, wo sie sich als ganz typische Schraubenformen erweisen. In einem Bouillontropfen untersucht, sehen wir, dass die Mikrobien eine lebhafte Eigenbewegung besitzen, welche mit Hilfe von endständigen Geissein erfolgt, von denen jedes Stäbchen ein einziges besitzt. Diese Geissein können besonders nach der LöFFLER'schen Beizungsmethode, Ferrotannat und Campecheholz- abkochung, mit Anilinwasserfuchsin gefärbt, schön dargestellt werden. Sporen, wenigstens endogene Sporen, besitzen die Kommabacillen nicht. Die in gefärbten Präparaten von älteren Kulturen beobachteten hellen, centralen Stellen, sind gewiss nicht als Sporen aufzufassen, da Kulturen, welche solche Formen in Menge besitzen, nicht im gering- sten resistenzfähiger sind als ganz frische, welche frei von ihnen sind. Untersucht man ein Präparat von einer Kultur, welche am Absterben ist, so bekommt man die wunderlichsten Formen, oft rundliche oder ovale oder flaschenförmige Gebilde, die sogenannten Involutions- formen.

Wenden wir uns nun zu den kulturellen Merkmalen der Komma- bacillen, welche, wie schon oben erwähnt, von der grössten Wichtigkeit sind, da die mikroskopischen Bilder nicht genügen, um dieselben mit Sicherheit von anderen, gleichgeformten Bakterien zu unterschei- den, so sind es hauptsächlich die Gelatin-Kulturen, welche hier in Betracht kommen, da diese Kultur, das zuverlässigste Mittel ist, um die echten Cholerabacillen von anderen zu unterscheiden. Wie gewin- nen wir Keinkulturen der Choleraspirillen ? Wir verwenden dazu eine 10- oder 15prozentige Nährgelatine, wie dieselbe schon seit vielen .Jahren in Gebrauch ist. Man vermengt ein Pfund fein gehacktes von Fett befreites Rindfleisch mit der doppelten Quantität destillirten Wassers und presst dasselbe nach 24 Stunden vollständig aus. Zu diesem trüben Fleischwasser setzt man 1% Peptonum siccum h% Koch- salz und 10, 15 oder 20% fein geschnittene Gelatine, lässt dieselbe eine halbe Stunde quellen, und löst sie dann im Dampfapparat vollständig auf, macht sie mit Natrium-Carbonat leicht alkalisch, da die Bakte- rien auf saurem Nährboden nicht wachsen, kocht eine Stunde lang und filtrirt. Da die 10% Gelatine bei einer etwas höheren Temperatur leicht verflüssigt wird, empfiehlt es sich in unserem Klima während der Monate April October eine 15 bis 20prozentige Gelatine anzuwenden. Selbst da ist es anzurathen, die Gelatine an dem kühlsten Orte zu hal- ten, nicht über 2i oder 25° C, indem es sonst leicht ^passirt, dass die

420

fertigen Stich-Kulturen durch Verflüssigung der Gelatine ruinirt wer- den. Die klare Gelatine wird in mit Watte versehene ßeagensgläser gefüllt und mittelst discontinuirlicher Sterilisation 4 Dis 5 Tage jedes Mal 10 Minuten im Dampf ap parat sterilisirt.

Der nächste Schritt ist Plattenkulturen anzulegen. In ein mit ver- flüssigter Gelatine gefülltes Keagensglas mengt man eine geringe Quantität der zu untersuchenden Dejecta, macht davon zwei Verdün- nungen und giesst dieselbe auf Platten aus. Die Verdünnungen sind nöthig, da auf der ersten Platte die Anzahl der sich entwickelnden Co- lonien gewöhnlich eine zu grosse ist, um für die nachherige Abimpf ung in Stichkulturen brauchbar zu sein. Schon nach 18 bis 24 Stunden entwickeln sich die Colonien der Kommabacillen und erscheinen bei schwacher Vergrösserung als kleine blasse Tröpfchen, welche aber nicht, wie die meisten anderen Bakterien-Colonien völlig kreisrund, sondern mit unebenem, rauhem oder höckerigem Ptande versehen sind. Bald nehmen die Colonien ein granulirtes Aussehen an, welches immer deutlicher wird. Die Granula erhalten dann einen starken Glanz, so dass die Colonien sich wie „Häufchen von Glasbröckchen" ausnehmen Allmählich beginnt nun die Verflüssigung der Gelatine, so dass sie, wie man schon mit blossem Auge sieht, an den Stellen wo Colonien liegen, etwas einsinkt ; später bildet sich hier ein kleiner mit Flüssigkeit, erfüllter, scharfrandiger Trichter aus, auf dessen Grund die Colonie liegt. Mikroskopisch ist der Band des Verflüssigungstrichters kreis- förmig, dann folgt eine graue ringförmige Zone, während in der Mitte die Colonie als gelbbraune, matte, unregelmässig granulirte Scheibe mit undeutlicher Begrenzung erscheint. Die Verflüssigung breitet sich nur sehr langsam aus.

Aehnliche Verhältnisse lassen sich bei der Entwickelung der Stich- kultur in der festen Gelatine beobachten. Nach 24 Stunden entsteht längs des Stichkanals ein feines weisses, nach der Einstichsstelle hin sich allmähhg verdickendes Fädchen, und nach und nach beginnt eine von oben langsam nach abwärts schreitende Verflüssigung. An der Stichöffnung entsteht durch das Herabsinken der Kultur in die er- weichte Gelatine und Verdunstung der obersten Theile eine trichter- förmige Einsenkung, welche sich nach unten in einen immer schmäler werdenden Verflüssigungszapfen fortsetzt. Da der Hohlraum des Trichters durch Luft ausgefüllt wird, gewinnt die Kultur in diesem Stadium das Aussehen als schwebe über ihr eine Luftblase. Die Kultur selbst bildet nach mehreren Tagen nicht mehr einen zusammenhängen- den Faden, sondern ist in einzelne Theile zerfallen. Erst nach vier bis sechs Tagen geht die Verflüssigung so weit, dass sie an der Oberfläche den Band des Beagenzglases erreicht.

Die soeben beschriebenen Merkmale sind für die Choleraspirillen äusserst charakteristisch. Bei den FiNKLER-PRiOR'schen Komma- bacillen der Cholera nostras, die übrigens auch im normalen Darm ge- funden wurden, schreitet die Verflüssigung viel rascher vorwärts, wie Sie an diesen, zu gleicher Zeit hergestellten, Kulturen mit Leichtigkeit

421

sehen können. Mikroskopisch sind diese letzteren nur sehr schwer von den echten Choleraspirillen zu unterscheiden, obwohl sie etwas dicker und kürzer sind. Der ÜENECKE'sche Commabacillus, welcher aus altem Käse gezüchtet wurde, und der von Gamaleia aus dem Hühnerdarm gezüchtete Vibi'io Metschnikof sind beide kulturell zu unterscheiden, da die Verflüssigung auch hier rascher fortschreitet als bei den KocH'schenKommabacillen, obwohl nicht so rasch wie bei den FiNKLER-PRiOR'schen. Auf Kartoffeln wächst Koch's Spirillum nur bei höherer Temperatur, Finkler-Prior s bei gewöhnlicher Zimmertem- peratur und Denecke's überhaupt nicht. Auf Agar ist das Wachsthum nicht charakeristisch. Das früher als charakteristisch angesehene so- genannte „Choleraroth", welches nach Einwirkung von Mineralsäuren in Kulturen auftritt, ist nichts weiter als eine gewöhnliche Indol-Eeak- tion, welche auch anderen Bakterien zukommt, allerdings nicht in so hohem Masse wie bei den Cholerakulturen. Charakteristische Toxine konnten bis jetzt nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden.

Was nun die Wachsthumsbedingungen der Kommabacillen anbe- langt, so sind sie hinsichtlich der Qualität der Nährstoffe wenig an- spruchsvoll. Bei geeigneter Temperatur, nicht unter 16° und nicht über 40° C, gedeihen sie auf allen künstlichen Nährböden, falls diesel- ben neutral oder leicht alkalisch reagiren ; auf sauren Nährböden wachsen sie gar nicht. Eine Zufuhr von Sauerstoff ist ferner für gute Entwickelung unbedingt nöthig. Durch Austrocknen werden die Kommabacillen sehr rasch, schon nach mehreren Stunden getödtet, und ist eine Vermehrung und Ansteckung durch die Luft gänzlich ausge- schlossen. Durch Ueberwucüerung von Saprophyten wird ihr Wachs- thum leicht beeinträchtigt. Die Lebensdauer der Bacillen, falls schäd- liche Einflüsse fehlen, beträgt fünf bis sechs, ja sogar zehn Monate, und so können sie sich auf feuchter Wäsche oder an gewissen Stellen des Bodens, wo sie vor Austrocknung geschützt sind, lange halten. Niedrige Temperatur beeinträchtigt das Wachsthum der Spirillen nicht, wohl aber hohe Temperatur, und bei einer Hitze von 60° C. sterben sie im Wasser nach spätestens 10 Minuten gänzlich ab. Eine Abtödtung wird ferner am sichersten durch Sublimat 1:2000 bis 2:1000, Carbol- säure i bis 3 oder 5 Prozent, Schwefelsäure oder Chlorkalk erzielt wodurch sie schon nach wenigen Minuten entwicklungsunfähig gemacht werden.

Bezüglich der Prophylaxe kann ich mich wohl kurz fassen. Die drei wesentlichsten Punkte sind :

1. Vermeidung aller gastrischen Störungen. Der menschliche Orga- nismus schützt sich selbst gegen Cholera-Infection und ist der wirk- samste Schutz durch ungestörte Thätigkeit des Verdauungstraktes gegeben. Da die Kommabacillen auf saurem Nährboden nicht wachsen, so ist es bei leichten dyspeptischen Beschwerden in Cholera- zeiten gewiss angezeigt, irgend eine Säure, wie Salz- oder Gerbsäure, in unschädlichen Dosen als Prophylacticum zu gebrauchen. Dass ferner alle Momente zu vermeiden sind, welche die Funktion des Magens

422

stören oder heruntersetzen können, wie zum Beispiel Genuas unver- daulicher oder ungewohnter Nahrungsmittel, Uebergenuss alkoho- lischer Getränke u. s. w., dürfte sich wohl von selbst vei^tehen.

2, Gründliche Keinigung der Hände und Keinhaltung der Nahrung und des Wassers, also ausschliessliche Verwendung gekochten Wassers zum Waschen sowohl wie zum Trinken.

3. YermeiduDg der Berührung und desinflzirende Behandlung der Dejectionen mit Carbolsäure, Sublimat oder Chlorkalk, und der be- schmutzten Objeete, welche entweder verbrannt werden sollen, oder eine halbe Stunde lang der Einwirkung von strömenden Dämpfen aus- gesetzt werden müssen.

Die hauptsächlichsten Momente zur Verhütung der Krankheit sind gewiss durch diese drei Punkte gegeben. Die Anzahl der von der einen oder anderen Seite empfohlenen desinüzirenden Mittel ist unge- mein gross, jedoch sind die oben angegebenen entschieden die verläss- lichsten und sichersten.

III.

Pathologie und Therapie der Cholera asiatica.

Einleitendervortrag zur Discussion in der Deutschen Medicinisehen Gesellschaft von New York am 3. October 1892.

Von

Dr. LEONARD WEBER.

New York.

Meine Herren ! Sie erinnern sich, dass ich in der letzten Sitzung un- serer Gesellschaft den Vorschlag einbrachte, die Cholera asiatica für heute zur Discussion zu bringen. Die Herren C. und L. Heitzmanx waren so liebenswürdig das Thema der Pathologie und Bacteriologie und Prophylaxe zu übernehmen, jedoch hat sich zunächst kein College gefunden, der in der Kichtung der Quarantäne die Hauptsätze zur Discussion stellte. Nun, am Ende haben wir Alle so überreichlich in Bezug darauf in den letzten 4 Wochen gehört und gelesen, dass die Discussion derselben schon längst vorbereitet ist und sich wohl Jeder seine Meinung gebildet hat. Bevor ich zu meinem Thema der Therapie der Cholera komme, erlaube ich mir, die Cholera asiatica betreffend» darauf aufmerksam zu machen, dass im Jahre 1874 in Wien ein inter- nationaler med. Congress speciell zur Erörterung der Cholera und ihrer Bekämpfung gehalten wurde.

Die Besten und Erfahrensten waren anwesend und in ihren ziemlich einstimmig gefassten Beschlüssen besonders darüber klar geworden^ dass prompte Isolirung und Desinfection genügend und eine lang aus- gedehnte Quarantäne und Detention unnöthig sei. Spätere Erfah- rungen haben die Richtigkeit des Satzes bestätigt, England hat nach demselben gehandelt und ist gut dabei gefahren. Wenn auch die Verhältnisse im hiesigen Hafen in Folge der Masseneinwanderung

423

nicht so günstig liegen wie in Liverpool und London, so ist doch die barbarische Behandlung von Hunderten von gesunden Passagieren eines nur massig inflcirten Schiffes, wie wir das hier kürzlich erlebt haben, ganz verwerflich und nicht zu entschuldigen. Der dirigirende Quarantäne-Arzt musste in jeder Weise vorbereitet und ausgerüstet sein, und er musste und konnte die Mittel haben, um allen Anforde- rungen der modernen Quarantäne gerecht zu werden. Wenn dem nicht so war und es war nicht so gewesen nun dann geschehe ohne viel Säumen, was schon längst hätte geschehen sollen, nämlich, die so wichtige Frage der Quarantäne, resp. der Desinfection und Isolirung der Nationalregierung zu übergeben.

Oder glaubt vielleicht Jemand, dass, nachdem der Schrecken vor- über, die Politiker des Staates New York in solch wichtigen Fragen der öffentlichen Gesundheit fortab nur nach Gewissen und bestem Ermessen handeln werden, so dass nur die das Amt verwalten werden, die des Amtes würdig sind? Wenn man sieht, wie leicht mit einem Bruchtheil des Geldes, das seit vielen Jahren hier zu andern als Quarantänezwecken verwendet worden und in der letzten Zeit der Noth in freigebiger Weise für Extra-Einrichtungen bezahlt worden ist, der Staat schon längst an der South Beach von Staten Island die nothwendigen Baulichkeiten u. s. w. in Verbindung mit den schon bestehenden Quarantäne- Anstalten hätte haben können, so kann sich wieder ein- mal das Rechtsbewusstsein des taxpaying Citizen empören.

Kann auch die stricteste und lang fortgesetzte Quarantäne die EinschleppuQg einer Seuche wie die Cholera nicht verhindern, so scheint es doch nicht schwer zu sein, in einer Stadt, die mit gutem Trinkwasser versorgt und rein gehalten wird, die Ausbreitung der Krankheit durch Isolirung und Desinfection zu verhindern. Das hat unser Board of Health jetzt wieder gethan, und hat es auch schon im Jahre 1866 und 1876/77 fertig gebracht.

Der Erfolg der HAYEM'schen intravenösen Injectionen, wie dieselben in Paris gebraucht worden sind, ist ein ganz momentaner. Es ist klar^ dass die subcutane Infusion bei noch so schneller Resorption mit der intravenösen an SchneUigkeit nicht concurriren kann. Hieraus ergiebt sich die Indication für die Wahl dieser oder jener von selbst.

In der Frage nach einer rationellen Therapie der Cholera ist zu- nächst in Betracht zu ziehen, dass die Cholera eine eminent contagiöse acute Infectionskrankheit ist, deren Gift einen mehr oder minder heftig ausgeprägten Catarrh der Darmschleimhaut vom duodenum bis zum Colon erzeugt, mit auffallend heftiger und häufig deletärer Rückwirkung auf Gefäss- und Nervensystem. Das Virus ist in den faeces, selten im Erbrochenen enthalten ; einfache Berührung ist nicht ansteckend, so dass es sogleich klar ist, warum Aerzte und Wärter viel seltener als Waschfrauen angesteckt werden. Der Com- mabacillus braucht ein feuchtes Medium zu seiner Entwickelung, wuchert bei einer Temp. von 30-40° C, lebt noch bei— 10° C, stirbt rasch ab in trockner Hitze oder Dampf hitze. Er wird nur gefunden im

424

Darminhalt und den schlauchförmigen Drüsen, sehr selten im Er- brochenen und gar nicht im Blut, Speichel, Schweiss, Urin oder Aus- athmungsluft.

Die Infection ist der Art nach dieselbe, dem Grade nach sehr ver- schieden. Patienten mit einfachem Choleradurchfall können herum gehen, ohne sich krank zu fühlen und stecken direct und indirect Andere an. Die Cholerine characterisirt sich schon durch Erbrechen und Durchfall und mehr oder minder entwickeltes Krankheitsgefühl Im ausgebildeten Choleraanfall haben wir die ominösen Eeiswasser- stühle, die ausserordentlich schmerzhaften Muskelkrämpfe, den Collaps, und, wenn sich die Betroffenen zunächst wieder erholen, das bedenkliche Choleratyphoid.

Die Incubationsperiode wird von wenigen Stunden bis zu 2-3 und 5 Tagen berechnet. Die localen Epidemieen haben zumeist 4-6 Monate gedauert.

Hier zu Lande habe ich Cholera zu behandeln nicht die Gelegenheit gehabt, habe aber als angehender Mediciner in der heftigen Münchener Epidemie von 1854-1855 Cholerabehandlung gesehen, und so verzeihen Sie es mir wohl, wenn ich zur Einleitung der Diskussion nach der Kich- tung das Wort ergriffen habe. Schon damals hatte Pfeiffer in München richtig erkannt, dass die Magendarmschleimhaut im Anfall nichts resorbirt, mithin die Wirkung der meisten Mittel illusorisch gemacht wird. Immerhin stellte es sich damals bald heraus, dass das von ihm empfohlene Calomel möglichst frühzeitig gegeben, seine des- inflcirenden Eigenschaften bewährte und manchem Patienten zur Ge- nesung verhalf.

Es wurden stündlich bei Erwachsenen 0,30, bei Kindern 0,10-0.15 gegeben und 0,60-2,0 pro die verbraucht. Patient lag im Bette in Seiten- oder Bauchlage, Wärmflaschen um ihn, und trank heisse Getränke bis zum Eintritt der Keaction, Während die Kesultate der Opium-, Bismuth- u. s. w. Behandlung durchweg schlecht waren, so waren die nach Calomel ziemlich gut, und wahrscheinlich noch besser als die, welche englische Aerzte in jenen Zeiten mit Oleum Kicini erreicht zu haben mittheilten.

In der Besprechung der Cholerafrage in einer ausserordentlichen Sitzung des ärztlichen Vereins von Hamburg vom 30. August also 14 Tage nach dem Ausbruch der Cholera in Hamburg berichtet Herr Bieder aus dem allgemeinen Krankenhause, dass die Patienten daselbst pulslos oder moribund also im Stadium algidum der Cholera ein- gebracht wurden, dass die behandelnden Aerzte sehr bald von Calomel, Ricinusöl, Opium u. s. w. als nutzlos Abstand nahmen und zu den sub- cutanen oder vielmehr intravenösen 0,6 prozentigen Kochsalzinfusionen 1500-2000 Cc. ein- oder mehrmals gemacht, ihre Zuflucht nahmen. Auf letztere hin rasche und auffallende Besserung der schweren Erschei- nungen, Rückkehr des Bewusstseins, der Stimme u. s. w., aber nur in wenigen Fällen hielt die Besserung an, resp. entwickelte sich dieselbe zur Genesung, sondern die meisten so behandelten Patienten verfielen wieder und gingen scheinbar urämisch zu Grunde.

Nun, zunächst beweist diese Beobachtung, dass die Kränken leider recht spät ins Spital kamen, und dass die spärlichen günstigen Kesul- tate wohl wesentlich diesem bedauerlichen Umstände zuzuschreiben sind. Sie beweisen aber ferner, dass die Salzwasserinfusionen zwar kein specifisches Heilmittel der Cholera sind, aber doch geeignet manchem Patienten die Chance zu geben sich aus dem tödtlichen Col- laps zu erholen und eventuell zu genesen.

Haben wir überhaupt Mittel, mit welchen wir den cholerakranken Darm behandeln, seine gestörten Functionen heben, denselben für den Bacillus untauglich machen und dem das Leben vernichtenden arteriel- len Spasmus erfolgreich begegnen können ?

Prof. Hugo Schulz, „Deutsche Med. Woch.*', 8. Sept. '92, meint, ja. Zwei Arzneistoffe sind es, sagt er, über deren Werth in der von uns ge- wünschten Kichtung die praktische Medicin schon ihr Urtheil abgege- ben hat, die aber, als heutigen Anschauungen nicht recht entsprechend, unbeachtet geblieben sind : Veratrin und Arsen.

„Zunächst das Yeratrin. Bereits im Jahre 1885, „Deutsche Med. Woch." No. 7, habe ich in Bezug auf seinen Werth bei Cholera nostras und Asiatica auf Grund der in der Literatur angegebenen praktischen Beobachtungen mich geäussert. Gestützt auf die mit Grawitz gemein- sam ausgeführten Versuche, konnte ich den Nachweis erbringen, dass das Veratrin den Bacillen gar nichts thut, seine ganze Heilkraft da- gegen lediglich das kranke Organ als solches betrifft. Ich referire hier in Kürze das für uns heute Wichtigste."

Markbreiter 1856 : Tritt bei cholerakranken Kindern Erbrechen ein und sinkt die Hauttemperatur, so giebt er als souveränes Mittel :

Tinct. veratri (Norwood's) gtt. 2

Aqu. dest. 30,0

^— Istündhch ein Theelöffel voll.

Das Mittel wirkte beinahe immer günstig. Aehnlich gute Erfah- rungen haben Hübeny 1857, Koehler 1868 und Bloedan 1884 über dies Mittel berichtet. Letztere Autoren sind übrigens der Ansicht, dass dies Mittel ähnlich wie andere im asphyctischen Stadium der Cholera versagen wird.

Mit minimalen Dosen Arsen in catarrhalisch-entzündlichen Darm- erkrankungen hat der Amerikaner Aulde in den Jahren 1887 89 zahl- reiche Versuche angestellt und viel Günstiges berichtet. Aulde ver- wendete das arsenigsaure Kupfer, Schulz, in seiner Nachprüfung, acid. arsenicos. oder Fowl. sol. ars., da das cupr. arsenic. zu wenig löslich ist.

Wenn Sie mich nun fragen, wie würde ich einen gegebenen Fall von Cholera Asiatica behandeln, so antworte ich so :

In einem frischen Fall ohne Collapserscheinungen Calomel 0,10 0,30 pro dosi stündlich, schwachen heissen Thee mit und ohne Cognac, Eispillen, Zuführung von trockener Wärme unter den Bettdecken. Gegen stärkere Leib- und Muskelschmerzen subcutane Morphium- injectionen. Im v arger ückten Stadium, heisere Stimme und Anomalie des Pulses sofort die SAMüEL'schen siibcutanen Salzwasser-, oder die

SAYEM*schen intravenösen Salz-Glaubersalz Infusionen, subcutane Campher- und Aether-Injectionen, nach Bedürfniss. Sollte ich mich nach Beobachtung einiger Fälle überzeugen, dass das Calomel in Bezug auf die Darmerkrankung nichts leistet, so wäre ich geneigt, in frischen Fällen Veratrin zu versuchen.

Gewiss betrachte ich es als ganz rationell, bei einfacher Cholera- diarrhoe oder bei leichter Cholerine nach einmaliger Calomel-Dosis eine Mixtur von Salzsäure und schwachen Dosen Opium zu geben und nebenbei strenge Diät und ruhiges Verhalten zu verordnen.

Die subcutanen Infusionen in Cholerabehandlung gewannen erst ihre grosse praktische Bedeutung durch die Mittheilung von Saiviuel im Jahre 1883, welche die nothwendige Continuirlichkeit, Wahl der Injectionsstelle und Zeitpunkt betonten.

Cantani veröffentlichte bald darauf die Eesultate, welche er mit dieser und der Darminfusion mit Tanninlösungen in der Behandlung der Cholera 1884 in Neapel erzielt hatte.

Die subcutane Injection ist zu machen, sobald der Puls anormal wird, am besten zunächst in der fossa infraclavicularis, beiderseits alternirend, oder in der Weichengegend. Die Infusion ist continuirlich natürlich immer unter Abwartung der Resorption während der ganzen Dauer des enterisch-asphyctischen Stadiums nicht nur, sondern auch tief in das Typhoidstadium hinein fortzusetzen . Da das Salzwasser gute harnfähige Stoffe mit sich bringt, und die Pflege der Urinsecretion zur Ueberstehung des Typhoids von grosser Wichtigkeit ist, so ist nicht mit der Infusion beim ersten Eintritt der Urinsecretion aufzuhören. Wenn auch minder continuirlich, ist sie während des ganzen Typhoids fortzusetzen.

Die Flüssigkeit besteht aus 4,0 Salz auf 1000,0 gekochten Wassers, bei einer Temperatur von 39 40 Grad C. Von Apparaten zur Infusion sind die einfachsten der EsMARCH'sche Irrigator mit Schlauch und Hahn, der BRAATz'sche Apparat, welcher über Jede Flasche gestülpt werden kann, und der sinnreich construirte CoLLiN'sche Transfuseur, der sich besonders zu intravenösen Injectionen vortrefflich eignet.

lieber den unmittelbaren Erfolg sagen Samuel und Keppler fol- gendes :

Der augenblickliche Erfolg ist so überraschend, dass er auch dem Laien auffällt. Zuerst kehrt der Pnls wieder, gewöhnlich schon in der ersten halben Stunde ; das starre Auge belebt sich wieder, die Athem- noth schwindet und macht langsam einem immer mehr zunehmenden Wohlbefinden Platz ; die Gesichtsmuskeln werden beweglich, die Haut erwärmt sich, leichter Schweiss stellt sich ein, die Cyanose löst sich allmählig, die Stimme wird klangvoll ; zuletzt, selten vor der 18ten Stunde, kommt die Urinsecretion wieder zu Stande. Möglichst früh- zeitige Infusion ist der beste Schutz vor der Nephritis, der häufigsten Nachkrankheit der Cholera.

R. KuTNER giebt in der Deutsch. Med. Woch., 1. September 1892, folgenden Rath: SAMUEL'sche subcutane Infusion von Kochsalz-

427

lösung das ganze enterisch-asphyctische Stadium hindurch bis zu 8 12 Liter, möglichst früh zu beginnen ; HAYEM'sche intravenöse Infu- sion bestehend aus : Natr. chlor. 5,0 Natr. sulfur. 10,0. Aqu. dest. 1000,0 bei unmittelbar drohendem oder schon eingetretenem Collaps, 2—2^ Liter, in die ven. saphena oder mediana-basihca. In seinem Bericht aus den Pariser Spitälern sagt R. Kütner, dass die intravenöse Injec- tionen dort ausschliesslich mit dem neuen CoLLiN'schen Transfuseur gemacht werden und gute Resultate geben."] 25 West 46. Str.

lY.

Das permanente w.arnie Bad bei Gelenkentzündungen.*)

Yon Dr. A. ROSE,

New York.

i In der December-Sitzung des Jahres 1889 habe ich vor unserer Ge- sellschaft über [die Anwendung des permanenten warmen Bades bei Erysipel der Extremitäten gesprochen, um zu zeigen, welchen mächti- gen Einfluss das warme Bad auf diese infectiöse Entzündung ausübt, wie die Körpertemperatur dabei schnell zurückgeht und zugleich der ganze Krankheitsverlauf sofort die günstigste Wendung nimmt.

Ich suchte mir die Thatsache zu erklären, indem ich annahm, dass in erster Linie das permanente, nur verhältnissmässig warme, in Wirk- lichkeit einige Grad weniger als Blutwärme messende Wasser die Tem- peratur herabsetzend wirke, dass die längere Zeit im Wasser befind- lichen geschwollenen Theile nicht mehr die Fähigkeit besässen, pyro- gene Stoffe zu resorbiren, weil die Bindegewebsmaschen ausgefüllt, die Anfänge der Lpmphgefässe verlegt seien, dass der erysipelatösen In- fection auf dem^Wege der Lymphbahnen Einhalt geboten werde, indem der Infectionsherd abgeschlossen, dass die pathogen en Stoffe auf dem Wege der vermehrten Blutcirkulation entfernt werden.

Im Anschluss an jene Mittheilung wünsche ich heute an einer Be- obachtung zu zeigen, welche Wirkung das permanente Bad bei Gelenk- entzündung auszuüben vermag, und welchen Einfluss es dabei auf Innervation, Cirkulation und Stoffwechsel hat, welch' vorzüglich Schmerz stillendes und Resorption beförderndes Mittel es ist.

Was die Verwendung des permanenten warmen Bades zu therapeu- tischen Zwecken betrifft, so sind noch allgemeine Gesetze aufzubauen, und was bekannt ist, noch nach manchen Richtungen hin zu ergänzen. Für manche verlässliche empirische Thatsache ist eine wissenschaft- liche, eine physiologische Basis zu suchen. Von der Hydrotherapie

*) Nach einem am 2, Mai 1892 in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York gehaltenen Vortrag.

428

überhaupt lässt sich sagen, dass viele rationelle, wissenschaftlich be- gründete Thatsachen festgehalten werden würden, wenn zahlreiche, einstweilen unvermittelt dastehende segensreiche Erfahrungsthat- sachen nach ihrem Werth gewürdigt worden wären, anstatt dass sie rasch wieder dem Gedächtniss und der Praxis entschwanden.

„Nicht den Heilmitteln, sondern der Heilmethode gehört die Zu- kunft," sagt ZiEMSSEN ; auch die Hydrotherapie wird mehr und mehr eine rationelle, wissenschaftliche Heilmethode werden, aufgebaut auf den Grundlagen der Physiologie.

Delia G., die Patientin, die ich Ihnen hiermit vorstelle, eine Irlände- rin von 24 Jahren, bisher gesund und überaus muskelkräftig, erkrankte gegen Ende des Monats September 1891 an Kheumatismus des linken Ellenbogengelenks mit ungewöhnlich heftigen Entzündungserscheinun- gen, namentlich grossen Schmerzen. Verschiedene Antirheuraatica hatten wenig oder gar keinen Erfolg, selbst Antipyrin vermochte nicht den Schmerz zu lindern und Schlaf für die Nacht zu sichern. Das Beste leistete noch der Gypsverband, den ich einmal 14 Tage und ein zweites mal 10 Tage lang tragen Hess. Ich entfernte denselben, wenn ich annahm, dass die Entzündungserscheinungen, Schwellung, Schmerz, Temperaturerhöhung verschwunden waren, und in der That war das jedesmal bei Abnahme des Verbandes der Fall. Bald nachdem ich den ersten Verband entfernt, stellten sich wieder Entzündungserscheinun- gen ein, nach Abnahme des zweiten Verbandes blieb Gelenksteifigkeit zurück, and nur in der Chloroformnarkose gelang es mir, den Arm zu biegen und zu strecken. Bei diesen gewaltsamen Beugungen und Streckungen liess sich Eeibegeräusch, das Symptom der Synovitis fibrinosa deutlich vernehmen.

Die forcirte Beugung und Streckung in der Chloroformnarkose hatte keinen dauernden Erfolg, im Gegentheil nahm nach derselben der Erguss von Flüssigkeit in die Sj^novialhöhle zu und alle Beweglich- keit wurde aufgehoben. Auch die perisynovialen Weichtheile infiltrir- ten sich stark und trugen zum Bewegungshemmniss bei.

Patientin konnte oder mochte um diese Zeit nicht länger mit der Familie bleiben, von der sie angestellt gewesen die Hausarbeiten zu verrichten, und begab sich am 30. November 1891 nach dem hiesigen St. Francis Hospital.

Dr. Kammerer, einer der Aerzte dieses 'Hospitals, theilte mir auf mein Befragen über die Patientin mit, dass, seiner Ansicht nach, die Prognose in Bezug auf Gebrauchsfähigkeit des Armes eine sehr unge- wisse sei, und dass die Behandlung im Hospital darin bestehe, das Ge- lenk, das nur mit Mühe in den rechten Winkel zu bringen sei, durch graduirte Verbände allmäUg in den spitzen Winkel zu zwingen. Die Patientin gab an, dass sie keinerlei Medicin im Hospital bekommen habe.

Am 12. December 1891 verliess sie das Hospital. Ich fand nun den Arm in einer gerade so ungünstigen Verfassung wie vorher, d. h. vor der Aufnahme in's Hospital. Das Gelenk aus dem

429

stumpfen in den rechten Winkel zu bringen verursachte schon erheb- liche Schmerzen, und weitere Bewegungen zu forciren, schien mir gewagt.

Am 15. December 1891 Hess ich den Arm in ein warmes Bad legen, als Badewanne diente ein länglicher Waschkessel. Ich verordnete, dass das Wasser von Stunde zu Stunde durch Ausschöpfen eines Theiles des Inhalts der Wanne und Nachgiessen heissen Wassers auf solcher Temperatur erhalten wurde, wie sie der Patientin gerade noch erträglich erscheinen würde. Für die Nacht sollten dann feuchte, mit trocknem Flannell bedeckte Umschläge substituirt werden. Vorerst keinerlei Medicin.

Patientin hatte meine Anordnung mehr als gewissenhaft befolgt, sie hatte das Wasser am ersten Tage so heiss genommen, dass sie sich Hand und Arm verbrühte, dass sich Epidermis-BIasen in grosser An- zahl gebildet hatten. Ich legte diesem Zufall kein grosses Gewicht bei, weil nach meinen Erfahrungen das fortzusetzende warme Bad das Heil- mittel gegen die Folgen des zu heissen Bades sein würde, und als solches stellte es sich auch im weiteren Verlauf heraus. Keinerlei Schmerzen oder Nachtheile haben sich eingestellt.

Der Erfolg des permanenten Bades war ein glänzender. Aller Schmerz, der vorher bestanden, hörte sofort auf. Von Tag zu Tag konnte man ergiebigere Beugungen und Streckungen des Armes vornehmen, ohne der Kranken so heftige Schmerzen wie bei früheren Versuchen zu verursachen. Die verhältnissmässig geringen Schmerzen, die Ich bei den Beugungen und Streckungen jetzt verur- sachte, verschwanden bald, wenn der Arm wieder im warmen Wasser ruhte.

Am dritten Tage des permanenten Bades, am 18. December, konnte Patientin selbst das Gelenk bis zum rechten Winkel biegen, am 19. konnte sie dies thun, ohne dabei Schmerzen zu empfinden. Am 20. December Biegung bis zum spitzen Winkel, am 25. und 26. Biegung bis zur normalen Grenze.

Seit dieser Zeit verrichtet Patientin wieder ununterbrochen Tag für Tag ihre Hausarbeiten, sie vermag die grosse Wäsche allein zu thun und das Gewaschene Tags darauf zu bügeln. Leider ist sie noch immer denselben Causalmomenten ausgesetzt und es treten von Zeit zu Zeit wieder rheumatische Entzündungserscheinungen im Ellenbogengelenke auf. Ich wünsche zu betonen, dass ich während des Badens, d. h. während der Zeit vom 15. bis 26. December keinerlei Medicin nehmen liess. Seitdem habe ich bei erneuerten Rheumatismusanfällen Nutzen von Salipyrin zu sehen geglaubt. Ich liess übrigens, wenn sich wieder Schmerzen und sonstige Entzündungserscheinungen einstellten, Abends, nach der Tages Arbeit, den Arm für ein bis zwei Stunden in das warme Bad bringen, immer mit dem Erfolg, dass die Schmerzen gehoben wurden.

Wie Sie sehen, kann der Arm jetzt noch nicht ganz so weit wie der gesunde gebogen werden, Sie sehen, dass auch noch eine minimale

43Ö

Schwellung des Ellenbogengelenkes besteht, doch bin ich überzeugt, dass wenn meine Patientin von anstrengenden Arbeiten absehen, und wieder Tage lang das warme Bad gebrauchen könnte, und vor allen Dingen von allen Gelegenheitsursachen des Rheumatismus entfernt würde, auch diese geringen Residuen verschwinden würden.

Zur Zeit, als ich diesen Fall behandelte, war mir nicht bewusst, dass diese Methode schon geübt worden, und auch jetzt, nachdem ich mich in der mir zugänglichen Literatur umgesehen, finde ich dass nur wenig darüber veröffentlicht worden ist. Dr. A. Jagobi, dem ich meine Be- obachtung zuerst mittheilte, machte mich auf die der meinigen ähnliche Behandlungsmethode, die im Bad Leuk waltet, aufmerksam, Was ich darüber beschrieben fand, ist folgendes:

Leuk, im Kanton Wallis, 1415 M. über dem Meeresspiegel in einem Bergkessel in grossartiger Alpennatur gelegen, ist das höchste der Wildbäder. Das Wasser der zwischen 41-5 und 51° C. warmen Quellen enthält schwefelsauren Kalk, schwefelsaure Magnesia un andere Salze, nebenbei eine geringe Spur freier Kohlensäure ; als Bad ist es zu den indifferenten Thermen zu zählen, indem der Gyps weder resorbirt wird, noch in der vorhandenen Quantität als besonderes Reizmittel für die Haut gelten kann.

Im Durchschnitt werden 25 Tage auf die Kur gerechnet, während welcher Zeit man einen Tag um den anderen, oder täglich ein bis zwei- mal badet. Die Dauer des Bades wird allmählig von ^ Stunde bis zu 5 bis 8 Stunden, auf den Vormittag oder Nachmittag vertheilt, ausge- dehnt, dann nach 8 bis 12 Tagen wieder in umgekehrter Weise ver- ringert. Herren und Damen baden gemeinschaftlich in Bassins für ungefähr 20 Personen, die sich durch Unterhaltung, Lesen und Domino- spielen (auf schwimmenden Brettchen) die Zeit vertreiben. Des Mittags werden die Bassins theilweise, des Abends vollständig abgelassen und wieder gefüllt ; während der Nacht kühlt sich dann das Wasser auf ungefähr 35° C. ab. Die Krankheiten, welche auf solche Weise behan- delt werden, sind gichtische und rheumatische Exsudate, chronische Exantheme, Psoriasis, Eczema, Prurigo.

HuETER [empfiehlt bei Polyarthritis synovialis acuta (Rheumatis- mus articulorum acutus) nach Ablauf der acuten Stadien, und bei Poly- Panarthritis (Arthritis deformans) eine resorptionsbefördernde Rich- tung der Therapie durch Anregung der Circulation und hebt als bestes Mittel prolongirte warme Bäder, entweder localer Anwendung in Arm- und Bein- Wannen, oder auch als Vollbäder, je nach der Art des Falles, hervor. Nach zahlreichen Erfahrungen versichert er, dass bei Polyar- thritis synovialis chronica wie bei Poly-Panarthritis diese Therapie nicht Unübertreffliches aber Unübertroffenes bietet. Er sagt ; „Von Poly- Panarthritis ist es Ja bekannt, dass kein Mittel durchgreifend wirkt, und das thun auch die Bäder nicht, aber sie leisten doch mehr als die anderen Mittel." Ihre Erfolge sind ihm zuweilen überraschend gute gewesen.

431

RiEss*) empfiehlt permanente warme Vollbäder bei Gelenk- und Muskelrheumatismus ; er lässt ein Badelaken wie eine Hängematte über der Badewanne ausspannen, so dass der Kranke in diesem Laken in der Wanne liegen kann. Der Kopf ruht auf einem Gummikranz.

Dass permanente warme Vollbäder meist gut vertragen werden, ist bekannt. Als Beleg und als Kuriosum will ich hier einen Auszug aus der BAELz'schen Mittheilung*^) über permanente Thermalbäder der Japanesen einschalten ; „Der Japanese badet in indifferenten oder leicht salzigen Thermen von 42—48° C. bis zu 10 oder 15 Mal täglich. Ganz besonders interessant ist ein primitives tief in den Bergen einer Provinz Dzooshin gelegenes Bad Namens Kawanaka. Es ist eine indische Therme von 36-2. Hier nun bleiben die Patienten Tage und Wochen lang bei Tag und Nacht im Bad, das sie nur gelegent- lich verlassen, um ihre Nothdurft zu verrichten, oder um sich ein wenig zu bewegen. Der Körper befindet sich in halb liegender, halb sitzender oder sonst bequemer Stellung, der Hinterkopf und Nacken lehnen sich an den Kand des hölzernen, allen Patienten gemeinschaft- lichen Badebeckens. Damit im Schlaf der Körper nicht an die Ober- fiäche kommt, legen sich die Badenden einen mehr oder weniger grossen Stein auf den Schooss. Der Besitzer des Bades, ein 70-jähriger Greis, bringt fast den ganzen Winter im Wasser zu, und fühlt sich so ohne Kleider und Ofen behaglich und warm, während draussen der Schnee 4 oder 5 Monate nicht schmilzt. Seine Functionen und Befinden sind normal."

Um die therapeutische Bedeutung des prolongirten warmen Bades vollständig zu machen, werden wir die Elementarwirkung der warmen Bäder uns vergegenwärtigen.

Während das kalte Bad die Muskeln und Capillargefässe der Haut und derjenigen Gewebe, auf welche sich die unmittelbare Einwirkung der Kälte erstreckt, zur Contraction bringt, und nach dem Aufhören des Kältereizes die Contraction von einer Erweiterung derselben, die locale Anämie von einer Hyperämie ausgelöst wird, verläuft der mechanische Vorgang bei der örtlichen Einwirkung der Wärme in ent- gegengesetzter Weise : die Gewebe erschlaffen, die Capillare dehnen sich aus und füllen sich anfangs, bei starker und langdauernder Ein- wirkung selbst bis zur passiven Stase, und dann folgt nach dem Auf- hören des Wärmereizes die Contraction der Gefässe und die erneuerte Beschleunigung des Blutlaufes. Die Erfahrung an badenden Körper- theilen und die Beobachtung des Blutlaufes in der Schwimmhaut der Frösche bestätigen gleichmässig den Unterschied dieser beiden Vor- gänge : in der Kälte vorübergehende Contraction und nachfolgende Er- weiterung, in der Wärme vorhergehende Erweiterung und nachfolgende Contraktion.

*) Berl. Klin. Wochenschr., 1887, 29. **) Berlin. Klin. WocheDScbr., 1884, 48.

432

Wird ein Glied längere Zeit im warmen Bade gelassen, so schwellen die Weichtheile an, es tritt eine ganz erhebliche Yolumszunahme ein, und nach Herausnahme aus dem Bad ist die Haut des gebadeten Gliedes heisser, oft ganz hochroth, und die höhere Färbung schwindet erst nach mehreren Tagen.

Winternitz hat in dem Institute für experimentelle Pathologie des Professor Stricker in Wien Versuche über die Yolumveränderungen der Extremitäten unter dem Einflasse von Bädern von differenten Temperaturen gemessen, und hat sich zu diesem Zwecke eines sinn- reichen Apparates bedient. Er vermochte an dem im Wasser im Appa- rat suspendirten Arm Yolumsvergrösserungen za messen, die mit dem Puls synchronisch entstanden, und die durch die mit jeder Herzsystole in den Arm getriebene Blutwelle bewirkt wurden, ebenso Volumsver- minderungen, die der während der Intervalle zwischen zwei Systolen abfliessenden Blutmenge entsprachen. Er konnte feststellen, dass die Volumsveränderung des in Wasser von C. getauchten Armes, im Vergleich mit jener, die man erhält, wenn der Arm in Wasser von 38° C. oder 40*^ C. getaucht wurde, eine sehr verschiedene Gestalt haben. In dem ersten Falle vermag jede Herzsystole nur verhältniss- mässig wenig Blut in den im kalten Wasser befindlichen Arm hinein zu pressen. Es kann dies nur bedingt sein, da die Herzkraft während des Versuchs doch keine beträchtliche Veränderung erlitten haben kann, durch den grösseren Widerstand, den die durch den Kältereiz contra- hirten Gefässe der eindringenden Blutwelle entgegensetzten.

Die weitaus grösseren Volumsschwankungen von dem in warmes Wasser eingetauchten'^Arm lassen wohl nur die Deutung zu, dass die längere Einwirkung des warmen Bades eine Gefässerweiterung und Erschlaffung bedingt hatte. Mit jeder Herzsystole wird jetzt, auch hier die gleiche Herzkraft vorausgesetzt, wegen des geringen Wider- standes der Gefässwände mehr Blut in den Arm getrieben, die Gefässe werden beträchtlicher ausgedehnt. Daraus ist die grössere Volums- zunahme erklärlich.

Winternitz konnte also durch seine Experimente ad oculos demon- striren, dass bei Eintauchung eines Körpertheiles in warmes Wasser viel grössere Blutmengen mit jeder Herzsystole in denselben hinein- strömen, dass in den Intervallen viel mehr Blut aus dem betreffenden Theile durch die Venen abfliesst.

Uebrigens lassen nach Jacob*) auch indifferente Bäder die Circu- lation nicht ganz unbeeinflusst. Gewöhnlich ist die Haut um 5 bis 10° C. kühler als die Achselhöhle, die gewöhnliche Indifferenztemporatur des Bades von 35-36° C. erhöht nun die Hauttemperatur bis nahezu zu der der inneren Kegionen, indem diese gewöhnUch um 0.5-P C. fällt und jene um mehrere Grade steigt, so dass die Differenz zu Gunsten des Centrums oft nur 0.5° C. beträgt. Dieses Sinken der Innen- und Steigen der Aussentemperatur bedeutet Beschleunigung

*) ViRCHOw's Archiv Bd. XCVI,

43a

des Blutlaufs, welche meist von einer gewissen Verminderung der Pulsfrequenz begleitet ist, eine Entspannung der Muskeln und eine Belebung der Tastnerven und Beruhigung der Wärme- und Schmerz- nerven zur Folge haben muss.

Indem das warme Bad die Haut mit einem überall gleich mässig temperirten Medium umgiebt, nimmt es dem Wärmeverlust das zeit- lieh und räumlich Schwankende und wirkt so beruhigend, und dies ist eine therapeutisch zu verwendende Eigenschaft. Vermuthlich findet auch hier das für motorische Nerven gültige Gesetz, wonach Qaellung der peripherischen Nervenendigungen ihre Erregung herabsetzt, Yer- trocknung sie steigert, seine Anwendung. Wenigstens hält csHeyman*) für mögüch, dass der beruhigenden Wirkung der warmen Bäder die durch das Auflösen der Perspiration im Bade bedingte Zurückhal- tung der Feuchtigkeit und dadurch hervorgerufene Quellung der KiiAUSE'schen Endkolben und der MEissNER'schen Tastkörperchen zu Grunde liegt, wodurch eine Sistirung der Molekularbewegung in den Nervenendigungen und dadurch der Anstoss zu einer allgemeinen Beruhigung des Nervensystems hervorgerufen wird.

In dem Eingangs erwähnten Vortrag führte ich als Illustration das Beispiel Napoleon's an, der auf St. Helena, als die Einförmigkeit seines Lebens fast nur durch die Schmerzen, die ihm sein Krebsleiden verur- sachte, unterbrochen wurde, Erleichterung fand, indem er Stunden, ja ganze Tage lang im warmen Bad blieb.

Es ist anzunehmen dass das permanente Bad auch gegen Ischias sich bewähren wird.

Man kennt zahlreiche physiologische Facta, welche die Anschauung stützen, dass eine Wasserentziehuog die Nerven erregt, langsame Wasseraufnahme die Reizbarkeit herabsetzt. Hierher gehört auch die anaesthetische Wirkung der hypodermatischen Wasserinjectionen,

Der thermische Nervenreiz, während er die Schmerzempfindung herabsetzt, regt zugleich eine reflectorische Mehrzersetzung vor- waltend im Muskel an. Für schmerzhafte Muskelermüdung nach heftigen Anstrengungen giebt es kein besseres Mittel als ein warmes Bad. Selbst hohe Wärmegrade wirken erfrischend. Die Müdigkeit der Muskeln beruht auf der übermässigen Ansammlung der Producte ihrer Function, zu deren weiterer Oxydirung und Ausscheidung ein Mass des Stoffwechsels erfordert wird, wie es die ermüdete Muskel- faser nicht mehr leisten kann. Die specifische Wirkung des warmen Bades ist die augenbhckliche Erleichterung der Oxydation. Ohne das warme Bad würde diese Erleichterung erst nach einer körperlichen Ruhe von Stunden oder Tagen erzielt werden. Ich weiss auch hierfür kein passenderes Beispiel als das Napoleon's, welcher nach einem Schlachttage anstatt der Bettruhe und des Schlafes ein warmes Bad zu nehmen pflegte, um in der Nacht den Marsch fortzusetzen und am anderen Tag die zweite Schlacht zu liefern. Als er am Morgen des

*) ViBCHOw's Archiv Bd. L.

m

21. Juni 1815 direct vom Schlachtfelde von Waterloo im Hofe des Elisee ankam und aus dem Wagen stieg, stützte, er sich, ganz erschöpft auf den Arm Caulaincourt's und verlangte nach einem warmen Bad. Er war sechs Tage lang fast beständig zu Pferde gewesen. Während er im Bad war kam Davout zweimal zu ihm, ihn zu drängen sich zu den versammelten Ministern zu verfügen. Da war keine Zeit für längere Euhe gegeben, das warme Bad allein vermochte ihn zu sofor- tigen weiteren Anstrengungen zu befähigen.

Die Veränderungen des physicalischen und chemischen Zustandes der Gewebe, die Steigerung der organischen Functionen, die Beschleu- nigung des Blutkreislaufs, die Erweiterung der Gefässe, alles dies beruht auf einer speciüschen Wirkung des warmen Bades auf die Innervation. Der durch thermischen Eeiz in den Nervenendigungen hervorgebrachte Effect macht sich an der Contactstelle in den von den abgehenden centripetalen Bahnen und im Centraiorgan selbst, sowie von dort aus fortgeleitet centrif ugal in motorischen Bahnen geltend.

Dieser Reiz bedingt aber auch Veränderungen der Innervation an der Contactstelle selbst wie in allen zu dieser in Beziehung stehenden motorischen und tropischen Fasern sobald sie durch Fortleitung oder Keflex in das Reizungsgebiet fallen. Es darf übrigens der Einfluss auf die motorischen Fasern nicht blos als ein reflectirter betrachtet werden, denn auch an der Applicationsstelle finden sich überall zahl- reiche Gangliengeflechte, so dass die Vermuthung nahe liegt, dass diese Ganglien als eben so viele peripherische Centra fungiren kön- nen, welche die von ihnen versehenen Gebilde direct beeinflussen, ohne eines höheren Impulses vom Gehirn und Rückenmark zu bedürfen.

Der thermische Reiz wird, wie wir gesehen haben, wie jeder andere Nervenreiz nicht nur die Innervation erhöhen, also direct reizend wirken, sondern vermag auch den entgegengesetzten Effect hervorzu- bringen, die Reizbarkeit herabstimmeu, beruhigen. Dies geschieht je nach der Stärke oder Dauer ein und desselben Agenses, wobei es sich in manchen Fällen um Uebermüdung oder um Erregung von Hemmungsnerven handeln kann.

Kälte sowohl als Wärme können auf den Stoffwechsel einen ver- langsamenden aber auch beschleunigenden Einfluss ausüben.

Der Grad der primären Stoffwechselbeschleunigung unter Wärme- entziehungen — während anhaltender Temperaturherabsetzung tritt Verlangsamung des Stoffwechsels ein ist abhängig von dem Grade des reflectorisch erregten Muskeltonus oder der so erregten Muskel- contraction. Je grösser, innerhalb gewisser Grenzen der thermische Nervenreiz ist, desto beträchtlicher wird unter sonst gleichen Umstän- den die reflectorische Beschleunigung des Stoffwechsels sein.

Wenn ich eine erschöpfende Abhandlung geben wollte, würde ich noch sehr ausführlich die Wirkung der warmen Bäder auf den Stoff- wechsel besprechen müssen, ich würde von der vermehrten Harnstoff- bildung unter ihrem Einfluss, der veränderten Oxydation bei den ver- schiedenen Temperaturen der Bäder, über , das was uns die angesteil-

435

ten Stofifwechseluatersuchungen gezeigt, zu berichten haben. Ich wünsche mich jedoch nicht soweit zu ergehen und will nur erwähnen, dass, obwohl klinische Thatsachen feststehen, es dennoch viel an Stoffwechseluntersuchungen fehlt. Die Resultate der verschiedenen Stoffwechseluntersuchungen sind von Leichtenstern in seinem Hand- buch der Balneotherapie, welche einen Theil des Handbuchs der allge- meinen Therapie von Ziemssen bildet, zusammengestellt und kritisch beleuchtet worden. Wir wollen festhalten dass die durch die Bäder hervorgerufenen Erregungen der peripherischen Nerven, wie wir an unserem Falle gesehen haben, günstig auf die Resorption abgelagerter krankhafter Producte durch Vermehrung der Blutfülle der Haut und Entlastung der blutüberhäuften tiefer gelegenen Theile, und durch Beschleunigung der Circulation wirken.

NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für praktische Aerzte in Amerika. Eedigirt von Dr. f. C. heppenheimer.

EDITORIELLE NOTIZEN.

15. November 1892.

Zur Frage der Wasserversor^ng.

Das Trinkwasser hat von jeher eine grosse Rolle in der Aetiologie der Infectionskrankheiten gespielt; doch ist diese Frage noch mehr in den Vordergrund getreten, seitdem durch R, Koch die Cholera- bacillen entdeckt wurden und von demselben Forscher im Wasser von einem Tank aus Saheb-Bagan zur Zeit einer Choleraepidemie constatirt wurden.

Die letzte Choleraepidemie hat geradezu experimentell den Nach- weis geliefert, dass wirklich das Flusswasser der Hauptträger der Cholerakeime sei. Das Experiment war folgendes : Hamburg und Al- tona sind kaum als von einander getrennte Städte zu betrachten ; beide liegen dicht bei einander und sind durch Handel und Verkehr mit einander eng verknüpft ; der einzige Unterschied besteht in der Art der Wasserversorgung ; Hamburg bezieht sein Wasser direkt aus der Elbe ohne Filter Vorrichtung. Altona dagegen wird vom selben Fluss mit Wasser versorgt, jedoch -unter Zuhilfenahme eines Sandfilters. In Hamburg lüar eine schwere CJioleraepideynie, in Altona kamen nur ein- zelne, wahrscheinlich verschleppte, Choleraerkrankungsfälle vor- Durch diesen Umstand wurden zwei Punkte klar gestellt : 1. Das Elb Wasser in Hamburg war die Ursache der Choleraepidemie ; 2. Das- selbe Wasser war nicht mehr schädUch nach Passirung der Altonaer Filtrirwerke.

436

Trotz dieses gutea Resultates der Sandflltervorrichtung sieht sich Prof. C. Eraenkel veranlasst, in der Deutschen Medicinischen Wochen- schrift (1892, No. 41) auf seine und Piefke's Versuche hinzuweisen, welche zeigen, dass eine Sandfiltervorrichtung nicht immer genügt, um alle pathogenen Keime zurückzuhalten. Nach den Versuchen Fraenkel's und Piefke's geht bei ordnungsmässiger Handhabung der Filter, namentlich bei gehörig herabgesetzer Filtrationsgeschwin- digkeit (ungefähr 100 mm. in der Stunde) nur etwa der tausendste Theil der im Schmutzwasser vorhandenen Mikroorganismen durch die Filter hindurch. Dadurch wird die Gefahr im gegebenen Falle ausser- ordentlich verringert, aber keineswegs aufgehoben.

Die Flusswasserversorgung hat ausser diesem von Fraenkel be- tonten Fehler noch einen anderen, nämlich die hohen Temperatur- schwankungen. Das Trinkwasser soll stets den Charakter eines Ge- nussmittels haben, und um dieser Aufgabe gewachsen zu sein, muss dasselbe einen guten Geschmack haben ; dieser letztere wird bedingt 1. durch den Härtegrad, 2. durch geringe Mengen absorbirter Kohlen- säure, 3. hauptsächlich durch die rechtmässige Temperatur desselben. Das entscheidende Moment für den Wohlgeschmack eines Trink- wassers ist seine Temperatur, welche nicht viel über C. sein darf. Das Oberflächenwasser würde sonach, selbst in gereinigtem Zu- stande, nicht seine Aufgabe als gutschmeckendes Trinkwasser erfüllen können, da dasselbe im Sommer einen zu hohen Wärmegrad hat.

Mit Eücksicht auf all diese Punkte tritt C. Fraenkel für den Ge- brauch des Grundwassers ein, das frei von allen angeführten Mängeln sei. Dieser Bakteriologe äussert sich über das Grundwasser und dessen praktische Einf ülirung folgendermassen : „Das unter unseren Füssen im Boden aufgespeicherte Grundwasser ist schon in verhält- nissmässig geringer Tiefe völlig steril, d. h. von lofectionsstoffen unbe- dingt frei, und bedarf also keiner weiteren Reinigung ; es ist ein hartes und die mittlere Jahrestemperatur des Entnahmeortes, bei uns etwa 9°, aufweisendes und desshalb ausserordentlich schmackhaftes Wasser. Warum wird es nicht ganz allgemein an Stelle des Oberflächenwassers benutzt? Einmal kommt hier wohl in Betracht, dass man lange Zeit hindurch gerade das Grundwasser in unmittelbare Beziehungen zur Entstehung der gefürchtetstenlnfectionskrankheiten gebracht hat, und dass deshalb in vielen, namentlich den älteren Köpfen häufig noch ein sehr lebhaftes Misstrauen gegen das Grundwasser überhaupt spukt. Dann wird bezweifelt, dass das Grundwasser in ausreichender Menge vorhanden sei, um grössere Ansprüche zu befriedigen, und Herr Gill beispielsweise äussert sich dahin, dass „die competenten geologischen und hydrologischen Autoritäten sich dahin ausgesprochen haben, dass für eine Stadt wie Berlin auf die Gewinnung genügenden Wassers aus dem Untergrund der weiteren hiesigen Umgegend für die Dauer nicht zu rechnen sei," Nun sind die Gründe, welche die kompetenten Auto- ritäten zu dieser Anschauung veranlasst haben, aber rein theoretischer Natur und auf dem Papier, aus einer Berechnung der jährlichen

Niederschlagsmengen, des Niederschlagsgebietes u. s. w. aufgebaut. Die Praxis scheint jedoch gerade das Gegentheil beweisen zu wollen. Ich kenne einfache Röhrenbrunnen (Flachbrunnen) mitten in den beleb- testen Theilen Berlins, welche Wasser genug liefern, um die Dampf- spritze ohne jede Unterbrechung speisen zu können ; ich habe einem derartigen Brunnen nahezu 10 Stunden hindurch unausgesetzt Wasser entnehmen lassen, ohne dass der Spiegel desselben im Brunneurohr auch nur um 1 mm. gefallen w^äre ; und endlich, und das ist wohl das entscheidendste, es ist nahezu kein einziger Fall bekannt geworden, wo eine eigentliche Grundwasserversorgung selbst bei grösseren Städten hinsichtlich ihrer quantitativen Leistung versagt hätte. Wenn z. B. Leipzig aus den 140 Brunnen seiner Grundwasseranlage täglich 30,000 cbm. Wasser ohne Schwierigkeit entnimmt, wenn z. B. Frankfurt a. M. eine neue grossartig ausgeführte Grundwasserversorgung mit einer täglichen Production von 15,000—18,000 cbm. besitzt, so sollte man meinen, dass die Möglichkeit, auch an anderen Orten ähnlich günstige Verhältnisse zu schaffen, immer und immer wieder in Betracht gezogen werden müsste."

REFERATE.

Pathologe und Bakteriologie. Referirt von Dr. LOUIS HEITZMANN.

Versuchsresultate über die Wirkung des Tuberculins auf die Impftuher- culose des Meerschweinchens und Kaninchens. Von Dr. K. Yama- giwa. (Virchow's Archiv, Band 129, Heft 2.)

Y. hat bei 15 Meerschweinchen und 17 Kaninchen Versuche über die Wirkung des Tuberculins auf die Impftuberculose angestellt. Sämmtliche Thiere bekamen je eine Platinöhse der Eeincultur von Tu- berkelbacillen am Bauche subkutan eingeimpft ; mit der subkutanen Einspritzung von Tuberculin wurde vom 7. bis zum 28. Tage nach der Impfung angefangen. Die Kesultate seiner Versuche fasst V. folgen- dermassen zusammen :

1) Der tuberculöse Prozess bei der Impftuberculose des Meer- schweinchens und des Kaninchens kann ohne Rücksicht darauf, ob das Thier mit Tuberculin (und zwar frühzeitig) behandelt worden ist oder nicht, ruhig weiter fortschreiten. Anders ausgedrückt : die Ein- spritzung des Tuberculins ist nicht im Stande, das Thier vor der weiteren Infection der Organe zu schützen ; doch wird die Verbreitung .des tuberculösen Prozesses innerhalb des thierischen Körpers durch Tuberculinbehandlung nicht besonders begünstigt.

2) Was directe Beeinflussung des Tuberculins auf Localheerde an- betrifft, konnte nirgends eine sofortige Wirkung desselben im Sinne des Nekrotisirens beobachtet werden. Nur in dem tuberculösen Gewebe der Milz der behandelten Meerschweinchen scheint die Kalkinflltration früher einzutreten, als bei Controlthieren. Auch Ablagerung vom braunen Pigment im tuberculösen Gewebe der Milz, konnte bei sämmt- lichen Versuchsthieren der ersten Versuchsreihe beobachtet werden.

3) Wenn auch nicht immer auffallend, so schien doch die Rund- zelleninfiltration um und auch in Tuberkelheerden, welche schon eine gewisse Grösse erreicht hatten, bei behandelten Thieren stärker zu sein.

438

4) Die einzige Thatsache, welche vielleicht als günstige "Wirkung des Tuberculins betrachtet werden dürfte, ist die, dass die Impfstelle bei zwei behandelten Kaninchen bis zum fast geheilten Zustande gekom- men ist.

5) Tuberkelbacillen im metastatischen Heerde der Lunge (eines behandelten Kaninchens) waren im Stande, nach Uebertragung auf ein Meerschweinchen, sich weiter zu entwickeln.

Ein neuer Fall von Hermaphrodismus verus. Von Dr. Messner.

(Virchow's Archiv, Band 129.)

Es handelt sich um eine Zwitterbildung bei einem 31 Jahre alten und seit 7 Jahren in anscheinend glückhcher Ehe als Mann verheira- theten Menschen. Ein Kind, welches der Ehe entsprosste, starb im dritten Lebensjahre. Der Zwitter wurde als Knabe getauft und erzo- gen. In seinem 15. Jahre entwickelten sich die Brüste in ganz exces- siver Weise. In seinem 21. Jahre stellten sich spontane Blutungen aus der Harnröhre, mit heftigen Schmerzen im Leibe, richtige Molimina menstrualia, ein, welche seither alle 4 Wochen wiederkehren und Jedes- mal 3 4 Tage andauern. Der nackte Körper würde bei verdeckten äusseren Genitalien von Jedem nach seinem Habitus als ein weiblicher bezeichnet werden. Die äusseren Genitalien hingegen bieten einen ganz männlichen Typus, indem sie das Aussehen eines mit Hypospadie und Ectopia testiculorum behafteten Individuums haben. Nur die Art der Behaarung des Möns veneris erinnert an das weibliche Ge- schlecht. Unterhalb des Schambogens tritt in der Mitte ein ziemlich gut entwickelter hypospadischer Penis hervor, dessen Länge von der Wurzel bis zur Spitze 6 Cm. beträgt. Dieser Penis ist erectionsfähig ; er wird dann 9 10 Cm. lang und noch einmal so dick als im schlaffen Zustande. Die 2 Cm. lange Eichel wird theilweise von einer Haut- duplicatur bedeckt, welche ohne Weiteres als Präputium aufgefasst werden darf. Das Erenulum spaltet sich an der unteren Fläche der Eichel in zwei Schenkel, welche als flache Wülste die Geschlechtsfurche einfassen. Die eigentliche äussere Oeffnung der röhrenförmigen Urethra, bezw. des Sinus urogenitalis, befindet sich 3 Cm. nach hinten von der Spitze der Eichel an der unteren Fläche des Penis. Derselbe hat deutliche Corpora cavernosa. Ein eigentlicher Hodensack existirt nicht ; die Hoden sitzen über dem Penis rechts und links davon im Leistenkanal. Der rechte ist gut entwickelt. In der linken Inguinal- gegend ist das dort liegende Gebilde viel kleiner und kann nicht mit Sicherheit als Hoden angesprochen werden ; möglicherweise stellt es ein Ovarium dar. Durch combinirte Untersuchung vom Rectum und von aussen konnte das Vorhandensein einer normalen Prostata con- statirt werden. Bei weiterem Vordringen des untersuchenden Fingers gelangt derselbe auf der rechten Seite hinten im kleinen Becken an ein plattgedrücktes, etwa kirscheugrosses ovaläres Organ, welches deut- lich abgetastet werden kann, und konnte V. mit grosser Wahrschein- lichkeit annehmen, dass dieses Organ nach Grösse, Lage und Form als rechtsseitiges Ovarium anzusprechen ist. Auf der linken Seite konnte etwas Aehnliches nicht gefunden werden ; ebensowenig irgend etwas das als rudimentärer Uterus hätte gedeutet werden können. Das Sperma hat ein vollkommen normales Aussehen, nur fehlt der charakteristische Geruch und mikroskopisch waren keine Spermatozoen nachzuweisen. Hoden und Eierstock haben in diesem Fall einen hohen Grad der Entwicklung erreicht, wie er sonst bei Zwittern nicht vor- kommt.

m

iTeber Epidemien unter den im hygienischen Institut zu Greifswalde gehaltenen Mausen und über Bekämpfung der Feldmausplage. Von Prof. F. Loeffler. (Centralblatt für Bakteriologie und Parasi- tenkunde. Band XL, No. 5.)

In einem 45 Mäuse enthaltenen Behälter im hygienischen Institute zu Greiswald starben im Laufe von vier Wochen 31 davon. Fast alle todten Mäuse wurden angefressen gefunden, und dieser Umstand er- weclfte den Verdacht, dass die Infection durch Aufnahme des Krank- heitserregers per OS entstanden und fortgepflanzt sei. Bei der Ob- duktion zeigte sich fast konstant ein Milztumor ; die Leber war meist parenchymatös getrübt, zeigte gewöhnlich einen starken Fettgehalt und bot iiin und wieder kleine gelbliche Flecken dar ; auch Magen und Darm zeigten vielfach Veränderungen. Die bakteriologische Unter- suchung ergab bei sämmtlichen Mäusen ein übereinstimmendes Ergeb- niss. Ls fanden sich in Ausstrichpräparaten von Leber und Milz zahl- reiche kurze Bacillen, welche in ihrem Verhalten an die Typhusbacillen erinnerten. Mit Hülfe der Kulturmethode wurde aus sämmtlichen Mäusen der gleiche Bacillus gewonnen, welchen L. Bacillus typhi murlum nennt. Der Zeitraum von der Infection bis zum Tode der Maus wurde experimentell auf 1—2 Wochen festgestellt. Durch Experimente wurde erwiesen, dass die Feldmaus, Arvicola arvalis, mindestens ebenso empfänglich für den Bacillus ist, wie die weisse Hausmaus, und hält V. eine wirksame Bekämpfung der Feldmäuse mittelst des von ihm ge- fundenen Bacillus für leicht durchführbar. Alle anderen mit dem Ba- cillus geimpften Thiere, Katzen, Ratten, Singvögel, Tauben, Hühner, Meerschweinchen, Kaninchen u. s. w., erwiesen sich unempfänglich. Wie die Epidemie entstanden ist, war nicht zu ermitteln.

Die Feldmausplage in Thessalien und ihre erfolgreiche Bekämpfung mittels des Bacillus typhi murium. Von Prof. F. Loeffler. (Central- blatt für Bakteriologie und Parasitenkunde. Band XII., No. 1.)

Von der] griechischen Regierung aufgefordert, die Vertilgung der Myriaden von Feldmäusen, welche in der Ebene von Thessalien die gesammte Ernte bedrohten, mittels seines Bacillus typhi murium zu versuchen, bereitete L. eine grössere Anzahl von Agarkulturen des Bacillus und machte sich mit einem Assistenten auf den Weg nach Griechenland. Obwohl er die Versicherung erhalten hatte, dass die in Thessalien lebende FeMmaus die Arvicola arvalis sei, welche Gattung allein sich als empfänglich für den Bacillus erwiesen hatte, sah er auf den ersten Blick, dass die thessalischen Feldmäuse verschieden waren. Sofort angestellte Experimente jedoch zeigten, dass diese Mäuse noch empfänglicher für den Bacillus waren, als die Arvicola arvalis, indem alle geimpften und gefütterten Mäuse schon nach einigen Tagen star- ben. Bei den Versuchen in Greifswalde hatten sich Abkochungen von Hafer- und Gerstenstroh als sehr geeignet für die Kultur erwiesen und Hessen sich durch Zusatz von 1 Proc. Pepton und ^ Proc. Traubenzucker zu diesen Dekokten sehr geeignete Nährsubstrate gewinnen. Es wur- den vier grosse, milchkannähnliche Gefässe von je 60 Liter Inhalt aus Weissblech angefertigt, in diese die Strohabkochung gefüllt, neutrali- sirt und sterilisirt, sodann mit einer Reinkultur der Bacillen inficirt. Nach zwei Tagen waren die Bacillen in reichlicher Menge zur Entwick- lung gelangt. Es wurden ebenfalls 412 Röhrchen mit Agarkulturen hergestellt. Loeffler's Plan war der, mit den bacillenhaltigen Kultur- flüssigkeiten flngergliedgrosse Stücke trockenen, womöglich weissen Bredes zu tränken, und diese Brodstücke in die Mäuselöcher einzubrin- gen. Prassen die Mäuse das Brod, so mussten sie verenden, durch die bacillenhaltigen Dejectionen und Anfressen der todten Mäuse musste

#

440

dann die Krankheit weiter übertragen werden. Das Resultat war ein glänzendes. Schon nach wenigen Tagen lief von allen Seiten die Nach- richt ein, dass das Brod aus den Löchern verschwunden sei, und einige Tage später hörten die Zerstörungen auf den Feldern auf. Bald wur- den todte Mäuse ausserhalb der Löcher oder auch in den Löchern stecliend gefunden ; auch halbtodte Mäuse wurden angetroffen. Alle untersuchten Mäuse boten die pathologisch-anatomischen Veränderun- gen des Mäusetyphus dar und enthielten in ihren Organen die charak- teristischen Bacillen in reichlicher Menge. Somit war die Infection der Mäuse mit Sicherheit konstatirt. Nach einigen Wochen zeigte es sich, dass der Erfolg ein vollkommener war.

Die Mischinfektionen bei den akuten Eiterungen. Von Dr. Sergi Trombetta. (Centraiblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde. Band XII., No. 4.)

Um die Frage zu beantworten, inwieweit die Mitbetheiligung von Bakterien verschiedener Art die pathogenen Eigenthümlichkeiten der pyogenen Bakterien beeinflusst, stellte V. bei Kaninchen eine Reihe von Versuchen an und gelangte zu folgendem Resultat : Mischinfektio- nen begünstigen die Eiterung in allen Fällen. Wenn die Bakterien, die zusammen wirken, attenuirte Pyogenen sind, so erzeugen sie Absce- dirung, die allerdings von jedem Mikroben resp. nicht veranlasst wer- den könnte. Die nicht pathogenen Mikroorganismen geben dem attenuirten Staphylococcus seine Wirksamkeit wieder. Die Wirksam- keit dieser Mikroben nimmt bei Mitbetheiligung dieser Saprophyten ersichtlich zu. Diese Zunahme äussert sich dadurch, dass die Abscesse in diesem Falle viel rascher und leichter vor sich gehen. Die specifi- schen pathogenen Bakterien (Typhus-, Tuberkelbacillen, Erysipel) be- günstigen ebenso die Eiterungsprocesse.

Ein einfaches Verfahren zum Nachweis der Tuberkelbacillen im Aus- wurf. Von Dr. P. Kaufmann. (Ebenda.)

K. bedient sich des siedenden Wassers zur Entfärbung statt der Säuren. Das auf dem Deckglas angetrocknete und in Alkohol oder über der Flamme fixirte Sputum wird mit heissem Carbolfuchsin ge- färbt. Sodann werden die Deckgläschen 1^ bis 3 Minuten in sieden- dem oder 98 bis 99 Grad C. heissem Wasser hin- und hergeschwenkt. Man kann nun, falls man nicht Kontrastfärbungen, die sehr gut gelin- gen, vornehmen will, ohne Weiteres im Wasser untersuchen und findet die Tuberkelbacillen dunkelroth auf grauweisslichem Grunde. Auf tuberkulöse Gewebe ist diese Methode wegen der mit derselben ver- bundenen starken Quellung resp. Koagulirung der Gewebstheile nicht anwendbar.

Gynaecologie.— Referirt von Dr. BRETTAUER.

Zur Behandlung der chronischen Beckeneiterungen : Die Resektion des Uterus. Von Dr. Theodor Landau. (Centralbl. für Gyn., 1892, No. 35.)

Vor einigen Jahren hat Pean den Vorschlag gemacht, bei allen chronischen Beckeneiterungen die vaginale Totalexstirpation des Uterus auszuführen. Second ist dem Rathe gefolgt und theilt eine Reihe von so operirten Fällen mit, deren Resultate befriedigende wa- ren. Dessenungeachtet fand Pean's Vorschlag keine allgemeine Auf- nahme, vielmehr sprachen sich die Mehrzahl seiner Landsleute dagegen aus, d. h. zogen die Inangriffnahme per laparotomiam vor. L. erwähnt nun der Incision von der Vagina aus als einer Methode, die in einzelnen

441

Fällen als die einzig richtige erscheint, und zwar bei der Scheide an* liegenden, entzündlichen Tumoren, die, wenn einkammerig, nach In- cision und Drainage überraschend schnell zur Heilung gelangen. Liegen jedoch zwischen Abscesshöhle und Vagina dicke Schwarten, so ist die^ vaginale Eröffnung, wenn auch nicht absolut ausgeschlossen, doch sehr schwierig und das Offenhalten der Incisionswunde oft nicht möglich. Die Gefahren der Laparotomie werden nun auch erheblich vermehrt durch die Nothwendigkeit, das schützende Dach von Darm- schlingen zu zerstören, und damit eine günstigere Bedingung für In- fection vom Bauchfelle aus herzuslellen. Für diese Fälle nun empfiehlt Landau die Resection des Uterus, d. h. soviel vom Uterus zu entfernen, dass die Abscesse zu den Seiten des Uterus frei mit der Yagina commu- niciren.

Die Operation beginnt mit der Abtragung des Gervix, worauf, je nach- dem es sich um ein- oder doppelseitige Affection handelt, mittelst Morcellement entlang einer oder beider Uteruskanten soviel vom Uterus entfernt wird, bis die Eröffnung des Abscess mittelst Scheere und Finger möglich wird.

Eventuelle Blutungen werden durch liegenbleibende Klammern ge- stillt und die Nachbehandlung den Principien der Offen-Wundbehand- lung gemäss ausgeführt.

Verfasser gibt nun die Krankengeschichten von zwei nach dieser Methode operirten und geheilten Fällen, bezüglich derer auf das Ori- ginal verwiesen wird.

Die Lage der Ovarialdermoide zum Utems. Von Dr. Hermann W. Freund. (Centralbl. für Gyn., 1892, No. 31.)

Küster theilte eine Beobachtung mit, der zufolge eine kleine Der- moidcyste des Ovariums oberhalb der Symphyse, vor dem Uterus zu fühlen war, sich leicht bewegen liess, doch jedesmal sofort in ihre ur- sprüngliche Lage zurücksank. Ahlfeld, der ähnliche Fälle beobach- tete, hält diese Erscheinungen für wichtige diagnostische Behelfe zur Erkennung von Dermoiden, und nennt das Zurückschnellen des Tumors das „Küster'sche Zeichen".

Freund sucht nun die beiden Symptome zu erklären und nimmt 3 Möglichkeiten an, wie die abnorme Lage des Tumors zu Stande kom- men kann.

Entweder wird das degenerirte Ovarium während einer Schwanger- schaft dislocirt und durch entzündliche Adhäsionen am Zurücksinken verhindert, oder es wird ein normales Ovarium aus demselben Grunde verlagert, und degenerirt später. Die dritte ist eine angeborene Ver- lagerung wie es sich ähnlich den Abnormitäten in der Lage des Hodens auch beim Descensus ovariorum leicht ereignen kann.

Gelegentlich der Behandlung von prolabirten Ovarien hat Freund die Beobachtung gemacht, dass dieselben bei Repositionsversuchen einen spiraligen Gang von innen nach aussen beschrieben und dann plötzlich an ihren angestammten Platz zurückschnellen.

Er deutet nun diese eigenthümlichen Symptome des Küster'schen Falles so, „dass diese Dermoide angeborener Weise ihren Sitz vor dem Uterus haben, während die befallenen Organe ihre natürlichen Eigen- schaften noch nicht so weit verloren haben, um nicht bei gewaltsamen Dislokationen immer wieder an ihren alten Platz zurückzuschnellen".

Three Cases of Extrauterine Pregnancy. Ligation of , Ureter. By'Geo. Erety Shoemaker, M. D. (Ann. of Gyn. and Paed., Vol. V., No. 11, 1892.)

Verf. gibt ziemlich ausführlich die Krankengeschichten von drei operirtea Fällen von extrauteriner Schwangerschaft. Beim ersten Falle

442

handelte es sich um eine Tubargravidität im frühesten Stadium. 16 Tage nach Ruptur des Sacl^es wurde erst operirt; die Blutung hatte aufgehört und der Sack war durch ein altes Coagulum das in der Riss- stelle steckte, vollständig abgeschlossen von der Peritonealhöhle, in der sich eine grössere Menge älterer Gerinnsel fanden. Heilung.

Im zweiten Falle wurde wegen vermutheter Salpingitis operirt und dabei ein geschlossener Fruchtsack der rechten Tube entfernt, dessen mikroskopische Untersuchung mit Sicherheit Placentargewebe nach- weisen Hess. Foetus wurde nicht gefunden. Linksseitiger Haemato- salpinx. Heilung.

Von grösserm Interesse ist jedoch der letzte Fall, bei dem die Diagnose in Narkose sicher auf nicht rupturirte rechtsseitige Tubar- gravidität gestellt wurde. Die Operation wurde auf den nächsten Tag verschoben. Wahrscheinlich in Folge der Untersuchung platzte der Sack, bevor der zur Operation festgesetzten Stunde. Bei derselben zeigte es sich, dass schon viel früher eine Ruptur in das Ligamentum latum stattgefunden hatte, und der Riss in die Peritonealhöhle noch blutete. Ausschäl ang des Sackes war mit grossen Schwierigkeiten verbunden, gelang jedoch, dabei wurde wie es sich bei der Sektion zeigte, der rechte Ureter abgebunden. In den ersten 24 Stunden nach der Operation wurden 41* Unzen Urin entleert, dabei war die Patientin in einem beständigen Aufregungszustand, der bis kurz vor dem nach 72 Stunden erfolgten Tode angehalten hatte.

Ovariotomy during Pregnancy. Report of two successful cases. By Henry Kreuzmann, M. D. (Am. Jour. of Obstetrics, XXVI, No. 2, 1892.)

K. berichtet über zwei Fälle von Gravidität im zweiten Monate complizirt durch grosse Ovarialcysten, die er operirte. Die eine der Frauen wurde am normalen Schwangerschaftsende entbunden, und die andere war zu Zeit als K. den Fall veröffentlichte schon so lange nach der Operation, dass von einem Einflüsse derselben auf den schwan- geren Uterus keine Rede mehr sein kann.

Nach kurzer Besprechung aller in Frage kommender Umstände entscheidet sich Verf. entschieden für Entfernung von Ovarialcysten auch während der Schwangerschaft, bemerkte jedoch, dass sich die Behandlungsweise nicht nach der Schablone, sondern nach dem ein- zelnen Falle richten müsse.

Innere Medicin.— Referirt von Dr. AD. ZEDERBAUM.

Ueber das Wesen und die Behandlung der Peritjrphlitiden. Von Prof. Sahli in Bern. (Corresp. Bl. f. Schweizer Aerzte, 1892, No. 19.)

Nach der Auffassung des Verfassers haben alle jene Entzündungen, die man mit dem Ausdruck der Perityphlitis im weiteren Sinne des Wortes zusammenfasst, das gemeinsam, dass sie auf einer Infection der Wand des Coecums and seiner Nachbarschaft vom Darmcanal aus beruhen. Die Verschiedenheit des Verlaufes und des Befundes bei der Untersuchung seien wesentlich Differenzen des Virulenzgrades der Ent- zündungen. Einen principiellen Unterschied zwischen Typhlitis ster- coralis und Appendicitis erkennt Verfasser nidd an, indem, nach seiner Ueberzeugung, die erstere als solche nicht existire und wahrscheinlich in den meisten Fällen nichts anderes sei, als eine wenig virulente Ap- pendicitis. Alle Autoren, die eine Typhlitis stercoralis annahmen, setzten stillschweigend voraus, dass jener bekannte Tumor, welchen man entsprechend der Form und Lage des Coecums constatirt, wirk-

443

lieh aus Kotli besteht, doch hat Niemand den Beweis hierfür erbracht» weil diese Fälle eben nicht operirt werden. Dieser Tumor setzt sich» nach S., zusammen aus der resistenten, zu solider Abkapselung führen- den Infiltration von Darmwand und Peritoneum, vielleicht mitunter auch aus kleinen abgekapselten Abscessen und serösen Exsudaten, möghcherweise zum Theil aus Fibrin. Der oft beobachtete spontane günstige Ausgang bei den verhältnissmässig wenig virulenten Formen komme zustande entweder durch Kesorption des Abscesses nach- dem die Entzündung zum Stillstand gekommen ist, oder durch günstige Perforation desselben nach aussen, in Darm, Blase u. s. w., und nicht in das Peritoneum, wie bei den schwer virulenten und stür- misch verlaufenden Perityphlitiden, wo eine Neigung zur Abkapselung vorhanden ist. Bei der Behandlung gilt für alle Fälle in erster Linie das wichtige Princip der Schonung der lädirten Theile, was erreicht wird durch absolute Ruhe und strenge Diät. Patienten mit Perityphli- tis sollen in der ersten Zeit nicht per os, sondern durch Klijstlere er- nährt werden (1 3 mal täglich ein Klystier von 200 Ccm. Fleischbrühe, 2—3 gut damit verrührten ganzen Eiern, einem Esslöffel pulverförmi- gen Peptons, ausserdem auf jedes Ei ein Gramm Kochsalz). Zur Stillung des Durstes soll Patient in der Zwischenzeit nach Bedürfniss auch noch Wasserklystiere von 300 Ccm. auf 40° erwärmten Wasser erhalten. In ganz schwierigen Fällen infundirt S. den Patienten in die Venen entsprechende Mengen von physiologischer Kochsalzlösung. Abführmittel, sowie hochgehende Klystiere sollen unter keinen Um- ständen angewendet werden. Einen sehr wichtigen Platz in der Peri- typhlitis-Behandlung weist S. dem Opium an, welches nicht nur symp- tomatisch, sondern auch curativ wirkt. Er empfiehlt es Anfangs in grösseren Gaben darzureichen, so dass P. möglichst rasch schmerzfrei wird, dann aber die Dosis sofort so zu mässigen, dass keine intensive Narcose, sondern bloss die Schmerzlosigkeit erhalten und das Er- brechen möglichst unterdrückt wird. Daneben ist die äussere Appli- cation von Kälte oder Wärme sehr zu empfehlen, und zwar für die früheren Stadien Eis, für die späteren, warme Umschläge, aber beides nur unter der Bedingung, dass P. damit nach seinem subjectiven Be- finden einverstanden ist. Was endlich die Indication zur operativen Behandlung anbetrifft, so ist die Operation in denjenigen Fällen in Be- tracht zu ziehen, wo der Arzt unter Berücksichtigung aller Symptome den Eindruck erhält, dass er durch die interne Therapie allein nicht zum Ziele kommt. Zu operiren sind : 1) Stürmische Fälle, wo man den Eindruck erhält, dass sich eine allgemeine Peritonitis oder Sepsis vorbereitet ; 2) Fälle, die durch das Ausbleiben eines deutlichen Er- folges der Therapie ihre Virulenz verratheu ; 3) Fälle, welche, ohne stürmisch zu verlaufen oder progressiv zu sein, eine gewisse Virulenz durch das Auftreten häufiger und schwerer Recidive vermuthen lassen, und endlich 4) Fälle, wo ein oberflächlicher Abscess durch die physi- kalische Untersuchung sichergestellt ist.

On Some of the Factors Contributing to the Development of Bright's Disease. By Dr. L. Bremer, in St. Louis. (The Med. Fortnightly, Jauuary 15th, 1891.)

Verf. beschäftigt sich hier ausschliesslich mit derjenigen Form der Nephritis, deren anatomisches Substrat die sogenannte rothe Schrumpf- niere bildet. Die Anfänge dieser schweren Krankheit sind meistens so schleichend und die Symptome so mannigfaltig, dass das Grundleiden von Aerzten nur zu oft übersehen wird, bis schliesslich ein unerwarteter urämischer Anfall in mehr oder weniger ernster Weise das Leben des Patienten auf einmal in grosse Gefahr versetzt. Durchmustert man die lange Reihe der verschiedenen Leiden, unter welchen sich diese

444

verhängnissvolle Krankheit im Anfange maskirt (Kopfschmerzen, Neu- ralgien, Asthma, Herzklopfen, dyspeptische Beschwerden, Epistaxis, Amblyopie, Ohrenleiden, rheumatoide Schmerzen u. s. w. u. s. w.) und berücksichtigt man noch den wichtigen Umstand, dass bei dieser Ne- phritisform oftmals im Beginne Hydrops fehlt und auch kein Albumen im Harne nachzuweisen ist, so ist es begreiflich, dass P. nicht selten gegen Leiden behandelt wird, die mit seiner Grundkrankheit gar nichts zu thun haben. Und gerade weil die Krankheit verkannt wird, ge- schieht es, dass P. nicht rechtzeitig und energisch dazu angehalten wird, sich vor der weiteren Entwickelung derselben zu schützen und seine Lebensweise die ja in diesen Fällen eine so wichtige Rolle spielt entsprechend zu modificiren. Die Klagen des P. werden mit „Neurasthenia", „Nervöser Dyspepsie" und anderen derartigen Namen, „die eine Anzahl von diagnostischen Sünden" decken, belegt : man schickt ihn in's Gebirge, oder in's Seebad, lässt ihn turnen, fischen, auf die Jagd gehen, entreisst ihn dem geregelten häuslichen Leben, welches er mit dem Wandern von Hotel zu Hotel verwechselt Alles Dinge, die gerade für seinen Zustand so schädlich sind und die weitere Entwickelung seiner Krankheit fördern. Leider handelt es sich dabei gewöhnlich um Personen, die im besten Alter stehen zwischen 40 und 45 Jahren. Wenn hier nicht rechtzeitig der richtige Weg eingeschlagen wird, so ist das Schicksal des P. besiegelt. Es ist daher von der aller- grössten Wichtigkeit, in Fällen, wo die Klagen des P. vager Natur sind, sorgfältig seine Gesundheit zu prüfen und möglichst früh eine richtige Diagnose zu stellen, und ferner, nach streng wissenschaftlichen Princi- pien die Behandlung von Yorne herein in hygienischer, diätetischer und rein therapeutischer Beziehung derart zu leiten, dass einem weitern Umsichgreifen der Krankheit entgegengesteuert werde. Letz- teres kann, nach B.'s Erfahrungen, sicherlich in einer grossen Anzahl von Fällen erreicht werden.

The Analo^y "between Acute IdiopatMc Pleuritis and Acute Articular Rheumatism. By Dr. E. L. Shurly, in Detroit. (The Journal of the Amer. Med. Ass., July 30th, 1892.)

Auf die Verwandtschaft der genannten Krankheiten hat bereits Vallieux im Jahre 1854 aufmerksam gemacht. Von anderen Autoren hat besonders Davis in London aiese Identität mehrmals hervorgeho- ben. Die theoretische Grundlage für diese Annahme stützt sich, erstens, darauf, dass sowohl die Pleura, als die Synovialmembranen der Gelenke entwickelungsgeschichtlich aus dem Mesoblast stammend, welches das Material für die endotheliale Auskleidung aller geschlosse- nen Körperhöhlen liefert, und, zweitens, darauf, dass ein gewisser Zu- sammenhang in der Entstehung dieser beiden Krankheiten in den meisten Fällen nachzuweisen ist. Pleuritis sowohl, als Pericarditis treten sehr oft neben rheumatischen Affectionen auf; sie werden leicht übersehen, wenn der Gelenkrheumatismus durch seine klinischen Symptome mehr in den Vordergrund tritt. Es ist ja überhaupt be- kannt, dass speciell Pleuritis sehr oft lange oder auch gar nicht er- kannt wird, wenn nämlich ihr Verlauf nicht stürmisch ist und dem P. keine Beschwerden verursacht. Nicht immer sind auch die physikali- schen Zeichen so ausgeprägt, dass man mit Sicherheit die Diagnose stellen kann. Der Zufall spielt auch hier manchmal eine Rolle, wie es in einem Falle von Sh. war : nachdem er erfolglos bei einem Rheuma- tiker die ganze Brust mehrere Mal untersucht hatte, legte er noch sein Ohr an die intraclaviculare Gegend an und entdeckte hier ein leichtes pleuritisches Reiben. Der weitere Verlauf des Falles bestätigte voll- kommen den ursprünglichen Verdacht auf Pleuritis. Aber auch die Resultate der Behandlung sprechen dafür, dass Pleuritis und Gelenk-

445

rheumatismus aus einer Quelle entstammen : man sieht nämlich nicht selten, dass mit der Besserung der Gelenkkrankheit der pleuritische Erguss und die sonstigen Zeichen der Brustfellentzündung mit erstaun- licher Rapidität verschwinden. In einem Falle von Sh., wo fast die gesammte linke Pleura und das Pericard erkrankt waren, stellten sich erst am zehnten Tage Erscheinungen von Gelenkrheumatismus ein : eine energische Behandlung mit Natr. salicyl. besserte gldcJizeitig beide Zustände ! Köster (Ther. Monatshefte, Mai 1892) betonte erst neulich, dass es wünschenswert!! wäre, pleuritische Ergüsse öfters als es bisher geschieht mit Salicylpräparaten zu behandeln ; namentlich in frischen Fällen sollen letztere Vorzügliches leisten. Ein weiterer Umstand, der für die Verwandtschaft der hier behandelten Krankheiten spricht, ist der, dass Beide merkwürdigerweise in gewissen Gegenden mit der- selben Häufigkeit vorkommen : wenigstens hat Verf., auf Grundseiner Nachfragen, entschieden sich überzeugen können, dass in Districten, wo der Gelenkrheumatismus vorherrscht, auch sehr viele Fälle von Pleuritis beobachtet werden.

Zur Aetiologie der Cystltis. Von Dr. Johannes Müller in Würzburg.

(Virchow's Arch., Bd. 129, Heft II.)

M. stellte sich zur Aufgabe, durch Versuche die Frage aufzuklären, ob wirklich der Ammoniakproduction eine fundamentale Rolle in der Aetiologie der Cystitis zugesprochen werden müsse. Er kommt zu dem Schlüsse, dass in der überwiegenden Mehrzahl der Cystitiden die pathogenen Mikroorganismen nicht mit harnstoffzersetzenden Eigen- schaften ausgestattet sind, dass ferner in den relativ seltenen Fällen von ammoniakalischer Harngährnng innerhalb der Blase dem Am- moniakgehalte des Urins nur die Stelle eines gleichzeitigen begleiten- den Umstandes, aber keine ätiologische Bedeutung zugeschrieben werden darf, und dass schliessHch die durch Bacterieninvasion hervor- gerufenen Blasenveränderungen von noch nicht näher bekannten Stoffwechselprod ucten abhängig gemacht werden müssen, welche, je nach der Wirkung der betreffenden Microorganismen, eine Cystitis leichteren oder schwereren Grades hervorrufen.

Allerlpi.

Der "berühmte Chirurg am Hotel Dieu in Paris, Prof. Verneuil beab- sichtigt in nächster Zeit von seinem Posten aus Altersrücksichten (er steht im 69. Lebensjahre) zurückzutreten. Prof. Verneuil, welci.er eine glänzende Laufbahn hinter sich hat, darf fast alle jüngeren Chirurgen der französischen Schule zu seinen Schülern rechnen. Er war auch einer der Ersten in Frankreich, welche die antiseptische Methode dort zur Geltung brachten. Als sein Nachfolger wird der bekannte Chirurg am Hospital Pitie, Prof. Lefort, genannt.

Nach einer Mittheilung von Dr. E. G. West in Boston, hat sich das Antipyrin als unübertreffliches Mittel gegen Nasenbluten bewährt. In akuten Fällen sättigt er einen Baumwollenpfropf mit Antlpyrinlösung oder Pulver und bringt ihn in das Nasenloch. Dies half in ailen Fällen sofort, ohne die Bildung jener lästigen Blutgerinnsel, wie sie die Appli- kation von Eisenlösung bewirkt.

Am 17. Dacember d. J. wird die Deutsche Medicinische Gesellschaft der Stait New York im Arion ein Stiftungsfest— mit Damen und Gästen— ablialten. Das Couvert (ohne Wein) beträgt $1.50. Die Mit-

446

glieder werden eingeladen, sofern dies nicht schon geschehen ist, ihre Namen und die Zahl der Couverts in den, während der Sitzung aufge- legten Subscriptions-Bogen einzutragen. Anmeldungen übernimmt auch der correspondirende Sekretär, Dr. W. Freudenthal, 1054 Lex- ington avenue.

Das Wingah Sanitarium für Tuberkulöse (in Asheville, N. C), ge- leitet von Dr. Karl von Kuck, wird am 20. dieses Monats von neuem eröffnet werden, und wünschen wir dieser Anstalt das beste Gedeihen.

Laut einer uns zugegangenen Mittheilung von Herrn Prof. Dr. Max Schueller aus Berlin, hat derselbe im dortigen neueingerichteten Friedrich Willielm-Kurhaus, Berlin, W., Friedr. Wilh.Str., die Leitung einer chirurgischen Abtheilung übernommen, welche wesentlich der Chirurg. Behandlung von Knochen- und Gelenkleiden, chirurg. Tuber- kulosen, plastischen Operationen u. s. w. gewidmet sein soll. Es stellt das Friedr. Wilhelm-Kurhaus ein mit allen modernen Einrichtungen auf das Eleganteste ausgestattetes für Privatpatienten bestimmtes Sanatorium dar, in welchem Anlagen für alle möglichen Bäder, für electr. Behandlung, ein medico-mechan. Institut, Operationssälen. 75 Zimmer vorhanden.

Prof. Hermann Helmholtz feierte am 2. November sein öOjähriges Doctorjubiläum. Seitens der Universität war ihm bei dieser Gelegen- heit eine glänzende Ovation zugedacht ; auch die Studentenschaft, besonders die Angehörigen der philosophischen und medizinischen Facultäten, hatten einen solennen Kommers mit vorausgehendem Fackelständchen vor dem physikalisch-physiologischen Institut ge- plant. In seiner bekannten zurückhaltenden Bescheidenheit hat aber der berühmte Jubilar all' diese Pläne durchkreuzt, indem er eine Keise nach auswärts angetreten und dadurch die beabsichtigten Huldigun- gen vereitelt hat.

Am achten Oktober fand in Wien in dem Hörsaale von Professor Billroth die Feier seines vierzigjährigen Doktoren- und 25,iährigen Professorenjabiläums statt. In dem Saale, der zu einem förmlichen Garten umgewandelt war, fanden sich nahezu alle Hörer Billroth's ein. Als Professor Billroth den Saal betrat, erhoben sich alle An- wesenden von den Plätzen. Nun begrüsste Professor Czerny aus Hei- delberg den Meister mit folgender Ansprache : „Hochverehrter und innigstgeliebter Meister ! Vierzig Jahre sind es, seitdem Sie auf dem Gebiet der Medizin stets fruchtbringend thätig sind. Durch das tiefe Eindringen in das Wesen der Wundbehandlung, der Heilung der Ge- schwülste, deren Aetiologie der Verbanrllehre und durch das Einführen der Statistik haben Sie die Chirurgie, welche bis dahin nur eine empi- rische Kunst war, zur Höhe der Wissenschaft im vollkommensten Sinne des Wortes erhoben. Fünfundzwanzig Jahre sind's, dass mit Ihnen an der Wiener Hochschule ein neuer Geist einzog, eine neue Richtung, ein neues Ziel steckten Sie uns vor. Tausende Schüler ver- folgten Ihre segensreiche Thätigkeit mit Bewunderung. Weit über die Grenzen des Vaterlandes, über Europa hinaus in die ganze wissen- schaftliche Welt drang der Name Billroth's, tausende von Menschen, denen Sie Heilung brachten, preisen ihn. Dauernd bleibt Ihr Verdienst, in Ewigkeit wird Ihr Name in der Geschichte der Medizin mit goldnen Lettern prangen, verewigt sein in der Kulturgeschichte der Mensch- heit. Und wir, denen Sie gestatteten, in Ihren Geist einzudringen, können nur in Ihrem Sinne für das Wohl der Menschheit wirken und hierdurch auch nur Ihren Namen heben. Nun will ich, als ältester

Ihrer Schüler, der erste der unter Ihrer direkten Leitung herangebil- det wurde, das Produkt der Thätigkeit Ihrer Schüler, den ersten Band

unseres Werkes Ihnen als Festband übergeben Bedeutend

bleibt Ihr persönlicher Einfluss auf uns, denn das Gute, Wahre, Menschliche und Edle prägten Sie in unser Gemüth ein. Von Nah und Fern kamen wir, der Freude Ausdruck zu verleihen, an diesem Tage unseren geliebten Meister sehen zu können. Wie gerne wären die Vielen da, die schon die kalte Erde deckt ! Ein Wunsch begeistert uns alle, mögen Sie noch lange, sehr lange als Führer uns die Fahne voran tragen und noch sehr lange durch Ihre so reichlich fruchtspen- dende Thätigkeit auf dem Felde der Medizin glänzen." Nach diesen, mit stürmischem Beifall aufgenommenen Worten erhob sich Professor Billroth zu folgender Erwiderung: „Kollegen, Schüler und Freunde! Wie schön ist es, dass Sie heute wieder herkamen an die Stätte, wo Sie als Schüler, Zöglinge und Assistenten wirkten. Viele unter Ihnen sind seitdem berühmte Lehrer geworden. Nehmen Sie alle meinen Dank dafür, dass Sie kamen, Ihren alten Lehrer zu sehen." Der Red- ner brach hier in Thränen aus und es dauerte eine ziemliche Weile, bis er wieder sprechen konnte. „Die Chirurgie ist gediehen," sagte er weiter, „aber nicht weil wir vielleicht geschicktere Hände hätten, son- dern nur durch traditionelle Uebergabe des Gefundenen von Meister auf Schüler und vice versa. Die gründliche, gewissenhafte Erfor- schung der einzelnen Richtungen in unserem Gebiete sicherte uns Fort- schritte. Human und gewissenhaft in unserem Thun, nicht die ge- ringste Kleinigkeit ausser Augenmerk zu lassen, war stets unsere Pflicht, denn es schwebte uns immer vor Augen: Was wir thun, ist für die gesammte Menschheit gethan. Ihr Buch erinnert mich an die schönsten Tage meiner Jugend." Der Gefeierte reichte sodann jedem der Anwesenden die Hand und verliess mit Thränen in den Augen den Saal.

ßüchertisch.

Eingelaufen :

Münchener medicinische Abhandlungen.

Heft 31, Die puerperalen Todesfälle der Münchener Frauenklinik, 1887/91. Von Dr, Max Madlener,

Heft 32. Beiträge zur Casuistik der traumatischen Trommelfell- rupturen. Von Dr. J. Veith,

Heft 33. Münchens Tuberculosemortalität in den Jahren 1814-1888. Von Dr. M. Weitemeyer.

Heft 34. Zur Kenntniss der Phosphor-Nekrose. Von Dr. J. Nau- mann.

Heft 35. Bacteriologische und khnische Beobachtungen über Na- trium chloro-borosum als Antisepticum. Von Dr. J. Büller.

Heft 36. lieber die Entwicklung von Milz und Pankreas. Von Prof. Dr. C. v. Kupffer.

Heft 38. Ueber die vicariirende Hypertrophie der Leber bei Leber- echinococcus. Von Dr. M. Dürig.

Heft 28. Ueber das Vorkommen offener Schlundspalten bei einem menschlichen Embryo. Von Dr. E. Tettenhamer.

Veber die Lebensweise der Zuckerkranken. Von Professor Dr. Wilhelm Ebstein. Wiesbaden. Verlag von I. F. Bergmann, 1892.

Im vorliegenden Buche legt Ebstein seine Anschauungen über die den Zuckerkranken zu empfehlende Lebensweise klar. Das Werk fäDgt mit einer historischen Uebersicht über die Entwickelung der Behandlung der Zuckerharnruhr unter besonderer Berücksichtigung der diätetischen Massregeln an. Der zweite Abschnitt enthält eine kritische Würdigung der verschiedenen diätetischen Behandlungs- methoden der Zuckerharnruhr unter Zugrundlegung der Erfahrungen des Verfassers. Ebstein vertritt die Ansicht, dass die Diät eines Zuckerkranken von vorneherein so eingerichtet werden müsse, dass letzterer stets danach leben könnte ; d. h. E. huldigt nicht dem Princip, dass man beim Auffinden von Zucker im Harn gleich eine rein anima- lische Kost einführen sollte. Nach E. muss die Entziehung des Koh- lenhydrates bei dem Zuckerkranken besonders der Schwere der Krank- heit angepasst werden. Bei Patienten, welche von dem diabetischen Coma bedroht sind, ist die plötzliche Einführung einer vorzugsweisen Eiweissdiät sehr bedenklich. E. gestattet seinen Diabetikern geringe Mengen Kohlenhydrate. Das Aleuronat, ein, von Hundhausen darge- stelltes, Fabrikat pflanzlicher Eiweisskörper, lässt sich sehr gut in der Diabetesdiät verwerthen ; man kann aus gleichen Theilen Weizenmehl und Aleuronat ein Brot herstellen, das ganz besonders reich an Eiweiss ist und doch sehr gut schmeckt. Neben der Diät legt E. viel Gewicht auf Förderung der Muskelarbeit und Leben im Freien ; das Hochgebirgs-Klima an sich ist gleichfalls von gutem Einfluss auf die Zuckerkrankheit. Das vorliegende Buch ist äusserst interessant und lehrreich und ist dasselbe aufs beste zu empfehlen. M. E.

Personalien.

Verzogen : Dr. Edward Pisko, nach No. 151 E. 78. Street, nahe Lexington Ave.

Dr. Carl Koller, nach 32 E. 60. Street.

Dr. Max Einhorn. Stellvertretender Eedakteur, 107 E. 65. St.

An die Leser.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w., sind zu richten an : " Medical Monthly Publishing Co.," 17—27 Vandewater Street, New York.

Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Herausgeber zu richten.

Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse unseres Blattes im Osten thätig. Da dei'selbe dieses Jahr nicht reisen wird, so erweisen uns die geehrten Abonnenten einen grossen Gefallen, wenn sie ihren Abonnements-Beitrag einsenden.

Billig zu yerkaufen.

" Woods Complete Medical Library, 100 Volumes '* gebunden und neu. Nähere Auskunft ertheilt.

Medical Monthly Pübl. Co.

27 Vandewater Str.

New^ Yorkier

Medicinische Monatsschrift.

Organ für praktische Aerzte in Amerika

unter Mitwirkung von

Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. "VV. Gleitsmann, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert herausgegeben von Dr. F. C. HEPPENHEIMER. Verlag der Medical Monthly Publisliing Company, 17-27 Vandewater Street,

Bd. IV.

New York, 15. Becember 1892.

No. 12.

Asheville, N. C. und seine Vorzüge als Curort für Lungenkranke.*)

Yon

Dr. J. W. GLEITSMANN

Professor der Laryngologie und Rhinologie an der N. Y. Polyclinic, Präsident der Deutschen Medicinischeu Gesellschaft der Stadt New York, etc., etc.

Der Aufforderung unseres geehrten Herrn Präsidenten ent- sprechend, erlaube ich mir, Ihnen heute Abend einige Mittheilungen über einen Curort zu machen, dessen Kuf in den letzten Jahren sowohl in den ärztlichen Kreisen wie dem Laienpublikum sich stetig verbrei- tert hat. Ich thue diess um so lieber, als ich selbst an dem Orte mehrere Jahre gelebt und auch vor einem Jahre mehrere Wochen dort zugebracht habe, so dass ich in der Lage bin, Ihnen eine wahrheits- getreue, auf eigener Erfahrung und Beobachtung basirte Schilderung zu geben.

Ehe ich auf die detaillirte Besprechung des Curortes eingehe, ge- statten Sie mir, einige kurze Allgemein bemerkungen, die meiner An- sicht nach uns in der Wahl eines Platzes für Lungenkranke leiten sollen. Es dürfte eine solche Betrachtung bei der uns jetzt bevor- stehenden kälteren Jahreszeit um so mehr am Platze sein, als binnen wenigen Wochen eine grosse Anzahl solcher Kranken aus ihrer Hei- math fortgeschickt und viele derselben längere oder kürzere Zeit aus dem Kreise ihrer Angehörigen, ihrer Familie, verbannt werden.

Diess ist kein zu unterschätzender Factor bei der Anweisung, die wir dem Patienten geben, da eine wenn auch temporäre Veränderung des Domicils dem Kranken viele Eutbehrungen des Geistes wie Ge- müthes, sowie auch finanzielle Opfer auferlegen. Wir müssen bei der

*) Vortrag gehalten in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft der Stadt New York am 7. November 1892.

450

Wahl eines Curortes um so vorsichtiger, um so gewissenhafter sein, als wir im Frühling eine verhältnissmässig grosse Proportion Kran- ker ungebessert oder in schlechterem Zustande zurückkehren sehen, die bei sorgfältigerer Untersuchung ihres Zustandes, bei genauerem Yertrautsein mit den verschiedenen Eigenschaften des gewählten Cur- ortes hätten gebessert werden können. Das jeweilige Befinden des Kranken, der locale Lungenbefund, seine Allgemeinconstitution sind natürlich von vorneweg für die Wahl massgebend. Kranke in vorge- rücktem Stadium, anämische oder solche die von kaltem Wetter oder dem kleinsten Witterungswechsel unangenehm oder nachtheilig afii- cirt werden, werden wir nicht in kalte Regionen, wie die Adirondacks, Minnesota hier zu Lande, oder die Höhencurorte in der Schweiz, wie Davos oder das Engadin, schicken. Für solche sind temperirte Zonen die geeignetsten. Trotzdem sehen wir Kranke der verschiedensten Art, in allen möglichen Stadien ihrer Affection, an Curorten mit dem heterogensten Klima überwintern. Wir finden sie in unserem Conti- nent entlang der Californischen Küste bis San Diego und an den west- lichen Abhängen der Sierra Nevada, in dem Hochplateau und Thälern der Rocky Mountains in New Mexico und Colorado, sowie in Minnesota, im nördlichen Theil unseres Staates, und in allen östlichen Küsten- Staaten von North Carolina bis Florida und Texas.

Bei der grossen Anzahl der existirenden Carorte ist die richtige Wahl oft recht schwer, zumal wir wissen, dass die Natur allein manch- mal auch unter den ungünstigsten Verhältnissen eine Heilung erzielt. Der verstorbene Dr. Brehmer erzählt in seinem Buche über chroni- sche Lungenschwindsucht ein so drastisches Beispiel einer solchen Naturheilung, dass ich es Ihnen in Kürze wiedergebe. Ein seiner Krankheit wegen nach London gekommener Gutsbesitzer consultirte Dr. Stokes, der Erweichungsheerde in der Lunge constatirte, welchen Befund ein zweiter hinzugezogener College bestätigte. Beide Aerzte stimmten überein, dass für den Kranken nichts mehr gethan werden könne, und riethen ihm, wieder auf seinen Landsitz zurückzukehren. Nach circa ein und ein halb Jahren betrat ein grosser, gesund aus- sehender Mann von mindestens 170 Pfund Gewicht Dr. Stokes Ordi- nationszimmer. Der Ausdruck seiner Züge hatte etwas unsäglich Spöttisches und Komisches, als er den Doctor fragte, ob er ihn wieder- erkenne. Als Stokes diess verneinte, sagte er, er wäre dasselbe Indi- viduum, über das die Aerzte voriges Jahr den Stab gebrochen hätten. Bei der sorgfältigsten Untersuchung zeigte sich jedes Krankheits- symptom verschwunden. Auf Befragen nach seiner Lebensweise während dieser Zeit, sagte der Kranke, dass er da er geglaubt habe, er müsse doch sterben, seine alte Lebensweise fortgeführt und gegessen und getrunken habe, was ihm eben in den Weg kam. Sein Haupt- getränk war gewöhnlicher Punsch, von welchem er in der Regel sieben Gläser vor dem Schlafengehen trank. Er war ein grosser Jagdlieb- haber, und so oft er ausgehen konnte, ging er auf die Entenjagd.

451

Als ihn Stokes fragte, ob er sich dabei nicht oft die Füsse vernässt hätte, antwortete er : um die Füsse habe er sicli nicht sonderlich ge- kümmert, da er manchen schönen Wintertag 4 bis 5 Stunden lang bis an die Hüften im Wassijr watete, wenn er den Vögeln nachging.

Solche Naturlieilungen gehören jedoch zu den seltensten Ausnah- men, und wir müssen uns nicht fragen, wo und wie ein oder der andere Kranke geheilt wurde, sondern welche klimatischen und hygienischen BedinguDgen der Mehrzahl derselben die beste Aussicht auf Besserung oder Heilung gewähren. Die Anforderungen, welche an einen Curort für Lungenkranke gestellt werden, sind vielseitig und nicht so einfach, als man aus der grossen Anzahl der Plätze schliessen möchte, die sich als solche ausgeben.

Die drei climatischen Hauptfactoren sind Barometerdruck, Tempe- ratur und Feuchtigkeit, und von diesen abhängend eine Anzahl anderer, wie Ozone, Electricität, Insolation, Wind, ßegen, ßeinheit der Atmo- sphäre etc. Wir wollen nur die drei ersten in Kürze analysiren, die andern bei Besprechung des Clima von Asheville erwähnen.

Die ersten Aufzeichnungen in der Neuzeit über den wohlthätigen Einfluss des Höhenclimas auf Lungenkranke finden sich in den 50er Jahren bei Fuchs und Muehry, denen bald Joürdanet mit seinen Unter- suchungen über Mexiko folgte, Ihnen schlössen sich Hirsch in seinem grossen Handbuch der historisch-geographischen Pathologie, Herr- mann Weber in London, Küchexmeister und die verstorbenen Bier- mann und Brehmer an. Wie mit manchen neuen Ideen führte auch hier der Enthusiasmus der Anhänger dieser Theorie einige derselben zu weit, und haben sich namentlich zwei aufgestellte Sätze nicht in dem ursprünglichen Umfang bestätigt. Es sind dies die Behauptungen ein- mal, dass die Schwindsui;ht unter der Bevölkerung proportional mit der zunehmenden Höhe abnehme, ferner, dass Immunität gegen Phthise in südlicheren Breitegraden eine im entsprechenden Verhältniss höhere Elevation erfordere. Wenn auch der letztere Satz insofern richtig ist, als wir in südlichen Breiten erst bei höherer Elevation Abnanme von Phthise bemerken, die wir nördlich schon bei geringerer Höhe beobachten, so stehen doch diese beiden Faktoren nicht in directem proportionalem Verhältniss, sondern sind vielen Schwankungen unter- worfen. Trotzdem ist der günstige Einfluss von Elevation von den meisten Authören anerkannt, wozu vielfach die Veröffentlichungen von Dr. Müller*) und Joürdanet beigetragen haben. Ersterer publicirte das Resultat von Untersuchungen über Vorkommen von Schwindsucht in der Schweiz, welche von der dortigen Naturforscherversammlung in's Werk gesetzt worden waren und sich über 5 Jahre erstreckten. Die erlangten Resultate sind in Kürze folgende:

1) In der Schweiz ist mit zunehmender Höhe eine Abnahme der Häufigkeit der Schwindsucht sicher wahrzunehmen.

*) Die Verbreitung der Lungenschwindsucht in der Schweiz von Emtl MüLLEE, Winterthur, 1876.

452

2) Phthise kommt auch in den höchst bewohnten Gegenden, wenn auch hier selten vor.

3) Im Durchschnitt haben die niedrigsten Lagen doppelt soviel Schwindsucht als die höchsten, nach Abzug der auswärts erworbenen Fälle aber bedeutend mehr.

4) Abnahme der Phthise mit zunehmender Höhe ist weder constant noch in regelmässiger Proportion, und die bisher zu Tage tretenden Unregelmässigkeiten sind hauptsächlich durch sociale Bedingungen, Beschäftigung etc. bedingt.

JouBDANET, der längere Zeit in Mexico lebte, sagt in seinem Werke :

1) Schwindsucht ist in Mexico bei einer Elevation über 2000 Meter sehr selten.

2) Unter der besser situirten Bevölkerung herrscht fast absolute Immunität.

3) Disposition zur Phthise in der Jugend anderswo acquirirt, ver- schwindet als Kegel bei Aufenthalt in höheren Kegionen.

4) Vollständige Heilung wurde oft bei Patienten beobachtet, die in Frankreich erkrankt waren.

Wir sehen demzufolge eine stetige Zunahme von derartigen Cur- orten in Europa, und sind dieselben durchschnittlich in einer Elevation von 2000 bis 4000 Fuss gelegen. Eine Ventilation der Frage, auf welche Weise die Elevation auf die kranken Lungen wirkt, ob durch vermin- derten Barometerdruck allein, ob durch grössere Keinheit der Luft, durch verstärkte Insolation, durch die in Folge der kühleren Tempe- ratur nothwendiger Weise resultirende geringere absolute Feuchtigkeit würde uns zu weit führen, und begnügen wir uns mit der Thatsache, dass das Höhenclima einen günstigen Einfluss auf Plithise ausübt.

Es sind noch nicht viele Jahre her, dass die Temperatur die Haupt- rolle in der klimatischen Behandlung der Phthise spielte, und schickte man die Kranken nach Gegenden mit gleichmässigem, warmem Wetter.

Seitdem ein tonisches, roborirendes Verfahren befolgt wird, ist die Temperaturfrage der Elevation untergeordnet worden, und sind sogar Orte mit excessivem Temperaturwechsel empfohlen worden. Ich habe vor mehreren Jahren eine Zusammenstellung der Differenzen des höchsten und niedrigsten Thermometerstandes innerhalb 24 Stunden von mehreren Orten Colorado's und Asheville gemacht^) und gefunden, dass im Jahre 1873 in Asheville blos einmal eine tägliche Temperatur- differenz von über 35 Grad stattfand, während in Colorado City dies 129 Mal der Fall war und der grösste tägliche Unterschied von 55 bis 60 Grad sich zweimal ereignete.

Gegen solche grosse Unterschiede kann sich der Kranke schwer schützen, und ziehen dieselben leicht frische Erkrankungen und Rück- fälle nach sich. Eine mittlere, mässige Temperaturdifferenz ist aber allen Binnenclimaten, besonders höher gelegenen Kegionen eigen, und

*) Westeru North Carolina as a Health Kesort. Philadelphia Medical and Surgical Beporter, February, 1876.

453

sehen wir solche auch in unserem Wohnort besonders an den klaren, wolkenlosen, erfrischenden Herbst- und Wintertagen. Eine gleich- massige Temperatur im Allgemeinen bedingt grösseren Wassergehalt der Luft, und dies bringt uns zu dem letzten climatischen Factor, der Feuchtigkeit.

Ueber die Frage des Vorzuges einer trockenen Lokalität gegenüber einer feuchten für Schwindsüchtige, ist das ärztliche Publikum einig. Der verstorbene Bowditch von Boston hat besonders in seinen lang- jährigen Untersuchungen über das Vorkommen von Phthise in Massa- chusetts, die in den Berichten des dortigen State Board of Health von 1873 und 1874 niedergelegt sind, gezeigt, wie Schwindsucht durch Bodenfeuchtigkeit oft veranlasst oder gefördert wird. Bei der Beurthei- lung der Trockenheit einer Gegend sind zwei Momente in Betracht zu ziehen, von denen der eine vielfach übersehen wird. Es sind dies die relative und die absolute Feuchtigkeit. Ersteregibt die Proportion der m der Luft thatsächUch enthaltenen Feuchtigkeit zu der Quantität, welche die Luft enthalten würde, wenn sie vollständig gesättigt wäre. Die absolute Feuchtigkeit giebt das Gewicht des in einem bestimmten Quantum der Luft enthaltenen Wasserdampfes. Warme Luft kann viel mehr Wasserdampf in sich aufnehmen als kalte, ohne dass Nieder- schläge, wie Regen, Schnee, Thau eintreten, und so kömmt es, dass manche Orte mit gleicher relativer Feuchtigkeit grosse Unterschiede in der absoluten zeigen. Beobachtungen von Waters*) ergaben, dass im Januar 1870 bei gleicher relativer Feuchtigkeit von 86 Procent die Luft in Davos, Schweiz, 2.59 grammes und in Cannes, Frankreich, 7.34 grammes Wasserdampf im Cubicmeter enthielten. Wir werden dem- nach unter gleichen sonstigen Verhältnissen Orte mit geringerer abso- luter Feuchtigkeit vorziehen.

Wenden wir uns nun nach diesen allgemeinen Betrachtungen zu unserem speciellen Gegenstande, so wird uns nicht schwer fallen zu zeigen, in wie weit Asheville den Anforderungen entspricht, die wir au einen Curort für Lungenkranke stellen müssen.

Asheville liegt in dem hohen Tafellande, das von den südlichen Ausläufern der Blue Ridge gebildet wird, die den ganzen östlichen Theil unseres Continents von Nordost nach Südwest durchläuft. Die Gebirgskette erreicht daselbst ihre höchsten Elevationen, und zählte schon Professor A. Guyot vom Princeton College, N. J. 51 Berge, deren Spitzen sich über 6,000 Fuss über das Meer erheben mit dem Black Dome als höchstem Gipfel 6,707 Fuss hoch. Die Blue Ridge bildet zugleich die Wasserscheide zwischen dem Atlantischen Ocean und dem Mexikanischen Golf. Westlich derselben laufen die Gewässer in den Mississippi, östlich davon erreichen sie als Küstenströme nach kurzem Laufe den Ocean. Dieses Tafelland bildet den westlichsten Theil von Nord-Carohna, wird auch Western N. C. genannt und grenzt

*) Klimatologisciie Notizen über den Winter im Hochgebirge. Arthur Wm, Watebs, F, G. S., London, J871,

454

im Norden an Virginien, im Westen an Tennessee, im Süden an Georgia und Süd-Carolina. Die östliche Grenze bildet die Blue Ridge, von der aus wieder mächtige Gebirgsketten das Land transversal durchsetzen und dadurch so sehr zur Abwechslung und Schönheit der Landschaft beitragen. Eine natürliche Folge dieser mannigfachen Gebirgszüge ist eine unregelmässige, mit höheren und niedrigeren Bergen durchsetzte Bodenfläche, die deshalb auch eine vorzügliche, natürliche Drainage hat. Marschland, Sümpfe sind nirgends anzu- treffen, und der Gegenden sind wenige, welche vollkommen eben sind. Malaria mit seinen Folgezustäuden ist deshalb nicht einheimisch, und der Aufenthalt den daran Leidenden dringend zu empfehlen.

Es sind erst wenige Jahre her, dass das grössere Publikum, beson- ders die Touristen, auf Western Nord-Carolina aufmerksam gemacht wurden. Es geschah dies im Jahre 1876 durch einen Artikel von Christian Reid im Appleton Journal, „The Land of the Sky" betitelt, der auch in weiten Kreisen Verbreitung fand. Derselbe schildert die Mannigfaltigkeit und Erhabenheit des Landes mit lebhaften Farben, und es ist nicht zu läugnen, dass auch für den mit den Schönheiten der Alpenwelt Vertrauten diese Gegend ihre grossen Reize hat. Der Schreiber dieses hat dies ganz besonders im letzten Jahre empfunden, als er eine einwöchentliche Rundtour durch die Berge machte. Punkte wie Caesars Head an einem steilen Vorgebirge mit seiner blos durch die Seekraft des Auges beschränkten Fernsicht, seinem angeblich 2,000 Fuss hohen senkrechten Abfall, seinen zahlreichen malerischen Was- serfällen in unmittelbarer Nähe, ferner Whiteside Mountain mit seinen kolossalen Felsabstürzen, sind selten wiederzufinden. Dabei finden sich besonders in den westlichen Counties meilenweite Strecken von primitivem Urwald, die noch keines Menschen Hand berührte. Die Vegetation ist überaus reichhaltig und luxuriös und wachsen nach dem Berichte des früheren Staatsgeologen Prof. Kerr mehr Speeles einer Gattung von Bäumen in Nord-Carolina als in irgend einem andern Staate östlich der Rocky Mountains, so z. B. von 22 Arten Eichen finden sich 19 vertreten. Die immergrünen Rhododendrum- und Lorbeerbäume sehen wir entlang der Flussläufe und auch auf den Bergen, von welchen einer derCraggyMt. bis an seinen Gipfel mit den- selben bedeckt ist. Man kann stundenlang durch Rhododendrum- Büsche reiten, die, wenn im Frühsommer in den reichsten Farben blühend, einen reizenden Anblick gewähren.

Western Nord-Carolina hat einen Flächeninhalt von ungefähr 5,000 englischen Quadratmeilen, ist demzufolge grösser als der Staat Con- necticut und giebt sechs Flüssen ihren Ursprung, deren einer der Tennessee River selbst. Dieselben haben im Allgemeinen eine nord- westliche Richtung und durchbrechen die hohe Kette der Smoky Mountains, welche die westliche Grenze gegen Tennessee bilden. Die Flussthäler sind durchschnittlich 2,000 bis 3,000 Fuss hoch, und in dem Thale eines derselben, des French Broad, liegt Asheville auf einem gegen den Fluss sanft abfallenden Hügel.

455

Asheville liegt nach den neuesten Messungen 2,350 Fuss über der Meeresfläche und unter 35^ 3G' nördUcher Breite, demnach mehr südlich und höher als die beiden bestgekannten deutschen Lungen- curorte Görbersdorf und Falkenstein. Ein natürliches Ergebnlss seiner günstigen Lage ist, dass vermöge seiner südlichen Breite die der Elevation entsprechende Wintertemperatur gemässigt wird, während andererseits die Höhe über der Meeresfläche die Sommerhitze mildert. Es ist deshalb einer von den wenigen Curorten, an denen der Kranke mit Vortheil das ganze Jahr hindurch verweilen kann, ohne mit Ein- tritt einer andern Jahreszeit seinen Aufenthalt wechseln zu müssen, was sich bei nälierer Betrachtung der Temperaturverhältnisse leicht nachweisen lässt.

Es sind im Sommer besonders die hohen Hitzegrade, die wir an unserer östlichen Küste oft so schwer empfinden, von welchen Ashe- ville verschont ist. Eine Vergleichung mit 51 canadischen Wetter- stationen im Jahre 1874:*) zeigte, dass 47 Plätze in Canada mit niedri- gerer, mittlerer Sommertemperatur mehrere Male Maximumsommer- temperaturen über 90° zeigten, während das Thermometer in Asheville nur einmal auf 88° ging. Während derselben Periode wurden Tem- peraturen über 90° in Sandy Hook und New York 3 respective 5mal beobachtet, in Denver 50mal mit Maximum von 102°, Colorado Springs 39mal mit Maximum von 101° und in St. Paul, Minn., 25mal mit Maximum von 99°. Ich könnte Ihnen ähnliche Zahlenreihen für die Wintermonate anführen, aber ich will sie mit solchen nicht weiter belästigen. Die Wintermouate zeigen dasselbe Verhältniss nur in umge- kehrter Ordnung, so dass Orte mit gleicher oder ähnlicher mittlerer Temperatur niedrigere absolute Minima haben. Ich habe Ihnen ab- sichtlich diese Zahlenreihen gegeben, weil ich an ihrer Hand am besten den Vorzug des Climas von Asheville für Heilzwecke während des ganzen Jahres beweisen zu können glaubte. Mir sind in unseren Brei- ten keine Orte mit gleicher Elevation bekannt die bei gleich niedrige- ren Sommertemperaturen solche geringe Kälteextreme im Winter aufweisen. Die Temperatur steigt während des Tages mit wenigen Ausnahmen im Winter bis 50° und an geschützten Plätzen, wo Patien- ten sich aufhalten bis 70° und 80° in der Sonne in Folge der der Eleva- tion entsprechenden stärkeren Insolation. Als Durchschnittstem- peraturen werden von Dr. von Ruck für die Zeit von Mai bis October 65° mit mittlerem Maximum von 75°, für die anderen sechs Monate 49° mit mittlerem Maximum von 60° angegeben.

Messungen der absoluten Feuchtigkeit besitze ich nur für die Monate von August 1875 bis April 1876. Dieselbe ist 3.05 Grammes und vergleicht vortheilhaft mit der von bekannten, trockenen Curorten wie Aiken, S. C. Die relative Feuchtigkeit für das Jahr endigend 30. Juni 1876 war im Mittel 69.1 Prozent mit dem niedrigsten Durch- schnitt von 61.7 Prozent für das erste Quartal 1876, was für Kranke in

*) Lpco citato,

456

den Wintermonaten von grosser Wichtigkeit ist. Das Mittel der Niederschläge für 8 Jahre ist 40.2 Zoll, von welchen die grössere Menge wieder auf die Sommermonate entfällt, in denen die in süd- lichen Breiten oft so heftigen Gewitterschauer vorkommen. Dabei ist auffallend, dass nach dem Berichte des Staatsgeologen mit nur einer Ausnahme sämmtliche 18 meteorologischen Stationen von Nord- Carolina grössere jährliche Eegenmengen haben, speciell solche in Western Nord-Carolina von 48.5 bis 72.8 Zoll, im Mittel für diesen Landstrich 58.2 Zoll. Asheville macht demnach auch in Bezug auf die Niederschläge eine vortheilhafte Ausnahme.

Ich bedauere des Oefteren gezwungen zu sein Ihnen meteorologi- sche Daten älteren Datums zu geben, da die neueren Beobachtungen durch einen Brand zerstört wurden. Ich kann jedoch für deren Cor- rectheit einstehen, da die Observationen von mir selbst, mit vom Sig- nal Service Bureau in Washington empfohlenen Instrumenten, gemacht worden sind.

Messungen von Ozon wurden während der letzten drei Jahre von Dr. von Kuck vorgenommen, und ein Durchschnitt von 50 bis 75 Pro- zent gefunden, während er in seinem früheren Aufenthaltsort in Ohio nur ein Mittel von 5 Prozent gefunden hat.

Bis vor wenigen Decennien war Asheville bloss als Sommerfrische bei den Südländern bekannt und beliebt, und nur wenige Leidende besuchten den Ort ihrer Gesundheit halber. Doch auch schon zu die- sen Zeiten sehen wir manche in ihrer Heimath wohlbekannte Persön- lichkeit krankheitshalber in Asheville ihren permanenten Wohnsitz nehmen. So siedelte in den 60ger Jahren der vielbekannte und hoch- geschätzte Dr. Cain von Charleston, S. C, dorthin über, und wer, wie ich selbst, oft das Vergnügen hatte mit dem liebenswürdigen Manne zu verkehren, konnte ihn seine kräftige gesunde Constitution bis an sein Lebensende bewahren sehen. Der Bürgerkrieg, der so viele südliche Existenzen ruinirte, beeinflusste auch den Zustrom der früher wohl- habenden Baumwollen- und Zuckerplantagen Besitzer zum Nachtheile Asheville's, und erst gegen die 70er Jahre hin begannen wieder Fremde in grösserer Anzahl darunter auch einzelne Leidende vom Norden, die von dem gesunden Klima gehört hatten sich einzufinden. Asheville zählte damals nur wenig über 2,000 Einwohner. Sein Name war zu der Zeit blos wenigen Aerzten bekannt, doch machte schon 1870 ein homöopathischer Arzt aus Wisconsin, Dr. Gatchell einen Versuch, eine nach seinen Principien geleitete Heilanstalt für Lungen- kranke zu etabliren.

Ungenügende Wohnungsverhältnisse, die Schwierigkeit den Platz zu erreichen, Hessen das Unternehmen nicht emporblühen. Als der Schreiber im Jahre 1875 die Idee fasste, ein Sanitarium nach europäi- schen Principien von Brehmer zu errichten, und zu diesem Zwecke eingehende climatische Studien der verschiedenen Gegenden unseres Oontinentes, sowie mehrere Reisen zur persönlichen Besichtigung

457

machte, wurde seine Aufmerksamkeit von einem Kranken auf Aslie- ville gelenkt. Derselbe kann wohl ohne Ueberhebung sagen und wird diess auch von Allen zugegeben, die mit der Sache näher vertraut sind, dass durch seine Bemühungen und Publicationen seit seinem Aufent- halt in Asheville, der sich auf 6 Jahre erstreckte, der Platz auch in weiteren Kreisen bekannt und seine Vorzüge gewürdigt werden, und insbesondere, dass seit dieser Zeit die Vortheile, die das Asheviller Clima im Winter den Lungenkranken bietet, von dem ärztlichen sowie Laienpublikum anerkannt werden.

Was die commerciellen, socialen und hygienischen Verhältnisse von Asheville betrifft, so ist vor Allem hervorzuheben, dass in den letzten 10 Jahren der Platz einen ungewöhnlich raschen Aufschwung genom- men hat. Derselbe hat jetzt 4 Eisenbahnlinien, und ist sowohl vom Süden als Norden und Westen direkt mit der Bahn zu erreichen. Von New York gehen via Philadelphia, Baltimore und Washington täghch 2 Züge, einer von welchen einen durchgehenden Schlafwagen hat und nach circa 25 Stunden dort ankömmt. Dabei bildet der Anstieg auf die Blue Kidge über den Swananoa Pass, welche Linie noch vor vielen Jahren mit der geringen Steigung von 2 Procent tracirt worden war, ein so mannigfaltiges und grossartiges Bild eines kühnen Eisenbahn- baues und pittoresker Gebirgslandschaft, wie sie ähnlich auf der öst- lichen Seite unseres Continentes schwer wieder zu fluden sein wird.

Die Eisenbahnen haben natürlich die Bevölkerung vermehrt und den Handel bedeutend gehoben. Asheville zählt jetzt 12,000 Einwoh- ner, und im Centrum von Western North Carolina gelegen, ist der Hauptstapel- und Vertheilungsplatz für den Handel und Verkehr des ganzen Gebietes. Es sind daselbst Schulen für alle Altersklassen, Kirchen jeglichem Glaubensbedürfuiss entsprechend, mehrere vorzüg- liche Hotels und eine grosse Anzahl Privathäuser, die den Fremden Unterkunft zu den verschiedensten Preisen gewähren. In den letzten Jahren hat die im Allgemeinen für solche Einrichtungen etwas weniger empfängliche und langsamer voranschreitende Bevölkerung den Be- dürfnissen und Anforderungen des modernen Fremdenverkehrs Rechnung getragen. Es existirt jetzt ein Board of Health, die Draini- rung der Stadt ist vollkommen, sie hat eine vorzügliche Wasserzufuhr, einem Gebirgsfluss 5 Meilen oberhalb des Ortes entnommen, und die Hauptstrassen sind gepflastert. Vier electrische Linien vermitteln den Personenverkehr nach den verschiedenen Richtungen, die Strassen sind electrisch beleuchtet. Vor einigen Jahren hat auch Vanderbilt» von New York, einen grossen Landcomplex in der Umgegend von Asheville angekauft und ist jetzt mit dem Bau einer luxuriösen Villa beschäftigt.

Während sonach für die Bedürfnisse und auch die verschiedensten finanziellen Anforderungen des Touristen genügend Sorge getragen ist, so finden auch Kranke eine Anzahl tüchtiger Aerzte, und ist ausser- dem seit 4 Jahren eine Anstalt ins Leben gerufen, die sich die aus-

458

schliessliche Behandlung von Phthisikern nach der in Goerbersdorf utid Falkenstein geübten Methode zur Aufgabe gemacht hat. Dr. Von EüCK, der schon in seinem früheren Wohnorte in Ohio Phthisiker in seinem Privathospitale in kleinem Massstabe behandelte, wünschte ein grösseres Feld für seine Thätigkeit, und nach dem unumgänglichen Desideratum, einem passenden, günstigen Clima suchend, eröffnete er im Jahre 1888 sein Winyah Sanitarium, in dem mit der Hinzufügung von 27 Zimmer, 1890, jetzt 100 Personen beherbergt werden können.

Eine Ventilation der Frage der Vorzüge einer Anstaltsbehandlung von Schwindsüchtigen gegenüber der sogenannten offenen Behand- lung, bei der der Kranke sich selbst überlassen ist, und nur nach eigenem Gudünken den Arzt consultirt, gehört nicht in den Eahmen dieses Vortrages. Da ich jedoch selbst darüber mehrjährige Erfahrung be- sitze und immer ein Anhänger der Anstaltsbehandlung gewesen und auch noch bin, werden Sie mir einige Bemerkungen darüber erlauben. Schon der allbekannte, verstorbene Felix Niemeyer sagt in seiner Ab- handlung über Lungenschwindsucht*) betreffs der Behandlung : „Die Hauptsache bleibt es jedenfalls, dass die Kranken, wo sie sich befin- den, verständig leben und unter der Aufsicht eines verständigen und strengen Arztes stehen." Wenn wir bedenken, dass zur erfolgreichen Behandlung der Schwindsucht eine gänzliche Veränderung der Um- gebung, der Lebensweise und Gewohnheiten des Patienten, eine Um- stimmung des gesammten Ernährungsprocesses des Patienten erfor- derlich ist, können wir leicht begreifen, wie sehr der Kranke stets der leitenden, rathenden Hand des Arztes bedarf. Es ist nicht ein einzel- nes Mittel, selbst das Clima nicht, das eine Panacee gegen Schwind- sucht ist, sondern nur eine vorsichtige und continuirliche Anwendung einer grossen Anzahl von verschiedenen Agentien, dem einzelnen In- dividuum entsprechend angepasst, verspricht gute Kesultate. Pa- tienten wissen in der Kegel nicht, was ihnen nützt oder schadet. Sie bedürfen steter Fürsorge und Comfort, ihre Diät muss sich nach ihren jeweiligen Verdauungsk-räften richten, viele wenn bereits kräftiger und auf dem Wege zur Besserung, erleiden Kückfälle durch körper- liche Ueberanstrengung. Clima allein schützt nicht gegen fehlerhafte Handlungen oder Indiscretionen, entweder unbewusst oder aus Mangel von Selbstcontrolle von Patienten begangen. Eine solche detailirte Ueb erwachung, die sich auf die kleinsten Einzelheiten zu erstrecken hat, kann aber von dem Arzte nur ausgeübt werden, wenn der Patient sich ständig in seiner Umgebung, d. h. in einer Anstalt befindet.

Erlauben Sie noch zum Schlüsse, Ihnen eine kurze Beschreibung des Winyah Sanitarium zu geben. Ich thue dies um so lieber, als ich selbst im vorigen Herbst einige Wochen dort zugebracht und seit meinem Verlassen von Asheville (1881) keine persönlichen Interessen dort mehr habe.

*) Zweite Auflage, Berlin, 1867. August Hirschwfild,

459

Das Sanitarium liegt an der Stadtgrenze fern von den Hauptstrassen des Ortes in einem kleinen, mehrere Morgen umfassenden Parke, der mit alten Bäumen bewachsen und mit Blumenbeeten ausgelegt ist und eine gegen die Strasse sanft abfallende Oberfläche hat. Das Haus hat eine 12 Fuss weite und 400 Fuss lange Veranda, die, nach den ver- schiedenen Richtungen des Compass um das Haus gelegen, fast bei jedem Wind den Patienten Schutz gewährt. Es finden sich daselbst Badeeinrichtungen und nimmt ausserdem ein geschulter Badediener die jeweiligen vom Arzte vorgeschriebenen Abreibungen und der- leichen vor. Die Nahrung ist reichlich, gut gekocht und den Zwecken des Hauses adaptirt. Schwerkranke, sowie solche die durch Husten oder andere unangenehme Eigenschaften der Gesammtzahl im Ess- zimmer lästig werden dürften, erhalten ihre Mahlzeiten auf ihren Zimmern.

Die Leitung des Hauses steht unter der alleinigen Controlle des Doctors, welchem seine Frau thatkräftig zur Seite steht. Derselbe führt auch die ärztliche Controlle über seine Patienten aus, nimmt sämmtliche physikalischen Untersuchungen vor und dirigirt die ver- schiedenen Phasen der Einzelbehandlung mit seinem Assistenten, Dr. Ambler. Der Letztere hilft vornehmlich bei Gebrauch des pneumati- schen Cabinets, das bei geeigneten Patienten eine rationelle Anwendung erfährt, und leitet, seit er im Jahre 1890 meine Curse in der New York Polyclinic genommen, die laryngologische Behandlung. Be- sondere Aufmerksamkeit wird der Untersuchung der Sputa zuge- wandt und von jedem Patienten beim Eintritt in die Anstalt und in gemessenen Zwischenräumen Präparate gefertigt und aufbewahrt, die, mit einander verglichen, wichtige Aufschlüsse über den Krankheits- verlauf zu geben im Stande sind. Dr. von Euck ist unermüdlich in seinen Bestrebungen zum Wohl der Patienten und sehr vorsichtig in seinem Handeln. Als Tuberculin empfohlen wurde, war er der erste, der seine Anwendung in so kleinen Dosen empfahl, dass keine fieber- hafte Reaction mehr eintrat. Seine Erfahrungen und Resultate darüber hat er im vorigen Jahre veröffentlicht.*) Tuberculocidin wurde eben- falls in diesem Jahre gegeben. Ich betrachtete es als einen guten Beweis für die Führung der Anstalt und die Befriedigung der Patienten mit ihrer Behandlung, dass ich mehrere derselben vorfand, die viele Mo- nate daselbst zubrachten und gewillt waren, zu bleiben, so lange sie Hoffnung auf Besserung oder Heilung hatten.

Dr. VON Ruck's Resultate, publicirt im „Climatologist". vom Sep- tember 1891, sind : Von den von ihm behandelten 605 Fällen war er im Stande nachträglich Erkundigungen bei 457 einzuziehen und waren darunter 67 Heilungen, 70 mit Stillstand der Krankheit und gutem All- gemeinbefinden, 258 mit wesentlicher Besserung und 62, in denen hoff- nungslose Kranke eingeschlossen sind, mit Verschlechterung. Diese

*) Koch's Method and che Rasults of its Application in 25 Cases. Therapeutic Gazette, June 15th, 1891.

460

Daten sind so günstig, dass sie keines weiteren Commentars bedürfen.

Meine Herren ! Es soll mich freuen, wenn es mir durch vorstehende Schilderung gelungen ist, dem schönen Lande neue Freunde gewonnen und den armen Leidenden einen Fingerzeig gegeben zu haben, wo und wie sie ihre verlorene Gesundheit am besten wiederzuerlangen im Stande sind.

IL

Die Desiiifectionsniethoden in Berlin und Hamburg während

der Cholera.*)

Ein Bericht Von

Dr. A. SEIBERT,

New York.

„Im Frieden muss man den Krieg vorbereiten". Diesen Aus- spruch Moltke's citirte Herr Verwaltungsdirektor Merke vom Moabiter Krankenhaus in Berlin, als er mich Anfangs September in den Des- infectionsbetrieb dort zuerst einweihte. Um dieses „Vorbereiten zum Kampf" gegen endemische und epidemische Infektionskrankheiten zu fördern, habe ich mich auf Wunsch des New York Health Department, welches ich in Berlin und Hamburg vertrat, dazu verstanden, den dem- selben schon früher abgelieferten Bericht den hiesigen Collegen durch die folgenden Bemerkungen näher zu bringen. Nicht Alles wird Ihnen neu sein, muss aber wegen des Zusammenhanges erwähnt wer- den. Dass aber rationelle Wohnungsdesinfection den meisten prak- tischen Aerzten ein noch etwas vager Begriff sein muss, beweisen wohl die erst Mitte Oktober in Berlin eingerichteten Kurse für praktische Aerzte, in welchen dieser Gegenstand theoretisch und praktisch ge- lehrt wird. Was ich in Folgendem berichte, habe ich selbst in Berlin und Hamburg gesehen. Der Kürze halber werden die Einrichtungen zusammen gefasst berichtet.

Der Zweck jeder Desinfection ist die Zerstörung von Kranklieits- keimen. Man kann sagen, dass jede Fläche, welche direkt oder indi- rekt mit einem inflcirten Gegenstand in Berührung gekommen ist, jetzt selbst inflcirt ist. Auf dieser Annahme, welche als feststehende Tliatsache betrachtet werden muss, ruht die moderne Desinfections- lehre, sowohl bei der Handhabung von Fussböden, Wänden und Faekalien, wie bei der Keinigung der Bauchfläche vor der Laparotomie.

*) Vorgetragen in der deutschen Med. Gesellschaft von New York, Dec, 5, 1892,

4G1

I.

Desinfection der Wohnung.

Ehe die Diagnose einer infectiöseti Erkranliung gestellt wird, und selbst ehe der Arzt am Krankenbett erscheint, können Kloaken, Ab- tritte und Latrinen inflcirt sein. Die Latrinen (privy cesspools), welche wir ja noch bei vielen älteren Miethkasernen antreffen, werden mit Kalkmilch derartig desinfleirt, dass letztere wenigstens 2 Procent des Inhaltes ausmacht. Nachträglich werden dann täglich 1 2 Quart der Kalkmilch hinzugefügt, also etwa 1 Prooent der täglich zukommenden Faekalien. Die Kalkmilch muss von frischgelöschtem Kalk herge- stellt werden, der nicht mehr denn 2 Procent Unreinliclikeiten enthält. Der Latrineninhalt muss sauer reagiren. Umrühren des Inhaltes ist überflüssig.

Faekalien, Er'brochenes, Sputa, Speichel und Harn werden in dem Aufnahmegefäss _mit gleichen Theilen Kalkmilch gemischt, gut um- gerührt, 30 Minuten stehen gelassen und dann in die Kloake gegossen.

Alle im Krankenzimmer übriggebliebenen flüssigen Speisereste wer- den ebenso behandelt. Feste Speisen werden verbrannt.

Essgeschirr, Löffel, Messer, Gabeln und andere Gegenstände, welche im Krankenzimmer waren, sollten vor dem Verlassen des Raumes in einer grösseren Blechschüssel in 6% Carbollösung derartig gelegt werden, dass die Flüssigkeit die Gegenstände vollständig bedeckt.

Alle Personen desinflciren ihre Hände vor dem Verlassen des Kran- kenzimmers mittelst grüner Seife und b% Carbollösung. Das Wart- personal lässt den getragenen leinenen Ueberrock im Krankenzimmer. Die Schake werden mittelst langhaariger Bürste und 5% Carbollösung oben und unten desinfleirt. Im Ganzen muss streng darauf gesehen werden, dass kein Gegenstand und keine Person in das Krankenzim- mer gelangen, die nicht absolut dort nöthig sind, und dass Niemand und Nichts das Krankenzimmer verlassen (vom Arzt herunter bis zu einer Zeitung oder einem Spazierstock) ohne vorherige gründliche Desinfection.

Faekalien und Erbrochenes, welche auf den Fassboden kamen, werden sofort mit genügenden Mengen von Kalkmilch bedeckt und nachträghch aufgewaschen, und wie oben angegeben weiter behandelt.

. Wischlappen, Handtücher, Taschentücher, Hemden, Strümpfe, Unter- kleider, Kvisenüberzäge, Betttücher und andere waschbare Gegenstände werden in einem Fass (oder Waschkessel) auf wenigstens 6 Stunden im Krankenzimmer in desinflcirender Lösung eingeweicht, und nach- träglich einige Stunden lang abgekocht.

Der Patient wird rein gehalten. Ein Wachs- oder Gummituch unter dem Betttuch schützt die Matratze. Die Haut des Patienten wird mit grüner Seife und 2% Carbollösung von Faekalien häufig gereinigt. Im Genesungsfalle werden alle behaarten Theile mit besonderer Sorg- falt erst desinfleirt, dann wird Patient gebadet und nachher in einem Nebenzimmer in sterile Kleider gesteckt. Tritt der Tod ein, so wird

462

die Leiche sofort in ein mit 1:500 Sabliinatlösung getränktes Laken so gehüllt, dass alle Theile bedeckt sind und zwar ohne vorheriges Ab- waschen des Körpers. Letzterer wird sofort in den Sarg gelegt.

Nach Entfernung des Patienten wird die Desinfection des Kranken- zimmers und anderer inficirter Wohnräume vorgenommen. Bei der Beschreibung dieser Zimmerdesinfection richte ich mich genau nach der Methode, die ich in den Wohnräumen von Cholerapatienten zu beobachten Gelegenheit hatte, und welche in Berlin seit 1890 obliga- torisch bei Infectionskrankheitsfällen geübt wird. Vier geschulte Des- infectoren betreten kurz nach Verlassen des Kranken das Haus. Auf einem Handkarren befinden sich ihre Unifortnen und die nöthigen Geräthschaften. In einem Nebenzimmer werden die aus grauer Lein- wand gefertigten Arbeitsauzüge angezogen. Dieselben bestehen aus einem langen Kittel, der am Hals und an den Handgelenken fest an- schliest, hohen leinenen Stiefeln mit hölzernen Sohlen und einer Kappe, welche den Kopf und die Schultern bedeckt. Mund und Nase sind durch einen ovalen, dünnen, angefeuchteten Schwamm bedeckt, der mittelst Gummiband hinter den Ohren befestigt ist. Die abgelegten Strassenkleider der Desinfectoren (Hut, Rock, Kragen etc.) werden nun in einen mit 5 % CarboUösung getränkten (trockenen) Sack placirt und dort bis zum Verlassen des Hauses aufbewahrt. Nun wird heisses Wasser herbeigeschafft. Eimer bringen die Leute selbst mit. Das inflcirte Zimmer wird jetzt erst betreten. Alles Bettzeug, Matratzen, Vorhänge, Teppiche, Tücher und gepolsterte, transportable Möbel wer- den in carbolisirte Säcke und Umschlagtücher gewickelt, und so durch den Hausflur in die sogenannten uiireinen Transportwagen (ähnlich unseren Furniture-Vans) placirt und nach einer der städtischen Desin- fectionsanstalten gefahren. Die vier Desinfectoren öffnen nun ihre Handtaschen. Dieselben sind aus Eisenblech und haben die Form von Handkoffern. Jede Tasche enthält 48 Gegenstände. Eine zusammen- legbare, aus Gasröhren gefertigte, mit Gummienden versehene Leiter, laughaarige Bürsten verschiedener Grössen und Muster, Messer und Holzplatten zum Brotschneiden, Kratzer, Tücher, Putzleder für die Fenster, Hammer, Nägel, Schraubenzieher, Kitt und Blechgefässe mit Carbol und zum Abmessen. Eine 2 % und eine 5 % CarboUösung und Kalkmilch werden nun hergestellt.

Bilder, Spiegel und alle übrigen Möbel werden erst in die Mitte des Zimmers zusammengestellt. Die Decke des Zimmers wird dann mit einem langhaarigen weichen Besen sorgfältig trocken abgekehrt. Darauf entnimmt jeder Desinfector einen grossen länglichen Laib Schwarzbrot aus dem unerschöpflichen Bauch der Handtasche, und schneidet mit einem eigens dafür konstruirten grossen Messer auf dem platten Schnittbrett ein grosses, etwa zwei Zoll dickes Stück Brot ab. Nach Entfernung der Kruste passt das Stück genau in die Handfläche. Hier- mit bewaffnet steigt nun jeder Arbeiter auf seine Leiter, und fängt in der linken oberen Ecke seiner Wand an, letztere in gleichmässigen

403

^ügea von Oben nach Unten fest abzureiben. Das Brod ist genau 24 Stunden alt. Die Demarkationslinie zwischen der so gereinigten und der noch schmutzigen Wandfläche ist weit sichtbar. Der der Wand anhaftende Schmutz mischt sich so mit der untersten Lage des reiben- den Brotes und fällt zum kleinen Theil als Krümel auf den Fussboden. Nachdem die unterste Lage des Brotstückes eine gewisse Portion Schmutz aufgenommen hat, schneidet der Mann diese dünne Lage ab, lässt dieselbe auf den Boden fallen, und arbeitet mit dem verdünnten Stück weiter. Nachdem so die Wand gereinigt ist, werden die Brot- reste in eine Blechbüchse zusammengekehrt, später mitgenommen und in der Anstalt verbrannt. Alle tapezierten und angestrichenen Wände werden mit Brot gereinigt, und dann mittelst langhaariger, in 2% Car- boilösung angefeuchteten, Bürsten abgekehrt. Getünchte Wände werden mit 5 % Carbollösung abgewaschen und mit Kalkmilch nachge- strichen.

Holzmöbel, Bilder und Femterr ahmen, Thüren und Einfassungen werden nun in Angriff genommen. Polirte und geschnitzte Flächen werden mit weichen Tüchern und 2 % Carbollösung abgewaschen und gleich trocken abgerieben. Andere Flächen werden zweimal nach einander so nass und nachher gleich trocken abgerieben. Sichtbare Schmutzflecke werden erst mit grüner Seife entfernt.

Bilder ohne Glasbedeckung werden trocken abgerieben. Oelgemälde werden mit 2 % Carbollösung und gleich darauf trocken abgerieben. Metallene Flächen werden ebenso behandelt.

Gepolsterte Möbel werden vorsichtig mittelst langhaariger Bürsten und 5 % Carbollösung abgebürstet. Alle Ledersachen werden mit der- selben Lösung gewaschen. Spielsachen werden verbrannt oder in der Station mittelst Dampf sterilisirt.

Der Fusshoden wird nun zuerst mit heissem Wasser und grüner Seife aufgewaschen. Dann nochmals mit 5 % Carbollösung und dann trocknen zu lassen. Parquetböden werden mit 2 % Carbollösung und weichen Lappen und gleich darauf trocken abgerieben.

Nachträglich werden Bilder und Möbel wieder an Ort und Stelle ge- bracht, und damit ist die Arbeit, welche meist zwei Stunden in An- spruch nimmt, beendet.

Alle Desinfectionsgeräthe werden darauf mit 5 % Carbollösung des- inflcirt. Die Arbeitsanzüge werden mit angefeuchteten carbolisirten Bürsten abgekehrt und in die carbolisirten Säcke gesteckt. Gesicht, Hände, Nägel, Bart und Kopfhaare werden mit viel Wasser und grüner Seife sorgfältig gereinigt, die Strassenkleider werden angezogen und können nun die Arbeiter zu Fuss oder auf Extrawagen nach der Station zurückkehren. (Selbstverständlich werden Gänge u. s. w. im Haus ebenfalls desinficirt.) Personen, welche mit den Kranken in Berührung kamen, werden in den Stationen oder in dem Hospital desinficirt und beobachtet.

464

II.

Desinfections-Anstalten.

Alle Sachen, welche durch die „unreinen" Wagen nach der Desin- fectionsanstalt gebracht wurden, werden auf der „unreinen" Seit« des Gebäudes entladen. Das Desinfectionsgebäude ist aus Stein, besteht wesentlich aus einer die Längsachse durchziehenden dicken steinernen Scheidewand, welche drei grosse Sterilisationsöfen enthält, von wel- chen jeder ungefähr acht Fuss hoch, 5| Fuss breit und 10 Fuss tief ist. Diese eisernen Oefen sind eingemauert, sind luftdicht verschliessbar und sind mit allen Zu- und Abfuhrleitungen für trockene und feuchte Hitze ausgiebigster Weise versehen. Thermometer, Regulatoren u. s. w. sind selbstverständlich. Grosse eiserne Gestelle, welche in die Oefen passen und leicht aus denselben auf stationären Schienen heraus- oder hineingerollt werden können, werden mit den zu desinficirenden Gegenständen derartig beladen, dass der im Ofen circulirende Dampf überall durchkommt. Besondere Vorschriften beim Beladen verhü- ten Schädigung der Sachen. Ein Arbeiter kann die Gestelle in den Ofen schieben und die Thüre schliessen. Zuerst wird dann auf 5-10 Minuten trockene Hitze in den Ofen gelassen, damit alle Gegenstände sich über 212° F. erhitzen ehe der heisse Dampf einströmt. Der heisse Dampf durchströmt nun den Ofen unter einem Druck von mindestens Vio Atmosphäre, ohne, dass sich so die in demselben suspendirte Feuchtigkeit niederschlägt, was nur in niederer Temperatur geschieht. Nach 45 Minuten langer Einwirkung des Dampfes wird derselbe wie- der ab- und die trockene heisse Luft wieder auf fünf Minuten ange- dreht, um etwaige kleinere Feuchtigkeitsniederschläge noch zu besei- tigen. Etwaige Schädigung von Kleiderstoffen wird durch dieses Verfahren vollständig vermieden. Nach Beendigung der Desinfection gibt ein elektrisches Glockensignal von der „unreinen" nach der „rei- nen" Seite hin, den dortigen Arbeitern das Zeichen zum Entleeren des Ofens. Die so sterilisirten Gegenstände können in reinen Vor- rathskammern der Anstalt so lange aufbewahrt werden bis die Woh- nung der Patienten desinficirt ist.

Vier solcher Oefen können die Kleider von etwa 500 neuen Cholerakranken täglich sterilisiren, vorausgesetzt, dass die Mann- schaften von sieben Uhr Morgens bis sechs Uhr Abends arbeiten. Die Hospitäler Berlin's sind alle mit derartigen Oefen' versehen. Das Moabiter Krankenhaus hat allein vier. Die Sterilisationsapparate, welche mir in Hamburg gezeigt wurden, waren alt und klein, und meist nur für trockene Hitze eingerichtet. Berlin hat seit 1887 zwei grosse städtische Desinfectionsanstalten und wird bald vier haben. Jede Anstalt hat drei grosse Oefen. Die Desinfectoren sind alle geschulte Leute. Von allen Theilen des Reiches werden Mannschaften von vorsorglichen Stadtbehörden zur Ausbildung in die Berliner Desinfectionsanstalten geschickt. In Hamburg war man derartig nicht so vorbereitet, als die Cholera auftrat. Die Desinfectoren

mussten neu angewiesen werden. Welchem System der Vorzug zu geben ist, ist klar. Die Arbeit der Desinfectoren wird stets durcli einen Kontrolleur inspicirt. Die Leute sind streng angewiesen, höflich und zuvorkommend gegen das Publikum zu sein, und sind sie dadurch beliebt und nicht gefürchtet. Die erste Desinfectionsanstalt wurde schon 188G in Berlin in Betrieb gesetzt. Wohnungsdesinfection besteht seit dem 7. Februar 1887, und ist dieselbe bei allen Fällen von Cholera, Blattern, Kemittens, Flecktyphus, Diphtherie, Scharlach, Dysenterie und gelegentlich bei Abdominaltyphus seit dem 24. J all 1890 oblirja- toriscli.

Die Berliner Desinfectionsarbeiten haben sich glänzend bewährt, denn trotz der häufigen von Hamburg eingeschleppten Fälle von Cholera, erkrankte auch nicht ein Mensch weiter in den desinflcirten Wohnungen. Einen vergleichenden Massstab an Hamburg zu legen, ist unmöglich, da die eigentliche Infectionsquelle hier im Trink- und Waschwasser bestand.

III.

Desinfection in Hospitälern.

Der Vollständigkeit halber will ich hier die Instructionen folgen lassen, welche mir von Herrn Prof. Kitvipf, dem Direktor des alten und neuen städtischen Krankenhauses in Hamburg, bei meinem Besuch dort selbst übergeben wurden : 1. In dem Krankenzimmer oder dem Vorräume sind ein oder mehrere Behälter aufzustellen, welche mit einer desinflcirenden Lösung soweit gefüllt sind, dass die hineingeleg- ten Sachen von der Lösung bedeckt werden. Lösungen : a. 2 Pro- zent Carbol., b. 1 Vo« Sublimat, c. 1 Prozent Lysol. 2. In diese Lösung werden alle ausser Gebrauch genommenen Wäschestücke der Kran- ken hineingelegt und bleiben darin völlig bedeckt vier Stunden. 3. Nach der Herausnahme aus dieser Lösung wird die Wäsche in einem zuvor mit SubHmatlösung getränkten Sack zum Desinfectionsofen gebracht und dort nochmals desinflcirt. 4. Unbrauchbare Wäsche- stücke kommen in den Verbrennungsofen und werden in ein Sublimat- tach eingehüllt dorthin transportirt. 5. Mit Erbrochenem oder Koth beschmutzte Stücke sind wie drei und vier zu behandeln. 6. Freige- wordene Bettstellen werden mit 1 Prozent Lysollösung abgewaschen. 7. Fussböden werden mit obigen Lösungen gewaschen. 8. Die Kleider des Kranken werden in ein Sublimattuch geschlagen und nach dem Desinfectionsofen gebracht. 9. Speisen dürfen in dem Krankenzimmer nicht aufbewahrt werden. Ueberbleibsel werden verbrannt oder nach Desinfection begraben. 10. Aerzte und Wartpersonal müssen sich beim Verlassen des Krankenraumes die Hände sorgfältig desinflciren. 11. Das Wartpersonal darf im Krankenraum unter keinen Umständen Speise zu sich nehmen. Dasselbe nimmt seine Mahlzeiten in beson- deren Speisesälen, vor deren Betreten sorgfältige Desinfection der Hände nothwendig ist. Ebenso bedürfen alle anderen Körpertheile und Kleidungsstücke, welche mit Ausleerungen der Kranken oder

466

beschmutzter Wäsche in Berührung gekommen sind, der Desinfectioh mit Sublimat oder Lysol. Mund und Mundhöhle müssen vom An- steckungsstoff freigehalten werden. 12. Besuche der Kranken sind nicht gestattet. Die Benutzung von ungekochtem Wasser zum Trin - ken oder Waschen ist streng verboten.

Diese letztere Anordnung ist in einem Hospital leicht, in Privat- wohnungen sehr schwer durchführbar. Wer das nicht glauben will, der versuche das nur 'mal zu Hause durchzuführen. Bei der Ent- nahme des Wassers aus der Leitung kommen selbst geschulte Leute mit dem ungekochten Wasser in Berührung, wie viel mehr ungeschulte Personen. Man denke nur an die Milchsterilisation und male sich dann aus, wie hier in New York bei inficirter Wasserzufuhr obige An- ordnung befolgt würde. Jeder, der auch nur die geringste praktische Erfahrung besitzt und vorurtheilsfrei hierüber nachdenkt, wird sich nicht (wie es hier mündhchund schriftlich so oft in den letzten Monaten geschah) hinstellen und dem lieben Gott danken, dass wir Amerikaner nicht so dumm und so schmutzig sind wie andere Menschen, namentlich aber nicht wie die Hamburger.*)

Hamburg ist eine sehr reine Stadt. In zwanzig Jahren war ich sechsmal dort, manchmal auf Wochen. Ich kenne die schönsten und die kleinsten Strassen. In ganz Hamburg ist keine Strasse nur halb so schmutzig wie die Dritte Avenue, auch wenn nicht gepflastert wird, von unseren älteren Arbeiterdistricten gar nicht zu reden, denn die sind ausserhalb und innerhalb der Häuser unerreichbar in Schmutz, im Vergleich zu irgend welcher deutschen Stadt. Die Hamburger selbst sind reinlich, auch wenn sie arm sind. Ihre Kleider sind geflickt, aber reinlich, was mir wiederum aufflel. Die Epidemie trat dort nach Wolter (Berl. KUn. Woch. No. 43, p. 1094) zuerst bei Hafenarbeitern auf, die in neuen Arbeiterquartieren in der Gegend der oberen Elbe wohnten, und wurden die neuen Wohnungsquartiere ebenso schwer be- troffen wie die älteren, obgleich der Unterschied ein sehr grosser ist. Alle neuen Berichte zeigen auf das Wasser als Träger der Infection. Das nur nebenbei.

In Berlin zieht man Kalkmilch, grüne Seife und 5 % Carbollösung dem Sublimat vor. Die Desinfectionsvorrichtuugen in den 36 Pavil- lions des Eppendorfer Krankenhauses in Hamburg waren vorzügliche. Ruhe, Reinlichkeit und Ordnung traf ich überall. Circa 40 neue Zelte standen leer. Vertuscht wurde nichts in Hamburg. Die politische Presse brachte viele Unwahrheiten. Ihre Berichterstatter flunkerten meist aus sicherer Ferne. (Zum Beweis nur das Beispiel, dass die „New Yorker Staats-Zeitung" vom 9. September berichtete, dass ich von Hamburg aus dem New York Health Department telegraphirt habe, dass die Behandlung der Cholerakranken in Hamburg mangel- haft sei. Nach meiner Ankunft hier bat ich den City Editor selbst.

*) Im Medical Brief, Oct. 1892, lesen wir : " Hamburg is a eity where dirt is king, to whom all pay homage.

467

diese Angabe zu berichtigen, da ich die Behandlung der Cholera- lfranken nie erwälint hätte. Er versprach es und es geschah nicht.) Herr Prof. Rumpf hat öffentlicli erklärt, dass der erste Fall von Choler^ in Hamburg erst am 18. August klinisch und erst am 22. bakteriologisch diagnosticirt werden konnte. Vor der Choleraepidemie waren viele Personen während der ausserge wohnlichen Hitze in Deutschland an Cholera morbus erkrankt, was von französischen und amerikanischen Berichterstattern als Vertuschungsbeweis gebracht wurde. Der „Med- ical Record" behauptete in der Nummer vom 10. September, dass die Seuche volle zwei Wochen in Hamburg verheimlicht worden wäre, und beschuldigt die dortigen Behörden „krimineller Unfähigkeit, Nach- lässigkeit und des Betrugs". In der letzten Sitzung der Academie de Medecine in Paris wurde officiell zugestanden, dass der erste Fall von Cholera in Havre am 5. Juli und zwar von Paris eingeschleppt war, und dass von den ersten 50 Fällen in Havre 96 % starben. In No. 43 der „Gazette Hebdomadaire" wird berichtet, dass vom 4. April bis zum 15. Oktober 3184 Personen in Frankreich an der Cholera gestorben sind, und zwar im April 65, im Mai 28, im Juni 107, im Juli 466 und im Angust 841, also weit über 1000 Todesfälle, ehe nur die Seuche in Ham- burg auftrat. Dabei wurde die Existenz der Cholera in Frankreich von den Behörden stets geleugnet. Trotzdem habe ich noch keinen Commen- tar zu diesen Thatsachen im „Record" finden können, ebensowenig im „New York Herald".

IV.

Desinfection und duarantäne.

Herr Professor RobepwT Koch hatte die Güte mir im hygienischen Institut in Berlin folgende Ansichten über diesen Gegenstand zu diktiren :

1) Jede Einwanderung aus inficirten Ländern sollte während der Dauer der Cholera untersagt werden. Es kann nicht vorher gesagt werden ob die Seuche an demselben Ort im Frühjahr wieder aus- brechen wird. Ebenso wenig weiss man wie lange sich die Cholera- bacillen in schmutzigen Kleidern oder Lumpen erhalten können, und desshalb sollte sich das Einwanderungsverbot auf eine genügend lange Zeit erstrecken, um die Möglichkeit der Einschleppung auszu- schliessen.

Der deutschen Regierung wurde von Koch in einer Kommissions- sitzung im Frühjahr gerathen, den russischen Auswanderern nicht einmal die Durchreise durch Deutschland zu gestatten. Der Rath wurde nicht befolgt.

2) Wird die Einwanderung aus inficirten Ländern nicht aufgehoben, so müssen die Kleider, das Gepäck und die Körper solcher Einwande- rer in der Quarantäne desinficirt werden. Eine Quarantäne, in welcher nicht jedes Kleidungsstück der Einwanderer einzeln derartig durch heissen Dampf sterilisirt wird, dass jeder Zoll Fläche erreicht wird, ist Unsinn. Die Kommabacillen können sich unter günstigen Umständen

468

ebenso leicht 24 Tage wie 24 Stunden halten. Russische Auswanderer brachten die Keime an der Wäsche früherer Cholerakranker mit aus Russland nach Hamburg, Diese Leute waren von der Grenze bis zum Dampfer stets isolirt. In den von der Packetfahrtgesellschaft herge- stellten Baracken öffneten dieselben ihre Bündel und brachten ihre Hände und das Wasser der Elbe mit dem schmutzigen und inücirten Inhalt in Berührung. Die ersten Fälle von Cholera erschienen 24 48 Stunden nach Abfahrt der Dampfer. Man hatte also von der russischen Grenze bis zum Dampfer strenge Quarantäne gehalten (denn auf der Eisenbahn waren die Auswanderer in den Waggons eingesperrt), man beging aber einen „Kardinalfehler" (wie Koch es nannte) man desinfi- cirte in Hamburg diese Leute und ihr Gepäck nicht.

3) Inficirte Schiffe müssen bei der Ankunft sofort evacuirt werden, die Kranken in Hospitäler und die gesunden Passagiere in Beobach- tungsquartiere. Die von inflcirten Schiffen kommenden Passagiere müssen wenigstens noch 3 Wochen nach dem letzten unter ihnen ent- standenen Fall in Quarantäne bleiben. Auswanderer auf nicht inflcir- ten Schiffen können nach gründlicher Desinfection ihrer Habe und ihrer Person gleich eingelassen werden.

Bemerkung : Um das Gepäck von täglich 500 Einwanderern durch Dampf einzeln zu sterilisiren bedürfte der täglichen Arbeit von allein 16 Sterilisationsöfen, wie sie oben beschrieben wurden, ohne die Arbeit des Badens und Desinflcirens der Einwanderer selbst. Schwefel- räucherungen sind absolut werthlos. Werthlose Desinfection ist ge- fährlicher als gar keine, weil dadurch trügerische Sicherheit vorge- täuscht wird.

4) Bisher ist kein Fall bekannt, dass Passagiere der ersten oder zweiten Kajüte die Seuche verschleppt hätten.

5) Kaufmannsgüter und Postsachen haben noch niemals die Seuche verschleppt.

6) Die grösste Gefahr liegt in der Möglichkeit, dass die Wasser- zufuhr (also bei uns das Gebiet des Croton River) inficirt wird. Die Faekalien eines Cholerakranken im Anfang der warmen Witterung genügen dazu. Die scrupulöseste Reinlichkeit der Wohnungen und der Menschen würde in dem Fall eine Epidemie nicht verhindern, denn die eine und hauptsächlichste Infectionsquelle blieb auf. Die Gefahr der Verbreitung der Cholera von ein paar Dutzend einge- schleppten Fällen durch direkten Kontakt ist, bei einiger Massen gründ- licher Hausdesinfection, sehr gering, wie das Beispiel Berlin's zeigt.

Zum Schluss möchte ich mich auch hier noch für die Zuvorkommen- heit und Aufmerksamkeit bedanken, welche mir in Berlin und Ham- burg von unserer Gesandtschaft, dem Polizeipräsidium, dem Director des kaiserl. Reichsgesundheitsamtes und den Hospitalvorständen zu Theil wurden, und erwähnen, dass ich dem Herrn Oberstabsarzt Dr. Pfeiffer und Herrn Geheimrath Robert Koch zu besonderem Danke verpflichtet bin.

469

III.

Die häufigsten Fremdkörper in Ano» Von

Dr. FRANZ T. B. FEST,

Sand Hill, Mich.

Ein in der allgemeinen Praxis zu häufig übersehener Umstand ist die Wirkung von gewissen Fremdkörpern in Ano in Beziehung auf Pruritus, Fissura, Erösio und Intertrigo. Dass thierische Parasiten durch Reiz Pruritus und auch Erosionen hervorrufen, ist bekannt, und dieser Pruritus wird ja auch bei der Diagnose benutzt. Sehr selten hingegen und erwähnt finde ich es nirgends sucht man die Ur- sache unleidlicher Beisymptome in zu langen Afterhaaren. Eine bei mir sehr beliebte Ordinationsweise ist die durch Suppositoria, Kapseln oder Enema. Hierbei sammelte ich Erfahrungen, die nicht ohne Be- deutung für die allgemeine Praxis sind. So fand ich in zu langen Crines ani die Ursache von Tenesmus, Pruritus und Intertrigo. Bei harten und häufigen Stühlen drückt sich leicht das Ende des Rectum heraus, und der Afterring bleibt einige Augenblicke offen. Durch das Reinigen|werden die Haare an die Schleimhäute angedrückt und haften, wenn sie lang genug sind, in den Schleimhautfältchen. Gehen die Sphincter nun in ihre natürliche Lage zurück, so werden die Haare eingeklemmt und gespannt. Der mechanische Reiz nun verursacht das Gefühl von Tenesmus, und die Spannung Schmerz an den Haar- wurzeln. Reiben und Jucken vermehrt natürlich den Reiz, und an- dauernde Irritation muss Intertrigo oder Erosionen in Folge haben. Z. B.:

H. H., aet. 28, Farmer, klagte seit lange über Jucken und Wundsein im After. Er wusch ihn täglich mehrmals mit kaltem Wasser, und ge- brauchte Carbolvaselin, doch ohne bedeutende Linderung. Die In- spection ergab sehr lange Haare am After, von denen einige einge- klemmt waren. Die Behandlung bestand in vollständiger Entfer- nung der Haare, und Application von Carbolvaselin. Seit der Zeit hat sich das Gefühl von Stuhlzwang nicht mehr eingestellt.

Auf das gründliche Entfernen der Haare ist stets Gewicht zu legen, besonders aber bei Arbeitern, die gezwungen sind, sich im Staube auf- zuhalten ; denn hier dürfte es schwer fallen ohne Entfernung der Haare eine Reinhaltung des Anus zu erzielen, wie sie zur Heilung von Intertrigo doch nothwendig ist.

Zu wenig Aufmerksamkeit wird ferner den unverdaulichen Bestand- theilen der Nahrung geschenkt, wie Schalen von sweet corn, Körner von Trauben, Beeren, Aepfeln, Tomaten u. s. m. Ist bei einem Kranken sehr dünner Stuhl vorhanden, und sind solche Stoffe durch Darnieder- liegen des ganzen Digestionsapparates nicht durchaus aufgeweicht und zersetzt, so bleiben sie leicht im After zurück und wirken als

470

Fremdkörper, besonders durch ihre eonstante Keizung, wenn sie in den Fältchen des Afterringes eingeklemmt sind. Paraproctitis und Rectal-Fisteln verdanken ihnen ihr Bestehen.

I. B., aet. 18, Symptome einer Paraproctitis. Der geölte Finger ent- deckte in der Geschwulst einen harten Gegenstand. Nach der Ent- fernung erkannte ich in ihm einen HolzspUtter, der ins Kectum einge- stochen war. Der junge Mann hatte die Gewohnheit, seine Zahnstocher zu zerkauen.

Mrs. D., aet. 35, klagte bei einem Besuch über Hämorrhoiden, seit der Geburt ihres letzten Kindes (etwa 4 Monate). Sie hatte schon mehrere Aerzte zu Käthe gezogen, und eine Keihe Patent-Medizinen gebraucht, doch vergebens. In der Unterhaltung stellte sich heraus, dass von keiner Seite der leidende Theil untersucht worden war. Da ich mich weigerte, ohne Untersuchung irgend etwas zu administriren, verstand sie sich dazu. Yon Hämorrhoiden keine Spur, wohl aber eine tiefe Fissur nach dem Peritonäum zu. In ihr fand ich eingebettet den Kern einer Orange oder Citrone. Da ihr Leiden bei der Geburt begann, glaube ich, dass der Kern im After eingeklemmt war, und beim Durchschneiden des Kopfes in den Sphincter gedrückt wurde. Nach Entfernung des Kerns heilte die Fissur leicht.

Ch. M., aet. 14 Monate, hatte am Morgen einige dünne Ausleerungen, seitdem ist er unruhig, schläft nicht und schreit viel. Die Eltern, besorgt, riefen mich. Nirgends war etwas Abnormes aufzufinden. Auf Grund früherer Erfahrungen brachte ich den kleinen Finger in den Anus, und entfernte einige Tomatenkörner, herrührend von einer Tags vorher genossenen rohen Frucht. Alsdann führte ich ein kleines Cocainsuppositorium ein, und das Kind hatte Kuhe.

Wohl meistens werden die Reste beim nächsten Stuhl entfernt ; aber bis dahin bleibt das Gefühl von Tenesmus, wenigstens hält es einige Zeit an, und darum sollte nie bei Kindern die Untersuchung des Anus ausbleiben ; denn wird der Tenesmus beseitigt, so ist das Allge- mein-Befinden gehoben und etwaigen, wenn schon seltenen, Consequen- zen vorgebeugt.

471

NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für praktische Aerzte in Amerika. Eedigirt von Dr. f. C. heppenheimer.

EDITOKIELLE NOTIZEN.

15. December 1892.

lieber Entliromelali»ie.

In der Berliner klinischen Wochenschrift vom 7. November d. J. er- schienen gleichzeitig drei Artikel über obiges Thema, und zwar von Gerhardt, Senator und Bernhardt. Wir möchten hier ein Kesume dieser Arbeiten geben.

Der Name „Erythromelalgie" (Röthung und Schmerz der Glieder) stammt von Weir-Mitchell, der diese Affection als selbstständige Krankheit zuerst im Jahre 1872 und dann im Jahre 1878 auf Grund von sechs eigenen und fünf in der früheren Literatur von ihm aufgefundenen Beobachtungen von Graves, Paget u. A. zusammenfassend beschrieben hat. Nach ihm ergreift das Leiden vorzugsweise Männer, beginnt gewöhnlich nach einem leichten fieberhaften Unwohlsein, oder einer starken Körper- anstrengung, mit heftigen Schmerzen in einem oder beiden Füssen, seltener in den Händen. Die Schmerzen können sich centralwärts bis zu den Hüften ausbreiten, bleiben jedoch in der Regel auf die Füsse oder einzelne Stellen derselben beschränkt. Der Schmerz wird durch aufrechte Stellung und Wärme vermehrt, daher ist der Sommer für die Patienten die schlimmste Zeit. Horizontale Lage und Kälte lindern die Schmerzen. Nach einiger Zeit gesellt sich eine congessive Röthung der betroffenen Stellen hinzu, welche in leichteren Fällen nur vorüber- gehend auftritt, nach Anstrengungen, bei aufrechter Stellung, in schwereren und chronischen Fällen aber in wechselnder Stärke be- stehen bleibt und zeitweise stärker hervortritt mit sichtbarer Schwel- lung der Venen, Pulsiren der Arterien und Temperaturerhöhung an den oetreffenden Stellen. Die Krankheit verläuft äusserst chronisch während vieler Jahre mit Schwankungen von Besserung und Ver- schlechterung.

Die Autoren, welche seit 1878 über diess Affection geschrieben haben, sind : Lannois, Seeligmüller, Woodnut, Auche et Lepinasse und Morgan. Alle stimmen darin überein, dass es sich in den typi- schen Fällen von Erythromelalgie nicht um einen durch äussere oder innere Reize hervorgebrachten entzündlichen Process handelt, sondern dass Röthung und Schwellung auf einer Hijjperämie durch active Gefäss- erweiterang beruhen, d. h. auf einem Vorgang, den man gewöhnlich auf eine Lähmung der die Gefässe verengenden Nerven bezieht, und als

472

Angioparälyse bezeichnet. Es handelt sich sonach um eine vasomotori- sche Neurose.

Die Behandlung dieser Fälle anlangend, so konnte bisher die Hei- lung durch kein Mittel erzielt werden. Duchenne empflehlt die Fara- disation ; Senator hat bei seinem Patienten zuerst den faradischen, und dann den constanten Strom in wechselnder Anordnung, Monate lang in zweimal wöchentlichen Sitzungen angewandt, aber keine objec- tive Veränderung danach eintreten sehen. Am nützlichsten scheint die Application] der Kälte zu sein, wodurch die Schmerzen grösstentheils gelindert werden ; Antipyrin hat sich zu diesem Behufe gleichfalls als besonders effectvoU im GEKHARDx'schen Fall bewiesen.

Obgleich Erythromelalgie eine seltene Affection ist, zweifeln wir doch nicht daraa, dass auch in unserer Stadt derartige Fälle bald zur Beobachtung gelangen, und in den medicinischen Gesellschaften eine Besprechung finden werden.

REFERATE.

Krankheiten der Respirationsorgane.

Referirt von Dr. J. W. GLEITSMANN.

Treatment of Hypertrophie Rhinitis by Electrolysis. By W. Schleppe- ^ell. (New Orleans Medical and Surgical Journal, Septem- ber, 1892.)

Da Verfasser mit dem Resultat der chemischen Caustica bei hyper- trophischer Rhinitis nicht befriedigt war, und unangenehme Nach- wirkungen der Galvanocaustik vermeiden wollte, versuchte er Electro- lyse. Er sagt, er gebrauche eine Batterie mit 50 Volts mit geeignetem Rheostat und einen Strom von 10 Milliamaperes für die Dauer von 10 Minuten. Sehr grosse Hypertrophien ausgenommen, sei eine Applica- tion für je eine Muschel genügend, und die meisten Fälle zeigten eine vollständige Reduction des Gewebes nach 8 bis 10 Tagen.

Er gebraucht eine trockene Silberchloridbatterie, setzt die eine breite Kupferelectrode in der Regel auf den Xacken, sticht die andere, eine IJ Zoll lange Platinumnadel, in das submucöse Gewebe, und be- streicht nach vollendeter Operation die Einstichstelle mit Collodium.

Er hat 44 Fälle in dieser Weise behandelt, und in der Mehrzahl gute Erfolge erzielt.

A Contribution to the Study of Atrophie Rhinitis. By H. M. Wilson.

(N. Y. Medical Journal, November 12th, 1892.)

Der Autor wendet sich gegen Bosworth's Auffassung der Entste- hung der atrophischen aus einer vorhergegangenen purulenten Rhinitis, deren eintrocknende Secretion eine festauf den Schwellkörpern sitzende Decke bilde, welche durch Behinderung des Blutzuflusses Schrumpfung d. h. Atrophie hervorrufe. Darnach seien trockene, staubige Gegen- den der Entstehung und Häufigkeit dieser Erkrankung günstig.

Nach W.'s Beobachtungen ist aber durch den alkalischen Staub und die trockene Luft das Vorkommen der Krankheit in Colorado, ihrem Wohnsitz, nicht zu erklären. Er hat keine vorhergehende purulente Rhinitis gesehen, wohl aber glaubt er, dass die reizende Luft die

473

Schwellkörper übermässig reize, Hypertrophie derselben hervorrufe, und welche dann, wenn sie auf den continuirlichen Reiz nicht mehr reagiren können, collabiren und schrumpfen. Er führt drei Beispiele aus eigener Praxis an, bei welchen keine Nasenerkrankung vorherging, ein, mit hypertrophischer in einem, atrophischer Rhinitis im andern Nasenloch, und citirt Clinton Wagners Fall, bei welchem dieser ver- lässige Beobachter während mehrerer Monate Observation eine hypertrophische in eine atrophische Rhinitis sich umbilden sah.

Laryngeal Tubercle and Tuberculin. By A. J. Erwin. (Journal Am. Med. Association, October 15th, 1892.)

Erwin behandelte 26 Schwindsüchtige, von welchen 7 Larynxtuber- culose hatten, mit Tubercuhn. Ein Fall blieb gut nach 54 Injectionen, ein anderer wurde besser, verbrachte den folgenden Winter in relati- vem Wohlbefinden, und eine wiederauftretende Infiltration des Ary- knorpels wurde und blieb gut nach 6 Injectionen. Ein dritter Patient wurde nach 45 Injectionen besser, verschlechterte sich aber nachher, und wurde nicht wieder injicirt. Die andern 4 Patienten blieben in statu quo.

E. schliesst daraus, dass Tuberculin einzelne Fälle von Larynxphthise heile, dass diese aber von dem Mittel weniger beeinfiusst werde, als Lungenphthise, ferner, dass die Behandlung viel länger fortgesetzt wer- den muss, als gewöhnlich angenommen wird, schliesslich, dass Tuber- culin bloss in Frühstadien von Nutzen sei und bei Recidiven die Be- handlung ohne Zögern wieder aufgenommen werden soll.

Von allen 2G Kranken sind 5 jetzt ohne Krankheitssymptom, 4 ge- bessert (2 davon starben später, 2 andere nahmen die Behandlung wieder auf), 17 wurden nicht gebessert. Im Ganzen wurden 522 In- jectionen gemacht, ohne je von einem Abscess gefolgt zu werden.

Report of Gase of Papilloma of the Larynx, Intubationtnbe worn four Years. By F. E. Waxham. (Ibid., October 22d, 1892.)

Ein Knabe von 21- Jahren war heiser seit 8, aphonisch seit 2 Mona- ten, ebenso lange sind Respirationsbeschwerden vorhanden. Larynx- papilloma wurde diagnostizirt, und wegen zunehmender Dyspnoea intubirt. In der Hoffnung durch den Druck der Canüle das Papillom zur Absorption zu bringen, wurde Intubation, auch zweimal mit Belag der Canüle von Collodium und Chromsäure, wiederholt ausgeführt. Während W.'s Abwesenheit in Europa wurde tracheotomirt und fand er nun nach seiner Rückkehr den Larynx durch Adhäsionen gänzlich geschlossen. Durch Laryngotomie wurden Geschwulstmassen ent- fernt, später unter Chloroform eine Sonde und dann kleinste, später immer grössere Intubationsröhren introducirt. Eine Neubildung an der Basis der Epiglottis verhinderte im weitern Verlaufe die Athmuug durch die Intubationscaniile, und recidivirend, musste mehrere Male operativ entfernt werden. Nach zwei Jahren wurde die Tracheal- canüle entfernt, und befindet sich der Knabe, jetzt 6i Jahre alt und die Intubationscanüle tragend, ganz wohl.

W. hofft, dass wenn in der Pubertätsperiode der Larynx sich er- weitert, genügend Raum für die Athmung vorhanden sein wird.

Spontaneous Cure of Multiple Papillomata of the Larynx after Tracheo- tomy. By J. A. White. (Ibidem.)

Ein 5jähriger Knabe hatte Dysphonie und Dyspnoe in Folge von Papillomen am linken Stimm- und Taschenband und Intraarytenoidal- raume, die W. im Juni 1886 endolaryngeal entfernte. Als die Erschei- nungen im October wiederkehrten, zeigte sich Ausdehnung des Tumors

474

auf die rechte Seite, wie auch eine einzelne Geschwulstmasse am Kehl- deckel. Wiederum endolaryngeale Entfernung und microscopische Untersuchung, die den papillomatösen Character feststellte. Wachs- thum des Tumor zum dritten Mal, jetzt die ganze Apertur des Larynx bedeckend, theilvveise Entfernung im Januar 1887, 12 Tage darauf Tracheotomie wegen Apnoea. Fernere Operationen der Tumoren waren resultatlos, und active Behandlung wurde aufgegeben. Im Herbst 1889 war Verkleinerung der Geschwulst ohne ,iegl. Behandlung mit Ausnahme. des Sprays zu constatiren, und nahm dieselbe stetig ab, bis 1892 bloss eine kleine Hervorragung an der Epiglottis und ein Rest unter der vordem Commissur in der Trachea zu sehen war. Der Knabe spricht vollkommen gut und deutlich.

In der Analyse des Falles sagt W., dass sein Fall der erste eines Papillom der Epiglottis, und der sechste sei, in dem spontane Heilung von multiplen Papillomen nach Tracheotomie beobachtet wurde.

Ueber die Diagnose und Behandlung des Kehlkopfkrebses. Von Gold- stein. (Deutsche medizinische Wochenschrift, 12. Mai 1892.)

Für die Diagnose des Kehlkopfkrebses kommt in Betracht : 1) das laryngoscopische Bild, 2) die microscopische Untersuchung der ent- fernten Geschwulstfragmente und 3) die begleitenden Umstände.

In vorgeschrittenen Fällen ist auch für den weniger Geübten die laryngoscopische Diagnose nicht schwer. Das Emporwachsen un- regelmässiger, knotiger Bildungen aus stark inültrirtem Gewebe ist für Garcinom characteristisch. Maligne Tumoren scheinen bei voll- ständig normal aussehendem Boden äusserst selten vorzukommen. Doch giebt es Fälle, in denen die carcinomatöse Infiltration der eigent- lichen Neubildung vorangeht und giebt G. die Krankengeschichte eines seiner eigenen Patienten, in dem er Infiltration drei Jahre vor der TumorbilduDg beobachtete.

Die microscopische Untersuchung ist bloss von Werth, wenn sie den positiven Nachweis der Malignität liefert, ein negativer Befund schliesst letztere nicht aus. Die für die Untersuchung entfernten Theile sollen aus der Tiefe der Geschwulst entnommen werden.

Die begleitenden Umstände sind weniger massgebend, am ersten noch das Alter. Lymphdrüsenschwellungen können auch bei Tuber- culose, Syphilis vorkommen. Die Stimmstörung ist äusserst variabel und kann selbst bei ausgedehnter Infiltration gering sein.

G. tritt ganz entschieden für die Totalexstirpation des Kehlkopfes ein, und räth, dieselbe nach gesicherter Diagnose möglichst früh- zeitig zu machen, wenn Eecidive vermieden und gute Resultate er- zielt werden sollen.

Two Cases of Laryngectomy for Adeno-Carcinoma of the Larynx. By J. Solis-Cohen. (N. Y. Medical Journal, November 12th, 1892.)

Zwei hochinteressante Fälle für den Laryngologen wie Chirurgen. In dem einen machte Cohen die von ihm angegebene modiflcirte LaryngccLomie-Spaltung^des Larynx,'gründliclie Entfernung der kran- ken Theile im Innern mit Belassung des knöchernen Gerüstes, in dem andern eine complete Entfernung des Larynx.

Die beiden Krankengeschichten sind kurz wie folgt. Bei einem Pa- tienten, dem Referenten von einem der beschäftigsten Aerzte New York's zugewiesen, zeigte das Laryngoscop eine Geschwulst der linken Larynxhälfte, von der nach vierwöchentlicher erfolgloser antiluetischer Behandlung zwei Stücke entfernt, und microscopisch untersucht, als Krebs erkannt wurden. Dr. Cohen, von dem ihm befreundeten Kran- ken aufgesucht, bestätigte die Diagnose und operirte denselben in Ge-

475

gen wart des lieferenten. Nach vorausgegangener Traclieotomie wurde der Larynx vorne gespalten, ungefähr J Zoll der Schildknorpelplatte, und alle erkrankten Weichtheile des Larynx vollständig entfernt. Der Kranke überstand die Operation gut, fühlte sich verhältnissmässig wohl, starb aber in der vierten Nacht nach der Operation an Pneumonie.

Bei dem zweiten Patienten war 16 Jahre ehe ihn Cohen sah ein Papillom an der linken Larynxliälfte exstirpirt worden. Zehn Jahre war Patient nachher gesund geblieben, dann kehrte die Geschwulst wieder und brach auch nach aussen durch. Als der Patient zu C. kam, waren zwei Tumoren an der linken Seite sichtbar, die, als Papillom betrachtet, nach vorausgeschickter Traclieotomie wegen Dyspno(?, endolaryngeal theilweise entfernt wurden. Als die Untersuchung dieselben als Sar- com erkannte, wurde zuerst die modificirte (wie oben) und nach einer Wiederkehr des Tumor, vier Wochen später, die wirkliche complete Laryngectomie vorgenommen. Fünf Monate nach der Operation war noch kein Recidiv eingetreten.

C. spricht sich dahin aus, dass er nicht an die Umwandlung eines gutartigen Papilloms in eine maligne Geschwulst in diesem Falle glaube, da der Kranke zehn Jahre lang in vollständigem Wohlbefinden lebte. Doch ist es immerhin möglich, dass das Narbengewebe, vom ursprünglichen Tumor herrührend, eher eine Veranlassung zu maligner Nachbildung abgab, als die gesunde Schleimhaut.

Treatment of Diseases of the Respiratory Organs by Butcher's direct Contact Method. By F. M. R. Spendlove (Montreal). (The Medical Age, September 26th, 1892.)

Im Gegensatz zur indirekten Methode dem Einführen von Medi- cinen in den Magen befürwortet S. die directe Methode, viz. die Ein- athmung von gasförmigen Medicamenten mittelst eines Ammonia- inhalers. Die Luft streicht zuerst über den Säurebehälter, dann durch Ammonia, und schwängert sich dann mit den in der Flasche enthaltenen medicamentösen Stoffen. Er empfiehlt eine Mischung, die er „A" Mix- tur nennt, und Thymol, lodine und Eucalyptusöl in Theerwasser sus- pendirt enthalten soll, ohne aber deren genauere Zusammensetzung zu geben. Auch Pyoktanin, Guajacol, lodoform vverden hinzugefügt.

Dem Referenten ist der Vorzug dieses Apparates vor andern ähn- lichen nicht ganz klar, und noch weniger, welchen Einfluss diese Me- thode auf Tuberkelbacillen haben soll, obwohl S. sogar bei einem Kranken mit Erweichungsheerden bedeutende Besserung gesehen haben will.

Cantharidin and its Effects üpon Tubercular Lung Disease. By A. Zeh. (Merck's Bufietin, September, 1892.)

Zeh's Experimente erstrecken sich auf 12 Fälle, Wenn auch die Zahl der Kranken klein ist, so gewinnen die Beobachtungen doch an Werth, da genaue physikalische Untersuchungen der Lungen, der Sputa und des Urins vorgenommen wurden. Die Resultate sind nicht vielver- sprechende für diese Behandlungsmethode, da blos ein Patient, der dritte Fall, nach 14 lujectionen, trotz einer nachher auftretenden Haemorrhagie, später sich bedeutend besserte und wieder fähig wurde, zu arbeiten. Drei Fälle stellten sich nach mehreren Injectionen nicht mehr ein, andre drei opponirten weiteren Injectionen. Bei der Mehrzahl war der Lungenbefund und auch das Allgemeinbefinden weniger günstig, wie beim Beginn der Behandlung.

Die Zahl der Injectionen mit Ausnahme der erwähnten sechs Kran- ken variirte von 10 bis 21 an der Zahl mit dem kürzesten Intervall von zwei Tagen. Die Initialdose war gran, die Maxim uqidose Vsoo gran, doch betrachtet Zeh V450 gran als Norm für letztere.

476

The Treatment of Pulmonary Tuberculosis by Creosote. By E., E. Gra- ham. (Therapeutic Gazette, October 15th, 1892.)

G. wandte Creosot bei 228 Patienten an, von denen 192 in einer Dis- pensary, 36 in seiner Privatoffice behandelt wurden. Die Beobach- tungen erstreclcten sich über 11 Monate, das Mittel wurde bei Dispen- sary-Kranken blos per os, bei den andern auch mittelst Inhalation gegeben. Die Dose war im Beginn 1 Tropfen, dann steigend bis 15, bei manchen 40, bei einem Patienten 72 Tropfen täglich 3 Mal. Heilung, d. h. Wohlbefinden der Patienten, Sputum bacillenfrei, gesunder Lun- genbefund bei physikalischer Untersuchung, erfolgte bei Dispensary- Kranken im ersten Stadium in 10 Procent der Fälle, bei Privatpatienten in 57.8 Proeent. Den Unterschied in beiden Klassen erklärt G. durch die höhere Intelligenz der Privatkranken und deren bessere Ueber- wachung und hygienischen Verhältnisse.

Von den einzelnen Symptomen fand G., dass der Husten in allen Krankheitsstadien abnehme, ebenso die Quantität der Sputa, und ge- wöhnlich auch die Nachtschweisse. In der Mehrzahl der Fälle zeigte sich auch die Menge der Bacillen vermindert. Bei vorhandenem Fieber giebt G. kein Creosot. Er hält Creosot für ein werthvolles Mittel in Phthise, wenn es auch den von Sommerbrodt angegebenen Erwartun- gen nicht entspricht.

Pneumonia Treated by Ice-Cold Applications. By W. F. Jackson.

(Ibidem.)

J. wickelt den Thorax seiner Patienten in ein grosses, in Eiswasser getauchtes und ausgerungenes Handtuch ein, über welches ein trocke- nes befestigt wird. Das kalte Tuch wird so oft gewechselt, als Schmerz oder Temperatursteigerungen es erheischen, manchmal alle 5 oder 10 Minuten. Gesicht und Beine "werden mit in Eiswasser getauchtem Schwämme oft gebaden. Liquor Ammonii acetici, Spiritus aetheris nitrosi nebenbei gegeben, sollen die kritische Perspiration befördern.

Er hat in dieser Weise 25 Patienten behandelt, die sich alle mit zwei Aufnahmen schnell erholten. Der eine von den Beiden hatte vorher Grippe und acquirirte auch Pleuritis, der andere starb in Folge von Complication mit Nierenleiden.

Er giebt vier kurze Krankengeschichten, bei denen die Krankheit schon nach 2 bis 4 Tagen abgelaufen war.

Nervenheilkunde.— Referirt von Dr. G. W. JACOBY.

Ueber Hysterie von Kindern. Von F. Jolly. (Berliner klinische Wochenschrift, 22. August 1892.)

Es ist nicht die Absicht des Verfassers mit diesem Aufsatze wieder einmal nachzuweisen, dass die Hysterie bei Kindern vorkommt; dafür sind in der Literatur zahlreiche Belege vorhanden. Weil aber die Seele des Kindes verhältnissmässiger einfach und leichter zu studiren ist, so müsste man durch Beobachtung der Hysterie bei Kindern einige Auf- schlüsse über das Wesen der Krankheit bei Erwachsenen bekommen.

Alle localen Erscheinungen der Hj^sterie, sowie die Anfälle und Geistesstörungen der Hysterischen kommen bei Kindern vor.

Bezüglich der localen Erscheinungen werden sehr häufig hart- näckige Schmerzen, welche öfters mit spastischen Zuständen, gelegent- lich mit Paralysen und Anaesthesien verbunden sind, beobachtet. Häufig auch combiniren sich diese Erscheinungen mit Tremor, oder dieses tritt selbständig ein. Krämpfe der Athmungs- und Stimm-Mus-

477

kulatur, sowie Störungen der Sprache in Form von Stammeln, Lis- peln etc. sind nicht selten. Der hysterische Anfall tritt bei Kindern in Form der ungewöhnlichen, gesteigerten und zeitlich verlängerten Affectäusserungen auf. Schreikrämpfe, Weinkrämpfe, Lachkrämpfe mit Zuckungen in den Extremitäten, Tremor oder Convulsionen sind nicht selten. Bei diesen Zuständen besteht gewöhnlich eine gewisse Alteration des Bewusstseins, so dass die Kinder sich in traumartigen Vorstellungen bewegen, irgend eine Rolle zu spielen glauben, in deren Sinne sie handeln. Derartige Zustände sind gewöhnlich leicht zu be- seitigen, wenn auch eine Anstaltsbehandlung oft erforderlicli ist. Hier wird es sich um einfache Isohrung handeln, oder, wenn dieses nicht genügt, werden kalte Uebergiessungen und starke Faradisation noch zu Hilfe gezogen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Behandlung der Hysterie, sondern nur um die Beseitigung der einzelnen Symptome. Auf die Frage nach den Resultaten, die sich aus dem Studium der Hysterie bei Kindern ergeben, geht Verfasser näher ein. Erstens er- giebt es sich, dass die H. nicht vom Uterus stammt. Geschlechts- reizungen können unter Umständen auch bei Kindern bei der Entwick- lung der H. eine Rolle spielen, aber es wird diesem Factor vom Ver- fasser keine grosse Bedeutung beigelegt. Wichtiger in etiologischer Beziehung ist eine ererbte Disposition zur Neurose oder das Bestehen einer erworbenen Krankheitsdisposition. Die Momente, welche auf Grund dieser vorhandenen Disposition auslösend wirken, sind die acuten körperlichen Krankheiten ; ferner Schuleinwirkungen, wobei es sich nicht um Ueberbürdung handelt, sondern um Einschüchterung seitens der Lehrer, und Ehrgeiz, Erregbaiiceit und Empfindlichkeit seitens der Schüler. Etiologisch von Wichtigkeit ist die physiologische Lebhaftigkeit der Phantasie bei Kindern ; diese begünstigt die Ent- wicklung hysterischer Erscheinungen, unter Mitwirkung patliologischer Zustände. Nehmen wir es als erwiesen an, dass es sich bei der Hysterie um eine wesentlich psychische Affection handle, so fragt es sich weiter, wie wir sie als solche näher characterisiren können.

Verfasser meint, dass die von Moebiüs gegebene Definition, „alle durch Vorstellungen verursachten körperlichen Krankheitszustände" werden als hysterisch bezeichnet, gehe zu weit. Mehr gefällt ihm die Auslegung von Charcot, welcher hysterische Symptome als solche be- zeichnet, die durch Einbildung entstehen ; aber die Auffassung Oppfn- heim's wird wohl die richtigste sein. Hiernach handelt es sich bei der Hysterie zunächst um Zustände reizbarer Schwäche ; . dass infolge dieser reizbaren Schwäche alle Affectwirkungen und Reflexwirkungen in ungewöhnlicher Stärke, oder in ungewöhnlicher Form sich einstellen können, und dass auf Grund dieser Reactionsweise des Nerven- systems die allgemeinen anfallsartigen, wie die Lolvalerscheinungen der Hysterie zu Stande kommen. Will man aber alle verschiedenen Erscheinungen der H. zufriedenstellend erklären, so muss man doch beide Theorien, die CnARCOT'sche und die OppENHEiM'sche, zu HiKe nehmen.

Localized Transient Oedema. By M. Allen Starr. (N. Y. Medical Jour- nal, September 17th, 1892.j

Als Beitrag zur Casuistik des acuten Angeio-neurotischen Oedems, liefert Starr, drei Krankengeschichten. Der erste Fall betraf eine 28- jährige Frau, welche seit zwei Jahren ohne nachweisbare Ursache, ab und zu an Oedem der rechten Gesichtshälfte litt. Unter Massage- behandlung, besserte sich der Zustand derart, dass während sechs Monaten der Anfall ausblieb. In dem zweiten Falle, handelte es sich um eine 37jährige Frau deren Hände oedematös anschwollen sobald sie

478

in kaltes Wasser gesteckt wurden ; andere Körpertheile verhielten sich der. kalten Luft gegenüber, ähnlich. Während eines solchen Oedem- anfalles fand Starr, dass die Temperatur des befallenen Theiles all- mähhg mit Zunahme der Schwellung, stieg. So wurde z. B. die linke Hand eine Minute in kaltes Wasser gesteckt ; nach Herausnahme war die Temperatur iiier 87.5° F. wälirend sie an der rechten Hand nur 78^ F. betrug ; nach Verlauf von 9 Minuten zeigte das rechts angelegte Thermometer 85.5° und das links angelegte 93°. Die vorher geprüft und mit einander verghchenen Thermometer waren in jeder Beziehung gleich.

Der dritte Fall betraf eine 54jährige Frau, und zeichnete sich da- durch aus, dass das Oedem der linken Hand stationär blieb, während bei anderen Fällen immer Intermissionen eintraten.

Schlafattacken und hypnotische Suggestion. Eduard Hitzig. (Berliner klinische Wochenschrift, 19. September 1892.)

Verf. theilt hier einen einzelnen Fall von hysterischem Schlaf, wel- cher mittelst hypnotischer Suggestionen erfolgreich bebandelt wurde, mit. Die Mittheilung geschieht, nicht nur um diese Behandlungs- methode zu demonstriren, sondern wegen einiger Beobachtungen die über Stoffwechsel, vor, während und nach den Schiafättacken gemacht werden konnten.

^ Die Tliatsaclien, welche H. hierüber mittheilt, weichen in einigen Punkten von den Beobachtungen Anderer ab. Bei dem hier beschrie- benen Patienten trat Abnahme des Körpergewichts schon vor den An- fällen im prodromal Stadium ein, und diese Abnahme wurde unter Behandlung stetig vor jedem Anfall geringer. Die Abnahme des Körpergewichts während der Anfälle verhielt sich umgekehrt, denn anstatt geringer zu werden, nahm sie mit jedem Anfall mehr und mehr zu.

Auch die Stickstoffausscheidung zeigte schon während der Pro- drome, erhebliche Veränderungen, indem die Ausscheidung von Harnstoff stark vermehrt wurde. Während des Schlafes nahm die Ausscheidung von Harnstoff ab, und nach den Anfällen wieder zu, aber nicht in so erheblichem Maasse als vor den Attacken.

Die Frage nach der Ernährung während des hysterischen Schlaf- anfalles ist demnach, mit der Formel, ,,Die hysterischen Verbrennen während des Anfalles, wenig nur zum Theil beantwortet".

Electrodes and their Appliances in Electrocution. By Geo. E. Fell.

(The Journal of the American Medical Association, Sept. 24, 1892.)

Die Electroden, welche bei der ersten elektrischen Hinrichtung benutzt wurden, bestanden aus einer flachen DoiDpelelectrode für die Füsse, und einer concaven Electrode für den Kopf. Besondere Vorrich- tung um die Electroden nass zu halten bestand nicht. Die nächst gebrauchte Einrichtung wurde dahin modificirt, dass die eine Electrode der Wirbelsäule und dem oberen Theil des Schädels angepasst wurde. Die allerletzte Modiflcation der Electroden Anwendung besteht darin, dass ein nasser Schwamm am Schenkel und einer an der Stirne befestigt werden.

F. ist dafür, dass in Zukunft eine derartige Einrichtung getroffen wird, dass der Strom mit voller Intensität über die Herzgegend appli- cirt wird.

Discussion of Electrical Execution. By A. D. Rockwell. (Journal of the American Medical Association, Sept. 24, 1892. Bei Handhabung von Verbrechern ist das Streben der Civihsation nach humanen Methoden, und jene Form der Hinrichtung, welche am

479

schnellsten wirkt, und unsere ethischen Gefühle am wenigsten ver- letzt, ist diejenige, welche ,'i.ngew;indt werden S(dlte. Wenn das Gehirn '/25 Secunde gebraucht, um einen Eindruck zu empfangen, und '/„ Öecunde, um von dem Empfang dieses Eindruckes kund zu geben, so kann, wenn wir uns die Schnelligkeit vergegenwärtigen, mit welcher der electrische Strom fortgeleitet wird, das Gehirn, keinen Schmerz- eindruck bei der electrischen Hinrichtung, empfangen. Dieser Vor- theil kommt der Guillotine und der Garote auch zu, aber deren Gebraucli wird vom Verfasser wegen Verletzung unserer ethischen Ge- fühle, verworfen. Vergiftung, als Hinrichtungsniethode, hat sehr viel für sich ; ist man aber auf die engere Wahl zwischen Hängen und „Elec- trocution" angewiesen, so ist letztere unter allen Umständen vorzu- ziehen. Es werden die Experimente mitgetheilt, welche zur Erörte- rung dieser Frage von der Staatlichen Commission angestellt wurden. Grosse Thiere, Pferde und Ochsen, erlagen sofort einem einzigen Schlag von 1,000 Volts. Respiration und Herzschlag waren gleich nach Stromesunterbrechung erloschen, und alle Methoden um künst- liche Bespiration einzuleiten, blieben erfolglos.

Bei der ersten Hinrichtung stellte es sicli aber heraus, dass der menschliche Körper, dem electrischen Strom gegenüber mehr Wider- standskraft besitze als das grösste Hausthier, denn ein einzelner Schlag von 1,700 Volten war nicht im Stande die Herz- und Respira- tlons-Thätigkeit vollkommen aufzuheben. Verfasser meint, dass der psychische Zustand des Hinzurichtenden hierzu beiträgt ; dass die „Nervöse Spannung" der Wirkung des electrischen Stromes direct entgegentrete. Als Beweis hierfür soll der Umstand dienen, dass einzelne Personen, accidentell durch eine geringere, als die oben genannte, Anzahl Volten den Tod erlitten.

Die ethische Frage ob sich der Arzt nicht von solchen Hinrichtun- gen vollständig fern halten soll, wird verneinend beantwortet, denn meint Verfasser es ist Sache des Arztes den Tod, wenn er nicht fern zu halten ist, wenigstens so weit als möglich zu lindern.

Chirurgie.— Referirt von Dr. FRANZ TOREK.

Operative Therapie der angeborenen Hüftverrenkung. Von Prof. Dr. Adolf Lorenz, Wien. (Centralbl. für Chir., 1892, No. 31.)

Das Verdienst, eine rationelle operative Therapie der angeborenen Hüftverrenkung inaugurirt zu haben, gebührt A. Hoffa. Dieser em- pfiehlt folgendes Verfahren : Blosslegung des dislocirten Kopfes durch den LANGENBECK'schen Resektionsschnitt von hinten her, subperiostale Loslösung der Gelenkkapsel und aller in die Trochanteren inserirten Sehnen, Abhebung des Kopfes vom Darmbein durch maximale Beu- gung und Adduktion des Oberschenkels, künstliche Vertiefung der Pfanne, eventuell Tenotomien an der Spina ant. sup. und in drr Knie- kehle, worauf die Einrenkung in die künstliche Pfanne möglich wird. L. wandte diese Methode in einem Falle an. Er fand die Reposition sehr schwierig ; die Operation dauerte 1^ Stunden, der Wundverlauf war kein reiner, und die Luxation stellte sich bald wieder ein. L. ist der Meinung, dass die pelvitrochanteren Muskeln nicht das Haupt- hinderniss zur Reposition sind, sondern diejenigen, deren Verlaufs - richtung mit der Femurachse am besten übereinstimmt (besonders Semitend., Semimemb., Biceps und Rectus). Er hat daher folgende Methode ersonnen und in vier Fällen erfolgreich ausgeführt : Kräf- tigste Extension und Contraextension mittelst dicker w^ollener Strähne ; subcutane Myotomie der Adduktoren und durch dieselbe Oeffnung

480

der Tubermuskeln vom Sitzknorren ; nun unter gleichmässig fort- dauernder Extension 6 7 cm. langer Hautschnitt von der Spina ant. sup. direkt nach abwärts ; Auseinanderziehung der Wundränder und Durchtrennung der Fascia lata, des Tensor fasc. lat., des vorderen Randes des Glut, med., und des Sartorius in querer Richtung ; Vor- dringen in die Tiefe zwischen Sartorius und Tensor; Durchtrennung der Rectussehne knapp unter der Spina ant. inf.; Freipäparirung der vor- deren Gelenkkapsel, unter welcher man den der Pfanne schon gegen- überstehenden Kopf tastet ; Spaltung der vorderen Kapsel mittelst Kreuzschuitte ; nun Unterbrechung der Extension und Luxiren des Kopfes mittelst Beugung, Adduktion und Hinaufschieben der Femur. Nun werden uuter Leitung des Zeigefingers mittelst eines Knopfmes- sers stark gespannte Kapselpartien gelöst, und mit dem HoFFA'schen Bajonettlöffel, ebenfalls unter Leitung des Fingers, wird die Pfanne ver- tieft, worauf der Kopf reponirt und das Bein in leichter Abduktions- stellung fixirt wird.

Die operative Behandlung der angeborenen und anderer Hüftver- renkungen. Von Dr. Karewski, Berlin. (Centralbl. für Chir., 1892, No. 36.)

K. berichtet über 5 Fälle kongenitaler, 1 Fall von Spontanluxation und 8 paralytische Verrenkungen. Indem er sich auf die Arbeiten von HoFFA und die oben beschriebene von Lorenz bezieht, ist er, im Gegen- satz zu deren Ansicht, der Meinung, dass nicht nur die Verkürzung der Muskeln, sondern vor allen Dingen die Schrumpfung der lateralen Theile der Gelenkkapsel und des Lig. ileofemorale das Repositions- hinderniss bilden. K. schickt stets eine mehrwöchentliche Extensions- behandlung der Operation voraus. Tenotomien sind bisweilen nöthig, bisweilen nicht. Die Retention des Kopfes in der Pfanne ist bei kon- genitaler Luxation deswegen schwierig, weil die Pfanne nie normal, zu- weilen nur durch eine kleine Delle angedeutet ist und gleichzeitig Schenkelkopf und Schenkelhals pathologisch gestaltet sind, ersterer zuckerhutförraig, letzterer bisweilen fast ganz fehlend. K, bedient sich des LANCiENBECK'schen Resectionsschnittes. Bei Luxationen nach vorn hält er den vorderen Resectionsschnitt für geeigneter. Die Pfanne er- weitert er mit Hohlmeisseln, schneidet den Limbus cartilagineus senk- recht ein, und wo er dennoch fürchtet, dass sich aer Kopf wieder nach oben luxirt, schafft er durch palissenartig in den Pfannenrand einge- schlagene Nägel 6 8 Tage lang einen künstlichen Wall. In den ersten drei Wochen der Nachbehandlung wird ein Gipsverband angelegt, welcher die ganze operirte Extremität, sowie das Hüftgelenk der an- deren Seite fixirt und bis zur Achselhöhle hinaufreicht. Dann passive Bewegungen nebst Extension ; nach acht Wochen Gehversuche in Ex- tensioDsschiene ; Massage, Electricität.

Das Endresultat der Operationen war eine ausserordentliche Verbes- serung, aber keine restitutio ad integrum. Das Resultat wurde um so besser, je länger die orthopädische Nachbehandlung dauerte. Die besten Erfolge sind bei der traumatischen Luxation zu erzielen.

Tubercular Empyema with Resection. Von S. F. Johnson, Los Angeles.

(Southern Calif. Pract. Vol. VII, No. 9.)

Der Autor meint es jedenfalls gut mit dem Leser, da er zu dessen Erheiterung, wo es nur thunlicli ist, Witze und Possen reisst, ja sogar Verse schmiedet. Zum Beispiel wie er besehreibt, dass eine College seinem Empyem-Falle ein Löchlein zwischen die Rippen gestossen und ein gänsekieldickes Drainage-Rohr eingeführt hat, sagt er, dass das arme RöhrcheU; nachdem es sich einen Tag lang redlich abgeplackt

481

hatte, durch Ueberarbeitung und schlechte Aussichten entmuthigt» ganz leise, aber dennoch eilig, hineingeschlüpft sei, und " By the dawn's early light The smootli little tubelet was plumb out of sight, Having gone to join McGinty the previous night." Und so weiter. Der beschriebene Fall ist übrigens an und für sich von Interesse. Die Resection einer Rippe wurde lege artis vorgenommen, und im Eiter fand man einige Erdbeer-Körner. Bei der nächsten Aus- waschung, und auch bei jeder folgenden, wurden immer wieder Speise- reste vorgefunden, bis der Patient eine Zeit lang per rectum ernährt wurde. 67 Tage nach der Operation starb der Patient. Autopsie zeigte die ganze linke Lunge und einengrossen Theil der rechten tuber- culös. Im Magen keine Perforation. Im O-^sophagus, gegenüber dem dritten Brustwirbel, eine etwa 1 Zoll lange und 3 4 Linien breite Oeff- nung, die als tuberkulöse Ulceration durch die Pleura in den Oeso- phagus betrachtet wurde.

Radical Surgery the Best Surgery in the Treatment of Extensive Lacerated and Contused Wounds of the Extremities. Von E. H. Richardson, Atlanta, Ga. (Fort Wayne Journ. of Med. Sc, Vol. XIL, No. 7.)

Wie der Titel besagt, spricht sich R. gegen übertriebenen Conserva- tismus in der Chirurgie aus. Er hält denselben für äusserst gefährlich bei ausgedehnten Riss- und Quetschwunden wegen der Möglichkeit des Tetanus, der bei Amputationen fast ausgeschlossen ist. Leider sind die von ihm angeführten statistischen Beläge absolut werthlos, um seinen Standpunkt zu erhärten, da dieselben weit in die vor-antisep- tische Zeit hineinreichen. Die Arbeit wird nur deswegen referirt, weil der Titel derselben selbstverständlich Aufmerksamkeit und Neugierde erweckt.

An Experimental Inquiry concerning Elastic Constriction as a Hae- mostatic Measure. Von Nicholas Senn, M. D., Ph. D., Chicago. III.

(Fort Wayne Journ., Med. Sciences, Vol. XII., No. 9.)

In dieser Arbeit theilt S. seine klinischen Erfahrungen über elastische Konstriktion der Extremitäten und die Resultate von Expe- rimenten an 15 Hunden mit, welche die Konstriktion von 2 Stunden 25 Minuten bis zu 21 Stunden trugen. Er stellt am Schluss der Arbeit folgende Sätze auf :

1. Der Gebrauch der elastischen Binde, um ein Glied blutleer zu machen, sollte verworfen werden, da die Kompression der betroffenen Theile eine mechanische Verbreitung bösartiger Geschwülste und durch Mikroorganismen erzeugte Krankheiten zur Folge haben kann.

2. Die Blutleere sollte man durch Hochheben des Gliedes vor An- legung der Konstriktionsbinde erzielen.

3. Die Konstriktion sollte mit genügender Kraft gemacht werden» um sogleich sowohl die arterielle als die venöse Circulation zu unter- brechen.

4. Venöse Stase verhindere man, indem man schnell konstringirt und an derjenigen Seite des Gliedes mit dem Druck beginnt, wo die Hauptblutgefässe liegen.

5. Man vermeide lineäre oder zu feste Konstriktion, da diese zu Muskelverletzuiigen und zu temporärer oder permanenter Lähmung in Folge schädlichen Druckes auf einen grossen Nervenstamm führen kann.

482

6. Elastische Konstriktion eines Gliedes sollte sich über ein ring- förmiges Areal von mindestens 2 Zoll Breite erstrecken und kann am gefahrlosesten mit Hülfe eines zu diesem Zweck konstruirten elasti- schen Bandes -oder mit einer gewöhnlichen Gummibinde gemacht werden.

7. Die cirkuläre Konstriktion eines Gliedes sollte womöglich an einer Stelle geschehen, wo die grossen Nervenstämme gut von darüber liegenden Muskeln geschützt sind ; falls dies nicht möglich ist, sollte man eine dicke Gaze-Kompresse zum Schutze derselben überlegen.

8. Die Lebeosfähigkeit der von der Cirkulation ausgeschlossenen Gewebe wird gefährdet, wenn man den ischaemischen Zustand auf 3 bis 4 Stunden ausdehnt ; bei noch längerer Dauer kann sich Gangrän ein- stellen.

9. Der Vorgang der Karyokinesis in Geweben, die vom Kreislauf durch elastische Konstriktion ausgeschlossen wurden, wird ungünstig beeinflussL, wenn letztere länger als zwei Stunden gedauert hat.

Allerlei.

In der am 5. d. M. stattgefundenen Sitzung der Deutschen Medici- nischen Gesellschaft von New York wurden folgende Beamten für das Jahr 1893 gewählt :

Präsident : J. W. Gleitsmann.

Vice-Präsident : Geo. W. Kachel.

Protokollirender Secretär : Max Einhorn.

Stellvertretender protok. Secretär : F. Torek.

Korrespondirender Secretär : A. Kose.

Schatzmeister: L. Weiss.

Aufnahme-Komite :

F. Lange, C. Heitzmann, C. A. von Ramdohr, H. Krollpfeiü'er, G. M. Edebohls.

Das am 17. d. M. im Ari<jn stattfindende Fest dieser GesellscLaft verspricht ganz besonders lebhaft und prunkvoll zu werden. Es sind bereits über 150 Couverts belegt worden, und unter den Gästen hat auch Herr Carl Schurz seine Theilnahme am Diner zugesagt.

Ende November fand die Grundsteinlegung für das neue, an der Ecke der Zweiten Avenue und 20. Strasse zu errichtende Gebäude des ,,New York Post Graduate School and Hospital" statt. In Folge des un- günstigen Wetters beschränkte sich die Feier hauptsächlich auf einein dem bisherigen Hospital-Gebäude No. 226 zwanzigste Strasse abgehal- tene Versammlung, bei welcher Gelegenheit die Herren Professor Dr. T. Gaillard Thomas, Kev. Professor Dr. Marvin K. Vincent und Kev. Dr. Henry Y. Satterlee mit vielem Beifalle aufgenommene Ansprachen hielten, in welchen die Kedner auf die Thätigkeit des Institutes hin- wiesen. Nach den vorliegenden Berichten wurden in dem genannten Hospital im Laufe des Jahres 888 Hauspatienten behandelt, und zwar 301 Kinder und 587 Erwachsene. Im Dispensary fanden 15,832 Patien- ten Behandlung und es fanden 51,002 Besuche statt. Namentlich in der Abtheilung für Kinder hat sich schon seit längerer Zeit ein empfindlicher Raummangel bemerkbar gemacht, und so wurde das Bedürfnis nach einem Neubau immer dringender, bis endlich der Ent- schluss gefasst wurde, einen solchen an der genannten Ecke zu errich- ten. Das Publikum kam diesem geplanten Unternehmen mit grosser Opferwilligkeit entgegen, und die Subskription hatte einen überaus günstigen Erfolg, so dass der lange gehegte Plan nunmehr zur Aus-

483

führung gelangen soll. Nach dem entworfenen Plane soll das neue Gebäude nicht nur die Hospitalräunie umfassen, sondern auch die geeigneten ünterrichts-Eäumliclikeiten für das praktische Studium der Medicin und für die Ausbildung geschulter Wärterinnen enthalten. Auch die sich immer mehr vergrössernde Bibliothek soll ein geeigne- teres Unterkommen finden, als bisher in den alten engen Eäumen.

(N. Y. Staats-Ztg.).

Dr. M. Simmonds, Prosektor, am Alten allgemeinen Krankenhause in Hamburg, macht in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift" interrossante Mittheilungen über die Rollo, welche Fliegen bei der Choleraübertragung spielen. Bei der bakteriologischen Untersuchung einer, in dem Choleraleichen enthaltenden Sektionsraume gefangenen Fliege fanden sich viele Kommabacillen. Als S. die Leichen möghchst rasch nach der Autopsie zunähen und die Tische gut abspülen liess, verschwanden die Bacillen. Dass nicht etwa, wie man zunächst erwar- ten könnte, die gegen Eintrocknung so sehr empfindlichen Cholera- keime an den Fliegen beim Fluge bald absterben würden, davon über- zeugte sich 8. durch mehrere Versucue ; selbst nach l^stündiger Dauer halten sich noch Cholerakeime an fliegenden Insekten, und so begreift man, dass die Fliegen durch Infektion von Speisen, Suppen, Milch u. s. w. sehr wohl zur starken Verbreitung der Cholera beitragen können. Als praktische Folgerung aus diesen seinen Versuchen empfiehlt Verf. alle mit Choleradejektionen beschmutzten Gegenstände bis zur Desinfektion sorgfältig gedeckt zu halten und an inficirten Orten aufs peinlichste dafür zu sorgen, dass Flieg<^n feuchte und flüssige Speisen nicht berühren können.

Ueber einen Fall von Antipyrinvergiftung berichtet Dr. Guttmann, Direktor des Krankenhauses in Moabit in den „Therap. Monatsh." Dieser Fall ist deswegen von Int^eresse, weil einige der Vergiftung- symptome Aehnlichkeit zeigten mit dem Bilde des asphyktischen Stadiums der Cholera eine Aehnlichkeit, w^elche die Veranlassung war, dass dieser Kranke als cliolera verdächtig in das Krankenhaus eingeliefert wurde. Der betreffende Kranke hatte kühle Extremitä- ten, Wadenkrämpfe, Erbrechen, die Stimme war heiser, Augen tieflie- gend dunkel umrändert ; der Puls war nicht fühlbar die Temperatur 31,5° nur der Stuhlgang war normal. Zur Beseitigung heftiger Kopfschmerzen hatte die betreffende Person Antipyriupulver äl Grm. zweimal täglich genommen. Im Ganzen waren 10 Grm. Antipyrin eingeführt, worauf sich unter allmählicher Steigerung das oben be- zeichnete Krankheitsbild entwickelte.

Menthol-Chloroform gegen Zahnschmerzen wird von „Prager Rundsch." empfohlen. Man bereitet sich hierzu eine Lösung von Menthol 5 : 8 Chloroform, die man auf Watte in die gut gereinigte Zahnhöhle bringt.

Die Direktoren des St. Mark's Hospitals, dessen segensreiche Wir- kung sich von Jahr zu Jahr steigert, haben das Grundstück No. 177 Zweite Avenue zum Preise von .530,000 für Hospitalzwecke angekauft.

Die Selbsteinschätzung der Berliner Aerzte zeigt einen so tiefen Stand der ärztlichen Erwerbsthätigkeit, wie man es kaum für möghch gehalten hätte. Wie das Korrespondenzblatt der brandenburgischen Aerztekammer berichtet, hat von den 1747 Aerzten und Zahnärzten Berlins nahezu die Hälfte noch nicht 3000 Mark Jahreseinkommen aus ihrer Berufsthätigkeit. Rechnet man indessen noch diejenigen geprüften Aerzte hinzu, welche aus irgend welchen Gründen die ärzt- liche Beschäftigung nicht ausüben, so stellt sich die Ziffer noch un-

484

p^üQStiger. Ein Jahreseinkommen von mehr als 8000 Mark haben etwa 250, von mehr als 10,000 Mark nur etwa 170 Aerzte. Man ersieht also aus diesen Zahlenangaben, dass von einem auch nur mässigen Wohl- stand unter den Berüoer Aerzten nicht die Eede sein kann. Unter sol- chen Verhältnissen kann es nicht Wunder nehmen, wenn in den meisten ärztlichen Familien eine wirkliche Noth ausbricht, sobald der Ernährer stirbt oder erwerbsunfähig wird. Der Arzt vermag aller- meist nicht aus seinen Berufseinnahmen die Zukunft seiner Hinter- bliebenen auch nur einigermassen sicher zu stellen. Grosse Lebens- versicherungssummen sind sehr selten. Oft genug sind Aerzte gar nicht versichert ; in den meisten Fällen zeigen die Steuererklärungen 200 bis 300 Mark an Versicherungsprämien auf. Auf Unfallversiche- rungen verwenden dagegen die Berliner Aerzte ziemUch hohe Beträge. 150 250 Mark derartiger Prämien begegnet man in den Selbstein- schätzungslisten recht häufig. Im Vergleich mit den Aerzten sind die Berliner Rechtsänwälte im allgemeinen besser gestellt. Unter diesen weisen mehr als 80 Procent ein jährliches Einkommen von mehr als 3000 Mark auf.

Unter den zahlreichen Vorschlägen zur Prüfung von Harn auf seine beiden häufigsten pathologischen Bestandtheile verdient das Verfah- ren von Dr. B. Laquer den entschiedensten Vorzug, indem es sich mit derselben Harnprobe in demselben Reagensglas bequem in 3 4 ^linu- ten ausführen lässt. Die Eiweissprobe ist die gewöhnliche : Der klare, d. h. filtrirte Urin wird in Vs gefülltem Reagensglas bis zum Aufwallen gekocht ; dann wird Vio ^oi- verdünnte Salpetersäure auf einmal, nicht tropfenweise, hinzugesetzt und nicht mehr aufgekocht. Der etwa ent- entstehende resp. bleibende flockige Niederschlag ist Eiweiss. Bleibt der Urin klar, so setzt man sofort zu demselben Reagensglas Vio Vio Vol., d. h. 10 20 Tropfen Almen'sche Lösung hinzu und kocht den Urin 1 2 Minuten lang auf. Wenn eine tiefbraune bis schwarze Fär- bung entsteht, so ist der Urin zuckerhaltig. War der Urin dagegen eiweisshaltig, so lässt man den Niederschlag in der Kälte koaguliren, filtrirt den Urin und behandelt mit Almen'scher Lösung. Letztere stellt man sich dadurch her, dass man 4 Grm. Rochellesalz in 100 Th. Natronlauge, enthaltend 10 Prozent NaHO, löst, dann mit der Flüssig- keit auf dem Wasserbad 2 Grm. Wismuthsubnitrat digerirt, bis so viel als möglich davon gelöst ist. Sie ist klar, und in dunklen Fläschchen aufbewahrt, jahrelang haltbar. (D. Med. Ztg.)

Dulcin ein neuer Süssstoff. Die chemische Fabrik J. D. Riedel in Berlin bringt unter diesem Namen ein chemisches Produkt in den Han- del, das vermöge seiner grossen Süssigkeit und der von medizinischen Autoritäten festgestellten völligen UnschädUchkeit berufen zu sein scheint, dem Saccharin ernstliche Konkurrenz zu machen. Es handelt sich um das p-Phenetolkarbamid,

( NH— CsH,. OC^Hs

(nh,

welcher Körper bereits im Jahre 1883 von Berlinerblau dargestellt und als Süssstoff erkannt wurde, dessen kostspielige Gewinnungsmethoden aber bisher ein Hinderniss für den allgemeinen Gebrauch waren. Nachdem es der chemischen Fabrik J. D. Riedel nunmehr gelungen ist, nach einem in den meisten Kulturstaaten zum Patent angemeldeten neuen Verfahren die Darstellung des Präparats aus dem p-Phenetidin auf das leichteste zu bewirken, wird das unter der trade mark Dulcin eingeführte Präparat wohl bald auf einen ausgedehnteren Gebrauchs-

485

kreis im Haushalte und im Arziieischatze rechnen können. Die von maassgebender Seite in nächster Zeit zu erwartenden Veröffentlichun- gen über vergleichende Versuche zwischen Dulcin und Saccharin dürf- ten allgemeines Interesse beanspruchen.

(Deutsch- Amerik. Apoth.-Ztg.)

Die kürzlich vollendete Katalogisirung der im Besitz des „Royal College of Surgeons" in London befindlichen Kunstwerke hat durch die Reichhaltigkeit der aufgezählten Schätze selbst Diejenigen über- rascht, welche die künstlerische Hinterlassenschaft des grossen Chirur- gen John Hünter, im Besitz des Londoner chirurgischen Instituts, zu kennen glaubten. Die meisten der in dem stattlichen Katalog aufge- zählten Werke beanspruchen neben dem Interesse, welches die porträ- tirten Persönlichkeiten für die Geschichte der medicinischen Wissen- schaft darbieten, eine hohe Schätzung wegen des ihnen innewohnenden Kunstwerthes. Das kostbarste Stück ist ein ziemlich grosses, liguren- reiches Gemälde : „Henry VIII. verleiht den Bartscheeren und Wund- ärzten Korporationsrechte." Dasselbe wird wohl nicht mit Unrecht Hans Holbein d. J. zugeschrieben. Es wurde von dem „College" im Jahre 1786 für 50 Guineen erworben. Von John Hunter selbst besitzt das Institut nicht weniger als 11 Bildnisse, darunter ein Meiserwerk von Reynolds. Auch Hogarth und Richardson sind durch Original- werke vertreten. William Harvey, der Entdecker des Blutkreislaufes, ist ebenso wie Edward Jenner durch unbekannte Künstler verewigt worden. Die dem Katalog beigegebenen biographischen Notizen über die porträtirten Aerzte liefern werth volles Material für eine Geschichte der medicinischen Wissenschaft in England.

ßücheriisch.

Münchener Medizinische Abhandlungen. Münchens Tuberculosen Mortalität in den Jahren 1814-1888. Max Weitemeyer. Verlag: I. F. Lehmann, München 1892, pp. 20.

W. hat es sich zur Aufgabe gemacht, auf wenigen Seiten und in gedrängter Kürze ein umfangreiches statistisches Material zu bearbei- ten und sich dabei zahlreichen und mühevollen Berechnungen unter- zogen. Die Arbeit basirt auf dem offlciellen Polizeisterberegister der Stadt München, das bis 1814 zurückreicht, und begreift in sich nicht blos Lungenerkrankung, sondern auch Todesfälle in Folge Tuberculose anderer Organe, wobei besonders in den ersten zwei Dezennien die viel- fachsten Benennungen 72 an der Zahl vorkommen.

In den besprochenen 75 Jahren sind von 329,862 Sterbefällen 47,282 an Tuberculose erfolgt, oder 14.33 Prozent. Das Verhäitniss der an Tuberculose Verstorbenen zur Einwohnerzahl ist 4.7 per mill. und sind vom Jahre 1839 bis 1888 mit Ausnahme der drei Jahre 1871, 1872, 1873 (6.2 pro mill) nur Differenzen von zwei Zehntel (4.6 bis 4.8). Eine Erklärung für die hohe Zahl während dieser drei Jahre wagt Verfasser nicht zu geben, denkt aber an die möglichen Folgen des Krieges.

W. analysirte auch das Verhalten der Tuberculose-Mortalität in den einzelnen Monaten und giebt zur Uebersicht graphische Darstel- lungen. Er fand dass die höchste Sterblichkeit im Frühling erfolgte, und stieg die Curve der Monatsmittel des 753ährigen Durchschnitts vom Minimum im September und October allmähhg in sechs Monaten bis zum Maximum im April und Mai, um von da in vier Monaten wieder bis zum Minimum abzufallen. Seine Resultate sind im Einklang mit den Untersuchungen des Referenten, die das Jahr 1873 umfassen. (Statistics of Mortality from Pulmonary Phtliisis in the United States

m

and Europe. Baltimore, Turnbiill Bros. 1875). Auch er fand bei einer Sterbezalil von 17,237 in 56 Städten der Ver. Staaten die höchste Pro- zentzahl (27.89) im Frühhng, und nur eine Abweichung des Maximum im Monat, viz. März, anstatt wie W. im April und Mai. W. erörtert des Weitern, wie nach seiner Ansicht der lange Aufenthalt im Winter in geheizten, geschlossenen, schlecht ventilirten, oft mit Bacillenkeimen gefüllten Räumen die bereits vorhandene Erkrankung ungünstig beeinflusst, und dadurch die höhere Sterblichkeit im Frühling bedingt.

Atlas der Kehlkopfkrankheiten. Robert Kkieg. Stuttgart. Ferdi- nand Enke 1892.

Kkieg, Arzt in Stuttgart, hat in vorliegendem vorzüglichen Atlas 345 Figuren auf 37 Tafeln in Farbendruck und 23 Zeichnungen nach durchweg persönlichen Beobachtungen und mit eigener Hand abgebil- det. Der Vortheil, dass Maler und Arzt in einer Person vereinigt sind, wird Jedem einleuchtend sein, der je an eine ähnliche Aufgabe her- angetreten ist. Krieg hat sich bestrebt nicht bloss diagnostisch typische, sondern auch Uebergangsformen darzustellen, wie sie z. B. bei Syphilis und Tuberculose, Papillom und Pachydermie vorkommen. Ausserdem ist des Oefteren ein und derselbe Fall in seinen verschie- denen Phasen abgebildet, z. B. vor und nach einer Operation, auch als Leichenpräparat. Jede Zeichnung ist mit kurzem, erläuterndem Text versehen, der wesentlich zur Klarstellung beiträgt.

Von den 17 Tafeln ist die erste dem normalen Kehlkopf gewidmet, die nächsten 11 enthalten die verschiedenen catarrhalischen und ent- zündlichen Formen, Lähmungen und gutartige Neoplasmen, je drei das Carcinom und Tuberculose, vier sind für Syphilis, je zwei für Ste- nose des Larynx und Exantheme, und je eins für Lupus, Stenose der Trachea und Fremdkörper.

Der Atlas ist einer der besten Darstellungen von Larynxkrankhei- ten die dem Referenten je zu Gesicht gekommen sind.

Atlas der Krankheiten der Mund- und Rachenhöhle. Von Mikulicz, Breslau und Michelsohn, Königsberg. (Zwei Theile. Berlin, August Hirschwald, 1891 und 1892.)

Referent ergreift mit Vergnügen die Gelegenheit des vor Kurzem erfolgten Erscheinens der zweiten Hälfte auf dieses in seiner Art einzig darstehende Werk aufmerksam zu machen. In Vorzüglichkeit dem eben besprochenen Atlas gleichkommend und ihm auch ähnlich in der Ausschliessung theoretischer Erörterungen, und lediglich mit erläu- ternden Bemerkungen zu den einzelnen Zeichnungen versehen, ist doch die Anordnung des Stoffes von dem vorhergehenden verschieden. Während Krieg ein und dieselbe Krankheit im Zusammenhang und in allen ihren Phasen darstellte, sind hier verschiedene Erkrankungen neben einander zum Zweck die Differentialdiagnose zu erleichtern, ab- gebildet. So finden wir auf einer Tafel Syphilis und Tuberculose, ferner Leukoplakia und Epithelialkrebs, phlegmonöse Angina und Rachendiphtherie, auch öfters Affektionen, die differentialdiagnostisch keine Beziehungen zu einander haben, zusammengestellt. Auf dieses Arrangement wird von den Verfassern auch in der Vorrede hinge- wiesen, indem nicht die Pathogenese, sondern die Localisation der Processe zum Eintheilungsprincip gewählt wurde. So lehrreich dieser Vorgang einerseits ist, so erschwert er doch etwas die Uebersicht, und finden wir z. B. Syphilis auf 8 Tafeln, von der zweiten bis zur vier- zigsten.

Wie auch von den Autoren betont, ist das Werk einzig in seiner Art und existirte bisher noch nicht in der Literatur. Es ist ein wohl

•IST

gelungener Versuch, das Gesammtgebiet der Krankheiten derMund- und Rachenhöhle durcli eine Anzahl ausgewählter Krankheiten zu bildlicher Darstellung zu bringen. Einbegriffen sind die Krankheiten der Mundhöhle vom Lippenroth bis zu den Fauces, des Pharynx vom Fornix bis zur Höhe des Kehlkopfseinganges, ebenso Spiegelbilder von nicht direct der Besichtigung zugänglichen Theilen. Der Tafeln sind 44, mit 3 oder 4 Abbildungen meist in Farbendruck. Einzelnes hervorzuheben ist bei der Fülle des Materials unmöglich, man sieht deutlich mit welcher Liebe und Hingebung die Betheiligten gearbeitet haben, und die Ausstattung macht der rühmlich bekannten Verlags- handlung alle Ehre. Dr. J. W. Gleitsmann.

Die Mikroorganismen der Mundhöhle. Die örtlichen und allgemeinen Erkrankungen, welche durcli dieselben hervorgerufen werden. Von Dr. W. D. Miller, Professor am zahnärztlichen Institute der Universität Berlin. Mit 134 Abbildungen im Texte und 18 Photo- grammen. Zweite umgearbeitete und stark erweiterte Auflage. Leipzig, Verlag von Georg Thieme, 1892.

Dieses für Zahnärzte und Aerzte geschriebene Werk ist äusserst interessant und auf dem behandelten Gebiete grundlegend. Nach einer eingehenden Schilderung der Morphologie und Biologie der Bacterien im Allgemeinen, werden die im Munde vorhandenen Nähr- stoffe für dieselben auseinandergesetzt und zugleich das Vorkommen der vielen Arten von Bacterien sowie ihre Wirkung dargestellt. Die meisten Untersuchungen auf dem Gebiete der Mund bacterien sind grösstentheils vom Verfasser selber gemacht und dadurch viele Fragen klar gelegt worden. So ist beispielsweise nach M. der Zahnstein nicht ein Product der Bacterien, sondern wird aus dem im Speichel vorhan- denen Calciumphosphat nach Freiwerden von Kohlensäure gebildet. Die Ursachen der Zahncaries dagegen führt M. in letzter Instanz auf die Wirkung von Bacterien zurück. Nach Verfasser ist die Zahncaries ein chemisch parasitärer Vorgang, bestehend aus zwei deutlich aus- geprägten Stadien : der Entkalkung resp. Erweichung des Gewebes, und der Auflösung des erweichten Rückstandes ; beim Schmelz jedoch falle das zweite Stadium fort ; die Entkalkung des Schmelzes bedeutet die vollkommene Vernichtung desselben.» Dui;ch Gälirung von Kohle- hydraten in der Mundhöhle, welche stets* ili/rcl/ Mikroorganismen veranlasst wird, wird' vorwiegend Miichm'Hr's gebildet; dieselbe greift das Zahngewebe an und bringt, ^die Entkatküng,- desselben zustande. '•.>' .

Im höchsten '?lra<de 'belehrend ist das Kapitel : Einflusä d€ir> /Civili- sation auf die Zällne. ' ' > , '

M. äussert sich folgendermassen : „Es" nitht d^ir-^^n zu zweifeln, dass mit dem Fortschreitea d-^i Ci srilisfiytiön zu^rjei'^h.' überall eine Ver- schlechterung des Zustandes der Zähne stattfindet^ liiid zwar aus viel- fachen Gründen. Die Lebensweise der meisten unciviiisirten Racen bringt nicht allein einen festgebauten gutentwickelten Körper mit sich, sondern es zeigen auch das Knochensystem und somit auch die Zähne denselben kräftigen Bau und vor allen Dingen eine compacte Structur. Ein ludividuum, welches von frühester Jugend an ohne jede Beschrän- kung der körperlichen Freiheit stets im Freien gelebt hat, wird einen in allen Theilen besser entwickelten Körper erwarten lassen als eins, welches dieselbe Zeit hindurch auf den Bänken der modernen Schule gesessen hat." Nach Verf. ist die chemische Beschaffenheit der Nah- rung von grossem Einfluss auf die Entstehung und Verbreitung der Zahncaries; nach ihm ist „keine ('ar'ies ohne Säure" und wird ein Mensch, der nur solche Nahrungsmittel geniesst, die iu der Mundhöhle keine Säuregährung eingehen, wie Fleisch, rohe Pflanzentheile, Wur-

488

zeln u. s. w., verhältnissmässig weni*:^ von der Zahncaries geplagt wer- dea. Die Gauclios, ein die Pampas von La Piata bewohnender Stamm, der sich mit Viehzucht beschäftigt und von Fleisch lebt, sind als frei von Caries bezeichnet worden, während ein verwandter Stamm in Cliile, der von Brot, Bohnen, Fleisch u. s. w. lebt, 19.3 Prozent Caries aufwies.

D^r zweite Abschnitt des Buches behandelt die pathogenen Mund- bacterien und giebt an, auf welche Weise und was für Krankheiten durch dieselben entstehen können. Besonders wichtig sind Miller's Untersuchungen über den Zusammenhang von Verdauungsstörungen mit Mundbacterien der Mundhöhle ; erstens können dieselben durch eine locale Wirkung im Munde Störungen allgemeiner Natur hervor- rufen, zweitens können dieselben nach dem Magen und von da auch nach dem Darm wandern und Störungen anrichten. Nach M. ist die Tliatsache, dass ein Bacterium im künstlichen Magensaft (0,2 Prozent HCl enthaltend) in kurzer Zeit zu Grunde geht, durchaus kein Beweis dafür, dass dasselbe nicht den Darm entwickelungsfähig erreichen kann, da erstens die zu Anfang einer Mahlzeit verschluckten Bacterien nicht etwa in einen mit Magensaft angefüllten, sondern in einen meist neutral oder alkalisch reagirenden Magen gelangen, wo überhaupt erst nach Ablauf von l-l^ Stunden freie Salzsäure in nachweisbaren Mengen auftritt.

Das vorliegende Buch wird jedem Mediciner und Zahnarzt eine Fülle genussreicher Belehrung bieten. Max Einhoen.

Meyer's kleines Conversationslexikon beginnt in fünfter vollständig umgearbeiteter Auflage zu erscheinen. Dieses alle Gebiete des Wis- sens und Könnens umfassende kleine Lexikon, welches in seinen bis- herigen Auflagen die weiteste Verbreitung gefunden hat, orientirt in kürzester Zeit und in concisester Weise über alle Gebiete und giebt ein beredtes Zeugniss für die sorgfältige Redaction dieses überaus nützlichen Hausbuches.

The Physician's Visiting List for 1893, (Lindsay & Blakiston's). 42d year of its publication. Philadelphia. P. Blakiston, Son & Co.

Dt^r vorliegende ärz,tli,che Taschenkalender ist besonders schön ausgestattet und . praktisch ein^ericlVr^t. Unter den in kurzer und G^edrängter I[Qi*m,dbgehänd'elteii TbeÄten ^heint uns das von Dr. J. Daland (Ex/i'nn«]f^üibn' of urine) als besonders niUzlich hervorgehoben werden ^tiep^ü^en. Dr. Max '''Einhorn, stellvertretender Redacteur, , ^* ' : ' ^ ,^''10:7 Ost 65. Str.

GescliäftliM.ZlifibJiMfMn, Geldsendungen, Bestellungen u. s.w., sind zu richten an : " Medical Monthly Publishing Co.," 17—27 Vandewater Stroet, New York.

Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Herausgeber zu richten.

Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse unseres Blattes im Osten thätig. Da derselbe dieses Jahr nicht reisen wird, so erweisen uns die geehrten Abonnenten einen grossen Gefallen, wenn sie ihren Abonnements-Beitrag einsenden.

Billig- zu yerkaufeii.

"Woods Complete Medical Library, 100 Volumes" gebunden und neu. Nähere Auskunft ertheilt.

Medical Monthly Publ. Co.

27 Vandewater Str.