(-■' ■,'■'.■ ■■ '■ ':" -,.-J. , -' ' ' . - ' ■<^- A^i't;^:' : ■■;:(.>"; ■l,-' '.".K:' ; .' ■ »■'^- -v» ■ S iLMj^iPr: - *"^ L- Af^ 3 - anHV7'XS. vC^P-». ,f#: Manne Blological Laboralory Library Woods Hole, /Massachusetts ■•V- ::■^.= :.".V■-■^^;:^S.- i-of 4- Organische Zweckmäßigkeit, Entwicklung und Vererbung vom Standpunkte der Physiologie. Von Dr. Paul Jensen Professor an der Universität Breslau. it 5 Figuren im Text. Verlag von Gustav Fischer in Jena. 1907. Alle Rechte vorbehalten. Meiner lieben Frau gewidmet. Vorwort. Die vorliearende Schrift ist aus Teilen einer im Entstehen be- griffenen „Einleitung in die allgemeine Physiologie" hervorgegangen. Als ich hierbei nämlich die Probleme der Entwicklung, Vererbung und Zweckmäßigkeit der Organismen bearbeitete, schien mir ihre Darstellung nicht mehr in den Rahmen jenes Werkes zu passen, wenn die zur Klarlegung dieser Probleme und zur Begründung der hier vertretenen Anschauungen erforderlichen Auseinandersetzungen im Zusammenhang aufgenommen wurden. Da ich aber gerade auf eine systematische Bearbeitung der genannten Probleme besonderen Wert legte, so entschloß ich mich, diese zunächst in einer Schrift für sich zu behandeln. Mit einer solchen eingehenden Behandlung dieser Probleme ver- folge ich mehrere Zwecke: Vor allem soll sie helfen nachzuweisen, daß die einheitliche, monistische Naturauffassung durch die neueren Angriffe auf die Darwinsche Lehre keineswegs erschüttert wird. Im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Ansicht möchte ich vielmehr dartun, daß eine solche Gefahr selbst dann nicht vorläge, wenn die neueren Einwände gegen die vSelektionstheorie in vollem Umfange berechtigt wären. Ich glaube nämlich zeigen zu können, daß für alle Probleme der Entwick- lung, im besonderen auch für das von der Entstehung der organischen Zweckmäßigkeit, soweit sie einer Lösung durch das Selektionsprinzip widerstreben, andere allgemein - naturwissenschaftliche Erklärungs- prinzipien zur Verfügung stehen. Im Dienste der genannten vornehmsten Absicht habe ich auch die „micellar-bioblastisch-idioblastischen" Hypothesen, welche heut- VI Vorwort. zutage von den meisten Biologen als allgemeine theoretische Grund- lage für die Bearbeitung der Entwicklungs- und Vererbungsprobleme anerkannt werden, eingehender und entschiedener, als es bisher ge- schehen ist, einer kritischen Betrachtung unterworfen und ihnen die dem jetzigen Stande unseres Naturerkennens mehr angemessene „physikalisch-chemische" Auffassung der Organismen gegenübergestellt. Ein solches eindringliches Vorgehen schien mir aus verschiedenen Gründen wünschenswert. Denn nach meiner Meinung sind die micellar- bioblastisch-idioblastischen Hypothesen, im besonderen die Chromo- somenhypothese, nicht nur keine fruchtbaren Arbeitshypothesen, was man ausdrücklich behauptet hat, sondern sogar ein Forschungshindernis. Die vielen neuen, zum Teil sehr interessanten Tatsachen, welche sich auf die Chromosomen beziehen, konnten nämlich ebenso gut, wie unter der Führung der idioblastischen Chromosomenhypothese, auch dann gefunden werden, wenn man den Chromosomen einfach nur als wichtigen Zellbestandteilen, aber ohne weitere Übertreibung, eine besondere Aufmerksamkeit schenkte. Ein Forschungshindernis aber erblicke ich zunächst darin, daß von hervorragenden Biologen und ihren Schülern außerordentlich viel Gedankenarbeit auf den Ausbau und die Anwendung dieser auf unhaltbarer Basis errichteten Hypo- thesen verwendet worden ist, eine Arbeit, die daher zu einem großen Teil an ein wertloses Objekt verschwendet wurde. Diese Spekulationen haben dann außerdem noch direkte schädliche Folgen gezeitigt, in- sofern sie zu den schwierigsten Scheinproblemen führten, diese zu- sammen mit mehr untergeordneten Problemen in den Mittelpunkt des Interesses rückten und damit den Blick von manchen wichtigeren Problemen ablenkten. Es ist wohl auch nicht daran zu zweifeln, daß infolge der einseitigen Betrachtungsweise der micellar-bioblastisch-idio- blastischen Chromosomenhypothese das bisher bearbeitete umfangreiche Untersuchungsmaterial nicht so ausgewertet worden ist, wie es durch physikalisch-chemisch geschulte Morphologen hätte geschehen können. Alle diese Bedenken scheinen mir um so gewichtiger, als durch eine längere Dauer der derzeitigen Hauptströmungen fast die ganze Denk- richtung in diesem Teil der Biologie mehr und mehr in einseitig ver- laufende Geleise gebannt wird, von wo aus der notwendige Übergang Vorwort. Vll auf physikalisch-chemische Bahnen mit der Zeit immer schwieriger wird; während das große, inhaltsreiche Gebiet der Entwicklungslehre einer gründlichen Durcharbeitung nach unverfälschten exakt-natur- wissenschaftlichen Gesichtspunkten vergeblich harrt. Und auch dem Vitalismus und Neo^'italismus wird durch diese Art des Vorgehens im Bereich der gedachten Probleme freie Bahn gelassen, ja sogar ihnen durch die angefochtenen Anschauungen zum Teil geradezu in die Hände gearbeitet. Dem Vitalismus bzw. Neovitahsmus unfreiwillig Vorschub zu leisten, sollte man aber um so mehr vermeiden, als ihrem Vordringen in neuerer Zeit überhaupt zu wenig ernsthafter Widerstand geleistet worden ist. Ein starker Widerstand gegen diese, mit den exakten Naturwissenschaften unvereinbaren, dualistischen Lehren ist aber in Anbetracht ihrer zunehmenden populären Beliebtheit in hohem Maße wünschenswert. Wir dürfen uns deshalb nicht damit begnügen, die vitalistischen Anschauungen ohne näheres Eingehen nur aus Prinzip abzulehnen; vielmehr ist gerade dieses tiefere Eingehen notwendig, und wir müssen hierbei zeigen, daß diejenigen Tatsachen, welche dem Monismus am meisten Schwierigkeiten bereiten und daher dem ^^italis- mus als Grundlage und Ausgangspunkt dienen, gleichwohl bei näherer Betrachtung und richtiger Formulierung einer monistischen Natur- auffassung, also einer Erklärung nach den allgemeinen Prinzipien der exakten Naturwissenschaften , nicht widerstreben. Ein Versuch in dieser Richtung ist ebenfalls in der vorliegenden Schrift gemacht worden, zu deren Hauptzweck er offenbar ein wichtiges Mittel ist. Da sich diese Schrift vorwiegend mit ganz allgemeinen biologi- schen Problemen beschäftigt, so möchte ich die nicht selten geäußerte Frage berühren, ob es für eine Bearbeitung derartiger Probleme nicht vielleicht noch zu früh sei. Zwar könnte diese Frage überflüssig er- scheinen im Hinblick auf die Tatsache, daß eine große Zahl der her- vorragendsten Forscher diesen Problemen einen erheblichen Teil ihrer Lebensarbeit gewidmet haben. Aber es gibt doch auch Autoren, welche die Beschäftigung mit solchen allgemeinen Problemen, deren vollständige Lösung noch in weiter Ferne liegt, für eine undankbare und nicht ganz vollwertige halten. Solchen Anschauungen wünsche VIII Vorwort. ich, da sie immerhin von der Bearbeitung dieser wichtigen Probleme abschrecken könnten, ausdrücklich entgegenzutreten. Denn die allge- meinen Probleme gehören doch zum Wesentlichen jeder Wissenschaft, und die allgemeinen Erkenntnisse sind die Krone unseres Wissens und dienen in erster Linie dazu, den geistigen Bedürfnissen der mensch- lichen Gesellschaft, der Ernährerin der Wissenschaft, gebührend Rech- nung zu tragen. Diese allgemeinen Probleme aber können nur dann ohne Zeitverlust ihrer Lösung entgegengeführt werden, wenn ihre Bearbeitung eine intensive und stetige ist. Diese Bearbeitung muß in zweierlei Weise geschehen: Erstens durch die richtige Verwertung des gesamten zurzeit vorliegenden Tatsachenmaterials. Bis jetzt ist dieses noch lange nicht genügend ausgenützt und wir sind von einer diesbezüglichen Durcharbeitung unseres Wissensgebietes noch ziemlich weit entfernt, wie auch die vorliegende Untersuchung lehren soll. Es könnten nach meiner Über- zeugung unsere allgemeinen biologischen Erkenntnisse noch sehr er- heblich gefördert werden, ohne die Auffindung einer einzigen neuen Tatsache, allein durch eine konsequente, systematische Anwendung der Prinzipien der exakten Naturwissenschaften auf das gesamte bis- her gesammelte biologische Erfahrungsmaterial. Zu dieser noch reich- lich fließenden Quelle allgemein-biologischer Erkenntnis gesellt sich dann zweitens diejenige, w^elche die neuen Tatsachen liefert, und zwar vor allem die fruchtbaren neuen Tatsachen. Solche werden aber in der Regel nur aufgefunden, wenn der Forscher entsprechende Fragen an die Natur stellt, und solche fruchtbare, die Lösung allgemeiner Probleme fördernde Fragestellungen gewinnt man nur einzig- und allein auf Grundlage einer gehörigen Durcharbeitung dieser allge- meinen Probleme. So ist also nur durch ein inniges Zusammenwirken von allgemeiner theoretischer Arbeit und von Spezialforschung eine lebhaft fortschreitende Entwieklung der Biologie zu erwarten : Die Theorie liefert die allgemeinen Ergebnisse der Forschung- und stellt neue fruchtbare Fragen, die Spezialforschung bearbeitet diese auf Grund der theoretischen Vorarbeit, fördert so neue wertvolle Tat- sachen und bietet sie wiederum den allgemeinen Theorieen zu deren weiterer Ausgestaltung dar. In der Biologie fehlt den theoretischen Vorwort. IX Bestrebungen teilweise leider entweder die exakte Grundlage oder die wünschenswerte Teilnahme, so daß hier zwischen der allgemein- theoretischen und der speziellen, experimentellen Forschung noch kein so ideales Verhältnis besteht wie in der Physik und Chemie. Immer- hin beginnen z. B. auch im Bereiche der Physiologie manche allge- meinere Probleme, die vor nicht langer Zeit noch ziemlich brach lagen, derartige Formulierungen zu gewinnen, daß sie auch für die experimentelle Untersuchung angreifbar werden. Für den Zweck dieser Schrift war eine erschöpfende Darstellung des in Betracht gezogenen äußerst umfangreichen Stoffes nicht er- forderlich. Eine solche würde auch eine un verhältnismäßige Mehr- arbeit verlangt haben. Aus denselben Gründen ist auch die ausdrück- liche Berücksichtigung der IJteratur nur eine begrenzte. Falls mir aber neben der absichtlichen Einschränkung wider Willen auch solche Arbeiten entg-angen sein sollten, die nach der Anlage dieses Buches hätten berücksichtigt werden müssen, so bitte ich dies durch die große Ausdehnung der Literatur und ihre Verteilung auf sehr verschiedene Gebiete zu entschuldigen. Manche einschlägigen Schriften, besonders solche kritischen Inhalts, habe ich erst nach Abfassung der ent- sprechenden Teile meiner Schrift kennen gelernt und konnte sie da- her nur noch kurz anführen. Einige Teile dieser Untersuchung- empfehle ich der besonderen Nachsicht meiner Fachgenossen. Es sind das solche, welche die ersten, wie ich glaube, und daher wohl noch etwas unsicheren Schritte zeigen, die in einige bis jetzt noch kaum systematisch bearbeitete Gebiete hineinführen. Das gilt vor allem für die Darlegungen über die Varia- bilität, über die Hauptpunkte der Vererbungslehre, die Zusammen- stellung der deszendenztheoretischen Probleme und die Anah'se der Selektionsprozesse. Eine Berührung des großen psychophysischen Problems vom Verhältnis des Ps3xhischen zum Physischen , das in einer Unter- suchung über die allgemeinen Eigenschaften des Lebendigen nicht vernachlässigt werden kann, war auch hier nicht zu umgehen. Doch habe ich mich, zumal im Hinblick auf eine spätere umfassendere Be- handlung dieses Gegenstandes, hier auf das Notwendigste beschränkt X Vorwort. und hoffe, daß auch demjenigen, der in diesen Fragen weniger be- wandert ist, das an den betreffenden Orten Gesagte zum Verständnis des Zusammenhanges genügen wird. Meine physiologischen Fachgenossen möchte ich dazu anregen, den wichtigen Problemen der Entwicklung ein lebhafteres Interesse als bisher entgegenzubringen, und zwar sowohl an der Durchführung exakter Voraussetzungen, als auch an der Ausgestaltung der großen Theorieen des Gebietes in höherem Maße kritisch und schöpferisch mitzuwirken. Gewiß wird dann auch die jetzt zunächst zu erhoffende Klärung im Bereich der Vererbungslehren und der Darwinschen Selektionstheorie schneller fortschreiten. Denn gerade die Physiologie bietet naturgemäß für die weit in ihr Gebiet hineinreichenden Tat- sachen und Probleme der Entwicklung wertvolle aufhellende Gesichts- punkte dar, die bis jetzt nicht genügend ausgewertet worden sind. Breslau, im November 1906. Paul Jensen. Inhalt. Seite Eiiiloituug I Zur Kritik der Darwinschen Selektionstheorie 3 Das Problem der „primären Zweckmäßigkeit" '5 Die Entstehung der nicht-zweckmäßigen Eigenschaften der Organismen ... 8 Das Problem des Fortschritts vom Einfacheren zum Komplizierteren ... i6 Zur Kritik der übrigen deszendenztheoretischen Erklärungsversuche 19 Autogenetische Theorieen 19 Allogenetische Theorieen (Lamarekismus, Neo-Lamarckismus, Orthogenesis) . . 20 Rückblick und Plan für die folgende Untersuchung 28 Die Variabilität der Organismen 3° Variabilität und Vererbung 3° Zur Charakterisierung der Variabilität 31 Vorkommen der verschiedenen Arten der Variabilität 38 Bedeutung der Variabilität für die Phylogenie. Rolle der Selektion im allgemeinen 45 Die Ursachen der fortschreitenden Variabilität 49 Ziu' Physiologie der ^^ ererbung 53 Zur Kritik der micellar-bioblastisch-idioblastischen Hypothesen 55 Grundzüge der micellar-bioblastisch-idioblastischen Hypothesen 55 Charakteristik der Chromosomenhypolhese 59 Kritik der miceliar-bioblastisch-idioblastischen Hypothesen 6" Kritik der micellar-bioblastischen Hypothese bS Kritik der Idioblastenhypothese 74 Kritik der Chromosomenhypothese 7" Epikritische Betrachtung 89 Übersicht über die Hauptpunkte der Vererbungslehre 90 Die Entstehung der Keimsubstanz 9 1 Die Beschaffenheit der Keimbubstanz (ontogenetische und phylogenetische Ent- wicklungsfähigkeit) 9*^ Die Veränderungen der Keimsubstanz (Ontogenie und Phylogenie) . . . . 101 Das „biogenetische Grundgesetz" . . . ; 103 XII Inhalt. Die ZweckniäUigkeit der Organismen Allgemeine Orientierung über die ,,Teleologie" im weitesten Sinne Zweck und Zweckmäßigkeit Über den Zweck im allgemeinen Wahre Teleologie und wirkliche Finalität (Zweckhandlung, Triebhandlung) Teleologische Ausdrucksweise Wundts Zweckprinzip Charakteristik der teleologischen Ausdrucksweise Machs Auffassung der Teleologie Zusammenfassung Falsche oder Pseudoteleologie Zur Verständigung Über die Zweckmäßigkeit Psychologische und physikalische (objektive) Charakterisierung des Zweck- mäßigkeitsbegriffes Anwendung auf den Organismus. Das Wesentliche der organischen Zweck- mäßigkeit Allgemeines über die Erklärung der organischen Zweckmäß)igkeit. Kritik der dua- listischen Erklärungen Die Finalhypothese von J. Reinke Zur allgemeinen Charakteristik der Hypothese Die „nicht-energetischen Kräfte" und ihre Beleuchtung Die „Entelechic'-Hypothese von H. Driesch Zur allgemeinen Charakteristik der Hypothese Die fünf „Autonomiebeweise" des Lebens und ihre Beleuchtung .... Die „empirische" Teleologie von P. N. Cossmann Rückblick t'berbliok über die deszendenztbeoretischen Probleme Zur monistiscben Erklärung der Entwicklung der Organismen, im besonderen Seite lo(y 07 08 09 10 •3 13 14 17 19 19. 20 20 20 ihrer ZweckmäIHgkeit Die allgemeine Entwicklungstheorie von Fechner Fechners Anschauungen über die Entwicklung der Organismen Grundzüge einer Theorie der Entwicklung der Organismen, im besonderen ihrer Zweckmäßigkeit Voraussetzungen der Theorie Allgemeine theoretische und hypothetische Voraussetzungen Die inneren Faktoren der Entwicklung der Organismen. (Zur physikalisch- chemischen Charakteristik der lebendigen Systeme) Die psychischen Eigenschaften des lebendigen Systems Die äußeren Faktoren der Entwicklung der Organismen 200 Allgemeine Theorie der Entwicklung des Lebens 203 Entstehung der Organismen; Scheidung von Organismen und Anorganen . 203 Weitere Ausgestaltung der lebendigen Ursysteme 207 Wirkungsweise der inneren Faktoren 207 Allgemeines über die Wirkungsweise der äußeren Faktoren . . . . 2iO' Die relativ konstanten Faktoren und Selektion I 212 Die fluktuierenden äußeren Faktoren und Selektion II 218 -'/ 30 30 31 36 36 37 50 56 s8 81 82- 88 89 89 92 97 Inhalt. XIII Seit« Die periodisch wirkenden äußeren Faktoren und Selektion III . . 219 Die Folgen der fortschreitenden Änderungen und lokalen Verschieden- heiten der äußeren Faktoren 225 Zusammenfassender Überblick über die Selektion, ihr Wesen, ihre Wirkungsweise und Bedeutung 227 Lösungsversuche einiger speziellerer Entwicklungsprobleme auf Grund der dar- gelegten Theorie 234 Überblick über das Zustandekommen des Fortschritts in der organischen Entwicklung 234 Die Ausbildung der „konservativen" Formen 235 Das phyletische Aussterben von Arten und Gattungen 237 Zur Erklärung der wunderbaren Komplikation und Mannigfaltigkeit des organischen Lebens 238 Einige weitere Erklärungen zur Phylogenie und Ontogenie 244 \AIotto: „Die Wissenschaft ist vollständig berechtigt und auch verpflichtet, eine solche Untersuchung anzustellen. Für sie handelt es sich um eine ganz bestimmte und gewichtige Frage, die Frage nämlich nach der Existenz von Grenzen für die Tragweite der Naturgesetze, welche den Verlauf alles gegenwärtig Geschehenden beherrschen ; ob diese auch in der Vorzeit von jeher gültig gewesen sein können, und ob sie es auch in der Zukunft immer werden sein können, oder ob die Voraussetzung einer ewig gleichmäßigen Gesetz- mäßigkeit der Natur unsere Rückschlüsse aus den gegen- wärtigen Zuständen auf die der Vergangenheit und Zukunft uns notwendig auf unmögliche Zustände und die Notwendig- keit einer Durchbrechung der Naturgesetze, eines Anfanges, der nicht mehr durch die uns bekannten Vorgänge herbei- geführt sein könnte, zurückleiten. Die Anstellung einer solchen Untersuchung über die mögliche oder wahrschein- liche Vorgeschichte der jetzt bestehenden Welt ist also von Seiten der Wissenschaft keine müßige Spekulation, sondern eine Frage über die Grenzen ihrer Methoden und die Tragweite der zurzeit gefundenen Gesetze." Helmholtz. (Über die Entstehung des Planetensystems, 187 1,) Einleitung*. Der Vitalismiis, der einer einheitlichen Auffassung der gesamten lebendigen und unbelebten Natur in den Weg tritt, hat in den letzten Dezennien in zunehmendem Maße seinen Schwerpunkt nach dem Ge- biete der Entwicklungsgeschichte der Organismen verschoben; während er früher vor allem die Eigentümlichkeiten des fertigen Organismus, seinen Stoff- und Energiewechsel, seine Nerventätigkeit usw. zum Gegenstande hatte. Und zwar ist es besonders die Entstehung- und Entwicklung- der zweckmäßigen Einrichtungen und Prozesse des Organismus, die dem neueren Vitalismus, dem Neovitalismus, als An- griffspunkt auf den Monismus dienen, welcher Umstand es mit sich bringt, daß der Neovitalismus vorwiegend in dem Gewände einer falschen Teleologie (vgl. S. 119 ff.) oder Finalitätslehre auftritt. Dadurch, daß der Vitalismus den Anschein zu erwecken sucht, allein einer Erklärung der organischen Entwicklung und Zweck- mäßigkeit gewachsen zu sein, tritt er einer ruhigen Weiterentwicklung der monistischen^) Anschauungen störend und beunruhigend in den Weg-. Denn gerade das Problem der Entstehung der organischen Zweckmäßigkeit ist eines derjenigen biologischen Probleme, die seit langer Zeit im Mittelpunkte des Interesses stehen. Man hat es wohl das „Problem der Probleme" in der Biologie [Spengel-)] genannt, so- i) Unter ,, Monismus" ist hier eine wirklich einheitliche Naturauffassung verstanden, was im Hinblick auf den nicht seltenen Mißbrauch dieser Bezeichnung ausdrücklich be- merkt sei. 2) Die im Text berücksichtigten Arbeiten der zitierten Autoren sind am Schluß in einem alphabetischen Verzeichnis aufgeführt. Wo sich im Text neben dem Namen des Autors ein Buchstabe (a, b, c . .) befindet, wie z. B. Weismann (a), da weist dieser auf die entsprechend bezeichnete Schrift eines mit mehreren solchen im Literaturverzeichnis ver- tretenen Verfassers hin. ■lensen, Organische Zweckmäßigkeit etc. l wie man es als die schönste Frucht der Darwinschen Theorie bezeichnet hat, daß sie diesem Problem zu einer befriedigenden Lösung ver- helfen habe. Daher muß durch den Anschein, daß die Lösung dieses großen, wichtigen Problems, und damit überhaupt des Entwicklungs- problems, an den Vitalismus ausgeliefert sei, der monistischen Natur- anschauung ein besonderer Schaden erwachsen. Da nun heutzutage auch von ernster Seite in Abrede gestellt wird, daß die Darwinsche Selektionstheorie zur Erklärung der Entwicklung und im besonderen derjenigen der Zweckmäßigkeit der Organismen ausreiche, und da unter den sonstigen bekannteren und systematisch ausgearbeiteten Entwicklungstheorien keine in höherem Maße befriedigt als die genannte, so könnte es scheinen, als ob eine einheitliche naturwissenschaftliche Lösvuig des Entwicklungs- Problems überhaupt nicht möglich sei. Dieser Umstand bringt es mit sich, daß die Verfechter einer monistischen Naturauffassung im allgemeinen die Integrität der Se- lektionstheorie so ängstlich behüten, während die Gegner des Monis- mus mit der Überwindung der Selektionstheorie die ganze von ihnen bekämpfte Weltanschauung aus dem Felde geschlagen zu haben glauben. Durch diese scheinbare Alternative erhalten die Erörterungen über die Darwinsche Lehret) vielfach eine über die Grenze des rein Sachlichen hinausgehende Pärbung. Erkennt man die genannte Alternative nicht an, so wird man sich zunächst sagen , daß die Lehre von der Naturzüchtung eine Hypothese ist, die wie manche andere historisch berühmte und befruch- tende Hypothese es sich gefallen lassen muß, gegebenenfalls mehr oder minder weitgehende Änderungen zu erfahren. Erscheinen solche notwendig, und wird dadurch die Leistungsfähigkeit der Selektions- theorie als universale Entwicklungstheorie eingeschränkt, so gilt es eben, sich nach weiteren Erklärungsmitteln umzusehen. I) Um etwaigen Mißverständnissen vorzubeugen, sei daran erinnert, daß ,,Dar\vinschc Lehre" und „Deszendenztheorie" nicht mehr, wie noch vor einigen Jahrzehnten, für gleichbedeutend gih, sondern daß die erstere, d. h. die Seleklionstheorie oder Lehre von der Naturzüchtung, nur einen von den vielen Erklärungsversuchen der Deszendenz der * )rganismen darstellt. — 3 — Da mir, wie so manchem Biologen ^), eine möglichst unparteiische Beurteilung das Unzureichende der Selektionstheorie als universale Entwicklungstheorie darzutun scheint, und da außerdem die anderen herangezogenen Erklärungsmittel, wie z. B, die von Lamarck ge- gebenen, die Schwächen der vSelektionstheorie nicht zu heilen im- stande sind, so beabsichtige ich hier auf einige mir wichtig erschei- nende Gesichtspunkte hinzuweisen, die meines Wissens von den Bio- logen noch nicht zur Erklärung- der Entwicklung des Organismen- reiches verwendet worden sind. Warum ich weder die Selektionstheorie in irgend einer der heute vorliegenden Formen noch auch andere Hypothesen, wie z. B. den Lamarekismus, zur Erklärung der phylogenetischen Ent- wicklung ausreichend finde, das möchte ich selbstverständlich näher begründen, um die Notwendigkeit des Beibringens neuer Erklärungs- prinzipien darzutun. Zur Kritik der Darwinschen Selektionstheorie. Was zunächst die Leistungsfähigkeit der Selektionstheorie anbe- trifft, so ist diese bekanntlich ausgiebig erörtert worden, und es sind alle Übergänge von der Behauptung einer „Allmacht" (Weismann) der Naturzüchtung bis zu derjenigen ihrer „Ohnmacht" (Spencer) oder sogar ihrer Nichtexistenz unter den geäußerten Anschauungen anzutreffen. Es ist selbstverständlich von besonderem Interesse zu wissen, wie Darwin selbst die Leistungsfähigkeit seiner Theorie ein- geschätzt hat, und manchem seiner voreiligen Kritiker wäre zu empfehlen, hiervon einmal wirklich Kenntnis zu nehmen. Plate hat schon darauf hingewiesen, daß Darwin in der natürlichen Züchtung nur einen, allerdings besonders wichtigen Faktor gesehen habe, der mit anderen Kräften zusammen die Welt der Organismen regiere. In der Tat setzt Darwin immer wieder als ganz selbstverständ- i) Hier sind besonders die Botaniker zu nennen. So sagt z. B. K. Goebel (a) von seinen Fachgenossen, daß bei ihnen „der eigentliche Darwinismus, d. h. die Richtung, welche der natürlichen Zuchtwahl die Hauptrolle bei dem Zustandekommen der Anpassungen zuschreibt, in Deutschland wenigstens fast keine Vertreter mehr hat". 1* — 4 — liehe Vorbed in g-nng für das bedeutungsvolle Wirken der Selektion bei den Organismen „die Neigung zu Variieren" voraus. Mit dieser Variabilität befaßt Darwin sich freilich nicht näher, vorwiegend wohl aus dem Grunde, weil er meint, daß uns „ihre Ursachen ganz unbekannt sind i)." Damit steht der große Begründer der Deszendenz- theorie aber im wesentlichen auf dem Standpunkt wenigstens eines großen Teils seiner heutigen Kritiker. Die letzteren unterscheiden sich von Darwin vornehmlich nur darin, daß sie den Anteil der Selektion mehr oder minder gering veranschlagen im Verhältnis zu dem Anteil der „Neigung zu Variieren"; während Darwin diesen letzte- ren Anteil offenbar erheblich unterschätzt hat und vor allem nicht berück- sichtigt hat, daß seiner Theorie eine sehr empfindliche Lücke bleibt, so lange diese schwer ins Gewicht fallende Variabilität nicht genügend erforscht und erklärt ist. Wie noch ausführlich dargelegt werden wird, liegt meines Er- achtens das Hauptproblem der Entwicklungs- und Abstammungslehre in der Variabilität der Organismen; doch sei zugleich betont, daß durch clieseMeinungdie große Bedeutung der Selektion keineswegs geschmälert W'erden soll. Vielmehr erscheint es auf Grund der reichen und frucht- baren Arbeit von Darwin und seinen Nachfolgern zweifellos, daß bei der phylogenetischen Entwickkmg eine Selektion in Wirklichkeit nicht nur mitwirkt, sondern sogar eine wichtige Rolle spielt. Zudem g-laube ich später (S. 2 12 ff.) zeig-en zu können, daß auch vom Stand- punkt der allgemeinen Physik die Wirksamkeit des Selektions- prinzips gefordert wird, indem die Organismenselektion nur ein Spezialfall einer ganz allgemein verbreiteten universellen Er- scheinung ist. Es sollen nun die Hauptpunkte hervorgehoben werden, zu deren Erklärung- weder die Selektionstheorie Darwins noch die seiner Nachfolger noch auch eine andere der zurzeit vorliegenden Entwicklungstheorien als ausreichend anerkannt werden kann; ich will mich dabei auf drei mir am wichtigsten erscheinende Gründe beschränken. i) Die ,,Entsteliaiig der Arten", Kapitel 5; die obigen Zitate sind von mir durch ge- sperrten Druck hervorgehoben. Das Problem der „primären Zweckmäßigkeit"'). Zunächst ist auf die Tatsache der sogen, „primären" Zweck- mäßigkeit der Organismen hinzuweisen. Es ist nämHch nicht zu bestreiten, daß auch schon der einfachste Organismus, den es gibt, J£i der lillereinfachste, der sich denken läßt, bereits zweckmäßige Eigen- schaften und Einrichtungen besitzt. Das gilt auch schon für die ersten Organismen, die überhaupt existierten, gleichgültig, welchen Ursprung immer sie genommen haben mögen, also für das erste lebendige Material, welches schon vorliegen mußte, als die Natur- züchtung in Kraft trat. Das Vorhandensein einer solchen primären Zweckmäßigkeit oder Elementarzweckmäßigkeit, die also nicht durch Selektion [ Person alselek- tion^)] entstanden sein konnte, dürfte wohl von keinem Biologen be- stritten werden. Neuerdings ist besonders Plate, der sehr energisch für das Selektionsprinzip eintritt, auf diesen Punkt näher eingegangen. Er erkennt eine primäre, nicht durch Selektion zu erklärende Zweck- mäßigkeit der Organismen vollkommen an. Plate unterscheidet mehrere Außerungsweisen dieser primären, allen Lebewesen eigen- tümlichen Zweckmäßigkeit, wie: Assimilation, Wachstum, Reizbarkeit, Kontraktilität, Atmung und Fortpflanzung-. Unter den sechs von ihm aufgestellten Kategorieen organischer Zweckmäßigkeit (vgl. S. i6iff.) glaubt Plate (S. 140 ff.) von dreien, nämlich der reflexiven, der sanativen und der funktionellen Zweckmäßigkeit, daß sie großenteils primären Ursprungs seien, also nicht auf Zuchtwahl beruhen. Plate ist selbst- verständlich der Meinung, daß diese verschiedenen Formen der organischen Zweckmäßigkeit nicht scharf gegeneinander abgegrenzt seien; sie sind differente, aber eng miteinander verwachsene Ein- richtungen, die der Erhaltung des Organismus unter verschiedenen Bedingungen dienen. Diese Eigenschaften machen gerade den Begriff des Organismus aus. ij Die Bezeichnung ,, Zweckmäßigkeit" wird hier vorlaufig in dem üblichen, nicht streng definierten Sinne gebraucht werden; eine genaue Definition, die für eine gründliche Behandlung des Zweckmäßigkeitsproblems unerläßlich ist, folgt später (S. 120 ff.). 2) Dieser Begriff stammt bekanntlich von Weismann (vergl. z. B. b, Bd. I), welcher die „Personalselektion" der ,,GerminalseIektion" gegenüberstellt. Aus diesen primären, elementaren Zweckmäßigkeiten würden dann nach der Darwinschen Lehre durch Selektion die „sekundär-zweck- mäßigen", im Sinne der genannten Lehre auch als indirekte ,, Anpass- ungen" bezeichneten Eigenschaften hervorgehen, die uns besonders in der hohen Leistungsfähigkeit, Erhaltungsfähigkeit und Regenerations- fähigkeit der Organe und Organsysteme der höheren Tiere entgegen- treten. Die ungeheure Mannigfaltigkeit und häufig so große Kompliziert- heit der sekundär- zweckmäßigen Einrichtungen, durch welche die Organismen so vortrefflich an ihre gesamten Lebensbedingungen angepaßt erscheinen, soll also durch Steigerung und Modifikation der primären Zweckmäßigkeiten zustande kommen; indem diejenigen Individuen, bei denen die primär -zweckmäßigen Eigenschaften im Sinne eines besseren Angepaßtseins an die gesamte Umgebung variieren, die weniger Angepaßten überleben. Daraus ergibt sich der Schluß, daß das Problem der primären Zweckmäßigkeit von der größten Bedeutung ist: Denn der Erklärung der sekundären Zweck- mäßigkeit oder der ,, Anpassungen", denen die Darwinsche Theorie der Naturzüchtung hauptsächlich gilt, fehlt die Grundlage, solange die primäre Zweckmäßigkeit nicht erklärt ist. Das ist noch mehr zu betonen, wenn wir mit Plate annehmen, daß auch manche ein- fache Anpassungen, also Einrichtungen, die zu den sekundär-zweck- mäßigen gehören, ohne Selektion zustande gekommen sein mögen (1. c. S. 140 und 144). Wir müssen demnach unbedingt sagen: Der Kern- punkt des Problems von der organischen Zweckmäßigkeit liegt bereits in der Frage nach der Entstehung der primär- zweckmäßigen, also der ohne und vor der Selektion auf- tretenden zweckmäßigen Einrichtungen der Organismen. Dieses Problem der primären Zweckmäßigkeit scheint vielen Biologen kaum bekannt, jedenfalls in seiner Tragweite nicht im ent- ferntesten erkannt zu sein. Die Entwicklungstheorieen von Lamarck, Naegeli, Darwin, Haeckel, Weismann, Eimer, O. Hert- wig. De Vries setzen alle, soweit ich sehen kann, den primi- tiven Organismus mit seinen primär-zweckmäßigen Eigenschaften schon voraus, können und wollen also eine Erklärung der letzteren nicht geben. Aber auch diejenigen Autoren, denen dieses Problem — 7 — geläufig ist, haben sich teils wenig um dasselbe bemüht, wie z. B. Plate, der ihm nur die Worte widmet: „Von den primär-zweck- mäßigen Einrichtungen müssen wir annehmen, daß sie entstanden mit dem Momente, als das erste belebte Protoplasma sich bildete" (1. c. S. 140); teils haben sie es in sehr unbefriedigender Weise kurzer Hand auf dualistischem Wege zu erledigen gesucht, wie die Neovitalisten. Es bedarf wohl kaum eines besonderen Hinweises — und alle diejenigen, w^elche der Frage der primären Zweckmäßigkeit der Organismen näher getreten sind, stimmen dem g-ewiß bei, — daß das Problem der Entstehung und Entwicklung der primären Zweck- mäßigkeit mit dem Problem der Entstehung und Entwicklung der Organismen überhaupt zusammenfällt; denn die primär-zweckmäßigen Eigenschaften sind ja schon den ersten Organismen zuzusprechen, gehören also schlechterdings zum Begriff des Organismus. In der Tat finden wir auch bei denjenigen Biologen, die vitalistische (teleo- logische oder finale) Erklärungen für die Entwicklung der Organismen aufgestellt haben, eben solche auch für das Zustandekommen der primären Zweckmäßigkeit und damit der organischen Zweckmäßigkeit überhaupt. j,^' Das Problem der primären Zweckmäßigkeit lehrt also, daß die Selektionstheorie zur Erklärung der organischen Zweck- jr mäßigkeit nicht ausreicht, da sie die primär-zweckmäßigen '^ Eigenschaften nicht zu erklären vermag, welche doch die 'jj^, ( Wurzeln der sekundären Zweckmäßigkeiten oder Anpas- -'-' -y sungen darstellen ^). Man möchte vielleicht daran denken, daß eine Erweiterung der Selektionstheorie, wie sie W. Roux in seinem „Kampf der Teile im Organismus" (Roux, a) und Weismann in seiner „Germinalselektion" (Weismann, b) gegeben hat, hier aushelfen könnte; aber das wäre wohl ein aussichtsloses Unternehmen und ist meines Wissens auch nie versucht worden. i) Von der Frage, ob die Selektionstheorie genüge, um die sekundäre Zweck- mäßigkeit zu erklären, falls die primäre als erklärt vorausgesetzt würde, will ich vorläufig absehen (hierüber später). — 8 — Somit ergibt sich, daß eine befriedigende naturwissenschaft- liche Erklärung der Entstehung der organischen Zweck- mäßigkeit nicht vorhanden ist; die vitalistischen und neovitali- stischen, von denen später (S. 130 ff.) noch die Rede sein wird, ge- hören nicht hierher. Die Entstehung der nicht-zweckmäßigen Eigenschaften der Organismen. Eine zweite viel genannte Schwierigkeit bereiten der Selektions- theorie, sofern sie eine allgemeine Theorie der organischen Entwick- lung sein will, die indifferenten (gleichgültigen, „biologisch wertlosen") und die schädlichen Eigenschaften der Organismen, die man alle als ,, nicht-zweckmäßige" zusammenfassen kann, und welche den zweckmäßigen oder nützlichen Charakteren gegenüber stehen. Da die genannte Theorie nur das Überleben des Passendsten, des Nütz- licheren, Zweckmäßigeren zu erklären sucht, so steht sie der Tatsache, daß auch nicht-zweckmäßige Eigenschaften bei Organismen zustande kommen und sich fortschreitend zu immer größerer Kompli- ziertheit entwickeln, recht hilflos gegenüber. Man hat dieser Tat- sache meines Erachtens viel zu wenig Gewicht beigelegt. Plate (1. c. S. 18) rechnet in seiner Apologie des Darwinismus den hierauf gegründeten Einwand gegen die Selektionstheorie zu den unwesent- lichen und widmet ihm nur wenige Sätze; und auch bei Weis- mann treten diese ,, indifferenten" Charaktere gegenüber den An- passungen 1) oder nützlichen Eigenschaften ganz in den Hintergrund. Ehe wir auf die Erklärungsversuche der nicht-zweckmäßigen Charak- tere eingehen, seien diese etwas näher bezeichnet. Wir wollen die indifferenten und die schädlichen Eigen- schaften gesondert betrachten. Zu den ersteren gehören: a) diejenigen, welche man wohl als „rein morphologische" Charaktere oder als „Organisationsmerkmale" bezeichnet hat; sie werden von manchen Autoren, wie z. B. Weismann, als indifferente, i) Weisniann (b) bezeichnet alle zweckmäßigen oder nützlichen Charaktere als Anpassungen und macht keinen Unterschied zwischen „primärer" und ,, sekundärer" Zweck- mäßigkeit. — g — biologisch wertlose etc. schlechthin bezeichnet. Darg-estellt werden sie durch die große Gruppe der charakteristischen Merkmale der einzehien Kreise, Klassen, Ordnungen und Gattungen. Es handelt sich hier um Eigenschaften, die gar nicht mit dem Maßstabe der Zweck- mäßigkeit gemessen werden können, wie zunächst durch die folgende allgemeine Charakterisierung gezeigt sei: Nach der Selektionstheorie sollen die phylogenetisch jüngeren Organismenformen aus den phylo- genetisch älteren in der Weise entstanden sein, daß immer die zweck- mäßigsten Variationen der letzteren von der Naturzüchtung verwendet wurden. Danach müßten z. B. die Affen im ganzen zweckmäßiger organisiert oder besser an ihre Umgebung angepaßt sein als die Halb- affen, aus denen sie phylogenetisch hervorgingen; aus demselben Grunde müßten die mehrzelligen Organismen zweckmäßiger sein als die ein- zelligen, die Teleostier die Ganoiden und diese die Selachier an Zweck- mäßigkeit übertreffen, ebenso die anthropoiden Affen die katarrhinen etc. Derartiges wird aber wohl kaum jemand behaupten wollen. Aus der großen Eülle weiterer hierhergehöriger Tatsachen seien zur Erläuterung nur einige Beispiele herausgegriffen: Man kann es nicht als zweckmäßig bezeichnen, daß die Insekten (Hexapoda) gerade drei Paare von Beinen besitzen, die Dekapoden fünf Paare, die Schizopoden acht Paare, die M3'riapoden behebige andere Zahlen von Beinen, ferner daß die Seesterne gerade fünf Arme haben etc. Ob Insekten mit vier Beinpaaren, Schizopoden mit sechs Paaren. Seesterne mit vier oder sechs Armen weniger zweckmäßig wären? Analoge Fragen kann man auch für die Ghederung eines Körpers und seiner Extremitäten, überhaupt für zahlreiche Teile eines Organis- mus aufwerfen. Wenden wir uns sogleich zu den Erklärungsversuchen der genannten Tatsachen: In dieser Hinsicht begnügt sich Plate mit dem Ausspruch, daß die genannten Eigenschaften sich aus der „gemeinsamen Abstam- m u n g der betreffenden Gattungen und Familien von einer Stamm- form oder von mehreren nahverwandten Stammformen auf Grund der Vererbung erklären" (1. c. S. 18). Weismann ferner erkennt zunächst überhaupt nicht an, daß neben den Anpassungen oder nützlichen Charakteren eine erhebhche lO Menge indifferenter Merkmale vorhanden sei, wie aus folgenden Äußerungen hervorgeht: „Der ganze Bau aller Arten zeigt uns, daß sie sozusagen ganz aus Anpassungen zusammengesetzt sind" (b. Bd. II, S. 349). Und nachdem Weismann diese Behauptung speziell auf die Waltiere angewendet hat, schreibt er: ,,Was bleibt vom Walfisch übrig, wenn man die Anpassungen hinwegdenkt? Nichts als das allgemeine Schema eines Säugetieres; dieses aber war schon vor der Entstehung der Wale in ihren Vorfahren gegeben; wenn aber das, was die Wale zu Walen macht, also das „Schema" eines Wales, durch Anp^issung entstanden ist, dann hat also die hypothetische innere Entwicklungskraft — liege sie wo sie wolle — keinen Anteil an der Entstehung dieser Gruppe von Tieren." Da Weismann also das Vorhandensein indifferenter Charaktere keineswegs ganz leugnet, so sucht er für ihre Entstehung und Er- haltung als konstante Merkmale eine Erklärung, die mir jedoch nicht ganz eindeutig erscheint. Denn er läßt einerseits diese indifferenten Charaktere derart durch „Germinalselektion" entstehen, daß beim „Kampf der Teile" im Keimplasma die günstiger gestellten Anlagen den Sieg' davontragen; und Weismann bezeichnet es als einen be- sonderen Gewinn dieser Hypothese, daß sie die Aufhebung einer strengen Scheidung zwischen indifferenten und nützlichen Charakteren gestatte, indem sie auch die Entwicklung der ersteren auf ein Über- leben des Passendsten zurückführe (b. Bd. II, S. 423). Zur Erklärung derselben Tatsachen zieht Weism an n aber andererseits auch die Korre- lation der indifferenten Charaktere mit nützlichen heran, und läßt bei dem zur Germinalselektion führenden Intralkampf der Keimplasma- anlagen sowie bei dem zur Personiilselektion führenden Kampf der Individuen die indifferenten Charaktere (bezw. ihre Anlagen) n u r dadurch am Siege teilnehmen, daß er sie an die nützlichen korrelativ gebunden denkt (b. Bd. II, S. 348). Das Wesentliche dieser Erklärungs- versuche Weism an ns ist wohl die Ansicht, daß sowohl die An- passungen als auch die indifferenten, rein morphologischen Charaktere durch Selektion, nämlich durch Vereinigung von Personal- und Ger- minalselektion, erklärbar seien; wozu indessen zu bemerken ist, daß Weismann auf die primär-zweckmäßigen Eigenschaften gar keine 1 I Rücksicht nimmt, indem er keinen Unterschied zwischen ihnen und den sekundär- zweckmäßigen macht sondern, wie schon oben (S. 8, Anm. i) angeführt wurde, alle zweckmäßigen oder nützlichen Eigen- schaften als „Anpassungen" bezeichnet. Die Erklärungsversuche Weismanns, in denen derjenige von Plate ebenfalls enthalten ist, sind wenig befriedigend. Bezüglich der Germinalselektion muß ich bekennen, daß mir diese Hypothese zur Erklärung der Keimesvarietäten unannehmbar erscheint, wie dies bereits auch Plate (I.e. S. 117 ff.) und Günther (vS. 330 ff.) in ihren kritischen Ausführungen dargetan haben. Was ferner die Erklärung durch die Annahme einer Korrelation mit nützlichen Charakteren be- trifft, so läßt sich diese Anschauung freilich nicht direkt widerlegen; aber sie scheint mir ziemlich nichtssagend zu sein, wenn wir bedenken, daß doch im Grunde alle Teile eines Organismus in höherem oder geringerem Maße miteinander in Korrelation stehen, daß also ganz allgemein auch die zweckmäßigen und nicht- zweckmäßigen Eigen- schaften in dieser Weise voneinander abhängen. Die genatmte Hypo- these führt daher zu unannehmbaren Konsequenzen: Demi man könnte nach ihr die Entwicklung einer Fülle indifferenter, ja selbst schädlicher Charaktere einfach dadurch „erklären", daß man sie durch Korrelation an irgend einen nützlichen Charakter gebunden denkt. Endlich wird durch den Hinweis Weismanns, daß z. B. beim Walfisch nach Abzug der Anpassungsmerkmale nur das allgemeine Schema eines Säugetieres übrig bleibe, welches von den Vor- fahren der Waltiere vererbt sei, keineswegs eine Klärung der Sach- lage herbeigeführt; denn eben hierin liegt ja gerade unser Problem, das wir auch so formulieren können : Wie sind die Säugetiere mit ihren ,, indifferenten" Klassenmerkmalen aus der Klasse ihrer phylo- genetischen Vorfahren hervorgegangen? Gerade die hierin zum Aus- druck kommende, vom Einfacheren zum Komplizierteren fort-j schreitende Entwicklung der indifferenten rein morphologischen Merkmalskomplexe bietet das Hauptproblem dar. Dieses Problem aber, auf das wir im Zusammenhange mit anderen hernach (S. 23g ff.) wieder zurückkommen werden, bleibt ungelöst. 12 Wenden wir nns z.unächst von den ,,rein morphologischen" /u einigen anderen indifferenten Merkmalen. Hier wären weiter b) die noch nicht „selektionsw ertigen*' Anfänge erst später nützlicher Eigenschaften zu nennen. Mit dem Problem der Entstehung und fortschreitenden Entwicklung derartiger Cha- raktere in der Richtung der Nützlichkeit ist nahe verwandt die Frage nach der Möglichkeit der fortschreitenden Ausbildung nützlicher Eigenschaften, auch wenn ihre vorteilhaften Variationen so gering sind, daß sie noch keinen „Selektionswert" besitzen. Auf diesen Punkt haben bekanntlich die Kritiker der Darwin- schen Lehre einen besonders kräftigen Angriff ausgeführt. In der Tat ist ja mit der Feststellung, daß eine Eigenschaft oder eine Änderung einer solchen keinen Selektionswert besitzt, ihre Erklär- barkeit durch die Selektionstheorie schlechthin ausgeschlossen. Daher haben die Anhänger der letzteren versucht, dieses Problem wenig- stens im Sinne der Darwinschen Theorie unter Heranziehung' einiger Hilfshypothesen einer Lösung zugänglich zu machen. Plate (1. c. S. 28 ff.) gibt folgende Zusammenstellung der Erklärungsmitte], die teils für die fortschreitende Entwicklung noch nicht nützlicher Charaktere teils für die äußerst geringen nützlichen Varia- tionen gelten: Erstens sollen in vielen Fällen schon sehr geringe Unterschiede von merklichem Nutzen und damit selektionswertig sein. Zweitens wird auch hier die Möglichkeit einer Korrelation mit nützlichen Organen verwertet. Drittens wird der Funktionswechsel zur Erklärung herangezogen. Viertens sollen durch Änderungen der Umgebung oder der Organismen selbst bisher indifferente Merkmale und ihre Änderungen selektionswertig werden. Fünftens wird auf die Universalität oder vielfache Funktions- weise von Organen hingewiesen. Sechstens wird der durch Vererbung übertragbare Erfolg an- dauernden Gebrauches und eine Art „Orthogenese" (vergl. Eimer) geltend gemacht, indem ,, Reize, welche durch viele Generationen hin- 13 durch andauern und den Organismus somatisch beeinflussen, akku- mulative Wirkungen hervorbring-en können". Siebentens wird an die „sprungweise diskontinuierliche Variabi- lität" erinnert. Durch das Heranziehen der verschiedenen Hilfshypothesen erhalten wir zunächst die Bestätigung dafür, daß die Darwinsche Selektions- theorie für sich allein nicht als ausreichend für die gewünschten Er- , klärungen anerkannt wird. Ferner aber erweckt das Zusammen- suchen so vieler Erklärungsmotive, von denen offenbar jedes einzelne an sich nicht als genügend erachtet wird, schon von vornherein den Argwohn, daß hier das Hauptmotiv fehle; zumal da die genannten Erscheinungen für sich und im Zusammenhang mit den anderen nicht-zweckmäßigen Charakteren eine so große und umfassende Gruppe bilden, daß das lebhafte Bedürfnis nach einem durch- greifenden, einheitlichen Erklärungsprinzip entsteht. Auch im einzelnen scheinen mir die genannten Hilfsh3^pothesen wenig ein- -^ leuchtend. Die Erklärungsmittel i, 3, 4, 5, 7 dürften doch nur in \ ganz vereinzelten Fällen anwendbar sein, stellen daher trotz ihrer relativ großen Zahl ein recht schwaches Rüstzeug dar. Die Hypothesen 2 und 6 vollends erscheinen mir ganz unbrauchbar; erstere aus dem oben dargelegten Grunde (vgl. S. 11), letztere deshalb, weil sie mit der nicht annehmbaren Voraussetzung der Vererbbarkeit „somatogener" Eigenschaften oder funktioneller Abänderungen rechnet, auf die erst später (S. 23 ff.) etwas näher eingegangen werden soll. Von weiteren „indifferenten" Eigenschaften seien noch auf- geführt : c) die große Fülle der Farben, Formen und Zeichnungen von Schmetterlingsflügeln, Vogelgefiedern und dergi. Wer mit Rücksicht auf diese Frage einmal eine formenreiche Schmetterlings- sammlung betrachtet oder das Vogelhaus eines zoologischen Gartens besucht, dem wird die Absicht vergehen, alles, was er hier an wunderbaren Bildungen sieht, dem Zweckmäßigkeitsbegriff unter- ordnen zu wollen , ebenso wie sich beim Anblick vielgestaltiger und vielfarbiger Mineralien kein solcher Gedanke regt (vgl. S. 14). — 14 — Oder sollte man etwa annehmen, daß z. B. für den Apollofalter (Parnassius Apollo) gerade die ihm eigene Form, Farbe und Anzahl der ringförmigen Flecke auf den Flügeln unter den zahlreichen denk- baren ähnlichen Zeichnungen die zweckmäßigsten seien, d. h. die best- angepaßten ^) an die, eine Selektion i) bewirkenden, Faktoren der Um- gebung? Und daß von den verschiedenen lokalen Varietäten des Apollo jede gerade durch die geringen Modifikationen ihrer Zeichnung an eben die Bedingungen, unter denen sie lebt, besonders angepafijt ist? Zwar vertritt Weismann entsprechend seiner Ansicht, daß die Organismen zum ganz überwiegenden Teil „Anpassungskomplexe" seien, auch hier die Meinung, daß z. B. die Zeichnungen der Schmetter- linge lediglich Anpassungen, also nicht indifferent seien. Das mag wohl für viele einzelne Merkmale zutreffend sein, und gilt offenbar auch für die Beispiele, die Weismann im IV. und V. Kapitel seines Buches so anschaulich erläutert. Im übrigen aber scheint mir die Ansicht unwiderleglich, daß bei Schmetterlingsflügeln, Vogelgefiedern, Schnabelbildungen etc. der jeweils größere Merkmalskomplex nicht durch Anpassung im Darwinschen Sinne entstanden ist und daß die letztere nur hier und da, bald in höherem, bald in geringerem Grade, modifizierend eingegriffen hat. Die genannten organischen Bildungen fordern geradzu heraus zu einem Vergleich mit der großen Mannigfaltigkeit der Formen und Farben der verschiedenen Minera- lien und Gesteinsarten — es sei nur an die farbigen Zeichnungen des Jaspis, Onyx, Heliotrop etc. erinnert — , für welche doch trotz ihrer Erhaltungsfähigkeit niemand annehmen wird, daß sie durch vSelektion in dem üblichen Sinne entstanden seien. d) Schließlich sind von indifferenten Eigenschaften noch die von den Kritikern der Darwinschen Lehre vielgenannten rudimen- tären Charaktere oder regressiven Änderungen namhaft zu machen. Für ihre Erklärung im Sinne der Selektionstheorie hat Plate eben- falls eine Anzahl von Hypothesen aufgestellt (1. c. S. 113): i) Um einen scheinbaren Widersprach mit späteren Ausführungen zu vermeiden, sei ausdrückhch bemerkt, daß vorläufig die Begriffe und Bezeichnungen der ,, Anpassung" und ,, Selektion'' in dem von Darwin und seinen Nachfolgern gemeinten, nicht genauer definierten Sinne gebraucht werden. Genauere Begriffsbestimmungen können erst später ge- geben werden (vgl. S. 206 ff. u. 212 ff.). Erstens wird hier die Vererbung von Nichtgebrauch angeführt; Zweitens die Vererbung der Erfolge äußerer Einwirkungen bezw. des Ausbleibens von solchen; Drittens eine umgekehrte Selektion; Viertens die Ökonomie der Ernährung, indem gewissen Organen durch anspruchsvollere benachbarte Teile die Nahrung entzogen wird; Fünftens die Panmixie^), die indessen nur die physiologischen Verkümmerungen oder Degenerationen erklären könne, nicht aber die morphologischen Rückbildungen oder Rudimenta- tionen im engeren Sinne. Von diesen Erklärungsprinzipien scheiden i und 2 aus dem oben genannten (xrunde (vgl. S. 13) aus, und die übrigen machen einen sehr gesuchten Eindruck. Eine ausführliche Kritik mag daher unter- bleiben. Auch die Weis mann sehe Erklärung der rudimentären Charak- tere ist, da sie mit der Germinalselektion rechnet (vgl. S. 11), nicht befriedigend. Weismann führt nämlich die regressiven Änderungen auf „zufällige" Variationen des Keimplasmas zurück, die durch Germinal- selektion in ihrer Richtung befestigt und durch Amphimixis auf alle Keimplasmen der Art übertragen werden (b. Bd. II, S. 255). Die bisherige kritische Betrachtung der indifferenten, über- haupt der nicht-zweckmäßigen Charaktere zeigt, daß diese im Sinne der Selektionstheorie nicht erklärt werden können, und daß überhaupt eine befriedigende Erklärung für sie bisher nicht gegeben ist. Dieses Ergebnis ließe sich durch Aufzählung weiterer nicht-zweckmäßiger Eigenschaften noch bekräftigen, auf deren Angabe hier aber- ver- zichtet sei, zumal da die gedachten Eigenschaften noch kaum dis- kutiert worden sind. Sie werden an einem späteren Orte angeführt werden (S. 166 f.). i) Unter „Panmixie" versteht Weis mann (vgl. z, B. b, Bd. II, S. 131) eine geschlechtliche Vermischung aller, der gut und der schlecht ausgerüsteten Individuen einer Art, welche eintreten würde, wenn die Selektion, mit Einschluß der sexuellen und der durch geographische, biologische und sexuelle Isohuion (vgl. Plate I. c, S. 130 ff.) bewirkten, aufhörte. 1() Das Problem des Fortschritts vom Einfacheren zum Komplizierteren. Wir wollen uns endlich zu einer dritten Tatsache der phylo- genetischen Entwicklung wenden, die ebenfalls durch die .Selektions- theorie, selbst mit Aufwand gewichtiger Hilfsannahmen, nicht wirk- lich erklärt werden kann: das ist die fortschreitende, und zwar die vom Einfacheren zum Komplizierteren fortschreitende Entwicklung der Organismen. Damit ist aber gesagt, daß die Selektionstheorie für sich allein den Zweck, für den sie vornehmlich ersonnen war, im Grunde nicht erfüllt, nämlich die wenigstens im Prinzip lückenlose Erklärung- der Deszendenz der höheren Organismen ivon den niederen. Das haben schon ihre ersten Kritiker, wie z. B. Nägeli, ausgesprochen, und das wird auch heute wieder von ernsten Forschern geltend gemacht. Auffallendervveise aber hat dieses Pro- blem im Vergleich zu anderen wichtigen deszendenztheoretischen Fragen, deren Beantwortung die Selektionstheorie anstrebte, wie besonders dem Problem der organischen Zweckmäßigkeit, in neuerer Zeit eine ver- hältnismäßig wenig- eindringende und umfassende Bearbeitung ge- funden. So haben auch diejenigen Forscher, die in besonders um- fassender Weise die Darwinsche Lehre geg'en die verschieden- artigen Angriffe zu verteidigen gesucht haben, wenig Gelegenheit genommen, jenes Problem ausführlicher zu diskutieren. Was hier an Erklärungsversuchen im Sinne der Selektionstheorie etwa beigebracht werden kann, finden wir wohl am eingehendsten von Weismann dargelegt: Zur Erklärung des Fortschritts in der Entwicklung, gleich- gültig, ob dieser mit zu- oder abnehmender Kompliziertheit der Organismen einhergeht, finden wir bei Weismann Äußerungen der folgenden Art: Durch „Germinalselektion" entstehen bestimmte „Va- riationsrichtungen", „die allein für sich schon imstande sind, das Art- bild nach diesen Richtungen hin weiter und weiter zu verändern" (b, Bd. II, S. 421). Nach diesem Satze möchte man annehmen, Weis- mann lege der Keimsubstanz ohne weiteres eine fortschreitende Ent- wicklungsfähigkeit bei. Einer solchen Meinung aber widerspricht er an anderen Orten, indem er sagt: „Die bestimmte Richtung wird nach meiner Ansicht der ;:ufälligen Keimesvariation erst durch den Vorteil gegeben, welchen sie der Art in bezug auf ihre Existenzfähig- keit gewährt" (b, Bd. 11, S. 435). Damit wäre das fortschrittliche Moment doch wieder nach außerhalb von der Keimsubstanz bezw. der (ierminalselektion verlegt, und zwar, wenn ich Weismann recht verstehe, in die Personalselektion (vgl. S. 5, Anm. 2) und die sie be- dingenden äußeren Faktoren. Das dürfte auch der Sinn des Satzes sein: Hätten die äußeren Einflüsse „von der Urzeugung an absolut gleich bleiben können, so würde keinerlei Variation und keine Ent- wicklung eingetreten sein" (b, Bd. II, S. 42S); insofern bei den fort- schreitenden Änderung-en der äußeren Bedingaingen immer andere, entsprechend abgeänderte, nämlich an die veränderten Umstände an- gepaßte Organismenformen durch die Personalselektion übrig- ge- lassen werden. Für die Tatsache, daß die fortschreitende Entwicklung im all- gemeinen vom Einfacheren zum Komplizierteren gerichtet ist, wie es die von den Protisten zu den äußerst mannigfaltig zusammen- gesetzten höheren Tieren und Pflanzen aufsteigende Phylogenie zeigt, sucht Weis mann auf folgendem Wege eine Erklärung zu geben: Wenn auch die Grundlage aller Umwandlungen der Organis- men die Germinalselektion sei, so reiche diese doch nicht aus, um die ,,un endliche Mannigfaltigkeit" der organischen Formen ent- stehen zu lassen; dies sei vielmehr das Werk der Personalselektion. Hierüber und über die im Verlauf der Phylogenie stattfindende „Steigerung- der Organisation" sagt Weismann z. B. folgendes: „Nicht in jedem Einzelfall, wohl aber im großen und ganzen läßt sich zeigen, daß das Erreichen einer höheren Stufe der Orga- nisation auch ein Übergewicht im Kampfe ums Dasein be- deutet, daf^j sich damit neue Lebensmöglichkeiten eröffnen, An- passungen an bisher nicht ausnützbare Situationen, Nahrungsquellen oder Zufluchtsorte. .So stieg ein Teil der niederen Wirbeltiere aus dem Wasser auf das Land heraus und paßte sich dem Leben auf dem Trockenen und in der Luft an, zuerst nur als schwerfällig sich dahinschleppende Molche, später auch als springende Frösche" etc. — Jensen, Organische Zweckmäßigkeit etc. ^ Cp — i8 — „Es leuchtet ein, daß jede dieser Gruppen mit ihrer Entstehung sich zugleich ein neues Lebensgebiet eroberte, und bei vielen derselben war dieses ein so weites und enthielt wieder so viele spezielle Lebens- möglichkeiten, daß zahlreiche Unteranpassungen entstanden, und die Gruppe sich in viele Arten und Gattungen, in Familien und oft auch in Ordnungen spaltete." — „So zweigten sich von niederen Typen von Zeit zu Zeit immer wieder höhere ab, ohne daß doch jene niederen Stammtypen deshalb auszusterben brauchten"; — „so entstand das Bild einer allgemeinen Aufwärtsentwickhmg und täuschte so ein nach oben gerichtetes Entwicklungsprinzip vor", (b, Bd. II, S. 426 f.). Bei der Beurteilung dieser Anschauungen ist zunächst zu be- achten, daß Weismanns Grenzbestimmung für die Wirksamkeit der Germinalselektion eine recht schwankende ist: Einerseits finden wir das Bestreben, dem Keimplasma an sich eine „fortschrittliche Tendenz" beizulegen, da es offenbar schwierig wäre, die Haupttrieb- kraft der fortschreitenden Entwicklung außerhalb desselben zu loka- le V lisieren; andererseits begegnen wir dem Bedenken Weismanns, den „zufälligen, selbständigen" Keimesvariationen, welche die Germinalselektion liefert, an sich eine maßgebende Rolle bei der Ausgestaltung des Artbildes zuzuschreiben, da die Germinalselektion als „inneres Prinzip" keine Rücksicht auf äußere Verhältnisse nehmen, also keine Anpassung zustande bringen könne, während doch der Organismus in erster Linie einen „Anpassungskomplex" dar- stelle oder „so zu sagen ganz aus Anpassungen zusammengesetzt sei" (b. Bd. II, S. 345 ff. und 427; vergl. auch unten S. 49). Wir sehen hieraus, daß die Bearbeitung dieses wichtigen Problems durch W eism an n keine genügend klare und seiner Bedeutung angemessene ist. Aber auch wenn die Anteile der Germinal- und Personalselektion an der phylogenetischen Entwicklung genügend klargelegt wären, so würden gleichwohl diese Erklärungsversuche nicht befriedigen. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß der Ausgangspunkt der W e i s m a n n sehen Ausführungen , nämlich die „Germinalselektion", I nicht anerkannt werden kann (S. 11). Wollten wir aber auch die * Germinalselektion annehmen, so würde diese, zumal mit Unterstützung — 19 — der Personalselektion, zwar eine in irgend einer Richtung fort- schreitende, wohl auch mit Anpassungen einhergehende, Ent- wicklung verständlich machen können, nicht hingegen eine vom Ein- facheren zum Komplizierteren aufsteigende Entwicklung, d. h. die wirklich vorliegende Phylogenese. Mir wenigstens ist es nicht möglich einzusehen, wie allein durch eine besondere Ausnutzung ge- wisser äußerer Bedingungen, z. B. im Wasser, aus einem Protist ein Fisch geworden sein könnte. Über diese fundamentale Frage geht Weismann in seinem sonst so gedankentiefen und gedankenreichen Buch meines Erachtens zu leicht hinweg. Fassen wir zusammen, was über die primäre Zweckmäßigkeit,' die indifferenten Eigenschaften und das Fortschreitende in der Entwicklung der Organismen dargelegt wurde, so ergibt sich, daß alle diese wichtigen deszendenztheoretischen Probleme weder durch die vSelektionstheorie Darwins noch durch irgendwelche Mo- difikationen und Erweiterungen derselben ausreichend erklärt werden können. Zur Kritik der übrigen deszendenztheoretischen Erklärungsversuche. Von sonstigen Erklärungsversuchen der genannten sowie der übrigen deszendenztheoretischen Tatsachen kommen nur noch die- jenigen in Betracht, welche man als „autogenetische" zusammen- fassen kann, und die nach Art der lamarckistischen, welche als „allogenetische" bezeichnet seien. Die nicht in den Rahmen naturw^issenschaftlicher Erklärung gehörenden vital istischen und neovitalistischen Deduktionen sollen an gesondertem Platze be- handelt werden (S. 130 ff.). Autogenetische Theorieen. Für die autogenetischen Erklärungsweisen deszendenztheore- tischer Tatsachen ist es charakteristisch, daß die in erster Linie treibende Kraft für die mannigfaltige Ausgestaltung des Organis- menstammbaumes in dem Wesen des Organismus selbst gesucht — 20 — wird, vviThrend den Faktoren der Umgebung des Organismus hier- bei eine untergeordnete Rolle zugedacht wird. Die bekannteste derartige Anschauung stellt sich in der Nägelischen „Vervollkomm- nungstheorie" dar, die auch von O. Hertwig mit einigen Modifi- kationen in seinem „Gesetz der Progression" (b, S. 597 f.) angenommen worden ist. Doch hat man dieser Vervollkommnungstheorie wohl mit Recht den Vorwurf gemacht, daß sie einen teleologischen^) Charakter trage; wir wollen es daher unterlassen, auf etwaige Erklärungen ein- zugehen, die man nach dieser Theorie für das Zustandekommen der primären Zweckmäßigkeit, der weitgehenden Entwicklung der indifferenten Eigenschaften und der zunehmend kompli- zierter sich gestaltenden Anpassungen vielleicht zu geben ver- suchen könnte. Ein autogenetisches Prinzip stellt auch die Weismannsche „Germinalselektion" dar, auf die hier nicht eingegangen zu wer- den braucht (vgl. S. 10 f.); sonst liegten keine weiter ausgebildeten autogenetischen Theorieen vor, obschon das Prinzip der Autogenese sonst noch von mehreren Autoren anerkannt wird (vgl. z. B. auch L. Hermann [S. 14J und Goette [S. 26]). Auf dieses Prinzip werde ich später noch ausführlich zurückkommen (S. 207 ff.). Allogenetische Theorieen (Lamarckismus, Neo-Lamarckismus, Orthogenesis). Die lamarckistischen Erklärungsweisen, zu denen man außer den Anschauungen von Lamarck selbst auch Plypothesen nach Art der Ei m ersehen „Orthogenesis", sowie den von vielen Biologen auch neben der Selektionstheorie angenommenen Neo-Lamarckis- mus rechnen kann, sind dadurch ausgezeichnet, daß sie unter den die phylogenetische Entwicklung bedingenden Faktoren das Haupt- gewicht auf die Einwirkung- der Außenwelt und ihre Beantwortung durch den Organismus legen. Das Wesentliche der ursprünglichen, von Lamarck entwickelten Lehre läßt sich etwa in folgende drei Sätze zusammenfassen: i) über teleologisclie ,, Erklärungen" der organischen Entwickkinc; siehe S. 12" ff. 21 — 1. Veränderungen der Umgebung' bewirken auch Veränderungen des Organismus. 2. Bei Tieren — nach Lamarcks Ansicht also nicht bei Pflanzen — sind diese Reaktionen des Organismus direkt „zweckmäßig". 3. Wirken die Änderungen der Umgebung längere Zeit auf ein Individuum ein, so werden die dadurch hervorgerufenen Abände- rungen des Organismus auch auf seine Nachkommen übertragen. Aus diesen, teils sehr hypothetischen, teils in sehr allgemeiner Form nur das Tatsächliche ausdrückenden Sätzen ist eine befriedigende Lösung der hauptsächlichen deszendenztheoretischen Probleme nicht zu gewinnen. Anstatt dies an der Hand der einzelnen Probleme zu beweisen, wird es genügen, die obigen Sätze etwas näher kritisch zu beleuchten : Daß der erste der Lamarckschen Sätze in seiner allgemeinen Form richtig ist, unterliegt keinem Zweifel. Wenn aber durch ihn, wie es scheint, zugleich gesagt sein soll, daß die fortschreitenden Änderungen der Umgebung auch die tatsächlich in der Phylogenie vorliegenden fortschreitenden Änderungen der Organismen, und zwar die vom Einfacheren zum immer Komplizierteren aufsteigende Ent- wicklung, zustande bringen, so ist dies nicht nur völlig unbewiesen^ sondern auch ganz unannehmbar. Es sind ja doch unter allen auf der Erde vorkommenden Systemen nur die lebendigen Orga- nismen, welche die Fähigheit haben, unter der Einwirkung der im allgemeinen sich fortschreitend ändernden äußeren Bedingungen die charakteristischen Formenreihen des Organismenstammbaumes zu durchlaufen. Diese Fähigkeit wird aber durch Lamarck völlig-^ vernachlässigt, indem nur die äußeren Einwirkungen besonders be- tont, also als maßgebend angesehen werden. Da aber alle nicht- lebendigen Systeme diese Fähigkeit nicht besitzen, obgleich sie den- selben fortschreitend veränderlichen äußeren Bedingungen unterworfen sind, so bedarf diese Eigentümlichkeit der Organismen in erster Linie der Erklärung. Denn wie sollte z. B. durch Ände- rungen der Temperatur, der Atmosphäre, der Nahrung etc. auch nur aus einem Saurier ein Vogel werden, wenn nicht eine be- zügliche Entwicklungsfähigkeit vorhanden war? Einer be- 22 — stimmten Entwicklungsfähigkeit könnte man selbst dann nicht ent- raten, wenn man die unausdenkbare Annahme gestatten wollte, daß für eine jede der vielen Organismenarten, die sich aus einer gemein- samen Stammform entwickelt haben, ganz entsprechende, geradezu „harmonisch-prästabilierte" äußere Bedingungen vorhanden gewesen seien. Wäre eine bestimmte Entwicklungsfähigkeit nicht nötig, so müßte man ja durch geeignet gewählte äußere Bedingungen aus jeder Organismenform jede beliebige andere gewinnen können! Also das Zustandekommen einer solchen Entwicklungsfähigkeit ist vor allem zu erklären! Eine weitere Frage ist dann die, in welchem Maße die pro- gressive Änderung der Umgebung an der phylogenetischen Fortent- wicklung der Organismen Anteil hat. Diesen kann man sich sehr verschieden denken; es wäre sogar recht wohl möglich, daß jene Entwicklungsfähigkeit des Organismus die Stammesentwicklung auch dann noch weiter getrieben hätte, selbst wenn die äußeren Bedin- ^gungen schon seit langer Zeit, sagen wir z, B. seit der paläozoischen Periode, konstant geblieben wären i). Wir sehen also, daß das Er- klärungsprinzip des ersten Lamarckschen Satzes ganz unzureichend ist. Für den zweiten Satz des Lamarekismus gelten ähnliche Bedenken. Zunächst fehlt auch hier die Erklärung für die wohl im allgemeinen zutreffende Tatsache, daß die Tiere, überhaupt die Orga- nismen, auf äußere Einwirkungen „zweckmäßig" reagieren, mit anderen Worten: eine „direkte Anpassung" zeigen'-*). Das ist doch eine be- sondere Eigentümlichkeit der Organismen, und eben diese zweck- mäßige Reaktionsfähigkeit muß in erster Linie erklärt werden. Ein spezieller P'all solchen Vermögens ist die Eigentümlichkeit des Orga- nismus, seinen Teilen durch Gebrauch eine Erhöhung, durch Nicht- gebrauch eine Verminderung ihrer Leistungsfähigkeit zu erwerben. Wie diese Fähigkeit zustande gekommen ist, das ist hier das Hauptproblem, und das müßte doch erst wenigstens im Prinzip ge- i) Dies sei besonders bemerkt im Hinbück auf die gegenteilige oben zitierte (S. 17) Äußerung Weismanns. 2) Hinsichtlich des Problems der ,, direkten Anpassung" sei auch auf die Schrift von Detto verwiesen, die ich leider nicht mehr einsehen konnte. löst sein, ehe dieser zweite Satz des Lamarckismus wirklich zur „Erklärung" der Phylogenie beitragen könnte! In allen den bisher besprochenen Punkten der Lamarck sehen Lehre scheinen mir auch die Neo-Lamarckisten (wie z. B. von Wettstein) nicht wesentlich weiter gekommen zu sein, als der erste Begründer dieser Anschauungen. Was endlich den dritten Lamarck sehen Satz anbetrifft, so büßt dieser sein ganzes Fundament ein durch die Unbrauchbarkeit der beiden ersteren Sätze. Wenn nicht gezeigt werden kann, daß und wie die phylogenetischen Änderungen der Organismen durch die Außenwelt bewirkt werden, und wie ihre Reaktionsfähigkeit eine zweckmäßige zu werden vermochte, so könnte selbst durch den Nach- weis der erblichen Übertragung derartiger „erworbener" Eigenschaften eine Erklärung der phylogenetischen Entwicklung und ihrer hoch- komplizierten, zweckmäßigen Ergebnisse nicht gewonnen werden, da Wurzel und Stamm dieser Erklärung fehlen. Nun kann aber zudem gar nicht die Rede davon sein, daß eine Vererbung „erworbener" Eigenschaften oder „funktioneller Abänderungen" auch nur annähernd in dem von Lamarck und den Neo-Lamarckisten angenommenen Umfange wirklich vor- kommt. Ich möchte hierin im wesentlichen der gründlichen und ausführlichen Kritik Weismanns (b, Bd. II, S. 70 ff.) und Günthers (S. 190 ff.) beipflichten und nur eine ganz allgemeine Beein- flussung der Keimsubstanz durch die direkten Anpassungen und Erwerbungen des elterlichen Soma^) gelten lassen. Es braucht nicht besonders bemerkt zu werden, daß bei den niederen Organismen im allgemeinen wohl eine Vererbung „erworbener" Eigenschaften zur Geltung komme, da hier das den Einwirkungen der Außenwelt ausgesetzte Soma selbst die Substanz darstellt, aus der die Körper der Nachkommen gebildet werden. Als Beispiel sei nur die von Engelmann nnd Gaidukov entdeckte künsthch erzeugte Farben- änderung („komplementäre chromatische Adaptation") v^on Oscillarien und ihre Vererbbarkeit angeführt. I) ,,Soma" ist hier im Weisman nscheii Sinne gebraucht; Näheres hierüber siehe später S. 92. — 24 — Ferner soll die Möglichkeit durchaus nicht bestritten werden, daß z. B. durch die Einwirkung erhöhter oder verminderter Temperatur auf ein Samenkorn oder Ei die in letzterem enthaltenen Anlagen für die nächste Generation in ähnlicher Weise beeinflußt werden wie das aus diesen Keimsubstanzen hervorgehende Soma (vgl. O. Hertwig b, S. 573 und 575; v. Wettstein S. 87 ff.); desgleichen die Möglichkeit, daß auch durch äußere Einflüsse bewirkte allge- meine Stoffwechseländerungen der ausgewachsenen Individuen mehr oder minder ähnliche Änderungen in ihren Nachkommen zur Folge haben können, was auch für die Versuche Ehrlichs über die Vererbbarkeit der Rizin- und Abrin-Inununität und ähnliches gilt (vgl. hierüber O. Hertwig, b, S. 574). Dagegen ist es ebenso unbewiesen wie unwahrscheinHch, daß bei Individuen höherer, durch Keimsubstanz sich fortpflanzender Organismen „somatogene" ^) Änderungen von Merkmalen und zwar von Anpassungsmerkmalen, die durch besondere die Grenzen der gewöhnlichen Lebensbeding"ungen überschreitende Ände- rungen der Umgebung hervorgerufen sind, in gleicher Weise auf die Nachkommen vererbt werden. Ich könnte mich hinsichtlich der Begründung dieses Stand- punktes auf die grundlegenden Auseinandersetzungen Weismanns sowie die jüngeren Darlegungen Günthers berufen, wenn nicht ein neuerer sehr energischer Vertreter des Lamarekismus, der Botaniker V. Wettstein, selbst zugegeben hätte, daß das bisher zugunsten der genannten Lehre vorgebrachte Beweismaterial nicht recht über- zeugend gewesen sei, während er glaubt, seinerseits ganz ent- schieden für den Lamarekismus sprechende Tatsachen anführen zu können. Von Wettstein sucht zunächst einige indirekte Beweise zu erbringen, indem er Tatsachen vorführt, die seines Erachtens nur i) Als „somatogen" wollen wir im Sinne von Weismann solche Änderungen bezeichnen, die bei den oben charakterisierten ungewöhnlichen äußeren Einwirkungen direkt nur das Soma eines durch Keimsubstanz sich fortpflanzenden Organismus betreffen; dem- nach stellen die somatogenen Änderungen nur einen Teil der gesamten Gruppe der ,, er- worbenen" Eigenschaften dar. liimarckistisclii) erklärt werden können. Indessen findet man in seinen Darlegungen da, wo man eine überzeugende Schlußfolgerung erwartet, meistens nur Wendungen, wie: „Es wäre vollkommen ge- zwungen anzunehmen" oder „ist es denn nicht viel natürlicher anzu- nehmen" und dergl. Die von v. Wettstein angeführten Schwierig- keiten für nicht-Iamarckistische Erklärungen fallen aber sofort weg, wenn man, wie wir später sehen werden, der Variabilität den gebührenden Platz in der Entwicklungslehre anweist, was der ge- nannte Forscher meines Erachtens nicht tut. Die Beispiele aber, aus denen v. Wettstein direkte Beweise für seine Anschauungen abzuleiten sucht, betreffen gar nicht die Ver- erbung bestimmter somatogen er Eigenschaften in dem zuvor charak- terisierten Sinne. Vielmehr handelt es sich hier einerseits um niedere Organismen (Hefepilze etc.) und somit um direkte äußere Ein- ' Wirkungen auf das Material, aus dem die kindUchen Zellkörper ge- bildet werden (vgl. oben S. 23). Bei den Beispielen aus der land- wirtschaftlichen Botanik andererseits haben wir es mit ganz allge- meinen Beeinflussungen der Samen in der oben (S. 24) ange- deuteten Weise zu tun, wobei zudem die Mitwirkung der Selektion nicht immer auszuschließen ist. Hier handelt es sich aber nach^ nächstliegender Annahme nicht sowohl um eine Rückwirkung der von dem Klima veränderten Pflanzen auf ihre Samen als vielmehr um eine gleichzeitig die Pflanze und ihre Samen treffende und beide in gleichem Sinne modifizierende äußere Einwirkung. Aus den letztgenannten Fällen den Schluß zu ziehen auf das Vorhandensein einer Vererbung rein somatogener Abänderungen (vgl. S. 24), also solcher, die zunächst nur das Soma erfährt, ohne gleichzeitige direkte Affektion der Keimsubstanz, und die dann später ganz ebenso in dem entwickelten Keim zum Vorschein kommen, dazu liegt nicht die geringste Berechtigung vor. Denn zwischen den zuletzt charakterisierten Vorgängen, wo es sich allein im strengen Sinne um eine Vererbung „erworbener" Eigenschaften handelt, und zwischen denjenigen, wo Soma und Keimsubstanz identisch und wo i) D. h. hier: auf Grund der Annahme der Vererbbarkeit ,, erworbener" Eigenschaften, einschließlich der „somatogenen" Veränderungen. — 26 — das äußere Agens in gleicher Weise gleichzeitig beide direkt beein- flußt, oder wo bestimmte Abänderungen des Soma beliebige allge- meine Reaktionen^) der Keimsubstanz zur Folge haben, ist doch ein fundamentaler Unterschied. Es ist auffallend, daß die für die Vererbung erworbener Eigen- schaften eintretenden Biologen über diesen Unterschied so leicht hin- weggehen und die Beweise für das Vorkommen der ersten Gruppe erworbener Eigenschaften ohne weiteres auch für die Vererbung rein somatogen er Veränderungen in Anspruch nehmen. So ver- kennt auch Lotsy (S. 169) diesen Unterschied, weil er ihn nur auf die von ihm nicht anerkannte Unterscheidung von Keimsubstanz (Keimplasma) und Soma (Somaplasma) gegründet glaubt; der Mangel tatsächlicher Beweise für die Vererbung- somatogener Eigenschaften und die schweren theoretischen Bedenken gegen diese Annahme bleiben aber doch völlig dieselben, gleichgültig, ob man einen Unter- schied zwischen Soma und Keimsubstanz anerkennt oder nicht. Es gibt also zu den großen theoretischen Bedenken keine Tat- sache, die für eine Vererbung somatogener Abänderungen spräche. Das gilt im Besondern auch für die ang'ebliche Vererbung der als „funktionelle Anpassungen" bezeichneten Gruppe somatogener Änderungen. Jeglicher Beweis fehlt für die Annahme, daß die durch Gebrauch und Nichtgebrauch von Organen und Körperteilen, ferner durch Traumen im weitesten Sinne und dgl. -) bedingten Än- derungen eines Individuums auch auf dessen Nachkommen über- tragen werden. Auch Rabl bringt in seinen neueren Ausführungen über diesen Gegenstand keinen wirklichen Beleg für die Hypothese, i) Zu diesen gehört z. B. auch die sog. Vererbbarkeit erworbener Epilepsie. Die letztere kann bekanntlich als Symptom bei den verschiedensten nervösen Affektionen auf- treten. Allgemeine Schädlichkeiten, welche die Eltern andauernd getroffen haben, wie z. B. Vergiftungen und Infektionen, nifen häufig in gleicher Weise bei ihnen selbst wie bei ihren Kindern allgemeine nervöse Erkrankungen hervor; wenn nun die letzteren bei Eltern und Kindern das Symptom der Epilepsie zeigen, so liegt hier deshalb doch keineswegs eine Vererbung einer erworbenen Eigenschaft im strengen Sinne vor (vergl. hierüber auch die ausführliche Darstellung von Lotsy, S. 169). Beispiele nach Art des genannten ließen sich noch mehrere anführen. 2) Z. B. Lichtwirkungen auf Auge und Haut und entsprechende Reizwirkungen auf andere Sinnesorgane. „daß die Ausübung der Funktion von seiten des entwickelten Tieres und die Anpassung an die Funktion einen Reiz auf dessen Keim- zellen ausübt, und daß die Keimzellen auf diesen Reiz mit einer bestimmten, demselben adäquaten Veränderung oder Anpassung antworten". Fragt man, warum trotz dem erwähnten Sachverhalt mit so großer Beharrlichkeit an der Vererbung „erworbener" Eigenschaften, und zwar besonders der „somatogcnen" Abänderungen, festgehalten wird, so erhält man die Antwort, daß man nicht „auf eines der wich- tigsten Erklärungsprinzipien für die Entwicklung der Organismen weit verzichten" wolle (O. Hertwig b., S. 571). Das ist aber ein recht unzureichendes Motiv; denn ein Erklärungsprinzip, das in den vielen genau untersuchten einschlägigen Phallen sich als nicht anwendbar erwies, kann doch nicht das Prädikat „wichtig" beanspruchen. Gleich- wohl wird in Ermangelung anderer aufhellender Gesichtspunkte an der Vererbbark eit aller erworbenen Eigenschaften, einschließlich der weitaus größten und wichtigsten Gruppe der somatogenen, festge- halten, indem man, wie schon erwähnt, den prinzipiellen Unterschied i) vernachlässigt, der zwischen denjenigen Vorgängen besteht, die eine lamarckistische Erklärung zulassen und denjenigen, für die eine solche durch Tatsachen und Überlegungen abgelehnt wird. In der gleichen Absicht werden auch Überlegungen, die wohl für die erst er e Gruppe von Vererbungserscheinungen zutreffend sind, wie diejenigen H. Spencers-) über die gegenseitige Abhängig- keit aller Teile eines lebenden Organismus, irrtümlich auch zur theo- retischen Begründung der Möglichkeit einer Vererbung somatogen er Abänderungen herangezogen. Ebenso werden ältere Äußerungen von F'echner und Hering zitiert (vergl. Hertwig, b, S. 581 ff.), trotzdem es doch sehr fraglich ist, ob diese Forscher geneigt wären, ihren ziemlich allgemein gehaltenen Auseinandersetzungen auch ent- gegen den wuchtigen Einwänden Weismanns wider die angebliche Ij Hertwig fühlt ihn wohl, entzieht sich aber den entsprechenden Folgerungen durch eine Erweiterung des Begriffes „Vererbung" (b, S. 577), wodurch aber an dem Tatbestand nichts geändert wird. 2) Vergl. O. Hertwig, b, S. 579 f. — 28 — Vererbbarkeit somatog-ener Abänderungen noch ein besonderes Gewicht beizulegen. Wenn wir somit die große Gruppe der somatogen en Ver- änderungen aus der Reihe der vererbbaren Neuerwerbungen des Organismus streichen müssen, so bleibt auch von dem im dritten Lamarck sehen Satze enthaltenen Entwicklungsprinzip nicht viel übrig; aber auch das, was noch übrig- bleibt, ist für die Erklärung der Phylogenie völlig machtlos in Anbetracht der charakterisierten Schwächen der anderen Lamarckschen Prinzipien, die als Fundament des ganzen Erklärungsversuches dienen sollten. Es fehlt also sehr viel daran, daß durch den Lamarekismus oder auch den Neo- Lama rckism us, wie das v. Wettstein will, eine Erklärung gewonnen werden könnte für ,,die zunehmende Komplikation der Organisation, die uns als Fortschritt in der Entwicklung er- scheint". (1. c. S. 8i). Vielleicht ist Aussicht vorhanden, daß die übertriebene Bedeutung, die von vielen Seiten noch dem Lamarekismus zuerkannt wird, die gebührende Einschränkung erfährt, wenn sich die Überzeugung erst Bahn gebrochen hat, daß es neben dem Selektionsprinzip, mit Einschluß der Germinalselektion Weismanns, und den Lamarck- schen Prinzipien noch, wie wir sehen werden, ein weiteres und zwar sehr wirksames Prinzip gibt, welches der P>klärung einer fortschrei- tenden Entwicklung und zunehmenden Komplikation der Organismen dienstbar gemacht werden kann. Rückblick und Plan für die folgende Untersuchung. Durch die vorstehende Kritik des Lamarekismus und Neo- Lamarckismus werden alle allogenetischen Entwicklungstheorieen, wie z. B. auch die Migrationstheorie von M. Wagner und die Eimersche Orthogenesislehre in gleicher Weise getroffen. Da wir außerdem die Darwinsche Selektionstheorie nebst ihrer Ergänzung durch die Weismannsche Lehre von der Germinalselektion, sowie auch die zurzeit voriiegenden autogenetischen Entwicklungstheorieen als nicht ausreichend erklären mußten, um das Zustandekommen der primären Zweckmäßigkeit und der komplizierteren indifferenten Eigen- Schäften des Organismus, sowie die vom Einfacheren zum Kompli- zierteren fortschreitende Entwicklung etc. verständlich zu machen, so fehlt uns bis jetzt eine befriedigende, selbst nur prinzipielle Lösung der Hauptprobleme der Abstammungslehre. Es ist daher gewiß wünschenswert, auf einige bisher nicht beachtete, allgemeinphysi- kalische und -physiologische Gesichtspunkte hinzuweisen, mittels deren der Versuch gemacht w^erden soll, die bezeichneten empfindlichen Lücken in unseren deszendenztheoretischen Erklärungen auszufüllen. Dieser Versuch sei begonnen mit einer bis jetzt fehlenden syste- matisch durchgeführten Untersuchung der fundamentalen deszendenz- theoretischen Probleme der Variabilität, der Vererbung und der Zweckmäßigkeit der Organismen. Nachdem dann ein Überblick über die wichtigsten Probleme gegeben ist, denen eine umfassende Entwicklungstheorie gerecht werden muß, möchte ich auf Grund einiger allgemein naturwissenschaftlicher Voraussetzungen eine allgemeine Theorie der organischen Entwicklung darlegen, die auch eine gene- relle Behandlung der Vorgänge der „Anpassung" und „Selektion" ent- halten wird. Zum Schluß soll durch die Anwendung der allgemeinen Theorie eine Erklärung der wichtigsten Tatsachen der Entwicklungs- lehre angebahnt werden. Die Variabilität der Organismen. Variabilität und Vererbung. Zunächst seien hier noch einige ganz allgemeine Bemerkungen über das Verhältnis der Vererbung und Variabilität und ihre An- teile an der Entwicklung vorausgeschickt. An Stelle der „Varia- bilität'" wird im gleichen Sinne wohl auch die Bezeichnung „An- passungsfähigkeit" (Haeckel, b, S. 208) g'ebraucht, was freilich meist nicht gleichbedeutend ist, da auch Variationen vorkommen, die keine Anpassungen darstellen i). In vielen Fällen ist, wie wir sehen werden (S. g8), die Variabilität gleichbedeutend mit „Entwicklungs- fähigkeit". Fiele neben der Vererbung die Variabilität der Organismen ganz weg, was ja denkbar wäre, so würde wohl noch eine Ontogenie, aber keine Phylogenie mehr möglich sein. Die Vererbung könnte dagegen wegen des „omnis cellula e cellula" nie fehlen, doch wäre es vorstellbar, daß sie sich bei sehr weitgehender Variabilität vor- wiegend auf die Tatsache der stofflichen Abstammung beschränkte; es würde dann trotz der letzteren die Abweichung des kindlichen Organismus vom elterlichen so groß sein, daß von einer Ähnlich- keit, die doch besonders charakteristisch für die Vererbung ist, kaum mehr die Rede sein könnte. Das wäre z. B. der Fall, wenn sich mit Überspringung aller phylogenetischen Zwischenstufen aus einem Fischei ein Reptil oder aus einem Reptilienei ein Vogel entwickelte. i) Ferner ist die Variabilität nicht genügend charakterisiert, wenn man sie mit Haeckel als die Fähigkeit auffaßt, nur imter dem Einfluß der Außenwelt, und /,war ihrer Veränderungen, dem Organismus neue Eigenschaften zu erwerben (1. c. S. 208). — 31 — Zur Charakterisierung der Variabilität. Die Variabilität, zu deren näherer Charakterisierung wir uns jetzt wenden wollen, ist für die Probleme der Entwicklung, im besonderen für dasjenige der Phylogenie, und für die Beurteilung der Darwinschen Lehre so wichtig, daß sie eine umfassendere und tiefer gehende Betrachtung verlangt, als ihr im allgemeinen zuteil zu werden pflegt. Zwar haben die Kritiker der Selektion s'theorie wohl behauptet, daß die Frage nach der Entstehung der Variationen einer Organismenart wichtiger sei, als die PYage darnach, wie es komme, daß gerade die besser angepaßten, d. h. zweckmäßigeren Variationen die übrigen überleben ; trotz dieser Anregung aber hat das Problem der Variabilität nicht die gebührende Klarstellung und Formulierung ge- funden 1). Gleichwohl steht die wichtige Rolle der Variabihtät außer Zweifel, von welcher schon Darwin sagte, daß sie durch die Selektion weder erklärt werden könne noch solle. F!s sei hier nochmals betont-), daß unter , .Variabilität" die Ver- änderlichkeit oder Abänderungsfähigkeit des Organismus ganz all- gemein verstanden werden soll, gleichgültig ob diese durch äußere oder innere Ursachen bedingt ist und ob sie zu Anpassung-en führt oder nicht (vgl. S. 30). Wir wollen hier zunächst vorwiegend nur das Tatsächliche der Variabilität in seinen wesentlichen Punkten festzustellen und möglichst scharf zu formulieren suchen, was m. E. bisher nicht in genügendem Maße geschehen ist. Man muß hinsichtlich der Variabilität und des Variierens einer Organismenart zweierlei auseinander halten, nämlich: Erstens die Abänderung, die ein Individuum im Vergleich zu seinen Eltern und Vorfahren und die eine Anzahl gleich- altriger Individuen durchschnittlich im Vergleich zu Eltern und Vorfahren zeigen. 1) Das gilt auch für die ausführliche Behandlung des Variabilitätsproblems durch Lotsy (1. c. S. 119 ff. u. S. 179 ff.), welche die wichtige fortschreitende Variabilität (vergl. S. 32 ff.) z. B. nicht berücksichtigt. 2) Vergl. auch S. 30, Anm. r. — 32 — Und zweitens die Unterschiede, welche Individuen im Ver- gleich zu hinderen Individuen derselben Generationen ') und anderen Gleichalterigen darbieten. Diese gewissermaßen zwiefache Variabilität hat man bisher wohl kaum beachtet, vielmehr nur im allgemeinen von der Variabili- tät einer Organismenart gesprochen vmd diese bald als „richtungslos", „unbegrenzt", „unbestimmt", „universell" oder „zufällig", bald als ,, be- stimmt gerichtet" bezeichnet. Nach Plate (S. 120 ff.) scheint man ziemlich allgemein der Meinung zu sein, daß die Variabilität einer Art entweder eine „richtungslose", „universelle" etc. oder eine „bestimmt gerichtete" sei. Der genannte Forscher hält diese Frage noch nicht für .spruchreif, neigt aber zu der Ansicht, ,,daß beides in der Natur vielfach nebeneinander vorkommt, bei der einen Art diese, bei der anderen jene Form vorherrscht". In diesen Plateschen Ausführung'en sind offenbar nur die Varia- tionen eines Individuums im Vergleich zu seinen Vorfahren ge- meint, während von einer Variabilität, welche in den Verschieden- heiten beliebiger Individuen derselben Art, z. B. auch verschiedenen Kindern der gleichen Eltern, zum Ausdruck kommt, hier kaum die Rede ist jedenfalls nicht zwischen diesen beiden ganz verschiedenen Begriffen unterschieden wird. Lotsy andererseits (vgl. S. 31, Anm. i) behandelt vorwieg^end die zweite der oben (S. 3 i f.) genannten Arten der Variabilität, ebenfalls ohne die beiden begrifflich voneinander zu trennen. Auf diese Verhältnisse, die nicht nur für die Selektions- theorie, sondern für das ganze Problem der phylog-enetischen Entwicklung von der größten Bedeutung sind, muß etwas näher eingegangen werden. Wir wollen zuerst die verschiedenen Arten etwa möglicher Variabilität betrachten und dann nachsehen, was hiervon in Wirklichkeit wohl vorkommt. Beginnen wir mit den Verschiedenheiten zwischen Eltern und Kindern etc. Hier erhebt sich zunächst die Frage, ob diese Varia- bilität eine bestimmt „gerichtete" oder ,, richtungslose" oder vielmehr, wie wir uns besser ausdrücken, ob sie eine fortschreitende oder i) Mit „Generation" sei hier der Kürze halber die Gesamtheit der Kinder eines Elternpaares oder Elters bei (Parthenogonie etc.) bezeichnet. — 33 — nicht fortschreitende ist. Diese Bezeichnungen erst heben gegen- über den vorher genannten das Wesentliche hervor. Unter den Be- griff der fortschreitenden VariabiHtät würde z. B. die „bestimmt ge- richtete" Variabilität und wohl auch die „sprungweise" Variabilität oder „Mutabilität", unter denjenigen der nicht fortschreitenden Variabilität die ,, richtungslose", ,, unbestimmte", „zufällige", „fluktuierende" oder „Plus-Minus- Variabilität" fallen^); doch sei im voraus bemerkt, daß die beiden letzteren Bezeichnungen wohl in der Regel auf solche Varia- tionen angewendet werden, welche ein Individuum im Vergleich zu anderen Individuen derselben Generation oder paralleler^) Gene- rationen darbietet. Was zunächst die fortschreitende Variabilität anbetrifft, so besteht diese darin, daß bei den Kindern gewisse morphologische(: und physiologische Eigentümlichkeiten der Eltern und Vorfahren im allgemeinen in gesteigertem oder verringertem Maße wiederkehren, oder auch völlig neue Merkmale auftreten, während hinsichtlich anderer Eigenschaften neben den Übereinstimmungen mit den Aszendenten auch ganz beliebige schwankende individuelle Abweichungen von diesen vorkommen können. Eine fortschreitende Variabilität solcher Art zeigt sich ganz zweifellos in der phylogenetischen Entwicklung der Organismen. Hätte nämlich in irgend einer Zeit der Stammesgeschichte die fortschreitende Variabilität zu existieren aufgehört, so wäre sofort die fortschreitende Entwicklung zum Stillstand gekommen. Da vielen Biologen diese selbstverständliche Überlegung fremd zu sein scheint, so sei dies etwas ausführlicher an einem Beispiel erläutert. Hierbei wollen wir von der nicht-fortschreitenden Variabilität ausgehen und uns dann erst zur näheren Untersuchung der fortschreitenden wenden. Denken wir uns etwa ein Taubenpaar mit ganz gleichen sicht- baren und latenten'^) Eigenschaften und fassen wir ein bestimmtes Merkmal derselben ins Auge, z. B. die Länge des Schnabels; und zwar i) Bezeichnungen wie ,, universelle" oder ,, unbegrenzte" Variabilität sind ohne nähere Definitionen gar nicht zu gebrauchen. 2) Parallel nenne ich solche, die im Verhältnis von Vettern (I., II. etc. Grades) zu- einander stehen. 3) Über die Bedeutung der ,, latenten'' Eigenschaften siehe später S. 179 u. 246. Jensen, Organische «Zweckmäßigkeit etc. ■> — 34 wollen wir uns vorstellen, daß die Eltern eine mittlere Schnabellänge (3) ^) besitzen, während ihre Kinder und Enkel-) teils die gleichen (3), teils etwas längere (4), teils etwas kürzere (2) Schnäbel darbieten, wie das beifolgende Schema der Figur i zeigt. 234 234 234 234 4234 Fig. I. 3 4 3423 234 Nach unserem Schema ist es charakteristisch für die nicht- fortschreitende Variabilität, daß in keiner Generation Schnabel- längen vorkommen, die sich nicht auch schon in den früheren gezeigt haben, daß also die Individuen aller aufeinanderfolgenden Generationen stets innerhalb derselben Grenzen variieren. Indessen wäre es hier- bei nicht ausgeschlossen, daß einmal in einem Individuum oder einer Generation diese Grenzen überschritten würden, wofern nur für die nachfolgenden Generationen die ursprünglichen Durchschnittswerte wieder herauskommen. Diese Variabilität sei als Variabilität I be- zeichnet. Man könnte hier die in dem Verhalten der Nachkommen zu ihren Vorfahren sich äußernde Variabilität als eine „fluktuierende', oder als eine „Plus-Minus- Variabilität" bezeichnen. Dieselbe Bezeichnung gilt nun besonders für das gegenseitige Verhältnis der verschiedenen Individuen derselben Generation oder paralleler Generationen, insofern diese stets innerhalb derselben Grenzen variieren, so daß auch die Durchschnittswerte für die Schnabel- längen in den aufeinanderfolgenden Generationen sich nicht fort- schreitend ändern. i) Die Zahlen sollen ein Maß für die Schnabellängen sein. 2) Es sei angenommen, daß jedes Individuum einen Gatten von gleicher Schnabel- beschaffenheit und gleichen sonstigen Eigenschaften finde. — 35 — Wenden wir uns wieder zur fortschreitenden Variabilität. Eine solche ist offenbar schon vorhanden, wenn die einzelnen Kinder und Enkel (vergl. S. 34, Anm. 2) Schnabellängen aufweisen, wie sie das Schema der Fig. 2 versinnlicht. 1 2 3 4 3 4 5 o 1 2 1 2 X 2 3 4 3 234 345 Fig. 2. 234 345 456 Hier ist der Fall gesetzt, daß die Indiv'iduen der aufeinander- folgenden Generationen stets nach beiden Seiten von ihren Eltern fortschreitend variieren; demnach haben die Kinder von Individuum 3 ^) der zweiten Generation wieder die Schnabellängen 2, 3, 4, während die Kinder von Individuum 2 im Durchschnitt kürzere, diejenigen von Individuum 4 längere Schnäbel darbieten, als jede aus einem Individuum 3 hervorgehende Generation. Es sind also in den ver- schiedenen Deszendentenreihen des Stammbaumes „Tendenzen"-) teils zu immer größeren, teils zu gleichbleibenden, teils zu immer kleineren Schnäbeln vorhanden; die Glieder der ersteren Reihen, z. B. 3, 4, 5, 6, sind durch punktierte Linien, die der letzteren, z. B. 3, 2, I, o, durch gestrichelte Linien miteinander verbunden. In beiden Reihen sehen wir, daß jedes Individuum im Vergleich zu seinen Eltern und Vorfahren eine fortschreitende Variabilität zum Ausdruck bringt. Eine Variabilität dieser Art heiße Variabilität IL Trotz dieser fortschreitenden Variabilität ist im vorliegenden Falle aber auch eine fluktuierende oder Plus-Minus-Variabilität i) Mit Individuum 3 etc. sei der Kürze halber ein Individuum mit der Schnabel- länge 3 etc. bezeichnet. 2) Es braucht wohl kaum bemeikl zu werden, daß ,, Tendenz" hier nicht in einem teleologisch eil Sinne gemeint ist. 3* - 36 - vorhanden, indem die Schnabellängen der Individuen jeder Generation nach beiden Seiten von denjenigen der Eltern schwanken, aber so, daß ihr Wert im Durchschnitt stets dem der zugehörigen Eltern gleich ist. Und ferner sind die Durchschnittswerte aller Schnäbel der parallelen Generationen den Durchschnittswerten der Schnäbel der entsprechenden Eltern gleich. Noch ausgesprochener als in Fig. 2 wäre die fortschreitende Variabilität, wenn sie sich so äußerte, wie in Fig. 3 veranschaulicht ist, wenn nämlich nur die Nachkommen von Individuum 3 jeweils nach beiden Seiten variierten, wie es schon in der vorhergehenden Generation geschehen war; während Individuum 2 der zweiten Gene- ration, das gegenüber seinen Eltern schon eine Tendenz zur Ver- kleinerung- des Schnabels zeigte, nur noch Nachkommen mit gleichkurzen oder kürzeren Schnäbeln erzeugte, so wie Indivi- duum 4 nur noch solche mit gleichlangen oder längeren. Wir wollen ein derartiges Verhalten Variabilität III nennen. O I 4 5 ^ 2—1 o— loi 012 012 234 45 schwersten Be- — 77 — •denken Anlaß gibt. Und wir müssen wiederum fragen: Wozu alle diese Spekulationen, die unsere Erkenntnis nicht nur nicht fördern, sondern jedem tieferen Eindringen einen Berg von Schwierigkeiten entgegentürmen? Die Hauptprobleme werden nur zurückgeschoben und in eine Unmasse von unlösbaren Scheinproblemen eingehüllt und erstickt. In welche Abgründe sehen wir vollends, wenn wir an die Frage denken, wie die nach der Bioblastenhypothese aufgefaßten Zellen mit ihren Idioblastenreservoiren phylogenetisch entstanden sein mögen! O. Hertwig hat daher von seinem Standpunkte aus recht, von vornherein auf jeglichen Versuch, sich den phylog^ene- tischen Ursprung des Lebens vorzustellen, Verzicht zu leisten (b, S. 2Ö3). Endlich haben wir noch die Art und Weise, wie die Idioblasten- hypothese zur Erklärung der Vererbungserscheinungen verwendet u'ird, einer Kritik zu unterwerfen. Wir wollen diese mit der Be- sprechung der Hauptpunkte der Chromosomenhypothese verknüpfen. Kritik der Chromosomenhypothese. Im folgenden soll zunächst auf die vor allem von O. Hertwig und Boveri vorgebrachten Tatsachen kritisch eingegangen werden, •die als besondere Stützen der idioblastischen Chromosomenhypothese, und damit als Hauptstützen der Idioblastenhypothese überhaupt, hin- g-estellt werden (vgl. auch S. 59 f); hierauf wollen wir die Art und Weise beleuchten, wie die Idioblastenhypothese, im besonderen die Chromosomenhypothese, auf die Entwicklung und Vererbung ange- wendet wird, und endlich mögen nochmals die für die Beurteilung dieses ganzen Hypothesengebäudes wesentlichen Punkte kurz zu- sammengestellt werden^). Was zunächst den ersten von O. Hertwig geltend gemachten Grund (vergl. S. 64) anbetrifft, nämlich die , .Äquivalenz" der väter- lichen und mütterlichen Erbmassen, so wird diese von der Tatsache I ) Ich bespreche hier vorwiegend nur die Grundzüge und prinzipiell wichtigsten Punkte der genannten Hypothese, ohne auf die mannigfachen und widersprechenden Deutungs- ■versuche der Längsspaltung, der Reduktionsteilung, Konjugation etc. der Chromosomen be- sonders einzugehen. Diese Bestrebungen hat kürzlich R. Fick in sehr schätzenswerter Weise mit einer scharfen Kritik bedacht, die ich in vielen Punkten als eine geeignete Ergänzung ^11 meinen Ausführungen ansehen kann. - 78 - abgeleitet, daß Ei- und Samenzellen der Eltern durchschnittlich in gleichem Umfange die Eigenschaften des Kindes bestimmen i). Es ist aber für den physikalisch -chemisch Denkenden von vornherein ein- leuchtend, daß eine solche „Äquivalenz" keineswegs an das Vor- handensein gleicher Massen gebunden ist. Das, was hier wirkt, sind irgend welche nicht näher bekannte, qualitativ und quantitativ bestimmte Energie-Inhalte der beiden materiellen Systeme der Ei- und Samenzelle. Zwei Energiemengen derselben Energieform können aber bekanntlich in zweierlei Weise äquivalent sein, indem entweder ihre Kapazitätsfaktoren, zu denen auch die Masse gehört, und Inten- sitätsfaktoren gleich sind, oder indem bei ungleichen Kapazitäts- faktoren die Intensitätsfaktoren entsprechend größer oder kleiner sind. Da, wo es in der Natur auf gleiche oder äquivalente Energie- mengen ankommt, dürfte der letztere Fall sogar der häufigere sein. Wenn daher auch die Chromosomen häufig bei gleicher Masse äqui- valent sein mögen (vergl. aber auch unten Anm. i), so liegt es ebenso nahe anzunehmen, daß auch Protoplasmen der Ei- und Spermazelle, trotz ungleicher Massen, infolge verschiedener Vererbungs i n t e n - sität unter sich äquivalent seien. Wollen wir uns eine Vorstellung von der Variabilität der Vererbungsintensität machen, so brauchen wir nur an die unter verschiedenen Umständen verschieden große Wirksam- keit derselben Fermentart, an die wechselnde ,, Virulenz" derselben Bakterienart und dergl. zu denken; ob hier qualitativ-chemische Unter- schiede oder Konzentrationsverschiedenheiten irgend welcher Art maßgebend sind, ist für unsere Frage gleichgültig. Somit ergibt sich, daß die gar nicht einmal immer vorhandene Äquivalenz weder für noch gegen die Chromosomenhypothese an- geführt werden kann. Das gleiche gilt für den zweiten der Hert- wigschen Gründe: i) Es scheint übrigens trotz gleicher Zahl und Größe der Chromosomen von Ei- und Spermakern die ,, Vererbungskraft" der beiden Sexualzellen durchaus nicht immer gleich groß zu sein. Das zeigen auch die Versuche Boveris, wo bastardierte Seeigeleier Larven von fast rein väterlichem Typus lieferten (Boveri, S. 104 f.), gleichgültig ob die Eier kern- haltig oder kernlos waren. Hier sind offenbar die Chromosomen, wie auch das Proto- plasma des Eies, trotz ihrer beträchtlichen Massen, denjenigen des Spermas nicht äquivalent. — 79 — Wenn stets gleiche Mengen von Chromatin von der Mutter- zelle auf die Tochterzelle übergehen, so ist das nach der nächst- liegenden Annahme nur ein Ausdruck der wohl allgemein aner- kannten Tatsache, daß der Stoff- und Energiewechsel der Zellen sehr empfindlich von gewissen quantitativen Verhältnissen zwischen Proto- plasma und Zellkern abhängt; insofern bei einer abnorm geringen oder abnorm großen Menge von Kernsubstanz ein normales Stoff- wechselgleichgewicht in der Zelle nicht bestehen kann^). So erscheint die Tatsache der „gleichwertigen Verteilung" des Chromatins ganz verständlich und sie wird durch die Charakterisierung der Chromo- somen als „Vererbungsträger" durchaus nicht verständlicher. Auch der wohl sichergestellte Befund, daß alle die verschiedenen Zellen desselben Organismus bei der Teilung stets die gleiche Zahl von im allgemeinen gleichgroßen 2) Chromosomen aufweisen, spricht keineswegs besonders für die Chromosomenhypothese; dieser wäre ja ebenso gedient mit einer wechselnden Anzahl von Chromo- somen, wofern nur die gesamte Chromatinmenge jederzeit die gleiche wäre; selbst die Möglichkeit ließe sich mit der Chromosomenhypo- these vereinbaren, daß die Chromosomenmassen der Tochterzellen bald gröfder bald kleiner erschienen als diejenigen der Mutterzelle, nämlich unter der Voraussetzung, daß das Chromatin in den ersteren entsprechend mehr oder weniger konzentriert wäre. Daher kann man auch der Tatsache der „Normalzahl" der Chromosomen kein Gewicht zugunsten der Chromosomenhypothese beilegen. Diese Tat- sache bedarf einer so gesuchten Erklärung auch gar nicht; sie ist l durchaus nicht überraschend . vielmehr auch für die Gegner der Chromosomenhypothese das zunächst zu Erwartende, wenn man nämlich bedenkt, daß bei jeder Kernteilung jedes Chromosom sich einmal teilt; so muß ja jede Tochterzelle immer wieder so viele Chromo- somen erhalten wie die Mutterzelle. 1 ) Wenn z. B. die Vermehrung des Protoplasmas im Vergleich zum Kern ein ge- wisses Maß überschreitet, so tritt eine derartige Störung des Gleichgewichts ein, daß Zell- teilung erfolgt (vergl. Verworn, S. 535 und R. Hertwig). 2) Diese gleiche Größe ist durchaus nicht immer vorhanden (vergl. z. B. H. E. Ziegler, S. 28). — 8o — Zur allgemeinen Beurteilung der Mitose sei noch folgendes hin- zugefügt: Daß die Feinheit des Teilungsmechanismus für die Annahme einer besonders detaillierten qualitativen Scheidung spreche, kann nicht zugegeben werden i); man darf sich sehr wohl vorstellen, daß die indirekte Kernteilung ein Prozeß ist, der mit dem geringsten Energie- aufwand schnell und sicher eine Halbierung der Kernmasse herbei- führt. Dafür spricht auch der Umstand, daß in den völlig entwickelten Gewebszellen des ausgewachsenen Organismus noch dieselbe detail- lierte Kernsegmentierung eintritt, obgleich hier eine minutiöse quali- tative Scheidung verschiedener Anlagen nach der Chromosom enhypo- these gar nicht mehr nötig wäre. Ganz ähnlich gestaltet sich auch die Kritik des dritten der Hertwigschen Gründe (vergl. S. 65). Nichts liegt näher, als die jV^ „Reduktionsteilung" für eine Einrichtung zu halten, durch welche die vj^ normale „Kern-Plasma-Relation" (R. Hertwig, Boveri S. 19) des \}y befruchteten Eies erhalten wird. Da das Spermatozoon im Verhältnis -ZU seinem Protoplasma sehr viel Kernsubstanz enthält, so würde die Kernmasse der Eizelle durch die Befruchtung zu einer abnormen Größe anwachsen, w-enn nicht mit den Polocyten (Richtungskörper- chen) beträchtliche Chromatinmengen in Begleitung von nur wenig Protoplasma aus dem Ei entfernt würden. Diese Vorstellung (vergl. auch O. Hertwig a, S. 24) ist einleuchtend und bedarf durchaus nicht der Spezialisierung dahin, daß auf diese Weise eine „Summierung der Erbmassen verhütet" werde, d. h. daß vermieden werde, daß „an- statt zwei Mal alle einzelnen Anlagen vier Mal, acht Mal und noch mehr vertreten seien" (O. Hertwig b, S. 359). Eine Stütze für die Chromosomenhypothese ergibt sich somit aus der Tatsache der Re- duktionsteilung nicht. Was endlich den vierten der Hertwigschen Begründungs- versuche der Chromosomenhypothese, nämlich den auf die „Isotropie" des Protoplasmas aufgebauten, anbetrifft, so setzt dieser die Gül- tigkeit der Idioblastenhypothese schon voraus, wie aus den oben zitierten Worten Hertwigs hervorgeht (vergl. oben S. 66). I) Sehr bemerkenswert ist der ausdrückliche Hinweis von Gurwitsch (S. 2io), daß -die Umlagerungen bei der Mitose nicht nur der Zellteilung sondern auch sonst noch irgend- "i^vie dem Stoffwechsel dienen könnten (vergl. auch S. 176 Anm. i). — 8i — Dieses Argument verschwindet also mit der Ablehnung- der Idio- blastenhypothese. Dazu kommt aber noch, daP) gerade ein „iso- tropes" Protoplasma die einfachste und bequemste Voraussetzung für die physikalisch-chemische Auffassung der Zelle wäre. Nach dieser Auffassung würde nämlich ein nicht zu kleines Stück eines wirklich isotropen Ei-Protoplasmas mit einem nicht zu kleinen Stück des zugehörigen Kerns i) im allgemeinen noch einer normalen Ent- wicklung fähig sein. Doch bereitet die Tatsache, daß die Isotropie auch fehlen kann (vergl. S. 66 Anm. i), der physikalisch-chemischen Auffassung keine Schwierigkeit-'), während für die idioblastische Hypo- these eine solche in der Tat auftritt. Denn in diesem Falle ist ganz offenkundig nicht der Kern allein bestimmend für die Entwicklung, sondern auch das nicht isotrope Protoplasma. Wir gelangen also wiederum zu dem Ergebnis, daß sich auch aus dem Problem der Isotropie keinerlei Stütze für die Chromosomenhypothese gewinnen läßt. Zu den noch von Boveri hinzugefügten Begründungsversuchen der Chromosomenhypothese (vergl. S. 66 f.) sei folgendes bemerkt: Durch die Doppelbefruchtung wird die normale Kernplasma- relation gestört, was schon ein ausreichender Grund für das Zustande- '\^^l ■ kommen der genannten Mißbildungen sein könnte; und daß ferner Ganz analog ist folgendes Beispiel aus der unbelebten Natur: W^ird neben einen Wassertropfen, der auf einer Glasplatte liegt, ein wenig Alkohol oder eine ähnlich wirkende Substanz gebracht, so be- wegt sich der Wassertropfen durch Änderung der Oberflächenspannung von dem Alkohol fort und „schützt" sich vor Zerstörung, nämlich vor der Auflösung in Alkohol. Wir können hier ebenfalls eine „teleologische Reihe" bilden. (Antecedens) (Medium) (Succedens) Wassertropfen ) -^ -^ Fortbewegung des | -^ 'J Selbsterhaltung -f- Alkohol etc. f > 'S Wassertropfens j > 'S (konstant) i) In dem oben (S. 151) zitierten Beispiele Cossnianns kann man nämlich das zweite und dritte Glied, also den „Reflex" und „Schutz", zusammenziehen in eine schutz- bringende Reflexbewegung; mit anderen "Worten: der Reflex fällt hier unter den der Begriff Abwehr- bezw. Fluchtbewegungen. - 156 - Wir sehen also: Die zu erklärende Tatsache, das zu lösende Problem, für das Cossmann seine unmögliche „teleologische Gesetz- mäßigkeit" konstruiert hat, fällt mit dem zusammen, für das Reinke seine ebenso mißglückte Finalitätshypothese aufgestellt hat, und was wir oben als den noch der Aufklärung harrenden Rest derjenigen Tatsachen kennen gelernt haben, die Driesch seiner Entelechie- hypothese zugrunde gelegt hat: nämlich der Selbsterhaltungs- oder Dauerfähigkeit der Organismen. Rückblick. Aus der kritischen Beleuchtung der Anschauungen von Reinke, Driesch und Cossmann erkennen wir, daß alle Hauptpunkte der bis jetzt aufgestellten vitalistischen Hypothesen schweren, zum Teil un- überwindlichen Bedenken begegnen, und daß weitaus der größte Teil der Tatsachen, die angeblich nur dualistisch erklärt werden können, sehr wohl einer monistischen Erklärung zugänglich erscheint. Wir dürfen also in bezug auf die Teleologie ganz allgemein behaupten, daß außer der auf den bekannten Zweckfaktoren be- ruhenden wahren Teleologie und außer der teleologischen Aus- drucksweise keine weitere „Teleologie" als zu Recht bestehend an- zuerkennen ist. „Unbewußte^' Zweckfakotren, wie die „Dominanten'^ und „Systemkräfte" Reinkes und die „Entelechie" Drieschs, und eine besondere „teleologische Gesetzmäßigkeit", wie die von Cossmann behauptete, sind nicht nachzuweisen, und wie wir noch weiter sehen werden, für unsere Erklärungen durchaus nicht erforderlich. Wir können daher diese letzteren Arten von „Teleologie" mit Recht als falsche oder Pseudoteleologie bezeichnen, im Gegensatz zur wahren Teleologie und zur teleologischen Ausdrucksweise. In den obigen Ausführungen ist der Lehren verschiedener an- derer moderner Pseudoteleologen und Neovitalisten, wie derjenigen von Rindfleisch, E. v. Hartmann, Neumeister, Paul}', K. C. Schneider, L. W. Stern u. A. nicht ausdrücklich gedacht. Sie alle scheinen mir nämlich nichts wesentlich Neues zu bieten, was nicht schon in den besprochenen typischen teleologischen Lehren von Reinke, Driesch und Cossmann enthalten wäre. Das Absehen — 157 — von einer besonderen Behandlung dürfte umso angemessener sein, als durch die unvermeidliche Ausführlichkeit der vorliegenden Kritik die Geduld des Lesers und des Verfassers schon recht erheblich in Anspruch genommen wurde. Nochmals sei daran erinnert, daß die übertriebene Scheu \'or jeglicher Teleologie, nämlich die ziemlich verbreitete unbedingte „Telephobie" (Pauls en) nicht angebracht ist, da es nun doch ein- mal Zwecke und Triebe, und damit auch eine wirkliche Finalität in der Welt gibt. Das soll uns freilich nicht hindern, der teleologischen Ausdrucksweise mit Vorsicht zu begegnen und aller falschen Teleologie aufs energischste entgegenzutreten. Überblick über die deszendenztheoretischen Probleme. Eine Anzahl der wichtigsten deszendenztheoretischen Probleme ist zwar im bisherigen schon aufgeführt worden. Doch scheint es mir in hohem Maße wünschenswert, einmal zu versuchen, eine allge- meine Übersicht über die Gesamtheit dieser Probleme zu geben. Be- stände in dieser Hinsicht nicht eine offenbare Lücke, so würde sich die Unzulänglichkeit der modernen Entwicklungshypothesen und be- sonders die große Einseitigkeit der herrschenden bioblastisch-idio- blastischen Vererbungshypothesen viel mehr, als es wirklich der Fall ist, aufgedrängt haben ; denn diese ziehen nur einen mehr oder minder unvollständigen Kreis von Tatsachen und Problemen in Betracht, bei deren Ergänzung sich bald die Notwendigkeit umfassenderer Hypo- thesen und Erklärungsversuche fühlbar gemacht hätte. Den im folgenden aufgezählten Tatsachen und Problemen muß eine Entwicklungstheorie, die Anerkennung beanspruchen will, im wesentlichen gewachsen sein. Nicht als ob schon für alle spezielleren Probleme ins einzelne gehende Lösungen zu erwarten seien ; vielmehr müssen wir uns damit begnügen, für die allgemeineren Probleme eine Lösung zu zeigen und für die spezielleren darzutun, daß sie dem Verständnis keine prinzipiellen Schwierigkeiten bereiten. Selbst da, wo für speziellere Fragen vielleicht schon eine eingehendere Be- antwortung möglich wäre, soll dies, als nicht im Zwecke dieser Blätter liegend, unterbleiben. Nichtsdestoweniger mögen auch solche Probleme im Interesse ihrer späteren Lösung in die Darstellung mit aufge- nommen werden. — 159 — Wir wollen in der folgenden Übersicht die Eigenschaften und Fähigkeiten der Organismen, ihre Veränderungen und das die Beziehungen der Organismen zueinander und zu der Außen- welt Betreffende zusammenstellen. Und zwar sollen sowohl zu er- klärende Tatsachen, wie z. B. das Zustandekommen zweckmäßiger Einrichtungen, als auch Probleme und PVagen, die sich auf zu suchende Tatsachen beziehen, wie z. B. die Frage, ob es eine Ver- erbung „erworbener Eigenschaften" gebe, nebeneinander Platz finden. A. Eigenschaften und Fähigkeiten der einzelnen Organismen, mit Ausschluß ihrer fortschreitenden Änderungen, die nur bei längerer Beobachtung an ihnen erkennbar sind, nämlich ihrer Entwicklungs- prozesse. Dagegen wird die Fähigkeit, sich zu entwickeln, und die Eigenschaft, reversible „funktionelle" Änderungen zu zeigen, wie sie z. B. in dem Wechsel von Ruhe und Tätigkeit des lebendigen Systems zum Ausdruck kommen, in die voriiegende Kategorie ge- rechnet. I. Allgemeine Charakterisierung der Organismen. a) Stationarität, Zweckmäßigkeit, Anpassungsfähigkeit, Angepaßtsein. b) Große Kompliziertheit. c) Große chemische Labilität. d) Fähigkeit der Vermehrung oder Fortpflanzung durch Selbstteilung. Eine ganz allgemeine Frage, der man oft begegnet, sei hier angeführt, nämlich inwiefern die Natur gewissermaßen ein „Interesse" daran habe, gerade die Art als solche zu erhalten. In diesbezüglichen Äußerungen geben selbst Forscher, die sonst einer falschen Teleologie und anthropomorphen Anschauungsweise abhold sind, zu Mißverständ- nissen Anlaß. So finden wir z. B. bei Weismann (b, Bd. I, S. 284 ff.) die Sätze: Das Soma hat, nachdem es durch Entlassung der Keimzellen für die Erhaltung der Art gesorgt, „seine Pflicht gegen die Art er- füllt". „Die Eigenschaft unbegrenzt weiterleben zu können, ist für die Körperzellen und somit auch für den ganzen Körper überflüssig', da dieselben neue Keimzellen nicht hervorbringen können, nachdem die einmal vorhandenen abgelegt worden sind; damit hört das Individuum — i6o — auf, Wert für die Erhaltung der Art zu besitzen. Was würde es der Art nützen usvv''. Ähnlich sagt schon K. E. von Baer (S. 42): „So sehen wir in der gesamten Natur für die Erhaltung des Indivi- duums nur schwache Mittel aufgeboten, für die Erhaltung der Art aber die stärksten". Auf diese Frage werde ich später zurückkommen, e) Entwicklungsfähigkeit, fortschreitende Variabilität. 1. Phylogenetische Entwicklungsfähigkeit oder fortschreitende Variabilität; näheres wird erst unter B I („Entwick- lung, Phylogenetische Tatsachen und Probleme") angegeben werden. 2. Ontogenetische Entwicklungsfähigkeit (näheres findet sich unter B III; „Entwicklung, Ontogenetische Tatsachen und Probleme"). Konjugations- und Befruchtungsbedürftigkeit, „sexuelle Affinität" (vergl. O. Hertwig, b.). IL Aufzählung einzelner wichtiger Eigenschaften und Eigen- schaftsgruppen der Organismen. Wir wollen hier im Hinblick auf die modernen Entwicklungstheorieen, im besonderen die Darwinsche Selektionstheorie, eine Einteilung in zwei große Gruppen vornehmen, nämhch die „zweckmäßigen" oder „nützlichen" und die „nicht- zweckmäßigen". Wie wir sahen, ist zwischen diesen beiden Gruppen in Wirk- lichkeit keine strenge Grenze zu ziehen, vielmehr geht die eine ganz allmählich in die andere über, worauf ich später nochmals zurück- kommen werde (S. 240). Aul^erdem ist zu beachten, daß viele Eigen- schaften nur unter ganz bestimmten Bedingimgen sich als zweckmäßig darstellen; so sind z. B. die meisten Wasserbewohner für das Leben auf dem Lande, dem sie durch große Trockenheit oder Hebungen des Bodens ausgesetzt werden können, sehr unzweckmäßig eingerichtet. Und endhch vermögen wir auch deshalb häutig in der Nützlichkeits- frage keine Entscheidung zu treffen, weil wir zurzeit über die phy- siologische Bedeutung mancher Einrichtungen der Organismen noch zu wenig wissen. Über die große Fülle und Mannigfaltigkeit dieser Eigenschaften, die bei der Aufstellung einer Entwicklungstheorie berücksichtigt werden müssen, sei hier ein kurzer Überblick gegeben, für dessen nähere Er- läuterung freihch auf die einschlägige Literatur verwiesen werden muß. — i6i — a) Was zunächst die zweckmäßigen oder nütz- lichen Eigenschaften anbetrifft, so hat man diese nach zweierlei Ge- sichtspunkten in Gruppen eingeteilt, und zwar einerseits nach dem Grade ihrer Kompliziertheit, andererseits nach ihren spezifischen Quali- täten. In ersterer Hinsicht kann man, wie wir bereits sahen (S. 5 ff.), primär- und sekundär-zweckmäßige Eigenschaften unterscheiden. Da aber diese überall aufs engste miteinander zusammenhängen, so wollen wir in der folgenden Übersicht nur von dem zweiten Einteilungs- prinzip Gebrauch machen. Hiernach kann man, wie schon oben ick, R.: Betrachtungen über die Chromosomen, ihre Individualität, Reduktion und Ver- erbung. Archiv f. Anat. u. Physiol., Anatom. 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