00836129 7 1761 m PURCHASED FOR THE UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY FROM THE CANADA COUNGIL-SPE@GIARZGRANNE FOR SCIENCE Die Erscheinungen und Gesetze des organischen Lebens. Neu dörsestiellt von Gottfried Reinhold Treviranus. ZWEITER BAND. Erste Abtheilung. a _ — BREMEN. 1832. Druck und Verlag von Johann Georg Heyse. suit, REBTT ORENEN | le 983 VER? . L N | FRE, er A her re SR SEEN TER \ | A, Y Inhaltsverzeichnifs. ACHTES BUCH. Allgemeine Verhältnisse des Nervensystems zum phy- SIRENEHELEDEHL N. eensthnsksrsnsnssiünentnnssunnsnnnchrenssnnuesnen Seite 1 BE HESETN SIND... naccenenennannaeennentchinetennensnnensneäätsnenenteree — 4 Allgemeine Bemerkungen.......e.szensssnsenussnecsnesnesunenassnessnnnuennnnne — 49 DEerZieHulnlsinhietensssseessnsesssasastszdensnssecscsasesnensnsnnnnednnsetsesannssnese — 55 Das (Besielhiik ER VRR LEN Re EIER — 69 Dam eo Den sengessssnuesesnsahenenteesätensuneserenssssenen REN — 161 DEerZGenuchkimnessssssesssnsginasnngteceesshssssstndee-wersherehrennh erstere eeede — 141 DersGeschmack...n..2.200.00 eh rsseesasanennssnekscnneneetedasnheokassnherenene — 164 ZEHNTES BUCH. Verhältnisse des geistigen Lebens zum körperlichen in Berrninnenwelt.....neeenentenaecenseseciengenens N ER — 181 Fr a , JE R Dun 5 CA N rs Keaet y - ur % Mehl » 45, Di. 12 h ne - r A Bu N ade, area ala u. (ECHTE? RAR 20. 1, h Me d ü 87 BR 5 y ) NE g ua Bar ie ® BT A Ne vs ur u) f a Dr e A ger rn aa rk ee ee I an) “ A 2 g . Dr r N Hr i a EI EITELDE N TOR in 173 POPEARe a er re EL N er 1 "rg L we 3 rar Pr A ACHTES BUCH. Allgemeine Verhältnisse des Nervensystems zum physischen Leben. D:. Pflanze lebt, ohne sich einer äussern Welt be- wufst zu seyn. Nur mit dem Leben in der Sinnenwelt ist objectives Bewulstseyn und sind willkührliche Be- wegungen verbunden. Dieses Sinnenleben führt das Thier. Es führt aber dasselbe nicht ununterbrochen und hat, während es sich darin beändet, von dem Spiel der innern Organe gar kein, oder nur ein dun- keles Bewufstseyn. Wenn man unter dem Bewulstseyn blos das objective versteht, so giebt es also überhaupt ein bewufstes und unbewufstes Leben. Man hat jenes auch das animalische, dieses das vegetative genannt. Aber Vegetation begreift blos Ernährung, Wachsthum und Fortpflanzung unter sich. Das unbewufste Leben ist von weiterem Gebiet. Alle organische Wesen, von denen sich mit Ge- wifsheit sagen läfst, dafs sie ein bewulßstes Leben führen, fi 2 besitzen Nerven: Stränge, die von Einem oder mehrern, im letztern Falle mit einander verbundenen Central- organen, bei den höhern 'TThieren vom Gehirn und Rückenmark ausgehen, oder doch damit zusammen- hängen, sich bei ihrem Fortgange verzweigen und mit ihren äussern Enden in der Substanz der übrigen Theile verliehren. Sie bestehen aus häutigen Scheiden, angefüllt mit einer Materie, dem Nervenmark, die unter dem Vergröfserungsglase in manchen Nerven nichts weiter zeigt, was ihr wesentlich ist, als längs- laufende, parallele Streifen, in deren Zwischenräumen sich unregelmäfsige Queerstreifen befinden. So sieht man sie meist in den Nerven der kaltblütigen 'Thiere. In diesem Zustande erscheint sie ganz wie dünne, der Länge nach ausgedehnte Scheiben des halbgeronnenen Hühnereiweifs. Oft ist sie in den Zwischenräumen der längslaufenden Striche, den Markfasern, zu Kügelchen gestaltet, und zuweilen besteht sie aus Reihen solcher Kügelchen. Diese Form findet man öfterer in den Nerven der Säugthiere und Vögel, als in denen der übrigen 'Thiere. Bei den Wirbelthieren vereinigen sich jene Markfasern in manchen Nerven schon während des Verlaufs der letztern zu primi- tiven Bündeln, von denen jeder eine eigene, sehr dünne häutige Scheide bekömmt. Bei den wirbel- losen Thieren tritt diese Vereinigung erst dann ein, wenn ein Nerve sich in einem Organ verbreitet, z. B. bei den Insecten beim Durchgang der Sehenerven der zusammengesetzten Augen durch die Oeffnungen der häutigen Platte, die das Innere dieser Augen von der 3 Kopfhöhle scheidet. Die Bündel sind dann bei diesen Thieren nicht weiter in einer gemeinschaftlichen Scheide eingeschlossen. *) Ein Theil, durch welchen äussere Eindrücke empfunden werden, höret auf, dazu tüchtig zu seyn, sobald die Nerven desselben durchschnitten oder unter- bunden sind, und ein Bewegungsorgan wird gelähmt, nachdem man diese Operation mit den Nerven der Muskeln desselben vorgenommen hat. Aber das innere Stück der erstern Nerven erregt noch Schmerz, wenn die Durchschnittfläche desselben gereizt wird, und die Muskeln zucken noch eine Zeitlang, wenn me- chanische und chemische Schärfen, oder electrische Ströhmungen auf das mit ihnen verbundene Nerven- stück wirken. Von dieser Seite zeigen sich also die Nerven als Leiter äusserer Eindrücke zum Gehirn, und innerer vom Gehirn zu den äussern Theilen. Erwägt man indefs, dafs von jedem Nervenstrang sehr viele verschiedene Theile Zweige empfangen, dafs jeder einzelne Sinnesnerve eine unendliche Zahl der ver- schiedensten Empfindungen verschafft, und dafs doch nicht etwa zu jedem Muskel und jedem Punct der reizbaren Fläche eines Sinnesorgans eine einzelne, ein- fache Markfaser sich vom Gehirne aus erstrecken kann, *) Diese primitiven Bündel sind weit dicker als die Markfasern, da sie immer aus mehrern solchen Fasern bestehen. Was ich in meiner Abhandlung Ueber die organischen Elemente des thierischen Körpers im 1. Bande der Vermischten Schriften, S. 130, Fig. 75, als die letzten Nervenröhren aus den Hüftnerven des Frosches beschrieben und abgebildet habe, waren, wie ich bei spätern Untersuchungen erkannte, primitive Bündel. 1* + so darf man sie nicht für Leiter in dem Sinne an- sehen, worin man von Leitern der Wärme und der Electricität spricht. Wäre selbst ein ununterbrochener Fortgang einzelner Markfasern vom Gehirn zu den äussern Theilen dargethan, so liessen sich doch andere Thatsachen mit der Annahme einer solchen Leitung nicht reimen. Die beiden Enden eines durch- schnittenen Nerven vereinigen sich wieder bei einer angemessenen Behandlung, und dieser erhält nach einiger Zeit wieder das Vermögen, Muskelbewegungen und Empfindungen zu erregen. Es ist nicht möglich, dafs hier die Durchschnittsfläche jeder Markfaser sich gerade der, womit sie vorher zusammenhing, wieder anfüge. Es verzweigen sich aber die Nerven nicht blos in den Organen des bewufsten Lebens. Es bedürfen auch andere Theile zur Fortdauer ihrer 'Thätigkeit eines beständigen, vom Gehirn und Rückenmark aus- gehenden Nerveneinflusses. Der Muskel, der gelähmt wird, wenn der Nerve desselben durchschnitten ist, gehorcht auch den Befehlen des Willens nicht mehr, wenn die Arterien desselben unterbunden sind, und diese Gefäfse sind ebenfalls allenthalben von Nerven- netzen umstrickt. Wird der Stamm der Nerven einer Arterie durchschnitten, so hört das Blut darin für einige Zeit auf zu fliessen. Das Ströhmen desselben wird durch die Kraft des Herzens wieder hergestellt. Dieses hört aber ebenfalls auf zu schlagen und die ganze Blutmasse geräth in Stockung, wenn das Rückenmark zerstöhrt wird. Der Blutumlauf kehrt zwar auf einige 1) Zeit beim Einblasen von Luft in die Lungen zurück, und durch den aufgehobenen Einflufs des Rücken- marks wird also zunächst mehr die Thätigkeit der Werkzeuge des Athemhohlens als die der Blutgefäfse aufgehoben. Bei den Fischen, wo jene Organe ihre Nerven nicht vom Rückenmark, sondern vom verlän- gerten Mark erhalten, hört deswegen sowohl die Respiration als der Blutumlauf nach der Zerstöhrung des Rückenmarks nicht gleich auf.”) Aber beide Verrichtungen haben doch immer nur eine kurze Zeit nach dieser Operation noch ihr Bestehen. Es mufs also die eine durch die andere bedingt seyn, und beide müssen unter dem Einflufs des Rückenmarks stehen, nur das Athemhohlen in höherm Grade als der Blutumlauf. Nach Durchschneidung des Rücken- marks in einem der Lendenwirbel dauert der Blut- umlauf bei allen 'Thieren eine längere Zeit fort. Aber nicht nur die willkührlichen, sondern auch die un- ' willkührlichen Organe, die aus dem untern Theile des Rückenmarks Nerven empfangen, verliehren nach dieser Operation ihre Kraft, und bei den höhern Thieren stockt darnach endlich auch der Blutumlauf. Es zeigt sich auch eine Herrschaft der Nerven über einzelne Theile des Systems der Blutgefäfse bei der Schaamröthe, beim Anschwellen der Ge- schlechtstheile, der Brustwarzen, des Kammes der Hähne und bei andern Turgescenzen. Sie kann durch eine unmittelbare Einwirkung der Nerven auf das Blut geschehen. Nach der Durchschneidung des herum- *) Flourens, Annales des sciences natur. T. xXvIl. p. 271. 6 schweifenden Nervenpaars wird der Schlag des Herzens häufiger, hingegen das Athemhohlen seltener, und es gerinnet das Blut in den Adern.*) Hier rührt viel- leicht das Gerinnen von dem aufgehobenen unmittel- baren Einflufs der Nerven auf das Blut her. Indefs ganz beweisend ist diese Erfahrung nicht, da sich der Erfolg auch aus der geschwächten Kraft des Herzens, womit beschleunigter Schlag bestehen kann, erklären läfst. Ausgemacht ist es aber, dafs die Be- wegungen des Athemhohlens durch gewisse einzelne Nerven, und zwar durch die herumschweifenden und die Zwerchfellsnerven, unmittelbar regiert werden. Nach der aufgehobenen Einwirkung der herumschwei- fenden Nerven fällt bei jungen Meerschweinchen und Kaninchen die Glottis zusammen, *) und nach Durch- schneidung der Zwerchfellsnerven hört der Zwerch- muskel auf sich zu bewegen. Von dem regelmäfsigen Flufs des Blutes hängt die Ernährung, die Reproduction, jede Absonderung und die Entbindung der thierischen Wärme ab. Es hält schwer, durch Versuche zu entscheiden, ob die Nerven unmittelbar, oder nur insofern, als der Lauf des Bluts von ihnen beherrscht wird, auf diese Func- tionen Einflufs haben. Die meisten Erfahrungen hier- über sind zweideutig. Dafs ein Glied schwindet, dessen *) Mayer in der Zeitschr. f. Physiologie. B. 2. 8. 62. ”*) Le Gallois Experiences sur le principe de la vie. p. 225. Bei erwachsenen Hunden tritt aber nach Chossat diese Wirkung nicht ein, obgleich auch bei ihnen die Durchschneidung der Stimm- nerven das Athemhohlen aufhebt. Meckel’s Archiv f. d. Physiol. B.-7. 8..2397. 7 Nerven durchschnitten sind, läfst sich so gut aus der einen als aus der andern Ursache ableiten. Todd*) sahe keine Reproduction abgeschnittener Füfse der Salamander erfolgen, wenn der ischiadische Nerve oberhalb dem amputirten Theil durchschnitten war. Aber der abgeschnittene Schwanz wurde doch bei durchschnittenem Rückenmark regenerirt, und in jenem Versuch kann die Wiedererzeugung auch durch den auf- gehobenen Nerveneinflufs auf die Gefälse des Schenkels verhindert worden seyn. In Brodie’s Versuchen er- kaltete von zwei enthaupteten, oder durch Vergiftung scheintod gemachten Kaninchen das schneller, bei dem man durch Einblasen von Luft in die Lungen das Athemhohlen und den Blutumlauf unterhielt, als das andere, obgleich bei dem erstern die Absorbtion des Sauerstoffgas der Atmosphäre und die Aushauchung von kohlensaurem Gas beim Durchgang des Bluts durch die Lungen eben so wie sonst erfolgte.**) Das Aufhören der Entbindung von Wärme konnte hier also bei der Fortdauer der chemischen Processe des Ath- mens nur von dem aufgehobenen Einflufs des Gehirns herrühren. Diesen Erfahrungen sind aber andere von Gamage,**) Hale****) und Williams}) entgegen, *) The quarterly Journal of science. Vol. XV1. p. 91. ””*) Biologie. B. 5. S. 70. **%*) The New England Journ. of Medec. and Surgery. Vol. IV. Nro. 1. ERSICK) Ebendaselbst und in Meckel’s Archiv f.d. Physiol. B. 3. S. 429. +) Transact. of tle medico-chirurg. Society of Edinburgh. Vol. II. p. 103. worin die künstliche Unterhaltung des Athemhohlens bei aufgehobener Einwirkung des Gehirns die Ver- minderung der Temperatur zurückhielt, und noch an- dere von Le Gallois,“) nach welchen die Ab- und Zunahme der thierischen Wärme immer blos mit der Menge des absorbirten Sauerstoffgas in Verhältnifs steht. In den letztern ist zwar viel Schwankendes. Allein wieder andere, von Chossat**) zu Gunsten der Brodieschen Erfahrungen bekannt gemachte Ver- suche sind ebenfalls nicht entscheidend. Sie beweisen höchstens nur, dafs ein Thier desto mehr in dem nehmlichen Verhältnifs erkaltet, wie ein auf andere Art getödtetes, je näher nach dem verlängerten Mark zu das Gehirn oder Rückenmark durchschnitten wird; dafs hingegen desto mehr eigene Wärme noch erzeugt wird, je entfernter von jenem Theil die Durchschnei- dung geschieht. Aber auch dies ist nicht streng da- durch bewiesen, da bei der Schätzung des Unterschieds im Erkalten Voraussetzungen zum Grunde gelegt sind, wogegen sich Einwendungen machen lassen, und da der Unterschied in manchen Fällen so gering war, dafs er von zufälligen Ursachen herrühren konnte, Bei allem dem ist es nicht zu bezweifeln, dafs die Nerven unmittelbar auf die Ernährung und, insofern alle Lebenserscheinungen mit der Ernährung in der engsten Verbindung stehen, auch auf alle übrige *) Annales de Chimic et de Physique. T. IV. Meckel’s Archiv f. d. Physiol. B. 3. S. 436. ”<) Amnales de Physique. T. XCI. p. 5. Meckel’s Archiv f. d. Physiol.-B. 7. S. 281. 9 Functionen einwirken. Von Gemüthsbewegungen wird die Qualität der abgesonderten Säfte verändert. Dies kann nicht durch ihren Einflufs auf die Bewegung des Bluts in den Secretionsorganen geschehen: denn dadurch würden blos Abänderungen in der Quantität des Secernirten bewirkt werden. Dieser Einflufs ist zwar nur ein zufälliger. Es läfst sich nicht folgern, dafs, weil ein solcher stattfindet, auch ein fortwäh- render vorhanden sey. Aber warum hört das Herz auf zu schlagen, warum erfolgt der Tod des Ganzen, wenn die Einwirkung des Gehirns und Rückenmarks auf den übrigen Körper aufgehoben ist? Es ist die Antwort möglich: vom Gehirn und Rückenmark ge- schehen fortwährend durch die Nerven Eindrücke auf das Herz und alle andere Organe, die aber nur er- regend seyen; das Vermögen, von diesen Eindrücken erregt zu werden und gegen sie zu reagiren, werde ohne Zuthun des Nervensystems den Organen mit- getheilt. Aber woher die Mittheilung? Vom Blute? Allein das Blut selber mufs durch einen Einflufs seine bestimmte Mischung erhalten. Dafs diese Einwirkung unmittelbar von der Seele geschehe, läfst sich im Allgemeinen nicht annehmen, weil da, wo Nerven vorhanden sind, gewils durch diese der geistige Ein- flufs auf den übrigen Körper vermittelt wird. Das Nervensystem hat also eine dreifache Wirkung auf den übrigen Körper. Es beherrscht erstens den Lauf und zweitens die Mischury des Bluts, zwei Coeficienten aller Producte des Lebens, und es ist drittens für viele Lebenserscheinungen relativ äussere 10 Ursache, Erregungsmittel. Bei der Muskelbewegung sind alle diese drei Wirkungen vorhanden. Die Muskel- kraft wird durch eine gewisse Bewegung und Mischung des Bluts unterhalten, und die Unterhaltung wird von den Nerven regiert. Deswegen verliehrt der Muskel seine Kraft, sowolll wenn dem Blute der Zugang zu im abgeschnitten ist, als wenn dasselbe in ihm stockt. *) Spritzt man warmes. Wasser in die Arterien eines le- benden Muskels, so erfolgen erst Zuckungen. Dann verliehrt er alle Reizbarkeit und seine Fasern kräuseln sich. Die Zuckungen dauern ‘fort, solange sich noch Blut in den Gefäfsen des Muskels befindet. Er wird leblos, sobald dieses ganz ausgespühlt ist.**) Was die Muskelkraft zur Wirksamkeit bringt, ist entweder ein unmittelbarer Nerveneinfluls, oder, wie bei jenem Versuch, eine sonstige physische Ursache. Die will- kührlichen Bewegungen werden durch einen geistigen Antrieb vermittelst der Nerven erregt. Ob alle phy- sische Reizmittel ebenfalls nur durch die Nerven Muskelbewegungen hervorbringen, ist eine viel be- sprochene Frage. ***) Dafs organische Bewegungen in *) Biologie. B. 5. 8. 281. Segalas in Magendie’s Journal de Physiol. T. IV. p. 287. **) Mayo (Anatom. and physiol. Commentaries. Nro. 1. p. 13) schliefst mit Unrecht aus dieser Erfahrung: das Blut diene zwar insofern zur Unterhaltung der Muskeikraft, als es die Ernährung des Muskels unterhält; die Beizbarkeit desselben aber habe eine andere Quelle. Wenn der Muskel auf die ihm angemessene Weise durch das Blut ernährt wird, so ist er auch reizbar. Zu seiner Er- nährung bedarf es freilich eines bestimmten Einflusses der Nerven auf das ihm zufliessende Blut. Aber der nächste Grund seiner Reiz- barkeit liegt doch in dieser Flüssigkeit. FR) Biologie. B. 5. S. 285. 11 Allgemeinen unmittelbar durch solche Reizmittel be- wirkt werden können, beweiset das Beispiel der irri- tabeln Pflanzen. Es läfst sich nach dieser Analogie nicht behaupten, jeder mechanische oder chemische Reiz: mache mittelbar, durch die Nerven, den Muskel zucken. Mit den schwachen und vorübergehenden Zusammenziehungen, die von solchen Reizen veran- lafst werden, sind aber die kräftigen, theils längere Zeit dauernden, theils in regelmäfsiger Folge vor sich gehenden Muskelbewegungen, wodurch das Leben des Ganzen sein Bestehen hat, nicht zu vergleichen. Die Gesichtsmuskeln des Kopfs eines enthaupteten Säug- thiers, auf welche doch keine äussere Reize unmit- telbar wirken, machen noch eine Zeitlang, vermöge eines fortwährenden Nerveneinflusses, die Bewegungen des Athemhohlens, und viele der wirbellosen. Thiere sieht man ihre Kiemen hin und her schwingen, ohne Vorhandenseyn einer äussern Ursache, die in denselben Zwischenzeiten wiederkehrt, worin die Schwingungen der Kiemen erfolgen. Es gehen überhaupt im Thier- reiche vom Nervensystem Impulse zu den Bewegungen des Blutumlaufs und des Athemhohlens aus, die nicht in unmittelbarer Causalverbindung mit äussern Ein- drücken stehen, die an einen gewissen Rhythmus in ihrer Folge gebunden sind, und deren Wirkungen sich durch den ganzen Körper fortpflanzen. Bei denen Bewegungen, die mit den Zusammen- ziehungen im Gegensatze stehen, bei den Anschwel- lungen. der thierischen Theile, kann es scheinen, als 12 ob dabei nur die erste der obigen drei Wirkungen des Nervensystems stattfinde, indem:man sie blos von einem vermehrten Zuflufs des Bluts ableitet, der einen, vom Vorstellungsvermögen ausgehenden Nerveneinflufs zur veranlassenden Ursache habe. Es müssen in der That aber auch dabei die Nerven unmittelbar auf das Blut einwirken und dasselbe in einen Zustand ver- mehrter Ausdehnung versetzen. Ohne Voraussetzung dieser Wirkung läfst sich nicht der Turgor erklären, den alles Lebende in jedem Theil vor dem Todten voraus hat. Die Masse des Bluts ist im Leichnam noch die nehmliche wie im lebenden Körper. Der auf- hörende Umtrieb desselben könnte wohl verursachen, dafs die "Theile, woraus es sich zurückzöge, ihren 'Turgor verlöhren. Aber die, worin es sich anhäufte, müfsten dann um so mehr anschwellen. Eine Erhö- hung dieser Turgescenz mufs in jeder Muskelfaser bei angestrengter Bewegung dem Einfluls des Willens vorhergehen. Die Vorstellung des Zwecks der Bewe- gung veranlafst dieselbe, und der Wille bringt dann in der Faser den entgegengesetzten Zustand, den der Verkürzung, hervor. Soviel lehrt die microscopische Beobachtung jeder zusammengezogenen Muskelfaser, dafs sie sich der Länge nach zusammenzieht, indem sie sich in Queerfalten zusammenlegt. Ob sie sich in den Zwischenräumen dieser Falten um eben soviel ausdehnt, als sie in der Länge verliehrt, so dafs ihr Volumen ungeändert bleibt, darüber sind bie bisherigen Versuche nicht ganz entscheidend. Die meisten der genauern Erfahrungen sprechen aber für eine Ver- 13 kleinerung des Muskels bei der Zusammenziehung nach allen Dimensionen. “) Eine Wirkung der Nerven auf die Bewegung und Mischung des Bluts ist bei allen Absonderungen und aller Ernährung der festen Theile anzunehmen. Von dem Einflufs auf den Lauf des Bluts hängt die Quan- tität, von dem zweiten, unter welchem die Mischung desselben steht, die Qualität der Producte dieser Vorgänge ab. Die letztern sind aber nicht immer der Herrschaft der Nerven weiter unterworfen. Zu densel- ben gehören; die thierische Wärme, das phosphorische Licht der lebenden Thiere, und vielleicht auch die thierische Electricität. Eine unmittelbare Einwirkung der Nerven auf die thierische Wärme ist durch keine der bisherigen Erfahrungen über diesen Gegenstand erwiesen. Sie gestatten keine weitere Folgerung als die, dafs die Temperatur der Thiere nur insofern von dem Einflufs des Nervensystems abhängt, als der Blut- umlauf, die Mischung des Bluts und das Athemhohlen darunter stehen. Die Phosphorescenz der lebenden Thiere geht immer von einer abgesonderten Materie aus, und dauert in dieser nach der Trennung vom Körper noch einige Zeit fort. Die Nerven können nicht weiter auf das Leuchten als dadurch wirken, *) Die neuesten Versuche hierüber stellte Mayo (A. a. 0. p- 12) an. Er legte den pulsirenden Ventrikel eines Hundeherzens in eine mit Wasser gefüllte Glasröhre, und bemerkte bei der Zu- sammenziehung und Erweiterung desselben keine Veränderung im Stande des Wassers. Erman’s Versuche, die ein entgegengesetztes Resultat gaben, scheinen aber mehr Zutrauen zu verdienen. M. vergl. Biol. B. 5. S. 238. 14 dafs sie entweder vermehrte Absonderung dieser Ma- terie verursachen, oder durch verstärktes Athemhohlen und willkührliche Bewegungen das Licht anfachen, oder auch durch Entblöfsung der leuchtenden Sub- stanz den Glanz mehr hervorstrahlend machen. Es frägt sich noch: Ob das Nervensystem, ausser dem Einflufs, den es mittelbar durch die Gefäfse auf die Bewegung des Bluts hat, auch einen unmittelbaren darauf äussert. Ich habe früher auf einen solchen aus Versuchen, die ich über den Blutumlauf an Fröschen gemacht hatte, geschlossen, doch ausdrücklich dabei bemerkt, dafs er nicht hinreichend seyn könne, den Blutumlauf zu unterhalten, und mich über die Be- schaffenheit desselben nicht erklärt.*) Baumgärtner hat in seinen „Beobachtungen über die Nerven und das Blut” denselben weiter darzuthun gesucht, und scheint eine unmittelbare bewegende Wirkung der Nerven auf das Blut anzunehmen. *) Zur Vorausset- setzung eines solchen Einflusses berechtigt aber bis- jetzt keine Thatsache. Es lassen sich nur zwei Gründe von einiger Wichtigkeit dafür anführen. Der eine ist: Wenn die erste Blutbewegung im Ei zu erkennen ist, *) Biologie. B. 4. S. 260. Ueber den Einflufs des Nervensystems auf die Bewegung des Bluts, in den Verm. Schriften. B. 1. S. 99. ”*) Er sagt in seiner obigen Schrift, S. 90: Meine Meinung über die Ursachen der Blutbewegung scheine weniger durch richtige Versuche unterstützt, als aus einer gründlichen Würdigung der verschiedenen Lebensverrichtungen geflossen zu seyn. Er würde vielleicht anders geurtheilt haben, wenn er meine Meinung nicht blos aus der Biologie gekannt, sondern auch meine angeführte Ab- handlung verglichen hätte. 15 so seyen im Rückenmark und zum "Theil auch im Gehirn schon so bedeutende materielle Veränderungen vorgegangen, dafs man die letztern für früher halten müsse als den Blutlauf. Diese Annahme kann richtig seyn, und doch folgt nicht daraus, das Gehirn und Rückenmark äussere eine bewegende Wirkung auf das Blut. Das frühere Daseyn jener Organe bezieht sich vielleicht nur darauf, dem Blute die Fähigkeit zu ertheilen, in Umlauf versetzt zu werden. Diese Fähig- keit beruhet auf einer besondern Mischung des Bluts, und zwar einer solchen, vermöge welcher dasselbe, geschwängert mit Kohlenstoff und Stickstoff, vom Sauerstoff der atmosphärischen Luft angezogen, hin- gegen des Kohlenstoffs und Stickstoffs entladen und mit Sauerstoff geschwängert, von der atmosphärischen Luft abgestofsen wird. Jene Mischung wird bei den Thieren durch einen Nerveneinflufs hervorgebracht. Doch zeigt das Beispiel der Charen, dafs auch ohne einen solchen ein Kreislauf in Säften lebender Körper möglich ist, und die Ströhmungen, die im frischen männlichen Saamen aller Thiere zur Brunstzeit statt- finden, beweisen, dafs auch in thierischen Säften in- nere Bewegungen vorgehen, die von einer anziehenden oder abstossenden Kraft der Nerven unabhängig sind. Dergleichen, aber nur kurze Zeit anhaltende Ströh- mungen sahe ich auch im frisch gelassenen Blute des Menschen und der Wirbelthiere, und Jeder wird sie darin sehen, der dieses mit guten Vergröfserungs- gläsern untersucht.*) Da sie aber erst nach dem auf- *) Biologie. B. 4. S. 654. Verm. Schriften. B. 1. 8. 123. 16 gehobenen Einflufs der Nerven auf das Blut eintreten, so können sie mit dem Blutumlauf unmittelbar nichts gemein haben. Ein zweiter Grund für die Voraus- setzung einer unmittelbaren bewegenden Wirkung der Nerven auf das Blut läfst sich von den Ströhmungen dieser Flüssigkeit hernehmen, die man in den Ge- fäfsen noch bemerkt, nachdem dieselben durch Unter- bindungen isolirt sind und das Herz ausgeschnitten ist. Es sind aber microscopische Beobachtungen über die Bewegung des Bluts blos in den Haargefäfsen durch- sichtiger Theile möglich. Was während der Beob- achtung in den Stämmen und gröfsern Zweigen vor- geht, ist nicht wahrzunehmen. Wenn in den Wänden der letztern auch nur geringe Zusammenziehungen, Erweiterungen oder Schwingungen sich ereignen, so können diese schon hinreichend seyn, das in den Gefäfsen befindliche Blut in Bewegung zu setzen. Die Nerven erscheinen also da, wo sie vorhanden sind, als Vermittler aller Erscheinungen des organi- schen Lebens. Indefs, der Anfang der Bildung jedes organischen Körpers geschieht nicht mit dem Nerven- system. Die Rudimente des letztern zeigen sich erst, wenn die Bildung des Körpers schon bis auf eine gewisse Stufe vorgerückt ist. Den Gewächsen fehlt dieses System ganz. Die Gegenwart desselben ist also nur Bedingung des Lebens in der Sinnenwelt, nicht des Pflanzenlebens. Da aber doch bei dem Thier auch die Organe des unbewufsten Lebens Nerven besitzen, so nimmt entweder das Leben dieser Organe an dem Sinnenleben Theil; oder es gehen Eindrücke, die bei 17 der Pflanze von dem geistigen Princip unmittelbar auf den Körper wirken, bei dem 'Thier vom Nervensystem zu der Zeit aus, wo dieses Princip in der Sinnenwelt thätig ist. Im letztern Falle würde das Nervensystem des unbewufsten Lebens von dem geistigen Princip während des Schlafs in einen Zustand versetzt, worin es fähig wäre, während des Wachens unangeregt von diesem Princip auf die Organe des unbewufsten Le- bens so zu wirken, wie es sonst unmittelbar darauf wirken müfstte. Um zu entscheiden, welche dieser Folgerungen zulässig ist, sind die Nerven des be- wufsten und unbewulfsten Lebens näher unter sich zu vergleichen. Je mehr das Thier für das Sinnenleben ausge- bildet ist, desto mehr ist ein eigenes Nervensystem für dieses und ein eigenes für das unbewufste Leben in demselben entwickelt. Auf den niedrigsten Stufen der thierischen Organisation hört entweder die Trennung zwischen beiden ganz auf, oder das Nervensystem des unbewulsten Lebens ist so wenig ausgebildet und es lassen sich so wenig oder nur so dünne Zweige desselben zu den meisten unwillkührlichen Organen verfolgen, dafs sich nicht anders schliessen läfst, als: es müssen die meisten dieser Organe unter dem un- mittelbaren Einflußs des geistigen Prineips, wie die Organe der Pflanzen, stehen. Das Nervensystem des unbewufsten ‘Lebens ist jedoch nirgends ganz von dem des bewufsten geschieden. Es gilt also doch auch die Voraussetzung, dafs das erstere Leben an dem letztern in gewissem Grade Theil nimmt. 2 18 Das Nervensystem des unbewufsten thierischen Lebens macht vorzüglich der sympathische Nerve mit seinen Verzweigungen, das des bewufsten das Gehirn und Rückenmark mit deren unmittelbaren Fortsätzen aus. Jener Nerve ist aber auch mit allen übrigen Nerven- paaren, nur die der höhern Sinnesorgane ausgenommen, verbunden, und selbst mit diesen hat er nach den neuern Untersuchungen Hirzel’s,*) Tiedemann’s**) und Arnold’s+) mittelbar Gemeinschaft. Aus diesen Verbindungen entspringen die Nerven derer Organe, deren Wirkungen nicht ganz dem Einflufs der Will- kühr entzogen sind, obgleich sie im gewöhnlichen Zustande ohne Bewufstseyn vor sich gehen. Solche sind besonders die Organe des Athemhohlens, das vordere und hintere Ende des Nahrungscanals und die muskulösen Theile der Werkzeuge der äussern Sinne, der Excretionen und der Zeugung. Die Nerven des siebenten und zehnten Paars und mehrere Rücken- marksnerven gehören bei den höhern Thieren vorzüglich diesen Organen an, während unter der Herrschaft des sympathischen Nerven mehr das System der Blut- gefäfse und das Parenchyma der secernirenden Ein- geweide steht. Vermöge dieser Beziehung auf das System der Blutgefäfse verliehrt der sympathische Nerve desto mehr an Ausdehnung, je mehr dasselbe vereinfacht wird. Er ist schon von weit beschränkterer Verbreitung bei *) Zeitschr. für Physiologie. B. 1. S. 197. *%*) Ebendas. S. 237. +) Ebendas. B. 2. S. 147. Derselbe über den Ohrknoten. S. 17- 19 den Amphibien und vielen Fischen als bei den Säug- thieren und Vögeln.*) Manche Fische haben noch auf der Wirbelsäule einen ziemlich grofsen Intercostal- theil desselben. Aber es gehen von ihm wenig Zweige zu den Blutgefäfsen und den absondernden Einge- weiden. Bei den wirbellosen Thieren verschwindet jener Nerve in der Gestalt, worin er bei den Wirbel- thieren vorhanden ist, ganz. Die Knoten des Bauch- strangs der Crustaceen und Insecten lassen sich von einer Vereinigung der Spinalganglien beider Seiten der Wirbelthiere ableiten. Die Fäden, wodurch diese Knoten unter sich zusammenhängen, können Ueber- bleibsel des Rückenmarks, des sympathischen Nerven, oder des von Weber**) beschriebenen Nerven seyn, der bei einigen Fischen als ein Fortsatz des Trige- minus zu beiden Seiten der Wirbelsäule herabsteigt und mit den Spinalnerven verbunden ist. Von jenem Bauchstrang aber lassen sich kaum Fäden zu andern Organen als denen der willkührlichen Bewegung ver- folgen. Lyonnet***) erwähnt in seiner Beschreibung des Bauchstrangs der Weidenraupe nur eines einzigen, vom vordern Theil dieses Strangs ausgehenden Fadens als dem Herzen selber angehörig. Blos die Seiten- muskeln des Herzens erhalten von demselben mehrere Fäden. Zum Mastdarm gehen Nerven vom letzten Bauch- *) Den Schlangen und Eidechsen wurde sonst der sympathische Nerve ganz abgesprochen. Duges fand den Intercostaltheil desselben bei diesen Thieren in der Wirbelsäule zu beiden Seiten des ver- längerten Marks. Annales des sciences natur. T. XVI. p. 353. *”%*) Meckel’s Archiv für Anat. u. Physiol. J. 1827. S. 303 ***) Traite de la chenille du saule. p. 203. 232. 234. 2% a, knoten. Aber der Magen und dünne Darm steht, nach Lyonnet’s Schilderung, mit dem Bauchstrang in keiner Verbindung. Straus”) giebt in seiner Zergliederung des Maikäfers keine vom Bauchstrang kommende Herz- nerven an, und läfst es zweifelhaft, ob der Nahrungs- canal Zweige von demselben empfängt. Zu den Luft- röhren schienen ihm gar keine Nerven zu gehen. ”**) Ich habe bei den Insecten, die ich untersuchte, keine Nervenverbindung des Bauchstrangs mit dem Herzen, dem Magen, dem dünnen Darm und den Luftröhren entdecken können. Alle Insecten, die auf dem Bauch kriechenden Mollusken und einige Anneliden besitzen aber ein Hirnnervenpaar, das vor dem Gehirn zu Knoten anschwillt, aus denen zwei, rückwärts zum Herzen und Magen laufende Zweige entstehen. Diese Nerven sind, wie ich schon früher bemerkt habe ***) und wie J. Müller weiter gezeigt hat, ****) ihrem Ursprunge nach dem sympathischen Nerven analog. In ihrer Verbreitung haben sie eben so viel Aehn- lichkeit mit dem herumschweifenden als diesem Nerven. Sie fehlen den Scorpionen und Spinnen. Dafür läuft bei den Scorpionen ein grolser Hirnnerve unmittelbar zum Herzen. Bei den Schnecken geht jener Nerve nicht zum Herzen, sondern blos zum Schlunde und *) Considerat. generales sur YAnat. comp. des Animaux arti- cules p. 400. ”*) Ehendas. p. 367. 368. %*%*) Verm. Schriften von @. R. u. L. €. Treviranus. B. 3. S. 86. #3) Verhandl. der Kaiserl. Acad. der Naturforscher. B. XIV. Abth. 1. S. 73. — 21 = Vordertheile des Magens. Zum Herzen konnte ich bei den Nacktschnecken keine Nerven verfolgen. Wohl aber fand ich bei ihnen Nerven, die sich grades Weges vom Gehirn zu den Zweigen der Aorta begaben. Bei dieser Verschiedenheit der Verbindung des Nerven- systems mit den Organen des unbewufsten Lebens in der Abtheilung der wirbellosen Theile sind doch immer die Nerven aller, oder doch mehrerer dieser Organe so fein und so wenig zahlreich, dafs sie schwerlich allein die Triebfedern der Thätigkeit derselben seyn können. Die wahrscheinlichste Voraussetzung zur Erklä- rung aller dieser T'hatsachen ist die zweite der obigen. Es findet ein Wirken des geistigen Princips auf alle Organe des unbewufsten Lebens, während die Seele nicht in der Sinnenwelt lebt, also während dem Schlafe, statt. Im Zustande des Wachens vertritt ein automa- tisches Wirken der Nerven jener Organe die Stelle des unmittelbaren geistigen Einflusses. Je weniger das Wachen vom Schlaf unterschieden, je dunkler das Leben iu der Sinnenwelt ist, desto unmittelbarer ist dieser Einflufs und desto weniger bedarf es der Nerven- wirkungen zur Unterhaltung der Thätigkeit jener Organe. Daher die geringe Entwickelung der Nerven der Er- nährungswerkzeuge bei den niedern Thieren, und das gänzliche Verschwinden desselben bei den Pflanzen.”) *) Im 5ten Bande der Biologie, 8. 334. habe ich gesagt: Der sympathische Nerve sey der am weitesten verbreitete und der ur- sprüngliche aller Nerven. Dies kann mit dem Obigen in Widerspruch zu stehen scheinen. Aber das Nervensystem, das sich auf den ersten 22 Für jenes stellvertretende Wirken der Nerven zeugt die Fortdauer der Bewegungen des Herzens, der zum Athemhohlen dienenden Muskeln und der Gedärme nach der Trennung der Nerven dieser Organe vom Gehirn. Es lassen sich zwar äussere Reize angeben, welche den Schlag eines ausgeschnittenen Herzens durch ihren unmittelbaren Einflufs auf dasselbe an- fachen können. Allein bei enthaupteten Thieren kehrt nicht nur der Schlag dieses Eingeweides, sondern auch der Lauf des Bluts und die Zusammenziehung des Zwerchfells und der Intercostalmuskeln in derselben Harmonie, worin diese Bewegungen im natürlichen Zustande vor sich gehen, zurück, wenn das Aus- und Einathmen durch Einblasen und Ausziehen von Luft ersetzt wird. Hier können es nur unabhängig vom Ein- flufs des Gehirns vor sich gehende Nervenwirkungen seyn, wodurch dieselben unterhalten werden. Bei den niedern Thieren dauern in einzelnen, vom Ganzen ab- gerissenen Organen, ohne äussere Anlässe, noch Be- wegungen fort, die vom Instinct ihre Entstehung zu haben scheinen und sich als unmittelbare Wirkungen des, an diese Organe gebundenen geistigen Princips zu erkennen geben Die Saugröhre lebender Planarien fährt nach ihrer Trennung vom Körper nicht nur fort, sich nach wie vor bald zu einer Trompete auszudehnen, bald sich zu einer hohlen Kugel zu schliessen; sie schlürft auch den Schleim der Planarie, der sie an- Stufen der thierischen Organisation zeigt, ist doch dem sympathi- Schen zu vergleichen; nur ist dasselbe auf diesen Stufen mehr für die äussern, als für die innern Organe gebildet. 25 gehörte, oder selbst ganze Stücke derselben durch ihr vorderes Ende ein, und giebt das Verschluckte durch ihr hinteres Ende wieder von sich. *) Obgleich aber die Seele im Zustande des be- wufsten Lebens durch die Nerven Eindrücke von aussen empfängt und nach aussen zurückwirkt, so ist doch nicht, der alten Vorstellung nach, ihr Sitz auf irgend einen Mittelpunct des Nervensystems beschränkt. Sie empfindet durch die Nerven ohne Zuthun des Willens. Allein bestimmte Empfindungen erhält sie nur ver- mittelst eines willkührlichen Wirkens auf das äussere Ende des afficirten Nervens. Was hierbei sich ereignet, geht auch bei jeder willkührlichen Bewegung vor. Die Seele übersendet hierbei nicht ihre Befehle durch den Nerven zum Muskel, sondern wirkt, indem sie den letztern in Thhätigkeit setzt, sowohl auf das äussere als das innere Ende des Nerven. Sie ist nicht der Spinne ähnlich, die von der Mitte ihres Gewebes aus diesen oder jenen Faden anspannt, um durch ihn ihre Beute an sich zu ziehen, oder einen äussern Eindruck schärfer wahrzunehmen, sondern dem Bogen, der die beiden Pole der Voltaischen Säule verbindet. Die Elec- trieität dieser Säule ist es auch, die in den Muskeln Bewegungen erregt, welche den willkührlichen am nächsten kommen. Die Aehnlichkeit ist jedoch immer noch entfernt. Es läfst sich durch sie so wenig als durch irgend ein sonstiges äusseres Reizmittel der *) Nach von Baer’s Beobachtung (in den Verhandlungen der Kaiserl. Acad. der Naturforscher, B. XIII. Abth. 2. S. 716), die ich an der Planaria stagnalis bestätigt gefunden habe. 24 —— bestimmte Grad von Spannung und die anhaltende, unveränderte Zusammenziehung, die der Wille bewirkt, hervorbringen. Das Gebiet des bewufsten und unbewußsten Lebens ist ursprünglich beim Menschen und den höhern Thieren für die meisten Organe in soweit ganz von einander geschieden, dafs zwar einige derselben vom Willen beherrscht werden, dafs aber ihr gewöhnliches Wirken ohne dessen Einwirkung geschieht. Das Athemhohlen geht zwar ohne Bewufstseyn vor sich, und doch hat der Wille Einflufs darauf. Aber dieser Einflufs ist nur auf Beschleunigung oder Verminderung der zur. Re- spiration dienenden Bewegungen beschränkt. Das ge- wöhnliche Athemhohlen erfolgt ohne sein Zuthun, Ueber die Absonderung der Galle, des pancreatischen Safts u. s. w. ist ihm alle Herrschaft benommen. Es scheint individuelle Verschiedenheiten im Gebiet der automatischen Bewegungen zu geben, worauf er wirken kann. *) Doch war schwerlich sein Einflußs ein unmittel- *) Biologie, B. 5. S. 350. Zu den hier eitirten Beispielen von Menschen, die sich willkührlich in eine Art von Scheintod versetzen konnten, gehört noch em Fall, den J. Reid, (Essays on hypo- chondriacal and other nervous affections. London. 1816) von einem Manne berichtet, der Athemhohlen, Herzschlag und Puls so ganz aussetzen konnte, dafs er völlig einem Todten glich. Diesen Versuch machte der Mann sehr gern; er verursachte ihm auch keine unan- genehme Gefühle, kostete ihm aber endlich das Leben, indem er einige Stunden nach demselben starb, ohne dafs man eine andere Ursache entdecken konnte. — Regnier de Graaf (Opp. omn. p. 16) hat einen Fall von willkührlichem Bewegungsvermögen der Tunica dartos des Scrotum, „qua mediante” (homo quidam ) „‚scrotum pro „„Jubitu attrahebat atque motum in illo, peristaltico intestinorum non „absimilem, quotiescunqgue id desideraremus excitabat.‘“ An einer 25 barer bei denen Menschen, wovon man erzählt, dafs sie willkührlich das Herz zu bewegen schienen. Auf die Organe des unbewulsten Lebens wirken Vorstel- lungen, Triebe, Affecten und Leidenschaften ein, und dadurch, dafs der Wille diese hervorzubringen vermag, kann er mittelbar in gewissem Grade auch Erregungen in jenen Organen verursachen. Der Ausdehnung des Gebiets des unbewufsten Lebens gemäfs verhält sich die Verbreitung des sym- pathischen Nerven bei dem Menschen und den höhern Thieren. Er hat mit den meisten aller übrigen Nerven Verbindungen, weil die Wirkungen, denen er vorsteht, nach den Vorgängen im bewufsten Leben geregelt werden müssen. Es läfst sich aber kein Organ der willkührlichen Bewegung aufweisen, dafs durch ihn vom Willen in Thätigkeit gesetzt würde. Zwar gehen Zweige von ihm zum Zwerchfell, zu den Intercostal- muskeln, zum langen Halsmuskel und zum vordern gröfsern Paar der graden Kopfmuskeln. Aber alle diese Muskeln dienen zum Athemhohlen. Das Zwerchfell und die Intercostalmuskeln sind die Hauptwerkzeuge dabei. Die langen Halsmuskeln und die zuletzt genannten Muskeln sind ebenfalls dabei thätig, indem die erstern andern Stelle (p. 18) sagt er: dafs es, nach Bartholin’s Zeugnifs, Menschen giebt, welche dieHoden durch den Cremaster willkührlich zurückziehen und wieder herablassen können. — E.H. Weber er- zählt in seinem Programm Additamenta ad E. H. Weberi tractatum de motu iridis (Lips. 1823): er habe an sich selber das Vermögen entdeckt, die Pupille des einen, auf Ein und denselben Gegenstand gerichteten Auges, während das andere geschlossen sey, durch blofse Willkühr so erweitern und verengern zu können, dafs ihm der Ge- genstand bald deutlich, bald undeutlich erscheine. 26 den Kopf, der bei jedem Ausathmen durch die letztern etwas nach vorne gezogen wird, beim Einathmen wieder zurückziehn. Da nun alle diese Muskeln noch andere Nerven besitzen, so läfst sich nicht sagen, dafs die Herrschaft, die der Wille über das Athemhohlen hat, durch den sympathischen Nerven ausgeübt werde. Keine unbewufste 'Thätigkeit geht daher in eine be- wufste über, solange nicht durch Krankheiten das regelmälsige Wirken der Organe verändert ist; hin- gegen kann jede bewufste Thätigkeit durch öftere Wiederhohlung eine unbewufste werden. Dieser Uebergang beruhet auf dem Gesetz der Fertigkeit und der Association. Dem Grade des Ver- mögens, sich Fertigkeiten zu erwerben, entspricht aber die Stufenleiter der thierischen Natur. Das Gesetz der Fertigkeit gilt nicht blos von Bewegungen, sondern auch von Empfindungen. Man erwirbt sich Fertigkeit im Empfinden gewisser Eindrücke, wie im Hervorbrin- gen gewisser Handlungen. Das Associationsvermögen ist einigermaaßsen durch die Structur des Nervensystems beschränkt. Aber es hängt nicht von der Verbindung und Vertheilung der Nerven ab. Ueberhaupt ist alle 'T'hätig- keit des Nervensystems nur in gewissem Grade, nicht unbedingt, an diese gebunden. Wir können manche consensuelle und sympathetische Erscheinungen auf eine wahrscheinliche Art aus Nervenverbindungen erklären.*) Es gehen dagegen aber auch beständig im thierischen Körper Bewegungen vor sich, die ursprünglich mit *) Scarpa Anatom. annotat. L. I. C. 4. Tiedemann in der Zeitschr. für Physiologie, B. 1. S. 263 fg. 2 einander assocürt sind und doch von Nerven bewirkt werden, zwischen welchen gar keine Verbindung statt findet. Der innere grade Augenmuskel des einen Auges wirkt immer gemeinschaftlich mit dem äussern graden des andern bei ganz verschiedenem Ursprung und gänzlich mangelnder Verbindung der Nerven beider Augen. *) So läfst sich auch eine Beziehung der innern Structur der Nerven auf die Vorgänge des bewufsten und unbewufsten Lebens für den gewöhnlichen Zu- stand angeben. Die Nerven des unbewufsten Lebens sind weicher als die andern und von grauer oder röthlicher Farbe, während die übrigen durchgängig eine weisse Farbe haben. Sie theilen sich, nach meinen Beobachtungen, während ihres Verlaufs nicht, wie die Nerven des bewufsten Lebens, in primitive Bündel, und kommen hierin mit den sämmtlichen Nerven der wirbellosen Thiere überein. Sie entspringen dabei ins- gesammt aus Ganglien. Man hat zwar diesen letztern Unterschied nicht gelten lassen wollen, weil es auch Nerven gebe, die zu willkührlichen Bewegungsorganen oder zu empfindenden Theilen gehen, und doch ihren Ursprung aus Ganglien haben. Allein nicht alle Theile, die man für willkührliche ausgegeben hat, sind dies. Es ist gesagt worden, die Vögel könnten willkührlich die Pupille verengern und erweitern, obgleich die *) Mehrere andere consensuelle Nervenwirkungen, die sich nicht aus einem Zusammenhange der Nerven erklären lassen, sind von Alison in den Transact of the medico-chirurg. Society of Edin- burgh, Vol. II, p. 165, zusammengestellt. 28 Nerven ihrer Iris aus einem Knoten entspringen. Die reine 'Thatsache ist aber nur, dafs die Iris der Vögel sich unabhängig vom Einflufs des Lichts bewegt. Dafs die Bewegung vom Willen bewirkt werde, ist blofse und unwahrscheinliche Vermuthung. Dann gerathen auch bei jeder willkührlichen Bewegung eines ein- zelnen Muskels andere, ohne Zuthun des Willens, aber dem beabsichtigten Zwecke ganz gemäfs mit in Thä- tigkeit. Dies geschieht z. B. beim Verschlucken der Nahrungsmittel. Es ist überhaupt allem willkührlichen Thun sehr viel Unwillkührliches angepafst. Viele solcher unwillkührlichen Bewegungen, in Folge einer einzelnen willkührlichen, haben ihren Grund in Verbindungen der Nerven durch Ganglien. Es findet aber auch ein Unterschied zwischen Ganglien und Ganglien statt. Nicht jeder Nerve, der an einem Ganglion verläuft, geht darum in dasselbe mit ein, und Nerven, die aus Ganglien zu willkühr- lichen Organen oder empfindenden Theilen verlaufen, dienen darum nicht zur willkührlichen Bewegung und zur Empfindung. Nach den Untersuchungen über den innern Bau der Ganglien, die von Lancisi, Haase, Pfeffinger, Prochaska, Scarpa, Reil, Carus, Wutzer und Lobstein angestellt wurden,*) und nach dem, was ich selber darüber beobachtet habe, läfst sich für ausgemacht annehmen, dafs in diesen Theilen die eintretenden Nerven in ihre Fasern aufgelöst und zu *) Biologie, B. 5. S. 327. Prochaska de nervorum structura. pvp. 81. Wutzer de corp. human. gangliorum fabrica atque usu. Lobstein de nervi sympathetici humani fabrica etc. p. 63 sq. 29 neuen, austretenden Strängen wieder vereinigt werden, dafs aber nicht immer alle, mit dem Knoten verbundene Nerven an der Auflösung Theil nehmen, und dafs zwi- schen dem Netz, welches die sich theilenden und wieder vereinigenden Fasern bilden, noch eine Substanz von eigener Art liegt. Von den beiden Wurzeln der Spinal- ganglien dringen nur die hintern in diese ein, während die vordern durch einen Fortsatz ihrer gemeinschaft- lichen äussern Scheide von ihnen ganz getrennt sind. Ein Theil der Fäden der vordern Wurzeln setzt sich sogar bis in die splanchnischen Nerven fort, ohne sich mit den Intercostalganglien zu vermischen. Bei Fröschen bringen Reizungen der Wurzeln der zu den hintern Extremitäten gehenden Rückenmarksnerven, sowohl mechanische als galvanische, keine Zuckungen hervor, wenn sie blos an den hintern Wurzeln angebracht sind, hingegen heftige, wenn sie die vordern Wurzeln treffen, und bei Kaninchen werden durch galvanische Reizungen des splanchnischen Nerven die peristaltischen Bewegun- gen des Darmcanals verstärkt.*) An dem halbmond- förmigen Knoten des fünften Hirnnerven verläuft der kleinere Theil des letztern, ohne Fasern an jenen abzugeben, zu den Kaumuskeln, weshalb ihn Manche auch für einen eigenen Hirnnerven angenommen haben. Aber auch nicht jede Anschwellung eines Nerven ist von gleicher Beschaffenheit mit den Ganglien des sympathischen Nerven. Es hat z. B. der Knoten am Beinerven des Menschen nicht die röthliche Farbe *) Nach J. Müller’s Versuchen in den Notizen aus dem Ge- biet der Natur- und Heilkunde. 1831. Nro. 646 u. 647. 50 dieser Ganglien. Der Bulbus am vordern Ende des Riechnerven der Säugthiere ist zwar von dieser Farbe. Es sind aber keine andere Nerven damit verbunden. Ferner kann wohl nicht grade die Anschwellung etwas Wesentliches bei den Ganglien seyn, da einer der beiden Halsknoten des sympathischen Nerven zuweilen ganz fehlt und überhaupt in der Gröfse, Gestalt und Zahl der Ganglien dieses Nerven bedeutende Verschieden- heiten vorkommen. Soviel ist gewils: es giebt wohl Anschwellungen an Nerven, die zum Gefühl dienen, aber keine an Nerven, die der willkührlichen Bewe- gung vorstehen, und die der Gefühlsnerven sind sehr verschieden von denen des sympathischen Nerven. Die kleinere, dem halbmondförmigen Knoten vorbei- gehende Portion des fünften Hirnnerven ist Bewegungs- nerve; die gröfsere, welche durch den Knoten dringt, ist dies nicht, oder wirkt doch nicht direct auf die Bewegung. Dieser Knoten ist aber, wie schon Wris- berg*) erinnert hat, in seinem Bau von den Ganglien des sympathischen Nerven sehr verschieden und mehr den Spinalganglien ähnlich. Zu Knoten, die mit den letztern übereinkommen, schwellen überhaupt alle, zu beiden Seiten des verlängerten Marks hervortretende Nerven, den Hörnerven ausgenommen, bald nach der Vereinigung ihrer Wurzeln an. Eine eigene Classe von Ganglien machen die, welche den Hülfsnerven der Sinneswerkzeuge zum Ursprunge dienen, also der Ciliar-, Gaumen-, Keilbein-, Ohr- und Kieferknoten aus. *) Novi Commentar. Soc. Reg. scient. Gotting. T. VII. p. 50. 31 Bichat,* Magendie*) und Wutzer***) reizten den sympathischen Nerven von 'Thieren mit mechani- schen Schärfen und sahen keine Wirkungen darauf erfolgen. Nach von Pommer’s Erfahrungen ****) ver- ursacht das Drücken, Ziehen und Durchschneiden dieses Nerven am Halse bei Kaninchen und Hunden keinen bemerkbaren Schmerz. Die Thiere erkrankten nicht einmal nach dem Ausschneiden eines Stücks von meh- rern Linien aus dem Halstheil desselben beider Seiten, obgleich die getrennten Enden sich nicht wieder durch Nervensubstanz vereinigten. Dagegen äusserte in Wut- zer’s Versuchen+) ein Thier heftige Reactionen bei Einwirkung der Pole einer Voltaischen Säule auf jenen Nerven. Flourens++) drückte bei mehrern Kaninchen den halbmondförmigen Bauchknoten, den ersten Brust- knoten und den obern und untern Halsknoten mit einer Zange zusammen. Die Reizung des Bauchknotens brachte immer heftige, die der übrigen Ganglien in mehrern Fällen gar keine, in andern nur schwache Gegenwirkungen hervor. Lobstein+tt}) liefs das Galvanische Reizmittel auf den sympathischen Nerven bei Thieren und einem neugebohrnen Kinde wirken, und sahe eben so wenig Wirkung davon auf das Herz, *) Anat. gener T. I. p. 227. **) Precis element. de Physiol. T. I. Paris. 1816. p. 151. Br A..=:;0..2. 126. 127, ****) In dessen Beiträgen zur Natur- und Heilkunde. B. 1. Bere 23.221. 20. T)ADa. 0. +7) Becherches experiment. sur les proprietes et les fonctions du Syst. nerveux. p. 204. +tD A. a. 0. p. 9. 32 wie Valli, Volta, Behrends und ich bei ähnlichen Versuchen an Fröschen. Andere Physiologen bemerkten bei demselben Versuch beschleunigten Schlag des Her- zens,*) und soviel ist auch nach meinen Erfahrungen gewißs, dafs plötzliche Zerschneidung oder Zerstöhrung des Rückenmarks eine bedeutende Wirkung auf das Herz hat. Die negativen dieser Erfahrungen beweisen nicht, was man daraus geschlossen hat, dafs die Ganglien des sympathischen Nerven von Reizen überhaupt gar nicht gerührt werden. Aeusserten doch, in Magen- die’s Versuchen, **) Thiere auch beim Stechen in die Retina sehr wenig Empfindlichkeit. Jeder Nerve, und so auch der sympathische, hat Empfänglichkeit für Reize eigener Art. Jene negativen Erfahrungen lassen jedoch, in Verbindung mit den positiven, den Schlufs zu, den auch pathologische Erscheinungen bestätigen, dafs Reize, die in geringerm Grade oder bei geringerer Reizbarkeit keinen Einflufs auf den sympathischen Nerven haben, in höherm Grade oder bei höherer Reizbarkeit auf ihn wirken. Warum aber dieser Nerve, der doch mit dem geistigen Leben in naher Verbindung stehen mufs, im Zustande des ge- sunden Wachens weder vom Willen beherrscht wird, noch Eindrücke zum Bewufstseyn bringt, davon läfst sich die Ursache nur in einer eigenen Organisation desselben suchen, die im Aeussern vorzüglich durch *) Biologie. B. 4. S. 269. B. 5. S. 291. 292. Wedemeyer’s Untersuchungen über den Kreislauf des Bluts. S. 64. **) Journal de Physiol. T. IV. p. 311. 3 seine vielen Ganglien ausgedrückt ist. Es ist wahr, der Grund liegt auch mit darin, dafs ihm die Seele im Wachen eine andere Seite als im Schlafe zuwendet. Da aber stärkere physische Reizungen durch ihn em- pfunden werden und Muskelbewegungen erregen, hin- gegen schwächere keine Wirkungen durch ihn hervor- bringen, so müfsten auch heftigere Anstrengungen des Willens durch ihn körperliche Veränderungen bewirken, wenn seine Organisation dies nicht verhinderte, und da manche Muskeln durch ihn unwillkührlich in Be- wegung gesetzt werden, die durch andere Nerven der Wille beherrscht, so mufs hier ebenfalls eine ver- schiedene Bildung dieser Nerven die Ursache des willkührlichen und unwillkührlichen Einflusses seyn. Es wirkt z. B. durch den Antlitznerven, als eigenen Nerven, der Wille auf die Gesichtsmuskeln. Durch denselben Nerven geschehen aber auch, vermöge seiner Verbindung mit dem sympathischen Nerven, die unwill- kührlichen Bewegungen dieser Muskeln beim Athem- hohlen. Daraus übrigens, dafs nach von Pommer’s Versuchen, die Verbindung des obern Theils des sympathischen Nerven mit dem untern am Halse bei Kaninchen und Hunden, anscheinend der Gesundheit unbeschadet, aufgehoben werden kann, läfst sich mehr nicht als dies schliessen: jeder der Halsknoten dieses Nerven bedürfe zu seinem Wirken blos der Verbin- dung mit dem Rückenmark, nicht aber des Zusammen- hangs mit dem vorhergehenden oder folgenden Knoten. In den Ganglien vereinigen sich durchgängig Zweige von Nerven, die von verschiedenen Stellen des 3 34 Gehirns und Rückenmarks kommen. Es liesse sich voraussetzen, und es ist wirklich von Wilson Philip angenommen,*) in dieser Vereinigung ungleichartiger Nerven, und nicht in den knotigen Anschwellungen, liege der Grund des automatischen Wirkens der, aus der Verbindung entspringenden Zweige. Allein dafs der Einflufs des Willens auf einen Theil durch Ver- bindung des Nerven desselben mit einem andern, ungleichartigen Nerven nicht immer gehemmt wird, beweiset das Beispiel des, mit dem sympathischen Nerven verbundenen und doch den äussern graden Augenmuskel willkührlich bewegenden sechsten Hirn- nerven. Es ist also nicht jedes Zusammentreten, sondern nur eine Vereinigung eigener Art zweier ungleichartiger Nerven ein Hindernifs der Einwirkung des Willens. Diese letztere Art der Verbindung giebt sich aber durch knotenartige Anschwellung zu erkennen. Wenn es also im Allgemeinen verstattet ist, von der Gegenwart der Ganglien auf das Gebiet der will- kührlichen und der automatischen Bewegungen zu schliessen, so werden die Gränzen beider nicht in allen 'Thierclassen von gleicher Art seyn können. Es mufs bei den gegliederten, wirbellosen Thieren, deren äussere Bewegungsorgane ihre Nerven aus dem knoti- gen Bauchstrang erhalten, die Thätigkeit dieser Organe mehr automatisch als bei den höhern Thieren seyn, und mehr mittelbar als unmittelbar in Folge von Ein- wirkungen des Willens, das heifst, auf ähnliche Weise wie zZ. B. bei uns die unwillkührliche Zusammenziehung *) Philos. Transact. Y. 1829. p. 261. des Schlundkopfs in Folge der willkührlichen Zusam - menziehungen der Zungenbeinmuskeln, erfolgen. Es entstehen aber bei jenen 'Thieren nicht alle Nerven des Bauchstrangs aus den Ganglien desselben, sondern manche aus den Verbindungssträngen der Knoten, und diese Stränge gehen, nach meinen Beobachtungen, nicht ganz in die Knoten mit ein, so wie, nach Scarpa*) und Lobstein,**) auch beim Menschen die am Rück - grath herablaufenden Verbindungsfäden der Intercostal- ganglien von diesen nicht ganz unterbrochen werden. Ein solches automatisches Wirken läfst sich daher nicht von allen äussern Bewegungsorganen der obigen Thiere annehmen. Es begeben sich unter andern bei der Weidenraupe von jenen Verbindungssträngen auf jeder Seite zehn Nerven, von Lyonnet die Rückenmarks- zügel (Les brides epinieres) genannt, sowohl zu Mus- keln der äussern Bewegungsorgane, als zur Haut und zu den Seitenmuskeln des Herzens. ***) Bei der Nackt- schnecke, und wahrscheinlich noch mehrern andern wirbellosen Thieren, verlaufen, wie schon oben bemerkt wurde, eigene, von keinen Ganglien unterbrochene Hirnnerven zu den Arterien. Bei diesen Thieren kann folglich der, auf den höhern Stufen des Thierreichs der Willkühr entzogene Umlauf des Bluts dem Einflufs des Willens unterworfen seyn. Es giebt daher ein esoterisches und exote- risches Wirken des Nervensystems. Der sympathische 2,8 12:0. 11. Tab. 2. Eie. 1. ZEV A. 2:0. p- 97: ##*) Lyonunet a. a. O. p. 201. 3* 96 Nerve steht dem esoterischen Wirken vor, und die übrigen Nerven nehmen hieran nur insofern Antheil, als sie mit ihm vereinigt sind. Der Verbindung mehrerer Hirn- und Rückenmarksnerven mit ihm entspricht ein rhythmisches oder periodisches Wirken derselben. Alle, zum Athemhohlen dienende Muskeln und selbst die, welche nur entfernt dabei mitwirken, haben Nerven, die Zweige von ihm erhalten. Die zum Herzen ge- henden Zweige des zehnten Nervenpaars sind innigst mit ihm vereinigt. Er vermischt sich mit allen zu den Geschlechtstheilen gehenden Nerven, deren Empfin- dungs- und Bewegungsvermögen nicht zu allen Zeiten in der, ihrer Bestimmung angemessenen Form vor- handen ist. Die exoterisch wirkenden Nerven sind aber auch verschieden in ihren Functionen und theilen sich ebenfalls gegenseitig durch die Verbindungen, worin sie mit einander stehen, ihre Eigenschaften mit. Fände diese Mittheilung nicht statt, so würde ihre Vereinigung zu gemeinschaftlichen Zweigen ganz zwecklos seyn. Sie sind theils mehr Empfindungs-, theils mehr Be- wegungsnerven. Von jenen sind mehrere für eigene Empfindungen organisirt, und von diesen hat jeder eigene Muskeln, die von ihm beherrscht werden. Vom Riech-, Sehe- und Hörnerven ist es gewils, dafs sie nur zum Auffassen der Eindrücke des Geruchs, Gesichts und Gehörs dienen, also blos Empfindungs- nerven sind. Die Nerven des dritten, vierten und sechsten Paars und die kleinere Portion des fünften Paars sind da- gegen vorzüglich Bewegungsnerven. 37 Ueber die Function der gröfsern Portion des fünften Paars der Hirnnerven sind von Bell, Magendie, Mayo und Fodera Meinungen geäussert, die auf unentscheidenden Erfahrungen beruhen. Eschricht*) und J. Müller**) haben darüber Versuche, mit, wie es scheint, bestimmterm Erfolge gemacht. Sie schliessen aus ihren Erfahrungen, dafs die Zweige jener Portion mit dem Empfindungsvermögen in Beziehung stehen. Für die Richtigkeit ihrer Ansicht sprechen allerdings sonstige Gründe. Aus den Resultaten ihrer Versuche läfst sich jedoch nur folgern, dafs Reizungen jener Zweige indirecte Reactionen verursachten. Ob diese Bewegungen immer Folgen schmerzhafter Empfin- dungen waren, oder ohne Mitwirkung des Sensoriums erfolgten, läfst sich nicht bestimmen. Von dem Antlitznerven, der ohne Zweifel direct auf die Bewegungen der” Gesichtsmuskeln einwirkt, hat man gesagt: es fehle ihm auch nicht das Em- pfindungsvermögen; ***) es schienen dasselbe aber nur diejenigen seiner Zweige, in welche Aeste der gröfsern Portion des fünften Hirnnerven und Fäden der Hals- nerven mit eingehen, zu besitzen.+) Die Erfahrungen, woraus man dies geschlossen hat, beweisen aber eben- falls nur, wie die Versuche an der gröfsern Portion des Trigeminus, dafs Beizungen jener Zweige indirecte Reactionen verursachen. *) De function. nervorum faciei et olfactus organi. p- 42 sg. **) A. a. O0. Nro. 646. S. 117. ***) J. Müller a. a. O0. Nro. 647. S. 133. 7) Eschricht a. a. ©. 38 Die vier letzten Paare der Hirnnerven sind so mit ein- ander, mit dem sympathischen Nerven und dem Antlitz- nerven verflochten, dafs es schwer hält, zu sagen, welche Function jedes derselben ursprünglich hat. Wenn man indefs den Zungenschlundkopfnerven ausnimmt, so sind sie offenbar mehr Bewegungs- als Empfindungsnerven. In Betreff der Rückenmarksnerven haben Bell und Magendie aus Versuchen und pathologischen Beobachtungen gefolgert, dafs die hintern Wurzeln derselben Empfindungen, die vordern Bewegungen hervorbringen. Magendie hat nachher zugegeben, dafs doch auch jenen das Bewegungs-, diesen das Empfindungsvermögen nicht ganz fehle,*) und so soll es sich auch nach Burdach’s und von Baer's Er- fahrungen damit verhalten.**) J. Müller’s Versuche an Fröschen **) beweisen, dafs nur Reizungen der vordern Wurzeln direct auf die Bewegungsorgane wirken. Ueber das Empfindungsvermögen der hintern Wurzeln ergiebt sich nichts aus seinen Erfahrungen. Tiedemann schrieb mir im Mai 1831: Er sey mit Versuchen über das Rückenmark und die Spinalnerven beschäftigt, und, so schwierig auch diese Versuche seyen, habe er doch einige feste Resultate erhalten; die hintern Wurzeln der Rückenmarksnerven seyen blos für die Empfindung, die vordern für die Bewegung bestimmt; er habe wiederhohlt bei jungen Ziegen, *) Journal de Physiologie. T. II. p. 366. ”*) Burdach vom Bau und Leben des Gehirus. B. 1. S. 263. B. 3. S. 400. RA. a. 0. Hunden und Fröschen das Rückenmark sehr behutsam entblöfst; bei der leisesten Berührung der hintern Wurzeln hätten die Thiere heftigen Schmerz geäussert, während man die vordern hätte kneipen und stechen können, ohne dafs Aeusserungen von Schmerz ein- getreten wären; dagegen hätten Reizungen dieser vor- dern Wurzeln immer Convulsionen in den Muskeln erregt, zu welchen sie sich begeben; in die vordern Stränge des Rückenmarks könne man ein Messer ein- stolsen, ohne dafs es das 'Thier wahrnehme; in den hintern verursache die leiseste Berührung Schmerz. Ich habe ebenfalls über diesen Gegenstand Ver- suche an Fröschen gemacht, aber keine Resultate erhalten, die mir verstatten, den hintern Rückenmarks- wurzeln ausschliefslich das Empfindungsvermögen zu- zuschreiben und die vordern blos für Bewegungs- nerven zu halten. Die Aeusserungen, die ich an diesen Thieren nach Reizungen beider Wurzeln wahrnahm, schien mir eine befriedigerende Erklärung aus der Voraussetzung zu erhalten, mit welcher Scarpa’s*) neuere anatomische Beobachtungen übereinstimmen, dafs die hintern dem sympathischen System angehören, und dafs die Erfolge, die nach Reizung derselben eintreten, consensuelle in entfernten Theilen sind, hingegen die, welche Reizungen der vordern Wurzeln ‚ hervorbringen, directe Wirkungen in den Theilen selber, zu denen. diese Wurzeln gehen. Man kann von keinen Bewegungen, die Thiere nach gewissen Einwirkungen *) De gangliis nervorum deque origine et essentia nervi inter- costalis. Mediolan. 1831. 40 äussern, mit Bestimmtheit sagen, dafs sie Aeusserungen von Schmerz sind und nicht blos consensuell, ohne Mitwirkung des Sensoriums erfolgen. Es müssen aber vor der Entblöfsung des Rückenmarks soviele em- pfindliche Theile durchschnitten werden, der Blut- verlust dabei ist immer so bedeutend und das Rück- grath läfst sich nicht ohne so starke Erschütterungen des Rückenmarks öffnen, dafs schwerlich noch grofse Empfindlichkeit des Sensoriums darnach übrig bleiben kann. Ich beobachtete bei allen Fröschen, woran ich diese Operation machte, ein weit schnelleres Erlöschen des Lebens, als sonst bei diesen 'Thieren erfolgt, wenn man ihnen bei unverletztem Rückgrath selbst alle Brust- und Baucheingeweide genommen hat. Sie wurden immer gleich vom Opisthotonus befallen, sobald die Luft Zu- tritt zur Rückgrathshöhle bekommen hatte. Die Be- wegungen, die sie bei Reizung der hintern Rücken- markswurzeln äussern, lassen sich daher mit. mehr Grund für automatische als für Aeusserungen von Schmerz annehmen. Für diese Meinung sprechen auch folgende Beobachtungen. Ich hatte mehrern lebenden Fröschen den Kopf gleich hinter dem Hinterhauptsloch abgeschnitten. So oft ich die Spitzen der Zehen eines der hintern Beine kniff oder drückte, zogen die ent- haupteten Thiere bei einem schwächern Druck dieses eine Bein, bei einem stärkern beide, und, wenn der Druck sehr stark war, beide mit so grofser Heftigkeit zurück, als ob sie entfliehen wollten. Die hintern Beine machten auch die nehmliche Bewegung, nur nicht so lebhaft als im vorigen Fall, wenn ich die Zehen der 41 vordern Füfse drückte. Jene reagirten selbst dann noch auf solche Weise bei einem Druck auf die Zehen, wenn ich das Rückgrath dicht über dem Ursprung der ischiadischen Nerven durchschnitten hatte. War ihre Reizbarkeit soweit gesunken, dafs das Drücken der Zehen keine Wirkung mehr hatte, so trat der vorige Erfolg doch wieder bei einem Druck auf die Schenkelmuskeln ein. Das Zurückziehen bestand nicht in einem solchen Zucken wie der Galvanische Reiz er- regt, sondern geschahe ganz nach Art der Bewegungen, die der Wille in den äussern Gliedmaalsen hervorbringt. Die hintern Extremitäten nahmen nachher ihre vorige ausgestreckte Lage nicht wieder an, sondern blieben mehr oder weniger zusammengezogen. Kurz, die Be- wegungen waren ganz die nehmlichen, welche die Thiere geäussert haben würden, wenn sie den Druck auf die Zehen empfunden hätten. Und doch entstanden sie ohne alle Mitwirkung des Gehirns, blos durch Re- action des Rückenmarks. Der Schlufs, der sich aus diesen Beobachtungen ergiebt, macht alle Erfahrungen an Thieren über die Empfindlichkeit einzelner Nerven unsicher. Es findet ohne allen Zweifel eine Verschiedenheit in den Func- tionen der verschiedenen Nerven statt. Aber dabei muls doch in ihnen die Anlage vorhanden seyn, einer des andern Stelle in gewissem Grade ersetzen zu können. Es fehlt keinem Bewegungsnerven, der einen ununter- brochenen Fortgang vom Gehirn oder Rückenmark zu den äussern 'Theilen hat, ganz das Empfindungs- vermögen, und den blos empfindenden Nerven geht 42 vielleicht nur darum das Bewegungsvermögen ab, weil sie sich nicht zu Muskeln begeben. Man kann zwar nicht gradezu beweisen, dafs ein Sinnesnerve, der sich in einem Muskel vertheilte, diesen in Bewegung setzen würde. Aber es sprechen für jenen Satz sowohl 'That- sachen der vergleichenden Anatomie als pathologische Erscheinungen. Es wird sich unten zeigen, dafs bei einigen Thieren der Sehenerve, bei andern der Riech- nerve durch Zweige des fünften Hirnnerven ganz oder gröfstentheils ersetzt wird, und dafs es einige giebt, die sehr empfindlich gegen das Licht sind, ohne Augen zu besitzen. In der Vertheilung mancher Nerven giebt es individuelle Abweichungen, die nicht statt finden könnten, wenn das Gebiet des einen von dem des andern scharf abgesondert wäre. Es entspringt z. B. der zum Schlundkopf gehende Zweig des zehnten Nervenpaars zuweilen auch vom Zungenschlundkopf- nerven,*) und in manchen Fällen findet eine Verbin- dung, in andern aber auch keine zwischen dem letztern und dem Zwerchfellsnerven, so wie zwischen dem Herz- und Eingeweidenerven statt.**) Man hat Fälle beob- achtet, wo nach dem Verlust der Eichel des männ- lichen Gliedes der Stumpf die Empfindlichkeit der Eichel bekam. ”*"*) In Muskeln der willkührlichen Be- wegung erfolgen zuweilen Zuckungen in regelmäfßsigen Intervallen. Könnten diese Theile die Stelle des Herzens *) Neubauer descript. anat. nervor. cardiac. p. 89. 193. **) Wrisberg in Commentat. Soc. Reg. scient. Gotting. Vol. I. p. 87. 99. ***) Biol. B. 6. S. 215. Kahleis in Meckel’s Archiv f. d. Physiol. B. 5. S. 211. 45 verireten, so würde die Nervenwirkung, die in ihnen Zuckungen verursacht, sie pulsiren machen und durch sie das Blut in Umlauf bringen. Alle Nervenwirkungen sind verschieden in Rück- sicht auf ihre Extension und Intension. Jene, nicht aber diese, steht mit dem Volumen der Nerven und der Gröfse der Fläche, worauf sich dieselben ver- breiten, in Verhältnifs. Viele Fische haben einen weit dickern Sehenerven und eine gröfsere Netzhaut als der Mensch, obgleich ihr äusseres Auge viel weniger zum scharfen Sehen gebauet ist als das des Menschen. Der gröfsere Nerve dient ihnen zum Ueberschauen eines weitern Umkreises. Die Insecten nehmen mit ihren, kaum sichtbaren einfachen Augen, zu denen microscopische Nerven gehen, in einem kleinen Bezirk und in der Nähe manche Gegenstände gewifs schärfer als jene wahr. Dieses Gesetz gilt auch von den Nerven der willkührlichen Bewegung. C. F. Wolff fand, dafs zu den sehr kräftigen, aber keiner sehr mannichfaltigen Bewegungen fähigen Armmuskeln des Löwen verhält- nilsmäfsig nur dünne Nerven gehen. *) Das Volumen empfindender Nerven steht ferner mit der Mannichfaltigkeit der Empfindungen, die sie verschaffen, in einer gewissen Beziehung. Doch läfst sich nicht immer aus einem gröfsern Volumen auf einen höhern Grad dieser Mannichfaltigkeit schliessen. Sie kann sich auch blos auf eine gröfsere Zahl gleich- artiger Empfindungen beziehen. So besitzen die ge- flügelten Insecten in der Regel sehr dicke Nerven der *). Novi Commentar. Acad. sc. Petropol. T. XV. p. 542. zusammengesetzten Augen, mit denen sie wohl ein weites Gesichtsfeld überschauen, nicht aber die ver- schiedenen Formen der Gegenstände scharf unter- scheiden können. Was die Nerven zur Thätigkeit aufregt, ist ent- weder ein äusserer oder ein innerer Eindruck, und derselbe wirkt entweder absolut oder relativ von aussen oder von innen. Ein absolut äusserer ist z. B. das die Netzhaut des Auges treffende Licht, ein absolut innerer die Einwirknng des Willens auf die Nerven willkühr- licher Organe. Eine chemische, im Magen befindliche Schärfe, welche die Magennerven reizt, gehört zu den relativ. äussern Eindrücken. Von welcher Art die erregende Ursache aber auch seyn mag, so hat sie stets eine Nebenwirkung auf den Zuflufs des Bluts zu dem gereizten Nerven. Es erfolgt immer ein stärkeres Zuströhmen dieser Flüssigkeit zu dem äussern Ende eines Nerven des bewufsten Lebens, auf welches sich die Thätigkeit der Seele richtet. Angestrengtes Sehen eines Gegenstandes treibt das Blut nach den Augen und macht sie anschwellen. Hiervon ist die Folge er- höhete Empfänglichkeit der Nerven für den Eindruck. Eine Reizung, von welcher die Aufmerksamkeit ganz abgelenkt ist, gelanget gar nicht zum Bewußtseyn. Sie wird um so schärfer empfunden, je mehr diese auf sie gerichtet ist. Den Einflufs auf das Blut und in Folge dessen auf die Empfänglichkeit für Reizungen äussern in noch höherm Grade als solche Vorstellungen, die 'Thätig- keiten des Willens veranlassen, alle die, welche sich auf sinnliche Triebe beziehen, und alle, die unmittel- bare Ursachen von Affecten und Leidenschaften sind, Jede Art der letztern hat ihr bestimmtes Gebiet des Systems der Blutgefäfse, das von ihr afficirt wird, und es sind Zweige des sympathischen Nerven, wo- durch sie die Affection hervorbringt. Wie sehr der Lauf des Bluts und die Empfindlichkeit gewisser Theile durch sie verändert wird, zeigt sich beim Anschwellen und der gesteigerten Empfindlichkeit der Zeugungstheile während des Geschlechtstriebs und bei der Turgescenz des Kamms zorniger Hähne. Jene Vorstellungen wirken dabei auf die Qualität des Bluts der afficirten Theile ein, wie aus der veränderten Qualität der Galle und des Speichels beim Zorn und bei heftiger Wuth. er- hellet, der eine Umwandelung der Beschaffenheit des Bluts, der Leber und der Speicheldrüsen vorhergehen mußs. Die Steigerung der Empfänglichkeit des gereizten Theils hat aber bei allen diesen Einwirkungen eine Gränze, jenseits welcher sie wieder abnimmt. Bei lange fortgesetztem oder sehr gespanntem Aufmerken auf einen Eindruck tritt in dem angestrengten Nerven zu- letzt Unempfindlichkeit gegen denselben ein, und bei längerer Dauer eines sinnlichen Triebes erschlaffen die davon turgescirenden Theile um so eher wieder, je heftiger derselbe ist. Während die Reizbarkeit eines einzelnen 'Theils des Nervensystems sich auf ihrer höchsten Stufe befindet, ist sie in andern Nerven unter ihren gewöhnlichen Grad vermindert. Ein solcher An- tagonismus findet vorzüglich zwischen den Nerven der 46 Sinneswerkzeuge und verschiedenen Theilen des sym- pathischen Nerven statt. In dem Augenblick, wo das Auge mit dem Auffassen eines Gesichtseindrucks ganz beschäftigt ist, versagt das Gehörwerkzeug seine Dienste, und daher rührt es, dafs von mehrern Personen, welche die Zeit des Eintritts eines Sterns in einem gewissen Punct beobachten, Keiner dieselbe ganz übereinstim- mend mit dem Andern angiebt.*) Der See-Elephant lebt während der Paarungszeit wenigstens zwei Monate am Lande, ohne Nahrung zu sich zu nehmen. **) Während die Reizbarkeit der Nerven der Zeugungs- theile durch den Geschlechtstrieb bei ihm aufs Höchste gesteigert ist, sind also die des Nahrungscanals ganz unempfänglich für den Ernährungstrieb. Die nehmlichen Gesetze finden auch bei der Ein- wirkung äusserer Reize statt. Diese haben, wenn sie nicht blos mechanisch wirken, stets eine Nebenwirkung nicht nur auf das Ströhmen, sondern auch auf die Be- schaffenheit des Bluts, das dem gereizten Nerven zu- fliefst. Die Veränderung des erstern verändert aber die Empfänglichkeit des letztern, und so geschieht es, dafs Eindrücke jener Art, während sie einen Nerven zur Thätigkeit aufregen, zugleich die Erregbarkeit desselben in Beziehung auf andere Eindrücke um- wandeln. So wird der Geschmack durch jede Speise auf eine eigene Art für andere Speisen gestimmt, und die Empfindlichkeit für Wärme durch Kälte, für Kälte *) Nicolai in der Isis. 1830. H. 5. S. 673. **) J. Weddell’s Reise in das südl. Polarmeer in den Jahren 1822— 24. Weimar 1827. S. 84. 47 durch Wärme erhöhet. Viele Substanzen wirken in so weit höherm Grade auf das Blut als unmittelbar auf die Nerven ein, mit denen sie in Berührung kommen, dafs jener Einflufs diesen weit überwiegt. Sie stimmen dabei durch die Veränderungen, die sie im Lauf und der Beschaffenheit des Bluts hervorbringen, oft die Reizbarkeit ganz anderer Theile des Nervensystems um, als derer, die von ihnen zunächst afficirt werden. Ihr Einflufs auf die letztern ist blos topisch, solange nicht das Blut von ihnen verändert ist. Auf solche Weise wirken alle Gifte, besonders die narcotischen. Bestreicht man damit eine Stelle des entblöfsten Nerven eines willkührlichen Muskels, so erfolgen in diesem oft gar keine Reactionen, oft nicht stärkere als nach mechanischen Reizungen, und ihn regt nach wie vor der Galvanische Reiz zum Zusammenziehen auf, wenn derselbe nur nicht grade an der bestrichenen Stelle angebracht wird.*) Die Zufälle von Vergiftung treten immer erst nach dem Einflufs des Gifts auf das Blut ein.**) Es zeigt sich dabei eine Aehnlichkeit in der bestimmten Wirkung derselben auf einzelne 'Theile mit der der sinnlichen Triebe, Affecten und Leidenschaften. Wie Traurigkeit und Kummer, so wirkt die rothe Digitalis auf den Umlauf des Bluts; wie Bangigkeit und Angst, so die falsche Angustura auf das Athem- hohlen; wie übermäßige Freude, Opium auf das Gehirn; wie Furcht, ein drastisches Gift auf den *) Biologie. B. 5. S. 375. *K) Ebendas. S. 379. Rengger in Meckel’s Archiv f. d. Anat, und Physiol. 1329. S. 276. 237. 48 Darmcanal, und wie der Geschlechtstrieb, Vanille auf die Zeugungstheile. Es wechseln also bei dem Thier, weil es in Besitz eines Nervensystems ist, innerhalb gewisser Gränzen immerfort die Seiten, die es der äussern Natur zuwendet. Nicht so verhält es sich im Pflanzenreiche, wo dieses System fehlt. Die Empfänglichkeit der Gewächse für gewisse Eindrücke kann durch andere Eindrücke ge- steigert und herabgestimmt, ‚aber nicht in der Qualität verändert werden. Die Kräfte, wodurch die Erreg- barkeit der Thiere vorzüglich umgestimmt wird, zu welchen besonders die narcotischen Substanzen ge- hören, haben, nach Göppert’s Versuchen,*) keinen Einflufs auf sie, und die Stoffe, die für sie Gifte sind, wirken anders auf sie als auf die Thiere, nehmlich nur fortschreitend von der afficirten Stelle über das Ganze, nicht aber so, dafs dadurch die Lebensäus- serungen entfernter Theile plötzlich verändert werden, wenn in den nähern noch keine bedeutende Abweichung vom gewöhnlichen Zustande bemerkbar ist. *) Poggendorff’s Annalen der Physik. 1828. Nro. 10. S. 252. NEUNTES BUCH. Die Aussern Sinne. Allgemeine Bemerkungen. Wir besitzen keine Erfahrung von einem andern geistigen Leben als einem solchen, das durch eine Wechselwirkung mit der äussern Welt sein Bestehen hat. Auch im Traume stellt sich das Ich Bildern als einem Aeussern gegenüber, die aus den zurückgebliebenen Spuren früherer Eindrücke nach organischen Gesetzen erzeugt sind. Es läfst sich aber eine Form des Lebens denken, wobei die Wirkung des Aeussern auf das Innere blos Gefühle von Lust und Unlust, und in . deren Folge Begehrungen veranlafst. Eine solche ist das Pflanzenleben. In den höhern Formen des thieri- schen Lebens wird das Aeussere als etwas Objectives empfunden. Die Empfindung kann blofs im Allgemeinen objectiv, oder auch nach der verschiedenen Qualität der Gegenstände verschieden modifizirt seyn. Organe, die von der verschiedenen Beschaffenheit des Aeussern Empfindungen verschaffen, sind Sinneswerkzeuge. Das Thier steht in Betreff derselben um so höher, je mehr Ej Bu. _ generisch und specifisch verschiedene, objective Ein- drücke es durch sie empfängt und je schärfer diese sind. Es ist nicht zu bezweifeln, dafs der Mensch keine Empfänglichkeit für einige Arten von sinnlichen Eindrücken hat, wofür manche Thiere damit aus- gestattet sind. Dagegen ist es auch gewils, dafs er die verschiedenen Arten vieler Gattungen dieser Ein- drücke schärfer als die 'Thiere von einander unter- scheidet. Die Gattungen von Eindrücken, die objectiv em- pfunden werden, sind: die Temperatur der äussern Dinge, die auf den thierischen Körper einwirken; das Licht und dessen Modificationen; die Schwingungen der Körper, die den Schall ausmachen, und die son- stigen Bewegungen der letztern, worin sie sich als Ganze oder in ihren 'Theilen befinden; ihre Schwere; der Grad der Cohärenz ihrer Theile; ihre Gestalt und ihre chemischen Kräfte. Zweifelhaft ist es, ob es bei einigen 'Thieren einen Sinn für die physische Wechsel- wirkung der Körper giebt, die sich als Electro- Magnetismus äussert. Für die Empfindung des Lichts, des Schalls und der chemischen Kräfte der Körper sind im Thierreiche sehr allgemein eigene und immer auf ähnliche Art gebildete Sinneswerkzeuge, das Auge, das Ohr, die Nase und die Zunge, vorhanden. Nicht so allgemein finden sich eigene Organe für die übrigen Gattungen der sinnlichen Eindrücke, und die Bildung derer, welche es dafür giebt, ist in den verschiedenen Classen und Familien des Thierreichs mannichfaltiger als die der erstern. Man kann diese als verschiedene 51 Modificationen eines Sinns betrachten, aus welchem sich alle übrige entwickeln und den wir den Gefühlsinn nennen werden. Die Vollkommenheit der Sinne, soweit sie sich nach dem Grade der Ausbildung ihrer Organe beur- theilen läfst, steigt im Allgemeinen von den niedersten Thieren bis zum Menschen. Es läfst sich aber doch keine andere als eine einseitige Stufenfolge derselben entwerfen. Die Sinne der höhern Thiere sind nur gleichmäfsig, nicht aber in jeder Beziehung voll- kommener als die der niedern. Mit der gröfsern Vollkommenheit jedes Sinns ist immer ein höherer Grad von Ausbildung der ihm an- gehörigen Nerven, ausserdem aber auch das Erscheinen von Bewegungsorganen, wodurch ein willkührliches Wirken desselben auf die Gegenstände seiner Sphäre möglich gemacht wird, verbunden. Die höhere Stufe der. Nervenbildung giebt sich nicht, wenn der Sinn blos intensiv vervollkommnet ist, durch vermehrtes Volumen der Nervenmasse, wohl aber dadurch zu erkennen, dafs mehrere verschiedene Nerven sich in den Organen des Sinns verbreiten. Es ist ein Gesetz für die Wirbelthiere, dafs die Sinneswerkzeuge des Gesichts, Gehörs, Geruchs und Geschmacks, ausser eigenen Nerven, die zu den Muskeln derselben gehen, zwei besondere Nerven für die Aufnahme der Sinnes- eindrücke besitzen, wovon der eine ein eigener Stamm, der andere ein Zweig des Trigeminus ist. In diesem Besitz zweier Empfindungsnerven für einen und den- selben Sinn sind nicht die Organe des Gefühlsinns, 4* 92 nicht die unentwickelten Organe eines höhern Sinns einiger Wirbelthiere, und nicht die sämmtlichen Sinnes- werkzeuge der wirbellosen Thiere. Diejenigen Wirbel- thiere, bei welchen die Werkzeuge eines höhern Sinnes unentwickelt sind, besitzen den Hauptnerven desselben entweder gar nicht, oder blos als Rudiment; der Sinnes- zweig des fünften Paars ist dagegen oft eben so sehr als sonst ausgebildet. So verhält es sich im Auge des Hypochthon (Proteus anguinus) und des Maulwurfs, und in der Nase der Wallfische. Bei den wirbellesen Thieren gehen wohl zu den Muskeln höherer Sinnes- organe besondere Nerven. Aber der eigentliche Sinnes- nerve ist immer nur einfach und oft nur ein Zweig eines, noch andern Functionen vorstehenden Stamms.*) Jeder Sinn wirkt mit der Schnelligkeit des Lichts. Am schnellsten gelangen die Gesicht - und Gehör- eindrücke von den äussern Enden der Sehe- und Hörnerven zum Sensorium. Die Fortpflanzung derselben ist jedoch, wie jeder physische Vorgang, an eine gewisse Zeit gebunden. Daher fliessen, wenn mehrere Eindrücke schneller auf einander folgen, als diese Zeit beträgt, alle zu einem einzigen zusammen, und es läfst sich hiernach die Dauer, unter welcher jeder einzelne nicht mehr als einzelner empfunden wird, einigermaafsen bestimmen. So bildet eine um- *) Straus (Considerat. sur l’Anat. comp. des anim. artic. p. 393) glaubt, beim Maikäfer Anastomosen des Sehenerven mit einigen an- dern Hirnnerven gesehen zu haben. Ich beobachtete nie etwas Aehn- liches hei einem Insect. Auf jeden Fall geht so wenig beim Maikäfer als bei allen übrigen wirbellosen Thieren zu dem Auge selber ein sonstiger Nerve als der Sehenerve. 99 geschwungene feurige Kohle, oder eine umgedrehete Scheibe mit einer Oeffnung, hinter welcher ein Licht steht, einen feurigen Kreis. D’Arcy*) berechnete die Dauer dieses Eindrucks auf 0, 133. "Th. Young**) giebt sie für Lichteindrücke überhaupt auf 0, 01 bis 0, 5° an. Plateau***) fand sie für umgeschwungene Papierstreifen von weisser und gelber Farbe 0, 35°, von rother 0, 34° und von blauer 0, 32”. +) Beim Gehör findet jenes Zusammenfliessen vieler Eindrücke bei schneller Folge derselben ebenfalls nach Savart’s Versuchen statt, 77) wozu sich dieser metallener Räder mit Zähnen am Umkreise bediente, welche letztere beim Umdrehen des Rades an eine Platte schlugen. Gab Savart einem solchen Rade, das mit einer kleinen Zahl von Zähnen besetzt war, anfangs einen langsamen und dann einen immer mehr beschleunigten Umschwung, so konnte er anfangs die Schläge der Zähne gegen die "Platte genau unterscheiden; dann gingen diese "Töne zwar in einander über, doch so, dafs der ganze Ton ungleichförmig klang; endlich wurde der Ton sehr rein und sehr stark; die Stärke nahm aber ab und der Ton verschwand zuletzt ganz, wenn die Geschwin- digkeit der Umdrehung eine gewisse Gränze überschritt. *) M&m. de Y’Acad. des sc. de Paris. A. 1765. p- 439. **) A Course of Lectures on Natural Philosophy. 'T. I. p. 455. ***) Posgendorff’s Annalen der Physik. 1830. N. 10. S.304. %) Plateau schliefst aus seinen Versuchen, dafs der schwächere Eindruck länger dauere als der stärkere. Dieser, gegen andere or- ganische Gesetze streitende Satz folgt aber nicht daraus. Was P. für schwächere und stärkere Eindrücke annimmt, waren Eindrücke von verschiedener Qualität. jr) Poggendorf£f’s Annalen der Ph. 1830. N. 10. S. 290. er: m Die sämmtlichen Sinne eines Thiers wirken um so mehr in einer, sowohl in Beziehung auf einander als auf die äussere Welt prästabilirten Harmonie, je nie- driger dessen Stufe im Reiche der thierischen Wesen ist. Das Insect bedient sich gleich nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei seiner Glieder so sicher, als wäre es nicht erst neu in die Welt getreten. Der Vogel, das Säug- thier und der Mensch aber lernt erst nach der Geburt den Gebrauch seiner Flügel, Füfse und Hände, lernt erst allmählig Sinnesempfindungen Einer Art durch die einer andern berichtigen. Jene ursprüngliche Sicherheit im Handeln setzt ein angebohrnes Wissen um die Be- ziehung dessen, wovon in einer gewissen Sphäre des Daseyns die Sinne gerührt werden, zu dem Wesen voraus, das in Besitz dieser Sinne ist. Je beschränkter die Sphäre, um desto bestimmter ist dieses Wissen, und umgekehrt. a. Der Gefühlsinn. Die allgemeinste Modification dieses Sinnes ist das Vermögen, den Eindruck der Wärme und Kälte als eine äussere Einwirkung zu empfinden. Im ganzen Thierreiche giebt es keine Wesen, die, wenn sie nicht wie die Lithophyten und Ceratophyten ursprünglich für ein Medium bestimmt sind, worin kein Wechsel der Temperatur eintritt, den ihnen angemessenen Grad von äusserer Wärme nicht aufsuchen, also einen Sinn dafür besitzen. Ueber die Keinheit dieses Sinnes bei den einzelnen Thierarten läfst sich im Allgemeineri nichts bestimmen. Das Mifsbehagen der einen bei höherer, der andern bei geringerer Wärme ist kein Maafsstab dafür: denn die Pflanze leidet auch bei einer Temperatur, die ihrer Natur nicht angemessen ist, ohne dieselbe als etwas Objectives zu empfinden. Es ist nicht blos die Thermometerwärme, sondern auch das verschiedene Leitungsvermögen äusserer Kör- per, wovon der Gefühlsinn gerührt wird. Die Luft erregt bei einerlei Temperatur nach dem "Thermometer das Gefühl von Wärme oder Kälte, wenn sie trocken oder feucht, ruhig oder in Bewegung ist. Für diese verschiedene Einwirkung müssen viele geflügelte In- secten sehr empfänglich seyn, da sie so oft nicht schwärmen, wenn auch die Luft nach dem Wärme- messer sie zum Schwärmen einzuladen scheint. Von derselben rührt die brennende Hitze (Calor mordax ) in Faulfiebern her. Es wird nehmlich die Wärme von dem kohlensauren Gas und Stickgas langsamer als von 56 der atmosphärischen Luft geleitet, und diese Gasarten werden bei Faulfieberkranken in weit gröfserm Maafs als bei Gesunden an der Oberfläche des Körpers ab- geschieden Die Reizbarkeit keines Sinnes hängt auch so sehr von der allgemeinen Stimmung des Nerven- systems ab, als die des Wärmesinns. Innere Verän- derungen allein können bekanntlich die Empfindungen von Frost und Hitze ohne wirkliche Verminderung oder Vermehrung der Wärme hervorbringen. Es sind keine Organe ausschliefslich für diesen Sinn bestimmt, obgleich einige eine gröfsere, an- dere eine geringere Empfindlichkeit für Wärme und Kälte besitzen. Nur für die Empfindung der wärmenden Kraft der Sonnenstrahlen haben mehrere 'Thiere ein eigenes Organ. Dahin gehört zuerst der schwartze Fächer des Auges der Vögel. Dieser steht wohl mit dem Sehen, doch auch wahrscheinlich mit jener Empfindung in Beziehung. Er mufs, wenn das Auge von der Sonne beschienen wird, mehr als der übrige Körper, vermöge seiner schwartzen Farbe und seiner Beleuchtung von den durch die Hornhaut und die Cry- stallinse concentrirten Sonnenstrahlen, erwärmt werden. Dabei hängt er an seiner Basis mit der Netzhaut und der Choroidea zusammen. Von der Temperatur dieses Or- gans kann also der Vogel entweder durch die Retina, oder auch durch die hinter der Choroidea verlaufenden Ciliarnerven Empfindungen erhalten, wenn auch nicht, worüber es noch näherer Untersuchungen bedarf, feine Zweige der letztern in die Basis desselben dringen. Eine andere Einrichtung des Auges, die eine gleiche 97 Wirkung wie jener Fächer haben mufs, fand ich beim Chamäleon (Chamaeleo carinatus Merr.). Bei diesem hat die Netzhaut in ihrer Mitte, eine Linie weit von der Eintrittstelle des Sehenerven, einen kreisrunden, beinahe eine halbe Linie weiten Ausschnitt, hinter welchem das schwartze Pigment der Choroidea dem Einflufs der concentrirten Sonnenstrahlen ausgesetzt ist. Bei den mehrsten Fischen giebt es statt einer solchen runden Oeffnung einen schmalen, länglichen, von der Eintrittstelle des Sehenerven zum vordern Rande der Retina sich erstreckenden Ausschnitt dieser Haut, in welchem beim Stöhr ein eigener Fortsatz des Sehe- nerven, bei andern Arten ein Ciliarnerve verläuft. Beim Lachs bildet die Choroidea in dieser Spalte einen, dem schwartzen Fächer der Vögel ähn- lichen Fortsatz (Processus falciformis). Bei vielen Fi- schen geht der Ciliarnerve des Ausschnitts bis zum vordern Rand der Crystallinse, und endigt sich hier in einem kleinen soliden, mit schwartzem Pigment bedeckten Theil von conischer, pyramidalischer oder glockenförmiger Gestalt (Campanula). Aufdiesen wirken die nicht concentrirten, auf die in der Netzhaut be- findliche Spalte und den sichelförmigen Fortsatz die concentrirten Sonnenstrahlen. *) Verwandt mit dieser Modification des Gefühlsinns ist die Empfänglichkeit der Hautnerven für den Ein- druck des Lichts als blos. leuchtenden Agens. Die *) Ein Weiteres über diese Gegenstände habe ich in meinen Beiträgen zur Anat. und Physiol. der Sinneswerkzeuge, H. 1. 8.79, mitgetheilt. 58 Armpolypen, die Asterien und mehrere andere Zo- ophyten gehen dem Lichte nach; die Medusen und Regenwürmer fliehen dasselbe, obgleich weder die einen noch die andern Augen besitzen.*) Es ist nicht die wärmende Kraft der Sonnenstrahlen, wodurch jene angelockt werden: denn die Armpolypen ziehen sich auch in einem, an einer einzelnen Stelle vom blofsen Tageslichte erleuchteten Glase nach der hellen Seite hin. Lyonnet fand, dafs von einer Naidenart, woran er ein sehr starkes Reproductionsvermögen entdeckte, selbst Stücke ohne Kopf und Schwanz gleich in Unruhe geriethen, sobald sie des Nachts auch nur von dem blofsen Schein einer Kerze getroffen wurden, sich aber wieder ruhig verhielten, wenn man den Schein des Lichts von ihnen abhielt.**) Aus diesem Lichtsinn entwickelt sich auf den höhern Stufen der thierischen Organisation der Sinn des Gesichts. Man sieht bei einigen niedern 'Thieren einen deutlichen Uebergang der Organe des erstern in wirkliche Augen. Bei Limax cinereus L. und bei den Helix - Arten tragen die gröfsern Fühlfäden wirkliche, mit einer Hornhaut und Linse versehene Sehewerkzeuge. Hingegen bei der mit Limax so nahe verwandten Gattung Arion, wohin Limax ater L. gehört, breitet sich der Nerve, der bei Limax mit zum Sehen dient, blos zerästelt unter einer schwartzen Haut aus, womit das Ende der gröfsern Fühlfäden überzogen ist. So giebt es auch beim Europäischen *) Biol. B. 6. S. 175. Grant im Edinburgh Journ. of Science. Vol. X. p. 346. **) Mem. du Mus. d’Hist. nat. T. XIX. p. 111. 99 Scorpion am vordern Rand des Brustschildes neben den, dort stehenden kleinen Augen eine Menge Hervor- ragungen, welche im Aeussern die nehmliche Gestalt wie diese Augen haben und auch wie diese inwendig mit einem schwartzen Pigment bedeckt sind, aber keine durchsichtige Hornhaut und keine Linse enthalten. Von einer andern Seite ist der Gefühlsinn die Grundform des Gehörsinns. Die Schwingungen der Körper, die bei einem bestimmten Grad von Geschwin- digkeit den Schall ausmachen, werden als Schall nur vom Ohr, aber als Erschütterungen auch von Nerven anderer Theile empfunden. Sie wirken zwar bei dem Menschen auf diese nicht immer, und selten, wenn sie durch die Luft zu denselben fortgepflanzt werden. Es folgt hieraus aber nicht, dafs nicht manche Thiere für die Schallschwingungen der Luft überhaupt, oder auch für gewisse Arten derselben empfänglich sind, ohne eigene Hörwerkzeuge zu besitzen. Daher läfst sich nicht bei jedem Thier, das vom Schall aufgeregt wird, die Gegenwart dieser Organe voraussetzen. Auf jeden Fall rühren die schwingenden Bewegungen fester und flüssiger Materien nicht blos den Sinn des Gehörs. Die Vibrationen fester Körper werden von ganz tauben Menschen oft sehr lebhaft durch die Nerven der äussern Theile gefühlt,*) und die Regenwürmer kriechen bei Erschütterungen des Erdbodens aus ihren Löchern hervor. Die Rochen und Haien haben selbst ausser eigentlichen Hörwerkzeugen noch besondere Organe, *) Biologie. B. 6. S. 176. 60 denen keine andere Bestimmung zukommen kann, als solche Undulationen des Wassers zu empfinden, die zu langsam vor sich gehen, um auf das Gehör einen Eindruck zu machen. Diese bestehen in kleinen häutigen Blasen, die sich auf der, nach der Oberfläche des Körpers hingekehrten Seite in eine häutige Röhre fortsetzen und eine gallertartige Materie enthalten. Das äussere Ende der Röhre endigt sich unter der Oberhaut. In das Bläschen dringt von der entgegen- gesetzten Seite ein Zweig der Nerven des fünften Paars. Bei den Haien haben die Bläschen nur einen kurzen Fortsatz, und liegen blos an der obern Kinnlade. Bei den Rochen verbreiten sich sehr lange Röhren von der Gegend der Kiemen aus, neben welchen die Bläschen in fibrösen Kapseln eingeschlossen liegen, nach mehrern Stellen des Rückens und Bauchs. | Es wirken ferner auf den Gefühlsinn die Ströh- mungen in dem Medium, worin sich die 'Thiere auf- halten. Diese Bewegungen werden von den Hautnerven der ganzen Oberfläche des Körpers empfunden. Die Thiere aber, deren ganzer Körper mit harten Schaalen bedeckt ist, können wenig empfindlich dagegen seyn. Von diesen besitzen daher viele Arten Organe, die eigens zum Auffassen des Eindrucks jener Bewegungen eingerichtet sind. Es giebt solche Werkzeuge vorzüg- lich bei den Wasserthieren, doch auch bei mehrern Luft- thieren, und sie finden sich auch bei manchen Gattungen, die nicht in Schaalen eingeschlossen sind, oder keine sehr dicke Oberhaut haben. Die Fühlfäden ‚aller im Wasser lebenden Zoophyten, Anneliden und Mollusken 61 werden nicht nur von der unmittelbaren Berührung fester Körper, sondern auch schon von den Bewegungen des Wassers afficirt, welche die 'Thiere, wovon sie sich nähren, in ihrer Nähe hervorbringen. Die Cirren mancher Fische müssen für den Einflufs dieser Be- wegungen ebenfalls sehr empfindlich seyn. Beim Stöhr fand ich dieselben rings umher mit Säumen besetzt, die aus einer sehr zarten Haut bestehen und schon von den leisesten Ströhmungen des Wassers erschüttert werden müssen. Der Kabliau (Gadus Morrhua) hat Tastfäden zwischen den Zähnen und den Lippen, die in Verbindung mit dem Geruchsorgan ihn schon ohne Sehevermögen bei den meisten seiner Handlungen leiten können, da Couch einen Kabliau sahe, dem beide Augapfel ganz fehlten und der doch sehr grofs und wohlgenährt war.*) Vermöge der langen Haare, wo- mit die Fühlhörner mancher Insecten besetzt sind, scheinen diese grofse Empfindlichkeit gegen den Ein- druck des Zugs der Luft zu haben. Die grofsen äussern Ohren vieler Säugthiere, vor allen der Fledermäuse, sind auch gewifs zum Theil eben so sehr für die Empfindung dieses Eindrucks als für die Aufnahme und Fortpflanzung der Schallschwingungen bestimmt. Ist doch auch bei uns der äussere Gehörgang sehr empfindlich gegen jeden Luftzug. Bei vielen Fleder- mäusen (Phyllostoma, Megaderma, Rhinolophus u.s. w.) ist noch überdies die Nase mit häutigen Blättern besetzt, die der bewegten Luft widerstehen, und die Flughaut setzt der letztern ebenfalls eine grofse Fläche entgegen. *) Transact. of the Linnean Society. Vol, XIV. p. 72. 62 Da bei dem Flug dieser Thiere die Luft, die sie vor sich her treiben, von jedem Körper, dem sie entgegen- kommen, wider sie zurückgetrieben werden mulfs, so folgt, und mit dieser Folgerung stimmen Rengger’s Erfahrungen überein,*) dafs. jene Organisation ihnen dient, ihren Flug zu lenken, und so lassen sich hieraus Spallanzani’s Erfahrungen an Fledermäusen erklären, die geblendet und mit verstopften Ohren beim Fliegen im Finstern doch den, ihnen entgegenstehenden Ge- genständen auswichen. Vermittelst der Hautnerven empfinden alle Thiere, bei welchen diese Nerven nicht unter sehr harten Bedeckungen liegen, auch jeden andern mechanischen Eindruck. Die Empfindung ist jedoch nur subjectiv, wenn nicht die Haut, unter welcher sich die Nerven verbreiten, einem Theil angehört, wodurch ein will- kührliches Wirken auf den Körper, der den Eindruck verursacht, möglich ist. Ein so organisirter Theil ist ein Tastorgan. Er kann aber als solcher auf verschie- dene Art wirken. Die einfachste Weise des Tastens ist durch Sondiren. Die Fühlfäden vieler Zoophyten, Anneliden und Mollusken, die Fühlhörner und Palpen mehrerer Insecten, der nervenreiche Schnabel der Enten und mancher anderer Wasservögel, die Zunge der meisten Vögel sind Sonden. Sie sind als solche bei *) „Blendet man eine Blattnase, und das nur indem man das „ Zimmer hell beleuchtet oder ihr die Augen mit englischem Taffet „bedeckt, und schneidet ihr die Hautfortsätze auf der Nase und „die Ohren ab, so stöfst sie beim Herumfliegen nicht selten gegen „die Wände oder sonst gegen einen Gegenstand an.“ Rengger’s Naturgeschichte der Säugthiere von Paraguay. 8. 71. Dr _ den wirbellosen Thieren immer am Kopfe angebracht und erhalten ihre Nerven unmittelbur vom Hirnringe. Ihnen ähnliche Organe befinden sich zwar auch an andern Stellen, bei den Insecten überhaupt besonders am After, und bei denen Centrotusarten, die Fabricius unter die Abtheilung Thorace spinoso gebracht hat, in der Gestalt von sonderbaren, zum Theil mehrfach gespaltenen und am Ende mit einer Kugel besetzten Stielen am Thorax.*) Aber durch diese Theile ist entweder nur ein beschränktes, oder gar kein will_ kührliches Betasten möglich. Der Antennen sieht man vorzüglich die Ichneumoniden sich zum Sondiren be- dienen. Die Pimpla Manifestator F. betastet mit ihren Fühlhörnern, die immerfort in Bewegung sind, die Oerter, wo sie Larven wittert, in denen sie ihre Eier absetzen kann.**) Manche Gattungen der obigen Thiere können auch vermittelst dieser Tastwerkzeuge, indem dieselben der willkührlichen Ausstreckung und Zurückziehung fähig sind, die Entfernung der dadurch berührten Gegen- stände von ihrem Körper messen und darnach, beim Erhaschen ihrer Beute durch einen Sprung, den hierzu nöthigen Kraftaufwand einrichten. Die Fühlhörner des Cerascopus marginatus, einer Wanzenart auf Madera, sind immer in langsamer Bewegung auf und nieder, und werden von dem Thier gebraucht, sowohl um *) Man vergl. unter andern die Abbildungen dieser Organe von Centrotus Claviger und globularis in Stoll’s Afbeeldingen en Be- schryvingen der Cicaden en Wantzen. Pl. 21. F. 115: Pl. 28. F. 163. **%) Marsham, Transact. of the Linn. Society. Vol. III. p. 26. 64 die Beute zu betasten, als deren Abstand nach dem mehr oder weniger spitzen Winkel, den die Glieder dieser Organe bei Berührung der Beute mit einander machen, zu schätzen. Ohne diese vorläufige Messung unternimmt die Wanze keinen Fang eines andern, ihr noch so nahen Insects, ungeachtet sie neben den Fühl- hörnern auch Augen besitzt. Sind ihr jene verstümmelt, so ist sie unfähig zum Fange und kömmt vor Hunger um. *) In dieser Form von bloßen Sonden sind aber die Tastwerkzeuge nur zur Erforschung der Gegenwart von Körpern überhaupt, der Härte, Weichheit und Entfernung derselben, nicht aber ihrer Gestalt und Schwere und der Beschaffenheit ihrer Oberfläche tauglich. Die Gestalt der Körper wird nur vermittelst Tastwerkzeuge empfunden, welche die Gegenstände ganz umfassen können und in allen Puncten empfindlich sind. Zu den unvollkommenen Organen solcher Art gehören: die Fangarme der Polypen und Sepien, der ganze Körper mancher Schlangen und die Winkel- schwänze mancher Säugthiere. Indem diese Theile einen Körper umschlingen, ohne ihn bei der Berüh- rung willkührlich drehen und wenden zu können, geben sie wohl von der Ausdehnung der umfalsten Fläche, nicht aber von der Gestalt derselben eine bestimmte Empfindung. Auf ähnliche Weise wirken die weichen Ballen unter den Fufssohlen mancher Insecten und die Blätter, woraus bei den Scarabäen das keulen- förmige Ende der Fühlhörner besteht. Jener Ballen *)'C. Heineken, Zoolog. Journ. Vol. V. p. 35. 65 giebt es zwei unter jeder Fufssohle, z. B. bei Mel- linus arvensis. Das Insect kann aber nur schmale Körper zwischen denselben fassen. Bei den Scarabäen machen die Blätter an dem Ende der Fühlhörner in ihrer Verbindung ein Tastwerkzeug aus, dessen Theile wie die Finger der menschlichen Hand geöffnet und ge- schlossen werden können. Zur Umfassung harter Körper sind sie nicht tauglich; wohl aber können weiche Sub- stanzen von ihnen umfafst werden. Ganz geeignet zur genauen Bestimmung der Gestalt der Körper vermit- telst des Tastens sind nur die Hände des Menschen und der Affen, und zwar mehr noch dadurch, dafs jeder Finger für sich und gegen die übrigen sehr mannichfaltiger Bewegungen fähig ist, als durch das feine Gefühl der Fingerspitzen. Dem Menschen stehen in Rücksicht auf dieses Tastvermögen die Affen am nächsten, und dann sind ihm darin diejenigen der übrigen Säugthiere und Vögelarten, die sich ihrer Fülse einigermaafsen als Hände bedienen können, be- sonders die Papageien, verwandt. Der Mensch und diese Thiere sind durch die Structur ihrer Tastwerkzeuge zugleich in den Stand gesetzt, dieselben als Mittel zur Erforschung der Schwere der Körper zu gebrauchen. Bei allen übrigen gegliederten Thieren sind die Organe des Tastens hierzu nicht mit eingerichtet. Ihnen können für diesen Zweck nur ihre Beine nützen, die um so mehr zur Bestimmung des Unterschieds der Schwere leichterer Körper geeignet sind, wenn sie eine grofse Zahl von in) . 66 Gelenken und lange Glieder haben. So verrathen die Spinnen in ihren langen, vielgliedrigen Beinen ein feines Gefühl für jene Eigenschaften der Körper, in- dem sie zuweilen, wenn es ihnen an einem untern Befestigungspunct ihres Netzes fehlt, dasselbe durch einen Stein gespannt erhalten, den sie an dem untern Faden in der Luft schweben lassen. *) Zum Ausmitteln der Beschaffenheit der Oberfläche der Körper ist die Aussenseite aller, für diese Verrich- tung eingerichteter Tastwerkzeuge mit Nervenwärzchen besetzt. Dem Besitz dieser Papillen an den nehmlichen Organen, die zu den andern Arten des 'Tastens aufs zweckmäfsigste gebauet sind, und der Zartheit seiner Oberhaut verdankt der Mensch die Vollkommenheit seines Tastsinns. Doch theilt er diese mit manchen Affen. Rengger**) erzählt von dem Cay (Cebus Azarae Reng.): dieser habe einen sehr scharfen Tast- sinn, besonders in den Vorderhänden, der durch Er- ziehung und Uebung einer grofsen Vervollkommnung fähig sey; alte Cays hätten ihn, R., in der dunkelsten Nacht erkannt, so wie sie nur einen Augenblick sein Gesicht oder seine gewöhnliche Kleidung betastet hätten. Hiernach steht dieser Affe in der Schärfe jenes Sinns wo nicht höher, doch nicht niedriger als der Mensch. Bei den übrigen Wirbelthieren haben manche andere Theile wohl eben so zahlreiche Nervenwärzchen unter *) E. H. Weber in Meckel’s Archiv für Anat. und Physiol. 1827. S. 209. **k) A. a: 0. S. 45. 67 einer, ebenfalls dünnen Oberhaut wie die Finger des Menschen. Da’ sie aber auch bei diesem in Menge und von grofser Empfindlichkeit an Theilen zugegen sind, die mehr subjective als objective Empfindungen verschaffen, z. B. an den Lippen und an der Eichel des männlichen Gliedes, so ist aus ihrer blofsen Ge- genwart nur auf ein feines Gefühl, nicht auf einen scharfen Tastsinn zu schliessen. Hingegen läfst sich annehmen, dafs da, wo sie fehlen, das Vermögen, die Beschaffenheit der Oberfläche der Körper durch Tasten zu erfoschen, sehr beschränkt seyn, oder auch ganz fehlen mufs. Sie sind aber nicht bei den Insecten vorhanden, denen also diese Art des Tastsinns abgeht. Viele Wirbelthiere haben auch auf der Zunge, dem Gaumen und andern 'Theilen der Mundhöhle Nervenwärzchen, die zwar ebenfalls gegen mechanische Eindrücke, doch zum Theil als Geschmacksorgane vorzüglich gegen die chemische Einwirkung der Ma- terien, wovon sie berührt werden, empfindlich sind. Keine Aeusserungen der Wirbelthiere lassen vermuthen, dafs bei ihnen die Papillen der äussern Haut Em- pfänglichkeit für Einwirkungen dieser Art besitzen. Nässe macht auf die äussere Haut Eindruck. Diese wirkt aber auch ohne Vermittelung von Papillen auf die Hautnerven. Bei den wirbellosen Thieren deuten dagegen einige Erscheinungen darauf hin, dafs ihre äussere Haut auch ein Sinnesorgan für den chemischen Einflufs äusserer Materien und ihr Tastsinn zugleich Geschmack- und Geruchsinn ist. Die Nacktschnecken >* 68 ziehen ihre Fühlhörner ein, ‚wenn man diesen stark riechende Sachen, z. B. Campher, nähert, und die Hydern strecken ihre Fühlfäden nur nach Dingen aus, die ihnen zur Nahrung dienen können und die nicht durch eine Scheidewand von ihnen getrennt sind.*) Vielleicht sind die Papillen auf der Haut der Schnecken und die Kügelchen auf den Fangarmen der Hydern die Organe des Gefühls für diese chemischen Eindrücke. *) Biologie. B. 6. S. 188. 191. 192. 69 Das Gesicht. Nächst dem Getast ist der am allgemeinsten im Thierreiche verbreitete Sinn der des Gesichts. Schon auf manchen Infusorien, unter andern den Cercarien, findet man schwartze Puncte, die das Ansehn von Augen haben.*) Auch bei einem Eingeweidewurm, dem Po- lystoma integerrimum, sind von einem scharfsichtigen Beobachter Augen angenommen. ”*) Ueber das Sehe- vermögen dieser Wesen wird indefs schwerlich Gewils- heit zu erhalten seyn. Zuverläfsiger ist es, dafs die schwartzen Puncte auf der obern Seite des vordern Endes der Hirudo medicinalis die anatomischen Kenn- zeichen wirklicher Augen haben.**”) Bei einigen Ver- suchen mit diesen Würmern schienen sie zwar kein Sehevermögen zu verrathen.+) Nach andern Erfahrun- gen aber benehmen sie sich unter gewissen Umständen allerdings als sehend.++) Die Augen der Hirudo vul- garis zeigten sich mir als wirkliche, halbkugelförmige Hervorragungen. Die ganze Hornhaut aber hat hinter sich ein schwartzes Pigment. Vielleicht dienen sie diesem Thier mehr zur Empfindung der wärmenden Kraft der Sonnenstrahlen als zum Sehen. Es sind übrigens noch bei mehrern andern Anneliden ausser *) Biologie. B. 6. S. 430. Von Baer in den Verhandl. der Kaiserl. Acad. der Naturf. B. 13. Abth. 2. S. 657. **) Von Baer a..a. ©. ”=**) E. H. Weber a. a. 0. S. 301. +) Biologie. B. 6. S. 430. 77) Eichhorn’s Beiträge zur Naturgesch. der kleinsten Wasser- thiere. S. 63. Johnson im Journ. of Science. Vol. XXII. p. 42. 70 den Egeln, besonders den Nereiden und Aphroditen, unzubezweifelnde Augen vorhanden. *) Es giebt ferner ganz ausgebildete Augen bei sehr vielen, auf dem Bauche kriechenden Mollusken und den Sepien. Jene tragen dieselben entweder an der Spitze, oder in der Mitte, oder an der Basis der Fühlfäden. **) Wenn man bei Versuchen mit Schnecken entweder gar keine Aeusserungen von Gesichtsempfin- dungen, ***) oder nur das Vermögen, Licht und Finster- nifs zu unterscheiden,+) an ihnen wahrnahm, so rührte dies entweder davon her, weil sie nach der Structur ihrer Augen nur microscopische Gegenstände damit sehen können, oder vielleicht auch davon, dafs in der irrigen Voraussetzung, alle Nacktschnecken (Limax L.) hätten ebenfalls Augen, die Versuche an augenlosen Arten dieser Gattung angestellt wurden. Lister+7}) machte dagegen die Erfahrung, dafs Schnecken, deren Art er indefs nicht angiebt, wenn sie frisch gefangen und lebhaft waren, schon vor dem Schatten eines Strohhalms, den er gegen ihre Fühlfäden hielt, diese zurückzogen. *) Im 6ten Bande der Biologie, S. 430, habe ich als Beispiele Ranzani’s Phyllodoce maxillosa und Otto’s Aphrodite heptacera angeführt. Es gehören aber auch dahin viele, von 0. F. Müller (Von Würmern. S. 122. 141. 147 u. s. w.) und O. Fabriecius (Fauna Groenl. p. 293. 295. 296 etc.) beschriebene Nereiden und Aphroditen. ”*) Adanson Hist. nat. du Senegal. Coquill. p. XLVII. LXXXIN. =>) Swammerdamm Bibl. nat. p. 107. -) Mielzynsky in den Annalen der allgem. schweizerischen Gesellsch. f. d. gesammten Naturwissensch. herausg. von Meisner. B. 1. H. 1.8. 24. ji) Exercitat. anat: altera. p. 4. a Wahre Augen besitzen auch die Urustaceen und alle geflügelte Insecten im ausgebildeten Zustande. Hook’s und Reaumur’s Versuche beweisen, dafs diese Augen wirklich Sehewerkzeuge sind. Bienen, die der Letztere durch Bestreichen ihrer zusammengesetzten Augen geblendet hatte, blieben entweder ruhig sitzen, während andere, nicht geblendete, davon flogen, oder irrten ohne bestimmte Richtung umher. Wurden sie in die Höhe geworfen, so flogen sie immer weiter in die Höhe, bis sie dem Auge des Beobachters ver- schwanden. Ein ähnliches Bestreichen der einfachen Augen hatte den Erfolg, dafs die Bienen ihren Korb nicht wiederfinden konnten, wenn sie sich auch nur einige Schritte davon befanden. Die auf diese Weise geblendeten flogen aber nicht so in die Höhe wie die, denen die zusammengesetzten Augen bestrichen waren.”) Dafs endlich unter den Wirbelthieren nur wenigen Gattungen der Säugthiere, Amphibien und Fische, aber keinem Vogel, der Gesichtsinn fehlt, ist allgemein bekannt. Bedingungen des Sehens im Allgemeinen sind: eine für den Einfluls des Lichts empfängliche Nerven- haut und eine durchsichtige äussere Bedeckung der- selben. Eine solcue Haut ist bei allen Thieren die Ausbreitung eines Hirnnerven, und bei allen, deren Auge nicht sehr unentwickelt ist, eines eigenen Hirn- nerven, der keine Zweige an sonstige Theile abgiebt. Bei jenen Bedingungen ist aber blos Unterscheidung von Licht und Finsternifs möglich, wenn die äussere *) Reaumur Mem. pour servir a l’Hist. des Ins. T.V. p.*239. 12 Bedeckung keine weitere Eigenschaften als die der Durchsichtigkeit hat. Damit ein Gegenstand wirklich gesehen werde, mufs von jedem Punct desselben ein Strahl auf einen Punct der Netzhaut fallen, und die getroffenen Puncte müssen gegen einander die nehm- liche Lage haben wie die ihnen entsprechenden des Gegenstandes. Dies kann auf eine doppelte Art ge- schehen. Es kann entweder die durchsichtige Bedeckung der Netzhaut so gestaliet seyn, dafs vermittelst derselben durch Brechung der Lichtstrahlen ein Bild des Gegen- standes auf der Netzhaut, wie vermittelst einer Linse auf dem Hintergrund der Camera obscura, erzeugt wird; oder die Netzhaut kann die Strahlen des Gegenstandes wie ein Spiegel auffassen, doch mit der Einschränkung, dafs, vermöge einer gewissen Einrichtung der durch- sichtigen Bedeckung, von jedem Punct des Gegenstandes nur ein einziger Strahl zu dem, ihm am nächsten liegenden Punct der Netzhaut gelanget. Die erste Art habe ich die dioptrische, die zweite die catoptrische genannt.*) Jene ist die allgemeinere im Thierreiche. Es sehen nach derselben alle Wirbelthiere und alle wirbellose Thiere, mit Ausnahme der mehresten Crustaceen und der geflügelten Insecten im vollkommenen Zustande, doch auch diese durch ihre einfachen Augen. Das catoptrische Sehen geschieht blos durch die zusammen- gesetzten Augen der Crustaceen und Insecten. Indels sind auch hierbei durchgängig dioptrische Hülfsmittel angebracht. *) Biologie. B. 6. 8. 429, 443. 75 Zum dioptrischen Sehen bedarf es einer Linse, die eine solche Gestalt und eine so starke strahlen- brechende Kraft hat, dafs sich hinter ihr die ge- brochenen Strahlen nicht in einem zu weiten Abstand vereinigen; einer Netzhaut, deren auswendige Fläche so gekrümmt ist, dafs alle, aus einer gewissen Ent- fernung von verschiedenen Puncten kommende Strahlen- büschel nach deren Brechung auf ihr wieder conver- giren, und einer Einfassung der Linse mit einem Gürtel von einem dunkeln Pigment, um die, schief auf den Rand der Linse fallenden Strahlen, die nicht zur Netz- haut gelangen und dem Sehen hinderlich werden würden, zu absorbiren. Aus diesen Stücken bestehen die dioptrischen Augen der wirbellosen Thiere. Sie sind oft blos eine halbkugel- oder becherförmige, hohle Erweiterung des vordern Endes des Sehenerven, in deren, mit einem Gürtel von dunkelm Pigment umgebenen Höhlung eine Linse eingefügt ist. Bei manchen Insecten liegt die Linse hinter einem durch- sichtigen Fortsatz der Oberhaut, der aber so dünne ist, dafs er auf die Strahlenbrechung keinen Einflufs haben kann. Bei andern ist sie unbedeckt. Zwischen ihr und der Netzhaut giebt es wohl immer einigen, doch nicht immer wahrnehmbaren Zwischenraum, der oft blos mit einer wässerigen Flüssigkeit ausgefüllt seyn kann, zu- weilen aber eine in Weingeist erhärtende, durchsichtige Materie enthält, welche zur Verkürzung des Weges der Strahlen von der hintern Fläche der Linse zur Netzhaut dient und dem Glaskörper der Wirbelthiere zu vergleichen ist. 74 An den zusammengesetzten Augen der Insecten und Crustaceen, auf deren Netzhaut sich, wenn die- selbe glänzend wäre, von jedem Gegenstande des Gesichts ein einziges Bild darstellen würde, ist, um diese Darstellung möglich zu machen, jene Haut nach aussen gewölbt und mit einer durchsichtigen Platte (Hornhaut) von gleicher Wölbung bedeckt, die aus einer großsen Menge sehr kleiner Abtheilungen mit undurchsichtigen Rändern besteht. Wenn das Object dieser Platte nicht zu nahe ist, so gelangt von jedem Theil der ihr zugekehrten Fläche desselben, welcher das nehmliche Verhältnifs zu dieser ganzen Fläche wie jede Abtheilung zur ganzen durchsichtigen Platte hat, zu der Abtheilung, die demselben am nächsten ist, und weiter zur Netzhaut ein Büschel paralleler Strahlen. Die von den übrigen 'Theilen kommenden Strahlen fallen auf diese Abtheilung in schiefer Richtung und stofsen auf die undurchsichtigen Ränder derselben, ohne zur Netzhaut zu gelangen. Die Wirkung der blofsen Ränder auf die schiefen Strahlen kann indefs nur unvollständig seyn. Um diese ganz von der Netzhaut abzuhalten, sind verschiedene Einrichtungen von der Natur angebracht. Bei den beiden anomalen Insectengattungen Stylops und Xenos erheben sich die sechseckigen Ränder der Abtheilungen der zusammengesetzten Augen über diese hinaus als hervorragende Scheidewände.”) Jede Abtheilung be- *) Kirby, Transact. of the Linn. Society. Vol. XI. p. 102. 75 findet sich also in dem Hintergrund eines kurzen und engen Tubus, der nur Strahlen durchlassen kann, die senkrecht auf die Abtheilung gerichtet sind. Diese Organisation ist aber nur den beiden erwähnten Gat- tungen eigen. Bei den Bienen und den Tagschmet- terlingen halten lange, grade Haare, die hin und wieder senkrecht zwischen den Abtheilungen stehen, einiger- maafsen, doch nur unvollkommen, die schiefen Strahlen ab. Mehr ist der obige Zweck durch folgende Ein- richtung erreicht. Der Sehenerve theilt sich vor seinem Eintritt in das innere Auge in Fasern. Diese vereinigen sich zu Bündeln, und aus den Bündeln entspringen eben so viele cylindrische, nach aussen verschmälerte und sich zugespitzt endigende Fäden als es Abthei- lungen der Hornhaut giebt. Die Fäden dringen diver- girend durch eine, auf ihrer vordern Fläche mit einem dicken, undurchsichtigen Pigment bedeckte Siebplatte und erhalten beim Durchgang durch dieselbe eine zarte, häutige Scheide, einen Fortsatz der Hirnhaut. Ihre äussern Enden gehen zur Mitte der hintern Fläche der Abtheilungen, und werden auf diesem Wege wieder von einem zweiten undurchsichtigen Pigment umgeben, welches alle schiefe Strahlen vollkommen absorbirt. Sie entstehen meist aus den vordern Enden der Bündel des Sehenerven durch 'Theilung derselben. Bei Aeshna forcipata aber fand ich diesen Nerven in mehrere, ziemlich grofse Zweige getheilt, die parallel mit ein- ander auf der hintern Fläche der Siebplatte verlaufen, und aus welchen seitwärts die Fäden für die Abthei- lungen hervorgehen. Das unter der Hornhaut liegende 76 Pigment bildet, durchflochten mit vielen Luftröhren, eine filzartige Substanz, die bei manchen Insecten hinter dem Mittelpunct jeder Abtheilung eine runde Oeffnung, wie eine Pupille, zum Durchlassen des Lichts hat, doch auch an den Spitzen der Sehenervenfäden nicht ganz fehlt, nur hier sehr verdünnt ist. Bei einigen Arten hat dieses schwartze oder dunkelbraune Pigment unter der ganzen Hornhaut, wie bei Papilio rhamni, oder auch nur unter einem Theil derselben, wie bei Aeshna forcipata, noch einen andern, dünneren Ue- berzug, der in der Farbe von jenem verschieden und ebenfalls in der Mitte jeder Abtheilung der Hornhaut durhbohrt ist. In den meisten zusammengesetzten Augen ist mit dieser catoptrischen Construction noch eine dioptrische verbunden. Jede Abtheilung der Hornhaut ist eine Linse, wodurch die, parallel mit der Axe der Abtheilung auffallenden Lichtstrahlen auf der Spitze des zu ihr gehörigen Sehenervenfaden concentrirt werden und stärker darauf wirken, als sie unvereinigt darauf wirken würden. Bei vielen Insecten giebt es auch vor dem vordern, gleich unter der Hornhaut liegenden Pigment, zwischen den Abtheilungen der letztern und den Spitzen der Sehenervenfäden, noch eine durchsichtige Materie, die in Weingeist hart wird, ohne ihre Durchsichtigkeit zu verliehren, und aus kleinen, hinten zugespitzten Cylindern (Glaskörpern) besteht, die mit dem breiten Ende an die hintere Fläche der Hornhaut, mit dem spitzen an das äussere Ende der Sehenervenfäden stolsen. 77 J. Müller*) hat das Verdienst, diese Körper weiter, als vor ihm geschehen war, verfolgt zu haben. Sie sind aber weniger allgemein als er glaubt, und fehlen sogar oft in Einer und derselben Gattung einer Art, während eine andere sie besitzt. Ich fand sie bei Sphinx ligustri, wo sie vorzüglich grols sind, bei Papilio Jo, Papilio Atalanta, Apis mellifica, Blatta orientalis und mehrern Käfern; hingegen nicht bei Papilio rhamni, Vespa Crabro, Musca carnaria, Syr- phus nemorum, 'Tabanus bovinus, Libellula Amaculata und Aeshna forcipata. Ihr Zweck kann nur seyn, den Weg der concentrirten Strahlen von den Abtheilungen der Hornhaut bis zu den äussern Enden der Sehenerven- fäden da abzukürzen, wo das Licht durch diese Abthei- lungen nur schwach gebrochen wird und die gebrochenen Strahlen einen sehr langen Kegel bilden. Sie müssen daher mit dem Grade des Brechungsvermögens der Abtheilungen in Beziehung stehen. Wichtig für die Theorie des Sehens durch die zusammengesetzten Augen ist der Umstand, dafs die äussern, zuge- spitzten Enden der Sehenervenfäden sich nur in einem sehr kleinen Punct mit den hintern, ebenfalls sehr schmalen Enden der Glaskörper verbinden. Es folgt hieraus, dafs jeder Sehenervenfaden blos von den concentrirten Lichtstrahlen, die parallel mit der Axe der zu ihm gehörigen Abtheilung der Hornhaut auf deren Oberfläche fallen, und nur in einem einzigen Punct getroffen wird. *) Zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinns. S. 343. Meckel’s Archiv f. Anatomie und Physiologie. 1829. S. 45. 78 Die einfachen Augen aller articulirten wirbellosen Thiere sind so klein und haben durchgängig eine so convexe Linse, dafs sie nur zum Sehen sehr naher Gegenstände in einem kleinen Bezirk dienen können. Für entferntere Objecte und einen weitern Gesichts- kreis sind die zusammengesetzten Augen bestimmt, die dagegen beim Nahesehen keine Anwendung finden. Bei dieser Zerstückelung haben die Sehewerkzeuge der wirbellosen 'Thiere wenig Vollkommenheit. Durch die zusammengesetzten Augen müssen nahe Gegen- stände wie hinter einem Gitter erscheinen. Auf eine bedeutende Entfernung können aber diese Organe auch nicht wirken, weil jeder Faden des Sehenerven nur von einem sehr dünnen Strahlenbüschel getroffen wird, der, wenn er von einem fernen Object kömmt, nicht mehr kräftig genug ist, den Faden hinreichend zu rühren, und weil die, von den Theilen eines fernen Gegenstandes kommenden Strahlenbüschel nicht mehr in dem Grade divergiren, dafs zu jedem einzelnen Sehenervenfaden nur ein einziger Büschel gelanget. Es zeigen in der That auch keine Aeusserungen der Insecten und Crustaceen, dafs sie ein Object in gröfserer Weite als höchstens von 15 Fufs erblicken.*) Bei vielen kann dieser Abstand kaum einige Fufs betragen. Die einfachen Augen können wohl in einer gewissen Ent- fernung eine sehr deutliche Wahrnehmung gewähren. Allein bei der Kleinheit ihres Wirkungskreises ist doch die Anwendung jedes einzelnen Auges sehr beschränkt. *) Biologie. B. 6. S. 442. 79 Die Zahl derselben ist zwar dagegen bei manchen un- geflügelten Insecten sehr grofs. Aber es ist schwer einzusehen, warum sie z. B. bei den Asseln in grofser Menge dicht neben einander liegen, statt auf dem ganzen Kopfe vertheilt zu seyn. Ueberhaupt hat die Function dieser Organe viel Räthselhaftes. Es ist be- greiflich, wie die drei derselben, welche die Hymen- opteren und Dipteren besitzen, diesen Thieren in den Röhren der Blumen und an andern Orten, wo sie ihre Nahrung finden, von Wichtigkeit seyn können. Aber es ist nicht leicht zu erklären, warum sie grade auf dem Gipfel des Kopfs angebracht sind und nicht näher den Frefswerkzeugen, mit deren Verrichtung die ihrige doch zunächst in Beziehung steht. Die Hauptursache der Unvollkommenheit dieser Organe ist ihre Unbeweglichkeit. Mit dem einfachen Auge kann das 'Thier nur den einzigen Punct deutlich sehen, der in der Axe der Linse liegt, wenn diese nicht eine vollkommene sphärische Gestalt hat. Ist sie aber eine Kugel, so mufs sie unverhältnifsmäfsig grols seyn, um für nicht ganz nahe Objecte zu passen. Sie hat in der That diese Form bei den wirbellosen Thieren. Aber eben darum ist sie auch immer sehr klein und nur zum Sehen in der Nähe brauchbar. Die zusammen- gesetzten Augen wirken zwar ohne Beweglichkeit auf eine gröfsere Weite. Allein durch sie können, wie gesagt, sich keine Bilder mit sehr scharfen Umrissen darstellen. Alle Wirbelthiere mit ausgebildeten Gesichts- werkzeugen haben dagegen bewegliche Augen und sind ‚hierdurch in den Stand gesetzt, nicht nur ein weites 80 Gesichtsfeld zu überschauen, sondern auch mit einer nur kleinen Linse ferne Objecte deutlich zu sehen. Diese braucht bei der Beweglichkeit des Auges nicht sphärisch zu seyn, um ohne Mitwirkung des ganzen Theils, an welchem das letztere befestigt ist, von allen Gegenständen des Gesichtsfelds schärfere Eindrücke zum innern Auge gelangen zu lassen. Hierbei ist zwar ein genaueres Sehen nur in der Axe der Linse möglich, und diese mufs sich nach allen Puncten des Gesichts- felds wenden, wenn jeder Theil desselben näher be- trachtet werden soll. Aber die einfachen Augen der wirbellosen 'Thiere mit ihren kugelförmigen Linsen gewähren in dieser Hinsicht keinen gröfsern Vortheil, da von mehrern verschiedenen Eindrücken doch immer nur Einer deutlich empfunden wird. Zum Behuf dieser Beweglichkeit des Auges ist dasselbe bei allen Wirbelthieren eine, mit den umlie- genden Theilen nur lose zusammenhängende, von einer fibrösen, elastischen Haut, der Sclerotica, gebildete Kapsel, die vorne von der durchsichtigen Hornhaut, im Hintergrunde von der Ausbreitung des Sehenerven, der Netzhaut, und hinter dieser von einer Gefäfshaut, der Choroidea, bedeckt ist, zwischen der Hornhaut und Netzhaut eine wässerige Flüssigkeit, eine Linse und einen Glaskörper hat, und in der Regel von vier graden und zwei schiefen Muskeln bewegt wird. Vermittelst der graden Muskeln wird die Axe des Auges nach allen Seiten gerichtet. Die beiden schiefen ertheilen derselben, wenn sie das ganze Gesichtsfeld schnell zu durchlaufen hat, eine rotirende Bewegung... 81 Weniger allgemein ist ein Muskel (M. bulbosus), wo- durch bei einigen Wirbelthieren der Augapfel zurück- gezogen wird. Etwas Aehnliches von diesen Muskeln giebt es nicht bei den wirbellosen Thieren. Das Auge derer Schneckenarten, bei welchen sich dasselbe an den Spitzen beweglicher Fühlhörner befindet, hat zwar vermittelst dieser eine Beweglichkeit nach allen Seiten, aber nur vermittelst dieser, nicht durch eigene Muskeln. Die Insecten können das ihrige blos vermittelst des ganzen Kopfs nach verschiedenen Seiten wenden. Die Daphnien haben, nach Straus, vier Muskeln an je- dem Auge.*) Dieses wird aber dadurch blos zurück- gezogen. Mit diesem Vorzug sind dem Auge der Wirbel- thiere noch andere Vollkommenheiten gegeben, welche dem der niedern Thiere abgehen. Das letztere kann nur bei einem bestimmten Grade des Lichts wirken. Die am Tageslichte schwärmenden Insecten sehen nicht im Dämmerlichte, und umgekehrt die, welche bei schwachem Licht in Thätigkeit sind, gar nicht oder nur schwach bei Tage. Den Wirbelthieren ist die, nach dem verschiedenen Grade des Lichts der Zu- sammenziehung und Ausdehnung fähige Iris das Organ, wodurch ihr Auge diesem Grade angepafst wird. Die Beweglichkeit derselben richtet sich nach dem Medium, worin die Thiere leben, und nach der Stufe der Or- ganisation, worauf diese stehen. Sie ist gering oder gar nicht vorhanden bei den Fischen, deren Medium immer weit schwächer als die Luft erhellet ist, am *) Biologie. B. 6. S. 433. 82 gröfsten bei den Säugthieren und Vögeln, Zum Behuf derselben besitzt das Auge ausser dem eigentlichen Sehenerven die, zur Iris gehenden Ciliarnerven, die ‚jedoch nicht unmittelbar von dem Einflufs des Lichts auf die Iris, sondern durch die Einwirkung desselben auf die Netzhaut, mit welcher andere, die Schlagadern dieser Haut begleitende Zweige jener Nerven verbunden sind, aufgeregt werden.*) Den höhern Wirbelthieren geben die beweglichen Augenlider noch ein anderes Mittel, die Wirkung des Lichts auf das Auge ganz abzuhalten. Im Ganzen stimmt die Ausbildung und Beweglichkeit dieser Organe mit denen der Iris überein. Sie fehlen in der Regel ganz den Fischen, erscheinen erst bei den Amphibien und finden sich bei allen Vögeln und Säugthieren. Doch sind sie bei den Cetaceen weniger ausgebildet als bei den übrigen Säugthieren, obgleich dieselben eine ähnliche bewegliche Iris wie die letztern besitzen. Der Haupttheil dieser Organe ist immer ein ringför- miger Muskel. Es kömmt hierzu ein aufhebender Muskel des obern Augenlids bei denen Säugthieren, deren Augapfel nicht sehr hervorliegt, und auch noch ein aufhebender Muskel des untern Augenlids bei den Vögeln und den höhern Amphibien, die einen sehr hervorragenden Augapfel haben. Alle, mit diesen be- weglichen Augenlidern versehene Thiere besitzen dabei Thränendrüsen, die eine Flüssigkeit absondern, wodurch die Reibung der Augenlider gegen den Augapfel ver- *) Tiedemann in der Zeitschrift f. Physiol. B. 1. S. 253. 83 mindert wird.*) Eine andere Function als diese eigent- lichen Augenlider hat übrigens die Nickhaut, von welcher unten die Rede seyn wird. Indem die höhern Wirbelthiere eine bewegliche Iris erhielten, wurde es dadurch zugleich für sie mög- lich, in den Besitz des Vermögens zu gelangen, einen und denselben Gegenstand innerhalb einer gewissen Seheweite mit gleicher Deutlichkeit zu sehen.**) Hätte ihr Auge blos die Einrichtung der Camera obscura, und wäre es für die Ferne gebauet, so würden die Strahlen näherer Objecte sich erst hinter der Netzhaut vereinigen und solche Gegenstände nur sehr unvoll- kommen gesehen werden. Umgekehrt würde dabei kein‘ deutliches Sehen fernerer Objecte statt finden können, wenn das Auge blos für die Nähe gebildet wäre. Verschiedenen Entfernungen ist dasselbe dadurch angepalfst, dafs der Crystallkörper aus concentrischen Schichten besteht, deren Dichtigkeit nach seiner Mitte zunimmt, und dafs ausser der Menge und Stärke des die Netzhaut;treffenden Lichts auch die Entfernung der Gegenstände auf die Weite der Pupille Einflufs hat. Vermöge jenem Bau der Linse gehen die Strahlen durch dieselbe in krummen Linien, von denen die, welche keinen zu grofsen Winkel mit der Augenaxe machen, sich, wenn sie auch aus sehr verschiedenen Entfernungen kommen, in einerlei Punct vereinigen, *) ‚Biologie. B. 6. S. 552. **) Wegen der Beweise für die folgenden, das Sehen betref- fenden Lehren werde ich auf das erste Heft meiner Beiträge zur Anat.und Physiol. der Sinneswerkzeuge verweisen dürfen. 6* 54 Die Gröfse dieses Winkels hängt von der Entfernung des Objects ab, und die Pupille erweitert sich beim Sehen entfernter und verengert sich beim Sehen naher Gegenstände. Da die Fische, wegen der geringern Durchsichtigkeit ihres Elements, blos nahe Gegenstände deutlich wahrnehmen können, so war für sie keine bewegliche Iris in Beziehung auf die Deutlichkeit des Sehens nothwendig. Sie besitzen aber doch, wie die höhern Wirbelthiere, eine aus einem härtern Kern und einer weichern Schaale bestehende Linse, weil ohne eine solche selbst für eine geringe Entfernung des Objects keine Schärfe der Darstellung auf der Netzhaut möglich ist. Es verhält sich mit der Ver- einigung der, durch die Linse gebrochenen Strahlen anders im Auge als in der Camera obscura. In diesem gelangen die, von Einem Punct ausgehenden Strahlen aus der Luft in die Linse und aus dieser wieder in die Luft, und vereinigen sich deswegen in einem viel weitern Abstand von der Linse wieder zu Einem Punct als im Auge, worin sie aus der Linse durch ein Me- dium, das weit dichter ist als die Luft, durch den Glaskörper, zur Retina kommen. Wegen ‘dieser Nähe des, die Strahlen auffangenden Hintergrunds können, wenn die, von einem Punct in der Augenaxe aus- fahrenden Strahlen auf der Netzhaut zusammentreten, die, welche von Puncten ausserhalb der Augenaxe ausgehen, nur bei einer, vom Mittelpunct zum Umfange abnehmenden Dichtigkeit der Linse sich ebenfalls auf der Netzhaut vereinigen. Durch die blättrige Textur der Linse werden aber auch noch die Stöhrungen 85 gehoben, die das Sehen von der Diffraction der Strahlen durch den Rand der Pupille erleiden könnte, so wie durch die sphärische Gestalt der Hornhaut und durch die, sich sowohl nach dem Grade der Erleuchtung als nach der verschiedenen Entfernung der Gegen- stände richtende Beweglichkeit der Iris die, welche sonst die Abweichung der Strahlen wegen der kugel- förmigen Gestalt der Linse zur Folge haben würde. Man hat geglaubt, es gebe ein Vermögen des innern Auges, sich nach der verschiedenen Entfernung der Gegenstände einzurichten, und es sind über die Art, wie die Accommodation bewirkt werde, viele Vermuthungen geäussert worden. Nach dem eben Gesagten bedarf es der Voraussetzung eines solchen Vermögens weiter nicht, da das Auge schon durch die Zusammensetzung der Linse aus Schichten von verschiedener Dichtigkeit in Verbindung mit einer Pupille, die sich nach der verschiedenen Entfernung der Gegenstände verengert und erweitert, für das Nahe- und Fernsehen eingerichtet ist. Die Verän- derungen im innern Auge, die man zum Behuf der angeblichen Accommodation angenommen hat, ent- sprechen insgesammt ihrem Zwecke nicht. Sie bestehen in veränderten Krümmungen der Hornhaut oder der Linse, oder in einer Veränderung des Abstands der Linse von der Hornhaut und der Netzhaut. Daraus läfst sich zwar erklären, wie ein Punct, der in der Augenaxe liegt, bei verschiedenen Entfernungen des- selben vom Auge sich mit gleicher Deutlichkeit auf der Netzhaut abbilden kann. Zum deutlichen Sehen 86 wirklicher Gegenstände kömmt es aber auch auf scharfe Umrisse dessen an, was nicht in der Augenaxe selber, sondern in deren Nähe liegt, und für dieses muls durch die vorausgesetzten Veränderungen des Auges die Deutlichkeit der Darstellung mehr vermindert als befördert werden, wenn nicht dabei auch Veränderungen der Krümmung des Hintergrundes eintreten, auf welchem die gebrochenen Strahlen zusammentreffen. Bei keinem der Mittel, wovon man angenommen hat, dafs sie die Accommodation bewirken, läfst sich aber nachweisen, dals sie die Krümmung dieses Hintergrundes so ver- ändern, wie dieselbe den hypothetischen Veränderungen der brechenden Theile des Auges gemäfs abgeändert werden müfste. Ueberdies sind, wie ich im 6. Bande der Biologie (S. 496 fg.) gezeigt habe, jene Mittel nicht einmal zur Bewirkung dieser letztern Verän- derungen geeignet. Ein Gegenstand wird deutlich gesehen, wenn er sich mit bestimmten Umrissen darstellt. Zu dieser Deutlichkeit des Sehens bei verschiedenen Entfernungen des Objects bedarf es eines bestimmten Verhältnisses der strahlenbrechenden Kräfte des Auges gegen ein- ander; einer Krümmung des Hintergrundes des Auges, welche diesem Verhältnifs genau entspricht, und einer demselben angemessenen Reizbarkeit sowohl der Netz- haut als der Iris. Findet unter diesen Momenten nicht die gehörige Harmonie statt, so kann es geschehen, dafs das Sehen blos für eine einzelne Entfernung deutlich, für jede andere aber nicht ist. Beim deut- lichen Wahrnehmen der Gegenstände kömmt es auch 87 noeh auf einen andern wichtigen Punct an, den man bei der Frage nach einem Einrichtungsvermögen des Auges nicht gehörig berücksichtigt hat, auf das Ver- mögen, die Reizbarkeit der Netzhaut willkührlich für einen gewissen Eindruck durch Aufmerken zu erhöhen. Da die Strahlenbüschel von entfernten Puncten bei ihrem Durchgang durch die Luft mehr an Stärke verliehren als die von nahen, so können sie, wenn sie sich auch eben so genau als die letztern auf der Netz- haut vereinigen, doch absolut nie so kräftig als diese auf die Sehkraft wirken, und es mufs für ihren Ein- druck die Reizbarkeit der Netzhaut erhöhet werden, wenn derselbe relativ dem absoluten der Strahlen von nähern Objecten gleichkommen soll. Dieses Wirken der Seele auf die Netzhaut ist zugleich die Ursache der Zusammenziehung und Erweiterung der Iris beim Ferne- und Nahesehen. Man kann vermittelst desselben Bewegungen der Iris hervorbringen, die den Schein willkührlicher haben, doch in der That nur mittel- bare Folgen einer Thätigkeit des Willens sind.*) Obgleich es aber keine innere Veränderungen des Auges beim Ferne- und Nahesehen ausser den Be- wegungen der Iris giebt, so besitzen doch viele Thiere ein äusseres Mittel zum deutlichern Sehen in der Nähe *) Mit den obigen Sätzen glaube ich die Erinnerungen beant- wortet zu haben, die von Muncke in seiner Beurtheilnng des Iten Hefts meiner Beitr. zur Anat. u. Physiol. der Sinneswerkz. in den Heidelberger Jahrbüchern der Litteratur (1830, Nro. 15—17), der einzigen, mir bekannt gewordenen Anzeige dieses Werks, die für mich belehrend war, gegen meine Meinung vom Nahe- und Fernesehen gemacht sind. oder Ferne an der Nickhaut. Diese durchsichtige Haut, die nach den Umständen über die Hornhaut ausge- breitet und wieder zurückgezogen werden kann, ist den vierfüßsigen Säugthieren, den Vögeln und den mehresten Amphibien eigen. Der Mensch hat nur ein Rudiment davon, und bei den Affen ist sie zwar zugegen, doch weniger ausgebildet als bei den vier- füfsigen Säugthieren. Sie stellt ein Dreieck vor, wovon die Spitze und der eine Schenkel mit der Sclerotica und der Hornhaut auf der Seite des innern Augen- winkels zusammenhängt, die Basis dem äussern Augen- winkel zugewendet ist, und der andere, nach unten gekehrte Schenkel neben der Spitze des Winkels, den er mit der Basis macht, einen Muskel hat, bei dessen Zusammenziehung die Haut sich über das Auge ausbreitet. Dieser Muskel entspringt bei den Säugthieren aus dem Grund der Augenhöhle und ist ohne eine sonstige Vorrichtung nur durch eine kurze Sehne mit der Nickhaut verbunden. Bei einigen Thieren giebt er Fasern an das untere Augenlid ab,*) wodurch dieses, wenn er sich verkürzt und die Nickhaut sich aus- breitet, herabgezogen wird. Einen gröfsern Apparat ‘zur Bewegung der letztern haben die Vögel. Jener Muskel der Säugthiere, der pyramidenförmige, ent- springt bei ihnen am Augapfel, rings um die Insertion des Sehenerven, und hat eine lange, saitenförmige Sehne, die durch eine Scheide und dann durch eine in der Sclerotica befindliche Rinne zum untern Rand *) So beim Elephant nach Blainville (Principes d’Anat. comp. T. I. p. 394.) 89 der Nickhaut läuft. Die Scheide befindet sich an dem einen, breiten Rande eines andern Muskels, des quadrat- förmigen, der zugleich mit dem vorigen sich zusammen- zieht und die Sehne desselben in immer gleicher Lage erhält. Bei den Säugthieren besteht die Nickhaut in einer knorpeligen, zwischen zwei glatten, festen Häuten liegenden Platte. In der Nickhaut der Vögel fehlt diese Platte. Die inwendige Haut ist dafür bei ihnen um so dicker. Die Nickhaut ist vollkommen durchsichtig wie die Hornhaut, und in denen Theilen, die nicht knorpelig sind, so contractil, dafs sie sich beim Nachlassen der Zusammenziehung ihres Muskels gleich von selber in den innern Augenwinkel zurückzieht. Die meisten Anı- phibien kommen in der Structur dieser Haut und in der Art, wie sie durch einen einfachen Muskel bewegt wird, mehr mit den Säugthieren als mit den Vögeln überein. Sie weicht jedoch bei manchen derselben in ihrem Bau sehr von dem gewöhnlichen ab. Bei den Fröschen ist das ganze untere Augenlid in eine durch- sichtige Nickhaut verwandelt. Beim Chamäleon liegt diese Membran als eine undurchsichtige Platte auf der inwendigen Fläche des, ebenfalls undurchsichtigen ‚ untern Augenlids, und ist mit dieser verwachsen. Bei den Schlangen erstreckt sie sich als eine zweite, äussere Hornhaut über die ganze eigentliche Hornhaut, ohne beweglich zu seyn. Mit der Gegenwart einer beweglichen Nickhaut ist übrigens immer die einer eigenen Thränendrüse am innern Augenwinkel, der Harderschen Drüse, verbunden. Der Radius des inwendigen Bogens dieser Haut Br... N ist stets einerlei mit dem des auswendigen Bogens der Hornhaut. Ihre auswendige Krümmung kann einen gröfsern oder kleinern Halbmesser als die inwendige haben, und hiernach kann ihre Wirkung auf das Sehen verschieden seyn. Im ersten Fall macht sie entfernte, im zweiten nahe Gegenstände deutlicher. Ich fand sie bei allen Thieren, woran ich sie untersuchte, von der zweiten Art. In dieser Form ist sie vorzüglich denen Thieren, die in der Luft und zugleich unter dem Wasser sehen müssen, z. B. der Flufs- und Meerotter und den untertauchenden Vögeln, von Wichtigkeit. Ohne sie kann mit einem und demselben Auge das Luftthier nichts unter dem Wasser, das Wasserthier nichts in der Luft deutlich erkennen. Thiere, die ohne sie in dem einen und dem andern Medium sehen, haben für jedes ein besonderes Auge. Dies ist der Fall mit Cobitis anableps und Gyrinus Natator. Die Sphäre sowohl des Sehens überhaupt als be- sonders des deutlichen Sehens ist sehr verschieden bei den verschiedenen Arten der Wirbelthiere. Jene hängt bei den Landthieren vorzüglich von der Gröfse des Halbmessers der Krümmung der Cornea, bei den Wasserthieren von der Gröfse des Radius des vordern Bogens der Linse ab. Diese läfst sich nach der Ent- fernung der hintern Fläche der Linse von der Netzhaut in der Augenaxe schätzen. Beide stehen nicht immer mit einander in einerlei Verhältnifs, richten sich aber im Allgemeinen nach der Gröfse der Thiere. Die gröfsten Landthiere sind auch unter allen Thieren, für deren Auge die Luft das Medium des Sehens ist, die weitsichtigsten. Die gröfsten Arten der Vögel haben nicht ein weiteres Gesicht als der Elephant, der Ochse, das Pferd u. s. w. Das deutliche Sehen hat aber verschiedene Grade. Der höhere Grad desselben ist Schärfe des Gesichts. Für diese giebt es noch besondere Hülfsmittel im Auge der Thiere überhaupt und einzelner Arten zu einzelnen Zwecken. Eine allgemeine Einrichtung dafür ist die Bedeckung aller Theile des innern Auges, die nicht dienen, um das Licht durchzulassen oder davon gereizt zu werden, mit einem dunkeln Pigment, wodurch die Strahlen, die nicht unmittelbar das Sehen vermitteln, absorbirt werden. In Beziehung mit dieser Absorbtion steht bei allen Wirbelthieren der Ciliarkörper, der immer um so breiter ist, je mehr das Auge dem unmittelbaren Sonnenlichte ausgesetzt ist. Die Vögel, die am meisten von diesem getroffen werden, besitzen als Schirm dagegen noch besonders den schwartzen Fächer, der zwar noch eine andere, oben erwähnte Verrichtung als blos beim Sehen hat, aber auch mit dienet, alles Licht, das beim Sehen hinderlich ist, zu absorbiren und die Schärfe des Gesichts auf ähnliche Art zu vermehren, wie sie vermittelst einer, inwendig ge- schwärtzten Röhre, wodurch man einen Gegenstand betrachtet, in Beziehung auf diesen vermehrt wird. Er beschränkt zwar dagegen das Sehefeld, doch nicht in dem Grade, wie es den Anschein hat, da er immer so gegen die Linse geneigt ist, dafs meist nur die Strahlen eines in der Augenaxe und in den Gränzen des deutlichen Sehens liegenden Puncts, die in der 92 Richtung seiner Fläche auf seinen vordern Rand fallen, von ihm aufgefangen werden, die übrigen aber neben ihm vorbei zur Netzhaut gehen, Ein Strahlencylinder, der durch eine enge Oeffnuung fährt, erleidet in seinem Umfange eine Beugung, welche verursacht, dafs er auf dem Hintergrund einer dunkeln Kammer ein mit Säumen umgebenes Bild hervorbringt. Diese Diffraction des Lichts mufs auch beim Durchgang desselben durch die Pupille eintreten. Sie würde dem deutlichen Sehen hinderlich werden, wenn ihr nicht durch ein Mittel vorgebeugt wäre. Für die Strahlen, die nicht in sehr schiefer Richtung auf den Rand der Linse fallen, wird dieselbe schon durch die Brechungen gehoben, die sie in den verschiedenen Schichten der Linse erleiden. Für die sehr schief einfallenden scheinen die, über dem vordern Rand der Linse in der Gestalt einer Krone hervorragenden Ciliarfortsätze jenes Mittel zu seyn. Es ist noch nicht durch Versuche ausgemacht, welche Veränderung ein Lichtstrahl erleidet, der beim Durchgang durch eine enge runde Oeffnung diffringirt ist, und dann durch eine zweite Oeffnung mit aus- gezackten Rändern geht. Es ist aber wahrscheinlich, dafs die Ciliarkrone eine zweite Diffraction bewirkt, wodurch die Lichtsäume so nach dem Ciliarkörper hin- gebogen werden, dafs dieser sie ganz absorbiren kann. Ein Mittel zum schärfern Sehen in einer bestimmten Entfernung haben mehrere Thiere noch daran, dafs die Flächen der durchsichtigen Theile ihres Auges nach gewissen krummen Linien gebogen sind. Das schärfere Sehen in einer Entfernung, wobei die auf 93 das Auge fallenden Strahlen für parallel gelten können, wird durch eine Hornhaut befördert, die auswendig nach einer Ellipse gekrümmt ist, deren grofse Axe zu dem Zwischenraum zwischen ihren Brennpuncten in dem Verhältnifs der strahlenbrechenden Wirkung der Luft gegen die der Hornhaut steht, und welche inwendig eine zirkelförmige Fläche hat, deren Mittel- punct in dem hintern Brennpunct der Ellipse liegt. Diese Form der Cornea fand ich deutlich bei dem Hausmarder und dem Virginischen Opossum. Sie scheint aber bei noch mehrern andern Thieren vorhanden zu seyn. Die genauere Unterscheidung eines Gegenstandes, der dem Auge so nahe liegt, dafs die Strahlen des- selben divergirend auf das Auge fallen, wird für eine gewisse Entfernung befördert durch eine hyperbolische Krümmung einer dünnen Hornhaut und eine elliptische der vordern Fläche der Linse, deren Axen und Pa- rameter ein gewisses Verhältnifs zu den brechenden Kräften der Luft und der wässerigen Feuchtigkeit haben. Solche Krümmungen giebt es an der Hornhaut und Linse des Maulwurfs. Bei jenen Formen tritt keine Abweichung der Strahlen von dem Wege zum Brenn- punct wie bei der kugelförmigen Gestalt ein, und sie tragen also auch von dieser Seite zum schärfern Sehen bei. Indefs wird auch, wie schon oben bemerkt ist, bei der sphärischen Gestalt der Aberration der, durch die Linse gehenden Strahlen schon durch die Wirkung, welche die Cornea auf sie hat, einigermaafsen vor- gebeugt, und da bei jenen Formen kein so deutliches Sehen ausserhalb der Augenaxe wie bei der Kugelform 94 statt finden kann, so sind sie nicht so vielen Thieren eigen, wie sie sonst wohl seyn würden. Vielen, zur Nachtzeit ihrer Nahrung nachgehenden Thieren ist noch eine Einrichtung des Auges gegeben, wodurch ihnen das Sehen im Dunkeln möglich wird. Die hinter der Netzhaut liegende Fläche ihrer Choroidea ist mit einem metallisch glänzenden Pigment bedeckt, welches die auf sie fallenden Strahlen wie ein Hohl- spiegel zurückwirft. Dieser Ueberzug erstreckt sich entweder über jene ganze Fläche, oder nur über die obere Hälfte derselben. Das Erste ist der Fall bei den Cetaceen, den Eulen, mehrern Amphibien und Fischen, überhaupt bei solchen Thieren, die in einem wenig erleuchteten Medium leben, oder blos des Nachts auf Raub ausgehen. Das Zweite findet bei denen 'Thieren statt, die am Tage ihre Nahrung suchen und welchen dann die untere Hälfte des innern Auges vom hellen Tages- lichte erleuchtet ist, die also geblendet werden würden, wenn die Tapete die untere Hälfte der Choroidea ein- nähme. Eine solche, nur auf den obern Theil dieser Haut beschränkte Tapete besitzen die Raubsäugthiere und die Wiederkäuer. Immer aber schliefst dieselbe das hintere Ende der Axe des innern Auges mit ein. Sie wirft wie ein Hohlspiegel alle Strahlen zurück, die in schiefer Richtung auf sie fallen, und zwar so, dafs diese sich in der Augenaxe vereinigen. Sie er- hellet daher bei schwachem Lichte die Gegenstände, worauf die Augenaxe gerichtet ist und die nicht weit vom Auge entfernt sind. Ihr Nutzen würde aber doch sehr beschränkt seyn, wenn sie blos äusseres, und 95 nicht auch ein phosphorisches, im Innern des Auges entwickeltes Licht zurückwürfe. Dafs ein solches bei den Thieren, welche eine Tapete besitzen, wirklich entwickelt wird, ist schon im ersten Bande dieses Werks (S. 438) gezeigt worden. Soweit wir bisher das Sehen betrachtet haben, ist dasselbe blos Wahrnehmen der Formen. Die Em- pfindung der Farben ist hiervon unabhängig. Jenes kann sehr vollkommen bei unvollständiger oder ganz fehlender Empfänglichkeit für den Eindruck der letztern seyn. Man findet häufig Personen, die gewisse Farben nicht von einander unterscheiden können, sondern nur für verschiedene Nuancen einer und derselben Grund- farbe halten.*) Der Fehler, der oft erblich ist, äussert sich auf verschiedene Art nach der Verschiedenheit der Grundfarben, für deren Einwirkung die Empfäng- lichkeit der Netzhaut aufgehoben ist. Es galt z. B. einem, von Butter beobachteten Mann Roth für Braun, Grün für Orange; hingegen wurde in einem, von Sommer beschriebenen Fall Roth mit Blau, Grün mit Braun verwechselt. Der Fehler kann soweit gehen, dafs alle Farben nur als Nuancen Einer Grundfarbe *) Mir sind vier Menschen in Einer Familie bekannt, welche diesen Gesichtsfehler haben. Ausser den, im 6. Bande der Biologie, S. 423, angeführten Schriften enthalten noch die folgenden, neuern Aufsätze Beobachtungen darüber: Remarks on the Insensibility of the Eye to certain Colours, by J. Butter, im Edinburgh philos. Journ. No. XI. January. 1822. p. 135. Remarks on a peculiar Im- perfection of Vision with regard to Colours, by W. Nicholl, in den Annals of Philos. February. 1822. p. 128. Ueber Chromatopseud- opsie von Sommer in Gräfe’s und Walther’s Journal für Chirurgie und Augenheilkunde. B. 5. H. 1. S. 19. 96 erscheinen, obgleich die Gegenstände dabei in der Nähe und Ferne deutlich erkannt werden.*) Hiernach ist es sehr wohl möglich, dafs auch nicht alle Thiere das Unterscheidungsvermögen der Farben besitzen. Bei dem Menschen aber, dem dasselbe in der Regel nicht fehlt, hat dabei das Auge, in Folge der blättri- gen Textur der Linse, eine achromatische Beschaf- fenheit. Man hat zwar diese geleugnet. Unter allen Thatsachen aber, die zum Beweise des Gegentheils vorgebracht sind, finde ich keine, die sich nicht von Diffractionen des Lichts ausserhalb dem Auge ableiten lassen. Nach anhaltendem Blicken auf Gegenstände von sehr lebhaften Farben bei stärkerer Erleuchtung, so wie heller Figuren auf einem dunkeln, sehr abstechenden Grund oder dunkeler auf einer hellen Fläche, schweben bekanntlich dem Auge noch eine Zeitlang Bilder von ähnlicher Gestalt, aber anderer, zuweilen wechselnder Farbe vor, wenn man dasselbe schliefst, oder gleich nachher damit in die Finsternis geht. Man hat diese Spectra von einem, in der Netzhaut zurückgebliebenen Eindruck des Lichts abgeleitet, manche Versuche dar- über angestellt, und geglaubt, aus den Resultaten der- selben Schlüsse in Beziehung auf das Wirken der Netzhaut ziehen zu können. Es ist aber nicht bewiesen, dafs diese Erscheinungen nicht von einer schwachen, partiellen Phosphorescenz entstehen, welche durch die *) Wie in einem, im London med. and surgical Journ. Febr. 1830 mitgetheilten Fall. (Uebers. in Horn’s u.s. w. Archiv für mediein. Erfahrung. 1830. Novbr. Dechr. S. 1080) m Bestrahlung eben so in der Hornhaut oder der Linse wie in vielen unorganischen Substanzen hervorgebracht werden kann. Von anderer Art sind die Bilder, welche die Phantasie beim Träumen im halben Wachen erzeugt. Diese müssen allerdings in einer gewissen 'Thätigkeit der Netzhaut ihren Grund haben, die mit der, von wirklichen Gegenständen verursachten übereinkömmt, und die vielleicht durch die Ciliarnerven vom Gehirn aus erregt wird. Der hierbei von der Phantasie aus- gehende Einflufs ist bei der Bildung aller Spectra mit im Spiele, und modifizirt dieselben so sehr, dafs der Erfolg Eines und desselben Versuchs bei verschiedenen Menschen immer verschieden ausfallen mufs. Ausser der Phantasie hat auch die Urtheilskraft auf alle Gesichtsempfindungen Einflufs. Wir beurtheilen instinctartig bei jeden Sehen eines Gegenstandes dessen räumliches Verhältnifs zu uns und zu den übrigen Dingen, die mit ihm im Gesichtskreise sind, und dieses Urtheil modifizirt wieder die Art der Erscheinung des Gegen- standes. Wir sehen nicht unmittelbar die Entfernung, Gröfse, Gestalt, Lage und Bewegung der Objecte, sondern beurtheilen dieselben. Die Gründe unsers Ur- theils sind die Winkel, unter welchem die Dinge walır- genommen werden; die Bestimmtheit ihrer Umrisse; die Vertheilung des Lichts und Sehattens am Ganzen und an dessen Theilen, und die Veränderungen dieser Winkel, Umrisse und Schattirungen bei unverändertem Stand und Aufmerken des Auges. Bei Schätzung der Entfernung ist vorzüglich die gleichzeitige Richtung der a Axen beider Augen auf den Gegenstand von Wichtigkeit. Wir können sie einigermaafsen auch mit Einem Auge aus der Gröfse des Winkels, unter welchem das Object diesem erscheint, aber mit Gewifsheit nur aus der Gröfse des Winkels, den die Axen beider Augen mit einander machen, wenn beide auf Einen und denselben Punct gerichtet sind, abnehmen. Jene Gröfse wird unmittelbar aus der Anstrengung empfunden, deren es zu dieser Richtung bedarf. Ohne ein geistiges Wirken auf die Augenmuskeln bleiben die Axen beider Augen immer in paralleler Stellung, und durch ein solches Wirken können sie immer nur zur Convergenz, nie zur Divergenz gebracht werden. Einige Thiere, z. B. der Chamäleon und nach Couch*) der Blennius Pholis, sind zwar im Stande, mit beiden Augen nach ver- schiedenen Richtungen zu blicken. Dieses Sehen ge- schieht aber nicht durch die gewöhnlichen Augen- muskeln. Beim Chamaeleo carinatus habe ich hierüber folgende Beobachtungen gemacht. Der Augapfel dieses Thiers liegt in einer, an allen Seiten von knöchernen Wänden umgebenen Augenhöhle. Der vordere Rand der Sclerotica ist an der inwendigen Fläche eines ringförmigen Augenlids so befestigt, dafs der Aug- apfel den Bewegungen dieses Theils folgen mufs. Hinter dem Augenlid befindet sich eine Nickhaut, die einen, an der Wand der Augenhöhle, auf der Seite des innern Augenwinkels befestigten Muskel hat, wo- durch sie zurückgezogen wird. Die vordere Fläche *) Transact. of the Linn. Society. Vol. XIV. p. 75. 99 dieser Haut ist mit der hintern des Augenlids ver- wachsen. Wenn also ihr Muskel auf sie wirkt, so zieht derselbe zugleich das Augenlid und damit auch den Augapfel nach dem innern Augenwinkel. Der Augapfel hat dabei die nehmlichen vier graden und zwei schiefen Muskeln, die es an ihm bei den übrigen Wirbelthieren giebt, und blos diese wirken auch immer auf die gewöhnliche Weise an beiden Augen, so oft der Chamäleon ein Insect scharf ins Auge fafst, das er erhaschen will. Für jene Anstrengung, die erforderlich ist, um die Axen beider Augen auf einerlei Punct zu richten, müssen manche Thiere ein noch feineres Gefühl als der Mensch haben, da einige, z. B. die Gemse, die Fledermäuse, viele Raubsäugthiere und Raubvögel, beim Sprunge oder beim Herabstürzen im Fluge den nöthigen Kraftaufwand so genau zu schätzen wissen, dafs sie sehr selten ihre Beute oder die Stelle, worauf sie sich niederlassen wollen, verfehlen. Ein nicht we- niger scharfes Augenmaafls besitzen zwar auch manche Insecten, denen doch die Beweglichkeit der Augen fehlt, z. B. die Jägerspinnen und die Libellen. Allein die Augen dieser Thiere haben keine Axe, worin die Gegenstände vorzugsweise gesehen werden. Sie nehmen in jedem Punct ihrer Augen, sowohl der einfachen als der zusammengesetzten, jeden äussern Punct gleich deutlich wahr, von welchem zu jenem ein Strahl ge- langt, der auf der Fläche ihrer Hornhaut senkrecht steht. Immer aber wird ein solcher äusserer Punct x von ihnen auf einer andern Stelle des einen Auges als des andern gesehen, und diese Verschiedenheit des örtlichen Eindrucks desselben kann sie bei ihren Handlungen eben so leiten, wie die Wirbelthiere da- bei von der Empfindung des Grades der Anstrengung geleitet werden, dessen es bedarf, um die Axen beider Augen auf einerlei Punct zu richten. Das Gehör. Durch die den Schall hervorbriugenden schwin- genden Bewegungen der Körper werden vielleicht alle Thiere in gewissem Grade erregt. Sie empfinden die- selben aber darum noch nicht als Schall. Die Regen- würmer ziehen sich, wenn sie aus der Erde hervor- gekommen sind, bei der leisesten Erschütterung des Bodens in ihre Löcher zurück, doch gewils ohne wirklich zu hören. Aus Aeusserungen von Empfindung eines Thiers bei der Einwirkung eines Schalls läfst sich also noch nicht auf die Gegenwart des Hörsinns bei demselben schliessen. Dieser Schlufs ist nur dann gültig, wenn es durch gewisse Töne zu Handlungen bestimmt wird, die olıne dieselben oder bei Tönen anderer Art nicht erfolgen, und wenn es ein wirkliches Hörorgan besitzt. Das erste dieser Zeichen ist bei allen denen Insecten vorhanden, wobei, wie bei den Heu- schrecken und Cicaden, das eine Geschlecht das andere durch einen Gesang anlockt, oder, wie bei den Bienen, einige Individuen die übrigen durch gewisse Töne zu gemeinschaftlichen Handlungen auffordern.*) Das zweite Kennzeichen finden wir deutlich bei allen Wir- belthieren, aber nur bei wenigen der wirbellosen Thiere, und bei diesen hält es oft schwer zu sagen, ob das, was ein Hörorgan seyn kann, dieses wirklich ist. Ein solches Werkzeug in der einfachsten Gestalt ist nichts anderes als eine elastische Haut oder Platte, hinter welcher sich ein Nerve so ausbreitet, dafs ihm die *) Biologie. B. 6. S. 326 fg. 102 Schwingungen derselben mitgetheilt werden können. Diese Membran oder Platte kann durchsichtig oder auch von der nehmlichen Farbe wie die äussere Be- deckung der benachbarten Theile seyn. Im ersten Fall läfst sich das Organ auch für ein Sehewerkzeug halten, das blos zur Empfindung des Lichts im Allgemeinen dient; im zweiten ist dasselbe schwer zu entdecken und nicht immer mit Sicherheit von einem blofsen Tastwerkzeug zu unterscheiden. Wir kennen bisjetzt nur in zwei Familien der wirbellosen Thiere Organe, deren Bestimmung zum Hören sich nicht bezweifeln läfst: in denen der Krebse und der Sepien. Bei den Krebsen liegt hinter den Wurzeln der gröfsern Fühlhörner auf jeder Seite des Körpers eine hohle, aus einer steinartigen Substanz bestehende Hervorragung, über deren äussere Oeffnung eine feste, elastische, nach aussen convexe Haut aus- gespannt ist, und deren Höhlung einen, mit einer wässerigen Flüssigkeit angefüllten Sack enthält, worin sich ein, neben den Nerven der gröfsern Fühlhörner _ entspringender Hirnnerve verbreitet. Die Hörwerkzeuge der Sepien sind zwei Kapseln in dem hornartigen Ring, der das Gehirn und den Schlund umgiebt. Jede der- selben umschliefst ebenfalls einen häutigen Sack, der eine Flüssigkeit enthält und zu welchem ein, aus dem Vordertheil des Gehirns, zwischen den Nerven der Füfse und der Baucheingeweide entstehender Nerve geht. Die Kapsel hat aber keine äussere, mit einer Haut überzogene Oeffnung. Dagegen befindet sich in der Flüssigkeit des Sacks ein kleiner Stein. Unter den übrigen wirbellosen Thieren sind manche Insecten in Besitz von Theilen, die wohl Hörwerkzeuge seyn können, sich aber doch nicht mit völliger Gewilßs- heit dafür annehmen lassen. In den nachgelassenen zootomischen Schriften Ly- onnet’s ist die Zergliederung eines Insects unter dem Namen Pou de Mouton enthalten, das von den, bisher auf Schaafen gefundenen Läusen und Milben abweicht und zu Latreille’s Microphthiris gehört. Lyonnet*) entdeckte am Vorderkopf dieses Thiers, zu beiden Seiten des Rüssels, da, we sonst die Fühlhörner stehen, zwei länglichrunde Hervorragungen, die unter einer doppelten hornartigen Schaale eine Höhlung enthielten, worin ein kleiner runder, gestielter Körper lag. Dieser bestand aus einer weissen, fleischartigen Substanz, worin sich eine Menge kugelförmiger, sehr durch- sichtiger, ziemlich harter Körner fanden. Sein Stiel war durch ein Ligament an der innern Wand der Höhlung befestigt. Lyonnet meinte, es lasse sich über den Zweck dieser Theile nichts bestimmen. Sie haben aber die Structur von Hörwerkzeugen. Bei der Blatta orientalis glaubte ich früher, das Hörorgan in einer, mit einer weissen, nach innen con- caven Haut bedeckten Oeffnung gefunden zu haben, die gleich hinter der Oeffnung liegt, worin die Wurzel- glieder der Antennen ihre Befestigung haben, und unter welcher sich eine Hervorragung des Gehirns befindet, die mir mit jener Haut in Berührung zu *) Mem. du Museum d’Hist. nat. T. XVII. p. 242. LE .. stehen schien.*) Ich habe neuerlich dieses Organ wieder untersucht und Folgendes daran beobachtet. Die er- wähnte Haut fand ich nicht, wie früher, rund, sondern halbmondförmig und unmittelbar an den Ring gränzend, in welchem das Fühlhorn befestigt ist. Unter ihr lag eine weisse, körnige Materie. Eine Substanz von gleicher Art bedeckte indefs auch die inwendige Fläche anderer Theile des Schädels. Der unter ihr liegende Hügel des Gehirns setzte sich in einen Nerven fort, der mir zu dem Fühlhörn seiner Seite zu gehen schien.” Ob ein Zweig desselben sich unter ihr verbreite, konnte ich nicht entdecken. Ich sehe auch jetzt nicht ein, welche andere Beziehung als auf den Hörsinn die Haut haben kann. Die Fühlhörner der Tagschmetterlinge endigen sich keulenförmig. Die Keulen enthalten nicht, wie die hintern Glieder der Antennen, Muskeln, die zur Bewegung der Gelenke dienen, sondern eine, mit einer häutigen Substanz ausgefüllte und von einer weissen, halbflüssigen Materie umgebene Höhlung. Bei Papilio Atalanta fand ich diese Materie aus kleinen runden, der Farbe nach dem Kalke ähnlichen Theilen be- stehend und mit einem zarten, häutigen Wesen durch- webt. Sie gleicht im Aeussern der Materie, die in den Hörsäcken der Frösche befindlich ist; nur sind in ihr die kalkigen Theilchen noch kleiner wie in der letztern. Es ist hiernach sehr wohl möglich, dafs die Keulen der Sitz eines Hörorgans sind. *) Annalen der WVetterauischen Gesellschaft für die gesammte Naturkunde. B. 2. H. 2. 8. 170. Im 6ten Bande der Biologie, S. 359, habe ich schon bemerkt, dafs bei den Libellen über der Stirn, in dem Zwischenraum zwischen den Augen und den Fühlhörnern, eine mit einer weifslichen Flüssigkeit angefüllte und an ihrem Gipfel zu beiden Seiten mit einer dünnen Haut bedeckte Hervorragung liegt, die ebenfalls zum Hören bestimmt seyn kann, “ Bei andern geflügelten Insecten, besonders den Dipteren, enthält das Innere des Kopfs grolse, mit zarten Häuten ausgekleidete Höhlungen, die mit der Empfindung des Schalls in Beziehung stehen können. Es giebt z. B. bei Tabanus bovinus auf der obern Seite des Kopfs, zwischen den beiden grofsen Augen, eine schmale, längliche, hornartige Platte, und auf dieser, an der Stirn, eine kleine schildförmige Hervor- ragung. Unter der letztern fängt eine Höhlung an, die sich zwischen der innern Seite der Augen, dem Gehirn und der untern Decke des Kopfs nach unten fortsetzt und mit einer sehr dünnen, schwärtzlichen, vielfach gefaltenen und immer trocknen Haut ausge- kleidet ist. Aus der Höhlung steigen, wenn man den Kopf unter Wasser öffnet, viele Luftblasen auf. Zu der Haut schienen mir von der vordern Seite des Gehirns kleine Nerven zu gehen. Diese letztere Be- obachtung ist jodoch ungewifs. Rosenthal hat die Haut schon bei Musca carnaria gesehen und sie für eine Riechhaut gehalten.*) Dies kann sie aber nicht seyn, da der Raum, worin sie sich befindet, keine *) Reil’s und Autenrieth’s Archiv f. d. Physiologie. B. 10, S. 436. 106 Zugänge von aussen hat. Eher läfst sie sich für ein Hörorgan annehmen, zu welchem die Schallschwin- gungen der Luft durch die schildförmige Hervor- ragung gelangen. Auch in dem Kopfe mancher Hymenopteren, unter andern der Bienen, giebt es Höhlungen, die vielleicht zur Aufnahme hörbarer Eindrücke dienen. Dafs aber bei dem letztern Insect nicht, wie Ramdohr glaubte, in dem Theil des Kopfs, mit welchem die Frefszangen artikuliren, ein Hörwerkzeug enthalten seyn könne, habe ich schon im 6ten Bande der Biologie, S. 356, erinnert. Er hat zwar recht gesehen, dafs darin eine Blase liegt, die ich früher nicht entdecken konnte, später aber gefunden habe. Diese ist indels ein Luft- sack, der zum System der Respirationsorgane gehört. So zweifelhaft die Gegenwart der Hörorgane bei den mehresten wirbellosen Thieren ist, so wenig ist sie es bei allen Wirbelthieren. Einige der letztern entbehren ganz des Gesichtsinns. Keinem derselben, die man näher kennt, fehlen die Organe des Gehörs. Sie besitzen aber diese in verschiedenem Grade der Ausbildung. Auf der niedrigsten Stufe, nicht einmal auf einer höhern als die Krebse und Sepien, stehen in Betreff des Ohrs die Lampreten (Petromyzon), die blos zu beiden Seiten des Hinterkopfs eine nach aussen verschlossene, knöcherne Kapsel und darin einen, mit einer wässerigen Flüssigkeit angefüllten Sack haben, in welchem sich ein Hirnnerve ausbreitet. Allen übrigen Wirbelthieren sind, ausser einem solchen Sack, oder einem dessen Stelle vertretenden Theil, noch drei 107 häutige, halbkreisförmige Röhren (Bogengänge) ge- geben, die durch ihre erweiterten Enden (Ampullen) mit jenem Theil in einer gemeinschaftlichen membra- nösen Höhlung (einem Vorhof) zusammenkommen und mit ihm das Labyrinth ausmachen. Diese Theile ent- halten immer eine Flüssigkeit und sind immer von einer Flüssigkeit umgeben. Welchen Zweck die Tren- nung derselben in zweierlei verschiedenartige Organe, die dreifache Zahl der Bogengänge und deren aus- gezeichnete Gestalt hat? ist eine bisjetzt nicht zu beantwortende Frage. Es gehen ferner, mit wenigen Ausnahmen, zum innern Ohr der Wirbelthiere, ausser dem eigentlichen Hörnerven, noch andere Hülfsnerven, die entweder von einem eigenen Antlitznerven, oder, wo dieser fehlt, von dem fünften, neunten oder zehnten Hirnnerven kommen. Diese Nerven erstrecken sich in den Bogengängen nie weiter als bis zu den Ampullen und endigen sich auf der inwendigen Fläche derselben in der Gestalt einer markigen Platte, breiten sich hin- gegen immer zerästelt in den übrigen 'Theilen des Labyrinths aus. Den ersten Grad der Ausbildung haben in Betreff der Hörwerkzeuge unter den Wirbelthieren über den Lam- preten die Gräthenfische. Bei den meisten dieser Fische ist kein eigener Zugang von aussen zum Labyrinth vorhanden. Die ganze Schädelhöhle enthält neben dem Gehirn eine ölige oder gallertartige Flüssigkeit, und diese umgiebt auch die sämmtlichen Hörwerkzeuge, die nicht in einer verschlossenen Cavität liegen. Der Schall gelangt zu diesen Organen blos durch die 108 Schädelknochen und durch jene Flüssigkeit. Nur bei einigen Arten*) hat der Schädel äussere, mit einer Haut verschlossene Oeflnungen, die aber nicht un- mittelbar zum innern Ohr, sondern blos zur Schädel- höhle führen, und deren Lage bei den verschiedenen, “ mit ihnen versehenen Fischen sehr verschieden ist. Noch einzelner steht unter diesen 'Thieren der Lepi- doloprus trachyrynchus mit einer äussern, grofsen Gehörmündung, von welcher sich ein häutiger, ver- schlossener, eine faserige Gallerte enhaltender Canal zu einer, hinter dem Labyrinth liegenden Grube er- streckt. **) Der Steinsack dieser Fische geht nicht unmittelbar in den Vorhof über, sondern ist durch eine Haut davon getrennt. In diesen öffnen sich aber die Bogengänge, die bei manchen Fischen größser als bei allen übrigen Thieren sind. Die Säcke beider Ohren stehen durch einen mittlern, queerlaufenden Canal mit einander in Verbindung. Der Steinsack enthält Einen oder zwei Steine, die in einer, meist gallertartigen Flüssigkeit schwimmen und durch die letzten Fäden der, sich in dem Sack verbreitenden Nerven mit den Wänden des- selben verbunden sind. Oft giebt es auch einen Stein im Vorhofe. Die Nerven sowohl der Säcke als der Bogengänge kommen zum Theil von einem eigenen Hörnerven, zum Theil aber von einem andern Nerven. ”*°) Clupea Harengus, Silurus Glanis, Cobitis fossilis, Cyprinus, Sparus Salpa, Sparus Sargus, nach Weber (De aure et auditu hominis et animal. p. 25.) **) Otto in der Zeitschr. für Physiol. B. 2. S. 86. 109 In dem Ursprung und der Verbreitung dieser Nerven findet eine grofse Verschiedenheit, eine weit gröfsere als bei den höhern 'T'hieren statt. Gewöhnlich geht der eigentliche Hörnerve zum Vorhof und zu den Ampullen des vordern und äussern Bogengangs, hin- gegen ein Zweig eines andern Hirnnerven zum Steinsack und zur Ampulle des hintern Bogengangs. Der Zweig entspringt bald vom Trigeminus, bald von einem Stamm, wovon es oft schwer hält zu sagen, ob er der Antlitznerve, der Glossopharyngäus oder Vagus ist. Es stehen überhaupt diese Hirnnerven der Fische nicht ganz in dem nehmlichen Verhältnifs gegen einander, wie die der höhern 'Thiere. So fand ich bei Trigla Hirundo neben den Hörorganen sechs Hirnnerven, die durch Verbindungsfäden unter sich zusammenhängen. Die drei vordern sind den drei Hauptästen des Tri- geminus der höhern Thiere analog. Der vierte theilt sich gleich nach seinem Austritt aus dem Gehirn in zwei Aeste, die sich zum mittlern Theil des Vorhofs und zu den Ampullen des vordern und des äussern Bogengangs begeben. Der fünfte geht, in drei Aeste getheilt, zu den beiden Steinsäcken. Der vorderste dieser Aeste hängt durch einen starken Faden mit dem hintern Ast des vierten Stamms zusammen. Der sechste theilt sich, nachdem er sich durch einen Queerfaden mit dem Vagus verbunden hat, in einen gröfsern und kleinern Ast, von welchen sich jener im hintern Theil des Vorhofs, dieser in der Ampulle des hintern Bogen- gangs endigt. Viele Fische besitzen keine weitere Mittel zum Hören als diese. Manche sind aber auch mit einer Vorrichtung ausgestattet, wodurch das Gehör nach den äussern Umständen modifizirt wird. Bei den letztern steht die Schwimmblase entweder unmittelbar, oder durch eine Kette kleiner Knochen in einer solchen Verbindung mit dem Vorhof, dafs, wenn die Luft der Blase durch Zusammenziehung dieses Organs selber oder der Bauchmuskeln nach vorne getrieben wird, ein Druck auf das Wasser des Labyrinths entsteht und die Wände desselben nebst deren Nerven in . eine Spannung versetzt werden. Die unmittelbare Verbindung geschieht durch häutige Fortsätze der Schwimmblase und der Vorhöfe beider Ohren, deren Enden mit einander in Verbindung stehen. Die Fort- sätze der Vorhöfe liegen in Höhlungen des Hinter- haupts, welche nach hinten offen sind. In den Oeffnungen schliessen sich die Fortsätze der Schwimmblase ihnen an. So verhält es sich mit diesen Theilen nach Weber bei Clupea Harengus, Sparus Salpa, Sparus Sargus, und nach meinen Beobachtungen bei Gadus Aeglefinus. Die mittelbare Verbindung findet bei allen Cyprinus- arten, bei Silurus Glanis, Cobitis fossilis und Cobitis Barbatula statt. Es giebt hier zu beiden Seiten der drei vordern Halswirbel drei Knöchelchen, die sowohl unter sich als mit der Wirbelsäule artikuliren, und dem Hammer, Ambos und Steigbügel des Ohrs der höhern Thiere verglichen werden können. Der Hammer ist mit dem Ende der Schwimmblase verbunden, der Steigbügel an einer knöchernen Platte befestigt, die den Eingang zu einer Höhlung des ersten Halswirbels verschliefst, 111 worin ein häutiger Fortsatz der Hörsäcke liegt. Die Knöchelchen befinden sich in einer Höhlung der drei vordern Halswirbel, die mit einer sehnigen Haut aus- gekleidet ist, eine ölige Flüssigkeit enthält und bei den Cyprinusarten in die Schädelhöhle übergeht, bei diesen auch durch Muskelfasern der sehnigen Haut verengert werden kann. Es ist die Schwimmblase jener Fische, bei welchen sie mit den Hörorganen zusammenhängt, auch für ein Mittel gehalten worden, wodurch die Fortpflanzung des Schalls zu diesen Theilen befördert werde. Dies kann sie aber nicht seyn und am wenigsten da, wo sie mit den Hörwerkzeugen durch Knöchelchen ver- bunden ist. Die hörbaren Eindrücke müssen leichter durch die Schädelhöhle und besonders bei denen Fischen, wo der Schädel äussere Oeffnungen hat, durch diese Zugänge und durch das Wasser der Schädelhöhle, als durch die Luft der Schwimmblase ‚und durch die Kette der Gehörknöchelchen zum La- byrinth gelangen. Der letztere Weg ist der längere und mehr durch verschiedene Media unterbrochen als der erstere. Auf jenem mufs also der Schall mehr als auf diesem geschwächt werden. Durch die Gehör- knöchelchen ist noch überdies eine Leitung von der Schwimmblase zu den Hörsäcken nicht zulässig, weil die Höhlung, worin jene liegen, mit einem Wasser angefüllt ist, welches den Schall besser als die Kette der Knöchelchen leitet. Wir müssen überhaupt bei der Theorie des Gehörs als Grundsatz annehmen, dafs der Schall immer den Weg zum innern Ohr nimmt, 112 worauf er am wenigsten verschiedenartige und am wenigsten in ihrer Continuität unterbrochene Materien zu durchdringen hat. Möglich ist es indefs, dafs der Schallin der Schwimmblase durch Resonanz verstärkt wird. Sie bleibt aber dabei ein Spannungswerkzeug der weichen Theile des Labyrinths. Zwei Gattungen der Fische, die in mehrern an- dern Stücken von den übrigen abweichen, die der Rochen und Haien, unterscheiden sich auch in Betreff der Hörwerkzeuge von den übrigen. Bei ihnen liegen diese Organe in knorpeligen Höhlungen, die keine Verbindung mit der Schädelhöhle haben. Die Hör- säcke enthalten nicht gröfsere Steine, sondern eine Flüssigkeit voll kalkartiger Theilchen. Bei den Rochen geht auf jeder Seite des Kopfs Ein Canal aus der knorpeligen Höhlung, worin die Säcke, umgeben von einer Flüssigkeit, schwimmen, und ein zweiter von den Säcken selber zur Oberfläche des Kopfs. Der zweite ist ein häutiger Fortsatz der Säcke, der mit der Flüs- sigkeit derselben angefüllt ist, durch Muskelfasern verengert werden kann und sich durch mehrere kleine Löcher auf solche Weise nach aussen öffnet, dafs dem äussern Wasser der Eintritt in ihn durch Klappen versagt ist. Die Muskelfasern dieser Röhre verursachen, wenn sie sich zusammenziehen, eine 'Turgescenz der Säcke. Sie leisten also das Nehmliche, was bei denen Gräthenfischen, deren Labyrinth mit der Schwimm- blase zusammenhängt, diese Blase bewirkt. Die Haien besitzen blos diesen zweiten Gang, der bei ihnen nur Eine weite Oeffnung nach aussen hat. Es giebt bei 115 den Rochen Einen Hirnnerven für die hintern Bogen- gänge und einen andern, der durch einen Faden mit diesem verbunden ist, für die übrigen Theile des häutigen Labyrinths. Hingegen in den Hörwerkzeugen der Haien verbreitet sich auf jeder Seite nur ein ein- ziger Nerve. Die nehmliche Bildung des innern Ohrs, die den Rochen und Haien eigen ist, findet sich im Wesent- lichen bei Siren, Hypochthon, den Schlangen, mit Ausnahme der Blindschleiche, und, nach Windisch- mann,*) bei der Feuerkröte (Bombinator igneus Merr.). Diese Thiere haben ebenfalls neben den Bogengängen einen, mit denselben durch einen Vorsack verbundenen häutigen Behälter einer, mit kalkigen Theilen ver- mischten Flüssigkeit. Die Bogengänge und der Hörsack liegen auch hier in einer, von der Schädelhöhle ab- gesonderten Cavität (einem knöchernen Labyrinth), die nach aussen nur eine einzige, dem eiförmigen Fenster der höhern Thiere zu vergleichende Oeffnung hat. Sie empfangen bei Hypochthon nur von Einem Hirnnerven Zweige, der nach meinen Beobachtungen **) noch einen Ast an andere Theile abgiebt, also Hör- und Antlitznerve zugleich ist. Abweichend ist der Bau dieser Hörwerkzeuge von der Bildung der vorigen darin, dafs die Bogengänge in Verhältnifs zum übrigen Ohr kleiner als bei den mehresten Fischen sind, und dafs die äussere Oeffnung des knöchernen Labyrinths *) De penitiore auris in amphibiis structura. Lips. 1831. p. 11. **) De protei anguini encephalo et organis sensuum disquis, z0010m. In Commentat. Soc. Reg. scient, Götting, recent. ad. ann. 1818, 8 114 nicht durch eine blofse Haut, sondern durch einen knöchernen Deckel verschlossen ist. Der letztere liegt gleich unter der Haut und den Muskeln des Kopfs. Vielleicht drücken diese unter gewissen Umständen ihn gegen die Flüssigkeit des Labyrinths und wirken so mit ihm als Spannungsapparat des Hörsacks und der Bogengänge. Der Deckel kann jedoch hier auch blofses Leitungsmittel des Schalls seyn, da er, um- geben auf der einen Seite von Wasser, auf der andern von weichen Theilen, geeignet ist, durch jeden Schall, besonders einen solchen, der vom Erdboden zu ihm gelangt, in Schwingungen versetzt zu werden, und es hier keinen nähern Weg zum innern Ohr als durch ihn giebt. Vorzüglich scheint er Leiter des Schalls bei den Schlangen zu seyn, bei welchen er noch mit einem beweglichen Knochen zusammenhängt, der sich von ihm zum Quadratknochen erstreckt. Eine höhere Bildung der Hörwerkzeuge fängt bei der Blindschleiche, den Fröschen und Schildkröten an. Das knöcherne Labyrinth enthält hier noch einen Sack mit einer kalkigen Flüssigkeit neben den Bogengängen. Die Aussenseite desselben hat aber zwei, mit einer elastischen Haut bedeckte Oeffnungen: ein rundes Fenster ausser dem eiförmigen. Beide befinden sich nicht an der Öberfläche des Schädels, sondern in einer, mit Luft angefüllten knöchernen Cavität, der Trommelhöhle, zu welcher der Schall von’ aussen durch eine weitere, ebenfalls mit einer elastischen Membran, dem Trommelfell, überzogene Oeffnung gelangt. Diese Haut liegt frei an der Oberfläche des ;; Schädels und ist einer Anspannung durch Muskelfasern fähig, die unter der äussern Haut von jener Fläche zu ihrem Rand gehen. Von ihr erstreckt sich zu einem knorpeligen oder knöchernen Deckel des eiförmigen Fensters ein beweglicher Knochen, der bei den Frö- schen an beiden Enden einen knorpeligen Fortsatz hat. Auf dieser Bildungsstufe und allen noch höhern giebt es immer einen Hörnerven, der blos für die weichen "Theile des Labyrinths bestimmt ist, und einen Antlitz- nerven, von welchem sich Zweige in der 'Trommel- höhle verbreiten. Mit der Gegenwart einer solchen Höhle ist stets auch Athmen durch Lungen und ein Zugang der äussern Luft durch die Nasenlöcher zu den Lungen verbunden, und immer geht hier ein Canal, die Eustachische Röhre, von der Trommelhöhle zu den hintern Mündungen der Nasengänge. Nicht aber durch diese Röhre, sondern blos durch das Trommel- fell kömmt der Schall zum Labyrinth: denn diese liegt soweit nach hinten in den Nasengängen, hat darin eine so enge Oeffnung, und ist mit einer so schlaffen und feuchten, den Schall dämpfenden Haut ausgekleidet, dafs durch sie keine Leitung des letztern möglich ist. Auch höret der Mensch durch sie nicht, wenn ihm die Ohren verstopft sind. Sie ist Mittel, die Luft der Trommelhöhle mit der Atmosphäre in Verbindung zu setzen und zu machen, dafs dieselbe in ihrer Ausdehnung und Mischung unverändert bleibt. Von dem Trommelfell kann der Schall sowohl durch die Luft der Trommelhöhle, als durch den Gehörknochen zum Labyrinth gelangen. Der erste 8% Weg ist der am wenigsten unterbrochene und daher der vornehmste. Auf ihm geht der Schall vorzüglich zum freiliegenden runden Fenster. Der Gehörknochen und der Deckel des eiförmigen Fensters sind ein Spannungsapparat der weichen Theile des Labyrinths, ähnlich in seiner Wirkung dem, den wir bei den Fi- schen antrafen, aber anders als dieser eingerichtet. Wenn das Trommelfell angezogen wird, so wird zugleich die Lage des mit demselben verbundenen Gehörknochens dergestalt verändert, dafs er auf den Deckel des eiförmigen Fensters und dieser auf die Flüssigkeit des knöchernen Labyrinths drückt. Hier- durch mufs die Haut des runden Fensters nach aussen gedrängt und ebenfalls gespannt werden. Die Span- nung kann indels bei denen Amphibien, wovon hier die Rede ist, noch nicht bedeutend seyn, da die Muskeln ihres 'Trommelfells nur eine geringe Wirkung auf dasselbe haben können. Alle die bisher erwähnten Thiere besitzen neben den Bogengängen einen Sack, der Einen gröfsern oder viele kleine Steine enthält, als unmittelbares Organ des Gehörs. Welchen Zweck diese Steine haben, ist aus dem, was wir bisjetzt von den Gesetzen der Fortpflanzung des Schalls wissen, schwer zu bestimmen. Da, wo die Flüssigkeit nur Einen oder zwei gröfsere Steine hat, an welchem sich die Hörnerven verbreiten, ist es denkbar, dafs die Schallschwingungen auf diese, frei schwebende Körper und deren Nerven einen stärkern Eindruck machen, als dieselben sonst von ihnen erhalten würden. Aber da, wo die Flüssigkeit des Sacks voll Bir kleiner Steine ist, mufs der Schall darin so vielfache Brechungen erleiden, dafs dadurch seine Einwirkung auf die Hörnerven nicht vermehrt werden kann, da- gegen aber die Fortdauer der Schwingungen in der Flüssigkeit nach dem ersten Eindruck verhindert wird.*) Auf jeden Fall kann durch die Steine der Hörsäcke wohl Empfindlichkeit für hörbare Eindrücke überhaupt, aber nicht ein feines Unterscheidungsvermögen der ver- schiedenen Modificationen des Schalls vermittelt seyn. Die Thiere, welche Steinsäcke besitzen, äussern nur Empfänglichkeit für Töne, die mit der Sphäre ihres Instincts in Beziehung stehen. Die Abänderungen des Schalls, die den Laut ausmachen, sind für sie noch nicht vorhanden. Feinheit des Gehörs zeigt sich erst da, wo ein Theil der Hörnerven, statt an einem Steinsack, an Häuten sich verzweigt, die in einem hohlen, knöchernen Behälter eingeschlossen sind. Ein solcher hat die Ge- stalt entweder eines abgestumpften Kegels, oder einer Schnecke. Von jener Form ist er bei den Eidechsen und Vögeln, von dieser bei den Säugthieren. Rudi- mente eines Kegels kommen, nach Windischmann, auch schon bei den Schlangen vor, obgleich diese dabei noch mit einem Steinsack versehen sind. Am ausgebildetesten ist derselbe bei den Vögeln, und bei *) Die Flüssigkeit der Hörsäcke des Frosches fand ich unter dein, Microscop ganz voll länglichrunder Körper, die von verschie- dener Gröfse, doch überhaupt so klein sind, dafs man sie unter einer, wenigstens 150mal vergröfsernden Linse betrachten mufs, um ihre Gestalt deutlich zu erkennen. 118 diesen hat er nach meinen Untersuchungen folgenden Bau.*) Er ist bei den mehresten Arten etwas gekrümmt, an der Spitze abgerundet, an der Basis mit dem Vorhof verbunden. Auf seiner, der Trommelhöhle zugekehrten, untern Seite liegen an der Basis, dicht übereinander, beide Fenster. Seine Höhlung wird der Länge nach durch zwei dünne, gekrümmte, an ihren Enden mit einander verbundene Knorpel in eine obere und untere Kammer getheilt. In die obere Kammer öffnet sich das runde, in die untere das eiförmige Fenster. Zwischen beiden Knorpeln befindet sich ein länglichrunder Zwi- schenraum. Mit denen Enden derselben, die der Spitze des Kegels zugekehrt sind, ist ein häutiger, flaschen- förmiger Sack verbunden. Den zwischen ihnen ent- haltenen Raum bedeckt in der untern Kammer ein gekrümmtes, der Wand dieser Kammer anliegendes, häutiges Dach, und unter diesem giebt es eine zweite Haut von gleicher Krümmung, die auf ihrer obern, concaven Seite eine Menge zarter, paralleler Queer- blätter hat. Der dem Hörkegel angehörige Ast des Hörnerven dringt von dieser Seite in denselben ein, und theilt sich gleich nach seinem Eintritt in eine Menge divergirender Zweige für die gedachten Blätter und in einen besondern Ast für den flaschenförmigen Theil. Der letztere ist analog dem Steinsack der niedern 'Thiere, enthält aber weder einen gröfsern Stein, noch kleinere, kalkige Concremente, sondern eine blofse Flüssigkeit. *) Eine ausführliche, durch Zeichnungen erläuterte Beschreibung dieses Organs habe ich in der Zeitschr. f. Physiol. B. 1, S.188 geliefert. 119 Diese meine Beobachtungen hat Windischmann weiter zu verfolgen gesucht.*) Unter den Nachträgen, die von ihm dazu geliefert sind, ist die Bemerkung wichtig, dafs über der convexen Seite der Hörblätter ein Netz von Blutgefäfsen liegt. Andere derselben betreffen minder wichtige Puncte, z. B. dafs die Hör- blätter nicht alle ganz parallel mit einander verlaufen, sondern zuweilen sich theilen. Noch andere gelten, wenn sie richtig sind, doch bei weitem nicht von allen Vögeln. Zu diesen gehören vorzüglich die beiden An- gaben: Die Hörblätter wären blos mit einem Pigment bedeckte Aeste des Gefälsnetzes, und die Zweige des Hörnerven, wovon ich geglaubt habe, dafs sie sich auf ihnen endigten, verbreiteten sich auf einer, unter ihrer concaven Seite liegenden dünnen Haut. Meine Beobachtungen machte ich an solchen Vögeln, die ein scharfes Gehör haben, und wobei die innern Theile des Hörkegels sehr ausgebildet sind: dem rauhbeinigen Falken, dem Holzhäher, der Rohrdommel, dem Ca- narienvogel und dem Kreutzschnabel. Beim Haushahn und der Ente fand ich dagegen diese Theile sowenig entwickelt, dafs ich die Hörblätter gar nicht unter- scheiden konnte. Grade nur an den letztern Vögeln hat sie Windischmann untersucht, und so ist er auf Resultate gekommen, die von den meinigen ab- weichen, diese aber nicht umstofsen, Ich habe auf Veranlassung seiner Beobachtungen die meinigen wie- der an den Hörwerkzeugen der Nachtigal geprüft und *) A. a. ©. p. 28. 120 richtig befunden. Die Hörblätter, die in dem Hörkegel dieses Singvogels fast so breit wie der innere Durch- messer des Kegels sind, erscheinen unter dem Microscop klar als wahre häutige Blätter und zeigen stark ver- gröfsert ein Netzwerk auf ihrer Oberfläche, das ich für nichts Anderes als ein Nervennetz halten kann. In Betreff der Bogengänge stehen die mehresten Vögel ebenfalls über den niedern Familien der Am- phibien, wenn man die Länge und Weite dieser Canäle in Verhältnifs gegen das übrige Labyrinth zum Maafs- stab ihrer Ausbildung nimmt. Bei den einzelnen Vögeln habe ich grofse Verschiedenheiten in diesen Dimen- sionen und in dem Verhältnifs der Canäle gegen ein- ander gefunden, die aber nicht der Stufe des Gehörs der einzelnen Arten, sopdern den Characteren der natürlichen Ordnungen dieser 'Thiere entsprechen. Weit und fast von gleicher Gröfse gegen einander sind die Bogengänge der Raubvögel. Engere haben die Enten und Hühner, und bei beiden übertrifft der hintere Gang den mittlern und vordern sehr an Länge. Noch enger, aber fast von gleicher Länge sind sie bei den Papageien, Bei den Singvögeln ist ihre Weite ebenfalls nur gering, der vordere und hintere aber viel länger als der mittlere. Eben dieses Verhältnifs findet auch bei den krähenartigen Vögeln statt, deren Gehör doch von dem der Singvögel sehr verschieden seyn mufs. Mit der höhern Bildung des häutigen Labyrinths der Vögel ist ein vollständigerer Apparat zur Spannung desselben und der Membran des runden Fensters als bei den meisten Amphibien verbunden. Das eiförmige 121 Fenster hat auch hier einen knöchernen Deckel, von welchem nur ein einfacher, grader Knochen (Columella) zum Trommelfell geht. Das äussere Ende dieses Kno- chens hängt aber mit dem Trommelfell durch drei biegsame Knorpel so zusammen, dafs es durch jenes Ende in der Mitte nach aussen hervorgetrieben ist. Das Trommelfell liegt dabei frei an der Oberfläche des Schädels und empfängt davon Muskelfasern, die zwischen den beiden Blättern dieser Haut zum Gehör- knochen gehen und dieselbe spannen. Die Wirkung der Spannung auf den letztern und durch ihn auf die weichen Theile des Labyrinths mufs nun bei dem, nach aussen convexen 'Trommelfell der Vögel weit stärker seyn als bei dem platten 'Trommelfell der Schildkröten, Frösche und anderer Amphibien. Das eiförmige Fenster führt hier jedoch nur zum Innern des Hörkegels, nicht zum Vorhof. Der Druck, den die Basis des Gehörknochens auf die Haut dieses Fensters äussert, wirkt daher zunächst nur auf die Flüssigkeit des Hörkegels. Hierbei findet noch eine Einrichtung statt, wo- durch bewirkt wird, dafs der Schall ohne Nebenwir- kungen, welche die Reinheit desselben trüben könnten, blos durch die Luft der Trommelhöhle und durch diese in grader Richtung zum Labyrinth gelange. Die Trommelhöhle öffnet sich in eine Menge Nebenhöhlen, die bei manchen Vögeln, z. B. den Eulen, zwischen den beiden Lamellen der Knochen des ganzen Schädels fortgehen, und allenthalben, besonders bei den Sing- vögeln,' mit den feinsten knöchernen Fäden durch- 122 webt sind. Alle Schallschwingungen, die nicht grades Weges zum runden Fenster gelangen, und, von den Wänden der 'Trommelhöhle zurückgeworfen, einen Wiederhall verursachen würden, gerathen in diese Zellen und in die Eustachische Röhre. In jenen werden sie so vielfach zurückgeworfen und so geschwächt, dafs sie keinen Eindruck auf das Gehör weiter machen können. In dieser werden sie von der Schleimhaut und dem Schleim derselben gedämpft. Diese Röhre hat also ausser dem Zweck, die Luft der 'Trommel- höhle mit der äussern Luft in Verbindung zu setzen, noch den, Ableiter stöhrender Schallschwingungen zu seyn. Sie kann aber, da sie nur eine enge, blos auf die vordere Seite der Trommelhöhle beschränkte, innere Oeffnung hat, nur wenige solcher Schwin- gungen aufnehmen. *) Manche Vögel übertreffen viele Menschen an Feinheit des musikalischen Gehörs. In der Reise in Brasilien von Spix und Martius (Th. 1. S. 190) wird erzählt: Den beiden Reisenden sey auf dem Wege von Rio de Janeiro nach 8. Paulo der Ton *) Früher habe ich diese Function der Ableitung blos auf die Zellen des zitzenförmigen Fortsatzes der Saugthiere beschränkt, und geglaubt, die Nebenhöhlen der Trommelhöhle könnten dienen, den Schall durch Resonanz zu verstärken. (Biologie. B. 6. S. 384.) Bei weiterer Untersuchung finde ich sie aber auch bei den Vögeln hierzu nicht geeignet. Durch Resonanz kann der Schall nur durch Wände verstärkt werden, die des Mitklingens fähig und nicht durch- brochen sind. Sobald diese Oeffnungen haben, die zu vielen unregel- mäfsigen Nebenräumen führen, hört die Resonanz auf und der Schall wird durch die vielfachen Brechungen nicht verstärkt, sondern ge- schwächt. Esser hat blos die Eustachische Röhre als Ableitungs- & Ri eines graulich braunen Vogels, wahrscheinlich einer Drossel, aufgefallen, der sich in den Gebüschen und auf dem Boden feuchter Waldgründe aufhalte, und in häufigen Wiederhohlungen die Tonleiter von H' bis A? so regelmäfsig durchsinge, dafs auch kein einziger Ton darin fehle; gewöhnlich gebe er jeden Ton vier- bis fünfmal an, und schreite dann zu dem folgenden Viertelston fort. Die Vögel, welche ein so feines Unterscheidungsvermögen der Höhe und en der Töne besitzen, äussern aber nie Zeichen von Em- pfänglichkeit für den verschiedenen Laut eines und desselben Tons. Hingegen unter denen, welche mit dieser versehen sind, z. B. den Papageien, giebt es keine singende Arten. Die Vögel haben also von ge- wissen Seiten ein sehr vollkommenes Gehör, doch nur von gewissen Seiten. Die Organisation ihrer Hörwerk- zeuge ist eine Bedingung dieser Vollkommenheit, aber nicht die einzige: denn in der Familie der Singvögel giebt es auch viele nicht singende Arten und Indi- viduen, deren Ohr doch eben so wie bei den singenden gebildet ist. mittel der stöhrenden Schallschwingungen geltend machen wollen, und gegen meine Meinung eingewendet: an ein ungehörtes Verlieren der Schallschwingungen in den Nebenhöhlen der Trommelhöhle sey nicht zu denken, weil jene nahe an dem Labyrinth liegen, sich blind endigen und mit Luft angefüllt sind, also keine Luft mehr aufnehmen können. (Kastner’s Archiv f. d. Naturl. B. 12. S. 63. 86.) Aber wenn ein und derselbe Schall zum einen Ohr durch die Luft, zum andern durch einen Haufen Wolle gelangt, so wird man ihn nur durch das erste, nicht durch das zweite Ohr hören, und in der Wolle wird er erstickt werden, diese mag eine luftdichte Umgebung haben, oder nicht eingeschlossen seyn. 124 Die höchste Stufe der Ausbildung für vielseitige Feinheit des Gehörs erreichen die Hörwerkzeuge bei den Säugthieren, und zwar dadurch: dafs der Hörkegel der vorigen Thiere sich in ein schneckenförmiges Organ verwandelt; die Verbindung des eiförmigen Fensters mit dem 'Trommelfell durch eine Kette von Gehör- knöchelchen geschieht, die durch eigene Muskeln bewegt werden, und der Schall seinen Zugang zum Trommelfell durch ein äusseres Ohr hat. Die Schnecke der Säugthiere enthält nicht, wie der Hörkegel der Vögel, viele häutige Blätter, sondern nur eine einzige Lamelle, die sich spiralförmig um eine knöcherne Spindel windet. Die letztere ist hohl, und durch sie geht der Nerve der Schnecke in die- selbe ein, der auf dem Spiralblatt gröfsere und zahl- reichere BRamificationen als in dem Hörkegel der Vögel bildet. Dieses Blatt ist auswendig häutig, inwendig knöchern, und theilt die Höhlung der Schnecke in einen untern und obern Gang, von welchen jener zum runden Fenster, dieser zum häutigen Labyrinth führt. Beide Gänge vereinigen sich an der Spitze der Schnecke über einer kegelförmigen Höhlung, die von dem obern Ende der Spindel und der obersten Windung des Spiralblatts gebildet wird, und ein Ueberbleibsel der Flasche des Hörkegels der Vögel ist. Das eiförmige Fenster liegt am Vorhofe. Ein Druck auf die Haut desselben drängt also das Wasser des Labyrintlis erst in den Vorhof, dann in die Bogengänge und in den obern Schneckengang, durch diesen in den untern Canal der Schnecke und so gegen die Haut des runden Fensters. Die Bogengänge sind bei den Säugthieren kürzer als bei den Vögeln. Es giebt in der Bildung derselben gewils auch bei jenen, wie bei diesen, Verschieden- heiten nach der Verschiedenheit der Familien, worüber es aber noch an Beobachtungen fehlt. Dafs nicht ihre Länge und Weite im Allgemeinen sich auf die Charactere der verschiedenen Ordnungen beziehen, beweisen Scar- pa’s*) Untersuchungen über das Verhältnifs jener Theile zur Schnecke und der Weite des ovalen Fensters zu der des runden bei mehrern Säugthieren, nach welchen in Betreff desselben auf der einen Seite der Hase, der Maulwurf und die Fledermaus, auf der andern die Katze und der Hund, zwischen beiden das Pferd, die Maus und der Igel, und in der Nähe der Katze und des Hundes das Schwein und das Kalb stehen, also verwandte Arten verschieden und ver- schiedene verwandt sind. Das eiförmige Fenster ist bei den Säugthieren mit dem 'Trommelfell in der Regel durch drei Gehör- knöchelchen verbunden: den Steigbügel, Ambos und Hammer. Ausnahmen machen auf der einen Seite der Goldmaulwurf (Chrysochlorus capensis), der zwischen dem Ambos und Hammer noch einen besondern, keulen- förmigen Knochen hat; **) auf der andern die Schnabel- thiere (Ornithorynchus), die nur zwei Gehörknöchelchen von ähnlicher Gestalt, wie der Columella und dem Deckel des eiförmigen Fensters der Vögel eigen ist, besitzen. ***) *) De structura fenestrae rotundae etc. anat. obs. p. 94 sq..$. 9 sq. **) Rudolphi’s Grundrifs der Physiol. B. 2. Abth. 1. S. 130. *%%*) Home, Philos. Transact. Y. 1802. p. 79. 355. 1 Abweichend von der gewöhnlichen Form sind bei den übrigen Säugthieren die Gehörknöchelchen des Igels und Maulwurfs. Beim Igel hat der Steigbügel zur Basis ein solides Oval, auf dessen Mitte nur ein einzelner gekrümmter Schenkel steht. Am Hammer setzt sich das Mittelstück in eine breite knöcherne Platte fort, die einen grofsen Theil der Trommelhöhle einnimmt. Beim Maulwurf ist der Ambos und Hammer inwendig hohl, und die Höhlung beider Knöchelchen öffnet sich durch eine weite Mündung in die 'Trommelhöhle. Der Steigbügel ist bei allen Säugthieren mit seiner Basis im eiförmigen Fenster befestigt. Der Hammer hängt durch seinen Stiel mit einem Theil der inwen- digen Fläche des 'Trommelfells so zusammen, dafs dieses durch ihn nach innen, also nach der entgegen- gesetzten Richtung wie bei den Vögeln, gezogen wird. Diese Concavität nach innen findet sich auch bei den Schnabelthieren, deren Ohr doch von andern Seiten dem der Vögel ähnlich ist; hingegen nicht bei den Wallfischen, deren 'Trommelfell dem Druck des Wassers zu widerstehen hat, und bei denen dasselbe wahr- scheinlich durch einen andern Mechanismus als bei den übrigen Säugthieren gespannt wird. Der Hammer und der Steigbügel artikuliren mit dem Ambos, und beide werden durch eigene Muskeln bewegt. Der Hammer hat drei Muskeln, die nach ihrer Lage und Befestigung als Antagonisten gegen einander wirken müssen; der Steigbügel Einen, wodurch dessen Stiel nach hinten gezogen wird. Von den drei Hammermuskeln hat man den, welcher 129 beim Menschen der gröfste ist, den innern (M. Eusta- chi), für den Spanner des Trommelfells angenommen, und beim Menschen scheint er auch als solcher zu wirken. Bei den vierfülsigen Säugthieren ist aber ein anderes Verhältnifs dieser Muskeln zum 'Trommelfell als beim Menschen vorhanden. Ich fand dasselbe unter andern beim Fuchs von folgender Art. Der innere und der kleine äussere Hammermuskel (M. Casserii) haben hier die nehmliche Lage und Befestigung wie beim Menschen. Jener ist hier indefs nur ein sehr dünner und wenig Muskelfasern enthaltender Theil. Hingegen macht hier der, beim Menschen nur unbedeutende, gröfsere äussere Hammermuskel (M. Folii) eine grofse, halbkugelförmige Masse aus, die in einer eigenen, von allen Seiten durch dünne Knochenplatten verschlos- senen, runden Zelle, zwischen dem Vorgebirge und dem Kopf des Hammers liegt. Diese Masse, die von Magendie in Folge einer sehr oberflächlichen Unter- suchung für einen fasernlosen, elastischen Körper aus- gegeben wurde,*) besteht aus Muskelfasern, welche von dem einen, im Mittelpunct der Masse liegenden Ende einer Sehne nach allen Seiten ausstrahlen. Die Sehne geht zur Spitze des Stachelfortsatzes des Ham- mers, und zwar so, dafs sie auf eine, von der Insertion aller andern Muskeln ganz abweichende Art, in Ver- bindung mit diesem Fortsatz senkrecht gegen die Ober- fläche des Stiels des Hammers gerichtet ist. Jener Muskel wirkt daher ohne Verlust an Kraft, und spannet das Trommelfell, womit sein Stiel der ganzen Länge *) Journal de Physiologie. T. I. pag. 341. 128 nach verbunden ist, indem er dasselbe stark gegen den Grund der Trommelhöhle zieht. Er hat aber dabei, wegen der Kürze seiner Fasern und wegen des engen Raums, worin er eingeschlossen ist, nur einen sehr beschränkten Spielraum. Die runde Gestalt und die Kürze der Fasern desselben ist übrigens nicht allen vierfüfßsigen Säugthieren eigen. Beim Maulwurf fand ich ihn verhältnifsmäfsig noch gröfser als beim Fuchs, aber lang und kegelförmig. Die Wirkung des Steigbügelmuskels kann von verschiedener Art seyn, wenn die Basis des Steig- bügels sich entweder auf dem vordern oder auf dem hintern Rand des eiförmigen Fensters stützt. Bei der Zusammenziehung dieses Muskels mufs sie im ersten Fall in das eiförmige Fenster hineingedrückt, im zweiten daraus hervorgezogen werden. Man hat die erste Wir- kung für die wirklich stattfindende, aber blos will- kührlich angenommen. Es ist im Gegentheil wahr- scheinlich, dafs bei der Verkürzung des Steigbügel- muskels der zweite Erfolg eintritt. Die Basis des Steigbügels wird immer schon in das eiförmige Fenster gedrückt, so oft sich der Spanner des 'Trommelfells zusammenzieht. Diese Zusammenziehung hat eine solche Drehung des Hammers gegen den Ambos und des Ambos gegen die Spitze des Steigbügels zur Folge, dafs die Basis des letztern gegen das eiförmige Fenster gedrängt werden mufs. Es bedarf schwerlich je einer Vermehrung, wohl aber zuweilen einer Verminderung der Pressung, und so scheint der Steigbügelmuskel vielmehr ein Antagonist des Spanners des Trommelfells 129 in Hinsicht auf das ovale Fenster zu seyn, als über- einstimmend mit diesem zu wirken. Der Einflufs, den dieser Spannungsapparat des innern Ohrs der Säugthiere in seiner höchsten Voll- endung auf das 'Trommelfell und das Labyrinth haben kann, ist offenbar noch weit feinerer Abstufungen fähig als der, welcher bei dem einfachen Gehörknochen der Vögel möglich ist. Daher besitzt der Mensch, bei dem jener Apparat im Allgemeinen die höchste Vollkommen- heit hat, ein Ohr von vielseitigerer Empfänglichkeit - für hörbare Eindrücke als alle übrige Thiere, wenn auch einzelne Töne von andern schärfer als von ihm empfunden werden. Jene Vorrichtung ist aber blos auf Spannung des Trommelfells und der weichen Theile des Labyrinths, nicht auf Leitung des Schalls berechnet. Es bleibt ein unwiderleglicher Grund gegen die Vor- aussetzung einer solchen Leitung, dafs nichts unpas- sender dazu seyn kann als ein Weg, der nicht durch ein Continuum, sondern durch eine Verbindung von mehrern Knochen geht, die noch dazu durch zwischen- liegende weiche Theile unterbrochen ist. Nicht weniger ungeeignet ist dazu auch der Zusammenhang des Stiels des Hammers mit dem Trommelfell unter einem sehr spitzen Winkel: denn ein schwingender fester Körper theilt einem andern um so schwächer seine Schwin- gungen mit, je mehr sich der Winkel, den beide mit einander machen, von dem rechten entfernt.*) Ferner, wäre nicht die Luft der Trommelhöhle der Leiter whentstowe’s Versuchen im Journal of the Royal Institution. Nro, 5. p. 226. 9 150° aller, aus der Luft kommenden Schallschwingungen, so würden diese immer noch besser durch die Wände der Trommelhöhle, als durch die Gehörknöchelchen geleitet werden. Aber man höret nicht bei verstopften Ohren, obgleich dann der Schall nach wie vor durch die Kopfknochen, die Knorpel des äussern Ohrs und die Wände des Gehörgangs zu den Wänden der Trommelhöhle kommen kann. Die Fortpflanzung des Schalls wird immer durch den Uebergang desselben aus dem Medium, worin er entstanden ist, in ein anderes ungleichartiges unterbrochen. Für den, der in festen Körpern erregt ist, sind feste Körper, für den, welcher in der Luft oder im Wasser entsteht, Luft oder Wasser die besten Leiter. Verhielte es sich anders, so würden Töne, die aus einem Zimmer kommen, ausserhalb demselben eben so gut oder besser bei verschlossener als bei offener Thür gehört werden müssen. *) Die Erfahrungen, die man zum Beweise einer Fort- leitung der aus der Luft kommenden Schallschwingungen durch die festen Theile des Kopfs zum Hörnerven an- geführt hat, sind von keinem Gewicht. Wenn Esser **) unter andern sagt: Er habe auf freiem Felde bei hei- terem Himmel die auf einer Flöte angegebenen Töne nicht so gut bei stark bedecktem Kopf als ohne Be- *) Dies zur Beantwortung eines, von Muncke in seinem Aufsatz Ueber die Fortpilanzung des Schalls vom Paukenfell bis zum Gehör- nerven (in Kastner’s Archiv f. d. gesammte Naturk. B. 7. H. 1.) gegen meine obige Meinung gemachten Einwurfs. **) Kastner’s Archiv. B. 12. S. 59. 151 deckung gehört, so erklärt sich dies ganz einfach daraus, dafs der Theil der Schallschwingungen, der im letztern Fall längs den Kopfknochen zum äussern Ohr und zum Trommelfell fortging, im erstern von der Bedeckung gedämpft wurde. Und wenn Itard, wie Muncke anführt, eine völlige Taubheit dadurch geheilt haben will, dafs er einen festen Kegel von Baumwolle durch das zerstöhrte 'Trommelfell in die Trommelhöhle soweit einschieben liefs, bis derselbe die innern Hörwerkzeuge berührte und eine schmerz- hafte Empfindung darin erregte, so kann ich nicht glauben, dafs die Leitung des Schalls durch einen so schlechten Leiter, wie ein baumwollener Kegel ist, sollte bewirkt worden seyn, wohl aber halte ich für möglich, dafs der Kegel die verlohrne Empfänglich- keit des Hörnerven für den Schall einigermaafsen wieder anfachte, indem er eine leichte Entzündung in der Trommelhöhle erregte. Die angebliche Heilung der völligen Taubheit wird indefs nicht von langer Dauer gewesen seyn. Nach Savart’s Versuchen schwingt eine stärker gespannte elastische Haut schwächer als eine weniger gespannte. Er glaubt daher, der Meinung, die man früher hegte, ganz entgegen, durch die Spannung des Trommelfells werde der Eindruck des Schalls auf dasselbe geschwächt.*) Allein mit der Stärke und Schwäche des Schalls im Allgemeinen hat die Span- nung dieser Haut nichts gemein. Was sie bewirken *) Journal de Physiologie par Magendie. T. IV. p. 183. 9* 152 kann, ist, einen einzelnen Schall vor allen andern hervorzuheben. Eine Saite wird dann von dem Ton einer andern angeschlagenen am stärksten in Schwin- gungen versetzt, wenn sie mit dieser im Einklang gespannt ist. Dieser Spannung im Einklang wird die des Trommelfells durch dessen Spanner, und gleich- zeitig, durch den dabei eintretenden Druck des Steig- bügels auf das Labyrinthwasser, auch die der Haut des runden Fensters möglichst genähert.*) Der Druck auf das Labyrinthwasser versetzt zugleich die Nerven des Vorhofs und der Bogengänge in eine Spannung, wodurch deren Empfänglichkeit für hörbare Eindrücke erhöhet wird. Es ist nicht richtig, was man dagegen gesagt hat: es bedürfe keiner Spannung, um den Hörnerven zur Fortpflanzung eines Eindrucks zum Sensorium fähiger zu machen. *) Die Nerven der äussern Haut und der Zunge werden durch das An- schwellen der Papillen, worin sie sich verbreiten, ebenfalls gespannt und reizbarer gemacht, und auch die Nervenhaut des Auges ist empfänglicher für die Gesichtseindrücke, wenn sie durch vermehrte Abson- derung der Feuchtigkeiten des Augapfels ausgedehnt ist, als wenn dieser eingesunken in der Augenhöhle liegt. Die Spannung des Trommelfells und der weichen Theile des Labyrinths ist willkührlich, doch nur mit- *) Was ich hier für die Bestimmung des Trommelfells erklärt habe, wurde schon dafür in der Biologie (B.6. 8.375) von mir an- genommen. Von der Qualität der Töne kann dabei nicht die Rede seyn. Muncke hat mich also mifsverstanden, wenn er in seinem angeführten Aufsatz meine Meinung auf diesen Punct bezieht. **) Muncke a. a. 0. 155 telbar. Ihre nächste veranlassende Ursache ist das Aufmerken auf einzelne Töne. Wie jeder Affect, so erregt auch der des Aufmerkens automatische Be- wegungen, und zwar durch Nerven, welche aus der Vereinigung von Zweigen verschiedenartiger Nerven- stämme entstehen. Der Spanner des 'Trommelfells er- hält nach Arnold beim Menschen einen Nerven aus dem Ohrknoten, der durch eine Vereinigung von Fäden des Unterkinnladenasts des Trigeminus, des Zungen- schlundkopf- und Anitlitznerven gebildet wird.*) Der *) Man hat die Wirklichkeit dieses von Arnold entdeckten und in dessen Abhandlung Ueber den Ohrknoten beschriebenen Knotens ‚geleugnet. Ich sahe denselben in Heidelberg an einem von Arnold verfertigten Präparat, und fand ihn mit der Beschreibung dieses Anatomen übereinstimmend. Indefs zweifele ich, dafs es hei allen Säugthieren einen solchen Knoten giebt, und, wenn er auch bei allen vorhanden ist, so steht doch nicht bei allen die Spannung des Trommelfells unter dem Einflufs desselben. Beim Fuchs fand ich einen andern Verlauf der Hülfsnerven des innern Ohrs als beim Menschen. Der gröfsere äussere Hammermuskel, der bei diesem Thier der eigentliche Spanner des Trommelfells ist, wird von einem Nerven regiert, welcher in seinem Ursprung dem oberflächlichen Felsenbeinnerven des Menschen ähnlich ist, aber sich nicht mit dem Antlitznerven verbindet und sich sehr weit in der Trommelhöhle aus- breitet. Dieser Nerve entspringt aus dem Oberkinnladenast des fünften Hirnnerven, verläuft bis zur Trommelhöhle in einem knöchernen Gang und dringt in dieselbe durch den Canal, worin der innere Hammer- muskel liegt. Nachdem er, wie es scheint, an den letztern einen Zweig abgegeben hat und aus dessen Canal hervorgetreten ist, krümmt er sich rings um den gröfsern äussern Hammermuskel und theilt diesem einem starken Zweig mit. Hierauf geht er über dem eiförmigen Fenster weg, biegt sich nach aussen und läuft queer über den hintern Theil des Vorgebirges, dicht vor dem runden Fenster, nach der äussern Seite des hintern Endes der Trommelhöhle, wo er durch eine Oeffnung der Wand dieser Höhle sich mit einem der, durch das hintere zerrissene Loch tretenden Nerven, und zwar, wie 154 Antlitzuerve verbindet sich aber auch, jenem Anatomen zufolge,*) mit dem Hörnerven, und erhält von dem letztern durch die Verbindungsfäden den Impuls zu der Wirkung, nach welcher die Spanaung des Trommel- fells eintritt. Es ist hier derselbe Fall wie bei der Erweiterung und Verengerung der Pupille in Folge des Aufmerkens auf einen nahen und entfernten Ge- genstand. Jeder feste elastische Körper leitet bei jeder Span- nung den Schall. Seine Vibrationen hören aber auf, sobald die des tönenden Körpers, der ihn in Mit- schwingungen versetzt, gehemmt werden, oder nicht mehr stark genug sind, auf ihn wirken zu können, wenn nicht der letztere mit ihm im Einklange gespannt ist, in welchem Fall derselbe selbstthätig mitschwingt und seine Vibrationen noch nach dem ersten Eindruck fortsetzt. es mir schien, mit dem Zungenschlundkopfnerven, vereinigt. Auf dem Wege vom runden Fenster zu dieser Stelle giebt er zwei lange Aeste ab, die sich längs dem Vorgebirge zur vordern Wand der Trommelhöhle begeben, durch zarte Queerfäden unter sich und mit dem, im Canal des Hammermuskels befindlichen Stück des ursprüng- lichen Nerven verbunden sivud, und ein, frei auf dem Vorgebirge liegendes Nervennetz bilden. Die beiden zuletzt genannten Aeste dringen durch Oeffnungen der vordern Wand der Trommelhöhle in den carotischen Canal, und verbinden sich darin mit einem Zweig des sympathischen Nerven, der dicht an der äussern Wand jener Höhle seinen Weg hat. Fast parallel mit diesem Felsenbeinnerven verläuft auf die gewöhnliche Art an der innern Wand der Trommel- höhle die Trommelsaite. Einen Ohrknoten habe ich beim Fuchs nicht entdecken können. *) Zeitschr. für Physiologie. B. 2. S. 149. Derselbe über den Ohrknoten. S. 17. 135 Dieses Gesetz mufs auch vom Trommelfell gelten. Da indefs das Fortklingen desselben nur beim Horchen auf einen einzelnen Ton und bei dem Grade von Spannung, wodurch es mit dem tönenden Körper im Einklange ist, statt findet, so kann davon keine Stöhrung des Gehörs entstehen, solange der Ton fortwährt und die Auf- merksamkeit ausschliefslich auf ihn gerichtet ist. Wird dieselbe von ihm abgewandt, so erfolgt eine andere Spannung des Trommelfells, und damit hört das Fort- klingen auf. *) Unabhängig von dieser Einrichtung zur Verstärkung des Eindrucks einzelner Töne besitzen viele Säugthiere eine Form des innern Ohrs, wodurch die Einwirkung des Schalls überhaupt auf das Gehör vermehrt wird. Die Wand der 'Trommelhöhle tritt über dem Vorgebirge, auf der äussern Seite des 'Trommelfells, nach aussen hervor, und bildet eine knöcherne Blase mit inwendig glatten Wänden, wodurch die vom 'Trommelfell kom- menden Schallschwingungen aufgefangen und nach dem runden Fenster hin zurückgeworfen werden. Einzeln kömmt eine solche Bildung schon bei einigen Am- phibien, z. B. bei Terrapene clausa, vor. Allgemeiner ist sie bei den vierfüfsigen Säugthieren, besonders den *) Ich habe mich früher über den obigen Punct dahin erklärt: Der Druck des Steigbügels gegen das Labyrinthwasser könne die Fortdauer der, von einem einfachen Schall bewir"ten Schwingungen verhindern. (Biol. B. 6. S. 411). Gegen diese Meinung hat Muncke in seinem angeführten Aufsatz Erinnerungen gemacht, die allerdings Jene Erklärung, nicht aber die obige Darstellung meiner Meinung treffen. 156 Raub- und Nagethieren. Doch wechselt die Gröfse der Blase. Sie ist z. B. schr grofs beim Fuchs, Hund und Tiger, hingegen nur flach bei der Flufsotter und dem Bären. Bei mehrern Säugthieren, z. B. beim Hunde, stehen senkrecht auf der innern Wand der Höhlung dieses 'Theils und gerichtet gegen den Mittelpunct desselben grade, knöcherne Scheidewände, die den Schall durch Resonanz verstärken helfen, ohne der Zurückwerfung desselben gegen das runde Fenster hinderlich zu seyn. Zur Ableitung derer Schallschwingungen, die nicht zum runden Fenster kommen, dienen den Säugthieren ähnliche Mittel wie den Vögeln„sDie Schwingungen, die auf den vordern Theil des Grundes der Trommel- höhle stofsen, entweichen durch die Eustachische Röhre. Die, welche den hintern Theil des letztern treffen, gelangen durch einen, oft ziemlich weiten Gang in kleine Knochenzellen, vorzüglich des zitzenförmigen Fortsatzes, und verschwinden darin ungehört. Alles OÖhrensausen, das nicht blos nervöser Art ist, besteht in einem Hören des Wiederhalls der Schallschwin- gungen, und rührt von Verstopfung der Eustachischen Röhre oder des Zugangs zu jenen Zellen her. Die mehresten Säugthiere sind endlich noch in Besitz eines äussern Ohrs, das allen übrigen Thieren ganz fehlt, oder doch nur als Rudiment verliehen ist. Dieses leistet da, wo es trichterförmig ist, die Dienste eines Hörrohrs, und ist dann noch mit Verstärkungs- 157 mittel der Wirkung des Schalls auf die innern Hör- werkzeuge. Aber hierauf kann sich die Bestimmung desselben nicht beschränken, Wozu sind die Leisten, Ecken und Gänge daran vorhanden, wenn es keinen andern Zweck als jenen hat? Warum sind diese vorzüglich am menschlichen Ohr ausgebildet, das wenig oder gar nicht als Hörrohr zur Verstärkung des Eindrucks der Töne beitragen kann? Auf diese Fragen läfst sich nur bei der Voraussetzung antworten, dafs das äussere Ohr bei den mehresten Säugthieren eben so sehr, und beim Menschen mehr ein Mittel zur Beurtheilung der Richtung des Schalls ist, als zum Hören überhaupt dient. Ob dieser von der rechten oder linken Seite kömmt, ergiebt sich daraus, ob er stärker auf das rechte oder linke Ohr wirkt. Allein ob der Ursprung desselben hinten oder vorne, oben oder unten ist, liesse sich nicht wissen, wenn er ohne Abänderung in der einen Richtung‘ wie in der andern zum Hörnerven gelangte. Die Ausbreitung dieses Nerven im Labyrinth ist auf nichts weniger als auf unmittelbare Empfindung der Richtung des Schalls berechnet. Nimmt man an, wie man annehmen mufs, der Weg der Schall- schwingungen zu ihm gehe blos durch die Luft der Trommelhöhle, so ist nur Unterscheidung der aus verschiedenen Richtungen kommenden Töne von ur- sprünglich gleicher Qualität in Rücksicht auf deren Stärke und Schwäche möglich. Setzt man voraus, die Schwingungen würden auch mit durch die Kopfknochen fortgepflanzt, so könnten vielleicht durch einen Hör- nerven, der sich strahlenförmig nach allen Seiten aus- 158 breitete, die Richtungen der Schwingungen unmittelbar empfunden werden, aber nicht durch einen solchen, wie alle 'Thiere wirklich besitzen. Diese Richtungen lassen sich nicht gradezu em- pfinden, sondern nur aus den verschiedenen Abän- derungen, die der Schall dabei erleidet, beurtheilen. Jeder, durch die Luft fortgepflanzte Ton spricht auf andere Art an, wenn er bei seinem Fortgange auf andere Art gebrochen wird. Durch solche Abänderungen der Brechungen des Schalls in den Sprachwerkzeugen werden die verschiedenen articulirten Töne hervor- gebracht, und solche erleidet er auch in den Höhlungen des äussern Ohrs. Der Ton, der dieses von hinten oder von oben trifft, hat eine andere Articulation als der, welcher zu demselben von vorn oder von hinten kömmt. Die Kunst des Bauchredens besteht in der Nachahmung dieser verchiedenen Articulationen. Beim Menschen werden die von der Seite kommenden 'Töne vorzüglich von der Ohrmuschel, die vordern vom hin- tern Stück der Gegenleiste, die hintern meist vom vordern Ende der Leiste und vom Tragus, die untern vom obern Stück der Leiste und Gegenleiste auf- gefangen. Die von unten auffallenden Schwingungen gelangen zum Theil erst aus der kahnförmigen Grube durch die ungenannte Grube und die Ohrmuschel, hingegen die, welche von der Seite eindringen, gleich aus der Hörmuschel in den Gehörgang. Die Thierarten, denen das äussere Ohr ganz fehlt, können die Richtung des Schalls nur in soweit be- 159 merken, als dieselbe sich aus dem verschiedenen Ein- “ druck auf eines der beiden Ohren abnehmen läfst. Sie werden daher durch hörbare Eindrücke weniger unmittelbar bei ihren Handlungen geleitet, als die, welche mit einem äussern Ohr versehen sind, und nur dadurch aufgeregt, den Gegenstand, welcher den Schall verursachte, vermittelst ihrer übrigen Sinne aufzusuchen. Die Organe dieser Sinne, besonders die Augen, haben deswegen bei ihnen meist eine andere Stellung und Beweglichkeit als bei denen Thieren, die ein äusseres Ohr besitzen. Die Augen liegen bei ihnen in der Regel so, dafs das Gesichtsfeld derselben sich weiter nach hinten als bei den letztern erstreckt, und manche können das eine nach einer andern Richtung als das andere be- wegen. Die Rochen und Haien besitzen eigene Sinnes- werkzeuge, wodurch sie jede Erschütterung ihres Me- diums nicht nur überhaupt, sondern auch in Betreff der Richtung derselben empfinden, und vielen andern Thieren dienen hierzu die Fühlfäden und Fühlhörner. Jene Abwesenheit eines äussern Ohrs findet auch bei einigen Säugthieren, z.B. dem Maulwurf und den Wallfischen statt. Die Richtung des Schalls kann auch für diese nicht so leicht wie für die übrigen erkennbar seyn. Kerner erzählt zwar: man habe einen Maulwurf in einem flachen, mit Erde angefülltem Gefäfs voll- kommen in seinem Gange leiten können, indem man von der einen oder andern Seite auf einem musika- lischen Instrument einen Ton angab.*) Dies wäre *) Reil’s und Autenrieth’s Archiv f.d. Physiol. B. 9. S. 363. 140 möglich gewesen, da auch ohne ein äusseres Ohr der verschiedene Eindruck eines, von der rechten oder linken Seite kommenden Schalls auf eines der beiden Ohren die Richtung eines solchen Schalls an- zeigt. Die Erfahrung selber ist mir indefs verdächtig. Esser versichert auch, bei Wiederhohlung des Ver- suchs nie gefunden zu haben, dafs die Richtung der Bewegungen des Maulwurfs durch die Richtung der Schallschwingungen des tönenden Instruments bestimmt worden wäre.*) *) Kastner’s Archiv f. d. gesammte Naturlehre. B. 12. S. 56- 141 Der Geruch. Der Sinn des Geruchs hat Alles zum Gegenstand, was das Medium des Athemhohlens aufgelöst enthält. Dieses Medium ist für alle Thiere die atmosphärische Luft. Die Wasserthiere nehmen in ihre Respirations- organe zwar Wasser auf, aber nicht des Wassers, sondern der darin enthaltenen Luft wegen. Auch für sie kann nur diese Luft, nicht das Wasser, das Medium des Riechbaren seyn. Ist dies nicht der Fall, so giebt es für sie keinen Unterschied zwischen Geruch und Geschmack: denn der letztere bezieht sich grade auf die im Wasser befindlichen, fremdartigen Theile. Viele riechbare Substanzen, und unter diesen manche, die einen sehr starken Geruch verbreiten, z. B. der Moschus und das Castoreum, sind nur in der Luft, nicht im Wasser, auflöslich. Für die Einwirkung solcher Materien würden die Wasserthiere ganz unempfänglich seyn, wenn sie nicht einen Sinn zur Empfindung dessen, was die Luft im Wasser Fremdartiges enthält, besäfsen. So erscheint der Geruch als Wächter beim Athem- hohlen. Es ist möglich, dafs auf den niedern Stufen der thierischen Organisation die Werkzeuge desselben mit denen der Respiration verschmolzen sind. Bei den höhern Thieren aber mufs eben darum, damit die unreine Luft, noch ehe sie wirklich geathmet ist, von der reinen unterschieden werde, eine Trennung dieser Organe statt finden und die Luft erst dann zu den Lungen oder Kiemen gelangen, nachdem der Geruch sie geprüft hat. Aber der Geruch giebt dem Thier 142 zugleich Kunde von der Gegenwart dessen, das dem- selben als Nahrungsmittel dienen kann, und von der Richtung, in welcher dieses zu suchen ist. Dazu ist er nur tauglich, wenn er seinen Sitz in einem einzelnen, eigens für ihn bestimmten Theil hat. Hiernach ist der Character eines Geruchorgans im Allgemeinen: Eine nackte Nervenausbreitung auf einerı besondern "Theil, worauf das Medium des Athemhohlens in einer be- stimmten Richtung wirken kann. Für die wasserath- menden Thiere mufs dieser Theil eine kiemenartige Structur haben, damit die im Wasser befindliche Luft auf die Nervenausbreitung wirken könne. Bei einer höhern Entwickelung des Geruchsinns wird sich vor- aussetzen lassen, dafs durch das Organ desselben auch ein willkührliches Einziehen und Ausstofsen des Wassers oder der atmosphärischen Luft möglich ist. Jener Character eines für die Luft bestimmten Riechwerkzeugs von der einfachsten Art zeigt sich unter den wirbellosen Thieren an Organen der Krebse. Rosenthal entdeckte diese beim Flufskrebs und Hummer, und ich fand seine Angaben beim Hummer der ‘Natur ganz gemäls.*) Sie bestehen bei diesen Thieren in einem muschelförmigen Körper, der in einer, durch eine enge Mündung sich nach aussen öffnenden Höhlung des untersten Glieds der beiden mittlern Fühlhörner enthalten und mit einer zarten Haut bedeckt ist, zu welcher ein Zweig des Muskel- nerven dieser Fühlhörner geht. Das Medium der Ge- rüche kann für dieses Organ blos die Luft seyn: denn “*) Biologie. B. 6. S. 308. 143 in der Höhlung desselben ist immer blos Luft, nicht Wasser, enthalten. Es ist unwahrscheinlich, dafs ein Thier, welches mehr im Wasser als in der Luft lebt und ein Riechwerkzeug für die Luft besitzt, nicht auch ein solches für das Wasser haben sollte. Dieses kann das gestielte Organ seyn, das sich bei jenen Thieren vor dem Eingang jeder der beiden Kiemen- höhlen befindet und während des Lebens in steter Bewegung ist. Es artikuliren mit dem äussern Ende desselben platte, dreieckige Blätter, welche sehr gefäls- reich und mit einem schleimigen Ueberzug bedeckt sind. Kiemen können diese nicht seyn, und doch haben sie einen kiemenartigen Bau. Es pafst also auf sie der Character eines, für das Wasser bestimmten Riech- werkzeugs. Das Nehmliche gilt auch von den beiden Blätterpuaren, die es bei den Muschelthieren zwischen dem Munde und dem vordern Ende der Kiemen giebt. Diese sind sehr nerven- und gefäfsreiche Theile, auf deren obern Fläche eine Menge grader, paralleler, hervorragender Adern wie auf den Kiemen liegen. Sie äussern bei dem lebenden Thier unter Wasser immerfort abwechselnde Zusammenziehungen und Ausdehnungen, die von einer Stelle zur andern fortschreiten, und wobei das Wasser angezogen und wieder zurückgestofsen wird. Obgleich solche Theile sich nicht bei den übrigen wirbellosen Thieren nachweisen lassen, so zeigen doch sehr viele derselben Empfindlichkeit gegen fremdartige, in der Luft aufgelöste Stoffe. Diese kann zwar blos Folge des, am Eingange der Respirationsorgane sehr erhöheten, allgemeinen Gefühlsinns ohne Unterschei- 144 dungsvermögen besonderer Arten von Gerüchen seyn. Allein viele Insecten äussern nicht nur dieses Ver- mögen, sondern gehen auch den riechenden Körpern selbst dann nach, wenn dieselben verborgen sind. Die Schmeisfliegen entdecken faules Fleisch, die Männchen der Schmetterlinge ihre Weibchen und die Bienen den Honig unter Umständen, wo kein anderer Sinn als der des Geruchs sie von den Gegenständen, wodurch sie angezogen werden, benachrichtigen und zu densel- ben leiten kann.*) Es sind die Lepidopteren, Dipteren und Hymenopteren, welche durch solche Zeichen den Besitz des Geruchsinns zu erkennen geben, und alle diese Insecten haben an der obern Magenöffnung eine Saugblase, vermittelst welcher sie sowohl atmo- sphärische Luft, als die ihnen zur Nahrung dienenden Flüssigkeiten in den Schlund aufnehmen können. Ihr Geruchsorgan kann daher im Schlunde enthalten seyn.**) Die Wirbelthiere besitzen insgesammt deutliche Geruchswerkzeuge, und bei allen, nur mit Ausnahme der Fischgattungen Peiromyzon und Myxine, liegen diese in doppelter Zahl am vordern Ende des Kopfs über dem Munde. Die Structur derselben ist, dem Obigen gemäfs, von anderer Art bei den wasserath- menden als den luftathmenden Gattungen. Jene besitzen auf beiden Seiten des Vorderkopfs über der Schnauze zwei Höhlungen, die sich nach aussen, nicht aber in eine der innern Höhlungen des Körpers öffnen. ***) *) Biologie. B. 6. S. 311 fg. **) Ein Weiteres hierüber habe ich in den Verm. Schriften, B. 2, S. 146, und im 6. Bande der Biologie, S. 317 fg. gesagt. *%*%*) Nach Blainville (Principes d’Anat. comp. T. I. p. 337) Blos bei den eben erwähnten Fischen findet diese Duplieität nicht statt. Sie haben nur eine einzige Ca- vität dieser Art auf dem Gipfel des Kopfs, die bei den Lampreten zu beiden Seiten in zwei blinde Gänge übergeht. Die Höhlung hat bei den Fischen überhaupt entweder nur Eine äussere Mündung sowohl zum Ein- lassen als zum Ausstofsen des Wassers; oder es giebt deren Eine für den erstern und eine andere für den letztern Zweck. Im ersten Fall hat die einfache, im zweiten die zum Auslassen des Wassers dienende Oeff- nung Muskelfasern, wodurch sie verengert und er- weitert werden kann. Obgleich also die Fische durch ihre Geruchsorgane nicht willkührlich das Wasser einziehen und ausstofsen können, so sind sie doch im Stande, das eingedrungene Wasser willkührlich zurück- zuhalten. Die Höhlungen enthalten Blätter, die mit einer schleimabsondernden Haut bedeckt sind und entweder reihenweise neben einander stehen, oder divergirend von einem gemeinschaftlichen Mittelpunct nach dem Umfang der Höhlung gehen. Im erstern Fall machen sie gewöhnlich, parallel mit einander und mit der Längenaxe des Fisches gestellt, zwei Reihen aus, die durch eine Queerscheidewand von einander getrennt und daran befestigt sind. Bei den Rochen und Haien stehen auf jedem Blatt noch wieder kleinere Blätter, die von der Mitte des untern Randes desselben strahlenförmig nach oben divergiren. Auf der Schleimhaut der Blätter verbreiten sich die Riech- ng Myxine hiervon eine Ausnahme machen und eine Nasenhöhle haben, die sich in den Hintergrund der Mundhöhle öffnet. 10 nerven und sehr zahlreiche Blutgefäfse. Dieser Apparat hat eine nicht zu verkennende Aehnlichkeit mit den Kiemen der Fische. Das Wasser wird zwar nicht durch Muskelkräfte gegen die Blätter des Geruchsorgans wie gegen die der Kiemen getrieben. Dasselbe dringt aber gegen diese Blätter von selber an, so oft der Fisch beim Schwimmen den Zugang zur Geruchshöhle offen hat. Es fehlet noch ganz an erheblichen und zuver- lässigen Beobachtungen über das Riechen der Fische. Allein da zu ihren Geruchsorganen ein eigenes Nerven- paar geht, das einen ähnlichen Ursprung, Bau und Verlauf wie der Riechnerve der höhern Thiere hat, so läfst sich nicht zweifeln, dafs ihr Geruchsinn von ähnlicher Art wie der der letztern ist. Bei manchen von ihnen, z.B. den Rochen, mufs dieser Sinn sogar von gröfserer extensiver Stärke als der Gesichtsinn seyn, da diese Arten sehr starke Riechnerven, aber nur schwache Sehenerven haben. Bei andern Arten, z. B. der Scholle (Pleuronectes Platessa) und dem Kabliau (Gadus Morrhua), findet ein entgegengesetztes Verhältnifs statt. Auf einen Unterschied des Geruch- sinns der Fische von dem der höhern Thiere würde man schliessen dürfen, wenn es wahr wäre, was Des- moulins*) behauptete, dafs bei jenen die Nasenzweige der Nerven des fünften Paars nicht wie bei diesen zur Schleimhaut der Riechblätter, sondern blos zur äussern Mündung der Geruchshöhle gehen. Desmoulins war aber ein unzuverlässiger Schriftsteller. Ich sahe beim *) Anatomie des Systemes nerveux des Animaux a vertebres. P. II. p. 861. 147 Schelltisch (Gadus Aeglefinus) nicht grofse, aber zahl- reiche Zweige der Nerven des fünften Paars in die Geruchsorgane selber dringen. Bei der Scholle schienen sich mir auch Nerven auf der innern Wand des kurzen Canals zu endigen, wodurch bei diesem Fisch das Wasser von aussen in die Geruchshöhle fliefst. Alle Wirbelthiere, die luftathmend sind, und selbst die, welche neben Lungen zugleich Kiemen besitzen, nur die Wallfische ausgenommen, riechen blos ver- mittelst der eingeathmeten Luft, und bei ihnen steht immer das Geruchsorgan so mit den Lungen in Ver- bindung, dafs bei jedem Athemzug die Luft durch dasselbe in diese Theile gelangt. Sie haben stets zwei Riechwerkzeuge, die über dem Gaumen liegen, in der Regel blos durch eine Scheidewand von einander ge- trennt sind, und sich durch zwei vordere Mündungen nach aussen, durch zwei hintere in den Schlund über der Stimmritze öffnen. Am abweichendsten von der gewöhnlichen Form sind diese Organe bei Hypochthon, wo sie in zwei häutigen Cylindern bestehen, deren inwendige Fläche parallele, schräglaufende Falten hat, und zu welchem mit den Nerven des ersten Paars zugleich Zweige des Trigeminus gehen.*) Bei allen übrigen Wirbelthieren ist eine knöcherne oder knor- pelige, meist hervorragende Nase vorhanden, in deren, durch eine Scheidewand in zwei Kammern geschiedenen Höhlung Hervorragungen (Riechbeine) liegen. Diese und die beiden Flächen der Nasenscheidewand sind *) Abbildungen dieser Organe finden sich in meiner, schon oben erwähnten Abhandlung De encephalo etc. protei anguini. 10* 148 mit einer gefälsreichen, schleimabsondernden Haut be- deckt, auf welcher sich die Riechnerven und Zweige vom ÖOberkinnladenast der Nerven des fünften Paars verbreiten. Der Riechbeine giebt es durchgängig we- nigstens zwei in jeder der beiden Nasenhöhlen: ein oberes, welches ein Fortsatz des Siebbeins ist, und ein unteres, das mit dem Nasentheil der obern Kinn- lade zusammenhängt. Auf dem obern Bein und dem obern gröfsern Theil der Nasenscheidewand breiten sich immer die Riechnerven in Gestalt einer, aus längs- laufenden Fasern bestehenden Haut aus. Zu dem untern Riechbein und dem untern, kleinern Theil dieser Scheidewand gehen die Riechzweige des fünften Hirn- nerven. In der Ausbildung der Riechbeine findet eine Stufenfolge von den Amphibien bis zu den Säug- thieren statt. Bei den Salamandern, Fröschen, Schild- kröten und Schlangen sind sie nur erst einfache Wulste. Zusammengesetzter werden sie bei den Eidechsen, besonders den Crocodilen, und bei den Vögeln. Diese haben drei Riechbeine: Ein oberes, mittleres und unteres. Das mittlere ist gewunden und liegt so zwi- schen dem obern und untern, dafs die eingeathmete Luft sich zwischen ihnen und den Wänden der Nasen- höhle verbreiten kann. Weit verwickelter ist die Structur jener Knochen bei allen Säugthieren, deren Riech- nerven aus Riechfortsätzen (Corpora mammillaria) des Gehirns entspringen. Diese haben immer mehrere, meist sehr zahlreiche, walzen- oder kegelförmige obere Riechbeine, und ein unteres, das entweder bei 149 den Wiederkäuern, Pachydermaten und Einhufern eine lange, zu einem Cylinder oder Kegel zusammengerollte Platte, oder bei den Raub- und Nagethieren eine sich baumförmig verzweigende Lamelle ist. Von den obern Riechbeinen ist gewöhnlich das oberste weit länger und breiter als die übrigen. Man hat dieses, nach der Analogie der Riechbeine des Menschen, das obere Muschelbein, und die übrigen, die dem Menschen fehlen, Ethmoidalfortsätze genannt. Es ist aber dasselbe von den letztern im Wesentlichen nicht verschieden. Ich weifs nicht, ob bei allen Säugthieren das untere Riechbein ausschliefslich für einen Zweig des fünften Hirnnerven bestimmt ist. Beim Igel steht das untere mit dem obern in einer solchen Verbindung, dafs ein Uebergang der Nerven des ersten Paars zu dem untern möglich ist. Beim Robben aber findet bestimmt keine Verbindung beider mit einander statt. Es geht hier nach meinen und Rosenthal’s Beobachtungen*) zu dem untern Riechbein blos der Nasenzweig vom fünften Paar, der neben dem Gaumennerven, unmittelbar aus dem Oberkiefernerven entspringt, und gröfser als der Gaumennerve, fast eben so dick wie der Riechnerve ist. Den vierfüfsigen Säugthieren stehen der Mensch und die Affen in der Ausbildung der Riechbeine weit nach. Es giebt deren bei jenem und diesen drei, wie bei den Vögeln. Sie sind aber nur einfache, etwas niederwärts gebogene, beim Menschen sehr kleine, bei den Affen etwas gröfsere Platten. Die Wallfische weichen von *) Verhandl. der Kaiserl. Acad. der Naturforscher. B. 4. 8. 681. 150 allen übrigen, durch Lungen athmenden Wirbelthieren darin ab, dafs sie durch Vermittelung des Wassers riechen. Sie nähern sich deswegen im Bau der Geruchs- organe den Fischen. Man findet bei ihnen an der Stelle, wo bei den übrigen Säugthieren die Nasenhöhlen sich in den Schlund öffnen, zwei solche Höhlen ohne eine äussere Nase, und in jeder derselben drei häutige Säcke, deren Wände inwendig hervorstehende Blätter haben. Sie entfernen sich dabei von allen übrigen Wirbel- thieren auf eine merkwürdige Weise darin, dafs zu jenen Organen nur Rudimente von Riechnerven, da- gegen aber grofse Zweige der Nerven des fünften Paars gehen. Man hat ihnen selbst diese Rudimente abgesprochen, und sonderbar ist es, dafs einige der ersten Anatomen, Tiedemann,*) Otto und Ru- dolphi,**) diese nicht fanden, da sich doch nach den, von Blainville, Jacobson, mir,**) von Baerf+) Mayer und Oken-7) gemachten Beobachtungen an der Anwesenheit derselben nicht zweifeln läfst. Dafs nur einige Arten damit versehen seyen, die man viel- leicht nicht immer genau unterschieden habe, läfst sich schwerlich annehmen. Eher wäre es möglich, dafs nur entweder das Männchen oder das Weibchen diese Nerven besäfse. Man riechet nur, wenn die Luft mit einiger Ge- walt in die Nasenhöhle getrieben wird, es sey durch *) Zeitschrift für Physiologie. B. 2. S. 258. **) Grundrifs der Physiologie. B. 2. Abth. 1. S. 105. ***) Biologie. B. 5. S. 342. 7) Isis. 1826. H. 8. S. 807. iT) Ebendas. S. 837. 151 den Wind oder durch Einathmen. Der gradeste Weg für diese eindringende Luft geht aber bei den mehrsten Thieren unter den Riechbeinen weg zur Luftröhre. In die Gänge zwischen diesen Theilen gelangt die Luft nur nebenher. Doch mufs sie um so stärker auf die Riechhaut wirken, je wärmer die, schon vorher in den Gängen enthaltene Luft gegen die eindringende ist, und je stärkere Ströhmungen wegen dieser ver- schiedenen Temperatur in beiden entstehen. Deswegen besitzen alle warmblütige 'Thiere, deren Riechgänge nicht so tief und schmal sind, dafs die darin befindliche Luft immer die Wärme des Körpers beibehalten kann, eigene Höhlungen im Stirnbein, in der Oberkinnlade und in andern Theilen des Kopfs, die im Hintergrunde der Nase sich in die Riechgänge öffnen, diesen eine immer gleichmäfsig warme Luft mittheilen, und zu- gleich es möglich machen, dafs beim stärkern Ein- athmen eine gröfsere Menge Luft in die Nasenhöhle dringen kann, als dieselben sonst würden fassen können. Mit solchen Höhlungen ist aus der angeführten Ursache auch der Mensch versehen. Den Vögeln ist die Stelle derselben durch einen, unter den Backenmuskeln be- findlichen Luftsack ersetzt. Alle diese Cavitäten sind blos mit einer glatten, nervenlosen Haut ausgekleidet und daher zum unmittelbaren Mitwirken beim Riechen nicht geeignet. Der obigen Siufenfolge in der Ausbildung der Riechwerkzeuge der Wirbelthiere entspringt im All- gemeinen die Schärfe des Geruchsinns. Es giebt zwar hierüber wenig zuverlässige Erfahrungen. Doch ist soviel I, gewils, dafs unter den Säugthieren schärfer riechende Arten als unter den Amphibien sind. Die Fische lassen sich nicht mit in Vergleichung bringen. Die mehrsten Handlungen, die man von Anregungen ihres Geruchsinns abgeleitet hat, können auch Folgen von Einwirkungen auf den Geschmacksinn seyn. Nur bei ihrer Begattung mufs, wie ich an einem andern Orte gezeigt habe, *) dem Geruchsinn eine wichtige Function zukommen. In Betreff der Amphibien führen alle bisherige Beobachtungen auf den Schlufs, dafs sie nicht bei der Wahl ihrer Nahrungsmittel, sondern nur bei der Paarung durch den Geruch geleitet werden. Die Frösche verschlingen nicht todte, sondern blos lebende Insecten. Sie lassen sich aber dahin bringen, auch todte zu ver- schlucken, wenn man diese durch Hin- und Herziehen eines angebundenen Fadens in Bewegung setzt. Es mufs also das Gesicht seyn, was sie hierbei anregt. Die Männchen sollen indefs zur Brunstzeit aus der Ferne durch die Hand angelockt werden, womit man ein Weibchen berührt hat. Die starke, moschusartige Ausdünstung mancher Eidechsen und Schlangen scheint auch ein Mittel zur Aufregung des Begattungstriebs durch Wirkung auf den Geruchsinn zu seyn. Den Geruchsinn der Vögel hat man nach un- richtig gedeuteten Erfahrungen bald zu hoch, bald zu niedrig gestellt. Man hat fälschlich daraus auf einen scharfen Geruch der Geier geschlossen, weil sich bei einem todten 'Thier sehr bald eine Menge derselben aus sehr weiter Entfernung einfinden. Diese *) Zeitschrift für Physiologie. B. 2. S. 13. Thatsache läfst, nach Audubon’s Beobachtungen, *) eine andere Erklärung zu. Die Geier leben heerden- weise, fliegen in weiten, sich vielfach durchkreutzenden Zügen, entfernt von einander, doch immer einer den andern im Auge behaltend, und schweben so gemein- schaftlich über Strecken von mehrern Meilen im Durch- messer. Sobald einer von ihnen sich auf eine Beute herabstürzt, folgen ihm die nächsten und, durch diese angelockt, nach und nach auch die entferntern, um an dem Mahl Theil zu nehmen. Audubon liefs ein todtes Schwein in einer Schlucht so verbergen, dafs kein Vogel dasselbe durch das Gesicht entdecken konnte. Es fand sich auch kein Geier dabei ein, obgleich mehrere derselben in der Nähe herumschwärmten, Hunde sich darum versammelt hatten, und der Geruch des faulenden Aases sich bis auf 30 Ellen verbreitete. Hingegen entdeckten die Geier sehr bald durch das Gesicht ein mit Blättern bedecktes, frisches Ferkel, von dessen Blut die Erde an der Stelle, wo man es versteckt hatte, gefärbt war. So sahe auch J. Johnson Raubvögel aus weiter Entfernung mit dem Winde, also unter Umständen, wobei der Geruch sie nicht leiten konnte, einem Cadaver zufliegen,*) und Faber***) bemerkt, dafs die Procellaria glacialis, obgleich sie von Aesern lebt, zu deren Auffinden ihr ein feiner Geruch sehr behülflich seyn könnte, doch ihre Beute *) The Edinb. New. philos. Journal. Oct.—Dec. 1826. p. 172. **) The Journal of the Royal Institution of Great Britain. Nro. 1. p. 192. *#%*) Ueber das Leben der hochnordischen Vögel. H.2. 8. 300. 154 mehr vermittelst des Gesichts als durch den Geruch aufsucht. Aus andern, an sich wohl richtigen, aber eben- falls unrichtig ausgelegten Beobachtungen, hat C. R. Schmid*) auf einen scharfen Geruchsinn anderer Vögel geschlossen, bei welchen, nach dem Bau ihrer Riechwerkzeuge, dieser Sinn noch weniger ausgebildet als bei den Raubvögeln seyn kann. Er glaubt, durch denselben entdecken die Haubenlerchen (Alauda cri- stata) an solchen Wintertagen, wo die Erde mit Schnee bedeckt ist, ihre verschneite Nahrung, so wie die Sper- linge und Haustauben die tief und sorgfältig gelegten, für uns ganz geruchlosen Erbsen in den Gärten. Wenn diese Vögel auch einen weit schärfern Geruch- sinn hätten, als sie haben können, und die Erbsen für sie stark riechend wären, so würde es doch für sie eine Unmöglichkeit seyn, die unter der Erde verborgenen Körner durch den Geruch aus der Ent- fernung aufzuspüren. Sie werden gewifs dabei durch sichtbare Kennzeichen geleitet, die dem Beobachter entgehen, die sie aber bemerken und sich gegen- wärtig erhalten. Auf der andern Seite ist es eben so unrichtig, daraus mit Audubon auf einen sehr stumpfen Ge- ruchsinn der Vögel zu schliessen, dafs Geier keine Zeichen von Reizung dieses Sinns äusserten, wenn neben ihnen liegendes Fleisch ihren Augen entzogen war, aber gleich Gierigkeit verriethen, sobald sie das- selbe erblickten. Sie konnten dasselbe riechen, ohne *) Blicke in den Haushalt der Natur. Halberstadt. 1826. S. 31. 32. 153 durch den Geruch zur Aufsuchung des Fleisches be- wogen zu werden, weil sie fühlten, dafs dieser Sinn allein sie dabei nicht leiten könne. Eben so läfst sich eine Beobachtung Johnson’s an einem Toucan er- klären, der ungerührt in der Nähe eines Aases blieb, das seinen Augen entzogen war, aber gleich darüber herfiel, sobald es ihm gezeigt wurde. Faber*) sahe in der That auch in Island den Raben an solchen Orten nach getrockneten Fischen suchen, wo derselbe nur durch den Geruch erfahren konnte, dafs etwas für ihn zu finden sey. Besser stimmen die Resultate von Versuchen Scarpa’s**) mit dem überein, was sich aus dem Bau der Geruchswerkzeuge dieser Thiere in Hinsicht auf die Schärfe des Geruchs derselben schliessen läfst. Dieser setzte Vögeln aus mehrern ver- schiedenen Familien Futter in zwei Gefäfsen vor: in dem einen unvermischtes, in dem andern ein gleiches, das mit stark riechenden Sachen vermengt war. Es verriethen hierauf die hühner- und sperlingsartigen Vögel den stumpfsten, die Klettervögel, besonders der Papagei, einen feinern, die Raub- und Schwimmvögel einen noch schärfern, und die Sumpfvögel den schärf- sten Geruch. Die nehmliche Stufenfolge findet in der Gröfse und Ausbildung der Riechbeine dieser Fami- lien statt. Sehr viele Säugthiere äussern unzweideutige Hand- lungen, die einen hohen Grad von Schärfe des Ge- ruchsinns verrathen, einen so hohen, dafs man Bedenken *) A. a. 0. 8. 300. **) Disquis, anat. de auditu et olfactu. Sect. 3. C. 4. $. 21. tragen dürfte, darin den Antrieb zu ihrem Benehmen zu suchen, wenn die 'Thatsachen sich aus einer andern Voraussetzung erklären liessen, und wenn nicht die Bildung ihrer Riechwerkzeuge mit der Annahme einer solchen Schärfe übereinstimmte. Schon das alltägliche Factum, dafs die Jagdhunde und andere Raubthiere dem Wilde nach dem blofsen Geruch der Fufsstapfen desselben nachgehen, ist ein Beweis dafür. Andere Beobachtungen führen auf noch auffallendere Fol- gerungen. Der Maulwurf schwimmt zuweilen über Gewässer, um sich auf Inseln anzusiedeln. A. Bruce hat darüber Erfahrungen bekannt gemacht, die zu- verlässig zu seyn scheinen.*) Was jenen zu solchen Reisen bewegt und dabei leitet, kann blos der Geruch- sinn seyn, da seine Augen nur zum Uebersehen eines sehr kleinen Gesichtskreises gebildet sind. Nach Reng- ger’s,*) in Paraguay gemachten Beobachtungen wittert das Hornvieh oft fünf bis zehn Stunden weit das Wasser und geht demselben nach. Im äussersten Norden von Amerika halten sich, wie Hearne***) erzählt, während des Winters die männlichen Rehe westwärts, die Weibchen ostwärts in den Gehölzen auf. Vom Mai an ziehen jene diesen, diese jenen entgegen. Im November kehren die erstern nach Westen, die letztern nach Osten zurück. Was kann sie zu einander ziehen und leiten als der Geruchsinn? Erwägt man *) Transact. of the Linnean Society. Vol. IH. p- 9. **) Naturgeschichte der Säugthiere in Paraguay. S. 337. ***) Reise nach dem nördlichen Weltmeer. Uebers. von M. €. Sprengel. S. 139. 157 die Gröfse der Riechfortsätze jener Thiere, die enge Verbindung dieser Organe mit dem ganzen Gehirn, wovon sie einen Haupttheil ausmachen, und die grofse Ausdehnung der Flächen, worüber sich die Zweige derselben ausbreiten, so kann man auch nicht anders als annehmen, dafs Beschaffenheiten der Atmosphäre, wofür wir kein Reagentien haben, auf das Gehirn jener Thiere wirken müssen; dafs die riechbare Welt die ist, worin sie vorzüglich leben, und dafs die meisten ihrer Triebe, Affecten und Handlungen im Geruchsinn be- gründet sind. Die Riechfortsätze fehlen dem Gehirn des Men- schen und der Affen. Bei beiden sind sowohl die eigentlichen Riechnerven als die zu den Riechbeinen gehenden Zweige des fünften Nervenpaars weit kleiner als bei allen übrigen Säugthieren, mit Ausnahme der Wallfische, und dieser Kleinheit entspricht die geringe Ausbildung ihrer Riechbeine. Ihr Geruchsinn mufs daher weit unter dem der Säugthiere stehen, die mit jenen Fortsätzen versehen sind. Diesem Schlufs scheinen zwar einige angebliche Erfahrungen zu widersprechen. Man hat von einer ausserordentlichen Schärfe des Geruchsinns wilder Völker erzählt. Manche von diesen sollen wie die Spürhunde andern Menschen und dem Wilde vermittelst desselben nachgehen. Allein man hat gewifs hierbei, wie in den obigen Fällen bei den Vögeln, vom Geruch abgeleitet, was Folge eines scharfen und geübten Gesichts war. Im 2ten Band der Reise des Prinzen von Wied-Neuwied nach Bra- silien (S. 46 der Ausg. in 8vo) wird von den Botocuden 158 gesagt: „Sie sollen an der Spur die verschiedenen „Nationen erkennen, die Fährte durch den Geruch „errathen und sich zu dem Ende reingefegte Pfädchen „bereiten.“ Diese Angabe beruhet aber, wie die Worte “ beweisen, nicht auf eigenen Beobach- „sie sollen‘ tungen des Verfassers. Dagegen sagt Barrow*) ganz bestimmt von den Hottentotten: Es gebe kein, ihnen bekanntes Thier, dessen Fährte sie nicht an der Form unterscheiden können; sie würden die Fufsstapfen irgend einesihrer Gefährten unter Tausenden ausfindig machen. Und so erzählt auch Burkhardt Beispiele von der Geschicklichkeit der Araber, Menschen und Thiere an den Fufsspuren durch das Gesicht zu erkennen, die unglaublich seyn würden, wenn sie von einem weniger zuverlässigen Beobachter angegeben wären.**) Dafs übrigens, wie Rengger in seiner Naturgeschichte der Säugthiere von Paraguay (S. 11) sagt, die Guaranis stundenweit den Brand eines Feldes riechen und auf ziemlich grofse Entfernung die Pecaris, die Männchen einer Art von Feldhirsch, den Kaiman und manche Schlangenarten wittern, beweiset nichts für einen un- gewöhnlich scharfen Geruch dieser Menschen. Im Bre- mischen und Oldenburgischen riecht Jeder den Brand angezündeter Haiden nicht nur stunden-, sondern meilenweit, wenn der Wind von der Seite des Feuers herweht. Die Pecaris u. s. w. haben einen starken Moschusgeruch. Kräftigen Moschus kann aber eben- *) Reise in das Innere von Südafrika in den Jahren 1797 und 1798. Leipz. 1801. S. 452. x) The Journal of the Royal Institution. Nro. 4. 159 falls jeder Europäer, der einen nicht zu stumpfen Geruchsinn hat, bei günstigem Winde in einer be- trächtlichen Entfernung riechen. *) Die Wallfische müssen wegen der geringen Aus- bildung ihrer Riechnerven ebenfalls in Hinsicht auf den Geruchsinn weit unter den mit Riechfortsätzen versehenen Säugthieren stehen, obgleich ihnen dabei die Stärke der vom fünften Nervenpaar zu ihren Riech- häuten gehenden Zweige wohl von gewisser Seite ersetzen kann, was ihren Riechnerven an Masse ab- geht. Aus den bisherigen Beobachtungen über ihren Geruchsinn läfst sich nichts Sicheres abnehmen. An- derson**) berichtet: eine gewisse Wallfischart werde verjagt, wenn man ihr Castoreum oder Wacholderholz entgegenwerfe. Flemming **) führt zum Beweise der Gegenwart des Geruchsinns bei den Cetaceen aus eigener Erfahrung an, dafs, wenn ein Nordcaper (Grampous) einem Schiffe folgt, derselbe gleich ent- flieht, sobald Pumpenwasser ins Meer gelassen wird, und Pleville-le-Peley sahe die Walifische sich jedesmal aus dem Gesichtskreise entfernen, wenn das faule Wasser aus den Fischerbooten ins Meer ge- *) Man vergleiche hiermit, was ich über diesen Gegenstand schon im 6. Band der Biologie, S. 254 fg. gesagt habe. Die dortige Angabe (S. 256), dafs sich in der Reise des Prinzen von Wied- Neuwied nichts über den Geruchsinn der Botocuden finde, bezieht sich nur auf den iten Band dieses Werks. Der 2te war bei der Herausgabe des 6ten Bandes der Biologie noch nicht erschienen. ”*) Nachrichten von Island u. s. w. S. 24. #3) Philosophy of Zioology. Vol. 2. p. 205. * U schüttet wurde. *) Bei diesen Erfahrungen bleibt es aber zweifelhaft, ob die Substanzen, wodurch jene Thiere verjagt werden, auf das Geschmacks- oder Geruchsorgan derselben wirken. Die vorstehenden Bemerkungen über die Stufen- folge im Geruchsinn der Thiere gelten von demselben nur im Allgemeinen. Er hat, wie jeder andere Sinn, Modificationen, wodurch jene Folge im Einzelnen abgeändert wird. Eine Hauptverschiedenheit desselben besteht darin, dafs er sich bei einigen 'Thieren mehr als das Vermögen zu spüren, bei andern mehr als das Vermögen zu wittern äussert. Beim Spüren wird er durch willkührliches Einziehen der Luft, beim Wittern durch Einströhmen der vom Winde in die Nasenlöcher getriebenen Luft erregt. Spürende Thiere sind die, welche ästige untere Riechbeine mit engen, sehr verwickelten Gängen, in welche die Luft nur langsam eindringen kann, und einen engen untern Nasengang haben; witternde die, deren untere Riech- beine lange, zu einem Cylinder aufgerollte Platten mit weiten, ununterbrochenen Zwischenräumen zwischen den Windungen sind, durch welche letztere die in den weiten untern Nasengang eindringende Luft durch- streichen kann. Jene riechen mehr in der Nähe als in der Ferne, sind dabei von der Bewegung der Luft nicht sehr abhängig, und haben zum Behuf des stärkern Einathmens eine sehr bewegliche äussere Nase. Diese riechen auf sehr weite Entfernungen, doch nur dem *) Lacepede Hist. nat. des Cetacees. T. I. p. 111 der Pariser Ausgabe in 12mo vom Jahre 1809. E27 161 Winde entgegen, und können die äussere Nase zum Einathmen wenig oder gar nicht bewegen, obgleich sie bei Manchen wohl zu andern Zwecken sehr be- weglich ist. Bei den witternden 'Thieren müssen die Geruchsnerven plötzlicher als bei den spürenden ge- rührt werden. Unter den witternden Säugthieren nehmen die Wiederkäuer die erste Stelle. ein. Ihnen folgt das Schwein mit dessen Verwandten, und diesen das Pferd mit den übrigen Einhufern. Bei dem Pferd ist zwar die äussere Form des untern Riechbeins von ähnlicher Art wie bei den Wiederkäuern. Aber die Wände des- selben sind allenthalben durchlöchert, und auf der inwendigen Fläche dieser Wände stehen senkrechte Scheidewände, welche kein so schnelles Einströhmen der Luft wie bei den Wiederkäuern gestatten. Das Pferd riecht daher nicht auf so weite Entfernungen, doch in der Nähe besser als das Hornvieh. Das Reh wittert einen Menschen schon auf 300 Schritte; *) hin- gegen die Pferde von wilder Race in Paraguay riechen einen Jaguar auf höchstens 50 Schritte, beriechen aber gewöhnlich ihren Reiter in dem Augenblick, wo er aufsteigt.**) Wie das Pferd so hat auch der Maul- 'wurf ein grofses unteres Riechbein mit durchlöcherten Wänden. Aber es giebt bei diesem darin keine Scheide- wände. Zu den witternden Thieren gehören ferner nach *) Naturgeschichte der in der Schweiz einheimischen Säugthiere von Römer und Schinz. 8. 305. xx) Rengger na. a. 0. S. 337. 11 162 dem Bau ihrer Riechbeine die zahnlosen Säugthiere *) und die sämmtlichen Vögel und Amphibien. Alle die»: Thiere ziehen nie, wie die spürenden, eine gröfsere Menge Luft wie gewöhnlich durch die Nasenlöcher ein, um schärfer zu riechen. Bei den Vögeln steht es mit der Beschaffenheit ihres Geruchsinns in Beziehung, dafs sie soviel wie möglich dem Winde entgegenfliegen.”*) Spürende 'Thiere finden sich blos unter den Säug- thieren. Die ersten derselben sind die Raubthiere. Die- sen folgen die Nager, die Beutelthiere und der Igel. Zwischen ihnen und den witternden stehen die Fleder- mäuse, die Affen und der Mensch. Die spürenden Thiere riechen, wie schon gesagt ist, schärfer in der Nähe als in der Ferne. Doch ist darum nicht bei allen der Geruch nur auf eine kleine Entfernung beschränkt. Der Eisbär riecht, indem er seinen Kopf erhebt und die Luft einschnaubt, das Aas eines Wallfisches aus einer sehr grofsen Weite. ***) Wahrscheinlich steht der Unterschied zwischen dem Vermögen zu spüren und zu wittern noch mit andern Verschiedenheiten des Geruchsinns in Verbin- dung, zu deren Bestimmung es noch an Erfahrungen fehlt. Auf jeden Fall geschieht das Riechen bei allen Landthieren durch ein gemeinschaftliches Wirken der Riechnerven und der Riechbeinnerven des fünften Paars. Die letztern können nicht etwa nur zum Behuf der *) Die Schnabelthiere nach Home’s Beschreibung der Riech- beine des Ornithorynchus paradoxus und Hystrix, die indefs sehr mangelhaft ist. Philos. Transact. Y. 1800. p. 434. Y. 1802. p. 78. 35%. **) Biologie. B. 6. S. 287. X) Scoresby Account of the arctie regions etc. Vol. I. p. 517. 163 Ernährung der Riechhaut oder zur Vermittelung der sdarauf vorgehenden Absonderungen vorhanden seyn: denn bei vielen Säugthieren sind nur sie es, die sich auf dem untern Riechbein verbreiten, in dessen vielen und sehr verschlungenen Gängen die Riechhaut viel- leicht eine gröfsere Fläche als auf den obern Riech- beinen einnimmt. Gegen den Schlußs, der sich aus dieser Thatsache ergiebt, können keine mangelhafte pathologische Beobachtungen etwas beweisen. Es sind Fälle aufgezeichnet, wo bei zerstöhrten Riechnerven des Menschen der Geruch fehlte; andere, wo er dabei fortgedauert haben soll,*) und noch andere, wo er bei Thieren nach Durchschneidung der Nerven des ersten Paars geblieben, hingegen nach Durchschnei- dung der Riechbeinzweige des fünften Paars aufge- hoben zu seyn schien.**) Ein gewisses Riechen ist ohne Zweifel sowohl allein durch die Nerven des ersten Paars, als allein durch die eben genannten Zweige möglich. Aber der Geruch ist gewifs in beiden Fällen schwächer als im natürlichen Zustande und von dem natürlichen Geruch sehr verschieden. *) Biologie. B. 6. S. 265. Rudolphi’s Grundrifs der Physiol. RB. 2./Abth1. 8.2115: ”*) Nach Magendie’s Versuchen in dessen Journ, de Physiol. IS TV. .p., 169, 11* 164 Der Geschmack. Wie durch den Geruch die in der Luft aufgelösten Materien, so werden durch den Geschmack die, welche das Wasser aufgelöst enthält, erkannt. Beide Sinne sind nahe mit einander verwandt, und dieser ist sehr abhängig von jenem. Manche riechbare Substanzen ‚haben den, ihnen eigenthümlichen Geschmack nur dann, wenn sie beim Schmecken zugleich auf die Geruchs- werkzeuge wirken. Im Finstern und bei verstopfter Nase soll Campher wie gepfeffertes Brod, und Asa foetida wie’ Campher schmecken.*) Der Geschmack ist aber auch abhängig vom Gesichtsinn. Selbst guten Weinkennern ist es nicht immer möglich, in der Finsterni(ls weissen und rothen französischen Wein blos am Geschmack von einander zu unterscheiden. Es hängt auch kein Sinn so sehr von der Stimmung aller übrigen Organe, besonders der Verdauungswerkzeuge, ab als der des Geschmacks. Die Qualität seiner Em- *) Nach Versuchen Rousseau’s (Journal universel des sc. mediec. T. XXXI. 1813. p. 231) und Chevreul’s (Journ. de Physiol. par Magendie. T. IV. p. 127). Rousseau hat aus den seinigen sehr unrichtig den viel zu allgemeinen Schlufs gezogen: dafs die innern Theile des Mundes beim Schmecken nur eine untergeordnete Rolle haben und bios für die mechanische Einwirkung der schmeck- baren Substanzen empfänglich sind, wenn nicht das Geruchsorgan mit ihnen zu gleicher Zeit wirkt. Nicht riechbare Substanzen von sehr verschiedenem Geschmack, z. B. eine Zuckerauflösung und ein Quassiendecoct, lassen sich auch bei verstopfter Nase blos durch Schmecken leicht von einander unterscheiden. Richtiger ist Che- vreul’s Eintheilung der Substanzen, die eiue Empfindung im Munde erregen, in solche, die blos auf das Getast, auf das Getast und den Geruch, auf das Getast und den Geschmack, oder auch auf alle drei Sinne zugleich wirken. Be... pfänglichkeit für Eindrücke wird ferner durch eine angeerbte Stimmung und durch Gewohnheit bestimmt. Aus diesen Ursachen spieen Esquimaux von einem bis dahin unbekannten Stamm, die J. Rofs auf seiner Ent- deckungsreise fand, Zwieback und gesalzenes Fleisch mit Eckel wieder aus. *) Der Geschmack ist deswegen mehr subjectiv als alle übrige Sinne. Er verschafft Empfindungen, die oft blos angenehm oder unangenehm sind, ohne Auf- schluls über die Qualität der äussern Ursachen, wo- durch sie erregt werden, zu geben. Darum ist bei den Thieren nicht so sehr dieser Sinn, als vielmehr der Geruch, das Gesicht oder das Getast erster Wächter bei der Aufnahme der Speise und des 'Tranks, und da, vo er es auch zu seyn scheint, wird doch, wie wir uıten zeigen werden, das Schmecken durch Riechen vermittelt. Nur bei dem Menschen ist er es mehr als bei den Thieren. Aber dieser besitzt auch das Vermögen, das len mehresten der letztern fehlt, das durch den Geschmack Geprüfte gleich wieder durch willkührliche Bewigungen der Zunge und der Muskeln des Mundes ausw:rfen zu können, wenn es ihm nicht angemessen ist. Die neisten Thiere rühren entweder das ihren übrigen Sinna Widrige gar nicht an, oder lassen es aus den Seiteı des Mundes wieder fallen. Das Letztere thun z. B. die Enten, Gänse und Schwäne.*”) Die allgemeinen Bedingungen des Geschmacks sind: * J. Rofs’s Entdeckungsreise, um Baffins-Bay auszuforschen, übersczt von Nemnich. Leipzig. 1520. S. 46. ”# Faber a. a. 0. S. 301. 166 Auflösung der schmeckbaren Dinge in einer geschmack- losen Flüssigkeit, und Wirkung der Auflösung auf eine nervenreiche Fläche, die sich am Eingang des Nahrungs- canals befindet und der Durchdringung durch Flüssig- keit fähig ist. Mit Hülfe dieser Charactere allein läfst sich indefs auf die Gegenwart des Geschmacksinns noch nicht schliessen. Wenn Bestandtheile der Speisen in einem geschmacklosen Speichel aufgelöst werden, so kann die Auflösung eine sonstige Beziehung als auf den Geschmack haben. Eine nervenreiche Fläche kann auch blos des allgemeinen Gefühls wegen vorhanden seyn, und ob eine solche leicht Flüssigkeiten annimmt, ist oft schwer auszumachen. Die Handlungen der Tliere, die vom Geschmack herrühren, sind meist so :wei- deutig, dafs sie ebenfalls keinen Aufschlufs geben können. Um über die Verbreitung des Geschmackinns im Thierreich etwas auszumachen, ist es daher roth- wendig, die Analogie der Geschmackswerkzeuge des Menschen als derer, worin dieser Sinn von größerer Schärfe als bei den übrigen Thieren zu seyn scheint, zu Hiülfe nehmen. Das Hauptwerkzeug des Geschmacks beim Men- schen ist bekanntlich die Zunge. Aber sie ist ıicht das einzige. Es giebt mehrere zuverlässige Fälle von Menschen, denen die Zunge ganz fehlte und die loch schmecken konnten.*) Es fand hier nicht etwa wie Rudolphi**) vermuthet, mehr ein Riechen al ein *) Biologie. B. 6. S. 226. RX). Ara. 0, Bi 2: Ahthı. 10 8.2988 Schmecken statt: denn Blumenbach*) bemerkt aus- drücklich, ein von ihm beobachteter Mensch, der ohne Zunge gebohren war, habe von Salzen, Zucker und Aloe, also geruchlosen Substanzen, bei verbundenen Augen den Geschmack richtig angegeben, und nach W. Horn’s**) Versuchen werden viele Materien bei je- dem Menschen auch am weichen Gaumen geschmeckt. Nach Guyot’s und Admyrault’s Erfahrungen soll zwar dieser Theil, so wie die ganze inwendige Fläche der Lippen und Wangen, der Geschmacksempfindung fremd seyn und nur ein kleiner Theil des Gaumen- segels, der keine bestimmte Gränzen hat, das Ver- mögen zu schmecken besitzen. +) Allein bei Ver- suchen, die ich an mir selber mit einem Süfsholz- decoct machte, empfand ich in mehrern Fällen deutlich den Geschmack dieses Holzes, obwohl sehr schwach, wenn ich einige Tropfen dieser Flüssigkeit gegen die in- wendige Fläche der Wangen drückte. In andern Fällen bemerkte ich ihn nicht. Der Erfolg dieser Versuche hängt aber sehr von der Stimmung der Geschmacks- organe, der Menge des Speichels, womit sie befeuchtet sind, und dem Grad des Eindringens der angewandten Substanz in die Nervenwärzchen ab. Sobald diese beim Offenhalten des Mundes trocken werden, verliehrt sich die Empfänglichkeit für Geschmackseindrücke selbst auf der Zunge. Die menschliche Zunge zeichnet sich im Äussern *) Handbuch der vergleichenden Anatomie. Ite Ausg. 5. 330. **) Ueber den Geschmackssinn des Menschen. Heidelb. 1829. +) Notizen aus dem Gebiet der Natur- u. Heilk. 1830 No. 581. N vor andern Organen vorzüglich durch die Menge und Gröfse der Nervenwärzchen auf ihrer obern Seite und an ihren Rändern, durch die Zartheit ihrer Epidermis und die lockere Textur ihrer Haut aus. Diese Papillen sind theils kleinere, kegel- oder fadenförmige, theils gröfsere, pilz- oder kelchförmige. Die kleinern finden sich auch am weichen Gaumen. Sie sind, ihre gröfsere Länge und Weichheit abgerechnet, von ähnlicher Structur wie die Nervenwärzchen an den Fingerspitzen und an den übrigen 'Tastorganen. Sie können also auch an der Zunge und am Gaumen blos des Getastes wegen vorhanden seyn. Den pilz- und kelchförmigen ähnliche Wärzchen giebt es dagegen an keinem "Theil, der blos zum Tasten dienet. Diese lassen sich daher als blos für den Geschmack bestimmt annehmen. Indefs sie bestehen in der 'That aus einfachen Papillen, die zu einer einzigen Masse mit einander verbunden sind, auf welcher eine stärkere Schleimabsonderung als auf der übrigen Oberfläche der Zunge statt zu finden scheint. Der Geschmack kann also in ihnen nur schärfer als in den einfachen Wärzchen seyn, in diesen aber auch nicht ganz fehlen. Die Einwirkung der schmeckbaren Dinge auf das Geschmacksorgan mufs nun durch die Wärzchen der Oberfläche desselben extensiv sehr ver- mehrt werden. Die Papillen haben überdies Aehnlich- keit mit den Darmzotten und scheinen mit diesen auch darin übereinzukommen, dafs sie die Flüssigkeiten, wovon sie berührt werden, sehr schnell einsaugen. Ihr starkes Absorbtionsvermögen mufs auch den in- tensiven Einflufs der schmeckbaren Substanzen auf den Geschmacksinn sehr vermehren. Die Wärzchen sind aber darum nicht nothwendige Bedingungen des Ge- schmacks. Das Nehmliche, was durch sie erreicht wird, kann auch durch ähnliche häutige Falten bewirkt werden, wie im Darm der Amphibien und Fische die Darmzotten ersetzen, und selbst bei einer ganz glatten Oberfläche des Geschmacksorgans kann doch das Ver- mögen zu schmecken, wenn auch im mindern Grade als bei einer günstigern Bildung, vorhanden seyn. Es gehen beim Menschen drei verschiedene Nerven zur Zunge: der Hypoglossus, der Glossopharyngäus und der Zungenast des fünften Paars. Der gewöhn- lichen, doch unbewiesenen und unwahrscheinlichen Meinung nach ist dieser Ast der eigentliche G@eschmacks- nerve. Man kann denselben zwar am weitesten nach der Spitze der Zunge verfolgen. Er steht aber sowohl mit dem Zungenfleisch- als dem Zungenschlundkopf- nerven in Verbindung, und es ist sehr schwer, viel- leicht gar nicht auszumachen, von welchem der drei Zurgennerven jeder einzelne, zu den Papillen des Rückens und Randes der Zunge, besonders den pilz- und kelchförmigen, gehende Zweig herrührt. Parry hat einen Fäll bekannt gemacht, wo von einem Druck auf den Zungenast des fünften Paars der einen Seite der Geschmack in der, diesem Nerven angehörigen Hälfte der Zunge aufgehoben war, das Bewegungs- und Tastvermögen derselben aber nicht gelitten hatte. Nach einer andern, von Albin herrührenden Erfahrung hatte nach Durchschneidung des Zungenfleischnerven 170 der Geschmack gelitten.*) Die eine Beobachtung be- weist so wenig als die andere, dafs der Geschmack ausschliefslich von dem einen oder dem andern Nerven abhängig ist. Entsteht doch auch nach Verletzung der Ciliarnerven des Auges Blindheit, obgleich diese Nerven nicht unmittelbar‘ zur Aufnahme und Fort- pflanzung der Gesichtseindrücke dienen. Soviel ist jedoch gewifs, dafs der Zungenfleischnerve der Haupt- bewegungsnerve der Zunge ist; dafs der Zungenast des fünften Paars für sich schon einen gewissen Grad oder eine gewisse Art des Geschmacks bewirken kann, da die Gaumenwärzchen, denen doch auch das Ver- mögen zu schmecken nicht ganz fehlt, blos Fäden von den Nasengaumennerven jenes Paars erhalten, und dafs auch der Zungenfleischnerve dieses Vermögen be- sitzen mufs, weil sich von ihm Fäden bis in die kelchförmigen Papillen der Zunge verfolgen lassen. Wir werden also ein zungenähnliches Organ der Thiere für ein Geschmacksorgan halten dürfen, wenn dasselbe Nerven hat, die mit den dreierlei Zungennerven des Menschen übereinkommen. Es wird sich aber nicht annehmen lassen, einem solchen Organ fehle der Ge- *) Biologie. B. 6. S. 234 fg. Der letztere Fall ist der oft be- sprochene in Heuermann’s Physiologie, der aber so oberflächlich erzählt ist, dafs sich nicht viel darauf bauen läfst. Es ergiebt sich aus dem, was Heuermann davon sagt, nicht, ob Albin die Be- obachtung selber gemacht, oder nur mitgetheilt erhalten hat; ob der Zungenfleischnerve nur auf der einen, oder auf beiden Seiten durch- schnitten war; ob sich der Geschmack ganz verlohren hatte, oder nur stumpfer geworden war, und welchen Einflufs die Operation auf das Bewegungsvermögen der Zunge gehabt hatte. Zu.» schmacksinn ganz, wenn es nur Einen dieser Nerven besitzt. Selbst ein Theil, in welchem andere Gründe den Sitz dieses Sinns vermuthen lassen, wird für ein Geschmacksorgan gelten dürfen, wenn seine Nerven auch nicht mit den Zungennerven des Menschen ver- glichen werden können. Wenden wir diese Kennzeichen eines Geschmacks- organs zuerst auf die Landsäugthiere an, so folgt, dafs denselben insgesanımt der Sinn des Geschmacks zukommen mufs. Sie besitzen eine Zunge, die als Bewegungsorgan einerlei Bau und einerlei Verrich- tungen mit der menschlichen hat, in den nehmlichen Verhältnissen zu den übrigen Theilen des Mundes wie die des Menschen steht, und ähnliche Nerven und Papillen wie diese hat. Bei den vierfülsigen Säug- thieren haben zwar die conischen Zungenwärzchen in der Regel eine steife Scheide mit einer nach hinten gerichteten, hornartigen Spitze oder Schuppe, die ihnen als Geschmackswerkzeugen den Werth benimmt. Aber die pilz- und kelchförmigen Wärzchen sind doch bei ihnen immer ohne einen solchen Ueberzug. Nur sind die letztern meist auf ihrer Zunge in geringerer Zahl als auf der des Menschen zugegen, und oft auch mit einer nicht so dünnen Oberhaut wie auf dieser überzogen. Hiernach kann freilich die Zunge der mehresten Säugthiere keinen so feinen Geschmack als die mensch- liche haben. Doch sind manche dieser Thiere auf andere Art dafür entschädigt. Bei einigen haben andere "Theile des Mundes ganz den Bau der Geschmacksorgane. a Zu solchen gehören die Fledermäuse. Diese haben wenig ausgebildete Geruchswerkzeuge. Und doch sind sie gar nicht gleichgültig in der Auswahl ihrer Speisen. Ihre Zunge kann sie dabei wenig leiten. Diese ist bei Vespertilio myosotis Bechst. mit einer dicken und festen Oberhaut bedeckt. Die conischen Papillen derselben sind steif und hart. Die pilzförmigen stehen nur sehr einzeln, und der kelchförmigen giebt es nur zwei. Mit weit gröfsern und zartern Wärzchen ist dagegen die innere Wand der Backen besetzt. Es giebt auf der- selben sehr viele kegelförmige Papillen, und zwischen diesen, auf einem vordern Wulst jeder Seite, eine kelchförmige. Die kegelförmigen haben eine dünne Oberhaut und in Verhältnifs zur Kleinheit des Thiers eine beträchtliche Höhe und Breite. Bei mehrern Säugthieren ist auch, um sie für die Stumpfheit des Geschmacksinns ihrer Zunge zu ent- schädigen und sie bei der Wahl ihrer Nahrungsmittel desto sicherer zu leiten, der Sinn des Geschmacks mit dem des Geruchs in Verbindung gesetzt. Alltäg- liche Erfahrungen und besonders auch Linne’s*) Versuche beweisen, dafs die wiederkäuenden 'Thiere unter vielen Kräutern die, ihnen zur Nahrung ange- messenen sehr genau zu unterscheiden wissen. Man hat geglaubt, der Geruchsinn leite sie dabei auf die gewöhnliche Art. Wenn man aber Acht giebt, wie sich die Rinder beim Weiden benehmen, so wird man sich vom Gegentheil überzeugen. Sie beriechen nicht jedes einzelne Kraut, sondern schneiden dasselbe *) Amoen. acad. Vol. II. p. 262. olıne Weiteres mit den Kinnladen ab, und werfen es, wenn es ihnen nicht angemessen ist, zur Seite. So findet man immer auf bemoosten Wiesen, worauf Kühe weiden, ganze Haufen ausgerissenen und zusammen- geballten Mooses. Die Zunge kann ihnen bei der Aus- wahl noch weniger als die Nase nützen. Es gehen aber bei ihnen von dem vordern Grund der Nasen- höhlen zur Mundhöhle zwei Gänge, die Stensonschen Canäle, die von Fortsätzen der innern Nasenhaut ge- bildet werden und sich hinter dem vordern Rand des Zwischenkieferbeins auf einer grofsen Papille öffnen, in welcher sich Zweige der Nasengaumennerven endigen. In die Ausgänge dieser Canäle öffnen sich zwei andere, längere und weitere knorpelige Röhren, die Jacobson- schen Organe, die zu beiden Seiten neben dem untern Rand der knorpeligen Nasenscheidewand liegen, und ebenfalls mit Fortsätzen der Riechhaut ausgekleidet sind. In diesen endigen sich nicht nur auch Zweige der Nasengaumennerven, sondern überdies noch zwei bes ndere, längs der Nasenscheidewand auf jeder Seite hei. !aufende Aeste der Nerven des ersten Paars, die sich ät mit denen der Nasenscheidewand und der Riechhaut verbinden. Indem die mit riechbaren Stoffen geschwängerte Luft aus der Mundhöhle in diese letztern Röhren dringt, wirkt sie auf Riechnerven, und es entsteht ohne Vermittelung der Nasenhöhle Geruchs- empfindung. Wenn hingegen die Feuchtigkeit der Nasenhöhle, geschwängert mit riechbaren Stoffen, welche die eingezogene Luft darin abgesetzt hat, durch die Stensonschen Gänge in den Mund fliefst, so ent- 174 steht die Empfindung des Geschmacks von Materien, wovon die flüchtigen Theile in die Nase aufgenommen sind. Es ist also begreiflich, wie die Wiederkäuer durch den Geruchsinn, aber ohne Hülfe der von aussen in die Nase eindringenden Luft, das in den Mund ge- nommene Futter riechen können, und es folgt zugleich hieraus, dafs sie auch das Vermögen besitzen müssen, das ihnen angemessene Futter aus der Ferne durch die, bei ihnen auf den Geschmacksinn wirkenden riech- baren Ausfiüsse desselben zu erkennen. Diese Organe sind nicht blos den Wiederkäuern, aber auch nicht allen Säugthieren eigen. Die Jacob- sonschen Röhren finden sich, nach Rosenthal’s Untersuchungen, *) auch bei dem Schwein und Pferde, aber nicht bei dem Hasen, Hunde und Menschen. Die Stensonschen Canäle sind allgemeiner vorhanden, doch nicht immer mit den Jacobsonschen Röhren verbunden. Sie fehlen bei dem Pferde. Der Mensch besitzt sie. Aber sie sind nicht bei allen Menschen offen. Einige, aber nicht alle Menschen schmecken daher vorne im Munde riechbare Stoffe, die bei ver- schlossenem Munde durch die Nase mit der Luft eingezogen sind, wie schon Schneider**) beob- achtete und wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Sehr abweichend von den übrigen Säugthieren sind in Betreff der Zunge die Wallfische. Sie hat bei diesen sehr wenig Beweglichkeit und gar keine Nerven- *) Zeitschrift für Physiologie. B. 2. S. 289. **) De osse cribriformi. p. 513. 1m wärzchen. Darum kann sie zwar, nach dem, was oben gesagt ist, sehr wohl Geschmacksorgan seyn, und grade der Umstand, dafs sie wegen ihrer geringen Beweglichkeit und der ihr fehlenden Papillen zu einem Tastorgan untauglich ist, läfst den Sitz des Geschmack- sinns in ihr, die doch gewifs eine Bestimmung hat, vermuthen. Da sie indefs in Rücksicht auf ihre innere Organisation und besonders auf die zu ihr gehenden Nerven noch gar nicht untersucht ist, so läfst sich nichts Weiteres über sie sagen. Näher ist von anatomischer Seite die Zunge der Vögel bekannt. An dieser ist vorzüglich der Umstand merkwürdig, dafs sie keine Zweige vom fünften Nerven- paar erhält, wohl aber die Zungenfleisch- und Zungen- schlundkopfnerven mit der Zunge der Säugthiere ge- mein hat. Jene gehen zu ihren Muskeln und zur Oberfläche ihrer Rückenseite, diese zu ihrem vordern Ende. Hiernach mufs, wenn sie Geschmacksorgan ist, der Geschmack in ihr anders als bei den Säugthieren modifieirt seyn. Vielen Vögeln, besonders denen, deren Nahrung: in harten Körnern besteht, die von ihnen unzermalmt verschluckt werden, kann sie aber nicht zum ‘Schmecken, sondern nur zum Sondiren dienen. Es’ fehlen ihr bei diesen ganz die Weichheit, die schwammige Textur und die zarte Haut, die zu einem Geschmacksorgan erforderlich sind. Sie hat bei ihnen keine Nervenwärzchen, dagegen aber.an ihrer Spitze zum Behuf des Sondirens kleine Federn oder hom- artige Spitzen. Auch sind im Munde dieser Vögel keine sonstige Theile enthalten, die für den Geschmack- sinn bestimmt seyn könnten. Andere Vögel haben aber allerdings eine Zunge, die der Sitz dieses Sinns seyn kann. Man hat schon längst und mit Recht denselben in der weichen, mit Papillen besetzten Zunge der Papageien angenommen, die auch deutliche Zeichen von Geschmacksempfindungen äussern. Die Zunge der Eulen und Enten hat ebenfalls auf ihrer obern Seite eine Weichheit und einen papillösen Bau, die in ihr ein Geschmackswerkzeug vermuthen lassen. Doch auch manchen körnerfressenden Vögeln scheint der Ge- schmacksinn in der Zunge nicht zu fehlen. Auf der Zunge der Loxia Pyrrhula sieht man keine Nerven- wärzchen, solange sie von ihrer äussern Haut bedeckt ist. Ihre ganze obere Seite aber erscheint nach dem Abziehn der Epidermis mit kleinen, weichen Papillen bedeckt. Zum Tasten sind diese Wärzchen, ihres glatten Ueber- zugs wegen, unbrauchbar. Sie können aber darunter sehr wohl zum Schmecken dienen. Wie bei den Vögeln so sind auch bei den Am- phibien und Fischen Theile, die nur eine Beziehung auf den Geschmacksinn haben können, einigen Gat- tungen eigen, hingegen andern, diesen oft nahe ver- wandten Gattungen nicht verliehen. Die Zunge der "Amphibien hat in der Regel bei denen, die sie weit aus dem Munde hervorstrecken und zum Tasten ge- brauchen können, nicht die Erfordernisse eines Ge- schmacksorgans. Sie besitzt aber dieselben oft da, wo sie wenig oder gar nicht beweglich ist. Von dieser Art ist sie bei mehrern Schildkröten, verschiedenen Gattungen der Eidechsen und den Salamandern. Bei der Mydasschildkröte ist sie zwar ohne Nervenwärz- chen, doch weich, an allen Seiten befestigt und wenigstens nicht zum Tasten eingerichtet. Bei den Gattungen Emys und Terrapene vertritt ihre Stelle ein fleischiger Wulst vor der Stimmritze, der bei Ter- rapene clausa stark hervorragt und auf seiner ganzen Oberfläche zarte, länglichrunde, concentrisch um seinen Mittelpunct und gedrängt neben einander stehende häutige Blätter hat. Die Eidechsen machen, nach Duges’s Angabe,”) wenn man ihnen scharfe Sachen in die Kehle bringt, Anstrengungen, sich derselben wieder zu entledigen. Ist dies der Fall, so kann man ihnen nicht den Sinn des Geschmacks absprechen. Hingegen läfst sich die Zunge der Frösche, der Kröten und des Chamäleons kaum für ein Geschmacksorgan halten. Sie ist zwar bei den Fröschen und Kröten allenthalben, beim Chamäleon an ihrem vordern Ende weich, aber zum Behuf des Insectenfangs mit einem so dicken, klebrigen Schleim überzogen, dafs schmeck- bare Substanzen schwerlich einen Eindruck auf sie machen können. Es liegt indefs bei Chamaeleo cari- natus auf beiden Seiten der untern Kinnlade, an der inwendigen Seite der Zähne, eine wulstige Lefze, die mit Papillen besetzt und zu einem Geschmackswerkzeug geeignet ist. Vielen Fischen fehlt sowohl die Zunge als jedes andere Organ, worin sich der Sitz des Geschmacks annehmen läfst. Aber es sind doch auch einige mit Theilen versehen, die für diesen Sinn bestimmt scheinen. *) Annales des sc. natur. T. XVT. p. 346. 12 178 Ich habe schon im 6ten Bande der Biologie (S. 245) die Vermuthung geäussert, beim Schellfisch seyen die Geschmackswerkzeuge zwei sehr weiche und blutreiche Theile am Eingange des Schlundes, worin ich zwar keine Nervenwärzchen, doch auch keinen drüsigen Bau fand, und zu welchem Zweige des Nerven gehen, der bei den Fischen die Stelle des Glossopharyngäus vertritt. Aehnliche Organe finden sich bei den Karpfen, und E.H. Weber’s Untersuchungen derselben führen eben- falls auf den Schlufs, dafs diese nicht nur wegen ihres Baus, sondern auch wegen ihres Vermögens, gleich den Zungenwärzchen zu turgesciren, Geschmackswerkzeuge sind.*) Als Tastorgane würden sie am Eingange des Schlundes ohne Zweck seyn. Zum Schmecken können sie aber an dieser Stelle dienen, zu welcher die Speisen zerrieben durch die Schlundknochen gelangen. Was kein Fisch mit den höhern Thieren gemein hat, eine bewegliche und der Ausstreckung fähige Zunge, ist wieder vielen wirbellosen Thieren eigen. Für diese gilt aber die nehmliche Regel, die für die Amphibien gültig ist: dafs nur eine Zunge, die nicht hervor- gestreckt werden und zum Ergreifen oder Sondiren dienen kann, für den Geschmack organisirt ist. Alle auf dem Bauch kriechende Mollusken haben eine Zunge, die manche weit aus dem Munde hervorstrecken, die aber steif und hart ist. Dagegen ist die Zunge der Hymenopteren zwar auch beweglich, aber weder zum Ausstrecken, noch zum Ergreifen der Nahrungsmittel gebildet, dabei weich, gleich vor dem Eingang des *) Meckel’s Archiv für Anat. und Physiol. 1827. S. 309. 179 Schlundes liegend, und feucht von vielem Speichel, so oft sich dieser aus dem grofsen Apparat von speichel- absondernden Gefäfsen jener Insecten ergiefst. Es ist möglich, dafs die erwähnten Mollusken den Sinn des Geschmacks besitzen. Dieser mufs aber, wenn sie «lamit versehen sind, in einem andern Theil des Mundes als der Zunge seinen Sitz haben. Von den Hymenopteren zeigen viele eine, mit dem Geschmack des Menschen so übereinstimmende Auswahl in ihren Nahrungsmitteln, z. B. die Wespen und Hornissen beim Nachgehen nach ° den reifsten und süfsesten Früchten, dafs sie wirklich den Geschmacksinn besitzen müssen. Bei ihnen ist es überflüssig, ihn in einem andern Organ als der Zunge anzunehmen. An diesem Theil kann selbst ein Thier, das von andern Seiten eine sehr niedrige Bil- dungsstufe einnimmt, der Erdregenwurm, noch ein Geschmacksorgan haben. Den Schlund desselben um- giebt eine körnige Masse, die aus Abfonderungsdrüsen einer speichelartigen Flüssigkeit zu bestehen scheint, und auf der Rückenseite liegt in einer Vertiefung des Schlundes eine weiche, fleischige Zunge, die an den Rändern mit dem Umfang der Vertiefung zusammen- hängt, daher keiner Ausstreckung fähig und nicht zu einem Tastorgan geeignet ist. Nach dem bisher Gesagten ist also nur mit ge- wissen, nicht mit allen Formen der thierischen Orga- nisation der Sinn des Geschmacks verbunden. Es läfst sich nicht dagegen einwenden: die Stillung des Hungers, wobei doch gewifs alle Thiere ein angenehmes Gefühl haben, müsse immer von einem Schmecken begleitet seyn. 12* 180 Wenn wir uns auch bei einem mäfsigen Grade des Hungers durch den Wohlschmack der Speisen in der Wahl derselben bestimmen lassen, so achten doch auch wir nicht mehr auf diesen, sobald der Hunger quälend wird. Manche Thiere verzehren selbst um so mehr Nahrung, je weniger der Geschmacksinn bei ihnen ausgebildet ist. Die Haifische sind ihrer Ge- fräfsigkeit wegen bekannt und haben keine Organe, denen die Kennzeichen der Geschmackswerkzeuge - zukommen. ZEHNTES BUCH. Verhältnisse des geistigen Lebens zum körperlichen in der Sinnenwelt. Alle geistige Thätigkeit besteht in einer Wechsel- wirkung zwischen einer Kraft, die ein Mannichfaltiges erzeugt, und einer andern, welche Einheit in die Mannichfaltigkeit bringt. Ein Product dieses Wirkens ist das Selbstbewufstseyn. Die zweite jener beiden Kräfte strebt immerwährend, alles Bedingte mit einem weniger Bedingten in ein Causalverhältnifs zu setzen. Dieses Streben ist Denken, Die erste Kraft äussert sich auf ihrer niedrigsten Stufe als blofses Vermögen wahrzunehmen, auf ihrer höchsten als productive Ein- Bildungskraft, überhaupt als geistige Bildungskraft. Sie bildet immer nur ein Bedingtes. Indem die Denk- kraft an diesem Bedingten ihre 'Thätigkeit versucht und daran einer Folge von Ursache und Wirkung inne wird, entsteht das Bewußstseyn einer äussern Welt, und eben darum, weil die Causalität in dieser Aussenwelt 182 nicht von uns erzeugt, sondern uns aufgedrungen wird, erkennen wir darin ein uns fremdartiges Etwas. Ist auch unser ganzes Leben ein Traum von dem, was wir Wirklichkeit nennen, so bleibt es dessen ungeachtet gewils, dafs die Folge der 'Traumbilder ihren Ursprung von einer uns fremden Kraft hat. Wenn die Glaslinse in der Camera obscura sich der Bilder bewufst wäre, die sie auf dem Grunde der dunkeln Kammer erzeugt, so würde sie sprechen können: diese Bilder sind blos dein Werk, denn sie verschwinden, sobald du nicht bist, und verändern sich, sobald du dich veränderst. Aber wenn auch die Bilder nicht ohne die Linse sind, so sind sie doch nicht durch die Linse allein. Jedes metaphysische System maafste sich an, sagen zu wollen, was jene Kraft sey, von der wir uns abhängig fühlen. Aber keines gab darüber mehr als Dichtungen. Wir sind uns keiner andern nothwendigen Suc- cession in den Producten der geistigen Bildungskraft als einer solchen bewufst, die durch Sinneseindrücke vermittelt ist. Daraus folgt jedoch nicht, dafs nicht eine andere in ihnen statt finde. Ja, es mufs eine andere in ihnen vorgehen, da der Leib, den die Seele sich zum Leben in der Sinnenwelt aneignet, nur ihr eigenes Product seyn kann. Es giebt Nachtwandler, die beim Erwachen staunend vernehmen, was sie in ihrem Schlafe gethan haben. Ein solches, schlafend zweckmäfsig handelndes und nichts aus dem Schlaf- leben sich erinnerndes Wesen ist jedes Lebende. Unser Körper ist unser eigenes Werk, und doch erscheint er uns als etwas Fremdartiges. Wir wissen nicht, dafs SN... MB und wie wir ihn hervorbrachten, und sind uns nicht bewufst, dafs wir selber ihn fortwährend erhalten. Daher kann aber auch die nothwendige Folge von Producten der geistigen Bildungskraft, welche die Entstehung unsers Körpers zur Folge hat, nicht durch ein materielles Wirken vermittelt seyn. Im sinnlichen Leben ist allerdings das geistige Bilden, und, insofern alles Denken ein geistiges Bilden voraussetzt, auch das Denken eine organische Thätigkeit. Doch ist dieses nicht ganz eine solche. Wie das Spiel des Virtuosen auch auf einem verstimmten Instrument noch immer verräth, von wem es kömmt, so zeigt sich eine höhere Denkkraft auch noch bei Zerrüttung der Organe des geistigen Bildens. Einer höhern und niedern Stufe gehört diese Kraft aber ursprünglich an. Denn warum sollte sie es nicht bei der grofsen Mannichfaltigkeit aller andern Kräfte in der Natur? Und wie könnte sie es nicht, da ihr Trachten nach dem Unbedigten so verschieden in verschiedenen Naturen ist und etwas Ursprüngliches seyn mufs? Der Grad des Vermögens, den Drang nach dem Unbedingten zu befriedigen, bestimmt die geistige Stufenleiter der Wesen. Diese ist aber eben sowenig eine einfache für das Geistige wie für das Körperliche. Jenes Vermögen äussert sich nie gleichmäfsig nach allen, sondern in ausgezeichnetem Grade immer nur nach gewissen Richtungen. Von der niedrigsten Stufe zur höchsten führen sehr viele, nach ganz verschie- denen Richtungen gehende Mittelstufen. 184 Auf der niedrigsten Stufe sehen wir kaum Spuren von Aeusserungen des geistigen Princips, die Freiheit und Wahl verrathen. Es zeigt sich dort ein Hinwenden nach gewissen Einwirkungen und ein Abwenden von andern. Diese Bewegungen entstehen ohne Zweifel ursprünglich in Folge angenehmer und unangenehmer Gefühle. Das Gefühl aber verursacht anscheinend will- kührliche Bewegungen ohne Vermittelung von Re- flection, und diese können auch, wenn sie durch öftere Wiederhohlung mit dem Eindruck, der sie veranlafste, associirt sind, oder nach andern, blos organischen Ge- setzen, ohne alles Gefühl erfolgen. So zieht sich ein abgeschnittener Froschschenkel, der noch bei voller Lebenskraft ist, eben so zurück, wenn er an den Zehen gekniffen wird, als ob er noch von dem Thier, dem er angehörte, bewegt würde. Einen höhern Grad von geistigem Daseyn hat schwerlich der Blasenwurm. Auf einer höhern Stufe stehen alle Wesen, denen die Bedürfnisse ihres leiblichen Lebens nicht ohne ihr Zuthun entgegenkommen, und auf einer noch höhern die, welche ihres Gleichen zur Paarung aufsuchen und Sorge für ihre Nachkommen tragen. Mit diesen Wesen fängt ein Gebiet an, in welchem das Handeln durch angebohrne, oder wenigstens nicht unmittelbar durch sinnliche Eindrücke vermittelte Vorstellungen bestimmt wird. Man hat von langer Zeit her gesagt und oft wiederhohlt: der Verstand habe nur, was er von den äussern Sinnen empfange. Richtiger ist es, dafs der Verstand nichts hat, was er nicht entweder von den äussern Sinnen, oder von der productiven 185 Einbildungskraft erhält. Die Aeusserungen der thieri- schen Kunsttriebe sind nur dann erklärbar, wenn man Visionen der Thiere annimmt, die, nach festen Gesetzen in gewissen Perioden des Lebens entstehend, das Be- stimmende aller der Handlungen sind, wovon der Grund nicht blos in äussern Sinneseindrücken enthalten seyn kann. Ich nenne diese Ursachen Visionen, weil die Sprache kein anderes Wort für sie hat. Sie sind aber nicht blos Vorstellungen von sichtbaren Gegenständen, sondern auch Producte einer eigenen Stimmung aller übrigen Sinne. Der junge Vogel erkennet sogleich, nach- dem er die Eischaale durchbrochen hat, im Wasser das Mittel seinen Durst zu löschen. Der blofse Trieb zu trinken kann nicht den Grund davon enthalten. Dieser ist ein Drang zur Stillung eines Bedürfnisses ohne Wissen um das Mittel zur Abhülfe desselben. Das Erkennen des Mittels im Trinken des Wassers setzt ‚voraus, dafs die Empfindung des Drangs mit Empfin- dungen und Vorstellungen von gleicher Art associirt ist, wie der Vogel hat, der schon aus Erfahrung die durst- stillende Eigenschaft des Wassers kennet. So ist es mit allen instinctartigen Handlungen. Das 'Thier könnte nicht ohne alle vorhergegangene Erfahrung wissen, was ihm angemessen oder schädlich ist und wie es sich in der Sorge für die Zukunft zu benehmen hat, wenn es nicht aus einem andern Zustand eine Kenntnifs der Sphäre, worin es zu leben bestimmt ist, mit sich brächte. Man kann nicht sagen, alle jene Handlungen erfolgen ganz automatisch nach blofsen organischen Gesetzen: denn sie sind zum Theil weit längere Reihen von 186 Bewegungen, und diese sind weit verwickelter, als blos automatische seyn können, und sie erfordern immer mehr oder weniger Modificationen nach äussern ver- änderlichen Umständen. In dem Bestimmenden dieser Handlungen ist etwas Angebohrnes. Man sieht dies bei den verschiedenen Hunderagen. Der Jagdhund und der Schäferhund hatten einerlei Ureltern. Was sie sind, machte aus ihnen der Mensch. Der Character aber, den dieser ihnen aufdrang, ist ihnen nach vielen Generationen zum angebohrnen Instinct geworden.*) Dagegen geht der natürliche Instincet verlohren, wenn dessen Ausübung mehrere Generationen hindurch verhindert ist. Abkömmlinge von Kaninchen, die lange Zeit in der Gefangenschaft sich nicht mehr haben eingraben können, äussern auch im Zustande der Freiheit den Trieb zum Höhlengraben nicht mehr. **) An dem Grade, die instinetartigen Handlungen nach wandelbaren äussern Verhältnissen einzurichten, offenbart sich der Grad der thierischen Intelligenz. Jedes Thier hat jedoch nur Geisteskräfte für den Bezirk seines Instincts, und innerhalb diesem assocüren sich bei demselben die Vorstellungen meist unwillkührlich nach den Gesetzen der Coexistenz und der Succession. So werden selbst solche Meervögel, die sehr gut fliegen, wenn sie sich ins Land verirrt und das Meer aus dem *) Man vergleiche Knight’s Beobachtungen über diesen Ge- genstand. Philos. Transact. Y. 1807. p. 234. ’®*) Le Roy Recherches philos. sur Tintelligence et la perfecti- bilite des animaux. Paris. 1802. p. 2330. 187 Gesichte verlohren haben, so blödsinnig, dafs sie nicht mehr dahin zu bringen sind, von ihren Flügeln Ge- brauch zu machen, sondern ruhig sitzen und sich greifen lassen.*) Der See-Elephant ist muthlos, träge und schläfrig während seines Aufenthalts am Lande, hingegen muthig, iebhaft und klug, wenn er sich in seinem Element, der See, befindet.**) Der Mensch hat in weit höherm Grade das Vermögen, seine Vor- stellungen willkührlich zu associiren, und deswegen ist er im Besitz der Sprache. Diesem liegt zwar auch etwas Instinctartiges, der Trieb, Gedanken in sinnliche Formen zu bringen, zum Grunde. Die Möglichkeit, diesen Trieb zu befriedigen, beruhet aber auf dem höhern Vermögen, das der Mensch vor den Thieren voraus hat. Durch die Gabe der Sprache ist er in den Stand gesetzt, seinen Geist durch fremden Geist zu beleben, und hierdurch ist er einer Vervollkommnung fähig, welcher nur durch das, was an ihm Thierisches ist und was er nur mit dem Austreten aus dem Leben in der Sinnenwelt ablegen kann, Schranken gesetzt sind. Wenn man hiervon absieht, so haben alle 'Thiere mit dem Menschen soviel psychologische Aehnlichkeit, dafs sich von jeder Seelenkraft, die durch sinnliche Ein- drücke zur Thätigkeit aufgeregt wird, etwas Aehnliches bei ihnen nachweisen läfst. Sie besitzen Gedächtnifs, Einbildungskraft, Urtheilskraft, Gemüthsbewegungen und Leidenschaften. Ihr Gedächtnifs ist nicht von ganz *) Faber über das Leben der hochnordischen Vögel. H. 2. 8.239. **) J. Weddell’s Reise in das südl. Polarnieer in den Jahren 1822 — 24. S. 83. 185 kurzer Dauer. Spallanzani*) sahe ein Schwalben- paar, das durch Fäden an den Füfsen bezeichnet war, zwei Jahre nach einander zu einem und demselben Neste zurückkehren. Nach Jenner’s Erfahrungen **) fanden mehrere Schwalben drei Jahre lang immer ihr altes Nest wieder, und eine derselben bewohnte dieses noch nach sieben Jahren. ***) Ohne Einbildungskraft vermögte kein 'Thier, Kunstwerke zu verfertigen, und ohne Urtheilskraft nicht, dieselben nach den äussern Verhältnissen einzurichten. Die Pimpla Manifestator legt ihre Eier in die Larven der Anthophora truncorum F. und diese liegen bis zu ihrer Entwickelung in Löchern unter der Erde. Wo jene diese wititert, untersucht sie erst den Eingang zu denselben mit ihren Fühlhörnern, ehe sie ihren Legestachel hineinbringt.+) Sie beurtheilt also die Beschaffenheit der Mündung des Lochs in Beziehung auf die Zugänglichkeit derselben für ihren Stachel. Das Thier endlich trauert über den Verlust seiner Jungen, freuet sich beim Wiederfinden derselben, und wüthet gegen den, wovon es gereizt wird. Die höhere Stufe der Intelligenz des Menschen läfst sich nicht blos von der Zahl und Schärfe seiner Sinne und der Ausbildung seiner willkührlichen Be- wegungswerkzeuge ableiten. Er wird in Rücksicht auf die Schärfe einzelner Sinne von manchen Thieren übertroffen, und der Grad seiner Intelligenz steht mit *) Voyage dans les deux Siciles. T. VI. p- 3. %*) Philos. Transact. Y. 1824. p. 11. *%**) Man vergl. Biologie. B. 6. S. 13. --) Marsham, Transact. of the Linnean Society. Vol. II. p. 27. diesen Momenten nicht in nothwendiger Beziehung. Taub- und Blindgebohrne wulsten zuweilen den Mangel des Gehörs und Gesichts durch das Getast zum Be- wundern zu ersetzen. Eisenlohr hat Beobachtungen über ein taub- und blindgebohrnes Mädchen bekannt gemacht, bei der sich blos mit Hülfe der übrigen Sinne das Denkvermögen schr entwickelte. Sie ging ungeführt im Hause herum, und erkannte blos durch den Geruch und durch Betastung mit den Fingerspitzen jeden Gegenstand wieder, den sie einmal durch diese beiden Sinne hatte kennen gelernt.*) Jener Ersatz hat freilich Gränzen. Ein blofser Rumpf, der keine Sinnes- organe besäfse, würde in der Sinnenwelt seine Intel- ligenz nicht äussern können, wenn diese in ihm ur- sprünglich auch noch so hoch stände. Sie würde aber immer höher stehen als die Seele des Thiers unter gleichen Umständen. Anders als mit dem Menschen verhält es sich mit den Thieren. Weil bei diesen die Association der Vorstellungen mehr unwillkührlich ist, so läfst sich bei ihnen eine weit nähere Verbindung des Grades der Ausbildung der, zum Leben in der Sinnenwelt dienenden Organe mit der Vollkommenheit der Geisteskräfte als beim Menschen voraussetzen. Mit jenem Grad steht, wie im zweiten Buch gezeigt wurde, die Bildungsstufe des Gehirns und Nervensystems in genauer Beziehung. Dieser Stufe mufs also auch die der thierischen Intelligenz entsprechen. Wo sich im Thierreiche Spuren eines Nerven - systems zeigen, finden sich auch Vereinigungspuncte *) Isis. 1830. H. 2. S. 119. Man vergl. Biologie. B. 6. S. 10. 190 der Nerven und Verbindungen dieser Puncte unter sich zu einem Ganzen. Je weniger verschiedenartige Organe von jedem einzelnen Puncte Nerven empfangen und je weniger eng die Puncte mit einander verbunden sind, desto weniger abhängig ist jeder einzelne Theil von den übrigen, und desto mehr fliessen die automatischen - und willkührlichen Bewegungen zusammen. Hiernach : allein läfst sich indefs nicht unbedingt die Stufe der geistigen Vollkommenheit schätzen. Die Anneliden, Scolopendern und Asseln haben für jeden Abschnitt des Körpers einen besondern Vereinigungspunct der, zu den Theilen desselben gehenden Nerven, und von diesen Puncten ist jeder mit dem vorhergehenden und folgenden nur durch einen einfachen oder doppelten Strang verbunden. Hingegen bei den Nacktschnecken und mehrern andern auf dem Bauch kriechenden Mol- lusken entspringen die Nerven nicht nur aller Sinnes- werkzeuge und Organe der willkührlichen Bewegungen, sondern auch des Gefälssystems und der Eingeweide aus einer einzigen Centralmasse. Und doch stehen diese Schnecken von geistiger Seite gewils nicht über jenen Thieren. Ein sicherer Maafsstab für den Grad der geistigen Kräfte ist die Bildungsstufe der Vereinigungsknoten der Nerven des bewufsten Lebens. Schon die Ausbildung dieser Theile blos in der Quantität ihrer Masse ist immer mit einem regern geistigen Leben verbunden. Die Vereinigungsstellen der Nerven haben z. B. sehr kleine oder zum Theil gar keine Knoten bei den, fast nur ein automatisches Leben führenden Muschelthieren, 191 hingegen weit gröfsere bei den, unter den wirbellosen Thieren von geistiger Seite am höchsten stehenden geflügelten Insecten. Die Gröfse dieser Knoten ist in- defs in Verhältnifs zur Masse der Theile zu schätzen, die von ihnen Nerven empfangen oder von welchen zu ihnen Nerven gehen. Zeigt sich Verschiedenheit nicht nur in der Gröfse, sondern auch in der Gestalt der, den Organen des bewufsten Lebens zugehörigen Knoten bei einem und demselben Thier, so läfst sich auf einen noch höhern Rang desselben in Rücksicht auf Intelligenz als bei dem schliessen, wobei eine solche Verschiedenheit nicht statt findet. Es ist dann immer auch mehr Mannichfaltigkeit in jenen Organen vorhanden, die mehr Berührungspuncte mit der äussern Natur und also auch eine höhere Intelligenz voraussetzt. Die Knoten sind aber nur in der Gröfse, nicht oder doch nur wenig in der Form verschieden, wenn die Nerven derselben blos zum allgemeinen Gefühl oder zur Bewegung dienen. Weicht einer derselben von den übrigen in der Gestalt sehr ab, so steht dieser immer mit Einem oder mehrern eigenen Sinnesnerven in Ver- bindung, und dann ist das geistige Leben noch höher als bei der blofsen Vergröfserung des Knotens ge- steigert. Ein solcher, von Seiten der Gestalt sowohl als der Gröfse ausgezeichneter Knoten hat bei allen, mit eigenen Sinnesorganen versehenen Thieren seine Stelle in der Nähe der, von ihm ihre Nerven empfangenden Frefswerkzeuge. Indem er diese Hauptwerkzeuge des thierischen Lebens regiert, und zunächst auf ihn die 192 Sinnenwelt einwirkt, ist das ganze thierische Leben von ihm abhängig. Die Herrschaft darüber aber theilt er doch bei allen wirbellosen Thieren, die einen Ganglienstrang haben, mit den übrigen Ganglien. Sobald diese ohne seine Vermittelung Eindrücke em- pfangen, oder sobald von ihm auf sie ein sinnlicher Eindruck übergegangen ist, bringen sie unabhängig von ihm die, dem Eindruck angemessenen Bewegungen hervor. Folgende Beobachtungen werden dies erläutern. Ein lebhafter Carabus granulatus, dem ich den Kopf abgeschnitten hatte, lief nach der Operation eben so wie vorher herum, suchte über die Wände einer Schaale, worin er sich befand, hinauszukommen, um zu entfliehen, und spritzte aus den Blasen am After den darin enthaltenen ätzenden Saft hervor. Selbst nach Abschneidung des vordern Theils des Thorax, woran die beiden vordern Beine befestigt sind, setzte der Rumpf mit den vier hintern Beinen die scheinbar willkührlichen Bewegungen noch fort. Erst nachdem der Thorax noch weiter bis an die Wurzeln der beiden hintern Beine abgeschnitten war, gingen diese Bewegungen in Zuckungen über. Eine Bremse ('Tabanus bovinus) machte, als ich sie nach Wegnahme des Kopfs auf den Rücken legte, Anstrengungen wieder auf die Beine zu kommen, er- griff mit den Füfsen eine Pincette, womit ich einen dieser Theile berührte, und kroch daran herauf. Uebereinstimmung und Zweckmäfsigkeit in den Be- wegungen dauerten hier also nach dem Verlust des Kopfes fort. 195 Insecten, denen ich nur die rechte oder linke Hälfte des Kopfs wegnalım, liefen immer im Kreise nach der Seite der übriggebliebenen Hälfte. Weitere Versuche aber bewiesen, dafs die Ursache nicht der Verlust der einen Hirnhälfte, sondern der Sinnesorgane der einen Seite war. *) ı Eine Bombyx pudibunda, der ich das linke Fühl- born abgeschnitten hatte, lief ebenfalls immer im Kreise nach der rechten Seite. Das Drehen nach dieser Seite wurde noch lebhafter, nachdem ich die ganze linke Hälfte des Kopfs weggenommen hatte. Ich schnitt hierauf den Kopf ganz weg. Das Thier gerieth dann in heftige Agitation, flatterte unaufhörlich mit den Flügeln, lief fortwährend in Kreisen bald nach der rechten bald nach der linken Seite, und setzte diese Bewegungen ununterbrochen eine Viertelstunde fort. Die Bombyx lebte ohne Kopf drei Tage und fuhr bis zu ihrem Tode fort, von Zeit zu Zeit so heftige Bewegungen zu machen, dafs sie sich an den Wänden der Schachtel, worin sie sich befand, die Flügel ganz zerschlug. Ihre Bewegungen waren also zwar nicht mehr zweckmäßig, nachdem sie die Theile ganz ver- lohren hatte, wodurch die Zweckmäßsigkeit derselben bestimmt werden konnte, die Sinneswerkzeuge; die Uebereinstimmung in den Bewegungen war aber nach dem Verlust des Kopfs nicht aufgehoben. *) a fnexe (Belehrung über gemeinnützige Natur- und Lebenssachen. S. 42) sahe eine Hornisse, der er das zusammen- gesetzte Auge der einen Seite mit einem undurchsichtigen Firnifs bestrichen hatte, immer nach der Seite des unbedeckten Auges fliegen. 13 Weniger Einflufs auf die Richtung der Bewegungen als bei diesem Nachtfalter hatte die Wegnahme des Fühlhorns der einen Seite bei einer Kellerassel (Por- cellio scaber Latr.) und einer Vespa parietum. Die Assel schien zwar vorzugsweise nach der rechten Seite zu laufen. Doch kroch sie auch oft in grader Richtung und zuweilen nach der linken Seite. Die Wespe lief nach wie vor sowohl nach der rechten als der linken Seite. Eiue Aeshna forcipata aber, der ich die untere Hälfte der Hornhaut des rechten Auges mit möglichster Schonung des Sehenerven weggeschnitten hatte, lief wieder stets nach der linken Seite. Sie lebte ohne Kopf vier Tage und gab fortwährend in dieser Zeit Excremente von sich. Sie setzte sich aber nur noch in Bewegung, wenn ich ihre Palpen am After mit einer Pincette zusammendrückte, und konnte sich ihrer Flügel nicht mehr bedienen. Walckenaer*) erzählt von der Cerceris ornata, einer Art der Wespenfamilie, die einer, einsam in Löchern lebenden Biene, dem Halictus Terebrator, sehr nachstellt und immer in die Löcher desselben einzudringen sucht: Er habe einer solchen Wespe in dem Augenblick, wo sie eindringen wollte, den Kopf abgestofsen, und doch dieselbe nicht nur ihre Be- wegungen mit unveränderter Geschwindigkeit fort- setzen, sondern auch, nachdem er sie nach der ent- gegengesetzten Seite hingedrehet hatte, zu dem Loche umkehren und darin eindringen gesehen. Nach meinen ”) Mem. pour servir &. lHist. nat. des abeilles solitaires qui composent le genre Haliete. Paris. 1817. S. 39. 195 eben angeführten Erfahrungen ist in dieser Beobach- tung nichts Unwahrscheinliches. *) Der im Kopf enthaltene Hauptknoten des Nerven- systems der wirbellosen Thiere läfst sich als das Rudiment des Gehirns der Wirbelthiere betrachten, ist aber darin von diesem verschieden, dafs er im Innern nie aus ungleichförmigen Theilen besteht. Die Masse desselben hat nie ein bedeutendes Ueber- gewicht über die der Nerven, die aus ihr entspringen. Sie steht bei vielen jener 'Thiere selbst der Masse einzelner von diesen weit nach, und hat immer ein sehr kleines Verhältnifs zur Masse des ganzen Körpers. Jedes Sinnesorgan empfängt aus ihr immer nur einen einzigen Nerven, der sich als Sinnesnery in demselben verbreitet. Dieser Umstand, die Lage der Masse rings um den Schlund und die Abwesenheit eines Fort- satzes von ihr, der mit dem Rückenmark der höhern Thiere verglichen werden könnte, lassen vermuthen, dafs ihre beiden Hälften die über und unter dem Schlund mit einander vereinigten halbmondförmigen Knoten der Nerven des fünften Paars der Wirbelthiere sind, die schon bei manchen Amphibien und Fischen ein sehr grofses Verhältnifs zum Gehirn haben. Ich fand z. B. bei einem Kabliau (Gadus Morrhua) das ‚Gewicht dieser beiden Knoten, nach Trennung der- selben von den aus ihnen enispringenden Nerven- stämmen, zusammengenommen 8 Gran und das des Gehirns 48% Gran. Ihre Masse machte also ein Sechstel der Masse des letztern aus. *) Man vergl. Biologie. B. 5. S. 439. 13* 196 Jenes Gehirn der wirbellosen Thiere ist besonders für die Augen, Fühlhörner und Palpen bestimmt. Sie leben also vorzüglich in der sichtbaren und tastbaren Welt, die aber nach der Structur ihrer Gesichts- und Tastwerkzeuge für sie nur sehr beschränkt seyn kann. Bei den articulirten Gattungen dieser Thiere giebt es an jenem Gehirn sonstige Nerven nur für die Frefs- werkzeuge. Zu ihrem Nahrungscanal gehen keine Hirnnerven unmitielbar, sondern es schwillt immer ein eigenes Hirnnervenpaar zu Ganglien an, aus wel- chen Nerven des Schlundes und Magens entstehen, die sowohl mit dem sympathischen als dem herumschwei- fenden Nerven der Wirbelthiere Aehnlichkeit haben. *) Dagegen empfangen bei ihnen niemals die Werkzeuge des Athemhohlens Nerven vom Gehirn. Sie besitzen daher kein herumschweifendes Nervenpaar, das Magen- und Lungennerve zugleich ist. Bei der Nacktschnecke und mehrern andern, auf dem Bauch kriechenden Mollusken, die nur ein einziges Centralorgan des Nervensystems haben, verhält es sich hiermit anders. Diese haben einen Hirnnerven, woraus Zweige für das Respirationsorgan entspringen. Von ihrem Gehirn er- streckt sich aber auch ein eigener Nerve unmittelbar zur Aorta. Es wird also bei ihnen sowohl der Blut- umlauf als das Athemhohlen unmittelbar vom Gehirn beherrscht. Dabei aber haben bei ihnen die Nerven der willkührlichen Bewegungsorgane, die ebenfalis alle unmittelbar aus diesem Eingeweide ihren Ursprung nehmen, zu demselben ein so grofses Verhältnifs, dafs *) Man vergi. oben S. 20 dieses Bandes. 197 nur ein sehr kleiner Theil der Hirnmasse mit den Sinnesorganen in Beziehung stehen kann. Überhaupt, wo bei den wirbellosen 'Thieren das Gehirn vorzüg- lich für Sinnesorgane bestimmt ist, da theilt dasselbe die Herrschaft über den übrigen Körper mit andern grofsen Centralorganen, und wo dasselbe allein diese Herrschaft hat, da ist es wenig für Sinnesfunctionen ausgebildet. Es gehen nicht nur im sympathischen System, sondern auch in den Nerven der Sinne und der will- kührlichen Bewegung Wirkungen vor, die weder zum Bewulstseyn gelangen, noch Willkühr zur Ursache haben, wie das schon erwähnte Beispiel von Frosch- schenkeln beweist, die sich nach der Trennung vom Körper noch zurückziehen, wenn sie an den Zehen gedrückt werden. Vielleicht sind alle äussere Bewe- gungen, wodurch sich das Leben bei den untersten Wesen in der Classe der Zoophyten äussert, dergleichen nur scheinbar willkührliche. Aber bei Wesen solcher Art kann sehr wenig Empfänglichkeit für verschieden- artige Eindrücke zugegen seyn. Da, wo diese gröfser ist, würde das Leben ein ungeregeltes Spiel von Be- wegungen seyn, die oft einander gradezu entgegen- wirkten, wenn es nicht etwas gäbe, wodurch Einheit in die Mannichfaltigkeit sowohl der Perceptionen als der Reactionen gebracht würde. Der letzte Grund dieses Etwas ist das geistige Princip des Lebens. Aber nicht alles Zusammenwirken und alle Folge der gei- stigen Thätigkeiten hat in diesem Princip seine nächste Ursache. Empfindungen wecken nach blos organischen 198 Gesetzen Vorstellungen und Erinnerungen. Das Ge- dächtnifs hängt von körperlichen Bedingungen ab. Beim Gehen, Laufen, Springen, kurz bei jeder will- kührlichen Bewegung ziehen sich ganze Gruppen von Muskeln theils gleichzeitig, theils in einer bestimmten Ordnung zusammen, obgleich der Wille nur den ersten Antrieb dazu giebt und nicht auf jeden dabei thätigen Muskel besonders wirkt. Der nächste Grund jenes Etwas ist also ein organischer. Er liegt in den Central- organen des bewufsten Lebens. Je mehr diese in einem Thier vereinzelnet sind, desto mehr automatisch und vereinzelnet sind alle Lebensäusserungen desselben. Je enger sie unter sich verbunden sind, desto mehr freie Thätigkeit und Zusammenhang herrscht in den letztern. Von diesem Gesichtspunct aus werden die 'That- sachen der vergleichenden Anatomie, die wir bisher in Betrachtung gezogen haben und andere, worauf wir noch kommen werden, begreiflich. In den Be- wegungen aller wirbellosen Thiere findet weit mehr Automatisches und Vereinzeltes als in denen der Wirbel- thiere statt. Sie bedienen sich eines jeden Organs nur auf Eine bestimmte Weise und mehrerer zugleich nur in Einer bestimmten Ordnung. Noch nie sahe man ein Insect durch Kunst dahin gebracht, wohin sich schon die Schlangen bringen lassen, nach gewissen ihnen gegebenen Zeichen gewisse Stellungen anzunehmen oder Bewegungen zu machen. Keines jener 'Thiere hat Sinn für Töne, Formen und Farben, die nicht zur Sphäre ihres Instincts gehören. Man kann sie 2 nicht locken durch Worte oder durch willkührliche sichtbare Zeichen. Die Fische sind dagegen schon vermögend, mit gewissen Tönen, wobei ihnen Futter gereicht wird, die Erinnerung an das Füttern zu verbinden. Daher tritt schon bei den untersten der Wirbelthiere eine ganz andere Bildung der Central- organe der Nerven des bewulsten Lebens ein, als selbst den höchsten der wirbellosen Thiere eigen ist. Der Abstand zwischen beiden in Rücksicht auf diese Organe ist sogar weit gröfser als man nach den äussern Erscheinungen ihres Lebens erwarten sollte. Alle Wirbeithiere besitzen ein grofses Centralorgan, wovon nicht nur das ganze Leben in der Sinnenwelt, soweit dasselbe von dem allgemeinen Gefühl abhängig ist, regiert wird, sondern mit welchem auch das ganze Nervensystem des unbewufsten Lebens in Verbindung steht. Dieses ist das Rückenmark mit Einschlufs des verlängerten Marks. Wir finden dasselbe schon bei den Lampreten, die sich in ihren äussern Lebenserschei- nungen kaum über manche Ringwürmer zu erheben scheinen, und zwar nicht nur in ähnlicher Form, sondern auch in ähnlichem Massenverhältnifs zum übrigen Körper wie bei den Säugthieren und dem Menschen. Dasselbe besteht immer aus zwei symme- irischen Hälften, und jede der Hälften aus einem obern und untern Strang.*) Die untern Stränge werden am vordern Ende breiter; die obern entfernen sich hier *) Ich nehme hier oben und unten in Beziehung auf die Lage der Organe bei den Thieren, und werde so auch immer die Worte vorne und hinten gebrauchen. von einander, und lassen zwischen sich und den untern eine nach oben offene Höhlurg, (den Ventrikel des verlängerten Marks, die vierte Hirnhöhle). Diese Er- weiterung macht das verlängerte Mark aus. Mit dem letztern stehen beständig die Werkzeuge der Nerven des Athemhohlens, mit dem ganzen Rückenmark die des allgemeinen Gefühls, der willkührlichen Bewegung und des unbewufsten Lebens in Verbindung. Es läfst sich aber nicht sagen, alle jene Nerven entspringen daraus, wenn man unter diesem Ausdruck eine Fort- setzung der Fasern des Rückenmarks in die sämmt- lichen Fasern der Nerven versteht. Sie hängen zum Theil bei manchen Thieren, besonders den Lampreten, Rochen und Haien, nur durch so feine Fäden mit demselben zusammen und nehmen bei ihrer Verbrei- tung so an Masse zu, dafs sie nicht blofse Fortsätze desselben seyn können. Jeder Theil des Körpers wird zunächst von dem Theil dieses Organs, worin er seine Wurzeln hat, doch zugleich auch von dem ganzen Organ beherrscht, und der einzelne Theil des letztern wirkt gegenseitig auch wieder auf das Ganze. Nach Durchschneidung des Rückenmarks bewirkt Reizung des hintern Stücks noch eine Zeitlang Bewegungen in denen Organen, die von diesem ihre Nerven erhalten. Die hintern Organe werden aber zugleich mit den vordern bewegt, wenn die Reizung am vordern Ende des unverletzten Rückenmarks geschieht, und der Eindruck pilanzt sich an diesem auch von hinten nach vorne fort, wenn er auf den hintern Theil desselben wirkt, doch schwächer 201 als in der entgegengesetzten Richtung. Solche Lei- tungen der Reizungen gehen in weit geringerm Grade durch den Ganglienstrang der wirbellosen Thiere vor sich. Das Rückenmark theilt ferner nicht nur den Nerven des bewufsten Lebens Eindrücke mit; auch die Kraft des ganzen Nervensystems hat in demselben eine Quelle. Auf bedeutende Verletzungen desselben folgt bei jedem Thier baldige und grofse Schwäche aller Organe und endlich der Tod. Die Kraft und Thätigkeit jenes Sy- stems ist jedoch in verschiedenem Grade nach der verschiedenen Stufe der Organisation von demselben abhängig. Da bei den Fischen, besonders den Knorpel- fischen, die Nerven nur durch sehr zarte Fäden mit diesem Organ zusammenhängen, so läfst sich schliessen, dafs bei ihnen nur wenig verschiedenartige Eindrücke und nur Impulse zu ganzen Gruppen von Bewegungen aus dem Rückenmark hervorgehen, dafs die Verkettung dieser Bewegungen ausserhalb demselben in einem automatischen Wirken der Nerven begründet ist, und dafs die Kraft der Nerven weniger bei den niedern Wirbelthieren als bei den höhern vom Rückenmark abhängt. Es spricht in der That auch für diesen Schlufs die Einfachheit der Bewegungsorgane, die geringe Mannichfaltigkeit der Bewegungen und die Zähigkeit des Lebens dieser Thiere. Auf den höhern Stufen des Thierreichs, wo hiervon das Gegentheil statt findet, sind auch die Nerven, besonders die, welche zu den Hauptwerkzeugen der willkührlichen Be- wegung, den Extremitäten, gehen, durch weit stärkere Fäden mit dem Rückenmark als bei den Fischen ver- bunden. Es ist denkbar, dafs es Thiere gebe, die ohne Gehirn, blos vermittelst eines Rückenmarks, leben. Allein solche giebt es nicht. Bei jedem 'Thier, das ein Rückenmark besitzt, ist dieses mit einem Gehirn verbunden, welches immer wenigstens zwei Sinnes- werkzeugen, von höherer Bildung als die der wirbel- losen Thiere sind, Nerven ertheilt, und aus zwei vordern Hemisphären, zwei hintern Halbkugeln und einem kleinen Gehirn besteht. In der einfachsten Gestalt erscheint dieses Organ bei den Chondropterygiern unter den Fischen, besonders der Lamprete und dem Stöhr, und bei den niedrigsten Ordnungen der Am- phibien, der Blindschleiche, dem Frosch, Salamander und Hypochthon. Die untere Wand der Höhlung des verlängerten Marks reicht bei diesen Thieren bis zum vordern Ende des Schädels; ihre Seitentheile setzen sich in ein markiges Blatt fort, das auf beiden Seiten nach oben umgeschlagen ist; beide Blätter vereinigen sich in der Mittellinie des Gehirns, und so stellt dieses eine längliche Blase vor, die vorne verschlossen ist, hinten mit der untern Wand in das Rückenmark übergeht, und auf der obern Seite nach hinten offen steht. Diese Blase ist auf der obern Seite in der Mittellinie durch eine Furche in eine rechte und linke Hälfte von symmetrischer Gestalt, und durch zwei Queerverengerungen in einen vordern und hintern Theil geschieden. Die beiden Hälften des vordern 'Theils sind die vordern, die des hintern Theils die hintern 203 Hemisphären. Die Höhlung des verlängerten Marks ist von einem gewölbten Blatt bedeckt, welches das kleine Gehirn ausmacht. An den vordern Hemisphären entstehen die Geruchsnerven, an den hintern die Sehe- nerven. Auf dem Boden der Höhlung des verlängerten Marks und der Hemisphären gehen die Stränge des Rückenmarks fort. Sie weichen in der Mittellinie des verlängerten Marks von einander, und es erzeugen sich auf der obern sowohl als untern Seite desselben neue längslaufende Stränge, die noch nicht als be- sondere Theile am Rückenmark sichtbar sind, so wie auch Faserschichten, die aus jener Mittellinie hervor- kommen und der @ueere nach verlaufen. Man kann hiernach am Gehirn der Lampreten, Stöhre, Haien und Rochen einen Stamm und eine Haube unterscheiden. Der Stamm ist die, unten con- vexe, oben concave Platte, welche sich unmittelbar vom verlängerten Mark fortsetzt und den Boden des Gehirns ausmacht. Die Haube ist das Dach, welches von den verlängerten Seitenrändern der Platte über derselben gebildet wird. Bei den übrigen Wirbel- thieren finden sich an dem Stamm unter der Haube noch Kernorgane: Wulste, die von mannichfaltiger Gestalt, doch immer mehr als blos einfache, verdickte Stränge sind. Die Gräthenfische besitzen einen solchen Kern in den hintern Hemisphären, die Amphibien in den vordern, die Vögel sowohl in jenen als in diesen. Manche Fische haben zwar auch solide Hervorragungen am Ursprunge der Geruchsnerven. Doch sind diese immer getrennt von den eigentlichen vardern Hemis- 204 phären, die keinen Kern enthalten, und mehr Seiten- wulste der Geruchsnerven als Theile des Gehirns. Bei den Säugthieren vereinigen sich die vordern und hintern Hemisphären jeder Seite mit einander zu einer einzigen; die Kerne derselben rücken zusammen und erhalten eine einzige, gemeinschaftliche Haube; der vordere zeigt sich als Streifenhügel, der hintere als Sehehügel; von den hintern Hemisphären aber trennt sich ein kleiner 'Theil und organisirt sich zwischen den hintern Enden der Sehehügel und dem kleinen Gehirn zu einer Kuppe der Höhlung des verlängerten Marks, zu den Vierhügeln. *) Bei allen diesen Verwandelungen des Gehirns bleibt immer eine nicht zu verkennende Beziehung desselben auf die höhern Sinne und die durch diese Sinue vermittelten geistigen Thätigkeiten. Die ganze Structur desselben, Versuche an Thieren und patho- logische Beobachtungen beweisen, dafs das Gehirn der Aufbewahrungsort des Vorgestellten und Gedachten ist, dafs von demselben aus der Wille den Vorstellungen ”*) Die Beweise für diese Ansicht der Verhältnisse des Gehirns der niedern Wirbelthiere zu den höhern findet man in meinen, den öten Band der Vermischten Schriften ausmachenden Untersuchungen über den Bau und die Functionen des Gehirns u. s. w. und in meiner Abhandlung Ueber die hintern Hemisphären des Gehirns der Vögel, Amphibien und Fische, in der Zeitschrift für Physiol. B. 4. S. 39. In der Histoire des Poissons par Cuvier et Valenciennes (T.1. p- 420) ist sie mit einigen wenigen Modificationen angenommen, aber kaum nebenher als von mir herrührend genannt und so vorgestellt, als ob sie nur wenig von der Ansicht Camper’s abweiche, der den innern Bau des- Thiergehirns noch so wenig Kannte, dafs das, was er darüber sagt, keiner Erwälnung werth ist. gemäß, die von den höhern Sinnen ihren Ursprung haben, auf den übrigen Körper wirkt, und dafs durch dasselbe die Verkettung der Vorstellungen und will- kührlichen Bewegungen geschieht. Das Gesicht, der Geruch und das Gehör sind die . Sinne, wodurch das geistige Leben vorzüglich angeregt wird. Den Riech- und Sehenerven und den Nerven der Muskeln, wodurch die Augen in Bewegung ge- setzt werden, gehören bei allen Wirbelthieren die vordern und hintern Hemisphären zum Ursprunge an. Die Hörnerven ireten zwar aus einer niedern Sphäre, aus dem vordern Ende des verlängerten Marks hervor. Allein sie sind bei ihrem Austritt aus demselben schon so vollständig gebildet, dafs man schliessen mufs, sie erhalten von dem verlängerten Mark nur einzelne Fäden, ihre Hauptwurzeln aber aus höhern Organen. Ein ähnlicher Ursprung ist dem Trigeminus und dem Antlitzuerven eigen. Diese entstehen ebenfalls nur zum Theil aus dem Organ, aus welchem sie hervorgehen, dem verlängerten Mark, zum Theil auch aus dem Gehirn. Sie sind aber auch mitwirkend bei den Ver- richtungen aller Sinnesorgane. Solche doppelte Wurzeln in einer höhern und niedern Sphäre haben selbst die Nerven des Gesichts und Geruchs. Die ersten Anfänge der Sehenerven liegen bei den Sängthieren auf den Vierkügeln. Bei ihrem weitern Fortgang erhalten sie Fasern von den Sehehügeln und zuletzt von der grauen Platte (Tuber cinereum). Die Vierhügel aber gehören eben so sehr dem verlängerten Mark als dem grofsen Gehirn an: denn ihre Gröfse wächst nicht immer, 206 wie die des letztern und der Theile desselben, auf den höhern Stufen der Organisation der Säugthiere im umgekehrten Verhältnifs mit dem Volumen des ver- längerten Marks. Wenn sie auch bei dem Menschen und einigen andern höhern Säugthieren in Vergleichung mit dem verlängerten Mark an Breite zunehmen, so folgt doch oft ihre Länge nicht dem nehmlichen Ver- hältnifs, und auch jene Zunahme ist weder allgemein, noch so beträchtlich wie an andern 'Theilen des grofsen Gehirns. Die Riechnerven kommen mit einer äussern Wurzel von der Sylvischen Grube, mit einer innern vom Hirnstamm. Jene entsteht aus den Kernorganen des Gehirns. Wie weit diese sich nach hinten erstreckt, läfst sich bei den höhern Wirbelthieren nicht bestimmen. Bei mehrern Fischen und Amphibien aber gehen die untern Stränge des verlängerten Marks ununterbrochen bis zu ihr fort. Alle Nerven des verlängerten Marks, die hinter den Hörnerven entspringen, entstehen hin- gegen aus der Vereinigung so oberflächlicher und so dünner Wurzeln, dafs sich von keinem derselben eine nähere Verbindung mit den Kernorganen des Gehirns annehmen läfst. Diese Nerven haben aber auch keinen Antheil an den Functionen der höhern Sinneswerkzeuge. Mit der fortschreitenden Ausbildung dieser Werk- zeuge und derjenigen Organe der willkührlichen Be- wegung, die sich auf die höhern Sinne beziehen, nimmt bei allen Wirbelthieren das Gehirn immer mehr an Gröfse, an Mannichfaltigkeit der Theile und an Vielfachheit der Verbindung jedes Theils mit den übrigen zu. Die Zunahme der Gröfse findet in Be- Mn. ziehung der Masse desselben gegen die Masse des Rückenmarks mit Einschlufs des verlängerten Marks statt, und mit diesem Verhältnifs kömmt, wie schon im zweiten Buch gezeigt wurde, das der gröfsten Breite des Gehirns gegen die gröfste Breite des ver- längerten Marks ziemlich nahe überein. Es erhält also mit dem’ höhern Leben in der Sinnenwelt das Gehirn immer mehr das Uebergewicht über das Cen- tralorgan des niedern thierischen Lebens, das Rücken- mark. Dieses Uebergewicht ist zwar nicht allgemein gröfser bei den Säugthieren als bei den Vögeln, bei den letztern als bei den Amphibien, und bei den Amphibien als bei den Fischen. Ich fand z. B. die gröfste Breite des verlängerten Marks — 100 gesetzt, die des Gehirns bei dem Fuchs — 278, dem Hasen — 230, dem Eichhörnchen und Hamster = 205, dem virginischen Beutelthier = 147, dem Psittacus amazonius — 236, dem Lanius Excubitor — 232. Der letzte dieser Vögel steht also in Rücksicht auf jenes Verhältnifs eben so hoch als der Hase. Aber viele Vögel stehen auch von gewissen Seiten auf einer höhern Stufe des geistigen Lebens als viele Säugthiere. Indeßs besitzt kein Vogel ein relativ so grofses Gehirn wie die höhern Säugthiere, den Menschen auch abgerechnet; keines der Amphibien ein so grofses wie die mehresten Vögel, und kein Fisch ein so grofses wie diejenigen unter den Amphibien, die zunächst auf die Vögel folgen. Der nehmlichen Stufenfolge entspricht im Allgemeinen die Ausbildung der, zum höhern Sinnenleben dienenden willkührlichen Bewegungsorgane, der Sprachwerkzeuge. 208 Hiervon giebt es freilich bei einzelnen Familien Ausnahmen. Das Gehirn der Delphine kömmt nächst dem der Affen mit dem menschlichen mehr als das Gehirn eines der übrigen Thiere, sowohl in der Ge- stalt als im Verhältnifs der 'Theile überein.*) Und doch sind bei diesen Seethieren die Organe der will- kührlichen Bewegung überhaupt, und besonders auch die der Sprache, höchst unvollkommen gebildet. Sie haben überdies nur Rudimente von Riechnerven. Da- gegen besitzen die übrigen Säugthiere und selbst die, bei welchen das Gehirn am wenigsten ausgebildet ist, ähnliche Sprachorgane wie der Mensch, ohne sich dieser Werkzeuge zu etwas mehr als zur Hervorbrin- gung einfacher Töne bedienen zu können. Wie hier grofse Mittel zu einem kleinen Zweck vorhanden zu seyn scheinen, so könnte auch im Bau des Gehirns Manches als Folge gewisser allgemeiner Bildungs- gesetze erzeugt seyn, ohne bei jedem 'Thier, wobei sich dasselbe findet, eine wichtige Beziehung zu haben, und dafs dies wirklich sich so verhalte, liesse sich aus dem Beispiel der Delphine folgern. Wäre dies aber der Fall, so würden alle Schlüsse von der Structur des Gehirns auf dessen Verrichtung dadurch sehr un- sicher gemacht. Indefs, es kann sich damit nicht so verhalten. Wo ein Thier gewisse Theile nur in Folge von Bildungsgesetzen hat, ohne sie als wirkliche Organe benutzen zu können, da sind diese immer nur als Rudi- mente vorhanden. Von solcher Art sind nicht die *) Tiedemann in der Zeitschrift für Physiol. B. 2. S. 251. 209 Diese bedienen sich derselben zu wichtigen Zwecken, zur Hervorbringung gewisser, ihren Gefühlen und Af- fecten entsprechender Töne, die in andern Thieren, besonders ihrer Art, ähnliche oder entgegengesetzte Ge- fühle und Gemüthsbewegungen unmittelbar bewirken.*) - Dafs sie nicht vermittelst jener Organe sprechen können, liegt zunächst mit an der unvollkommmenen Organisation ihres Gehirns. Wenn bei den Delphinen dieses Ein- geweide vollkommener organisirt ist als bei vielen von ihnen, und doch denselben die Sprachwerkzeuge fehlen, so läfst sich der Grund darin suchen, weil das Delphin- gehirn nur von denen Seiten, die mit dem Vermögen, Töne und Laute hervorzubringen, nichts gemein haben, nicht aber von denen, auf welchen dieses Vermögen beruhet, eine höhere Bildung hat. In derselben Folge, worin die relative Gröfse des Gehirns bei den Wirbelthieren wächst, mehrt sich auch die Zahl der innern ungleichartigen Theile des- selben, und zugleich treten diese mit einander in immer engere Verbindung. Im Gehirn der Knorpelfische lassen sich kaum erst Spuren von Kernorganen unterscheiden. Bei den Gräthenfischen und den Amphibien sind diese vorhanden. Aber die der vordern Hemisphären stehen in keiner Verbindung mit denen der hintern als blos durch den Hirnstamm. Bei den Vögeln rücken die Kernorgane näher zusammen. Sie liegen aber noch nicht unter einer einzigen, ungetheilten Haube, von *) Erfahrungen zum Beweise dieser Einwirknngen finden sich in einem Aufsatze Dureau de la Malle’s über die Kntwickelung der Geisteskräfte der Thiere. Annales des sc. natur.-T. XXIL p. 415. 14 210 welcher sich auswendig die Vierhügel als ein beson- deres Gebilde ganz getrennt haben. Umhüllet von einer allgemeinen Bedeckung, von welcher die Vier- hügel ganz gesondert sind, finden sie sich nur bei den Säugthieren, und bei diesen kommen auch unter der gemeinschaftlichen Haube noch andere Kernorgane vor, die bei den übrigen Wirbelthieren entweder noch gar nicht vorhanden, oder nur erst angedeutet sind: die Ammonshörner, das Gewölbe, die Fimbrien, der Balken und die durchsichtige Scheidewand. Für die Fische und Amphibien giebt es keine eigene Organe, welche die ungleichartigen Kernorgane mit einander in Verbindung bringen. Nur die gleichartigen Theile beider Hälften des Gehirns haben bei ihnen durch Commissuren mit einander Gemeinschaft. Auch die Vögel besitzen noch kaum andere Verbindungstheile als solche Commissuren. Im Säugthiergehirn hängt nicht nur das Gleichartige der einen Hirnhälfte mit dem der andern durch Commissuren und durch die, den übrigen 'Thieren fehlende Varolische Brücke, son- dern auch das Hintere mit dem Vordern, das Untere mit dem Obern, das Nahe mit dem Fernen durch das Gewölbe, die Fimbrien, den Balken und die durch- sichtige 'Scheidewand zusammen. Was der Hirnbau lehrt, wird nun auch durch die Resultate genauerer Versuche über den Einflufs von Verletzungen der einzelnen Theile des Gehirns auf die Erscheinungen des äussern Lebens bestätigt. Solche verdanken wir Flourens.*) Die meisten der vor ihm *) Recherches experiment. sur les proprietes et les fonctions über diesen Punct gemachten Erfahrungen sind zu wenig genau, um auf sie bauen zu können, und alle spätere Versuche haben nicht ‘mehr Ausbeute als die seinigen geliefert.*) Bei den seinigen vermilst man zwar tiefere Kenntnisse des innern Baus des Gehirns und bestimmtere Angaben der verletzten oder nicht verletzten innern Theile desselben. Doch ergiebt sich aus ihnen und den genauern der übrigen bisherigen Versuche und Beobachtungen Folgendes: 1) Verletzungen der blofsen Haube des grofsen Gehirns haben keinen unmittelbaren Einflufs auf die äussern Erscheinungen des Lebens. Dies beweisen auch alle Erfahrungen über die Folgen zufälliger oberflächlicher Hirnwunden. Aber Abwesenheit alles Einflusses solcher Verletzungen auf das geistige Leben ist nicht bewiesen. Es ist nicht ausgemacht, doch freilich auch schwer auszumachen, ob nach solchen Verletzungen nicht Schwächung der Seelenkräfte, we- nigstens von gewisser Seite, eintritt. 2) Wird mit der Haube des grofsen “Gehiras zugleich ein bedeutender Theil der Kernorgane des- selben weggenommen, so ist das Leben in der höhern Sinnenwelt plötzlich aufgehoben und das Thier in einen Zustand versetzt, worin es nur noch gegen Eindrücke des allgemeinen Gefühls reagirt, ohne selbstthätig zu handeln. Dieses sieht, hört, riecht und du systeme nerveux dans les animaux vertebres. Paris. 1814. Experiences sur le systeme nerveux, faisant suite aux Recherches experim. Paris. 1815. *) Unter andern die von Schöps in Meckel’s Archiv für Anatomie und Physiologie. 1827. S. 368. j 14* en. schmeckt nicht mehr. Doch bleibt die Iris des Auges noch beweglich. Das Thier nimmt Speise und Trank nicht mehr aus eigenem Antriebe zu sich, verschluckt nur, was man ihm in den Schlund schiebt, und ver- ändert seine Stelle nicht, wenn es nicht fortgestofsen wird. Vögel können im diesem Zustande Monate leben und dabei fett werden. Geschieht die Operation blos an der einen Hälfte des Gehirns, so erblindet blos das Auge der entgegengesetzten Seite und es entsteht auf eben dieser Seite Schwäche der willkührlichen Muskeln. Ob und welche Modificationen eintreten, wenn die Verstümmelung blos die Streifenhügel, die Sehehügel oder Ammonshörner betrifft, wenn sie bis zu den Commissuren geht, oder diese dabei unverletzt bleiben, ergiebt sich nicht bestimmt aus den bisherigen Er- fahrungen. Wohl aber folgt daraus, dafs die nächsten Wirkungen der Verletzung nicht immer unmittelbare Folgen des Verlusts der Hirnmasse sind. Ist. dieser nicht zu bedeutend, so erlangt das Thier nach und nach den Gebrauch seiner Sinne und Geisteskräfte in gewissem Grade wieder, obgleich Reproduction der verlohrnen Hirnsubstanz nicht statt findet. Die erste Betäubung mufs also in diesem Fall mehr von der Blutergiessung im Gehirn und von der plötzlichen Einwirkung der Luft auf das Innere dieses Eingeweides als von dem Verlust der Hirnsubstanz herrühren, und ein geringerer Theil der Hirnmasse, als das 'Thier - ursprünglich besitzt, schon zur Erhaltung des Grades von Intelligenz, den dasselbe in der Gefangenschaft zu äussern pflegt, hinreichend seyn. 3) Schneidet man eine Schichte von den Vier- hügeln weg, so sind die Folgen: Blindheit, wobei die Iris, wie im vorigen Falle, ihre Beweglichkeit be- hält, convulsivische Bewegungen und darauf Schwäche der willkührlichen Muskeln. Die übrigen Sinne und die Geisteskräfte des Thiers leiden aber dabei nicht merklich. Wird blos von den Vierhügeln der einen Seite ein oberflächlicher Theil weggenommen, so er- folgen diese Wirkungen im Auge und in den Muskeln der entgegengesetzten Seite. Das Thier drehet sich dabei im Kreise nach der Seite des gesunden Auges, doch nur willkührlich: denn es thut das Nehm- liche, wenn man ihm bei unverletztem Gehirn das eine Auge verbunden hat. Mit den hintern Hemis- phären des Gehirns der Vögel, Amphibien und Fische soll es sich bei diesen Versuchen wie mit den Vier- hügeln des Säugthiergehirns verhalten. Da jene aber mit diesen nicht ganz einerlei sind, sondern noch sonstige Hirnorgane der Säugthiere in sich schliessen, so ist nicht zu bezweifeln, dafs nach tiefern Ver- letzungen der erstern der Erfolg anders als nach Verwundungen der Vierhügel seyn wird. 4) Werden die vorigen Operationen am kleinen Gehirn gemacht, so fahren die Sinnesorgane fort ihre Verrichtungen zu thun. Das Thier geräth aber in eine heftige Unruhe, wobei es immerfort seine -Stellung zu verändern sucht, ohne seine Gliedmaafsen auf die ge- hörige Weise gebrauchen zu können, und es entsteht eine Schwäche der willkührlichen Muskeln, die sich, wenn blos die eine Hälfte des kleinen Gehirns weg- genommen ist, wie bei den vorigen Versuchen auf der entgegengesetzten Seite äussert. Flourens hat aus der ersten dieser Erscheinungen geschlossen, das kleine Gehirn sey das Organ, wodurch ganze Gruppen von willkührlichen Bewegungen dem beabsichtigten Zwecke gemäfs verkettet werden, also das Associationsorgan dieser Bewegungen. Der Gedanke hat Einiges für sich. Das kleine Gehirn kann nicht ohne bedeutenden Einflufs auf alle Empfindungen und Bewegungen seyn, da es durch seine Schenkel vorne mit dem grofsen Gehirn, hinten mit dem verlängerten Mark und Rückenmark in enger Verbindung steht. Dem Grad der Entwickelung desselben in der 'Thierreihe entspricht auch die Zahl der verschiedenartigen Bewegungsorgane und die Man- nichfaltigkeit der Associationen, deren diese fähig sind. "Allein die Thatsache, worauf Flourens’s Meinung gestützt ist, läfst sich noch auf andere Weise erklären. Wenn die Kraft des verlängerten Marks und Rücken- marks durch die Integrität des kleinen Gehirns bedingt ist, so ist das Thier nach Verstümmelung des letztern unvermögend, seine Muskeln auf die angemessene Art wegen Schwäche der bewegenden Kraft zu gebrauchen. Diese kann aber wechselnd in Beziehung auf ver- schiedene Muskeln seyn, und in diesem Falle wird sich das Thier derer bedienen, worüber es im Augen- blick des Wollens die meiste Gewalt hat, obgleich dieselben nicht die passendsten zu dem beabsichtigten Zweck sind und das Assvciationsvermögen der Bewe- gungen nicht verlohren gegangen ist. Soviel ist gewils, dafs die Herrschaft des kleinen Gehirns sich nicht über alle Associationen der Bewegungen erstreckt. Die will- kührlichen Bewegungen gehen eben so coordinirt bei den Lampreten und Fröschen mit einem blofsen Ru- diment von kleinem Gehirn als bei den, ein sehr vollständiges kleines Gehirn besitzenden Cetaceen vor sich. Manche Verkettungen sind zunächst durch die Nerven bedingt. Andere haben ihren nächsten Grund im verlängerten Mark und Rückenmark. Noch andere, besonders die sehr wichtigen der Augenmuskeln, hängen vom grofsen Gehirn ab. 5) Das Leben des Gehirns kann noch einige Zeit fortdauern, wenn das Rückenmark nicht zu nahe dem grofsen Hinterhauptsloche durchschnitten ist. Je näher die Verletzung dem verlängerten Mark kömmt, desto schneller erlöscht jenes. Fortdauer desselben bei 'Tren- nung des ganzen Gehirns vom verlängerten Mark läfst sich selbst bei den niedrigsten Wirbelthieren nicht annehmen. Wenn bei Thieren noch associrte Bewe- gungen in den Gesichtsmuskeln nach der Enthauptung statt finden, so ist dabei doch nur das Rückenmark durchschnitten, das verlängerte Mark aber noch mit dem Gehirn in Verbindung. Das verlängerte Mark ist also der Mittelpunct des ganzen organischen Lebens. Dies könnte es nicht seyn, wenn es nicht in gewissem "Grade selbstthätig wirkte. Aber es wirkt doch auch zugleich, ähnlich den Nerven, als Leiter empfangener Eindrücke. Die Leitung erfolgt längs demselben und dem Rückenmark auf der nehmlichen Seite, worauf der Eindruck geschieht. Die Impulse aber, die vom Gehirn auf diese Organe wirken, gehen von der ent- 216 gegengesetzten Seite der leitenden Hälfte aus. Es entstehen, wenn die Centralorgane der einen Hälfte des Gehirns bis auf einen gewissen Punct und in einem gewissen Grade verletzt werden, oft gleich- seitige Zuckungen, aber immer ungleichseitige Läh- mungen. Bei Krankheiten, wo eine halbseitige Lähmung vorhanden war, fand sich zwar zuweilen ein örtliches Uebel im Innern des Gehirns auf der Seite der ge- lähmten Gliedmaafsen.*) Aliein wir werden unten sehen, dafs sich aus diesen pathologischen Fällen nichts Sicheres folgern läfst. Von dem Gesetz der gleichseitigen Fortpflanzung von Reizungen machen jedoch, wie schon vorhin bemerkt ist, die Vierhügel eine Ausnahme. Noch unausgemacht ist es übrigens, von welchem Puncte an der Hirnstamm fähig ist, physische Eindrücke zu leiten. Vergleichen wir jetzt mit den bisherigen Resul- taten die Lebensäusserungen solcher mifsgebildeten Wesen, bei denen bedeutende Theile des Gehirns verkrüppelt waren oder ganz fehlten, so finden wir diese ebenfalls mit jenen übereinstimmend. Parry**) sahe ein Kind, das ohne die mindeste Spur von grofsem und kleinem Gehirn gebohren war, zwanzig *) Einen neuern Fall, wo eine Lähmung der Extremitäten und des einen Auges auf derselben Seite statt fand, auf welcher eine organische Verletzung des Gehirns vorhanden war, hat Wedemeyer in Rust’s Magazin für die gesammte Heilkunde (CH. 19. S. 227) beschrieben. Larrey machte dagegen wieder eine Beobachtung von entgegengesetzter Art bekannt. Journ. de Physiol. par Magendie. I VAITS DERR. ”°*) Elements of Pathology and Therapeutics. Vol. I. p. 260. 217 Stunden nach der Geburt die Knie bewegen, wenn es unter den Fufssohlen gekitzelt wurde, an einem in den Mund gesteckten Finger saugen, faeces und Harn lassen, und Speise verschlucken. Es gingen hier also instinctartige Handlungen ohne Mitwirkung des grofßsen und kleinen Gehirns vor sich. Aber das höhere Sinnen- leben entwickelt sich bei keinem Kinde, dessen grofses Gehirn fehlt, obgleich ein Leben, das blos durch das allgemeine Gefühl mit der äussern Natur in Wechsel- wirkung steht, einige Zeit dabei fortdauern kann. Bei einem zweijährigen Kinde, das mit abgeplattetem Vordertheil des Schädels und über einander gescho- benen Schädelknochen gebohren war, und bei dem sich keine Spur von Gegenwart anderer Sinne als dem des allgemeinen Gefühls zeigte, bei welchem aber dessen ungeachtet das Athemhohlen, die Ver- dauung und Ernährung vor sich gingen und das sogar noch einige Monate vor dem Tode drei Schneide- zähne bekam, fand ich das kleine Gehirn, die Brücke, das verlängerte Mark und die von dem letztern aus- gehenden Nerven im regelmäßsigen Zustande, von dem grofsen Gehirn aber nur Bruchstücke, deren mehrere zu einer einzigen, einförmigen Masse ver- schmolzen waren.*) Sind die Kernorgane des Gehirns auch ursprünglich vorhanden, ist aber die Haube unvollkommen gebildet, so bleibt der Mensch auf einer niedrigen Stufe der geistigen Entwickelung stehen. Willis**) hat eine Abbildung von dem Gehirn eines, *) Biologie. B. 6. S. 137. **) Cerebri Anat. €. 3. Fig. 4. 218 von Kindheit an blödsinnigen jungen Mannes geliefert, worin die Hirnwindungen höchst unvollkommen ent- wickelt erscheinen und der gröfste Theil des Balkens ganz fehlte. Von eben diesem Organ fehlte auch in einem von Reil*) beschriebenen Fall der ganze mittlere und freie Theil bei einem Mädchen, das sonst ge- sund, aber soweit blödsinnig war, dafs sie nur von dem Dorfe, wo sie wohnte, in die Stadt gehen und alltägliche Botschaften überbringen konnte. Es liesse sich erwarten, dafs auch aus den Folgen krankhafter, erst nach der Geburt zufällig entstan- dener Veränderungen einzelner Hirnorgane und anderer Centraltheile des Nervensystems sich Aufschlüsse über die Verrichtungen dieser Theile ergeben müfsten. In- defs, alle Resultate, die sich aus solchen Fällen ziehen lassen, sind sehr unzuverlässig. Einen merkwürdigen Beweis dieses Ausspruchs geben folgende Beispiele. Willis**) konnte bei einem Menschen, der von Ju- gend an blödsinnig war, keinen weitern Fehler als auffallende Kleinheit des Gehirns und des untern Halsknotens des sympathischen Nerven, und eine kleinere Zahl Nerven des leiztern, als im regelmäs- sigen Zustande von demselben ausgehen, entdecken. Das Gegentheil hiervon giebt Cayre als das Resultat der Leichenöffnung von neun Blödsinnigen an. Bei diesen sollen die Hirn- und Rückenmarksnerven gelb und dünn, hingegen die Knoten und Zweige des sym- pathischen Nerven, besonders die Cervicalganglien, *) In dessen Archiv für die Physiologie. B. XI. S. 341. X) A. a. O. C. 26. Opp. ex ed. Blasii. p. 95. 219 und unter diesen vorzüglich das obere, sehr grofs gewesen seyn.*) Was läfst sich aus solchen Wider- sprüchen schliessen ? Es giebt wenig organische Krankheiten des Ge- hirns, die nicht auf den Geist und Körper die ver- schiedensten Wirkungen hatten. Burdach hat sich der schweren Arbeit unterzogen, die Beobachtungen über diesen Gegenstand im ten Bande seines Werks „Ueber den Bau und das Leben des Gehirns” zu sammeln, und die Zahl der verschiedenen Wirkungen, die jede Verletzung eines gewissen Theils des Gehirns hatte, aufzusuchen. Er hat aber die Beobachtungen nur gezählt, nicht gewogen, und schon deswegen ist seine Ernte auf diesem Felde sehr dürftig ausgefallen. Wären sie aber auch alle möglichst gesichtet, so würde sich doch wenig Sicheres darauf bauen lassen. Zufällige Verletzungen des Gehirns von äussern, me- chanisch wirkenden Ursachen haben immer Neben- wirkungen, die sehr verschiedener Art seyn können, die sich selten erkennen lassen und deren Einflufs auf das Gehirn oft weit wichtiger als der der ur- sprünglichen Verletzung ist. Krankhafte Veränderungen einzelner Theile des Gehirns aus innern Ursachen sind in der Regel nur der, in die Augen fallende Ausdruck innerer, weit wichtigerer Veränderungen des ganzen Gehirns oder doch eines grofsen Theils desselben. Ich habe hiervon Beweise an dem Gehirn eines Greises gefunden, der seit Jahren verrückt gewesen und plötzlich *) Nouveau Journal de Medecine etc. redige par Beclard, Chomel etc. T. VI. p. 40. gestorben war. Bei der Leichenöffnung fand sich das Gehirn dem äussern Anscheine nach nicht anders verändert, als man es bei den verschiedensten Geistes- krankheiten findet. Der Schädel war sehr verdickt. Die harte Hirnhaut hing sehr fest mit demselben zu- sammen. Die sämmtlichen Hirngefäfse strotzten von Blut. Die Basilararterie enthielt an mehrern Stellen kleine, weifßsliche, harte Concretionen. Die Hirnventrikel waren von Wasser ausgedehnt, und die beiden Zugänge von den Seitenventrikeln zur dritten Hirnhöhle sehr erweitert. Wichtigere Aufschlüsse gab mir die mi- croscopische Untersuchung der Textur dieses Gehirns. Bei gesunden Menschen zeigen sich die Hirnfasern als Reihen von Kügelchen, die an einigen Stellen parallel neben einander liegen, an andern unter sich verschlungen sind, und oft ziemlich weit ununter- brochen fortgehen. Hier fand ich allenthalben, sowohl in der Rindensubstanz als im Mark, nur Fragmente solcher Reihen. Nirgends sahe ich mehr als zwei bis drei Kügelchen mit einander zusammenhängen. Aehn- liche Veränderungen der innersten Textur des Ge- hirns sind gewils bei jeder, aus innern Ursachen entstandenen organischen Krankheit dieses Eingeweides vorhanden. Da sich nicht bestimmen läfst, wie weit sie sich erstrecken und in welchen Krankheiten sie vorzüglich statt finden, so sind auch alle Schlüsse und Beobachtungen über die Verbindung gewisser Geisteskrankheiten mit organischen Fehlern des Ge- hirns, die man nur dem Aeussern nach erkannt hatte, ganz unzuverlässig. 221 Die einzigen 'Thatsachen, woraus sich weitere Folgerungen in Hinsicht auf unsern Gegenstand mit Sicherheit ziehen lassen, sind die, welche die ver- gleichende Hirnlehre liefert. Ich glaube, folgende Sätze aus Gründen dieser Lehre ableiten zu können. Die höhere Organisation des menschlichen Ge- hirns ist gebildet für Ideen, die sich auf «ie sichtbare und hörbare Natur beziehen. Die Delphine haben nur Rudimente von Riechnerven, keine besondere Tast- werkzeuge, eine Zunge, die nicht zum feinern Schmecken organisirt ist, und einen nicht viel ausgebildeteren Apparat von Werkzeugen der willkührlichen Bewegung als die Fische. Und doch stehen sie nächst den Affen dem Menschen im Baue des Gehirns näher als die übrigen 'Thiere. Nur die Organe des Gesichts und Gehörs sind bei ihnen in dem Grade ausgebildet, dafs sie ihnen mannichfaltige Empfindungen verschaffen können. Aber die Schärfe dieser Sinne mufs doch nach dem Bau ihres Auges und Ohrs bei ihnen weit geringer als bei manchem andern Thiere seyn, die ein weniger ausgebildetes Gehirn als sie besitzen. Der höhere Bau dieses Eingeweides kann also nicht für die Empfindungen, sondern mufs für die Vor- stellungen von sichtbaren und hörbaren Eindrücken vorhanden seyn. Diese und überhaupt alle Vorstellungen werden durch das grofse Gehirn vermittelt: denn nur solange dasselbe vorhanden ist, äussert das Thier noch Zeichen » a von Denken. Aber mit den Vorstellungen, die sich auf hörbare Eindrücke beziehen, steht auch das kleine Gehirn in naher Beziehung. Das grofse Gehirn der Crocodile weicht nur wenig von dem der Vögel ab. Allein das kleine Gehirn derselben hat eine weit ge- ringere Ausbildung als das der letztern. Diesem Un- terschiede entspricht nichts so sehr als die höhere Stufe der Verhältnisse des Gehörsinns zum geistigen Leben, der nur bei den Säugthieren und Vögeln, also nur bei denen Thieren, die ein kleines Gehirn mit einem Lebensbaum haben, mit allen Vorstellungen und Gefühlen in näherer Wechselwirkung steht. Diese zeichnen sich freilich auch darin vor den übrigen Thieren aus, dafs ihr Athemhohlen einen, von äussern Einwirkungen unabhängigen Rhythmus behauptet, und hierauf bezieht sich ohne Zweifel ebenfalls die höhere Ausbildung ihres kleinen Gehirns. Aber dadurch ist nicht die Beziehung des leiztern auf das Gehör aus- geschlossen; im Gegentheil, diese ist grade mit dem Verhältnifs zum Athemhohlen verbunden. Nur den Säugthieren und Vögeln ist nehmlich das Vermögen eigen, vermittelst der Werkzeuge des Athemhohlens Töne hervorzubringen, die ihren Empfindungen und Vorstellungen entsprechen. Es läfst sich kein Einwurf dagegen von der Thatsache hernehmen, dafs das Vermögen zu hören nach Wegnahme des kleinen Gehirns noch fortdauert: denn hier ist nicht von blofsen Empfindungen, sondern von Vorstellungen die Rede. Das Vermögen zu sehen- und zu riechen wird ebenfalls durch Wegnahme der Haube des grofsen Gehirns nicht aufgehoben, obgleich diese gewifs mit- wirkend bei dem Act des Vorstellens sichtbarer und riechbarer Eindrücke ist. Das kleine Gehirn ist also ein Organ für die Vorstellungen der hörbaren Ein- drücke und zugleich für die, diesen Vorstellungen entsprechende Einwirkung durch Töne auf die äussere Welt. Der Sinn des Geruchs steht wie der des Gesichts zunächst mit dem grofsen Gehirn, aber auf eine andere Art als dieser, in Beziehung. Bei seiner stärkern Ent- wickelung werden die Theile, die im menschlichen Gehirn für die Bildung und Aufbewahrung der Ideen von der sichtbaren Welt dienen, zurückgedrängt und die übrigen Hirnorgane von mehrern Seiten sehr ver- ändert. Jene stärkere Entwickelung fängt unter den Säugthieren bei den Robben an, die weit gröfsere Riechnerven als der Mensch und die Affen haben, und bei welchen diese Nerven ihrer ganzen Länge nach mit der Basis der vordern Hirnlappen verbunden sind. Sie erreicht ihr Maximum bei den Säugthieren, die Riechfortsätze des Gehirns (Corpora mammillaria) besitzen. Diesen letztern Thieren fehlen die hintern Hirnlappen; die Masse ihrer vordern und mittlern Hirnlappen ist vermindert; hingegen sind einige in- nere Hirnorgane theils auf eine andere Art als bei dem Menschen und den Affen mit den übrigen ver- bunden, theils in weit höherm Grade ausgebildet. Zu diesen Organen gehören vorzüglich die vordere Commissur, die Ammonshörner und die, von den 224 hintern Fortsätzen des Gewölbes zu diesen Hörnern gehenden Markfasern. Die vordere Commissur, die bei dem Menschen und den Affen mit den Riech- nerven keine unmittelbare Gemeinschaft hat, setzt sich bei den Säugthieren mit Riechfortsätzen in diese Organe fort. Die Ammonshörner bekommen ein Ueber- gewicht an Masse selbst über die Sehe- und Streifen- hügel, und die Fimbrien bilden für dieselben eine, aus sehr langen und starken Markfasern bestehende Scheide, von welcher sich ein Fortsatz über den in- nern Höker der Sehehügel zum Ursprung der Sehe- nerven erstreckt. Bei dieser sehr veränderten Structur des Gehirns müssen die Thiere mit Riechfortsätzen in einer, von der unsrigen sehr verschiedenen Ideenwelt leben. Da bei uns der Sinn des Geruchs mehr als einer der übrigen schlummernde Erinnerungen weckt, so mufs diese Wirkung in noch weit höherm Grade bei ihnen statt haben. Je mehr bei einem Thier das Gehirn für ihn organisirt ist, ein desto regerer In- stinet läfst sich bei demselben voraussetzen. Dieser herrscht in der That bei den Wirbelthieren vorzüglich da, wo es Riechfortsätze giebt; in weit geringerm Grade oder gar nicht, wo blos Riechnerven vorhanden sind. Die Fäden, die von den Riechfortsätzen zur Nase gehen, sind auch sehr verschieden von allen übrigen Sinnesnerven. Diese bestehen immer nur aus Marksubstanz; jene zum Theil auch aus einer ähn- lichen Rindensubstanz, wie in den Riechfortsätzen enthalten ist. Für die Sinne des Geschmacks und Getastes lassen sich nicht so wie für die übrigen Sinne Beziehungen auf einzelne Theile des Gehirns angeben. Die Form des Gehirns ist zwar eine andere bei einer andern Zunge und andern Tastorganen. Allein mit der ver- änderten Structur dieser Organe ist auch immer eine andere Organisation des ganzen übrigen Körpers, be- sonders der willkührlichen Bewegungswerkzeuge, ver- bunden, und damit steht die Form des ganzen Gehirns ebenfalls in Verbindung. In einem einzelnen Theil des Gehirns ist diese Organisation aber nicht so aus- gedrückt, dafs sie sich bisjetzt mit Gewifsheit nach- weisen läfst. Es giebt aber auch eine Beziehung des Gehirns auf das unbewufste Leben. Diese ist vorzüglich dem kleinen Gehirn eigen, worin durch die strickförmigen Körper die obern Stränge des Rückenmarks, aus welchen die Wurzeln des Intercostalnerven entspringen, unmittelbar übergehen. Auf ihr beruhet die Verbindung der höhern Organisation dieses Eingeweides mit dem festern Rhythmus des Athemhohlens, und aus ihr läfst sich die, nach dem Verlust des kleinen Gehirns eintretende Unregelmäfsigkeit der willkührlichen Be- wegungen befriedigender als aus der von Flourens vorausgesetzten Ursache erklären. Bei aller Hirnthätigkeit findet eine Wirkung ent- weder vom Innern des Gehirns nach den Nerven, 15 226 oder umgekehrt von den Nerven nach dem Innern des Gehirns statt. Jene geht bei der willkührlichen Muskelbewegung,, diese beim Empfinden vor. Indefs ist bei allem Wollen und Empfinden keine ohne die andere. Indem wir einen Act des Wollens vollziehen, empfinden wir auch das Resultat desselben, und indem wir empfinden, wirken wir auch auf das peripherische Ende des Nerven durch willkührliches Aufmerken auf den Eindruck. Hiervon unabhängig ereignet sich aber auch bei allen lebhafteren Operationen der Einbildungs- kraft ein Wirken von innen nach aussen. Jede Vor- stellung ist ein Abstractes von Einer oder mehrern Empfindungen. Bei der Empfindung ist das periphe- rische Ende eines gereizten Nerven, bei der Vorstellung ein Theil im Innern des Gehirns das ursprünglich Thätige. Beim Schaffen der Einbildungskraft geht eine Thätigkeit vom Innern des Gehirns zu einem oder mehrern Sinnesnerven über. Je mehr diese Nerven dadurch in ein ähnliches Wirken wie von einem äussern Eindruck versetzt werden, desto mehr Lebhaftigkeit erhält die Vorstellung und desto concreter wird sie. Auf dieses Wirken hat der Wille Einflufs. Es hängt jedoch nicht von der Willkühr ab, eine von der Ein - bildungskraft erzeugte Vorstellung ganz in eine Em- pfindung zu verwandeln. Wohl aber können Einwir- kungen auf das Gehirn, die vom sympathischen Nerven auszugehen scheinen, wirkliche Sinnesempfindungen hervorbringen, denen keine äussere Gegenstände ent- sprechen. Solche Empfindungen kommen als Phantome vorzüglich in den Sehenerven vor. 227 Bei diesen Hirnwirkungen ist ohne Zweifel der Verlauf der Hirnfasern von Wichtigkeit. Sie erfolgen aber nicht ganz nach den Gesetzen dieses Verlaufs, und um so weniger, je mehr sie höherer geistiger Art sind. Manche 'Thatsachen scheinen anfangs daraus erklärbar. Allein bei genauerer Prüfung finden sich immer dabei Schwierigkeiten, die sich nicht heben lassen, ohne noch andere 'Thatsachen zu Hülfe. zu nehmen. So hat man vermuthet, und ich selber habe sonst für glaublich gehalten, die Kreutzung, welche die Pyramidalstränge im Gehirn des Menschen und der Säugthiere bei ihrem Uebergang vom Rückenmark zum verlängerten Mark bilden, enthalte den Grund der Erscheinung, dafs organische Krankheiten der einen Hälfte des großen Gehirns in der Regel Läh- mung der äussern Gliedmaafsen auf der entgegen- gesetzten Seite des Körpers zur Folge haben. Ich habe mich indefs nachher überzeugt, dafs diese Kreut- zung bei den Vögeln und Amphibien nicht statt findet, obgleich auch bei ihnen die Lähmung der entgegen- gesetzten Extremitäten eine Folge nach Verletzungen des Innern einer Hemisphäre des grofsen Gehirns ist. Aus jener Voraussetzung ist auch nicht zu erklären, warum mit der ungleichseitigen Lähmung Zuckungen der gleichseitigen Glieder verbunden sind. Die Py- ramidalstränge machen überdies nur einen Theil der, . vom Rückenmark in die Hemisphären des grolsen Gehirns aussirahlenden Fasern aus. Es läfst sich nicht nachweisen, dafs die Nerven der Extremitäten mit 15* 228 ihnen zusammenhängen. Auch erregen Reizungen der Vierhügel der einen Seite Zuckungen in den Muskeln der entgegengesetzten Hälfte des Körpers, obgleich die zu den Vierhügeln gehenden Fasern des verlän- gerten Marks keine Kreutzung machen. Bei diesen Schwierigkeiten ist mir die Erklärung wahrscheinlicher geworden, die ich oben vorgetragen habe, dafs die Leitung des Impulses zu einer willkührlichen Bewe- gung der einen Seite durch gleichartige Hirnfasern geschieht, der Impuls selber aber von der Hirn- hemisphäre der andern Seite ausgeht, und durch die Commissuren nach der ersten Seite fortgepflanzt wird. Eine andere hierher gehörige 'Thatsache ist die Uebereinstimmung unserer Gesichtsempfindungen mit den Empfindungen unserer übrigen Sinnesorgane, ob- gleich die Bilder der Gegenstände auf der Netzhaut die entgegengesetzte Stellung von der haben, worin sie auf die übrigen Sinne wirken. Wenn sich alle Fasern der Sehestreifen ('Tractus optici) so durch- kreutzten, dafs nicht nur die des linken Streifens zum rechten und die des rechten zum linken Auge, sondern auch die untern derselben zur obern, die obern zur untern Hälfte des Auges gingen, so würde sich hier- aus jene Uebereinstimmung erklären lassen. Allein die Durchkreutzung findet bei dem Menschen und den Säugthieren nur an den, auf der innern Seite der Streifen liegenden Fasern statt. Es kann seyn, dafs die Fasern der äussern Seite zum vordersten Rand der Netzhaut gehen, zu welchem keine Strahlen gelangen, 229 und dafs sie hier vielleicht in Verbindung mit den Ciliarnerven nicht mehr zum Sehen, sondern zur Be- wirkung der, dem Sehen angemessenen Bewegungen der Iris dienen. Wenn aber dies wirklich auch der Fall seyn sollte, so ist doch die weitere Voraussetzung nöthig, dafs die obern Fasern der Sehestreifen im Auge nach unten, die untern nach oben verlaufen, und dafär läfst sich nichts zur Bestätigung anführen. Hiermit soll nicht gesagt seyn, dafs der Verlauf der Hirnfasern von keiner Wichtigkeit bei den Wir- kungen der Hirnfasern ist. Dies kann Keiner behaupten, der nur einigermaafsen diesen so unendlich verwickelten und künstlichen Verlauf kennet. Unsere Meinung ist nur, dafs sich nicht über eine gewisse Gränze hinaus Erklärungen davon hernehmen lassen. Blos mit der Leitung der Eindrücke kann derselbe in einer nähern Beziehung stehen, und diese Beziehung wird sich vielleicht noch deutlicher einst, wenn das Gewebe der Hirnfasern ganz entwirrt seyn wird, als bei unsern jetzigen, noch sehr beschränkten Kenntnissen der Tex- tur des Gehirns zeigen. Es giebt wahrscheinlich noch andere Kreutzungen von Hirnfasern als die der Py- ramidalstränge und der Sehestreifen. Langenbeck*) glaubt, eine solche zwischen den Fasern beider Blätter der durchsichtigen Scheidewand, am hintern Ende der- selben, entdeckt zu haben. Ueber diese habe ich keine eigene Beobachtungen. Bei meinen Untersuchungen des *) Tabulae neurolog. Tab. XXI. Fig. 2. 250 Gehirns ist es mir aber fast zur Gewifsheit geworden, dafs aus der Spalte in der Mittellinie der obern und untern Seite des verlängerten Marks und aus der, die sich zwischen den beiden Schenkeln des grofsen Gehirns auf der Basis desselben befindet, sich durch- kreutzende Queerfasern hervorkommen, welche zu den Wurzeln der aus diesen 'Theilen entspringenden Nerven gehen. Schon Santorini*) behauptete sehr bestimmt, es gebe eine Kreutzung zwischen den, in der kleinen Grube an der Spitze der Schreibfeder der vierten Hirnhöhle sichtbaren Fasern. Man kann sich hierüber an einem frischen Gehirn leicht täuschen. Zieht man aber an einem, in Alcohol erhärteten Gehirn die rechte und linke Hälfte des verlängerten Marks von der Schreibfeder und der, zwischen den Pyramiden be- findlichen Spalte aus allmählig und behutsam von einander, so erscheint auf der ganzen Fläche der Trennung beider Hälften eine Lage von senkrechten Fasern, die sich in die erwähnten oberflächlichen Queerfasern so fortsetzen, dafs die von der einen Seite der obern oder untern Fläche des verlängerten Marks kommenden zur entgegengesetzten Seite der untern oder obern Fläche desselben zu gehen scheinen. Diese Queerfasern laufen unter den strickförmigen Körpern und den Pyramidalsträngen weg, und schei- den die inwendige Fläche dieser Faserbündel von dem übrigen verlängerten Mark. Jene senkrechte Schichte, die bisher nur erst von Reil**) einiger- *) Septendecim Tabulae. p. 29. ”) In dessen Archiv für die Pbysiologie. B. 9. S. 493. 251 maafsen beachtet wurde, der in ihren Fasern eben- falls eine Kreutzung bemerkt zu haben glaubte, fand ich bei allen Wirbelthieren. Die Fasern weichen nach den beiden Enden des verlängerten Marks, mit Einschlufs der Varolischen Brücke, von ihrer senkrechten Stellung ab und lehnen sich vorne an eine andere verticale Fasernschichte, welche zwischen den beiden Hirnschenkeln liegt und deren Fasern von der Mittellinie des Bodens der Sylvischen Wasser- leitung nach dem Ursprung der Nerven des dritten Paars in einer solchen Richtung gehen, dals sie eben- falls bei ihrem Austritt aus der, zwischen den beiden Hirnschenkeln auf der Basis befindlichen Spalte sich zu durchkreutzen scheinen. Der letztern Schichte entgegen und auch nach jenem ÜUrsprunge zu läuft queer über jeden der beiden Hirnschenkel eine Mark- binde, die von dem untern Rande der innern Knie- höker kömmt. Es sind solche Decussationen selbst bei den wir- bellosen Thieren zugegen. Im Gehirn derselben lassen sie sich freilich nicht aufweisen. Allein bei Cyclo- stoma elegans fand ich hinter dem Hirnring, auf jeder Seite der inwendigen Fläche des Fulses, einen Nervenknoten, der mit dem gleichseitigen Theil des Hirnrings durch zwei Fäden zusammenhängt, und hinter diesen beiden Knoten zwei andere, von welchen der rechte mit dem linken, der linke mit dem rechten der vorhergehenden durch eine lange Wurzel kreutz- weise verbunden ist. Die Nerven der beiden letztern Knoten verliehren sich im hintern Ende de Fufses. Diese Kreutzungen sind gewifs nicht ohne wichtige Bedeutung. Es wird, glaube ich, noch eher möglich seyn, dafs sich in ihnen eine Erklärung des Ueber- einstimmens der umgekehrten Darstellung der Bilder auf der Netzhaut mit den Eindrücken auf unsere übrigen Sinneswerkzeuge einst findet, als dafs sich diese aus andern Gründen ergiebt, worin man sie gesucht hat. So kann ich diese nicht mit Berthold*) und Shaw **) darin annehmen, dafs, um den obern Theil eines Gegenstandes zu erblicken, das vordere‘ Ende der Augenaxe nach oben, um den linken Theil desselben wahrzunehmen, nach der linken Seite u. s. w. gerichtet werden mufs. Die Bewegungen des Augapfels entsprechen freilich der wirklichen Lage der Gegen- stände. Man mag aber dieses Factum drehen und wenden wie man will, so bleibt es doch unerklärt, wie Eindrücke auf die rechte Hälfte der Netzhaut als gleichseitig mit Eindrücken auf alle übrige Nerven der linken Seite empfunden werden, und dabei pafst der angegebene Grund nicht auf die einfachen Augen der Insecten, die gar keine Beweglichkeit haben, und wodurch doch auch die Bilder der Gegenstände umgekehrt dargestellt werden, während diese in den zusammengesetzten Augen derselben 'I'hiere aufrecht erscheinen. > *“) Das Aufrechterscheinen der Gesichtsobjecte trotz dem um- gekehrt stehenden Bilde derselben auf der Netzhaut. Von A. A. Berthold. Göttingen. 1830. **) The Journal of the Royal Institution. Nro. 5. Dechr. 1831. p: 250. 259 Ganz unanwendbar sind die Gesetze des Verlaufs der Hirnfasern auf die Erklärung der höhern geistigen Functionen. Es läfst sich daraus nichts über die Ent- stehung der Vorstellungen, der Associationen derselben, der Operationen der Einbildungskraft u. s. w. begreif- lich machen. Unsere Vorstellungen sind nicht etwa verblichene Abdrücke von Empfindungen, sondern jede ist ein Abstractum von einzelnen Empfindungen, bei deren Entstehung sehr verschiedene Nervenfasern ge- rührt wurden. Associationen finden unter Vorstellungen statt, die sich auf die verschiedensten Sinnesempfin- dungen beziehen, auf Reizungen von Nervenfasern, die weder in Contiguität noch in Continuität mit ein- ander stehen können. Es läfst sich denken, dafs die Einbildungskraft, indem sie gewisse Erzeugnisse her- vorbringt, gewisse Hirnfasern in Schwingungen versetzt. Aber sie mufs dann diese Fasern in sehr verschiedenen Gegenden des Gehirns aufsuchen. Denn was können, wenn sie z. B. eine Lilie mit dem Duft der Rose bildet, die Fasern, die einst von dem Eindruck der Lilie gerührt wurden, mit denen gemein haben, welche die Empfindung des Geruchs der Rose erweckten? Es findet übrigens auch ein faseriger Bau keines- weges in jedem Gehirn oder in jedem Theil desselben statt. In mehrern, ganz frischen Thiergehirnen konnte ich unter dem Vergröfserungsglase bei einer 500maligen Vergröfserung im Durchmesser weder in der Rinde noch im Mark wirkliche Fasern entdecken. Ich sahe z. B. in Scheiben sowohl des Marks als der Rinde eines 254 Sperlingsgehirns blos feine, ganz unregelmäfsige Striche, die das Ansehn von Rissen hatten, einzeln liegende Kügelchen und an einigen Stellen parallele, helle Streifen mit dunklen Zwischenräumen. In Scheiben der Hirnsubstanz eines Frosches fand ich parallele, sehr schwach begränzte Streifen, die solche Krümmungen machten und zwischen sich solche Schatten hatten, als ob ihre Zwischenräume Reihen von unausgebildeten Kügelchen enthielten. Hin und wieder lagen in ihnen deutliche Kügelchen, aber immer nur einzeln. Ein ähnliches Ansehn hatte unter dem Microscop der aus den Fallopischen Röhren dieses Frosches hervorge- drungene Schleim. Nur gab es in diesem nicht die längslaufenden Streifen. Noch ähnlicher erschienen der Hirnsubstanz des Frosches Stückchen halbgeronnenen Hühnereiweisses. Es zeigten sich darin eben so wie in jener dunkle, parallele Streifen, deren hellere Zwischen- räume von unregelmälsigen Queerstreifen durchschnitten waren. In der Substanz des Gehirns anderer 'Thiere und des Menschen sahe ich dagegen an vielen, doch auch nicht an allen Stellen Bündel von Fasern, die aus an einander gereiheten Kügelchen bestanden. Diese Verschiedenheit kann nicht mit der Stärke und Schwäche der Individuen in Verbindung stehen. Wovon sie aber abhängt, vermag ich nicht anzugeben. Auf jeden Fall ist soviel gewils, dafs ein regelmäfsiges Wirken des Gehirns ohne eine bestimmte Gestaltung der organi- schen Elemente desselben vor sich gehen kann. Druckfehler. Seite 67. Zeile 11. Statt erfoschen lese man erforschen. ed SEN 19. » vollkommene ]. m. vollkommen. Es E 5 Fe 16. » Blätterpuaren 1. m. Blätterpaaren. » 207. » 18. Nach Lanius Excubitor. Statt 232 1. m. 332. »’207. » 20. Statt eben so hoch als der Hase lese mau höher als der Fuchs. EEE. UT OR N 4 vu 57 ku Ye Fr RD Al den Die nur TER; y ex c * Y e T En ie [4 h x - ir ni > * = “ r # 1. FR - Du Treviranus, Gottfried Reinkold Die Erscheinungen und Gesetze des organischen Lebens de „= er, ” N ae, ö I DE er a = rer : x ww ERDE PLEASE DO NOT REMOVE ve CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET TR ” 3! u UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY Aa RP = ae 5%. en BR, Be ” 7 R“ Bi SER Anz CR a [E: ER wi, FR. m. . ae N Due > =“ o- ‘ 2 ; 7 a ET ihn fi 5 £) +8 -# Rah