llalastinas Erdgeruch

in der

israelitischen Reiigion

von

Lic. Dr. Hugo Greßmann

Professor der Theologie a. d. Universität Berlin.

1909

Berlin, Verlag von Karl Curtius

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Palästinas Erdgeruch in der israelitiscbien Religion

2117187

Palästinas Erdgeruch

in der

israelitischen Religion

Von HUGO GRESSMANN

1909 Berlin, Verlag von Karl Curtius

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung vorbehalten.

Published April 14. 1909. Privilege of Copyright in

the United States reserved under the act, approved

March 3. 1905, by Karl Curtius, Berlin.

I.

Der Schwärm der Reisenden, der, von Jahr zu Jahr anschwellend, Palästina zur Winterszeit besucht, wird im allgemeinen nicht vom Vergnügen allein getrieben, sondern auch von pietätvoller Sehnsucht, die Stätten zu schauen, die unserm Herzen von Jugend an vertraut, die uns durch Schule und Kirche bekannt und mit denen wir durch unser persönliches Leben aufs engste ver- wachsen sind. Gerade weil wir uns seit den Tagen unserer Kindheit soviel mit dem „heiligen" Lande beschäftigt haben, hat sich wohl jeder, der etwas Phantasie besitzt, eine Anschauung von ihm ge- bildet. Da wir es lieben, schmücken wir es mit all dem Schönen, das uns zu Gebote steht, und wundern uns hernach, wenn das Original unsern Wünschen nicht entspricht. Jeder, der sich einen falschen Begriff von Palästina macht und dann durch die Wirklichkeit korrigiert wird, fühlt sich enttäuscht; denn sie ist anders, als man meint. Freilich, wer Zeit hat, das erste Staunen zu über- winden und das Land zu nehmen, wie es ist, der wird Schönheiten finden, die er nicht gesucht hat, der wird heilige Spuren treffen, wo er sie nicht erwartet hat nicht auf der großen Heeresstraße, sondern am Wege und abseits, nicht an den offi-

Greßmann. 1

ziellen Stätten, die im Bädeker mit einem oder mit zwei Sternen versehen sind, sondern im Verbor- genen, wo der Naturquell lauter und rein rauscht. Aber ohne angestrengte Arbeit, die dem Ver- gnügungsreisenden unmöglich ist, kann ein innerer Gewinn nicht erzielt werden.

Der Hauptgrund für die Enttäuschung der meisten ist die Unheiligkeit, die sich gerade an den sogenannten heiligen Stätten breit und un- angenehm aufdrängt. Die fetischartige Verehrung, mit der eine tiefstehende Frömmigkeit jeden Stein abküßt, das Geleiere der Formeln und das Ge- klapper der Riten, das mit einem Gottesdienst im Geist und in der Wahrheit unverträglich scheint, die törichten und geschmacklosen Legenden, die sich um manche nichtssagende Stelle gerankt haben, der kleinliche Partikularismus, das Gezänk und Gezeter der Konfessionen und Konfessiön- chen, das nicht selten in blutige Rauferei aus- artet und einer großen Religion unwürdig ist, die Schundwaren an Flitter und Tand, mit denen namentlich die griechische Kirche alles verun- staltet hat, die Geschmacklosigkeit, die dem Herzen wehe tut und das Auge beleidigt, die trivialen und albernen Erklärungen der halbgebildeten Drago- mane, die ihre unglücklichen Opfer langsam zu Tode quälen, das ohrenzerreißende Gekreisch der Bettler, Lahmen, Blinden, Aussätzigen, der Greise, Weiber, Kinder, die mit ihren kranken Gliedern paradieren und das Mitleid der Vorübergehenden zu erwecken suchen, der atemraubende Staub,

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der betäubende Schmutz und Gestank, von dessen üblem Duft sich der Normaleuropäer überhaupt keinen Begriff machen kann, dies und vieles andere ist geeignet, den Protestanten abzustoßen, seinen Takt zu verletzen und seine Pietät zu kränken. Die Charaktere sind freilich ver- schieden; es gibt Leute, die sich über all dies hinwegsetzen können und ihre Andacht durch nichts stören lassen. Wer längere Zeit in Jerusalem weilt, hat öfter Gelegenheit, die heiligen Stätten allein zu besuchen und ungehindert zu genießen.

Aber was ist damit erreicht? Man bringt bestenfalls die Erinnerung mit nach Hause an einen Gefühlserguß, der vergangen, an einen Rausch, der verflogen ist; man kann schwelgen im An- denken an gehobene Stimmungen, wie sie nicht jedem zuteil werden, mit viel schönen Worten und Redewendungen. Denn es ist in der Tat etwas Einzigartiges, ein beseligendes Erlebnis, wem es vergönnt gewesen ist, etwa unter den steinalten Olivenbäumen des Gartens Gethsemane eine einzige Stunde allein zu sein mit sich und seinem Herrn. Da ist heiliger Boden, auf dem man die Geister der Vergangenheit treffen und mit ihnen Zwiesprache halten kann, wenn man ver- steht sie wachzurufen. Aber eine innere Be- reicherung erfährt man dadurch nicht, wie jeder, der aufrichtig gegen sich selbst ist, einräumen muß.

Fast alle, die nach Palästina wollen, sind, bald mehr bald minder bewußt, von dem Glauben beseelt, daß die Gestalten, auf die sich ihre An-

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dacht und Frömmigkeit richtet, ihnen an Ort und Stelle anschaulicher vor die Augen treten und gleichsam Fleisch und Blut annehmen würden. Wie ganz anders, so dünkt es sie, würde Jesu Bild ihnen erscheinen, wenn es in das Lokal- kolorit seiner Landschaft hineingemalt wäre und sich kräftig von dem Hintergrund seiner Heimat abhöbe! Denn hauptsächlich um seinetwillen wird ja die Reise gemacht: ihn möchten sie sehen, wo er war und wie er dort war! Die Lösung all der Fragen, die unsere Evangelien unbeantwortet lassen, erwarten sie an den heiligen Stätten, wo sein Fuß gewandelt ist. Von allzu freudiger Hoffnung geschwellt, bauen sie sich ein schönes, märchenhaftes Phantasieschloß, das dann vor der nüchternen Wirklichkeit wie eine Fata Morgana verschwindet. Weil man mit zu hohen Ansprüchen nach Palästina kommt, darum kehrt man grausam enttäuscht nach Hause zurück. Wer bescheidener ist, wird sich von vornherein dar- über klar sein, daß uns die Kenntnis des Landes kein tieferes Verständnis einer großen Persön- lichkeit erschließen kann, sondern daß sie höch- stens imstande ist, das äußere Drum und Dran konkreter zu gestalten. Was hilft uns z. B. bei Goethe die Kenntnis seiner Stadt und seines Hauses, um in den Kern seines Wesens einzu- dringen? Das geschieht viel besser durch die stille Zwiesprache mit seinen Werken und durch die andächtige Versenkung in seine Worte als durch den Besuch Weimars, der im besten Falle

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für das peripherische Verständnis Goethes von Bedeutung wäre. Wer weise genug ist, sich darauf zu beschränken und nicht mehr zu hoffen, als er der Natur der Sache nach erwarten darf, der mag immerhin der Sehnsucht seines Herzens folgen und die Stätten schauen, an denen sein Held geweilt hat. Ja, wir dürfen uns freuen, daß Palästina so wenig zum Verständnis der Eigenart Jesu beizutragen vermag! Denn gerade diese Tatsache bestätigt aufs neue, was wir schon wissen, daß er nicht den Juden, sondern der Menschheit, nicht Palästina, sondern der Welt gehört. Sein Wesen ist über Raum und Zeit erhaben und geht nicht auf in den engen und beschränkten Verhältnissen seines Landes und seiner Epoche.

Man wird vielleicht einwenden: Aber es ist doch etwas ganz anderes, ob wir uns einen solchen Menschen in unserer eigenen Heimat vor- stellen dürfen oder weit weg in einem fernen Himmelsstriche, in einem anderen Kontinente! Gewiß, der Unterschied von Orient und Okzident ist, wenigstens für uns Deutsche, so tiefgreifend und einschneidend, daß, wer den Orient nicht gesehen hat, ihn niemals ganz verstehen wird. Und das ist wiederum ein Grund, warum die Vergnügungsreisenden von Palästina meist so bitter enttäuscht sind und enttäuscht sein müssen. Der europäische Komfort, der sich in Ägypten, vornehmlich in Kairo, mit dem orientalisch-ein- heimischen Wesen verbunden hat und uns dessen

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Kenntnis in bequemer Weise erleichtert, fehlt in Palästina, auch in Jerusalem, fast ganz: hier tritt uns der Orient viel reiner und nackter entgegen und will so verstanden sein, wie er ist. Seine Reize sind so eigentümlicher Art, daß sie sich erst dem erschließen, der sich in sie einzuleben sich bemüht. Wer, von den unwissenden arabisch- christlichen Dragomanen gehetzt, flüchtigen Fußes den Orient durcheilt, kann die ihm innewohnen- den Schönheiten gar nicht genießen. Wieviel weniger wird es ihm möglich sein, ein Verhält- nis zu den einheimischen Leuten zu gewinnen, in ihre Gedankenwelt und Anschauungsweise einzudringen, ihren Charakter und ihre Lebens- führung zu studieren, zumal schon die Unkennt- nis der Sprache ihn daran hindert! Der erste Eindruck, den der Palästinareisende empfängt, ist der des Unterschiedes von allem, was er anderswo gesehen hat: eine neue Welt tut sich vor den erstaunten Blicken auf! Aber diese neue Welt hat nichts Anheimelndes für ihn, sie mutet ihn so fremd und rätselhaft an, so unverständ- lich und unverstehbar, daß er ihr leise schaudernd den Rücken wendet und froh ist, ihr glücklich entronnen zu sein. Land und Leute Palästinas sind spröde und herbe; sie geben sich allein dem hin, der heiß um sie wirbt. Wen es nur gelüstet, mühelos zu nippen, der kommt nicht auf seine Kosten.

So müssen wir in harter Arbeit versuchen, ein Verständnis für die Eigenart Palästinas und

seiner Bewohner zu erringen. Wenn wir auf die religiösen Dinge achten und die Verbindungs- h'nien ziehen wollen, die Gegenwart und Ver- gangenheit miteinander verknüpfen, dann müssen wir uns von vornherein auf das Durchschnitts- niveau der Frömmigkeit beschränken. Es handelt sich für uns nicht um eine Darstellung des Islams, überhaupt nicht um einen vollständigen Überblick über das religiöse Leben, das heute in Palästina herrscht, sondern nur um einzelne Züge des Volksglaubens, durch die wir eine markantere und lebendigere Auffassung der altisraelitischen Volksfrömmigkeit zu gewinnen hoffen. Obwohl wir nicht erwarten dürfen, daß die großen Männer Israels uns durch eine solche Untersuchung näher treten und in ihrem innersten Wesen begreif- licher werden, dürfen wir dennoch den Versuch machen, aus der modernen Volksreligion auf die antike zu schließen. Denn das ist ein Charakte- ristikum Palästinas und des ganzen Orients, durch das man immer aufs neue wieder überrascht wird, wie zäh-konservativ Altes, ja Uraltes durch die Jahrhunderte und Jahrtausende bis auf die Gegen- wart fortlebt. Es ist fast, als rausche der Strom der Zeit an diesen Ländern spurlos vorüber. Die Kanaaniter sind verschwunden, die Juden getötet oder deportiert, an ihre Stelle sind die Araber gerückt, und doch ist manches seit unvordenk- lichen Zeiten geblieben, wie es war. Wie lange Frist, das kann ich nicht ermessen, Denn alles Maß der Zeiten war vergessen.

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Die Juden, die heute in Palästina wohnen man unterscheidet polnische, spanische, bucha- rische und jemenische Juden sind nicht die im Lande geborenen Nachkommen ihrer Vorfahren, sondern aus der Fremde eingewandert und meist mit europäischem Wesen so durchsetzt, daß man sie eher für Europäer als für Orientalen halten darf. Da sie durch ihre große Zahl bereits einigen Städten wie Jerusalem, Jafa, Tiberias, Safed das Gepräge ihres Geistes aufgedrückt haben, so ist Gefahr vorhanden, daß durch sie das ein- heimische Wesen entstellt werde. Wollte man ihre Riten genau durchforschen, so würde man gewiß manche Einzelheit finden, die religions- geschichtlich von hohem Interesse wäre; denn zweifellos haben auch sie uralte Bräuche ererbt, die, mit jüngeren und jüngsten Bestandteilen ver- quickt, ein verborgenes Dasein führen. Diesen Dingen nachzuspüren, ist jetzt nicht meine Ab- sicht. Ich will mich auf das beschränken, was mehr in die Augen fällt.

Wer nach Jerusalem kommt und vom Bahnhof zur Stadt fährt, sieht sofort die Häuser der Juden- kolonie, deren blauer Anstrich ihn überrascht. Häufig ist eine metergroße Hand mit ihren fünf Fingern in blauer Farbe über den Eingang ge- malt. Ist man darauf einmal aufmerksam geworden, dann beobachtet man bald, eine wie große Rolle die blaue Farbe nicht nur bei den Juden, son- dern auch bei den Moslems spielt: die Glasperlen und Armbänder, mit denen sich die Menschen

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schmücken, die Kaurimuscheln, mit denen die Be- hänge der Kamele und Esel geziert werden, die Porzellangeräte, die man benutzt, sind blau. Bis- weilen sind kleine blau emaillierte Teller an den vier Ecken des Wohnraumes und über der Tür eingelassen. Fragt man nach der Bedeutung dieser Dinge, so erhält man zur Antwort, daß sie zum Schutz gegen den „bösen Blick" dienen. Es handelt sich also nicht einfach um Schmuckgegen- stände, sondern um Amulette, d. h. zauberhafte Abwehrmittel gegen allerlei Schäden Leibes und der Seele, die kraft des bösen Blickes, wie er Dämonen, Zauberern und boshaften Leuten eigen ist, ständig hervorgerufen werden können. Die Quelle dieser Furcht kann nicht zweifelhaft sein : den Völkern, deren Augen normalerweise dunkel sind, müssen blaue Augen, wo sie sie kennen lernen, als etwas Rätselhaftes, Unheimliches und Gefahrdrohendes erscheinen. In ihrer Angst greifen sie zu einem Abwehrmittel und suchen sich durch die blaue Farbe gegen die blaue Farbe zu schützen in der Hoffnung, Gleiches mit Gleichem vertreiben zu können. Dieser homöopathische Zauber ist überall in der Welt verbreitet und auch im Alten Testamente bezeugt : so ist es zu erklären, wenn die Israeliten den Biß der feurigen Schlange durch eine eherne, an einer Stange befestigte Schlange unschädlich zu machen suchen ^), und wenn die Philister die Mäuse- und die Pestplage durch die Anfertigung goldener Mäuse und Pestbeulen ab-

^) Num. 21 4 tf.

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zuwehren sich bemühen^). Daß insbesondere schon in der ältesten Zeit die blaue Farbe eine apotro- päische Bedeutung hatte, haben wir neuerdings aus den Ausgrabungen in Palästina erfahren : die Muscheln, die Perlen, die Horusaugen ursprüng- lich Amulette, später zugleich Schmuckstücke, die man überall in großer Zahl gefunden hat waren überwiegend blau gehalten. Sehr beliebt war, wie die hebräische Literatur bestätigt, die blaue Farbe, die aus dem Drüsensaft der Purpurschnecke (murex trunculus) gewonnen wurde: mit blauem Purpur waren die Decken, Teppiche und Vor- hänge im Tempel, die Gewänder des Hohen- priesters, die Zipfelquasten an den Kleidern der Israeliten durchwebt ^); im Kultus scheint es sich zugleich um eine Nachahmung der Gottestracht zu handeln, mit der fremdländische Götzenbilder versehen waren^. In diesen Zusammenhang ge- hört auch die seltsame Prophezeiung im Buche Sacharja'^): Am Ende der Tage „wird auf die Schellen der Rosse geschrieben ,heilig dem Jahve', und die Töpfe ^) werden den Opferschalen vor dem Altar gleichen", d. li., wie eine Glosse richtig hinzufügt: „jeder Topf in Jerusalem und Juda wird heilig sein dem Jahve der Heerscharen". Die Glöckchen, die nach einem ebenfalls weit-

1) I Sam. 6 2 ff.

2) Ex. 26 4 ff. 28 6 ff. Num. ISgg.

3) Jer. lüg. Ez. 236. Ursprünglich wohl Königstracht; vgl. Luk. 16 19.

*) Sach. 14 20 f.

'") „im Hause Jahves" ist zu streichen, weil sinnlos.

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verbreiteten Aberglauben die Dämonen ver- scheuchen und vor Unglück bev^ahren^), und die Töpfe gelten in der Gegenv^art als unrein, weil sie mit Zauberei und bösen Dämonen zu tun haben, dermaleinst aber, v^enn der Tag des Herrn kommt, werden auch sie dem Universalgott Jahve geweiht sein und heiligen Charakter tragen^).

Noch ist die neue Zeit nicht angebrochen; denn noch wurzelt der Aberglaube tief in dem Herzen des palästinischen Volkes, der Araber, vor allem aber der Juden. Gewiß gibt es auch in Palästina einzelne Juden, deren Frömmigkeit an die Höhe und Reinheit der israelitischen Glaubens- helden heranreichen mag, aber der großen Masse tut man sicher kein Unrecht, wenn man ihr religiöses Niveau so niedrig wie möglich ansetzt. Das wird schon aus ihrer sozialen Stellung be- greiflich, da sie, meist ohne Bildung und Besitz, zu den Ärmsten der Armen gehören und vom Bettel leben in den schmutzstarrenden Gassen Jerusalems. Gewiß ist es ergreifend, zu sehen, wenn sie sich am Freitag abend bei Sonnen-

1) Vgl. Greßmann, Musik und Musikinstrumente im AT (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten, herausgegeben von Dieterich und Wünsch 11,1). Gießen 1903. S. 5 f.

0 Gemeint sind wahrscheinlich ähnliche Gefäße wie die mandäischen Zauberschalen, die Pognon und Lidzbarski (Ephemeris I, S. 89 ff.) veröffentlicht haben. Neuerdings will S e 1 1 i n bei den Ausgrabungen in Jericho Henkelkrüge gefunden haben, die als Marke das Zeichen der Gottheit tragen (Jah« oder „jahu"); MDOG 39 S. 39.

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Untergang an der Klagemauer, einem Teil der Einfassung, die den heutigen haram esch-scherif und den alten Tempelvorhof umschließt, zahlreich versammeln und bisweilen unter heftigem Beugen und Neigen des Oberkörpers, unter inbrünstigem Schluchzen und Weinen ihre alten hebräischen Gebete bald lauter bald leiser murmeln, über die Zerstörung der Stadt und den Verlust des Heilig- tums klagen, dessen Platz zu betreten ihnen ver- boten ist durch die fanatischen Moslems wie durch den eigenen Aberglauben, sie möchten aus Versehen die heilige Stelle, wo ihr Gott gethront hat, durch ihre Füße verunreinigen oder entweihen. Statt dessen begnügen sie sich, beschriebene Papierzettel in die Ritzen der Steine zu schieben, um sich bei der Gottheit in Erinnerung zu bringen, wie sonst ein Wallfahrer der alten Zeit seinen Namen an heiliger Stätte „zu gutem Gedächtnis" nicht der Nachwelt, wie wir es zu tun pflegen, sondern des Gottes verewigt. Denselben Sinn hat die Sitte der Moslems, einen Tuchfetzen an dem Weli, dem Gebäude oder Baum eines Heiligen, zu befestigen. Das ist kein Opfer und nie ein Opfer gewesen, sondern das Stück vom Kleide ist ein stellvertretender Ersatz für die Person des Ver- ehrers, der sich damit in den Schutz des Gottes oder des Heiligen begibt und ihm die Sorge für sein Geschick anvertraut. Dieselbe Erklärung gilt für den Namen, der nach antikem Glauben sehr viel mehr ist als ein bloßer Schall und eine zufällige Bezeichnung: er ist fast gleichbedeutend

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mit dem Träger des Namens, mit der Person selbst. Wenn bei den Juden in Safed ein Kind erkrankt, so erhält es einen neuen Namen, und zwar den Namen eines alten Mannes, damit es vermöge der Zauberkraft, die diesem Namen inne- wohnt, ebenfalls alt werde. Es ist, als würde das Kind durch den neuen Namen in einen neuen Menschen verwandelt. Darum legt sich auch Saulus den Namen Paulus bei, als er aus einem Christusverfolger zu einem Christusgläubigen ge- worden ist. So sind die Namen ebenso wie die Kleiderfetzen ein Stück von der Person des Be- treffenden: der Teil vertritt das Ganze. Man ist nicht zufrieden, an der heiligen Stätte gebetet zu haben; das Anschaulichkeitsbedürfnis des primi- tiven Menschen verlangt vielmehr, daß auch die Gottheit durch ein sinnenfälliges Zeichen an das Gebet des Verehrers erinnert werde, und eben deshalb läßt man einen Teil des eigenen Ichs zurück, die Tuchfetzen, den Namen, oder schreibt gar das ganze Gebet auf die Wand des Heilig- tums oder auf Papierzettel, die im Tempel depo- niert werden, damit die Gottheit die Wünsche des Frommen auch ja erfülle und sie nicht ver- gesse! Dasselbe naive Anschaulichkeitsbedürfnis veranlaßt den König Hiskia, als er ein Schreiben vom Rabsake empfangen hat, nicht nur den Inhalt dem Gotte mitzuteilen, sondern den Brief direkt in den Tempel zu tragen und vor Jahve auszu- breiten, damit dieser mit eigenen Augen die frechen und gotteslästerlichen Worte des Feindes

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lese^)! Eine ganz ähnliche Vorstellung liegt zu- grunde, wenn die Moslems, wie man es in Kairo häufig beobachten kann, ihre Zähne am Fenster und an den Wänden der Moschee anheften: sie bitten um gnädige Befreiung von ihren Zahn- schmerzen und demonstrieren dies ihrem Gotte ad oculos, wie die Katholiken mit ihren Wachs- gliedern der Maria.

Eine merkwürdige Sitte, die von den Juden wie von den Arabern in gleicher Weise geübt wird, ist das Einstecken von Nägeln in die Mauerfugen des heiligen Gebäudes. Die Frage, warum man gerade Nägel dazu wählt, ist nicht leicht zu beantworten. Vielleicht stammt die Vor- liebe, Eisen für Amulettgegenstände zu verwerten, aus jener alten Zeit, wo das Eisen zum ersten- mal auftauchte^) und andere Erze, besonders das Kupfer, verdrängte. So ist ja auch Bronze und Blei zur Anfertigung von Amuletten benutzt worden; dem primitiven Menschen, dem diese Erze bis dahin nicht bekannt waren, erschienen sie als übernatürliche Dinge vorzüglich ge- eignet, bösen Zauber abzuwehren^). Doch sind mancherlei Parallelen vorhanden, deren Ursprung für uns noch rätselhaft ist. Man erinnere sich an die nagel-, teilweise auch pilzförmigen Tonknäufe, die in die Stadt- oder Palastmauern der Baby-

0 II. Kön. 19u. ') In Palästina etwa um 1000 v. Chr.

3) Num. 31 22 f. werden die Metalle in der Tat als ,. unrein", d. h. mit Dämonen in Beziehung stehend, vor- ausgesetzt, bis sie durch Feuer rein werden.

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lonier und Assyrer getrieben, bisweilen auf dem Stiel oder dem breiten Kopfende mit einer Urkunde versehen und manchmal auch bemalt waren. Wenn uns neben ihnen beschriebene KieseP) be- gegnen, so gemahnt das wiederum an die selt- samen Feuersteine, die man in der Mauer der kubbet es-sachra, der sogenannten Omarmoschee, entdeckt hat^), und an die kleinen Steine, die man als Andenken in dem Weli niederzulegen pflegt. Auch das Alte Testament setzt einmal^) Denk- mäler mit Inschriften, deren Namen nicht ausge- löscht werden, im jerusalemischen Tempel voraus, und es ist möglich, daß solche Erinnerungszeichen öfter vorhanden waren, als wir erfahren, wenn sie auch nicht allzu zahlreich gewesen sein dürften; denn bei den Ausgrabungen sind bis jetzt keine hebräischen Weihinschriften gefunden worden. Wie sehr gerade die Stadtmauern dem Schutze der Gottheit empfohlen waren, lehrt uns eine Stelle im Buche Jesaja^), wonach himmlische Wächter bestellt sind, die Jahve ununterbrochen bei Tag und Nacht auf die Mauern Jerusalems aufmerksam machen und ihn um ihren Wieder- aufbau bestürmen sollen. Die Nägel und Ton- knäufe haben, wie es scheint, den ähnlichen Zweck, die Aufmerksamkeit des göttlichen Wesens

0 Delitzsch, Mehr Licht S. 16. ^) Vgl. Greßmann, Der Felsendom (im „Palästina- jahrbuch« Bd. IV. S. 61). *)Jes. 56,. *) Jes. 62 e.

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zu fesseln. Man wählt dazu die Stätten aus, an denen man es gegenwärtig weiß: die Einfassung des heiligen Bezirkes, sei es der Stadt, des Tempels oder des Hauses. Auch die Türpfosten, in denen heute der Jude seine Pergamentröllchen mit den zehn Geboten als Talisman zu bergen pflegt, sind Überlebsel der beiden Masseben, d. h. Gottes- pfeiler, die einst am Eingang jedes Gebäudes standen und die es behütende Gottheit repräsen- tierten, wie Jakin-Ba'aP) vor dem Salomonischen Tempel. Das sind einige wenige Beispiele aus dem reichen Gebiet des Aberglaubens und der Zauberei, wie sie heute noch im Orient gepflegt werden, die uns über die niedrigsten Formen der antiken Religion Aufschluß gewähren.

Die höhere Stufe der israelitischen Volks- religion können wir uns an den Welis der Mohammedaner veranschaulichen. Weli ist eigent- lich der Patron, der Beschützer, speziell der mos- limische Heilige, dann auch das moslimische Heiligtum. Wenn es ein moderner Heiliger ist, wird er Scheich genannt, ist sein Name dagegen aus der Bibel oder dem Koran bekannt, so heißt er Nebi. Bisweilen weiß man außer dem Namen nichts oder höchstens Legendarisches zu erzählen. Als Stätte der Verehrung dient der Ort, wo sich sein wirkliches oder vermeintliches Grab befindet.

1) So ist I. Kön. Tai zu lesen: „Ba'al (-Jahve) errichtet" diese Säulen, wie Herkules die Säulen in Gades errichtet.

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Als Einfriedigung genügt eine niedrige Mauer, meist aber wölbt sich über dem Grabe oder leeren Grabe eine schneeweiße Kuppel. Das Grab ist mit Tüchern und Teppichen behangen, wohl auch mit einem Turban bedeckt, wenn der dort Verehrte männlichen Geschlechtes ist. Weibliche Heilige, wie die zehn Töchter Jakobs, die in der Gegend von Burka ruhen sollen, sind äußerst selten. Bisweilen ist der Innenraum noch mit Inschriften geziert, mit Straußeneiern geschmückt und mit einer Kibla versehen, die die Gebets- richtung nach Mekka hin andeutet. Gewöhnlich aber ist er so kahl und öde, daß man schleunigst wieder ins Freie flüchtet, wenn überhaupt der Fanatismus der Araber den Eintritt gestattet. Die meisten Welis sind verschlossen, nur wenige ständig von einem Derwisch bedient. Neben dem Heiligtum wächst oft ein schattenspendender Baum, der als unantastbar gilt wie der ganze zu ihm gehörige Bezirk.

Eine solche Stätte, deren arabischer Name makäm mit dem hebräischen maköm {= Kultort) identisch ist, mag oft schon in uralten Zeiten heiligen Charakter gehabt haben. Wir dürfen das nicht nur ganz allgemein aus dem konser- vativen Wesen des Orients und der Religion überhaupt schließen, sondern wir können das an einigen Stellen direkt beweisen. Wenn in selün, dem alten Silo, neben dem heutigen Weli der Moslems die Ruine des römischen Tempels ragt, erkennbar an dem mit Altären und Kränzen ge-

Qreßmann. 2

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schmückten Türsturz'), dann werden wir den zwei Jahrtausenden noch eines hinzufügen und vermuten dürfen, daß auch der israelitische Jahve- tempel an dieser Stelle gestanden hat. Wenn über der Jordanquelle noch heute das Heiligtum des mär ella oder des scheich chidr, des Ritters Georg, grüßt, und am Eingang zur Quellhöhle noch heute Nischen und Überreste des römischen Tempels für Pan und Echo sichtbar sind, dann werden wir annehmen müssen, daß auch die Israeliten hier ihrem Gott Jahve eine Kultstätte errichtet hatten. So können die arabischen Welis für uns von Wert sein, um die Ortslage alter Heiligtümer wieder zu finden, da sie ebenso wie die Landschafts- und Städtenamen oft die Jahr- tausende überdauert haben. Bei den Assyrern war es Sitte, wenn ein alter Tempel durch einen neuen ersetzt werden sollte, zunächst den alten Grundstein wiederzusuchen und dann über ihm den neuen Bau aufzuführen; das erklärt sich aus der Bedeutung, die dem Grundstein schon im Alter- tum zugesprochen wird. Eine Stätte, die einmal durch die Gottheit geweiht ist, behält ihren hei- ligen Charakter für immer. Man weiß damit so- fort, wo die Gottheit zu wohnen beliebt, und braucht nicht lange nach der Stelle zu forschen, die sie sich auserwählt. Zugleich aber muß man sich hüten, einen solchen Ort durch profane Zwecke zu entweihen. Als der Khedive von

^) Vgl. die Abb. bei Dalman, Petra S. 58.

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Ägypten jüngst die protestantische Kirclie Kairos gekauft hatte, um sie niederzureißen und das Gelände zu Bauspekulationen zu verwenden, da erhoben die Ulemas, die kanonischen Rechts- gelehrten der Araber, Einspruch dagegen und erklärten, daß eine heilige Stätte ihre Heiligkeit nie verlieren könne. Es sei darum nur erlaubt, die Kirche in eine Moschee zu verwandeln. Dieser physische Begriff von Heiligkeit ist zu allen Zeiten derselbe geblieben und die Ursache gewesen, daß man das Heiligtum stets an derselben Stelle oder wenigstens in unmittelbarer Nähe wieder aufbaute.

Auf dieselbe Auschauung geht die Tatsache zurück, daß der heilige Bezirk genau abgegrenzt wird, obwohl hier noch eine andere Auffassung hineinspielt: was heilig ist, gilt auch als unan- tastbar, ist sakrosankt; jede Verletzung wird mit Todesstrafe geahndet Was an solchem Orte aufbewahrt wird, steht unter der Obhut des Hei- ligen; darum deponiert man dort landwirtschaft- liche Geräte, Feuerzeug, Bauhölzer und alles, was man gegen Diebstahl sichern möchte. Wer dem haram, dem geweihten Platze, naht, muß sich heiligen, muß physisch rein sein an Händen und Füßen. Darum ist es verboten, ihn mit Schuh- zeug zu betreten. Wer seine Stiefel nicht aus- ziehen will, muß trotz der Matten, die nirgendwo fehlen, wenigstens in den Moscheen Strohpan- toffeln anlegen, die für die Fremden bereitgehalten werden. Als Mose die Offenbarung Jahves im

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brennenden und doch nicht verbrennenden Dorn- busch erlebt, ruft ihm die Gottheit zu: „Zieh deine Sandalen aus; denn die Stätte, auf die du trittst, ist heiliger Boden." ^) Als das Volk Israel zum Sinai kommt, wird ihm befohlen, in respekt- voller Entfernung zu bleiben; zur Vorsicht wird der Berg umhegt, damit niemand die Grenze un- bewußt überschreite^) So dürfen wir uns vor- stellen, daß auch die antiken Heiligtümer, die auf den Höhen unter freiem Himmel errichtet waren, durch Steine oder Mauern als unnahbar markiert waren, sofern sie nicht ohne weiteres als solche kenntlich waren. Jedenfalls mußte das Profane von dem Heiligen irgendwie geschieden sein, damit man sich nicht durch Unterlassung der rituellen Vorschriften versündige. Die Grenzen, so primitiv sie auch damals angedeutet sein mochten, waren doch schon im Altertum von be- sonderer Wichtigkeit: es gab so dürfen wir aus dem Vertrage Jakobs mit Laban schließen^) eine Art Grenzmasseben, heilige Steine an der Grenze eines Ackers oder eines Landes, die unter den Schutz ursprünglich des „Bundesba'al"*), später Jahves gestellt waren; die Gottheit selbst wachte darüber, daß diese Grenzsteine nicht verrückt würden, daß der von den Anliegern ge-

1) Ex. 3,.

) tX. ly j2f. 23«

^) Gen. 31. Dort ist das Grenzgebirge zwischen Aram und Israel als eine gewaltige Grenzmassebe gedeutet. *) Jdc. 9«.

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schlossene Vertrag nicht gebrochen, die Flur nicht geschädigt werde. So war auch das Eigentum der Gottheit von dem profanen Landbesitz ge- schieden.

Wie wir uns die israelitischen Grenzsteine vorzustellen haben, wissen wir nicht. Wir kennen babylonische Grenzsteine, kudurru genannt, die Inschriften enthielten und über den Inschriften gewöhnlich Symbole der Grenzgottheiten, ver- mutlich der Tierkreisgötter. Es scheint aller- dings, als ob diese kleinen, zierlichen und schönen Steine nicht auf freiem Felde errichtet, sondern im Tempel oder Staatsarchiv aufbewahrt wurden. Im heutigen Orient begegnen uns kleine Pyramiden, aus losen Feldsteinen aufgeschichtet, an der Grenze der Äcker. Sie finden sich auch bei den Welis, zwar nicht in unmittelbarer Nähe, aber doch im Zusammenhang mit ihnen; in- dessen haben sie in solchen Fällen nichts mit der Grenze zu tun, sondern besitzen einen anderen Sinn: Wenn die Moslems zum ersten Male eines Welis ansichtig werden, dann türmen sie solche Steinhaufen auf, kanätir genannt. Wer z. B. vom Nebo kommt, den Jordan passiert hat und durch die Mergelhügel hindurchgeritten ist, erblickt eine große Anzahl derartiger Pyra- miden auf der ersten Anhöhe, die einen freien Fernblick über die Jordanebene und auf das judäische Hochland gestattet. Da schaut man in weiter Ferne die strahlende Kuppel des en-nebi musa, das Grab des Mose, das die Araber seit-

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samerweise im Westjordanlande suchen^). Zu dem großen mehrtägigen Volksfest, das zu Ehren dieses meistgefeierten Heiligen veranstaltet wird, strömen die Moslems alljährlich einmal aus fern und nah. Angesichts des Berges häufen die Pilger ihre Steine auf als Zeugnis (meschhed), daß sie die Wallfahrt unternommen haben, und als Erinnerung für den Heiligen, daß er ihrer ge- denke. Überall wohin der Islam gedrungen ist, in Palästina, Syrien, auf der Sinai-Halbinsel, in Persien bis nach Indien hin findet man diese kanätir, die selbst ein beredtes Zeugnis für die welterobernde Kraft dieser Religion ablegen. Auch im Alten Testamente ist von Erinnerungssteinen die Rede, die jenen sachlich genau entsprechen, wenn auch die Form eine andere gewesen sein mag. Der Stein, den Jakob irr Bethel aufstellte, wurde von späteren Generationen als Andenken an das Gelübde gedeutet, das er dort getan hatte ^), und die Steine, die die Israeliten aus dem Jordan aufgelesen und im Gilgal errichtet hatten, galten ihren Söhnen als Gedächtnismal an das Wunder des Durchgangs durch den Jordan^). Es dürfte kaum zweifelhaft sein, daß die heute

^) Wenn man die Araber fragt, wie es denn möglich sei, daß sich das Grab des Mose im Westjordanlande befinde, da er doch nach dem Alten Testamente im Ost- jordanlande gestorben sei, so antworten sie: „Die Leiche ist dorthin geflogen."

ä) Gen. 28 20 ff.

*) Jos. 420ff.

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im Islam herrschende und schon im Alten Testament vorhandene Auffassung dieser Steine als Erinnerungszeichen nicht den ursprünglichen Sinn wiederspiegelt. Denn wie sollten beliebige Steine dazu kommen, das Gedächtnis an be- stimmte Ereignisse oder Personen wachzuhalten? Wir würden es verstehen, wenn die Steine be- schrieben wären oder sonst irgendwelche Sym- bole aufwiesen, aber das ist weder heute so noch damals der Fall gewesen. Hier fehlt uns die Kennt- nis von Zwischengliedern, die erst ein volles Ver- ständnis ermöglichen. Jedenfalls hat man kein Recht, das hohe Alter dieses Brauches zu leugnen und ihn für spezifisch arabischen Ursprungs zu er- klären. Man wird vielmehr vermuten dürfen, ob- wohl es uns nicht überliefert ist, daß auch die Israeliten im Anblick ihrer Höhenheiligtümer Er- innerungssteine aufzuschichten pflegten.

Wie sehr im heutigen Orient alte, ja uralte Traditionen fortwirken, das zeigt sich auch in der Tatsache, daß die meisten Welis auf den Bergen liegen, oft weit von der Ortschaft ent- fernt. Der Grund dafür ist in dem Glauben der Moslems nicht mehr lebendig. Mögen bisweilen auch Geschichten erzählt werden von den Offen- barungen des Heiligen, der hier seinen Verehrern oder einem Derwisch erschien, so kann doch kein Zweifel sein, daß diese Legenden erst später hierher übertragen sind, als jene Stätte schon längst ihre Heiligkeit besaß. Warum der Scheich mit Vorliebe auf den Bergspitzen wohnt, wissen

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die heutigen Araber nicht zu erklären. Für sie ist es eine unverstandene Überlieferung, die sie übernom- men haben und über die sie, wie es zu geschehen pflegt, nicht weiter nachdenken. Wer will, mag sich bei dieser Konstatierung beruhigen. Uns aber interessiert es, nach den Ursprüngen zu forschen, die wir in der Jugend der Mensch- heit suchen müssen. Denn schon aus dem Alten Testamente erfahren wir, daß die Kultorte der Israeliten auf den Bergen lagen und darum „Höhenheiligtümer" oder kurzweg „Höhen" hießen. Wir können diese Tatsache noch weiter zurück bis zu den Kanaanitern verfolgen, die als die Vorfahren und Lehrmeister der Israeliten gelten müssen. So sind fast alle Berge Palästinas, der Zion, der Ölberg, der Garizzim, der Ebal, der Karmel, der Tabor, und weit über seine Grenzen hinaus der Libanon, der Hermon, der Nebo, der Hör, der Sinai und manche andere seit unvor- denklichen Zeiten heilig gewesen und von den Kanaanitern, Ammonitern, Moabitern, Edomitern, Israeliten, Nabatäern, Arabern mit göttlichem Charakter umkleidet worden. Dieselbe An- schauung läßt sich nicht nur bei den Semiten, sondern auch bei den Indogermanen und vielen Völkern des Altertums nachweisen. Die weite Verbreitung dieser Idee bezeugt ihr hohes Alter. Demnach muß auch die Vorstellung von Jahve als dem Berggott, die bis spät in die Königszeit hinein lebendig geblieben ist, bis in die Kindheit Israels zurückreichen. Sie hängt, wie wir jetzt

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immer deutlicher erkennen, mit dem Glauben an Jahve als den Gott des Himmels und der Sonne zusammen. Man hat das noch vor kurzem in einer Überspannung des Evolutionsbegriffes, der richtig gefaßt seine Gültigkeit behält, leugnen und die Versetzung Jahves in den Himmel bis auf die Zeit Ezechiels herabdrücken wollen, ohne zu berücksichtigen, daß sich dieser Vorgang nirgendwo im Lichte der Geschichte vollzogen hat noch auch vollzogen haben kann, da er seinem ganzen Wesen nach in die prähistorische Periode der Menschheit gehört. Jetzt haben sich die Be- weise für diese These so sehr gehäuft, daß sie unanfechtbar geworden ist. Ein Grund unter vielen ist der Bau der Heiligtümer auf den Bergen, was sich schlechterdings nicht begreifen läßt ohne den Glauben an eine himmlische Gottheit: Weil Jahve im Himmel wohnt, darum verehrt man ihn auf den Bergen. Man sieht ja, wie ihre Gipfel in der Ferne den Himmel berühren oder gar in ihn hineinragen: Wer dort hinaufsteigen könnte, der könnte graden Weges in das Paradies, das Land der Götter, gelangen. „Auf den Höhen der Erde wandeln" ist fast gleichbedeutend mit „im Himmel wandeln". Dort oben ist gut sein, dort laßt uns Hütten bauen ! Dort erscheinen die Engel in himmlischer Glorie, dort führen die Verklärten in olympischer Heiterkeit ein seliges Leben, dort ist der strahlende Palast der Sonne! Jeden Morgen schauen die Hirten auf dem Felde, wie der Sonnengott gleich dem Bräutigam, der

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aus seiner Kammer tritt, zwischen den „un- bekannten Bergen" hervorkommt, um auf dem Sonnenvogel zu reiten. Wer wollte zweifeln, daß dort die Gottheit wohnt? Und wo wäre es würdiger, ihr ein Heiligtum zu errichten? Wo wäre man sicherer, sie zu treffen ? So wird uns der Ursprung der Heiligkeit der „Höhen" begreiflich, so ver- stehen wir auch, daß der makäm, der Kultort, noch heute mit Vorliebe auf die Bergspitzen verlegt wird, obwohl das keineswegs immer der Fall ist. Auch die Verbindung des Heiligtums mit dem Grabe des Heiligen geht auf eine uralte, primi- tive Vorstellung zurück. Die Heroen des Volkes, die religiösen und politischen Führer, von denen die Sage erzählt, werden an der Kultstätte be- graben, da wo die Gottheit wohnt: sie werden für würdig gehalten, in die Wohnung der Gott- heit aufgenommen zu werden, während die misera plebs einer solchen Ehrung nach dem Tode nicht teilhaftig wird. Eine ähnliche Auffassung liegt zu Grunde bei dem Unterschied, der in Ägypten zwischen der Bestattung des Königs, des Hofes und des Volkes gemacht wurde: die großen Gräber, die „Häuser der Ewigkeit", waren an- fangs ein Privilegium der Könige, dann der Höf- linge, bis sie allmählich auch von den Unter- tanen gebaut wurden. Und wie es im Leben Reiche und Mächtige, Arme und Geringe gibt, so kann es auch im Tode nicht anders sein. Es war das Vorrecht der Patriarchen, der Ahnen, der berühmten Männer der Vorzeit, daß ihnen

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auch nach dem Leben ein besseres Los be- schieden war: Man erzählte von ihnen, daß sie die Ehrenplätze in der Scheöl inne hätten ^) oder gar, daß sie zur Gottheit entrückt seien-); nach anderer Vorstellung aber ruhten ihre Gebeine auf heiligem Boden. So starb Mose auf dem Berge Nebo, der, wie sein Name zeigt, dem baby- lonischen Gott Nebo geweiht war^), so suchte man Aarons Grab auf dem Berge Hor^), wo es noch heute, von einer Kuppel umwölbt, verehrt wird. Auch die Höhle Machpela, das Erbbegräb- nis der Familie Abrahams^), ist ursprünglich ein Heiligtum, wahrscheinlich des Sonnengottes von Hebron, gewesen, und noch heute befindet sich dort der haram, der heilige Platz der Araber. Des öfteren ward schon damals das Grab des Heiligen von einem Baume beschattet, wie die „Klageeiche" beweist, unter der die Amme der Rebekka bestattet war^). Bisweilen fehlt auch heute das Gebäude, und eine grüne Laubkrone dient als einziges Dach des Grabes.

Häufig sieht man an der Vorderfront der Welis lange Streifen geronnenen Blutes, bisweilen auch an anderen Häusern. Woher stammen diese Blutspuren? Sie sind ein Zeichen dafür, daß man auf dem Dach eine Ziege oder ein Schaf

0 Ez. 3227.

-) Gen. 5 24 IIKön. 2ii.

3) Deut. 34 5.

*) Deut. 3250.

') Gen. 23.

*) Gen. 35 8.

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geschlachtet und das Blut auf die Pfosten und den Türsturz hat herabfließen lassen. Dieser Brauch ist bei den Mohammedanern und Christen im Schwange, mit dem Unterschiede, daß die Christen gern mit dem Blute ein Kreuz an das Haus selbst tupfen, während die Moslems andere Zeichen, wie z. B. eine Hand, bevorzugen. Be- achtenswert ist die Zeit, wann die Schlachtung vollzogen wird. Diese ist verbunden mit der Grundsteinlegung des Heiligtums oder mit der Fundamentierung öffentlicher Gebäude oder mit dem Einzug in ein neues Haus. Es handelt sich also um einen Initiationsakt, eine religiöse Weihe des Hauses. Fragt man die Araber, warum das geschehe, so antworten sie: „für das Haus, da- mit niemand sterbe", oder: „damit jedes Haus seinen Toten habe und die anderen besser leben können"^). Bei der Schlachtung pflegt man in der belka (im Ostjordanland) zu sagen: „Mit Verlaub,' o Herr des Platzes."

Durch das Opfer sollen demnach die Ge- fahren abgewehrt werden, die dem Hause oder seinen Bewohnern drohen. Die Hauptsache ist dabei, daß das Blut an den Fundamentstein, an die Schwellen und Türpfosten gebracht wird. Bisweilen wird auch die Ecke eines im Bau be- griffenen Hauses mit Tierblut bestrichen, um die Handwerker zu schützen 2). Wie ist der Ursprung

1) Curtiß, Ursemitische Religion, Leipzig 1903, S. 219; Dalman im Palästina-Jahrbuch 1908 S. 49f.

2) Doughty, Travels in Arabia Deserta, S. 136.

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dieser Sitte zu erklären? Die von Curtiß auf- gestellte Hypothese, daß das Tier stellvertretend für den Menschen dargebracht werde, ist inso- fern falsch, als die Idee des stellvertretenden Opfers trotz der Zeugnisse, die er anführt, im heutigen Palästina unbekannt ist. Sie ist auch an sich unwahrscheinlich, sobald man sich ein- mal klar gemacht hat, daß mit dieser Theorie die Hauptsache nicht aufgehellt wird, warum nämlich das Blut grade an Türstürze, Schwellen oder Ecksteine gestrichen werden muß. Wir haben jetzt dank der Ausgrabungen in jenem Lande ein neues reiches Material gewonnen, so daß wir heute imstande sind, die aufgeworfene Frage besser beantworten zu können.

Im Alten Testamente hören wir: „Zu Ahabs Zeiten baute Hiel von Bethel die Stadt Jericho wieder auf. Über seinem Erstgebornen Abiram legte er den Grund, und über seinem Jüngsten Segub setzte er die Tore ein, nach dem Worte Jahves, das er durch Josua ben Nun geredet hatte" ^). Mit dieser Nachricht hat man früher nicht viel anzufangen gewußt und sie auf alle mögliche Weise, nur nicht auf die nächstliegende, zu erklären versucht. Der Wortlaut läßt keinen Zweifel daran, daß die Fundamente und die Tore der Stadt über dem ältesten und dem jüngsten Sohne Hiels, also über einem menschlichen Bau- opfer, aufgeführt worden sind. Immerhin würde

0 I Kön. 16 34.

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man aus dieser Stelle auf einen außergewöhn- lichen, durch den Fluch Josuas motivierten, aber nicht auf einen regelmäßigen oder weit ver- breiteten Ritus schließen. Durch die Ausgra- bungen sind wir indes eines anderen belehrt worden. Man fand vielfach Leichen von Kindern oder von Erwachsenen, von Männern oder von Frauen unter Mauern und unter Torflügeln, unter dem Fußboden in der Ecke oder in der Mitte des Zimmers. In teil el-mutesellim, dem alten Megiddo, entdeckte Schumacher das Skelett eines fünfzehnjährigen Mädchens, das quer über die unteren Fundamentsteine gelegt und mit einer Estrichschicht aus Lehm derart ganz überzogen war, daß der Körper unter den Fußboden der Burg zu liegen kam. Hier, wo die Mauer quer über den Mädchenleib hinweggezogen ist, kann kein Zweifel daran sein, daß wir es mit einem Bauopfer zu tun haben. Während dies Beispiel, das durch andere Funde in Megiddo bestätigt wird, etwa aus der Zeit um 1500 v. Chr. stammt, hat Macalister dieselbe Sitte noch im achten vorchristlichen Jahrhundert zu abu schusche, dem biblischen Gezer, nachgewiesen. Der schaurige Brauch, Menschen lebendig einzumauern, hatte ursprünglich den Sinn, die Gottheit oder den Dämon des Platzes mit dem Bau auszusöhnen. Zugleich wurde der Tote zum Schutzgenius, zum „guten Geist" des Hauses, der fernerhin alles Böse abwehrt. Er wohnt unter der Schwelle, über die man darum in der alten Zeit hinweg-

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hüpfen muß^), oder gleich einem höheren Wesen in den Türpfosten, die als Masseben ursprünglich Repräsentanten der Gottheit gewesen sind^).

Der Ritus ist ohne Zweifel uralt, da er über einen großen Teil der Welt verbreitet ist. Wir begegnen ihm in Palästina wie in Mexiko, in Rom wie in Siam, in Schleswig-Holstein wie in Nord- amerika: überall wissen die Gründungssagen von Fundamentopfern zu erzählen. Man hat deshalb kein Recht, die israelitische Religion, die über- dies auch hier von der kanaanitischen beeinflußt sein dürfte, als eine besonders grausame und tiefstehende zu bezeichnen. Im Gegenteil, es läßt sich vielfach beobachten, wie der grausige Brauch schon früh gemildert wurde, obwohl er stellen- weise bis in die Königszeit Israels gedauert hat. Denn die Beigaben an Krügen, Schüsseln, Lampen, mit denen man mitleidig die Opfer versah, damit sie im Totenreich trinken, essen und sehen könn- ten, sind häufig ohne die dazu gehörige Leiche gefunden worden, an genau denselben Orten, wo man sonst die Fundamentopfer zu treffen pflegt: unter Torflügeln und Mauern, in den Ecken und in der Mitte der Häuser. Oder man hat die Menschen durch silberne Figuren ersetzt, ähnlich wie die Babylonier ihre Schutzgenien, die den Eingang der Paläste hüten, bisweilen unter der Schwelle vergraben haben. Wir dürfen daher

0 I. Sam. 55. Zeph. I9. 2) Ex. 21e.

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vermuten, daß auch in Israel die Symbole an die Stelle des menschlichen Opfers getreten sind, vielleicht schon damals mit einem ähnlichen Blut- brauch verknüpft, wie er noch heute an den Welis üblich ist. Jedenfalls kennen wir das Bestreichen der Schwelle und des Türpfostens mit dem Blut geschlachteter Schafe als einen uralten Pascha- ritus ^), der freilich nicht als Ersatz für ein Bau- opfer, sondern für das noch entsetzlichere Erst- geburtsopfer der Menschen gilt. Aber beides geht ineinander über, sofern gerade die Erstge- borenen auch beim Fundamentopfer dargebracht zu werden pflegen. Das lehrt das Beispiel Hiels, und das bestätigen die Ausgrabungen, die uns auch über die Erstgeburtsopfer neue Aufklärung verschafft haben: zwischen den Erstgeburts- und den Fundamentopfern besteht kein wesentlicher Unterschied. So ist also das heutige Schafopfer der Araber in der Tat eine Stellvertretung für das ursprüngliche Menschenopfer, aber die Idee der Stellvertretung ist. ganz abgesehen davon, daß sie heute wenig oder gar nicht verbreitet ist, Nebensache gegenüber dem Hauptbestreben, der Gottheit eine Sühne für den Bau zu bieten und dem Hause einen genius loci zu geben. Allein auch diese Anschauung ist nur der religions- geschichtliche Anlaß des heutigen Ritus gewesen und als eine „Arabeske" zu betrachten von dem, der die Beantwortung solcher Fragen nach dem

1) Ex. 12.

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Ursprung gegenwärtiger Bräuche für überflüssig und unnütz hält. Heute ist diese Anschauung jedenfalls nicht mehr lebendig, da die Schlachtung ein „Opfer für das Haus" genannt wird. Heute wird das Blutstreichen nur noch geübt, weil man die Sitte von den Vätern ererbt hat, und weil es schaden könnte, sie zu unterlassen, genau so wie man bei uns in Laienkreisen etwa über die Taufe denkt.

Während an den gewöhnlichen Welis der einzelne sein Glaubensbekenntnis betet, seine Wünsche vorbringt und seine Gelübde ablegt, werden an den vornehmeren Heiligtümern von den Derwischen Donnerstagabend-Gottesdienste veranstaltet, dikr, d. h. „Gedächtnis", genannt, wo man sich des göttlichen Namens erinnert und ihn möglichst oft zitiert. Die Anrufung der Gott- heit, die mit ihrem Namen geschieht, ist heute neben der Betonung des Monotheismus von der größten Wichtigkeit. Wenn jemand in Ekstase gerät, stößt er schreiend den Namen „Allah" aus, und noch wenn er im Taumel am Boden liegt, zwingt man ihn, „wähid" Gott ist „einer" zu sagen. Auch hier hat sich ein Überbleibsel aus uralter Zeit erhalten; denn die Anrufung der Gottheit mit ihrem Namen war einst der wichtigste, vielleicht einmal der einzige Teil des Gebetes. Alle Gebete des Alten Testamentes beginnen mit dem Namen des israelitischen Gottes Jahve. Das ist begreiflich in einer polytheistischen Religion, die viele Götter und viele Geister kennt.

Qreßmann. q

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Um ein bestimmtes Wesen zu beschwören, muß man es bei Namen rufen. Während Allah ein- fach „Gott" bedeutet, haben die Götter auf einer älteren Stufe Eigennamen, durch die sie vonein- ander unterschieden werden können, genau so wie die Menschen; später werden die Eigennamen durch Gattungsnamen verdrängt. So haben auch die Juden im Lauf der Jahrhunderte den Namen Jahves vermieden und durch „Gott" oder andere Umschreibungen ersetzt. Aber es hat verhältnis- mäßig lange gedauert, bis dieses Ziel völlig er- reicht war. Als bereits der Monotheismus zur allgemeinen Anerkennung gelangt war, bediente man sich dennoch des Eigennamens, obwohl dieser den Polytheismus zur logischen Voraus- setzung hat. An die Anrufung der Gottheit reihte man in ,der alten Zeit sehr häufig eine Fülle von Prädikaten, um sie durch diese Titel, die ihr wie einem Könige zukommen, zu ehren, ihr zu schmei- cheln, sie günstig zu stimmen. Es ist bezeich- nend für den abstrakten Geist des Islams, daß man das Bekenntnis des Monotheismus als das höchste Ehrenprädikat Allahs betrachtet. Das ist freilich auch das einzige, was man als spezifisch islamisch am moslimischen dikr hervorheben darf. Für uns, die wir einen nüchternen Gottesdienst gewohnt sind, ist sein Charakteristikum vielmehr der Aufregungskultus.

Durch Musik vornehmlich Trommeln und Cymbeln in Palästina durch Bewegungen des Körpers, durch Schreien, Singen und Tanzen

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suchen sich die Verehrer des Welis in einen religiösen Rausch zu versetzen, der uns seltsam und unverständlich anmutet. Die Ekstase, wie sie vom Derwisch professionell gepflegt wird, ist überall von den Mohammedanern geschätzt und darf bei den Festen nicht fehlen, wenn sie auch in dem offiziellen Gottesdienst der Moscheen zurücktritt. Wer längere Zeit im Orient weilt, hat Gelegenheit genug, sie zu studieren. Am bequemsten ist das in Konstantinopel möglich, wo die Derwische sich zu Orden zusammengetan haben und ge- meinschaftlich die heilige Begeisterung pflegen. Die Tekke, das Kloster der tanzenden Derwische in Pera, war leider geschlossen, da der Scheich, wie es hieß, schon seit Wochen krank sei. So fuhren wir nach Skutari hinüber, um die heulenden Derwische zu besuchen. Uralte Vergangenheit und modernste Gegenwart hatten hier einen sonderbaren, halb anziehenden halb abstoßenden Bund miteinander geschlossen. Ein Mann em- pfing uns, um das übliche Eintrittsgeld zu fordern. Er trug die charakteristische Kopfbedeckung der Derwische, an der sie für jeden Orientalen so- fort erkennbar sind: eine etwa einen halben Meter hohe graue Filzmütze, die sich turmartig auf dem Haupte erhebt und nach oben nur ganz wenig verengert. Schon sie erweckt die Er- innerung an uralte Zeiten. Mit genau derselben Mütze, nur von Straußenfedern geschmückt, werden schon die ägyptischen Pharaonen 3000 Jahre vor Christus abgebildet! Aber die Stimmung, in die

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wir hierdurch unwillkürlich versetzt waren, machte bald anderen Gefühlen Platz, als wir in den Andachtsraum geführt wurden. Gemahnte schon das Eintrittsgeld an ein Theater, so noch mehr die ganze Einrichtung der Tekke. Es war ein großer luftiger Saal; den Hauptplatz nahm die Bühne ein, die übrigens nicht erhöht war. An den drei Seiten, durch eine niedrige Schranke getrennt, befanden sich die Bänke für die Zu- schauer, die zahlreich und schaulustig aus aller Herren Länder herbeigeströmt waren. Oben liefen vergitterte Galerien herum, hinter denen türkische Frauen der Vorstellung beiwohnten. Die Wände waren mit grünen Fahnen geschmückt, auf denen allerlei Schwerter und Waffen drapiert waren. An der Vorderwand sah man den mihräb, die Wandnische, die die Gebetsrichtung nach Mekka andeutet. Matten und Lammfelle waren am Boden ausgebreitet, damit die „Schau- spieler" ihre Kniee nicht beschmutzten. Ehe die Aufführung begann, hatte das neugierige, unruhige, internationale Publikum Zeit genug, sich selbst und die Umgebung zu mustern. Unter den Ein- heimischen fielen besonders viele Soldaten auf; später wurde uns erzählt, das einige von den Derwischen Offiziere seien.

Endlich begann die sehnlich erwartete Vor- stellung. Etwa zehn Derwische, an ihrer Tracht kenntlich, ordneten sich in Stirnreihe dicht neben- einander und hockten nach orientalischer Manier mit untergeschlagenen Beinen am Boden. An sie

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schlössen sich auf beiden Seiten die Moham- medaner in Zivilkleidung an, die nicht zum Kloster gehörten, aber freiwillig an der Übung teil- nahmen. Ihnen gegenüber stand der Scheich, ein Mann mit bleichen, sympathischen Gesichts- zügen, der das Ganze dirigierte. Es fing ganz sanft an mit dem gewöhnlichen Gebet, das dem Moslem täglich fünfmal herzusagen vorgeschrieben ist. Darauf folgten Segensformeln und die Fatha, die erste Sure des Korans. Der Scheich oder ein anderer sang die Worte vor, und der Chor antwortete. Dabei bewegte sich die ganze Kette takt- mäßig vornüber mit solcher Geschmeidigkeit, daß die Männer trotz des Hockens mit der Stirn den Erdboden berührten; das war nur möglich, indem sie sich durch festes Aneinanderrücken gegen- seitig stützten. Nachdem dies wohl eine Stunde lang geübt war, ging man vom Vorwärtsbeugen zum Seitwärtsneigen des Rumpfes über, immer gleichmäßig im Takt, erst langsamer, dann schneller. Nach einer Stunde erhoben sich alle, und nun wurden dieselben Übungen im Stehen fortgesetzt. Der Scheich nahm langsam außer der Reihe, nach einem Prinzip, das nicht er- kennbar war, den Derwischen ihren Filzhut ab und ersetzte ihn durch eine dünne Leinwand- mütze, einer Nachtmütze nicht unähnlich. Ihm übergab man auch das schwere Obergewand, das bei der Hitze des Saales, trotzdem alle Fenster geöffnet waren, der freien Bewegung hinderlich war. Die Übungen wurden unterdes nicht unter-

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brochen. Als alles soweit vorbereitet war, be- gann der Scheich nicht mehr wie bisher mit den Händen klatschend, sondern nunmehr mit dem Fuße stampfend einen beschleunigteren Takt anzugeben. Von da an wurden die Bewegungen immer schneller und wilder, wenn sie auch die harmonische Gleichmäßigkeit nicht verloren. Der Rumpf wurde soweit vornüber, seitwärts und nach hinten gebeugt, als es möglich war, während die Arme schlaff herunterhingen. Der fort- währende näselnde, litaneiartige Gesang, der die Übungen begleitete, bestand schließlich nur noch in den Worten des Glaubensbekenntnisses: ilä iir allah. Unter den Derwischen zeichnete sich besonders ein magerer, hochgewachsener Neger aus, dessen sonngebräunte Gesichtsfarbe durch den Schweiß noch glänzender gefärbt war. Trotz der Brille, die er trug, und die ihm einen ge- wissen komischen Anstrich verlieh, machte er doch einen tiefen Eindruck durch die mystische, glaubensinnige Begeisterung, mit der er in der Andacht aufzugehen schien. Dicht neben dieser sympathischen Gestalt hampelte ein . kleines Männchen, das ganz in Grün gekleidet war, zum Zeichen, daß es ein Nachkomme Mohammeds sei. Der dürre Kopf wackelte auf dem stroh- halmartigen Halse hin und her, als wollte er ab- brechen. Der Mann war offenbar Epileptiker und drohte ein paar Mal ohnmächtig zu werden, doch ward er auf Veranlassung des Scheichs wieder wachgerüttelt, so daß es zu keiner direkt

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häßlichen Szene kam. Noch abstoßender war sein Nebenmann, ein unglaublich dicker Mensch, der das zu viel hatte, was dem anderen fehlte. Aber er machte trotz seiner Fettleibigkeit die Übung von Anfang bis zu Ende mit und glaubte wohl, durch sie eine Marienbader Kur zu ersetzen. Der Schweiß floß ihm in Strömen von der Stirn, seine Augen verdrehten sich wie im Taumel, sein Atem keuchte, und bisweilen schrie er in den Chorus des Gesanges abrupte Worte wie „allah". Auch er schien von Epilepsie nicht fern zu sein, und mitunter fürchtete man einen Wutausbruch oder Anfall dieses in sinnlose Raserei geratenen Gläubigen. Alle waren zuletzt durch die rasen- den, wilden Bewegungen in trunkenen Taumel versetzt und statt deutlich artikulierter Laute ver- nahm man nur noch ein heiseres, keuchendes Lallen, dessen Doppeltakte dem ilä ill' allah entsprachen. Da flaute auf einen Wink des Diri- genten die Schnelligkeit der Bewegung langsam wieder ab. Zwei Stunden hatte es gedauert, bis der Höhepunkt erreicht war, jetzt kehrte man allmählich in die Ruhe zurück. Der Scheich aber zog sich von der Übung zurück und trat vor die Gebetsnische. Er war nun des heiligen Geistes voll, mit göttlichen Kräften wie mit Elektrizität geladen. Jetzt konnte er von der Fülle der Gottheit auch anderen mitteilen und Krankenheilungen vollbringen. Man führte einige Kinder vor ihn; er hob sie auf den Schoß und streichelte sie von oben bis unten, um den

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heiligen Stoff auf sie zu übertragen. Dann warfen sich Kranke ihm quer vor die Füße, ein türkischer Unteroffizier, oder was er sonst sein mochte, und andere, auch ein Derwisch, der wohl nicht krank war, sondern nur seine Huldigung bezeugen wollte. Von zwei Derwischen geleitet, schritt der Scheich über sie hinweg und setzte vorsichtig seine Füße auf Nacken und Kniekehle. Noch immer dauern die Übungen der andern an, als sich der Saal von den Zuschauern langsam leert. Das Schauspiel ist vorüber, einst nicht nur und auch heute nicht für alle ein Schauspiel, sondern eine ernste, religiöse Sache, ein Gottes- dienst. Man will das ist das Ziel dieser Übung eine physisch-psychische Vereinigung mit der Gottheit eingehen und sucht sich durch die Ekstase in sie zu versetzen. Wenn der Geist verzückt ist, dann kommen die seligen Schauer der Gottbesessenheit über ihn.

Das ist uralter Aufregungskult, wie er bei den niedrigststehenden Religionen vorkommt, wie er aber auch dann und wann bei den höherstehen- den Religionen auftaucht und vereinzelt sich ständig zeigt. Der eben geschilderten Szene ge- mäß müssen wir uns die geistlichen Exerzitien der Prophetenvereine denken, wie sie in Bethel, Gilgal und anderswo zur Zeit der israelitischen Könige blühten, wie sie von Samuel, Elia und Elisa geleitet sein sollen. Für diese älteren Pro- pheten, die wir zum Unterschiede von den spä- teren Schriftstellern seit Arnos als Nebiim zu be-

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zeichnen pflegen, ist der wild-ekstatische Enthu- siasmus charakteristisch. Sie tanzen und rasen über die Berge und an der heiligen Stätte, von bakchantischer Musik begeistert, bis sie sich im Taumel die Kleider vom Leibe reißen und nackt daliegen, einen ganzen Tag und eine ganze Nacht. Spottweise nannte man sie „meschugge'' (verrückt), weil ihr Gebahren dem der Irrsinnigen nicht un- ähnlich war. Die anschaulichste Schilderung liefert uns der Bericht über das Gottesurteil auf dem Karmel ^). Da hinken und tanzen die Baals- pfaffen um den Altar, schreien aus Leibeskräften und rufen den Namen ihres Gottes an, bis sie ins Rasen geraten und sich Einschnitte mit Schwertern und Lanzen machen, daß das Blut an ihnen herunterfließt. Dieselbe Sitte üben heute noch die Derwische, vor allem die persischen, und bei dem kleinen Beiramfest, wenn die Pilger- karawane von Kairo nach Mekka aufbricht, fehlt es nicht an leichten und schweren Verwundungen, die man im Seelenrausch sich selbst beibringt. Selig ist, wer auf diese Weise sein Leben ver- liert! Mag man und mochte man heute wie da- mals über die Ekstatiker spotten, so tat man es doch nur hinter ihrem Rücken, im geheimen. Denn auch den Nebiim, wie heute den Derwischen, traute man übermenschliche, unheimliche Kräfte zu; man fürchtete sie als Zauberer und schätzte sie als Gottesmänner. Man erzählte von ihnen,

1) I. Kön. 18.

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daß sie durch ihr Wort töten und heilen, Wunder verrichten und die Auferstehung bewirken könnten! So wird es begreiflich, daß man die Derwische nach ihrem Tode heroisiert und als Welis, als Heilige, verehrt, fast möchte man sagen, daß man sie vergöttert. Der Derwisch, der schon hier auf Erden göttliche Werke vollbringt, ist nach seinem Tode erst recht geeignet, als Mittler zwischen Gott und den Menschen zu dienen; er ist nun vollends in eine höhere Sphäre entrückt und hat genügend Macht, seinen Verehrern zu helfen. Das wird noch verständlicher, wenn man bedenkt, daß der Antike oder Naive die gewaltige Kluft, die uns von der Gottheit trennt, nicht empfindet. Für ihn ist Himmlisches und Irdisches, Göttliches und Menschliches nicht so schroff ge- schieden wie für uns. Beides ist einander an- genähert und geht ineinander über: Götter wan- deln auf Erden und Menschen werden zum Himmel entrafft. Wenn Jakob mit der Gottheit ringt und sie bezwingt^), so folgt daraus, daß zu der Zeit, wo diese Sage entstand, die Differenz zwischen einem EP) und einem Patriarchen nicht groß gewesen sein kann. Dieselbe naive Anschauung tritt uns also auch im alten Israel entgegen, doch kann dort von einer Heroisierung bedeutender Männer keine Rede sein. Ahnenverehrung ist im Alten Testament nicht bezeugt; indessen kann man vielleicht Überbleibsel aus prähistorischer

') Gen. 32,7. Hos. \2^.

*) So heißt die Gottheit oft in der Genesis.

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Zeit aufweisen. Der Heiligenkult ist eine spe- zifisclie Eigentümlichkeit der arabischen Volks- religion, nicht des offiziellen Islams, der nichts davon wissen will. Aber die Heiligen spielen im heutigen Volksleben der Araber eine viel größere Rolle als Allah. Nicht an diesen, son- dern an jene, deren Gräber man sichtbar in der Nähe hat, die man noch lebend geschaut hat, von denen man sicher ist, daß sie sich um die Leiden der Menschen kümmern, wendet man sich mit der Bitte um Genesung, um Kinder, um Schutz, um Regen, in allen Nöten und Anliegen des Körpers und der Seele; zu ihnen betet man, ihnen gelobt man, zu ihnen pilgert man, ihnen feiert man Feste. Auch die Juden Palästinas haben sich vom Ahnenkultus nicht ganz freigehalten. Die Gräber der Rabbinen in Merön sind durch einen Schornstein mit dem Dach verbunden. Oben auf diesen pfeilerförmig auslaufenden Schorn- steinen befinden sich ausgehöhlte Becken, in denen die Juden häufig, besonders an dem großen Jahresfeste der verstorbenen Heiligen, Ölspenden, Weihrauch und kostbare Kleider verbrennen. Das ist ein interessantes Beispiel vom Wiederaufleben des Ahnenkultes.

Dem Namen nach sind die Araber freilich Anhänger des Islams, aber der Islam hat sich nur wie eine dünne Decke über die Heiligtümer, Vor- stellungen und Bräuche des alten arabischen Volksglaubens gebreitet, der überall erhalten geblieben und durch die Jahrhunderte unverändert

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bewahrt worden ist. Wenn er sich auch aufs engste mitdem altenisraelitischen Volksglauben berührt, so daß man vieles, ja vielleicht das meiste wenn auch keineswegs alles in die ältere Vergangen- heit des Landes übertragen darf, so muß man sich dennoch hüten, einen ununterbrochenen Zu- sammenhang anzunehmen, da er durch die ge- schichtlichen Ereignisse, die völlige Ausrottung und Vernichtung der Juden, absolut undenkbar ist. Es kann sich nur um eine Übereinstimmung handeln, die aus derselben Rasse, demselben Klima, denselben Kulturbedingungen und der- selben geistigen Höhe zu erklären ist. Die alten Araber und die alten Israeliten haben, als Semiten einander wesensverwandt, unter ähnlichen Ver- hältnissen eine ähnliche Religion besessen. Die Differenz der beiden Religionen wurde erst größer, als in Israel die Propheten, in Arabien Mohammed auf den Plan traten. Da von dem religiösen Lebenswerk Mohammeds in dem heutigen Volks- glauben der Araber wenig übriggeblieben ist, so ist es begreiflich, daß er uns über den israeliti- schen Volksglauben vor der Zeit der großen Pro- pheten Aufschluß zu geben vermag.

Der offizielle Islam steht sehr viel höher als der Volksglaube. Wohl jedem drängt sich das Gefühl auf, wie nahe er mit dem Protestantismus verwandt ist: das Fehlen äußerer Riten, prunk- vollen Pompes und glanzvoller Veranstaltungen, wie sie der römischen und griechischen Kirche eigen sind, ja noch mehr, die Beschränkung auf

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das rein Innerliche und Geistige verbinden uns mit dem Islam. Fast darf man sagen, daß der Monotheismus dort noch rationeller und kon- sequenter durchgeführt ist als bei uns. Man hat dieseTatsache aus einer naturgemäßen Veranlagung der Semiten erklären wollen und auf die Wüste als den Ursprung des Monotheismus hingewiesen. Wer zum erstenmal in die Wüste kommt, wird den Eindruck der grandiosen Einsamkeit und des ewigen Schweigens hier ebenso wie im Hoch- gebirge genießen. Rings herum dehnen sich braune Sandhügel, nichts als Sand und wieder Sand. Zwar fehlt es auch hier nicht an Ab- wechslung, und wer mit der Wüste vertraut ist, hat Merkzeichen genug, um die einzelnen Partien genau unterscheiden und den Weg sicher finden zu können. Für den Neuling aber ist die Wüste eine einzige, unterschiedslose Fläche ohne Baum und ohne Strauch. Nur wenige, winzige Kräuter unterbrechen die monotone Färbung, die dem Auge auf die Dauer empfindlich wird. Dazu gesellt sich am Tage die bisweilen unerträgliche Hitze, die nur durch den Wind etwas gemildert wird. Einen Stein länger als einige Sekunden in der Hand zu halten ist unmöglich, und auf dem Boden zu liegen scheint gefährlich, weil man fürchten muß, die Kleider zu verbrennen. Des Nachts herrscht, wenn der Mond nicht scheint, eine undurchdringliche Finsternis, die das Gefühl der Einsamkeit, wenn es möglich wäre, noch erhöht. Man begreift, wie die Phantasie selbst

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der nüchternen, handfesten Beduinen die Wüste mit unheimlichen, grausamen Dämonen bevölkern mußte, die als Gespenster, mit Glöckchen be- hangen, des Nachts umgehen. Man begreift auch, daß hier der einzelne nichts gilt, daß er vogel- frei ist ohne den Stamm oder die Sippe, die ihn schützen. Und doch muß jeder, der in der Wüste sein nacktes Leben fristen v^ill, seinen Mann stehen. Den harten Kampf um das täg- liche Brot, ja noch mehr die Suche nach Wasser nimmt ihm kein gnädiger Gott ab. Die Wüste macht gottlos, weil sie den Menschen ganz auf sich selbst stellt. Der Beduine ist voll Hoheit, Kraft und Geschmeidigkeit; er besitzt Nerven aus Stahl und ist ein Ritter ohne Fehl. Die Einsam- keit zwingt gemeinhin die Seele zur Einkehr; aber man darf bezweifeln, ob die Einsamkeit der Wüste dieselbe Wirkung hat. Ihr Bewohner er- mangelt der Muße, die zur Einkehr ebenso not- wendig ist. Wie könnte es dort Muße geben, wo jeder Muskel gespannt sein muß, um auch nur die dürftigste Nahrung zu finden, wo die Seele mit den täglichen Obliegenheiten bis auf den Rest ausgefüllt, wo auf die Arbeit Er- schlaffung folgt und auch ohne Arbeit Ermattung herrscht? Und überdies, die imposante Erhaben- heit ist von. Eindruck nur auf den, der zum ersten Male oder von Zeit zu Zeit dorthin kommt. Wer immer dort weilt, stumpft ab und wird gleich- gültig gegen solche Gefühle, er muß es mit Naturnotwendigkeit. Wenn Renan den berühmten

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Satz aufgestellt hat, daß die Semiten durch die Monotonie der Wüste für den Monotheismus prädisponiert seien, so darf man dem gegenüber eher das Gegenteil behaupten, und kann sich zum Beweise dafür auf die Geschichte des Islams berufen: Die Wüste macht die Menschen gottlos; auch unter den Arabern Palästinas gibt es viele Atheisten. Vielleicht aber ist jener Satz Renans nicht ganz so falsch, wie es auf den ersten Blick scheinen möchte. Die Wüste mit ihren einfachen, klassischen, unkomplizierten Formen und Kon- turen, Linien und Farben schärft die Sinne und den Verstand für das Einfache und Prak- tische, für das Nüchterne und Nützliche; sie macht ungeeignet für alles Tüfteln und Spinti- sieren. Klare, große, leicht faßliche Gedanken ohne Schnörkel und Arabesken, wie sie Mose, Elia, Mohammed und andere Wüstenkinder liebten, werden in der Wüste geboren. Und der Mono- theismus bedeutet eine ungeheure Vereinfachung des Polytheismus. In dieser Beschränkung mag man die Wüste den Mutterboden des Monotheis- mus nennen, aber zu seiner Erklärung genügen Klima und Naturveranlagung nicht, wenn sie auch mitgewirkt haben mögen. Der Monotheismus ist seinem Ursprünge nach weder Volksreligion noch Naturreligion, sondern ist stets die Tat eines großen Mannes.

II.

Wir Christen haben eine historische ReHgion, weil sich unser Glaube auf eine geschichtliche Persönlichkeit, Jesus, den Stifter des Christen- tums, gründet. Daneben erkennen wir noch mancherlei untergeordnete Quellen an, durch die sich Gott geoffenbart hat, und zu ihnen gehört auch die Natur, deren göttliche Stimme nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart jedermann vernehmbar ist. Viele von uns freilich, die modern denken und denen die unheimlichen Rätsel der Welt schwer auf der Seele lasten, halten die Natur eher für ein Hemmnis als für eine Förderung des Glaubens und überlassen sie darum lieber ihren eigenen Gesetzen und ihrem eigenen Lauf. Und doch, mögen auch die Probleme, die die Natur unserm Verstände bietet, unlösbar sein oder unlösbar scheinen, v/essen Herz empfänglich und wessen Sinn für äußere Eindrücke geöffnet ist, der wird auch heute noch Gottes Offenbarung in der Natur spüren und durch sie in seinem Glauben bis- weilen gehoben und gekräftigt werden ; bisweilen freilich, wie in diesen furchtbaren Zeiten der ge- waltigen Naturkatastrophen, wird sein Glaube

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eher geschwächt und gemindert. Für den antiken Menschen, der jene Probleme der Welträtsel nicht kennt, ist der Zusammenhang zwischen Religion und Natur viel enger. Was für uns gesetzmäßiges Wirken ist, das ist für ihn gött- liches Handeln. Wo wir einen mechanischen Kausalnexus sehen, der mit Notwendigkeit schaffen muß, was er schafft, da glaubt er die Gottheit am Werke, die frei und nach ihrem Belieben Wunder über Wunder tut. Was für unseren reflektierenden Verstand nur ein Bild oder ein Gleichnis ist, das ist für sein kindlich-naives Denken Realität. Auch wir können, um dies durch ein Beispiel zu erläutern, den Sturmwind, der durch die Lüfte saust, der die Tannenwälder knickt und die Wogen peitscht, für den Atem der Gottheit erklären; aber wir bleiben uns in diesem Falle stets dessen bewußt, daß wir ein poetisches Bild brauchen, welches der Wirklichkeit nicht ganz entspricht. Der antike Mensch macht diesen Unterschied nicht, solange er auf der Stufe der Kindheit steht. Erst allmählich erwacht das Bewußtsein des Unterschiedes zwischen Bild und Wirklichkeit.

So ist es begreiflich, daß die antiken Religionen mit der Natur aufs engste verwachsen sind und infolgedessen den Erdgeruch ihrer Heimat an sich tragen. Die auffälligsten und kräftigsten Äuße- rungen der Natur sind die klimatischen: der bunten Mannigfaltigkeit der Klimata geht die bunte Mannigfaltigkeit der Religionen zur Seite.

Greßmann. a

-so- lch will nur ein paar evidente Beispiele aus der Fülle der Tatsachen herausgreifen. Wer sich mit der Religion des Buddhismus beschäftigt, dem strömt sofort die sinnliche, schwüle, entnervende Glut der indischen Tropen entgegen. Der Bud- dhismus ist undenkbar ohne die Sonne Indiens, ohne Palmen und Lotusblumen. Er konnte und kann nur in dem Klima Indiens recht gedeihen, und jeder Versuch, ihn nach Europa zu ver- pflanzen, muß scheitern, weil hier der richtige Nährboden fehlt. Oder erinnern wir uns an die griechische Götterwelt, die im Olymp ihr seliges Dasein führt, Nektar und Ambrosia schlürft und sich im Liebesgetändel die Langeweile der Ewig- keit vertreibt! Diese Götter sind das Erzeugnis der griechischen Lebensanschauung, die wesent- lich mitbedingt und mitbestimmt ist durch das heiter-gefällige Klima des Landes, dessen har- monische Formen jeden entzücken, der es ge- sehen hat. Soll ich noch auf die Germanen hin- weisen, deren vom Met begeisterte reckenhafte Göttergestaken voll Mark und Kraft nur in dem rauhen, aber stählenden Klima des Nordens ge- boren sein können? So hat die Natur jedes Landes den Bewohnern und damit auch den Göttern ihr charakteristisches Siegel aufgeprägt. Die Religion wenigstens des Volkes ist nicht völlig, aber doch bis zu einem gewissen Grade abhängig von dem Klima ihrer Heimat und kann nicht von ihr getrennt noch ohne sie gedacht werden. So wenig man Eisbären in den Ur-

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wald der Tropen versetzen kann, so wenig kann man sich die Götter Germaniens am Ganges wandelnd und unter Lotusblumen schlafend vor- stellen. Was von allen Religionen gilt, das trifft auch auf die israelitische Religion zu, und wir dürfen von vornherein erwarten, daß Jahve, der Gott Israels, palästinische Züge in seinem Wesen trägt und sich in den Naturerscheinungen offen- bart, die für Palästina und sein Klima charakte- ristisch sind.

Wer in Palästina längere Zeit gewesen ist, kennt den Ostwind, auch mit dem arabischen Worte Schirokko das heißt eben „der Öst- liche" — bezeichnet. Er hält off wochenlang an und bringt im Sommer versengende Glut, im Winter schneidende Kälte; immer aber ist er gefürchtet und verhaßt wegen der schlechten Luft, die er mit sich führt. Unter seinem Hauch verdorren junge Getreidefelder, verwelken Blumen und Gräser, versiegen Bäche und Zisternen. Seine Schwüle, die auf die Dauer unerträglich ist, legt sich schwer auf die Brust und macht die kleinste Anstrengung zur Qual. Er greift die Augen und den Hals an durch den Sand, den er vor sich hertreibt; er verursacht Herzbeklemmung und beschleunigten Puls. Nicht einmal nachts gönnt er den Menschen Erquickung und Ruhe. Häufig erzeugt er Wirbelwinde, die Zelte um- wehen und Tiere umwerfen, die jede Arbeit hindern und jeden Reiter hemmen. Kurz, er ist der Schrecken aller Einheimischen und Fremden,

4*

52

während der Westwind, der von den Schirokkoperioden abgesehen jeden Tag zu bestimmter Zeit vom Meere heraufzieht, erwünscht und freudig willkommen ist. Und das ist nun für die israelitische Naturreligion und für Jahve sehr bezeichnend, daß nicht der angenehme und segenbringende Westwind, sondern vielmehr der entsetzliche und verderbliche Ostwind als gött- lich gilt.

Der Schirokko und nur er wird „der Wind Jahves" genannt oder „der Odem Jahves", der aus seiner Nase weht. Wenn Jahve „im Wetter des Sturms" erscheint, wenn „wie der Wirbelwind seine Wagen" sind, wenn er „dahin- fährt in den Stürmen des Südens", dann ist immer der (Süd-)Ostwind gemeint, „der Wind der Wüste" ^). Im Orkan, der Berge zerreißt und Felsen zerschmettert, hofft Elia den Herrn zu schauen, im Orkan holt Jahve denselben Propheten gen Himmel, und im Orkan antwortet er dem Hiob, wie dieser schon vorher gefürchtet hat: „Wenn ich ihn riefe und er gäbe mir Antwort, so würde ich doch nicht glauben, daß er mich anhören würde, vielmehr im Sturmwind würde er mich zermalmen^)." Befiehlt Jahve dem Glut- hauch, dann „trauern die Auen der Hirten und des Karmels Haupt verdorrt"^).

1) Jer. 23i9, Hos. 13i5, Jes. 40?, Ex. lös, Am. lu, Jes. 66 15, Sach. 9i4, Jer. 1324.

2) I. Kön. 19ii, II. Kön. 2i, Hiob 9i6, 38i.

3) Am. l2.

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Was die Israeliten in der Gegenwart erlebten, das übertrugen sie auch in die Endzeit. Sie glaubten, daß dieser Weltlauf ein Ende mit Schrecken nehmen, daß dann aber eine neue und schönere Welt geschaffen werde. Die Idee des Weltunterganges nun, die sie von irgendwoher aus der Fremde entlehnt haben, ist bei ihnen in eigentümlicher Weise umgestaltet worden. Wie die Germanen unter anderem den Weltuntergang auch entsprechend dem heimischen Klima in Schnee und Eis erfolgen lassen, so haben die Israeliten das Gemälde des Weltuntergangs mit palästinischen Farben gemalt. Da wird so lautet eine solche Schilderung der Ostwind Jahves kommen, aus der Wüste sich erhebend, der wird Israels Born austrocknen und seine Quelle versiegen machen^). Da muß wohl das Land trauern und alles, was darin wohnt, ver- welken bis auf das Wild des Feldes und die Vögel des Himmels, und auch die Fische des Meeres werden hingerafft werden-). Da müssen wohl die schönen Mädchen und die jungen Männer, die den Quellgöttern von Dan, Bethel und Beerseba zu Ehren Reigentänze aufzuführen pfle- gen, vor Durst in Ohnmacht fallen, schmählich im Stich gelassen von den Göttern, denen sie ihre Huldigung dargebracht haben ^). Ja, der Samum Jahves trocknet nicht nur die Bäche und

1) Hos. 13i4f. ^ Hos. 43. ') Am. 8i3f.

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Brunnen aus, sondern versengt auch Felder und Wälder. Palästina, noch mehr, die Erde, sogar der Himmel werden vom göttlichen Schirokko verheert:

Es welkt, hinwelkt die Erde,

Beschämt ist der Libanon, verdorrt;

Es wurde Saron wie die Steppe,

Und kahl steht Basan und der KarmeP).

Wie der Ostwind Bücherdecken zu krümmen vermag, so wird er nach einem grotesken Bilde am Ende der Tage den Himmel wie ein Buch zusammenrollen, so daß er krachend auseinander- birst. Infolge der furchtbaren Gluthitze wird auch der Himmelsbaum verdorren, so daß das Heer der Sterne abwelkt, die wie goldene Früchte oder goldene Blätter an ihm hangen-). Oder ein ge- waltiger Taifun schüttelt den Himmelsbaum, daß die Sterne wie Feigen zur Erde fallen, und zer- fetzt den Himmel gleich dem Rauche^). So wird an zahlreichen Stellen in den Prophetenbüchern der grimmige Zorn Jahves geschildert, wie er als wutschnaubender Held im versengenden Hauch einherfährt und am Ende der Tage Himmel und Erde durch seinen Oststurm vernichtet.

Neben dem Schirokko ist vor allem das Erd- beben das Elem.ent, in dem sich Israels Gottheit offenbarte. Palästina gehört mit zu dem Schütter-

') Jes. 339. 2) Jes. 344.

*) Apk. Joh. 6i3, Jes. öle

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gebiet, das ab und an in den verschiedenen Gegenden von verschieden starken Erdbeben heimgesucht v^ird, stärker an der Küste als im Binnenlande. Es sind uns im Alten Testament mehrere Daten genannt, an denen ein offenbar gewaltiges Naturereignis stattfand^), und fast alle, die jetzt in Palästina wohnen, haben ein oder mehrere Erdbeben erlebt^). Immerhin sind sie verhältnismäßig selten und, wie es nach den über- lieferten Nachrichten scheint, nicht von derselben elementaren Heftigkeit wie die Erdbeben, die in unseren Tagen San Franzisko und Süditalien ver- heert haben. Wir haben eine kurze Beschreibung Schumachers über das letzte Haupterdbeben Palästinas am 29./30. März 1903. Schumacher befand sich damals auf dem Teil Ta'annak am Rande der Megiddoebene. Die Einleitung bildete ein heftiges, rollendes Brausen oder Toben, das sich wie entfernter und allmählich sich nähernder Sturm anhörte. Davon erwachte er in der Nacht, die er in der Holzbaracke zubrachte. Dann erst kam (punkt 1 Uhr) das erste eigentliche Stoß- beben und Schwanken sechs Sekunden lang, das ihn direkt aus dem Feldbett warf. Die Fenster der Baracke klirrten; die an einer Zeltstange be- festigte Hängelampe im Zelt seines Soldaten fiel herab und diesem aufs Gesicht. Alles lief umher und schrie: hazzi, hazzi (= Erdbeben). Um 1 Uhr

1) I. Sam. 14i5, Am. li, Sach. 145.

2) Vgl. die Zusammenstellung der Daten durch Blanckenhorn, ZDPV. XXVIII S. 206 ff.

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30 Minuten, also eine halbe Stunde später, folgte ein zweites Beben, ebenfalls von sechs Sekunden Dauer, aber ohne besonderen Stoß. Den Schluß des Phänomens bildete ein schauerliches Nach- beben, ein Zittern von drei bis vier Sekunden, das sich angeblich fühlbarer äußerte als das eigentliche Beben, vermutlich deshalb, weil jetzt die Aufmerksamkeit ganz besonders gesteigert war. Beobachtet wurde das Ereignis von zwölf Personen im Lager, darunter vier Europäern. Auch die Pferde und Esel im Lager wurden sehr un- ruhig. Der Charakter der Bewegung war wellen- förmig schwankend; die Richtung des ersten Stoßes ging von Süd nach Nord, die der späteren wahrscheinlich ebenso. Das Wetter war am Tage zuvor, am 29. März, und in der Nacht sehr heiß und still gewesen, die Luft gedrückt, der Himmel heiter, unbedeckt; am folgenden 30. März war es etwas bedeckt und kühler^). Die Erdbeben Palästinas sind nicht vulkanischer, sondern tektonischer Art; sie hängen also mit Bewegungen der Erdkruste zusammen, die durch mannigfache Ursachen ver- anlaßt sein können.

Das Erdbeben wird ausdrücklich erwähnt in der Erscheinung Jahves am Sinai, als er sich dem Mose und später dem Elia offenbarte'-). Es spielt eine große Rolle in den dichterischen Dar- stellungen Jahves, mögen sich diese nun auf irgendein historisches Ereignis beziehen oder das

0 ZDPV. Bd. XXX S. 109f. 2) Ex. 19i8, I. Kön. 19ii.

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Kommen Gottes am Ende der Tage beschreiben. Durch eine Fülle von Bildern wird das Erdbeben anschaulich gemacht. Es wird verglichen mit dem Sichheben und Sichsenken des Nils, mit dem Taumeln des Betrunkenen oder dem Schwan- ken der Hängematte ^). Gewöhnlich heißt es, daß die Hügel beben und die Erde zittert, oder daß die Berge sich spalten und die Erde zersplittert wird. Wenn Jahve auszieht vor seinem Volke her, dann wankt unter ihm die Erde. Wenn er am Ende der Tage auf den Ölberg herabfährt, öffnet sich unter seinen Füßen der Boden. Wenn er die Erde schlägt, ja wenn er nur wütend blickt, bersten die ewigen Berge, versinken die uralten Hügel'^). Gewaltiger klingt die Poesie des 29. Psalms:

Jahves Stimme zerschmettert Zedern,

Jahve zerschmettert die Zedern des Libanon;

Er macht sie hüpfen wie ein Kalb,

Libanon und Sirion wie einen jungen Büffel.

In dem Rollen und Getöse des Erdbebens, das dem Sturmwind gleicht, glaubt der antike Israelit „die Stimme Jahves" zu hören, die hier zu einem wundervoll grotesken Bild benutzt wird: Jahves Stimme ist wie Musik in den Ohren der uralten Berge, und wenn der Gott ihnen aufspielt, müssen sie tanzen, und sie springen ungefüge, unge-

0 Am. 88, Jes. 2420.

2) Nah. l5, Mich. U, Jer. 424, Rieht. 54f., Sach. 144, Am. 95, Hab. 36.

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Schlacht wie ein munteres Kalb, wie ein junger Büffel auf der Weide. Nach der gewöhnlichen, weniger poetischen Vorstellung ist der Gott des Erdbebens ein grimmiger, zorniger Gott, der mit scheltendem Gepolter dareinfährt ^).

Das erlebte der Israelit in der Gegenwart, Ähnliches erzählte er von der Vergangenheit und Ahnliches fürchtete er von der Zukunft, von dem Tage, an dem sich Jahve in seiner ganzen Herr- lichkeit und Furchtbarkeit offenbaren würde, dem Ende der Welt, wo die Erde und sogar der Himmel durch ein Beben vernichtet werden sollen. Ein besonders farbenprächtiges Gemälde hat der Prophet Jesaja^) entworfen:

Denn einen Tag hat Jahve der Heere

Über alles Prächtige und Stolze,

Über alles Ragende und Erhabene, Über alle Zedern Libanons, die stolzen.

Über alle Eichen Basans, die ragenden. Über alle Berge, die stolzen,

Und über alle Hügel, die ragenden, Über jeden hohen Turm

Und über jede steile Mauer, Über alle Tarsisschiffe

Und über jeden köstlichen Wimpel. Dann beugt sich der Menschen Hochmut

Und bückt sich der Männer Stolz, Und erhaben wird Jahve allein an jenem Tage,

Aber die Nichtse vergehen,

Kommen in Felshöhlen und Löcher des Staubes Vor dem Schrecken Jahves und seiner hehren Majestät,

Wenn er aufsteht, zu erschüttern die Erde!

1) Nah. l6, Jer. lOio, Ez. 38i9, Jes. 13i3, Ps. I816.

2) Jes. 2 12 ff.

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Ein gewaltiges Erdbeben also wird hereinbrechen am Tage Jahves über alles Hohe und Erhabene; die Zedern Libanons und die Eichen Basans werden geknickt, als wären sie dünne Halme. Ragende Türme und festgefügte Mauern stürzen ein, Schiffe und Wimpel sinken unter, Berge und Hügel werden vom Erdboden hinweggefegt. Die Götzen verkriechen sich in Felsspalten und Sand- ritzen zu Ratten und Fledermäusen. Der Mensch verliert allen Stolz und winselt im Staube; denn Jahve will allein erhaben sein. Neben sich, rings um sich her duldet er nur eine große ebene Fläche, über die nichts hervorragt, weder Bäume noch Masten, weder Paläste noch Menschen. Jahve allein schaut wie ein weithin sichtbarer Turm über Land und Meer. So ist es, wenn dieser göttliche Riese aufsteht, zu erschüttern die Erde.

Das ist „der Schrecken Jahves", der panische Schrecken, der die Menschen packt, wenn das Erdbeben sie überfällt. Von diesem Schrecken und der Blindheit, mit der er alles schlägt, ist im Alten Testamente oft die Rede. Wenn Israel in den Kampf zieht, dann geht Jahve vor ihm her und setzt durch ein Erdbeben die Feinde so in Schrecken, daß sie blindlings über sich selbst herfallen und sich gegenseitig selbst er- morden^). Am Ende der Tage, so heißt es ein- mal in einer Schilderung des Amos'-),

1) I Sam. 14 15.

2) Am. 2 13 ff.

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Siehe, da mache ich euch den Boden unter den Füßen

schwankend, Wie der Wagen schwankt unter der Last der Garben. Da weiß der Schnelle nicht wohin, Der Starke kann seine Kraft nicht brauchen, Und der Streitbare rettet sein Leben nicht. Der Bogenschütze hält nicht stand, Der Leichtfüßige entrinnt nicht. Und der Reiter zu Roß rettet sein Leben nicht. Und wer kühnen Mutes ist unter den Streitern, Flieht nackt an jenem Tage, sagt Jahve.

Da kämpft der Vater gegen den Sohn und der Sohn gegen den Vater, die Tochter wider die Mutter und die Mutter wider die Tochter^). Alle Bande frommer Scheu sind gelöst, und der Nächste wütet gegen den Nächsten. Nicht immer ist bei diesen Schilderungen an ein Erdbeben gedacht, aber die Farben sind ursprünglich doch wohl hergenommen von einem solchen Naturereignis, das dem Menschen die klare Überlegung und Besinnung raubt. So sehr man sich an Erdbeben gewöhnen mag, wenn sie sich darauf beschränken, an Fenstern und Türen zu rütteln, so hört man doch, daß in Ländern, wo gefährlichere Erdbeben öfter wiederkehren und epidemisch sind, die Menschen verrückt werden, weil die beständige Angst vor der unsichtbaren Macht, die Erdschollen wie Fangbälle durcheinanderwirft, sie in unbeschreib- liche Aufregung versetzt. Wir verstehen das sehr wohl, sobald wir an die furchtbaren Erdbeben denken, die in jüngster Zeit San Franzisko, Val-

0 Mich. 76, Zeph. 1 17, Sach. 124, 14 13.

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paraiso und Italien heimgesucht und verheert haben. Aber schier unbegreiflich scheint es uns als modernen Menschen, daß die Antike gerade in solchen schrecklichen Ereignissen eine Offen- barung der Gottheit sah.

Neben dem Schirokko und dem Erdbeben kommt das Gewitter als göttliche Manifestation in Betracht. Man hat wohl gemeint, daß Jahve von Hause aus und in erster Linie ein Gewitter- gott gewesen sei. Das ist falsch und wenig wahrscheinlich für den, der in Palästina gewesen ist. Die Gewitter Europas sind viel grandioser und erhabener als die Gewitter Palästinas und sind außerdem viel häufiger. Man kann ein halbes Jahr in Palästina leben, ohne ein Gewitter kennen zu lernen. Ohne Zweifel handelt es sich bei jener Behauptung wie so oft um eine Übertragung europäisch-okzidentalischer Anschauungen in den Orient, womit in der Wissenschaft schon soviel Unheil angerichtet ist. Aber wenn das Gewitter auch nicht in der ersten Linie steht, sondern eine untergeordnetere Rolle spielt, so ist auf der anderen Seite doch nicht zu bezweifeln, daß es schon das Interesse des antiken Menschen er- regt und sein religiöses Empfinden geweckt hat. Die dunklen, unheilvoll drohenden Wolken, der Donner, der hoch droben grollt und brüllt, dessen Getöse alles übertönt, daß man sein eigenes Wort nicht hört, das zuckende Flammenmeer, das den ganzen Horizont überflutet, der schier unerschöpfliche Vorrat an Feuer, das wie in einer

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himmlischen Kammer aufbewahrt und nun mit vollen Händen auf die Erde geworfen wird, der Regen, der mit Gewalt herniederbraust und die trockenen Wadis^) plötzlich, urplötzlich für einige Tage oder nur Stunden in tod- und verderben- bringende Gießbäche verwandelt, das alles mußte auf den empfänglichen Israeliten Eindruck machen und der dichterischen Phantasie manches Bild entlocken.

Und hören läßt Jahve, so heißt es einmal im Jesaja^), seinen hehren Donner, und die Senkung seines Armes läßt er sehen, mit grimmigem Zorn und der Lohe fressenden Feuers, mit Platzregen, Wetterguß und Hagelstein. Die „Lohe fressenden Feuers" ist eine poetische Umschreibung des Blitzes, der ebenso wie die Regenkörner und die Hagelsteine von Jahve geschleudert wird. Wenn der Arm Jahves sich senkt, ist der Blitz geworfen, und die Lohe fressenden Feuers verzehrt das Haus. Der Blitz gilt hier, wie so oft^), als Lanze, die der Gott schwingt; anderswo wird er als Pfeil aufgefaßt, von dem Bogen Jahves ab- geschossen :

Die Wolken erdröhnten,

Und es fuhren einher deine Pfeile; Dein Donner erschallte im Wirbelwind,

Und Blitze erleuchteten den Erdkreis'^).

^) Wadi ist die arabische Bezeichnung des Tales. ^) Jes. 3030.

') Hab. 3 11, Jes. Sir. 46 sf. *) Hab. 3 11, Ps. 18 15, 77i8f.

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So kennen wir es ja auch aus dem Märchen, wo der Teufel sich unter der Erde verkriecht, damit ihm die Pfeile des Donnergottes nicht schaden können^). In Babylonien stellte man eherne Blitze, deren Leib man sich mit loderndem Feuer ge- füllt dachte, im Kultus auf^). In der biblischen Sintflutgeschichte ist die Rede von dem Bogen Jahves, den er nach beendigter Flut in den Wolken erscheinen läßt^). Auch hier liegt eine Naturerscheinung zugrunde, da ohne Zweifel der Regenbogen gemeint ist. Vielleicht darf man vermuten, daß auch Israel, wie es sich die Phantasie vieler Völker ausgemalt hat, im Gewitter den Kampf Jahves mit bösen Dämonen sah und hörte, obwohl dies nicht mit dürren Worten ge- sagt wird, sondern nur aus der Idee des Bogens erschlossen werden kann. Wie im Brausen des Sturmes, im Rollen des Erdbebens, vernahm man auch im Getöse des Donners „die Stimme Jahves", die über den himmlischen Wassern erschallt. Während man bei uns im Volksmunde, wenn es donnert, wohl sagt, daß Petrus kegelt, so heißt es im Alten Testament: Jahve brüllt wie ein Löwe oder er jauchzt wie ein Keltertreter oder er stößt in die Posaune^). Gerade der Vergleich der rauschenden und lauttösenden Naturereignisse

1) Fried r. Kreutzwald: Ehstnische Märchen. Halle 1869, S. 125 f.

2) Enuma elis Taf. IV 39f. *) Gen. 9i3ff.

*) Am. 12, Jer. 2530, Sach. 9i4.

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mit musikalischen Stimmen liegt sehr nahe und ist von vielen Völkern gezogen worden. So glaubte man beim Ausbruch des Sinai die Trom- pete Jahves zu hören ^), wie beim Vesuvausbruch die Giganten ihre Posaunen schmettern ließen^). Und wie Jahve nach Ps. 29 den Bergen aufspielt, so bläst der esthnische Donnergott die Dudelsack- pfeife, wenn er nicht auf einem Wagen mit erz- beschlagenen Rädern über Eisenbrücken dahin- rasselt^). Der Donner scheint die Phantasie mehr angeregt zu haben als der Blitz.

Jahve hat keine Beziehung zum Meere, be- greiflicherweise, da auch Israel vom Mittel- ländischen Meere abgeschnitten ist durch die sich dazwischendrängenden Mächte der Philister und Phöniker. Überall wo beschrieben wird, wie Jahve über das Meer fährt, liegen fremd- ländische Mythen vor, mit Märchenmotiven ver- mischt. Diese seltenen Fälle ausgenommen, darf man trotzdem die Beziehung Jahves zum Wasser nicht leugnen. Was uns als spezifisch israeli- tisch auf den ersten Blick entgegentritt, das ist die göttliche Offenbarung im Gießbach. Wer im Gebirge wohnt, wird das eher begreifen als der Mensch der Ebene, und der Orientale noch besser als der Okzidentale. Die trockenen Täler und die Flußbetten, die den größten Teil des Jahres leer sind oder höchstens sanft fließen,

1) Ex. 19 16.

2) Cassius Dio 66, 23, 1.

') Vgl. das vorige Seite Anm. 1 zitierte Buch, S. 122ff.

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füllen sich zur Zeit der Winterregen (vom No- vember bis März) bisweilen in Tagen, bisweilen auch in Minuten so stark, daß die bisher bequem passierbaren Furten unpassierbar werden. Tage- lang wüten und toben dann die Wasser und ver- ändern die Gegend so sehr, daß man sie kaum wiedererkennt. Alles, was ihnen im Wege steht, wird unbarmherzig niedergerissen, und selbst starke Bäume werden entwurzelt. Von der Schnelligkeit, mit der diese Überschwemmungen bisweilen kommen und gehen, kann man sich kaum einen Begriff machen. Ein Bach, durch den man eben noch zu waten vermochte, kann im nächsten Augenblick kaum noch durchritten werden. Und die Einheimischen wissen davon manch ergötzliches manch tragisches Lied zu singen. Diese Gefahren der Überschwemmung, die schon viele Opfer gefordert hat, muß man sich stets vor Augen halten, wenn man die Offenbarung Jahves im Gießbach verstehen will. Denn die Gottheit hat oft gerade auf diese Weise in die Geschicke ihres Volkes eingegriffen und in manchen Schlachten den Sieg zugunsten Israels entschieden. Die meisten dieser Geschichten sind in der Jesreelebene lokalisiert. Der nähr el- mukatta^ oder, wie er einst hieß, der Kison über- schwemmt in der Regenzeit fast die ganze Ebene, die daher auch nur an den höher gelegenen Rändern besiedelt ist, weil der tiefer gelegene Teil mit seinen vielen, sich durchkreuzenden Wasserbetten einen stark morastigen Boden hat.

Greßmann. f^

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Streitwagen und Reitern kann die Umgebung des Kison im Winter leicht gefährlich werden. In der Schlacht am Tabor, den 16. April 1799, sollen viele Araber von den Fluten verschlungen worden sein. Und wie es in neuerer Zeit ist, so war es auch in der alten. Schon das Deboralied singt davon, wie die Könige Kanaans zu Thaanach von den Wassern Megiddos fortgerissen seien ^). Die Propheten benutzen diese undähnlicheErfahrungen, um sie in die Zukunft zu projizieren und große Überschwemmungen zu prophezeien: Wie einst zu Har Perazim oder im Gibeontal, so wird Jahve von neuem aufstehen, mit seiner Geißel die Wasser peitschen und im Toben des Gieß- baches sein eigenes Volk vernichten^). Den Propheten selbst mutet dies Werk Jahves seltsam und befremdend an.

Neben Schirokko, Erdbeben, Gewitter und Gieß- bach ist noch ein gewaltiges Naturereignis zu er- wähnen, das als göttliche Offenbarung betrachtet worden ist,dieTätigkeit des Vulkans. ZumBeweise dafür erinnere ich an die Erscheinung Jahves auf dem Berge Sinai ^): „Am dritten Tage aber, als es Morgen ward, brachen Donner und Blitze los, und eine dichte Wolke ließ sich herab auf den Berg und starkes Trompetengeschmetter erscholl, so daß ein Schrecken kam über alles Volk, das im Lager war . . . Der Berg Sinai aber stand ganz

1) Rieht. 521.

2) Jes. 28i7ff. ') Ex. 19i6ff.

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in Rauch, weil Jahve im Feuer auf ihn herab- gefahren war, und Rauch stieg auf wie der Rauch eines Schmelzofens, und der ganze Berg erbebte stark." Die erste Frage, die sich angesichts dieser Schilderung erhebt, ist die, ob wir noch die Naturtatsache ausfindig machen können, die die Farben zu diesem Gemälde geliefert hat. Früher dachte man an ein Gewitter, aber dann bleiben das Beben des Berges, das Aufsteigen des Rauches und der Vergleich mit einem Schmelzofen völlig unerklärt. Neuerdings hat man, durch bessere Erfahrungen belehrt, in dieser Beschreibung den letzten, nicht mehr ganz deut- lichen Nachklang einer vulkanischen Eruption finden wollen. Da ein derartiges Naturereignis nicht jedermann bekannt und gegenwärtig ist, so wird es gut sein, zuvor die furchtbare Kata- strophe von Martinique noch einmal ins Gedächt- nis zurückzurufen.

Ein Augenzeuge, der sie von Corbet aus be- obachtete, berichtet^): „Am Morgen des 8. Mai (1902) gewährte der Vulkan einen furchtbaren Anblick. Er war tiefschwarz, und aus dem Dunkel erhoben sich unermeßliche Säulen von leuchten- dem Rauch und Feuer. Der Himmel war schwarz- grau, die Sonne wie hinter einem düstern Vor- hang versteckt. Kein Windhauch trieb den Rauch auseinander. Die ganze Luft lag wie ein dumpfer.

1) M. Wilhelm Meyer: Von St. Pierre bis Karls- bad. Studien über die Entwicklungsgeschichte der Vulkane, Berlin 1904, S. 7ff.

5*

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schwerer, erstickender Teppich über der Stadt. Alles ruhig und todesstill. Die Landschaft schien ihrem Verderben mit trauriger Resignation ent- gegenzuharren. ... 8 Uhr. Von Corbet aus schauen wir nach St. Pierre hinüber. Während man alle möglichen Vermutungen mit dumpfer und leiser Stimme austauscht, ändert sich plötz- lich der Anblick des Berges. Seine ganze Masse scheint in eine fürchterliche Bewegung zu geraten. Überall wallende Rauchwolken, aufflammende Feuersäulen; mit einem Male zuckt ein gewaltiger Blitzstrahl durch die Finsternis. Was wird ge- schehen? Eine Sekunde, zwei Sekunden ver- streichen. . . Der Berg öffnet sich . . . und plötz- lich hört man von allen Seiten schreien: Laßt uns fliehen! Laßt uns Rettung suchen! Hilfe! Ver- derben! Nun ist der blinde Zufall Herr und Ver- hängnis des Lebens. Ein ganzes Volk in wahn- sinnigem Schreck, die Hände gegen den Himmel gebreitet, fleht, weint, schreit, hat die Vernunft verloren, weiß nicht mehr, wohin es fliehen soll. Ich mit meiner Familie stürze halb besinnungslos in südlicher Richtung davon. In einem Augen- blick der Überlegung wende ich mich um und kehre einige Schritte zurück, um zu sehen, was eigentlich geschehen ist. . . Nie werde ich das furchtbare Schauspiel vergessen, das sich nun meinen Augen darbot. Der Mont Pele scheint nicht mehr vorhanden zu sein. Eine ungeheure, feuerschwangere Öffnung hat sich aufgetan. Von ihr geboren, scheint eine riesengroße, schwarze

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Wand, aus der Tausende von Blitzen zucken, sich mit furchtbarer Gewalt uns entgegenzustürzen. Von dem Himmel ist nichts mehr zu sehen; Flammen umgeben uns von allen Seiten. Und ein brüllendes, stampfendes Donnern begleitet den Todesmarsch dieser entsetzlichen Erscheinung. Auch das Meer ist schwarz; es wallt auf, es erhebt sich drohend, und von Zeit zu Zeit rollt eine gewaltige Woge dunkel und lautlos in die Stadt und über die Felder der Umgebung. Wir sind verloren! Uns bleibt nichts mehr übrig, als uns auf den Tod vorzubereiten. . . Aber plötzlich vollzieht sich eine unerwartete Wendung. Ein starker Sturm kommt auf, ein wahrer Orkan. Die Bäume werden von ihm gegen den Boden gebogen. Brausend und pfeifend prallt er gegen die von Blitzen durch- zuckte Rauchwand und hält sie 300 m von uns entfernt auf. . . Wir sind gerettet! Nur dreißig Sekunden waren verstrichen, dreißig Sekunden, die uns wie ein Tag der Angst erschienen. Der Wind nimmt allmählich ab und hört in drei bis vier Minuten ganz auf. Wo St. Pierre lag, flammt jetzt ein Scheiterhaufen. . . Ein furchtbares Ge- witter entlädt sich über uns; tobender Donner, zuckende Blitze und, schrecklicher als beides, ein Regen von Steinen, von Asche und Schlamm, der uns niederwirft und uns eine halbe Stunde lang mit unwiderstehlicher Gewalt einhüllt. St. Pierre ist zugrunde gegangen. Wo einst das Leben herrschte, gibt es jetzt nur rauchende, stinkende Trümmer ..."

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Wenn wir mit dieser Beschreibung die Schil- derung der Jahveoffenbarung am „Sinai" ver- gleichen, so fällt uns zunächst der Unterschied in der Farbenstimmung auf. Hier ist alles klar, lebendig, konkret, dort ist manches unklar, un- lebendig, inkonkret. Verloren hat sich in der Erzählung sogar die Erinnerung an den Aschen- regen bzw. den Lavastrom, da eines von diesen beiden Dingen für jeden Vulkanausbruch cha- rakteristisch ist. Und doch scheint trotzdem das Ursprüngliche durch den Bericht noch deutlich genug hindurch. Der Berg, über dem die schweren Wolken hangen, den Donner und Blitze umgeben, der erbebt, von dem Rauch aufsteigt, der einem Schmelzofen gleicht, kann nur ein Vulkan ge- wesen sein. Wer je in seinem Leben einen Vulkan gesehen hat, wird kein passenderes Bild für ihn finden als das eines Schmelzofens, dessen Inneres voll feuriger Glut ist. Dieser Vergleich verrät noch eine lebendige Anschauung von einem feuerspeienden Berge. Allerdings während sonst der Berg das Feuer auswirft, das Feuer also von unten herauf in die Höhe geschleudert wird, heißt es hier, daß Jahve im Feuer auf ihn herabgefahren sei, daß also das Feuer von oben kam. Der Er- zähler, dessen Bericht wir heute vor uns haben, steht schon weit von den Ereignissen ab, die er schildert. Aber das Ursprüngliche hat sich an- derswo^) erhalten: „Der Berg brannte, so daß

1) Deutn. 4ii.

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die Lohe mitten in den Himmel hineinschlug." An dieser Stelle scheitern alle Zweifel: hier haben wir eine klare, unmißverständliche Be- schreibung des Vulkans als eines brennenden Berges, dessen Flamme zum Himmel emporlodert. Dazu kommt nun noch das Wunder von der Wolken- und Feuersäule ^): „Jahve zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um ihnen den Weg zu zeigen, und des Nachts in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, so daß sie bei Tag und Nacht weiterziehen konnten. Am Tage wich die Wolkensäule nicht und des Nachts stand die Feuersäule an der Spitze des Volkes." Genau Entsprechendes gibt es in der Wirklichkeit nicht, aber charakteristisch Ähnliches läßt sich doch beim Vulkan beobachten. Wer den Vesuv ge- sehen hat, weiß, daß für ihn bezeichnend ist des Tages die schwere Wolke, die über seinem Gipfel hängt, und des Nachts der Feuerschein, der aus dem Innern herausströmt und die von unten beleuchtete Wolkensäule scheinbar in eine Feuersäule verwan- delt. Wer aus weiter Ferne kommt, kann den Berg nicht verfehlen; denn die Wolkensäule des Tags und die Feuersäule des Nachts sind unverkenn- bare Wegweiser. So führen auch diese Elemente der Exoduserzählung auf einen Vulkan zurück, wenn freilich auch das Wandern der Wolken- und Feuersäule als ein Wunder betrachtet werden muß.

') Ex. 1321 f.

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Wir dürfen darum mit Recht annehmen, daß die Israeliten bei ihrem Auszug aus Ägypten zum „Sinai" gelangten um die Zeit, wo dieser Berg einen gewaltigen Ausbruch erlebte. Sie erkannten darin eine Offenbarung ihres Gottes, und die Er- innerung an dies Ereignis war so nachhaltig, daß sie es nie wieder vergessen konnten, wenn auch einzelne Züge sich in der jahrhundertelangen Überlieferung verwischt haben. Leider wissen wir nicht, wo der „Sinai" lag. Die Sinaihalbinsel, die erst in der christlichen Zeit mit dem „Sinai" kombiniert worden ist, erhebt jedenfalls mit Un- recht Anspruch auf diesen Namen; denn dort gibt es keine Vulkane. Wohl aber muß der „Sinai" in ihrer Nähe gewesen sein, und in der Tat liegen längs der ganzen Ostküste des Roten Meeres, von Aden an, namentlich zwischen Mekka und Medina, aber auch weiter nach Norden bis in Edom hinein, eine Reihe von tätigen Vulkanen und erloschenen Vulkankegeln. Es wäre Aufgabe der Geologen, zu untersuchen, welcher Berg etwa zur Zeit des Mose ausgebrochen sei.

Nun finden sich, auch abgesehen vom „Sinai", im Alten Testament Bilder, die vom Vulkan her- genommen sind. Wenn es heißt ^): „Jahves Wut brennt wie Feuer, und die Felsen schmelzen vor ihm," so ist dieser Zug einer vulkanischen Er- scheinung entlehnt. Denn fragen wir nach dem Naturereignis, bei dem von einem Schmelzen der

1) Nah. l6.

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Felsen die Rede sein könnte, so ist die einzig mög- liche Antwort: beim Vulkanausbruch. Ein anderes Bild^): „Siehe, Jahve zieht aus von seiner Stätte, kommt herab und tritt auf die Höhen der Erde, und die Berge zergehen unter seinem Schritt, und die Täler zerteilen sich wie Wachs vor dem Feuer, wie Wasser ausgeschüttet an einem Ab- hang." Das Sichspalten der Täler und Berge kann in vulkanischen Gegenden beobachtet wer- den, vielleicht auch in Schüttergebieten. Wenn aber ihr Zergehen verglichen wird mit „Wassern, ausgeschüttet an einem Abhang", so paßt das ausschließlich zu einem vulkanischen Ereignis. Denn vergleichbar dem am Abhang ausgeschütteten Wasser ist nur die flüssige Lavamasse oder die glühende Aschenwolke, die nach der Spaltung des Berges ins Tal hinabrollt und oft als Strom bezeich- net wird. Das „Schmelzen der Felsen wie Wachs" ist ebenso typisch für vulkanische Erscheinungen wie das Rauchen der Berge ^): „Jahve, der die Erde anblickt, daß sie zittert, der die Berge schlägt, daß sie rauchen." Ein anderes Mal heißt es in einem grotesken, aber doch unverkennbar vulkanischen Bilde von Jahve ^): „Ein Feuer lodert auf in meiner Nase, das brennt bis in die Tiefen der Unterwelt, verzehrt die Erde samt ihrem Ge- wächs und entzündet die Grundfesten der Berge." Übersetzt man diesen Satz aus der religiösen

1) Mich. I3.

2) Ps. 10432, 1445.

^) Deutn. 3222.

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Poesie in die profane Prosa, so wird hier eine Naturtatsache geschildert, die nur auf den Vulkan zutrifft: nur dort gibt es ein Feuer, das bis in die Tiefen der Berge frißt. So wird auch in der prophetischen Eschatologie der Tag Jahves als ein Tag des Vulkans beschrieben, wo Jahve in einem glühenden „Ofen" kommt, um Assur zu vernichten^), wie er einst einen „Ofen" hatte für Sodom und Gomorra'^).

Nun erhebt sich die Frage: Woher haben die Israeliten diese Bilder, die zwar etwas verwischt sind, aber doch zweifellos mit Vulkanen zu- sammenhängen? Mag auch der „Sinai" ein Vulkan gewesen sein, so reden doch in den zu- letzt angeführten Stellen Dichter und Propheten zu uns, die ihn nicht gesehen hatten, die über- haupt, wie man meinen sollte, von Vulkanen nichts wußten. Denn im heutigen Palästina und den angrenzenden Nachbarländern gibt es keine tätigen Vulkane mehr, ja nach der heute geltenden geologischen Anschauung ist dort während der ganzen Menschengeschichte keine vulkanische Eruption zu verzeichnen. Soweit Ausbrüche statt- gefunden haben, müssen sie prähistorisch sein und in eine frühere Erdperiode zurückreichen. Wäre das richtig, dann müßte man die vulkani- schen Bilder der alttestamentlichen Schriftsteller für fremdes Lehngut halten. Neuerdings aber ist die Behauptung unserer Geologen stark in

1) Jes. 31 9, Mal. 3i9.

2) Gen. 1928.

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Frage gestellt. Schumacher hat im merdsch ibn 'ämir^) einen großen Lavastrom entdeckt, der am Fuß von Teil Samünie beginnt, die Richtung auf Jebäta zu nimmt und dann verschwindet. Er erscheint wieder an der Oberfläche nahe bei Abu Schüsche am Südrand der Ebene von Jesreel. Ein anderer Zweig desselben Stromes wird zu- erst in der Gegend von Mudscheidil sichtbar, geht darauf über Teil Schadud und Teil en-Nahla nach Ludd und verschwindet, bis er zwischen el-Leddschün und Ezbilba von neuem ans Tages- licht tritt. Man kann also konstatieren, daß das Zentrum der Jesreelebene um den Bach Kison herum einst mit einem Lavastrom gefüllt gewesen ist. Als Schumacher nun in der Nähe von Teil Schadud nach Sand suchte, fanden seine Arbeiter einen Topf in die Lava eingebettet. Damit ist zweifellos erwiesen, daß der dortige Vulkan in histo- rischer Zeit ausgebrochen sein muß. Dem gegen- über ist die Frage, aus welchem Jahrhundert der Topf stammen mag, verhältnismäßig belanglos. Schumacher selbst denkt an das dritte vorchrist- liche Jahrtausend. Da er aber von „phönikischer" Ware spricht und phönikischer Einfluß sich, wie es scheint, erst im 15. Jahrhundert v. Chr. geltend machte, so könnte die Eruption vielleicht auch um die Mitte des zweiten Jahrtausends stattge- funden haben ^). Dürfen wir auch nicht direkt

1) Heutige arabische Bezeichnung der Jesreelebene.

2) Quarterly Statements des Palestine Exploration Fund 1900, S. 358.

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von den Israeliten reden, so begreifen wir jetzt doch, wie die Kanaaniter oder die Palästinenser überhaupt dazu kamen, die göttliche Offenbarung fort und fort auch in vulkanischen Ereignissen zu erleben. Vulkanische Bilder, von Kanaanitern geprägt und in Gedichten fortgepflanzt, sind auf diese Weise auch in die israelitische Literatur gedrungen.

Überblicken wir noch einmal kurz das Ge- sagte: In den Stürmen, die über das Land brausten, in den Erdbeben, die panikartige Furcht hervorriefen, in den Gewittern, deren Majestät die Herzen überwältigte, in den Gießbächen, die Bäume, Tiere und Menschen hinwegschwemmten, in den Vulkanen, die Berge wie Wachs zer- schmolzen, überall wo Entsetzliches geschah, war Jahve den Sinnen unmittelbar nahe. Kein Unglück konnte vorübergehen, ohne daß der Fromme mit Schrecken der Realität seines Gottes gewahr wurde. Jahve wird in der altisraelitischen Zeit durchaus nicht mit allen, sondern nur mit einem Teil der Naturerscheinungen in Zusammen- hang gebracht. Er ist nicht zunächst der Gott der ganzen Welt, sondern er ist in erster Linie der Gott einzelner, besonders der entsetzlichen Naturereig- nisse, die die menschliche Phantasie anregen und aufregen. In dieser Sphäre lebte die Religion vor- nehmlich, soweit sie sich auf die Natur bezog; auf diese Äußerungen der Natur war das Augenmerk der Israeliten in der alten Zeit vornehmlich gerich- tet, wenn daneben gewiß prinzipiell möglich war,

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auch andere Erscheinungen vonjahve abzuleiten und ihm zuzuschreiben, war er doch der einzige Gott seines Volkes. Aber diese Möglichkeit spielt eine nur geringe Rolle gegenüber den Tat- sachen, die sich in Palästina dem frommen Empfinden mit Gewalt aufdrängten, gegenüber den furchtbaren Naturerlebnissen, in denen sich die göttliche Macht fühlbar, greifbar offenbarte. Wir verstehen nach alledem, wie die Religion Israels bis zu einem gewissen Grade, wie jede andere Religion, abhängig ist von Land und Klima, von Wind und Wetter. Palästina hat ihr seinen unverkennbaren Charakter aufgedrückt.

Wenn Jahve der Gott einer Naturerscheinung genannt wird, so muß man sich vor dem Irrtum hüten, als sei er mit ihr identisch. Man kann ihn keineswegs einfach als eine Personifikation des Vulkans oder des Sturms oder des Gewitters betrachten. Davon kann in der israelitischen Reli- gion keine Rede sein. Er gilt vielmehr überall als eine lebendige göttliche Persönlichkeit, als eine Macht, die hinter, nicht in dem Naturereignis steht, die es verursacht und hervorruft, aber nicht in ihm aufgeht. Wie wäre das auch denkbar? Wäre er mit dem Erdbeben identisch, wie könnte er sich im Gewitter offenbaren? Und umgekehrt! Gerade die Fülle der Dinge, zu denen er in Be- ziehung gesetzt wird, ist der beste Beweis dafür, daß er sich mit keiner einzelnen Naturerscheinung ausschließlich deckt. Aber man kann einen Unter- schied in der Art der Darstellung wahrnehmen.

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Während die ältere Zeit es liebt, Jahve als Sturmgott etwa dadurch zu charakterisieren, daß man den Wind als den Hauch seines Mundes bezeichnet, und so seine Person, ja seinen Leib mit der Natur- erscheinung aufs engste verknüpft, rückt eine höhere Auffassung ihn ferner von den Äußerungen der Na- tur und sucht dadurch seine erhabene Majestät zu steigern. Dem Elia begegnet er nicht mehr im Orkan, sondern, wenn dieser vorüber ist und noch andere Schrecken vorbeigezogen sind, im sanften Säuseln des Windes. Die imposante Größe Jahves tritt so viel wirkungskräftiger hervor.

Der Jahve der alten Zeit war ein eifersüchtiger, schrecklicher, explosiver Gott, vor dessen un- heimlichem Wirken man Angst empfand. Noch ein Prophet wie Amos konnte die Frage stellen^): „Geschieht ein Unglück in der Stadt, und Jahve hat's nicht getan ?" um darauf die selbstverständ- liche Antwort zu erhalten : Alles Unglück kommt von Jahve her. Gewiß hatte die Gottheit daneben auch gute Seiten. Der fromme Israelit hoffte trotz alledem auf ihre Hilfe und vertraute auf ihren Schutz; der Zorn Jahves galt vor allem seinen Feinden, aber dieser Zorn war entsetzlich, und es ist gut, sich auch einmal diese Züge recht

^) Arnos 36. Diese Ausführungen über Jahve als Naturgott habe ich eingehender begründet in meinem Buch über den „Ursprung der israelitisch -jüdischen Eschatologie" (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, herausg. von Bousset und Gunkel, Heft 6). Göttingen 1905.

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kräftig vor Augen zu malen. Jahve, der Volks- gott, ist, wenn ich so sagen darf, ein jugendlich- feuriger Gott; ihm fehlt die ruhige GwcpQoovvrj des Mannes und die reife Milde des Greises. Er hat vielmehr seine Lust an dem Stürmen und Drängen der Jugend, er liebt von ganzer Seele und von ganzem Herzen, aber er haßt ebenso von ganzer Seele und von ganzem Herzen, er hat seine Sympathien und Antipathien, seine Lieblingssöhne und Stiefkinder. In allem trägt er die Züge seines Volkes. Da man die heutigen Araber, mit einem gewissen Recht, als Erben und Mitteilhaber des israelitisch-semitischen Geistes betrachten darf, so darf man wohl auch mit diesem Volk jenen Gott vergleichen. Beide sind einander wesensverwandi. Beide haben die Vorzüge, aber auch die Nachteile der Jugend. Sie sind nur selten auf der „goldenen" Mittelstraße zu finden, sie übertreiben in der Zuneigung wie im Zorn, sie hassen bis ins dritte und vierte Glied und lieben bis ins tausendste Glied. Aber wer selbst jung ist und wer noch jugendliches Empfinden besitzt, der wird trotzdem die Freude an diesen präch- tigen, urwüchsigen Jugendgestalten nicht ver- lieren. Der Gott Israels und die Religion Israels sind ohne Zweifel groß, aber diese Größe ist mit Herbe und Strenge gepaart. Beide entsprechen in dieser Beziehung auch ganz dem Charakter des Landes. Trotz der Sonne kann man nicht von einem warmfreudigen, sonnigen Charakter des Landes reden, im Gegenteil, gerade die Sonne

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nimmt der Landschaft den anmutigen Liebreiz, verleiht ihr einen herben, fast starren Zug und mischt so die Schönheit mit der Strenge. Die einfachen und klaren Linien und Konturen, die haarscharfe Trennung von Licht und Schatten, das Fehlen jedes Überganges lassen die v^eichen Erdmassen stahlhart erscheinen und rauben ihnen die gemütlich anheimelnde Stimmung, die etwa dem deutschen Mittelgebirge anhaftet. Erst wenn sich die Abendsonne herniedersenkt und mit ihren sanften Strahlen alles vergoldet, löst sich auch die Herbigkeit der Landschaft in milde Freundlichkeit. Es ist, als würden die Stirn- runzeln der Mutter Natur geglättet. Und ähnlich ist es mit dem Volke und seinem Gott. Es fehlen die feinen seelischen Über- und Untertöne, die das Gemüt in harmonischen Schwingungen er- halten. Statt dessen herrschen die großen, ein- fachen, mächtigen Gefühle, die das Herz ganz füllen und nur ein klares Entweder-Oder dulden. Wir müssen nun freilich auch die Kehrseite beachten und dürfen die freundlichen Charakter- züge Jahves keineswegs übersehen. Als Israel sich in Kanaan niederließ, wurde Jahve aus einem Gott der Nomaden zu einem Gott der Bauern. Er sorgte fortan dafür, daß die Schleusen des Himmels sich rechtzeitig öffneten, damit der Regen die Erde tränke^); er gewährte die Frucht-

1) Gen. l7. 7ii. Vgl. Enuma elis Taf. IV 139f. Fr. Kreutzwald: Ehstnische Märchen S. 132: „Er blies das Donnerinstrument, bis die Regenpforten sich auftaten und. die Erde tränkten."

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barkeit des Landes, von dessen Ertrage die Menschen lebten. Palästinas Fruchtbarkeit ist heute sehr verschieden je nach der Gegend, die man im Auge hat. Sie wächst im allgemeinen von Süden nach Norden: Samarien ist fruchtbarer als Judäa, und Galiläa fruchtbarer als Samarien. Aber sie alle werden bei weitem übertroffen durch die großen Ebenen am Jordan, an der Küste und am Kison. Die eigentliche Wüste beginnt erst südlich von Judäa, weit jenseits von Beerseba und erstreckt sich im Westen der Araba bis nach Ägypten hin. Auch das Ostjordanland ist ein mit Fruchtbarkeit gesegneter Ackerboden. Die Länder der Moabiter, Ammoniter, Edomiter sind gut bebaute Hochebenen, wenn auch der Streifen zwischen der Araba im Westen und der Wüste im Osten verhältnismäßig schmal ist. In den Berichten, die vom Einzug Israels in Palästina handeln, heißt Kanaan das „Land, das von Milch und Honig fließt" ^); den Nomaden wird es gegen- über der Trift, in der sie bis dahin geweidet und gezeltet hatten, als begehrenswert, ja als Paradies erschienen sein. Denn jener Ausdruck bezeichnet ursprünglich das Land der Götter, das Paradies: dort fließt der Boden von Milch und triefen die Berge von Honig, während im Lande der Sterblichen die Quellen und Flüsse leider nur Wasser zu führen pflegen. Als Zeichen für die Fruchtbarkeit Palästinas gelten die Weintrauben,

1) Ex. 38.17, 135. Jen 11 5.

Greßmann.

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die nur im Märchen so groß sind, daß sie von zwei Männern an einer Stange getragen werden müssen ^). In der Tat lehren uns die vielen, über das ganze Land verstreuten antiken Weinkeltern, daß die Israeliten ein weinfrohes Volk waren, anders als die asketischen Araber unserer Tage. Es liegt wohl in der Art unserer Quellen, wenn wir aus dem Alten Testamente fast nichts über Jahve als den Gott des Weines erfahren. Einst- mals wird man doch wohl erzählt haben, daß er es war, der Noah den Weinbau lehrte und ihm so die Kenntnis dieses Getränkes verschaffte, „das Götter und Menschen erfreut"^) und seitdem als Sorgenloser und Herzbezwinger ^) alles Leid und allen Kummer stillt. Und wenn Palästina bei Jesaja der „Weinberg Jahves" heißt*), wenn noch die späteren Synagogen Türstürze und Pfosten gern mit dem Ornament der Weintraube versahen, so wird wohl schon in der alten Zeit die Traube das Attribut Jahves gewesen sein. Auch der Öl- baum, dessen staubgraue Blätterkronen heute noch die fruchtbaren Dörfer Palästinas umrahmen, war ohne Zweifel ein heiliger Baum, der unter dem besonderen Schutz der Gottheit stand, wie er in Athen der Athena anvertraut war. Darum salbte man mit seinem heiligen Öl die Könige, die

1) Num. 13.

2) Jdc. 9 13.

5) Gen. 529, vgl. 920ff. *) Jes. 5iff.

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Bundeslade, das Stiftszelt und alles Kultgerät ^), damit sie unantastbar würden wie die Gottheit selbst. Die Heiligkeit der Weinrebe und des Öl- baumes reicht bis in die kanaanitische Zeit zu- rück; sie waren schon anderen Göttern vor Jahve geweiht gewesen, und das wird der Grund sein, warum wir im Alten Testament so wenig davon hören. Wo die türkischen Steuereintreiber nicht gar zu hart verfahren, gibt es heute noch manche Ölbäume im Lande, wenn sie auch einst zahl- reicher gewesen sein mögen. Das palästinische Öl war berühmt, und israelitische Könige schickten Öl als Geschenk an den Pharao^). Neben Wein- stock und Ölbaum wird als dritter noch der Feigenbaum genannt, der indessen nur an einzelnen, besonders vom Wind geschützten und vom Wasser begünstigten Gegenden gedeiht. Als ein Idyll am Ende der Tage malt ein alter Dichter, wie jedermann ruhig unter seinem Weinstock oder Feigenbaum sitzt und ungestört des Lebens Glück genießt^).

Für ein solches kleines Idyll ist auch der Araber heute noch empfänglich. Im Wachen und im Träumen spielt die Quelle für ihn die größte Rolle. An einem murmelnden Bach, umgeben von Feigenbäumen und Oliven, im Sonnenschein und im dolce far niente zu schwelgen, das dünkt ihn Paradies und Seligkeit. Wenn Damaskus

1) Ex. 3026ff. «) Hos. 122. ä) Mich. 44.

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von den arabischen Schriftstellern als der Garten Gottes gepriesen wird, so hat es das nur seinen vielen Bächen und Bäumen zu danken, dem breit- rauschenden Baradä mit seinen Nebenarmen, der die Maulbeerbäume gedeihen läßt und durch sie diese Oase am Rand der Wüste in ein grün- schimmerndes Prachtgewand kleidet. Wie das Paradies im Alten Testament als Quellort von vier Strömen vorgestellt wird, so erinnert noch heute 'en dschenne, „die Paradiesesquelle" im Adschlun, mit ihrem eiskalten, jungfräulichem Boden entspringenden Wasser an die entschwun- dene Urzeit des Menschengeschlechts. Wer selbst unter der glühenden Sonne Palästinas geritten ist und gelitten hat, kennt die Macht des Durstes und segnet das Wasser, wo er es findet. An der Quelle erquickt sich der wegmüde Wanderer, an der Quelle erholen sich die Tiere, an der Quelle gedeiht die Vegetation, an der Quelle liegt das Dorf, an der Quelle schlägt der Beduine sein Zelt auf, an der Quelle trifft der liebedurstige Jüngling das wasserschöpfende Mädchen, an der Quelle feiert man Tänze und Hochzeiten. So konzentriert sich noch heute das Leben des Orientalen um die Quelle, und so wird es verständlich, daß sie dem antiken Menschen als Geschenk und Offen- barung der Gottheit galt, gerade weil sie so selten ist. Wie der aussätzige Naeman, um von seiner Krankheit zu genesen, sich siebenmal im Jordan %

1) 11. Kön. 5io.

-So- wie der Blindgeborene sich im Teiche Siloah wäscht^), so baden sich noch heute griechisch-katho- lische Frauen in den heiligen Wassern des Jordan oder in 'en kärim, um vor allem Fruchtbarkeit, Kindersegen, zu erlangen. Doch sollen bisweilen auch Mohammedaner in dem göttlichen Element Befreiung von Krankheit suchen-). Man dankt dem Weli, dem Heiligen, wie wohl einst dem Quellgott, indem man Blut ins Wasser rinnen läßt oder Brote und sonstige Gaben hineinwirft.

Heilige Bäume hat der Moslem hin und her im ganzen Lande, bald mit Kapelle oder Grab bald ohne, teils mit Namen teils ohne. Palästina ist arm an Bäumen; in Judäa und im Ostjordan- land — mit Ausnahme des Adschlun sind Tagereisen weit oft nur vereinzelte zu sehen. Die wildwachsenden Bäume hat man als Brennholz verbraucht, da die guten Forstgesetze der Türkei nur auf dem Papiere stehen. Die nützlichen Fruchtbäume, die man gepflanzt hat, werden oft wieder gefällt, um der unvernünftigen, allzu hohen Steuer zu entgehen. Allein die heiligen Bäume, die man aus irgendeinem Grunde, vielleicht auf eine Vision hin, einem Scheich geweiht hat, gelten als unantastbar und dürfen nicht umgehauen werden. In der Krone sieht man Tuchfetzen hängen, die als Erinnerungszeichen den Heiligen an den Verehrer mahnen sollen. Bisweilen wickelt

') Joh. 96 f.

2) Curtiß S. 113.

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man auch um die Unkrautpflanzen innerhalb einer heiligen Stätte rote und blaue Seide, zum Zeichen, daß man Hilfe wünscht^). Die Art, wie man die Baum- und Vegetationsgottheiten der alten Zeit verehrte, war wohl dieselbe, obwohl wir keine literarischen Nachrichten darüber besitzen. Der Baumkultus war bei den Israeliten sehr beliebt. Die Propheten warfen ihren Zeitgenossen vor, daß sie „unter jedem grünen Baum" ihre Heilig- tümer errichteten. Jahve galt als Baumgott, wenn- gleich neben ihm die altkanaanitische Göttin Aschera noch lange Zeit sich hielt, oder wenigstens der heilige Pfahl gleichen Namens die Erinnerung an sie bewahrte. Als heiliger Baum begegnet uns heute besonders oft der Dornbusch (sidr), doch trifft man auch andere, den Angaben des Alten Testamentes entsprechend, wo Eichen, Tama- risken, Terebinthen, Palmen und Zedern als gött- liche Bäume genannt werden^).

Jahves Wohnsitz ist vor allem der Dorn- busch, der ewig brennende und doch nie verbrennende, in dessen Feuerflamme er sich offenbart^). Eine köstliche Parabel des Jotham*) belehrt uns über den Charakter und Wert des Dornbusches: „Einst gingen die Bäume hin, einen König über sich zu salben, und sprachen zum Ölbaum: Sei du König über uns! Aber der Öl-

1) Curtiß S. 92.

2) Gen. 126, 18i, 2I33, Jdc. 45, Ps. 8O11,

3) Ex. 32, Dtn. 33i6. *) Jdc. 98 ff.

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bäum antwortete ihnen: Ich sollte mein Fett lassen, mit dem man Menschen und Götter ehrt, und hingehen, um über den Bäumen zu schweben^)? Da sprachen die Bäume zum Feigenbaum: Komm du und sei König über uns! Aber der Feigen- baum antwortete ihnen: Ich sollte meine Süßig- keit und meine reiche Frucht lassen und hingehen, um über den Bäumen zu schweben? Da sprachen die Bäume zum Weinstock: Komm du und sei König über uns! Aber der Weinstock antwortete ihnen: Ich sollte meinen Most lassen, der Götter und Menschen erfreut und hingehen, um über den Bäumen zu schweben? Da sprachen alle Bäume zum Dornbusch: Komm du und sei König über uns! Und der Dornbusch antwortete den Bäumen: Wenn ihr im Ernst mich salbt, um über euch König zu sein, so kommt und bergt euch in meinem Schatten! Wo nicht, so fahre Feuer aus dem Dornbusch und verzehre die Zedern des Libanon." Hier wird der Dornbusch mit feiner Ironie verächtlich gemacht. Welche Frucht hätte dieser Wüstenstrauch aufzuweisen, die Götter und Menschen erfreute? Kann er sich messen mit dem Ölbaum, der Feige, dem Weinstock? Wohl lädt er die Untertanen ein, sich in seinem Schatten zu bergen, aber wann ist es je möglich gewesen, in sein wirres und dornenvolles Gestrüpp zu dringen, um dort Zuflucht zu finden vor Sonnen- glut und Wetterguß? Und wie lächerlich! Die

^) d. h. um über die Bäume zu herrschen.

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gewaltige Zeder unter den Zweigen dieses Busches, ein Riese im Schatten eines Zwerges, dessen, der nichts weiter kann als ein Feuer anzünden, um die wundervollen und stattlichen Bäume zu ver- brennen, die unsere ganze Freude sind! Aber freilich gerade darum ist er vorzüglich geeignet, so höhnt Jotham, den König zu spielen. Denn wozu sich kein anständiger Baum hergibt, weil seine Früchte ihn kostbarer dünken als das Herrschen über die anderen, dazu ist dieser Wüstenstrauch gerade gut genug. Nur solche gefährlichen Taugenichtse werden König! Jotham verspottet hier mit dem Abimelech, der sich zum König krönen läßt, zugleich die Sichemiten, die seiner wert sind.

Man könnte versucht sein, die hier geschil- derten Charaktereigenschaften des Dornbusches auf Jahve zu übertragen und ihn für einen ge- fährlichen, unheilbringenden Gott zu erklären. Aber damit wäre das Rätsel des brennenden und doch nie verbrennenden Dornbusches nicht gelöst. Man hat früher wohl auf elektrische Naturerscheinungen verwiesen, ohne doch eine plausible Theorie bieten zu können. Mir scheint, daß man zum Verständnis der überlieferten Vor- stellungen von der Sonne ausgehen muß. Der antike Mensch fragt: Wie kommt die Sonne vom Horizont zum Himmel hinauf und wieder herab? Die Antwort lautet sehr verschieden, etwa: Sie fliegt hinauf und herab! Man erklärt sich also das unbekannte Geschehen nach Analogie des

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bekannten, hier der Flugkraft des Vogels, wobei es gleichgültig ist, ob man etwas den Flügeln Ent- sprechendes in der Naturerscheinung wahrnimmt oder nicht. Eine andere, gleicher Art zu verstehende Antwort lautet: Die Sonne fährt den Himmels- berg auf einem Wagen hinauf und herab, oder der Sonnengott reitet auf seinen vier Pferden, des Morgens auf einem weißen, des Mittags auf einem roten, des Abends auf einem scheckigen und des Nachts auf einem schwarzen Rosse. So konnte man nun auch die Frage aufwerfen: Wie kann die Sonne solche Gluthitze ausstrahlen? Um das zu erklären, wählt man allerlei bekannte Analogien und überträgt sie auf die Sonne, ohne sich um den Augenschein zu kümmern, indem man nur auf das tertium comparationis achtet: Sie ist ein glühender Stein, ein Kochherd, ein feuriges Federdiadem, eine Feuerkrone, ein Wagen mit einem Kohlenbecken, dessen Vorrat nie er- schöpft ist, ein Baum, der brennt und doch nie verbrennt! In einem neugriechischen Märchen begegnen uns nebeneinander der „goldene Apfel, der wie die Sonne strahlt" und der „Garten des unsterblichen Vogels, des ewig brennenden und nie verbrennenden", in dem jener Sonnenapfel wächst. War aber die Sonne einmal mit einem brennenden Baum verglichen, dann lag es in Palästina nahe, unter diesem Baum einen Dornbusch zu verstehen, da er, dürr geworden, leicht entzündbar ist und besonders gern als Feuerholz benutzt wird. Doch darf man

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auch an das Kultbild des Sonnengottes er- innern, wie er auf semitischem, speziell syrischem, Boden dargestellt wird: die Strahlen, mit denen sein Haupt geschmückt ist, sind einer Dornen- krone nicht unähnlich, und darum mag der Baum, aus dem der Sonnengott hervorwächst und in dem er wohnt, für einen Dornstrauch gehalten sein^). Diese Erklärung hat nichts Auffallendes, da eine Reihe von Zügen in dem Bilde des alt- israelitischen Volksgottes sich nur dann verstehen lassen, wenn man sie aus der Sonne ableitet. Ich behaupte nicht, daß Jahve speziell und aus- schließlich ein Sonnengott gewesen sei, ich glaube aber durch zahlreiche Belege beweisen zu können, daß Jahve schon in uralter Zeit, wie zu anderen Naturerscheinungen, so auch zur Sonne in Be- ziehung gesetzt worden ist. Er wurde wohl schon vor der Einwanderung in Palästina als Sonnengott gepriesen, Salomo hat ihm als dem Sonnengotte den Tempel gebaut. Es wäre selt- sam, wenn es anders wäre und wenn die Sonne, die in allen semitischen Religionen verherrlicht wird, in Israels Religion so gänzlich fehlen sollte. In der Urzeit der Menschen scheinen Sonnen- aufgang und -Untergang die Phantasie ganz be- sonders erregt zu haben. Und in der Tat, gibt es etwas Schöneres als einen Sonnenuntergang, wie man ihn etwa im Zeltlager am Jordan er-

1) Vgl. die Belege, die ich in ZDMG, Bd. 61, S. 9441 gebe.

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leben kann? Eine wunderbare Stimmung um- webt den Jordan. Hüben auf dem Hochlande von Juda steigt der Sonnengott zur Nachtruhe in sein Felsenschloß und hinter ihm strahlt der Himmel in chinesischem Gelb, während drüben auf der anderen Seite der Rand des moabitischen Hochlandes in violette Farben getaucht ist. All- mählich zieht der Mond mit seinem Licht herauf und beleuchtet die Mergelhügel, deren weiße Farbe magisch und gespensterhaft durch das dunkle Grün der Bäume hindurchscheint, und deren gro- teske Gestalten jetzt erst recht zur Geltung kommen. Fast sollte man meinen, in einer nordischen Schneelandschaft zu sein, wenn nicht in der feucht-schwülen Luft bei 30^ Celsius Moskitos uns umschwirrten und Grillen rings um uns zirpten ! Vor uns flackert eine Papierlaterne, in einiger Entfernung von unserem Lager brennen Kohlenfeuer, durch eine Lichtung sieht man auf der anderen Seite des Jordans eine Schar von Beduinenjünglingen nach dem Takt der Hirten- flöte tanzen, von dem Widerschein des Feuers grell beleuchtet. Die einförmige Melodie, der melancholische Klang des Instrumentes mischen sich unter all die anderen, unbestimmten und undefinierbaren Geräusche. Dazu nehme man die Farbeneffekte und die balsamischen Düfte, um ein ungefähres Bild zu haben von einem Abend am Jordan. Freilich muß man ein Europäer sein, um diese Schönheit zu genießen. Für den antiken Menschen existierte sie nicht. Als die Zeit

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vorüber war, in der ein Sonnenuntergang seinen Schrecken hatte, wo der Mensch noch fürchtete, die Sonne sei von einem Drachen verschlungen und werde vielleicht nie wiederkehren, da ward der Vorgang etwas Alltägliches und läßt auch heute den Araber gleichgültig. Als eine Dame ihren arabischen Diener fragte, ob dieser Sonnen- untergang nicht schön sei, da sagte er mit ge- winnender Höflichkeit: „Ja, Herrin, wenn du es schön findest, dann ist es schön." Wer aber aus dem trüben Nebel Germaniens in den Orient kommt, der feiert zuerst und zuletzt die Sonne! Er jauchzt ihr entgegen, er jubelt unter ihr, er sehnt sich nach ihr zurück. Sie hat sein Herz mit glühenden Strahlen erwärmt und seine Augen mit der blendenden Fülle ihres Lichtes erhellt, sie hat es ihm angetan, und ihr bestrickender Zauber läßt ihn nicht los. Wie mancher Hymnus wurde in alter und neuer Zeit auf den Sonnengott gesungen! Im Alten Testamente ist uns nur einer erhalten, der 19. Psalm, dessen erste Strophe dem Sang der Himmel, der „Harmonie der Sphären", die sich nach antikem Glauben drehen und bei ihrer Bewegung unhörbare Töne her- vorbringen, dessen zweite Strophe dem Sonnen- ball gilt, beide Hymnen ein Lobpreis auf Jahve, den Gott Israels^):

^) Übersetzung nach Gunkel. Ausgewählte Psalmen. Göttingen 1905.

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Die Himmel verkünden Gottes Herrlichkeit,

Vom Werk seiner Hände erzählt die Feste! Tag dem Tage sprudelt Worte,

Nacht der Nacht kündet Wissen. Keine Sprache, keine Worte

Nicht hörbar ist ihre Stimme, Und doch, über alle Welt geht aus ihr Schwall,

Bis ans Ende der Erde ihre Reden!

Dem Sonnenball hat er gesetzt ein Zelt im Meer; Der ist wie ein Bräutigam, der aus seiner Kammer

hervortritt.

Er frohlockt wie ein Held, zu laufen die Bahn! Von des Himmels Ende sein Aufgang!

Bis zu seinen Enden sein Umschwung; Und nichts bleibt verborgen seiner Glut.

Mögen diese beiden Hymnen auch verhältnis- mäßig spät und einzigartig im Alten Testament sein, so wollen wir sie darum nicht gering schätzen, bilden sie doch einen Abschluß und einen Höhepunkt der israelitischen Religion, der fast an die moderne Zeit heranreicht und uns Goethes Worte ins Gedächtnis ruft:

Die Sonne tönt nach alter Weise In Brudersphären Wettgesang, Und ihre vorgeschriebne Reise Vollendet sie mit Donnergang.

C. Schulze & Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen.

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