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TME NEW YORK PUBLIC LIBRARY

ASTOR, LENOX TILDEN FOUNDATIONS

Band I. Seite 14. Der eben fo majefätifce als feichte Tanz der Datame Volenville erregt Auffehen.

Sämmtiiche humoristisshe Romane 24% Von Paul de Kock,

Deut sch bearbeitet von

Dr. Heinrich Elsner,

Dritte Auflage Mit Illustr, von Pariser Künstler:

ed. 1-3.

Stutteart: Rieger'sche Verlagsbuchhan 1857.

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Dr. Heinrich Elsner.

Derweil ein Einz'ger lebt von ſeinem Spielgewinn, Sieht taufend Spieler man vor Hunger fterden hin. Ber Spieler von Regnard.

Dritte Auflage.

Stuttgart:

Rieger'ſche Berlagebuchhandlung. (A. Benedict,)

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Buchdruckerei ber Niege chen Verlagohandlung in Stuttg

Erſtes Kapitel. Cine Hohzeit in Cadran-Bleu. Dit familie Murpilfe,

Mitternacht hat geſchlagen; woher noch dieſes Freubengefchrei, biefer laute Jubel, dieſes Hellauf, diefe Muſik, diefe Gefänge dieſer Lirm?... Haltet einen Augenblick auf dem Boulevard vor dem Gadran-Blen, mach es wie die guten Leute, welche allen Hoch⸗ selten, allen Baftereien, die bei den Reſtautateurs bes Boulevard tu Temple gegeben werben, befwshnen, indem fie vor den Fenflern oder auf der Straße hin: und hergeben, und auf biefe hochſt er- quicdliche Art und Weife der Ausſicht auf eine englifche Ghaine; einen Walzer oder auf eine Milch⸗Chokolate genießen; freilich ris⸗ firen fie auch dabei, von den Borübergehenden geftoßen, von ben Bagen mit Koth befprigt und von den Kutſchern angeflegelt zu werden.

Aber um Mitternacht find die Pflaftertreter, die Gaffer oder Nanlaffen (kurz, wie man dieſe Strolche benamſen will) längft untergeſeſſen; vor dem Thore des Cadran⸗Bleu bleibt nichts mehr ſtehen, als die Fiaker- oder Extra⸗Miethkutſchen, je nach der größeren oder geringeren Bebeutung, melde fi) die Gingelavenen beilegen wollen. Um dieſe Stunde jedoch wird erft dad Gemälde pikanter, wechſelvoller, belebter; denn nur dann beginnt man Bekanntſchaft ju machen.

Run denn, wird man mich fragen, was ift denn. der Grund tiefer Geſellſchaft im Cadran⸗Bleu? Iſt's ein Namensfeft, ein Jahres⸗ Aag, ein Vereinsmahl? Beſſer als alle dad: es ift eine Hochzeit,

Eine Hochzeit!. ... Wie viele Betrachtungen erregt doch dieſes

ort! wie viele Hoffnungen und Erinnerungen erzeugt es! wie

Möligt dabei das Gerz des jungen Mäbchens, das den Angenblid x

Ne) a)

. 4

nicht erwarten fann, wo es die Helbin dieſes feftlichen Tages fein und mit dem Myrthen⸗ und Orangenzweig ſich bekraͤnzen wirb, jenem Symbol ber Züchtigkeit und Sungfräulichleit, das leider Tchon fo manchen Gatten betrog, der aus gutem Grunde auf jened Zeichen nicht flolz iſt. Wie betrübt dagegen der Anblick dieſer Feier mancher erfi ſeit zwei Jahren verehelichten jungen Frau, bie das Glück biof noch in der Erinnerung kennt! Sie zittert über das Schickſal der armer Braut, fie gebenkt mit Wehmuth au ben eigenen Hochzeittag, an bie innige und glühenbe Zuneigung ihres Mannes. zu jener Zeit, und vergleicht dieſe mit der fpäteren, deun fie hat es erfahren, wie wenig man ben Liebeoſchwüren ver Männer trauen darf.

Aber laſſen wir diefe Betrachtungen. Treten wir lieber in den Cadran⸗Bleu ein und machen uns mit den Hanptperfonen biefed Feſtes bekannt, die und im Laufe diefer Geſchichte öfters begegnen werben, ſelbſt wenn unfer Kapitel mit unferer Erzählung in gar feiner Verbindung flände, was ja nicht unmöglich wäre, denn ber: gleichen liest man zuweilen. . -

Beginnen wir mit ben Reuvermählten. -

Eduard Murville, fünfundzwanzig Jahre alt, ift von mittlerer Statur, aber guter Haltung ; feine Geſichtszüge find angenehm, feine Stimme ift fanft, fein Benehmen verräth Bildung. Er bat viel Talent für das gefellige Leben, fpielt die Bioline ziemlich gut, fingt wit Geſchmack und tanzt mit Anftanb ; er weiß für fich ein- zunehmen, bat ben Takt der vornehmen Welt und weiß ein Gefell: ſchaftszimmer zu betreten und wieder zu verlafien, was, beilaͤuſig gefagt, bei weitem nicht fo leicht ift, als ihr wielfeicgt glaubt. Was?! höre ich meine Lefer fagen, glaubt denn diefer Mann, daß wir nicht zu geben, zu grüßen und uns mit Anſtand vorzuftellen wiſſen? Ach, es ſei ferne von mir, über die im Tanzen audgezeichnetfte Nation ein folches Urtheil zu fällen; ‚aber überall gibt's Nüancen, an? gerade diefe Nüancen veranlaffen mich zu ſolchen Bemerkungen... ine fehr geiftzeiche, aber etwas fatirifche Frau, neben der ich

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Krzlih im Salon eines Finanziers ſaß, machte mir Merüber ihre Bemerkungen, die fich faſt alle beftätigten.

„Beobadgten Sie einmal,” fagte fie, „mit mir alle bie Ber: ſenen, die in den Salon eintreten werden, id; weite, ich errathe ihren Sharakter und ihre Gemüth aus der Urt und Weiſe, wie fle fih vorſtellen. Betrachten Sie doch jene große Dame, die bort durch die Geſellſchaft einherfchreitet, ohne fie nur eines Kopfnickens werth zu achten, bie fich num auf ben beften Platz vor den Kamin ſegt, ohne entfernt darauf Rädfidyt zu nehmen, ob fie die Hinter ihr genden Berfonen genirt. Was halten Sie von diefer Frau? Daß fie auſpruchſsvoll und auf ihre große Toilekte eingebildet if. Das ift nicht genug; fehen Ste noch Hinzu, daß fie eine Närrin if. Cine Frau von: Geiſt hat tanfend Mittel, bemerkbar zu machen, ohne fo laͤcherliche Mittel zu Hülfe zu nehmen ; wenn fie brilliren will, fo weiß fie dabei au fich anfländiger zu benchmen, und fieht die etwas altmobifcher oder weniger geſchmackvoll geklei⸗ . Danıen aict über die Achſeln an. Aber, was für ein Lärmen

. Erfheint etwa ein Birtuofe?... IR ein Thee⸗

mi auf den Beben gefallen?... Der Herr des Saufes eilt hin⸗

. gleich werben wir erfahren, was los if. Ah! ... ich er-

Ian biefe Stimme; es iſt Herr 3.... bier, hören Sie nur, Sie veriehen ihn von da aus.“

Ach, wein iheurer Freund! .... ich bin in Verzweiflung, fo foat zu Iommen!... auf Ehre, ih bin ganz verädt! ... ich weiß nicht, Darf ichſs wagen!... Sch fehe ans wie ein Vaga⸗ bund! Ich will mich in eine Ecke verbergen !“

„Run denn,“ fagte meine Nachbarin, „was halten Sie von dem Herrn, der nicht gefehen fein will, der es aber fo laut aus⸗ ſcheeit, daß alle Köpfe im Salon nach ihm bliden?... Ach! end- ii einmal eutſcheidet er fich.“

Ich erwartete sinen jungen Braustopf zu fehen, aber fiche da, ed war ein Mann von vierzig bis fünfzig Jahren, mit blonder

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Merräde.,. ver ſich einfältig geberdete, rechts und Tinte hin grüßte. und zuderfüß lächelte.

„Wer ift denn diefer Herr?" fragte ich meine Rachbarin. „Here: Juſt, dieſer Allerweltsmann, er kennt gang Paris und. er⸗ ſcheint in allen, namentlich den muſikaliſchen Zirleln. Gy ſpielt drei ober. vier Inſtrumente. Es gibt Fein Liebhaberconcert, wobei er nicht wäre, ‚aber auch Feinen Künſtler, der ihn nicht kennte. Aus feinem Eintritt .in den Salon mußten Sie ſchließen, daß fein Glück darin befteht,, Aufſehen zu erregen; ich habe.baber Feine fehr günftige Meinung von: feinen Talenten, denn das Verdienſt, wie Ste wohl wiffen, ift beſcheiden, während bie. Mittelmäßigfeit dagegen. Spek⸗ takel macht, ſich vorbrängt, Alles für’ fich feſemnr will und immer die Thoren zu blenden vermag.“

„Abet da erblicke ich wieder eine neue Figur: es site ein junger Mannz der macht doch wenigſtens feinen Lärmen, benn. er.ift fo ftill- eingetreten, daß man ihn Taum Hören Eonnte... er grüßt Ihüchtern.. ... er bleibt an der Thüre, drückt fi an der: Wand Hin und erwifcht endlich einen Seffel, auf dem er. fh ſchnell nieder: feßt, und den er, ich ſtehe dafür, den ganzen Abend hindurch nicht verlaffen wird! ... Armer Junge! wie linkiſch benimmft Du Dich noch; er verzerrt den Mund, blinzelt mit ven Augen, und weiß nicht, wo er feine Hände hinthun fol. Sicher glaubt er, alle Damen blicken auf ihn. Im: Allgemeinen habe ich die Bemerkung gemacht, daß Schächternheit und Unbeholfenheit im Benehmen öfters von allzugroßer Anmaßung herrühren; die Angſt, lächerlich und unpolirt zu fcheinen, geben der Haltung das Verſchrobene, dem Geſicht diefen Eomifchen Ausprud. Wenn Sie ſich davon überzeugen, wollen, fo betrachten Sie nur auf dem Theater einige von unfe jungen Schaufpielern näher, die gar nicht-übel ausfehen und viel⸗ leicht recht gut fpielen würden, wenn file nicht hauptſächlich mit ihren Haaren, ihrem Hemdkragen, ihrer Haltung und dem Eindruck, ven ihre Figur auf den Zuſchauer macht, ſich befchäftigten.“

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Deine Nachbarin fepte ihre Betrachtungen fort, amd ich, meine heben £efer, wurde fie auch gerne miithetlen, wenn mir nicht babei auffele, daf ihr nicht das Buch zur Hand genommen habt, um meine Unterhaltung mit ihr, ſondern bie Abenteuer des Bruders Riob lennen zu lernen. Ich kehre daher zum Cadran⸗Bleu zurüd,

In wißt noch, daß man daſelbſt die Hochzeit des funfnnd⸗ Wenig Jahre alten, wohlgebauten und liebenswürbigen Eonard Ramile feiert; aber ihr Tenmet noch nicht feine junge Fran ; ich heile mich, euch mit ihr befannt zu machen; denn fie if ſchoͤn, ſeuft, licbenswurdig und gut erzogen; man kann fie nicht früh genug lennen lernen. | Ä

Weline Germeuil ift achtzehn Jahre alt, und befigt Alles, m anzieht und fefielt: fchöne Mugen, blendend weiße Zähne, Haca Anſtaud, Iugenbfrifche, Geift ohne Boshaftigkeil, Geiter: lit ohne Roletterie, Anmuth olme Afektation, Wefcheivenheit ohne glerigkeit. Sie weiß ſehr wohl, daß ſie gefaͤllt, verlangt aber rum nicht, daß alle Maͤnner ihr huldigen ſollen; fie liebt dag dagrigen, finbet aber nicht ihre einzige Befchäftigung darin. Kurz, ſe iR für alle Männer, zumal für unverheirathete, eine hoͤchſi ierfente Gricjeizung. Ä

Meline liebt Eduard, und hat ihm mehreren weis vortheil⸗ iefteren Partien vorgezogen; denn er hat nichts ala feine Regies tenfelung, waͤhrend Abeline etwa 15,000 Franken Renten Küht; aber Abeline iſt nicht ehrgeizig; fie ſucht ihr Glück In den Gerifen des Geiſtes und nicht im Gelde. Mit 15,000 Franken Acıten laun man übordies mit einem ordnungsliebenden Manne, der zu winthſchaften verſteht, recht angenehm leben, und Murvills IM cin folder Mann und mit den herrlichſten Gigenfchaften aus» glettei fein; kurz, er gefällt ihr. 3J

dranlein Germenil hatte bloß noch eine Mutter, eine ſehr bare Fran, die ihre Tochter zum Anbeten liebt und ihrer Reis fa nit entgegen if, Sie wacht über Adelinens künftigea Wohl,

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und fobald fie die Kebe ihrer Tochter für Murville bemerlte, 309 fie Erkundigungen Aber vie Moralität deffelben und feiner Familie ein.

Sie erfuhr, daß er aus guter Familie abflamme, fein Bater ein fehr verdienter Zurift gewefen fei, jedoch durch einige Banke⸗ rotte foft Alles, mit Ausnahme des Nothwendigſten, verloren habe. Epnard und Jakob waren feine einzigen Kinder. Jakob war nur um ein Jahr jünger als ECduard; die Mutter aber hatte ihre Zärt- lichkeit nicht gleichmäßig auf beide Söhne vertheilt; Eduard war ihr bevorzugter Liebling. Gin ſcheinbar ganz unweſentlicher Um: ſtand hatte auf dad Muttergefühl der Madame Murville eingewiztt ; fie war nichts weniger als geiftreich, aber fehr eitel, und hielt daher viel auf alle Kleinigkeiten und Spielereien, welche im gefelligen Berkehr oft als fehr wichtig gelten. Bei ihrer erfien Rieberfunft Brachte fie ihr bischen Verſtand auf die Folter, um für ibr Kind einen Namen ausfindig zu machen, ber nicht nur wohlflingenn, fondern auch felten wäre. Nach langem Debattiren und Meberlegen entfchloß fie fich endlich zu Eduard für einen Anaben und Gelance für ein Mäpchen; Herr Murville hatte ihr darin völlig freie Wahl gelaffen. Das Erfigeborene war ein Knabe; er“erhielt ven Namen Eduard und zugleich die ganze mütterliche Liebe. Als fie zum zweiten Mal nieberfommen follte, war fie feft überzeugt, daß fie die Welt mit einer Kleinen niedlichen Gelance begküden würde, denn die Geburt eines Mäpchens war ihr höchfter Wunſch, aber nach langen Leiben gebar fie einen fräftigen Knaben. -

Man kann fich's leicht vorftellen, daß dieſer nicht fo empfangen wurde, wie der @rfigeborene; auch war, da man auf feinen Knaben gerechnet hatte, für feinen Namen zuvor geforgt worben. Allein diesmal würde auch alles Grübeln unnüg gewefen fein, denn Herr Murville that feiner Frau fund, daß einer feiner Freunde die Pathen⸗ ſtelle bei dem Kinde zu vertreten wünſche. Diefer Freund war fehr reich, man war ihm überdies befomberö verbindlich und man konnte

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deßhalb fein freundſchaftliches Anerbieten nicht zurückweiſen. Er hielt dad Kind über die Taufe, und zum größten Aerger ber Matter gab er ihm den Namen Jakob.

Obſchon Jakob ein Name, wie jeder andere iſt, fo klingt ex boch nicht beſonders harmoniſch und verlehte das zarte Ohr -der Madame Murville in dem Grade, daß fie ihn nur für Bediente, Savoyarden und Eckenſteher paſſend, und daher es abfcheutich fand, ißten Sohn fo nennen zu müffen. Vergebens bemühte fich ihr Mann, fe zur Bernunft zu bringen; ex eitirte ihr die Geſchichte Schott⸗ lands, wo fo viele Jakobe auf dem Throne waren; aber nichts deſto weniger Tonnte fie diefen Namen nicht ohne Seufger über die Lippen bringen.

Uehrigen® war nicht daran zu denken, ihn zu verändern, denn der Bathe, der natürlich auch Jakob hieß, befuchte feinen Eleinen Schägling oft, und es würde ihn fehr beleidigt Haben, ihn anders nennen zu hören.

Der Kleine Welthürger behielt aljo zum großen Verdruß ber dran Murville den Namen Jakob. Was nun CEduard anbelangt, fo nannte er, fei ed aus Bosheit, oder weil er den Namen komiſch faub, feinen Bruder Jalvb jeden Augenbikt, und hakte er Unarten begangen, fo wußte er feinen Bruder Jakob als Sindendod hin⸗ qufchieben.

Beide Brüder hatten ein fehr verſchiedenes Temperament. Ednard, KU, verſtaͤndig, gefällig, brachte gerne feine Zeit bei der Mutter ruhig zu, Jakob lärmend, muthwillig und heftig, konnte auf einer Stelle nicht ausdauern und kehrte das Oberſte zu unterfl.

Gouard Iernte leicht, Jakob warf Bücher und Federn ms Zener und machte fi) Drachen und hölzerne Säbel.

Im ſechzehnten Jahre ging Gduard mit feinen Eltern in Be; ſellſchaft, konnte ſchon an der Unterhaltung Theil nehmen und einem hübfchen Mädchen freundlich zulächeln; Jakob dagegen verlieh im fünfzehnten Jahre das vrterliche Haus und verſchwand, ohne eine

10 Zeile oder eine Andeutung zurüdgzulaffen, die über feine Pläne ober feinen Reifezwed irgend einen Auffchluß gegeben hätten. Man ver: anftaltete alle möglichen Nachforfchungen, man ſchrieb fein Sig: nalement in öffentlichen Blättern aus ; aber man konnte nichts von “ihm erfahren, denn ex ließ fein Wort von ſich hören.

Herr Murville befümmerte ſich fehr über die Flucht des jungen Strolchen; ſelbſt Madame Murville fühlte, daß fie Mutter ſei, daß man Jalob heißen und doch ihr Sohn fein Eönne ; fie bereute ihr ungerechtes Borurtheil, aber zu fpät der unglüdliche Name hatte bereitö gewirkt! ... er hatte dem Sohne dad Mutierherz verfchloffen, er hatte ihm bed Bruders Nedereien zugezogen, und alles Dies hatte ficher ven Jungen aus dem Baterhaufe fortgetrieben. Wer fonnte es willen... wie ſeltſam wirken nicht oftmals an ſich un⸗ bebeutende Umftände auf das Menfchenleben ein!

„Ich habe den Ausfchlag bekommen,“ fagte mir geftern ein junger Mann,. „weil der Schuhmacher einer meiner Breundinnen feine Brille verloren bat. In welcher Beziehung,“ frug ich, „ſteht Ihr Ausschlag mit der Brilfe eines Schuhmachers? Das will ich Ihnen erflären. Die. Dame hatte mir zugefagt, eines Abends mit mir bei einer Belannten muflciren zu wollen; am Morgen er: wartet fie ein Baar Rofafchuhe, um fie Abends anzuziehen; der Schuhmacher zerbricht am Tage, wo er das Maß genommen, feine Brille, und ald der Schuhmacher die Schuhe bringt, find fie zu Hein. Man zwingt ſich troß dem gewaltigen Drüden, fie. anzu: ziehen, denn der Schuhmacher verfihert, daß fie ſich ausweiten würden; bie Damen wollen überdies gerne Eleine Füße haben. Sie geht damit aus, muß aber hinfen; auf dem Boulevard, in Gegen: wart mehrerer guten Freundinnen, will wien fih nichts merken laſſen und zwingt fich, leicht einherzufchreiten; ber Fuß erhigt ſich dadurch und fchwillt an, gewaltige Schmerzen eniftehen bieyon und man .ift zuleßt gezwungen, wieder nach Haufe zu gehen. Hier wirft. man die Schuhe.weg und befommt fo leidende Züße, daß

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man acht Tage lang zu Haufe bleiben. muß. Ich, der ich von biefeni ganzen Hergang nichts weiß, begebe mich an den Ort bed Rendezuous ; meine Virtuoſin ift aber nicht da, nur die Wirthin; fie iſt zwar hoͤchſt liebenswürbig, aber vierzig Jahre alt. Ich habe Langeweile, werde ungeduldig und gehe nady einer Stunde vergebs lien Harrend wieder fort, ohne zu wiffen, wo ich den Abend zubringen werbe. Sich ſchlendere nach einsm Theater und trete ein, um die Zeit. zu tödten; ich bemerke ein. hübſches Geflcht und trete nach gewohnter Weife näher, ich Enüpfe ein Geſpraͤch an, es wird lachend und ſcherzend erwibert, und ich Bin erfreut, mich gelegentlich jerfireuen zu koͤnnen. Das Theater geht aus, ich biete meiner nied⸗ lichen Nachbarin den Arm, und nad einiger Zögerung nimmt fie ihn an; ich führe meine &roberung in ihr Haus, und verlaffe fie nur nach der Erlaubniß, fie öfter befuchen zu dürfen. Am andern Morgen bin ich ſchon wieder bei ihr; kurz, ich werde Ihr Ber: trautefter, und bei einem meiner Befuche werbe ich von den Aus: flag angeſteckt, den meine Kleine hatte. Es ift fomit Har, daß, wenn der Schuhmacher feine Brille nicht zerbrochen hätte, das Alles nicht erfolgt wäre.“ . |

Mein junger Mann hatte Recht: vie wichtigften Begebenheiten entfiehen oft aus den unbebeutenbften Urfadgen, und ohne Zweifel iR ed wenigſtens, daß der Taufname meines Helden auf fein Schickſal einen weſentlichen Einfluß Hatte. Wie viele Menfchen verdanfen dem berühmten Namen ihrer Boreftern nicht ein Auſehen in des menfchlichen Geſellſchaft, das fie ſelbſt fich nie erworben haben würben! Glücklich daher der, welcher feinen Nachlommen einen verbienftvollen Ramen binterläßt, aber noch glüdlicher. ver, welcher unbekannt und unbeachtet Iebt, un deſſen Name weder vem Haffe, noch ˖ dem Neide Stoff gibt.

Ihr ſeid jetzt, geliebte Leſer, mit der Familie Murville ber lannt; ich habe euch jetzt nur noch zu ſagen, daß Vater und Mutter ſehr ſchnell Hinter einander wegſtarben; fie nahmen ven Kummer

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mit in die andere Welt hinüber, daß fie über das Schidfal ihres Jakobs nichts in Erfahrung gebracht Hatten, und gaben feinem Bruder E&puard den Auftrag, ihm ihre Verzeihung über feine Flucht aud dem väterlichen Haufe zugufihern, wenn es ihm je gelingen follte, ihn wiederum aufzufinden.

Eduard war jept unumfchränkter Herr feines Willens, er hatte ein Alter von zweiundzwanzig Jahren und eine Anſtellung von zweitaufend Franken; bei einem foliden Leben konnte ex anftänbig audfommen. Er liebte dad Bergnügen ; Gefellfchaften, Muſik, Theater fonnte er mit feinem Einkommen beftreiten, und das Spiel blieb ibm fremd. Er liebte das fchöne Gefchlecht, war hübſch und fonnte fi) über die Spröbigfeit der Damen gerade nicht beflagen. Bei feiner geringen Charakterfeftigfeit Tieß er fich Leicht, fortreißen, aber zu feinem Glüde war er noch nicht in ſchlechte Hände ge- rathen. Kurz, man konnte ihn zwar nicht ald Mufter aufftellen, aber fein Wandel verdiente doch nicht die geringfte Rüge.

Madame Germeuil entfchloß fich leicht, Eduard ihre Tochter zu geben. Er wird fie glüdlih machen, dachte fie, denn er Hat nicht viel Charakter, fie wird ihn beherrſchen, und oft find die Wirthichaften am beften, wo die Fran dad Regiment führt.

» Das war alfo die Hochzeit im Cadran⸗Bleu.

Bweites Kapitel. Großed Ereigniß, von der Tanzſucht und einer Zabal boje herbeigeführt.

Wie fchön, wie herrlich gewachfen fie if! wie viele Grazie, wie viel Friſche! fagten die jungen Leute und feldft die Papa’s unter fich, indem fie bie junge Frau bewunderten und jeben ihrer Nas beim Tanze verfolgten.

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Wie glüdlich muß diefer Eduard fein!... war das allgemeine Ihteil,

Ernard hörte dies rechts umd links, und war in der That fo südlich, wie man es nur fein Tann, wenn man auf dem Punkte ücht, es ganz zu werben. Um feine Wünfche und feine Ungebulb zu verbergen, tanzt und fpringt er, ohne fich einen Augenblid Ruhe zu gönmen. Bon Zeit zu Zeit geht er auf die Hausflur, um nad der Uhr zu fehen . . . immer ift es noch gu früh, nicht für ihn, aber für die Schamhaftigkeit feiner Frau. Was würde überdies feine Schwiegermama, ja die ganze Gefellfchaft dazu fagen!

Alfo Geduld!... ach! was wird ihm der Abend Iang!... Ihr armen Meuvermählten! ... es ift der jchönfte Abend eures Lebens, mb doch wünſcht ihr, er wäre ſchon vorüber, man ift doch nie zufrieden.

Der Bräutigam ſcheint ehr verliebt zu fein, fagen die Mütter life, Die Mäpchen denken ed, aber fie ſchweigen.

„Ach, Lieber Bolenville! mit folchen Augen fchanteft Du mich vor jweiundzwanzig Jahren auch an,” fagte zu ihrem Manne eine fünfundvierzigjaͤhrige, mit Schminke, Blumen, Spigen und Bän- dern überladene Dame, die in einem Winkel des Saales faß und jeit dem Mittagemahl auf einen Tänzer Iauerte. Herr Volenville, früher beliebter Tänzer, jetzt Gerichtserefutor in Marais, antwortet nichts, nimmt eine Prife Tabak umd geht ind Nebenzimmer, einer Bartie Ecartoͤ zuzuſehen.

Mabame Volenville iſt außer ſich vor Aerger und verändert ıhren Platz, was ſie ſchon mehrere Male gethan hat; ſie ſetzt ſich wiſchen zwei junge Damen, und hofft, daß ſie vielleicht hier in der Maſſe mit aufgefordert werben konnte. Aber vergebens; fie ſieht die jungen Tänzer anfommen, wiegt grazidd den Kopf, lächelt ıhuen zu, ſtreckt ein ziemlich hübſches Füßchen vor... jebt flehen fe Dicht wor ihr... aber o Himmel!... fie wenden fich zu ihrer Rechten und Linken, und fcheinen fich für fle, ihre Toilette, ihre Slicke und ihren nieblichen Fuß gar nicht zu interefjiren.

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WE if in der That auch zum Verzweifeln, ſo vergebens auf dem Bräfentirteller zu figen; Madame Volenville weiß nicht mehr, welche Mittel fie gebrauchen fol, um einen Tänzer anzuloden, und überlegt ſchon, ob fie nicht einen Theil der Wabe zeigen ſoll; o! ihr Bein Hat einft Wunder gethan; man muß noch einmäl feine Macht verfuchen, da das Füßchen. ohne Wirkung bleibt. Sie iſt entfehloffen, als plößlich mit lautem Gefchrei ein viertes Paar zu einer Duadrille verlangt wird. Es find nur noch wenige Tänzerinnen da, mehrere haben ven Saal fchon verlaffen, und alle übrigen find zum Tanz angeftelt. Ein junger, fein frifirter und parfümirter Herr durchläuft mit den Augen den Saal,. bemerft des Gerichte: exekutors Chehälfte und weiß feinen beffern Rath, als_fie zum Tanze aufzufordern.

Madame: Volenville läßt ihm nicht Zeit, feine Einladung zu beendigen, fpringt auf, eilt ihm entgegen, faßt feine Hand und drückt fie fo heftig, daß er fchreien möchte. Das füße Herrchen macht einen Sprung rüdwärts, glaubt, die arme Frau müffe einen Nervenanfall haben, und weiß nicht, wozu er fidh entſcheiden Joll ... aber Madame Bolenvilfe Täßt ihm nicht Iange Zeit zum Nach: denken und zieht. ihn mit Heftigfeit zur unvollſtäändigen Quadrille bin; fie placirt fi, macht ihm einige Entrechats vor und laͤßt ihn ſchon die große Ronde machen, bevor er noch von feinem Erftaunen zurüdfommen kann.

Der eben fo mafeftätifche als Teichte Tanz der Madame Bolen- vilfe erregt Auffehen ; ein heimliches Gemurmel läuft Durch ven . Saal, die jungen Herren verlaffen den Ecartetifh und umgeben die Quabrille, in der unfere Heldin figurirt ; diefe iſt von der Ar⸗ tigfeit ihrer Bewunderer entzuͤckt; fie verboppelt ihr Feier, ihre Lebhaftigkeit, und beeifert fih, ihren Tänzer noch mehr anzufeuern, der ihren Freudentaumel ganz und gar nicht theilt, vielmehr roth von Zorn über den ihn umgebenden Spötterkreis ſich auf die Lippen beißt, und wer weiß was barım geben würbe, wenn bie Quadrille

15 \ beenbigt wäre. Madame Bolenville laͤßt ihm jeboch wenig Zeit; fle ſchwebt beinahe ſtets in der Luft, fie möchte immerfort chaffiren, fih drehen und wenden trotz des Zuredend ihres Cavaliers, der ihr unaufhörlich zuruft: „Madame, vie Reihe ift noch nicht an ung, warten Sie doch, jebt Beginnt die Allemande noch nicht... jo bleiben Sie doch ftille fliehen! . . .*

Aber Madame Volenville ift einmal im Schuß, fle entfchäbigt - fih für fünf Tangweilige Stunden, und muß fie einmal einen Noment ſtillſtehen, fo überficht fle mit felbftgefälliger Miene ven dichten Kreis ihrer Bewunderer, und ihre umherlaufenden Augen , feinen zu fagen: Ha, ihr Hieltet mich für Keine folche Tänzerin, ein andered Mal werdet ihr mich fchon früher auffordern.

Die Folter des Herrn Belcour (dies ift der Name ihres Cava⸗ liers) erreicht inbeß ihr Ziel; die Quadrille geht zu Ende, die Ihte Tour iſt ſchon dreimal gemacht, noch einmal, und Alles ift vorbei, als ein junger, leichtfertiger, fcherzhafter Gerichtsfekretär, lachluſtig wie alle feine Kameraden, zum Orchefter läuft und im Ramen der ganzen Gefellfchaft noch einen Kehraus verlangt; bie hochzeitsmuſiker find natürlich gleich bereit und fangen bie beftellte Nuſik in demſelben Moment an, ald Belcour fich feiner Tänzerin empfiehlt und entfchlüpfen will.

Die Stimme bed Orpheus, als er den Gott der Unterwelt anflehte, machte auf Pluto nicht den Cindruck, wie bie Kehraus⸗ muflt auf Madame Volenville.

„Rein Serr!... mein Herr! e8. ift ja noch nicht aus,” ruft he Belcour nach ! Diefer thut, als Höre er nichts, und ſchon ber Äudet er ſich an der Thüre des Saals, als fie ihn einholt und feſthaͤlt.

„Aber, mein Herr, was machen Sie denn? . . . bören Sie denn nicht die Muflt?... ach! es ift ein Kehraus.... Kommen Sie geſchwind. Madame, ich bitte tauſendmal um Entſchuldi⸗ zung, aber ich glaubte... 88 iſt ein Kehraus, mein Herr, tiefen Tanz liebe ich wahnſinnig! Mabame, es ift mir nicht

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"wohl, und... Sie ſollen nur meine englifchen Pas fehen, die Icon

oft gefallen haben. Madame, ich muß etwas Luft Ihörien.. Auh mein Mann war ftarf darin, fommen Sie doch nur... Aber Madame .

Vergebens wehrt Belcourt ſie von ſich ab, fie läßt nicht nach, und ohne auf feine Entfchuldigungen zu hören, zieht fie ihn zum Tanze zurüd. Er flieht, daß ein laͤngeres Sträuben das Kächerliche" feiner Lage nur noch mehr vermehren würde, gibt endlich nah und

erfcheint wieder unter den Tänzern. Die Menge der Neugierigen

macht eifrigft dem Paare Platz, das Aller Blicke auf fich zieht.

Das Zeichen ift gegeben... der Tanz beginnt ... Die Herren chaſſiren rechts, die Damen links ; Madame Volenville ift die Erfte: mit welchem Eifer ſchwebt fie ben Tänzern entgegen und haflirt fie mit dem Vortänzer zurüd: der Schweiß Iäuft ihr über Die Stirne und verwifcht die Schminke; zwei Schönpfläfterchen find, von den Schweißtropfen gelöst, ſchon herunter gefallen, die Ohr⸗ gehänge find gefprungen und hängen ungeorbnet herab, ihre Roſen⸗ guirlande ift los geworben und dient ihr als Halsfchmud ; nichts ift im Stande, fie aufzuhalten, fie lebt rein für den Tanz; aber Belcourt ift nicht mehr da, er hat einen glüdlichen Augenblid in ber Tour benügt, zu entwifchen.

Madame Bolenville muß jedoch einen Tänzer haben, fie nimmt

daher den nächften beften ; dies ift ein alter Profurator in fleifer

Berrüde, ber ihr gerade gegenüberfteht. Der gute alte Herr hatte fh aus Neugierde unter die Menge gemifcht, war zulegt ganz vornehin zu ftehen gefommen und betrachtete fo eben mit innerer Behaglichkeit eine hübfche Tänzerin ; der alte Profurator bemerkte mit lüfternem Kennerauge, wie die Tanzbewegung die Niepliche fat gar nicht aufregte, und war darüber ganz erftaunt, ba er feit langer Zeit weder auf gefchloffenen und Iffentlichen Bällen, noch bei bür- gerlichen und Ländlichen Feften etwas Aehnliches gefehen hatte. Ganz entzüct über biefe Entdeckung, will er gerade mit der niedlichen

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Tänzerin fih in eim fchädernbes Gefpräch einlaffen, als Madame Volenville mit Bligeöfchnelle fich zwifchen Beide fchiebt, dabei aber ununterbrochen ihre Pas in reizenden Attitüden fortfegt. Der alte Herr fieht überrafcht auf das verwirrte, verwilderte Geflht, auf die zerflörte Toilette der Madame Volenville ; ex will zurüdtreten, aber man faßt ihn mit beiden Händen, und wohl ober übel muß er fih drehen und fpringen.

„Madame, ich begreife Sie gar nicht," ruft ber Prokurator, fih fräubend....— „Kommen Sie nur immer, mein Herr, kommen Sie!... es fehlt noch ein Taͤnzer. Aber, Madame, laſſen Sie mich doch gehen, ich habe nie in meinem Leben gewalzt! Es ft ja fein Walzer, es iſt ein Kehraus. Madame! halten Sie en, ich bitte, mie ſchwindelt's fchon vor den Augen, ich werde fallen. Sie tanzen ja wie ein Engel.”

Gin wahrer Dämon ift Madame Volenville, fie Hält ſich noch tür fo verführerifch, als wie fie zwanzig Jahre alt war, fle glaubt feſt, baß ihre Pas, ihre Grazie, ihre Lebhaftigkeit, ihr Mienen⸗ Iriel alle Welt entzüde, fle denkt gar nicht an ihr Alter. Was m zwanzigſten Jahre gefällt, wird zur Anmaßung im vierzigften ; tie ber Jugend fo natürliche Leichtigkeit wird zur Thorheit im reiferen Alter, und die Heinen affektirten Geberben, die man einem jugend» chen Geſichte verzeiht, werben in fpäteren Jahren zur Grimaffe.

Ran kann allerdings im vorgerücten Alter noch gefallen, aber gewiß wicht durch Nachäffen der Jugend. Nichts ift zum Beiſpiel hebenstwürbiger als eine Mutter, bie anſpruchslos im Kleinen. Kreife, gegenüber ihrer Tochter, tanzt; nicht Dagegen ift lächerlicher, als eine alte Rofette, bie ganz jugendlich aufgepußt mit jungen Maͤdchen m bez Leichtigkeit wetteifern will.

Madame Volenville ift, wie ihr feht, eine unermübliche Tän- zerin, fie möchte auf ihren neuen Tänzer den Eifer, der fie belebt, übertragen ; aber dem alten kirſchrothen Profurator rollen die Augen im Ropfe, daß er nichts mehr fehen kann; Alles geht mit ihm im

Yaul de Kol. 1. 2

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Ring herum ; der Kehraus, die Hike, ber Zom vereinigen fi, ihn zu betäuben. Er Hält fo viel als möglich den Kopf noch im Gleich⸗ gewicht, aber... zum größten Unglüd macht ſich feine Perruͤcke los, fallt anf den Boden, geräth unter die Füße der Tänzer, und des Prokurators Haupt verräth fi nackt, wie die Hand, der Befellichaft.

Diefe Berlegenheit verboppelt die Wuth des alten Herrn und gibt ihm die Kraft, fih von feiner Tänzerin Ioszumachen ; er ſtößt fie mit Heftigkeit zurüd und Madame Bolenville fällt auf einen dicken Faktor, der an der Seite des Saales auf einer Ruhebank faf und behaglich alle Speifen des Hochzeitmahles vor feinem Gedaͤchtniß worbeimarfchiren ließ. Der vide Papa thnt einen Schrei des Ent: feßens, flucht, er werde erftiden, aber Madame Volenville rührt fich nicht, denn in der feinen Welt darf eine Frau nicht auf Se: mand fallen, ohne ohnmächtig zu werben.

Herr Tourte (fo heißt der glüdliche Faktor) ſchreit um Hülfe, während Herr Robineau (das ift unfer Prokurator) feine Perrücke fordert und fle in allen Winkeln des Saales vergebens fucht, weil der Gerichtsſekretaͤr fich ihrer bemächtigt und fie aus dem Fenſter auf den Boulevard geworfen bat, wo fie einem Kutfcher auf die Naſe fiel, der gerade nach dem Wetter fah.

Eduard und Mabame Germeuil fuchen indefien wieder Ruhe und Ordnung berzuftellen. Adeline aber und die übrigen jungen Damen Tönnen ſich über die Lage der Madame Volenville, die trau⸗ rige Figur ded Herrn Tourte und bie Wuth des Herrn Robineau des Lachens nicht erwehren.

Herr Volenville verläßt endlich auch feinen Ecartoͤtiſch, nimmt eine Garaffe mit Wafler und geht damit zu feiner ran, bie er faum wieber erfennt, fo groß ift bie Unordnung in ihrem Geftchte und Ballftaate.

Nachdem er zuvor ganz bebädhtig eine Priſe Tabak eingefogen bat, befreit ex fie von ihrer Rofenguirlande und fchlägt ihr in die flache Hand, indeß Madame Germeuil ihr ein Niechfläfchchen unter

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bie Nafe halt. Nichts wirkt abes mehr auf bie flerren Sinne ber tafenden Tänzerin; Herr Tourte droht, er werde ihr in den Arm oder fonft wohin beißen, wenn man ihn nicht fo bald als möglich von der erfticdenden Laft frei mache, und ber Gerichtserefutor oͤffnet feine Dofe, um daraus neue Ideen zu fchöpfen.

Herr Robineau rennt noch immer nadt, wie ein Jeſuskind, im Saal umher und fucht unter ven Seſſeln und Moͤbeln nach feiner Perrüde. Jetzt nähert er ſich der Gruppe, welche die Ohnmächtige umgibt und bemerkt etwas Graues unter der Ruhebank. Ploͤtzlich ſtürzt er darauf los, gibt Herrn Volenville einen Stoß, wirft ſich anf alle Biere und fährt mit der Hand durch die Füße des Faltors, um die vermeintliche Berrüde zu erhaſchen. Die Bewegung iſt aber fo raſch, daß Herr Bolenville das Gleichgewicht verliert, auf feine Frau halb Hinfällt und den Tabaf aus der offenen Dofe auf Naſe, Rund und Kinn feiner theuren Ehehälfte verfchüttet.

Died Ereigniß bringt Madame Bolmville wieber ins Leben, fie niest fünfmal hinter einander, reibt fi ‚die Augen, öffnet den Rund, verfchludt eine Menge Tabak, ſchneidet fo abſcheuliche Be: fhter, daß ihre Mann und alle übrigen Berfonen davor erſchrecken, windet ſich wie eine Schlange und fpukt Herrn Robineau tüchtig md Befiht, der fo eben, fluchenn wie ein Wahnflnniger, die Hand zurückzieht und auffiehen will. '

Aber warum flucht Herr Robinenu denn? Warum, lieber feiert... weil er flatt feiner Verrüde den Schwanz einer Katze faßt, bie wüthenb über den unerwarteten Angriff mit ihren Krallen feine verrätherifche Hand faßt.

„Es ift recht unangenehm, unglädlich zu fein,“ fagte kürzlich bei einer Borftellung der diebifchen Elfter und über das Schidfal ver Heinen Dienftmagb bed Palaifeau bis zu Thränen gerührt, ein ehrlicher Bürger aus dem Marais, und ich kann alfo mit Recht behaupten: es iſt graufam, an einem Mbend fo viel malna zu haben, als Herr Robineau.

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Wenn man wider Willen getanzt, feine Berrüde verloren Hat, wenn man von einer Rabe gekratzt und ind Geſicht gefpudt worden it, iſt's wohl geflattet, übler Laune zu fein; ber arme Profurator ift e8 in dent Grabe, daß er bald gelb, Bald roth, bald weiß wirb ; ex ift außer fi vor Wuth, und ohne das fchöne Gefchleht zu reſpektiren, will er ſchon auf Madame BVolenville los, welche er mit Recht als Urheberin aller feiner Leiden betrachtet, als ein Theil der Geſellſchaft ihn noch glücklich daran Hinbert.

Man hatte Mühe, ihn zu befänftigen, und es gelang erft, als Eduard einen hübſchen Foulard aus der Tafche hervorzog und ihn bewog, den Kopf damit zu bebeden. Here Robineau band ihn am, feste feinen runden Hut darauf und glich nun einem fpamifchen Snfurgenten, einem Guerilla, einem Räuber aud den Apenninen, einem venetianifchen Gondolier, oder, wenn ihr wollt, ven Tleinen angefleiveten Hunden, welche majeſtätiſch auf ihren Eſeln figend, auf den Boulevards einherftolziren.

Der Prokurator verläßt den Saal, ohne fih von den Damen und ſelbſt den Neuvermählten zu verabfchieben, rennt unter einem Fegefeuer von Späßen und Spöttereien der Aufwärter und Küchen: jungen aus dem Babran= Bleu zu Fuß nach feiner nahen Wohnung in der Straße du Perche und vergräbt fih, Walzer und Kehraus verwünfchend, und die Koften einer neuen Perrücke berechnend, in den Federn.

Madame Bolenville aber, von deren Laft man endlich Herrn Tourte zu befreien im Stande war, mußte man fo fchnell als möglich, aus dem Saale fchaffen, weil der verſchluckte Tabak ihr die Heftigften Zufälle zugog, und immer fleigende Webelfeit und convulflvifches Würgen ein naturgemäßes Refultat ahnen ließen, das in einem Ballfaal nichts weniger als erwünfcht fein Tann. Die unglückliche Grau murde baher von dem Theater ihrer Helventhaten entfernt, und als fle füh dabei zufällig in einem Spiegel erblicdte, glaubte fie vor Kummer unter die Erde fchlüpfen zu müflen, fo fehr war

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ihr Geſicht vom Tabak verunftaltet, ihr Haar verwildert, ihr Anzug in Unsrbuung. Für eine Fran voller Anfprüche, wie Madame Volen⸗ ville, weld; eine Strafe! .

Man ſucht ihren Mann auf und braucht nicht wenig Mühe, ihn dazu zu bringen, fich feiner Frau anzunehmen. Endlich gelang es, beide in einen Fialer zu bringen, unb hier wollen wir ihnen eine glückliche Nachhauſekunft wuͤnſchen, um zu unſeren jungen Ghelenten zurüdzufehren.

Terpfihore hatte endlich die Göttin der Zwietracht wieder ver: ſcheucht, welche, feitvem man die Dummheit beging, fie zur Hochzeit ver Thetis und des Peleus nicht einzuladen, es fich zur Hegel ge- macht hatte, die hochzeitlichen Feſte zu fiören, und auch ohne Ziveifel ich bei unferer Hochzeit im Gadran=: Bleu einfand. Man behauptet, toß fein Ehebundniß den Beſuch diefer übelwollenden Göttin ver- meiden fönne, und daß, wenn fie am erften Tage fi nicht zeigt, he fich dafür im Laufe des Jahres rächt.

Aber fchweigen wir von der Zwietracht, Terpſichote, der ganzen Nythologie mit ihren Bildern und Metaphern; überlaſſen wir den ſittlichen Romanfchreibern die Blumen, Kaskaden, den Mond, die Steme und befonders alle jene poetifchen Ergießungen, durch die wir am Ende ber Phraſe erfahren, was der Held anfangs hat fagen wollen ; alle jene reizenden Wenbungen, wo z. B. ein Vater fiatt ter einfachen Weane: „meine Tochter kam zu mir,” hochtrabend ausruft: „Endlich trat fie, die Tochter, dem Bater entgegen.” Wenn etſteres ohne Zweifel Elarer und beftimmter ift, fo würde es ja ber zemeinen gefelfichaftlichen Sprachweije gleichen, dem unmwürbigen Geſchwaͤz der Welt, das Leute nicht gebrauchen bürfen, die in unter: udiſchen Höhlen leben, ohne die Naſe anzuftoßen, und den höchften Felfen erflimmen, ohme zu ermatten. Und würden übrigens wohl unfere hübſchen Frauen, unfere reizenden Schönen einen Roman in den dritten Simmel erheben, wenn ber Held der Geſchichte nur wie it Mamn oder Liebhaber fpräche? ... o, pful, das iſt ja ein

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ſchlechtes Machwerk, würde man fagen, und ba® Bud, englifchen und franzöflfchen Urfprungs, noch romantife Verachtung weit wegwerfen! das ift nicht auszuhalten fommen darin für Worte vor ... zum Beifpiel das Wor Bott! wie abſcheulich ... o! unfere Sournale follen de fieller ſchoͤn durchhecheln.

Und was geſchieht? die Journaliſten Iefen das Bud es von einer empörenden Unmoral! Der Autor ift von ein mus, einer Unanftändigfeit ohne Grenzen! ... er brauch! Cocu, wenn er es für nöthig findet... . Hat man je Schamlofigfeit gefehen ?... freilich, Molidre hat das Mor andere eben fo farfe in feinen Werfen gebraucht ; aber unterſchied! Was man auf dem Theater vor bem ver Publikum ſagt, darf man doch nicht in einen Roman dru Verkehrt eure Phraſen, meine Herren Romandichter, Syntar den Krieg, nehmet einen Styl ad usum Tyronu! latinae an, häuft Mythologie auf Aftronomie, Ornithol logie, ſelbſt Conchyliologie, miſcht zu Allem etwas altı liſche Geſchichte, viele Träume, Gefpenfter, Barden, Di Gremiten, wie es in euren Kram paßt, führet recht pathetifche Redensarten, und ihr werdet ungeheure Erfo Einige Damen werben ſich beim Lefen ſchon unwohl fühl hernach, viele werben euch gar nicht verftehen ;waber 1 weniger werben fie euch vergoͤttern! Nicht verſtaͤndlich fei Erhabenfle eures Genies. In Geheimnig und Dunkelheit das große Genie... fragt nur Caglioſtro, der noch leb ein Zauberer ift! ... Shr aber, ihr jungen Autoren, bie: und natürlich fein, mit alltäglichen Begebenheiten Lad und interefjiren wollt, die ihr anfpruchelos und leicht v ſeid, ehrt in euer Nichts zurück oder geht und feht Geor— und den eingebilveten Kranken von Moliöre ... das iſt eu aber bildet euch niemals ein, daß jemals unfere zarten F

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leſen und euren Ruhm durch taufend Kehlen verbreiten werben. Tropdem bleibe ich, geliebter Lefer, bei meiner Gewohnheit zu ſchreiben, wie ich fprechen werde, lafje mich nicht irre machen, und es ſieht euch ja frei, mein Buch wegzuwerfen, wenn meine Art und Weile euch nicht behagt.

Noch tanzte man im Capran= Bleu, aber das Feſt nahte ſich feinem Ende, zur großen Freude Eduards, und ohne Zweifel auch Welinend, die jedesmal esröfhete und-Lächelte, fo oft er ſie anfah.

Endlich ſchlaͤgt die Scheiveftunde ; Madame Germeuil begleitet ſelbſt ihre Tochter nach Haufe; man fleigt in den Magen, fährt ab und Halt auf dem Boulevard Diontmartre ; bier werden die Neu: vermäßlten wohnen und mit ihnen die gute Mutter, die von ihrer Toter ſich nicht trennen Tann, deren größter Wunfch darin befteht, daß ihre Tochter dereinſt ihr Die Augen zudrüde.

Ein niedliches Zimmer ift für fie bereitet; Madame Germeuil fit ihte Tochter zärtlich und verläßt ſie, nicht ohne Seufzer!... & if ja fo natürlich... . die Rechte der Mutter hören auf, wann Ye des Mannes anfangen ! Aber was fümmern die Rechte, wenn die Seren biefelben bleiben! Natur und Liebe finden fid leicht im einer gefühlpollen Seele, haben.aber feine Gewalt über ein Ealtes, Wlöfühtiges Gerz. Die Menfchen Haben die Geſetze gemacht, aber fühle Laffen ſich nicht befehlen.

Ein Süd für Eduard, daß Adeline ihn liebte, weil er ihr sel, and nicht, weil die Kirche ihr befahl, ihn zu lichen.

Darum wirft fie fi, allein mit ihrem Gemahl, ohne zu win in feine Arme, darum erwibert fie feine Lieblofungen, darum . liert fie ſch nicht, zu Bette zu gehen, darum brauchen wir enblich nicht mehr zu fagen, um verflanden zu werben.

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Drittes ſtapitel. - Duftedne

In der Menge, die Madame Bolenville und Herrn Robineau umgab, und über dad Mißgeſchick der Frau Gerichtsexekutorin und des Profuratord gelacht hatte, war nur ein Mann bei den Narr⸗ heiten der Anderen unempfinplich geblieben, hatte nur einer an den Späßen und Thorheiten des jungen Gerichtsſchreibers keinen An⸗ theil genommen.

Dieſer Mann ſchien hoͤchſtens achtundzwanzig bis dreißig Jahre alt; er war von großer und proportionirter Statur; ſein Geſicht hätte man ſchoͤn nennen koönnen, hätte er ein freieres, offenes Auge gehabt ; aber fein unfteter Blick, dem er den Ausbrud des Wohl⸗ wollend zu geben fich bemühte, flößte weder Freundfchaft noch Zu⸗ trauen ein; und das Lächeln, das manchmal auf ſeinen Lippen ſpielte, erfehien eher Bitter, als füß.

Duftesne (fo Hieß der junge Mann) war auf Eduards Hochzeit von einer dicken Mama mit drei Töchtern eingeführt worden, welche ſchon feit langer Zeit die Gewohnheit hatte, ein Halb Dutzend Tänzer in alle Gefellfchaften mitzubringen, worin fie fi mit ihren Tuch: tern fehen Tieß,

Madame Devaur (jo hieß diefe Dame) fah viel Geſellſchaft, hauptfächlich viele junge Leute bei fih, wovon der Grund leicht zu errathen war; wenn man drei Töchter und Fein Vermögen bat, hält es ſchwer, fie zu verforgen, da muß man fie der Welt zeigen und bie Gelegenheit zu einer foliden Liebesintrigue. herbeiführen, die endlich mit einer Hochzeit fchließt. Ungluͤcklicherweiſe aber find ber- gleichen Liebeöintriguen in der Welt feltener, als in den englifchen Romanen, und oft ftoßen die jungen Damen, ivenn fie nach Freiern fpäben, auf Derführer, bie zwar flarf an Intriguen, aber ſchwach

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in ber Tugend find! Was kann es aber helfen, man muß fon etwas wagen, wenn man einen Mann davon tragen will!

Madame Devaur hatte alfo Herrn Dufresne bei ſich aufge: uommen, ber ihr von einem Freund, ihrem Nachbar, empfohlen worden, und ba er fung und von angenehmen Aeußern war, fo hatte fie ihn mit auf die Lifte der Herren gebracht, die fie auf bie Hochzeit Eduard Murville's bringen wollte, damit es ihren Töchtern nit an Tänzern fehlte.

Dufreöne Tannte weder den Bräutigam noch die Braut; aber es iſt Bei einem großen Gaftnahl ja nichts Ungewöhnliches, die nicht zu Tennen, bie es geben, und jebt, two unfere franzöftfchen Geſellſchaften den englifchen Route gleichen und zu dichten Menſchen⸗ maffen werden, wo man auf feinen Nachbar kaum flieht, da kommt es oft vor, daß man ſolche gebrängte Geſellſchaften verläßt, ohne weder Wirth noch Wirthin begrüßt zu haben. Ä

Rabame Devaur hatte ſich indefjen geirrt, als fie auf Dufreöne sum Tänzer für ihre Töchter rechnete, denn er liebte den Tanz nicht ſehr; ex eilte, feine Schuld abzutragen, indem er eine jede derfelben - einmal aufforderte, und begnügte ſich nachher, einen bloßen Zu- Ihauer abzugeben, wobei er noch die Lift anwendete, in die Spiel: jimmer zu gehen, wenn eine Quadrille nicht vollzählig war.

Dufresne durchforſchte mit Tiftigen Augen alle Perfonen bes Feed, aber anf Eduard und Adeline verweilten feine Blicke am binfigften; der Anblick der jungen Eheleute fchien feine ganze Auf: mertfamfeit zu fefleln; er beobachtete ihre Bewegungen, fpähete ibren unbedeutendſten Handlungen nach und fuchte im Innerſten :breg Herzen zu lefen. Wenn Adeline ihrem Gemahl zärtlich zu: sichelte, land Dufresne einige Schritte entfernt, beobachtete ihr Rienenfpiel, und feine Augen verfchlangen gierig jeden Ausdruck defſelben.

„Nicht wahr! liebe Mama,“ ſagte Cleopatra, die ältefte der Toͤchter der Madame Devaur, „Herrn Dufreöne nehmen wir auf

26 feinen Ball wieber mit; ſehen Sie doch nur fein Beliagen! Il... er tanzt nit! und ſchleicht umher wie ein Bär! dei, liebe Tochter, und wenn er ſi ich doch wenigſtens neben uns ſetzte, mit uns plauberte, galant waͤre!“

„Ach freilich! er kummert ſi ch ja gar niqt um uns), . Sch bitte Sie, ‚was macht er wohl jegt da unten im Winkel. . bei Madame Germeuil!.. Wahrlich! er ift ungusſtehlich. ih werde ihn auch übermorgen nicht bei Herrn Berbure einführen, wo ge: tanzt wird. Ich nehme lieber den kleinen Godard mit; er iſt zwar ſehr einfaͤlti ig, aber er ſpringt doch, ſo viel man’ haben will! Ja, und dann "bietet er und auch immer bereitwillig Erfriſchungen an. Apropos Cleoͤpatraͤ, wer wird und denn heufe nach Haufe be: gleiten ? ...“ | „3a, ich weiß nicht.. zwei von unſern Herren ſi ſind bereits fort ... der eine klagte über Kopfweh und der andere wollte frühe zu Belle, weil er morgen verreiſen mäffe.. . aber wir müffen Doch Jemand haben.“

„Sei rühig, ih werde Dufresne den Hut verſtecken; er ſoll ohne und nicht fortfommen, ich ſtehe dafür;.... er wäre fchon fo fe, die Damen im Stiche zu laſſen, die ihn eingeführt haben!.. Sie wiſſen wohl, Mania, dies wäre nicht das erfte Mal, daß und fo etwas paflirte. Wenn auch, Heute Abend foll es nicht der Fall fein, und Dufresne darf den Hagen bezahlen.“

Mährend dieſer Unterredung fuhr Dufresne mit ſeinen Beob⸗ achtungen fort. Er hatte wahrgenommen, dag Madame Germeuil mit einer jungen Wittwe, Namens Dolban, fehr vertraut ſchien, und fogleich wurde dieſe Teßtere ver Gegenſtand ſeiner Aufmerkſamkeit; es wurde ihm leicht, mit ihr bekannt zu werden, denn ſie war nicht huͤbſch, und die Huldigungen eines hübſchen jungen Mannes mußten ihr um fo mehr ſchmeicheln, als fie ihr nur felten zu Theil wurben.

Als Dufresne fort wollte, fing er ſich in der Schlinge, bie ihm Madame Devanr gelegt hatte; er fand feinen Hut erft in dem

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Augenblide wieder, als die Mama und ihre drei Töchter zum Nach⸗ haufegehen bereit waren, und es gab fein Mittg, dem Dienft der Höflihkeit andzuweichen. Madame Dolban hatle überdies ſeine Be- gleitung abgelehnt, ihm jedoch erlaubt, fle befuchen zu dürfen, und das war ja Alles, was. er wünfchte.

Der junge Dann machte alfo zum böfen Spiele gute Miene; er padte die Familie Devaur in ein Gefährt, ſetzte fi $ rüdwärts zwiſchen Gleopatra und Ceraſine, und dann ging's nad) der Straße des Nartyrs.

Unterwegs mußte Dufreöne einen Strom von Epigrammen aus⸗ halten, den die drei Fräuleins gegen die ungalanten, unfreundlichen und langweiligen Männer Iosließen, die mit den häßlichen Frauen th unterhalten und die hübfchen vernachläffigen ; taufend andere Earfadmen mußte er hören, die der Verdruß über feine Galanterie gegen Madame Dolban hervorrief.

Dufresne hörte das Alles mit der größten Refignation an; ich glaube fogar, er hörte gar nicht darauf, denn fein Geift war anber- wärtd zu fehr befchäftigt, als daß alles Gefchwäg der drei empfind⸗ lichen Mädchen ihn Hätte interefficen können.

Cudlich Iangte man an. Dufresne half ver Familie ans dem Bogen und empfing dafür’ eine Verbeugung von der Mama, einen falten Gruß von @leopatra, einen trockenen guten Abend von Eera- iuen und einen unterdrückten Seufzer von’ Cornelien.

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Viertes Kapitel. Btüddpläne. Adeline fühlte ſich an der Seite ihres Couards'wie ein ganz nenes Weſen. Gegenſeitige innige Zärtlichkeit hatte bei ihr ein

ſtes Vertrauen, eine Herzliche Sreundfhaft erzenge ur und die frühere zuridhaltung und Furchtſamkeit verbannt.

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Was werben da nicht Pläne für die Zukunft gemacht, welche angenehme und glückliche Eriftenz fpiegelt man fich vor, wenn man fich ungehindert allen Täufchungen Hingibt, welche die Einbildungs- fraft junger Liebenden fteigern!

Die fanfte, gefühlvolle, liebenswürbige Adeline ift überzeugt, fo lange glüdlich zu fein, als ihr Eduard fie lieben wird, und ihr Eduard wird fie ja ewig lieben, hieran können Beide nicht zweifeln! Wie kann man bei fo vollfommener Mebereinftimmung zweier Herzen eine Aenderung für möglich halten... Man ift gegenfeitig auf: richtig, man empfindet Alles, was man jagt, und gewiß würde man auch Alles halten, was man verfpricht, bliebe die Glückſelig⸗ feit nur immer biefelbe,

In den Augenbliden aufrichtiger Herzensergießungen glaubt man wahrhaft für einander gefchaffen zu fein: Man hat“ venfelben Geſchmack, diefelben Gedanken, diefelben Wünſche; was das Eine jagt, findet das Andere vortrefflih, was die junge Frau vorfchlägt, wollte der Dann eben in Anregung bringen. Man erräth fich gegen: feitig und findet e8 ganz natürlich, nur einen Willen, eine Seele zu haben. Glückliche Uebereinftiimmung! Süße Einigkeit! Ihr würdet das hoͤchſte Glück bereiten, wenn ihr ewig fortbauertet.

„Alfo, geliebte Frau,“ rief Eduard, die niedlichen Hände feiner Adeline küſſend, „ven Winter bringen wir in Paris und vier Mo- nate ber ſchoͤnen Jahreszeit auf dem Lande zu. Ja, lieber Mann, das iſt abgemacht. Aber werde ich dann meine Anftellung be- halten können? ... fie wird mich verhindern, Paris zu verlaffen. Du wirft fie nicht behalten! wozu auh?... wir haben fünf: zehntaufend Franken Renten, reicht das nicht Hin, um glüdfich zu fein? DO! das ift mehr, als wir Brauchen! Ueberdies würde Dein Amt Dich den ganzen Tag von mir entfernt halten, und das mag ich nicht! Meine befte Adeline!... aber was wird Deine Mutter fagen, wenn ich den Dienft verlafie? Mama hat nur einen Willen, ben, mich glüdlich zu wiſſen; fie wird unfern Plan

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billigen, ſie iſt nicht ehrgeiziger, als wir. Nun denn! es iſt entſchieden, morgen gebe ich das Geſuch um meine Entlaffung ein. - 3a, lieber Rann! Und dann Taufen wir und ein Fleined Land: haus, einfach, aber gejchmadvoll, wo wir mit unferer Mutter zu: ſammen wohnen. Nach welcher Gegend hin müßte das liegen ? Ro Du wilift, lieber Eduard! Nein, dad mußt Du beftim: men. Du weißt ja, ich bin immer Deiner Meinung. Gut! fe wollen wir und in der Umgegend umſehen ... wir lefen den Anzeiger... wir fragen Mama um Rath. Ganz gut, mein Lieber! Werden wir oft Gefellfchaft bei und fehen? .— Wie Tu wünfheft, lieber Eduard! Liebe Frau, das ift ganz Deine Zache. Rım! dann lieber weniger Gefellichaften, denn fie würden und verhindern, beifammen zu fein, allein mit einander fpazieren in gehen, und ich fühle, dad würbe mich Schmerzen. Wie lie benswärdig Du biſt! Nur einige gute Freunde Iaden wir dann und wann ein... die Deiner Mutter zum Beifpiel. Sa, fehr ſchön! res Morgend gehen twir in ben Garten; denn einen Garten müffen wir haben, nicht wahr? O, das verfteht fih. Einen großen Garten mit MAlleen und Lauben. Ab, Du denkſt fchon an Rau: ben! Aergert Dich das, mein Freund?”

Statt aller Antwort fchließt er fie in feine Arme, brüdt fie an fein Herz, empfängt ihre Lieblofungen, und die Unterhaltung ır einige Augenblide lang unterbrochen.

„Alfo einen großen Garten werden wir haben mit dichten Ge⸗ büſchen und Laubengängen,“ knüpft Eduard das Gefpräch wieder an. „Ja gewiß, mein Sinziger,“ erwidert hierauf Adeline mit zärtliden Lächeln und die Augen verfchämt niederfchlagend... „Abends burchflreifen wir die Gegend, tanzen mit den Landleuten, ter machen eine Partie mit unfern Nachbarn, wenn fchlechtes Wetter-iſt ... iſt es fo recht? Ja gewiß! mein Theuerfter, res if allerliebſt.“

Die zärtliche Adeline ift immer der Meinung ihres lieben Ge:

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mahls; Edunard will keinen Willen haben, und Beide find fo einig, daß ein jedes dem andern dad Recht gerne überläßt, dad Haus⸗ regiment zu führen. j

Die jungen Eheleute kamen gerabe auf einen höchft interefjanten Artifel des chelihen Glücks; fie dachten an die Kinder, bie fie befommen würben, an ihre Erziehung und den Stand, den fie dereinft wählen follten, als es leife an die Thüre ihres Zimmere klopfte.

Es war Madame Germeuil, die nicht länger warten konnte, ihre Tochter zu umarmen, und in ihren Augen das Glück ihres Herzens "zu leſen. Welch feliges Schaufpiel für eine Mutter!... das fle an diefelbe Epoche ihres Lebens erinnert.

Adeline drüdt fie erröthend an ihr Herz, die gute Mutter fündigt ihnen an, daß das Frühftüd fie erwarte, und das Früh—⸗ ftüd ifl eine weſentliche Sache nad) der Hochzeit. Die junge Frau nimmt indeſſen nur wenig zu fi; fle ift zu voll von Gedanken, um Appetit zu haben; die Ideen, die ihren Kopf durchkreuzen, reichen hin, um jeded Bedürfniß zu entfernen; mit dem jungen Ehemann ift es aber anders, er ißt nicht, fondern er ſchlingt! Bin neuer Beweis, daß die Männer nicht wie Frauen lieben, ba bie: felbe Urfache nicht venfelben Erfolg hat.

Mährend des Frühftüds machen die jungen Lente ihre Mutter mit ihren Plänen befannt. Madame Germeuil wundert fich nicht wenig über die Neuigfeit, daß Eduard feine Anftellung aufzugeben gedenkt. Sie will einige Gegenvorftellungen machen, fie verfucht ed, ven Nachiheil herauszuheben, den Murville davon haben möchte, da er im Grabe weiter vorrüden, ja ſelbſt Bureauchef werben könne. Eduard fchweigt; im Herzen fühlt er wohl, daß die Mutter Recht bat, aber Adeline bittet fo innig, küßt fie fo zärtlich, macht ihr eine fo rührende Befchreibung von dem Glück, ſich künftig alle drei nicht mehr zu trennen; fie rühmt gefchiclt die Vergnügungen des Landlebend, ihre Fünftige Lebensweiſe und alle Vorzüge einer

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jufrienenen Griftenz, daß Madame Germeuil nicht den Muth hat, ihren Bitten zu wiberfiehen, und ber Plan wird angenommen.

„Aber,“ fagt die verfländige Frau, „Eduard Tann doch nicht ohne Beſchäftigung bleiben. Der Müßiggang iſt ſehr gefährlich und laͤßt und oft Thorheiten begehen, wovon wir keinen Begriff gehabt Hätten, wenn wir arbeitfam gewejen wären. D, Mama! feim Sie ganz ruhig! Edunard foll ſchon zu thun haben, das ift meine Sorge! ... Erſtlich die Beforgung unferer Geldgeſchaͤfte, er bat fa unſer Fleined Vermögen zu verwalten!... dann forgt er für unfer Landhaus, für ven Garten... dann muß er doch auch mir feine Zeit widmen, wir gehen fpazieren. Aber, Tiebe Tochter, man kann doch nicht immer fpazieren gehen. Ganz gewiß, aber man ruht aus, man arbeitet auch im Garten... Und unfere Kinder, venfen Sie denn daran gar nicht? müffen fie nicht erzogen werben, mug man nicht auf ihren Unterricht, auf die Richtung ihres Geiſtes At Haben? Ah, Du denkt ſchon an Kinder? Ja, liebe Rama, o, wir haben das Alles fchon in Erwägung gezogen! Bad Du doch für eine Heine Närrin biſt! DO nein, Mama, Sie werben fehen, wie vernünftig ich bin, und mein Mann auch.“

Madame Germenil war von den weifen Blänen nicht fo ent- zückt wie diefe; aber fie befchloß, auf das Betragen ihrer Kinder beſtaͤndig ein wachſames Auge zu richten, umb wußte, daß Abeline, trog ihren Luftfchlöffern, doch zuerft von ihren Irrthümern zurüͤck⸗ femmen würbe. Was Eduard betraf, jo thät er ja, was man wollte; es fam nur darauf an, ihm gut zu rathen, und nit, wie Adeline, het feiner Meinung zu fein.

Nach dem Frübftüce befchäftigte man ſich mit der Wahl eines Landhanfes. Man Hatte den Anzeiger holen Taffen. Adeline brachte ka ihrem Gemahl. Madame Bermenil überlegte, in welcher Gegend ın der Nähe von Paris wohl die gefundefte Luft fein möchte, als Mög Murville auf feinem Stuhl in die Höhe fährt und einen ckchrei der Ueberraſchung thut.

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„Bott, was ift denn, mein lieber Mann,” frug Adeline ers ftaunt über defjen Bewegung. „Ja, es iſt's!“ ruft Eduard, im Lefen fortfahrenn, „in BillenenvesSaint:George, dad Hans Liegt nach dem Felde hinaus, zwei Stöde hoch... ein großer Garten... ein Pavillon... ein Hof... ein eifernes Gitter, Nun, lieber Freund, und das Alles hätte Dich beinahe vom Stuhle geworfen ? Ad! liebe Frau, befle Mutter, dies Haus!... Kennſt Du e8 benn? Ob ich es kenne? es gehörte meinem Vater... Ich babe einen Theil meiner Jugend darin verlebt. Wär! ed möglich? Unglüd Hatte und gezwungen, ed zu verfaufen... aber ich konnte ed nie vergeffen!... Aber, lieber Dann, warum haft Du und nichts davon gejagt? Ich wußte ja nicht, daß ed jeht zum Ver⸗ auf audgefeßt if. Gut, lieber Eduard, dann fuchen wir nicht weiter, wir haben gefunden, was wir brauchen... bie Wohnung, worin Du Deine Kindheit verlebt haft! Lieber Eduard... wie fehr werde ich mir darin gefallen!... Mama, Sie geben Ihre Einwilli- gung, nicht wahr? Ja, wenn bad Haus nicht zu theuer ifl. D, wie könnte es zu theuer fein, Eduards Haus!... ah, wie herrlich! . .. Villeneuve-Saint-George ... ja, ich glaube die Luft ift dafelbft gut. Ganz gewiß ift da eine gute Luft! Laß uns fogleich Hin, lieber Freund! Aber, liebe Tochter, es ift ſchon fpät; Ihr feid eben nicht früh aufgeflanden; wenn wir bis morgen warteten! Bid morgen! und wenn dad Haus heute verkauft würde? Ach! ich würde untröftlich fein und Eduard auch.“

Diefer ſchweigt, ficher aber kann er auch die Zeit nicht erwar⸗ ten, bis er hinauskommt. Nun denn, liebe Kinder, wenn ed euch fo viel Vergnügen macht ; es find aber vier Meilen. Wir haben ja ein gutes Cabriolet, feit vierzehn Tagen ift das Pferb fiehen geblieben... e8 ſoll ſchon tüchtig Iaufen. Wo werben wir denn zu Mittag effen * In Villeneuver Saint⸗George ... ba gibt gute Traiteuss... nicht wahr, lieber Freund ? Ei freilich ! Wir werben ſchon etwas bekommen, Und bei der Rückfahrt wird

3 ſchon ſinſter fein... Du weißt, Adeline, ich Tiebe nicht, bei Abend im Cabriolet zu fahren. D, Mama! Eduard führt ung, Cie wiffen, wie vorfichtig er ift... und der Weg ift ja prächtig, nt wahr, lieber Mann? Er war e8 wenigftens vor zehn Jahren. Echen Sie wohl, Mama, daß Feine Gefahr ift... Ach! fagen Zie nur Ja! Ich muß fa wohl Alles thun, wAs ihr wollt. Ad, wie gut find Sie, Dama!... ich feße gleich: ven Hut auf.“

Adeline läuft an ihre Toilette. Cduard befichlt dent alten: Roimund, ihrem Diener, anzufpannen.: Madame Germeuil macht Yh reifefertig, und Marie, das Dienftmädchen der jungen Ehefente,. rcht mit Bedauern, daß man dad Mittagefjen nicht verfuchen werde, - a6 fie für heute fo ausgefucht zubereitet hat.

Die junge Frau iſt zuerſt fertig, man braucht ja nur wenig zeit zur Toilette, wenn man weiß, daß man gefällt; darum bringen ‚tne Zweifel die alten Kofetten zwei Stunden vor dem Spiegef zu.

Adeline Hat ein einfaches Muffelinfleiv an; ein Gürtel um ve fhlaufe Taille, ein mit Blumen und Federn nicht überladenes Stmbhütchen und ein leichter, nachlaͤſſig über die Schultern ge- rerfener Shawl bilden ben einfachen, aber reizenden Bug unferer ıngen Frau; Alles an ihr muß gefallen, ihre Geflchtszüge athmen üdund Liebe! Freude und Seligkeit verfchänern fepes hübſche Geſicht.

Gouard betrachtet fie mit Wonnegefühl, Madame Germeuit mit Et): Adeline umarmt beide und reicht ihrer Mutter den Arm, damit dieſe fchneller zum Wagen hinunter Tomme, denn fie brennt “7 Begierde, Gbuards Vaterhaus kennen zu lernen, und biefer rinfht nicht minder, den-Aufenthalt feiner Kindheit wieder. ze hen. Endlich fißt die glůckliche Mutter im Fond des Cabriolets

t Adeline neben iht; Eduard ergreift die vůgel und nimmt den “a nad Vilienenve-Caind:Geirge.,

Kalte Are. I. 3

4 Sünftes Aapitel,

Der Kopfmitdem Shnurrbart.

Cduard läßt fein Pferd recht auslaufen, und bald erreicht man das Dorf. Als man die Dorffiraße Hinter fih bat und links dem Felde zu einbiegt, gewahrt man das laͤngſt erfehnte Landhaus.

Adeline ift vor Freude außer fi und nimmt ihren Hut ab, um befjer zu fehen ; Eduard treibt fein Pferd noch färfer an, und Madame Germeuil fchreit laut auf, aus Furcht, umgeworfen zu

werden. | Endlich hält der Wagen vor dem Gitter, das den Hof umgibt. ‚Sa, das iſt's, das iſt's,“ ruft Eduard, vom Wagen fpringend; „ja, ja, bier iſt 28... ich erfenne die Thüre, den Hof, fogar Die Hausklingel wieder, es ift noch die alte! und da ift die Tafel mit der Anzeige, daß das Haus zu kaufen fei.

Während er dad Haus mit innerer Bewegung betrachtet, Hilft Adeline ihrer Mutter aus dem Cabriolet; man bindet das Pferd an und tritt durch die offene Thüre in den Hof.

„Ach! wie wird ed mir hier gefallen, zuft Adeline, ihre Blicke freudig umherwerfend, „nicht wahr, Mama, ift das Haus nicht Herr: lich? Nur Geduld, liebe Tochter, wir haben ja noch nichts gefehen.”

Ein Ianger Bauernfneht kommt mit einem großen Hund ihnen aus dem Haufe entgegen. „Was wünfchen Sie ?“ fragte er etwas plump. „Wir wünfchen das Haus zu befehen,” antwortet Eduard. „Sa, und e8 zu Taufen,“ fügt Adeline Hinzu.

„Dann laffe ich's mir gefallen,“ brummt der Bauer: zwifchen den Zähnen, „folgen Sie mir, ich führe Sie zu meinem Herm.“ Er geht voran eine Treppe hinauf und läßt fie in einen Speifefaal treten, um inzwifchen feinen Herrn von ihrer Gegenwart in Kennt: niß zu jeßen.

Alsbald Laßt feh aus dem Zimmer, in das der Diener ge:

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gangen if, eine dünne, fcharfe Stimme. hören, und unfere Reifen: den vernehmen folgendes Geſpräch: „Was willft Du, Peter? (Ge find Känfer zu Ihrem Haufe da. Störft Dee mich ſchon wieder, um mir munüßerweife einen Dummkopf über den Hals zu fchiden, wie jo eben ? O nein, mein Herr, diefe da fehen ganz anders aus! Hat mich der verfluchte Kerl doch geärgert ! gewiß werbe ıh davon Frank werden! Ich fage Ihnen, die Leute draußen ind in einem Cabriolet gelommen. Ad, fo! das ift ein ander Tug... dann muß ich fie fprechen.”

Madame Germeuil und ihre Kinder wußten nicht, was fie von tem Gehoͤrten denken ſollten, als die Thüre des Nebengemaches zufging, und ein kleines, hageres, gelbes, runzliches Mänuchen in <hlafrod und Nachtmütze erſchien, und fie mit gezwungen freund⸗ „der Miene begrüßte.

„Bir wünſchen Ihr Haus zu bejehen,“ fagt Eduard, „mir ift es war nicht fremd, aber die Damen möchten e8 gerne fennen lernen. Es iſt doch ſonderbar,“ erwidert der Eleine Herr, feinen Diener ‚njebend, „ein Jeder kennt mein Haus!... und Ihre Abſicht iſt, es zu faufen? Gi freilich! wenn der Preis annehmbar if. Ken, fo werde ich Sie felbft herumführen.“

„Bel ein Original,” fagte Adeline leife zu ihrem Manne, .ıh weite, es ift ein alter Wucherer, ver ſich hieher zurückgezogen tat, und nun dem Wunfch nicht länger widerſtehen Tann, aufs Rene feinen Handel in der Stadt zu treiben.”

Man beficht das Haus vom Keller bis zur Bühne, der Feine Ye läßt nichts unbeachtet, und Eduard, froh, fein Vaterhaus meder zu fehen, Hört geduldig alle Lobeserhebungen des Beſitzers an. Bon Zeit zu Zeit fagte er laͤchelnd zu feiner Kran beim Eins ußt in jedes Zimmer: „Sa, ja! das ift die Stube... vort das Kabinet ... Hier find noch die alten Wanpfchränfe ...“ Und dabei ‘aut der alte Herr feinen Diener an; beide fcheinen fich zu verflehen.

„Ste haben aljo früher fchon hier gewohnt?“ fragte er endlich.

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„Ja, mein Herr, ich habe einen Theil meiner Jugend hier wer- lebt. Das ift doch drollig,“ brummt der Diener; „dad iſt zum Erſtaunen,“ der alte Hert.

- Madame Germeuil findet das Haus bequem und wohnlich; Adeline ift entzüct darüber, und Eduard wünfcht jet den Garten zu fehen ; der Eleine Mann entfchulbigt fi, fie aus Mattigfeit nicht begleiten zu Tönen, böktet, dem Diener zu folgen, und unfere jungen Eheleute ‚find keineswegs unzufrieden, einen Augenblid von dem alten Herrn befreit zu fein.

Der Bauernfnecht geht voran, ihm folgt Madame Bermeuil, und Adeline und Eduard fchliegen Arm in Arm den Zug. Gonard macht feine Frau anf jedes Plabchen aufmertſam, das ihn an feine Kinderfahre erinnert.

„Hier war ed,” fügte er, „wo ih mit meinem Bater lad, Hier in dieſer Mllse fpielte gewöhnlich mein Bruder Jakob und flieg auf die Aprikofenbäume. Der arme Bruder Jakob... Haft Du nie wieder von ihm etwas gehört? Nein!... D! er iſt gewiß irgendwo in einem fremden Lande geftorben, fonft wäre er zurüd: gefommen und hätte feine Eltern adfgefuht!... Das rührt daher, wenn man auf feine Kinder fein wachfames Auge Hält, biefer Jakob hat gewiß ein fchlechtes Ende genommen.”

Eduard antwortete nicht; die Erinnerung an- feinen Bruder machte. ihn immer traurig und nachdenfend ; er war feft überzeugt, daß derfelbe nicht mehr lebe, und wahrjcheinlich nährte er hauptſaͤch⸗ lich deßhalb dieſen Gedanken, um den andern aus feinem Kopfe zu verbannen, daß er vielleicht elend und gefunfen in ber Welt um: herirre. Auch mochte er, feitvem er gewiß wußte, daß Adeline die Seimige werde, zumeilen fürdhten, feinen Bruder in erniehrigender Dürftigkeit wieder zu finden, weil ihm das in den Augen der Ma: dame Germeuil nachtheilig werben Tünnte, und fo oft ein Bettler von feinem Alter ihn anfprach, flieg ihm das Blut ind Geſicht; er entfernte fich raſch, aus Beſorgniß, es könnte fein Bruber Jakob fein,

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Euard war deffen ungeachtet nicht gefühllos; er hätte feinen ruder nicht zuruͤckſtoßen koõnnen; aber fo find die Menfchen! Eigen⸗ liebe erfickt bei ihnen oft die enelften Empfindungen ; man erröthet über Brüder und 'Schweftern ! ja es gibt Menfchen, vie fich ihrer Gitern ſchaͤnen. Das find aber lets nur ſolche, die fich ſelbſt nicht abten, denn fonft würden fie ihren Stamm in Ehren halten,

Aber Tchren wir zu unfern jungen Eheleufen zurüd, bie alle Gänge bed Gartens durchlaufen, fich anlächeln und vor jeder. dunkeln Orotte oder jedem dichten Gebaſche die Hände brüden. Der Diener blieb einen Augenblick zurück, um das Halsband ſeines Hundes wieder a befefigen, Madame Germeuil und ihre Kinder ſetzten ihre Pro- menade fort, Man erreichte enblich das Ende des Gartens. Die rine Seite deſſelben ſtoöͤßt aufs Feld und iſt von einer hohen Mauer umgeben; in derſelben befinbet- fich aber ein Ausgang und biefer % duch ein mit Brettern verſchlagenes Gitterthor verfchkefien, ba; nit die Borkbergehenden nicht in den Garten. herein fehen Tönnen, Pie Bretter waren indeffen zum Theil ſchon verfault, und sin Stüd terfelben war los. Als die Befellfchaft vor bie Thüre Fam, be- nelte fe den Kopf eines Mannes, ber denfelben gerade: ba’, wo Yit Breiter zerbrodhen waren, gegen bad Gitter hrüdte, und fehr ufnerffam in den Garten herein ſchaute. W

Radame Germenil konnte einen Ausruf des Schreckens nicht midhalten, Adeline empfand einen geheimen Schamder und ſelbſt Men warb durch den unvorbereiteten Anblid einen Augenblid rannen. i oo.

Das Geſicht des Mannes, der in den Garten blickte, mußte ilemings im erſten Augenblicke überrafchen; ſchwarze Augen, braͤun⸗ he Geſichtsfarbe ſtarker Schnurrbart, eine tiefe Narbe quer über “Stimme Hs zur linken Augenbraune Alles das gab dem Ge: einen wilden Ausbruch und gereichte der Geſtalt keineswegs um Vortheil.

„Ad! mein Gott! was iſt das?“ rief Madame Bermenik,

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plöglidh ſtille ſtehend. „Nun, nun, es iſt ein Mau Vergnuͤgen macht, in den Garten zu ſehen,“ antwortete dem er den Fremden, der nicht vom Gitter wegging, näher

„Er flößt mir beinahe Furcht ein,“ fagte Adeline „Beinahe, meine Tochter ? Dann J Du froh ſein! ſtehe, ich bin halb des Todes,“ ... und dabei brängt r an den Schwiegerjohn.

„Aber wie furchtſam find Sie, Madame; etwas: weiter nichts. Wenn man an einem hübfegen Garten | kann man doch wohl einen Augenblid bineinfehen? Di felbft wohl ſchon zwanzig Mal vaſſirt. Ja gewiß! haben auch nicht folch fehauberhaften Schnurrbart! Sir bewegt ſich gar nicht und fcheint gar Feine Netiz von ung

Seht holte der Diener wieder die Gefellfchaft ein, als er am Gitterihor die Geftatt ſah, zufammen um in ven Bart: „Iſt er noch da? Den Teufelskerl folleı nicht loskriegen.“

Der Unbelannte warf einige Blide anf ven Hausf die Damen lafen in feinem Geſicht Zorn und Beradhtun dem er die Perfonen im Garten noch einen Augenblid hatte, verfchwand fein Kopf endlich Hinter dem Gitter.

„Ich möchte wohl wiffen, wer der ift,” Tagte Adeline „In der That, ich fchließe anf nichts Gutes,“ erwid Germeuil, die jet freier Athem fchöpfte, da fie den nicht mehr fah. „Diefer Mann führt Böfes im Sch wahr, Eduard? O Mama, das glaube ih niit; den Mann vom Kopf bis zu den Füßen gefehen, fo würi Geſicht vielleicht nicht fo auffallend erfchienen fein.“

„Mein Mann hat recht, Mama, ich meine, Bieles dem Zuftanbe ab, in dem die Dinge fih uns barftellen. Lumpen bebedter Menſch flößt uns oft Mißtrauen ein wir denſelben Menfchen ohne Angft anfehen würden, wen

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gefleibet wäre. Die Naht, die Ruhe, der Monpfchein, die langen Schatlen der Gegenftände, Alles wirft auf uns ein, und bringt unfere Ginbildungskraft in Bewegung. Du magft fagen, was Tu willſt, Tiebe Tochter, aber jenes Geficht fah nicht aus bloßer - Rengter in deu Garten! Es kann fein, ich Hätte nur die ganze Geſtalt ſehen mögen. Pot Blitz!“ rief der Diener, „Sie hätten nichts beſonders Schönes gefehen! Kennt Ihr denn den Mann" fragte Apeline fogleich. |

„sch Tenne ihn nicht, Madame, aber ich habe ihn fchon heute früh gefehen. Er kommt mir wie ein Bagabund vor, der ſich im Dorf umbertreibt, um irgend einen Streich auszuführen... Aber mir fell er nicht wieder kommen, oder mein Hund hat ihn am Kragen... Und Ihr wißt nicht, was er im Dorfe zu fchaffen Hat? Reiner Tren, das ift mir gleichgültig ! wenn er nur meine Schwelle nicht wieder betritt, weiter verlange ich nichts.“

Da man fo eben vor dad Haus kam, wo ber Eigenthümer die Geſellſchaft an der Thüre erwartete, fo hatte dies Gefpräcd ein Ende.

„Run, wie gefällt Ihnen ver Garten ?" fragte der Fleine Greis Melinen. „DO! recht gut, mein Herr, ich denke, wir werden einig werben, nicht wahr, Mama? Sa, ja! vielleicht! ...“

Seit Madame Germenil den Kopf hinter dem Gitter gefehen hatte, fand fie das Haus und feine Umgebung nicht mehr fo Tieblich. Aber ihre Kinder wünfchten den Kauf lebhaft, weßhalb fie fi, iner kindiſchen Einbildungen fich ſchaͤmend, nicht länger widerſetzte m der Handel entſchieden wurde. Der kleine Mann machte zuerſt er hohe Forberungen, ging aber, als er hörte, daß er fogleich Mar bezahlt würbe, bedeutend herunter, worauf man ſchnell ins Reine Lam.

In der Luft feines Herzens Ind ber Eigenthämer die Geſell⸗ Khaft ein, tm Hauſe noch etwas auszuruhen, und bot den Damen Irgar Zuckerwaſſer an ; allein man fehnte ſich nicht nach Weiterer delanntſchaft mit dem alten Geizhals ; außerdem hatte ver Appetit

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fi) eingefunden, und man wußte noch vor dem Mittagefien zum Notar bed Orts.

Das trodene Maͤnnchen beſtand nicht Länger auf feiner @in: ladung ; er nahm feine Schlafmübe ab, ließ ſich einen alten Filz⸗ hut bringen, den er aud Schonung unter den Arm nahm, zog eiuen abgefchabenen braungelblighten Rod an und vergaß auch nicht fein ftarfes Rohr mit krummem Griff, worauf er ſich um fo lieber fügte, als er glaubte, daß, wenn jeine Füße nicht die ganze Laft feines Kür: pers zu tragen hätten, dies nothwendig feine Schuhe ſchonen müfje.

Man kom zum Notar, der eim kurzes Protokoll auffegte und die Verkaufsakte in vierundzwanzig Stunden vorzulegen verſprach; Eduard verpflichtete fi, am andern Morgen mit dem Kaufgeld wieder dir zu fein, und Herr Renare, fo hieß der Verkäufer, machte ſich anheifchig, zur beftimmten Stunde ſammtliche Schlüſſel des. Haufed einzuhaͤndigen.

Serhstes Kapitel. Das ländliche Mittagsmapf.

„Jetzt wollen wir auch an das Mittageſſen denken,“ rief Eduard, als man den Notar verließ, „und wo möglich beim erſten Reſtaura⸗ teur des Orts. Lieber Freund! wir hätten und bei Herrn Nenare hiernadh erkundigen follen. Ei bewahre, ich bin überzeugt, der alte Geizhals hätte uns in die fehlechtefte Schenke gewiefen . aber ſiehe va!... jenes Haus macht gute Miene, eine Reftauration und Weinhandlung... im gefrönten Degen... da lied nur... „Bier werden Hochzeiten und Feſtmahle beſorgt,““ was Halten Sie davon? Alfo hinein in den gefrönten Degen !“

. Man tritt zum ländlichen Traiteur ein. Die Borberfeite des Haufes ift mit Schinken, Bafteten, gebratenen Hühnern, Spargel: bündeln und Wildpret bemalt, aber die Küche vergleichen ländlicher

al

Birtdöhäufer bietet felten mehr, als ben vierten Theil vun bem, womit bie Hausthüre verziert iſt; ja felten findet man fogar Feuer auf dem Herd.

Als unfere Barifer das Gaftzimmer zum gefrönten Degen be: kkaten, war der Eigenthümer des Gafthofes, ver zugleich die Stelte bed erfien Koches verfah, jo eben beſchaͤftigt, fich zu rafiren ; fein Heiner Küchenjunge fpielte mit einem Jonjou, die Frau des Haufes fridte und ihre beiden Mädchen wufchen und bügelten.

Jeufel!“ rief Eduard, „das deutet eben auf Feine Küche! aber was hilft’3, man muß eben mit den Wölfen heulen!... Allerdings, mein Freund, unfer Appetit ift der befte Koch.”

Beim Anblid der eleganten Damen und eines Cabriolets vor der Thüre geräth Alles in Bewegung. Der Gaftwirth wirft Raſir⸗ meſſer und Seifenbüchfe bei Seite, wifcht fi) das Geficht ab und geht halb raſirt den Gäften mit tiefen Büdlingen entgegen; feine Fran widelt dad Strickzeug zufammen, wirft e8 auf ven Bügeltifch, und Goton, eine ver Mädchen, Schaut auf die fchönen Damen, hebt dad heiße Bügeleifen aus Bergeplichleit in die Höhe und fährt da⸗ mt der Wirthin unter die Nafe ; die Hausfrau fährt in Folge des Schmerzes, den ihr das glühende Eifen verurfacht, mit lautem Ge: ſchrei zurück, wirft den Wafchtrog um, worüber der Küchenjunge noch mehr erfchrickt und fein Soujou in ein Caſſerol verftedt; die Damen aber entfernen fich ſchnell, um nicht in das Seifenwafler ja teten, womit dad Zimmer plöglich überſchwemmt if.

Der Reflaurateur ftottert taufend Entfchuldigungen, ſucht aber tabei zugleich feine Frau zu beruhigen. „Ich bitte tauſendmal um Berzeihung, meine Damen, mein Herr,“ fagt er; „haben Sie nur tie Güte, näher zu treten... fei doch nur ruhig, Frau! es ift ja nicht fo bedeutend! ... ich brenne mich weit öfter des Tages... Wir können mit Allem aufwarten, meine Küche ift gut beftellt.... das alberne Mädchen, die Goton, gibt nie Acht auf das, was fie hut... fege Kartoffeln ans Jeuer, liebe Frau... abex Tommen

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Sie doch nur näher, meine Herrfchaften, und wählen Sie fi ein Zimmer ober Kabinet nad) Belieben.”

Die Damen fcheuen fih, einzutreten, weil fie fi die Füße nicht naß machen wollten; endlich bringt das Mäpchen ein langes Brett und bildet damit eine Brüde nad) dem Nebenzimmer. Die Paſſage erregt Lachen und unſere Reifenden verfprechen ſich viel Vergnügen in einem Wirthöhaufe, wo ber Eintritt fchon fo viel Spaß mad.

„Nun, mein lieber Herr Gaftrath, was werben Sie und vor: fegen koͤnnen,“ fragte Murville den Koch, der ihm“ gefolgt war, und feine Künfte herausftrih. „Mein Herr, ein fehmadhaftes Kaninchenragout. O, das dacht’ ich mir, die Kaninchen fehlen nie bei euch Leutchen, aber wir find Feine Freunde davon... Können Sie und Boteletted geben? Gewiß, mein Herr, die find leicht zu haben. Gin gebratenes Huhn? Ich Habe gerade eines, das muß delifat fein. Friſche weiche Eier? O! anders ale feifch Fennen wir fle nicht! Nun, weiter bedürfen wir nichts, mit Salat und Ihrem beften Wein werben wir eine treffliche Mahlzeit halten, was meinen Sie, meine Damen? Sa wohl, nur hübſch raſch, denn wir verſchmachten vor Hunger. Tragen Sie feine Sorge, meine Herrfchaften, Sie follen augenblidlich bevient fein.“

Meifter Bonnenu kehrt zu feinen Leuten zurüd. „Nun mun: ter,“ ruft er und ſteckt fein Schnupftuch im Dreied ald Schürze vor, was nur bei befonderen Gelegenheiten gefchieht; hübſch munter jetzt, Frau und ihr Mäpchen, es gibt zu Fochen und zu braten, und es ift nichts vorräthig, ald Kaninchenragout, das fie nicht mögen, und das alte Teufeldhuhn, das ich vor acht Tagen für den Juden braten Tieß, der nichts als frifches Schweinefleiſch aß. Nun, hoffe ich, foll e8 endlich einmal gefpeist werden; Goton, fled ed an ben Spieß... ich glaube, es ift nun das fünfte Mal; aber e8 fchadet nichts, ich mache eine Sauce von boeuf à la mode daran, dann wird es ſchon Hinunterrutfchen. Gott, wie habe ich mich verbrannt,

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ih lege ſchon das flebente Mal geſchabene Kartoffeln auf. Pot Big! Da bringft mich da auf einen trefflichen Gedanken, die ge: ſchabenen Kartoffeln laſſen ſich vorzüglich benügen; lege fie bei Seite, Fran, ich made ein Souffle für unfere Gaͤſte davon.

Du, Fanfan, laufe zum Schlächter und hole mir Sammelcotelettes, and Du, Marianne, Taufe Eier und fomm bald zurüd, um ten Salat zu Iefen... Ah! hurtig, zündet ein Licht an... gebt mir Siegellack, daß ich meine Flafchen verfiegle, das macht den Wein beffer.“

Ein Jedes beeilt ſich, die Befehle des Herrn zu befolgen, der feine Bratöfen heizt und feine Hemdaͤrmel hoch Hinauffchlägt, um dad Waffer zu den Eiern beizufeben ; Goton fpießt das unglüdliche Hubn zum fechsten Male und fleht zum Himmel, es möchte das legte Mal fein; Marianne bringt &ier und eilt ſodann in den Gar: tm, um ein Dutzend Salathäupter zu fchneiden, und Frau Bonneau enblich ſchabt fleißig Kartoffeln, legt fie fich auf ven Brandfleck und fammelt fie hernach pünktlich auf einen Teller, wie ihr Mann es verlangt, denn ein geſchickter Koch weiß von Allem Bortheil zu ziehen.

Fanfan kommt aber vom Mebger mit der traurigen Nachricht zurück, daß es Keine Gotelettes gebe; der Maire hat fo eben bie legten , erhalten ; wenn man aber noch eine Stunde warten möchte, fo ließe fidh’8 machen ; der Knecht läßt nur fein Meſſer Schleifen und ſoll, fowie er zurüdfehrt, einen Hammel ſchlachten. „Teufel! das tft ein dummer Streih ruft Bonneau, indem er die Eier ine Waſſer legt... „nun, ich werde meine Säfte um ihre Mei: mung fragen.”

Der Wirth geht ind Nebenzimmer, wo die Damen und Eduard Sereitd mit Ungeduld auf das Mittagefjen harren, dabei aber noch immer über die Eintrittöfcene Tachen. i

„Nun! wie iſt's, werden wir bald fpeifen *“ fragt Eduard, fewie er den Wirth erblickt. „Im Augenblid, mein Herr! Ihre Augenblicke find ziemlich Tang, Herr Gaftrath ! Ich wollte aut Ihre Befehle wegen ver Gotelettes einholen. Wie? Der

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Mebger hat Feine vorräthig ; aber fein Knecht wird fehr bald zu: rüdfommen, ſodann gleich einen Hammel ſchlachten, was nicht allzulange dauern wird, zumal wenn Sie einen Spaziergang in meinem Garten machen wollten. Den Teufel au, da Tönnten wir lange warten... ein fchöner Vorſchlag!... Wir find nicht hie⸗ hergekommen, um Ihre Salat: und Schnittlauchbeete zu bewundern! Lieber Freund! beruhige Dich nur,” bittet Adeline, über bes Wirths Kaltblütigfeit und Eduards Aerger lachend, „dann effen wir feine Cotelettes. Kann ich die Schüflel mit einem delikaten Ka- ninshenragout auffeßen, Madame? Geben Sie und, wad Sie ‚wollen, aber geben Sie und doch wenigfiend etwas. Im Augen⸗ blick follen Sie bedient fein.“

Meifter Bonneau ift ganz felig, daß er fein Kaninchenragout vorfegen darf, denn das iſt das Geriht, worin er fich auszeichnet. Er ergseift das Kafferol, worin fich Die Ueberrefte von zwei Kaninchen befinden, ſetzt ed, nachdem er es zugedeckt hat, aufs euer, be⸗ fiehlt Fanfan, das Ragout fleißig umzurũhren und traͤgt ſeine weichen Eier der Geſellſchaft auf.

„Sie ſehen, meine Herrſchaften, wie flink ih bin,” fagt er, - indem er die Eier mit größtmoͤglichſtem Anftand den Bäften vor: ſetzt ... „Ich denke, ein Souffle von Kartoffeln à la fleur d’orange bürfte der verehrlichen Geſellſchaft wohl auch nicht mißfallen ? Wie, Herr Wirth, im gefrönten Degen gibt's auch Souffle’s? D ja, mein Herr, und zwar fehr gute, ich Tann mich. deffen rühmen. Ei, da find Sie ja ein Meifter in-Ihrem Fache? Mein Herr, wenn man in Paris bei Very gelernt hat... Adh, das ift was anders; wenn Sie ein Zoͤgling von Bey find, fo wundere ich mich freilich nicht und habe alles Vertrauen zu Ihrem Souffle.“

Bonneau zieht fi, ganz aufgeblafen von den ihm gemachten Gomplimenten zurüd ; die Damen verfuchen bie vermeintlichen weich gefottenen Eier mit Brobfchnitichen zu effen, aber es ifl rein um;

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möglich, fie find ſteinhart und nad abgelsöter Schale kaum zu zerſchneiden.

Adeline lacht laut auf, Madame Germeuil ſwattelt den Kopf, and Eduard findet überdied noch, daß die Eier nicht friſch find.

„Das bringt mir eben feinen hohen Begriff von feinem Seuffle bei,” fagt die Mama, indem fie ihr Ei wiener auf den Teller legt ‚Rz Geduld, wir haben ja noch Hoffnung! ... Sie wiſſen, große Männer achten dad Kleine nicht, und Very's Zoͤgling kann zuletzt wohl das Weiche-Gier-Kochen nicht verflehen.“ -

Bonneau trägt jetzt mit beiden Händen eine ungeheure Schüffel vol Kaninchenragout auf.

„Herr Wirth, die Eier beweifen eben Ihre große Kunft nicht, Ne find hart wie Stein, nnd bazu nicht ganz friſch. Wenn fie Ionen nicht ganz friſch vorkommen, fo muß das an den Hühnern liegen, denn fie find erſt heute gelegt ; was aber dad Harte betrifft, ſo geſtehe ich, liegt der Fehler an meiner Uhr, ich laſſe fie fünf Rimten im Wafler; wenn aber die Uhr fliehen bleibt, waͤhrend he auf vem Feuer find, fo fann der befte Koch getänfcht werben ! Da Haben Sie Recht, es ift nur ein Glück, daß zum Ragout line Gier gehören, und es nicht auch nach der Minute zubereitet . wird. Ach, Sie werden damit zufrieden fein, "ich werde unter: teffen Dafüc forgen, daß das gebratene Huhn recht mild werde.“

Bonneau nimmt feine harten Eier, wovon man keines gegeffen bat, wit fort, um fie zum Salat in verwenden und fie fi fo jweimal bezahlen zu laffen 5 ein doppelter VBortheil! und damit man nicht mehr fagen kann, fie feien nicht frifch, - Welt er eine Sorte Del berbei, defien Geruch und Gefchmad nothwendig vorherrfchen müſſen.

„Run, meine Damen, da wir Doch einmal durchaus Kaninchen: ragout effen müflen, fo wollen wir ſehen, ob das unferem MWirthe he machen wird, aber was der Teufel ift denn darin?... Bind⸗ faben! Bindet unfer Bery die Kaninchen im Kaſſerol feſt? .. Da hängt ja Alles zuſammen, und ich kann dad Ende nicht ſinden.

46 Aber was ſehe ich denn da, meine Damen, ift das ein Schenkel oder ein Kopf? ... Die Kaninchen müfjen fonderbar gebaut fein. Ad, mein Gott!” ruft Adeline, das Ding auf Eduards Gabel näher anfehend, „das ift ein Joujou!“

Die junge Frau läßt ihren Teller wieder fallen und lacht bi zu Thränen, Eduard ebenfalls, und Madame Germeuil felbft kann bei dem Anblid des Joujou's, deſſen Bindfaden Alle Stüde des Ragouts umjchlungen hält, nicht ernfthaft bleiben.

Man wird fi) noch erinnern, daß bei der Ankunft unferer Parifer das ganze Haus in Aufruhr kam; der Küchenjunge fpielte gerade mit einem Jonjou, und als die Wirthin fich verbrannte und vor Schmerz den Waſchzuber umwarf, fürdstete Fanfan, gefcholten zu werben, und verftedte fchnell fein Jonjon in der nächtten beften Pfanne. Das mußte nun gerade die fein, worin ſich das Ragout befand. Als fie Bonneau fpäter nahm, hatte er ſogleich einen Dedel darauf geftürzt, ohne vorher Hineinzufehen ; der Knabe hatte guf Befehl feines Herren dann fleißig herumgerührt, ohne zu ahnen, daß er fein Joujou kochen laſſe.

Das laute Lachen der Geſellſchaft drang bis zu den Ohren Meifter Bonneau's.

„Ei, ei!" rief er, „es Scheint, unfere Gäfte find zufrieden ! ich dachte es doch, mein Ragout würde fie guter Laune madhen!... befto beſſer; da wird das alte Huhn Gnade finden... Geſchwind wollen wir's hineinbringen und den Salat dazu. Goton gib die Oclflafhe ... So. . . find die gehadten Eier darauf? ... fo, {hin ... recht [him . . . DO! dies Eſſen trägt und einen acht⸗ taͤgigen Verdienſt ein.“

Er tritt zu unſern fröhlichen Gaͤſten ind Zimmer, ſtellt Huhn und Salat auf den Tifch underwartetfchweigend ein neues Sompliment.

„Meiner Treu, Herr Reftaurateur,“ fängt Eduard mit er: zwungenem Ernſt an, „Sie bewirtben und auf eine ganz eigen- thümliche Weile... . Was wollen Sie denn mit Ihrem Ragout

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von Jonjon’8 fagen?... Bie fol ih dad verliehen ? Daß wir davon nichts genießen fünnen, Herr Bonneau. Was joll denn dad bedeuten? Sehen Sie nur, ift denn bas ein Kaninchen ?“

Herr Bonnean ſteht ganz verblüfft vor dem mit Sauce über: jogenen Jonjon. „Da,“ fagt Aveline, „nehmen Sie Ihr Ragout wieder mit, wad wir darin gefunden haben, reizt und eben nicht, ed zu verfuchen. Madame! ich bin wahrhaftig untroͤſtlich!. indeſſen werben fie doch die Webergeugung haben, daß ich unfehupbig bin... wenn die Kaninchen Sonjou freflen. Wahrbaftig, das iR far, wenn ihr Huhn nicht beſſer ift, müffen wir fehen, wo wir anderwärts zu eſſen bekommen.“

Der Wirth geht, ohne weiter hören zu wollen ; roth vor Wuth langt er in der Küche an und fchüttelt Fanfan tüchtig an den Ihren, um ihn Raifon zu lehren.

„Aber was haft Du denn, lieber Mann,” fragt Frau Bonneau, ihm die Schüffel mit den gefchabenen Kartoffeln bringend. „Was ih babe, was ich habe? der Schlingel macht nichts ald dumme Shreihe! thut Spielzeug in meine Ragouts; Fürzlic fand man auch zwei Pfropfen in einer Matelotte ; zum Glück waren die Gäfte benebelt und hielten fie für Champignons ; heute haben wir es aber mit vornehmen Leuten zu thun, und der Schlingel ift ſchuld, daß man dad Ragout nicht anrührt ! und das muß gerade gefchehen, wie ih ihnen das verunglüdte Huhn vorfege! . . . der Junge ift fo ſchmutzig, als diente er bei einem Garkoch! ... Frau, Trage Teinen Bxandfled fauber ab, es ift ja noch Kartoffelbrei darauf... nut hurtig! ich muß meine Reputation durch das Souffl& wieder berfiellen.”

Während Bonneau feine ganze Kunft auf das Zwifchengericht verwendet, fucht Eduard das Huhn zu trandhiren und Madame Ger: menil den Salat anzumachen. Aber vergebens arbeitet, er auf das alte Thier los; das fechöfache Feuer hat es dermaßen ausgetrocknet, daß es unmöglich ift, mit dem Meſſer Hineinzuflommen. „Da

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ift Alles umſonſt!“ ruft Eduard und fiößt die Echüffel von fich. „Das Del ift auch wicht zu genießen,“ verfegt Madame Germenil. „So jollen wir alfo heute nicht zu Mittag fpeifen,“ lacht Adeline.

„In der That, meine Damen,“ fagt Eduard, indem er auf- ſteht, „ich glaube, es ift überflüflig, noch bad Kartoffelfouffl6 ab⸗ zuwarten, wir fönnten vielleicht gar noch Schuhfohlen darin finden. Nehmen Sie Ihre Shawld, Sure Hüte, ich werde indeffen dem Wirth den Narſch machen, daß er uns fo zum Beften gehabt hat. Aber vor Allem, lieber Freund, ärgere Dich nicht, denfe, daß ed dad Bernünftigfte ift, über unfer Mißgefchid zu lachen ; nicht wahr, Mama? Ja, meine Tochter, aber das Eſſen weiten wir doch nicht bezahlen.“

Eduard geht nach ber Küche; als er gerabe in das Vorzimmer treten will, bringt die Stimme des einen Mädchens in fein Ohr; er hört vom Souffle fprechen, horcht neugierig auf ihr Geſchwätz und vernimmt folgende Unterrebung : „Ich fage Dir, Marianne, ich möchte von dem Zeuge nichts um viel Geld verfuchen, was der Herr fo eben zuſammenrührt! Nun, wahrlih, Du bift recht efel! ... Das ift ja ein Lederbiffen. Ein ſchoͤner Lederbiffen... er wird gut ſchmecken! Bah! wer wird denn fo delikat fein... Wenn Du aber Brod baden oder Wein eltern fiehft ..... da geht ed oft noch weit ärger zu! ... . umd beides ſchmeckt doch hernach gut! Du magft fagen, was Du willft, Marianne, ich fehe nicht zu, wie Brod und Wein gemacht wirb, aber ich habe die Kartoffeln auf dem Brandfled der Frau gejehen, bie fich eben nicht alle Tage feift, und ich weiß, daß nach einer Paftete daraus mich nicht gelüftet.“

Eouard hat genug gehört;... er flürmt in das Zimmer, bie beiden Mäpchen find hierüber ganz verwundert und laſſen ihn durch nach der Küche, wo Meifter Bonneau fo eben fein Souffle mit einer Himbeerſauce übergießt.

Murville ſtößt wild um fich her, ergreift das Gericht und wirft 3 durchs Fenſter in den Garten. Der Wirth iſt wie verfleinert,

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„Bas it Ihnen, mein Herr? ... woher biefer Zorn? Ha, vertenfelter Garkoch!... Ihr macht uns ein Souffl6 mit Kar⸗ tefeln, die Eure Frau fchon als Umfchlag auf ihrem Branpfled benutzt hat? Mein Herr, was wollen Sie damit fagen? Ihr verfieht mich ſchon, Ihr verbienet, daß ich Euch recht derb vie Reinung fage. Mein Herr... ich weiß nicht... Wir gehen, aber ih Eomme wieder, Meiſter Bonnean, und werbe des Very'ſchen cchülers mit feinem gekrönten Degen, feinen Hochzeiten und Saft: mablen alsdann gedenken.“

Ednard läßt den verblüfften Wirth ſtehen und begibt ſich wieder sa den Damen, bie fo eben das Speifezimmer verlaffen wollen. „tafien Sie und gehen,“ fagter, „und uns glücklich ſchätzen, von tem Rartoffelfouffle nichts genoffen zu haben. Nun, was ifl van damit vorgegangen, mein Lieber? ch werde Dir das nachher erzählen ; das Dringendfte ift jetzt, aus dem Haufe biefes wiamen Giftmifchers zu kommen.“ |

Euard ergreift Adelinens Hand, Madame Germeuil ihren Shawl, rat fie verlaffen das Gaſthaus, als plöglich der Wirth ihnen nach⸗

‚ft and fie anhält.

„Einen Augenblil, mein Herr!” ruft der Wirth, feine baum: dellene Nutze hin⸗ und herfchiebend, „einen Augenblick, ich Bitte, '& daͤchte, bevor man geht, fullte man doch fein Mittageſſen be⸗ ablen. Unfer Mittageſſen! ... zum Henker, Herr Reftanrateur, slolfte Igmen ſchwer werben, zu beweifen, daß wir gegefjen Haben! Rein Herr, ich habe Ihnen vorgefeßt, was Sie verlangt haben; denn Sie nichts davon gegeflen haben, iſt e8 nicht meine Schuld ! Eie treiben Scherz, Herr Bonneau, wenn Sie behaupten, und aach Wunſch bedient zu haben; wir wollten weichgefottene Eier, Eu gaben und fleinharte ; wir forberten Eotelettes, Sie thun uns Jerjon in Ihr Ragout; flatt Wein erhalten wir Eſſig, flatt Pros rencetoͤl Lampenoͤl zum Salat; ein Huhn, dad nicht einmal ein Engländer tranchiren koͤnnte und ein Soufflö, womit... . kurz,

Yanl de Rod. 1. 4

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Herr Garkoch, geben Ste fich zufrieden, oder ih laſſe Sie noch obendrein beflrafen und Ihre Boutique zufchliegen. Meine Boutique!“ fchreit Bonneau, ganz außer füch vor Wuth; „das wollen wir doch ſehen ... Bezahlen Sie auf der Stelle "hier meine Rech⸗ nung. Bierzig Sranten fünfzehn Centimes, oder Sie gehen mit mir zum Maire.“

Statt: aller Antwort ergreift Eduard die Rechnung und wirft fle dem Traiteur ind Geficht, da erhebt Bonneau ein fo entjeßlichee Gefchrei, daß alle Bauern aus dem Orte zufammenlaufen. „Das find Lente aus Paris, die ihren Mittagstifch nicht bezahlen wollen,“ ruft das Landvolk, ftet® bereit, dem Stäbter Unrecht zu geben; „das koͤmmt im Cabriolet an und hat feinen Sous in der Tafche.” Unſere jungen Eheleute lachen über das Gefchrei und machen fih zum Maire auf den Weg; Mama Germenil folgt ihnen im Wagen ; alle Bauern umgeben Herrn Bonneau, der voran geht, neben fih Fanfan mit dem unglüdlichen Huhn auf der Schüffel, weil Eduard verlangt hat, daß daſſelbe einer näheren Prüfung unterioorfen werde. Der Zug geht durchs Dorf zur Wohnung bee Maird und vergrößert fich mit jenem Augenblidle, denn eine foldhe Begebenheit iſt Jedem willfommen. Endlich iſt man da und ver langt den Maire zu fprechen. „Er hat jett nicht Zeit,“ jagt bie Nagd, „er ißt gerade zu Mittag.”

„Er ſoll aber zwifchen ung entſcheiden,“ verfeßt Bonneau ; „ja! und dies Huhn unterfuchen,“ ſetzt Eduard mit Lachen Hinzu. „Ad! e8 betrifft ein gebratenes Huhn, das ift etwas Anderes,“ antwortet das Mäpchen, „va rufe ich plöglich den Maire, denn fc etwas intereffirt ihn.“

Ste geht zu ihrem Heren und erzählt ihm den Hergang fe ausführlich, daß er nichts davon verfteht und ſich zuletzt entfchließt, feine Gaͤſte auf einige Augenblicke zu verlaſſen, um ſich ins Aubien;: zimmer zu begeben.

Tiefe Stille herrſcht in ber PVerfammlung, als der Maire ein;

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tritt. „Wo tft Das Huhn, der Gegenſtand des Streites ?“ fragt a mit pathetifcher Amtömiene. „Herr Maire! nicht Bloß ein Huhn, fondern ein ganzes Mittageffen will man mir nicht bezahlen ! Üin ganzes Mittagemahl! ... . das ift von Wichtigkeit! Hat man's verzehrt ? Nein !"- antwortet Eduard, „an dem Huhn bier haben Sie den Beweis davon. Sehen Sie nur die Rah: ung nach, Herr Maire! Sie werben ſich felbft überzeugen, wie illig Alles angefegt if. Her mit der Rechnung!. . . Weide Fer! Sie waren ſteinhart! Das ift gleih!... . wer Glaͤher entzwei wirft, muß fie bezahlen, mit Eiern ift es daſſelbe. Kauinchen⸗ rageut. Wir fanden ein Jonjon darin. Das bat mit dem Aminchen nichts zu thun. Ein Joujou tft übrigens nicht im Stande, ten Geſchmack zu verderben... Weiter... Ein gebratener Kapaın... Ta iſt er, ſuchen Sie mal gefälligft hineinzukommen.“

Der Maire gibt Fanfan einen Wink, ſich zu nähern, aber der Rnabe, in Gegenwart fo vieler Menfchen eingefchüchtert, hält Lie kchüſſel nicht fe, und der fogenannte Kapaun rollt auf den Fuß⸗ beten nnd macht dabei ein Getöfe, wie eine KRinderttommel, wenn ne anf Steinpflafter fällt. „Oho!“ ruft ver Matte, „er ſcheint dech etwas trocken zu fein. Der weite Weg in ber Sonnenbipe kit ıbm freilich zugeſetzt,“ meint Bonnean.

„Der Tanfend ... drin if ja mein Freund, der Rotar, ber rerueht fich auf Kapannen, wie feine Frau jagt, der foll Bier entſcheiden.“

Der Maire öffnet die Thüre des Nebenzimmers und ruft den Retar, der bei ihn fo eben als Saft iſt. Eduard und Adeline ver: lieren allmählig die Geduld; fie vermuthen, nad) dem fo eben vom Raire Sehörten, daß fie ihren betrügerifchen Wirth werden bezahlen wäflen, und diefer, feines Siegs gewiß, blickt fie frei an und läbelt den Banern zu, die ſchon auf den Augenblick hatren, ihren ann Spott gegen die feinen Pariſer Ioszulafien.

Aber ver Rotar tritt ein, ſieht Eduard und feine Frau, erfennt

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“in ihnen die Käufer des Landhauſes, und flatt fih um das Huhn zu kümmern, dad Bonneau ihm unter die Nafe Hält, macht er dem jungen Chepaare eine tiefe Berbeugung.

„Was! ... Sie kennen den Herrn und die Dame?” fragt mit Berwunderung der Maire. „Ich habe die Ehre; der Herr hat dad Haus meined Nachbars Renaré erfauft, und bezahlt ſogleich baar... ber Kaufcontract ift bei mir unter der Reber.“

Diefe Worte geben mit einem Male der Sache eine andere Wendung. Der Maire überhäuft Eduard und feine Begleiterin mit Artigkeiten ; er bittet fie, in das andere Zimmer zu treten und aus⸗ zusmben; alsdann wendet er ſich ganz aufgebracht gegen ben ver: blüfften Gaftwirth. „Ihr fein ein Spigbube, ein Betrüger,” fährt er ihn zornig an, „Ihr verlangt Gelb für ein Eſſen, das man gar nicht angerührt hat. Ihr bietet Euren Gaͤſten ausgetrocknete Hühner, faule Eier an und fordert vierzig Franken dafür ? Aber, Her Maire, Sie fagten doch fo eben... Schweigt, oder ich ſtrafe Such noch dazu... Ich weiß, daß Ihr Euren Wein verfälfcht und Katzen ftatt Kaninchen auögebt, aber nehmt Eu in Acht... für die erfte fette Kake, die man vermißt, bleibt Ihr verantwortlich!“

Der Wirth zieht fich verwirt und wüthend auf den Notar, ber den Maire wie eine Metterfahne gewendet, zurüd; er flößt Fanfan vor fi ker und kommt, das alte Huhn in ber Hand, zu Haufe an, wo er feinen Leuten zur Strafe befleblt, den Kapaunen zu Abend zu fpeifen, damit ein jedes feinen Aerger Theile.

* Der Maire ladet fogleich Eduard und Abeline ein, bei ihm zu Mittag vorlieb zu nehmen, und erbietet fih, Madame Germeuil felbft aus dem Cabriolet zu holen; aber die jungen Cheleute wiber: jegen fich feinen Bitten ; fle geben vor, in Paris erwartet zu werben, umb ihre Abreife nicht Länger auffchieben zu Tönnen.

Man trennt fi, der Maire mit Betheuerungen ber Freude über ihre baldige nähere Belanntfchaft, und unfer Ehepaar mit dem auf: sichtigften Dank für feinen Eifer feit der Ankunft des Notare,

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Die Landlente umgaben noch dad Haus des Maire's, als Ehuarb md Adeline es verließen, machten Ihnen ehrfurchtsvoll Pla und begeigten auf alle mögliche Weife den Pariſern ihre Ergebenheit, bis biefe ihren Augen entſchwunden waren.

Und doch waren dies diefelben Bauern, die kurz zuvor fie mät ibren Schimpfreden verunglimpft hatten; aber fie ahneten da noch nicht die veränderte Stimmung ded Maire's! ... Tie Menfchen had überall dieſelben.

Siebentes Kapitel. Vorin der bärtige Mann wieder vorkommt.

Ganz ausgehungert kommt man in Paris an. Man verlangt 'bnel zu eſſen. Die Dienftboten beeilen, ftoßen fih, um recht flint in fein; aber beim Laufen, Stoßen, ſchnellen Treiben wirb eine Sache für die andere genommen, eine Sauce übergegoffen, ein Ger abi angebraunt, ein anderes kalt aufgetragen; Furz, wie gewoͤhn⸗ -&, wenn es ſchnell gehen foll, macht man Alles verbreht.

Die Bedienung hat ihre Herrfchaft zum Mittagefien nicht mehr erwartet; der alte Raimund kann es nicht begreifen, warum fle tuugrig zurückkommt, und Die Köchin ärgert fi, gar nicht darauf torbereitet gewefen zu fein; unſere Reifenden finden jedoch Alles chlat, denn Meifter Bonneau's Küche ift ihnen noch in lebhaftem Autnien.

Am andern Morgen war Adeline zu angegriffen, um Eduard nd Villeneuve⸗Saint⸗-George begleiten zu koͤnnen, und da man zen alten Renare fein Wort gegeben hatte, fo mußte fie ihren Ran ſchon allein fahren laſſen.

Auroille verſprach fpäteftens zum Mittag wieder zurüd zu fein. Daß Dir nur nichts Unangenehmes begegnet,” fagt Madame Gernenil. „Ich wette, Mama, Sie venfen noch an den Mann

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mit dem Schnurrbart am Ende des Gartens. Sa, ich Tann e8 nicht läugnen, und ich muß fogar geftehen, daß ich Die ganze Nacht davon gefräumt Habe. Das wundert mich nicht, wenn ung bei Tage etwas lebhaft ergriffen bat, fo flieht unfere Einbildungskraft im Traume denfelben Gegenftand ; aber darum foll uns dies nicht Grund zu traurigen Ahnungen geben. In der That, Mama, Ste machen mich ordentlich unruhig,” jagt Adeline, „ich wünfchte, Eduard wäre fchon wieder zurüd... Und doch ift es wirklich Fin- diſch, ohne Urſache fich zu fürchten und fich zu ängfligen!... Drum reife glüdlich, lieber Mann, kehre bald wieder zurüd, und vor allen Dingen kehre nicht im gefrönten Degen ein.“

Eduard Füßt die Hand feiner Schwiegermutter und umarmt Keline, wie man feine Frau am zweiten Tage nach ber Hochzeit umarmt, wenn man Alles gefunden bat, was man hoffte, ober wenn man glaubt, Alles gefunden zu haben, was fo ziemlich daſ⸗ felbe ift, und was fo Manchem begegnet, ver recht Flug zu fein glaubt und doch betrogen wird. "

Gr kommt in Billeneuve-Saint-George an, und fleigt vor feinem fünftigen bandhauſe a ab. „Iſt Herr Renare zu Haufe?“ fragt er den Diener. „Er ift ſchon beim Notar, mein Herr! Der Taufend, wie prompt! fo will ih ihn auch nicht länger warten laffen.“

Murville läßt fein Cabriolet im Hofe fliehen und geht zum Notar. Der Contract ift aufgefept und Herr Renare wartet fchon mit Ungebuld auf feinen Känfer, denn nad dem Auftritt im ge: frönten Degen hatten fich feiner fchon einige Zweifel wegen des Hauöverfaufs bemächtigt; aber Eduards Ankunft und hauptſaͤchlich feine mit Banknoten angefüllte Schreibtafel geben ihm feine voll: ftändige Ruhe wieber.

Verhandlung und Kaufcontract werden unterzeicnet, die Gelber ausgezahlt, und Herr Renare übergibt fchmunzelnd Eduard bie Schlüfjel ded Haufe. „So find Sie denn jet der Eigenthümer,

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und Finnen von diefem Augenblicke an. über Alles, was darin if, verfügen, denn ich habe es Ihnen ja ganz möblirt verkauft. 3b bin Ihnen fehr verbunden, wünfche aber, daß Sie fich zur Rinmung Zeit nehmen und meinethalben, nicht geniren. O! meine Borfehrungen find gleich fertig;... ich nehme nur ein Eleines vaket unterm Arm mit mir. So haben Sie wohl fchon eine andere Wohnung? Dafür ift geforgt,” jagt der Notar, „Herr Remare hat noch ſechs Häufer in Paris und drei in der Umgegend, wegen eines Unterfommens ift er nicht verlegen!" . .

Sechs Hänfer in Paris, denkt Eduard, und er trägt einen abgefchabenen Rec, einen purchlöcherten Hut! ift dabei Hageftolz mr ohne Erben; dieſer Menſch glaubt wohl ewig zu leben!

Unfer junger Mann grüßt den alten Geizhals und den Notar, nad begibt füch nach feiner neuen Befigung; der Hausknecht erwartet iin im Hofe und fcheint ihn etwas fragen zu wollen; Eduard er: räth feine Gedanken.

„Died Hans ift jegt mein,” fagt ex, „der Kaufcontract hier macht mich zum Beſitzer; Herr Renare wird es jedoch Euch gleich ſelbſt ſagen. Mein Here, ich zweifle nicht daran. Bleibt Ihr bei Herrn Renard? Nein, ich gehöre zum Haufe, und wenn ter Herr mich nicht behält, fo bin ich brodlos. Nun, To follt or bei mir bleiben, ich will Euch nicht fortichiden; von diefem Augenblicke an fein Ihr in meinen Dienften..— Das beruhigt mid); ib werde mich bemühen, Sie zufrieden zu fellen.“

Der rohe Bauer gefiel Eduard eben nicht beſonders; er war ungehobelt, grob, und die Gewohnheit, mit Herrn Renäre zu leben, batte ihn mißtrauiſch und unfreundlich gemacht; aber Murville wollte ſch als Gigenthümer feines Baterhaufes vor den Dorfbewohnern doch nicht gleich hartherzig zeigen.

Da es noch frühe war und er feine @efchäfte fchneller beendigt bitte, als er glaubte, Konnte er dem Wunfche nicht widerſtehen, ine nene Befikung noch einmal zu durchlaufen; er ließ ſich den

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Schlüffel zum Gitterfhor am Ende des Gartens geben und befahl dem Diener, beim Wagen zu bleiben.

Iſt man Herr eines Grumbflüds, fo unterfuht man Alles aufs Genauefte. Eduard bemerkte, daß Herr Nenare alle Beete mit Kohl und Salat gepflanzt hatte, die urfprünglich für Blumen be: flimmt waren; die fehönften Afazienbäume, die freilich nur Schatten gaben, Hatte er abbauen laſſen und fie durch Obftbäume erfegt. Statt des Buchsbaumes, womit fonft die Gänge eingefaßt waren, fand er Peterſilie und Greffe, und in den Gebüfchen, die früher von Zliever und Rofen dufteten, roch man nur Körbel und Zwiebeln.

„Hier-wird es viel zu thun geben,” fagt Gbuard, über Re- nare’8 Knauferei lächelnd; „in acht Tagen ſchon foll Das Alles anders fein, bis auf die Afazien, an denen ich fonft meine Schaufel befefligte! ... wie glüdlich bin ich doch einft hier geweſen!“.

Er näherte fich feßt der Gitterthüre. „Es fcheint doch, als zeige fich der furchtbare Kopf, der mieine Dame fo erfchredte, nicht alle Tage,” fagte er, und wollte eben den Schlüffel ins Schlüffel- Ioch ſtecken, als plöglich das fehnurrbärtige Geſicht über der zer: brochenen Latte wieder vor feinen Augen erfchien,

Eduard bleibt betroffen ftehen und fühlt jein Herz heftig jchlagen ; er fammelt fich jedoch bald wierer. „Was fuchen Sie bier,“ fragt er ven Unbefannten, „und warum halten Sie fich immer hinter biefer Thüre-auf, Ihre Augen nad dem Garten gerichtet? Nichts ſuche ich,“ antwortete der Fremde in ſtarkem und rauhem Tone. „Ich betrachte nur den Garten, weil er mir gefällt, und blicke Hier durch das Gitter, weil man mir den Eintritt nicht geflattet. Wenn Sie fonft nichts verlangen, fo koͤnnen Sie Ihren Wunſch befriedigen. Treten Sie ein, nichts ſoll Ste jet daran hindern.“

Bei diefen Worten Iffnet Eduard das Thor, denn er ift neu: gierig, die ganze Figur des Fremden zu ſehen. Der Unbefannte fcheint von Eduards Anerbieten überrafcht, läßt fich aber nicht zwei: mal einladen und tritt durch Die geöffnete Thüre in den Garten,

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Aurville erblidt einen Mann von hoher Geſtalt mit einem alten, Blauen, bis zum Kinne zugefnöpften Ueberrock, ſchwarzen, abgenupten Stiefeln und einem fchlechten, deeieckigen Hut in der Hand.

Beim Anblid dieſer ſonderbaren Geftalt, der bleichen Geſichts⸗ farbe, dem langen Bart und dem fchlechten Anzuge, ‘der nur Elend ud Unglüd verraͤth, denkt Cduard an den Argwohn feiner Schwieger: mutter, und ein Gefühl des Mißtrauens bemeiftert ſich feiner.

Der Fremde geht im Garten umher, bleibt bald yor einem Gebüſch, bald vor einem alten Baume ſtehen und jcheint dabei. das nicht daran zu denfen, daß er nicht allein ift.

Potz Taufend, denkt Eduard, ich bin nicht umfonft gefällig geweien, ich muß willen, wer diefer Menſch ift und was ihn hier intereſſirt. Wenn er nicht fpricht, fo werde ich ein Geſpraͤch nit ihm aufnüupfen; er muß mir Antwort geben.

Der Fremde fept fih auf eine Rafenbanf, von wo aus man die Facade des Haufes erblickt, und Eduard fegt ſich zu ihm.

„Ad, verzeihen Sie,“ fängt der Unbefannte an, aus feinem NRachdenken auffahrend, „ich habe noch nicht daran gedacht, Ihnen für Ihre Gefälligkeit zu danken, aber es intereffirte mich fo ſehr, dieſen Ort wieder zu ſehen. Es hat gar nichts zu fagen. Sind Sie vielleicht der Sohn vom Herrn dieſes Haufes? Nein. Deſto beffer für Sie. Warum denn? Weil er ein alter Schurke if, wie fein Diener, den ich fat Luft gehabt hätte, etwas derb Manier zu lehren! Was hat man Ihnen denn gethan? 3%) befuche dies Dorf, bloß, um dies Haus wieder zu fehen. Ich fomıme geftern ganz ermattet hier an, trete in den Hof und ruhe anf einer Steinbanf aus. Da kommt der Hausknecht auf mich zu und fragt, was ich wolle. Ich fage ihm, ich wünfchte den Garten zu beſehen; ex aber fragt fogleih, ob ich das Haus zu Faufen Luft babe. Die Frage ſchon war eine Grobheit, denn ich fehe nicht wie ein Saudläufer aus. Das ift wahr!“ denkt Cduard. „Als er hart, daß ich andere Grüfde für meinen Wunſch habe, beflehlt er

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mir, den Hof zu verlaffen ; ich bitte ifm nochmals, mich nur einen Augenblid den Garten durchlaufen zu laffen, er aber ruft feinem Herrn; ein alter Jude erfeheint, und Beide wollen mich jegt aus der Thüre werfen! ... Kreuz⸗Donnerwetter! ... mich zur Thüre binauswerfen!... mih.. einen... Do nein!... ich ver: geffe, daß ich es nicht mehr bin!... Aber wenn auch, ohne meine alten Erinnerungen, die mid) abhielten, hätte ich Heren und Diener tuͤchtig durchgeprügelt! ... Ich that es alfo nit, und da mir nichts Anderes übrig blieb, um den Garten zu fehen, fo ftellte ich mich Hinter jene Gitterthüre, wo Sie mich fchon geftern be⸗ merkten. Es ift mir fehr lieb, Sie heute wieder gefunden und die Unart der Leute wieder gut gemacht zu haben. Meiner Treu, es ift ein bloßer Zufall; wartete ich nicht auf einen Kameraden, der mich Bier im Dorfe abholen will, fo wäre ich wahrfcheinlich nicht mehr hier. Ah, Sie erwarten einen Kameraden. Sa, mein Herr!“

Eduard ſchweigt einen Augenblid ftill, indem er über Die Worte des Unbekannten nachfinnt ; diefer hebt endlich wieder an. „Ent: feyuldigen Sie, mein Herr, wenn ich mir eine Frage erlaube; wie geht e8 zu, daß der alte Spigbube von Eigenthümer Ihnen feine Gartenfehlüffel anvertraut ? Died Grundſtück gehört nicht mehr Herrn Renare, denn er hat es heute an mich verkauft. Ber: tanft! Ach, bei Gott, Hierüber Bin ich fehr erfreut, ed that mir wehe, viefe Befigung in den Klauen jenes Schurken zu wiffen. Sie nehmen alfo viel Antheil daran ? Allerdings, denn ich brachte bier einen Theil meiner Iugendjahre zu. Sie? Ja, id."

Eduard betrachtet den Fremden mit größter Aufmerkfamkeit ; ein unflarer Verdacht, ein geheimes Borgefühl bringen fein Herz in Aufregung. Er ſieht jebt erſt, daß der Fremde noch jung ift, und daß nur Strapazen feine Züge gealtert haben und die Sonne feinen Teint gebräunt bat ; er wünfcht und fürchtet mehr zu erfahren.

„3a, mein Herr,“ fängt der Unbelannte nach einer Baufe

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wieder an, „in diefem Haufe habe ich gewohnt, ich bin zum Theil bier erzogen worden... damals verlebte ich bier, bei meinen Eltern, die glüdfeligften Tage... Ich hatte einem liebreichen Bater, einen Inber!... Alles das Habe ich verlaſſen! ... und Habe verdient, mad ich jegt dafür leide! Sind Ihre Eltern vielleicht todt ?“ fragt Cduard mit angftvoller Stimme, indem er verftohlen die Züge ud dad Aeußere ded Mannes näher betrachtet, den er zu erkennen fürchte. „Sa, mein Herr, fie find geflorben, vielleicht aus Kummer über mih!... Meiner Mutter lag freilich nicht viel an mir, deſto herzlicher liebte mich aber mein Bater!... und num ſell ich ihm nicht wiederfehen! Hm! verdammter Tropkopf, ver mich fo manche Thorheiten begehen ließ! Und Ihr Bruder? Mein Bruder lebt, wie ich in Paris erfuhr; er hat fich verhei⸗ tatbet... Ich babe feine Adreſſe noch nicht erhalten Eönnen; aber morgen werde ich fie befommen, dann will ich ihn aufjuchen. Dex ame Eduard, ex wird flaunen, mich wieder zu fehen! er glaubt ſiher, ich lebe nicht mehr!“

Ehnard antwortet nicht, er fchlägt, ungewiß, was er thım foll, die Augen nieder und wagt es nicht, fich’S zu geftehen, daß es fein Bruder iſt, der vor ihm ſitzt.

Salob, denn er war ed, überkäßt fich wieder feinem Nach: venfen ; mit der einen Hand flreicht er feinen Schnurrbart und mit der andern reibt er fich die Stirne, als wollte er neue Gedanken faſſen; Cduard ift unbeweglich und flumm; feine Augen firiren dann und wann ben Freund feiner Kindheit, aber ber grobe Ueber⸗ tod, die alten Stiefel. und hauptfächlich der lange Bart halten fein Herz zurũck, das ihm beſiehlt, ſich in die Arme feines Bruders zu werfen, ohne fein Aeußeres, feine Lage zu beachten.

Ploͤtzlich ſcheint ein Gedanke ſich Jakobs zu bemädtigen. „Mein Herr,” fagt er, „ed wäre möglich, daß Sie meinen Bruder kennten; Cie feinen in der großen Welt zu leben und halten ſich gewöhn- lich in Paris auf? Ja, das iſt wahr! Vielleicht Haben Sie

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etwas von Eduard Murville gehört? Ja... ih... ich fenue ihn. Sie fennen meinen Bruder? Ich bin Eduard Murville.”

Eduard fpricht diefe Worte fo leife, daß ein Anderer als Jakob fie verfianden hätte, aber diefer hörte aufmerkfam zu, und ehe fein Bruder noch geendigt, fpringt er auf ihn zu und brüdt ihn mit Herzlichkeit an ſich.

Eduard erwidert feine Umarmung nicht ohne Wärnte, aber der verdammte Schnurzbart ift ihm zuwider, er ift nicht mit fich im Meinen und weiß nicht, ob er fich darüber freuen ober ärgern fol, feinen Bruder wieder gefunden zu haben.

„Aber warum haft Du Dich nicht früher zu erkennen gegeben,“ fragt Jakob, ihm aufs Newe um den Hals fallend, „konnteſt Du Dir denn nicht denken, wer ih ji? Doch, doch! allein ich wollte meiner Sache zuvor ganz gewiß fein. Du bift alfo reich, glücklich? Nun, ja! Du bift verheirathei? wo ift Deine Frau?... ed würde,mich freuen, fie Tennen zu lernen. Meine Frau ?“

Eduard fchweigt, die Grinnerung an Adeline, an Madame Germeuil, der Schreien und die Ahnungen der legteren, die rauhen Manieren und die ärmliche Kleivung Jakobs, worin er gegen ihn jo fehr abftiht, das Alles peinigt Eduard, der ohnehin mit feinem: ſchwachen und unjchlüfjigen Charakter fich umfonft bemüht, Eigen: liebe und Eitelfeit mit der Bruderliebe in Einklang zu bringen.

„Au was, der Kuduf, denkt Du denn?“ fragte Jakob feinen Bruder, indem er ihn am Arme fchüttelte. „Ach! ich veufe nur nah... es ift fchon fpät... ich muß nad) Paris zurüd, wichtige Geſchaͤfte erfordern dort meine Gegenwart.“

Jakob antwortet nichts, aber feine Stirne sicht fih in Falten, und er geht um einige Schritte zurüd.

„Und Du, Jakob, was treibft Du denn jetzt? Nichts,“ erwiderte diefer ganz troden und fah dabei Eduard ſcharf an. „Nichts! aber wovon lebſt Du deun? Bis jept habe ich noch von Niemanden etwas verlangt... Deine Lage foheint nicht

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bie bee? Sie iſt es auch wahrlich nicht! Aber warum trägft Tu tenn fo einen wüthenden Bart? Ich denke doch, daß Du das mit nicht meine Frau befuchen willfl. Mein Bart verläßt mich unbe, Menn Deine Frau eine Zierpuppe ift und ſich vor meinem Ansfehen fürchtet, fo fei ohne Sorgen, dann wird fie mich nicht oft zn fehen befommen! Du verfiehft mich falfch... dag meine ih nicht damit... aber... ich muß febt fort, man erwartet mid in Parie... ich Biete ed Dir nicht an, jetzt mit mir zu fommen... ufrigend ertwarteft Du ja Jemand hier im Dorfe, wie ich glaube. Ja, einen Kameraden, einen Freund erwarte ich.“

Jakob Iegte auf das Mort Freund einen befonderen Ton und fah gleichſam mit verächtlichem Mitleid im Auge auf feinen Bruber.

„Run, ich muß eilen, wir werben uns bald wiederfehen, Hoffe 6... indeſſen . .. da nimm dies hier von ber Hand... .”.

Bei viefen Worten zieht Eduard feine Börfe, die etwa zehn !enisb’or enthält, und bietet fie feinem Bruder mit zitternden Händen an: aber Jakob ftößt fie vol Selbftgefühl zurück, drückt fich den Hut ind Geſicht, führt mit der Hand fehnell nach der Bruft, ale ‘der ter feinem Rock etwas verbergen wollte, und ſpricht mit taltem Tome: „Behalte Dein Gold, ich bin nicht hergefommen, ım Deine Hülfe anzurfen, und will nicht der Gegenftand Deines Ritleids fein; ich glaubte einen Bruder wieberzufinden, ich habe mich getäufcht; ich fcheine Dir nicht würbig genug, Dein Haus i@ Betreten... mein Meußeres, mein Geficht flößen Dir Abſcheu em... gut denn... lebe wohl... Du ſollſt mich nicht wiederfehen.“

Jakob wirft noch einen zornigen Blick auf feinen Bruder und entfent ſich mit großen Schritten durch bie noch offenftehende Sartenihüre.

Eduard bleibt in feiner Unentſchloſſenheit noch einige Augen: elite unbeweglich auf feinem Plage figen und ſtarrt mit den Mugen "ah der Thüre bin, durch die fein Bruder verfchwand. Endlich hegt das Gefühl der Natur; er Läuft zur Thüre hinaus, ficht auf

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dem Feld umher und ruft laut: „Jakob! mein Bruder!“ aber zu ſpät, Jakob ift Schon weit fort, und das Rufen feines Bruders sernimmt er nicht mehr.

Er Tehrt betrübt nach dem Garten zurüd und verfchließt die Gitterthüre. „DO! er wird wiederfommen,” denkt er, „er ift ein Hitzkopf, der leicht auffährt! Ich glaube indeſſen nicht, ihn beleidigt zu Baben... ich but ihm Golb an... er fchien ed doch nöthig zu haben, und ich fehe nicht ein, wie er das übel nehmen Tann. Ih gab ihm zu verfiehen, daß feine Kleidung, fein Betragen nicht in feine Zirkel paffe... Hatte ich darin fo Unrecht? Tann ich meiner Frau, meiner Schwiegermutter mit gutem Gewiſſen einen Menfchen vorftellen, der wie ein entlaufener Sträfling ausfleht... o, id müßte mich ja zu Tode fchämen ; und das zwei Tage nad) meiner Hochzeit! ... mit dem Gelde, das ich ihm bot, hätte er fih an- fländiger Eleiven Eönnen!... aber nein! er will ja feinen Bart nicht ablegen ; nun, wie's ihm gefällt! ich habe gethan, was ich mußte.“

Ednard fucht fich zu überreben, daß er recht gehandelt habe, und gefteht ſich nicht, daß fein Faltes und befangened Benehmen feinen Bruder gefränft haben könne; aber eine geheime Stimme in feinem Innern wirft ihm fein Unrecht vor; unzufrieden mit ſich felbft, unruhig über die Folgen dieſes Ereigniſſes fleigt ex in fein Cabriolet und verläßt bad Dorf, ohne dem dauswarter irgend eine Weiſung zu ertheilen.

Unterwegs beſinnt er ſich lange, was er zu Haufe fagen ſoll, endlich entfchließt er fich, feiner Frau und Schwiegermutter das Zufammentreffen mit feinem Bruder zu verfchweigen, und denkt, es fei Zeit genug, des Borfalles zu erwähnen, wenn Jakob ihn befuchen werbe.

&r kommt an: Abeline fpringt ihm entgegen, macht ihm über fein langes Ausbleiben Borwürfe und verlangt die Eleinften Details über feine Reife.

„Alles in Ordnung,“ fagt Eduard, „ver Contract unterfchrieben

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Kreuz feiner Denrütbigung ausfegen wollte. Er hatte Recht. Mer ein Unterpfand feiner Chre auf der Bruft trägt, ſoll nicht ein Gegenſtand des Mitleids für Andere werben.

Yalob heftete feine Augen auf das theure Ehrenkreuz und dachte au den Tag, wo fein Oberft ed ihm an die Bruft ſteckte; er er: mnerie ſich der Schlachten, denen er beigewohnt, ſah ſich auf dem Echlachtfelde, von feinen Kriegskameraden umgeben, wie er gegen ten Feind anrüdte; dieſe Erinnerungen des Ruhms richteten feine nievergebeugte Seele wieder auf, und er vergaß barüber feinen Verdruß und die Hartherzigkeit ſeines Bruders.

Bald darauf fehritt ein junger Mann, ungefähr wie Jakob gelleidet, deſſen Geſicht aber von Frohſinn ftrahlte, und weder Be: trübniß noch Mangel verrieth, einen Marſch pfeifend und mit einem Stödchen den Takt dazu rechts und links auf die Fliederbüſche am Vege ſchlagend, einen Hügel herab dem Plabe zu, wo Jakob war. '

„Bei Teufel!“ rief er, indem er einen Augenblick ftehen blieb und nach allen Seiten umherfchaute... „nicht einen Zlafchenftöpfel... nicht die fchlechtefte Kneipe zu finden!... Donner und Wetter, babe ich mich denn verirrt? ... nirgends ein Dorf zu fehen... m doch habe ich höllifchen Durft.... meinethalben auch, nur vorwärts!“

Und er beginnt wieder zu fingen: -

Ich babe von meiner Nanette

Apr niedlichen Füßchen geſehen! Bald werd’ ich noch weiter, ih weite

„A! da iſt ja endlich Jemand. Hollah; alter Freund!” Der unge Mann geht auf Jakob zu; biefer inet die Augen, erkennt ſeinen treuen Kameraden, fpringt auf und läuft ihm entgegen. „Ha!* zaft er aus, „bift Du's, mein armer Sansſouci? Ei, tas iR ja Freund Jakob! beſſer konnt’ ich mich nicht adreffiren .. Barte, ich ruhe neben Dir aus, im Schatten Deines Nußbaumes;

Vaul de Kod. 1. 5

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Er Tief aus rem Garten und durchſtreifte in feinem Zorn lange Zeit die Felder, ohne fi um feinen Weg zu kümmern; fein eins jiger Zweck war nur, ſich von feinem Bruder zu entfernen, beifen faltes Benehmen, deſſen Tieblofe Reben ihm dad Herz verwundeten.

Er ſprach dann nnd wann einige Worte, richtete die Augen gen Himmel, ftieß heftig mit tem Fuß gegen die Erde und fchien in gewaltiger Aufregung. Endlich kefand er ſich auf einem freund: lichen, von alten Nußbänmen befchatteten Plate und fühlte das Berürfniß, auszuruhen; er fah umher, als ob er fürchte, verfolgt zu werben, aber Alles war ftill und ruhig: vie Landleute, beſchäftigt mit ihren #eldarbeiten, belebten allein die Landſchaft; Jakob legte fich unter einem Nußbaum auf rem Rafen nieder und gedachte der Unterredung mit feinem Bruder.

Weil ih arm audfehe, behandelt er mich mit Verachtung! Weil ich einen Bart trage, hat er nicht ven Muth, mich mit feiner Frau befannt zu machen! Er bietet mir Gold an, will aber nicht, daß ich bei ihm bleibe! Behanbelt man fo einen Bruver?... Warum biefer Ton der Berächtlichkett Habe ich den Namen meined Baters entehrt?... Wenn auch mein Betragen nicht fein und abgefchliffen it, fo ift meine Sprache doch offen und mein Gewiſſen rein. Sch fann arm und unglüdlich fein, aber nie werbe ich eine Hanblung begehen, beren ich mich fchämen müßte... Ich habe Thorheiten begangen, mandje Jugendflreiche gemacht... dad ift wahr, aber ich habe mir Feine ehrenrührigen Fehler vorzumwerfen... und was ich bier auf meiner Bruft trage, fichert mich vor jedem Verbacht, fowie vor jeder Verſuchung des Boͤſen.“

Safob öffnete dabei feinen Oberrock unb betrachtete mit Stolz ein Kreuz ber Ehrenlegion, dad an einer alten Uniformewefte be: feftigt war. Diefer Lohn feiner Bravour war fein einziger Troft, und doch verbarg er dieſe Dekoration, weil er feit ein paar Tagen ſich gensthigt ſah, die Gaftfreundfchaft ver Landleute in Anſpruch zu nehmen, und, da fie nicht immer zu gaftfreunblich find, fein

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tie Rachlommen von Kain boch fehr angefehene Leute fein. Unfer Eergeant, der ganz gut zu fprechen verſtand, wenn er nicht über Durſt getrunfen hatte, behauptete, daß die Kinder der lebe immer befier burch die Welt Tämen, ald Andere, und führte mir Beifpiele an, die ih Dir wieder erzählen würde, wenn ich fie nicht vergefien bitte. Aber um wieder auf Deine Angelegenheiten zu fommen, Du haft mir nie etwas von Deiner Familie und Deinem früheren Leben mäblt; wir haben uns beim Regiment gefannt, wir haben mehrere Keldgäge zufammen mitgemacht, wir haben das gelbe Fieber in Spmien und erfrorene Füße in Rußland gehabt, und das macht Seelenharmonie; Du haft dad Kreuz und ich nicht; das ift der einige Unterſchied zwifchen und. Aber Du haft e8 auch ehrlich verdient. Du haft dem Oberfien das Leben gerettet, ein braver Rona, das hinderte aber nicht, daß er am andern Morgen body erihofen wurbe! e8 war ein Unglüd. Du konnteſt ja nicht immer ki der Hand fein!... Endlich, nad fo vielen Strapazen und Anfopferungen hat man uns abgedankt! Schade! wir hätten viel: leicht noch Marfchälle von Frankreich werden können. Um einander gegenfeitig zu tröften , find wir beifammen geblieben, und zum erften Ral hatten wir und getrennt, Du, um jenes Dorf zu befuchen, m ih, um bier in der Umgegend eine Feine Brünette wieder auf- zuſinden, die ich ehemals fehr gern hatte und die mir ewige Treue zeſchworen. Nun! und haft Du fie wieder gefehen? Leider jao, wir haben gleiches Schickſal; während Dein Bruder Dich ſo liebreich empfing, kam fie mir mit drei Kindern entgegen, und dad vierte war auch ſchon auf halbem Wege. Du kannſt Dir wohl vorſtellen, wie's im mir kochte, ich bedachte aber, daß bie arme Kleine mi tobt glauben mußte... und das hat mich beruhigt, ‘6 umarmte meine Treulofe, und wührend ihre Kinder mit ven Enten fpielten und ihr Mann Holz haute, fehloffen wir Frieden, m... lurz! wir find als gute Freunde von einander gefchienen, um aun frifch weiter! Mein armer Sansfouci!,,, die Frauen

unter einem Faß Burgunder wär's mir freilich lieber... aber was hilft's, man muß mit Allem zufrieden fein. Immer ber Alte, Freund Sangfouci... immer Iuftig, immer firel! D, was bad betrifft! ... Bleibe ich ſtets berfelbe ; die Fraͤhlichkeit ift der Reich⸗ thum armer Teufel, wie wir... Du weißt, ich fang auch, wenn's

abgevanft!... Ja, ja, den Laufpaß gegeben! ..... anftatt braver Soldaten find wir jept Landflreicher geworden! .... Was thut's, man muß ſich drein ſchicken, wir haben uns übrigens ſtets gut auf- geführt, und wenn ed darauf ankömmt, nochmals das Vaterland zu vertheibigen, find wir wieder die Erſten! Gewiß! aber wovon inzwiichen leben? Wie die Andern, von der Arbeit. Mein armer Sandjonci, wie Viele leben im Neberflufle, ohne die geringite Mühe, während Andere mit dem beften Willen nicht jo viel Arbeit finden, ihr Leben zu friften. Ad! bah! Du ſiehſt Alles ſchwarz! Iſt Deine Reife nicht glücklich geweſen? Du hatteſt ja Deine Gründe, in diefe Gegend zu gehen. O, ich habe mehr gefunden, als ich dachte! Und Du bift nicht zufrieden? Ich habe keine Urfache dazu! ich babe meinen Bruder gejehen, und er hat mid) wie einen Bettler aufgenommen. Dein Bruder ift ein Srofefe, den ich mit dem flachen Sübel bevdienen würde, wenn ich fo einen hätte. Meine Kleidung... mein Gefücht... mein farfer Bart... Alles hat ihm mißfallen. Das ift zu toll!... er hat wohl Dein Ehrenkreuz nicht gejehen? Nein, ed war verſteckt, und ift mir lieb... mein Bruder verfteht fo etwas nicht zu fchägen... und ich will, er full dereinft ſich noch über fein Benehmen ſchäͤmen. Er ift wohl reih, Dein Bruder! Ja. Alſo haſt Du eine Zamilie! Allerdings. Ah, fo glüdlich bin ich nicht, ich habe weder Vater noch Mutter gekannt... ich bin ein Kind der Natur!... Das hindert mich aber nicht, den Kopf Hoch zu tragen, die Steif: zöde von Vorfahren fümmern mich nicht, und da es übrigens kurz nach Erſchaffung der Welt noch feine Advokaten gab, fo können

mu fehen und mich tüchtig herumzuſchlagen, fo hielt ich es für un: nötig, mich mit Latein und Mathematik zu plagen. Ah! mein licher Sandfouci!... biefen Irrthum meiner Jugend babe ich ſchon tbener bezahlt ; auf meine Koſten habe ich es erfahren, daß Kennt: niſſ in allen Lehensverhältniffen von unfchäpbarem Werthe find. Hätte ich mehr gelernt, wäre ich nicht gemeiner Soldat geblieben ! und wenn ſelbſt Muth und Tapferkeit mich bis zum Grade eines Kapi⸗ tin erhoben hätten, fo blieb es doch immer unangenehm, in ber beſellſchaft feiner Oberen fürchten zu müffen, mit einer Dummheit branszuplagen, wenn man kaum den Mund öffnet, und Anderen um Spott und Gelächter zu werden; aber zur Sadje! ich verließ alſo eined Morgens ohne Trommel und Trompetenton, und ohne mih um den Weg zu befümmern, ven ich wählen würbe, dad Bater: band. Ich Hatte einen Louisd'or in der Tafche, den mir ein paar Tage zuvor mein Pathe gefchentt hatte, und glaubte, daß biele Eumme ewig dauern müßte.

Rachdem ich lange Zeit marfchirt war, machte ich in einem Dorfe vor einem Wirthshauſe Halt, ging hinein und forderte mit vr Anmafung eines Staatökurierd mein Mittageffen. Ich war gut ungelleidet, Hatte ein offenes, heiteres Geſicht und lies mein Geld m ber Tafche Klingen, indem ich mir in der Küche das Befte aus: ſuchte. Der Wirth fah mich an und lachte, Tieß mich jedoch machen. Sr fehle mir ein gutes Mittagsmahl vor und gab mir weißen und reiben Wein. Gin Heines bucklichtes Männchen, das in demſelben Immer an einem anderen Tifche faß, betrachtete mich ſehr auf: merffam. Er fuchte ein Geſpraͤch mit mir anzufnüpfen und zu et- fehren, woher ich kaͤme und wohin ic} ginge, aber da ich die Neu: aerigen nie leiden Eonnte und die Fragen des Meinen Bucklichten wir zuwider waren, fo fah ich ihn an, ohne zu antworten, oder rif ind fang, während er ſprach.

US ich fatt war, frug ich den Wirth, was ich ſchuldig ſei; m) der Gauner forderte mir fünfzehn Franken ab. Ich machte ein

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find nicht fchlimmer als die Männer; dieſe find nur weniger ge: ſchickt, ihre Faljchheit zu verbergen!... Geh! ich Habe die Men- fchen fennen gelernt! ... und ich hätte ven Empfang meines Bruberd errathen koͤnnen! ... aber man hofft immer, und darin hat man Unrecht... Höre, Freund, erzähle mir Deine Lebensgefchichte... wir find bier fo hübſch im Schatten, Niemand hoͤrt und fiört und bier, und indem ich Dir zuböre, Tann ich ausruhen und dabei eine Eigarre rauchen.“

„Wohlen denn! Du follfi erfahren, wie es mir feit meinem fünfzehnten Jahre erging, denn ba fing ich meine Irrfahrt an.“

Jakob Enüpfte feinen Oberrod wieder zu, lehnte fih an den Nußbaum, und jchickte fich an, feine Abenteuer zu erzählen, inbeß Sansfouei ein Feuerzeug aus der Tafche zog, ſeine Cigarre ganz behaglich anzündete und begierig auf die Mittheilung feines Freun- des horchte.

Heuntes Kapitel. Die Abenteuer Bruder Jakobs.

Sn meinem fünfzehnten Jahre verließ ich das elterliche Hans. Meine Mutter ſchien mir nicht befonders zugethan, fie fprach meinen Namen nur mit Widerwillen aus. Sch. erinnere mich jedoch eines dichen freundlichen Her, der oft zu meinen Eltern fam und mid fo recht mit Herzensluft Jakob nannte. Ich glaube, dieſer dicke Papa war mein Pathe und hieß ebenfalls Jakob; dies war wenig- fiend gewiß, daß er viel auf mich zu halten fchien und mir jedes Mal, wenn er fam, Spielzeug und Bonbons mitbrachte. Aber troß ver Freundlichkeit meines Pathen, ver Liebfofungen meines Baterd und der Zreundfchaft für meinen Bruder langweilte ich mich zu Haufe und hatte feinen Augenblid Ruhe; meine Luft zum Lernen war gering, und da ich nur mit dem Plane umging, die weite Welt

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mit ben neunen, bie Ihr noch habt, werdet Ihr Feine brei foldhe Rahlzeiten mehr halten.“

Ich antwortete nicht, aber ich fah fehr gut ein, daß der Bud: lite Recht Gabe ; da ich indeſſen Eharakterfeftigkeit beſaß, fo fah i& ben Heinen Mann mit entfchlofiener Miene an und fagte: „Nun gut, fo eſſe ich Kuhfleifch.“

„Ih fehe, daß Ihr Muth habt,” verſetzte er, „wenn ſich jes doch eine Gelegenheit varböte,. auf der Reiſe gut zu leben, fo meinte ib, wäre das fo übel nicht, und ich kann Cuch die Mittel bazu xerſchaffen? Ihr? Ja, ih! Nun, und auf welche Weife

Das will id Euch mittheilen ; aber damit Ihr beffer böten köͤnnt umd nicht fo müde werdet, fo ſetzt Euch hinten auf die Kuppe meines Pferdes! D, das ift mir fehr willfommen.”

Ueber ven Borfchlag meines neuen Reifegefährten ganz entzückt, fpringe ich wie närrifch auf das arme Thier... aber ich glitfche ... Hammere mich an ben Buckel meines Fleinen Führers an... falle... reiße ihn mit herunter, und wir liegen beide im Sande, ohne daß des Pferd fich nur gerührt hätte. Dein neuer Befannter fland ziem⸗ Ih guten Muths wieder auf und begnügte ſich damit, mir ven Rath u erteilen, künftig weniger haftig zu fein, weil wir nicht immer ie fanft fallen könnten. Ich verfprach es. Er bob fich wieder in den Sattel, ich gabelte mich vorfichtig hinten auf, und als wir Beide endlich ſaßen, und ed ihm vermitielft ver Peitfche gelungen war, ſeine Rozinante in Schritt zu bringen, fing er feine Rebe, die ich fe ungeſchickt unterbrechen hatte, wieder an.

„Mein liebes Freundchen! ein Jeder in der Welt, wenn er ut reich geboren ift, fucht Geld zu verdienen und fein Gläd zu nahen ; und man fieht fogar Rillionaͤre ſpekuliren, Kapitaliften große Unternehmungen machen und reiche @velleute vortheilhafte Ver⸗ kindungen fchließen, um den Glanz ihres Haufes zu erhöhen. Ich, ver ich weber von Adel, noch Kapitaliſt, ja nicht einmal Kaufmann bin und auch Teine Hoffnung habe, das eine oder das andere zu

vertenfelt langes Geſicht, bezahlte jedoch und überlegte, als ich das Haus verließ, daß mein Lonisd'or, ber nie enden follte, Leine zweite Mahlzeit aushalten würde, wenn ed mir wieder einflele, den großen Heren zu fpielen.

Der Ort, wo ich gefpeiet hatte, und den ich für ein Dorf hielt, war Saint-Sermain ; id) frug nad) bem Weg durch den Walb unb machte mich wieber auf den Weg; ich unterbrach meinen Marſch zur, indem ich rechts und linfs über die Gräben fprang, und bie Gfel, die mir begegueten, mit Stodfchlägen bediente.

Als ich vor Poiſſy aufam, hörte ich einen Reiter hinter mir bertraben; ich blieb ſtehen und erkannte meinen Budlichten, ver auf einem Kleinen heftifchen Pferde ritt, das er immerwaͤhrend mit Sporn umd Peitſche antreiben mußte.

Wie er dicht an mir war, hoͤrte er auf mit ſeiner Peitſche zu knallen und ritt im Schritt, um mir zur Seite zu bleiben. Er be⸗ gann aufs Neue ein Geſpräch, und da ich allmählig müde wurde und bie Kruppe fogar diefed bürren Kleppers mir doch ein ange: nehmes Bläschen fchien, fo war ich jept weniger ſtolz und ließ mich mit ihm ein.

„Wo foU denn die Reife fo zu Fuß hingehen, mein liebes Freundchen ?“ frug er mid. „Das weiß ich eigentlich ſelbſt nicht recht ... Ich will reifen... die Welt ſehen und mich Iuflig machen. Ihr habt alfo wohl feine Eltern mehr? O, doch! aber fie find in Paris und wollen, daß ich meine Zeit mit Lefen und Schrei: ben zubringe ; dad warb mir zulegt zuwider, und da bin ich davon gelaufen. Ab, verſtehe! ... Luft zu Thorheiten!... Jugend: fireihe!.... DO, ich Eenne das! ... fo etwas fieht man jebt gar häufig... Aber habt Ihr denn zu Euren Reifen recht viel Gelb ? Ich babe noch neun Franken. Teufel! ... da werbet Ihr wildes Kuhfleifch efjen müffen. Was wollt Ihr mit Eurem Kuh⸗ fleifch ? ich habe gebratene Hühner, Aal, Tauben und Enten ge: geſſen. Ja, Ihr habt aber auch fünfzehn Franken verzehrt und

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erholt hatte, „ich verzeihe Euch den Austen! Charlatan! Ihr fennt mid noch nicht; ich will freilich wohl geflehen, daß ein wenig Charlatanerie mit meiner Kunſt verbunten iR, und daß drei Bier: tbeile meiner Mittel und Traͤnke nicht die Wirkung haben, bie man fh davon verspricht, aber in der Mebizin it man ebenfowohl Irr⸗ thümern umterworfen als in andern Dingen!... mar nimmt ein $arier ein und macht ſich Frank; man hat Schmerzen nur an einem Zahn und braucht ein Elixir, dad alle Zähne verdirbt; man ſucht ein Amt, dem man nicht vorzufteben verfieht ; man macht Spefu: lationen übers Meer, die ein einziger Windſtoß vernichtet; man meint, man habe Berftand, und man entbehrt den nothwendigſten, ven, ſich durch die Welt zu helfen; man will vernünftig fein unb macht dumme Streiche; man will ſich durch eine Heirath glücklich machen und bereitet ſich durch Weib und Kind tauſend Sorgen! ... Kr, mein Freundchen, man hat ſich zu allen Zeiten geimt, und es bleibt immer ein großer Zufall, wenn bie Ereigniſſe im Leben fo erfolgen, wie wir fie beredinet und erwartet haben.”

„Aber, mein Herr,“ fagte ich zu meinem kleinen Bucklichten, deſſen Geſalbader mich endlich Iangweilte, „was habt Ihr denn eigentlid; mit mir vor ? Hört nur! Wenn ich in einem Flecken, einer Heinen Eiabt ankomme, fo kann ich mich nicht ſelbſt anzeigen ; ich brauche biezu einen Famulus, der im Orte umberläuft und meine Ankimdi⸗ gungen audträgt, und wenn ich zu than Habe, bie Aufträge, bie mau mir macht, annimmt und aufzeichnet. Aber ich mag Euer Famulus oder Zögling nicht fein, weil ich zum Lernen keine Freude habe. Ich begreife das fehr wohl, Freundchen; Ihr bürft Guch aber auch nicht mit anſtrengenden Arbeiten ven Kopf zerbrechen! ... Ir ſollt mir Bloß Billen machen, das ift Alles. Pillen? Ja, von allen Größen und Farben. Seid nur ruhig, das ift nicht fer... Aber das iſt noch nicht Alles. Nun, und was noch ? Ser müßt Schlafen und ‚den Nachtwandler vorftellen, wenn es ui in. O, was das. Schlafen beirifft, damit will ich ſchon

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werben, habe lange hin und her geſonnen, durch welches Mittel ich wenn auch Fein beveutendes Dermögen fammeln, doch angenehm leben koͤnne. Endlich fand ich ein ſolches Mittel! mit einigem Ber: fand lernt man die Menfchen bald kennen. Ich habe ihre Reigun: gen, ihren Charakter ftubirt!... ich fand bald, daß mit ein bischen Schlauheit man das arme Menfchengefchlecht Teicht für Narren Halten fönne; daß ed nur darauf anfomme, es bei feiner fchwachen Seite anzugreifen ; und dieſe mit einigem Takt und Scharffinn leicht auf- zufinden fei. „Ab, Ihr habt alfo Takt und Scharffinn,“ fagte ich zu meinem Begleiter, indem ich mit einigen Nabeln,. die. ich auf dem Mantelfad zwifchen und fand, unjern armen Gaul in die Wei- chen ftach. Ja, Freundchen, ich rühme mich deſſen. Und warum läuft denn Euer Pferd jetzt fo raſch? Weil ich fo eben mit der Beitfche gefnallt habe und es merkt, daß es bald in den Stall Tom- men wird. Schon recht! ich fehe, daß Ihr Takt habt. Nun, fahrt nur fort, ich Höre zu.”

„Alfo, indem ich den Leivenjchaften fchmeichle, gelange ich zu dem Mittel, angenehm zu leben; ich habe auch außerdem Kennt: niffe in der Botanif, Medizin, Chemie und fogar in ber Anatomie, und dadurch nun ift ed mir gelungen, nicht nur Mittel für alle Krankheiten zu bereiten, fondern auch Tränfe zu fertigen, um mittelft berjelben Liebe, Haß, Eiferfucht zu erregen und Geſunde Frank zu machen... bauptfächlich auf diefen legten Artikel verftche ich mich. Ab, jetzt merke ih... Ihr verkauft allerlei Wundenbalſam, wie der große rothrodige Mann, den ich einmal in Parid an den Straßeneden und auf den großen Plägen gefehen, ich glaube, man nannte ihn Charlatan?“

Dei dem Worte Charlatan machte mein Geleitömann einen Satz auf dem Sattel, der und beinahe Beide wieder auf die Land⸗ firaße geworfen hätte; zum Glück aber padte ich ihn fo feft, daß wir diedmal bloß mit der Furcht davon kamen.

„Mein Freundchen,“ fagte ex, nachdem er fich wieber ein wenig

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beliebte, und diefer Grund genügte, daß ich's mir bei ihm gefallen Inf; die Gewißheit der Freiheit gibt ber @riftenz einen Heiz, der ib über alle Lebensverhaͤltniſſe verbreitet, während Sklaverei auf vn größten Theil unferer Handlungen ein finfteres Licht wirft ; fle verbannt den Frohſinn, nimmt der Liebe jenen Reiz, der Seele ale Kraft und der Einbildungskraft jede Energie.

Bas ih Dir da fage, Sansfonci, Tommt nicht von mir, fon: ven if eine Bhrafe, Die ich oft von meinem Pathen gehört und leuht behalten habe, weil fie mit meinen Anfichten vollklommen über: enkimmt,

Us wir am andern Morgen aufftanden, machte mir mein Bud: Iäker, ber ſich Meifter Oravyraicus nannte, ein Name, den er wahr: benlih; felhR erfunden hatte, und ben man ohne Geſichtsverzer⸗ rung wicht anöfprechen Tonnte, den Vorſchlag, mir Unterricht im Somnombuliömud zu geben, da wir in bem erflen größeren Orte soon Gebrauch machen wollten. Ich willigte ein, ex ließ mich nederſizen, hieß mich ſtier vor mich hinſchauen, ohne den Schein u baben, als ob ich fehe, und lehrte mich mit offenen Augen zu fen; da mir aber dies die Augenlider angriff, fo erlaubte er A, die Augen zugumachen, wenn wir nur Bauern oder arme T eufel it fariten haben würben.

Sept Iamen die Tränfe an die Reihe; mein in Herr batte Teinen Amath mehr davon, und ed war bringen nöthig, neue zu bes reuen. Judeſſen ich etwa fünfzehn Kleine Flaͤſchchen zu diefem Zwecke iem machte, ließ Meifter Gravyraicus aus dem Dorfe die nöthigen Mazyen, Burzeln und Ingrebienzten herbeiholen. Er zuͤndete ein Auer an, entlehnte von unferem Gaftwirtg alle mögliche Schalen m Rüpfe, fo dag umfer Zimmer, worin Alles bunt durcheinander Ian, jept nad) dem Ausdruck meines Begleiter das Anfehen eines- deniſh magiſchen Laboratoriums erhielt.

Run,“ fragte ich meinen Bucklichten, während er Klettenfraut- Mahte uud ich Zimumt ſtieß: „wozu ſoll das dienen, was Ihr jet

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fertig werben. Schlafend beantwortet Ihr die Bragen, bie man an Euch richten wird. Wie foll ich denn antworten, wenn ich fchlafe? Ihr ſollt Euch ja nur flellen, als ob Ihr fchliefet, mein Lieber... Ich werde Euch das Alles fehon zeigen. D, daB iſt einer der audgezeichnetften Zweige meines Gelbäfts! Daß Ir -Sindere in Schlaf bringt * Das nicht allein, fondern wenn ich die Schlafenden reden laſſe, wenn ich fie ven Krauken bie nothwen⸗ digen Mittel verfchreiben laffe. Halt einen Augenblick! fchlafen will ich wohl, aber weder Mittel verfchreiben, noch nehmen... dafür habe ich bei meinem Bater zu Haufe manche Schläge befom- men! O, Ihr verfieht mich noch nit... Mittel... das find Arzneien, die man zu fih nimmt Mit einer Klyftierfprige ... . O! ich Eenne das!... Nein, nein, davon ift gar nicht die Rede. Ihr fprecht im magnetifchen Schlaf; ich werde Euch ſchon zuvor Unterricht eriheilen, und Ihr gebt dann dem Kranken oder Rengierigen Eure Antworten. Wahrlich, ich begreife Died noch nicht. Den Teufel auch! das glaube ich wohl; denn die, welche den Schlafenven befragen, begreifen auch nichts Davon ; das ift eben das Pfifiige an der Sache. Wenn man wüßte, wad man davon halten fol, jo könnte man mit dem Magnetismus und Somnambulismus fein Brod nicht mehr verdienen. Mit einem Worte, wollt Ihr mid begleiten und bei meinem Unternehmen mir helfen? Ihr follt gut zu leben, fchöne Kleidung haben und viele Länder zu jehen bekom⸗ men, benn ich bleibe nie lange an einem Orte. Und dafür foll ih nichts als Pillen machen und fchlafen ? Nichts weiter. Gut! die Sadje ift abgemacht, ich ziehe mit Euch.”

Sp war ich denn alfo Famulus des Heinen Budlichten. Wir fommen bei Nacht in einem Dorfe an; mein Herr und Meifter kehrte in dem beften Gafthof ein und ließ und ein gutes Abendeſſen vor⸗ feßen. Es jchien mir fehr angenehm, zu Pferde zu reifen und um meinen Unterhalt unbefümmert zu fein. Uebrigens hing es ja nur on mir ab, meinen Begleiter wieber zu verlaffen, wenn es wis

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bann und gezogen au machen ; er erzeugt üble Laune, Indem er auf ver Haut eine Maſſe Bufleln und Gefchwüre von verjchiedener Größe bernorbringt, und macht einen fo flinfenden Athem, daß die Fliegen auf zehn Schritte Entfernung umfallen möchten. Ihr Tönut nun leicht denfen, daß der, welcher mit ver Perfon umgeht, die meinem Iranf gebraucht, ihr leicht untreu wird, da fie nichts Liebenswür⸗ diged mehr an ſich hat, und von dem Augenblicke entdeckter Untreue au wird fie natürlich fo eiferfüchtig wie ein Dämen!... und noch dazu bleibt fie es das ganze Leben hindurch, denn fie mag thun was fie will, fie wird es nie wieder bahin bringen, Liebe einzu- digen. Nun, was jagt Ihr dazu? ... Welch’ eine Berechnung, welche Tiefe des Gedankens, welche Kenntniß von den Leidenſchaften und ihren Wirfungen!... Ja, aber fo find die Menſchen, von dieſen Trank verlaufe ich weit weniger, ald von dem andern ; ed in fogar felten, daß ein und dieſelbe Berfon zweimal davon nimmt.

„Was diefen legten Tranf anbelangt, wozu ich hier das Kletten- haut fchabe, fo dient er dazu, Wuth, Haß, Zwietracht zu erregen; verfehlt feinen Zwed niemals und beſteht aus Manna, Rhabarber, Beineffig, Terpentin und Kakao, was Alles mit dem Klettenfraut a einem Syrup eingelocht wird. Diefe zugleich verflopfende und erweichende Mifchung macht Kolik und Migräne; bat man aber Schmerzen im Kopf und im Leibe, fo ift man natürlich böfer Laune, geräth Leicht in Wuth und hadert mit Jedermann, befonderd wenn he Schmerzen im Zunehmen find. Ich glaube, daß das auch gang nett ausſtudirt ift, und daß mein Takt und Scharffinn dazu gehörte, um die verſchiedenen menfchlichen Leinenfchaften auf geſchickte Weiſe bervorzurufen.“

Ich hoͤrte meinem Meiſter mit Aufmerkfamfeit zu und frug ibn, als ex fein Geſpräch geendigt hatte, ob er vielleicht Luft Habe, an wir mit feinen Tränfen Verſuche zu machen ; allein er antwor⸗ tele, daß Died ganz und gar nicht feine Abficht fei, und viefe Zus Rherung gab mir meine frohe Laune wieder, deun um keinen Preis

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bereitet ? Ich will wohl Cuer Helferöhelfer fein, aber doch nur unter ber Bedingung, daß Ihr mich auch in Eure Geheimniffe einweiht. Ihr ſollt Alles wiffen, Freundchen, unter und bebarf es keiner Geheimniſſe. Ich mache jept einen Liebestrant und das ift eben nicht fehr ſchwer; ed gehören dazu nur zufammenziehende Ingre⸗ dienzien, Spirituofa und einige Reizmittel. Ich Iaffe Zimmt, Nelken, Banille, Pfeffer, Zuder und Branntwein zufammen kochen. Hat man davon getrunfen, fo wirb man verliebt, und wenn der, welcher meinen Liebestrank gekoftet, ſich mit dem Gegenſtande feines Herzens unter vier Augen befindet, jo fühlt er bald deſſen Wirkfamkeit und zweifelt nicht, daß ich ein Zauberer fei. Ueberbies hat dieſe Mifchung die @igenfhaft, die Zähne zu verberben ; das gefchieht nicht ohne Schmerzen, und da man im gemeinen Leben Zahnweh Liebeöweh nennt, fo feßt man voraus, daß ber, ber von meinem Liebestramf getrunfen hat und Zahnweh befommt, verliebt geworben if. Bon dieſem Zaubertrank verkaufe ich viel, hauptſaͤchlich an Damen ; wir müſſen daher einen großen Borrath haben.

Wir wollen jet den Trank vornehmen, ber eiferfüchtig macht ; ich geftehe, daß er ein langes Studium und tiefes Nachdenken erfor- berte ; aber ich glaube, er ift mir volllommen gelungen. Woher entfteht zunaͤchſt @iferfucht ? Aus Verdacht gegen bie Treue des Ge; Hebten. Dieſer Argwohn muß eine Urjache haben, denn es befteht feine Wirkung ohne Urſache; man tft wohl manchmal ohne Grund eiferfüchtig, aber meift find Gründe da. Ich caleulirte nun, wenn ich den Einen untreu mache, fo wirb der Andere dadurch eiferfüdh- fig; aber wie will ih den untreu machen, ber nichts von meinen Mirturen nimmt ?... Das war es eben, Freundchen, wo meines ganzen Genies beburfte, was ein Dummkopf nie erfunden haben würbe, und ich ohne Hülfe mebizinifcher Abhandlungen erforfcht habe. Ich bereite einen Trank aus Sublimat mit verfchiedenen Kräx- tern gemifcht, welche auf die Haut wirken. Diefer Zaubertrauk bat

e Babe, die Augen glanzlos, den Teint bleifarbig und die Mafe

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Arothefe in einem Korbe am Sattel unferes Pferdes befefligt. Dus Beter begänftigte uns nicht; ein heftiges Gewitter überflel ung, und ald wir in der Eleinen Stadt anfamen, die van unferen Wander hıren wiederhallen follte, befanden wir uns in einem fo beträbten Jufande, daß man und weit eher für erbärmliche Vagabunden, ald für gelehrte Doktoren gehalten Hätte.

Mir fehrten jedoch in dem beften Gaſthof des Orts ein. Der Birth achtete anfangs kaum auf uns und ließ fich in feiner Rıche nicht fören; als wir aber bie beſten Zimmer und eine ausgeſuchte Bablzeit forderten, prüfte er und mit zweifelhafter Biene, um pen Juftand unferer Finanzen Tonnen zu Iernen. Mein pfiffiger Meifter warf mehrere Thaler auf den Tifch und beivog ben Wirth, bie Vohnungsmiethe auf acht Tage voraus anzunehmen.

Dieſes Verfahren wandelte unfern Gaſtwirth plöglih um; er dlanbte vornehme Incognitvreifende vor fih zu haben, räumte und die beiten Zimmer im erften Stod ein und bediente und aufs Aller- vinftliche.

„Mein Herr Wirth,“ fagte mein Bucklichter zu ihm, ald wir und zu Tifche fepten, „Sie wiffen nicht, wer ich bin, ich wii zum been dieſer Stabt indeſſen mein Incognito ablegen ; laffen Cie alfo den Einwohnern ber Stadt wiflen, daß fie; aber nur anf bt Sage, fo glürlich find, den berühmten Gravyraicus, Leibargt des Kaiſers von China, Magnetifeur der Savoritin des Sultans von Damas, patentirten Phyſiker bei dem Hofe des Königs von Rarocto, Chemiſten des Großvezirs von Conſtantinopel und Aſtro⸗ logen des Hetmans der Koſaken in ihren Mauern zu beſihen. Ver⸗ lindigen Sie ihnen zugleich, daß ich in dieſem Augenblide ven nehwirdigfien und feltenfien Somnambulen bei mir habe, den’ je die Welt gefehen. Es if ein junger Manı von breißig Jahren, der ſanm fünfzehnjährig ſcheint, weil er die Hälfte feines Lebens geſchlafen hat. Er ift im höchften Grade intereffant, an den Ufern des Ganges geboren, kennt alle Sprachen, die er zwar nisht alle

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der Welt hätte ich von den Zaubertränken des Meifter Gravyraicus toften mögen.

„sch Habe Euch jetzt nur noch zu zeigen, fing er wieder an, wie bie Pillen zubereitet werben ; das ift fehr leicht, ich mache fie alle von Brodkrume und beftreue fie nachher mit verfchlenenem Pulver, um ihnen verſchiedene Karben zu geben. Unb wogegen braucht man fie denn? Um alle Krankheiten zu heilen. Wie! Ihr kurirt mit Brodkrume? Sa, fehr oft, denn viele Krankheiten liegen nur in ber Einbildung, und wenn ber Kranfe glaubt, ein unfehlbared Mittel zu nehmen, fo bildet er fi ein, daß es ihm hilft, und gerade dieſe Ueberzeugung iſt's, die ihn heilt, nicht aber meine Pillen. Sie fchaden wenigftens nichts, und das ift immerhin fon etwad. An Ammen und alte Frauen verkaufe ich and nehmen viel.”

Behntes Kapitel. Unterriht im Magnetifiren.

Sch war jetzt in alle Geheimniffe meines Herrn und Meifterd eingeweiht ;. ich mußte ihm verfprechen , ihn nicht zu verrathen, umb that es; aber ich verfprach nicht, mich auf Koften ver Thoren, die ihn confultirten, nicht Iuftig zu machen, und nahm mir vielmehr vor, bied nach beften Kräften zu thun, denn ich war, obgleich erſt fünfzehn Jahre alt, doch fchon ziemlich unternehmenn, dreiſt und durchtrieben.

Das Dorf, in dem wir übernachtet hatten, gab meinem Bud: lichten feine Gelegenheit, feine Talente an den Tag zu legen und feine Mirturen zu verkaufen ; wir verließen ed daher, und es gelang meinem Begleiter bloß, an unfere Wirthin in8geheim eine Schachtel mit Pillen abzuſetzen, welche die Haare vor dem Grauwerden und vie Zähne vor dem Schwarzwerden ſchützen follten.

Wir waren alfo wieder auf der Landſtraße und hatten unfere

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Freundchen,“ antwortete er, „verwundert Euch über nichts, ich ſtehe für Alles. Ihr ſagt mir, Ihr heißt Jakob, der Name iſt jedoch zu alltäglich ; wenn ich Beſuch befomme, werbe ich Euch daher immer Tateuos nennen ; denkt fein baran. ch werbe jeßt eine Tone durch ne Stadt machen und mir dad Nöthige aufnotiren; inziwifchen unter: haltet Euch damit, die Tränfe im Schranke dort aufzuftellen und eınige Schachteln Pillen zu machen, ich Bin fehr bald wieder Hier.”

Ih war jegt allein, aber ftatt Pillen zu machen, nafchte ich vom Jimmt, Kakao und den andern Ingredienzien, die zur Ber: fertigung ber Zaubertränfe dienten; auch flürte ich im Felleiſen, rad mein Begleiter offen gelaffen hatte, und fand einen großen ihwarzfeidenen Mantel, eine falfche Nafe, eine Perrücke und einen dächſernen Bart darin. Ich mollte eben Alles noch genauer unter: ſuchen, ald es leife an die Stubenthüre Flopfte.

„Nur herein,” rief ich, ohne mich flören zu laffen. Die Thüre wurde leife geöffnet, und eine niebliche Brünette von achtzehn Jahren trat ein. Sie war eine der Dienftmäbdhen im Haufe, und wie alle Ibresgleichen fehr neugierig und ziemlich ſchlau; als nämlich der Rırtb unfer Zimmer verlaffen Hatte, hörte fle ihn verfünden, daß er vie zwei berühmteften Dienfchen des Weltalls beherberge ; einen Gelehrten, der die Franzofen wie Chinefen behandle, und einen Scmnambulen von dreißig Jahren, ber wie ein Kind von zwölf auefehe und die aufgewedteften Menfchen einfchläfere. Da hatte Sairette auch Luft befommen, fich in den Schlaf bringen zu laffen, m zu erfahren, wie bad wohl thue, und in der Vorausſetzung, -aß ed ihr, wenn wir einmal befannter würden, fehr ſchwer werden möchte, eine Aubienz zu erhalten, war fle unter dem Vorgeben, fich nach unfern Befehlen zu erfundigen, eilig zu uns herauf gefommen.

Die Kleine trat, ſcheinbar von Furcht und Neugierde getrieben, uf den Zehen einher, blieb zwei Schritte entfernt von mir ftehen and betrachtete mich ganz aufmerffam. Auch ich fah fle genauer an und fand fie vecht hübſch, Bisher war mir das Ihöne Geſchlecht

Saul de Kocd. ı.

ſpricht, aber beſſer verſſeht, als Sie und ih. Gr enträthfelt im Traume jede Krankheit, ihre Urfache, ihre Wirkungen, die Schmerzen, die fie hervorbringt, die Perioden des Uebeld, und gibt die Arznei- mittel fogar für folche Krankheiten au, die erft entfliehen werben. Er Hat die Ehre gehabt, vor Grafen, Marquis, Herzogen, felbft - Königen einzufchlafen. Er hat im Schlafe Kuren vollbracht, Die felbft zu König Dagoberts oder des weifen Salomond Zeiten für Wunder gegolten hätten ; er hat einen Engländer vom Spleen, eine deutſche Baronefje von einer Haut: Wurmfrankheit, ihren Mann von der Sicht, eine junge Tänzerin von ihrem Haß gegen die Männer, eine alte Jungfer von der Affenliebe zu ihrem Hunde, einen Hof⸗ mann von feiner Gewohnheit, einen Rabenbudel zu machen, einen Rentier von einer Magenfchwäche, einen Autor vom Obrenflingen und. einen Muſikus vom Schwind in feinen Beinen, einen Thür⸗ hüter von Steifheit ver Lenden, einen PBrofurator vom Juden an den Fingern, einen Advolaten vom Stottern, einen Sänger vom furzen Athem, eine Kofette von ihren Vapeurs, einen alten Ber- führer von feinem Aſthma geheilt, und noch viele andere andge- zeichnete Kuren gemacht, die ich Ihnen nicht weiter aufzählen will, zumal wir feine Gharlatans find, die den Leuten nur Sand in bie Augen firenen. Diefer Heine Proſpeltus Hier, den ih Sie bitte, vertbeilen zu laffen, wirb genügen, den Stabtbewohnern hier einen Begriff von unfern Kenntniffen zu geben. Hier, Herr Wirth, nehmen und glauben Sie.“

Der Wirth war über Alles, was ver Heine Budlichte mit vielem Nachdruck und ungewöhnlicher Sicherheit vorirug, ganz verblüfft! er nahm den Profpeftus mit tiefen Büdlingen, beiheuerte feine Ghrerbietung, wollte ven Namen meines Meiſters ausfprechen, fchnitt Gefichter dabei, kam aber doch nicht damit zu Stande, nahm feine Kappe ab und verließ endlich, immer rückwaͤrts ſehend, das Zimmer.

Als er fort war, frug ich unſern Begleiter, ob ich der dreißig⸗ jährige Somnambule fei, der alle Welt kurirt habe. „Sa,

Denn man fi} aber für einen Dreifiger ausgibt, wi man fein Ignorant mehr fein, und um mid; nicht albern zu Benehmen md ausznbrücden, fchwieg ich und beſchraͤnkte mich darauf, Clai⸗ teten anzufchauen.

Erftaunt über mein Stillſchweigen fürchtete fie ſchon unbes (beiten gewefen zu fein; allein der Wunſch, jung zu bleiben, reimigte fie fo, daß fie bald wieder zu fragen begann.

„Man fagt, Sie find ein Somnambule, mein Her? Ja, tae bin id. Und daß Sie Jedermann in den Schlaf bringen ? 3% bringe die in Schlaf, welche an meine Wiffenfchaft glauben. £ mein Herr, ich glaube vollfommen daran... und wenn Sie md einfhläfern wollten... . iſt's das vielleicht, was das jugend: hdie Anfehen gibt? Nun ja, das ift der Anfang. Ach, mein Herr, fo fangen Sie mit mir an, ich ‚bitte Sie, es wäre bodh wenigftend fo viel gefchehen! Sehen Sie, wenn Sie wollten, da wir gerade alfein find und Sie Zeit haben. Was tollen Ei? Daß Sie mich in den Schlaf bringen!... ich bin bereit dazı.“

Ich war fehr in Verlegenheit, und wußte nicht, wie ich mich 'enehmen follte, um den Herenmeifter zu machen, und ärgerte mich :aber fehr, von meinem Heinen Bucklichten nicht nähere Details aber diefen Artikel gefordert zu haben. Indeſſen Eonnte ich der angen Glairette, die mit fo viel Anmuth in mich drang, nicht :änger widerſtehen, und dachte: Du bift doch nicht dummer als tin Bucklichter; hat er auch dich nicht feine Methove, Menfchen mnfchläfern, gelehrt, fo willft du eine neue entdecken, und viel⸗ bt iſt die deinige noch praftifcher als die feinige. |

„Run denn, ich willige ein,“ fagte ich zu Claixgtte, „ich werbe Ahnen Unterricht ertheilen, aber der heutige wird nur zu Ihrer 'rlänfigen Gntfaltung dienen; in ber Folge fchreiten wir dann Tier vor, Sa, ja, mein Herr, wie e8 Ihnen beliebt.”

DaB junge Dienſtmaͤdchen war fo entzückt über das, was ich

noch gleichgültig geweſen, und überdies hatte ich mich noch nie mit einem jungen Mädchen unter vier Augen befunden ; bie Gegenwart Glaivettens, die Aufmerkfamfeit, womit fie mich beobachtete, und der angenehme Ausdrud ihrer Phyſiognomie, Alles das brachte mich in Berwirrung, und es regte ſich in mir ein bisher mir noch un: bekanntes Gefühl.

Wir ſchwiegen beide ſtill; Clairette ſprach zuerſt. „Wie, mein Herr,“ ſagte ſie mit großen Augen, „wie . . . Sie find ſchon dreißig Jahre alt? Yu, Mamſell,“ antwortete ih, indem ich an bie Aeußerung meined Begleiters dachte und überlegte, daß biefe Lüge zu fonderbaren Auftritten führen könnte. „Uebrigend weißt Du, daß man im fünfzehnten Jahre gerne älter und gefepter aus: fehen möchte, während man es im breißigften bedauert, nicht mehr fünfzehn alt zu fein.

„Ah, mein Gott! iſt's denn möglih! Dreißig Jahre! Sie ſcheinen kaum halb fo alt!... Und Clairette blickte mich noch fhärfer an, und ich ließ mich betrachten und fpielte den Niedlichen. Mein Herr, Sie befigen wohl ein Geheimniß, dad Sie ver bindert, alt zu werden? Ya, Mamfell, o, ich befige noch viele andere! Ach, mein Herr, wenn Sie mich nur mit dieſem be- kannt machen wollten!... Wie zufrieden, wie glüdlich wäre ih... immer jung zu feheinen!... Ach, was muß das angenehm fein!

Ich verfpreche Ihnen, von mir foll es Niemand erfahren ! Uebrigens würde ich es auch nicht gerne fehen, wenn die andern Maͤdchen gleihfall8 jung blieben!... Dann wäre es ja kein Ber: gnügen mehr... Nun, mein Herr, wären Sie wohl fo gut, und .. . aber glei... Sie fünnen dafür verlangen, was Sie wollen !"

Das junge Dienſtmaͤdchen ſchien mir in der That fehr zuge: than; ich fühlte ſchon taufend Wünfche fich in meinem Innern regen, aber ich ſprach fie noch nicht aus; ich war noch Neuling, aber em: pfand ſchon die Luſt, es nicht mehr zu fein, und bei Glairetten hätte ich gerne meinen erflen Unterricht genommen,

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ih mil einem Sprung am andern Ende des Zimmers war. Clai⸗ seite fehlen minder verlegen ald ich; fie blieb auf ihrem Stuhle ken und fah mich und den Heinen Budlichten an, wie Jemand, ver das Ende eines Experiments erwartet.

„Bas macht Ihr denn da, mein lieber Tatouos,“ frug laͤchelnd ver Heine Pfiffikus, obgleich er die Urfache meiner Verwirrung fehr gut erielh... „Ich, ich fuchte dies junge Mädchen in den mögnetifchen Schlaf zu bringen. Ah! dabei waret Shr!... Aber Ihr wißt ja, daß dazu einige nothwendige Vorkehrungen ge: hören, auch jetzt die Stunde nicht günftig ift... Glaubt mir und verlegt Curen magnetifchen Unterricht auf eine andere Zeit.“

Dabei gab er mir einige Winke, die ich fehr gut verftand, und näherte ſich Clairetten, die noch immer ruhig auf dem Stuhle faß.

„Mein liebes Kind, ich fehe mit Vergnügen, daß Ihr Euch unterrichten zu laſſen Luft habt und an unfere Wifjenfchaft glaubt, Berubigt Euch, wir werden Euch mehr lehren, als Ihr vermuthet... und bauptfächlich ber Herr Tatouos, der feine Kunft vorzüglich ver: febt uud gern Profelnten macht. Aber noch ift ber rechte Mugens Eid nicht da... Euer Herr verlangt Euch in der Küche; die Fri: caſſes Söunten anbrennen, und Das würde mich ärgern, denn ich liebe die rändherigen Saucen und ausgetrockneten Braten nicht. Geht, liebes Kind. Morgen beginnen wir unjere großen Experi⸗ mente... und wenn Ihr das fein, wofür ich Euch halte, fo ſollt Ihr mit unfern Myſterien näher vertraut werden ! Kurz! Ihr follt morgen fchlafen und Har fehen !”

Ich weiß nicht, ob Clariette verſtand, was mein Budlichter tamit meinte, aber fie machte eine tiefe Verbeugung und entfernte ih. Als ſie vor mir vorüber war, warf fie mir noch einen Blid in, deffen Auspruf mir den Kopf vollends ganz verbrehte; da ich zeinem Gefühle nicht widerſtehen Eonnte, und es mir gleich mar, wed mein Eollege mir vielleicht jagen möchte, fo folgte ich ‘dem ungen Mäbchen auf die Hausflur.

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mit ihr vornehmen würde, daß fie wie eine Feine Tollhäuslerin im Zimmer herumfprang.

„Run, jetzt fehen Sie ſich,“ fagte ich und firengte mich zu einem ernften Rebeton an... „Wohin denn? Ei hier, auf biefen Stuhl... neben mir... fo... Hier bin id. Geben Sie mir Jhre Hand. D, alle beide, wenn Sie wollen !“

Ich ergriff Ihre beiden Hänte und brüdte fie herzlich in den meinigen ; eine wohlthuende Wärme burchftrömte mich; ich war fo glücklich, daß ich mich nicht zu bewegen wagte, aus Beforgniß, der Zauber, welcher meine Sinne betäubte, Eünne zerftört werden; meine Augen waren auf bie Glariettend geheftet, deren Zärtlich: keitsausdruck in mir bie erfte Liebe erwedte. Statt ihr Unterricht zu geben, fchien e8 mir, al® könne ich taufend Dinge von ihr lernen ; ich zitterte und wurbe bald blaß, bald roth; niemals hatte ed wohl einen ängftlicheren Herenmeifter gegeben! ich hatte meine Rolle vergeffen, und Glairette, ohne es zu ahnen, übernahm fie flatt meiner.

„Es ift auffallend,” fagte das junge Mädchen, ber ich feit fünf Minuten die Hände drüdte, „hiedurch werde ich durchaus nicht ſchlaͤfrig. Warten Sie nur, warten Sie nur, das geht nicht fo eilends. . . Jetzt müffen Sie die Augen zumaden... Wie? die Augen ganz zumachen? Ja, das ift durchaus nothwendig. So! nun fehe ich aber gar nichts mehr.“

Als Elairette mich nun nicht mehr anfchaute, verlor ſich meine Furchtfamfeit, und ich wagte es, ein Küchen auf die Lippen meiner nieblichen Schülerin zu drüden ; ein noch nie gefühltes Feuer durch⸗ firömte mich, Glairette ließ fich küſſen, und flüfterte nur halblaut: „Es ift doch auffallend, hiedurch werde ich durchaus nicht fchläfrig."

Ich weiß nicht, welches Ende diefer erfte Unterricht genommen hätte, wenn nicht mein Meifter gerade in bemfelben Augenblicke plöglich ind Zimmer hereingetreten wäre, als ich Glairette in meine Arme drüdte. Seine Gegenwart fegte mich fo in Schreden, daß

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Zalt dazu, dies zu erradhen. Es kommt aber wefentlich darauf an, zu wiſſen, ob fie an Euch Gefallen findet. Warum follte ich iht nicht gefallen? Ihr fein zu jung. Sie glaubt, ich lei weißig Jahre alt. Das ift wahr, an das "habe ich nicht ge: dacht. So müſſen wir und Mühe geben, fie in umfer Intereſſe zu jiehen. Ihr werdet einjehen, mein lieber Jakob, daß ich meine Rithelfer haben muß, wenn ic, in einer Stadt großen Erfolg haben will, Wie ? das ift notbwendig ? dann fein Ihr eben auch nicht beſonders geſchickt, wie ich merke! Mein Eleiner Jakob, Ihr fangt mit Euern Reifen und Infligen Streichen erft an und Eennt Me Welt nicht; wenn Ihr fie ſchon, wie ich, ſtudirt hättet, würbet Ihr wiſſen, daß die fchlaueften Menſchen, um ihren Zwed zu er: teihen, oft der Hülfe Anderer bevürfen, und das eben nenne ich Selferöhelfer. Die Kaufleute verfiehen fh, um ihre Waaren theuer zu verlaufen ; der Intendant verficht fich mit den Lieferanten über die Bezahlung ihrer Rechnungen ; die Höflinge verfichen fich darin, ihrem Fürſten den Speichel zu lecken und die Wahrheit zu ver: behlen ; ein junger Strolch verſteht fich mit einer Ballettänzerin, einen eigen Beneralpächter zu prellen; der Arzt verfteht fich mit dem Apotheker, der Schneider mit dem Tuchhändler, die Nähterin zit der Kammerjungfer,. ver Schriftfteller mit den Klatfchern, und viefe verfiehen ſich umter fich wieder darin, die Billets zu verwer: then, die fie zum Applaudiren erhielten ; die Wucherer verftehen ſich, ve Kurſe ſteigen und fallen zu laſſen, die Rabaliften einen Schrift- Keller zu Grunde zu richten, der nicht zu ihrer Zunft gehört, die Rußler, die Eompofition eines Kameraden zu verberben, die Schau: fieler, die Aufführung eines Stückes zu verhindern, worin fie feine wllsnmenen Rollen erhalten haben, und die Frauen verftehen fich qui mit den Freunden ihrer Männer. Alles dad, Freundchen, find helfershelfer. Und darf es uns nun befremden, wenn auch ein Tefgenfpieler Gehülfen nöthig hat! ... defto fehlimmer für bie Raten, die ſich anführen laſſen, oder vielmehr deſto befjer, denn

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„Wenn Ihr wollt, daß ich Euch Altes Ichre, was ich weiß,“ fagte ich leiſe zu ihr, „fo fagt mir, wo ih Euch jprechen unt treffen fann ? O, mir tft nichts Tieber!... Da, Ihr ſteigt Bier diefe Treppe noch weiter hinauf... und ganz oben, die Feine Thüre rechter Hand ... ich werbe fie Halb offen laſſen. Schon gut! Aber ich werde doch auch fünger® Sorgt nit!"

@lairette verließ mich; und ich kehrte zu meinem Collegen zurüd. Du fiehft, die Liebe hatte mich fchon erfinverifch gemacht; ein fefter Charakter, ein feuriger Kopf und eine kraͤftige Geſund⸗ heit führten mich vor der Zeit auf den Weg verliebter Abenteuer.

Elftes Kapitel. Jakob bringt Elairette in magnetiſchen Schlaf und thut Wunder.

Als ich wieder zu meinem Reiſegeſellſchafter kam, erwartete ich einige ernſte Verweiſe über mein Benehmen: gegen das Kleine Dienſtmädchen, und ich hatte mir bereitS vorgenommen, meinem Budlichten zu erwidern, daß ich nur unter der Bedingung, frei nach meinem Belieben handeln zu dürfen, ferner bei ihm bleiben würbe ; aber ich wurbe fehr überrafcht, als ich ihn lachen und hoͤchſt ver⸗ gnügt auf mich zukommen ſah.

„Es ſcheint, Freundchen,“ ſagte er mit ſchalkhafter Niene, „Ihr wollt ſchon für eigene Rechnung arbeiten. Der Tauſend! das heißt etwas jung anfangen. Ich will Euch indeſſen nicht Kindern ; anßerdem bin ich ja weder Euer Vater noch Euer Vormund, und Ihr hoͤrtet doch nicht auf mich, wenn ich Euch auch Weisheit prebigte. Erlaubt mir nur, Euch meinen, von der Klugheit und unferem ge: meinjchaftlichen Interefje gebotenen Rath zu ertheilen. Ich Höre. Ich habe Takt und fehe, daß das junge Mädchen Euch gefällt, das jo eben da war. Wahrlich! e8 gehörte eben kein befonberer

Ti zu decken und erwartete unfere Vefehle; endlich erſchien auch Blairette ; fie war verlegener als bei ihrem erfien Befuche ; fle hiekt die Augen niedergefchlagen und gab auf meine feurigen Blicke und das farkaftifche Lächeln des Heinen Bucklichten nicht Acht. Ich faß wie auf Kohlen; ich fürdhtete fchon, daß fie thren Cuiſchluß ge indert Habe; ich war Neuling in verliehten Intriguen und wußte noch nicht, wie Liftig ein weibliches Weſen ihre Gedanken und Wünfche ju verbergen wife.

Sie ging wieder hinaus und ich that, was ich konnte, um bie Nahlzeit zu beeilen, aber mein Kamerad, der nicht verliebt war, ergab fich mit Wohlbehagen ven Tafelfreuden ; er ſchmunzelte bei jetem Gericht und fpottete über meinen geringen Appetit ; indeflen dechte ex entfernt nicht daran, ven Grund meiner unruhigen Haft u argmöhnen.

Das Abendeflen war endlich verzehrt, und wir entfernten und in dad Schlafzimmer, wo unfere Betten dicht neben einander fanden. 36 machte mich ſchnell in mein Bett Hinein, und legte meine Bein: leider auf meine Füße, um fie leicht wieder finden zu innen. Endlich entſchloß fich auch mein Kleiner Reifegefährte, ſich zu Bette zu legen, nachdem er mindeſtens ein Dugendmal im Zimmer auf und abge:

gangen war, und bei feinen Schachteln und Flafchen geframt und - -

mid dadurch faſt in Verzweiflung gebracht hatte; ich erwartete fein Niederlegen twie das Zeichen meines Glücks, denn ich wußte, daß er, wenn er Taum lag, ſchon wie eine Rape ſchlief.

Eudlich ift der lang erfehnte Augenblid gefommen, mein Gollege liegt im Bett, ich überzeuge mich, daß er fehnarcht, ftehe auf, ziehe meine Hofen an und laufe, ohne mir Zeit zum Schuhanziehen zu uchmen, zur Thüre, öffne fie leiſe und befinde mich auf der Treppe. Ich ging auf ven Zehen und hielt den Athem an, fo fehr fürchtete _ ich, die Lente im Bafthofe aufzuwecken. Endlich befinde ih mich oben, an dem bezeichneten Orte, ich Höre leiſe huſten, und mein den fagt mir, dies ſei Clairette. In der That bemerke ich eine

wenn fie nicht getäufcht würden, hätten fie fein Vergnügen... Ich nun muß nothwendig die Leute vorher Tennen, die mich confultiren ; Ihr kennt wohl denken, daß ich nicht mehr zaubern Taun, ald An: dere. Damit Ihr im magnetifchen Schlafe Die Uebel, die man em- pfindet oder empfunden hat, errathet, muß ich Euch zuvor barüber belehren. Das Alles hindert ung nicht zu heilen, wenn’d Gott be: liebt; aber man muß der Menge imponiren, und den Menfchen gefällt nun einmal das Wunderbare, und wird ihnen immer gefallen. Das Heine Dienftmäpchen fcheint mir nun fehr leichtfertiger und Hifliger Natur zu fein, wir müſſen fie alfo zu umferer Gehülfin machen ; Ihr berevet fie durch Liebe, ich durch Geld ; wir müßten fehr unglüdlich oder ungejchiet fein, wenn wir fie damit nicht ge: winnen Tönnten.“

Sch war entzüct über den Borfchlag meines Herrn und Meifterg, benn Clairette war mein einziger Gedanke, mein einziger Wunſch. Obfchon der Kleine Budlichte nicht aufhörte, mir Klugheit anzu⸗ empfehlen und mich zu bewegen, nichtö ohne feinen Rath zu thun, fo fagte ich ihm Doch nichtö von meinem Rendezvous mit dem jungen Mädchen; er hätte das zu vorlaut, zu voreilig finden können, mud um feinen Preis der Welt hätte ich mein erfted Rendez⸗vons ver- fäumen mögen. :

Meifter Gravyraicus machte mich ſodann mit dem Refultat -feined Spagiergangs in der Stadt befannt; er wußte fchon alle Anek⸗ boten, Intriguen und neueften Begebenheiten, die Ernennungen, die noch gefchehen follten ; die Berfonen, die beſonders geehrt wurben, alle Heirathen, die gejchloffen werben follten, Turz, Alles, was im Orte intereffirte. Das Gute hat eine Heine Stadt, daß man in furzer Zeit mit allen Neuigkeiten befannt werben kann; man barf nur Bäder, Barbier und Obſthaͤndlerin befuchen.

Mein Begleiter hatte ein ungewöhnliches Gebächtniß, es erjete ihm die Kenntnifje, wie es fo vielen Menfchen den Verſtand erfegt.

Man beforgte unfer Abendeſſen. Der Wirth kam ſelbſt, den

Si Während fle ihr Licht ausläfcht und thut, als ob fie von Neuem Geuer ſchlüge, gehe ich hinunter, ohne zu wiſſen, wie ich mich weiter Benehmen werde. Kaum bin ich auf der zweiten Etage, fo faßt mich Jemand beim Arm und fagt mir ind Ohr: „Spiele ven Nacht: wandler ; ich habe die Kolik gehabt und in der Noth eine Terrine mit Belde ergriffen. Fürchte nichts, ich helfe Dir aus der Verlegenheit.*

Ich erkannte die Stimme meines Reifegefährten und befam wiererum Muth. “Der Gaftwirth, ungeduldig, weil er kein Licht befam, ftieg jeßt nach Clairettens Zimmer hinauf, die noch ohne Junder Feuer ſchlug. Endlich kommt er mit zwei brennenden Lichtern wieder herunter und bemerkt mich, als er eben in fein Zimmer gehen will, wie ich in Hemd und Hofen ernften Schrittes auf der Haus⸗ Aur anf und abgehe.

„Was Toll das heißen?" frug er, mich voll Echreden und Stamen anglogend... „Mas machen Sie da, mein Herr!... Ina ſuchen Sie bier, nadt, mitten in der Naht? Maren Sie es, ter in mein Zimmer fam und mid ungebührlich aus dem Schlafe weite? Antworten Sie doch!“

Ich hütete mich wohl, zu antworten und feßte meinen Spazier⸗ gang langſam fort; der Wirth folgte mir mit feinen beiden Kichtern, uud Beter und Hieronymus, die beiden Kellner im Haufe, bie der kärm herbeigeführt hatte, harrten mit Neugierde auf ven Ausgang rieſes Auftritte. Endlich laͤßt fich im Zimmer des Gaftwirths ein leiſes Geftöhn Hören. „Ha! es ift Jemand in meinem Zimnter,“ ruft ver Wirth erbleichenn-, „folgt mir, Ihr Leute, nur vorwärts, voran !“

Er ſtößt Peter und Hieronymus vor fih her, man fritt in das Jimmer, worin ſich mein kleiner Bucklichter befindet und laͤßt mich af dem Cotridor. Bald höre ich Ausbrüche des Jorns unferes Virths gegen Meifter Gravyraicus; ich denke, es ift Zeit, den Frieden herzuftellen und fchreite mit Pathos ind Zimmer.

Bei meinem Anblick hört der Lärmen auf. „Still! Achtung,” ſagt mein Begleiter hafbleife, „da ift Tatouos, nachtwandelnd;

ich werbe ihn mit mir in Rapport fegen und Ihr follt | wird mir Alles erzählen, was ich diefe Nacht gethan ha!

Sogleich nähert fich mir der Eleine Budlichte, Fährt ben Händen übers Geſicht, legt mir den Zeigefinger auf bi ſpitze, um nad) feiner Angabe die magnetifche Communika ſchen uns herzuftellen, und fängt an zu fragen: „Was diefe Nacht empfunden ? Kolik! Was weiter? Seit

„He, was ſagte ich Euch jo eben ?” rief mein Colleg er fich an bie erfiaunten Zuhörer wenbete, „aber fahren w das ift noch gar nichts, ich weite, wir erfahren weit Woher fam mein Uebel? Bon einer Unverbaulichkeit diefe Unverbaulichkeit ? Bon allzu vielem Eſſen!“

„Erſtaunlich! merkwürdig!" rief der Gaftwirth, fid feine beiden Leute drückend. „Stil !" fagt mein Eoll wir den Zauber nicht Idfen... Was that ich darauf? I auf! Weßhalb? Um nad) einem gewiffen Ort 3 Hatte ih ein Liht ? Nein! Und wie ging idy den Zehen, die Hände vorhaltenn !“

„Sie fehen, ich ging, die Hände vorhaltend, weil ich hatte ; er weiß bie größte Kleinigkeit. Aber weiter... U ich? Auf die Hausflur, Ihr hattet aber nicht mehr dacht, daß man Cuch das Kabinet links bezeichnet hatte, J bie Thüre rechts und tratet in dies Zimmer! So waı was nun ? Ihr fandet eine Terrine, uud... Ri weiter ? Der Lärmen wedte ven Wirth, er fchrie, li um Licht zu holen, und während ber Zeit verbarget Ihr ! unter diefem Bette!“

„Das ift Alles wahr... Unterfucht nun Alles felbft zeugt Cuch, ob er fih auch nur in einem Punkte geir

Die Kellner fanden die Terrine und ber Wirth ſtan bläfft da. Sein verborbened Gelee, das auf die ganze rechnet war, machte ihn jedoch übel gelaunt. Mein

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bie bemerkte, näherte fich mir und frag weiter: „Was iſt meine Abſicht, nachdem ich meinen Mißgriff eingefehen habe? Dem Gaſtwirth zwölf Franken Entfchäpigung zu zahlen! Ja, fo ift ed!... zwölf Kranken! fagte ich's Euch nicht fo eben, um Guern 3orn zu befänftigen ? Nein, mein Herr, davon haben Ste mir fein Wort gefagt! So Hatte ich ed anf der Zunge. Nun, ich denke, jept feib Ihr zufrieden, ich kann jeßt den fungen Mann aufwecken.“

& kam auf mich zu und drüdte mir die Fingerfpigen. Ich ſchüttelte den Kopf, rieb die Augen wie Jemand, der aus bem Shlafe erwacht, und frug unbefangen, wie ich hieher komme.

Mein Eoltege ſah feine Umgebung an; Alle waren fo über: raſcht von dem, was fie gefehen und gehört hatten, daß fie mid) für ein übernatürliches Wefen hielten. |

„Laßt und fet wieder ind Bett gehen,” fagte der Kleine Bud te, indem er ein Licht machte... „Schlafen Sie wohl, Herr Gaftrath; ich verfpreche Ihnen, Sie follen noch mehr Wunder fehen, wen Sie uns ungeftärt unfere Experimente machen laffen.“

Er faßte mich unter dem Arm, und wir gingen in unfere Zim- mer zurad, während der Wirth und deine Leite fich gegenfeitig fertwäßrend verficherten,, daß Alles, was fie gefehen hätten, ebenfo wahr als unbegreiflich fei.

Bwölftes Kapitel. Große Erperimente bed Budlidhten.

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As wir wieder in unferem Zimmer waren, fiel mir mein Gellege aus voller Freude um ven Hals. „Mein Freundchen,“ fagte er. „ih bin entzuckt über Euch, Ihr habt Eure Rolle wie ein Engel gefvielt!... Ihr ſeid ein prächtiger Junge, ein unfchägbares Kleinod, uud unfer Glück iſt gemacht. Das Ereigniß biefer Nacht wird Auf⸗ jehen erregen.“

ich werde ihn mit mir in Rapport ſetzen und Ihr follt fehen, er wird mir Alles erzählen, was ic; diefe Nacht gethan habe.“

Sogleich nähert ſich mir der kleine Budlichte, fährt mir mit den Händen übers Geficht, legt mir den Zeigefinger auf die Nafen- fpige, um nach feiner Angabe die magnetifche Communikation zwi⸗ ſchen und herzuftellen, und fängt an zu fragen: „Was babe ich dieſe Nacht empfunden * Kolif! Was weiter ? Seitenftiche !“

„De, was fagte ich Euch fo eben?” rief meisı College, indem er ſich an bie erftaunten Zuhörer wendete, „aber fahren wir fo fort, das ift noch gar nichts, ich weite, wir erfahren weit mehr... Woher fam mein Hebel? Bon einer Unverbaulichkeit! Und diefe Unverbaulichfeit ? Bon allzu vielem Eſſen!“

„Erſtaunlich! merkwürdig!" rief der Gaftwirth, ſich dicht an feine beiden Leute drüdend, „Still!“ fagt mein College, „daß wir den Zauber nicht Idfen... Was that ich darauf? Ihr flanbet auf! Weßhalb? Um nad einem gewiffen Ort zu gehen ! Hatte ich ein Liht ? Nein! Und wie ging ih? Auf ben Zehen, bie Hänbe vorhaltend!“

„Sie fehen, ich ging, die Hände vorhaltenn, weil ich Fein Licht hatte ; er weiß bie größte Kleinigkeit. Aber weiter... Wohin ging ih? Auf die Hausflur, Ihr hattet aber nicht mehr baran ge: dacht, Daß man Cuch das Kabinet links bezeichnet hatte, Ihr öffnetet bie Thüre rechts und tratet in bied Zimmer! So war ed, aber was nun? Ihr fanbet eine Terrine, uud... Richtig, nun weiter ? Der Lärmen werte ven Wirth, er fchrie, lief hinaus, um Licht zu Holen, und während ber Zeit verbarget Ihr die Terrine unter diefem Bette!"

„Das ift Alles wahr... Unterfucht nun Altes felbft und über: zeugt Cuch, ob er ſich auch nur in einem Punkte geirrt hat.“

Die Kellner fanden die Terrine und der Wirth ftand wie ver: blüfft da. Sein verborbened Gelée, dad auf die ganze Woche be: sechnet war, machte ihn jenoch übel gelaunt. Mein Gollege, der

When Erperimente gemacht! Wirklich? Gewiß, gewiß! ich

habe es von Hieronymus, dem Kellner daſelbſt, der iſt Ohren⸗ und Augenzeuge geweſen. Nicht moͤglich! Dieſe Nacht hat ber Somnambule feine nächtlichen Wanderungen begonnen. Nächt⸗ lihe Wanderungen bei Nacht! ... diefe Somnambulen find alfo Roftalogen ? Sa, mein Herr, fle find Nykta... Wie heißt 8°... Nykialogen, mein Freund. Gewiß! fie find Nykta⸗ gen... Nun, was foll das eigentlich heißen," Nyktalogen? Tab bedeutet, daß fie bei Nacht klar und deutlich ſehen koͤnnen. Ab! ich verftehe, wie die Raben. Um aber wieder anf den im

Rohrenfopfe zu kommen, er erräth Alles, was man gemacht Bat,

und diefe Nacht hat er etwas entdeckt, was allen Augen verborgen war. Sein Neifegefährte hatte diefe Nacht heftige Kolikſchmerzen bekemmen! Vielleicht von einigen ſchlecht zubereiteten Gerichten, von einigen fchlecht gepugten Kaſſerolen, denn man ißt fchlecht im Nobrenfopfe ; ich habe einmal ein Fricandean dort gegeflen, das mir drei Tage lang Magendrücken verurfachte, weil Muskatnuß darin wat, und dad befummt mir nie gut. Musfatnuß in einem Frican⸗ deau! ... Ihr müßt geflehen, daß dies abfcheulich if. Es ifl wahr, der Gaſthof verdient feinen Ruf nicht, denn anf der Hochzeit meiner Schwefter .. . Eurer Schweiter * welcher denn? Belde Lagrippe, den Kammerdiener des Unterpräfeften, geheirathet bat. ie wien ja, die Feine Blonde mit den blauen Augen und der roihen Nafe. Ach ja, der der Nähterin hier gegenüber bei Hof machte. Ab, da ijt Fein wahres Wort daran, das koͤmmt ren böfen Zungen. Nehmt Euch doch in Acht, Ihr fchneibet mich ja. Es ift nichts, es fprang nur ein Haͤrchen aus... . Sie lönnen wohl denken, wenn Lagrippe das gethan hätte, wire meine Schweſter ihn nicht geheirathet haben. Nun, und warum Vollte denn dies, unter und gefagt, Eure Schweſter... Wie! zes wolln Sie damit fagen, Herr Sauvogeon? Genug davon, weim Lieber, ſtillt nur das Blut und erzählt dafür von dem Nacht⸗

Dh

Bir legten uns beide, fehr zufrieden ber die Vorgänge biefer Nacht, wieder zu Bette. Ich fchlief mit dem Gedanken an Clairette, ihre Reize, ihre Liebe, fanft ein, und mein Reifegefährte träumte von den Gewinn, den ihm die erite Sigung in einer Stadt ein: bringen ſollte, in der fein Ruf ſich fo gut zu befeſtigen fchien.

Der Kleine Bucklichte hatte ſich darin nicht geirrt, daß und bie Begebenheit ver Nacht viel Neugterige zuführen würde. Die Leute im Gafthofe waren früh aufgeflanden, um fo fchnell ald möglich Alles zu erzählen, was fie gefehen und gehört hatten. Die Zrifeurs, Bäder, Kaufleute erfuhren es zuerſt; das reichte ſchon bin, unfere Talente und Kenntniffe in der ganzen Stadt auszubreiten. Auf folche Meife wird aber eine Begebenheit jo entftellt und vergrößert, daß man Mühe hat, aus anderem Munde feine eigene Gefchichte wieder zu erfennen. Ein Jeder will etwas Sonverbared und Wunderbares zufegen, um jeine Zuhörer zu überrafchen, und fo wird vft ein Bach zu einem reißenden Strom, ein Kind, das einen Ders ohne anzuftoßen berfagt, zum Wunder, ein Tafchenfpieler zum Zauberer, ein Sänger mit hoher Stimme zum Kaftraten und ein Komet zum Borboten fürs Weltende.

Das Dienftmäpchen, indem es ein Loth Kaffee kauft, hört von tem Ladendiener, daß im Gaſthof zum Mohrentopf zwei feltene Menfchen wohnen, die einem Alled, was man thun will, prophe: zeihen fünnen. „Ei der Tauſend! das muß ic; meiner Madame erzählen,“ fagt das Mädchen und verläßt ſchnell den Laden ; „fie ift Iegthin mit ihrem Better fpazieren gegangen und wünſcht nicht, daß ihr Manı es erfahre ; ich werde ihr den Rath geben, die Sache nicht durch die Zauberer Fund werden zu laſſen.“

„Was gibt's Neues?" fragt der alte Hageftolz feinen Barbier, indem er ſich guf den Stuhl fept und das Handtuch vorhaͤlt! „Was ed Neuss gibt ? Herr Sauvogeon. Traun! wir haben höchft fonderbare, hoͤchſt pikante Neuigkeiten. Nun, fo laßt fie Hören, ſprecht! Die beiden fremden Doktoren im Mohrentopfe haben

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Der Birth, verbengt ſich wie ein Chineſe, dem ein Mandarin begegfet, umd entfernt ſich mit ber Verficherung, das Mädchen ſogleich heraufzuſchicken.

Dein Begleiter rollte die Lifte auf; fie war bebeutenb und serfprach viele Profelyten. Der Bucklichte las fie laut ab und machte feine Bemerkungen gerade barüber, ald Clairette eintrat.

Die Kleine fchien etwas verlegen, fie beftete bie Augen zur Erbe umb fpielte mit ihrer Schürze; auch ich warb ſlammenroth und wußte nicht, was ich fagen follte. Clairettens Gegenwart vers twirrte mich ganz unb gar; ich war furdjtbar verliebt, und nad) ihren Zaͤrtlichkeitsbeweiſen zu fehliegen, meinte ich baffelhe von ihr. Hatte man damals an mich das Anſinnen geſtellt, ich ſolle entweber ie Kleine hetrathen oder fie völlig aus dem Sinne ſchlagen, ih glaube, ich Hätte ihr fogleich Herz und Hand angeboten, und ſtehe vafür, was ich empfand, haben fchon viele junge Reute von meinem Ur empfunden. Man liebt ja das erfte Mal fo aufrichtig! ... Ach, mein lieber Sansfouci, ich war Damals noch recht unerfahren! Eritbem aber habe ich mich überzeugt, daß das Vergnügen beflo geringer wirb, je mehr man Erfahrungen macht.

Dein Herr und Meifter ſchloß die Thüre ab, denn umfere Unterrebung mit Clairette burfte Tein Ungeweihter hören. Er kam wurd und begann bad Geſpräch mit einem fchalfenden Gelächter, worüber ich nicht wenig ftaunte, während Clairette an ihren Schurz⸗ eben Tante.

„Liebe Kinder, ihr ſeid noch ein wenig einfältig,“ fagte ex endlich; „Ihr, mein lieber Jakob, daß Ihr ein junges Mädchen hebt, Die Morgen nicht mehr an Euch denkt; und Ihr, meine Heine Slairette, daß Ihr an Hexereien glaubt und Euch einbilvet, man könne fein ganzes Leben jung bleiben. Wir find feine Zauberer, wein Rind, und Ihr follt uns behülflich fein, die Narren zum Behen zu haben, bie und confultiren wollen. Ihr werbet Alles than, was wir wünfchen, einmal, weil das Euch Gelegenheit vers

Beni de Rod. 1, 7

wandler .. . Ihr fagt alfo, er hat diefe Macht feinen Begleiter von der Kolik geheilt? Ich behaupte gerade nicht, daß er ihn geheilt Hat, ſondern daß er bie verborgenflen Sachen entdeckt hat, unter andern eine Terrine unter dem Bette des Gaſtwirths. Vielleicht eine Terrine, die man geftohlen und einftweilen da ver- ſteckt hatte! Es ift möglih, aber ſo viel ift gewiß, er hatte fogleich errathen, was darin war!... Donner und Wetter! ... das ift viel, nun, ich errathe es jetzt auch. Nehmt etwas Danille- pomade.“

Unſer alter Junge iſt friſirt und raſirt, und ſein Barbier ver⸗ läßt ihn, um feine Geſchichte andern Kunden zu erzählen und von Neuem etwas binzuzufeßen. Es ift eine gar zu ſchoͤne Sache damit, Neuigkeiten in Umlauf zu ſetzen und fi bamit bei ben Leuten wohl daran zu machen.

„Aber was Ihre Gefchichten anbelangt, Herr Autor, fo find Sie gewaltig fchwaghaft und fcheinen ein großes Vergnügen daran zu haben, alle Klatfchereien einer Heinen Stabt auszuframen. Das ift doch ſchwerlich Bruder Jakob, der die Unterhaltung des alten Hageftolgen mit feinem Barbier an Sandfonci erzählt. Es ift wahr, lieber Lefer, ich bin ſchuldig und verfpreche nicht mehr mit- zureben, wenn Jakob erzählt, er foll naher fogleich feinen Vortrag wieder aufnehmen.“

Kaum waren wir aufgeftanden und hatten wegen tes Yrüß- ſtucks geflingelt, ald der Gaftwirth ins Zimmer trat und meinem Reifegefährten ein großed Papier, überreichte. „Meine Herren ‚“ fagte ex mit tiefer Verbeugung : „Da ift die Lifte aller der Perfonen, bie fich haben einfchreiben laſſen, um Sie diefen Abend zu conful⸗ tiren. Gut, fehr gut! find die Namen, Titel, Alter und fonftige Eigenfchaften der Berfonen mit bemerkt? Alles, mein Herr. Sehr gut, fehr gut, gebt jetzt und ſchickt mir anf einen Augenblick Euer Dienfimäpchen Clairette ; ich habe ihr wegen heute Abend »inige Aufträge zu geben.“

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verehelichte Joficoeur, zweiunddreißig Jahre alt, Feinwaſcherin in den erflen Hänfern der Stadt... Taufend, welche Ehre! Ah! das it mir eine ſaubere Schöne, diefe Madame Solicoeur!... von ber weiß man Gefchichten .. . Sie wäfht für die Offiziere ver Gawmiſon und geht mit Ihnen auf den Ball! Sie ift alfo ſchoͤn? Run ja, fo fo! etwas abgelebt .... und Kat einen Blick wie ein Rüraffier... Ihretwegen haben fich gewiß fchon zwölf Perſonen taellirt, und noch beim Iehten Feſte walzte fie mit einem Tambour⸗ mafer, der mit einem Sappeur Streit befam, weil fle diefem ben Tanz verfprochen hatte... Es wäre ernfthaft geworben, wenn Ser Jolicoenr nicht Dazu gekommen wäre!... Aber das iſt eine ehrliche Haut; er verglich den Tambour mit dem Sappeur und be: theuerte dieſem, daß feine Frau nicht die Abficht gehabt habe, ihn in beleidigen und es aus reiner Vergeffenheit gefehehen fei. Der Mann verfteht zu leben; aber weiter: Kunigunde Adeline Troull: _ lan, vierundvierzig Jahre alt, Cigenthümerin eines fehr befuchten Rafterhaufes. Ah! die Limonadire! fie leidet beftändig an Tareurd und Migräne... fie Halt ſich ſtets für Frank und nimmt le Tage ein, flatt fih um ihre @äfte zu befümmern. Das iſt eine anfchägbare Frau für die Apotheker. Ihr Mann fpielt den Belehrten, den Chemiften, er macht Kaffee aus Spargelfamen und Inder ans Rımfekrüben. O! ich Bin gewiß, der frägt Sie um Rath.”

Ih ſetzte meine Notizen fort und wir waren faft mit der Lifte a Ende, als an der Thüre geklopft wurde. Ich öffnete; e8 war anſer Wirth, der und fagte, daß der Maire uns zu fehen wünſche and uns bet fich erwarte. Dieſer Einladüng mußten wir nachkommen. Rein Bucklichter 309 feinen beflen Rod an und lich mir ein paar icwarzfeidene Hoſen, die mir bis an die Ahfäge reichten, weil er Ar gelegentlich von einem großen Dichter gekauft hatte, ber fle von nem Schaufpieler auf den Boulevards erhalten ; diefer hinwiederum Satte fie von einem Akademiker, der eine kleine Tänzerin pouſſirte, in der er fle einmal in Gedanken Tiegen ließ.

eh

400

. Wir machten und, ein wenig ängſtlich wegen unferes Befuchs auf ven Weg. Mein Gefährte hoffte indeffen, fi mit feinem Ber- land ans der Berlegenheit zu helfen. Wir kamen bei dem Maire an und man führte uns in fein Zimmer. Wir fahen einen Fleinen hagern Mann vor und, deffen Augen voH Geiſt und Leben waren. Bei feinen erften Fragen fah mein College wohl, Daß er e8 mit feinem Dummkopf zu thun habe. Der Maire befaß Kenntniffe, er war in ver Medizin, Chemie und Aſtronomie bewandert. Ihm gegen- über verlor fich die Befchwägigfeit und Verwegenheit meine® Bud: lichten bebeutend. Der Maire bemerkte unfere Berlegenheit und wollte fie endigen.

„IH habe nicht die Abficht, Sie zu hindern, Ihr Brod zu verbienen,” fagte er lächelnd, „im Gegentheil!... Sie Ichren, hat man mir gefagt, den Magnetismus und heilen damit alle. Uebel; das iſt ganz gut. Ich wünfche von Herzen das Mohl der mir an- vertrauten Sinwohner der Stadt, und es liegt mir hauptfächlich baran, fie von ihren Vorurtheilen und von dem alten Aberglanden za befreien, wozu die Menſchen nur zu leicht geneigt find. Magie, Zauberei, Magnetismus, Somnambulidömus haben für Liebhaber bed Wunberbaren viel Anziehendes. Ich weiß, es ift umfonft, bie Schwächen der Menfchen zu bekämpfen! es gibt nur ein Mittel, fie. durch Schaden Hug zu machen. Darum fehe ich ed nicht ungern, wenn Charlatand in die Stadt Tommen. Sie dienen den @inwoh- nern jederzeit zur Lehre ; denn biefe Zauberer verlaffen nie einen Drt, ohne viele ihrer Anhänger zuletzt doch eined Beſſeren belehrt zu haben. Ich gebe Ihnen daher die Erlaubniß, nad) Belichen zu magnelifiren.”

Der Herr Maire machte und eben feine Complimente ; aber mein College verbeugte fih vor ihm bis zur Erde und dankte ihm für feine Güte,

„Sie verkaufen ohne Zweifel auch Arzneimittel, wie dad ge: woͤhnlich ber Fall iſt,“ fagte er, „zeigen Sie doch einmal welche.“

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Der Vucklichte reichte ihm eine Schachtel mit Pillen dar, der Rute nahm eine davon, that fie in ein Glas mit Flüffigkeit, worin ſie ſch auflöste, und nachdem er unfere Brodkrume eine Weile beob- achtet hatte, rief er Lächelnd : „Meine Herren , verlaufen Sie bavon, ſo viel Sie können, das ift nicht gefährlich.“

So endigte fich unfer Beſuch. Wir kehrten in unfern Gaſthof wurd und waren fehr vergmügt darüber, dem Maire nichts von unfern Zaubertränfen gewiefen zu haben.

Endlich nahte die bezeichnete Stunde zu unferer öffentlichen Sisung-heran. Mein College hatte mir alle möglichen Anweifungen gegeben und meine Rolle mehrmals überhärt. Er,zog fein Staats⸗ Heid an, den ſchwarzſeidenen Mantel, ver fchlanfe Figuren größer, Heine and verwachſene aber noch Eleiner macht, und unfer Bud liter ſah darin volffländig wie ein Magier oder Zauberer aus, denn dieſe dürfen ja nicht wie gewöhnliche Menfchen gebaut fein; dazu lam nun noch der falſche Bart und die große baufchige Müse, und unfer Gravyraicus befand fich in feinem Ornate. Wag mich be: mifft, fo mußte ich eine xothe, mit gelben Sternen überfäete Tunika ziehen, die mein Meifter für ein Gefchent des Großmoguls aus: gab; ich follte dazu noch einen großen Turban auflegen; da ich aber ſah, daß mich das Ding nicht gut Heivete und auch voraus jepte, daß mich Clairette in biefem Aufzug fehen würde, fo konnte ich mich nicht dazu entfchließen, und mein College mußte ſich damit begmägen, daß ich mir die Haare à la Garl XII. hinten überſtrich; des paßte zwar nicht zur Tunika, aber große Geifter legen auf ſolche Exhärmlichkeiten Leinen Werth.

Der Saal war zu unferer Sigung eingerichtet ; ein großer Juber mit Waſſer ein eiſerner Ring, ein Stab von demſelben Retall, Fautenils für die Kranken, Stühle für die Wißbegierigen, Bänke für die Rengierigen und eine einzige Lampe, die nur ein cerches Licht verbreitete dies war die ganze Sinrichtung. ,

Sobald mein Gollege dem Wirth hatte jagen laſſen, daß der

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Zutritt geftuttet ſei, flürgte die Menge in den Saal. Einige famen mit vertrauenövollem , Andere mit bangem Herzen, ber größere Theil aber aus Neugier; wir hatten viele Iufchauer, und das war bie Hauptſache.

Als alle Plaͤtze beſetzt waren, das Seflüfter aufgehört und man und lange genug betrachtet hatte, grüßte Meifter Gravyraicus die Verſammlung würbevoll, ftellte fid auf einen Stuhl, um von Jedermann gehört zu werden, und hielt folgende Rede:

„Meine Herren und Damen, Sie wiffen oder willen es viel- leicht nicht, daß es in der Natur ein materielles, bisher noch un⸗ befanntes Prinzip gibt, das auf die Nerven wirkt. Iſt Ihnen das befannt, fo lehre ich Sie nichts Neues, ift es Ihnen aber unbe- fannt, fo werde ich ed Ihnen näher erklären. Wir wiflen alfo, daß ein ſolches Prinzip vorhanden iſt; vermittelt defjelben und in Folge befonderer Befege der Mechanik entſteht eine gegenfeitige Beziehung zwifchen den lebenden Gejchöpfen, der Erde und den Himmels- förpern ; hieraus folgt, daß in ben thierifhen Körpern, bemerken Sie wohl, meine Herren, in ven thierifchen Körpern und befonbers im Menfchen fich GEigenthümlichleiten vorfinden muͤſſen, die dem Magnete ganz analog find. Diefer thierifche Magnetismus nun enthält das Geheimniß, auf alle Krankheiten einzuwirken, und gerade mir iſt ed gelungen, die Methode ausfindig zu machen,“ durch Die man alle Krankheiten zu heilen im Stande if.“ -

„Das magnetifche Prinzip Tann andern Körpern mitgeteilt werben. Diefe zarte Materie durchdringt Mauern, Thären, Glas, Metall, ohne an ihrer Kraft zu verlieren ; fie kann angehäuft, zu⸗ fammengebrängt, im Waſſer fortgepflanzt, vom Spiegel zurüdge: worfen, ja felbft durch den Ton weiter verbreitet, mitgetheilt und vermehrt werden. Kurz, ihre Kraft hat Feine Grenzen, und was ich Ihnen bier fage, Habe ich nicht erfunden, fordern ich wieber- hole bloß, was die hochgelehrten Mesmer, Deslon und Andere Ihnen vortragen würden, wenn fle noch lebten,“

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Die Berfammlung hörte mit der größten Aufmerkſamkeit und Stile zu ; die jungen Leute machten große Augen ; bie Mädchen lachten, die Greiſe fehüttelten den Kopf, die Frauen fahen. fi nahbenflih an, und Niemand wagte es, feinem Nachbar gu ge: üchen, daß er von ber Explifation des großen Wunderthäters nichts verlanden habe. Diefer bemerkte das und fuhr fort:

„sh fehe, meine Herren und Damen, daß ich Sie überzeugt habe, ich will daher meine Erläuterungen nicht weiter fortfeßen ; doch mu ich noch, ehe ich meine Experimente beginne, Hinzufügen, vaf es Körper gibt, die für ven thierifchen Magnetismus durchaus nicht empfänglich finn, und eine ganz enigegengefehte Eigenthüm⸗ hleit haben, fo daß fie felbft die MWirkfamkeit in andern Körpern whören. Ich Hoffe, daß wir unter ums dergleichen unglückliche Korver nicht finden werben! aber ich habe hierauf doch für mög⸗ liche Fälle anfmerkfan machen müflen. Suchen Sie nımmehr fo siel «ld möglich das Erhabene der Wiffenfchaft, die uns beſchaͤf⸗ nat, zu faſſen, erheben Sie Ihren Geift zu ihr hinauf und über ingen Sie fich ſelbſt, daß hier nicht von Charlatanismus die Rede it, fondern daß bie Lauterfte Klarheit, bie entſchiedenſte Macht, vr virkſamſte Einfluß vorherrſchen... daß... .“

In demſelben Angenblicke brach der Stuhl unter dem Redner, uud er purzelte ziemlich unfanft auf ven Boden, fland aber fchnell wieder auf, und fprach mit erhöhtem euer zur Berfammlung :

„Meine Herren, ich wollte fo eben mit einem Experimente digen ; während ich fprach, magnetifirte ich den Stuhl unter mir mt meinem linken Fuße, ich war ſicher, daß ich ihn durchdringen virde: Sie fehen, es ift mir gelungen.”

Eauter Beifall erfcholl von allen Seiten des Saales. „Ihr ht, Frenndchen,“ fagte er leiſe zu mir, ohne die Faflung im wtingflen zu verlieren, „ein Eluger Menſch weiß aus Allem Bor: Seil zu ziehen.“

Der Augenblick war gekommen, wo die Experimente beginnen

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104 ſollten, und da ſich die Unverſchaͤmtheit noch leichter als der Mag- netiömud verbreitet, fo wartete ich in meinem Fauteuil mit Unge⸗ duld darauf, endlich auch mein Licht leuchten zu Liffen.

Madame Jolicoeur fam txog der Entgegnungen des Marquis de Dieur- Bniffond, daß ein Mann von feinem Range Allen vor: angehen müfje, zuerft an die Reihe, benn die Wäfcherm gab fo leicht nicht nach, außerdem war fie jung und hübfch, der Marquis aber alt und haͤßlich; Madame Jolicoeur mußte alſo den Sies davon tragen.

Der große Magnetiſeur ergriff fie bei der Hand, führte fie um ben Waſſerzuber herum, ließ fie dann niederfigen und magne⸗ tifirte fie mit dem Ende jeined Stäbchens. Die junge Frau ſchien zum Ginfchlafen gar feine Luft zu haben. „Ich werde Sie jeyt mit meinem Somnambulen in Rapport fegen,“ fagte er. Die Wäfcherin ſah mich lächelnd an und fchien nicht verdrießlich dar⸗ über, mit mir in Rapport zu fommen. Sch wußte meine Rolle und hatte die Notizen über Madame Jolicveur im Kopfe. „Jet gilt es,“ fagte mein College leiſe zu mir, „denn die Frau wäre im Stande, und auszufpotten.“

-Die Waͤſcherin wurde mir gegemüber placirt; man empfahl ihr Stillſchweigen und verlangte von ihr, fich berühren zu laſſen, was fie fehr bereitwillig zugab ; indeſſen lachte fie boshaft, als ich eine ihrer Hände hielt, und während fie fich ftellte, als fchlafe fie, Hörte ich fie leife murmeln: „Ad, mein Gott, was iſt dad für dummes Zeug! Der Sappeur hatte mir doch gejagt, daß man nur feinen Scherz mit mir treiben würbe.“

Sch brachte fogleich Alles zum Vorſchein, was ich von Glai- reiten über die Liebeögefchichten ver Wäfcherin wußte. Ich vergaß nichts, weder den Tambourmafor, noch den Walzer, nebft dein be- leidigten Sappeur und ben Folgen des Streits. Bei ben erflen Worten fing die Berfammlung an zu laden, Madame Jolicoenr kam in Berlegenheit, und ehe ich noch meine Rede geendigt hatte,

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frrang fie auf, machte füch mit den Ellpagen Plcy vuvch die Menge nengieriger Zufchauer und verfchwor fich beim Berlaffen des Saals einmal über dad andere, daß wir Zauberer feien.

Diefer erſte Verſuch geftattete feinen Zweifel über die Vorzüge des Magnetismus, und der Marquis de Bieur-Buiffond fchritt jeg9 enft auf und zu, und Kat meinen (ollegen, ihn fogleich mit mir in Rapport zu feßen.

Nachdem die üblichen Vorbereitungen zu Ende waren, entfpaun. ſich zwiſchen und folgendes Geſpraͤch: „Wer bin ih? Gin fehe hoher und gewaltiger Herr in Eurem alten Schloß, wovon .nur nad ein Flügel ſteht; darum habt Ihr Euch eine neue Herrſchaft hier in der Gegend gekauft. Sehr richtig ; aber was will. ich jet then, was verlange ih? Ihr wollt, daß Eure Bauern ſich vor End beugen, wie Lämmer vor einem Löwen, ergeben, zitternd und furchtſam; Ihr wollt der Herr ihres Schickſals fein, Ihr wollt, ke ſollen Euch das Beſte geben, was fie beflgen, was fie im Schweiße ihres Angefichts verdient haben, und obenvrein Euch dafür noch bezahlen. Sehr richtig! Ihr mollt, daß die jungen Maͤdchen ohne Eure Erlaubniß nicht über ihre Iungfraufchaft verfügen. Das ih wahr! Und obſchon Ihr ihnen nicht mehr gefaͤhrlich fin, jo wollt Ihr doch Euer Vorzugsrecht geltend machen, wie in jenen guten Zeiten bed alten Rittertbums, wo man mit der Lanze u der Hand Stirn gegen Stirn ſich Bahn brach, für feine Holbe, wider Riefen ſtritt; die trotz ihrer gewaltigen Keule vom erften beften Ritter, der Tam, fich wie Gliederpuppen durchbohren ließen! So es, ja, fo if’8... Ich will einen Zwerg vor der Thüre meines Iaubeufchlagd Halten und den erften Riefen, der fi auf meinem Grund und Boden blicken laͤßt, nieberfchmettern. Nun, Ger Rarquis, fo nehmen Sie die Pilen des Meifter Gravyraicus, und brauchen Sie biefelben.oft und viel. Sie werden jung, Träftig um heiter Davon werben; Ihre grauen Haare färben ſich dann meer ſchwarz, Ihre Taille verjüngt fih, Ihre Runzeln ſchwinden,

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Yre Bangen füllen ſich und vöthen füch wieder, und Sie worden aufs Nene Zähne kerhalten. Ich ſtehe dafür, daß Ihre Bafallen, wenn diefe Berwandlung mit Ihnen vor fi geht, ſich Ihrem Willen fügen, und insbeſonder⸗ die jungen Mädchen Sie nicht lichen werden.“

Der Marquis, von meinen Antworten entzückt, Taufte füch zwölf Schachteln Pillen, ohne zu handeln. Ex füllte feine Tafchen damit, verfchludte jogleih ein halb Dubend bavon und ging mil hochtragendem Kopfe und feurigem Ange jubelnn nach Haufe, in⸗ dem er fich ſchon um zehn Jahre jünger fühlte.

Nach dem Marquis kam Kunigunde Adeline Trouillard an bie Reihe ; es waren durchaus Feine Vorbereitungen und Unterrenungen nöthig, um Madame Teouillard Glauben an den Magnetidmus bei- zubringen ; die arme Frau hatte jo zarte Nerven, daß fie ſogleich in Ohnmacht fiel, fowie mein College fle nur mit dem Stäbchen berührte, Ich fagte ihr Alles, was wir durch den Kopf ging; fie hatte alle Krankheiten, die ich ihr nur nannte, alle Schmerzen, bie ich ihr ankündigte, und alle Zufälle, bie ich auführte. Welch ein Glüͤck find folche ſchwache Gefchöpfe für die Eharkatans! Ma- dame ftopfte ſich ihren Strickbeutel mit Pillen voll und entfernte fich, nachdem fie ſich auf alle unfere Hffentlichen und Privatfigungen abonnirt hatte.

Mir erwarteten nun Eſtelle Guignard, die fich Hatte ein- Schreiben laſſen, als ein großer flarfer Mann in Holzſchuhen und binuem Meberhemd durch die Menge drang und auf und zulam. Ich war anf biefen neuen Gaft nicht vorbereitet und ließ ihn daher ſich an meinen Gollegen wenden, indem ich mit ben Augen Claivette fuchte, in der Hoffnung, von ihr einige nöthige Anbeutungen zu erhalten ; aber das junge Mäpchen glaubte nicht, daß wir ihrer noch bevürften, und war in die Küche hinuntergegangen. &3 mußte alfo ohne weitere Hülfe gehandelt werben. Mein Budlickter hoffte, ſich leicht aus der Verlegenheit zu helfen, zumal er mit einem

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Bauern zu Schaffen Hatte. Er näherte fi dem Mann, der erfkammt ın ben Waſſerzuber blickte, und indem er fich ein möglichft wichtiges Anfehen gab, fing er an, ihn zu befragen.

„Ber feid Ihr? Ei, potz Blig! das wißt Ihr fo gut als ih, da Ihr ein Zanberer fein! Allerdings weiß ich ed; aber ich habe meine geheimen Gründe dazu, daß ich Euch darnach frage. Antwortet alfo ohne Umfchweife... Mas fol das Heißen !— 36 verlange Euren Namen zu wiffen. Ich Heiße, wie mein Inder, Euftachius Nicolas. Was treibt Ihr? Der Teufel, ich ſchaffe auf dem Acker, oder ich fahre Feldfrüchte nach der Stabt. Rarım feid Ihr hierher gefommen ? Nu! wie die Anbern, um einen Zauberer zu ſehen. Wer hat Euch gefagt, daß ich emer ſei?“ Der Frifeur, der mir diefen Morgen das Haar ge- ſchritten Bat, und weil ſchon lange ber in unferem BDorfe fein Örrenmeifter gewefen ift, fo bin. ich heute expres deßhalb im bie Ztadt gegangen, um Euch zu ſehen. Wollt Ihr magnetifirt in? Magne...? Wie heißt Ihr das? Wollt Ihr, daß id meine geheimen Kräfte an Euch verſuche? Meinetwegen, ia doch! verſucht, was Ihr Einnt! Nun denn, was wünſcht Ir zu wiffen? O! Teufel! allerlei!... Errathet Ihr es denn nt? Gewiß, und ich will Euch fogleich magnetiſiren. Ich bins zufrieden; wird mich das viel koſten? Ich nehme nichts tafür. D dam fehe ich wohl, daß Ihr ein Zauberer feip, ta Ihr Euren Handel treibt, ohne daß man Euch die Hand ichmiert.

Rein kleiner Bucklichter ließ jetzt den Bauer auf einen großen Etubl ſich niederſetzen, beſtrich ihn mit feinem magiſchen Stäbchen, zber der Lümmel ließ ſich berühren und ſtreichen, ohne daß es die züngfte Wirkung hatte. Mein College fuhr ihm jetzt mit den Ragern leicht an den Augen vorüber, um ihm das magnetifche Andum beizubringen. Der Bauer ließ Alles mit fich anfangen m beguägte ſich damit, von Zeit zu Zeit fi auf dem Stuhle

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beirogen werte. Du kauuſt Dir vorſtellen, Sansfonci, daß wir in der Stadt kein Glück machten.

Gin foldhe® Leben fing an mich zu langweilen ; ich hatte meeinem Sudlichten fon etliche Male gefagt, daß ich mich von ihm treumen wolle, aber er überrebete mich immer, wieder zu bleiben; eines Tages beſchloß ich endlich, meinen Thorheiten eine andere Richtung ju geben und ihm einen ſolchen Streich zu fpielen, daß ihm bie Luft verginge, mich länger aufzuhalten.

Wir waren gerade in einer Heinen Stadt, wo wir Wunder thaten. Der Magnetismus und Somnambulismus verdrehte alle Köpfe; man drängte ſich nach unferem Rath, unferer Hülfe; ich konnte dem Berlangen nad) Pillen nicht Genüge leiften, und felbft unfere Tränfe gingen herrlih ab; da entſchloß ich mid denn, ein Experiment auf eigene Manier zu machen, um Dummföpfe zu prellen.

Ein alter Advokat machte feit einiger Zeit einer fchon ziem⸗ lich bejahrten Kokette den Hof, die feiner Flamme zwar widerſtand, aber feinen zärtlichen Liebfofungen nicht ungern Gehör ſchenkte. Die Dame war liflig; fie fand ein Vergnägen daran, Leidenſchaften zu erweden, fürdhtete aber, ihre Macht über ihn zu verlieren, wenn fie feinen Wünfchen nachgebe, Beide confultirten und, der Advokat, um zu dem Mittel zu gelangen, feine Holde zu erweidhen, und fie, um ſich den Zauber zu erhalten, womit fie fih fo viele An- beter ſchuf. Mein College verfprach Herrn Gerard, fo hieß ver alte Gel, einen Trank, womit er fih auch die Fältefte Frau geneigt machen Eönne, und der Madame Dubelair ein Mittel, um ihre Neize vor dem Zahn ber Zeit zu verwahren.

In dem Haufe der Madame Dubelair wohnte der Adjunkt des Maired von jener Stadt. Herr Rofe war ein gutes Männchen, aber feine Frau beflagie ſich über ihn, daß er fie zu wenig liebe und gar nicht eiferfüchtig fei. Sie verlangte daher ebenfalls unfern Beiſtand, die Gleichgültigfeit ihres Mannes zu heilen. Einen Mann nach fünfzehnjähriger Ehe in feine Fran verfieht zu machen, war

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wit ber Rafe Hinein. Das Waſſer erfrifcht und bernhigt die Siane. der Bauer z0g feinen Kopf aus dem Zuber zurüd, ließ den Bart Ihren und entfernte ſich ganz beruhigt aus dem Saal, indeß mein ganz burdmäßter College wohl einfah, daß er in feinem Zuflande ine Proſelyten machen Tönne, und bie Sitzung für aufgehoben erklärte,

Breischntes Kapitel.

Birtung Per Zaubertränte Bruder Jakob verläßt feinen Reifegefährten.

Troß bed ſchlechten Audgange unferer erften magnetifchen Por: üellung machten wir im Mohrenkopfe doch fehr gute Gefchäfte ; Slairette gab uns flet3 die Auskunft, die wir wünfchten, und um me Scene, wie bie des Euſtachius Nicolas für die Zukunft zu ermeiden, ließen wir fortan nur folche Perſonen unferen Berfamm: lungen anwohnen, vie fich zuvor hatten einfchreiben laſſen.

Die Neugierde ließ indeſſen auch nah, und bie Wirfung ber dillen entfprach nicht immer den Erwartimgen unferer Käufer. Reine Liebe zu Clairetten war nicht mehr fo heftig, und es ver: wfohte mir daher gar feinen Schmerz, ald mir mein Kollege eines Tage aufünbigte, daß wir abreifen würden.

Sechs Monate hindurch, verlebten wir auf die gleiche Weife ; eir hielten und, je nachdem wir mehr oder weniger Thoren ober zelmehr Anhänger unferes Syſtems fanden, Türzere ober längere zZeit an einem Orte auf, und waren mit unferer finanziellen Lage hr zufrieden. Wir fanden jedoch nicht überall unfere Gehülfen ar machten dann zuweilen. bebentenbe Verſtoͤße.

So ſagte ich zum Beiſpiel eines Tages einem Wucherer, daß t dab Geld, einem. Trunkenbold den Wein, einem Spieler die Ratten wicht liebe, und einem Junggeſellen, daß er von feiner Tran

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Neberraſchung! feine zärtlich geliebte Freundin if Taum noch zu ers ‚Tonnen ; ihre Naſe ift roth und geſchwollen, die Haut bleich unb weht; mehrere Puſtelchen ſchmuͤcken die Stine.

„Wie finden Sie mich heute Abend, Here Gerard?" fragt Madame Dubelair, fchalfhaft laͤchelnd, „o ich bin gewiß, Sie werben mich unverändert finden. In der That, Madame,“ er: widert ber arme Advokat, indem er ſich den Bauch hält und teuf- lifche Grimaſſen ſchneidet, „ich finde Sie verändert, ohne Zweifel find Sie krank? Krank! ... Kranf!... Und Sie, mein Herr, krümmen ſich ja ganz merkwürdig. Madame, ich muß geflchen, daß feit einem Augenblid... Bifine, meinen Spiegel... id muß doch fehen, ob ich fo Frank ausfehe, wie der Herr behauptet.“

Der arme Gerard Tann fich nicht mehr halten; ber Trank thut Wunder, Migräne und Kolik find in vollem Aumarſch. Die Kam: merjungfer bringt der Madame Dubelair den Spiegel. Die Kofette ſieht hinein, fchreit fürchterlich auf, zerbricht den Spiegel, befommt Nervenzufälle, und der arme Liebhaber befchwärt Fifine, ihm eiligſt den Sarberobefchlüffel ihrer Madame zu geben. Das junge Mäpchen, ſchalkhaft und ausgelaffen wie alle Kammerkaͤtzchen, lacht aus vollem Halfe über ven beklagenswerthen Zufland des Herrn Gerard, und um bie Scene noch interefjanter zu machen, rennt jetzt Madame Rofe herbei und jammert, daß fie verrathen, entehrt fei! daß ihr Mann, ein Ungeheuer, fie vernachläffige und es mit der Fran bed Portierd halte. Unfer Liebeötranf hatte Herrn Rofe hoͤlliſch in Flammen gebracht; er Tommi nad Haufe und hofft feine Frau zu treffen ; dieſe aber hat ſich verſteckt, und im Feuereifer erklärt er ber fünfzigjährigen Portiersfrau feine unwiderſtehliche Flamme.

Das Iammergefchrei der Madame Rofe, die ganz rabiat war, der Portieröfrau, die fich fo flellte, der Madame Dubelair, bie ſch die Nafe ausreißen wollte, des Herrn Gerard, ber fich ben Bauch hielt, und bed Herrn Rofe, ver über feine Tollbeit troftlos war, brachte das ganze Stadtviertel in Aufruhr. Man lief her

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keine Meine Aufgabe. Nichts deſto weniger verſprach mein College der Madame Rofe einen Wunderdrank für die Ciferfucht, und bie yärtlihe Ehegattin wer ſelig, daß fle in ihrem Gemahl das laͤngſt erloſchene Biebesfener wieder aufs Neue würde anfachen Tönnen.

Rein Budlichter bereitete die Tranfe und gab mir ven Auf: _ ag, fie den Beftellern zu überbringen und fie mir gleich baar be: zahlen zu laſſen. Unterwegs bachte ich, wie fraßhaft es fein müſſe, tie gläſchchen zu verwechfeln. Meiner Treu! dachte ich, Du mußt ſeben, welden Erfolg dies Haben wird!... Du gibft der Madanie Rofe hatt des Tranks für die iferfucht den, ber verliebt marht, Gern Gerard dagegen den, der zornig macht, und der Madame dubeleir den, ver eiferfüchtig macht, fo muß das jedenfalls ko⸗ niſche Keſultate hervorrufen.

Ich führe meinen Plan aus, übergebe meine Traͤnke, ver⸗ ſitere die ausgezeichnetſte Wirkung und harre mit Ungeduld auf ten rfolg meines muthtwilligen Streiches. ,

Het Gerard Hatte von Madame Dubelair die Erlaubniß er- Salten, ihr unter vier Augen feine Aufwartung zu machen. Er eilt am Morgen den Trank, und um ſich möglichft mit Ber: woenbeit und Entfchloffenheit zu waffnen,_ genoß er eine ftarfe Lfd davon ; Madame Dubelair fäumte ihrerfeitö auch nicht, von Iren Wundertrank zu koſten, um ihren Reizen neue Feſtigkeit zu vb, und Madame Rofe hatte einen Theil ihres Flaͤſchchens ihrem Rumn in die Chofolate gegoſſen.

Tu weißt, mein lieber Sansfouci, aus welchen Droguen mein dndliähter feine Zaubertränfe zufammenfeßte und wie er ihren un: 'hlberen Erfolg berechnet hatte; mache Dir num eine Vorftelung - ru den Greigniffen, die an diefem merkwürdigen Abend ſtattfanden. ben Gerard geht zu feiner Angebeteten; unterwegs empfindet gi lechte Kolikſchmerzen; fein Kopf brennt ihn und er meint, her tust mäffe fo wirken; er kommt zu Madame Dubelair und finbet anf dem Sopha nachlaͤſſig hiugeworfen! Aber wie groß ift feine

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„Meberrofegung ! feine zärtlich gelichte Frenndin iſt kaum noch zu fennen ; ihre Naſe ift roth und gefchwollen, die Haut bleidh ı weit; mehrere Puſtelchen fchmäden die Stirne.

„Wie finden Sie mich heute Abend, Herr Gerard?“ fr Madame Dubelair, ſchalkhaft lächelnd, „o ich bin gewiß, werben mich unverändert finden. In der That, Madame,“ wibert ber arme Abvolat, indem er fich ven Bauch belt und liſche Grimaſſen fchneidet, „ich finde Sie verändert, ohne Zwe find Sie krank? Kranl!... Krank!... Und Sie, mein H krümmen fi ja ganz merkwürdig. Madame, ich muß geftel daß feit einem Augenblid... Fifine, meinen Spiegel... muß doch fehen, ob ich fo frank ausfehe, wie der Herr behaupt

Der arme Gerard Tann fich nicht mehr halten; ber Tranf 1 under, Migräne und Kolif find in vollem Anmarſch. Die K merjungfer bringt der Madame Dubelair den Spiegel. Die Kol fieht hinein, fchreit fürchterlich auf, zerbricht den Spiegel, befor Nervenzufälle, und der arme Liebhaber beſchwoͤrt Fifine, ihm ei. den Garderobeſchlüſſel ihrer Madame zu geben. Das junge Mäpc ſchalkhaft und ausgelaſſen wie alle Kammerkaͤtzchen, lacht aus vo! Salfe über den beflagenswerthen Zuſtand bed Herrn Gerard, um bie Scene noch intereffanter zu machen, rennt jekt Mad Nofe herbei und jammert, daß fie verrathen, entehrt fei! daß Mann, ein Ungeheuer, fie vernachläffige und es mit der Frau Portierd Halte. Unfer Liebestrant hatte Herrn Rofe hoͤlliſch Flammen gebracht; er kommt nach Haufe und hofft feine Fraı treffen ; biefe aber hat ſich verſteckt, und im Yeuereifer erflär ber fünfzigjährigen Portieröfrau feine unwiderſtehliche Flamm

Das Jammergefchrei der Madame Roſe, die ganz rabiat ı der Bortiersfrau, die ſich fo ftellte, der Madame Dubelair , fh die Nafe ausreißen wollte, des Herrn Gerard, ber fig Bauch hielt, und des Herrn Rofe, der über feine Tollheit tro! war, brachte dad ganze Stadtviertel in Aufruhr, Man lief

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bei, frag, ſtieß und drängte fih; man gab ver Madame Rofe Fleur⸗d Orangeliqueur, der Portieröftau Eau de Cologne, der Radame Dubelair Aether, Herrn Gerard ein Klyftier und Herrn Rofe weißen Seeblumenfamen.

Als der erfte Lärmen fich etwas gelegt hatte, bemühte man fih, die Urfache fo vielen Unheils aufzufuchen. Jedenfalls mußten magifche Künfte mit im Spiele fein. Madame Dubelair verficherte, fie habe in ihrem ganzen Leben weder auf der Nafe, noch fonft wo nur das Tleinfte Puftelchen gehabt, Herr Gerard lebte fehr mäßig, und Madame Rofe geftand troß ihrer Wuth, daß ihr Mann feiner Frau zu nahe fomme, wenn man ihm nidyt etwas in den Kopf geſetzt habe. Die Ereigniffe mußten alfo ihre geheime Urfache baden. Dian erinnerte ſich der Tränfe; man vertraute fich die gegen- feitig gefchehenen Schritte an, und das Nefultat war, daß mein Heiner Buclichter für einen Charlatan, Betrüger und Falſchmünzer der Hölle ausgefchrieen wurde, den man vorerft ind Gefängniß werfen müffe, um ihn an weiteren Teufelöftreichen zu verhindern.

Der Adjunkt Rofe ging zum Maire, erzählte ihm ven Her- gung der Sache und erhielt fodann die nothwendigen Polizeibeamten zur Arretirung des Schuldigen. Der alte Advokat verfammelte alle Honoratioren der Stadt, um mit ihnen zu berathen ; fie theilten feine Wuth und meinten, daß ein Schurfe, der einer Gerichts⸗ verfon abfichtlich die Kolik beibringe, nicht genug beftraft werben könne. Madame Dubelair und Madame Rofe brachten alle Frauen in Aufruhr; die erftere. brauchte nur ein Wort zu jagen; ein Mann, der fchönen Frauen die Nafe roth und den Teint blaf mache, fei ein dem Henker verfallener Bsfewiht!... Was nun sch den Trank des Herrn Roſe anbelangt, fo verlangten alle Damen davon einige Tropfen und meinten, in fo Heiner Dofis genommen, müſſe der Trank hoöchſt wohlthätige Folgen haben.

Alle diefe Ereigniſſe hatten Zeit gefoftet; es fing an Tag zu werden, ald man den Weg zu unferer Wohnung nahm, um und

Baul de Rod. 1, 8

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Ich ging, oder vielmehr man führte mich eine ſchmutzige krumme Stiege hinauf, und ich befand mich endlich in einem faft ganz leeren Zimmer, was mir zu einer andern Zeit eben feinen ſehr glänzenden Begriff von meiner neuen Belanntichaft beigebracht haben würde; jept aber dachte ich nur an Ruhe, und in zwei Minuten lag ich ſchon auf einer fchlechten Matrabe im tiefften Schlafe.

War ed die Wirfung des Bunfches und der Liqueurs, daß ich mich während des Schlafes lebhaft bewegt fühlte ; ich weiß es nicht, aut fo viel, daß ich nicht aufwachte und es fchon ſpaͤt am Morgen war, als wiederholte Stöße mich endlich aus dem Schlafe brachten.

„Se! Hola! Freund... aufgewacht... Ihr fchlaft ſchon lange bier, das kann Euch fchaden !“

Died waren die erften Worte, die ich vernahm. Ich öffnete die Augen, ſah um mich, fprach aber fein Wort, denn der Anblick, den ich hatte, ließ mich im Ungewiffen, ob ich wirklich erwacht fei.

Urtheile von meinem Erftaunen, lieber Sansfonci, flatt mich in einem Zimmer und in bem Bett, in bad ih mi Abends zu- vor gelegt hatte, zu befinden, fehe ich mich auf einer Steinbanf au einer Straßenede, ohne Rod, ohne Hut, bloß im Hemde, Weſte und Hofen, auögeftredt und um mich herum mehrere Kerls, die mich neugierig anfahen.

„De, munter, Kamerad!“ fagte einer zu mir, „lommt doch enbli zu Cuch; wahrfcheinlich habt Ihr geflern Abend gut ge- geſſen und noch befjer gefrunfen, und das greift an, wir kennen das! ... am andern Morgen ift man ganz verwirrt und weiß wicht mehr, wo man feinen Kopf hat!... aber nad und nach findet fih das wieder.“

Die Worte des Mannes riefen mir in der That alle meine Thorheiten vom geftrigen Tage ind Gedaͤchtniß zurüd. Mit haſtiger Bewegung griff ih in meine Taſchen. Ach, fie waren leer! mein ganzes Vermoͤgen trug ich auf dem Leibe... ich war ſchaͤndlich

beizogen worden... Bergebens frug ich die Umfichenben nach ver

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er aud Lyon fel und eine Reife machte, um einer Heirath audzn: . weichen, zu ber feine Eltern ihn zwingen wollten. Sein Vertrauen erweclie dad meinige, ich erzählte ihm alle erlebten Ereigniſſe, und tiefe ſchienen ihm ſehr zu intereffiren. Die Mebereinftimmung unferes Geſchmads, unferer Anfüchten machte und fchnell zu Freunden. Breville, fo hieß mein neuer Freund, Iud mid) ein, am andern Tage bei einem der beften Traiteurs mit ihm zu Mittag zu fpeifen, ud ih nahm es mit großem Vergnügen an; denn es ift fehr an⸗ genehm, in einer Stadt, wo man fremd ift, gleich befannt zu werben.

Breville bewirthete mich aufs Beſte; wir fpeisten ganz vor- ehlih, und daun ging ed auf Promenaden, Theater, Kaffeehäufer; als Fremder fchien er fehr befannt in der Stadt und durchſtreifte mt mir alle öffentlichen Gärten und Luſtoͤrter; ich machte ihm lechend darüber mein Gompliment, daß er fich fo gut ausfinden Ime und an einem fremden Ort fo fchnell Befcheid gelernt habe. Rach manchen Streifereien in den Beluftigungsorten befanden wir morgens um ein Uhr, betrunfen von Punſch, Liqueurs, Porter m Pharao, auf der Straße.

Ich konnte mich Taum aufrecht halten und ſehnte mich nach zeinem Bett, in das mich jedoch eine wohlthaͤtige Fee hätte tragen zifen, denn meine Beine waren zu ſchwach hiezu. Breville fchien zenger erfchöpft als ich, doch- Hagte er auch über Mattigfeit; vie Stofen waren nur noch ſchwach erleuchtet. Seit einer Stunde bat ö meinen Begleiter, mich nach Haufe zu bringen ; aber wir durch⸗ tin Straßen und Pläge, ohne meinen Gafthof zu fehen.

Rein Führer geftand mir endlich, daß er ven Weg verfehlt "and wir fehr entfernt von meiner Wohnung wären,. die feinige ia nahe, fei und er mir daher fein Bett anbiete. Du kannſt leicht “lem, daß ich fein Anerbieten ohne Bedenken annahm ; id) konnte “st mehr von ber Stelle, faum daß ich noch einige Befinnung "elt ; die unvermeibliche Folge ver überhäuften Genüffe.

Hreville Hopfte an eine Hausthüre; ein altes Weib oͤffnete.

118 „Run, junger Freund, was wollt Ihr Acht beginnen,“ rief

eine Stimme mir zu, bie plöglich. in meinem Innerſten wieber: ballte. Sch drehte ven Kopf um und fah zwei Militärs am Tifche beim Frühftüd. „Mein Gott, mein Herr,“ erwiderte ich dem, ber fih für mich zu interefliren fehien, „ich weiß ed nicht... ich habe feine Mittel mehr! Keine Mittel! daran fehlt es nie, wenn man brav ift und Feine Schlechfigfeiten begangen hat... Da fept Euch, frühftückt mit und... und faßt Muth; potz Blig! in Eurem Alter muß man nicht verzweifeln.“

Diefe Worte gaben mir meine ganze frohe Laune wieder; ich lieg mich nicht zweimal nöthigen und mit tüchtigem Appetit ein guted Theil von dem Schinken und Käfe, woraus dad Frühſtück der Militärs beſtand. Als ih fatt war, fing jener wieber an: „Freund, Ihr habt Sure Eltern verlaffen, um Thorheiten zu be: geben, Euer erfler Fehler; Ihr habt Euch mit Beirügern und Taugenichtfen abgegeben, Cuer zweiter Fehler, und Ihr habt Euch beftehlen laſſen, Euer dritter Fehler. Bis jebt fein Ihr indeſſen noch zu entichuldigen, aber nehmt Euch in Acht. Wenn man be: trogen worben ift, wird man oft felbft zum Betrüger. Das if jungen Strolchen ſchon zuweilen paffirt, die gleich Euch am Morgen nad) einem Feſte Fein Geld mehr hatten. Man folgt feinen Leiden: fchaften, dem Hang zur Ausfchweifung und zum Müßiggang, man begeht gemeine Handlungen, um exiſtiren zu Tönnen, unb wird wirklich fchlecht, nachdem man zuvor nur leichtfinnig war, Ihr feid auf dem beften Wege hiezu und müßt nunmehr einen Entfchluß faffen. Ihr kommt weder zu einem Mittagdefien, noch zu einem Rod, wenn Ihr mit müßigen Armen nah den Sternen gafft. Berfteht Ihr ein Handwerk? Nein, mein Her. Nun, fo werdet Soldat. Nehmt vie Musfete über die Schulter und fragt fie mit Ehren. Ihr fein fung, groß, gut gebaut. Seid dabei au brav, Eurem Borgefepten ergeben, und ich verfpreche Euch, Ihr follt vorwärts kommen.“

117:

Bohrung des jungen Bröville, Niemand Tannte ihn. Ich fuchte dad Haus, in das mich der Elende geführt hatte, aber keiner fah ihm aͤhnlich!

Bol Ruth und Scham im Herzen erhob ic mich endlich; ih weiß nicht, zu welcher That ich mich hätte hinreißen laſſen, wenn der Betrüger mir jebt unter die Augen getreten wäre! Aber Du kaunſt Dir wohl denken, daß er fi vor mir hütete. Ich frug nach dem Beg zu meinem Gaſthof und begab mich dahin. Aber was follte ih nun beginnen, was follte aus mir werden 2... ich hatte nicht einen Sons mehr und fah ans wie ein Beitler!... Nach⸗ dem ich den Herrn gefpielt und alle meine Wünſche befriebigt ges ſchen Hatte, follte ich num von Almofen leben... welch ein ſchreck⸗ iger Wechſel.. Wie fehr fehnte ich mich jetzt nach meinem Kleinen Bndlichten und unfern magnetifchen Vorſtellungen ... Wenn ich das Retier deſſelben wenigftend allein hätte ergreifen können... Aber 8 fehlte mir ja durchaus Alles; ſelbſt das Nothwendigſte zur Fertigung ber Pillen konnte ich mir nicht anfchaffen, und ich fühlte wohl, daß ein Somnambule, der weder Rod noch Strümpfe hat, eme traurige Figur fpielen und Niemand in den magnetifchen Schlaf a bringen im Stande fein würbe. |

Ich war indeſſen feft entfchloffen, lieber zu fterben, als mir wein Beben zu erbetteln, und Tam endlich in meinem Tläglichen Aufande in dem Gaſthofe an, ben ich ven Abend zuvor fo glüd: hd verlaffen Hatte. Sch trat in den Saal, wo Reifenve früh: küdten.. Man erfannte mich nicht, und die Kellner wollten mich (den fortfagen, als ich meine traurige Gefchichte zum Beften gab.

Der Wirth bedauerte mich, bot mir aber mein Zimmer nicht Dieder an, worin ſich meine wenigen Effekten befanden, die nicht Breiten, meine Zeche zu decken. Ich blieb unbeweglich vor ben Reifenden ftehen ; ich ſprach nichts mehr, aber zwei Thränen rollten nir über dad Geſicht, und mein Stilffchweigen war beredter, alg win Worte es hätten fein Tannen,

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„Kamerad, Du bift jeht fertig? Sa. Nun denn, vor: wärts, weiter. Wozu, wo willft Du hin? Gleichviel wohin, wenn wir nur an einen Ort kommen, wo es was zu eſſen gibt. Ab, Da Haft Hunger? Sa, Bomben und Granaten! furcht⸗ baren Hunger! mein Magen wird von bloßen Geſchichten nicht fatı. Die Deinige hat mir zwar viel Spaß gemacht, aber nun fie aus ift, fühle ich erft recht, wie nöthig mir etwas Solides thut! Sol ich wieder anfangen? Nein, nein, Du folift mir folgen. Aber wo denn Hin ? Komm Du nur, immer frifch vorwärts !”

Jakob und fein Kamerad machen ſich querfeldein auf ven Weg... Man konnte nicht mehr deutlich fehen, und ihnen war jeber Weg gleich. Jakob ſchwieg. Sansfouci fang und verfluchte abwechfelnn alle Zäune und Heden, die ihnen den Weg verfperrien. Nach einer Stunde endlich bemerkten fie in der Ferne ein Licht.

„Ha! dort auf das Licht los,“ ruft Sansſouci bei verboppelten Schritten, „va wird man uns gaftfreundlich aufnehmen. Sans: fonei, Haft Du Gelb? Nicht einen Heller, und Du? IE auch nicht! Bleichviel, nur immer vorwärts !“

Man kam dem Gebäude näher, woraus ihnen das Licht ent: gegen’ leuchtete; es fchien groß genug, um eine Pächterwohnung zu fein, aber ed war fchon zu dunkel, um bie Gegenftände unter: fcheiden zu Finnen. Sansfouci geht, tappend, voran und fchlägt mit aller Kraft feine Yäufte und Füße gegen die erfle.Thüre, bie ihm in den Weg koͤmmt. Umfonft bittet ihn Jakob, weniger Lärm zu machen. Sansſouci will vor Hunger umlommen und hoͤrt nur auf feinen Magen.

Zwei Hunde im Hofe erwidern feinen Lärmen ; auf ihr Gebell erheben die Kühe ein Gebrüll und die Eſel ein Geſchrei. Bei all diefem Getöfe hat eine weibliche Stimme von einem FJenſter aus die größte Mühe, fich verftändlich zu machen.

„Wer ift da? ... Was wollt Ihr? Ei! taufend Donuer: wetter! ich irre mich nicht... fle ift ed... meine Brünette! Habe

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Diefer Borfchlag gefiel mir fo wohl, daß ich von meinem Stuhl .

bo aufiprang, und indem ich meinen Goͤnner umarmen wollte, ven Tiſch umwarf, worauf zum Glück nichts mehr ſtehen geblieben war. Deine lebhafte Freude geflel dem Sergeanten und feinen Ka⸗ meraben. Sie führten mich fogleich zu ihrem Kapitän, der mich in feine Compagnie aufnahm, und feither, ich darf dies fagen, habe ich ſtets meine Pflicht ehrenvoll erfüllt.

Seht weißt Du alle meine Abenteuer, mein lieber Sansfouki. Von denen, die ich beim Regiment erlebt Habe und deren Zeuge Du warft, fpreche ich nicht weiter. Sie find übrigens Bei allen Braven gleich; Liebſchaften, Schlachten, Händel, Berföhnung, autes Leben, Hunger, Siege, Rüdzüge, dies ift ja immer der In; balt der Lebensgeſchichte eines Soldaten.

. Sabre vergingen : ich hatte meine Familie nicht vergeffen ; aber |

ih geftehe es, ich wollte nur in einem höheren Grade vor ihr erfchei- nen; ich Hatte Ausficht zum Avancement, fchon warb mein Herz freudiger über dies Ehrenfrenz! ... Da nahmen die Ereignifie vlöglich eine andere Wendung. Als ich aus dem Felde zurückkehrte, dachte ich, meine Eltern würden ſich an einem ehrlichen und braven Soldaten nicht jchämen, und fuchte fie in Paris auf, erfuhr aber ihren Tod !... Diefer Schlag war furchtbar, aber ver kalte Empfang, der gemeffene und verädhtliche Tun meines Bruders erbitterte vollends mein Herz! ... Es ift abgemacht, Sansfouei, er foll mich nicht wieder fehen, der Undankbare, niemals foll er von mir wieder hören.

So endigte Jakob feine Erzählung und eine Thräne befeuchtete bei den letzten Worten feine Wange; fie floß feinem Bruder, ben er, troß feines Benehmens gegen ihn, dennoch Tiebte.

Es fing an dunkel zu werben; Jakobs Erzaͤhlung hatte lange gedauert, und Sandfouci hatte mit folder Aufmerkſamkeit zugehört, vaß er ed nicht bemerkt Hatte, wie die Mittagszeit laͤngſt vorüber war. Aber als fein Kamerad geendigt hatte, fprang er auf, fchät: tehte den Kopf, ſchlug fich auf ven Bauch und fah feinen Freund an.

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Sn kurzer Zeit war das Abenbeflen fertig, und Jakob und Sansfouei machten ihm alle Ehre. Luiſe jah Beide laͤchelnd an amd Dachte an bie Meberrafchung ihres Mannes am andern Morgen,

wenn er erfahren würde, daß zwei Freunde im Haufe geichlafen Hätten.

„Sch werde Euch in bie kleine Käfeftube betten,“ fagte bie Paͤchterin, „fie tft hier nahe und ihr koͤnnt hinein Tommen, ohne burch die unfrige zu gehen und meinen Alten zu weden. Morgen wollen wir ihm Alles erzählen.“

Zuife legte großed Gewicht darauf, daß ihr Mann nicht ge: weckt werde ; fie führte ihre Säfte in ein Eleined Zimmer, wo ber Wintervorrath an Käfe längs der Mauer auf Brettern aufgepflanzt war. Das gab nun eben feinen fehr Lieblichen Geruch, aber zwei Soldaten find nicht fo verwöhnt. Jakob warf fich aufs Lager und fehlief jeher bald ein; Sansfouci behauptete, daß die Käfe ihn in- eommobirten, ftand auf, um frifche Luft oder etwas anderes zu ſchoͤpfen; dem fei, wie ihm wolle, die Nacht verging fehr angenehm, und der Pächter wachte nicht zur Unzeit anf.

Am andern Morgen war Alles frühe auf den Beinen. Der Bächter Guillot machte bei der Erzählung feiner Frau große Augen; er eilte, um feinen Vetter, den alten Soldaten, und feinen Freund zu umarmen ; er bewillkommte fie fehr freundlich, ftieß mit ihnen an, fand in ihnen ein paar herrliche, fivele Seelen und zeigte ihnen im Jubel feined Herzens feine Hühner, Efel, Ochfen, nebft feinen Korn und Heu. Unſere beiden Soldaten fanden Alles fehr fchön und im Stande, fie machten ihrem Wirth Komplimente barüber und waren bald feine beften Freunde.

Jakob Liebte das Landleben, Wiefen, Wald und Feldarbeiten : Sansſouci liebte die Pächterin und die Küche: Jakob erzählte Abende feine Schlachten, Belagerungen und Abenteuer. Der Pächter war ganz Ohr und athmete kaum; Sansſouci felbft theilte dad Ber: gnügen ber guten Landleute und ermangelte nicht, auch feinerfeite hübſche Geſchichten zum Beften zu geben. Diefe Erzählungen mad

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i& Die nicht gefagt, Jakob, wir würben was zu effen befummen?... wir find in der Pächterwohnung ; mache auf, mein MRänschen... geſchwind, mach’ anf!... bie Liebe und der Hunger bringen mid zu Die zuräd!... Wie! follte er's fein ? Freilich iſt ers... jaih... wir find es! Geſchwind, Luife, ziehe Dein züchtiges Rödhen an und öffne die Thüre... Aber bringe Deine Thiere wieder in Ruhe, denn man kann ja fein eigenes Wort nicht verftehen.“

Die Pächterin verläßt das Fenſter, um unfere Freunde einzu: laſſen, und Sansſouci unterrichtet indeffen Jakob, daß fie bei der Ungetreuen fein, wovon er ihm erzählt habe und diefe eine ſehr gute, gefühlvolle, freundliche, dienftfertige Frau fei.

„Aber ihr Mann,” fagt Jakob, „ift doch Herr im Haufe, und... Ren, pro primo ift Luiſe Herr im Haufe, und pro secundo ıt er eine gute ehrliche Haut... O! fie bat mir Alles das heute Rorgen gefagt. Sie verlangt, ich follte ald entfernier Berwanbter, ter ans dem Felde zurückkehre, einige Zeit bei ihnen bleiben, ich zabm es aber nicht an, weil ich Dir verfprochen hatte, Dich auf: wfechen, und unfere Sreundfchaft geht doch Allem vor. Aber da wir nun einmal hier find und wir thun Tönnen, was wir wollen, meiner Treu! fo... Unfer gutes Glück Hat und wieder hieher ges fit... doch ſtill! da kommt ſie! ...“

Und wirklich Sffnete Luiſe die Thüre; beim Anblid Jakobs ſchien fie überrafcht. „Ich flelle Euch Hier meinen beften Freund vor,“ fagt Sansſouci, „einen Biedermann, einen Kameraben, von dem ich mich nicht trennen Tann. O, ſchoͤn, wenn das ft... fe iſ's andy unfer Freund... Aber mein Mann fhläft, doch es f gleichviel, Sansfouci, vergiß nicht, daß Du mein Better bifl. das iſt Har!.. . abgemaht!... aber jept nach der Küche, eb werde Euch einen Spedeierfuchen machen! Das ift delikat! ... Aber biſt Dir denn fo allein? Sa! unfer Knecht verheirathet ſich übermorgen, und ba fehläft er etwas im Boraus, Better. D, fo was iſt ſchon vorgekommen; gebt nur her, ich werbe Die Pfanne halten.“

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Sn Kurzer Zeit war das Abenbefien fertig, und Jakob Sansfouei machten ihm alle Ehre. Luife ſah Beide laͤchelnd an dachte an bie Meberrafchung ihres Mannes am andern Mor

wenn er erfahren würde, Daß zwei Freunde im Haufe geſchlafen „Sch werde Euch in die Heine Käfeftube beiten,“ fagte Paͤchterin, „fie iſt hier nahe und ihre Eönnt hinein Tommen, ı durch die unfrige zu geben und meinen Alten zu weden. Mo wollen wir ihm Alles erzählen.“

Luife legte großed Gewicht darauf, daß ihr Mann nicht weckt werde ; fie führte ihre Gäſte in ein Tleines Zimmer, Mintervorrath an Käfe längs der Mauer auf Brettern aufgepfl war. Das gab nun eben feinen ſehr Lieblichen Geruch, aber Soldaten find nicht fo verwöhnt. Jakob warf fi) aufs Lager fchlief jehr bald ein; Sansſouci behauptete, daß die Käfe ihn eommobirten, fland auf, um frifche Luft oder etwas anderes zu ſchöp dem fei, wie ihm wolle, die Nacht verging fehr angenehm, der Pächter wachte nicht zur Unzeit auf.

Am andern Morgen war Alles frühe auf den Beinen. Pächter Guillot machte bei der Erzählung feiner Zrau große Auı er eilte, um feinen Better, den alten Soldaten, und feinen Erı zu umarmen ; er bewillfommte fie ſehr freundlich, fließ mit it an, fand in ihnen ein paar herrliche, ſidele Seelen und zeigte il im Jubel feines Herzens feine Hühner, Eſel, Ochfen, nebft fei Kom und Heu. Unſere beiden Soldaten fanden Alles fehr und im Stande, fie machten ihrem Wirth Complimente dar und waren bald feine beften Freunde.

Jakob liebte das Landleben, Wiefen, Wald und Felvarbei: Sansſouci liebte die Bächterin und die Küche. Jakob erzählte Abı feine Schlachten, Belagerungen und Abenteuer. Der Pächter ganz Ohr und athmete kaum; Sansfouei felbft theilte das : gnügen der guten Lanbleute und ermangelte nicht, auch feiner! hübfche Gefchichten zum Beten zu geben. Diefe Erzählungen m

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ven ein ſolches Vergnügen, daß man noch einmal fo heiter und froh des Morgens zur Arbeit ging, wenn die Soldaten neue Geſchichten für den Abend verfprachen.

Die Dorfbewohner erbaten es ſich al eine befondere Gunſt, an den Borträgen von Luifens Better und feinem Kameraden Theil uchmen zu dürfen, und da man auf dem Lande weber Zwang noch Geremoniell kennt, fo ward bad große Zimmer der Pächteruohnung, fobald die Feldarbeiten beendigt waren, mit Lanbleuten angefüllt. Die alte Bauersfrau brachte ihr Spinnrad, bie jüngere ihr Näh- zeug mit; das junge Mädchen ſtrickte oder hafpelte; in einer Ede teinigte der Knecht in der Schwinge dad Kom für feine Pferde ; ix einer andern tranfen und rauchten die Alten, während die Kinder auf dem Fußboden herum tummelten oder mit Sansfouci’d Bart frielten, Alle aber hörten dabei aufmerffam auf die Schlachigefchich: tm Jalobs. Wenn das Gefecht higiger wurbe und Jakob ins Feuer geriet, dann drüdte ſich Angft, Furcht und Schredien auf allen Geistern aus... Die Alte ließ ihr Spinnrad fliehen, ber Bauer nabm die Pfeife aus dem Mund, der Greis vergaß fein Glas, ber Kucht feine Schwinge ; ein Jeder ſtreckte mit offenem Munde ben Hald vor und wartete auf den Ausgang ber Schlacht, um nachher erh wieder feine Arbeit fortzufeßen.

So vergingen fhnell' acht Tage. Unfere beiden Gaͤſte wollten indeſſen die Gaſtfreundſchaft des Pächters nicht bloß mit Gefchichten bezahlen und halfen ihren Wirthöleuten daher bei ihren Arbeiten. Jalob folgte Guillot aufs Feld und pflügte und grub nach Herzens⸗ Inf. Anfangs wollte der Pächter es nicht zugeben ; aber Jakob beſtand darauf, und in kurzer Zeit war er fchon fehr geſchickt. Sand: fenci blieb Lieber auf dem Pachthofe; Luife machte fich anheifchig, ihn zu befehäftigen, und fo hatte er denn auch immer zu thun. Eie war eine tüchtige Frau und Tonnte einem jungen Kerl ſchon za ſchaffen machen... . auf dem Boden, im Keller, im Garten, fogas im der Küche, überall wußte fie ihn zu gebrauchen.

now en

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zwei Damen und ein Herr fleigen aus und treten in den Hof. Der Diener fragt nach dem Namen der Fremden, um fle feiner Herr- ſchaft, die im Garten tft, melden zu koͤnnen; allein man will bie Familie Murville überrafchen, und bie eine ber beiden Damen geht ohne Umftände in den Garten und Bitte die Andern, ihr zu folgen.

Endlich erblickt man die Geſellſchaft. Madame Germeuil und Adeline flehen überrafcht auf und laufen ver Madame Dolban entgegen.

„Et! Sie find es, theuerfte Freundin, wie liebenswürdig! Ich habe Sie überrafchen wollen, ſchon lange hatte ich e8 mir vor: genommen, denn ben Aufenthalt auf dem Lande Tiebe ich leiden⸗ fchaftlih. Ich habe meine Kleine Eoufine Jenny mitgebracht, die entzückt ift, mich zu begleiten, und da wir doch einen Gavalier haben mußten, jo habe ich mir die Freiheit genommen, Herm Dufreöne einzuladen, bem ed zur großen Freude gereicht, feine Huldigung darzubringen.“

Herr Dufresne macht den Damen eine tiefe Verbeugung, und Mama Germeuil verſichert der Madame Dolban, daß die Perſonen, die fie mitbringt, jederzeit willkommen find.

„Der Herr ift Ihnen übrigens auch nicht unbekannt,“ erwidert Madame Dolban, „venn- er war auf der Hochzeit der lieben Adeline; Madame Denaur hatte ihn mitgebracht. In der That, ich ers innere mich,“ fagt Madame Germenil, „aber an jenem Tage war man wohl zu entfchulbigen, alle jungen Leute dem Gebächtniffe wicht befier eingeprägt zu haben... Erinnern Sie ſich noch der fonber: baren Ereigniffe an jenem Abend! ... die arme Madame Dolen- ville und der unglüdliche Herr Robineau!... Ad! fprechen wir davon nicht, meine Liebe, fonft muß ich aufs Neue zu lachen anfangen!... Aber wo ift denn Herr Murville? Er durchflreift die Umgegend, aber er muß bald kommen, haben Sie die Güte, indefjen im Haufe auszuruhen.“

Man geht nach dem Salon ; Dufreöne bietet der Madame Bermeuil feinen Arm und Meline führt Madame Dolban und ihre

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wieder den Fuß in fein Vaterhaus ſetzte. Jeden Augenblid glaybte er feinem Bruder zu begegnen, und am Tage ihrer Ankunft wollte er durchaus nicht mehr im Garten fpazieren gehen. Indeſſen war er feft entfchloffen, Jakob gut aufzunehmen und feiner Familie vor: zuftellen, wenn gleich er bei diefem Entfchluffe eine gewiſſe Ver⸗ legenheit und Furcht empfand, und fein Gemüth ſich dadurch in eine fortdauernd unzufriebene Stimmung -verfekte.

Am zweiten Tage befrug er heimlich den Hauswärter: „Iſt Jemand in meiner Abweſenheit Hier gewejen?... habt Ihr ben Fremden wieder gefehen, den Mann, ver ſich immer am Ende des Gartens aufhielt ? Rein, mein Herr, ich habe ihn nicht wieder gefehen, auch hat Niemand nach Ihnen gefragt.“

Eduard Holt leichter Athem und kehrt frober zu den Damen zurüc. Die Zeit vergeht, man bemerkt das bärtige Beficht nicht mehr. Madame Germeuil fängt manchmal lachend davon an und denkt nicht daran, daß fie ihrem Schwiegerfohn dadurch wehe thue, aber enblich vergißt man die Begebenheiten gänzlich und Cduard findet feine Ruhe wieder.

Adelinens Herz hat fich nicht verändert ; immer zärtlich, ge: fühlvoll, betet fie ihren Mann faft an; fie iſt ganz glüdfelig, wenn er bei ihr ift und fie in feinen Blicken diefelben Gefühle, dieſelbe £iebe, dafjelbe Gluͤck Liest. Sie trägt ein Pfand feiner Zärtlichkeit unter dem Herzen ; ein neuer Beweggrund ber Freude, Hoffnungen und Bläne für die Zukunft. Ganz mit dem Glüde bejchäftigt, Mutter ju werben, ift Adeline jet weniger leichtfinnig und lebhaft; fie denlt daran, daß eine Unvorfichtigfeit ihrem Kinde ſchaden Tann.

Man fieht wenig Geſellſchaft, aber Eduard ift auch noch in jene Fran verliebt und fühlt Feine Langeweile. Manchmal findet er wohl die Abende lang, die Partie Piquet mit Madame ˖Germeuil endlos, und die Promenaden in der Umgegend etwas einförmig, aber Adelinens Liebfofungen und Küffe bleiben immer angenehm qud füß.

An einem ſchoͤnen Tage hält plöglich ein Wagen vor dem Haufe;

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indem er fie mit ber Berficherung tänfchte, daß er die andge- zeichnetften Geſchäfte mache und bald ihre Rapitalien verbreifachen werde.

Bon einem unbelannten Beweggrunde geleitei, erkundigte er ſich oft nach Adeline und ihrem Gemahl. Eines Tages äußerte er den Wunſch, fie in ihrem Lanphaufe zu befuchen, und Madame Dolban willigte ein; fie nahm ihre Kleine Coufine mit, um jeden Berdacht einer zu. vertraulichen Verbindung mit einem jungen Manne zu entfernen, den fie bei Madame Germeuil einführen wollte.

Dufreöne war geiftreich , heiter und unterhaltend, wenn er fich liebenswürbig zeigen wollte, und bei unfern jungen Cheleuten that er Alles, was in feinen Kräften fland, um Jedermann zu gefallen. Zuvorkommend, galant, felbft gegen Madame Germeuil (denn er wußte, daß Galanterie den Müttern befonders gefällt) war er liebenewürbig, zurüdhaltenn und ehrfurchtsvoll gegen Adeline; Eduard aber wußte er durch feinen Geiſt beſonders zu feſſeln, und „lieg fi vor allen Dingen angelegen fein, deſſen Charakter, Ge⸗ ſchmack und Anfichten zu ſtudiren.

Alles erhielt jet den Anftrich der Feftlichfeit im Haufe von Villeneuve St. George. Drei Perfonen mehr in einem Haufe koͤnnen fchon eine Veränderung darin hervorbringen. Gefang, Muſik, Promenaden, Jagbpartien, Fiſchfang wechjelten mit einander ab. Die Zeit verftrich jetzt ſehr raſch für den vergnügungsjüchtigen Eduard, erfchien aber fehr lange für Adeline, vie jebt weniger Gelegenheit fand, mit dem Geliebten ihres Herzens allein zu fein.

Am dritten Tage nach ihrer Ankunft ſprach Madame Dolban ſchon davon, wieder. nach Paris zurüdzufehren, aber Eduard drang in fie, noch einige Tage länger zu bleiben. Er konnte ohne Dufresne nicht mehr leben. Schon vor dem Aufftehen der Damen gingen Beide auf die Jagb oder unternahmen weite Morgenpro⸗ menaden ; Murville war über feinen neuen Freund entzüdt. Geiſt, Frohſinn, immer gleiche Laune, Uebereinftimmung bed Geſchmacks

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u der Lebendanflihten machten ihm die Gegentvart Dafresnes gleichſam unentbehrlich.

Abeline konnte auf dieſe neue Freundſchaft zwar nicht eifer⸗ fühtig fein, indeſſen empfand fie doch einen geheimen Kummer bei berleberzengung , daß ‚ihre Zärtlichkeit nicht mehr allein das Herz ihreg Mannes auszufüllen im Stande war. Die Liebe ift egoiftifch, fh auf die Freundſchaft wirft fie neibifch ihr Auge; was einen Angenblick den geliebten Gegenſtand feſſeln kann, thut ihr Abbruch. Über diefe allzugroße Liebe iſt zu entjchulbigen und wird nur dann eme Laſt, wenn fie aufhört, erwidert zu werben.

Madame Dolban und ihre Begleiter nahmen von ben jungen Gbeleuten Abſchied; Adeline war fehr froh darüber: fie Eonnte mit Genard num wieder allein fein, fie Tonnte ohne Zwang fich mit ifm über ihre Pläne für die Zukunft, bie Erziehung ihres Kindes, und über alle die Freuden, die ihnen im Heinen Familienfreife noch bevorſtanden, unterhalten!.... Murville ging bie Trennung nahe, aber er Ind Dufreöne ein, ihm recht oft zu befuchen, und die Zeit, ne feine Geſchaͤfte ihm übrig ließen, wo möglich nur in Ville: seuves St. = George zuzubringen.

Am Abend z0g Adeline ihren Mann mit fi in ben Garten ; fe äußerte ihre Freude darüber, daß fie num wieder mit ihm allein ie könne, fie brüdte feine Hände zärtlich in den ihrigen; fie beftete auf ihn ihre fchönen liebeathmenden Augen, und manchmal, wenn fie fich fchon im Voraus von ihrem Muttergefühle hinreißen eg, machte fie ihn auf die leifen Bewegungen bes Heinen Weſens, 26 Re unter ihrem Herzen trug, aufmerffam. Eduard aber war

ent, und obwohl er auf ihre Fragen antwortete, ſchienen doch zanz andere Dinge ihm im Kopf herumzugehen. Abeline bemerkte rat, fenfzte, und der Spaziergang wurde früher ald gewöhnlich beendigt.

Als man am andern Morgen beim Frühſtück verſammelt war, irrach Gouard von Dufresne und dem Vergnügen, feine Bekannt⸗

Zaul dr Kod. 1. 9

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fehaft gemacht zu haben. Es fei ein fehr liebenswürdiger Man von Geift und Vermögen, dem es gar nicht fehlen Fönne, berein ein ſeltenes Glück zu machen. „Aber, mein Lieber,“ fagt Abelin „ed ſcheint mir, als habeſt Da Herrn Dufresne noch nicht gen genug kennen gelernt! . In der That,” bemerkt Madan Germeuil, „ih Halte ibn für einen feinen Mann, er iſt Gefellfchaft fehr angenehm, und Madame Dolban kennt ihn u zweifelhaft feit längerer Zeit! ... aber, lieber Eduard, feit «i Tagen erft haft Du ihn gefehen, denn Deinen Hochzeittag Tann wir nicht rechnen, da Tonnteft Du nur wenig auf ihn Acht gebe D, gewiß,” fagt Adeline feufzend, „an jenem Tage dachte nur an mih ... Meine Damen, Sie find fonderbar! gehi denn jo viel Zeit dazu, Jemand Fennen zu lernen und zu bei theilen ? AH halte zwei Tage dazu für genug. Was follte übrige Dufreöne für ein Intereffe haben, ſich uns anderd zu zeigen, | er iſt? ... Er bedarf unferer Dienfte nicht, und Sie wiſſen, der Welt herrſcht nur das Intereffe ; aber wo das nicht iſt, war ſich da Zwang anthun? Dufressie hat Bermögen, macht gute ( fhäfte. Was für Geſchäfte? Ha! ... Geſchäfte an Börfe, Handelsſpekulationen, kurz, fehr brillante Gefchäfte, | er mir fagt. Hat er ein Comptoir, ein Bureau, ein Amt, er Advokat, Agent? Nein!... nein!... aber man hat Alles jetzt nicht nöthig, um Geld zu verdienen... Ueberdies, mi Damen, erlauben Sie mir die Bemerkung, daß Sie von de ernften Dingen nichts verſtehen. In der That, lieber Brei Du bift fehr artig ! , Und warım glaubſt Du denn, daß nieht eben fo gut, als bie Männer, es zu beurtheilen verfte' was und nützlich fein kann oder nicht? Weil Ihr nicht erzogen fein !”

„Lieber Freund,“ erwidert Madame Germeuil, „Erziehung und weder Geift noch Urtheil. Glaube mir, eine Frau kann guten Rath ertheilen, und die Männer haben in der Regel Unr

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barauf nicht zu achten. Dex einzige, ben ich Dir jetzt geben will, iR der, nicht zu leicht eine eng vertrauliche Verbindung mit Je⸗ manden zu ſchließen, den Du erſt feit acht Tagen kennſt. Freund: ſcaft ſoll vorſichtig fein. Aber Eduard ift von zu gutem Teicht- Hlänbigen Charakter, O! ich Eenne meine Leute... Ich ftehe

bafür, daß Dufresne's Freundfchaft mix fehr nüglich fein wird. .

Bie dem? Ei der Taufend ! ich werde ed machen, wie er; um anfer Bermögen zu vermehren, werde ich auch fpefuliren. Ich fühle übrigens fehr wohl, daß ein Mann ohne Gefchäfte nicht leben Ion. Wenn wir in Paris find, werde ich nicht vom Morgen bie hend fpazieren gehen, mich mit ber Jagd und dem Fifchfang ab: geben. Habe ih Dir das nicht gefagt, ald Du Deine Anftellung aufgeben wollteft ?“ erwinerte Mama Germeuil, „aber damals wollteſt Du nicht anf mich hören. Ei! liebe Mutter! wenn ich zwanzig Sabre hinter dem Bureautifch fie, was habe ich am Ende davon?..

nulleicht zwei Jahre vor meiner Benflonirung Bureauchef zu werben; eine ſchoͤne Ausficht!... ftatt deffen kann ich jet fehr reich werben... Wie, Ednard, fo gewinnſüchtig bift Du auf’einmal? Ich kn sicht geiwinnfüchtig, liebe Adeline; und wenn ich's wäre?®... ufere Familie kann ſich noch vermehren, und es ift wohl zu recht iatigen, an das Fortkommen feiner Kinder gu denen... Ohne weifel ... ohne Zweifel...” verſetzte Madame Germeutt, „aber eit ſezt man bas Gewiſſen aufs Spiel, um eitlen Chimären nach⸗ wagen. O! forgen Sie nicht, bloß eitlen Chimären werde ih ucht nachjagen . . . ich werbe nur ganz ficher gehen, nur wenig neliten, umfichtig handeln und übrigen® nur den guten Rath Pafree’a befolgen.“

So endigte ſich dieſe Unterrebung. Eduard ging hinaus, um ine neuen Glücksplaͤne allein beffer verfolgen zu fünnen, Madame Iermenil ging traurig auf ihr Zimmer und Adeline fuchte die ein- jmiten Gartengänge auf, nm ihren Träumereien nachzuhaͤngen.

Sechzehntes Rapitel. Rüecktehr nah Paris Der Seihäfttmann.

Nach einigen Tagen befuchte Dufreöne unfern Lanbbewohnen . Eduard empfing ihn wie einen alten Freund, Madame Germeni mit Höflichkeit und Adeline etwas kalt. Er ſprach viel von feine Gefchäften, Spekulationen, Unternehmungen. Alles das reizte Mu ville, der ſchon vor Begierde brannte, ſich in die nene, durch feine Freund ihm eröffnete Carriöre zu flürzen, um fo mehr, ale e - über dad geringe Vertrauen feiner Schwiegermutter piquirt, lebha wänfchte, fie von ihrer unbegründeten Furcht zu überzeugen. _

Trotz aller Ueberredung Eduards blieb Dufreöne Doch nur ein Tag. Seine Zeit war zu fehr in Auſpruch genummen . . . fe Intereffe rief ihn nach Paris zurüd. Aber mit der fchönen Jahre zeit war es ziemlich vorbei, man konnte nicht mehr lange auf ve Lande Bleiben, denn man war zu Ende Oktobers und bereits fed Monate in Billeneuve:St.:George. Epuard fah mit Freuden ve Augenblid entgegen, wo man nad) Paris zurüdfehren wollen würt Adeline machte ihm hierüber Vorwürfe; Madame Germeuil ſchwie aber fie fürchtete für die Zukunft, denn ihre Hoffnungen und Wünſ« bei ber Berheirathung ihrer Tochter ſchienen ſich nicht beflätig zu wollen. Murville war ſchwach und unentfchloffen, und überd richtete ſich Adeline ganz nach feinem Willen. „Ah,“ Dachte | gute Mutter oft, „meine Tochter ift zu zärtlich, zu nachgiebig u fanft, fie ift feine Brau für Eduard. Sie follte Herrin im Haı fein, aber fie kann ihn nur liebfofen und feufzen!... und wird dumme Streiche machen wollen, wird fie fih ihm nicht widerſet Einnen!... Wir wollen hoffen, daß es anders kommt.” Ä

Man ift wieder in Parid angelangt. Hier denkt Eduard nichts Anderes, ald an die Realifirung feiner Pläne. Alle DI geht er nach der Börfe und in die Kaffeehäufer, wo fich die G

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133 | IGäftölente verfammeln ; er ſchließt noch kein Gefchäft ab, aber er borcht hie und da, fchwagt mit Diefem und Jenem und macht Bes lkanniſchaften; Dufreöne findet fich oft ein und hat Eduard ver ſprochen, ihn am feinen ausgezeichneten Spekulationen Antheil nehmen zu laſſen. Und geht es auch mit den Gefchäften nicht, fo bringt man feine Zeit angenehm mit Lachen, Tagesneuigkeiten, Geſpraͤchen über Theater, Bälle, Moden, Concerte und galante Abentener hin. Der Curs der Renten hindert nicht, ſich auch mit dem Curs der Literatur, Mufik und des Tanzes zu befchäftigen. Judem man den Curs von Wien auf London notirt, Tann man wohl auch Leicht nach der Schaufpielerin fragen, die in dem neuen Etid auftreten foll; man verkauft Papiere und miethet zugleich eine Loge in der Oper; man lobt die Nechtfchaffenheit dieſes ober jenes Handlungshauſes, gleichzeitig aber au die Originalität Byrond, die Pünktlichkeit eines Courtierd und die Pirouetten einer Tagkioni ; man Tennt den Grund eines Falliments, aber auch bie Ecmerie des Melodramas, das fo viel Glück macht; man weiß, vas auf dem Iehten Ball eines Bankiers und in der Fleinen Gitter loge feiner Frau vorgefallen ift. Kurz, man weiß, man kennt Alles, wel man über Alles fpriht. In allen folchen Berfammlungen mat man Krieg und Frieden, Regen und fchönes Wetter; man theilt, vereinigt oder vergrößert die Länder mit dem Stockknopf oder der Reitpeitſche; man kennt die Kabinetögeheimnifje jebes Sefea!... aber man kommt manchmal zu feiner Frau nach Haufe uud weiß nicht, was in feinen eigenen vier Wänden vorgeflommen iſt. Andline beklagt die Schönen Tage, die fle in ber erften Zeit rer Che ahıf dem Rande verlebt Hat. Ihr Mann liebt fie jedoch memer noch, fie zweifelt nicht daran ; “aber fie fieht ihn feltener, zud wenn er bei ihr ift, fo Spricht er nicht mehr von Liebe, Be⸗ dandigkeit und ehelichem Glüd, fondern von feinen glänzenden " Geſchaͤften, Spekulationen und bedeutenden Borthellen. | Aber wozu haben wir denn fo viel Geld nsthig, lieber Freund!“

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fragt daranf Abeline, ihn an fich drückend, „ich werde Mutte werden, bas iſt für mich das Werthvollſte; dazu Deine Lieb weiter wünfche ich Nichts. Liebes Kind, was Du da fagft, i recht hübſch; ich theile Deine Gefinnungen, aber ich fehe weit als Du... Sei nur ruhig, wir werben bereinft fehr glüdlis werden... Ach, Lieber Eduard, nie fo fehr, als ich es ſcho war; bevor Du Dufresne Fennen lernteſt, befchäftigteft Du Di nur mit mir! Nun fängft Du wieder von Dufresne an?.. Du kannſt ihn nicht leiden, verabfcheuft ihn... Aber was hat denn gethan? Er gibt mir guten Rath, zeigt mir den Meg zu Glück; ich fehe nicht ein, was darin fo Widerwärtiges Tiegt! - Ich verabſcheue Niemand... Und doch nimmft Du ihn fo Fa auf, fowie au Madame Dolban ... Ich nehme ihn auf m jeden Andern. O gewiß, Du möchteft wie ein Murmelthi leben !... Niemand bei Dir fehen! Das fage ich nicht, all fonft genügte ich Dir, und ed gehörte nicht Gefellfchaft dazu wei Du Dir im Haufe gefallen follteft. Nun ja, num wirft 4 weinen !... Thränen find Feine Gründe!... Du bift fo kindiſch! Du weißt ja, daß ich Dich liebe, nur Dich allein liebe! Nun. ich will nicht mehr. weinen, und wenn ed Dir Vergnügen mad fo wollen wir recht viel Gefellfchaft bei uns fehen. D, i will ich gerade nicht fagen, indeſſen, wir werden fehen, wenn me Pläne glüden ; Dufreöne hat mir gefagt, es würde nicht übel fe wenn ich kleine Abendgejellfchaften.. . . einen Eleinen Punfch | einem Baar Biolinen, einigen Eeartötifchen gäbe... DO, a fprich nicht dayon mit Deiner Mutter... Du weißt... fie ift fonderbar... Ich werde nichts fagen, lieber Eduatd!“ Eduard geht feinem Gefchäfte nach und Adeline bleibt all zu Haufe. Sie läßt jebt ihren Thränen freien Lauf, denn fte fi ed nur zu gut, daß ihr Mann nicht mehr derfelbe if. Er I fie ja aber noch, ift ihr auch nicht untreu; warum denn fich i eine Veraͤnderung jo betrüben, die in der Natur liegt-und Die Ni

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verhindern Tann ? Acht Donate Ehefland haben in Adelinens Zärt- lichkeit nichts geändert ; ihre Liebe ift immer noch fo leidenfchaftlich und ungefchwächt wie früher, aber dad Herz eines Mannes bedarf ver Anhepunfte: es Tann nicht lange mit gleichem Feuer lieben, es ſchlagt heftig und fteht bald wieber ſtill, es entzündet ſich leicht and erfaltet bald wieber, es ift Fein gleichmäßiges Feuer darin, bei der Heinften Beranlaffung lodert es auf und verlöfcht eben fo Leicht.

Die junge Frau fagt ſich das Alles, um ſich zu. tröften ; Haupt: - jählich nimmt fie fi vor, ihrer Mutter ihren Kummer zu ver: bergen; aber ihre Meinung über Dufreöne vermag fie nicht zu ändern: dieſer Menfch erregt in ihr ein wiberwärtiges Gefühk, worüber fie fich Feine NRechenfchaft geben kann. Und doch iſt er artig, galant gegen fie, und bat nie die Achtung und zuvorkom⸗ mende Befcheivenheit gegen fie aus den Augen geſetzt; was ift ihr denn da.an ihm zuwider 3... Sie weiß es nicht, aber fie mag ihn nicht leiden, fein Blick macht fle verlegen; fie glaubt in ihm einen gewiſſen Zwang zu bemerken, ven fie nicht erklären faun; wenn fe ind Zimmer tritt, fcheint Dufreöne unruhig und verwirrt; er eutfernt fi, wenn Madame Dolban kommt; er jchweigt, wenn a zufällig allein mit Avelinen im Zimmer ift, aber feine Augen verfolgen alddann alle ihre Bewegungen, und haben einen Aus: md, den fie nicht ertragen Tann.

Einige Tage nach jener Unterredung mit feiner Frau kommt Erard voll Triumph nach Haufe ; fein Geſicht ift heiter, fein Ange Krablt vor Freude. „Was haft Du denn, lieber Sohn, was if denn geſchehen,“ fragt Madame Germeuil, „Du jcheinft ja ſehr zufrieden zu fein? In der That, ich habe auch Urfache dazu. Lieber Freund ! Du wirft unzweifelhaft an Deiner Freude Theil nehmen laffen. Ja, meine Damen, und ich benfe, Sie werben aufhören zu fagen, daß ich bloßen Ehimären nachhänge ; durch den udlichfien Zufall der Welt machte ich vor Kurzem bie Belannt- ſchaft mit einem fehr veichen Musländer, ber ſich in Frankreich

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nieberlaften will. Er fuchte in der ſchoͤnſten Gegend der Stadt ein fehr großes, fchöned und ganz moͤblirtes Hötel. Ich fchaffe ein folches an, ex befieht es, iſt ganz entzüdt darüber, Tauft es un gibt mir fechötaufend Franken für meine Mühe, und ebenfoviel fit mir der Berkäufer an Proviſion... Nun! if das nicht fchön... zwölftaufend Franken in einem Augenblide verdient, nicht wahr? D ja, lieber Sohn, aber feit drei Monaten biſt Du einem folchen Augenblicke fchon nachgelaufen! Zwölftaufend Franken! . . . das verlohnt ſchon der Mühe! Das ift wahr! aber folcye Aufträge müffen felten fein! Dann gibt es andere. Immer glüden fie aber auch nicht fo. O, wenn man auch alle Tage zwölftaufend Franken verdienen wollte, das wäre zu viel! Ich denfe doch, bei diefem Gefchäfte haft Du Dufreöne nicht nöthig gehabt? O, er wird mir noch befjere verfchaffen ... . Aber jept muß ich ein Bureau, ein Comptoir haben... Sie fönnen wohl denken, daß ich meine Kunden und Geſchaͤftsleute weder im Salon, noch im Schlafzimmer empfangen Tann... Ein befondered Zimmer mit Repofitorien und Cartons angefüllt, das imponirt, und da ich ein folches Hier nicht haben kaunn, fo müffen wir ausziehen. Was, mein Sohn, Du willft diefe Wohnung verlaffen? Ach, lieber Freund, bier wurden wir von unferer guten Mutter vereinigt, hier hat Hymen unfere Wünfche gekrönt, bier war ich fo glüdlich ! Liebe Adeline, man gefällt fih überall, wenn man reich ifl. Wir werden und eine viel fchönere Wohnung miethen... Diefer Salon ift zu klein. Um Freunde darin auf: zunehmen, ift er groß genug. Ja, aber man empfängt nicht bloß Herzensfreunde, auch Gefchäftöfteunde!... Lieber Sohn! Du willi einen Lurud anfangen, wozu Deine Mittel nicht hin⸗ reichen, erwägft Du dad auch ? Ich will mich beftreben, reich zu werden, und ich glaube, das ift ein ſehr loͤbliches Streben ; warum fol ich nicht verfuchen, was taufend Anderen geglädt ift ? ‚Habe ich etwa weniger Fähigkeiten, weniger Nittel als Andere ?

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Sn Ihnen das Gegenteil beweiſen. Wer mar jener Fabellant, deſen Ramen überali mit fo viel Achtung genannt wird, ber fo ungeheure Reichthümer,, eitten fo unbegrenzten Kredit bat? Er kam nach Paris, ohne einen Sons in der Tafche zu Haben; er konnte def ſchreiben und reinen ; ald Commis trat er in ein Geſchaͤft, deſen Eigentümer er jetzt if; aber er hatte Ambition, er war jeiig und Alles glückte ihm. Und jener Financier, der jegt die großen Geihäfte macht, er kam aus feinem Dorfe, bat um freies Unerfommen in ben Bafthäufern, fchlief auf Stroh, und war Infieben, wenn er feinen Hunger mit trockenem Brode flillen konnte. Inf dem Platze du Péron trieb er ſich umher, im Kampfe mit hd, ob er betteln ober fih ins Waſſer ftürzen follte! Ba gab im ein Kaufmann einen Brief zu beforgen ; vie Pünktlichkeit, der Cifer, womit er feinen Auftrag ausführte, nahm für ihn ein. Ga Jever gab ihm Commiſſionen; es gelang ihm, einiges Gelb in serbienen ; er machte für eigene Rechnung Gefchäfte ; das Steigen zu) Fallen der Curſe war ihm günftig ; kurz, er wurde ein Mil⸗ tär, Hundert ſolche Beifpiele konnte ich anführen!... und wenn man and Nichts Etwas werben kann, fo ſcheint es mir noch Leichter, “id za werden, wenn man fchon einige Hülfsquellen bat. Ren Sohn, wenn man nichts hat, fo fegt man auch nichts aufs Spiel, und kann ih nicht ruiniren. Ei, Madame, nur Thoren mmiren ſich Es iſt befier, ein Thor, als unrenlich fein, und "de Nenfchen haben auf Koſten Anverer Reichthümer gefammelt. 36 hoffe, Madame, daß Sie nicht voraudfehen werden, ich vole mich auf ſolche Weife bereichern ? Nein, gewiß nicht!... dr vor allen Dingen bedarf es der Ordnung und der Sparfam- Mt... dadurch, und nicht durch Gefellfchaften und koſtbare Baͤlle m jener Fabrikant und Financier reith geworden! Madame, tee Jeifen, anbere Sülfsmittel; heutzutage macht man bie größten Uitäfte fpielend, beim Dergırügen ; bei einem Glaſe Punſch ſchließt an einen Handel ab, man unterzeichnet ein Geſchaͤft beim Bouiliot

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Borhaben hinberlich ; er weiß daher gefchidt den Samen der Un: einigfeit zwifchen ihr und ihrem Schwiegerfohn auszuſtreuen, und findet das Mittel, fle zu entzweien, darin, daß er Eduard über: redet, eine größere Wohnung zu miethen, um glänzende Abend: gefellichaften geben zu können. Täglich fehen ſich die beiden Freunde; fie bringen einen Theil des Vormittags zufammen zu, und wenn Murville des Abends feine Wohnung verläßt, fo gefchieht es nur, um irgendwo mit Dufresne zufammen zu fommen. Eduard Tann ohne ihn nicht mehr fertig werden, ohne feinen Rath nichts mehr thun und unternehmen! ... Wenn aber feine Frau eine Meinung ansipricht oder feine Schwiegermutter ihm BVorftellungen macht, fo fährt er auf und behauptet, fein eigener Herr zu fein, während er doch nur der Spielball veffen iſt, der feinem Geſchmack zu ſchmei⸗ cheln weiß. Wunderlicher Charakter! von Natur ſchwach und hals⸗ ftarrig ohne Grund. Er will Charafterfeftigfeit zeigen, und von Andern fich nicht leiten laſſen, und hat doch nicht Verftand gänug, Recht von Unrecht zu unterfcheiden ; fo überläßt ſich Cduard ganz dem Willen deſſen, der ihm insgeheim beftändig rathet, beharrlich in feinen Plänen zu fein, und wohl weiß, wie man einen ſchwachen Drenfchen behandeln muß, der in feinen Augen nur weiches Wade tft, das jede Form annimmt.

Adelinens Gefundheit leidet nicht bei ven neuen Sorgen, denen fie fich hingibt; im Gegentheil erfcheinen ihre Züge jetzt noch reizender, ihre Augen noch fanfter, ihr Gang noch grazidfer ; fie if wunderlieblich mit ihrem Kinde auf dem Arme; ein anderer als Murville wärde fle jeßt noch weit ſchoͤner finden, aber ein Chemann macht felten ſolche Beobachtungen, ja er glaubt oft dad Gegentheil. Zu feinem Nachtheil bemerken dann oft Andere die Schönheit feiner Fran, bewundern, was er nicht erkennt, loben was er aufgehört hat zu loben, und entbrennen für das, was er vernacdhläfligt ; daran denken bie Heren Chemaͤnner nicht, machen ſich veghalb nur wenig Sorgen daruͤber, und eben deßhalb wird ihnen oftmals fo hart mitgefpielt.

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er mußte wohl nachgeben und flatt feiner fich mit einem alten, fehr rechtlichen, geregelten und gemefjenen Rentier begnügen, der feiner Stan Gevatterin drei Schachteln Bonbons und zwei Paar Hand: ſchuhe verehrte, und verfprach, alle Wochen einmal bei der jungen _ Drama zu effen, um ſich yach dem Befinden feiner Heinen Pathe zu erfundigen.

Ehuard ließ Alles gehen, aber er wartete nur auf bie voll⸗ iommene Wiederherftellung feiner Frau, um feine Projekte auszu⸗ führen; im Stilfen wünfchte er, daß feine Schwiegermutter auf ifter Drohung, nicht mit ihnen die neue Wohnung zu begiehen, bebarten möchte, um ihrer ferneren Ratbfchläge und Ermahnungen, die ihm allmählig zumider wurden, überhoben zu fein.

Adeline überläßt fich ganz ihrem Muttergefühle ; fie ſtillt ihr Kınd ſelbſt, trotz Eduards Einwendungen, daß das burchaus feinen feınen Ton verrathe ; diesmal aber widerfteht fie feinen Anfichten ; tie Qutterliche behauptet ihre Rechte, und diefe neue Empfindung mäßigt einigermaßen die Neigung, die bisher in ihrem Herzen vorherrfchend war.

Seit einiger Zeit laͤßt fich Madame Dolban ſeltener im Hauſe Nurville's ſehen; Adeline und ihre Mutter kennen die Beranlaffung vazu nicht, aber fie find nicht unzufrieden, fich jeßt feltener in ver Geſellſchaft Dufresne's zu befinden, der jene regelmäßig begleitet; üe leben der Hoffnung, daß Eduard fo dem übertviegenben Einfluß Tufreöne'3 weniger ausgeſetzt fein werbe.

Sie irren ſich jedoch. Dufreöne hütet ſich wohl, vie Bekannt (daft Nurville's zu vernachläffigen, deſſen Charakter er jegt' voll: fommen kennt; er weiß fehr gut, welche Vortheile er bievon zu neben beabfichtigt. Er hat übrigens fehr große Pläne, mit denen mır and bald näher vertraut zu machen Gelegenheit finden werben. Us ſchlauer, umſichtiger Intriguant warte er nur auf * zen günfligen Moment, feinen Blan auszuführen. Er flieht, daß Bavame Germenil ihn nicht leiden kaun, ihre Gegenwart ift feinem

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Scene. Sie prophezeiht ihm, daß er ſich an ven Bettelſtab Bringen werde, Cduard wird beleidigend und ausfahrend, imd ein völliger Bruch ift Die Folge davon. Madame Germeuil verläßt ihren Schwieger⸗ fohn mit dem Schwur, ihn nie wieder zu fehen ; fie bleibt uner- bittlich bei ven Thränen ihrer Tochter, Thränen, welche die gute Mutter im Grunde ihres Herzens fich felbft vorwirft; denn fie fühlt fehr wohl, daß fle ihre Tochter an einen feften, vernünftigen, und nicht an einen ſchwachen, charakterlofen Mann hätte verehelichen ſollen, der nicht Verftand genug hat, feine Sehler einzufehen, und zu viel Halsftarrigkeit und Eigenſinn, fie abzulegen. Aber bas Unglüd war gefchehen.

Nach der Trennung von Madame Germeuil folgt eine neue Scene zwifchen ven Eheleuten, denn Adeline Tann nicht umhin, auf ihren Mann zu fchelten ; fle beſchwoͤrt ihn, ihre Mutter wieber zu ihr zurüdzuführen; aber er if Hartherzig genug, ſich einer Berföhnung oder irgend einer Ausgleihung zu widerfegen, und erflärt feiner Frau, daß er entichloffen fei, ganz nad} feinem Willen zu handeln, daß alle Vorftellungen ihrerjeits Tünftig in feinem Verfahren nichts ändern würden, und daß er ed überdrüſſig fei, fih von Frauen leiten zu laſſen. |

So ift denn alfo die brillante Wohnung des neuen Geſchaͤfts⸗ mannes mit Thränen eingeweiht; Murville aber Läßt ſich dergleichen Hägliche Dinge nicht zu Herzen gehen; ex hat ganz andere Sachen im Kopfe. Durch Dufreöne fol er an einem reichen Seefahrer, ber nad) Paris kommt, fünfzigtaufend Franken für Unterbringung feiner Kapitalien verdienen. Um mit diefem Millionäs bekannt zu werben, will er einen glänzenden Ball geben, auf welchem jener durch einen Dritten bei ihm eingeführt werden foll.

Der Ball ift befchloffen, und dem Rath feines Freundes zu- folge trifft Eduard die größten Vorkehrungen zu einer Foͤte, bie feinen Rang in der großen Welt feftftellen fol... Die Koften dazu find freilich ungeheuer, die unlängfl gewonnenen zwoͤlftaufend

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Ein Hann fah Alles, worauf Eduard nicht mehr achtete; er verfolgte Adeline mit den Augen, ohne daß. fie ed bemerkte; er bewunderte ihre Reize, errieth die, die er nicht fah, und verfchlang mit feinen Blicken Alles, was er nicht fehen Tonnte. Bine heftige Leidenſchaft beherrfchte ihn, und er harrte nur auf den günftigen Angenblick, ihre freien Spielraum zu laffen. Er hatte zwar wenig Hoffnung, wieder geliebt zu werden, das wußte er wohl. Abeline war die Tugend ſelbſt; fie lebte nur für ihren Gemahl und ihr Kind, aber der Leidenfchaftlich Liebende kennt Fein Hinderniß... achte kaun den ungeflümen Strom aufhalten, den das Ungetwitter nur noch drohender macht, nichts feine Liebe zurädichreden ; wenn man zügellofe Wünfche, tollfühne Begierden, die feit lange her ſein Herz ſchon erfüllen, fo nennen darf. Er ift entfchloffen, Alles ;a verſuchen, Alles zu unternehmen und zu wagen, um Adeline ia befigen ; feine längft zurüdgehaltene Leidenfchaft hat deßhalb aur an Stärke gewonnen; das Feuer, das in ihm lodert, foll Alles entzanden, wenn ed losbricht. Aber wer ift denn diefer geheimniß- solle Mann, deflen Liebe und bisher noch verborgen war, wer ift e?... Du Eenuft ihn, lieber Lefer, und ich ftehe dafür, du Haft hn ſchon erratben.

Edunard beſchaͤftigt ſich mehr als je mit feinen Handelspro⸗ ‚lien, wovon er nichtd verfieht,, die ihm aber deßhalb nicht weniger serfüßrerifch erſcheinen. Er miethet ein elegantes Hötel, ein mo⸗ rches Cabriolet, kauft prächtige Möbel, richtet ſich ein ſchönes Atbeitsbureau ein, was von allen Seiten mit Repoſitorien verſehen @, worauf fauber befchriebene Kartons ſtehen, die freilich noch ‚er find , aber bald in Folge überhäufter Gefchäfte voll fein werben. ‘a ihrer Erwartung nimmt er bereitd einen Commis an, ber feine Fit mit Zeitungslefen und Bederfchneiden zubringt.

Aveline wird in bie neue Wohnung eingeführt. Sie betrachtet Alles, ſeufzt und ſchweigt. Madame Germeuil dagegen bricht. in Zerwürfe aus und bereitet ihrem Schwiegerfohn eine jehr Heftige

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gejagt? Das find keine Marrheiten, Braun, ich komme in bie große Welt, während Du Dein Kind wiegftl. D, ich. weiß ed ja, daß Du bei mir es nicht mehr aushaͤltſt. Das iſt noth- wendig, ich muß in allen Geſellſchaften fein, um Gefellfchafts- befanntichaften zu machen. Auch gefährliche manchmal... And wenn... bei Gott! ich bin Fein Kind mehr, ich kenne meine Leute... Freilih, wenn man Di und Deine, Mutter hört, fo follte man glauben, ich fei fehr unerfahren. Lieber Mann, id babe das nie gefagt... aber ich Tann nicht umbin, mit Wehmuth an jene Zeit zurückzudenken, mo ich allein Dir genügte, wo Du Deine ganze Zeit bei mir zubrachteft und nicht die große Welt aufſuchteſt. . Warft Du denn damals nit glücklich? O ge: wiß! Warum Haft Du denn damald Deine Lebensweife ge: ändert?... Barım?... warum?... Du machſt mir ba eine Eomifche Frage!... Man kann doch nicht immer verliebt fein, nicht wahr? Ach ja! das fehe ich! aber nach einem Jahre glaubte ich ed nicht fchon zu erfahren... Nicht wahr, nun wirft Du mir wieder Vorwürfe mahen?...: Die Frauen fönnen doch nie vernünftig fein! Ich made Dir ja keine Vorwürfe, lieber Eduard, gib Gefellfchaften, fo viel Du will, wenn es Dir Ber: gnügen macht, ich werde mich nicht widerſetzen. Ah! fo biſt Du liebenswürbig... DO! Du bift nicht fo eigenfinnig, wie Deine Mutter! ... Und ich wiederhole e8 Dir, es ift ja Alles zu unferem Glüde. Triff alfo die nöthigen Vorkehrungen. Ich babe ſchon Alles beftellt, eingerichtet, angeorvnet, Du Haft nur die Ausführung meiner Befehle zu überwachen... Schon gut. Aber wovon werde ich mit Leuten fprechen, die ich nicht kenne? DO, ſei deßhalb unbeforgt!... man begrüßt fih, man lächelt Jedem zu!... Mit Deiner Grazie, Deinem Verſtand wirft Du Dich fchon liebens: würdig zeigen!... Ich möchte es für Dich allein fein. Bin ih Dir denn untreu? Ich bin gewiß fo vernünftig, Wenn es.

nur immer fo bleibt! Fürchte nichts, ich Tiebe une Dich. «. °

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Franken find ſchon ausgegeben ; man muß einige Anleihen machen, denn die Einnahmen haben zum Anfauf der Möbel und der De ferirung des Hauſes nicht Hingereicht ; N aber das ſchadet Alles nichts; man muß fäen, um zu ernten, das iſt Dufresne’s Grundſatz, und

er felbft beweist es, daß man fich gut dabei befindet: Nie hat fich @tuard glücklicher und heiterer gefühlt! er Hat ein Gabriolet, einen Jochey, Diamanten, ein ſchoͤnes vHotel, es iſt keine Frage, er muß glaͤnzende Geſchaͤfte machen.

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Siebenzehntes Aapitel.

Sroße Abendgeſellſchaft. Liebedertlärung, wenn man wilt.

„Siebe Frau,” fagt eines Morgens Eduard zu Adelinen, „ich gebe morgen eine große Föte, einen Ball; triff Deine Einrich⸗ tungen, um bie Honneurs zu machen. Du gibft eine Foͤte, und wem denn ? Sollteft Du Di mit Mama wieder ausgeföhnt haben ? Ben Deiner Mutter ift nicht die Rebel... das ift eine Fran, die fi in Sachen mifcht, wovon fle nichts verſteht, und die ung bintern will, und angemefjen auszubehnen, weil fie es vorzieht, m ganz Heinem Kreife zu leben... Du wirft einfehene, daß darin nicht Sinn und Verftand if. Wenn ich aber einmal fünfzigtaufend Franken Renten haben werbe, wirb fie, denk' ich, ed mir ſchon verzeihen, ihren Rath nicht befolgt zu haben. Dann wird ed wohl ſobald noch nicht gefchehen! Eher, ald Sie es glauben, Madame, ich handle demgemäß. Und darum gibft Du die es iellſchaft? Gerade deßhalb. Was für Berfonen werden denn eingeladen? Ah, wir werben fehr viele Säfte haben. Das ges bört jegt dazu, iſt feiner Ton; wenn man in einem Salon fi nicht draͤngt und ſtoͤßt, glaubt man, fich nicht amüſirt zu Haben: Ach, licher - Mann, welche Narsheit! wer hat Dir denn dad

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ich nichts nach ihrer Freundſchaft! aber es liegt mir daran, daß man in der Welt fage: Der Ball bei Murville war prächtig, nichte hat gefehlt, Alles war im neueften Gejchmad... die Geſellſchaft muß ihn ungemein viel gefoftet haben!... Du Begreifft wohl, baf dies Ehre verfhafft, man hält mich für außerordentlich reich, und ich erhalte mehr Gejchäfte, ale ich nur haben will... Wähle nur eine recht ausgefuchte Toilette und ziehe recht viele Brillanten an. Sie find zwar nicht fo ſchoͤn, als ich es wohl gewünfcht Hätte; aber bald Hoffe ih. Dir eine ganz neue, herrliche Garnitur zum Geſchenk zu machen. Lieber Freund, Du weißt ja wohl, daß mir nichts daran liegt, Deine Liebe allein... Es iſt ſchon ſpaͤt, geh' und kleide Dich an.“

Der Augenblick iſt gekommen, wo die Gaäſte ſich einfinden. Zwiſchen neun und zehn Uhr füllt ſich der Hof mit Wagen und Fußgängern (denn auch bei den größten Baͤllen gibt es letztere), man draͤngt ſich auf der Hausflur; die Kutſcher fluchen, ein Jeder will der erſte ſein; die jungen Damen in ihren Pelzen und Maͤnteln ſpringen leichten Fußes aus dem Wagen und erwarten auf den Treppenſtufen die einen ihre Mütter, die andern ihre Männer, um von ihnen in den Saal geführt zu werden. Der junge Zierbengel in einem weiten, mit breitem Sammt ausgefchlagenen Mantel bie an die Nafe eingehüllt, bietet mit Anftand einer jungen Dame feine Hand an, welche die Angft vor den Pferden auf dem Hofe von ihrem Begleiter getrennt hat; der feine Herr entdeckt nur ein ausdrucksvolles Auge und einige Haarloden, denn alles Mebrige if unter dem großen Pelztragen verfiedt, aber er hat genug gefehen, um bie reizendfien Züge und bie fchlanfefte Taille zu vermuthen ; er brüdt ihre zarte Hand, ladet fie zum erften Gontretanz ein und wiegt ſich in den fohönften Hoffnungen, bevor er noch das Bor: zimmer betreten hat. Diejes ift ſchon gebrängt voll; vor einem Spiegel bringen die Damen ihre Toilette in Ordnung und muftern gegenfeitig ihre vom Wagen zerdrüdten Kleider; weiterhin in einer

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ich gehe, noch einige Einladungen zu machen, und beföhäftige Du Dich indeſſen mit unferer Geſellſchaft.“

Eonard küßt feine Frau und geht. Adeline erkundigt ſich nach Alm, was am andern Tage geſchehen ſoll; fie iſt über die un⸗ geheuren Koſten, die erfordert werben, im höchſten Grade erſchrocken, aber es laͤßt ſich jetzt nichts mehr aͤndern. Nachdem ſie ihre Be⸗ fehle gegeben hat, beſucht ſie ihre Mutter. Ihr will ſie ihren Kummer anvertrauen, und doch verbirgt fie ihr den größten Theil ihrer Beforgniffe, um fie nicht noch mehr gegen ihren Daun auf: zubringen. „Ach !” fagte fie, „jo lange er mir treu bleibt, werde ih mich nicht beklagen, denn Alles Tann ih ihm verzeihen, nur feine Gleichgültigkeit nicht.“

Am andern Tage ift vom frühen Morgen an Alles in Mur: villes Haufe in Bewegung. Die Dienerfchaft reicht zu den viel: feitigen Berorbnungen nicht Hin ; Arbeiter bringen Teppiche, Kron⸗ leuchter, Candelaber, und ftellen längs ber Treppe Blumenvafen auf. Tapezierer, Möbelhändler, Dekorateurs füllen die Säle, und drängen füch überall mit ven Dienern des Haufes; bald erfcheinen auch die Traiteurd, Conditors, Eishändler, Limonadiers, bemaͤch⸗ tigen fi der Speifezimmer und verzieren bie Buffets, die aufs Prachtvollſte Alles darbieten follen, was nur dem Auge, Geruch und Geſchmack fchmeicheln Tann. Apeline will fih durch einige Zimmer in dad Kabinet ihres Gemahls begeben; fie tft ganz be- teoffen über dad Gefchrei und den Lärmen überall, fie erkennt ihre Bohmng nicht wieder. Endlich erblickt fie Eduard, der mit froh⸗ lockender Miene in den Salons auf und abgeht. „Nun, Tiebe Stenntin,“ ruft er ihr ſchon von weitem zu, „was jagft Du dazu? Ich begreife ed nicht, daß man fich jo viele Mühe gibt, Leute zu empfangen, die man nicht fennt, und denen man durchaus Feine Berbindlichkeiten ſchuldig if. Aber, Tiebe Adeline, vente doch war, daß man bad Alles feines Rufes wegen thut. Bei Bott! andy mi Tünmern bie Menſchen wenig, die herkommen, auch frage

Vaul de Red. 1. 10

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willen, wovon bie Mebe iſt. „Worliber lachen Sie denn fo fehr, meine Herren ?” fragt er. „Ah! über nichts, ein Spaß, ven er und erzählt. Gewiß, verliebte Boffen, ich wette... Sie find leichtfertige Meffieurs! Später follen Ste erfahren, was es war.”

Die jungen Dandys zerftreuen ſich und lachen noch mehr, und der Ehemann lacht mit, ohne zu wiſſen worüber, aber um fich den Schein zu geben, als fei er au fait,

Das Zeichen zum Tanz if gegeben, ein tüchtiged Orchefter laͤßt fih Hören, und ladet zum Vergnügen ein; die fchönften Melodien aus den herrlichſten Opern unferer erften Componiften bilden jebt dad Thema zu den Quadrillen, Walzern und Anglaifen. Wie joll man nicht Luft zum Tanzen befommen, wenn man nach Roſſini's, Mozarts und Boyeldieu's Schöpfungen Pirouetten, En⸗ trehats und Balancees machen Tann. Das Ohr ift durch die Aus- führung nicht minder erfreut ; die neuen Contretänze find wahre Conzerte für Streich- und Blafeinftrumente ; fie aufzuführen, er- fordert Talent. Den armen Blinden und Gafjenmufifern überlaffen wir die Tanzmufık früherer Zeit a la Monaco, Perigord und Fürften- berg ; wir bevürfen jegt der auögezeichnetiten Künftler, eines Weber, Collinet, Rubner u. ſ. w., um Terpfihoren zu huldigen.

Man hat nur wenig Plag, man tritt fich auf die Füße, man fann fich kaum drehen und wenden; aber man tanzt, bad ‘ift die Hauptjache ; welch’ ein DBergnügen für dad junge Mädchen, ihre Grazie zu zeigen, und für die ältere Frau, noch leichtfüßig zum erfiheinen !

Diejenigen, welche Mufif und Tanz nicht reizt, fepen ſich an den Gcartetifch ; fie ergeben fich Leinenfchaftlih dem Spiel und harten auf einen glüdlichen Treffer; fie fuchen ihren Mitfpieler fennen zu lernen und aus feinem Geficht feine Karten zu errathen ; fie vergeſſen dabei ihre Frauen und Töchter und werben von biefen auch oft vergeflen.

Aber um die Spieler bilden fih "Gruppen ; rechts und links

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minder erhellten Simmerede holen einige Ladenſchwengel ihre Ball: ſchuhe hervor, wechfeln fie mit ihren leichten Stiefeln, wideln dieſe in einen großen Bogen Papier und verbergen fie irgendwo unter einem Möbel ; dann ziehen fie das Jabot unter der Wefte hervor, geben ber Haldfchleife den Fühnen verwegenen Anftrih, fahren mit den Händen in bie Haare, ftreichen fie glatt oder machen eine Rode, je nachdem es ihre Phyfiognomie kleidet, und treten dann ftolz und anmaßenb in den Saal ein, bamit Jedermann glaube, fie feien in ibrem Wisky hergefahren. _ Der Salon ift fchon mit eleganten Damen von jedem Alter gihmücdt, und nicht am Anzug, fondern nur am Geficht fan man die Mutter von der Tochter, die Tante von der Nichte unter: jdeiden. Die Herren fpazieren, die Lorgnetie in der Hand, auf und nieder, und treten trotz dieſes Hülfsmitteld den Damen bicht anfer die Augen, muftern diefelben und verziehen das Geficht, wenn Re nicht nach ihrem Gefchmad find ; dieſe aber lächeln ihnen freund: lich zu, ſtatt fie für ihre Unverfhämtheit zu züchtigen. Bald ift die Menge jo zahlreich, daß man fich nicht mehr rühren kann. Das ıR der fchönfte Augenblid. Der junge Stutzer drängt fich dicht vor ein junges Mädchen, die befcheiden neben ihrer Mutter figt, und wirft ihr die unanftändigften Blicke zu, während fie nur beſchämt die Augen nieberfchlagen kann; aber der junge Laffe flieht wie an- gefeſſelt und hat die Frechheit, die Röthe auf ihrem Geficht zu feinen Gunſten zu benten und deßhalb noch dreifter zu werben. Einige Schritte davon entfernt, zeigt ein anderer Fant mit dem Finger auf eine hübſche Frau, deren Mann nicht weit davon fteht, und vertrant vier oder fünf feiner Freunde, daß er fie jehr genau gelaunt babe ; die jungen Herren wünfchen ihm Glüd und ver: langen nähere Detail über die Schöne; er antwortet ihnen mit lautem Gelaͤchter, brüftet fi und geftifulirt dabei wie ein Wahn- Kuniger, und erregt dadurch die Neugierde aller Umftehenven. Glück⸗ liperweife ift auch ber Chemann darunter; er nähert ſich und will

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mehrere beleuchtete Zimmer und kommt endlich zur Wiege der Kleinen, die ruhig und ungeftört in ihrem Bettchen ſchlaͤft. Nachdem fie eine Zeitlang mit Wonne ihren Fleinen Liebling betrachtet hat, will fie fich leiſe wieder zur Gejellfchaft begeben, bemerkt aber, indem fie in ein ziemlich dunkles Kabinet neben dem Schlafzimmer der Heinen Ermance treten will, eine Geftalt fi längs der Wand bin bewegen; plößliches Angftgefühl überfällt fie. „Fürchten Sie nichts, Madame Murville, ich bin untröftlich , Sie erfchreckt zu Haben.“

Adeline beruhigt fih, denn fie erfennt Dufreöne an der Stimme. „Aber was fuchten Sie denn Hier ?“ fragt fi. „Die Hitze, der Lärmen incommobdirten mich... Ich wollte mich, entfernt von ber Gefellfchaft, ein wenig erholen.“

Adeline holt eine Aftrallampe aus den Nebenzimmern und feht fie in dem Kabinet auf den Tifh. Dufredne verfolgt jede ihrer Bewegungen und fcheint fehr aufgeregt.

„Wenn Sie nicht wohl find, fo werde ich Ihnen eine Er⸗ frifhung holen. D! nein, Madame, bleiben Sie, ich bitte; Ihre Gegenwart ift Alles, was ich wünfche.“

Dufresne hat Avelinend Hand ergriffen, und diefe, über veffen fonderbaren Ton und dad Feuer in feinen Augen erflaunt, weiß nicht, was fie antworten foll und bleibt verlegen vor ihm ftehen. Dufresne drückt ihre Hand an fih, Adeline zieht fie aber erfchroden ſogleich zurüd und will ſich entfernen, er aber tritt ihr in ben Weg. „Was wollen Sie von mir ?” fragt fie mit zitternder Stimme "und voll Schreden. „Daß Sie mi anhören, Madame. Was haben Sie mir denn Heimliches zu fagen, wir können bad ebenfo wohl im Saale abmachen. Nein, Madame, bier, hier! Ah, feit lange fehne ich mich nach diefem Augenblid, aber ich fühle e8, länger Tann ich das Feuer nicht befchwichtigen, das mich verzehrt ; nein, ich bin nicht mehr Herr über mich, fo viele Reize zu bewundern, ohne Ihnen meine Leivenfchaft zu geftehen. Was fagen Sie? Herr Dufteöne ? Daß ih Sie liebe, daß ih Sie

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werden off nicht unbedentende Wetten gemacht; junge Leute, die fh nur mit dem Tanz befchäftigen follten, Karren ängftlicy darauf, daß ihr Begner den König umfchlägt; ihr Blut geräth im Ballung ; der Anblick des Goldes, die Hoffnung auf Gewinn reißt fe fert; mehr als einer, den Tiſch mit leeren Tafchen verlaffend, kam morgen den Schneider und Schufter nicht zahlen, und unfere ölonomifchen Herrchen, die ihre Schuhe in der Tafche mitbrachten, ſegen om andern Morgen: „Hätte ich doch lieber einen, Wagen genommen und flatt defien den verbammten Spieltifch gemieben !“

Andere, um fich zu tröften, laufen zu den Buffets und fallen über Backwerk und Erfriſchungen her; ber Gourmand nimmt die aögefuhteften Leckerbifigg unter dem Borwande, fie den Damen W Bringen ; welch eine Nberfehwenbung findet hier mit den koſt⸗ barflen Speifen ſtatt. Alles drängt fich durdjeinander ; Teller werben atzwei geworfen, man verwirft feines Geflügel, um nach Erömen m Truͤffelpaſteten zu greifen; Bonbons und feines Confect ver- inden von den Tellern, ohne daß man darauf achtet; rothe ur weiße Tifchweine werden nur wenig berührt, aber die Cham: guerbatterien erleiden furchtbare Angriffe; fo geht es bei den lolatienen der großen Geſellſchaften zu; die Buffets ſind einer gen Plünderung unterworfen, und die jungen Leute, die ſie ingeben, fcheinen feit acht Tagen gehungert zu haben. Welch ein Iltjames Benehmen für Leute von fogenanntem feinem Ton!

Üeline fucht in ver Menge einige bekannte Gefichter zu finden, über vergebens. Muͤde der Eomplimente, die ihr von allen Seiten macht werden, bemügt fie einen freien Augenblick, um fid zu überzeugen, ob ihr Töchterchen fchläft, und in feinem Anblid ſich "es höheren Genuſſes zu erfreuen, als ihr die glänzenden Säle M die prunfende Menge zu gewähren vermögen.

Um zu dem Schlafzimmer ihrer Heinen Ermance zu kommen, m fe fig ganz von ber Geſellſchaft entfernen; fie wollte ja uht, dep ihr Kind won dem Lärmen geflört wücbe ; fie geht dur

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zeihung, und ich Bin nur firafwürbig, wenn Sie mich haffen. Ihre Worte Tönnen Sie in meinen Augen nicht rechtfertigen. Ihre Liebe Tann ich entichuldigen, aber nicht Ihre Hoffnung, baß ich fie theilen köͤnnte. Man ift nicht Herr feines Herzens, ich will es glauben, aber man tft Herr feines Benehmens, und dad Ihrige eines feinen gebildeten Mannes unwürdig. Madame!... Sprechen Sie mir nie wieder von Ihrer Liebe, nur unter biefer Beringung kann ich fie vergefien und fie meinem Manne verſchweigen. Ihr Mann!... er würde Ihnen nicht glauben! Was fagen Sie? Nein, Madame, er würde Ihre Beſchuldigungen gegen mich nur belächeln, glauben Sie denn, daß ich nicht Alles vorher wohl überlegt habe? Ich babe mich des Kopfes von Ihrem Manne in dem Grade bemädhtigt, daß er nur durch meine Augen ficht, nach meinem Willen fich richtet; er ift, mit einem Worte, eine Mafchine, die ich nach meinem Willen handhabe. Mber, wenn Sie meine Wünfche verwerfen, fo zöttern*fie über die Gewalt, mit ber ich Ihren Eduard regieren werde. Dann follen Sie mid) kennen lernen; Sie werden Ihren Stolz bereuen, wenn es zu fpät if, mein Haß foll dann fo energifch werben, wie meine Liebe heftig war... BDerwerfliher Menſch!... Ich fühle meinen Abfchen gegen Sie ſich verboppeln, aber ich troße Ihren Drohungen, und verbiete ed Ihnen, mir wieder vor die Augen zu kommen.“

Das Geſicht Dufresue’s drückt Wuth und böllifche Ironie zu: gleich aus ; feine Nerven ziehen fich zufammen, ein bitteres Lächeln liegt auf feinen Lippen, während feine Augen euer |prühen. Ade⸗ line in hoͤchſter Angſt will entfliehen; er hält fie zurück, umfängt fie mit feinen Fräftigen Armen, preßt fie heftig an ſich, drückt einen Kuß auf ihre Wange und will in feiner zügellofen Leidenfchaft noch weiter geben, als die junge unglüdliche Frau einen gellenden Schzei ausſtoßt; man läuft herbei, nahende Schritte Iaffen ſich höxem, Dufreöne oͤffnet ein Fenſter dem Garten zu und fpringt hinaus.

Beriente und einige junge Leute umgeben Adeline; man fragt

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anbete, ſchöne Apeline... und daß Sie mein werben müffen! D Himmel! was muß ich hören! rfahren Sie endlich, daß Sie feit dem Augenblide, wo ich Sie zuerft fah, der Gegenftand aller meiner Gedanken und Wünfche, der Zweck aller meiner Hanb- Iungen waren! ich Habe die Befanntichaft ver Madame Dolban bloß benügt, um bei Ihnen eingeführt zu werben ; diefe Hoffnung und De, Ihnen zu gefallen, Haben mich allein feit dem Tage Ihrer Berheirathung vor Verzweiflung bewahrt. Aber wie habe ich bisher gelitten, um mich zu bezwingen, Aller Augen die Flamme zu ver: Bergen, die in mir lodert; und welchen Qualen unterlag ich nicht, ala ich fo viele Lieblofungen meinem glücklichen Nebenbuhler ver; ſchwenden fehen mußte, ver fie nur mit Gleichgültigkeit empfing, während eine einzige mich auf den Gipfel aller Glückſeligkeit ers beben Hätte! Das ift zu viel, mein Herr, bis jetzt habe ich meinen Unwillen zurückgehalten, aber länger vermöchte ich es nicht, börte ich noch mehr Anwillen! ... und wodurch Habe ih ſelchen verdient ? Meinen Mann Ihren Nebenbuhler zu nennen nt zum Preiſe feiner Freundſchaft feine Frau verführen wollen... ſolch ein Betragen ift abfcheulih!... Ein ſolches Betragen tft ganz gewöhnlich, und erfcheint Ihnen nur abfchenlih, weil Sie meine Gefühle nicht theilen, denn wenn Sie mid liebten, wäre ih in Ihren Angen flatt eined Ungehenerd ein armer Unglüdlicher, den eine unwiderſtehliche Leidenfchaft anfreibt, der Jedem, felbfl der Urheberin feines Schmerzes feine Klagen verbirgt ; ein ſolches Betragen würde Ihnen dann nicht verbrecherifch erfcheinen, fo viel kiebe und Beftänbigfeit würde dann wenigftens Ihr Mitleid rege machen; Sie würden mich ohne Zorn anhören, und vielleicht würbe ein fhöneres Gefühl meine Sache bei Ihnen verfechten, und mid son meinen Sorgen und Qualen befreien. Ja, Mabame, fo be: trachten Sie die Sache. Ich bete Sie an, das iſt mein einziges Berbrechen ; ed hört auf, eined zu fein, wenn Sie meine Gefühle theilen; der Erfolg gewährt den vertvegenften Unternehmungen Ver⸗

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ging man nach Haufe, indem man einen alten Hut fait eine? ergriff und das zierliche Stöckchen vermißte, das man doch abl in den dunkelſten Winkel geftellt Hatte; glücklich konnten! ſchätzen, bie wenigſtens ihren Mantel ober Weberrod nid wechfelt Hatten.

Ihr jungen Leute, die ihr ſolche Geſellſchaften beſuch es Euch zur Lehre dienen ; nehmt Feine werthvollen Stüde bedient Euch nur eines alten Hutes, wenn ihr ihn nicht der Hand tragen wollt, was jetzt freilich häufig gefchieht, u Unannehmlichkeiten vorzubeugen.

Eduard ging mit vollem Herzen und leerem Beutel Zimmer, ganz mit der jungen rau befchäftigt, die ihn fo zu wußte, und ohne an bie feinige zu denken, die ſchon laı gebend auf ihn gewartet hatte.

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Achtzehntes Kapitel. Berblenpung Thorheit. Schwäche.

Adeline war voll Beforgniß wegen ihres Mannes ind aufgeſtanden, wollte aber, als fle erfuhr, daß er fich fyä gelegt habe, feine Ruhe nicht flören und fein Erwachen a um ihn von dem Auftritt mit Dufreöne in Kenntniß zu 1] venfelben ibm in feinem wahren Lichte zeigen.

Eduard fteht endlich auf und erfeheint beim Frühſtück; . ihm leichte Vorwürfe über feine Gleichgültigfeit von gefte er hört fie kaum an, fo fehr ift er zerflreut und mit an danken beſchaͤftigt; er Elagt über heftiged Kopfweh und ı gehen, um fich an ber frifchen Luft zu flärfen. Adeline zurüd und fagt zu ihm, daß fie ihm etwas Wichtiges babe. Eduard, der über den Ton feiner Frau erflaunt, | ahläfig auf einen Stuhl und bittet fie, zu eilen, weil

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ikn drängen. Man ſchickt die Dienftboten hinaus, und Abeline er: aͤblt jept ihrem Manne die mit Dufresne ftattgehabte Unterrebung.

Anfangs Hört Eduard gleichgültig zu, aber in Bälde malen "6 Unzufriedenheit und Ungebuld auf feinem Geflchte.

„Run, mein Lieber!” ſchließt Adeline ihre Erzählung, „was tenfü Du jebt von Deinem aufrichtigen Freunde? ... Ich Denke... 6 denke, daß Du aus einer Kleinigkeit ein Berbrechen, aus einer liege einen Elephanten machſt! Was, lieber Freund! Sa, 2, wie ih fage... einer Frau eine Liebeserflärung!... mein Bett, ift denn das fo etwas Seltenes, braucht man davon fo viel Aufbebens zu machen? Alle Tage geſchieht fo etwas, und die Frauen an nicht mehr Gewicht darauf, ald die Sache verdient! Aber ‚Tu biſt wegen eines Wortes gleich außer Dir!... eine einfache Yalanterie fcheint Dir fchon ein Verſuch zur Verführung... So Ruf man die Sache gar nicht betrachten!... Ja, aber ich kenne Tb, Da magſt Dufresne nicht leiden, ja, Du haffeft ihn. Seit “ger Zeit ſchon wünfcheft Du ihm in meinen Augen zu ſchaden, a eigreifft nun dieſe Gelegenheit zur Erreichung Deines Zweckes; Ka ich ſage Dir, das Spiel ſoll Dir nicht gelingen. Iſt's noglich, Cduard, mich klagſt Du an, mich haͤltſt Du für fähig, did zu bintergehen ? Ober hintergangen zu werben ; wer fteht In afür, daß Dufresne ſich nicht ven Fleinen Spaß in der Abſicht macht hat, um fich über Dich aufzuhalten und fih an Dir zu üben, da er Deinen Haß fehr wohl bemerkt. Und darum alfo um die Verwegenbeit fo weit getrieben, mich zu Füffen? kift... ich will geflehen,, daß er Unrecht hat, Dich wider Willen haft zu haben, und ich werde ihm darüber Vorwürfe machen ; der ein Kuß darf Dich doch nicht fo fehr aufbringen! Da SUR alfo Herrn Dufresne nach wie vor bei Dir fehen? Ganz wiß, dem ich werde mich nicht Lächerlich machen und mit Fingern af mid zeigen Taffen, bloß deßhalb, weil man fi} einen Scherz, "m Lijchen erlaubte !... das wäre ja ohne Sinn und Berfland!...

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Aber beruhige Dich, ich werde Dufreöne verbieten, künftig von Liebe Dir vorzuſchwatzen! ... Wie, Eduard, iſt's möglih, aus Allem, was ich Dir fage, machſt Du Dir gar nichts! Ich weiß, was ich davon zu halten habe und muß mich zu benehmen wiflen. Ab!... fo Liebft Du mich nicht mehr, ich fehe ed wohl... Sonft wart Du eiferfüchtiger!... Man kann ohne Eiferfucht Lieben, und übrigens... aber die Zeit vergeht, meine Gefchäfte rufen mich. Und der reiche Seefahrer, wegen deſſen Du die Eoftfpielige Ge: feltichaft gegeben haft? Er konnte nicht kommen. Alfo waren alle Koften unnüg ? Unnüg ? nein, gewiß nicht. Man bat mir große Lubederhebungen deßhalb gemacht. Sie wird mir viel Kredit verfchaffen, die beiten Folgen haben... Doch ich gehe jetzt, ich habe keinen Augenblid länger Zeit.“

Eduard entfernt fich raſch, um zu Dufresne zu gehen; biefer

erfeheint bei feinem Anblid etwas verlegen, fammelt fich aber fehr bald wieder. Nicht um mit ihm von feiner Frau zu ſprechen, ift Murville zu ihm gegangen, nein, bloß um mit ihm ſich über vie hübfche Dame, mit der er geftern Abend gejpielt hat, zu unter: halten und zu erfahren, wer fie ift, wo fie wohnt, kurz, um fich ganz feinen Wünfchen und Hoffnungen hinzugeben, die er vor feinem Freunde nicht verbirgt.

Dufresne befriedigt Eduards Neugierde und theilt ihm mit, daß Frau von Géran die Wittwe eines Generals und unumjchränfte Herrin ihrer Handlungen fei, daß fie Vermögen habe, aber aus Hang zum Vergnügen keine Ausgaben fcheue ; er ſetzt noch abficht- lich hinzu, daß fle viele Anbeter habe, aber alle gleichgültig bes handle, mit ven Empfindungen, die fle anregt, nur ihr Spiel treibe und überhaupt wohl nur ſehr fchwer zu erobern fein bürfte.

Diefe Mittheilungen koͤnnen Eduards auflfeimende Leidenfchaft bloß verftärfen. Welch ein Glück, über fo viele Anbeter den Sieg davon zu tragen, und Frau von Geran hat ihn auf eine Art und Weiſe behamdelt, die ihn allerdings mit Hoffnungen erfüllen muß.

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Eo viel if anögemadht, daß fle ihm den Kopf verbreht hat, und Dufteßne, der mur zu gut im Herzen des ſchwachen und unbeſtaͤndi⸗ gen Rarsille liest, benuͤtzt den Augenblick, um zuerſt von dem mjufangen, was zwifchen ihm und Anelinen vurgefallen, indem ihm bie Sache als einen einfachen Scherz vorftellt, der keines⸗ wegs itgendwie andere Folgen haben könne. „Sa, ja, ich weiß,“ atwortet Eduard, „meine Frau hat mir fchon davon erzählt. A! fe hat davon gefprochen? Ja! daß Ihr ein Ungehener, en Verwegener, ein falfcher Freund wäret! Wirklich! Und mr weiß, was noch Alles!... denn ich muß Ench fagen, fie if rüthend auf Euch! .... Aber ſeid nur ruhig, ich werde fie ſchon berehigen;... fie wird bald einſehen, daß fie die Sache von einer an falfchen Seite genommen hat, wenn fie erfährt, daß Ihr mit nit zuerft davon gefprochen habt. Es thut mir wahrhaftig fehr Int, mie den Spaß erfaubt zu haben, aber Eure Frau ift auch fo 'onerdar. Ihre Mutter, Madame Germenil, ift daran fchuld, ‘te bat ihr den Kopf mit romanhaften Ideen angefüllt. Man ielle wirflich nicht glauben, daß fie in Paris erzogen ift. O! fe ſoll in der großen Welt ſchon noch anders werden... Könnt In wohl glauben, daß fie darauf beſtand, Euch nicht mehr bei ib zu ſehen? Wenn meine Gegenwart Ihr zumiber ft, fo Bere ih dafür forgen, fie nicht wieder zu beläftigen. Warum sat gar? das will ich ja gerabe nicht, oder ich werde auf End us böfe. Ich verlange vielmehr, daß Ihr und noch öfter als fonft "huht ; ih wünfche ed, und dad muß genügen. Liebt Ihr mi uht genug, um Euch über die Lächerlichen Anfichten meiner Frau binwegzuſehen? O gewiß! meine Freundſchaft für Eu kennt ne Grenzen! Der gute Dufresne! Seht, um Euch einen Leveis meined Bertrauens zu geben und zu zeigen, wie wenig ich a Etzaͤhlungen meiner Fran Werth beilege, will ich Euch etwas aittbeilen und zähle anf Euern freundſchaftlichen Beiftand in diefer Ehe. Ich bin ganz ber Eurige, redet! Lieber Fround⸗

158 ich Tiebe Frau von Geran zum Wahnfinuigwerden. Wäre es möglih, und Ihr Tennt fie erft feit geflern! Die Zeit genügte, um fie anzubeten; was wollt Ihr, man ift ja nicht Herr über ſich jelbft.... es ift eine Baprice, eine Schwäde!... aber ich verliere den Kopf darüber. Ihr, Murville, fonft jo vernünftig!... und verbeirathet!... Ach, lieber Freund ! find die Ehemänner beffer als die Junggefellen! Ihr wißt das beffer als ich, man kann nicht immer für feine Frau leben. Wenn nun die Gurige wie Ihr daͤchte? O! von der Seite habe ich nichts zu fürchten, meine Frau ift die Tugend felbft ; fie kennt ihre Pflichten ; mit einer Frau ift e8 auch etwas Anderes. Sa, was die Folgen betrifft, denn in moraliſcher Hinficht und felbft nach dem Gefek der Natur, glaube ih, ift der Fehler durchaus gleich. Ihr fpaßt, übrigens find die Folgen nicht allein. Mit dem öffentlichen Schein iſt es zweierlei. Wird man eine Frau verfpotten, deren Mann einer Andern ben Hof macht? Nein, man wird nichts darüber fagen, weil man das gewöhnlich findet ; aber wenn eine Frau ihren Mann beträgt ? Das ift auch fehr gewöhnlich. Und dem ungeachtet fpottet man über den armen Ehemann und deutet mit Fingern auf ihn ... Ueberdies, was Tann für ein Unglück aus der Untreue eines Ehe: mannes entfliehen ? Keined? Die Schönen, die ihn erhört haben, werben fich deffen nicht überall rühmen. Mit einer Frau iſt es was anders. Ihre Anbeter Schaden immer ihrem Ruf, fei es durch Worte oder durch Handlungen, die den Augen der Nachrene oder Neugierde nie entgehen. Kurz, eine Frau, die ihren Mann untreu findet, kann nur weinen und fich beflagen; ein Mann aber, ber feine Frau über der Untreue ertappt, Hat das Recht, fie zu beftrafen ; Ihr feht alſo, lieber Freund, daß der Fehler nicht derſelbe ift, da die Strafe verfchieven ausfällt. Ich fehe nur, daß wir die Geſetze gemacht haben, und dabei fehr gut angelommen find. Werbei Ihr mir nit auch noch Moral predigen! Wahrlih, Dufreösne, Ihr feib beinahe ebenfo ſtreng tugenphaft, als meine Frau! Nein, lieber

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drennd, ah! Ihr kennt mich noch nicht. Sch Habe nur, bevor ich Cuch diene, wiſſen wollen, ob Ihr die Folgen Eurex Liebes: inteigue auch gehörig ertvogen habt... Alles ift berechnet und erwogen! Ich liebe Frau von Göran’und will wieder geliebt fein. 3% fühle, daß Fein Opfer zu groß fein Tann, um meinen Zwed zu erreihen.... Ihr verficht mich doch? O, fehr gut... weil Ihr entſchloſſen fein, fo will ich Euch behülflich fein; aber Ihr werdet fobann mir es wenigftend nicht vorwerfen, Euch verführt zu baden. D nein, nein! Ich bin es, der Euch bittet, mir zu mm, und die Heine Intrigue vor meiner Frau verheimlichen zu klfen. Seid beruhigt und überlaßt mir dieſe Sorge. Ich über: uhme Alles. Wann denkt Ihr denn zur Frau von G6ran zu gehen? Heute Abend... Aber da wird wohl gefpielt? Sa, m daB hoch... Teufel! und ich habe fein Geld mehr... Die dete bat mich ganz ausgebeutelt. Es wäre leicht Geld zu be Inmen. Die Papiere ſtehen jetzt hoch... Verkauft! In einiger Fit müffen fie wieder fallen, und dann, wenn wir inzwifchen wieber Geſchafte gemacht Haben, Kauft Ihr wieder... Ihr feht, dabei iſt gleich ein Eoup zu machen. Sa, das if wahr, Ihr habt Recht..

Über die Papiere lauten auf den Namen meiner Frau. Könnt In fie Euch nicht endoffiren laſſen, wenn Ihr eine brillante Spe⸗ kalation vorgebet ? Sa, ja, oh! file wird unterzeichnen, ich bin rchen gewiß, fie unterzeichnet, was ich verlange. So benügt ihre gute Lanne, um Eure Kapitalien zu verkaufen; ich wiederhole “oh, fie fliehen auf dem Punkte zu fallen, und in einigen Tagen Kant Ihr mit wenigerem Gelde diefelben Papiere wieder Taufen. Denn Ihr es wünfcht, will ich gerne das Geſchaͤft beforgen. Ih würdet mir einen großen Gefallen erweiſen ... beun ich bin wderlei Sachen noch unerfahren, und ohne Euch kaͤme ich oft in delegenheit! Fürchtet nichts und betreibt Eure Gefchäfte mit Treifigfeit ; ich verfichere Euch, daß Eure geftrige Gefelffchaft Euch ma ingeheuren Krebit verfchafft hat... Wenn Ihr dreißigtauſend

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Franken brauchte, Ihr würbet fie leicht finden. Ihr entzückt mich, ich gehe zu meiner Fran, erwartet mich nur in unferem Kaffee: banfe, bald bin ich mit den Papieren wieder bei Euch. I werde ba fein... aber Verfchwiegenheit gegen Eure Frau! Haltet Ihr mich für en Kind... Ohne Arien, mein lieber Dirfresne !“

Eduard eilt nach Haufe, geht ins Zimmer feiner Frau und findet fie mit ihrem Kinde auf dem Arme. Beim Anblick ihres Mannes, der nicht mehr am Tage fie zu befuchen pflegt, erfüllt Hoffnung ihr Herz ; fle denft, feine Liebe führe ihn zu ihr zurück, und ein Lächeln ber Freude verfchönert ihre anmuthövolien Züge.

Eduard fleht ſtumm und verlegen vor feiner Frau ; er empfindet ein brüdended Gefühl, will aber fein Unrecht fich nicht eingeftehen. „Du bift es, Tieber Eduard?“ ſagte Adeline im fanfteften Tone, „wie freue ich mich, Dich zu fehen... es ift ja fo felten... aber da, gib doch Deinem Tächterchen einen Kuß.“ |

Er nähert ſich der Kleinen alt, Tüßt fie zerfireut und bleibt, ohne auf ihre nieblichen Bewegungen zu achten, in feine Tränmerei verfunfen und weiß nicht, wie er von feinem Projekte anfangen fol. „Du fcheinft betrübt,“ fagt Adeline, „follteft Du Berbrug gehabt haben, o, ich bitte Dich, Theile ihn mir mit, Du baft Feine zärtlichere und aufrichtigere Freundin ald Deine Frau. Ich weiß es, liebe Apeline, ich habe aber keinen Verdruß gehabt! Mein, mir geht nur fo Manches durch den Kopf, ich bin mit einer großen Spekulation befhäftigt, durch die ich fehr viel Geld gewinnen kann. Immer Spekulation und niemals Liebe, Ruhe, wahres Glück. D wenn wir erft reich fein werden... dann... Aber... ich babe eine Bitte, ich wollte Dich erfuchen,, etwas zu unterzeichnen ... Es betrifft einen fehr vortheilhaften Handel. Biſt Du deſſen auch gewiß, Tieber Cduard? O ganz gewiß... denn...“

Murville wollte Hinzufeßen, „denn Dufresne hat es verſichert,“ aber er fühlte wohl, daß dies nicht das Mittel ſei, ſeine Frau zu Überzeugen. Nachdem er aus einem. Sekretär alle nothwendigen

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Papiere genommen halte, fetzte ex eine Berhandlung auf, wodurch ſewe Gran in den Verkauf ihrer Kapitalien mwilligte, bot ihr mit Zittern bie Feder dar, und Adeline, voll Vertrauen und Ergebenheit, anterſchtieb, ohne nur die Verfchreibung gelefen zu haben.

„So, nun iſt's gut,“ ſagt Murville, indem er die Papiere unfedt, „jept eile ich nach der Börfe, um dies wichtige Gefchäft ud Reine zu bringen.“

Er umarınt feine Frau und laͤuft Haftig davon. Diefe bemerkt sch, daß er nicht ihrethalben gefommen iſt, aber ihr Herz ent- ichuldigt ihn; fle glaubt ihn ganz in feinen Gefchäften vertieft. „&liebt ja nur mich, und das ift die Hauptfache. Dan muß tm diefe Luſt zur Thaͤtigkeit zu Gute halten; es ift ja ein fo ver- wilder Wunfch, feine Frau und Kinder bereichern zu wollen.“

Arme Adeline, Du weißt nicht, welchen Gebrauch Dein Dann u Deinem Gelde machen will!

Heunzehntes Kapitel.

iR nicht ihre Schuld, oder: die Unſchuld fiegt.

Ehuard kommt im Triumphe zu Dufreöne ; er ift jeßt Befiger “nes beträchtlichen Kapitals und kann nach Gefallen darüber ver- en, denn feine Frau wird von ihm Feine Rechenschaft dafür ver: gen, und feine Schwiegermutter kümmert fich nicht mehr um feine Angelegenheiten. Dufresne erwartet Murville mit Ungeduld; er het einige Schwierigkeiten von Seiten Adelinens, aber beim chlid der werthvollen Papiere umfpielt ein teuflifches Lächeln feine 'zhen, das ex fogleich wieder zu unterprüden fucht, feinen Zügen Um ganz eigenen Ausdruck verleiht und jedem Andern außer Eduard mffellen würbe ; biefer aber läßt Dufresne gar nicht Zeit zum Ertchen; er brängt ihn, bie Fonds zu verfaufen, und Legterer ber ch äh and Beſorgniß, jener möchte feinen Entſchluß ändern, deſſen Luiſch zu erfüllen,

Pal de Rod. 1. 11

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Abdeline wartet vergebens auf die Rückkehr ihres Mannes, der Tag vergeht und er kommt nicht nach Haufe. Sie denkt, er werbe bei irgend einem feiner neuen Gefchäftsfreunde zu Tifche geladen fein und tröftet fich hiemit; was ihr aber den größten Kummer ver: urfacht, ift feine Verblendung über Dufreöne, feine Gleichgältig: feit, womit er ihre Erzählung von deſſen unwürbigem Benehmen aufgenommen hat. Die Drohungen Dufresne's fallen ihr ein, fie denkt an die Schwäche ihres Mannes, unb der Gedanke macht fie ſchaudern, daß ihr Glück, ihre Ruhe, vielleicht bie ihres Kindes, in den Händen eines Tafterhaften Menfchen find, der jeder Haub⸗ lung fähig zu fein ſcheint, um feine Leidenfchaften zn Befriebigen.

Sie war in ihren Betrachtungen vertieft ; es wer Xbendö neun Uhr, und vergebens wartete fle auf ihren Daun, als plößlich heftig an die Thüre des Hötels gepocht wirb ; Bald barauf hört fle Je⸗ mand die Treppe herauf kommen... man nähert fi... unzweifel: haft ift es Eduard... fie fleht auf, die Thüre zu öffnen; aber er ift e8 nicht, ein Bedienter bringt einen Brief, ben ein Fremder mit dem ausdrücklichen Beifügen übergeben hat, ihn der Madame Murville ſelbſt einzuhändigen ; der Unbekannte hat fich fogleich wieder entfernt.

Adeline erbricht das Siegel ; die Schriftzüüge find ihr unbekannt, fie fcheinen von einer ſchwachen und zitternden Sand zu fein und find von Madame Dolban unterzeichnet. „Was Tann fie mir zu fchreiben haben ?“ fagt Adeline, „ich will doch einmal fehen.“

„Madame, feit langer Zeit bin ich fehr leidend; ich kann mein Zimmer nicht mehr verlaffen ; aber ich will es boch nicht Tänger anftehen Taffen, ihnen eine wichtige Mittheilung zu machen. Ich habe ein Unrecht begangen, ich muß daher audh verfuchen,, es wieber gut zu machen. Ich habe bei Ihnen einen Mann Namens Dufreöne eingeführt... Gott! wie bereue ich bad, aber damals Hielt ich ihn noch für unfähig, das Zartgefühl zu verlegen. Cine unfelige Leiden: ſchaft hatte mich Iange Zeit verblendet; jept aber kann ih an ber abſcheulichen Wahrheit nicht mehr zweifeln. Diefer Dufreöne ift

163 ein Schurke und jeder Ehrlofigfeit fähig... Ich Habe nur zu wiele Beweiſe von ber Niederträchtigkeit feined Charaktere. Er hat mich von Allem entblößt, was ich befaß ; aber ich beflage weniger ben Lerluf meines Bermögens, ald von ihm fo fehändlich betrogen worden zu fein. Spiel, Ausfchweifung, kurz, alle Lafter liebt er und verſteht fich auf die Kunft, feine niedrigen Leidenfchaften zu rerbergen. Ich wage nicht, Alles zu fagen, was ich weiß, aber id beſchwoͤre Sie, ohne Aufſchub die Verbindung, in der er mit rem Manne flieht, abzubrechen, uber fürchten Sie Alles von den Rutkichlägen eines Ungeheuers, dem nichts Heilig iſt. Mittwe Dolban.”

Adeline fchaudert, ihre Seele ift von Schreden ergriffen, fie het die unglüdlichen Zeilen noch einmal, erhebt ihre mit Thränen üillten ſchoͤnen Augen zum Himmel und Hagt: „Das ift alfo der Rom, wegen deſſen Eduard ſich mit meiner Mutter entzweit hat, ter fein Rathgeber, fein Vertrauter, fein Freund tft! O Gott! relche Zufunft fteht mir bevor! wie kann ich dem Nebel vorbeugen? Ran Mann hört nicht auf mich, verwirft meinen Rath, ift taub fir meine Bitten... Aber meine Thränen werben ihn erweichen.. Sen, Eduard hat fein ſchlechtes Herz, er liebt mich noch, er wich ieme Adeline nicht von ſich ſtoßen; ich werde ihn im Namen unferes Aindes beſchwoͤren, mit einem Manne zu brechen, ber ihn ind Un⸗ lid für... Diefer Brief, Hoffe ich, wird ein genügender Be: ve fein; er wird die Augen Sffnen und einen Umgang aufgeben, mit ſchon fo viele Qualen bereitet hat.“

Tiefe Gedanken beruhigen Adelinens Schmerz etwas; feft ent: sHofen, ihrem Manne den Brief fogleich bei feiner Rückkehr zu #igen, nimmt fie ſich vor, ihn zu erwarten. Er kann ja nicht mehr ne audbleiben, es tft ja ſchon fpät; es bebarf ja nur nuch einer mm Zeit des Muthes. Arme Frau! wenn fie wüßte, was ihren Amn jept befäftigt, während fie traurig und verlaffen, allen daclen der Angſt, der uninhe und der Eiferſucht preisgegeben iſt!

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Du, die im Buche des Schidfals zu leſen dich bemühft, wi beflagenswerth wäreft bu, wenn du den Schleier Iüften koͤnnt bir die Wahrheit verhüllt!... Die Täufchung wurde zum GI Sterblichen erfunden ; fie ift beinahe ebenfo wohlthätig ale die Ho

Die junge Frau ſucht ſich mit Blänen für die Zukunft i zu vertreiben. Sie fieht mit Entzücken der fchönen Jahres; gegen ; bald wird man wieder aufs Land ziehen können; fie anfangs ihrer Ehe daſelbſt fo überaus glüdlich, daß fie fich delt, dort das Glück wieber zu finden, das ihr in Paris frı blieben iſt. Eduard wird fie begleiten, feine Pläne, feine nach glänzenden Sefchäften aufgeben und völlig mit dem tr Dufresne brechen. Nichts wird dann ihre Zufriedenheit ftör ihre Mutter wirb wieder bei ihnen wohnen. Die Eleine wird unter den Augen ihrer Eltern aufwachſen und fie lieb fchägen lernen. Welch eine glüdliche Zukunft!... Wie kur da die Zeit erfcheinen! wie herrlich foll fie angewendet wert

Adelinens Herz fühlt fi bei dem reizenden Gemäld Bhantafle erleichtert... aber die Uhr fchlägt... fie fieht a Zeiger und fenfzt... die Träume des Glücks verfchwinden ı Kalte Wirklichkeit umfängt fie wieder.

So bemühen ſich die Unglüdlichen, fich felbft zu betrüg fi) ihre eigenen Schmerzen zu verbergen. Der, welcher die feined Herzens verloren bat, kann ihr Bild nicht aus feine daͤchtniß entfernen ; er fieht fie unaufhörlich vor ſich, ſpricht verfeßt ſich mit ihr indie glüdliche Vergangenheit, an bie welche die Zeugen feiner entflohenen Freuden waren; er zarte Stimme, bie Bekenntniſſe ihrer Liebe, er erinnert fc traulichen Uuterredung, er glaubt ihre Hände noch in den f zu halten, er ſucht ihre brennenden Lippen, von benen er bie MWonne fog ; aber die Täufchung hört auf, fie ifk nicht mu und welche fchredliche Leere, welche um fo graufamere Grife bann fein Loos!,., _

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Adeline hat der Wechfel von Furcht und Hoffnung lebhaft in dewegung gebracht ; zwanzigmal ſetzt fie fih an bie Wiege ihres Kindes und eben fo oft läuft fie and Fenſter und horcht ängftlich auf des leifefte Geräufch, aber nur dann und wann flört das Rollen tiger Magen die Ruhe der Nacht; jedes Mal, wenn fie etwas Kt, klopft ihr Herz gewaltig ... bas ift mein Mann... ja... miſts. . der Wagen kommt näher, aber er fährt vorüber, ohne imubalten. "

Biele Stunden find fo vergangen. Die Kälte der Nacht, die Immattung vom Machen umfchleiern Adelinens Sinne. Trog ihres Lunſches, Cduard zu erwarten, fühlt fie, daß fie dem überwäl- tigenden Schlaf nicht Tänger widerſtehen kann, und entfchließt fich udlich, ſich niederzulegen, aber auf den Tifch vor ihrem Bette legt fe den Brief der Madame Dolban ; fie will ihn nahe bei ſich haben, um ifn fogleich ihrem Gemahl zeigen zu Tünnen. Bon diefen koſt⸗ taten Zeilen erwartet fie ja ihre Ruhe, ihr Süd.

Sie zündet die Nachtlampe an, die jede Naht ihr Schlaf mer erhellt und Iegt ſich endlich, obgleich ungern, nieder ; aber @ iR ihr ganz unmöglich, länger wach zu bleiben, die Mübigfeit kegt über die Unruhe, die Augenliver fchließen ſich und fie fchläft kit ein.

Eine Stunde etwa mag Adeline gefchlafen haben, als ein semli lautes, durch den Fall eines Stuhles veranlaßtes Geraͤuſch he plögfich erweckt ; fie öffnet die Augen, kann aber nichts erkennen, tie Rampe if ausgelöfcht ; fie macht eine Bewegung, um aufzuftehen, aber ein Arm umfängt ihren Leib, hält fie zurück und verjchließt ten Nund mit Küffen. Adeline weiß, daß Niemand als ihr Mann ta Schlüffel zu ihrem Schlafzimmer hat, fein Anberer Tann bis ihr dringen, es iſt alfo Ednard, der vor ihr flieht.

„AG, mein Freund, wie Iange habe ich Dich erwartet; ic winfhte fo fehr Deine Gegenwart, Dich zu fprechen... wenn Du wäßteh!,.. Ych habe einen Brief von Madame Dolban erhalten...

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die arme Frau!... fie ift fehr unglädlih!... Da wi zeugen, daß ich mich hinſichtlich Dufresne's nicht gei 9, der Böfewiht!... Er ift ein fehr gefährlicher M— fagt fie, zu Allem fähig! er hat fie ruinirt ... . ex Laflern . . . Lieber Eduard, ich Bitte Dich, gehe nic dem Menfchen um... er würde Dich unglüdlich mache: nicht mehr fagen, daß das Hirngefpinnfte find... Da. dem Nachttifch Tiegt der Brief, wenn die Lampe nicht wäre, follteft Du ihn auf der Stelle leſen.“

Sie will auffichen, um die Nachtlampe wieder ı aber die Liebe Hält fie zurück; gern gibt fie nach, denn ihren Eduard wieder; der gehabte Kummer ift nur noch ı das innigfte Freudengefühl hat ihn verbannt... So ver Liebestänbeleien und ihren Herzendergießungen die Zeit, eiı Tagesſchimmer dringt bereits durch die Fenftervorhänge, ift noch voll Entzüden. Sie wendet den Kopf, um ihren auf dem Stuhl vor ſich zu betrachten, aber ein Schrei ſetzens entfährt ihr... fie zittert, will erfliden ; ihre Au; flarr.... ihr Herz Hört auf zu Schlagen. Es ift Dufresn erblidt... ihm, und nicht ihrem Eduard hat fle ihr Herz aus:

Der Schrei der jungen Frau rührt Dufresne nicht ; fie mit einem teuflifchen Lächeln, einer barbarifchen Frı Adelinen fcheint das Leben entflohen, fie ift wie vernichtet fie umarmen , aber ihre Seele kehrt wieder zurüd, fie nüı ihre. Kräfte zufammen, ftößt das Ungeheuer von fi, fpri wirft einen Mantel um, und bie Feftigkeit ihrer Haltung, d in ihrem Blicke fcheinen jedem neuen verrätherifchen Berfud fiehen zu koͤnnen.

Dufresne beobachtet ein augenblidliches Stilſchweigen jagt er mit ſpoͤttiſchem Lächeln: „Wie, Madame, wozu bei Rand... Feine Affektation! . . . In der That, jept wäre, kindiſch! ... Ihr Stolz ift gegenwärtig gar nicht am PA

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Ohne weitere Umſtaͤube glauben Sie inir und laſſen und Frieden ſchließen..Ich verfpreche Ihnen, Ihr Mann foll von meinem Veſuche nichts erfahren. ., Uebrigens kann ich Sie verfichern, daß er eine Andere liebt; Sie haben fich alfo gegenfeitig keine Bor- wärfe zu machen.“

Dufresne macht einige Schritte, fich ihr zu nähern, fie weicht aber mit Abſchen zurüd, wehrt ihn ab und fcheint mit übernatür- lichen Kräften begabt ; von ihrem Rufen nad Cduard hallt das Zimmer wieder. Dufseöne läßt nach, denn er überlegt, daß auf dad laute Geſchrei der jungen Frau die Dienerfchaft, fowie fie es gehört, berbeieilen koͤnnte, und daß alle feine Pläne zerftört würden. Bider Willen muß er fich daher von Aoelinen trennen, aber Zorn u Wuth leuchten aus feinen Bliden. Er.ergreift den Brief der Nedame Dolban uud zeigt ihn der Geängfteten, bie jegt nur damit: beſchaftigt if, feinen Aufaͤllen Trotz zu bieten.

„Das iR ja,“ fagt er mit Höllifcher Ironie, „das Schreiben, wovon Sie fo viele Bortheile zu ziehen hofften... Sie verwerfen, verabfchenen meine Liebe... fo zittern Sie denn vor meinem Haß uns meiner Mache. Den Brief nehme ich mit mir; Madame Dolban ol feruerhin nicht mehr an Sie: ſchreiben.“

Bei diefen Worten eilt Dufreöne aud Adelinend Zimmer,

Bwanzigſtes Kapitel. Die Leidenſchaft macht ſchnelle Fortſchritte, wenn man ſie nicht bekämpft.

Quard Hatte von Dufresne 100,000 Franken erhalten, was aut der Betrag der Hälfte aus den erlösten Papieren war; aber Tufreöne, ver einen Theil des Geldes für ſich behalten wollte, jegte, er habe nicht die ſaͤmmtlichen Kapitalien verwerthet, weil a in einigen Tagen einen noch befiern Cours zu benügen hoffe. Der leichtſinnige Nurville verließ ſich ganz auf feinen Sreund, und

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bat ibn, das ganze Geſchäft Bann zu beeuigen, wenn er es am ‚zwedmäßigften finden würde. Manz von feiner neuen Liebe einge: nommen, hatte ſich Eduard, der fein Haus, feine Frau und fein Kind vernachläffigte, zur Frau von Géran begeben, wo er bie fogenannte Wittwe, deren Reize feine Cinbildungskraft fo fehr erhitzt hatten, allein in ihrem Ankleivezgimmer antraf. So ein Tte-A-töle ift ſchon eine beſondere Gunft. Die Kolette weiß all ihre Gragie zu entfalten, all ihre koͤrperlichen und geifligen Vorzüge moͤgkichſt herauszuheben, um der Eroberung bes jungen Gejchäftsınnumes füch zu verfüchern. Sie erreicht ihren Zweck leicht, denn ſchwache Menfchen laſſen fich Teicht verführen. Ein Läden, ein Bti mat fie ver: liebt, und darin gleichen ihnen oft die getftreichften Männer! Eine Huge Frau geht, wenn fie nicht liebt, umfichtig zu Werke; umb orſt dann, wenn fie gewiß weiß, befehlen zu können, begunftigt fie ihre Anbeter. Bei einem Wuſtling, einem Libertin, wärde Yrau von Goran wenig vermocht haben, aber bei einem Ehemann, der feither feine Yrau ganz allein geliebt hat, muß eine Kokette one Mühe ihren Zwei erreihen!. . . Deßhalb follte eine verſtändige Stau immer lieber einen in ber Liebe erfahrenen Mann heiraten, denn dieſer ift doch vor Derführungen ficher.

Es ift ausgemacht, um verliebt zu werden, braucht man es gerade nicht felbft zu fein, ſondern ed nur zu fiheinen ; die wahre Liebe macht furdtfam, linkiſch, blöde und ungeſchickt; wie Tann

. man babei gefallen. Das unfchuldige junge Mäpchen, die in Ge: ſellſchaft von Andern das Ideal ihres Herzens ind Zimmer treten ſieht, wird plöglich verlegen, nachdenkend, zerftreut, Roͤthe übers fliegt ihr Geſicht; man redet fie an, aber ſie antwortet verfehrt ; fie wagt nit, die Augen aufzufchlagen, fie if voll Bangigkeit, dag man ihr Innereö errathe und glaubt, ein Jeder durchſchane fie und wiſſe um ihr Geheimniß. Sprechen zwei Perfonen miteinander, fo bildet fie ich ein, es fei von ihr die Mebe. Die Eleinfte Beranı lafjung vermehrt ihre Verlegenheit ; ift fie muſikaliſch und man

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führt fe zum dortepiano, fo wird fie gewiß nicht mit ber gewohnten Berigleit fielen; fie befürchtet zu viel Gewicht auf diefes ober jenes Wort zu legen, das in irgend einer Beziehung zu ihrem Geliebten Ächt ; tanzt man, fo hat fie Furcht, mit dem zu tanzen, den ſie aubetet, und iſt untröftlich, mern er eine Andere zum Zange auffordert, Arne Kleine! .... wenn bw nicht liebteſt . . er nicht morgen Wäre, würbeft du graytös, ungezwungen und heiter fein, an waͤreſt du ohne Zweifel dann bei weitem reizender und ver- führeriſcher, und beine mitlsivigen Freundinnen würden ſich wicht über bein linliſches Benehmen, beine Unbeholfenkeit Iuftig machen.

An einem jungen Manne ift es noch fchlimmer, denn bie Shühternheit und Beriegenheit geben einem jungen Mädchen immer ung einen gewiſſen Auſtrich der Unfchuld und Sanftmuth, wodurch & bene gefällt ; wenn aber ein junger Mann ſich ſchmollend in ana Vinlel feht, ſobald die Beliebte feines Herzens ihn wit Kid genug angefehen hat, wenn er neben ihr fißt und feufzt, ohne zu reden, wenn er kein Wort herworbringen Tann, fobald ein Gürfiger Augenblick da ift, ihr feine Erklärung zu machen, fo tft des nichts weniger als Kiebenswärbig ; in ver Gefellfchaft lacht man torüber, und diejenige, welche bie Urfache feiner Mißgriffe ift, ſpottet wiegt zer darüber. Statt defien triumphirt der Leichtfinnige, ter nichts liebt und nichts fühlt, dem es ein Bergrrügen tft, mit Franen fein Spiel zu treiben, ber das zartere Gefühl, aus: tauerabe Liche Lächerlich macht, mit einem Wort, ein Windbeutel a einem Tage über bie, für bie ber blöbe und gefühlvolle Lieb⸗ baber vielleicht Jahre lang vergebene geſchmachtet hat! Freilich if “der Vildfang lebendig, gewandt, unternehmend, während ber ſize Schlafer überall anflößt. Das. Lien fagt ſehr treffend: Ach die duum iſt ber Verliebte! Aber hier höre ich viele Damen der mi herfallen: „Wie, Herr Autor, Sie wünfchen nicht, daß wahrhaft geliebt werden? Das tft ja abfhenlih!.... Was ed für gehäffige Geuudſaͤte!“

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vielleicht falſch auegedruͤckt; ich will nur nicht, daß man Sie auf eine lächerliche und linkiſche Weife liche, und ich glaube, darin werben Sie mir Recht geben; ein Liebhaber, der nur feufzen Tamm, iR ein fehr laͤppiſches Weſen; ich will, daß man Ihnen mit Geiſt und Heiterfeit den Hof mache, denn Traurigkeit führt nie zu glück⸗ lichen Refultaten, mit einiger Heimlichleit, denn dad erhöht dem Reiz der Liebe, mit Feuer, weil Ihnen das gefällt, dad Leben nur kurz if, und wenn man für einander paßt, nicht Jahre dazu ge- hören, es ſich zu geſtehen, und es beſſer iſt, lieber heute ald morgen glüdlich zu werben.

Aber laffen wir bie Metaphyſik der Liebe bei Seite und kehren wir zu unjerem Eduard zurück, der die heißeſte Liebe für eine Frau empfindet, die nie etwas für Jemand empfunden bat, und nicht mis ihm, ben fie nur zu ihrem Sflaven zu machen gedenkt, an- fangen wird.

Er war ein erwünfchter Fund für Frau von Goͤran, welche, was Dufreöne ihm auch gejagt haben mochte, gegen einen reichen und leivenfchaftlichen jungen Mann, wie Cduard, nicht jo graufem war, als fie es fcheinen wollte. Hätte diefer Erfundigungen über die junge Wittwe eingezogen, fo würbe er erfahren haben, daß ir Ruf mehr als zweideutig fe, daß fle mit einem reichen Muffen, einem dicken Baron, einem Lieferanten und einem Shawiverläufer in vertrautem Umgange geflanden, daß ihr Haus der Sammelplag ver Wüftlinge, Intriguants und Spieler ſei, und daß man endlich auf dem Kriegäminifterio einen Beneral, Namens Goͤran, nie ges faunt babe.

Bon dem Allem wußte Epuarb nichto; er glaubte eine Dame kennen gelernt zu haben, bie ſich ihm in ber Kraftfülle gegenſeitiger Sympathie ergebe: er frohlockte über einen Triumph, den zwanzig Andere vor ihm errungen hatten, und fand ihre Reize ber feiner Frau aus dem runde bei weiten überlegen, weil eine neue Er⸗

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oberung Immer eine zartere Haut, einen ſchoͤneren Bufen, einen niehliheren Fuß Bat, als die eigene Frau, was freilich oft nicht wahr iR, worüber fich die armen Frauen aber bei den Kennern bis⸗ weilen zu rächen wiſſen.

Couard brachte alfo den Tag damit zu, die zarte Haut, den Ihönen Buſen und ben niedlichen Zuß der Frau von Géran zu hewmdern, und biefe ließ es gefchehen, weil fie, wie fie ihm ge- fand, der Gewalt feiner Liebe und ber Sprache ihres Herzens nicht niderüehen koönne. Bei ſolchen Beichäftigungen vengeht bie Zeit fd; er hatte fein Haus, feine Gefchäfte völlig vergeffen, umd rnnerte fih nicht eher daran, ald am Abend bei der Ankunft von aan Dupend Perfonen, den gewöhnlichen Spielgäften ber liebenös würdigen Witlme,

Euard wollte ſich entfernen, aber Stau von Géran gab es übt zu; fie konnte feine Gefellfchaft nicht entbehren, und übers “ed mar ſie ihm ja Mevanche im Ecarte ſchuldig. Hier half fein üngered Weigern. Eduard blieb und fegte fi) an den Spieltifch, hier Geliebten gegenüber, die, wie er wohl wußte, mit ganz beſonderet Grazie fpielte.

Anh Dufresne Fam den Abend zur Frau von Goͤran; er ſchien cheraſcht, ſeinen Freund anzutreffen. Dieſer ſpielte jetzt gerade zus einem unbelaunten Herrn, da feine liebe Wittwe aus Rückſicht af ie allzu übertriebened Glück das Spiel verlaffen Hatte, und ucht, wie fie fagte, auf Koſten Murville's ihre Gluͤcksader benützen Zelte. Judeſſen war er mit feinem neuen Spieler nicht glüdlicher, a verlor beſtaͤndig, und wollte nicht aufhören, um wieder zu feinem dalnſt zu gelangen.

Dufreöne land vor Eduard und betrachtete ihn fchweigend. Eine ibeime Freude leuchtete in feinen Bügen ; er entdeckte in ihm alle Eymplome einer Leidenſchaft, die, einmal im Zuge, Feine Grenzen indet. Beim Anblick feiner gefpannten Befichtözüge, feiner breu⸗ ade Augen, feiner aufseſchwollenen Adern, feinem unterdrückten

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Mtbemzuge, konnte er leicht die Wirkung bed Spiels bei ihn fennen. Da er ſich indeffen erinnerte, daß Cduard eine Beben! Summe Geldes bei ſich hatte, und nicht wünfchte, daß fie grö' theils oder ganz in die Hände Anderer Tomme, gibt er ihm Teifı Rath, nicht weiter zu fpielen, aber man hört nit darauf ; Mur empfindet fchon das Uebergewicht einer Leidenfchaft, der er fich erfien Dale hingibt, und übrigens verhindern ihn Gigenfinn Eitelkeit, feinen Plab zu verlaffen.

„Wenigſtens,“ fagt ihm Dufresne, „wollen Sie fortfahrı fpielen, fo geben Sie mir Ihre Brieftaſche, und was fie noch hält; Sie haben ja Geld genng vor ſich liegen ; ſetzen Sie ſich nicht aus, in einem Abend eine fo bebeutende Summe zu verlie

Jeder Andere wohl würde dieſen Rath nicht befolgt haben, Dufresne hatte ſchon eine ſolche Gewalt über Murville gemoı baß diefer ihm fein Portefeuille, aus dem er ſchon mehrere Banfı genommen hatte, ohne Bedenken gab. „Da,“ jagt er mit u prüdter Stimme und bemüht fi, feine Aufregung‘ zu verbe „da, nehmen Sie... hier ift auch der Schlüffel zu meiner Wohnur gehen Sie... und erwarten Sie mich zu Haufe.“

Dufresne ließ fi das nicht zweimal fagen. &r begab ſich Mursilie'd Wohnung, und hier war man ſchon fo daran gew ihn Tommen zu fehen, daß die Dienerfchaft kaum mehr darauf gab. Dufresne Hatte einen Theil des Abende in Eduards Zi: auf ihn gewartet, ba er aber ganz auszubleiben fchien, faß enblich den verwegenen Entfchluß, fich in Adelinens Zimm« fhleichen. Dies wurde ihm leicht, da er den Schlüffel dazu zu fi wußte, und welchen Erfolg fein Unternehmen hatte, Haben bereitö früher gefehen.

Bas Eduard betrifft, ſo fand fich ein glücklicher Treffer bei nicht ein. Ex verlor Alles, was er noch behalten hatte, und auße taufend Thaler auf fein Ehrenwort. Um ihn zu tröften, behielt von Göran ihn allein beim Abendeſſen zurür. Sie verfüherte

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\ af ber Chevalier Defleuret der fein Gewinner war, ein fehr gas lonter Mann fei, ind ihm gewiß fehr gern Revanche geben würde, ſohald ex e8 nur wünfche, und da jedenfalls das Glück einmal um: Irringen wüffe, werde er über kurz oder lang wieder zu feinem Gelbe Icmmen. Solch triftige Gründe konnten nicht verfehlen, Eduard zu beruhigen; und er blieb bis fpät in die Nacht bei feiner Schönen. Am andern Morgen erwachte er um 10,000 Franken ärmer, Das hieß die Gunftbezeigungen feiner fchönen Wittwe etwas theuer be- jahlen! Aber die Liebe rechnet ja nicht.

—.

Einundzwanzigfles Rapitel. Das Roulette -

Adeline blieb Lange Zeit bewußtlos und vom Webergewicht ihres Schmerzes überwältigt. Mehrere Stunden nad Dufresne's Entfer: zug faß fie noch Halb angekleidet in einem Winkel des Zimmers und rate den ergriffenen Mantel Frampfhaft gegen ihren Bufen,

Der Tag erfcheint endlich, die Diener des Hauſes werden zuter! Adeline fleht auf, Eleivet ſich mafchinenmäßig an, und lt wieder auf den Stuhl zurück, den fie verlaffen hatte; fie hat une Pläne, Feine Wünfche, Feine Hoffnungen mehr ;; fie leidet, aber acdankenlos.

Pan klopft leiſe an die Thüre: fie erwacht aus ihrer Erſtarrung an Ändet ihr Befühl, aber auch all ihr Elend wieder. Sie will nen... bleibt jedoch an ber Thüre fliehen: ein plöglicher Gedanke hält fie zurüdt : wenn es ihr Mann wäre!... fie fühlt, daß fle feine Slide nicht würbe ertragen können und fürchtet, er werbe die Wahr: “auf ihrer Stine lefen!... Arme Adeline... Du bift nicht idüldig und zitterfi!... Welch ein Unterfchied von dem, ras wir täglich in der Welt: erbliden!

Fine Stimme laͤßt ſich hören, es iſt die ihres Stubenmaͤdchens;

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fie fengt, ob fie hereinkemmen dürfe; Abeline beruhigt ſich un ſchließt anf.

„Berzeihen Sie, Madame,” fagt das Maͤbchen, „ich hatte Bange um Ihr Befinden ; es ift ſchon fpät, Sie Haben nicht geflingelt und find auch nicht zum Frühſtück heruntergefommen. Es ift fpät, Marie? ift Herr Murville noch nicht zu Haufe? Fa, Madame, ber Herr find gekommen, gingen auf ihr Zimmer, aber bald darauf wieder aus. Wieder aus! fagft Du ? Ia, Madame!“

Adeline fchöpft freier Athem und fühlt fi ruhiger, denn fie fürchtet jebt die Gegenwart defjen, den fle vor einigen Stunden mit fo vieler Ungeduld erwartete.

Marie betrachtet ihre Gebieterin ; fie findet fie blaß und ent- ftellt,, ſeufzt und beflagt fie, denn fie denkt, daß das Betragen ihres Mannes die Urfache ihres Kummers fei. Die Diener find bie erften Richter ihrer Herrſchaft; fie fehen Alles, nichts entgeht ihnen; es gibt Feine Helden und wenig treue Ehemänner vor ihren Kammer: bienern.

„Iſt Madame die Nacht Franf gewefen?“ fragt envlid Marie Halblaut. „Nein, nein, ich habe nichts gehabt,“ antwortet Adeline erröthend, verhält ihr Geficht mit dem Tafchentuch und bemüht fich, ihr Schluchzen zurückzuhalten. „Ei!“ erwivert das gute Mäpchen, - „Madame haben fehr Unrecht, fich fo zu Fümmern... ach, mein Gott!... die Männer find alle fo... fie haben einen Hang zur Zer: fireuung ... man kann fie daran nicht hindern ! aber das gibt fi... und Madame find fo gut, daß... Laß mich.”

Das Mädchen will gehen, Adeline ruft fie aber zurüd. „Marie, ift heute Nacht jemand Fremdes im Haufe gewefen ? Ein Fremder... heute Nacht...” fie flieht ihre Herrin mit Verwunderung an und kann ſich die Frage nicht erklären. „Sa, fa, haft Du Hopfen hören... hat man Geräufch bemerkt? Des Nachts Hopfen, das hätten nur ber Herr fein Eönnen, aber fle waren ja nicht zu Haufe; Gott fei Dank; es ift Alles ruhig gewefen, und wir haben Alle gut gefchlafen;

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ed if fein Wunder ; na ber ſchlafloſen Nacht von vorgeftern mern wir noch mähe genug.“

Meline, etwas deruhigter, ſchictt iht Giubenmäheen fort; fie num werigfiend ſicher, daß iher Onichrung ein Geheimniß geblieben; fe geht zu ihrer Heinen Ermanee, nimmt fle in ihre Arme und ſucht bi ie Tool zu Üben ; eine innere Stimme fagt ihr, daß fie um: Kalig fei, amd fie faßt neuen Muth. Die Abficht allein naht das Verbrechen, und Adeline empfindet ja für Dufreöne ten heftigſten Haß; ihn zu nähren, ift ihr Genuß, es fcheint ihre, je mehr fle Abſchen vor ihm fühle, deſto weniger ſtrafwürdig fet fie in Ihten Augen.

Aber ein drückender Gebante fällt ihr aufs Herz, denn fle erin⸗ art fih der lezgten Worte Dufreöne’3: Eduard Hebt eine Andere. Ex Rn Haufe gefommen und denkt nicht daran, fie zu fehen. @8 NALE aus, er ift untreu, er vergißt fle!... Diefe Gewißheit macht die arme Adeline vollends untröftlich und benimmt ihr jebe Scfnung,

Roch ganz finnenberaufcht von ber verlebten Nacht hat Eduard te Vohnnng ber Frau von Geran verlaffen, um nad Haufe zu üben; aber ein Gefühl der Schande, fein Gewiſſen Hält ihn ab, ih zu feiner Frau zu begeben. Möge man fih auch vor schmen, feine Handlungen zu entfchuldigen; hat man feit Längerer Zeit den Pfad der Tugend und des Lchtes verlaffen und der Sffentlihden Meinung Trog seboten, fo.entgeht man bei einer jeden fchlechten Tat feinem innern Richter nicht. Und Eduard war noch in ſeht Neuling auf dem Pfade des Lafters, um nicht deſto flärker he Sorwärfe feines Gewiffens zu empfinden. Beinahe eine ganze Rt aus dein Haufe zubringen, feiner Frau umtren fein und eine hetrichtliche Summe im Spiele verlieren, wie viel Grund zu ernft= haften Betrachtungen !

Einard Handelt aber. wie bie meiften, die Thorheiten begangen

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haben ; anflatt ſich vorzunehmen, künflig kin geſetzier und vernänf- tiger zu fein, war er bemüht, fich zu betäuben uud ſich völlig bes Zägellofigkeit feiner Leidenſchaften zu ergeben, gleich denen, bie ſich ind Waſſer flürzen, um dem Untergange ber Weit zu enigehen.

Bei Dufreöne war Cduard ficher, Zerftreuung zu finden, er geht alfo zu diefem. Ex findet ibn allein und in ernflen Betrachtungen vertieft. Zum erften Male dutzt Murville ihn, denn er- fühlt ſich jegt mehr zu ihm hingezogen, ſeitdem er aufgehört hat, ein guier Wirth und rechtſchaffener Ehemann zu fein; er theilt ja ganz feine - Grundfäge, jede Ceremonie muß baher zwifchen zwei engverbundenen Freunden verbannt fein. Eduard wirft ſich auf einen Stuhl und ficht Dufreöne an, der von ihm zuerfl angerebet zu werben erwartet.

„Da bin ich, Lieber Freund, ich glaubte Dich bei mir zu finden... Ic bin geftern Abend auch da gewefen, weil Sie aber nicht kamen und das Warten mid) langweilte, ging ich wieber fort. Meiner Treu, Du haft Recht gehabt, Du würbeft vergebens auf mich geharrt haben... Ach bin bis fpät in die Nacht bei Frau von Goͤran gewefen . . . Du verſtehſt mich bo... O je, fehr wohl!... ich mache Ihnen mein Compliment deßhalb.... das will etwas jagen... die Frau betet Sie an! Oh! fie if wirklich närrifch in mich ver- liebt... . das ift der wahre Ausbrud . . . fe wollte mic kaum fort: laſſen, ich habe ordentlich Mühe gehabt, mich von ihr zu ixennen ! Nehmen Sie fih in Acht... Frau von Beran hat Leidenfchaft- lichkeit, feuriges Blut, eine lebhafte Einbildungsfraft, fie wird ohne Sie zulegt gar nicht mehr leben Tönnen !— Du entzudft mich, ſolche Frauen liebe ich gerade! Wenn Ihre Frau aber etwas erführe ? Bah, bah, die hat fein Temperament und ift gleichgültiger, uns empfindlicher Natur! ... ihre Art zu lieben, hält mit der Frau von Goͤran gar feinen Vergleich aus. Ich möchte Ihnen etwas rathen. Sprich! aber kurz weg... Du... Teinen Zwang mehr zwiſchen und, mein lieber Dufresne. Ich bin's zufrieden. Du fagteft alfo ... Wenn Du mir folgen willft, fo [if Du Deine Frau

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aufs Banb, um mehe Freihheit zu haben. Wahrlich, ein trefflicher Gedanle!. fie ſpricht fo alle Tage vom Lande, von Wieſen und Gehen... ja, ja, ich werde das Lämmlein auf die Weide ſchicken und in Bari bleiben... Aber Du erzählieft mir ja nichts von Deines Partie mit dem Chevalier Defleuret ? Haft Du Dein Gelb wieber gewonuen ? Rein, im Gegentheil, ich habe auffalfendes Unglüd gehabt und befländig verloren; allein Du erinnerft mid daran, daß ich ihm noch tauſend Thaler ſchuldig bin und verfprochen babe, ſie ihm heute Morgen heimzuzahlen. Spieljchulden find eilig, die mußt Du freilich bezahlen. Das will ich auch ſogleich than; ex hat mir im Palais Royal Nr. 9 Rendezvous verfprochen, wohnt er vielleicht dort ? Ha! ha! ka! was Bift Du doch uner⸗ iaften, mein lieber Mutville... weißt noch nicht einmal, daß Nro. 9 aue Spielbank , eine Roulette ii? Wie, der Chevalier befucht eine Roulette ? Warum das nicht? Da wirft da ganz ordentliche teste finden : viele Adelige, die ken Glücksrittern gerne Gelb abge: winnen möchten, und ehrliche Bürger, die füch gefchmeichelt fühlen, mit Grafen und Baronen zu fpielen, aber Alles mit dem größten Auſtand! ... In größter Ordnung, ohne Lärmen!... Ich verfichere Dich, daß mancher Spieler in unſeren Geſellſchaften ba Unterricht m feineren Takt nehmen Könnte ; man verliert fein Geld, ohne fich u bellagen... man ſchimpft und fucht nur innerlich ; kurz, Alles seht fehr anftändig her. Meiner Treu, ich bin neugierig, das zu ſeben, aber ich glaubte, daß ein Geſchäftsmann ſich an jolchen Orten übt fehen laſſen dürfte; man hat mir gefagt, daß bied dem Ruf Ichr ſchaden könne. Man hat Dich belogen, im Gegentheil, Du wirt vielmehr fehr viele Kaufleute, Gejchäftsmänner, Wechſel⸗ “euten und Courtiers bafelbft finden. In der That, es ifi einer der feinnten VBereinigungspunkte: Militärs, Fremde, große Herren, die Incognito reifen, geben ſich hier Rendezvous; und außerdem wacht u Bolizei darüber, daß fein Poͤbel und Teine Spipbuben fich ein- leiden, Nr. 113 if für das ſchlechte Gefindel, für Arbeiter, Heine Paul de Rod. 1. 12

Yahrtlanten und Krämer, denn ſolche Lente weile doch aud Infig machen; aber Mx.. 9 iſt fuſt oben fo uffkämbig wie Frasca Hiemach bann ich ja ohne Vedenben hingehen. Bu wirft Deflenret dort nicht werfehlen. Er iſt immer von der Eröffnm ya Ritiage da, und verfäumi ſogar oft feine Mahlzeit. Er fi grünen Tifch und flicht mit der Nadel feine Karte. Seit gehn J IR er bemüht, dahinter zn Lommen, wie man gewinnen muß verſichert, es binnen Kurzem ergrübeht zu haben ; dann will feinen Belannten mittheilen. Bern man Das herausbringen Wetter, dad müßte prächtig fein!... dann brauchte man fi nichts mehr zu benurnhigen.... . man hätte Vergnügen und lebt ein Prinz. Glaubſt Du denn, daß ed möglich wäre? allerdings... man bat noch ganz andere Dinge ergrübdelt... bat Beifpiele ... . muster und gefagt, ich Tonne mehr als dreißig fonen, die ihren Hang in der Geſtliſchaft Behanpten, viel ausgeben, alte Moden mitmachen, fidy nich verſagen doch sur vom Spiele Ichen. Höre, was ein bekannter Schrifi hierüber ſagt:

„Das Epiel ernähret eine Menge Leute,

echtſchaffner Urt, Biaker, Günftentuäger

Und MBucherer verfehn mit. jenem falben

Kleinod, das täglich Täuft von Hand zu Hand,

Gabcogner, die in einer Kneipe prablen,

Blüdbeitter und ein Rubel Jungferſchaften,

Die ohne den Ertrag des Lenztuchläpiels

Mit ihrer Tugend wohlfeil Handel tziebes:“

„Du fegeft mich in Geflaunen.... da® hätte ich nie ges denn es bleibt doch immer nur ein Zufall. Ei, lieber Freunl ven Mann, der mit Ruhe. überlegt, alte Fälle und Wahrfche leiten vorausfieht .. . gibt es feinen Zufall ; übrigens was ü ba fage, ift nicht, um Dir zum Spiel Luft zu machen... nicht glüllih..... Beffer, Du läßt es fein. Apropos und Geſchaͤfte? Ee if jopt ein Shilland ... man muß 06 als

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3 felt Ach, Lieber Duftesne, wenn wir es ausſindig machen fünuten, immer zu gewinnen, wie wollten wir leben, waͤhrend meine Fran auf dem Lande it! Glaube mir, denke nicht mehr daran, dad ſind Thorheiten, Chimären .. . doch ich muß Dich verlaffen. Stute Abend fehen wir ung doch? Wo denn ? Ei, kannſt Du noch fragen ? Bei der Fran von Beran.“

Dufresne und Epuarb treumten fih, der Erftere, der Wirkung gewiß, welche dieſe Unterredung auf den Schwachlopf Eduard gemacht hat, und Diefer, indem er nur vom Roulette und von fort: dauerndem Gewinne Iräumend, ſich bereits mit den überfpannteften Frojchten befchäftigt.

In dieſem Zuftande kommt Eduard an den vom Chevalier be- zeichneten Ort; er durchläuft mehrere Säle und gelangt endlich in ein goßes Zimmer, worin die Spieler um eine Ronlette verſammelt a. Gr fühlt, wie ihm das Blut in den Kopf fleigt, er will feine Verlegenheit verbergen, und gibt ſich raſch das Anfehen eines täg- hen Gaſtes daſelbſt. Der Chevalier Defleuret erblidt ihn, fleht auf, geht ihm entgegen und vergißt über dem Wunſch, fo Bald als möglih feine tauſend Thaler einzuziehen, das Stechen ber Karte. Genarh beeilt fich, feine Schuld zu berichtigen. Der Chevalier if entzüt über die Binktlichkeit feines Schulpnerd und ladet ihn ein, einen Augenblick neben ihn fich hinzufeßen. Eduard zaubert, ſieht önghlich umher, fürchtet Bekannte anzutreffen und wird in der That mehrere Gefchäftälente gewahr, die theild mit Dufresne umgehen, tdeils an jenem Abend feine Gäfte waren. Alle dieſe Leute fcheinen indeſſen um ben grünen Tifch Fehr befchäftigt und nehmen nicht bie entfernteſte Notiz von ibm ; ber Chevalier zieht ihn mit fich fort, ex gibt nach, und fo ſitzt er denn am Ronlettetifch.

Defleuret ergreift feine Karte wieder, um zu flechen, und er- kundigt ſich bei einem Iangen trodenen Herrn in hellbraunem Ober twte nach den Farben und Nummern, die gezogen worben finb ; diefer aber wirft ihm einen wüthenben Blick zu, huftet, räufpert, ſchnaubt

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fih, verzieht das Geſicht, ball vie Fäufte und antwortet nit. „D iſt ein Original,“ fagt leife der Chevalier zu Cduard, „brei Stunt flicht er, ehe er feinen Fünffrankenthaler daran ſetzt, und kommt f immer zu fpät... er bat feinen Siun jest auf bie rothe Bu richtet , ich wette, fie Eommt heraus, ohne daß er gefeht hat, | Mann wird nie fpielen Iernen, ex ift zu fehr Poltron!“

Eduard fah und hörte auf Alles, was zum erften Male vor ſen Augen vorging; denn vor feiner Verheirathung wollte er nie in Spielhaus gehen, weil er zu ängftlich war, feiner eigenen Schwä zu trauen. Nur, wenn man gewiß ift, der Berfuchung nicht zu un! liegen, und gegen das Spiel den Abfcheu empfindet, ber jeden d kenden Menjchen erfüllen ſollte, kann man e8 wagen, einen ſole Ort der Verführung zu betreten. Welch ein weites Feld, um die A fungen diefer unglücfjeligen Leivenfchaft zu beobachten und zu | diren ! Das Refultat der Beobachtungen ift traurig ; aber ed gibt | gute Lehre, und gerade in einem Spielfanle könnte einem jun Menichen fein Geſchmack am Spiele verleinet werben, wenn er, | feiner Neigung zu folgen, mit kaltem Blute Alles um ſich her pri

Bon welchem Schwindel find alle die Unglücklichen ergrij bie fih um den grünen Tifch drängen, und mit ihren Augen Mailen Silber, Gold und Banknoten verfhlingen möchten, die ben Croupiers aufgehäuft find. Es fällt ihnen nicht Bei, daß Meifte nur da liegt, um fie anzuloden und fortzureißen ; fie fi fih nur: „Wie der da gewinnt, ver fo eben mit gefüllten Taf hinausgeht, warum follte mich dad Glück nicht gleich ihm günftigen?“ Und wenn ed nun auch gefchähe! If das in Spielhäufern gewonnene Geld je dazu benügt worben, eine Faı zu bereichern, eine Frau zu ernähren, eine Tochter auszufta oder Unglüdlichen beizuftehen? Nein! Spieler haben jeberzeil harted Herz, eine durch ihre Leidenfchaft verderbte und enta Seele. Wenn fie heute gewinnen, werben fie morgen wieder fpi und das wird fo Lange gefchehen, bis auch das Letzte ihrer |

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dem nnerfättlichen Hange geopfert ifl. Und kommen fie mit vollen Taſchen nah Haufe, fo glaubt ja nicht, daß fie dann Beffer und großmäthiger gegen ihre Angehörigen denken im Gegentheil. Tie Fran ift fchlecht gefleivet, den Kindern fehlt das Nöthigfte, Bläubiger belagern ihre Thüre, aber dennoch geben fie, zahlen fle nichts, fpotten über die Drohungen derer, denen fie den verdienten Lohn vorenthalten und find taub gegen die Stimme der Natur. Bald verlieren fie wieder, was ein günftiger Augenblick ihnen zu- wendete, und wehe dann ihren Umgebungen; auf fie richtet fich zuerſt ihr Berdruß, ihre Wuth, die fie gegen Freunde zurüdhalten müſſen, in ihrem Haufe dagegen überlaffen fie fich bis zum höchſten Grade ihrer Rohheit. Sie brauchen Geld und benügen Alles, um fi} welches zu verfchaffen; vie letzten Kleider ihrer Kinder werden verkauft, der Arbeitöverdienft eined Tages verjchwindet in einer Sekunde, auf eine Farbe oder Nummer. Dann werfen fie vüftere Blicke umher, Verzweiflung malt fih auf ihrem Gefichte, nit Wuth flarren fle das Gold an, das fie nicht beſitzen follen, und die @roupierd fehen ihren Schmerz mit der größten &leich- gültigkeit. Dann quälen die ſtrafwürdigſten Begierden, bie legten Nichtswürdigkeiten ihre Bhantafie ; fie find lüſtern nach dem Gelde ihrer Rachbarn, fie ftredden die Hand darnach aus, und oft, von ver zügellofeften aller Leidenfchaften angetrieben, begehen fie bie ſchaͤndlichſften Verbrechen! ... Diefe Beifpiele find nur zu Häuflg. Tas Spiel hat ein dreifaches Ziel, und dies iſt unver: meidlich; es führt zum Selbſtmord, ind Hofpital ober ne Zuchthaus.

Unglüdlicherweife machte Eduard diefe Betrachtungen nicht; er fah dem Spiel aufmerffam zu, und nachdem er es einigermaßen tegriffen hatte, feßte er ein Iwanzigfranfenftüd auf Roth; viefe FZarbe gewann neun Mal Hinter einander, und ba er ben Gewinn mmer hatte fichen laſſen, fo gewann er in fünf Minuten 10,240 Franken. Des Chevalier Deſlenret, ber über fo ein ents

ſchiedenes Gtäd flaunte, rieth Murville leife, für den Augenbl nicht weiter zu gehen, weil nad) aller Wahrfcheinlichkeit und \ Zeichen auf feiner Karte die Kugel nothwendig auf Schwarz tref müfle. Der Chevalier freute fih über dad Glück Eduards ins) heim ungemein, denn er hoffte ihn bei Frau von Geran wie anzutreffen, und ba er fehr ſchlecht Gcartö fpielte, aber gut | zahlte, fo war das für ihn eine brillante Ausficht.

Edunard dachte nicht an die Wahrfcheinlichkeiten des Spie fondern empfand nur ein gewaltiges Krümmen im Magen, bi fein Cifer und feine Thätigkeit feit dem vorigen Abend hatten, ihm gegehrt, und er fühlte das Bedürfniß, neue Kräfte zu fa mein! Er ſtand alſo anf, verließ den Tiſch, und verſprach b Ghevalier, am Abend ihm die Spike zu bieten.

Wider alle Grwartung Defleurets mußte doch wider R gewinnen. CEduard bereute ed fehr, jo bald aufgehört zu hab nahm fich jeboch vor, fich bei ber erſten Gelegenheit zu entfchänig, der lange trockene Herr im hellbraunen Kleide, der den Rath 9 flsurets gehört hatte, ließ, ald Roth wieder gewann, ein „Ri vieh“ über bie Lippen fahren, was Murville nach ber Befchreibi Dufresne's vom guten Ton, der bier herriche, nicht wenig fremndete; er verließ jedoch nichts befto weniger, fein Gold in Tafchen und wonnetrunfen über fein Glück, den Saal. |

Er will nach Haufe gehen, unterwegs denkt er auf einmal feine Frau, bie fehr in Unruhe, fehr böfe auf ihn fein benn feit vierundzwanzig Stunden hat fie ihn nicht gefehen: ei daher etwas verlegen, entjchließt fich jedoch, zu ihr zu gehen, ı begibt fich, nachdem er dad Gold in fein Arbeitözimmer gebre bat, wo er feinen Commis auf dem Monitenr eingefchlafen fin! nach dem Zimmer feiner Frau.

Trotz ber Gleihgültigfeit, die Cduard feit einiger Zeit Nbeline empfindet, betrübt ihn doch bie Veränderung, bie feit Abend vorher in ihrem Aeußern vorgegangen if. Sie if b

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ud fuftlod, ihre Augen ſind voih, augefchwollen und thraͤnen⸗ (üwer, und ihre Züge drücden den größten Kummer aus. Cduard eilt sicht, daß feine lange Abweſenheit daran Schul fei; ex nähert ſih ihr nud ift verlogen , wie ex fein Betsagen entfchuldigen folk.

„Du haft mich vielleicht geftern erwartet... ohne Zweifel bet Tu dig um mich geängfligt ; aber ich wurde wider Willen in einer . Geſellſchaft zurüdgehalten, wo mas fpielte, ich gewann und durfte Chren halber die Partie nicht aufheben... Du bil Herr Deiner handlungen,“ antwortete Adeline, ohne ihren Mann auzufchen, „Du wie Unrecht haben, Did; meinetwegen zu geniren.“

Grand glaubte nicht je viel Nachgiebigkeit zu finden; ex ew wuete Berwürfe, Kingen, Thränen ; aber Adeline fagte ein Mont weiter; fie exfchien ergeben, fonfzte und ſchwieg. Dies Beuehmen made auf Dad Herz Ganards eine größere Wirkung, «is bie lau: lejen Klagen und Borfiellungen ; er fühlte ſich getührt und war m Begriff, ihr zu Füßen zu fallen und Berzeihung für fein Ber xben zu erficken, als das Bil» der Fran von eran vor feine Seele trat und alle feine befferen Gefühle unternrüdte... er ver Iheuchte eine jede, für einen Meltmaunn ja unpaſſende zartere duz rindung und blieb bei feinen Projekten. \

„Koeline, Du haſt ven Wunſch, wieder aufs Land zu gehen; tie Jehreszeit rückt vor, alfo thue es; übrigens, denke ich, wird ct unferem Kinde fehr erfprießlich fein, uud wänſche darum, daß Tu fofort nach Villenenve⸗Saini⸗George fährft ; ich Tann Dich jegt uct begleiten, wichtige Geſchafte halten mich in Paris zuräd, aber ich denle Dich recht oft zu beſuchen.“ „Es ift gut, Cduard, ib werde Alles zu meiner Reife vorbereiten und fo lange in umferem bleiben, bis ich von Dir die Ordre erhalte, zurückzu⸗ oumen,“

„Auf Ehre,” fagt Gouard bei fh, „Meine Iran ift allerlichtt. .. nd cine Umtewisfigkeit .. , welch ein Gcherfam.... bad ift wirt ug anferoxpentlich.“

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Er ergreift Adelinend Hand, brückt fie leicht in der feinigen, und berührt, ohne das Zittern auf diefer fonft fo heißgeliebten Hand zu achten, fie kaum mit feinen Lippen, entfernt ſich aber gleich Hernach mit der Schnelligkeit eines Schälers, defſen Lehr: ſtunde beenbigt if.

„Er will, daß ich ihn verlaffe u fagt Adeline, als fle allein ift, „meine Gegenwart ift ihm Iäflig!... fo gebe ich denn!. es ift mir ja Tünftig gleih, an iche m Orie ich lebe, da ich nirgends mein Gläcd wieberfinde. Ich Habe die Liche meines Mannes, die Ehre, die Ruhe ‘der Seele verloren ; fo will ich denn meine traurige @riftenz möglichft verbergen ; nur für meine Tochter möchte ich meine Tage noch) erhalten, ihr will ich fie ganz twimen; armed Kind, was follte aus Dir werben, wenn Du mich verlärefk!*

Adeline kuͤßt ihre Tochter, in ihrem Muttergefühle will fle nenen Muth fehöpfen. Sie trifft ihre Einrichtungen zur Abreife nad Billeneuve-Saint:George, und wünfht, ihre Mutter möchte fie begleiten; aber ver guten Mama Germenil liegt wenig am Land: leben ; fie bat ihre Gewohnheiten, ihre Belanntichaften in Paris; bad Alter ift ja egoiftifch ; es fühlt, daß es nur noch wenig zu ge: nießen hat und mag daher auch nur fo wenig als möglich davon opfern.

Acht Tage genügen Adelinen, um Alles vorzubereiten, was fie und ihr Töchterchen auf dem Lande bedürfen. Nach Berlauf biefer Zeit, während welcher fie ihren Mann nur felten und flets nur auf einige Augenblide gefehen hat, will fie abreifen, inbeffen möchte fie vorher noch einen Verſuch wagen, nicht, um bie Liebe ihres Mannes wieber zu erlangen, benn fle weiß wohl, daß fi died Gefühl nicht erzwingen laͤßt, fondern um ihm BDufreöne in feinem wahren Lichte zu zeigen. Eduard hört nicht auf fie und ‚glaubt nichts von den elenden Streichen feines Bruders ; Abekine benft aber an Mabame Dolban und Heft, fie werde gerne bereit fein, in einem zweiten Briefe alle bie rintewärvigkeiten feines falſchen Freundes zu fchildern,

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Fir die Ehre, für. den Muf ihres Banned unternimmt fie dieſen legten Berfuch, der fie zwar nicht wieder glücklich machen, aber doch die Zukunft Ednardo ficher ſtellen Tann.

Die junge Frau begibt ſich nach der Wohnung der Madame Dolban und fragt den Portier, ob fie zu ſprechen fei. „Sie iommen zu fpat, Madame,” antwortet diefer, „Madame Dolban if feit wir Tagen tobt!... Todt? Bor nem Tagen erhielt ich a noch einen Brief von ihr! Ach, mein Bott, Madame, fo geht's in der Welt! Heftiges Fieber, furchtbare Koliken. was weiß ih, da war es denn bald gefchehen.“

„So ik denn Alles verloren,” fagt Apeline, indem fie ſich atfernte, „Ieine Hoffnung vorhanden, Ebnard zu überzengen!... Infredne wird iriumphiren, ihn in den Abgrund zu flürzen !“

Drrch dieſes newe Unglüd ganz entmuthigt, befdhleunigt Abde⸗ im: ihre Abreiſe von Paris; fie führt nach Villenenve⸗Saini⸗ Berge ab, und, allein im Wagen, ihr Kind auf dem Schooße, | vergleicht fie dieſe Meife mit der des vorigen Jahres, und weint bitiere Zühren über bie Schnelligkeit, mit ber ihr das Glück entflchen.

Bweiundzwanzigſtes Rapitel. Intriguanten. Spieler. Betrüger.

Bon der Gegenwart feiner Fran, deren Aublick immer noch cwes Beinliches für fein Gewiſſen hatte, jet befreit, überläßt ſih Eamard zwanglos dem Rath Dufreöue’3, der Liebe für Yran u Getan und ber Leidenfihaft des Spiels. oo.

Dufresne hatte die Hälfte der Summe, die er aus den Kapi⸗ lalien Cnards gelöst hatte, behalten. Seine Abſicht war es ſchon mer geweſen, ſich einen Theil des MRuxville jchen Dermogens an⸗ wnguen ; ohneies lebte er ſchon laͤngſt von Cduards Mein, ben a immer Damit zufriehen gu. fillen wußte, daß co für Geſchafte

16 An ungiädlicher Zeityanki fei. Mufeeöne hatte aber bei feinen vielen Laſtern auch aoch das des Spieles, und bie zurückbehaltene Summe ſollte auch bald ben Weg geben, den dad Vermoͤgen ber Madame Dolben genommen hatte.

Cduard bringt feine Tage im Spielhauſe und feine Aende bei Frau von Seran zu, bei der gleichfalls furchtbar geſpielt warde. Ziemlich gut gekleidete Menfchen, deren Geſichtsszege aber Schlechtig⸗ feit au DVerworfenheit aubdrücken, ſinden ſich alle Abende bei her Generalswittwe ein, wo man ſicher it, Murville und einige audere Thoren, um bie fi Intrigemeten und galente Frauen reiten, au: zuirefien.

rau von Goran verliert aber ihren Geliebten nicht amd ben Angen, fie will nicht, daß er ihr entſchlüpfe; fie weiß ihre ganze Seat ver Koketterie, jede Li, alle nut moͤglichen Mittel anzu: wenden, um einen jungen Mana zu umgarnen mb zu feſſeln, ber fi augebetet glaubt und gerne feiner Gabisterin jened Opfer Bringt.

Fran vom Géran lebt mit ihren Anbelern auf fehe großen Fuße: Spiel, Theater, feine Diners, Gipngierfahrten, Toiletie türkiſche Shawls, Brillanten, ausgefuchte Abenpmahlzeiten ... damit nur kann man, äußerlich wenigftens , auf ühre Liebe rechnen, und es ift Ear, daß Chuard dabei nur wenig Zeit übrig bleibt, nicht einmal zur Langeweile.

Sein Glücksſtern bat indeſſen aufgehört zu leuchten. Nachdem er im Ronletie mährere Male hinter einander gewonnet bat, em: pſtndet er auch die Veraͤnderlichkeit des Glcks und verliert beden⸗ tende Summen. Statt aufzubören, wird er nur um fo eigenfluniger und eifriger ; dies ift ja Die mvermeidliche Folge eiwes erſten Ger winnes. Darum fehen bie Bankiers and) laͤchelnden Muthes bie Goirles mit gefüllten Taſchen davongehen, denn fie willen, daß bie Vnglünllidien am andern Tage dad Doppelte verlieren werbden.

Nadine Epuaxd ed mit dem Monlette, dem Rharao uud vum Troarterat quaxante verſucht, and is einer Giunte 2000 Zuunuien,

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wach der yon Dufresne erhaltenen Summe verloren hei, geht 1 mi and unruhig nach Haufe; er fchilt feine Leute und if mt Allem unzufrieden, aber ex muß ja wohl feine kble Laune um Theü auf feine Umgebung übertragen. Er tritt in fein Bureau, inet feinemeliommis feſt eimgefchlafen und rüttelt ihn anf: „Was ' el das ruft er ihm zu, „verfeht Ihr fo Eure Geſchaͤfte ?“ ... Der ange Nam gähnt, reckt die Glieder, reibt fich Die Augen und ſieht aren Primgipal, der mit gewaltigen Schritten im Zimmer einher⸗ ht, groß an. »

„Run, verficht Ihe mich, warum ſeid Ihr nicht bei ber Arbeit ? Über wein Herr, Sie wiflen ja, daß ich nichts gu than habe. Serım ſchreibt Ihr wicht Cirkulaͤre für Die Provinzen? Dex Her >fın eben fo wohl, daß fchon mehrere Dale au die gleichen Perfonen iöriehen werben iſt, man uns aber Feine Antwort ertheilt hat. hr ſeid ein Schwachkopf und verficht Cuer Geſchaͤft nicht... . uud "4 hans, das man Laufen wollte?... Hers Murville, Drei Male man bier gewefen, um fich darnach zu erkundigen, hat Gie aber zur nicht zu Haufe gefunden. Ihr hättet die noͤthige Auskunft ba follen ! ch, Herr Murxville, ich weiß ja nichts bauen. in die Papiere, die man placiren wollte? Man hat Ihnen zweir Su ein Rendezvons bezeichnet, aber Sie find nicht hingegangen. -— b, denen deun Die Lente, ich wäre bloß für fie da? Sie ſagen St, mar müſſe boch pünktlich fein. Schweigt, Ihr fein unver: im, ih Brauche keinen Commis, der auf dem Comptoir fchläft. Ich zahle Cuch. So werben der Herr mir auch gleich mein rückſtaͤn⸗ 2% Salair auszahlen. Cuer Salair! ... Was Ihr durch <2lafen verdient habt? Dein Herr, es if nicht meine Schuld, aa ec bei Ihnen nichts zu thun gibt... bezahlen Sie mich, und... > Kr ſolli bezahlt werben, geht !“

Eruarb weiß fehr gut, daß er nichts mehr hat, um feinen nid zu befriedigen; er öffnet feinen Sekrotaͤr, durchſucht alle Atfüder, finagt aber nichts. , Gr vorläßt ſich anf. vie Summe

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die noch in Dufresſne's Händen iſt; er will zu ihm und ihn be- wegen, zu jedem Courſe zu verlaufen, benn er muß durchaus Gelb haben. Bom Spiele ermübet und verflört, will er jeboch erſt noch Toilette machen, und entjchließt fih, Dufreöne bolen zu laſſen: er Hingelt nad) dem Berienten, aber Niemand Tommt. Seitdem Adeline nicht mehr im Haufe ift, hat die Dienerfchaft vie Gewohnheit verloren, ihrer Herrfchaft aufzumwarten. Eduard fchläft oft mehrere Nächte nicht zu Haufe; darum geniren fich die Leute nicht mehr und gehen ihrem Vergnügen nach. Marie, die es allein ehrlich meinte, hat feit Adelinens Abreife das Haus verlaffen.

Eduard geht hinaus, burchfucht dad Haus, findet Niemanb in der Küche, kommt in den offen ſtehenden Keller, und ſieht hier ven Bortier, wie diefer mit der Köchin den Wein austrinkt; beim An: blick des Herrn find beide ganz verblüfft, diefer aber wütbet, ſchimpft greift den Portier beim Kopf und gibt ver Köchin einen Tritt.

„Rein Herr,“ lallt der Bortier Halb befoffen, „Sie effen nicht mehr zu Haufe... nnd da wollten wir bloß nachſehen, ob Ihr Wein nicht verdirbt.“

Eduard jagt die Leute aus dem Keller, fleigt wieder nach ber Wohnung hinauf und glaubt Geräufch im Zimmer feiner Frau zu hörten ; er tritt vafch ein und fieht, wie fein Kammerdiener der Frau des Portiers, einem hübfchen, jungen Weibe, die eben fo gerne gefällt, als ihr Mann trinkt, uf eine gar zu verbächtige Weiſe den Hof macht.

„Kreuz: Donnerwetter !” And Eduard, „was für eine Wirth⸗ fehaft, welche Unordnung! ... Denkt ihr Geſindel, daß ich fo etwas dulden werde ?... Ich tage euch alle fogleich zum Teufel!“

„Wie ed Ihnen beliebt, Herr Murville,“ fagt der Bediente, ohne aus der Faffung zu kommen, „bezahlen Sie und und wir ver: laffen dad Haus augenblidlich.“

Eduard entfernt ſich wäthend und verfchließt fich in fein Ztmamer. Seit der Abreiſe ſelner Jrau hat er nicht einen Sous feinen Leuten

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vgeben, denn ee hat nicht einmal genug Geld zur Buftreitung feiner Sgenen Ausgaben gehabt, und jegt ift er gezwungen, biefe Elenden, ve ihn befiehlen und das oberfte zu unterft Tehren, im Haufe zu schalten ; er hofft jedoch von Dufresne die nöthigen Mittel zu bes immer, um fich aus biefer Berlegenheit zu reißen, und will fe eben u ihm gehen, als dieſer mit verzweifelter Miene ins Zimmer tritt.

„A! Du kommſt zu rechter Zeit,“ ruft Eduard ihm entgegen, .ıd hatte großes Verlangen, Di zu fehen, ich brauche nothwen⸗ eig Geld, und das heute noch.“ |

‚Das wird fchwierig fein,“ antwortet Dufresne mit betrubtem Im. „Wie! Haft Du nicht meine Papiere? Ich erfahre sehen ein ſchreckliches Ungluck. Der, dem ich fie anvertraut ne... Nun! Hat fie verkauft, und ift mit dem Gelbe on gereist. Davon gereist ? Freilich! er iſt verſchwun⸗ a...umd es ift unmöglich, von ihm etwas Weiteres zu erfahren.”

Eruard ift außer fih. Gr wirft fich verzweiflungsvoll auf einen Stahl. „Sch bin ruinixt!... ich habe Altes verloren!... Imirt!,.. weldge Thocheit, wenn man Krevit und Balkanntſchaf⸗ in bat!... Sei ruhig, ich werde mir angelegen fein laſſen, biejen Eben zu erfepen... verlaß Dich nur auf meinen Cifer, meine Arundichaft.... mein zu großed Vertrauen iſt daran Schuld, ich ame die Sache ſchon wieder gut machen.“

„Durch welches Mittel denn? GEs gibt deren tauſend. detenle nur, daß ich feinen Pfennig habe, und jeden Angenblid Wed brauche, beſonders für Fran von Goͤran, der ich dies Ungläck 'rheimlichen will. Da thuft Du fehr recht, obgleich ich übers eg bin, daß fie Dich liebt, daß... Ich hatte ihr einen koſt⸗ heren Shawl verfprochen, den fie fo ſehr wünfchte. Du wirft iht auch geben... da... unterfchreibe das. Was ift das! - Gin Wechfel von 20,000 Franken an meine Ordre. Ich bin iu aber nichts ſchuldig! Freilich wohl, aber es gefchleht ja um Geld zu erhalten. Man nennt das Wechjelgefchäfte machen, -

J

Muvad über auch erkanbt? Erlaudtt... ah! deſhabb fragt man nicht um Grlaubniß. Iſt es wohl auch auſtaͤndig, recht⸗ Uch, fo... Se, Ba, ha! ... ich muß Aber Deine Vedenken

lachen! ... zus Berfallzeit bezahlſt Du, alſo was iſt's denn weiter?

Und Du glaubft den Wechſel zu discontiren ? Ich bie meiner Saite gewiß; man halt Dieb für reich, Du machſt ein großes Haus!... Deine Abendgeſellſchaft Hat Dir viel Kredit gemacht! .... ſei ruhig... morgen haſt Du nene Gelder, und ed gehört wur etwas Glück dazu, und Du haft dad Doppelte von dem, was Du heute ver: Ioren haft. Vermaledeites Roulette !... ſtets nichts wie IZmpair!... Der ſchlaue Defleuret fagt, er habe ein unfehlbares Mittel aus: gegrübelt!... aber vor allen Dingen Gelb, um anzufangen... Wir werben vielleicht nicht genug haben. O, ich habe noch ambere Hülfsquellen! Aber unterfchreibe geſchwiad, ich werde dann ſchon das Weitere beforgen.”

Conard unterzeichnet ven Bedifel von zwanzigtaufend Franken und gebt, um fich zu zerfireuen, zu feiner Geliebten. Sie ſchmollt etwas, daß er der verſprochenen Cachemirſhawl nicht mitbringt, man verfpricht ihn aber auf morgen, und fie wird wieber liebens⸗ würdig... Sie ſchält ihren zärtlichen Freund über fern ernſtes une zerſtrentes Weſen aus, und er entſchuldigt ſich weit einer ſeht wichti⸗ gen Spekulation, und man wmarmi und lieblost ihn. Ein Mann, ver große Geſchaͤfte macht und freigebig it, welch ein Schag !

Die gewöhnliche Abendgeſellſchaft der Frau von Geran bieibt aicht ange and. Iſt fie auch nicht ſehr gewählt, jo if fie doch ſehr zahlreich: ruinirte Maris, Epellente ohne Gater, Gigen- thumer ohne Grundbefitz, Glücksritter, Gefchäfteleute wie Chuard, alle Spieler oder Jutrignants; einige junge Leute, die nichts mehr zu verlieren haben, und Schwachkoͤpfe, bie in anfländiger Geſellſchaft zu fein glauben. Daraus beflehen die Männer, und die Damen find jener Herren wuͤrdig; alte Rupplerinnen, Zwifchenträgeriunen, galante Srauen, in allen Spielhäufern zu Haufe, wo Damen ‚Aufnahme

Mm fisten. Das {R alte ber Dickel ver Frau von Udsen, in wien man af iußem Aufland , vornehmen Anſtrich feine Manier und Avery gewaͤhlte Epenche Ha, jedoch ſogleich gemein wich und Totlekte neh emgebildetem Hang vergißt, ſobald die Leidenſchaften rege werben.

San von Geran gibt einem Punſch; dies if die feine Mawier, Ne Herren für Spiel und Damen leidenſchaſtlich zu machen. Bike vu Cognac erhigte Phantafle ſindet vie veraltetſten und verdeßte- ven Schönheiten reizend; bie Glaͤſer Tlingen, bie Köpfe werben asgelaffen, man fpielt hoch, Die Hitze iſt erbruͤckend, die Damen ıchmen ihre Shawis ab ; das Auge eined hinter dem Stuhl einer Epielenden ſtehenden Naturforſchers vertieft fich in ihre Schoͤnheit u bewundert ihren zarten Buſen, ihre weißen Schultern, und fein mender Blick erräth das Wenige, was man ihm verbirgt. Wie Ian man da Der Schönen, bie fich umdreht nud fünfundzwanzig keuisr’ord zu emtichnen wünfcht, babei einem die Bebeufungsvsil- ira Blicke zuwirft, etwas verweigern ; man nimmt eine Abſchlags⸗ ublung auf das Darlehen, indem man: fich neben vie verführeriſche Bergerin fegt und fie von Liebe untechäßt, am wenigften aber’ gu befürchten ſcheint.

α: bergieiifen Schonheiten der Demmes nich va ihn si ne ancſchließlich feſſelt, ſetzt ſach aber zuun Spiel, nach⸗ an ex unter dem Vorwande, feine Boörſe vergeſſen zu haben, von einer Gebieterin dreißig Louisd ors gelichen dat, die man ihm auch ta Wuflkude gibt, weil mau fie Tags veranf mit Sutereffen wieber is cchalten überzeugt if.

Ein gewiffer Marquis von Monclair, vertrauter Freunub des Cheralier Deflenret, bietet Cduard eine Purtie Gcarto an; man kpt ſich, und Deflenret bleibt dieſem zur Seite, um ihm, wie ex fat, Gluck zu bringen. Indeſſen, ſtatt zu. gewinnen, verliert Mur⸗ nile ale Bartien ; die gelichenen dreißig Lonisd'ors ſind fort, im Men will man gern auf fein Ehrenwort weiter fyielen, weil men kume Büuktlichleit im Bezahlen kennt.

Vena von dran Trebenzt im Ueberſlch ihren Punſch Au crinki ſelbſt einige Safer, um ihren Säflen mit deſto mehr Giragie Die Sonneurd machhen zu koͤnnen. Bin Jeder ſcheint füch entweber mit Dem Gpielen oder mit der Galanterie zu befchäftigen; die gewoͤhnliche⸗ ruhige Haltung if dem Geraͤnſche gewichen, man vergißt ſich bier und da, ber erzwungene feine Anſtand macht einer etwas freieren Munterfeit Play ; man ſchwoͤrt, man lacht, man flreitet, man reizt fi beim Spiel und wirb zärtli auf einer Ottomane; ein fehr bunied und bewegte "Bild, wo jedes feinem Intereſſe nachgeht.

Auch Frau von Goran fcheint fehr erhigt, obſchon ſie ſelbſt nicht fpielt ; fie nahert fich einen Augenblick der Partie Cduards, fießt, daß er ganz in fein Spiel vertieft ift und entfernt fi Daun, um etwas frifche Luft zu ſchopfen. |

Gonard gelang es nicht, auch nur eine Partie zu gewinnen ; bie Wuth, die Berzweiflung Tochten in feinem Innern ; er war dem Marquis ſchon fünfzehntaufend Franken ſchuldig und fpielte immer auf feinen Berluf fort, in der Hoffnung, bad Glück jolle umefchla:- gen ; aber er ſah ſich ſiets im feiner Crwartung getänicht. Blaß, zitternd, mit verftörtem Blicke weiß er nicht mehr, was er begimmen fol ; feine Hände ziehen ſich krampfhaft zufammen, feine Merven find in conwulfiviicger Bewegung, kaum daß er noch athmet.

„Ip feige jopt die funfzehntanfenn Yeaulen auf einmal bagegen,“ fagt er endlich zu feinem Gegner mit veränderter Stimme. „ch willige ein,” antwortet der Marquis, „Sie jehen, daß ich groß⸗ müthig ſpiele ... in ber That bin auch untroͤſtlich, Daß Sie fe anhaltend verlieren.“

CEduard antwortet nichts und iſt nur mit ber neuen Partie bes fehäftigt ; feine Augen find auf die Karten geheftet, von denen er fein Schickſal erwartet; beim Spiel find nur Defleuret, der be: Kändig Hinter Cduard flieht, und eine alte, mit dem Marquis fehr vertraute Intrignantin, gegemwärtig ; die übrige Geſellſchaft hat ſich an andern Tifchen vertheilt.

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Die Bartie fängt an, der Marquis hat ſchon drei Points:

er ſchlgt einen König um... Eonarb, über foldhen unanfhör- ben Treffer außer ſich, wendet ſich plöplich nach Defleuret um, am fi darüber zu beflagen, und bemerkt, wie biefer mit andern Karten feinem Gegner dad Spiel verräth ; der Chevalier will ver: bergen, was er in ber Hand hält, aber Eduard laͤßt ihm dazu Feine Fit, er enkreißt ihm die Karten, entvedt die ganze Spigbüberei, 15H in feiner Wuth den Spieltifh um und kündigt dem Marquis “2, daß er ihm nicht bezahlen werde. Der Marquis, an ſolche Scenen :caöbat, Bleibt ganz ruhig, fordert aber fein Geld. Eduard nennt Heinen Betrüger, jener droht ihm mit einem Stuhl, und De: Tearet fucht einige Bolpftüde auf, die zur Erde gefallen find. Die | “te erhebt ein rafendes Gefchrei, Mursille ergreift einen Leuchter D wirft ihn feinem Bläubiger an den Kopf, fo daß dieſem ein Auge eworquillt und das Geſicht blutet; ex fängt heftig am zu fchreien, e ganze Geſellſchaft erhebt fi, die Frauen und einige Herren "uber ich davon. Die an Zahl überlegenen Betrüger wollen Mur⸗ le drcchprũügeln; in biefem Augenblide aber tritt Dufresne in den zaal; mit einem Blid erkennt er die Gefahr Cduards; gefchidt ie von ben Umfländen Nutzen zu ziehen, bringt bis zu Eduard rs, Rößt alle Uebrigen zurüd, ſchreit lauter als jener Andere, gibt ard ein Zeichen, ſich zu entfernen, verjpricht ihm, die Sache "jalegen , und den Marquis, ihm für Schmerzengeld wegen feines ‚St ſeht werthvollen @efichtes beforgt zu fein. Dufresne's Sprache sat auf die Geſellſchaft Eindrud, man beruhigt fih, und Mur: fe, der ſich nicht der Stärffte fühlt, geht aus dem Saal, indem

Freund als Gewährsmann zurüdläßt.

über das Geſchehene zu troͤſten, ſucht Eduard Frau

J Seren auf; fie war nicht im Salon ; er geht durch die Vor⸗ mer, obne fie anzutreffen; fo ift fie vielleicht auf ihe Zimmer :ugen, dad in der obern Etage fich befindet; er fteigt raſch bie safle Treppe hinauf, er Fennt ja den Weg, öffnet eine Thüre und

Fanl de Rod. 1. 13

IM

bemerkt unter einer zweiten Thüre einen Lichtichein ; der Schlüſſel ftedt im Schloß... rafch tritt er ein, aber wie wirb ihm, als er feine Gebieterin nicht allein, fondern ihren Jockey bei ihr antrift, deſſen Gegenwart feinen Argwohn erwedt,

Er bricht in die furchtbarſte Wuth aus, ergreift eine Ofen:

fchaufel und ſchlaͤgt damit auf den Diener los; diefer ſchreit Zeter und Mord ; Frau von Göran fchreit, weil ihr Diener ihr fehr nahe geht; Eduard fchreit fo arg als Beide und wirft endlich, des Schla: gend fatt, die Dfenfchaufel in die Pſyche der gmädigen ran. \ Der Spiegel zerbricht mit gewaltigem Getöfe in taufend Städe, Ednard flucht, wüthet, ift nicht mehr Herr über ſich; der Jockey weint und befühlt fih am ganzen Körper, und ran von Géran zuft nach Hülfe, weil fie für ihre übrigen Möbel, und fogar für ihre Perfon Alles fürchtet; in der Anaft flößt fie ihren Diener heftig zurüd, ber fallend einen niedlichen Toilettentiſch umwirft, und MWafchbeden, Schwämme, Gläfer, Flaſchen, Eſſenzen, kurz, Alles rollt auf dem Fußboden fort... Endlich läuft ein Theil ver Geſellſchaft auf das Gefchrei, das Wehklagen und den Lärmen aus dem Salon herbei und bringt in Frau von Gerans Zimmer.

Ein Jedes drüdt das größte Staunen über die unerwartete Scene aus ; beim Anbli der Frau von Geran, deren Aeußeres bie größte Beſtürzung verräth ; des Jodey, der unter den Städen bed Spiegelö, des Waſchbeckens und den Flacons auf dem Fußboden fi umberwälzt, und Eduards, ber mit wüthenden Bliden, wie Achill vor den Wällen Troja's, durch die Ruinen fchreitet und Willens zu fein fcheint, Alles in Feuer und Blut zu verwandeln.

Man will wien, was gefchehen ift, man fragt, drängt und ftößt ſich, und vergrößert nur die Unordnung, anftatt die Ruhe her- beizuführen. Der Marquis von Monclair hält ein Schuupftuch vor's Geſicht und erklärt Murville für einen Rafenden, den man ind Tollhaus fperren müfje; Defleuret hat feine verrätherifchen Kar- ten noch in Händen und flopft ſich mit den Flacons, Schwaͤmmen,

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Seifenkageln, kurz, mit Allem, was der auf ber Erbe findet, bie Taſchen voll, um von ber Unorbnung Bortheil zu ziehen und feine Toilette zu bereichern. Einige alte Koketten umgeben theil⸗ nehmend den klagenden Jockey, weil ſeine Jugend ſie anlockt; die jungen Herten helfen Frau von Géran ihre Toilette wieder her- richten; die aber, welche am meiften bei kaltem Blute geblieben find, bemühen ſich, Murville zu beruhigen, und fordern, daß man ſich verfländige, bevor man fich fchlage. Statt aller weiteren Er: Härung verlangt Frau von Geran den Preis für ihren Stehfpiegel und ihre Toilette, Eduard aber behandelt fie mit Schimpf und Ver: achtung, und will von feiner Auögleichung etwas willen. Dufresne, ker immer in den ſchwierigſten Augenbliden bei der Hand ift, seht Cduard wiber feinen Willen beim Rod aus dem Zimmer und läßt die übrigen Anwefenden nad Gefallen lachen, ſchimpfen oder ihreien, wie es ihr Intereſſe mit fi ch bringt.

„Du biſt ein Kind,“ ſagt Dufreöne zu Murville, als fle auf het Snupe find, „wozu einen folchen Lärmen? Warum? ... zsaum?... Du weißt noch nicht, daß ich verrathen, burch eine Fan, von _ ber ich mich geliebt glaubte, ſchaͤndlich betrogen bin ! ad für wen?... für einen Bedienten! Aber, mein Gott, ift tun das ein Grund, in einem Haufe Alles umzufehren und zu jerſchlagen ?... Man muß jedes Ding von ber philofophifchen Saite Betrachten ! Für eine ſolche Bagatelle zerihlägt man Feine Nöbel! Du wirft taufend Frauen finden, die Dich für Dein Gelb anbeten !... Nach all’ den Opfern, die ich ihr gebracht habe...

Ich gefshe, es ift unangenehm!... aber, lieber Freund, das Sch, ras man an eine Frau verfchwendet, muß man immer für ver: sten betrachten. Siehe! das Schlimmfte bei ver Gefchichte ift Dein <tteit mit Monclair . . . ich bin gensthigt gewefen, ihm einen toßen Theil vom Betrage Deines MWechjeld zu geben, damit er ar nicht mit feinem zerfegten Gefichte zu einem Friedensrichter adt; das hätte Prozeſſe und Koſten herbeigeführt, und der Juſtiz

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muß man aus dem Wege gehen. Pop taufend! weißt Du, | Du ein entfehlicher Menſch biſt ?... dem Einen das Geficht, d Andern bie Rippen zu zerfchlagen! ... wenn ich mich nicht imi ins Mittel fchlüge, Du könnteſt 'mal ſchön ankommen ; aber bi Abend kommt Dir theuer zu ftehen... Alfo das Geld, wor ich vechnete...— O fei rubig.... Du ſollſt fchon Geld haben Du machſt mehr Wechfet, und überdies mußt Du auch einmal ei Treffer bekommen, man ift ja nicht immer unglüdlih... es Mittel genug, Fortuna zu zwingen. Mittel?! Sa, ja . fpäter wirft Du fie ſchon kennen lernen... Aber es fängt fc an, Tag zu werben, es ift Zeit, daß wiv ums nieberlegen . Komm mit zu mir, morgen wollen wir an unfere Gefchäfte denke

Dufresne zieht Eduard mit fich fort, und diefer, verwi niedergefchlagen und verzweifelt über Alles, was er feit ei Zeit getban, wagt es nicht, einen Bli in die Vergangenheit, i auch nicht in die Zukunft zu werfen.

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Dreiundzwanzigfies Kapitel.

Das Innere eined Spielhauſes.

„Höre, jet müffen wir Deine Angelegenheiten ordnen,“ | Dufresne nach der flürmifchen Nacht bei Frau von Geran, in er aus dem Bette aufftcht; „Du wirft noch für 15,000 Fra Wechſel unterfchreiben ; ich werde fie fchon unterbringen. Sch fiehe zwar, daß es fchwieriger ift, als ich glaubte... Man nicht viel auf unfere Unterfchriften, und verlangt zu viel. . find nur noch einige Juden, bie fi} darauf einlaffen, aber fie neh fünfzig Procent... Was fagft Du dazu... Die Treulofe für einen Jockey mich aufzugeben! ... Wie, Du denkſt an Deine Ungetrene!... Welche Thorheit!... Wenn ich nur rächen koͤnnte! . ; . Die befte Rache ifl, viel Geld

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eben, Eurud zeigen, dann bereut fle es, Deine Croberung nicht befier beachtet zu haben. Du fiehft alfo, Du brauchſt Gelb, und ih gehe aus, um welches anzufchaffen; Du aber verfcheudhe bie Ttarigfeit, höre auf zu fehmachten, denn das führt zu Nichte. Och! verfuche Dein Glück beim Spiel, da findeft Du Energie und Geiſt wieder. Ich habe Keinen Pfennig, da würde ich eine fehöne Hole fpielen! Du wirft ſchon eine Art und Weife finden, zu zewinnen.. auf MWiederfehen ; ich gehe, um Geld zu fchaffen.“

Ehnerd geht und begibt ſich nach feiner Wohnung. Er findet nn Brief von feiner Frau vor; es ift der fechste, den fie ihm \hribt, feinen davon hat er aber beantwortet. Die erften hatte er alefen, fie enthielten Wuͤnſche für fein Glück, Bitten, feine Ges Indheit gu ſchonen, aber fein Wort von Liebe; Apeline wagte es nt mehr, ihn Davon zu unterhalten. Einem Treulofen von kiehe vorfhwagen, heißt mit dem Blinden von ber Barbe, mit dem Tauben von der Mufit und mit dem Bilden vom feinen Zone reden.

Ehnard liest aber die weiteren Briefe feiner Frau nicht mehr, Beil er niit weiß, was er ihr antworten fol. Sein Herz fagt idn nichts, fein Gewiffen aber zu viel; er verhärtet ‘od eine und Hört auf das andere nicht. Die ſchöne Jahres⸗ tt ſchon weit vorgerückt, und er befürchtet, Adeline möchte von ‚ter Küdkehr reden, und ihre Gegenwart würde ihm jept mehr wie "läfig fein, Er will ihr den Zuftand feiner Geſchaͤftsangelegen⸗ benen verbergen, der nur zu ſehr ihre und feiner Schwiegermutter Rebbezeihungen beflätigt.

US er in feine Wohnung tritt, ift er nicht wenig erflaunt, Aubrere Gerichtäpiener zu finden, die fich feiner Möbel bemächtigen. "Bat foll das bebenten ?“ ruft er, „wer fendet Euch her? Mein dem," antwortet ein Feines ſchwarzes Männchen, „ber Eigenthümer "es Hotels dem Sie Die Miethe nicht bezahlen. Er hätte mich de zunor davon benachrichtigen follen. Man hat Ihnen Ans

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weiſungen geſchickt. Ich habe fle nicht gelefen. Das iſt nicht meine Schuld. Ich Tenne die Formen nicht. Der Herr fcherzen wohl!... ein Geihäftsmann ! Ich mache Feine Gefchäfte mehr... das geht Euch nichts an.“

Eduard verläßt die Gerichtöviener und begibt ſich in fein Bureau ; fein Commis ift nicht mehr da. Er durchſucht feine Bapiere, verfteht aber felbft zu wenig von den Gefchäften und wirft voll Verdruß alle Kartons durcheinander mitten im Zimmer. Er geht hinunter und ruft feine Leute, aber fie find fort. Der Portier allein ift geblieben, antwortet jedoch Ehuard ganz unver: ſchaͤmt, weil er fieht, daß er ruinirt if.

Murville entfernt fih aus feiner Wohnung, geht langfamen Schrittes dem Palais Royal zu und weiß nicht, wie er die Ge⸗ richtsdiener los werden fol. Er erwartet Duftesne, um ihn um Rath zu fragen. Endlich kommt diefer vergnügt mit der Nachricht an, daß er Geld aufgetrieben habe. Eduard faßt neuen Muth und unterrichtet Dufresne von dem, was in feinem Haufe vorgeht.

„Meiner Treu,” fagt diefer, „wenn Du mir folgen willſt, fo läßt Du fie machen, und verfaufft Dein Mobiliar, das im Augen- blick Dir doch unnütz iſt; Du brauchft jept Teinen fo großen Haus⸗ fand, da Du als Garcon lebſt; es ift ja nur ein todtes Kapital, das wir beffer geltend machen koͤnnen. Aber wenn meine Frau zurückkehrte? Bah! fie zieht das Landleben vor, und übrigens weißt Du ja, daß man in Paris für Geld in einer Stunde Hötel, Möbel und Bedienung haben kann. Das ift wahr, aber Du hatteft mir doch gerathen, Lurus zu zeigen. Wir werben uns ein fehr prächtige Ehambre garni miethen. Aber, mein Ruf?... Sei ruhig, er ift auf gutem Wege. Mache nur brillante Ge⸗ ſchaͤfte und Taß die Thoren ſchwatzen, das iſt die Hauptſache. Ja, aber ich bin weit entfernt, Gefchäfte zu maden!... Weil Du die Sache nicht recht behandelſt! Ich thue doch Alles, was "u fagft ... O nein, Du haft noch eine falſche Scham, die

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Du verbaunen mußt, und die Die ſchadet. Aber komm zu einem Rekanratenr, wir wollen Ehampagner und Madera often und alles Andere belachen.”

Euard laͤßt ſich Leiten; wie ein Binder folgt er den Rath: ſchlaͤgen Dufresnes und ſuczi ſich mit Gewalt in den Abgrund. Die Berfonen, die ihn zur Zeit feiner Verheirathung gekannt haben, alemen ifm laum wieder, fo ſehr haben Ausſchweifung und Spiel ihn veraͤndert.

Welch eine Exiſtenz fl die eines Spielers! Niemals Rıbe und Beſonnenheit; es ift, ald ob ein immerwährendes ſchleichendes Fieber auf feine Organe einwirkte ; feine Augen find behl, roth, feine Geſichtsfarbe iſt blaß und ſiech von den Nachi⸗ vohen ; feine Wangen eingefallen, fein Anzug ſchmutzig und in Unordnung; fein Gang plump und unſicher; eine geheime Unruhe lechtet aus ſeinen Augen; wenn er Tächelt, fo gefchieht es nur mit Bitterfeit ; Heiterkeit ift feiner Seele fremd, da fie nur vom Tark nah Gold, von der Gier nach Gewinn und von der Angfl des Spieles angefüllt ifl.

Und das ift auch das Bild Eduards; wer hätte in ihm den jungen Naun erfannt, der, ganz feinem Glück, feiner Liebe lebend, nt Frohſinn feine Braut zum Aftare führte? Sept find feine Züge met, der Ausdruck feiner Phyſiognomie iſt ein ganz anberer, jsihR feine Stimme ift nicht mehr dieſelbe, denn die tägliche Angft ud Berzweiflung, Wuth, Schimpfen und Fluchen haben fle rauh ar hohltönig gemacht. Seine Sprache verräth die Gefellichaft, Kr er täglich beſucht, denn nicht in Spielhäufern, mit Mädchen u Yehrügern lernt man feinen Ton und Anftand. Gebe Feinheit “t Sitten, jede Scham und beffere Haltung geht da verloren. Weuard ſchreit, tobt und flucht bei jeder Gelegenheit ; feine Manieren, kin Benehmen, feine Grundſätze entfprechen ven Modellen, vie ihn Uli umgeben. Ein tugenphafter, rechtſchaffener und vermänftiger Menſch Hat oft Mühe, dem Ginfluffe

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ſchlechter Bekanntſchaften zu widerſtehen, was foll da aus einem ſchwachen, den Leidenfchaften ergebenen Menfchen werben, der täglich nur den Auswurf der menſchlichen Geſellſchaft vor Augen bat.

Der Winter war Herangenaht. Eduard erhielt Feine Briefe mehr von feiner Frau, er wußte nicht, daß Dufresne fie für ihn in Empfang nahm und fie in feinem Namen Adelinen zurückſaudte Die erften Wechfel wurden zur Verfallzeit mit dem Erlds aus dem Mobiliar eingelöst, aber auch die zweiten find bald fällig, und die beiden Unzertrennlichen haben kein Geld mehr. Vergebene feht fih Murville, der fih nicht mehr ſchämt, links und rechts zu borgen, mit dem Wenigen, was er erhafcht hat, Abends an ben Tiſch, vergebens zeichnet er, wie Defleuret, feine Karte mit ber Nadel, und berechnet alle möglichen Glücksfälle, nichts gelingt ihm. Er fieht mit Bligeöfchnelle dad Geld zum Bankier hin verfchwinben, das er zitternd auf eine Nummer ſetzt; die fatale Geldſchippe zieht immer wieder die Summe ein, bie er zu verzehnfacdhen hofft; er hat ‚nichts mehr, er durchfliegt mit den Augen den Saal, um einen Bekannten zu fuchen, der ihm Geld borgen möchte, aber er findet feinen. Spieler haben wenig Freunde. Ehuarb verläßt Nro. 9, durchläuft die Galerie des Palais-Royal, geht in jeben Spielfaal, um Dufreöne oder fonft Jemand zu finden, ber ihm Selb leihen foll, aber Alles umſonſt. Endlich dringt er auch in No. 113 ein; Hier fieht er den Arbeitömann, ten Handwerker, wie ex den Verdienſt eines Tages zaudernd auf eine Karte feht und fo vergeubdet ; diefer geht mit leeren Tafchen nach feiner Mob: nung zurüd, wo feine arbeitfame Frau mit ben Kindern wacht und bie Kückkehr des Mannes erwartet, um die nöthigen Einkäufe für das Abendbrod der Familie zu machen... . aber er bringt nichks mit, die armen Kinder müflen fich hungrig nieberlegen, unb bie unglückliche Frau benept mit Thränen ihr aͤrmliches Lager, weil der Mann ein Spieler iR,

Zi

Und jener Kaufmann, den man mit feinem Handel ganz be: Idäftigt glanbt, was thut er in biefer Höhle des Laſters? ... &r verfpielt fein Bermögen, feine Ehre, feinen Ruf, das But feiner Gefchäftsfreunde.. Am andern Morgen fol ex Wechfel be: zehlen, und vom Roulette will ex die Bonds dazu holen!... fein Bid iR anf die Farbe gerichtet, von ber er Alles hofft, und find feine Erwartungen betrogen, fo zernagt feine Hand im Buſen cons mifrifch die Kleider und das eigene Fleiſch ... Aber er fühlt nichts, alle feine Sinne, feine Gefühle find mit dem Kügelchen beihäftigt, das über fein Schickſal entfcheiden fol.

Dort, jener junge Mann, mit dem ehrlichen Aeußern, dem mfänbigen Anzuge, der die Blicke der Menfchen fcheut, weil er für Shamgefühl noch empfänglich ift, bietet den Saunen des Zus ſalls eine Summe dar, die der Bankier, bei dem er fungirt, ihm vertraut bat, um fie einem Notar auözuzahlen. Das Glück ifl tm ungünftig, Alles geht verloren, und ganz befangen bleibt er üchen, denn er zweifelt noch an feinem Verbrechen, feinem Uns äd!... Was foll er anfangen, wenn er jebt dieſen Ort der Schande verläßt?...... Seine Familie ift arm, aber ehrlich; er lann ſich nicht entfchließen, fie zu entehren, fich den Borwürfen Inne Vaters auszufepen ; Derzweiflung bemächtigt ſich feiner Seele, a ſieht unr ein Mittel, feiner ſchrecklichen Zukunft zu entgehen. Kr ſtürzt hinaus, Läuft dem Fluſſe zu, fpringt in die Wellen, und derjenige, ber eine glüdliche, ehrenvolle Laufbahn vor ſich hatte uud dad Gluck feiner Familie gründen follte, wird in feinem zwan⸗ seen Jahre ein Selbſtmoͤrder, weil er dem Spiele nicht widers iehen konnte.

Solche Bilder find nur zu häufig; täglich Haben wir die Bes une vor Augen. Bann wird man denn aufhören, biefe Ehnlen des Verbrechens und Lafterd zu dulden?

Chuard hätte von ſolchen Beifpielen lernen follen, aber flatt deſen fegt er fich zum Biribi; er hat noch zehn Sous in der

22 Taſche; er beeilt fih, auch dieſe noch an dem Tiſche zu verlieren, wo man bie kleinſten Münzen der Unglücklichen nicht verfchmäht. j Indem er ſo neben Leuten ſitzt, die nur Bettlern gleichen, erfcheint Dufresne und gibt ihm ein Zeichen, ihm zu folgen.

„Ich habe gute Nachrichten für Dich,“ fagt er in freudigem Tone. „Bor allen Dingen ift Deine Schwiegermutter geflern in einem Anfall von Apoplerie geftorben. Waͤr's möglich ? Ein Aufwärter hier, der mit ihr in einem Haufe wohnt, hat ed mir mitgetheilt, und dann habe ich auch Geld unter der Bedingung aufgetrieben, daß Du dafür Dein Haus in Billeneuve-St.-Beorge verpfänbeft. Mein Haus? ... aber... Run! made mir nicht neue Schwierigkeiten! ... . übrigens wirft Du ja mit dem Wenigen, was Du noch von Deiner Schwiegermutter ererbft, Deine Mechjel bezahlen und Dein Haus dennoch behalten. Du fichfk, Alles geht nach Wunſch. O, wenn ich nur früher an Dein Lanb: haus gedacht hätte! Aber wenn auch, jebt haft Du wieder neue Fonds, und das ift dad Wefentlichfte! Am Dein Erbtheil der Madame Germenil zu erlangen, mußt Du aber eine Verfchreibung von Deiner Frau haben ... Wie fol ich fie erhalten... ih möchte ihr niemald den Tod ihrer Mutter mittheilen, fie wärbe untröftlih fein! Nun, fo übernehme ich das, wenn Du willk, ich gehe für Dich nach Villeneuve-St.- George und ſetze fie mit aller möglichen Schonung davon in KRenntniß!... Da wärbeft Du mir eine große Gefälligfeit erweifen ... . fage ihr au, daß ich fie nicht vergeffen und recht bald befuchen würbe . Sa, ja, ich weiß Alles, was ich ihr zu fagen habe. Beta Dig auf meinen Eifer, meine Freundſchaft.“

Nach diefem Mebereinfommen beeilt ſich Dufresne, die nöthigen Bapiere zu erhalten, um damit zu Abelinen zu gehen, welche wieberfehen zu Eönnen er vor Begierde brennt; Cduard Dagegen, nachdem ex auch fein Landhaus, den Iehten Zufluchtöort feiner

208 Familie, geopfert und den Reſt aus dem Grids feiner Effekten

erhoben Bat, überläßt fich mit ernenerter Wuth der ihn beherr⸗ ichenden Leidenſchaft.

dierundzwanzigſtes Kapitel. Die guten Menſchen. Erkenntlichkeit.

Adeline befindet ſich immer noch auf ihrem Landhauſe. Sehr kaurig und unglücklich Fam fie hier an, aber die freundliche Stille af dem Sande, umd die erflen Lieblofungen thres Toͤchterchens Sıben ihre Seele wieder etwas beruhigt, und fie hat fi in ihr Shidfal ergeben. In den erften Tagen nad) ihrer Ankunft hoffte nd, Eduard würde ihr nachfolgen, feine verrätherifchen Be⸗ Sffigungen aufgeben und über feine falfchen Freunde die Augen en, aber gar bald verlor ſich auch dieſe legte Hoffnung. Sie itreibt an ihren Gemahl, er antwortet nicht, Durch ihre Mutter "Bilt fie Nachrichten aus Baris, und dieſe find verzweiflungsvoll; % fährt, welchem wahnwigigen, ungeorbneten Leben ihr Eduard, ten fe noch immer Tiebt, fich übergibt ; fie ſchaudert, denn fle denkt 2 Dufresne's Rache und Eduards Schwäche; fie fehreibt noch "arte Male, erhält aber ihre Briefe uneröffnet zurüd. Diefer tie Beweis feiner Gleichgültigkeit erbittert Adelinens Herz; fle _ market ſtil und ohne Klagen, ob der Mann, deſſen Glück fie macht Bat, fich nicht dereinft feiner Pflicht, ſeiner Bande, die aan fie feſſeln, erinnern werde.

Als fe eines Tages mit ihrer Heinen Ermance im Felde Izieren geht, bemerkt fie, voll Gedanken, nicht, daß fle ſich weiter it gewöhnlich entfernt bat, bis Grmüdung fle zwingt, ſtill zu Ehen, Sie fieht umher, und da fie die Gegend nicht kennt und id ju verirren fürchtet, fo richtet fie Ihren Weg nach einem Meier⸗ je, den fle in der Ferne bemerkt, um bort nad bem Wege zu kehen, oder ſich einen Führer zu erbitten.

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So gelangt fie auf Guillots Pachthof, denn dieſer war es, ben fie erblickte. Luife befand fich gerade vor ver Thüre, um Enten und Hühner in den Stall zu jagen; Sandfouei war anf dem Hofe und band Heu, und die Kinder trieben fich ihrer gewohnten Weiſe nach mit Gänſen, Kaben und Hunden in engfter Freund: ſchaft auf der Dunglege herum.

Das Gemälde nöthigt Adelinen ein Lächeln ab; fie bedauert ed, nicht in ſolcher Zurückgezogenheit auf dem Lande geboren worden zu fein, wo dad Leben zwar gleihförmig, viel leicht zu eintönig vergeht, wo man aber doch wenig ſtens vor bösartigen Menſchen, vor bitteren Erfabs rungen geſchützt iſt.

Die Pächterin beeilt ſich, die Dame ind Haus treten zu heißen. Sie nimmt die Feine Ermance auf den Arm, und während fie biefelbe tanzen Iäßt, erfährt fie von Abelinen, daß fie über eine Meile von ihrer Wohnung entfernt fei; diefe, von der offenen und herzlichen Aufnahme gerührt, willigt gerne darein, einige Augen: blide bei ihr auszuruhen und an dem Eſſen Theil zu nehmen, bad für die Hausgenoſſen fo eben bereitet if.

Es fchlägt fechd Uhr. Die Stunde, wo fich die Bewohner bed Meierhofes fröhlich zur einfachen, aber guten und nahrhaften, jederzeit aber von dem beiten Appetit gewürzten Mahlzeit vers fammeln.

Guillot kommt und Bringt zugleich feiner Gewohnheit nad einen Arm vol Holz mit, Sansſouci fingt beim Eintreten ein muntereö Lied und Jakob ftellt die Arbeitögeräthe in eine Ede. Der. Pächter fieht die junge Dame gutmüthig an, Zalob grüßt fie und fest ſich nieder, ohne ihr weitere befondere Aufmerkfamteit zu fchenfen, während Adeline fein Geficht mit einer frühern Be: gebenheit ihres Lebens in Verbindung zu bringen fucht.

Man fept fi zu Tiſche. Jakob hat feinen Plap neben Ade⸗ linen, bie über fein hoͤfliches Betragen, fein offenes Weſen und

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feine Herzlichleit gegen die Kinder ganz erſtaunt if; von Zeit zu Jeit wirft fle einen fragenden Blid auf fein ernfled, mit einem gtoßen Schuurebart und -mehreren Narben geſchmücktes Geficht. Jalob bemerkt den prüfenden Blick der jungen Dame nicht; ibm 8 es unmöglich, eine Perſon wieberzuerfennen, die er nur einmal n jeinem Leben in einem Garten flüchtig gefehen bat: aber Adeline eimet ſich allmählig beim Anblid des’ gewaltigen Barted an ben Dt, wo fie ihn ſchon früher gefehen hat ; fle kann eine- Bewegung a Ueberrafchung nicht verbergen und ruft: „Wie! Sie find es, zin ger? Ach! ich wußte wohl, daß ich Sie ſchon einmal ge: ben hatte, Reden Sie von mir?“ fragt Jakob erflaunt. “0 ja, Sie find es... jegt weiß ich es gewiß. Sie kennen wizen Kameraden ?” fagt Sansſouci, „dann kennen Sie einen urn Soldaten, einen rechtfchaffenen Menfchen. Ich zweifle vft daran, und boch hat mir der Herr ſchon große Furcht ein: wg... Furcht? Madame, dies macht mich untröſtlich, an wie wäre dad möglich geweſen? Erinnern Sie fich eines le, wo Sie in Villeneuve-Saint-George waren? Es find licht achtzehn Monate her, Sie hielten fich daſelbſt ange vor rer Thüre eines Gartens auf, und durch die Thüre konnte man u Ihr Geficht fehen ; ich geftehe, daß mich damals Ihre Augen, re Rachen und Ihr Bart nicht wenig erſchreckten. Wie!

Raame !“ erwidert Jakob, nachdem er Adeline genauer beobachtet id, „Sie befanden fi in dem Garten? Ya, mein Herr, e “birt zu meinem Haufe. Aber damals befuchte ich ihn zum erften Nele mit meiner Mutter und meinem Manne.“

Jalob antwortet nichts Hierauf; er wird büfter und nach⸗ ale, fährt mit der Hand über die Stine, fireicht fih den Sart und ſeufzt tief auf.

„sa, ja!” jagt Guillot, nachdem er ein tüchtiged Glas Weir utrnfen hat, „jo iſt's, wenn man gut fehen kann, denn wenn Gen, dennoch . . .; es iſt num ein Geſicht ober nicht, ich fage

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ſelbſt, es braucht nicht gerade immer ein Bart hinter ber Thuͤre zu fein... denn man bemerkt das gleich, ift eines furchtſam, fo zeigt es ſich bei allen Gelegenheiten. Alsdann hat man es ſchon geſehen!“

„Ja, ja, Du haſt Recht, Alter, ſchweig nur,“ unterbricht bie Paͤchtersfrau Guillots Geſpraͤchigkeit, wenn übrigens Madame das Ehrenlegionskreuz geſehen hätten, das unſer Freund Jakob da auf dem Herzen trägt, gewiß, Sie hätten dann keine Furcht gehabt. D!" ſagte Adeline, „jetzt brauche ich auch das nicht mehr zu fehen, um von meinem Irrthum zurädzulommen. Aber, was wollen Sie, die eigenthümlichen Umftände, Frauen find furchtiam, und biefer bärtige Kopf jo einfam am Ende des Gartens !”

„3a, wirklich,“ beginnt Guillot wieder, „ich will gerade nicht fagen, daß ich ein Hafenfuß bin, aber ich hätte mich auch gefürchtet, denn warum, fo eine Meberrafchung, hinter einer Thäre... folcher Bart... in einem Garten, ſo etwas hält man nicht aus! O fchweig doch, Alter, Du bift ein Hafenfuß; nicht wahr, Vetter, fol er fich nicht fchämen ?“

„Ad, taufend Bajonette!“ ruft Sansſouci, „wenn Räuber Euren Meierhof angriffen, was wollt’ ich fie davonjagen, ich ver fiher’ 8 Euch!“

„Sf Ihe Herr Gemahl immer noch in BilleneuvesSaint- George ?“ fragt Jakob Adeline nach einiger Zeit. „Nein, er if ſchon längere Zeit in Paris.“

Bei diefer Antwort fcheint die junge Frau fo traurig zu werben, daß Jakob fchon feine Frage bereut. Je mehr er die Yrau feined Bruders betrachtet, deſto mehr fühlt er fich zu ihr Hinge: zogen; er zweifelt nicht, daß Eduard ihr feine Zuſammenkunft mit ihm verfchwiegen habe. Sie würde. mich nicht zurüdgewiefen haben, denkt er, mit fo vieler Sanftmuth in ben Geſichtsézügen und in der Stimme bat man fein fühllofes Herz, ... . Cduard allein ift ſchuldig!... aber fie foll nichts davon erfahren, es koͤnnte

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ke undchig beirüben, umb überdies mag ich mid dem Undank⸗ baren, ber mich verlaͤugnet, gar nicht nähern,

E wurbe Schon finfter, und Adeline lonnte allein nach ihrem Dorfe nicht zurũckkehren; ein Jeder bietet ſich an, fie zu begleiten; ke wählt Jakob, um ihm zu beweifen, daß fie auch nicht bie mixdefte Furcht mehr vor ihm habe, und er fühlt fich insgeheim deßhalb geſchmeichelt. Er nimmt die Heine Ermance auf den einen Arm, bietet der jungen Frau ben andern, und dieſe nimmt von ıbten Wirthölenten Abſchied, verfpricht aber, erfreut über folche saffregubliche Aufnahme, recht oft wieder zu kommen.

Anfangs iſt man auf dem Wege ziemlich einſilbig. Dann uns wann gibt Jakob nur der Heinen Ermance ein Küßchen, wor: über diefe, erſt acht Monate alt, den Soldaten anlaͤchelt und mit ſeinem Schnurrbart fpielt.

Ich bedaure,“ ſagt Adeline, „daß ich Ihnen Mühe mache, aber ich glaubte nicht, mich fo weit von Hauſe entfernt zu haben.“

„Madame, Sie bereiten mir dadurch ein großes Vergnügen. Das Kind wird Sie müde machen! Mid; müde machen ?... sin, tauſend Granaten . . . aber um Berzeihung, vor Damen fol man nicht fluchen. Bei einem alten Militär ift das immer entſchuldigt. Ich liebe die Kinder fehr... und diefe Kleine if wirklich allerliebft ... Ach! fie ift mein einziger Troſt!“ fagt Veline ganz leife ; Jakob kann ſfie nicht verfiehen, aber ex bemerft, daß fie traurig wird, umb gibt daher der Unterhaltung eine andere Vendung. „Madame werben ohne Zweifel bald wieber nach Paris zurückkehren, bie fchöne Jahreszeit ift vorüber, wir find im Ronat Oktober. Mein, ich denke das Land noch nicht zu ver: lafien.... vielleicht werbe ich den Winter hier zubringen!“ Das ij hoch fonderbar, denkt Sakob, fie bleibt auf dem Lande und ihr Rom in der Stadt, follten fie nicht gut mit einander leben ? „In diefem Fall,“ erwidert er ihr, „werben wir, Hoffe ich, manch⸗ mel das Vergnügen haben, Sie auf unferem Meierhofe zu ſehen!

da, ed ſoll mir eine Freube fein, ihn öfter zu befuchen. Si. find mit dem Pächter verwandt, glaube ih? Nein, Madame, mein Kamerad ift ein Better der Frau Guillot, aber ih Bin nu: ein alter Soldat, ohne Familie, ohne Bekanntſchaft, dem man aber gern bat Arbeit geben wollen. Ich bin gewiß, daß man jeden Tag mehr darüber freuen wird... Sie find noch fung, lange können Sie nicht gedient haben ? Verzeihen Sie, ich tra! fehr frühe in den Dienft! Und bei Ihrer Rückkehr aus dem Felde fanden Sie keine Mutter, Teine Schwefter, die Sie nad Ihren Kriegöftrapazen hätten pflegen können ? Rein, Madame, ich hatte nur einen Anverwanbten, aber er behandelte mich mit zu geringer Freundſchaft ... ich Bin ſtolz ... Halte auf Ehre, und verwarf eine Hülfe, die nicht aus dem Herzen kam und mich er: niebrigt hätte. Das war wahrfcheinlih nur ein fehr entfernter Berwandter ? Ya, Madame! Mein Hann hateinen Bruder... ja! er heißt auch Jakob, wie Ste; feit mehreren Jahren bat er feine Familie verlaffen ; ohne Zweifel ift er tobt; aber wenn er noch lebte und zurüdfäme, gewiß würde mein Mann erfreut fein, ihn zu ſehen!“

Jakob antwortet nichts, aber er wendet den Kopf weg, um Adelinen eine Thräne zu verbergen, bie fein Auge nicht zurüdzn: Halten vermag. |

Man kommt endlih am Landhauſe an. Adeline bittet Jakob einzutreten, um einige Augenblide auszuruhen, er lehnt es abeı ab, denn er fürdhtet durch feine Rührung fich zu verrathen.

„Wenigſtens hoffe ih,“ jagt die junge Frau, „daß Sie mid nicht vergeflen werben, wenn Sie nach Billeneuve- Saint: &eorge kommen. Sie follen dann auch den Garten fehen, den Sie ſich nur durchs Bitter betrachtet Haben. Mit Vergnügen, Madame, ih Bitte aber auch unfern Pachthof nicht zu vergeſſen.“ Adeline verſpricht es und Jakob entfernt ſich, indem er ven Blick fo Tange ale möglich auf das Haus heftet.

Das AR ein recht braver Dawn,“ fügt beline ‚beim. Win: hin im ihre Zimmer, „und Mama und ich wir haben ihn Tehr hliä beuriheilt.... Ich bin überzeugt, daß biefe rauhe, ernfte Ifmfeite ein gefühlvolles Herz verbirgt. Ach! der Eheim tragt allzuoft!“

Ciund Tages nachher geht Adeline eines Morgens, von ihrem Kutmändhen begleitet, wach bem Meierhof. Die Lanblente em⸗ Yen fie mit. herzlicher Freude. Abeline iſt ſo liebenswuͤrbig, ach und ſanft gegen Jedermann, daß bie guten Leute ſie gar noeme bei ſich fehen. Gutlket verliert fich in Fangen Phraſen, ki laͤt die Heime Ermance ſpringen; Sauisfonet ſchwört, beim Inmente niemals fo ein zartes, fanftes Frauchen gefehen zu kim, und Jakob erweidt ihr wie größte Achtung, das lebhafteſte Nineffe ; feine Iusorkommenheiden für Adeline find fo anserisäntt, Nie Manieren fo ehrerbietig, daß fie nicht weiß, wie ſie fl hiſes eben fo rührende als unerwartete Beuehmen erklären foll. Un Jalobs Blicke haben nichts Beleidigendes, es iſt aufrichtige Deilnahme, Freiudſchaft, was ſie darin liest, und Ihr Herz em⸗ Hıbet dafſelbe, ohne daß fle ſich darüber Rechenfchaft zu geben weiß.

Ein Jebes reitet ſich um die Ehre, die junge rau nad benſe zu Begleiten: Guillot Bietet feinen Arm an, Lntfe will die Heine twhagen, Jakob als Wegweifer und Sausſouci als Eskorte \mm; aber Abeline zieht es vor, diesmal mit ihrem Mabchen den ga sehen, um Niemand eiferfächtig zu machen. Nur dann . ind ware Bei ihren Wefnchen, wenn es ſehr ſchoͤned Meter if, lam fie bie Begleitung aller Hausgenoffen nicht zurückweiſen, weil zan es alcbann · als einen Eipaglergang anſteht, den man in ihrer Ifellihaft zu machen wünfht. |

So vergehen mehrere Monate. Der Winter hat feine Herr: iceft angelzeten, die Bäume find kahl, die Felder tranrig und ide. Meline bekommt Leinen Veſuch. Sie lebt in ihrem Haufe son; allein mit ihrem Mädchen und einem alten Gaͤrtner, der ven

Saal de Rod. 1. 14

geuben Hauddiener erfeht het, Ya Abellne ihhn -befguih antlafhen, weil ex die Armen and Beitier hartherzig fortiagte, wenn fie an ihre TIhüre klopften und ein Stück Drop verlangten.

Ihre einzige Zerſtreuung find die Beſuche anf dem Meierhofe, wenn es recht ſchoͤnes und für ihr Kind wicht zu kaltes Weiter iR; Yalob if jedesmal innig bewegt umd erfreut, wen ex flo ficht, aber ec verbirgt einen Theil feiner Empfindungen, ur den Haus⸗ genofien Feine Veranlaffung zu Fragen zu geben; Sangſouci iſt mit dem Geheimniß Jalobo vertraut; er weiß, daß Abeline bie Frau des Bruders ſeines Kameraden if, aber er hat gefdäworen, 08 nicht zu verrathen, und anf feinen Schwer kann mu bauen, obgleich er oft außer fi if, Adelinen nicht eröffnen zu Türken, welche Bande fie au feinen Freuund knüpfen. Aber Jakob will es fo, ex bat einen Theil des Kunmers feiner Schwaägerin errachen, und will ihn buch bie Kunde von dem Betragen ihres Mannes gegen ihn nicht noch vermehren.

Indeſſen ift man weit entfernt, im Dorfe unb im Pachthofe bad zu errathen, was in Paris geſchieht! Die Nachrichten von bert werben nur zu frühe Die Ruhe flören, ber man ſich noch er: freut. Dufresne hat es ja übernommen, den Frieden einer Frau zu zerfiören, bie er für ihre Verachtung güchtigen will.

Eines Morgens wird Adelinen hinterbracht, daß ein Herr ans Baris fie zu fprechen wünfche; fie geht in deu Salon, wo ber Fremde eingetreten if, und führt vor Schrecken zufammen, als fie Dufresno erblickt, der in einem Yaitenil ruhig ihr Grfcheinen er: Wartet.

„Sie bier! mein Herr!" fagt fie, indem fie alle Kräfte zu⸗ fammen nimmt, „ich glaubte nicht, daß Sie «8 noch wagen würden mir vor bie Angen zu fommen!... Madame. . . verzeihen Sie,” erwidert Dufresne mit heuchlerifchem Tone, „ih hoffte, daß bie Zeit Ihren Haß beſchwichtigt haben wärbe. Niemals, mein Herr, Sie wiſſen nur gu gut, daß Ihre Beleivigungen fich aus

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dem Gepädgtniffe nicht entfernen lafien!... Beeilen Bie fd, mir - zu fagen, was Sie herführs! Ich komme, Ihnen neuen Kummer zu machen, aber die Befehle Ihres Mannes... Spredien Sie, ih bin anf Alles gefaßt! Ihre Mutter... ohne Zweifel wiſſen Get Meine Mutter, o Bott! ſollte fie frank fein? Bor Kurzem erhielt ich noch einen Brief von ihe! Bin Rervenanfall . . on Schlagfluß!.... Großer Gott, fie tft wicht mehr, und ich babe fie in ihren letzten Augenbliden nicht gefehen!“

Weline Fällt vernichtet auf einen Stuhl nieder; endlich machen mei Thraͤnenſtroͤme ſich Luft, und ihr Schmerz, ihr Sammer, wärbe 2 fichlloſeſte Weſen rühren ; aber zarte Empfindungen kennt die Seele Dufresne’s nick, die können nur die verwerf: liäßen, die Menſchheit entehrenden Leidenfchaften tigen. Stilliſchweigend beobachtet er die Verzweiflung einer jungen, Minen Yrau, deren Unglüd er bereitet hat; er Hört ihre Seufzer, ſcheint fie zu zählen und weit entfernt, einen Aufug von Rene wu empfinden, finnt er vielmehr darauf, wie er ihr noch neue Qualen zufügen kann.

Die Gegenwart Dufresne's vermehrt noch Abelinens Schmerz; vor ihm kaun fie ja nicht nach Gefallen ſich ausweinen und bloß au ihre Butter denken ; fie will es verfuchen, den verächtlicdhen Nenſchen los zu werben, der an ihren Leinen ſich noch weidet.

„Berbinden Sie mit Ihrem Beſuche Leinen andern Zweck, als wir den ſchrecklichen Verluſt, dem ich erlitten babe, mitzutheilen ?“ fast fie, indem fie ſich erhebt und ihr Schluchzen unterdruckt. Naedame, die Hinterlaffenfchaft von Madame Germenil muß re: Salt werden; ich habe geglaubt, es würde Ihnen ſchmerzlich fein, at dieſem Gefchäfte fich abzugeben, das übrigens Ihren Mann betrift dazu iſt jedoch Ihre Unterfcheift nöthig .... ich habe ale nötigen Bapiere bei mir. Ab, fo geben Sie her, ich unter: zeichne Alles ... ich will Alles verlieren! ... wenn’ nur wenigfiene Ihre Gegenwart mich in meiner Zurüdgezogenheit nicht mehr ſtoͤrt.“

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Bei viefen Worten ergreift fie bie Papiere, unterſchreibt Alles blindlings, gibt ſie ihm zuräcd, und will ſich entfernen... ex aber halt fie in dem Augenblide, wo fie den Salon verlaffen wii, kraͤftig am Arm zurück.

„Einen Augenblick, Madame, Sie eilen fehr, wich zu ver: laſſen. Was mich betrifft, fo möchte ich mich gem für die Zeit ſchadlos Kalten, in ber ich Sie nicht gefehen habe ..... anferbem habe ich noch Nachrichten an Sie von Ihrem Gemahl.”

Ein graufames Lächeln leuchtet aus ben. Augen Dufres: ne's; Adeline jchaudert und will entſchlüpfen.

„Halten Sie mich nicht zurück,“ xuft fie, „oder ich laſſe Sie für Ihre Frechheit ſtrafen! O! nicht fo viel Stolz, ſchoͤne Adeline! denken Sie, daß ich nicht die nöthige-Vorficht gebraucht hätte? Ihr Gärtner iſt Hinten im Garten beſchaͤftigt, und Ihr Mönchen if unten in ber Küche, von wo aus man Sie nicht hoͤren Tann ; ich Ienne das Haus fehr gut! . .. Sie werben bleiben,

weil id ed fo haben will... Sie werden mich anhören... umb nachher wird fich das Weitere finden. Elender! ... Glauben Sie nit, mich einzufchüdhtern, der Haß gegen Sie verboppelt meine Kräfte. Ab, fo! Sie hafjen mich alfo noch immer? Sie wollen alfo Feine Vernunft annehmen? . . ich habe eine beſſere

@Gefiunung ; ich will. Shre Beleidigungen vergeffen, wenn Sie mich endlich Ihrer Liebe verfichern wollen... . Aber nehmen Sie ſich in Acht ... meine Geduld moͤchte vergehen, und dann möchte ich zu Allem fähig fein. O, mein Gstt!... warum muß ich ſalche Schurkereien anhören? Run, feinen Zorn weiter... Ihren Mann: lönnen Sie nicht mehr lieben, ver hat Sie aufgegeben, vergeffen, ruinirt Sie, befucht alle Spiels und Sreudenhänfer..... Er iſt jeßt der Ausfchweifung fo ergeben, als dem Spiel, uud es iſt nicht zu viel gefagt, er bringt Sie an ben Beltellab! .. . Ich biete Ihnen Reichthümer an... nichts foll mir zu koſtbhar fein, Ihre Wünfche zu befriebigen!! , , , Deffnen Ste.die Augen !

218 mb überzeugen Ste fi, ob ich Ihrem einfältigen Eduard uicht gleiäfonme!... Sie ſchweigen? Run, nun, ich merke, Ste ſehen die Richtigkeit meiner Rebe ein... alfo fchließen wir Ftieben.“

Daftesne will fich Adelinen nähern, fie aber ſtoßt einen durch⸗ wingenben Schrei aus. „Wie! was! noch immer biefe Steenge... Ih werde doch vie Reiſe nicht umfonft gemacht haben, ein Küßchen muß ich haben. Ungeheuer! lieber erben. Bah! wegen feld} einer Kleinigkeit ficht man nicht.“

unſonſt verfucht die Unglackliche zu lichen, der Elende halt fe zurick; fein umreiner Hauch will fo eben die Lippen der Schän- kit berähren, als ein lautes Geraͤuſch füh Hören läßt und gleich verauf Jakob und Sansfouci ins Zimmer treten.

Dufresne hatte nicht mehr Zeit gehabt zu entkommen ; bes Kauyf, den Abeline zu beftchen Hatte, nahm ihr alle Kräfte; fie Io daher nur noch die Worte herausſtammeln: „Nettet mich, befreit mich von biefem Ungeheuer!“ und bewußtlos faͤllt fie auf ver Fußſboden nieder.

Jakob Läuft zu Adelinen und droht Dufresne; biefer wid hinans, Sansfouci ftellt ſich ihm aber in den Weg und ruft: „Einen Augenblick, Kamerad, Ihr habt diefe junge Dame belri⸗ bit, und das kann nicht fo Hingehen. Ihr fein im Irrthum,“ antwortet Dufreswe, indem er fich bemüht, feine Angſt beim Ans bil Jalsbs zu verbergen... „dieſe Dame Hatte einen Nerven: fell, anf ihre Geſchrei kam ich herbei, ich wollte ihr hälfreiche Sand leiſten. Laßt mich, ich will das Mädchen rufen.“

Sansſounci iR zweifelhaft und weiß nicht mehr, was ee landen fol, ala Jakob, dem die Stimme Dufresne's auffiel, Ti wart, ihn aufmerkſam anfchaut und ihn plöglich erkennt. „Belt ven Spigbuben feR,“ ruft er Sausſouci zu, „und Taf ihn nicht eniwifchen;, das iſt Breville... der Halunke, der mich in Behffet beraudt und beſtohlen hat; taufend Granaten, der ſoll's bifen !"

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„MG, ah! Romerabdien,“ ſagt Sansfouci, „auf ſolch' eine Grbennungsfcene war't Ihr nicht vorbereitet! .... Das iſt freilich nnengenehm ; ich geftehe e8 . . . aber man wird ſchon nach her Meife tanzen müſſen! ... . alfo vorwärts!"

Dafreöne fieht, daß Lift Hier nichts mehr hilft und ſegt ſoine Seffnung nur noch anf die Flucht. Jakob iſt immer mit Moelinen befchäftigt, die noch nicht wieder zur Befinnung gelommen iſt; Sansſouci allein kann ihn Daher nur aufhalten, aber Dufresne iſt ſtark und Eräftig, Sansſouci dagegen Elein und mager ; er faßt deßhalb einen Entſchluß, wirft. ich auf feinen Gegner, vackt ihn und wirft ihn nieder, ehe dieſer ſich befinnen faun, fegt über ihn weg, öffnet die Thüre und fliegt in großen Sägen bie Treppe hin⸗ unter. Luiſe hatte nämlich Jakob und Sahsfsuei nach Wille⸗ neuve⸗St.⸗George begleitet und fo waren gerade die Bewohner des Meierhofes gekommen, um Madame Murville auf Guillots Geburtstagsfeier einzuladen. Als fie nun in den Hof traten, Den Gärtner nicht fanden und die Pächterin in die Küche gegamgen war, um fich nach Madame Murville zu erfundigen, hatten Jakob uud fein Freund unten an der Treppe gewartet und plögli das Ge⸗ fehrei vernommen, auf das Hin. fle zu Hülfe eilten.

Auf feiner Flucht begegnet Dufresne Luiſen; ; er ſtoͤßt fie heftig zuräd; fie taumelt und fällt ihm zwifcgen Die Beine ; während er fih, anf den Boden mit hingeworfen, von ihr loomachen will, Kauft Sansfonei vol Wuth, won ſolchem Schuft überwältigt werben zu fein, mit einem tüchtigen Knotenſtock herbei und driſcht auf Kopf und Schultern Dufresne's fo gewaltig los, daß dieſen Hören und Sehen vergeht; endlich aber reitet ex fich gegen den Garten Hin; Sansfmei verfolgt ihn, aber Dufresne. Iennt alle Wege, weiß den Augen feines Feindes zu entgehen, erlangt eine mit Staketen befepte Dauer, klettert hinüber, Läuft querfeldein nach Paris zu und ven das unglüuckliche Beſemaueeen mit Jakob.

wißt!® fat Sakob, —— hau Fa had ih an einmal all’ nuwinet Gab us) Gutes beraubt ; ein anderes Mal were ich Ihnen das erzählen. Ab, der Spitzbube!“ ſagt bie drin, „und mid; bat ex über den Haufen geraunt, als wär ich eine felle Ente, aber ich kann Sie verfihern, Sanoſounci hat Im gehörig Dundigegeröt.... ach, Bat der ihn geprügeli, man fa

vu Stock in der Luft ni!“

Gerade kommti Sonsfonei mit beirühter Miene zurud. Am!” rufl ihm Jakob enigegen, „ha Du ihn arretirt? Better, mein! . . . ich weiß nicht, wie er's gemacht halte; im Gerten verlor’ ich ihn aus ben Augen; ex fchien darin Beſcheid zu wiffen, ich aber wußte nicht, welchen Weg ich einfchlagen follte ; roch gleichviel, er Hat eine tüdhlige Labung bekommen!... wenn et vie Madame wünfdjt, fo will ich noch Feld und Dorf durch⸗ Tadhen.“

„Rein, das iſt unnütz,“ erwibert Adeline; „ich danke herzlich für Ihren Eifer, laſſen wir den Elenden laufen ; ich glaube, daß a ſich Eünflig Hier nicht wieder blidden laſſen wird. Hat er fie ruht Befohlen, Madame,“ fuagt Jakob. „Nein, es. kam wegen med Goſchafts, einer Meskunft her... wagte es dabei, mir von Siebe vorzufprechen,, und wäthenn über meine verächtliche Abwei⸗ ng, wolle er daB Weußerfie wagen, ald Sie dazu Samen. Tab Ungehemer!... ady! wenn ich ihm wieberfinde! Potz tauſend! ieh‘ eier den Schlüngel, wagt ſich an fo Heine, nisbliche, zarte Aanen, wie -Miekame Wüwniie! ... ich möchte nicht einmal, daß er mit den h...... füßte... aber verzeihen Sie, wor Ihren Ehren

die

mit Reſpekt zu Tagen. Ex ſoll ſich nicht wicher einfallon laſſen, weder Sie zu füffen, noch aberhaupt auzufehen,“ ruft Sausſouci, „oder, bei der Schlacht von Auſterlitz ſeio geſchworen, mein eine griff ſoll ihm zur Uhrkette dienen!“

Die Ruhe ſtellt ſich wieder her, aber Adeline, untröſtlich aber ben Verluſt ihrer Nutter, und daruber, was ſie durch den treu⸗ loſen Dufresne von Ednard erfahren, lehnt es ab, Guillots Ge⸗ burtotagofeier anzuwohnen, was bie eijrlichen Laub beube ſehr ſchmerzt. Umſonſt verſuchen Luiſe und ihre Begleiter, ihren Eutſchluß wan⸗ "Temp zu machen ſie ſollen nun ohne fe nach Haufe gehen: nun fie ihrem nagenden Kummer überlaffen.

Jaklvb und Sansſouci bisten ſich an, bie Rat unten im Haufe zu wachen, um möglichen neuen Mefchlägen des Boſewichts zu begegnen; aber Abeline will dazu nicht einwilligen, fie dankt thnen herzlich, verfichert fie, nichts mehr Kefkrdhten zu dürfen, und bittet nur, fie vecht oft zu beſuchen.

Die Bewohner des Meiechofes entfernen fich endlich mit kam⸗ mervoller Miene, und Jakob nimmt es fi vor, in allem Grufte über die. Frau feines Bruders zu wachen. _

Sünfundzwanzigfies Kapitel. Dad Lotterie-Gomptoir.

„Die mag ed nur zugehen, daß ich mich ruinire, indeß Anu⸗ bese gewinnen? Soll ich denn nie zu einem raſchen Mittel ge langen, reich zu werben?"

So ſprach Ehuard an dem Tage zu ſich ſelbſt, als Dufresue nach Villeneuve⸗St.⸗George fuhr. Er trat fo eben. amd einer Alademie (der noble Ausdruck für ein Spielhans),- wo er abermals einen Theil des auf fein Landhaus gelichenen Gelbos verſpielt Hatte. Verdrießlich duschläuft er die Strafen der Stadt; er träumt im

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sche auffehien wenfite, bie gegen einige Etüde Bapi ige Gelb los werben weilte.

Eimarb entſchließt ſich, zu warten, unb wirft inbeffen feine Olide auf Die ihn umgebende Menge. Sie beßeht beinahe air ud Berfonen der niedrigſten Klaffen : aus Heinen Kraͤmern, Adıhin- um, Weſcherianen, Schuhflidern, Botenläufern und Toöslem, Damit if aber nicht bewiefen, daß die höheren Klaſſen nicht auch ız der Lotierie Spielen ; die feineren Leute aber laſſen für ſich jagen: mb der anflänbige Bürger, der fich ſchaͤnt, geht darch bie Hinter⸗ tbäre ind Bureau.

Mauarb zieht das Tafchentuch Hervor, denn bie Bereinigung Nefer Herten und Damen verbreitet eben Beinen fehr aromatiſchen daſt, vielmehr Bilden ver Buplaften des Savoyarden, bie Häriuge Rrämesd, ber Tragkorb des Lumpenſammlers, das Pech des Shuhlicend und der Stockſiſch der Köchin eine Miſchung von

berũchen, bie einen Grenabier zurhdlfchredien koͤnnte; aber bie -

tolteriefpieler berechnen ihren Gewinn und riechen nichts. Bei dem Barten unterhalten ſich He Spieler über ihre Träume, re Autgmafungen, und dabei ſprechen Alle zugleich uud Jeder ni Recht; es iſt ein unausſtehlicher Lärmen, tretz ber Bitten unb Borfieliungen der Fran im Eomptoir, die alle fünf Minnten, wie ‘a Sprecher im Juſtizpalaſt ruft: „Stille doch Ba hinten... Rubig, meine Damen, man verſteht ja fein eigenes Wort wicht!“ Eouard, der nicht zu ben gewähnlichen Gaͤſten gehört, iſt von vu unaufhörlichen alten Weibergeſchwaͤtz ganz wire im Kopfe ger wmorden; aber das Glück kann nicht theuer genug erlanft werben,

np er faßt Muth, ja fogar ven Ensichluß, von dem Vewoſche

bertheil zu ziehen.

„Beine Kleine,” fagt eine ganz wit Lumpen bdeci⸗ alte an zu einem anbern Weihe, die einen blinden Bettler führt: U babe heute früh nürgtern eine Spinne hinter meinem Strohſad ann fehen. Gi eiter,“ bekommt fie zus Antwort, „ich jehe

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ihigt, ihn zu pflegen, Die Zeit vergeht, mis iht ber Bubteriefihluh, nud ich vergaffe meine Irodlene Terue übes feinen Kluſtieren. Meine arme Sertrude; das heißt Mnglüd Haben! Aber Pak Schlag! mein verftorbener Daun Hätte ſich noch fo fehr Irkmuen mögen, ich Hätte Die Lotterie nicht darüber vergeſſen. Seit sehe Jahren - bringe ich meinen Einſatz immer den zwanzigſten des Monat, eine Yunbe und zwei Audzuͤge, diesmal iſt's etwas fpäter geworden, aber es ſchabet nichts, mud ſiehſt Du, es iſt mis wieber geglüdlt, o! ich weilte fa licher mein letztes Hembe verlaufen, als non meinem Plane abgehen. Kennfi Du Leute, bie das große Leos gewannen haben? O, freilich, die Koͤchin aus ber Mobehenbiung . . . Drei Nummern zufällig aus dem Bade gegen. Weißt Du, daß das ein Gluͤck iſt! Ach, das if eben nicht fo erflaunend wert, denn fie hatte zuvor geirkuimt, daß ihr Herz ſich bei ihren Kochhaͤſen zu ſchaffen mache. Ach! dann war es freilich ſicheres Gelb... Ic möchte ans ber Haut fahren; mir bat noch nie ſolches Zeug geträumt! Aber mir bagegen, mir iräumte oft noch bei Lebzeiten meines verflarbenen Mannes!“

Couard drängt Die Menge, die ihn vor dem Lotterie⸗Tomptoir gefeffelt Hält, auseinander un: entfernt fig. Auf feinem Mege denkt er an die gezogenen Nummern. Diefe Art zeich zu werben, gebt nicht fo raſch, wie das Roulette, und die Glüdsfälle mögen auch feltener fein, aber die Refultate find ungleich glängenber, weil man mit einem Geldſtücke bedentend gewinnen Tann.

Den ganzen Tag denkt er Bloß au die Lotterie, und am andern Morgen entichließt ex fi, fein Glück auch auf diefem Wege zu verfuchen. Er geht in das erfle Lolterie- Comptoir, Das er ſindet, und braucht Daher nicht weit zu lanfen, beun in ben Straßen von Paris trifft men mehr Lotterie⸗ ald Armen: Gollecten.

G8 war zehn Uhr Morgens und der Schluß einer auswärtigen Collocte. Das Bureau war fo gearängt vol Neuſchen, daß man nicht hineinkammen Tounie, und man ſich am Ende ber Meufdgen-

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«mit, ald führe ch auf einem Wafler, das fchäumte und kochte, wie ein Fleiſchtopf am Feuer. Und Du fingeft die Fiſche ges tot, nicht wahr! ber fo fei doch fill, Plaubdertaſche! Geblich fah ich anf des andern Seite des Waſſers einen fühönen helaſ and der Erde fteigen, wie im Theater der Seiltänzer, vie Vier waren von Diamanten, die Mauern von Gold, die Fenſter a Siher und die Thüren von Rubinen Teufel! das maß Leine Bfefferfuchenhänfer überkraklt haben! Ich, wie ich ben dalaſt ſehe, bitie einen Schiffer, einen ſchoͤnen jungen Mann, nic ſogleich hinüber zu fahren; da verlangt er... adj der Spitzbube

das war alfo ber fehöne Traum, ic beufe Wunder, was va ktanöihläpfen wird!“

Das find ſchoͤne Geſchichten; „aber. Platz doch,“ fagt eine Kecin, indem fie ein ſo eben gekauftes Huhn in ihren Korb ſteckt td man nach dem Geruche ebenſowohl für eine Schnepfe hätte beten Tönuen, „mein Herr wartet aufs Frühſtück, er will frühe gehen und ich ‚habe noch nicht einmal Feuer angemadht ; ge: seine, Madame, mein gewöhnlicher Sak, da find breißig Sons, migen Sie mich raſch ab, ich Bitte.“

Die Köchin nimmt ihr Loos und kehrt calculirend nach Haufe und; dad Hnhn hat zwanzig Sons gefoftet, fie wird es zu zwei ktunien zehn Sons anfchlagen, dann hat fie ihre Cinlage umfonfl, um das ik ſchon etwas ; Freilich wird Die Herrſchaft ein fehr theures m obendrein amgegangened Huhn verzehren; aber bie Tleinen Frofitchen bärfen nicht vergefien werden, und man läßt vi chriht umfonft [helten und quälen. '

„Biele Rummern find lange nicht hetausgekomtmen,“ fagt ein lan Mann, nachdem er drei Viertelſtanden die Karte der früher nsgenen Nummern betrachtet bat, „Da!“ fagt ein: Anderer, kenerlen Sie. wohl, daß die 6 gefangen ift.... fie muß bald

* Im Intereffe des Leſerd haben wir biefe Unterrebung etwas abyufürzen hr gut befunden. - Der Ueberſ.

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alle Tage genug Spinnen ‚bei mir. Mag fein; das bdriugt aber Glück; ich werde einen Thaler auf Nr. 9, 30 und 51 fegen; ich Bin: gewiß, die muſſen herausfommen.“

Und bie Unglädlidge, die baarfuß geht, deren Rod voll Löcher if, zieht einen Thaler Heraus, um ihn anf eine Spinne zu fegen. Fur die, weiche feſt au Träume glauben, find die Nummern feine Bummesn mehr, ſondern die Gegenflände, bie fie im Traume ges fehen haben, und Dank fei es ben Traumbüchern, dem Eleinen Caglioſtro, dem Blinden des Hüds und taufend andern nienlichen Arbeiten vom gleichen Genre, welche die Lottofpieler amdwendig wiſſen, ber Rotteriefpieler kennt auch fein Metier, und weiß, wenn ed. der Mühe lohnt, nach: dem Nebel der Seine Euch feine Be- rechnungen und Tranmandlegungen zu machen. „Mein Her, beſetzen Sie meine Ochſen,“ ruft eine Aufterfrämerin, indem fie ihre breißig Sons hervorholt. „Mein Herr, fehen Sie mit- vierund- zwanzig Sond.auf eine weiße Kate. Mein Herr, beſetzen Sie mir dad Ramijol meiner alten Tante. Beſetzen Sie mir eine. Terme auf Artifcholen. Mein Kind, die ganze Nacht habe ih Pferde gefehen, die, wie im Stalle, in meinem Zimmer herum trabten. Bon welcher Farbe waren fie?“ fragt ver Schreiber mit komiſchem Eruſt. „Ah! der Taufend.... warten Sie do... ich glaube, es waren Apfelichinmel... Nein, nein, fie waren ſchwarz. Das ift die 24. Waren fie angefgirrt? Ja, id glanbe!... Das ift die 23. Liefen fie jehr ſtark? So wie im Circus! Das ift.die 72. Nun, dann ordnen Ste mir das Alles. Mit foldh’ einem Traume kann's nicht fehlen, da muß ich Kutſche nnd Pferde erhalten. Ich habe einen weit Eomifcheren Traum gehabt!.... Ich befand mich in einem Lande, mo Kühe und Schäfer und Schäferiunen in die Runde tanzten, nachher aber alle Häufer, die von Pfefferkuchen waren, zu tungen anfingen. E, ſieh doch, da Hätte man fih beim Nauerlecken gätlich thun koͤnnen. Laß fie doch fortfahren und ſchweig. Und bann war

nirgends Tann fie bezahlen. ber die Stunde des Marktes iſt da, und ih babe noch nicht ausgekramt. Und ich follte fhon an der Fontaine deB Innocens fein. AG, mein Gott, Du erinnerft - mi beran, daß meine Kinder noch im Bette liegen, ich wwiß ge: wis, die armen Würmer fesseln !... und Die Suppe ficht feit acht Uhr am Feuer. Run, die wird ſchoͤn angebraunt fein! Ic methe mich bayon ,.. Adien, Nachbarin. Bald werben wie vie kiñe haben, ach! wenn nufer Blüdöflern doch leuchten wollie!“

Mitten unter diefer Menfchenmenge, bald rechts, Bald liuks gerrängt und geflefen, wartet Ednard drei Viertelſtunden, bie an in die Reihe lommt. Endlich gelangt er and Bureau ; Alles, was na über die guien, die ſchlechten, die glüdlichen unb bie gefangenen Nummern gehört hat, geht ihm quer durch den Kopfz er jeht nblich zwanzig Branfen auf die erfien beften Nummern, bie ihm nufelen, und verläßt mit ſeinen Hoffnungen in der Taſche das taierie· Comptoir.

Jedt begegnen ihm viele feed umb ſchmutig gekleinehe Per⸗ men, Die ihm fünfzig Louisd'or für zwölf Sons aubisten. Diele Riunes oder Yranen bebürfen ohne Zweifel das Glück nicht, bad ie fo wohlfeil den Boräbengehenben verlaufen wollen. Uber Mur: “le ſchlaägt Alles ans. Gr hat in der Taſche, was er braucht; Ken baut er neue Eufifiglöffer, denn feine Nummern find excellent, - m ver Schreiber ihm. gefagt hat, und es Tann nicht fehlen, fie nifien Geramedloınmen. Gr wird allen Geſchäften überhoben fein, ni großem Fuß leben, die hoöchſten und theuerſten Freuden ge „en Bäumen, kurz, er wird ſich nichts mehr verfagen durfen.

Aber Die Eutſcheidung iR da; wm drei Uhr werben die Liſten nr dem Lotterie⸗Tomptoir ausgehangen, Gonarb, ber unweit bed: men, im welchem er am Morgen gejeht hatte, ungebuldig auf- wziebergehit, nähert ſich endlich der Lifte uud hat nichts aonnen.

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Gerandlommen. Die 2 tft gezogen worben, das zieht die 20 nach ſich. Die 39 iſt unzählig oft gelommen, bie ift Tonnen Goldes werth! Die Rullen in der Zahl haben lange kein Glüd gehabt. Das ift wahr, man muß fie bei einer Ambe oder Terne benichen. Dein Serr, wenn ich meiner erften Idee gefolgt wäre, haͤtte ich in der Straßburger Lotterie eine Ambe gemonnen, benn ich muß Ihnen fagen, wenn meiner Frau träumt, daß fie in die Mochen kommt, wird jedesmal 144 gezogen, o! das fehlägt nie KM... nun! und vor Kurzem träumte fie es; ich habe jetzt einen Sand; ven lehre ih aus einem Bentel Nummern ziehen ; er fängt ſchon an, fie ganz fauber mit der Pfote herauszuholen; er zog Rr. 46, ich wollte diefe Nummer befeßen, ven ganzen Tag Haben wir bar: über nachgedacht, meine Yrau wollte aber bie Zahl ihres Namens: tage fpielen, ich gab nach, und ba fehen Sie, die Nummer meinee Hundes if auf ihren Traum herausgefommen!... D, ih gebe das Thier nicht am 100 Thaler weg, Sch, Lieber Freund,“ uft eine alte Honigverfäuferin, „ich bin ſchlauer als Ihr, ich habe einen Talisman. Einen Talisman! Sa, gewiß, eine Karten: fehlägerin bat mir das Geheimniß anvertraut. Was iſt's denn, Fchrieen einftimmig bie Klatjchbaien. Ein Stückchen Bergament, auf Das ich mit meinem eigenen Blute einige Zeichen gefchrieben habe. Ah, mein Gott, das ift ja noch ſchlimmer, als im AmbigusThenter. Aber was find es für Zeichen ? Sa, meiner Treu, ich verfiche fie wicht... . es foll Hebrdiſch fein, wie fie mir gefegt hat. Rimm Di in Acht, Javotte, traue wicht, das if vielleicht eine Tenfelöverfehreibung!.... Du wirft mit Deinem Ta lisman noch geradenwegs in bie Hoͤlle kommen. Bah, bah, id fürdgte nichts und laſſe von meinem Bergameniftädkchen nicht ab... ich bin Philoſophin.“ „Iſt dieſe dumm, mit ihrem Talisman,“ ſagen die Gepattern, nachdem Javotte davon gegangen iſt; „es iſt erſtaunlich, wie er ihr Glück bringt; allen Menſchen im Stadtviertel if fie ſchuldig,

if bei ſeiner Zurückkunft von Villeneupe⸗St.⸗George einige. Tage in Sorgen, Jalob möchte ihn in Paris auffuchen, ex wechfelt daher feinen Mamen und bewegt Eduard, vafjelbe zu thun. Du- freöne menut. ſich jetzt Courval und Eduard Monbrun. Unter diefem Namen miethen fie fich jetzt in ein erbaͤrmliches Gaſthaus ver Bor: ſtadt St. Jakoh ein, und ihr täglicher Umgang befteht hier nur ud Jatriguanten, Leuten ohne ehrlichen Nahrungszweig, die, wi Dufreöne, ihre Gründe haben, fich. ven Augen der Welt zu entziehen. |

Drei Wochen nad) Madame Germeuild Tode war ihre Hinter: laſenſchaft bereitö verpraßt, und man mußte jetzt auf neue Schliche tenfen, ſich Exiſtenzmittel zu verfchaffen.

Eined Tages, ald Ehuard und Dufresne aus Mangel an Geld ‚a Haufe geblieben find, und fi den Kopf zerbrechen, um eine aus GR auszuſinnen, klopft ed an die Thüre, und ein gewifjer kanpin, ein quögemachter Gauner, Dufresne’8 Freundſchaft werth, tt mit fröhlichem Geſichte und vier Flafchen unterm Arm ind dimmer.

O, o!... das iſt Lampin,” ruft Dufresne, indem er feinem Kreunde öffnet und demfelben einige verftohlene Blicke wegen Cduards, zet ihn, in Nachdenken vertieft, nicht bemerkt, zuwirfl. „Ja, zune Herren, ich Bin ed. Ei, Kamerab Monbrun, weg mit den zetgen! ... bier bringe ich einige Sorgenbredier. Was iſt's m?,.. Mein, Branntwein und Rum. Teufel auch, Tu bi alfo bei Kaffe? Meiner Treu, ich habe beim Biribi cn Fraufen erwifcht, und will fie mit meinen Freunden vertrinfen, - Das iſt brav, Lampin, Du bift eine gute Seele, Du kommſt serade zur rechten Zeit, denn Monbrun und id, wir waren fo raurig, wie leere Beutel es nur fein können. Nun, fo trinfen stert und ſchwatzen nachher.”

Dan ſetzt die Blafchen auf den Tifch, die Freunde fegen ſich

rum, und die Glaͤſer füllen und leeren fich ſchnell Hinter einander.

Saul de Rod, 1. 15

„Bir haben nicht einen Gous, Lampin, und bad if em Häßliche Krankheit. Bah! ... weil Ihr &fel ſeid! Auf Eure Gefundheit! Wie fo denn, Bruder Liederlich? Ei, freilich, wenn ich Eure Fähigkeiten befäße, und befonders die Monbrims, ih würde mein Schäfchen fehon ind Trodene bringen. Bad wollt Ihr damit fagen?“ fragt Eduard, ber fl von Neuem Branntwein einfchenkte, „Laßt hören, erflärt Cuch! Das it bald zu begreifen, mein Soßn, ich wieberhole e8 Euch, wenn ih des Schreibens fo kundig wäre, wie Ihr, ich würde Spekulationen ins Große machen!... aber Ihr ſeld zu furcätfam! Wir Haben genug ſpekulirt, aber es jft und nicht geglückt. So mein’ ich's nicht, mein Junge ; aber trinkt, meine Herren, es ift Teine fefechte Sorte. So fag’ und doch, Sampin, was Du gethan Haben würbeft, um... &, feht nur, ich bin ſchlau und würbe bie Möglichkeit wagen, aber ich” fehreibe wie eine Kate! Nun, was würdeft Du denn fohreiben? Das tft verſchieden, bali bas Eine, bald dad Andere... Seht, da hat mir zum Beifpiel ein Freund ein Papier anvertraut; ed tft der Betrag beffen, wai fein Bater ihm zugehen läßt, damit er fich mit und amüſtren fol Bas iſt's denn? "Ein von einem großen Barifer Bankie angenommener Wechfel von 1200 Franken...“ Ob! ber tft wa werth! den nimmt man gern; mein College fennt Jemand in be Umgegend von Paris, der verfteht fi darauf! Nun! feine fellen, macht eben fo einen, und man Fauft denfelben Euch ebenf gerne ab! Wie! was fagft Du? den Wechfel nachmachen? D nein! nicht accurat fo machen, denn ftatt 1200 Franken würt ich 12,000 Franken fchteiben..... Eure Gefundheit! Unglüc licher! das iſt ja ein falfcher Wechfel! Nein, das if eigen lich Fein falfcher Wechfel, fundern nyr. ein neues Papier, das w im Handel ceirculiren laſſen; nicht wahr, Dufreöne, das iſt eigen Tich Fein falfcher Wechfel ? und bei alle vem bindet man ben Bankie etwas guf, denn biefe: Schnapphähne find reich genug, um au

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und etwas zufließen zu laſſen. „Sn der That,” ſagt Dufresne, „iR es auch nicht ein falſcher Wechfel zu nennen ; wir creiren ein neues Bapier und laſſen es durch einen Andern bezahlen, das ift Alles. So iſt's, mein Alter, ein bloßes Boffenfpiel. O, Du verſehn Dich; auf ſolche Späße, nur Monbrun iſt etwas unges lehtig. Nein, nein! ich verfiche euch Herren fehr gut, ‚aber ich kann zu derlei Mitteln meine Einwilligung nicht geben. So? aun fo wirft Du nie vorwärts kommen, mein Junge, und vor Hunger berfien wie. die Baumwanzen im Winter. Gs ift wahr, wir haben gar nichtd mehr,” fagt Dufresne, „Leine MWäfche, feine Kleider, aichts, ald was wir auf dem Leibe tragen! Das ifl eibanlich· Nun fo bevenkt doch, daß Ihr nichts zu verlieren und Alles zu gewinnen habt. Und die Ehre?” fragt. Eduard mit ſchwacher Stinme. „Die Ehre? Nun, wahrhaftig, ich glaube, daß die Deinige fich ſchon Iange unftät umbertreibt; was Dufreöne betrifft, jo geht's ihm wie mir; er hat niemals tarauf gehalten, aus Furcht, fie zu verlieren. Der Zeufelsfer! Lampin muß doch immer Spaß machen! ... Stofen wiran, Leutchen. Ueberlegt auch, daß Ihr mit 12,000 Franken wieder ganz auf die Beine kommen könnt!... Sch Habe ein Mittel gefunden, um ganz ficher zu gewinnen, mit 300 Louisd'ors will ı jedesmal 1000 erwifchen. Wirklich? So wahr ich ein ehrlicher Mann bin ; ich gebe Euch Unterricht und nachher theilen wir den Gewinn.“

„Das macht wahrhaftig Luft,” jagt Dufresne, der ven Wechfel aufmerffam betrachtet, während Lampin dem ſchon halb beraufchten Euacd das Glas mit Rum füllt; Lampin, Du fagft, Du kennſt Jemand, der dad Papier Deines Freundes anbringen will? Ja, er weiß, daß es gut iſt; es kann ihm gar nicht verbächtig vorlommen, fag’ ich Dir; er wird nur glauben, ber folgende fei noch bedeutender, bad ift Alles.“

"Und in der That," jagt Dufresne, „wer weiß es denn? Es

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Bleibt ein Seheimniß unter uns. Und unfer- Geieiffen?“ fotat Eduard. „A! if der noch auf dem Holzwege wit feinem Ge⸗ wiſſen! ... Dentl Du denn, Du habeſt es mit Heiligen zu m! Das Weſentlichſte,“ fallt Dufreöne wieder ein, „ift nur das Gelingen. Was mic; Betrifft, fo übernehme ich die Unterſchriften und ſtehe für Alles, wenn Monbrun nur den Wechſel ſelbſt ſchreiben will. Run, Haſenfuß, was iſt da noch einzuwenden? Willf Du noch zögern?... Du hoͤrſt, er ſteht für Alles, ich dachte doch, das waͤre ein Freundfchaftoſtreich. Wie!... Dufredue... Du wollteſt. Farwahr! ich fehe kein anderes Mittel, um und and ber Klemme zn ziehen... ich wieberhole es Dir... Du Haft dabei nichts zu vertreten. Biſt Du deſſen gewiß? Aber fo nimm doch Bernunft an, Nicodemus, wenn Du einmal hör, vaß Du ans dem Gpiele bleibt... Hier, Kameraden, ich Habe gerade ein geflochenes Wechſelformular bei mir, ſchneide Federn, Dufresne, damit ber Wechſel recht fauber und klar wirb. Meine Sand zittert,“ fagt Ebuard, „ich kann unmöglich ſchreiben. Ach, fo geht doch, geht doch ... das fehlte noch... was wollt ich reich fein, wenn ich's fo verſtände! ... aber meine Erziehung iſt, fo zu fagen, etwas vernadhläfigt worden. Wenn wir arte: tirt, erfannt würden... Bah! unmöglich... nun, und dann twäre es mit ein paar Monaten Gefängniß abgemacht; und das iſt auch nicht fo übel; man amüflrt ſich dabei, macht Intereffante Belanntfchaften.”

Eduard, von dem Jufprechen der beiden Elenden ſchwankend gemacht, felt lange her fchon für das zartere Gefühl durch Um⸗ gang und Lebensweife abgeftumpft, überfchreitet den Fleinen Raum, ber ihn noch von ben Unglücklichen, die dem Geſetz verfallen find, trennt ; er erſtickt die lebte Mahnung feines Gewiſſens und begeht das fchändlichfte der Verbrechen. |

Der Wechfel ift gefchrieben. Dufresne macht die Unterſchriften taͤufchend ähnlich nach, worüber fi nur Ehuarb wundert. Man

fabrigirt jept Judoſſenien, unn Murville, der ſich wie ein Kind leiten Läßt, Bietet andy hiezu noch die Hand.

kampin iſt entzüdt, und fchlägt der Sicherheit wegen vor, dad Bapier Demjenigen zu überbringen, welcher den Berfauf des Wechſels übernommen Kat, und in einer Fleinen Stadt nicht weit von Paris wohnt. So ift Alles befchloflen ; Dufreöne ſoll Lam- yin begleiten, weil man diefem nicht genug traut, um ihm ben Wechſel allein zu Aberlafien, und Cduard fol in Paris ben Er⸗ folg abwarten.

Mau fängt jept von Neuem zu trinken an; Eduard, um fich vollends zu betäuben, und die Uebrigen, um fröhlich zu fein; man ſchmedet Bläne über Pläne, bant die Fühnften Luftfchläffer und ſolaft endlich mit dem Ellbogen auf dem Tifche, ein.

Ehuard, der am meiften getrunken hatte, aber weniger ertragen fan, erwacht erfi am andern Morgen um acht Uhr. Sein erfler Gedanke ift der, daß er ſich der entehrenden Handlung vom geftrigen Abend erinnert. Er fchaudert, denn jetzt erkennt er den ganzen Umfang des Verbrechens. Er fucht Dufreöne, um ihn zur Ber nichtung des falfchen Wechfeld zu bewegen, aber viefer iſt nicht wehr da, Fruh Morgens ift er fchon mit Lampin abgereist; er ſah die Gewiffensbifſſe Eduards voraus, und wollte ihm burch feine Abreiſe jeden möglichen Rüdichritt benchmen.

Nurville verläßt fein Zimmer, um durch Zerſtreuung feine eigene Unruhe zu befchwichtigen. Schon jetzt fürchtet er, für einen Verbrecher gehalten zu werden und wirft nur unfläte Blide um- ber; wenn Semand im Borbeigehen ihn etwas fihärfer anficht, io erröthet er, wird verlegen und glaubt, man wolle ihn feſt⸗ nehmen; vergebens bemüht er ſich, feine Angft und feine Schwäche zu befämpfen und verwünſcht fchon das fo theuer erfaufte Bol.

Wie er gerade in eine andere Straße einlenten will, Hört ex ip einen Schrei und feinen Namen rufen ; er verboppelt feine Eritte und wagt es nit, ſich umzuſehen, aber man läuft ihm

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nach, erreicht ihn, faßt ihn beim Arm; er zittert... Talter Schweiß rinnt von feiner Stirne ... er blickt endlich auf und ficht feine Frau und fein Kind vor ſich. | „Du biſt es alfo wirtiih!... fo finde ih Dich denn endlich wieber,“ jagt Apeline ; „ah! wie lange fuche ih Di ſchon. Du haft mir recht Furcht eingejagt,“ fagt Eduard, von biefem Zufam: mentreffen noch ganz betroffen. „Aber was wii Du bier, warum haft Du das Land verlaffen ? Deine Gläubiger haben mich ver jagt, das Hand gehört Dir nicht mehr... Seit einiger Zeit ſchon hatte mich der Notar davon in Kenntniß geſetzt, daß Deine Fi- nanzen zerrüttet wären, und auf das Haus ſehr viele Schulden ein getragen feien. Das weiß ich Alles, erfpare mir Deine Klagen und unnügen Vorwürfe. Ih will Dir Teine machen... und voch ... o, lieber Freund, wie haſt Du Dich verändert! Ih bin krank gewefen. Barum haft Du mir nicht gefchrieben ? ih wäre ja gekommen, um Dich zu pflegen. Ich brauche Niemand. Und fo behandelft Du Diejenige, die Du an den Bettelftab ge⸗ bracht haſt? ... Ich habe meine Mutter verloren, und fol nun auch meinen Mann aufgeben?... Der Zufall allein laßt mich. Dich auffinden ; ich habe in allen Häufern, wo Du gewohnt haft, nach Dir gefragt, aber Niemand konnte mir über Dich Auskunft geben. Bierzehn Tage bin ich nun fehon bier... ich gab Bereits: alle Hoffnung auf, bis ich Dich endlich finde... lieber Eonard... und nun empfängft Du mich fo?... Du gibft Deiner Tochter nicht . einmal einen Ruß? Soll ih mich vor den Vorübergehenden lächerlich machen ? Wenn ein Bater fein Kind lieblost, fo kann das rechtlichen Leuten nicht Lächerlich erjcheinen. ... . Aber treten wir irgendwo ein... in ein Kaffeehaus. Ich habe nicht Zeit. Bo wohnft Du denn jetzt? Sehr weit von bier, und ba ich fehr genirt war, fo Hat mir Dufresne feine Wohnung ange- beten. Bei Dufreöne wohnft Du, bei diefem Boſewicht, der ſchon ſo viele Schaͤndlichkeiten verübt hat? Schweig' und lang-

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weile mich nicht mit Deines Moral ; ich thue, was ih will, gehe m, mi wem ich mag, und erlaube Dir, das @leiche zu thun.“

„Bel ein Ton, welches Benehmen 7” denkt Adeline, Eduard genauer auſehend; aber es fei, ich made den lebten Berfud: „Rurille,“ fagt ſie, „ift ed nur die Noth, die Dich zwingt, mit dem lenden zu leben, fo ziehe mit mir, wir wollen dieſe Stabt vedlaffen, die fo boͤſe Rüderinnerungen für Dich hat, und nad ugenb einem entfernten Orte gehen; ich babe nichts mehr, aber ich will arbeiten, ich werde bie Nächte bei ber Arbeit zubringen, zenn es fein muß, und für unfern linterhalt forgen. Auch in ber niederen Hütte kann man noch glücklich fein, wenn man die Schläge des Schickſals muthig erträgt, und der Himmel wird fich unferer zalegt esbarmen. Du wirft bie Ruhe wieberfinden, die Dir fehlt, ed ich meinen Gatten... Sch bitte Dich, Eduard, fchlage mir des nicht ab, ich befchwäre Dich, fliehe dieſe Stadt, die treulofen Rathgeber, vie gefährlichen Belanntichaften, oder fürchte, ſelbſt ein Berbrecher zu werben.“

Quard fühlt ſich gerührt, fein Herz ift von Mitleid und Ge⸗ ziienöbiffen bewegt, er fieht zum erfienmal fein Kind an. „Nun,“ aufwortet ex, „ich werde fehen, wenn ich meine Geſchaͤfte beendigen tan, fo folge ih Dir. Was Halt Dich denn jept zurück? Eine einige Sache... aber eine ſehr wichtige... ich muß erſt wiflen... wo wohnft Du denn? In einem Safthaufe der Vor: dat St. Antoine, da ift meine Adreſſe. Gib her, morgen will ıh zu Die kommen. Du verfprihfl’s mir? 3a... auf mors am... adieu... ih muß Dich jebt verlafien.“

Euard entfernt fich eilig, Adeline kehrt in ihr Gaſthaus zurüd und überlägt ſich bald der Furcht, bald der Hoffnung. Sie kennt ihren Mann, fie weiß, wie wenig man auf feine Berfprechungen tehnen Tann, und erwartet angftvofl den andern Morgen.

Aber am andern Morgen kommen Dufteöne und Lampin mit dem Gelde zurück. Der Wechsler hat ſich fangen laſſen, er hat

geglaubt, die Unterſchrift des Bankiers zu erkennen. Die belben Gauner ziehen Eduard mit fi fort, man ergibt ſich von Neuem den Tafelfreuten, dem Spiel mb dem ſchönen Geſchlecht. Man bringt dad Gewiſſen und bie Serupel Murville's zum Schweigen ; man macht fich über feine Furcht Inflig, und anflatt ihn am andern Morgen wieder zu fehen, erhält Abeline nur folgende Zeilen von ihrem Manne: „Berfuche es nicht, mich wieder fehlen zu wollen, und hoffe nicht umfonft, mich irgendwo in einer Hütte Ichendig ber graben zu koͤnnen, Alles das iſt nichts für mich; verlaffe Paris ohne mich, das ift das Leite, wad Dein Mann von Dir verlangt, ber Dir übrigens bie völlige Freiheit gibt, zu thun umb zu Laffen, was Dir beliebt!”

Adeline badet diefen Brief in ihren Thränen. „So Yafl Du denn feinen Bater mehr,“ jagt fie zu ihrer kleinen Ermance, „armee Kind!.. . was wirb bereinft Dein Schickſal fein. So will id benn diefe Stadt verlaffen und feinen legten Wunſch erfüllen; ich - werde meine guten Landleute wieder heimfuchen ; auf dem Meier hofe wird man mich nicht verfloßen. Ich werbe nicht erroͤthen, Yon ihnen Arbeit zu verlangen ... o, meine gute Mutter, wenn Du noch lebtefl, in Deinen Armen würde ich Troft finden . . . ach, hätte ich Deinen Rath befolgt! ... vielleicht wärbe Ehnarb .. aber jegt ift e8 zu ſpaͤt, wenigſtens hafl Du das Uebermaß meines Schmerzed nicht mehr erlebt.“

Adeline verkauft Alles, was ihr Fünftig unüp zu fein fcheint. Keine Juwelen, feine Blumen, Teinen überfläfigen Pug weht: ein ganz einfaches Kleid, ein Strohhut, mit einem fchlichten Bande befeftigt, ihre Tochter auf dem einen, ein kleines Palet unter dem andern Arme, fo macht fih Madame Murville auf den Weg nad Guillots Pachthof.

Gupfxbungen der Freude noch emmpfänglich iR. „Mä,“ fagt fie, ich babe ja nicht Alles verloren, da mir noch fo wahre Freunde ‚leihen. *

Jakob it außer ſich, er ergreift Adelinens Hände, Füßt fie, ont, fncht, ſchreit, ſtampft mit dem Fuße und wendet fich ab, ;n feine Tränen zu verbergen. Sansſouci, glüdlich über Adelinens ıriffanft und feined Kameraden Freude, ſpringt wie naͤrriſch durch obner und Enten, und ftreichelt die Kinder, was er nur in ben cgenblicken der Fröblichfien Laune zu thun pflegt.

„Beine Freunde,“ jagt Adeline zu den Bewohnern des Meier: id, „ih bin nicht mehr, was ih war; unglüdliche Zufälle em mich um mein Bermögen gebracht ; ich habe nichts mehr, : don Muth, mein Unglüd zu ertragen, und mein reined Ge: ra, dad mir ben Troſt gibt, es nicht verbieut zu haben. Ich ‚75 jebt für meine und meines Kindes Exiſtenz arbeiten ; ihr habt & aufgenommen, als ich reich war; arm nun werbet ihr mich at abweiſen, und ich komme voll Vertrauen zu euch, um euch Srbeit zu bitten;... ach ! fchlagt fie mir nicht ab, nur unters Aa Beringung Tann ich hier bleiben.“

Vaͤhrend Adeline fprach, malte fich die Rührung auf jebem “‚uhte, Luiſe konnte ihre Thränen nicht verbergen ; Guillot, mit "men Munde und flieren, auf Madame Diurville gerichteten Augen Ite tief auf; Sansſouci felbft ſtrich fich den Bart und wifchte feuchten Augen.

Aber Jakob, am tiefften von der Umgebung einer eblen Frau töten, Die fich in einem Pachthofe auf dem Lande vergraben, "alle Borzüge der Stadt verzichten will, ohne auch nur ein nt ber Klage gegen ben Urheber aller ihrer Leinen hernorzubringen, tt brave Jakob Tann fich nicht Länger halten; ex ftößt Luiſe und rillot zurück, ſchüttelt der von feinem Benehmen überrafchten zu die Sand und ruft: „Nein, fo wahr ein Gott lebt, Ihr ſollt "et arbeiten, Ihr follt Eure Geſundheit nicht aufs Spiel feßen,

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es möglih!.... der Unglüdfelige! . . . was? fo Hat er fle ins Elend geftürgt! Herr Jakob, ich fage Ihnen, ed waren mehrere, da, fehen Sie die Tafel, das Haus ift zu verlaufen und man hat mich bier gelafjen, um es Kauflufligen zu zeigen. Und wißt Ihr, welchen Weg Madame Murville eingefchlagen hat? Freilich, fie ift auf Paris zugegangen. Sie wird ihren Mann auffuchen wollen, Ja, 0, ohne Zweifel geht fle zu ihrem Manne ... aber, unter und gejagt, man behauptet, er fei ein Taugenichts; er foll bie allertoliften Streiche in Paris machen, und Sie werden begreifen, Herr Jakob, wenn man eine junge, hübfche, vernünftige Kran hat!... denn, alle Welt! fie ifl die Tugend und Güte felbft!... und ein Kind, das Ehenbild der Mutter; ja, wenn man Alles das ver- gißt, das ganze Jahr hindurch, das ift fehr ſchlecht und verfpricht nichts Gutes !“

Jakob wirft noch einen Bli auf das Haus, fagt dem Gärtner Lebewohl und verläßt traurig das Haus, Tauſend Pläne durch⸗ freugen feinen Kopf; er will nad Paris gehen und Adelinen aufs fuchen, er will mit feinem Bruder reden, ihm fein ſchlechtes Be⸗ tragen vorwerfen und zugleich das fchändliche Verfahren, feine Grau zu verlaffen, vor Augen flellen ; diejer Gedanken voll koͤmmt er auf dem Meierhofe an. Die Hausgenoſſen fragen ihn aus, fie find mit ihm untroͤſtlich, Hoffen indeſſen noch, daß Madame Mur- ville wieder zu ihnen zurüdfchren werde. Sausſouci theilt dieſe Hoffnung, er beruhigt feinen Kameraden und bewegt ihn, noch einige Tage zu warten, bevor er einen Entſchluß faſſe.

Die Geduld Jakobs fing an, fi zu erfchöpfen, er war im Begriffe, ven Pachthof zu verlaffen und nach Paris zu wandern, als eines Morgend das Gefchrei der Kinder eine frohe Nachricht verfündigte. Adeline nämlich kam mit ihrer Fleinen Srmance an.

Alles läuft ihr entgegen, man umgibt, man umarmt fie, man überläßt ſich der ausgelaſſenſten Freude; Adeline fühlt bei der Anhänglichleit ber rechtſchaffenen Landleute, daß ihr Herz für die

de Harptſache. Noch einen Ruß, und dann fehen Sie mich für Yıren Bruder... für den Bater bes Fleinen Mädchens an, weil a, ver ed Heben und fie hochverehren follte, Tein Semüth Kat, ral er untshrbig Äft... Doch genug, Ste wollen, daß ich fchweige... Eu lieben ihn noch, fehe ich! Mun gut, es fei, wir fprechen nicht hir von ihm, und wollen und bemühen, ihn zu vergeffen. Ib," jagt Apeline, „wenn er Sie gefehen, feinen Bruber wieder⸗ ınden Hätte, vielleicht daß Ihr Rath... Wenn er mich ehem hätde!. . . Miber laſſen wir bad... . vergeffen wir einen ladenlbaren, der nicht eine Ihrer Tränen werbient. Ya, ja, Rnserkeit, Fröhlichkeit,“ ruft Guillot, „Weiter, man muß nicht an weinen, das macht nur dumm! ... Set wollen wir und aden Tiſch Segen, und bente Abend erzählt uns Bruder Jakob "von ſeinen Schlachten, damit wir uns zerſtreuen! Das macht Inmägen ... wenn ich ihm augehört habe, träume ich jedesmal "ganze Nacht davon, ich. halte Die Beine meiner Frau für ein kelm-Oxars und ihren B.... für eine Batterie! o manch⸗ N 8 mir, als Hörte ich den Kanwnendonner. Schweig doch, der !*

Ach der Mahlzeit beſchaͤftigte man fich mit den nöthigen 'ariötengen für Adelinens Wohnung. Luiſe richtete für Madame hreille ein kleines Zimmer ein, deſſen Fenſter nach dem Felbe .mdgingen, fie fuchte es fo freundlich als möglich Kerzupugen " jellte die beſten Möbel Hinein, die fie nur im Haufe hatte. ahebens will Adeline ſich all' dem widerſetzen, denn was Luiſe rad beſchloſſen Hat, muß geſchehen; fie hoͤrt nicht auf die junge en, wenn biefe fie bittet, fie nur als eine Bäuerin zu betrachten ; Ti der Madame Murville den Verluſt ihres Bermögens vers in machen und verboppelt deßhalb ihren Eifer, ihr zu dienen.

Jalob dankt der Pächterfrau nicht mit Worten, aber er faßt Hr hinde jedesmal, fo oft fie etwas für feine Schwägerin thut, s Zirtlichleit und Dankbarkeit an; Sansſouci dagegen ruft,

286 Ihr follt Eure zarten Hände, Eure feine Haut nicht mit Arbeiten verberben, die über Eure Kräfte gehen ... ich übernehme es, für Eure Eriftenz, für Euer Kind zu forgen. Ih will @uer Graährer fein, über euch Beide wachen... und fürwahr! fo Iange ein Tropfen Blut in meinen Adern fließt, werde ich meine Schuldig⸗ keit thun. Was fagen Sie, Jakob, Ihre Schuldigkeit? Ja, Madame... . ja, meine Schulvigkeit ... mein Bruder bat Sie unglüdlich gemacht, und es iſt das Wenigfte, was ich thun Tann, daß ich ihnen meine ganze Geiſtenz winme und Alles verfuche, feine fehlechten Streiche wieder gut zu machen. Bär’ ed möglich?... Sie wären... Jakob Murville, der Knabe, ber mit fünfzehn Jahren, vom heftigen Wunfche befeelt, die Welt zu fehen, fein umherirrendes Leben anfing... und ich geſtehe es, der vorzüglich nur durch die Kälte feiner Mutter und ihre ungerechte Borliebe für feinen Bruder zu jenem unverzeihlicden Schritte betvogen wurde.“

Adeline umarmt Jakob ; fie fühlt die Iebhaftefte Freude, ihres Mannes Bruder wieder zu finden, und bie Bauern leben vor Meberrafchung bewegungslos da, während Sansfonri füh die Hände treibt und dabei aus vollem Halfe ruft: „Ich hab's gewußt, taufend Granaten, ich hab's gewußt, ich! aber der Kamerad hatte mir Berfchwiegenheit auferlegt, and um alle Pfeifen des Großfuktans hätte ich nicht ein Wort davon verrathen.“

„Aber warum mir fo fange dad Band, dad und vereint, vers heimlichen wollen ?“ fragt Adeline, „zweifelten Sie au meiner auf: richtigen Freude ? Rein,“ antwortet Jakob etwas verlegen, „nein, aber ich wollte vorerſt Ste beffer fennen lernen... man erröthet oft über feine Verwandten! UK, lieber Freund, wenn man diefen Orden fleht, Tann man da wohl noch Zweifel auflommen laſſen? Ei, taufend Granaten, das hab’ ich ihm doch alle Tage entgegen gehalten,” ruft Sansſouci, „aber er iſt eigenfiunig, ber Kamerad ; wenn er ſich was in Kopf gefeht hat, laͤßt er nicht nad. Sie fehen, daß ich Ihnen jegt nüplich fein darf, and das ifk

fein Betragen gegen Frau und Kind entrüftet, und gäbe Allee in ter Belt darım, wenn Reue ihn von feinem Irrwege zurückbraͤchte md er um Verzeihung bäte, die man ihm gerne getwähren würbe.

Meline und Jakob verſchweigen ſich alfo gegenfeitig, was fie Nihäftigt, weil ein Jedes glanbt, dad Andere zu betrüben. Sau: lenci iR ber Vertraute von Beiden. Gnillot hat manchmal Auf ige nah Baris: fei es für den Berlauf feiner Felbfrüchte oder vn Axfauf von nöthigen Dingen zur Wirthſchaft; dazu wirb nun mer Sandfonei gebraucht, weil Jakob es mehrere Male, aus delergniß, feinem Bruder zu begegnen, abgefchlagen bat. Aber edes Mal, wenn Sansſouci nach der Hauptſtadt geht, bittet ihn Beline indgeheim, ſich nach ihrem Manne zu erkundigen ; Jalkob "gem Begleitet ihn wor dad Hofthor und fagt dann im Vertrauen aim: „Wenn Du etwas Fatales von Dem hören follteft, ven eir vergeſſen müſſen, fo denke, daß Du fehweigen mußt ; verftehft mit... wenn Du ein Wort davon meiner en Imterhringft, fo biſt Du nicht mehr mein Freund!“

Sansſonci entfernt fi Hierauf mit dieſem doppelten Auftrage, Ihrt aber jedes Mal zurück, ohne etwas erfahren zu haben; ba Guard feinen Namen gewerhfelt hat, fo kann Niemand ihm ragen, d aus ihm geworden iſt.

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Achtundzwanzigſtes Kapitel. Der Verwegene. Der Feige. Der Betrunkene.

Das Gluck ſchien den Elenden von Neuem zu laͤcheln, die ſich vom Ehre und Gefek verſchworen hatten; eine neue Verſuchung 1 fe zum Verbrechen hin und hielt fie ab, umzukehren; die erften ere fhienen ihnen auch für die Zukunft Straflofigteit zuzu⸗

; der Verbrecher wird ja immer dreifter, und ber, welcher km Ye Bahn des Lafters betritt, entledigt ſich gar leicht aller

indem er Guillot auf die Achfel Hopft: „Meiner Treu, Ihr habt eine Treuzbrave Frau! fie weiß, was fie will! 'S ift wahr,“ antwortet Guilfot, „drum laſſ' ich fie au machen, und miſche mich in nichts, ſelbſt nicht in die SKinberangelegenbeiten ; fie Tommen und gebeihen darum doch!“

So ift nun Abeline in der Paͤchterwohnung förmlich zu Haufe, fle näht mit Leichtigkeit, und Luiſe iſt gezwungen, fle den ganzen Tag, fei es mit Nähen oder Spinnen, befchäftigt zu ſehen. Jakob fühlt feine Kräfte fich verboppeln, ſeitdem feine Schwägerin und feine Nichte in feiner Nähe wohnen. Er arbeitet für drei. Die erlangte Fertigkeit in allen Adlerarbeiten, kurz in Allem, was er vornimmt, trägt fehr zur Vermehrung von Guillots Cinnahmen bei, und auch Sansfouei gibt fi alle Mühe, ihm nachzuahmen; er würbe erröthen, unthaͤtig zu fein, während alle Hebrigen fo gut ihre Zeit anwenden. Alles geht alfo anf dem Meierhofe nach Wunſch; Guillot umd feine Frau fcheiten oft mit Adelinen, daß fie zu fleißig ſei, und verbieten auch Jakob, fo nnernrübet zu ar: beiten ; aber Beide achten nicht hierauf und Gaben bie beruhigende Gewißheit, den biebern Landleuten nicht zur Laſt zu fallen,

So vergehen mehrere Monate ohne irgend sine Veränderung auf dem Pachthofe. Adeline wäre mit ihrem Schickſale zufrieden, wenn fie ihren Mann vergefien könnte; aber fie liebt Denjenigen noch immer, ber fie unglüdlich gemacht hat, und der Gebanfe an Eduard betrübt unaufhörlich ihre Ruhe. „Was mag er jetzt thun?“ fragt fie fi jeven Tag, und die Meberzeugung, daß er mit Du- freöne lebt, vermehrt nur ihre Unruhe, ihre Qualen. Manchmal nimmt fle fi vor, nach Paris zu gehen, um über das Betragen thres Mannes Erkundigungen einzuziehen; aber fie befürchtet Jakob böfe zu machen, ber gegen feinen Bruder erbittert, nie etwas von ihm hoͤren will.

Jakob zeigt eine Gleichgältigfeit, die feinem Herzen fremd if. Im Stillen denkt er nur zu oft an feinen Bruder; er iſt über

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Semyin, „unfere blonde Veronica ſoll uns einige Späße erzählen ! Cie weiß immer die pikanteſten Neuigkeiten; das wird unfern ſchlaͤf⸗ rigen Belleconr (Kduards neuer Name), der heute Abend wieder em werig den Kopfhänger fpielt, erheitern. Ach ! ich habe heute Abend werig Luft zum Spaſſen,“ antwortet Veronica, indem fle emen leichten Seufzer unterbrüdt, „mir ift heute gar nicht recht ! Aber ich dachte doch, Du wäreft fonft immer oben aus. Rein, wirklich, ich Bin ganz betrübt. Bah! ſtehſt Du vielleicht Wbleht mit Deinem Wirthe? Das nicht, aber ich habe eine kreumbia, die in eine fatale Geſchichte verwidelt ift!... und das mält mich! Was ift denn das für eine Gefchichte ? fprich Doch ; xelleicht innen wir ihr dienlich fein. Ach nein, die Zuftiz hat te Klauen ſchon darüber, und doch ift Die arme Kleine fo un: \6nlig wie ihre und ich. Pop Blitz, das will viel jagen, aber mäble und Doch, wovon es fich Handelt. Sp wißt denn, daß Beine Freundin früher Kammerjungfer in verfchiedenen Häufern rar; unter Anderem diente fie bei einer Wittwe, die vor nicht gar ger Zeit farb, und man erlaubte fih, im Stadtviertel auszu⸗ kenn, fie fei vergiftet worden!... Diefe Gerüchte famen ber Sgbehörbe zu Ohren, man hat die Todte nun ausgegraben, und die Aerzte fcheinen zu beftätigen, was die Nachbarn ‚behaupten. Taranf hat man Nachforſchungen gehalten und meine Freundin feft- genommen, weil fie gerabe um jene Zeit bei der Dame diente; aber dad arme Mädchen ift fo rein, wie dies Glae Wein, ich will es beſchwoͤren.“

Dufresne hört der Erzählung der blonden Veronica zu, waͤh⸗ rend Lampin mit dem andern Maͤdchen ſcherzt, und Eduard, den vr Gedanke an den falfchen MWechfel quält, fich in einer Ede bes dimmerd "auf einen Stuhl nievergelaffen hat, ohne einer Ge⸗ ſcichte Gehör zu ſchenken, die ihn gar uicht intereffirt.

„Lie Sache ſcheint mir in. der That fonderbar,” fagt Dufreöne, nem er feinen Stuhl näher an Veronica vüdt, „Aber wie heißt

Baul de Kod. J. 16

Scham und übertrifft oft noch die, welche ibn zum Böen var⸗ leitet haben.

Das Spiel, dem ſich Cduard mit enenter Muth ergibt, hat aufgehört, ihm nngünflig zu fein; er gewinnt, umb ber Unglüd- liche triumphirt, ven Weg gefunden zu haben, wodurch mar Ver⸗ mögen erlangt. Dufreöne und Lampin unterrichten ihn in allen von Betrugern beobachteten Mitteln, um dem weniger verfchmigten Geg⸗ ner dad Geld abzugetvinnen ; fie lachen dann auf Koſten der Gin- faltspinfel, die fie ruiniert und ausgefogen haben, und ein Jebere bemüht fi, feine Kameraden in Lug und Trug möglich noch zu übertreffen.

Lampin wohnte bei feinen beiden Freunden ; Dufreäne Hatte ed Eduard begreiflich gemacht, wie nothwendig «8 fei, es mit ihm nicht zu verberben. Uebrigens war Lampin fehr fruchtbar an Iuftigen und ſchlanen Streichen, und daher eine erwünfchte Hülfsquelle, ein reicher Schatz für unfere beiden Freunde. Wenn dad Glück günflig wag, dachte man bloß daran, ſich zu beluſtigen.

Eines Abends, ald man, nur noch Lampin ermartete, um fih zu Tifche zu Sehen, Tommi dieſer lachend an, und beeilt ſich, feinen Freunden anzufündigen, wie ein gewifler Wechjel als falſch erfaunt und ber Einlöfer beffelben von feinem Berlufte überzeugt worben ſei. Eduard wird blaß und betreten. Dufresne beruhigt und über: redet ihn, daß fie niemals entdeckt werden koͤnnten; fie hätten ja Namen und Wohnung verändert ; nicht einen einzigen Beweis ver: möge man gegen fie aufzuftellen: Lampin hoͤchſtens fünne man ver: folgen, dieſer habe jedoch eine ſolche Geſchicklichkeit, fein Geſicht und feine Perſon zu verändern, daß er die Agenten der Polizei ficher überliften werde.

Ednard ift damit nicht zufrieden geſtellt, verfucht jedoch ſich zu zerfireuen und jede Furcht zu verfcheuchen. Zwei Nachbarinnen, bie Öfteren Gaͤſte unferer Freunde, Tommen gerade zur gelegenen Zeit, um den Abend aufzuheitern. „Das ift herrlich,“ ruft

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Die Abendunterhaltung hat früher, als gewöhnlich, ihr Ende erreicht, Eduard ift unruhig, und auch Dufresne fcheint ungewöhn- hc aufgeregt. Man ſchickt die Nachbarinnen fort. Lampin, ver allein ſeine heitere Laune behalten hat, fchenkt "feinen Freunden le Gläfer ein und fpottet über ihre Traurigkeit. Evuard trinkt Hof, um feine angſtvollen Gedanken hinunter zu fpülen, aber Du: feine iR gar nicht aufgelegt, ihnen die Spige zu bieten, und tampin allein beraufcht ſich, indem er fich vergebens bemüht, feine Kameraden zum Lachen zu bringen. .

Hübſch munter doch, meine Freunde, fo geht das nicht,“ gt er, bie Glaͤſer füllend. „Ihr fein ja heute Abenb fo ernfthaft, rie Gehängte!.... Bellecour will ich noch entfchuldigen, venn er 'Kimmer wie ein begoffenes Huhn !... aber Du Freund vahinten... Irmostre... Eourval... Dufreöne.. . oder wie Du fonft noch heißt.“

„Halt's Maul, Dummkopf,“ ruft Dufresne ganz wüthend, „h verbiete Die, mich jet bei dieſem legten Namen zu nennen ! In wilft mir das verbieten... So... Sieh mal einer... au einer Miene, ald wenn er einen durchbohren wollte!... Du sah Dich fonft fo genannt, als Du mit der armen Dolban leb⸗ A... die blind glaubte, daß Du fie liebte... und Die... fo ſchweig doch, Trunkenbold... Trunkenbold! ... ah!... 6 leidet Dich gut, mich Trunkenbold zu nennen, ber Du geftern term Tiſch gefchlafen haft und Punſch trintft wie ein Loch!... Ras fein! Freunden nehm’ ich nichts übel, und Freunde find wir einmal! ... ich fehe wohl, daß ihre alle Beide bei fchlechter taune fein, Eduard wegen des Schnigeld Papier, das ihm zu fchaffen wöät... und Du... ja Du, wahrhaftig, ich weiß ed nicht!... sand ein Fiſchchen, das Dir aus dem Garne entkommen ift, ober a Sreunb, der Dich in die Klemme gebracht hat... ober auch... * aber was hat Dir denn Beronica da von einer Vergiftung vor⸗ “zınfelt, von einer Wittwe, einem Liebhaber, und ver es doch nat waͤre? Siehe! das gleicht wie ein Tropfen Waſſer bem

denn Deine Freundin? Sufanne; fle ifl auf Ehre ein gutes Kind und unfähig, irgend Jemand ein Haar zu krümmen!“

Bei dem Namen Sufanne entfärbt ſich Dufresne ; aber er faßt fih bald wieber, blickt im Zimmer umber, fieht, daß Murville nicht auf ihn Kurt, Lampin anderwärte befchäftigt ift, und fährt fort, Beronica auszufragen.

„8 ſcheint mir, als ob Deine Sufanne Mühe haben werbe, fi aus ver Affaire zu ziehen, wenn, wie Du fagft, die Dame fie allein zur Bebienung hatte. O, das ſchadet nichts, Sufanne bat Verbadht auf Jemand, der den Streich ausgeübt haben werde. Wirklich? Ja, mein Lieber; ein junger Mann, ein Spieler, ein Taugenichts und Gauner, war der Geliebte der Wittwe und be⸗ fuchte fie oft! Gut, gut, ich verfiehe! Nachher verlor die gutmüthige Frau durch ihn ihr VBermögen!... Warten Sie doch, ich glaube, ich erinnere mich ihres Namens... Madame Don... Dol... Schon gut,” jagt Dufreöne, Beronica fchnell unter: brechend, „an ihrem Namen Liegt mir nichts. 's ift auch wahr, der Name macht nichts zur Sache. Kurz! die Dame war närrifch in ihn verliebt, es lag ihm aber gar nichts an ihr, denn ſer fog fie bloß aus, fo lange fie etwas hatte... Es ſcheint nun, daß fie zuleßt fih mit ihm zerworfen und der Blende fie darauf vergiftet bat, um fich zu rächen, da fie feine Schlechtigkeiten an den Tag zu bringen beabfichtigte. Das ift nit unwahrfcheinlih! Ach! die Männer find heutzutage recht nieberträchtig, fie bringen eine Frau um, wie eine Fliege. Und was denkt denn Sufanne zu thun? O, fie hat das Alles dem Gerichte ſchon angezeigt, ba: mit man dem Thäter nachipüre, ber jetzt, Gott weiß wo, if. Das ift ganz gut und ich wünfche nur, daß man hinter die Wahr: beit komme.“

Die letzten Worte fagt Dufreöne nur balblaut. Ungeachtet ber affektirten Ruhe verrathen feine veränderten Züge die Empſin⸗ bungen, bie ihn bewegen,

Die Rachbarn mögen fi Thee Locken laſſen, ich will num ein⸗ Opal luſtig fein, und jeßt mach’ ich gerade noch mehr Lärmen! He ka la la la!“

Lampin fingt aus voller Kehle, und gießt ein Glas nach dem andern Binunter, Dufredne und Eduard nehmen ein Licht, um fi m ir Zimmer zu begeben, als ſich plößlich drei fehr harte Schläge on die Hansthüre Hören Laffen.

Dufreöne macht eine Bewegung des Schreckens, Cduard horcht utternd auf, und Lampin wirft ſich lachend auf ein Canapé.

„Man bat geklopft,” fagt Eduard zu Dufredne. „Ja, ich bab's gehört. Nun ja, und ich auch, denn ich bin nicht taub, aber... was geht und dad an, wir erwarten Niemand... es if Knabe drei hr Morgend, wenn's nicht vielleicht unfere Nymphen fab, uns einzumiegen. Still!... man öffnet, glaub’ ih! Ru maß doch die Thüre aufmachen, wenn man herein will!... einem Gaſthauſe, wie das hier, geht's da nicht die gamze Naht as ımb ein?... Mebrigend mag Tommen, wer will, ich belache Alles md trinfe,“

„Ich höre nichts mehr,“ fagt Dufresne, „oh! das galt uns nicht!“

Ednard lehnt fl} gegen die Stubenthüre, die auf die Haus⸗ in führt und horcht aufmerkſam. Lampin fängt wieder an zu Augen, ud hat Mühe, fein Glas an die Lippen zu bringen, dad » Sand kaum mehr halten ann. Ploͤtzlich fährt Ehuard auf: Ras iſt's 7“ Fragt Dufresne leife. „Ich Höre mehrere Stim-

. das Geräufch nähert fi... ja, man fteigt die Treppe anf, oh!... ein Zweifel mehr, man will und feſtnehmen, wie Aed entdeckt:! SH, Unbeſonnener!“ ruft Dufresne, indem a bemüht iſt, feine eigene Furcht zu bekämpfen; „follte man li zu und fommen, nur nicht verlegen! Gebe ein Jeder Acht af dad, was er fagt, und befonders nennt mich nicht Dufrebne. 34 weiß nicht mehr, was ich thun und fagen fell,“ erwidert

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andern Deiner Liebesintrigue mit der alten Dolban ... wenn Du es wäreft, ber... ba, ba, ba! Du wäreft eines ſolchen Streiches ſchon fähig. Lege Dich doch nieder, Lampin, Du flehft, Eduard fchläft fon, Du wirft ihn mit Deinen Tollheiten noch aufweden, Run, fehe einer das große Unglück, wenn er aufwachte... Teufel... Du bift ja fehr zärtlich, heute Abend!... aber ich will nun ein- mal Spaß machen, trinfen und laden... und will noch nicht Schlafen, verſtehſt Du? ich fühle mich fo recht im Zuge... ih bin verdrießlich, unfere Veſtalinnen fortgefchict zu haben... ich bin der Mann, ihnen Sti zu halten... Tra la la la! Du willſt Dich alfo heute gar nieht nieberlegen ? Ich werd's thun, wenn’d mir gefällt, Murrkopf. O! ich fehe wohl, dag Du brummig bift, fag’ ih Dir... Du willft und Deine Sache verbergen; Veronica's Erzählung bat Dir die Zunge ausgetrodnet, mein armer Dufresne! Glender, wirft Du endlich ſchweigen?“ ſchreit Du⸗ fresne, indem er ihn bei der Gurgel padt; Lampin wehrt fich, ftolpert zurüd und fällt auf Eduard, der in einer Zimmerede fchlief, ploͤtzlich aufwacht, Blicke des Schredend umherwirft und ausruft: „Da find fie! da find fie! jekt wollen fie mich arretiren !“

„Dich arretiren,” fagt Dufresne, „und wer denn! Ha, ha, ba... find das Schwachkoͤpfe!“ ruft Lampin wieder aufflehend und fi mit Mühe aufrecht erhaltenn, „ver Eine träumt und ber Andere fieht wachend Gefahr! Ah! ed war nur ein Traum,“ ſtammelt Eduard, indem er fich die Augen reibt. „Nun freilid ! Ihr fein Beide Kinder... aber Du, wag' ed nicht noch einmal, mir meine Kehlpfeife zu verderben... ober ich zürne ernſtlich ... Es ift fchon Spät, Freunde,” jagt Dufresne, „ich Bin mühe und lege mich nieber. Run, fo lauf!... Dein Freund wirb mir bei dieſer Flaſche Rum noch. Gefellfchaft Leiften. Nein, ich gebe auch zu Bette, ich bin fchon ganz fchlaftrunfen. So malt, daß ihr fortkommt, dann trink ich allein. Noch einmal, Lampin, mache nicht fo. viel Lärm, die Nachbarn möchten ed hören,

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Unteroffizier, „fo habe ich Teinen Befehl, ihn zu artetiren, aber ich tathe ihm, künftig feine Bekanntfchaften beffer zu wählen.“

Ednard ſteht zitternd und mit niebergefchlagenen Augen in einer Ede des Zimmers. Er verſteht nicht, was man ihm fagt; it fo fehr überzeugt, daß man ihn fortführen will, daß er ſich den im Kerker ficht und entfchloffen ift, fein Verbrechen zu be Inn, um durch Offenherzigfeit feine Richter zu erweichen.

Dufresne ift wüthenn, dag man ihn feftnehmen will und Huard ihm nicht ind Gefaͤngniß folgen fol. „Sie find im Ins thum, meine Herren, ich habe nichts verbrochen, um arretirt zu erden. Ihr feid ein gewiffer Dufreöne, der mit der Madame delban lebte? Sie irren fih, ich heiße Bermontre! DO 2,008 ift wahr,” fällt Lampin ein, der bemüht ift, ſich ohne de Hülfe der Gensd'armen wieder aufzurichten, „jo heißt ex fat "den zwei Monate lang. Sie Iängnen umfonft; feit Tanger zeit beobachtet Die Polizei Sie ſchon, und auf die Nachrichten von - m Morde, deffen Sie angeklagt find, ift es uns, ungeachtet iler Ihrer falſchen Namen, nicht fehwer geworden, Sie aufzus "der. Einen Mord! Einen Mord,“ ruft Lampin gleichfalls, ‚anen Augenblick, meine Herren, das geht mich gar nichts an !... glaubte, Sie kaͤmen wegen eines Blättchens Papier... was. reine Bagatelle ift!... Aber ein Mord!... Alle Teufel! ver chen wir und recht! ... Sch bin weiß, wie der Schnee, und 'zet, dahinten in der Ede, wird ed Euch bezeugen!... Wir „ten nur mit Der Zeber gearbeitet. Mit dei Feder? Ja! ‚a ih fage, wir... das Heißt, La Baleur, der da ſteht und ze... bat dad Meifte geſchrieben ... aber er fchreibt net!... 3, dad war ſchlau erwifcht!... Und der alte Jude ging in bie le... So gut, daß uns die Goldſtückchen recht gut behagt Sa... Wenn Sie und Gefellfchaft Ieiften wollen, ich bin ber \aan dazu.“ |

Ter Unteroffizier, hörte aufmerkſam zu, und der Schreden

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Eounard, deſſen Angſt in gleichem Maße, wie das Geranſch draußen zunimmt. „Run, alfo ih... ich weiß kaum meinen Namer® no... ich!“ fagt Lampin, fein Glas fallen laſſend, „aber ih fagk- Eu ja, es gilt uns nicht.“ In diefem Augenblide klingelt man auf dem Flur. Eduard fällt faſt ohne Befinnung auf einen Stuhl; Dufresne bleibt unbeweglich mitten im Zimmer ftehen und gibt Beiden ein Zeichen, ſich nicht zu rühren.

Bald darauf klingelt ed nochmals, und dann wird heftig an- geklopft: „'s ift Niemand zu Haufe,“ fchreit Lampin, „geht zum Teufel!“

„'s hilft nichts,“ ſagt Dufresne, „wir müſſen öffnen... wer iſt da? Aufgemacht, ihr Herren, oder man iſt genoͤthigt, die Thüre einzuſtoßen. Stoßt fie ein!... meine Freunde, mir iſt's gleich, das Haus ift nicht mein.”

Dufresne fieht, daß fein Ausweg mehr möglich ift, und ent: ſchließt ſich, zu öffnen, nachdem er den Mebrigen nochmals ein Zei: hen gegeben hat, vorfichtig zu fein; aber Lampin ſchwamm es fon vor den Augen und Cduard hatte den Kopf verloren.

Ein Unteroffizier und mehrere Gendb’armen treten ein. Bei ihrem Anblid erblaßt Dufreöne, Eduard ſtoͤßt einen Schrei bed Schredend aus, und Lampin rollt vom Stuhl auf den Fußboden. „Sie müflen und folgen,“ jagt der Unteroffizier zu Dufresne; diefer aber nimmt alle Faffung zufammen und fragt mit Anmaßung, wie man ſich unterftehen könne, feine Ruhe zu flören.

„Ja, mit welchem Rechte... flört man das Vergnügen recht: licher Leute?“ flottert Lampin, „ich flehe mit meinem Leben für meinen Freund. Eure Bürgfchaft hat Leinen Werth, man kennt Euch, Meifter Lampin! Nun, dann hat man eine gute Be Tanntfchaft gemacht, Hoffe ich. Ihr werdet und auch folgen! Ich! ... oho! das möchte fchwer fein, ich thue nicht mehr zwei Schritte um eine Bowle Punſch ... überlegt, ob ich fo ins Gefängniß gehen Tann. Was den Herm ba betrifft,“ fagt der

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$teunde verurkheit werden, unb wird alfo nach der Gonciergerie gebracht,

Ebnarb, der nicht die Borficht gebraucht hatte, eiwas Gelb mitzunehmen, wird mit Lampin in einen ſchmutzigen, flinfenden Saal geführt, der von einer Menge Elender angefüllt iſt, die des Diebſtahls oder anderer Verbrechen wegen hier beifanmen find. Ein wenig Stroh ift fein Lager, und zur Nahrung erhält er die gewöhnliche Gefangenkoft. Lampin findet fi in fein Schidfal, if fröhlicher Laune, fingt, fehreit und treibt mit den Unglüdlichen, dir ihn umgeben, allerlei Scherz. Eduard hat nicht den Muth des Berbrecherd ; es quälen ihn Gewiffensbiffe und Reue. Gr weint fe ganze Nacht auf dem Stein, der ihm zum Lager dient, und feine Thränen find eine Duelle des Scherzed und Spotted für leine - Ritgefangenen. .

Bei Tage haben die Gefangenen die Erlaubniß, auf einem ofen Hofe einherzugehen ; Eduard folgt feinen Kameraden nicht Kb, um einige Augenblide allein und ungeftört feinem Schmerz heien Lauf laſſen. zu künnen. Er befommt feinen Befuch, hat keine freunde mehr; feine früheren Spießgefellen des Bergnügens und ter duſt erinnern fich feiner nicht mehr, und doch werben bie übrigen Gefangenen faſt täglich von ihren Inftigen Gollegen heimgefucht ; oder Cduard ſteht auch bei Allen im Rufe eines ſchwachen und hudiſchen Tropfs, und Menſchen von ſolchem Schlage find in ihren Angen gar nichts werth; die Heinfle Widerwaͤrtigkeit entmuthigt fle, um die JFeigen werben von den Verbrechern eben ſo ſehr verachtet, Us fie vom rechtlichen Leuten mit Geringfchägung behandelt werben.

Die Erinnerung an Aveline und feine Tochter ſchwebt jept Auarhs Gedaͤchtniß vor ... im Unglüde gedenkt man ja beſonders der, die uns wahrhaft geliebt haben. Frau und Kind hat er® 'erkofen und verlaffen, ohne zu wiſſen, ob es ihnen möglich fein Bird, iht Lehen zu friften, aber dennoch ift er überzeugt, daß

Deline ihm zu Hülfe eilen, ihm ihren Troſt bringen und ihre

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Lhränen mit ven feinigen mifchen würbe, wenn fle ihn Hier im Sefängniß vermuthen Könnte. Ungeachtet alles Unrechts, das er ihr angethan, weiß er doch, daß ihr Herz noch für ihm fchlägt. Eines Tages nähert fi ihm Lampin, und feine freudige Miene feint ihm irgend eine gute Nachricht anzufündigen. „Werben wir begnadigt werben ?“ fragt Eduard fogleih ... „Nein, wahr: baftig, das dürfen wir nicht Hoffen; übrigens haft Du, Dumm: kopf, unfere Sache ja fo ſchoͤn eingefäbelt, daß man blind fein müßte, wenn man uns nicht verurtheilen wollte! Ad! wenn Du ein anderer Kerl gewefen wäreft; wenn Du nur wenigftens nad: gefprochen hätteſt, was ich Dir eingetrichtert hatte, jo hätten wir unfere Angelegenheiten doch jo verwidelt, daß man der Sache nicht gewiß war; aber Du fchmwagteft ja wie eine Elfter. Bergeft Ihr, daß es Euer Fehler ift, daß ich arrefirt worden bin! Ihr habt zuerft die Juſtiz aufmerkſam gemacht. Ha, ha, ba! mein Sunge, das ift ein ander Ding; ich hatte eiwas im Kopfe, wie ein braver Kerl, ich hatte für Drei getrunken, und, wie bad . Sprüdwort fagt, in vino veritas! Aber davon handelt es fid überhaupt nicht; unfer Freund Dufresne ift glüdlicher als wir. Hat man ihm die Freiheit geſchenkt? Ei bewahre, aber er hat fie fich felbft genommen, er ift mit zweien feiner Mitgefangenen entfprungen. Pop Blitz, mein Junge, das ift ein Pfiffikus, ver Dufresne, ein ſolides Haus, nicht ſolche Schlafmüge, wie Du,... ich wette, er Hätte Tieber fein Gefängnig in Brand geftedt, als drin zu bleiben ... Wenn man fo ift, fehlt's nicht an Fremden: Dufresne Hat Bekanntfchaft gemacht, ift davon gegangen, und er hat Recht daran gethan, denn man verfichert beſtimmt, er wäre „zum Tode veruriheilt worden. Zum Tode? Was hat er benn verbrochen? Was er verbrochen hat? Kommſt Du aus einem Mäufeloch ? Weißt Du denn nicht, warum man ihn feflgenommen hat? Ich glaubte, wegen des unglücklichen Bent, wie und. €, ich daͤchte gar! . . . weit befier, ale dad... aber zur

asl

Sache, ich erinnere mich fo eben, daß die Furcht Dich um Deinen Kopf gebracht Hatte. So wiſſe denn, daß Dufresne angeklagt ift, eine Madame Dolban, mit der er lebte, vergiftet zu haben. Großer Gott! . . . das Ungeheuer! Gs fcheint, feine Sachen üehen ſchlecht; er wird auch in in contumaciam zum Tode ver- wtbeilt werben, aber Du kannſt wohl denken, daß er fih hier nicht wieber fehen läßt, um ſich das Lebenslicht ausblafen zu laſſen. Bir werden ihm nicht wieder zu fehen bekommen, und das ärgert mich ; er iſt ein grunbgefcheiter Kerl; ſchade, daß er fich fo meit ängelaffen hatte! Und wir ? Binnen Kurzem wird man uns nah der Gomciergerie bringen, um uns ins Gebet zu nehmen, und N werben wir nun alle unfere Feſtigkeit und unfere Beredſamkeit brauchen können! Wenn Du da weinft wie hier, fo iſt's vorbei!... Tann müffen wir übers Meer, zum Dienft fürs Gouvernement. Inglüdfiher ! . wäre es möglih? Still, man hört auf ung, mug geſchwatzt.“

Während der unglüdliche Eduard ſich der größten Angfi des Gewiſſens, der Furcht und dem Schrecken überläßt, und von Böfe- Rihtern umgeben iſt, die fich ihrer Verbrechen und Gemeinheit cühmen, ihn zugleich als einen Gegenftand ihrer Verachtung be: habten, und weder Theil an feinem Kummer nehmen, yodh ein Bort an ihn verlieren, werlebt Adeline ruhig ihre Tage auf Guillots Reierhofe. Sie fleht ihre Tochter heranwachſen, die ſchon einige fr allein verftändliche Worte ftammelt. Jakob, immer voll Eifer mt Nuth, übernimmt die Härteften Arbeiten und macht fih ein Pergnägen daraus. Des Abends bleibt er bei Adeline; er nimmt die Kleine auf den Schooß und läßt fie bei einem militärifchen sure tanzen. Ein Jedes liebt den Bruder Jakob, und fo wird er jeht auch im Dorfe genannt, feitvem man weiß, daß er Madame Nuwille's Schwager ifl. Die Pächtersleute find ſtolz darauf, unter Item ländlichen Dache eine Frau wie Adeline und einen rechtlichen Nenn wie Jakob zu Befiken.

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Tränen mit den feinigen mifchen würbe, wenn fle ihn Hier im Gefängniß vermuthen könnte. Ungeachtet alles Unrechts, das er {hr angethan, weiß er doch, daß ihr Herz noch für ihn fchlägt.

Eines Tages nähert fih ihm Lampin, und feine freudige Miene fHeint ihm irgend eine gute Nachricht anzufündigen. „Werben wir begnadigt werden ?" fragt Eduard fogleih ... „Rein, wahr: baftig, das dürfen wir nicht hoffen; übrigens Haft Du, Dumm: fopf, unfere Sache ja fo ſchoͤn eingefäbelt, daß man blind fein müßte, wenn man und nicht verurtheilen wollte! Ah! wenn Du ein anderer Kerl gewefen wäreft; wenn Du nur wenigftend nad}: gefprochen hätteft, mas ich Dir eingetrichtert hatte, jo hätten wir unfere Angelegenheiten doch fo verwidelt, daß man der Sache nicht gewiß war; aber Du fchwagteft ja wie eine Elfter. Vergeßt Ihr, daß es Euer Fehler iſt, daß ich arretirt worden bin! Ihr habt zuerſt die Juſtiz aufmerkſam gemacht. Ha, ha, ha! mein Junge, das iſt ein ander Ding; ich hatte etwas im Kopfe, wie ein braver Kerl, ich hatte für Drei getrunken, und, wie das . Sprüchwort ſagt, in vino veritas! Aber davon handelt es ſich überhaupt nit; unfer Freund Dufresne ift glüdlicher als wir. Hat man ihm die Freihett gefchentt ? Ei bewahre, aber er hat fie fich felhft genommen, er ift mit zweien feiner Mitgefangenen entfprungen. Pop Blitz, mein Junge, das ift ein Pfiffikus, der Dufreöne, ein ſolides Haus, nicht ſolche Schlafmüge, wie Dn,... ich wette, er Hätte Tieber fein Gefängniß in Brand geftedt, als drin zu bleiben ... Wenn man fo ift, fehlt's nicht am Fremden; Dufreöne hat Bekanntſchaft gemacht, ift davon gegangen, und er hat Recht daran gethan, denn man verfichert beflimmt, er wäre Zum Tode verurtheilt worden. Zum Tode? Was hat er benn verbrochen ? Mas er verbrochen bat? Kommft Du aus einem Mäufelod ? Weißt Du denn nicht, warum man ihn feftgenommen bat? Ich glaubte, wegen des unglüdlichen Wechfeld, wie ums. Ei, ich daächte gar! ... weit beſſer, als das. . . aber zur

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wir Anden koͤnnen das wohl fagen, aber eine Frau, ein Bruder, man hat doch ein Herz, fiebft Du, und wenn man liebt, vergißt es fih nicht fo leicht... . Leb wohl, Alter, ich kehre fehr unzu- frieden barüber, Dir begegnet zu fein, nach Haufe zurüd, obgleich die Schuld nicht an Dir liegt. Mir ift das Herz fo voll, und ed iR fatal, daß ich mich nicht verftellen Tann.“

Sansſouci verläßt feinen Freund und fommt auf dem Meier- bofe wieder an; Adeline und Jakob fragen ihn gewöhnlich aus, au er antwortet, daß er nicht mehr als früher erfahren habe ; aber vergebens bemüht er fich, fein Geheimniß zu verbergen ; feine ttanrigfeit verräth ihn ; feine Berlegenheit, wenn Adeline mit ihm on Cduard ſpricht, macht diefe argwoͤhniſch; denn eine Frau er- nith gar leicht unfere Empfindungen, Heberzeugt, daß Sansſouci ir irgend etwas Bedenkliches über ihren Mann verjchweigt, ver- it fie den armen Sansſouci feinen Augenblick, und quält und beihwört ihm, ihr Alles zu geftehen.

Zwei Tage hält ver Brave Soldat fich tapfer gegen die brin- genden Bitten Adelinens; aber er erwägt Cduards Lage im Ge⸗ 'ingeiß und meint, fie müffe noch einige Bekannte in Paris haben, ducch die ihm vielleicht geholfen werben könnte. Cduard ift ſtraf⸗ jällig, vielleicht hat aber das Unglüd ihn klüger gemacht, er darf rod nicht aller Hülfe und allen Troftes beraubt werben. Diefe Ichrahtungen beftimmen endlich Sandfouci, ihr nichts zu ver Ihweigen. Die Gelegenheit bieteb fich leicht dar. Am andern Rorgen dringt die junge Fran aufs Neue in ihn, ihr zu geſtehen, ves er weiß. Sandfouci verfpricht es unter der Bedingung, daß % Jalob nichts Davon fage, weil er befürchtet, von ihm gefchimpft werden. Adeline ift bereit dazu, und erfährt nun Alles, was "m in Baris mitgetheilt worden ift.

Sowie Adeline davon in Kenntniß gefeßt ift, daß ihr Mann a Gefaͤngniß ſitzt, faßt fie plöglich ihren Entſchluß; fie verläßt Emöfonei, geht in ihr Zimmer, nimmt einige Gegenflände von

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Diefes friedliche Leben follte jedoch nicht fortdauern. Eine Reiſe Sansſouci's nach Paris follte eine große Veränderung darin herbeiführen. Der Kamerad Jakobs geht eined Tages mit geheimen Aufträgen hinſichtlich Ebuards von Adelinen und ihrem Schwager verfehen, nach Paris.

Bisher hatte Sansfouci noch nie etwas über Murville erfahren fönnen ; aber ein unglüdlicher Zufall will eg, daß er diesmal einem Freunde begegnet, ben er feit vielen Sahren nicht gefehen bat. Diefer Freund ift, nachdem er mehrere Erwerbögweige ergriffen hatte, endlich Bote bei der Conciergerie geiworben. Er ift ed, der "son den Gefangenen, die noch mit der menfchlichen Geſellſchaft verfehren bürfen, zu. allerlei Aufträgen verwendet wird. Sand: ſonci fpricht den Namen Eduard Murville aus, und erfährt nun, daß diefer im Gefängniß fist, und daß fein Urtheil am andern Morgen publizirt werden fol. Im Gefaͤngniß?“ ruft Sand: fonei,_ „der Bruder meines braven Kameraden? ... Taufend Granaten! Was fagft Du mir da? Was wird das meinen armen Jakob unglüdlich machen 7“

Der Bote, der bemerkt, daß Sangfouci fi für Eduard fo lebhaft intereffirt, bereut es fchon, zu viel gefagt zu haben. „Aber warum fist er im Gefängnig ?“ fragt Sansfouci unruhig, „was bat er verfchuldet ? ſprich! umterrichte mich, iſt's Schulden halber? Sa, ja... o, ich glaube eines Wechſels wegen,” antwortet zaubernd ber Bote, der fih wohl hütet, die Wahrheit zu fagen, und bemüht ift, der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben. „Donner! fein Bruder! ihr Mann im Gefängnig ! Arme, Heine Frau! unglüdlicher Kamerad! Sag Ihnen nichts davon, lieber Freund, es thut mir bereits leid, Dir dieſe traurige Kunde mitgetheilt zu haben. Du haft Recht, ich werbe ſchweigen, denn fie Eönnen hier doch nichts machen... . diefer ECduard ift ein Tangenichts ! deſto fchlimmer für ihn. O ja, es iſt ein tran- riged Subjeft, und fie thun am beften, ihn zu vergefien. a,

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und zweifelt nicht, den Zutritt zu ihrem Manne zu erhalten, und diefe Hoffnung verboppelt ihren Muth.

Rachdem Adeline mit der kleinen, faum anderthalbjährigen rmance auf dem Arme, Billeneuve-Saint:George erreicht Hat, Segegnet ihr einer von ben fchlechten Fiakers, deren vie Pariſer "bh bebienen, um in bie Umgegend der Stabt ober an Ländliche Tergnügungsorte zu fahren. Für einen geringen Preis läßt fie der Rutjher einfteigen,, und fegt dann feinen Weg nach Paris weiter fort.

Ein einziger Reifender befindet fich im Wagen, ein Greis von ma fiebenzig Jahren, aber von einem guten, freundlichen, Ber- ‚ıuen und Achtung einflößenven Geficht. Sein Anzug verkündet Schlhabenheit ohne Luxus, und feine Manieren, wenn gleich nicht rm feinften Weltton, verrathen doch die Gemohnheit des gefel- gen Umgangs. _

Adeline grüßt ihren Reifegefährten und fegt fich ſtillſchweigend ben ihn. Der alte Herr betrachtet fie anfangs mit Aufmerkſam⸗ u, bald hernach aber mit Interefje, denn Adeline hat eine foldh ke, rührende und einnehmende PBhyflognomie, daß ed unmöglich

fie zu fehen, ohne ihre nähere Belanntichaft zu wünfchen.

Die Heine Ermance figt auf dem Schooße der Mutter; bie ꝛlichen und anmuthigen Bewegungen ber Kleinen gefallen dem r Herm; er gibt ihr Bonbons und Tieblost fie. Adeline dankt r für feine Güte, lächelt dem Heinen Weſen zu, vertieft ſich 7 bald wieder in ihre Gedanken.

Ter Reifende bemüht ſich, eine Unterhaltung mit der jungen ae anzufnüpfen, allein fie fcheint an ganz andere Sachen zu Im, und ihre Antworten find fo einfilbig, daß ex befürchtet, «icheiden zu werben. Er hört daher auf zu fprechen, fieht jedoch Traurigkeit Adelinens, Hört ihre halb unterbrüdten Seufzer, erkt, wie ihre fehönen Augen unaufhärlich nach der Gegend von -$ gerichtet und von Thränen benept find ; er wagt es deßhalb t, ihren Kummer zu zerſtreuen und beklagt fie bloß im Stillen, -

. 254 Merth, vie letzten Weberrefte ihres Vermögens, fchnürt ein kleines Bündelchen mit den nothwendigſten Kleivungsftüden, und nimmt, nachdem fie mit einigen Linien ihre Wirthöleute gebeten hat, über ihre Abwefenheit nicht in Unruhe zu fein, ihre Kleine Ermance auf ben Arm, und verläßt den Meierhof, feft entfchloffen, Alles zu thun, um die Sreiheit ihres Mannes zu erlangen ober fein Ge: fängniß zu theilen.

Es ift erſt Morgens neun Uhr. Jakob ift auf dem Felde, die übrigen Hausgenoffen find mit anderweitigen Arbeiten bejchäftigt, und fo befindet ſich denn Adeline fchon längft auf dem Wege nad) Paris, bevor die Hausbewohner von ihrer Abreife etwas erfahren.

Aeunundzwanzigſtes Kapitel. Der Platz vor dem Juſtizpalaſt.

Adeline weiß noch nicht, welche Mittel fie anwenden wirb, um bis zu ihrem Gemahl zu gelangen; ſie hat durchaus feinen Plan; fie weiß auch nicht, welche Schritte Dazu gehören, um einen Gefangenen zu ſprechen, ein einziger Gedanke nur befchäftigt fie, ihr Eduard ift unglücklich, fchmachtet im Kerker und ift alles Troftes beraubt!... Ach! fie kennt die Welt, fie zweifelt nicht, daß Die: jenigen, welche ihn in feinem Glüde umgaben, ihn jegt in feiner Noth verlaffen haben werden! ... Wer alfo foll vie Thränen des armen Gefangenen trodnen, wenn es nicht feine Frau und fein Kind find? Er Hat fie zwar zurüdgewiejen und fi ihren Lieb- fofungen entzogen! ... aber folch Unrecht ift bald vergeffen, wenn ber Geliebte dem Unglüde erliegt . . .

Sansſouci bat von der Conciergerie gefprochen, dorthin alfo will fie ihre Schritte richten. Sie glaubt, daß ihre Bitten, ihre Thränen, der Anblid ihres Kindes die Schließer rühren werben,

We

gerie, ab eilk dann weiter. Liebe und Beſortzniß verdoppeln ichr⸗ Schritte; endlich gelangt ſie auf einen Platz; es iſt ber des Juſtizvalaſtes.

Der Platz iſt fo von Nenſchen überfüllt, daß man kaum achen km. „Und da ſoll ich hindurch,“ fagt Abeline traurig ; „vorwärts denn, weil es Teinen andern Weg gibt, ich muß mir einen Durch⸗ gang verſchaffen.“ -

Aber warum find denn hier fo viele Menfchen verfammelt ? Mes irgend eine Feſtlichkeit, ein Volksjubel? Hat vielleicht ein Sharlatan feine Bude aufgefchlagen? Sind es Sänger, Taſchen⸗ ineler, Jongleurs, bie durch ihre Lieber, ihre Künfte die Menge mzelockt Haben ? Rein, nichts von alle dem; unfer Pöbel würke th weniger drängen, wenn es ſich bloß um angenehme Unterhal: "ma haudelte. Eine Grefution ſoll flattfinden. Unglückliche follen :hrendmarft und an den Pranger geftellt werben, und nur um n für bad menfchliche Gefühl fo betrübendes Schaufpiel zu haben, aufen Kinder, Greife, junge Mäpchen fo eifrig herbei... Ihr natert euch darüber, lieben Leſer? vergeßt ihr, daß ber Groͤve⸗ lag gebracht vol Menfchen iſt, das die Benfler umher an Zus Sauer vermiethet find, wenn irgend ein Verbrecher dort hingerichtet 2? Und wer drängt ſich am meiften zu dieſen abfcheulichen Schau: wien... Frauen... junge Frauen, beren Züge voll Sanftmuth a Zartgefühl fcheinen!... Was muß da Alles im menfchlichen herjen vorgehen koͤnnen, wenn gerade bei dem ſchwaͤcheren, furcht⸗ meten Geſchlecht ein folder Grad von Stoicisſsmus ſich zeigt?

Laffen wir jedoch auch den Frnuen Gerechtigkeit widerfahren, eihe ſolche ekelhaften Anblicke fliehen, und durch das Entſetzliche a Srefution um ihre Sinnen fommen ... Adeline gehörte zu sen; fle weiß noch nicht, was auf dem Plage vorgehen ſoll, a hört nicht auf das Gekreiſch des fie umgebenden Geſindels. Ta find fie... da find fie. . „” xufen mehrere Stimmen ...

Saul de Red. J. 17

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Adeline findet den Weg fehr lang. Die müben Pferde tonımen nicht aus ihrem gewohnten Schritt ; nichts kann fie bewegen, ftärfer zu laufen. Sie möchte manchmal auöfteigen, in der Hoffnung, zu Fuße Schneller fortzufommen, aber fie müßte dann ihr Kind tragen, und ihre Kräfte würben ihren Muth nicht unterftügen. Sie bleibt alfo und tröftet fih damit, daß jeder Umſchwung des Rades fie ihrem Manne näher bringt.

Der alte Herr fieht nach der Uhr, und diesmal unterbricht Adeline das Stillfchweigen: „Mein Herr, wären Sie wohl fo gütig, mir zu fagen, wie viel Uhr es iſt? Bald ein Uhr, Madame! Sind wir noch weit von Paris? O nein, viel: leicht eine Kleine Meile, in drei BViertelftunden koͤnnen wir dort fein. In drei Biertelftunden! Ach, wie lange no! Madame haben, wie ich bemerfe, einige dringende Gefchäfte in Paris ? Ia, mein Herr!... D ja! ich möchte gerne bald da fein! Madame ſind ohne Zweifel daſelbſt befaunt? Sonft wenn ich Ihnen vielleicht dienlich fein Tönnte ? _

Adeline antwortet nicht; fie hört nicht mehr auf ihren Reife- - gefährten, und ift in Gedanken wieder mit ihrem Manne befchäftigt.

Der alte Herr hat feine Anerbietungen vergebens gemacht, aber, weit entfernt, fich darüber zu ärgern, wächst fein Intereffe für Die junge Dame, die jo großen Kummer zu haben fcheint, nur noch weit mehr.

Endlich langt man in Paris an. Der Wagen hält, Apeline fteigt rafch aus, nimmt ihr Kind auf den Arm, bezahlt den Kutfcher, grüßt ihren Neifegefährten und verfchwindet aus feinen Blicken, ehe diefer nur noch Zeit gehabt hat, den Fuß auf das Kleine Tabouret eined Savoyarden zu ſetzen, um leichter aus dem Wagen zu fommen. „Arme junge Fra,” fagt er, indem er nach ber Eeile hinblidt, von der Adeline fich entfernt hat, „wie fie bewegt zu fein fdien !... O! möchten Feine traurigen Nachrichten fie nach Paris führen !-

Adeline läuft fo raſch, als es nur möglid; ift, wenn man ein Kind auf dem Arme hat. Sie fragt nad dem Wege zur Eoncier:

Ss

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Dreißigſtes Rapitel. Der gute Berval.

Die Franzoſen, befonberd die aus den niedern Vollsklaſſen, daben dad Gute, daß fie fehr leicht von einem Gefühle zum andern ergehen ; nachdem fie Zenge einer Exekütion gewefen find, bleiben vw vor dem Theater eined Bolichinell ſtehen; fie lachen und weinen 't bewunderungswürdiger Leichtigkeit; und derſelbe Mann, der nen Nachbar grob zurüdftößt, weil er ihn verhindert, einen Ver⸗ ‚rtheilten zum Sochgerichte Hin vorbeiführen zu fehen, wird fi "len, einem Unglüdlichen beizufichen, den Krankheit oder irgend n unvorhergefehener Umftand zu feinen Füßen nieverwirft, und " vergeffen denn auch die Frauen und jungen Maͤdchen, die fich ‚at weit von Adelinen befanden, fehr bald das ſchöne Schau: rel, das fie gehabt, um der unglücklichen jungen Frau beizu⸗ nngen, die befinnungelos auf dem Bflafter lag.

Man bringt fie mit ihrem Kinde in ein nahes Kaffeehaus, 2 läßt Hier der armen Mutter alle mögliche Pflege angedeihen. n Jedes Hat feine Bermuthungen über diefe Begebenkeit.

„Es iſt vielleicht die Hibe und dad Gedränge, wovon die "ze grau unwohl geworden,” fagen Einige; Andere denken, und "meifelhaft richtiger, daß das Uebel ver Unbelannten zu ‚heftig ichienen, als daß es nur eine fo einfache Beranlafjung Haben le. Bielleiht, fagen fle, Hat die junge Frau unter ben Ber: shern Jemand bemerkt, den fie früher gekannt oder gar geliebt hat.

Mährend die Umſtehenden fo ihre Betrachtungen anftellen, ift Heine Ermance untroͤſtlich; fie ift noch zu jung, um ihr ganzes

izlück zu erfennen, aber fie weint, weil ihre Mutter fie nicht hr käßt umb herzt.

Endblich gelingt ed, die junge Frau wieder zu ſich zu bringen: qlückliche Frau! WS aber auch eine Wohlihat, bie man bie

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„ach! wir wollen hoch ſehen, wie fie dad Geſicht verzerren werden, wenn ihnen das glühende Ciſen aufgedrückt wird.“

Adeline bemüht ſich noch immer, über den Plag zu Tommen, aber e8 ift unmöglich ; die Menge ſtoͤßt fie vor und rückwärts, bis fie endlich zufällig ganz nahe bei den Genbarmen ſteht, welche die Berurtheilten umgeben. Sie erhebt die Augen, um einen Aus- weg zu fuchen, und erblickt die mit dem Siegel ber Infamie ge- zeichneten Unglüdlichen.. . . fle fchlägt die Augen fogleich wieder nieder und möchte dem ſchrecklichen Schaufpiel entfliehen... In biefem Augenblicke aber läßt fich ein durchdringender Schrei hören; er kommt von einem ber Elenden, die fo eben gebrandmarkt werben. Diefer Schrei Hat auch Adelinens Ohr erreicht, ihre Sinne über- wältigt, fie hört ihn unaufhörkich, fie hat den Elagenden Ton er- Kannt. Ein unwillkuͤrliches Gefühl treibt fie, ihre Augen noch ein- mal auf den Berbrecher zu richten... Ein noch junger, bleicher, entftellter Mann ift ihr zunaͤchſt am Schanvpfahl befefligt . . . Adeline betrachtet ihn, und kann ihn nicht verfennen, die Augen bed Unglüdlichen begegnen ven ihrigen ... Es ift Eduard... es iſt ihr Mann, der fo eben aus der menfchlichen Geſellſchaft ge- floßen worden ift, es ift ber Vater ihrer Ermance, ben fie am Schandpfahl wieberfinbet.

Ein Schredenslaut entfchlüpft der jungen Frau... der Un- glüdliche läßt fein Haupt auf die Bruft wieder niederfinfen, und Abeline, außer fi, ſinnverwirrt, von Schauber ergriffen, unter- liegt der Heftigkeit ihres Schmerzes ; fie fällt befinnungdlos, aber Ihr Kind noch Trampfhaft an. fich druckend, auf das Pflaſter Hin.

finden, Meline um ihre lehte Habe zu bringen. Sie ift alſo ganz

bülfles, und da hei vielen Menfchen Rührung und Theilnahme

unfruchtber find, fo fpricht man fehon davon, Die urme Frau ins

boſpital, und das Kind ins Findelhaus zif bringen, als die An-

tunft eines Fremden der Ausführung dieſes Vorhabens in ven Berg tritt,

Gin alter Mann erjcheint im Kaffeehaufe, erfundigt fih nad ct Urſache der Menfchenmenge und erfährt von allen Seiten bie Segebenheit ; er drängt fi) durch die Mengierigen, nähert fie Kelinen and Fährt überrafcht zufammen, als er die junge Perſon fennt, mit der er den Weg von Villeneuve⸗St.⸗George nach Paris macht hat. „Sa, fie ift es,” rufter aus, und Die Kleine Grmance - tet ihm laͤchelnd ihr Händchen entgegen, denn fie erfennt Den Suter, der ihr einige Stunden zuvor erfi noch Bonbons gegeben hatte,

Der alte Herr wird jegt eine wichtige Berfon für die Menge, delche vor Begierde brennt, die Geſchichte der armen Mutter kennen z lernen, umd Alle befturmen ihn mit ragen, er aber, ber uns xicheidenen Menge uberläfig, läßt einen Wagen kommen unb, ahdem er vom Herrn des Kaffeehaufes uber den Vorgang mit iteline nähere Erkundigungen eingezogen hat, bemegt fie, mit km Rinde einzufleigen, und entzieht fie den Blicken ber Meugierigen.

Abeline befindet fich in einer völligen Sinnegahftumpfung. Sie ht (ich Leiten, ohne ein Wort zu verlieren ; fie ſcheint von Allem, S am fie her vorgeht, nichts gewahr zu werben, ja jelbft ihr nd befchäftigt fie nicht mehr.

Herr Gerval, dies: ift der Name des Greifen, betrachtet bie ge Frau mit inniger Nührung; er Tann es ſich noch nicht vor- ‚den, daß Diejenige, welche er am Morgen zwar wohl traurig, zet doch noch bei völliger Befinnung gefehen und geiprochen hatte, « mit einem Male um ihren Merſtand gefommen fein fol, und serliert fi in Vermuthungen über dieſes jonderbare Greigniß.

Dez Wagen hält vor einem ſchoͤnen, wöhlisten Hoͤtel. Hier

wohnt Herr Gerval ſteis, wenn er nad Paris Tonnmi. Dan ken ihn im Hanfe ſchon und ein Jeder begegnet ihm mit der Rüdfl und Auszeichnung, welche fein Alter und fein Charakter verdien!

Er läßt Adeline Mit ihrem Töchterchen audfteigen und fül fie zu feiner Hauswirthin. „Hier, Madame,“ fagt er, „brül ich Ihnen eine Unglüdliche, mit der Bitte, fie bis auf weit Anordnung bei füh anfzunehmen. Ach mein Bott, wie büb tft diefe junge Frau! aber welche traurigen Züge, welch finfe Blick! ... kann fie nicht fprechen, Herr Gerval? Sie ift!| leidend... es ift ihr ein großes Unglück widerfahren... ı fagt fogar, daß ihr Verſtand. . O Himmel, wie jchabe! | Ich Hoffe, mit vieler Sorgfalt werden wir es dahin brin ihren Geift zu bernhigen; ich empfehle Ihnen die arme Pu und ihr Kind... Seien Sie. ohne Sorge, Herr Gerval, «8 ihnen nichts abgehen!... Ich fehe, es ift abermals eine Ungl Fiche, der Sie fi annehmen wollen!... Was wollen meine liebe Wirthin, foll man fich nicht nüplich machen, w man es Tann? Ich habe Feine Kinder und bin alt; was mir alle meine Reichihümer, wenn ih damit nicht Ungläfli beiftehen wollte? Dies ift ein Genuß für mi... ich bin Flortans Menfchenfreund : ich thue nur manchmal Gutes um Bergnügend willen.“

„Ab, Herr Gerval, wenn alle Reichen fo daͤchten! Eu Sie doch, Madame, ift mein alter Duproͤ gekommen? mein Herr, er erwartet Sie in Ihrem Zimmer. Ich mil ihm gehen... Ich bitte, forgen Sie inbeffen für die junge % daß ihr nichts mangle. Sie Eönnen ſich auf mich verla Herr Gerval.”

Der gute Herr geht in fein Zimmer hinauf, wo fein Diener Duproͤ ſchon lange ſehnlich auf ihn wartet.

„AB, da find Sie ja, mein Herr, Ihr langes Ausble hat mich fehon recht: beunruhigt... If Ihre Reife glücklich

263 wein? Haben Ste etwas erfahren? Rein, mein Freund, da6 Hd, worin fonft die Familie Murville wohnte, ficht jet zum Verfaufe. Man bat mir wohl gefagt, daß ein Eduard Murvill⸗ mit feiner Frau einige Zeit da gewohnt habe, aber man weiß nicht, was and ihnen geworden ift. Und Du, Dupré ?... Ich, mein Herr, weiß auch nicht mehr. Ihre alten Freunde find geftorken und deren Kinder find Bott weiß wo. Einige Berfonen haben mir jmat von einem Murville, ehemals Gefchäftsmann, nachher In kiguant, mit einem Wort einem Taugenichts, etwas erzählt... aber man konnte ober wollte mir nicht fagen, wo er bingeratßen... Vielleicht iſt das der Jüngere der Söhne, der, welcher ſich im innfzehnten Jahre aus dem elterlichen Haufe davon machte ... En ein Ausreißer verſpricht in der Regel für die Zufunft nichts Gute... Gs thut mir Teid... ich hätte gewünfdt... aber ih ſehe, ich komme zu fpät. Meine Reifen haben mich zehn Jahre ꝛen Paris entfernt gehalten, erft feit einem Jahre, nachdem ich nih von den Gefchäften zurüdgezogen habe, bin ich dann und man wieder hierher gekommen. Aber welche Veränderung haben jen Jahre hervorgebracht! ....; Meine Freunde (es ift wahr, fie saren ſchon alt, als ich Paris verlieh) ſind todt ober verfchwunden. Alles das beiräbt mi, Duprs. Diefe Stadt gewährt mir nur sh Erinnerungen! Wir wollen wieder nach meinem Landhauſe 2 ven Bogefen zurückkehren. Dort will ich meine Tage befchließen. Über laſſen wir das jetzt; ich habe Dir Etwas mitzutheilen, meine Rerie ift doch nicht ganz unnütz gewefen : ich habe dadurch die Be- amtſchaft einer jungen, hochſt intereffanten und dem Anfcheine 1a fehr unglüdlichen Frau gemacht! Bah! und wo haben Ste fie denn angetroffen? Wir find Beide in demfelben Wagen ch Paris gefahren, denn troß Deines Mattes habe ich doch in rım jener fchlechten Cabrislets den Weg gemacht. Ad, mein herr, wie Tonnten Sie fi fo durchrütteln laflen, das ift wahr: baftig nicht Hecht... Schon gut; ſchon gut, ich fühle mich

Iogen, und morgen werden wir unfere Nachforſchungen weiter fort: ſetzen.“

Nachdem er den Leuten im Hoͤtel Adelinen und ihre Tochter nochmals dringend empfohlen bat, legt ſich der gute Gerval zur Ruhe.

Adeline bringt die Nacht wie den Tag hin; bald lebhaft auf: geregt, unzuſammenhaͤngende Worte ausſtoßend, bald in tieffter Nievergefchlagenheit, ohne fi darum zu befümmern, was um fie ber vorgeht. Man bemerkt jedoch, daß ver Lärm, ber flarfe Ton einer Stimme, das geringfte Gefchrei bei. ihr Zittern und die hef⸗ tigſten Anshrüce des Wahnfinnd veranlaßt. Am andern Morgen erfcheint ein von Herrn Gerval herbeigerufener Arzt bei der Un- glüdlichen, aber alle feine Bemühungen bringen es nur dahin, daß ſie etwas ruhiger wird ; ex iſt ver Anficht, daß ein ruhiger Aufent- halt die ſchrecklichen Anfälle ihres Zuftandes feltener machen werde. Aber er gibt nur wenig Hoffnung zu völliger Hebung ihrer Geiftes- Tranfheit, da er die Veranlaffung derfelben nicht kennt.

Dupre geht nach Villeneuve⸗St.⸗George unb-fragt nach allen Jakobs des Ortes. Nur zwei Bauern diefed Namend Tann er auf: finden, beide verfiehen aber nicht, twad er mit ber jungen Frau und ihrer Tochter fagen will; er Tann nichts weiter in Grfahrung bringen und Tehrt zu feinem Herrn zurück.

Dieſer ift mit feinen Nachforſchungen gleichfalls nicht weiter ge- fommen ; die Journale fündigen nichts an, daß eine Frau mit ihrem Kinde verſchwunden jei, und es wirb ihm nicht Die entferntefte Kunde über ven Namen und die Familie feiner bemitleivenswerthen Fremden.

Sp vergehen zehn Tage; Adelinens Zuſtand ift Immer ber: felbe ; ihr Tieffinn wird weniger durch heftige Anfälle geſtoͤrt, aber vernimmt fie irgend einen Schrei, fo bricht fie in ein entfeßliches, ſchreckliches Hafen aus. Die Stimme ihres Kindes allein. verunfacht ihr niemals, ein ſchmerzliches Gefühl, dieſe Toͤne bringen immer an das Herz der armen Mutter und wirken wohlthuend darauf.

„Mein lieber Dupre,“ fagt nach Verſluß der zehn Tage der

alte Gerval zu "feinem Diener, „ich fehe wohl, wir mäffen alle Hoffunng aufgeben, etwas Näheres Aber dieſo intereflante Frau zu erfahren. Meiner Treu, ich habe einen Entfchlug gefaßt, ich will fie mit mir nehmen. Du weißt, ich will mich auf meinen randſtz in den Vogeſen zurücziehen. Diefe einfame,. von: Wald au) Bergen umgebene Wohnung wird unſerer ſchwermüthigen Staufen am beften zufagen. Es iſt der Rath des Arztes, ihm wollen wir folgen. Dort wird wenigſtens nichts die Ruhe flören, tie ihr fo nothig if. Wir werben Sorge tragen, daß Fein lautes Geräufch zu ihren Ohren bringt, und ihr Töchterchen aufziehen. Katharine, weiche die Kinder liebt, wird das Ihrige dazu bei—⸗ kagen, und die Lieblofungen dieſes unſchuldigen Weſens werden mich für das entfchäbigen, was ich ‚für die Mutter thue... num, duprs, was haͤltſt Du von meinem Blane?... Ich bin ent: indt darüber, und erkenne Sie darin!.... Sie. wihmen fidh je an; den Unglücklichen. Gs if mein Bergnügen, ich. habe Feine jamilte, die Unglücklichen find meine Kinder; Du weißt, ich Fam a der Hoffnung nach Paris, von einem kleinen Knaben, ber mir m feiner Jugend ‘theuer war und ber überbied ein Recht auf meine Firforge bat, Nachrichten einzuziehen. Aber meiner Treu! da ich tm nicht zu finden weiß, foll das Tleine Mäpchen ihn erfegen: Bor diefem Augenblicke an adoptire ich ed," auch um die Mutter: retde ich mich fortwährenn annehmen, und danke der Borfehung,. 5 fie mich zu ihrem Beichüber auserkoren hat.

Den folgenden Morgen bringt Herr Gerval fein Vorhaben in Ausführung. Er kauft eine große und bequeme Berline und laͤßt ie mit Allem, 1008 ber jungen Frau und deren Kind auf der Reife riewerlich fein Tönnen, verfehen ; dann hinterkäßt er ber Within rise Adreſſe, damit fie ihm jchreibe, wenn fie etwas über bie Ishefaunte erfahren follte, und reiät mit Abelinen, Ermaucen und vinen alten Diener nad) feinem läͤndlichen Wohnfike ab, wo er vu Aeſt feiner Tage in Ruhe zu verleben gedenkt.

Einunddreifigkes Aapitel: Jakob und Sandfouci.

Mas denkt wohl aber Jakob non dem Verſchwinden Der beiden von ihm innig geliebten Weſen, während biefe in bem Wagen bed Herrn Gervals dem Oſten Frankreichs zuweilen? Um dies gu er: fahren, wollen wir nach dem Pachthof zurückkehren.

Als Jakob vom Felde kam und nicht ſogleich Abeline und ihre Tochter gewahr wurde, bie ihm ſtets freubig entgegeneilten, fuchte er feine Schwägerin überall. Unruhig darüber, daß er fe auch wicht im gemeinjchaftlichen Wohnzimmer fand, fragte er Zuife, ob fie vielleicht unmohl fei. „Ich will ed nicht Hoffen,“ fagte bie Pachtersfrau, „ich habe fie aber ben ganzen Tag noch nicht ge: fehen. Ihr wißt, daß fie manchmal gerne: allein in ihrem Zimmer bleibt, und ich. habe es darum nicht wagen wollen, fie zu fiären... + Ich will fie herunterholen,“ jagt Jalob, und begibt ſich nefch in Adelinens Zimmer hinauf.

Die übrigen Handgenoffen fangen auch au zu hefüuchten,, dag Madame Murville Frank geworben fei... Sansſouci ſchweigt, aber er ift unruhiger als die Anbern, bean er beuft an bad, was ex Adelinen anvertraut hat, und zweifelt nid, daß fie irgend etwas im Schilde führe. Alle warten mit Ungeduld auf Jakobs Mück⸗ fehr; endlich kommt er, aber Trauer und Schmerz malen ſich in feinen Zügen: feine Augen find feucht, feine Stimme iſt düſter. „Was ıft gefchehen ?“ rufen fie ihm enigegen.

„Ste iſt fort, fie Bat und verlaffen,“ antwortet Jakob, mit großen Schritten im Zimmer auf- und niedergehend, mit gen Simmel gerichteten Augen und Frampfhaft geballten Händen. „Sie iſt fort ?” wieberholt beträbt vie ganze PBächteröfamilie. „DO! iſt nicht moͤglich!“ ruft Guillot aus. „Da Iefed... Damit reicht Jakob ihm dad non Abelinen hinteräaffene Bapier bin Guillot

wimmi #6 und betrachtet ed mahrene Minuten mit ſtieren Pliden. ‚Run,* fragt Sandfouci, fi nähernd, „was ſchreibt fie denn ? 3% kann ja nicht leſen,“ antwortet Guillot, das Papier immer aoch betrachtend. Sansſouci reißt ed ihm endlich and ber Hanb and liest den Inhalt laut vor. „Ihr feht wohl, fie will nicht, daß wir ihrer Abweſenheit wegen in Unruhe fein follen,” fagt tuile, „fie wird bald wieder fommen, ich bin deſſen gewiß!... —D! mas das Betrifft, fo ſtehe ich ebenfalls dafür,“ fällt Gutlket eu; „fie wird uns ficher nicht verlaflen, ohne und Lebewohl zu ſagen! ...“

Sansſouci war derſelben Anſicht und bemühte ſich, feinen greund zu beruhigen. „Aber vor allen Dingen, imo mag fie Bingegangen fein?... Warum biefer plögliche Entſchlaß? noch achern ſchien fie an Feine Abreife gu denken! eine fo junge, zaͤrt⸗ ie, ſchwaͤchliche Frau allein mit einem Kinde auf der Lane kraße!... fie wird frank werben !... o fie muß irgend eine Nach st von Baris erhalten haben, ... Taufend Bajonette!... wenn ich dahinter kLomme, daß man ein Geheimnif nor mix Hatte! ...*

Bei dieſen Morten richten fich jeine Blide unwillfürlich anf Sandfonci, und biefer ſchaut vor fick uieher, ‚bewegt die Zunge m Runde, ſtreicht fir den Schnurrbart, und weiß nicht, wie kine Verlegeubeit. bemeiftern fol.

‚Run, Bruder Jakob,“ fagte die Pächterin, dem braven Lan nanne einen Sitz aubietend, „bevor wir verzweifeln, wollen wir e noch abwarten, vieleicht iſt fie morgen ſchon wierer hier. 3," träßet Gillot, „und dann wollen wir eine herrliche Mahlgett halten und Find vom letzten Jahrgang fuinfen, bad Weinchen fängt eu fber gu merben!. . .“

Bansfonzi wagt es nicht, ein. Wort zu jagen, denn er fürchtet, 14 zu verrathan, die Bliche feines Kameraden (deären ihm pie Kehle pi. »

AM a wa einige Tat⸗ warien, wenr ſi⸗ aber bie beit

er wird und ſchon fagen, wie wit es anſtellen müffen, um zu Meinem Bruder zu gelangen. Gut alfo, wir wollen Deinen Freund auffuhen; wenn wir ihn nur glei finden! Ale: dings,“ entgegnet Sandfouci, „bort.jehe ich ihn ſchon...“

Sie verdoppeln ihre Schritte und erreichen den Gefangen: wärter bald! dieſer erfennt feinen Freund, ſchüttelt ihm die Hand and fragt ihn, was ihn nach Paris bringe. „Höre,“ fagt Sand fonci zu ihm, „laß und dort auf jener Bank plaudern!... Ich ftelle Dir aber zuerft meinen Kameraden, einen tapfern Solpaten, vor. Ich fehe Narben und ein Ordeusband, die für ihn fprechen. Kann ih Cuch in Etwas nüglich fein? Ja, eine wichtige An: gelegenheit führt und her, wir wünſchen einen Gefangenen zu fprechen ... Da erinnerft Dich wahrfcheinlich noch des Eduards von Mursille, son dem ich das letzite Mal, als ich in Paris war, mit Dir ſprach. Dein Kamerad hier tft ſein Bruder. Sie fin fein Bruder,” fagte ver Märter, Jakob mit Rührung anblidend... „Ich bedaure Sie... —- Ich bin nicht zu bedauern,” erwibert Jakob, „fonbern er, da er unglädlich ift... denn id will nicht hoffen, daß er eine entehremde Handlung begangen bat?! Was wollen Sie hier machen ?" fragt der Wärter, ohne Jakobs Frage zu beantworten. „Ei, beim Kuduf, wir wollen meinen Bruder befuchen ; feine Stau ift mit ihrem Kinde fchon hier, ihn gu tröften. Keine Frau, ich Tann. ed beiheuern, ift zu ihm gefummen; ed Kat nicht einmal Jemand nach ihm gefragt. Wäre ed mög: ih!... Jeder Verſuch, ihn zu fprechen, ift jetzt vergeblich, denn er ift nicht mehr auf der Susciergerie... Er if nidt mehr hier ?... aber wo ift er denn? Ganz genau Tann id es Ihnen nicht fagen... Bir, pop Wetter! ich follte nicht erfahren tunen, wo mein Bruder ii? Nun, nun, mein armer Jakob, -tröfte Dieb nur,“ ſagt Sansſouci, „ver Kamerad iſt Schlecht unterrichtet, wir werden und andetwaͤrts erkundigen. Ich wie derhole cd Ihnen, Couard Murville iſt nicht mehr in dieſem Ge

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fänguiffe, und Hat vielleicht‘ jetzt ſchon Paris verlaffen. Leben Sie wohl, braver Jalob, glauben Sie mir, kehren Sie nad) Ihrem Terfe zurück, verlangen Sie nicht mehr zu wiffen, und vergeffen Eie einen Bruder... . der Ihrer unmwärbig ift.“

Der Gefangenwärter druͤckte mit inniger Rührung Jakobs Sand und entfernte fich ſodann von den beiden Freunden. |

Jakob bleibt unbeweglich und nachdenklich flehen; feine Stirne rerfinſtert fi und fein Blick wird düfterer; Sansfouci ſchweigt cdenfalld; er fängt an zu fürchten, daß der Bruder feines Kame- zeden nicht Bloß Schulden halber verhaftet worden ift. Die beiden ꝛadem Männer wagten ed nicht, ſich gegenfeitig ihre Gedanken nitzutheilen, und die Nacht überrafcht fie, in ihre Betrachtungen rtieft, noch auf der Bank.

„Bad wollen wir nun beginnen ?“ ſagt endlich Sansſouci, ‚ir ſtzen bier wie ein Paar verlorene Boften ; wir müffen uns 'n doch zu Etwas entichließen. So laß und Adeline und ihr nd auffuchen,“ fagt Jakob mit dumpfem Tone, „und Eduard aqgeſſen... Mir fängt e8 an, bange zu werden für den Unglüd: den!... 3a! wir wollen Adeline auffuchen ; ha! für Die Brauchen ir nicht zu erröigen... D! für fie gehe ich ind Feuer... - Unglüädliche Frau, arme, Fleine Ermance... wo mögen fie st fein... Bielleicht der Schmerz, von ihrem Manne zu wiſſen, #... ah! Sansſouci, warum Haft Du ihr das gefagt? "erh mir nicht mehr davon! Wahrhaftig, ich wollte, Du brauchteft eme Zunge zur Patrone. Ich finde Feine Ruhe mehr, bis ich 5, was aus ihr geworben if. Wir wollen ganz Paris durch: rifen, und, wenn es fein muß, in allen Häufern nach ihr er: :zMaen, and finden wir fie nicht in der Stabt, fo durchwandern

ganz Frankreich, alle Stäbte, Flecken, Dörfer und Weiler,

beim Genfer, wir gehen zum Teufel, wenn es fein mug! ‚rt wir finden fie wieder, Kamerad, mir finden fie wieder, ich ve bafür.“

Tal de Rod. 1. 18

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Jakob und fein Befähtte kehren in einem unbebentenben Gef: > bofe ein; fowie der Tag graut, machen fie ſich auf bie Beine, burchfpähen alle Stadtviertel und fragen nad) Abelinen und ihrem Kinde, aber nirgends Tann man ihnen Auskunft über biefelben geben. Man fieht fo viele Unglüdliche in ver Stabt, daß man einzelne nicht beachtet; man weist fie wohl bie und da nach ber Wohnung einer armen Mutter, aber wenn fie hinkommen, finden fie niemals den Gegenſtand ihrer Nachforfchungen.

Am elften Tage ihres Aufenthaltes in Paris gehe Jakob und Sansſouci auf den Boulevards auf und ab, und zerbredien fih den Kopf, was wohl aus Adelinen geworben fein koͤnne.

Ploͤtzlich wenden ſich die Spaziergänger nach der Fahrſtraße hin und fcheinen etwas Befonderes zu erwarten. „Was gibt's denn da 3” fragt Sansfoufl einen neben ihm flehenden Taglöhner. „Es ift,“ entgegnete diefer, „ein Zug Galeerenfliaven, ber and dem Bicötre kommt und nach Toulon abgeht... Da... feht... da kommt der Wagen ſchon ... bald werben wir fie feben... Es ift nicht der Mühe werth, fich fo zu drangen, um Schurken und Schelmen zu fehen. Sie Bitten um ein Almofen auf ihrem Wege... Wenn fie Herz im Leibe hätten, verlangten fie tobt: geihoffen zu werben... komm, Safob, wir wollen nicht bier bin: ſtehen ... diefe Burfche koͤnnen mein Mitleiv nicht erregen... Ich will bleiben,“ fagt Jakob ergriffen, „ih muß fie fehen!“

Der Wagen rollt langfam einher, und Jakob, von einem ge heimen Borgefühl angetrieben, tritt ganz nahe darauf zu, und zieht einige Sous aus der Tafche. Bald find die Galeerenſtlaven vor ihm; fie ſtrecken ihre verbrecherifchen Hände aus und flchen bie Barmherzigkeit der Vorübergehenden an, Jakob betrachtet fie genau, und bemerkt einen, ber feinen Leidensgefährten nicht nach⸗ ahmt, fich vielmehr den Blicken ver Menge moͤglichſt zu entzichen fucht ; aber der Elende, mit welchem er zuſammengeſchmiedet if, iſt gerabe einer der Frechſten, der ihn mit Heftigkeit fortzieht. Diefe

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Vewegung geſtaltet Jakob einen genauern Anblick her Züge des Un⸗ glücklichen. Er glaubt, feinen Bruder zu erkennen ... kalter Schweiß tritt ihm auf die Stirne, feine Hand greift ploͤglich un⸗ wlfürlich nach feinem Ordensbande, Idst ed ab und verbirgt es in feiner Bruſt.

Der Wagen tft vorüber und Jakob folgt ihm mit den Angen. Sanbfonci zieht feinen Kameraden am Arme und fagt: „So fomm oh, was Teufels ſindeſt Du denn für ein Bergnügen daran, biefe Gauner zu fehen ? Aber was haft Du denn ?... Dein Geficht ift ta ganz entflellt?...— Ab, Sansfonci!... ich Bin verloren!... ntehrt!... Du, ntehrt? Das ift nicht möglich, faſſe Dich dech. Mein Bruber!... Nun! ...“

Jalsob wagt es nicht, das unfelige Wort auszuſprechen, aber er weist wit Der Hand auf die Baleerenfträflinge, die man noch u ber Entfernung erblidt. „Das kann er nicht fein, Breund, Du uf Dig gelrrt. AG, wenn es des Himmels Wille wäre!.... aber nein, es war kein Irrihum! und die Reben des guten Ge⸗ ſingnißſwärters. fein bedeutungsvoller Blick, als er mir die Sand stüte... Sich! es iſt kein Zweifel, nun errathe ih Alles... O2) wenn fogar Dein Bruder ein Elender wäre, tft es denn Deine Ehuld ? Haft Du Dich darıım weniger fürs Vaterland geſchlagen? sh Du darum weniger gegen die Feinde geftritten.... und Deine Etirae, Deine Bruft, haben Sie feine Narben mehr? Taufend lionen Granaten! wer würde ſich an Deiner Bekanntfchaft fchä- nm?.., ih wärbe ihm meine alte Klinge gehn Zoll weit in den Rebel Roßen ... Ach! mein Freund, mein ehrlicher Name ift Abanbet... OD! Bater... wenn Du dad erführek!... Dein Bater iM todt, aber lebte er noch, fo würde Dein Ruhm ihn über Deines Bruders Schande tröften. Rein, Sansſouci, über Ile Unglück Tann man fich nicht tröften. Bir bleibt nur ein Aröweg Kbrig: jene Elenden einzuholen, mich demjenigen zu nähern, ven ich vicht mehr meinen Bruder nennen Tann, ihm eine Kugel

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durch den Kopf zu jagen, und mir ſelbſt es nachher ebenſo zu machen. Das iſt ein ſauberer Ausweg!... Du wirft ihn aber nidl einfchlagen. Du wirft Dich erinnern, daß Du noch eine Schwefel haft, denn die gute Adeline liebt Dich wie eine Schweſter; Du wirft der Heinen Srmance gebenfen, die Du fo oft anf Deinen Schooße geſchaukelt; Du wirft dieſe Unglücklichen nicht ihres ein! zigen noch bleibenden Freundes berauben; Du wirft Deinen Kumme vergefien, um den ihrigen zu lindern; und in ihrer Mähe wirft D fühlen, daß Du noch nicht Alles verloren haft... denn wir werde fie wieder finden, und müſſen wir fie in allen Winkeln der Wel auffuchen... wer weiß, ob fie nicht vielleicht jetzt ſchon auf d Pachthofe find... oder in irgend einer armfeligen Hütte, wo unferer Hülfe bebürfen!... und Du wollteft dieſe Welt verlafi während Unglüdliche noch auf Dich zählen? Nein, beim Wetter das thuft Du nit... Du gibft nah... Du biſt gerühtt.. Nun, Muth! Jakob, in der Trübfal, wie im Feuer... und vorwaͤrts

Jakob laͤßt ſich von feinem Kameraden fortgiehen, und viel benützt feine Stimmung, um mit ihm eine Stadt zu verlaſſen, feine Hoffnung mehr if, Adelinen anufzufinden. Sie fchlagen ihr Meg nach dem Pächthofe ein, und ſchmeicheln fich, Hier bie jun Flüchtige wieder anzutreffen.

Aber auch diefe letzte Hoffnung ift bald zeritärt ; Die Niede gefchlagenheit der Landleute fagt ihnen genug. Jakob will foglei wieder fort, um aufs Neue Adeline und ihr Kind amfgufuce ‚nur mit Mühe kann man ihn bewegen, eine Nacht im Näaͤcht hauſe zuzubringen. Dan bemerkt, daß Bruder Jakob nad) der P rifer Reife noch trauriger ift, aber die Landleute ſchreiben bie Schwermuth dem geringen Erfolge feiner bisherigen Bemühungen ;

Sansſouci trifft alle Vorbereitungen zu einer wahrfcheinli lange dauernden Reife. Luife ift über die Trennung von ihr Better jehr betrübt, aber fie fühlt wohl, daß er feinen Freund ni verlaffen darf. Sie ſteckt in den. Reifefad eines Jeden eine gefü

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Börfe. Obgleich nur der Lohn für ihre thätigen Dienfte darin ents halten ift, fo wagt. fie es doch nicht, fie ihnen offen anzubieten, and hält dieſes Verfahren für das befte, um einer Verweigerung ihtes Geſchenkes zu entgehen. Gute Menfchen haben immer Geiſt un Geſchicklichkeit, wenn es ſich darum handelt, gegen Andere verbindlich zu fein.

Sobald der Morgen graut, ift Jakob auf den Beinen; Sans: ſonci laͤßt auch nicht auf fich warten. Mit dem Reiſebündel auf m Rüden und einem tüchtigen Store in der Hand, tritt er vor kinen Freund und fagt: „Wenn Da willft, fo laß und gehen.“

Die beiden Freunde verlaffen das Haus. Die Pächtersfamilie kegt ihnen weinend Lebewohl. Die Kinder, Iange daran gewöhnt, ut Jakobs Bart zu fpielen, und mit Sandfonei ſich auf dem Graſe erumznwälzen, hängen ſich an fie und wollen fie nicht von fich laſſen, !aife bedeckt ihr Angeficht mit ihrer Schürze, und ihr Schluchzen lagt mehr als ihre Worte. Auch Guillot ift ebenfo betrübt wie bie Inen: „So muß ich nun ganz allein bei meiner Alten bleiben,“ isgte er, „wie wird mir ba bie Zeit fo lange werben! .... Hier, Ateund Jabob, erlaubt, daß ich Euch noch ein kleines Geſchenk auf he Reife gebe, wer weiß, ob es Euch nicht nützlich fein Tann.“ Nit tiefen Worten überreichte er ihn ein Paar Piſtolen.

„Ya Habe fie letzthin gelegenheitlich im Dorfe einem alten Soldaten abgekauft; ich hatte im Sinne, fie Cuch an Eurem Ra: nrustage zu fchenten, aber ba Ihr num abreist, fo koͤnnt Ihr fie „ber gleich mitnehmen.“

Jakob dankt dem ehrlichen Pächter and nimmt deffen Gefchent zıllig an. Nachdem er Alle geküßt hat, entfernt er fih mit Sans⸗ ionci uud ſchwoͤrt, ohne Adeline nicht wieder nach dem Pachthofe 2 fommen und nicht eher zu raften, als bis er fie gefunden habe.

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durch den Kopf zu jagen, und mir ſelbſt es nachher ebeifo zu machen. Das ift ein fauberer Ausweg!... Du wirft ihn aber nicht einſchlagen. Du wirft Di erinnern, daß Du noch eine Schwefler haft, denn die gute Adeline liebt-Dich wie eine Schweſter; Du wirft der Heinen Ermance gevenfen, die Du fo oft auf Deinem Schooße geſchaukelt; Du wirft diefe Unglüdlichen nicht ihres ein- zigen noch bleibenden Freundes berauben; Du wirft Deinen Kummer vergeflen, um ben ihrigen zu lindern; und in ihrer Nähe wirft Du fühlen, daß Du noch nicht Alles verloren haft... denn wir werben fie wieder finden, und müffen wir fie in allen Winkeln der Welt auffuchen... wer weiß, ob fie nicht vielleicht jebt fchon auf dem Pachthofe find... oder in irgend einer armfeligen Hütte, wo fle unferer Hülfe bedürfen!... und Du wollteft viefe Welt 'verlaffen, während Unglädliche noch auf Dich zählen? Rein, beim Weiter! das thuſt Du nicht ... Du gibft nah... Du biſt gerührt... Nun, Muth! Jakob, in der Trübſal, wieim Bener... und vorwärts!“

Jakob laͤßt fih von feinem Kameraden fortgiehen, und biefer benägt feine Stimmung, um mit ihm eine Stabt. zu verlaffen, wo feine Hoffnung mehr if, Adelinen aufzufinden. Sie fchlagen ihren Weg nah dem Pächthofe ein, und fchmeicheln ſich, bier bie junge Flüchtige wieder anzutreffen.

Aber auch diefe letzte Hoffnung ift bald zerſtort; Die Mieber: gefchlagenheit der Landleute fagt ihnen genug. Jakob will fogleich wieder fort, um aufs Neue Adeline und ihr Kind aufzuſuchen, nur mit Mühe Tann man ihn bewegen, eine Nackt im Paͤchters⸗ haufe zuzubringen. Man bemerkt, daß Bruder Jakob nad} der Ba: rifer Reife noch trauriger ift, aber die Landlente fchreiben tiefe Schwermuth dem geringen Erfolge feiner biöherigen Bemühungen zu.

Sansfouci trifft alle Vorbereitungen zu einer wahrſcheinlich lange dauernden Reiſe. Luife ift über die Trennung von ihrem Better ſehr betrubt, aber fie fühlt wohl, daß er feinen Freund nicht verlaffen. darf, Sie ſteckt in den Weifefad eines Zeven eine-gefüllte

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Lampin iſt ſtets derſelbe; ſelbſt im Bagno zu Toulon bewährt er feinen Leichtfinn und feine Sorgloſigkeit; Schande iſt für ihn nur eim leeres Wort, und er gibt fich täglich Mühe, Eduard, wie er fagt, von feinen Vorurtheilen zu heilen.

In der Gefellichaft von Galeerenfflaven kann der reumüthige Vetbrecher keine wohlthätigen Grundſaͤtze faſſen. Da gibt es deren zu viele, bie, Durch Verbrechen abgehärtet, ſich ein Vergnügen daraus machen, einen von Gewiſſensbiſſen gedrückten Sünder, den eine aiftichtige Reue wieder zu einem tugendhaften Leben zurüdführen !öunte, vollends zu ˖ verderben.

Adelinens und feiner Tochter Bild verfehwinden nad) und nach aas Ednards Gedaͤchtniß, und er befchäftigt fich nun mit den Plauen, mit feine Gefährten ihn täglich unterhalten. Ex verfcheucht die Umifjensbiffe, die, wie man ibm zu beweifen fucht, fruchtlos find, 2) denkt mit den Uebrigen an einen Cutweichungsverſuch. Nach lauf von ſechs Monaten ift fein Kebensüberbruß von dem glühen: a Durſt nach Freiheit vollklommen verdrängt.

Ein kũühner Blau ift entworfen. Selbft auf den Galeeren finden 1 Gefangenen Gelegenheit, mit denjenigen ihrer Freunde, bie bis: xilen eine größere Freiheit genießen, in näheren Verkehr zu treten, ar diefe wagen Alles zur Rettung und Befreiung ihrer Genoſſen, il fie bei der erſten beften Gelegenheit eine ähnliche Hülfe in Asipruch nehmen.

£ampin leitete die Ausführung des Complots. Gezwungen, uchtern zu fein, ſteht ihm feine ganze Geiftedgegenwart zu Gebot. in gewonnener Wächter läßt die Thüren offen. Die Sträflinge, au Zeilen verfehen, haben ihre Ketten gelöst, mitten in ber Nacht ‚nammeln fie fich auf ein gegebenes Zeichen, erfchlagen drei Wachen ‚ar dringen in einen Hof, befien Mauern von Leuten foldher Art leicht zu überfleigen find. Lampin Hettert zuerft hinauf; Eduard 'lgt ihm, indem er ſich an ver Kette feſthaͤlt, die immer noch an ten Füßen hängt ; ſchon haben mehrere Galeerenſtlaven die Mauer

Bweiunddreitzigſtes Mapitel. Die Baleeren:-Stlaven,

Jakob hatte fich nicht getänfcht, als er feinen Bruder unter ben Galeerenſklaven zu erfennen glaubte. Der unglüdliche Cduard mußte die Strafe des Verbrechens erdulden, wozu er fich halte hinreißen laffen. Er wurde zur Brandmarkung, Ausſtellung am Pranger und zwanzig Jahre Zwangsarbeit verurtheilt.

Lampin, der fchon mehrere Male feinen Richtern enigangen und früher wegen Diebftahl verfolgt worden war, wurde lebend: laͤnglich zu den Galeeren verurtheilt. Vergebens hatte er Eduard berebet, Alles zu laͤugnen; er war zu ſchwach dazu, geſtand bald fein Verbrechen und lieferte fih feinen Richtern in die Hände.

Der Elende hatte feine Frau und fein Kind erkannt, im Augen blide, als das ſchmachvolle Eifen ihn berührte. Er hatte Adeline fterbend vor fich nieverftürzen fehen, und diefes herzzerreißende Bild fland lange unauslöfchlich vor feiner Seele. Der Gedanke an eine Frau, die ihn anbetet, und deren Unglüd er bereitet hat, an ein Kind, dad er zur Schande verdammt, einft nur mit Schaubern den Namen feines Vaters nennen zu hören, und die Erinnerung an das früher genofjene häusliche Glück, Alles beflürmt ben Unglüd: lichen und läßt ihn das Gräßliche feines Zuſtandes noch viel herber empfinden.

Gewiffensbiffe zernagen das Herz Eduards, und bewegen ihn, jo viel als möglich Die Gegenwart der übrigen Gefangenen zu meiden, die ihn nur feines Grames und feiner Feigheit wegen verhöhnen. Hundert Mal faßt er den Entfchluß, feinem Leben ein Ende zu machen, aber mit Zittern und Zagen ſteht er wieder von biefem Vorhaben ab. In diefer Gemüthöftimmung legt er, ohne feinen

Bruder in Paris gewahrt zu haben, den Weg von Bichtre nad Toulon zurüd,

Vergnügen, Dieben aufzupaffen ! da träume ich lieber vom meiner viden Rannette!... . Webrigens fürdhte ich mich nicht... ſolche Ernte fcheeren fich nicht um Kohl und Rüben.“ .

„Bir find gerettet,“ fagt Eduard Teile zu feinem Begleiter. „No nicht,” entgegnet Lampin. „Der Bauer bringt feine Gemüſe nach dem Markte, und wenn er uns entdeckt, wird er uns nicht für zwei Bündel Zwiebeln halten. Was ift nun aber zu begimen! Gi, beim Kuduf! wir müſſen querfelvein Laufen ; wir wollen nur warten, bis er wieber tüchtig ſchnarcht, und das wirb siht lange anftehen, weil er an feine dicke Nannette benft.“

Wirklich dauert es nicht-lange, und ber Bauer fchläft wieber fr. Lampin ſtreckt jept den einen Arm hervor, greift nach dem 3igel und wendet den Wagen um. Das Bferd kennt nur zwei Berge, den nach dem Markt und den zum Stalle. Da es fo mit am Sale umkehren muß, glaubt ed, e& gehe wieber nach Haufe ma verfolgt ohne Sträuben. ven Weg ind Dorf zurüd.

„Endlich find wir gerettet!” ruft Ednard, indem er behutfam tm Kopf aus dem Kohle hervorſtreckt, und rings um fich ber nur Yirme und Felder, aber feine Hänfer erbliätt. „Du haͤltſt Dich umer für gerettet, Dummkopf,“ fagt Lampin, „und doch find wir zch leineswegs außer Gefahr... wir find ja noch Dicht bei Tonlon. Ta Bauer bringt uns in fein Dorf, und da werden wir von Neuem gawict. Wir müſſen vom Wagen fleigen und und zu verbergen den... Das ift bald gefagt... und zu verbergen!... aber ze denn? Huf den Bäumen, wie bie Spapen?... Bor allen Dingen follten wir weiterfommen ; mit diefen Ketten an den Füßen zn es jeboch nicht leicht gehen... Die feilen wir ab... Haben wir Zeit dazu?... Seht frifch einen Haupfflreih ... wir find in einem Hohlweg . . . ich fehe nirgends ein Haus... i&uelf herunter. Und dann? Steig’ ab, fag’ ih Dir, uud balte das Pferd fachte an... waͤhrend deffen will ich unfern Fuhr⸗ zn durchfuchen.“

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erflommen und fi in den auf der enigegengefehten Seite beſind lichen Graben geftürzt, als ſich ploͤtzlich Flintenfchüffe veruehme laffen ; der Alarm wirb allgemein, die Garnifon tritt unter v Waffen, Solvaten eilen herbei und fchießen auf die Entfliehender Mehrere flürzen todt nieder, Andere ergeben fi, ver Aufftand i bald bewältigt, aber man hatte noch feine Zeit, ſich zu überzeugen wie viele der Gefangenen fi davon gemacht haben.

Lampin und Eduard haben den Waffenlärm gehört. Es g lingt ihnen, aus dem Graben zu entkommen; aber wohin ſich n wenden, wie fehnell genug fliehen ? Schon bewegen fich die Trupp durch die Stadt und den Hafen... balp werben fie ihnen in | Hände fallen. Eduard ift in Verzweiflung, und Lampin zerbri fih den Kopf mit dem Schwure, daß er ſich nicht lebendig erge Auf einmal hören fie Pfervegeklingel ; gleich darauf fährt ein hoh mit Gemüfe beladener, von einem jungen Landmann geführter gen an ihnen vorüber. Der Bauer figt jchlafend vorne auf d Wagen und die Zügel hängen nachläffig über ven Rüden des Pf des, das langſamen Schrittes den gewohnten Weg verfolgt.

„Mach's mir nach !“ ruft Lampin, dem Wagen nadhrenner „und wir find gerettet.“ Sogleich fleigt er von hinten hinauf, ma eine große Höhlung in den Kohl, die Möhren und Wurzeln, u gräbt ſich, kaum Athem holend, mit Eduard hinein. Der Baı wendet fih um, veibt fih die Augen aus, ſieht aber, noch 5: ſchlaftrunken, noch nichts umd will von Neuem zu ſchnarchen anfang. als Soldaten auf ihn zukommen. „If Dir Niemand begegn Freund 3" fragt der Sergeant den Landmann. „Meiner Tr nein, Niemand, meine Herren, als Ejel, Karren und Leute dem Dorfe. Sieh Di vor, es find Galeerenfträflinge entſp gen; wenn Du einen ſiehſt, fo rufe nad Hülfe und gib ge Acht, welchen Weg fie einfchlagen.“

Die Soldaten gehen weiter. Der Bauer legt fich wieder bie Seite und brummt: „Sa, das thäte mix noch Roth, ein ſchoͤ

Vergnügen, Dieben aufzupafien! da träume ich. licher von meiner biden Ranneite!... . Uebrigens fürchte ich mich nicht. . . foldhe Ente fcheeren fich nicht um Kohl und Rüben.“

„Bir find gerettet,“ fagt Eduard leife zu feinem Begleiter. ‚Rod nicht,” enigegnet Lampin. „Der Bauer bringt feine Gemife nach dem Markte, und wenn er und entbedit, wird er uns nicht für zwei Bündel Zwiebeln halten. Was ift nun aber zu beginnen! Gi, beim Kuduk! wir müflen querfelvein laufen; zur wollen nur warten, bis er mieber tüchtig ſchnarcht, und das wirb nicht ange anftehen, weil er an feine dicke Nannette denkt.“

Wirklich dauert ed nicht lange, und der Bauer fchläft wieder fh. Lampin fireckt jekt den einen Arm hervor, greift nach dem Zügel und wendet den Wagen um. Das Pferd kennt nur zwei Dege, deu nach dem Markt und ven zum Stalle. Da es fo mit einem Male umkehren muß, glaubt es, es gehe wieder nach Haufe an verfolgt ohne Sträuben. ven Weg ins Dorf zurück.

„Eublich find wir gerettet!” ruft Eduard, indem er behutfam

ten Kopf ans dem Kohle hervorſtreckt, und rings um fidh ber nur Bänme und Felder, aber Leine Hänfer erblickt. „Du haͤltſt Dich 'nmer für gerettet, Dummlopf,” fagt Lampin, „und doch find wir och Teineswegs außer Gefahr... wir find ja noch bicht bei Toulon. Der Bauer bringt uns in fein Dorf, und da werben wir von Neuem wit. Wir müflen vom Wagen fteigen und und zu verbergen hen... Das ift bald gefagt.... und zu verbergen!... aber ro denn * Auf den Bäumen, wie bie Spatzen? ... Bor allen Tingen follten wir weiterlommen ; mit dieſen Ketten an den ßen wur es jeboch nicht leicht gehen... Die feilen wir ab.. Saben wir Zeit bazu?... geht friſch einen Hauptftreich ... zır finb im einem Hohlweg... ich fehe nirgends ein Hand... nel herunter. Und dann? Steig’ ab, fag’ th Dir, und belie dad Pferd fachte an... während deſſen will ich unfern Fuhr⸗ mann durchſuchen.“

Eruard ſteigt vom Karren. Lampin Hält die Zügel an und das Pferd bleibt fichen. „Wir müflen ed ausſpannen und auf nad davon reiten,“ fagt Lampin, „geſchwind aber.”

Damit unterfucht ex die Tafchen des Landmanns und bemäd): tigt fich eines Meffers und einiger Silberftäde. Epuard Tann mit dem Ausfpannen nicht fertig werben und erfucht Lampin, ihm dabei behülflich zu fein. Diefer feheint aber, während er die Kleivung des Bauern betrachtet, einen neuen Plan auszudenten : „Ich babe Angft, daB, er aufwacht,“ fagt Cduard. „Wenn er aufwacht, ift er ein Kind des Todes,“ erwibert Lampin, fpringt eilendö ber unter und loͤsſt die Riemen und Seile, welche das Pferd noch an dem Wagen halten. Aber ver Bauer ift dergeflalt an bie Bewe⸗ gung des Karrend gewöhnt, daß er, ſobald dieſer einige Angen- blide fieht, aufwacht. „Bio! Hio!“ fehreit er, ſich die Augen reibend. „Wir find verloren,“ jammert Ednard halblaut. Lampin antwortet nicht, fondern fpringt raſch auf den Wagen zu, unb im Augenblide, wo fich der unglüdliche Landmann erheben will, ſtoͤßt er ihm dad Meffer in die Bruft.

Der Bauer ftößt nur einen ſchwachen Schrei aus. Eduard if von Entfepen ergriffen. „Unglüdlicher! was haft Du gethan!“ ruft er fchaudernd aus. „Was nothwendig war,“ antwortet Lampin. „Schade ift nur, daß ich feine Kleiner nicht mehr brauchen fonn, weil fie mit Blut bedeckt find... ich muß mich mit bem Hute und mit der Bloufe begnügen.”

Mit diefen Worten entkleidet der Böferwicht fein Opfer, wirft fih da8 Ueberhemb um, fleigt haflig aufs Pferd, wendet ſich zu dem noch ganz verblüfft daſtehenden Eduard und ſpricht: „Sept, mein Junge, Hilf Dir aus der Gefchichte heraus, fo gut Du kannſt.“ Nun gibt er feinem Pferde einen Stich mit der Mefferfpige und ver: ſchwindet, indem er Cduard an der Seite des Bemorbeten zurücklaͤßt.

Dreiunddreißigſtes Mapitel. Der Holzhacker und die Räuber.

Die Racht geht vorüber. Eduard, ganz beftärzt über Lampins Aucht and völlig außer Faſſung über Alles, was ihm feit einigen Stmnden begegnet it, fleht noch neben dem Wagen, ohne zu wiffen, des er anfangen foll.

der unglüdliche Bauer athmet noch und flöhnt bisweilen mh. Cduard weiß nicht, foll er ihm beiftehen oder entflichen. gi ſchwault, zögert hin und ber, und der erfte Morgenſtrahl findet tu noch in dieſem Zuſtande. Er wirft einen Bli auf feinen Anzug und erfchrickt, fich in der Kleidung eined Galeerenſträflings ufchen, in welcher ex ficher für den Mörder des Banern gehalten wen wäre ; diefer Gedanke erftarrt ihn zu Eis; der Anblid des hbrmauns erregt feinen Abfchen, er entfernt fi baber fo ſchnell 4 feine Kräfte geftatten, und erreicht ein Meines Wäldchen, ro er fh den Rachfuchungen zu entziehen hofft.

Seine erfie Sorge iſt, die Ketten zu durchfeilen und von ſich uuwerfen ; aber der Kleidung Tann er fich nicht ebenfo entlebigen, u feht wohl ein, daß er füch nicht blicen laffen darf, wenn er rt feſtgenommen fein will,

Diefe Betrachtung bringt ihn zur Berpeiflung, und ex bereut ran Angenblick, den unglüdlichen Bauer nicht gänzlich ausge⸗ Ste und geplündert zu haben.

* iſt heller Tag geworden; die Landleute gehen an ihre Ar⸗

Ya. Cduard dringt immer tiefer in das Gehölz ein, liedt Feigen m Oliven anf, und Hettert auf einen Baum, um hier die Rück⸗ Ihe Ver Dunkelheit abzuwarten.

Aber wie lange wird ihm der Tag! und wie oft fährt er nicht N Zittern zufonmen, wenn er Landleute fich nähern und nicht Devon dem Daume ausruhen ficht, ber ihn verbirgt. Ex hoͤrt,

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wie fie fih von dem Morbe ded armen Fuhrmanns unterhalten. „Ein entflohener Galeerenfträfling hat es gethan,“ erzählen fie fich gegenfeitig ; „es find mehrere in verwichener Nacht aus dem Bagno in Toulon entfprungen, allein man ift ihnen auf der Spur, und fie werben gewiß bald wieber ergriffen werben.“

Eduard ift nur zu fehr von den Schwierigkeiten überzeugt, bie fich feiner Rettung entgegenſetzen, und überläßt ſich völliger Troftlofigkeit. Endlich wird es wieder Nacht! er fleigt von feinem fhügenden Baume herab, und macht fi auf den Weg. Bei dem leifeften Geräufch, welches zu feinem Ohre bringt, flieht ex Kill, horcht und verbirgt fi) im nächften Gebüfch. Geſicht und Hände find ihm von den Dornen und Stacheln zerfleifcht, aber er kennt keinen Schmerz mehr ; er möchte fi in die Cingeweide der Erbe begraben.

Er läuft, fo lange e8 feine Kräfte geftatten, ſammelt ſich ſorg⸗ fältig Früchte auf den naͤchſten Tag, verweilt nur an ben oͤdeſten Orten, und bringt die Tage in ben belaubteflen Baumgipfeln zu.

Gegen Abend des vierten Tages Tommi er an einem Kleinen, von einem Bärtchen umgebenen Häudchen vorüber, er wirft einen Bid hinein, in der Hoffnung, einige Früchte zu enideden, aber wie groß ift feine Freude, ald er Wäfche und Kleivungsfläde an einem Seile hängen fieht! Der Gedanke, fich dieſelben augneiguen, um feinen Galeerenanzug abwerfen zu Iönuen, fährt ihm durch ben Kopf; ein Diebfiahl erſchreckt ihn nicht mehr, er entichuldigt ihn mit der Nothwendigkeit. Nur eine halbverfallene vier Fuß hohe Mauer trennt ihn von ben Toftbaren Kleivungsftüden ; zum erſten Male denkt er an Feine Gefahr, ex fpringt hinüber, ergreift, was ibm nöthig und entflieht damit, ohne auch den geringfien Gewiſ⸗ fensbiß über dieſen Diebftahl zu empfinden; denn die That, bie er begangen bat, erjcheint ihm nur als eine Kleinigleit gegen alled Datjenige, was er fchon Hat verüben fehen.

In einem dichten Gebüſch wechfelt er bie Kleider. Etwas be zubigter durch den Gedanken, daß er jet ſchon weit von Tonlon

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eitfernt fein mäßfe, ſetzt er, entfchloffen, zur Nächt hie Gaſtfreunb⸗ (haft irgend eined Bauern anzufprechen, feinen Weg weiter fort. ' Gr hofft, man werde ihm doch wenigftens ein Stück Brob nicht zeweigern, und das fcheint ihm ein Schag, wodurch er zu neuen hröften gelangen koͤnne. Indeſſen wagt er es doch noch nicht, ſich ram Dorfe zu nahen, da er fürchtet, Genbarmen darin zu be nen, bie ihn verfolgen, daher zieht er e8 vor, an die Thüre ur einfam im Walde liegenden Hütte zu Flopfen. a

Ein Landmann macht ihm auf und fragt, was er begehre. „Ir Eönnt viel für mich thun,“ entgegnet Eduard; „ich bin ein Inlüdfiger, von Mangel und Mübigkeit erfhspft; erlaubt mir, Rat bei Euch zugubringen, Ihr rettet mir das Leben. In 0 That,” fagt der Landmann, „She Scheint fehr ermübet . .-. "hr lidend ! aber wer feld Ihr? Man will doch wiffen, wen man fh aufrimmt. Sch bin ein armer Deferteur ... ich ver: zu mich Euch an, ruinirt mich nicht!... Ein Deferteur... inkl... Das Defertiren ift eine ſchlimme Sache! aber ich werde Rd nicht ind Unglück flürgen ... . kommt alfo nur herein und rrölt mie dann, warum Ihr deſertirt ſeid.“

Euard tritt ein und empfindet eine innige Freude, fich ein- 2a wieder unter Dach und. Fachezu ſehen.

Run,” fagt der Bauer, „ich werde Euch bie Hälfte von tm geben, was ich habe, das iſt eben nichts Gutes, allein Ihr Stdei Cuch nicht lange firänben, ed anzunehmen ... ich Bin ein ma Schauer, Safe nicht viel, lebe von der Hand in den Mund, % freut mich aber dennoch, wenn ich mein bischen Abendbrod und vn Rachtlager mit Euch theilen Tann. Ich Habe Brod, Käfe und U Reichen Wein, welches wir mit einanver ausleeren wollen ; zb mein Bett if nicht ganz ſchlecht, das beſte Möbel, welches & m Sanfe habe, ich weite, Ihe fchlaft prächtig darin! .. Sohlen, Freund, erzählt mir Eure Geſchichte; ich Habe auch unter Mm Rilitar gedient, ja, ih war and Soldat, und kann mir

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ſchmeicheln, nicht deſertirt zu fein. Ich möchte erfahren, was Guch zu dieſem ſchlechten Cutſchluſſe bewogen hat.“

Ebnard erfindet eine Gefchichte ; der Holzhacker hört aufmerkſam zu. Die Sonderbarkeit diefer Erzählung, bie Unwahrſcheinlichkeit feiner Abentener, die Verlegenheit Ebuards, wenn ihn fein Wirth am nähere Details über fein Regiment und feinen Garniſonsort befragt, Alles das erweckt Axgwohn in dieſem, und er fürchtet mehr und mehr, von irgend einem Landflreicher angeführt worben zu fein.

Da er indeſſen nichts beſitzt, was die Habgier reizen Eönnte, fo theilt er dennoch fein Abendbrod mit Cduard; daun fordert er ihn auf, ſich auszuziehen und nieberzulegen. Eduard läßt ſich das nicht zweimal fagen, ſchon zieht er feine Jade aus und will auch die Wefte ablegen, als ein plöglicder Gedanke ihn davon abhält, und er wie verblüfft vor dem Holzhacker fichen bleibt.

„Si! wollt Ihr Euch nicht zu Bette legen ?“ fragt der Bauer, als er die Beflürgung Eduards wahrnimmt. „Doch, erlaubt... ich werbe mich fogleich niederlegen ... Es ſchien doch, als wolltet Ihr Euch fchon auskleiden, und jetzt ſteht Ihr da, ald ob Ihr nicht wüßte, was Ihr machen follt? ... Ach! weil ich überlegte, ob es nicht beffer fei, angefleivet zu bleiben, um morgen früh gleich wiederreifefertig gu fein. Wie Ihr wollt, nach Gefallen.“ - Eimarb wirft fich aufs Bett, und der Holzhader macht es eben fo, jedoch nicht in ver Abficht, zu fchlafen; eine geheime Unruhe quält ihn, er fürchtet, einem Verbrecher Obdach gegeben zu haben und beſinnt ſich, wie er feine Zweifel anfllären Zäune.

Der Blende, ven die Müdigkeit beinahe nieberbrüdte, und welcher Iange nicht auf einem fo weichen Lager geruht Hatte, üben ließ fi bald dem Schlafe. Der Holzhacker, der ih nur gefteflt, ale ob er ſchliefe, ſteht, nachdem er ſich überzeugt hat, daß der Fremde feſt fchläft, ſachte wieder auf, geht in eine kleine Küche hinaus und fihlägt Feuer ; dann zündet er eine Lampe an, nimmt feine Vdlinte und lehrt ohne Seräufc wieder ins Bimmer zu Chuard

287 yetil. Der Schlaf bes Unglücklichen war peinlich und unruhlg ; er bewegt ſich unanfhörlich, wirft fich heftig auf feinem Lager zmber, und unzufammenhängende Worte entfchlüpfen feinen Lippen; ver Holzhacker horcht und vernimmt deutlich folgende Worte: „Auf ver Ranbfraße ... mitten in der Nacht... ex ift ermordet... ubut mir dieſe Feſſeln ab ... befreit mich von biefen Ketten... bindern mich zu fliehen.“ „Ermorbet !“ wieberholt der Landmann Ieife ... „alfo habe 4 einen Straßenräuber aufgenommen, und diefer Schuft fchläft u dem Bette eines ehrlichen Mannes... Wer weiß, ob ex nicht jener ganzen Bande bier bei mir ein Stellbichein gegeben hat}... Bar fagt ohnehin, daß fich feit einiger Zeit Räuber in biefer Vegend berumtreiben follen. Bielleicht wollten fie fich meiner Hütte Imähtigen, ums fich einen Schlupfwinfel daraus zu machen ... Infel, wenn ich das wüßte, fo fuchte ich mir dieſen vom Leibe m ihefen, da er noch allein if... ... Doch halt, erſt wollen wir ws von Eiwas überzeugen . . .“

Der Holzhacker naͤhert ſich Cduard, fchneidet vorſichtig den Riden der Weſte des unglücklichen Galeerenſtlaven auf, entblößt um Schulter, Holt die Lampe herbei, halt die Hand vor das At, damit der Strahl nicht auf die Augen des Fremblinge falle... inedt, den Athem an fich haltend, deu Kopf ver... und erblidt Maındernb das fatale Brandmal.

So babe ich mich alfo nicht geirrt,“ fagt er, die Lampe wieber - u den Kamin ſtellead und fein Gewehr ladend. Es iſt ein Ver⸗ neh... aber bei allen Zeufeln, er foll nicht länger bei mir Haben!... umb follte ich mich auch größeren Gefahren audfegen, rien Schurken jage ich aus meiner Hütte.“

Sogleich tritt er aufs Bett zu und verfagt Eonard mit feinem Bustentsiben einen berben Stoß; biefer erwacht, richtet fich auf m ſieht mit Schrecken, wie fein Wirth anf ihn zielt und wü⸗ ldende Blicke nach Ihm wirft.

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: „Auf der Stelle mad’, daß Du forikommft,” fchreif ihm ber Holzhacker, dad Gewehr immer auf ihn gerichtet, zu ; „plöglich pad Di fort, und unterftehe Dich nicht, wieder zu kommen, ober ic zerſchmettere Dir dad Gehirn.”

„Was habt Ihr denn ?... woher diefe Wuth ?" fragt Epnart flaunend um fich blidend. „Bin ich denn nicht mehr in der Hütte wo man mich gaftlich aufgenommen ? Ihr fein ed boch, ber mi einem Unglüdlichen feine Mahlzeit und fein Lager theilte, und jeg wollt Ihr mich fortjagen ... Was habe ich denn geihan, un folge Behandlung zu verdienen? Du weißt wohl, Elender geh’ zu Deinen Kameraden auf der Landſtraße, plünbere und morb die Reifenden, bei mir-aber findeft Du nichte. Freund, Ih „Int Euch, ich. ſchwoͤre es Cuch, ich bin einer ſchlechten That nn "fähig! I... Wahrhaftig, Du biſt wohl gar ein rechtſchaffene Mann? ... und das Brandmahl anf Deiner Schulter haſt D etwa für. Ruhm und Ehre erhalten ?“

. „Großer Bott! .. .“ ruft Cduard aus, indem er nach fein: Weſte greift und bemerkt, daß fie aufgefchnitten if. „Wie! .. Ihr habt es gewagt ? Ich habe wiffen wollen, wer Du bift.. Dein Betragen bat mich mißtrauifch gemacht, ich mußte im Klare über Dich fein. Du ſiehſt, Deine Reden, Deine Geſchichten könne⸗ mich nicht mehr irre machen ; alfo noch einmal, fcheer Die, weite ein Menſch wie Du darf nicht unter meinem Dache weilen.“ |

„Ih Unglüädlicher!" ruft Eduard aus, indem er ans hei Bette fteigt und ſich verzweifelnd vor bie Stine flägt ... „i gibt’8 denn keine Rettung mehr für midy, fo Bin ich verloren, vo ber menfchlichen Geſellſchaft ausgeftoßen, gensthigt, Die Welt 3 fliehen und im Verborgenen zu leben... dieſes entehrende Me fiempelt mich zum Verbrecher... nur unter Räubern und Sp Buben finde ich noch einen Zufluchisort ... nur durch nene M brechen kann ich mein Dafein friften! . . ber we der Mene i mir verſchloſen, ih ſoll ein Boſewicht fein! . „“ Ä

203

Rach dieſen Worten wirft er ſich troſtlos zu ben ‚Füßen bes hohzhaders nieder. Diefer fühlt bei dem verzweiflungsvollen Zus hande des vor ihm liegenden Elenden einen Augenblid Mitleid ; re ſtellt feine Flinte weg und will feiner Empfindung folgen, als ſich plöplich von mehreren Seiten des Waldes her ein durchdrin⸗ gendes Pfeifen Hören laͤßt.

Sogleich erwacht in dem Holzhacker ſein ganzer Argwohn, ige ganze Wuth wieder. Er zweifelt nicht, daß jenes Pfeifen ein deichen der übrigen Räuber iſt, die ihren Kameraden auffuchen, :@ legt feine Flinte wieder in Anſchlag. Eduard will nochmals ma Mitleid anflehen; er naht fih feinem Wirth und firedt die zinde nad ihm aus, dieſer aber deutet feine Bewegung anders, 'inhtet, er wolle ihn ermorden, tritt einige Schritte zurüd und Tadt ab.

der Schuß geht los, aber die falſch gerichtete Waffe verfehlt nErfer, Die mörberifche Kugel pfeift dicht über die Schulter des Inlälligen, der noch auf den Knieen liegt, Hin, und fährt. in 'e Bauer. Sept aber beleben Wuth und Berzweiflung Eduards Art, mer thener will er fein Leben verfaufen; er greift nad ran Set, Die er in einer Ede der Stube erblickt, und in bem- vis Moment, wo ber Holzhader mit dem Gewehrkolben auf ihn 'wringen will, verjeht er ihm einen fo heftigen Hieb auf den tef, daß biefer leblos zu feinen Füßen nieverftürzt. Der unglüd- ‚be Holzhacker fällt, ohne einen Laut von fich zu geben, und Rush ficht fich mit Entfehen von oben bis unten mit befien Binte

—* ieſen Augenblicke wird die Thuͤre der Hätte eingetreten.

Pi mit Lumpen bedeckte, aber von Kopf bis zu den Füßen be⸗ fute, haͤßliche Geſtalten erfheinen auf der Schwelle, fteden 2 Röpfe im die Stabe und betrachten ſtaunend das Schaufpiel, veites füh ihren Augen darbietet. |

del de Red. 1, | 19

„Dho!“ fagt endlich ver, welcher der Anführer zu ſein Wheint, „hier gehen ja fonderbare Dinge vor, und wie ich füge, Yeben wir noch Kameraden im Lande... Kreuz Donnerwetter! ... bad ift ein Burſche, der fi, wie es feheint, nicht ſchlecht aus ber Sache gezogen hat!"

Eduard ſteht noch unbeweglich, bie moͤrderiſche, blutige Art in den Händen, mitten im Zimmer.

Die Ränder treten ein; ver Chef derſelben betrachtet Ebuarb genauer und macht dann eine Bewegung freudiger Neberrafdjung. „Erift es!“ ruft er endlich... „ja, er ift ed... fieh! Kamerad, Du mußt ihn ja auch erkennen. Beim Kucknk! freilich, es if ja unſer alter Freund! . Friſch auf, Murville, umarme Deine alten Bekannten, Deine Freudens⸗ und Leidensgefaͤhrten!“

Eduard hoͤrt die ihm wohlbekannten Stimmen, er erhebt die Augen und erblickt Lampin vor ſich, erfennt aber den andern Räuber noch nicht, deſſen Sprache ihm übrigend auch nicht fremd ſcheint Der Anführer ergreift feine Hand und fchüttelt fie ihm kraͤftig Eduard fleht ihn an, und fucht in feinem abfchentich zagerchleten Gefichte bekannte Züge zu entdecken. „Wie ?“ ruft Eampin aus, „erkennſt Du Deinen alten Freund Bufresne nicht mehr ?*

„Dufresne ! wäre es möglih!.... Ia, Marsllie, er iſt es ſelbſt,“ verſetzt Dufresne, indem er mehrere Binden vom Kopfe, ein Pflaſter, welches ein Auge und einen Thell der Stirne bebeiit, und einen Bart, der den untern Theil des Geſichtes verbirgt, ab⸗ nimmt... „Es freut mich, daß Du mich nicht erfannt haſt, das beweist mein Talent, mich zu verftellen und ift etwas werth, wenn man zum Tode verurfheilt ift. Aber Du, alter Freund, ſcheinſt etwas gewanbter geworden zu fein, ſeitbem wir uns nicht mehr gefehen haben ... Teufel! das macht Dir viele Ehre,.. Kameraben,“ fagt Lampin, der inzwiſchen bie Hütte durchſtobert hatte, „Hier iR nichts für und zu holen. Der Schuß Tönnte Leute Herbeifähten, denen wir nicht gerne begegnen möchten ; glaubt mtr, es if beſſer,

au wir verlaſſen diefe alte Baracke und gehen wieder in den Wald, wir Tönnen bort eben fo gut und ſicherer plaudern, als hier.“

De Lampins Rat für Flug anerkannt wird, fo entfernen fie ve Jaͤuber and der Hütte und nehmen Cduard mit fi, der ſich von feinem Erſtaunen noch nicht erholen und es fih nicht für noͤglich denken kann, Dufresne ald Räuberhauptmann wieberzufinden.

Nachdem die Räuber eine Zeitlang das bichtefte Gehoͤlz durch⸗ (dritten haben, machen fie endlich in einer hoͤhlenartigen Vertiefung Salt, zünden ein Feuer an, holen ihre Mundvorräthe hervor, breiten he anf dem Rafen aus, legen ihre Waffen für einen möglichen . Ucherfall zurecht, und lagern fi ſodann rund um dad Feuer im Reife.

„Ich weiß nicht,” fagt Dufreöne, Eduard mit wilder Freude detrachtend, „ein unbeflimmtes Vorgefühl ließ mich immer hoffen, wi Dir einmal wieder zufammenzufommen... Meiner Treu! ih babe auch immer darnach getrachtet, nicht wahr, Lampin ?“

kampin mit Heißhunger, und trank feiner Gewohnheit ges niß noch beffer ; er begnügte fh, Eduard Lächelnd anzubliden. Liefer aber betrachtete feine neuen Gefährten und wußte noch nicht, te fih zu dem Zufammentreffen mit ihnen Glück wünſchen follte, Ber nicht.

„Aber wie kommt es benn, daß ich Dich mit Lampin Hier im Balde wiederfinde ?“ fragte er endlich Dufreöne ; „wie kommt es, eh ihr eine fo gefährliche Lebensweiſe eingefchlagen habt ?“

„Und welch ein anbered Leben foll man führen, wenn man, = bir, aus der menfchlichen Geſellſchaft ausgeſtoßen iſt? ... Elf Du nicht den Unfchuldigen ſpielen. .. Du! ver Du fo then mn fun armen Holzbaner erfchlagen haft, veffen Ton Dich nicht

amal etwas nũutzt ?“

Ich habe mich nur vertheidigt. Dieſer Menſch hatte auf mich vxſqhoſſen, ex drohte, mich zu erſchlagen, und ich Habe nur feinen Geh yarizt, Pop Genfer! Kamerad, Du panel ganz artig!

Do, dem fei wie ihm wolle, ſprechen wir von. dem, maß und betrifft. Du weißt, ich wurde zum Tode verurtheilt; glücklicher Weiſe habe ich die Geſchichte nicht abgemwartet, Dank. meinen ge: treuen Freunden, die mir den Weg aus dem Gefängniß bahnten Wir dürfen uns nun aber nicht mehr öffentlich fehen laſſen, un! haben Wälder und Landſtraßen erwählt, um unfer Gewerbe treiben, man muß in ber Welt doch etwas thun. Kürzlich Biel ich im Walde einen Reifenden zu Pferde an; ich erfannte Lampin und ihm war nichts Lieber, als zu den Unfrigen zu gehören. D ſollſt nun auch bei uns bleiben, lieber Murville, denn es bei Dir nichts Anderes mehr übrig, und Du mußt hoch erfreut fei und angetroffen zu haben.”

„Sa, ja,“ fagt Lampin, „und ich Bin überzeugt, Du bi mir nicht mehr böfe, Dich mitten in ber Nacht bei jenem Fuh mann verlaffen zu haben. Was willft Du au, mein Junge; i fah, daß das Pferd nicht viel werth war; mit zwei Reitern a dem Rüden wäre ed nur langfam weiter gefommen, unb da muß ich doch zuerft an mich denken, dad tft ganz natnlih !.. . .“

„Welch ein trauriges Dafein !” fagt Eduard, um ſich blicken „in den Wäldern, in ber Finfterniß leben. . . jeden Augenbli fürchten zu müffen, gefangen zu werben ... fein 2eben für eini Goldſtücke zu wagen.“

„Ha, meiner Treu!” entgegnei Lampin, „ich geftehe, ee m

» freilich Heiterer, ald wir die blonde Veronica auf unferem Schoof wiegten, und Madeira und Champagner tranfen ; aber ſtehſt ©: Kleiner, es gibt Bornehme und Geringe in der Welt, Heute mi morgen Dir!”

„Bafle Muth, mein lieber Murville,“ faͤllt Dufresne wier ein, „wir koͤnnen noch einmal wieder reich werben und das Lebi unter einem andern Himmelöftrich genießen. Inzwiſchen will i mich aber auch nicht Damit begnügen, nur in ven Wäldern au lebe und einigen armfeligen Reiſenden aufzulauern ; außerbem reich:

293

uch vier oder fünf Mann nicht Hin, eine furchtbare Bande zu Silben und größere Reiſewägen anzuhalten, ich habe aber andere, Moartigere Pläne, und da ich das Talent beſttze, mich, wenn es lein muß, unfenntlich zu machen, fo Hoffe ich, wenn meine Kameraden "meinem Unterrichte erft ganz durchdrungen fein werben, Tühnere Streihe auszuführen, fei ed nun, bei reichen Privatleuten einzu: “ingen, ober fonft unter irgend einer Maske einen ergiebigen äiſtzug zu halten,“

„ga! erift fchlan, der Ramerad! er foll ung ſchon führen !... id möchte gerne wiffen, wem er feine Erziehung verbanft! ..

„Da kann ich euch Genüge leiften, meine Freunde, indem ich “6 meine Jugendgeſchichte erzähle; meine Erzählung ſoll nicht 2 fein, fie wird euch aber Vergnügen machen ! Uebrigend Tann “Rureilfe fih zu Nutzen ziehen. Es kommen Dinge darin vor, deiehung auf ihn haben, und ich brauche mich ja nicht mehr “Tim zu geniren.“

„Erzaͤhle, erzaͤhle!“ ruft Lampin, „unterdeſſen koͤnnen wir "len, wir haben doch nichts Beſſeres in dem verwänfchten Walde ru tbun, wo wir feit zwei Nächten leer ausgegangen find. Le, Kameraden, ſchürt das Feuer an und laßt und ſchweigend

Tefen 10

Die Räuber fachen das Feuer wieder an, ergreifen jeder eine witte und gruppiren fich um ihren Anführer, während Eduard, a Kopf in die Hand geftüßt, mit dumpfem Brüten Dufresne's "iblung erwartet,

2%

Pierunddreißigfies Aapitel. Dufredned Lebensgeſchichte.

Ich bin in einem Fleinen Dorfe uhmweit Rennes geboren. Mein Bater wurde, nachdem er reich und angefehen gewefen war, durch einen Prozeß gegen einen feiner Vettern ruinirt. Arm, fah er fih gendthigt, die Stelle eined Jagdaufſehers bei einem alten Gute: herrn anzunehmen, dem fein Wildpret Lieber war, als feine Ba: fallen, und ber den Tod eines auf feinen Gütern gefchoffenen Kaninchens oder Rebhuhns niemals verzich.

Mein Bater, durch das Unglüd erbittert, nährte heimlich den Wunſch, fih an Demjenigen zu rächen, der ihn um fein Ber: mögen gebracht hatte. Er wohnte in einem Heinen Haufe mitten im Walde, dort nahm er mich hin und behielt mich bei fih. Ich mochte etwa ſechs Jahre alt fein, ald mein Vater ſich dorthin zurüdgog. Ich war Tühn, unternehmend, muthig, feft unb ent: fehieden in meinen Entichlüffen. Das beinahe wilde Leben, welches ich feit mehreren Jahren führte, konnte nicht dazu beitragen, meinen Charakter milder zu machen. Ich ftreifte unaufhoͤrlich durch bie Wälder, erkletterte die Berge, die fleilften Felſen, fprang über Abgründe, ſchwamm durch reißende Gewäfler, und wenn ich Dann zu meinem Bater zurüdtam, fo wieberholte er mir die Geſchichte feines Unglüds, lehrte mich die Menfchen haften, deren Ungered): tigkeit fein Herz empört hatte, empfahl mir, Teinem Menfchen zu frauen, niemald auf Erfenntlichkeit und Billigkeit von Meines: gleichen zu rechnen, und zum Belege für feine Lebensanfühten zählte er mir alle Dienfte auf, die er Andern als reicher Mann geleiftet Habe, und welche alle mit Undank belohnt worden feien ; er machte mich ausführlich mit dem Prozeß befannt, den er aut durch Betrug und Boswilligkeit verloren habe, umd ließ mid

Kwiren, deu als meinen Feind zu betrachten, der fein Verderben herbeigeführt habe.

Diofe Beben meined Baterd gruben ſich tief in mein @ebächtnif a. Vielleicht Hätte mich der entgegengeſetzte Rat bewogen, Dies jaigen zu lichen und zu verehren, bie ich jegt zu haffen und zu urhten eutſchloſſen war ; aber vie erften Einbrüde vermögen Alles über ein jugenbliches Gemuͤth, und die Unabhängigkeit, worin ich Ihte, ließ mich ein jedes Hinderniß, welches fich meinem Willen migegenfehte, mit Gewalt befämpfen.

Eine Begehenheit, deren Zeuge ich war, diente nur noch jaja, meinen Abſchen gegen die Menfchen zu vermehren. Ich war heichn Jahre alt, und hatte jept erſt von meinem Vater Leſen glrat; ex bewies mir, daß Kenntniſſe für meine Abſichten noͤthig fin, und dieſer Grund allein konnte mich bewegen, etwas zu Iran. Ich ging eines Tages in den Waldungen ſpazieren, als ich Wald ganz in meiner Nähe zwei Flintenſchüſſe fallen hörte, Mlief nach der Seite hin, woher das Schießen kam, und ſah, we zwei Leute arretirt wurden, weil fie auf herrſchaftlichem Gehiste gejagt hatten. Der Eine war ein junger, gut gefleibeter Rıre, von feiner, ausgezeichneter Haltung, der Andere ein armer it Sympen bedeckter Laundmann, der mit dem größten Elend zu Iinpfen ſchien. Erſterer Hatte einen Rehbock, biefer aber nur einen ufen geſchoſſen, und doch lachte und fang der Gtäbter in Gegen⸗ wart ſeiner Wachen, während der Bauer blaf und bebend Taum Kr Kraft hatte, ſich aufrecht zu erhalten.

Rengierig, die Folge dieſes Vorfalles Tennen zu lernen, folgte ib den Benten aufs Schloß; ber guäbige Herr war gerade abs wind, aber fein Haushofmeiſter vertrat feine Stelle; er beſaß umiräukte Gewalt und handelte im Namen des Herrn ganz ud Belieben ; die beiden Gefangenen wurben aljo vor ben Haus⸗ ifmeifier gebracht. Zah miſchte mich unter bie Menge und ef glg mir, in einen großen Saal mit hineinzuſchlüpfen, wo man

zuerft die beiden Wilbbiebe hineinführte. Der. Haushofmeiſter lam endlich. Als er den jungen Stäbter erblickte, merkte ex wohl, daß

er es nicht wie gewöhnlich mit grobem Bauernvolf zu thun habe, welches vor ihm zu zittern gewohnt war. Er hieß baher alle Um: ſtehenden Hinausgehen, um den feinen Herm unter vier Augen zu verhören; ich jedoch, anflatt mit den Uebrigen hinauszugehen, ver; barg mich. unter einem mit einem Teppich verhängten Tifch und hörte deutlich folgende Unterrebung mit an: „Mein Herr, ich bin in Berzweiflung, daß ich gendthigt bin, mit Strenge gegen Sie zu verfahren,“ begann der Haushofmeifter mit einſchmeichelndem Tone, „allein mein @ebieter ift fehr ſtrenge und feine Befehle fiat gemefien‘! . . .“

„Ha, alter Fuchs, ich glaube, Du fherzeft mit Deinen Be; fehlen,” erwiberte der junge Herr dem Haushofmeifter höhniſch; „wife, daB ich aus vornehmer Familie bin, und Dir bei erfler Gelegenheit die Ohren abfchneide, wenn Du mich nicht augenblid: lich in Freiheit fehefl. Mein Herr, diefer Ton iſt ſehr be fremdend... und ich darf nicht zugeben... Hier, alter Geiz⸗ Hals, ich verftehe ſchon, wo Du Hinaus willſt! Du biſt Haus: hofmeifter, damit ift genug gefagt, nimm diefe Börfe, es find fünfzehn Louisd'ors darin, das ift mehr, als alle Rehboͤcke Deines Herrn werth find.“

Mit viefen Worten warf er ihm eine Börfe zu, bie der Haus⸗ bofmeifter ohne Schwierigkeit annahm, dann eine Heine Tapeten thüre öffnete und fagte: „Gehen Sie gefälligft hier hinunter nad dem Garten, halten Sie rechts, und Sie werben hierauf eine andere - Thüre finden, die Sie ins Freie führt. Ich fege mich für Sie in Gefahr, aber Sie haben fo einnehmende Manieren. . .“

Der junge Jäger hörte nichts weiter, denn er befand fich fehen im Garten. Der Haushofmeifter ſchloß die Heine Thüre forgfältig wieder zu, Elingelte und befahl dem eintzetenden Bedienten, jeht ben andern Wilddieb vorzuführen.

Nan brachte den Bauern und auch jept blieb ver Haushof⸗ meifer allein mit ihm. „Warum Haft Du gejagt?” fuhr er ben randmann mit einem Tone an, ber keineswegs bem glich, ben er gegen den andern Wilppieb beobachtet Hatte.

„Mein lieber Herr,” flehte der arme Landmann und warf ſich af die Kniee, „vergeben Sie mir ed nur, es iſt das erſte Mal, und ich ſchwoͤre, es foll auch das letzte Mal gewefen fein. Das ſezt iht Schurfen immer. Ich bin kein Schurke, Herr Haus: iefmeiter, fonbern ein armer Teufel, ber ein Weib und fünf Kinder kt, und nicht weiß, wie er fie ernähten fol. Gi, Lumpen: md! warum heirathefi Dun? A, mein Herr, das iſt ja noch $ Einzige, was man im Leben hat. Wie! konnen Tröpfe ve Du an fo eiwas denken? Arbeitet, Canaillen, arbeitet, das Teuer Boos. Ich Habe Feine Arbeit, Herr Haushofmeifter, und 4 verdiene fo wenig, daß es nicht hinreiht!... Weil ihr “wie Wilde! Bir effen nicht einmal fatt, um nur für bie hater eiwas übrig zu behalten... Deine Kinder, Deine baier! Ihr Tagediebe Hungert das Land noch aus mit euren farm. Erlauben Sie, Here Haushofmeifter, der gmäbige fer füttert fünfzig Hunde, da, denke ich, könnte ich doch wohl fr bis fünf Kinder aufziehen!... Da fehe Einer ven Elenden; &adt er ſich noch feine ſchmutzigen Nachkommen mit ven Wind⸗ hıten des gnaͤdigen Herrn zu vergleichen? Sept weiter feine Gründe, N biſ als Wilddieb feflgenommen worden, Deine Sache ift Har, * diebſtahl Liegt am Tage. Du befommft Peitfchenhiebe, zahlſt a Geldſtrafe und wanderſt ins Loh!... Ach! Gnade, Guade, fr Haushofmeifter, es war ja nur ein Hafe!... Ein Hafe! ft, pop Wetter!... ein Safe! Du weißt, ſcheint's nicht, rad iſt? Der gnaͤdige Herr nimmt die Hafen in Schutz, hegt Virsfältig und ich muß den rächen, den Du gefchoffen haft. Ser er aber für den Tiſch des gnäbigen Herrn beflimmt geivefen Met _ Damı wäre ed etwas Anderes. Dann konnte er fi

u gluͤcklich ſchaͤßzen, vom gnäbigen Herrn griveißt zu werden; aber Du biſt und bleibſt ein Wilddieh. Herr Haushofmeiſter, haben Sie Erbarmen mit Weib und Kindern, wir find jo arm. Sie finden nicht einen Heller bei und, Du verbienteft gehangen zu werden! Marſch! vorwärts ins Loch! und morgen bie Beitiche.“

Der Haudhofmeifter Elingelte, die Diener eilten herbei, und man führte den Bauern teog Bitten und Thränen ins Gefaängniß.

Ich hätte unter dem Tifche vor Wuth berfien mögen. Als Riemand mehr im Saale war, fprang ich aus dem Fenſter, lief zu meinem Bater und erzählte ihm Alles, was ich gefehen und gehört hatte. Meine Erzählung ſetzte ihn nicht in Erflaunen. Sie war für ihn. nur ein Beweis mehr für feine Anficht von des Un: gerechtigkeit und Barbarei der Menfchen. Ich aber hatte meinen Plan gefaßt. Ich wußte, daß der Gutsherr am andern Tage zus: rückkommen mußte, unb wollte, daß der beirügerifche Haußhofmeifter beſtraft werben follte.

Ich ging au in der That gleich nach Tagesanbruch auf bad Schloß. Als ich in den Hof kam, fah ich, wie der arme Bauers⸗ mann burehgeprügelt wurde, während ber gnäbige Herr von bem Ballon des Schlofies herab ſich an dem Schaufpiel weidete, und feine Lieblingshunde mit Zucker und Biscuit fütterte.

„Sch: werbe Euch rächen, braver Mann,” ſprach ich, als ich an dem Landmann vorüberging. Sogleich flog ich die Treppe hinauf und drang in dad Zimmer des gnädigen Herm, bevor nod bie Dienerfchaft Zeit hatte, mich anzumelden. Der Haushofmeifter war bei ihm mit Geldzaͤhlen befchäftigt ; ich warf mich zu den Füßen des Gnädigen, aber in meiner Haft Hatte ich dad Unglück, bie Pfote feines Lieblingsthieres zu treffen; es fing an zu heulen, ber Herr fihlenderte mir einen wüthenden Blid zu und fragte, wie man mich zu ihm ins Zimmer laſſen fünne. Ehe man ihm noch aufwortete, brachte ich meine Klage vor; ich erzählte in einem Athemzuge Mies, was id; von dem Geſpraͤche zwiſchen dem Haus:

bofmeifter und dem vornehmen Jäger wußte. Der alte Kerr fehlen bei der Kachricht, daß man noch einen andern Wilddieb ergriffen babe, etwas Aberrafcht: aber der Intendant, der, während ich fprach, sr Zorn außer ſich gerieth, beeilte fich, feinem Gebieter vorzu⸗ tellen, daß der junge Mann ein Marquis gewejen fei, und ex deßhalb geglaubt habe, ihn nicht zurädhalten zu dürfen. „Ein Rarquis!“ rief der gnädige Herr aus, eine Prife nehmend, „ein Rerquis! Teufel, in der That... ja... ich begreife... den Isanten wir nicht durchprügeln laſſen... da muß der Bauer für Zwie bezahlen. Das habe ich eben gebacht, guäbiger Herr. U Du Haft Recht geihan, ſchicke nur ben Jungen wieder fort, ret dazu noch fo tappig gewefen ift, meinen armen Gaftor zu treten.“

Der Haushofmeiſter Tieß ſich das nicht wieberhalen, er nahm nid beim Arm, ich folgte ohne Wiverfland und Tonnte es nicht greifen, wie der Gutsherr gegen feinen Spigbuben von Diener zit in Wuih geraten war. Unterwegs verjegte mir der Gang: tofmeiſter ein Dugend Ohrfeigen und ebenfo viele Hunbötritte, und . zas war die einzige Belohnung, die ich für meinen guten Willen erhielt,

Ih fam rafenb nad) Haufe und ſchmiedete tauſend Rache: Hläne. Bein Bater, der bald einfah, zu welchem Uebermuth meine Renſchenfeindlichkeit mich verleiten Könnte, bemühte ſich, mich zu beruhigen, aber es war vergebens.

Am folgenden Morgen kam ein Bote vom Haushofmeiſter, ud überbrachte meinem Bater die Nachricht, daß er nicht mehr Sutauffeher ſei. Er hatte es erwartet und machte mir deßhalb feine Vorwürfe. Wir verließen alfo unfer Häuschen, ohne zu willen, de wir und hinwenden follten.

Was mich betraf, fo hatte das neue Unglüd meines Baters nich in meinen Rachevorfägen nur beflärkt, und ich Eonnte die Zeit nöt erwarten, fie auszuführen.

Zu ver Nacht, während mein Water unter einem Baume ſchlief

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ſchlich ich mich mit einer Blenblaterne und einer Flinte, bie er immer bei fih führte, Ieife davon, lief nach dem Schloffe, bort fammelte ich mehrere Reisbüſchel und ſteckte das Gebäude au allen vier Eden in Brand ; damit aber ja dad euer nicht wieder er: Iöfche, warf ich noch brennende Reifer nach den anfloßenden Häufern und befonders nach den Ställen.

Ich Hatte bald die Freude, meine Rache vollfommen gelingen zu ſehen. Das Feuer loderte an mehreren Orten auf und griff fchnell in allen Flügeln des Schloſſes um ſich. Man laͤutete bie Sturmglode, die Landleute eilten herbei und viele waren einfältig genug, fich für ihren Herrn, der fich ein Dergnügen daraus machte, fie durchzuprügeln, ind Feuer zu flürzgen. Mitten in dem Tumult und der Zerftörung lief ich in die Zimmer bes Schloſſes und ſah, wie der Haushofmeifter ſich fo eben mit einem Eleinen Kaften, ben er forgfältig an fich druͤckte, davonmachen wollte; ich trat ihm in ben Weg und zielte; da, fagte ih, das iſt für Deine Obrfeigen und Deine Fußtritte, druͤckte ab und er fiel tot zu meinen Füßen nieder. Ich warf die Flinte weg, bemächtigte mich des Kaͤſtchens, fprang mit Leichtigkeit zum Fenſter Hinaus und entfloh aus dem Schlofie, welches bald nur noch einem Schutthaufen glich.

Sch eilte nach dem Orte zurück, wo ich meinen Vater vers laffen hatte. Ich war ſtolz auf meine Rache und hoch erfreut über den Beflg meines Käftchend, welches ich voll Geld vermuthete. Ich wußte ſchon, daß man fich für Geld Alles verfchaffen und allen Gefahren entgehen Tönne.

Aber wie groß war mein Erflaunen, als ich meinen Bater nicht mehr fand, den ich noch fchlafend unter dem Baume zu finden hoffte. Ich rannte überall umher, ſchrie aus vollem Halfe, aber umfonft ; ich erreichte endlich ein anderes Dorf, ohne zu erfahren, was aus ihm geworben fei. Ueber meinen Schag in Unruhe, vergrab ich ihn am Fuße einer alten Eiche, nachdem ich einige Golbftüde her: “agenommen hatte, womit das Käftchen in der That angefüllt war.

Ich kehrte Nachts in einem Fleinen Wirthshanſe ein und dachte ganz rihtig, daß ınan auf ein Kind nicht den Verdacht einer Braub- ſtiftung wälzen Eönne. Wirklich achtete man auch nur wenig auf nih; man unterhielt fich von bem großen Unglüd, welches dem Gutsherrn gefchehen fei. Jeder ſprach feine Vermuthungen aus; aber am Morgen bed folgenden Tages Fam ein Bauer mit ber Nehriht an, daß man ben Branbflifter ergriffen babe ; es fei der Jagdanffeher des Herrn, dem man ben Dienft aufgekündigt habe, md ber fih an dem Haushofmeiſter, dem er feine Ungnade zu⸗ ihrieb, habe rächen wollen. Er habe das Feuer eingelegt, um seite ficherer feinem Feinde beizuflommen, denn man habe den Haus: ‚ofmeifter erfchoffen gefunden, und das Gewehr, womit er getöbtet erden, für. das des Jagbauffehers erfannt. |

Bei diefer Erzählung zweifelte ich keinen Augenblick länger, 5 mein Bater an meiner Stelle verhaftet worden fei ; ich zitterte ar iim und beſchloß, mich anzugeben, um: fein Leben zu reiten; '4 verließ unverzüglich das Wirtshaus und lief nach dem Dorfe, 2ekin man ihn gebracht haben mußte. Ich hielt mich unterwegs Inne Sekunde auf, denn ich fühlte wohl, daß die Zeit koſtbar fei; 4 kam auf dem großen Platze vor dem Dorfe an, und fah Bier. nanen Bater am Galgen hängen.

Ich überließ mich nicht dem Schmerz, denn das war nicht das befübl, welches ich empfand, fondern der Wuth, ver Raferei. Ich itte bad ganze Dorf in Brand fleden, und alle Bewohner befs «ben zugleich mit verbrennen mögen.

Rats nahm ich ben Leichnam meined Vaters vom Galgen munter; ich Hatte Die Kraft, ihn nach dem Walde zu fchleppen, at dort begrub ich ihn; ich ſchwur über feiner entfeelten Hülle, rum Tod und fein Unglück an allen Menſchen zur rächen und mals einen Funken von Neigung für Diejenigen zu haben, bie tz fo ungerecht an ben Bettelſtab gebracht und gemorbet Hatten.

Ich grub meinen werthvollen Kaſten wieder and und entfernte

wich aus der Gegend. Dank meinem Schatze, konnte ich alle meine BWünfche befriedigen, mir febed Bergnügen verfchaffen. So lebte ich fünf Jahre, Indem ich mich allen Leidenſchaften Hingab, melde fich bei mir ſchon frühzeitig entwidelt hatten ; ich liebte den Wein, das Spiel, bie Weiber, und fo lange ich Gelb Hatte, verfagte ih mir nichts. Aber bei folchem Leben konnte mein Schak nicht lange währen. Im neunzehnten Jahre war mein Reichthum erfchöpft ; aber weit entfernt, mir darüber Kummer zu machen, freute id mich vielmehr, daß nun der Augenblick gefommen fei, den auf dem Grabe meines Vaters geleifleten Eid in Erfüllung zu bringen.

Die Menfchen zu betrügen war jeht mein einziger Gedanle, und das fiel mir nicht ſchwer; in der großen Welt, in welcher ih mit Hülfe meined Schatzes ‚Zutritt erhalten hatte, war ich zu feinen Manieren und äußerer Abgefchliffenheit gelangt. Außerdem war es mir ein Leichtes, meine Züge und meine Stimme zu verflellen, wem. ich es für nöthig erachtete; nehme dazu noch Geift, Ber: wegenheit, Feſtigkeit und Beredſamkeit, unb ihr werdet begreifen, daß ich glänzende Erfolge erniete.

Unter dem Namen Bröville lernte ich in Brüffel einen ge: .wiffen Jakob Murville Tennen, der das väterliche Haus verlaffen hatte. Dad war Dein Bruder, mein armer Eduard, und ed gelang mir, ihn um fein ganzes Vermögen zu bringen. In Paris nahm ich einen andern Namen an, und befand mic auf Deiner Hoch: zeit ; ber Rame Murville fiel mir auf, ich erfunbigte mich genauer, erfuhr, daß Du einen Bruder Hatteft, und fand es heiter, mir dad Befisthum des Aelteften zuzueignen, nachdem ich ben Jüngeren um feine Habe gebracht hatte. Aber ein anderer Gedanke erfüllte meine Seele, ald ich Deine Fran ſah, Adelinens Schönheit und Anınnih bezauberten mich, ich verliebte mich wahnſinnig in fie, und ſchwur, Alles aufzubieten, fie zu beſitzen.

Bor allen Dingen mußte ich bei Dir eingeführt fein, dies ers seite ich; dann ſuchte ich euch zu emtziveien und zog Dich nach

und nach ins Wirhriben, ba dies bei Hauptzweck meines Beſtrebens war. Fb entbelte Ditne Neigung zum Spiele und es war mir ein Leiten, Dich zu allen nur möglichen Thorheiten zu verleiten. Ich wollte mich indeffen auf Deine Koſten bereichern, aber das fatale Spiel zeigte ſich mir nie günftig. Ich trieb Dich zu Verbrechen an, weil mir Deine Frau ihre Verachtung gezeigt hatte, und ich mich dafür an Die rächen wollte. Du warft nur noch eine Reſchin⸗, die ich nach Gefallen in Bewegung fetzen konnte.

Nachdem ich alle Mittel angewendet hatte, um Adelinens Viderſtand zu beſiegen, nahm ich meine Zuflucht zur if, and es gelang mir, mich Nachts in ihr Schlafzimmer und ihr Bett ein- zuſchleichen; .. Du fhauderfi!... o! mein armer Ebuarb, Deine Fran war hintergangen worden! ... fie war ein Muſter von Tu⸗ gend'. . als fie ihren Irrthum gewahrte, bewies fie mir noch einen wülhenberen Haß, aber ich hatte doch wenigſtens die Gewiß⸗ keit, ihr Gen auf immer geftärt zu haben.

Seht haſt Du mich Tonnen gelernt ; nimm Dir die Lehre dar⸗ «ne, Künftig die Menſchen vichtiger zu beurtheilen. Was mich be: tft, der ich überall nur Jalſchheit, Betrug, Undank, Ungerechtig- it, Cigenuntz, Ehrgeiz und Reid Tonnen gelernt... und meinen keidenſchaften jedes Voruriheil geopfert habe, fo werbe ich auch wrerzegt Rauberhanptmann bleiben, wenn ich Bei biefer Lebens⸗ weile nur all melne Neigungen zu befriedigen im Stande Bin. Wer welches auch meine Lage umd mein Erwerb fein wolle, werbe ih meinem Bater den Racheſchwur ewig halten, ich werde hie Rerſchen haſſen, und würde euch ſelber zu Grunde richten, wenn it nicht, nach ben gewöhnlichen Begriffen, gleich mir, zur Seiel br Nenſchheit geboren waͤret.“

So endigte Dufresne ſeine Geſchichte, und die Raͤuber fähienen Gl) darauf zu fein, einen fo ausgemachten Böfewicht zu ihrem Sführer zu Haben. Cduard, wie nievergefchmettert von Allem, web er gehört Hatte, ſchauderte bei der Erinnerung alles deſſen,

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was er auf ben Rath eines Ungehenerd verübt hatte, ber feinen Nintergang geſchworen unb num mit ber größten Ruhe feine Chr⸗ fofigleit an den Tag gelegt hatte. Es war aber zu ſpät, um zu rückzublicken, befonderd mit einem fo ſchwachen unentſchiedenen Charakter, wie ihn Eduard beſaß. Er fühlte Haß. gegen Dufresne, and hatte boch ven Muth nicht, ihn zu verlaffen: das Laſter würbigt ven Menfchen herab und verwildert ihn; obwohl er bie ganze Ab- ſcheulichkeit feiner Lage ermeſſen Tonnte, fehlte ed ihm doch an Kraft, fich ihr zu entziehen.

Die Morgenröthe fing an, die Gipfel ver Berge zu färben und burch die Lichtungen des Waldes Hereinzubrechen. Die Räuber loſchten ihr Feuer aus und ſteckten die übrigen Munbvorräthe in ihren Querfad.

„Kameraden !” ruft Dufresne aus, „wir müffen biefe Gegend verlaffen, die uns nichts Ergiebiges barbietet. Sehen wir und allo in Marfch, und in ver erflen bedeutenden Stadt, die wir antreffen, muß und der Kühnfte von und Kleider anfchaffen, damit wir wieder das Ausfehen rechtlicher Leute Haben; denn, glaubt mir, mit unferem Handwerk ift es, wie mit allen übrigen. Um Glüd zu machen, muß man ben Leuten Sand in die Augen fireuen; mit unferen Jacken und zerriffenen Hofen Können wir diefe Wälder nie serlaffen, und würden ewig erbärmliche Landſtreicher bleiben.“

Die Worte Dufresne's ‚waren ein Orakel für feine ganze Um- gebung. Man fchicte ſich alfo an, feinem Mathe zu folgen, und machte fich auf. den Weg, vorfichtig bei Tag bie belebteren Straßen meidend. Dufresne führte feine Heine Bande an. Lampin fehritt fingend und trinfend vorwärts, die beiden andern Banbiten träumten von neuen Plünderungen, und Eduard wußte noch immer nid, follte er feinen Begleitern entfliehen ober der Ihrige werden,

Fünfunddreifigfies Napitel. Das Landhaus in den Vogeſen.

Eine lange mit Wald bewachſene Gebirgskette trennt das Elſaß md die Franche-Comté von Lothringen und dehnt fich bis zu den Anennen aus. Im diefen Gebirgen, die Vogeſen genannt, Tiegt. 6 Gut bes Herren Berval, und hieher führte er die Unglüdliche, reten Pflege er fich angenommen hatte.

Herrn Gervald Haus war einfach, aber bequem; ein freund- ‚ber, mit einem Gatter umfchloffener Hof führte zum Erdgefchoffe, sehe nach außen nur zwei Fenfter hatte, die jedoch mit eifernen. vittern und außerdem noch mit ftarfen Fenſterläden verfehen waren, »ꝛe Borficht,, die bei einer einfam im Walde liegenden Wohnung ng iſt. Das erfte Stockwerk ging zum Theil nad dem dofe, zum Theil nach einem großen, von einer hohen Mauer um-

‚tenen, hart an dad Haus floßenden Garten hinaus. Diefer an em Abhang gelegene Landfig war nicht ferne von einem Eleinen

Reg, der nach Montigny führt, und feine malerifche tage, die‘

taefhiebenheit von allen übrigen Wohnungen, und die in der zen Umgegend herrſchende Ruhe ſchienen vollkommen geeignet, en Aufenthalt zu einem Zufludhtsort ber Ruhe und bes Friedens machen.

Die Dienerſchaft des Herrn Gerval beſtand aus Duprö, den ‘fon kennen, aus ber Köchin und Haushaͤlterin Katharine, ver alten, etwas ſchwatzhaften, neugierigen, aber dabei doch hen, dienſtfertigen und ihrem Herrn ſehr ergebenen Perſon, und u einem jungen Landmann, Namens Lukas, welcher die Stelle med Gaͤrtners, Aufwärters und Botens zugleich verfah. Mehrere Meilen in der Gegend umher war ber Name Berval chtt, und befonders bei den Armen und Unglüdlichen in theurem Itenfen, da ihnen der würbige Mann fortwährend va gu | Saul de Rod. 1,

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Seite ging. Und wenn er auch nicht Immer hier in feinem Land: hauſe wohnte, da ihn feine Gefchäfte oft längere Zeit bavon ent⸗ fernt hielten, fo hörten doch Duproͤ und Katharine, das gute Herz ihres Herrn wohl Eennend, nie auf, in feinem Ramen Milde und Wohlthaͤtigkeit zu üben, damit die Nothleidenden bie Abweſenheit ihres Befchügerd fo wenig ald möglich empfinden follten.

Die Randleute, welche erfahren hatten, daß Herr Gerval nad Paris gereist fei, hatten ſchon befürchtet, er werde gar nicht mehr zurückkommen, und felbft Katharine hatte diefe Furcht getheilt, denn fie wußte, daß ihr Herr den Wunſch hegte, alte Fremde, mit denen er ſich lange nicht hatte beſchaftigen Finnen, und denen er fehr gewogen war, aufzufuchen und vielleicht gar feine alten Tage bei ihnen zuzubringen. Allein ein Brief des Herm Gerval bereitete den Bewohnern der Bogefen die ungetheiltefte Freude. Sie follen ihren Fteund, ihre Stüge, ihren Bater wieberjehen, ei will zu ihnen zurüdtommen, um fie nie mehr zu verlaflen. Diele Nachricht verbreitet fich bald in der ganzen Umgegend ; man über- läuft Katharine, um mehr zu erfahren, und dieſe liest mit Freuden einem Jeden, der ed wünfcht, das erhaltene Schreiben vor, und fündigt den Tag feiner Anfunft an.

Endlich ift der erfehnte Tag da, und Alles im Haufe umge: fehrt, um die Rückkehr des guten Herrn zu feiern. Lukas raubt dem Garten all feine Blumen, um den Speifefaal damit zu ſchmücken Katharine übertrifft ſich felbft bei ver Zubereitung der Mahlzeit: alle Landleute aus der Gegend und die von Gerval unierflügten Unglüdlichen finden fih im Haufe ein. „Noch ift er nicht da,“ fagt die alte Dienerin, „aber lange kann er nicht mehr ausbleiben.“

Man geht ihm entgegen, man erfteigt die Anhöhen, um feinen Wagen defto eher zu entdecken. Endlich erblict man ihn, man brängt fih heran; der Name bed Greifen geht von Mund zu Munde, —* Segnungen der Armen feiern die Rückkehr des wohlthaͤtigen

eichen.

Gersel vergießt beim Anblid der guien Leute, bie ihn wie dren Bater lieben, Thränen der Rührunig. „Ach! lieber Freund,“ jagt er zu Duproͤ, „wie füß-ift es, wohlzuthun !“

Der Bagen fährt in den Hof ein und bie Landleute erheben in Frendengefchrei.

„Still! ... Ri! meine Freunde,“ fagt der alte Herr, aus on Wagen fleigend ; „mäßigt die Ausbrüche Burer Freude; fie hmeicheln mir, aber fie thun einer Unglüdlichen wehe, für bie et geringfie Lärm von ernflen Folgen if.“

Mit diefen Worten hilft Herr Gerval Adelinen aus dem Wagen, säbrend Duprö die kleine Ermance auf den Arm nimmt.

Adeline blickt unruhig um ſich her, Lärm verurfacht ihr ſtets Shreden, und der Anblick verfammelter Menfchen vermehrt jeder: at ihren Wahnſinn. Sie zittert und will fliehen. Gerval ift ge: rathigt, bie Umſtehenden durch ein Zeichen zu bewegen, fich etwas widzuziehen, um aldödann die Unglüdliche ins Haus zu führen.

Ran betrachtet Adeline mit Intereffe, und ald man ihren suftand gewahrt, verwandelt fich die Freude in Traurigkeit. „Arme ran,“ wiederholt man von allen Seiten, „wad mag fie um ihren Yerkand gebracht haben?... und das Heine Maͤdchen... wie abſch wird es einft werden!... D, es find abermals Unglüd: de, berem fih Herr Gerval aunimmt !”

„Meine Kinder,” fagt Katharine, „jobald ich die Geſchichte 7 jungen Fremden weiß, erzähle ich fie Euch, ich verjpreche es w ich werde fie bald erfahren, denn mein Herr verheimlicht mir rd.“

Unglüdlicherweife aber wußte ihr Herr nicht mehr davon als t Um indefien die Neugierde feiner alten Köchin zu befriedigen, iihlte er ihr, wie_er Mbelinens Belanntfchaft gemacht, und in ih bellagenswerthem Zuftande er fie dann fpäter gefunden habe; e Tiemerin iſt über die Mittheilung ihres Herrn außer fi vor Tonnen, verfüchert ihn aber, daß fie nach und nach ſchon dahin

gelangen werde, das ganze Unglüd der armen Fran herauszubringen, und da fie fih fchon zu ihr und ihrem Kinde Liebreich hingezogen fühlte, fo beeilte fie fih, eines der fchönften Zimmer des Haufed für fie einzurichten.

In einem Zimmer des untern Stodes gegen den Wald hinaus foll Adeline wohnen ; die Fenfter find mit ſtarken Eifenftäben ver⸗ gittert und man bat fomtt nicht zu befürchten, daß fie vielleicht in einem heftigen Anfalle des Wahnfinned entfliehen möchte Wan läßt ihr Kind bei ihr, denn fie ſcheint es immer zu kennen, und drückt es oft mit Zärtlichkeit an ihr Herz. „Daß ſcheinen ihre einzigen glüdlichen Momente zu fein,” fagt Herr Gerval, „hüten wir und, fie darin zu flören und dem Kinde die Liebkofungen feiner Mutter zu entziehen.“

Katharine übernimmt e8 mit Vergnügen, die Kranke und ihr Kind zu pflegen, auch will fie, wenn es die Witterung erlaubt, die junge Frau in der Umgegend herumführen, und Lukas ſoll auf Befehl feines Herrn alle Morgen Adelinens Zimmer mit friſchen Blumen ſchmücken, da Herr Gerval die Hoffnung hegt, durch ber: gleichen Aufmerkſamkeiten der Unglüdlichen die Ruhe des Gemüthes wieder zu verfchaffen.

Man hat den Namen der Fleinen Ermance erfahren, weil ihre Mutter fie mehrmals fo genannt bat, aber man kennt dem übrigen noch nicht, und Herr Gerval hat deßhalb Kefchloffen, fie Conſtanze zu nennen ; biefer zarte Namen erhält befonder Katharinens Bei: fall, denn fle behauptet, daß die Liebe Schuld an dem Unglüd ber Unbefannten gemwefen fei. Adeline wird alfo von nun an von den Hausbewohnern Conftanze genannt, und nur Lukas und einige Land: leute aus der Umgegend nennen fie manchmal die Verrädte.

Die Ruhe im Haufe, das ftille, geräufchlofe Leben in dem: felben, die rührende Sorgfalt, welche ein Jedes für Adelinen be: zeugt, fcheinen einen wohlthätigen Einfluß auf ihre Seele aus: zuüben; fle fptelt mit ihrem Kinde, Tüßt es und Iächelt ihren

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Vohlthaͤter und bie übrigen Hausgenofien an; jedoch Tommen immer nur wenige, unzufammenhängende Worte über ihre Rippen, aub ſehr leicht verfällt fie wieder in eine tiefe Schwermuth, wor: aus fie nicht leicht wieder zu erweden ift.

Einen Theil ded Tages bringt fie in dem großen, fchön ans gelegten Garten zu; manchmal pflüct fie Blumen und fcheint dann einen Anflug von Heiterkeit zu empfinden ; aber bald ſchwindet wies der dad Lächeln von ihren bleichen Gefichtözügen; fie ſetzt ſich auf eine Raſenbank und verweilt fo flundenlang regungslos wie eine Biloſaͤule.

„Bas iſt das doch für ein Unglück!“ ſagt dann der gute Gerval eft, ſie betrachtend, und mit der Eleinen Ermance, die ſich ſchon ſehr an ihn gewöhnt hat, fpielend. „Sch glaube, wir haben Feine Seffnung mehr, fie jemals zu heilen.“

„Und warum denn nicht,” entgegnet Katharine, „wir wollen ach nicht verzweifeln... nur Geduld ... es tritt vielleicht eine woblthaͤtige Krifis ein!... Ach! wenn und nur der Grund ihres Uebels befannt wäre... Ei, das iſt es gerade! Das fagte auch ver Arzt in Paris, aber eben Hinter den. Grund ihrer Krankheit werben wir niemald Tommen. Bah!... dad kann man nit miffen... fie fpriht manchmal... Da! fehen Sie nur, fie fcheint m lächeln. ... fie blickt ihr fpielendes Kind an... fie ift heute zeit beſſer als gewöhnlich... ich werde fie einmal ausfragen. Rum Dich in Acht, Katharine, Du wirft ihr wehe thun... Srien Sie ganz beruhigt, Herr Gerval!“

Katharine nähert ſich der Laube, in welcher Adeline figt, und dert Gerval, fo wie auch Duprs und Lukas ftehen nicht weit davon, um die Antworten der Unbelannten zu vernehmen.

„Liebe Madame,“ fängt Ratharine mit dem fanfteften Tone m, „warum grämen Sie ſich denn immer fo? Sie find nur von teten umgeben, bie Sie lieben, erzählen Sie und Ihr Unglüd, “an wollen wir Sie tröften,.. Mich troͤſten?“ entgegnet

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Adeline, Katharine mit Berwunterung anblickend. „DO! ich bin ja glüdlich, fehr glüdlih !... ich bedarf feines Troftes... Conard betet mich an... er hat ed mir gefchworen, wir find vereinigt... ex wird mein Glück machen, denn er ift nicht boͤſe! ... Aber warum hat er Sie denn verlaffen Verlaſſen? ... nein!... er bat mich nicht verlaſſen ... er ift ja Bei mir in dem Hanfe, worin er erzogen wurde... meine Mutter... meine Tochter und fein Bruber find Bei und... o! ich dulde nicht, daß er nach Parie geht... er Eönnte da Jemanden begegnen. :. nein! nein! laſſen Sie ihn nit fort.“

„Sieh Dich vor, fällt Here Gerval ein, „ihre Augen werben belebter.... ihr Wahrſinn nimmt zu ... quaͤle fie nicht laͤnger.“

Katharine wagt es nicht, dem Wunſche ihres Gebieterd zu: wider zu handeln, und doch brennt ſie vor Begierde, mehr zu erfahren. Adeline ſcheint in der That ſchon aufgeregter; ſie ſteht auf, rennt umher und macht Miene zu entfliehen. Die alte Magd bemüht fi, fie zurüdzuhalten. „Laßt mich,” ruft Ade⸗ fine, fiy ihren Armen entwindend, „Laßt mich fort... ba ifter... er verfolgt mich... da! feht ihr ihn wohl... er vertritt mir überall den Weg... er hat mein Verderben gefchworen... . er wagt ed, mir von Bice zu Ipregen .ach! ich bitte... laßt ihn nicht zu mir. |

Sie entfernt fih, durchlaͤuft haſtig alle Wege des Gartens und hält nicht eher an, als bis fie, von ihren Schredbilvern er: ſchoͤpft, befinmungslos nieberfällt.

Man bringt fie fogleich auf ihr Zimmer und verwendet alle mögliche Sorgfalt, bis es endlich gelingt, fie wieder ind Leben zurüdzurufen. Herr Gerval verbietet e8 ausdrücklich, fie ferner zu befragen, um ähnlichen Folgen für die Zufunft vorzubengen. „Ganz gut, mein Herr,“ fagte Katharine, „indeſſen wiflen wir doch nun, daß fle verheirathet if, daß ihr Mann einen Bruder

all

bat, und daß fie die Liebe irgend eines ſchlechten Menfchen fürch⸗ ket!... O, ich errathe Alles fehr Leicht! ich wette, daß jener Taugenichts ihren Mann nach Paris gelockt, und er dort Fran und Kind vergeffen Hat!... Beim Kuduf! das ift nicht zu bezweifeln... wie ſchade, daß ich nicht weiter in fie dringen darf, bald würben wir Alles wiffen.“

Da übrigens das gute Mädchen die Krankheit der Unbefanns ten nicht verfchlimmern will, fo wagt fie Feine weitere Frage mehr. ft gebt fie mit Adelinen im nahen Wäldchen fpazieren ; Ermance rird dann von Katharinen oder ihrer Mutter geführt; die alte Tienerin wacht über jede ihrer Bewegungen, fie fängt jedes ihrer Borte auf und gründet darauf ihre VBermuthungen ; aber nad Verlauf von drei Monaten weiß fie doch nicht mehr ald am zwei: ion Tage.

Eines Tages jedoch trübte ein unvorhergefehenes Ereigniß das anförmige Leben Adelinens. Sie ging nämlich mit ihrem Kinde auf einem vom Haufe nur wenig entfernten Hügel fpazieren. Ras tbarine folgte ihr in der Nähe, bewunderte die zarte Geftalt, die Anmuth, die edle Haltung der Unglüdlichen und fagte leife zu ſich: „Diefe Frau ift in Feiner Hütte geboren ; ihre Manieren, ihre Sprache verrathen die große Welt! und doch foll man nicht er; fabren fönnen, wer fie iſt ... es ift zum Berzweifeln.“

Ein junger Schäfer war auf einen Baum geflettert, um ein TR auszunehmen; fein Fuß gleitet aus, der Zweig, den er er⸗ zeift, Bricht zu gleicher Zeit ab, er fällt auf den Boden, vers zundet ſich am Kopfe und flößt einen fehmerzhaften Schrei aus. Adeline befand fich fo eben ganz in ver Nähe, hört das Geſchrei und ſteht Frampfhaft zitternd plöplich ſtill; Schrecken malt ſich auf 'trem Gefichte und ihre zur Erbe gefenkten Augen feheinen einen fr fürdhterlichen Gegenftand vermeiden zu wollen ; ploͤtzlich erfaßt fie it Kind und läuft damit eilig fort in ven Wald! Vergebens ruft ihr Katharine und eilt ihr nach; Adelinens Kräfte verboppeln ſich

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und das Rufen Katharinens vermehrt nur ihre wahnfiunige Angf; fie erflettert die fteilften Fußpfabe, ohne Athem zu fchöpfen, berührt kaum ben Boden, fle bringt immer weiter in bie Berge, und die alte Dienerin verliert fie bald aus den Augen.

Troſtlos kehrt Katharine zu ihrem Herrn zurüd und mad ihn mit dem Gefchehenen befannt. Aber Herr Gerval weiß, baf ihm alle Landleute aus der Umgegend ergeben find ; er ſendet Dupre und Lukas aus, die Nachbarn zur Nachforſchung aufzufordern, unt "Alles beeifert fih, feinen Wünfchen Folge zu leiſten. Dex Erfolg Erönt ihre Bemühungen ; man findet endlich Abeline und ihr Kint unter einem Baume liegend; ein heftige Fieber war der Erſchoͤpfung gefolgt, und die Flüchtige außer Stand gewefen, weiter zu gehen,

Man legt fie auf eine in ber Eile von Baumzweigen bereitet Trage und bringt fie und ihr Toͤchterchen ihrem Wohlthaͤter wiede zurück. Der alte Herr entläßt die Landleute, nachdem er fie für ihren @ifer belohnt hat, und man befchäftigt fi jeßt nur damit bie arme Kranke wieder zu beruhigen, welcher das Klagegefchrei bei Schäfers einen fo ‚heftigen Anfall des Wahnfinns verurfacdht Hatte als er ihr während ihres Aufenthaltes in den Bogefen noch nid "begegnet war.

Den heftigften, immer wieberfehrenden Schredbildern hinge geben, fpricht Adeline jeßt weit mehr als früher, und Katharinı weicht nicht mehr von ihrer Seite; aber viefe fchaudert Bei ven Worten, welche jet über die Lippen der Unbelannten fommen. „Reißt ihn vom Schaffot,“ wiederholt fie alle Augenblicke, inden fle die Hände vors Geſicht Halt; „habt Erbarmen ... überliefer! ihn nicht den Henkern ... fie wollen ihn umbringen... ich hoͤr feine Stimme!... Do nein!... das Klagegefchrei kam nid von ihm... das ift ein anderes Opfer... Ach! ih Irre mid nit... ich erkenne feine Stimme... fie dringt ja immer bie zu meinem Herzen.“

Katharine vergießt Thränen, Kerr Gerval vermuthet ein ab:

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ſcheuliches Geheimniß, und die alte Mag kann nicht aufhören, zu wieerholen: „Bin Schaffot! ... Henker! ... ah! Herr Gerval, wie fhredlich!... Dem fei, wie ihm wolle,“ fagt diefer, „mögen ihr Mann oder ihre Anverwandte Berbrecher geweſen fein, ih werde fie dennoch bei mir behalten. Sie ift nicht flrafwürbig, ich bin deſſen gewiß, fie ift nur unglüdlidh... Sa, Here Gerval, aber die Böfewichte, die fie in dieſen Zuſtand verſetzt haben, vers

hinten gezüchtigt zu werden!... Allerdings, gute Katharine, aber Innen wir fie? Wir wollen es der Vorfehung überlaffen, tiefe Unglückliche zu rächen! und und auf ihre Gerechtigkeit vers afien!... denn der Gedanke wäre zu ſchrecklich, daß die Boͤſen ın Frieden die Früchte ihrer Miffethaten genießen follten, während ihre Opfer ihre Dafein in Thränen und Berzweiflung aufreiben.”

Here Gerval verfammelt feine Dienerfchaft und empfiehlt ihr achmald, die Aufmerkſamkeit auf die unglüdliche Mutter zu vers deppeln, um ferneren Unfällen vorzubeugen. „Kein Geräufch!... lein Geſchrei in der Nähe ihres Zimmers. Wollt ihr zufammens (wagen und fcherzen, was ich euch keineswegs verbieten will, fo in es jeberzeit fern von Conſtanze, damit fie euch nicht höre; und or allen Dingen Feine Fragen mehr, KRatharine, denn die haben ach nie zum Guten geführt.“

„DO! nie mehr,“ entgegnet die gute Alte, „ich mag jetzt nichts enter wiſſen! ... was ich gehört habe, iſt traurig genug, und ich wäre untrößlich, follte ich der Armen noch mehr Herzeleid rerurſachen 8*

Dauk dieſer Vorſicht, faͤngt Adeline wieder an ruhiger zu zerten, und Alles nimmt feinen gewohnten Gang wieder an. Einige Yat verfireicht, bevor man bie Kranke wieder aus dem Haufe läßt, u auch jetzt geht fie nur in der Begleitung von Lukas und Ka⸗ iberinen im ber Umgegend fpazieren, und wenn fie von den Bauers⸗ lesten von ferne geſehen wird, fo gehen fie nach dem Wunſche des Gen Gervals fogleich bei Seite, um fie in Teiner Art aufzuregen.

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Menn fie unbemerkt an einem Orte erfchernt, wo ſich die jungen Landleute ber Heiterkeit überlaffen, fo Hört Spiel und Tanz fo: gleih auf: „Da ift die Verrückte,“ flüftert man ſich zu, „laßt uns einen Augenblick ftille fein, damit wir ihr Nebel nicht ſchlimmer machen.“

Die Zeit vergeht, ohne in Adelinens Zuſtand eine Aenderung herbeizuführen, aber die Kleine Ermance wächst heran, und ihre Züge fangen fchon an, fich zu entwickeln.

Bereitd gleicht ihr Lächeln dem ihrer Mutter, deren Seele fo viel Gefühl zu verrathen fcheint. Sin Jahr ift ſchon verfloffen, feitvem Herr Gerval Mutter und Kind bei fih aufgenommen Hat. Die Tiebliche Ermance Tiebt den alten Herrn, wie fle ihren Bater geliebt haben würbe. Ihre niedlichen Händchen fpiefen mit den weißen Haaren des Greifes, und diefer fühlt mit jevem Tage eine größere Zuneigung für das liebenswuͤrdige Kind.

„Du haft Feine Eltern mehr,“ fagt er, es Abends auf den Schooß nehmend. „Deine Mutter, arme Kleine, ift tobt für Dieb... Dein Bater ift ed ohne Zweifel auch, oder hat er Dich verlaffen, und verdient Deine Liebe nicht. So will denn ich für Dich forgen, Du follft dereinft reich fein, moͤchteſt Du auch glücklich werben und manchmal an den Greis denken, der Dich an Kindesſtatt auf: genommen hat, und der ed nicht mehr erleben wird, wie Du Did feiner Gaben erfreueft !“

Der Winter raubt den Bäumen ihr Laub und dem Erdboden feinen grünen Schmud. Schon find die Waldungen öbe und bie Voͤgel ziehen fort, um unter einem andern Himmelsſtrich Schatten und Laubwerk aufzufuchen. Der Schnee fällt in dichten Flocken und macht die ohnehin ſchlimmen Wege in den Bogefen für Bus: gänger gefahrvoll, für Wagen aber unfahrbar. Die Abende werben lang, das Saufen des Windes macht fie traurig und büfterer. Der einfame Wanderer eilt, fein Ziel zu erreichen, and Furcht, von ber Naht überfallen zu werden ; er laͤuft, um ſich zu erwaͤrmen,

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bläst Rich in Die Hände, und die Spur, die er im Schnee zuräd: läßt, dient verirrten Reifenden nicht felten zum Wegweifer. Pangeweile Tehrt indeſſen nicht in Gervals Behaufung ein, dem Jebed weiß feine Zeit nüplich anzuwenden. Der alte Gerval heöt, führt feine Bücher und fchreibt an feine Pächter; denn er berät noch mehrere Güter in verſchiedenen Gegenden Frankreichs. Tupre befchäftigt fich mit den kleineren Berechnungen, und forgt für tie Berürfniffe im Haufe, Katharine flieht der Haushaltung und ber Kühe vor, und Lukas nimmt ſich des Gartens an, und trifft Bor- ühtengen, die Pflanzen und Blumen gegen die rauhe Jahreszeit m ihüken. Adeline verläßt nur Morgens ihr Zimmer, um etwa "arten herumzugehen ; felten ſieht man fie in den andern Theilen ke Hauſes. Sobald es dunkel wird, zieht fie fich in Ihr Zimmer uräd, nimmt auch bisweilen ihre Tochter dann mit, und wenn % monahmsweiſe Abends bei den Mehrigen Bleibt, ſo feht fie fich zen Katharinen, die dem Kinde Gefchichten erzählt, während dm Gerval eine Partie Piquet oder Dame mit Duproͤ macht und "lad in einem alten Buche eine Geiſter⸗ oder Räubergefchichte ftupirt. Denn von einem heftigen Windſtoße die Fenſterſcheiben er: attern, oder bie Zweige der dicht vor dem Haufe flehenden Bäume a die Fenſter fchlagen, dann läßt Lukas, der eben nicht der Tapferfte %, ımd es dabei doch licht, feine Furcht durch ſchreckhafte Ge⸗ ıhten zu fleigern, fein Buch fallen und fehaut ängftlich umher; t entönige Lärm der Wetterfahne auf dem Dache, ber gleich: nifig wieberfehrenne Ton eines eifernen Hakens, ver vom Winde mot an die Mauer fchlägt, Alles ſetzt den Gärtner in Furcht ; "mbmal unterbricht Adeline die Stille und ruft plöglih: „O, ıme!,.. ich höre ihn!“ und dann fährt Lukas vom Stuhle "Tund glanbt einen Geiſt erfcheinen zu fehen. Katharine ver: "hat ihn dann, Herr Gerval ſchilt ihn ob feiner Weigheit, und er Gärtner fährt, um neuen Muth zu faffen, in feiner Geifler: reſhichte fort.

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Serhsunddreißigfles Rapitel. Das Mabre erſcheint manchmal unwahrfheinlid.

Der Schnee fiel in ungewöhnlich großen Maflen ; der Sturm wüthet, bricht Aefte von den Bäumen, ftreut fie weit umber unb macht die Straßen noch unwegfamer. &8 fchlägt acht Uhr, und ſchon lange ift es finftere Nacht.

Adeline, welche dad Toben des Windes noch trauriger macht, bat den ganzen Tag ihr Zimmer nicht verlaſſen. Katharine kommt und legt bie Eleine Ermance neben dem Bette ihrer Mutter zur Ruhe; dieſe aber fügt noch auf einem Stuhle und will, ungeachtet ber Bitten der Alten, fich noch nicht nieverlegen. Der Herr des Haufes macht feine gewöhnliche Partie mit Duproͤ, und Lukas hat eben fein dickes Buch zur Hand genommen, ald die Glode am Gitterthor fih Hören läßt. .

„Man Elingelt,“ fagt Herr Gerval; „bei diefem Better fo fpät noch Befuche?... Das ift ſehr ſonderbar,“ bemerkt Lufas. „Soll geöffnet werben, Herr Gerval?“ fragt Dupre. „Ei! Wir müffen doch wiſſen, wer da ift, vielleicht verirrte Reifende oder Unglüdliche, die mir bie Nachbarn zufhiden, wie das oft gefhieht ... ich höre Katharine, die wird und fagen, wer ba if.“

Katbarine war nach dem Gitterthor gegangen, und kam zuräd, um fi nach dem Willen des Herrn zu erkundigen. „Herr Gerval,” fagte fie, „es find dem Anſcheine nad} drei reifende Handelsleute, denn fie haben Ballen auf dem Rüden. Sie bitten um Obdach für diefe Nacht ; fie Tönnen nicht weiter, weil ber Schnee zwei Fuß hoch auf dem Wege liegt; einer davon ift ein alter Maum, ber vom Brofte fehr zu leiden fcheint. Wollen wir fie aufnehmen ? Allerdings, und das nach beften Kräften. Aber Herr Gerval,“ fallt Dupr6 ein, „rei Männer in der Nacht... iſt das vieleicht

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siht unvorfichtig? Wi, warum denn, Dupr6? Es find Handels; late, einer davon ift ſchon alt! was haben wir da zu fürchten ?... 58 iſt fo natürlich, daß man bei dieſem Wetter Schug fucht ; ſoll & ehrlidde Leute in den Bergen umlommen laſſen, aus Furcht, Bagabunden zu beherbergen?... Ach, mein Freund, wollte man 'enen erft immer ind Herz fehen, bie Hülfe von und verlangten, ie würde man nur felten Gutes fliften! geh ſchnell, Katharine, ne, öffne, Iaffe die Fremden nicht Länger vor der Thüre... Du, Tnpre, mach ein tüchtiges Feuer, damit fich Die Leute trocknen nen, und Dun, Lukas, richte die Heine Stube her, die für Rei: ende beſtimmt iſt.“

Katharine geht und macht den Fremden, die ſie mit Dank⸗ zungen überhäufen, das Gitterthor auf. Die beiden Jüngern äbten den Alten, und nur mit vieler Mühe bringen fie ihn in das Immer des erften Stockwerks, wo fle der Herr vom Hanfe erwartet,

„Seien Sie mir willfommen, meine Herren,“ redet fle der gute jerval an, indem er fie auffordert, näher zum Feuer zu treten. kaſen Sie nur gleich den alten Mann füch niederfehen, er feheint hr ermübet. D! ja! mein Herr,“ erwidert biefer mit zitternder Amme. „Die Kälte hat mich fo angegriffen, daß ich ohne den iſtand meiner Kinder unterwegs liegen geblieben wäre! Run! kt ſollt ſchon wieder zu Kräften kommen, guter Freund, und ihr sen Leute, legt nur eure Ballen ab, man foll fie in das für Euch Aimmte Zimmer thun.“

Die Handelsleute legen mehrere Ballen und Päde in einer He des Zimmers ab, die Leinwand, Tücher, Mufjelin und ders kihen zu enthalten ſcheinen; Dupré, der etwas mißtrauifch ifl, ibert fich den Ballen, aber fogleich begilt fich einer der jungen: Könner, der es gewahrt hat, mehrere Päde zu Sffnen, und dem ‚mer feine Waaren zu zeigen. „Wenn Euch etwas gefällt, fo iblt nur aus,“ fagt er, „wir werben fchon miteinander fertig en. Danke, danke,“ entgegnet Dupre, als er bemerkt, daß

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Seren Gerval fein Deiftranen mißfälli, „morgen koͤnnen wir Mes weit beſſer beſehen.“

Die Fremden ſetzen ſich jetzt zum Kamine; Katharine bringt eine Flaſche Wein und Glaͤſer, und Lukas nimmt die Waarenballen und trägt fie in die obere Stube.

„Hier, meine Herren, bis zum Nachteffen wird Ihnen das fon bekommen,“ fagt Herr Gerval, den Fremden einfchenkend. „Ieintt, meine Herren, der Wein ift gut, Mit Vergnügen,“ erwibert derjenige ber jüngern Reifenden, der fchon mit Dupr6 ges fprochen hat; „ver Wein ift eine herrliche Sache! Da, lieber Bater, ba, Johann, auf Ihre Geſundheit, mein Herr!“

„Das find gute Kinder, wie es ſcheint,“ fagt Herr Gerval zu dem Alten. „D ja, mein Her, fie find die Stügen. meines Aiers ... der da, ift Gervais, ber Meltefle... ein mıunterer Burſche, immer zum Lachen aufgelegt ; und biefer bier, Johan, mein Süngfter ; biefer ift nicht fo heiter, wie fein Bruder; ſpricht wenig, ift fonft aber ein guter Junge, fehr fleißig und Slonomildh.... ich Liebe fie Beide recht fehr!.... denn fie find rechifchaffen, um: fähig, Jemand Unrecht zu thun, und bei ſolchen Gigenfchaften laͤßt fh etwas erwarten.“

„Ich mache Euch mein Bompliment, ſolche Söhne zu haben, aber warum reidt Ihr in Eurem Alter noch mit ihnen umher? Ab, mein Herr, wir gehen jetzt nach Metz, um uns dort nieder: zulaffen, meine Söhne werben bort die Töchter eines unferer Hau: delsfreunde heirathen, und ich benfe dann bei ihnen zu wohnen. So, fo! aber hat Cuch der Zufall zu mir geführt, ober haben Euch vielleicht die Landleute mein Haus als eine Zufluchtöftätte für die Nacht bezeichnet. Mein Herr,“ antwortete Gervais, „wir find bier in ber Gegend nicht befannt, und machten uns heut erft fpät anf den Weg; da überfiel uns die Dunkelheit ; wir fahen uns gensthigt, irgendwo Schug zu ſuchen, beſonders da der Vater zu alt ift, um bem Unwetter Trotz zu Bieten. Ohne ihn hätten wir

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d nicht gewagt, einem Privatmann beichwerlich zu fallen, und rein Bruder und ich hätten lieber die Nacht im Schnee zugebracht, übt wahr, Johann? ... Ja!“ ... erwidert Johann mit leifer hmme und ohne die Augen vom Kamin abzuwenden. „Da ütet ihr fehr Unrecht gehabt," antwortet Gerval, den Yremden ederholt einfchenfend. „Ich diene meinem Nächften recht gerne, a ihr werdet Hoffentlich eine ruhige Nacht bei mir verleben.“

„Sie wohnen hier vecht einfam,“ fagt Gervais, fein Glas 'errad ; „fürchten Sie nicht, von Räubern überfallen zu werben ? - Dad babe ich niemals gefürchtet! ..... und bis jegt ik mir agleichen auch noch nicht begegnet... Uebrigend find wir auch cat genug im Haufe, um und vertheidigen zu koͤnnen,“ fügt ‚wre binze, „und Gott ſei Dank, wir haben Waffen! Dupre nah, ob Katharine bald mit dem Abendeſſen fertig ift... s. Ser Gerval, ich werde auch nachfehen, ob Madame Gon- a und ihre Tochter nichts bedürfen.“

Tupse geht nicht zu Adelinen, aber er bat die Fremden nur Kenntniß fegen wollen, daß noch mehr Perjonen im Haufe einen, denn es iſt ihm gar nicht lieb, daß die Fremden die Nacht et zubringen werben.

Gr geht in die Küche und fragt Katharine, was fie von ben men halte. „Meiner Treu, ich denke, es find gute Leute; ber ie ſcheint ſehr ehrwürbig .. . Für einen Greis, der kaum sen und gehen kann, hat er verteufelt feurige Augen!“ entgeguet wre... „and was feine beiden Söhne betrifft, fo ſcheint mir reine eim echter Taugenichts zu fein... . er Jacht immer fo tu, wenn er fpridht, und trintt! ... fein volles Glas Tann kbm!,.. Ei! wirklich ... das ift doch auffallenn!... ein, ilenträges I... Und der andere! was hat der für eine finftere 'm!,... er fehlägt kaum die Augen auf! bis jept hat er nur Teamal Ja gefagt... das ift fo unheimlich... ich kann ſolche x nicht leiven. Bah!... Du bifk auch gar zu mißtrauiſch,

lieber Duproo. Nein, das nicht, aber id; will wiffen, mit wei ich es zu thun habe. Kennen wir denn die arme Frau, d ſchon feit einem Jahre bei und wohnt? O! was ift das fi ein Unterfchieb !. . . eine junge, fehöne, intereffante Frau; ſche ihr Zuſtand floͤßt Mitleid ein; und ihr Kind! wie zart und liebli if das doch... ja! ich verfiche mich einigermaßen auf Phyfiogn mien! ... biefe Handelsleute aber... fieh! Katharine, ich wer diefe Nacht ſchlecht fchlafen. Und ich werde hoffentlich ganz g fchlafen. Schließ nur Deine Thüre gut zu. Schon gut, fd gut! Du biſt ja wie Lukas... man muß geflehen, wir hab bier tüchtige Männer zu unferer Vertheidigung, wenn es bar antommt. Katharine, Du irrſt Dich, ih bin fein Feigling. aber ich fühle, daß ich nicht mehr zwanzig Jahre alt bin... ad damals nahm ich's mit Dreien allein auf! Ach! fo laß m mein Nachteſſen Tochen, flatt mir mit ſolchem Gewäſche bange machen. Gewäfh? Km! das ift Bald gefagt... und m unfere junge Frau auch mit beim Eſſen fen?.... Du w ja, daß dieſes nicht ihre Gewohnheit iſt . . fe ſchläft, wie hoffe, möchteft Du fie nicht auch noch aufweden?... Ratharine ? Nun, was gibt's Es Tommi mir vor, ald ob ich Lärm Hofe am Gitter hörte... Das iſt der Wind, der mit Bäumen fein Spiel treibt... übrigens fieh vo nad... ja... ich will mich Tieber felbft überzeugen, obgleich Du feine Courage zutrauft.“

Dupre zündet eine Laterne an und macht einen Gang ı den Hof, findet aber Alles in gehöriger Orbnung, das Bitter ift verfchloffen ; er Bleibt eine Weile ftehen, um hindurch zu fe aber eine Menge vom Winde aufgejagten Schnees fährt ihm Beficht ; indem er fich die Augen reibt, ift e8 ihm, ald vernä er ein dumpfes Geräuſch in dem unten Stodiwerf, von ber ber, wo Adeline wohnt.

„Arme Frau, fle ſchläft noch nicht,“ fagt er; „wenn ich

ginge, um zu fragen, ob ſie etwas wünfcht, aber der Herr will nicht, daß man fie Abends flört; er hat es ausdrücklich verboten. 34 will daher wieder hinauf und lieber auf die Fremden ein wach⸗ ſanes Auge haben.“

Der alte Diener trifft Lukas auf der Treppe. : Des Gärtner Sagt and lacht, denn wenn viele Leute im Haufe find, if ex immer zuzier und guter Dinge. Haft Du das Zimmer für die Fremden 2 Ordnung gebracht?“ fragt ihn Dupre. „Sa, und ich habe ‚ars andy ihre Waaren hinaufgetragen; fie haben mir für meine Rübe ein Trinkgeld geben wollen, allein ich habe es ausgefchlagen ! Tu thateſt Recht daran; für Leute, die zu Fuße reifen, find fie ıscht freigebig? O, der eine mit den röthlichen Haaren fickt ct Infig aus... er lat... trinkt... und fpricht für Alle... zen wir öfter ſolche Säfte hätten, würbe es, glaube ih, muns leret bei und hergehen!... aber wir Haben ja nur die arme Frau... ae eine Berrücte noch dazu... da kann es eben nicht ſidel fein. Schweig, Lukas, Du kenunſt Deine Leute nicht... ih will chen 51 behaupten, daß biefe Kaufleute Spigbuben find, aber... Das aber ?... Berfchließe Deine Thüre gut, hoͤrſt Du, Lulas?... -%, ja... Herr Duprö... ja... ih verfiche wohl,“ antwortet !ıfad, deſſen Heiterkeit fi mit einem Male in Augft und Unruhe meanbelt, während Dupre langſam zu feinem Herrn hinanfgeht.

Des fremde Greis und Bervais unterhalten fi mit Herrn Yersal ; der Andere beantwortet die an ihn gerichteten Fragen hoͤchſt aũlbig. „Mein Bruder if ſehr ernſthaft,“ fagt Gervais halblaut chrom Wirth; „er iſt nämlich eiferſüchtig; er fürchtet, feine aut werbe ihm in den zwei Jahren, wo er abweſend war, vers en Gaben, und das macht ihn betrübt. Das laͤßt ſich denken, fdeint mir aber, als wäret Ihr nicht fo beſorgt? IH? 1: beim Kucknk! ich Habe mich um die Weiber niemals gequält! ... * bin nicht fo!... . ich frage den Teufel darnach, und bin im Eine ... SEchweig, mein Sohn,” unterbricht ihn ber Alt⸗

Yanl de And. 1. 21

299 raſch, „Du fprigft ein wenig zu rüͤckſichtslos; emtfchulbigen Sie ihn, Herr Wirth, er ift Soldat gewefen. Ah! Ihr Habt ges dient? Ja, freilich! . . . umb wenn es zu ſchlagen gibt, bin ich bei der Hand, nicht wahr, Vater? ... Ja, allerdings; Du bit ein Hitzkopf! das fleht man.“

Katharine meldet, daß im Nebenzimmer aufgetragen ſei. „Run denn, meine Freunde, fo laſſet uns zu Tiſche gehen,” ſagt Gerval, und führt feine Säfte ins Speifezimmer. Man fept ſich; der alte Kaufmann neben ven Wirth; Dupre, als ein langjähriger Diener, ift allmählig der Freund feines Herrn geworben, und fpeist immer mit am Tifche; er nimmt alfo feinen gewöhnlichen Plak ein, Here Gerval bemerkt aber neben ſich noch ein weiteres Convert.

„Für wen ift diefes Gebe?" fragte ex Duprd. „Herr Gewal, für unfere junge Dame... ober ihre Tochter, wenn fie etwa kommen follte. Du weißt ja, baß fle ſchon ſchlaͤft, Con⸗ flanze bleibt nie fo lange auf. Sie ſchlaͤft nicht, Herr Gerval, ich Habe in ihrem Zimmer noch Geraͤuſch gehört.”

Der Greis wirft feinen beiden Begleitern einen Blick zu und wendet ſich bann gegen den Wirth. „Sie haben noch Damen im Hauſe, mein Herr? ſollten wir ſie vielleicht hindern, am Abend⸗ eſſen Theil zu nehmen, dann würden wir lieber ſogleich auf unſer Zimmer gehen. O, nein! es iſt nur eine Mutter mit ihrem Knde; die arme Frau iſt leider ihres Verſtandes beraubt! ... . eine Unglüdliche, die zu reizbare Nerven hat: . . fie iſt zu be: bauern!... So wollen wir auf ihre Gefunbheit trinken, meine Herren,” ſagt der große Gervais, indem er ſich und feinem Nachbar das Glas vollſchenkt. „Der Menſch fcheint ſich wenig zu geniren,“ benft Dupr6 ; „Teufel, der möchte unfern Keller bald ausleeren.“

Der Greis fieht von Zeit zu Zeit feinen Sohn an; er fcheint unzufrieben, daß er fo viel trinkt, und macht ihm deßhalb Bors wärfe. „Der Wein unferes Wirthes ift koſtlich,“ entgegnet Diefer, „und Ihr wißt ja, Vater, er ift meine ſchwache Seite.“

So ſchonen Sie ihn nicht,” fagt Herr Gerval, „er wir Ihnen Kräfte geben, Ihre Reife morgen fortzufegen. Gern, fehr gern, mein lieber Herr Wirth, ich Hätte ſchon Luft, einen Heinen Zopf zu trinken.“

Dupré verzieht das Geficht und findet, daß Gervais ganz befondere Mebensarten führt; je mehr er trinkt, deſto freier wirb et, Unfer guter Herr Gerval entſchuldigt es aber und findet Ber: gnägen an ber muntern Laune bed jungen Mannes, die feinem Bater jedoch ganz und gar nicht gefällt.

„So trinke do, Johann,“ fagt Gervais, indem er feinen Rachbar auftößt, „Dun Bift ja ein trauriger Helb!... und Dun... ah! bitt' um Entſchuldigung ... Sie wollt’ ich fagen, und Sie, mein lieber hochverehrter Bapa, Sie rollen mir ja ein paar Augen in, wie ein paar Salzfäffer!.... Bob Donner... ! ich Bin das einzige ſidele Haus unferer Familie, nicht wahr, Herr Wirth ? Auf Ihre Geſundheit, Herr von Gerval, auf die Ihrer werihen Iemilie... Ihrer Verrückten, und auch auf Ihre Gefundheit, alter Irummbär, der Sit und betrachten, als ob wir aus der arabifchen Bike kaͤmen; auf die Gefundheit der ganzen Gefellſchaft! ich meine es gut!”

„Entſchuldigen Ste, mein Herr,” fagt der Alte zu Duproö, „ſowie er etwas getrunken hat, weiß er nicht mehr, was er ſpricht.“

Dupre zieht die Augenbrauen zufammen unb antwortet nichts. „Ih wüßte nicht mehr, was ich fpreche,” ruft Gervais, „ab! keiliges Kreuz Bombenwetter! ... das glauben Sie, mein lieber Pater; nun! fo haben Sie gelogen... gelogen wie ein Schul; nd... nicht wahr, Johann ? Iſt er nicht ein rechter Schulfuchs ?

Der Alte flieht wüthenn auf. „Ohne die Achtung, die ih meinem Wirthe ſchuldig bin,“ fagt er, „würde ih Dich zu züch⸗ ügen wiſſen, aber ich habe Mitleid mit Deinem Zuſtand, folge mir, wir wollen ben Herm nicht länger von feiner Ruhe abhalten. Recht fo, recht fo, lieber Papa, ich glaube, ih Habe Dumms

Geiten geſagt; es it beſſer, ich lege wich nieder . . inywiſchen bitte ich noch um Ihren Segen.” Bei diefen Worten näher ſich Gervais dem Alten, der ihn jeboch zurückſtößt und Herrn Gerval gute Nacht wünfcht, mit ber Bitte, ihm das ungezogene Benchmen | feines Sohnes doch ja nicht aufrechnen zu wollen.

Lukas nimmt ein Licht und will die Fremden auf -ihr Zimmer | begleiten, als man Geräufch auf dem Hofe vernimmt; die Han delslente fehen ſich überrafcht an, und Dupr6 Läuft nad ben Fenſter und fleht, wie Adeline im einfachen Nachtkleide mit dem Ä Lichte in der Hand heftig bewegt im tiefen Schnee einherläuft.

„Ste iſt e8, Herr Gerval,“ fagt Duprö zu feinem Hem; „ſonderbar, daß fle fo fpät noch ihre Zimmer verlaffen hat. Iſt dad Ihre unglüdliche Frau?" fragt der Alte. „Wetter! ih muß die Berrüdte ſehen,“ ruft Gervais, „ich bin neugierig zu wiſſen, ob fie hübſch if.“ |

Er läuft raſch nach dem Fenſter, aber Adeline war bereits wieder in ihr Zimmer zurüdgegangen. |

„Gute Nacht, meine Herren,“ fagt Gerval zu den Fremden, „morgen frühe werde ich wohl wieder dad Vergnügen haben, Sie zu fehen.“ |

Die Kaufleute fleigen zum zweiten Stod hinauf. Lukas laͤßt ihnen das Licht und eilt wieber in fein Zimmer hinunter, das neben der Küche liegt, und von ihm, fowie es ihm Duproͤ anempfohlen, forgfältig verrammelt und verfchloffen wird. |

Diefer bleibt noch allein bei feinem Herm, denn bie Köchin bat fi auch fchon zu Bette begeben, und theilt nun demſelben feine Bemerkungen über die Fremden mit.

„Sie werben boch geftehen, Herr Gerval, daß ber Große wie ein Dagabund audfleht, und feine Sprache, fein Benehmen, ver "Mangel an Achtung gegen feinen Bater... Was wilf Du; ex hatte etwas gu viel getrunfen ! Seine fonderbaren Ausprüde... Br iR ja Soldat geweſen! O! dad war nicht die Sprache

eines Goldaten. Möge es Bott gefallen, mein lieber Herr, daß Cie es wicht berenen, dieſe Leute gaſtfreundlich aufgenommen zu haben! Was fürchteſt Du denn? Ich weiß es nit, aber Alles iſt mir verbächtig, felbft das Stillfehweigen des Einen, deſſen Änftere Miene eben kein ehrliches. Gemuth ankündigt. Beruhige Mh, Dupro, und geh’ zu Bette... Eine Nacht ift bald vor⸗ über! Sa, wenn man fchläft!‘. ... aber manchmal Tann fie einem recht Lange werben... Es ift mie nur lieb, daß mein Schlaf⸗ immer an bad Ihrige ſtoͤßt, und wenn Sie Seräufch Hören, fo werren Sie mich fogleich rufen, nicht wahr, Herr Gerval? %a, ja, mein guter Dupre, geh’ nur und beruhige Dich.“

Dupr6 verläßt ungern feinen Herrn. Diefer aber Legt fi vertranensvoll nieder, und ber Schlaf verbrängt fehr bald jeden Geranfen an die böfen Vermuthungen feines alten Dienere.

Das Zimmer Dupre’s if im erflen Stockwerk, dicht an dem des Seren Gerval gelegen, ‚aber die Thüre geht nach ‘der Treppe hinaus, die nach der zweiten Etage und hinunter in den Hof führt.

Bon einer unwiderſtehlichen Unruhe gequält, ift Duproͤ ent- ſchloſſen, munter zu bleiben, und wo möglich feinen Verdacht auf: jeflären. Er ficht nach dem Fenſter der Fremden hinauf und be; met noch Licht. „Sie fchlafen noch nicht, und ich koͤnnte fie behorchen,“ fagt er; „ich will es verfuchen.“

Er ſchleicht fich fachte und ohne Licht aus dem Zimmer und feigt die Treppe hinauf; er bleibt vor der Thüre, die gu ben Kaufleuten führt, fliehen, aber er erinnert fi, daß vor ihrem Schlafzimmer noch ein Kleines Kabinet fich befindet, fo daß man von ber Flur aus fie nicht fprechen Hört. Duproͤ will ſchon wieder binamter gehen, als ihm einfällt, daß die Kaminroͤhre ihres Schlafs iummers wicht an der Dachluke ihren Schornflein hat. Er fleigt alſo mit der größten Vorficht nach dem Boden hinauf, öffnet leiſe das Lukenfenſter, legt fich auf den Bauch. fo weit ale möglich hinans, erreicht fo wistlich den Schornſtein, und Tann nun bei

bes geringen Cutfernung, bie ihn von bem darunter liegenden Bimmer trennt, mit der größten Beichtigteit folgende Unterreiun

„Du bift unverbefferlih, Lampin; es fehlte nicht viel, ſo hätte Dein verfiuchtes Beſoffenſein und verrathen! Bah bah! und was hätten wir benn am Ende zu fürchten gehabt; im ganzen Haufe find ja nur drei alte Schwachköpfe, ein Einfaltöpinfel, cin Bahnfinnige und ein Kind !... wahrlich eine fürchterliche Man fehaft!!... hättefl Du meinem Rath gefolgt, jo hätten wir gleich, fowie wir ins Haus traten, offen gehandelt. Was mich betrift, ich nehme den reichen alten Kauz und feinen Bebienten auf mid. 86 ift befier, ganz ficher zu gehen und auf einen vermänftign Nackzug bebacht zu fein. Du kannſt doch wohl denken, daß id, bevor ich euch herführte, die nötgigen Erkundigungen über bie Vewohner des Hauſes eingezogen haben würde. Der alte Herr if fehr reich und thut fehr viel. Entes. Nun, fo foll der alt KAröfus für uns auch wohlthätig fein. Er Hat viel Geb in Haufe, denn ich weiß, daß er erft feit acht Tagen den Pacht von feinen Gütern eingezogen hat. Alles muß fich in feinem Zimme befinden. Da hinein zu kommen, foll uns nicht ſchwer werben, wit bemächtigen uns der Schäge und entfliehen durch das Zimmer bei Berrüdten, denn. das Gitterthor ift ſehr feſt, und es würde und ſchwer werben, es aufzubrechen. Ja, ich habe aber eijerne Stangen vor den Fenſtern gefehen, die nach dem Wald hinaus liogen, wie wollen wir denn da hinaus fliehen, ſehr verehrter Sers Papa? Dummlopf, denkſt Du nicht, ich Hätte nicht hiefür geforgt ? Unſere beiden Kameraden haben Befehl, die Stäbe hund: zufeilen, und ich habe ihnen gefagt, fie koönnten es ohne Gefahr thun, da die, welche das Zimmer bewohnt fie daran nicht flören . wiirde. Bravo... ein herrlicher Gedanke, nicht wahr, Ehuarb?... fo ſprich doch, verwunſchter Duckmaͤuſer. Ja, ja, ber Plan ifl gut ausgedacht. Gin wahres Blüd, dab Du bamik zufrieden

'W

BR..: wenn mar ber alte Intendant, der uns immer fo von ber Seite betrachtete, den Kram nicht verdirbt. Sein Unglüd wär's, venn er ſich's umterflände! Wir Iaffen unfere Kameraden hereins hmmen, dann find wir flarf genug, und wer ſich widerſpenſtig jgt, wird fogleich zur Ruhe gebracht. Gewiß, gewiß! . . dar ſicherſte Mittel. Gluͤcklicherweiſe Habe ich mich bei Tiſfche⸗ zu mäßigen gewußt; hätte ich Dir gefolgt, Lampin, wäre Alles vernthen worden. Sa, Teufel! Du fpielteft auch den Alten fo get, daß ich vor Lachen hätte erflidden mögen... wenn ich übrigens getrunfen babe, fo hat das meinen Muth nur vermehrt; hier iſt Gold zu fifchen, und das flählt mir die Nerven... Aber laß fehen, wie wollen wir denn unſere Poſten vertheilen ? In einiger Zeit lafen wir unfere Kameraden hereinfommen, wir mäffen ben alten Lenten doch noch die nöthige Zeit zum Einfchlafen geben. Ernard Halt Wache bei der Verrüdten und gibt Acht, daß fle nicht etwa in einem Anfall des Wahnſinns ihre Thüre verſchließt ud und ben Rückzug abſchneidet. Unſere Kameraden nehmen ihre Soflen, ber eine Beim Gärtner, der andere bei der alten Koͤchin, md De, Lampin, begleiteft mich beim Auffuchen des Geldes. So iſt's recht, Das wäre alſo abgemacht. Der Kamerad da wisd ſih nicht beklagen können, einen zu gefährlichen Poſten erhalten zu haben, bei einer fchlafenden Frau und einem Kinde Wache zu fkebn!... Sapperment! welche Heldenthat! Ja, aber ſir dürfen auch nicht aufmachen, denn wenn fle dad geringfte Gefchrei machen... . bedenke Eduard, es handelt fi um ihre Sicherheit, um unfer Leben vielleicht. Schon gut! ich verftehe!. . ." -

„Und auch ich,“ fagt Dupre, indem er behutfam den Kopf prüdzieht, „ich weiß genug! o, die Böfewwichter!. . . ich Hatte mich wicht getäufcht! Näubern haben wir Obdach gegeben . D mein Gott! . . , rathe mir, wie ich meinen Herrn und bie ame Frau rette.“

Der alte Diener begibt ſich fachte in den Boden zurüd. Un⸗

geachtet des Beſtrebens, feinen Geiſt und feinen Muth zu beleben zittern feine Beine; kaum Tann ex füch ſtehend erhalten, und fein Einbilvungskraft, von Allem, was er gehört, aufs Aeußerſte ar geregt, zeigt ihm nur Blut und Mord, Er ift fünfunnfechzig Jahre alt, es wird ihm alfo ſchwer, einen Entſchluß zu faffen, und in gefährlichen Krifen iſt ein jeder Nugenblid koſtbar und fein Beruf oft nicht zu erſetzen.

Duproͤ fchleicht den Boden entlang. Soll er. feinen Herrn oder Lukas wecken ? Aber der Gärtner fchläft fehl; er müßte Hartl an feine Thüre pochen, und bei der Stille ver Nacht würde das leiſeſte Geräufc von den Räubern gehört werben und ihren Verdahht er weden. Katharina ift in ihrer Küche eingefchlafen, und fie würde ohnehin nichts helfen Eönnen!... aber durch Eonflanzens Zimmer follen ja die Kameraden der Räuber eindringen, man müßte ihnen alfo dieſen Gingang verfperren und zuvor die junge Frau mit ihrem Kinde aus dem Zimmer fchaffen. -

Diefer Plan fcheint dem alten Diener der befte. &xr entſchließt ih hinunterzugehen, aber er fchaubert, indem er ben Fuß auf die Treppe ſetzt. Wenn die Nichtöwürbigen jetzt heraus Fämen und ihn anträfen, es wäre um ihn gefchehen ; auf jeder Stufe ſteht ex fill und horcht; emblich ift er vor ihrer Thüre... aber er hört fprechen, Fußtritte ſich nähern, man oͤffnet die Thüre, uud Duproͤ fleigt vafch wieder zum Boden hinauf. |

Die fogenannten Handelölente hatten über ihren Köpfen ein Geraͤufch gehört; der Gang des alten Mannes ift jchwerfällig , der morfche Fußboden bat unter ihm gefracht und die Aufmerkfamteit ber Mäuber rege gemacht. Dufreöne tritt zuerft heraus; er Hält ein Licht in der einen und einen Dolch in der andern Hand. Lampin folgt ihm; fie kommen in dem Moment auf dem Boden an, als ber treue Diener gerade Hinter einigen Bunden Stroh ſich verſtecken will. „Wir find verrathen,“ ruft Dufreöne, „man bat und horcht, aber biefer Wicht ſoll uns night mehr ſchaden.

Wub fogleich ſtoͤßt er feinen Dolch dem alten Maune in bie Saft, der nur noch Die Hände faltet, um die Milde feiner Henker zchen; Duproͤ haucht, ohne einen Ton von ſich zu geben, nn keben ans, fein Blut überfchwentmt ven Fußboden, und Lampin ededt den Leichnam ded unglücklichen Dieners mit Stroh.

„Seht hinunter,“ fagt Dufreöne, „und da man Verdacht ge- hörft bat, fo müſſen wir nur um fo ſchneller and Werk gehen.“

„Bad iR denn gefchehen,“ fragt Eduard, der als Wache auf # Treppe ſtehen geblieben war. „Nichts,“ antwortet Lampin, zur haben uur einen Neugierigen weniger. Sebt laufe raſch zer zu der Verrückten, unfere Kameraden müfjen auf ihrem cien ſein; fie follen fich nicht laͤnger die Naſen erfrieren.“.

Die Rauber gehen hinab auf die Hausflur ; der Schlüffel fteckt Atelinens Stubenthüre ; fie treten ein; eine Nachtlampe erhellt 1 fbärlich das Zimmer. Das Bett der Tochter fleht dicht, vor u der Mutter, und bie Borhänge find ganz zugezogen. Dufresne, mengt, daß die Frau im Bette nicht wacht, fomit fie nicht ber At, offnet das Fenſter und läßt die Kameraden einfteigen, die dem Durchfeilen ver Eifenftangen längft fertig waren.

„Alles geht nah Wunſch,“ jagt Dufresne, „wir wollen jept Srnferlägel offen Iaffen, damit nichts unfern Rüdzug hindert. ur, Du bleibt Hier, und Tein Diitleiv, wenn man erwachen ie! Ihr, meine Freunde, folgt mir, ich werde euch eure Boften anweiſen; Lampin und ich nehmen bad Weitere über und.”

Während Dufresne's Anordnungen ſtülpt Lampin die Aermel uf, zielt feinen Dolch hervor und unterjucht deſſen Spige ; rildes Lächeln glänzt in feinen Augen und fein widerwärtigeg, Bein und Raubfucht belebtes Aeußere trägt in feinem ganzen 'ıng den Stempel des verworfenſten Verbrechers. Die vier Mänber Hatten ſich entfernt, und Eduard iſt allein sımmer zurüdgeblieben. Auf das kleinſte Geraͤuſch aufmerkſam, er maufhörlich vom Feuſter nach dem Wette; ex horcht nach

dem Gehoͤlz hinaus und lauſcht dann wieder an ben Vorhängen, bie Adeline verbergen. Er unterfucht des Kindes Beitchen, es iR leer ; Abeline, von dem dumpfen Geräufch außen am Fenfter mehr als gewöhnlich aufgeregt, hat die Tleine Ermance zu ſich ins Bett genommen und fich felbft ganz angekleidet niedergelegt. Neugierig, die Wahnfinnige zu fehen, will Eduard fo eben ben Borhang aufheben, ald ein Geräuſch im Wale feine Auf: merkfamfeit rege macht; er geht nach dem Fenfter zurüd und Hört Zußtritte auf dem Halbgefrorenen Schnee umb den trodenen, vom Winde umhergeftrenten Zweigen und Reifern. Das Geraͤuſch nähert fi, man unterſcheidet ſchon Stimmen... Wenn man dem Hansbeſther zu Hülfe eilte ... vielleicht find e8 Gendarmen, die und nachfeßen... wenn fle das Fenfter bemerken, deſſen Gitter gefprengt ift... Eduard ſchaubert; er legt leife die Fenfterladen an, damit man nicht in bad Zimmer ſehen Eönne, er athmet kaum. Trotz all’ feiner Borfücht IR Ave: line erwacht; fle jchlägt raſch die Vorhänge zuruͤck, richtet fi auf und ruft mit aller Kraft ihrer Stimme: „Bift Du e8? Ja! ja! Du biſt's!“ „Die Unglüdliche wird uns verrathen,” jagt Eduard für ſich, „ihr Geſchrei wien jene Fußgänger anloden, fo fei es ven!" Er läuft zum Bett, den Dolch in dee Hand... . will eben zuftoßen, als er feine Frau und fein Kind erkennt. | Ein Schrei des Entfegens und Schreckens entfährt dem Elenden, . das meuchlerifche Eifen entfällt feiner Hand, und umbeweglich ſteht er vor ber Unglüdfeligen, die er fo eben vernichten wollte. Aber biefer furchtbare Schrei hat in Adelinens Seele wiebergeflumgen ; fie bat die Stimme ihres Gemahls wieder erkannt ; biefelben Töne, bie ihr den Berftand geraubt, Bringen abermals eine Umwälzung in ihrem ganzen Wefen hervor ; fie rafft ihre Sinne, ihre Gedanken zufammen, erwacht aus einem ſchweren Traum, fie ſieht Ednard, ertennt ihn, bricht in lautes Freudengeſchrei aus und ſtuͤrzt ſich in ſeine Arme. „Eduard! ... Du bier! bei mir!“ ruft fie, ihn zaͤrtlich an⸗

un ai

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und, „lebfter Befter, wie geht das zu %... Ach, wie ift mix ? ı Rupf Dreunt wie Feuer!“

„Roum,” fagt Eduard, „komm, gib mir das Kind und laf’ Fehen.. von Hier entfliehen oder Du biſt verloren. Warum ‚Bichen ? Was droht Dir für Gefahr? haft Du nicht ſchon gelitten. . . verfolgen Dich die Mepfchen noch? Ja! auch Du bift der Wuth der Räuber ausgefeht, da! börk ba Rufen im Innern des Haufe? ... jegt ermorben Sreis ohne Snabe.., Tomm’, fage ih Dir... oder fie auch Dich vor meinen Augen töblen.... . oh! verweigere nicht Bin ein Ungeheuer, ein Nichtswürdiger, aber ich setten.“ .

e laͤßt fich von ihrem Gemahl mit fortziehen ; fie nimmt in den Arm und will ihm folgen, als bie Senflerlänen aufgeftoßen werden und man anhaltendes Klingeln am

hoͤrt.

Mann erſcheint vor dem Fenſter und ſpringt ind Zimmer, feinem Begleiter zurmft: „hier ift eine Breſche, hierher, hierher! es find Hunbsfätter in der Feſtung, aber wir fe ſtriegeln, taufend Bomben Granaten! vorwärts.“ Anblick des Fremden zweifelt ver ebenfo ſchwache als Eonarb Leinen Augenblid, daß man komme, ihn und feine zu ergreifen ; um fich der gerechten Strafe zu entziehen, Melinend Hand los, flößt fie zuräd und ruft: „Du bift laß mich, folge nicht... lebe wohl! Lebe wohl, 0 entflieht ex durch die Thüre, erreicht den Hof, ſchwingt dad Gitter und läuft in den Wald; in demſelben Augen: Satob und Sansfouci in Adelinens Zimmer, bie von Seelenerfchütterungen erſchoͤpft, bei dem plößlichen ihres Mannes bewußtlos umfaͤllt.

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Siebenunddreißigfies Fapitel. Ber if der gute Gerval?

„O, unglaubliches Wunder! welches Glück! darf ich meinen Augen trauen ?“ ruft Jakob, indem er der Unglüdlichen zu Hülfe eilte. „Diefe Frau, fie ift es, Sansſouci ... komm, ſieh nur. Ei freilich! Heiliger Gott! fie ift es! ... endlich müſſen wir fie finden... habe ich e8 Dir nicht est. . man foll niemals verzweifeln. Und ihre Tochter... . ſieh, o, ih efeme fie. Aber als ich das Fenſter —* "glaubte ih einen Mam zu fehen, er ift entflohen... Sa! welch Geräuſch!... Hörft Du?... man ruft nah Hülfe... , bleibe Du bier.. . verlaffe fie wii. gib mir aber eine von Deinen Piſtolen.“ |

Jakob thut es, und Sandfouci, in einer Hand das Bit, | in der andern einen tüchtigen Stock, laͤuft dem Geſchrei nach, ſteigt die Treppe hinauf, tritt in ein Zimmer, deſſen Thüre eingeſtoßen iſt und erblickt einen Greis auf den Knieen, ‚wie er das Ritleid eines Boͤſewichts anfleht, während ein Anderer mit Geldſäcken be: | laden fich fo eben davon machen will.

Sansſouei drüdt fein Piftol auf Dufresne ab, als biefer den | Greis fo eben nieberjchmettern will, und das Ungehener ſtuͤrzt zu den Füßen des Herrn Gerval nieder. Sein Kamerad wirft die Selb: fäde fort und will entfpringen, allein Sansfouci läßt ihm feine Zeit dazu; er erreicht ihn auf der Treppe und verjegt ihm einen Ä fo fürchterlichen Hieb auf den Kopf, daß Lampin firauchelt, mehrere | Stufen hinunterfällt, fi den Kopf gegen die Mauer zerfchellt unt | unter den gränlichften Flüchen fein Lehen aushaucht. |

Ihr fein mein Netter, mein Befreier,“ ſtoͤhnt Gerval, wäh- rend Sansfonci ihm feine Bande Iöst. „Es iſt wahr, mel) lieber Herr, e8 war die höchfte Zeit, aber vielleicht find noch Kauben im Haufe, ich eile, fie aufzuſuchen. Ich folge, ich folge, e

win Retter!” fagt der reis, „ich will Euch führen, aber ad! 5 ſehe ja nicht meinen treuen Dupre !”

Ja diefem Moment hört man einen Piftolenfchuß. Sansſouci at die Treppe Hinunter und erblickt Jakob, wie biefer fo eben 'ıem ber beiden andern Ränber den Hirnfchädel zerſchmettert hat, ibtend deſſen Kamerad auf bemfelben Wege, den Eduard ge: rmen, entflieht.

Tas Schießen, der Tumult, dad Geſchrei haben endlich Ras enne und Lukas erwedt, aber erft auf die Stimme ihres Herrn ‚m fie ed, ihre Zimmer zu verlaffen. Man vereinigt fi und St fih nach Adelinens Zimmer. Diefe kommt endlich zur Bes zung, und eine neue Meberrafchung erwartet fie, denn fie erblict a treuen Salob.

„Rein Bruder , mein Freund! auch Sie foll ich wiederfinden ?“ Ti erſtaunt; „ich weiß nicht, ifl’8 ein Traum... aber jo viel "ammal!... . So eben war au) Eduard hier bei mir. un'!... aber kommen Sie zu ſich, beruhigen Sie fi, liebe «ne, fürchten Sie nichts mehr... die Räuber find beftraft.“

Keline antwortet nicht, aber ihre Augen fuchen nah ihrem ahl.

Victoria!“ ruft Sansſouci, „zweien habe ich allein das Le⸗ suht ausgeblafen! Ihr habt und dad Leben gerettet, brave suen,“ fagt Gerval, indem er auf Jakob zugeht, „wie Tann Tuch genug danken ? Sie haben, wie ich jehe, meine Schwe⸗

un meine Nichte gepflegt,” erwibert Jakob, „und alfo bin ich a Dank ſchuldig.“

Seine Schwefter, feine Nichte!” wiederholen Herr Gerval

feine Leute. „Bor allen Dingen laßt und das Haus durch⸗ sen, es koͤnnten noch irgendwo Spigbuben verborgen fein.

. Tupre Iäßt fich nicht fehen!... ich zittere, daß er ein Opfer 4 Dienfleifers geworden. Erf alle Hausbewohner in Sicher⸗ A, ud Daun vorwärts!"

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Dan führt Herrn Gerval, Abeline, ihre Tochter und Kalt xine in ein Simmer, wo fle nichts zu fürchten haben, und j beginnen Jakob und Sandfouci, von Lukas geführt, der wie Eſp laub zittert, feine Hulfe aber nicht verfagen darf, ihre Nachfuch im Haufe. Der Name Eduard, den Abeline audgefprochen I it für Jakob ein Räthfel, denn er wagt ed noch nicht, bem dacht, ber feine Einbilbungskraft dann und warn feffelt, Raum geben. Man durchſucht alle Winkel und findet Niemand, nur dem Boden entdeckt man ben Leichnam des unglüdlichen Dup nachdem man fich überzeugt Hat, daß Fein Leben mehr in ihm tragen Sansſouci und Lukas ihn in ein Zimmer des unten Si werks, wo bie Meberrefte des treuen Diener bis zu ihrer ve tung bewahrt werden ſollten.

Während Sandfouci und der Gärtner ſich diefer trau Pflicht unterziehen, geht Jafob in dad Zimmer bed Herrn Ga aus’ dem ein dumpfes Geftöhn zu feinen Ohren bringt. Duft athmet noch, aber bie erhaltene Wunde ift toͤdtlich, und der E

kaͤmpft vergebens mit dem Tode. Jakob Hält dem Sterbenven Laterne vor's Geſicht umd fährt überrafht zurüd.

Auch Dufreöne erkennt Eduards Bruder. Ein Hämifches 2 belebt feine halberloſchenen Augen ; er nimmt feine wenigen & zafammen, um noch folgende Worte auszufloßen: „Ich werbe ben... aber wenn Ihr meine Kameraden getöbtet Habt, fo iſt Euer Bruder dem Tode nicht entgangen... . fagt feiner Frau biefer falfchen Adeline, die mich veracdhtete... daß ihr Mann, bem er von ben Galeeren entfprungen war, auf meinen Rath und Mörder wurde.”

Mit diefen Worten haucht er, teuflifch erfreut, auch im f letzten Augenbliden noch Böfes bewirkt zu Haben, fein ehr Leben aus.

Jakob ſteht einige Augenblide vor Abſchen, wie verftei vor bem entfeelten Körper deſſen, ber feine Familie ins Un

län hat. Sein Schaubern bekaͤmpfend, will ex ſich von der geißs Üben Wahrheit überzeugen; ex geht die Treppe hinunter und leuchtet rampin ind Geficht. „Das ift er nicht,” ruft er, und ſchoͤpft freier Üben; es Tommi auf die Hausflur, und befichtigt auch ben noch, a von ihm getroffen worben ift.

„Bott fei gedankt,” ruft ex, die fremden Geſichtszüge erblickend, arine Hand Hat fich nicht mit Bruderblut befleckt! ... er iſt ges tt... O! möchten wir ihn nie wieberfehen! ich will das ehr⸗ Ar Ungeheuer vergeffen, und alle meine Sorgfalt den beiden mies agefundenen Unglüdlichen ſchenken.“

Bevor ’er jeboch wieder zu Adelinen geht, durchfucht er forgs Hg die Tafchen ber Räuber, und befonders die Dufreöne’s, aus orgniß, einige feinen Bruder betreffende Papiere bei ihnen zu Bea; er überzeugt fl, daß fie nur Waffen und Gelb bei fi sen, und begibt ſich jetzt beruhigter zu feiner Schweſter.

Die Hausbewohner haben mit der größten Freude bie Ueber⸗ ung gewonnen, daß Adeline ihren Verſtand wieder erlangt Hat, 2 während man bie firengfie Hausſuchung gehalten, hat Her eral fie davon in Kenntniß gefeht, wie er fie aufgefunden, in mE verpflegt, hieher nach feinem Landhauſe gebracht, und fie s ganze Zeit bei ihm verlebt Hat.

Adeline wirft ſich vor ihrem Beichüger auf die Kniee, denn fühlt, was fle ihm Alles zu danken hat, obgleich dieſer nur 1 feinem Vergnügen fpricht, ihr nützlich geweſen zu fein umb in Dienſte nur oberflächlich. erwähnt.

Sie fragt jetzt nach den Begebenheiten ver legten Nacht umb ihr, wie die Näuber fi bei ihnen eingefchlichen haben, und ohne bie beiden Reifenden, wovon ber eine ihr Bruder zu 3 (deine, geplündert und vielleicht bed Lebens beraubt wor⸗ ı vwaͤren. =

VDeline erbebt ... . fie erinnert fih, in welchem Augenblide a ihr erſchienen if, feine Verwirrung, fein Schreden bei ber,

Ancunft der Fremden ; fie wagt es nicht mehr zu fragen, aber Seelenangſt erwartet fie Jakob; endlich tritt Diefer ins Zimmer

„Mehrere Räuber find entfprungen,” ruft er, Adelinen ein Blick zuwerfend, deſſen Ausbrud dieſe verſteht. „Die, welche u gekommen ſind, haben ihr Schickſal verdient. Sapperme ſagt Sansfonci, „ſie verdienten Alle geraͤdert zu werden, und bedaure es nur, daß einige unferer Rache entgangen find. mein treuer Duproͤ,“ fragt Herr Gerval, „joll ich denn nichts ihm erfahren? Mein guter Here, leider iſt Ihr alter Die ein Schlachtopfer ver Böfewichter geivorben.... er ift nicht me D die Niederträchtigen! ... einen ehrwürbigen reis um bringen, mein armer Duprd... hätte ich Deinen Ahnungen folgt!... meine Unvorſichtigkeit iſt Schuld an feinem Tode!. nnaufhörlich werbe ich ed mir vorwerfen!... Died Hans if jeßt verhaßt!... ſchon morgen will ich es verlaffen.“

Herr Gerval vergießt die bitierften Thraͤnen über das Schi feines vieljährigen Dienerd und Freundes, Katharine theilt fei Schmerz, und ein Jeder bemüht ſich, den braven Herrn uber fei Verluſt zu tröften.

Der Tag überrafcht die Hausbewohner in diefer Page. Gerval gibt den Bitten feiner Freunde nach, ſich ein wenig zu gönnen, und Lukas wird beaufiragt, die benachbarten Gem ben von den Greigniffen der Nacht in Kenntniß zu feßen. Ka rine macht auf Befehl ihres Herm die nöthigen Vorbereitu zur Abreife, und Adeline verfpricht ihrem Wohlthäter, ihn als mit ihrem unglücklichen Schickſal befannt zu machen.

Jakob findet endlich Gelegenheit, mit Adelinen allein zu f fie brennt vor Begierde, ihn auszufragen, und wagt es body das Stillſchweigen zu brechen; ex erräth ihren Schmerz, ihre Fu ihre geheimften Gedanken. „Dufresne ift nicht mehr,“ fag „er bat endlich ben’ Lohn für feine Schanbthaten empfangen Dufreöne!... Wie! Dufreone befand ſich unter ven Räubern

ya

O, ich Unglüdliche ! kein Zweifel mehr, fo hatte er ihn and zum äußeren Verbrechen verleitet... Eduard war... Still!“ ruft Jalob halblaut, „dies abſcheuliche Geheimniß bleibe unter ung Beiden ; der Elende ift gerettet ; möge er feine fchamlofe Exiſtenz ‚ater einem andern Himmel dahin fchleppen... mit ihm ift e8 zur Rue zu fpät, und feine Gegenwart würde für mich, wie für Euch, ras größte Unglüd fein. Vergeſſet auf ewig einen Menfchen, ber urer Riebe nimals werth war; jet wird Euch das eine Pflicht. die Jımeigung für ein fo fchlechtes verächtliches Weſen ift Schwäche, 1 eines veblichen, edelmüthigen Herzens unwürdig. Grhaltet As für Eure Tochter, für mich, für Alle, die Euch Tiehen, und Zuge des Friedens und ber Seelenruhe werben @uch wiederkehren.“

Adeline wirft fih, Thränen vergießend, in Jakobs Arme, Rein Freund, mein Bruder! ja, ih will Cuern Rath befolgen, Ahr ſollt mit mie zufrieden fein.” a

Die von den furchibaren Begebenheiten der Nacht unterrichteten diente laufen herbei, um ihren Beſchützer, ihren Wohlthäter ſehen und fish ſelbſt zu überzeugen, daß er außer Gefahr iſt. ‘em armen Dupré erzeugt man die lebte Ehre; am Ende des

ztiens wird er beftattet, und ein Grabſtein verkündet das traurige te des treuen Dienerd.

Herr Serval verlangt endlich den Namen feines Retters zu fm. „Sch heiße Sakob, mein Herr,“ fagt diefer, „früher war Soldat, jegt bin ich Landmann. Jakob?“ antwortet der nö, „fo heiße ich auch, und Hatte diefen Namen aud einem ’zem Pathchen gegeben, einem Kleinen Wildfang, der jetzt in stem Alter fein wird, und ben ich vergebens in Paris auszu⸗ ein mich bemühte.“

Jakob betrachtet Herrn Gerval mit größerer Aufmerkſamkeit und a in feinen Zügen einige Achnlichfeit mit jenem alten Herrn, km in feiner Jugend fo viele Beweife feiner Zärtlichkeit gab. rap Erinnerungen tauchen in feinem Gedächtniß auf; Taum

Faul ve Rod. 1. 22

Hat er bie Kraft, ihn nach feinem Namen zu fragen, auf den er im Laufe der verwichenen ſchrecklichen Nacht bisher noch nit ge achtet Hatte. „Mein Name iſt Gerval,“ fagt der Greis, der eine unwillfärliche Gemüthsbewegung befämpft, „früher war id Kaufmann und hatte in Paris ein bedeutendes Yabrifgefigäft. Waär's möglich!... Sie find Jakob Gerval, mein Pathe, den ich fo innig Tieb hatte?"

Jakob fällt dem Greis um den Hals, drückt ihn mit Herzlich: feit an fih, und vergießt Thränen der Freude über dies glücklich⸗ Wiederfinden, während alle Umſtehenden von ver lebhafteflen Rüh⸗ sung ergriffen find.

„Ei! Donner und Wetter! welch erwwünfchtes Zuſanmentref⸗ fen,“ ruft Sansfouei, „das konnte wohl Feiner von und Beiden ahnen, Kamerad!“

„Mein lieber Jakob,“ hebt Herr Gerval an, „wie fehr hab’ ich Dich überall gefucht, wie fehnlichtt wünfchte ich Dich wieder zu finden, Dein Weglaufen hatte mir damals viel Kummer ge: macht, denn ich war bie unſchuldige Urfache davon. Der Name Jakob war Dir nicht günftig, mein armer Pathe, er Hatte auf Dein ganzes Leben großen Einfluß ; Deine Mutter vernachläffigte Dich, und Dein Bater wagte Deinen Namen nicht vor ihr and: äufprechen; ich allein wollte Dir wohl, allein dad genügte Deinem Herzen nicht. Du verließeft dad Vaterhaus, und ich ſchwur, bie Ungerechtigkeit Deiner Eltern wieder gut zu machen, wenn es mir bereinft gelingen follte, Dich wieberzufinden... So habe ich Did denn wieder... o, jegt erkenne ich Dich vollkommen! Diefe Narbe bat Deine Geſichtszüge verändert... Sept wollen wir und nicht mehr trennen, Jakob, Du fol mir die Augen zubrüden, Du biß mein Kind, mein einziger Erbe; von jegt an gehört mein Ber: mögen Dir; verfüge baräber, um allen Denen wohl zu thun, die Du lieb Haft.“

Salob umarmte aufs Neue feinen alten Gönner, ex kann fein

Old aoch nicht faſſen. „Befte Abeline,“ ſagt er enbfidh, „wenn ih reich Bin, fo ſeid Ihr auch nicht mehr arm, das ift der hoöchſte Gennß, den mir der Reichthum gewährt.“

And Adeline und Ermance umarmen, umfaffen die Kniee tes glüdfichen Greiſes. „Das find Deine Schweftern und Deine Rihte?“ fragt er Jakob, „mwäreft Du vielleicht verheirathet? Rein!” antwortet diefer verlegen... „Sie jehen die Frau und tie Tochter meines Bruders vor fh! Deines Bruders, fa, ja! - Tu haftet einen Bruder, aber was tft aus ihm geworden ? it iſt nicht mehr!... ich habe keinen Bruder, fle feinen Gatten neht. Meine Freunde, ich fehe Thränen in euren Augen, ohne zu wollen, babe ich eure Schmerzen erneuert, vergebt mir! die rimerung an Eduard verurfacht euch Kummer, ich fenne euer inglück nicht, theilt es mir mit, und ich will euch dann tröften, viel ich's vermag.”

Jakob übernimmt ed, Herrn Gerval mit einem Theil von keiinend Unglück befannt zu machen, aber er verfchweigt ihm das ehäffige von Eduards Beiragen. Jener glaubt, daß Adelinens tıın in Paris im Elend geftorben fei, nachdem er fie und ihr ad verlaffen, und daß die Nachricht von feinem traurigen Ende um ihren Verſtand gebracht habe.

Der gute Alte fühlt fich noch mehr, als zuvor, zu der jungen au, dem Mufter aller Sattinnen und Mütter, Hingezogen, und micht auch die Belanntfchaft der Bewohner des Meierhofes zu hen, bie ihr und Jakob fo viele Freundſchaft bewiefen haben.

„Das ift ſehr leicht,“ fagt Sansſouci, „wollen Sie Alle glück⸗ ı machen, fo müflen Sie nach Guillots Pachthof. Alle Welt! ea Sie Madame und meinen Kameraden wieder, glaube ich, } fie vergnügter, ald wenn ihre Pächterwohnung ein Schloß ee Nm, fo laßt uns Hin,” ruft der gute Gerval, „alle smmen, meine Kinder; biefe Reife ſoll uns gut befommen ; fie ? die liebe Adeline etwas zerfirenen und ber Fleinen Brmance

Freude machen. Jakob wirb denen mäklich werden können, bie ihn in der Dürftigkeit unterſtützt Haben, und wir, gute Katharine, auch wir werden in ber neuen Umgebung weniger an ben unglüd: lichen Tod unfered Freundes Dupre denken.”

Der Vorſchlag Gervald verbreitet eine allgemeine freude Katharine ift fehr erfreut, ein Haus zu verlaflen, das fo traurig Erinnerungen für fie bat und wo fie feine Stunde mehr tuhi fchlafen würde. Lukas erbittet fich die Erlaubniß, die Gaͤrtnere aufgeben und für die Folge fein Diener fein zu dürfen; ber all Herr willigt ein, und Alles macht ſich zur Abreife fertig.

Das Landhaus in den Bogefen wird an Landleute vermielhtl die ed in ein für die einfame und verlaffene Gegend hoͤchſt e wünfchtes Wirthshaus umfchaffen. Herr Gerval und fein Dien verlafjen traurigen Herzens über den Verluft Dupre’s die Wohnun Jakob und Adeline ehren einem Orte gerne den Rücken, ber Jen von Eduards Ehrloſigkeit war, und Sansſouci wirft mit inner Stolz feinen letzten Blid auf das Gebäude, in welchem er eine ehrwürbigen Greis das Leben gerettet und zwei niedertraͤchn Schurken aus der Welt gefchafft bat.

Adytunddreißigfies Aapitel. AUbermals die Fleine Bartenthüre.

Sansſouci jegt fi, trotz den Bitten des Herrn Gerald, möchte im Wagen Plag nehmen, neben den Poflillon, denn will mit Diefem auf den Weg Achtung geben, um ein jedes Hin niß, dad ihnen gefährlich werben koͤnnte, ald Steine, Löcher, ſch Gleiſe u. dgl., möglichft zu vermeiden; feine Freude ift fo g Madame Murville wieder auf ben Meierhof zn bringen, va ſich jelbft für jeden Eleinen Aufenthalt unterwegs verantwortlich m.

Während der Reife erzählt Jakob dem Hexen Gerval die WE

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tener feiner Ingend; bie Geſchichte von den Lichestränfen und dem Ragnetismus gewährt dieſem nicht geringed Vergnügen und noͤthigt auch Adelinen ein Lächeln ab.

„Aber welch ein glüdlicher Zufall hatte Sie und Ihren braven Gefaͤhrten denn gerade fo zur rechten Zeit in unfer Haus geführt, um und von ben Ränbern zu reiten,” fragt ihn Katharine.

„Als wir einige Tage nach Adelinend Abreife vom Meierhofe dieſe nicht wieder zurüdtehren fahen,“ antwortet Jakob, „und be: jürchten mußten, daß ihr irgend etwas Trauriges begegnet fei, angen wir, Sansſouci und ih, auch davon, entfchloffen, ganz Frankreich zu burchwandern, wenn es fein müßte, um Mutter und Kind wieberzufinden : Zuerfi gingen wir nad) Paris und brachten kier ohne günftigen Erfolg mehrere Tage zu. Nachdem wir barauf dem guten Guillot und feiner Frau Lebewohl gefagt hatten, ſetzten su und in Marſch, und burchfuchten verfchiedene Gegenden Frank: the, hielten und an den Eleinften Orten, den unbebeutendften Rohmplägen auf, erkundigten und überall mit der größten Sorg⸗ talt nach unferer lieben Adeline, wurden aber immer in unjeren Schuungen betrogen. Weber ein Jahr war fchon verflofien, und afere Bemühungen blieben immer vergeblid. Indeſſen San: iracı’8 fich niemals verläugnender Frohfinn ftählte und belebte mer aufs Neue meinen Muth, wenn Kummer und Traurigkeit aıh überwältigen wollten. Endlich Tamen wir auch in dieſe Gegend, :hne zu wiffen, ob wir hier glüdlicher fein würden ; nachdem wir raen Theil der Branche-&omte durchwandert Hatten, burchftreiften vr die Bogefen. Da wir Mänber nicht zu fürchten hatten, fo ch es öfterd, daß wir Nachts marfchirten, und auch unter "nem Simmel Nachtquartier bielten, benn zuweilen trafen wir rılabende Platze an, bie und genügenden Schuß barboten. Geſtern >ır jedoch das Wetter fo ſchlecht, das Schneegefläber fo anhaltend, zad ein jeder Weg fo überfchneit, daß wir und im Walde ver: ten. Ich war flerr von Kälte und von Müdigkeit beinahe er;

33 ſchoͤpft, ala Sausſouci in einiger Entfernung ein ziemlich fait: liches Wohnhaus gewahr wurde; ich mochte ed nicht wagen, um ein Nachtlager zu bitten, er wollte jevoch durchaus einfehren; während wir und darüber ftritten, hörten wir mit einem Male ein Geſchrei aus dem Haufe zu und herüber fchallen; da ſchwankien wir nicht länger, ich klingelte heftig an der Eingangepforte und Sansfonci erblidte ein offenes Fenſter im untern Stockwerk; bie Eiſenſtangen davor lagen weggebrocdhen am Boden und wir konnten bineinfpringen. Urtheilen fie num von meinem Erflaunen, meine Freude, als ich die wieder fand, bie wir fo lange gefucht Hatten, und von der ich mich vielleicht auf immer wieder entfernt hätte, wenn jenes Gefchrei nicht bis zu unferen Ohren gevrungen wäre.‘

„Mein lieber Jakob! ... die Vorfehung hatte Dich zu unfere: Rettung herbeigeführt,“ fagt Herr Gerval; „aber das gröft: Wunder bleibt e8 immer, daß Adeline durch dieſe Begebenhei wieder zu ihrem Verſtand gelangt iſt.“ |

„Ei, lieber Herr,“ verfeht Katharine, „tagte ich es Ihne nit vorher, daß es dazu einer recht flarfen unerwarteten Et fhütterung, einer Krifls bedürfe? Nun, und bie war es gewiß.

Die Reife geht glüdlih von Staften und man langt au Guillots Bachthofe an. Jakob empfindet ein freudiges Wohlbehage als er über die Felder fährt, die er bebaut Hat. „Da! fehe Sie,” fagt er zum guten Gerval, „ba ift der Pflug, mit bem i im Schweiße meines Angefichts fo oft geadert Habe. Lieb Breund,“ antwortete der Greis, „vergiß ihn felbft im Scho bed Glücks nicht, und die Unglüdlichen werben nie vergebens Dei Hülfe anflehen.” \

Ein Wagen mit vier Pferven ift eine große Seltenheit a bem Lande. Die Landleute verfammeln fi, die Taglöhner verlaff ihre Arbeit, die Bewohner des Meterhofes laufen nengierig herb um bie Reifenden zu muftern ; aber Sansſouci's Stimme lägt ſchon weithin hören; ex knallt mit der Peitſche, daß alle Hahn

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eine Bierkelmelle in ber Runde davon jagen, und bie Tauben fi auf die höchſten Schornfleine flüchten.

„Bir find es, er iſt's! fie ift wieder da!” ruft er ſchon von weitem, fo wie es Guillot und Luiſe erblickt; „große Feſtlichkeit, Fteunde! Herbei die kraͤftigſte Suppe, den beſten Wein! Tod allen Aminen und Hühner !”

Die ehrlichen Pächtersleute umgeben den Wagen; Jakob, Veline und Ermance werben von Jedem geherzt und gefüßt. Luife zeint, Gunillot iſt außer ſich vor Freude, Herr Gerval ift über bie anfrichtige Sreundfchaft, die man feinen Kindern beweist, denn fo mm er Jakob, Abeline und ihre Tochter jebt, wahrhaft gerührt, m im Triumph wird er in das Haus eingeführt, wo Bald Alles aa anderes Anfehen gewinnt, um die Rückkehr derjenigen zu feiern, ꝛe man wieberzufehen nicht mehr zu hoffen wagte. Sansfouci läuft 2 frenbigen Getummel, in ber allgemeinen Unordnung, bei den Zerbereitungen zur Mahlzeit, von Einem zum Andern, will Jedem alfen, zerbricht die Teller, ſtoͤßt Töpfe und Kafferolen um und ft einmal über das andere: „Ihr wißt noch nicht Alles, Jakob 8 jept reich, der alte Herr ift fein Pathe!... wir haben ihn meter... wir haben die Schurken getödtet! ... D, ich werbe 2 das Alles noch erzählen !“

„Fürwahr!“ fagt Guillot, „es fcheint, als ſtaͤnde Alles gut; aber der Bruder Jakobs... Still!“ unterbricht ihn Sans; Ic, ihm den Mund zuhaltend, „wenn Du je wieder ein Wort on ihm ſprichſt, if alle Freude aus, einem Jeden dad Weinen . abe uud Deine Mahlzeit beim Teufel; alfo glaube mir, beiße Tir lieber die Zunge ab, als dag Du nur ein Wort wieder ba: rs verlanten laͤſſeſt. Schon gut, fchon gut,” fagt Guillot, ann werh’ ich mich wohl hüten !“

Der Aufenthalt auf dem Pachthofe gefällt Herrn Gerval; er aaht Spaziergänge in der Umgegend ; freut ſich über die lieb: en Fernſichten und bewundert. den fruchtbaren Boden. „Po

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Taufend ! mein Herr, wenn Sie das Alles erſt iin Sommer fühe!“ fagt Guillot ... „im Winter flieht Alles nur traurig aus!... Wenn unfere Aeder jept aber mehr Werth Haben und weit mehr als fonft einbringen, fo danken wir dad unferem Freunde Jaleb; in zwei Jahren hat er mehr geleiftet, als ich in ſechſen; er bat mir mehr genüßt, als drei tüchtige Arbeiter. Schade, daß er jept reich ift, da komme ich um meine beſte Stüße.“

„Mein lieber Jakob,” redet der Greis viefen an, „Du mußt biefe Gegend, diefe Felder, die Zeugen Deines Fleißes, lieb ge: wonnen haben. Es wäre graufam von mir, Dich von: hier wieder zu entfernen. Wir wollen uns bier nieberlaffen, mein Sohn, ic gebe Dir den Auftrag, hier in ber Umgegend eine nette Befigung zu kaufen; ich bin zu alt, um fo ein Gefchäft zu betreiben, und verlaffe mich ganz auf Deine Einfidht.“

Jakob übernimmt mit Freuden diefen Auftrag, ein Blan durch⸗ freuzt feinen Kopf, und des andern Morgens ganz frühe begibt er fih nah Villeneuve⸗St.⸗George. Zitternd nähert er ſich feinem Baterhbaus, der Wohnung, an die er fo oft mit kummervollem Herzen gedacht hat. Sein größter Wunſch wäre ed, den Aufenthalt feiner Jugend, der zwar fehr ſchmerzliche, aber auch fehr fühe Erinnerungen für ihn bat, als jein Eigenthum bewohnen zu koͤnnen.

Er ift vor dem Gitterthore und liest auf einer Tafel: „Dies Haus ift zu Faufen oder zu vermiethen.“ „Es ift unfer,“ ruft er aus, „ich fol in meine wäterliche Wohnung wieder einziehen ; als Junge von fünfzehn Jahren bin ich daraus entſlohen, ale Mann von breißig Jahren kehre ich darin wieder zurück: o, mödte ih ed nie mehr verlaffen! ich bin gewiß, Adeline wirb es gerne wieber betreten; fie hat es mir oft gefagt, daß fie hier die ſchoͤnſten Tage ihres Lebens zugebracht hat, und wenn biefe Wohnung fie an ben Mann erinnert, den fie zu fehr geliebt Hat, fo war er doch wenigflene ihrer bier noch würdig.”

Jakob Hingelt ; man öffnet ihm nicht; aber eine Nachbarin

aſehi ha, Ich ſchräg gegenüber nach ber Molaung bes Sotard ju begeben. Es iſt noch berfelbe, der vier Jahre früher ven Kauf⸗ tortract für Eduard Murville ausgefertigt Hatte. Das Haus war, aachdem es deu Bläubigern zugefallen war, nach und nad in mehrere Hände gekommen. Der gegenwärtige Befiper bewohnte es fall nie, und wünſchte fehr, es wieber los zu werden. Jakob ex- fundigt ſich nad) dem Preife, und verfpriht, am andern Morgen wieder zu kommen, um das Gefchäft ins Reine zu bringen, denn a mag ed doch nicht wagen, ohne Rüdfiprache mit Herrn Gerval abzuſchließen. Er eilt nach dem Pachthofe zurück, und der alte Herr ſchließt aus feiner zufriedenen Miene, daß er in feinen Unterhand⸗ Inngen giüdlich geweſen. „Sie werben bad Landhaus wieber er- lennen, worauf ich fpefulize,“ fagt ihm Jakob, „Sie find oft darin gewefen, denn es gehörte meinem Vater. Und Du haft den Hmdel nicht gleich geſchloſſen? ... fo muß ich wohl felbft Kin, ım Alles in Ordnung zu bringen.“ '

Und gleich am andern Morgen fährt er mit feinem Adoptiv⸗ ichne nach Villeneuve⸗St.George. Er begibt fi zum Notar und kauft die Beflgung auf ven Namen Jakob; auf diefen Namen ellein wird ber Kauf gefchloffen, denn nur biefen Ramen will irn Sohn Tünftig führen; ber gute Gerval verlangt deßhalb keine weitere Erklärung, weil er zum Theil Cduards Aufführung mäth,.

„Da, mein braver Junge,” fagt er, ihm ben Contract ein: bandigend, „ed ift Zeit, daß ich Dich durch ein Geſchenk dafür anfäpige, Dir einen fo fehlechten Namen gegeben zu haben. Das arundflack iſt jetzt Dein, und mein Heiner Jakob befindet fich nun wieder in dem Haufe, woraus ihm fein Name verfagt hatte.“

Jakob umarınt den ehrwürbigen reis, und beide kehren nach tm Meierhof zuräd, um Mpeline und ihre Tochter zu holen. ‚Habe ich Euer Herz richtig beurtheilt,“ fagt Jakob zu feiner Ehwägerin, „wenn id; anuehme, daß Ihr gerus nach Billeneuve:

St.⸗Deorge zurũcklehhten würdet ? Gewiß, Fieber Freund,“ anlı woriet fie, „ih bin boxt zw glacklich gewefen, um nicht zu wünſchen, auch ferner ba zw leben: die Erinnerung an mein vergangened Gtäd foll meinen Trabfinn mildern ; was er fern von da gethan bat, will id) aus meinem Gedaͤchtniß verbrängen, die Tage feiner Zärtlichkeit und Liebe follen allein meinen Geift befchäftigen, und fo werbe ich ihn beweinen können, ohne zu erroöͤthen.“

Die Familie Guillot ift glücklich, daß ihre Freunde in der Nähe bleiben, denn ber Weg von BilleneunesSt.:@eorge if ein Epnziergang, und man verfpricht ſich. ihm in der fchämen Jehres— jeit reiht oft zu machen.

Nach vier Tagen laffen unfere Reifenden ſich endlich in ihrer neuen Wohnung nieder. Adelinens Augen füllen ſich mit Thraͤnen, ale fie das Hand, ben Garten, die Zeugen ber erften glücklichen Monate ihrer Ehe wieder betritt. Katharine übernimmt die Küche und Lukas den Garten ; lehterer verficht aber auch zugleich bie . Stelle des Hausvogts. Herr Gerval nimmt feine Wohnung zwifchen Jakob uud Adelinen, und bie Heine Ermance bleibt bei ihres Mutter, um ihr durch ihre kindliches Geſchwaͤtz und ihre ſchmeichelnden Lieb: fofungen fo oft als möglih bie für ihren Trübftun fo heilfams Grhelterung zu gewähren.

Sansfouci will zu feinen ländlichen Arbeiten auf den Meiss: hof zurüdfchren, aber Herr Gerval und Jakob geben das nicht zw. „Ihr habt mir das Leben gerettet,“ fagt jewer, „Ihr dürft mid nicht mehr verlafen. Du haſt Kummer und Elend mit mir geiheilt,“ fagt Salob, „Du ſollſt nun auch an meinem Bäde Theil nehmen, wir bürfen uns nicht trennen. Tauſend re: naten!“ rief-Sandfouci, indem er ſich äne Thräne im Auge zer: drũckte, „bie Leute machen mit mir, was fie wollen! Gut, id bleibe; jedoch nur unter der Bedingung, daß ich mich entferne, wenn Geſellſchaft da ift, und mit Madame Adeline nicht an »inem Aiſche eſſe, weil man Keſpekt vor ſeinen Borgefepten haben

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muß, uud ich in feiner Gefellſchaft ſo dumm wie eine Gans Kin. Ihr Könnt Euch entfernen, fpazieren gehen, jagen und fifdhen, andy vauchen, wie's Euch gefällt,“ erwibert der Greis, „aber mit md am Tifche müßt Ihr effen, denn ein braver Mann if überall an feinem Platze Run benn! taufend Granaten! ein alter Soldat muß gehorchen !”

Keine Abenteuer, Teine Lebensftürme, Fein Unglüd mehr. Fried» Ihe, heitere Tage lachen endlich die Bewohner von Villeneuve⸗ Et.-Beorge an. Abelinen erfüllt nur noch eine leichte Melancholie, Nie ihr die Tindliche Liebenswärbigkeit und Anmuth ihrer Tochter atäglih machen. Die kleine Ermance wächst heran und wird mit ‚oem Tage fchöner; ihre Züge find reizend, ihre Stimme ifl zart, wie die ihrer Mutter, und ihr Herz gefühlooll und mitleidig. Jakob # ſtolz anf feine Nichte, und Hat, feitdem er im Schooße feiner Ammilie lebt, viel von feinen rauhen Manieren abgelegt; Sans⸗ ienci Andy noch immer, würbe aber für feine Gönner durchs Feuer zehen; der alte Gerval ift doppelt glücklich durch das Gute, das rn geſchaffen, und durch das, was Jakob täglich wirkt; kurz, Alle zenießen eines lang entbehrten, ftillen, zufriedenen Glückes, und sie Bewohner des Pachthofes Tommen auch Hfters nach Villeneuve⸗ &-Seorge, um baran Theil zu nehmen. Eine einzige Streitſache must den Frohſtun Sansſouci's, daß er naͤmlich ven wohlverbienten Iren nicht mehr auf Jakobs Bruſt prangen ſieht. „Warum u De ihn denn nicht mehr tragen 2" fragt er ihn, wenn fle Hein find, „was kann Dich daran Kindern ? Donner und Wetter! de Hit nicht gefcheit, mit folder Ehimäre! Mein Bruder hat fern Namen entehrt. Ans Achtung für dieſe ehrenvolle Belohnung zaf ich ihn nicht mehr anlegen. Aber wenn Du doch jept nur Ich Heißt... Gleichviel! deßhalb weiß ich eben fo wohl, 125 Couard gebrandmarkt wurbe. Ah! die Erinnerung daran läßt a6 für dad Ehrenzeichen erröthen. Nein, ich kann es nicht mehr zen, Du haſt Unrecht, Es iſt möglich, bie Ehre Bleibt

mir immer, «ber mein Gtol; bafür if gebrochen, ſeitdem id; der Schande meined Bruders gedenken muß.“

Die Ruhe, der ſich die Bewohner von Villeneuve⸗St.George erfrenten, wurbe plöglich durch eine traurige Begebenheit gefört, die man noch weit entfernt glaubte. Der guie Gerval erkrankt und ſtirbt, ohne daß die eifrige Sorgfalt und Pflege aller feiner Lichen ihn zu reiten vermag.

„Meine Kinder,“ fagt er zu ihnen in feinen legten Lebens: angenbliden, „ungern fcheibe ich von euch, aber ich flerbe wenigſtens berubigt über euer Schidfal; ich hoffte noch länger unter euch zu leben, aber Bott Hat ed anders befchloffen, und fein Wille geſchehe. Gedenket meiner, aber weint nit um mich.“

Der Greis Hat fein ganzes Bernögen an Jakob und Abeline vermacht. Er beſaß 30,000 Franken Renten, wovon ein Theil zur Unterflügung Nothleidender beftimmt ift. Die alte Katharine über: Iebt ihren Herrn nur wenige Monate, und biefer doppelte Todes⸗ fall verbreitete auf längere Zeit eine tiefe Trauer über Jakobs Hand.

Aber die Zeit lindert audy ven herbſten Schmerz ; fie trium: phirt über Alles ; im Lethe verfchwinven allmählig die Erinnerungen an unfern Kummer, wie an unfere renden.

Mehrere Jahre vergehen. Ermance ift ſchon neun Jahre alt, und das Glück Jakobs und der Troft Adelinens. Um ſich nicht von ihr zu trennen, werden Lehrer nach Billeneuve-St.-George beſchieden, die fie in allen nöthigen Wiffenfchaften unterrichten.

„Zaufend Granaten!“ fagt Sansſouci, die Kleine wohlgefälig betrachtend, „die wird einmal den Männern die Köpfe verrüden: Geiſt, Schönheit, Grazie, Talent, ein gutes Herz, ihr fehlt ja nichts, Bomben und Granaten! Ja, das ift wahr,“ erwiberl Jakob, „aber ihren Bater wird fie nie nennen bürfen. Ab: weiß Gott! in dem Falle find viele Menfchen, und das wird fle nicht hindern, Liebe zu erweden. Die Liebe macht oft dad ganze Leben unglüdlich, ich möchte lieber, fie lernte fie nicht

848 kennen! Dazu wird man Dich nicht um Erluudniß Bitten, Kamerad !“

Adeline iſt ſtolz auf ihre Tochter, die nicht nur mit dem beften Cbarakter begabt ift, fondern auch in Allem, was man fie lehrt, die reißendften Kortfchritte macht. „Liebe Ermance,“ ſagte fie oft leife, „mögeft Du dereinft glüdlicher werben, als Deine Eltern ;" ie gedenkt dabei Eduards, den fie in Elend und Berzweiflung längft geftorben glaubt. „Ach,“ ſagt fie manchmal zu Jakob, wenn te in feinen Augen ähnliche Gedanken zu leſen glaubt, „wenn ich nur wenigftens die Meberzeugung hätte, daß er mit Rene im Herzen se Belt verlaffen Hat! ich fühle, das Tönnte mir einen leichten Itof gewähren.“ Jakob antwortet darauf nichts, aber er ruft Irmance und führt fle zu ihrer Mutter, damit ihr Anblick jede mibe Erinnerung verfcheuche. Er weiß nicht, daß eine Frau in idtem Kinde immer dad Bild deſſen erblicdt, den fie geliebt hatte,

An einem fchönen Sommerabend ging Jakob im Garten fpar vera, Grmance pflüdte nicht weit von ihrem Onkel Blumen unb Keline faß einige Schritte davon entfernt auf einer Bank und deobachtete mit Wohlgefallen die graziöfen Bewegungen ihres Lechterchens. Plößlich ſchreit Srmance, die fich eben einem Rofens xbufh genähert Hatte, laut auf, und bleibt vor Schreden fliehen. Adeline und Jakob fpringen herbei, und fragen nach der Urſache dies Entfegend. „Da, da,“ antwortet bie Kleine, nach ber Gartens naner hinzeigend, „ba, feht nur, ba. ift er noch, Gott! welch wreckliche Geſtalt.“

Jakob und Adeline ſehen nach der Seite hin, die Ermance daen bezeichnet, und erblicken hinter dem mit Brettern verſchla⸗ nen Bitter, gerade an berfelben Stelle, wo fi ehemals ver Rorf mit dem Schuurrbart zeigte, ein männliches Geſicht, das a ven Garten fchaut.

„Wie ſonderbar!“ ſagt Adeline, „erinnerſt Du Dich noch, vr zehn Jahren erſchienſt Du auch jo vor ung?“

„Ja freilich,“ antwortet Yalob , „ich erinnere mich deſſen ſeht wohl. Ermancens Schreck iſt zu entfchuldigen, denn ich weiß, damals hatteſt Du mir auch Feine geringe Furcht eingefagt!.... ber Mann fcheint ein Unglüdlicher zu fein; komm, liebe Tochter, verbanne die Furcht ; wir wollen ihm unfere Hülfe anbieten ; Roth: leidende follen und Mitleid, aber Teine Furcht einflößen.“

Bei diefen Worten nähert fich Adeline mit Ermance der Heinen Bittertüre ; die Züge des Maunes hinter dem Gitter ſcheinen ſich zu beleben; er betrachtet die junge Fran mit ihrem Kinde ; wirft dann einen Blick auf Jakob und ſtreckt einen Arm durch die Oeff⸗ nung nach ihnen aus, als wolle ex ihr Mitleid anflehen. Ade⸗ line tritt näher, ſieht den Bettler genauer an, ftößt einen fehmetz- haften Schrei aus und laäuft blaß, zitternb und entftellt Jakob entgegen. „Ich weiß nicht,“ xuft fie ihm zu, „if es eine Taͤu⸗ fung !... diefer Mann... er ſcheint mir, ja, ſteh nur... er iſo! es if... !“ '

Mehr vermag fie nicht hervorzubringen. Jakob eilt nach der Heinen Thüre, erkennt feinen Bruber und Sffnet fie; Cduard, wit Lumpen bebeitt, von Strapazen und Mangel erfchöpft, und ein Sild des größten Elends, der bitterſten Verzweiflung darbietend, tritt in den Garten.

„Hilf mir, Hilf mir... rette mich!“ ruft er, ſich zu Jakob hinſchleppend, der noch Taum feinen Augen trauen kann, „ad! and Barmherzigkeit ftoße mich nicht zurück!“

„Ab, Mama, Iafi’ und fliehen, ich fürchte mich vor den Mann,“ bittet Ermance und ſchmiegt fich angftvoll an ihre Mutter. Diefe umflammert ihr Kind, betrachtet bewegungslos Eduard, und Heiße Thränen flürzen aus ihren Augen.

„Unglüdlicher !” fagt endlich Jakob, „was willſt Du hier?!... wirkt Du uns denn ewig verfolgen? Sol Deine Sufamie wid aufhören, Deine Familie zu martern ? Sol dies Kin vor Deinem Anblid ersöthen 3“

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Euarb antwortet nicht, aber er blickt anf Adeltne, und biefe verbirgt das Geſicht ihrer Tochter in ihrem Schooß. „ch,“ ſtammelt ex endlich, fich vor Jakob auf die Kniee irgend, „Habe Mitleid, fieh, wie elend ich bin, man verweigert mir fogar, bie Gefichiözäge meines Kindes zu fehen!.. . man fehüst fie vor dem Anblid ihres Vaters.“

Jakob Hat nicht mehr die Kraft, ii zurückzuſtoßen; Ednard nähert ſich Adelinen, ſtirrzt zu ihren Füßen nieder, drückt ſeine Stine gegen die Erbe, und fängt heftig zw ſchluchzen an. Bei den Aagelauten des Ungküdlichen richtet Ermance ihre Augen auf ihn, und Theilnahme verdraͤngt ihre Furcht. Ach, Mama!“ ſagt fe, „dee arme Mann ſcheint fehr elend zu fein, erlaube, daß ic ihm aufbelfe... ich fühle, daß ich mich nicht mehr vor ihm fürchte.“

Eduard ergreift die Hand feines Kindes, druͤckt fie mit Hef⸗ figfeit an ſich und erhebt feine Augen auf Adeline, deren Ausdruck dieſe verſteht.

„Ih verzeihe Dir,“ ſagt ſie, „ach! haͤtteſt Du mir nur wehe zeihan ..... aber died Kind, meine Tochter, niemals darf fie Dich amen ! 1

Jakob unterbricht Mpeline und legt ihr den Singer auf den Rand. In diefem Augenblicke Läuft Sandfouci herbei nnd aͤußert kne Ueberrafchung über bie Anwetenheit des Unbekannten. „Was villſt Du %" fragt ihn Jakob, „was bringft Du fo eilig? was ra gefchehen ? Kamerad, ich komme iur, Dir zu fagen, daß Gndermen im Dorfe Hausſuchung Kalten; man ift einem Bagas finden auf ber Spur, den man eine halbe Meile von bier erfannt sat, und wird fogleich auch unfer Haus burchfuchen; ich fagte ihnen, es werbe fruchtlos fein, aber, Wetter! ich wußte nicht, daß... Etill:?“ ſagt Jakob, „kein Wort von dem, was Du bier gejehen ... liebe Schweſter, geh’ mit dem Kinde ins Haus. eh’, m fürdgte nichts, ich ſtehe für Alles, Sansſonci führe meine keweſter hinein, uud vor allen Dingen dad tieffte Stillſchweigen!“

Sansſornci bethenert ed und entfernt fig einige Schritie, über Alles, was ex ficht, im höchften Erfiaunen. Adeline if über bie Gefahr, in der Eduard fchwebt, beſtürzt, aber er felbft befchwört fie, ihn feinem Schidjal zu überlaffen. Er legt feine Hand aufe Herz, drüdt einen Kuß auf die Stine feiner Tochter und entfernt ſich von beiden, während Sansſouci, aufein Zeichen feines Kameraden, Mutter und Tochter nach) dem Haufe mit fich fortzieht.

„Sept find fie fort und wir allein,“ - fagt Jalob zu feinem Bruder, „Iprih, bift Du ed, ben man verfolgt ?“

„3a... nicht weit von hier in einem Wirthshauſe, wo ich um ein Almoſen bat, ſaß ein Mann,am Tiſche, der früher Ge: fangenwärter in Toulon war; er fah mich fharf an, ich emtfernte mich fogleih, aus Furcht, erfannt zu werben, aber leider war es zu fpät, ich fehe, ich Bin verloren! Indeſſen bin ich jetzt weniger wnglüdlih..... ich habe mein Kind gefehen, meine Frau bat mir verziehen... und Du... ach! mein Bruder, ich beſchwöre Dich, laffe auch Du mir Deine Bergebung angebeiben !“

„Ja,“ fagt Jakob, „ih vergebe Dir... aber Du mußt... Unglüdlicher, weißt Du, welche Strafe Deiner wartet ? Auf dem Schaffot wirft Du enden! ... und die Kunde von Deinem ent: ebrenden Tode wird unfere Schande verewigen! ... Haft Du nur den Muth, Verbrechen zu begehen, und wirft Du nicht endlich das thun konnen, was die Ehre Deiner Frau, Deines Kindes fchen längft vom Dir fordert! Du Iebft, armer Feigling!... fo willſt Du Deine Henfer erwarten... bebenfe, daß Du es nicht vermeiden kannt, ber Gerechtigkeit in die Hände zu fallen!... Großer Gott! biſt Du Deiner bejammernswürbigen und infamen Eriftenz nicht überfatt?"

„Ich verſtehe Dich,“ antwortet Eduard, „o glaube, daß des Top eine Wohlthat für mich iſt; aber ich wollte, bevor ich aus biefer Welt Scheide, euch meine Reue zeigen! ... Seht biete mit die Mitiel, mich einer gerechten Strafe zu entziehen... ich werd: feinen Augenblick zaubern.” |

BR.

Jalob gibt Ednard ein Zeichen, ihn zu erwarten, geht auf u immer, nimmt feine geladene Piſtole und kehrt nach dem hırten zurück. Hies exblit er feinen Bender an ber Gartenthüre ıf den Knieen; mit fefter dend xeicht er ihm die Waffe hin, und duard ergreift fie.

„Seht,“ ſagt Jalob, „Iomm, Unglücklicher, zum letzten Male meine Arme! Dein Bruder vergibt Dir Deine Verbrechen, und. wm Tag wird ex auf Deinem Grabe ben Himmel für Di um nade auflehen !“

Eouard wirft ſich feinem Bruder in die Arme, und lange Zeit Ita fie ſich feſt umfchloffen, doch endlich reißt ex fich ſchnell los, Het fich einige Schritte, der Schuß fällt, und ver Unglüdliche nicht mehr.

Jakob läuft zu dem entfeelten Körper feines Bruders hin, amt all feinen Muth zufammen, und unter heißen Thränen gräbt im eilig ein Grab unter einer Weide, nahe an ber Eleinen uentbüre. Sansſouci eilt auf den Schuß herbei und überrajcht m Kameraden bei dieſer traurigen Beichäftigung.

„Hilf mir!... es ift mein Bruder...” Sansfouci will allein ihmerzliche Arbeit übernehmen, aber Jakob gibt es nicht zu, wer will feinem Bruder ven legten Dienft erweifen, und erft, Idie Erde feine Hülle deckte, entfchließt er fih, zu Adelinen iczukehren.

Run!“ ruft dieſe ihm entgegen, „was iſt aus ihm geworden? Fürchte jetzt nichts mehr,” antwortet Jakob, „er iſt gerettet, ih ſtehe dafür, die Juſtiz fol ihn nicht mehr erreichen.” Adeline verläßt ſich auf den Ausſpruch Jakobs und flieht eine de darauf ruhig den Genvarmen zu, wie fle vergebens nach rd das Haus durchſuchen. Rad) einiger Zeit erblickt fie mit sunen im Garten einen Grabflein, den Jakob unter der Weide errichten laflen.

Yanl de Rod. 1. 23

„Wozu bied Denkmal?" fragt flo ihn a Fir meinen ni glacklichen Bender!“ antwortet Jalbb „Wäre er tobt! J er it nicht mehr; jetzt Hab’ ich Gewißheit darüber. AU!... welchem Winkel der Erde mag er fein Leben geendet habe! Dort ruht er,“ fagt enblich Jakob, und zeigt mach der Weite.

Aneline fährt zufammen and wagt es nicht, weiter zu fragı aber alle Tage führt fle ihre Tochter nach der Weide, um für ! armen Bettler zu beien, und Ermance weiß wicht, daß fi ihren Bater ihr Gebet zum Himmel erhebt.

Und am Fuße der Weide ſcharrt Satob eo, fein Ehr⸗ kreuz ein.

Anhalt,

Seits Erhed Kapitel. Eine Hochzeit in Cadran⸗Blen. Die Familie Murville 3 Zweite Kapitel. Großes Ereigniß, von ber Tanzact und einer Tabaksdoſe herbeigeführt ... . 12 Drittes Kapitel.” Dufeene 20. 2 Biertes Kapitel. Slüdtylüine . . 2.08 z Fünftes Kapitel. Der Kopf mit dem Sänurbart .. 34 Geste Kapitel. Das ländliche Mittagemafl . . . 40 Siebented Kapitel. Borin der bärtige Mann wieder vorkommt >) Udtes Kapitel. Man urtheile nicht nach dem Schein . 63 Reuntes Kapitel. Die Ubenteuer Bruder bb 4 . . 68 718

Zcehutes Kapitel. Unterricht Im Magnetifcen . . Eifte® Kapitel. Jakob bringt Clairette in magnetifchen St und

thut Bunder . . . 8 Zußlftes Kapitel. Große Erperimente der Bucllichten 93 Dreizehntes Kapitel. Wirkung der Zaubertränte. Bruder Jatos

verläßt feinen Retjegefährten . 109 Bierzehntes Kapitel. Schluß von Jalkobs Abenteuern 2000. 114 Fünfzehnteß Kapitel. Bier Monate der Ehe. Neue Plüne . . 124

Sechzehntes Kapitel. Rüdkehr nad Paris. Der Geichäftsmenn . 132 Sichenzehntes Kapitel. Große Abenbarleitfäft iebenerftärung,

wenn man will . . 143 Udtzebntes Kapitel, Verblendung. _ Tborheit. Sqwache .184 Neunzehntes Kapitel. Es iſt nicht ihre Schuld, ober: die Unſchulb

fiegt 161 Zwanzigſtes Kapitel. Die Leidenſchaft macht fand Getfäni,

wenn man fie nicht befämpft . 167 Ciaundzwanzigfed Kapitel. Das Roulette oo. 173

Zwriundzwanzigfied Kapitel. Intriguanten. Spieler. Betrüger. 185 Treiumdgzwanzigfie Kapitel. Dad Innere eined Opielhaufes . . 196

356

Bierundzwanzigfied Kapitel. Die guten Menſchen. Ertenntlichfeit Fünfundzwanzigfteß Kapitel. Das Rotterie-Gomptoir . Sechdundzwanzigſted Kapitel. Die guten Beeunde, und wad darau⸗ erfolgt . Siebenundgwanzigftet Kapitel. uidelin⸗ findet einen Befhüger . Achtundzwanzigſtes Kapitel. Der Berwegene. Der Feige. Der

Betrunlene . . Reunundzwanzigfted Kapitel. "Sa Blat vor dem Juſtizpalaß er Dreißigſtes Kapitel. Der gute Gerval . . 20.0. Einunddreißigfte Kapitel. Zalob und Sanoſouci . gweiundbreißigſtes Kapitel. Die Galestenflvaen . . .

Dreiunddreißigſter Kapitel. - Der Holzhader und die Räuber Vierunddreißigſtet Kapitel. Dufreöne’3 Lebensgefhihte . Bünfundpreißigfted Kapitel. Das Landhaus in den Bogefen . Sechdunddreißigſted Kapitel. Das Wahre erſchrint manqhmei un⸗ wahrſcheinlich . . . . Giebenunddreißigſtes Kapitel. Ber iR ber gute Bervatt . Uchtunddreißigkes Kapitel. Abermals die Meine Bartenthüre

Geile

216

BEBESESENB BB

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Band I. Seite 20. Die zaͤrtliche Adeline if immer der Meinung ihres lieben Gemahls; Eduatd will feinen Willen Haben -

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Band II. Seite 5. Die Stroppütte von Beorget Dein Bater [hließt feine beiten Arme um und und drüdt und inniger an

Andreas, der Savoyarde.

Bon

Pauſ de Koch.

Deutfch bearbeitet

von

N Dr. Heinrich Elsner.

Dritte Auflage.

Stuttgart: Rieger’fhe Verlagebuchhandlung. (A. Benedict,)

1857.

Buchrruderei der Rie ger'ſchen Verlagßhandlung in Stuttgart.

Erſtes Rapitel. - Ein Shneegemälbe Die Savoyardenfamilie.

Der Schnee flel in großen Floden ; er bedeckte die Straßen und machte die Bergpfabe und die an Abgründen hinführenden Wege des Dorfes ’H6pital in der Nähe des Montblanc noch ſchlüpfriger.

Unfere Hütte fland an einem Wege, welcher des fchlechten Belterd wegen feit einigen Tagen nicht beiucht wurbe. Ein mehr ald ein Fuß Hoher Schnee bedeckte den Boden, und doch dachten weber ich noch meine Brüber daran, nad Hauſe zu gehen, um vor dem Geſtober Schup zu fuchen. |

Ich Ichnte mich an einen Felfenblod, und ed war mir Hier fo wohl als auf dem dichteſten Rafen ; ich machte mit meinen Fleinen Händen Schneeballen und warf meine Brüber bamit, bie mich glei: falle mit folchen gefrorenen Kugeln belagerten. Peter, der in einer Vertiefung bed Weges fland, zeigte ſich nur, um gefchickter zu zielen, und verbarg ſich dann fehnell wieder; Jakob lief, ohne einen be: Rimmten Platz zu behaupten, bin und her, büdte ſich bisweilen, um Schneeballen zu machen, und eilte dann, wenn er un biefe zugeſchleudert hatte, wieber davon.

Welches Vergnügen empfanden wir, wenn ed und gelang, und gegenfeitig zu treffen! Welcher Jubel, wenn eine Balle auf Jakobs Rüden zerplagte, während ex zu fliehen fuchte, ober eine Peter ins Gefigt traf, während er feinen Heinen blonden Kopf aus feinem Berſteck hervorſtreckte! Der Beftegte jubelte mit dem Sieger: ber Eieg koſtete mie eine Thräne. Konnten wir bie Kälte fühlen? Wir waren fo glüdlich und in einem Alter, wo das läd fo rein if,

4

da es weber durch bie Grinnerumgen ber Vergangenheit, noch burd die Furcht für die Zukunft getrübt wird.

Schon einige Male hatte und unfere Mutter gerufen, heim- zulommen.

. „Blei,“ hatten wir alle Drei geantwortet. Aber im Augen: blidle, wo wir ind Haus zurückkehren wollten, fachte eine von Einem von und dem Andern zugefchleuderte Schneeballe ven Krieg wieber frifh an; man befämpfte ſich abermals, das Yreubengefchrei und die tolle Heiterkeit wiederhallte auf's Nene in unfern Bergen. Unfere Füße waren halberſtarrt vor Kälte; unfere Eleinen, rothen, auf: gefchwollenen Hände waren faum im Stande, den Schnee aufzu: leſen und zu ballen, der uns einen fo angenehmen Zeitvertreib

gewährte, und doch konnten wir und nicht enifchließen, in bie

warme Stube hineinzugehen.

Aber die einbrechende Nacht zwingt und endlich, unfer Spiel aufzugeben. Wir Ichren alle Drei, außer Athem, Tenchenb unb |

no vor Berguügen ſtrahlend, nach Haufe zurüd; wir kanern und um ben ungeheuern Ofen herum, neben dem unfer Bater auf einem großen Stuhle fist, während: unfere Mutter in ber geräumigen Stube, der einzigen des Haufes, hin und her geht und, inbem fie zanft, daß wir fo lange draußen geblieben find, die Suppe zu un: ferem Nachteſſen zubereitet.

„Schau,“ fagte fie, „wie fle mit Schnee bevedt find! Wer mird bei ſolchem Wetter fo lange auf der Straße bleiben! Hm,

die unartigen Jungen, wenn fie fpielen, hören fie nicht mehr auf mich.“

„Schilt fie nicht, Marie,“ fagte unfer Bater, uns zu ſich herziehend; „ſchilt fle nicht: fie unterhalten fich, fie find glücklich! warum fo frühzeitig ſchon ihr Glück ſtören? Die lieben Kinder, ihre Jugend vergeht fo fchnell und die reiferen Jahre bringen Kummer und Sorgen mit fih! Wird der Erwerb bes heutigen Tages für den morgenden zureichen? Darf man hoffen, daß man Heute dad Leid von geſtern vergißt ? Immer Qualen, felten eine Freude und

b

nie wieber fo gluͤckliche Stunden, als fie fie eben genofien haben. I habe auch einft Schneeballen gemacht : vor vierzig Jahren fpielte ig wie fie. Jene Zeit ift fern, fie hat zu kurz gebauert; ich er⸗ innere mich nicht, feit Damals ein fo Inuteres Vergnügen genofien u haben.“

„Wie, felbft bei unferer Verheirathung nicht, Joͤrgel?“ ver- iepte unfere Mutter in vorwurfsvollem Tone. Mein Bater blidt fe lächelnd an und erwidert bloß: „DO, das ift etwas Anderes! Ih konnte Dir nur eine Hütte anbieten!“

„Hatte ich mehr? Sind wir deßhalb weniger glüdlich gewejen ? Rein, gewiß nicht. Unfer Haus und unfere Arbeit genügen ung, wir find arm, aber es ift und noch Nichts abgegangen und unfere Kinder gedeihen: fie werben heranwachfen und ihr Brod felbft ver: umen lernen.“

„3a, aber biß fie fo weit find! Ah, Marie, feit jenem ver- wänfchten Soll, wo ich den dicken Engländer, ver mir nicht ein- nal beim Aufftehen half, auf den Gletſcher führte, fühle ich meine Kräfte abnehmen, meine Gefunpheit ſtellt ſich nicht wieber ber. Ag, wenn ich Dich mit den Kindern, wovon das ältefle erft ſieben Jahre alt iſt, zurüdlaffen müßte, was würbe ans Euch ?“

Zei diefen Worten Schloß unfer Vater feine beiden Arme um and und drückte und inniger an fich. Ich war auf feinen Schoof Iinanfgeflettert, Jakob ſaß auf feinen Füßen, und Peter, ver neben ihm fland, Ichnte feinen Kopf auf feine Schulter. Unſere Mutter war in der Mitte der Stube flehen geblieben; die legten Worte ihred Batten hatten ihr Herz mit Wehmuth erfüllt. Sie wendete ib ab, um eine Thräne zu verbergen, bie über ihre Wangen berabfloß, und wir bemühten und, ohne recht zu verfichen, wovon es fih handelte, die Traurigkeit, vie wir in ven Blicken unferes Vaters Lafen, durch unfere verdoppelte Zärtlichkeit zu verſcheuchen.

„Buter Bott, kaun mar folche Gedanken haben!“ fagte endlich die treue Marie, einen Seufzer ausſtoßend, den fie nicht mehr unters

brücen Eonnte. „Ach, Joͤrgel, arbeite nicht mehr, firenge Dich nicht mehr an; bleib’ daheim bei unferem Ofen. Unfer Getreide ift ein: geheimät, wir haben noch länger als ſechs Wochen Brod ; ich gebe es nicht zu, daß Du Dich ausſetzeſt, um ein Paar Batzen zu verdienen.“

„Mein Vater,“ ſagte ich hierauf mit entſchloſſener Miene, den Kopf in die Hoͤhe hebend, „wenn Reiſende kommen, kann ja ich ihr Führer ſein, ſie auf die Gletſcher hinaufführen, ihnen die ſchoͤnen, fo entſetzlichen Abgründe zeigen! Sie werden mich dafür bezahlen und ich Euch das Geld heimbringen, dann braucht Ihr Euch nicht mehr fo anzuftrengen, Nicht wahr, Ihr erlaubet es mir, Bater ?"

„Du bift noch zu jung, mein Heiner Andreas,“ erwidert mein Bater, mir die Wangen ftreichelnd und mich auf feinen Knieen wiegen.

„Zu jung? Ich bin der ältefte von meinen Brüdern : fieben Zahre vorbei. Unferes Nachbars Michael Sohn war noch nicht jo alt, als er fort in die große Stabt ging.“

„Meine lieben Kinder, ich wünfche, daß ihr nie gensthigt fein werdet, auch hinzugehen! Ich möchte euch immer bei mir behalten.“

„In der großen Stadt muß es recht ſchoͤn fein,” verſetzt Peter, feine Fleinen Augen aufreißend. „Sie jagen, dort koͤnne man alle Tage die Zauberlaterne jehen, vie einmal bei und durchgekommen if.“

„Möchteft Du bin, Peter ?" |

„D, meiner Treu’, ich hätte ven Muth nicht, allein zu gehen wie Michaels Sohn !“

„Und Du, Jakobchen ?” fragte mein Vater den jüngften meine: Brüder, der erft fünf Jahre alt war und ſich zu feinen Füßen wälzt: und ausſtreckte, um ſich an dem großen Ofen zu wärmen. „Sag', Salöbchen, was würdeſt Du dort treiben ?" |

„Ich würde alle Tage Käfe zu meinem Brod eſſen,“ antworte Jakoͤbchen laͤchelnd und fich nach der Mutter umfchauend,, um zu jehen, ob die Suppe bald fertig ſei.

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„Bas nich betrifft,” verfeßte ih, „fo würbe ich arbeiten, um viel Geld zu verbienen, damit wir einen Garten kaufen Tönnten. 3b würde euch Alles heimbringen, dann wären wir recht glücklich; hr, mein Bater und Ahr, Mutter, könntet Euch dann des Winters den ganzen Tag an den warmen Ofen feßen, und ih und meine Brüder Schneeballen machen.“

„Du bift ein braver Junge, Andreas; Du denkſt an Deine Eltern. Aber, ad! in der großen Stabt, meine lieben Kinder, macht man nicht immer fein Glück; ich bin in meiner Jugend auch bingegangen, aber ed gelang mir nur wenig zu erwerben, und unterwegs beftahlen mich Schurken um meine ganzen Erfparniffe, am die Frucht zehnjähriger Arbeit, die ich meiner Mutter heim: dringen wollte. Sch mußte mit leeren Händen zurüdfehren.“

„Bas find Schurken?” fragte Peter.

„Bein Kind, das find Elende, Faullenzer, Diebe, die nicht arbeiten mögen und von Raub an Andern leben.“

„Man darf fie Schlagen, nicht wahr, Vater ?” rufe ich lebhaft aus.

„Nicht immer, mein lieber Andreas; wenn man fie erwifcht, beftraft fie Die Behörde; aber e& ift verboten, fie felbft zu züchtigen !!'

„Sibt man den böfen Leuten auch zu efjen?“ fragte der Fleine Jakob, bald das Feuer, bald die kochende Suppe betrachtend.

„Meine Kinder, alle Menfchen müfjen leben...”

„Aber die Böfen befommen feine fo gute Suppe wie wir, niht wahr, Vater?“

Unfer Bater Tächelte, bob den Heinen Jakob in die Höhe und fügte ihn zärtlich... Peter und ich bengten uns vor, um biejelbe tiehlofung zu erhalten, welche er uns auch ertheilte, denn er liebte und alle Drei gleich. Jene ungerechte Vorliebe, die oft Neid, Eifer: ſucht und Kummer zwifchen Gefchtwiftern erwecken, war feinem Herzen ftemd; er"forfchte in unfern Zügen nicht, welchen von und die Ratur wohl am meiften degünftigen werde; in den Augen eines guten Baters find alle feine Kinder gleich fchön,

.. Bater.

»

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Die von der Mutter zubereitete Suppe wird auf einen hoͤl⸗ | zernen Tifch geflellt; der Dampf, der aus einer großen Schüſſel emporftieg, ergößte unfer Auge und lockte dem Fleinen Jakob, ver mit Entzücden ven erquickenden Geruch des Abendeſſens einathmele, ein Lächeln ab. |

„Zum Effen! zum Eſſen!“ ruft unfere Mutter. Jakob glitfchte ſchnell von dem Schooße meines Vaters herunter und fiellte ſich auf einen Heinen Schemel ; Peter rückte den Stuhl, von dem mein Bater eben aufgeftanden war, zum Tifche her, und ich blieb bei bem, befien ſchwankenden Gang ich hätte ſchon umterflügen mögen: denn mein Bater hatte fich bei feinem letzten Sturze ziemlich ge fährlih am Knie verwundet und war noch nicht recht geheilt.

Mein Bater that, als ob er ſich auf mich Ichnte, weil er fah, daß ich ſtolz darauf war, bereits feine Stüge zu fein ; aber feine Hand ruhte nur leicht auf meiner Schulter. Wir faßen bald um ben Tiſch herum. Gs fchnie auf's Neue heftig; der Wind tobte gewaltig: ex erfchätterte oft Die Thüre unferer armfeligen Wohnung, und fein dumpfes, eintöniges Getöfe erfchredite Peter, der ſich jedes⸗ mal, fo oft die Thüre bebte, an mich ſchmiegte. |

Aber die Iuftige Flamme, die auf dem Kamin flackerte, erhei⸗ terte unfere Hütte, die nur von einer einzigen Lampe erhellt wart, und der Dampf der Suppe machte den Heinen Jakob frofmüthig, der immer fang, wenn er bei Tifche war.

„Welch' abfcheuliches Wetter!" fagte die gute Marie, und Suppe heransfchöpfend. „Ich bin überzeugt, man kann nicht mehr gehen, ohne in zwei Fuß hohen Schnee zu verfinken.“

„Ich bedaure die Reifenden in unfern Bergen,“ verfegte mein

„Bir find glüdlich, daß wir ein Obdach, ein gutes Feuer und zu Nacht zu efien haben... glaub’ mir, Jörgel, ed wären Biele froh, wenn fie jegt in unferer Hütte fein koͤnnten. er 8 meine Mutter dieſe Worte vollendete, hörten wir von

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ver Gerne ber Geſchrei, PBeitfchengefnalle und das Yluchen eines boſtillons.

Bir lauſchten aufmerkſam, Jakob ausgenommen, der eben einen großen Löffel voll Suppe zum Munde führte.

„Bas gibt es?“ fragte Peter zitternd.

Ich lauſchte immer gleichiwie meine Eltern; die Stimmen zurden deutlicher. Man rief um Hülfe, um Beiſtand; aber felbft tad naͤchſtgelegene Dorf war fehr von der Straße entfernt, an bie bleß mſere Hütte ſtieß.

„Kein Zweifel,” ſagte mein Vater, ſich vom Tiſche erhebend, ‚3 find Reiſende in Gefahr; man muß ihnen beiſpringen.“

Seine Kräfte zufammenraffenn, nimmt er eilig feinen Hut, emen Stod und verläßt unfere Hütte, ohne auf die Bitten feines Keibed zu achten, die ihn beſchwoͤrt, ſich nicht auf's Neue anzu: rengen. Aber mein Bater iſt fchon weit und Ienft feine Schritte m Orte zu, wo bad @efchrei herkam; ich hatte mich ebenfalls hoben und war im Begriff, ihm zu folgen, aber meine Mutter set mich mit den Worten zurüd: „Run, Andreas, willft Du Dich ud auf diefen fchlechten Wegen Gefahren ausfegen? Du bift zu mg, mein Zreund ; bleib’ bei uns und laß uns den Himmel an- ichen, daß Deinem Bater nichts gefchieht.“

Ich Iniee neben meiner Mutter auf den Voden nieder. Peter, sm bereitö Thränen in den Augen flehen, thut ein Gleiches; Jakob Heibt allein bei Tifche und ißt ruhig fort. "

Bweites fapitel. Die Reijenden Die kleine Schläferin. Nah Werfluß einer Viertelftunde, die und fehr lange fchien, zorten wir bie Stimme umfere® Baterd, der uns von draußen herein- af, wir ſollen ihm aufmachen.

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SH elle plöplich zur Thüre; meine Mutter folgt mit dem Lichte: wir Finnen übrigens nichts als weiße, befchneete Maſſen unterfcheiden. Endlich erfennen wir unfern Bater; er ift aber nicht allein: ein Herr, deſſen Geſicht man nicht fehen Tann, weil er bis über die Ohren in einen Mantel gehüllt ift, ftübt fich auf den Arm meines Vaters und brummt alle Augenblide mit einer wider: wärtigen, heifern Stimme: Ä

„Bo führt Ihr mich denn bin?... Wo bin ich denn? Ich verfinfe ja... der Schnee geht mir bis an die Hüften... welch’ abfchenliches Land... nehmt Euch in Acht, Freund... wir fallen irgendwo hinein !”

Auf aM dieſe Worte erividerte mein Bater bloß: „Fürchten Sie nichts, mein Herr, ich Tenne den Weg; ich ſtehe jetzt für Sie... das ift nur Schnee ; hier ift keine Gefahr mehr.“ | „Das ift nur Schnee? Pop Henker, das ift, meine ich, ge: nug! Meine Füße find erflarrt... meine Waden find fo kalt, daß ich fein Gefühl.mehr darin habe. Ach, welches abfcheuliche Land! ... Champagne, gib auf das Kind Acht und gehe dicht hinter und drein.“

Herr Champagne war wahrfcheinlich der andere Herr, der meinem Bater folgte und ebenfalls in einen weiten Mantel ein: gehüllt war, unter dem er jedoch mit Vorficht Etwas zu tragen fchien.

„Run find wir an Ort und Stelle,” fagte mein Bater in dem Augenblide, als fie auf die Schwelle traten.

„Das ift ein Glück!“ ruft der Reifende aus. Während er feinen Mantel ablegt, eilen wir, ohne und um bie eben angefom: menen Perfonen zu befümmern,, in Die Arme unfered Vaters, deſſen Abwefenheit uns fo ſehr in Sorgen gefeßt hat. Kann es auch für einfache Savoyarden Jemand geben, der mehr Aufmertſamleit vr dient, als der Urheber ihrer Tage ?

Er ſelbſt muß uns zuerft an die Fremden erinnern. „Bor: wärts, meine Kinder,” fagte er, „legt Holz in den Ofen; Barie, fieß’, was Du den Herren aufzuwarten Haft... und biefes Kind...

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warten Sie, Sie können es auf unfer Bett legen... dort ruht 8 gut.“

Der, den man Champagne nannte und welcher einen mit einer breiten Treffe beſetzten Hut auf Hatte, fchlug jeßt feinen Mantel ındeinander und wir erblidten ein fchlafendes Kind in feinen Armen. Ed war ein Fleines Mädchen ; fie fchien hoͤchſtens vier Jahre alt zu fein. Aber wie hübſch war fie! Nie hatten unfere Augen etwas io Reigended gefehen. Ein Ausruf der Bewunderung entfuhr uns Allen bei ihrem Anblid ; wir umringten den Mann, beffen Frack eenfall8 bordirt war wie fein Hut, um die Kleine näher zu be- nachten.

Ein mit Pelz gefüttertes und verbrämtes Mäntelchen bedeckte sten kleinen Körper. Auf ihrem lieblichen Köpfchen hatte fie ein ibwarzes, gleichfalls mit Pelz garnirted Sammethäubchen, das aut prächtigen Goldſchuüren und Eicheln unter ihrem Kinn zu: ammengebunden war. Nichblonde Locken hatten ſich unter dem Nützchen hervorgefpielt und beſchatteten die Stirne des fchönen Nädchens. Ihr kleiner Mund war halb geöffnet, und ein leichtes ÄofeurotH Färbte ihre Wangen. Lange, glänzendichwarze Wimper *egränzten ihre Augenlider; fie fchlief fo ruhig, als ob fie auf m Schooße ihrer Mutter eingewiegt worden wäre.

Ihre Schönheit, ihr prachtwoller Anzug, ihr ruhiger Schlaf zb der eben auögeftandenen Gefahr, Alles trug bazu bei, unfer Staummen zu vermehren. Wir hatten uns Alle Herrn Champagne nähert, ſelbſt Jakob war vom Nachteffen weggegangen und hatte ©, mit dem Löffel in der Hand, unter den ſchoͤnen Mantel ge- Hlihen, in den das fchlafende Kind gewickelt war.

„O, mein Gott! was für ein hübſches, Eleines Mädchen,“ eqie meine Mutter, „das ift ein Engel !“

„SR das ein Heines Schwefterchen?” fragte Jakob, während erier mit der Hand über die breite Goldborde an des Herrn Kleid Eh. Was mich betrifft, fo war ich unfähig, ein Wort zu fprechen;

ich war bergeflalt von Bewunderung Hingerifien, daß ich meine Blide nicht von der Kleinen abwenden Tonnte.

Aber während wir das Kind betrachteten, hatte der andere Herr feinen Mantel abgelegt und ſich dem Ofen genaͤhert. Ohne Zweifel durch unfere Ausrufungen gelangweilt , machte er denſelben ein Ende, indem er feinem Begleiter zuherrichte:

„Run, Champagne, wollen Sie das Kind eine Stunde fo binhalten? Legen Sie e8 auf ein Bett, wenn es bier eines gibt, und fehen Sie dann nach unferem Boftillon.“

Herr Champagne beeilt fi, dem Befehl feines Herrn gehor⸗ fam, Folge zu leiften; er folgt meiner Mutter, die ihn zu ihrem in dem Sintergrunde der Stube flehenden Bette führt. Meine und meiner Brüder Schlafftelle befand fi am enigegengefehten Ende bed Gemachs Hinter einem Vorhang von grüner Leinwand, der an einer langen eifernen Stange hing. Die Vertiefung, worin unfere Bettftatt angebracht, befand, wenn ber Vorhang zugezugen var, aus einem Raum von vier Quabdratfußen. Died war freilich ein beſcheidenes Bläschen, aber wir fchliefen frieblich dort, und obwohl der Wind bisweilen in unfere fchlecht verwahrte Schlaflanımer drang, ſchlichen fich doch nie Sorgen und Schlaflofigkeit ein; bei Arme muß doch auch durch Etwas entfchänigt werben,

Als ich meine Blicke von des Kleinen abiwendete, die man auf meiner Mutter Bett gelegt Hatte, drehte ich mich um und be: trachtete den andern Herrn.

Er mochte etwa fünfzig Jahre alt fein und war von Feiner Statur, mager und fchwächlich. Obgleich auf der Reife, Hatte es doch Feine Stiefel an, und die Kälte hatte in der That einen folden Einfluß anf feine Waden ausgeübt, daß man nicht eine Spur davon fah. Sein Geficht war Iang, ebenfo feine Rafe, die von ber Seite im Stande gewefen wäre, Semand, den er am Arm geführt hätte, vor dem Winde zu ſchützen; feine Hautfarbe war gelblich und eines feiner Augen mit ſchwarzem Taffet bedeckt, der

vraitkift Ames Daubes Kin: feinen Kcpf Kehmiben war, olme ihm krigend Su3 Auoſehen eines Lirbesgottes zu. verleihen. Das un: iededfe Ange war ſchwarz und ziemlich lebhaft; da «8 ben Dienſt fir zwei Verfehen mußte, heftete es ber Herr keinen Augenblick mibig auf einen Gegenſtand, ſondern rollte es unaufhorlich Knie m rechis. Endlich ſchien ein uͤbermüthiger, hoͤhniſcher Ausdruck vr Phyſiognomie dieſes Herrn, welcher gepudert war und einen zerf trug, der auf feinem Rüden allen Bewegungen feines Auges felgte, eigenthuͤmlich gu fein.. Beim Anblick vieſes Reifenpen ent; fahr und ein Ansruf der Bewunderung.

Der Frembe betrachtete mit mißverguügter Miene das Innere mſerer Hütte.

„Gebt Ihe nicht noch ein anbered Gemach als dieſes, wo ich, tiert von dieſen Fratzen, ausruhen Bnnte %“ fragte er meinen Pater mit einem drgerlichen Blick anf mich und meine Brüder.

„Rein, meir Herr, wir haben nur diefe einzige Stube; aus Kefer beſteht unſere ganze Wohnung.”

„Staube, Ihr nennt das eine Stube!” brammt der Herr, feinen dener anbliddend , der den Blantel feitied Gebieter® aufhängt und Allen, was biefer ſpricht, mit reſpektvoller Niene laächelt. ‚Bohlen, ich muß irgendwohin, bee ich muß boch wo fein. Nicht hr, Champagne ?“

‚Da Ort iſt allerbings Ihrer nicht würdig, Her Graf, aber der find dieſe armen Leute nicht Schuld.”

„Dr Haft Recht, Champagne: der Ort tft meiner nicht würdig! Ya 18 aber keinen andern gibt... .“

„Bean der Here burchauis allein zu ſetn wünſcht, fo haben Br oben noch eine Kamtmer, wo wir unfere Wintervorrathe auf⸗ Imahren; es iſt friſches Stroh oben.“

„Bir mich eine Kammer... Stroh? Sag’, Champagne, Haft In gehört, was biefe Savoyarin ſprach? Das iſt doch zu ſtark!“

Bei biefen Worten waͤlzte der Herr fein Feines r im Kopf

Yaul de Kod. U.

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Serum, um ihm einen durchtringenben Musbrnd zur geben. Dltwohl ich inter ihm fand, bemerkte ich dieſes doch au ben Bewegungen feined Zopfes.

„Diefe Landlente wiffen nicht, mit wem fie die Ehre Haben, zu ſprechen, Herr Graf.“

„Freilich willen fie es nicht... ſchaff' mir einen Stuhl an, damit ich mich fehen Tann.”

„Ich habe nur biefen großen Seffel, mein Herr,“ fagt mein Bater, ven Stuhl herbeirädlend, auf dem er gewöhnlih außzuhte, während ihn meine Mutter an der Jacke zupfte und ihm ins Ohr raunte: „Das ift aber Dein Stuhl, Jorgel, wo willſt Du jept hinfigen ?"

Mein Vater drehte ſich um und winkte ihr zu ſchweigen; gehorchte nur ungern, denn der Ton und das Weſen des —*& ſtimmien ſie nicht, ſeinetwegen Ciwas zu entbehren.

„Keinen Lehuſtuhl!“ ſagt dieſer, ſich nieberlaffend, feine kleinen, ſchmaͤchtigen Beine und feine Hände, deren Finger voll Ringe waren, an dem Ofen wärmend. „Wie fchlecht doch dieſe Wege unterhalten find! Ich muß an den Präfekten dieſes Departements fchreiben. Ei, fagt mir, guter Mann, warum habt Ihr, ald Ihr auf meinen Wagen zukamt, ber in diefem heilloſen Schnee verfanf, meinem Kutfcher zugerufen: er fol halten? Weßhalb ?“

„Weil er auf einen Abgrund zufuhr, den er des Schnees wegen nicht bemerkte; ein Baar Schritte weiter, und Sie wären Alle des Todes geweſen!“

„Wirklich? Wie, ich, der Graf von Franconard, wäre daurch den Sturz in ein Loch um mein Leben gelommen! Das iſt außer orbentlih. Höre, Champagne, begreift Du, weldger Gefahr ich ausgeſetzt war ? Und ich fchlief ruhig in meinem Wagen, während mich ber Tob angähnte; pog Heuker, wenn das Teinen Muth bes weist, will ich der größte Dummlopf fein,”

„Der Gere Graf zeigt ſich immer fo !“

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„Du haft Recht, Ehampagıre, immer. Aber dieſer legte Ay wird hoffentlich in meiner Lebensgeſchichte erwähnt werben. Es ift Ned wenigftend das zehnte Mal, daß ich in gefährlichen Augen⸗ tiden ſchlafe. Erinnerſt Du Dich, als es vor einem Jahr in uferen Hoͤtel brannte?... Es war während der Nacht, meiner Treu, ich fchlief, während die Klamme einen ganzen Kamin ver- wbrte, und wenn man mich nicht geweckt hätte, fo würde ich, rübtend fi die Andern davon machten, bis zum Morgen gefchlafen beben. Sag’, Champagne, beweist’vies nicht Kaltblütigkeit 2“

„Diefe bewundert Jedermann an Ihnen, Here Graf.“

Bährend diefes Sefprächs zwischen dem Herrn und dem Diener hatte ih meine Mutter dem Bette genähert, auf dem bas-Eleine Narben ruhig fortfchlief. „Armes Kind,” rief ſie aus, „ohne weinen Mann wäreft du umgelommen! Ach, Sörgel, welches Glück. ta Du dieſes reizende Gefchöpf gerettet haft; ich bin überzeugt, “5 ihre Augen fo fanft als ihr übriges Geſichtchen find... o welher Unterfchieb gegenüber von dieſem häßlichen ... .”

Rein Bater ließ fie nicht vollenden und gebot ihr eilends knllſchweigen.

„Ei, ſchlaͤft meine Tochter immer noch?“ fragt jetzt ber ein⸗ ige Here, fich gegen meine Mutter kehrend.

„Shre Tochter ?“ entgegnet die gute Marie, erftaunte Blide af ten Fremden werfend. „Wie, mein Herr, dieſes hubſche Kind dire Tochter?“

„Run, was iſt denn da Erſtaunliches daran,” erwidert ber Ran Here, den Kopf erhebend. „Wenn es heller in Eurer rauchiger: Güte wäre, würbet Ihr fehen, gute Frau, daß die Kleine ganz Wr Ebenbild if.“

Herr Champagne tritt and Bett und jagt zugjeinem Herrn: Ta Fränlein fchläft immer noch.“

Die Kleine fchlägt mir in Allem nad: dieſelbe Kaltblütig- ku, dieſelbe Muhe in Gefahr! das Liegt im Blute ... die Bamilie

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Ftanconard iſt dieſer Eigenſchaft wegen ſeit drei Jahrhunderten bekannt. Einer unſerer Vorfahren ſchlief bei der Belagerung von Jernfalem auf einem Sturmbock ein.“

„Am Abend vor der Schlacht, Herr Graf?“

„Rein, am Morgen darauf. Deinem Großvater fanfen zwei Pferde unter dem Leibe zufammen.”

„In der Schlacht, Herr Graf?“

„Nein, in der Reitbahn. Und mein Bater Hatte bei feinem Tode mehr ald zweihundert Wunden an fi. Höre, Champagne, zweihundert Wunden! fo viel werden nur Wenige aufweifen können.“

„Bo Kuckuk, das will ich wohl glauben, das waren ohne Zweifel Degenftiche ?“

„Rein, Blutegelbiffe; er war außerorventlich vollblütig. Was mich betrifft, fo ift der Beweis meiner Tapferkeit in meinem Ge ficht zu ſehen.“

„Es möchten gewiß Biele dem Herrn Grafen gleichen.“

„Allerdings, Champagne ; da8 fehlende Auge bat mir mandye Eroberung erworben.”

„Sch glaube, der gnädige Herr haben mir gefagt, daß Sie ed im Streite mit einem Englander eingebüßt haben.“

„sa, Champagne, pog Henker! biefe Geſchichte hat gehöriges Auffehen gemacht. Wir fritten und, wer am ſchnellſten eſſen Tonne... ih war Sieger, Champagne, und der Engländer warf mir in feiner Entrüftung ein hart geſottenes Ei an den Kopf, fo dag mein Auge zehn Schritte weit davonflog.“

„Ah, mein Bott!“

„Denke Dir meine Wuth..,. wenn man mich nicht gehalten hätte, wäre ich unter den Tifch gefallen... aber ich bin zer Genũge gerät.“

„Sie haben Ihren Gegner getöbtet ?"

„Sa, Champagne, einen Monat darauf haben wir noch eins mal gewettet, und mein Englaͤnder ſtarb an einer Magenübsrlabung.“

17 .

Das Gefpräch des Herrn und des Dienerd hatte mich und meine Brüber nicht gehindert, unfer Nachtefjen zu beendigen. Meine Rutter Tief alle Augenblide zu dem Bette Hin, um die Kleine zu betrachten, dann Tehrte fie wieder zu meinem Vater zurück, der, teinen Hut und feinen Sad in der Hand haltend, mitten in ber Stube fand und wartete, bis es dem Reiſenden gefallen möge, a Betreff feines Poftillond, der auf der Straße erftarren mußte, übrenb fi ber Herr Graf an unferem warmen Ofen wärmte, Zefehl au erteilen.

„Seine Tochter!” fagte meine Mutter jedesmal wieder meinem Pater ind Ohr, wenn fle die Feine Schläferin betrachtet hatte ; ‚begreifft Du das, Jörgel ?“

„Ja, Marie, man ſagt, bei vornehmen Leuten ſei ſo Etwas eit der Fall.“

„Mein Herr,“ beginnt endlich mein Vater, ſich dem Fremden riübernd, „Ihr Poſtillon iſt immer noch anf der Straße und...”

„Wohlan! deßhalb iſt er Poſtillon. Der Schurke, der mich nahe in einen Abgrund geworfen hätte, verdiente, daß ich ihn steng beftrafen ließe.”

„Er hätte fich wahrfcheinlich eben fo gefchadet wie Ihnen.“

„Au, glaubt Ihr das, mein Lieber? Höre, Champagne, diefer

:zooyarbe erlaubt fih, mein Leben mit dem eines Poftillons zu _

‚tjleichen.“ „Here Graf, diefe Leute find nicht im Stande, Sie zu würdigen.“

„Du haft Recht; fie leben und flerben wie Murmelthiere, ohne

: einen audgezeichneten Gedanken zu haben. Ich muß übrigens fo Pr als möglich wieder weiter reifen: ich kann nicht lange hier ben; es iſt ein Geruch hier, der Einen faft erſtickt. Champagne,

5 mit dieſem Savoyarden zu unferem Wagen hin; man fol

cu nachfehen, ob nichts zerbrochen tft, ihn wieder auf den guten zeg führen, und ſobald es Tag ift, reifen wir ab; ich will mich dt mehr Bei Nacht anf biefe ſchneebebeckten Strafen tagen.”

y

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„Bertrauen Sie meiner Vorſicht, Herr Graf.”

Herr Champagne entfernt fih mit meinem Vater. Der Her Graf rüdt noch näher zum Ofen und fcheint ſich weder um fein Tochter noch um uns mehr zu befümmern. Nach einer Weile deutet uns ein langer Ton an, daß unfer Saft, wie fein Ahnvater nac der Einnahme von Serufalem, ſchnarchte.

„Ihr müßt euch fchlafen legen, meine Kinder,“ fagt unfe Mutter zu und „Cuer Anblid fcheint diefem Herrn, der ohn Zweifel feine Freude an den Kindern bat, niht angenehm; ei er da ift, hat er noch nicht ein einziges Mal nad feiner Tode gefehen. Ein folches Kleinod zu befigen und ed nicht anzubeten.. ach! das begreife ich nicht. Die vornehmen Leute müſſen ben Kor recht vol haben, daß fie ihre Kinder fo vergeffen können.“

„Ach, Mutter, laß und das Heine Mädchen noch einmal fehen, ſagte ih, and Bett gehend. Peter that ein Gleiches, und unfe Mutter nahm ven Heinen Jakob auf den Arm, damit er fie au recht betrachten koͤnne.

„Welche fchöne Haube, welche ſchoͤnen Kleider!“ ruft Beter au

„Wie fanft fie ſchlaͤft,“ fagte ih. „Ach! wenn fie nur d Augen auffchlüge ; ich möchte fie fo gern fprechen Hören, Mutter

„Hat fie denn fchen zu Nacht gegeffen ?" fragt Jakob.

„Bahrfcheinlih, mein Kind; bie reichen Leute Haben all Mögliche in ihren Gefährten.“

„Bleibt fie bei und?" fragt Peter. ' |

„Rein, meine Lieben, fie reist morgen mit Tagedanbrud n ihrem Vater wieder ab. Was würde dieſes an Wohlſtand unp I Bequemlichkeiten des Lebens gewoͤhnte Kind in unferer Hätte macher Und doch würde man es recht lieb haben, vielleicht gerner als vie] Herr, ber fih für feinen Bater audgibt.

In diefem Augenblidle macht das Feine Mäpchen eine leia Bewegung, weil Jakob mit feiner Hand den Pelz berührt mit dem ihr Haͤubchen garnirt war ; fie kehrte fig um, ihr 2

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mintelgen ging amseinanber und wir fahen ein Mdaillon an einer plienen Kette an ihrem Halfe hängen. .

„D, was für ein ſchönes Spielzeug !“ ruft Jakob aus, und wir beugen Alle den Kopf vor, um das Geſchmeide näher zu betrachten.

„Das it das Bildniß eined Frauuugiımmers!“ fagt meine Mutter. „Beld' hübſche Züge! welch’ fchöne Wugen!.... das muß die Mutter Weed Heinen Madchens fein; ja, ich weite darauf, fie ſieht ihr ſchon ähnlich. Wie Tounte aber der Wann, der nur ein Auge hat, der Watte eines fo ſchoͤnen Frauemzimmers werben?... Jörgel hat Icht: in der großen Weit ficht man erſtaunliche Dinge, die den rihen Leuten ganz einfach vorkommen. Vorwärts, meine Rinder, ihr müßt ins Bett; ihr Fönntet die Kleine aufwecken, dann würde ad dieſer Herr zanken, denn er bewimmt ſich nicht, wie wenn nen Mana ihm und feiner Tochter das Leben gerettet hätte; er bet ſich nicht einmal bei eurem Water bedankt. Ach, wenn Jorgel 8 für einen armen Savoyarden gethan hätte... doch, wollte max nur gegen dankbare Leute gefällig fein, fo würde nicht viel Oxteö gefihehen.“

Bir entfernten und nur ungern von dem Bette, worauf das Heine Nadchen ruhte, das ich nicht müde wurde zu beirachten; der wir mußten unferer Mutter gehorchen und lenkten unfere Etritte nach umferem kleinen Winkelchen. Indem Jakob unferer begerſtaͤtte zueilte, flolperte ex ungeſchickter Weiſe über die Beine #8 ſchlafenden Herrn. Diefer fährt plöglich auf feinem Stuhle a die Höhe und ſchreit wie beſeſſen:

„Siecher, Champagne, hierher! man überfällt Deinen Herrn!“

Das Geſicht des Reifenden ſah in dieſem Augenblicke fo komiſch mt, daß ich und meine Brüder hellauf zu lachen anfingen.

„Es Hat nichts zu bedeuten, mein Herr, ed iſt nichts,“ ſagt weine Butter zu ihm, „mein Jalsbchen ift bloß beim Laufen über Ihe Fuße geſtolpert, das iR Alleo

„Wie? es Hat nichts zu bebdenten?“ ſagt der Freimde, indem

ex fich bie Augen veikt unh vollenda erwacht) „ich Finke Cuch Inflig mit Eurem „das ift Alles“... Mich fo: aufzuwecken, wenn id ſchlafe! Peitfchet Die ungezogenen Jungen ind Bett, vamit ‘ich fie nicht mehr hoͤre. „Esſs hat nichts zu. bedeuten !‘" Ich traͤumie, ich fei auf der Jagd, und ick wollte eben ben Hieſch verfolgen, als mich der Heine Schelm von ber Fahrte abbrachte.“

Meine Mutter treibt und eilig in nuſer KK—mmerlein; fie giebt den Vorhang hinter und zu und Befichlt und, fill zu fein. Meise Brüder ziehen füh aus und ſchlafen bald ein. Was mich beisifft, fo habe ich keine Luft zu ſchlafen; ich weiß nicht, welche Neugierbe mich bewegt, aber ich denke au das hübſche kleine Mabchen, ich möchte es noch einmal, beſonders erwacht, ſehen. Ich behalte alte meine Kleider au; ber Varhang, der -unfere Schlafftatte verbirgt, fepließt nicht jo genau, daß man nicht hätte ſehen können, was in der Stube vorgeht ; ich lege mich aufs Bett, beuge bin Kupf gegen den Vorhang vor und richie meine ganze Aufınsckjanteit auf das, mas draußen geſchieht.

Kaum hatten wir und niedergelegt, ald mein Bater mit bem Dienes des Reiſenden zuracklehrt.

„Run, Ehempagne, wie ſteht's mit meinem Wagen 9* fungt der Graf, ohne einen Bid auf weisen Water zu werfen.

„O, ed ifl nur wenig Papas machen zu laflen... «ö bat fih bloß eine Schrauben mutier abgelöst; der Poſtillon ſagt, bad ſchade nichts.“

„Ich fleige ficher in feinen Wagen, an dem due Schrauben⸗ mutter fehlt, damit nad Rad berausgeht uud wir ammerfen. Dem Poſtillon ift das gleichgültig, ex fügt zu-Pferde. Das Zerbrachene muß augenblidlich hergeſtellt werden! ... Gibt es einen Magnes in dieſer heillofen Gegend?“

„Mein Hexx,“ antwortet mein Vater, „es iſt wohl aim Huf⸗ ſchmied da, der auch Wagnerarbeit befmgt, aber x wohnt auf der entgegengeiahtem Gieike des Doxfes.“

Ar mag beim Teufel wohnen, wenn Ihe wollt, aber ich muß ihn haben.“

„Es if fo weit und die Wege find fo ſchlimm Heute Nacht.“

„Sur müßt an das Laufen im Schnee jo gewöhnt fein, wie ich an dad Tragen eines Degens. Mit einem fkarfen Stod, wie vr, den Ihr in der Hand Habt, konnt Ihr Euch überall fingen, zurchtet Ihr Such vielleicht ?

„Rein, mein Kerr, nein, das habe ich bewieſen, als ich mit Gefahr meines Lebens Ihren zwei Pferden, die Sie in einen Aha pund hinunter geriffen hätten, in die Zügel fiel.“

„Das ift richtig, und ich merbe Cuch gewiß auch belohnen, wein Sieber, aber ich muß durchaus einen Wagner haben.“

Mein Dater ſchickt fi zum Fortgehen an, meine Mutter eilt hm nach und wirft ſich in feine Arme. „Mein lieber Yurgel,* lagt fie zu ihm, „geh' nicht. während ber Nacht; Du biſt ohnehin ion krank umd ber Weg ift gefährlich; morgen mit Tagedanbrudr iR es auch noch Zeit, Leute zu holen.“

„Morgen ?” verſetzt der Fremde, „Ihe wißt nit, was Ihr repet, gute Fran. Morgen ? Daun müßte ich noch einen Theil des Tages hier zubringen. Nein, ich muß mit Tagesanbruch weihes iin. Haltet Euern Mann nicht zurück, fürchtet nichts : ich ſtehe ix ihn. Potz Tauſend! Ich bin chen Stauden lang auf drei Fuß dohen Seeen Schlittſchuh gelaufen.”

„Laß wich, meine liebe Marie,“ ſagt mein Vater, ſich aus sen Armen feiner Frau losmachend; „unjerer Kinder und Deinet- vegen gehe ih, um Etwas zu vwerbienen. Die Vorſehung wird zid anf meinem Wege leiten: fie muß über einem Bamilienwater radhen.“

Pit diefen Worten verläßt mein Vater unfere Wohnung, und meine Mutter, deren Augen voll Uhränen fliehen, ſett ſich and Wett zu legt ihren Kopf darauf.

Der alte Herz Hat zur Cines geſehen: waͤmlich, dag mein

VBater fort iR, um feinen Befehl auszuführen. In diefer Hinſich beruhigt, nähert ex ſich wieder dem Ofen und wirft einige Scheite hinein, bie daneben liegen. Der Bediente iR zu dem Tifch Hingegangen, auf dem wir Nacht gegeffen hatten, und ich fehe ihn das Geſicht verziehen, alı

er die Suppe verfucht, die für meinen Bater übrig gelaffen wor den war.

„Eine traurige Küche,“ fagt er, die Blicke rings um ſich ber werfend.: „Haben ver Herr Graf Beinen Hunger ?“

„Rein, Champagne; glaubſt Du außerdem, Daß ich etwa von ben Speifen dieſer Bauern effen würde ?“

„Sie ſcheinen mir allerving® nicht fehr gut zubereitet.”

„Diefe Leute leben wie das liebe Vieh; fie Haben Teinei Gaumen.“

„Wh, wenn ich am des Herrn Grafen Koch denke: das if ei verbisnfivoller Mann.“

„3a, Champagne, das iſt ein talentvoller Junge. Sch wi

Etwas aus ihm machen, und er foll einen Huf erlangen.”

„Ich fehe, daß man hier nit an das Nachteffen denken dar GSlaͤcklicher Weiſe Haben wir gut zu Rittag gefpeidt und werk wir morgen einen orbentlicken Gaſthof finden.“ | Haft Du die Flaſche mit dem Alicantewein im Sad?"

„sa, Her Graf.“

„Bib fie mir, damit ich einen Schlund daraus trinfen kau das wird mir gut thun, denn das Nachteſſen bes Savoyarden breitet einen peflartigen Geruch.“

Der Diener langt eine ziemlich große, mit Stroh aloe Flaſche aus feiner Tafche, auf die er einen gierigen Bi vor und reicht fle feinem Herrn bin. Diefer trinkt daraus, verftd fie wieder forgfältig und gibt fie feinem Bedienten zurück, we feufzt, währenn er fe wieder in den Sad ſteckt.

„GSetze Dich, Champagne, ich erlaube es Dir; der Bauer

wohl lange wegbleiben, da er überbies den Wagner zum Gefährt binführen muß. Wärme Dich und fchüre das Feuer nach, denn es iR ſchaͤndlich Kalt: der Wind bläst überall herein. Wie man auf in einem jo baufälligen Haufe wohnen Tann I“

Herr Champagne läßt fich dieſes nicht wiederholen: er nimmt

einen Stuhl und nähert fi) dem Ofen, indem er ſich gegemübes son feinem Herrn nieberläßt. Er fcheint mit Entzüden dad Ber grügen, fich zu wärmen und andzuruhen, zu genießen. Meine

Rutter figt uoch immer am Bett und ich vermuthe, daß fie ein: °

geihlafen iſt. Meine Brüder fchlummern fchon lange friedlich. Ich bleibe alfo allein mit dem Herrn Grafen und feinem Diener wach, und ed macht mir Spaß, ihrer Unterrebung zuzuhören, während ih fie bequem durch ein Loch unferes Vorhangs betrachte.

„Weißt Du, Champagne, daß ich einen vorzüglichen Einfall gehabt Habe und entzückt bin, einen fo entſcheidenden Entſchluß aus- gerührt zu haben?“

„Bewiß, Her Graf; von welchem Entſchluß wollen Si⸗ ſprechen ?“

„Bi, potz Kudul, von dem Einfall, meine Tochter zu ent- ſühren und fie mit nach Paris zu nehmen. Wie wird die Frau Gräfin flaunen, wenn fie morgen frühe bei ihrem Erwachen ihre there Adolphine nicht mehr findet.“

„Das Erſtaunen wird für die gnädige Frau nicht angenehm fein: fie betet ihre Tochter an.”

„ga, Champagne, aber ich will fie zwingen, mich auch anzu⸗ Beten, denn ich bin endlich doch ihr Mann.“

„Kein Zweifel hierüber, Herr Graf.“

„Es Hat freilich nicht wenig Mühe gekoſtet, es zu werden: Niulein von Blemont wollte fih gar nicht verheirathen. D, fie V von wunderlichfien Gharakter, aber Geiſt, Geiſt bis in bie

- „Bie wollte Sie nicht, Hert Graf?“

A

„Das habe ich nicht gejagt; ſie wollte überhaupt wit ug rathen. Es war rein die Gaprice eined jungen Maͤdchens manhafte, melancholiſche Ideen.“

„Iſt die Frau Graͤſin von trauriger Gemüthsbefchaffenheit?"

„Im Gegentheil: ſie iſt ſehr heiter, ſehr lebhaft, faſt über⸗ trieben vergnügt. Seit unſerer Verheirathung iſt fie übrigens etwas ernfler geworden.“

„Da ich erſt feit einem Jahre die Ehre Habe, der Kammer:

* Diener des Herrn Grafen zu fein, Tenne ich die gnäbige Frau kaum, beun im Laufe viefer Zeit bat fie, glaube ich, Feine zehn Tage mit dem gnäbigen Herrn zugebracht.”

„Rein, Champagne, nicht fo viel, und in ben fünf Jahren, bie wir mit einander verheirathet find, waren wir hoͤchſtens zwei Monate beifammen.“

„Ste müflen einen vortrefflichen Cheſtand führen.” |

„O, ficherlich, und wenn ich der Frau Graͤftn die Freiheit Iaffe, unaufhoͤrlich zu reifen, wenn ich zugebe, daß fle anf dem Lande ift, während ich in Paris bin, oder nad) Paris zurückkehrt. wenn ich mich anf das Land begebe, fo Tann ed noch lange auf dieſe Weife dauern. Aber Du wirft begreifen, Champagne, daß ed Augenblidte gibt, wo es mir großed Bergnügen macht, meine Frau in ihrem Zimmer zu finden.“

. „Verſteht fi, Herr Graf.“

„sch weiß wohl, daß unfere Lebensweife außerordentlich vor: nehm ik. ES gibt nichts Nobleres, ala Eheleute, die ſich des Jahres nur fünf: oder ſechsmal fehen; aber man muß ſich doch zuweilen treffen, und um mit meiner Frau zuſammen zu men muß ich ihr immer nacdjreifen. Wenn ich fie dann noch kriegte aber im Gegentheil.“

„Wie? Triegt die gnäbige Bram ven Herrn Grafen d'ran ?

„Rein, Champagne, aber fie ift wie das Quedfilber : fie Eanır nicht auf einer Stelle bleilen. Zum Beifpieb: fie tk auf meinen

vB

Landgut in Burgund; ich mache mich auf ben Meg, komme an, glaube fie zu finden und angenehm zu überrafchen... Tein Gedanke: Madame iſt vor zwei Stunden auf das Schloß einer ihrer Freun⸗ binnen abgereiöt. Ich eile dorthin: fie hat es kaum wieder verlaffen, um nach Paris zu gehen. Sch begebe mich in die Hauptſtadt zurück: fie ik Abends vorher ind Bad gereidt. So geht ed an einem fort: fo oft ich fie fuche, verfehle ich fie.”

„Das muß Sie fehr ermüben, Herr Graf.”

„Sie hatte es mir bei unferer Verheirathung zum voran - gefagt. D, fie Hat eine feltene Freimüthigkeit an den Tag gelegt, und Hat mir keinen ihrer Fehler verborgen. Sie Hat mir gefagt, fe fet eitel, eigenfinnig, herrfchfüchtig, capriciss. Du wirft ein- ſehen, daß mich diefe Freimüthigkeit entzüdte.”

„Potz Kuduf, das will ich glauben, gnädiger Herr; eine fo ofenherzige Fran ift ein Schab.”

„Und wie ich Dir fagte, fie wollte nicht heirathen.“

„Aber als fie ven Herrn Grafen fah, hat fie ihren Cutſchluß zeinbert 2“

„Im Gegentheil, fie ſtraͤubte fich beharrlich. O, fie iſt eine Kau von Charakter; fie hat mir ſogar gedroht, mir...”

„Ihnen ?“

„Me... Du weißt, wie es die Bürgerslente heißen.“

„Ab, ich verſtehe, und dad Hat Ihnen keine Angft gemacht, derr Graf ?“

„Pfui, Champagne ; kann ein fo audgezeichnetes Frauenzim⸗ ner einen Fehltritt begehen ? Waren mir -vie Tugenden der Wräu: an Garoline von Blemont und die Grundfäge, worin fle erzogen torden, nicht befannt? Ihr Bater, der mein Freund und ein Mann son meiner Art war, benn es beſtand viel Mehnlichkeit zwifchen and...“ N

„Gatte er auch nur ein Auge, wie der Herr Graf I“

Ich ſpreche von dem Moralifchen und ven Grfühlon. Ihr

Niemandb ewärte, vet Du begreifft wohl, ba ich menen Hang... aber er ſchlaͤgt es immer aus; man kann ihn nur auf dem Lande beſihen. Er hat auch dad Bildniß meiner Tochter gemalt. Er if außerordentlich gefaͤllig: ich glaube, der Junge würde mein Pferd malen, wenn ich ihn datum erfuchte, denn er fagte zu mir, als ih ihm faß, daß er auch Thiere mache, wenn ed verlangt werde. Ich muß Dein Bild bei ihm beſtellen, Champagne.“

„Ach, der Herr Graf find gar zu gütig.“

„Nein, ich hänge ed dann in meinem Speifefaal gegenüber Sem armen Bubel auf, der fo gut apportirte.”

Champagne gibt Feine Antwort, aber ih fehe, daß er füh radwärts kehrt und die Klafıhe an den Mund nimmt, während ſich der Here Graf die Schenkel reicht.

„Wenn ich aber an das Erſtaunen denke, welches ich ber Frau Gräfin verurfachen werde... übrigens iſt ed ihre Schulb : ich wollte fie mit nah Parid nehmen, wo ich wegen einiger wichtigen Ber: ſenen, bie mir von Nutzen fein koͤnnen, einen Bau, ein Feſt gebe; ich babe einen feinen Takt, Champagne, und fehe in die Zukunft. Niemand ahnt fo leicht wie ich eine Abſetzung, eine Beräuderumg, eine Beförderung, eine Erhebung.“

88 if Teine Kunſt, zu merken, daß ber Herr Graf nicht zu den Benten gehört, denen man Etwas weiß machen Tann,“ ent: gegnet Champagne, die Flafıhe wieder in den Sad ſteckend, aus der er abermals einen Schlud genommen hatte.

„Deßhalb ift Die Gegenwart der Fran Gräfn anumgaͤnglich nothwendig in Barid. Sie iſt nach Savoyen gegangen, um einige Zeit auf dem Gute einer Freundin zugubringen, die fle ſehr gerne haben ſoll, von welcher ich aber. noch nie ein Wort gehört hatte. Mitten ,‚ im Binter nach Savoyen zu geben! Daran erbenne ich ben tollen Kopf ver Frau von Franconard. Einerlei, ich Taffe mich in nichts Rosen. Ich Beftelle meinen Wagen, wie reifen ab, berilen ung unterwege nicht fo fehr, weil ich’ meine armen Thiere nicht zu ſtark

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anftrengen will, und fommen bei Frau von Melval an, wo man und ficher nicht erwartete, denn haft Du das Erftaunen meiner Frau gefehen ? |

„Ja, gnäbdiger Herr: o, fie bat das Geficht ſchaͤndlich verzogen.“

„Wie! das Geſicht verzogen ?”

„Sch will fagen, daß das Erftaunen, welches Ihr Anblick in ibr bewirkte, einen ſolchen Einfluß auf ihre Nerven ausübte, daß ihre Bhyfiognomie.... denn die Frau Gräfin hat viel Phyfiognomie...“

„Außerorventlih, Champagne. Ah, wenn Du zugegen ge: weſen wäreft, als ich ihr ankündigte, ich ſei gekommen, um fie mit noch Paris zu nehmen, o, dann hätteft Du gelacht über den Zorn, welhen fie Beuchelte: fie bebte vor Wuth und flampfte mit ven Füßen ; fle ift wirklich wunderhübſch.“

„O, der Herr Graf befiken eine reizende Frau in ihr.“

„sa, Champagne, dad jagen alle meine Freunde zu mir. End: ich hat ſich meine Frau beruhigt und in außerorventlich ſanftem kone erwidert : „‚Sie künnen nach Paris zurüdfehren, wenn Sie af baben, aber ich gehe nicht mit.” —.

„Ab, das hat die gnädige Frau gefagt ?“

„3a, Champagne, aber mit unvergleichlicher Anmuth, man mute unmöglich böſe werden. Da diefed übrigens meinen Zweden It diente, fo war ich ziemlich mißvergnügt, umfonft nach Sa⸗ men gekommen zu fein, als ich in der Umgegend des Schloſſes illy, dem jungen Künftler, von dem wir eben gefprochen haben, Meguete ; er ging mit meiner Tochter fpazieren, für welche er die Hiäfte Anhänglichkeit zu empfinden ſcheint. Ich wollte mich einen

blick mit ihm unterhalten, aber er verließ mich ſchnell mit

Borten : „Ich muß Fräulein Adolphine zu ihrer Mutter zu-

ihren, Denn die Frau Gräfin liebt ihre Tochter fo innig, daß Heine Stunde ohne diefelbe zubringen kann; fie würbe mich zanfen,

ich fo Lange wegbliebe.“ Pop Kuduf, denke ih, wenn die

Sräfin feine Stunde ohne ihre Tochter fein Tann, jo wird

Yazl de Rod. . 3

30

es wohl das befte Mittel fein, wenn ich die Kleine na Paris nehme, dann wird ihr die Mutter folgen. Hm, Champagne, was haltſt Du von diefem Einfall?“

„Er ift göttlich, Herr Graf.”

„Solche kommen mir des Tages drei bis vier. Jch lieg mir zwei Tage lang nicht dad Mindefle anmerken: ih mußte einen günftigen Augenblid abwarten, und das war feine Kleinigkeit. Man hatte mich zwar in einen prächtigen Pavillon einlogirt, der aber eine Stunde von dem Zimmer meiner Frau entfernt war. Erf heute Nacht gelang es mir, indem ich mich in meinem Kabinet ver: barg, mich in das Zimmer diefer Dame einzufchleichen. Die Kleine ſchlief, ich bevedte fie eilig mit diefem Pelz und diefer Haube; Dir Hatte ich befohlen, Dich bereit zu halten, und wir reisten ab, während man mich tief eingefchlafen glaubte. Der Streich ift Ef: lich. Wir Haben Nebenwege eingefchlagen, weil ich mich nicht von der Frau Graͤſin, die mir beftimmt nachjegen wird, einholen laſſen will, ehe wir in Paris find. Das einzige Uebel if, daß wir in biefem verfluchten Schnee ſtecken geblieben find und mit der Weiter: seife warten müffen, bis der Wagen fertig ift.“

„Der ift mit Tagesanbruch wieder hergeftellt und die Frau Gräfin holt und nicht ein, weil fie glauben wird, wir haben den

geraden Weg eingefchlagen.“ „Run, es wird, Dank meinem vortrefflichen Cinfall, Alles gut gehen.”

Welches Glück, Herr Graf, daß Sie ein Kind haben.“

„Das ift richtig, Champagne, denn jept bin ich gewiß, meine Frau hinzubringen, wo ich nur will!... Schüre doch das Feuer nach, Champagne ; was machft Du denn hinter meinem Rücken 3“

„Nichts, Here Graf, ich fuche nur Neifer.“

„Da liegen ja vor Dir,“

Dur das häufige Verkoſten aus der Flaſche fingen Herm Champagne's Beine zu ſchwanken an, und feine Zunge wurde ſchwer.

al

Der Herr Graf feinerfeits gähnte einmal über das andere, und feine Augenlider flelen öfters zu.

„Ehampagne, weißt Du, daß meine Tochter fehr ſchön if?“

„Praͤchtig, Herr Graf.”

„Sie ſcheint auch eine hübſche Geftalt zu bekommen.“

„Es wird ein Staatöfranenzimmer, wenn fie Ihnen gleicht.“

„Bie, wenn fie mir gleicht? Dummkopf! Sie ift mir ja von der Seite auffallend ähnlich.”

Ich wii fagen, fie ift Beinahe ſchon fo groß wie Sie.”

„O, fo groß wie ih! Du gehft zu weit: ich bin ein Mann wie ein Fels, ich bin dauerhaft.“

„Bertig, es ift nichts mehr darin,” murmelt Champagne, der ben Heft des Alicanteweines in der Flaſche ausgetrunfen Hatte.

„Bas fagft Du, Champagne ?“

„I, Herr Graf, ich Habe etwas gefagt?"

„sh glanbe, der Schurke fchläft ein, während ich mit ihm

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„I, gnädiger Herr? Ich bin fo munter wie eine Maus.“

„Meine Tochter hat wunderfchöne Augen... .”

„Wie Berlen.”

„Und Zähne...”

„Pechſchwarz.

„Eine Naſe...“

„Sehr hübſch.“

„Mit einem Heinen Grübchen in der Mitte.“

„Rsmiſch geformt, wiegt wahr, Herr Graf?"

„Ach, Champagne, wie ſchade, daß meine Tochter kein Knabe iſt.“

„Ja, das iſt richtig, wie ſchade, daß die Flaſche ſo klein iſt.“

„Sie würde, wie Du ſagſt, fich hübſch als Knabe ausnehmen. das wäre endlich ein Frauconard, und ich muß einen haben, damit win Rame nicht ausſtirbt.“

„Ya, guädiger Herr, Sie müffen.. .“

82 Ich will mich auch ernſthaft damit befchäftigen, Champagne,

und ich werde einen Sohn befonmen, es fei denn, daß meine Fran wie gewoͤhnlich .”

„3a, guädiger Herr... forgen Sie aber für viel und alten, wie der, den ich eben getrunken habe.“

Der Herr Graf ſchloß die Augen, Herr Champagne fiotterte und fchlief neben feinen Gebieter ein. Des Horchend und Veobach⸗ tens müde, ſtreckte ich mich neben meinen Brübern aud und machte es bald den Reifenden nad.

Drittes Rapitel. Gie erwacht. Abreiſe der Fremden.

Ich weiß nicht, wie viel Uhr es war, als mich ein Klopfen an unſerer Hausthüre ploͤtzlich erweckte; zugleich hoͤrte ich den alten Herrn ausrufen:

„Hierher, Champagne! Wer iſt der Unverſchämte, der es wagt, mich zu ſtoͤren? Ich Habe vierzigtauſend Franken Renten und ven erften Koch in Paris.“

Champagne ſeinerſeits murmelt halbſchlafend, indem er ſich die Augen ausreibt:

„Was will man von mir? Wer ruft mich ? Der alte Narr, der feiner Fran nachläuft, die ihn zum Beften bat?... Ich habe Alles ausgetrunken, wie ſchade.“

Zum Glück für Champagne hört fein ſchlaftrunkener Herr dieſe Worte nit. Meine Mutter beeilte fih, aufzumachen : es war mein Vater, der dem Reifenden anfündigte, daß fein Wagen bergeftellt fei. Die Lampe, die noch brennt, verbreitet ein mattes Licht in unferer Hütte; kaum iſt mein Bater eingetreten, jo höre ich meine Mutter einen lauten Schrei ausftoßen.

Der alte Herr macht einen Sag auf feinem Stuhle; Champagne fürzt vorwärts, um fehneller aufzuftehen, aber’ bei dieſer Bewegung

nfidt fein Stuhl zurück: er verliert, da er den Dunſt des Alicante: kein noch nicht ganz audgefchlafen hat, das Gleichgewicht und Mlmf ven Schooß feines Gebieters, der ein fürchterliches Geſchrei altst, weil er glaubt, es fei eine Räuberbande in die Hütte ein: znrngen.

Gin ziemlich tiefer Ritz über dem linken Auge meines Vaters, m velchem dicke Blutstropfen herabfloßen, hatte meine Mutter zu mGchredfensruf veranlaßt und diefe Beflürzung in unferer Woh⸗ mu verbreitet.

‚D, mein Gott! Du biſt verwundet, armer Joͤrgel!“ klagt fie. #6, ich hatte Doch eine Ahnung, daß Dir irgend ein Unglüd be: m werde. Aber Du wollteft nicht auf mich hören.”

„Es iR nichts, es hat nichts zu fagen, gute Marie,“ entgegnet vn Pater, feine Wunde mit dem Nastuch bedeckend. „Als ich den Ni hinaufkletterte, um ſchneller die entgegengefegte Seite des mies zu erreichen, glitfchte mein Fuß auf dem Schnee aus: ich flel Wr und ein Stein rigte mich leicht am Kopfe.“

„Aber es fließt ja Blut heraus, es muß Dir wehe thun?“

„Rein, fage ih Dir, es hat nichts zu bedeuten. Kümmern wir Niet nicht um das.“

Bei dem Schrei meiner Mutter war ich auch von umferem ur aufgeftanden. Ich nähere mich unferem Vater: der Anblic des N feiner Bunde träufelnden Blutes ergreift mich und ih fange an Ineinen. In meinem Alter ift das verzeihlich; außerdem befaß ich ejenen Muth, der darin befteht, die Leiden Anderer ohne Rührung ümzufchen. In der Welt heißt man das Weftigfeit, in unfern harn wäre ed Egoismus gewefen.

Rihrend mich mein Bater tröftet umd meiner Mutter Fafjung Beet, erwacht der Herr Graf vollends und fieht endlich, daß er m Ghampagne auf dem Schoofe hat. Diefer war auf feinem kbieter wieder eingefchlafen, welcher, weil ex fich überfallen glaubte, Krere Minuten regungslos figen geblieben war.

3

„Wie, Schurke, Du fipeft auf meinem Schooße?“ ruft ber Graf, fi von feinem Diener befreiend, ans.

„Bad, gnädiger Herr, ich ſaß auf Ihnen? Was Einem doch im Schlafe begegnen kann! Der Alp muß mich gequält haben. Ran macht auch einen Lärm in dieſem Neft, man fanıı nicht ruhig fchlafen, man fchreit, man, weint, man verſteht fein eigenes Wort nicht.”

„Entfchuldigen Sie, daß ich Sie aufgeweckt habe,“ ſagt mein Baier, „aber ich glaubte, ed würde Ihnen ein großes Vergnügen machen, zu erfahren, daß Ihr Gefährt hergerichtet ſei.“

„Ah, ah, Ihr feines, guter Mann? DerTeufel, ſchon zurud?“

„Es find fchon mehr als fünf Stunden, daß ich fort bin. Ih

babe Zeit gebraucht, um zu dem Wagner zu gehen, ihn aufzuweden

und zu beflimmen, bei dem abſcheulichen Wetter mitzukommen. Dann

babe ich ihn zu Ihrem Gefährt geführt: ed war aber faft nichts za

machen; indeffen ift er noch draußen: er wartet one Zweifel auf Bezahlung.“ |

„Fünf Stunden? Wie doch bie Zeit vergeht, wenn man plau⸗ dert... nicht wahr, Champagne? Denn ih habe Feine Minute gefchlafen.“

„Ich auch nicht, gnaͤdiger Herr, ich hatte die Augen fo offen wie Sie.”

„Wie viel Uhr ift es?“

„Es wird bald tagen: beinahe ſechs Uhr.“

„Shampagne, geh’ und bezahle den Handwerksmann; er muf

Dir aber dafür flehen, daß ich ohne Gefahr weiter fahren kaun.“ „sa, gnäbiger Herr.”

„A, gib mir vorher die Alicante-Flaſche, ich bin ganz ka

vor Kälte und muß mich ein wenig erwärmen.“

Nachdem Herr Champagne einen Augenblid gezögert hat, fürt er endlich in der Tafche und zieht Die Klafche heraus, die er feinem Gebieter reſpeltvoll überreicht. Diefer pfropft fie auf, nimmt fie an den Mund, ruft aber bald aus:

+

35

„Bas foll das heißen, Ghampagne gu

„Was, Herr Graf?“

„Die Flaſche ift leer!“

„Slauben Sie, gnädiger Herr?”

„Wie, glauben Sie? Ich weiß es, beim Kuckuk, gewiß.“

„Sonderbar! Es war nur ein Biertheil davon getrunken, als Sie mir fie heute Abend zurückgaben.“

„Ich weiß es wohl, Schuft! Wie willſt Du mir pas erklären ?“

„Ad, jetzt weiß ich, wie ed kommt, gnädiger Herr: ald ich mich vorhin plöglich auf Sie warf, weil ich glaubte, man greife Sie an, werde ich die Flafche irgendwo angeftoßen haben und der Inhalt iſt herausgelaufen, meine Taſche iſt noch ‚gen na.”

„Wie, Schurke, Du wagſt es..

„Ste wiflen wohl, Herr Graf, daß Sie die ganze Nacht Fein Ange geichloffen haben und ich immer neben Ihnen faß: ed wäre mir fomit uumöglich gewefen, den gnädigen Herrn zu hintergehen, felbft wenn ich die Abſicht gehabt hätte.“

„Deine Bemerkung ift in der That richtig.“

Herr Champagne macht fih, entzückt, fo leicht davon gefommen zu fein, aus dem Staube. Meine Mutter wufch die Wunde meines Daters, dem ich Hut und Stock abgenommen hatte, mit frifchem Baer aus, meine Brüder fehliefen noch und unfer Gaſt fhlüpfte fat in den Dfen hinein, indem er fih an Einem fort über Kälte bellagte. Er hatte den Schaden nicht gefehen, den -fich der gute

ı Yingel angethan, während er mitten in der Nacht über unfere Berge Singeeilt war; dieſer Mann fah nur, was ihn felbft betraf; für We Mühe, die man fich feinetweg, ab, für bie, Leiden der Uns

giflichen , die Thränen des Kummers, ven Schmerz der Waiſen war fein noch übriges Auge ebenfalls mit einer dichten Binde bedeckt.

» Eine feine, äußerft fanfte Stimme erregte unfere Aufmerk⸗

Bienfeit: pas Fleine Mädchen war erwacht. Ueber die Wunde meines

® Seters hatten wir die ſchoöne Schläferin vergeflen.

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„Mama, Mama!” fagt die hübfche Kleine ; dann hebt fle den - Kopf in die Höhe und wirft erflaunte Blide um fih. Wir fehen nun ihre Augen: fle find ſchwarz, aber fo fanft, fo mild! Bei ihrem erften Ton war ich an’8 Bett geeilt und bort blieb ich und betrachtete fie.

„Mama!” xuft fie auf's Neue, aber ihre Stimme ift ſchon nicht mehr fo ruhig: der Schmerz gibt fih darin Fund. Sie ſieht nirgends ihre Mutter... ihre ſchoͤnen Augen füllen fi mit Thränen.

Meine Mutter hatte fich der Kleinen ebenfalls genähert; fie bewunderte abermald das fchöne Kind, indem fie einmal über das andere außrief:

„Guter Gott, was für ein hübſches kleines Mädchen!“

Wir lächelten fie Alle an, aber das arme Kind blidte une mit Staunen und Furt an und wiederholte:

„Ich will zur Mama!“

„Mein Herr," fagt meine Mutter zu dem Fremden, „Ihr Fräulein iſt aufgewacht und will zu ihrer Mutter.”

„Run, fo geben Sie ihr zu trinken, das beruhigt außer dem Miegen die Kinder immer.” |

Meine Mutter reicht der Kleinen ein Glas, aber dieſe ſtößt es zurücd und ruft immer nad) ihrer Mama: fie weint, fie ſchluchzt, ihre fchönen Haare hängen über ihre Augen herab, in denen fie mit ihren Eleinen Händchen reibt, indem fie an Einem fort wiederholt:

„Ich will zu meiner Mama.“

Mir waren Alle von dem Schmerze des Fleinen Maͤdchens ge: rührt, der alte Herr allein ſchien nicht darauf zu achten und mur⸗ melte, fih an Einem fort die Beine reibend:

„Deine armen Pferde wird es recht geftoren haben. Ich wollte, ich wäre fchon wieder in Paris. Ach wette, Cäſar hat Heimweh nach feinem Herrn; was wird er für einen Kreisfprung machen, wenn er mich wiederfieht. Diefes Thier ift fehr gefheit: ich muß ihn Domino fpielen Ichren wie den famofen Munito.“

37 „Rein Herr,” unterbricht ihn meine Mutter, „Shure Kleine weint immer, dad arme Kind iſt untröftlich.“

„Saget ihr, daß ich ihr die Ruthe geben werde.”

„Ad, mein Herr, ein fo kleines Kind, ein fo hübſches Mädchen ſchlagen? Ad, das fagen Sie nur im Scherze. Wir fchlagen bie unferigen nicht einmal und fie find weit nicht fo zart wie diefer Engel.”

Der alte Herr wendet fich mit einer Grimaſſe ab und fagt, indem er fein kleines graues Auge auf meine Mutter heftet:

„Bill mich die Savoyarbin vielleicht unterrichten, wie ich meine LTechter erziehen foll? Bringt mir Fräulein Adolphine her.“

Meine Mutter nimmt die Kleine auf den Arm und ſchickt fi an, fie ihrem Vater auf den Schooß zu fegen, aber diefer winkt ihr, dad Kind vor ihn auf den Boden zu flellen, und die Kleine macht, nachdem fie den Herrn Grafen betrachtet hat, ein Schnippchen, welches ihrem Geſichtchen einen noch Tieblicheren Ausdruck verleiht.

„Sräulein Tochter,“ fagt der alte Herr ſtreng zu ihr, indem a eine Brife aus einer koftbaren goldenen Dofe nimmt, „Dein Be: tragen iſt fehr unpaſſend, um mich nicht fchärfer auszudrücken. Du rillſt zur Frau Gräfin? Das ift ganz recht, weil Du diefe aber aicht fiehft, fängft Du zu weinen an. Gin fo rüdfichtslofes Be⸗ nehmen geflatte ich nicht. Du biſt bei mir und ich habe Dir fchon gefagt, daß ich Dein Vater fei... außerdem mußt Du mich kennen. Later oder Mutter ift durchaus daſſelbe, es fei denn, daß Di he Eine verdirbt und verzieht, während Dich der Andere abftraft, zen Du nicht artig bift.“

Statt aller Antwort auf diefe Strafpredigt, von der das Feine Kirchen nicht ein Wort verftanden bat, flampft fie heftig mit dem Auf auf den Boden und wiederholt: „Ich will zur Mama!“

„Schaut einmal, welcher Charakter!“ ruft der Herr Graf aus; „fie gibt nicht nach, fie wird einmal eigenfinnig. Es ift aber nicht zum Verwundern: fle ift eine Franconard, und am Eigenfinn find ir alle zu erfennen.”

38

Ur

In diefem Augenblide fommt Champagne zurüd. „Es ift Tag, Herr Graf,“ fagt er eintretend; „wann wollen Sie ſich wieder auf den Weg machen?”

„Augenblicklich! Der Wagen ift alfo vollftändig reparirt ?“ „Sa, gnädiger Herr, es ift nichts mehr zu befürchten.“ „Vorwäarts! gib’ mir meinen Mantel, daß ich mich recht ein:

mache.“

Während der Diener feinen Herrn fo feft einwidelt wie eine Branntweinflafche, nähere ich mich dem Tleinen Mädchen ; fle weint nicht mehr, fle ſteht unbeweglich an dem Ofen, aber ihre ſchönen Augen find fo traurig, ſchwere Seufzer entringen fich ihrer Bruſt; man flieht, daß fie mit Mühe ihre Thränen zurüdhält.

Sch umfchlinge fle mit meinen Armen und hebe fie in die Höhe.

„Was machſt Du denn, Andreas?" fragt mein Bater.

„Ich will fie tragen, Vater. O, ich habe fchon fo viel Kraft! Ihr fein verwundet, Ihr Tönntet wieber fallen.”

Sch fchickte mich an, die Kleine bis zum Gefährt zu tragen (denn ich war in der That fchon flarf für mein Alter) ; aber Her Ehampagne hält mich zurüd und bemächtigt fi des Kindes. O! wenn ich hätte Widerſtand leiſten Finnen, welches Vergnügen würde ed mir gemacht haben, dieſen Mann zu ſchlagen, welcher mich bes Glückes beraubte, das Eleine Fräulein zu tragen, das bereits feine fehneeweißen Hände auf meinen Kopf gelegt und mit feinen Fingerchen meine wollene Mütze weggefchleudert hatte, da es biefelbe wahr: ſcheinlich für eine häßliche Bedeckung hielt.

Die Reifenden find im Begriff, ſich zu entfernen ; Herr Cham; pagne hat die hübfche Schläferin auf dem Arme, die mir zulädhelt, obwohl man ihr anfleht, daß ſie betrübt if ; aber es gibt ein Alter, wo Kummer und Freude fehnell auf einander folgen; die Freude firahlt unter Tränen hervor, welche eben fo fchnell trocknen, als fie gefloffen find. Man flieht bereits nichts mehr ald die Nafen- fpige des Herrn Grafen, der fih in feinen Mantel fo vorfichtig

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| eupadt, als ob er den Montblanc zu Fuß Hätte beſteigen wollen. ı Rein Bater fleht immer in einer Ede der Stube, zu flolz, eine Belohnung zu verlangen, die er übrigens reblich verbient hat. Her Ghampagne bleibt jedoch im Borbeigehen vor ihm flehen und fagt: O! Ihr feid verwundet ?"

„Ha,“ erwidert meine Mutter, „bei dem Laufen heute Nacht für Ihren Herrn hat er ſich fo zugerichtet.“

„Wie, ex ift verwundet!” ruft der Herr Graf aus, deffen darch ben Mantel erſtickte Stimme in biefem Augenblide dem Tone eined Tuthorns gleicht. Er fteht vor meinem Vater fill, entfchließt fih, zwar mit fichtlichem Bedauern, eine feiner Hände unter dem Rantel zu bewegen und fucht Iange in feiner Tafche, indem er vor fih Bin murmelt:

„Ah, der Teufel! in der That, ich hätte e8 beinahe vergeffen, ih muß ihm etwas geben. Nicht wahr, Champagne ?“

„Er verdient es fehr, Herr Graf.”

„Sa, ja, allerdings! Es if übrigens unangenehm, auf ber Reife immer die Hand in dem Beutel haben zu müflen ; es nimmt gar Fein Eude! Hier nehmet, mein Lieber, Ihr follt Euch daran erinnern, daß Ihr den Grafen Neftor von Franconard in Curer Hütte beherbergt habt.“

Mit diefen Worten drückt der Graf meinem Bater einen kleinen Thaler in die Hand und verläßt, ſich auf's Neue in feinen Mantel hüllenn, in Begleitung feines Dienerd, der das Heine Mädchen af dem Arme hat, unfere Wohnung. Sie haben bald bie ihrer harrende Chaiſe erreicht und entfernen ſich aus unferer Gegend.

„Einen Heinen Thaler!” fagt meine Mutter, als die Reifenven fort ſind; „es iſt ſchon der Mühe werth, um einer ſolchen Be: lohnung willen den Schlaf zu brechen und fein Leben auszuſetzen.“

„Marie,“ entgegnet mein Bater, „man muß immer gefällig fein, ob man bafür belohnt wird oder nicht. IR man ed nicht jedenfalls durch daB Vergnügen, feine Pflicht geihan zu haben ?

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Allerdings Hätte fich dieſer Fremde freigebiger zeigen Fönnen; um fo fehlimmer für ihn, wenn er ungern hergibt: er beraubt fi dadurch eines Genuſſes. Unfere Hütte ift für Jedermann offen, bie Reichen finden Eintritt wie die Unglüdlichen.” „Aber diefe Wunde? Seinetwegen haft Du fie erhalten.” „Das hat nichts zu bedeuten! Glaub’ mir, Deine Pflege und bie Lieblofungen unferer Kinder werben fie fchneller heilen ald alles Bold diefed Reifenden.“ | Meine Mutter fagt nichts mehr zu ihrem Manne, aber beim Ab: und Zugehen Höre ich fie noch murmeln: „Einen Fleinen Thaler, und es hätte ihm beinahe das Leben gekoſtet!“ | Der Herr Graf Hatte in der That für einen Edelmann nicht nobel gehandelt ; es gibt aber viele Bürgerliche, die eine edle Seele haben, und dad gleicht die. Sache wieder aus.

viertes Aapitel. Der Tod eines guten Baterd. Nothwendige Trennung.

Seit mehr ald einer Stunde waren die Fremden abgereiät. Mein Vater faß am Ofen und die Suppe, welde ihm die Ankunft des Herrn Grafen nicht geftattet Hatte, am Vorabend zu efjen ; meine Mutter befchäftigte fich mit ihrer Haushaltung ; meine Brüder flanden bereitö vor der Hausthüre und verzehrten ihr Stud ſchwarzes Brod ; ich war ihnen nicht gefolgt, fondern blieb in der Stube und fuchte das hübſche Heine Mädchen noch, und war be trübt, es nicht zu finden.

Indem ich meine Blicke nach dem Bette hinwende, auf dem ſie ausgeruht hatte, ſah ich etwas glaͤnzen; ich eile darauf zu und hebe neben ber Bettſtatt das Mebaillon auf, welches wir geſtern Naht bewundert Hatten. Sch floße einen Freubenfchrei aus.

„Was Haft Du, Andreas ?“ fragt mich mein Bater.

4

„O, id habe ein Geſchmeide gefunden! Schaut, ſchaut!“

Ich gehe zu ihm Bin und zeige ihm das Bildniß.

„Das ift das, welches das Kleine Mädchen am Halfe trug,“ hat meine Mutter; „ed wird ſich von der Kette abgelöst haben. Eich’ doch, Joͤrgel, was für ein hübfches Frauenzimmer! DO, das ij die Mutter des Fleinen Engels, der auf unferem Bette ſchlief.“

„Sa, ſehr ſchoͤn; aber der Kuduf, wie greifen wir es an, uw dad Bild dem Herrn zurüdzugeben? Potz Teufel, wenn man dnur früher gejehen Hätte! Marie, glaubft Du, man Zönne den Bagen noch einholen ?“

„Rein, gewiß nicht: fie find fchon mehr als zwei Stunden waus. Wiſſen wir überdies, wo fie hingehen ? Du willft am Ende zu wieder fortlaufen und Dich des alten, häßlichen Herrn wegen rwunben, ber Einem nicht einmal dafür dankt?”

„Ad, Marie, ift der Gigennuß erlaubt? Es Handelt fich kram, ehrlich zu fein und feine Pflicht zu thun.“

„Bo Tauſend! ich glaube, wir find ehrlich; obwohl arm, ind wir, Bott fei Dank, doch gefchägt in der Gegend. Aber Du khft, Joͤrgel, das Portrait ift nicht mit £oftbaren Steinen einge: kt; o! wenn ed mit Diamanten oder Juwelen befegt wäre, fo vürbe ich felbft, und wenn ich zehn Stunden machen müßte, ber Chaiſe nachlaufen, um ven etwaigen Verdacht, als hätten wir es bfichtlich behalten, von uns abzuwaͤlzen; es ift jeboch nur mit inem einfachen Goldreif umgeben ; wir find unfchuldig, daß es die - Kleine verloren hat. Außerdem wird der Herr, wenn er bemerkt, af es feiner Tochter fehlt, gleich vermuthen, fie werde es bei und zelaſſen Haben und einen feiner Diener ſchicken, um es zu Holen. kei überzeugt, daß es der Fremde, wenn ihm viel daran liegt, iger zurückverlangen wird. Unterbeffen wollen wir das Bild, ba sr durch Zufall in feinen Befig gefommen find, behalten. Mach’ du deßhalb Feine Sorgen !“

„Wohlan, ich glaube, Du haft Recht, Marie; jedenfalls ift

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4

das Gefährt ſchon zu weit entfernt. Man wird das Medaillen übrigend allem Bermuthen nach bald zurüd Begehren.“

Mein Bater täufchte fih in feinen Vermuthungen; ein Tag verfirih um den andern, und Niemand holte das Bildniß.

Die Geſundheit meines Vaters beſſerte ſich indeß nicht, fie nahm im Gegentheil täglich mehr ab. Seine Kopfwunde war zwar vernarbt, aber er fühlte im ganzen Leibe Schmerzen, die er ſich vergebens anſtrengte, vor und zu verbergen. Unſere Armuth ver: mehrte fein Leiden noch, da fie ernftliche Sorgen für die Zukunft in ihm erwedte; meine Mutter bemühte ſich umfonft, ihn zu be ruhigen. Er war ſchon lange nicht mehr im Stande, zu arbeiten. Als Führer der Reifenden und Neugierigen, die häufig unfere Berge und unfere rauhe Gegend betvunberten, hatte mein Bater biöher den Unterhalt für feine Familie verdient ; dieſe Hülfsquelle ver: flegte nun.

Jeden Tag bot ich mich an, die Stelle meines Vaters zu ver- treten ; ich brannte vor Begierde, meinen Eltern nüglich zu fein und ihr Elend zu erleichtern; allein fie hielten mich noch für zu jung, um bie Gletfcher zu erfleigen und mein Leben auf ben an Abgründen hinführenden Wegen auszuſetzen; fie zitterten für meine Tage. Wenn ich aus dem Dorfe fpät nach Haufe Fam, fo waren fie in fürchterlicher Unruhe; fie glaubten mich verwundet und über: fhütteten mich, nachdem fie mich gezankt hatten, in ihrer Freude mit Zärtlichkeiten. Die Armen geben oft den Reichen ein Beifpiel, wie man feine Kinder lieben fol.

Eines Tages übrigens, als ich allein aus dem Dorfe zuräd: kehre, begegne ich einem Reiſenden, der mich erfucht, ihm einen Meg zu zeigen, ber auf eine gewiffe Höhe führt, von ber aus man eine weite Fernficht hat. Der Weg war zwar fchwierig und führte an Abgründen hin, aber ich hatte ihn fchon mehrmals mit . Wiffen meiner Eltern gemacht. Ich biete mich dem Reiſenden als Führer an: er willigt ein; wir Klettern bie Zelfen hinan. Nachdem

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ver Fremde einige Zeit das prächtige Gemälde, welches fich feinen Bliden darbietet, bewundert hat, fteigt er wieder herunter und ſetzt feine Reife fort; ehe er ſich aber von mir trennt, brüdt er mir eine Heine Silbermünze in die Hand mit den Worten:

„Hier, mein Junge, nimm’ das für Deine Bemühung.”

Nie Hatte ich ein fo großed Vergnügen empfunden. Ich eile, fiege unferer Wohnung zu: man flieht keine Spur meiner Schritte auf dem Schnee, denn ich berühre kaum den Boden; ich komme endlich außer Athem zu Haufe an und gebe meiner Mutter bie von dem Neifenden erhaltene Münze.

„Woher haft Du das?" fragt mic mein Vater.

Ih erzähle, was ich geiban habe ; ohne Zweifel muß ich ſehr Kol; und ſelbſtzufrieden ausgejehen haben, denn mein Vater lächelte, obgleich er mich anfangs fehelten wollte.

Beter und Jakob reißen große Augen auf und fagen, fie wollen ah Geld verdienen, aber Jakob ift noch fo Hein und Peter fo ängflich.

Leider bieten fich ſolche Selegenheiten felten dar: man wacht über mich, daß ich mich nicht entferne. Wir bleiben bei meinem Vater. Seine Schmerzen fcheinen zuzunehmen ; nur in der Mitte kiner Kinder fühlt er fi etwas beffer. Wir bringen bie langen Binterabende an feiner Seite zu ... ach! er hat nicht mehr bie Kraft, und auf den Schooß zu nehmen. Meine Mutter arbeitet waufbörlich. „Mein Spinnrad reicht hin, uns zu ernähren,“ fagt R. Die arme Mutter! fie verfchweigt, daß fie bei Nacht weint, während mein Bater fchlummert ; ich allein habe es bemerkt, da ich auch oft nicht fchlafen Tann.

Um unfern Kummer zu -vergefien, bitten wir Häufig unſern Vater, und das Bild der fehönen Dame zu zeigen. Wir fehen ei gerne an; wich erinnert ed immer an das hübfche Heine Mädchen, dad in umferer Hütte gefchlafen hat.

„Es iſt doch fonderbar, daß man das Bildniß nicht hat holen

Ak

laſſen,“ fagt mein Bater ; „der Mann biefer Game muß fie doch lieb haben.“

„Der Mann!” verfegt meine Mutter; „ach! wenn es ver haͤß⸗ liche, einäugige mit dem Fleinen Thaler ift, wie foll der fie lieb haben! Als ich von feiner Tochter mit ihm ſprach, dachte er nur an einen Hund, auf den er fich feiner Sprünge wegen freute. Der Feine Engel weinte und verlangte nad feiner Mutter, dad war fehr natürlich ; ftatt fie nun zu küſſen, zu tröften, wollte er fie fchlagen ; endlich hat er ihr eine ewig lange, verfchrobene Predigt gehalten, von ber die arme Kleine nichts verftand. Geh’, ver Menſch kann Niemand wahrhaft lieben. Hätte er das Bild feines Hundes da gelaffen, fo wette ich, würde er alle Champagne ausgeſendet haben, um es wieher berbeizufchaffen.“

Einige Freunde unferes Vaters, die in unfere Hütte kamen, hatten das Bild, wenn wir betrachteten, gefehen und erfahren, durch welchen Umftand es in unfere Hände gekommen war. Ein alter Staliener, der fich feit einigen Tagen in Savoyen befand, machte meinem Vater eined Tages den Vorſchlag, das Borkait in ber nächften Stabt für ihn zu verkaufen, indem er ihn ver: fücherte, man koͤnne wenigſtens dreißig Franken für die goldene Ein faffung befommen. Dreißig Franken, das war für und eine be: träcdhtlihe Summe ; aber weit entfernt, hiermit einverflanden zu fein, wied mein Bater den Vorſchlag mit Verachtung zurüd.

„Das Portrait gehört nicht und,” fagte er; „der Eigenthümer defjelben Tann früher oder fpäter kommen und ed zurücdverlangen, und Sie machen mir den Vorſchlag, es zu verkaufen! Nein, Sörgel flürbe lieber vor Elend, ehe er das Gut eined Anden berührte.“

Ich fland neben meinem Bater, ald er diefe Worte beenbigke. Er nimmt mich bei der Hand, zieht mich zu fich hin und fagt zu mir:

„Mein lieber Andreas, vergiß nie, was Du eben gehört hal; jpäter wirft Du vielleicht einft reifen, dann gehft Du nach Paris.

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Ber weiß, ob Du Dir nicht dort, glüdlicher ala ich, ein Ders mögen erwerben Tannft, aber nur jeder Zeit auf eine rechtliche Reife, deren Du Dich nicht zu fchämen brauchft. In den großen Stühlen nimmt man ed zwar mit der Nechtfchaffenheit nicht fo genau wie in unfern Bergen, behalte aber die Grundfäge Deines Vıterd und die in Deiner Heimath hierüber geltende Anflcht Bei: Re iſt bie richtige , mein Junge. Wer wahrhaft redlich iſt, Tann X mit aufrechtem Haupte überall fehen laſſen; dem Himmel fei Tanf, der, welcher mir geratben hat, diefes Geſchmeide zu ver⸗ Inf, iſt nicht in unſerer Gegend geboren.”

„Ih will Euch folgen, Vater,“ erwiderte ih, ihn. Füffend. ‚Und wenn ich nach Parid gehe, nehme ich das Portrait mit mir, Yan ich twerbe ohne Zweifel den Herrn, welcher bei uns war, zıeder erfennen. Sch erkenne ihn ficher, er ift fo häßlich; ich er- !mne auch das Tleine Mäbchen; es ift fo hübſch; dann gebe ich ''nem dad Geſchmeide zurüd.”

„Benn Du nach Paris gehfl, Andreas, fo vergiß Deine Sutter nicht, die Du in ihrer Hütte zurüdgelaffen haft.“

„D nein, mein Vater ; ich ſchicke ihr all’ mein erfpartes Geld ‚Te Euch auch.“

„Bir 2”

Mein Bater laͤchelt wehmüthig: er fühlt wohl, daß er nicht uhr fange bei uns weilen wird ; aber ex thut fein Möglichftes, md dies zu verbergen. Die Heiterkeit ift aus unferer Hütte ges ben, wo fie früher beftändig ihren Sig hatte. Der Anblick unferes saufen Baters raubt und fogar die Luft, und unfern Spielen bins sachen: wir klettern nicht mehr auf ven Berg hinauf, wir fchleifen «ht mehr, wir machen feine Schneeballen mehr; wir bleiben immer n im, denn wir fehen, daß ihm dieſes Freude macht. Wir fegen 28 ſtill zu feinen Füßen nieder. Sp ruhen wenigſtens feine Augen, can er ein Bischen einfchlummert, auf feinen Kindern, und fein äer Blick bei feinem Erwachen fällt auf und. Aber ah! fon

vaunl be Red. n. 4

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Lange genießt ex jene Augenblicke der Ruhe, während welcher wir, zu feinen Füßen fitend, um ihn nicht zu erweden, das tieffle Schweigen beobachteten, nicht mehr. Kaum Hat er noch die Kraft, aufzuftehen und feinen großen Stuhl zu erreichen.

„Wie ift e8 Dir?" fragt meine Mutter oft. .

„Gut... gut,“ antwortet er immer noch lächelnd. Aber dieſes Lächeln beruhigt fie nicht mehr, während ich und meine Brüber, da wir den Zuftand meines Vaters nicht begriffen, ihn jeden Morgen bald hergeftellt hofften.

Eines Tages weinte meine Mutter bei ihrem Spinntad; unfer Bater hatte ſchon lange nicht mehr mit und geſprochen. Bisplid ruft er uns, breitet feine Arme gegen und aus und umfchließt und innig; ich Höre ihn von meiner Mutter, bie herbeigeeilt war, Ab: ſchied nehmen, er nennt und feine lieben Kinder, dann ſchließt er die Augen und flößt einen tiefen Seufzer aus.

Meine Mutter finkt bitterlich weinend auf einen Stuhl nieder; fie Kann ihr Schluchzen nicht mehr zurüchalten. „Still,“ fagen wir, meine Brüder und ih, zu ihr; „mache keinen Lärm: ber Bater ift eingefchlafen, Du weckſt ihn auf.” Damit haben wit bereits unfern gewöhnlichen Pla eingenommen: une zu feinen Füßen niebergefegt. Wir ſchweigen mäuschenftill, aber unfere Mutter weint an Einem fort. Endlich ruft fie aus:

„Ach, meine Kinder, euer Vater ift geftorben! ihr habt ihn verloren. Mein guter Joͤrgel ift tobt!“

Todt! ... Diefes Wort ergreift und, wir Fönnen es aber noch nicht recht verſtehen. „Todt!“ wiederholen wir, „das heißt fo viel, als er wird nicht mehr erwachen?“ Wir können es nicht glauben und ftehen leife auf, um unfern Vater zu betrachten. Er fheint zu fchlafen und feine fo gutmüthigen, fo fanften Züge find ganz unverändert. Jakoͤbchen ruft ihm.

„Nein, meine Kinder, er hört euch nicht mehr,“ fagt meine Mutter. Sie nähert fi uns und heißt und mit ihr vor unferem

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Sater nisberfnieen. „Bitte den lieben Gott,“ fagt fie, „bamit euer Later immer vom Himmel herab über euch wache.“

Bir beiten Iange, und je mehr Zeit vergeht, deſto lebhafter wird unfer Schmerz : denn unfer Bater erwacht nicht und wir fangen an zu begreifen, was ber Top ift.

keute and dem Dorfe treten in unfere Hütte ; fie fuchen unfere Rutter zu tröften ; aber fie laffen fie in ihrer Wohnung ; denn bei und licht man die, die man liebt, nicht, ſobald fie aufgehört haben zu leben, und fürchtet fi auch nicht, an einem Orte zu bleiben, der ung an fie erinnert.

Welch' trauriger Tag verftreicht! Meine Mutter weint immer; fe gibt denen , die fie tröften wollen, feine Antwort: fie ſcheint Re nicht zu hören. Ich und meine Brüder fagen nichts zu ihr; aber wir ſezen uns dicht neben fie, wir umfchlingen fle mit unfern men, legen unfern Ropf auf ihre Bruſt, und dann weint fle minder heftig. |

Tags darauf tragen Männer meinen Bater fort; man winkt wir und meinen Brüdern, ihm zu folgen, während meine Mutter fh ihrem Schmerz hingibt. Wir begleiteten bie Leiche nicht allein: fofl alle Männer bed Dorfes gingen mit hinter uns drein. Man !äritt ganz Iangfam einher, fprach beinahe nichts, und Alles ſah haurig aus. Ich hörte bloß bisweilen fagen: „Er war fo fanft, rt hatte feinen Fehler, der arme Joͤrgel!“

Niemand fagte: Er war ein rechtfchaffener Mann ! beun in uuferen Bergen findet man das bloß natürlich.

Ran pflanzt ein Kreuz auf dad Grab meines Baterd und !breibt feinen Namen und fein Alter barauf; man hält feiner Aſche feine Leichenrede, aber Alles vergießt Thränen und ich Habe md feither überzeugt, daß dieſes mehr werth ift ald eine Predigt.

Meine arme Mutter! wie fle weint, als fie und wieder er⸗ Nidt, wie fie und -Füßt, währenn fie ausruft: „Ihr fein mein anziger Troſt!“ Wir theilen ihren Schmerz, und hundertmal des

| Tages fuchen unfere Blicke unfern Bater noch auf ber Stelle, ter er gewöhnlich faß.

Aber die Zeit Iindert den Kummer ber Kinder bald. Rad Berfluß einiger Wochen geben wir und aufs Neue unfern Spielen bin. Meine Mutter allein ift immer noch tranrig, obgleich fie nicht mehr fo viel weint. Diefe gute Mutter arbeitet unabläffig ; kaum genießt fie einige Stunden der Ruhe. Um und zu ernähren, quäll fle fih fo ab. Ich höre oft die Bewohner des Dorfes zu ihr fagen: „Ihr müßt Eure beiden Aelteften nach Paris ſchicken; fie fint groß genug, biefe Reife zu machen. Sie machen ed dann wie bie Andern ; fie verdienen Geld und ſchicken es Eu. Später Fönnen fie fa wieder zurückkommen. Glaubt und, Mutter Iörgel, folgt unferem Rathe; Ihr konnt die drei Jungen nicht ernähren, unt wenn Ihr Euch Frank fehaffet, fo reicht es nicht Hin.“

„3a... ja,” antwortet meine Mutter, „ich weiß wohl, daß ed fein muß, aber mich von meinen Kindern zu trennen... dazu Habe ich den Muth nicht!“

„Ihr köonnt ja den Fleinen Jakob bei Euch behalten.“

„Aber dann fehe ich Andreas und Peter nicht mehr.“

Dabei blickt meine Mutter und feufzend an und arbeitet noch eifriger. Aber ich fah ein, daß unfere Nachbarn recht hatten, denn ed that mir wehe, daß fie fi fo abquälen mußte, ohne baß id: ihr oder meine Brüder hätten helfen können. Bisweilen diente ich einem Reifenden als Führer, aber dad kam fo felten vor! „Laffet Peter und mich in die große Stabt gehen,“ fagte il ofl. „Dort werden wir viel Gelb für Euch verdienen.“

„Du wilft mich alfo verlaffen, Andreas.”

„Um Euch eine beffere Zukunft zu bereiten.”

Meine Mutter Eüßt uns, aber fie zögert immer. Die Zeit verftreicht indefien; es find fchon fechs Monate feit dem Tobe meines guten Vaters verfloffen. Ich fehe, daß fi; meine Mutter Alles entzieht, um uns zu erhalten, umb ich bin entfchloffen, mich

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sah Paris aufzumachen. Ich bin einige Monate über acht Jahre alt, fräftig und Habe Muth, außerdem den fehnlichen Munich, zu arbeiten und mein Brod zu verdienen , der unfern phyftichen Kräften za Hülfe ommt und vermöge deſſen der Schwächfte mehr Teiftet als ein Geiger, Träger, den die Natur oft unnüger Weife begünftigt hat.

Beter ift beinahe fieben Jahre alt. Ich rede insgeheim von tem Parid mit ihm, wohin wir und begeben müfjen. Es drängt ihn nicht fo fehr wie mich, in die Fremde; indefjen will er unferer Rutter auch an die Hand gehen; nur vor dem Gedanken ber Reife dat er Angſt. Peter fcheint nicht fehr unternehmend zu werben ;- et lebt für den Augenblid und denkt nicht au den morgigen Tag. Gr verfpricht mir jedoch, unter ber Bedingung, nicht bei Nacht zu reifen, fich mit mir auf den Weg zu machen.

Einer unferer Nachbarn hat Petern und mir ein Fleines eifernes Berheng zum Raminfegen gefchentt ; ich übe mich den ganzen Tag tatin ein, indem ich unfern Schornftein hinaufklettere und oft Stunden lang auf den Dächern fige. Aber es koſtet mich nicht wenig Mühe, Peter in den Kamin hinaufzubringen; ih muß ihn tinaufuöthigen oder über feine Aengftlichfeit fpotten. Das letztere Rittel erreicht oft den Zwed: die Kinder find faft fo ehrgeizig als u Erwachſenen.

Stolz darauf, ein Kraßeifen zu beſitzen, kratze ich an Allem, das ich fehe; ich Frage unfere Wände, unfere Möbeln, unjern Boden ab; ich würde, um mein Talent zu beweifen, meine und meiner Brüder Beinkleiver abgefragt haben, wenn es meine Mutter jsgegeben hätte. |

Eine beträchtliche Anzahl Kinder aus unfern Bergen find im Legriff, nach Paris zu gehen. „Laſſet und auch mit,“ ſage ich iu meiner Mutter. Sie ſchwankt, fie kann fich nicht entfchließen. der Tag der Abreife kommt; fie behält und in ihrer Hütte. Die Tdfigen Savoyarbenfinder haben fih ohne und auf den Weg nad Srankreich gemacht.

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Am folgenden Tage fieht meine Mutter ein, daß fle Unrecht gehabt hat, uns dieſe Gelegenheit nicht benüben zu Iaffen. Man if im Monat September ; das Wetter ift wunderſchoͤn und Allee ſcheint Einen zum Reifen einzuladen.

„Wir Können fie leicht einholen,“ fage ich zu meiner Mutter: „fie find noch nicht weit entfernt. Wir erkundigen und nad dem Wege, ven fe eingefchlagen haben, und morgen find wir bei ihnen.“

„Run, fo geht, meine Kinder, weil ich mic; denn durchaus von euch trennen muß,“ erwiberte fie, in Thraͤnen zerfließent : „geht, aber kehrt eines Tages in eure Heimath zurück. Vergeſſet eure Mutter nicht, die alle Morgen für euer Glück zum Himine beten wird.“

Da meine Mutter ſich endlich entfchloffen hatte, war unfer Bündel bald gemacht. Sie packt uns unfere Kleider, auf einig Tage Brod und ein Paar Baben Geld zufammen. Peter iſt gan beftürzt, er hatte nicht geglaubt, ſobald abreifen zu müffen; allei wir müſſen und beeilen, damit wir die Borangegangenen noch ei holen Finnen. Ich fuche ihm Muth einzuflößen. Unfere Borberei tungen find getroffen. Meine Mutter gibt mir das Bildniß, welche man bei und vergefien bat; es iſt an ein Band befeftigt, welche fie mir um den Hals hängt. „Hier,“ fagt fle zu mir, „Du, dreas, Haft das Portrait zuerft gefunden; Du bift obne Zweife auch berufen, es dem Eigenthümer zurüdzuftelen. Aber täuſch Di nicht in der Perſon!“

„O, fürchtet Nichts, ich erfenne ven häßlichen Herrn Beftim wieder.”

„DBerbirg diefes Gefchmeide immer forgfältig; man konnte D ed ftehlen, mein Kind, und das thäte mir leid, denn es iſt m immer, als ob Dir diefes Medaillon GTüd bringen, Dein Woh ergehen beförbern, kurz, "Dir von Nutzen fein könnte 1“

„O, ich will gewiß darauf Acht geben, Mutter, unb nid ſpielen.“

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„Wenn ber Herr in Paris freigebiger if, belohnt er Dich vielleicht, weil Du dieſes Geſchmeide aufbewahrt haft. Aber fordere nichts, mein Sohn, und erinnere Dich, daß man die Rechtfchaffen- beit nicht bezahlen muß.“

Ich Habe das Portrait vorfihtig in meine Jade geſteckt; wir haben unfer Bündel auf dem Rüden, unfere Mutter begleitet ung mit Jakob zu dem Berge, den wir hinunter müffen, um unfern Beg anzutreten. Dort drüdt fie uns zärtlich and Herz.

„Andreas,“ fagt fie zu mir, „Du bift der Aeltefle, Du sit geſcheiter als Peter, wache über ihn, mein Junge, tröfte ihn, Hilf im, wenn es ihm herb geht. Verlaßt euch nicht, meine Kinder, fit befonders immer tugendhaft und rechtlich und erinnert euch ter Lehten eures Vaters.“

Wir verſprachen unſerer Mutter, ihren Rath nicht zu ver⸗ geſen und weder unehrlich noch faul zu ſein. Dann, nachdem wir ke uud unſern kleinen Bruder noch einmal geküßt haben, reißen wir und aus ihren Armen.

Wie peinlich find die erften Schritte, die und von Denen ent- emen, die wir lieben! Bis hierher hatte ich Muth gehabt; aber mden ih den Weg antrete, fühle ich, daß er mich verläßt, und id bin nahe daran, wieder in die Arme meiner Mutter zurückzukehren.

IH zwinge mich, meine Thränen zu unterbrüden, während Beter die feinen fließen läßt. Wir machen feine ſechs Schritte, ohne und umzudrehen, um meine Mutter und meinen Bruder noch ein: al zu fehen und ihnen ein Lebewohl zuzuwinken; man glaubt immer et ſei das letzte, aber man verzichtet nicht eher auf dad Zuruͤckblicken, als bis man die, welche man liebt, nicht mehr fehen kann.

Wir find unten am Berge angefommen. Schon verliert fi zas Dach unferer Hütte in der Ferne. Jakob, Marie, ihr breitet noch die Arme nad und aus! Aber es ift vorbei, wir koͤnnen eure Vſchiedswinke nicht mehr unterfcheiden. Ach, jetzt kann ich meinen ibränen den Lauf laffen ; meine Mutter fieht ſie nicht mehr.

_ 89. Fünfte Rapitel.

Die lleinen Savoyarden. Schreden und Freude.

Peter und ich laufen ſchon feit einer Stunde und haben noch fein Wort miteinander gewechfelt. Ich höre ihn nicht mehr weinen; aber er ftößt von Zeit zu Zeit einen Seufzer aus, den er mil den Worten endigt: „Jakob ift glüdlich, er darf daheim bleiben!“

Ich Habe auch aufgehört zu weinen und fange an mich um zufehen ; überall Berge und eine Landſchaft, wie fie unſere Hätte umgibt, und doch fcheint mir Alles ſchon ganz anders; es ifl mir, wie wenn ich fchon weit, weit von meiner Heimath entfernt wäre. Ich exblide ein Dorf; dort wollen wir fragen, ob man unfen Landsleute nicht gefehen hat; außerdem erinnere ich mich, wie bie erfte Stgbt heißt, in die wir und begeben müſſen; zuerſt nach Pont⸗de⸗Beauvoiſin und dann nach Lyon. O, ich habe ein guted Gedaͤchtniß, ich finde den Weg fchon.

„Ich bin müde, Andreas," fagt Peter, ſtillſtehend.

„Wir wollen und dort an den Weg feßen,“ erwidere ich, ihn zärtlich anblidend, denn ich erinnere mich der letzten Worte meiner Mutter; fie hat mir befohlen, über meinen Bruder zu wachen, ihn zu beſchützen und nicht zu verlaffen. Ich Bin flolz auf dad Be: trauen, welches fie in mich gefegt und die Weberlegenheit, die fie mir indgeheim über ihn zuerkannt hat.

Bir laffen uns an dem Fuße eines Hügels nieder.

„Sehen wir noch Lange?” fragt Peter, der immer noch feht betruͤbt ausſieht.

„Ah, potz Tauſend, wir find nicht fo bald an Ort und Stelle.“

„Jakob ift glücklich: er darf daheim bleiben.“

„Bir werben Geld verdienen, um unjere Mutter zu unter flügen ; iſt Dir das nicht recht ?“

„Wie wollen wir Geld verdienen ?“

„Wir fegen die Schornfleine, wir machen Gommiffionen, wit

BB.

tanzen die Savoyarde, wir fingen das Lieb, welches und unfer Bater gelehrt Hat.“

Peter, der das Geſicht verzog, als ich vom Schornſteinfegen gefprochen hatte, fagt dann zu mir:

„Benn Dir's recht ift, Andreas, fo fege Du die Schornfteine und ich tanze.“

Ich betrachte meinen Bruder; feine blauen Augen waren vom Beinen aufgefchwollen, fein fonft fo lachendes, rundes, kirſch⸗ totbed Geſicht, welches mit feinen blonden, auf die Stirne her: anbäugenben Loden immer fo hübſch war, fah jetzt wie feine Augen vom Kummer ganz verändert aus, Ich falle ihm um den Hald und küſſe ihn zärtlich; dieſes beruhigt uns einigermaßen und Beier Befommt wieder Eßluſt.

„Ich habe Hunger,“ fagt er zu mir.

„Bir wollen eſſen, wir haben ja das Nöthige in unfern Säden.“

Peter ſtürt in dem feinigen und flößt einen Freudenſchrei aus; zufere gute Mutter hatte uns nebft unferem Brobe auch wife und Infel eingepackt.

„Andreas, Andreas, Aepfel!“ jubelt er. Damit fängt er an ja een und zu fingen; die Aepfel haben meinen Bruder wieber afgebeitert.

„Sag', Andreas, was werden wir denn in Paris fehen?“ hagt er, fich mit Aepfeln und Nüffen vollſtopfend.

„D, viele Sachen, Du weißt wohl, was der Bater erzählt, er dort Alles gefehen habe.“

„Ach ja, Hanswurſte, nicht wahr? und Männer, die Kunſt⸗ Tide machen, die Faden und Nadeln efien, auf dem Kopfe laufen m fh auf einem Beine drehen.“

„D, noch viele andere Sachen: prächtige Straßen, weit größere därſer als das unferige, immerwährend rollende Chaifen, Buben, 2 wenn in Höpital Markt if, Zauberlaternen, Kunftflüde, Sonne m Rond, die Einer auf dem Rüden trägt, den tanzenden Teufel,

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eine Kae, die ihn am Ewanze zieht, eine Schlacht mit Pferden in einem breiternen Saus .

„Wie, das Alles schen wir! ?* ſagt Peter, indem er ſich er⸗ hebt und Freudenſprünge macht. „Ach, wie werben wir und be⸗ Iuftigen! Sich’, ich werde ein Rab fchlagen,, .. nicht wahr, ich kann e8 gut, Andreas ?“

Mit diefen Worten macht mein Bruder Räder auf dem Rande des Weges; er denkt bereits nicht mehr an unfere Hütte. Ach, Beter wird glüdlich fein in Paris.

Aber die Zeit vergeht, wir müffen unfern Weg wieder weiter fortfegen. Beter verzieht das Beficht; zum Rabfchlagen war er nicht müde, aber zum Gehen. Er folgt mir, übrigens immer ſchmollend.

„Mein Bruder,” fage ich zu ihm, „Du weißt wohl, daß and unfere Mutter befohlen hat, nicht träge zu fein, und wenn wir und oft fo lange aufhalten, holen wir die Andern nicht mehr ein.”

„sch bin mühe,“

„Borbin Haft Du ja getanzt.”

„IH habe einen Schmerz an der Ferſe.“

„Das hat Dich nicht am Rapdfchlagen verhindert; wir müſſen hente Abend wenigftens eine Stabt erreichen, bamit wir über Nacht bleiben koͤnnen, fonft müßten wir unter freiem Himmel fchlafen.“

„Ah ta, ja!“ erwidert Peter.

Und diefes fegt feine Beine wieber in Bewegung, benn «ei fürchtet fich vor dem Webernachten im Freien. Seht weiß ich eii Mittel, ihn vorwärts zu treiben.

„Sag’, Andreas, wie wäre ed, wenn wir vom rechten Bes abfämen ?

„D, das kann nicht fein; wir fragen immer, wo es nad Baris gehe.“

„Denn wir Dieben begegneten ?"

„Du weißt wohl, daß unfere Mutter gefagt bat, man beſtehl bie Kinder nicht.“

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„Haben bie Diebe denn die Kinder gern ?“

„Rein, aber wenn man Flein ift, hat man kein Gelb.“

„Ad, wenn ich groß bin, will ich nie Geld haben, dann darf ih mich nicht vor den Dieben fürchten.“

„Womit wollen wir dann Aepfel und Brod Taufen?”

„Ih ſchlage ein Rad, dann gibt man mir zu effen.“

„Und was ſchickſt Du dann unferer Mutter ?“

Peter macht große Augen und gibt feine Antwort : die Mepfel, 3 Rab und die Diebe befchäftigen ihn vollftändig.

„Bir find in dem Dorfe angelangt, welches ich von Ferne rblidte. IH frage, ob man eine Bande nach Paris und Lyon zehender Savoyarben hat durchkommen fehen.

„sa, meine Kinder,” antwortet und eine gute Alte, „aber i find euch weit voraus, denn fle find ſchon mit Tagesanbruch vurh, und jet geht die Sonne bald unter.“

„Vorwärts!“ fage ich zu meinem Bruder, der fidh bereit vor mm Haus auf eine Bank gefeht hat und den Reft feiner Nüſſe ind Aepfel verzehrt.

„Eſſen wir nicht zu Mittag?" + „Bir können unterwegs eſſen: wir müſſen unſere Freunde anholen.“

Es kommt Peter ſchwer an, ſich zum Aufſtehen zu entſchließen, ber als er mich fortgehen ſieht, folgt er mir. Ich habe mir den Bez, den wir nehmen follen, genau angeben laffen, denn ver Tag ingt an, fich zu neigen und wir könnten, wenn wir in den Bergen “ren, in einen Abgrund flürzen oder in eine Schlucht hinab: itichen.

„Geh' doch nicht fo ſchnell,“ ruft Peter aus. „Warten bie Intern nicht auf ung ?“

„Nein, denn fie willen nicht, daß wir nachkommen.“

„Ih Bin fchon recht müde.“

„Wenn wir aber daheim den ganzen Tag herunifprangen umb

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ben Mont du Gorbeau auf den Händen berunterliefen, warf Du nie mübe,“

„Ad, ich Elettere lieber auf allen Bieren herum, als daß id fo laufe.“

„Du fehnft Dich alfo nicht, nach Paris zu kommen ?“

„O doch, aber Jakob ift daheim, er ift nicht müde und be: fommt heute Abend Suppe zu effen.“

Peter Rößt bei vem Gedanken an die Suppe einen tiefen Seufzer aus. Wir fehreiten immer vorwärts, aber der Tag geht unter und ich fehe das Dorf nicht, wohin wir müffen, um ein Nachtquartier zu finden. Mein Bruder, der immer hinter mir brein Tief, nähert fih mir, ſobald es Nacht wird.

„Höre, Andreas, es ift dunkel.“

„Run, das hindert Einen nicht am Laufen, es ift ja Mond: fchein, wir fehen den Weg fchon.“

„Sind wir nicht bald an Ort und Stelle ?“

Ich weiß nicht.“

„Wollen wir fpringen, Bruder ?“

„Rein, nein, die Mutter bat und verboten, zu fpringen: das wäre uns fchänlih. Außerdem biſt Du müde.”

„Rein, ich bin nicht mehr mühe.“

„So Tomm’, wir wollen fehneller gehen.”

Beter verboppelt feine Schritte. Glücklicher Weiſe beleuchte des aufgehende Mond unſere Berge und geſtattet uns, ohne Ge: fahr unſern Weg zu verfolgen. Indeſſen hat dieſe Helle etwas zuı Traurigkeit Stimmendes. Die Gegenflände, welche wir erbliden, feinen nicht mehr diefelben : fie verändern im Schatten ihre Ge ſtalt. Oft fieht ein Felſenblock, ein einfacher Stein von ferne ab: ſchreckend aus. Mein Bruder blickt nur noch mit Furcht um ſich er fchmiegt ſich Dicht an mich, nimmt mich feft beim Arme un: führt mich: fo gehen wir ziemlich Tange ſchweigend vorwärts ; Geraͤuſch unferer mit Bifen befchlagenen Schuhe ſtoͤrt allein

57 Stille und Ruhe unferer Berge, deren Bewohner bereits tm Schlafe liegen.

Peters Eifer laͤßt nach, er fängt an ven Muth zu verlieren and wir gehen nicht mehr fo fchnell.

„Sind wir noch nicht bald an Drt und Stelle, Anpreas ?“ Kagt er mich Halblaut, als ob ex ſich fürdhtete, rechts ober links aehört zu werden. Ich bemerke an dem Ton feiner Stimme, daß er nahe daran ifl, zu weinen, und Bemühe mich, ihn zu tröften.

„Ei, Beier, made Dir Feine Sorgen ; wir eſſen recht gut zu VJacht, wenn wir angekommen ſind.“

„AB, ich Habe Feine Aepfel und Feine Nüſſe mehr!”

„Man fchenft und etwas; Du weißt, daß unfere Mutter ge: hat hat, die Kinder, welche nach Paris gehen, befommen unter: regs oft Etwas.“

„Man gibt und vielleicht Speck?“

„Bern man und gibt, dann tanzen wir.“

„Ah ja! Sped ift gut. Ißt man welchen in Paris ?“

„Sicher, da man dort viel Geld verdient. Es gibt dort Leute, “Einem für ein Lied einen Sou geben!“

„Einen Sou? Das ift viel Gelb.” |

Komm’, wir wollen fingen, wie fpäter in Paris.“

„Rein, ich will nicht fingen, ich möchte ſchlafen.“

„Bir fchlafen, wenn wir angelommen find.”

„Ih fehe Keine Häufer !“

„Mach’ doch, Peter, ich muß Dich wahrhaftig fchlerren . . uf!

„Wenn und Diebe überfielen?“

„Du biſt ein Feigling; Du zitterft immer ; wenn Du in Bars 2, lacht Did Jedermann aus!”

„Andreas, gibt's nicht Leute, die Kinder freffen ?“

„Rein doch! das fagt man nur im Spaße; Du weißt wohl, F ter Bater den Jalob auslachte, wenn er das fagte. Außerdem

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würbe ich. Dich ſchon vertheidigen, wenn man Dir Etwas zu leid thun wollte: ich würde ordentlich um mich hauen, glaub’ mir!“

Mit vieler Mühe beruhigt ſich Beter ein wenig; wir ſetzen unfern Weg fort, aber mit einem Male bleibt er fliehen, nimmt mid) am Arme und fagt mit zitternder Stimme: „Ad, Bruder, ſiehſt Du dort...”

Er deutete rechts vom Wege in einer Entfernung von etwa breißig Schritten von uns auf Etwas, und ich fehe einen Schatten in der Größe eined Menfchen an dem Wege, wo wir vorüber müflen, fih Hin und her beivegen; zu gleicher Zeit vernehme ich ein dumpfes eintöniges Geraͤuſch, welches ſich jedesmal wiederholt, fo oft fih ber Schatten verlängert und ausdehnt. Obgleich ich nicht aͤngſtlich bin, wurbe mir’d doch bang um's Herz, und mein Athem flodie; ich mache e8 wie Beter: ich ſtehe fill und Hefte meine Blide um verwanbt auf den Gegenfland, dem ich mich zu nähern fürchte.

„Ad, Bruder, was ift dad?“ fragt Peter, ber beinahe nicht mehr die Kraft hat, ein Wort hervorzubringen.

„Meiner Ten! ich weiß nicht.” „Siehſt Du, wie es ſich bewegt, wie groß es if; gr > ben Lärm, ben ed macht ?“ |

„sa; aber wir müflen doch daran vorbeigehen.“

„D nein, Andreas, nein, ich bitte Dich, ich fürchte mid zu fehr, laß und fliehen.“ |

„Bas fällt Dir ein, Peter! Zittere nicht fo. Fliehen? Rein, der Vater hat gefagt, pas ſei eine Schande. Der Mann dort will uñs erfchreden, aber ich fürchte mich nicht . .. . komm'!“

„Rein, nein, Andreas, ich wage es nicht iu

Beter fällt auf die Kuiee nieder; er will mich zurüdhalten und zieht mich an der Jade. Ich reife mich los und er bedeckt va6 Geſicht mit feinen Händen; ich nähere mich flolz dem Gegenſtand, der und eine folche Furcht einjagt, und fhreie laut, um meinen Muth anzufeuern: „Rein, wein, ich füͤrchte mich nicht !“

x

Ich trete endlich anf den Gegenſtand zu, und in diefem Augen⸗ blide näherte fich der bewegliche Schatten auch mir und fchien mir ben Weg vertreten zu wollen. Ich Hatte noch nicht gewagt, ihn genau anzufehen, um mich zu überzeugen, was es fei; aber wie groß iſt mein Erſtaunen, als ich mich bei genauer Betrachtung sor einer an einen Ballen befeftigten Barriöre befinde, die hier angebracht iſt, um die Reiſenden vor dem Fall in ein tiefes Loch iu ſchuͤzen, welches beinahe am Wege ift! Diefe Barriöre, bie fh in der Mitte öffnete, follte mit einer Kette ober einem Haͤng⸗ ſchloß verfchloffen fein; aber feit Langer Zeit war eine Hälfte ber: jelben zerbrochen, und man hatte es vernadhläffigt, fle wieder her⸗ rihten zu laffen, und das, was noch mit eifernen Angeln an dem Boten hing, drehte fih, vom Winde getrieben, hin und ber, und seurfachte den einförmigen Ton, den dad immerwährende Reiben der Schrauben, die in ben Angeln Trachten, hervorbrachte.

Sobald ich mich überzeugt habe, was es ift, lache ich über meine Furcht, klettere, entzüdt, viefelbe überwunden zu haben, auf He Barriere hinauf, ſetze mich rittlings darauf und laſſe mich von Hr im Binde hin und her fchaufeln.

Beter, der, das Geſicht mit den Händen bedeckend, auf bem Boden Liegen geblieben war, Hört mich ein Freubengefchrei aus⸗ Inßen umb einmal über dad andere rufen: „He, zu Pferd! Adh, ie hübſch! Komm’ doch, Peter! Ach, wie Herrlich: es bewegt fich en felber!“

Beter weiß weder, was das heißen, noch ob er ed wagen foll, ir nachzugehen. Inbeffen rufe ich ihm öfters, er Hört mich lachen, »8 verfcheucht feine Furcht. Endlich nähert er ſich mir, und ſobald mich Hat auf der Barriere ſchaukeln fehen, fleigt er ohne Weiteres sch Himanf und ſetzt ſich hinter mich. Dann bringen wir biefelbe ‚ever in Bewegung und laffen und nach Herzensluft an bem Pfoften n und her wiegen. Wit achten nicht darauf, daß der Balken dicht _ einem Abgrunde ſteht, daß wir durch ein allzu flarfes Schaufeln

60 das Gleichgewicht verfteren, und, wenn bie Barridre an ben Rand zurädtommt, mehr als dreißig Buß Hinabflürzen und und Arme und Beine an ben Felſen zerfchellen koͤnnten; wir fehen Teine Ge— fahr mehr vor Augen, und was und wenige Augenblide zuvor fc fehr in Schrecken geſetzt hatte, ift jeßt eine Duelle des Bergmügen? für und geworden.

Da Alles ein Ende haben muß, fleige ich, nachdem ich hrei Piertelftunden auf biefer neumobifchen Schaufel zugebracht Halte, herunter, und fage zu Peter: „Wir müflen uns wieder auf ten Weg machen, Bruder.” |

„Ad, noch ein Bischen, das ift fo unterhaltend!”

„Und wo fchlafen? wo zu Nacht effen?“

„O, ich habe feinen Hunger und feinen Schlaf mehr! Ich bitte, fchaufle mich noch mehr, Andreas!”

„Rein, ed iſt genug, wir müffen in's Dorf!” |

Es koſtet mich Mühe, Peter von ber Barriere herunter zu bringen; er gibt enblich nach mit den Worten: „Ad, wie ſchade ed war fo luſtig!“ .

Bir fehen unfern Weg wieder fort, diesmal aber mit Lacke: und Singen: der Schreden iſt gewichen. Das Spiel hat uns allı durch den Mondfchein erzeugte Viflonen aus dem Kopfe gejagt und wenn wir jeßt Etwas in der Entfernung fehen, welches fid zu bewegen fcheint, ruft Peter mit einem Freubenfprung aus: „Ad weun ed wieder eine Schaufel wäre!” Wie wenig braucht es doc um und die Gegenflände in einem andern Lichte zu zeigen! |

Wir kommen in dem Flecken an, den man und bezeichnet hai und diesmal hat uns der Weg nicht lange gefchienen. Aber es i ohne Zweifel fpät, denn ich fehe Fein Licht mehr in ben Häufe „Siehft Du,” fage ich zu Peter, „wir find zu lange auf ver Barriei geritten. Ich weiß nicht, wo ich anflopfen fol, um Herberge un ein Nachteſſen zu begehrten.“

„Man Hopft an irgend ein Haus.“

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„Ja, aber man beherbergt nicht in allen Häufern.”

„Vah, wir fingen Etwas, oder Du fegfl einen Kamin!“

„Beet man Nachts auch die Kamine? Die gute Frau von date Morgen hat gefagt, wir ſollen in das Gaſthaus gehen, dort behalte man die Savoyarden für zwei Sons in einer fhönen Scheune über Naht, und gebe noch ein Stück Käfe dazu.”

„So wollen wir hingehen.“

„Dei wem ſoll ich mich aber erkundigen, wo es iſt? Doch komm'

Peter, man fagt, es fei ein großes Haus; laß und ein ſolches und mar ein fchönes ſuchen.“ . Rum gehen wir buch den Flecken, der ziemlich groß ift, und ictrachten alle Häufer im Monbfchein. Ich fehe eines, welches mir öner vorfommt ald alle übrigen, und ich fage zu Beter: „Das A obme Zweifel der Gaſthof; wir wollen anflopfen.“

Bir Flopfen mit unfern Füßen und unfern Fäuſten an bie Nuötbüre. Alsbald hören wir dad Gebell eines Hundes, welcher der Thüre herrennt, an die wir geflopft haben, und einen furdht- sren Laͤrm macht. Der erfchrodene Beter entfernt fih von dem nfe, dem er ſich nicht mehr nahen will; ich eile ihmnad, um 'n zu beruhigen, aber das Bellen des Hundes hat die andern auf: met, und alle Hunde im ganzen Flecken fcheinen fich zuzurufen: wir und hinwenden, hören wir ein wüthendes Gefchrei. Peter tert, weil er glaubt, er Habe alle Doggen des Weilerd auf feinen rien; er will mit Gewalt ven Ort verlaffen.

Komm’, Andreas,” fagt er zu mir, „laß ung gehen, in diefem zte gibt es nichts als Hunde; ich will Tieber auf der Straße et Nacht Bleiben.“

„Fürchte Dich doch nicht: diefe Hunde find bloß da, um bie infer zu bewachen ; fie thun uns nichts, wir find ja Feine Diebe! ezu denn bad Zittern? Warte, da ift noch ein ſchönes Haus, will ich auch anklopfen, aber etwas Ieifer, damit mich bie mde nicht Hören.“ |

Saul de Rod. N. 5

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Ich poche leiſe an die Thuͤre; man gibt keine Antwort. Ich poche an einem fort, aber das Bellen der Hunde iſt Schuld, daß man mich nicht hört. Man macht übrigens in einem Nebenhanfe ein Fenſter auf ; dann gegenüber ein anderes; ich Höre Stimmen, und bald darauf wird folgendes Gefpräch von einem Fenſter zum andern angeknüpft:

„Mein Gott, welchen Lärm machen die Hunde! Was haben fie venn heute Nacht, daß fle fo unruhig find?" .

„Ad, Du bift es, Claudine; bift, Du auch aufgewacht ?*

„Kann man bei folddem Tenfelslärm fchlafen ? Und Du? Hat Dich Dein Mann oder haben Dich die Hunde anfgewedt ?*

„Mein Mann!... Warum nicht gar! Dem Fönnte man eine Kanone ind Ohr hießen, er würbe fich nicht rühren! Der if bei Nacht nie munter, Glaub’ mir, Hanne; wenn Du je heiratbefl, nimm feinen Gipfer zum Mann: es gibt nichts Schänblicheret. Siehft Du, das ift ein zu anſtrengendes Geſchäft. Michel if ein guter Mann, aber er lacht nur des Sonntags !“

„Ad, das ift recht Tangweilig ! Ich will mir einen Dachdeda ſuchen, die find liebenswürdiger.“

Waͤhrend des Geſpraͤches dieſer beiden Frauenzimmer hat der Laͤrm aufgehoͤrt. Ich will mich ihnen naͤhern, um fie anzureden, aber ſie haben ihre Fenſter ſchon wieder zugemacht. Ich kehre zu dem großen Haufe zurück und klopfe auf's Neue. Endlich öffne man ein Fenſter; ein altes, tief in einer wollenen Müge ſtecken⸗ des Geſicht zeigt ſich und fragt zornig:

„Wer Eopft fo fpät bei dem Herrn Schultheißen an I“

„Bir, Madame.”

„Ber ihr?“

„Andread und Peter.”

„Was wollen Andreas und Beter ?“

„Bir find kleine Savoyarben ; Habt Ihr einen Kamin zu fogen ? Wollt Ihr aufmachen, dann fingen wir Euch um ein Stid⸗ hen Brod und Käfe ein Liedchen und tanzen dazu.”

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„Da, die Heinen Schelmen,, die ungezogenen Jungen, welche Leute unferer Art aufwecken, um ihnen etwas vorzutanzen! Wenn ich euch morgen erwiſche, will ich Euch tanzen laffen! Ich euch Käfe geben! Ha, die Schlingel! Geſchwind, padt euch fort, daß ich nichts mehr von euch höre. Während der Nacht zu kommen, um beim Herrn Schultheißen den Kamin zu fegen !“

Die Alte wirft, Drohungen gegen und ausfloßend,, das Fenſter zu. Sch kehre traurig zu meinem Bruder zurüd,

„Andreas,“ jagt er zu mir, „biefe Leute find recht böfe, fie wollen und nicht aufmachen. Warum aber nicht ? Wenn man Nachts an unferer Hütte Elopfte, machte unfer Vater immer auf; er theilte ſegar fein Nachtefſen mit, ohne daß man ihm den Kamin fegte oter ihm etwas dafür fang. Warum find denn dieſe Leute nicht wie unfer Bater "

„Ah Gott! ich weiß es nicht.”

„Sind fle in Paris auch fo ?“

„D nein, in Bari hat man bie Heinen Schornfteinfeger gerne, weil fie dort viele Kamine zu fegen haben.“ N

Während ich mit meinem Bruber rede, fehe ich neben einem fleinen Häuschen von armfeligem Aeußern eine Art Stall, worin nehrere Bündel Stroh und Gartengeräthe liegen. Der Schoppen iſt ucht verſchloſſen und ich winke Peter, mir zu folgen. Er wagt es nicht. ‚Es find vielleicht wieder Hunde darin,” fagt er, an ber Thüre üchen bleibent. Ich gehe allein hinein, feße mich auf’ Stroh, und ald Peter fich überzeugt, daß Feine Gefahr vorhanden ift, entfchließt rt fih endlich, auch hereinzufommen und läßt fich neben mir nieder,

„O, da ift ed gut, Andreas.“

„Hier wollen wir die Nacht zubringen.”

„Wenn man und aber morgen früh zankt.“

„Man zanft nicht; da die Thüre offen flieht, ift es erlaubt, hreinzugehen. Fürchte Dich nicht, Peter ; bier ruhen wir fo gut ale in ihren Käufern, und man hat nichts dagegen,“

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Beter faßt Muth ; überdies. ift er müde und ſchläfrig. Wie fönnte er dieſes Stroh verlaffen, auf dem wir fo weich rufen! Mein Bruder legt ſich neben mich Hin, ich fchlinge meinen Arm um ihn, um feine Nähe zu fühlen, mit der andern Hand bebede ih dad Medaillon, welches ich unter meiner Jade habe, damit man mir ed nicht nehmen Tann, denn ich bin flolz darauf, einen fo koſtbaren Gegenſtand an mir zu tragen. Auf diefe Weife beruhig- ter, mache ich es bald Peter nach und wir fchlafen tief ein.

Sechstes Kapitel. Unfer erfier Verſuch. Petert erfie Heldenthat.

Als wir erwachten, fand die Sonne fchon hoch. Sch reibe mir die Augen aus und floße meinen Bruder. „Mein Gott,“ fagte ih, um mich herfchauend, bei mir ſelbſt, „es ift wielleicht ſchon fpät.” Gleich darauf fehe ich unter der Thüre des Schoppens, ber und ald Schlafgemadh gedient hatte, einen Fleinen Greis ſtehen, der uns lächelnd anblidt.

„Nehmt es nicht übel, Herr, das Stroh, worauf wir ge: fhlafen haben, gehört vielleicht Euch, aber wir waren fo mühe. Beter, Peter! wach’ doch auf. Wir gehen auf der Stelle wieber weiter, Herr.”

„Barum denn, meine Kinder,” entgegnet der Greis, „ruht aus, fo lange ed Euch gefällt, ihr genirt mich nicht. Ihr Hättet aber an eine Hütte Elopfen follen, dort würbet ihr wärmer und befjer gefchlafen haben.”

„Ah, mein Herr, wir haben es nicht gewagt. Wir hatten fon irgendwo angeflopft, wo man und zurüdgewiefen und un gezogene Jungen gefchimpft Hat, weil wir um eine Nachtherberge und etwas Käfe zu unferem Brod gebeten hatten, und doch halten mein Bruder und ich ung angeboten, dafür zu tanzen und u fingen.“

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„Ihr armen Kleinen! Wo habt Ihr denn angeflopft ?“

„An dem fchönften Haufe im Orte.“

„Liebe Kinder, ihr hättet Euch an die Bewohner des Fleinften, beiheidenften Hauſes wenden follen, dort würdet ihr Aufnahme ge: finden haben. Merkt euch meinen Rath: wenn ihr ein anderes Mal um Gaſtfreundſchaft anfprecht, fo Hopft an die Hütten, nicht an bie großen Häufer.“

Peter fchlägt endlich die Augen auf. Es koſtet mich Mühe, iin von unferem Nachtlager aufzubringen. Er ruft Jakob und unfere Butter, er glaubt ſich noch daheim und verlangt zu frühftüden ; ich rüttle und fchüttle ihn. „Peter, wach’ duch ganz auf; wir find acht mehr zu Haufe, wir gehen nach Paris.“

„Er fieht mich, die Augen ausreibend, an und flößt einen tiefen Seufzer aus. Belommen wir denn nichts zu frühftüden, Andreas ?* fragt er.

„Doch, meine Kinder,“ antwortet der gute Greis; „Ihr dürft mit mir frühftücen und euch nicht eher auf den Weg machen, als bie ihr euch auf längere Zeit geftärft habt.“

Diefe Worte erwecken Peter vollends; wir folgen wohlgemuth m guten Manne, der und in fein Feines Häuschen hineinführt. Tort fehen wir Mil, Eier, Käfe und Weißbrod auf einem Tifche ichen. Peter und ich blicken und gegenfeitig Tachend an. Welch’ fies Erwachen! Wie wollen wir es und ſchmecken laffen !

Der Greis Heißt und an den Tifch fügen. „Eſſet,“ jagt er uns, „färkt euch, meine Kinder. Es ift noch weit von hier ıch Paris; aber in eurem Alter Iegt man den Weg fpielend und ingend zurück.“

Wir laſſen und die Einladung unſeres Wirthes nicht wieder— dolen, machen und gierig über das vor und aufgeftellte Frühſtück eet, und hören erft zu eſſen auf, als wir und den Magen voll: zefülft haben. _

„Ach, wie gut ſchmeckt Brod und Mil zufammen,“ jagt

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Beier, der ed bebauert, daß er nicht noch mehr efien Tann. Ih bevanfe mich bei dem Greifen, welcher und ven Reft des Frühſtücks in unfere Säde padt und felbft bis zu dem Wege geleitet, den wir einfchlagen follen, und und, ehe wir uns von ihm trennen, zärtlich kuͤßt.

Sp treten wir alfo aufs Neue unfern Weg an, aber das Früh: ſtück, welches wir eingenommen haben, hat unfere Phantafie auf: geheitert ; wir fehen Alles in rofigem Lichte. Welchen Einfluß hat ber Magen auf das Gemüth! Wie viel Tiebenswürbiger, menfd; licher, freigebiger, gejellfchaftlicher ift mar nach Tiſch, und wie wohlwollend, dienftfertig und freundfchaftlich müffen die Menschen in diefem Jahrhundert gegen einander fein, wo man fo gut fpeist und der Fönigliche Koch feine vierzehnte Auflage erlebt Hat.

Mir halten und bloß auf, um unfere Vorräthe zu verzehren und langen gegen Abend ohne Unfall in einem Dorfe an, welches und der gute Greis Morgens bezeichnete, indem er ſagte, wir follen dort mur nach Joſeph fragen, der uns über Nacht behalten werde, Wir werden in ber That auf feine Empfehlung hin freundlich auf genommen und in einer Scheune beherbergt ; aber ich erfahre, vui bie Gefellfchaft Fleiner Suvoyarden ſchon am Vorabend durch va: Dorf gekommen ift und fich dafelbft nicht aufgehalten Hat. Jede Augenblid entfernt und mehr von Denen, welche wir inet wollen. Was beginnen ? Peter will nicht fchneller gehen, vor Tages anbruch Täßt er fich nicht erweden und die Andern warten nidı auf und. „Meiner Treu, wir müffen den Weg allein machen, denfe ich, indem ich mich neben meinen Bruder nieberlege ; „wi find groß genug, allein zu reifen, und wenn wir Häufig nach ver Wege fragen, fo werben wir wohl diefes Paris finden, das Zerei mann kennt.“

Am folgenden Tage braucht es dieſelben Förmlichkeiten, ui Peter zum Weitergehen zu bewegen. Wenn ich ven Zungen made "ieße, würde er den ganzen Tag fchlafen. Wir befommen kein {

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gutes Frühflüd wie Tags zuvor, aber man gibt und noch Brod auf ben Weg, und ich muß Peter floßen, daß er fh bei unfern Wirthen bedankt, welches er ziemlich mißmuthig thut, indem er nah einem auf einem Brette ftehenden Kaͤſe ſchielt, von dem man und nichts gegeben Hatte.

„Peter,“ fage ich unterwegs zu ihm, „wenn Du nicht höf: licher Bift, fo gibt man und ein andered Mal gar nichts mehr.“

„Barum haben fie und nichts von dem großen gelben Käfe gegeben, der fo gut roch ?” i

„Es war noch gefällig genug, und Brod zu geben, denn wir haben nichts Bei diefen Leuten gethan, weder den Kamin gefegt noch gefungen ; Du willfi Alles, ohne etwas dafür zu leiſten!“

Herr Beter gibt feine Antwort, er ſchmollt und iſt auf dem ganzen Weg übler Laune. Alle Augenblide fteht er fill und Hagt uber feine Ferſe; dies Alles jedoch nur, weil er nicht mit feinem Srahftnc zufrieden ift.

Gegen Abend fehen wir die Stadt Pont⸗de⸗Beauvoiſin vor Augen. „Sieh',“ fage ich zu Peter, „wir haben ſchon viel Weg gemacht! ... Das ift eine große Stabi.“

„Sind wie in Paris?“

„O nein, aber wir nähern und allmählig!... O, bier gibt es ſchöne Häufer und große Kamine. Borwärts, mein Bruber, bier müffen wir unfer erſtes Geld verdienen, mach’ nur ben Faul: Imzer nicht.“

Beter rollt die Augen umher mit einer Miene, bie mir an: tentet, daß er Feine große Luft Hat, mir zu gehorchen, und waͤh⸗ ıend ich beim Eintritt in die Stadt vor Freuden in die Höhe ſpringe und aus Leibeöfräften fchreie: „Schornfleinfeger! braucht man Echornfleinfeger !“ ſehe ich, daß mein Bruder die Zunge heraus: fredt und gegen die Leute, die an ihr Fenſter treten, Befichter ſchueidet.

„Peter, willſt Du aufhören!”

„Bas denn, ich. thue ja nichts.“

„Ich fehe wohl, daß Du die Leute ausfpotteft und Fragen ſchaeiben es iſt ſchon gut, man wird uns weder Herberge noch zu Nacht zu eſſen geben, und uns als Taugenichtſe zur Stadt hinausjagen.“

Peter wird ruhiger, ich fange wieder an zu ſchreien: „Schorn⸗ ſteinfeger!“ In dieſem Augenblicke beſinden wir uns vor dem Laden eines Paſtetenbäckers und Speiſewirths.

Der Cigenthümer athmete, fein Pfeifchen rauchend, vor der ‚Hausthüre bie friſche Abendluft ein. Er blickt und laächelnd an. „Ah, ach, das find Kinder, die wahrfcheinfich nach Paris gehen!“

„Ja, mein Herr, habt Ihr Schornfleine zu reinigen ?

„Bohlen, ich will eure Kunft erproben. Tretet ein, meine Kinder. Margarethe, Margarethe! führe fie in die Küche und in bie Stube im erften Stod; dann kann Jeder einen Schornflein fegen.“

Der Baftetenbäder hat und in fein Haus geführt. Peter fchielt nach den Paſtetchen, die er in der Wirthöftube ſieht. Ein junges Mädchen kommt und fragt den Herrn Bonlette, fo Heißt der Bas fletenbäder, was fie mit uns anfangen folle. Ex wiederholt feinen Befehl, uns die Kamine zu zeigen und geht wieder unter bie Saudthüre, um fein Pfeifchen zu rauchen.

„So kommt, ihr Kleinen,” fagt die junge Magb zu uns; „folget mir und machet feinen fo argen Staub.”

Es koſtet mi Mühe, Peter vom Plage zu bringen, der in: mitten ber Paſtetchen wie angenagelt fcheint. Sch nötbige ihn, voraußzugehen ; wir kommen in bie Küche. „Hier fege Du dieſen,“ fagt die Magb zu mir, „Du biſt größer und hier iſt auch mehr zu thun. Du, Kleiner, kannſt den andern fegen.“

Das junge Mädchen winkt Peter, ver nicht von der Stelle geht und in allen Eden der Küche herumficht, ob ihm nicht noch ein Leckerbiſſen ind Auge falle.

u Geh’ doch mit der Jungfer,“ fage ich zu Peter, ibm vor: wärts floßend. '

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„Kann Du nicht fegen ?“ fragt die Magd.

„Do, doch, Jungfer, da er aber ein wenig Hein ift, will ich mit Cuch gehen, um ihm Kinaufflettern zu helfen.”

„D, der Kindskopf! ich Habe ſchon viel Fleinere, wie er ift, fittern fehen wie Katzen!“

Ich nehme meinen Bruder beim Arme ; er folgt mir, ohne ven Mund zu öffnen. Wir langen in Herrn Boulette’s Zimmer an, und die Magd zeigt ihm den Kamin. Peter wird bis über die Ohren roth; ich fehe, daß er nahe daran ift, zu weinen. .

„Borwärts, Peter, zieh’ Deine Schuhe aus, lege dort Deinen Sad hin, ſtecke Dein Krageifen in den Gürtel und fteige da hinauf; ° ver Kamin ift nicht ſehr Hoch.“

„Ich mag nicht!“ entgegnet mir Peter, das Geſicht mit den Öänden bedeckend.

„Wie, Du magſt nicht? Was willſt Du dann in Paris nachen? Auf welche Weiſe willſt Du Geld verdienen? Wie ab: ibenlich, ſo faul zu Fein! Denkſt Du nicht an unſere arme Mutter? Rh’, Beier, wenn Du hinaufkletterſt, bekommſt Du eines von a Heinen Baftetchen, die Du vorhin gefehen haft, zum Nachteſſen.“

Diefed letzte Verſprechen fcheint am meiften auf ihn einzu: zirien, Beier geht etwas ſchwankend vorwärts; ich kniee nieder, in ihm beim Hinauffteigen zu helfen. Er zögert... er flieht ftill, 36 rufe ihm noch etwas von Pafteten und Kuchen in die Ohren; x entfchließt ſich, Elettert auf mich und in den Kamin hinauf. ‚deze tüchtig,“ fage ich zu ihm, „fürchte Dich nicht und fleige aa dis oben Hinauf und finge das Liebehen dazu.” _

Nachdem ich ihm Muth eingefprochen habe, folge ich der Magd, relche über die Aengftlichkeit meines Bruders lacht ; ich gehe wieder r die Küche Hinab, und fege, hoch erfreut, enblich Peters Wiber- nem beflegt zu haben, ven Kamin. Während ich aber nach beften häften arbeite, bin ich weit entfernt, die Folgen zu vermuthen, elche die erſte Leiftung meines Bruders nach fich ziehen wird.

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Peter iſt, lange unentfchieden, ob er vor: oder rückwärts ſoll, auf derfelben Stelle fiehen geblieben. Furcht und Hunger flreiten fid in ihm ; endlich trägt der Hunger den Sieg davon, und Peter fleigt, ſich mit allen Vieren auf die Borwand des Kamins flügend, hinauf.

In einer gewifen Höhe angekommen, fühlt er eine große Spalte und vermuthet, es fei ein Kaminfenſter; er ſchlüpft mit dem Kopf und dann mit den Beinen hindurch, fucht Helle und ſieht fie bloß in weiter Entfernung unter ſich; er verfucht es, fein Liedchen zu fingen, aber der Ruß, den er ſchluckt und einathmel, macht feine Stimme fo heifer, daß man ihn faft nicht hört. Et zieht fein Kraßeifen heraus und merkt nicht, daß er in einen andern Schornſtein hineingefommen ift, und flatt den des Herrn Bonlette einen im Nachbarhaufe fegt.

Peter fühlt fich bald ermüdet. Er ruft mir; da er Feine Ant: wort erhält, befürchtet er, ich effe ohne ihn zu Nacht und will ſchnell herunter fleigen. Aber etwa ſechs Fuß von der Effe entfernt, glitfcht er mit dem Fuße aus und fällt mit einem fürchterlichen Gefchrei auf den Kamin hinab,

Der Kamin, in den fi mein Bruder aus Verſehen verit hatte, war ver des Schlafzimmers der Fräulein Caͤſarine Ducroguet, einer volljährigen Jungfrau, die bis in ihr zweiundvierzigſtes Jahr eine Tugend aufrecht erhalten, welche ſelbſt die Huldigungen ber verführerifchften Männer des Departements der Iſoͤre nicht zu er: fohüttern vermocht hatten ; Dagegen machte fich Fräulein Ducroquet ein Bergnügen daraus, andere Frauenzimmer, deren Sitten ih nicht rein genug ſchienen, zu befritteln. Aus Hochmuth ſproͤde, aus Neigung bösartig, aus Inftinkt eitel, aus Schwachheit Fleinlid, von Charakter ſchwatzhaft, brachte Fräulein Eäfarine ihr Leben mit Kartenſchlagen, Boftonfpielen, Hadern, Raifonniren und Hin: und Herklatfchen zu. Zweitaufend Franken Renten baares Geld geſtat⸗

teten der alten Sungfer den Zutritt in die bedeutendſten Häufer bed Ortes,

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Eine zweiundvierzigjährige Tugend wird übrigens bisweilen eine Laſt, deren Gewicht man ablegen moͤchte. Die Thorheit hat ihte Zeit, die Vernunft aber auch. Wenn man mit der Vernunft on Anfang macht, fo hört man gar häufig mit der Thorheit auf. Seit einiger Zeit war Fräulein Cäfarine Ducroquet nicht mehr tiefelbe ; fie hatte Mervenleiven, Ohnmachten, Herzklopfen ; ihre Augen wurden thränenfeucht, wenn fle die Liebfchaften „Huons von Bordeaur” und der „Dame der fehönen Eoufinen“ las; fie hatte in ihtem Innern mit „Clodia“ gefeufzt und mit „Eleonore von Roſalba“ gebebt. Vergebens verficherte fie ihre alte Magd, fie Iefe Nachts ju lang, daß fei allein an ihren feuchten Augen ſchuld. Fräulein Tucroquet wußte eine andere Urfache ihrer Aufregung. Seit meh: sen Tagen fah fie in ihren Karten einen ſchönen Blondkopf ihr auf Ien Schritten folgen, er lag immer neben ihr; ebenfo das Schip- en: A. Wer war biefer Blondkopf? Kündigte ihr das Schickſal z ven Päckchen einen Gatten an? Fräulein Cäſarine Eonnte diefe Seranfen nicht aus ihrer aufgereizten Phantaſie bringen ; fie ſuchte Uenthalben ven hübſchen Blondkopf. Sie feufzte, wurde ungebulbig; ‘re Stunde war gefommen ; mit zweiundvierzig Jahren hat der herzſchlag nicht mehr jenen Wohlklang, jene Zartheit, die Einen anft von Wolluft träumen läßt; er gleicht einer hell Täutenden Siode, die Einen betäubt und außer fich bringt.

dräulein Bäfarine Ducroquet, welche die Veränderung, die mit ‚br vorgegangen war, nicht in ber Stadt befannt machen wollte, ing weit weniger in Geſellſchaft und begrub fich in ihre Karten und Rıtter- oder Gefpenfter- Romane. Diefe neue Lebensweife hatte ihre vdeſundheit fo fehr angegriffen, daß fie bald einen Arzt zu Rathe ben mußte. Ein neuer Schüler Aesculaps hatte fich feit Kurzem a der Stadt niedergelaffen ; man pries feine Geſchicklichkeit fehr. Käulein Ducroguet Fannte ihn bloß dem Rufe nach, fie lieg ihn zu id Bitten, und Herr Sapiens folgte, erfreut, eine neue Kundſchaft m erhalten, eiligft ihrer Aufforberung.

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Beim Anblid des Doktord empfand Fräulein Ducroquet ein unmwilffürliches Beben, denn fle fand, daß derſelbe auf eine über: rafchende Weife dem Carreau : Buben gleiche, welcher fie unaufhoͤrlich in ben Karten verfolgte. Herr Sapiens Hatte in ber That, ohne gerabe blond zu fein, etwas von Hektors Farbe; feine Augen waren lebhaft und fchelmifch ; er hinkte ein wenig, was eben nicht fehr ritterlich ift, aber er ſchleppte das Bein auf fo verführerifche Weiſe bintendrein, daß es ihn noch interefjanter machte ; außerdem hatte et eine Fräftige Wade; man konnte dies genau unterfcheiden, denn er trug nie Stiefel; endlich fchien der Doktor, obgleich er ſchon fünfzig Jahre alt war, erft achtundvierzig zu fein.

Herr Sapiens hatte feine Jugend in der Haupytſtadt verlebt; etwas ſpät bemerkend, daß es ihm trotz ſeiner Talente ſchwer gelingen würde, daſelbſt ſein Glück zu machen, entſchloß er ſich, ſich in der Provinz niederzulaſſen. Als gewandter Mann hatte er Crkundigungen über Fräulein Ducroquet eingezogen, ehe er ſich zu ihr begab. ° Ein heirathöfähiges Fräulein mit zweitaufend Franken Renten war für einen Doktor, welcher in feinem fünfzigften Jahre noch nichts ald Verſchleimungs⸗ und Schnupfenkranfheiten geheilt hatte, Feine zu verachtende Parthie. Herr Sapiens fuchte deßhalb feiner Phyflogaomie den angenehmften Ausdruck zu geben, als er fich bei Fräulein Du- croquet vorftellte. Es Eoftete ihn nicht viel, ihr zu gefallen ; feine Achnlichkeit mit dem Carreau-Buben fprach fehr beredt zu feinen Gunſten. Die erften Befuche waren kurz, bald verlängerte fie der Doktor aber ; er fuchte gefchickt die Moral der alten Jungfrau zu er: forschen, und als er ihren Gefchmad an dem Wunderbaren, ihren Glauben am Kartenfchlagen, ihr Wohlgefallen an ven Ritterromanen bemerkt hatte, fchmeichelte er ihren Ideen auf's Liebenswärbigfle ; er lieh ihrdie „Liebfchaften Bayards“ und die Haimonskinder“. Während er ein Rezept verfchrieb oder eine nieberfchlagende Medizin verorbnete, wagte er einen glühenden Blick, den man mit einem zärtlichen Seufjet beantwortete, welchen man ben Herzbeflemmungen zufchrieb.

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Rach Berlauf einiger Wochen war die intereffante Kranke, Dank der Sorgfalt des lieben Doktor, wieber hergeftellt. Sie Hagte nur noch über Herzklopfen, da3 die Gegenwart des Herrn Sapiend bloß vermehrte. Diefer, welcher eine Eroberung, die ihm in jeder Hinficht aenehm war, nicht hinausfchieben wollte, hatte bereit einige Worte von Liebe und Eheftand fallen laſſen, er zögerte indeffen noch mit einer entfchiebenen Erklärung, weil Fräulein Ducrgquet in Erinnerung deſſen, was fle Alles über die Männer und den Eheſtand geäußert hatte, nicht wußte, wie fle ihren Entfchluß ändern follte, ohne fi um Stabigefpräch zu machen. Indeſſen kam es fie mit jenem Tage iQwerer an, ben Liebesblicken des Herrn Sapiens und dem Pochen ibres Herzens zu widerſtehen.

Am Morgen bed Tages, wo mein Bruder und ich in Pont⸗de⸗ deauvoiſin anlangten, hatte der Doktor feinen gewöhnlichen Beſuch Sri Bränlein Ducroquet gemacht. Immer liebenswürbig und galant, kalte er ver Geneſenden den „Rinaldo Rinalvini” und den „rafenden dLeland“ mitgebracht. Zur Belohnung hiefür hatte ihm Fräulein | Sälarine verfprochen, ihm Karten zu fchlagen und wahrzufagen. Da e Doktor aber den ganzen Tag feinen Augenblid frei hatte, fo war eingeladen worden, ohne Umflände ein Kleines Abendbrod mit zu rejebten, und er hatte ed unter ver Bebingung angenommen, daß aan ihm erlaube, eine Flaſche Barfait:Amour dazu mitzubringen.

Fräulein Ducroquet befchäftigt fi den ganzen Tag mit ihrem Anzug und ihrem Abendeſſen; die alten Jungfern find Iecler und die “ete wiffen, was gut if. Man läuft von feinem Spiegel: in bie Epeifefammer, frifirt feine Locken und macht das Eis auf die Croͤme⸗ Säſſeln, ſetzt eine Haube auf und peitfcht Käfe, bindet ein Halstuch n und fieht nach den eingemachten Früchten. Die Zeit vergeht bei ' füßen Beihäftigungen fchnell ; nur der alten Magd wird fie lang, zei ihre Gebieterin noch nie fo wunderlich beim Kochen und An: hen geivefen.

Um fünf Uhr ift endlich Miles fertig. Ein Tiſch iſt mit Back⸗

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wert, Früchten, Confeet und feinen Weinen überladen. Yräulein Gäfarine hat eine hellblau ausgeputzte Haube ‚aufgefegt, deren Bänder vortrefflich zu dem ſchmachtenden Ausdruck ihrer Augen paflen.

Auf einem Sopha figend, erwartet fle, in dem „rafenden Roland“ leſend, den Doktor ; die Liebesgefchichte der ſchoͤnen Angelika verfeht fie in zärtliche Träumereien. Man läutet; fie bebt zufammen. IM Carls des Großen Neffe ? Nein, Herr Sapiens, der beim Anblid bed Abenvefjens und der Fräulein Cäſarine flarr vor Bewunderung fliehen bleibt und wechfelweife bald die blaue Haube, bald die Mafronen: teller zärtlich anblickt.

Nach den gewoͤhnlichen Hoͤflichkeitsbezeigungen ſetzt man ſich zu Tiſche. Alles iſt meiſterhaft zubereitet, und Fräulein Ducroquet fpricht troß ihres Herzklopfens den Lederbiffen und dem Muscatwein häufig zu. Allein der Doktor ift zugegen und verfichert, es bringe ihr feinen Schaden. Wie foll man befonnen bleiben, wenn ber, welde unfere Gefundheit regiert, und felbft auffordert, ein Bischen über bie Schnur zu hauen und uns das Beifpiel dazu gibt! Wräulein Gäfarine Iegt fich Feinen Zwang auf; Herr Sapiens ift fo hinreißend, er fagt, Parfait-Amour einfchenkend, fo fchöne Dinge, daß bie zweiunbvierzigjährige Tugend erfchütiert und ſchwankend zu werden anfängt. Man hat übrigens dem Doktor verfprocden, ihm Karten zu Schlagen und darf dieſes nicht vergeffen. Man nimmt fein Karten: fpiel zur Hand, und während der Doktor Bisquit ift, fagt man ifm auf einer Ede des Tifches, obgleich es bereits dunkel wirb und man nicht mehr recht hell fieht, feine Zukunft voraus ; allein zum Pre: phezeihen wirb man Fein Licht brauchen.

„Ag, Doktor! jetzt werde ich erfahren, was Sie benfen,“ fagt Fräulein Bäfarine, ihrem Gafte die Karten zum Abheben hinreichend. |

„Das ift mein Wunfch, anbetungswürbiges Fräulein!“ ent: gegnei Herr Sapiens, ein zweited Glas Parfait⸗-Amour leerent.

„Die Karten täufchen mich nie.“

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„Dann will ich fein. wie die Rarten.“

„heben Sie doch einmal ab.“ '

„So oft Sie befehlen.“

„Ah, Ihr Spiel ift recht hübſch!“

„Ich zeige mich, wie ich bin, liebenswürdige Cäfarine. Meine Gedanlen liegen Klar vorihnen. Die Liebe für Sie beherrfcht mich gang.”

„Laffen Sie doch meine Kniee in Ruhe . . . drei Neuner ! vad bebeutet ein großes Süd!”

„Ah, Sräulein Ducroquet, ed hängt bloß von Ihnen ab!“

„Heben Sie zum brittenmale ab. Sept find Sie herausge⸗ iommen, Doktor; ich nehme Sie für ven Garreau- Buben.“

„Nehmen Sie mich, wie ed Ihnen beliebt ; nur nehmen Sie mich, das iſt mein einziger Wunfch!“

„Sie liegen neben einer Brünette.”

„Das find Sie, Fräulein Ducroquet.“

„Ste fühlen Neigung... Liebe für viefelbe.”

„Leidenfchaftlih... ach, wie gut Sie Karten fchlagen können!“

„Da ift aber ein Schippen-Bube, der mich in Unruhe ver: jept ; ex tritt uns immer in den Weg.“

„Wir geben ihm eine gefunde Arznei, daß es ihm vergeht, ſüße Augen an Sie hin zu machen.“

„Der Kreuz⸗Zehner ... es iſt ein Liebhaber im Haufe .. Doktor, warum brüden Sie mir die Hand fo!”

„Bleichwie Goͤrard von Neverd der fchönen Curiante ober, wenn Sie lieber wollen, der auf dem Schooße Omphalia’s fpin- aenbe Herkules der Dame feines Herzens zu Füßen flel, alſo werfe andy ich mich vor Ihnen auf die Kniee nieder.”

„Doktor, was beginnen Sie... drei Zehner.... eine Verän- terung ... aber wir fehen nicht mehr hell genug ; ich will läuten.“

„Es iſt überflüffig, wir fehen fchon genug, um und zu ver: chen. Ich warte nur auf Ihren Befehl, um meine Liebe öffentlich in erklären.“

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„Diefer Schipgens Bube macht mir Sorgen.”

„Diefer Schlingel verfolgt uns wie ein Hanfſamen⸗Fußbad!“

„Für Sie... für das Haus... was gejdhieht...“

„Gine Heirath . . . intereffante Gäfarine, ich ſchwoͤr's bei biefem Kuß!“

„Ah, Doktor, was beginnen Sie?... bad Schippen:A... für Ihre Gedanken... Doktor!” '

„Sch bete Sie an.“

„Noch ein Päckchen... Doktor, Hören Sie auf!“

Aber der Doktor, den der Muskatwein und der Barfait: Amour fehr verliebt gemacht Haben, wird mit jenem Augenblicke Tühner. Man flieht faſt nichts mehr; Fräulein Ducroquet, welche ben Kopf verloren hat, blickt, ſich ziemlich ſchwach vertheibigenb, immer noch auf ihre Karten und fährt mit bewegter Stimme fort: „Drei Achter und die Kreuz⸗Dame, die verkehrt da liegt. Ach, mein Gott! Doktor, was fol das bedeuten ? Ich weiß gar nicht mehr, wie mir gefchieht.“

Die Tugend der Fräulein Ducroquet läuft große Gefahr, ale fig plößlich vom Kamin her ein dumpfes Geräufch vernehmen läßt; ed wird immer ftärfer und nähert fih immer mehr; endlich fällt etwas Schwarzes herunter und wälzt fih mit einem furchtbaren Geſchrei Bis in die Nähe des verliebten Pärchens.

Bei diefer plöglichen Erfcheinung bezweifelt Fräulein Ducroquet nicht, daß ed der Teufel fei, welchen fie unter der Geſtalt des Schippen: Buben gefehen habe, und der fomme, um fle für ihre Schwachheit zu beftrafen. Sie bricht in ein lautes Gefchrei aus und ftdßt den Doktor weit von ſich; Herr Sapiens, ber fat eben fo fehr erſchrocken iſt, als die alte Jungfer, will Leute herbeiholen : aber man flieht nichts mehr und der Doktor ſtoͤßt ſich an den LTiſch, auf dem bie Refte des Abendeſſens ftehen. Indem er ſich raſch aus bem Staube machen will, wirft er Teller, Flaſchen, Schüffeln um, und faͤllt, dad Geficht in Rahmkaͤſe und die Hände in Barfalts Amons tauchend, mitten auf den Boden nieber,

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Der Fall des Doktors Hat Fräulein Ducroquet noch mehr er: ſchreckt, indeſſen hat fie noch Kraft genug, ihr Zimmer zu ver: lafjen und ganz außer Athem in das ihrer Magd zu eilen, welche eben Lichter anzündet und ſtarr vor Schreden ftehen Bleibt, als fe ihre Gebieterin in der größten Unorbnung hereinftürzen und auf einen Stuhl finken fieht. | .

„Ah, Gertrude,“ ruft das Fräulein aus, „ver Teufel... . ver Doktor... ber Schippen-Bube ... durch den Kamin herab! Ich Batte es in den Karten gefehen! Wir find verloren !“

Die alte Magd ift wenigftens eben fo furchtſam wie ihre Ge⸗ bieterin ; bei dem erften Wort derfelben fängt fie an zu zittern wie ein Efpenlaub, und legt die Schaufel und die Feuerzange kreuz⸗ weiß auf ihr Bett, damit ſich der Teufel nicht darin verflede, dann sinmf fie ihre Gebieterin unter dem Arm, und Beide gehen bie Treppe hinab, um Leute zu holen. Auf ihrem ganzen Wege ruft Fräulein Ducroquet aus:

„Der arme Doktor ! ich fürdhte fehr, daß ihn ber Teufel ge: bot Hat! Wie ſchade, er kannte mein Temperament fo gut. Aber et iſt ſelbſt Schuld, Gertrude, er hat fi über ven Schippen-Buben fig gemacht.“

„Ah, mein Gott! Fräulein, das ift genug, um großes In: ad anf fich zu laden.”

Die Damen gehen zu ihrem Nachbar, Herrn Boulette, den fe um Beiftand bitten. Diefer, der nicht an Rartenpädchen glaubt, echt über Fräulein Ducroquets Erzählung. Die junge Magp, die Margarethe, lacht auch, indem fie die alte Jungfer fpsttifch hast, wie es komme, daß fie ohne Licht bei dem Doktor fei; tan Fräulein Cäfarine hat gejagt, daß fie in der Dunkelheit die Gehalt de8 aus dem Kamin herabfallenden Gegenſtandes nicht habe unterfcgeiden koͤnnen.“

Dieſe hinterliſtige Frage der jungen Magd macht das alte Fraͤu⸗ lein errothen, und fle antwortet: der Doktor habe ihr den Puls

Baul de And. H. 6

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gefühlt, ihr Schröpftöpfe auf vie Schulter fegen wollen, und fie habe aus Schicklichkeit gewünfcht, daß diefe Operation in ber Dunlel⸗ heit vorgenommen werden ſolle.

Jungfer Margarethe beißt ſich in die Lippen und erzählt dieſen Vorfall ihren Nachbarn; in zehn Minuten verbreitet ſich dieſe Ge⸗ ſchichte von Haus zu Haus in der ganzen Stadt; man weiß überall, daß der Doktor Sapiend im Dunkeln mit Fräulein Ducroquet, bet er angeblich Schröpfföpfe fegen wollte, allein war, ald Ciwas aus dem Kamin herabfiel, welches die Operation unterbrach.

Jedes macht feinen Gommentar hinzu ; man fherzt, man lacht, man erinnert fich an die Spröbigfeit der alten Jungfer, man be: fpöttelt die_zweiunbvierzigjährige Tugend ; denn es braucht nur einen Augenblid, um bad zu verlieren, was und jo viele Kühe zu erlangen gefoftet hat. Die Neugierigen begeben fich in den Zuben

"ded Paftetenbäders, der bald voll von Leuten if. Man Hört die Geſchichte an, welche Fräulein Ducroquet und ihre Magd Allen erzählen, die fommen ;: zulegt entſchließt man ſich, den Gegenſtand, der fo viele Zurcht eingejagt hat, zu betrachten. |

Während der Sturz meines Bruders die ganze Stabt in Auf⸗ ruhr brachte, hatte ich den. Rüchenfchornftein des Paftetenbäders gefegt. Ich feige wieder herunter, fuche mit den Blicken die junge Magd, fehe aber Niemand. Nengierig, zu wifen, ob mein Bruber das ihm anvertraute Gejchäft gut beforgt habe, gehe ich in das Zimmer hinauf, in das ich ihn geführt Hatte, und rufe mehrere Male „Peter!“ in den Kamin hinauf, Ih erhalte Feine Ant wort; feine Schuhe find indeß da ; Alles beweist mix, daß er noch nicht aus dem Kamin herunter gefommen iſt; warum antwortet er mir denn nicht? Ich rufe aufs Neue und Elettere bis in die Mitte Hinauf: Peter befindet fich nicht mehr in dem Kamin. Wie fommi 8, dag feine Schuhe noch unten fiehen? Ich gehe aus dem Zim- mer hinaus und rufe, im Haufe herumlaufend, meinem Bruder; ich begegne keinem Menfchen, ſelbſt der Laden iR verlaffen; brus

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Wed war fo eben Herrn Boulette gefolgt, der weit feiner großen Zortenfchaufel fortgegangen ift, um die Geftalt des Säippen-Buben zu beſichtigen.

Stänlein Ducroquet und Gertrude gehen zitternd hinter dem vaſtetenbaͤcker her, Alles folgt ziſchelnd, mit dem Gedauken, was wohl aus dem Doktor geworden fein möge ; aber kaum bat man bie Hälfte des Weges zurückgelegt, fo erfcheint derſelbe mit be: - Kürzter Diene, umd die ganze Geſellſchaft bricht in ein ſchallendes Gelaͤchter and, weil Herr Sapiens Käfe am Kinn und Backwerk anf der Naſe hat, umd fih, Dank dem auf dem Boten vergofle: am Parfait⸗Amour, ein Fleines Biscuitchen auf fein linkes Auge gellebt bat, während der Schippen-Bube in feinen Haaren hängt.

Herr Sapiens erflaunt, daß man lacht, Fräulein Ducroquet ettoͤhet, beißt fich in die Lippen und Alles fagt zu einander:

„Eine ſonderbare Manier, fich zum Schröpfen vorzubereiten !“

Der Doktor verfichert übrigens, daß fi etwas Außerordent⸗ liches in dem Zimmer feiner Kranken zuttage, und bei dem An- blide der auf des Doktors Kopf geflebten Karte ſtoßen die alte Getrude und ihre Gebieterin einen Schrei des Schreckens aus. Die Septere laͤßt Herrn Boulette und die Unerfchrodenften, welche Fackeln w den Hänben haben, vorausgehen ; fo bringt man in ihr Zimmer. Sie fließt Die Augen, weil fie vermuthet, ver Teufel werde in Sefialt einer Fledermaus davonfliegen. Aber flatt einds fchredlichen kimd, wovor fie ſich fürdhtete, hört fie lachen und fcherzen, denn. ter Baftetenbäder hatte den Gegenſtand, der feine Nachbarinnen is fo peinfichen Schrecken verfegt hatte, erfannt. Beim Eintritt - u Sränlein Ducroquets Zimmer hatte man Peter inmitten der Refte den dem Abendeſſen, auf dem Boben figend, gefunden. Mein Bader Ropfte fi, von der Betäubung erholt, welche im erſten Angenblide auf feinen Sturz gefolgt war, mit den um ihn her⸗ genden Biscuits und Kuchen voll und ſpeiste ruhig zu Racht, nahrend Alles im Haufe außer fih war.

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„Qi, das iſt einer meiner Heinen Schornfteinfeger,“ rief ve Maftetenbäder aus. u | „Sa, wahrhaftig,” fagt Margarethe, „das ift ber Kleinere

ich erkenne ihn; er muß durch das Loch gefchläpft fein, das üı Fräulein Ducroquets Kamin hinüberführt, und iſt dann Bier Her untergeftiegen.”

„Sa, ja, das ift mein Bruder,” fage ich, auf Peter zueilenb denn ich war den Leuten nachgegangen und hatte mich durch bi Meugierigen hindurchgedraͤngt.

Fräulein Ducroquet begreift nicht, wie der Schippen-Bub: bloß einen Schornfleinfeger andeuten folle. Herr Sapiens, welche Alles Iachen fieht, bemüht ſich, indem er fein Geſicht mit feinen Tafchentuche abwifcht und feine Haare, die der Lildr in einen Schlic zufammengeflebt hat, auseinander zu machen fucht, ein Gleiche zu thun.

„Ei, warum ift denn der kleine Schlingel Bier berumter ge kommen?“ fragt endlich Fräulein Caͤſarine, ihren geftrengen Toı annehmend. |

„Entfchuldigen Sie, Madame,“ erwidert mein Bruber, „id bin herunter gefallen, ich habe es nicht mit Abſicht gethan.“

Fräulein Ducroquet bemerkt, daß man leiſe zifchelt, währen man fie betrachtet. Sie bedankt ſich Bei Herrn Boulette und entiäf Alles, indem fie einen vielfagenden Blid auf Herrn Sapiens wirfl

Am folgenden Tage fpra man in der gangen Stadt nur des bei ber alten Jungfer vorgefallenen Begebenheit, welche in ber Dämmerung beim Parfait⸗Amour⸗Trinken Schröpflöpfe f ließ. Um diefen Gefprächen ein Ende zu machen, wurde Yrän Eäfarine nach Berfluß von acht Tagen Herrn Sapiens Gattin ; d ſchwiegen die böfen Zungen, und bie heirathöluftigen Iungfı Heßen ihre Schornfleine dreimal des Monats fegen, in ber H es falle auch Etwas herunter, welches ihnen einen ann

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Siebentes Napitel. Das junge Mädchen und ihr Zeifig.

Das Kamin: Abenteuer Hat fo viel Auffehen gemacht, daß Jedermann den Heinen Schornfleinfeger fehen will, der für den Teufel gehalten worden war. Peter geht, noch ganz von Ruß und Ein: gemachtem beſudelt, durch die Hände aller Neugierigen. Die Fraͤu⸗ kin finden ihn hübſch, die Witwen. geben ihm ein Schläppchen auf die Wange, die Mägde fragen ihn leife, was er gefehen, ale er in Fräulein Ducroquets Zimmer heruntergefallen fei, und mo der Doktor ihr die Schröpflöpfe angefebt habe. Peter antwortet, ganz erfiaunt, fo gehätfchelt zu werben, Allen: ex fei, ohne vor fh Hin zu fehen, beruntergeftürzt, und habe, als er mit dem Ge⸗ ft auf den Boden gekommen, gefpärt, daß diefer gezudert fei, und dann nicht mehr gefchrien.

Nachdem man fi) lange mit meinem Bruder befchäftigt hatte, gab ihm ein Jedes Etwas, und Herr Bonlette geſtattet und, in einem Winkel feines Haufes zu übernachten. - Wir fchlafen fingen en, denn wir find jeßt fehr reich; wir befißen beinahe vierzig Sons, und Peter jagt zu mir: „Nicht wahr, Andreas, ed war geſcheit von mir, durch das Kaminloch Hinpurchzufchlüpfen und in das Zimmer diefer Dame hinabzufallen ?“

Ich weiß ſelbſt nicht recht, was ich hierauf antworten foll. 88 ſcheint mir doch, als hätte ich beffer gearbeitet wie mein Bruber, denn ich habe den Küchenkamin auf's Reinlichſte gefegt und bin nicht zu dem Nachbar hinüber gekommen. Aber Peter wurde ge: feiert, und ihn wollte Jedermann fehen und Fragen an ihn flellen ; er hat von Allen Etwas befommen, während auf mich Niemand achtete. Hat mein Bruder befjer gearbeitet ? Ich begreife es nicht, amd ſchlafe ein, ohne mir den Grund erflären zu koͤnnen.

Am folgenden Morgen verlaffen wir PBontsbe-Beauvoifin und

ſchlagen ven Weg nad Lyon ein. Unfere Säde find mit Leder biffen angefüllt, vie man Betern gefchenkt hat ; außerdem haben wir vierzig Sous in Reſerve. Dies fcheint und bis nach Paris hinreichend. Wir pilgern heiter vorwärts ; fo lange wir Mundvot⸗ rätbe haben, ift mein Bruder nit müde, er fingt an Einem fort und fchlägt ein Mad dazu, ohne fidh über feine Ferfe zu beflagen. Oft, wenn wir uns niederfegen, um Etwas zu effen, unb Peter fpielt, ſtatt auszuruhen, ziehe ich das Bilbnif ber ſchönen Dane unter meiner Jade hervor und betrachte ed. „Begegne ich dieſem Frauenzimmer in Paris,“ fagte ich dann bei mir felbft, „fo er: kenne ich ſie augenblidlich, eile ihr nach und rufe ihr zu: „Hier, Madame, ift Ihr Gemälde, welches man bei und hat Fiegen laſſen.“

Ich erinnere mich auch ded einäugigen Herrn und des kleinen hübſchen Maͤdchens, und bilde mir ein, daß ih, in Parid ange: langt, dieſen Leuten allen bald begeguen werde. |

Es widerfährt uns bis Lyon nichts Beſonderes; aber es war Zeit, daß wir anfamen: unfer großes Vermögen ging auf bie Neige, und unfere Säde waren fchon lange leer. Beim Anblid biefer fchönen Stadt fage ich zu meinem Bruder;

„Hier wollen wir arbeiten und Geld verdienen.”

„sa, ja,” antwortet Beter; „Du follfi fehen, Andreas, id werde machen, daß man und wieder gute Sachen gibt und mid. hübfch findet.“

Diesmal kommen wir nicht mit Ginbruch der Nacht in ter Stadt an: wir befinden und ſchon des Morgens um fieben Uhr inmitten biefer Straßen, von benen und jede einzelne eine Stadt, ſcheint. Dan ficht noch wenig Lente; die Krämer machen ihre Läden auf, die Taglähner gehen an ihre Arbeit, die reichen Leute pflegen noch ver Ruhe over Befinnen ſich auf ihrem Polfter, mie fle einen für die Mäßiggänger fo langen, für den thätigen Maun = rurzen Tag herimbringen follen. Wir können bloß bie Breiten

und bie Hohen Häufer bewundern.

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„Borwärts !“ fage ich zu meinem Bruber, „wir wollen ung gleich hören laſſen; aber weigere Dich nicht mehr fo ange, in inen Kamin binanfzufteigen.“

Beter verfpricht es mir. Er fcheint in ber That entfchloffen ud fängt mit mir aus Leibeskräften zu fehreien an: „KRaminfeger !“

„Ho, ho! ihr fein früh d’ran, meine Kinder,” fagt ein alter, mit dem Kehren vor feinem Haufe befchäftigter Bortier zu und. Bir haben Taum den erftien Oktober und man heizt erſt um Aller: eiligen ein; da mir meine Frau am nächften Sonntag Klöße schen wii, fo ift ed mir nicht unangenehm, wenn mein Schorn- Reim gefegt wird. Obgleich wir in der Brandverfidderung flehen, fürchte ich mich doch immer vor dem Feuer, denn ich Tönnte einmal Nachts verbrennen... mein Leib ift nicht verfichert! Meine Kran wollte lezthin, ich folle den Azor verfichern, weil man Giftkugeln im Quartier geftreut bat. Wenn ich auch noch Gelb für die Ver: ſicherung ber Thiere bezahlen müßte, Tünnte ich ed nicht mehr auf: treiben. Komm’, Kleiner, feg’ mir meinen Schornftein fanber, börk Du ?“

Mit diefen Worten führt der Portier meinen Bruder in fein Hand. „Und ich?“ frage ich ihn.

„Ah, Du? Du kannft fonftwo Arbeit fuchen ; ich brauche Feine jwei Schornfleinfeger für einen einzigen Kamin.”

„Geh' nur,“ fage ich zu Peter, „ich will Dich hier erwarten, und wenn ich irgendwo etwas zu thun befomme,. fo bleibft Du, falls Da bälder fertig biſt, auf diefer Bank figen.“

Beer folgt dem Bortier ; ich gehe eine Weile auf der Straße auf und ab, und werde bald von einer Magb gerufen, welche mir aufträgt, zwei Schornfleine zu reinigen.

Während ich an meiner Arbeit bin, ift mein Bruder mit dem alten Bortier gegangen, der ihn in eine Stube im ſechsten Stods wert des Haufes hinanfführt. Beter ſchaut fih um: ein kleines trübfeliges Manfarbenzimmer, ein Waſſerkrug auf dem Tiſche, das

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Alles deutet ihm nichts Gutes an und fieht Kern Bonlette’s Laden nicht ähnlich; aber Peter Hat feinen Plan gefaßt: er ſpricht nichts und ſchickt fi an, den Schornftein hinaufzukletiern.

„Nimm Di ja recht in Acht, Kleiner,“ wiederholt ihm ber Bortier mehrmals, „zerbrih mir nichts; man hat vor Kurzem erft die Röhre geflickt; fege fauber, übereile Dich nicht; ich gehe wieber in den Hof hinunter, wenn Da fertig biſt, rufſt Du mir.“

Mein Bruder gibt ihm kein Gehör, er ift bereitd in bem Kamin oben. Er Elettert, rechts und links mit den Händen tappend, hinauf, findet aber kein Loch, Feine Spalte. Peter begreift es nicht ; er glaubt, ex müfje wieber einen andern Schornflein finden, in ben ex ſich hinablaſſen ober in den er wenigflend Hinunterfleigen fönne, um ben Leuten wieder Furcht einzujagen, Kuchen und Gin: gemachtes zu eſſen, mit Schmeicheleien überhäuft und mit großen Kreuzern befchenkt zu werben.

Durch anhaltendes Klettern war Peter Bid an das Ende bes Kamins binufgelommen; er ſtreckt feinen Eleinen blonden Kopf hinaus und fieht, daß er auf dem Dache if. Er ſchwankt einen Augenblid unentfchloffen, was er thun fol, da er feine große Luſi bat, in die Stube bed alten Portiers zurüdzufehren, wo er Nie mand erfchreden, alfo auch Feine Belohnung und feine Leckerbiſſen erhalten Tann.

Indem fih Peter umfchaut, bemerkt er in einer Entfernung von etwa zwei Schritten die Röhre eined andern Kamin, Die eine ſehr weite Deffnung hat. Es ift ihm, wenn er fi vorbeugt, ein Leichte, diefelbe zu erreichen. Ein Kind berechnet die Gefahr nicht lange; es weicht oft vor einer eingebildeten zurück, und häpft un tänbelt auf einem an Abgrünben hinführenden Wege; allein vs bie Betrunfenen ihren Schußgeift haben, müffen die Kinder nod mis größerem Rechte einen haben, denn ein kleines unſchuldiget

ren muß.in den Augen ber Gottheit eben fo intereſſant fei n des Weines voller Menſch. Wand fein

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Rein Bruder ſteigt alfo aus feiner Röhre heraus, beugt langſam ven Körper vor, erreicht mit feinen Heinen Händen den gegenüberfichenden Kamin, glitfcht dort rafch hinein und klettert denn glüdlich wie ein König, oder wie ein Liebhaber, der ſich zum erfen Stellbichein begibt, oder wie ein Theaterbichter, deſſen Stud Glid gemacht hat, oder wie ein Schaufpieler, der einen Kame⸗ saden auspfeifen hoͤrt, welcher diefelben Rollen hat wie er, ober wie ein Spieler, der eine Quaterne gewonnen hat, oder wie eine alte Kofette, der man ein Compliment macht, oder wie eine Magd, bie ihre Herrſchaft ausgehen flieht, oder wie ein Schüler, ber feine dalanz antritt (der Lefer mag felbft urtheilen, welche Perfon hies von die glücklichſte ift) in diefen neuen Schornflein hinab.

AS Peter zwei Drittiheile des Kamins hinuntergeftiegen ift, befnnt er ſich, ob er fich bis auf den Herb Hinablafien foll; es fällt ihm aber ein, dag man fich beim Stürzen befchäpigen Tann, amwill es alfo nicht thun; erſt tief unten will ex einen plumpen Eprung machen umd zur Belufligung der Anwefenden mit lautem Geſchrei in das Zimmer purzeln.

Bir wollen einmal ſehen, zu wem Peter dieſesmal hinab⸗ fällt, und ob feine unerwartete Erfcheinung eben fo viel Wirkung bervorbringt, wie bei Fräulein Eäfarine Ducroquet.

In dem Haufe des alten Portiers, wo viele Miethölente mohnten, Iogirte unter Andern auch eine alte reiche Dame, welche ifte Nichte, ein junges ſechszehnjähriges Mäpchen, bei fich Hatte.

Madame Durfort, fo hieß diefe Dame, war fehr fireng ex- zegen worden, ohne weber auf einen Ball noch in ein Theater zu Immen, kurz, ohne irgend eined ber Vergnügen zu genießen, bie tea der Jugend geftattet find. Erſt im neunundbreißigfien Jahre batte man es für pafiend gefunden, fie heirathen und Herr ihres Billens fein zu laſſen, und die junge neununddreißigjährige Fran fimmerte fich in der That nie um den Willen ihres Mannes, ent weber weil fie fich für einen etwas langen Zwang entſchaͤdigen

. 86 wollte, ober weil fie es für natürlich Hielt, zu Befehlen, nachder fie fo lange gehordht hatte. Madame Durfort bemächtigte fich angel blicklich der Oberherrfhaft. Man hatte ihr einen Fleinen Mani welcher ſechs Jahre jünger war als fie und ihr bloß bis and Kin reichte, zum Gatten gegeben ; verfelbe hatte außerdem ben gu mütbigften Charakter und die zartefte Stimme. Hieraus wirt en far werden, daß Herr Durfort feiner Frau gegenüber nicht 5 fonders imponiren konnte. Nach achttägiger Verheirathung zitter der arme Mann vor ihr, und ſprach nur, wenn fie ihm das Red dazu eingeräumt hatte; aber feine Fran hatte ihm befohlen, überall für den glüdlichftien Mann auszugeben, und wenn er bie in einer Gefelfchaft nicht drei oder viermal wiederholt Hatte, näherte fich ihm diefelbe und Fneipte ihn, um ihn zu dieſer Heben art zu zwingen, bis er gehorchte. Ä Herr Durfort war außer Stand, das Uebermaß feines Sind zu ertragen: er flarb nach fünfjähriger Ehe, dem Himmel für di ihm gemachte Geſchenk dankend. Aber die Wittwe mar fehr un frieven mit dem Berflorbenen, weil er fie kinderlos zurädgelafi hatte ; fie behauptete überall, ihre Eltern hätten ihr einen zu Fein Mann gegeben, und fie werbe fich mit Teinem wieber verehelich der nicht fünf Fuß ſechs Zoll groß fei. Wein, fei es, daß m Herrn Durforts Glück nicht zu würdigen wußte, oder baß weni Männer den Muth hatten, fein Nachfolger zu fein, es zeigte keiner, um den Seligen zu erfepen. Mabame Durfort ging fort, indem fie bebachte, daß die Bebingung, welche fie bei ei zweiten Che feftfette, viele Bewerber ausfchließe, weil große Män etwas Seltenes find, einen Zoll in ihren Anforderungen berunt In kurzer Zeit fprach fie überall davon, daß ein fünf Fuß v ZoU großer Mann noch etwas reiht Hübfches fei; bald änferte A zum Vortheil der Männer von mittlerer Größe; enblich q "e fogar zu, daß man, obgleich Hein, doch hübſch fein Tune, m gte weiter bei, daß im Allgemeinen die kleinen Männer «a

87 i mutbiger feten, ald die großen. Aber das Alles zog keinen einzigen Beinerber herbei, und Madame Durfort, welche fich zulegt' mit einem Zwerg Begnügt hätte, fah mit Aergerniß ein, daß fie auf vie Hoffnung, einen zweiten Gatten zu finden, verzichten mülfe, obgleich ihr jegliche Taille recht geweſen wäre.

Kinderlos und gezwungen, Wittwe zu bleiben, nahm Madame Tarfert, die irgend Jemand zum Beherrichen haben mußte, eine ihrer Richten zu ſich, welche fie auszuftatten und zu verheirathen eerſprach, wenn man fie biefelbe nach ihrer Laune erziehen laffe. Rovame Durfort war rei; man vertraute ihr die junge Aglne a, bie damals erft acht Jahre alt war und recht hübſch zu werben rerſprach.

Die junge Nichte entſprach den von ihr gehegten Hoffnungen; % war eine Roſe, bie bald in ſchönſter Pracht ſtrahlen follte. Ron jedoch fo viele Reize, eine fo herrliche Friſche! Arme Kleine, weicher graufamen Tante hatte man Dich anvertraut! Madame Derfert Hatte, fich erinnernd, daß man fie erfl im breißigften Jahre beirathen ließ, die Abficht, ihre Nichte nicht vor dem vierzigften a bie Ehe treten zu laſſen, indem fie verfiderte, daß in dieſem Üter ein Frauenzimmer erſt im Stande fei, eine Haushaltung zu führen und ihren Mann zu regieren.

„Welche Thorheit!“ fagte fie oft, „Rinder von achtzehn vder manzig Jahren heirathen zu laffen! Wie Tönnen dieſe fchon Cha⸗ tfter haben und ein Hausweien leiten! Wie geht ed in foldhen Men? Dann find die Männer Herr, führen ihre Weiber wie Eier an der Nafe herum, und Alles ift verkehrt im Haufe. Erecht mir von einem vierzigjährigen Frauenzimmer, die weiß, wos fie thut; ihr Charakter ift ausgebildet, fie beſitzt Feſtigkeit ws Zuverficht, fie Bleibt ihrem Manne Teine Antwort ſchuldig. iS! wenn Herr Durfort noch Iebte, fo koͤnnte er euch fagen, daß W mid nach achttägiger Verheirathung benahm, ald ob ich ſchor feit zwanzig Jahren feine Frau fei.“

. zu flerben; deun Mabame Durfort zog Aglae auf, wie fie |

ss Die Heine Nichte anlwortete ihrer Tante nichts, aber Im fin

zehnten Jahre fing ihr Herz zu feufzen an und es Tam ihr vo als ob fie ſchwerlich ihr vierzigfles erreichen werde, ohne vor Kumm

aufgezogen worden war: führte fie weder auf einen Ball nod ai einen Spaziergang und verbot ihr jeven Umgang; fie ließ die arı Kleine alle die Langeweile büßen, die fie felbft einft empfunb! hatte. Auf dieſe Weife rächen fich engherzige Seelen; Unſchuldi müflen dad Unrecht büßen, welches ihnen zugefügt wurde, währe! großmäthige Herzen ihr erlittenes Unrecht Dadurch zu vergeſſen fuche daß fie ihre Nebenmenfchen beglüden und Wohlthaten ausüben.

Madame Durfort war fechözig Jahre alt, als ihre Richte ihr fechözehntes trat. Vergebens bemühten ſich einige vernünfti Leute, Aglae's Tante. begreiflich zu machen, daß wenn fie bara beharre, ihre Nichte erſt im vierzigfien Jahre zu verbeirathen, wahrfcheinlich auf das Vergnügen verzichten müfle, bei ver .

zeit derſelben zugegen zu fein. Madame Durfort, welche ohne Zwei glaubte, man altere im fechözigften Jahre nicht fo ſchnell ald fechszehnten, antwortete beſtaͤndig: „Ich verheirathe meine Ric wenn fie fo alt ift wie ich, ala ich Herrn Durfort Heiraihete.“ Aber der gute Lafontaine hat es fchon gefagt:

Ein Uebermaß der Kühnheit Hilft oft weiter

AB ſelbſt ber Vorſicht Nebermaß. @ine fo traurige Lebensweiſe langweilte die junge Aglae, umd i Langeweile wurbe noch größer, wenn fle bedachte, daß ihr vor flug von vierundzwanzig Jahren nichts Anderes bevorſtehe. In Simmerdhen eingefperrt, deſſen Thüre neben der ihrer Tante bie Hausflur führte, ſeufzte das arme Kind über ihrem S Tambourin ober ihres Straminnäßerei. Sie hatte fein u tendes Buch zu ihrer Berfireuung: Madame Durfort hätte zittert, wenn fie einen Roman in ben Händen ihres Nichte gef aben würde; die Ritterromane ſchienen ihr noch gefährlicher

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bie andern, denn Herr Amadeus, Herr Tanereb und Herr Roland: ſvrechen unaufhörlich von Liebe, und zwar anf eine Weiſe, bie einer jungen Unfchulb, die noch nicht weiß, daß die Liebhaber heut- zutage ander find als die Ritter von ehemals, den Kopf verbrehen fönnte. Die ganze Lektüre des jungen Mädchens beftand aus dem Bürgerlichen Roc, und felbft aus biefem hatte Madame Dur: fert das Kapitel über die Kapaunen herausgefchnitten, weil bie Art und Weife, wie diefe Thiere gemäftet werben, ihrer Nichte hätten ſchwermuͤthige Gedanken beibringen koͤnnen.

Wenn Aglae zu ihrer Tante zu fagen wagte: „Ich glaube, daß ih mit vierzig Jahren alt fein werde,“ fo ſchrie dieſe mit rütbenden Blicken auf die Jungfrau:

„Bas heißt Du alt? War ih alt, Fräulein, als ich mich serheirathete ? Stand ich nicht im ganzen Glanze meiner Schön- beit? War ich nicht frifch, prächtig, wohlgeftaltet ? Wenn man Kefe Ropnafen Hört, wäre-man mit fünfzig Jahren nicht mehr ang! Es iſt wahrhaftig zum Erbarmen! Kies die Gefchichte unferer Urelten, Plaudertaſche, damit Du eines Beffern belehrt wirft.“

„Aber, Tante, Sie laſſen mich ja nur Rezepte über’8 Sances aechen lefen.“

„Weil das für ein Brauenzimmer die nothwendigſte Wiffens ſchaft ik; Dein Mann wird fle anerkennen.“

„Bas fleht denn in der Geſchichte unferer Ureltern ?“

„Daß Abrahams Frau neunzig Jahre alt war, als fie bie Goberung Pharao’8 von Aegypten machte, und die fchöne Judith wor ſchon Aber ſechszig, als fie dem Holofernus den Kopf ver: die; ſomit glaube ich, Fräulein, daß man auch im eigen u einen Mann finden kann.“

Auf diefes wußte Aglae nichts zu erwidern; fie Begnägte ſich somit, wieder in ihr Zimmerchen zurückzukehren und zu ſeufzen, hs fie ihre Tante zu einer Lottoparthie vief, der einzigen Erholung, We man ihr zuweilen gönnte,

Bin junger Offizier auf halbem Sold, welcher feit einigen Tagen in demfelben Haufe Iogirte, wo die Tante und die Nichte

wohnten, ſah indeß eined Morgens die fchöne Aglae ihren Zeihg-

kaͤſig aufhängen. Die arme Kleine ſprach mit ihrem Bogel; fie fuchte ihn zum Singen zu bewegen, aber fie ſchien dabei fo traurig,

und ber melancholiiche Ton, in dem fie ihn „Soͤhnchen, Herzchen“

nannte, hätte das gleichgültigfte Herz gerührt. Man Tann ſich denken, daß der junge Offizier nicht unempfindlich blieb: Aglae's Züge hatten ihn intereffitt ; fein einen Stod Höher gelegened Fenſter befand ſich gerade gegenüber von dem des jungen Mädchens, das allerdings beinahe immer geſchloſſen war. Allein der junge Mann fah faft den ganzen Tag zum Fenfter hinaus, in der Hoffnung, feine Hausgenoſſin zu erbliden. Es gibt nichts Gefährlicheres fur hübfche Mäpchen, als die Nachbarfchaft eines unbefchäftigten Di zierd. Gin Krieger, ber die härteflen Kämpfe mitgemadgt, gib: fih, um zu gefallen, mit den Eleinlichften Dingen ab: Herfulei fpann zu Omphaliens Füßen ; Antiochus verkleibete ſich als Bacchus um Glevpatra zu verführen ; Rinaldo fang feiner Armida ; Franz | machte der ſchönen Ferronniere Verſe, und ber tapfere Bayaıı jelbft beſchaͤftigte fh mandmal, neben Madame Randan ſchmach

tend, mit der Nähnadel.

So verbrachte unfer junger Offizier, nachbent er Die Feind feines Vaterlandes gefchlagen. hatte, ganze Tage damit, dem Zeiſi feiner Nachbarin zuzurufen: zKüß'. mih, Söhnen, küß' mi Herzchen.“

Aglae, welche ihr Fenſter nur des Morgens einmal öffnet um ben Käfig aufzuhängen, wenn die Sonne fchien, und um ben Zeiftg hereinzunehmen, bemerkte einige Zeit ihren N bar nicht ; aber eines Tages, ald fie wie gewöhnlich den aufhing und nachdenklich vor Fiſi fichen blieb, horte fie eine aͤn zarte Stimme mit Nachdruck wieberholen: „Küß’ mich doch, Sohuch kuß' mich, Herzchen.“ Dann erhebt fie die Augen und exblidt

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Geſcht ihres Nachbarn, welches nichts Abſchreckendes an ſich Hatte. Cie Schlägt jedoch das Fenſter plöglich zu, weil fie ganz beſchaͤmt ıR; baun nähert fie fich demſelben aber wieder und hebt eine Feine Ede bed Borhanges in die Höhe, um zu fehen, was ber Herr mil der weichen Stimme für eine Phyfiognomie hat.

Es if ein junger, fehr hübſcher Mann; er bat braune Haare, blaue Augen, ein höchft angenehmes Lächeln und ein rabenſchwarzes Shuurbärtchen, das feinem Geficht fehr viel Charakter verlieh. Aglae hat diefes auf einen Blick gefehen, fie bleibt aber immer mit dem Vorhangeckchen fliehen, ſieht alle Augenblide wieder nach em Nachbar hinauf und fpricht bei ſich: „Ach, wie hübſch ift ein cchnurrbart! Ach, wenn ich ein Junge wäre, möchte ich auch einen haben! Ich bin überzeugt, ex flünde mir gut.“ Und Fräu⸗ im Aglae würde gerne den ganzen Tag mit der Vorhangede in ter Hand fliehen geblieben fein, um ihr Gegenüber zu betrachten. Ihre Tante ruft: fie muß ihr Fenſter verlaffen. Wie ſchade! doch ie wird ſich morgen wieder bavorftellen... die arme Kleine, relches Vergnũügen es ihr macht, den Nachbar zu betrachten! Ach! Rarame Durfort, Sie hätten Ihre Nichte vor den Schnurrbärten täten follen.

Abends beim Hereinnehmen des Käfige fieht man den Nachbar ucht; dies ift Die Zeit, wo er fich beim Mittageſſen befindet. Aber ım folgenden Morgen verfäumt man nicht, Fifi aufzuhängen ; man dat fi zwar fchon zum Voraus überzeugt, daß der Nachbar an ſanem Fenſter ift, allein man wagt es nicht, ihn anzubliden; man Imiht übrigens länger mit feinem Zeifig und hört dem Nachbar in, welcher ſich auch mit ihm unterhält. Aglae erröthet und wird salegen: dies verfchönert fie in noch höherem Grade; die Ber: wgenheit der Unfchuld hat fo etwas Berführerifches! Nicht allen Shönen if diefe liebenswürdige Unbeholfenheit verliehen ; es gibt delche, die fie nachzuahmen fuchen, aber das find Dinge, bie man nt einlernen kann.

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Die Heine Nichte antwortete ihrer Tante nichts, aber im fünf: zehnten Sabre fing ihr Herz zu feufzen an und es Tam ihr vor, als ob fie fchwerlich ihr vierzigfles erreichen werde, ohne vor Kummer

. 38 flerben; denn Mabame Durfort z0g Aglae auf, wie fie felbR

aufgezogen worden war: führte fle weder auf einen Ball noch auf einen Spaziergang und verbot ihr jeven Umgang; fie ließ die arme Kleine alle die Langeweile büßen, vie fie felbft einft empfunden hatte. Auf dieſe Weile rächen fich engherzige Seelen; Unfchulbige müffen bad Unrecht büßen, welches ihnen zugefügt wurde, währen großmüthige Herzen ihr erlittenes Unrecht dadurch zu vergefjen fuchen, daß fie ihre Nebenmenfchen beglüden und Wohlthaten ausüben.

Madame Durfort war ſechszig Jahre alt, als ihre Nichte in ihr ſechszehntes trat. Vergebens bemühten ſich einige vernünftige Leute, Aglae’8 Tante begreiflich zu machen, daß wenn fie darauf beharre, ihre Nichte erft im vierzigften Sabre zu verbeiraihen, fie wahrfcheinlih auf dad Vergnügen verzichten müſſe, bei ber Hoch⸗ zeit derfelben zugegen zu fein. Madame Durfort, weldhe ohne Zweifel glaubte, man altere im ſechszigſten Jahre nicht fo fchnell ala im ſechszehnten, antwortete beflänbig: „Ich verheirathe meine Nichte, wenn fie fo alt ift wie Ich, als ich Herrn Durfort heiraihete.“

Aber der gute Lafontaine hat ed ſchon gefagt:

Ein Uebermaß der Kübnbeit Hilft oft weiter Ald jelbft der Borfiht Uebermaß.

Eine fo traurige Lebensweife ‚Iangweilte die junge Aglae, umb ihre Langeweile wurbe noch größer, wenn fle bebachte, daß ihr vor Ber: flug von vierundzwanzig Jahren nichts Anderes bevorftehe. Zu ihe Zimmerchen eingefperrt, deſſen Thüre neben ber ihrer Tante anf die Hausflur führte, feufzte das arme Kind über ihrem Stid: Tambourin oder ihres Straminnäßerei. Sie hatte fein unterhal: tended Buch zu ihrer Zerfireuung: Mabame Durfort Hätte ge: zittert, wenn fle einen Roman in den Händen ihrer Nichte gefeben haben würbe ; die Ritterromane ſchienen ihr noch gefährlicher als

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Und Fraͤulein Aglae ſtellte ſich, ala ob fie glaube, ihr Zeifig gebe ihr Antwort ; für. eine Unſchuld ift das eben nicht ungefchidt. Zeiſige, bie eine ſolche Unterhaltung führten, würden in Frankreich mit einem wahnfinnigen Preife bezahlt, und der blaue Bogel war gegenüber von Fräulein Aglae's Zeiflg nur ein Dummkopf.

Achtes Aapitel. Beter maht wieder einen dummen Streich.

Seit man angefangen, mit Hülfe des Vogels ſich zu verſtaͤn⸗ Keen, hatte bie kleine Nichte einige verſtohlene Blicke gewagt. Sie ſeh, wie ber junge Mann, während er nur mit dem Vogel be- Wäftigt fehien, Tein Auge von ihr abwandte. Seinen höflichen Gr erwiderte fie mit leichtem Kopfnicken; dann ging’8 wieder an Ne Unterhaltung mit Fifi, der vor das Fenſter gefebt wurde, wie und dad Wetter fein mochte.

Diefe zärtlichen Unterhaltungen dauerten leider nur gar burz, bean die Tante, die nicht begriff, wie das Aufhängen eines Käftgs Io viel Zeit erforbere, zankte die Nichte, als fle nicht gleich wie pwöhnlich zurückkam. Die Kleine, die unaufhörlich ‚von Liebe ge- Magt wurde und doch nicht mehr am Fenſter fiben durfte, wußte zu Helfen. Alle Augenblice rief fie:

„Liebe Tante, ed regnet; ich will Fifi hereinholen.“

„Nein, Mamſellchen, es regnet nicht.”

„Liebe Tante, ic} fage Ihnen, es regnet, ein Gewitter zieht uf. Der arme Fifi! er fürchtet fich fo vor dem Gewitter; wie er BD verſtekt! Sehen Sie nur, wie finfter es wird.”

Um nur die Nichte los zu werden, erlaubte die Tante oft, von Zeiſig Hereinzuholen. Kaum war er drinnen, fo rief Aglae ver: Rigt: „Das Gewitter ift vorbei und die liebe Sonne fcheint wieder.”

„Glaub's wohl, ed witterte bloß in Deinem Hirn.“

Paul be Rod, IN. |

\ ge

Aglae ſchließt dieſes Mal ihr Fenſter langſamer, ohne jedoch nach dem Gegenüber zu blicken: fie hofft, ſich durch das Aufheben der Vorhangecke zu entſchädigen; aber ihre Tante ruft ihr zu Arbeit. Wie ärgerlich! und wie lange wird der Tag bis zum kom⸗ menden Morgen ſein.

Der junge Mann hat wohl bemerkt, daß man ihn beobachtet Hat und erräth, daß man ihn, wenn man ihn gleich nicht durch das offene Fenfter betrachtet, doch Hinter dem Vorhang gemuftert bat. Gin junges Mädchen verräth fih durch ihr ganzes Weſen, durch die geringfte Bewegung, und felbft wenn fie Gleichgültigkeit heucheln will, Tiegt Etwas in ihrem Aeußern, welches ihre Blide ober ihre Worte Rügen ftraft; die Liebe iſt ein fo ſüßes, fo aus: ſchließliches Gefühl für fie, daß fie ihr ganzes Sein durchdringt; fie Spricht fi in ihren Handlungen, ihrem Gang, felbft in ihrem Schweigen aus, und alle Anftrengungen, fie zu verbergen, bienen Häufig nur dazu, fie deutlicher an den Tag zu legen.

Aglae ift nicht mehr viefelbe : fie ift heiterer, Tebhafter, wenn fie mit ihrem Zeiſig ſpricht. Sie unterhält fi weitläufig mit ihrem Vogel, welcher nie fo gut beforgt warb und jetzt mit Bio⸗ cuits, Zuder und Kömern vollgeftopft wird. Wie die Fleinen Schelminnen doch gleih auf Pflffe gerathen! „Wie hübſch, mie artig er ift, Fiſi!“ fagt das junge Mädchen, ihren Bogel an's Senfter aufhängend. Und der Nachbar antwortet:

„Ich Tiebe meine Herrin, ſie ift fo ſchön! Küß’ mich, Herrin, mich geſchwind!“

„Haft Du mich gern, Fifi ?“

„Sa, ja, ja, ja.”

„Wenn ich aber den Käftg aufmachte, würbeft Du body de: vonfliegen.“

„Rein, nein! ich will bei Dir bleiben und nie zu einer An: dern fliegen.”

Lieber Fiſt!“

füß

%

Lebe, bed Bergnügend. Lieben Sie, reizende Aglae, lieben Sie, ehe Ihr Herz vor Alter und Weisheit einfchrumpft. Nur um Liebe zu erwecken, hat die Natur Sie mit folchen Reizen, folder Jugend» friſche ansgeflattet. Oder hätten Sie Ihre Schönheit, um ber ihr gebührenben Hulbigungen verluftig zu gehen ? Nein, erwibern Sie Gleiches mit Gleichem und glauben Sie an die Liebe deſſen, ber Ihnen ewige Anbetung ſchwoͤrt.“

Es war ber Zeifig, der fo ſprach. Und Aglae? Sie warf dem Bogel ein Kußhaͤndchen zu und flotterte:

„Sa, ich will Dir glauben, Fifl, will Dich lieben! s iſt nicht meine Schuld, daß ich nicht ausgehe und des Abends Punkt ibn Uhr eingefperrt werde.“

Nach ſolchem Geſtaͤndniß brauchte der junge Offizier nichts zeiter, als auf Mittel und Wege zu ſinnen, wie er feiner Schönen ſich nähern koͤnne; denn mit der Rolle des Zeiſigs vor dem Fenſter wor er nicht zufrieden. Aber wie ver Eleinen Nichte ſich nähern ? Die Tante hütete fie wie ihren Augapfel: bei Tage durfte fie nicht 6 dem Haufe gehen und Nachts wurde fle in ihrer Kammer ein: geſchloſſen. Wäre nur das Fenſter des jungen Mannes nicht fo weit ab geweſen, dann Hätte er auf einem Brett wie auf einer utſchbahn hinüberklettern koͤnnen; aber leider betrug bie Entfer⸗ sung ſechszehn Fuß, und wo iſt ein Zimmer, deffen Voden Dielen von folher Länge Hat? So mußte er ſich den Schlüffel zu Aglae's Kammer zu verfchaffen fuchen ; es gab Fein anderes Mittel. Daher wieerholte der Zeiflg allmorgentlich feinem Schäpchen:

„Gib' den Schlüffel, geſchwind! Suche ven Schläffel zum Kifg!“ oder auch: „Oeffne mir die Thüre, fei barmherzig !“

Fräulein Aglae, die noch vor wenig Wochen vor einem Spiegel the Strumpfbandchen angelegt hätte, aus Furcht, den Teufel oder ſent was darin zu erblicken, wußte ſchon nach einigen Tagen ven Sqlaſel zu ihrer Rammer and dem Arbeitsbeutel ihrer Tante weg: Mraltiziren, als biefe ihre Brille verlangte, Raum hat ber kleine

%

Nichtenuig den Schlüffel erwifcht, fo nimmt fle hurtig den Zeifig vom Fenfter fort, denn ber Wind geht fo und der Himmel ift voll Lämmerwölfchen.

Dabei aber ruft fie mehrmals laut: „Fifl.“ \

Gleich erfcheint der junge Offizier, der immer auf ber Lauer flieht, am Fenfter, und flieht einen Schlüffel auf den Hof fallen. Er wie der Blitz hinunter und hebt ihn auf; Aglae fchließt ihr Zenfter wieder und verfihert die Tante, über Nacht werde das Metter fi ändern. Diefe aber hört die Nichte nicht, denn fie ſucht ihren Schlüffel zu Aglae's Kammer.

„Was fucdfen Sie, liebe Tante?” fragt die Tleine Schelmin fo arglos wie möglich.

„Nichts, Mamfellchen!" antwortet Madame Durfort. Aber fie denkt bei fih: „Die Kleine darf nicht wiffen, daß ich den Schlüffel verlor, fonft behält fie ihn, wenn fle ihn findet. Doch ich hab' ja einen zweiten: fo wirb ſie's nicht merken.“

Abends Schlag zehn Uhr fperrt Madame Durfort wie gewöhnlich ihre Nichte ein und dreht den Schlüffel zweimal um. D, das Ge: töfe dringt der Kleinen durch Mark und Bein. Sie fürdhtet, mer: gend ben verkehrten Schlüffel and dem Beutel der Tante genommen zu haben, venn fie weiß nicht, daß bie Tante zwei bat.

„Bas wird der arme Fiſt ſagen?“ denkt fie. „Vielleicht glaubt er, ich wolle ihn zum Beften haben, ich Liebe ihn nicht. DO, wie ſchmerzt der Gedanke!“ Sie ſetzt fich nieber, flübt das Köpfchen. auf bie Hand und fängt bitter an zu weinen, &8 ifl Doch graufam, in füßen Erwartungen fo getäufcht zu werben. Gar zu gerne hätte fie mit Fiſt geſchwatzt. |

Aber horch! fleigt nicht Jemand die Treppe herauf? Wichtig. Er Bleibt vor der Thüre flehen und ſteckt einen Schlüffel ins Loch. O Seligkeit! der Schlüffel wird gebreht und die Thüre öffnet fich. Aglae ſchreit laut auf vor Wonne, denn fie erblidt ben zier⸗ lichen Schnurrbart Fifi's. |

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Liebende und verliebte Seelen koͤnnen fich Teicht denken, was bie beiden Liebenden, die fich allein fahen, fich mitzutheilen hatten; falte Seelen werben es nie begreifen. Mebrigens hat die Liebe Ge: meinpläge, die nur für die beireffenden Perfonen Interefje haben.

Sch denke mir, der junge Offizier wollte bloß etwas näher mit feiner hübſchen Nachbarin ſchwatzen, und daß Aglae nichts Böfes darin fand, den Jüngling aud außerhalb feiner Rolle als 3eifig zu hören. Gewiß waren Beide eiwad rebfelig, denn fie wterhielten fih an Einem fort bis gegen fieben Uhr Morgens; aber die Tante Fam nie vor halb neun Uhr, Aglae's Kerferthüre zu Öffnen. Indeß erheifchte die Vorficht, Fiſi um fieben Uhr fliegen zu laſſen.

Diefed füße Nachtgefchwäg dauerte fchon vierzehn Tage lang und Alles fchien dem Glück der beiden Liebenden günftig zu. fein. Tie Tante hatte nicht den geringften Argwohn; vielmehr war fie wit der Nichte zufriedener als je, denn die Kleine gab ſich bei Tage weniger mit Fifi ab, weil ſie's bei Macht einholen Tonnte. Wer ahnte damals, daß die Ankunft der beiden Fleinen Savoyarden bie Eeligleit des liebenden Paares zu nichte machen follte. Aber Alles hingt auf Engſte zufammen ; der Fleinfte Umſtand hat oft die gewichtigſten Folgen. Es if das alte Lien: ein Verſtoß gegen bie Etikette in Deutſchland bringt ganz Europa in Waffen, ein vitto Verſtoß in Ehina fegt ganz Aflen in Flammen. Laffen wir das Kapitel, es würbe und zu weit führen.

Gewiß bat man fchon erratben, daß Peter, mein Bruder, Sduld daran ift, indem er aus dem Kamin des Portiers fich durch das Kamin der jungen Aglae nieverläßt. Es war erſt fieben Uhr Rorgens ; die jungen Leute hatten auch diesmal nächtlich mit ein- der geſchwatzt ober ſchwatzten vielmehr noch, als Peter wie eine ſchwere Maſſe den Rauchfang herunterpoltert und laut fehreiend ſich in's Zimmer wälzt.

Der Lärm raubt Aglaen die Beſinnung. Sie glaubt, ihre

96 Nichtönug den Schlüffel erwifcht, fo nimmt fle hurtig ben Zeifig vom Fenfter fort, denn der Wind geht fo und der Himmel if voll Lämmerwölfchen.

Dabei aber ruft fle mehrmals laut: „Fifi.“ \

Gleich erfcheint der junge Offizier, der immer auf der Lauer ſteht, am Fenſter, und fieht einen Schlüffel auf ven Hof fallen. Er wie der Blitz binunter und hebt ihn auf; Aglae ſchließt ihr Fenſter wieder und verfihert die Tante, über Nacht werde dad Wetter fih ändern. Diefe aber Hört die Nichte nicht, denn fie fucht ihren Schlüffel zu Aglae's Kammer.

„Was ſuchen Sie, liebe Tante?” fragt die Heine Schelmin fo arglos wie möglich.

„Nichts, Mamfellchen !" antwortet Madame Durfort. Aber fie denkt bei fih: „Die Kleine darf nicht wiſſen, daß ich den Schläffel verlor, fonft behält fie ihn, wenn fie ihn findet. Doch ich Hab’ ja einen zweiten: fo wird ſie's nicht merken.“

Abende Schlag zehn Uhr ſperrt Madame Durfort wie gewöhnlich ihre Nichte ein und breht den Schlüffel zweimal um. O, bad &e: töfe dringt der Kleinen durch Mark und Bein. Sie fürdhtet, mor: gend den verkehrten Schlüffel aud dem Beutel ber Tante genommen zu haben, denn fie weiß nicht, daß die Tante zwei bat.

„Was wirb der arme Fift jagen?“ denkt fie. „Dielleicht glaubt er, ich wolle ihn zum Beften haben, ich liebe ihn nicht. O, wie ſchmerzt der Gedanke!“ Sie ſetzt ſich nieder, fügt das Köpfchen auf die Hand und fängt bitter an zu weinen. &8 iſt doch granfam, in füßen Erwartungen fo getäufcht zu werben. Gar zu gerne Hätte fie mit Fiſi gefchwaht.

Aber horch! fleigt nicht Jemand die Treppe herauf? Richtig. Er bleibt vor der Thüre ftehen und ſteckt einen Schlüffel ind Loch. O Seligfeit! der Schlüffel wird gedreht und die Thüre öffnet ich. Aglae fchreit laut auf vor Wonne, denn fle erblickt den zier⸗ lichen Schnurrbart Fifi's.

90 kinfeger hinweist, ber wie ein Big aus heiterem Simmel in ihr Immer gefallen il. Der Portier erkennt meinen Bruder, pad in beim Ohr und wirft ihn zum Tempel hinaus,

Beter, erſt geohrfeigt, dann geohrzupft, laͤuft heulend bie Irppe hinab. Unten im Hofe erwiſcht ihn der junge Offizier, der ſh ſtellt, als fomme er aus feiner Wohnung, nad der Urfache ws Laͤrmes fi zu erfunbigen.

„Bart’, ich will Dich lehren, durch's Kamin herunterpoltern, a Schelm !“ und damit applicirt er Petern ein Halb Schock derber daßtritte; Du kehrſt das ganze Haus von unterft zu oberft, ſtoͤrſt ke Tanten um fleben Uhr aus ihrer Morgenruhe: da haſt Du Eins, künftig bleib’ Hübfch in Deinem Schornftein ; treff' ich Dich wieder, h fchmeid’ ich Dir, meiner Seel’, beide Ohren ab,“

Nachdem er ſich fo an meinem Bruder gerächt, geht ex ruhig a feine Wohnung zurück. Auch die Köchinnen verlaufen ſich all naͤhlig: 's ift ja bloß ein Schornfteinfeger,, der in's verkehrte Kamin jetathen. Aber Madame Darfort kann den jungen Mann mit Uniform und Schnurrbart nicht vergeſſen, der aus der Kammer ihrer Nichte ſich Fortgefchlichen und ihr einen Stoß gegeben hat, vaf fie der Länge nach hinflel. Bor den Leuten ſchweigt fie, doch laum if ſie mit Aglae allein, fo fragt fie, wer der Gindringling geweſen. Aglae ift wie aus den Wolken gefallen und ſchwoͤrt, daß fe Riemand gefehen. Endlich fagt fie, woher ein Schornfleinfeger lsmmen, daher Eönne auch ein junger Offizier kommen. Die Tante weiß nicht darauf zu antworten; damit aber nicht wieber ein Shornfeinfeger nebft Offizier in das Zimmer ihrer Nichte regne, läßt fie fie neben ſich fchlafen, bewacht fie noch forgfamer als zuvor uud ſcheukt Fiſt die Freiheit trotz aller Bitten und Proteflationen des jungen Maͤdchens.

Draußen auf einer Bauk in ber Straße erwartete ich meinen Sruder, Ich war laͤngſt fertig mit Kaminfegen und begriff nicht, wo Peter fo Lange bleibe. Endlich fah ich ihn heranhinken mit

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sothgeweinten Augen und ſich an einem gewillen Theile reiben, ale ſchmerze ihn ber.

„Bas fehlt Dir, Beter ?“ frag’ ich, ihm entgegeneilenb.

Er nimmt mich bei der Hand und zieht mi fort. „Komm, Andreas,“ fagt er, „Eomm’ geſchwind; laß uns fort aus dieſer Stadt.“

„Aber warum jept ſchon fort? Worüber weint Du? Sprich'!“

„Komm’, Bruder, komm'! Reiten wir und, man will mir bie Dhren abſchneiden.“

„Die Ohren abfchneiven ?“

„Ja, komm’; ich will nicht länger bleiben.“

Und damit zieht er mich fort. Schon haben wir Lyon im Rüden und doch blickt er jede Minute Angftlich zurück, als fei man ihm auf den Ferien. .

Ueuntes Rapitel.

Antunft in Barib. Unvorhergefehened Ereignifß.

Erft zwei Meilen hinter Lyon erholt fich Beter vom erſten Schreden und fleht mir Antwort auf meine Frage über die Ur: ſache feiner Thränen.

„Rum fprich’, warum weinteft Du? Was hat man Dir gethant"

„Weiß Bott, Andreas, was all’ die Leute da von mir wollten. Ich wollte e8 machen wie beim Paftetenbäder: ich geb’ vie eim Röhre hinauf und als ich oben bin, ſchlüpf' ih in eine anders hinein und rutſche d’rin herunter, fingend und ſchreiend. Gewifl kriegſt Du da auch Kuchen, den!’ ich bei mir, wie bei ber anbern Dame, weißt Du? Warum nicht gar. . . Obrfeigen Trieg’ ich, Obrfeigen von einer Mamfell, der Alte mit dem Befen packt mid am Ohr, und als ich unten bin im Hofe, kommt ein Herr mil Schnurrbart auf mich zu und tritt mich mit Füßen... dahin um

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droht, er wolle mir die Ohren. abfchneiden, wenn er mich noch⸗ mald erwiſche.“

„Amer Bruder !”

„Sag nur, Andreas, warum die da unten fo freundlich ge: wefen find und warum die in Lyon für biefelbe Sache mich geprägelt Haben ?

„Ih weiß nicht, Bruder; aber merf’ Dir ein für alle Mal: Du mußt immer in derſelben Röhre bleiben, - wenn Du fegſt. Ich babe in Bont-de-Beauvoiftn Leine Complimente gekriegt, aber auch feine Schläge in Lyon wie Du ; fle Haben meine Arbeit ordentlich bezahlt. Mach's in Zukunft wie ih, dann geht es Dir beſſer.“

Beter verfpricht, in Zukunft vorfichtiger zu fein und nie wieder durch eine andere Röhre hinabzufteigen. Luftig geh'n wir fürbaß, denn wir Brennen vor Ungebulb, Paris zu jehen, bie große, große Stabt, von der man und fo viel erzählt hat. Peter traͤumte vom nichts als Marionetten, Seiltänzern und Schattenfpiel an der Wand; ih aber fühle nach dem Portrait unter meiner Wefte und denke au den einäugigen Herm und das hübſche Fleine Mäpchen; id bin ganz ftolz, ihnen das Kleinod wieberbringen zu innen, das fe in unſerer Hütte liegen liefen. Es war mir, als müßte ich fe gleich bei unferer Ankunft in Paris treffen.

Unterwegs geht Alles-gut; es begegnet uns nichts Ungewoͤhn⸗ liches. Wenn wir auf unferem Marfch in einer Stabt Arbeit ber Emmen, fo hält fich Peter immer hübſch in dem nämlichen Kamin med geräth in keinen fremden; fo gehört ſich's auch. Wir verdienen gerade fo viel, als wir brauchen. Endlich, endlich fliehen wir am Biel: ſchon erblicken wir ganz in der Kerne die ungeheuren Häufer der großen Stadt. O, wie that und das fo wohl, wie muthig fühlten wir uns. „Sieh’, da Liegt Paris,” riefen wir Beide zu: Immer aus, „wo man fo viel Geld verbient und fo luſtig Icht, and wo’8 fo viel zu jehen gibt: Marionetten und d Seiltauzer, und m mau fo gut ißt und trinkt.“

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Wir geben und die Hand, Peter und Ich, werfen bie Rütze hoch in die Luft und jauchzen laut anf vor Freude. Wenn wir nur erſt in Paris find, fagen wir und, da muß es und gut gehen, und man braucht da nur zu wohnen, um glüdlich zu ſein. Aber ich bin erſt acht Jahre alt und mein Bruder ſieben.

Ehe wir in Baris einziehen, halt’ ich es für gut, bem Bruder ein Paar nüpliche Lehren zu geben.

„Bruder,“ fag’ ih, „bedenke, was unfer guter Vater fagte. In der großen Stadt Ieben nicht Iauter ehrliche Lente, auch viel SEchelme, Spigbuben und Diebe, daß Bott erbarm'. Aber fo uf ed halt fein. Es gibt da Viele, welche ſich Iuflig machen über bie, welche vom Land herein kommen, ihnen allerlei böje Poſſen fpielen und ihnen das Geld aus der Taſche fichlen; nicht uns, denn wir haben Teines. Aber vielleicht Yacht man und ans, benn wir find noch Kinder, und treibt mit und fein Spiel. D’rum nimm Dich in Acht und glaub’ nicht Alles, was man Dir fagt. Hört Du, Peter!“

„3a, ich höre, Andreas; aber ich bin nicht ſo dumm, wie Du weißt!“

Ich war nicht fo ganz feft davon überzeugt, doch wollt’ id’ Beter nicht merken laſſen. Jetzt endlich find wir in Paris. Wie wurde umd zu Muthe in der großen, ungeheuer großen Stabt. Um fleben Uhr Morgens beiraten wir eine ber Vorgaͤdte Lyons, und ſchon nad} einer Stunde hatten wir fie im Ren, ohne und um zufeben. Aber hier! Gs ſchlaͤgt drei Uhr Nachmittags, als wir und in Paris befinden. 's ift die Stunde, wo Jeder feinem Geſchaͤfte nachgeht. Die Straßen find vollgepfropft mit Menfchen, die Wagen zaffeln mit Bligesfchnelle an und vorüber... und um uns ber, bie Läden firahlen im fchönften Blanze, vie vie Achuletkraͤmerin bieten ihre Waaren feil, dazwiſchen rufen die Debfläx, Gemüfeweilir, Waller:

träger m. |. w. Kechts wird bie Drehorgel gefpielt, liccks geigt ein

blinder Geiger, etwas weiter davon fingen Mehrere zur Guitacte.

Ich foße Peter mit Gewalt fort. Er reißt die Augen auf mad

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ſperrt das Maul auf; ex weiß nicht, wohin er zuerſt ſehen foll. daſt geht’ mir wie ihm, doch geb’ ich mir Mühe, weniger dumm auszujehen, Die Ohren wollen und fpringen von dem etwigen Gerafiel der Wagen unb dem verworrenen Geſchrei: „Für brei und einen halben Sous Alles nach Belieben! Wafler, Waſſer! wei Shü für fünfzehn Sons! Aufgefchaut, meine Herren u Damen, Meffer, Scheeren, Lotto's, Domino’3! Nur zu⸗ geiauft, Kinder, frifchgebadten, eben aus dem Ofen! Uhrketten son Saaren, zu allen Breifen und zu allen Sorten! Die aller: unehe ımd allerbefte Anweifung zum Piquet und Ecartö! Immer heian, meine Herren und Damen, hier ift zu hören unb zu leſen das rührende Lied auf den weltbelannten Parifer Giftmord, nad - vr Melodie: O Liebe, Liebe, Liebe! Nur no der letzte Rei! Jede Nummer gewinnt! Ziehen Sie, Mamfelichen,, ziehen &e!n.f. w. u. f. w.“

Je weiter wir kommen, um ſo aͤrger wird der Laͤrm und um Io dichter die Menſchenmenge. Schon zweimal wurde Peter um: yraaut, denn er bleibt vor jedem Laden fichen, ohne den Leuten öjzweichen. Schon wieder läuft er mit der Naſe gegen einen Kun Herrn an, ber wie ein Edelmann gekleidet it, mit fpiegel- Hatten Stiefeln, blauem Rod mit goldenen Anöpfen, Faltenhofen, wahtoolf Frifirten Haaren, thurmhoher Haldbinde und ſchneeweißen hentſchuhen. Der guäbige Herr ſtoͤßt Peter auf die Seite umd Mit ihn an:

„Schlingel von Savoyarde, Schmuglümmel! Die Kanaille meh ganz Paris dredig"

Peter guckt den geftrengen Herrn groß an unb fpringt raſch af die Seite, ſtolpert aber gegen ben Korb einer Debfllerin und wirft Alles aufs Pflaſter.

„Daß Du die Peſt kriegſt, Savoyarde!“ ruft die Fran wü⸗ Kr. „Wo Haft Du die Augen, Efel! Gleich ſamml' das Obſt af, uud bezahle, was Du verborben haſt.“

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> Sch wie der Bis Hin und helfe dem Bruder das Obſt auf- leſen. Dann zieh’ ich ihn fort und zanfe ihn:

„Glb doch Acht, Peter; fieh’ in Zukunft ordentlich vor Dich Hin.“

Aber Peter ift jo außer fih vor Staunen, daß er mich nicht hört. Er weist mit dem Finger auf einen Kleiverladen und räft:

„Sieh’, Andreas, die fchönen Kleider, und da, bie fchönen Spiegel, und da, die fchönen Stühle!”

Nur mit Mühe bring’ ih ihn von einem Paftetenbäderladen weg. Er zupft mich am Kleid, ſieht mich biktend an und fagt ganz, leiſe:

„Andreas, haft Du zwölf Sons ?“

„Nein! Wozu das?"

„Hoͤrſt Du nicht? „Zwoͤlfhundert Franken für zwoͤlf Sons!“ zuft der Feine Herr da. Die wollen wir taufen, Andreas, und und dann beim Paftetenbäcder fatt eſſen.“

„Geh, Peter; der Herr da Hat und zum Beſten. Ich fagte Dir ja, Paris ift voll von Schelmftreichen !”

„Du glaubft, er will bloß fpaßen ?“

„Bas fonft, Peter? Wie Tann er zwölfhundert Franken fir zwölf Sous verlaufen? Er muß uns für rechte Efel halten!“

Jetzt find wir vor einem Kupferflichladen. Ueber eine Stunde bewundern wir bie herrlichen Bilder. Nie Hatten wir fo fchöne Sachen gefehen, und ich glaube, noch flünden wir da, wenn nicht etwas weiter ab Peter ein Feines Haus von Leinwand entdeckt hätte, vor dem eine Menge Menfchen fich ſtieß und drängte.

„Ah, Andreas, eine Kape! Polichinello! der Teufel!“ ruft ee und läuft weg.

Ich folge ihm dahin. Ein Marionettentheater iſt's, wo eine Kape von Polichinello gehänfelt wird und ſich mit Rotomago heram: prügelt. Die Geduld des armen Thieres hätte mich in Staunen gejeht, Hätte ich nicht gehört, daß es in Paris Thiere gebe, fo ge- ſcheit wie Menfchen. Alles laͤuft herbei, dies Schaufpiel zum fehen;

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eine neugierige Menge umgibt und: Bonnen, welche die Katze den Kindern zeigen, während fle mit Soldaten ſchwatzen; Mamfellyen, bie oft ſich umbliden, und ach! wie hübſch und artig find; auch Herren, bie bicht Hinter den Mamſellchen fleben und ihnen immer anf ver Ferſe folgen. Das ift nicht Höflih, ihr Herren. Jetzt ſeh' ih gar Einen, der feine Hand unter die Schürze von einer biefer Damen ftedt. Schon will ih: Diebe! Diebe! fchreien, aber bie Dame kehrt fih um und flieht ihn fo freundlich an. Sie. müffen ſich gut fennen, ſcheint's.

Endlich flegt die Kabe, der Teufel verfchwindet, nicht in den dunkeln Schooß der Erbe ober in bie Luft, fondern in ben Hinter⸗ grund des Haͤuschens von Leinwand, das ſich plöglich in Bewegung jeßt und etwas weiter unten flille fleht, zum großen Ergößen ber Zufchauer. Ich nehme Peter beim Arm und reiße ihn mit fort. Noch wiſſen wir nicht, wohin wir gehen unb wornach wir und erfundigen follen ; aber Paris ift fo vol von Wundern und Herrlichleiten für und, daß ed und ganz natürlich fcheint, der Neugier nachzugeben und all’ die faufend Schönheiten um uns anzuftaunen. Zwar fehe ih mich unter der großen Menfchenmaffe nach dem Herrn um, der: eine Nacht bei ung fehlief, und nach der fchönen Dame, deren Porträt ih auf der Bruft trage, auch nach dem hübfchen Eleinen Mäpdhen ; aber ich finde ſie nicht. Es muß doch nicht fo Leicht fein, Jemand in Paris anfzufinden, wie ich mir dachte !

„Mein Bott, wie groß!“ ruft Peter bei jedem Schritt aus, den wir vorwärtg thun. „Sag’ nnr, Andreas, wie leicht Tann man flch Hier verirren !“ |

„Gewiß, Bruber, und doch feh’ ich noch Fein. Ende. Aber ſchau', Peter, Schau’, die Bäume, eine Promenade? Komm’ bier ber, da iſt's hübſcher und fliller von Wagen.” j

Wir haben die Boulevarbs erreicht, denn das find die Bäume, bie Promenade. Wir gehen und gehen immer weiter und dennoch fühlen wir keine Müdigleit, fo ſehr bewundern wir, was wir Hören

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und fehen. Hier find es goldene Ringe, Brillaninabeln zu zwei Sons dad Stüd.

„Kaufen wir eine,“ fagt Beter leiſe.

„Bruder, wohin denkſt Du! Merkſt Du nicht, man wil und zum Belten haben ?“

„Schon wieder ? Schon wieder, Beter 7“

Einige Schritte davon fleht ein Herr vor einem Fleinen Bretter: häuschen, Elopft mit einem Stod auf eine Leinwand und ruft:

„Hier iſt für den Spotipreis von zwei Son zu fehen ber große, berühmte AntiantosPBolophage, ver Zeiflge, Yale, Säbel und Degen verfpeist !“

Auch das will Peter fehen.

„Nicht doch,” ſag' ich ihm, „man lacht und and; vergiß nicht, wir find in Paris.”

Mur mit vieler Mühe halt’ ich Peter zurüd, der mit feinen fieben Sous in der Taſche Alles fehen, hören und kaufen will Aber Halt, wohin rennt die Menge? Was foll die Muſik? Bir folgen dem Strome, und erbliden mitten auf einem großen Blahe ein offenes Cabriolet und darauf einen Herrn in rotkem, golbge: ſticktem Rode, mit gepuderten Haaren und langem Sopfe, Rau: kinhoſen, Hufarenfliefeln und zwei Iangen golbenen Uhrenketien, woran zwei bide rothe Kugeln hängen.

Hinter diefem fchönen Herrn flehen zwei Männer mit einem Geſicht, fo ſchwarz wie Neger, aber Händen, wie wir fie haben. Beide Männer find ganz fonderbar gekleidet: Hofen, fo weit wie Unterröde, enge Weften von flohfarbener Seide, geſtickte Gürtel und eine Art von Schnupftuch um ven Kopf gewidelt. Sie machten bie Mufll, die wir ſchon in ber Berne hörten; ber erſte Bat ein Jagdhorn, der zweite eine Klarinette, beide haben auf bem Korf Triangel mit Gloͤckchen und vor fi zwei große Trommeln, bie fie mit den Knieen ſchlagen, beun die Stöde find an bem Kuiern befeftigt. Alles an dieſen Männern if in eiwiger Bewegung, In

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Bien ruhig: der Kopf wadelt immer Kin und ber, Bruf, Leib, Irme und Kuiee fliegen bin und her. O wie koöſtlich flieht Das aus, uns wie laut und doch fo fchön klingt ed! Peter, der nie eine fo kenliche Nuſik gehört, iſt wie behert; ex brängt ſich bis an bie Rider durch und fängt an die Savoyarbe zu tanzen, fdhreit Im, jn! pin, pin! und klatſcht in die Hände. Aber der eine von den beiven Herren mit ſchwarzem Geſichte nimmt eine ungeheure Peitſche und zieht ihm eind über, daß er ſich ruhig verhalte,

„Sicht Du,“ fag’ ich leiſe zu Peter, der ein jaͤmmerlich Gicht ſchneidet, „Die Herren machen keine Muſik, daß Du tanzen folk. Sei ruhig oder man ſchickt und zurüd.“

„Andreas, der Herr da in rothem, goldgeſticktem Rod if ein Nelmann, nicht wahr?“

„Das ſollt' ich meinen, Bruder.”

„Aber die beiden ſchwarzen Teufel da?“

„Sind feine Bedienten, Peter. Still, fill. Der ſchoͤne Herr il reden.“

Wirklich ſteht der rothe Herr auf, gibt den beiden Mufllanten ein Zeichen, ſtill zu fein, trocknet fich mit einem zerlöcherten GSchnupf⸗ ah den Schweiß von der Stirne und will zu reden anfangen. Alles ist vie Ohren. Beter und ich find in der erfien Reihe und können jede Silbe hören. Leider fpricht er fo auslaͤndiſch, daß ich ihn füner verſtehe. Wie's mir daucht, geht's der Menge nicht beffer, wa doch hört Jeder mit der größten Aufmerkſamkeit zu. Nachdem ber fchöne Herr nochmals füh die Stirne getrocknet und ſich ge: Wuipert, fängt er fon:

„Beine Erren und Damen, Signora und Miſtreß, ich grüffe Yen. Für Sie fveht der Signor Fugacini, der fl ßchmeichelt, Allen belannt fu fein: perche ſeit brei ober ßwei Jahr⸗ s ick bin ſerr bekannt in alle Aubtſtädte, fl Signors, durk ick Habe vollſogen mit dem goͤttliken Bruſtbalſam und Nqenbalver, durk mein Genie erfindet! IL you please, Meſſieuro,

iM

108 Mylords, meine Erren, das is ein Balfam für die Magen, dad

madi, daß man lebt undert Jahre un oft nof merr, wie bie Kar raktere befchaffen feind. Un wenn die Schachtel leer is, hab id

nock merr, meine Erren und Damen, immer nad Belieben. God

dem, Signors, id bin Tapabel, Sie Steaußenmagen, und andere Biehmagen fu geben. Mein Balfam mackt Ihnen verbauen Sheine, Marmor, Mooß, Giefel, altbaden Brodit, Berlen, Gupfer, fwarze Radis und Diamanten! Perche, Sie begreifen fugleil die ganze Nutzlikkeit, un perprovar, meine Erren und Damen, wenn Sie feind in die große Wüſte Sahara, wo es nur Sand un Shine zu eſſen gibt, un Sie nehmen mein Balfambulver mit, per provar, omne tulit ponctum, id will nich Signor Yagacini eißen, wenn Sie nid Sand und Sdeine effen wie gelbe Erbſen, un ebenfo abbetitlih, very good!”

Alle fahen ſich verwundert an.

„Sin Deutfcher !" fagen die Einen.

„Rein, ein Engländer !" jagen die Anbern.

„Gott bewahre, ein Türke!“ xuft eine Köchin. „Er Bat ja Neger bei fh, und gewiß hat er feinen Balfam in einem Serail gefunden.“

„Verzeihung, Werthefte,“ entgegnet eine Andere, „ich weiß „ed gewiß, er ift ein Italiener, er hat very good gejagt. Ich habe mein Stalienifch bei einer Sängerin in der Oper gelernt, bei der ich drei Jahre diente.“

„Andreas,“ fragte mich Peter ganz leife, „der fchöne Hen da will und Kiefel zu efjen geben I“

„Nicht doch, Bruder. Er hat einen Balfam, ben er und fchenten will, glaub’ ich ; denn ich verſteh' ihn nicht gang. Still, ex fängt wieder an.”

„Meine Erren und Damen, id Eönnte Ihnen die Rauzlid: Graft von meinem Balfam feigen. Sie braufen bloß nal Londen, Rom, Konfantinopel, Madrid, Beling, Egypten, Syrien un

*

m - Arabien fu geh’n. Aber id will Sie nich fo weit ſchicken. Ick will lieber coram populo Sie hinweifen auf dieſe beiden Neger aus Aria, die nicks efien ald Stein, Moog und Marmor un warum? Weil fie mein Balfam brauken.“

Dabei wies der fchöne Herr auf die beiden Muflfanten, von denen einer an einem biden Stüd Schwarzbrod und einer Serves lawurſt Tante.

„Sie ſeh'n, meine Erren und Damen, fie feind ſtark un ger fund, und dok der da is neunundneußig Jahre, un der andere is undert un elf. Das fprikt ſerr für mil. Aber das Beſte kommt ud, Um Ihnen coram populo einen Beweis von bie ftaunlife Güte von meinem Magen zu geben, will ic! efjen kein Spein, Tein Sand, Fein Diamant, das wär fu leikt vor mif, meine Erren und Damen; nein, id will eſſen coram populo ein Hein Kind von. fieben oder alt Jahr, maͤnnlik oder weiblik, das erfte befl, das m

eſſen laſſen will.“

Alle brachen in laute Verwunderung aus.

„Mein Gott,“ flüſtert Peter mir zu, „ein Kind will er eſſen, der fhöne Herr ?”

„Barum nicht gar, Beter. Er Hat und zum Beften, wie tie Andern auch.”

Inzwiſchen ift Signer Yugacini von feinem Cabriolet herab- geſtiegen umb einer ber Neger mit ihm, um Plab zu machen unter ver Menge, bie endlich einen ‚weiten Kreis bildet um den Wagen.

„Das wär ein Stud!“ ruft der Eine.

„Bin doch neugierig!” der Andere.

„Unmöglich!“ ein Dritter u. f. w.

Beter und ich flehen immer noch in ber erften Reihe, während der fchöne Herr im rothen Rod flolz und vornehm in ber Mitte

| des Kreiſes anf und ab marſchirt. Er flieht fih um nach allen ' Seiten, -wartet eine Zeit lang; aber Fein Kind erfcheint, um ſich

; fen zu laſſen. Plöplich bleibt Signor Fugacini vor Peter fiche

Paul de Rod. 1. 8

118

und muftert ihn von Kopf bis zu Fuß. Peber wird purpurroih ist Geſicht und ganz verbugt. Aber ich ſtoß' ihn au und fage ihm ins Ohr:

„Sei ohne Furcht, er thut Dir nichts. Er Hat bloß feinen Spaß mit Dir!“

„Komm' ber, Kleiner!“ jagt der Herr und winkt Bele.

Ich ſtoß' ihn fanft vorwärts, und gleich darauf ſteht er mitten im Kreiſe.

„Wie alt bift Du?“

„Sieben Jahr, Herr.“

„Sieben Jahr! reckt fo, very good! Du bit hübſch, did und fett. Soll id dit effen, Sped? Es thut nik weh, und Du kriegſt fwölf Sous dafür.“ ,

Peter reißt die Augen weit auf und ſieht mich fragenb an.

„Nur zu,“ fag’ ich ihm, „'s ift ja nur Spaß, oder meinß Du, er werde Dich wirklich aufeſſen ?“

„Sa, ih will Herr!” ruft Peter.

Der Mann im rotben Rod nimmt Peter bei der Hand, zeigt ihn erſt der verfammelten Menge und läßt ihn dann burch die beiten Neger in die Höhe heben, die ihn fünf Minuten lang in der Schwebe halten müſſen, damit die Zufchauer ihn beſſer fehen. Dabei mu: eiren fie und fchlagen mit den Trommelftöcden an ihren Knieen unbarmberzig auf die Trommeln los, während Beter in feine Todesangſt die poflierlichften Fragen ſchneidet. Endlich gebietet ker Herr den Muflfanten Stille und ruft mit bonwernder Stimme: „Aufgeſchaut, meine Erren und Damen! Dies Kind, fieben Jahıe alt, werd’ id effen und in fünf Minuten verbauen, bloß mit Hülfe von mein Balfam !“

Alles reckt die Hälfe empor. Auch ich bin außer mir vor Ru Bier; es konnte ja dem Bruber Bein Leid gefchehen. Peter aber ſcheint nicht fo ruhig wie ich, obgleich ich ihm maufhorlich be deute, ohne Furcht zu fein.

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„Bein Kleiner," ſagt der ſchöne Gere zu Peter, ben bin Beiden Meger wieder amf die Erbe geſtellt hatten, „Du mußt Die aubs fießn. Id Hab’ gefagt, ick will ein Kind efien, aber nid, ick will feine Kleider effen. Doc aus Reſpekt vor die ehrenwerthe Geſell⸗ haft will id Did mit Dein Hemd fpeifen. Sich bleß Dein Rod und Deine Oſe aus.“

Beier beſinnt fih eine Welle.

„Geſchwind, zieh” Dich aus!” Tag’ ih ihm. „'S iſt ja nur Spaß, Beter. Die kannſt Du glauben, daß ber Sen Dig eſſen will 2%

Beter manlt etwas, aber thut, wie ich ihm gefagt. & fteht er benn ohne Jade und Kofe, im bloßen Hembe da, die Kleider unter'm Arme. Dann führt der fchöne Herr Peter im Hembe im Kreife herum, dabei ruft er laut:

„Examiniren Sie ihn, meine Erren und Damen. Sie felfn, der Klein’ is Tein Geripp nid, God dem, ber Schelm is did um fett. Als ick ihn zur Speife mir ausgewählt, da fah id nid, wie fett ex fein that. Aber madt nicks, ſechs Fund merr oder weniksr !

‚Um jo beffer vor bie Geſellſchaft.“

Die Promenade im Hemde behagte Peter nicht ſonderlich, der ſich mehr als einmal von feinem Führer losreißen wollte; der aber halt ihn feſt und ſieht ihn groß am.

„Nur Gedult, kleiner Schelm! wir find not nick fertig! Du haſt mordlange Saare, un Haare ſchmecken nid gut. Ick will Fleiſch

efien un kein' Haare. Holla, Domingo, ſchneid' ihm die Berrühk ab!“

Domingo kommt mit einer großmächtigen Sqheer, vor der ‚Beier erſchrict.

„Sei ohne Furcht, Peter,“ ſage ich zum Bruder, sie or

‚se Spaß nachgerade etwas zu lang währte...

Doch jest zurädzutreten, wäre ſchimpflich gewefen ; may hätte . ‚und ausſgelacht. Durch mein Zureden ermuthigt, gibt Peter auch diesmal nach, nud in Zeit von. drei Minuten hat ihn der Neger

19 vebelglatt à ia Titus gefüheren, whrend ein Ger? aud der Ge⸗ ſellſchaft die ſchoͤnen, langen, blonden Haare Peters emſig aufliedt und ſchnell in die Taſche ſteckt.

Während Peter geſchoren wird, geht Signor Fugacini ſtolz and vornehm auf und ab, fchüttelt ſich den Bauch, Enirfcht mit den Zähnen, probirt fein Gebiß und macht tauſend Grimaſſen, ale wolle er ſich auf das große Werl gehörig vorbereiten.

Meine Ungeduld fleigt jetzt aufs Hochſte, denn ich fehe, wie Peter mit jeber Sekunde mehr erſchrickt. Endlich, als der Neger ſich entfernt hat, flürzt Signor Fugacini mit wüthender Miene und geimmigen Augen auf ven armen Beter Id, padt ihn am Arm und beißt ihm leicht im bie rechte Schulter. Kaum bat Peter ven Schmerz gefühlt, jo fängt er gräulih am zu brüllen nud reißt füch in feiner Berzweiflung vom fchönen Herrn los, mas ihm wit ſchwer fällt, denn der Herr benft nicht daran, ihn zurückzuhalten, sielmehr hat er Alles auf die Flucht Peters bexechnet. Laut fehreiemp, mit Hand und Fuß arbeitend, zwängt fi Peter durch Die Menge unb läuft Hals über Kopf davon, glatigefchoren, im bloßen Bemibe, fein Bündel Kleider unter'm Arm, während die Umſtehenden ihm wachrufen :

„Der Schelm ſteckt mit Signor Bugarini unter einer Decke!“

Auf den erften Angfifchrei des Bruders wollte ich ihm zn Salf⸗ . „sen; aber ich baun nicht burchlommen.. Als ich endlich durch Bin und mid nad) Peter umfehe, finde ih ihn nicht. Sch rufe Iamt -

„Beier! Beier! wo bift Du?“

Keine Antwort. - |

Einige Lente zeigen mir, wohin er gelaufen if; ich wie De Big ihm nach, und rufe immer:

„Peter! Peter! wo biſt Du ?“

Alles mmfonft ; er Hört uid antwortet nicht. Meim Duo Weigt mit jeber Sckunde. "Sp laufe und laufe, amd eimes Stzaße in die anbre.. ad

113 ia willen wohin ? Zum Unglück bricht der Abend an. Wohl Hunbents mal frag’ ih:

Haben Sie nicht meinen Bruper gefehen 3”

„Deinen Bruder? Wer if das?“

„Gr Heißt Peter umd iſt im Hemde davon gefprungen, weil in Herr in rothem Rod ihm aufeſſen wollte.“

Alle lachen mich aus. Die Cinen gehen, ohne zu antworten, weiter, die Andern fagen trocken:

„Seh nur heim, da ſind'ſt Du ihn.“

„Geh' nur beim! Ja, könnt' ich nur. Wie weit, ad! ſind kit son der Heimath, und hier haben wir keine Seele, bie uns lent, uns aufnimmt. Wo-foll ich dich fuchen, in biefer unge: henern Stadt, armer Beter? Wie wird's dir gehen ohne mich ? Gt, wenn die Mutter wüßte, bag du mit Bei mir bifl! Sagte fie wicht, ich folle dich feinen Augenblick verlaffen, und ich, ih fonnte dich ermuntern, auf ven ſchönen Kern zu hören, der gewiß ein Dieb und Räuber iſt! Ach, lieber, lieber Gott, gib mir meinen Bruder wieder!

sh weine Bitterlih, und je mehr ich weine, um fo muth⸗ fer werde ich. Es iſt Nacht, und Fein Peter zeigt fi. Bor Hipigfeit fep’ ich mich anf einen Eckſtein. Seit Morgens habe ih nichts gegeffen, Feinen Biffen, und doch hungert mich nicht, been ich bin fo betrübt, fo tief betrüht. Sch weine mich recht aus; er Riemand fragt mich, warum ich weine, ober troͤſtet mid.

Da fage ih mir: Suche nochmals, vielleicht findeft du ihn ish. Ich fpringe auf und geh’ davon. Aber, o Gott, wie groß die ktadt it! Wie fol ich da Peter finden ? Sind wir darum außer und Wwelen vor Freude, als wir Baris fahen? Wer häfte das gendiht!

Ich weiß nicht and und nicht ein. Noch immer ruf' ih:

„Beier! Beten! wo biſt Du ?“ fo gut ich rufen kann; denn #4 din ganz heifer vom Weinen.

86 muß fügen rat fpät fein, weil ich wenig Leute mehr auf

114 u den Gtraßen ſehe. Go, jetzt kann ich vor Mattigkeit nicht wetter. Ich werfe mich ber Länge nach in die erfte befte Ecke nieder, vor einer Beinen Thüre. Da will ich heute Nacht fchlafen. Morgen, mit Tagesanbruch, will ich aufs Neue fuchen, vielleicht bin ich dann glädlicher und finde den armen Bruber.

Kaum liege ich da, fo fallen mir die Augen zu. Ich rufe noch einmal Peters Namen und fchlafe dann ein.

Behntes Kapitel. Der Bafjerträger. Die guten Leute.

Den andern Morgen wert mich eine Stimme, die ruft:

„He, Kleiner, ſteh' auf! Du verfperrft ben Weg gu unfere Wohnung, er ift ohnehin fchon fo ſchmal. Was, Du fhläfft noch? Bie koͤmmſt Du dahin, fprich 2”

Zugleich fühle ich mi am Arme gerüftelt. Ich öffne die Augen: ed war ſchon ganz hell; ich fehe einen Mann vor mir, faft wie mein Bater felig gekleidet, in braunwollener Jade und Hofe, mit aufgefremptem Hute. Er trägt einen Reif, von dem an ledernen Riemen zwei Eimer herabhängen.

Das Geficht dieſes Mannes zeugt von Dffenheit und Herzens: güte, Er bleibt vor mir flehen und flieht mich wohlwollend an. Mein erfter Gedanke beim Erwachen ift mein Bruder. Ich ſuche ihn links und rechts neben mir, und ſchon wieber muß ih weinen.

„Run, Kleiner, willſt Du antworten ?“

„Ab, Herr, haben Sie meinen Bruder nicht gefehen ?“

9, Deinen Bruder? Wen meinft Du? Wie alt ift er? Wohn! er in diefem Quartier? Iſt er ein Kunde von mir ?“

„Mein Bruder ift fieben Jahre alt und heißt Peter. Wit - Beide find Savoyarden und erft geftern von Börin, neben d Hefpital da wohnen wir in Paris angefommen, Unſer Batrı

. 185

Rarb vor wenig Monaten und unfere Mutter ift fo arm, daß fie und fein Brod geben Tann. Der Heine Jakob, mein anderer Bruder, lieb bei ihr; wir aber, Peter und ich, zogen in bie Fremde. Ehe wir auszogen, fagte mir die Mutter, ich folle Peter keine Minute allein laffen, denn er ift jünger und nicht fo kühn als ich. Ich verfprach es ihr ; geftern aber, als wir anfommen in Paris, bleiben wir vor einem Herrn in fchönen Kleidern ftehen, der zwei Bedienten hiater ſich hatte, nnd der fagte, er wolle dem Kinde zwölf Sous geben, das fich von ihm efjen laſſe. Ich glaubte, es fei blog Spaß.”

„Und Du Hatteft Recht, Kleiner: es war ein Poffenreißer, Sunfitüdmacher oder fo was Aehnliches.“

„Der fhöne Herr wählte ſich Peter ans. - Peter wollte aber nt. Da fagte ich Leife zu ihm: „Thu's doch, 's iſt ja nur Echerz.“ Und Peter that ed. Dann zog er Peter' die Kleider aus uud ſchnitt ihm die Haare ab, und als ey das geihan, fprang er auf Peter zu und machte dabei ein fo * Geſicht, daß Peter erſchrickt und ohne mich davonlief. Ich wollte ihm nach⸗ larfen, aber er war fchon weit, weit weg. Ich fuchte ihn überall, Ke ganze Nacht lang, aber konnte ihn nicht finden. Endlich fiel is ganz ermattet vor biefer Thüre nieder und fehlief ein.“

Je weiter ich kam in meiner Erzählung, um fo aufmerffamer m theilnehmender hörte er zu. Als ich fertig Bin, mwifcht er fich nit der Hand die Augen und fleht mich einige Sekunden ſchweigend an.

„Und Du Tügft nicht, Kleiner ?

„Rein, Herr, gewiß nicht. Ich Füge nie; ich hab's der Mutter siprochen und halte mein Wort.”

„Bas wit Du heute Morgen thun?“

„Beter fuchen. Ich muß ihn finden.“

„Das geht nicht fo Leicht, wie Du wohl glaubft. Paris iſt vb, ſehr groß! In welchem Quartier verlorft Du Deinen Bruder?“

„Mein Gott, ich weiß nichts, Herr, gar nichts! Es war ein. peher Bla‘, ringsum Häufer.“

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„Solcher gibt’8_viele bier in Paris. Aber Da haft Ha: wenn ihr erft geftern angelonmen feib, koͤnnt ihr die Mamen der Quartiere noch nicht wiſſen.“

„So fol id} ihn nie wiederfehen, Herr?“

„Das verhüte Gott! Aber wenn Du ſuchſt, kannſt Du nit arbeiten ; haft Du Geld ?“

„Mein Gott, nein! Aber das macht nichts!"

„Das macht nichts ?“

„Rein, Herr, denn Beter hat was, wenigſtens fieben Sons.“

Der Wafferträger fährt nochmals mit ber Hand über's Ange, dann gibt er mir einen Patſch und fagt: „Du biſt ein brav Burſch, Du haft Deinen Bruder lieb, recht lich! Aber tröfte Di, Kleiner, Du mußt nicht ewig weinen ; das hilft nichts. Haſt Du Sunger ?“"

„Sa, Herr, ich habe feit geftern Nachmittag drei Uhr nichts gegeſſen, aber wenn ich in der Straße rufe, krieg' ich ſicher was zu fegen, und dann will ich mir Brod Taufen.“

„Du irrſt Dich, Kleiner; man findet nicht fogleich ein Kamir zum Frühſtück. Es find verteufelt viele Kaminfeger bier in Paris, und Du kannſt nicht 'mal laut rufen, weil Du hungrig bil. Koum' mit mir herauf! Es if erft Halb ſechs Uhr, und was fehabet's, wenn die Kunden ein Paar Minuten warten.“

Mit diefen Worten ftellt der gute Mann feine beiden Cimer in die Ede des Ganges, fleigt eine Treppe hinauf und winft mi, ihm zu folgen. Ich Elettere ihm nach; die Stiege if fehr ſchmal und dunkel, doch halte ich mich am Geländer fe. Wir fleigen immer höher hinauf, bis in den Giebel des Hauſes, und als bie Stufen alle find, Flopft er an eine niedere Thüre und ruft:

„Ranette, NRanette, mach’ ſchnell!“

Ein Tleines Mädchen, wie mir feheink von meinem lie, öffnet die Türe. Sie iſt nicht gang fo nett wie bie, welche in unferer Hütte ſchlief, ihre Züge find nicht fo fein, auch irägt fr

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geebe Rleiber, aber fie hat ein Paar lebhafte Augen ud ein fo mubed Gefichtchen, fo friſche Backen, und ficht fo heiter aus, daß ed eine wahre Freude if,

„Schon wieder da, Bapa!“ ruft Naneite, während fie hie Ifüre öffnet ; dann blickt fie mich erflaunt an.

„Geſchwind, Toͤchterchen,“ fagt der Wafferiräger und winkt nit ind Zimmer, „gefchwind Etwas zu eſſen und zu krinken für ver Kleinen da! Wir haben nod ein Paar Broden übrig von geflsun. Gb, was Dun haſt. Der Kleine dauert mid.“

Während Ranette thut, wie der Bater ihr geheißen, ſeh ich ih im Zimmer um. Es erinnert mich etwas an unfere Meime . Gülle ; Betten, Tifche und Stühle find nicht viel eleganter. Das Immer ift groß, aber zur Hälfte eine Manſarde; hinten ſtehen ein großes Bett und einige Haushaltflüde. Links davon befindet Rd ein Feines Kabinet mit einem runden Feuſter und einem zweiten Belle. Das ift fo ziemlich die gange Herrlichkeit.

Ranette ftellt Brod, Käfe und Mindfleifch auf den Tiſch. KR’ laſſe mich nicht lange nöthigen ; ben mit acht Jahren Tan ſelbſt Serzenäfummer den Appetit nicht ganz vergeffen machen. j

„Schau, Papa, wie hungrig er ift!“ jagt die Kleine, «is fe mich effen fieht.

„Der arme Schelm!” lächelte der Bater.

Aber plöglich Halt’ ich an mit Eſſen; denn der arme Prior füllt mir ein. Wo mag er jept fein? Mein Gott, wenn er nichts m beißen hätte! Und unwillfürkich bi’ ich gen Himmel.

„Sei rahig, Kleiner,” troͤſtete 3* der Waflertväger, „mm wird ihm micht verhungern laſſen! Und hat er nicht fieben Sous m Sad 9“

Das hatte ich vergeffen, und gleich lam der Appetit wieder.

„Hore, Burſche,“ ſagte Nauettens Vator, alq ich mid ſatt gegeſſen, „Du gefaͤllſt mir: Dein offenes, ehrliches Geſicht, Deine Eh zu Deinen Ellen und Deinem Binden das Alles Sit mis

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wohl. Ich wi Dir Helfen, wenn ich kann. Zwar bin ih kn Savoyarde, fondern ein Auvergnat; aber auch in Auvergne leben brave Leute, und Vater Bernhard ift als folcher im ganzen Duartir beiannt. Mein Name ift fo fedlenlos wie Died las. Gold m Silber hab’ ich nicht, die Krankheit meiner lieben Frau felig Bat viel Gelb gekoftet ; aber ein Zimmer hab’ ich für Di, dad magfl Du mit mir theilen, umentgelblih. Auf dem Gurtbett da, dad meinen Bruder gehört, der vor ſechs Monaten wieder abgereist ik nach Auvergne, da kannſt Du ſchlafen; dazu geb’ ich Dir eine Matrape und frifches Stroh, und Du ſollſt ſchnarchen wie ein Prinz. Wenn Da dann gearbeitet haft, ißt Du bei mir. Nanette und ich ſind danz allein ; fie iR erſt acht Jahre alt, aber fie kocht ſchon perfect ; eine Nachbarin Hifft ihr in der Küche. Haft Du erft Deinen Bruder wiedergefunden, fo bringft Du ihn mit zu und; er foll bei mir Vieiden fo gut wie Du. Run, was meinft Du dazu ?“ |

„sa, Herr, ja! ich danke Ihnen!“ fage ich zum Vater Bern- Yard. „Wenn ich nur erſt Peter wieder hätte.“

„Du fuchft und arbeiteft zugleich. Auch ich will thun, was ih kann, um ihn aufzufuchen; ich will mich in jedem Onartier erkundigen.“

„O, bitte, thun Sie's ja!“ |

„Sei nur ruhig, Kleiner, ich verſpreche Dir's. Aber ba fchlägt ed fechs ; ich muß gehen. Komm’ mit, ich will Dir zeigen, wie Du die Thüre aufmachſt, und wenn Du verirrt bift, frag Du nach der alten Rue du Temple, bei der Nue St. Antoine, nach Bater Bernhard. Auch merkſt Du Dir unfer Haus, verflanden ?*

Ich nehme Sad und Krageifen unter ven Arm, nide Ramette zu, welche lächelnd den Gruß erwidert, ald wären wir alte Be- kannie, und fteige hinter dem guten Wafferträger bie Treppe hinab,

‚mit trauriger Miene und beffommenem Herzen. Aber der brave Mann wird nicht mäbe, mich zu tröften.

ar Muth, Kleiner,“ ſpricht er, „Du wirft Deinen Beaber

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wieberfinben. Der da oben wirb über ihn wachen, wie er über Dich wachte.“

„A ja,“ antwortete ich leiſe, „und ex hat ja fieben Sous, und mit fieben Sous kommt man weit.“

„Aber Halt, Kleiner, fagt Vater Bernhard auf dem Gange u mir, „wie beißt Du ? Ich weiß Deinen Ramen noch nicht.“

„Ih heiße Andreas und mein Bruder heißt Beier.”

„Peter, das weiß ich. Alfo merke Dir unfere Thüre, Audreas, und unfere Straße, Alte Aue du Temple, verflanden? Immer gerade and geht's auf die Boulevards. Verlier' Dich nicht zu weit ud lomm' nicht zu fpät zuräd. Gegen Dunkelwerden efjen wir ufere Suppe, hörft Du? Jetzt geh’ mit Gott, arbeite fleißig und Sting’ mir Deinen Bruder mit.“

Da fiehe ich nun allein und verlaffen auf der Straße in dem mgebeuern Paris. Ehe ich weiter gehe, betrachte ich mir nochmals zenan das Haus und bie Thüre, wo ich fo Tiebreiche Aufnahme shuden. „Mein armer Bruder,“ fage ich unterwegs zu mir, „wenn ich Dich wieder habe, o, wie glüdlich wollen wir fein bei km guten Wafferträger, der und umfonft Wolmung gibt. Rur Ruth, Andreas! Höre auf zu weinen und zu trauern, du ſindeſt Peter wohl recht bald. Und er hat ja fieben Sous, bavon kann a eine Weile leben, und gewiß bat auch er eine mitleivige Seele sfunden, bie ihn aufnimmt. Er ift ja fo nett und fo gut.“

In foldden Gedanken gehe ich weiter durch bie große Stabt, we ih faum vierundzwanzig Stunden bin. Ad, wie anders ers ſhien fie mir heute! Wie viel hatte fie an Zauber für mich vers men. Kalt und gleichgültig gehe ich an all’ den herrlichen Läden, önen Häufern und den tanfend Sehenswürbigfeiten voräber, vie nid geftern noch entzäckten und alle Müdigkeit verfcheuchten. Aber ratürlich, Peter iſt ja nicht Bei mir; ich kann einmal nichto ohne fg genießen! Ueberall fuche ich if, two nur ein Haufe Menſchen deht. Ich Habe kaum ven Rauth, von Zeit zu Zeit mein Schorn⸗

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ſſeinfeger! Schenwfleinfeger !“ zu zufen ; ich Habe much wichts ver⸗ dient, und ſchon ift es fpät am Tage. Ich fehe viele Knaben und Mabdchen aus unfern Bergen, die mit einander fpielen ober für Geld tanzen, aber ich wäre nicht dazu im Stande ; wie fönnte ich jet fingen, fpielen und tanzen, ba ich meinen Peter nicht bei mir habe! Auch will ich nie auf ſolche Weiſe mein Brod erbetteln, ob: gleich fie fagen, daß es viel Geld einbringt.

Mitten auf einem Boulevard höre ich den Klang eined Walb: boras , einer Klarinette und mehrerer Trommeln. Es war faſt bie felbe Mufll wie die von ‚geftern, ich meine bie ber beiden Neger und des fchönen Herrn im rothen Rod, der meinen Beer verfpeifen wollte. Sch laufe hinzu und fehe einen Türken, ber ein ungehentes großes Stüd Holz auf der Nafenfpige trägt. Ja, man bat recht, es gibt in Baris feltfame Dinge zu fehauen! Aber wag kütmert mich dies Schaufpiel heute ° Ich fuche unter der Menge nach Peter, doch Fein Peter iſt zu finden, und als der Türke laut aukünbigt, er werde jet ein Kind an den Haaren im Kreife berumfchwingen, renne ih Hals über Kopf davon, aus Furcht, er wolle die Ge feltfchaft auf meine Koſten amüflzen.

Der Abend bricht herein und es ifi Zeit, zum guten Valer Bernhard zurüdzulehren. Ich erfrage endlich die alte Rue bu Temple und finde nun leicht dad Haus. Aber auf dem ſchmalen Gange vor der Stiege fällt mir ein, daß ich ben ganzen langen Tag feines Sou verdient. Schon will ich umkehren, doch der Hunger treibt mich Die Treppe hinauf. Auch fage ich mir, Vater Bernhard uud Raneite warten auf dich und Beide find ja fo gut and du braudfl ja fein Schlafgeld zu zahlen. Ich gehe aljo hinauf und fehe durch die Spalte der Thüre Baier Bernhard und Nanette ſchon am Tiſche fügen bei ihrer Nittagsmahlzeit, die zugleich ihre Abendmahlzeiü it, beum fie gehen früh zu Bette, um früh aufzuflehen.

„Rowm’ dach hexein, Andreas; wir warten anf Dich!“ fast bes Waſſertraͤger liebreich. „Ich fürchtete ſchon, Du habeſt ben

Kamen dei Strafe vergeſſen ober feieſt verirrt, deun Parid iſt fo oh! Wan findet ſich erſt altmählig zurecht und gewöhnt ſich ſchwer au dad Gedraͤnge von Menſchen und Wagen.“

Beſchaͤmt trete ich ein und will mich in eine Ede der Stube jepen, obgleich der Geruch des Eſſens mir duftend in bie Mafe ſteigt nd mich noch einmal fo hungrig macht.

„IR dad Dein Platz, Andreas?" fragt Bater Berahet, „Sicht Du denn nicht, daß wir effen ?“

Ja, Sem, aber... .“

„Barunı fegeft Du Dich nicht zu und an ben Tiſch ?

„Beil... weil ich nicht hungrig bin, Herr Bernhard.“

„Richt Sungrig, Andreas? Haft Du denn unterwegs gegeſſen? gu

„Rein, keinen Biffen.“ .

„Und doch nicht hungrig, bad iſt naͤrriſch.“

Der Waſſertraͤger ſah mid) prüfend an und merlte, da meine Sagen, bie oft auf die Suppenſchüffel fielen, meinen Mund Lügen Araften,

„So befehl ich Dir zu effen, Andreas, magft Du Hungeig jein ober nicht.“

„Aber... aber... Herr Bernhard,“ flotterte ich, Langfam dem Te mich nähernd, „ich Habe heut’ nichts verbient.“

Bei diefen Worten nimmt mich Vater Bernhard, drückt mich af einen Stuhl nieder und ſetzt mich neben ſich.

„Deßhalb will Du nicht eſſen, Du Eleiner Narr! Iſt es Seine Schuld, wenn Du Beine Arbeit fandſt? Kannſt Du ohne. gu den leben ? Seh’ nur, Andreas, fo lange ich und Nanette zu beißen heben, ſoll es auch Dir an nichts fehlen. Drum if getroft und komm ur nicht wieber mitfolchen Albernheiten oderich prügle Dich hungrig.“

Und dabei finpfte mich ber gute Mann fo voll mit Suppe uud Sb, daß ich mit Hand und Buß mich wehren mußte, um nicht m erſticken.

„Rein Sohn,“ Hub er nach einer Weile an, „jeder Stand

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hat feine guten und feine Bäfen Tage. Leider kommf Du fehe zu Unzeit nach Bari: der Herbflanfeng ift Teineswegs bie goldene Zeit der Schornfleinfeger ; aber doc; gebulde Dich, wenn Du ef beſſer in Paris Befcheid weißt, fol es an Aufträgen nicht fehlen. Mit Briefaustragen kann fich jeder verfländige und ehrliche Knabe eine hübſche Summe verdienen. Aber nur Feine Umſtaͤnde mehr wis heute. Bringſt Du Geld heim, um fo beffer ; kommſt Du mit leerem Beutel zurüd, fo bleiben wir doch gute Freunde. Hab’ ih Dich nicht auf Dein ehrlich Gefiht und Deine Liebe zu Mutter und Bruder in meine Wohnung aufgenommen, ohne nad ber Be: fhaffenheit Deines. Benteld zu fragen ?“

Sch umarmte den guten Auvergnaten für fo viel Güte und Freundſchaft: von da an fühlte ich mich nicht mehr allein in Paris. Auch Nanette kommt herbei und herzt ihren guten Bater, währen He mir freundlich zuläckelt. Ich leſe in ihren Augen, wie auf fie mich lieben will, und fehe fie faſt Schon als eine Schweſter an. Die guten Leute! Welch' Glück für mich, in ſolche Hände gerathen zu fein. DO, du Lieber, lieber Beier, wäreft Du doch wie ich vor der Thüre eines Arbeitsmannes eingefchlafen! Wahrlich, da ſchlaͤft ſich's ſanfter ale unter dem Säulenportal eined Palaſtes, wo eine freche Dienerfchaft und Morgens mit Yußtritten wegjagt. |

Abends fagt mir Vater Bernhard das Näthigfle über Paris und die verfhiedenen Stabtquartiere. Ich Höre aufmerkfam zu, dem ich will von ihm lernen, damit ich recht bald als Briefträger viel Geld verbienen Tann. Gr hat fich in allen Straßen , die auf feinem Wege Ingen, nach Peter erkundigt ; .aber Niemand bat ihm Auf: ſchluß geben koͤnnen. Mein Gott, wo mag ber Peter Reden! Mer den ganzen Tag Waffer trägt, der will Nachts gehörig ausichlafen. Auf einen Wink des Vaters begibt fi Manette in ihr Gabinet und ich Erieche in mein Gurtbett, das man fanber her: ‚gerichtet Hat. D, wie anders ſchlaͤft ſich's in ſolchem Wette ald auf dem Karten Steinpflafter !

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Kur folgenden Morgen beim Antiekven entbeckt Bader Berns hard zufällig das Medaillon, das ich ſteis anf der Bruſt trage. Er runzelt die Brauen und winkt mic zu fi, währen Manelte bad Hälschen reckt und die Augen aufſperrt, um beſſer ſchaues ja koͤnnen.

„Bas if das da, Kleiner? Woher Iommt das Kleinod ? Set wann haft Du's? Warum fagteft Du mir nichts davon *" ..

Ich erzähle nun kurz dem Wafferträger die Gefchichte des Por⸗ hält. Je weiter ich Tomme in meiner Erzählung, um fo mehr hellt fein Geſicht fih auf und nimmt wieder feinen gewöhnlich Reundlichen Ausdruck an. Als ich fertig bin, herzt er mich und fagt:

„Richt für ungut, Kleiner, ich dachte mir... doch nein, Du bit ein braver Burſche.“

Nanette Tann ſich nicht fatt fehen. .

„Wie hübſch die Dame iſt!“ ruft fie. „Und ihr Kleid, wie ſchön! Nicht wahr, Bapı ?“

„Bewiß, mein Rind,“ antwortet er, „if fie recht ſchon; aber es gibt viele fchöne Damen in Paris, und auch viele, die ganz fo gelleidet find. Das Porträt bringft Du nicht an, Andreas; Du Tann wanzig Jahre in Paris wohnen, ohne die Eigenthümerin zu treffen,”

Dennoch Tommt es mir fo vor, als würbe ich den einäugigen Seren wieberfinden, und behutfam ſtecke ich dad Medaillon unter be Weite zurüd. Dann gehen wir, Bater Bernhard und ih, au unfere Arbeit.

AU mein Suchen nad Peter ift umſonſt. Dagegen habe ich Gt in meinem Gefchäft, denn ich habe zwei Kamine gefegt. Stolz kehre ich nach Haufe zurüd und lege mit triumphirendes Bine meinen Berbienft auf den Tiſch Hin. Der Wafferträger get und fagt: -

„Rur Geduld, Andreas, ed wird ſchon gehen. Ih mill bad Geld aufheben, und am Ente des Jahres fehiden wir's Deiner Rutier,* .

Die Unsfiiht belebt meinen Ruch aufb Meue. ES Sauer nihl lange, fo kenne ich ſchon mehrere Quartiere von Baris. Mein Ge⸗ dachtniß iſt gut und an Verſtand fol mir's auch nicht fehlen, fo habe ich denn bald zu thun. Mehr ale ein ſchoͤner Herr fledt mir ein zierliches Billet in die Hand, das nach Mofchus ober ofen duftet. „Geh’,“ ſpricht er, „und bring’ das ber-ober ber Dame. Deffnet Die ein Herr die Thüre, fo fragft Du, ob's wadgu fegen gebe, und behaͤltſt dad Billet Bei Dir; Hüte Dig vor Dumm⸗ heiten!“ Ich thue genau, was man mir fagt. Bringe ich eine Antwort zurkd, fo finde ich die Herren recht freigebig ; bringe ich feine, fo gibt's nur wenig Geld ; bringe ich gar den Brief zunäd, fo gibt's Häufig nichts als Scheliworte. Die jungen Damen find gerechter ; fie bezahlen immer, felbft wenn bie Antwort fie zu be trüben fcheint. Aber fie überfchütten mich mit Fragen, fo daß id Mühe habe, fie zu Behalten, 3. B.: „War er da? Gabſt Du eigen: händig ihm den Brief? Was machte er? Was fagte er? War er allein ? Wie ſah er aus, als er den Brief las ?“ So fragen fie, die Fraͤulein oder Damen, wenn fie mir einen Brief zu beforgen geben.

Die Zeit verftreicht ſchnell. Wie glädlich Tönnte ich bei Re nette und ihrem Vater fein, wenn ich nicht immer an ben armen Beier denken müßte. AU unfer Suchen nad ihm hat nichts ge: holten ; überall in ganz Paris haben wir nach ihm geforfcht und gefragt. Bisher habe ich das traurige Greigniß der MRutier ver ſchwiegen, denn ich kann ihr erſt gegen Frühling ſchreiben, ‚und ber gute Waflerträger meint, ich folle fie nicht unnöthig betrüben: Beter Tönne ja alle Augenblide gefunden werben ; vielleicht auch wife es bie Mutter ſchon durch ihn.

Ich folge Bater Bernhards Rath, denn ich bin wie ein Gohn im Haufe. Wir Gebirgskinder pflegen nur mit befonberer Gelegen: heit zu fchreiben. Leider kann ich nicht fehreiben, und bad thut wir leid ; aber Vater Bernhard, ver eben fo wenig ſchreiben lau als ih, fagt, man könne auch, ohne bie Fever zu führen, sin

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"ganzer Kerl fein, man komme mit ber Zunge eben fo meit wie mit

ber feber, und er hat Recht, d. h. wenn man fein Lehen lang Schorn- Reinfeger oder Briefträger bleiben will. Wer aber fein Glück in ber Belt machen will, der, glaub’ ich, muß doch fchreiben können, wenn auch nur ein Bischen.

„Die mir fcheint, Andreas, haft Du hohe Dinge im Kopf,“ ſagt mitunter der gute Mann. „Du möchteft gerne ein vornehmer Herr werben, nicht wahr ?“

„Ih möchte weiter nichts,“ antwortete ich ihm, „als reich fein, um Mutter, Beier, Jakob, Vater Bernhard und Nanette glädlih zu machen.“

Quäl' Dich nicht um uns, guter Andreas. Wir Beide, Na: nette und ich, find mit dem Wenigen, das wir haben, zufrieden, und der Reichtum macht nicht immer glüdlich.”

Der brave Wafferträger ift Philofoph, denn er ift fein Trun- Imbeld und begnügt fi mit Wenigem. Aber Nanette möchte gerne in hübſches Kleid und einen hübfchen Hut und hübfche Schuhe baden, und das Alles habe ich ihr verfprocdhen, wenn ich erſt ein der Mann bin.

Die gute Mutter fagte einft, dad Medaillon werde mir Glüd Inngen. Drum hebe ich's fo forgfältig auf, um ed dem Herrn m der Dame wieder zu geben. Wenn ich oft bed Sonntags früher amfehre, fo ziehe ich das Porträt hervor und betrachte es mit behrer Luſt. Gleich kommt Nanette und ftellt ſich Hinter mich, m ed mit mir zu betrachten. Dann fagt Vater Bernhard laͤchelnd:

„Ja, Andreas, ſieh' es nur recht fleißig an, Du haft ſonſt nen Mugen davon.“ |

Nun iſt ver Sommer da. Vater Bernhard Fennt einen wackern dann, der nach Savoyen reidt und meiner Mutter Nachricht won r geben will. Durch diefen Mann will ich ihr das erfparte Geld hicken. Den Tag zuvor kommt Vater Bernhard ins Zimmer und it einen Eleinen ledernen Sad auf den Tiſch. In dieſem Sade

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Jaul de Kod. U.

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find hundertundzehn Franken! Welche Summe! So hoch find die täglichen Erfparniffe angewachſen. Ich bin außer mir vor Freude und Tann mich nicht fatt fehen an diefem Haufen Gel. Sa, ich Hoffe, das wird bie gute Mutter etwas Iröften in ihrem Schmerze über eine Trennung von Peter.

Ich will nicht davon für mich behalten, obgleich Ranette fagt, ich brauche Sonntagshofen und einen Sonntagsrock.

„Nein,“ fage ich, „ich bleibe fo, wie ich bin. Die Frende, der Mutter fo viel Geld ſchicken zu koͤnnen, if gar zu groß, un ich Tann ja noch genug Geld verdienen. Der Anblick dieſer er: fparten Summe verdoppelt meine Luft zur Arbeit. Bon heut’ an will ich noch früher aufftehen und noch fpäter zu Bette gehen.“

„Und Trank werden!“ fährt Nanette fort. Denn Nanette if ein liebes, gutes Maͤdchen, vie mich recht gerne Hat. Dabei iſt ſie die Heiterkeit felbft: fie Tacdht den ganzen Tag und fingt, wo fie geht und ſteht. Auch ift fie fleißig, flinf und gewandt. Wie ein Reh hüpft fie die ſechs Stiegen im Haufe hinunter, wenn fie dem Pater was an ben Augen abfehen Kann. Nie habe ich fle müntd oder verflimmt gefehen, ober je einen Klagelaut won ihr gehört. Wenn wir Abends heimkommen, fpringt Nanette von ihrer Arkeit auf und Hüpft in die Küche, das Abendeſſen zu Holen, das fie ſelbſt anrichtet: denn, wie gefagt, Nanette kocht ſchon perfect, ob: gleich fie erfi neun Jahre alt ifl. Zum Dank dafür küßt Bater Bernhard fie auf den Mund und erzählt ihr viel Schönes unt Neues, um fie zu entſchädigen für die Langeweile des Tages, denn Nanette ift den ganzen Tag allein zu Haufe, und das muß fie natürlich etwas Iangweilen. Nanette fäße lieber bei ihren Gefpie: Iinnen in ber Nachbarfchaft, aber ihr Water wünſcht daa nicht, und Nanetie iſt gehorfam. Man Tann fich leicht denken, daß Ra: nette und ich fchon Lange ſich dutzen: in unferem Alter fcheint et mir, als verflände dad Dupen ſich yon ſelbſt.

Nach dem Abendeſſen bittet ſie mich, ihr ein Lieb aus unſern

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Bergen vorzufingen ; dafür tanzt fie mir einen Tanz aus Muvergne, das fieht gar hübſch aus! Mährend fie tanzt, lacht fie, trippelt mit den Füßchen und fehlägt mit den Händen ben Takt. Sie if babei eben fo luſtig und zufrieden, als tanzte fie in der Schenke. Penn ih fie fo tanzen fehe, iſt mir, als wäre ich in unfern Bergen unter dem Dache unferer Hütte.

So verfireicht uftter Arbeit und reinen, unfchuldigen Genüffen noch ein Jahr. Ich habe inzwifchen Nachrichten von der Mutter erhalten: bie Gute fürchtet, ich entziehe mir das Nöthigfte ihret⸗ wegen, unb verbietet mir auf lange Zeit, ihr wieber Gelb zu ichiden. Bon dem armen, unglüdlichen Peter weiß fie nichts, und ſcharft mir wiederholt ein, ven Bruder aus allen Rräften zu fuchen. Gnblih bittet fie mich, dem ebelmüthigen Manne, der mich wie fein leiblich Kind aufgenommen hat, ihren innigften Dank zu fagen. .

Auch ohne die Ermahnung der Mutter, Peterd wegen nidhte anverfucht zu laſſen, hätte ich ihn fort und fort gefucht. Kein Tag vergeht, wo ich nicht nach ihm frage.

Aber die Zeit, die jeben Kummer hebt, hat auch meine Traurigs kit gehoben. Ich Bin wieder fo heiter und froh wie zuvor. Warum ſollie ich nicht ? Wie könnte ich an Nanettens Seite Länger traurig kin, die ſchon mit zehn Jahren fo nedifch und muthwillig iſt, aber dabei mich Tiebt wie ihren Bruder. Die gute Nanette! Bin ich karig, fo Hüpft fie fingend im Zimmer herum, zupft mid am Im und läßt mir feine Ruhe, bis ich mit ihr tanze.

„Sei doch luſtig, Andreas,” ruft fie. „Dies Seufzen hilft m Richts! Komm’ und tanz’ mit mir, das ift gefcheiter, als fo R träumen und heulen. Geſchwind, Andreas, ober ich habe Dich üht mehr lieb.“

Ich gebe ihr nach, anfangs ihr zu lieb, dann aber, weil dies Mittel mir behagt. Mit zehn Jahren vergipt man ven Kummer aa fo ſchnell!

Jeden Tag wird Nanette häbfcher und ihre blauen Augen

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lädyeln fo heiter in Die Welt, ihr Nund, etwas groß, Ami fehönen weißen Zähnen befegt, ihre Taflanienbraunen Haare hängen in natürlichen Loden über ihre weiße Stirne, und die fchöne Räte ihrer Wangen dentet auf Geſundheit und Zufriedenheit. Ä Auch ich muß mich zu meinem Bortheil verändert haben, dem ich höre die Bonnen, die mich auf meinem Platz aufſuchen, oft ſagen: „Wie hübſch und nett er wird, der Andreas, wie er waͤchet! Er wird 'mal recht hübſch werden!“ u. ſ. w. | Die Worte machen mich roth, aber ich vergefle fle gleich wieder. Ich will drum nicht eitel werben auf mich, denn ich weiß noch recht gut, wie man bei und bie jungen Leute auslacht, die fi zieren und ſchnüren. Der gute Bater felig fagte oft, es iR mir, als hörte ich ihn noch: „Der Bub’, Andreas, der fi fe ſtutzt und pußt wie ein Weib, der verdient Haube und Unterrod zu fragen.” Abends zu guter Legt tanzen wir, Nanette unb ich, einen Tanz aus unfern Bergen.. Drob lächelt der gute Bater Bernbart felbfigefällig, uud mehr ald einmal habe ich ihn flüflern hören: „Meiner Seel’, das gibt ein hübfches Baar!“

Eiftes Aapitel. Begegnung. Unfall. Heuer Beſchützer.

Ich bin jetzt ſchon zwölf Jahre und einige Monben alt. 3 Gelvfendungen, beide viel größer als die erfte, find inzwiſchen a die gute Mutter abgegangen. Sie fchreibt mir, daß, Dank meine Fürſorge, fie an Nichts Mangel] leidet, daß Jakob gut einfchläg nur zu viel ißt und fchläft, und daß fie recht, recht glücklich wär wenn ih ihr Etwas über Peter mittheilen Eönnte. Aber, lie Putter, ich weiß ja ſelbſt nichts von ihm, Fein Bischen meh

N

!

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als ih am erſten Tage meiner Ankunft in Paris wußte! Ich fürdte, ich fürchte, Peter lebt nicht mehr, denn wenn er noch Icbte, würbe er gewiß von fih haben hören laſſen.

Ich Tomme eben von meinem Geſchaͤft in einem entlegenen Duartiere, und eile nach Hanfe zuräd, benn es ift nahebei fünf Uhr Abends, und Ranette zankt, wenn ich nicht zu rechter Zeit da Bin. „Wer die Arbeit nicht vergißt,“ jagt fie, „darf auch das Eſſen nicht vergefien !" Die guie Nanette, bad liebe Kind, wie . beforgt ift fie um mich!

Ich gehe über die Boulevards. Als ich im die Straße Riche⸗ lien einbiegen will, hält eben ein elegantes Gabriolet ſtill, aus dem ein Herr fleigt und in ein großes Haus geht. Ich fehe ihn an, und es fcheint mir, als kenne ich ikm. Ich fehe ihn nochmals an: ja, ja, er iſt's, derfelbe Herr, der die Nacht in unferer Hükte fhlief. Obgleich vier Jahre ſeitdem verflofen find, ift der Herr beute noch eben jo Haßlich wie damals. Die ſchwarze Taffeibinde vor dem Auge, der Heine Zopf, der hagere Leib, der gebüdte Gang, Alles, Altes iſt daſſelbe geblieben. O, weld ein Glück für mich, daß ich ihm begegnet bin!

Aber was fang’ ich an, um mit ihm zu fprechen. Ich will bies warten; er kommt gewiß bald heraus, denn fein Cabriolet: haͤlt noch da. Ja, ich will warten, und wäre ed bis morgen früh. D, wie freue ich mich, ihm dad Kleinod zurüdzugeben, und wie wird er jubeln, wenn er das verloren Geglaubte wieder ſieht!

Ich pflanze mich vor dem Haufe auf, wohinein der Herr Graf gegangen ifl, denn mir fällt jept ein, daß er jo genannt wurde. Ich ſehe unverwandt das Cabriolet an, worin ein Bebienter fist, aber nicht der, welcher mit feinem Herrn in unfere Hütte kam.

Nach einer halben Stunde, die mir eine Ewigkeit fchien, bare ih Hinter mir gehen: 's ift der Herr, welcher aus dem Haufe fommt. Das Herz pocht wir laut, und ich ziltere am ganzen Leibe, und doch iſt mir der Herr zu Dank verpflichtet, nicht ich ihm.

Aber das macht, weil er fo wenig einnehmend ausficht. Wublih faß’ id; mir ein Herz und fage:

„Herr, Herr!”

„Geh' Deiner Wege !“

„Herr, bei und vor vier Jahren...“

„Marſch fort, Savoyarde !“ ruft der Herr unwillig, und geht auf fein Cabriolet zu.

„Mein Bott, ſchon fleigt er ein, ohne mich zu hören. Da zupfe ich ihn fanft am Rocke.“

„Herr! nur ein Wort, ich bitte!”

„Bas, Schlingel, Du padft mi am Node!“ ruft er und kehrt fi zornig um. „Ich gebe Teinem Bettler was, geb’ hin und arbeite, aber ihr ſeid Faullenzer und Leckermäuler. Ihr betteli um Wmofen für eine kranke Mutter und lauft dann zum Paſteten⸗ bäder.“

„Gert, ich beitle nicht, ih will auch nichts Gaben, vielmehr follen Sie von mir haben.“

Umſonſt: er Hört nicht. Er figt ſchon im Cabriolet and heißt den Kutfcher fortfahren. O Himmel, vielleicht ſeh' ich ihn wie wieder! Ich will mich an den Wagen hängen und ihm ven hinten and zurufen. ,

„Aus dem Wege! weggefahren !” fehrie der Diener; aber ih habe feine Ohren für ihn. Die Pferde gehen zu, während ich mid an der Wagendeichſel halte. Ich fühle einen furchtbaren Stoß, um falle der Länge nach aufs Pflafter nieder. Mein Kopf blutet, und ih kann vor Schmerz und Schwäche nicht auffiehen.

In einem Nu bin ich dicht von Menfchen umringt. Dow füht mid an, befühlt mi, ruft Hinter dem Herrn bed Gabriolett, hinter den Pferden, Hinter dem Bebienten ber, beilagt mich, de: Hamirt über die Gefahren, welche dem Fußgänger in Parid beoben, aber mir zu helfen fällt Keinem ein. Da vrängt ſich ein junge Raun durch bie Brenge ® und ruft:

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„Des da hat's geiban, kein Anderer, und flat dem Ders wundeten zu Hülfe zu eilen, jagt er davon, der Elende! Dann lommt er auf mich zu, ſieht mich wohlwollend an und fagt:

„Da armer kleiner Savoyarde, vielleicht biſt Du die einzige Elüge Deiner Mutter. Ohne euch Savoyarden lebte Adolphine sicht mehr, ohne euch wäre fie zerfchmettert den Abgrund hinab: gekürzt, und das ift fein Dank dafür! Wart’, Kleiner, ich will aut machen, was er Dir Boͤſes gethan hat.“

Hierauf laͤßt er einen Wagen holen, unterſucht meine Kopf⸗ wunde, trägt mich in den Wagen und befiehlt dem Kutſcher, lang⸗ lam zu fahren. Dennoch macht die Erſchütterung mir viel Schmerz und ich verliere die Befinnung. Meine Augen fchließen ſich, ich ſehe und Höre nichts mehr.

Als ich wieder zu mir gekommen, liege ich in einem fchönen Bette, eingewidelt in weiche Deden, und xings umgeben von bauen umb weißen Borhängen, die fich kreuzen, und oben in Troddeln herabhängen. Ich glaube zu träumen, kehre mich um und ibe an der Beitwand einen Spiegel, der mein Bild wiedergibt. Ib laͤchle, mache allerhand Gefichter, und richtig, das Bilb m Spiegel macht mir Alles nach. So bin ich's denn wirklich, der da im weichen Beite liegt! Zugleich bemerk' ih, daß ich eine

Binde um den Kopf habe, und ich will mit der Hand darnach wien, aber ich kam die Hand kaum in die Höhe bringen. ih endlich die Stelle, wo die Binde Liegt, anfühle, thut fie mir web... da erh fallen mir die Greigniffe des geflrigen Tages wieder eig: der Here Graf, fein Cabriolet, mein Ball und meine Ropfwunse,

her wo bin ich denn ? Wer find die guten Leute, die mid biegen ? Es müſſen Fürſten fein, denn Alles, was mich umgibt, iR gex fo neachtwoll: das Bett, der Spiegel... und doch find bie Borhänge zugezogen, fo daß ich nur wenig fehen kann. Ich Dill fie auseinander thun und mich ein wenig umfchauen im Zimmer.

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O, wie ſchoͤn! Gemaͤlde, Porträtd, Männer und Frauen in Lebens⸗ größe... auch Lanpfchaften, häbſche Dörfer, und bad Alles in herrlichen goldenen Rahmen. So koͤnnen nur Fürſten wohnen, und der hier ift vielleicht eben fo gut als Bater Bernhard. Aber Bater Bernhard und Nanette... o Kimmel!-wie werden fie in Angſi fein um mi! Arme Nanette, gewiß glaubt fie mich tobt ober werunglüdt, und gewiß fucht ihr Baier nach mir!

Da muß ich laut auffeufzen. Gleich kommt eine alte Tram ins Zimmer, wo ich bin, und fieht vorfidgtig nach dev Seite des Beites Hin.

„Endlich !“ fagte fie leiſe. Er ift wieder bei fi, der arme Kleine. Wie wird des Herr fich freuen, wenn er zurüdlchet und das Hört.“

„Madame, Madame!” rufe ich mit fchwacher Stimme. Schnell kommt fie heran, ſetzt fig an mein Belt und winkt wir zu ſchweigen.

„Stil, Kind, ſtill! Da darfſt nicht reden ; der Arzt Hat eb befohlen, benn Deine Wunde kann gefährlich werben, wenn Du Dich nicht in Acht nimmſt. Aber ich ſehe Deine Rengierde Dir in ben Augen an. Ich will Dir Alles fagen; mein Her, Herr Der: milly, ward, ber Di aufhob und Hierher in feine Wohnung brachte, ald das Cabriolet des Hersu Grafen von Frauconard Dich amgeworfen hatte. Br macht es immer fo, auch geflern warf er den Karren einer Frau um, bie Gerfienzuder verkaufte. Dafür ließ fe fi die ganze Waare bezahlen, ex aber hat ven Gerſtenzucker durch feinen Bebienten auflefen laſſen, und acht Tage lang haben feine Hunde nichts ald Berftenzuder zu freffen befommen. Go geht's, wenn ein Einäugiger fahren will! Ich frage Dich, Kleiner, kaun er links und rechts zugleich fehen mit feinem Ginauge ? Du haſt vielleicht auch etwas Schuld. Ihr Heinen Knaben Gört nie auf bie

Kutſcher, und Iauft ihnen juſt quer über die Straße, wenn ihres Weges fahren.“

"Aber nein, Madame,“ .

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„SUR, Aind, ſtill; ſag' ja nit, daß Du's fo gemacht haſt. Ufo Gern Dermilly hebt Dich auf und laͤßt Dich hierher fahren. Gr iR ein weltberuhmter Baker, der Gert Dermil, and dabei fo get, nur zu gut für diefe Welt, denn.

„Aber ſeit wann, Madame.

„Still, Freundchen, ſtill: ver Doktos hat Dir ſteeug ver⸗ beten, zu ſprechen. Ich kann ja für Dich und mich zugleich reben. der Herz wollte anfangs bloß die Dir für von Augenblick nöthigfle Blege geben, und Dick Hann zu Deinen Eltern und Geſchwiſtern zutückbringen, weil ex fie leicht aufzuſtuden hoffte, denn Du biſt ak feit tn bier, mein Schaͤtzchen.“

Seit geftern, mein Bolt! And Vaer Bernharh ? Und Ra: net

„D über den Kleinen Schwäger ! Bil er gleich ſchweigen 3 ſage alfo, ſchon dachte der Herr daran, ſich nach den Deinigen m erlundigen, als wir beim Ausziehen der Wehe, bie über und iber blatig war, ein Porträt finden, das am einem Bande auf deiner Bruſt hing. Raum fieht Here Dermilly dies Porträt, fe jauchzt ex Iaud auf und reißt es mir aus der Hand. Das Porträt mas viel werth fein, denn ex geräth nicht fo Leicht in Extaſe & konnte ſich nicht genug wundern, dies Gemalde bei Dir gefunden in haben. „Wie kommt das in feine Hände?‘“ rief er unaufhör: id. „Warum trägt ex das bei ſuich?““ und Aehnliches. Er hatte Dich gar zw gerne gleich ausgefragt, aber Da warf dazumal im iämmerlidgem Zuſtande, armer Schein: Danıı befahl der Herr, Dich in fein Beit zu tragen, und fagte, ex wolle Dich nicht cher Intlaffen, als bis Du volllommen geheilt ſeieſt: er hat letzte Nacht ubenan in ber kleinen Dammer geichlafen, und jede Viertelſtunde lam ex herein, um nad) Dir zu fehen. Eben jetzt hat er ausgehen miſſen und mir fireng anbefohlen, Dich Teine Minute allein zu laſſen. So if Dir’ gegangen, mein Freund, und bad Kfügfe, vas Du thun kaunſt, if, daß Du Dich ichonft and ja nicht ſprichſt.“

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WS die alte Bpnme auderzählt hat, fühle ich zufällig an bie Bruf und merke, daß dad Medaillon fehlt, das feit. meiner Ab⸗ seife von Haus mir nicht von der Bruft gelommen if. Sch funge an zu weinen, und bitte fie inſtaͤrdigſt, das Medaillon mix zurüd: zugeben.

„Du weißt, Kind, ick habe es nicht. Herr Dermillg hat es, und ber wirb ed Dir gewiß wieder geben. Sei darum ohne Furcht Wie dis Kleinen fo mißtrauiſch find!“ |

„AG, Madame, die Mutter empfahl mir fo dringand⸗ das Medaillon ja nicht zu verlieren.“ Ä

„Es ift nicht verloren, ſage ich Dir: Her Dermilly hat ei. IR es denn ein Bild von Deinem Bater oder Deiner Muttet oder Deiner Schweiter ? Ich glaube aber, es if das Bild einer Frau: ich hatte meine Brille nicht auf.“

Ich wollte eben ver alten Vonne antworten, als ein Serinfh im Nebenzimmes ‚entflebt.

„Da if ber Herr,“ ruft fie mir gu. In demfelben Angenblid · tritt ein Herr von etwa achtundzwanzig Bid dreißig Jahren aut fanften gutem Geſicht ind Zimmer, im dem ich ſogleich meinen Wohlthaͤter von geflsen wieder erkenne.

„Run, wie gehi's fragte ex die Ponne.

„But, Herr, er iſt ganz Bei Sinnen, Dex Fleine Schelm würd: darauf losſprechen wie eine Elßer, weun ich's duldete. Mber id

gebat ihm Schweigen im Namen bed Arzies. Der apne. Kleine welcher Auodruck in feinem Auge und: welche Feinheit in den Zügen Es wir ein hübſcher Amor für Sie, Kerr. :Der Herr ſucht geſtern nach einem Modell für den Sohn der Madame bei Ihren Bemälden and der alten Geſchichte⸗; wie wär's, wer wir dem Kleinen ba. aLkaßt un⸗ alten, Lhereſ⸗ will a zufen, wenn’ iſt ie. Si⸗ befahden, ‚mt ieh

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Beim Gerauögehen wieberkolt fie für fi, ich eiguete mei trefflich zum Sehne von Madame Aubromache.

„Run, Breundchen, wie geht's 3“ fragt der Herr und fegt ſich neben mich.

„Gut, Ger, bloß der Kopf thut noch weh. D, wie bank ih Ihnen für die viele Güte.“

„Du brauch nicht zu danken, benn es if mir, als träge ich eine alte Schuld ab. Kannft Du mir auf meine Fragen aufwerten, ohne daß es Dich angreift 9“

„Recht get, Herr. u

„So fag’ mir denn, woher Du bift, und feit wann Du im Baris wohnſt ?

Ich erzähle nun meine ganze Geſchichte. Er hört mit größter Aufmerffamkeit und innigfter Theilnahme zu. Namentlich rührt in wein Schmerz über den Berluft des Bruders. Als ich auf Bater Bernhard und Nauette zu fprechen Sam, ruft er lebhaft and:

„Die guten Leute! ber fag’, woher haſt Du dad Portrait, das Du auf der Bruſt Irägft. Sag’ die reine Wahrkeit, deun Du weißt wicht, wie uuenblich viel an dieſem Umſtande mir liegt.“

Ich erzähle ihm nun Alles, was ich weiß; von bes Anknuft ver Reifenden in unferer Hütte, von dem Herrn, feinem Biewer au) dem Fleinen hübſchen Maͤdchen. Je laͤnger ich rede, um fo frenndlicher wird er, um fo deutlicher ſpiegelt ſich feine herzliche Theilnahme in feinen Augen ab. Als er hört, wie der Vater ſetig in jener Nacht zu Schaden gefommen und wie ex für Die Rettung ver im Wagen Sitzenden mit einem Fleinen Thaler vom alten Herrn beſchenkt fei, da kann der junge Maler nicht Länger an ſich Halten ; er fpringt vom Stuhle auf, lauft wie wahnfinnig im Zimmer auf un ab und ruft:

„Der Unmenſch, der... ver gefühllofe Aul!... Theure Gam- line, folgen Mann haft Du zum Gatten nehmen müſſen! Ohn⸗

den Bader dieſes Kindes hatteh Du Deine Zochter„nsrioren, Deine

Molphine! Der arme Mann it geſtorben, vielleicht an ven Folgen feines Gifers, feiner Menfchenliebe. Aber das kann ich wenigſtens: dem Sohne den Dank abtragen, den ich dem Vater ſchuldig bin, und das will ich. Ja, ich nehme den würdigen Alten, der jehtim Simmel ift, zum Zeugen, daß feine edle That feinem Waifen zu gut fommen fol. Du bleib von nun an bei mir, Lieber Kleiner!“ Darauf will ex mich umarmen, drückt aber meinen Kopf fo fe an ſich, daß ich Laut auffchrie. | „Bott, was habe ich geihan !“ ruft er in Verzweiflung. Ich will fein Bater fein und erftide ihn mit meinen Lleblofungen. DO sergeihe mir.“ - ' „Thut nichts, Here, der Schmerz if fchon vorüber. Aber bad Bortrait.” „Was für ein Vortrai g“ | „Das ich auf der Bruf trug, das möchte ich wieber haben. Ich mußte der Mutter ſchwoͤren, es Teinem Andern als dem reiht: mäßigen Gigentkümer zu geben. Erſt geftern traf ich den Heinen, sinängigen Herrn zufällig auf der Straße: ich erkannte ihn gleich und rufe ihn an. Er aber hört mich nicht und fleigt im feinen Wagan. Ich will ihm nachlaufen und fo bin ich umgeworfen und am Kopfe beſchaͤdigt worden.“ | „Armer Knabe, Du folk es wieder haben, Dein Portrait sub es dem Eigenthůmer zurückgeben, aber nicht dem Herrn Grafen, der verdient dies liebe Bild nicht, ſondern... doch Du wirſt fie „bald ſehen. Sie kommt hoffentlich recht bald nach Paris zuräd, bis. dahin nimm das Portrait, das Du jo tres bewahrt haſt. Dee Herr geht das Bild aus der Bruſtiaſche, betrachtet es lange und haͤngt os mir wieber um ben Hals. Plöglich fühle ih mid ruhiger ; nur der Gedanke, wie Bater Bernhard und Nauctte meinztwegen in Unruhe fein werben, will mir nicht aus dem Sinne. A Vater Beruharb, Kern?“ frage ich. „Und Ranch 2“ "2 5, Du haſt echt: fie Selten gleich Machsicht..Haben, damit ihr⸗

137 Usrube aufhöre. Thereſe! Gefchwind einen - Daten,“ ruft Herr Dermilly der alten Benne zu, als fie in's Zimmer teitt. „Ar jel den Pflegeeltern dieſes Kindes Nachricht geben.“

Ih nenne ihm die Adrefle von Bater Bernhard. Während Herr Dermilly mit dem Boten fpridht, Fommt -bie alte Thereſe wieder in das Zimmer.

„Herr, Sie vergeflen, daß Ihr Modell wartet. Schon eine ganze Stunde ſpaziert er im Hemde auf und ab im Atelier. Jett läuft wir der Kerl, der Roffignol, gar in bie Kuͤche, faſt fplitter: not, und bettelt um An Stud Brod. Sr fagt, er fei Heute als Römer da und mache ben Mutius-Cervelas dei. Mag ex Mutius- Cervelas ober ein Anderer fein, das iſt fein Grund, aus ven Tiyfen zu fhleden und in ſolchem Aufzuge zu erjcheinen, pfui! Sagen Eie ihn doch in's Atelier zurück und verbieten Sie ihm, fich fe wieder ald Römer in meiner Küche zu zeigen!" _

„Nur Geduld, Thereſe,“ jagt Herr Dermilly laͤchelnd. „Ich will an die Arbeit gehen, bleibt Ihr inzwifchen bei meinem Keinen Andreas und forgt recht für ihn.” Kommen die guten Leute, fo ft mich.“ W

„Soll geſchehen, Herr... bei mir ſoll er nicht fo viel ſprechen,“ ſagt Therefe und fühlt mir ven Puls. „Da haben wir's, wie er ſchlagt, ein flarkes Fieber im Anzug. Aber fie wollen nie hören. Trinf das, Kleiner, und dann ſchlaf'; das wird Dir gut tun.” .

Ih und fchlafen, jet, nach biefer Ueberraſchung und in dieſem Bette, wo fich’3 fo weich liegt! Hat nicht der Herr gefagt, er wolle für mich forgen, mir Gutes thun, mich bei fich behalten ? Und das Alles iR die Folge vom Porträt, das ich auf der Bruſt trage. Wie necht hatte die gute Mutter, als fie ſagte, das Medaillon werde mir Hält Bringen! Aber Bernhard und Nanetie, darf ich hie verlaffen; Re, bie mir fo viel Liebes und Gutes erwiefen haben? D) geipiß, ich will fie recht, recht oft befuchen ; ver Waſſertraͤger ift ja auch mein Wohlthaͤter und nie, nie will ich feine. Wohlthaten vergeffen, \

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Hotch! welch ſchwere Trikte anf dem Boden? Das Gerz haͤpft mir im Leibe. Ya gewiß, daß find fie. Die Ihüre wird aufgemacht; vergebens ruft Therefe:

„Barten Gie, bis tch fehe, ob er fchläft. Ste bürfen nicht mit ihm fprechen, der Arzt bat ed verboten!"

Sie hören nicht, ſie treten ein, fie ellen auf das Beit zu, fie herzen und Tüffen mich und negen mich mit heißen Thränen. O ber die Wonne, fo geliebt zu fein ! |

„Mein Bater! meine Ranette!" das ift Alles, was ich über die Lippen bringe. Bor Nährung kann RG nicht ſprechen, bafür drücke ich Vater Bernhard die Hand, mährend Nanette ihr Lieb Geſichichen dicht Aber mich hinbückt.

„Mein armer Knabe,” fagte endlich ver Wafferträger, „wüßteſt Du, welche Sorge Du und machteft. Ich Habe die ganze Nacht dur gefucht und Naneite um Did als wie um ihren Bruber geweint!”

„So iſt er denn ihr Sohn?“

„Rein, Madame, er iſt nicht mein Sohn, aber ich liche iön wie mehren Soft.”

„Sieh' nur, Bater, er hat eine Wunde am Kopfe!“ fst Nanette. „Haft Dn noch Schmerz, lieber. Andreas 7“

„Zept nicht mehr.“

„Man fagte uns, Du feieft übergefahren worden,“ ſegte Bernhard. „On haft doch die Wagennummer gemerkt? Ich hoff nicht, Du Täffeft Dich erft überfahren und ſchweigſt dann file... and fraun, der Kerl hat Dich übel zugerichtet.”

„D gewiß,“ feufzte die alte Bonne. „Der Herr Doktor hät bie Bleffur für fehr conſequenzreich.“

In dem Augenblicke teitt Herr Dermilly in's Zimmer. Bernhard weiß nicht, ob er aufſtehen ober figen Bleiben fol; a Ranette bleibt wie feftgenagelt auf meinem Bette figen, bewun Me Borhänge, bie Branfen, ven Spiegel, und flüftert mir in” Ohr: ‚Andreas, da muß ſich's gut ſchlafen.“

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Als Bernhard meinten Unfall von Herrn Dermilly hört, er: gießt er ſich in feurige Danffagungen.

„Aber wie bringen wir ihn fort?” fragt der Wafferträger.

„Ihn fortdringen ? Nein, er Bleibt bei mir, Bis er volffommen hergeſtellt iſt,“ anttwortet der junge Maler, und dann ſon hoffe in.

„Aber, Herr, er genirt Sie, und ich fürchte.

„Seien Sie ohne Furcht; das Schielfal des Knaben liegt mir ſebr am Herzen. Sein Bater rettete einer Berfon, die mir fehr theuer iſt, das Leben. Daß dem’ fo tl, beweist mir unwiderleglich ein von mir felbft gemaltes Porträt, das ich auf feiner Bruft fand.”

„Selbſt gemalt? Sie, Herr ?“ Ä

„sa, ih... ich felbft habe die junge Dame gemaft, deren Si er anf ber Bruſt trägt.“

„So müffen Sie die junge Dame kennen, Bert ?“

„Ohne Zweifel! . . . Und, gleich mir, wird fle wünfchen, im fünftigen Glücke des Kindes mit‘ beizutragen.”

Der gute Wafferträger fieht Herrn Dermilly groß an und tant feinen Ohren nicht.

„3a, Du Hatteft Recht, Andreas,” ruft er triumphirend aus, „Ned ſchoͤne Bild wird Dein Gluͤck machen, aber ich Bitte mir aus, deß ich Dich oft fehen darf, mein guter Knabe.“

„So oft Sie wollen, braver Mann ; Sie find zu jeder Stunde mir und Ihrem Pflegefohn willkommen. Glauben Sie nicht, daß ih den Knaben Ihnen abwendig machen will. Möge ex felbft mifheiden ; ich Habe in feinem Herzen gelefen und bin gewiß, wie a and wählen mag, er wirb nie undankbar fein.“

„D gewiß nicht! Wenn die Wahl auf Sie fällt, bin ich zu recht, um Sie an der Fürforge für fein fünftiges Glück zu hindern.“

Dermiliy lächelt und reicht dem wackern Auvergnaten die Hand, 'r ganz erflaumt ſcheint über dies Freundſchaftszeichen won Seiten eines eleganten Herrn. Dennoch fchättelt er dem Maler biderb bie Hand und fagt dann zn Nanette:

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„Seht Tomme, meine Tochter, ich muß an bie Arbeit zuüd. Morgen befuchen wir Andreas wieder.“ Naneite bat von dem Geſpraͤch zwifchen Herrn Dermilly mat ihrem Bater nichts gehört,. denn fle bat Aug’ und Ohr nur fin mich und bie fchönen Sachen im Zimmer, „Rommft Du bald, meine Tochter?" wiederholte Bernhard, „Bir müflen jept gehen.” _ | „Und Andreas, lieber Bader ?” . „Der bleibt bei dem Seren hier, bis er wieber aufflchen barf.' „Was, Andreas geht nicht mit und ?" „Bir kommen morgen, übermorgen, überübermorgen wieter

fo oft wir wollen, hat der gute Herr erlaubt.“

„So will ich auch Hier bleiben, Vater.“

„Wie, Ranette,. Du willſt mid verlaffen, Deinen alten Bater SH es nicht genug, daß id; meinen Anbread verliere? Soll i fein’8 meiner Kinder um mich haben 9“

Nanette ſchweigt. Sie ſteht auf und führt das Ende ih Schuürze vor das Geſicht. Schluchzend nimmt fie von mir Abſchie und fit .fih an, dem Bates zu folgen, ber fie vergebene ; trößten fucht. Beide umarmen mich nochmals und gehen dann fo Dernharb lächelnd, Nanette bitter weinend.

. Wie ich die gute Schwefter fo weinen fehe, muß ich au weinen. Herr Dermilly bat nicht. wenig Mühe, mich zm tröft Erft als ich nem Einfchlafen nahe bin, verläßt er mich.

© „Gottlob,“ ruft die alte Therefe, als Herr Dermilly fort i „endlich Taffen fie das Kind in. Ruhe. Die fann ed gefund wenn ed ewig fortſchwatzt!“

Die ängftlich beforgte Alte zieht bie Vorhange zu und fa bei fich ſelbſt, während fle das Zimmer verläßt: „Ich will je in bie Küche zurück und fehen, ob nicht der Schurfe von Röm an meinem Ragout herumgeſchmeckt hat, währen ber Herr hi

im Zimmer war, So geht es, wenn bad Atelier im nämlich

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Sanfe. id. Der Herr findet das bequem. Bag fein, aber Gott weiß es, bie letzte Sriechenſchlacht hat einer Unzahl von Topfen das Leben geloflet.

Bwölftes Anpitel.

Dad Atelier des Malere, Herr Roſſfignol.

Herr Dermilly ſchenkt mir die liebreichfte Pflege, und bald fühle ich mich innigſt zu ihm Bingezogen. Auch die alte Thereſe, obgleich fie mich dann und waun zankt, hat mich von Herzen gern. . Gott weiß, wodurch ich nur folde Behandlung verdient habe! Doch behalt' ich meinen alten Freund und Wohlthaͤter in dank⸗ hatem Gedaͤchtniß und erwarte täglich wit Ungebuld die Stunde, m Bater Bernhard und Nauette zu kommen pflegen. Die in ihrer Geſellſchaft verbrachte Zeit iſt mir die fchönfte vom ganzen Tage; mi mit tiefer Betrübuiß kann ich mich von ben guten Leuten trennen.

„Mad nur, daß Du gefund wirft, Andreas,” fagt Nanette, ramit Du wieder zu und kommſt. Wie Fröhlich wollen wir zufammen larzen und fingen. Es ift bier fchön, recht fchön, aber zu Haufe yfällt min es doch beffer, wenn Du da biſt.“

SH fürchte mich ordentlich, Nanette zu fagen, daß Herr Ders wg wich lefen, fchreiben und zeichnen Iernen laſſen will. So oft a mi fragt, ſcheint er mit meinen Antworten zufrieben und vers ſihert mit, ich dürfe Fein Briefträger bleiben, ich Eönne mit meinen delenten mein Glück machen in der Welt und das Glück meiner denilie und Freunde. Die Reden hör’ ich von Herzen gern. Iſt dad Wtsfteit oder der Wunſch, mir um Andere Verdienſt zu erwerben ? Mann es Gitelkeit it, fo iſt dies eime fehr verzeihliche, denn wenn non fchönen Häufern und Gemaͤchern träume, fo genieß’ ich diefe Gwriligkeit nie für mich allein, fondern mit meiner Mutter und meinen Freunden.

Saul de Rod. II, 10

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Es find jeht acht Tage, daß ich bei Herrn Dermilly wohne ; ich ‚bin ſchon etwas auf, doch fühle ich mich noch fehr ſchwach und barf nicht zum Zimmer hinaus. Nanette wäre gerne ben ganzen Tag bei mir, aber fie muß für die Küche forgen, und Bater Bernhard fürdhtet laͤſtig zu fallen, wenn er zu oft kommt. Zu meinem Zeitvertreib hat mir Herr Dermilly Kreide, Bleiftift, Papier und Vorzeichnungen gegeben, und Abends erzählt mir die alte Therefe hübfche Gefchichten und ftedt mir allerhand Badwerf und Confect zu, aber die im Aſche gebratenen Kartoffeln, die ich mit Nanette aß, ſchmeckten mir viel befler.

Eines Morgend die alte Bonne ift audgegangen und an ben Gemälden im Zimmer babe ich mich laͤngſt fatt gefehen fühle ich - gewaltige Langeweile, da kommt mir der Gedanke, Herrn Dermilly in feinem Atelier zu befuchen. Ich gehe hinaus in das naächſte Zimmer, dann in ein zweites, bis ih auf einen Korridor komme. Am Ende defjelben fleige ich einige Stufen hinauf, öffne eine Tleine Thüre und. trete in eine ungeheuer große Stube, die von oben erhellt ward. Mein Gott, was jehe ich da für jeltfame Dinge, fo feltfam, dag ich wie verfeinert ſtehen blieb. i

Bor mir ein großes Knochengerippe, hoch aufrecht; daran Ichnt eine ſchoͤne Venus von Gyps; hier große Stüde Leinwand, worauf allerhand Menjchenleiber gezeichnet find ; weiter bavon ein Gemälde mit Teufeln, die einen armen jungen ann plagen und ihn wit Schlangen geißeln ; zu meinen Füßen einen Arm; links davon ein Bein und eine Schulter ; auf einem Tifche eine Menge Karben, ein großes Buch mit Goldrand, auf eine Delflafche geſtützt; Finger knoͤchelchen über einem Kleinen Kaffeebrode; einen griechiſchen Helm auf einem Frauenkopfe; eine Tunika, Käfe, einen ſchmierigen Hut über einem Amor ; eine Schachtel mit Zinnober über einem Todienlopfe.

Das muß nothwendig fein Atelier fein, fage ich. Als uh mich von meinem Staunen etwas erholt habe, wage ich einige Schritte vorwärts, Da ſeh' ich, zum Theil verfiedt durch ein großes Bes

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maͤlde, eine Berfon, bie unbeweglich daſteht vor der Leinwand. Ich kann nicht weiter: bie Nähe diefer Perfon. fchüchtert mich ein, ihr feltfames Koſtüm macht mich mißtrauifch gegen fie.

Ihr Geſicht Hab’ ich vor der Leinwand noch nicht fehen konnen; ; boch bemerke ich, daß der Menfch einen langen Säbel in der Hand halt. Er ift faft Bid an die Ohren in einen weiten carmoffinfarbigen Mantel gewidelt, an den Füßen trägt er Schnürfchuhe und auf dem Kopfe einen Helm mit einem großen Schweife von rother Wolle. Er iR in drohender Stellung : fein Arm fcheint erhaben wie zum Schlage. Dffenbar iſt er im Zorn, und boch fchlägt er nicht zu, fondern bleibt in derfelben Lage, ohne ein Glied zu rühren.

Bergebens fehe ich mich nach Herrn Dermilly um. Ich weiß nicht, ob ich weiter vorwärts Darf, benn der Herr da mit Schwert und Mantel thut immer, ald wär’ ich nicht im Atelier. Ich huſte und räufpere mich; auch das Hilft nichts. Endlich fällt mir ein, mich wenigftends zu entfchuldigen bei ihm, daß ich fo ohne Er⸗ laubniß bereingefommen bin.

„Entſchuldigen Sie gütigft, mein Herr,” fag’ ih, von hinten mich dem Manne im Mantel nähernd, „ich glaubte, Herrn Der: milly hier zu treffen. Wenn ich genire, will ich wieder fortgehen.“

Keine Antwort, immer biefelbe Unbeweglichkeit. Das begretf’ ich nicht. Sollte er ſchlafen? Aber wer jchläft mit ausgeſtrecktem Arm und mit einem Säbel in der Hand. Ober iſt er taub? I muß ihm doch 'mal in's Geſicht fehen. Ich ſtecke fachte den Kopf am die Leinwand. D Himmel! welche Bläffe im Geficht, welche Mattigkeit im Blick! Ja, der ift noch viel, viel kraͤnker als ich. Aber woher nimmt er die Kraft, fo lange in biefer Stellung zu bleiben ?

Schon will ich fort, da oͤffnet fich plöglich eine Thüre, gerade der gegenüber, durch welche ich eingetreten Bin, und herein fpringt - ein Mann, ſplitternackend vom Kopf bis an den Gürtel, von ba an in Hofen und Schuhen. Er Hüpft wie wahnflnnig herum, trilfert und nagt dabei an einer Rebhuhnkeule.

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„Alle Hagel,“ ruft er laut lachend, ohne mich zu bemerken, „auch die iſt nicht uͤbel. Was wird die alte Hexe ſagen, wenn ſie ihre Keulen nicht findet! Und nir geſtanden, Alles abgeläuguet. D ver Zur! Warum laßt Ihr Euer Geflügel und andere Koſtbar⸗ teiten in der Küche berumtreiben! ... Hör ih das Pförtchen nicht gehen, hat nicht der Riegel geklirrt? Sa, ba, ha! wenn fie gewußt Hätte, daß Herr Dermilly mich allein läßt, hol’ mich Der und Jener, fie hätt' alle Suppen: und Gemüſeſchüſſeln boppelt verfchloffen. „Bringt Ihr Euer Frühftüd mit ?“ fragt fie, wenn fie mich Fauen fieht. „Ja, Gnaden! Darf ih aufwarten mit ‚einem delikaten Stüd Zwiebelluchen. Ein Schelm, ber was Beſſeres gibt, als er hat.“ Kommen, Zetulpe, Dih ruft meine Stimme! Tralalala! Tralalala! Schade, daß der Suppentopi nicht Schon aufm Feuer fland. Das Bad wär’ meinem Atgenienier bart gut befommen. So Du mir, fo ih Dir. Warum läßt E

Herr Dermilly Stunden lang allein! Gottlob Bin ich präcis au den Slodenfchlag wie die Fiaker und ich danke der Ratu bafür!“ | In dem Augenblide macht ber Herr im bloßen Hemde eineı Luftſprung auf die Finke Seite, wo ich flehe, und fieht nich. „Wai fürn Gewaͤchs ift das?“ ruft er. „Bill Du gebungen für be unfhuldigen Kindermord, Herrchen? Erſt geh’ nad Bari: and lag Dich neun Monden lang mit Kinderpappe füttern, fichi ja aus wie 'n friſchgeſotten Ei, und flopf Dir mit Werg di Baden aud. Sage mir, wie nenuft Du Di, daß ix Deinen Namen wiffe.“ „Herr, ich heiße Andreas,“ antworte ih dem Herrn, der ir zwifchen wie toll Herumfpringt, walzt und allerhand Geficht: ſchneidet. „Ich bin vor Kurzem übergefahren worden, und ba bi ber gute Herr Dermilly mich zu fih genommen.“ „„Refpeft vor dem Unglüd, intereffantes Schlachtopfer. bin drei oder viermal umgewoxfen worben, aber Niemand Hat mu

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aufgehoben. Glaub's wohl, Bott Bacchos Hatte mir ein Beinchen geſtellt. Aber was fagft Du zu dem Entrechat, Kleiner ?“

Ich begriff nicht, wie der Mann im bloßen Hembe fo ganz in ber Nähe des andern Mannes mit der drohenden Geberde und _ vem geſchwungenen Säbel fo Inftig fein und fo vielLärm machen koͤme. Ich zeigte ihn dem Tänzer mit dem Finger und fagte leife: „Beben Sie Acht, Sie kommen dem Herrn da zu nah’.“

„Kaum Hab’ ich das gefagt, fo wirft fich der Herr im bloßen Hemde auf einen Stuhl und will ſich ausfchütten vor Lachen. Seht den Spaß ! hält der Bube die Gliederpuppe da für 'nen Sappirer. Ha, da, Ha! Fürcht' Dich nicht, Kleiner; der Herr beißt Dich nicht. Wiſſe, 's ift eine Ieblofe Greatur, die fein vitales Fluidum am fportuofes Gehör im Leibe hat wie wir Beede. Ja, es gilt; ich heirathe ni, wenn Sie gütigft erlauben.”

Aber vielleicht Kat der Mann im Hemde mich zum Beften. Ich will die Gliederpuppe doch "mal anfühlen.

„Weg mit der Hand, Fontus!“ ruft der fchöne Tänzer und bält mich zuräd, „Darfft nicht ankommen, das brennt. Sapperlot, ver Rünftler crepirt vor Herger, wenn Du dem da eine Falte anders legſt, umd zahlt Dir mit 'ner Münze, die Du nicht in den Sad ſchiebſt.“

„Berzeihung, Herr, ich wußte nicht.”

„Seht, weil Du's weißt, hüte Did. Doc wart’, ich muß mih auf Kent’ Abend üben: ich foll in der Chamiade tanzen.”

„Aber friert Sie nicht, Herr, fo im bloßen Hemde?“

„Bah, Altes Gewöhnung. Seit fünfzehn Jahren ſchon bin ich Modell für bie Torfos, Weißt Du nicht, unfchuldiges Geſchoͤpf, daß Du vor Roſſignol ſtehſt, dem fchönften Modell in ganz Paris für die Torſos? Wäre der Untertheil fo wie ber Oberteil, meiner Earl’, ich wäre meine zwölf Franken per Tag werth. Leider bläh'n vie Kenlen nicht auf und die Weichen find und bleiben dünn, ob . ı& gleich mit Bohnen mich vollfiopfe, damit fle wachſen. Aber

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ſchab't Nichte, ich bin ohnehin noch vaſſabel beſchlagen. Dazu tömmt eine interefjante Phyſtognomie, Wig, Anmuth, ein leichter, Iebhafter Tanz, was will ich mehr? Ganz natürlich, daß ich den Damen gefährli) werde. Ein, zwei chassez ... assemblez ... Pirouetto de Rigueur! Schade, daß mein Rod dreckig und mein Hut etwas ſtark durchſichtig ift! Herrn Dermilly darf ich nicht ſchon wieder anpumpen: erſt vorgeftern hat er mir zwanzig Franken im Boraud gegeben und bie find bereit aufgepust. Das Un: glück macht kühn und unerfchroden... fag’, Kleiner, könntefl Du mir wohl vierundzwanzig Sound auf acht Tage, wie man zu fagen pflegt, pumpen? Ich pumpe Dir fünfundzwanzig Son zurkd.”

„Ich habe Fein Geld bei mir, Kerr. Bater Bernhard bewahrt meine Geldboͤrſe.“

„So muß ich anderweitig mir Helfen. Ich will die Tanzſchube mit Del ſchmieren, das gibt ein vornehm Ausſeh'n. Nichte ſticht mehr in die Augen als fpiegelblantes Fußwerk.“ |

Herr Roffignol nimmt die Delflafche und pinfelt das Del über bie bredigen Schuhe; dann gießt er davon in die Hände umb fährt fih damit durch's Haar. Während er fo feine Toilette madht, ſebe ich ihn nun genau an. Das Modell iſt ein Mann von ungefähr fechsunddreißig Jahren, ziemlich hohem Wuchfe, fchwarzen ſchlecht gefämmten Haaren, grauen Augen, aus denen der Schelm hew guckt, einer Stülpnafe, die vol Tabak hängt, und einem unge: beuern Munde, der ewig hin und Ber rollt und ſich ſperrweit öfnel Dies Alles gibt ihm ein durchaus originelles Andfehen.

„Schade,“ fagt er, fich die Haare lockend, „daß ich etibe nicht auch fo fehmieren kann. Der Hut fol wenigſtens eine Tun haben : 's wirb ein Biffel ranzig riechen, aber meine Brinzeffin hei fo Gott will den Schnupfen. Doch die Luft nach nem KRapannen in Reis muß fie ſich vergeh'n laſſen mit meinen dreizehn Som in ber Tafche, wenn wir nicht etwa chriftliche Freunde antreffem Dußt' ich nur, ob Hannchen heut’ gefeffen Kat, ich woll® meine

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Bean die Ohren fo vol fummen, bis fie mit ven Golbfachfen berandräudt!“

De ich den Kern mit Stiefeln und Haaren befchäftigt fehe, ſo vermuth' ich, er wolle fich ganz ankleiden und reiche ihm Hemd und Mod hin, bie in einer Ede des Ateliers auf der Erde liegen

„Dant, Kleiner,” fagt er, „ich will warten, bis der Ser Patron zuräctämmt und mid wegſchickt. Man ſitzt für einen Torfo nit im Hemte; das ift griechifch das, merk' Dir's. Und unter md, wenn die Natur Dich gut herausprechfelt, fo wähl’ Dir ja

feinen andern Stand: werde Mobell, das lernt fi Leit... . brauchſt nur ſtill zu halten. Traum, ich weiß nichts Beſſeres in ver Welt, ald Maler und Modell, Teiner ohne den andern: Tein Raler ohne Modell, und fein Modell ohne Maler, verftanden ? Ale Teufel, wenn mein Weib mich nicht fo Hinter’s Licht geführt bill’, wir Tönnten jegt im Gold wühlen. Ich nahm fie um ihrer Formen wegen, Formen, fag’ ich Dir, fo ſchön wie bie einer Benns Kalligige. Die nimmf Du, fagt’ ich mir, ala ich fle fah, Ne muß fipen, und Deine Rinder auch, wenn Bott Dir welde ſhenlt. Das Sitzen ift erblich in unferer Familie: mein Bater fa für feine Arme, meine Mutter für ihre Hüften, mein Onkel für kine Güße, meine Tante für ihren Rüden, mein Bruder für feine binde und meine Schwefter für ihre Ohren. Als ich meiner Frau ten Hof machte, ſagt' ich ihr: che wir und für Zeit und Ewigkeit finden, mußt Du wiffen, ich will, daß meine Frau fiht, gleich ve wofür ? und meine Kinder auch, fo Gott uns welche fchentt. Rein Freund, antwortete fie, ich will zeigen, was Du will. O, we Trenlofe! O dies trügerifche Eorfett! Ich Tann nicht fagen, wie ſchaͤndlich Madame Roſſignol mich anführte! Unmöglich, fie ad nur für das Geringſte fipen zu laſſen: nichts ald Watte, von der Sohle bis zum Scheitel! ... Ich hätt’ ihr wegen Form⸗ nängel dem Laufpaß gegeben, aber leider! war fie fchwanger.

So mußt ich mich an ihr Kind halten. Und wirklich hab ich nen Zungen, gebaut wie ein Apollo, in meinem Genre. Ber wirb ’mal eins der fchönften Modelle in ganz Europa. Als er trei Jahre alt iſt, will ich ihm bie Pofition einexereiren, aber ich kann ihn nicht ruhig kriegen. Ich greife alfo zum Ochfenziemer, um fein heiß Blut zu fühlen; meine Frau greift zum Befen, ihn zu ver⸗ theibigen, denn fie gibt mir die Schuld, daß er fo ſchreit. Diefe Cheſtandoſcenen wiederholten ſich täglih, und weil die Nachbarn fi} darüber befchwerten , erklärte der Viertelscommiſſarins, er finde diefen Poſitionsunterricht für unzwedmäßig, ich möge das Kind fi freiwillig entwideln laſſen. Bon der Zeit an leb' ich als Jung- gefell und will auch mein Cheweib nicht eh’r wieder jehen, als bis fie einen Ableiter braucht für den Ueberfliug an üderflüfligem Gelb. Und deßhalb heiß’ ich die kleine Winenbräbel.. . Trala⸗ ala... Tralalala !"

&ben hat Roſſignol ausgefungen, als von ber Seite der Küdhe ein lauter Lärm entfieht. „Das hat Keiner gethan als der Schurke von Roflignol,“ ruft drangen die alte Therefe. „Ich weite, er if unter irgend einem Vorwande aus der Sitzung in bie Küche ge⸗ lichen. Aber wart’, der Herr ſoll's wiffen. Einem Alles weggus ftehlen und fo was auf die Schöpfentenle zu ſtecken!“

„Still, ſtill!“ ruft Roſſignol, durchs Schluſſelloch guckend, „die Alte iſt's . fie Eömmt herein... Sapperlott, em guter @infall, eine melobramatifche Scene! Die Alte ift ſchreckhaft, fie wird weich geben. Goͤttlich, göttlih! Geſchwind, Junge, auf's Knie vor der Slieberpuppe, 'nen Helm auf den Kopf, dad Biflr herunter, eine Tunika um bie Schulter und fein Glied gerübet.”

„Aber, Ser...“

„Kein Aber.“

„Barım ?“

„Rein Warum... thu', wie ich fage. Du machſt die Glieder⸗ pappe, nur auf ein Paar Minuten, damit fie Dich wicht eslennt.

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Em Wort, ein einzig Wort, nnd ich ſchlag' Dir mit Sannibals Degen die Rippen entzwei ... . verflanden I“ j

Ich gehorche, nicht aus Furcht vor Herrn Rofſignol, fondern aus Neugier, was er vorhat. Auch if mir ein Augenblid Kutz⸗ weil wohl zu gönnen nach der langen Langeweile, und Herr Der: milly wird's micht übel nehmen. Ich kniee alfo nieber bei ber Gliederpuppe, Roffignol drüdt mir den Helm auf den Kopf, das Viſir fällt von ferbft herab, dann wirft er mir einen weiten Mantel von gelber Seide über die Schultern. Als er mit meiner Berflei- dung fertig ift, läuft er auf das @erippe zu, nimmt ed unter ben Im, ftelli es vor eine große Kifte in der Mitte des Aielierd, deckt einen weiten braunen Mantel baraber, fo daß von dent graͤnlithen Mann nichts zu fehen ift, kriecht in die Kifte Hinter dem Skelett und macht den Dedlel über ſich zn, doch fo, daß er darin atmen und zugleich den Zipfel des Mantels fafien kann. Das Altes wer das Werk eines Angenblides. Kaum find wir auf: unferen Poſten, ſo oͤfnet Thereſe die Thüre bes Ateliers.

„Herr!“ ruft fie, langſam vorttetend, wo fie Herrn Dermilly vernuthet. „Das kann nicht fo fortgeh'n, das muß aufhören. Tag and, Tag ein macht Herr Roffignol ſolche Streiche. Heute Riehlt er mir 'ne ganze Nebhuhnkfeule, und dann heißt's, die Kate hat's gethan. Berbieten Sie ihm doch, je wieder in meine Küche zu fommen, ober laſſen Sie die Nebenthüre zumanern. Uebrigens iſt es recht fatal, daß die Nachbarn Männer ohne Hemd bei mir fehen. Vergebens fag’ ich, es fei das Modell; fle lachen mir gerad’ in's Seficht... und denken allerhand von mir, wad meinem guten Auf nachtheilig if.”

Während deſſen ift Therefe bis dicht vor das große Gemälde neben der Kiſte und dem braunen Mantel gelommen. Sie flieht ſich nach allen Seiten um.

„Was, ſchon fort? So früh ſchon? Hub, hab... zwiſchen Wefen Geſchichten Bier im Ateller wird Einem ganz unheimlich.

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Kerr, wo find Sie? Niemand da! Ich will fort, all' die haͤßlichen Fratzen und Geftalten widern mi an. Der arme junge Ram, ber mit Schlangen geprügelt wurbe, wie dauert er mich! Schade b’rum, ex iſt fo ſchmuck und nett. Sie nennen ihn Herrn Irion... und das gefchieht, weil er mit Mabame Jupiter geliebäugelt hat. Mein Gott, wenn alle Männer fo gepeitfcht würden, vie mit fremden Weibern Tiebängeln !“

In dem Angenblide wird brinnen in der Kifte rumort. Thereſe fährt zufammen, erblaßt und fieht furchifam um ſich.

„Bas war dad? Herr, Herr, find Sie hier ?"

Keine Antwort. Es rumort nochmals ; ein Tanggezogened „Ruh... Bub...“ tönt aus ber Kifte. Therefe zittert wie Eſpen⸗ laub unb bleibt wie feſtgewurzelt flehen, die Hand vor dem Ange.

„Bott, mein Bott, was ift das?“ ruft die Alte mit bebender Gimme. „I Tann nicht von der Stelle. Hülfe! Hülfe!“

„Therefe! Therefe! Thereſe!“ ruft e8 dreimal aus der Kiſte in hohlem, Häglicdem Tone.

„Ber... wer ruft mich?" fragt die Alte zitternd und bebent.

„Dein Großvater !“

„Broßvater, Dur... Ans... dem Grabe... erflanten ... nach fünfzig Jahren ?

„Sa, ih bin's! ... Wirſt Du mich Hören und’ thun, was ich Die befehle ?“

„Sa, Großoater, ja!“

„So gib At, Thereſe! Roffignol iſt ein waderer Burſch, ich Tiebe und befchüße ihn, ben fhönften Torfo auf der weiten Bottee: weit. Wir Befehlen Dir fomit, ihn in die Küche zu laflen, fo oft er es für gut findet ; den Schlüffel der Speifefammer immer ftedden zw laſſen; ihn die Suppe koſten, auch eine Brobrinde eintauchen zu laffen, fo oft er Luft hat; ihm von allem Backwerk und Cor: feet Eiwas auf die Geite zu legen: von dem Allem gegen ben

Hexen zu ſchweigen; enblih überall und zu jeber Zeit ir mit ber

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Aufmerffamfeit zu. behandeln, wie fle dem fdhönften Mobell der Hauptſtadt der Welt gebührt. Läßt Du es in einem biefer Stücke fehlen, bann zittere. Sich’ und an und wünfch' und guten Tag!“

Therefe entfchließt ſich mit größter Mühe, die Hände von ben Augen zu nehmen. Nach wenigen Minuten Befinnung erhebt fie endlich fanft ben Kopf. In dem nämlichen Angenblide zieht Rof: fignol fehnell den braunen Mantel weg, umb vor ihr ſteht das Stelett. Lant fehreiend wirft fie ſich auf die Kite und fleht alle Heiligen des Paradiefes um Hülfe an. Plotzlich fängt Roffignol darin zu brüllen an und fchlägt, wie wahnfinnig, mit Händen unb Füßen gegen die andern Wände der Kifte. Die Alte, bie auf einem Re mit Tenfeln zu fipen glaubt, fliegt leichenblaß in die Höhe nnd kommt auf mich zu, eben als ich mich erhebe, um die Alte, bie halbtopt iſt wor Schreck, zu tröflen. Als fie mich mit dem Selm auf dem Kopfe und gefchlofienem Bifir heranwanken ficht, alanbt fie wicht anderd, als daß das ganze Atelier behert und Leben in bie Todten gefahren fei. Sie bebt entfeht zurüd und fällt mit vollem Gewicht auf Rofjignol, der gerabe den Kopf heransftedt, um frifche Luft zu fchöpfen, und Beide verfanken in die Kifte, fo daß Therefe oden und Roffignol unten zu liegen kommt. Erſtere, die fih vom Teufel gepackt glaubt, ergibt fich ruhig in ihr Schickſal md bleibt liegen, wie fie liegt, während Letzterer, ber erfliden sl, ſchimpft, brüllt und flucht, und als das nichts Hilft, fle Röpt, fchlägt, kneipt, zwickt und beißt.

„Aufgeftanden! Schodfchwernoth ! Aufgeſtanden, fag’ ich!” ſchreit das ſchoͤne Model. „Ihr drückt mich zu Tode, meiner Seel’! 35 krepirfaſt, alte Here. Ober wollt Ihr bie morgen früh fo liegen 9“ u Beelzebub! Aſtaroth! Asmodi! Euer Wille gefchehe, ich ges Knie Eu.“

„So macht, daß Ihr forttommt, Sapperiot. Weg mit dem Unterrod,, ober ich Beiß’,“

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„Mein feliger Großvater, Euer Wille geſchehe.“

„Zum Teufel mit Großvater und Großmama. Ich Hab’ da 'ne bübfche Venus aufm Budel.“

Ich mußte laut lachen über dem komiſchen Anblid. Plöglid öffnet fich die Thüre, und herein tritt Herr Dermilly. Man venle fi fein Staunen, als er mich in Helm und Mantel und bie alte Bonne und fein fchöned Modell in ber Kifte findet.

Was heißt das?“ fragt der Maler, auf die Kifte zueilend. Während er Therefe heraushebt, warf ich Helm und Mantel von mir.

„Sie da, Here Dermilly!“ ruft Therefe, ihre Haube zurecht: ſchiebend, die während des Scharmuttzels bedeutend gelitten ; „Bott fei gedankt.“

„Was Mabt Ihr mit Herrn Roffignol in der Kifte zu hun? Und Du, Andreas... in Helm und Tunika 3“ -

„Du biſt's, Andreas ?“ ruft bie Alte. Iſt's möglich ? Und der Schelm von Rofliguol war's, ber mich fo gezwickt und gebiffen ?”

„Morblen, wer ſonſt?“ ruft das Modell, and der Kifte ſich emporarheitend. „Zwei Stunden lang ruf’ id Euch, aufzuſtehen. Wollt Ihr Euch rächen an mir und mich erfliden ?“ |

„Ich begreife nichts von dem Allen,“ fagt Herr Dermillg, ber Reihe nach und anſehend. Während Roflignol feine Haare in Ordnung Bringt und Therefe Luft ſchoͤpft nach dem harten Kampfe, geh’ ich auf Herrn Dermilly zu, erzähle ihm offen den ganzen Hergang der Sache und Bitte ihn um Entfchulbigung, daß ich ohne feine Erlaubniß ins Atelier gefommen bin. Inzwifchen ruft There ſe unaufhoͤrlich: „So, fo, der Schelm von Rofignol war's... hätte mir's denken Eönnen. Es flanf fo ranzig b’rin im Koffer, umt nad Knoblauch, zum Gel... pfui!“

35 fah, wie Herr Bermilly kaum das Lachen laſſen kann Als ich aufhöre, nimmt er einen ernfien Ton an und fagt * Modell: „Sie konnen gehen, Herr Roffiguol, ich bedarf Ihre nicht mehr. Sie wollen keine Vernunft annehmen. Ich habe Ihnen

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oft gedroht: ich will Fein Modell, das mir das Haus von unterft in oberfi kehrt.“

„Wie, Herr,” ruft Roffignol, einen grimmigen BE auf Therefe ſchleudernd, „weil die alte Rärrin ſich auf mich wirft und mid für nen Aftaroth Hält, wollen Sie Ernſt machen? Yür den unfchuldigen Spaß eines müßigen Augenblicks ?“

„Richt bloß deßhalb ... Haben Sie gehört I“

„Kerr, Sie haben mir zwanzig’ Franken vorgeftredt. Ich bin Ihnen fomit noch vier Sitzungen ſchuldig.“

„Nicht noͤthig ... ich ſchenke fie Ihnen.“

„Schenken, mein Herr? Ich will nichts geſchenkt,“ ſagt Roſ⸗ ſignol und Holt feine Kleider, um ſich anzukleiden. „Sch ſchulbe Ihnen zwanzig Frauken und zahle fie Ihnen zurück, ſobald ich laun. Roſſignol nimmt feine Geſchenke an. Uebrigens werden. Si⸗ lange fuchen, ehe Sie einen Torſo wiederſinden wie ich bin. Sp ein antiker Leib, fo eine Schule. Malen Sie einen Herkules, einen Rars, einen Apollo ohne mih . .. . wenn Sie's Tönnen. Für bundert Sous eine folge Bruft wie die Hier! Und bad um einen Iumpigen Löffel Suppe und eine Rebhuhnkeule! Deßhalb über: werien ſich Künfller! ... Auf Wiederfeh'n, Herr Dermilly !"

Mit diefen Worten grüßt er Herrn Dermilly, drückt ſtolz den Hut aufs linke Ohr, wiegt fi Hin und her wie ein Tambour⸗ Major, ſchwingt fein großes Rohr im Kreife herum und murmelt zwiſchen ben Zähnen: „Jeht hinunter zu Madame Roffignol. Woll'n den Faufan auf das Opfer Abrahams einfubiren.“ Auf feinem Bege durch's Atelier Hinterläßt er einen weiten Dunſtkreis von Kuoblaud und ranzigem Del.

„Bott fei Dank, daß er fort if,“ ruft Therefe, ber Tauge- nichts der! Welchen Schreden hat er mir eingejagt. Unb doch wol’ ich wetten, Herr, wenn er morgen kommt, Sie bittet und Beſſerung verfpricht, Sie nehmen ihn wieder zu Guaden auf.“

So lange Roſſignol da wor, hielt ich mich in einer Ecke des

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Ateliers, and Furcht, gezantt zu werben. Raum aber ift er wes, fo gehe ich ſchuchtern auf Herrn Dermilly zu.

„Und muß ich auch fort, wie Here Roffignol ?” frage ich ihn.

„Du, mein lieber Andreas? Im Gegentheil... morgen fommt fie an, da ſollſt Du fie fehen. Aber geh’ jetzt ind Zimmer zuräd, Freundchen, Du haft Ruhe nöthig nach dieſem Lärmen. Thereſe, bringt ihn in feine Kammer.”

Ich fol fie morgen ſehen? Wen ? Und warum freut ſich Herr Dermilly fo darauf? Ich begreife nichts davon, aber ich mag ihn nicht fragen. Während ich Therefe folge, murmelt fie unaufhörlich zwifchen den Zähnen: „Der Schurke, Einen fo zu kneipen und zu Koßen ; ich bin wie zgerfchlagen an allen Gliedern! Gottlob, end⸗ lich Hab’ ich Ruhe in der Küche. Hätt’ ich nur geahnt, daß er's wäre ; meiner Seel, ich hatt’ ihm die Viehſaſche zerfrapt... feche Monate hätt er keinen Römer machen fönnen.“

Brriehntes Rapitel. Das Driginal des Porträts.

In meinem Alter erholt man ſich ſchnell. Als ich den Morgen nad) dem eben erzählten Auftritt im Atelier erwache, tran’ ich mir Kraft genug zu, wieder in Paris herumzulaufen, und nehme mir vor, mit Nanette auszugehen. Ich will aufftchen... ich fuche meine Kleider. Welche Ueberraſchung! Statt der groben Jade amd geilicdten Hofen finde ich eine Hübfche Jade von ſchönem blanem Tuch mit goldenen Knöpfen, eine Hofe vom nämlichen Zeuge und eine herrliche Wefte von gelbem Gaftmir ! '

IH kann mich nicht fatt daran fehen, doch wag ich nicht, fir anzurühren. Soll ich die haben ? Unmöglih!... Aber die alten, Kleider fehlen. Ich rufe: „Thereſe! Thereſe!“ !

„Bas will Du, Schap ?* \

mMeine Kleider möcht’ ich liebe Thereſe.“

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„Deine Kleider? Sind die da ſchlechter ald vie alten 3“

„Sol id die haben? Die fchöne Jade mit goldenen Kuöpfen und die fchöne Weſte von gelbem Tuch ?“

„Wer fon? Und gleich kommt der Friſenr, der ſoll Die die Haare fchueiden. Gib Acht, wie ſchoͤn Du wirft. Oper glaubfl Du, Herr Dermilly wolle Dich als Schornfteinfeger Hier im Haufe berumlaufen laffen. Er behält Dich bei fich.“

„Gr behält mich ? Und darf ich nie mehr zu Bater Bernhard ? und nie mehr mit Nanetie tanzen ?“

„Du kannſt, wohin Du willft, aber Du wohnft bei une. In ben neuen Kleidern tanzt ſich's jo gut wie tn den alten. Wer ein gut Gewiſſen und fröhlich Herz bat, der hüpft und fpringt, was es auch anhaben mag. Das Kleid macht den Mann nicht, lieber Andreas, das wir Du fpäter lernen, aber es verſchönert ihn. Die Toilette kann viel thun. Wenn mein Ehemann felig feinen Iakanienfarbigen Sonntagerod anhatte, feine fchlichten Hofen und geftreifte Halsbinde, da war er nicht wieber zu erfennen. Und ſieh mich nur felbft au. In einer geſtickten Haube und geblümtem Nachts leibchen bin ich zehn Jahre jünger.“

Ich betrachte die ſchoͤnen Kleider und ſtutze. Was wirb der gute Vater Bernhard fagen, wenn er mich barin fieht? Biel leicht betrübt es ihn. Doch brenne ich vor Ungebuld, fie anzus yaffen; Thereſe meint, fie werden mir gut figen. Ach, ich kann der Luft unmöglich widerſtehen ... mit elf Jahren fehlt ver Muth dazu, und überhaupt, wer nennt mir eine Zeit im Leben, wo bie Gefallſuchk Feine Macht Hätte über den Menfchen?

Ich erliege der Verfuchung, und gleich darauf flede ich in von neuen Kleidern, von Kopf bis zu Fuß wie umgewandelt. Dereſe ift außer ſich vor Entzüden ; auch ich bin nicht unzufrieben mit mir, Ich ſeh' mich im Spiegel, dreh’ mich nach allen Seiten um und betrachte mich felbfigefällig. Jetzt kommt auch ber Trifeur. E ſchneidet mix die langen Haare ab, frifist und pomadiſirt mich,

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Schon wieber bin ich vor dem Gpiegel. Aber pfui! wie haͤßlich von? ich mir. Gr nach und nach gewöhne ich mich au bie kurzen Haare. Doc, wo bleibt Rauette und ihr Bater? Ha, ich weite, fie kennen mich nit. A, und bie arme Mutter, wenn fie mid fähe, wie glüädlich wäre fie! Sch will die Kleider recht ſchonen, bis ich fie 'mal befudhe.

Herr Dermilly tritt herein. Er ficht mid an und umarımt mi; er gibt nicht einmal zu, baf ich ihm danke. Sch wünfche auszugehen, Bater Bernhard zu befuchen, vielleicht auch um mic anf der Strafe zu zeigen. Solde leife Regungen von Gitelleit find gar zu watürlich |

„Sente noch nicht, Fieber Andreas,“ antwortet Herr Dermilln, „Du biß woch zu ſchwach.“

„Rein, nein! ih bin Hark genug.“

„Und dann Iommen ja Deine Freunde zu Dir, unb eine an- dere Perſon.“

„Dieſelbe, von der Sie geſtern ſagten ?“

. nDiefelbe, Freundchen.“

„Keunt fie mich ?“

„3a, ich babe ihr Alles gefchrieben,; Du glaubt nicht, wie fie ch freut. Nur Geduld, lieber Andreas, und vor allen Dingen keine Unbefonnenheit !“

. Ser Dermilly geht fort, während ich Pie Zeit nicht erwarten Sans, bie Berfon zu fehen. Wie ſchade iſt's doch, wenn man mit ſo neuen und fchönen Kleidern im Zimmer bleiben muß. Guplih geht die Glode. Meine Freunde find’s, ich kenne fie Schon Gange. D, o, was werben fie fagen. Ich befinne wich, ob id

mid) verfieden oder ihnen entgegen fpringen fol. |

Da find fie... fie kommen herein... fie fehen mich. an kennen mich nicht,

„ge, ich bin's,“ ruf’ ich ihnen zu; „Baier. Vewherd *

wet, ſeht mich ap!“

157 „ME möglich? Du, Andreas I“

„Der Heine Ge da in gelber Wefte iſt mein Andreas ®“ ruft

Bater Bernhard erflaunt.

Ja, er iſt's ... in neuen Kleidern.”

„Und Ihr küßt mich nicht? Weil ich anders gekleidet bin ?

„Erf laß ſeh'n, ob Du's wirklich biſt. Ja, ja, er iſt's,“ ſagt Bater Bernhard und küßt mich. „Reich oder arm, ich will Dich immer Tieben.“

Nanette weiß nicht recht, ob fie ſich freuen fol oder nicht. Sie Befühlt Jade, Wefte und Knöpfe, und fagt dann leife: „Du bit recht ſchoͤn, ja, aber Du wirft bald ſchmutzig werden auf der Straße, und die langen Haare flanden Dir fo gut... ich glaube, ich mag gar nicht mehr mit Dir tanzen in der fchönen Jade. Trägt er fie nur Sonntags, Bater, oder auch an Werktagen ?“

„Das hängt nicht mehr von und ab, Liebe Tochter, Andreas iR auf dem Wege, fein Glück zu machen, vielleicht gar ein vor: nehmer Herr zu werden mit Wagen, Pferden und Bedienten. Er wär’ nicht der Erſte, der im Stalle anfängt und im Palafte auf: bört. Hanptfache ift, daß er gut und ehrlich bleibt, und ung lieb kehäält ... und dafür fleh’ ich ein! Die Parifer Luft wird fein ge: unded Herz nicht vergiften.“

Nanette hört erflaunt ihrem Vater zu, dann nimmt fle mich im Arm und fagt mit bewegter Stimme:

„SA das wahr, Andreas? Du willft ein vornehmer Mann seven mit Wagen, Pferden und Dienern? Nicht mehr in Paris umgehen und Beftellungen machen? Willſt uns nicht mehr feh'n ? ms nicht mehr lieben? Und das Alles, weil Du fchöne Kleider Bhf? Mein, Andreas, nein! Zieh’ fie wieder aus. Du warft viel

er ald Savoyarde. Komm’ mit uns, komm’, ich bitte Did. Du nicht mehr trank, laß und geh'n, ehe der Herr zurückkehrt. Ach, traurig werd’ ich fein, wenn ich Dich nicht mehr fehe, und Paul de Rod. I. 11

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der Bater auch, Ohne Dich Fühlen wie und verlaffen. Eo wäre recht fglecht von Dir, wenn Du bier blieb."

Länger halt ſie's nicht aus; die Kellen Thränen laufen ihr über die Wangen und fle ſchluchzt Iaut. Vergebens fuch’ ich fie zu tröften, nenne fie meine Schwefter, meine liebe Schwefter. Nichts hilft. Sie wiederholt immer: „Komm' mit und zurüd in unfer dans.“

D, wie mid das rührt! Schon will id ihr nachgeben und mit ihr gehen, aber der gute Vater Bernhard Hält mich zurück.

„Andreas,“ ſpricht er, „fei nicht undankbar und unvernänftig ! Herr Dermilly fann Dir nützlicher werben in ber Welt, als ich es kann. Wie ſchwer mir die Trennung von Dir fällt, ich vergeffe dad, um Deines eigenen Beften willen. Wenn je Dein Beſchützer andern Sinnes werben follte, o dann Tehre zu und zurück: unfere Arme ftehen Dir immer offen. Auch Nanette wird ſich tröften, wie Alles in der Welt ſich mit der Zeit tröftet.”

Ich füge mich in den Willen Vater Bernhards und fage ganz leife zu Nanette:

„Nanette, bin ich erft ein reicher Mann, fo auf’ ih Dir ſchoͤne Kleider, ſchoͤne Hüte und Hauben.“

„Nein, nein, ich will Feine,” ruft Nanette. „Sch will Tieber bleiben, wie ich Bin.”

Und damit Fehrt fle ſich ab und will mich nicht mehr anfehen, denn ich fei abſcheulich in den neuen Kleidern, fagt fie. Zum Ab⸗ ſchied will ich Nanette Füffen, aber fie duldet es erft auf Befehl des Vaters. Dann hält fle mir das thränenfeuchte Baͤckchen Hin und macht ein Geſichtchen, o fo rührend ... und flüftert mix noch⸗ mals in's Ohr:

„Komm, Andreas, komm’ zu und zurüd!“

Wenn nur Vater Bernhard es zugäbe, ich wäre gleich bereit... aber fchon find fie zum Zimmer hinaus. Noch auf der Treppe höre ih das arme Ding ſchluchzen. Das geht mir duch Mark und Bein. Saft möchte ich die neuen Kleider, ausziehen und wegwerfen, fo

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baſe Bin ih, denn fie haben Nanstien mißfallen und ic; fühle mid nicht mehr wohl in ihnen... es wird mir fo traurig zu Muthe. IR bad die Wirkung des Reichthums? Wenn ber Reiche aufhört, froh und glüdlich zu fein, fo will ich Tieher Briefträger bleiben mein Leben lang.

Ungefähr eine Stunde fpäter hoͤre ich ein Geräaͤuſch im Neben- jommer, Gleich darauf öffnet Herr Dermilly die Thüre und nöthigt eine Dame herein mit den Worten: „Kommen Sie, liebe Caroline. Die er ſtauuen wird!“

Die Dame ift jung, fhön und fehr elegant gefleivet. An der Sand führt fie ein etwa achtjähriges Mädchen, die ich nicht gleich bemerkte, weil die ältere Dame meine ganze Aufmerkfamfeit feſſelt. 66 war mir, als habe ich fie ſchon wo gefehen. Inzwifchen fagt fe zu Herrn Dermilly: „Er ift allexliebft. Welch’ ein Glück, daß wir ihm gefunden haben; mehr noch, daß er fich nicht an den Herrn Grafen gewandt hat, der mir den Umſtand früher verfchwiegen hatte,“

Waͤhrend ich nachſann, wo ich der Dame begegnet fein kann, jällt mir dad Portrait ein, das ich auf ber Bruft trage. Ich ziehe heraus umb vergleiche es mit der Dame, bie vor mir fleht. Kein weifel, fie iſt's... ich habe fie gefunden das Original, die Figenthümerin des Bildes. Schnell Binde ich es los und überreiche der Dame mit den Worten: „Hier if Ihr Portrait, Madame. 3a, ich erfenne Sie wieder. Gottlob, daß ich Sie endlich gefuns ven babe.”

„Du Haft Recht, mein Freund,” antwortet fie und umarmt nich zärtlih. Es iſt mein Bild oder vielmehr das Bild meiner Ichter, meiner Abolphine, die Deinem eblen Vater die Rettung bies Lebens verdankt und eine Nacht in Eurer Hütte zubrachte. JH will das Unrecht des Hersn Grafen wieder gut machen. D, we freu' ich mich, für den Sohn bed edlen Mannes Etwas thun is Iönnuen, bem ich die Rettung meiner Adolphine zu danken habe, Zabei drückt fie ihre Tochter and Mutterherz.

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„Unb das wäre die Heine Schlafmüge, die ich einft fo fröhlich auf dem Arme trug?” denk' ich bei mir. Ich fehe fie genau an und wirklich Tenne ich ihre Züge wieder, doch wie hat fie fi ver⸗ ändert in diefen vier Jahren! Sie ift groß und hat fchon recht viel Anftand im Benehmen; ihre Augen find noch gleich ſchön, gleich fanft, aber fie fieht nicht mehr fo Ted, fo kindlich dreift um fich wie damals; fie blickt ſchüchtern nieder und erröthet, wenn man fle anfleht; ihre Haare find dunkler geworden, ihre Züge marfirter, ihre Manieren ruhiger und geſetzter. Die Vernunft daͤm⸗ mert ſchon und drängt fi ein in die Empfindungswelt ded Kindes.

Sch bleibe unbeweglich ftehen vor dem Fleinen Mädchen, das mir zulächelt, weil die Mutter ein Gleiches thut.

„Gib ihre doch einen Kuß, Andreas,” fagt die junge Dante. „Kennft Du fie nicht mehr? Sie ift noch gleich gut und gleich fanft, und wird Dich recht Tieb haben, denn meine Adolphine hat ein dankbares Herz.”

Sch trete auf fie zu und bleibe dann etwas linkiſch flehen. Mir fcheint, ich Habe nicht den Muth, ihr einen Kuß zu geben. Segen Nanette war ich viel ungenirter, die wollt’ ich zwanzigmal bes Tages Tüffen, ohne verlegen zu werben.

Endlich Halt mir die Kleine Adolphine die Wange hin und ich berühre fie leicht mit meinen Lippen. Schnell ziehe ich mi in ‘die Ecke zurüd, als hätte ich was Unrechtes gethan.

„Was gedenken Sie mit dem Kinde anzufangen ?" fragt die Dame Herm Dermilly.

Ich will ihn behalten, für ihn forgen, ihn unterrichten Iaffen und in meine Geheimniffe einweihen, wenn er Luft zeigt und Talent zur Malerei. Ich bedarf um fo mehr eines treuen, echeiternden Ge⸗ fährten, da ich ledig zu bleiben gebenfe. Mit ihm kann ich von Ihnen teben, denn er kennt Sie und wird Sie recht lieh gewinnen. Wenn er gleich meinen Schmerz nicht begreift, kann er ihn doch verſüßen.“

„CErlauben Sie mir einige Einwendungen Dagegen, mein Freund.

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IH fürchte, er wird in Ihrem Hausweſen Manches vermifjen. Sie find und bleiben ledig, haben den größten Theil des Tages vollauf zu thun und machen häufige Reifen. Andreas ift noch zu fung, Sie begleiten zu können, oder nehmen Sie ihn mit, fo bat ex feine Zeit zum Lernen. Bleibt er aber Bei ber alten Thereſe allein zurück, fo wird er ſich Höchft verlafien fühlen. Außerdem bebarf ein Kind tanfend Eleiner Aufmerkſamkeiten, die wir bei einem Ie- digen Mame nie finden Tünnen. Aus allen diefen Gründen möchte ich Sie bitten, den Heinen Andread mir zu überlaffen. Er foll bei mir wohnen, in meinem Hötel, von Adolphinens Lehrern Unter: ruht Haben, und von mir wie yon feiner rechten Mutter behandelt werden. Mein Haus ſteht Ihnen zu jeder Stunde offen. Mas meinen Sie dazu, Herr Dermilly. Und Tiegt ed nicht mir zunächft eb, für die Zukunft diefes Knaben zu forgen ? Hab’ ich nicht die gerechteften Anfprüche darauf? Sagen Sie ja, Herr Dermilly !"

„Ah, Baroli.., Madame! Ihre Wünfche waren mir von jeher Befehle. Ihr Bater Eonnte und trennen, indem er, taub gen unfere Bitten, Ihre Hand einem Andern gab, aber die Ge: fühle meines Herzens für Sie ertödten Tonnte er nicht, die hören erft mit meinem Lehen auf !“

Die junge Dame fchweigt, aber fie ſeufzt tief und fieht Herrn Termilly fo zärtlich, fo vielfagend an, daß dies Schweigen be- ıchter fein muß als die beredteſte Sprache.

„Bergefien wir das,” jagt fie endlich, „und denken wir nur on Andreas. Willſt Du bei mir wohnen, Kleiner ?” fragt fie mich.

Ich fehe fie erflaunt an, aber ſchon jetzt fühle ich mich zu im Bingezogen. Der Ausprud ihres Geflchtes iſt fo fanft, fo liebevoll. Und nun erſt die Heine Adolphine. Sollt’ ich wohl mit ir fpielen dürfen? Ich mag nicht darnach fragen. Etwas un- iHlifjig antworte ih und ſehe Herrn Dermilly dabei an:

„Wie Herr Dermilly will; doch muͤßt' ich Vater Vemhard st oft befuchen dürfen.“

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„Sr meint feinen frühern Pilegevater,” fagt Hert Dermilly, „einen ehrlichen Auvergnaten, ber ihn wie feinen Sohn liebt.”

„Das gefällt mir, Tieber Antread. Du thäteft fehr Unrecht, ben würbigen Mann zu vergefien. Ich bin weit, weit entfernt, Di zum Undank ermuntern zu wollen. Nimm die Börfe und Bringe fie Deinem Wohlihäter. Ex fol fie Deiner Mutter ſchicken und ihr fagen, daß ich für Deine und ihre Zukunft forgen will. In zwei Tagen komme ich wieder und hole Dich ab.“

Die junge Dame umarmt mi, drüdt mir die Börfe in bie Hand und entfernt ſich mit ihrer Tochter, gefolgt von Herrn Der: milly. Ich Bin wie verfteinert. So viel Gold, einen ganzen Beutel voll, und das für meine Mutter? Wache oder träume ih? Ich ziehe die Glocke, Elappere mit dem Golde, zähle es auf den Tiſch Hin: zwanzig Goldſtücke, fage zwanzig, ein ganzes Bermögen! Bon heut an foll die gute Mutter nicht mehr den ganzen Tag fi abplagen, von Morgens früh bis Abends fpät. Don heut’ an foll Jakob fo viel effen und fo lange fhlafen, als er mag, und Beter, ach, der arme Peter! daß er auch an unferem Glüde Theil haben Fönnte! Wie wollten wir und freuen!

Ich will gleich fort, Bater Bernharb das Geld zu Bringen, aber man jagt, ich dürfe Heute noch nicht aud. So muß ich bie morgen warten. Dann fol Nanette erfahren, daß fchöne Kleiter nicht immer Unglüd und Kummer bringen, wie fie meint.

Den andern Morgen in aller Frühe bin ich ſchon auf, um zum Wafferträger zu gehen. Aber Therefe will mich nicht allein fort Taffen und weckt zu meinem Aerger Herrn Dermilly, der gleich darauf ins Zimmer tritt. Er ſagt, er wolle mit mir zum Va Bernhard. So ſehr ich mich darüber freue, fürchte ich doch, werbe mir zu langfam gehen. Aber unten vor ber Thüre finv wir ein Gaßriolet und fleigen ein. Ueber die Börfe, die ich int

Taſche Habe, vergeffe ih aan ‚wi —E 7 ſſe ich ganz, wie angenehm es iſt, ſo im Ga

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Endlich find wir vor der Wohnung des Wafferträgerd. Ich fliege die fech8 Treppen hinauf, obne mich nach Herm Dermilly umzujehen. Schnell floße ich die Thüre auf und flürze ins Zim⸗ mer. Ranette fieht mich, ſchreit laut auf, läßt ven Milchtopf aus ver Hand fallen und fliegt mir um den Hals.

„Andreas ift da! Andreas ift da!” ruft fle, außer ſich vor Ftende.

Die gute Nanette, wie gern ſie mich hat! Auch Bernhard um⸗ armt mich zärtlih. Dann ziehe ich die Boͤrſe aus der Taſche und halte fie ihm Hin mit den Worten:

„Bold! Sol! Für die Mutter von der Dame, Ihr wiflet, veren Borträt ich halte. D wie gut fie if! Schreibt das gleich meiner Mutter und fagt ihr, fie brauche jept nicht mehr zu arbeiten.”

Bernhard fieht bald mich, bald die Börfe an. Er weiß nicht, welche Dame ich meine und was das zu bebeuten hat. Während deſſen ſpringt Nanette noch immer um den zerbrochenen Milchtopf herum und ruft:

„Der Andreas ift wieder da! Er bleibt jept bei ung!“

Ploͤtzlich tritt Herr Dermilly ins Zimmer, und Nanettene Freude hat ſchnell ein Ende, denn fle begreift gleich, daß ich nicht gelommen fei, um ganz da zu bleiben.

As fie Hört, daß ich beim Herrn Grafen von Franconard wohnen ſoll, ruft fie:

„Mein Gott, fie wollen ihn noch zum Fürſten machen.“

„Rein, liebes Kind,“ antwortet Here Dermilly, „ſondern zu einem Menſchen, der die Pflicht der Dankbarkeit gegen alle feine Vohlthäter nach wie vor gewiffenhaft erfüllt und des Glückes ſich würdig zeigt, das ihn anlaͤchelt.“

Bater Bernhard verfpricht mir, noch denfelben Tag der Mutter ras Gelb zu ſchicken. Gerührt umarme id} ven guten Wafferträger und feine Tochter, und gelobe feierlich, fle recht oft zu befuchen, derr Deracu⸗ verfichet wiederholt, auf's Treueſte für mich forgen

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zu wollen. Dann geben wir fort and dem Kaufe und von ben lieben Leuten, wo bie erften Jahre meines Aufenthaltes in Paris fo raſch und auch fo glücklich dahinfloßen.

Der Tag iſt da, an dem ih das Hötel beziehen fol. Wie wird mir biefe Veränderung in Wohnung, Sitten und Lebendweile behagen ? Geduld, man gewöhnt fi ja an Alles. Trag' ich doch bie neuen Kleider erft zwei Tage und ſchon fühle ich mich in ihnen ganz heimisch.

Die Dame kommt mit ihrer Tochter; fie erzeigen mir eben fo viel Freundſchaft als Intereſſe.

„Es ift Alles fertig für ihn,“ fagt fie zu Herrn Dermillv. „Seine Kammer if gerade über meinem Gemach, ganz in meiner Nähe, daß ich ihn immer um mich haben kann.“

„Und was fagt der Herr Graf?”

„Das iſt mir Nebenſache, wie Sie wiffen. Er hat feinen Willen und ich den meinigen. Er wird froh fein, daß ich einen Theil des Jahres bei ihm wohne. Die Sorge für die Erziehung meiner Tochter erſchwert mir dad Reifen. Liebe Adolphine, fir Dich fcheue ich Kein Opfer! Der Herr Graf weiß noch nichts von meinen Abfichten mit Andreas. Heute Morgen will ich ihn ihm vorführen; er wird ihn einen Augenblid anfehen und baum ver: geilen ; fein Koch und fein Hund nehmen ihn ganz in Anſpruch Jet fage Herrn Dermilly und Thereien Adien, Andreas; wi wollen fort. Wir nehmen Andreas mit und, Adolphine. If Dir's recht?“ |

„3a, ja, liebe Mutter,” fagt das Feine Mädchen. „Wen Du ihn magft, mag ich ihn auch.“

Meine Sachen find bald in Ordnung. Ich will meine alte Kleider mitnehmen, aber Therefe verfpricht, fie zu Bater Bernbarl Bringen zu laſſen. Dann feße ich den hübfchen Hut auf, den Her Dermilly mir gefchentt bat, aber ich fühle mich nicht behzaglie darunter: er drückt mich fo; meine Heine Müpe war viel leichto

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Do was muß man ſich Alles gefallen Laffen, wenn man nad her Mode gekleidet fein will.

Ich umarme Herrn Dermilly und gehe dann mit der Frau Gräfin und ihrer Tochter die Treppe hinunter. Bor der Thüre hält ein fchöner, fchöner Wagen, und Livröebediente warten auf meine Beſchützerin. Mit vielem Geräufch öffnen fle die MWagenthüre, heben erft die Fleine Adolphine hinein und geben dann der gnädigen Fran die Hand, um ihr zu helfen.

„Komm’, Andreas,” fagt mir die junge Gräfin und nimmt _ mih am Arm. Ich wußte nicht, ob ich vorn hinein oder hintenauf Reigen folle, bis ich mich vorwärts gefchoben fühle. Jetzt bin ich m Wagen, ber wie ber Wind bavonbraust. Die fchöne Dame überhäuft mich mit Güte, und lächelnd fagt die Kleine Adolphine jumir: „Nicht wahr, Andreas, dad Fahren ift eine hübſche Sache?“

Ich weiß nicht, was ich antworten ſoll; denn es ift mir, als ttänme ich das Alles. Das Geraffel des Wagens, die Häufer, bie on und vorüber zu fliegen fcheinen, dad und vieles Andere macht, Na ich nicht zu Wort kommen Tann. Meine Wohlthäterin Tächelt äber mein Staunen, das noch größer wirb, als der Wagen in in prächtiged Hand einfährt und auf einem weiten Hofe ftille Hält.

Ein Diener öffnet die Thüre und gibt mir die Hand... bie Sad... mir! Zum Dank dafür nehme ich den Hut ab. Ich ide um mid. Alſo das iſt das Hötel, wo ich wohnen foll ? Bel ein Unterfchied zwifchen diefem Haufe und dem Haufe des anten Vaters Bernhard! Ach, werbe ich hier auch fo glüclich ſein wie dort ?

Bierzehntes Kapitel. Der zweite Bang Das Kammermäbchen. Meine Befchügerin fleigt eine große Treppe hinauf und winft ni zu folgen, was ich thue, wit dem Hut in ber Hand. Bir

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treten im erflen Stod in ein herrliches Zimmer ein und gehen burch mehrere andere, die eben fo koͤſtlich moͤblirt und eingerichtet find. Ich wage kaum aufzutreten, aus Furcht, die ſchoͤnen Teppiche zu beſchmutzen, bie auf dem Fußboden liegen, während bie Feine Adolphine leicht darüber hinhüpft. Es war gewiß recht hübſch bei Herrn Dermilly, aber hier iſt's noch viel, viel hübſcher: überall Spiegel, Penveluhren, Candelaber, Blumenvafen, Kronleuchter, Luſtres am Getäfel, alabafterne Kugeln am Plafond und viele andere Herrlichkeiten. Mein Gott, wenn Nanette das Alles fähe! Ich wette, fie glaubte, man wolle aus mir auch einen Grafen machen!

In einem allerliebften Cabinetchen nimmt eine junge Fran der Frau Gräfin Shawl und Hut ab. Wie artig man ift in diefen vornehmen Häufern ; bei jedem Worte bückt man ſich.

„Lucilie,“ fagt Adolphinens Mutter zu der jungen Frau, die vor ihr flieht und auf ihre Befehle zu warten fcheint, „geh’ und fage dem Herrn Grafen, ich wünfche ihn auf einen Augenblid zu ſprechen.“

Mamfell Lucilie, das Kammermäbdhen ber Fran Graſtn, geht fort ; die Heine Adolphine fpielt ſchon mit einer herrlichen Puppe, während ich mitten im Zimmer ftehen bleibe, den Hut in der Hand drehe und den Teppich anfehe.

„Gefällt Dir’s hier, Andreas ?“ fragt die junge Dame lächeln, winkt mir zum Siken, und nimmt mir ben Hut aus der Sand, womit ich nichts anzufangen weiß.

„Do gewiß, Madame. Aber ich darf recht oft zu Bater Bern- hard, nicht wahr ?”

„Ja, mein Lieber. Du bift bier in meinem Haufe eben fo frei wie zuvor. Der Amgang mit Freunden ift mehr werth ale alles Selb und alle Ehren diefer Welt. A, hätte ih die Wahl ee | ich hätte nimmer in dieſem glänzenden Haufe mein Glück geſucht!

Bei dieſen Worten feufit fie lief; und ein wehmathiges Kächeln

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ſchwebt über ihre ſchönen Züge. Gleich darauf umarmt ſie ihre Tochter, und fagt dann fo freundlich und liebevoll zu mir:

„Ehe ich Dich in Deine Kammer führe, Andreas, ‚will ich Dich dem Herrn Grafen vorſtellen. Wenn das vorbei ift, wirft Du ihn wahrfcheinlich fehr felten zu Geficht befommen. So oft Du wad wünſcheft, haft Du Dich an mich oder an Lucilie zu wenden.“

Ich verſpreche ihr Alles, wollte aber, die Vorftellung wäre don vorüber, denn ich fürdjte, der Her: Graf nimmt mi nicht fo gut auf wie feine Frau.

Herr von Franconard befand ſich unterdeß in feinem Cabinet und hielt Rath mit feinem Koche und Champagne, der vermoͤge ſeiner Talente fi zum Haushofmeifter emporgeſchwungen hatte. der Graf erwartete mehrere angefehene Leute zum Diner: fo hatte er denn die wichtige Sorge für den Küchenzettel in höchfleigener derſon übernommen.

Gr ſaß mit ſchwarzſammtner Mühe auf dem Kopfe in einem großen Fauteuil, die Füße ruhten weit audgeftredt auf einem Shemelfiuhl, die eine Hand liebkoste einen dicken englifchen Hund u feinen Füßen, die andere hielt einen langen Küchenzettel, über tem er in tiefes Nachdenken verfunten fchien.

Bor ihm fland der Inochenfefte, rothnaſige, Eupferfarbige, dick⸗ eibige Koch, die Mühe in der Hand ; etwas weiter davon Herr Khampagne, der, ungleich weniger ehrerbietig, fich von Zeit zu Jeit auf den Lehnfluhl feines Herm flüge.

„Alfo, Herr Oberkoch: Steinbutte mit Auftern, Hors d’oeuvres, echs Entroͤes. Damit wären wir fertig, nicht wahr ?“

„Ja, Kerr Graf.“

„Kommen wir auf den zweiten Gang. 's ift Feine Kleinigs nt, Lente zu traktiren, die man brauchen Tann.“

„Namentlich wenn es mit fo viel Takt gefchieht, wie beim jerm Strafen,“ bemerkt Champagne, und ſtreichelt Gäfar, ber eißen will,

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„Du haſt Recht, Champagne. Gib mir ’ne Brife Tabak, dad thut gut, wenn man den Kopf fo voll Hat. Alles bei Tiſch, jete Schüffel muß am Plage fein.“

„Darauf fieht der Herr Graf immer.“

„Heute zum Exempel dinirt bei mir ein deuticher Baron, ein Bräfelt, ein Bangquier, ein ungeheuer reicher Gentleman, ein feh: beliebter Dichter und ein hochgeftellter Offizier im Activdienſt Jedes Bericht muß meinen Bäften analog fein, Herr Oberkoch Nur ja feine Nachlaſſigkeit, ich wäre unerbittlich !”

„Der Herr Graf follen zufrieden fein.”

„Denken wir nad. Was ftellen wir in die Mitte? Still Caſar, fill.“

„Sultanin & la Chantilly, Herr Graf?“

„Sf das fein genug? Was meinft Du, Champagne ?“

„Sollte denken, ed wäre präfentabel, Herr Graf. Beft! ein Sultanin. Kann man dem Großtürken was Beſſeres ferviren ?”

„But! Alfo.die Sultanin in die Mitte, Weiter: junge Hühn in Trüffelfauce ? Gerade vor den Herm Präfekten, nicht wah Ehampagne ?“

„Trefflih, Herr Graf. Der Duft der Trüffeln ſtimmt 3 Großmuth.“

„Ich habe eine Bitte an ihn, ſo wart' ich damit, bis d großmüthigen Trüffeln kommen. Weiter: zwei wilde Enten. D iſt was für einen Waidmann, alſo für mid. Du weißt, Cha pagne, ich habe dreimal ein Reh angejchoffen.”

„Sa, Herr Graf, und Sie hätten es endlich erlegt, wenn nicht vor Alter verredit wäre.”

„Weiter: glacirte Stedtrüben. Das kommt vor ben Poete Glacirte Steckruͤben erhigen bie Phantafte ; fie Haben fo was U guöfprechliches, Myfteriäfes, Geheimnißreiches, wie mir daäuch und man jagt, ber Dichter gehöre aut romantiſchen Schule. W meinſt Du, Champagne?“

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„Ein göttlicher Bedankte, Herr Graf, Ihrer würdig. Wäre ich Dichter, ich machte gleich ein Cpos auf die glagirten Steckrüben.“

„Alfo, glagirte Steckrüben, Herr Oberloh, und vor ben Romantifer. A propos, haben Sie einen Küchenjungen, der fi anf somantifche Stedlrübenglacirung verfteht.”

„Ih habe zwei, Herr Graf: einen aus Paris und den andern aus Nogent, aber keinen, ver fi auf romantifche Steckrüben⸗ alagirung verſteht.“

„So müflen Sie's felbft thun, Herr Oberkoch. Still, Cäſar; ver Schlingel fällt mir immer in die Rebe, und erwürgt mir bie Geifeskinder in den Windeln!... Ein Plumpudding. Ohne alle Gontroverfe vor den Gentleman. Nur machen Sie ihn recht groß. Beim Iegten Diner hat der Mylord, flatt den Plumpudding zu jerlegen und den andern Gäſten anzubieten, ihn ganz allein ver: ‚ehrt. Das darf nicht wieder vorfommen.”

„SH made ihn doppelt jo groß, Herr Graf.“

„Dreifah, Herr Oberloh, damit ih ruhig bin. Weiter: Blumenkohl in Sauce. Hm, ich denke, ver gehört vor einen Baron, Blumenkohl if mit Sauerkraut verwandt, wenn auch weitläuflg, and ohne Sauerkraut eriftirt Fein Deutfcher. Alfo Blumenkohl vor ten Seren Baron. Was fagft Du dazu, Champagne ?“

„Sch bewundere Ihren Scharffinn, Herr Graf, Ihr Iogifches Talent, Ihre tiefe Diplomatik.“

„Und mit Recht, Champagne. Du glaubft nicht, wie fchwer es halt, einen Küchenzettel zu entwerfen, Notabene mit Menfchen- lenntniß und flaatsmännifcher Klugheit!... Es fehlen noch zwei Zchüſſeln... Artifchoden mit Mat... mit Marl... Mat ereutet Kraft, Energie, Muth, die braucht der Kriegsmann. Alfo Artiſchocken mit Mark vor den Offizier im Activdienft. Auch da: nit zufrieden, Champagne ?“

„Auch damit, Herr Graf. Wer fich ſchlagen will, muß Mark in ten Knochen haben. Das Gericht kann nicht paffender placirt werden.“

1m

„Bleibt noch mein Banguier, ein junger Mom, etwas fufet: haft, fpielt viel cart. Geben wir ihm Stinte, und legen immer drei bei drei: bad erinnert ihn an die Bole und am den König.

„D, 9, die geniale Idee, die, Herr Graf. Meiner Seel, auf fo was wäre ich nie gekommen.“

In dem Augenblide tritt Mamſell Lucilie mit dem Auftrag: ihrer Herrin ind Zimmer,

„Ber flört ung ?“ ruft der Herr Graf zomig, während Caͤſar zu bellen anfängt, „Habe ich nicht verboten, wen einzulaſſen! Mo ift Lafleur ?“

„Herr Graf, 's if Mamfell Lucilie,” ſchmunzelt Champagne, und Tiebäugelt mit dem Kammermadchen, die den Zorn des Grafen nicht zu beachten ſcheint. |

„Mamſell Lucilie ?” wiederholt der Graf fanfter, und verzieht das Geficht zu grinfendem Lächeln. „Still, Eäfar, fill. Komm und mache der Mamfell glei Dein Kompliment. Spring’, ſag ih... noch höher!“

Nah vielen Umſtänden fpringt endlich Gäfar über den ihm vorgehaltenen Stod und dem Koch gerade auf den Bauch. Faſt hätte er zum großen Ergoͤtzen des Herrn Grafen den Herrn Ober: koch bei der fpigigen Nafe gepadt. Mamfell Lucilie, die wenig Sinn hat für diefe gräflichen Aufmerffamfeiten, beveutet Cham: pagne, daß fie nicht bloß gekommen fei, die Kunſtſtücke Caͤſars zu bewundern.

„Erſt muß ich mit dem Deffert fertig fein,“ ruft Her von Franconard ängftlih. „Was wünfchen Sie, Lucilie. Faſſen Sie fi kurz, ich habe Feinen Augenblid für mid.“

„Die Frau Gräfin wünfcht den Herrn Grafen zu ſprechen

„Die Frau Gräfin mich fprechen ?“ wiederholt Herr von ran: conard erſtarrt. „Ich komme gleich, im Augenblid, Mamſell.“

Der Graf befichlt dem Oberkoch zu warten umb ſchellt dem

x Kammerbiener zum Ankleiben. Mährend ber Graf feine Toilette

Ä m Wiorgt, unterhält er a6 mit Champagne, feinem gewöhnlichen Bertranten

„Bas fagft Du dazu, Champagne ? Die Frau Graͤfin laßt wich zu ſich einladen.“

„Bermuthlich Hat fie dem Herm Grafen was zu fagen.“

„Scheint fo. Aber das ift das erſte Mal in ven neun Jahren, tie wir verheirathet find, daß meine Frau mir was zu jagen hat.“

„Alles Hat feinen Anfang, Herr Graf.“

„ber der Anfang kommt fpät, Champagne. Du weißt, wie 5 wünfchte, einen Erben meines Namens zu haben.“

„Iſt Ihnen der Wunfch vergangen, Herr Graf?“

„DO gewiß nicht, ich Habe ihn noch und werde ihn immer haben. In den erftien Jahren unferer Ehe, weißt Du, war bie Fran Gräfin ewig auf Reifen, und wir trafen und nur felten.“

„Sch erinnere mich deſſen recht gut, Herr Graf, fowie auch zuferer Reife nach Savoyen, auf der wir beinahe den Hals ge- Srochen hätten, und Ihr Fräulein Tochter daneben. Morblen! sie Haare flanden mir zu Berge!”

„Und als wir zurückkamen, pofaunteft Du die ganze Gefchichte ms, daß die Frau Gräfin Wind davon befam, die ohnehin mir sirnte, daß ich ihre Tochter ihr entführt, Von da an ward fie noch böfer auf mich.”

„Aber ſeitdem reist Madame viel weniger.“

„Mag fein, auch wohnen wir oft in demfelben Hötel. Aber gleubſt Du, ich Tönne fie je unter vier Augen fehen ? Nicht moͤg⸗ lich! Rebe ich ihr von einem Erben meined Namens vor, ober bitte ich fie um ein kurzes Geſpraͤch, weißt Du, was fle mir ant⸗ wortet 9“

„Run, Herr?“

„Sie antwortet, das fei nicht möglich !"

„Wirklich, Herr Graf?“

„Wirklich, Champagne, fo antwortet fie mir, wenn auch auf

172 die anmuthigfte, freundliche Art. D, fie Hat einen eifenfehen Charakter, der ungeheuer pifant if für einen Mann. Wie felten macht fie die Honneurs bei meinen Diners !“

„Der Herz Graf verficht felbft die Honneurs aufs Bee.“

„Gewiß, Champagne, aber eine Fran an wohlbefepter Zafel, und wenn fie fo hübſch ift wie die Frau Gräfin, wirft Wunder... und meine Frau ift hübſch, ſehr hübfch.“

„Reizend, Herr Graf.“

„Und wenn man allerlei Anliegen hat, wenn man reiche, ein: flußreiche Leute bewirthet, wenn man biefe oder jene Finanzfpefu: lation im Kopfe trägt... ih fage Dir, dann hat man eme Frau bei Tifch fo nöthig, wie das liebe Brod.“ |

. „Bird Madame heute die Honneurd machen ?”

„Geſtern wollte fie nicht, und doch Brauche ich fie nothwentig. Der Banquier fol mir Geld leihen, der Präfekt mich zur Wahl vorſchlagen, der Dichter mich befingen, der Engländer mir Pferde abfaufen, Eurz, jeder meiner Gäfte ift zu was gut ober kann es werben. Du weißt, ich lade Niemand ohne Gründe ein.“ |

D, ich kenne die Feinheit ded Herrn Grafen !*

„And doch will Madame nicht erfcheinen beim Diner. Vielleicht hat fie fi anders befonnen ; wollen fehen. Wie ift meine Frifur, Champagne ?”

„Mufterhaft, Herr Graf.“

„Und der Zopf? Etwas zu Iofe, nicht wahr ?“

„Um fo anmuthiger, Herr Graf. Er tänzelt um ihre Schulter wie ein Klapperfchlänglein.“

„Und die Rofette ?“

„Herrlich, Herr Graf. Wie ein Schmetterling.“

„So bin ich recht für die Frau Graͤfin. Nehme ich Caͤſar mit?“

„Madame mag die Hunde nicht, wie der Herr weiß.“

„Wohl wahr, aber Cäfar macht jet fo hübfche Sachen: Madame wird ihre Freude haben. Komm’, Cäfar, komm'.“

173

Unter dem Gebal Caſars beiritt der Herr Graf das Zimmer ter Sräfln, wo Adolphine mir ihre Spielfachen zeigt. Gleich fpringt Eifer auf die Puppe zu, nimmt fie ind Maul und laͤuft damit unter den Theetiſch.

Eben als der Graf gegen bie Graͤſin ſich Höflich verneigt, ers gebt Apolphine ein lautes Geſchrei: 0

„Mama... meine Puppe... ver böfe Hund beißt meine Puppe.“

„Wie, Herr Graf, Sie bringen Ihren Hund mit ins Zimmer, und wiffen, daß Adolphine füch vor ihm fürchtet 2"

Ich wollte, Madame... her, Eifer... ich dachte, Ma: tame... Eäfer, laß los... gib her... Schelm! Er thut Deiner Puppe nichts, mein Kind.“ - .

„Baden Sie, daß er die Puppe hergibt... bat man je fo was gefchen 7

„Bart, Schurke, ih will dich!“

Aber Caͤſar gehorcht nichk: er bleibt ruhig unter dem Tifche, zaust die Puppe mit den Vordertatzen und Inurtt, wenn wir und ihm nähern. Muthig fpringe ich unter den Tiſch, worüber der Hudd fo erſchrickt, daß er plöglich auffährt und vie Dede mit fanımt einem allerliebſten Theefervice heruntegreißt, daß alle Taffen auf dem Boden zerfchellen. Dafür habe ich die Puppe erobert und gebe fie Adolphinen zurüd, während Gäfar knurrend unter ben Stuhl feines Seren kriecht.

„Ich weiß Ihnen Teinen Dank für folche Auftritte, Herr Graf,“ fagt die junge Gräfin und nimmt ihre Tochter auf den Schooß, während Herr von Franconard vor lauter Verlegenheit ſich bad Bein veibt und die Schuld auf mich fchieben will,

„Laffen wir dad, Herr Graf!” fagt die Gräfin. „Ich habe Sie um die Ehre Ihres Beſuches gebeten, um Ihnen biefen Knaben vortzuſtellen. Kennen Sie ihn nit?"

„Ib, Madame ? Ich gehe nicht viel mit Kindern um.” -

„Es iſt von feinem Umgang bie Mebe, Here Graf, fordern

Baul de Rod. n. i2

174

von Umiverfen. Es ift berfelbe Knabe, den Sie mit dem Cabriolet umiwarfen.” |

„So viel ich mich erinnere, war ber Knabe ein Savoyarde.“

„Gewiß, Herr Graf. Es iſt diefer Knabe der naͤmliche GSavoyarde. Er wollte Ihnen das Medaillon zurückgeben, das oolphine in ber Hütte des armen Mannes Liegen ließ, ber Ihnen vor vier Jahren in Savoyen das Leben rettete, und das Mbolphine jegt am Halſe trägt.“

„Wie feltfam!... Schweiz, Cäſar.“

„Das Suchen dieſes Knaben nach Ihnen war lange vergeb: Ho, bie er Sie endlich jenen Morgen auf dem Boulevard traf. Sie haben ihm feine Ehrlichkeit ſchoͤn vergolten.“

„Wie konnte ich das denken, Madame? Er Hätte mir bad Borträt hinhalten follen! Aber um fo dankbarer will ich jeht fein. Eich’, Knabe, da find fünfzehn Sons...“

„Pfui, Herr Graf! Sie zahlen Sohn und Yater mit gleicher Münze. So will denn ih Ihre Schuld übernehmen: ber Anabe fol bei mir wohnen, mich aufs Land begleiten.”

„But, Madame, fehr gut. Ex eignet fich vorzüglich zum Soden.”

„Met doch, mein Herr. Anbdreas foll nicht ale Kuecht ge: Halten und erzogen werben.”

„Doch ſcheint mir, ein Savoyarbe .. .*

„Iſt fo gut ein Menſch, wie jeder andere und erhebt ſich oft buch Ehrlichkeit und Zartgefühl über Viele, die ſich Höher bänfen.“

„Gewiß, Madame. Ehrlichkeit und Zartgefühl vertragen recht wohl mit dem Berufe eines Schornfteinfegers ; nur begreife i nicht, was Sie hier... machen wollen... mit... ſtill, Gäfar!”

„Ich mache mit ihm, was ich will, mein Herr. Andreas foll ſpaͤtet mein Sefretär werben. Ich meinerfeits begreife nicht, tie man den Sohn bed Mannes, der Adolphinens Reben rettete, ale Jockey, als Knecht anfehen und behandeln kann! Dies Ihnen eroͤffnen, ließ ich um bie Ehre Ihres Veſuches bitten.“

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„ber Madame .

„Rein Aber, mein "ger Ich Hoffe, . meine Bine finden ein günfliged Gehör. Aus Gegengefälligkeit wilfige ich ein, dann ınd wann Ihren Diners anzuwohnen.“

„Bas? wie? Sie wollen... und ſchon heute, Mabeme?

heute, mein Herr.“

O, ich bin entzückt. Säle, mach' der Frau Gräfin Dein Erapliment, a

„Nicht nöthig, mein Herr. Saffen Sie ihn ruhig, wo er iſt.“

„Soll er Andreas fein Kompliment machen, Mabame.”

„Er fol Niemanden fein Kompliment machen. Sch liebe fo hoffpielige Eomplimente nicht.“

„O, er macht jebt fo hübſche Sachen.“

„Wie eben erſt!“

„Alſo heute? ... Doch Halt, ver dritte Gang fehlt noch, Nadame. Sie werben mit meinem Küchenzettel zufrieden fein.“

„Sie find wie geboren für die Küche, Herr Graf.“

Nie Hatte der Herr Graf eine fo ſchmeichelhafte Aeußerung ae dem Munde feiner Gemahlin vernommen. Als er auffichen tl, ihre Hand zu küſſen, tritt er Cäfard Schwanz unter bie ke, worüber dieſer Iaut beilt und Adolphine nochmals erfchredt. don an der Thüre, kehrt Herr von Franconard wieder um und rendet ſich mit zärtlicher Miene an die Graͤfin, die plöglich wieder ar ernft ausſieht.

„Sie fehen, Madame, wie bereit ih bin, Ihre Wünſche zu rüllen. Eine Gefälligkeit ift der andern werth.“

„Ih Habe Ihnen gefagt, Herr Graf, daß ich Heute bei Tiſch e Sonneurd machen werde.“

„Und ich danke Ihnen dafür... aber, Madame, bei Tiſch nen wir nicht wohl reden von... dem Erben...“

„Don welchem Erben, Herr Graf?”

„Dem Erben... meines Namens, den ich lange ſchon mir wünſche.

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„Schweigen Sie, ich bitte... in Gegenwart ber Kinder !“

„Ich rede in allen Ehren, Mabame... nichts, was das Ohr ber Unſchuld beleidiet!... Ah, und meine Licbe!... SHE, Caſar, kuſch! ... meine Zärtlichkeit... .“

„Ro ein Wort, Herr Graf, und ich nehme mein Berfprechen zurüd. u

„Ich darf alfo nicht hoffen, daß bald. : .”

„Und Ihr Küchenzettel, Herr Graf?“

„Sie haben Recht, Madame, es iſt vie Höchfle Zeit. Alſo, auf Wiederfehen, Madame. Komm’, Cäfar !“

Mit hoflichem Gruße empfiehlt ſich der Graf, während Eälar mir nichts dir nichts über bie Sammiſtühle des Zimmers Hinwegs - fpaziert.

Kaum ift Herr von Franconard fort, fo winkt mir die junge Dame, ihr zu folgen. Wir fleigen die Treppe hinauf, Die mit bem Hofe und einem Theile der Gemächer der Gräfin in Verbindung ſteht, und treten in eine geſchmackvoll möblirte Kammer, die von nun an mir gehört. Da bin ich fern von allen Bedienten, bloß Mamfell Luciliend Kammer if in ver Nähe, der meinigen gegen: über. Ich kann alfo ungeftört arbeiten und fchnell zur Frau Gräfin hinuntereilen, wenn file mich rufen läßt. Mamfell Lucilie verfpricht meiner Beichügerin, angelegentlichft für mich zu forgen. Das junge Kammermadchen thut Alles, was fle nur den Augen ber Gräfin abjehen ann. Ich werde nicht mit den Dienftboten effen, Mamfell Lucilie bringt mir das Mittagsbrod auf mein Zimmer. Es if ein liebes, gutes Mäpchen, die Lucilie. Sie gibt ver guäbigen Yran bad befte Zeugniß vun mir, und jagt, es wäre Schabe geweien, wenn id) Schornſteinfeger geblieben wäre. Madame ſieht fie laͤche lud an und gibt ihr einen zaͤrtlichen Patſch. Dann geht fie fort. In der Thüre ruft fie mir noch zu:

„Bon morgen an befömmft Du regelmäßig Unterricht, Andreas. Lerne fleißig, das. if der beſte Dank,“ .

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SE ich allein bin, mufbere ich der Meike nach die Meibel im Zimmer. D, wie fo hübſch Mes eingerichtet ift. In den Edhub- laden ber Gommode finde ich ſchneeweiße Wälche und Kleider, eigends für mich gemacht; ich probire fie alle an, ein Stud nad) dem andern. Auf einem Fleinen Sekretär Tiegt eime hübfche ſeidene Börfe mit Geld unb davor ein hefchriebenes Papier. Wenn ich doch leſen könnte! Das Geld rühr' ich nicht an, denn ich weiß nicht, ob es mir gehört. Wozu brauche ich Geld bei diefer guien Dame, bie mir mehr gibt, als nöthig ift * Und doch wünfchte ich faft mir einiges, um Nanette Hut und Kleider kaufen zu koͤnnen und ihr su beweiſen, daß ich an fie denke.

Mein Zenfter geht auf den Hof des Hötele. Ich ſchau⸗ eine Beile hinaus, ſehe aber nichts als Diener und Küchenlente. Die Ausſicht bei Vater Bernhard war viel ſchoͤner und belebter. Was jezt thun? Ich weiß bereits, wie ed im Zimmer ausfieht and wie vraufien ! Ach, die Langeweile kommt. Wie gerne fpielte ich draußen, aber darf ich ohne Erlaubniß ausgehen ? und wo ift die guäbige Frau?

Traurig fehe ich mich nieder und benfe an die gute Nanette Ee iſt fo die Stunde, wo ich vom Schornfleinfegen und Brief: tagen heimkehrte, wo Nanette und ich fprangen, tanzten und fangen, fo laut, daß die Leute im erften Stod uns hörten. Hier, welche Stille? Vielleicht wiffen Sie nicht mal was Tanzen und Singen if?

Da Öffnet füh die Thüre und herein Fommt Mamſell Lucilie mit einem Brodkorb in der Hand.

„Bad mahft Dn da, Andreas ?"-

„Nichts, Mamſell.“

„Wie traurig fleht er aus, der Schelm. Ich glaube, er hat’s Seimmweh. Aber Geduld, man gewöhnt fi an Alles. Das Hotel gefällt Dir uicht fo gut wie Deine Hütte, wo Du mit Deinen Geſpielen lärmteft und tobteft, nicht wahr, Andreas?“

„Ich komme nicht aus einer Hütte, Mamfell: ic; Tomme von Herrn Dermilly. Auch tobte und lärımte ich nicht, denn ich war frank.”

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Bein Namen Dermilly ſehe id}, wie das junge Kammer: mabchen boshaft lächelt. Dann muß ich ihr meine Geſchichte er: sählen, denn Mamfell Lucilie iſt etwas neugierig. Sie hört auf: merkſam zu, doch ruft fie von Zeit zu Zeit: „Der arme Andreae! bez arme Beier!... So weit zu gehen... und gleich bei der An funft gu verirren!... Der gute Waffertraͤger, ver!... Den armen Andreas überzufahren, ver ihm bad Porträt von Madame geben will!” u. ſ. w. u. f. w.

Als ich fertig bin, frage ich, ob Herr Dermilly mich hier befuchen wird, ob ich gehen und kommen Tann, wenn ich will.

„Gewiß, wenn Madame ed erlaubt. Nur Abends wicht, da birfen Kinder von Deinem Alter nicht allein ausgehen.”

„O, ich verirve mich wicht, ich kenne ganz Paris; auch will ich nur zu Baber Bernhard und Herrn Dermilly.“

„Herr Dermilly kommt faft täglich ins Hötel und malt für Madame. Er bat fie und ihre Tochter ſchon in jeder Groͤße gemalt. Uns Freundſchaft gibt ex Fräulein Adolphinen Unterricht, bie ihr ihren guten Freund nennt. Früher kam er noch öfter, aber böle Zangen... uund Madame hält was auf ihren guten Ruf... be fie voch eine Tochter, die heranwaͤchſt. Trogdem kommt Herr Der. milly noch ziemlich oftf zwar, glaube ich, ſteht er mil dem Herm Strafen fo ſo, denn er bat ihm feinen Hund nicht malen wollen... son Koͤter von Caͤſar, den ich nicht leiden Tann. Doch halt, Kleiner, über das Geplauder vergefle ich Dein Mittagbrod. Wir effen hier erft um ſechs Uhr, aber Madame glaubt, Du feieft hungrig, unt ich habe verfprochen, für Dich zu forgen. Komm' und iß!“

Unterdeß hat Mamfell Lucilie die Speifen auf einen Tiſch ansgefrant.

„Das Alles ift für mich I" frage ih.

„Für wen fonft ?“

„Davon können vier Andreas fatt werben.“

„Richt doch, Schelm. Habe ich nicht verſprochen, far Dich

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zu forgen ? Nach Madame Bin ich bie Herrin im Haufe. Was id will, geſchieht; Alle gehorchen ohne Widerrede. Der Koch geht durch's Fener für mich, der Kellermeifler ficht mich fchmachtenn an, alle Lakaien find meine ergebenen Diener, Kerr Champagne macht wir den Hof und ber Herr Graf laͤßt mich durch feinen Cäfar becomplimentiren und zwidt jo verliebt mit den Augen... der alte Rarr, der!“

Ich laſſe Mamfell Lucilie ruhig fortſchwatzen und flopfe mich ingwifchen mit ben Lederbifien voll, die fie aufgetragen hat. Wie gut das Alles ſchmeckt!

„Wäre nur Peter da,” fage ich wiederholt, „ber würbe zus langen !“

„Du gutes Herz,” fagt Mamfell Lucilie und fixeichelt mich. „Ans dem if was zu machen. Aber, mein Gott, Madame wartet auf weich zum Ankleiden, wie fie ſich Iangweilen wird bei Tiſch; fie bliebe gerne weg, aber fie hat 'mal zugefagt. Komifch!... wol’ ih wäre an ihrer Stelle... 's ift doch hübſch, fo obenan zu figen und bie Königin zu fein, der Alles huldigt. Wie anders. denlt Madame... fie kann den Augenblid nicht erwarten, wo man auf: ücht und fie wieder allein it mit ihrer Tochter. Ich aber, ich ſehe mir alle Welt bei Tifche an, wohlverfianden durch's Schlüſſelloch ober durch's Fenfter ; ich muſtere ein Geficht nach dem andern, lache über die alten Fragen und freue mich über die jungen Leute. Wie Infig if das!... Aber, mein Gott, Madame wartet laͤngſt. Knien, Andreas.“

„Bkamfell Lucilie, darf ich nicht mit Fräulein Adolphine fpielen ?“

„D, die fpeist mit ihrer Mutter ; die Beiden koͤnnen ſich nie trennen. Geh’ inzwifchen ans Fenſter und ſieh' die Herren aus: Reigen: es find komiſche Känze darunter, dad wird Dich amäflren. Schade, baß keine Damen dabei find, da koͤunteſt Du Toiletten fehen, ei Tauſend! ber Madame geht nie in Geſellſchaft, jo kommen auch zu ihr Keine Damen, Mit den Herren iſt's anders, bie gehen

und lommen olme viale Mnſtände. Aber win Gott, Biken wartet mit Anlleiven, Adien, Unpreas.“

Lucilie wid fort, doch xufe ich fie zuruck, damit fe mir vo: Lest, was auf dem Bapier neben ber hübſchen Börfe gefchrieben ht.

„Kanuſt Du nicht Iefen, Aubrens ?“ |

„Rod nicht, Mamjell.“ |

„So mußt Du’s ſchnell Iernen. Nicht Iefen Tönnen, pfui“ weiche Schaube! Und fpäter feiner guten Freundin nicht fegreiben können...“ |

„Reine gute Freundin kann auch nicht leſen.“

„Die, Andreas, Haft Da ſchon eine gute Freundin #

„Iſt nicht unfere Mutter unfere gute Freundin ?“

„Recht, Andreas. Ich Thoörin, ihm von fo was vorzu: ſchwatzen! ... Gib ber das Bapier: Für Andreas zum Zafdengelbe... will heißen: die Borſe gehört Dir un Da faunft mit dem Gelde darin machen, was Du wilik.“

„Ich? mit all’ dem Gelde 1“

„Ja, Andreas. Madame ik freigebig. Wollen voch zählen: zwanzig... dreißig... ſechsnaddreißig Franken... fehemb: breißig Franlen, das lobe ich mir, damit Faun man viel Habſches Saufen.“

„Aber ich brauche nichts, Mantel.“

„So ſparſt Du. Es kommt eine Zeit, wo man’s brauchen fann. Nimm ein Beifpiel an mir, Ich koͤunte tauſend Dinge kaufen, aber ich bin nicht eitel. Zwar kriege ich Alles, was Madame ab⸗ legt: Hauben und Kleider... ich Bin ange nicht jo vornehm wie Madame, aber ich verreiffe mehr. Sich, dies Kleid Hat fie erſt dreimal getragen. Sie fand es abſcheulich. Aus guten Gründen wollte ich nicht fagen, daß eg noch ſchon iſt und Fe gut kleidet Du verſtehſt mich, Andreas, nicht? Aber, 0 Gott, ba ſchlagt es ſechs... und Madame wartet mit dem Auklaiden. O ich Blanderr taſche: Adien, Andregs, ſpater mehr! Apigy te

Devmel A Mamſell Bueilie wicklich furt. Nach dem Eſſen lect dad Gexraſſel der Wagen mich aus FJenſter. Die Bagen finb recht Fön, aber Die Seren, die auöfteigen, faſt alle ganz fchwarg zelleidet und von „Eomifchen Känzen“, wie Lucilie fagt, ſehe ich nichts. Im Hoͤtel geht's recht lebhaft zu: bie Lampen auf Dem Hefe werben angezändei,. die Diener gehen und kommen, der eins mit Schäffeln, der andere mit Flaſchen, dieſe ſchimpfen, jene lachen. Us ich mich fatt gefehen habe, trete ich vom Fenſter zuruck. Bon Jugend anf gewöhnt, frühe zu Bett zu gehen, Iege ich mich zum Schlafen nieber, als chen bie Bewohner des Hoͤtels fi an ben riſch ſetzen.

FSünfsehntes Rapitel. Shelmfüde des Herrn Roſſignol.

Als ich erwache, liegt Alles nach in tiefer Auhe im Höfel und doch fcheint die Sonne freundlich am Himmel. Ich ſtehe auf, ſehe zum Fenſter hinaus, aber Niemand zeigt fih, das Haus iſt wie außgeflorben. Ich Habe große Luß, zu Dater Vernhard zu gehen, den ich feit vorgeſtern nicht geſehen; ich weiß gewiß, Nauett⸗ iR böfe auf mich. Madame hat ja gefagt, ich dürfe meine Freunde befuchen, wann ich wolle, fo will ich denn hin zum Maflerträger ; ich balt’s nicht laͤnger aus im Zimmer.

Ich gehe hinaus, fleige die erſte, zweite Treppe Hinumter und bin jet auf dem Hofe. Huch hier Niemand, kein Bedienter, Feine Seele! Wie fie lange Schlafen in dieſem Haufe! O meh, bie Hof: tbüre iſt verſchloſſen und der Nortier träumt noch in feinen Federn. Bas fange ich an? Ich mochte fo gerne hinaus! Zah ſpatiere auf bem weiten Gofe hin nud her in die Länge und Breite, blicke ſehn⸗ füßtig zu den Fenſtern auf, aber leines öffnet fih. Ich huſte, als ich an der Wohnung bed Portiers vorabergehe, faſſe dann Muth und Hopfe ein⸗, giosimn) leiſe am dis Gcheiben. Mengup hört mich.

1ER.

Go muß IH denn in meine Kammer zurück. Das geche haws wirert wid an, veun «6 Bommt mir wie ein Gefänguif vor. Ba weiß, ob »ie Pente nicht zwei ober drei Stauden fo fort ſchlafen, während ich mit der Schweſter fo Fröhlich fein. koͤnnte ? Oben im zweiten Stock bleibe ich wor eines Thare ſtehen, ber meinigen gegen über. Mir fällt ein, Madame hat gefagt, Hier wohne Mamfell Dwellie.

Das junge Kammermädchen ift fo freundlich gegen mich, fe wid 08 gewiß nicht übel denten, wenn ich fie bitte, mich hinaus zulaffen. Sie hat ja mehr als einmal gejagt: fie jei nach Mabame die Herrin im Haufe. Einer fo hübſchen Frau gegenüber if war viel muthiger; fie haben fo etwas Liebenswürbiges, Angenehmes, Bezauberndes. Es kommt mir vor, als fühle ich ihren Giufef, denn ohne Anſtand Flopfe ich an Majell Luciliens Thüre.

Die jungen Mäbdchen haben einen leichten Schlaf. Gleich baranf Höre ich. Tritte vor ber Thüre im Zimmer,

"Ber Hopft?” fragt es drinnen.

„Ich bin's, Mamfell, Andreas.“

„Bte? ſchon auf, Andreas? Narrchen, was faͤllt Dir ein. Btr Rechen erft um acht Uhr auf. und die Herrſchaft um nem. Bas wii Dun fo-frah ? „IZch mochte zum Baier Bernhard. Gr und Ransdie find Tängk auf.‘

„So geh’, wer hindert Dich ? „Die Thüre if zu umd der Portier fehläft noch. % habe

zweimal an's Fenſter geklopft. Wie komme ich hinaus ? O, Nauſell kueille, ren Sie mir die Hausthüre, ich. bitte ſchön.“ „Mein Gott, wenn bad Kindbervoll ſich was im bau Kopf feht..- ſchlafe fo ſanft und da ſtoͤrt er mich ans dem Morgentraum. Aber warte, ih Tann Die nicht im Hemde äffnen.“ \ ‚Dante Ihnen, Mamſell, ich will werten.“ *Eacilie iſt Jiak; nach zwei Minnten Sffnet fle bie. Thare, in

|

Unternidiien, Rachtleibchen unb einem zierlichen Tache beuMinibe um ben Kopf. Ich Bin erſt gwälftgalb Jahre alt, dennech muß ich erroͤthen, ih weiß nicht warum, als ich fie in biefem einfachen Reglige fehe, das ihr allerliehft ſteht. Mamſell Lucilie zaͤhlt erſt achtzehn Jahre, iſt ſchlank gewachfen, hat ziemlich volle Jormen, ein ſchneeweißes Bein, wunderniedlichen Fuß, lebhafte, ſchelmiſche Augen, ein Stumpfnäschen und friſchen Mund. Sie iſt feine Schönheit, aber ein niedlich Geſichtchen, das Einem allerlei Ge- banken machen kann. Dabei hat fie ganz die Tournure einer Griſette daß fie vieler vornehmen Damen Nein erregen und manchem ee lichen Manne den Kopf verrüden vürfte.

Ich fiche wie begoffen vor ie, die Augen niedergeſchlagen. Sie lacht laut über mein linkiſch verlegen Weſen; faſt glaube ich, hie hat die Urſache davon errathen. Daun geht fie link an mir verüber und hüpft die Stufen hinab.

„Komm’ doch, Schelmchen,“ ruft fie mir zu. „Woran ben a, ber"

Ih dachte nichts, aber mir war recht wohl, weiß feibft nicht zarum! Ihe Staunen weit mid; and biefer Art von Betäubung ud ich folge ihr. Tinten -bei der Loge des Portiers zeigt. fe mir eine Schnur und fagt: „Daran zieht man, wenn man ein. obes as will.” Kaum babe ich an der Schnur gezogen, fo met fich das Hofthor. Wie fröhlich fprang Ich auf bie Gaſſe hinaus.

„Bleibe nicht zu lange and, Andreaſs!“ ruft mir Lucilie nad. her ich Höre nicht; ich Bin ſchon weit weg.

In Kurzem fiche ich vor Vater Bernhardo Thäre. Der guir Auvergnat ſuchte Nanette zu troͤſten, die Schon glaubte, ich werde tie wieberlommen , weil ich einen Tag lang ausgeblieben. Meine Iıtmft verfcheucht alle Traurigkeit ; ich erzählte (nen paustidin, Die ed mir ben Tag zuvor gegangen.

„Set recht artig und gehorſam,“ ermahnt ber braue Waſſor⸗ höger; „bie: vornehnie Dame verdient es un Dich, Audreas. De

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oben auf dem GSteume bei Biniles, Kuarens, Du Bloß forkizagen zu laſſen ven ihn.“ ht Bater Bernhard an bie Arbeit, während ih bis bei Nauette bleibe. Wie fehnell vergeht mir die Zeit ihr! Die gute Schweſter hat mich fo gerne um ſich. | n Du erſt ein großer Herr bi,“ fagte fie, „Dann vertiß t, Andreas, unb behalte und lieb.‘

Ich verſpreche Nanette, fie elle Morgen zu beſuchen. Das echeitert fie wieder etwas umb fie nimmt weniger traurig Abſchled von mir. Huf dem Müchvege fällt mir eim, noch bei dem guien Herrn Dermilly vorzugehen..

„Ich erwartete Dich,“ fagte er mir, als ich in's Zimmer trat. „Komme jeben Tag, wenn ich nicht in's Hoͤtel gehe.“

Dann erzähle ich ihm von meiner Befchügerin und ihrer Güte gegen mich. Er fcheint gerne von Madame veven zu hören, und pad wunbert mich nicht 5 fie if ja fo gut!

Im Hotel bemerkte ich, daß die Bedienten mich verfiohlen ax: ſahen und höre, wie fie fih in's Ohr ziſcheln:

„Des iR. der Schägling von Madame.“

Damn grüßen fie mich fehr höflich und feheinen überraſcht, als ich ihren Gruß eben fo hoͤflich erwiderte. IR das nicht billig, daß man wieder grüßt, wenn man gegrüßt wird?

Die gnaͤdige Frau laͤßt mich rufen; ich erzähle ihr Alles, was ich geihan Habe. Als ich auf meinen Veſuch bei Herrn Dermillv zu fprechen komme, muß ich jedes feines Worte wiederholen, worauf fe mich ermahnt, recht oft zu ihm zu gehen. Ich will ihr banfen für die fchäne Borſe, die fie mir gefchenkt hat, aber fie fagt:

„Wende das Geld nüglich an, das if der bee Dasf. Tu Keloumft jeden Monat ebenſoviel.“

_ Weine Tagesorbnung if folgende: bis vier Uhr arbeite ich uf meinem Zimmer, wohin auch meine Lehrer Tompen; baum aähe id} zar guäbigen Frou hinter uud bleibe da bis zur Güend-

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zeit: nach Tifſch gehe ich wieder Binunter und fpiele mit Adolphine, ausgenommen wein Madame in GSeſellſchaft geht oder Geſellfchaft Bei ſich Hat.

Die erfien Tage nad) diefer neuen Ginrichtang fiheinen mir entſezlich Tange and öde. Die fipende Arbeit if mir ganz was Neues. Aber der Wunſch, mich dankbar zu beweifen für bie viele Güte, die ich Hier genieße, läßt mich ven Widerwillen gegen das Lernen bald überwinden. Ich will ihr durch Eifer und Fleiß zeigen, daß ich ihrer Wohlthaten nicht unmwärbig Bin. In Kurzem habe ih dad Lernen ordentlich lieb gewonnen ; ich finde darin eine news Duelle von Vergnügen ; ed gebt mir ein nenes Licht auf. Ich fühle, wie mein Verſtand ſich erweitert, meine Urtheilskraft fich ſtärkt, wie eine Menge von Gedanken ſich mir im Kopfe anhänft. Ich fange an, die füßen Prüchte der Arbeit zu ſchmecken. Je mehe ich arbeite, am fo mehr fühle ich den Werth der Erziehung.

Die gute Gtäfln fleht meine Portfchritte mit innigem Ber; grügen. Das verdoppelt meinen Eifer. Auch Herr Dermilly laßt es nit an Srmunterungen fehlen; er ſagt, ich konne Alles, was ich recht wolle. Wenn ich mit der kleinen Adolphine plauvere, hart fie nicht mehr die groben Fehler in meiner Sprache wie früher, obgleich fle mich nie deßwegen auslachte. Das liebe Kind iſt eben fo gui als ihre Mutter. Bei jever Erzählung von einem neuen Unglädsfall treten ihr die hellen Thränen in's Auge, und fie ruht nit eher, bis man verfpricht, dem Armen zu helfen. Sie heißt mich ihren Tleinen Andreas. Hat fie was nicht gut gemacht, fo droht man ihr: „heute Abend varfſt Du nicht mit Andreas ſpiolen,“ und gleich gibt fle ſich alle exrvenkliche Mühe.

Faft jeden Morgen gehe ich zum Vater Bernhard. Die Et jiehung hat meine Sprache und Sitten ſehr verändert, aber mein Herz, fühle ich, iſt daB alte geblieben und foll es bleiben. Ich habe meine Freunde nach wie vor gleich lieb. Wenn oft Nanette ſenfzt: „Sie machen aus Dir einen vornehmen Kern, Audreas;

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HR Du erſt Hug und gelehrt, fo wirft Du und arme Leute aut lachen,“ banı nehme ich fie in meine Arme und fuche ihr begreiflich zu machen, daß Geift und Herz zwei Dinge find, die und kein Gold der Erde geben ober nehmen Tann.

IH bin jetzt ſechs Monate im Haufe bed Herrn Grafen mb doch habe id} ihm erſt zweimal zu Beficht bekommen. Er fah mid hoöhniſch an, brummte Etwas zwiſchen ben Zähnen und lieblkoste baun feinen Hund. Gottlob, daß ich ihn nur fo felten fehe. Aber das Tommi, weil ich mich ſchnell anf mein Zimmer flächte, ſobald ih Caͤſar vor ber Thüre der Frau Gräfin hellen Höre; dann, weiß ich, iſt der Herr Graf im Anzuge,

Mamſelle Lucilie if immer gleich gefällig gegen mich. Ich babe längft bemerft, daß man mit ihrer Gunft Alles burchfeßen dann im Haufe. Der Portier murrte über mein frühes Ausgehen weil es ihn aus feiner Morgenruhe flörte, bis Mamfell Lucilie ihm bebentete, daß ich andgehen koönne, wenn ich wolle. Der Herr Intendant erlaubte fich allerhand fpöttifche Bemerkungen über mic, Kid Mamſell Lucilie drohte, fie werbe es ber gnädigen Frau fagen. Bud fo weiter. Alle im Haufe fliehen unter dem Bantoffel des jungen Kammermaͤdchens. (&s gibt tauſend Dinge, womit die Herren ſich nicht befaffen Eönnen, aber der Zofe entgeht Nichts. Ich merke, wer es bei ber Gräfin gut Haben will, ber muß bie Kleine zu gewinnen fuchen.

Durch die Büte meiner Beſchützerin Bin ich jegt im Beftk von faſt neun Louisd'or, die ih nach und nach mir erfparte, dem Rath kuciliens gehorfam. Ich Bin feſt entſchloſſen, Nanette ein hübſches Geſchenk zu machen, weiß aber noch nicht was? Kür bie gute Butter ift auf lange Zeit geforgt. So iſt e8 meine Pflicht, mich denen banfhar zu erweifen, bie bei meiner Ankunft in Baris fo wenſchenfreundlich mic aufuchmen. Das kann die gute Mutter "ws billigen. Die Summe, die ich habe, iſt iemlich groß; aber was Taufe ich? 3 *

t te In meinem Alter wird man leicht betrogen, und

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ich chate beffer, Namſell Lutilie um Rath zu fragen, abes ich bin überzeugt, ein Geſchenk, das ich ſelber auswahle, gefällt Nanette ungleich beſſer.

So oft ich ausgehe, nehme ich bie Börfe mit. Ich bleibe vor dem Lähen fliehen und betrachte mir all’ die taufend Herrlich: !din, die Hüte, Tücher, Kleider u. ſ. w., aber das Alles if nichts für Nanette. Sch Taufte ihr gerne eine hübfche Uhr, aber lann man die für acht Lonisb’or Haben? Mir dünkt, die muß teurer fein.

Eines Morgens bleibe ich auf meinem Bag. zu Seren Ders milly vor einem ſchoͤnen Uhrmacherladen flehen und denke bazan, fir Ranette eine Uhr zu kaufen, als ich vor der Thüre bes Malers Nht daneben einen Mann aufs und abgehen fehe, ber eine lange Schachtel von weißem Holz unter dem Arme trägt und ein luſtig Liebchen trillert.

An Bang, Haltung, Stimme, an den fchmierigen Kleidern und bem fähigen, über’8 linke Ohr hängenben Hute erkenne ich af der Stelle Herrn Roffignol, das ſchoͤnſte Modell in Europa, ben Küchendieb und Suppenſchlecker, ven Schrecken der alten Therefe.

Roffignol flieht mich an von Kopf bis zu Fuß, kommt, ben Bambus ſchwiugend, auf mich zu, und laͤchelt wie Einer, ber einen alten Bekannten wieberfinbet.

„Birk Du's, Kleiner ? Meiner Seel’! ja. Sind alte Bekannte son oben im Atelier, weißt Du?... Alle Wetter, wie fchön wir kt. Dig Nobleſſe im Styl... gelt, Du bift obenauf, Zunge ? Roveln wir für einen Mylorb Kunſtkenner, he?“

„Nein, Herr, ich modle nicht.”

„Erf nicht reiht, Zunge, bift wie gefchaffen für's Mobeln, at gewachſen, fehlank... wien Apollo. Mobeln, Freund, mobeln, virf Dich auf die ſchönen Künfte, weiter brauchſt Nichts zum Gläck.

Eh’ mich an, werd' Artift, Künſtler. Die Künfte, mer’ Dir, Kid fürg Lehen, was bie Sonne für bie « jungen Erbſen ik; fie

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machen das Leoben zuckerſaß. Ein Kanſtler if frei wie ver Bogel in der Luft. Notabene, fo fange ex Selb hat und nicht auf en Hund if, wie ich in dieſer Viertelſtunde.

Und fommt der Wechfel heute,

So find wir reiche Leute,

Doc morgen iſt's vorbei,

Ya vorbei, Ialala!... Fur nicht ängfilich, mein Freundchen! Die Herren Maler haben meift eben fo komiſche Einfälle, fein Geld zu haben, wie Die Herren Studenten. Sie geben das Antike auf und malen lieber ofen als das nackte Fleiſch. Nur immer wieder zur alten claffifchen Säule : zweüdigelehrt! Griechen und Römer find und bleiben 'mal dad aus eswählte Doll Gottes. Bitte Dich, Freundchen, wie Tann man einen Menſchen in Hofen und Stiefeln vergleichen mit folchem Totſo, ſolchen Beinen, fo riefenfeften Muskeln! Und bis die Antifen wieder aus dem Grabe auferſtehen, fpaziere ich hier auf und ab, Ich will Herrn Dermilly meine Aufwartang machen, hier auf ber Strafe. Er hat die Heine Eontroverfe von neulich laͤngſt vergeffen, ab bie alte Therefe nicht . . . fle ift capabel und fchüttet mir bad Spülwaſſer in’s Geſicht, wenn ich den Kopf durch die Thüre flede. So will ih hier anf der Straße warten. Aber fprich, wie geht's denn Dir, Kleiner ?“

„Ich Bin bei der Frau Gräfin von Franconard, die mich er: | ziehen laͤßt.“

„Braun Graͤſtn son Franconard ? Der Name Klingt weter griechtſch noch roͤmiſch, ſondern Acht franzmänniſch. Sapperlot, wie fie Dich herausgefüttert hat!“

„Nadame iſt fu gut. Ich habe viel, viel mehr, als ich wünſche und fo viel Tafchengeld, daß ich Nanette ein hübſches Geſcheul Tanfen Tann.”

„Bas für ne Ranette 7”

„Ranette, vie Tochter von Bernhach, dem Waflerträger, be

18 bem ich Tange gewohnt habe. Wir Haben uns fo Tieb wie Bruber um) Sqhweſter.“

„Beißt, was das heißt, Freundchen?... Aber da komme ich wie gerufen; ich habe ein paſſendes Geſchenk für Nanette unter dem Arm.“

„Das wär’

„Freundchen, dad Glück laͤchelt Dir! Höre mid an. Ich hatte ter Madame Roffignol einen Zwangsbeſuch zugedacht, wie immer, wenn ich im Pech Bin. Aber dad Weibchen muß unten gerochen baben; gewiß färchtete fie, ich wolle ihr Fanfan entführen. Der Kleine Triegt immer ein Paar Sous ald Modell für das Opfer Abrahams. Kurz, fie ift mit Phöbus aufgeflanden und hat meinen Hoffnungsvollen Erben mitgenommen. Alles verfchloffen, ih aber öffne die Thüre zur ehelichen Behaufung mit einem Doppel: (Hfüffel, den ich ſtets bei mir führe, und fchmeichle mir mit ver Hoffnung, einen Topf mit Suppe über dem Feuer zu erwifchen. Aber, o Gitelfeit ; ver Fleiſchtopf umgeftülpt und nicht genug Rinde in der Küche zu einer Brobfuppe! Im der Wuth durchſtoͤbere ich vie Schränfe; auch das umfonft. In Ermangelung von Mobilien, Afwaaren, falle ich über die Immobilien her. Leiver haben Madame Roffignol nebſt Erbe vie fatale Gewohnheit, ihre ganze Garderobe mit fih zu führen. Trog allem Suchen finde ich nichts als einige ſchadhafte Teller und ditto Taffen, die ich eben einfädeln will in Ermangelung werthvollerer Gegenftände, als ich in der Ecke eines ılten Speifefchrantes dieſe Schachtel von weißem Holz entdecke. Ich öffne fie und finde o Wunder ! die Klyftterfprige von Madame Roffigno!, ein prachtvolles Möbel, faft ganz neu, Faum fünf Jahre ꝛebraucht. Schnell laß' ich alles Andere Tiegen und eile mit der Schönen Bente von bannen, fchon Im Boraus des Frühftüds und Mittageſſens mich freuend, das ich der guten Klyftierfprige zu danken abe. Aus befonderer Vorliebe zu Dir, Freundchen, will. ich fie Dir beträchtlich wohlfeiler laſſen als jedem Andern. Du willft ihr

Baul de Rod, II. | 13

feht Läflie. Sy eile ſchuell über den Sof, froh, daß mid An mans ficht. Eben als ich in mein Zimmer ſchlüpfen will, lomui Mamſell Lucilie ans ihrer Kammer.

„Endlich wieder da, Andreas? Madame hat mehrmals nad Die fragen laffen. Aber was haß Du da unterm Arm?"

„Nichts, Minmfell, nichts.“

„Aha, ein Geſchenk für Nanette? Nicht fo ? Wie er fi au leid, des Andreas ! Warum fo eilig, Herr Andreas?“

„EKeineswegs, Mamfell, ih... .“

„IH muß willen, was das if. Ich bin neugierig, ſchredlich neugierig, ober darf man’s nicht fehen 3“

„88 ift jo 'ne Kleinigkeit, Mamſell Lueilie, ih...” |

„Wie ex roth wirb! Ich wette, 's iſt ein Geſchenk für fein liebes Nanetichen, von ber er mir ewig vorfchwagt. Sch glaube Du hättet Beifer mich um Rath gefragt. Der Kuirps if erſt zwelf Jahre alt und thut ſchon wie ein Mann. Laß doch ſeh'n, Herz Gen; ich laſſe Dich nicht ‘ches in Dein Immer, bis ich weiß, was das if. Je geheimer Du thaſt, deſto nengieriger werd’ id."

Mamfell Lucilie ſtellt fi vor mich Kin und zieht mir bie Schachtel unter'm Arme weg, che ich mich deffen verfehe, öfne fie und Bricht in ein unmäßiges Gelächter aus.

„Bas ſeh' ih? ha, ha, ha! Zu drollig das! ha, ha, ha! DO, Du armer Andreas ; die glädkiche Wahl! Nein, und wicht ommel nen? ba, ha, ha! Und das für bie Fleine Nanette. IR fle denn Trank? ſprich!“

„Nein, Memfell, nein, fie ift lorngeſund. Micht für fie habe ich bad gefauft,“ ſeg '“ ärgerlich, während Lucilie nur ned lauter lacht.

„io far Dieb, Andreas? Aber wenn Du dad Möbel brand. Andreas, warum fpriä Du nit? Wir haben Teinen Mangel daran im Schloffe.“ Verdrießlich gehe ich mit der Schachtel anf mein Zimmır.

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Roc immer Hör’ ih Mamfell Lucilie Indien. Wenn fe hie Ge⸗ ſchichte ausplaudert! Aber 's iſt Zeit, zur gnaͤdigen Frau hinunier iu gehen. Sch verſtecke das koſtbare NAsbel unter der Bettlade und begehe mich dann ind Zimmer von Madame.

Richtig, die boshafte Lucilie iſt ſchon da. An der lacheluden Bine ber Graͤſin erfenne ich, daß fie bereits von Allem unters richtet if. Meine Berlegenheit fleigt aufs Hochſte; aber Madame hat Nitleid mit mir und fängt von Herrn Dermilly zu ſprechen m. Doch fehe ich, wie fle alle Mühe nöthig hat, das Lachen in verbeimlichen, während Mamfell Lucilie ſich in bie Lippen beißt, m nicht mitzulachen. Nie war mir fo peinlich zu Muthe. IR nf der Lohn einer guten That? Sie würden mich gewiß nicht ondlahen, wern fie die näheren Umflände wüßten. -

Den Tag nach dieſer Begebenheit fik’ ich ruhig in meinem Immer uud arbeite, als Mamfell Lacikie leife hereinfchleicht, nen; gierig um ſich blickt, als fuche fie etwas, und mit geheimnißvoller Biene fagt :

„Lieber Andread, Du mußt mir einen großen Gefallen thun.“

„Bon Kerzen gern, Mamfell. Reden Sie.” -

„5% kenne Deine Gefälligleit. Es gibt Fälle, wo ein Freund andern Freundes bedarf.“

Geſchwind geſchwind 1

„Ih weiß, Du haft Dir viel Geld erfpart, um Deiner guten freundin Manette ein Geſchenk zu machen. Du wirſt nicht alles Cl) auögegeben haben für vie Klyſtierſpritze.“

Und fie fängt eben fo unbänbig zu lachen an wie geflern, wihrend ich über und über roth und verlegen wre. .

„Bora das, Mamſell?“ ſtottere ich.

„Ih möchte etwas recht Hubſches kaufen,“ antwortet ſie, mit ſcharf anfehenn. „Bir fehlen. noch zwanzig Franken. Willſt di mis die leihen, Andreas? bloß auf vierzehn Tage.“

„Die gerne woll⸗ ich, Mamfell ; aber... .“

206,

„Run! Aber... ſprich doch.“

„Aber ich lann nicht.“ |

„Alſo Mißtrauen, mein Herr? Pfui, fo mißtrauiſch zu fen"

„D gewiß nicht. All' mein Gelb follten Sie haben, wann ih welches hätte.“ |

„Welches hätte? Alſo Du Haft nichts mehr?“

„Nichts mehr, Mamfell, Alles ift ausgegeben.” |

„Ausgegeben? Alfo für ein ſchoͤnes Ge am Deine Schweſter ?“

Ich antworte ganz leiſe:

„3a, Mamjell!“

Diefe Lüge Eoftet mich viel; aber fie darf nicht wien, won ih meine Grfpasmiffe gebraucht habe. Die gute That verlöre da⸗ durch allen Werth ; auch hat. mir Roffignol dringend Stilfepweigen Ä anempfohlen. Lucilie ſcheint mir nicht zu glauben. Ich höre, wie fie leife bei fich fagt: |

„Dahinter ſteckt was, ich will es fchon herandfriegen.“

Dann verläßt, fie mich mit den Worten:

„Adien, Here ‚Andreas, Hätte mis nicht gebadht, daß Du fegon Geheimniſſe habeſt.“

Nach einiger Zeit bemerke ich, daß ich heimlich beobachtet werbe bei meinen Ausgängen. Bleibe ich laͤnger als gewoͤhnlich bei Vater Bernhard, fo fragt man gleich, ob ich noch ſonſt wo geweſen fei ? Aber was liegt.mis dazan.! Mögen fie immerhin Ach geben auf mich, ich ihue ja nichts Boͤſes. Auch kommt es mu fo vor, ald ob das. junge Kammaermaͤdchen nicht mehr fo freumblid gegen mich ift wie ſonſt. Sie macht allerhand. haͤmiſche Anmerkungen, und oft zeigt fie ſich, wenn ish fie.am wenigſten erwarte. Offen bar will fie mich auskundſchaften.

Dank der Großmuth der. gnäbigen Frau, ann. ich balb de guten Schweſter das laͤugſt gewünfchte Geſchenk madgen.. Seit ı Monaten iſt Herr Dermilly verreißt; ich bin daher ſeit *

lange nicht in feinem Haufe geivefen und weiß nichts von Huwm Rofignol. In wenig Tagen beziehe ich wieder mein Monniögelb: Damit und mit deu Erſparniſſen der vier Monate nach meinem legten Zuſammentreffen mit Heren Roflignol will ich Nanetten ewo⸗ scht Hübſches kaufen.

Wie ſich von ſelbſt verſteht, Hatte Roſſignol nicht daran das Geld zu dem obengenannten milden Zwecke gu verwenden. Viel⸗ meht hatte fi, das liebensmurdige Mobell mit meinen Erſparniſſen scht bene gethan; er, der nie mehr als ein Lonisd'or zummi ber ſeſſen, denkte ſich mit den zweihundert Franken in der Taſche Wie ein Wähler erfier Klaſſe. Nachdem der erſte Rauſch verfiogen, d. h. nachdem er fich in den Schenken und Kneipen müde gelangt und auf ben Lorbeeren feiner Croberungen weiblich ausgeruht, fing er ar, den Zuftand feiner Garderobe näher in Betracht zu ziehen, der ölfledige Roc paßte nicht wohl zu feiner Exöfustelle ; da ges dachte ex, daß er noch einen andern habe an einen: gewilfen Orte, un) löste ihn mit fünfzehn Franken aus. Run kaufte er ein Paar ae Tanzichuhe mit ſchoͤuen breiten Mofetten um) einen ditto rothen Goularh, den er um ven Hals widelte und ünflich über die Vruſt anöbreitete, um ein Hemd zu verfledlen, das cher einem Schloffer angehören fchien, als einem Mylord.

Nach diefen Einkaͤufen zählte Roſſignol fein Geld wieder. Co blieben ihm nur noch ſieben Louis; es war alſo Zeit, mit MBers vollſtaͤndigung feiner Garderobe einzuhalten. Der unten eng oe licgende Pantalon hat mehrere ziemlich augenfällige Beflerungen afzuweifen. Allein Roffignel brüftet fi und denkt: „Die Sch⸗ un werben nicht ‚gerade bahin fehen, wo es nichts zu ſehen gibt.“

Die Wehe mit breitem Kragen iſt oben bedeutend ſchadhaft. Ka) hier weiß er Math: er fchlägt ven Kragen in die Höhe nub verwandelt fo bie offene Weſte in eine Shawlweſte. Am weißen Kummer macht ihm ber Hut. Was thut er? Er druckt ihn um fe ſchraͤger aufs Inte Ohr, wodmich nicht mar fein Geſicht einen lah⸗

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new, markirterra Aufttich erhält, fordern auch das ſchaͤbige Kat ſchen deso Nandes verſteckt wird.

Nachdem es ſolche Mufterung über feine Garderobe gehallen, glaubt er, an Tournure, Wuchs und Eleganz fi mit dem erften Löwen der Hauptſtadt der Welt meffen zu Tönmen. Die eine Hand füweingt das gewichlige Rohr, die andere ſteckt in der Taſche und iutpert wit den Thalern, währenn ber rothe Fonlard ihm über’ Kun bis an von Mund geht. So fürzt er fi in den Strudel ver Bergnügungen, führt feine Schöne auf bie „Infel der Liebe" une nach Kololi, und fpielt auf drei Wochen den Unwiberfichlichen in a Courtille und Charoma.

Aber mit fieben Louis Tann man nicht ewig dem großen Herm fielen. Mit tiefem Leibweſen wechfelt er jept den letzten Thale, amd fleht erſchreckt ven Augenblick herannahen, wo ex wieder acht Stunden hang für hundert Soud Nobell ſigen muß, was ihm un gleich weniger behagt als Walzer und Saloppaden. Wer drei Be: chen laug nur dem Bergnügen geleht, der denkt mit Schrecken an vie Arbeit, zumal wer von Natur fo faul ift wie Roffignol. Er trägt den Beffern Rock wieder in ſichern Gewahrſam und fpielt dafür eine ganze Wodge laͤnger den Großen. Aber bie Gelb if abſolut ſein letztes, und feit er feiner Frau dad Möbel genommen, bad fie bik Ber den raubgierigen Fingern ihres Gemahls glücklich entzogen hat, Bit Madame Roſignol nichts, was auch nur ein Paar Sort wert iſt.

So muß er denn wieder ben Römer oder Griechen machen, er mag wollen ever nicht. Aber das Aubenken an bie verſchwunde⸗ nen luſtigen Tage läͤßt unferem Modell Teine KRuhe. Alle Male beſchweren ſich über die zitternde Bewegung feiner Aniee, was ei vamit· entſchuldigt, daß das Andenken an die varadieſiſchen Genf ver legten Wochen ihm nicht zu Herzen gegangen, fonbern in bi Beine gefahren ſei. Mm einem ſchonon Morgen, während ex ben Antonins wacht

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Reigt ihn ylöplid der Gedaule an mid unb meine Umtmüthigfeit in den Kopf. Meine Unerfahrenheit amözubenten, ſcheint chm das bee Mittel, zu Geld zu Tommen, und er wundert fi, daß ihm ver Gedanke erft fo fpät einfällt. Kaum if die Sigung aus, fo faßt er vor Heren Dermilly’s Thüre Poſto. Er wartet einen Tag nah) ben andern ; aber vergebens.

Dennoch will ex mich um jeden Preis fohen. Je länger je mehr erblidt er in mir eine umerfchöpfliche Geldgrube, die ihn, —— Geſchicklichkeit von feiner Seite, gegen jeden Maugel

ſoll.

Er erinnert ſich, daß ich beim Herrn Grafen von Frauconard wohne, ber mich mit Güte überhäufe. Gleich ſetzt er ſich in Ber wegung, durchſtoͤbert alle Quartiere in Pario und erfragt endlich die Wohnung des Herm Grafen.

Nachdem er deu Mod befimäglichft von ben Delfleden gereis zit, die Schuhe, in Ermanglung englifcher Wichſe, mit Brod⸗ Irammen gepußt, den Bantalon forgfältig angezogen, den Weſten⸗ ragen zierlich anfgerollt, die Cravatte bis über den Mund zuſam⸗ angebunden, den Hut aufs linke Ohr geftülpt und ſich zwei Schmachtloden über’3 rechte Auge gedreht hat, begibt u ſich auf ka Weg in das gräfliche Hötel, wie gewöhnlich mit Bambudrohr, jerlich gerundetem linkem Arme und frechſtolzer Miene Debei hipft ex auf den Fußſpitzen über bad Plaſter und fucht Ad immer - die befte Stelle aus, als fürchte er, feine Beinkleider zu verderben.

Im Hofe des Hoͤtels wird er vom Portier angehalten.

‚Bohn, mer Sn“ 5

„Zu meinem Freunde,“ antwortet Rofigmi breit und geht wie

Aber der Portier vertritt ihm den Weg, denn des Kusfehen Kfignols floͤßt ihm kein Vertrauen ein.

„Iu weldjeın Freunde, wenn ih bitten darf? Man ai nigt o ohne Weiteres ins Hotel des Herrn Grafen“

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„Run? Aber... ſprich Boch.“

„Aber ich, Tann nicht.“

„Alto Mißtrauen, mein Her? Pfui, fo mißtrauiſch zu fein.“

„D gewiß nicht. AM mein Gelh follten Sie haben, wenns ich welches hätte,“

- „Welches hätte? Alſo Du haft nichts mehr %“

„Nichts mehr, Mamfell. Alles if ausgegeben.“

„Ausgegeben? Alfo für ein ſchoönes Beiüent an Deine Schwefter ?“

Ich antworte ganz leiſe:

„Ja, Mamſell!“

Dieſe Lüge koſtet mich viel; aber fie darf nicht wiſſen, wozu ich meine Erſparniſſe gebraucht Habe. Die gute That verlöre da⸗ durch allen Werth ; auch bat mir Roffignol Dringend Stillſchweigen anempfoblen. Lucilie ſcheint mir nicht zu glauben. Ich höre, wie fie leife bei ſich fagt:

„Dahinter ſteckt was, ich will es ſchon herauskriegen.“

Dann verläßt, fie mich mit den Worten:

„Adien, Herr Andreas. Hätte mis nicht gedacht, daß Da ſchon Geheimniſſe habeſt.“

Nach einiger Zeit bemerke ich, daß ich heimlich beobachtet werde bei meinen Ausgaͤngen. Bleibe ich länger als gewöhnlich bei Vater Bernhard, fo fragt man gleich, ob ich noch font we geweſen fei ? Aber was liegt mix daxan! Mögen fie immerhin Acht geben auf mi, ich thue ja nichts Boͤſes. Auch kommt ed mir fo vor, ald ob das junge Kammermaͤdchen nicht mehr jo freuublidh gegen mich ift wie fonk, Sie macht allerhand haͤmiſche Anmerkungen, und oft zeigt fie ſich, wenn ich fie am wenigſten erwarte. Offen bax will fie mich ausfundfchaften.

Dank der Großmuth der guäbigen Fran, kann. ich bald ber guten Schweſter das laͤngſt gewünſchte Geſchenk machen. Seit zwei Monaten ift Herr Dermilly verpeit; ich bin daher ſeit eben fo

Die Lakaien fehen ihn ecſtauut am; weil aber Dreiſtigkeit im⸗ mer imponirt, namentlich Bedientenſeelen, ſo laſſen ſie ihn gehen, rg fie jeden. befcheidenen Armen unexbitilich zurückgewieſen ätten, 1

So kommt Roffignof bis vor das Zimmer, mo Herz von Franco⸗ nard wie gewöhnlich zu Rathe figt mit feinem Intendanten und Koch.

Im Borzimmer fragt ihn der. Bediente and) feinen Namen.

„Barum das?“

„Um Sie zu melden.”

„Ich will mich felbft melden.“

„Das ift nicht Brauch hier.‘

„Hölle und Teufel, wie viele Umflände man hat, zu Dom Sairps zu Iommen! Gut, fo meldet Herrn Roſſignol, erften Mann in @urepa für Die Torſos.

„Shen Mann in Europa für Die Torſos? 4 wiederholt her Bediente und geht dann, dem Herm Grafen den erfien Mann fir die Torjos anzumelden.

„Erſter Mann in Europe für vie Torſos gu wiederholt der Giaf kopfſchũttelnd und ſieht dann den Kaushafmsifter und Obaz⸗ body fragend an.

„Berfiehft Da das, Champagne?‘ _

„Deiner, Seel’, nein, Here Graf. Ich Tenne keinen Rofignel Und die Torſos? Vielleicht meint er eine neue Art Sauce.“

„Bas fagen Sie dazu, Herr Oberkoch?“

„Ich glaube, Here Graf, ex meint eine neue Art, Kalbskaͤpfe anzurichten.“

„Teufel, das wäre intereſſant. Gewiß hat ihn der Ruf meiner Küche und culinariſchen Kenntniffe angezogen. Geſchwind, führt Serra Roffignol ein. Ich bin entzüct, ihn zu fprechen,‘

Inzwifchen wurde dem fchönen Mobell bie Zeit lang im Bor: immer. Er ftieß sewaltem mit dem Bambus auf den Boden uud trillerte: W

es

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neuen, markirterun Anſttich erhält, fordern auch das ſchaͤbige Mus: ſchen ved Mandes verſteckt wird.

Nachdem er ſolche Mufterung über feine Garderobe gehatten, glaubt er, an Tournure, Wuchs und Eleganz fi mit dem erſten Löwen der Hauptſtadt der Welt meflen zu können. Die eine Hand fgwingt dad gewichlige Rohr, die andere ſteckt in ber Tafche und klintpert mit den Thalern, während ber rothe Yonlard ihm übers Kinn bis an ven Mund geht. So flürzt er fih in den Strubel ver VBergnügungen, führt feine Schöne auf bie „Inſel der Liebe“ and nach Kokoli, und fpielt auf drei Wochen den Unwiberftehlidhen in a Courtille und Gharoma.

Her mit fleben Louis Tann man nicht ewig den großen Herrn fielen. Mit tiefem Leidweſen wechfelt er jeht den lebten Thafer, und flieht erſchreckt den Augenbliet herannahen, wo er wieber acht Stunven fang für hundert Sons Nodell fien muß, was ihm ums gleich weniger behagt als Walzer und Guloppaben. Wer drei Wo⸗ Gen laug nur dem Vergnügen gelebt, der denkt mit Schrecken an He Arbeit, zumal wer von Ratur fo faul ift wie Roffignol. Er trägt von beſſern Rock wieder in ſichern Gewahrſam und fpielt dafür eine ganze Woche laͤnger ven Großen. Aber dies Geld ift abfolut fein letztes, und feit er feiner Frau das Möbel genommen, bad fie Bid: ber ven raubgierigen-Kingern ihres Gemahls glüdlich entzogen bat, bleibt Madame Roflgnol nichts, was auch nur ein Paar Sons wert if.

—So muß er denn wieder den Mämer ober riechen machen, er mag wollen oder nicht. Aber das Andenken an bie verſchwunde⸗ nen Infligen Tage laͤßt unferem Modell Teine Ruhe. Alle Maler beſchweren ſich über die zitternde Bewegung feiner Kniee, was er vamit entfchulnigt, Daß dad Andenken an die varabieſtſchen Genüſſe ver Teßten Wochen ihm nicht zu Herzen gegangen, ſondern in die Beine geſahren ſei.

An einem ſchonen Morgen, wahrend er ben Antonins macht,

gehört, Aber wem ih Ihnen einen Gefallen thue, will ich gerne davon Toten und Sie follen in mix einen Infligen Bruder finden, ber bis zuleht aushaͤlt.“

„Er will davon koſten,“ wiederholt der Graf, Champague anſehend, „ſoll heißen, will mich koſten laſſen. Der Herr muf viel Zalent haben, weil ex feiner Sache fo gewiß iſt.“

„Ich glaube fa, Kerr. Graf.“

„Bon wen wiſſen Sie denn meinen Namen, Herr Roffigned I“ „Hoͤlle und Teufel, vom Kleinen, dem ich vor Kurzem be: gegnete.“

„Vom Kleinen? Aha! dem in der Küche, gewiß?“

„Kann fein. Soll mi nicht wundern, denn er war fo ie md fett.

„Ja, ja, Herr Graf,’ fiel der Oberloch ein, „er meint ven Küchenjumgen, ver ihm die Adreſſe des Herrn Grafen gegeben hat.“

„Herr Roffignol, ich freue mi, Ihren Talent einen unge neſſenen Wirkungskreis geben zu koͤnnen.“

„Iſt der Herr Graf auch Artiſt oder Kunſtliebhaber

„Ich? Sachkenner und Kunſtliebhaber zugleich. Ge, ser Chef, was fagen Sie zu meinen drei Gängen.”

„Drei Gänge? Bin nie bayon Modell geweſen.“

„Solche Köpfe wie den da muß ich haben, Herr Roffignol.“

„Solche Köpfe? Haben Sie Luft auf meinen Kopf, Herr Graf!“

„Bewiß.”

„Gewoͤhnlich nimmt man mid nur für den Leib.‘

„Alfo den Leib machen Sie auch?“

„Und wie? Das if ein Triumph! Aber wie Sie wollen. Venn Ihnen mein Kopf hübſch dankt für die Antike, fo ſteht er Ionen zu Dienft für hundert Sons die Sitzung.“

„gar hundert Sons?’ wiederholt bes Graf und ſieht bald Champagne, bald den Oberkoch befremdet an. „Das ifl, meiner. Ger, wohlfeil.“

DE „Zuveni jungen Anbrens, dem Aboptivſohn des Herrn Grafen.“ .: „Yan Aboptivfohn des Herrn Grafen.”

„Ja, ja. Ober zum Meinen Ftanconard, wenn das beſſer Klingt.“

„Zum Beinen Franconard ?“

„Sa, ja. Verſteh'n Sie nicht ?“

„Bir haben keinen Kleinen Franconard. Der Herr Graf hat feinen Sohn, nur eine Tochter.”

„Sacreblen, fag’ Ihnen: ja! Sch fah ihn erſt vor vier Mo⸗ haten ,. ſchoͤn wie die Sonne, ein junger Herr von zwölf Jahren, der ausfieht wie 'n vierzehnjähriger.“

„Ah To, den Beinen Andreas, den Schägling der guäbigen rau, meinen Sie.“

„Schutzling oder nicht, gleichviel. Br wohnt Bier, nicht wahr?“

„3a, ja, jetzt verſteh' ich.“

„Goktlob! Wo wohnt er? Ich möchte ihn allein ſprechen.“ „Nur immer gerade and nnd dann linke die zweite Treppe.” „But, gut!“ und damit geht er feiner Wege, in ven Bart brummend: „Wie vie Kerle fi Breit machen, ale wär’ man hier beim

Ber von Marocco.“

Aber ſchon im Veſtibule hat er den’ Weg vergefin. Ohne wieber zu frägen, geht er auf gut Glüͤck zu, fleigt die Treppe rechte Ylaauf, ſtatt die links, und geht burch mehrere Zimmer, voU Bewrnberung über die fihönen Borhänge und Draperien.

„Ale Hagel!” ruft er and, „ver Meine Gutherz logirt Bier

wie ein Prinz. Die Belanntfchaft ift fo gut als baar Geld; die will caltiviet fein.“

Endlich ſtoͤßt er auf mehrere Bedienten, die ſich hin und her verlen und gaͤhnen.

„Wohin, mein Herr?“ fragen fie.

„Zu meinem vertrauten N Breanbe aamwortet NRoffignol dreiſt und zuverfichtlich.

gehört. Aber wenn ich Ihnen einen Gefallen ihue, will ich gerne bavon Toten und Sie follen in mir einen Infligen Bruder finden, der bis zulegt aushaͤlt.“

„& will davon koſten,“ wiederholt der Graf, Champagne anſehend, „ſoll heißen, will mic Eoften laffen. Der Herr muß viel Zalent haben, weil ex feiner Sache fo gewiß iſt.“

„Ich glaube faſt, Herr Graf.‘

„Bon wen wiſſen Sie denn meinen Namen, Herr Rofſignol?“

„Hölle und Teufel, vom Kleinen, dem ich vor Kurzem be: gegnede.”

„Bom Kleinen ? Aha dem in der Küche, gewiß ?“

„Kann fein. Sol mi nicht wundern, denn er war fo Pie md fett.“

„IR, ja, Herr Graf,“ fiel ber Oberloch ein, „er meint den Küchenjungen, ber ihm die Adreſſe des Herrn Grafen gegeben hai.“

„Herr Rofliguol, ich freue mi, Ihrem Talent einen ange: weffenen Wirkungskreis geben zu können.’

„IR der Herr Graf auch Artiſt oder unſtliebhaber ?*

„Ich? Sachkenner und Kunſtliebhaber zugleich. Se, vn Chef, was fagen Sie zu meinen drei Gängen.“

„Drei Gänge? Bin nie davon Modell geweſen.“

„Solche Köpfe wie. den da muß ich haben, Herr Roffignol.“

„Solche Köpfe? Haben Sie Luft auf meinen Kopf, Herr Graf?“

„Gewiß.“

„Gewoͤhnlich nimmt man mich nur für ben Leib.‘

‚ifo den Leib machen Sie auch?“

„Und wie? Das if ein Triumph! Aber wie Sie wollen. az Ihnen mein Kopf hübſch dunkt für die Antike, fo fleht er men zu Dienſt für hundert Sous die Sizung.“

ı „Zar haudert Sons?’ wiederholt ber Graf und fickt bald Bhompagnıe, bald den Oberkoch befrembet an. „Das if, meiner Bee, wohlfeil.“

u L} ang’ Hab is gefämagtet, oje Und: 4;

gelie ‚Ale Tännen einizeien, HSeri Bofligeol!“ ruft endiq ie Beriente. ir DaB hat Mühe gelofet,” fenfzt Roffiguol. 4 Wäpsend ex über Vie Emwehle tritt, Rürzt Caſat laut bie. auf ihm zu und will may ihm beißen. Mher Soffiguo! gi im. eind über den Kopf, baf er winfelub unter ben Gtuhl feine Sem... Triedt. „&pring' mich nodmals an un lege beine Alanen auf meins " Mod,“ ruft Bofignol, „fo ha du eins, baf bu vierzehn Zap... mad; Luft fhnapph!“ a Der Eingang fimmt den Gere Grafen nicht zu Guufen m Veemden, während Ghampagne, die Kleidung de6 Herrn Bafigal,. won Roy bie zu Buß mufterub, über die ängfüidhe Bürfeng De. Septrron für frinen Ked Iägein muß. Kher ans Ratfit nf, Werth eines Mannes, der eine neue Art von Kalbötopfubereitul,, erfunden Hat, verzeiht man ihm fein wunderliches Auftreten. m, der Dee Eipen, war Mh Rofige nt of,

mal fagen läßt. i imefenb,“ dentt er bei füh, „bo he 1 bin ich Hier bei feinem Befdrige, i, und zeig’ dich als Mann von ma es feinen Weltbilbung fährt ex fe,"

ein Liedchen zu trillern. Dann —E umt in ben Bart : ,

aber ein alerliebfter kleiner Gyklog, "| gu mir gefandt ?“ fragt der. st von ſelbſt und meil es mir fo ae meinen Diners gehört und BR

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„Gr will davon koſten,“ mwieberholt ber Graf, Chaupagne aſehend, „ſoll heißen, will mid Eoften laſſen. Der Herr muß viel alent Gaben, weil sr feiner Sache fo gewiß iſt.“

„Ich glaube fa, Herr. Graf.

„Bon wen wiſſen Sie denn meinen Namen, Herr Roffignol ?

„Kölle und Teufel, vom Kleinen, dem id vor Kurzem be:

„Bom Kleinen? Aha! dem in der Küche, gewiß?“

„Kann fein. Sol mi nicht wundern, denn er war fo bil id fett.”

„Sa, ja, Herr Graf,” fiel der Oberkoch ein, „er meint den ihenjungen, ber ihm die Adreſſe bed Herrn Grafen gegeben hat.“

„Gert Rofliguol, ich freue mich, Ihrem Talent einen ange: ienen Wirkungskreis geben zu Tönnen.‘

„IR der Herr Graf auch Artiſt oder Kunſtliebhaber F'

„Ich? Sachkenner unb Kunftliebhaber zugleih. Ge, Herr swf, was fagen Sie zu meinen brei Bängen.‘

„Drei Gänge? Bin nie davon Modell geweſen.“

„Goldje Köpfe wie.den da muß ich Haben, Herr Boffiguol.“

„Solche Köpfe? Haben Sie Luft auf meinen Kopf, Herr Graf?“

„Bewiß.”

„Gewoͤhnlich nimmt man mich nur für den Leib.‘

„Alſo den Leib machen Sie auch?“

„Und wie? Das if ein Triumph! Aber wie Sie wollen. un Ihnen mein Kopf hübſch dünkt für die Antike, fo flieht ex men zu Dienſt für hundert Sous die Sigung.”

„Far handert Sons?’ wiederholt ber Graf und ficht balb ampagne, bald den Oberkoch befrembet an. „Das iſt, meiner ed, wohlfeil.‘

‚Aber auch gut?” Fragt der Oberkoch halb leiſe |

„und Ste bärgen mir für bie Güte des Kalbskopfes *' führt der Graf fort.

Kaum hat er das gefagt, fo fpringt Koffignol auf, bradt ben Hut Aber’s Dhr und ruft wäthend:

„Kalbskopf! Was, wie, Kalbskopf? Sie miſerables Mupell aller blinden Tröpfe in ganz Paris, Sie wagen ed, einen Mann zu infullicen, woraus man tagtäglich Jupiter und Achilles macht ?"

„Was heißt das?‘ ruft der Graf, erſchreckt aus feinem Seſſel auffahrend, unter lautem Gebell Cäfard, den Roffignol mit deohen⸗ der Stockſchwingung zur Beflunung bringt. Erklären Sie ſich, wein Herr. Was wollen Sie son mir?”

„Bon Ihnen? Nichte.”

„Sie Hund alſo nicht der Erfinder einer neuen Art Ralbstorf. zubereidsing, ber mir feine Dienfle anträgt ?

„ba! ha! ba! Der Gedanke iſt gut. Wer bat Ihnen das in den Kopf gefept ?"

„Was wollen Sie denn ?“ dounnert der Graf.

„Kölle und Teufel, Andreas fehen, meinen Freund, einen alten Gollegen bei Herrn Dermilly, 'nen Jungen, ben ich gem hab’ umd den Sie Eoflenfrei aufziehen.”

„Mas, Kerl, und Sie wagen, in mein Kabinet einzubringen ?“

„But ich das? Sag’ Ihnen, ich will zu Anvrend, uni

Niemand fonft.” „Die Impertinenz! Und Cäfar zu fehlagen! Der kleine Sa: voyarde bringt mir fchöne Freunde ins Haus. . dner wie Sie, mißgejchaffener Belifarind.‘‘ „Das Haben wir jept von ber Menfchenfteunblichleit de Gräfin ; folge Auftritte! Lafleur! Jasmin! zur Thüre hinau« mit Dem Kerl! zum Fenſter, wenn er noch lange umverfchänet if!“ „Hsho!“ ruft Roffiguol und fehwingt fein Bambusrohe, „, Gifte, der mich anrührt, dem färb’ ich die Nafe wie mit Fo |

reintenfaft. Und Du, einäugiger Cyklop, Hüte Dich, oder ich ide Dich zu Deinen Brüdern in der Werkftatt Vulkans.“

Auf den Ruf des Grafen, der fi hinter Champagne und den Oberkoch verſchanzt hat, und dad Gehen! Cäfars, der von einem wichtigen Stochſchlage zufammengefunfen ift, laͤuft die ganze Dies erfchaft zufammen. Aber Roffignol Hält fie in foldgem Reſpekt, daß er mmangetaftet feinen Rückzug bewerfftelligen kann, gefolgt von ber Schaar der Lafaien, die ihn fcheinbar vor ſich her treiben, u Wirklichkeit aber froh find, ihm bloß nachfehen zu dürfen. Unten in Betibnle carambulirt er mit Mamfell Lucilie, bie neugierig ft, wa# ber Lärın im Eabinet des Grafen bedeute. Auf ihre Frage, mad er wolle, erzählt ihr Roffignol in zwei Worten den ganzen Berfall und die Gründe feines Befuches im Hötel., Lucilie ſieht ibn anfmerffam an, dennoch zeigt fie ihm den Weg zu meinem Zimmer, und diesmal hat er ſich nicht geirrt, mein vertrauter Freund.

Sch faß bei der Arbeit, als er eintrat.

„Sapperlot,“ rief er, „das hat Mühe gefoftet, Andreas!“

„Sie da, Herr Roffignol ?'

„Ja, ich, nach hartem Kampf mit fünf ober ſechs Lümmeln, ommandirt von einem Invaliden.“

„Nach hartem Kampf?‘

„Gin ander Mal mehr davon, Freundchen. Gottlob, baß ich ih Dich treffe, das ift die Hauptfache.‘

„Und der unglüdliche Greis, Tante und Kinder ?”

„Segnen Dich als ihren Schußengel, Andreas. Wärft Du Augenzeuge ihres Gluͤcks geweſen! Noch jest muß ich weinen, ih daran zurückdenke.“

„Beung, daß ich weiß, fle find glüdlih. Kein Wort mehr

„Du Haft Mecht, Andreas. Sprechen wir lieber von andern bürftigen. Audreas, Dein Herz iſt noch immer bad alte ? „Immer das alte, Herr Roffignol. Aber wozu bie Frage ?“

Yeul ve Rod. I. 14 L

.

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„Du gute Seele, Du, bift noch immer die alte. Aber fag‘, haft Du Geld?“ |

„Geld ? Sa, ein wenig.“ |

„So will ic Die nodgmals Gelegenheit geben, bie Freuden ved Wohlthund zu koſten, Thraͤnen zu trocknen und gleich ben leuch⸗ tenden Meteoren des Himmels... .”

„Bas meinen Sie, Herr Roffignol ?” |

„Ich meine, daß ich auf meiner Entdeckungsreiſe vier andere Familien gefunden babe, die im tiefften Clende ſchmachten. Andreas zwei Lonisb’or auf jede Familie, alfo acht Lonish’or im Ganzen und Du kannſt nochmals Unglüdliche von Verzweiflung reiten. Dr befinnft Dich, Freundchen ? Iſt Dein Herz verhärtet bei den dleiſch töpfen Egyptens, wollte fagen: des Herrn Grafen von France nard ? Sähefl Du nur ven Sammer. Da ift z. B. eine blutſung Mutter, Wittwe mit vierzehn Kindern auf bem Arme. Ich ai Deiner Stelle ſchwankte keinen Augenblid. Aber mein gering« Berbienft reicht faum aus für meine Frau und den Erben mein« Namens.”

„Ich machte fo gerne Nanette ein Geſchenk, Herr Roſſignol

„Schon wieder? Sollte denken, Du haft ihr erſt vor Rune was recht Artiges gefchentt. Du vichteft Dig mit dem Sheuf an Weiber zu Grunde, Andreas. Ich fehe, ich muß Dich Heil von der gottlofen Gewohnheit.“

„Ich hab’ aber nur vier Louis jept.”

„Macht nichts. So warten wir mit ben beiden andern milien bis naͤchſten Monat. Sie warten gerne ; ich ſchwöre fein Anderer fol Dir im Wohlthun zuvor kommen.”

Ich ſchwanke noch immer, auch diesmal ihm meine ganze ix binzugeben ; es ift mir, als hielte eine innere Stimme mid; bar- ab. Aber Roſſignol fegt mir fo zu mit Bitten, ſchildert das GEL mit fo grellen Farben, fpricht von einer blinden Mutter, en aichtbruchigen Vater, daß ich an ben Sekretäͤr gehe, bie Birke

207

holen. Schon will ich ihm das Gelb in die Hand ſchütten, als plöpfih Lucilie erfcheint und ſich wifchen mi und Sem Roffignol ſtellt.

Bei ihrem Anblid werde ich ganz verbußt, als Hätte ich was Boſes than wollen. Roſſignol faßt fich fehnell und fucht feinen Aerger hinter erfünftelter Heiterkeit zu vwerfteden.

Lucilie, die feit Längerer Zeit fchon mein Thun und Treiben ſorgfaͤltig beobachtet hatte, begriff nicht, was ein folder Dann wie Roſſignol mit mir zu fchaffen haben, und wie er mic feinen vertrauten Freund nennen Inne. |

Sie war ihm baher nachgefchlichen und hatte unfer Geſpraͤch vor ber Thüre meined Zimmers belaufcht.

Ihr Erſtes if, daß fie mich bei der Hand nimmt, bie fie zärtlich in ber ihrigen drückt. Dann fagt fie, zu Heren Roffignol gewendet :

„Wiſſen Sie, mein Herr, daß es nicht recht gehanbelt iſt, dad. Vertrauen unb bie Gutmüthigkeit dieſes Kindes fo zu miß- brauchen, am ihm fein erfpartes Geld abzuloden?“

Roſſignol beißt fich in die Lippen, flieht auf ben Boden nieder und antwortet mit erfünftelter Stimme:

„Eine ganze Bande Unglüdlicher fchickt mich zu meinem Kleinen Freunde, weil fie fein guted Herz und feine Mittel Tennt. IR es denn Unrecht, ben Kleinen. zum Wohlthun zu ermuntern ?"

„Gewiß nicht, mein Herr, und Andreas ift Herr feines Geldes. Aber che man gibt, foll man wiffen, ob die Armen ber Unter: kükung werth find. Die Erfparniffe dieſes Kindes follen nicht zur Grmunterung bed Laflerd und der Trägheit dienen.“

Bei dieſen Worten ſteckt Roffignol feine alte Raufbolderei auf unb fragt in unverfſchaͤmtem Tone:

„Was beveuten dieſe Winke?“

„Sie bedeuten,” antwortet Lucilie, „daß Sie das Geld biefes Kindes vergendet und ihm dafür eine alte Kinflierfpige zugeſteckt

„ine neue, mit. Verlaub. Ich will fie an Ihnen probiem, zum -Beweife.“

„Heute wollen Sie daffelbe Experiment wiederholen.”

„Mamfell, reden Sie leifer, ober... .“

„sch rede fo laut oder Jeife, wie ich will. Und wenn Sie noch länger impertinent find, laß ich Sie hinausjagen oder ver: biete Ihnen, je wieder das Hötel zu betreten. Verſtanden? Derlei Umverfchämtheiten fliehen Ihnen fchledht nad ben Dummheiten drunten im Gabinet des Herrn Grafen.“ |

„Daß ift der Mühe werth, weil ich dem räubigen Hunde, ber mich verfaute, bie Pfote zertrümmert! Hat er nicht an drei ge: nug, feinem einäugigen Herrn nachzuhinfen ?“

„Haben Sie die Wahrheit gejagt, jo geben Sie mir bie Adreſſe ber vier armen Familien. Die Fran Gräfin wirb fie nach Kräften unterflügen.“

„Geh'n Sie mir mit Graf und Gräfin.“

„Da haben wird, Sie können mir nicht antworten. Pfui über dies niedrige Benehmen! Fort von hier, und daß ich Sie nicht wieber treffe hier im Hanfe.”

„Hoho, Schürgenmamfellden! Das zwitfchert wie die He: ſchaft. Ich gehe, weil es mir Vergnügen macht. Andreas, ich bin Dir nicht böfe ; wir ſeh'n uns bald wieber. Adieu, Domeflifenfeele!*

Roffignol fchneidet Lucilie ein Geficht und trollt dann von binnen, fi ſtutzerhaft Kin und ber wiegend und bie Arie: „Schooßkinder ihr der Damen,” trillernd.

„Der elende Kerl der!“ ruft Lucilie, ihm nachfehenb.

. Dann kommt fie auf mich zu, nimmt mich in die Arme unv küßt mid zum erfienmale. O, wie mir das thut! Ich fehe füe an und, mein Gott! die Thränen figen ihr ganz lofe.

„Was haben Sie denn?“ frage ich fie.

„Wie gut Du bift, Andreas. Wie konnt' ich doch fo was von Dir beufen? Mein, ich glaubte es nicht, aber ich wußte, bakintex

Rede was, und das wollt’ ich heraus haben. Set weiß ich's und wie freue ich mich. Geſchwind zur gnädigen Frau hinunter!”

Und wie der Blig if fle fort. Gleich darauf läßt Madame mich rufen und fcheint ganz bewegt, als fie mich erblidt. Herr Dermilly, der darüber gefommen ift, thut eben jo gerührt, und Fräulein Adolphine nennt mich ihren guten Andreas. Was wollen ke denn von mir? Was habe ich fo Erflaunliches gethan? Dann muß ich erzählen, was zwifchen mir und Roflignol vorgefallen if. Die gute Caroline nöthigt mich, die gleihe Summe von ihr an- muchmen, die unter falſchem Borwande mir abgelodt worden if. Dabei fehlt es natürlich nicht an Ermahnungen, Tünftig vorfichtiger zu fein.

Nach diefem Borfall- find die Frau Gräfin und Mamfell &n- cilie noch wohlwollender und freundlicher gegen mich, während der Herr Graf mich finfter anfieht, fo oft er mir begegnet; denn er Schauptet, ich fei Schuld an der Mißhandlung, die Cäfar von Aoſſignol erfahren hat.

-

Scchszehntes Kapitel.

Erfie Regungen bed Herzen.

Dem Edelmuth meiner Wohlthäterin Habe ich mein boppeltes Glack zu danken. Ich kann nicht nur der guten Mutter eine gleich große Summe ſchicken, wie bie, welche ich an Roflignol gegeben babe, fondern außerdem noch der Schwefter ein Geſchenk machen. Aber diesmal will ich Lueilie zu Rathe ziehen und fie bitten, für mich ben Einkauf zu beforgen.

Ueber diefen Beweis meines Zutrauend zu ihr freut ſich das junge Mädchen nicht wenig. Sie Tauft mir eine niebliche Damen: abe, Die fange nicht fo viel koſtet, als ich glaubte. Beim Anblid dieſes Gefchentes fpringe ich hoch auf vor Freude. ©, wie Nanette

- HR „Bo lang’ hab’ ich geſchmachtet, oh’ Ende Big geliebt!"

„Sie Tünnen eintreten, Herr Roſſignol!“ ruft endlich der Bediente.

„DaB hat Mühe gekoſtet,“ ſeufzt Roſſignol.

Während ex Aber die Schwelle tritt, ſtürzt Caͤſar laut Bellen anf ihn zu und will nach ihm beißen. Aber Roſſignol gibt ihm eins über ben Kopf, baß ex winfelnd unter ven Stuhl feines Herm kriecht.

„Epring' mich nochmals an und lege deine Klauen auf meinen Rod,‘ ruft Roffiguol, „fo haft du eins, daß bu vierzehn Tage und, Luft ſchnapoſt! |

Der Eingang Rimmt den Herrn Grafen nicht zu Gunſten des Fremden, während Champagne, die Kleidbung bed Herrn Roffiguol von Kopf bis zu Fuß muſternd, über bie aͤngſtliche Fürforge des Bepteren für feinen Rod Lächeln muß. Aber aus Rüdficht auf ven Werth eines Mannes, der eine neue Art von Kalbölopfzubereitung. erfunden bat, verzeiht man ihm fein wunderliches Auftreten. Dex

Herr Genf winkt ihm zum Sihen, was fi Roffignol nicht quei- mal fagen läßt.

„Der Kleine it halt abweſend,“ denkt er bei fi, doch wich er bald kommen. Inzwifchen bin ich bier bei feinem Befdhüger. Alto Acht gegeben, Rofliguol, und zeig’ dich ald Mann von Welt.“

Und zum Beweiſe feiner feinen Weltbilvung fährt er fort, fein Rohe zu ſchwingen und ein Liedchen zu trillern. Daun fiebı es den Grafen an und brummt in den Bart:

„ga, Tein Apollo das, aber ein alferliehfter kleiner Cyllop

„Freund, wer bat Sie zu mir gefandt ?“ fragt der Graf.

‚Niemand. Ich komme von felbft und weil es mir fo paßte

„Aha, Sie haben von meinen Diners gehört und wollen mt Sere Dienſte anbieten.

„Ihre Diners? Hol' mich Der und Jener, wenn ich je emını

gehört. Aber wen ich Ihnen eimeri Gefallen ihue, will ich gerne davon Toten und Sie follen in mir einen Infligen Beuber finden, ver bis zuletzt aushaͤlt.“

„Er will davon koſten,“ wiederholt der Graf, Champagne anſehend, „ſoll heißen, will mich koſten laſſen. Der Herr muß viel Talent haben, weil er feiner Sache fo gewiß iſt.“

„Ich glaube fat, Herr. Graf.“

„Bon wen wiſſen Sie denn meinen Namen, Herr Reffignol 9’

„Bälle und Teufel, vom Kleinen, bem ih vor Kurzem be:

„Bom Kleinen ? a! bem in der Küche, gewiß ?

„Kann fein. Sol mic nicht wundern, denn er war jo Miet und fett.‘

„Sa, ja, Her Graf,“ fiel der Oberloch ein, „er meint den Küchenjungen, der ihm die Adreſſe des Herrn Grafen gegeben hat.“

„Bert Rofiignol, ich freue mich, Ihrem Talent einen ange: weflenen Wirkungsfreis geben zu koͤnnen.“

„IR der Herr Graf auch Artiſt oder Knuftliebhaber F'

„Ich? Sachkenner und Kunſtliebhaber zugleich. He, der Chef, was fagen Sie zu meinen brei Gängen.“

„Drei Bänge? Bin nie bawon Modell geweſen.“

„Goldye Köpfe wie. den da muß ich haben, Herr Roffignol.“

„Solche Köpfe? Haben Sie Luft auf meinen Kopf, Herr Graf?“

„Bewiß.”

„Gewoͤhnlich nimmt man mich nur für den Leib.‘

„Alfo den Leib machen Sie auch?“

„Und wie? Das if ein Triumph! Aber wie Sie wollen. Wenn Ihnen mein Kopf hübſch dankt für die Antike, fo ſteht ex Ihnen zu Dienft für hundert Sous die Sitzung.“

„Br hundert Sons?” wiederholt der Graf und fickt bald Champagne, bald den Oberkoch befremdei an. „Das ift, meiner Ce, wohlfeil.“

‚ber auch gut?” Fragt der Oberkoch halb Feife. :

„Und Ele bärgen mir für bie Güte des Kalböfopfes *' fährt der Graf fort.

Kaum hat er das gefagt, To ſpringt Roffignol auf, drückt ben Hut übers Ohr und ruft wäthenn:

„Kalbskopf! Was, wie, Kalbskopf? Sie miſerables Moll aller blinden Tröpfe in ganz Paris, Ste wagen es, einen Mann zn iufulliren, woraus man tagtäglich Iupiter und Achilles macht!"

„Was heißt das?“ ruft ver Graf, erſchreckt aus feinem Seflel auffahrend, unter lautem Gebell Caͤſars, den Roſſignol mit drohen⸗ der Stockſchwingung zur Beflunung Bringt. Grflären Sie ſich, wein Herr. Was wollen Sie von mir?“

„Bon Ihnen? Nichte.”

„Gie find alſo nicht der Erfinder einer neuen Art Kalbe zubereidueng, ber mir feine Dienfte anträgt ?

„Sa! ba! ha! Der Gedanke iſt gut. Wer bat Ihnen bad in den Kopf gelegt ?“

„Bas wollen Sie denn?’ donnert der Graf.

„Hölle und Teufel, Anbrens fehen, meinen Freund, einen alten Gollegen bei Herrn Dermilly, 'nen Jungen, den ich gern hab’ und ven Sie Eoflenfrei aufziehen.’

„Mas, Kerl, und Sie wagen, in mein Kabinet ei 1

„But ich das? Sag’ Ihnen, ich will zu Andreas, und Niemand fonft.”

„Die Impertinenz! Und Gäfar zu fchlagen! Der Heine Ca: voyarde Bringt mir fchöne Freunde ine Haus.’ . „Schöner wie Sie, mißgeſchaffener Beliſarius.“ „Dad Haben wir jegt von ber Menfchenfreunblichkeit ter Gräfin ; ſolche Auftritte! Lafleur! Jasmin! zur Thüre hincus mit dem Kerl! zum. Feuſter, wenn er noch lange unverſchämt ifl !- „Sehe !” ‚ruft Roſſignol und fehwingt fein Bambusroke, „pei Grfte, der mich anrührt, dem färb’ ich die Nafe wie mit Gole

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quintenfaft. und Dn, einäugiger Cyklop, Küte Dich, oder ic ſchicke Dich zu Deinen Brüdern in ber Werkſtatt Vulkans.“

Auf den Ruf des Grafen, ber fi Hinter Champagne und ben Oberkoch verſchanzt hat, und das Geheul Caͤſars, der von einem gewichtigen Stockſchlage zuſammengeſunken iſt, laͤuft die ganze Die⸗ nerſchaft zuſammen. Aber Roſſignol Hält fie in ſolchem Reſpekt, daß er mangetaſtet ſeinen Ruͤckzug bewerkſtelligen kann, gefolgt von der Schaar der Lakaien, die ihn ſcheinbar vor ſich her treiben, in Wirklichkeit aber froh find, ihm bloß nachfeben zu bürfen. Unten im Veſtibule carambulirt er mit Mamfell Lucilie, pie neugierig ft, was ber Lärm im Cabinet des Grafen bedeute. Auf ihre Frage, wad er wolle, erzählt ihr Roffignol in zwei Worten den ganzen Verfall und die Gründe feines Befuches im Hötel., Lucilie ſieht iin aufmerffam an, dennoch zeigt fie ihm den Weg zu meinem Zimmer, und diesmal hat er ſich nicht geirrt, mein vertrauter Freund,

Ich faß bei der Arbeit, als er eintrat. .

„Sapperlot,” rief er, „das bat Mühe gefoftet, Andreas !”

„Sie ba, Here Roffignol 9”

„3a, ich, nach hartem Kampf mit fünf ober ſechs Lümmeln, amandirt von einem Invaliben.“

„Rah hartem Kampf?“

„Ein ander Mal mehr davon, Freundchen. Gottlob, daß ich adlich Dich treffe, das iſt die Hauptſache.“

„Und der unglückliche Greis, Tante und Kinder ?“

„Segnen Dich als ihren Schupengel, Andreas, Waͤrſt Du X Augenzeuge ihres Glücks gewefen! Noch jetzt muß ich weinen, em ih daran zurückdenke.“

„Genug, daß ich weiß, fle find glücklich. Kein Wort mehr mon.“

„Du haft Recht, Andreas. Sprechen wir lieber yon andern

wlföbehürftigen. Andreas, Dein Herz ift noch immer das alte? „summer das alte, Here Roffignol. Aber wozu bie Frage 9 Baul de Kod. I. . 14

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„Du gute Seele, Di, bift noch immer die alte. ber ſag, Haft Du Bel I"

„Geld ? Ja, ein wenig.”

„So will ich Dir nochmals Gelegenheit geben, bie Freuden bed Wohlthuns zu often, Tihränen zu trocknen und gleich ben lerch tenden Meteoren des Himmels.

„Was meinen Sie, Herr Roffignof I

„Ich meine, daß ich auf meiner Entdeckungsreiſe vier ander Familien gefunden babe, die im tiefften Elende ſchmachten. Andreui zwei Louisd'or auf jede Familie, alfo acht Lonisd'or im Ganzen und Du kannſt nochmals Unglückliche von Verzweiflung reiten. O befinnft Dich, Freundchen? If Dein Herz verhärtet bei ben lei töpfen Egyptens, wollte fagen: des Herrn Grafen von Franck nard ? Säheft Du nur den Jammer. Da iſt 3.3. eine blutjun Mutter, Wittwe mit vierzehn Kindern auf bem Arme. Ich q Deiner Stelle ſchwankte keinen Augenblid. Aber mein gering Berbienft reicht Taum aus für meine Frau und den Erben mein Namens.“

„Ich machte ſo gerne Manette ein Geſchenk, Herr ceoſigw

„Schon wieder? Sollte denken, Du haft ihr erſt vor Kurzı was recht Artiges geſchenkt. Du richteft Dich mit dem Schenl an Weiber zu Grunde, Andreas. Ich fehe, ich muß Dich Heil von ber gottlofen Gewohnheit.“

„Ich hab’ aber nur vier Louis jetzt.“ |

„Macht nichts. So warten wir mit den beiden ambern : milien bis nächften Monat. Sie warten gerne; ich ſchwöre © fein Anderer fol Dir im Wohlthun zuvor kommen.‘

Ich ſchwanke noch immer, auch diesmal ihm meine ganze Bi hinzugeben ; es ift mir, als hielte eine innere Stimme mich da ab.. Aber Roſſignol fegt mir fo zu mit Bitten, ſchildert das Ei mit fo grellen Farben, fpricht von einer blinden Mukter, eis gichtbruchigen Vater, .. ih an ben Sekretär gehe, die Börfe

—X

beten. Schon will ich ihm das Geld in bie Hand ſchütten, als plöglih Lucilie erſcheint und fi zwiſchen mich nd Herrn Roſſignol ſtellt.

Bei ihrem Anblick werde ich ganz verdußt, als haͤtte ich was Boͤſes thun wollen. Roſſignol faßt fich ſchnell und ſucht feinen Aerger hinter erkünſtelter Heiterkeit zu verſtecken.

Eucilie, die ſeit laͤngerer Zeit ſchon mein Thun und Treiben Ingfäktig beobachtet hatte, begriff nicht, was ein folder Dann wie Roffignol mit mir zu fchaffen haben, und wie er mic feinen vertrauten Freund nennen koͤnne.

Sie war ihm daher nachgeſchlichen und hatte unfer Geſpraͤch vor der Thüre meines Zimmers belaufcht.

Ihr Erſtes iſt, daß fie mich bei der Sand nimmt, die fle zärtlich in der ihrigen brüdt. Dann fagt fie, zu Heren Roffignol gewendet :

„Biffen Sie, mein Herr, daß es nicht recht gehandelt ift, das Bertrauen und bie Gutmüthigkeit dieſes Kindes fo zu miß⸗ brauchen, um ihm fein erfpartes Gelb abzuloden?“

Roſſignol beißt ſich in die Lippen, flieht auf ben Boden nieber um antwortet mit erfünftelter Stimme:

„Eine ganze Bande Unglüdlicher ſchickt mich zu meinem Heinen freunde, weil fie fein gutes Herz und feine Mittel Tennt. IE es ven Unrecht, ben Kleinen zum Wohlthun zu ermuntern ?”

„Bewiß nicht, mein Herr, und Anbread ift Herr feines Geldes. Aber che man gibt, foll man wiffen, ob bie Armen der Unter: ſtigung werth find. Die Erfparmiffe dieſes Kindes follen nicht zur Gmnunterung bed Laflerö und ber Trägheit dienen.“

Bei viefen Worten fledlt Roffignol feine alte Raufbolderei uf und fragt in unverfhämten Tone:

„Bas bebeuten diefe Winke I“

„Sie bedeuten,“ antwortet Lucilie, „Haß Sie das Gelb biefes Kindes vergenden © und e dafür eine alte Eiyſierſpite zugeſteckt

haben.

„ine neue, mit Berlaub. Ich will fle an Ihnen proben, zum Beweiſe.“

„Heute wollen Sie daſſelbe Experiment wieberholen.”

„Mamſell, reven Sie leifer, oder... .“

„Ich rede fo laut ober leife, wie ich will. Unb wenn Sie noch länger impertinent find, laß ich Sie hinausjagen ober ver biete Ihnen, je wieder das Hötel zu betreten. Berflanden ? Derlei Unverfchämtheiten fiehen Ihnen fchlecht nad ben Dummheiten brunten im Gabinet ded Herrn Grafen.”

„Das iſt der Mühe werth, weil ich dem räubigen Hunde, ber mich verfaute, die Pfote zertrümmert! Hat er nicht an brei ge: nug, feinem einäugigen Heren nachzuhinken ?“ |

„Haben Sie die Wahrheit gefagt, fo geben Sie mir bie Adreffe der vier armen Familien. Die Frau Gräfin wird fie nad) Kräften unterflüßen.”

„Geh’n Sie mir mit Graf und Gräfin.“

„Da haben wird, Sie können mir nicht antworten. Pf über dies niedrige Benehmen! Fort von bier, und daß id Sie nicht wieber treffe Hier im Hauſe.“

„Hoho, Schürzenmamfellden! Das zwitichert wie bie Herr: ſchaft. Ich gehe, weil es mir Vergnügen macht. Andreas, id; bin Dir nicht böfe ; wir feh'n uns bald wieder. Adieu, Domefikenfeele!“

Roffignol ſchneidet Lucilie ein Geſicht und trollt dann von Sinnen, ſich ſtutzerhaft hin und her wiegend und bie Arie: „Schooßkinder ihr der Damen,” trillernd.

„Der elende Kerl der!" ruft Lucilie, ihm nachfehend.

Dann kommt fie auf mich zu, nimmt mich in bie Arme und küßt mich zum erftenmale. DO, wie mir das thut! Ich fehe fie an und, mein Gott! die Thränen figen ihr ganz loſe.

„Was haben Sie denn?" frage ich fie.

„Wie gut Da biſt, Andreas. Wie konnt' ich doch fo was von Dir denken? Nein, ich glaubte es nicht, aber ich wußte, bakiıtex

ſtece was, und das wollt’ ich heraus haben. Seht weiß ich's und wie freue ich mich. Geſchwind zur gnädigen Frau hinunter!“

Und wie der Bliß ift fie fort. Gleich darauf läßt Madame mi rufen und fcheint ganz bewegt, als fie mich erblidt. Herr Dermilly, der darüber gefommen ift, thut eben ſo gerührt, und Fräulein Adolphine nennt mich ihren guten Andreas. Was wollen fe denn von mir? Was habe ich fo Erftaunliches gethan? Dann muß ich erzählen, was zwifchen mir und Roflignol vorgefallen if. Die gute Caroline nöthigt mich, die gleiche Summe von ihr an- muchmen, die unter falfchem Borwande mir abgelodt worden ifl. Dabei fehlt es natürlich nicht an Ermahnungen, künftig vorfichtiger in fein.

Nach diefem Vorfall find die Frau Gräfin und Mamfell Lu- cilie noch wohlwollender und freundlicher gegen mich, während der Herr Graf mich finfter anſieht, fo oft er mir begegnet; denn er behauptet, ich fei Schuld an der Mißhandlung, die Eäfar von Roſſignol erfahren hat.

Sechs zehntes Rapitel. Erſte Regungen bed Herzenbd.

Dem Edelmuth meiner Wohlthaͤterin habe ich mein doppeltes Süd zu danken. Ich kann nicht nur der guten Mutter eine gleich gtoße Summe ſchicken, wie die, welche ich an Rofjignol gegeben habe, fondern außerdem noch der Schwefter ein Geſchenk machen. Aber diesmal will ih Lucilie zu Rathe ziehen und fie Bitten, für wich den Cinkauf zu bejorgen.

Ueber dieſen Beweis meined Zutrauend zu ihr freut fich das junge Mädchen nicht wenig. Sie kauft mir eine niedliche Damen- abe, die lange nicht fo viel koſtet, als ich glaubte. Beim Anblid dieſes Geſchenkes fpringe ich hoch auf vor Freude. O, wie Nanette

210

fi freuen wird! So oft ich won meiner Schwefter rebe, ficht mid Lucilie aufmerffam an.

„Du haft fie gern, die Kleine Nanette ?“ fragt. fie.

„Und wie! Wir find wie Bruder und Schwefter.“

„Wie alt ift fie ?*

„Eben fo alt als ih: bald dreizehn Jahre.”

„Iſt fie hübſch ?“ |

„Alle finden ed, Mamfell Lucilie.”

„Und Du au, Andreas ?“ , "

„Ich weiß nur, daß fie gut ift und mich lieb bat. Sch weiß nicht, ob fie hübſch iſt. Aber Tann der Häßlich fein, der von Herzen ſo gut iſt?

„Meint Du, Andreas? Ich möchte fie gern einmal fehen. Barum kommt fie nie ins Hotel?"

„Ste wagt ed nicht; auch Bater Bernhard nicht. Sie haben fieber, daß ich zu ihnen komme.“

„Und was thut fle zu Haufe, Deine Nanette ?*

„Sie näht und forgt für Haus und Küche. Das mad fie fon ganz gut.”

„Was Du fagft! Den Heinen Ausbund möcht’ ich fehen!“

Das fagt fie in einem Tone, daß man glauben follte, fie ärgere fih über das Lob, das ich meiner Schwefter gebe, und doch weiß ich, fie würde fie ebenfo gern haben, wenn fie fie Fennte, wie ich fie Tenne In einem Nu bin ich bei Bater Bernhard. Nanette ift allein ; um fo beſſer! ich bin fo Iinkifch beim Schenken Weiß Gott, was Nanette feit einiger Zeit hat. Je größer fie wire um fo mehr nimmt ihre Heiterkeit ab. Auch ift fie Tange nich mehr fo vertraulich mit mir; oft vergißt fie gar, mich zu buger und nennt mich Herr Andreas. Wenn ich fle darüber zanfe umı ihr die Veränderung in ihrem Weſen und Benehmen vorbalte, ſ wird fle roth, ſieht mich zärtlich an und bethenert, fie wiffe ſar, nicht, warum es fo ſei, aber fle liebe mich nach wie vor gleid fehr. und ih Bin feſt Aberzeugt, fle fagt die Wahrheit.

al

| Mein Gefahen! macht Manelie die größte Freude. Sie hängt | die Uhr um ben Hals und ruft: .

„Da fell fie immer bleiben.“

Bloͤtzlich wird fie traurig und ſeufzt: „Ad, Andreas, ich habe nichts, was ich Dir bieten kann.“

„Ranette, Hab’ ich nicht Deine Freundſchaft? Die ift mehr werth, als alle Uhren in der Welt.“

Bater Bernhard kommt; er ift vor Staunen außer ſich über das glänzende Geſchmeide. Dann nimmt er eine ernfle Miene an und fagt:

„Und Deine Mutter, Andreao? Sie Tann das Geld befier brauchen, ald Nanette die Uhr. Durch folche Geſchenke richteft Du Dich zu Grunde, Andreas.“

„Do nein, nein! Seht, das ift für meine Mutter. Die Frau Sräfln if fo gut! Sie kommt allen meinen Wünfchen zuvor.“

„Mag fein, Andreas; aber ich dulde nicht, daß Du je wieder Nanstte ſolche Geſchenke machſt. Sie ift Feine Prinzeſſin, was fol fe mit fo fchönen Sachen? Mit Dir ift es anders, der Du in ber vornehmen Welt lebſt. Wir find arme Leute, und ich will nicht, baf meine Tochter ſich wie eine große Dame trägt. j

Ranetie Hört ihm mit Thränen in den Augen zu und will mir die Uhr zurüdgeben. Nur mit größter Mühe beichwichtige ich ven ehrlichen Waſſerträger. Er iſt unendlich zartfühlenn, und doch beſucht ex weder die Börfe, noch die Hofwelt, noch die Geſchaͤfts⸗ männer. \

Nach vielem Angenehmen muß ich Nanetten Etwas mittheilen, was fie betrüben wird. Meine Wohlthäterin will nämlich demnächkt aufs Land gehen, wo fie feit mehreren Jahren nicht gewefen ift, und ich weiß .gewiß, daß fie mich milmimmt.

„O mein Gott,“ jeufat Nanette, „und wie lange wirft Du ausbletben ?“

Ich weiß es nicht, Nanette.

223

Ich mag ihr nicht fagen, daß wir vielleicht mehrere Monate abwejend find.

„Da haben wird,” hebt fie wieder an. „Ich fehe kommen, daß Du endlich ganz ansbleibft. So geht's, wenn mam bei vor: nehmen Damen’ wohnt. Ich wollte lieber, Du nähmeft bie Uhr zuräd, und Tämefl dafür wie fonf.“

„Tochter, das Tann nicht fein,“ fällt der gute Auvergnat ein. „Andreas weiß jet fo viele fchöne Sachen, daß er ſich Bei une unwiffenden Leuten langweilen würde.“

„O nein, nein, Bater Bernhard.”

„Und pop Sapperment, das nehme ich Dir nicht übel, Burſche. Wer fo viel lernt, ber lernt nicht, um Briefträger zu werben.“

„Und wenn ich auch fo lernte, wie Andreas, Bater I”

„Schweig’, Heine Naͤrrin. Stopfe Deine Steibie und koch mir eine gute Suppe: das iſt Alles, was Du brau

Bei der Rückkunft ins Hötel Höre ich von an. daß wir

fchon in acht Tagen auf das Landgut ber gnädigen Frau abreifen.

„Wie reizend es da ift !“ ruft Lucilie. „Schöne Gärten, Gehölze, Blumen, Bosteite. Wie Iuflig wollen wir fein! Da ftört uns Fein Graf, kein Eäfar, fein Champagne. Wir nehmen nur Sophie, bie

Bonne des Fräuleind, und eine Köchin mit. Schloßvogt und Gärtner

find immer im Schloffe. Da Lönnen wir lachen und fpazieren gehen. Gib Acht, wie ich Dich herumführen will in der Umgegenb.“ Mamfell Lucilie kann den Augenblid der Abreife nicht er warten. Auch ich würde mich freuen, wenn ich meine guien Yreunde mitnehmen bürfte. Hier in Paris fürchte ich immer, dem Herrn

Grafen zu begegnen. So oft er mid flieht, blickt er zornig weg

und brummt laut genug, daß ich's Höre:

„Der Bettelbube von Savoyarde, der von meinem @elde lebt, iſt ſchuld, daß Gäfar zum Krüppel wurde.“

Die Worte jagen mir das Blut ins Geſicht, denn ich muß dann immer bes guten Vaters felig gebenfen, wie er im Bette

213 liegt und hinſiecht an den Wunden, die er in feinem edlem Gifer für die Lebensreitung des Grafen erhalten hat. Nur die Rückſicht auf meine großmüthige Beſchützerin Hält mich ab, ihm zu ants worten, wie fidh’8 gebührt. Ich jchweige und gehe fort, ſeufzend:

„Kanu das der Gemahl der Graͤſin und der Bater Adolphinens fein 2“

Den Tag vor der Abrei e nehme ich von meiner Schweſter Abſchied.

„Wie werde ich Dich vermiſſen, Andreas,“ ſagt fie. „Wie lange wird mir die Zeit ſcheinen. Ich will recht oft die Uhr an⸗ ſeh'n und immer dabei an Dich denken.“

Gute Nanette! Wüßte fie, daß wir mehrere Monate lang um nit fehen werden! Sch umarme fie zärtlich, das thue ich jo gerne. Mir if dann fo ganz anders zu Muthe ald bei vem Kuß, den Ramfell Lucilie mix unlängft gab. Bei der guten Schwefter ſeufze und zittere ich nicht, noch werbe ich soth und unruhig. Warum ger tieth ich. denn in ſolche Bewegung bei dem Kuß des jungen Rammers madchens? Und doch Habe ich Nauette viel lieber als Lucilie. Und Adol⸗ phine! D, die Liebe ich wieder ganz anders, ald Nanette und Lucilie. Oft glaube ich gar, ich liebe fie nicht, weil ich in ihrer Nähe fo berlegen werde. Ich bin immer unruhig, fo oft ich zu ihr hinunter: gebe. Kaum wage ich an ihrer Seite ven Mund aufzuthun. Wie ſonderbar das Alles iſt! Werbe ich denn immer kindiſcher, je Alter and größer ich were ? Nur bei Nanette bleib’ ich mir immer glei.

Der Tag der Abreife ift da. Sch bin in dem nämlichen Wagen nit der Frau Gräfin, ihrer Tochter und Lucilie ; die beiden Bonnen ten im Packwagen. Wie angenehm wird die Fahrt werben! Ich Ihe Adolphine gegenüber, und doch wünfchte ich mir fuſt einen inden Platz. Ich fehe immer nieder, und wage faum, das liobens⸗ dirdige Kind anzufehen, noch Hand und Fuß auszuſtrecken, aus Furcht, die ihrigen zu berühren. Am meiften in Berlegenheit bringt Ki der Gedanke, daß bie Andern merken könnten, was in wir orgeht, während ich es felher nicht recht weiß.

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„Barum fo ſchweigſam, Audreas 77 fragt die Gruſin., Freueſ Da Dich nicht mit uns, aufs Land zu kommen ?

„O gewiß, gnäbige Frau!“

„Und doch biſt Du fo betrübt?“

„Ich weiß ven Grund, Madame,“ ſagt Lucilie. „Herr Andreas denkt an feine kleine Nanette! Er hat dad Heimweh nach ihr.”

Damfell Lucilie irrte ſich, ich Dachte nicht an Nauette. Laͤchelnd antwortet die Gräfin:

„Mm fo angenehmer das Wieberfehen, Andreas.‘

Ja, gewiß freue ich mich, fle wiederzuſehen, und doch fiat: Madame und Lucilie im Irrthum. Etwas ganz Anderes, ald das Heimweh nach Nanette, Halt mid ab, Adolphine anzufehen.

Die Toter meiner Mohlthäterin nähert ſich ihrem zehnten Lebondjahre. Ihr Wuchs wird ſchlanker und voller, ihre Züge mar: Eistee. Die Mugen find immer gleich ſchön, aber der Ton ihrer Stimme ſcheint mir noch fanfter zu werben, und ihre Manieren noch anmuthiger ; Geil, Urtheil und Gemüth entfalten ſich immen mehr. Sie fpielt nicht mehr mit der Buppe: Mufll und Zeichnen find jetzt ihre liebſten Beichäftigungen ; dabei ift fie gleich gut uni wohlthatig gegen die Armen und Unglücklichen, wie bisher. Si weiß nichts von der Gefallfucht und dem Dünkel auf korperlich und geiftige Vorzüge, die fo oft den Uebergang bed Kindes im jungfräwliche Alter begleiten.

Mur von Zeit zu Zeit, wenn ich mich unbemerkt glaube, ſeh ich Fräulein Adolphine verfiohlen an. Begegnen ſich unfere Blick fo ſchlage ich meine Augen ſchnell nieder, und doch leſe ich i ihren nur Sanftmuth und Freundſchaft für mich.

Das Gut der Frau Gräfin liegt in der Nähe von Yontainı bteau. Gegen ſechs Uhr Abends rollt unfer Wagen in den weite: mit einer Sittermawer umfchloffenen Hof eined praͤchtigen, bt am Wege gelegenen Haufes. Der Schloßvogt eilt Herbei und glei nad ihm ber Gaͤrtaer und ſeine Frau. Die Kunde von ber Ku

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3 fmft der gnädigen Frau verbreitet ſich mit reißender Schnelle. In Aller Augen fehe ich die Herzlichfte Freude glänzen. Kaum find wir ind Innere des Hauſes eingetreten, und fehon hat fi eine große Nenge Dorfbewohner, Greiſe, junge Mütter, Kinder, verfammelt, die Gutsherrin zu beglüdwünfchen. Wo fie weilt, da ift fie gelicht und angebetet, denn überall Hinterläßt fie Spuren ihrer Menſchen⸗ freundlichfeit. Wie herzlich ift ihr Empfang an diefem Orte! Ste braucht Feinen Intendanten, der mit Geld und guten Worten bie Bauern zu Böllerfgäffen ermuntert umd zu Frendengeſchrei, das za dem unfreunblichen Ausdruck der Gefichter fchlecht paßt. Sie fommt nicht wie eine Herrin, welche die Huldigungen ihrer Va⸗ fallen entgegennimmt und die offiziellen Lobhudeleien gaͤhnend an- hört: nein, fie kommt als eine gute Fee, der dad Wohlthun ihre einzige Luft if. Die Heiterkeit. die ihre Ankunft veranlaßt, iſt ungefünftelt, natürlich, rein. Sie wird empfangen wie eine Mutter von ihren Kindern.

Die Freude ver Dorfbewohner ift um fo größer, als die Gräfin, durch verfchiedene Beweggründe in Paris. zurüdgehalten, voriges Jahr ihr Gut nicht beſuchen konnte. Sie weiß Jedem etwas An- genehmes, Freunbliches zu fagen, und ftellt dann ben Zenten ihre Tochter vor.

„Du ftehft, liebe Adolphine, “ſagte fle leiſe zu ihr, „wie gerne mich die Leute haben, und doch that ich nichts wetter, ale daß ich für ihre Intereffen forgte, indem ich die Arbeit belohnte, die Armen unterſtützte, Hauptfächlich aber Teinerlei Unbill duldete. E iſt fo Leicht, fich beliebt zu machen : man braucht bloß das Gute anfrichtig zu wollen und felbft ju thun. Die Wohlthaten, die durch viele Zwiſchenhaͤnde gehen, verlieren allen Nutzen, und bewirken oft, daß man die eigentliche Duelle derfelben vergißt.”

„Bird der Herr Graf auch fo aufgenommen frage ich kacilie Teife.

„Barum nit gar! Dan fchießt, man lärmt, man fchreit,

[od > -

man wuͤnſcht ihm Gluͤck; aber das Alles gefchieht auf Antrieb Ghampagne’3. Herr von Franconard heut Caͤſar auf Alle, bie nicht laut jubeln und ſchreien.“

Während die gnäbige Frau und Fräulein Adolphine ausruhen, ſchlaͤgt mir Lucilie einen Rundgang durch's Schloß vor. Das Tommi wir ganz erwünfcht und ich folge meiner liebenswuͤrdigen Führerin. Dann gehen wir in den Garten hinunter, ber ſich weit, weit hinter dem Schloffe ausdehnt. Wie fo hübſch ordentlich Alles iR! Bewundernd fehe ich mir bie reizenden Boskette, ‚die dichtbelaubten Alleen und kuͤnſtlich ausgeſchnittenen Baumgruppen an. Nichts fehlt: an biefem Orte ber Luft: hier ein Waflerfall, ein Teich, eine Grotte; dort eine Felspartie, ein dichtes Gehoͤlz; dort wieder blumige Rafen, Blumenhecken und Beete, niedliche Pavillons u. ſ. w. Wie koͤſtlich muß ſich's hier wohnen! Ich ſpringe und hüpfe von Allee zu Allee, von Weg zu Weg.

„Hab' ich's nicht geſagt, Andreas, wie ſchoͤn es hier iſt? ſagt Lucilie. „DO, ich wollte, wir blieben recht, recht lange bier; aber halt, wo bringen wir. Dich unter? Komm’, ich will Dir eine hũbſche Kammer ausfuchen.”.

Wir kehren in's Schloß zurüd, und gehen von einem Zimmer in’8 andere. u

„Hier ſchlaͤft die guädige Frau,“ fagt Lucilie, „und dort bas Fräulein. Der Herr Graf wohnt ganz am andern Ende.“

„Und hier ?"

„Here Dermilly, wenn er und befucht. Und dort if mein Zimmer ; gerade darüber find zwei Stuben... meiner Seel’, bie wären für Dich recht. Und wenn Du nicht artig bift, Elopfe ic mit dem Stode an bie Dede. Was meinft Du, Andreas, fol ib bier für Dich forgen, wie in Paris?“

„sa, ja, Mamfell, Sie find fo gut gegen mich!“

„So bin ich nicht gegen Alle, Andreas, aber Du biſt auch fo nett, ſo artig, fo gehorfam.“

217

Damit kommt fle auf mich zu und gibt mir einen Patſch auf bie Wange, Schon habe ich mich auf einen Kuß gefpiät, aber nem!... Schabe b’rum.

Die Fran Gräfin ift mit Luciliens Wahl zufrieden. Dann ordnet fie meinen Lehr: und Lernplan, ſowie den ihrer Tochter. Rad) geifaner Arbeit dürfen wir. fo viel herumfpazieren, Laufen und fpielen, als wir wollen. Hier auf dem Lande fühle ich mid m Adolphinens Nähe ungleich weniger genirt und verlegen. Aus⸗ genommen die Arbeitöftunden find wir immer bei einander. Bald - laufen wir in bie Alleen und anf ben Rafenplägen herum, bald fahre ich fie im Nacken auf dem Teiche. Oft begleitet uns Lucilie, meißens aber ift fie bei der Frau Gräfln. Sobald Abolphine mich feht, winkt fie mir in ben Garten. |

„Du bift nicht geſcheit, Abolphine, Du langweilſt Andreas, fagt die Gräfin mitunter. .

„Richt Hoch, Liebe Mutter,“ antwortet bie Zochter „laß uns aut herumlaufen, Ich verfichere Dir, Andreas Iangweilt fi nicht bei mir.“

Wie im Fuge enteilt die Zeit an 1 diefem ſchoͤnen Orte. Summer feſer wurde das Band zärtlicher Vertraulichkeit, das und umſchlingt; ier ſchreckt mich weber bie Gegenwart Iangweiliger Perfonen, noch kt Zwang ‚der Etikette von Adolphinens Seite weg. Gute Nanette, ih habe nich ſtets gleich gerne, und doch wünfche ich nicht dem Augenblick unferer Rüdfcht nad) Paris herbei.

Bir wohnen jebt fünf Monate hier, fünf Monate! Mein Gott, wie fchnell fie vergangen find !

Herr Dermilly hat und dreimal bejucht, jedesmal auf vierzehn age. Der Herr Graf meldete zwar brieflich feine Ankunft, if aber durch. einen flarfen Gichtaufall in Paris zurücigehalten worden. So kommen wir diesmal mit der bloßen Furcht davon. Der Herbſt iR vor der Thüre: die Blätter wellen, die Bäume entlanben fi. Bergen Ende bed .fechöten Monates unſeres Länblichen Aufenthaltes.

begeben wir und auf’ bie Heimreife. Mit tiefbeiräbtem Kerzen feßeibe ich von biefem lieben, Lieben Orte. oo.

„Naͤchſtes Vahr kommen wir wieder,“ troͤſtet mich Adolphine, „wab find baun eben fo vergrügt.“

Lucilie fagt pad Nämliche, und um die Schmerzen des Abſchiedes zu überwinden, beule ich an die Freude des Wiederſehens mit Nanetten.

Mein erſter Ansgeng in Barid iſt zu Vater Bernhard. Nanette öffnet die Thüre... mein Gott, wie groß iſt fie geworben! Sie abi nicht mehr and wie ein Kind, aber vie Heiterkeit, die fie noch einmal fo Hübsch machte, iſt babin. Ihre Augen finb zoth von Beinen, ihre Züge matt. Sie umarmt mich nicht wie gewöhnlich, ſondern ruft bloß: |

„Sie da, Herr Andreas ?“ |

„Herr Andreas? Was fol das? Bin ich nicht mehr Dein Bruder, Dein befter Freund 2” Ich fliege in ihre Arme, drüde fie an's Herz, küße fle. Ihre Thraͤnen brechen ſich Bahn.

„Du liebſt mich alfo noch wie ſonſt!“ ruft fie. „Sehe Me: nate, ſechs lange Monate ohne Dig! Ich glaubte fchon, Da kaͤmeſt nie wieder. Ach, ich habe viel, viel geweint, umb Du, bift Du recht vergnügt geweſen ?“ -

Ich wage nicht ja zu fagen.

„Aber warum haft Du geweint, Nanetie ? Bar e6 beum meine Schuld, daß ich auf das Land mußte?“

„Barum ich weinte? Du frägf wie mein Vater! Weil id Bangeweile Hatte. Aber wenn Du nächſtes Jahr wieber auf's Land gehſt, Kann ich wenigſtens Nachricht haben von Dir.“

„Hat der Hauswart Die keine Rachricht von mir gegeben, wie ex verſprach ?

„Mit durch ben Hauswart will ich fie Haben, Andreas, anf andere Weiſe.“

Sie will nicht mehr fagen. Inzwiſchen kommt Bater Bernhard zeruck; ex ſiudet, ich fei viel größer. und Rärler gemerten.

„Die Landluft bekommt Die gut, Freundchen,“ fagt er.

„Das fehli no, Papa, daß Ihr fein Ausſehen ruhmt, bamn bleibt er in Zukunft ganz auf dem Lande!“

Bernhard hat während meiner Abweſenheit Nachricht von meiner Nuiter erhalten. Sie weiß noch immer nichts von Peter, freut ſich aber, daß es mir gut geht, und wünfcht nichts fehnkicher, als mich noch einmal zu fehen und zu umarmen. Ich theile ihren Wunſch und hoffe Dad Beſte davon, doch muß ich erſt meine Studien been⸗ digen und mich der Wohltbaten meiner Befchügerin würdig beiveifen, Ich verfpreche, meine guten Freunde täglich zu befuchen, als Erfag für die mehrmonatliche Trennung von ihnen.

Dacht' ich mir's doch, daß ich in Paris nicht fo gluͤcklich fein werde wie auf dem Lande! Hier im Haufe fehe ih Präulein Adolphine nur felten, und nie bin ich allein mit ihr; es find ent⸗ weber Lehrer oder irgend eine Rammerjungfer bei ihr. Wie ganz anders wirkt die Stubenluft auf Geiſt und Gemüth, als bie frifche Natur. Der Anblid der freien Gotteswelt macht das Herz weit unb gibt den Gebanfen Nahrung. Bei unfern Spielen im Garten, wie oft babe ich fie in den Arm genommen; hier wage ich kaum, ihre Hand zu berühren. Sobald Befuch kommt, muß ich fort, denn ih fürdite den Herrn Srafen, der mich immer noch fo grimmig anfieht. Faſt die ganze Zeit bin ich auf meinem Zimmer, aber um jo fleißiger Tann ich arbeiten, und je mehr ich das thue, um fo mehr vegt fi mein Ehrgeiz. Ich glaube, ich möchte durch Hebung, und Ausbilbung meiner Talente meine geringe Geburt in Bergefien« heit bringen. Doch nein, ih will nie meine arme Herkunft ver⸗ geſſen, will ihrer ſtets gebenfen, .umb wenn ich noch fo reich uub vornehm werde. Wer fein Glück fich ſelbſt verdankt, iſt der wicht eben fo achtungswerih, ald wer im Schooße bes Reichthums ges boren wirb ?

Der Frühling ift wieder ba. Ich fehne mich nach bem Mugen, blide, wo wir auf's Land gehen, wo ich oft mit Adolphine allein

+

fein und fie fehen Tann, fo oft ich will. Dennoch ſteigt mit jedem Tage meine Berlegenheit gegenüber dem Fräulein. Sch bin jeht vierzehn Jahre, fie ift bald elf, wir find alfo noch Kinber. Warum bin ich denn weniger heiter als ehemals? Nimmt das Süd mit ven Fahren ab? Ich fühle eine Sehnfucht in mir und weiß nicht, wonach? In meinen Träumen fehe ich immer Adolphinens Bild. uch dad junge Kannnermäbchen erfcheint “mir oft, wie fie leibt und lebt, mit ihrem reizenden Gefichtchen, ihren anmuthigen, leb⸗ Imften Beinegungen, ihren lockenden Formen, ihren niedlichen Füßchen. Was heißt das? Vielleicht bin ich Trank, aber ich wage nicht, gegen irgend wen von ben Empfindungen meines Herzens zu reden, benn ich fürdhte, man lacht mich aus.

Endlich naht der Tag der Abreife. Beim Abſchiede fagt Ranette:

„Du folk bald Nachricht haben von mir.”

„Durch wen?”

Aber fie bleibt mir die Antwort fchuldig.

Der Wagen rollt hinaus zu den Thoren der Hauptſtadt. Allee unterwegs lacht mich an, denn ich freue mich auf das Ziel unferer Reiſe. Auch diesmal fihe ich Fräulein Apolphine gegenüber. Trot ber beften Borfäpe, nicht fo fchächtern und verlegen zu fein, bleibt es beim Alten, ja wird es noch ſchlimmer als je zuvor, fobal ich mich. unter ben drei Damen fehe. Sch weiß nicht, wohin ich bliden, wo ich Hände und Füße Iafien fol. Werbe ich gefragt, fo erroͤthe ich bis unter die Ohren und Tann kaum antworten. ©, gewiß bin ich innerlich glüdfelig, aber Niemand vermuthet das an meiner traurigen Miene. Sch, früher fo Heiter, fo ungezwungen unb natürlich, fo nett, warum. bin ich jest fo ganz anders ge: worden? Nur bei Nanetten bin ich der Alte, aber, o weh! mir ſcheint, als ob Nanette mir gegenüber ganz fo wirb, wie ich in ber Nähe von Fräulein Adolphine werde. Sie ſeufzt von Zeit zu Zeit und erröthet,. wenn ich fie anfehe. Nanette iſt genam von meinem Alter. Vielleicht if} das hie Bolge unferer vierzehn Jahre.

2a

@ublih haben wir den herrliähen, wonnigen Aufenthalt er: reicht. Ich fühle, wie die Ungezwungenheit, bie Hier auf dem Sande herrſcht, mir meinen alten Frohſinn theilweiſe wiedergibt. Ad, wie gerne lebte ich fo fort und fort. Nichts fehlt mir hier als die gute Mutter, Peter und die guten Parifer Freunde.

Danf dem Unterrichte des Herrn Dermilly zeichne ich ſchon recht hübſch. Auch Adolphine Hat es in biefer Kunft fehon weit gebracht, die und für dieſen Sommer neuen Genuß verfpricht. Unter ſchattigen Bäumen auf einer Raſenbank figen wir Beide und nehmen vie Schöne Landſchaft auf, die fih vor und auöbreitet. Die Frau Graͤfin iſt Richterin zwifchen uns. Ich gebe mir alle Mühe, denn ih möchte gar zu gerne dad Lob meiner Wohlthäterin verdienen, und dann ſitzt ſich's ſo gut an Fräulein Adolphinend Seite! Wäh- rend fie zeichnet, kann ich fie ganz nach Belieben anfehen und ihre iindlich reinen Züge bewundern, in denen ſich ſchon bie erfien Seelenregungen der Jungfrau abfpiegeln. Wenn fle das bemerkt, ruft fie lachend:

„Andreas, Du zeichneſt nicht; was gilt's, ich werde eher fertig ale Du!“

Sobald ich aber niederfehe auf die Zeichnung, dann reckt fie leife das Köpfchen über meine Schulter und flieht mir auf das Blatt, am ihre Arbeit mit der meinigen zu vergleichen und darnach aus⸗ zubeſſern. Dann halte ich ganz flille und thue, als merkte ich ihre Schallheit nicht. Wie wonnig ift mir zu Muthe, wenn ihr Köpfchen o neben dem meinigen rußt!

Lucilie erweckt Smpfindungen ganz anderer Art in mir. Wenn pir Zwei allein auögehen ober Krieger fpielen, dann drück' ich ihre Sand in der meinigen, berühre ihre lockenden Formen und fehe üßern ihr in's ſchelmiſche Auge. Bei ihr weiß ich nichts von Ecyüchternheit ; dafür find bie Gefühle, die fie mir einflößt, un- leid weniger fanft. An Lucilie vente ich nur, wenn ich fie fehe, rähtend Adolphinens Bild mir nie aus dem Sinne Tommi. -

Saul de Kod. n. 15

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„Cine neue, mit Verlaub. Ich will fie an Ihnen probiren, zum -Beweije.“

„Heute wollen Sie dafjelbe Experiment wiederholen.“

„Mamfell, reven Sie leifer, ober...“

„Ich rede fo laut oder leife, wie ich will. Und wenn Gie noch länger impertinent find, laß ich Sie hinausfagen ober ver: biete Ihnen, je wieder das Hötel zu beireten. Verſtanden? Derlei Umverfhämtheiten fiehen Ihnen fchleht nad ben Dummheiten drunten im Gabinet des Herrn Grafen.”

„Das ift der Mühe werth, weil ich dem räubigen Hunde, der mich verſaute, die Pfote zertrümmert! Hat er nicht an drei ge⸗ nug, feinem einäugigen Herrn nachzuhinken ?“

„Haben Sie die Wahrheit geſagt, fo geben Sie mir die Adreſſe der vier armen Familien. Die Frau Gräffn wird fie nah Kräften unterſtützen.“

„Geh'n Sie mir mit Graf und Gräfin.“

„Da haben wirds, Sie Tönnen mir nicht antworten. Pfni über died niedrige Benehmen! Fort von hier, und baf ih Sie nicht wieder treffe hier im Hanfe.“

„Hoho, Schürzenmamfellden! Das zwitſchert wie die Herr; ſchaft. Ich gehe, weil es mir Vergnügen madjt. Andreas, ich bin Dir nicht böfe ; wir ſeh'n uns bald wieder. Adieu, Domeſtikenſeele!“

Roffignol fchneidet Lucilie ein Geficht „und trollt dann von hinnen, fih fluberhaft Hin und her wiegend unb bie Arie: „Schooßkinder ihr der Damen,” trillernd.

„Der elende Kerl der!” ruft Lucilie, ihm nachfehend.

. Dann Tommt fie auf mich zu, nimmt mich in die Arme und fügt mich zum erfienmale. DO, wie mir bas thut! Sch fehe fie an und, mein Gott! die Thränen ſitzen ihr ganz loſe.

„Was haben Sie denn?“ frage ich fie.

„Wie gut Du bifl, Andreas. Wie konnt' ich doch fo wa6 von Die denfen? Nein, ich glaubte es nicht, aber ich wonfte, bahinter

„Bieleicht von Deiner Mutter,“ antwortet die GrAfln.

„Meine Nutter fan nicht fchreiden, Mabame, auch Betn- hard nit.“

„So ift er von anderer Hand,” fagt Mamfell Lueilie, vie zus fällig in dem nämlichen Zimmer ſich befindet und, wie ich ihr ans ſehe, vor Neugierde brennt, ven Namen des Briefftellers zu erfahren.

Madame erlaubt mir, ihn zu lefen. Die Schrift ift zwar ſchlecht, doch Teferlih. Was feh’ ich! Bon Aametten.. . . fie Kat alfo fhteiben gelernt, um mit mir correfponpiren zu koͤnnen.

Ich ſchreie laut auf vor Staunen und Freude und fage zu Madame:

„Bon Ranette, von Nanette! ein Brief von meiner Schweſter!“

In meiner Freude überfehe ich ganz das Häßliche Mäulchen, das Lucilie macht, und Höre nicht, wie fle vor fidh hinmurmelt:

„Dacht' ich mir's doch

Madame erlaubt mir, Nanettens Brief aut vorzulefen. Denn er kann kein Geheimniß enthalten.

Er Iantet alfo:

„Lieber Andreas, ich habe heimlich ſchreiben gelernt, um Dir Nachricht von mir geben und einen Brief von Dir empfangen zu finnen. Ach, wie lange kommt mir der Sommer vor, feit Du nit bei uns biſt! Wann hört das endlich auf? Wann fehe ih Dich wieder täglich, wie ehemals? Antworte mir, Andreas. Der Bater verzeiht gewiß, daß ich ohne fein Wiffen fehreiben gelernt babe, wenn ich ihm einen Brief von Dir vorleſe.“

„Das gute Kind!” fagt die Frau Gräfin. „Di wär recht undanfbar, Andreas, wenn Du fie nicht wieber liebteſt, die Dich ſo liebt.“

„Ich bin nicht undankbar, Mabqme: ich will, daß Nanette fiets an meinem Glücke Theil nimmt.“

„Das ſieht man!“ fagt Mamfell Lucilie halblaut und dreht

zotnig an-einsin Halstuch, dab fie in bes Hand Kal.

„Ktunrte Deiner Schweſter, Andreas, fage ihr, daß ihr en wieterfehen werdet, und wenn Du fie nad) einigen Jahren noch jo lieb Haft, wie jept, dann ... aber was hat Euch dad Theebreit geihan, Lucilie? Ihe werft alle Taffen auf die Erbe!“

„Es ift nicht meine Schuld, Madame,“ antwortet Lucilie und beißt ſich in die Lippen, „bie Theefanne fiel mir aus der Hand beim Reinigen ,. . ich wollte den Fingerhut aufnehmen.“

Sucilie weiß nicht mehr, was fe fagt. Indeß eile ih auf mein Zimmer, Nanettens Brief zu beantworten unb ihr zu ver: ſprechen, baß ich oft fhreiben werde. Madame will die Güte Haben, den Brief abzufenden. Als ich ihn hinunter Bringen will, begegue ich dem Kammermaͤdchen. Bein Gott, wie böfe ſieht fle ans! Schweigend geht fie an mir vorüber.

„Was haben Sie denn, Mamfell Lucilie ?” frage ich fie.

„Was geht das Sie an, mein Herr? So, fo... Sie haben Ihrer Nanette ſchon geantwortet, daß lob' ich. Gewiß einen Schwur ewiger Liebe ?“

„Sie verlangt feinen Schwur;; fie weiß, daß ich ihr tren bleibe.“

„Seht mir den Heinen Prahlhans an. Die Tochter eines Mafferträgerd ... . göttlich, göttlich !"

„Aber, was bin ich denn, Mamfell ?“ |

„Sie, mein Herr? Das ifl was Anderes: Sie Lönnen ſich emporarbeiten mit Hülfe ber Erziehung, die Sie genießen. Gin Mann von Geiſt, Talent, ver Tommt weit.”

„Sie thun nicht recht, Mamfell Lucilie, die arme Nanette zu verachten ; das Hätte ich nicht won Ihnen gedacht!“ „Ich verachte fie nicht, aber ich kann fie nicht ausſtehen.“ „Was Hat fie Ihnen denn gethan ?“ ;Richts, nichts, aber ich will nicht, daß Sie mir wieber von ihr reben. Sie denken nur an Ihre Nanette und das langweilt mich.“ Und bemit geht fie zornig fort. Sie glaubt alfo, ich beufe ‚mu an Nanetten ? O. ich wollte, +8. wäre fo, denn meine Liebe

in Raneiten nimmt mir nicht meine Heiterkeit ober flimmt mich jo wehmäthig. 3a, ich liebe fie zärtlich, ich könnte mein Leben laſſen für fie, aber meine Liebe zu ihr ift wie die Liebe zwiſchen Geſchwiſter, oder der Gefchwifter zu den Eltern.

Schon naht das Ende der fchönen Jahreszeit und noch immer ſchmollen wir, Lucilie und ih. Da hören wir eines Morgend einen lauten Lärm im Vorhofe. Ein Wagen fährt in geſtrecktem Galopp herein: der Herr Graf iſt's, begleitet von Champagne, feinem Oberloche und zwei Lakaien. |

AG, wir waren fo ruhig und zufrieden. Was will er denn bir? Warum flört er und?

Das dachf’ ich mir,“ fagte Lucilie laͤchelnd. „Madame erhielt

vor wenig Tagen einen Brief vom Herrn Grafen, worin er fchreibt, er müffe noch in dieſem Jahre einen Leibeserben Haben, deßhalb fommt er mit Ertrapoft. Aber wenigftens ſchon zwoͤlfmal kommt er in derfelben enlen Abficht und muß unverrichteter Sache wieder abziehen.“

Vor dem Gebell Caͤſars, der quickenden Stimme ſeines Herrn, dem lauten Lärm der Dienerſchaft iſt die Freude aus unſerer Woh- nung entwichen. Madame hat fi mit ihrer Tochter eingefchloffen, ich verftecde mich auf mein Zimmer, nur Lucilie geht dem Herrn Grafen entgegen, der fihon ganz wild thut, daß die Bauern ihn nicht mit Lebehochrufen und Blumenfträußen empfangen.

„Sie wußten nicht von Ihrer Ankunft, Herr Graf,” wortet Tächelnd das junge Kammermäbdhen.

„Macht nichts, Mamfell, fle hätten fie errathen follen ; fle müffen jeden Augenblid auf meine Ankunft gefaßt fein! Iſt das billig, daß ein großer Grundbefiger ganz jo aus dem Wagen fteigt, wie ein fimpler Privatmann ? Iſt e8 nicht ihre verdammte Schuls digkeit, mich, der ihnen Brod und Arbeit gibt, mit Tauten Bioats zu empfangen ?

„Sie hätten es auf Befehl gethan, Herr Graf.‘

„Gewiſſe Dinge folte man nie vergeffen, Mamfell. .. ber, "Safer, her... aber bie Frau Gräfin verficht das Regiment nicht, Die Lente haben keinen Reſpekt vor ihr.”

„Um fo mehr Liebe, Herr Graf!“

„Liebe, Liebe? Bah, das macht keinen Lärm... fill, Ekfar...

Ich will, vaß man mich heute Abend länzend bewilſtommt, ver:

ſtanden, Champagne?“

„Ja, Herr Graf.“

„Ich will, daß alles Bauernpack ſingt, tanzt, mich bewill⸗ kommt, kurz, feine Freude über meine Ankunft laut bezeugt.“

„Das follen fie, Herr Graf, ich nehme ed anf mih; Sie

werben mit dem Gmpfange zufrieden fein.‘

„Se lauter, deſto beſſer. Und Du bezahlf ihnen die @eigen,

Sörft Du „Ich höre, Herr Graf.“

Herr von Franconard begibt fi in feine Gemaͤcher und läßt |

ſich durch Eucilien bei Madame melden.

„Bas führt Sie denn fo ploͤtzlich her?’ fragt Lucilie Herrn

Champagne.

„Ich glaube, unſer Souper von geſtern Abend.“

„She Sonper ?“

„Sa, der Herr Graf traktirte geftern Abend drei gute Freunde, drei luſtige Zechbrüder. Es ging Hoch Her dabei: erſt Tafel zu Ehren eines neuerfundenen Berichts ; der Koch ſcheint damit Ehre eingelegt zu haben, bean Alle waren bie Ausgelaffenheit felbR. Der Here Graf wollte «8 feinen Gäſten zuvorthun. Vergebens erinnerte ich ihn an das Podagra und Chiragra, vergebend an bie Vorſchriften des Arztes. Als er vom Tiſch aufſtund, ſchwur er, er wolle einen Erben haben, und noch in diefem Jahre, Deßhalb Samen wir mit Extrapoſt Bier an,“

Dann geht Champagne ind Dorf, pofaunt überall bie An: funft des Grafen and und verkündet, daß ex ſchlechterdings feier:

lich empfangen werben wolle. Ans Ruckſicht auf ihre edle Wohl- thäterin, deren Gemahl Herr von Franconard ift, Iaflen die Leute die Arbeit liegen, ziehen ihre Sonntagskleider an und binden Blu⸗ menfiräuße. Champagne ſteckt den jungen Burfchen einige alte Flinten zu, laäßt fie mit Salz laden und empfiehlt ihnen nachdrück⸗ lichſt, aus vollem Halfe Bivat zu fchreien und fo laut als möglich zu fpeftafeln. Um dem Stolze mancher Herren zu genügen, ift oft weiter nichts noͤthig, ald daß man ihnen die Ohren vollfchreit. Bären fie nicht durch Bigenliche und @itelleit verblendet, Eöunten fie vorurtheilöftei in den’ Herzen derer leſen, die ihnen Weihrauch krenen und Gomplimente ſchneiden, Eöunten fie die wahren Trieb: federn der fie ſcheinbar vergötternden Menge ergründen : wahrlich, fie würben wenig Werth legen auf ſolche Hulbigungen !

Der Herr Intendant, eine Art Geremonienmeifter bei ven ofigiell-feierlichen Empfangofeſtlichkeiten des Herrn Grafen, vergißt nie, einige Pakete voll Betarden mitzubringen, die bann unter bie Bauernfchaft ausgeiheilt werben.

Auch diesmal Hat er fie nicht vergefien, und um den guäbigen Herrn, dem der Lärm nie laut genug if, ja recht zufrieden zu Rellen, Hat er außerdem eine Menge Sonnen, Schtwärmer und Raketen eingefauft, zur größeren Berherrlihung bes Keftes.

Alles ift in Bewegung im Haufe; ber Herr Oberkoch kehrt das Unterſte zu oberfl, um dem Grafen eine zweite Auflage des geftrigen , fo beif&llig aufgenommenen Berichtes zu veranftalten. Un- terdeß iſt Herr von Franconard gleich nach gemachter. Toilette in feinem Zimmer tief ingeſchlafen und erwacht erſt, als die Tafel ſerirt iſt.

Schnell begibt er fich ins Zimmer, wo bie Graͤfin und ihre Tochter auf ihn warten. Er bietet erfterer galant den Arm und führt fle in den Gßſaal.

Bei Tiſche flieht er ſich das gnädige Fräulein genau an, bad er feit lange nicht beachtet hat.

28

„Warum ſo ſchweigſam, Audreas ?“ fragt Die Bräffn. „Sreueft Da Dich nicht mit uns, aufs Land zu kommen ?

„D gewiß, gnäbige Frau!“

„Und doch biſt Du fo betrübt ?“

„Ich weiß den Grund, Mabame,“ ſagt Lucilie. „Here Andreas denkt an feine kleine Nanette! Er hat dad Heimweh nach ihr.“

Mamfell Lucilie irrte ſich, ich Dachte nicht an Nanette. Lächelnn antwortet die Gräfin:

„Mm fo angenehmer das Wieberfehen, Andreas.“

Ja, gewiß freue ich mich, fle wiederzufehen, und doch finb Mabame und Lucilie im Irrthum. Etwas ganz Anderes, ald das Heimweh nach Nanette, haͤlt mich ab, Adolphine anzufehen.

Die Tochter meiner Wohlthaͤterin nähert fich ihrem zehnten Lebensjahre. Ihr Wuchs wird ſchlanker und voller, ihre Züge mar: firter. Die Augen find immer gleich ſchön, aber der Ton ihrer Stimme fiheint mir noch fanfter zu werden, und ihre Manieren noch anmuthiger; Geiſt, Urtheil und Gemüth entfalten immer mehr. Sie fpielt nicht mehr mit der Buppe: Mufll und Zeichnen find jetzt ihre liebſten Beſchäftigungen; dabei ift fie gleich gut und mwohlihätig gegen bie Armen und Unglädlichen, wie bisher. Sie weiß nichts von der Gefallfucht und dem Dünkel auf Zörperliche und geiflige Vorzüge, die fo oft den Uebergang des Kindes ind jungfraͤuliche Witer begleiten.

Nur von Zeit zu Zeit, wenn ich mich unbemerkt glaube, fehe ich Fräulein Adolphine verfichlen an. Begegnen fick unfere Blide, fo ſchlage ich meine Augen ſchnell niever, und doch Iefe ich im ihren nur Sanftmuth und Freundſchaft für mich.

Das Gut der Fran Gräfin liegt in der Nähe von Yontatne Beau. Segen ſechs Uhr Abends rollt unfer Wagen in ben weiten, mit einer Gittermauer umfchlofienen Hof eines prächtigen, dicht am Wege gelegenen Hauſes. Der Schloßvogt eilt herbei und gleich nah ihm der Gaͤrtner und feine- Beau. Die Kunde vom ber Sin

Rüdfiht auf ihre eble Wohl: rancomarb if, laſſen bie Leute tagöffeier an und Binden Blu⸗ jungen Burſchen einige alte und empfiehlt ihnen nadhrüd- hreien und fo laut als möglich Ser Herzen zu genügen, ift oft 3 ihnen die Ohren vollfchreit. b Gitelteit verblenbet, Töunten er befen, die ihnen Weihrauch konnten fie die wahren Trieb⸗ Menge ergründen : wahrlich), ſolche Hulbigungen ! t Geremonienmeifter bei den ten des Herrn Grafen, vergißt jubringen, bie dann unter bie

ergeſſen, und um ben guäbigen ug iR, ja recht zufrieden zu ze Sonnen, Schwärmer und rrherrlichung des Seftes.

aſe; ber Here Oberloch kehrt afen eine zweite Aufiage des Gerichtes zu veranftalten. Uns ch nach gemachter. Toilette in d erwacht erft, als die Tafel

Ber, wo bie Gräfin und ihre fterer galant den Arm und

ibige Fraͤulein genau an, das

„Gewifſe Dinge follte man nie vergeffen, Mamſell .. ber, "Säfar, ber... aber bie Fran Gräfin verfieht das Regiment nich, Die Leute haben feinen Reſpekt vor ihr.‘

„Mm fo mehr Liebe, Herr Graf!“

„Liebe, Liebe? Bah, das macht Feinen Lärm... fill, Gäfar... Ich will, daß man mich heute Abend glänzend bewillkommt, ver: Amen, Champagne?“

„Sa, Herr Graf.‘ |

„Ich will, daß alles Bauernpad fingt, tanzt, mich bewill kommt, kurz, feine Freude über meine Ankunft laut bezeugt.“

„Das follen fie, Herr Graf, ich nehme «8 auf mid; Sie werben mit dem Empfange zufrieden fein.‘

„Se lauter, befto beſſer. Und Du bezahlſt ihnen die Geigen, hoͤrſt Du?” |

„Ih höre, Kerr Graf.“ |

Herr von Franconard begibt ſich in feine Gemaͤcher und läßt

ſich durch Lucilien bei Madame melden. |

„Bas führt Sie denn fo plöplich her?“ fragt Lucilie Herrn Champagne.

„Ich glaube, unſer Souper von geſtern Abend.‘

Ihr Souper ?“ |

„3a, der Herr Graf traktirte geftern Abend drei gute Freunde, drei Iuflige Zechbruder. Es ging Hoch Her dabei: erſt Tafel zu Ehren eines neuerfundenen Gerichts; der Koch ſcheint damit Ehre eingelegt zu haben, denn Alle waren bie Ausgelaffenheit felbR. Der Here Graf wollte es feinen Gaͤſten zuvorthun. Bergebens erinnerte ich ihn an das Podagra und Ehiragra, vergebens an Die Borfchriften des Arztes. Als er vom Tifch aufſtund, fchwur er, ex wolle einen Exben haben, und noch in dieſem Jahre. Deßhalb Samen wir mit Extrapoft Bier an.”

Dann geht Champagne ind Dorf, pofaunt überall bie An- kunft des Grafen and, und verkünpet, daß er ſchlechterdiugs ſrier⸗

227

Bd empfangen werben wolle. Aus Ruckſicht auf ihre edle Wohl- thäterin, deren Gemahl Herr von Franconard iſt, lafſen die Leute vie Arheit liegen, ziehen ihre Sonntagskleider an und binden Blu- menfträuße. Champagne ſteckt den jungen Burfchen einige alte Flinten zu, laͤßt fie mit Salg laden und empfiehlt ihnen nachdrück⸗ lichſt, aus vollem Halfe Bivat zu ſchreien und fo laut als möglich zu fpeftafen. Um dem Stolze mancher Herren zu genügen, ift oft weiter nichts nöthig, als daß man ihnen die Ohren vollfchreit. Wären fie nicht durch Eigenliebe und Witelleit verblendet, Eöunten fie vorurtheilsfrei in den Herzen derer leſen, die ihnen Weihrauch freuen und Complimente ſchneiden, koͤnnten fie die wahren Trieb: febern der fie fcheinbar vergätternden Menge ergründen : wahrlich, fie würden wenig Werth legen auf ſolche Hulbigungen !

Der Herr Intendant, eine Art Geremonienmeifter bei den ofigiell-feterlichen Empfangöfeflichkeiten des Herrn Grafen, vergißt nie, einige Pakete voll Petarden mitzubringen, die dann unter die Banernfchaft auögetheilt werben.

Auch diesmal hat er fie nicht vergefien, und um den guäbfgen Herrn, dem der Lärm nie laut genug if, ja recht zufrieden zu ftellen, bat er außerdem eine Menge Sonnen, Schwärmer und Raleten eingefauft, zur größeren Verherrlichung bed Feſtes.

Alles ift in Bewegung im Haufe; ber Herr Oberkoch kehrt bad Unterfte zu oberfi, um dem Grafen eine zweite Auflage bes geſtrigen, fo beifällig aufgenommenen Berichtes zu veranftalten, Un⸗ terdeß iſt Here von Franconard gleich nach gemachter. Toilette in feinem Zimmer tief ingeſchlafen und erwacht erſt, als die Tafel ſervirt iſt.

Schnell begibt er ſich m Zimmer, wo bie Gräfin und ihre Tochter auf ihn warten. Er bietet erfterer galant den Arm und führt fle in den Sßſaal.

Bei Tiſche flieht er fich das gnäbige Bräulein genau an, das er feit Tange nicht beachtet Hat.

„Zenfel,” fagt er, „bie Kleine wächst erftaunlich heran, fie wird mir immer ähnlicher. Wie alt iſt fie, Madame ?“

„Sie tritt in ihr zwölfte® Jahr, mein Herr.“

„Das macht fih! In drei oder vier Jahren können wir fie an einen hoben Kern aud meiner Bekanntſchaft verheirathen, au einen Inftigen Bruder, wie ich bin; aber erfi wollen wir fie mit einem Brüderchen befchenfen.“

„Mein Herr, ich bitte Sie,“ flüftert die Graͤſin dem Grafen ins Ohr: „bedenken Sie, meine Tochter ift kein Kind mehr. Bers ſchonen Sie mich mit Ihren Scherzen.“

„Ich ſchweige nicht, Madame, ich rede in allem Eruſt. Ooch Sie haben recht: non est in locus. Eſſen wir erſt; nach dem Bauerufeſt heute Abend werden Sie mir ein guädiges Gehör ſchenken, hoffe ich.“

Auf dem Lande effe ich gewöhnlich mit Madame. Aber aus Furcht vor dem Grafen habe ich nicht gewagt, mich bei Tiſche einzufinben.

„Barum Tommi denn Andreas nicht?” fragt Abolphine ihre Mutter.

„Ber ift das, ber Andreas ?“ fragt der Graf. „Doch nicht ber Eleine Savoyarde ?“

„sa, mein Herr, der Sohn des Mannes, ber Iönen and meiner Adolphine das Leben rettete. Sie fcheinen den Umſtand immer zu vergeffen.“

„Wie oft fol ich daran denken, Madame, an deu einmaligen Umftand ? Uebrigens fcheint er hier gut genug aufgehoben... Apporte, Gäfar, apporte! Spring’... beſſer! Der arme Gäfar, wie er ſchlecht fpringt, feit der Schurke ihn verkrüppelt Hat!... Spt ver Savoyarde an Ihrem Tifche, Madame ?“ |

- „Auf dem Lande, ja. Warum follte er nicht? Sie willen, ih behanble ihn nicht wie einen Bedienten; bie Erziehung, bie ih ihm geben laſſe, fchlägt vostrefflich an: fein Benehmen und feine Sprache geflatten ihm ben Zutritt zur beſten Geſellſchaft.

„Mr if uns bleibt ein Savoyarbe, Madame, und ich finde es hoͤchſt laͤcherlich, daß Sie ihn an Ihrem Zifche efien laſſen, weil Anand, Gtileite, Decoreur... kuſch, Caͤſar, luſch, du lbommſt mit der Pfote auf meine Sersietie,

Die Fran Gräfin fchweigt, Adolphine ift traurig, weil ich sicht da Bin und fie in Gegenwart ihres Baters nicht wagt, fröhs lich zu fein wie gewöhnlich. Während fie eſſen, fehleiche ich mich ud meinem Berftel im Zimmer und gehe in den Garten hins unter, Ich denke über Dies und Jenes nach, ich werbe ja immer vernünftiger. Mit fünfzehuthalb Jahren kennt man ſchon bem Zauber füßer Träumereien. Der Gedanke an Adolphinen entlockt mir einen zärtlichen Seufzer. Wer zum erſtenmale liebt, ver zieht die Cinſamkeit den frohen Kuabenfpielen vor. Die keimende Liebe iſt das Grab der Kinderjahre und die Wiege füßer Hoffnungen. So geht es weiter, bis mit dem Alter die Liebe uns verläßt; bann wandet ſich die Hoffnung in das Heimweh nach der frohen Bergangenheit um,

Des nahe bevorfichenden Umzuges nad Paris gebenlend, wandle ich traurig und mißmuthig durch eine ber langen Alleen bes Parkes, ale ich plöglich eine wohlbefannte Stimme höre, welche zuft: „Hören Sie auf oder ich werbe böfe !“

Lucilie if’. Die Stimme fommt aus einem nahen Bookett, wovon ich bloß durch einen Flieverbufch getrennt Bin. Gleich plagt mich die Mengierde. Ich gehe näher, mache leife die Blätter aus⸗ einander und fehe Herrn Champagne auf einer Rafenbauf neben Lucilie, die Kränze bindet und von Zeit zu Zeit ben Herrn Inten⸗ danten zurüdftößt, weil er ihre Arbeit etwas allzunahe betrachtet.

Sch weiß nicht warum ? aber ich kann den Champagne nicht leiden. In Baris fipt er Mamfell Lucilie immer auf. den Berfen, Langweilt fie mit ewigen Gomplimenten, fpielt den Berliebten und Zlaubt ſich unmwiderfiehlih. Was mag er jet von ihr wollen in yiefem Bosketi? Ich Tann nicht umhin, fein Geſchwaͤt zu belauſchen.

„ie find ein veizendes Wofen, Manıfel.Eucilie, veizenb, auf Gäre !“

„Hören Ste nicht, Herr Champagne? Der Graf ruft.“

„Zaufhung, Mamfell. Er figt bei Tifche und denkt nicht au Champagne, aber an Ehampagner.... . die wiehlicden Arme ba, das ſchneeweiße Batfhhäntchen.“

„Sie vergeffen dad Bauernfeſt, Herr. Champagne.“

„Rein, mein Fräulein, 's ift noch lange Zeit bis dahin. Er jegk, beim Wiederfehen nach Iauger Trennung, fühle ich Die Größe meiner Liebe zu Ihnen, holde Kammeriſton.“

„Holde Kammerifion, ba, ba, ha! Mie komiſch, wenn ein Bebienter poetifch wird.“

„Bei Ihnen möchte ich nichts werben als glüdlich durch Ihre Liebe ; o, wenn Sie mich erhörten !“

„Richt fo nahe, Herr Champagne, Sie zerdrücken meinen Kranz.”

„Sie werben ſich recht Iangweilen hier ?“ ®

„Im Gegentheil, ich amüflre mich aufs Befte.“

„Unmöglih! Ohne Geſellſchaft, unter lauter Kindern muß

Ahnen der Tag recht lange werben.“

. „Rice im Geringfien, Herr Champagne. Die Stunden ver

gehen, ich weiß nisht wie.“ „Ober fänbe Ihr zärtlich Herzchen inögeheim Beichäftigung ?“ „Wie neugierig Sie find, Herr Champagne.“

„Bir gluͤcklich wäre ih, wenn es für mic; fjküge! Sie follen

and müſſen meine Liebe erwidern.“ „Sehe nicht Die Rothwendigkeit ein, Herr Champagne.” „Barum denn fo hartherzig, kleine Schelmin 7? „Der Graf wartet auf Sie.“ „Erſt einen Ku, dann gehe ich.” „Ich hoffe, Herr Ehampagne, Sie. „Geſchwind einen Kuß, ich will und * einen Kaß Horen Sie auf ober ich werde böſe.“

Schon will Herr Ghampagne Luecilie umarmen, abs ich Schnell durch den Flieder ind Boskett fpringe, und fo gewaltfem auf den Herrn Intendanten loöftürze, daß dieſer das Gleichgewicht verliert und in ven Sand wollt. -

Lucilie acht Taut auf, ich glähe var Zorn, und Herr Cham⸗ yagne hebt ſich allmählig vom Boden empor.

„Möchte doch wiffen, Herr Andreas,” fagte er, „wad Ihnen das Recht gibt, mich fo zu behandeln ?“

„Sie wollten fie Tüffen wider ihren Willen, ſo wußte ich ihr zu Hülfe kommen.“

„Zu Hülfe? Ein ſchoͤner Ritter Das ! Mag’ ich fie kuͤſſen oder nicht, das geht Sie nichts an.”

„So oft Mamſell Hülfe bedarf, gebe ich ihr Hülfe.“

„Sehr wader! Merten Sie fh, junger Mann: die Weiber berürfen Ihrer Hülfe nicht, fie koͤnnen fich ſelbſt Helfen und brauchen von Keinem Bülfe, am wenigften in folchen Fällen. Sie find noch ein Kind, merken Sie ſich's für die Zukunft.“

„Andreas Hat ganz reiht gehandelt,“ fagt Mamfell Bucitie, „und ich danke ihm dafür. Ich Hoffe, ex wird mehr auf Die Stimme feines Herzens Hören, als auf Ihre albernen Reden, Herr Cham⸗ yagne.

Der Intendant erblaßt vor Zorn, ſieht mich fpättifch an und jagt:

„Der Heine Savoyarbe ift der Mamſell and Herz gewachlen, wies ſcheint. Er tft noch jung, aber verfpricht viel. Ergebenſter Diner, Mamfell Lucilie.“

Und damit geht er fort, hämifch laͤchelnd und fingend, um feinen Zorn zu verfteden.

Es danert eine Welle, che wir und von unferer Beflärzung erholen, kueilie und ich. Nach laͤngerem Schweigen hebt ſie end⸗ lich an:

„Da warſt alſo in der Nähe des Boſketts, Andreas ?“

„ga, Hanf „a

32% -

„Antworte Deiner Schwefler, Andreas, fage ihr, daß ihr euch wieterfehen werdet, und wenn Du fie nach einigen Jahren noch fo lieb Haft, wie jebt, dann ... aber was hat Cuch das Theebrett gethan, Lucilie? Ihr werft alle Taffen auf die Erde!“

„Es ift nicht meine Schuld, Madame,” antwortet Lucilie und beißt fi in die Lippen, „die Theefanne flel mir aus ver Hand beim Reinigen ,... ich wollte ben Fingerhut aufnehmen.“

Lucilie weiß nicht mehr, was fle fagt. Indeß eile ich auf mein Zimmer, Nanettens Brief zu Beantworten und ihr zu vers ſprechen, daß ich oft fchreiben werde. Madame will die Güte Haben, ben Brief abzufenden. Als ich ihn hinunter bringen will, begegne ich dem Rammermäbcher. Mein Gott, wie böfe ficht fle aus! Schweigend geht fie an mir vorüber.

- „Was haben Sie denn, Mamfell Lucilie 3” frage ich fie.

„Bas geht das Sie an, mein Herr? So, fo... Sie haben Ihrer Nanette ſchon geantwortet, das Iob’ ich. Gewiß einen Schwur ewiger Liebe ?“

„Sie verlangt feinen Schwur; fle weiß, daß ich ihr treu bleibe.“

„Seht mir den Heinen Prablhans an. Die Tochter eines Waſſertraͤgers... göttlich, göttlich !"

„Aber, was bin ich denn, Mamfell ?“

„Sie, mein Herr? Das iſt was Anderes: Sie können ſich emporarbeiten mit Hülfe der Erziehung, bie Sie genießen. Ein Mann von Geifl, Talent, der Fommt weit.“

„Sie thun nicht recht, Mamfell Lucilie, die arme Nanette zu verachten ; dad hätte ich nicht von Ihnen gedacht!“

„sch verachte fie nicht, aber ich Tann fie nicht ausſtehen.“

„Bas Hat fie Ihnen denn gethan ?“

- „Richts, nichts, aber ich will nicht, daß Sie mir wieder von {hr reden. Sie denken nur an Ihre Nanette und das langweilt mich.“

Und bamit geht fie.zornig fort. Sie glaubt alfo, ich denke

nur an Naneften?.D, ich wollte es wäre fo, denn meine Liebe

23

„Wieleicht von Deiner Mutter,“ antioortet bie Gräfkn.

„Meine Mintter Tann nicht ſchreiben, Madame, auch Been⸗ hard nicht.“

„So iſt er von anderer Hand,“ ſagt Mamſell Lucilie, die zu⸗ fällig in dem naͤmlichen Zimmer ſich befindet und, wie ich ihr ans ſehe, vor Neugierde brennt, ben Ramen bes Briefftellers zu erfahren.

Madame erlaubt mir, ihn zu lefen. Die Schrift ift zwar fchlecht, doch Teferlich. Was feh’ ich! Bon Nmmetten.. . . fie hat alſo [reiben gelernt, um mit mir correfponpiren zu koͤnnen.

Ich ſchreie aut auf vor Staunen und Freude und fage an Nadame:

„Bon Nanette, von Nanette! ein Brief von meiner Schweſter!“

In meiner Freude überfehe ich ganz das häßliche Maäulchen, dad Lucilie macht, und Höre nicht, wie fle vor fldh hinmurmelt: :

„Dacht' ich mir's doch““

Madame erlaubt mir, Nanettens Brief laut vorzuleſen. Denn . et Tann fein Geheimniß enthalten.

Er lautet alfo:

„Lieber Andreas, ich habe heimlich ſchreiben gelernt, am Dir Rachricht von mir geben und einen Brief von Dir empfangen zu finnen. Ach, wie Iange kommt mir der Sommer vor, feit Du nicht Dei ung biſt! Wann hört das endlich auf? Wann fehe ich Dich wieder täglich, wie ehemals? Antworte mir, Andreas. Der Vater verzeiht gewiß, daß ich ohne fein Wiffen ſchreiben gelernt babe, wenn ich ihm einen Brief von Dir vorlefr.‘

„Das gute Kind!” fagt die Frau Graͤſin. „Du wärft recht undanfhar, Andreas, wenn Du fie nicht wieber liebteſt, die Dich ſo liebt.“

„Ih bin nicht unbanfbar, Madgme: ich will, daß Nanette field an meinem Glücke Theil nimmt.“ Bu

„Das ſieht man!” fagt Mamfell Lucilie halblaut und dreht zornig an einem Halstuch, dab fie in der Hand hat.

„Kntuanrte Deiner Schweſter, Andreas, fage ihr, baß ihr erch wisterfehen werdet, und wenn Du fle nach einigen Jahren noch jo lieb haft, wie jeßt, dann ... aber was hat Cuch das Theebreit gethan, Lucilie? Ihr werft alle Taffen auf die Erbe!“

„Es ift nicht meine Schuld, Madame,“ antwortet Lucilie und beißt fich in bie Lippen, „bie Theekanne fiel mir aus der Hand beim Reinigen ,. . ich wollte den Fingerhut aufnehmen.“ |

Lucilie weiß nicht mehr, was fie fagt. Indeß eile ih af mein Zimmer, Nanettend Brief zu beantworten und ihr zu ver ſprechen, daß ich oft fchreiben werde. Madame will die @üte Haben, ben Brief abzufenden. Als ich ihn hinunter Bringen will, begegne ich dem Kammermäbchen. Mein Gott, wie böfe ſieht fie aus! Schweigend geht fie an mir vorüber.

„Was haben Sie venn, Mamfell Lucilie ?” frage ih fir

„Was geht das Sie an, mein Herr? So, fo... Sie haben Ihrer Nanette ſchon geantwortet, das lob' ich. Gewiß einen Schwur ewiger Liebe 3"

„Sie verlangt feinen Schwur; fle weiß, baß ich ihr treu bleibe.“

„Seht mir den Heinen Prahlhens an. Die Tochter eines MWafferträgers ... . göttlich, göttlich !“

„Aber, was bin ich denn, Mamfell ?“

„Sie, mein Herr? Das iſt was Anderes: Gie können fih emporarbeiten mit Hülfe ber Erziehung, bie Sie genießen. Ein Mann von Geift, Talent, der kommt weit.“ |

„Sie thun nicht recht, Mamfell Lucilie, die arme Nanette zu verachten ; das Hätte ich nicht von Ihnen gedacht!“

„Ich verachte fie nicht, aber ich Tann fie nicht ausflehen.“

„Bas hat fle Ihnen denn geihan ?“ |

Richt, nichts, aber ich will nicht, daß Sie mir wieber von ihr reden. Sie denken nur an Shre Nanette und das langweilt mich.”

Und damit geht fle-zornig fort. Sie glaubt alfo, ih denke ‚nur an Nanetten? O. ich wollie, es waͤre fo, ben meine Liebe

jn Naneiten nimmt mir nicht meine Seiterfeit ober flimmt mich fo wehmüthig. Ja, ich Liebe fie zärtlich, ich koͤnnte mein Leben laffen für fie, aber meine Liebe zu ihr iſt wie bie Liebe zwifchen Geihwifter, oder der Geſchwiſter zu ben Gliern.

Schon naht dad Ende der ſchoͤnen Jahreszeit und noch immer ſchmollen wir, Lucilie und ih. Da hören wir eined Morgens einen lauten Lärm im Borhofe. Ein Wagen fährt in geſtrecktem Galopp herein: der Herr Graf iſt's, begleitet von Champagne, feinem Oberloche und zwei Lakaien.

AG, wir waren fo ruhig umd zufrieden. Was will er denn bir? Warum ſtoͤrt er ung?

„Das dach’ ich mir,“ fagte Lucilie laͤchelnd. „Madame erhielt vor wenig Tagen einen Brief vom Herrn Grafen, worin er fchreibt, er müſſe noch in diefem Jahre einen Leibederben haben, deßhalb kommt er mit Extrapoſt. Aber wenigftens fchon zwoͤlfmal kommt er in derſelben edlen Abſicht und muß unverrichteter Sache wieder abziehen.”

Bor dem Gebell EAfars, der quickenden Stimme ſeines Herrn, dem lauten Lärm der Dienerſchaft if die Freude aus unferer Woh- nung entwichen. Madame hat fih mit ihrer Tochter eingefchloffen, ich verſtecke mich auf mein Zimmer, nur Lucilie geht dem Herrn Grafen entgegen, der fihon ganz wild thut, daß die Bauern ihn nicht mit Lebehochrufen und Blumenfträußen empfangen.

„Sie wußten nichts von Ihrer Ankunft, Herr Graf,” ante wortet Tächelnd das junge Kammermäbchen. |

„Macht nichts, Mamfell, fie hätten fie errathen ſollen; fie müffen jeden Augenblid auf meine Ankunft gefaßt fein! Iſt das billig, daß ein großer Grundbeſitzer ganz jo aus dem Wagen fteigt, wie ein fimpler Privatmann ? Ift ed nicht. ihre verdammte Schul: digkeit, mich, der ihnen Brob und Arbeit gibt, mit lauten Vivats zu empfangen ?

„Ste hatten es auf Befehl gethan, Herr Graf.“

„Gewiffe Dinge follte man nie vergeffen, Mamfell che, Gaſar, ber... aber bie Fran Gräfin verſteht das Regiment unicht, He Leute Haben keinen Reſpekt vor ihr.“

„Um fo mehr Liebe, Herr Graf!”

„Liebe, Liebe? Bah, das macht Feinen Lärm... fill, Eäfar... Ich will, vaß man mich heute Abend glänzend bewillfommt, ver: Anden, Ehampagne?“

„Ja, Herr Graf.“

„Ih will, daß alles Bauernpad fingt, tanzt, mich bewill⸗ kommt, Eurz, feine Freude über meine Ankunft laut bezeugt.“

„Das follen fie, Herr Graf, ih nehme es anf mich; Sie werden mit dem Empfange zufrieden fein.‘

„se lauter, deſto befjer.. Und Du bezahlft ihnen Die Geigen, Hörft Du?“ |

„Ich höre, Kerr Graf.” |

Herr von Franconard begibt fih in feine Gemaͤcher uud läßt

ſich durch Lucilien bei Madame melden.

„Bas führt Sie denn fo plöglich Her!’ fragt Lucilie Herm Champagne.

„Ich glaube, unfer Souper von geflern Abend.‘

„Ihr Sonper ?“ |

„Sa, der Herr Graf traktirte geftern Abend drei gute Freunde, drei Iuftige Zechbrüber. Es ging hoch ber dabei: erſt Tafel zu Ehren eines neuerfundenen Gerichts; der Koch ſcheint damit Ehre eingelegt zu haben, bean Alle waren bie Ausgelaſſenheit ſelbſt. Der Herr Graf wollte «8 feinen Gaͤſten zuvorthun. Vergebens erinnerte ich ihn an dad Podagra und Ehiragra, vergebend an die Borfchriften des Arztes. Als er vom Tiſch aufftund, ſchwur er, ex wolle einen Erben Haben, und noch in Diefem Jahre. Deshalb Samen wir mit Grtrapoft Bier an.”

Dann geht Champagne ind Dorf, pofaunt überall bie An funft des Grafen ang und vesfünbet, daß ex ſchlechterdings feier

Bd empfangen werben wolle. Aus Ruckſicht auf ihre enle Wohl: thäterin, deren Gemahl Herr von Franconard ift, laſſen bie Leute die Arbeit Tiegen, ziehen ihre Sonntagskleider an und binden Blu: menfträuße. Champagne fledlt ben jungen Burfchen einige alte Flinten zu, Iäßt fie mit Salz laden und empflehlt ihnen nachdrück⸗ lichſt, aus vollem Halfe Bivat zu jchreien und fo laut ale möglich zu fpeftafeln. Um dem Stolze mancher Herren zu genügen, ift oft weiter nichts uöthig, ald daß man ihnen bie Ohren vollfchreit. Bären fie nicht durch Cigenliebe und @itelleit verblendet, koͤnnten fie vorurtheilsfrei in den’ Herzen derer leſen, bie ihnen Weihrauch freuen und Gomplimente ſchneiden, Eönnten fie die wahren Trieb- fevern der fie ſcheinbar vergätternden Menge ergründen : wahrlich, fie würden wenig Werth legen auf ſolche Hultigungen !

Der Herr Intendant, eine Art Geremonienmeifter bei den ofiziell⸗feierlichen Empfangsfeflichkeiten des Herrn Grafen, vergißt nie, einige Pakete voll Petarden mitzubringen, die dann unter bie Yanernfchaft außgetheilt werben.

Auch diesmal hat er fie nicht vergeſſen, und um den guäbigen Seren, dem der Lärm nie laut genug ift, ja recht zufrieden zu fellen, bat er außerdem eine Menge Sonnen, Schwärmer und Raketen eingelauft, zur größeren Verherrlichung des Keftes.

Alles ift in Bewegung im Haufe; der Herr Oberkoch ehrt das Unterfte zu oberfi, um dem Grafen eine zweite Auflage des geftrigen,, fo beifällig aufgenommenen Berichtes zu veranftalten. Un- terdeß if Here von Franconard gleich nach gemachter. Toilette in feinem Zimmer tief eingeſchlafen und erwacht erſt, als die Tafel ſerirt iſt.

Schnell begibt er ſich ins Zimmer, wo bie Gräfin und ihre Tochter auf ihn warten. Er bietet erſterer galant den Arm und führt fie im den Gßſaal.

Bei Tiſche ficht er ſich das gnäbige Bräulein genau an, das er feit Sange nicht beachtet Hat.

„Zeufel,” jagt er, „die Kleine wächst erfiaunlid heran, fie wird mir immer ähnlicher. Wie alt if fie, Madame ?“

„Sie tritt in ihr zwölftes Jahr, mein Herr.“

„Das macht fih! Ju drei ober vier Jahren Eönnen wir fie an einen hohen Herrn aus meiner Belannifchaft verheirathen, an einen Infligen Bruder, wie ich bin; aber erſt wollen wir fie mit einem Brüderchen beſchenken.“ .

„Mein Herr, ich bitte Sie,“ flüflert die Graͤſin dem Grafen ins Ohr: „bebenten Sie, meine Tochter ift Tein Kind mehr. Ver⸗ fgonen Sie mid mit Ihren Schergen.”

„sch ſchweige nicht, Madame, ich rede in allem Ernft. Doch Sie haben recht: non est in locus. Eſſen wir erft ; nach dem Bauerufeſt heute Abend werden Sie mir ein gnäpiges Gehör ſchenken, hoffe ich.“

Auf dem Lande efle ich gewöhnlich mit Madame. Aber ans Furcht vor dem Grafen habe ich nicht gewagt, mich bei Tiſche einzufinben. | |

„Warum kommt denn Andreas nicht?“ fragt Adolphine ihre Mutter,

„Ber ift das, der Andreas?" fragt der Graf. „Doch nicht ber Heine Savoyarde I“ | .

„Ja, mein Herr, der Sohn des Mannes, der Ihnen und meiner Abolphine das Leben reitele. Sie ſcheinen den Umſtand immer zu vergefien.“ |

„Wie oft fol ich daran denken, Madame, an ben einmaligen Umftand ? Uebrigens fcheint er hier gut genug aufgehoben... Apporte, Gäfar, apporte! Spring’... beſſer! Der arme Gäfar, wie er ſchlecht fpringt, feit der Schurke ihn verfrüppelt Hat!... Ißt ver Savoyarde an Ihrem Tifche, Madame ?“

- „Auf dem Lande, ja. Warum follte er nicht? Sie wiſſen, ich behandle ihn nicht wie einen Bedienten; die Erziehung, bie ich ihm geben laſſe, fchlägt vortrefflich an: fein Benehmen und feine Sprache geftatten ihm ven Zutritt zur beſten Gefellfcgaft.“

„E if und bleibt ein Savoyarbde, Madame, und ich finde ed hoͤchſt Lächerlih, daß Sie ihn an Ihrem Tifche eſſen laſſen, weil Auſtand, Gtilstte, .Decoreur...... kuſch, Gäfer, kuſch, du Iommft mit der Pfote auf meine Serviette.“

Die Frau Sräfln fchweigt, Adolphine ift traurig, weil ich nicht da bin und fie in Gegenwart ihres Baters nicht wagt, froͤh⸗ lich zu fein wie gewöhnlich. Während fie effen, fchleiche ich mich as meinem Verſteck im Zimmer und gehe in deu Garten hins unter, Ich vente über Dies und Jenes nach, ich werbe ja immer vernünftiger. Mit fünfzehnthalb Jahren Tennt man fchon dem Zauber füßer Träumereien. Der Gedanke an Abolphinen entlockt mir einen zärtlichen Seufzer. Wer zum erfienmale licht, Yer zieht vie Sinfamleit den frohen Kuabenfpielen vor. Die keimende Liebe iR dad Grab der Kinderjahre und die Wiege füßer Hoffnungen, © geht es weiter, bis mit dem Alter die Liebe uns verläßt; dann wandet ſich die Hoffnung in das Heimweh nach ber frohen Vergangenheit um.

Des nahe bevorſtehenden Umzuges nad Paris gedenkend, wandle ich traurig und mißmuthig durch eine der langen Alleen des Parkes, als ich plöplich eine wohlbekannte Stimme höre, weldhe ruft: „Hören Sie auf oder ich werde böfe!“

Lucilie ifi’d. Die Stimme kommt aus einem nahen Boskeit, wovon ich bloß durch einen Fliederbuſch getrennt bin. Gleich plagt mi die Mengierbe. Ich gehe näher, mache leiſe bie Blätter aus⸗ einander und jehe Herrn Champagne auf einer Rafenbanf neben kucilie, die Kraͤnze bindet und von Zeit zu Zeit den Herrn Juten⸗ danten zurüdflößt, weil’ er ihre Arbeit etwas allzunahe betrachtet.

Sch weiß nicht warum ? aber ih Tann den Champagne nicht leiden. In Baris fit er Mamfell Lucilie immer auf ben Ferſen, Iangweilt fie mit ewigen Gomplimenten, fpielt den Berliehten und glaubt ſich mmwiderſtehlich. Was mag er jetzt von ihr wollen in dieſem Bosketi? Ich kann nicht umhin, fein Befchwäh zu belauſchen.

„@ie find ein veizenbes Moſen, Mamidl.Eucitie, reizen, auf Gäre !“

„Hören Sie nit, Herr Champagne? Der Graf ruft.“

„Zäufhung, Mamfell. Br figt bei Tifche und denkt nicht am Champagne, aber an Ghampagner. . . die nmiedlichen Arme ba, das ſchneeweiße Patſchhaͤnbchen.

„Sie vergeſſen das Bauernfeſt, Herr. Champagne.“

„Rein, mein Fraͤulein, 's iſt noch lange Zeit bis dahin. Erf jegt, beim Wiederſehen nach Langer Trennung, fühle ich die Größe meiner Liebe zu Ihnen, holde Kammeriſton.“

„Holde Rammerifton, ba, ba, ha! Wie komiſch, wenn ein Bebienter poetiſch wird.“

„Bei Ihnen möchte ich nichts werben als glüdlich Durch Shre Liebe ; o, wenn Sie mich erhörten !“

„Richt fo nahe, Herr Champagne, Sie zerdrücken meinen Kranz.”

„Sie werben ſich recht Iangweilen hier ? ®

„Im Gegentheil, ich amüflre mich aufs Belle”.

„Unmöglig! Ohne Geſellſchaft, unter lauter Kindern muß Ihnen der Tag recht lange werden.“

„Nicht im Geringften, Herr Champagne. Die Stunden ver⸗ gehen, ich weiß nicht wie.”

„Oder fände Ihr zaͤrtlich Herzchen insgeheim Beichkftigung ?“

„Wie neugierig Sie find, Herr Champagne.“

„Wie glüdlic wäre ich, wenn ed für mich fchlüge! Gie ſogen and müflen meine Liebe erwidern.“

„Sehe nicht die Rothwendigkeit ein, Herr Champagne.“

„Barum denn fo hartherzig, kleine Schelmin ?

„Der Graf wartet auf Sie.“

„&rfl einen Ruß, dann gehe ich.“ „Ich hoffe, Herr Shampagne, Sie. J „Geſchwind einen Kuß, ich will und * einen Kaß „Horen Cie auf ober ich werde boſe.“

Schon will Herr Champagne Lueilie umarmen, als ich Schnell durch den Flieder ind Boskett fpringe, und fo gewaltfem auf ven Herrn Intendanten losſtürze, daB biefer das Gleichgewicht verliert und in ven Sand rot.

Lucilie lacht laut auf, ich glähe wor Zorn, und Herr Cham⸗ yagne hebt ſich allmählig vom Boden empor.

„Möchte doch wiffen, Herr Andreas,” fagte er, „was Ihnen das Recht gibt, mich fo zu behandeln ?“

„Ste woliten fie küſſen wider ihren Willen, fo mußte ich ihr zu Hülfe kommen.“

„Zu Hülfe? Gin fchöner Ritter das ! Mag’ ich fie kuſſen oder nicht, das geht Sie nichts an.“

„So oft Mamfell Gülfe bedarf, gebe ich ihr Hülfe.“

„Sehr wader! Merten Sie fh, junger Mann: die Weiber bedürfen Ihrer Hülfe nicht, fie koͤnnen fich felbft Helfen und brauchen von Keinem Bülfe, am wenigften in folchen Fällen. Sie find noch ein Kind, merken Sie ſich's für die Zukunft.“

„Andreas bat ganz reiht gehandelt,” fagt Mamſell kucilie, „und ich danke ihm dafür. Ich Hoffe, ex wird mehr auf die Stimme feines Herzens Hören, als auf Ihre albernen Reden, Herr Cham⸗ pagne.“

Der Intendant erblaßt vor Zorn, ſieht mich ſpoͤttifch an und ſagt:

„Der kleine Savoyarde iſt der Mamfell ans Herz gewachſen, wies ſcheint. Er iſt noch jung, aber verſpricht viel. Ergebenſter Diener, Mamſell Lucilie.“

Und damit geht er fort, haͤmiſch laͤchelnd und fingend, um feinen Zorn zu verfteden.

Es dauert eine Welle, che wir uns von unferer Befbärzung erholen, Lucilie und ich. Nach längerem Schweigen hebt fie end- ih an:

„ODu warft alfo in der Mähe des Bosketts, Andreas ?“

„sa, Mamſell.“

„Und bie Heben Champagne's mißfielen Dir ?

„Gewiß!“

„Ernſtlich, Andreas?“

Dann rückt fie nahe an mich heran, legt ihren Arm anf meine Schulter und fieht mich an, ach, fo zauberiſch!

„Und ed wäre Dir nicht recht, wenn ich Champagne liebte?“

Ich glaube: nein.“

„Barum nicht?“

„Ich weiß nicht ; ich wünfchte beinahe, Sie liebten Riemand.“

„Seht mir den Egoiften, den kleinen Schelm !“

An der Art und Weife, wie fie dad fagt, merke ich, daß fie mir nicht fehr böfe if. Nie, nie bünft mir der Ton ihrer Stimme jo füß und ihr Geſicht fo reizend.

„Andreas, ich mag den Shampagne nicht. Du biſt mein Ber: theidiger, mein Bejchäßer geweſen: als ſolchem gehört Dir eine Belohnung.“ |

„Ich wi keine Belohnung, Mamfell.“

„Keine ? Auch nicht, wenn es ein Kuß wäre?“

Ich werde überroth und zittere. |

„Sa... ja, Mam... fell,” fotterte ich verwirrt. |

„Vielleicht biſt Du mit der Belohnung nicht recht zufrieden?“

„Und wie... und wie!”

„So laß feh'n, Andreas.“ |

Verſchaͤmt fehe ich nieder und wage mich nicht von der Stelle. Sie blickt mich eine Weile fragend an und fagt dann lächelnd: „Bill der Herr mich nicht Eüffen, fo will ich den Herrn küſſen“

Alobald fühle ich ihre Lippen auf meiner brennend heißen Bange. Der Kuß durchzuckt mich wie ein elektrifcher Schlag; nır hatte ich eine fo füße Empfindung gehabt. Statt eines Kuſſes gebe ich ihr taufend Küffe, während fie unaufhörlich ruft:

„Genug, Andreas, genug... mein Gott, das böfe Kind das!“

Plotzlich ſchreckt und ein lauter Lärm von des Gelte bei

Echloſſes her. Lucilie glaubt Die Stimme ver Gräftn zu hoͤren und reißt fih aus meinen Armen los. | „Komm’ doch, Andreas,“ fagt fie, „gewiß fängt das Feſt an.“ Ich folge ihr ungern. Was liegt mir am Feſte? Es verfpricht mir nicht Halb fo viel Bergnägen wie dad eben empfunbene in duciliens Armen.

Siebenzehntes Anpitel. Dad Keuerwert und feine Folgen.

Der Laͤrm, der mich aufſtoͤrte aus meinem füßen Rauſche, verlündete den Anfang des Feſtes. Bei ihrem Einzuge in ben Ehloßhof Hatten die Bauern auf Commando des Herrn Inten⸗ danten ihre Flinten losgebrannt, und eine alte Beige, begleitet son einem Tambourin, die Melodie, „Heil dir im Sieges⸗ franz“ intonirt, am Ende aber, da e8 dem Spielenden entfallen zur, dad „Was weinft bu, ſchöne Schäferin” angeflimmt. Mein die „Bon pon“ des Tambourin, das immer im Takte iind Contretanzes blieb, während fein Bollege ein Adagio fpielte, bmirkten, daß man den Uebergang aus der einen Arie in bie andere nicht hörte. Hingeriſſen von diefer zaubertfchen Muſtk ließen be Bauern and vollem Galfe den großen Tartarenchor ans ber Lodoiska“ erfchallen, dad einzige Stüd, dad Champagne ihnen eingepauft hatte, und daher regelmäßig bei jebem feierlichen Em⸗ fange des Grafen zum Beften gegeben wurbe.

Herr von Franconard hatte weidlich gegefjen und getrunfen, Illes das mit Iobenswerther Rückſicht anf die menfchenfreundliche Khfiht, wegen welcher er in geſtrecktem Galopp von Paris hier ver geeilt war. Ex war zwar gut aufgeräumt, aber nicht einmal ab betrunken, denn ein Herr von Stande und guter Lebensart trinkt fich nie. Sein Auge, ungewöhnlich funkelnd, kehrte fich aaufhorlich der Frau Gräfin zu, die aber jebesmal wegſah und

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bed Lichenswürbigen NRaͤdchens, und dahin fliegen ir... nahe gefolgt von Lucilien, welche von einem jungen Bauern engasiıt iſt. Jetzt ſtehen wir und gegenüber. Der Geiger geigt und bat

Tambourin wirbelt, was dad Zeug halten will, Welch ein Deu guügen, mit Abolphine zu tanzen und Lucilien gegenüber zu haben, bald die Hände ber einen zu brüden, bald die Finger der andern

leiſe in feiner Hand zu fühlen! Nie bin ich fo glücklich geweſen, nie ift mir Die Zeit rafcher verflogen. Ich glaube, ohne den Grafen

tanzten wir noch heute. Raum hat aber viefer Adolphine und mid

tanzen fehen, fo höre ich auch ſchon das Wort „Savoyarde,“ umb ans it unfere Freude. Dem Geiger wird alsbald Stille geboten.

Alfo and hier kann er meine Abkunft nicht vergefien?...

auch Bier macht er meine geringe Geburt mir zum Berbrechen!!

Traurig laß ich Adolphinens Hand los und flüchte mich in dad Dunkel eined Bosketts, mein volles Herz durch TIhränen zu er leichtern. An biefen Thränen ift Niemand ſchuld als der Hen Graf. Nicht, daß ich dem Schickſal zürnte, dad mich als Savoyarde

geboren werben ließ, o nein, aber die Ungerechtigkeit der Menſchen kraͤnkt mich. Ich bin noch zu jung, um mich an diefe ſchmerzliche Erfahrung gewöhnen zu Zönnen !

Aber das Feſt ift noch nicht aus. Herr Champagne, "ber feine | Sonne, Raketen, Schwärmer u. f. w. anf einem freien Rafen: play tunftverftänbig angebracht hat, tritt unter tiefen Büdklingen auf ben Grafen zu und überreicht ihm einen Stod, an deſſen

oberem Ende eine brennende Lunte fich befindet, mit folgender Anrede:

„Die Geſchichte Ichrt und, daß in früheren Jahrhunderten bis Lehensherrn bei Feften, Turnieren, Fifcherftechen w. f. w., bie fie veranftalteten, bie erfle Lanze zu brechen und ben erfien Preis Davonzufragen pflegten ; beßgleichen mit Bogen oder Flinte zuerſt im bie Scheibe zu ſchießen, bie dann nicht zu weit weg anfgefellt fein durfte ; deßgleichen zuerſt bie jungen Neuvermählten am Hoch⸗ zeitiage zu umarmen man nannte das jus primae noch; Furz

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ab gut, gnäbiger Herr, bie gnäbigen Herren waren bamals für Alles und bei Allem die Erſten!“

Ghampagne Hält ein, um Athem zu fchöpfen und auf pas Ende ber wohlgefegten Rebe ſich zu befinnen, während der Graf, der nicht weiß, wo er hinaus will, ihn fragt, ob er vielleicht im Hofe ein Lanzenbrechen oder auf dem Teiche ein Fifcherflechen ans geordnet habe.

„Das nicht, gnädiger Herr,” antwortet Champagne, „aber ein hübſches Fenerwerk mit Sonnen, Monden, Sternen, Schwärmern und Raleten auf dem Rafen dort, und ich möchte Ihnen vorfchlagen, die erſte Rakete abzufeuern. Deßhalb geb' ich mir die Ehre, Ihnen hieſe Lunte zu präſentiren.“

Der Hert Graf ſcheint entzückt von dieſer Ueberraſchung, nimmt ihm die Lunte aus der Hand, ſchwingt fie wie eine Fahne in bie Höhe und legt fie dann über die Schulter. Herr von Franconarb narſchirt voran, dann feßt fi die ganze Verſammlung gegen den großen Raſenplatz zu in Bewegung.

Unterwegd muß ber Herr Graf die möglichen Folgen dieſes Vageſtückes reiflicher erwogen haben, denn er ruft Champagne and flüftert. ihm ins Ohr:

„Die Lunte fcheint mir zu kurz.“

„Sie ift vier Buß long, Herr Graf.”

„DaB ift zu kurz, Champagne, hol’ mir einen Veſenſtel, den laͤngſten, den Du ſindeſt, und binde die Lunte d'ran.“

„Aber, Herr Graf...“

„Kein Aber... thu', wie ich befehle.”

Champagne geht mit ver Lunte ab, während ber Zug weiter narfchirt, voran den Grafen, der, in. Ermanglung ber 2unte, einen Spazierſtock mit vieler Grazie auf und ab ſchwingt und to; um ſich blickt.

Eben ald der Zug auf dem zum enerwert erkorenen Rafen⸗ Hape eintrifft, kommt Champagne zurüd und präfentirt dem Grafen

Bauf de Rod. IL. 16

einen Steck fo lang, daß man ein Strohhrach übe dem teilen Stod von ebener Erde ans anzünden konnte. Bernhigt nähert ſich der Graf dem Fenerwerle. Als ex aber die viden Sonnen und Nalketen ſieht, erfchridt ex aufs Neue,

„Geht das Alles auf einmal los, Ehampagne ?“ |

„Rein, guäbiger Herr. Die erſte Ralete gibt bloß das Signal, dann treten Sie bei Seite und id Teure das uebrige los, bed weiter davon anfgeflellt if.“ |

„So gib mir die kleinſte Rakete zum Abfenern. Der erſte Schuß darf nicht zu laut fein, er erſchreckt ſonſt die Laudleute.

„Die da ift die Heinfle, Herr Graf.“

„But fo... geh’ weg! oder bift Du gewiß, daß ſie nicht losgeht ?“ |

„So Gott will, geht fie 108, Herr Graf.“

„Ih meine, beim bloßen Anrühren. Ich Habe keine Luf, dad andere Auge auch noch zu verlieren.“ |

„Hat Teine Gefahr, Herr Graf. Ich ſtehe dafür.“

Alles wartet ungebuldig auf ben Anfang des Schauſpieles. Die Dorfbewohner find auf dem Rafenplape verfammelt, die Fran Graͤſin ſteht zwifchen ihrer Tochter und Lucilien, ih etwas weiter | davon und fehe fie an, denn ich fürchte mih, Adolphine mahe m fommen, fo lange ber Graf ba ift.

Endlich faßt der Held ded Tages Muth, nimmt dem Beim fliel mit der Lunte am äußerflen Ende, ſtreckt den Arm fo mei aus als möglid; und berührt die Rakete. Das Teuer fängt m krach! fprüht die Rakete in bie Lüfte unter Iautem Inbelſchrei der verſammelten Menge. Gott dankend, daß ihm der große Ber gelungen, ſchmeißt er die Lunte weit von ſich und trodnet fi ven Angſtſchweiß von der Stirue. Zum Unglüd aber wirft ex Die Lunte mitten unter das übrige Feuerwerk, das Champagne unvorfichtiger Weiſe allzu nahe den Zufchauern angebracht bat. In einem Ru geht die ganze Geſchichte los, und mit einem furchibaren Knall

nicheln Sonnen, Monde, Sterne, Schofenter und Ralsden in Die Höhe und fallen ziſchelnd und ſchlängelnd unter die Menge nieber;

Cine Artiſchocke fährt geraden Wegs zwifchen die Beine des Herm -

Grafen, ver, betäubt von ber Erplofion, nicht weiß, wohin er ſich ſüchten fol.

Alles ſchreit und jammert. Muͤtzen, Hüte und Schürzen ber Bänerinuen fehlagen in hellen Flammen anf. „Ich breume, ich brenne!“ zuft es von allen Seiten; „löſcht! Waller! Waſſer!“

Die Trammer einer Sonne find gerade auf Abolphinens Haupt niedergefallen. Ihre Haare fangen Feuer und ſchon droht den Aeidern Gefahr. Die Fran Gräfln verliert dem Kopf, Lucilie (freit um Hülfe, aber Jeder denkt nur an ſich. Wer brennt, hat genug mit fich zu ihn, und wer nicht brennt, ficht ſich von Kopf 56 Fuß an. Schnell fpring’ ich zur Hülfe Berbei, nehme fie in meinen Arm, Löfche durch den Druck die Flamme iu ihren Kleidern und erſticke mit der Hand das Feuer in ihren Saaren. So ift fie veun gerettet, ohne daß ihr Geſicht von der Flamme gelitten hat.

Die Graͤſin findet Feine Worte, mir ihren Dank zu bezeugen; fe Heißt mich ihren Retter und den Netter ihrer Tochter. Was beb’ ich denn fo Außerorbentliches geihan ? IR es nicht natirlich, deß ich für Adolphine mein Leben wage? Diefe weiß nicht, in weicher Befahr fie ſchwebte. Sie lacht ſchon wieder uud nennt wich ihren lieben Andreas. Lieber Andreas! Ach, dieſe füßen Warte ws ihrem fügen Munde laſſen mich die leichten Schmerzen ber Vrandwunde an der Hand vergeſſen.

Armer Schelm !“ fagt Lucilie; „er hat ſich die ganze Hand sehrann.“

„D, das thut nichts, Mamfell!”

Madame will mich eben ins Hans führen, um mich verbinden pn laffen, alö ein furchtbares Angfigefihrei ertönt. Der Herr Graf, ber biß dahin ruhig gewefen war, laͤuft mit einmal wie verrüdt im Garten herum, greift mit ven Händen an bie Hoſen und ſchreit,

AB.

vaß er brenne. Die Urtiſchocke hatte Beim Durchfahren durch die Beine ven oberſten Theil jenes Kleivungsftüdtes geftreift, der, weil er von Tuch war, nicht. fo leicht deuer fing. Der Here Graf meint, der brandichte Geruch, der ihm überall Hin folgt, fomme yon Anderen her, und merkt feine yerfönliche Gefahr erft an den törperlichen Schmerzen.

Statt fih ruhig zu Halten und das Sener zu erſticken, fpringt ex links und rechts herum, Trümmt und windet fich und ſchreit dabei wie ein Befeflenee: „Zu Hülfe, Champagne; ih röfle... ih ‚meine Hofe... die Rakete... ih rate...“ wird das Feuer, das man nicht fehen Tonnte, weil es durch die Rockſchope verdeckt war, nur um fo Ärger.

„®o brennt der Herr Gin, fragt Champagne, herbeieilend; „ieh fehe nichts!" Statt zu antuonte® hebt der Graf die Rod ſchoͤße in die Höhe und zeigt ben ie Theil. Charwag zieht das Schnupftuch aus der Tafche dad lest es darauf; dad hift aber nicht ſchnell genug. Indeß tobt \ und flucht ber Graf wie ein Verdammter und ſchreit, daß fein Lieb ee auf Erden m Gefahr fei. '

Außerorbentliche © 1, gülfe, ©

A iche Gefahr verlangt auferorbentliheim,, Aut mit nimmt Champagne, um das Haus Franconard vor : « uf den fterben zu retten, den Grafen in die Arme, I& * laͤuft mit ihm Teich zu und wirft ihn Hals über Kopf mitten ins Baſſin Mider * Graf verſchwindet einen Augenblick, taucht dann N AT in die Höhe, arbeitet mit Händen und Füßen und fhreit, Dr, brenne er noch, denn er fürdstet das Waffer eben fo ſeht als A, Ha Champagne ergreift eine lange Hafenftange, bie dicht nebel.., m liegt, hält fie dem Schwimmer zu und fragt : „Brennen Ste noch, Herr Graf?“ u

„Nein, Sähuft... Sieh’ mich heraus, ober ich eririnte." U

Champagne erwifcht mit der Hakenſtan ge ben Herrn Grafen am Gürtel und zieht ihn fanft aufs Trockene. Aber in Bolge de?

MM ploplichen Vebergauges ober Meberfalles sont FJeuer ins Waſſer und der Schmerzen der Branbwunden kann er nicht aufſtehen, usb man trägt ihn ins Bett, Statt au bie Erzielung eines Erben zu denlen, verbringt der Graf die Nachb unter Schmerzen und Auf: legen von Gataplasınen,

Achtzehntes Kapitel. Ich bin kein Kind mehr.

Den Tag nach dieſem denkwürdigen Feſte, das ſo am · wwen liche Folgen gehabt, will Here von Franconard, der über Heftige Gämerzen klagt, nach Paris zurückkehren. Madame Laßt fick’ zicht nehmen, ihn zu begleiten, um ihn perfönkich zu pflegen; fle meibet ihn, wenn er von Liebe ſchwatzt, aber hat Mitleid mit ihm, wenn er Mitleid verbient.

Bir reifen zufammen ab. Meine Hände ſchmerzen fehr, aber ch vergeffe dad, wenn ich denke, daß ich Moolphinen gerettet und Ir hübſches Geſicht gegen die Fenerſlamme befchtrmt Habe.

Dieömal reifen wir nicht wie gewöhnlich, Madame figt mit hrer Tochter im Wagen des Grafen ; ih Bin im ihrigen mit Lu⸗ Me und Herrn Champagne, ber mich ſcharf anfleht, namentlich 18 das funge Kammermädchen meine Hände nimmt und fagt: Ber arme Andreas, das muß ihm reiht meh thum. Ohne ihn Me ſich das Sränlein das ganze Geſicht verbrannt. Sie haben ıfhöne Gefchichten gemacht, Herr Champagne, mit Ihrem Feuer:

1a :

„Mi düntt, ich verdiene alles Lob!“ antwortet Champagne. Dhne mich wäre ber Herr Graf zu Kohlen und Aſche verbrannt. 5 habe ihm das Leben gerettet!"

„Ich weiß nicht, was Sie ihm gerettet haben, aber ich weiß, $ Sie beinche ans Alle verbranut Titten.”

Milan m nen nn Te TE ————

In Paris angelommen, befäll den Graſen eine Kraulgeit in Bolge ver plöplichen Erkältung nad ber drohenden Feuersgefahr. Die gute Garoline pflegt ihn mit größter Unfopferung. Unterdeß geh’ ich regelmäßig zu Ranette, wenn ich nichts zu arbeiten habe und nicht bei Adolphine fein Tann. Ich fühle, ich darf wir nicht mehr die alten Bertraulichkeiten gegen bie Tochter meiner Wohl thäterin erlauben... fie wächst immer mehr heran. Statt zu fpielen, zeichnen und mufleicen wir, obes unterhalten und über

vernünftige Dinge. Auch das hat feine großen Reize. Das liebens-

würbige Kind bupt mich nicht länger, auch Heißt fie mich wicht mehr ihren Lieben Andreas. Ohne Zweifel bat man ihr geſagt,

daß ſich das nicht mehr ſchicke. Doch ihre Stimme if und bleibt 7. fanft und füß. Ich leſe im ihren Augen, wie ihr Herz mich immer noch ihren lieben Andreas nennt.

Seit dem Abenteuer im Voskette will mic Lucilie nicht mehr füffen ; fie fagt, ich fei jebt zu groß. Und doch bekomm’ ich immer größere Luft darnach, je Alter ich werbe.

Nanette bat nichts Dagegen, unb wird doch auch ein reiht hübfches Maͤdchen. Sie ift groß, ſchlank, von ziemlich auziehenden Gefichtozugen, natürlich frifcher Farbe und kindiſch einfachen Weſen und Benehmen, arbeitſam und thätig ; dabei lernt fie nähen und Best heimlich Romiane, um zu wiſſen, wie man in ber voruchmen Belt liebt und von Liebe fpricht.

Ich nähere mich jetzt dem flebenzehnten Lebensjahre. Seit ihm ber Schwärmer zwifchen die Beine gefahren, ſcheint ber Gen Graf fein Lieblingsprojekt Hinfichtlich des Erbens aufgegeben zu haben. Die Gräfin ift jetzt oft bei ihrem Gemahl, weil er fie mit feinem Licheögefchwähe verſchont. Statt bed zu erzielenden Sohnes denkt Herr von Frauconard nur an feine Tochter. Adolphine if erſt vierzehn Jahre alt, und doch feffelt fie Aller Blicke durch ihre Schönheit und Aumuth. Sie iſt der Stel; ihres Mutter, die, weit entfernt, Liferfucht zu fühlen, nux für das bes Tochter gefpenbeis

WB - kob Ohren hat, mund doch iſt fle, die Mutter, noch eine junge und ſchoͤne Fran.

Im Stillen bewundere ich die täglich mehr fich entfaltenben Reize Arolphinens ; ihr Bild umſchwebt mich Tag und Nacht. Ich bin geoß, wohlerzogen, habe alles Ländliche abgeftreift; ich höre, wie man meinen Wuchs und mein Ausfehen lobt. Im Schloffe heiße ich überall Here Andreas... ich muß alſo etwas Herren⸗ artiges an mir haben. Man rühmt auch meine Talente und Fertig: kiten. Aber was nüst mix bad Alles? Muß ich mich nicht einfl von Abolphine trennen ?

Schon jebt quält mich der Gedanke umb laͤßt mir nirgends Ruhe. Ich bin nur ein armer Savoyarde, aus Menſchenfreund⸗ Uleit bier im Schloffe aufgezogen... . ich verbante Alles der Güte der Frau Gräfin. Aber wird bie Erziehung, bie ich ihr zu banlen habe, mich glücklicher machen ?

„Wollen Sie ven Andreas ewig bei fih behalten, Madame?" fragte eined Tages der Graf.

„Er ift no fung,” antwortet meine Wohlthäterin. „Im Kurzem werd, ich mich nach einer Befchäftigung für ihn umfehen, de feinen Talenten angemefien ift.“ |

Eine Befchäftigung... eine Stelle! Ich muß alfo das Haus velaffen... mich von Adolphine trennen! Ich wage nicht, meinen Kummer blicken zu laſſen. Nur gegen die gute Schwefter fchütte #4 mein Herz aus. Ich rede ihr unaufhoͤrlich von dem jungen Yirlein vor, rähme ihre Anmuth, Schönheit und Talente, er: "zähle ihre Wort für Wort Alles, was fie mir gefagt hat. O wie ‚gerne fpreche ich von Adolphine! Nanette Hört mich ſchweigend a; oft glaub” ich Thränen in ihren Augen zu fehen. Arme Gäwefler, gewiß hat fle Mitleid mit mir... gewiß ift fle traurig, weil fie mich traurig fleht.

So frei und offen könnt’ ich gegen Lucilie nicht fein, ans Wut, fie werbe die Befchaffenheit meiner Gefühle errathen und

a ‚davon plaudern. Um Feinen Breid der Welt möcht’ ich die Urſache meiner Traurigkeit befannt wiffen im Hötel. Ich bin fo ſchon fo Schüchtern und verlegen bei Fräulein Adolphine. Es fcheint mit, Jeder jehe mir bis auf ven Grund der Seele.

Zur Feier des Namenstages feiner Tochter will der Graf einen prächtigen Ball veranflalten. Ich weiß nicht, warum bied mih faft trübe flimmt, und doch wird er ihr zu Ghren gegeben! Aber ich denfe mir, ich darf fie den ganzen Abend nicht fehen ; ich fürchte,

fie wird von vielen jungen und fehönen Leuten umgeben fein, bie fie reizen finden und es ihr fagen werden, und das, glaub’ id, |

ift Die Urfache meines Mißmuthes.

Ich gehe zur gnaͤdigen Frau hinunter. Ich fürchte mich, Mel

phinen ein Bouquet zu reichen ; aber eine Rofe von meinem ſelbſi⸗ gezogenen Rofenftode am Fenſter will ich ihr bringen.

Madame ift mit ihrer Toilette beichäftigt, Adolphine allein im Zimmer, vor ihrem Flügel. Seit langer Zeit haben wir und nicht allein gefeheneeTrog der günftigen Gelegenheit, ihr Die Blume mit ben beflen Wünfchen . für ihr künftiges Glück zu überreichen, hab’ ich nicht den Muth dazu. Sch bleibe wie feſtgewurzelt mitten im Saale fliehen und fehe bald Adolphine, bald die Roſe an.

ABS das liebenswuͤrdige Kind mich erblickt, ruft fle: „Sie de, Andreas... Tommen Sie näher.” -

Ich trete langſam näher und zerreiße faſt die Blume, die ich in der Hand habe. "

„Bir ſehen uns fa fo felten, Andreas. Gefällt es Shan nicht mehr bei ung 2“

„Und wie, Fräulein !“

„Warum Tommen Sie nicht täglich 3“

„Ich fürchte... zu flören, Fräulein.”

„Su flören? ... Nein, Andreas, ich Tann in’ Ihrer Geyer wart eben fo fleißig arbeiten... vielleicht noch fleißiger und beſſen Dber langweilt Sie die Mufit 7

Wewiß nicht, Fräulein.“

„Bräulein?... Wie feierlih und gemeſſen, Audreas ? Sie fchetnen lange nicht fo heiter wie ehemals. Drüdt Sie was ? Sagen Sie’! mir... Sie wiffen, ih bin Ihre Freundin!“

O, wie mir bad zu Herzen geht! Ich Bin fo entzüdt barüber, daß das Wort auf meiner Zupge erſtirbt. Ich reiche ihr die Roſe hin und flottere:

„Wollten Sie ‚geruhen, Yräulein ?“

„Die ſchoͤne Rofe ift für mich, Andreas %”

„30, Bräulein, wenn Sie fie annehmen wollen von mir. Iſt nicht heute Ihr Namenstag 3“

„Wenn ich fie annehmen will? Zweifeln Sie daran? Ich meinem Lebensretter eine Rofe verweigern? Die Rofe, lieber Ans dreas, ift mir das liebſte Geſchenk nach dem Geſchenk meiner Mutter.“

Lieber Andreas! Sie nennt mich ihren lieben Andreas. Ich bin wie außer mir! In namenlofem Entzücken fafle ich ihre Hand und brüde fie in der meinigen. Aber weggommt... Caͤſar beilt. Großer Gott, des Herr Graf iſt's. Schnell reif’ ich mich von Adolphinen los und eile auf die Thüre zu, mich davon zu ſchleichen; boch zu ſpaͤt, ich laufe gerade auf ihn zu.

„Borgefehen, Schlingel!” ruft Herr von Franconard. „Er ift Schuld, daß Bäfar auf drei Pfoten herumhinkt, und jetzt rennt Er mir die Nafe ein. Wann trollt Er fi endlich aus meinem Hanje 3“ '

Schlingel! Das Eine Wort vernichtet alle meine Freude ; wie weh mir das thut! Ich muß meinen Thränen Luft machen.

Ich Schließe mich in meinem Zimmer ein und hänge meinen trüben Gedanken nad, bis die Stunde des Feftes fchlägt. Dann gehe ich an das Fenſter und betrachte mir die ſchoͤnen Wagen, Pferbe, Lisrden und Toiletten ; das. dauert wohl über eine Stunde. Was jegt aufaugen ? Hinunter darf ich nicht, bei den Bedienten mag ih nicht fein, und um Nanette und Vater Bernhard zu Defuchen,

müßte ich bie glänzend erleuchtete Treppe hinunter, und ich fchäme mich, meine traurige Miene zu zeigen, wo es fo hoch Hergeht.

Sch werfe mich verſtimmt auf einen Stuhl und denke über mein Schickſal nad. Es ift mir, als Härte ich noch den „lichen Anbreas“ von Hoolphinen und dazwiſchen ven „Schlingel“ vom Grafen. Ich muß endlich bitter weinen. Mir fcheint, als Hätte Madame befier geihan, mich in meinem früheren Berufe zu kaffen ; ich war fo glücklich, fo zufrienen bei Bernhard und Nanette! Je länger ich nachſinne, um fo trauriger werde ich.

Ploͤzlich fühle ich eine fammtimeidde Hand auf meinen Augen und Höre eine wohlbefannte Stimme.

„Barum fo allein und fo brummig wie ein Bär, während Alles im Hötel Inflig und guter Dinge iſt?“

Lucilie iſt's. Ste Hat ſich leiſe in's Zimmer geſchlichen, ohne daß ich fie gehoͤrt.

„Komme mit, Andreas, wir wollen durch ein Fenſter im Saale dem Tanz zufehen. Da find wir allein und koͤnnen und nad) Buße die ſchoͤnen Toiletten anfchauen und an den vornehmen Leuten Ternen, wie man es auf dem Balle machen muß.“

„Ich danke Ihnen, Mamfell Lueilte ; ich habe feine Lu, dem Tanz zuzuſehen,“ fage ich betrübt zu Lueillie. Ste bückt ſich und fieht dann die Thränen in meinen Augen.

„Mein Bott, was gibt es denn? Jch glaube, er weint; ja, feine Augen find, ganz roth. Andreas, Freundchen, was fehlt Dir? Barım fo traurig? Ich will und muß es wiffen; weinen, wenn Alles lacht und fcherzt! Geſchwind, warum weinen wir?"

kueilie fegt fih neben mich auf den Stuhl, legt meine Hände auf ihren Schooß, drückt fie, neigt fich zu mir, ficht mich fragend un und beſchwort mich auf Die theilnehmendſte Weiſe, ihr bie Ur⸗ Tode meines Kummers zu nennen. D, wie gut doch Die Seiber gu troſten wiſſen; umfer Schmerz ſcheint ihr Schmerz zu fein. &be sin es merken, fühlen wir umd um bie Hüfte Teichter.

Schon Tonıme id} mir weniger bedauerusworch vor, feit ducidl⸗ bei mir tft und ich Bei ihr. Ich erzähle ihr bloß, was der Graf zu mir gefagt hat; bad Andere behalte ich für mid.

„Weiter nichts ?" laͤchelt fie. „Wie kindiſch, ſich barüher zu grämen. Was kümmerſt Du Di um den alten Grieogram, ber für nichts GSiun Hat als für Küche und Hundeftall. Bil Du darum weniger geliebt von der gnädigen Frau, dem Fraͤnlein und mir? Bil Du darum weniger talentvoll, weniger nett, weniger rtig ? Alfo nicht länger geweint, ich verbiete ed. Weinen macht die Augen roth und ſchadet den hübſchen Heuglein ba... .“

Dabei Füßt fie mich auf die Stine und das that mir fo füg, fo wohl! Ich glaube, ich bin ſchon Etwas getroͤſtet; dennoch feufze ich tief auf, aber nicht ganz aus Kummer. Lucilie meint, ich fei immer noch traurig, und hält nochmals ihr Köpfchen Dicht an meine Bruſt. Diedmal Tüffe ich fie, doch nicht auf die Stirne.

„Was machft Du denn, Andreas,“ ruft Lucilie mit zitternder Stimme „Barum Füffeft Du mich? Wenn ed Dich tröftet, will ich's Dir ein wenig erlauben, aber nur ein wenig... ich glaube, jegt if’8 genug, mein Herr.”

Das fagt fle nicht in fcheltendem Tone. Der Anblid meiner ‚Tränen bat ihe Mitleid eingeflößt, und Mitleid macht ſchwach. Ich drücke fie brünflig an mein Herz: o, fie hat nicht mehr Zeit, meine Küffe zu zählen ; fie ftößt mich zuruͤck, aber fo fanft! und wie zärtlich fagt fie: „Andreas, mein Freund, Höre auf, ich bitte Dich!“

Die konnte ich 7!... Im flebenzehnten Jahre aufhören ?!... Mich nicht tröften dürfen in Deinen Armen, Du gutes MRäpdhen ®!

Seht haben wir die Rollen gewechſelt: ich bin ber Tröfter und Pucilie die zu Troͤſtende.

„Ber hätte Das von Dir gedacht, Andreas?“ fagt fie laut auffenfzend, doch fehe ich Teine Träne in ihrem Auge. Ich tzöfße Lacilie und fie gibt fich zufrieden ; bald fängt ſie jedoch wieber zu jammern an und ich troß⸗ fie nochmals, Aber Alles hat ein Ende.

Lo)

Kaum if fie geung geiräßet, fo nimmt ſe die alie Schelmenmiene ‚an und fagt lächelnp: -

„Nur geichwiegen, Aubrend, es geht Niemand was en, id bin Herrin im eigenen Haufe. Wer hindert mid, wenn ich Dich lieben will? Doch wollte ih, Du wärft artiger geweſen, aber mad geſchehen, ift gefchehen... vorbei! Sept fehlt nur noch ber Liebes: ſchwur, Andreas, einen regelrechten Schwur will ih, Andreas, geſchwind! Mein Bott, das Kind weiß von nichts, ich muß ihm Alles beibringen.”

Lucilie ſtellt fi wor -mich Hin, Heißt mich die rechte Hand in Die Höhe heben und ihr Alles nachſprechen, und erfünflelt eine feier: liche Miene, die zu ihrem Schelmengefidhichen ſchlecht paßt.

„Ich ſchwoͤre Lucilie, die ih von ganzem Herzen liebe . nun, mein Herr, koͤmmt's bald ?“

„Ich ſchwöre Lucilie, die ich von ganzem Genen liebe...“

„But fo... und ewig lieb behalten will..

„D gewiß, ewig!“

„Wie nett er bad fagt! Einen Kuh Dir, zum m gohn, Anudreas.

Mein Gott, wo waren wir ?“ „Ih ſchwoͤre, Sie ewig zu lieben, theure Lucilie.“

„Theure Lucilie, immer beffer! Ja, Andreas, Du mußt mid fo nennen, Notabene, wenn wir allein find, denn vor der Walt darfft Du nichts merken Faffen.“

„Gewiß nicht, Mamſell.“

„Mamſell? Was ſoll das froſtige Mamſell? Sag': theure Lucilie, wie Du eben fo nett ſagteſt.“

„Isa, meine theure, innigft geliebte Lucilie.“

„So iſt's recht, mein lieber Andreas. Aber der Schwur, mein Gere, mit bem kommen Sie nicht. Einen Schwur will ih, einen Schwur, verſtanden? Alſo: ich ſchwoöre ihr eiwige Treue... num, Iommt’8 bald ? “· |

res Mes verficht. man basunder, Bueiliet“

>».

Heilige Butter Gottes, das heißt... aber dem Kinde muß man Alles fagen! das Heißt, daß Du nur mich lieben will.“ -

„Das kann ich nicht ſchwoören, Rucilie.”

„Bas? Wie? Das Einmen Sie nicht ſchwoͤren, mein Herr? Warum nicht, wenn ich bitten darf?“

„Weil ich lügen müßte, und ein Savoyarde Tügt nicht, ſelbſt wenn er in Bari erzogen iſt. Sch will nie vergeffen, was mein Bater felig .

„Bon dem Allen verfiche ich nichts, mein Herr, Haben Sie eiwa ſchon Ihr Auge. auf eine Andere gerichtet, Eleiner Verräther ? Ar lieber Andreas, das wäre recht ſchlecht gehandelt!“

„Und ich fol nicht "mal meine Wohlthäterin, Nanette und Fräulein Adolphine lieben dürfen?“

„So meine ih’3 nicht, Andreas, ich meine unter Liebe... doch wozu ber Schwur, Thorheit das! Man ſchwoͤrt und vergißt über dem Schwur die Berfon, der man gefchtvoren bat. So geht's in der Welt. Liebe mich, fo viel Du kannſt und magft; ich barf nicht mehr verlangen von Dir ald Freundſchaft. Du biſt fieben- zehn Jahre alt, ich wierundzwanzig: fo bin ich bald zu alt für Dich, Andreas.“

„Was kümmert mich das Alter, Lueilie, ih will Dich ewig lieben.“

„Das Alter macht viel aus, Andreas. Auch fag’ ich nicht, daß ich alt bin, Gott fei Dank, im vierundzwanzigften Jahre iſt man noch jung, fehr jung, Andreas; namentlich die Weiber. Mit den Männern iſt's anders, die fcheinen viel eher vernünftig. Du 3. B. fiehft fhon aus wie ein Mann von zwanzig Jahren. Aber was ift Vie ihr, Andreas... meiner Seel’, elf Uhr! Wenn Madame ruft! Ich muß fort, ſchade, Schade! Adien, Andreas, Adien! Aber noch Eins, Andreas, noch eine Bitte, die Du mir nicht abjchlagen darfſt.“

„Und die wäre ?“

0

„DaB Du nicht fo oft zu Deiner Nauetie geht, ich mag fr nicht, Deine Nanette, fie iſt eben fo alt wis Du; Hat fie feinen Liebhaber ?

„Nanette einen Liebhaber? O nein, nein, Lucilie! Sie deut nicht daran.”

„Woher weißt Du dad? Doch ich errathe, warum ? Weil Du ihr Liebhaber biſt! Warte, Schelmchen!“

„Ich Nanettens Liebhaber? Nein, Lucilie, ich liebe fle wie eine Schweſter.“

„Sa ba! Man weiß, was das Heißt, man kennt die Liebe von Brüdern zu Mamſellchen, die nicht ihre Schweſtern find! Und ed wäre recht fchlecht von Dir, die Tochter des ehrlichen alten Bernhard zu verführen, der Dich wie feinen Sohn aufgenommen und behandelt Hat.“

„Aber, Mamfell, ih fchwöre.. .“

„Aber, mein Herr, Sie wiffen, ich will Teinen Schwur, dad ba ift beſſer . . Adien jept, Andreas, ih muß fort. Du geht glei zu Bette, nicht wahr ?“ |

„Gewiß, Lucilie, was foll ich noch thun 2“

„Gut fchlafen, Andreas, und von mir träumen, wie ich von Dir träumen will, und wie ich ſchon oft geihan habe, ohne Dir’ zu fagen. Jetzt wirb er mir vollends feine Ruhe mehr gönnen Im Traum. D, die Männer bie, wie dad Volk und quält! Mein Gott, wenn ih daran denke, habe ihn als Rind gelaunt und heute... heute... . gute Nacht, Andreas!“

Sie kußt mid, geht, kommt zurüd und küßt mich nocgmalß. So macht fie's wenigſtens zwanzigmal. O, das reigende, wonnige Geſchoͤpf! Endlich ift fie fort, und gleich liege ich im Belt. Wer hätte gebacht, daß ein Tag, der fo bitter anfing, fo füß euben würte!

21

Aeunzehntes Aapitel. Ein neuer Ankömmling. Abreife.

Dank den Tröftungen ber liebenswürbigen Lucilie, bin ich auf eine Zeit lang von dem Iräumerifchen Wefen Eurirt. Sobald das junge Mädchen einen Rüdfall in die Schwermuth für mich fürchtet, fteht fie mir hülfreich bei und verfcheucht mit dem Talisman ihrer fügen Liebkofungen alle trüben Gedanken in die Zukunft. Bei ihr kann man nur an die Gegenwart benfen.

Trotzdem fühle ich, daß meine Neigung zu Fräulein Anolphine täglich inniger wird. Auch Lucilie Tiebe ich, aber welch' ein Unter: ſchied zwiſchen meinen Gefühlen für die Cine und die Andere! Bei Ießterer iſt meine Schüchternheit gänzlich verfchtwunden ; ich ſcherze, lache, küſſe, und denke nur an's Vergnügen. Der Anblick ihrer Reize, ihr fchelmifches Auge, ihr anmuthiges Wefen entflammt, meine Siune; ich bin wie beraufcht von füßer Luft. Bei Adolphinen bin ich noch immer gleich fchüchtern, gleich verlegen. Ich hätte ihr taufend Dinge zu fagen und finde feine Worte dafür, ich fehe fie nur verfiohlen an, ich fürchte und wünfche ihrem Auge zu be- geguen. Spricht fie mit mir, fo zitiere und feufge ich; ſieht fie einen Andern an, fo wird mir, ich weiß felbft nicht wie ſchwül zu Muthe. Sf das eigentlich Bergnügen, was ich in ihrer Nähe empfinde? Schwerlid, und doch muß es fo fein, weil ich für biefen Genuß alle Senüffe, die Lucilie mir gewährt, hingeben würde. Es gibt alfo zwei Arten von Liebe. Wie kommt ed, daß man der Liebe, die und glüdlich macht, die andere vorzieht, die und Schmerzen "bringt?

Ungeachtet Luciliend Verbot jehe ich Nanette nad) wie vor. Das gute Kind nimmt an Allem, was mich betrifft, den lebhaf⸗ teften Antheil; ich muß ihr haarklein erzählen, wie ih den Tag aber lebe und was ich thue. Gegen fie fchütte ich mein ganzes

258 Herz aus, gewiſſe Bertraulichkeiten abgerechnet, die ich für mid behalten muß, weil ich kein Kind mehr bin und dad männliche Alter, dem ich mich nähere, Berfchwiegenheit fordert. Aber auch Nanette ift größer und reifer geworden. Eines Tages, als wir allein find, fällt mir ein, was Lucilie Fürzlich fagte.

„Nanette,“ fage ich zu ihr, „ich habe Teine Geheimniffe vor Dir, wie Du weißt, doch fcheint mir, Du ſchenkſt mir nicht da: felbe Bertrauen.“

Nanette erhebt ihr fanftes, etwas ſchmachtendes Auge auf mich und fragt erflaunt:

„Bad meinft Dun, Andreas?“

„Ich meine, Du haft gewiffe unfchuldige Geheimniſſe vor mir... in Deinem Alter fängt dad Herz an fich zu regen, glaub’ ich.“

Sie erröthet und fragt eben fo haſtig als verwirrt:

„Ber behauptet, daß mein Herz ſich rege?“

„Niemand, Nanette, ich vermuthe ed nur, weil Mamfell Lu⸗ eifte meint, Du feieft alt genug... Einen zu Tieben.“

„Deine Mamfell Lucilie ift nicht gefcheit. Sie mag mehr wilfen als ich, aber ich fehe nicht die Nothwendigkeit davon ein.“

„Sei nur nicht böfe, Nanette, es ift ja fein Verbrechen, einen Ltebhaber zu haben; ich meine einen Mann, der Dir in Ehren den Hof macht.“

„Rein, Andreas, nein, ich habe keinen und werbe nie einen haben.”

„Nie? Wer ſteht Dir dafür ?“

„Ich ſelbſt, Andreas, ich! Aber was geht das denn Mamfell Lueilie an, und warum ſetzt fie Dir folche Dinge in den Kopf ?“

Nanette hält die Schürze vor's Auge.

„Troͤſte Dih, Nanette,” füge ich und nehme fie in den Arm. „Du brauchſt nicht zu weinen ; ich fagte va nichts Arges von Dir.“

„D doch, doch! Wie kann man mir einen Liebhaber anbichten, m, großer Gott, iſls möglich" -

288

„Barum mit, Manetie ? Du bi hübſch genug, Einem zu gefallen.“

Raneite erhebt ſchnell den Kopf und ſieht mich vergnägt an.

„Alfo Du findeft mich Hübfch, Andreas ?“

„Gewiß, Ranette.”

„Eben fo Hübi als Fräulein Adolphine und Mamfell Lucilie 7”

„Das ift ſchon ... anders.”

Sie blickt traurig nieder und wiederholt :

„Sa, ich fehe, daß es was Anderes iſt.“

„Es gibt fo viele verfchlebene Schönheiten, Nanette; feine feht der andern ganz gleich und doch gefallen fle uns alte.

„Mein Gott, Andreas, wie gelehrt Du über diefe Dinge zu frrechen weißt! Haft Du das auch von Mamfell Lucilie gelernt 7“

Diefe naiv: unfchuldige Bemerkung Nanettens zwingt mich, zu erröthen. Nach einer Weile hebt fle auf’ Neue an:

„Und wärs Dir recht, wenn ich einen Mebhaber hätte 7’ „Barum nicht ? wenn er anders gut, redlich, fleißig und x vers danbig ift... . Frey fo, wie Du’s verhienft.“

Raneite anttwortet nichts. Sie flieht auf und trocknet 6; zährend fie ihre Acheit Holt, mit dem Schnupftuch heimlich die Kngen. Womit hab’ ich ihr denn wehe gethan? Sch denke nach, iber finde nichts; gleich darauf tritt Vater Bernharb in's Zimmer mb macht unferem Gefpräch ein Ende. Vergeblich über die Urfache on Nanettend Kummer nachdenkend, kehre ich in’3 Hotel zurück.

Hier finde ich Alles in großer Bewegung. Im Hofe des Hötels ak ein Reiſewagen und dicht dabei fteht ein von Kopf bis zu Fuß rfanbter Poſtillon. Wer mag denn angefommen fein ? Zum Güde egegue ich alabald ver allwiſſenden Lucilie, die mir die gewünfchte afflaͤrung gibt.

„Der Neffe des Heren Grafen,“ zifchelt fle mir {ms on i# fo eben aud dem Wagen geſtiegen.

Saul de Red. u. . 17

Ich biete Allem auf, meine hübfche Leidtragende zu befänfti- gen, bie mich der Reihe nad) ein Ungeheuer, einen Treulofen, einen Eleinen Verräther und Gott weiß, was fonft noch fchimpft. Vergebens betheure ich ihr, daß fie im Irrthum fei; alle Worte und Vorſtellungen fruchten nichts: fie behauptet, Welt und Men: ſchen befjer zu fennen. So muß denn au ich zu andern Mil teln greifen.

Endlich Hab’ ich ihre Tihränen geirodnet : fie findet mich nach⸗ gerade nicht mehr fo fchlimm und böfe, bittet mich aber beim Fort: geben flehentlich, das widerliche fauertöpftfche Mefen abzulegen, wenn ich anders den Damen gefallen wolle. Als fie fort ift, Felle ih allerhand vergleichende Betrachtungen an über mein Berhältnig zu den brei Weibern, die ich am meiften liebe. Adolphine macht mich glüdlich mit einem Worte, einer lächelnden Miene ; fle jcheint die innigfte Freundfchaft für mich zu empfinden, ſpricht immer mit Bergnügen mit mir, und doch ift fie nicht traurig, wenn ich nicht bei ihr Bin; fle gibt ſich allen Vergnügungen ihres Alters ganz und ungetheilt hin, vielleicht weil fie mich dann vergißt. Lucilte dagegen vergöttert mich, wie fie fagt, und möchte ven ganzen Tag bei mir fein; aber ihre Liebe ift gebieterifch, fie zankt und ſchilt mich, wenn ich zerftreut und nachdenklich bin ; ich fol nur fle ſehen, nur an fie denken, ihr ewig neue Beweife meiner Zärtlichkeit geben; . ihre Liebe ift etwas felbftifcher Art, wie mir dünkt. Nanette end» lich ift immer gleich gut und freundlich gegen mich, bin ich froh oder traurig, erzähl! ich ihr von Lucilie ober von Abolphine. Gie bezeigt mir ſtets die nämliche Freundſchaft und braucht mich bloß zu fehen, um glüdlich zu fein. Ja, gute Schweſter, id) weiß gewiß, Dein Herz wird ſich nie verändern, denn bie Freunbfchaft, bie Dich befeelt, iſt dauerhafter als Liebe.

Den folgenden Morgen läßt mich Herr Dermilly zu ſich rufen. In der Vorhalle des Hotels treffe ich den jungen Margyis pen Champagne. Ich grüße den Neffen des Her Grafen hoͤflich;

Fu |

himmelhohe Kluft Dich trennt von dem liebenswürbigen Kinde? daß ihr Bater Dich verächtlich anflcht? Ja, ich weiß dies Alles und doch ärgert mich die Ankunft diefes Neffen.

Diesmal bin ich eben fo neugierig als Lucilie. Ich brenne vor Ungebuld, den neuen Ankoͤmmling zu fehen. Endlich geht mein Wunſch in Erfüllung : ich fehe ihn von meinem Fenſter aus über den Hof fpazieren. Wirklich iſt er groß, ziemlich ſchlank, regel: mäßig von Geſicht; aber wie gebieterifch gegen feine_Diener, wie aumaßenb und nachläffig in Manieren, wie abgefchmadt in Klei⸗ vung und Haltung. Gr bleibt kaum fünf Minuten im Hofe und [don hat er wenigftens hundertmal mit der Hand in feiner Frifur herumgefahren, die Cravatte hin und her gezupft und feine Kleider glatt geſtrichen; wie Tann fo Einer liebenswürbig, geiftreich, ges müthlich ſein? Insgeheim gebe ich mich der Hoffnung Hin, er werde Adolphine nicht gefallen.

Den ganzen Tag bleibe ich auf dem Zimmer; ich wage nicht, mr Gräfin Hinunterzugehen, aus Furcht, dem jungen. Marquis zu begegnen. D, wie bleiern fchleichen die Stunden dahin !

Gegen Abend befucht mich Lucilie. Sie fragt nad} der’ Urfache meiner Berftimmung ; ich möchte nicht, daß fie fie erräth, und dech kaun ich mir feine Gewalt anthun. Lucilie verfucht nach beften Kräften, meinen Trübflun zu verſcheuchen; diesmal find alle ihre Unftrengungen vergebend. Das erzürnt fie fo, daß ſie betheuert, ich ſei ganz unausſtehlich und verdiene nicht mehr, daß man fi fe viel Mühe um mich gebe.

Ich laſſe fie fortſchwatzen: "die härteften Vorwürfe hätte ich mbig angehört, und denke nur an Adolphine und den jungen Mars wis. Als fie merkt, daß mit Boͤſem nichts anzufangen ift, ver- fat fie's auf andere Weife und wirft ſich ſchluchzend auf einen ichl. Die Thränen der Schönen erweichen auch das haͤrteſte Menecherz, wie viel mehr das Herz eines achtzehnthalbjaͤhrigen Raglings, bei im erſten Stadium der Liebe ſich beſindet.

36

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Ich biete Allem auf, meine hübſche Leidtragende zu befägfti- gen, bie mich der Reihe nach ein Ungeheuer, einen Treuloſen, einen Kleinen DBerräther und Gott weiß, was fonft noch ſchimpft. Bergebens betheure ich ihr, daß fle im Irrthum fei; alle Worte und Borftelungen fruchten nichts: fie behauptet, Welt und Raw fchen beffer zu kennen. So muß benn auch ich zu andern Wit, ten greifen.

Endlich Hab’ ich ihre Tränen getrocknet: fie findet mich nad: gerabe nicht mehr fo ſchlimm und böfe, bittet mich aber beim Fort: gehen flehentlih, das widerliche fauertöpfifche Mefen abzulegen, wenn ich anbers den Damen gefallen wolle. Als fie fort ik, Relle ich allerhand vergleichende Betrachtungen an über mein Verhältniß zu den drei Weibern, bie ich am meiften liebe. Abolphine macht mich glücklich mit einem Worte, einer lächelnden Miene ; fle ſcheint die innigfte Freundfchaft für mich zu empfinden, fpricht immer mit Vergnügen mit mir, und doch ift fie nicht traurig, wenn ich nicht bei ihr bin; fle gibt fich allen Vergnügungen ihres Alters gan und ungetheilt Hin, vielleicht weil fie mich dann vergißt. Lucilie dagegen vergoͤttert mich, wie ſie ſagt, und moͤchte den ganzen Tag bei mir fein; aber ihre Liebe iſt gebieteriſch, fie zankt und ſchilt mich, wenn ich zerſtreut und nachdenklich bin ; ich ſoll nur fle jeben, nur an fle denken, ihr ewig neue Beweife meiner Zärtlichkeit geben: . ihre Liebe ift etwas felbftifcher Art, wie mir dünkt. Nanette nd Yich ift immer gleich gut und freundlich gegen mich, Bin id ober traurig, erzähl’ ich ihr von Lucilie ober von Adolphine. Ei bezeigt mir ſtets die nämliche Freundſchaft und braucht mich Ble zu fehen, um glüdlich zu fein. Ja, gute Schwefter, ich mei gewiß, Dein Herz wird ſich nie verändern, denn bie Freunbfchaft bie Dich befeelt, ift dauerhafter als Liebe.

Den folgenden Morgen läßt mich Herr Dermilly zu ſich rufe In der Vorhalle des Hotels treffe ich den jungen Margyis Champagne. Ich grüße den Neffen des Herrn Grafen höflich ; de

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ber fieht mich an, buͤckt fich gegen Champagne und fragt ihn fo laut, daß ich's höre:

‚Dem gehört der Knabe ?“

Bem ich gehöre? D, die Unverfehämtheit! Bin ich denn ein Knecht ?

Champagne antwortet Teife vem jungen Marquis, der hoͤhniſch iu lächeln anfängt und eben fo laut wie früher fagt:

„So, fo, das ift der Savoyarde, von dem mein Onkel mir. zählte 2“ j

Schon wieder der Savoyarde! Der anmafende Ton, in dem der junge Menfch diefe Worte fpricht, treibt mir das Blut ind ft. Schon will ich umkehren und ihn zur Rebe flellen, denn nich gelüſtet, an dieſem Manne, ven ich, ohne ihm zu fennen, retabſcheue, mein Müthchen zu Fühlen und mich mit ihm zu ſchla⸗ gen... aber ex ift nicht mehr da. Alsbald werde ich ruhiger und ee über dem Gedanken, der in mir aufflieg. Im Haufe meiner Bohlthäterin Händel zu fuchen mit einem Verwandten ihres Gatten, dad der Dank für ihre große Güte gegen mich? Lieber flieh' von bier, fage ich zu mir, .che du dich auf fo ſchnode Weife an kiner Beichüßerin vergehft!

Ih begebe mich zu Herrn Dermilly,

„Andreas,“ redet er mi an, „ich habe Dir einen Vorſchlag a machen, von dem ich wünfche, daß er Dir genehm fein möge, °G ſtelle ich Alles Deinem freien Willen anheim. Auf Rath uined Arztes bin ich zu einer Reife in die Schweiz entfchloffen : fon lange fehne ich mich nach dem fehönen Lande, das dem Ange 8 Malers eben fo viel Genuß verfpricht, wie dem Auge des ein- aben Naturfreundes. In acht Tagen reife ich ab. Willſt Du mit?“

„O5 ich will!" rufe ich entzüdt und drüde gerührt Herrn ſermilly's Hand. „Sie könnten mir den Borfchlag zu Feiner paf- uderen Zeit machen. Ia, ja, ich reife mit Ihnen, wann Ste len: morgen, heute, noch in diefer Stunde !”

„I an Deiner Stelle, Andreas, ich warde nicht im Hötel bleiben ; wenn ich fo viel wüßte, wie Du jest. Du haft weiter nichts davon , ald daß Du Dich au ein vornehmes Lehen gewöhnſt.“

Ich glaube, Nanette hat nicht ganz Unrecht. Aber hat nicht meine Wohlthäterin ein Recht, über mich zu verfügen. Und werde ich’8 je über mich gewinnen können, Adolphine zu verlaffen ? Ad, in dem Augenblide denke ich erfi an ben jungen Marquis!

Bei meiner Rüdkunft ind Hötel laſſe ich mich bei meiner Mohlihäterin melden. Zitternd trete ich ins Zimmer, wo ich Mutier und Tochter allein finde und ihnen die Abficht des Herrn Dermilly mit mir eröffne.

Die Gräfin billigt meine Entihlüfe. „Die Reife kann Dir nur nüßlih werden,“ fagt fie zu.mir; „fle vervollſtaͤndigt Deine Erziehung. Herr Dermilly Tann Dir die befte Anleitung geben, mit fremben Ländern und Menſchen befannt zu werden und nüß- Hiche Kenntniffe einzufammeln. Nach Deiner Rückkehr will id glei; an die Sicherung Deiner Zukunft denken.“

Kaum höre ich, was die Frau Bräfin fagt, denn Auge, Ohr and Sinne. find ganz bei Adolphine, die, wie mir fcheint, bei diefer Nachricht blaß geworden if. Sollte ihr wirklich meine Ab⸗ zeife Schmerz machen? Ad, wenn ich Hoffnung hätte, daß fie mich nicht gang vergißt, dann würde ich bie Reiſe weniger uns gluͤcklich antreten,

Sie erhebt ſich und kommt auf mich zu. „Wie, Andreas,“ ſagt ſie, „Sie wollen uns verlaſſen 1“

Der Ton, in dem fie fragt, geht mir bis in die tiefſte Seele. Dann umarmt fle ihre Mutter und fragt weiter:

„Barum laſſen Sie Andreas fort, liebe Mutter? Wozu braucht ex die Reife? Es ift viel beffer bei und hier.“

„Mein liebes Kind,“ antwortet die Gräfin laͤchelnd, „Nnbread fommt bald zurüd. Auch müfjen wir und allmählig an bie Tren⸗ nung von ihm gewöhnen; bebeufe, er Tann nicht immer bei und

Hat mich gleich gern. Das gute Kind bleibt ſich immer gleich.“

„Uns Abdolphine?“ fragt er, mich ſchärfer anfehend.

Der Name Abolphine bringt mich in Außerfle Verwirrung.

„Fräulein Adolphine,“ ſtottere ich noihbürftig Heraus, „if fo gut, fo liebenswärbig.“

Mehr kann ich nicht, ich fürchte mich zu verrathen. Herr Der: milly HE mit Tragen ein, fieht mich tief bewegt an und ruft nach einer Pauſe feufzend: Armer Andreas!” Dabei drückt er mir zärtlich die Hand.

„Hemer Andreas!”

D Himmel, follte er mein Geheimniß errathen haben ? Aber woran? Hab’ ich doch Fein verdaͤchtig Wort gefagt !

„Du gehft mit mir,” ſagt Here Dermilly nach einer Baufe zu mir. „Die Reife wird Die eben fo wohl thun, und ſtatt acht Tage zu warten‘, wollen wir fihon übermorgen Paris verlaffen.”

„Behen wir nad Savoyen, Herr Dermilly ?“ frage ich ihn nach einer Weile.

„In diefem Jahre nicht, Andreas, aber im naͤchſten, wenn weine Geſundheit es erlaubt. Dann wollen wir Deine gute Mutter beſachen.“ Welch ein Gluͤck, nach fo langer Abweſenheit die Mutter wmieder fehen! Au der Mutterbruſt vergißt man, denke ich, alle Schmerzen der Liebe.

Die Abreiſe iſt unwiderruflich auf übermorgen feſtgeſeht. She ih ind Hötel zurückkehre, gehe ich zu Water Bernhard, ihm dev Entfegänf des Heren Dermiliy mitzutheilen. Nanette nimmt biefe Nachricht ungleich ruhiger auf, ala ich geglaubt Hätte; es fcheint ihr fogar Lieb zu fein, daß ich das Hötel verlaffe.

„Du follteft immer bei Herrn Dermilly bleiben,“ fagt fie, „er it fo gut und hat Die fo lieb. Du biſt bei ihm beſſer auf- gehoben, dunkt mich, ald beim Grafen, der fo nnartig gegen Dich in. Wir Du nach Deiner Müdichr wieder im Hotel wohnen 1“

„Geis, Ranstte, eine Zeitlang wenigftens.“ ..

"glüdlich antreten,

„I an Deiner Stelle, Andreas, ich warbe nicht im Hötel bleiben ; wenn ich fo viel wüßte, wie Du jegt. - Du ha weiter

nichts davon , ald daß Du Dich au ein vornehmes Leben gewähnk.“

Ich glaube, Nanette hat nicht ganz Unrecht. Aber Hat nicht meine Wohlthäterin ein Recht, über mich, zu verfügen, Und werde ich's je über mich gewinnen können, Adolphine zu verlaffen ? Ach, in dem Augenblide denke ich erfi an ben. jungen Marquis!

Bei meiner Rückkunft ind Hötel laſſe ich mich bei meine Wohlthäterin melden. Zitternd trete ich ind Zimmer, wo.id Makler; und Tochter allein finde und thnen die Abficht des Herrn Dermilly mit mir eröffne.

Die Gräfin billigt meine Entſchlüſſe. „Die Reife Tann Dir ame nüglich werden,” fagt fie. zu.mir; „fie vervollſtaͤndigt Deine Erziehung. Herr Dermilly kann Dir die befte Anleitung geben, mit fremden Ländern und Menſchen befannt zu werden unb nüch⸗ fiche Kenntniffe einzufammeln. Nah Deiner Rücklehr will id gleich an die Sicherung Deiner Zukunft denken.”

Kaum höre ich, was die Frau Gräfin fagt, denn Ange, Ohr and Sinne. find ganz bei Moolphine, die, wie mir feheint, bei diefer Nachricht blaß geworben if. Sollte ihr. wirklich meine I: veife Schmerz machen? Ad, wenn ich Hoffnung Hätte, daß fe mich nicht gang vergißt, dann würde ich die Reife weniger ur

Sie erhebt ſich und kommt auf mid) zu. „Wie, Andreas,“ fagt fie, „Sie wollen uns verlaffen 3“ Der Ton, in dem fie fragt, gebt mir bis in die tiefſte Seele. Dann umarmt fie ihre Mutter und fragt weiter: „Barum lafjen Sie Andreas fort, liebe Mutter? Wozu braudıi ex die Reife? Es ift viel beſſer bei uns hier.“ „Mein liebes Kind,“ antwortet die Gräfin laͤchelnd, „Aubreai fommt bald zurüd. ud) müflen wir und allmählig an bie Tren nung von ihm gewähnen; bedenke, er Fan wicht immer bei amı

2 Ken ; Andreao wird täglich Alter und größer und muß... bach davon fpäter mehr,“

Koolphine fieht mich traurig an und ich blicke ſeufzend nieder. Ih darf ihr nicht fagen, daß es mein hoöchſtes Glück wäre, ewig biiße zu fein und zu bleiben! Es gibt ja Manches im Leben, "3 man nur benlen, nicht jagen barf.

Blöplich wird die Thüre aufgeriffen. Laut lachend fürmt der funge Marquis herein und wirft fich in einen Seffel. |

„Der Herr Onkel ifi wüthend,“ ruft er, ſich den Bauch hal- ka wor Lachen. „Ich wollte Eäfar rauchen lernen und ‚habe ihm vaei einen Zahn ausgebrochen.“

Die Ankunft des jungen Marquis unterbricht und Drei. Ma⸗ hme bat die Güte, ihn anzuhören, Apolphine ſetzt ſich an ihr diano und ich gehe fort, deun der Unfall Gäfars verhindert natur⸗ id, an bie Abreife des Savoyarden zu denken.

Nur Lucilie weiß noch nichts von meiner bevorfichenden Ab⸗ wife. Ich will damit warten bis Abend, benn ſobald die Frau &äftn ihre Dienfte nicht mehr braucht, kommt fie gewöhnlich auf min Zimmer, um noch ein Weildden zu plaudern, ehe fie zu Bette geht.

Schon höre ich fie Die Treppe herauffliegen. Gewiß erkundigt fe fih, ob ich heute wieder. fo traurig bin wie geftern.

Sch weiß nicht recht, wie ich bei ihr die Sache anbringe; fie it fo ſelbſtſüchtig, fo ſtürmiſch in ihrer Siehe. Ich fürchte, ſie gu azürnen, und bach muß ich reben ; fie felbft fordert mich dagu auf.

„Du haft wieder was heut’ Abend,“ fagt fie mir, „ich jeh Dir's an den Augen an. Schon wieder Gcheimniffe vor mir, he? Ich will und muß Alles wiſſen, felbft Deine Trenlofigleiten, wenn Du unbankbar genug wäreft, ſolche zu begehen.“

„Rein, nein, Lucilie.“ „Se ſprich, Audreas. Ich denke mir allerhand.“ „Lacilie, ich will fort, aber komme bald wieder.“

„Du willſt fort, mein Gott, um elf Uhr Machts? Mei Herrchen, das geht nicht, over ich ſag's Madame.“ ,

„Sie verſtehen nich nicht, Lucilie. Herr Dermilly will mich mitnchmen in bie Schweiz, wohin er reisat auf ben Math feines Argtes; ich Degleite ihn und ſchon übermorgen zeifen wir ab."

„Abreifen?... in die Schweiz? ... übesmargen ? Usb dad ſagt ex mir fo, als... Andreas, wenn Du fortgehſt, täbl’ ih mich aus Hexgeleib !"

Cie wirft ſich in einem Stahl, macht die Augen gu, ſtredt bie Hände and und knirſcht mit den Zähnen. Mein Belt, ich glaube, fie kriegt Krämpfe... ja, ja, He wirb unwohl. Geſchuind laufe id; in ihre Rammer, Hole Dxangenblüthenmafler, Zuder, fig, Kolniſchwaſſer, reibe ihr die Schläfe und Kalte ihr das Flacon under die NRaſe. „Bucilie!“ zufe ich, „geliebte Bucilie, erwache! Ich komme ja bald wieder; ich wi Dich micht vergeſſen!“

Gie antwortet wicht, fie regt und rüttelt ſich nicht. Meine Murahe ſteigt auf's Hoͤchſte; fchon will ich Hälfe zufen, als fir plögic auffpringt, die Glaͤſer und Flaſchen, Die ich ihr Hinhalte, mir aus der Hand wirft und zornig fehreit: „Nein, mein Ges, Sie reifen nicht, ich will es nicht, ich, verſtehen Sie mi! Sie Veiben hier oder ich gehe mit Ihnen überall kin, bis ans Ende ber Belt. Mag man fagen, was man will, gleichviel!“

Dabei geht fie heftig im Zimmer auf und ab, Kampft mit bem Fuß auf den Boden, wirft bie Möbeln bei Geile, bie ihr im Wege fischen, fchlägt mit geballier Fauſt auf den Tiſch uud Gommabe, wie sin Heiner Teufel. Obgleich ich daraus ſehe, daß fie was auf'mid Hält, fürchte ich doch, daß man deu Lärm unien Bört. Ich voerfuche die letzten Worte, fie zu berukigen; fie hact mich nicht. Endlich Habe ich das Meben fat, Danı fängt fie an zu weinen, und mit ben Thränen hat ihre Kaſerei aufgehärt.

Allinaͤhlig nimmt fie Bernunft an und ſpricht wie länger bavon, mir za fußgen oder ſich um& Leben zu Ieingen, Dafür sch

ed jeht an ein Seufzen und Schmachten ; ein Schwur ewiger Treue vrängt den andern u. |. w. Ich thue Alles, was ich Tann, fie zu beruhigen, aber es will mir nicht recht gelingen.

Es fchlägt Mitternacht. Lucilie will fort, doch bittet fie mid, fie zu begleiten, um noch Länger bei mir zu fein. Ich habe ja nicht weit; ihre Tihüre ift der meinigen gegenüber. Lucilie bittet mich einzutreten ; fie habe noch keine Luft zu fchlafen. I and nicht, und wie Föunte ich ihr etwas abfchlagen, die mir fo viel Anhänglichkeit bezeigt! Sch gehe alfo Hinein, nur für einen Augen⸗ blick, aber ich weiß nicht, wie ed kommt: die ganze Macht verfliegt und die liebe Sonne findet mich noch in Luciliens Kammer.

„Dein Gott,” ruft das junge Kemmermäbchen, „Mile find ſchon wach im Hotel, Wenn fie Dich fortgehen ſehen, was werden fie von mir denken ?“

„Gewiß Teine Unwahrheit!“ fag’ ich bei mir. Doch begreife ih, daß man gewiffe Dinge nicht an bie große Glocke hängen darf. Lueilie will, ich ſoll bis an den Abend in ihrer Kammer verfedit bleiben. So weit geht meine Vorſicht nicht und ich finde mich vor⸗ anlaßt, Lucilie in aller Güte zu wiberfprecden. Ich glaube, fie hätte mich gar zu gerne ganz bei ſich behalten !!

neberdies babe ich noch allerlei Vorkehrungen zu treffen für die morgige Abreife. Troß der flehentlichſten Bitten Lueiliens, bie Alles für ihren guten Ruf befürchtet, ſchleiche ich mich fort aus ihrer Kammer und erreidhe ungefehen die meinige. Ich pade meine Effekten und laſſe fie dann zu Herrn Dermilly bringen. Es bleibt mir kaum noch Zeit, von Vater Bernhard -und Nanette Abſchied zu nehmen. Sch verfpreche der guten Schwefter, ihr recht oft zu ſchreiben und bitte fie, mir eben fo oft zu antworten. Zugleich händige ich Bernhard eine neue Gelbfumme für die Mutter ein, Bon der Seite kann ich alfo auf einige Zeit ruhig fein.

Auch Lucilie will, daß ih ihr fchreibe, was ich unter der Be- bingung verſpreche, daß fie meine Briefe beantworte unb mich über

\

284 Alles , was während meiner Abweſenheit im Schloffe vorgeht, anf dem Laufenden halte. Ich Tann mich an Feine beffere Quelle wenden.

„Sch verfpreche Dir's, Andreas,“ fagt fie. „Nur darfft Du über meinen Styl nicht lachen.“

Ueber ihren Styl lachen! Glaubt fie denn, ich koͤnne je ver: geffen, was ich früher gewefen bin? Sie meint, ich bürfe es fo Manchen nachmachen, die ihre Abkunft nur zu bald vergeffen! Nein, Lucilie, Du irrſt, ich werde meines Baterlandes, meiner Herfmft, meiner Eltern, meiner Hütte ewig eingeben bleiben !

Ich nehme den Augenblid wahr, wo Madame mit ihrer Tochter allein ift, um ihnen Lebewohl zu fagen. Wie betrübt fieht mid Abolphine an! Mein Herz ift fo voll, daß ich feine Worte finden kaun und fchweigend vor Madame ſtehen bleibe. Doch erräth fir, warum ich Tomme.

„dien, Andreas,” fagt fie, „reife glücklich und vor Allem gib ae Acht auf Herrn Dermilly. Seine Gefunbheit iſt fehr leidend,

doch hoffe ich, die Neife fol ihm gut thun. Du weißt nic, Andreas, wie viel Du an ibm haſt: einen Vater, einen Freund. Das vergiß nicht.“

Das ſagt ſie mit tief bewegter Stimme. Ich nehme ihre Hand, brüde fie an mein Herz und verſichere ihr, daß ich Alles thun werde, um mich der Güte defien, dem ich nach Ihr das Meifte verbanke, lets wärbig zu beweifen.

Dann wende ich mich zu Adolphine, verneige mich gegen fe und wii fortgehen.

„Run, Andreas,” jagt meine Wohlthäterin, „und Du nm- armſt Abolphine nicht I“

Sie umarmen! Das wagte ich nicht, und noch in dem Augen: blicke wage ich's nicht. Aber das Tiebliche Kind ſteht auf and —— mir einige Schritte. Sie hält mir die rofige Wange hin

„Übieu, Andrens, kommen Cie bald und recht gefund zurhd.”

365

keiſe berüthhre ich mit meinen Lippen ihre Wange unb ſtürze bann zum Thüre hinaus, denn der Kopf ſchwindelt mir; ich weiß nicht mehr, wo ich kin. Die Srinnerung an biefen feligen Augen: bli€ begleitet mich überall Hin auf meiner Reife. -.

Bwanzigfies Kapitel. Die Schweizerreife.

Der Wagen rollt dahin; mehrere Meilen trennen mich fchon von ihr und doch fühle ich den Sammt ihrer Wange no auf meinen Lippen, doch weht mich noch ihr füßer Athem an, doch bebe ich noch von ber zauberifchen Wirkung ihres Kuffes! .. . Rauſch der Liebe, du bringſt alle anderen Gefühle zum Schweigen, du machft oft ungerecht, hart, undankbar und felbfifüchtig. Schwe⸗ fern, Freunde, Eltern... Alles ift vergeflen, fo lange du dauerſt. Aber du bift nur ein Rauſch. Mit dem Wiebererwachen der Ders nunft tritt auch die Freundfchaft in ihre alten Rechte ein!

Mehrere Stunden lang flarre ich ſchweigend vor mich Hin, im tiefe Nachdenken verfunfen. Herr Dermilly ift fo zart, mich nicht aufzuflören aus meinen Träumereien. Endlich fehe ich mich im Wagen um und finde mich an der Seite deffen, ber mich zu feinem Reifegefährten erforen bat, und noch habe ich kein ſterbend Wörtchen mit ibm gewechjelt.

„Berzeihen Sie, Sen Dermilly,” fage ich, mich, ſchnell auf: richtend, „ich dachte.

„Macht nichts, Andreas,“ antwortet ex liebreich, „ich weiß, was Di drüdt. Im Anfang der Reife iſt dad Herz noch voll vom Abſchiede. Aber das gibt fich bald. Sieh’ Dich um mit mir in der freien Natur ; Iabe Dich an ber ſchoͤnen Landſchaft, an ben Feldern, Wiefen und Waldungen ; vergiß einen Augenblick Paris ı Du findefl es wieber, vie Du es verlaffen haft. Andreas, Du biſt

- 206 *

Iaum achtzehhn Jahre, und ſchon quält Dich die Liebe. Veſiege die Leidenſchaft oder fie Befiegt Dich und macht Dir viel Kummer. Diele Welt ift nicht für empfindfane Herzen geſchaffen. Rimm’ Dir ein Beifpiel an mir; auch mich hat die Lishe unglücklich ge: macht, weil ich meiner Leidenfchaft freien Lauf ließ. Ohne viele Neigung, wie glücklich Eöunte ich jetzt fein! Jetzt erſt, in meinem vierzigfien Jahre, ſehe ich ein, wie unvernünftig ich Hanbelle; bamald, im fünfundzwanzigften Jahre, dachte ich anderd. Ich warne Di, Andreas: follieft Du eine Neigung fühlen, die feinen Grfolg verfpricht, fo reif’ Dich heraus, dann fiegft Du über fie.” Herr Dermilly hat ganz recht. Statt ewig von ber reizenven Adolphine zu träumen, thäte ich beffer, meinem Herzen anderwei⸗ tige Beichäftigung zu geben, ſelbſt auf Unkoſten meiner Trenesgegen Lueilie. Aber ich bin noch weit von den Bierzigen und denke jeht, wie Herr Dermilly im fünfundzwanzigſten Jahre dachte. | Mein Sefährte unterhält mich von Nanette, Bernhard, meiner Mutter und dem armen Beter, ber gewiß nicht mehr lebt. Wie | gerne Höre ich ihm zu. Nein, die Liebe hat fo füße Erinnerungen noch nicht aus meinem Herzen verbannt! Dafür unterhalte ich ihn son, der gnäbigen Frau. Dann, glaube ich, träumt er noch eben fo fanft wie in feinem fünfunbzwanzigften Jahre. Ä Zum Lohn dafür unterhält er mich wieder von Abolphine. Daun mache ich's, wie er zuvor. Keine Silbe entfällt mir, umb ich bitte ihn, immer wieber von vorn anzufangen. So verfländigen fich unfere Herzen auf's Beſte. Unter diefem gegenfeitigen Aus: tauſch von Gedanken und Gefühlen verfließt die Zeit aufs An: genehurſte. | Unfer Weg geht zuerft nad) Bafel, wo wir einige Zeit bleiben wollen, um bie Umgegend zu befuchen. Die Stabt ſelbſt iſt ziemlich ſtaſter; die Cinwohner find nicht fehr verbinblich, aber bie Ums | gegend herrlich. Welch' Vergnügen, in ben maleriſchen Thälern herumzuſtreifen, die Berge zu ertlinmen, bie alten Schloßeninen

4

anf heen GSipfeln zu erſteigen und von dort aus bee Stutz der Gießbahe über ven Felfengrund zuzuſehen. Diefer prachtvolle Au: blick erinnert mid an meine Heimath. Die Schweiz hat sieh Aehnlichkeit mit Savoyen, nur fcheinen die Bauern bort reicher und glüdlicher zu fein; felten erblickt man einen Betiler. Wie treten in aller Brühe ienfere Wanbernugen an und kommen oft erft ben andern Tag zurück, dann fchlafen wir in Senwhätten bei Bauern, bie und mit ihrer weitgepriefenen Herzlichkeit und Gaftlichleit auf: nehmen. Am achten Tage unferes Aufenihaltes in Baſel bekamen wie Briefe von Paris ; denn fie wußten, daß wir um die Zeit in Bafel fein werben. Es find darunter zwei für mich nnd bloß‘ eines für Herrn Damiliy, aber mit welchem Güde eröffnet er ihn... und fein Wunder, eine einzige Zeile von geliebter Hand if ja ſchon ſo wohlthuend! Aber habe ich ein Recht, zu lagen, ich Undank⸗ barex ? Die Briefe find von Lucilie und Nanette. Yangen wir mil Lucilie an: ich muß wiſſen, wie es im Hötel zugeht.

Seht ver Schelm: nichts als Verſicherungen ihrer Liebe und Ttene! Glaub’ Ihnen, Mamſellchen. Licher wären mir Nachrichten über Madame, Adolph...! Sie denkt immer an mich, fie ſtirbt vor Sehnfucht nach mir. Gut, gut... aber kein Wort von Abol: phine, vom jungen Marauis. Die Lucklie denkt doch an nichts. ber halt, da ift ein kleines Post-seripfum. Nichts Neuss im Hoͤtel. Madame iſt traurig, das gnäbige Fräulein bitte, der Kerr Graf leidet an Berflopfung, der junge Marquis lebt in Sans und Brand.” Um fo beffer, fo kann er nicht bei feiner Couſine fein! Was ſteht da unten no? „Here Champagne mächt mir immer noch den Hof, aber ich Höre ihn nicht.” Das it ver Mühe werth, fo was zu ſchreiben. Item, Ich weiß wenigflens, daß fle traurig und ber Herr Beiter nicht Immer um fie iſt. Dank Dir, Lucilie.

Jetzt atı Nanettens Brief. Gute Nanette, ich hätte mit Div anfangen ſollen! Uber wenn ich an Dich denke, denke ich werigſtens on; un Die,

*

Ihre Zeilen find ber getreue Spiegel Ihres reinen, ſungfrüs lichen Herzens. „Sei glücklich,“ ſchreibt fle, „vergiß mich wicht, wie ich Dich nie vergefjen werde.“

Wie kurz, und doch find die wenigen Worte mehr werth, glaube ih, als die ellenlangen Schwüre Luciliens.

Nach dreitvöchentlichem Aufenthalte in Bafel befuchen wir Bern, Aurich, St. Gallen und Neufchatel, Unfer Album wirb täglich reicher an malerifchen Landſchaftsſtizzen. Ach, wäre mein Ken wicht ſo gebrüdt, mit welchem Enthuſiſasmus wollte ich die Her: lichkeiten der Natur genießen! Aber immer muß ich zurädhenfen and Hötel bed Grafen und die Bewohner befjelben.

Mit tiefer Befünmerniß fehe ich, daß es mit. der Gefunbheit msined Neifegefährten nicht den erwünfchten Erfolg hat.

Täglich wird er magerer, bleicher und fchwächer. Ich fürchte, die Ausflüge in die Berge fchaben ihm, weil er fich zu fehr aus firengt. Aber fo oft ich ihn davon abhalten will, fagt er:

„Laß mich bie Ratur bewundern und an ihrer Herrlicdhfeit mid Iaben, fo lange ich noch Tann. Vielleicht if mein Ende nahe; bis dahin möchte ich meine Zeit fo nuͤtzlich ald möglich anwenden.”

Mir bringen faft zwei Monate in biefen fchönen Gebirge: gegenden zu. Herr Dermilly will nun nach Genf. Wir miethen Saumthiere und, von Führen geleitet, pilgern wir in kleinen Tagereifen weiter und ruhen aus, wo ed und gefällt. Solch' ein Reifen lob' ich mir. Set haben wir den Genferjee erreicht. Herr Dermilly ift ſchwach und leidend. Ich fehe voraus, daß wir einige Bahrain "Senfbleiben muͤſſen, was ich nach Baris ſchreibe. Seit länger benn zwei Monaten haben wir feine Nachricht. Wie mag ed im Hötel zugehen? Sollte ich fchon vergeffen fein ? "

Bald daranf antwortet mir Nanette. Immer biefelbe Güte uns Sanftmuth! Sie ermahnt mich, Herrn Dermilly fo forgfältig Ae möglich zu pflegen und ihn Teinen Augenblick allein zu laſſen. Barum antwortet Lucilie nicht eben fo ſchnell? Sie, die mir bis

289 and Ende der Welt nachlaufen, aus Sehnſucht nach mir fi um⸗ bringen wollte? die yon Krämpfen befallen wurde ? Woher der Berzug? Bin ich doch noch fo jung!

Acht Tage fpäter trifft Luciliens Antwort ein. Immer daſſelbe Geſchwaͤtz: Liebe, nichts als Liebe. Doch lodert die Liebesflamme nicht mehr fo hell und heiß, wie mich duͤnkt, als im erften Briefe. Gottlob, endlich einige Details !

„88 geht etwas luſtiger zu im Hötel; wir haben mehrere Bälle gehabt. Der junge Marquis ift ein Saufewind, der nie genug kriegen Tann. Er ift felbft Sfter bei feiner Gouffne. Made: moiſelle wird täglich hübſcher.“

Ad, id weiß nur zu gut, wie hübſch fie if. Kaum wage ich weiter zu lefen.

„Sie lacht über die Narrheit ihres Couſins.“

Sie lacht mit ihm! Mein Gott, ich bin verloren. Armer Andreas, fle denkt nicht mehr an Di! Sie lacht, fie findet ihn liebenswürbig, ex gefällt ihr, fie lieben ſich, fie heir ...

Lefen wir weiter.

„Der Herr Marquis hat einen Heinen Engländer als Jockey in Dienft genommen. Er ift erft fünfzehn Jahre alt, noch ein Kind, aber hübſch... ich muß Lachen über fein Kauderwälſch, er bringt kaum vier Worte franzoͤfiſch heraus.“

Was geht mich das an? Mag er alle Jockey's in Dienft nehmen, ber Herr Marquis! Mber Halt, follte fie vielleicht mit ihm lachen, wie Abolphine mit dem Marquis?! Sie gibt ſich gern nit jungen Leuten ab, um fle heranzuziehen, wie mich. So, fo. Daher das lange Stillſchweigen? Doch nein! Hab’ ich nicht ihren Schmerz, ihre Thränen, ihre Wuth gefehen, als ich Ihr von meiner Tbreife erzählte? Jetzt zum Schluffe.

„Adien, lieber Andreas. Amüflre Dich gut und fei recht artig.

Deine treue Lucilie.“

Deine treue Lucilie! Ich Habe ihr alſo Unrecht geihan,

Paul de Rod. n. 18

%4 möchte gerne nach Boris zuruck; aber Herr Dermilly hat Niemand, der ihm von ber. Frau Gräfin erzählen Eöunte, und dad allein fcheint ihm gut zu thun, beſſer ald alle Arzuei. Er iſt Franf, ich kann und darf ihn nicht verlaflen ... es wäre der ſchmoͤdeſte Undank, nach den überfhwänglichen Wohlthaten, womit er mid überhäuft hat. Und müßt’ ich ihm mein ganzes Leben widmen, ih will e8 ohne Murren thun.

Endlich befindet ex ſich beffer und wir treten unſere Wan⸗ derungen von Neuem an. Könnt’ ich nur die Schönheiten ber Natur fo recht aus vollem Herzen genießen. Aber dazu gehört, was mir fehlt: Seelenruhe. Wenn Giferfucht im Herzen wählt, dann erblindet dad Auge gegen, bie Reize der Natur.

Einundzwangigfies Rapitel.

Die Rüdkehr nad Paris. Ich verlaffe dad Hötel. Nach dreimonatlihem Aufenthalt in Genf fchiffen wir und

auf der Rhone nach Lyon ein. Die Ufer der Rhone erquiden Ge: funde und Kranke gleich fehr; mehrere Wochen lang bewundern wir bie herrlichen Landfchaften an beiden Seiten des Stromes. Das Rhonethal ift weniger malerifch als die fchönen Schweiger: thäler, aber immerhin würdig des Pinſels. Ä GEndlich denkt Herr Dermilly an die Rückkehr. Wir kommen in £yon an und reifen nach achttägigem Aufenthalt in diefer Stabi, welche die Grinnerung an ben-arınen Peter und fein Abentener im mir wieder auffrifcht, unſeres Weges weiter, Die wantende Ge: fundheit Herrn Dermilly’s nöthigt uns von Zeit zu Zeit zu vaflem, und erſt nach neunmonatlicher Abweſenheit ſehe ich Paris wieder, wo ich das. erſte Mal tanzend und ſingend mit dem verlorenen Bruder einzog. Wie iſt jetzt Alles fo anders geworden! | „Andreas,“ ſagt Herr Dermilly, als wir. in bie Barieres

In

ber Hauptſtadt einfahren, „Du kehrſt in dad Hotel des’ Seren Grafen zurück, doch faſt glaube ich nur vorläufig. Was auch kommen mag, vergiß nicht, daß ich Dich als meinen Sohn anfehe und daß meine Wohnung die Deinige iſt.“

Evelmüthiger Mann, wodurch habe ich fo viel Güte verdient? Und doch brenne ich vor Ungeduld, ihn zu verlaſſen und in's Hötel zurückzüukehren. So undankbar macht die Liebe, ohne je Erſatz zu bieten für die Schwächen und ehler, wozu fie Anlaß gibt.

Es iſt acht Uhr Abends, als ich Das Hoͤtel betrete. Verlangend ſehe ich hinauf zu ben Fenſtern von Adolphinens Gemach; ſie iſt ba, mein Herz ſagt mir's; aber werde ich fie zu Geficht, bekommen hente Abens? Ich fürchte Vater und Neffen. Nein, ich will nicht zu ihr. Gefchwind zu Lucilien !

Wenn nur Lucilie im Zimmer if. Doch ja, der Schlüffel ſteckt. Im Borzimmer höre ich, wie fle in ihrer Schlaffammer ſich laut unterhält. Wer mag das fein? Adolphine? Unmoöoͤglich! Ich fann nicht umhin, ein Weilchen zuzuhorchen.

„Hurtig, John, Ihre englifche Lektüre. Aber draͤngen Sie nicht fo mit Ihren Beinen gegen meine,”

„Yes Miss.“

„Immer yes, yes. Schon wieder treten Sie mir anf die Füße.“

„es, Miss.“

„Halten Sie fi ruhig, John, und fagen mir, was „ich liebe Ste“ auf Englifch Heißt.“

„Llove you, Miss.”

„Ai love. Wie weit man das Manlchen aufreißen muß.

Gottlob Babe ich hübſche Zähne... Ai love.“

„ı love you for ever”

„For ever? Was heißt das?"

„Kor ever, Miss... id liebe Ihnen für viel Seit...“

„Da ha ba! Wie Fomifch das klingt! und dabei fieht er mich

ın, als wäre er zwanzig Jahre alt. Ha ba ha!”

a7 .

„For ever, Miss.”

„Sa, ja, ich verftehe... haltet doch die Kniee ruhig, Heiner Sodey. Mein Gott, wie feine Haut die Englaͤnder Haben, erſt ieh! fehe ih das... und was Heißt: Füffen Sie mid, Sohn?"

„Kiss me.“

„Kiss me? Ha ba! wie drollig! ... Das kann ich leicht nachfagen: Kiss me... Kiss me... na, wollt Ihr gleich auf⸗ hören, Schelmden... er erbrüdt mich noch!“

Plöglich reife ich die Thüre auf, um dem englifchen Unter: richt ein Ende zu machen, und fehe, wie Mamfell Lucilie die Hand eines Eleinen, roſigen, pausbädigen Blondins in der ihrigen prüdt. Es hat mir ganz den Anfchein, als lerne er ungleich ſchneller denn wir Savoyarben.

Kaum erfennt mich Kucilie, fo ſchreit fie laut auf und wir His über die Ohren roth, während ber Eleine Jockey mid; verbußt anblidt. Aber fchnell befiunt fie fih und winkt ihrem Schüler fortzugehen.

„Für heute iſt's genug,” fagt fle, „morgen mehr!“

Mafter Sohn grüßt fie faft mit betrübter Miene und ſchleicht fich leiſe brummend aus dem Zimmer fort.

„Alfo wieder zurüd, Andreas?” fagt Lucilie, auf mich zu tommend. „Das nennt man Ueberrafchung.“ |

„Ich ſah, wie wenig Sie aufeinen Beſuch von mir gefaßtwaren.”

„Wie fo, mein Herr ? Sie find doch nicht eiferfüchtig auf ein Kind, Her 's iſt ja nur Spaß, der englifche Unterricht, nur Spaß. Auf John eiferfüchtig fein! ha ha ha!“ |

„Richt im Geringftien, Mamfell, Lucilie, ich verfichere Sie...“ „Um fo beffer! Aber wie groß Sie geworben find, Anbreat, vollftändig zum Mann erwachfen. Ich darf jegt nicht mehr Da fagen. Und Sie küſſen mich nicht 'mal, Andreas? Haben Sie bie Artigkeit auf Reifen verlernt 2“ |

„Wie geht e8 der gnädigen Frau? bem gnaͤdigen Sräu...lein?“

era

„Ste Haben fle noch nicht gefehen?“

„Nein, ich komme fo eben erft an.”

„Sie werben jet allein fein. Madame Elagte über Kopfjchmerz heute Morgen und bat Feine Beſuche angenommen.”

„Sie find allein? So will ich Binunter.“

„Ohne mir einen Kuß zu gönnen, Andreas? ... Aber ih hoffe, Sie kommen wieder !“

Ih höre Lucilien nicht mehr; ich ſtehe fhon vor den Zimmern ber Frau Graͤſin. Wie mein Herz pocht! Ich fol fie wieberfehen, fie, die Geliebte, die Angebetete! Ach, die Reife hat meine Liebe nue gefördert, ſtatt fie zu ſchwaͤchen.

Nur eine einzige Thüre trennt mich noch von ihr. Ih Sinn: Iofer, ſtatt dieſe Leidenſchaft zu nähren, die mich früher ober fpäter unglüdlich machen muß, thäte ich nicht beffer, fie zu fliehen? Aber ih Tann nicht. Schon Habe ich den Thürbrüder in der Hand... ih öffne fie leiſe ... ich fehe ſie Iefend am Tiſche fiken.

Sie hört mich, nit... fle liest ruhig fort. Im Spiegel ihr gegenüber betrachte ich fie mir nach Herzensluſt; ja, fie ift noch ſchoͤner, noch viel fchöner geworben! Sie zählt jegt ſechszehn Jahre. O, baß wir noch in jener Zeit wären, da ich fie auf dem Arme trug, da ihre zierlichen Finger mit meinen Haarloden fpielten.

Indeß bin ich ihr unbemerkt näher gefommen; endlich ſtehe ih dicht bei ihr. Ohne zu wiſſen, was ich thue, ergreife ich ihre Hand und führe fie an mein Herz.

Adolphine erſchrickt anfangs; als fie mich aber erfennt, fcheint fie hocherfreut.

„Sie wieder da, Andreas?” fagt fie.. „8. wie freue ich mich, Sie wieder zu fehen. Jetzt reifen Sie nicht mehr, Andreas, nicht wahr? jegt bleiben Sie bei ung?“

Und dabei läßt mir das reizende Mäpchen ihre Hand, bie ich Begeiftert an's Herz drücke. Ich bin in fo füßer Verwirrung, daß ich nicht weiß, was ich füge. Sie fcheint mein Entzüden zu theilen.

„Sie haben mich alfo nicht vergeſſen, Fräulein Adolphine?

„Wie Tönnt’ ich das, Andreas? Sind Sie nicht mein Jugend: freund? mein Lebensretter?”

„D, daß ich mid Ihnen ganz widmen bürfte! Wüßlen Sie nur, wie ich mich überall nad Ihnen zurückſehnte. Sch kannie aur einen Wunſch: Sie bald moͤglichſt wieberzufehen.“

Faſt entfchlüpft mir mein Geheimniß, fo glücklich bin ich. Ich vergeffe, daß ich vor Bräulein Adolphine flehe, daß eine weite Kluft mich von ihr trennt, da Höre ich Schritte im Nebenzinmer. Ich babe kaum Zeit, ihre Hand loszulaſſen, als ber Marguis in den Saal tritt.

Als er mich erblickt, veszieht er hoͤhniſch die Lippen, geht auf feine Goufine zu, fegt fid ihr gegenüber und nimmt fie verdranlid bei ver Hand. Ach, er kenat ven Werth dieſes Schages nicht!

„Wie ich höre, iſt die Frau Mama unwohl, liebes Couſiuchen; auch ich leide an Kopfjchmerzen, darum will ich mit Ihnen recht nach Herzendluft lachen, bis fie fort find.“

Daun ſieht er mich verächtlih an und xuft:

„Was machen Sie da? Gehen Sie hinaus, wir brauchen Sie nicht.” |

Ich flehe wie angewurzelt, meine Augen feſt auf den Marquis gerichtet. Nur mit äußerfier Mühe Halte ich mich zurück. |

„Haben Sie mich verfianden ? hebt er nad) einer Weile an, als er mich noch immer auf dem nämlichen Plage ſieht. Ich gebiete Ihnen, hinauszugehen.“

Ich Habe Sie gehört, mein Herr, aber nicht gewußt, daß Sie zu mir reden.” J

„Zu wen ſonſt? Glauben Sie, ich trage Bedenken, ben Herra Savoyarden mit Namen Andreas fortgehen zu heißen?” |

„Sie haben Recht, Herr; ich bin Savoyarde und rechne mir's gar Ehre an. Meine Landsleute find bekannt wegen ihrer Chr⸗ lichleit, Treue und Dankbarkeit. Zeit meines Lebens will ich ihmen |

275

in biefen ererbien Tugenden nachelfern. Dies Gut tft mit lieber als alles Geld umd alle Titel fo mancher vornehmer Böfewichter.”

„Schöne Phrafen das, mein Lieber. Gewiß haben Sie tie im Aubigu ober de Ta Bait6 gelernt. Aber jet machen Sie, daß Sie fortkommen.“

„Sie haben hier nichts zu befehlen, Her !*

„Unverfchämter! Ich will Dich Mores lehren.“

Mein Blut kocht in meinen Adern... aber Abolphine Tommt auf mich zu und fieht mich flehend an.

„Mein Bott, warum biefer Streit ?“ ruft fie. „Couſin, was hat Ihnen Andreas zu Leide geihan ?“

„Ihr Andrens ift ein unverfchämter Geſell.“

Länger Halt ich's nicht aus; ich will auf den Marguis zus fürzen, da wirft ſich Adolphine ſlehend zwiſchen uns.

„Ohne vie Anwesenheit von Fräulein Adolphine,“ rufe ich dem Marquis zu, „ließe ich mich nicht ungeftraft Fränfen. Danten Sie ihr!”

„Ich glaube gar, er will mir trotzen. „Wart', ich will Dich lehren... .”

In dem Augenbfide tritt meine Wohlthäterin in's Zimmer ; fie hat unfern Streit gehört und ift alsbald herbeigerilt, ihrer Schmerzen nicht achtend. Abdolphine wirft fi in die Arme ihrer Mutter und ruft: „Erb es nicht zu, liebe Mutter, daß fie fich zanken. Wenn Du wüßte... .“

„Ich weiß Alles," erwidert die Gräfin. „Therigny, ich glaubte, Cie hätten mehr Achtung vor mir! Bedenken Sie, daß Sie in meinem Hauſe And und in Gegenwart meiner Tochter.”

„Wie, Tiebe Tante, Sie...”

„Schweigen Sie, Therigny! and Sie, Andreas, gehen Sie auf Ihr Simmer... kommen Sie morgen gu mir... gehn Sie, Anbreas, ich Bitte Sie.”

Damit reicht fie mir ihre Hand, die ich ehrerbietig kücſe

20

Dann gehe ich hinaus, ohne den Marquis angufehen, damit sicht mein Zorn mich zu einer Pflichtvergeffenheit gegen meine Voll: thäterin binreiße.

Oben erwartet mich Lucilie; bier kann ih meinen Gefühlen freien Lauf laſſen. Mit großen Schritten fpaziere ich im Zimmer auf und ab, ohne Lucilie zu beachten, die mich won Zeit zu Zeit am Rod zupft.

„Das ik zu arg!“

„Was ift zu arg, Andreas ?“"

„So beichimpft zu werben und in Gegenwart Adolphinens.“

„Bon wem ?“ |

„D, meine Wohlthäterin, ohne ihre Nähe, wer weiß, wozu mein Zorn mich gebracht Hätte!“

„Schon wieder im Zorn, mein Herr? und gegen wen?“

„Ich habe es fatt, morgen verlaffe ich das Hoͤtel.“

„Sie perlaſſen das Hötel? ha ha ha! Andreas, was Sie fagen 3" |

„Ich würde es gleich verlaffen ohne den Befehl der Gräfe, bie mich auf morgen zu fich befchieden hat.“

„Hören Sie endlich auf, fo zu ſcherzen, Herr Andread; ih werbe unwohl, wenn Sie nochmald vom Weggehen seven... o meine Nerven, ich fühle, wie fie ſtarr werden... o ich falle...“

Dabei wirft fie fih Laut ſeufzend auf den nächflen Stuhl. Als fle aber fieht, daß ihre Krämpfe mich nicht fonderlih rühren und ich nach wie vor mit weiten Schritten im Zimmer herumgehe. ba befinnt fie fich plößlich eines Andern und fliegt auf mich zu.

„Schaͤtzchen, wer bat Sie fo in Harnifch gebracht, ſprich? Wurmt Sie der englifche Unterricht beim Heinen Jockey, fo will ich ihn aufgeben, fo unſchuldig ex ifl.“ |

„O nein, Lucilie, fahren Sie damit fort, fo lange amd fo

oft F Per ich werde Sie nicht lange mehr. genisen ; morgen ) di

37

„Dad war der Mühe werth, zu Tommen, um gleich wieder zu gehen. Unb warum wollen Sie denn fort $ was hat man Ihnen geihan ?“

„Ran Hat wich gefränft ‚, Rueilie, beleidigt, wie: em Miſe⸗ rabeln behandelt.“

„Ber, Andreas, wer?“

„Der Neffe des Grafen.“

„Bah, weiter nichts! Um den Geden, ven Narren, der kaum jede hundertſte Minute weiß, was er fagt, um ben kümmern oe fh, Andreas ?

„encilie, es gibt Dinge, die ich niemals vergeflen werde. Ich fiche nicht für mich ein, was gefchieht, wenn ich noch einen Tag länger im. Hötel bleibe. Ich muß fort, es ift meine Pflicht; Die Frau Gräfin kann meinen Entſchluß nur billigen, das weiß ich.“

„Und ich weiß, daß fie Sie nicht fort läßt.” -

„Lueilie, helfen Sie mir meine Sachen paden.”

„Hübfcher Zeitvertreib nach neunmonatlicher Abweſenheit, wo man fich zum erflennal wieder ſieht und allerlei zu plaudern hat. Doch weil Sie's wollen. ,

„Es ift fchnell gefehehen.“

„Mein Bott, wie halt ich’3 aus im Hotel, wenn der Andreas fort if. Während Ihrer Reife tröftete ich mich wenigflend mit Ihrer Kücklehr.“

„Der Unterricht im Engliſchen wird Sie zerſtreuen, Lucilie.

„Seht, wie böfe er iſt, der Andreas! Iſt das ber Dank für meine Liebe I”

„Ich werde Ihre Guüte nie vergeffen, Lucilie, und bie feligen Stunden, die ich bei Ihnen verlebte.“

„Hoffentlih, Andreas, aber aus dem Auge, nicht ans dem Sinn. Wir köonnen uns ja nad wie vor fehen... 'nen Kuß, Andreas, wenn Sie mich noch lieb haben.“

„D, bes Theriguy! fein Anblie allein...” .,

„Hol' der Teufel alle Zornigen ... 3 ift nichts anzufangen mit ihnen. Wollte, Andreas, Sie wären noch ſo liebendwärbig wie ale Kind.“

„Wie fie die Arme nach mir auöftredite... wie fle mich auf

„Ber ſtreckte die Arme nach Ihnen aus? wer fah fie an? Ich will es wiſſen.“ |

„Rein, fie verachtet mich nicht : fie iſt zu gut, zu zartfühlend.“

„Bert, Sie Tönnen ſich ſelbſt Ihre Hoſen einpucken... dad Goeſchwaͤtz langweilt mid.”

„O Abolphine! Adolphine!“

„So fo! alſo dad gnaͤdige Fraͤulein ſteckt dem Herrn im Kopfe? Ich fürrchte, ex verliert noch den Verſtand um fie... wenn's nad won mich wäre, aber, bah! er dent nicht mehr an ſeine Aucilie!... Wo wird denn der Herr in Zukunft wohnen? Ich hoffe, nicht bei feiner Mamfel Nanette, denn bie if kein Kind mehr, umb der Anſtand... Andreas, Ihre Moreffe, ich will Site oft befuchen.“

„Sch ziehe zu Bern Dermilly.”

„Zu Seren Dermilly? Das genirt mi... aber gleichviel! immer noch beſſer wie zu den alten Bater Bernhard.“

Bernhard! Nanette! o ich Undankburer! Noch habe ich fie nicht gefehen, kaum an fle gedacht?... Aber wenn ich erft fort Kin aus dem Hötel, dann will ich ganz der Freundſchaft leben.

Die Nacht vergeht unter trüben Betrachtungen von mein Seite und unter fortwährenden Klagen von Luciliens Seite. Mit Tagesanbruch verläßt mich das junge Kammermaͤdchen, halb zaͤrt lich, halb betrübt.

Gegen elf Uhr ruft mich endlich Lucilie zur geäbigen Fram hinunter, die mich ſprechen will. Abolphine fiht bei der Mukluer und zeichnet.

Die gute Gavoline bezengt mir die wärufte Freundſchaft Adolphine flieht mich hukbobll lachelnd am: Beibe eifern in ie

!te, bie Kränkung. des Martzuis in VBecrefraheit zu Bringem_

Ich ade dann bus Graͤfin meinen Wunſch, bei Her Dermilly zu wohnen, vorausſetgzlich mit ihrer Ginwilligung. Adolphine Icheint ängfllid auf die Antwort der Mutter zu warten. Nach kurgem Befinnen au woriet dieſe:

„Ich lann ed Ihnen nicht verdenken, Andreas, und habe nichts gegen Ihren Umzug, nicht, als ob ich fürchtete, die geſtrigen Auftrikte würden ſich esneuern, ſondern weil ich glaube, daß bie Gegenwart bed Manguid Ihnen Läftig fallen muß. Da Ihre Er⸗ ziehung beendet tft, mäflen Sie jebt Welt und Menfchen aus eigener Anſchanung Tonnen lernen, wozu Sie nicht leicht beſſere Anleitung finden als bei Herrn Dermilly, der Sie „ben fo Henzlich liebt wie ih, und das will niel heißen, Andreas! Bei ihm And Sie eben fo gut aufgehoben wie Bei mir. Das teöflet mich über Ihre Tren⸗ nung von ung.“

„Wie, Mutter, Du laͤfſeſt ihn fort?” ruft Adolphine.

„Weil ich's gut mit ihm meine, liebe. Tochter. Andreas if jebt neungehn Jahre ali; ber Aufenthalt bier, wo er fafl aus: ſchließlich auf fein Zimmer beſchraͤnkt ift, Tann ihm nicht länger zuſagen. Wir fehen ung recht oft, nicht wahr, Andreas?“

Ich ſtottere nothdürftig eine Autwort, denn bie unläugbaxe Betrũbniß Adolphinens über die bevorſtehende Trennung verwirrt mi. Darauf ſcheinen auch bie Thränen zu donten, bie ich in ihren Angen jehe.

„he ich Sie fortlaffe, Andreas,” fängt meine Mohlihäterin von Neuem an, „muß ich Ihnen meine Abſichten mit Ihnen emds decken. Zeh wollte Ihnen die Mittel an die Hand geben, fih Hier in Baris zu eiablizen, and Sie an dad Maͤdchen verheiraihen, das Sie lieben.”

„Das ich liebe?“ wienechole ich befkärzt, währen Adolphine mich heimlich anſieht und aufmerkſam zuhorcht.

„Sa, Andryas, ich habe vie Gefühle Ihres Herzens errathen.“

Dip erblicte xxoihend nie,

Nicht gleich,“ fahrt die Graſta fort. „Cie finb nech zu jung zum Heirathen, Andrras, aber wem bie Zeit da ift zu Ihrer Ber: mählung mit... Nanetten, fo liegt die Mitgift für Sie bereit. Nehmen Sie dad an ald einen geringen Beweis meiner Erkennt: lichkeit für die Verdienſte Ihres ſeligen Baterd um mich und. meine Tochter.”

Nanette!... Sie glaubt alfo Abolphine vielleicht auch ich Liebe Nanette! Nein, ich will und muß Ihnen den Ser: tham nehmen. Abolphine blickt auf ihre Zeichnung nieder, aber De Hand ruht; jet ficht fie auf die Seite, um ihre Bewegung vor ber Mutter zu verbergen.

„Madame,“ antworte ich feurig, „ich danke Ihnen für den nenen Beweis Ihrer Güte, aber ih kann ihn nicht annehmen. Sie irren fich über meine Neigungen. Ich werde nie, nie Nanette beirathen. Ich betrachte fie als eine Schwefler, doch von Liebe zu ihr weiß ich nichts.“

„Sie lieben Ranette nicht 3" ruft meine Beichügerin erſtaunt. Statt zu antworten, fehe ich Adolphine an, bie freier zm athmen fcheint und mir einen Blick zuwirft, jo füß, fo liebreich,, da ich in dem Augenblicke mit feinem Könige ber Erbe getaufcht Hätte. Ich Tann mich nicht fatt fehen an ihr; obgleich fie das Hanpt bückt, bemerke ich, wie ein leichtes Lächeln über ihre Lippen fchiwebt, offenbar in Folge meiner Antwort. | So bleiben wir einige Minuten lang, während Adolphinens

Mutter, ohne. daß ich es gewähre, bald ihre Tochter, bad mich anfleht. Endlich erwache ih aus meinem Rauſche, mb als ich meine Augen auf die Gräfin richte, glaube ich einen Ausbruck vom Ernft, faſt Strenge, wie ich ihn nie an ihr bemerkt, auf ihte

Seſichte zu leſen. Grrötgend ſchlage ich den Blick nieber, fürchten,

fie Habe die Gefühle meines Herzens errathen. | Es thut mic leid,“ hebt die Sräfn- von Rewem ax, „bare ich mich geirrt Habe, Ich freute mich, Sie einſt an Annette

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Seite zu finden, und bin noch jet überzeugt, Sie würben glüd- lich mit ihr geivorden fein. Vielleicht ändern Sie Ihre... .“

„Rie, Madame, nie! Nie werde ich ein Mädchen lieben Eönnen, bad.

„Genug, Andreas, Sie koͤnnen gehen, ic werde Sie beim Herrn Grafen entfchuldigen.”

Befremdet durch diefe Worte meiner Wegithaterin will ich fortgehen, aber gleich darauf hebt ſie in ſanfterem Tone an:

„Vergeſſen Sie nie, Andreas, daß Sie einen Theil Ihrer Jugend in dieſem Haufe verlebten, daß ich Sie wie meinen eigenen Sohn liebe, daß Ihr Glück mir ewig am Herzen liegt.“

„Wie Tönnt’ ich das vergefien, Madame? Ihre Wohlthaten haben ſich unauslöfchlich meinem Herzen eingeprägt; Bott gehe, daß ich Ihnen einft meine Erkenntlichkeit dafür beweifen kann!“

Die gute Caroline ſchließt mich zärtlich in ihre Arme; Adol⸗ phine lommt auf mich zu, doch ein Blid ver Mutter Hält fie zu⸗ rad. Dafür reicht fie mir zum Abſchiede bie Hand, die ich in ber meinen zittern fühle.

So fchied ih aus dem Haufe, wo ich acht Jahre meines Lebens zubrachte. Bielleicht wäre es mir, ach! beffer geweſen, ich hätte e8 nie betreten !

Bweiundzwanzigſtes Kapitel. Unverhofftes Zufammentreffen.

„Da bin ich,” fage ich, bei Gern Dermilly eintretend; „ih habe das Hötel auf immer geräumt und will jeßt bei Ihnen bleiben, wenn Sie ed erlauben.”

„Wenn ich's erlaube, welche Rede!“ entwortet Herr Derwilly und ſchließt mich in feine Arme. „Deine Nähe, Andreas, ſoll meine Langeweile verfcheuchen und meine Schmerzen flillen. Es dauert nicht mehr Iange, fo wirft Du mir die Augen zubruden,“

Ich ſuche Ihm die finflern Gedanken auspıreven, indem ich ihm die Ereiguiffe im Hotel und die Urſache meines plöglichen Anszuges weitläufig erzäble.

„Du haft recht daran gethan,“ fagt er, „ber Groll hätte DIE am Ende vergeflen machen, daß Du in Carolinens Hanfe biſt; Bott weiß, welch Unheil daraus hätte entſtehrn koͤnnen! ber es ift Deine Pflicht, Andreas, die Graͤfin nach wie vor zu befuchen, wenn auch fo, daß Du jebe Berührung mit Leiten meideſt, die Dir wicht wohlwollen. Geh’ vecht oft zu Bernhard und Nanette. Mein Haus flieht Ihnen jeder Zeit offen. Ich gehöre wicht zu den Lenten,

die Anftoß nehmen an ben Befuch eined ehtlichen Mannes, u welchem Stanse er gehören mag. So denf ich als Künſtler, und

würbe fo denken, wenn ich Graf wäre.”

&o bin ich denn wieder in dem nämlichen Zimmer, wo ih als elfjähriger Knabe fo liebreiche Pflege fand. Die-guie Therefe

lebt nicht mehr; ein treuer Diener verficht jegt ihre Stelle Auch

dad Atelier, wo Ruffignol feinen Geſpenſterſpuk Irieb, befche ih mir wieder. Wo mag ber Kerl jebt fleden? Biellaigt bat man

ihn feiner loſen Streiche wegen laͤngſt fortgejagt aus Purid. Jept follte es mich nicht mehr an ber Nafe herumfähren! Herr Dermilly,

der aus Rüdficht auf feine erfchütterte Gefundheit nur noch äußert

felten arbeitet, gebraucht keine Modelle mehr.

Es Bleibt Dir vorbehalten, Wabeess,“ fagt er, „bie vom

mir angefangenen Gemälde zu vollenden.“

Der Umzug aus dem Hötel hat mic dermaßen beſchäftigt daß ich zu einem Veſuche bei meinen alten Fteunden biöher um-

möglich babe Zeit finden Können. Jetzt aber will ich zu ihnen

Sie wohnen noch an berfelben Stelle. Bater Bernhard hält gro Stacke auf feine Manfarde, obgleich: er recht wohl eine beſſe re Wohnung beziehen könnte; feine und feiner Tochter Arbeit Irimge ihuen genug ein. Hber der gute Bafferkräger weiß wicte Dom

"Meit, und wenn ihm Naueite vorfchlägt, einen Ein tiefen

hinab zu ziehen“, damit er nicht fo hoch zu. ſteigen Habe, antwortet ex feiner Tochter: „Meine Beine wiffen, wohin fle mich zu tragen, md meine Freunde, wo fie nrich zu fuchen haben. Wer meinet: wegen nicht eine Treppe höher Reigen mag, ber thut mir einen Gefallen, wenn er zu Haufe bleibt.“

Darauf weiß Nanette nichts zu erwibern : ihr Herz jagt ihr, daß ein Stock mehr oder weniger mich nicht genixt. Und fie hat recht. Mit Blitzesſchnelle bin ich oben, und glei Darauf befinde ih mich in den Armen meiner guten Freunde. D, wie wohl mir das thut ! Beruharh behauptet : ich fei ein ſchoͤner Mann geworben ; Nanette: ich fei mir immer gleich geblieben ; und ich finde Nas netten recht hübſch und ſchlank. Ihre neunzehn Jahre geben ihr ein gewiſſes zurüdhaltendes Ausfehen, das ihr vortrefflich ſteht.

„Ich lade mich bei Euch zu Gaſt,“ fage ich ihnen.

„Wie, Andreas!“ ruft Nanette hocherfreut, „Du kehrſt nicht ins Hötel zurüd 3“

„Rein, Nanette, ich babe es auf immer verlaffen, und wohne jegt Bei Herrn Dermilly.“

. Bater Bernhard fragt nach der Urfache diefer plöglichen Ver⸗ äuderung, worauf ich ihm Miles erzähle. Im hoͤchſten Grado übers vafcht mich die Freude, die Nanette darüber zeigt. War fle beim Wiederfehen bloß erfreut, fo bringt diefe Nachricht fie wahrhaft anßer fich: fie hüpft und tanzt im Zimmer herum, lacht und fingt zu gleicher Seit, Wonne firahlt aus ihren Augen, fie ift wie. neus gebosen, ganz wieder das achtjährige Kind, das mit mir unfere beimifchen Tänze tanzie,

„Bater! Bater!“ ruft fie außer fi, „er wohnt nicht mehr im Hötel! Welch ein Süd, Wie freut mich das!“

„Und warum denn ?* fragt Bater Bernhard.

„Weil wir ihn jetzt vecht,.vecht oft fehen Tännen. Gert Deus milly erlaubt uns gewiß, ihn zu befuchen, und dann hat er mehr Zeit und denkt mehr an und, und hat und noch Fieber.“

sinem und demſelben Dache waͤre mit Abolphiue, und deſhalb muß ich den haſſen, der mich von ihr getrennt hat.

Mehrere Wochen find nach meinem Umzuge verfloffen, uud noch habe ich nicht gewagt, meiner Wohlihäterin einen Beſuch zu machen. Dafür gehe ich allabenblich mehrere Stunden vor dem Hötel auf und ab. Lurilie kommt dann und wann zu mir, nament- lich wenn fie weiß, daß ich allein im Atelier arbeite; denn Lucilie liebt die Töte-A-tötes. Bon ihr Höre ich, daß Fräulein Adolphine feit meiner Abwefenheit fehr nievergefchlagen if, und auf feinen Ball mehr gehen will. Wüßteft Du, Lucilie, wie angenehm bie Nachricht in meinen Ohren Elingt! Herr von Therigny, fo erzählt fie weiter, verthut viel Geld auf Pferde und Wagen. Er foll auch eine Tänzerin an der großen Oper unterhalten, Meineiwegen zehn, wenn er nur von feiner Couſine abläßt! Leider findet ihn ber Herr Onkel hoͤchſt bezaubernn, weil er ihm jeden -Morgen irgend eine Nenigkeit von Chevet zuſchickt.

Ihr Schluß iſt ewig derfelbe: „Sch betheure Ihnen, ich habe den englifchen Unterricht ganz aufgefteclt und den Herrn Champagne ditto. Kommen Sie doch ins Hötel. Es ift nicht huͤbſch von Ihnen, daß Sie die gnädige Frau fo ganz vernachläfjigen.“

Ah, ich kaͤme gern, wüßte ich nur, was mid insgeheim das von abhält. Aber auch Herr Dermilly drängt in mi, und weil feine Wünſche mir Befehle find, gehe ich denn endlich nach forg- fältig gemachter Toilette. Ohne eitel zu fein, gebe ich was auf geſchmackvolle Kleivung; im Stillen wünfche ich zu gefallen. Ich bin faft eben fo gut gekleidet wie der Herr Marquis, und Lucilie verfichert, ich habe eine ganz ausgezeichnete Tournure.

Zitternd betrete.ich das Hötel. Auf der Treppe denke ich baran, daß ich Adolphine fehen ſoll; fie ift ja ſtets bei der Mutter. Lucilie fießt mich kommen und melbet mich bei ihrer Herrin an. Blei darauf heißt fie mich eintreten. Die Fran Gräfln iſt ba, aber Adolphine fehlt,

37

„Das war ber Mähe werth, zu Tommen, um gleich wieder zu gehen. Und warum wollen Sie denn fort ? was hat man Ihnen gethan 2“

„Ran hat mid gekraͤukt, Lucilie, beleidigt, wie einen "Die rabeln behandelt.“

„Ber, Andreas, wer?"

„Der Neffe des Grafen.“

„Bah, weiter nichts! Um den Gecken, den Narren, ber kaum jebe hundertſte Minute weiß, was er fagt, um ven kuͤmmern Ste fh, Andreas 7“

„Lucilie, ed gibt Dinge, die ich niemals vergeffen werbe. Ich Rebe nicht für mich ein, mas gefchieht, wenn ich noch einen Tag länger im. Hoͤtel bleibe. Ich muß fort, es ift meine Pflicht; die Fran Sräfin kann meinen Entſchluß nur billigen, das weiß ich.“

„Und ich weiß, daß fie Sie nicht fort Läßt.“ .

„Lueilie, helfen Sie mir meine Sachen paden.”

„Hübdfcher Zeitvertreib nach neunmonatlicder Abweſenheit, wo man ſich zum erflenmal wieder ſieht und allerlei zu plaudern hat. Doch weil Sie's wollen.

„Es tft ſchuell

„Bein Gott, wie halt ich's ans im Hoͤtel, wenn ber Andreas fort it. Während Ihrer Reife tröftete ich mich wenigflend mit Ihrer Rüdfehr.”

„Der Unterricht im Engliſchen wird Sie zerſtreuen, Lucilie.

„Seht, wie böfe er iſt, der Andreas! Iſt das der Dank für meine Liebe ?”

„Ich werde Ihre Ente nie vergeſſen, Lucilie, und die feligen Stunden, die ich bei Ihnen verlebte.“

„Hoffentlig, Andreas, aber aus dem Auge, nicht and bem Gin. Wir tönen und ja nad wie vor fehen... 'nen Ruß, Anbreas, wenn Sie mich noch lieb haben.“

„D, bes Theriguy! fein Aublich allein . u

0

Daun gehe ich hinaus, ohne den Marguis. angufehen, damit nicht mein Zorn mich zu einer Plihtvergeffenheit gegen meine Wohl⸗ thäterin hinreiße. Oben erwartet mid; Lucilie; bier Tann ich meinen Gefühlen freien Lauf laffen. Mit großen Schritten fpaziere ich im Zimmer auf und ab, ohne Lucilie zu beachten, die mich von Zeit zu Zeit am Rod zupft.

„Das ik zu arg!”

„Bas ift zu arg, Andreas?“

„So befchimpft zu werben und in Gegenwart Adolphinens.“

„Bon wem 2"

„O, meine Wohlthäterin, ohne ihre Nähe, wer weiß, wozu mein Zorn mich gebracht Hätte!“

„Schon. wieder im Zorn, mein Herr? und gegen wen?“

„Sch Habe es fatt, morgen verlaffe ih das Hotel.“

„Sie yerlafien dad Höfel? ha ha ha! Andreas, was Sie.

fagen ?“

„Sch würde ed gleich verlafen ohne den Befehl der Gräfin, die mich auf morgen zu ſich befchieden Hat.“

„Hören Sie endlich auf, fo zu bergen, Herr Andreas; ich werbe unwohl, wenn Sie nochmals vom Weggehen reden... o meine Merven, ich fühle, wie fie flarr werben... o ich falle...”

Dabei wirft fie fi laut feufzend auf den nächſten Stuhl. Als fie aber flieht, daß ihre Krämpfe mich nicht ſonderlich rühren und ich nach wie vor mit weiten Schritten im Zimmer herumgehe, ba befinnt fie ſich plöglich eines Andern und fliegt auf mich zu.

„Schaͤtzchen, wer hat Sie fo in Harniſch gebracht, ſprich? Wurmt Sie der englifche Unterricht beim feinen Sodey, fo will ich ihm aufgeben, fo unſchuldig er ifl.“

„D nein, Lucilie, fahren Sie damit. fort, fo lange aud fo oft Sie wollen ; ich werde Sie nicht Tange mehr. genisen ; morgen

gehe ich fort.“

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„Das war der Mähe werth, zu kommen, um gleich wieder zu gehen. Und warum wollen Sie denn fort? was hat man Ihnen gethan ?“

„Man bat mich gefräuft, Lucilie, beleidigt, wie: einen Mife: rabeln behandelt.“

„Ber, Andreas, wer ?“

„Der Neffe des Grafen.“

„Bah, weiter nichts! Um den Geden, ven Narren, der kaum jede hundertſte Minute weiß, was er fagt, um ben kümmern Ste fh, Andreas ?“

„Lueilie, es gibt Dinge, die ich niemals vergeffen werbe. Ich ehe nicht für mich ein, was gefchieht, wenn ich noch einen Tag länger im. Hötel bleibe. Ich muß fort, ed iſt meine Pflicht ; die Frau Gräfin kann meinen Entſchluß nur billigen, das weiß ich.“

„Und ich weiß, daß fie Sie nit fort läßt.“ g

„Lueilie, helfen Sie mir meine Sachen paden.”

„Hübfcher Zeitvertreib nach neunmonatlicher Abwefenheit, wo man fih zum erflenntal wieder ſieht und allerlei zu plaudern hat. Doch weil Sie's wollen . .

„Es iſt Schnell gefchehen.

„Mein Gott, wie halt ich's and im Hötel, wenn der Andreas fort iR. Während Ihrer Reife tröftete ich mich wenigſtens mit Ihrer Rüdlehr.”

„Der Unterricht im Engliſchen wird Sie zerſtreuen, Lucilie.”

„Seht, wie böfe er iſt, der Andreas! Iſt das ber Dank für meine Liebe ?“

„Ich werde Ihre Gute nie vergeſſen, Lucilie, und bie felgen Stunden, vie ich bei Ihnen verlebte.“

„Hoffentlich, Andreas, aber aus dem Auge, nicht and dem Sinn. Wir konnen und ja nad wie vor fehen... 'nen Kuß, Anbrend, wenn: Sie ‚mich noch lieb haben.”

„SD, ber Theriguy! fein Aublich allein...‘

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„Hol' der Teufel alle Zornigen... 5 ift nichts anzufangen mit ihnen. Wollte, Andreas, Sie wären noch fo liebenwürdig wie ale Kind.“

„Wie fle die Arme nach mir auöftredlie... wie fie mich anfah!“

„Ber ſtreckte die Arme nach Ihnen aus? wer fah fie an? Ich will es wiſſen.“

„Rein, fie verachtet mich nicht: ſie iſt zu gut, zu

„Bert, Sie Tönnen fh ſelbſt Ihre Hofe einpucken Geſchwaͤt Tangweilt mid.“

„D Adolphine! Abolphine !”

„So 10! alfo das gnädige Fräulein ſteckt dem Herrn im Kopfe? Ich fluͤrchte, ex verliert noch den Verſtand um fie... weun’s noch wm mich wäre, aber, bah! er ventt nicht mehr an feine Bucilie!... Bo wird denn der Herr in Zufanft wohnen? Ich hoffe, nicht bei feiner Mamfell Nanette, denn die if fen Kind mehr, und ber Anſtand... Andreas, Ihre Üpreffe, ich will Sie oft beiuchen.”

„Ih ziehe zu Herrn Dermilly.”

„Zu Herrn Dermilly? Das genirt mi... aber gleichviel! immer noch beſſer wie zu dem alten Vater Bernhard.“

Bernhard! Nanette! o ich Undankburer! Noch Habe ich fie nicht geſehen, kaum an fle gedacht!... Aber wenn ich erſt fort Kin ans dem Hotel, dann will ih ganz der Wreunbfiheft Ichen.

Die Nacht vergeht unter trüben Betrachtungen von meine Seite und unter fortwährenden Klagen von Luciliens Selle. Mit Tagesanbruch verläßt mich das junge Raminermäbchen, halb zaͤrt⸗ lich, halb betrübt.

Gegen elf Uhr ruft mich endlich Lucilie zur guäbigen Sram hinunter, die mid ſprechen will. Abolphine iu bei der Muilee und zeichnet.

Die gute Gavoline bezeugt mir die wärmfle reunbfihafl, Adolphine flieht mich huldobll laͤchelnd au: Weise eifern in Me Wette, bie Kränfung bes. Martuie im Desyuifenkeit gu Bringen

Ich eroſſue dann bar Graͤſin mainen Munfih, bei Seren Dermilly zu wohnen, porausſeglich mid ihrer Einwilligung. Adolphine ſcheint ängflih auf die Antwort ver Mutter zu warten. Nach Turgem Befinnen auimorist biefe:

„Dh lann es Ihnon nicht verdenken, Andreos, unb habe nichts gegen Ihren Umzug, nicht, als ob ich fürchtete, die geſtrigen Auftrikte wirsben ſich erneuern, fonbern weil ich glaube, baß bie Gegenwart des Maxquis Ihnen laͤſtig fallen muß. Da Ihre Er⸗ jiehung beendet if, mäflen Sie jetzt Welt und Menſchen aus eigener Anſchanung kennen lernen, wozu Sie nicht leicht beſſere Anleitung finden als bei Herrn Dermilly, der Sie eben fo herzlich liebt wie ich, und das will viel heißen, Andreas! Bei ihm ſind Sie eben jo gut aufgehoben wie bei mir. Das tröflel mich über Ihre Treu⸗ nung bon ung.“

„Wie, Mutter, Du läfſeſt ihn fort?“ ruft Adolphine.

„Beil ich's gut mit ihm meine, liebe. Tochter. Andreas if jest neungehn Jahre alt; der Aufenthalt Gier, wo er faſt aus⸗ ſchließlich auf fein Zimmer beichränukt ift, Tann ihm nicht länger jufagen. Wir fehen und recht oft, nicht wahr, Andreas?“

Ich ſtottere nothdürftig eine Antwort, bean bie unläugbarxe Betrubniß Adolphinens über die bevorſtehende Trennung verwirrt mich. Darauf ſcheinen auch bie Thränen zu deuten, bie ich in ihren Augen fehe.

„Ehe ich Sie fortlaffe, Andreas," fängt meine Wohlihäterin von Neem an, „muß ich Ihnen meine Abfichten mit Ihnen emts decken. Ich wollte Ihnen die Mittel an bie Hand geben, ſich Hier in Paris zu etablisen, und Sie an dad Mäpdgen verheirathen, das Sie lieben.“

„Das ich liebe?“ wiedechole ich beſticzt, waͤhrend Adolphine mich heimlich anſieht und aufmerkſam zuhorcht.

„Se, Androas, ich habe die Gefühle Ihres Herzens errathen.“

Dip erblide ↄrroihend neben, .

„Richt gleich,“ führt bie Graͤſtn fort. „Sie find noch zu jung zum Heirathen, Andtras, aber wenn die Seit da iſt zu Ihrer Ber: mählung mit... Nanetten, fo liegt die Mitgift für Sie bereit. Nehmen Sie das an ald einen geringen Beweis meiner Erkennt⸗ lichkeit für die Verdienſte Ihres feligen Baters um mich und. meine Tochter.“ a

Nanette!... Sie glaubt alſo Adolphine vielleicht auch ich liebe Nanette! Nein, ich will und muß Ihnen dem Sr: tham nehmen. Apolphine blickt auf ihre Zeichnung nieder, aber Me Hand ruht; jebt ſieht fie auf die Seite, um ihre Bewegung vor der Mutter zu verbergen.

„Madame,“ antworte ich fenrig, „ich danke Ihnen für ben wenen Beweis Ihrer Güte, aber ih Tann ihn nicht annehmen. Sie irren fi über meine Neigungen. Ich werbe nie, nie Nanette heirathen. Ich betrachte fie ald eine Schweler, doch von Liebe zu ihr weiß ich nichts.”

„Sie lieben Ranette nicht 2” ruft meine Beſchützerin erkannt.

Statt zu antworten, fehe ich Adolphine an, bie freier zu athmen fcheint und mir einen Blick zuwirft, fo füß, fo liebreich, dog th in dem Augenblicke mit Teinem Könige ber Erde getaufcht Hätte. 3% Tann mid nicht fatt fehen an ihr; obgleich fie dad Haupt bückt, bemerke ich, wie ein leichtes Lächeln über ihre Lippen ſchwebt, offenbar in Folge meiner Antwort. |

So bleiben wir einige Minuten lang, währen Adolphinens Mutter, ohne daß ich es gewähre, bald ihre Tochter, bald mich anfieht. Endlich erwache ich aus meinem Raufche, mb ad ich meinte Augen anf bie Gräfin richte, glaube ich einen Aushrud vom Ernft, faft Strenge, wie ich ihn nie an ihr bemerkt, auf ihre Geſichte zu Iefen. Ertothend ſchlage ich den Blick nieder, fürchten d fie habe die Gefühle meines Herzens errathen.

„Es thut mir leid,“ Gebt Die Graͤſin von Neuem au, „Fenis ich mich geist habe. Ich freute mich, Sie einſt an Renee

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Seite zu finden, unb bin noch jetzt überzeugt, Sie würben glück⸗ lich mit ihre geworden fein. Vielleicht ändern Sie Ihre. . .“

„Re, Madame, nie! Nie werde ich ein Mädchen lieben Tönnen, das.

„Genug, Andreas, Sie können gehen, ic werde Sie beim Herrn Grafen entfchuldigen.”

Befremdet durch diefe Worte meiner Welthaterin will ich fortgehen, aber gleich darauf hebt ſie in ſanfterem Tone an:

„Vergeſſen Sie nie, Andreas, daß Sie einen Theil Ihrer Jugend in dieſem Hauſe verlebten, daß ich Sie wie meinen eigenen Sohn liebe, daß Ihr Glück mir ewig am Herzen liegt.“

„Wie koͤnnt' ich das vergeſſen, Madame? Ihre Wohlthaten haben ſich unausloͤſchlich meinem Herzen eingepraͤgt; Gott gebe, daß ich Ihnen einſt meine Erkenntlichkeit dafür beweiſen kann!“

Die gute Caroline ſchließt mich zärtlich in ihre Arme; Abdol⸗ phine kommt auf mich zu, doch ein Blick ber Mutter hält fie zu: rad. Dafür reicht fie mir zum Abſchiede bie Hand, die ich in der meinen zittern fühle.

So ſchied id; aus dem Haufe, wo ich acht Jahre meines Lebens zubrachte. Bielleicht wäre mir, ach! beffer geweſen, ich hätte es nie betreten!

Bweiundzwanzigftes Kapitel. Unverhofftes Bufammentreffen.

„Da bin ich,” fage ich, bei Herrn Dermilly eintretend; „ih Babe das Hötel auf immer geräumt und will jebt bei Ihnen bleiben, wenn Sie es erlauben.“

„Wenn ich's erlaube, welche Rebe!" > anttwortet Her Deraiiliy und fliegt mich in feine Arme. „Deine Nähe, Andreas, ſoll meine Langeweile verfcheuchen und meine Schmerzen fllllen. 66 Dauert nicht mehr lange, ſo wirft Du mir die Augen zubrüden,“

Ich ſuche ihm die ſtuſſern Gedanken amözıreven, indem i& ihm die Creigniſſe im Hétel und die Urſache meines plöglicen Anszuges weitläufig erzähle.

„Du haft recht daran gethan,“ fagt er, „der Groll hätte DIE am Ende vergeffen machen, daß Du in Garolinen® Haufe biſt; Bott weiß, welch Unheil daraus Hätte entfiehen können! Aber es ift Deine Pflicht, Andreas, die Sräfln nach wie vor zu Befuchen, wenn andy fo, daß Du jede Berührung mit Lenten meibeft, Sie Dir nicht wehlwollen. Seh’ recht oft zu Bernhard und Nanette. Mein Haus flieht Ihnen jeder Zeit offen. Ich gehöre wicht zu ben Lenten, bie Anftoß nehmen an dem Beſuch eined ehrlichen Mannes, zu welchem Stande er gehören mag. So den? ich als Künfliex, und würde fo denken, wenn ich Graf wäre.”

&o Bin ich denn wieder in dem nämlichen Zimmer, wo ih als elfjähriger. Knabe fo liebreiche Pflege fand. Die-guie Thereſe Lebt nicht mehr ; ein treuer Diener verficht jegt ihre Stelle Auch das Atelier, wo Roſſignol feinen Geſpenſterſpuk trieb, befshe ich mir wieder. Wo mag ber Kerl jebt ſtecken? Bielleicht Bat man ihn feiner loſen Streiche wegen längft fortgejagt ans Paris. Jetzt follte eu mich nicht mehr an der Nafe heramführen!! Herr Dermilly, der aus Rüdfiht auf feine erfchütterte Geſundheit nur noch äußert felten arbeitet, gebraucht Teine Modelle mehr.

„&8 bleibt Dir vorbehalten, Andreas,“ fagt er, „bie von mir angefangenen Gemälde zu vollenden.“ |

Des Umzug aus dem Hötel hat mich dermaßen befgäftigt, vaß ich zu einem Befuche bei meinen alden Freunden bisher un: wöglid; habe Zelt finden Eönnen. Sept aber will ich zw ihmen. Sie wohnen noch an berfelben Stelle. Bates Beruharb halt große Stacke auf feine Manfarde, obgleich: ex recht wohl eine beſſere Wohnung beziehen konnte; feine und feiner Tochter Arbeit Bringt Üen genug ein. Aber ber gute Waſſerträger weiß nichts von Ritelbeit, und wenn ihm Nancite vorichlägt, einen Sreck tiefer

hirab zu ziehen“, bamit ex nicht fo Hoch zu ſteigen Habe, amtmortet er feiner Tochter: „Meine Beine wiflen, wohin fle mich zu tragen, und meine Freunde, wo fie mich zu fuchen haben. Wer meinet: wegen nicht eine Treppe höher Reigen mag, ber thut mir einen Gefallen, wenn er zu Hanfe bleibt.“

Darauf weiß Nanette nichts zu erwidern: ihr Se; fagt ihr, daß ein Storm mehr oder weniger mich nicht genirt. Und fie Bat vccht. Mit Bligesfchnelle bin ich oben, und glei darauf befinde ih mich in den Armen meiner guten Freunde. DO, wie wohl mir das thut! Bernhard behauptet: ich fei ein ſchoͤner Mann geworben ; Nanette: ich fei mir immer gleich geblieben; und ich finde Nas netten recht hübſch und ſchlank. Ihre neunzehn Jahre geben ihr ein gewiſſes zurücdhaltendes Ansehen, das ihr vortrefflich ſteht.

„Ich lade mich bei Euch zu Gaſt,“ fage ich ihnen.

„Wie, Andreas!" ruft Nanette hocherfreut, „Du kehrſt nicht ins Hoͤtel zurück ?"-

„Rein, Nanette, ich habe ed auf immer verlaſſen, und wohne jest bei Herrn Dermilly.“

- Bater Bernhard fragt nach der Urfache diefer plöglichen Bers änderung, worauf ich ihm Alles erzähle. Im hoͤchſten Grabe übers raſcht mich die rende, die Nanette darüber zeigt, War fie beim Wiederſehen bloß erfreut, fo Bringt dieſe Nachricht fie wahrhaft außer ſich: fie Hüpft und tanzt im Zimmer herum, lacht und fingt zu gleicher Zeit, Wonne firahlt aus ihren Augen, fie ift wie. meus geboren, ganz wieder das achtjährige Kiud, das mit mir umfere beimifchen Tänze tanzte.

„Bater! Bater!“ ruft fie außer fih, „er wohnt nicht mehr ine Hötel! Weld ein Süd, Wie freut mich das!“

„Und warum bean ?“ fragt Vater Bernhard.

„Weil wir ihn jegt recht, recht oft fehen Tünnen. Her Des: milly erlaubt und gewiß, ihn zu befwchen, und dann hat er mehr Zeit und denkt mehr an und, und hat und noch Fieber.“

| RB „Moch Fieber, Naneite ? Du ſprichſt, als hätte ich im Hötel Sach vergeſſen!“

. „Rein, nein! aber die vielen fchönen Zimmer, die herrlichen Möbels, die vornehme Welt, die da zufammen kommt, das Alles ſchwaͤcht das Gedaͤchtniß ein wenig; man fieht da Leute, bie... D, wie froh bin ich, Andreas; o, Tehre nie wieder dahin zurüd.”

„Nie?“ ruft Bernhard ; „das wäre ein fchöner Dank für bie vielen Wohlthaten.“

Ich will nicht fagen, Papa, daß er die Frau Gräfln nicht befuchen fol, nein, aber er foll in dem vornehmen Haufe nicht mehr wohnen und fchlafen ; das Einnte ihm allerlei Dinge in ven Kopf fegen, und Andreas darf nie vergeffen, daß er ein Savoyarde if. Nicht wahr, Andreas, das wirft Du nie vergeffen? Du wirft nie ftolz 2"

Ich, Nanette? Bin ich das je gewejen ?“ M „Rein, mein Sohn, das bift Du nie gewefen; aber meiner Seel', ich glaube, er hat dem Ding’ ba eine Schraube im Kopf losgemacht. Wie fie rabbelt und herumhüpft! Seit zehn Jahren habe ich an ihr das nicht mehr gefehen und gehört !“ | Ich bleibe den ganzen Tag bei meinen Freunden. Unter ben wahthaft rührennen Beweifen von Anhaͤnglichkeit, womit fie mid überhäufen, enteilen die Stunden wie im Fluge. Wenn der Gebante an Adolphine mir dann und wann einen Seufzer entlodt oder meine Stirne in Falten legt, dann nimmt Nanette, als errathe fie, was tn meiner Seele vorgeht, zärtlich meine Hand, ſpricht von ber Mutter, der Heimath, und weiß aldbalv das Lächeln auf meine Lippen zurüdzuzaubern. Vater Bernhard, der mit den Jahren fih eiwad mehr Ruhe und Erholung gönnt, bleibt Tänger ald gewöhn- lich am Tifche ſitzen, und leert ein Fläfchchen Wein mit min anf bie Gefundheit Aller, die mir lieb und werth find, während Naneite ir leiſe zuflüftert: „Andreas, wie danke ich Dir für den lieben.

m Tag! Seit lange bin ich nicht fo glücklich gewejen wie heute!“

X

Wach iq; fate mid opt yufklehen im Keeſe Diefer geien Seelen, zufriedener als je im Hötel. So reine, fo ſtille Freuden foftete ich dort niemald. Warum mußte ich in das fchöne Hans geraiben, das mir einen großen Theil meiner natürlichen Heiter: teit raubte ?

Gegen Abend verlaffe ich meine Freunde. Ehe.ich zu Herin Dermilly zurüdichre, fühle ich die größte Luft, beim Hötel vor; bei zu geben und mir bie Fenſter deffelben anzuſchauen. Da bin ich vor dem Haufe, wo meine Kindheit verfirih, und ein Theil meiner Jugend, wo ich bie Wohlthaten der Erziehung empfing, wo Geift und Herz herangebildet wurbe. Ad, ich Habe biefe Bor- theile theuer erfauft mit dem Verluſte meiner Seelenruhe! Gewiß, nicht ver Undank ſpricht ans mir; ich bin theilweife felbft daran Schuld: ich hätte meine Blicke nicht erheben follen zur Tochter meiner Wohlthäterin. Aber ſtets in ihrer Nähe, wie konnte ich mich ihres Zaubers erwehren? Warum ließen fie mich acht Jahre lang ſtündlich ihre Tugenden und ihre Reize bewundern Ober glaubten fie, der Savoyarde habe nicht eben fo gut ein empfäng- lich Herz in der Bruft wie jeder andere Mich ?

Auch die Frau Gräfin hat die Schmerzen ber Liebe Tennen gelernt, wie mir erzählt wurbe, fie wird daher Mitleid Haben. Eine Mutter, die wider ihre Neigung geheirathet hat, wird ihre Tochter nicht zu gleichem Schritie nöthigen. DO, ich Unfinniger! ber ich ganz den Grafen, feinen Rang und fein DBermögen vergaß, und eben ſo "wenig bedachte, daß man im ſechsunddreißigſten Jahre anders fuͤhlt und denkt als im achtzehnten! Mit ben Jahren ver- Liert fich die Empfaͤnglichkeit und Reizbarkeit des Herzens und da⸗ mit auch das Mitgefühl für die verwandten Schmerzen Anderer.

Nach faſt einfländigem Auf: und Mbipazieren vor dem Hötel wi ſtummem Aufchauen der Fenſter von Adolphinens Gemach Tehre d& endlich in meine neue Wohnung zurück. Mber mein Herz fagt wir, daß ich ohne die Dazwifchenkunft des Marquis noch unter

Baul de Rod. II, \ 19

einem unb beurfelben Dache teäre mit Anuinhiue, uns deſhalß muf ich den haſſen, der mich von ihr geirennt hat.

Mehrere Wochen find nach meinem Umzuge verfloßfen, un noch habe ich wicht gewagt, meiner Wohlihäterin einen Beſuch zu machen. Dafür gehe ich allabendlich mehrere Stunden vor dem Hotel auf und ab. Lucilie kommt dann und wann zu mir, nament- lich wenn fie weiß, daß ich allein im Atelier arbeite; denn Encilie liebt die Tete-A-tötes. Bon ihr höre ich, daß Fräulein Adolphine feit meiner Abwefenheit fehr nievergefchlagen ik, und auf keinen Ball mehr gehen will. Wüßteſt Du, Lucilie, wie angenehm bie Nachricht in meinen Ohren Eingt! Herr von Therigny, fo erzählt fie weiter, verthut viel Geld auf Pferde und Wagen. Erfolauh eine Tänzerin an ber großen Oper unterhalten. Meinetwegen zehn, wenn er nur von feiner Coufine abläßt! Leider findet ihm ber Her Onkel hoͤchſt bezaubernd, weil er ihm jeden Morgen isgend eine Neuigkeit von Ehevet zuſchickt.

Ihr Schluß iſt ewig derfelbe: „Sch betheure Ihnen, ih Habe ben englifchen Unterricht ganz aufgeftedlt und den Herrn Champagne ditto. Kommen Sie doch ind Hötel. Es ift nicht Hübfch von Ihnen,

daß Sie die gnädige Frau fo ganz vernachläfjigen.“ |

Ad, ich Täme gern, wüßte ich nur, was mich indgeheim da⸗ von abhält. Aber auch Herr Dermilly drängt in mid, unb weil feine Wuͤnſche mir Befehle find, gehe ich denn endlich nach forg- fältig gemachter Toilette. Ohne eitel zu fein, gebe ich was auf geſchmackvolle Kleidung; im Stillen wünfche ich zu gefallen. Ich bin faft eben fo gut gefleivet wie der Herr Marquis, und Eurilie verfichert, ich habe eine ganz ausgezeichnete Tournure.

Zitternd betrete.ich das Hoͤtel. Auf der Treppe denke ih baram, bag ich Adolphine fehen foll ; fie ift ja ſtets bei ver Mutter. Lucilie fieht mich kommen und melbet mich Bei ihrer Herrin an. Gleich |

barauf Heißt fie mich eintreten. Die Fran Gräfin if da, aber | Adolphine fehlt, |

I

MNadame empfängt mich ungemein freundfchafilich, uber. mein herz fucht Adolphine. Sie wird bald kommen, fage ich bei mir. Eine Minute vergeht nach der andern, aber Teine Abolphine zeigt fh. So muß ich denn zurückkehren, ohne mich an ihrem Anblick geweibet zu haben! Gott weiß, ob ich ed an Antworten habe fehlen laſſen ober fonft woran: genug, mir fcheint, die Gräfin hat meine Unruhe, meine Ungebuld bemerkt. Unwillfürlich find meine Mugen fetö auf die Thüre gerichtet. Madame erkundigt ſich nach Herm Dermilly's Befinden; ich wollte, ich koͤnnte ihr beſſere Nachricht geben, denn er wird täglich ſchwaͤcher. Chemals hätte die zari⸗ fühlende Caroline bei der Nachricht von feinem Unwohlfein Allem getrotzt, ihm perfönlich ihre innige Theilnahme zu beweifen, jegt begnügt fie fi) mit Seufzen und Wünfchen. So ändert man ſich mit den Jahren !

Ich muß fort; mein Beſuch hat lange genug gedauert. Ich ſtehe auf, aber ich halte mich nicht laͤnger: ſtotternd nenne ich Adolphinens Namen.

„Meine Tochter befindet ſich wohl," antwortet die Graͤfin froſtig; „ich werde Sie Adolphine beſtens empfehlen.“

So iſt es denn gewiß, ich ſoll fie nicht wiederſehen. Traurig gehe ich von bannen, gefolgt von Lucilie, die mir auf der wuerde ins Ohr flüflet:

„Ich komme morgen zu ghnen ins Atelier.“

„Warum habe ich das Fräulein nicht geſehen ?“ „Madame hat ſie auf ihr Zimmer geſchict, als ſie hörte, daß Sie da feien.“

Sie will alfo nit, daß ich ihre Tochter sche, Wäre fe doch früher fo vorfühtig geweien! '

Wie im Fluge eile ich aus dem Hötel, kaum im Stande, meine Thränen zurückzuhalten. Ich trete in das erfte beſte Haus, mich Dort auszuweinen. Zuvor betrachte ich mir nochmals Adol⸗ phinens Zenfter und fage bei mir: „Du ſollſt fie nicht mehr jehen,

28 weht ehe ſprochen, wilht mehr den füßen Rlang Ihrer Cine

hören!“

Mein Schmerz wird immer lebhafter. Gottlob, daß Ich hier auf dem dunkeln Gange eines ımbelannten Haufes meinen Zähren freien Lauf Taffen kann, daß ich fie nicht zu unterdrücken brauche

Pkotzlich fürmt ein junger Menfch ungefähr in meinem Alter und faſt fo gekleidet, wie ich ehemals bei Bater Bernhard, laut ſingend ind Haus, tanıt an mir worüber, der ich ihm ausweiche, und will bie Treppe hinaufeiken. Als er mich in meiner eleganten Keidung wie ein Rind weinen. flieht, bleibt er unfchtäffig chen and hört auf mit Singen, weiß aber nicht, wie er mich anreden WU. Gr Tommt auf mich zu, gebt wieder, huſtet, bleibt ſtehen und bommt nochmals auf mich zu.

„Rix für uncut, Harr,“ fagt er. „Der Harr hat Schmerzen, wie mir bünkt; find twir gefallen auf der Treppe, bie fo finfter if, wie 'ne alte Kuh, oder haben wir und den Schädel zerfishen, ober find wir übergefahren worden? Das Tommt wohl vor in Paris. Man ruft: vorgefehen! aber man Hart ſein eigen Wort nidgt vor all dem Spektakel. Befehle ver Harr was, fo wei ich's Sie be forgen than.“ |

Wie wenig ich auch geftört zu fein wuͤnſchte, fo blieb ich doch nicht gleichgültig gegen die Stimme, die offenbar einem Savoyar⸗ den angehörte. Das Gerz verhärtet ſich ante gegen die Griunerumgen an das Vaterland. Mit Tebhafter Theilnahme Tchre ich mch dem jungen Menfchen zu und antworte ihm freundlich: „Dank Dir, Freund, ich Brauche nichts.” |

Der Ton, in dem ich das ſagte, mußte ihn nicht recht Aberzengt Haben, denn er tritt näher auf mich zu und fagt nach einem Welchen :

„Das glaub’ ich kaum, Harr!“

Ich trockne laͤchelnd meine Thränen aus ben Angen und frage fin:

„Du biſt and Savoyen, nicht ſo

„MWotan tthut der Harr das kerie?“

„An Deiner Gprache, Freund.“

„Bah! IR der Harr wielleicht auch ans Savoylın I“

„Ja, Freund, ih bin Dein Landmann !“

„Das hätt’ ig mir nich traumen laſſen, Sa. Der bar ſyticht nich wie unſer Ciner und fieht auch nich fo aus; Ihr ſeid her Erſie, den ich fo gekleidet ſehe, Harr, und ich weite, Ihr feid nich nach Paris gekommen, fo ju ju, piu pin zu machen. Rir fir unchut, Harr, wenn ich das fage.“

Die Offenheit und Ratarlichteit des jungen Savoharden ge fallt mir.

„Bil Du ſchon Lange and Savohyen fort, Freund?“

„Schon reacht lange, Harr! Ich war fleben Jahr’ alt uns min Bruder acht, ald wir aus Savoyen fortgingen. Hab’ feit- m Schornflsine gefogt wie der leibhaftige Bott fei bei und.“

Sieben Jahre alt und mein Bruder acht! Welcher Gedanke Immt mir! Ich fehe ihn aufmerkfam an von Kopf bis zu Fuß. 3, ja, fein Geſicht Hat offenbar Aehnlichkeit mit... und. elf Schre Find inzwiſchen vergangen. Gott, wenn er's wäre! Mein derz pocht fo, daß ich Taum Worte finden Tann.

„Wie Heißt Dein Geburtsort in Savoyen, Freund?“

„Berin, ein Dürfen am Fuße des Mondblanc.“

„Berin! Und Dein Bater ?"

„Dein Vater flarb kurz, ehe wir forigingen.“

„und Dein Bater hieß?“

„Wie ih, Harr: Georgit, mit Verlaub.“

Er iſt's, wis... Beter, kennſt Du mich nicht, Deinen Bruder, Deinen Anbreas ?“

Damit ſchließe ich ihn in meine Arme und brüde ihn an mein berg. Aber Peter ficht mich ganz verblüfft an.

„3a, Peter, ich bin’... Dein Bruber, Dein Andreas !“ „Andreas? Mein Bruder? Sie.:. Pu; mein Vender Un⸗

noͤglich!“

290

Es dauert lange, ehe ich Ihm feine Zweifel benehmen Tann. Mehrere Minuten halten wir uns brüberlich umfchlofien, obne Worte finden zu koͤnnen.

„Dun, mein Bruder? mein Andreas? Du, in fo fchönen Kleidern ?“ hebt er enplih an. „Und Die weinteft I"

„Und Du, Beter, noch immer in Deinem alten Kittel? Und Du fangft ?*

„Sa, Bruder, ich finge immer. Aber haft Du denn Dein Gluͤck gemacht, Bruder, daß Du wie ein Prinz gekleidet geht ? Bas Teufels Heuleft und flenneft Du denn ?“

„Später davon, Freund, jebt will ich ganz dem Güde mich hingeben. O, mein tobt geglaubter Bruder !”

„Kein Wunder, Andreas. Seit ich dem Kerl im roten Rod, ber mich frefjen wollte, davon Tief, haben wir und nicht ’gefehen.“

„Komm’, Bruder, komm' fchnell mit mir,” fage ih nad einer neuen Umarmung, „zu meinem... zu unferem beften Freunde, er wird Dich eben fo freundlich aufnehmen.“ |

„Nur Geduld, Bruder, erft hab’ ich mir Antwort zu Holm bier im Hauſe ... das trägt ganzer zehn Sous ein, und das iſt was, meiner Seel’ !” |

„Komm’ nur, Bruder, Dir gehört al’ mein Hab und Ent.”

„Bruder, den Kunden darf ich nicht verlieren, und fo eine Beſtellung, die ift herrlich ; vergißt Du, was.

„Du haft Recht, Peter! Geh’ denn, ich wart⸗ auf Dich.“

„Lieber, gib mir Deine Adreſſe, dann komm' ich zw Dir, wenn ich fertig bin. Du könnteſt Iange warten müflen... ich Bab’ ba fo ’ne Kleine Stopfmamfell, die auf ihren Schak eiferfüchtig iſt, der ihr allerlei Flauſen vormacht; die Eännte mich aufe Rund: ſchaften ausſchicken, meiner Seel’! aber fle zahlt gut... das Weiber volf rauft ſich die Haare nicht aus um 'nen Sechfer mehr oder

weniger, wenn das verz im Spiele iſt. Es zahlt beffer als bie Mannsleute.“

2l

Ich gebe ihm Herrn Dermilly's Adreſſe und empfehle ihm größtmögliche Eile.

„Herr Dermilly ? Nennſt Du Dich nicht mehr Andreas Georgit wie fonft ?*

„Gewiß, Beier. Ich bin und bleibe ſtolz auf den Ramen unfereö redlichen Vaters.“

„Gottlob, ich ſehe, Bruder, Dein Herz iſt noch das alte unter en neuen Kleidern !“

„Dermilly heißt mein Freund und Wohlthäter, bei dem ich

ohne.“

„Gut, Andreas, ich verſtehe.“

„Komm' ja, und ſobald als moͤglich. Du darfſt mich nicht mehr verlaffen: wir bleiben von nun an immer zufammen.“

„Bei allem feinem Reichthum hat er mich lieb behalten, ver gute Andreas. Aber die Kleine wartet auf mich... Adieu, Andreas, ih Bin gleich wieder bei Dir.“ |

Peter umarmi mich und fliegt dann die Treppe Hinauf. Wie ganz anders verlaffe ich diefen Gang, als ich ihn Beirat! So glüdlich Bin ich Aber das wunderbare Zufammentreffen mit dem todt geglaubten Bruder, daß ich an dem Hötel vorbeigehe, ohne zum Fenſter anfzubliden ; ich denke nur an Peter. Ganz außer Athem komme ich bei Herrn Dermilly an und vermag kaum einige verfländliche Worte hervorzubringen.

Mein Freund nimmt den’ innigften Antheil an meiner Freude: Mit größter Ungeduld Karren wir der Ankunft Peters, um zu hören, wie e8 ihm inzwifchen ergangen und warum er nicht Tängft ber trauernden Mutter Auskunft über fich gegeben.

Wir warten eine Viertelſtunde nach der andern, aber fein Peter tommt. Sollte er die Adreſſe verloren haben? Und ich Thor habe vergeſſen, mich nach der feinigen zu erkundigen. Schon fleigt meine Unruhe und Augſt aufs Hochſte, da wird plößlich aus Leibes⸗ hräften an ber Gausglode gefihellt.,. Gottlob, das kann Niemand _

208. anders fein als Beter. Ich üffne die Thüre und wir flürzgen

einander in bie Arme. |

Ich führe Beier hinauf. In den Borzimmern von Hersu Ders millg’8 Wohngemach blickt er ganz fo verwundert um fi, wie ich in meinem elften Sahre, als ich in dem ſchoͤnen Botte erwachte und die Vorhänge auseinander fchlug.

„Wetter, das ift fehön Hier,“ ruft Beier ein übers andere Mal verwundert aus, „und wie gelehrt, wie geſchniegelt und ge firiegelt !“

Endlich flehen wir vor Herrn Dermilly.

„Iſt dad Dein Meifter, Andreas 3" flüſtert mir Peter ind Ohr.

„Biel mehr als das,” antworte ich und ergreife Herrn Der- milly’8 Hand, während Beter ihn ganz verdugt anflarıt. „Das ift mein zweiter Bater, mein Wohlthäter !“

„Willkommen, Lieber Peter,” fagt Herr Dermilly, meinem, Bruder die Hand Hinhaltenn. „Ich will auch Dein Freund fein.”

Beter weiß nicht, ob er fie anrühren foll, macht allerhand Krapfüße und tritt in feiner Berlegenheit auf eine Gonfole, die mit lauten ®epolter umflürzt. Erſchreckt darüber fliegt er auf vie entgegengefebte Seite gegen den Theetifch an und ſchmeißt ein hübs ſches Theeſervice herunter, daß jämmtliche Taffen zerbrechen. Die neue Tölpelei bringt ihn vollends außer Faſſung und er bleibt wie vom Blitz getroffen ftehen, während Herr Dermilly laut lacht und ich Beter die Verlegenheit auszureden ſuche. Endlich gelingt es mir. Ich rücke ihm einen Armftuhl Hin und drücke ihn Darauf nieber, Auf unfere Bitten hebt Peter folgendermaßen zu erzählen am:

„Du weißt, Bruder, daß ich mit den Kleidern unterm Arm im bloßen Hemde bavon lief, als ber Satan im rothen Mod mich ftefien wollte. Meiner Seel’, die Furcht vor dem Menfchenfseffer gab mir Flügel, und ohne mich nach Dir umzufehen, lief ich banom * über Kopf. Sp kam ich zu den Barridren hinaus, ih weiß

R nit, wie? Ge im ferim delde, als ich bie Glabt im

298.

Rüden hatte und Athew ſchoöpfte, kam mir ber Gedanle au Die. Ich ſchrie: „Andreas! Andreas!" aber Du hoͤrieſt mich nicht. Gewiß riefft Da: „Beben! Beer!“ und Peter hörte Dich chen lo wenig, natürlich ! Dan zog ich Hofe uud Rod an und fehie mid an ben Wand eines Grabens. Ich hörte nicht cher anf, „Andreas!“ zu rufen, hie ich wor Heiſerkeit nicht mehr kouufe, baun King ih zu weinen und zu ſchluchzen an. So kam bie Nacht heran; endlich fehlief ich ein. Mein Iepter Ruf war: „Andreas!“

Hier unterbreche ich ihn und ſchließe ihn gerührt in meine Arme.

„Au ich machte es fo, mein theurer Peter, auch mein letgter Ruf und Gedanke war: „‚Beter !‘“

„Den andern Mosgen in aller Frühe,“ hebt Peter von Neuem an, „trete ich auf gut Glück eine Wanderung an, ohne zu wiſſen wohin? Ich Hatte Hunger; beim Suchen fand ich in der Taſche unfere fieben Sous; wie Du weißt, was ich der Kaſſenführer und Kaſſentraͤger. Im nächften Dorfe ließ ich mix für einen Son Brob geben, das ich vos lauter Weinen kaum hinunterbracht⸗e, obgleich ih mörberifchen Hunger hatte; denn ich dachte daran, daß Du kin Geld hatteſt, Andreas, und fagte mir: was fängt ber arme Oruder an, wenn er kein Kamin zu fegen findet! Bald tröflete id mich etwas, bean mir fiel ein, daß Du Hüger und gefcheites biſt als ih. Ich Hatte oft gehört, daß, wer Kopf und Herz auf er rechten Stelle Het, in Paris fein Gluͤck machen muß. So kam ich in eine Stabt, ich hielt fie für einen andern Theil von Paris, Bottlob, ſagte ich mir, ba wird Andreas fein! aber nein, ich war n St. Germain. Ich brach in lautes Weinen aus; ein Herr, ber ben voraberging, fragte mich, warum ich weine, und ich erzählte ihm neine Geſchichte. Hoͤre,“ fprach er zu mir, „th habe eben reinen Knecht forigejagt, weil ex ſich täglich betrinkt und mir ben Bein im Keller ausſauft. Du bift noch jung, haft nicht viel Ippetit, da lann ich fpaven. .. auch finb bie Savoyarden ehrliche Inriche md trinken afler ſtatt Wein Wenn Du milk, nehue

04 ich Dig in meinen Dienft, fo brauchſt Di wenigſtens nicht im Freien zu ſchlafen.“ „Und mein Bruder,” fragte ih. „Den Iaffen wir in Baris ſuchen ... wir haben ihn Bald gefunden.“ Socherfreut über das Verfprechen des Herrn folgte ich ihm. Er war Gigenthümer eines großen Hauſes, bewohnte aber für fich bio brei Heine Stuben. Mein ganzes Lager beſtand in einem ſchlechten Stroh⸗ fad ; dennoch fehlief ich vortrefflich. Auch bekam ich nichts als Brod und gebörrte Hüffenfrüchte; aber wir Suvoyarben find nicht Lader, wie Du weißt. Enblich verfprach er mir einen Jahreslohn von zwölf Franken. Dafür diente ich ihm als Lakai, Koch und Laufbote, und weil er ſich gewaltig vor Feuer färchtete, mußte ich ihm jeden Morgen das Kamin fegen. So oft ih mich nach Dir erkundigte, gab er mir ausweichende Antwort, bis er eined Morgens: fagte, Du habeſt Paris verlaffen und man wiſſe nicht, wohin Du ges gangen feiefl. Bruder, ich Tann Dir nicht fagen, wie ich Bei der Nachricht weinte! Der Gedanke, Dich nie wieder fehen zu follen, plagte mich Tag und Nacht. Bald darauf wollte ih nach Paris. „Du thuft beffer, bei mir zu bleiben,“ antwortete ver alte Knauſer, der mich nicht miffen wollte; „nicht Jeder findet in Paris fein täglich Brod.““ Zugleich verſprach er mir, an meine Mutter zu ſchreiben, um fle über meine Rage zu beruhigen. So lebte ih fünf Jahre im Haufe des alten Geizhalſes. Je größer ih warb, um fo ärger Tangweilte ich mich bei ihm, der fi} ewig über meinen Heißhunger befchwerte, dennoch wagte ich nicht, ihn zu verlaffen: ich bin von Natur fchüchtern, wie Du weißt. Als er mich eines Morgens zum zweiten Frühſtück bei einem Baar Aepfel fand, gab - er mir endlich meinen Abfchied. „Du biſt erſt zwölf Sahre alt= fagte er, „und frißt fchon wie ein Fünfundzwanzigjähriger. Wo will das hinaus? Ich muß mich nach einem füngeren, nicht fo ausgehungerten Diener umfehen. Geh’ nach Paris, vielleicht Aubet Du Deinen Bruder wieder. Da Haft Dn Deinen Lohn für Fünf Jahre ... mit fechzig- Frauken Tann. man ſchon was anfangen!"

Zum erſtenntale durfte ich eine fo große Summe mein nennen. kuſtig und guter Dinge Tehrte ich nach Paris zuräd. Machſt du als Scherufteinfeger fein Glück, fagte ich mir, fo laͤufſt du Boten, du biſt alt genug dazu. Auch fuchft du Andreas, bis du ihn ſindeſt. Aber, du mein Gott, vergebens fuchte ich Dich wie 'ne Stecknadel, vergebens fragte ich jeden Savoyarben, der mir in den Wurf Tam. Sie konnten Dich nicht kennen, weil Du inzwifchen ein vornehmer Here geworden warſt. Endlich Hatte ich eine hübſche Summe ers ſpart: die fit du der guten Mutter, dachte ich bei mir. ber wie fängft du das an? Aus der Berlegenheit half mir ein Her, ein alter Kunde von mir, dem ich oft die Schuhe wichfen mußte, wofür er nie zahlte, um, wie er fagte, mir recht viel auf einmal geben zu Tönnen. „Ich habe viele Bekannte in Savoyen,“ ſprach er zu mir. „Gib mir dad Geld und Du barffl Dich darauf ver laſſen, daß es richtig beforgt wird.“ Das ließ ich mir nicht zweimal fagen, wie Du leicht denken kaunſt! Ich gebe ihm Hundert Franken, und nach einiger Zeit brachte er mir einen ſchönen Dank und bie beſten Grüße von Selten der Mutter und bed Bruders.“

„Armer Peter,” unterbrach ich ihn, „der Kerl hat Dich bes frogen. Die Mutter weiß nichts von Dir; fie glaubt, Du ſeieſt laͤngſt geſtorben.“

„Wär's möglich?! Und doch Hatte der Herr ein ehrlich Ges fiht! Mach einiger Zeit bot er mir aufd Neue feine Dienfte an.”

„Wie heißt der Herr?“

„Wart' nur, wie heißt er doch!... Eoifenn..: ja, ja, Lolfeau, ein Banquier.“

„and feine Adrefſe ?“

„Die weiß ich nicht. Er kam immer zu mir. Mitunter lud er mich auf ein Glas Kümmel in bie Sqhnapoboutique an ber Ede ein.”

„Ein Banguier, ber in einer Schnapsbontique mit Kümmel Dig heit wiederhoil Hur Dermilly, ungläubig ven. Kopf

ſchatielad. „Une He Betfoon, Freund Pober, hat mir ganz das Ausſehen eined Schelmo, der eine tũchtige Tracht Brügel verdient.“

„Bald darauf wwrbe ich krank und ba es mit dem Berdienft nicht fo echt vorrüden wollte, fo mußte ich lange krumm liegen und Ionnie ber guten Mutter nichts ſchicken. Da führte mich mein Schickſal oder mein guter Stern in dad Hand, mo ih Dich wie ein Kind weinend fand, obglei Du in fo netten Kleidern ſteckteſt

Die letzien Worte Peters zogen mir das Blut ins Geſicht

„Um dem Geſpräͤche eine andere Wendung zu geben, fing id eilig an, dam Bruder meine Geſchichte zu erzählen, von unferer Trennung an bis. auf den Augenblick unfered Zuſammentreffens.

„Meiner Seel',“ ruft Peter, „Du hattet Recht mit bem kleinen Berträt,, dad Du anf der Bruft trugſt; Die Haft ihm Dein Glkd zu verbanfen.- Uber fag’, Andreas, wie verjchieben finb wir jept! Da bi ein ſchoͤner, vornehmer Herr, haſt Talente, Keuniniffe und Anſtand wie ein Graf, und ich bin geblieben, mas ich war, bin noch eben fo dumm wie zuvor; aber Du liebſt mich wie che; mals, da® iſt die Hauytſache. Da haft gemacht, daß unfere Butter zufrieden if und an nicht Mangel Jeidet. Ueber Deinem Glüäck han Du Deine armen Gltern nicht vergeffen und dad iſt recht: wär ich fo reich geworben wie Du: ich glaube, das Hätte mir den Korf verrückt und doch hab’ ich auch ein gutes Gerz... Sapperlot, ’8 iR ſchon fpat, und ich wohne im Faubourg St. Jacques.“

„Rein, Freund Beer,“ fagte Herr Dermilly, „Dun wohn ven Gent an bei mir und Deinem Bruder. Wir wollen was Rechtes aus Dir machen.”

„Waͤr's möglich!” ruft Peter und‘ ſchmeißt vor Freude dem Temſtuhl um. „3 bier wohnen, in biefem fchönen Haufe ? Alle Sagel!... aber mein Krapeifen follt' ich haben und meinen Manyım ° Oder laff’ ich das bis morgen. Pop Sapperment, das muß ſich Bott lehben hier!“

Palm gerath aufer fl wor Grube. Ich drad⸗ Ges Dres

\

milly gerührt bie Sand und nehme Peter mit auf mein Schlaf zimmer, denn es ift ſchon fpät und Herr Dermillh bedarf der Ruhe, In meinem Zimmer wird Peter nicht müde, bie ‚herrlichen Mobis lien anzuſtaunen. „Bier fol ich wohnen, ich ?“ ruft er ein über's andere Mal verwundert aus.

Dennoch drüdt ihn etwas, er möchte zu gerne wiffen, warum id geweint Habe.

„ber fage, Bruder, was befüämmerte Dich fo auf dem dunkeln Bange in dem Haufe?" fragt er mi. „Ich will und muß es wiſſen ?

„Später, lieber Bruber.”

„Nein, Andreas, gleich, ich habe nicht eher Kuhe. D ſiehſt Du, wem ich aufhören muß, luſtig zu fein, um ein vor nehmer Herr zu werben, fo will ich Tieber Bleiben, was ich Yin, va kann Ich wenigſtens ben ganzen Tag fingen.“

„Mein Kummer, Bruder, Hat nicht viel auf ſich. Weißt On, ter, was verliebt fein Heißt? Nein ?”

„Bertieht ? Diener Seel', nein!”

„Dann, Beter, tannft Du mich nicht verftehen.”

„Du bift-alfo verliebt, Andreas? Und Deine Schoͤne bat Dir Dippchen vorgemacht wie der Schatz meiner Heinen Stovfmantſenx

„Betei, kein Wort mehr davon.

„Bas glaubſt Du, Bruder?! Die Votenläufer find verfäwies gen wie das Brab.“

Mur mit Diühe bringe ich Peter ind Bett. Er findet «6 viel m fchön und weich; endlich wagt er's, ſich auszuſtrecken. She zr ieſchlaft, ruft er wiederholt:

„Das ſchone Bett, wie weich! man verſtakt ganz... helfe, ‚ier will ich luſtig fein! Aber ich will mich hüten vor Verlich⸗ eit, ſouſt müßte ich auf weinen wie der arme Audeeas!“

———

M

Dreiundzwanzigſtes Kapitel. Herrn Dermilly's Tod. Ich bin reich. Peter macht Dummheiten.

Den naächſten Morgen beim Erwachen umarmen wir uns brüder⸗ lich. Wie füg ift dad Wieverfehen nach fo langer Treunung! Ih will mich gleich hinfeßen umb der guten Mutter die fröhliche Nach⸗ sicht melden.

Herr Dermilly fchläft noch. Inzwiſchen ſchicke ich Peter in ben Fauburg St. Jacques, damit er feine Effekten hole und alles Uebrige in Orbnung bringe. Gr verfpriht, bis zehn Uhr zuräd zu fein. Ich ſchaͤme mich meined Bruders nicht, aber weil er bei und wohnt, ſoll er auch gekleidet fein, wie ich e8 bin. Wir find fa von gleicher Groͤße; meine Kleider paffen ibm. So mag er fi mit den meinigen begnügen, bis ich feine Garberobe und was er fonk braucht, hergerichtet habe. Das unverhoffte Zuſammentreffen mit bem geliebten Bruder fcheint mir meine alte Heiterkeit wieberge geben zu Haben. Mein Glüͤck wäre noch größer, wenn nicht ber . Beufland Herrn Dermilly’s die lebhafteſten Beforgniffe in mir er: weckte. Er wirb mit jedem Tage ſchwaͤcher und niedergeſchlagener, und ich darf nicht einmal ber Frau Gräfln davon ſagen, denn er fürchtet, fie zu betrüben. |

Mit Krapeifen und Ranzen auf dem Budel kommt Peter zurüd.

„Wozu das 3" frag’ ich ihn; „Du weißt, Du brauchſt vie Sachen bier nicht.” |

„Höre, Bruder, Du haft große Dinge mit mir vor; aber wer weiß, ob fie Dir gelingen. Ich behalte mein Rrapeifen, vieleicht daß ed mir fpäter einmal gute Dienfte thut.“

„Du haſt Recht, Peter, und was Du aud wirft, fie innen

Dir eine Grinnerung fein an dad, was Du früher warf. Sept Heide Dich an,“

„Wie, Andreas, die fehönen Kleider find für mich ?“ ruft ex, vie Kleidungdftüde, die ich ihm hinhalte, bewundernd anſehend.

„Kür wen fon ? Du bift mein Bruder und folk nicht fchlechter gekleidet fein als ich.“

„Mag fein, Bruder; aber fest Du, ih Tomm’ mir gar zu linkiſch d'rin vor.“

„Das gibt ſich, Peter; auch ich konnte mich nicht gleich an fe gewöhnen.“

„>, wie hübſch muß das Kleinen !“

Beter leidet fich an; dann gehen wir zu Herrn Dermilly, ber mit dem Frühſtück auf und wartet. Er lacht laut, als er Peter erhlidt, und in der That fieht er Höchft komiſch aus, Aus Furcht, die Kleider zu beſchmutzen ober zu zerbrüden, fleht er kerzengerade da und flarrt dann vor ſich bin, weber links, noch rechts, noch hinter ſich blickend.

„Richt fo ſteif, Peter!“ ruf' ich ihm zu, „Du mußt Dich leichter tragen und thun, als ſtaͤckeſt Du noch in Deinem alten Kittel.“

Dann tritt er vor den Spiegel und ſtaunt Cravatte und Weſte an. Er will nicht auf den Boden ſehen aus lauter Schonung gegen

die Rofette feiner Halsbinde. Mit größter Mühe bringen wre im .

zum Sitzen, weil er die Rockſchoͤße zu zerfrämpeln fürchtet.

Nach dem Frühſtück, wobei Peter bloß zwei Taffen umwirft und nur eine Zuderbofe zerbricht, geh’ ich mit Peter zu Bater Bern- hard. D, daß ih ihn in’s Hötel mitnehmen vürftel Wären die Graͤſin und Adolphine allein, fie würden ihn beftimmt gut aufnehmen.

Auf der Straße fage ich zu Peter:

„Gib' mir den Arm und fieh' nicht aus, als gingft Du auf Biern.”

„Wenn nur der. Dred nicht wäre, Andreas,“ „Dred bin und Dred her: Haft Du nit Stiefel an ?"

„ber ſich', wie fie glänzen ; ſchade, wenn fie dreckig werben,“

„Drückt Di Dis Hofe, Peter ?“

FR

„Mein, Bruder.”

„Barum drehſt Du Dich denn fo?”

„Sch made kleine Schritte, Andreas ; daB if fein.” |

„Bein bin und fein Ber, Bruder; geh’, wie Du früher gingf und kümmere Dich nicht um Feinheit.“

„Wie Du will, Bruder.“

„Barım biſt Du fo roth im Geſicht? Fehlt Dir was?"

„Nein, Bruder: die Eravatte drückt mich ein wenig.”

„Teufel, fo mach fle lofer! Ste!’ ven Finger hinein.“

„Bohin dent Du, Bruder? Die Mofette würde zerbrüdt.“

Ich Führe Peter auf eine Heusflur, Binde Ihm dort das Hald: tuch Sofer, Inüpfe ihm ven Rod auf und zeige ihm, wie er ſich zu halten habe ; dann gehen wir weiter. Nach einer Weile macht er eine fo drollige Mitene, daß ich ihm lachend Frage, ob er ſcho wieber erſticken wolle.

„Ren, Bruder; aber mir ſcheint, alle Leute fehen mich ar.‘

„Bas tollen fie Dich anfehen ? Und wenn's wäre, braucht Du fhren Blicken auszuweichen? Deufe, Du bift ein ehrlicher Burſch, 'umb daß vie, welche über Dein linkiſch Weſen lachen, vieleicht wicht fo viel fagen Tönnen.“ -

Diefe Borſtellung frachtel: er bewegt die Beine freier, und al vitr beim Wafferträger eintreten, aſhmet er auf, wie wenn ihm eine

Sentnerlat vom Berzen gewaͤlzt wäre; bier fühlt er ſich in fein - Mahrwalfer,: denn hier inwonitt ihm michte,

Brruhard und Nanette kheilen meine Freube und behandeln ihn ganz fo liebreich wie mich ſelbſt. Ich gebe Bernhard einen Brief für meine Diutter, auf daß:fie ſich balvigſt mit mir Freuen Tan über den unverhofften Wieberfunb Peters. Es dauert nicht lange, fo fühlt er ſich bei den Tieben Leuten ganz heimiſch; hier engt und zwängt i nichts ein. Nach mehrſtündigem Aufenthalt fcheiden wir von un Drenuden unter ben Berfpreäien, fie weit op zu befuchen.

„Ihr ſeid zu jeber Stunde wikklommen,“ Fagt AMumeite zu Peter:

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fühte jeht, mad ich in dreizehaten Jahne nicht fühlte, hie greſie Auft, die und traum.”

Ich feufge tief auf; Abolphine ficht mich an, ihr Herz fcheint bes meine zu verfichen. Wir Beide fchweigen, aber unfere Augen eben und werben beredter, als unfer Mund vermocht hätte, Seliger Augenblick! Die Gräfin ift noch immer in. die Briefe vertieft und denkt einer glüdlicheren Bergangenheit, während ihre Tochter und ih und an ber Gegenwart labem

Ploͤtzlich wird unfer Geſpraͤch durch gewichtige Schritte im. Mehenzimmer geflört. Kaum habe ich mich von Adolphine entfernt und kaum hat die Graͤſin die Papiere, die fie in ver Hand Hält, verſteckt, fo tritt Herr von Franconard ind Zimmer,

„Ho 59!” zuft er, als ex mich fieht, „Andreas bei Dir? Mas macht er fchon wieder in meinem Hotel?"

„Sr bringt wir,“ antworte meine Wohlthaͤterin, „bie legten Grüße eined Mannes, ber mir fehr theuer und werth war: bie letzten Grüße Herrn Dermilly's, der ihm bei feinem Tode Alles vermecht hat.”

„zenfel! dad Blatt hat ih gewendet,“ ruft der Graf und wirft ſich in einen Bergöre; „ich erinnere mich jetzt, daß Sie mir von feinem Tobe ſagten. Auch Cäfar ift geftorben, der arme Hund! ih weine täglih um ihn. Dermilly war nicht ohne Talent; aber Gäfar! o, das war unvergleihlih! Weißt Du nicht mehr, Aus dreas, wie er Durch den Reif fprang ? Alſo Dermilly Hat Dir alles Seinige vermacht? Hm! das Heißt freilich nicht viel, fo eine Maler: erhichaft; arm wie ein Maler, fagt das Sprüchwort.” |

„Herr Dermilly war nicht fo arm, wie Sie glauben ‚“ ani⸗ woriat die Gräfin, tief verletzt durch die Rede ihres Gatten; „er binterläßt Andreas fechstaufend Livras Jahresrenten.“

„Sechstauſend Livres Jahresrenten!“ ruft Herr von Xrans conard und reißt die Augen weit auf. „Sauperlot, ba lobe ich min; wußr ich mer, ver fie mit dem lumpigen Geſchmier anf

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Lanwand fo viel zufemmenfääntern! Haut er mir ben Gäfer abeonterfeit, Du würbeft zehn blanke Thaler mehr in ber Erbſchaft gefunden haben, Anbread... unb fechötaufend Livres Jahres: renten! Wiſſe, Du gefänft mir immer beffer: Du Haft Dich zu Deinem Bortheil verändert, fett ich Dich zulept gefehen. Gott weiß, woher er die Tournure hat!“

„Sie find allzu nachſichtig, Her Graf,“ antworte ich unter leichter Verbeugung.

„Allzu nachſichtig! Hübſch geantwortet! Wer hat Dir das Gompliment beigebracht? Du felbft? Da flieht man, nichts bildet - den Geift mehr ald dad Geld, und ſechstauſend Livres Jahres: renten ift meiner Seel’ genug für einen Savoyarden. Sch weite, Du willſt einen Kram anlegen. Lebte Gäfar noch, fo würde ich Dir Died und Jenes, 3. B. für die Küche, zu liefern geben; ba braucht man allerhand ; aber dad Ereigniß hat mid) fo verflimmt, daß ich Alles in der Küche gehen laſſe, wie's geht!“

„Gar zu gütig, Herr Graf! Es iſt aber nicht meine Abſicht einen Kram anzulegen: ich will bei der Kunft bleiben, bie mein Wohlthäter mich lehrte. Ich Bin nicht auf Gelderwerb erpicht !“

„Schlimm! ſehr fchlimm! Der Handel könnte Dich weit bringen: mit dem Zumwägen von Erbſen und Sauerkraut kommt mon weiter, als mit dem Hins und Herpinfeln. Jeder will leben, das if aus⸗ gemachte Wahrheit, aber nicht Jeder will was gemalt Haben. Ich 3.2. Tümmere mich taufendmal weniger um Maler, als um Köche. Hab’ ich nicht recht, he?“

Statt zu antworten, made ich ihm mein Gompliment und verabfchiebe mich bei der Gräfin für die Reife nach Savoyen.

Sie reifen nad Savoyen 3" fragt Abolphine. „Um nicht wieber zurückzukehren nach Paris ?“

„Hoffentlich bald, Fräulein Adolphine; ih will nur bie Mutter befuchen, die ich feit elf Jahren, fo lange ich aus ber Heimath fort bin, nicht ‚gefehen habe. Mein Druder Peter veitt

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„Da bin dh, Bruder, etwas fpät, aber beſſer als gar nicht. Das war ein Jux, Bruder, und die andern Lümmel, die wollten und prügeln, aber, ſag' Dir, wir haben die Kerle gewammsöt nah Roten.” Ä

„Schweig’, Peter!’ fage ich, „und mach’, daß Du in’s Bett lommſt. Du weißt, Here Dermilly ift krank; wink Du ihn aufs weden aus dem Schlaf durch Dein Gebrüll?“

„Sapperlot, Bruber! das vergeß’ ich. Der gute Herr Der: milly! Höre, ich lieb’ und achte Ihn mehr wie mich felbfl ; meiner See, ich möchte ihn nicht weden.”

Dabei fchreit der Tropf immer lauter. Endlich zieh’ ich ihn in's Zimmer und fchließe alle Thüren zu, damit er Niemand fidrt.

„est geh’ in's Bett,” fage ih; „morgen kannſt Du erzählen, wad Du geihan haft.”

„Suche, Bruder, dad war ein Sur! Und dinirt haben it wie bie Prinzen, meiner Seel’!

„Bit wen haft. Du dinirt ?“

j er wen ? Das weißt Du nicht ? Mit Loifeau , meinem alten Kunden ; jebt ſchwoͤrt er, er fei mein Freund auf Top und Leben.”

„So, fo, der Loiſeau hat die Hand im Spiel! Nun begreife ih, warum Du fo bift! Wie Du mit einem foldden Kerl umgehen magft, der Dich fo ſchnode betrog und wahrfcheinlich nichts Anderes it als ein abgefeimier Spitzbube!“

„Bruder, Du thuſt ihm Unrecht: er ſchwoͤrt, er ſei ber ehr: lichſte Kerl auf Gottes Erdboden, und wenn unfere Mutter das Geld nicht gekriegt Habe, fei er fo unſchuldig d’ran wie ein eins jähriges Kind ; dann fei er felbft betrogen und beflohlen worben. Zum Beweis dafür z0g er allerhand Papiere und Schriften Aus der Taſche, die feine Unfchuln fonnenklar darthun.“

„Kannſt Du denn leſen?“ |

„Das Hab’ ich ihm gefagt, aber. er antwortete: „Ich till Dir dis Papiere vorlefen, die mid) fo weiß machen in Deinen Augen

®

wis Schnee uns mehr noch, ich mil fie Die uorlefen.‘“ Dann las er fie mir ver; eined davon wer ein Sittenzengniß, ausge⸗ flellt vom Priebensrichter feines Arrondiſſements, mit bem wir dinirten.‘’

„Mit dem Friedendrichter ?“

„Rein, mit dem Gertificat in der Tafche, bei einem famofen Traiteur nach der Charte; Loiſeau Beftellte das Eſſen und ich zahlte, denn ber arme Schelm hatte ein Loch in der Hofentafche, und als

Her nach dem Gelbe fuchte, war Alles durch bad Loch gefallen.”

Ploͤtlich Fam mir, ich weiß felbft nicht wie, ber Gedauke, dioſer Monfleur Loiſeau fei Fein Anderer ald mein Freund Roffignol; in ihrem Benehmen gleichen fie ſich wie ein Ei bem andern. „Wo haſt Du denn Loifeau getroffen, Peter?“ frage ich.

„Auf der Straße, ald ich zu Papa Bernharb wollte Ein Herr kommt auf mich zu, flieht mich von Kopf bis zu Zug an und fliegt mir um ven Hald. „Ja, ich irre mich nicht,“ ruft er, „ja, er iſt's!““ Und das fang er, benn er fingt oft, wenn er fpridht, und meiner Seel’, er fingt wie ein Tauſendſaſa; er faun mit feiner Stimme Wirbel fchlagen wie ein Tambour.“

Das Alled paßt anf den Schaft von Roffiguol wie bie Yaufl auf's Auge.

„Nachdem er mich umarmt hat, als wolle er mich freffen,‘ fährt Peter in feiner Erzählung fort, „fragt er mich, ob ich das große 2008 gewonnen ober die Tönigliche Poft beftohlen habe. Ich erzähle ihm nun, daß ich meinen Bruber Anbread teiebergefunden babe und bei einem guien Manne wohne, ben ich von ganzem Haeczen achte und liebe...”

„Nur nicht fo laut, Du ſchreiſt wie nicht geſcheit. Willſt Du Herrn Dermilly aufwecken ?‘'

„Bruder, nenn’ den Namen nicht, ober mir koömmt bes Weinen * —* a, ich ven ein 0m im Leib wie Wachs ſo weich,

„Seht heult er gar. Still, ewiget Günter, ſtill! Warte bie Morgen.” .

„Schau, Andreas, der Herr Dermilly, der Dich feinen Sohn heißt, iſt fo gut, Hi Hi Hi! Aber Du verbienft e8 auch, Du, Hi bi Hi! Andreas, ich will lefen, denn ſchau', mir geht's durch bie Seele, daß Du fo viel Mühe Dir gibft... Hi Hi hi... und noch kaun ich nicht Papa und Mama buchflabiren... bi Hi Hi!“

„Das freut mich, Peter! Aber jebt iſt's nicht Zeit zum Lefen, fondern zum Schlafen; mach’, Haß Du in's Bett kommſt, ich Bitte Dich.“

„Wie Du willſt, Bruder. Gib Acht, wie ich morgen buch: Rabiren will und ganz allen: fo... fo... fl... fo...ffen... ge: foffen ... nichts als Wein gefoffen, Bruder, meiner Seel’, nichts als Wein, und was für welchen? Hölle und Teufel, wie heißt er doch noch ? Eanpanier... ja, ja, Eanpanierwein, und beim Deffert haben wir alle Teller zerfchlagen, denn Loiſeau fang vum Bolero und dazu Elapperte er mit den Scherben, ald wären’s Kaſtanien. Wie fein das Hang, Bruder, fo himmliſch, daß mehrere junge Leute, die im Nebenzimmer aßen, einen Son nad) dem andern und zuwarfen, damit wir flillfchweigen follten! Was thut der Loiſeau? Der wirft fle mit Tellern, ganzen und halben, und fie werfen wieber mit Schüffeln, daß Teller und Schüffeln in der Luft zufammentrafen, und klirr, klirr ging's; hu, das war eine Luft! Teller und Schüffeln hin und her, links und rechts, oben und unten. Ein alter Herr, ber in einem Winkel des Saales friedlich bei feinem Hafenpfeifer ſaß, warb von einer Salatfegüffel getroffen ; racheſchnaubend fliegt er auf umD will die Polizei holen. Wir aber zum Tempel hinaus: babe hab’ ich meinen Hut eingebüßt. Schade d'rum, er war ganz neu.”

„Die Aufführung Iob’ ich mir.”

„Und mit Reit, Bruder. Wir haben und ale brave Männer gefchlagen ; Du darfſt zufrieden fein mit mir, Bruber. „Sa, Bruder, vor Allen, wenn Di endlich ſchweigſt und ein⸗

spsark.”

„Erf ſag', ob Du mich noch lieb Haft.“

„Sa, Beier ; aber wenn Du mich lieb haft, fo fchlafe endlich cin. Endlich ſchlaͤft er ein; gleich darauf Hör’ ich ihm laut ſchnacchen. " Beer, Peter, wie würde es Dir gehen, wenn Du hier allein wirt ohne Bruder, Freund und Ratbgeber! Dann wäre Dir's befia, da fehrteft nach wie vor den Schornflein : arm würbeft Du nach wie mt ehrlich bleiben, aber reich, wer weiß, was die Schelme aus Di machen Tönnten!

Es if die erſte Unbefonnenheit, bie er begeht, und bie wt: dient Nachſicht.

Den andern Morgen beim Erwachen befinnt ſich Peter vergeblid auf die Ereigniffe deö vorigen Abends ; nur allmählig fallen fie ihn wieder ein. Ein unmäßiger Genuß der Tafelfreuden wirft nachtheilig auf dad Gedaͤchtniß, und wer ſich ihnen oft hingibt, gewinnt gan den Anfchein eines Blöpfinnigen. Je mehr er zum Bewußtfein kommt, um jo mehr fchämt er fich feines Benehmens und bittet mich infür- big, Herrn Dermilly nichts davon zu ‚jagen ; zugleich verſpricht ıt mir, jeden Umgang mit Loijeau zu mößben. |

„Wenn Du ihm wieder begegneſt,“ fage ich zu Peter, „fo be— fielle ihn. an einen beliebigen Ort ; dann gehen wir zufammen bit, und ift Dein Herr Loifeau derfelbe, auf ben ich Verdacht habe, ſo follen ihm feine Schelmflüde fchlecht befommen.‘‘

Ueber den immer beforglicher werdenden Zuftand des Herrn Det: milly vergefje ich dieſen Vorfall ſchnell. Herr Dermilly kaum nid! mehr aufftehen aus feinem Armſtuhl. Er fühlt, daß er nur noch furze Zeit zu leben hat, obgleich er. der Graͤfin auf ihre wieberholten Anfragen Hinfichtlich feines Beſindens antworten: läßt, daß ee beſſer gehe. j

„Lieber Audreas,“ fagt er zu mir, „ich weiß, wie ich daran bin, aber warum foll ich die gute Karoline im Voraus betrüben ? Sie wird meinen Tod beweinen, nicht, wie ſie's früher gethan hätte, mil

Aweiflung eines liebenden Herzens, fondern mit dem fil:

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Innigen Schmerze eines Freundes bei der Trennung vom Freunbe. Andreas, ich Habe in Deinem Herzen gelefen; auch Dir macht die Liebe viel Schmerz!

Bas Helfen alle Berficherungen des Gegentheils? Ex Kat mein Geheimmiß entdeckt.

„Du liebſt Adolphine,“ fo fährt er fort; „fände es bei mir, Dich glücklich zu machen, fo würde Adolphine Dein Weib. Di biſt mein Mboptivfohn, und weil ich Feine Erben habe, gehört Dir Alles, was ich auf Erden zurüdlaffe. Dank meinem Talent und meiner einfachen Lebensweife, Habe ich es bis auf fechötaufend Livres Jahresrenten gebracht: fie gehören Dir. Es iſt viel für einen Künftler, aber jehr wenig -für einen Herrn von Franconard.“

„Nehmen Ste Ihre Wohlthaten zurüd, Herr Dermilly,“ ants worte ich tief erfchättert, feine Hand mit meinen Thränen netzend, „nehmen Ste Alles zuräd und bleiben Sie nach wie vor mein Freund und zweiter Vater!“

Leider Hilft die forgfamfte Pflege zu nichts mehr. Nachdem Herr Dermilly noch einen ganzen Monat lang fich Tümmerlich hin⸗ gefchleppt Hat, verſcheidet er eined Morgens fanft und ruhig in meinen Armen. Geine lepten Worte waren Caroline und’ Andreas!

Der Tod diefes trefflichen Mannes verfegt mich in bie tieffte Trauer. Umfonft ſucht Peter'mich zu tröften ; auch Bater Bernhard und Ranette eilen herbei und bezeugen mir die innigfte Theilnahme an meinem Schmerze. Ad, erft in den Stunden ber Trauer wifjen wir ven Werth der Freundfchaft fo recht zu ſchaͤtzen!

Sn feinem von ihm ſelbſt aufgefepten Teftamente vermacht er mir fein gefammtes Hab und Gut. So darf ich denn ein ſchoͤnes Mobiliarvermögen und eine Jahresrente von nahe an ſechstauſend Livred mein nennen.

„Sechstaufend Livres Renten!” ruft Peter, „das Heiß’ ich eine prinzliche Erbſchaft, Andreas ; dafür kannſt Du unfer ganzes Dorf Yanfen.”

„Mdas wahr ?“ Fragt Nanetie/ mich beforgt aufchead. „BR Du fett ſo reich wie... wie die Beute, bie in Hoͤtels wohnen ?“

„Nein, Nanette, lange, lange nicht®fo reich! Aber veidh genug, um Biele glüdlich zu machen. Muiter, Braber und Ihr, meine lieben Freunde, beſttzet Alles gemeinſchaftlich mit mir.“ |

„Dart Dir, Andreas,“ antwortet Bater Bernhard und brüdi meine Hemd; „ich will und brauche nichts. Sch weiß, daß ſechs⸗ tauſend Livres Renten kein unermeßliched DBermögen find, immer aber hinreichend, Dich und Deine Familie anftäubig zu ernähren. Ich freue mich über Dein Glück, Du verbienft es ; eben fo feh bin ich überzeugt, daß ber Glanz bes Geldes Dein Herz nicht beit.“

„Nie, Bater Bernhard, nie!“

Die Verficherung gibt Nanette die Ruhe wieder, bie fle bei der Nachricht von meiner Erbſchaft verloren zu haben ſchien. Ri bleibt jet nichts übrig, ale den legten Willen Herrn Dermilly’s zu erfüllen. Bor feinem Tode übergab er mir ein verfiegeltes Paket mit der Bitte, es der Frau Graͤſtn perfönlich zu überbringen. Co will ich denn jetzt ins Hoͤtel. |

„Gewiß haben fie fchon von Deinem Reichthum gehört,” fagt Ranette ; „ich wette, fle werben Dich wieder ind Haus haben wollen.”

„Rein, Schwefter, nein, ſie wollen ed nicht ; bin ich Doch nur ein armer Teufel gegen ben reichen Herrn Grafen.“

„Um fo beffer; je näher ihnen, um fo weiter von und!”

Eben, als ich ind Hötel fort will,- wird mir ein Brief ge bracht. An dem Poftzeichen fehe ich, daß er aus Savoyen kommt. Himmel, was hat das zu bedeuten! Die Mutter kann nicht ſchreiben, Jakob eben jo wenig. Ich fürchte, ich fürchte... zitternd erbreche ih dad Siegel; Peter und meine Freunde drängen fich heran. Alle wollen wiſſen, was im Briefe fteht.

Er if von Michel, ‚einem unferer Nachbarn, und im Namen unferer Mutter gefihriehen. Sie freut ſich unendlich über bad Wieder. auffinden Beters: die Nachricht Kat fle einigermaßen getroͤſtet über

E

3”

daB Uingihd, bao fie und zu melden Tal, Mein Got! Jalch unfer lieber Bruder, Hat buch Sturz in einen Abgrand ben Tod gefunden ! 2

Armer, armer Jakob! fo ſollen wir Dich nicht wieder ſehen! D, daß ed Dir vergönnt geweien wäre, am Genufle des mir zu⸗ gefallenen Bermögend Theil zu nehmen! Schon fehe ich einen Theil meiner Hoffnungen zerfließen ; ich kann nicht weiter Iefen. Peter und ich, wir fallen und in die Arme und weinen unfern Schmerz aus Aber ven Tob bed lieben Bruders, den wir fo jung verlaffen und einft zum BRanne erwachfen wieder zu fehen gehofft hatten.

Nach geraumer Zeit lefe ich den Brief zu Ende. Die gute Mutter Hat die größte Schufucht nach uns; fie möchte uns an ihr Herz drücken und fi) mit und über ben Berluft ihres geliebten Kindes answeinen; fie bittet und flehentlih, ja nicht zu zögern, und wenn fie uns auch nur einen Tag ſehen folkte; unfere Au⸗ Tunft allein Tönne fie wieber gefunb machen.

So wollen wir denn die Wünsche der Mutter ungefäumt erfüllen.

„Peter,“ fage ich zum Bruder, „morgen, heute noch, wo moͤg⸗ lich, wollen wir abreifen; vie Mutter wartet, fie if frank, unfere Gegenwart kann fie heilen. Geſchwind nach Savoyen!“

„Sa, Bruder, wir mäflen fort. Bu aß?" ı

„Wohin denkſt Du, Peter? Bit Extrapoſt! Se ſchneller, fe befjer ; was liegt mir am Gelbe? Kann ich es beffer anwenden, als gemäß den Wüuſchen meiner Butter, die Feines ihrer Kinder um fich Hat, fie in den Stunden der Trauer gu tröften? Je cher, je lieber fort, und je ſchneller, je beſſer! Meinetwegen ſechs Pferde, wenn es fein muß. Vater Bernhard wird die Gefaͤlligkeit haben, Allied, was zur Reife noͤthig if, in Orbnung zu dringen, nit wahr? Inzwiſchen will ich ins Hotel und der Iran Graͤſin das Zeftament des Herrn Dermilly und feine Briefe einhändigen.“

„Geh', Andreas, geh’; ich will Alles beſorgen: eine begusum Voſtchacſe, Pferde, Poſtillon an mas fonf naͤthig iR, nicht zum

Neſſen, fonbern zum Stiegen ; noch heute Abend ſoll das Gefäft vor der Thüre fein. Der gute Anbreas! Meiner Seel’, hätt’ ich nicht Kunden, die bevient fein wollen, ich ginge mit ihm nach Menuyen, BSlaß um der. armen Marie zu fagen, daß iht Sohn Seinesgleichen niit Yet iu ganz Paris.“

„Gewiß nicht,“ fagt Nanette weinend ; „aber nicht wahr, Andreas, Du kommſt wieder zu uns zurüd $“

„Sa, Nanette, ja; wir: fehen uns wieder !”

„Juchhe! welch Bergnügen!“ ruft Beter und fpringt im n Zimmer herum. „Im Boftwagen mit ſechs Pferden wie der Wind ins Darf eingnfahren! Sapperment, wie die Leute die Augen aufreißen werben; fie werben uns für Prinzen oder privatificende Viehhaͤndler

14

Ich bitte Nanette, unfere Koffer zu paden, denn Peter if fo außer fi, daß er zu keinem Gefchäft zu gebrauchen if. Das Paketchen, das ich ber Frau Gräfin zu überreichen habe, is bie Taſche ſteckend, eile ich nach dem Hoͤtel.

Unterwegs denke ich an den ploͤtzlichen Umſchwung in meinen Vermoͤgensverhaͤltniſſen. Ich fühle, wie im Grunde meines Herzens allerhand neue Hoffnungen ſich regen! Sechstauſend Livres Jahres⸗ renten! Iſt das nicht viel mehr, als ich zu einem behaglichen Leben brauche? Außerdem führe ich meinen Pinſel, der mir immer⸗ hin ein ſtattliches Cinkommen ſichert. Ich habe Talent für meine ſchone Kunſt, wenn auch lange nicht das des Herrn Dermilly. Died Alles zuſammengenommen, Tann ich meinem künftigen Weibe ein mehr als ſorgenfreies, ein angenehmes Leben ſchaffen. Ach! die wahre Liebe denkt nicht ans Geld! Oder wäre nur ber glücklich, der ein glänzendes Höfel, prächtige Cquipagen unb zahlreiche Diener: ſchaft beſiht? DO, wenn Molphine mich Liebte! _

ber wie bald verſchwanden dieſe Chimären vor dem prüfenden Bike bes Verſtandes! Was if dies mäßige Einkommen gegen dad "gende Vermögen des Grafen? Und geſeht, ich ware noch zeidher,

all

jo reich, daß ich mich meſſen könnte mit ihm, Hörte ich darum auf, Andreas der Savoyarde zu fein ?

Im Hötel angelommen, erfteige ich die Treppen mit ungleich fefterem Tritte ala ſonſt. So wahr iſt es, daß der Vermoͤgliche jene fichere Haltung, die ihn überall ‚hin begleitet, nur aus bem Gefühle feiner Unabhängigkeit ſchoͤpft.

Ich Halte in der Hand das verfiegelte Paketchen; allem Ans ſcheine nach enthält ed Liebeöbriefe. In den meiften Fällen haben folge Briefe nur eined gar kurzen Dafeins ſich zu erfreuen; biefe haben den, an welchen fie gefchrieben wurden, überlebt. Aus diefen Briefen weht uns bie ganze Glut eines Teivenfchaftlich bewegten Herzens entgegen und ſetzt und in Flammen, während bie Hand, die fie nieberfchtieb, Tängft in Staub und Afche zerfiel. So if oft das Dafein eined Stüdchens Papier von längerer Dauer als unfer eigenes!

Meine Wohlthäterin muß von dem Tode Herrn Dermilly’s unterrichtet fein. So Bin ich wenigſtens der ſchmerzlichen Noth⸗ wendigfeit überhoben, ihn ihr anzuzeigen. Se näher ich ihrem Zimmer Tomme, um fo mehr entfällt mir der Muth. Seit länger denn fünf Monaten habe ich das Hötel verlaffen und in der ganzen Zeit nicht einmal Abolphine zu Geficht bekommen. Wird auch dieds mal meine Hoffnung getäufcht werben ?

Sch Habe mich anmelden laſſen und werde num förmlich ein⸗ geführt, wo ich ehemals frei ein- und ausgehen durfte. Sie ift da... ich babe fie gefehen, nur fie gejehen ; unfere Blicke trafen fih ; fie fagten fi in einer Sekunde, was unfere Herzen in fünf Monaten empfunden haben.

Die Stimme meiner Wohlthäterin weit mih aus meinem fügen Raufche. Ihr Geſicht trägt die unverfennbaren Spuren tiefen Seelenfchmerzes, die lauter und berebter ald alle Worte ihre An- hänglichkeit an Herrn Dermilly bezeugen. Mit beivegter Stimme bebt fie an:

31%

„Bir Beide, Andread, haben einen warmen Fremd verlaren. Er verbarg mir feinen Zuftand, er wollte mir bis zum legten Angenblicke die Hoffnung nicht rauben, und ich glaubte ihm. Ich weiß, was er für Sie gethan hat, den er wie feinen Sohn Fichte. Hat er Ihnen Nichts für mich gegeben ?

„Aufzuwarten, Madame. Died Paket follte ich Ihnen eigen: haͤndig überreichen.“

Sie nimmt es mir eiligft aus der Hand und erbridt es mit feuchten Augen. Der Anfland verlangt, daß ich mich entferne ; fo nähere ich mich denn Fräulein Anolphine. Wir können eine Weile unbemerkt mit einander plaudern, denn die Mutter ſieht und nicht mehr; fle tft wie abwefend. Der Anblick der vielleicht vor fünf: zehn Jahren gewechfelten Briefe verfeßt fie in jene erfte Zeit ihre

jungen Liebe zurück: die Gegenwart hat der Vergangenheit weichen

müſſen.

„Barum ſieht man Sie jetzt nicht mehr im Hötel?“ fragt Anolphine halblaut. „Es iſt nicht recht von Ihnen, Herr Andreas, baß Sie Ihre Freunde fo vernachläffigen.“

„O, mein Fräulein, wie gerne kaͤme ich; aber ich fürdte... ich wage faum... Ihr Herr Vater... Ihr Herr Eoufin.....”

„Hält Ste das ab? Mein Couſin ift ein Saufewind und für den Augenblic nicht in Paris; mein Vater denkt nur an ben Toh feines Schooßhundes; die Mutter ift untröftlich über ben Verluß bes guten Herrn Dermilly, ven auch ich recht tief fühle. Ich hoffte wenigftens, Sie würden fommen, uns zu tröften; aber and da) nicht! Ach, Herr Andreas, e8 war eine fchöne Zeit, als wir anf

bem Lande zufammen fpielten, zeichneten und fangen, nicht wahr!

Wie glüdlich war ich damals! Gedenken Sie diefer Tage noch?" „Wie könnte ich fie vergeffen, Fräulein ? Jene Erinnerungen find das Gluck und die Dual meines Lebens !“ „Die Qual? wie fo 94 „Weil ich mir denke, jene Tage kehren nie wieder. Ach, ih

flo jeh, mad ih ter dreijchoten Jahn malt Fühlte, vie que Suft, Die und treu.“

Ich ſeußze tief auf; Adolphine ficht mich an, ihr Herz fcheint nd meine zu verftehen. Wir Beide fchweigen, aber unfere Augen dm und werben beredter, als unfer Mund vermocht hätte. Seliger Angenblic! Die Gräfin ift noch immer in die Briefe vertieft und denkt einer glüdlicheren Bergangenheit, währen) ihre Tochter und id uns an ber Gegenwart labeır.

Plotzlich wird unfer Geſpraͤch durch gewichtige Schritte im Kıhenzimmer geflört. Kaum. habe ich mich von Adolphine entferut m) kaum Hat bie Bräfln die Papiere, die fie in des Hand halt, ect, fo teitt Herr von Franconard ind Zimmer,

„Ho 59!" zufter, ald er mich fieht, „Andreas bei Dir? Was nacht er ſchon wieder in meinem Hotel?“

„Sr bringt wir,“ antwortet meine Wohlthäterin, „bie legten Grüße eined Mannes, der mir fehr theuer und werth war: bie, Ikten Grüße Herrn Dermilly’d, der ihm bei feinem Tobe Alles umsacht Hat.”

„Zenfel! dad Blatt hat ſich gewendet,” ruft der Graf und virft ſich im einen Bergere; „ich erinnere mich jetzt, daß Sie mir on feinem Tode fagten. Auch Cäfar ift geftorben, der arme Hund! 4 weine täglich um ihn. Dermilly war nicht ohne Talent; aber far! o, das war unvergleichlih! Weißt Du nicht mehr, Aus rad, wie er durch den Meif fprang ? Alfo Dermilly bat Dir alles einige vermacht? Hm! das Heißt freilich nicht viel, fo eine Maler: Schaft; arm wie ein Maler, fagt dad Sprüchwort.“ |

„Ders Dermilly. war nicht fo arm, wie Sie olauben ,“ ant⸗ ortet die Graͤfin, tief verlegt durch die Rede ihres Gatten; „er nterläßt Andreas fechstaufend Livres Jahresrenten.“

„Sechqtauſend Livres Jahresrenten!“ ruft Herr von Fran⸗ ward und reißt die Augen weit auf. „Sauperlot, bad lobe ich ir; waßt ih mer, wie fig mit dem lumpigen Geſchmien anf

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„Eh ſag', ob Du mid) noch Lieb Haft.“

„Ja, Peter ; aber wenn Du mich Tieb haft, fo fchlafe endlich ein.“

Endlich fchläft er ein; gleich darauf hör’ ich ihn laut ſchnarchen.

"Beer, Peter, wie würde ed Dir gehen, wenn Du hier allein wäre ohne Bruder, Freund und Rathgeber! Dann wäre Dir's befjer, Du kehrteſt nach wie vor den Schornflein : arm würdeſt Du nad wie vor ehrlich bleiben, aber reich, wer weiß, was die Schelme aus Dir machen Tönnten! |

Es ift die erſte Unbefonnenheit, die er begeht, und bie ver: dient Nachſicht.

Den andern Morgen beim Erwachen befinnt ſich Peter vergeblich auf die Ereigniffe des vorigen Abende ; nur allmählig fallen fie ihm wieber ein. Ein unmäßiger Genuß der Tafelfreuden wirft nachtheilig auf das Gedaͤchtniß, und wer fich ihnen oft hingibt, gewinnt ganz den Anfchein eines Bloͤdſinnigen. Je mehr er zum Bewußtfein Tommt, um jo mehr fchämt er fich feined Benehmens und bittet mich inflän- dig, Herrn Dermilly nichts davon zu Jagen ; zugleich verfpricht er mir, jeden Umgang mit Loifeau zu mäßben,

„Wenn Du ihm wieder begegneſt,“ fage ich zu Peter, „fo be: ftelle ihn an einen beliebigen Ort; dann gehen wir zuſammen bin, und iſt Dein Herr Loiſeau derfelbe, auf den ich Verdacht Habe, fe ſollen ihm feine Schelmftüde fchlecht bekommen.‘

Ueber den immer beforglicher werdenden Zuftand ded Herrn Der- milly vergeffe ich diefen Vorfall ſchnell. Herr Dermilly kann nicht mehr aufftehen aus feinem Armſtuhl. Er fühlt, daß er nur noch Furze Zeit zu leben hat, obgleich er. der Gräfln auf ihre wiederholte Anfragen Hinfichtlich feines Beſindens antworten: läßt, daß

beſſer gehe.

„Lieber Andreas,“ fagt er zu mir, „ich weiß, wie ich Daran bir aber warum foll ich die gute Caroline im Boraus betrüben ? Si wird meinen Tob beweinen, nicht, wie fle'8 früher geikan hätte, mi ber Berzweiflung eines Liebenden Herzens, fondern mit bem fiEL

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„Ich werde an ben Contract gehen,” fagt er.

„Aber auf der Stelle, mein Herr.“

„Bir mülfen erſt das Gelb...”

„Hier ift es, Herr, neuntaufend Franken, ſo viel als das Haus koſtet.“

„Schön, ſchoͤn, aber... .“

‚Kein Aber, mein Herr! Nennen Sie die Notariatsgebühren, ich zahle gleich Baar, ohne zu handeln, aber eilen Sie,‘

Mit ſolchen Worten bringt man bie ganze Welt in Bewegung. Der Notar wendet fi an feinen Schreiber. Ich gejchwind dem Schreiber ein Geldſtück in die Hand gebrüdt, das Hilft. Der gute Mann fchneivet nicht erft dreimal bei jenem Worte die Feder.

Unterbeß gehe ih im Garten fpazieren, während die Herren mit ihrer Schreiberei befchäftigt find. Kaum hört die Frau Notarin, daß ein junger Mann, der fauft, ohne zu handeln, und nobel be- zahlt, im Comptoir ifl, fo ordnet fie hurtig ihre Krifur und kommt in den Garten hinab, mir Gejellichaft zu leiften.

Die Frau Notarin ift nicht hübſch, aber hoͤchſt anſpruchsvoll, und bekanntlich gibt es nichts Liebenswürdigeres, als eine Dame aus ber Provinz, die Anfprüche macht. Ehe fünf Minuten ver gangen find, weiß ich, daß Madame eine herrliche Stimme hat, die ſchwerſten Opernarien fingt, und fich auf dem Pianoforte ſelbſt begleitet; daß fle italienisch fpricht und ziemlich gut lateiniſch; daß fie den Code civil ganz im Kopfe hat; daß fie nie Kinder gehabt Kat, noch fich welche wünfcht, weil das die Taille verbirbt; daß fie Berje macht und gerne tanzt; daß fie die beſten Omelettes zu machen verfteht und felbft das Regiment führt in der Küche; endlich, daß fle immer nad) den neueften Moden des Lyoner Mode: journals gekleidet ift.

Waͤhrend ich das Alles anhoͤren muß, bin ich mit meinen Gedanken bald in dem neugekauften Haufe, bald in Paris bei Adolphinen. Kein Wunder, daß ich der guten rau die verkehrteſten

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„IR pu8 wahr I“ Fragt Manetie,; milk Geforgt aufchead. „BR Du tept fo reich wie... wie die Leute, bie in Hoͤtels wohnen ?“

„Rein, Nanette, lange, lange nichtfo reich! Aber veich genng, wm Biele glüdlih zu machen. Mutter, Braber und Ihr, meine lieben Freunde, befiget Alles gemeinſchaftlich mit mir.“

„Dank Dir, Andreas,” antwortet Bater Bernhard und drückt meine Hand; „ich will und brauche nichte. Sch weiß, daß ſechs⸗ taufend Livres Renten Tein unermeßliches Vermögen find, immer aber hinreichend, Dich und Deine Familie anftändig zu ernähren. Ich frene mich über Dein Glück, Du verbienft es; eben fo fe bin ic) überzeugt, daß der Glanz des Geldes Dein Herz nicht beſticht.“

„Rie, Vater Bernhard, nie !“ |

Die Berfiherung gibt Nanette die Ruhe wieder, bie fie bei der Rachricht von meiner Erbſchaft verloren zu haben fchien. Mir bleibt jegt nichts übrig‘, als den Iekten Willen Herrn Dermilly's zu erfüllen. Vor feinem Tode übergab er mir ein verfiegelted Paket mit der Bitte, es der Frau Graͤſin perfönlich zu überbringen. So will ich denn jetzt ins Hotel. |

„Gewiß haben fie ſchon von Deinem Reichthum gehört,“ fagt Manette ; „ich wette, fle werben Dich wieder ind Haus haben wollen.“

„Rein, Schwefter, nein, fie wollen es nicht ; bin ich doch nur ein armer Teufel gegen ben reihen Herrn Grafen.“

„Um fo befier; fe näher ihnen, um fo weiter von uns!“

Ehen, als ich ind Hötel fort will, wird mir ein Brief ge: bracht. An dem Poftzeichen fehe ich, daß er ans Savoyen Tommi. Simmel, was hat dad zu bebeuten! Die Mutter Tann nicht ſchreiben, Jakob eben fo wenig. Ich fürchte, ich fürchte... zitternd erbreche id) dad Siegel ; Peter und meine Freunde brängen ſich heran. Alle wollen wiſſen, was im Briefe ſteht.

Er if von Michel, einem unferer Nachbarn, und im Namen unferer Mutter gefihrieben. Sie freut ſich unendlich über bad Wieder auffinden Peters: die Nachricht bat fie einigermaßen geisöftel über

E

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bad Vaglack, das fir und zu melden Hal, Mein Goti! ZJalch unfer lieber Bruder, hat durch Sturz in einen Abgrund ben Top gefunben ! » \

Armer, armer Jakob! fo follen wir Dich nicht wieder feben! D, daß ed Dir vergönnt geweien wäre, am Genuffe des mir zu⸗ gefallenen Vermögens Theil zu nehmen! Schon fehe ich einen Theil meiner Hoffnungen zerfließen ; ich kann nicht weiter Iefen. Peter und ich, wir fallen und in die Arme und weinen unfern Schmerz auß Aber den Tob des lieben Bruders, ben wir fo jung verlaflen und einft zum Manne erwachjen wieder zu fehen gehofft hatten.

Nach geraumer Zeit leſe ich den Brief zu Ende. Die gute Mutter hat die größte Sehnſucht nach und; fie moͤchte uns an ihr Herz brüden und fi mit und über den Berluft ihres geliebten Kinded ausweinen; fie bittet und flehentlich, ja nicht zu zögern, und wenn fie und auch nur einen Tag fehen follte; unfere As fanft allein koͤnne fie wieder gefund machen.

So wollen wir denn die Wünfcge ver Mutter ungefäumt erfüllen.

„Peter,“ fage ich zum Bruder, „morgen, hente noch, wo mög- lich, wollen wir abreifen; die Mutter wartet, fie if Trank, unfere Segenwart kann fie heilen. Gefchwind nah Savoyen!“

„Sa, Bruder, wir mäffen fort. Su Fuß?" ı

„Wohin denkſt Du, Peter? Mit Extrapoft! Se ſchneller, fe beſſer; was liegt mir am Gelbe? Kann ich es befier anwenden, als gemäß den Wünfchen meiner Mutter, die Feines ihrer Kinder um ſich hat, fie in den Stunden der Trauer gu tröften? Je cher, je lieber fort, und je ſchneller, je beffer! Meinetwegen ſechs Pferde, wenn es fein muß. Vater Bernhard wird die Gefälligleit haben, Alles, was zur Reife noͤthig ift, in Ordnung zu bringen, nit wahr? Inzwiſchen will ich ins Hotel und der Iran Gräfin das Teſtament bed Herrn Dermilly und feine Briefe einhändigen.“

„@eh’, Andreas, geh’; ich will Alles beſorgen: eine begusme Voſichaiſe, Pferde, Poſtillon ann mas fonf näthig iR, wicht mm

Seifen, fonbern zum Bflegen ; noch heute Abend ſoll das Gefäfkt vor ber Thüre fein. Der gute Anbrend! Meiner Seel’, hätt’ ich t Runden, die bedient fein wollen, ich ginge mit ihm nad Menuyen, BSlaß am der armen Marie zu fagen, daß ihr So Geineögisiihen niit Yat in ganı Baris.“

„Gewiß nicht,“ jagt Nanette weinen; „aber nicht wahr, Andreas, Du kommſt wieber zu uns zurüd ?“

„3a, Ranette, ja; wir jehen uns wieder !“ 0

„Juchhe! weich Bergnügen!“ ruft Beter und fpringt im Zimmer herum. „Im Boftwagen mit ſechs Pferden wie ber Wind ind Dorf eingufabren! Sapperment, wie bie Leute die Augen aufreißen werben; fie werben uns für Prinzen oder privatifirende Viehhaͤndler halten!“

Ich bitte Nanette, unfere Koffer zu paden, denn Beier ift fo außer fih, daß er zu Teinem Gejchäft zu gebrauchen if. Das Paketchen, das ich ber Frau Gräfin zu überreichen habe, im die Taſche ſteckend, eile ich nach dem Hötel.

Unterwegs denke ich an den plöglichen Umſchwung in meinen Bermögenoverhältnifien. Ich fühle, wieim Grunde meines Herzens allerhand neue Hoffnungen füch regen! Sechstauſend Livres Jahres⸗ senten ! Iſt das nicht viel mehr, als ich zu einem behaglichen Sehen Brauche? Außerdem führe ich meinen Binfel, der mir immer: Yin ein flattliches Einkommen fichert. Ich habe Talent für meine ſchone Kunſt, wenn auch lange nicht Das des Herrn Dermilly. Dies Alles zufammengenommen, Tann ich meinem Tünftigen Weibe ein mehr als forgenfreied, ein angenehmes Leben fchaffen. Ay! bie wahre Liebe denkt nicht ans Geld! Ober wäre nur der glücklich, der ein glänzendes Hotel, prächtige Equipagen und zahlreiche Diener: ſchaft befigt ? O, wenn Abolphine mich liebte!

ber wie bald verſchwanden dieſe Chimaͤren vor dem prũfenden Büde bes Verſtandes! Was iſt dies mäßige Cinkommen gegen bad Blänzende Bermögen des Grafen? Und gefegt, ich wärs noch reicher,

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ſo reich, daß ich mich meſſen koͤnnte mit ihm, hoͤrte ich darum auf, Andreas der Savoyarde zu fein ?

Sm Hötel angekommen, erfleige ich die Treppen mit ungleich fefterem Tritte als ſonſt. So wahr iſt ed, daß der Vermoͤgliche jene fichere Haltung , die ihn überall Hin begleitet, nur aus dem Gefühle feiner Unabhängigkeit ſchoͤpft.

Ich Halte in der Hand das verfiegelte Paketchen; allem Ans ſcheine nach enthält es Liebesbriefe. In den meiften Fällen haben fole Briefe nur eines gar kurzen Dafeins ſich zu erfreuen; dieſe haben den, an welchen fie gejchrieben wurben, überlebt. Aus diefen Briefen weht uns die .ganze Glut eines leivenfchaftlich bewegten Herzens entgegen und ſetzt und in Flammen, während die Hand, die fie nieberfchtieb, Tängft in Staub und Aſche zerfiel. So ift oft das Dafein eines Stückchens Bapier von längerer Dauer als unfer eigenes!

Meine Wohlthäterin muß von dem Tode Herm Dermilly’s unterrichtet fein. So Bin ich wenigftens der fchmerzlichen Noth⸗ wendigkeit überhoben, ihn ihr anzuzeigen. Je näher ich ihrem Zimmer fomme, um fo mehr entfällt mir der Muth. Seit länger denn fünf Monaten habe ich das Hötel verlaffen und in der ganzen Zeit nicht einmal Adolphine zu Geſicht befommen. Wird auch dies⸗ mal meine Hoffnung getäufcht werben ?

Ich Habe mich anmelden laſſen und werde nun foͤrmlich ein- geführt, wo ich ehemals frei ein: und ausgehen burfte. Sie {fl da... ich habe fie gefehen, nur fie gefehen ; unfere Blicke trafen fi ; fie fagten fich in einer Sekunde, was unfere Herzen in fünf Monaten empfunden haben.

Die Stimme meiner Wohlthäterin weit mich aus meinem fügen Raufche. Ihr Geſicht trägt die unverfennbaren Spuren tiefen Seelenfchmerzes, die lauter und berebter ald alle Worte ihre Ans bänglichleit an Herrn Dermiiih bezeugen. Mit bewegter Stimme hebt fie an:

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„te Beide, Anbread, haben efnen wurmen Freund verloren. Er verbarg mir feinen Zuſtand, er wollte mir Bid zum legken Angenblicke die Hoffnung nicht rauben, und id} glaubte ihm. Ich weiß, was er für Sie gethan hat, den er wie feinen Sohn Tiebte. Hat er Ihnen Nichts für mich gegeben ?

„Aufzuwarten, Madame. Died Paket follte ich Ihnen eigen: haͤndig überreichen.“

Sie nimmt es mir eiligft aus der Hand und erbricht es mit feucgten Augen. Der Anfland verlangt, daß ich mich entferne ; fo nähere ich mich denn Fränlein Adolphine. Wir Tönnen eine Weile unbemerft mit einander plaudern, denn die Mutter ſieht uns nicht mehr ; fle ift wie abwefend. Der Anblitl der vielleicht vor fünf- zehn Jahren gewechfelten Briefe verſetzt fie in jene erſte Zeit ihrer jungen Liebe zurück: die Gegenwart hat der Vergangenheit weichen mũſſen.

„Barum fieht man Sie jetzt nicht mehr im Hotel?“ fragt Adolphine halblaut. „Es ift nicht recht von Ihnen, Herr Andreas, daß Sie Ihre Freunde fo vernachläffigen.“

„O, mein Fräulein, wie gerne käme ich; aber ich fürdte... ich wage faum... Ihr Herr Vater... Ihr Herr @oufin... .”

„Hält Sie dad ab? Mein Eoufln iſt ein Sanfewinb und für den Augenblick nicht in Parts; mein Vater venft nur an den Tob feines Schooßhundes; die Mutter iſt untröftlich über den Verluſt des guten Herrn Dermilly, ven auch ich recht tief fühle. Ich Hoffte wenigftend, Sie würden fommen, uns zu tröften; aber and). das nicht! Ad, Herr Andreas, ed war eine fchöne Zeit, als wir auf dem Lande zufammen fpielten, zeichneten und fangen, nit wahr? Die glücklich war ich damals! Gedenken Sie dieſer Tage noch?“

„Wie koͤnnte ich fie vergeſſen, Fraͤulein? Jene Erinnerungen

find das Gluck und die Dual meines Lehen !“ „Die Dual? wie fo ya |

„Beil ich mir denfe, jene Tage kehren nie wieder. Ach, ich

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fühle jepi, mad ich Tor. dreigehnten Jahne nit fühlte, die gnake Auft, Die und tum.”

34 ſeufze tief auf; Adolphine ficht mich an, ihr Herz fcheint dad meine zu verfichen. Wir Beide fchweigen, aber unfere Augen reden und werben berebter, als unfer Mund vermocht hätte, Seliger Angenblick! Die Gräfin ift noch immer in die Briefe vertieft und denkt einer ‚glüdlicheren Bergangenheit, währen) ihre Tochter und ih und an der Gegenwart labeıt.

Ploͤtzlich wird unfer Geſpraͤch durch gewichlige Schritte im Nebenzimmer gefört. Kaum habe ich mich von Abolphine entfernt und kaum hat die Graͤſin die Papiere, die fie in ber Hand hält, verſteckt, fo tritt Herr von Franconard ind Zimmer.

„Ho he!” ruft er, als er mich fieht, „Andreas bei Dir? Was macht er fchon wieder in meinem Hotel?"

„Er bringt mir,“ antwortet meine Wohlihäterin, „die legten Grüße eined Mannes, der mir fehr theuer und werth war: bie legten Grüße Herrn Dermilly's, der ihm bei feinem Tode Alles vermacht hat.“

„Tenfel! dad Blatt hat ſich gewendet,” ruft ver Graf und wirft ſich im eisen Bergoͤre; „ich erinnere mich jebt, daß Sie mir von feinem Tode ſagten. Auch Caͤſar ift geftorben, der arme Hund! ih weine täglich um ihn. Dermilly war nicht ohne Talent; aber Gäfar! o, das war umvergleihlih! Weißt Du nicht mehr, Ans dreas, wie ex durch ben Meif fprang ? Alſo Dermilly hat Dir alles Seinige vermaht? Hm! das Heißt freilich nicht viel, ſo eine Malers erbſchaft; arm wie ein Maler, jagt dad Sprüchwort.”

„Bert Dermilly war nicht fo arm, wie Sie glauben,“ ant⸗ wertet die Gräfin, tief verlegt durch die Rede ihres Gatten; „er binterläßt Andreas ſechstauſend Livsed Jahresrenten.“

„Sechstauſend Livres Jahresrenten!“ ruft Herr won Kran; souarh und reißt die Augen weit auf. „Sapperlot, bas Iobe ich wir; waßt ich wer, wie flo mit dem lumpigen Geſchenien anf

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Leinwand fo viel zufammnfäinieren! Häl° er mir ben Gäfer

abeonterfeit, Du würbet zehn blanke Thaler mehr in der Erbſchaft

gefunden haben, Andreas... und fechötaufend Livres Jahres: sonten! Wiffe, Du gefällt mir immer beffer: Du haft Dich zu Deinem Borthell verändert, feit ich Dich zulept gefehen. Bott

weiß, woher er bie Tournure hat!“

„Sie find allzu nachſichtig, Her Straf,” antworte ich unter leichter Berbeugung.

„Allzu nachfihtig! Hübſch geantwortet! Wer Kat Dir das Gompliment beigebracht? Du feld? Da flieht man, nichts bildet

: von Geiſt mehr ald das Gelb, und fechötanfend Livres Jahres: renten ift meiner Seel’ genug für einen Savoyarben. Ich wette,

Du will einen Kram anlegen. Lebte Käfer noch, fo würde ich Dir Died und Jenes, 3. B. für die Küche, zu liefern geben; ba braucht man allerhand ; aber das Greignig hat mich fo verftiimmt, daß ich Alles in der Küche gehen laſſe, wie's geht!“

„Bar zu gütig, Here Graf! Es ift aber nicht meine Mbficht,

einen Kram anzulegen: ich will Bei der Kunft bleiben, bie mein Wohlthater mich lehrte. Ich bin nicht auf Gelberwerb erpicht!“

„Schlimm! ſehr ſchlimm! Der Handel könnte Dich weit bringen:

mit dem Suwägen von Erbfen und Sauerkraut Tommi man weiter,

als mit dem Hins und Herbinfeln. Seber will leben, das it aus: gemachte Wahrheit, aber nicht Jeder will was gemalt Haben. Ich |

3.8. Tümmere mid) taufendmal weniger um Maler, als um Köche.

Hab’ ich nicht recht, he?“ Statt zu antworten, mache ich ihm mein Compliment und verabſchiede mich bei ver Graͤſin für die Reife nach Savoyen. „Eie reifen nach Savoyen 3" fragt Adolphine. „Um nicht wieber zurückzukehren nach Paris?“ „Hoffentlich bald, Fraͤulein Adolphine; ich will nur bie Mutter beſuchen, die ich feit elf Jahren, fo lange ich aus der

Geimath; fort bin, nicht gefehen Habe. Mein Bruder Peter reiet

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mil, Die Mitten bebarf unfered Troſtes Aber den Borkaft Yalabe, unfered jängften Brubers.“

„Beter, Zatob, Nikolaus,“ unterbricht mich ber Graf, „gleich: viel! die Angelegenheiten Deiner Familie gehen uns nichts an; mach‘, daß Du fortlommft nach Savoyen. Wären bie Murmel, thiere eßbar, fo wärbe ich Dir auftragen, mir welche zu ſchicken; aber Ener Land Bringt nichts Gutes hervor. Mir fallt ein, daß ih 'mal bei Euch war.“

„Wir wiffen es noch vecht gut, Here Graf.” | Und bamit Tüffe ich die Hand meiner Woblthäterin, werfe

Kolphine einen zaͤrtlichen Blick zu und verlafle eiligft das Zimmer.

Unten an ber Treppe begegnet mir Lucilie; fie gratulirt mir zu ber reichen Erbſchaft.

„seht hat er ein bequemes Leben, ber guie Andreas!“ fagt fe. Sechstauſend Livres Jahressenten, hübſch von Geſicht, ſchlank gewachſen, wohl erzogen: was kann man mehr verlangen? Sie follten fich etabliven, Andreas, und heirathen, recht bald. Die Iedigen Lente kommen auf allerlei Höfe Gedanken, wovon nur eine Fran fle abhalten kann, Motabene, wenn fie ordnungsliebend, ſpar⸗ ſam, haäuslich u. f. w. if, kurz, fo wie ih. Weißt Du was, Andreas? Ich habe ſchon was auf ber Seite, dazu allerhand Aus; fihten. Wenn Du recht artig fein willſt, geb’ ich Dir meine Hand. Bas meinft Du, Andreas? Wir leben gewiß gut mit einander.”

„Reit, Lucilie, dad geht nicht.“

„Das geht nicht ? Schau’ mir Einer den Herrn an, wie gleich⸗ gültig er das fagt! Hat das Herschen feinen Schwux vergeffen ?“ „3% habe nid geſchworen, Ste zu heitathen, Lucilie.“

„Thnt nichts, Andreas; fo Biele ſchwoͤren und heirathen nicht, dag wohl 'mal Ciner heirathen Tann, ohne geſchworen zu haben. Uebrigens, wie Sie wollen, mein Herr! Ich Tann Hundert Männer Triegen, wenn ich will.“

„Das weiß ich, Lucilie, und da ich eine Meife nach Savoyen

vorhabe, Hoffe ich, mir won Zeit zu Zeit füpreiben, wie ed Ihnen und der Frau Bräfln geht.“

„Sie reifen nach Savoyen, Andreas? Gewiß, am Ihre Mutter zu befuchen ? Der gute Andreas! Wie wird Mann fich freuen! Aber das iſt zu arg von Ihnen, daß Sie mich nicht zur Fran wellen ! Ich würbe Ihnen recht böfe fein, wenn ich koͤnnte. An⸗ dreas, ich will than, was Sie wünfchen, will Ihnen fchreiken von mir und der Yrau Gräfin. Geſchwind einen Kuß zum Ab: fgied .. . pfui, wer nimmt ungefüßt Abfchieb und fo im Kluge, auf der Treppe! Sie hätten wohl auf mein Zimmer Tommen Eönnen, wie ſich's gehört, Andreas.“

Ich Tann nicht, Eucilie ; ber Wagen ſteht ſchon reiſefertig vor ber Thüre.“

„Adleu benn, Andreas; auf Wiederfehen!“

Ich drücke ihr einen Kuß auf die Lippen und .eile dann fort. Bis id) in unfere Straße einbiege, ſehe ih deu. Reiſewagen ſchon wor der Thüre halten und den Poſtillon im Sattel. Peter fipt im Wagen und ſchaut fi ungenulbig links und rechts nach mir um. Der gute Bater Bernharb hatte nicht eher geraftet, bis er alle meine Wünfcge erfüllt Hatte. Schnell gehe ich hinauf, von meinen Freunden Abſchied zu nehmen, fledde eine ziemlich bedeutende Geldſumme zu mir und fleige baum neben Peter ein, ber ven Augenblid unferer Abfahrt nicht erwarten Tann.

Seht find wir fertig. Der Poſtillon ſchwingt die Peitſche und davon flisgen wir in bequemer vierfpänniger Chaiſe, der Heimath

zu, bie wie vor elf Jahren zu Zuß verlaffen hatten, um in Baris .

unfer Brod zw ertangen und zu erfegen. Bernharb und Nanette ſehen und auf ber Straße noch lange nach.

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Vierundzwanzigſtes Kapitel. Reifenab Saroyen. Anlauf. Schnelle Rückreiſe.

Veter, der nie in einem Hoͤtel gewohnt hat wie ich, noch je in einem Wagen gefahren, weiß ſich während ber erflen Station nicht zu faſſen vor Jubel. Sein Mund ift in ewiger Bewegung ; bald ruft er vor Freude, bald vor Staunen, Bald vor Schreck, wenn ber Wagen, der mit Blibeöfchnelle fährt, in den Geleiſen fih neigt oder über holperige Straßen hinrollt. Wie gerne gäbe ih mich meinen Betrachtungen hin, aber Peter gönnt mir feine Zeit dazu. .

„Sieh', Bruder,“ ruft er, „wie die Pferde galoppizen. Wie angenehm das Fahren thut. Dauert es recht lange? Ich wollte, ed hörte nie anf. Schau’, Bruder, liuks und rechts Käufer, Bäume, Dirfer, Alles läuft von und weg. Wie gut es ift, reich zu fein, und die häbſche Erfindung de, fo mit Poſtpferden zu veifen! Mein Gott, wie die Leute und anfehen; ich wette, fie möchten an unferer Stelle fein! Wir müflen recht vornehm ausfchen. DO, wenn das dFahren doch nie anfhärte !“

„Urmer Beier, Du kriegſt es bald geuug ſatt!“

„Sat? Rein, Bruder, nis!“

Am zweiten Tage if Peters Buthuflaamus bebeutenb abges fühlt. Ex fängt an, ermübet zu werben durch die einfürmige Bes wegung. Der Wagen iſt bequem, boch haben wir bie ganze Nacht durchgefahten und nur an ben Statiunen angehalten, um bie Pferbe zu wechſeln. Peter meint, ein viertelflündiger Spaziergang würde ihm micht übel befommen, und fchon bedauert er die Fußgänger weniger.

Jetzt Haben wir Lyon im Nüden und nähern und ver Savoyer Grenze. Hier erſcheint und Alles wie nen. Die Seele erweitert fich, das Herz fchlägt und rafcher beim Anblick altbekannter Gegenden.

Vaul de Rod. u. 21

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„Gicht Da dab Haus da?” rufen wir gleichzeitig; „ben Pfad? da haben wir oft gefeffen, und unter dem Baume da oft gefrüß: fädt. DO, mein Gott, und die Berge, unfere Gletfcher! Hinter dem Flecken da liegt unfer Dörfgen. Schöne Heimath, wir grüßen dich!“

Die der Blig fliegen wir zum Wagen hinaus, flürzen uns in die Arme und weinen vor Freude. \

Aber wad.fehe ich da links am Wege, neben dem jähen Ab: hang ? Eine Barriöre, biefelbe, auf der wir uns fchaufelten, als wir von der guten Mutter fortgingen ; fie beivegt ſich wie in jener Nacht, da fie Peter erfchredte.

„Laß uns bin, Bruder,” rufe ich Peter zu, „laß uns an fie Ichnen. Mein Gott, mir iſt wieder ganz zu Muthe wie damals.”

Peter folgt mir, der Wagen hält. Seht flehen wir vor ber Barridre, wir möchten fie umarmen! Wir Flettern Hinauf und ſchaukeln und wie in den fröhlichen Tagen unferer Kindheit.

Der Boftillon weiß nicht, was er davon denken foll; er muß |

uns für Narren halten. Ach, er Tann nicht erraten, was in unferem Herzen vorgeht! "

Die Eindliche Freude danert nicht lange. Ein Gedanke 'an Paris, an Adolphine, an den gewaltigen Umfchwung in unfern äußern und innerlichen Berhältniffen und ich muß ſeufzen, fenfzen vor Kummer. Peter fchaufelt fich noch immer; der gute Junge kommt ganz fo zurück, wie er ausgezogen iſt.

IH Heiße den Kutſcher mit dem Wagen warten im Flecken, ber ungefähr eine Viertelmeile von unferem Doͤrfchen liegt. Wir wollen zu Fuß gehen. Peter ficht mich erflaunt an; er wäre fo gerne in geſtrecktem Galopp vor die Hütte der Mutter gefahren.

„Bruder,“ fage ih ihm, „pie Nachbarn und Freunde müſſen une für flolz Halten, wenn wir im PVierfpänner einfahren. Wir gehen Beffer zu Buß und zeigen unfern Reichthum Lieber durch Wohlthaten gegen bie. Armen. Was meinft Du 9

Peter umarmt mid, "

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„Du haft Reit, Andreas, wie immer!" xuft er. „Ich Dumm: fopf feh’ nie weiter, ald eben meine Naſe reicht.“

Nachdem wir den Poſtillon mit den Poftpferden zurückgeſchickt und den Wagen im Flecken eingeftellt haben, nimmt Jeder von und feine Sachen anf den Budel ; fo wandern wir unfered Weges weiter dem Dörfchen zu. Peter will Alles tragen; er fagt, er fei gewöhnt daran umb flärfer ald ich; aber ich gebe es nicht zu, ich will meine Sachen tragen, fo gut wie er die feinigen; die Leute könnten fonft meinen, ich dünke mich vornehmer ald Peter.

Wir beflügeln unfere Schritte. Immer befannter wirb uns bie Gegend; jeder Ort, jede Stelle erinnert und an bie ſchoͤne Jugendzeit. Jetzt ftehen wir auf dem Punkt, wo bie theure Mutter vor elf Jahren Abſchied nahm von und und und nachſah, fo lange, fe lonnte. Peter und ich, wir blicken uns wehmüthig an; derſelbe Gedanke fteigt in und auf. Auch Jakob ftand da neben der Mutter, bier fahen wir ihn zum leßtenmale; noch ſeh' ich ihn, wie er und eine Kußhand zumwarf. Unfere Augen füllen ſich mit Thränen. Ad, fo it denn Fein Glück volllommen auf Erden! Das unferige wäre ju groß, wenn wir Alles im Dorfe wieber träfen, wie wir's vers laſſen Haben.

Aber die Mutter wartet; gefchwind weiter! Sieh’, hinter jenem Hügel liegt ‚unfer Dorf; Hinauf, hinauf! Kaum find wir oben, fo fiegen wir und in die Arme.

„Sieh’ da, fieh’ da!“ das iſt Alles, was wir hervorbringen tönnen. Die Freude, das elterliche Dach ‚wieberzufehen, dad wir deutlich erbliden, raubt und die Sprache. Bon da an gehen wir. nicht mehr, wir fliegen ber geliebten Wohnung zu. Seht haben wir fie erreicht. Unwillfürlich fallen wir auf die Kniee nieder vor der befcheidenen Hütte, in ber wir das Licht der Welt erblidien.

Die Thüre iſt verfchloffen. Sollen wir und plöglich zu ers lennen geben, oder die Mutter almahlis vorbereiten auf das Glück, bad ihrer wartet 7

„Zu große Ueberraſchung thut nicht gut,“ fagt Peter.

Aber ich kann mich nicht Halten ; zitternn Tlopfe ich an. Die Thüre öffnet ſich; fie iſt's, fie it's, die gute Mutter flieht vor uns.

„Bas wünfchen Sie, meine Herren ?* fragt fle unter hoͤf⸗ licher Berbeugung.

Meine Herren! Sie kennt uns alfo nicht. Kein Wunder! elf Sabre Haben und zu Männern umgefchaffen und außerdem unfere elegante Kleidung . ... doch das Herz erräth alsbald; Keiner von und Beiden rührt ſich von der Stelle, keiner fpricht, ex wagt ed nicht; aber wir öffnen laͤchelnd die Arme, und ſchon hat ihr Herz und bei Kamen genannt.

„Mein Gott!” ruft fie, „wär's möglich 3“

„Sa, theure Mutter, wir ſind's, Deine Söhne... Dein Peter, Dein Andreas flieht vor Dir!" rufen wir Beide wie and einem Munde und fliegen an ihre Herz, als wären wir noch bie Kinder wie ehemals. Und wir find auch noch die Kinder, wenn auch nicht den Leibe, doch dem Herzen nach. '

Lange können wir feine Worte finden für unfer Glück! Die gute Mutter erbrüdt uns fat in ihren Armen.

„O, wie Ihr groß geworben ſeid!“ ruft fie, „und wie fchön, wie vornehm / Ihr armen Kleinen, Ihr! Du am meiften, Andreas; Du biſt wie ein Graf; Peter nicht fo ganz, der iſt noch ein wenig linfifch geblieben. Ach, Andreas, und wie gut Du gegen mid) warf; durch Deine Güte hat Deine Mutter nie erfahren, was Clend Heißt.“

„Beter hätte dad Nämliche gethan, liebe Mutter, aber ein Schuft bat ihn betrogen und das Geld für fh behalten, das er Dir beſtimmt Hatte.”

„D, ih glaube Euch, meine Kinder! Nicht wahr, Ihr habt mich immer gleich lieb, Eure Mutter? Wenn doch ber arme Jakob noch lebte, wie würbe ex ſich mit mir freuen; aber Gottlob! daß ih Cuch bei mir habe, Euch an mein Herz drücken darf. Sa, id fühle, daß ich noch eine glückliche Mutter bin!“

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Wir treten in die Hütte, Alles, Alles erinnert uns an unfere Kindheit.

„Sieh’, Peter,“ fage ich zum Bruder, „ba ift der große Stuhl, worauf unfer guter Bater farb ; da knieten wir nieber vor ihm ; da iR die Stelle, wo er bejonderd gern faß und und auf den Knieen ſchaukelte.“

„Ja, lieben Kinder, es iſt ſo,“ faͤllt die gute Mutter ein und trock⸗ net ſich die Augen; „ich ſehe, Ihr habt nichts von dem Allen vergeſſen.“

„Und da ſchliefen wir; jetzt, glaub’ ich, würden wir nicht mehr fo gut fchlafen da,”

„Und da fand ich bad Porträt meiner Wohlthaͤterin.“

JFa, Andreas, das Porträt bat Dein Glück gemacht und meined ; ihm haſt Du’s zu danken, daß Du jett ein vornehmer Her biſt. Aber ih muß wiffen, wie das Alles fo gekommen ift, Ihr ſollt mir Eure Geſchichte erzählen von Anfang bis Ende. Doch erſt fegt Euch und ruht Euch ans, Ihr werdet müde fein vom Wege. Seid Ihr zu Fuß gegangen ?“ "

„Wohin denlſt Du, Mutter? Wir haben es uns bequem ges macht, wir.

Schon will Peter Alles zum Beſten geben, aber ich zupfe ihn am Arm und winke ihm zu ſchweigen. Die Mutter weiß nicht, daß Hert Dermilly tobt iſt, und daß er mich zum Erben eingeſetzt hat; ih will fie damit überrafchen, darum falle ich geſchwind Peter in bie Rede und fage:

„Wir haben unterwegs Gelegenheit gefunden zum Bahren ; fo find wir nicht ermühet.”

„Um fo befjer, lieben Kinder! Jegt will ich in bie Küche und Euch Euer Lieblingsefien kochen; wißt Ihr noch, bie Kuchen, Die Ihr früher fo gerne aßt. Guter Bott, hätt’ ich das gedacht, Daß Ihr heute kommt, der Tiſch follte ſchon gebedit fein. Aber Ihr wolltet mich übersafcgen, nicht wahr? Heut’ Abend werben fle Cuch gut ſchmeden!“

Während die gute Mutter in die Küche eilt, um und Kuchen zu baden, fehen Peter und ich und im Dorfe um und nad den altbefaunten Geſichtern. Zuerſt gehen wir auf den Kirchhof zum Grabe bes feligen Vaters; dicht daneben liegt auch Jakob begraben. Mit einem Dorffirchhof ift man bald fertig. Nichts von dem Lurus und ber Pracht eines Pere-la-Chaife! Kreuze, einige Steine, mit Krängen umwunden, hie und da einige Blumenbeete, das iſt Alles, | was an die Ruheftätte der Abgefchievenen erinnert. Der Tod ift bier einfach und fchmudlos, wie das Leben außerhalb der Ring: _ mauern des Gottedaderd. Der Bauer beſucht die Gräber feiner verftorbenen Lieben, um ihnen eine Thräne des Andenkens zu weihen, und nicht um die Pracht der Maufoleen zu bewundern ober "pomp: hafte Infchriften zu buchftabiren.

Nach Turzem Gebete auf den Gräbern des Vaters und Bruders gehen wir langfam ind Dorf zurüd. Oft bleiben wir ftehen; jeber Pfad, jeder Kreuzweg ruft eine alte Erinnerung hervor ; hier auf biefer Stelle warfen wir uns oft mit Schneeballen.

„Sieh', Bruder,” fagt Peter, „bier flog mir einer gerade aufs Auge. Du fiehft, auch ich habe die fchöne Zeit nicht vergeffen.“

Keiner im Dorfe erkennt und, Wie flaunen die guten Leute, als fie unfere Namen hören.

„Ihr die Söhne der braven Marie!“ rufen fie ein über's andere Mal. „So groß geworben und fo vornehm! Unmöglich!“

Aber wie freuen fie fih, als fie merken, daß unfer Herz das alte geblieben if. D, wie drängen fie fih an uns heran; Seber will und feine Freude bezeugen !

Enplih kommen wir unter dad mütterliche Dach zurück; der Tiſch iſt ſchon gedeckt. Noch jept ſchmeckt mir das einfadye länp- liche Mahl, das die gute Mutter uns zubereitet hatte, Seit langer SZSeit ich nicht mit fo gefundem Appetit, umd je mehr ich ihren Kuchen zufpreche, um fo mehr freut ſich die Mutter. Peter aber macht dann und wann ein naͤrriſch Geſicht.

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„Schmeckt Dir'e nicht, Peter?“ fragt fie.

„Und wie, Mutter! Aber die Parifer Küche iſt Halt doch... anders,” .

„Bas, Betr, Du magft die Kuchen nicht mehr, die Du früher fo gerne aßeſt 3"

„Weißt Du, Bruber, früher kannt' ich bie Omeletted und bie Paſteichen und all! die andern Herrlichkeiten noch nicht, die ich und Loifean bei dem Traiteur an der Ede afen... o Mutter, vie Omeleites foufflöes und die Pafteten, fag’ ich Dir, die ſchmecken jamos! Hätt’ ich Die nur welche in der Tafche mitgebracht ; aber wenn Du nach Paris kommſt, Mutter, meiner Seel’, vierzehn Tage lang ſollſt Du nichts effen als Dmelettes fonfflces !“

„Dank Dir, lieber Peter, um Deine Omeletten zu often, - mag ‚ich nicht fo weit reifen, und ich bin gewiß, fie find nicht befiev als meine Kuchen. Nicht wahr, Andreas ? Dir ſchmecken fie und das freut mich.”

„Ja, Mutter, fie ſchmecken mir trefflich,“ antworte ich und trete Beter auf den Yuß, zum Zeichen, daß er fchweigen foll. Es will mir nicht gefallen, daß er die Parifer Omelettes auf Koften der von Mutterhand gebadenen Kuchen herausftreicht. Mach ber Abenpmahlzeit erzählt Jeder von uns feine Abenteuer feit der An- funft in Paris. Peter ift mit feiner Gefchichte bald fertig. Meine dauert wiel länger. Als ich auf den Ton meined Wohlthäters zu iprechen Zomme, weint die Mutter heiße Thränen.

„Sag’ ihr Doch von der reichen Erbſchaft,“ flüftert mir Peter zu. Ein Blick von mir bringt ihn zum Schweigen. Doch Höre ich, wie er in den Bart brummt: .

„Der Andreas jept... . ift ein ganz anderer Kerl.“

Die Mutter verſteht ihn nicht. Zum Schluffe meiner Gr: ählung ermahnt fie mich, ja recht dankbar und erfenntlich zu fein gegen die Graͤſin, gegen Bernhard und feine Tochter für die un: sähligen Wohlthaten, die ich von ihnen empfangen. habe. Auf⸗

3%

fallend ift mir, daß fle kaum von Abolphinen redet uab immer auf Ranette zurädtommt. Offenbar iſt fie durch bie Herzensgüie Nanettens beftochen worben. Alles an Ranette gefällt ihr. Während ih mich auf das Lob ihrer Tugenden beichränte, wird Peter nicht müde, ihre Schönheit, ihren fchlanten Wuchs und ihre Aumuth

zu rühmen, fo daß die gute Mutter alle Augenblicke auscuft: „Das gute, liche Mäpchen das, ich möchte fle fehen und Aaffen!"

Es if jetzt Zeit zum Schlafen. Wo legen wir und zur Ruhe

nieder Die Mutter fürdhtet, ſie könne und nicht na Wunid beiten, doch verfichere ich le, daß wir Beide zufrieden find mil einer Matratze und einem Strohſack in demſelben Verſchlage, wo wir ald Kinder fchliefen. Peter reißt die Augen weit auf und fieht

mid ſchweigend an. Ich bin ihm ein Räthfel, aber er wagt Feine

Erwiderung dagegen. Erf ald wir allein find, fragt er: „Andreas, willſt Du nicht mehr reich fein ?“ Sch fehe ihn Tächelnd an. „Schlaf nur auf dem —*

und der Matratze, worauf Du als Kind ſchliefſt,“ antworte ich | ibm, „das ſchadet Dir nichts. Im Gegentheil, wie Tanmft Du |

Dir ein fo füßes Vergnügen rauben wollen ?*

Aber Peter hört mich wicht mehr. Er fhläft ſchon und balb

|

folge ich. feinem Beifpiele. Die füßen Erinnerungen aus der Sunben:

zeit wiegen mich bald in Schlaf.

Mit Tagesanbruch ftehe ich auf. Beter fchläft noch, aber Die Mutter ift Schon am Herde mit unferem Frühſtück beſchäftigt. Unter dem Borwande, die frifche Morgenluft zu genießen, gebe ich bin:

aus, doch habe ich Anderes im Sinne. Geſtern beim Spegiergange durch's Dorf fah ich ein allerlichftes Wohnhäuschen weit veigeuber Ausficht, das zum Kauf oder zur Miethe ausgeboten war.

Das Häuschen kaufſt du ber Mutter, dacht' ich Bei mir und

überraſcheſt fie mit dem Geſchenk. In der Abſicht made ich wi jo frühe fort. Ich Hopfe an bie Ihüre ; ein altes Gärtner, der einzige Vewohner des Hanfes, äffnet mir.

385

„Ich möchte das Haus Laufen,” fage ich ihm, „an wen muß ich mich wenden ?

„An den Stadtnotar son P’Sopital, Herr, der mit dem Ber- kauf des Hauſes beauftragt if. Es wurde für eine hübſche Dame gebaut, die reiht einfam Ieben wollte. Doch fchon nach einem halben Jahre Hatte fie das Cinſtedlerleben fatt, und dann gab fle dem Motar den Auftrag, ed in ihrem Namen zu verkaufen ober zu vermiethen.“

„Zeige mir das Haud, Freund.“

„Gern, Herr. Ich bin der @ärtner und wohne jept allein darin.”

Alles if fo, wie ich's wünfdhe: eben fo geſchmackvoll als bes quem. Erſt ein hübſcher Hofraum, dann ein Erdgeſchoß, ein Stock⸗ wert und mehrere Böden. Es iſt groß genug für wenigftens zwölf Berfonen. Um fo beffer, fo können wir noch mehrere Freunde be⸗ berbergen. Unfere Sayoyer Freunde verdienen den Namen im vollften Sinne des Wortes, und wer von Paris kommt, und bier zu be- ſuchen, verbient den Namen gleichfalls. Auch die Bequemlichkeiten laſſen nichts zu wünfchen übrig; Alles einfach, fauber und nett: Mitchlammer, Taubenfchlag, Gewächshaus n. |. w. Sehen wir und den Garten an: dritthalb Morgen, trefflich beflellt, dabei ein Heined Getreidefeld. Was will ich mehr? So brauchen wir nichts einzufaufen.

„Und der Kaufpreis?‘ frage ich den alten Gärtner.

„Iſt etwas hoch, Herr, aber Sie kaufen was Gutes: ein hũbſches Haus, viel Land, guter Boden, folide Mobilten....‘‘

„Neunt die Summe, Freund!“

„Reuntaufend Franken, Herr.”

„Reuntaufend Franken ?

Das ſcheint mir ſpottwohlfeil, aber ich vergeffe, daß ich nicht mehr in Paris bin, und daß hier ein ganzes Haus mit Land unb Garten weniger Toflet, als eine fleine Wohnung in der Ehauffee

d Autin.

„Du brauchſt die Schhreiber nicht,“ fage ich zum Bärkner, „ih kaufe das Haus.“

„Sie kaufen dad Haus? Und was wird aus mir?“

„Ich Taufe Dich mit. Was befommft Du für Deine Gärtnerei?"

„D, Herr, ih bin mit Allem zufrieden, wenn ich nur ein Hüttchen da Hinten im Hofe behalten darf. Der Garten nähıt mich fattfam. Was meint ber Herr von jährlich zehn Thalern? Dafür will ich arbeiten von Morgen bis Abend.“

Zehn Thaler! Armer Mann, Der Herr Graf gibt einer Menge Lalaien, die den gangen lieben Tag herumfaullenzen, mehr als hundert Thaler; aber immer vergefle ich, daß ich in Verin und nicht in Paris Bin.

„Du fol zwanzig haben,“ fage ich nad einem Weilchen. „Da haſt Du fie im Voraus; dafür erwarte ich, daß Du bei meiner Mutter bleibt und ihr treu dienſt.“

„Bei Ihrer Mutter, Here? Haben Sie dad Haus für Ihre Frau Mutter gekauft?

„Stil, Freund, Fein Wort davon, ich will fie überrafchen. Ich will jegt zum Notar... heut’ Abend, hoffe ich, fol der Con⸗ traet in meiner Hand fein.‘ '

Bei der Abreife von Paris hatte ich ungefähr zehntaufend Franken in Gold Beigeftedt, die ich in Herrn Dermilly’s Sefvetär vorgefunden. Die Summe ann ich nicht befjer verwenden, als anf den Ankauf viefes niedlichen Häuschend, das Alles in fi vereint, um ber guten Mutter in ihren alten Tagen das Leben ans genehm zu machen. Ich freue mich anf die Ueberrafchung wie ein Kind. Die Borfreude beflügelt meine Schritte, und ehe ich's merke, babe ich ven hohen Berg erflommen, ber zwifchen Berin und [’Hopital liegt. Ich treffe den Notar zu Haufe, und bevor er mit feinen Neverenzen fertig ift, habe ich ihm ſchon mein Anliegen vorgetragen.

Leider ift der Alten⸗ und Kanzleimenſch nicht fo flink wie ich; er meint, gut Ding will Weile haben.”

397

„Ich werde an ben Contract gehen,” fagt er.

„Aber auf der Stelle, mein Herr.”

„Wir müflen erft das Gelb...”

„Hier ift es, Herr, neuntaufend Franken, ſo viel als das Haus koſtet.“

„Schön, ſchoͤn, aber...”

„Kein Aber, mein Herr! Nennen Sie die Notariatögebühren, ih zahle gleich baar, ohne zu handeln, aber eilen Sie.‘

Mit ſolchen Worten bringt man die ganze Welt in Bewegung. Der Notar wendet fih un feinen Schreiber. Ich gejchwind dem Schreiber ein Geldſtück in die Hand gebrüdt, das hilft. Der gute Mann fchneidet nicht erft dreimal bei jevem Worte die Feder.

Unterbeß gehe ich im Garten fpazieren, während bie Herren mit ihrer Schreiberei befchäftigt find. Kaum hört die Frau Notarin, daß ein junger Mann, ver kauft, ohne zu handeln, und nobel be: zahlt, im Comptoir ift, fo ordnet fie hurtig ihre Friſur und kommt in ben Garten hinab, mir Geſellſchaft zu leiſten.

Die Frau Notarin ift nicht hübſch, aber hoͤchſt anſpruchsvoll, und befanntlih gibt es nichts Liehbenswürbigeres, ald eine Dame aus ber Provinz, die Anfprüche macht. Che fünf Minuten ver- gangen find, weiß ich, daß Madame eine herrliche Stimme hat, die ſchwerſten Opernarien fingt, und fi auf dem Pianoforte felbft begleitet ; daß fie italienifch fpricht und ziemlich gut lateiniſch; bag fie den Code civil ganz im Kopfe hat; daß fie nie Kinder gehabt hat, noch fich welche wünfcht, weil das die Taille verdirbt; daß fie Berfe macht und gerne tanzt; daß fie die beſten Omelettes zu machen verfteht und felbft das Regiment führt in der Küche; endlich, daß fie immer nach den neueften Dioden des Lyoner Mode: journals gekleidet iſt.

Während ich das Alles anhören muß, bin ich mit meinen Gedanken bald in dem neugelauften Haufe, balb in Paris bei Knolphinen. Kein Wunder, daß ich ber guten Brau die verfchrteften

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Antworten gebe, wenn He mich fragt, unb fie fragt eben fo gerne, als fie erzählt. Sie mag einen fchönen Begriff von meinen Ber: ſtandesfaͤhigkeiten befommen haben, die Ente! Aber ich weiß mid zu tröften. Endlich, nach zwei töbtlich langen Stunden , läßt mid der Herr Notar wiffen, daß Alles in Richtigkeit fei. Ich eile auf's Comptoir, zahle die Gebühren, und flürze mit dem Contracte, ben ich auf meiner Mutter Ramen babe ausfertigen Iaffen, Hals über Kopf zum Zimmer hinaus. Doch habe ich Zeit zu hören, wie der Notar zum Schreiber fagt:

„Dem Herm merkt man an, daß er fein Haudmäller ifl.“

IH bin lange außgeblieben ; Mutter und Bruder haben nicht bloß ohne mich gefrühftädt, fondern auch mit dem Eſſen auf mid gewartet. Schon geräth die gute Mutter in Angft ; fie fürchtet, ich habe das Bergfleigen verlernt, und fei, wie Jafob, in den Abgrund binabgeftürzt. Peter fuchte mich überall. Endlich trete ich ein. Die Wonne, bie in meinen Augen glänzt, nimmt ihnen alle Unruhe.

Ich ſchutze Dies umb Jenes vor, und finde leicht Glauben, benn Keines von Beiden hat die Ieifefte Ahnung von meinen Ab⸗ ſichten. Nach dem Effen führe ich die Mutter fpazieren. Iuzwifchen babe ich meine Mafregeln fo getroffen, daß alled Hausgeraͤth aus ber Hütte in die neue Wohnung Hinübergejchafft wird. Unvermerkt führe ich fle in die Nähe des hübſchen Häuöchens, womit ich ihr ein Geſchenk machen will. Während des Spagierganged. werben wir dermaßen von Freunden und Bekannten beſtürmt, welche ber guten Mutter Glück wünfchen zu foldden Söhnen und das Tann eine Mutter nie oft genug anhören daß die Nacht hereinbricht, ehe fie ſich deſſen verficht. |

„Es iR ſpaͤt,“ fagt fie endlich, „und wir haben noch weit bis nad Haufe. Ich’ bin fo Lange nicht andgegangen, daß ich kaum noch den Weg zu finden weiß.“

Statt Mutter und Bruder in die Hütte zurädzuführen, führe ich ſie im bie neue Wohnung, die ihnen ein Schloß gu fein füheint.

329

„Ich Tenne den Beſitzer dieſes Hauſes,“ fage ih. „Er hat mi und Buch zum Nachteffen eingeladen, Tommi !“ And damit Hopfe ich an bie Hausthüre.

Das kommt Peter ganz erwünſcht. Bielleicht gibt's da Omelettes fonffldes und Baftetchen, denkt er. Die Mutter will erſt nicht, denn fie fürchtet zu geniren; fle gibt aber nach, als Franz, der alte Gärtner, öffnet und unter taufend Complimenten ung in's Haus nöthigt. Ich winke ihm zu ſchweigen. Die ehrliche Haut, die fich auf's Ueberraſchen nicht verfteht, ift eben fo verlegen als pie Mutter, die fich nicht von der Stelle wagt, und immer nad dem Herm bes Haufes fich erkundigt. -

Wir fleigen die Treppe hinauf und treten in die Stube, bie ich für die Mutter beftimmt habe. Alles ficht fie bewundernd an, und ruft ein übers andere Mal: „Wie hübfch Das Haus! Das müflen reiche Leute fein, bie hier wohnen.”

Wer aber befchreibt ihr Staunen, als fie in der Stube ihre alte Kommode, den Bettkranz von Buchs, und dicht neben dem Kamin den alten Stuhl wieberfindet, worauf unfer Vater ſelig zum letztenmale einfihlief.

„Mein Gott, was heißt das?“ ruft fi. „Das find ja meine Sachen: mein Stuhl, meine Commode, mein Bett . . . begreift Ihr das, Kinder ?"

„Recht gut, liebe Mutter,“ antworte ih. „Du biſt bier bei Dir, dies Haus iſt Dein Cigenthum. Während unfered Spazien gange® habe ich Alles hertragen laffen, was Dir lieb und wert ift von Deinen alten Sachen.”

Die Mutter weiß nicht, ob fie wacht ober träumt, während Beter wie toll im Zimmer herumhüpft und ruft:

„Merkſt Du jetzt, wie reich Andreas ift, liebe Mutter ? Dachte ih’8 mir Doch, daß er Dich überrafchen wolle.“

„Wie, Andread, Du bi reich 3" „Ja, Mutter, veich genug, um Dir biefen friedlichen, ftillen

Aufenthalt anzubieten. Herr Dermilly Hat mich zu feinem Erben eingefeht. Ich habe eine ſchoöͤne Wohnung in Paris, und ich follte meine Mutter in einer Hütte wohnen laffen? Hier ift der Kauf: brief, lies: das Hans gehört Dir.”

„Mir oder Dir, gleichviel! Nimm Dir ein Weib, Andrea. Erf wenn Du mit Weib und Kindern hier mit mir wohnſt, erſt dann ift mein Glück voll. Thun’ es, Andreas, und heirathe.”

„Und ich heirathe mit, Mutter, wir heiratben Alle,“ ſagt Beter. „Aber erſt wollen wir effen und bann das Haus befehen.“

Der Wunſch der guten Mutter, fo Herzlich er gemeint if, entlodt mix einen tiefen Seufzer. Um ber trüben Gebanfen mid) zu erwehren, biet' ich mich ihr als Führer an durch's Haus, das fie unvergleihlich findei. Peter ſucht fih ein Zimmer aus, und ich wähle mir dasjenige, dad die weitefte und wechſelvollſte Aus- figt in die herrliche Umgegendb darbietet. Es iſt zu fpät, um bie Milchkammer, den Tanbenfchlag, die Waſchküche und den Garten in Augenfchein zu nehmen; das bleibt alfo bis morgen früh. In⸗ zwifchen hat Franz in einem Saale des Erbgefchoffes das Abend⸗ effen angerichtet, das wir und trefflich fchmeden laſſen. Dann begeben wir und zur Ruhe in jener behaglidden Stimmung, in bie eine heimelige Wohnung immer verfegt.

Den folgenden Morgen beflchtigen wir das ganze Haus bis in bie Heinften Theile. Als gute Haushälterin freut ſich die Mutter mnenblih am Badofen, Badtroge, ver Milchkammer, Wafchfüche, Holzlege, und wie die Herrlichkeiten fonft noch heißen mögen, wofür nur dad Weib den rechten Sinn hat. Draußen im Freien bewundert bie Mutter vor Allem das Getreidefeld, während Peter fi an ben ſchoͤnen Fruchtbaͤumen labt, womit der Garten bedeckt if. Der Eigenthümer zeigt immer große Luft, überall BVerbefferungen an⸗ zubringen. Gier iſt Das nicht recht, dort Jenes nicht. So haben benn Peter und ich bie Haͤnde voll zu thun: wir graben bie Beete sm, baden, pfropfen, beſchneiden bie Bäume, pflügen u. |. w.

331

Der alte Franz brummt Etwas in den Bart,” aber wir hören ihn nit. Darüber vergehen ſechs Wochen, und noch habe ich feine Sekunde Langeweile empfunden. Wenn ich genug gezeichnet und ges malt habe, dann greife ich zum Grabfcheit und beflelle unfer Gütchen.

Adolphinens Bild werläßt mich nie, aber ich fühle, um ganz glücklich zu fein, muß ich fie Hier “in Verin haben und nicht zu ihr nach Paris zurückkehren.

Bon meiner guten Freundin find Nachrichten eingelaufen, aber niht von Lucilien. So weiß ich denn feine Silbe, wie im Hötel ausfieht umd hergeht. Weber die Zeit meiner Abreife von bier ift noch nichts beflimmt. Wenn ed vom. Willen der guten Mutter abbinge, jo käme ich nie wieder nach Paris zurüd, Wie oft fagt fie: Andreas, bu biſt reich, bift unabhängig, warum bleibft du nicht bei mir ? je: Gnblich trifft der Iangerfehnte Brief Luciliend ein. Ich weiß feld nicht warum, aber die Hand zittert mir, als ich das Schreiben ı öffne, und boch habe ich Nachrichten über Abolphinen zu erwarten.

Ich durchlaufe flüchtig die erfle Seite... Schwüre ewwiger Trene und Anhänglichleit, und nichts ald Schwüre. . . Lucilie, bu vergiffeft, daß ich Tein Kind mehr bin! Aha, ba bommt Eimas über’8 Hoͤtel.

„Der junge Marquis ift zurüd. Gr Halt ſich jebt mehr zu Haus umd gibt ſich mehr Mühe um feine Couſine. Fräulein Adol⸗ phine wird mit jedem Tage hübfcher. Allem Anfcheine nach wirbt ber Marquis um die Hand feiner Couſfine.“

Er wirbt um fie! Ich laſſe ven Brief fallen, pad Wort fchneibet mir in's Herz. Wär’s möglich, Adolphine den Marquis heirathen ? D, ich Elender, Tonnte ich das nicht vorausſehen! Mußte es nicht fo kommen? Hatte ich nicht eine Ahnung davon? Und bo, nein! Wie fle bei unferer letzten Unterrebung über ihn fprach, Tann fie ihn nicht lieben... nein‘!

Der Kopf ſchwindeit mir. Das einzige Mittel, die heirath

393 Ubolphinens mit bein jungen Marquis zu hintertreiben, if, vi ich mich ihr perfönlich zeige. Schnell eile ich zur Belın, ig meine Mbreife nach Paris anzufündigen. „Was, Undrens, fo plötzlich fort? Heute rosgen bachieh Du nicht daran!“

„Ich habe Rachrichten bkkommen, die mich zur ſhlemigen Abreiſe zwingen.“

„Gewiß keine guten, Andreas! Mein Gott, wie blaß und verſtoͤrt Du bi... ſprich, was haſt Du?“

„Nichts, liebe Mutter, nichts, aber ich muß morgen fort.“

„Morgen ſchon I“

„Ja, morgen. Geh’ in den Flecken, Peter, wo wir unſern Wagen ließen, und beſtelle Poſtpferde auf morgen früh.“

„Wie Du will, Bruder.“ -

„Wenn Du lieber bei der Mutter bleibft, fo bleib’, Du haft nichts in Paris zu thun.“

„D, Bruder, ich habe wahrlich nichts gegen die Reife nah Paris. Es Fährt ſich fo hübſch im Poſtwagen.“

„Sa, geh’ nur mit Andreas, Peter,“ ſagt die Mutter, „es iſt mir ein großer Troſt, wenn ich Dich bei ihm weiß. Der arme Andreas Hat den Kopf fo voll!“

Peter rennt wie Befeffen davon. Inzwiſchen pade ich unfere Sachen, dabei fieht mich die gute Mutter prüfend an, ald wolle ſle meine geheimften Gebanfen errathen.

„Andreas,“ fagt fie endlich, „Du haſt Kummer, fage mir, was drückt Dich I“

Sch kann nicht antworten, aber ich nehme ihre Hände umb brägte fie zärtfih an mein Herz. Mein Stillſchweigen ift faſt ein Geſtaͤndniß.

„Bei al’ Deinem Reichthum, Andreao, HR Du nicht glüds lich,“ Hebt die Mutter von Neuem an. „Lieber weilte ih, ich wäre noch in unferer alien Wohnung une fähe Die in Deinem

ſchlichten Kittel einhergehen und guten Muthes Deine Wafferfuppe effen, wie ehemals. Ad, Du kehrſt jetzt nach Baris zurüd, Du willſt nicht bei Deiner Mutter bleiben. Aber wenn Deine Schmerzen nieht vergehen, o, fo komm' baldigſt zurück. Ich will Dich tröften, Kind, oder mit Dir weinen !“

Ich ſuche ihr Die Unruhe auszureden, kann aber meine Sehn: ſucht nach Paris nicht verheimlichen. Endlich iſt der Augenblick des Abſchiedes da. Ich empfehle dem alten Franz unſer kleines Gut, dann ſcheiden wir unter heißen Thränen von der guten Mutter. Bald darauf haben wir unfern Wagen erreicht und fagen unferer Heimath zum zweitenmale Lebewohl.

Sünfundzwanzigfies Rapitel. Die Zufammentunft. Daß Duell. Keine Hoffnung mehr.

Das Berfprechen eines guten Trinfgelves treibt die Poftillone zu größtmöglicher Eile. Wir fliegen dahin, daß die Funken fprühen. Peter ſucht nah Kräften mich zu zerftreuen, aber ich hoͤre nicht auf ihn: ich träume nur von Adolphinen und dem jungen Marquis, Die Sehnſucht nach Paris läßt mir Feine Ruhe, und doch weiß ich nicht, was ich dort will; Alles geht mir im Kopf burdjeinander.

Endlich kommen wir in Paris an. Obgleich ed nahe bei zehn Uhr Abende if, muß ich mit Lucilie reden. Ich laſſe Peter zu Haufe und gehe in's Hötel; der arme Schelm ift noch ganz be: täubt von ber Eile, womit wir gereist find. |

Der Bortier kennt mich, fo Tomme ich Leicht in's Haus. Die Fenſter find hell erleuchtet: gewiß hat die Frau Gräfin Gejellichaft. Mit Elopfendem Herzen fleige ich die Treppe hinauf, die zu Luci⸗ liens Wohnung führt; auf der Mitte derjelben begegnen wir uns, Als fie mic erblidt, ſtaßt fie einen lauten Schrei aus.

Baul be Kod. 1. 22

„Still, Lueilie, ich bitte Sie. Man darf nicht wien, ni

ich im Hötel bin.”

„Mein Bott, wie bin ich erfchroden ! Sch glaubte ihn in Savoyen, und da flieht er vor mir, leibhaftig. Willlommen Andreas, willlonnmen !“

„Geh'n wir in Ihre Kammer, Lucilie, da Tönen wir unge: ſtort plaudern.”

„Bern, Audreas, recht gen... . der Schreck ift mir in alle

Glieder gefahren... . diesmal follen Sie nicht fagen, daß ich bi dem Kleinen Engländer .englifch gelernt habe; der Eleine Dumm fopf hat für nichts Sinn als für Eſſen und Trinfen.“

Während Lucilie die Kerzen anzünbet, werfe ich mich in ihren |

Armſtuhl. ALS fie auf mich zukommt und mir einen Kuß geben |

will, fieht fie meine Berwirrung, meine Blaͤſſe.

„Was haben Sie denn, Andreas?“ ruft fie. „Leiden Sie!” |

„Ja, Zucilie, ich leide.“

„Sind Sie ermübet von ber Reife Y" „Rein.“

„SR Ihre Mutter krank ?“

„Bott fei Dank, nein! Ich Habe fie gefund umb —* |

verlaſſen.“

„Aber warum denn fo blaß, fo verſtoͤrt? Ich muß es wiſſen,

ich meine ed gut mit Ihnen.“ Dabei fieht fie mich theilnehmend aͤngſtlich an. Nach eimer langen Paufe flottere ich endlich:

„IR es wahr, daß... Fraͤulein ... Adolphine ... ihten

Goufin. . . heirathen ſoll ?“

„Sn 8 möglich ?“ ruft fie erflaunt und läßt die Arme finlen. „Mein Gott, wer hätte das gebacht !“ „Antworten Sie, Lucilie, ich bitte, ich beſchwore Sie!“ „Iſt's möglich, Andreas? Sie lieben Fräulein Mol. . „Stil, Lucilie, wenn man und hörte, . +“

335

„Der Arme! Ja, er Tiebt fie. Alfo daher Ihre Traurigkeit ? daher Ihre Bläffe? O, ich Thörin, das Hätte ich errathen Finnen ! Wo hatte ich denn meine Augen! Armer Andreas! Aber nicht wahr, Andrens, Sie behalten mich immer lieb... etwas Tieb ?“

„Ja, gute Lucilie, ja, immer! Nur fein Wort davon gefagt.“

„Bas denken Sie von mir, Andreas? Das Weib iſt tauſend⸗ mal verfchtwiegener als der Mann, wenn fie verſchwiegen ſein will, verſtanden ?“

„Und Fräulein Adolphinens Heirath ?“

„SH noch im weiten Felde, Andreas. Bloß der Herr Marquis und der Herr Graf fprechen davon.“

„Genug, wenn die ed wollen !“

„Die gnädige Frau und das gnädige Fräulein haben auch ihren Willen, Andreas, Aber gefept, die Heirath wäre nichts, ' was dürfen Sie hoffen, Andreas ?“

„Nichts, ich weiß es, nichts!“

„Welche Thorheit alfo, die zu lieben, die man nicht befommen ann.”

„Ag, Lucilie, wer ift Herr feines Herzens?"

„Meiner Seel’, er hat Recht, der Andreas! Niemand iſt Herr eines Herzend! Und warum ließ man Sie mit dem Fräulein fpielen nd fingen und zeichnen und malen ? Es find ja Kinder, fagten fie. (ber, mein Gott, Kinder denken auch und haben auch ihr Theilchen Ipßheit, und dabei war er fo heißblütig, ver Anbreas .. .“

„gueilie, Tiebe Lucilie, einen Gefallen, nur einen!”

„Und der wäre?“

„Sch weiß, ich fol Fräulein Adolphinen nicht mehr fehen ; - ser ehe ich ganz ſcheide, möchte ich ihr Lebewohl jagen.“

„Lebewohl? Und mir au, Andreas?”

„Mein, Lucilie, wir koͤnnen uns fehen nad) wie vor, wenn ch nicht im Hoͤtel.“

„Sie thun recht, Andreas; „nicht mehr gefehen, nicht mehr

„Schießen Sie,“ ruft er mir zu, „ober ich glaube, daß ie ſich fürdhten, von Neuem anzufangen.”

Die Worte bringen mich zur Entſcheidung: ich richte die Waffe, fat ohne meinen Gegner zu fehen. Der Schuß geht los... ih Ungkädlidder!... der Marquis flürzt zufammen. Das Blut firömt aus einer Wunde in der rechten Seite.

„Kat nichts zu fagen,” ruft er. „Der Wagen fol Tommen... beifen Sie mir einfteigen... ich will fchon bis nach Hanfe Tommen.“

Bir helfen dem Marquis in den Wagen, der Jockey nimmt feinen Sig ein, treibt die Pferde an und davon- fliegen fie. In Berzweiflung über meinen Sieg, der mir als eine neue Schranfe erſcheint zwifchen Adolphine und mir, gehe ich anf meinen Wagen zu, ber noch an berjelben Stelle hält. Der Rutfcher muß mich faſt bineinheben, fo gebanfenlos bin ich. Noch immer glaube ich den biutenden Marquis vor mir zu fehen. Wenn er flürbe! Könnte ih mir je feinen Tob verzeihen ?

„Wohin, Herr?“

„Rah Patis.“

„Baris ift groß, Herr! Wohin befehlen Sie?”

„Dahin... o meine Mutter! wüßte Du, daß ich Menſchen⸗ bint vergoffen habe, Du würbeft ed nicht glauben !“

„Es feheint, Herr, Ihr Gegner hat die Kugel atirapirt.”

„Er ift bloß verwundet, ich hoffe... .”

„Mur nicht ängftlich, Here! Laſſen wir ven Chirurgus forgen..- fort, Cocotie. Aber wohin, Herr $“

„Zum Bernhard.“

„Es gibt viele Bernharb in Paris, Herr! Meinen Sie den Traiteur 3“

Fahrt in die alte Tempelſtraße. Ich will ſchon rufen, wenn Ihr Halten follt.

IH will mich bei meinem alten Freunde Raths erholen, was zu thun if, Hatte ich das mus eher. gethan, daun imäre bad Duell

337

feinen Weg gehen ließ, geblieben ift, was ex war, und nicht ein⸗ mal feinen Namen fchreiben kann. Dafür flieht mich der Schlaf, der den Bruder erguidt! So entſchädigt die Natur immer ihre Kinder.

Mit Früheſtem bin ich wieder auf. Ich zähle die Stunden bis zur Zuſammenkunft mit Adolphinen. Bor neun Uhr Morgens darf ich mich nicht fehen Iaffen im Hötel, Was anfangen bis dahin ? IH will zu Bernhard und Nanette, vielleicht gelingt es ihnen, mid zu zerftreuen. Peter fchläft noch. Schlafe noch , fo lange Du magft, son den Grmübungen ber Reife. Der Glückliche der, er weiß nichts von den Aengſten ver Liebe!

Bernhard ift fchon beim Frühſtück mit Nanette. Ihr lauter Freudenſchrei verkündet dem Vater meine Naͤhe. O wie viel haben wir uns zu fragen und zu antworten! Nanette hoͤrt mich entzückt an; fie möchte keine Silbe von meiner Erzählung verlieren, waͤh⸗ rend mich Bernhard wiederholt auf die Schulter klopft und ruft: „Du biſt ein guter Sohn, Andreas, dag fieht man an dem An⸗ fauf des Haufe ... Taufend, da muß fie wie eine Prinzefiin leben, die gute Mutter! Bald zieh’ ich mich vom Gefchäft zurück, dann will ich fie in Savoyen befuchen.“

Bei Bernhard ift mir die Zeit rafcher vergangen. Schon höre ich neun Uhr fchlagen. Ich verabfchiene mich von meinen Freunden und etle zu Lucilien, bie ich noch in ihrer Kammer finde.

„Schon fo früh!" fagt fie. „Noch ift ed nicht Zeit, mit dem Fräulein zu reden. Inzwiſchen wollen wir frühſtücken. Wollen Sie Plumpudding, Andreas? den hat mir ber Feine Engländer gebracht, ich mag das Zeug nicht; bis dahin ift der Kaffee fertig.”

„Ich danke für Alles, Lucilie.“

„Män muß immer efjen, wenn man verliebt ift, Andreas. Sie dürfen nicht glauben, intereffanter zu werden, weil Sie nichts eſſen; das ift ein thörichter Glaube das, mein Herr!“

Alles Weigern Hilft nichts. Während fie das Frühſtäck in.

338 Bereitſchaft feht, treib' ich fie ein aüͤber's andere Mal, zu Mol: phinen hinunter zu geben. Endlich geht fie... Gott, welche Ant: wort mag fie zurüdbringen? Wird fie einmwilligen? Und was fage ich ihr dann? Schon if eine töptliche Halbe Stunde verflofien und noch feine Nachricht. Endlich Tommi Lucilie.

„Das bat lange gedauert!” rufe ich ihr zu.

„Man findet nicht gleich Gelegenheit zu einem Töte-A-töte mit dem Wränlein.“

„Und was hat fie gefagt ?”

„Erſt war Madame bei dem Fräulein. Als fie fortging, habe ih ihr gemeldet, daß Sie zurückgekehrt feien, worüber fie höchſt erfreut ſchien.“

„Erfreut? wirklich, Lucilie ?“

„Sa, Kerr, ja... als ich ihr aber fogte, daß fie auf meinem Zimmer feien und fie nur einen Augenblid zu fehen wünſchten, be fragte fie, warum Sie nicht herunterlämen und in Gegenwart von Madame mit ihr ſprächen? Ich wußte nichts zu antworten... fagte, Sie müßten gewiß ein Geheimnig haben. Sie wurde roth und fagte dann, fie wolle im Eleinen Saal arbeiten, was fo viel heißt, als fie willige in Ihre Bitte,“

„Welch' Gläck, Lucilie !“

„Ich will Acht geben, wenn Madame auf ihr Zimmer geht; fommt Madame zufällig in ven Heinen Saal und findet Sie bei ihrer Tochter, fo geben Sie ſich den Anfchein, als feien Sie eben gelommen, ihr einen Beſuch zu machen. Richt wahr, ich bin gut, gütiger als Sie's verbienen! Ich will jekt hinunter und Sie rufen, wenn das Fräulein allein iſt.“

Ich ſoll alfo Adolphinen ohne Zeugen fehen und fpredgen. O, weru meine Wohlthäterin die Kühnheit wüßte! Aber Abolphine muß wien, ehe ich fie auf immer verlaffe, daß ihr Bild umaus loͤſchlich in meinem Herzen fortlebt und nie eine Andere dari⸗ herrſchen wird,

Her befehreibt meine Empfindungen, als Lucilie wieber ind Zimmer tritt und mir winkt, hinunter zu gehen. Noch jetzt weiß ich nicht, wie ich in den Saal gekommen bin, doch höre ich, wie Lucilie mir ind Ohr fläftert::

„Ich will huften, wenn Madame zurückkommt.“

Ich öffne die Thüre und ſtehe vor Adolphinen.

„Sie wieder da, Andreas!“ fagt fie lächeln. „Und Sie wollen mich allein fprechen ? Haben Sie Kummer, den Sie meiner Mutter nicht anvertrauen mögen ?“ „Rein, Fräulein Adolphine, aber... ich wünfchte ghaen Lebewohl zu fagen, ehe ich auf immer ſcheide.“

„Bas? Eben erft von Savoyen zurüdgefehrt, denken Sie ſchon wieder an die Abreife ?“

„Bas fol ich in Bari? Darf ich ja Sie nicht mehr fehen ! Man tagt, Sie heirathen.“

„Ich heirathe? Wer fagt Ihnen das, Andreas?“

„Ihr Here Couſtn macht Ihnen beftändig den Hof, Fräulein Adolphine, und das ift natürlich: er liebt fie. Wer fann Sie fehen, one Sie zu lieben... und gewiß lieben Sie auch ihn.”

Sie antwortet nichts, aber fieht mich fo zärtlich an, daß id ed wage, ihre Hand in bie meinige zu nehmen und fie zu brüden.

„Ich wünſche nichts inniger ald Ihr Glück, Frau... lein... Adolphine,“ flottere ich nothbürftig. „Aber ich babe nicht ven Muth, Zeuge veflelben zu fein... ach, Niemand wird mich be: Magen, und doch iſt Schmerz und Kummer von jebt an mein Theil!”

„Andreas, warum dad? Warum fo unglücklich?“

„Beil ih im Stillen leiden muß, Fräulein, und. doch würbe ih weniger unglücklich von Ihnen fcheiden, wenn ich wüßte, daß Sie mir einige Theilnahme fchenken... daß Sie mir meine Liebe

.. Sum... verzeihen.“

„Ihnen vergeihen ? IR Ihre Liebe zu mir ein Verbrechen? Sind wir nicht zufammen erzogen ? Waren Sie nicht der Geſpiele

meiner froben Kinderjahre? Auch ih Liche Gie, Krems... and finde nichts Boͤſes basin !“ |

„Sie lieben mich, Fraͤnlein Adolphine? mich? O, dan iſt mein Glück ohne Grenzen. Dies eine Wort heilt alle meine Leiden, diefer eine Augenblick ſtaͤrkt mich für ein Jahrtauſend von Shmezn!

Ich flürze vor ihr aufs Knie, nehme ihre Hand und beide fie an mein Herz. Sie blidt auf mich nieder, ihre Tränen flirßen ... o, tie füß find mir die Thränen, die fie aus Theilnahme für mich vergießt !... Im dioſer Lage dachten wir nicht Daran, daß bie Zeit enteilt. Ploͤtzlich weckt uns ein Schrei tu unferer. Nähe: ich fehe mih um... Goti! ... wir haben einen engen gehabt, und wen? den Grafen!

Anolphine bleibt wie vom Blitz getroffen flehen und zillert an allen Slievern, während ich, meiner Sinne kaum mächtig, auf fpringe und einige Schritte zurücktrete. Herr von Franconard hat fich in einen Seſſel getworfen, ſprachlss vor Zorn. Enblich ſtottert er heraus und macht dabei eine brohenbe Geberde nach des andern:

„Elender Berführer! wache oder räume ih? Ein Savoyarbe zu den Füßen meiner Tochter ? Ein Habenichts, ben wir aus Gnade und Barmherzigkeit aufzogen, ber wagt ed, die Hand von Fraͤu⸗ lein von Franconard zu erfaflen?... Ich erflide... o, meine Gicht rührt fich wieder, meine Gicht!“

Auf den Schrei des Grafen find der Marquis von ber einen Seite und die Fran Gräfin von der andern herbeigeeilt.

„Bas gibt es, mein Herr?" fragt meine Mohlihäterin. „Ans dreas hier... Adolphine zittert... was hat das zu bedenten?

„Bas das zu bebeuten hat? Bei Gott, Madame, es war bie höchfte Zeit, daß ich Fam. Ich gratulire Ihnen zu Ihrem Anbreae: ih fand ihn eben auf ben Knieen vor Ihrer Tochter.“

„Auf ben Knieen vor meiner Tochter wiederholt bie Geäfln. „Großer Gott! was haben Sie zu estwipern, Aubreas I“

- hl

3 che beſchaͤmt nieder, keines Wortes mächtig.

„Der Kerl anf den Knieen vor meiner Couſine!“ ruft ber Marquis. „Wart', id will. den Elenden züchtigen !“

Damit veißt er dem Grafen den Stod ans des Hand und will mich ſchlagen: das bringt mich zur Beflnnung. Ehe noch bie Gräfin dem Marquis ein „Halt“ zusufen Tann, reife ich ihm ben She aus der Hand, zerbreche ihn über's Knie und werfe ihm bie Splitter vor die Füße.

Der Marquis zittert vor Wath, Abolphine erhebt flehenn bie Arme, der Graf wirft fih im Seffel hin und her, bald xoth, Bald bleu vor Aerger, Lucilie winkt mir zu fliehen und die Gräfin tritt gebisterifch zwifchen mich und den Marquis.

„Berlaffen Sie uns, mein Herr,” fagt meine Wohlthäterin in einem Tone, der mir durch Mark und Bein geht, „und zeigen Sie fich nie wieder im Hötel. Ich Hätte nimmer gedacht, daß Sie und Anlaß geben würden zu ſolchen Widerwaͤrtigkeiten.“

Ich bin wie vernichtet und wage nicht, die Augen aufzu⸗ ſchlagen. Als ich aus dem Zimmer fort will, faßt mich der Mars quis am Arm und fagt: „Ich hoffe, wir fehen und wieber.“

„Bann Sie wollen, Herr; nur vergefien Sie nicht, daß ich ein Mann bin wie Sie.“

Der Würfel ift gefallen: ich verlaffe das Hötel, um ed nie wieber zu beitreten. Ich fühle, ich verdiene den Vorwurf der Gräfin, aber die Verſicherung Adolphinens, daß fie mich liebe, läßt mich alles Andere vergeften.

In unbefchreiblicger Aufregung laufe ich Iange in en Strafen auf und ab, ohne zu wiffen wohin. Endlich fiehe ich vor meiner Wohnung. Der Bortier oͤffnet die Thüre und gibt mir ein Billet, dad eben gebracht worden ift. Ich erbreche es und leſe:

„Sie find nme ein Elender, ven ich mit Verachtung flrafen foßte ; vennoch will ich mich zu Ihnen erniedrigen und die Schmach abwaſchen, vie Sie meiner Couſine angeihen haben. Ah. eawarte

sr Sie Heute Abend ſechs Uhr mit Piſtolen Eingangs des Gehölze von Bincenned. Nur mein Jockey begleitet mich.

Marquis von Theriguy.”

Alfo ein Duell... ein Duell mit dem Neffen meiner Wohl: tbäterin! In welche Lage babe ich mich verfegt, ich Unglücklicher Wenn ich fliege, wenn ich ihn vielleicht gar töbte: iſt das mein Dank für die unzähligen Wohlthaten, womit mich die Gräfln nem Jahre lang überhäuftet Wie lohne ich ihr dafür ? Indem ich meine Slicke zu ihrer Tochter erhebe, freue ich den Samen der Zwie⸗ tradht unter fie und morbe den künftigen Batten ihrer Tochter. Ja, ich fühle mein Unrecht, ich fühle es tief, aber ich Tann den Zwei: kampf nicht ausſchlagen: mein einziger Wunſch it, daß ich unter: lege, daß id auf dem Wahlplage bleibe... aber wer ſoll dann die Mutter tröften ?“

Ich gehe hinauf. Peter wundert fi, feit geſtern Abend mich nicht gefehen zu haben.

„Beter,“ fage ich, ihn zärtlich umarmend, „eine wichtige Angelegenheit ruft mich um ſechs Uhr Abends fort. Komme ich heute Abend nicht zurüd, fo verfüge Du über mein gefammtes Eigenthum; nur verfprih mir, daß Du dann Paris verlaffen und die gute Mutter tröften wii.“

„Nein, Andreas, ich Tehre nicht ohne Dich nach Savoyen zurüd: die Mutter hat mir auf die Seele gebunden, Dich überall bin zu begleiten und zu zerfireuen. Du bift traurig heute: komm mit zu Papa Bernhard, Mamfell Nanette wird Dich erheiten; fie liebt Dich und Du Lieb fie. Oder wärk Du in eine Andere verliebt ?*

„Geh' ohne mich, Beier, ich hole Dich heute Abend ab.”

„Bie Du will, Bruder.“

Beter umarmt mich und lauft fort. Wie trübe bie Gedanle auch find, bie mich beſtürmen, feit ich allein bin: das Liebe Bild

verſcheuqe fie alle. Ich giande mich noch immer zu

343;

ihren Füßen. Ja, ich ſcheue mich nicht, es zu fagen, fogar meine Leiden find mit einer Süßigfeit gewürzt, die ich um feinen Preis ber Welt austaufchen möchte gegen ein Glück, das ich anf Unkoſten von Adolphinens Liebe gewinnen koͤnnte.

Unter den Träumen ber Liebe verfließt die Zeit ſchnell. Meine Uhr weist fchon ein Biertel auf ſechs Uhr und noch bin ich zu Haufe. Es ift die hoͤchſte Zeit. Sch ſtecke die Piſtolen bei, bie Herrn Dermilly gehörten würbe er mid) wohl wie feinen Sohn behandelt haben, wenn er gewußt hätte, daß ich feine Waffen gegen einen Verwandten Garolinens kehrte und eile zum Hauſe hinaus.

„Zehn Franken, wenn ich einige Minuten vor ſechs Uhr Ein: gangs des Gehölzes von Vincennes bin,” rufe ich dem Kutfcher zu.

Für zehn Franken fchont Fein Kuticher feine Pferde; er bringt mich zu rechter Zeit-an Ort und Stelle. Ich fehe um mich, aber fein Marquis ift zu ſchauen.

„Warte hier,” fage ich dem Kutfcher, „ich Fönnte Dich Brauchen.“

„Sch verfiehe, Herr! Zählen Sie auf mich, ich bin ver Mutus unter den Kutfchern.“

Nach längerem Warten fehe ich endlich den Vis⸗a⸗Vis des Marquis heranfahren. Er fpringt in meiner Nähe behende aus dem Magen und winkt dem Jockey, beim Pferde zu bleiben. Dann gehen wir zufammen etwas ab von den Gefährten in das Didicht des Waldes. Bald find wir weit genug und entfernen und dann anf ungefähr fünfzehn Schritte von einander.

„Ich glaube,“ fagt er-Höhnifch lachend, „ber erſte Schuß if an mir.”

„Sa, Herr, ich glaube es auch.“

Der Marquis ladet fein Piftol, zielt und brüdt lo8: die Kugel fliegt dicht an mir vorüber.

„An Ihnen,“ fagt er kalt. „Ich bin Heute ungefchidt.“ Ich weiß nicht, was ich thun foll ... ich befinne mich, ich ſchwauke.

„Gießen Sie,” ruft ex mir zu, „ober ich glaube, daß Ei ſich fürdgten, von Reuem anzufangen.“

Die Works bringen mich zur Entſcheidung: ich richte die Mafı, fat ohne meinen Gegner zu fehen. Der Schuß geht los ... ih Unglüdllicdder !... der Marquis flürzt zufammen. Das Blut firin ans eine Wunde in der rechten Seite.

„Dat nichts zu fagen,“ ruft er. „Der Wagen foll fommen... beifen Sie mir einfteigen... ich will fchon bis nach Hanfe kommen.“

Wir helfen dem Marquis in ben Wagen, der Soden nimm feinen Eig ein, treibt die Pferde an und bavon- fliegen fie. Zu Berzweiflung über meinen Sieg, der mir ald eine neue Schranke erſcheint zwiſchen Adolphine und mir, gehe ich anf meinen Wagen zu, der noch an derfelben Stelle hält. Der Kutfcher muß mic) fat bineinheben, fo gedankenlos bin ich. Noch immer glanbe ich ben bintenden Marquis vor mir zu fehen. Wenn er flürbe! Könnte ich mir je feinen Tod verzeihen ?

„Wohin, Herr ?“

„Rah Paris.“

„Paris iſt groß, Herr! Wohin befehlen Sie?“

„Dabin... o meine Mutter! wüßte Du, daß ich Menfchen: bint vergoffen habe, Du würdeſt ed nicht glauben !"

„86 feheint, Herr, Ihe Gegner hat die Kugel attrapirt.“

„Er ift bloß verwundet, ich hoffe... .“

Nur nicht ängftlich, Herz! Laffen wir den Chirurgus forgen... fort, Gocotte. ber wohin, Herr 3”

„Sum Bernbarb.”

„Es gibt viele Bernhard in Baris, Herr! Meinen Sie ben Traitenr 3“

Fahrt in bie alte Tempelſtraße. Ich will ſchon rufen, wem Ihr halten follt.

IH will mich bei meinem alten Freunde Raths erholen, mad zu thun iſt. Hatie ich has nur ober. geihen, dann wäre dad Duell

5 unterblichen. Sch vergeffe jetzt, daß der Marguis Adolphinen liebt. amd follte er auch ihr Gemahl werben, ich wünfche, feine Wunde möge nicht toͤdtlich fein.

Bor Bernhards Haufe fleige ih aus. Nanette ift allein. Abs fie mich flieht, fliegt fle in meine Arme und weint laut.

„Bas haft Du denn?” frage ich.

„Beter fagte und, daß Du ganz verftört geweſen biſt um von ewigem Abſchied gefprochen haft. O mein Bott, was hab’ ich am Dich auögeflanden, Andreas! Vater und Peter fuchen Did. Gottlob, daß ich Dich wieder Habe. Aber fage, woher fommft Du? Warum mahft Du uns folche Unruhe? Wie blaß Du bi! Soll ih Dich nie wieder heiter und glüdlich fehen ?“

„Nein, Tiebe Schwefter, nie mehr! Für mich gibt's fein Gläck mehr,“

„Kein Süd mehr, Andreas? DO, fprich nicht fo, Andreas, das thut mir in der Seele weh... aber was iſt Dir ſchon wieder begegnet, fprich ?“

„Ich Habe mich gefchoffen.“

„Geſchoſſen ?... Mein Bott!... Dn?... So fanft, fo get... 0, wenn man Dich getöbtet hätte !“

Nanette nimmt meine Hände : fie wit fehen, ob ich verwundet bin ; dann betrachtet fie mich athemlos von Kopf bis zu Fuß.

„And mit wen, Andreas?" fragt fie.

„Mit dem jungen Marquis von Therigny.“

„Mit dem Neffen der Frau Sräfln? DO, wenn Du ihn ge töbtet Hätteft !"

„Rein, Nanette, er ift bloß verwundet, doch boffe ih...“

„Sich zu ſchießen! und Du, Andreas!"

„Büßteft Du, Nanette, wie er mich behandelt hat.“

„Ah, ich errathe Alles. Gewiß hat er feiner Conſine den Hof gemacht; Du Tiebft fie, ich weiß es... um Adolphine Habt Ihe Euch gefäjlagen, nicht wahr 1“

Ber fügt Dir, Nanette, daß ich Adolphine Tiebe ?

„D, Andreas, das habe ich laͤngſt, laͤngſt geahnt,“ antwortet Nanette und hält die Schürze vor die Augen. „Ach, das weiß id ſchon lange!“

Alfo meine Liebe zu Adolphinen ift fein Geheimniß mehr! D Liebe, wie ungefchiet biſt du im Berheimlichen! Segt darf ich wenigfiens meinem Herzen Luft machen vor der Schwefter. Gottlob!

„Du haft recht gefehen, Nanette!“ fage ih, ihre Hand er: greifend. „Sa, ich liebe Adolphine, ich bete fie an. Dieſe Leiden: ſchaft it die Urfache meines Kummers; vergebens Tämpfe ich ba: gegen : meine Bernunft tft fchwächer ald mein Herz. O, Nanette, wie unglädlich bin ich !“

„Ih dachte mir, daß es fo fommen würde, ald man Dir bie alten Kleider auds und vie neuen anzog. Wäreft Du geblieben, was Du warf, Du würbeft nie Deine Blicke zu der Tochter einer Gräfin erhoben haben, und vielleicht koͤnnten wir... jept recht... recht glücklich und zufrieden fein... man wollte mich nicht hören, Leider!“

Heiße Thränen fließen aus ihren Augen. Gute Schwefter, wie innig Du Theil nimmft an mir!

Und weiß Fräulein Adolphine, daß Du fie liebſt ?“ fragt Ranette nach einer langen Pauſe.

„Erf heute habe ich ihre meine Liebe geſtanden.“

„Und was hat fie gejagt? D, gewiß theilt fie Deine Liebe! Aber was Hilft das, Andreas? Du kannft fie doch nicht heirathen. Bergiß fie, Andreas, vergiß fie!“

„Nie, Ranette, nie!“

„O mein Gott!“

Ein Falter Fieberfchaner, die Folge der gewaltigen Anftrengun- gen biefes Tages überläuft mich. Sch zittere an allen Gliedern, ‚bie Zähne Elappern mir im Munde. Ich will nad Sanfe, aber Nanette läßt mich nicht allein fort.

„Ich wache bei Dir, Andreas. Der Bater wird nichts dagegen

aM haben; Da SR Niemand, der Dich pflegen Tönnte, als mich. Kein, id verlaſſe Dich nicht. Wenn ich Dich langweile, kaunſt Du wir von Deiner Liebe, Deiner... Adolphine erzählen und ich will Dich anhören.“

Nanette holt eiligft Tuch und Hut. Dann geben wir fort. SH muß mich auf Ranette fügen, fo zittern mir die Kniee; endlich fommen wir an. Bernhard und Peter treffen wir in meiner Woh⸗ nung. Man denke fich ihren Schreck über meinen Zufland. Kaum vermag ich den Namen des Marquis zu flottern und fie zu bitten, nach feinem Befinden fich erkundigen zu laſſen.

Sie bringen mich ind Bett. Nur undeutlich fehe und Höre ih, was um mich vorgeht. Bald darauf flellt ein heftiges De: lirium fih ein; ich Tenne meine Freunde nicht mehr.

Sn diefem Zuflande befinde ich mich ange. Endlich öffne ich die Augen wieder ; die Beflnnung Tehrt mir zurück. Die Erſte, die ich erfenne, iſt Nanetie, an den Füßen meined Beties figend. Mit ſchwacher Stimme rufe ich ihren Namen.

„O, er erfennt mich wieder!“ ruft Nanette. Gottlob, ex iR ums wieder gefchentt !“

„Liebe Schweſter, Du wachtefi bei mir ?“

„Ich habe Dich Feinen Augenblick verlaſſen.“

„Wie lange bin ich Erauf ?“ u

„Seit Heute vor achtzehn Tagen. Ach, wir waren recht bes forgt um Dig, Andreas. Jetzt biſt Du außer Gefahr.“

„Und der Marquis ?“

„Zröfte Dich : feine Wunde ift ſchon vernarbt !“

Er lebt! Diefe Nachricht Fräftigt mich mehr als alle Medicin. Lachelud fehe ich Nauette an. Gleich darauf eilt Peter hocherfreut an mein Bett, nimmt meine Hand, die ich kaum heben Tann, und feglägt ein, daß es laut klatſcht.

„Mein Gott, Beter, was machen Sie?" fagt Nanette, ihn ſauft zurüftoßenn. „Wes fchlägt einen Kranken fo in die Hand !"

us

„Das mat nichts, Ranette; im Genenfheil, das heilt ihn. Der gute Andreas! wie freue ich mich, daß er gereitet if! Meiner Se, Bruder, Du haft der armen Manette mehr zu danken ald der Kunft Deiner Aerzte: fie ift nicht von Deinem Bette gewichen, achtzehn Tage lang, ohne ein Auge zuzuthun !“

„Schweigt, Beter, Ihr Bruder bebarf der Ruhe.“

„Rein, er muß willen, daß Sie keinen Biſſen Brob aßen umd nichts thaten als weinen nnd beten... meiner Seel’, Teinen Mund voll Brod zu effen, deu ganzen Tag lang, das halte Einer aus!“

Ich kann ihr nicht antworten, aber ich reihe ihr die Hand, hie fie in der ihrigen brüdt. Ihre Augen ſtrahlen vor Wonne, fie ſcheint wie neugeboren. Auch Bater Bernharb kann nicht laut geung feine Freube über meine Gonefung ausdrücken. Ob fie wohl im Hotel von meiner Krankheit gehört Haben? Ob wohl Adolphine ſich nach meinem Befſtaden hat erkundigen laſſen? Plötzlich fat mir ein, daB mir der Zuttitt ins Hoͤtel auf immer unterſagt if. Ach, der Gedanke wirft mich in bie alte Berzweiflung zurück!

Ich erhole wich nur fehr Iangfam. Erſt nach fünfzehn Tagen darf ich wieder etwas aufftchen, doch Bin ich noch fo ſchwach, Daß ich mich auf Ranettens Arm Rügen muß. Das Taßt fie ſich nicht nehmen, die Be! Während meiner Krankheit Habe ich nicht anders vom Hötel gefprochen, ald bloß um mich nach bem Befinden 308 Marquis zu erlundigen, der, wie ich höre, ſchon lange voll: ſtaͤndig geheilt if. Adolphinens Name ift nicht über meine Lippen gekommen. So oft’ Nanette mich nachdenklich und tränmerifch fickt, unterhält fie mich von den heimathlichen Bergen und der guten Mutter, und das Mittel gelingt ihr eine Zeit lang. Endlich aber kaun ich moeinen Schmorz nicht mehr verbergen und Luciliens Name entſchlupft mir.

„If ſie nicht einmal da geweſen ?“ frage ich. „Hat Niemand im GOtel fi wach mir erkundigen laſſen 1"

Banette flehe weg und mBwortet mit ſchluchgender Stimme:

349.

„Ih glaubte, Du wollteſt die Berfonen im Götel ganz ver- geſſen, Andreas ; deßhalb verfchiwieg ich Dir, daß Mamfell Lucilie ba gewefen if.“

„Lucilie ift da gewefen? Was hat fe gefagt, Nanette? fprich 1"

„Du denkſt alfo immer noch an die Dinge, die Dich Trank machten ?“

„Rein, Ranette, nein! Mber ich will wiffen, ob die Frau Gräfin noch böfe ift auf mich. Der Berluft ihrer Freundſchaft würbe mich ewig betrüben, Nanette.”

„Ich fürdte, Andreas, Du denkſt nicht bloß allein an die Frau Gräfin, Deine Wohlthäterin. Uebrigens muß Mamjell Lucilie bald wieder kommen; Du bift jept weit-genug hergeftellt, um mit ihr zu ſprechen von den Perfonen, die Du liebſt.“

Bier Tage nach der eben erzählten Unterrebung mit Nanetten fommt bie fehnlichft erwartete Lucilie. Sie umarmt mi), Füßt mid und gibt ihre Freude über meine Wieberherftellung auf bie leb⸗ bhaftefte Weile zu ertennen. Ehe fle Zeit Hat, davon anzufangen, babe ich fie fchon mit Fragen nach Adolphine, ihrer Mutter und ben Ereigniffen im Hötel beftürmt. Lucilie läßt ſich nicht Lange bitten.

„Kaum Hatten Sie dad Hotel verlaſſen,“ hebt fie zu erzählen an, „jo wurde ber Graf von der Gicht befallen, das Fräulein weinte und Mabame fchloß fich mit ihrer Tochter ein. Man merkte es der Frau Gräfin an, daß fie viel leiden mußte! Glücklicher Weife erfuhr die Graͤſin nicht, daß ich die Hand im Spiele hatte, fonft... Der junge Herr Marquis ging unter tauſend wäthenden Drohungen fort. Ach, ich zitterte für Sie, Andreas, denn ich Tenne Die Herren ! Als er Abends blutend ins Hötel gebracht und es ruchbar wurde, dag Sie, Andreas, ber Thäter feien, da ſchnob der Herr Graf Feuer und Flammen, und die Frau Gräfin verbot, daß je wieber Ihr Name im Hötel genannt werde.”

„D, meine Wohlthäterin, fo habe ich denn auf immer ihre

Baul de Kod. I. 28

850 Freundſchaft verſcherzt! Vielleicht ſtraft fle mich gar mit Verach⸗ tung! Das iſt mehr, als ich aushalten kann!“ „Dennoch Bin ich überzeugt, Andreas, daß fle im Grunde ihres Herzens Sie noch immer Tiebt; fie wird Ihnen bald verziehen haben.“ „Me, Lucilie, nie! Aber Adolphine... reden Sie?“ „Bräulein Adolphine ift fehr betrübt. Ich glaube, fie weint

oft im Stillen. Indeß weicht ihr Eoufin nicht von ihrer Seite

und ſucht fie auf jede mögliche Weite zu erheitern.“ „Genug, Lucilie, genug! Ich danke Ihnen.“

„Nur Muth, Andrend. Wer verzagt in feinem zwanzigften

Sabre * Im diefem Alter vergißt man leicht.“ . „Am fchwerften, Lucilie „am fchwerften , glauben Sie mir."

„Aber ein ſchmucker Herr wie Sie, der darf und fol nit

verzagen, das fag’ ich, verſtanden? Sept Adieu, Andreas, ich komme recht Bald wieder, fo oft ich Tann.“

Mitten in die Nacht meined Kummers fällt no immer ein Soffnungsftrahl, ausgehend von jener Unterrebung, die von fo un⸗ feligen Folgen begleitet war. |

„Adolphine weiß, daß ich fie Liebe,“ fage ich mir, „und bas Geſtaͤndniß meiner Liebe bat fie nicht erzürnt.“

Endlich Bin ich fo weit Hergeftellt, daß ich ausgehen barf; boch fliehe ich das Hotel. Nanette ift wieder Bei ihrem Water, feit ich die Krankheit überflanden habe. Wir find oft zufenmen aus⸗ gegangen Arm in Arm. In ihrer Nähe iſt mir. fo wohl; fie weiß fih in mich zu finden und läßt mich ungeftört meinen Gebanfen nahhängen, während Peter, jo oft er mit mir ausgeht, mich er- beitern und beluftigen zu müſſen glaubt. Oft thng ich ihm den Gefallen und lache, aber die Fröhlichkeit kommt nicht aus dem Herzen ; dad Weinen ift mir oft viel näher.

Schon find drei Monate vergangen feit meiner Krankheit. Da ich nicht mehr von Abolphine fpreihe, fo hofft Nanette, ich werde fie allmaͤhlig ganz vergefien. Aber im Innern meiner Bruf greift

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bie Flamme immer weiter um ſich! So oft ich auögehe, möchte ih ins Hoͤtel, und nur mit Mühe Halte ich much davon zurück. Ich fühle, daß ich nicht mehr leben kann ohne Nachrichten von Adolphine, und Lucilie kommt nicht wieber. Was hat das zu be- denten ? Hat fie ihren Andreas vergeffen ?

Endlich widerfiche ich der Berfuchung nicht länger. Eines Abends, als ich von Bernharb und Nanette komme, lenke ich meine Schritte dem Hötel zu, getrieben von Gott weiß weldher trüben Vorahnung. 8 iftmir, als ſtehe meinem Geſchick eine-totale Ber- änderung bevor. Ich beflügle meine Schritte, ich Bin faft außer Athem. Endlich jehe ich das Haus, wo ich acht Jahre meines Lebens zubrachte. Aber welch’ ein Glanz, welch’ ein Schimmer! Die ganze Facçade bed Hoͤtels ſtrahlt im Glanze von taufend Kerzen, und weldje Bewegung drinnen! Was hat das zu bedeuten? Gewiß haben fie Ball oder Tanz oder fonft eine Luſtbarkeit, deren fchönfte Zierde Abolphine heißt.

Sch nähere mich dem Hauptthore, das offen ſteht. Der Hof iſt gedrängt voll von Equipagen. Ehe ich mich's verſehe, bin ich mitten unter den Kutſchern und Bedienten.

„Das geht luſtig her,“ ſagt der Eine.

„Kein Wunder,” antwortet ein Anderer, „bie Neuvermählte iR jung und ſchoͤn!

Die Renvermählte! Es überläuft mich eiskalt. Bon welcher reden fie ? wer ift die Neuvermählte? Ich nähere mich der Loge des Bortierd und frage ihn mit verſtellter Stimme, ob Ball im Sötel jei ?

„Ball, Herr? Warum nicht gar! Fräulein Abolphine von Franconard feiert ihre Hochzeit mit ihrem Goufln, dem jungen Mar: quis von Therigug.“

Ein eistalter Schauer überläuft mich; mein Kopf fchwinbelt. - Es iſt mir, als ziehe mich ein unſichtbarer Arm anf die Steinbaut in ber Nähe nieber, fonft wäre ich umgefallen, So bleibe ich über

eine Stunde figen wie ein Befinuungslofer, bis der Schall der Ju ſtrumente und das laute Gewoge in den Sälen oben mich endlich ans dem Gtarrfchlafe weden.

Ich ſtehe auf und eile meiner Wohnung zu. Dort angekom⸗ men, nehme id etwas Geld aud meinem Sekretär zu wird

ſchreibe einige Zeilen nieder für meinen Bruder, worin ich ihm mein gefammted CEigenthum zur Verfügung flelle. Mein Weg führt mich durch Peters Kammer. Wie fo frieblich er da Liegt in den Armen des Schlafes !

„Schlafe fort, Bruder, ſchlafe ſanft!“ rufe ich flüflerud. „Sei glüdlicher als ich, tröfte unfere Mutter, unfere Freunde. Denke recht oft an den armen Andreas! Wie glücklich wäre ex jetzt mit, Euch, wenn man ihn feinem Schickſale überlaffen hätte ! Lebe wohl, Bruder, lebe wohl!“ |

Ich umarme Beier, ohne ihn zu weden, fchließe leiſe die Thüre feiner Kammer, verlaſſe das Haus und irre mitten in der Racht, ohne Ziel, ohne Plan, in den Strafen umher, der af meines dereleides erliegend.

Sechsundzwanzigſtes Kapitel. Verſqhiedene Arten Liebe.

Bin, ber mid) den Abend zuvor nicht gefehen hat, fucht mi am andern Morgen in meiner Kammer und findet mich. nicht. Be unrubigt über mein Ausbleiben, erkundigt er ſich bei der Thürhüterin | feit unferer Reife nach Savoyen hatte ich meinen Diener ent: Infien und hört, daß ich fpät nach Haufe gekommen und glei wieder ausgegangen fei. Dann eilt er zu Bater Berabarb, im der

Hoffnung, mich dort zu treffen.

Bernhard und Nanette theilen Beters Unruhe.

„Andreas hat und geflern Abend um zehn Uhr ruhiger ale gewöhnlich verlaffen,“ fagt Bernhard.

„Wo mag er ſich denn herumtreiben ?“ fragt Peter. „Er ift gegen Mitternacht heimgelommen und fogleich wieber fortgegangen.“

„Wartet nur, wartet,” ruft Nanette und holt Tuch und Hut. „I Tann mir denken, wo er iſt. Ich muß wiffen, ob fehon wieder was vorgefallen iſt. Was thue ich nicht um Andreas willen ; müßt’ ih auch in das Haus gehen !“

Nanette legt ihre Schürze ab, ſetzt gefchwind ihren Hut auf, wirft das Tuch um und ift im Umfehen verſchwunden. Mit bes fommenem Herzen eilt fie dem Hotel des Grafen zu. Bor ber Hauptthäre des Höteld, die um fieben Uhr Morgens ſtets noch - verfhloffen iſt, entfinkt ihre der Muth: fie weiß nicht, wie und wornach fie fragen foll. Aber die Angft um Andreas beflegt ihre Schüchternheit: fie Täßt den fchiweren Hammer auf die Thüre fallen, daß es laut tönt.

Sie wartet, fie horcht, aber Niemand regt ſich. Sie klopft nochmals und lauter wie das erfte Mal. „Mein Andreas,” denkt fie bei fi, „ift mehr werth als alle die vornehmen Herren da drinnen, und mir ift er hundertmal mehr werth! Was Tümmere ih mich um die Scheliworte‘ einiger Lalaien, wenn ich Nachricht erhalten Tann über meinen Freund.“

Endlich öffnet fich das weite Thor Iaut knarrend. Nanette tritt ein und blickt fchüchtern um ſich.

„Ber klopft denn fchon fo frah? Wir haben die ganze Naht fein Ange zugethan. Wer da? Was will man ?* ruft eine Stimme aus ber Loge ded Thürhüters, ver Nanette verlegen fich nähert. Sie Hat ſchon daran gedacht, nad Mamfell Lucilie zu fragen, ‘aber fie kann es nicht übers Herz bringen, denn fie Tann Lucilien nicht ausſtehen. Den Grund dieſes Widerwillens wirb jede weib⸗ liche Leſerin ſich Leicht von ſelbſt denken koͤnnen.

Herr,“ redet ihn endlich Ranette an, dem Logenfeſter ſich

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nügerns, wo bad mürtifche Seficht des Bortiers hervorguck, „ih möchte wiffen, ob Sie Andreas geſehen haben geftern Abend.“

„Welchen Anpread ? Ich kenne feinen Andreas.“

„Sie müffen ihn kennen, Herr... den artigen jungen Kerm, | der acht Jahre in biefem Hötel gewohnt hat.“ |

„Ste meinen den Savoyarben ?“ |

„Sa, Kerr, venfelben.“

„Morbleu, der ift fchon ein ganzes Jahr nicht mehr Bier... ber Teufel fol Sie Holen, daß Sie um fieben Uhr Morgene fen das ganze Hotel in Alarm bringen! Glauben Sie, wir find Hier in einer Weinkneipe ? Vachen Sie, daß Sie fortkommen, und ſchließen Sie die Thüre zu.“

Nanette ſchweigt; endlich weint und (Sind ſie. Der Portier der ſchon den Kopf zurückgezogen bat, ſteckt ihn nochmals durchs Fenſter und faßt das junge Mäbdchen an, dad kaum zwanzig Jahre zählt, wohlgeftaltet, frifh und hübſch iſt. Die Thränen, bie iht aud den fchönen Augen fallen, machen fie noch interefjanter. Auch bie Portiers find für weibliche Reize nicht umempfänglid; bie großen ſchwarzen Augen Ranettens nehmen ihm alle Mübigkeit und es fragt in fanfterem Tone: _

„Bas weint Zur, Mäpchen ? Iſt Euer Andreas Euch untren geworben? Und doch ſeid Ihr recht artig, meiner Seel’! Aber bie junge Belt Tennt den Werth eines ſchoͤnen Schatzes nicht.“

„Ihr tert Euch, Herr. Ich fuche Andreas, weil wir um ihn beforgt find ; wir wiffen nicht, wo er fein kann. Da fiel mir ein, ex Tönne geflern Abend bier im Schloffe gewefen fein.“

„Es iſt nicht wahrſcheinlich, daß Euer Andreas mit zur Hoch⸗ zeit geladen wurde.“

„Zu welcher Hochzeit, Herr ?“

„Zur Hochzeit von Fräulein Adolphine von Franconard und ihrem Goufln, dem Marquis von Theriguy.“

„Bränlein Adolphine hat fich verheirathet 3”.

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„3a, geflern. Kommt Euch das lächerlich vor, Mamſell ?“

„Abolphine verheirathet! DO, wenn er das erfahren hätte!”

„Bas fehlt Euch denn, Mamſellchen? Eben Iachtet Ihr und jegt weint Ihr?“

„Ab, Herr, ich fürchte, daß Andreas... .“

„Aber Halt, ich erinnere mich, daß geſtern Nacht zwiſchen zehn und elf Uhr ein Herr mich fragte, was es hier im Hötel gebe.“

„D, das wirb er gewefen fein!”

„3a, ja, Ihr habt Recht: er war's, ich entfinne mich auf fein Geſicht.“ |

„Und was that er weiter?” -

„Meiner Seel’, das weiß ich nicht. Ehe ich mich umſah, war er wieder verſchwunden Hinter den Wagen, die im Hofe dicht ges drängt flanden.“

„D, mein armer Andreas! Was mag er gethan haben in ver Berzweiflung ? Wohin ift er gegangen ? O, ih Arme!”

„Mamfell, Mamfell! Sie verlieren Ihr Schnupftuch ; geben Sie Acht.“

Nanette ift fchon fort; fie eilt zum Vater zurüd und erzählt iym, was fle gehört hat. Bernhard begreift nicht, wie bie Nach⸗ richt von der Hochzeit Fräulein Adolphinens mich in Verzweiflung habe bringen koͤnnen, bis ihm Nanette dad Geheimniß von meiner Lebe zu Adolphinen anvertraut. Jetzt erft geht ihm ein Licht auf über die Urfache meines geheimen Kummers.

„Sa,“ bekräftigt Peter, „ver Bruder war verliebt bis über bie Ohren. Er geftand mir einmal, daß ber Liebeöteufel ihn Tag und Macht quäle; er ſprach nicht, er malte nicht, er fang nicht und, was dad Meifte if, er nf nicht.” "

„Bo mag er fein?“ ruft Nanette. „Statt und bein Leid zu Hagen, Andreas, flieht du uns! Himmel, follte er in ber Ber:

weiflung . . .” „Sei richig, Ranetto! Aundreas wird an feine Mutter, feine

Freunde denken; er it keiner folgen That fähig. Gedulde Dich, er wirb ſchon wieder fommen, recht bald. Aber feine Mutter darf nichts davon hören.“ |

Der Tag vergeht ohne Nachrichten von Andreas. Als Peter dad Papier, worin ich ihm mein ganzes Gigenikum vermachte, Ranette zeigt, geräth fie in Berzweiflung. Bergebens ſucht Bem: hard fie zu tröften, auch Peter thut fein Möglichftes, aber gleih darauf fängt er zu weinen an, fo daß er ſelbſt des Troftes bedarf.

Der folgende Tag vergeht auf dieſelbe Weife. Bernhard geht babin, Ranette und Beter borihin. Den Abend kehrt Jedes trau: sig zurhl.

„Sollte ex verirrt fein?" fagt Peter. „Unmöglich, er iſt zu groß dazu. Bielleicht bat er plößlich abreifen müffen und ex kommt zurüd, wenn wir ihn am wenigflen erivarten.“

Bernhard fagt daſſelbe, obgleich er nicht daran glaubt. Wegen ber Unruhe ber Tochter verheimlicht er die eigene. Schon fchwindet eine Stunde nach der andern, ein Tag nach dem andern, und “immer größer wird Nanettend Angſt. Den Tag über weint fie und Nachts thut fie Fein Auge zu.

Lucilie hat mich lange Zeit, ungeachtet ihres Berfprechens, nicht Befucht, weil file nicht die Unglüdsbotin von der Heirath Adolphinens mit ihrem Gouftn fein will. Cines Morgens Tommi fie und findet Peter, der wie gewöhnlich bei allen feinen alien Ka⸗ meraben, benen er mein Signalement gegeben bat, berumgelaufen if, um etwaige Nachrichten über mich einzuziehen.

„Bas gibt’8?" ruft Lucilie bei ihrem Eintritt in mein Zimmer. „Belche Unordnung! Alles Liegt Holter und polter durch einander.“

„Deiner Seel’,” antwortet Beter, feiv Andreas verſchwunden ik, weiß ich nicht, wo mir ber Kopf fleht ; ich weiß kaum, daß ich Iche”

Andreas verſchwunden? Und feit wann 2“ |

„Seit feine Schöne einen Andern geheirathet Kat. Aber wit

Verlaub, Mamſell, ich habe fie nie gefchen, die Schone?

357

„Er weiß alfo von ber Hochzeit von Fräulein... und ich nahm mir vor, bavon zu fchweigen. Welch' ein igenfinn ver Andreas iſt.“ „Meiner Seel’, wenn er liebt, fo liebt er zum Raſendwerden.“

„I weiß das, Herr Peter. Wüßte nur der gute Andreas, wie lange Fräulein Adolphine ſich gefträubt hat... aber Bapa und Couſin drangen in fie, und aud) Mama fehlen die Heirath zu wünfchen, fo gab fie endlich nach, und was thut Andreas? Er läuft weg: das Dümmfte, was ex thun konnte. Gibt es nicht viele andere Mittel noch ; aber man flieht, daß ex nicht aus Paris if. Wo ift er denn ?“

„Wenn wir dad wüßten, wären wir nicht fo traurig, Mamfell.”

„Troͤſten Sie fi nur, Here Peter: Andreas kömmt bald wieder; er wird fich eines Beffern befinnen. Alle meine guten Lehren halfen nichts. Adien, Herr Peter, weinen Sie nicht wie ein Kind; Sie haben fo rothe Augen wie ein Kaninchen. Und Ihr Halstuch, wie das fiht, und die Rofette, ba ba ha! Wer macht jebt noch eine Rofette, pfui! Warten Sie, ich will Ihnen zeigen, wie man das Halstuch bindet.“,

„Iſt nicht noͤthig, Mamfell; Schön Dank!”

„Sehen Sie... fo... und dann fo... Der Herr wäre nicht übel, wenn er etwas weniger fleif und unbeholfen wäre. Sehen Sie, man legt die Schleifen Treuzweife über einander und zieht fie nach unten durch. Jetzt find Sie noch 'mal fo hübſch.“

„Morgen früh hab’ ich's fchon vergefien, Mamfell.“

„So will ich wiederfommen, um Ihnen Unterricht darin zu geben... wollte fagen, um mich nach dem guten Andreas zu erfunbigen, denn ich habe ihn von Herzen gern, obgleich er mich, oft geärgert Bat. Aber ich habe ein gutes Herz, ich, und habe ihm längft ver ziehen. Adien, Herr Peter, feien Sie nur Iuflig: das Weinen und Heulen Hilft zu nichts. Sapperment, nicht fo fleif! und hübſch gerade! und wer macht ſolche Eomplimente!... Adien! ich komme bald wieder, um nach Andreas zu fragen.“

„Die Hamfell Hat meiner Soel recht,“ denlt Peter, als fu cilie fort iR. „Wozu dad Weinen und Heulen? Wie zum erſten⸗ male werde ich ihn auch zum zweitenmale wieberfinden, um fo leichter, als wir jept groß geworben find. Andreas hat mir fein Haus und Vermögen anvertraut, fo will ich denn recht Dafür forgen. Ei der Taufend, jetzt wäre mir der Loifeau erwünfcht, der ließe mir Beine Zeit zum Beinen.“

Nanette denkt anders ald Peter. Statt mit der Zeit ruhiger zu werben, wirb fie immer unrubiger. Wlehentlich bittet fle ihren Bater um Erlaubniß, ihren Bruder fuchen zu dürfen. -

„Bas Hilft das Suchen ?” antwortet ber Wafferträger. „Gott weiß, wo er fein mag. Und ſchickt es fi, daß ein junges Mädchen hinter einem jungen Manne herläufi? Hätte ih nur bie leifefle Ahnung, wo er fein kann, dann wollte ich e8 gerne erlauben, denn ich Tümmere mich um kein Gefchwäg ; ich weiß, daß Du ordentlich biſt und Andreas auch.“

„Und Du weißt ja, Papa, daß Andreas mich nie geliebt hat, daß er nur an feine Adolphine dachte, und doch Hat fie einen Andern genommen! D, fie liebte ihn nicht, wie ich ihn Liebe!”

„Tochter! das Fräulein ift eine Gräfin und dem Willen ihrer Eltern gehorfam. Wir dürfen fie nicht tadeln; Andreas hätte fie nie heirathen koͤnnen.“

„Barum nicht, Vater?“

„Barum nit? Weil die Welt... weißt Du, die Welt...”

„Rein, Bater, ich weiß nicht; aber laß mich Andreas fuchen, ich Bitte Dich: ich Habe nicht eher Ruhe.“

„Wenn wir ungefähr wiflen, wo er ift, dann ja. Bis dahin wi ich nicht, daß Du auf gut Glück ausläufft und vielleicht auch Dich verlierft. Bleibe bei mir und warte hübſch auf Nachrichten vor ihm.”

Ramette gibt nach; aber fie weint fih im Stillen aus und jeben Abend wieberholt fie bei fih: „Schon wieber if ein Tag

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babin and noch immer eine Nachrichten von ihn. Des Undanl⸗ bare? Wie kann man Tag und Nacht fo ſchmerzlich auf ſich werten Iaffen! Ach, feine Adolphine liebte ihn nicht, wie ich ihn liebe !“

Siebenundzwanzigfies Aapitel” Better und Roffignoti.

„Sonderbar,“ denkt Beter bei ſich und fpaziert gähnend im Zimmer auf und ab, das er jetzt allein bewohnt, „fonderbar, ich bin jeßt Herr im Haufe, mir fehlt nichts, ich Habe mehr Geld ale ich brauche, und doch gähne ih den ganzen Tag. Als ich Botenläufer war, wußte ich nicht, was Langeweile ſei, denn ich hatte Feine Zeit, daran zu denken. Ich fang vom Morgen bis zum Abend, und Fehrte ich Abendo mit vierzig Sous im Sade heim, war ich, meiner Seel’, fiveler, als ich mit allen ven Gold⸗ füchſen da bin. Sonderbar ! damald war mein größter Wunfch ein folder Goldfuchs; jet Hab’ ich fie in größter Dienge und fie langweilen mich. Ich dachte, ein Meicher, der müſſe und müfle fig amüfiren ; aber weit gefehlt! Mas fang’ ih an? Wie Türze ih mir die Zeit? Schreiben Tann ich nicht; ich weiß nicht einmal meinen Namen zu unterzeichnen! In den A⸗b⸗c-⸗Büchern herum; buchftabiren mag ich nicht! Don Muſik verfiche ich nichts; noch weniger von Andreas feinem Gepinfel. Im Theater jchlafe ich ein, obgleich es ſchoͤn da if. Nur das Effen macht mir Spaß; aber fann ich den ganzen lieben Tag am Tifche fihen ? Was fang’ ich Armer an?“ .

Indem wird mit Leibeskraft au der Glocke gezögen.

„Das nenn’ id; mir herrenmäßig fehellen! D, wenn bas Andread wäre!“ j

Er öffne. Wer tritt herein? Roſſignol oder mit anderem Mamen Loifeau, Beterd alter Kunde und Freund. Der Hut fipt

noch Immer anf dem linken Ohr; aber nicht mehr ber alte ſchäbige, fonbern ein funkelnagelnener. Seit dem famofen Diner, wo Peler um den feinigen kam, hat dad Mobell zufällig feinen alten mit einem neuen verwechfeli; gerne bätte Herr Roffignol auch bie übrigen Kleivungeftüde zufällig verwechfelt, wenn es möglich ge: weien wäre. So finden wir ihn benn in bemfelben eng anlie genden Beinfleive und ſchwarzen Rode wieber, worin er dem Herrn Grafen von Franconard feine Aufwartung gemacht Hatte. Aber beide Theile find verſteckt durch einen Iangen, weiten Karrif,* ben er einem befreundeten Sanderer abgeborgt hat. Obgleich es in ber Mitte Zuni’s if, hüllt ex fi fo weit ein, als wären wir im Binter. Endlich, um ſich ein imponirenderes Anſehen zu geben, Bat er den Schnurrbart wachfen laſſen, den er in jeder Sekunde wenigftend einmal zurechtdreht. r

Roffignol wußte nicht, daß Peter mein Bruder war; er erfuhr es erſt am Tage jenes Diners, wo der Raufch Peter zu Erzählımg aller feiner Abentener begeiftert hatte. Lange Zeit traute er fid nicht, Peter zu befuchen, aus Furcht vor mir, Bis er eined Tages zufällig hört, daß Herr Dermilly geflorben, Peter der alleinige Befiger einer ſchoͤnen Wohnung, und Andreas, fein Bruder, feit einiger Zeit fpurlos verſchwunden fel.

Schon ift er auf der Treppe meines Haufes, als er von ur gefähr feine Kleider muftert. Der Rod Hat nur noch zwei Knöpfe, die Hofe iſt am Knie aufgeriffen und an den Waden geplakt. „Bielleicht Hat Peter Domeftiten,“ denkt er bei fih, „und bad Tann fle mißtrauifch machen.” Roſſignol ift nie in Verlegenheit. Schnell kehrt er um, trifft. auf dem nächften Haltplabe der Han: berer einen befreundeten Kutfcher, mit dem er fich breimal herum; geprügelt und viermal ausgefähnt hat, Flopft ihn auf bie Schulter und ſpricht:

„Leihe mir Deinen Karrik, Franz: auf zwei Stunden.“

* Eine Art weiter englifer]Reitzot.

361

„Meinen Karrik? Bi Du von Sinnen ?"

Ich babe ihn dringend nöthig. Nur auf zwei Stunden ; ich bring’ ihn wieber.“

„Wie Tann ih, Roſſignol? Ich Habe nichts als die Weſte darunter.“

„Mehr brauchſt Du nicht im heißen Monat Juni.“

„Thor! wie kann ich in Hemdaͤrmeln herumhaudern ?“

„Um fo mehr gleichſt Du dem jungen Phaöton, Freund.“

„Geh' mir mit Deinem Phadton.”

„She zwei Stunden vergehen, haft Du ihn wieber. Bis dahin brauchſt Du ihn nicht; Du biſt ja der Letzte in der Reihe. Alfo Du willft nit, Franz? Willſt mich in Verzweiflung bringen, ber Die fo oft Schnaps .gewichst Hat. Franz, all’ mein Vermögen fleht auf dem Spiel; Deines auch vielleicht. Denn bin ich erſt bei Geld, „fo nehm’ ich kein anderes Gefährt ald Deines, und zahle Dir drei Franken für die Halbe Stunde. - Nun?“

„Bah, Du Haft mich zum Bellen.‘

„Beim erftien Torfo, nein! Franz, da find fünfzehn Sons; warte auf mich im goldenen Karpfen und laß Auſtern auf: machen.‘

„Anftern? Für fünfzehn Sous ?“

„Ih zahle fie: vier Dutzend. Gefchwind, Franz, zieh’ dem

Yermel aus.‘

„Aber mein Gefährt?‘ |

„Sieh’, wie die Sonne fcheint, Franz. Rein Sonn- und Feſttag heute, bloßer Werktag. Bedenke das.‘ „Aber... .” „Franz, Du trinkſt Deine Gläſer Weißwein inzwifchen . . . Du weißt... und für zwei Sons Mofeler, Geſchwind deu andern Aermel heraus,‘ „And Du bringſt ihn mir in zwei Stunden wieder?“ „Ich ſchwoöre Dir's beim Herkules umb Antonius!’

„Bas find das fir Leute ? Aber wenn Du mich zum Beſten haſt, Kerl, dann .

„Gewiß nicht, Franz. Laß Dir's inzwifchen gut ſchmecken. Adieu.“

Roffignol wirft ſich geſchwind in den Karrik und huͤpft fort, trillernd: „Wem der große Wurf gelungen!” u. f. w.

Beter fleht Roſſignol befrembet an; denn der bis an die Ohren aufgewidelte Schnurrbart macht ihn durchaus unkenntlich. Aber ſchon if er Peter um ben Hals gefprungen, und brüdt ihn an ih wie eine Bärin ihre Kleinen.

„kaffen Sie mich los, Herr, Sie würgen mich!” ruft Peter ärgerlich.

„Ih Dich Loslaffen, mein lieber Peter ? Kennft Du Deinen alten Yreund nicht mehr, Peter ?“

„Mein Sott, Du biſt's, Loifenu !”

„Ber fonft ?“

„Aber Andreas jagt, Du Heiße Roſſignol.“

„Gr bat recht.”

„Barum Iäfieft Du Dich denn Loiſeau nennen ?” „Iſt denn Roffignol Fein Loiſeau? yur

„Gewiß.“

„Alſo! Folglich hab' ich meinen Namen nicht veraͤndert.“ „Nein. Ich dachte nicht daran.“

„Uebrigens, was liegt am Namen? Loiſeau oder Roſſignol, gleichviel! ih bin Dein Freund, Dein Freund auf Leben und Tod... auch Andreas fein Freund, obgleich ich nicht recht an ihm gehandelt habe. "Aber dad war ein Veichtfinniger Jugendſtreich, wie Seder fo mat. Iſt man doch nur einmal fung, tralala! Ich komme juſt, ihn um Berzeihung zu bitten. Wo ift er, ber gute Andreas, führe mich zu ihm. Ich muß und muß ihn fehen ; auch Seren Dermiliy, meinen alten Zeichnenlehrer, würdigen Freund

Leiſean, der Vogel Koffigusl, die Nachtigall.

363 und Kathgeber. Yühre mich zu ihm! Gib Acht, wie ex mich aufnimmt !*

Freund, da kommſt Du zu ſpaͤt.“

„Zu ſpät ? Wie fo? Sprich, geſchwind!“

„Herr Dermilly iſt ſeit lange todt.“

„Herr Dermilly todt? Mein Lehrer, mein Vater, mein Freund, mein Berather, mein Troͤſter, mein Helfer? O, ich falle um.“

„Wird Dir nicht wohl?“

„Sch glaube, ja; gib mir...“

„Ein Glas Waffer ?“

„Lieber ein Glas Schnaps, wenn Du welchen haſt.“

„Ob ich welchen habe! Herr Dermilly hatte immer welchen, wenigſtens fünfzehn Sorten, und im Keller, ſage Dir, famöſen Wein.“

„Der ehrenwerthe Mann tobt!"

„Nimm das, Loifeau.“

„Nicht übel, meiner See! Alfo Herr Dermilly tobt! So hat der Tod einen Stern erfter Groͤße verbunfelt. Ach, welche Fort: fehritte machte ich unter ihm. Er nahm nich auf wie feinen Sohn.”

„Er Hat aber nicht väterlih von Dir geſprochen.“

„Ah, Beter, ich war auch oft ein undankbarer Sohn! I geftehe, ich habe mir Manches vorzuwerfen. Aber bin ift Hin. Bas Tann ih mehr thun, als bereuen ? T Noch einen Schlud.“

„Iſt Dir jetzt beffer 3"

„Etwas. Aber ſprich, wo ift Andreas, der gute Junge? Rufe ihn do, ich will und muß ihn umarmen, ich Halt’s nicht mehr Länger aus.”

„Ad, alles Rufen Hilft nichts.“

„Mein Gott, Du erfchredft mich! Andreas auch tobt ? Roch ein Bläschen, Freund. Gib mir die Boutenille, ich will mir ſelbſt einſchenken. O mein armer Andreas!“

„Troͤſte Dich, Roſſignol; er iſt ſeit ſechs Wochen verſchwun⸗ den, ſpurlos... wir wiſſen nicht, wo er if,“

=

„D mein armer Unbreas! Und ich wollte mich bei ihm zu Gaſt laden. Macht nichts, fo bin ich bei Dir zu Saft, Bee. ber fag’, hat er den Koller gekriegt ? So wegzulaufen !”

„Richt den Koller, Roffignol: die Leidenfchaft, die Hat ihn fehredlich geplagt ; mehr darf ich nicht fagen.“

Ich will auch nicht mehr wiffen. Beim Eſſen mehr davon.“

„Das Schlimmfte iR, daß er einen Zettel Hinterlaffen Bat, worin er mir all fein ECigenthum vermacht, und Mamfell Ranetie meint: dad heiße fo viel ald: er wolle nie wieber kommen.“

„Deine Namſell Ranette hat ben Nagel auf den Kopf ge: troffen, Peter; es iſt ausgemacht, daß Dir jetzt Alles gehört.“

„Und haͤltſt Du’s für möglich; jegt, da ich reich bin, habe ich todtliche Langeweile.“

„Ganz natürlich, Peter.“

„Erft der Kummer, dit Sorge um Andreas .

„Gewiß. Und dann die Sinfamteit, Niemand um Dich zu Baben, mit dem Du ſchwatzen und lachen kanuſt! Peter, Du weißt, ich Bin Dein Freund ; ich will Die noch mehr werben, will Bruder⸗ Kelle an Dir vertreten ; von heute an, von Stunde an wohne ich bei Dir und verlaffe Dig nicht mehr.“

„Der gute Lolfenu ... wollte fagen Roffiguol.“

„Reune mich wie Du wink,“

„Wie oft wünfchte ich Dich herbei; ich wußte im Boraus, bei Dir würde ich mich nicht langweilen.“

„Dich Iangweilen ? Bei mir? Du follft feine Zeit dazu haben, das verfpreche ih Dir. Wir lachen, trinken, fingen, ſcherzen unb tanzen vom Morgen bis zum Abend und vom Abend bis zum Morgen. Der Bogelfänger bin ich ja, ftets Iuflig, heifa, hopſaſa! Bei mir ſollſt Du lernen, Dein Leben genießen.“

„Reiner Seel’, das möchte ich; aber wenn ich denke, daß der arme Andreas... „“

„Still, Ri! wir denken nicht immer an Andreas. eben

. 368 \ Morgen vor Auffichen weihen wir dem Andenken bes guten Bruberd einige zärtliche Thränen, und bann geht’8 and Jubilicen. Aber, Sapperment, Du wohnft Hier wie ber Großfultan in feinem Serail, meiner Seel’! Ueberall Canapée's und Bergeres !“ „Bah, was ift dad gegen bie andern Zimmer? Komm’, id will fie Die zeigen.”

Roffignol folgt Peter, der in fo heiterer Geſellſchaft ſeine Traurigkeit faſt ganz vergeſſen hat. In gänzlicher Ermanglung aller Belt: und Menſchenkenntniß beurtheilt er Alles, wat er ſieht mb Hört, nur nach dem äußern Anfchein. Weil Roffignol fich feinen Freund auf Tod und Leben nennt, glaubt er fleif und feſt an bie Freundfchaft. Um des aufrichtigen Geftänbniffes feiner alten Fehler wegen, denkt Peter bei fi, muß ich ihm verzeihen, fo gut wie Herr Dermilly und Andreas ihm verziehen haben würden.

Das ſchoͤne Modell wird nicht müde, die ſchoöͤnen Zimmer und tie ſchoͤnen Begenftänbe in venfelben zu bewunbern ; bisher Tannte er bloß Küche und Atelier. Er bleibt vor mehreren Gemälden fichen ınb ruft:

„Sicht Du den Römer da? das bin ich! und den Griechen va? das bin wieder ih!”

„Aber fie fehen Dir nicht gleich.”

„Richt von Geſicht, Freund , aber dem Leibe nach. Ich ſchmeichle mir, daß mein Torfo wunderbar getroffen iſt.“

„Und auf der Seite ift die Küche.”

„D, die Tenme ich recht gut, Peter; meinen Weg zum Atelier nahm ich immer durch die Küche. A propos, lebt die alte Therefe och 3%

„Bas für 'ne Thereſe ?*

„Die Köchin meines Patrons.“

„Die ift lange tobt.’

„Du haft Recht gethan, zu flerben, Therefe: Du konntelt nicht inmal 'ne gute Suppe kochen.“

Banl de Kod. I. 24

304

„D mein armer Andreas! Und ich wollte mich bei ihm zu Gaſt laden. Macht nichts, fo bin ich bei Die zu Gaſt, Beier. Aber fag’, bat er den Koller gekriegt? So wegzulaufen !“

„Richt den Koller, Roffignol: die Leivenfchaft, die hat ihn fehredlich geplagt; mehr darf ich nicht fagen.“

„Sch will auch nicht mehr wiffen. Beim Efjen mehr davon.”

„Das Schlimmfte ift, daß er einen Zettel Hinterlaffen Bat, worin er mir al fein Eigenthum vermacht, und Mamfell Nanette meint: das heiße fo viel. ald: er wolle nie wieder kommen.”

„Deine Mamfell Nanette bat den Nagel auf ben Kopf ge: troffen, Peter; es iſt ausgemacht, daß Dir jetzt Alles gehört.“

„Und haͤltſt Du's für möglich ; jetzt, da ich reich bin, Habe ich toͤdtliche Langeweile.“

„Ganz natürlich, Peter.” . „Erft der Kummer, dit Sorge um Andreas .

„Gewiß. Unb dann bie Cinſamkeit, Niemand. um Dich zu haben, mit dem Du ſchwatzen und Lachen kannſt! Peter, Du weißt, ich bin Dein Freund; ich will Dir noch mehr werden, will Bruder⸗ ftelle an Dir vertreten; von heute an, von Stunde an wohne ich bei Dir und verlaffe Dich nicht mehr.”

„Der gute Roifeau ... wollte fagen Roffignol.“

Menne mid wie Du willſt.“

„Wie oft wünfchte ich Dich herbei; ich wußte im Voraus, bei Dir würbe ich mich nicht langweilen.“

„Dich langweilen ? Bei mir? Du follft feine Zeit dazu haben, das verfpreche ich Dir. Wir lachen, trinken, fingen, ſcherzen und tanzen vom Morgen bis zum Abend und vom Abend bis zum Morgen. Der Bogelfänger bin ich ja, ſtets luſtig, beife, hopſaſa! Bei mir follft Du lernen, Dein Leben genießen.“

„Deiner Seel’, das möchte ich; aber wenn ich denke, daß ber arme Andreas, , .“

„Still, ſtill! wir denen nicht immer an Andreas. Jeden

367

„IR da8 nicht genug ?'

„Mein, Knicker! Wer bewirthet einen alten Freund mit fo nem Broden von geftern her ?“

„Hätt ich nur mehr.”

„Dummbärtchen, wozu find die Traiteure da? Ruf Deinem Bortier ; er fol uns vom erften Garkoch Gotelettes, Rehragout md eine gute Omelette holen. Inzwiſchen wollen wir uns ben Keller anfehen ; ich möchte nicht ungerne feine Belanntſchaft machen.“

Die Ungenirtheit, womit Roſſignol im fremden Hauſe den Birth macht, weckt Peter aus feiner gewöhnlichen Traͤgheit. Schon ſteht das ſchoͤne Modell auf der Treppe und brüllt aus vollem Halſe:

„Hola, Bortier ! hierher, Kleiner! heraus aus Deinem Neſt! Subito!“

„Bas machſt Du, Roſſignol?“ fagt Peter aͤngſtlich. „Ich habe keinen Portier; die Frau von unten wartet mir auf und ſie bilvet fi ein...“

„Weil Du nicht mit den Leuten umzugehen weißt, Peter; ein Fünfzehnfousftüd und fie drückt beide Augen zu, meiner Seel’! Ran muß gelegentlich generös fein, wenn man ſich gut bebienen laffen will: vierte Erſparniß!“

Eine Kleine kugelrunde Frau von wenigftens fünfzig Jahren und mürrifchem Geſichte tritt ind Zimmer. Die Gute bilvet ſich viel auf ihr reines Franzoöſiſch ein und auf das Tafchenwörterbudh, das fie fich felbft angefertigt hat. Sie flieht Peter eine Zeit lang ziemlich ungehalten an, weil Peter fie in Gnaden ihres Dienfted entlaffen Hat.

„Bad wollen Sie!" fragt fie mürriſch; „Sie provgeiren dad ganze Haus durch ihr Geſchrei.“

„Ich Bitte um Entfhuldigung, Madame Roh, entgegnet Beer; „ich wünfchte, Sie...” j

„Still!“ gebietet Rofjignol und damit wirft er feinen Karrit

„Seit Andreas fort tft, habe ich feinen Vedienten. Für's Erſte wage ich kaum, mich von Andern bebienen zu laffen.. .”

„Du haft Recht, Beier: alle Domeftifen find ein wahre Diebögefindel ; man bedient fich licher ſelbſt. Höre, Peter, bei mir kannſt Du Sparfamfeit Iernen ; ich will Dir einige öfonomifche Srunbfäge beibringen. Nummer eins: wir effen beim Traiteut ; das iſt wohlfeiler und Iufliger. Niemals eine Küche im Haufe ; pfui, das ſtinkt! Will man extra biniren ober bejeunizen ober fonpiren, fo fit man zum erflen Reflaurateur, das ift gefünber. Zweiter Grundſatz: wir dulden feine Magd, Teine Haushälterin im Hanfe. Das Weibervolk ſteckt feine Nafe in Alles unb if ge: ſchwätzig wie die Elftern. Was zu beforgen ift, beforgt ber Stiefel: wichfer.”

„Bie ſparſam der Roſſignol geworden iſt!“

„Nur Geduld, Peter, ich bin noch nicht fertig. Das it das Schlafzimmer von Andreas, nicht wahr?‘ |

„Au ja! Es ficht jegt leer und verwaist.“

„Sp will ich's für mich nehmen, Peter. Ich zahle den NRieth⸗ zins auf Tag und Stunde. Dritie Erſparniß!“

„Immer befjer! Gedenkſt Du To fortzufahren, dann werde ich immer reicher ſtatt ärmer.‘

„Laß nur mich forgen, Beter. Die Kaffe bitte ih mir aus, bie will ich führen. Und was gebenffi Di mit der Wohnung zu machen? Eine ſolche Wohnung für eine einzige Berfon wäre Unfinn.‘ |

„Ich warte nur auf Andreas.” |

„Und ich warte mit Dir; ; wir warten zufanmen, bas if Iufliger. Aber wo ift der Wandfchrant, Hm, hm... Da weißt, mit ben Liqueuren ? Ich denke, wir fprächen einige Worte mil ibm.”

Peter führt feinen Freund in bad Zimmer, wo dr Want: ſchrank mit ben Liqueuren if und deckt einen Tiſch davor mit den Reften einer Paflete, dem Ueberbleibſel feines Frühſtäcs.

„Aſt das Alles, was Du haf 7“ fragt Roſſiguol.

367

„Iſt das wicht genug?“

„Rein, Kuider! Wer bewirthet einen alten Freund mit fo nem Broden von geftern her ?“

„Hält ich nur mehr.‘

„Dummbaͤrtchen, wozu find die Traiteure da? Ruf Deinem Bortier ; er fol und vom erſten Garkoch Eotelettes, Rehragout md eine gute Dmeleite Holen. Inzwiſchen wollen wir uns den Keller anfehen; ich möchte nicht ungerne feine Belanntſchaft machen.“

Die Ungenirtheit, womit Roſſignol im fremden Haufe den Birth macht, weckt Peter aus feiner gewöhnlichen Trägheit. Schon ſteht das fchöne Modell auf der Treppe und brüllt aus vollem Halſe:

„Holla, Portier! hierher, Kleiner! heraus aus Deinem Neſt! Subito!“

„Bas machſt Du, Roſſignol?“ ſagt Peter aͤngſtlich. „Ich habe keinen Portier; die Frau von unten wartet mir auf und ſie bildet fih ein...‘

„Beil Du nicht mit den Leuten umzugehen weißt, Peter; ein Fünfzehnfousftüd und fie drückt beide Augen zu, meiner Seel’! Man muß gelegentlich generös fein, wenn man ſich gut bebienen laffen will: vierte Erſparniß!“

@ine Kleine kugelrunde Frau von wenigftens fünfzig Jahren und mürrifchem Gefichte tritt ind Zimmer. Die Gute bildet fi viel auf ihr reines Franzoͤſiſch ein und auf das Tafchenwörterbuch, das fie ſich ſelbſt angefertigt hat. Sie fieht Peter eine Zeit lang ziemlich ungehalten an, weil Peter fie in Gnaden ihres Dienfted entlaffen hat.

„Bas wollen Sie?" fragt fie mürriſch; „Sie provociren daB ganze Haus durch ihr Gefchrei.‘

„Ich bitte um Entfchuldigung, Madame Roch,“ entgegnet Peter; „ich wünſchte, Sie...”

„Still!“ gebietet Koſſignol und damit wirft er feinen Karrik

368

um, ald mache er den Catilina, und ftellt fich zwifchen Madame Roc und Beter. „Du weißt Dig nicht kurz zu faflen; laß mid reven. Liebe Madame Roh! mein Freund und ich möchten ein recht excellentes Fruhſtück zur Feier des heutigen frohen Tages, der uns nach vieljähriger Trennung zum erſtenmale wieder vereint. Wir wünfchten und bei einem Gläschen alten Burgunder und einigen Cotelettes freunpfchaftlihft zu unterhalten; würden Sie und zu diefer freundfchaftlichen Unterhaltung verhelfen ?

„Mein Herr, ich habe nicht mehr die Ehre, Herrn Beter auf: zuwarten.“

„Weil er fürchtet, mit Ihnen allein zu ſein, Madame Roch. Wer noch fo friſch und blühend iſt...“

„Bar zu gütig, mein Herr.“

„Und noch fo gut confervirt.. ..“

„Da haben Sie Recht, Herr; ich ſchmeichle mich deſſen.

„Bir Eönnten noch eine Medea machen, Sqchatqhen, oder eine Agrippina.“

„sch weiß nicht, Herr, was Sie...

„Wie alt find wir, Madame Roch ?“

„Bierundvierzig Jahre, Herr.“

„Auf Ehre, man hält Ste höchftens für eine Iwanzigjährige... Geld her, Beier! Madame Roch forgt für Alles.‘

„Aber, mein Ser...”

„Und wer zechnete mit einer fo intereffanten GErfcheinung ? Du, du liegft mir im Herzen, Du, du liegfi mir im Sinn! Geld her, Peter.’

Roffignol langt mit der Hand Hinten herum; Peter fucht in der Tafche und ſteckt ihm ein Hundertſousſtück in die offene Hand.

„Ro eins,’ fagt Roffignol.

Beter gibt ihm ein zweite. -

„Und noch eins,’ flüftert das ſchoͤne Modell.

Beter gibt ihm ein drittes denkt aber bei ſich: „Künfzehn

Franken fürs Yrübflüd, das Tann nicht ber fünfte Skonomifche Grundſatz fein.”

Roſſignol ſteckt zwei Fünffrankenftüde der Madame Roch zu, läßt das dritte unvermerkt unter den Karrik gleiten und flüftert dann der Haushälterin ind Ohr: „Beforgen Sie und was recht Gutes; das Heine Geld gehört Ihnen.“ Dabei neift er fie ins Knie, thut, als wolle er fie umarmen und treibt fie dadurch ber Treppe zu. Madame Roh, ganz verbupt durch diefe Zärtlichkeiten, aber hoͤchſt empfänglich für Geld und Geldeswerth, bringt fchnell ihr Halstuch in Ordnung und eilt die Treppe hinab.

„Siehft Du, wie fie läuft,“ jagt Roffignol, „mit Geld bringt man bie Schildfröten zum Laufen.”

„3a, Freund, aber fünfzehn Franken für ein Frühftüd !“

„Wie? Du bewohnft fürftliche Gemächer und kümmerſt Dich um folche Sumpereien ° Willſt Du Di amüflren oder willſt Du nicht ?

„Sewig will ichs.

„So vertraue Dih mir an. Und weißt Du nicht bereits fünf ober ſechs oͤkonomiſche Grundſaͤtze? Ich möchte eben fo wenig einen Kuider aud Dir machen.“

„zopp! ich vertraue mich Dir an, denn Du haft mehr Er⸗ fahrung als ich.“ '

„Das mein’ ich! Laß Andreas nur ſechs Monate ausbleiben, und er fol eine Beränderung finden, meiner Seel’. Jetzt in den Keller hinunter !“

Im Keller liegen ungefähr breihundert Flaſchen gewoͤhnlichen Tiſchweines und mehrere Dutzend feiner Weine. Roſſignol iſt wie Begeiſtert; er möchte im Keller unten frühftüden ; weil das aber außer der Ordnung ift, fucht er fich bloß vier Flaſchen verjchiebe- ner feiner Weine aus und bürbet Peter eben fo viel Flafchen orbinären Tifchweines auf. Während Rofiignol luſtig trilert: „Bin üch todt, laßt mich begraben in den Keller unterm

Faß“ u. ſ. w., ſchließt Peter ven Keller zu, dann klettern fie bie Treppen hinauf. | |

Bald Iommt Madame Noch nebft Kellner mit drei Schäffeln zurüd, die fommetrifch mit dem Wein auf den Tifch geftellt werben ; das Alles unter manchen verliebten Tänbeleien Roſſignols mit der vierundvierzigjährigen Madame Roh. Nachdem das Frühſtück au⸗ gerichtet if, empfiehlt fih Madame Roch unter tiefen Büdlingen und der ergebenften Bitte, fie nit zu fchonen, wenn bie Herren was bebürften. Peter fegt fih an ben Tifch und ihm gegenüber fein Freund Loifeau,

„Mad Dir's bequem,‘ fagt Peter, „und zieh’ ven mäch⸗ tigen Karrif aus, Du mußt darin erſticken.“

„Nicht doch, Freund; ih babe Huften und Schnupfen und fürchte die Blähungen, und dann iſt das Möbel da ein liebes Exb- fra von einem Onkel, der ewig auf dem Meere herumfuhr.“

„Ich fehe übrigens nichts Schönes daran; mein Gott, und er ift mit Leder gefüttert, ba ha!”

„So will ihn der Matrofe haben. In ſolchem Karrik trogt es Sturm und Wetter.” °

„Sp, fo! Dein Onfel war Matrofe ?"

„Sin famdfer Kerl, fag’ ich Dir; drei nene Welten hat er entdeckt, und er Hätte noch ein halb Schod nene Welten mehr ge- funden, aber ein Hay verfchlang ihn.“

„Großer Gott, ein Hay?"

„Wie ich die Ehre habe zu melden, Deine Gefunbbeit !‘

„Der arme Onkel!”

„An fo was ift der Matrofe gewöhnt, Freund! Das Towamt täglich vor.” |

„Aber wie haft Du den Karrik wieber gekriegt ?

„Ganz leicht. Bald darauf wird der Hay geſchoſſen, und als man ihn ausweidete und ausſtopfte fürs Naturalienfabinet, fan un den Karril in feinem Bauch unverfehrt mit einem Brief meines

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Dalkels an mic in der Taſche; der Hay, ſcheint's, Kann Leder nicht verbauen. Bon meinem armen Onkel war nichts mehr übrig ald zwei Finger und dad linfe Ohr; alle drei Raritäten lieg ich zum Anbenfen an ben guten Ontel in Gold faſſen.“

„Meiner Seel’, ich danke für's Matrofenleben, menn man ſolche Gefahren Läuft.“

„Du haſt Recht! Es lebe die Erde... . der Wein darauf! ber Sappermeut! der Wein ift nicht bitter! Papa Dermilly hatte eine feine Bunge und alle Künftler mit ihm.

„Sonberbar, Roffignol, Dein Hut iſt aceurat wie der meine, den ich bei der Schlägerei im Wirthshauſe verlor; ſogar die Schnalle iſt die naͤmliche

„Ein Hut gleicht dem andern wie ein Ei dem andern, Freund.“

„Aber gelt, wir waren duhn.“

„Dun? pfui! Ich bin nie duhn. Wenn man ein Baar Teller entzwei ſchlaͤgt und einige Fauſthiebe austheilt, fagft Du gleich, _ man fei duhn! Luflig waren wir, ſidel, weiter nichts.‘

„Barum läffeft Du denn den Bart wachfen ? Du fiehft ganz anders and feilbem ; oder hafl Du gedient ?“

„Ja, Freund, ich habe gedient, feit wir und nicht gejehen haben, und an zwei Stellen zugleich.”

„Ro denn? Bei den Hufaren ?“

„Nein, bei den Freiwilligen in beliebiger Uniform; der Ban: talon ift mir davon übrig.‘

„Haſt Du Dich gefchlagen ?“

„Das wollt’ ich meinen; oft hab’ ich mich geſchlagen; ein Paar Mal blieb ich für todt auf dem Wahlplag Tegen.‘

„Bil Du denn nicht avancirt?“

„Doch, Freund! oft bin ih ayancirt; einmal fo weit, baf ich immer eine ganze Meile den Anbern yoraud war. ber ber Ehrgeiz iſt nie mein Stedenpferb geweſen; bie Künfte, Freund, Die Rünfe Ingen wit ewig im Kunfe. Die erfie Liche bleibt

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ewig unvergeßlich, tralgla! Und ich wünfche mir Glück, daß ich den Dienft quitticte, weil ich Dich getroffen habe. Deine Ge⸗ ſundheit, Peter!“

Roſſignol ißt und trinkt, was das Zeng halten will, benz feit Jahren bat er nicht fo gegeſſen und getrunfen wie an biefem Tage. Die Korke fliegen an bie Dede, der Wein perlt und fchäumt,

ein Glas nach dem andern wird ausgeflochen. Wenn ein ſchmutziger Teller Roſſignol genirt, wirft er ihn mir nichts dir nichts anf ein

hübſches Ganap6, und die leeren Flaſchen werben alle auf ben

Boden gerollt. Schon weiß Beter nicht mehr, wo er if und was

er thut. Su vollem Wetteifer mit feinem kampfgeübten Gegner fleigt ihm der Wein rafch zu Kopf, er glüht über und über, bie Zunge wird ihm ſchwer und er hüpft wie toll im Zimmer umher, während Roffignol mit größter Kaltblütigleit figen bleibt und wie ein Hay Alles verfchlingt, was der Traiteur geſchickt Hat.

Ueber Gotelettes, Dmelettes, Rehragout, feine unb ordinaͤre Weine und Liqueure vergißt Roſſignol ganz den armen Franz und

fein Berfprechen, den Karril innerhalb zweier Stunden zurädzu bringen. Aber Pünktlichkeit if nicht die Haupttugend des ſchoͤnen

Modells, der einen Pfropfen nach dem andern an die Dede fpringen laßt, und bei der fünften Flaſche, die er ganz allein geleert hat,

endlich auch anfängt, die Wirkungen des Weines zu |püren wie

fein Wirth.

nebermaͤßig erhitzt und dem Erſticken nahe, wirft er ven Kamit ab.

Wir find ja unter und, Peter; Freund bei Freund! Und

meine Wäſche kann ſich immer fehen laſſen, auch bei fo flotten Dejeunes! Hol’ mich Der und Jener, ich erfticde beinahe vor Hige!”

„So geht Du mit dem Karrit um, Roſſignol! Deut De nit mehr an den armen Ontel ?“

„Hu welchen Onkel?“

„Den ber Hay frag.”

„Onbaol Hin und her; ic) Habe Feinen Onkel. Deine Gefunbheit!”

„Du ſagteſt ja eben, Du hatteft einen Onkel.“

„Recht fo, ich vergaß den Umfland. Aber Sappermoft, Beter, bad gibt 'nen fielen Tag. Wir leben, meiner Seel’, wie die Am- phitryonen. Du fiehft ſchon ganz anders aus, viel beſſer als heute Morgen. Belt, der Jur gefällt Dir ?“

„So gut, Roflignol, daß ich nicht mehr weiß, wo ich bin.“

„So wollen wir alle Tage leben!

So leben wir, fo leben wir, So leben wir alle Zage, In der allerflotiien Saufcompagnie!

Bon heute an find wir ein Leib und eine Seele, Bruder. Was

ich nicht habe, Haft Du, und was Du nicht haft, habe ih; Du

bift reich, ich bin Liebenswärbtg ; Du bift bornirt, ich bin aufge-

säumt und witzig. Gib Acht, wie luſtig wir den Strom des Lebens

binabfchwimmen wollen ! Bom hoh'n Olymp herab warb uns bie Freude!‘

„Sag’, Roſſignol, ift das Deine freiwillige Uniform" flottert Beier, der immer angetrunfener wird.

„Rein, das ift mein Jagbhabit ; acht Knöpfe fehlen daran, die bat ein wüthender Eber auf einen Streich abgehauen, als ich ihn ebem erlegen wollte. PBrobiren wir jeßt die Liqueure; Rum! der Bleibt bis zulegt für den Gnadenſtoß. Senbar | fofle das und trinke mir nad... Du darfſt Dir glüdwünfchen zu mir, Peter, denn “Du Langieilteft Di wie ein Wolf.“

„> Bernhard! o Nanette!“

„Meinft Du den Waflerträger und feine Tochter?‘

„Diejelben.”

„Pfui, Peter! wie kann ein Menſch von Deiner Stellung in ber Welt die Bekanntſchaft eines Waſſerträgers cultiviren, pfui! Da mußt mehr Achtung haben vor Dir ſelbſt! ... Her mit dem Anifette.”' Aber war ich nicht früher Botenlänfer I“

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„Du war es, Yerund, Da biſt es jept nicht mehr, alfo... e iM ganz fo, wie der Schuft, vor ein ehrlicher Maun wird, ver⸗ gißt, daß er früher ein Echuft war. Desgleichen erlebt man alle Tage. Ich meine nicht, Peter, daß Du nicht mehr mit ihm fpredgen ſollſt, Du darfſt ibn ſelbſt von Zeit zu Zeit beſuchen, aber ex barf nicht mehr Dein täglich Brod fein... ſchlochter Umgang ver- berbt gute Sitten!... Wie findek Du ben Cognac ?“

„Ganz fo wie alle andern Liqueure !“

„Bah, Beter, Du bift ein fhlechter Kunſtkenner. A propos, morgen führe ich Dich in bie Geſellſchaft meiner Freunde, Iauter ſidele Sefellen wie ich, die ganze Nächte durchtanzen. Sch kenne alle die Selegenheiten. Vivat die Fipelität! Pereat Deinen Freunden, bie Di zum Mönch und Cinſiedler machen wollen! Heute Abend er: Öffnen wir unfere tanzende Laufbahn mit einem Walzer in ber Barridre von Baugrard. Du wirft mir gerne Rod, Hofe und Weſte leihen ; für das Uebrige forge ich ſelbſt. Deine Gefunbheit, Grem!... Stimme nur ben Chor an aus dem Schinder⸗ hannes: Du weißt, er geht tralalala, tralalala... und fo weites in infinitum oum gratia .. . ex iſt nicht eben fchwer. Ich fünge ihn alle Montage mit einer Bäderin zum Drebrade. Das klingt gottlich, fage ig Dir!"

Sie trinken, ſchreien, fingen und fpringen noch eine Weile, bis Keiner von ihnen mehr etwas fieht oder Hört. Peter finkt kauft unter den Tiſch, während Roffiguol, nachdem er links und rechts mit Tellern und Schüffeln um ſich geworfen, auf Franzens Karrif einſchlaͤft zwifchen einem Rebhuhnflüägel und einer Flaſche Mpfolio.

Achtundzwanzigſtes Aapitel. Franzene Kosrit.

Während Moffignol neben feinem Wirthe fchnarcht, hat fi der Kutſcher, dem Erftouer ſeinon Karrik abborgte, in bie beteichnet⸗

Schhenle begeben und Bei einem Gericht Aufern und einer VNaſche Weißwein behaglich ſich niedergeſetzt. |

Franz zeigt den beften Appetit und ſegnet im Stillen ben guten Karrit, welchem er bied leckere Mahl zu danken hat. Das erſie Dutzend Auftern ift im Umſehen verfchwunden; um mit mehr Ge⸗

müthörube der Ankunft feines Freundes zu harren, läßt er ein

zweite Dutzend kommen.

Die verabrevete Stunde fchlägt, aber Fein Rofjignol und Fein Karrit laͤßt ſich blicken. „Eine Biertelfiunde mehr ober weniger fehabet nichts,‘ denkt Franz und beftellt Schweizerfäfe und eine zweite Flaſche.

Aber auch die Viertelſtunde und noch eine andere iſt vergangen, ohne daß Roſſignol fich blicken läßt. Franz hat fick jo vollgeſtopft, daß er kaum athmen, geſchweige denn ſich bewegen Tann. Schon fängt er an ungeduldig zu werben und einen Fräftigen Fluch aus: zuftoßen. Noch lauter und derber flucht er, als feine Kameraden ihm melden, daß er jebt der Erfte in der Reihe ſei und daher bei feinem Gefährt fein müſſe, und doch Hat er weder einen Rod zum

Fahren noch Gelb zum Zahlen. Cr ſtampft auf den Boden, fehlägt-

fig mit geballter Kauft vor die Stirne und ruft:

„Ich Eſel, dem Schelm zu glauben! Bomben und Sranaten, ich will ihm die Hölle Heiß machen, wenn er zurückkommt. Mes fange ich an, wenn meine Käthe mich in Hembärmeln heimkehren fieht! Sie wird glauben, ich hätte meinen Rod verfoffen.“

Alles Fluchen, Toben und Lärmen hilft nichts ; kein Roſſignol

und kein Karrik kommt. Zum Unglüd hat fi der Himmel um⸗ woͤlkt; in jeder Sekunde Tann das Gewitter losbrechen und Fran⸗ zend Fiaker ift noch der einzige, der auf dem Plabe haͤlt; ale anderen find fort. Franz reißt das Fenſter auf, fieht ſich dem Simmel an und ruft werzweifelnd :

„Im dem Wetter fahre Einer ohne Rod... in bloßen Hemb- ärmeln.”

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BIT giebt es herunter wie ein Wolkenbruch. Alles rennt auf den einzigen Wagen zu.

Kutſcher! Kutſcher!“ ſchreit es rechts und Links. Man reift ſich gar darum, wer zuerſt in das Gefährt foll.

„Reißt Euch nur,“ denkt Franz, der den Lärm flieht und Hört. „Ihr konnt lange auf den Kutfcher warten.”

Inzwiſchen ift es einem Heinen, von Kopf bis zu Fuß ſchwarz gekleibeten Herrn mit ſchneeweißem Bufenftreif und Tanzſchuhen, der mit feiner Ehehälfte zu einem Dejeuner dinatoire eilte, das fein Couſin zur Beier der ihm nach fünfzehnjähriger Bewerbung endlich geglüdten Ernennung zum Maire⸗Adjunkten einer Commune von dreihundert Benerflätten veranftaltete, nach heißem Kampfe ge: Iungen, feine Chehälfte in ven Wagen zu fchaffen. Madame nimmt gleich den ganzen hintern Grund ein und zwingt alle.übrigen In⸗ faffen, das Feld zu räumen, worauf das ausgehungerte Baar fi im alleinigen Befige des Fiakers flieht.

Jetzt ift Alles da, nur das Wichtigfte fehlt noch; ber Kutſcher. Mabame lehnt ſich mit halbem Leibe zum Kutjchenfchlage hinaus und ſchreit fich Heißer nach dem Kutſcher, währenn ver Herr Ehe: gemahl, jammernd über die Gefahr, die von Seiten des Regens feinem neuen Habit droht, aber noch untröftlicher über den Verluſt bes Frabftüds, Hin und Herläuft, und Franz auffucht.

Endlich flieht er den goldenen Karpfen und läuft auf ihn zn.

„Ich wette,“ denkt er bei fih, „der Kerl thut fich bene bar innen bei einem Glaſe Wein oder Schnaps. So macht es das Ge⸗ findel immer: wenn e8 Waſſer regnet, ſchwemmen fie fidh mit Wein vol. Nur Geduld, Madame Belbomme, ich fchaffe Ihn gleich her.“

„Sputen Sie fih, Herr Belhomme,” ruft Mabame ihrem Ghegemahl nach. „Ich fürchte, fle eſſen den Kalekuten ohne und.“

„Iſt ber Kutfcher von Nummero Siebzig barinnen, liebe Fran?" fragt Here Belhomme, in ven Keller eintretend.

377 „Sa, Herr, hinten in’ der Ecke ſiht er,“ antwortet die Aufterns händlerin, die um ihre Zeche beforgt zu werben anfängt. „Geſchwind, Freund,” fagt Herr Belhomme, dem Hauderer tranlih auf die Schulter klopfend, „Ihr folltet auf dem Platze fein bei Eurem Wagen. Seht nur, wie ed regnet, und Ihr ſeid ber Letzte -... Ihr kriegt ein gutes Trinkgeld.“ „Richt nötbig, Herr, ich habe feinen Durſt,“ antwortet Franz und bleibt ruhig fißen. „Hört Ihr, Kutfcher ?" ruft Herr Belhomme lauter. „sa, ich Höre. Ich Tann jetzt nicht fahren.” „Ihr koönnt nicht fahren?" wiederholt der Kleine Dann; den Hut auf die Stirne brüdend und auf die Fußfpigen tretend. Gleich, auf der Stelle!“ „Unmoͤglich, Herr, ich Tann nicht von ‚ber Stelle... auch bin ich beftellt.“ „Ihr lügt, Ihr feid nicht beftellt, Ihr gehört mir und meiner Frau... mein Couſin wartet. Ihr follt: und müßt.“ „Ich will nit, Herr.” Der Tleine Herr erhebt eim folches Gefchrei, daß Alles her⸗ beieilt. „Isa, ja, er muß!” rufen die Ginen. „Erſt fol er zahlen,” Teift die Auſternhaͤndlerin. „Keine von Beiden,” antwortet Franz und pfeift dabei. „Statuiren wir ein Beifpiel!” ſchnaubt Herr Belhomme außer fih vor Wuth. „Gleich gehft Du mit zum Commiſſarius.“ „Donner und Doria, Herr, wie kann ich bei ſolchem Wetter in Hembärmeln, ohne Rod fahren... ba, verfluchter Rofſignol!“ „Mit ober ohne Rod: Du gehft mit mir zum Commiffarius, Berftanden 8" „Er muß, er muß,“ wieberholen alle Umſtehenden im Chore, „oder wir bringen fein Gefährt dahin.“ Franz, ber. fieht, daß er mit Gewalt nichts ausrichtet, will

vom kleinen Herrn zum BPolizeicommifjär folgen, ald ver Wein: händler unb die Auflernverlänferin ihm ben Weg vertreten.

„Ehe man geht, zahlt man hübſch, Freund.“

„I zahle ein audermal, ich habe Feine Zeit jet.“

„Sahlen iR gleich gefchehen. Wir Tonnen Euch zu wenig, um Cuch zu borgen.“

„IH komme gleich wieder.“

„She zahlt auf der Stelle; ſechs Duyend Auftern, Wein, Brod und Käfe machen zufammen fünfundflebenzig Sons.”

„Da find fünfzehn Sons auf Abichlag ; ich bleibe ven Reft ſchulbig.

„Richt doch, Freund, Ihr zahlt ſogleich das Ganze.“

„Ihr könnt mich auf den Kopf flellen, ob Ihr einen Son

mehe bei mir findet: ich habe den ganzen Tag keinen Som verbient.“

„So, fo, der Herr frühſtückt flott und hat kein Geld in der LTaſche —X „Sin Freund hat mich herbeſtellt.“ „Flauſen das! Geſchwind zum Poligelcommäffär mit dem Bruder Lieberlich „Erf will ich ein Pfand für meine Auftern, her mit feinem Hute.“ „Da habt Ihr ihn”... wir wollen Dich lehren, Freund, mit fünfzehn Sons in ber Tafche zu frühſtücken wie vornehme Herren !“ Bergebens fucht der arme Franz fich feines Hutes zu erwehren. So muß er denn, er mag wollen ober nicht, ohne Hut und Nod zum Gommifjär hinfahren. „Dem Hab’ ich gezeigt, daß ich 'nen Kopf habe wie von Ciſen, ruft Herr Belhomme feiner Ehehälfte zu. „Die Mühe hätten Sie fi erfparen konnen,“ antwortet Ma; bame. „Das iſt männiglich bekannt.“ Unter lautem Zifchen und Hohngelädhter ber Umſtehenden fährt ber arıne Tropf von Franz ab. Wäthend peitſcht ex auf vie Gaͤul⸗

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los, baß fie davon ſtolpern, was das Zeug halten will, und ſo oft er die Peitſche ſchwingt, laͤßt er einen moͤrderiſchen Fluch los gegen den Roſſignol.

Zum Glück wohnt der Polizeicommiſſär nicht weit ab, ben; no; kommt er pudelnaß an, wie aus dem Waſſer gezogen.

„Mögen fie mich brennen und fultern, ih fahre fie nicht weiter,“ ruft er wüthend.

In Folge diefes Vorfalld muß der arme Tropf acht Tage auf der Präfektur fchwigen, bringt einen Stockſchnupfen mit nad Haus und erhält obendrein noch eine tüchtige Tracht Schläge von feiner Ehehälfte. |

Herr und Madame Belhomme müfen den Weg unter bie Büße nehmen. Um ihren Aerger zu vergeflen, zanken fle fi unter: wege in einem fort und kommen von Kopf bis Fuß durchnäßt und befprigt beim Herrn Couſin an ald eben das Frühftäd verzehrt if.

Keunundzwanzigfieo Rapitel. Wie Peter bausbält.

Als Peter den Morgen nach diefem Frühſtücke, das bis zum Abend gedauert Hatte, erwacht, flaunt er nicht wenig, ſich unter'm Tiſche zu finden, den Kopf auf einem Teller und def Arm in einer Schäffel mit Eingemachtem. Er reibt ſich die Augen und befinnt fi auf die Borfälle des lebten Tages, denn noch gehen ihm bie feinen Liqueure wie ein Mühlrad im Kopfe herum.

Er ſteht auf, fieht um fi und tritt Roffignol, ber noch auf feinem Karrik ſchnarcht, auf's linfe Ohr. Diefer erwacht und Ancht: „Wer wagt ed, einen Künſtler zu boxen?“

Als Peter Roffignol hört, erinnert ex ſich allmählig ber Er⸗ eigniffe bed vorigen Tages. Ohne zu wiflen warum, iſt er nicht vecht mit fich zufrieden; das Gewiſſen fchlägt ihn. Aber ſchon iſt

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Roffignol bei der Sand und auf den Füßen, fo daß Peter Feine Zeit bleibt, ſich Vorwürfe zu machen. |

„Wir haben, wie's fcheint, ein Mittagsſchläfchen gehalten, Freund Beter,“ fagt Rofiignol. „Das if vornehm. In Spanien und Italien ſchlaft man gewöhnlich nach Tiſch, und die Engländer, die am flotteften von allen Völkern leben, fchlafen faft immer unterm Tifch.“

„Wie? die Engländer fchlafen unterm Tifh mitten unter Tellern, Schüffeln und leeren Flaſchen ?

„Ja, Beter, ganz fo wie wir geftern.”

„Bruder Andreas liebte die Sitte nicht.“

„Unter und, Beter: Dein Andread war fo zimperlich wie 'ne alte Jungfer; ich hoffe, Du folgeft meinem Beifpiele und nit bem Deined Bruders... aber es ift heller Tag, wir müffen an’ Frühſtück denken.“

Indem flieht er Franzend Karrik. Wie wahnfinnig fchlägt er fih auf Bauch, Kopf und Lenden zugleich, ftößt einige feiner Lieb: lingsflüche aus und wirft fi in-einen Armſtuhl.

„D ih Dummkopf!“ ruft er ein über’8 andere Mal.

„Was gibt's 3" Fragt Peter.

Statt zu antworten, ſchneidet Rofjignol ein grimmiges Ge⸗ ficht und ſpringt wüthend und fluchend vom Seffel auf, denn er hatte ſich auf einen Teller gefegt, der von geftern ber auf bem Stuhle liegen geblieben war. .

„Das verdammte Porzellan !” fchreit er.

„Haft Du Dich gefchnitten %" fragt Peter Angftlich.

„Und wie? Gerade in den A... .“

„Inden A... . 2“

„Ich will mir Talte Umfchläge machen. Das Schlimmfte Bei ber Gefchichte ift, daß die Hofe zerrifien ifl. Mein Gott! und vorne nu als Bettfleden: das kommt von Deinem Tellerwerfen von

.

381

„Ich fol Schuld daran fein ?“

„Ber fonft ? Mein Gott, und der Rod auch ganz befledt von oben Bis unten: die fchönen neuen Kleider da! Erſt ziweimal habe ih fie getragen.“

„Und doch ift die Hofe ganz zerriffen ?“

„Ich muß während bed Schlafes an bie Stuhleden gefommen fein. O weh, o weh! was fang’ ih an? Geftern no fo flott ' gekleidet, daß alle Weiber fih nach mir umfahen, und heute fo auszufehen! Mber fo kann ich nicht ausgehen, das begreifft Du. Wie ſteht's mit Deiner Garderobe, Peter? Mit Deinem Gabinet ? Du haft doch eins ?"

„Gewiß, Roflignol, gewiß hab’ ich eins: links, am Ende des Ganges. Du findeft Alles da, was Du wünſcheſt.“

Roffignol eilt fingend fort, kommt aber glei) darnach wieber zurück, ein Läppchen gelber Leinwand, das Meberbleibfel eines che: maligen Schnupftuches, unter die Nafe haltend.

„Kerl, wo haſt Du mich hingeſchickt? Haft Du mich zum Beften ?"

„Iſt das Gabinet nicht nah Wunſch?“

„Märchen, ich will Kleider, Hofen, Röde, Welten... umb Du ſchickſt mi in ein...“

„Wetter! Du fragteft ja nad den Cabinet.“

„Aber nicht nach ſolchem ... Kleider will ih, Kleider.”

„Sp, fo! dann geh’ nur in Anbreas Kammer, da Haft Du große Auswahl.“ „Endlich! Warum Haft Du das nicht gleich gejagt ?“

Roffignol geht in die ihm bezeichnete Kammer, oͤffnet bie Commoden und Wandfchränfe und bleibt bewundernd vor einer fo wohl verfehenen Garderobe ftehen. Gleich geht er an feine Toilette, mb da er von Umfländen nichts weiß, fucht er ſich das fchönfte Hemd, die feinften Strümpfe und bie neueften Kleider aus. Dann

Baul be Rod. II. 25

„Da ſollte er fein?”

„Rirgends anders, lieber Bater. Mein Herz fagt mir's und es belügt mich nie, wenn von Aubreas die Rebe ift. O, laß mich hingehen.“

„Das Landgut der Frau Gräfin liegt in der Nähe von Fon: taimebleau, nicht wahr?"

„Ja, Bater.“

Ich habe einen Bekannten bort, bei dem Du wohnen könnteft; aber wie kommſt Du dort hin? Ein junges Mäpchen Tann nicht allein reiſen.“.

„Bin ich nicht groß und vernünftig genug, Bater? Ach, und der arme Andreas flirbt vor Kummer, wenn er feinen Troft bat.“

„So geh’ denn hin, weil Du’s willſt.“

„D, Dank, theurer Vater, Dank!“

„Morgen gehen wir mit dem Stellmagen.“

„Barum bis morgen warten? Heute noch, lieber Bater, es iR noch früh genug dazu.”

„So bald wilft Du mich verlaffen, Nanette?”

„3% komme ja bald wieder, Vater, und in ſechs Monaten habe ich ihm nicht gefehen! Auch will ih Dir fchreiben.“

„Du vergiffeft, Tochter, daß ich nicht Iefen Tann.”

„So gehft Du zu unferem Nachbar und läßt Dir meinen Brief vorlefen. O, wie glüdlic wollen wir, fein, wenn wir Ans dreas wiedergefunden haben !”

Schon iſt Ranette in ihrem Kämmerchen. Gleich darauf Tommt fie mit einem Päckchen, worein fie das Nöthigfte gewickelt Kat, zurück. Sie nimmt ihre Schürze ab, ſetzt einen einfachen Strob: but auf und zieht den Vater bis an bie Treppe, ehe er noch Zeit gehabt Kat, fich zu befinnen.

Sie kommen an bem Orte an, wo bie Wagen halten, bie nad) Fontainebleau fahren. Es ift gerade noch Platz für Manette; fie ſpringt Hoch auf vor Freude und fept fich neben ihren Bater auf einer Steinbank nieder, ihr Paͤckchen uf den Schooß nehmen».

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Der gute Wafferträger will Ranette, bis der Wagen abfähtt, in ein Kaffeehaus führen, aber Nanette bleibt Tieber auf der Bank fipen, denn fle hat da bie Diligence vor Augen und weiß, wenn fie einfleigen muß.

„Adieu, lieber Vater,” fagt fie zu Bernhard, „laß Dir die Zeit nicht lang werben; ich Bin in Kurzem wieber bei Dir.“

Bernhard Füßt feine Tochter und geht dann traurig fort; Maneite ſieht ihrem Vater feufzend nad, aber ein Blick auf den Wagen tröftet fie. Endlich ift die Stunde zur Abfahrt gekommen. Nanette fleigt fchüchtern ein und wagt kaum aufzufehen vom Boden. Die Fragen einiger neugierigen Herrchen beantwortet ſie bloß mit einem Ja oder Nein, bis man fie in Ruhe läßt. In Eſſona bleibt Nanette im Wagen fiken, flatt mit den andern Paffagieren aus⸗ zufteigen, worüber einige derſelben allerhand hämiſche Bemerkungen machen und Fichern. Allein was kümmert ſich Nanette um pas Ge; ſchwätz von Leuten, die unbefugter Weife ihre Nafe in die Ange: legenheiten Anderer ſtecken.

Nah einem kurzen Beſuche bei dem Freunde ihres Baters laßt ſich Nanette dad Landgut des Herrn von Franconarb bezeichnen. Es liegt bloß anderthalb Meilen von Zontainebleau ab. Trog ber Nähe, die es ihr leicht macht, dahin zu gehen, fängt Nanette an zu begreifen, daß fie mehr Mühe haben wird, mich in der Um: gebung des Gutes zu finden, als fle fih in Paris gedacht Hatte.

Nanette geht zuerft ins Schluß, wo fie vom Schloßvngt hört, dag Niemand von den Eigenthümern im Haufe wohne.

„Und wo ift denn Herr Andreas,” fragt Nanette fchüchtern, „der junge Mann, ver bei der Frau Gräfin wohnte? Haben Sie ihn nicht gefehen? Vielleicht Tennen Sie ihn nicht wieber, wenn Sie ihn fehen, denn er ift feit dem lebten Sommer, wo er hier war, ungemein groß geworben.“

„Ich würbe ihn auf der Stelle wieder kennen,“ antwortet der Vogt, „aber ex iſt feit jener Zeit nicht da geweſen.“

Nanette entfernt ſich traurig und durchſucht Die Umgegend. Dorf für Dorf und Flecken für Flecken, überall erfundigt fie fi nach mir, ohne Etwas über mich zu hören. Dennoch verliert fie den Muth nicht, und mit jedem neuen Tage fängt fie ihr Liebes⸗ wer! von Reuem an.

Nanettens Herz hat fie nicht belogen: ich bin wirklich da, wo fie mich fucht. In jener Naht, als ich ziel- und planlos aus Paris fortlief, nur um Abolphinen zu entfliehen, hatte ich den erſten beflen Weg eingefählagen, ber mich nach mehreren Stunden aufs offene Land führte. Noch gefchwädt von der lebten Krankheit und durch die Anftrengungen des Marſches erfchöpft, finke ich faft be⸗ wußtlos unter einem Baume nieder. Ich ging mit allerhand mör- deriſchen Gedanken um, aber dad Andenken an die guie Mutter ſchreckte mich davon zurück und gab mir den Muth wieder, obgleidy ich furchtbar mit mir zu kämpfen hatte, denn die Wunde war noch zu friſch. Es war mir, als hörte ich mitten duch das Schweigen der Rat den Schall der Inſtrumente und den Jubel der Gäſte vom Hotel des Grafen herüberfchallen.

Ich befand mich in der Nähe von Bondy und wußte weber ans noch ein; Paris verabfchente ich und ſchwur, ed nie wieber . zu betreten. Einige Male dachte ich an meine Heimath, aber erſt wollte ich allein fein, um meinem Schmerze in Muße nachhängen zu koͤnnen. u

Unter fleten Gedanken an Adolphine und die in ihrer Nähe verlebte glückliche Jugendzeit flrichen mehrere trübe Tage dahin. Blögli wandelte mich eine unendliche Sehnſucht an, jene ſchönen Gegenden wieder zu ſehen. Schnell entfchloß ich mich Kin zu pilgern, und bald darauf fand ich vor dem Schloffe, wo ich bie feligften Stunden meines Lebens verlebte. Ich wage nicht einzutreten, aus Sucht, erfannt zu werben, aber eine ganze Nacht Iang treib” ich mid) in der Mähe des Schloſſes herum, und mit Tagesanbruch erfeige ich eine Heine Mnhöhe, von wo and man einen großen

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Theil des Parkes überfehen Tann. Ach ſah die Boſskette wieder, wo wir zuſammen geſeſſen, die Alleen, wo wir ſpazieren gegangen; ich ſuchte die ſeitdem entſchwundene Zeit zu vergeſſen, und nur in ber Bergangenheit zu leben. Mit äußerfier Mühe entriß ich mich biefem geliebten Plage, der mich in die ſchoͤnſte Zeit meiner Jugend zurückverſetzte. Ich fühlte mich Hier weniger unglüdli und uns ruhig. So faßte ich ben Entſchluß, mich in der Nähe dieſes koͤſt⸗ lichen Aufenthaltes, der meiner Seele fo wohl that, bleibend nies berzulafien. Ach, im zwanzigſten Jahre lechzt pas Herz nad Liebe! Sogar den Schmerz heißt es willlommen, weil der Schmerz nichts Anderes ift als Liebe.

Nicht weit von der Anhöhe erhob ſich, unter ſchattigen Bäumen verftedt, eine Tleine Hütte, auf bie ich zuging, in der Abficht, mich Etwas auszuruben. Die Hütte war yon einer alten Bänerin,

. item Hunde und einigen Schafen bewohnt. Als ich die Alte fragte, ob nicht noch ein Wohnplägchen für mich übrig fei, glaubte fie, ich ſcherze.

„Wie, Herr,“ fagte fie, „ein junger Mann, ber an das Stadt; leben gewöhnt und fo vornehm ift wie Sie, der will in meiner aͤrmlichen Hütte mit einem alten Weibe wohnen ?"

„Ich wünfche nichts mehr als das.“

„Wenn ed wirklich Ihr Ernſt ift, Herr, fo ſteht Ihnen das Kaͤmmerchen oben, wo mein armer Sohn wohnte, zu Gebote. Es iſt das einzige in der Hütte, und daher auch das ſchoͤnſte, Herr.“

Entzückt über dad Anerbieten der Alten zog ich zwölf Lonis⸗ d'or aus der Taſche ich Hatte ungefähr dreimal ſo viel von Baris miigenommen und fehüttete die Thaler der Alten in den Schon. Die gute Frau mochte nie fo viel Geld beifammen gefehen haben, denn fie fließ einen lauten Schrei ber Berwunderung ans.

Das ift für mein Logis!” fagte ich ihr.

„So viel, Herr?“ fragt fle. „Das langt ja für mein ganzes Leben. Gie können hier wohnen und effen, fo lange und fo viel

Ste wollen. Ich theile mit Ihnen, was ich habe, Herr, daB if billig für eine ſolche Summe!“

Meine Einrichtung war bald gemacht. Noch benfelben Tag ging ich in die benachbarte Stadt und kaufte Alles, was ich zum Zeichnen und Malen brauchte. So richtete ich mich gemüthlich in der Hütte ein. Ihre Lage ließ mir nichts zu wünfchen übrig: fie

. war malerifch unter Bäumen verſteckt und kaum fünfhundert Schritte

von dem Gipfel der Anhöhe entfernt, von wo ich einen Ueberblick über den ganzen Park meiner Wohlthäterin genoß.

Hier verbrachte ih den größten Theil des Tages, oft in tiefes Nachdenken verſunken über die entfchwunbenen glüdlichen Zeiten, oft zeichnend und malend eine ber fchönen PBartieen, bie ich mit ihr durchlaufen hatte.

So verging die Zeit. Mein Schmerz war zu einer fanften, wohltäuenden Schwermuth geworben, aber meine Liebe zu ihr nie erkorben, denn der Anblid aller ver Gegenden, welche fie hatten entfiehen fehen, war nicht geeignet, fie aus meinem Herzen zu verbannen. -

Eines Tages, ale ich meiner Gewohnheit gemäß von meiner Lieblingsftätte zurückkehrte, erblickte ich auf einem Seitenwege ein junges Frauenzimmer, dad langfam einher ging und ihr Tafchen- tuch vor's Auge hielt.

Nanette ward. Nach achttägigem vergeblichen Herumftreifen in diefer Umgegend wollte ihr fchon der Muth entfinfen. Unter tiefer Belümmerniß über die Erfolglofigkeit ihrer Nachforſchungen entfchließt fie ſich, nach Paris zurüdzufehren.

Da Hört fle mein Gehen. Sie erhebt fchnell das Haupt, Bleibt fteben, fleht mich an, fchreit Iaut auf und fliegt in meine Arme. Das Alles war das Merk eines Augenblicks. Ihr Haupt an meine Bruſt gelehnt, nennt fle mich ihren Andreas, ihren lieben Andreas, während ich mich immer nicht von meinem Staunen erholt habe,

Ranette in meinen Armen und dad an biefem Orte, wo Alles

an Abolphine erinnert! Wie it das möglich? Ohne Zweifel muß fie meine Gefühle in meinen Augen gelejen haben, denn fie fagt ſchnell:

„Nicht wahr, Sie ſtaunen, Herr Andreas? Ich ſehe es Ihnen an. Weil er ohne uns leben Tann, glaubt er, wir koͤnnten ohne ihn leben; weil er und nicht mehr liebt, glaubt er, wir lieben ihn auch nicht mehr!“

„Ich Dich nicht mehr lieben, Nanette ?“

„3a, ja, Herr Andreas. Oper verläßt man die, die man liebt, wie Sie und verlaſſen haben? Läßt man feine Lieben in todtlicher Angſt und Beſorgniß zurüd? Läuft man fo ohne Weiteres weg, unbelümmert um bie Betrübniß derer, bie und Lieben %“ '

„Ach, Nanette, ich fühle mein Unrecht gegen Dich und Deinen Bater ; verzeihet mir.“

„Gr fühlt fein Unrecht, es thut ihm leid; Gottlob! Ja, Andread, wir verzeihen, wir vergefjen Alles. Wie froh, wie glück⸗ lich bin ich, daß ich Dich wieder babe; mein Schmerz ift ploblich zur Freude geworden!“

Ich drücke Nanetten an mein Herz, erfreut und betrubt zu⸗ gleich über das Wiederſehen. Die Liebe macht und wieder au Kindern, bie ſich ſchaͤmen, ihre Fehler zu bekennen.

„Aber was willſt Du hier, Nanette ?“

„Mein Gott, er frägt noch! Dich fuchen ?“

„Mich ſuchen? Wer fagte Dir, daß ich hier ſei?“

„Mein Herz, Andreas. Wie betrübt find wir geweſen um Dich, Lieber Andreas.”

„O, verzeihet mir; auch ich habe viel, recht viel gelitten.“

„D, ih weiß es; ich dachte mir gleich die wahre Urſache Deines plöplichen Verſchwindens. Ja, Gerr Andreas, wir wiſſen, daß die Liebe zu einer Andern Dich von und, Deinen Verwandten und Freunden, Deiner Wohnung und Deinem Cigenthum forttrieb, wir wißfen ed. Ach, Andreas, daß Sie uns fo verlaflen konnten !“

Baul de Rod. II, 26

„G8 iR, wie ich fage. Sieh’ nur weg, Aubrras, das Hilft nichts. Aber nur Geduld, Freund, iröfle Dich mit ver Zeit; ed beißt, die Männer vergeffen ungleich leichter als die Weiber. Komm wit mir zurüd, Audreas; mein Bater erwartet Dich ſchmerzlich uud auch der arme Peter hat Tag und Nacht keine Rabe: er läuft noch immer herum, Dich zu ſuchen. Komm’ geſchwind, Aubreat, laß uns fie tröften.”

„Mein, Nauette, nein! Ich habe geſchworen, Bari nie wieder zu beitreten.“

„Wie, Herr Andreas, Sie haben gefhworen? D, man hält. nicht immer, wad man fchwört; nur diedmal vergiß in, den Schwur, Andreas, nur diesmal. Kanuft Da mir das abfı

„DO, Rauette, ich bin hier fo glücklich; nirgends Kann ich fo alacklich fein, ſelbſt bei Euch nicht. Rein, ich will uud muß hier bleiben.“

„Bie, in GBinem fort den Park anzugafen, wo Sie einft mit... Glauben Sie auf diefe Weife geheilt zu werben, Hen Andreas I“

„Komm mit mir, Nanette, auf die Auhöhe da; ich will Dir zeigen, wo ich die feligfen Stunden meines Lebens Eofkete.“

3% uchme Nanetten bei der Hand: fie folgt mir, ohne ein Wort zu fagen. Oben angekommen, zeige x ihr die Orte, die ich täglich mir anfche.

„Sieh', auf der Bank da ſaß ich oft Rmubenlang weben ibr; die Zeit fchien mir fo kurz!”

- „Ach und mir fchien fie fo lange, weil ih Dich wicht bei mir hau⸗ Warum traͤgſt Du Dich mit ſolchen Gedanken? Iſt fie nicht verheirathet 1"

„Wer nichts zu hoffen hat, Nauette, der zehrt von ven Ex innerungen einer glüdlichen Bergangenheit.“ „86 hängt uur von Dix ab, Aundreas, und Du Taunft wieder

ſo glüctih fein Wie ehemals. Lieben denn bie Mänıer nur einmal in ihrem Leben? Man fagt, daß ed oft vorkomme.“ „Ad, Nanette, ich fürchte, ich Tann nur einmal lieben.“ Manette ſchweigt. Nach einer Panſe ſteigen wir in das Thaͤlchen hinab. „Bo wohnk Du?“ frage ich fie. „In der benadhbarten Stadt.“ „Die iſt noch eine ganze Meile von bier entfernt; ich will Dich hinbringen.“ „Und Du gehſt mit mir nach Paris ?“ „Rein, Nanette, ich kehre hierher zurück.“

„So brauchen wir nicht in die Stadt zu gehen; ich gehe nicht

zurück.“ „Was willſt Du denn? Hier bei mir bleiben ?

„Hier bei Dir Bleiben.”

„Bedenke, Nanette! Und Dein Bater ?"

„Ich fehreibe ihm, wo ich bin; er verzeiht mir gewiß.“

„Aber das geht nicht, Nanette ; nichts Halt Dich hier zurüd.“

„Nichts? Ach, Andreas, ich habe vielleicht mehr Grund, Hier zu Bleiben, ald Du.“

„Bas wit Du bier thun ?“

„Die Gefellfchaft Teiften.... umd wenn Di das langweilt, nich fo weit entfernen, daß mein Anblid Dich nicht ärgert.”

„Roc einmal, Nanette, das hat keinen Sinn und Verſtand.“

„Gleichviel, ich bleibe bei Dir; ich Habe jo gut meinen Willen, wie Du den Deinigen.“

Diefe Entſchiedenheit Nanettens behagt mir nicht; ich made noch mehrere vergebliche Verfuche, ihr den Plan auszureben, dann kehre ich mit Einbruch der Nacht in die Hütte zurück, gefolgt vom Nanetten.

Meine Wirthin ſieht bald die neue Ankoͤmmlingin, bald mich fragend as.

„Madame iR von Ihrer Belanntfheft?” Fragt fle eublich lant.

„Ja, fie iR...“

„Ihre Bean, ich wette.”

„Nein, nein, gute Krau,“ antwortet Manette feufzend, „ih bin nur feine Schwefter.”

„Die Schweſter des Herrn? Meiner Seel, ich glaube, Sie ſehen ihm aͤhnlich.“ Auch ich moͤchte bei Ihnen wohnen, gute Frau.’

„ber, mein Bott, ift denn mein Hütichen behert ?"

„Da haben Sie Gelb für..

„Brauche Feind: Ihr Bruder hat mir ſchon gezahlt; aber ich habe keinen Platz, Kinder. Die Kammer oben bewohnt Ihr Bruder und bier wohne ich: das iſt Alles.“

„IR Ihr Bett groß genug für Zwei?“

„Groß genug für fünf, meiner Seel’; wir Bauersleute haben Betten, daß eine ganze Familie darin fchlafen Tann.‘

„Bat ; wollt Ihr erlauben, liebe Frau, daß ich bei Euch ſchlafe?

„Bern, Madame, wenn Sie vorlieb nehmen wollen.“

Manette iſt entzüdt, ich aber ärgere mich. Ich wünfche ihnen gute Nacht und gehe in meine Kammer hinauf. Der Gigenfinn Ranettens ſetzt mich in Staunen ; ich hätte ihr das nie zugetrant. Wider meinen Willen bei mir bleiben wollen, if das nicht im höoͤchſten Grabe feltfam? DO, ich Undankbarer!

Ich verſuche mich in ben Schlaf zu Iefen ich babe mm: längft in Sontaineblean einige Bücher gefauft aber ich bin nicht bei meiner Lektüre ; ich kann nicht vergeffen, daß Nanette bei mir if. O, die Weiber, wenn bie fi was in den Kopf gefept haben!... Dennoch ift Ranette fo fanft, fo gut, fo jungfräu: ld... gleichviel, auch fie hat ihr Theil vom Weibe an fich.

Die Nacht vergeht mir faft ſchlaflos; doch Habe ich weniger als fonft an Adolphine gebaiht, weil Nanette mich in meinen Gr- Innerungen ſtoͤrt. Ich gehe in der feſten Abſicht Hinunter, durd

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mein Benehmen zu zeigen‘, wie wenig ich Nanetten Dank weiß für ihre Geſellſchaft.

Sie iſt mit ihrer Toilette ſchon fertig; ſie hat nichts auf dem Kopfe, aber ihre Haare ſind ſo hübſch und bei aller Einfachheit fo geſchmackvoll geordnet! Schuͤchtern blickt fie nieder, ald ih ein⸗ trete, und wagt kaum einen „guten Morgen, Andreas.“

Ich, eben noch feſt entſchloſſen, ihr nicht zu antworten, ich küſſe ſie, gewiß nur aus Gewohnheit. Ich muß ihr alſo auf andere Weiſe meinen Aerger zeigen.

„Sie haben gewiß recht ſchlecht geſchlafen,“ frage ich nach einer Pauſe.

„Im Gegentheil, aufs Beſte.“

„&8 fehlt Hier am Noͤthigſten.“

„3% habe Sie; mehr brauche ich nicht.”

„Der Ort ift fo abgelegen ; Teine Seele verirrt ſich Hierher.”

„Ich wünſche Niemand außer Sie.“ |

„Sie werben ſich Iangweilen bier auf dem Lande.“

„Ich arbeite für die gute Fran.“

„Abends zeichne ich auf meiner Kammer; bie Zeit wird Ihnen lang werben.”

„So wenig als geftern.“

Ich ſchweige, denn fie bleibt mir doch feine Antwort ſchuldig, nehme meine Zeichnung und gehe hinaus auf meinen Lieblinge: plag. Alles um mich her verfeßt mich im Geifte in Adolphinens Nähe, aber gleich darauf muß ich wieder au Nanette denken und ih fehe mich nach ihr um... fie ift nicht da; wo mag fie fein? Ich habe nicht Lange gezeichnet, fo muß ich mich ſchon wieber nad ihr umfehen. Endlich erblicke ich fie, ungefähr zweihundert Schritte von mir fißend und nähend. Arme Schweiter, fie figt Hinter einem Gebüfch verſteckt, damit ich fie nicht fehe! Aber was kuͤmmert's mich: mag fie da nähen, fo lange fle will; fie kann lange warten, bie ich mit ihr rede; ich will fle züchtigen für ihren Cigenſtun.

Dahrend id; ſcheinbar fortzeichne, blicke ich jede Minute ver Kohlen auf das Gebüſch, Hinter welchen fie fiht; fle erhebt keinen Bud von ihhrer Arbeit. Dad Vergnügen lob' ih mir! Bei mir fein und nicht mit mir reden, nicht einmal mich, anfehen! Doch ich glanbe, ich habe ihe geſtern Beides verboten ;. gewiß fürchtet fle, ungehorfam zu fein. Wie Tonnt’ ich ihr das verbieten! Das iR hart; Nanette war immer fo freunbichaftlich, fo ergeben gegen wid, und ihr Bater mein erfler und größter Wohlthaͤter. Sie will mich tröften und ich behandle fie fo hart! Hab’ ich denn alles Gemülh verloren? Geſchwind, ich will ihr winken, ſich neben mic zu ſetzen; dann kann ich doch von Adolphine mit ihr fhwahen... ihre Nähe ſoll die Erinnerung an Adolphine cher Härken als ſchwächen.

Ich kehre mich dahin um, wo Nanette fist, und winfe ihr: fie blickt immer nieder; kein Wunder, daß fie mich nicht fieht. Ich huſte leiſe und rufe fie bei Namen: auch das hilft nichts. Was gilt's, ich muß noch aufſtehen und zu ihr gehen ?

Ich nähere mich ihr Tangfam ; dicht vor ihr bleibe ich ſtehen. Sie arbeitet ruhig fort und flieht immer nieber, doch feheint es mir, als ob ihr Bufen heftiger ſchlage.

„Nanette, haben Sie mich nicht gehört ?

„Haben Sie gerufen ?" fragt fie, ohne aufzufehen.

„sa, ich babe gerufen.“

„Bas wollen Sie von mir!" u - „Wenn Sie fchlechtervinge bei mir bleiben wollen, iſt es

laͤcherlich, daß wir eine halbe Meile von einander ab figen.”

„Ich fürdhtete, meine Nähe fei Ihnen nicht angenehm.“

„Sonderbar! ich kann in Ihrer Mähe eben jo gut zeichnen und die geliebten Pläge nah Muße betrachten.“

Nanette ficht auf, nimmt ihre Arbeit und folgt mir bid an meinen Platz, aber immer, ohne mich anzufehen. Daun fept fie ſich vier Schritte von mir nieder und fängt wieber zu arbeiten an.

Ich thue das Mämliche, Bergebend warte ich, daß Ranette

ein Geſpraͤch ankuipft: fie rührt keins Lippe und flcht chen fo ſtumm wie früher auf ihre Arbeit nieber.

Dies Stillſchweigen will mir, glaub’ ich, nicht behagen. Aber vielleicht fürchtet fie, mich zu ftören ; fo muß ich den “atun madßen.

„Barum fo ſchweigfam, Ranette ?

„Ich glaubte, Sie wollten Ihren Gedanken nadhhängen.

‚ber Binnen wir wicht zufammen fchtuagen von bem, was mich in Gedanken befehäftigt?"

„Ich plaudere gerne mit Ihnen, mad es auch ſei.“

„Sie waren immer fo liebevoll gegen mich und ſo theilnehmend!“

„Ben man gerne hat, mit dem teilt man Freude und Schmerz. ‘*

„Die Weiber konnen uns beſſer iröften, als unfere beften Freunde; bei Ihnen, Ranette, hab’ ich mich ſtets weniger unglüd; lich gefühlt. O, wenn ich benfe, wie Sie in meiner Krankheit mich gepflegt Haben, dann habe ich mir viele, recht wiele Vor⸗ würfe zu machen.‘

„Ich made Ihnen Feine Borwärfe ; ich finde Sie immer gleich gut.‘

„Beil Sie zu nachſichtig find. Ach, wenn Adolphine mich fo gefehen hätte wie Sie! Aber fie liebte mich nie; nur kurze Zeit dauerte die Täufchung... ach, damals, an diefem entzückend ſchönen Orte, begeigte fie mir eine fo wahre, fo warme Neigung; aber fle war ein Kind damals und ich auch. Später, zum Manne. erwachfen, hätte ich‘ ein Gefühl erſticken follen, bad mich über kurz oder lang unglüdlich machen mußte, weil fie über kurz ober lang ſich an einen Andern verheirathen mußte. Es ift vielleicht beffer für mich, daß es fo geſchehen; ich fühle, ich follte ihr Bild ganz aus meinem Herzen verbannen, aber ich Tann es nicht; ums willfürlich muß ich am fie denken, die mir Tag und Nacht im Sinne Regt!... Was axbeilen Sie da mit ſolchem Fleiße, Na⸗ nette? Slie —* mir nicht einen Blich!“

„Un einer Schürze für bie gute Frau. Ich bat fle um eine Arbeit, weil ich Teine bei mir Habe.”

„Und eilt ed jo?“

Gewiß nicht.“

„Man follte es glauben, wenn man Sie nähen ſieht. Aber warum bugen Gie mich nicht mehr, Nanetie 3"

Ich mache es wie Sie.”

„Ran ſollte glauben, wir wären und bije... ich wärbe mir's nie verzeihen, wenn ich Dir böfe wäre, Nanette. W

„Ich werde Din nie boͤſe, Audreas, nie! das ſchwöre ich.“

„Gottlob find wir jegt wieber auf dem alten Punkte, bad

ie“ in Deinem Nunde Hang mir gar zu ner.

„Und mir ging es durch's Herz, Andreas.“

„Haben wir uns nicht ald Kinder gelaunt? Gcentf Da noch des Tages, ald Dein Bates mich fihlafend auf der Haudflur fand? Sprich! Du ſchrieſt vor Staunen, ald Da mid ſaheſt; weißi Du noch 3“

„Db ich's weiß! und Du warf ganz befchnupt und weinteh um Deinen Bruder.”

„Ja, und Du gabft mir gleich zu effen-und zu trinken. Schon bamals warf Du fo gut und Liebevoll gegen mich wie jept. Wie Infllg wir waren !"

„Unb weißt Du noch, wie mir zuſammen tanzten ?“

„Ja, ja, die Savoyarde. Lieber, lieber Tanz, ich glaube, id habe Dich ganz verlemt.“

„O, ich Tann ihn noch ganz gut.”

„Du glaubſt ...“

Und ſchon will ich aufſpringen. Es haͤtte nicht viel gefehlt, fo hätte ich die Savoyarde getanzt an dem nämlichen Plage, wo ich ſecho lange Monate ſeufzte und ſchmachtete.

Aber es iſt Zeit, in bie Hütte gurüdgulchzen. Ich nehme meine Zeichnung, Nanette Jegt ihre Nähaxbeit zuſammen, wir

geben und ben Arm und fo wandern wir ber Güte zu. Zum erfienmale, feit ich Paris verlafien Babe, fühle ich Hunger und freue mich auf unfer laͤndliches Mahl.

Nach dem Eſſen fchlage Ich der Schwefter einen Spaziergang in der Umgegend vor. Sie willigt ein, und fdgon wieder find wir Arm in Arm; diesmal gehen wir nicht auf die Anhöhe zu. Wirk lich, dies Land ift wunderſchön, nichts fehlt: Wellen, als wäre man Yunbert Meilen von Paris ab, Herrliche Waldungen, lieb⸗ liche Bäche, Alles iſt da, was eine Landfchaft maleriſch macht... nur ein wenig öde und traurig ; aber in Nanetiend Nähe vergeffe ich das.

Spät kehren wir in die Hütte zurück; gleich darauf wünſche ich Nanetten gute Nacht und gehe auf meine Kammer. Bei der Praufung des entſchwundenen Tages muß ich mir geſtehen, daß er mir ungleich kürzer vorkam als gewoͤhnlich; auch lege ich mich nicht fenfjend zur Rahe nieder wie ſonſt. Mein Gott, follte die Krank⸗ heit ver Liebe wirklich heilbar fein? Sollte die Liebe zugleich mit der Hoffnung auf Verwirklichung verfelben erftidden ober doch ab⸗ nehmen ? Nein, nein! ich liebe Adolphine noch immer. Warum Bin ich denn nicht mehr fo traurig wie früher? Gleichwiel! ich habe feinen Grund, über die Rückkehr zur Bernumft mich zu beflagen; ſchlafen wir, das ift beffer, als alles‘ Grübeln.

Ich lege mich auf mein Kiffen nieder, ba iſt mir, als brüde Nanette mir fanft die Augen zu, und im Traum gaukelt ihr liches Bild unaufhoͤrlich um mic.

Den andern Morgen gehen wir wieber anf die Anhöhe wie den Tag zuvor; ich nehme meine Zeichnung mit, und Nanette ihre Näharbeit. Diesmal fee ich mich ihr gegenüber, damit fie mich anfehen muß, fo oft fie den: Blick erhebt.

Wir plaudern viel; Nanette ſcheint heiterer, fie laͤchelt, wenn fie mich anblickt, und wie füß! Wenn ich eine Zeitlang gezoichnet habe, zeige ich Ihr meine Arbeit; dabei muß ich ihr mähes kemmen.

8 Mitunter vorgeffe ich, an meinen Platz zurückzukehren; ihre Nähe

M mir fo wohlthuend. Dieſer Tag vergeht noch fchuelles, als der legte, und doch haben wir, fo viel ich weiß, kein Wort von Abel:

geſprochen. |

Drei weitere Tage vergehen auf biefelbe Weile. Es if mix fonberbar zu Wuthe: es ſcheint, als erweitere ſich mein Herz, alb fühle es neue Luſt zum Leben in ſich. Ich Tann keinen Augenblid oßus Raustten fein ; es fehlt mir Etwas, wenn fie nicht bei mir il. Zwar gehen wir nach häglich auf die Anhöhe, aber es fcheint nelr täglich unmälhiger, weil ich die ganze Umgegend nachgerabe -im Kopfe babe und auswendig weiß wie ein Buch: immer die ſelben Pfade, dieſelben Bosfette, dieſelben Anfichten,, Die ich ſchon Wunberimal gezeichnet habe; doch wage ich wicht, Nanetten einen andern Spaziergang vorzuſchlagen. Gott weiß, welches Scham⸗ gefühl mich davon abhaͤlt

Am fechöten Tage figen wir abermals einander gegenüber. Zi Habe vie Zeichenmappe auf dem Schooße und ſuche nach einer neuen Anficht. Unwillkärlich fallen meine Augen auf metue Ges führtin: nie ſchien fie mir fo hübſch... ja, ja, Nanette if in der That reizend: welche Anmuth in Blick uud Weſen, welde Friſche, welch’ füßes Lächeln! Ehen jept figt fie mit dem Rüden gegen einen Baum und lehnt ihr Köpfchen über die Arbeit. Welcher Gimfall : ich fuche nach einer neuen Anficht, aber kann die Natur mit einen fchöneren darbieten ald Nanuette?

Ich nehme die Kreide, und fange an, Nanetten zu zeichnen, Die Mehnlichleit fol nichts zu wünfchen übrig laſſen.

„Sieh mich doch an, Ranette!” fag’ ich zw ihr, als fie ewig was Köpfchen gefenkt Halt; Nameite gehorcht auf der Stelle. D, wie viel Mühe gebe ich mir.

„Barum foll ich Deine Zeichnung nicht fehen?” fragt fie acch einiger Zeit, | Beil ich noch nicht fertig bin; morgan davfik Du fie fehen.“

Den folgenden Tag bin ich mit Nanettens Porträt fertig. Ich muß geftehen, es iſt mir trefflich gelungen: Nanette leibt und lebt auf dem Bilde. Sobald ich den letzten Strich gethan, ſchleiche ih mi an ihre Seite und ſchiebe ihr das Bild auf den Schoof.

„Wie findet Du es?“ frage ich fie lächeln.

Sie fehreit laut auf, dann ſieht fie mid an, und wie! Nie hat fie mich fo angefehen.

„Biſt Du zufrieden ?“ frage ich. ber fie if keiner Antwort fähig fie weint, welche Kinderei! und ig, ich weine mit ihr.

Wir gehen in die Hütte zurück. Nach nem Gffen gehen wir nodgmals aus, fprechen zwar wenig, fehen und aber äfter an. Beim Zubettegehen fage ih ihr gute Nacht und küſſe fi. Sons derbar ! ich Babe fie Hundertmal umarmt und getüßt, und doch ifh mir, ald wäre dies ihr erfter Kuß.

Den folgenden Tag erachte ich es für ziemlich unnötig, unſern alten Weg auf die Anhöhe einzufchlagen.

„Dein Bater wird beforgt fein über Dein Ausbleiben,” fage ih zu Nanetten.

„Richt doch, er weiß Beſcheid: ich habe ihm gefchrieben.”

„Br wird fih nach Dir fehnen, Nanette: Ihr fein nie fo lange geitenut gewefen. Du mußt nach Paris zurückkehren.“

„Du weißt, ich kehre nicht ohne Dich zurüd.“

„So gehen wir zufammen.“ |

Nanette fpringt Hoch auf vor Freude. Unfere Vorkehrungen find bald getroffen und wir räumen bie liebe Hütte: Nanette nach achttaͤgigem, ich nach ſechsmonatlichem Aufenthalt, und doch wollte ich mein Leben dort befchließen. Aber fo geht's, wenn man im zwangigften Jahre ſchwoͤrt!

Einunddreißigfies Mapitel. DieZolgen von Beterd Haushaltung.

Wir fahren mit dem Eilwagen von Fontainebleau nach Paris. Unterwegs fpreche ih wenig, denn der Gedanke, daß Nanette nur acht Tage brauchte, um mid von meinem Entſchluß abzubringen, quält mich etwas. So oft ich fie aber anfehe, was jest ungleich häufiger gef dicht als ehemals, fühle ich in tieffter Seele, daß ich um keinen Preis wieder in meine Ginfamfeit zurüd möchte.

Wir fleigen ans. Nichts Ratärlicheres, als daß ich Ranetten zu ihrem Bater begleite. Als der guie Bater Bernhard uns er; blickt, weiß ex fi kaum zu faſſen und flärzt und in die Arme.

„Hatte ich nicht Recht,“ fagt Nanette, „daß ih ihn finden umb zurüdbringen würbe ? \

„Meiner Seel, Du hattefl Recht, Mäpchen. Aber jetzt wirb er und nicht wieder davon laufen, Hoffe ich.“

„Bewiß nicht, Bater Bernhard; ich gelobe es feſt und thener.“

„Wüßtefl Du, Kind, welche Sorge und Angft Du und machte.”

WVerzeihung, Bater, Verzeihung! Bon hente an follen Sie mich täglich fehen ; jeden freien Augenblick will ich bei ihnen fein. ber ich will tüchtig arbeiten ; ich will und muß es zu was bringen in meiner Kunſt.“

„Recht fo, mein Freund; Du haft zwar Geld, aber wer weiß, was und die Zukunft bringt. Wir müffen daher auf Alles gefaßt fein.“

„Und wo ift Peter, mein Bruder? Wie fehne ich mich, ihn zu fehen und zu umarmen !‘

„Donner und Doria, der arme Junge gibt ſich vertenfelt viel Mühe um Di: er länft Tag und Nacht nad) Dir herum ; er if nie zu Haufe.”

„And er Hat Euch nicht befucht ?“

„Rie! Seit undenklicher Zeit nicht.”

Eine dunkle Ahnung ſagte mir, daß Peter feine Zeit zu was Anderem brauche, als mich zu fuchen. Bis fpät Abends bleibe ich bei meinen alten Freunden; nie, nie habe ich mich fo wohl bei ignen gefühlt. Die Trennung von Nanetten fällt mir außerordentlich fchwer, und wir fcheiden unter dem Verfprechen, und ben folgenden Tag wieder zu fehen.

Auf dem Heimmwege wandelt mich nicht mehr wie früher die Luft an, vor dem Hotel vorbeizugehen, vielmehr nehme ich mir feſt vor, die Straße, in ber das Höfel liegt, forgfältig zu meiden, fo wie auch den Namen irgend eined Gliedes der gräflichen Yamilie nie vor meinen Freunden zu nennen.

Mit dem Schlage zehn Uhr Elopfe ich an meine alte Wohnung an. Madame Roc fährt zufammen, als fie mich erblidt. Mit Hülfe feiner antifen Stellung und einiger Gejchenfe, die ihn wenig koſteten, weil fie aus meinem Beutel kamen, hatte Roſſignol Madame Noch ganz für fich gewonnen. Außerdem mochte fie denken, daß mit meiner Rüdlehr das. alte Hausregiment wieder anfangen werde.

„Iſt mein Bruder zu Haufe?’ frage ih.

„Rein, Herr, er ift mit feinem vertrauten dreunde ausge⸗ zogen, um Sie zu ſuchen.“ „Wer ift der vertraute Freund ? Wie fieht er aus?"

„Ein fchöner junger Mann, äußerft liebenswürbig und luſtig. Gr bewohnt jept Ihr Zimmer.”

„Bad Teufel! mein Zimmer? Ich wünfche, daß Ihr fchöner junger Mann ſich fofort ein anderes Logis ſuche.“

„Das ift Ihre Sache, Herr ; Sie brauchen meinen Rath nicht.”

„Gewiß nit, Madame Roh. Wann Tommen bie Herren gewöhnlich heim ?

„Sie haben keine beftimmte Stunde, Herr: bald früher, bald fpäter,, bald gar nicht.“

„Ss, fo! Alfo mein Bruder fucht mich auch während ber Nacht; er glaubt am Ende, ich fchlafe auf der Straße. IH Niemann oben?"

„sa, Her, ver Jocley.“

„Jochey! Halt mein Bruder einen Soden ?“

„3a, Heer, einen Heinen Burkchen, der oft einen ſolchen Hoͤllen⸗ lärm im Haufe macht, daß ich mich darüber befchweren muß. Die Herren wollen ibm den Broblorh höher hängen, fagen fe.‘

„Getroſt, Madame Roc, ich verfpreche Ihnen, ber Lärm ſoll die Tängfte Zeit gedauert haben.‘

Ich laſſe mir Licht geben und firige die Treppe hinauf. Wer in aller Welt mag der vertraute Freund Peters fein, den er in mein Bimmer einguartirt bat? Doch nicht Roffignol? Unmöglich! Wie kann Peter meine Warnımgen fo gänzlich in ben Wind ge: ſchlagen haben !

Die Thüre meiner Wohnung fleht fperrweit offen. So bat Madame Roch doch Recht gehabt, daß ich Leicht hineinkommen könne; man follte glauben, mein Haus fei ein Wirthehaus.

Ich trete ein. Bott im Himmel, weiche Wirtbfchaft, welde Unorbuung überall! Auf den erſten Blick fehe ih, daß der Staub hanbhoch auf den Möbeln liegt: hier Taun feit ſechs Monaten nicht gefegt, gelehrt und geläftet fein ; alle Möbeln find von ber Stelle gerüdt. Im Eßſaal erblicke ich auf einem Leuchteriuhl Trümmer eines Fruͤhſtucks; ich glaube, man bat offene Tafel Hier gehalten. Aule Seſſel find mit Fettfledden beſchmutzt, der Spiegel im Wohn: zimmer zerfchlagen, die Siguhren auf dem Kamin find verſchwunden. Beter, Peter, was bedeutet das?

Ich gehe in Peters Kammer: das Bett iſt noch nicht gemacht; wohin ich den Fuß ſetze, trete ich auf Etwas. In meiner Kammer flieht es noch troſtloſer aus. Ich offne die Commoden: Alles leer; ich oͤfne den Wandſchrauk: Alles leer; auch die Wanbgemälbe find verſchwunden. Wenn das noch eine Weile fo fortgegangen wäre, hätte ich feine Stähle mehr angetroffen.

Über mo fett denn der Jockey dieſer fauberen Herren ? Ic ſehe wub Höre nichts von ihm. Nachden ich Alles tuhfucht, Kıte

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ich endlich unter dem Minuflein in der Küche neben fleben bis acht Gonferttöpfen einen Heinen Buben, der wie ein Siebenfchläfer ſchnarcht; gewiß ift dad der Jockey. Als ich ihn genau betrachte, ertenne ich in ihm benfelben Knaben, der mir einige Male bie Stiefel geputzt hat. Schlafe fort, Du bift der wenigft Schufsige von ihnen; Peter und fein vertrauter Freund haben mehr getham, als bloß die Confecttoͤpfe ausgeſchleckt.

Ich gehe in Peter Kammer, um auf ihn zu warten. An Schlaf ift bei mir nicht zu denken ; die Wirtbfchaft in meinen Zim⸗ mein bat mich allzufehr erzüämt. Gute Mutter, wenn Du das ſaheſt, Du würbeft vielleicht eher mir zürnen als ihm. Statt ein wachſames Auge auf ihn zu haben, wie fie mir dringend anem⸗ pfahl, Habe ich ihn fich felbft uͤberlaſſen! Bin ich nicht eben fo ſchaldig wie ex?

Meine Uhr weist Zwei und noch ift Peter nicht narad Wo mag er ſein? O daß ich's wüßte, ich würde ihn den Clenden ent⸗ reißen, die feine Gutherzigkeit auf fo ſchnode Weiſe mißbrauchen und ihn ausbeuten, und zu ihres Gleichen machen möchten.

Endlich wird laut an die Hausthũre gepocht. Gewiß find ſie es; ja, ich höre fie auf der Treppe: der Eine ſingt, ber Andere zankt. In dem Sänger erkenne ich alöbald ven Windbeutel Rof: ſignol. Ich darf mich auf das Schlimmfte gefaßt Halten.

Ich verfiede mich, um fie einen Augenblick nach Muße be- trachten zu koͤnnen. Die Thüre habe ich halb offen gelaffen, damit fie ihren Jockey nicht weden. Sie treten ein; großer Bolt, in welchem Zuſtande! Beide find total duhn, ihre Kleider von oben bis unten zerriffen, Halstuch und Cravatte fehlen, Peter hat ein fanftotıt geſchwollenes Auge und Roffignol bie Spuren mehrerer Stodichläge im Geſicht.

Beter iſt fo duhn, daß er au auf den Beinen fichen tanz; es wirft ſich auf den erſten beften Stuhl, die Hände vor's Auge haltend. Refiigenl ſucht und tobt nach feinem Jockey und fingt dabei.

„Sakriſta! wo iR der Heine Schelm ?" ruft er; „bie Thüen ſtehen ſperrweit auf, ald wären wir im Wirthahaus. Fort mit Die, Schelm, wir Tännen Die; wicht mehr brauchen! Sollte der Schelm noch iu der Küche bei den Töpfen herumſchlecken? Holle, Fronta, Laflenr, Lolive, eine Betiflafche, oder ich ſtecke das Hans in Brand !‘

Bei diefen Worten ergreift Herr Roffignol einen Beſen und ſchlagt mit aller Macht anf ven Frühftüdstifch. Länger Halte ich mich nicht ; ſchuell trete ich aus der Ede hervor.

„Wer da?“ ruft Roſſignol, der mich nicht erkennt. „Wer wagt ed, bei Nacht in’d Haus zu lommen? Der Teufel hole unfere Madame Roh! Freund, was will Du? Wer bil Du? Sprich', daß wir und, kennen lernen.“

„Eprich', wer bit Du!“ wiederholt Peter, das linke Ange fortwährend zuhaltend und das rechte jperrweit aufreißend.

„Wer ih bin, Unglüdlicher? Hätte der Rauſch Dich nicht gum Dich gemacht, Du würbeft mich längſt erkannt haben.“

Peter erfennt mich an ber Stimme; er erhebt ſich halb vom Stuhle, Hart mich an und fällt dann in den Geffel zurüd.

„Andreas, Du!” ruft er und läßt dad Haupt auf die Bruſt finden ; er fcheint plöglich zum Bewußtſein erwacht. Roffignol aber, ber füh mit dem Beſen in ber Hand etwas zurüdziehen will, ge säth in ber Hiße gegen den Tiſch und fällt mit ihm um,

„Andreas ?" zuft er; „unmögli! Er wollte ja nie wieder: Iommen.”

„Und doch ift er wiedergekommen,“ bonnere ich ihm gu, „um Sie zum Tempel hinauszujagen.“

„Rur nicht jo böfe, Herr Andreas! Ich meine es gut mit Peter ; ich bringe ihm einige Lebensart bei.’

„Bort, Elender, der Sie meinen Bruder eben fo verderbt machen möchten wie Sie find, fort, ober ich ſtehe ‚nicht für mich ein.“

„Nichts für ungut, Herr Andreas; verſtändigen wir aus!

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Der Korporal bat ihm das Auge geblänt, weil er mit feinem Schatze walzen wollte ; aber fchon morgen follen fie wieder gute Freunde fein...

Ehe Roffignol ausgeſprochen hat, reiße ich ihm den Befen and der Hand und prügle ihn damit zum Zimmer hinaus. Wie ver Blitz fliegt das ſchoͤne Modell‘ die Treppe hinab, klopft an die Loge der Thürhüterin und will ſchlechterdings bei ihr über Nacht bleiben. So weit gebt die Gefäfligkeit ver Madame Noch aber nicht, und Roffignol muß unverrichteter Dinge abziehen.

„Gute Nacht, liebe Madame Roh,“ ruft er ihr zu, „'s iſt zu ſpaͤt für hente; ein andermal will ich Ihnen den Achilles vormachen.“

Peter ſitzt noch immer wie leblos im Seffel; er wagt nicht.

aufzuſtehen, noch ſich von der Stelle zu rühren. Der Arme dauert mich ; fein Auge muß ihn gewaltig ſchierzen. Bor ver Hand will ich ihn tröften und ihm fpäter die verdienten Vorwürfe machen.

SH ſuche nach friſchem Waſſer. Alle Gläfer riechen nad Liqueurz; ich wafche ein Glas unten am Brunnen rein und fuche dann eine Servietie, um Peter zu verbinden, Tann aber feine finden ; ſo muß denn mein Tafchentuch herhalten. Ich nehme Peters Kopf in die Hände und wafche feine Wunde; er laͤßt Alles mit fi machen. Dann bricht er in Thränen aus und wirft ſich mir za Füßen,

„Steh' auf, Beier,” fage ich unwillig ; „Ichäme Dich. Wer fällt vor feines Gleichen nieber ? Gefchweige denn ein Bruder vor dem anbern.”

„Ah, Andreas, vote leid thut mir... .“‘

„Still, wir veben morgen davon; ed ift drei Uhr, unb wie mir ſcheint Zeit, in's Bett zu gehen, obgleich Du gelernt haft, die Rat zum Tage zu machen. Geh und fchlaf: Du haft Schlaf nöthig.”

Er gehorcht und geht im feine Kammer, wahrend ich genoͤthigt

Paul de Kod. I. 27

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Bin, in einem Seffel zu übernachten, denn es elelt mir vor dem Bette, in welchem Herr Roſſignol gefchlafen. Trotzdem ſchlafe ih friedlich; mein Gewiſſen it rein und Nanette hat bie Seufzer, bie Adolphinend Andenken mir entlodte, zum Schweigen gebracht.

Am folgenden Morgen if e8 meine erſte Sorge, den Jodey zu verabfchieden und eine gewandte Haushälterin anzunehmen, die in das furchtbare Chaos einige Ordnung bringt. Ich öffne meinen Sekretär: Alles ift leer, und doch enthielt ex zweitaufenn Franken, ale ich fortging. Auch das Silberzeug if gänzlich verfchwunden, fo wie drei große Gemälde von Herrn Dermilly’s Hand, bie id als Anvenfen an ihn forgfältig aufheben wollte ; Peter fchläft noch; ih will wiflen, wie ed mit mir flieht, ehe er aufwacht. Go gehe ich denn zu meinem Rotar, mich nad dem Stand meined Ber: mögend zu erfundigen uud nach dem Gebrauch, den Peter von dem Handfcheiu gemacht hat, worin ich ihn mit der Verwaltung meine? Eigenthums beauftragte.

„Ihr Bruder hat vieszehntaufend Franken verbraucht feit Ihrer Abreife,” jagt mir der Notar. „Er holte faſt täglich Gelb; ihn begleitete ein Erzſpitzbube, den ich gerne mit Stodfchlägen fort: gejagt hätte. Als ich ihm Borflellungen machte, zeigte er mir ben von Ihnen ausgeftellten Handſchein; gegen meine Bemerkung, pef er dad Bapital angreife und baburch die Jahreszinfen verringere, bemerkte jein Gefährte, daß fle nothwendig Gelb brauchten zu höchk einträglichen Spekulationen, welche aller Wahrfcheinlichkeit nach ihr Vermoͤgen vervierfachen würben. Hätten fle Tein Geld, fo feien fie genöthigt, alles Mobiliar zu verkaufen.“

So Hat denn Peter in Zeit von ſechs Monaten und einigen Tagen nicht weniger als fechözehntanfend Franken verpupt, unge: rechnet den Ertrag des Silberzeuges, ber Benvel- und anderen Uhren, meiner Garderobe n. f. w. Noch furze Zeit, unb das ge: jammte von Herrn Dermilly ererbte Gut wäre an Spipbuben um lieverliche Weibsbilder vergeubst worden.

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Kurz vor meiner Ruckkehr ift Peter aufgeſtanden. Er ſieht gewaltig angegriffen aus: feine früher fo blühende Geſichtsfarbe iſt welt und Blaß, fein Gang erinnert ganz an ven feiner Zech⸗ und Schlemmbrüber, fein Auge ift noch dick angeſchwollen und fptelt in alle Farben.

@r wagt es nicht, den Mund aufzuthum. Ohne ein Wort zu ſagen, nehme ich ihn beim Arm und fuͤhre ihn vor den einzigen Spiegel, welcher den raͤuberiſchen Händen Roſſignols entgangen iſt.

„Betrachte Dich einmal, Peter; fieh’, wie verändert Du biſt. Dies ſchwelgeriſche Leben feit meiner Gntfernung hat nicht bloß mein Vermögen, fondern auch Deine Geſundheit vieleicht auf immer zu Grunde gerichtet ; die letzten ſechs Monate haben Dich um zehn Jahre älter gemacht. Und weißt Dun, wie viel Du in derſelben Zeit durchgebracht haft ? Sechszehntauſend Franken, fage ſechszehn⸗ taufend Franken! Noch unlängft hätteft Du mit dem Viertel dieſer Summe Dich etabliren koͤnnen. Wo find die Seguhren geblieben I“

„Roffignol behauptete, fle feien von ſchlechtem Geſchmack; deßhalb wolle er fie gegen befjere umtauschen.‘

„So war das Silberzeug auch von fchlechtem Geſchmack?“

„Er fagt, er habe es einer Dame geliehen, bie damit nad Amerika durchgegangen iſt.“

„And meine Waͤſche? meine Kleiver ?“

‚Ste feien nicht modifch genug.”

„Und die drei Gemälde meines MWohlthäters ?

„Die gehörten ihm, fagte'er, weil er darauf abgemalt fei; er wolle fie feiner Familie fchiden.“

„Beter, vote Tonntefl Du mit einem ſolchen Nichtswürdigen umgehen ? mit einem Menfchen, ven Da ala Dieb kanntefl ? Und nicht zufrieden damit, quartierft Du ihn bei Dir ein und gibft Dich: blinblings in feine Hände, nimmft feine Unfitten, feine Lafter, feine ververbten Gewohnheiten an, und treibft Dich mit ihm und feinen Selfershelfern in gemeinen Schenken und Kneipen herum, ſtatt bie

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Freunde zu beſuchen, die es wahrhaft gut mit Dir meinen, und denen ich Dich fo dringend empfohlen babe. Kein Wunder, daß anf ſolche Tage ſolche Nächte folgen und daß Du Dein Werk mit Brügelei beſchließeſt, die Dich beinahe um Dein Auge gebracht hätte! Beter, Beter, was ſoll ich davon denken und fagen? Bi Du beßhalb nach Paris gefommen ? Iſt dad ter Dank für bie Lehren unferes guten Baters ?“

Beter it wie vernichtet. Ohne ein Wort zu erwidern, ſchleicht ex fih for. Was fange ich mit ihm an? Hat bied Leben den guten Kern in ihm vollftändig ertoͤdtet, oder iſt ed noch Zeit zur Umicht für ihn? Laſſe ih ihn Hier, oder fchide ich ihn nach Savoyen zurüd? Was wirb bie gute Mutter fagen, wenn er, ber gefunb an Leib und Seele ausgezogen, an Leib und Seele Tranf oder gar verberbi zurädtehri ?

Ih bin noch unfchläflig, doch fcheint mir dad Beſte, ihm eine recht derbe Lektion zu geben und ihn fo ſchnell als möglich in eine andere, minder behagliche Lage zu verfeken.

Während ich fo nachdenke, öffnet ſich plöglich Die Thüre. Wer befchreibt mein Erſtaunen, als ich Peter, von Kopf bis zu Fuß verändert, vor mir fehe: er hat wieder feine ärmliche Savoyarden⸗ tracht an und bad Krageifen auf dem Buckel.

„Andreas,“ fagt er mit bewegter Stimme, „feit Du mich in bie fchönen Kleider ſteckteſt, habe ich nichts ald Dummheiten bes gangen. Wer weiß, wohin ich Tomme, wenn bied träge, ſchwel⸗ gerifche Leben fortpauert. Ich will zu meinem Handwerk zurück; ich babe mich ehrlih und reblich babei genährt und mich wohler gefühlt als jetzt. Laß mich erfi wieder den Kamin fegen, und Du follfi feine Urfache mehr haben, Dich Deines Bruders zu ſchaͤmen.“

Geruͤhrt fallen wir und in die Arme und weinen uns aus. Schon will ich ihn einlaben, bei mir zu bleiben; doch nein, ich fühle, Daß Peter nirgends fehneller und gründlicher gefunden kaum,

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als in Sefellfchaft ver Leute, die im Schweiße ihres Antlikes ihr Drop auf redliche Weiſe verbienen. Nach fechömonatlidem Um- gange mit einem Roffignol wird das mühfame Handwerk, das er gelernt bat, ihm unendlich wohl thun.

„Peter,“ ſage ich nach einer Paufe zu ihm, „dieſer Dein Entſchluß beweist mir, Gottlob, daß Dein Herz nicht gelitten hat, fondern nur Dein Kopf. Nimm Dein Handwerk von Neuem auf, ich habe nichts dagegen, und mache nur, daß ich Dich einft unferer guten Mutter ald würdigen Sohn vorftellen darf.”

Beter umarmt mich nochmald und entfernt ſich mit dem Eifen anf dem Rüden. Beim Hinausgehen fingt er daffelbe Liedchen, das ex au jenem Tage fang, als wir in dem dunkeln Gange des Haufes gegenüber dem gräflicden Hötel fo unerwartet zufammentrafen.

Jetzt geſchwind zu Nanette; bei ihr verfchmerze ich am Teichte: ten meine Berlufte.

Sie erwartet mich mit Ungebuld, ja mit Unruhe, denn fle fürchtet, ich Habe dem Verlangen nicht wiberftehen Tonnen, das altgewohnte Haus mir anzufehen, vielleicht gar mit Abolphine zu- ſammenzukommen. Sie läßt 68 gar wicht: laut werden, aber id} leſe es in ihren Augen, deren Sprache ich jetzt ungleich beſſer ver- ſtehe als je zwwor. Aber nein, gute Nanette, Du haft jet nichts mehr zu fürchten ; ich habe nur einen Gedanken: Dich glüdlich zu machen, Dir zu lohnen für die reine, nneigennübige Liebe, bie uch trotz nnzähliger Beweife fo fpät erft ſchaͤzen gelernt Habe. Ich fage ihr das mit, aber fie muß fo gut in meinen Augen lefen Sönnen wie {ih in den ihrigen, denn ein einziger Blick von mir tröftet mb beruhigt fie.

Sch erzähle meinen Freunden, wie Beter in meiner Abweſen⸗ beit gehaudt hat. Sie wollen es faum glauben, eine jo gute Mei- ung haben fe von Peters Herzen; allein dad Ende Ihn! fe wieder mit gm and. -

„Du Haft recht gehaudelt, Andreas,‘ fagt Bernhard; „laß

ax

„Ich darf nicht hören, Lucilie; gewilfe Perfonsn will ih ver: geffen. Empfehlen Sie nich der Yrau Gräfin beſtens: das iR Alles, um was ich Bitte.“

„Mein Bott, wer fcheivet jo von einander ? Ich hoffe, Heu Andreas, Sie find jept von Ihrer Liebe geheilt, naher ſchweige ich davon... ed war eine Schulliebelei, wie Jader fie gehabt Mat; fo was vergeht mit der Zeit. Ich 3. DB. war ſchon in meinem zwölften Jahre bis über die Ohren verliebt in meinen Coufin, den ich mein Männchen nannte, und ich glaubte, die Liebe würde ewig dauern; aber was ift dad Ende vom Lie? Sch finde dus Männchen jept ganz abjcheulich.”

„Adieu, Lucilie! man wartet auf mid.“

„Alfo nicht ein Viertelſtündchen wollen Sie mir fchenfen... einer alten Freundin, die Sie noch eben fo gern hat wie früher? Mer weiß, wenn wir und wieber treffen! MWohne ich Doch über eine Meile von Ihnen.“

„Wie, Lucilie, Sie find nicht mehr bei der rau Gräfin!"

„Bewiß bin ich's noch.“

„Wohnt fie denn nicht mehr in ihrem Hötel ?“ 1.

„In ihrem Hötel? So wiſſen Sie nit... .“

„ch weiß von nichts, Lucilie; Sie erſchrecken mich. Reben Sie!“

„Mein Bott, Sie wiffen nit, wie es und ergangen ?“

„Auf Ehre, ich weiß keine Silbe. Geſchwind, erzählen Sie!“

„Bo foll ich anfangen und wo aufgören? Gin Schlag nad bem andern hat und getroffen. Aber fo geht's, wenn die Mütter vergefien, daß fie jung gewejen find und ihren Töchtern Männer geben, bie fie nicht mögen.“

„Reden Sie, Lucilie, reden Sie!”

„Die Heirat Fräulein Adolphinens mit ihrem Couſin wiſſen Sie. D, wie viele Thränen hat die arme, Kleine geweint, ganz im Stillen, denn fie wollte ihre Mutter nicht betrühen. Abolphin⸗ liebte Sie, das weiß ich, aber fie ließ es ſich nicht merfem: bie

AN

jungen Fraͤulein behalten fo was immer für ſich; auch hat die Frau Graͤſin ihr oft vorgefchwagt, daß Sir niemals ihr. Gemahl mudhen koͤnnten: fo gab fle denn nach. O, wie viel beſſer Hätte nian gethan, fie Ihnen zur Frau zu geben; Sie hätten-fie gewiß glücklich gemacht.

„Weiter, Lucilie, weiter!“

„Alſo: ungefähr acht Tage mach der Hochzeit feiner —— ſtirbt der Herr Graf an Unverdaulichkeit: daran lag nicht wies; aber wäre er eher gefterben, jo hätte vielleicht Die Hochzeit ger nicht flatigefunden, denn er namentlich wollte fie. Eine Zeit: Jay hielt es der Marquis bei feiner jungen Frau ruhig aus, aber fchen kaum nad, Verlauf von zwei Monaten warb er ganz anders: et ging Morgens in aller Frühe aus, kam erſt ſpaͤt heim, oft ger nicht; kurz, ex ließ feine Frau Frau fein und trieb ſich außerhalb - des Haufes herum. Die junge Margquifin trag. ihr Unglüd ſtand⸗ haft und blieb immpr bei. ihrer Mutter. Als dieſe dem Murquis allerhand friedliche Vorſtellungen machte, warb es noch viel Auger. Er fagte: er fei Herr. im Hauſe und Tönne thun, was er: wolle, das werbe er ihnen zeigen. Und. ex bat Wort gehalten! Deulen Sie ſich die Berzweiflung meiner guten Herrin,. als fie Hört, daß ihr Schwiegerfohn ein Spieler von Profeffion fet ud ſich außer⸗ dem noch hundert andern Ausfchweifungen überlaſſe. Es war dem jungen Maxquis leicht geworben, feinen Schwiegervater, det ſich nur um feine Hunde und feine Küche kümmerte, über fette Ber: mögensumflände zu tänfehen... kurz und gut; ed Sam bald heraus, daß der Marquis bei feiner Verheirathung ſchon his über dic ihren in Schulden ſteckte und feine Bläubiger nur deßhnlb Geduld hatten mit ihm, weil fie hofften, die Mitgifi der jungen. Gräfin werte - ihn in den Stand fegen, feine Schulden wenigſtens theilwriſe abs auiragen. Aber folch ein Erzverſchwender, wie der. Marquio, hätte Das Vermoͤgen eines. Rabob in Kurzem durchgabracht! Leiber new fiehen die Graͤſin und ihre Tochter von Geldgefchäften.aiihte, Das Ende nom Liede war, daß ‚nie Gläubiger des jungen-Margais das

Hbhel und ſaͤmmtliches Zugehör vor ungefähr zwei Monaten in Beſchlag nahmen. Das Hötel und dad gefammte Mobiliar wurben an den Meiſtbietenden verlauft. Die Damen haben Mühe genug gehabt, die werthvollſten Sachen zu retten. Herr Champagne bot. mir feine Hand an, aber ich fchlug fle, ohne mich Iange zu bes fauen, aus. Pfui, einen folgen Menfchen, einen Dieb und Be- träger zu heirathen! Denn ich bin für mich überzeugt, er ſteckt mit den Gläubigern des Marquis unter einer Dede. Wider ben Billen der Graͤfin, die mich fchlechterbings aus Ihrem Dienfte ent: laffen wollte, bin ich ihr in ihre befcheidene Wohnung im Fau⸗ bourg Saint⸗Germain gefolgt: da müffen fi die Damen mit dem Röthigften begnügen und ruhig warten, bis der Marquis, ber feit - der Beſchlagnahme des Hotels fi aus dem Staube gemacht hat, feiner jungen: Frau Rachrichten gibt.“

Bergebens fuche ich die Wirkung biefer Nachricht auf mich zu ſchildern. War's möglich? Meine Wohlthaͤterin, eben noch im Schooße des Gluͤckes und Reichthums, plöglich aller Annehmlich⸗ beiten beraubt, welche den höheren Klaſſen eben fo nothwendig ge⸗ werden find wie das liebe Brob ? Und ihre Tochter, Fräulein Adol⸗ yhine .. . ich kann es nicht über's Gerz bringen, fie Frau zu newmen Fräulein Adolphine unglüdlich, elend, von ihrem Ge wahl ‚verlafien, am der Mutterbruft ihren Kummer ausweinend ? Mein Gott, wer hätte das gedacht!

1. Lacilie vehdt mir die Hand und will ſich entfernen. Jetzt iſt bie Beihe au mir, fie zurückzuhalten.

„Lucilie, Ich wünfche Se wisbeuzufehen:“

„3% bleibe den ganzen Tag bei meiner Herrſchaft; aber Ihnen, Gere Aubreas, Kann ich unmsglich was abſchlagen.“

„sb: handelt ſich nicht um mi, Lucilie. Ich möchte... id weiß ſelbſt nicht was... aber fo kKonnen fle nicht bleiben; es maß was geſchehen.“

Mr Andbreae, Ihre Bewegtheit zeugt von ihrem guten Herzen;

438 fie macht Ihnen Ehre. Ich Hätte vielleicht; ſchweigen folfen von dem Allem ; aber Sie wiſſen, ich kann nichts für mich behalten.“

„Ich danke bem Himmel, daß er ung zufanunenfühtte, La⸗ eilie! Wenn ich's nur cher gewußt: hätte. Aber ich muß, ja, Lucilie, ich muß Sie wieberfehen, und recht bald ;: ih muß mit Ihnen fprechet.”

„Bielleicht möchten Sie die Damen beſuchen? Gier ift ihre Adreſſe. Wie werden fie fi freuen ! Sie ſprechen nicht von Ihnen, aber denken um fo mehr an Sie.“

„Sie irren fich, Lucilie.“

„Rein, Kerr Andreas, ich iere mich nicht.“

„Ich darf fie nicht fehen, Lucilis. Aber Sie möchte ich Sehen, fprecden : ich erwarte Sie übermorgen, horen Sie, übermorgen ; vergeffen Sie's ja niet!” 3

„Sch vergeſſe nie ein’ Renbervond, ger Auhrend.”. &

„Adien, Luctlie:!. Time jagen Sie ja nicht, baß Sir mir bes geguet find. nt ı ‘„Berlaffen Ste üb: batanf. Apten !“

Es dauert lange , lange ‚:ehe ich mich einigermaßen ı von 1 meine Schrecken erhole. ' Mein GEutſchlaß iſt ſchnell gefaßt ; ich habe beine andere Wahl. Aber Ranette wartet. Soll ich Ihr fagen, was ich zu thun gebenke? Ja, Nanette, Tara es Rur billigen ; ; auch darf ich ihr nichts verheimlihen . «

Nanette if} jetzt allein: im Zimmer. aAnf den erſten Blick merkt ſie, daß ich was auf dem Herzen habe.

‚nd fehlt Dir, Amdtead.?“ Fragt: Id auf mich zulaufend. Mile, Nunstie, nichis!9

„Andreas, Du haft ein Geheimniß vor mir; ich ſehe Dies

an den Augen an. Gewiß biſt Du Jemanden begeguet. “. „IE, Ranette, ich bin“ Lucilie begegnet.“

Und vdaher; Deite Dewegung T: Hat fie Die era von...

einer, die Du noch liebſt ?" tet

a2

„Dre wid, Nanetie. Lucilie Hat mir erzählt, daß meine Wohlthaͤterin und ihre Tochter durch das laſterhafte Leben des jungen Narquis um ihr ganzes Bermögen gebracht ſind; daß Beide das ſchoͤne Hoͤtel mit einer kleinen Wohnung im vierten Stockwerk vertauſcht haben; daß fie nichts mehr ihr eigen nemnen, als ihre Juwelen, ihren Schmuck.“

„Großer Gott!“

„Rauette, was ich habe, habe ich von Herrn Dermilly, der nicht nur mein Wohlthäter, ſondern auch der vertrantefte Freund der Bräfin war. Glaubſt Du nicht, dag wenn Herr Dermilly noch lebte, er alles Seine bingeben wärbe, um feiner geliebten Caroline im ihrer Behränguig zu helfen *“

„Gewiß, gewiß!“

„Bas er nicht meht thun fann, das muß ich thun. Wohlen, ich bin entſchloſſen, ihr mein ganzes Bermögen zu geben ; fie hat gerechte Unfprüche darauf, denn fie iſt mir eine großmüthige Wohl: thäterin geweien. Weberbied bin ich im Stande, von dem Grirage meiner Kunft zu leben, was bei ihr nit der Fall if. Meine siugige Beirhbutb if, daß ich meiner Tünftigen Lebensgefährtin hans nidhtd- weiter an zabieden habe, als nueine Haar. Wil Du wich heiraten, Manette, and ‚wenn ich arm Bin!‘

. „Bas fagt ec? Er will mich heirathen?. “ifo ich wäre es, Andreas ? Alſo liebſt Du mich?"

„Ob ich Dies liche, Rametbe!: Du hatteſt © es lange merfen tönnen.”

Ich glaubie, Du liebteſt mich Hof. als Deine Schweſter!““

„Biel mehr, Nanette! Ich liebe Dich als mein künftiges Weib, ich Hebe Dich wie nichts auf der Welt; ich kann hinfort nicht ohne Dich leben, Naneite-!”

„D Da Boſer! Uns Du fagteft nichts davon ? Aber auch ich fagte Die nichta, und boch bat mein ven nur Fir DUB ge

J Alarm, 4“

Ich nehme Manetie in meine Arme und drücke fie zärtlich an mein Herz. Sie weint, aber diesmal im Uebermaß ihrer Freude,“ und ich laſſe ſie ruhig fortweinen.

„Run, Nanette, und meine Wohlthaͤterin?“ frage ich nach einer langen Pauſe ſtummen Glückes.

„Sol Alles haben, was Dir gehört, mein Freund. Verkaufe Alles, Alles ; je ärmer Du wirft, um fo näher kommſt Du mir. Was brauchfi Du Vermögen? Du haft Talent genug ; Deine und meine Arbeiten nähren, und hinreichend, D, wie glüdlich wollen wir fein! Ja, Andreas, Du haft recht; es wäre ſchnoͤder Undank, wollteft Du fle in den Tagen des Unglüdes im Stiche laffen. Ge⸗ wind, Andreas, und thue Alles von Dir ; Du fiehft, wie wandel⸗ bar ber Reichthum ift und wie gefaͤhrlich; er Hätte beinahe ben armen Peter von Grund aus verberbt und Dich von mir entfernt. Wie will ih Dich lieben, wenn Du erft arm bift wie ich !“

Ich umarme Nanette nochmals und will Dann von ihr fcheiben, als Vater Bernhard ins Zimmer tritt. Halb lachend und Halb weinend eilt fie auf ihn zu und wirft ſich in feine Arme Der gute Wafferträger flieht fie verwundert an.

„Bater, ruft fie, „er liebt mich, mich umd Seine Andere, ich fol feine Frau werden, ex wii mich heirathen! Nicht wahr, Papachen, Du haft nichts dagegen, nichts? Sprich, Vaterchen, ſage ja!“

„Bas Teufel fehlt Die, Mädchen? Wer will Dich heirathen ?''

„Andreas, Väterchen. Wen könnte ich fonft heirathen ?“

„Ja, Bater Bernhard,‘ fage ich, „ich werbe hiemit um Ras neitene Hand. Ich gelobe Ihnen, fie Zeit meines Lebens zu lieben, fie auf ben Händen zu tragen. Aber ich muß Ihnen zugleich fagen, daß ich nicht mehr reich bin, daß dad von Herrn Dermillg ererbte Vermoͤgen in andere Hände übergegangen iſt.“

Hierauf erzähle ich dem guten Auvergnat bie Unglücksfälle ber gräflihen Familie, fo wie das, was ich zu ihrer Hülfe au

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Freunde zu beſuchen, bie es wahrhaft gut mit Dir meinen, und denen ich Dich fo dringend empfohlen habe. Kein Wunder, vaf auf ſolche Tage ſolche Nächte folgen und daß Du Dein Werl mit Prügelei beichlisßeft, die Dich beinahe um Dein Auge gebracht hätte! Beter, Beter, was ſoll ich davon benfen und fagen? Biſt Du deßhalb nad Paris gefommen? If das ver Dank für bie Lehren unferes guten Baters ?“

Peter ift wie vernichtet. Ohne ein Wort zu erwidern, ſchleicht ex fich fort. Was fange ich mit ihm an? Hat dies Leben ben guten Kern in ihm vollländig ertödtet, oder ifi ed noch Zeit zur Umkehr für ihn? Laffe ih ihn Hier, oder ſchicke ich ihn nad Savoyen zurüd ? Was wird bie gute Mutter jagen, wenn er, ber gejund an Leib und Seele ausgezogen, an Leib und Seele Tran oder gar verberbt zuruͤckkehrt?

Ich bin noch unſchlüſſig, doch fcheint mir das Beſte, ibm eine recht derbe Lektion zu geben und ihn fo fehnell ale möglich in eine andere, minder behagliche Lage zu verſetgen. -

Während ich fo nachdenke, oͤffnet fich plöglich die Thuͤre. Wer befchreibt mein Grflaunen, als ich Peter, von Kopf bis zu Fuß verändert, vor mir fehe: ex hat wieder feine ärmliche Savoyarden⸗ tracht an und dad Krakeifen auf dem Budel.

„Andreas,“ fagt er mit bewegter Stimme, „feit Du mich in bie fchönen Kleider ſteckteſt, babe ich nichts ald Dummbeiten bes gangen. Wer weiß, wohin ich Eomme, wenn dies träge, ſchwel⸗ gesifche Leben fortvauert. Ich will zu meinem Handwerk zurüd ; ich Habe mich ehrlih und reblich dabei genährt und mich wohle gefühlt als jetzt. Laß mich erfi wieder den Kamin fegen, und Du follft Eeine Urfache mehr haben, Dick Deines Bruders zu ſchaͤmen.“

Gerührt fallen wir uns in die Arme und weinen und aus. Schon will ih ihn einladen, bei mir zu bleiben; doch nein, ich fühle, daß Peter nirgends ſchneller und gründlicher gefunden kaun,

Bald habe ich ein pafſendes Logis in der Mühe vom Bater Bernhard gefunden. Daun kehre ich nad Haus zuruͤck, verkaufe alles überflüffige Mobiliar, verabſchiede Madame Roch und zahle ihr den Lohn für das verflofiene Quartal uud Das nächkte obendrein.

Hierüber vergeht der Tag. Ehe ich am andern Morgen zum Notar gehe bei den Herren Rechtskundigen kommt man lieber etwas fpäter als früher begebe ich mich zu Nanette, der ich nicht früh genug kommen kann.

Wie freut fie fih, als fie Hört, daß ich in ihre Nähe ziehe! Seit geflern, feit ver Gewißheit ihres Glückes if fle wie neuge: boren. Augen, Stimme, bie geringfte ihrer Bewegungen, Alles an ihr athmet die Liebe, den hoͤchſten und fchönften Reiz ihres Daſeins.

Endlich Schlägt die mil dem Notar verabredete Stunde. Er legt mir taufend und aber taufend Papiere zur linterfchrift vor. Ich unterzeichne Alles, was ex verlangt, obgleich ex mich bei jenem Aktenſtück auffordert, wohl zu überlegen, was ich thue. Endlich hänbigt ex mir ein Bortefeuille mit fünfundachtzigtaufenp Franken ein. Das ift Alles, was mir nach Peters okonomiſchem Haus: halte von der Erbſchaft Herrn Dermilly’snoch übrig bleibt, Ich ſtecke das Portefeuille mit verfelben Freude ein, als hätte ich einen goldenen Einkauf gemacht. Der bebächtige Geſchaͤftomann muß mich für einen Narren oder für einen Bruder Lieverlich halten ; aber was liegt mir an der Meinung dieſes Herm! Mein Gewiffen iſt sein und das iſt die Hauptſache.

Gine Biertelftunde vor der beflimmien Zeit findet ſich Lucilie bei mir ein.

„Bas gibt es Neues Bei der Frau Gräftn I rufe ich ihr zu.

„Nichts. Der Marquis läßt noch immer nichts von ſich hören. Meine junge Herrin, um ihre Mutter beforgt, bat mich beauf⸗ tragt, ihr Arbeit zu fuchen; Madame that daſſelbe. Wüßten Sie nur, Herr Andreas, wie mir Das zu Herzen geht!”

„Iröften Ae ſich, Lueilie; dies Bortefeuille wirb hoffentlich anf lange ihrer Noth abhelfen. Rur ſchworen Gie mir, daß Sie

genan than wollen, was id; Ihnen age.“

J ich ſchwoͤre es. Sie wiſſen, daß ich immer gethan habe, was Sie wollten.“

„Sie geben alfo dies Bortefeuille der Frau Gräfln und fagen ıhr, daß ed von einem Unbekannten gebracht wurbe, der feinen Namen nicht genannt habe.“

„Und weiter ?“

„Weiter nichts.”

„und ich ſoll nichts von Ihnen fagen ?“

„Ken Bort, hüten Sie fi!”

„D ich erratbe Sie, guter Andreas. Gewiß ift Geld in dem Portefenille, viel Geld vielleicht, denn Sie find zu Allem fähig, um meiner Herrin zu helfen.“

„Nein, Lucilie! Mir bleibt noch mehr ald genug übrig.“

„Und ich foll nichts von Ihnen- jagen ?“

„Keine Silbe! Wenn Sie mein Geheimniß verrathen, ſpreche ich nie mehr ein Wort mit Ihnen. Merken Sie ſich's.“

„Ich gehorche, Herr Audreas. O, wäre boch Bräulein Adol⸗ phiue Ihre Fran geworden, wie glücklich Tönnte fie jept fein! Jeden Morgen Idmmi.fle mit verweinten Augen ind Zimmer. Ihrer Butter fagt fie, das fei ein Augenleiden, aber ich, ich weiß die Urſache.“

„Lucilie, forgen Sie beftens für bie beiven Damen und geben Sie mir von Zeit zu Zeit Nachrichten über die Frau Gräfin. Hier iſt meine Adreſſe. Sept Adieu! Eilen Sie und bringen Sie es gleich den Damen.“

„Erſt einen Kuß zum Abſchied, Here Andreas!“

Ich Eüffe Lucilie, dann entfernt fie ſich mit dem Bortefeuille. Ich fühle mid glüdlicher und zufriedener ald je zuvor. In ge radem Gegenſatz gegen fo Viele gewann ich um fo mehr an Heiter⸗ ih an Schägen einbüßte.

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Bweiunddreißigfies Kapilel. Zurüſtungen zur Hochzeit, Legter Streich Roffignofs.

Ih wohne jegt in meinem Fleinen Logis ungleich zufriedener als in ver alten, größeren und fchöneren Wohnung. Der Gedanke, dem Mangel meiner Wuhlthäterin abgeholfen zu haben, verwandelt“ die mir freiwillig auferlegten Entbehrungen in Genüfle für mic.

Mit verboppeltem Eifer arbeite ich an den angefangenen beiden Gemälden, Der Erlös aus denfelben fol die Koßen der Hochzeit and der Mitgift beftreiten. Letztere wird zwar nicht ſehr glänzend ausfallen, aber was ſchadet das? Nanette wünfcht ſich Teine Dia- manten, Caſchemirſhawls und Spigen. Mir gefällt fie befjer ohne diefelben , ald mit ihnen.

Es dauert nicht Tange, fo kommt Lucilie wieder. Als fie mich fieht, fällt fie mir weinend um ben Hals und ergießt ſich in Lob: ſprüche, die mir gewaltig übertrieben fcheinen, weil das Opfer mich wenig Ueberwindung gefoftel hat. Die Fran Gräfin, fo er: zählt fie, habe alles Mögliche verjucht, ihr das Geheimniß zu ent- locken, während fie ſtandhaft behauptet hätte, ven Geber nicht zu fennen. Die Damen vermuthen, das Geld fomme vom Marquid. Um fo befler! das muß Adolphine mit ihrem Gemahl ausfühnen. Es if gar traurig, dem nicht achten zu dürfen, deſſen Namen man trägt! Inzwiſchen ift Bräulein Adolphine, wie Lucilie verfichert, aoch eben ſo traurig wie zuvor. Wenigftend leiden fie jept. keinen Mangel und brauchen nicht mehr daran zu benfen, um bes Geldes wegen zu arbeiten. Beim Abſchied muß Lucilie nochmals ſchwoͤren, ihr und mein Geheimniß für fich zu behalten, obgleich es fie ärgert, daß die Damen den Marquis in fo gutem Verdacht haben.

Auch Peter ift mit dem von mir gethanen Schritte zufrieden, Er verfüchert, daß er jetzt lieber arbeite ald je, und daß er ben mir verurfachten Schaden erjepen wolle. Seitvem er wieder zum Schubs

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eifen gegriffen Hat, ift feine alte Heiterkeit, fo wie auch fein blüs bendes Ausſehen zurüdgefehrt. Rur auf dem linken Auge trägt er noch die Spuren jener nächtlichen Prügelei. So oft fie ihn in die Kneipen nehmen wollen, zeigt er auf fein Auge und betheuert, daß er and einem Weintrinker ein Waflertrinfer geworben fei.

Allabendlich bin ich bei Nanetten und ſchmiede mit ihr aller: band Pläne für die Zukunft. Mit jevem Tage entdecke ich an dem Mäpchen neue Tugenden. Keine Spur von Ehrgeiz ober Eitelkeit! Ihr einziger und hoͤchſter Wunſch if, mit mir zu leben und zu fterben. Bater Bernhard altert bebentend und Hat fich von feinen Geſchaͤften zurückgezogen. Wir nehmen ihn mit nach Savoyen ; dort fol es ihm wohl gefallen bei meiner guten Mutter in ihrem hübfchen Häuschen. Wie freue ich mich auf die fehönen Zeiten. Die Hoffnung bes Glückes ift ſchon das Glück felbft; oft ifl die Vorfreude mehr werth als die Freude felbft. Jeden Abend fragt Nanette, ob ich bald fertig fei mit meinen Gemälden.

Endlich, nach fechd Wochen, lege ich die letzte Hand daran. Wenn ich nur erſt einen Käufer gefunden hätte! Früher war mir das ein Leichtes; fo lange ich dem Glüde im Schooße faß, fuchte man eine Chre darin, mir Aufträge geben zu können; jept iR das anders, weil ich die Dummheit begangen habe, merken zu laflen, daß ich nicht mehr veich bin und daher um bed Broderwerbes wegen malen muß. Ich hätte die Leute ruhig bei ihrem früheren Glauben laffen follen, daß ich nur aus Luft und Liebe zum Fache arbeite, Ich wette, ich hätte laͤngſt ſchon Liebhaber gefunden. ber erft der Schaden macht uns Flug!

Oft Tegt fi meine Stirne unwillfürlich in Runzeln. Sobalb Nanette das fieht, ift fie gleich mit ihrem Troſt bei ver Hand.

„Barum fo befümmert ?“ fpricht fie. „Was brauchen wir Gelb, Breund? Wir gehen zu Deiner Mutter; Du malft und ich nähe und ſtricke oder arbeite fonft was, Wer mit fo Wenigem zufrieden if, der muß glädlich werben !*

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„Ja, liebes Mädchen, ich fühle das mit Dir; aber Dich fo auf gut Glück heirathen , ohne ſicheres Brod und ohne Dir das Näthinfte reichen zu koͤnnen: nein! dad geht nicht und doch verlangt mich von ganzer Seele nach der Heirath mit Dir.“

„Bann macht Ihr denn endlich Anftalten zur Hochzeit?" fragt Bater Bernhard täglich. -

„Sobald e8 dem Herrn beliebt," antwortet Nanette mit einem Blick auf mich, der mich ind Herz trifft.

„Hoffentlich recht bald,” fottere ich verlegen. „Ich muß erſt fertig fein mit... .“

„So mad’ fchnell,“ entgegnet Vater Bernhard; „ich werde alt, Kinder, und ich möchte gerne auf Eurer Hochzeit noch einmal tanzen.”

Eines Tages fige ich migmuthig auf meinem Zimmer und denke, wie ich meine Gemälde an ven Mann bringe, ald plöglich die Thüre fih inet und Peter Hereintritt, wie mir fcheint, äußerfl verlegen.

„Was willſt Du?“ frage ich ihn, der ſtumm vor mir flehen bleibt.

„Haft Du Deine Gemälde verkauft, Bruder ?“

„Leider noch nicht.”

„Und Du heiratheft nicht, weil Du fein Geld Haft?"

„Sa, Beter. Ich weiß zwar, das ift Fein Hinderniß für Na- netten ; aber ich möchte nicht... . kurz, Bruder, ich heirathe fie, das ift gewiß; alfo tröfte Dich!“

„Wirſt Du mir böfe, Bruder... ."

„Sprich, Beter.”

„Bann ih... aber ih mag's nicht fagen.”

„Nur heraus mit der Sprache.“

„So höre denn: Du weißt die dummen Streiche, die ich mit dem Schuft von Roffignol machte. Wenn Du jetzt die Hälfte Hätteft von dem burchgebrachten Gelde, nicht wahr ?“

„Laſſen wir das, Peter, gefchehen ift gefchehen. Nur laß Die

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jene Zeit zur Warnung bienen umb häte Dich vor ſolcher Geſell⸗ ſchafi.

„Gewiß, Bruder; der Roſſignol wollte einmal wieder anfangen mit mir, aber ich hab’ ihm mit dem Stod ven Weg gewieſen, und die Luft zum Geſpräch verging ihm augenblicklich. Seit ich von Neuem arbeite, habe ich mir Etwas erfpart als Schabenerfag für Di.“

„Wie kannſt Du fo reden, Bruder ? Mein Bermögen war auch Deines, Ueberdies hatte ich Dich zum unumfchränften Herm deſ⸗ felben eingeſetzt.“

„Abgefehen vom Gelde... aber die Mobilien... die Pendel⸗ uhren ... die Waͤſche ... die Kleider! ... Seitvem hab’ ich eine Kleinigkeit zufammen gefpart; nimm fie von mir an: es find achtzig Franken in biefem Sad; fle gehören Dir, Andreas. Hei- rathe damit, wenn Du kannſt.“

Mit den Worten hat er einen Sad aus der Tafche gezogen und hält ihn mit zitternder Hand mir hin. Du guter, lieber Beter! Ich drüde ihn zärtlich an mein Herz, weigere mich aber entfchieben, das Geld anzunehmen.

„Ich bitte Di, Andreas, nimm ed von mir an, ober ich muß glauben, daß Du mir noch böfe biſt.“

Peter dringt fo Tange in mich, bis ich mich endlich zur An- nahme bereit erfläre. Während dieſes brüderlichen Zwiftes öffnet ſich die Thüre und herein tritt ein Mann von rveiferem Alter, ein: fach, aber anſtaͤndig gekleidet.

Schon bei den erften Worten weiß ih, was er will, und das Herz hüpft mir im Leibe. Er hat gehört, daß ich zwei Genre: gemälde zum Verkauf habe und wünfcht fie zu fehen. Sch führe ihn in mein Atelier und zeige fie ihm.

Der Unbekannte betrachtet fie lange; dann läßt ex einige Worte fallen , woran ich merke, daß ich e8 mit einem geubten Kunſtkenner au thun habe. Aber man denle ſich meinen Schrecken, als ex mic

"488 auf mehrere weientliche Mängel in Compoſition und Ausführung aufmerkſam macht, worin ich ihm Recht geben muß. DO, in dem Augenblide Hätte ich dieſe mühjamen Werke meiner Hand zu Staub und Afche verbrennen mögen !

Aber wer ſchildert mein freubiges Erflaunen, ald er mit ben Worten fließt: „Trotz der Mängel will ich Ihre Gemälde kaufen. SR Ihnen ein Kaufpreis von zwölfhundert Franken für beide genehm 7?

Dabei zählt er mir diefe Summe auf ven Tifch Hin. Ich, früher im Befig von ſechstauſend Livres Jahresrenten, gerathe bei dem Anblick dieſer zwölfhundert Franken in ſolche Extafe, daß ich lange eine Worte finden kann. Da fieht man, daß ein einziger, im Schweiß des Antliges erworbener Thaler glüclicher macht, ale alle Schäge, weldhe die Blinde Goͤttin und auf den Weg ſtreut.

„Hier ift meine Adreffe: Sie werben die Gemälde mir zu: ſchicken.“ Dann entfernt er ſich; ich will ihm an bie Treppe das Seleit geben, aber er leidet es nicht. Auf der Karte Iefe ich den Namen eined Mannes, der mir als reicher und gebiegener Kunft: kenner gepriefen war. Obgleich er über Millionen zu gebieten hat, it er einfach zu Zuß gekommen. Zugleich hat er mir einige bes deutfame Winfe gegeben mit jener Höflichkeit, welche die ſtrengſte Kritik zu verfüßen weiß. Es ift überaus wohltuend, die Gaben bes Glückes mitunter an den rechten Mann gebracht zu ſehen!

Kaum iſt der Herr fort, fo geben wir und die Hand und fanzen um den Tifch mit ben zwoͤlfhundert Franken ſo ausgelaſſen herum wie Kinder.

„Jetzt hoffe ich, ſchiebſt Du Dein Saäckchen in die Taſche,“ ſage ich zu Peter.

„Mit nichten, Andreas; ed gehört Dir.‘

„Beter, Du ſollſt es Dir aufheben.‘

„Bas foll ich damit machen? Die gute Mutter braucht es, Gottlob! nicht, font würde ich es ihr ſchicken.

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„Sib es mir fpäter, wenn ich es nöthig Habe.“

„Es ſei!“

„Und glaubſt Du, ih wolle Dich Hier auf der Straße her: umlaufen laffen ? Gleich nach der Huchzeit reifen wirab, Du mit und. Das Haus der Mutter ifi groß genug für ung Alle. Seht, da meinem Talente die Bahn gebrochen ift, Bleibt mir nichts zu wünfchen übrig. Geſchwind zu Nanette! Inzwifchen bringe da beibe Gemälde zum Herrn ..., bann treffen wir ung bei Bernhard.”

Mit meinem Schape in der Tafche eile ich zu Nanette,

Schon von Weiten liest fie die frohe Nachricht in meinen Augen ; ich ſchütte ihr mit triumphirender Miene die zwölfhundert Franken in den Schouß und fage: „Siehe pa die Frucht meines Zalented und Fleißes. D, Nanette, wie dankte ich meinen Wohl: thätern für dad Geſchenk einer guten Erziehung : das ift ein Gut, Dad und Niemand rauben Tann, und das uns niemals im Stiche läßt. Ich weiß, die gute Mutter hätte mich auch fo aufgenommen; aber wie ungleich fröhlicher kann ich jept vor fie hintreten. Gib Acht, mit welchem Eifer ich von heute an meine fchöne Kuufl pflegen will; Deine Nähe foll die herrlichfte Belohnung meiner Arbeit fein.‘

Bergebens ſchildere ich Nanettens Entzücken; auch Bater Bernhard geräth außer fidh. -

„Ich will Ihr Sohn fein,‘ rufe ich und flürze in feine Arme. „Den Herzen nach war ich's laͤngſt . .. aber bald... bald!“

„Ja, Bater, ja, wir find am Ziele: Andreas Hat feine Ges maͤlde verkauft.‘

Der gute Auvergnat fieht bald mich, bald Nanstte an. Wir laſſen ihm eine Zeit, zu antworten, denn fchon haben wir bie Köpfe voll von taufend Plänen; ich will die verlorene Zeit je eher je lieber einholen. Morgen, heute Abend noch möchte ich Naneite Heiraten; aber es find noch manche Foͤrmlichkeiten zu erfüllen. Zu meinem, Glücke habe ich. mir ſchon lange vorher die

43

aöthigen Bapiere aus Savoyen Tommen Iaffen ; gleich morgen will ich Alles in Bewegung feßen, daß wir fo bald als möglich in ven erfehnten Hafen einlaufen.

Nanette weiß nicht, wo ihr der Kopf fleht; alle Augenblide umarmt fie ihren Vater; es fcheint, als ob man immer ſchüchterner wird, je näher man dem Gipfel des Glückes kommt. Aber wenn ihre Käffe einem Andern gehören, jo gehören ihre Blicke gewiß ganz mein, und ich verfiche Alles, was fie mir jagen. Peter nimmt von ganzem Herzen Theil an meinem Glücke. Unfere Abreife nach Savoyen iſt auf den zweiten Tag nach unferer Hochzeit feftgefekt. So bleibt denn Nanette die beiden erften Tage ihres Cheſtandes in meiner Fleinn Wohnung, die immerhin groß genug if für uns Beide.

Naum ift in der Heinften Hütte Für ein glüdlich liebend Paar.

Leider müffen wir noch zehn Tage warten, bis alle Foͤrmlich⸗ keiten in Richtigkeit gebracht find. DO, die zehn Tage werben mir eine Ewigkeit bünfen ; je näher man feinem Ziele fommt, um ſo fehneller möchte man's erreichen, aber getroft, es gibt noch aller- band Einfänfe zu machen, das wird mir die Zeit verkürzen! Etwas foll Nanette zur Nitgift haben, wenn auch nur wenig: hoͤchſtens fünfhundert Franken darf ich darauf wenden; ber Reſt bleibt für die Hochzeit und die Reife. Bin ich erft bei der Mutter, dann Brauche ich nichtö ; mein Binfel wird mich und die Meinen mehr ale bloß nothdürftig naͤhren. Lebt ſich's doch in Verin wohlfeiler als in Paris, und große Anſprüche machen wir nicht !

Hentzirtage koſtet das kleinſte Körbchen für die Mitgift ſchon an die fünfhundert Franken; aber ich bedanke mich fchönftens, ein Nachäffer ber Großen zu fein. Auch Habe ich Feine Diamanten, keine Taſchemirfhawls, Feine Spipen Ranetten anzubieten: ein flods ſeidenes Tuch, ein einfaches Tuch, ein ſeidenes Klein, einige Mode: waaren, ein Schleier, ein Paar Ohrringe und einige Fingerringe,

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„Teöften Sie ſich, Encilie ; dies Portefeuille wird hoffentlich auf lange ihrer Roth abhelfen. Nur ſchwoͤren Sie mir, daß Sie genau than wollen, was ich Ihnen fage.“

„Ja, ich ſchwoͤre es. Sie willen, daß ich immer getlyan habe, was Sie wollten.”

„Sie geben alfo dies Bortefeuille der Frau Sräfln und fagen ihr, daß es von einem Unbelannten gebracht wurde, ber feinen Namen nicht genannt habe,”

„Und weiter 8“

„Weiter nichts.“

„Und ich foll nichts von Ihnen fagen ?“

„Ken Wort, hüten Sie ſich!“

„D ich errathe Sie, guter Andreas. Gewiß ift Geld in dem Portefenille, viel Geld vielleicht, denn Sie find zu Allem fähig, um meiner Serrin zu helfen.“

„Rein, Lucilie! Mir bleibt noch mehr ald genug übrig.“

„Und ich foll nichts von Ihnen jagen ?“

„Keine Silbe! Wenn Sie mein Geheimniß verrathen, ſpreche ich nie mehr ein Wort mit Ihnen. Merken Sie ſich's.“

„Ich gehorche, Here Audreas. O, wäre doch Fräulein Adol⸗ phine Ihre Fran geworben, wie glädlid, Eönnte fie jest fein! Jeden Morgen koͤmmt ſte mit verweinten Augen ins Zimmer. Ihrer Mutter fagt ſie, das fei ein Augenleiden, aber ich, ich weiß bie Urſache.“

„Lucilie, forgen Sie beftens für bie beiden Damen und geben Sie mir von Zeit zu Zeit Nachrichten über die Frau Gräftn. Hier it meine Adreſſe. Sept Adieu! Eilen Sie und bringen Sie es gleich den Damen.“

„Erf einen Kuß zum Abfchien, Herr Andreas!“

Ich küffe Luchlie, dann entfernt fie ſich mit dem Bortefeuille. Ich fühle mich glüdlicher und zufriedener als je zuvor. Im ge radem Gegenſatz gegen fo Biele geivann ich um fo mehr an Heiter⸗ keit, als ich an Schaͤtzen einbüßte.

ar)

Bweiunddreißigfies Rapitel. Zuräfungen zur Hochzeit. Letzter Streich Roffignofs.

Ich wohne jetzt in meinem kleinen Logis ungleich zufriedener als in ver alten, größeren und fchöneren Wohnung. Der Gedanke, dem Mangel meiner Wohlthäterin abgeholfen zu haben, verwandelt” die mir freiwillig auferlegten Entbehrungen in Genüſſe für mid.

Mit verboppeltem Eifer arbeite ich an den angefangenen beiden Gemälden, Der Erlös aus denfelben foll die Kofen der Hochzeit und ber Mitgift beftreiten. Lebtere wird zwar nicht jehr glänzend ausfallen, aber was ſchadet das? Manette wünfcht fich feine Dia- manten, Caſchemirſhawls und Spigen. Mir gefällt fie befjer ohne diefelben , als mit ihnen.

88 dauert nicht lange, fo kommt Lucilie wieder. Als fie mic fieht, fällt fie mir weinend um den Hals und ergießt ſich in Lob: ſprüche, die mir gewaltig übertrieben fcheinen, weil das Opfer mid; wenig Ueberwindung gefoftet hat. Die Frau Gräfin, fo er- zählt fie, habe alles Mögliche verfucht, ihr das Geheimniß zu ent- Iodden, während fie ſtandhaft behauptet hätte, den Geber nicht zu Iennen. Die Damen vermuthen, das Gelb fomme vom Marquis, um fo befler! das muß Adolphine mit ihrem Gemahl ausfühnen, Es if gar traurig, den nicht achten zu dürfen, deffen Namen man trägt! Inzwiſchen ift Sräulein Adolphine, wie Lucilie verfichert, aoch eben ſo traurig wie zuvor. Wenigſtens leiden fie jetzt keinen Mangel und brauchen nicht mehr daran zu benfen, um bed Geldes wegen zu arbeiten. Beim Abſchied muß Lucilie nochmals ſchwoͤren, ihr und mein Geheimuiß für fich zu behalten, obgleich es fie ärgert, daß die Damen den Marquis in fo gutem Verdacht haben.

Auch Beter ift mit dem von mir gethanen Schritte zufrieden, Er verfüchert, daß er feht lieber arbeite ald je, und daß er den mir verurfachten Schaden erfegen wolle. Seitvem er wieber zum Schab⸗

Paul de Rod. U. 28

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eifen gegriffen hat, ift feine alte Heiterkeit, fo wie auch fein blü⸗ hendes Ausſehen zurüdgefehrt. Nur auf dem finfen Auge trägt er noch die Spuren jener nächtlichen Prügelei. So oft fie ihn in bie Kneipen nehmen wollen, zeigt er auf fein Auge und betheuert, daß er and einem Weintrinfer ein Waffertrinfer geworben fei.

Allabenvlich bin ich bei Nanetten und fchmiede mit ihr aller hand Pläne für die Zukunft. Mit jedem Tage entdecke ich an dem Mädchen neue Tugenden. Keine Spur von Ehrgeiz ober Eitelkeit! Ihr einziger und Höchfter Wunſch ift, mit mir zu leben und zu ſterben. Bater Bernhard altert bedeutend und hat ſich von feinen Geſchaͤften zurücgezogen. Wir nehmen ihn mit nach Savoyen ; bort foll e8 ihm wohl gefallen bei meiner guten Mutter in ihrem hübfchen Häuschen. Wie freue ich mich auf die fchönen Zeiten. Die Hoffnung des Glückes ift ſchon das Glück felbft; oft ift die Vorfreude mehr werth als die Freude felbft. Jeden Abend fragt Ranette, ob ich bald fertig fe mit meinen Gemälven.

Endlich, nad ſechs Wochen, lege ich die letzte Hand daran. Wenn ih nur erft einen Känfer gefunden hätte! Früher war mir das ein Leichtes; fo lange ich dem Glüde im Schooße ſaß, fuchte man eine Shre darin, mir Aufträge geben zu Tönnen; jeßt ift bad anders, weil ich die Dummheit begangen habe, merken zu laffen, daß ich nicht mehr reich bin und daher um bed Broberwerbes wegen malen muß. Ich Hätte die Leute ruhig bei ihrem früheren Glauben laffen follen, daß ich nur aus Luft und Liebe zum Fache arbeite, Sch wette, ich hätte laͤngſt ſchon Liebhaber gefunden. Aber erft der Schaden macht uns Flug!

Dft legt fich meine Stine unwillfürlich in Runzeln. Sobalo Nametie das fieht, ift fie gleich mit ihrem Troft bei der Hand.

„Barum fo bekümmert %“ fpricht fie. „Was brauchen wir Gelb, Breund? Wir gehen zu Deiner Mutter; Du malt und ich nähe und ſtricke oder arbeite fonft was. Wer mit fo Wenigem zufrieden iſt, der muß glücklich werden!“

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„Sa, liebes Maͤdchen, ich fühle das mit Dir ; aber Dich fo auf gut Glück heirathen , ohne fichered Brod und ohne Dir das Nöthigfte reichen zu Tönnen: nein! das geht nicht und Doch verlangt mid) von ganzer Seele nach der Heirath mit Dir.”

„Bann macht Ihr denn endlich Anftalten zur Hochzeit?“ fragt Bater Bernhard täglich. -

„Sobald e8 dem Herrn beliebt,” antwortet Nanette mit einem Slick auf mi, der mich ind Herz trifft.

„Hoffentlich recht Bald,“ ſtottere ich verlegen. „Ich muß erft fertig fein mit.. .*

„Se mad’ ſchnell,“ entgegnet Vater Bernhard ; „ich werbe alt, Kinder, und ich möchte gerne auf Eurer Hochzeit noch einmal tanzen.“

Eines Tages fige ich migmuthig auf meinem Zimmer und denke, wie ich meine Gemälde an den Dann bringe, ald plöglich die Thüre fich ofnet und Peter hereintritt, wie mir fcheint, äußerſt verlegen.

„Bas wilft Du?” frage ich ihn, der ſtumm vor mir fliehen bleibt.

„Haft Du Deine Gemälde verkauft, Bruber ?“

„Leider noch nicht.“

„Und Du heiratheft nicht, weil Du fein Gelb Haft?"

„a, Peter. Ich weiß zwar, das ift Fein Hinderniß für Na- netten ; aber ich möchte nicht... kurz, Bruder, ich heirathe fie, das ift gewiß ; alfo troͤſte Dich !“

„Wirft Du mir boͤſe, Bruder... .”

„Sprich, Beter.“

„Bann ih... aber ich mag's nicht Jagen.”

„Nur heraus mit der Sprache.”

„So höre denn: Du weißt die dummen Streiche, die ich mit dem Schuft von Roffignol machte. Wenn Du jegt die Hälfte haͤtteſt von dem burchgebrachten Gelbe, nicht wahr ?“

„gaflen wir das, Peter, gefchehen ift gefchehen. Nur laß Die

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jene Zeit zur Barnung dienen und Hüte Dich vor folcher Geſell⸗ ſchaft.

„Gewiß, Bruder; der Roffignol wollte einmal wieder anfangen mit mir, aber ich hab’ ihm mit dem Stod ven Weg gewieſen, und die Luft zum Befpräd verging ihm augenblidlih. Seit ic von Neuem arbeite, habe ich mir Etwas erſpart als Schabenerfak für Di.“

„Wie kannt Du fo reden, Bruder ? Mein Vermögen war au Deined. Uebervied hatte ich Dich zum unumfchränften Herm bei: felben eingeſetzt.“

„Abgeſehen vom Gelbe... aber die Mobilien... die Pendel⸗ uhren ... die Waͤſche ... die Kleider! ... Seitdem hab’ ich eine Kleinigkeit zufammen gefpart; nimm fie von mir an: es find achtzig Frauken in biefem Sad; file gehören Dir, Andreas. Hei⸗ sathe damit, wenn Du Tannfl.”

Mit den Worten Hat er einen Sad aus der Tafche gezogen und hält ihn mit zitternder Hand mir hin. Du guter, Lieber Peter! Ih drüde ihn zärtlich an mein Herz, weigere mich aber entjchieben, das Geld anzunehmen.

„IH bitte Dich, Andreas, nimm ed von mir an, ober id muß glauben, daß Du mir noch boͤſe biſt.“

Peter dringt fo Tange in mich, bie ich mich endlich zur An: nahme bereit erkläre. Während dieſes brüderlichen Zwiftes öffnet fih die Thüre und herein tritt ein Mann von reiferem Alter, ein: fa, aber anſtändig gekleidet.

Schon bei den erften Worten weiß ich, was er will, und das Herz hüpft mir im Leibe, Gr hat gehört, daß ich zwei Genre: gemälde zum Verkauf habe und wünfcht fie zu fehen. Sch führe in in mein Atelier und zeige fie ihm.

Der Unbekannte betrachtet fie lange; dann läßt er einige Worte fallen, woran ich merke, daß ich es mit einem geübten Kunſtkenner au thun habe. Aber man benfe fi meinen Schrecken, als ex mich

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auf mehrere weſentliche Mängel in Kompofltion und Ausführung aufmerffam macht, worin ich ihm Recht geben muß. O, in dem Augenblide hätte ich diefe mühfamen Werke meiner Hand zu Staub und Aſche verbrennen mögen !

Aber wer fchildert mein freudiges Erflaunen, ald er mit den Worten fließt: „Trotz der Mängel will ich Ihre Gemälde kaufen. SR Ihnen ein Kaufpreis von zwölfhundert Franken für beide genehm ?

Dabei zählt er mir diefe Summe auf den Tifch hin. Sch, fräßer im Beſitz von ſechstauſend Livres Jahresrenten, gerathe bei bem Anblid dieſer zwoͤlfhundert Franken in folche Extafe, daß ich lange feine Worte finden Tann. Da flieht man, daß ein einziger, im Schweiß des Antlipes erworbener Thaler glüdlicher macht, ale alle Schäge, welche die blinde Göttin und auf den Weg ftreut.

„Hier ift meine Adreffe: Sie werben die Gemälde mir zn: ſchicken.“ Dann entfernt er ſich; ich will ihm an die Treppe das Geleit geben, aber er leidet es nicht. Auf der Karte leſe ich den Kamen eined Mannes, der mir ald reicher und gediegener Kunſt⸗ kenner gepriefen war. Obgleich er über Millionen zu gebieten hat, iſt er einfach zu Fuß gekommen. Zugleich hat er mir einige be: deutfame Winke gegeben mit jener Höflichkeit, welche die firengfte Kritik zu verfüßen weiß. Es ift überaus wohlthuend, die Gaben des Glückes mitunter an ben rechten Dann gebracht zu jehen!

Kaum ift der Herr fort, fo geben wir und die Hand und tanzen um ben Tifch mit den zwölfhunbert Franken ſo ausgelaſſen herum wie Kinder.

„Jetzt hoffe ich, ſchiebſt Du Dein Sackchen in die Taſche,“ fage ih zu Beter.

„Mit nichten, Andreas; ed gehört Dir.‘

„Beter, Du ſollſt e8 Dir aufheben.‘

„Bad fol ih damit machen? Die gute Mutter braucht es, @ettloh ! nicht, font würde ich ed ihr ſchicken.

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„ib ed mir fpäter, wenn ich es noͤthig habe.“

„Es ſei!“

„Und glaubſt Du, ich wolle Dich hier auf der Straße her⸗ umlaufen laſſen? Gleich nach der Hochzeit reiſen wir ab, Du mit und. Das Haus der Mutter iſt groß genug für und Alle. Sept, da meinem Talente die Bahn gebrochen ift, bleibt wir nichts zu wünfchen übrig. Geſchwind zu Nanette! Inzwiſchen bringe da beibe Gemälde zum Herrn ..., bann treffen wir und bei Bernhard.“

Mit meinem Schazte in der Taſche eile ih zu Nanette.

Schon von Weiten liest fie die frohe Nachricht in meinen Augen ; ich fehütte ihr mit triumphirender Miene die zwölfhundert Franken in den Schooß und fage: „Siehe da die Frucht meines Zalented und Fleißes. DO, Nanette, wie danke ich meinen Wohl: thätern für das Geſchenk einer guten Erziehung : das ifl ein Gut, das und Niemand rauben kann, und das uns niemals im Stidhe läßt. Ich weiß, die gute Mutter hätte mich auch fo aufgenommen; aber wie ungleich fröhlicher kann ich jeßt vor fie hintreten. Gib Acht, mit welchem Eifer ich von Heute an meine fchöne Kunſt pflegen will; Deine Nähe foll vie herrlichſte Belohnung meiner Arbeit fein.‘

Bergebens ſchildere ih Nanettens Entzücken; auch Bater Bernhard geräth außer fich.

„SH will Ihr Sohn fein,‘ rufe ich und flürze in feine Arme. „Dem Herzen nach war ich's Längft... aber bald... bald!“

„Sa, Bater, ja, wir find am Ziele: Andreas Bat feine Bes mälde verkauft.‘

Der gute Auvergnat flieht bald mich, bald Nanette an. Wir laffen ihm Feine Zeit, zu antworten, denn ſchon haben wir bie Köpfe voll von taufend Plänen; ich will die verlorene Zeit je eher je lieber einholen. Morgen, heute Abend noch möchte ich Nanette heirathen; aber es find noch manche Formlichkeiten zu erfüllen. Zu meinem, Glücke habe ich, mir ſchon lange vorher die

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nöthigen Bapiere aus Savoyen Tommen Iaffen ; gleich morgen will ich Alles in Bewegung feben, daß wir fo bald als möglich in den erfehnten Hafen einlanfen.

Ranette weiß nicht, wo ihr der Kopf fteht; alle Augenblide umarımt fie ihren Bater; es fcheint, als ob man immer fchüchterner wird, je näher man dem Gipfel des Glückes Eommt. Aber wenn ihre Küffe einem Andern gehören, jo gehören ihre Blicke gewiß ganz mein, und ich verfiche Alles, was fie mir fagen. Peter nimmt von ganzem Herzen Theil an meinem Glücke. Unfere Abreife nach Savoyen ift auf den zweiten Tag nach unferer Hochzeit feftgefekt. So bleibt denn Nanette die beiden erften Tage ihres Cheſtandes in meiner Fleinen Wohnung, die immerhin groß genug ift für und Beide.

Raum ift in der Meinften Hütte Für ein glücklich liebend Baar.

Leider müffen wir noch zehn Tage warten, bis alle Foͤrmlich⸗ Zeiten in Nichtigkeit gebracht find. D, die zehn Tage werben mir eine Ewigfeit dunken; je näher man feinem Ziele fommt, um fo ſchneller möchte man’3 erreichen; aber getroft, e& gibt noch aller- band Einfänfe zu machen, das wird mir die Zeit verfürzen! Etwas ſoll Nanette zur Mitgift haben, wenn auch nur wenig: höchftens fünfhundert Franken darf ich darauf wenden; der Reſt bleibt für die Hochzeit und die Reife. Bin ich erſt bei der Mutter, dann Brauche ich nichts ; mein Pinfel wird mich und die Meinen mehr als bloß nothduͤrftig nähren. Lebt ſich's doch in Verin wohlfeiler als in Paris, und große Anfprüäche machen wir nicht!

Heutzutage koſtet das kleinſte Koͤrbchen für bie Mitgift ſchon an die fünfhundert Franken; aber ich bedankte mich ſchoͤnſtens, ein Nachäffer der Soßen zu fein. Auch Habe ich Feine Diamanten, keine CTaſchemirfhawls, Feine Spitzen Nanetten anzubieten: ein ſlock⸗ ſeidenes Tuch, ein einfaches Tuch, ein ſeidenes Kleid, einige Mode⸗ waaren, ein Schleier, ein Paar Ohrringe und einige Fingerringe,

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dad IR fo ziemlich Ales, was Nanette von mir belommt, und doch freut fih Nanette über diefe Kleinigkeit, ale wäre fie Mil: lionen wert.

Sie kramt Stück für Städ ans, bewundert die Herrlidhleiten und zeigt fie dann ihrem Bater, ver gleichfalls in die Bewunde⸗ rung einflimmen muß, obgleich er nichts davon verſteht. Bei jerer neuen Sache fieht fie mich an und bradt mir die Hand, als wolle fie fagen: nicht über die Gefchenfe freue ih mich, ſondern über De Hand, die fle mir gibt.

Unter den Fingerringen befindet fh einer, worauf aus meinem Haare das Wort Treue geflochten iſt. Mehr als die Tücher, Kleider und andere Stoffe zuſammen freut fie Diefer eine Ring: auch daran fehe ih, wie innig fie mich liebt.

Endlich Haben wir ven Vorabend unfered Hodhzeittages er: reiht. Nanettens Toilette ift fertig; fle wird fich allerliebft aus⸗ nehmen: Schmud und fie werben fich gegenfeitig ſchmücken. Bern: hard Hat fi einen neuen Rod zu dem feftlichen Tage machen laſſen, und Peter veßgleichen. Aber ih Thor, noch habe ich nit an die Hochzeitsgäfte gedacht: Bernhard hat einige Freunde, Ra: nette einige junge Freundinnen, die dürfen nicht gunz Teer aus⸗ geben an biefem Feſttage. Wie viel laden wir ? Hoͤchſtens Zwanzig, denke ih: beffer wenige, «aber gute Bekannte, als viele und ents fernte. Wie alle jungen Mädchen tanzt Nanette gerne; andy das Vergnügen foll fie haben. ine einzige Violine thut biefelben Dienfte wie ein ganzes Orchefter. Ausgemacht! wozu Brauchen wir au den Hokus Pokus und den Firlefanz? Wie oft Bat Nanette mich gebeten: ‚Nur Feine Eoftfpielige Hochzeit! wir konnen auch ohne fie glücklich fein.”

Ich weiß das, liebe Naneite, aber ich weiß and, daß Du gerne einige Bekannte und Freunde zu Zeugen Deines Glückes haben, und daß Papa Bernharb allzu gerne auf der Hochzeit feiner Toter tanzen möchte. Ich gebe von Leuten Recht, die fagen: eine

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Hochzeit if Tein Altagsbing. Feiern wir immerhin die Hauptab⸗ feänitte in unferem Leben; es find ihrer nicht allzu viele.

Um fieben Uhr Abends bin ich mit den Einlabungen fertig. So Habe ih nur noch den Gaſtwirth mir auszuſuchen; ich will weber einen allzu vornehmen, noch allzu geringen, fondern einen mittleren Schlaged. Paris bietet eine hinreichend große Auswahl von Gafthöfen dar; es gibt welche für alle Börfen und für alle Hafen.”

„Komm’ mit,” fage ich zu Peter, der in feinen Hochzeits⸗ Heibern prangt, „wir wollen einen Saal ſuchen nnd das Eſſen beſtellen.“

„Alſo eine Hochzeit, Bruder?“

„Wir tanzen, Peter.“

„Bir tanzen? Juchhe!“

„Aber ſchweige davon, Peter.“

„Verlaß Dich auf mich! Eine Hochzeit... . heiſafſa.“

Und dabei fängt er auf der Straße zu tanzen an, fo daß id ign zur Orbnung rufen muß. Unterwegs fällt mir ein, daß id und Herr Dermilly einft Bei einem Traitenr in der Nähe ber Aufter: Iigbrüce recht gut zu Mittag aßen; es iſt zwar etwas abgelegen und fill, aber um fo weniger haben wir von der Neugierde ber Straßenjungen zu leiden, und das iſt mir ganz recht. Wir fchlagen alfo ven Weg ein zu dieſem Traiteur.

Eine Anfrage, wie bie meinige, ift immer gut aufgenommen, Machdem wir uns über bie Breife verflänbigt und alles Näthige verabrevet Haben, führt und der Wirth durch feinen Garten zurüd, um und die Annehmlichkeiten deſſelben zu zeigen.

. Wäßrend wir am Benfter eines Tleinen Pavillons vorüber "gehen, erhebt ſich plöplich darin ein gewaltiger Lärm.

„Ihr koͤnnt mir Cuern Garten nicht verbieten, Mütterdien,“ suft eine Beier und mir wohlbelannte Stimme. „Die ftifche Luft zanber; die Rofen auf meine Wangen zurüd.

O. wis wohl iR miz im Gränen, ttefnfa !-

„Sie mögen ſpazieren und fingen, fo viel. Sie wollen; aber arſt zahlen Sie Ihre Zeche und dann mögen Sie gehen.“

Welche Logik, ſchöne Niobe! Sie wollen, ich ſoll gehen, and doch laſſen Sie mich nicht fort. Welche Eonfufion in Ihtem Gehirntaften !“

„Hoͤrſt Du den Roflignol,“ Hüftert Beter mir zu.

„Barum flreitet man fih ?" frage ich den Wirth.

„Der Teufel bat und da einen Bruder Liederlich erſter Klafie ins Haus geführt; er ift ſchon acht Tage bei und und wir können ihn nicht los werden. Gr kam eines Abends mit honigfüßer Miene und beftellte ein Nachteſſen. Nachdem er bis fpät in die Nacht geiafelt, verlangte er ein Nachtquartier, weil er feinen Gefchäfte- führer hierher befchieden habe und daher auf ihn warten müfle; wider unfere Gewohnheit haben wir ihn zu Nacht behalten. Den andern Morgen hat er ſich ein fplenvibes Frühſtück bringen laſſen mub machte noch immer feine Miene, aufzubrechen ; fo hat er es acht Tage lang getrieben, vorgeblich auf feinen Gefchäftsführer wartend, ber ihm Gelb bringen fol. Er möchte, wie es fcheint, das ganze Jahr fo fortlogiren... und denken Sie fi bie Unver: ſchaͤmtheit: er Hat fi angeboten, wir allerhand Boflturen vorzu: machen, und mir feinen Torfo, wie er fagt, an Abzahlungsftait angetragen. Was in aller Welt foll ic mit ver Münze anfangen ? Er foll entweder bezahlen, oder fort mit ihm! Er muß bis morgen das Haus geräumt haben, benn der Kerl hat die liebenswürdige Uns verſchaͤmtheit, mit allen Berfonen Freundſchaft fhließen zu wollen... enblih ift mir die Gebuld ausgegangen, und ich Babe nad vem Herrn Eommiffär gefchielt. Bis der kommt, laffe ich den Schelm von meiner Frau bewachen, denn geftern überrafdgte ich ihn, wie er potlich auf die Gartenmauer fprang, um den Adonis zu wachen, wie er fagt. Nur Geduld, Du haſt im Gefängnis Zeit genug, den Adonig einzuſtudiren. Meiner See’, er äfe ben

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ganzen Tag nichts: ald- Kapaunen und tränke nichts als Cham: pagner, wenn ich ihn fortmachen ließe.‘

„Sehen wir, Bruder,“ flüftert mir Peter ins Ohr, „ich möchte nicht, daß er-mich fähe.” Kaum hat er das gejagt, fo fpringt das ſchoͤne Modell fünf Fuß Hoch aus dem Benfter in den Garten herab und richtet fih vor uns ald Amor auf; als er und erkennt, ſtaͤßt er einen lauten Schrei aus.

„Holde Glücksgoöttin, Gönnerin aller Künftler,“ xuft er und tanzt auf uns zu, „ich danke Dir für diefe Wohlthat! Grüß’ Dich Gott, Caſtor, grüß' Di Gott, Pollux. Geſchwind die Rech: nung, Herr Wirth, geſchwind! Ein Künftler läßt den andern nicht in der Patſche ſtecken.“

Peter erröthet vor Zorn, während ich ganz verdutt bin über die grandioſe Unverſchaͤmtheit, und der Wirth bald mich, bald meinen Bruder verwundert anfleht.

„Wie ?” ſtottert er, „die Herren kennen diefen Bruber Liederlich?“

„Bruder Liederlich!“ donnert Roſſignol; „iſt das mein Name, elender Katzenbratſpieß ?“

Darüber geräth der Traiteur in Wuth.

„Nur gemach, Freund Jugan,“ ſagt Roſſignol, „Ihr kriegt Euer Geld. Aber man bleibe hübſch weg: Eure Hände ſtinken vervammt nach Hanföl. Gefchwind, Peterchen, Du wirft bach einige Thaler haben für Deinen alten Zechbruber ?“

Beter verſtummt vor Horger und Scham, indem hat Roffignol die Frechheit, mir Die Hand zu reichen.

„Daß Sie mih um mein Geld geprellt haben,“ fage ich, zroifchen ihn und Peter tretend, „ann ich vergeflen, nicht aber, daß Sie meinen Bruder eben fo gemein und niedrig machen wollten, wie Sie find... . und Sie wagen ed, und Freunde zu heißen? Died Wort in Ihrem Munde ift die ärgfte Beichimpfung! Schaͤtzen Sie ſich glücklich, wenn ich mich nicht dem Herrn anfchließe unp Sie zur Strafe ziehe!"

„Recht fo! ER laßt man den Freund im Pech ſtecken nu halt ihm dann noch eine Moralpredigt ! Geht, Ihr Sottjed, wir brauchen Cuch nicht; dafür kriegen wir keinen Kuß zu fchluden.“

Kaum hat Rofiignel ausgeſprochen, fo erſcheint Eingangs des Gartens die Wirthin, die bei dem verzweifelten Sprunge des ſchoͤnen Modells fortgerannt war, um bie Wache zu holen, mit einem Cor⸗ poral und vier Füſeliren, während durch eine andere Thüre ber GCommiffär nebft Kellner eintreten. Sobald Roffignol die Soldaten erblickt, runzelt er die Stirne und brummt in den Bart:

„Donner und Doria, ber erſte antike claffiiche Torſo feiner Zeit in einem Gefängniß verfhimmeln ? Nie und nimmer!“

„Da fteht ber Schelm!“ jagt die Wirthin zum Commiſſaͤr, auf Roſſignol weifenn, der bei jedem Schritte ſich bis zur Erbe büdt, offenbar in der Abſicht, fein Geſicht zu verfteden.

„Sparen Sie Ihre Krapfüße, Herr, und antworten Sie,“ fagt ber Mann des Friedens, während Roffignol mit den Fingern in einer alten Tabatiöre wählt, die der Corporal halb geöffnet hat. „Sie wollen nicht fort von hier, mein Herr ?“

„Wer fagt das? Ob ich fort will!”

„Aber Sie wollen nicht zahlen, Herr!”

„Ob ich wi, Herr Commiffär! Ich will fogar dem Kellner ein Extratrinkgeld geben.“

„So zahlen Sie Ihre Rechnung, damit wir fertig werben.”

„Das iſt eine andere Sache, Herr Commiſſär. Das böfe Können! Am Wollen liegt es gewiß nicht. Mein Geichäftsführer läßt acht Tage auf fich warten ; iſt das meine Schuld? Bis dahin bin ich Modell. Nichts für ungut, Herr Polizeicommiffär,, aber wenn Ihre Frau zufällig fchwanger ift und fie einen fchönen Mann anfehen will, fo biet’ ich Hiermit meine Dienfle an.”

„Eorporal, nehmt ihn mit und ſchafft ihn Heute Abend auf bie Präfektur,” gebietet der Sommiffär, während Roffignol Infig trillert:

„Gute Nacht, liebe, liebe Lieſe !“ u. ſ. w.

. ai

Roſſignol geht in die Mitte, vor und hinter ihm der Cor⸗ poral mit feinen Lenten.

„Sch ergebe mich auf Gnade und Ungnabe, Burfche, über- zeugt, daß meine Unfchuld an ven Tag kommen muß, wie die ber keuſchen Sufanna. Ich mache Euch die Hölle nicht heiß, Freunde.“

Als fie jehen, daß ber Gefangene ihnen gutwillig folgt, laffen fie ihm ziemlich freien Raum. Gleich außerhalb des Gartens bleibt er fiehen, wühlt in den Tafchen und ruft: „Ich habe mein Schnupf: tuch liegen laſſen; fie follen es nicht gefchentt haben.“

„sh will es holen,“ fagt der Corporal und gebietet den Sol: daten, zu halten. Unwillfürlich ſehen fich dieſe nach dem Haufe des Traiteurs um ; das hat Roffignol gewollt. Wie ver Blig rennt er davon und auf die Aufterligbrüde zu. Dem Invaliden, ver ihm den Sou abverlangt, gibt er einen Puff, daß er rücklings überfälkt, und läuft dann weiter. Aber fchon find ihm die Kriegöfnechte auf den Ferfen. „Hebet ihn, hebet ihm!“ ſchallt es Hinter ihm; bald Hört man den Ruf am andern Ende der Brücke, und eine Menge Menſchen verfperrt ihm den Weg. Was fol er thnn ? Flügel hat er nicht, um über die Menge wegzuſetzen. Er bleibt einen Augenblid Bchen und fieht fich um ; fchon ift er von allen Seiten eingefchlaffen.

„Wir haben ihn!“ ruft der Corporal.

„Re nicht,“ antwortet Roſſignol, ſetzt mil einem verzwei⸗ felten Sprunge über das Brüdengeländer mitten in den. Flug hin⸗in, und trillert dabei, eben fo Iuflig wie zuvor

„Ich dent’ Halt’ wie Gregoriud, Mid plaget arg der Durftiuß” u ſ. w.

Berwundert ſchauen ihm die Soldaten nach; Alles läuft au den beiden Ufern zufammen und verfucht ihn zu retten; aber ums fonft ; der Strom padt ihn und fpült ihn fort bis nach St. Cloud,

Beter ift aufs Tieffte davon ergriffen.

„Sp endet oft der Menſch,“ fage ich zu ihm, „ber Fein Ge: fühl für Net, Tugend und Ghre hat!“

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Dreiunddreißigigſtes Mapitel. - Leid und Luf.,

Bir eilen zu Nanetten zurück; ich kann nicht Tänger von ihr getrennt fein. 86 if immer fo, wenn man fich für's ganze Leben binden will; freilich jagt man, daß fpäter... aber nein, Nanette und ich bleiben ewig biejelben ; wir find nicht von Paris.

Man bat fih taufend Dinge zu fagen am Vorabend vor ber Hochzeit. Ze näher der Augenblick Tommt, der über unfer ganzes Leben entſcheidet, je fruchtbarer werben wir an Plänen für die Zukunft. Nach Savoyen richten ſich unfere Augen und Herzen; vort hoffen wir unfer und meiner Mutter Glück zu fichern.

In diefem unſerem Planmachen flört uns Peter, der ploͤtzlich auf Nanette zulommt und zu ihr fagt:

„Liebe Schwefter, ich engagire Sie auf den erften Eontretang.”

„Wie,“ ruft Nanette erftaunt, „fo haben wir Tanz morgen ?”

Alfe dahin iſt Die Meberrafchung, worauf ich mich geftent! Hat der Peter richtig ausgeplaudert, wie ich es fürchtete. Gleich basauf geht ihm eim Licht anf über feine Unvorfichtigfeit, denn er macht ein ellenlanges Geſicht und fieht mich beträbt an.

„Wie, mein Freund,“ fragt Nanette, „Du wollteft mich über: raſchen mit dem Tanze ?

Ich erzaͤhle ihr, was ich auf unfern Hochzeitstag verabredet und angeordnet habe.

„O Du guter Andreas!” ruft Nanette und drückt zartlich meine Hand, „das haſt Du nur aus Rückſicht auf mich gethan; denn Du magſt die Geſellſchaften und Tänze nicht... o Du guter Andreas!“

„Wie 7 faͤllt Vater Bernhard ein, „eine Hochzeit? Tanz?... Juchhe, das lob' ich mir, Kinder, Ihr fol fehen, daß ich's im Tanzen Guch Allen zuvorthue!“

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„und ich auch,“ ſagt Peter und hüpft in der Kammer herum ; „meine Beine follen Teinen Augenblick Ruhe Haben... . bie ganze Nacht will ich mich üben !“

Unjere Freude ift ftill.innig. Nanette und ich fprechen wenig ; um fo mehr fagen ſich unfere Blide, die ſchon im Vorgenuß ver Seligfeit ſchwelgen. Natürlich haben wir an andere Dinge zu denken ald an Tanz.

So vergeht der Abend. Beim Abſchiede wiederholen wir und mehrmals dad Wort: „Auf Morgen!” In diefem einen Worte ift Alles enthalten: Glück, Liebe, Zukunft. Erſt von Morgen an datirt unfer Dafein.

Ich nehme Peter mit mir, denn er foll die Nacht bei mir fchlafen. Bei der Rückkunft überreicht mir der Portier einen Brief von Luciliens Hand. Ich eröffne ihn zitternd und lefe Folgendes:

„Lieber Andreas, Ihr Herz wird brechen, wenn Sie von dem neuen Unglück meiner beiden Herrinnen hoͤren. Aber an wen koͤnnte ich mich wenden, wenn nicht an Sie, den einzigen Freund, der ihnen geblieben iſt? Ich weiß nicht, wo mir der Kopf ſteht, An⸗ dreas: verzeihen Sie d'rum den Mangel an Zuſammenhang, der ſich überall zeigen wird. Dank Ihrer Unterftäpung, Andreas, ging es den Damen befier als bloß erträglich gut. In dem Glauben; "daß Herr von Therigny der Geber fei, lebten fie ver Hoffnung, daß er fein Unrecht bereuen und fle nie verlaffen werde. Bor drei Tagen erſchien plöglich Herr von Therigny bei den. Damen, in einem Iuftande, der nicht® Gutes erwarten ließ. Er war erflaumt, fie in folder Gemächlichleit zu finden. Schon wollte er fle aus» fragen, als fie ihm dankten für die Summe, die, wie fie glaubten, von ihm herrühre. Herr von Therigny, anfänglich überrafcht, bes fann ſich bald und nahm ihren Dank an. Es hätte wenig gefehlt, fo wäre ich mit meinem Geheimniß herausgerüdt, als ich hörte, wie ex ſtillſchweigend fich für den Geber erklaͤrte. Wber eingeben?

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das ift fo ziemlich Alez, was Nanette von mir bekommt, wud doch frent fi Nanette über dieſe Kleinigkeit, ald wäre fie Mil: lionen werth.

Sie kramt Stück für Städ aus, bewundert die Herrlichkeiten und zeigt fie dann ihrem Vater, der gleichfalls in die Bewunde rung einflimmen muß, obgleich er nichts davon verfteht. Bei jerer neuen Sache flieht fie mich an und drückt mir die Hand, als wolle fie fagen: nicht über die Gefchenfe freue ich mich, ſondern über die Hand, die fie mir gibt.

Unter den Fingerringen befindet fi} einer, worauf aus meinem Haare dad Wort Treue geflochten ift. Mehr als die Tücher, Kleider und andere Stoffe zufammen freut fie diefer eine Ring: auch daran fehe id, wie innig fie mich liebt.

Endlich haben wir den Vorabend unferes Hochzeittages er: reicht. Nanettens Toilette ift fertig; fle wird ſich allerliebſt aus: nehmen: Schmud und fle werben fich gegenfeitig ſchmücken. Bern: hard hat ſich einen neuen Rod zu dem fefllidhen Tage machen laſſen, und Peter veßgleichen. Aber ich Thor, noch habe ich nicht an die Hochzeitsgäfte gedacht: Bernharb hat einige Freunde, Ra: nette einige junge Freundinnen, die dürfen nicht ganz leer aus⸗ gehen an diefem Fefttage. Wie viel laden wir? Hoͤchſtens Zwanzig, denke ich: beffer wenige, aber gute Belannte, als viele umb ents fernte. Wie alle jungen Mädchen tanzt Nanette gerne; auch das Vergnügen fol fie haben. @ine einzige Violine thut viefelben Dienfte wie ein ganzes Orchefter. Ausgemacht! wozu brauchen wir all ven Hokus Pokus und den Firlefanz? Wie oft bat Nanette mich gebeten: ‚Nur feine Toftfpielige Hochzeit! wir können auch ohne fle glüdlich fein.‘ \

Ich weiß das, liebe Naneite, aber ich weiß au, daß Da gerne einige Bekannte und Freunde zu Zeugen Deines Glückes haben, und daß Papa Bernhard allzu gerne auf der Hochzeit feiner Toter tanzen möchte. Ich gebe ven Leuten Medht, die fagen: eime

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„Es muß fein, Peter. Du weißt, wo ber Traitenr wohnt, bei dem ich das Eſſen auf Morgen beftellte ?“ „sa, haft Du was zu beflellen vergeffen ?“ „Geh' und beftelle das Eſſen ab... geſchwind, Peter! Kein Eſſen, kein Ball, wir Brauchen nichts davon !” Beter reißt erflaunt die Augen auf. „Großer Gott!” ruft er, „feine Hochzeit, Fein Eſſen, fein Bau? Höre ich recht?” „Sa, Peter! Nichts von dem.” „Aber Nanette und Bernhard haben fi ſchon auf den Tanz gefreut.” „Ste werben meine Maßregeln billigen.“ „Aber die Bäfte find ſchon geladen.” „Sie fönnen zu Hans bleiben und zu Haus effen und fangen.” ‚Aber der Traiteur ?” „Es tft noch Zeit zum Abbeftellen, drum fpute Dich.“ „Und der böfe Brief ift an dem Allem ſchuld?“ „Sa, Beter, Du ſollſt ihn fpäter leſen.“ „Welch' Unglül! Keine Hochzeit, Fein Eſſen, kein Ball! Und Du beſtehſt auf Deinem Sinn?“ „Unwiderruflich! Geh’, Taufe Peter, es ift die Hörhfte Zeit.” Peter gehorcht wie immer, aber hält fidh die Augen zu, um feine Thränen zu verbergen. Inzwifchen überlege ich, was ih zu !bun habe. Daß Nanette meinen CEntſchluß billigt, davon bin ich gewiß. Aber wird bie Frau Gräfln eine neue Unterflügung von mir annehmen wollen ? Nimmermehr, wenn fie erfährt, daß ich ſelbſt darüber Noth leide. So will ich denn mich reich ftellen, damit meine Hülfe Ieichter Eingang findet. Peter kommt mit verweinten Augen zurüd. „Nun, was hat der Traiteur gefagt ?“ frage ich ihn. „Er läßt es gelten, aber ex fagt, Du feieft fo unbeänbig wie eine Wetterfahne.” Baul de Rod. H. 29

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Was fümmert mich der Daun! Um Beter zu troͤſten, laſſe ich ihn Luciliens Brief leſen.

„Wir verſagen uns allerdings ein Vergnügen,“ ſage ich zu Peter, „dafür haben wir den Troſt, dem Elend meiner Wohl⸗ thäterin auf kurze Zeit zu feuern, denn bad an der Hochzeit er: fparte Geld foll der Frau Gräfin zu gute kommen. Nun, Beter, zürnſt Da noch ?“

„Gewiß nicht, Bruder, Du haft recht gehandelt,“ entgeguet Peter, tief feufzend, „aber ich Hätte zu gerne getanzt !“

Mit Tagesanbruch gehe ich zu Vater Bernhard. Sie find ſchon auf; bie Freude hat fie bie ganze Nacht nicht ſchlafen Iaffen. Mit wonneverflärtem Antlig kommt mir Nanette enigegen, doch erfchridt fie, als fle meine Unruhe ſieht. Statt zu ſprechen, reiche ich ihr Luciliend Brief Hin.

Das gute Kind! Während fie liest, malt ſich auf ihrem Ge: fihte die herzlichfte Theilnahme an dem Unglüde meiner Wohl tHäterin. Raum ift fie mit Leſen fertig, fo eilt fie auf mid) zu und ruft:

„Mein Freund: Teine Hochzeit, kein Effen und Leinen Ball! Was find alle diefe Freuden gegen die Freuden des Bewußtſeins, Deiner BWohlthäterin geholfen zu haben!”

„DO, Du gute Nanette, ich dachte wie Du ſelbſi, und habe ſchon demgemäß gehandelt, und doch wagte ich kaum, Dir die Nachricht zu bringen.“

„Du wagtefl ed nit? Weißt Du nicht, daß ich will, was Du willſt? Mein höchfles Glück ift Deine Hand, Deine Liebe, mehr will und brauche ich nicht. Aber nicht wahr, unfere Hochzeit wird nicht aufgefchoben 9"

„Gewiß nicht: noch heute wirft Du mein. Aber ehe wir nad Savoyen abreifen, muß ihnen geholfen fein. Sie haben Niemant, ber für flo wacht und forgt anfer mir.“

„Wir warten fo lange, Andreas. Dein Logis iſt groß genug

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für uns; bis dahin will ich arbeiten und zufammenfpyaren. Sb. Act, Andreas, Glück iſt beffer, als aller Reichthum der Welt.“

„Bute Ranette, welch' ein Herz ſpricht aus jebem Deiner Worte und Blicke!“

„Es iſt noch zu frühe, zu den Damen zu gehn,“ fagt fie, „bleibe bei und und frühflüde mit und, dann magft Da gehen, aber bald wieberfommen. Nicht wahr, Andreas, nad) zwei Stunden bift Du wieder hier, Du vergiffeft es nicht %“

Wie koͤnnte ich das vergeffen ? Muß ich fie doch mit jedem Augenblide mehr lieben. Sie it mehr als gut, fle ift ein Engel!

Gleich nad dem Frühſtücke geht Nanette fort, am einige nothwendige Cinkäufe zu machen, wie fie fagt. Inzwifdgen bleibe ich ‚mit Bater Bernhard allein, der nicht mehr an die Hochzeits⸗ feier denkt.

„Bad wir im Wirthshaus nicht thun,“ fagt er, „das ihun wir bei und. Wir können hier eben fo Rott tanzen wie bort.“

Braver Alter, du bift zu jedem Opfer bereit.

„Du thuſt nicht mehr ald Deine Schuldigkeit,“ hebt er nad einer Pauſe an, „wenn Du Dich dankbar erweifeft gegen Deine Wohlthaͤterin.“

Naneite bleibt lange aus. Endlich kommt ſie zurüd, ganz erhitzt, aber mit freudeſtrahlendem Antlitze. Ich frage nicht, wo fie geweſen iſt, denn ein Blick auf fie und jeder eiferſüchtige Ge⸗ danke iſt verſchwunden.

„In zwei Stunden bin ich wieder da, Nanette,“ ſage, ich, von ihr Abſchied nehmend.

Ste folgt mir bis auf die Treppe, macht bie Thüre hinter fh zu und drüdt mir ſchüchtern einige Goldſtücke in bie Hand.

„Rimm das und lege es zu dem übrigen Gelbe,“ Hüfert fie mir ind Ohr.

„Woher das Gelb, Nanette y"

„Richt wahr, Andreas, Da zümft mir nicht, aber all' die

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fgönen Goſchenle, die Du wis geſtern machte, find mir. nicht nothwenbdig. Ich brauche keine großen Shawle unb feidenen Aleider: Du Haft mir oft verſichert, je einfacher ich ſei, wm fo beſſer ges flele ih Dir. Zürne nicht, Andreas, ic) Habe Alles zurüdigebradkt, bio auf ein einfaches Klein, das ich mir heute Nacht zugeſchnitten und genäht babe, und bis auf biefen Ring mit deu. Haaren und dem füßen Worte Treue. O, verzeihe mis, Audreas, daß id bied gethan babe, one Dich zu fragen!”

Ihr verzeihen ?! Keines Wortes mächtig, drüde ich fie ſtumm and Herz und bedecke fie mit meinen Küſſen.

„Genug, genug!” fagt das gute Mäbdhen erröthend, „Du könnteſt fonft glauben, ich hätte ed aus Cigennutz gethan.“

Endlich reiße ich mich von ihr los und eile zur Frau Gräfin.

Anfangs denke ih nur an Nanette, aber je mehr ich mid ber Wohnung der Graͤfin nähere, um "fo verlegener und beklom⸗ mener werbe- ich. Ach, das Wohlthun ift ſchwerer ald man glaubt, vor Allem, wenn man mit zarter Schonung babei verfahren will. Uns dann foll ich Adolphinen wisderfehen zuch lauger, langer Trennung! Ich fühle feine Liebe mehr für fie, mein Herz gehört ganz Nanette an, und dennoch zittere ich bei dem Gebanken an das Wieberfehen mit Abolphinen!... Aber Muth, vergiß alles Frühere und bevenfe, daß fie für bich nichts weiter if, als eine Freundin und die Tochter deiner MWohlthäterin.

Seht ſtehe ich vor ihrer Wohnung, einem Händchen von bes ſcheidenem Ausfehen, und im vierten Stode biefed Hauſes wohnt bie frühere Befigerin eines glänzenben Hotels, die Herrin von mehr als zehn betreßten Dienern. Dexgleichen Glückswechſel find fa etwas Alltägliches, dennoch erfüllen fie und mit Wehmuth.

Zitternd fleige ich hinauf. Je weiter ich Tomme, um fo mehr entfinft mir ber Muth. Bor der Thüre bleibe ich einen Augenblid ſtehen und fammle frifche Kraft.

+ W8 Lacilie mich erblickt, ruft fie laut aus vor Freude:

„Bis werben die Damen ſich freuen ! 36 will Sie geſchwind aumelden.“

„Halt, Lucilie! Er geloben Sie mir, daß Ste Ihnen meet Angaben widerſprechen wollen.‘

„Ja, Herr Andreas, ich gelobe es.“

„Ich wünſche bei ver Frau Graäfin reich, wenigftens woht habend 'zu erſcheinen, und ich Bin ve wirklich, denn meine Kunſt bringt mir genug ein.“

„O, Sie brauchen das nicht zu ſagen, ich errathe ihren Be⸗ weggrund. Ich weiß, was Sie wollen, und werde’ Ihnen * beſten Kräften helfen.‘

. Br treten ein. Das Zimmer iſt einfach, aber nicht aͤruclich möblirt.

„Meine junge Herin iſt noch nicht auf, ſagt Lueilie. Sie iſt fett einiger Zeit recht leidend, die Frau Grillen weicht wit von ihrer Seite. Ich will Sie anmelden, Andreas.‘

Während ic im Jimmter "warte, muß ich illkarich an bie Pracht des Haͤtels zurackbeiken. Aber Hark... man hwurmk die Thitre öffnet ſich, mein Herz vocht Imiter... meine Wohintan rin iſſs; weit offenen Armen: empfängt fie: mich:

„Andreas,“ ruft fie miit diefbewegter Stimme, „moin lieber guter Andreas!“

Sb werfe mich ihr zu Ben, nehme ihre Sand und bedecke fie mit Tiphinen:

„Stehe auf, Andreas,“ antwortet fie, „Dein Blak iſt an meinem Herzen; Dann heißt fe mich neben ſich fügen.

„Du weißt Alles,“ ſagt Re, mich zaͤrtlich anſehend, „und weiß, was Da für und geihan hafl.“

„Kein Wort davon, edle Frau.‘

„Andreas, ich muß meinem Herzen Luft maden. tem. lichkfrit {ft nur für den Undankburen eine Laſt; tb... ti bin flolz auf Deine Wohlthaten. ber ſprich, mein Bram, Da van unferiunillen ?

Gewiß vicht, ebdle Iran: ic bin noch reich; Ihaen vertante ich die Bildung, die mir ein erwünfchtes Auskommen ſichert. Sie haben mich oftmals Sohn gennunt, erlauben Sie, daß ich dieſes fehönen Namens mich würbig zeige. Bertrauen Sie mir die Sorge für Ihre Zukunft: Gottlob, ich kann fie auf mich nehmen. Nicht wahr, Sie gewähren mir meine Bitte?‘

„Rein, Audreas, Du haft genug gethan, ich darf nicht mehr von Dir annehmen. Deiner Hände Arbeit.

‚Bein, nein, das dulde ich nit! Ich age Ihnen, ich Bin nech reich. Entwerer gewähren Sie die Bitte, oder ih muß glauben, daß Sie mir Ihre Freundſchaft entzogen haben.‘

Mit don Woren Tnise ich vor ihr und nehme ihre Hand in die meinige, die fie mit ihren Tränen neht.

30 Wale nicht eher auf, bis Sie meinen Wunſch gewähren!“ sufe ich bewegt.

Iu vom Uugenklicde öffnet ſich Die Thare und herein tritt Molphine. Großer Bett, welche Beränderung iR mit ihr vor gegaugen! Cie if immer nach ſchoöͤn, aber jeder Zug ihres Autlitzes trägt die Spuren tiefſten Geslenleitene. As fie mich erblickt, Megt eine ylöpliche Möthe über ihre Wangen und verbrängt ihre gewöhnliche Bläffe.

„Schon aufgefianden 3" ruft Die Gräfe und eilt ihr entgegen.

„Ja, Mutter: ich wollte Anbreas ſehen; ich babe fo Tange nicht dab Berguägen gehabt.‘

Ich ſtehe wie eimgewurgelt vor ihr. Wer begreift, was id ie dem Augenblide fühle! Es Aberläuft mich bald heiß, bald Kalt. Ich verfuche zu reden ; umſonſt! Luft und Lein theilen fich im mich ; Iegtere Empfindung überwiegt, wie mir ſcheint.

„Madame“ſtottere ich Taum vornehmlich.

„Deine Freundin, Deine Schweſter fickt vor Die,‘ ſagt bie Grißen. ‚ib Anpesns bie Hand, Abolphiue.“

Ich nähere mich ihr und ergreife die Hand, die fie mir hin⸗

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hält, uber mit abgewandtem Antlig ; ich glaube eine Thräne in ihrem Auge zu fehen. Mit heißen Küffen bedecke ich die Hand, bie in der meinigen Brennt und zittert.

Um meiner ſchmerzlichen Berlegenheit ein Ende zu machen; erknidigt fi die Gräfe nach meiner Mutter, nach Bernhard und meinen alten Freunden.

Mit größtem Wohlgefallen hoͤrt ſie, was ich für meine Mutter gethan habe.

„Du Bft ein eben fo guter Sohn,” antwortet fie, „als warmer Freund.” '

Ans Furcht, meine Hüffe verfömäßt zu fehen, verfihtweige _

ich meiner Wohlthäterin meine Heirath mit Nanette.

Adolphine fpricht wenig. Sie fleht mich oft heimlich an; ſobald ſich aber unfere Blicke begegnen, fchlägt fie das Auge nieder und wirb unruhig, wie mir ſcheint. Gewiß denkt ſie an die ſchoͤnen Tage umferer Kindheit; und vergleicht die Gegenwart mit jener feligen Vergangenheit.

Aber die Zeit iſt um, ich muß zu Nanetten zurück Beim Abſchiede bitte ich um bie Grlaubniß, dann und wann bie Gräfin befuchen zu bürfen.

„Andreas,“ fagt fie, „Du bit unfer einziger Freund. Wir fönnen Dich nicht oft genug fehen.”

Ich küſſe die Hand meiner Wohlthäterin und nähere mich dann Abolphinen. Sie erhebt ihr matted Auge auf mich und fagt ge: zwungen lächelnd :

„Ich Hoffe, Sie bald wiederzufehen, Andreas.‘

„Ian, Madame,” fiotlere ich und elle mit gebrücdtem Herzen fort. Ehe ih dad Haus verlaffe, drücke ich Lucilien das Geld in bie Sands; fie will mir banken, aber ich bin ſchon ver- ſchwunden.

Auf der Straße athme ich freier. O, wie ſchwer iſt mir dieſe Zuſammenlunft geworben! Aber nach gethaner Pflicht if gut

A

meines ied fürwieg ich. Abende Läßt er ſich hie Schlaffel ‚geben und geht damit fort. Denken Sie fh den Schmerz ber Damen, als er, ſtatt wiederzufommen, ihnen einen Brief fanbte, worin er fein junges Weib auf die gehäffigfte Weile beſchuldigte, einen ver: brecherifchen Umgang wit Ihnen zu pflegen, und zu verfichen gab, fie ſtelle fich bloß, als glaube fie, dad Gelb von ihm, dem Mars quis, empfangen zu haben, um befto beſſer ihre Intriguen mit Fhuen verſtecken zu können. Kurz und gut, dad Ungeheuer hat ihnen Alles genommen und weggetragen: Gelb. und Kofbarkeiten... Nichts hat er ihnen gelaſſen! Vergebens ſchildere ich Ihnen den Schmerz der Gräfin, weniger über dad Elend, das ihrer wartet, ls über die ſchaͤndliche Beichuldigung wider ihre Tochter. Meine junge Herrin, ohnehin leidend, ift durch Died abfchenliche Benehmen ihres Batten äußerſt angegriffen. Auf infäudige Bitten der Gräfin babe ich endlich Ihren Namen genannt. Wären Sie doch Zeuge ihres innigen Danles geweien! „Der gute Andreas, das wundert wich nicht an ihm!““ hat die junge Marquiſe ein über das ander Wal gerufen, während die Thräuen aus ihren Augen ſtrömten. Die Frau Graͤſin ergoß ſich in die heifeflen Dauffegungem gegen Ge. „‚Bueilie,‘“ fagte fie zu mir, „ich muß ihn fehen, ihm banken.“ Bo weit if es mit und gelommen, Herr Andreas. Laſſen Sie nit lange auf ſich warten: die beiden Damen bevürfen des Troftes mehr als je, und wer anders koͤnnte fie troͤſten ald Sie ?“

Sa, ih fühle e8, ich Bin der einzige Freund, ber ihnen bleibt yon den Bielen, die in den Tagen des Wlüdes fie. ſchmetterlings⸗ astig umgaukelten. Schon male ich mir die Größe des Glenö dieſer beiden vornehmen Daumen aus: Mein, nein, das barf um ſoll nicht fein! Auch diesmal wid ich ihnen helfen.

Beer ift ſchon am Ausklaiden.

„Bolt, Beier,“ fage ich: zu ihm, „Du mußt noch einen Weg machen für wich,“ .

«Be ſpat, Bruder?“

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„Es muß fein, Peter. Du weißt, wo ber Traiteur wohnt, bei bem ich das Eſſen auf Morgen beftellte 2” „Ja, haft Du was zu beftellen vergeffen 9“ „Geh' und beftelle das Eſſen ab... . geſchwind, Peter! Kein Eſſen, Fein Ball, wir brauchen nichts davon!“ Peter reißt erflaunt die Augen auf. „Großer Gott!” ruft er, „Feine Hochzeit, Fein Eſſen, fein Bau? Höre ich recht 2“ „Isa, Peter! Nichts von bem.” „Aber Nanette und Bernharb haben ſich fchon auf den Tanz gefreut.” „Sie werben meine Maßregeln billigen.” „Aber die Säfte find ſchon geladen.” „Sie fönnen zu Hans bleiben und zu Haus effen unb tanzen.“ „Aber der Traitenr ?” „Es ift noch Zeit zum Abbeftellen, drum fpute Die.” „Und der böfe Brief ift an dem Allem ſchuld ?“ „sa, Peter, Du follft ihn fpäter Iefen.” „Welch' Unglück! Keine Hochzeit, Fein @ffen, fein Ball! Und Du beftehft auf Deinem Sinn ?“ „Unwiderruflih! Geh’, Taufe Beter, es ift die Höchfte Zeit.“ Veter gehorcht wie immer, aber hält fich die Augen zu, um feine Thränen zu verbergen. Inzwifchen überlege ich, was ich zu thun babe. Daß Nanette meinen Entfchluß billigt, davon bin ich gewiß. Aber wird bie Frau Gräfln eine neue Unterſtützung von mir annehmen wollen ? Nimmermehr, wenn fie erfährt, daß ich ſelbſt darüber Noth leide. So will ich denn mich reich ftellen, damit meine Hülfe leichter Eingang findet. Peter kommt mit verweinten Augen zurüd. „Nun, was hat der Traiteur gefagt ?” frage ih ihn. „Er läßt es gelten, aber er fagt, Dir feieft fo anbeſtandis wie eine Wetterfahne.“ Paul de Rod. II. 29

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Was kümmert mich des Mann! Um Beter zu tröften, laſſe ich ihn Luciliens Brief leſen.

„Bir verfagen und allerdingd ein Vergnügen,“ fage cch zu Peter, „dafür haben wir den Troſt, dem Elend meiner Wohl⸗ thaͤterin auf kurze Zeit zu ſteuern, denn das an der Hochzeit er⸗ ſparte Geld ſoll der Frau Graͤfin zu gute kommen. Nun, Peter, zürnſt Du noch ?“

„Gewiß nicht, Bruder, Du haft recht gehandelt,“ entgegnet Peter, tief feufzend, „aber ich hätte zu gerne getanzt!“

Mit Tagesanbruch gehe ich zu Vater Bernhard. Sie find ſchon auf; die Freude hat fie die ganze Nacht nicht fchlafen lafjen. Mit wonneverflärtem Antlitz kommt mir Nanette entgegen, doch erfchridt fie, als fie meine Unruhe ſieht. Statt zu ſprechen, reiche ich ihr Luciliens Brief hin.

Das gute Kind! Während fie liest, malt fi auf ihrem Ge⸗ fichte die herzlichte Theilnahme an dem Unglüde meiner Wohl: thaͤterin. Kaum ift fie mit Lefen fertig, fo eilt fie auf mich zu und ruft:

„Mein Freund: Feine Hochzeit, kein Effen und Teinen Ball! Was find alle diefe Freuden gegen die Freuden des Bewußtfeine, Deiner Wohlihäterin geholfen zu haben!”

„D, Du gute Nanette, ich dachte wie Du felbft, und hake ſchon demgemäß gehandelt, und body wagte ich Taum, Dir bie Nachricht zu bringen.“

„Du wagteft e8 nit? Weißt Du niit, daß ich will, war Du will? Mein höchfles Glüd ift Deine Hand, Deine Lich, mehr will und brauche ich nicht. Aber nicht wahr, unfere Hochzeit wird nicht aufgefchoben ?“

„Gewiß nicht: noch heute wirft Du mein. Aber ehe wir nah Savoyen abreifen, muß ihnen geholfen fein. Sie haben Riemant, ber für flo wacht und forgt außer mir.“

„Wir warten fo lange, Andreas. Dein Logis iſt groß genug

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für und; bis dahin will ich arbeiten und aufammenfparen. Gib Acht, Undreas, Glück ifk beffer, als aller Reichthum der Belt.”

„Gute Ranette, meld’ ein Herz ſpricht aus jedem Deiner Worte und Blide !“

„Es iR noch zu frühe, zu den Damen zu gehen,“ fagt fie, „bleibe bei und und frühftüde mit uns, dann magft Da gehen, aber bald wieberlommen. Richt wahr, Andreas, nad) zwei Stunben bift Du wieber hier, Du vergifieft es nicht I"

Wie Fönnte ich das vergeffen? Muß ich fie duch mit jebem Augenblide mehr lieben. Sie ift mehr als gut, fie iſt ein Engel!

Gleich nah dem Frühſtücke geht Nanette fort, um einige nothwendige Einkäufe zu machen, wie fie fagt. Inzwifcgen Bleibe ich ‚mit Bater Bernhard allein, der nicht mehr an die Hochzeit: feier denkt.

„Bas wir im Wirthshaus nicht thun,“ fagt er, „das thun wir bei und. Wir Tönnen hier eben fo flott tanzen wie bort.“

Braver Alter, du bift zu jedem Opfer bereit.

„Du thnft nicht mehr ald Deine Schuldigkeit,“ hebt ex nad einer Baufe an, „wenn Du Dich dankbar erweiſeſt gegen Deine Wohlthaͤterin.“

Nanette bleibt lange aus. Endlich kommt fie zurück, ganz erhitzt, aber mit freudeſtrahlendem Antlitze. Ich frage nicht, wo fie geweſen ift, denn ein Bli auf fie und jeber eiferfüchtige Ge⸗

danke ift verſchwunden.

„In zwei Stunden bin ich wieder ba, Nanette,“ ſage, ich, von ihr Abfchieb nehmen.

Sie folgt mir bis auf die Treppe, macht die Thüre hinter fi zu und brüdt mir ſchüchtern einige Goldſtücke in bie Hand.

„Rimm das und lege es zu dem übrigen Belbe ,“ Hüßert fie mir ind Ohr.

„Woher das Geld, Nanette 9“

„Richt wahr, Audreas, Da zürnſt mir nicht, aber all’ die

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ſchoönen Goſchenle, die Du mis goſtern machte, find mir wicht nothwendig. Ich brauche keine großen Shawle und feikenen ‚Kleider: Dar haſt mir oft verfichert, je einfacher ich jei, um ſo beſſer ges fiele ih Dir. Zürne nicht, Andreas, ich habe Alles zurückgebracht, bie auf ein einfaches Kleid, das ich mir heute Nacht zugeſchnitten und genäht habe, und bi6 auf biefen Ring mit ben. Haaren und bem füßen Worte Treue. D, verzeihe mir, Aubrend, daß ich bied gethan habe, ohne Dich zu fragen !”

Ihr verzeihen ?! Keines Wortes mächtig, drüde ich fie ſtumm and Herz und bedecke fie mit meinen Küflen..

„Genug, genug!" fagt bad gute Mädchen errötbend, „Du könnteſt ſonſt glauben; ich hätte ed and Cigennutz geihan.“

Endlich reife ich mich von ihr los und eile zur Frau Gräfin.

Anfangs denke ih nur an Nanette, aber je mehr ich mid ber Wohnung der Gräfin nähere, um "fo verlegener und beflom: mener werde ich. Ach, das Wohlthun ift ſchwerer ald man glaubt, vor Allem, wenn man mit zarier Schonung dabei verfahren will. Und bann foll ich Adolphinen wieberfehen nuch langer, langer Treunung! Ich fühle Jeine Liebe mehr für. ſie, mein Gerz gehört ganz Nanette an, und dennoch zitiere ich bei dem Gedauken an bes Wiederſehen mit Abolphinen!... Aber Muth, vergif alles Frühere und bevenfe, daß fie für dich nichts weiter if, als eine Freundin und bie Tochter deiner Wohlthälerix.

Jetzt flehe ich vor ihrer Wohnung, einem Händchen von bes ſcheidenem Ausfehen, und im vierten Stode dieſes Haufes wohnt bie frühere Befigerin eined glänzenden Hötels, die Herrin von mehr als zehn betreßten Dienern. Dergleichen Glückswechſel fint fat etwas Alltägliches, dennoch erfüllen fie und mit Wehmuth.

Zitternd fleige ich hinauf. Je weiter ich komme, um fo mehr enifinkt mir ber Muth. Bor der Thüre bleibe ich einen Augenblick ſtehen und ſammle friſche Kraft.

WIE Lucilie mich erblickt ruft fie laut aus vor. Freude:

4

„Wie werden: bie Damen ſich freuen ! 36 will Si⸗ wind anmelden.”

„Kalt, Lucie! Er geloben Sie mir, daß Ste feiner meiner Angaben widerſprechen wollm.‘

„Ir, Bert Andreas, ich 'geloße es.“

„Ih wünfche bei ver Frau Gräfin reich, wenfgfens wohl⸗ habend zu erſcheinen, und ich bin es wirklich, benn meine Kunſt bringt mir genng ein.“

„O, Sie brauchen das nicht zu ſagen, ich errathe ihren Bes weggrund. Ich weiß, was Sie wollen, und werde Ihren wach beften Kräften heifen.‘‘

Br treten ein: Das Zimmer iſt einfach, aber wicht armich meburt.

„Meine junge Hewin iſt noch nicht auf,“ ſagt Lueilie. Ste iſt ſeit einiger Zeit: recht leidend, die Frau Grafin weicht nicht von ihrer Seite. Ich will Sie anmelden, Andreas.“

Waͤhrend ich im Zimmer warte, muß ii ltr an bie Bracht des Hotels zuriickbeulen. Her Bir... mar koıhmf... die Thüwe oͤffnet ſich, mein Herz pocht Tauber... nieim Wohllhate⸗ cin iſt's; mit offenen Arsen. empfängt fie: mich.

„Audreas,“ ruft fie mit tiefbewegter Stimme, „mein lieber, guter Andreas!”

Ich werfe mich ihr zu Süßen, nehme ihre Sand und bevede fie mit Thtaͤnen.

„Stebe auf, Andreas,“ antwortet fie, „Dein Platz ift an meinen Herzen.“ Dann heißt fie mich neben ſich fügen.

„Da weißt Alles,“ ſagt fie, mich zärtlich anfehend, „und ich weiß,-wad Dun für und gethan haſt.“

„Kein Wort davon, edle Feau.‘‘ a

„Andreas, ich muß meinem Kerzen Luft machen. Selen. lichkeit iſt nur für den Undankbaren eine Laſt; ih... I Bin flolz auf Deine Wohlthaten. Aber Vorich, mein Bram, Du darin

unfertewillen ?‘'

„Gewiß niit, edle Grau: ich bis noch reich; Ihaen verdanke ich die Bildung, die mir ein erwünfchtes Auskommen ſichert. Sie haben mid oftmals Sohn genaunt, erlauben Sie, daß ich dieſes f(hönen Namens mich würbig zeige. Vertrauen Sie mir die Sorge für Ihre Zukunft: Gottlob, ich kann fie auf mich nehmen. Nicht wahr, Gie gewähren mir meine Bitte ?‘‘

„Rein, Audreas, Du haſt genug geihan, ich darf nicht mehr von Dir annehmen. Meiner Hände Arbeit... .‘

‚Rein, nein, bad dulbe ich nicht! Ich fage Ihnen, ich Bin noch reich. Entweder gewähren Sie die Bitte, oder ich muß glauben, daß Sie mir Ihre Freundſchaft entzogen haben.‘

mit don Worden Iniee ic) wor ihz und nehme ihre Hand in Yo meinige, die fie mit ihren Tränen netzt.

„Ich ſtehe nicht eher auf, bis Gie meinen Wanſch gewähren!“ rufe ich bewegt.

In dom Augenklide öffnet fih die Thüre und herein tritt Molphine. Großer Bott, welche Veränderung if mit ihr vor: gegangen! Gie iſt immer noch ſchön, aber jeder Zug ihres Antlitzes trägt die Spuren tiefflen Seelenleidens. Ws fie mich exrblick, Mogt eime ploͤtliche Müthe über ihre Wangen und verbrängt ihre gewöhnliche Blaͤſſe. \

„Gen aufgeflanden 3‘ ruft Die Gräfe und eilt ihr eutgegen.

„3a, Mutter: ich wollte Andreas fehen; ich babe fo lange nicht dab Vergnügen gehabt.”

Ich ſtehe wie eingewurzelt vor ihr. Wer begreift, was ich in dem Augenblide fühle! Ge überläuft mich bald heiß, bald Kalt. Ich verſuche zu reden; umſonſt! Luft and Leid theilen ſich im mich ; Veptere Empfindung überwiegt, wie mir ſcheint.

‚ARabame .. .'‘ ftoktere ich Taum vernehmlich.

„Beine Freundin, Deine Schweſter fteht vor Dir,“ fagk bie Grüße. „ib Anbraas Bis Hand, Moniphine.“

Ich nähere mich ihr und ergreife die Hand, die fie mis bins

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halt, uber mit abgewandtem Antlig ; ich glaube eine Thräne in ihrem Auge zu jehen. Mit heißen Küffen bedecke ich die Hanb, bie in der meinigen brennt und zittert.

Um meiner ſchmerzlichen BVerlegenheit ein Ende zu machen, erkundigt ſich die Graͤſtn nach meiner Mutter, nach Bernhard und meinen alten Freunden.

Mit groͤßtem Wohlgefallen hoͤrt ſie, was ich für meine Mutter gethan habe.

„Du biſt ein. eben fo guter Sohn,“ anttvortet fie, ‚„‚ald warmer Freund.

Aus Furt, meine Hüffe verſchmäht zu ſehen, verſchweige ih meiner Wohlthäterin meine Helrath mit Nanette.

Adolphine fpricht wenig. Sie flieht mich oft heimlich an; ſobald fig aber unfere Blicke begegnen, ſchlaͤgt fie das Auge nieder und wird unruhig, ‚wie mir fcheint. Gewiß denkt fie an Die Schönen Tage unferer Kindheit; und vergleicht bie Gegenwart mit jener feligen Bergangenheit. |

Aber vie Zeit iſt um, ich muß zu Nanetten zurüd, Beim Abſchiede bitte ich um die Erlaubniß, dann und wann die Gräfin befuchen zu dürfen.

„Andreas, fagt fie, „Du bi unfer einziget Freund. Wir koͤnnen DIE nicht oft genug: ſehen.“

Ich küſſe die Hand meiner Wohlthäterin und nähere mich dann Arolphinen. Sie erhebt ihr mattes Auge auf mich und fagt ge- zwungen lachelnd:

„Ich hoffe, Sie bald wiederzufehen, Andreas.‘

„Im, Madame,“ ſtottere ich und eile mit gebrüdtem Herzen fort. Ehe ih das Haus verlaffe, drücke ich Lucilien das Gelb in die Hands fie will mir danken, aber ich bin ſchon ver: ſchwunden.

Auf der Straße athme ich freier. O, wie fchwer ift mir diefe Zufammenkunft geworben! Aber nach geihaner Pflicht iſt gut

453 J ruhen. So will ich denn nur and Verguñgen, an die Liche, an Ranetten venten!

Manette kommt mir in ihrem neuen, felbfigemachten Aeide entgegen. Ich leſe die Unruhe in ihren Augen, aber eine kurze Umarmung uud bad Lächeln ift auf ihre Lippen zuruckgebehrt. Still⸗ ſchweigend bittet fie mich um Berzeihung für die Unruhe, bie fie meinetwegen empfanben.

Wir find jept Alle beiſammen. Die- Sefeltiiaft beficht aus Bernhard, Peter unb zwei alten Freunden bed guten Auvergnaten. Jeder ift in feinen beften Kleidern, und Peter hüpft und fpringt im Zimmer herum, als wolle er ſich für das Tanzen entſchäbigen.

Da wir nur ſechs Berfonen im Banzen find, wirb ein eingiger Fiaker und genügen. Während wir in ben Wagen fleigen, Hat fid die ganze Nachbarſchaft eingefunben, um die Braut zu fehen, und meiner Seel’, fie darf ſich Sehen laflen! Sie hat feine Spöttereien über den jungfräulichen Kranz, der ihre Stine ſchmückt, zu fürchten. Richt ale jungen: Mädchen, die in den Stand ber Ehe treten, konnen das müßige Geſchwätz und den prüfenden Blick der Nach⸗ bardlente fo ungeicheut aushalten wie Ranette.

Dir figen zwar etwas eng im Fiaker, aber mas macht das. Luſtig und guter Dinge fahren wir unfered Weges, denn unfere Hochzeit gehört nicht zu denen, wobei bie. Belt fi Tächelnd an: fieht.

Ich kann das ernfle, ſchweigfame Ansfehen fo mancher Meu: vermählten nicht ausſtehen. Es fcheint mir immer, als verfede ſich dahinter das Borgefühl von demnächft bevorſtehendem Unwelter.

Bir haben jept den Segen ber Kirche zu umferem ehelichen Bunde empfangen. Sie ift mein! mein anf immer! mein liebes, gutes Weib! Wie gerne nenne ich fie bei diefem Namen und wie fie ihn! Welche Liebe leuchtet a aus jedem beiner Wide,

neßte !

Bon ber Kirche fahren wir zu Vater Beruharbs Wolmung

such, wo eine bienfuefälige Nachbarin inzwiſchen das. Dinar an; gerichtet hat. Wir ſetzen und an den Tisch, lachen, trinlen und fingen. Oft fehen wir und feufzend an, Nanette und ich, aber wir wiflen recht auf, warum? und das had nichts auf: ſich!

Nach der Mahlzeit tanzen wir fo Heiler umb froh wie Ki Sinber.:von , ehemals. Aber diesmal haben wis ben Tanz bäldes fett als fon; um zehn Uhr wünfchen wir der Geſellſchaft eine ruhſame Nacht. Peter bleibt bei Bernhard und ich... ich Fübme triamphiund meine Braut, meins vielgelishte —* in weint in unfere eheliche Behavſuns

diexunddreißigſtes Rapitel. Leute Prüfung Rückehr nach Savoyen.

Liebe, Ordnung und Fleiß verſprechen unſerer kleinen Hands haltung ein dauerndes Gluͤck. Ich arbeite an einem neuen Gemälde, Nanette näht Kleider, Beter fegt ſeine Kamine und Vater Dera- hard ruht, das iſt ihm zu gönnen. In Savoyen koͤnnten wir. in dem nieblichen Häuschen ber guten Mutter wie die Prinzen Ichen, Aber die Pflicht. der Dankbarkeit gegen meine Wohlthaͤterin umb ihre Tochter hält mich jo lange in Paris zurüd, bis ihr Schickſal entichieben if. Ich darf fie um fo weniger verlaffen, als alle Welt fie verläßt.

In den erfien Tagen nach unſerer Hejsath gibt es unendlich viel Zerſtreuungen, kaum, daß ich eine Stunde vor meinem es mälbe ſigen kann; auch Manette fieht jeden Augenblid auf... wir Haben ung, halt taufend Dinge zu jagen.. Aber bei aller Siehe, bie aus ihren Augen leuchtet, ift fie die Sinnigfeit und Vernunft felbft.

„Freund,“ ruft fie mix zu, wenn ich zu oft ben Pinfel njehex⸗ lege, „bedenle, Du haſt viele Pflichten auf Dir!“ Geyfggub Ich

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I) Yan an bie Acheil zurül. Gottlob Fönnen wir Maler Wenbs anörwben, und dann eutfchäbige ich mich bei ihr für die Eutbeh⸗ tungen bed Tages.

Das liebe, gute Weib iſt die erfte, die mich aufforbert, meine Wohlthaterin zu befucken. Mit jedem Augenblicke entdecke ich neue Tugenden, neue Reize an meiner Lebensgefährtin. Ihr Geſpräch M einfa und kunſtlos, natürlich und doch fo zauberiſch; Ihr Geſchmack zart und gebildet; ihr Geiſt anmuthig und liebens⸗ würdig; nichts ME in Sprache umd Benehmen, wad im Weringfien gegen die zarte Lebensart verftieße, und doch ift fle nur Die Tochter eines fehlichten Wafferträgerd. Wer hat fie das gelehrt? Offenbar gehört fie zu ben von ber Natur vorzugsweife begünftigten Ge⸗ fchöpfen, zu jenen reinen Raturfindern, ‚die Alles aus ſich ſchoͤpfen und keiner Unterwelfung bedürfea.

Mein zweiter Beſuch bei der Frau Graͤſin faͤllt mir ſchon leichter, und doch fühle ich mich gedrückt, wenn ich Adolphinen anfehe. Ach, die erſten Cindrüucke kommen ſchnell und verſchwinden langfam, ſehr langſam! Meine WohlfHäterin zämt, daß ich To lange babe auf mich watten laſſen; file will, daß ich öfter komme, Weil fie Riemand fehe und fpredhe außer mir. Adolphine iſt noch immer ſchwach und leibend. Ich habe bisher Feine Gelegenheit gehabt, ſie allein zu ſehen, auch wünfche ich fie nicht mehr her⸗ bei ; im Gegentheil, mie ſcheint, ich Würde dann noch verfegener fein.

Madame erkundigt ſich theilnehmend nach dem Erfolge meiner Arbeiten. Ich antworte ihr, daß es aufs Beſte gehe. Aus ber- gleichen Nothlugen, im reiner Abſicht gefagt, mache ich mir fein Gewiffen.

„Gottlob, daß es Die gut geht, Andreas,“ fagt fie. „Ich Wünfde nur, Dein edles Benehmen wäre überall befannt !“

She ich fortgehe, erfunbige ich mich bei Lucilien, ob die Fran Gräfn und ihre Tochter im Geringſten Mungel leiden. Bel der Gelegenheit Höre ich, daß Erſtere idt, wenn Lehtere ſchlaͤft, da⸗

mit ihre Tochter ja nichts davon mecke. Arme, arme Frau, da feht man, wie beneidenswerth der Keichthum iſt.geſchwinb zu meinem Binfel zurück!

Ein Laͤcheln Nanettens verſcheucht alle trüben Gedanken. Als ich ihr Die Urſache meiner Betrübniß ergäͤhle, küßt fie mich aub fagt:

„Bir find beide noch jung, mein Freund! Arbeiten wir tüchtig vorwärts, dann wirft Du bald mehr thun können für Deine alte MWohlthäterin, und gewiß nicht weniger glädlich fein.”

Meine Antwort ift, daß ich ‚fie an ‚mein Herz drücke.

Bir find jegt drei Monate vermählt. Ich habe inzwiſchen meine Gemälde verkauft, aber der Käufer meiner früheren Vrbeiten it leider auf dem Lande; das legt gefertigte iſt nicht ganz nad) Wunſch gelungen. Mein Weibchen ſteckte mir zu viel im Siun; dafür will ich dem neuen allen meinen Fleiß und alle meine Liehe zuwenden. Aber wie wird ed mir gehen, bis es fertig iſt! Derden nicht die beiden Damen allerlei dringende Bebürfniffe haben? beun bad letzte Geld mug bald ausgegeben fein. Dazu Tommi, daß mein eigener Hausſtand, wie beſcheidan er fein mag, immerhin Auslagen verlangt. Oft wird ed mir etwas ſchwül Dabei, und nicht immer gelingt es Nanette, die Sorge von meiner Stirno wegzwlächeln.

Zwar beiheuert fie eim über's audere Mal, daß fie nichte brauche für die Haushaltung; und Heißt mich unbeſorgt fein für die Zukunft; allein wie foll e8 werden, wenn bie ange Marquifin eruftlich krank wird, wozu es, leider! ganz den Anſchein hat?

Eined Tages, als ich die beiden Damen befuchen will, txeffs ih Niemand als Abolphine. Die Graͤſin und Bmeille find Beide audgegangen.

Sch bin mit Adolphinen nicht allein gewefen ſeit jenem wer: haͤngnißvollen Tage, wo ih ihr meine Liebe geſtand und bald dars auf vom Brafen überrafcht wurde. DO, wie ſchmerzlich iR wir ber Gedanke! Ich weiß nicht, ob Adolphine gleichfalle dieſes Umſtandes gedenkt; aber fie Scheint eben fo verwiret wie ich,

Ip ſehe mich meben fie. Rad einigen Griuntigaugen hin⸗ ſichelich ihres und ihrer Mutter Befiuben ſtockt das Geſpräch. Ich weiß nicht, was ich ihr jagen foll: die Flut von Griuneruugen, De anf wich einfkärıt, läßt mich nicht zur Belinunug Fommen. Moelphine if eben fo ſtumm. Wir fipen da wie zwei Derbreche, die ſich wor dem Dekenniniß ihrer Thaten fchenen, vder wie zwei bend⸗de mikeinenber grollen, wab bach. ſind wir weder das Gine noch das Anbdere.

Ich ſehe fortwährend nieber, doch Höre ich, wie fe ſeufzt. Offenbar leitet fie. Es if mir, als werde ich von ihr angefledt, deun ich fühle mich umenbiich beklommen. Eudlich bricht fie bus GSchweigen was fagt wit zikkerwber Stimme:

„Bir Gaben uns lange nicht ohne Zragen ‚gefehen und ge- eeihen, Andreas. Ich möchte wiffen.... .“

: ie kam wi weiter. Mit gefpanntefter Erwartung horche ich auf.

- Mad Sie von mir gebucht: Haben, Andreas,“ fährt fie nach eier Pauſe zitlernd ford, ‚als Sie meine Heirat mit Herrn von Sheciguy sefaleen t“

„I dachte, Mabame, daß biefe Verbindung Ihrer Familie zeſage mad def... Michts..... ihr int Wege Rebe.

„Hub, daß ich glüdkich tnecben Buune 3“ .

„Ja, Mabame.“

Sie füweigt. Habe ich ihr wehe geihan ? Ich ſehe ſie am. O Himmel, die Tränen rinnen über re Wangen. Gben will ich ihre Hand evugreifen, als bie Frau Gruͤfin ins Zimmer tritt.

„Bas fehlt Dir, Adolphine?“ fragt fie, erſchreckt über dem SIutonb ihr Tochter.

„ide, Biukter, nichto ſtouert fie und verfucht zu lächeln. „Bin Schwinvel.“

„Armed And !" J

Ich will den Aen Golem, ‚aber: Molphin⸗ sit e es nicht zu.

457

Bald gelingt ed ihr, die Mutter zu beruhigen ; aber mich tät fie nicht.

Tief bewegt Tchre ich nach Haus zurück. Bergebend ſuche ich zu arbeiten: es will nicht gehen ; kaum kaun ich ben Pinſel halten. Ich Iege mich bald ind Bett nieder, aber die Erlebniſſe dieſes Tages laſſen mir feine: Ruhe. Mitten in ber Nacht wache ich auf ; Nanette iſt nicht bei mir! Meberrafcht, unruhig. ſtehe ich in aller Stille auf. Enplich fehe ich fie im Nebenzimmer beim Schein ihres Lämpchend an der Arbeit ſitzen. Die Gute! währen ich glaube, daß fie ſchlaͤft, asbeitet fie die Nächte durch‘!

Sie Hat mich gehört und kommt erröthend auf mich zum Und was th fie? Sie bittet mich um- Verzeihung, daß fie in der Nacht arbeite, und verfichert mich, daß es Feine Nies fluengung, fonbern ein Vergnügen für fle ſei. So viel Liebe, fo viel Güte Tann mich an Nanette nicht mehr überrafchen ; ich Tenme fie. Aber wie quält es mi, daß ich ihr nid nach Verdienſt dafür lohnen: Tann! Und was antwortet fie ? Meine Liebe fei ihr fchönfter Lohn!

Solcher Edelmuth befeuert meinen Muth aufs Nene. Ich arbeite eifriger denn je zuver, und meine Anftxengungen werben mit dem fchönften Erfolge gekrönt. Denn eined Morgens tritt ganz unerwartet der reiche Kunſtkenner, der meine erften beiden Gemätbe mir ablanfte, ind Zimmer und erkundigt ſich nach meiner neneften Arbeit. Ich zeige fie ihm und ernte dafür feinen vollen Beifall. DaB Ende iſt, daß er fie mir für eine bedeutende Summe ablauft. Man vente fi meinen Jubel! Jetzt muß Manette verfpredhen, fie mag wollen ober nicht, daß ſie bas nächtliche Arbeiten aufſteckt. Wie gerne ſchenkte ich ihr ein kleines Geſchmeide, aber ſie will burchaus nichts annehmen, erinnert-mich dagegen an meine Pflicht gegen meine Wohlthäter.

Seit dem lebten Töte-a-töte mit Abolphine iſt ſie eben ſo ſchweigſam wie zuvor. Wenn ich komme, laͤchelt ſie und ſcheint

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erfreut über meine Gegenwart, aber gleich darauf fällt fie in ihre alte Schwermuth zurüd.

Nach Beriuß einiger Zeit gehe ich wieder zu ben beiben Damen, ohne den ſchoͤnen Erfolg meiner füngften Kunflbeftrebung zu welben.

„Wir waren recht beforgt Deinetwegen,“ fagt bie Frau Gräfin ; „wir fürchteten, Du feieft krank, d'rum hab’ ich Lucilie zu Dir geſchickt.“

Wie dankbar ich auch bin für den neuen Beweis ihrer Theil nahme, fo iſt mir doch nicht recht damit gedient, benn ich fürdhte, daß Lucilie auf diefe Weite meine Heirath erfährt und fle and: plaudert. Ich fuche meine Unruhe zu verftedlen und will mich eben empfehlen, als Lucilie rafch ins Zimmer tritt.

„Ih komme eben von ihrer Wohnung, Herr Andreas,” fagt fie, bedeutſam laͤchelnd. Ich winke ihr zu ſchweigen, aber fie ver: Neht wich nicht ober will mich nicht verſtehen.

„Du Ha Niemand gefunden!“ fagt die Frau Gräfin.

„Do, doc), gnädige Frau : eine recht liebenswürbige Perſon.“

„Gewiß feinen Bruder !“

„Rein, Madame, ed war Fein Herr.“

Die Fran Gräfin Hall mit Fragen ein, aber Adolphine flieht wi erfiaunt an. Ahr blafſes Antlig bedeckt ſich mit einer flüchtigen Nöthe, Ehe ih Lucilie zuwinten Tann, hat fie mein Geheimmiß bereitö verrathen.

„Entſchuldigen Sie gütigft, gnädige Frau... aber Sen Andreas Kat und nichts davon gefagt, daß... denken Sie, Ma; bame... baf er verheirathet fei.“

„Verheirathet?“

„Ja, Madame, mit ſeiner lieben Nanette, die ich heute zuerſt geſehen habe und in ber That allerliebſt fand.“

„Ift dem fo, Andreas ?* fragt meine Wohlthäterin,

", Madame,“ flottere ich verlegen,

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„Und warum fagteft Du bas nicht?"

Mährend ich nad) einem Borwande ſuche, blide ich zufällig auf Adolphine. Großer Bott! blaß wie der Tod, ift fie bewußtlos in die Ede des Sopha's gefunfen. Auf meinen Schrei fieht ſich die Frau Gräfin nach ihrer Tochter um. Schnell eilt fie ihr zu Hülfe, nimmt fle in ihre Arme und ruft fie Iaut bei Namen, während Lucilie und ich Alles thun, um fie in's Leben zurückzu⸗ rufen. Aber unfere Anftrengungen find umfonft ; ihre Augen bleiben geſchloſſen. Mit Blißesfchnelle eile ich zum Arzte und hole ihn herbei. Enblich gelingt es ihm, fie aus ihrer Ohnmacht zu weden. Sie öffnet die Augen, ſieht erft mich, dann die Mutter an uns ruft mit Schwacher Stimme:

„Fürchtet Euch nicht, es ift non Teiner Bedeutung.“

Nachdem wir ſie in's Bett getragen haben, entferne ich mich mit dem Arzte. Auf meine Frage nad dem Zuſtande Adolphinens gibt er mir die wenig tröflliche Antwort, daß bie Urſache ber Krankheit ein tiefgetvurzeltes Seelenleiven fei, woran alle Ans ſtrengungen der Kunft fcheitern müſſen. Ach, ich fürchte, ich er⸗ rathe die geheime Urſache biefes Seelenleidens!

Ald Nanette von dem beunrubigenden Zuflande Adolphinens hört, erbietet fie ſich zu allen möglichen Hülfeleiftungen : fie wii bei ihr wachen, fie pflegen. Aber ich glaube nicht, daß die Gegen» wart Nanettens wohlthuend auf die Kranke einwirft.

- Abends fpreche ich bei der Graͤſin vor. „Adolphine ift ruhig,” fagt Lucilie. „Madame weicht nit von ber Seite ihrer Tochter.”

Bon dort aud gehe ich zum Arzte und bitte ihn, der Kranken alle mögliche Sorgfalt zu ſchenken.

„Ich will thun, was in meinen Kräften flieht,” fagt er kopf⸗ ſchüttelnd; „aber es wird nichts helfen.“

Nanette if faft eben fo unruhig über ben Zuſtand der Krauken, als ich es bin. Kaum Tiege ich in meinem Bette, fo fchredt mid)

4.

460

Kbolphinene Bild aus dem erſten Schlafe auf. GSleich daranf wird laut an die Hausthüre geflopft. Eine geheime Ahnung fagt mir, daß es mir gelte. Ich ftehe auf, kleide mich eiligft an und öffne Die Thüre. Ach, ich Habe mich nicht getäufcht... Lucilie fleht vor mir, in Thränen gebabet.

„Kommen Sie gefchtwind !” ruft fie mir zu. „Die junge Mar: auifin if von einem hißigen Nervenfleber befallen. In ihren Tichten Angenblicken verlangt fle nach Ihnen, fie will Sie fehen, mit Ihnen ſprechen!“

Ich folge Lucilie; ſchweigend gehen wir neben einander. Enblich fine wir vor dem Haufe.

„Und ber Arzt?“ frage ich.

„Iſt oben bei der Frau Sräfln, die in Verzweiflung Ri über den Zuſtand ihrer Tochter.”

Ich trete in dad Krankenzimmer. Sie fieht mich nicht; fie Hegt in den Armen ihrer Mutter. Das Fieber hat eben feinen Hoͤhepunkt erreicht. Wir treten an fie heran, fprechen zu ihr: fle nennt meinen Namen, aber fie erfennt mich nicht. Auch Ranettene Name kommt über ihre Lippen ; zugleich macht fie eine Bewegung mit der Sand, als wolle fie etwas von ſich abwehren. Dann drückt fle die Hand an die Bruſt und ruft in wahrhaft herzzerreißendem Tone:

„Er ift da... immer ba... ich Tann ihn nicht fortfriegen von da! Aber er Tiebt mich nicht mehr. . . er kann mich nicht mehr Iteben.. . .”

Hierauf fällt fie in einen tiefen Schlaf, woraus fle Bald ruhiger and mit vollfommenem Bewußtfein erwacht. Meine Gegenwart ſcheint ihr wohl zu thun, denn fle laͤchelt die Mutter an und bittet mit faſt erſtickter Stimme:

„Erlauben Sie, liebe Mutter, daß ich mit Andreas einige

—— rede ... zum letztenmale. Dann will ich Sie nicht mehr

1 .Bte Bnkfin umnawet., fie, worauf den Arzt die, Mutter in's Nebenzimmen führt. : So fiche ich denn ‚allein vor Adolphinens Bett ;. ihre Mugen ſind ‚nom Weinen: aufgefchwollen. Sie reicht mir „.dar ich kaum bes Sälnhgen unterbräden fans,. ihre Hand unb fegt:

.„Mubrees, ‚meine letzte Gtunde iſt nahe; ich bin es zufrie⸗ ken, ‚bern ich Tann. doch nicht, mehr glücklich ſein. Sage mir, daß Du mich geliebt Haft... nenne mich noch. einmal Deine Adol⸗ yhine: wie im, ben ſchoͤnen Tagen: unferer Sinbhei... und ich fterbe wire „u

———— u meine Koolphime ... bleibe bei un⸗ .. ei. mir. . bei Deiner Mutter! Bleibe. bei und, bie wir Dich tichen:. on wie ‚Uchen . on 8K

"Rein, Andreas. , genug ieht.. ... ich. Rerbe glücklich · lebe wohl und verlaß ‚meine Mutter nucht

Ich will noch einmal ihre Hand prüden, aber fie iſt eisfalt.. Muphine bes die Mugen auf immer geſchloſſen!

AMßme dem mänmlichen Moment Tonne die Gruſta zurück, Schnell gehe, ich ihe entgegen und. nehme fie mit in's anbere Zimmer. Sie fragt. wide. ihrer Tochtex. Ach, mein Schweigen: ſagt genug! Sie fallt mir in die Arme. Mit Hülfe Luciliend trage ich, fie in ben Wagen des Arztes, welcher fie tn meine Wohnung bringt,

:.. Algbald kehre ich zu ber. Entſeelten zurück und bleibe bei ihr, bis die legten fchmerzlichen Pflichten. erfüllt find. ine einfache behcheirane Gruft. deckt die ſterbliches Ueberreſte dieſes Weibes, das tm den aihſtzehn Fahren ihres kunzen Dafeine: ‚bie außerordentlichſten Werhfelfaͤlle des Gladeq exlebte.

Dank. der angefizengteften Pflege von Seiten des Arztes, Que eifien®, meiner Frau und mir gelingt e& und endlich, bie troſtloſe Matten. zu benihigen,, Wir beiesinen Awlohime mit ihr wie eine Tochter und Schweſter.

Amt baͤlt ude nichts mehr in Paris zurick; im Gegentheil

Paul de Rod. II. 80

wird ber Aufenthalt unter dem teten Himmel Savoyens der Gräfin unmblich wohlihuenn fein. Bald nad dem Tode ihrer Tochter erfährt die Frau Gräfin, daß Herr von Theriguy, nachdent er dad geftohlene Geld bis auf den letzten Heller verſpielt hatte, im einem Duell geblieben ſei. Den flchentlichen Bitten Nauettens, vereint mit den meinigen, gelingt es enblidh, vie Frau Gräfe dahin zu bringen, daß fie eimwilligt, une. nach Savoyen zu folgen und ms wie ihre Kinder anzufehen.

„3a, Ihr feld meine Kinber,“ antwortet die Gräfin und bradt uns an ihr Herz. „Du, Andreas, Haft unendlich mehr an mis gethan, als id verdiente, .uub Da, liche Naneite, obgleich wir uns erſt feit Kurzem kennen, haft mich mit Tinhlicher Sorgfalt gepflegt. Ich erkenne Eure Liebe und bleibe hinſort bei Aa Ihr feld mein Ein und Alles,"

„Und Sie gehen mit und nach Savoyen ““

„Wohin Ihe wollt!"

„D, die Freude übers die Müdlchz in dis liebe —— AR Vorkehrungen find: beteits getzuffen, Peter und Bernhard zur Reife gerüftet. Gerne Hätten wir Lurilie mitgenommen ; alleim fie zieht es vor, einem jungen achtzehnjährigen Manne, der eine tüchtig⸗ Sausfrau fucht, ihre Hand zum ehelichen Bande zu reichen.

„Er iſt zwar noch ein Kind,” fagt Lucilie, „uber ich will ihn heranbilpen.“ Mit dergleichen Heranbildungen bat bie gute Zucilie vom jeher gerne abgegeben.

Endlich ik der Ting ver Abreiſe da. Ich Habe für uns Kauf eine Berline genommen, Denn ich will die Frau Gräfe nicht allein im Poftwagen zeifen laffen. Gerührt von ben vielen Freundſchafts⸗ beweilen, bie fie bei uns findet, gibt fie und oft die Haub und fagt mit thraͤnenbem Kuge: : .:

„Ihr Bringt es am Enbe undy. dahin, daß ich mit dem Beben mich wieder ausfähne !“

Per ſcilbert anfen Bibel, als wir bie lieben veiwathbero⸗

—————— ſahent Noneih M sung ſo. außer w wi Dein uns ach. F

Be das is Quer Gehurtsland ja “. ruft fie ein, über's andere 8* Dis’ wohlbalanuten Barrioͤre werfen wir ‚ale einem alten Groien Auftrnsferliden Grab u.

hen haber ihnen Allen / viel son dem neh ide Hauechen zer

Mukker erzaͤtzbi; aber ſorhubſſh· hatten ſie ſichls doch nicht gedacht.

„Das iſt ja ein Schloß. rufen Bernhard und Nunette.

„Welch reizender Aufenthalt!” fagt die Gräfin.

„an Burer Mitte,“ falle ich ein, „ift e8 meine Welt. Nie follen meine Wünfche weiter gehen als bis an die Berge, die unfern Horizont einfchließen. Das ſchwoͤre ich!“

Die Freude der Mutter begreift nur der, der fle mit anges fehen hat.

„Bir Tommen, um nie wieder zu ſcheiden von Dir, liebe Mutter.“

„Rie wieder ?“ ruft die Mutter. „Ihr wollt nie wieder nach Bari zuräd?“

„Nie; wir bleiben fletö bei Dix.“

„Und Du auch, Beter? Haft Du Di von den Omelettes ſoufflses und Paſteichen trennen können %"

„Ich habe fie fatt gekriegt,” antwortet Peter und legt bie Hand aufs linke Auge.

Die Fran Graͤſin und meine Mutter haben fich bald recht Tieb gewonnen. Die Tugend macht alle Stände einander gleich und ebnet alle Unterſchiede des Ranges und Bermögene.

&o find wir denn in unferem niedlichen Häuschen aufs Bes haglichſte eingerichtet. Die Frau Gräfin bewohnt das ſchoͤnſte Zimmer; fie weigerte ſich zwar, aber bies ift das einzige Mal, baf Ich gegen ihren Willen handelte. Das Glück iſt mit und ein- gelehrt in dieſen frieblichen Aufenthalt. Peter beftellt ven Garten; Bater Bernhard hilft ihm dabei, fo gut es fein Alter erlaubt ;

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Gehsundzwanzigheb Kapitel. Verſchledene Arten ide -. .„— . Ehebenunpzwanzigfied Kapitel. Beter und —— . Aqchtundzwanzigſtet Kapitel. Franzent Karril en Reunundgwanzigfed Kapitel. Wie Peter heuspält ee. Dreifigfied Rapitel. Secht Monate und ht ke » . - . Einundbreißighes Kapitel. Die Folgen von Peter HGaushaltung . Zweiunpdbreißiged Kapitel. Zurüfungen mm deauꝛei _ Broker Gtreih Kofi . ,„ . . Meinndbreißigſtter Kapitel. Leib und Sub. . Bierundbreifighes Rppitel,. Beigte Prüfung. —— Baier Seeyen td —-—

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GSoldſmith, Dliv., Candprediger vun Mieſtelb. Rene Auflage mit 1 Stahlſtich 15 Nur. 48 fr. Ariof’s zafender Aolanb. Ins Deutfie überlegt von Hermann Kurz. 1Rthir. 1 fl. 48 &,,, 22 Sie vorſteßenben Claſſiker find in dem belichten neuen

Elafitter » Format gebrudt und meiſtens mit ſchoͤnen Gtahl- ſtichen gezieri.

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sit Wa werehelichen Deferd der Part de Moctiien Romane werten folgende, im 2*. Verlagẽ er»

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mpfoplän’: Beuckbrau, F. W., die Verfehindrung in Ba "Münden." Eine Gallerie der intereſſanteſten Liebſchaften galanter Herren und lüſterner ud tan Yrbanben 080 ‚allen‘ Stäuken.: aehfimet:. 2, Se % ANNE. 7Y, Ser.

* = iderän, F. IE 2 beine gichiehäften von Barifer Kofkamen, ad) Noger Graf v. Sufp-Habutin. 4 Ryblr. 15 pr. Kr 7 20 8314 Btradbrd; 8.8, DRtip lungen ah ben‘ aupemen Sdemoirın eintk deutſchem Sängerin. 2 Bünde. 2 Rthlr. Te Ser. ch „© ses ‚4 jan. EEE, der BRepſt, Kin ändere. roch. Min hiſtoriſcher Ramıan..2 Bände. 8. ich +: 11Rihlr. 15 Ser.

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Band II. Seite 37. Bräufein Tochter, Dein Betragen it ſeht unpaflen, um mich micht jchärfer aue zuorũden

Band II. Seite 201. Der Koch des Herrn von Franconard dentt über eine neue Sauce nad).

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or Zu u e— > Band IL. Seite 235. Here dv. Mrancomard, begleitet von Heren Champagne, forynettirt die Bauern mäbehen und Mmeift die Hübfcheren.

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Band IT. Seite 29. Seitdem Peter die Meider gewecſeit Hat, ſeht er in der That Höchf lomiſch au et fergengetabe da und Rarrt vor ſich Hin, weber find noch techtß, moch hintı Blidend. Herr Dermilld lacht leut, als er Peter erblidt.

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u- Band II. Seite W.

Beſuch von Müllern und Hannhen bei ihrer Tante Feinwäſcherin.

Das Kind meiner Stan,

"Bon

Pauf de Koch. 1

Deutſch bearbeitet

von

Dr. Heinrich Elsner.

Dritte Auflage.

Stuttgart: Rieger'ſche Verlagsbuchhandlung. (A. Benedict.)

1857.

Buchdruckerei der Rieger'ſchen Verlagshandlung in Stuttgart.

Erſtes Kapitel. Reiſe, Unfall. Abenteuer.

„Wir werden biefen Abend auf keinen Kal mehr nach Straß, burg fommen, Müller!... Sag einmal dem Poſtillon, ex ſolle anf bie verfiuchten Mähren Iospeitfchen. Seit einer Stunde habe ich ihm das fchon mehr ale zwanzigmal gefagt, mein Oberft; aber er antwortet, wenn wir nicht alle drei den Hals brechen wollten, Tönne er nicht ſchneller fahren. Heinrich wirb nicht mehr in Straßs burg fein, bis wir dort eintreffen. Dann, mein Oberft, reifen wir ihm noch weiter nad. Und Holen ihn vielleicht nicht zeitig genug ein, um dem Unglüd, das ich befürchte, zuvorzufommen!... Wenn auch, fo haben Sie ſich wenigftens nichts vorzuwerfen, mein Oberſt; denn wahrhaftig, feit ven ſechs Wochen, daß wir Tag und Nacht umherrennen von Framberg nach Straßburg, von Straßburg nach Paris, und von Parid wieder nach Framberg, find meine Hofen fo feft an meine Hinterbaden geklebt, daß ich mich gendthigt fehen werde, mein Oberft, in unferem erſten Abſteige⸗ quartier mein zweites Geſicht zu zeigen: Wenn nur wenigftens der Zweck unferer Reife erreicht würde! Ad! wenn nur eine gute Flaſche Wein da wäre, die Erſtarrung von meinen Gliedern wegzuwafchen!... Mber nein!... Nicht einmal ein ſchlechtes Glas Lanpfturm zur Löfchung meines brennenden Durftes! OB! mein Oberſt! für einen Andern würbe ich eine foldke Bein nicht fo gebuldig ertragen ! Bereuft Du’s, mir gefolgt zu fein, Müller ? Ich gehe mit Ihnen, mein Oberfl, bis and Ende der Welt; doch wänfchte ih, daß man babei efjen und trinken Eönnte... .”. Hier warb bad Geſpraͤch durch einen entfehlichen Stoß unterbrochen,

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von welchem die Achſe des Poſtwagens entzwei brach ; bald Tagen der Oberſt Framberg und fein Reifegefährte in einem Chauſſee⸗ graben ; die ganze Schuln fiel auf den Boftillon, der in feiner Eil⸗ fertigleit den Graben nicht wahrgenommen hatte.

Während fi der Fuhrmann mit den Pferden befchäftigte, Half Müller feinem Oberfien wieder auf die Beine. „Zaufend Millionen Batronen ! find Sie verlept, Oberſt? Es iſt nichis, Müller ; nur ſchmerzt nich mein linkes Bein ein wenig. Donner; weiter! Sie haben eine flarle Quetſchung! GE ift nichts, fag’ ich Dir, mach’ nur, daß wir einen Ort finden, wo wir biefe Nacht bleiben koͤnnen, denn ich fehe wohl, daß wir die Hoffuung auf: geben müſſen, heute noch Straßburg zu erreichen.“

Des herzutretende Poſtknecht berichtete den beiden Herten, etwa fünfzig Schritte von da befinde ſich eine Herberge. „Bir, Schhlingel! Du wagft es, den Oberfien Framberg in einen Graben zu werfen?" fuhr Müller den Poſtillon an. Der aber entfchulbigte fig fo gut e8 ging, und man ſchlug den Weg nach dem Wirtha⸗ hanfe ein, indem man ven Oberſt unter beide Arme nahm.

Unfere Reiſenden waren noch feine Biertelfiunde vorwärts ges fegeitten, als fie ein Eeined Hans von einfachem, doch gefälligem Aeunßern erblickten; es beſtand aus einem Parterre, einem Sied: werk und den Dachboöden; grüne Jalouſien ſchützten die Bewohner vor ber Sonnenhige, und mehrere buſchige Eichen befchatteten ven Gingang ; kurz, Alles ſchien anzudenten, daß ber Here biefer Woh- nung, des geraͤuſchvollen Stadtlebens müde, fich in dieſe Einfem- famleit zurädgezogen habe, um feinen Siunen in flillen Betrach⸗ tungen Ruhe zu gönnen.

„Das nennft Du eine Herberge!” ſchnaubte Müller den Bor Killon an; „breifaches Donneriveiter, ich glaube, Du wii meisten Oberſt noch gar fpazieren führen?... Laßt und immerhin

Flopfen !“ antwortete der Baer „Drinnen merben wir ſchon ſehen, woran wir find,“

d

Müller pocht mit gewichligen Schlägen an ver Thüre: Leine Antwort ; neued Klopfen: Alles umfonft. Zu ihrem hoͤchſten Uns ftern war inzwiſchen die Nacht eingebrochen und bie Verlegung des Oberflen, durch das Gehen ſchlimmer gemacht, verurſachte dem⸗ felben entjegliche Schmerzen.

„Und wenn alle Teufel fich verfchworen hätten, mein Oberft, fo können Sie in Ihrem jegigen Zuftande doch nicht unter freiem Himmel fchlafen. Da die Bewohner dieſes Haufes taub find, fo müffen wir fle zu entbehren fuchen.“ Bei diefen Worten trat Müller mit aller Kraft gegen ben der Thüre am nächften befinblichen Fenſter⸗ laden der Barterrewohnung, welcher nicht im Stande, dem Sturme teogen zu Tönnen, praffelnd zu feinen Füßen nieberfiel. Run ſchlug er mit feinem Säbel ein paar Scheiben ein und flieg in das Haus, ohne auf die Befehle feines Oberften zu hören, welcher ihm vor⸗ ftellte, daß man auf biefe Weile dad Voͤllkerrecht nicht verlehen dürfe, und man ihn eher für einen Straßenräuber, als einen alten Felnwebel halten müſſe.

Ohne fich in feiner Expedition aufhalten zu laffen, eilt Müller nach der Hausthüre, findet an der Wand einen großen Schlüffel, öffnet ohne Schwierigfeit und läßt den Oberf Framberg in das Teerftehende Haus ein.

„Da wir einmal innen find,“ fagt ber Oberſt, „fo wollen wir wenigftend mit Umſicht zu Werke gehen. Recht, mein Oberft, geben Sie diefem Dummkopf von Poftillen, der an unferem Miß⸗ geſchick Schuld ift, ven Arm, und ich gehe voran, um Sie vor jevem Unfall zu bewahren.“

Unfere Reifenven ſetzten ſich, umhertappend, in Marſch, venn die Finſterniß war fo groß, daß man feinen Schritt vor- oder rüds wärtd fehen fonnte. Schon waren fle durch mehrere Gemächer ges gangen , ohne etwas zu entdecken, und Müller, ungeduldig werdend, fing an, zwifchen den Zähnen zu finden, als Etwas an ihnen vorüberlam und bei ihrer Annäherung eiligft entſloh. Müller, ge

veizt, lauft dem Fliehenden nach, aber feine Füße verwickeln fich, er verliert das Gleichgewicht und fällt mit dem Kopf in einen vollen Waſſereimer. Wuͤthend richtet er ſich wieder auf, öffnet eine Thüre, glaubt fi auf ebenem Boden und purzelt eine ganze Treppe hinab, indem er eine unglüdlicdhe Rabe, die Schuld an all viefem Gepolter it, mit in feinen Fall verwickelt. =

Obgleich von feiner eiligen Rutfchpartie ganz beiäubt, ſteht Müller doch ſchnell wieder auf, und fchreitet diesmal mit mehr Umficht zur Unterfuchung des Orts, an bem er fich befindet.

Die Kühle veffelben und verfchiedene ihm unter die Hände fallende Flaſchen geben ihm bald die Meberzeugung, daß er in den Keller gerathen fei. Durch dieſe Entdeckung beruhigt, ſucht er die Treppe, die er fo eilfertig berablam, und will wieder hinauf, um dem Oberft fein Gläd mitzutheilen, aber zum britten Mal ftoßen feine Füße an einen Gegenfland und er fällt mit dem Geficht einem Individuum auf die Rafe, welches ruhig fchlief und ein fchred; liches Geſchrei anhebt, als es fich fo plöglich aufgeweckt fühlte.

Bweites Mapitel. Die Grafen von Bramberg.

Ehe wir Müllern aus der Ueberrafchung heraushelfen, die ihm diefe nene Begegnung verurfachte, iſt ed nöthig, dem Lefer mit: zutheilen , wer der Oberfi Framberg war, und was ihn zu biefer Reiſe beivog.

Graf Hermann von Framberg, Vater des Oberften, ftammte and einer alten deutſchen Familie; von Geſchlecht zu Geſchlecht hatten alle Bramberge in ihrer Jugend dem Baterlande gedient, und Graf Hermann, nachdem er anf dem Feld der Ehre ſich Lor⸗ been bes Ruhmes gefammelt, hatte ſich auf das Schloß feiner Ahnen zurädgegogen., und harrte bier mit Ungebuld an ber Seite

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einer geliebten Gattin anf die Geburt des Kindes, das fle ‚unter ihrem Herzen trug, und das feinem Glück die Krone aufjegen follte.

Diefer Augenblid Fam, aber flatt eines Tages bes Jubels, warb ed ein Tag der Trauer und des Leids: die Graͤfin, indem fie einem Sohne das Leben gab, verlor das ihrige.

Nie tröftete fich der Graf völlig über dieſen Verluft ; da aber die Zeit auch den berbften Kummer lindert, erinnerte er ſich, daß er einen Sohn habe, und gab ſich mit allem Gifer der Sorge für deffen Erziehung hin.

Diefe glich der feiner Ahnen. Der junge Framberg lernte frühzeitig die militärifchen Uebungen ; voll Freude fah der Bater feine glüdlichen Anlagen und mit fünfzehn Sahren bat der junge Mann um die Grlaubniß, zur Armee abgehen zu bürfen.

Obgleich fi der Graf ungern von feinem Sohne trennte, willigte er doch in fein Verlangen ; ber junge Framberg verließ das Schloß feiner Väter, um das Feld der Ehre zu betreten, wo ihm in fehr kurzer Zeit feine ausgezeichneten Waffenthaten ‚ven Hang eines Oberften erwarben.

Graf Hermann war flolz auf einen ſolchen Sohn, und. ale der Oberſt Framberg feine Winterquartiere im Schloffe feines Vaters zuzubringen gebachte, warb er mit allen militärifchen Ehrenbezei⸗ gungen, welche die väterliche Liebe noch finnreicher verfchönerte, empfangen. "

Auf dem Schlachtfelde machte der Oberſt die Bekauntfchaft Müllers. Diefer Brave Hufar zeichnete fich eben fo fehr durch feinen Muth, als feinen wunderlihen Humor aus. Er befaß. die volle Freimüthigkeit und Derkheit eines guten Soldaten. Stets bereit, fein Leben für Denjenigen einzujeßen, ben er liebte, hätte er auch die ganze Welt durchftreift, um Denjenigen zu firafen, der ihn beleidigte oder befchimpfte. Seinen Oberften verehrte er als feinen Vorgeſetzten und liebte ihn als den Tapferften des Heeres. Bei jeder Schlacht ſtand Müller demſelben zur Seite, focht ihm voraué,

beckte ihn oft mit feinem Körper, und nie hätte er es Dem ver: ziehen, welcher ihn der Wonne beraubt hätte, für des Oberſten Rettung zu ſterben.

Der Oberſt feinerfeits ſchloß fi immer mehr an Müller an; bald wurden fle unzertrennlih, denn der Ober, im Feldlager anfgewacdhfen, Tannte keineswegs die Unterfchieve, welche Rang und Reichthum in ber Welt begründen. Beſaß Derjenige, den er liebte, die gutem Eigenfchaften, die ihm feine‘ Freundſchaft werth machen Tonnten, fo war er, wenn auch ohne Titel und Vermögen, darum nicht weniger achtungswerth in feinen Angen ; mit einem Wort, der Oberft war über alle Borurtheile erhaben, und verlegte fogar öfters durch fein Benehmen die Bonvenienzen der Gefell: fhaft. Der Berfolg diefer Geſchichte wird uns hänfige Beifpiele davon liefern.

Als Graf Hermann alt ward, wünfchte er fehnlicht, fein Sohn möchte ihm einen Erben feines Namens fchenfen, und bei jedem Befuc des Oberften auf dem Schloffe (wohin ihn Müller feit lange begleitete) erneuerte der alte Graf feine Bitten, füch zu vermählen. Geraume Zeit hindurch, wo noch der Sporn des Ruhms anf den Geiſt des Oberften allein wirkte, entfprach er feines Vaters Wunſche nicht; als er aber fein dreißigftes Jahr erreicht und diefer Briegerifche Sinn fich etwas abgekühlt hatte, war er bereit, fi

"den Wunſchen des Vaters zu fügen.

ine halbe Meile vom Schloß des Grafen Hermann lagen die Güter ded Baron von Froburg. Der Baron, ein Wittwer, lebte zurüdgezogen auf feinem Schloffe, nur mit Erziehung feiner einzigen Tochter befchäftigt; die Feine Elementine war der Abgott ihres Vaters und der Gegenftand feiner fchönften Hoffnungen.

Als Nachbarn ſchloßen der Graf und der Baron Bald einen dnnigen Freundſchaftsbund; einen Theil ihrer Zeit brachten fie ab- wechslungsweiſe auf dem Schloffe des Einen oder bes Andern zu; der Eine erzählte, wenn fie in Winterabenden zufammen faßen,

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von den glänzenden Waffenthaten und dem Ruhme, mit welchem fein Sohn ihm die alten Tage verfchönere, der Andere malte bie kindliche Anmuth feiner Tochter, ihre zärtliche Liebe für ihn, ihre Theilnahme für Unglüdlie, und feine Hoffnung aus, daß fie ein mit der Schönheit ihrer Mutter auch deren Tugenden in ſich vereinigen werde.

So verfloß die Zeit: der Graf theilte dem Baron den Wunſch, feinen Sohn vermählt zu fehen, mit; der Baron vertraute jenem die Unruhe, die ihn bei dem Gebanfen peinigte, daß er feine Tochter bei feinem Tode, ohne Freund, der fie fchübe, ohne Gatten, allein in der Welt zurücklaſſe.

Aus dieſen vertraulichen Mittheilungen folgte, was nothwendig daraus folgen mußte; der Graf und der Baron bildeten den Plan, ihre Kinder zu vereinen; dadurch knüpften ſich die Freundſchafts⸗ bande zwiſchen ihnen noch feſter, und die Unruhe, die unablaͤſſig ihr Alter trübte, ſchwand.

Um dieſe Zeit war es, daß ſich der Oberſt den Wünſchen feined Vaters fügte: da führte ihn diefer aufs Schloß des Barous, damit er die. für ihn beflimmte Gattin ſehe.

Auf feinen häufigen Reifen zu feinem Voter hatte der Oberft Glementinen bereitd erblidt; aber welch ein Unterſchied! damals war fie noch ein Kind und all ihre Anmuth Hatte ſich mit ven Sahren erh vollends entfaltet.

Als der Graf fie feinem Sohne als feine fünftige Gemahlin vorſtellte, hatte Clementine ihr achtzehntes Jahr erreicht; fie war xeigend, ohne ſchoͤn zu fein, aber jene ihrer Bewegungen athmete Wonne; ihre großen ſchwarzen Augen brüdten das zärtlichte Schmachten aus, und ihr Mund öffnete fih nur, um bezaubernde Töne, welche eine füge Verwirrung in dem Herzen jedes Hörere erregten, vernehmen zu laſſen.

Elementinens Charakter firafte die Sanftheit ihrer Blicke nicht Lügen: fie war mit allen Tugenden begabt; aber. bis zur Uebers

Baul de Rod. M. 2

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treibung gefühloolt. Diefe Empfindſamkeit, wenn fle zu heftig iſt, wird häufig dad Unglüd ber Frauen und reißt fie oft weiter fort, als fie ſelbſt eigentlich wollen.

Der Oberft fühlte beim Anblid Elementinend jenen geheimen Zauber, den die Gegenwart einer reizenden Frau bervorbringt, und wünſchte fehnlichft, fie bald feine Gattin zu nennen, ohne jebod jene heftige Leidenfchaft für fle zu empfinden, welche im Stande it, Alles für den Beſitz des geliebten Gegenſtandes aufzuopfern. Der Oberfi Framberg, im Lager erzogen, Tannte die Liebe nicht, und feine barfche Freimüthigkeit war mehr geeignet‘, einen Freund, als einen Liebhaber aus ihm zu machen; aber ſtolz auf die Wahl feines Vaters, freute er fich, feine Wünfche mit feiner Pflicht in Binklang bringen zu können.

Als aber der alte Baron Elementinen fagte, daß fie ven Oberfl Framberg als ihren Fünftigen Gemahl zu betrachten Habe, erblafte fie, gerieth in Verwirrung und warf fih ihrem Vater zu Füßen, flehentlich Bittend, er möchte fie nicht zwingen, ihn zu verlaffen. Der Baron ftellte ihr vor, daß fie ihn nicht zu verlaffen Braude: daß er fortwährend bei ihr wohnen werde; daß fie überdies eines Beichügers, eines zweiten Vaters bebürfe, der, wenn ihr Bater zu Grabe getragen fein würbe, deſſen Stelle erfege, und daß er zu Erfüllung aller diefer Pflichten Feinen wäürbigern Mann ſinbden Tönne, als den Sohn des Grafen Hermann ; furz, der Baron gab feiner Tochter zu verftehen, auf biefer Ehe beruhe feine fchönfte Hoffnung, und feine alten Tage verfümmere fie, wenn fie ihm hierin zu gehorchen fich weigere.

Elementine ſchwieg, fuchte ihre Thränen zu verbergen und verfprach ihrem Bater, feinen Wünfchen zu willfahren.

Indeß erlangte fie von dem Baron wenigftens einen Aufſchub, bamit fie, wie fie fagte, Seit babe, ihren fünftigen Gemahl kennen gu lernen; darauf wurde befchloffen, daß bie Verbindung erft nach Verlauf von drei Monaten ftattfinden ſolle.

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Woher mochte der Kummer Clementinens bei ber Verkündi⸗ gung ihrer bevorſtehenden Vermaͤhlung rühren? Wenn der Oberſt nicht den ſanften und zaͤrtlichen Ton Hatte, welchen man bei einem Liebhaber wünfcht, fo befaß er wenigftens vortreffliche Eigenfchaften, und zu dem hätte fie dad Vergnügen, ihrem Bater zu folgen, be⸗ wegen follen, ohne Widerftreben die von dieſem vorgefchlagene Che einzugehen. Demnach mußte irgend ein geheimer Beweggrund die Ruhe ihrer Seele flören. Dies werden wir ohne Zweifel im fol: genben Kapitel erfahren.

Britis Aapitel,

Glementine.

Unfern dem Schloffe des Barons von Froburg lag auf einem Hügel, von dem aud man die reichen Befigungen des Vaters unferer Glemenline erblickte, eine Heine, mit einem hübfchen Gärtchen um: gebene Hätte. In dieſem befcheinenen Afyle wohnte die Amme der Tochter des Barond. Sie Hatte der Tebteren ſtets die Zärtlichkeit einer Mutter bewiefen und ihr alle Sorgfalt und Pflege einer folchen angebeihen Iaffen. Clementine ihrerfeits Tiehte die gute Mariane zärtlich und ließ feinen Tag vorübergehen, ohne fie zu beſuchen.

An einem ſchönen Frühlingsabend begab fich Clementine auf den Weg nach der Hütte. Das Wetter war nie fo ſchoͤn gewefen ; eine fanfte, reine Luft beranfchte die Sinne, und bie untergehende Sonne ſchien nur mit Widerſtreben einen Tag zu beſchließen, den ſie ſo ſchoͤn entfaltet hatte.

Bon einem unwiderſtehlichen Gefühle hingeriſſen, vertiefte ſich Elementine ins Gehoͤlz, das fle, um zu Marlanend Hütte zu ge: fangen, durchſchneiden mußte. Bald ſich müde fühlend, fegte fie fly am Fuße eines Baumes nieder und überließ ſich jüßen Träu-

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mereien, wozu fle dad rings um fie her verbreitete Stillſchweigen einlud.

So ſaß ſie ſchon geraume Zeit, als ſie ein ziemlich naher Flintenſchuß aus ihren Betrachtungen aufſchreckte: ſchnell wandte fie ſich um und fa einen jungen Jäger. Beim Anblick Clemen⸗ tinens blieb der Jüngling betroffen ſtehen, und flatt fich wegen der ihr eingejagten Furcht zu entfchuldigen, hatte er nur Augen für den reigenden Gegenfland, der fich feinen Blicken darbot.

Glementine gewahrte zuerft dad Sonderbare ihrer Lage; fie Rand auf und wollte fi entfernen, als der junge Mann auf fie zulief und fle fanft am Arm zurückhielt..

„Wie! mein Fräulein, follte ih Ihnen Furcht gemacht haben ? Sie nit, mein Herr, nur Ihre Flinte... Wollen Sie meine Entſchuldigung genehmigen ? ich hatte Sie nicht bemerkt: denn gewiß, wäre das bälder gejchehen, fo hätte ich unmöglich mehr an bie Jagd benfen Finnen... Es würde mir leid thun, mein Herr, wenn ich. Ihr Vergnügen flörte... Ad, wein Fräulein, gerne würde ich jebes andere Vergnügen für das hin geben, welches ich in dieſem Augenblid empfinde... .“

Elementine erzöthete; der junge Mann ſchwieg und fie landen aufs Neue unbeweglich einander gegenüber. -

Inzwiſchen brach vie Nacht herein ; Clementine machte wieder einige Schritte. „Sie entfernen fih, mein Träulein? Sa, mein Herr, die Nacht Tommi und es ift Zeit, ind Schloß zuräd: zukehren. Sie bewohnen dag Schloß Froburg? Sa, mein Herr. Wenn das Fräulein mir erlauben wollte, Sie berthin zu begleiten? Nicht nöthig, mein Herr, ich kenne die Wege fehr gut.” Damit entjchlüpfte Clementine leichten Schrities umb ließ den jungen Mann allein, defjen Augen ihr bis zum Saum des Waldes folgten. Athemlos Iangte Clementine im Schloß an; zum erftenmale ließ fie einen ganzen Tag perſtreichen, ohne ihre gute Aımme zu

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Befuchen. Sie vergaß Andere, um nur an die fo eben flatigehabte Begegnung zu denken. Umfonft wollte fie dieſen unmwillfürlichen Gedanken verfagen, umaufhörlich ſchwebte ihr das Bild des jungen Jägers vor und erfüllte ihre Seele mit noch nie gefannter Unruhe.

Am folgenden Tage begab fie fich zur nämlichen Stunde nad Parianend Hütte. Indeß vertiefte fie fih, trotz ihres geheimen Wunſches, mit dem Unbefannten wieder zufammen zu treffen, nicht ins Gehoͤlz, fondern ging gerade Wegs zu ihrer Amme. Nadh- dem bie gute Frau fie über ihr geftriges Ausbleiben gezankt hatte, mußte fie fich zu ihr fegen und warb eingelaven, ihr Mahl, aus Milch und Obft beftehend, zu heilen. Doch war Glementine nicht in ihrem gewöhnlichen Zuftande. Eine geheime Unruhe, ein neues Gefühl bewegten fie. Ihre gute Amme, welche die Veränderung in ihrem ganzen Weſen wohl bemerkte, fragte fie um die Urfache, und Elementine, die fein Geheimniß für dieſelbe Hatte, machte fle mit dem geftrigen Zufammentreffen und dem Gegenftand, ber fie befchäftigte, bekannt, was fie ihrem Vater nie zu erzählen gewagt hätte: fo wahr ift ed, daß Sanftmuth und Vertraulichkeit zum Zutrauen hinreißt, während die Ehrfurcht gegen die Eltern öfters die Quelle einer gegen fle beobachteten Zurüdhaltung ift.

Mariane, die in diefem Zufammentreffen nur etwas ganz Ratürliches fand, ohne die Folgen defjelben vorauszufehen, wunderte fi über Elementinens Aufregung. Während fie diefen Gegenfland befprachen, pochte man an ber Thüre. Herzklopfen zeigte Clemen⸗ tinen an, daß es ihretwegen geſchehe: Mariane öffnete und wirt: lich trat auch der junge Mann aus dem Wald in die Hütte.

Er lächelte, als er die bald erröthende, bald zitternde Cle⸗ mentine gewahrte. Die gute Mariane flaunte beide mit offenem Munde an, nnfchlüffig, ob fie ſchweigen oder reden folle.

Leicht fand der junge Mann einen Vorwand für einen Be: fuch; er fagte Marianen, daß er gegen Abend, auf der Jagd ver: irrt, in großer Berlegeuheit gewejen fei, woranf er dann die Hütte

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erblict habe. Er bat um etwas Milch und Obſt, da er feit dem Morgen nichts genofjen habe, Sich Hierauf an Clementinen wendend, grüßte er fie fchüchtern und fagte, er preife ſich glüdlih, daß der Zufall ihm ein zweites Mal das Vergnügen, ihr zu begegnen, verjchaffe.

Glementine lächelte ebenfalls, denn ein inneres Gefühl ſchien fie errathen zu laffen, daß nicht der Zufall es fei, der den jungen Jäger bergeführt. Mariane begriff nun, es fei derjenige, der ihrem Fräulein (wie fie Slementine nannte) geſtern Abend. begegnet war, und fagte ihm, baß er nicht gelegener hätte kommen können, und Glementine fo eben von ihm gefprochen habe. Zärtlich blickte der junge Mann dad erröthende Mädchen an, Mariane aber fah noch immer befrembet auf beibe.

Nach und nach verfchwand indeß der Zwang, Vertrauen trat an deſſen Stelle, und der Jaͤger froh, Clementinen nicht mehr unbefannt zu fein, theilte den Srauenzimmern mit, daß er ein Franzoſe fei, d'Ormeville heiße, frühe feiner Eltern beraubt und Bei feinem geringen Vermögen in den Militärbienft getreten fei; nachdem er einige Zeit mit den franzöfifchen Heeren im Felde ge: flanden, habe er mit einem feiner Kameraden einen Ehrenhandel gehabt, fich mit ihm gefchlagen und feinen Gegner im Zweikampf getötet. Die Familie defjelben fei reich und mächtig; er, d'Orme⸗ ville, arm und ohne Proteftion, habe ſich genöthigt gefehen, zu entfliehen, um dem peinlichen Gericht auszuweichen, und fei nad Deutfchland gekommen, in ber Abfiht, die Dienfte bed Kaifers zu nehmen. Auf diefer Reife habe er einige Zeit in einem, dem Schloffe Froburg nahegelegenen Dorfe verweilt und gerade, als er fich mit ber Jagd unterhalten, die reizende Clementine getroffen.

Die Tochter des Barons fragte mit reger Theilnahme, ob er jet in Sicherheit fei. D'Ormeville antwortete, daß er nichts mehr fürchte, feit er ſich in Deutfchland befinde, und fügte hinzu, fein \ehnlichfter Wunſch fei jetzt, noch lange in der Gegend zu ver weilen ‚bie fig bewohne.

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Auf folche Weife warb dies unerwartete Zufammentreffen für Glementine die Quelle mannigfacher Leiden. D'Ormeville erlangte anfangs nur ſchwer die Erlaubniß, Clementine auf einen Theil bed Rückwegs zu begleiten; zwar war Mariane ſtets bei ihnen: ift aber die Gegenwart eines Dritten hinreichend, das Auffeimen ber Liebe zu erfliden ?

Glementine fehlte Feinen Abend in der Hütte; und d'Orme⸗ ville feinerfeitd war eben fo pünktlich. Er fand ſtets irgend einen Dorwand, dort zugelafien zu werben. Die gute Mariane fah nichts Unrechted darin, daß zwei fo liebenswürdige junge Leute öfters beifammen waren; überbied hatte d'Ormeville durch fein fanft- müthiged und zuvorkommendes Weſen ihre Freundſchaft gewonnen, and Niemand fhidte ſich, wie fle fagte, beſſer mit ihrem Yräus lein zujammen.

Unfere jungen Leute hatten ſich bald verfländigt. Die Augen: Sprache genügte ihnen nicht mehr, und während eines Tages Mariane im Garten war, warf fi d'Ormeville Clementinen zu Füßen und - geſtand ihr feine Liebe.

- Was hätte fie erwidern fönnen, das er nicht ſchon wußte 3_ Ste ſchwuren fich gegenfeitig zu, einander anzugehören und ewig zu lieben. Das Geſchick indeß, welches nicht immer mit unfern Wünſchen übereinftimmt, fehien denen ber beiden Liebenden ent- gegen: fein zu wollen. Glementine gefland d'Ormeville, daß ihr Bater die Franzofen nicht liebe und nicht Leicht feine Einwilligung zu biefer Berbindung geben werde. D'Ormeville hielt ihr entgegen, daß ex in deutfche Dienfte trete upb diefer Umfland ihren Bater vielleicht günftiger für ihn flimmen könne. Clementine glaubte es: was man wünfcht, glaubt man fo leiht!...

Die Zeit verftrich inzwifchen und d'Ormeville, ber ſchon bei der Armee hätte fein follen, konnte fich nicht zur Trennung von Elementinen entfchließen. Jeden Abend genofjen unfere Liebenden, mit der guten Mariane, welche voll Freude ihren Reben zuhoͤrte,

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um einen Tifch ſihend, das füße Bergmügen, welches man im Zufammenfein mit dem geliebten Gegenſtand enpfindet, und ge wöhnlich gingen alle brei mit einander bis an bie Thüre des Schloß: parts, wo Glementine mit dem Berfpreihen ſchied, am andern Tage wieder zn kommen.

Als fi jedoch Mariane eines Tages unpäßlich fühlte, Tomate fie Glementine auf dem Heimmwege nicht begleiten. Es war fpät: bei traufichem Liebeöfofen Hatte nian die Stunde vergeffen und @lementine durfte nicht allein gehen; fie mußte wohl d'Ormeville's Arm annehmen. Der Abend war prächtig und rief anfern Liebenden den erften Tag ihres Zufammentreffend zurüd. Am Walde fanden fie Ri, taufend köſtliche Gefühle bemächtigten fich ihrer Herzen. O'Ormeville drückte feine Geliebte in feine Arme; Clementine gab ſich ganz feinen Lieblofungen bin, und beide vergaßen bie Welt and ihre Bonventenzen, um nur noch an bie Liebe zu benfen.

Da unglüdlicherweife das hHöchfte Vergnügen die kürzeſte Dauer hat, fo ſchwand die Täuſchung, die Sinne wurden wieder ruhiger und Glementine jah mit Entjeben den Abgrund, in welchen fie geflürzt war. Doch d'Ormeville war bei ihr, er fillte ihren Schmerz, trocknete ihre Thränen, etwas Leichtes für einen Liebhaber! le: mentine lächelte... Wenn die Liebe ven Sennß a überlebt, iſt man immer noch glüdTieh,

Man mußte fich indeß trennen, und dies war das Härtefle!.. Endlich ging Glementine durch die Beine Pforte des Parks. nad Haufe; aber wie fehr zitterte fie, als fie durch die -Gemächer des Schloffes Hinflog! Mit welcher Verwirrung redete fie nicht ben Urheber ihrer Tage an! Wenn ber Baron erſt zwanzig Jahre ges zählt Hätte, er hätte Alles geahnt. Aber unfere Eltern find nicht mehr, wie wir, im Alter ber Leidenfchaften: darum iſt es auch Veit, ihnen die in uns tohenben zu verbergen.

Se mehr indeß unfere Liebenden ver Liebe pflegten, um fo weniger dachte d'Drmeville an feine Abreife, bis ein anerwartetes

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aber ganz natürliches Ereigniß ihn an feine Pflicht erinnerte: Ele⸗ mentine fühlte ſich guter Hoffnung. Diefe Nachricht erfüllte dOrme⸗ ville mit Freude, ließ ihn aber doch fühlen, daß es Zeit‘ fei, einen entfcheidenden Schritt zu thun.

Man kam überein, d'Ormeville folle augenbticklich zur Armee abreifen! eben kam ein Krieg zwifchen Rußland und Oeſterreich zum Ausbruch ; der Augenblid, ſich auszuzeichnen, war da. Cle⸗ mentine folfte ihren Gellebten von Allem auf dem Schloß Bor; fallenden in Kenntniß feßen. Man hoffte, er werde vor der Ges burt des unter ihrem Herzen ruhendeh Kindes wieber zurückkommen; und dann wollten ſich beide Liebenden dem Baron zu Then iverfen, ihr Bergehen befennen und feine Berzeihung erlangen.

Nach Feftftellung dieſes Planes dachte man nur noch an feine Ausführung: d'Ormeville verließ die Geliebte nicht, ohne viele Thränen zu vergießen, und Clementine fühlte ihre Sinne ſchwinden, als fie Denfenigen abreifen ſah, den fie als ihren Gatten betrachtete.

——

Wiertes Aapitel. Der Mann, wie es wenige gibt.

Zwei Monäte nah dOrmille's Abreiſe kündigte der Baron von Froburg feiner Tochter an, daß fle den Oberfien Framberg als ihren Fünftigen Gemahl anzufehen habe.

Was konnte Elementine fagen ? Ste fürchtete ihren Vater zu fehr, ald daß fle es gewagt hätte, ihm ihren Fehltritt zu geft&hen. Mir haben gefehen, daß Alles, was fie zu erlangen vermochte, ein Aufſchub von drei Monaten war. An dem Bufen ihrer guten Amme, in ben fie ſchon lange all ihren Kummer vertrauensvoll nieberge: legt hatte, weinte fie fih ans. Die alte Mariane konnte ihr nur zufprecden, Muth zu faflen ; aber um das Nuglück vol zu machen,

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empfing Glomentinen. feit einem Monate von d'Ormeville Teine Nach⸗ richt mehr. Was mochte ihm begegnet fein... War er gefangen? war-er auf dem Schlachtfelde gefallen ? Alle viefe entfeglichen Ge⸗ danken machten ihre Lage nur noch fchredlicher.

Eines Abends waren Graf Hermann und fein Sohn Bei bem Baron, da trat Müller herein, feinem Oberfien Nachricht über die legte Schlacht zu bringen.

„Nun! Müller,” fagte der Oberfi, „was gibt's Neued? Ha! die Feinde find tüchtig geklopft worden!... Bill Du deſſen gewiß? Sa, Herr Oberfl, denn ber alte Frank, der ges sabe von der Armee herkommt, hat mir's erzählt. Bomben und. Sranaten ! Er fagt, der Kampf fei bikig gewefen!... Der Feind vertheidigte ſich wader; anfangs richtete er große Berheerungen in unfern Reihen an: von der ganzen erfien Schwahron unferes ſechsunddreißigſten Hufarenregiments .ift nicht ein Einziger davon gelommen... Bas fagen Sie?” rief Clementine „Wie? nicht einmal die Offiziere ?... Ad! mein Gott, nicht Einer!... Alles blieb auf dem Blage!.. .“

Elementine hoͤrte nicht weiter, fie ſank ohnmächtig nieder: man fprang ihr bei, waͤhtend Müller, durch die Befchreibung ber Schlacht in Feuereifer gerathen, ven Unfall nicht bemerkte, welchen er hervorgerufen hatte.

Man trug Elementine in ihr Zimmer, wo fle ihre Siune nur wieber erlangte, um fi) dem heftigften Schmerze hinzugeben. In der erfien Schwadron des ſechsunddreißigſten Hufarenregiments diente b’Ormenilfe, und die eben erhaltene Nachricht in Verbindung mit ben? feit lange von ihm beobachteten Stillſchweigen überzeugte fie leicht, daß er zu leben aufgehört habe.

Wirklich gelangte auch von biefer Zeit an feine Nachricht vor b’Ormeville mehr zu Glementinen, welche ihre Tage in Thränen verlebte, in Gedanken an ben, ben fie verloren. Mittlerweile ver: ſtrich bie Zeit: ber Glementinen gewährte dreimonatliche Aufſchub

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nahte feinem Ende; auch fühlte fie, daß fie bald Mutter fein werde, und jeder Augenblick vermehrte die Angft ihrer Lage..

Ein Schritt mußte gefchehen: Clementine entfchloß fi, das leßte ihr übrige Mittel zu verfuchen, um, wenn nicht Glück, worauf fie feit dem Tode bed Geliebten verzichtet hatte, boch wenigfiend Ruhe und Frieden zu genießen, die fie fchon lange entbehren gemußt.

Der Charakter des Oberfien Framberg, welchen Elementine fchäßen gelernt hatte, gab ihr den Gedanken ein, ihm ihren Fehl: tritt zu befennen und fich feiner Großmuth anzuvertrauen. Eines Tages, kurz vor dem zu ihrer Dermählung beftimmten Zeitpunkt, bat fie den Oberſten um eine kurze Unterrevung unter vier Augen; gerne willigte diefer darein. Sie begaben fi an einen abgelegenen Ort des Parks und dort theilte ihm Clementine das Geheimnig ihrer Liebe und ihres Unglüds mit.

Der Oberft wurde flarr vor Erflaunen, ald er von Blemens fine vernahm, daß fie bald Mutter fein werde.

„Wie? Madame,“ fagte er zu ihr, „Sie, die ich für bie allerunfchuldigfte unter ven Frauen gehalten hätte!...“ Er hielt inne: Glementine war purpurroth vor Scham... „Ah! ver zeihen Sie, Madame,” fegte er hinzu, „vie Liebe ift mir. unbe: fannt, und ich weiß nicht, zu welchen Fehlern fie uns Hinreißt. Do Sprechen, befehlen Sie! was verlangen Sie von mir? Ihr Zutrauen verbient meine ganze Anhänglichleit und Achtung, ed if ein Beweis, daß Sie mich ſchätzen: und ich will Ihnen zeigen, daß wenn der Oberſt Framberg nicht ihr Beliebter fein kann, er wenigftends Ihrer Freundſchaft würdig ift.“

Durch diefe Rede ermuthigt, fagte Elementine, „fle iprlafie fi) ganz feiner Großmuth, ihr Schidfal flehe in feinen Händen.“

„Run wohlen! Madame, in dieſem Fall wollen wir, wenn ed Ihnen genehm ift, nichts an unfern Projekten ändern. Lebte derjenige noch, der Ihre Liebe befaß, fo würbe ich mich wohl hüten, mich Ihnen ale Gatte anzutragen, denn das hieße Sie zu ewiger

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Heue verdammen wollen; aber er iſt nicht mehr, .und Sie ſind Mutter: Ihr Kind bedarf eined Vaters; ich will diefe Stelle Bei ihm vertreten, und immer bie gleiche Zärtlichkeit für daſſelbe haben, ale wäre es mein eigenes! Wie! Oberſt, Sie wären bereit- willig, mich zu heirathen? Vergeſſen Sie, daß Vorurtheile, Die Ehre ſelbſt, Ihnen diefe Ehe unterfagen? Voruttheile kenne ich nicht; und meine Ehre, Madame, befleht darin, das Unglüd zu unterflügen und ver Waife Vater zu fein. Unter diefem Titel will ich Ihr Gemahl werden, und wenn man in der Folge mein Benehmen tadelt, Tann man mir wenigftend die Genugthuung nicht verfagen, als galanter Hann gehandelt zu haben. Ach! Oherft, wer wäre frech genug, die Handlungsweiſe eined Mannes zu tadeln, der fich nur im Wohlthun gefält? Neberdies, Madame, da die Schidlichkeit es erfordert, fo bürge ich Ihnen dafür, daß das tieffle Geheimniß dieſe Begebenheit umhüllen fol.”

So endigte die Unterhaltung und acht Tage darauf warb Ele: mentine bed Oberften Gattin. Hätte fie d'Ormeville nicht gekannt, würde fie in dieſer Verbindung ihr Glück gefunden haben; aber die Grinnerung an ben Angebeteten Arte unabläffig ihre Ruhe und fie verfiel in düſtere Schwermuth, die fie vergebens ihrem Gatten zu verbergen fuchte.

Einen Monat nach der Hochzeit flarb Graf Hermann; ber Dberfi weihte dem Gedaͤchtniß feines Vaters die Thränen eines zärtlihen Sohnes und lebte einige Zeit mit feiner Gemahlin in gänzlicher Abgefchievenheit, wo er Niemand als Müller vor ſich ließ. diefem Zeitraum gebar die Gräfin einen Knaben, der ins: geheim unter dem Namen Heinrich d'Ormeville getauft ward, den aber ber Oberſt erzog und für feinen Sohn ausgab.

Der alte Baron von Froburg, damals auf feinem Schloffe, batte Feine Runde von biefem Creigniß, und ftarb, nicht lange nachher, ohne die geringfte Ahnung von diefem Geheimniffe.

Müller wat der Einzige, der die Wahrheit durchſchaute; aber

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es behielt feine Betrachtungen für ſich und änferte feine Gedanken gegen ben Oberften nicht.

Der junge Heinrich wurbe ber Abgott feiner Mutter; feine Züge vergegenwärtigten ihr die Züge des von ihr fo heiß geliebten Mannes. Wäre Elementine fo glüdlich geweien, ihren Sohn zu erziehen, fo würbe unfer junger Held wahrfcheinlich ihre fanften und zarten Tugenden geerbt haben, aber fie farb, noch ehe er fein viertes Jahr erreicht hatte, begleitet von den Thränen und dem Bedauern aller Derer, die fie kannten.

Die Berzweiflung über den Tod feiner Frau nöthigte ben Oberſten, zur Zerfireuung einige Zeit das Schloß zu verlaflen. Gr befchloß, wieber zur Armee zu gehen ; feine Liebe zu dem Fleinen Heinrich bewog ihn indeß, biefen in ben Händen eines Mannes zurüdzulaffen, der mit allem Eifer feine Sugend beauffichtigen und ihm frühe ſchon die Grundfäge der Tugend einimpfen könne; hiezu erfor ex Müller. Ex fannte deſſen Biederkeit und Aufrichtigkeit, und in ber Meberzgeugung, dieſer werde feinen Sohn (wie er Heinrich nannte) Teinen Augenblick verlaffen, ſchwankte er nicht, ihn zum befien Lehrer zu beftellen.

Müller wäre wohl ebenfo gern feinem Oberften zur Armeg gefolgt, als daß er ruhig auf Schloß Framberg verblieb: ba aber die Wünjche feines Vorgefegten Befehle für ihn waren, fo ſchwur er, feine Plane treulich zu erfüllen. Der Oberſt reiste daher ab, Indem er Müller in feiner Abwefenheit den Befehl über das Schloß übergab und ihm einfchärfte, aus Heinrich einen braven und tugend⸗ haften Mann zu bilden.

Aünfles Rapite. Heintihe Erziehung.

Wir wollen nun fehen, wie Müller die ihm geftellte Aufgabe löste, und welches die Erziehung des feinen Heinrich war.

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Müller fing damit an, feine Wohnung neben der feines Zoͤg⸗ lings aufzufäglagen ; fo wie der Tag graute, trat er in Heinrichs Zimmer, z0g ihn ungeflüm aus dem Bette, kleidete ihn an und nahm ihn zu einem Spaziergang im freien Felde mit, wohl wiffend, daß diefe Leibesbewegung feinen Zögling ſtärker und Träftiger mache.

Wieder heimgefehrt, nahm man das Frühſtück, aus etwas

kaltem Fleiſch und Wein beftehend, ein ; Müller war der Meinung, das tauge mehr, als alle Thees und Kaffeed in der Welt; viel- leicht Hatte er nicht Unrecht; aber ich glaube, ed war ihm im Grunde auch nicht unlieb, ſelbſt diefes Frühftüc Benügen zu können. Hierauf trat Müller feinen Zögling, doch nur auf zwei Stunden, einem alten auf dem Schloß wohnenden Magifter ab, ver beauf- tragt war, ihn Schreiben und fremde Sprachen zu lehren. Müller empfahl Heinrich unaufhoͤrlich, fih mit dem Studium der Wiffen- ſchaften nicht fo fehr den Kopf zu zerbrechen, weil er den Degen gut zu führen für nöthiger hielt, als Latein fprechen zu Können: und der junge Menſch, fich auf. Müllers Beiflimmung ſtützend, warf Herrn Bethmaunn (fo hieß der Lehrer) zuweilen die Bücher ins Geſicht, weil er ihn laugweile, und er lieber fechten lernen wollte. Herr Bethmann ſchrie; aber Müller war entzüdt, und erfterer hatte immer Unrecht.

Bar biefer Unterricht vorüber, fo führte Müller den Kleinen in den Hof, ſetzte ihn auf ein Pferd und ließ das Thier beinahe eine Stunde lang im Hof herumtraben und galoppiren; auch fannte der Heine Heinrich in feinem zehnten Jahre die Pferde beffer, als fein Elementarbuch. Nach dieſem Eleinen Zeitvertreib fchritt man zu einem andern wichtigeren; man mußte exerciren und bie ehrenvolle Handhabung des Saͤbels lernen. Darin zeichnete fich Müller befonders aus, umd wenn er mit feinem Zoͤgling zufrieden war, fo belohnte er ihn durch Freifprechung für morgen von jedem Unterricht bei Herrn Bethmann.

Run feßten ſich die Herren zu Tifche. Müllers Grundſatz war,

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hier möglichft lange fihen zu bleiben, und dies war ber einzige, worin er mit Herrn Bethmann übereinflimmte, welcher die Ehre tHeilte, mit den Herren zu fpeifen, weil Müller gerne Jemand bei fich hatte, der ihm bei Tifche die Stange zu halten vermochte, bis fih fein Zögling felbft mit ihm betrinken könnte,

Gewöhnli waren beide nach Tifch nicht mehr im Stande, irgend etwas zu unternehmen. Herr Beihmann, der mit Müller rivalifiren wollte, Tag flet8 am Ende des Mahls unter dem Tifch, und da Müller nun Niemand mehr zum Disputiren hatte, fchlief er am Kamin, feine Pfeife rauchend und ein Kriegslied ſummend, ein.

Während feine beiden Lehrer im Schlafe Tagen, machte Heinrich feine Streiche. Don Niemand mehr beauffichtigt, rannte er durch Schloß und Garten, hielt im Stalle an, band die Pferbe los, flieg ohne Sattel auf und verheerte ven Garten, indem er kreuz und quer durch bie Gänge und Senrüäbeete ritt, ohne auf das Geſchrei des Gärtner zu Hören, ber in Verzweiflung war, daß er nie feine Pflanzungen zur Reife gedeihen fah.

Eined Tages indeß entſchloß fich der Gärtner, aͤrgerlich dar⸗ über, daß Heinrich jeden Abend feine Arbeit vom Morgen zerftörte, Rache zu nehmen. Nach feinem reiflich überdachten Blane faufte er einige Schwärmer, brachte fie unten an einem Baume in ber großen Allee an, die Heinrich am häuflgften und Tiebflen verwüftete, und bis zu einem Gebüfch, worin er fich verbarg, Laufpulver ſtreuend, erwartete er ruhig feinen Feind, bereit, im Augenblick feined Bor: beifommens anzuzünden, in ber Weberzengung, das Pferd werbe beim Knall der Exrploflon feinem Reiter auf irgend eine Weife übel mitfpielen.

Der Erfolg rechtfertigte alle Erwartungen des Gärtner ; fo: bald Heinrich ſah, daß Herr Bethmann unter dem Tifche Tag und Müller eingefchlafen war, flürzte ex die Treppe hinab, Tief in den Stall, Band das befte Pferd Ios und beſtieg es mit vem Vorſat wie früher bie Gartenbeete zuſammenzureiten.

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Er galoppirte demzufolge auf die unheilvolle Allee zu; aber o, unvermutheied Unglüd!... die Explofion fand flat: das Pferd bäumt ſich und fept feinen Reiter ab, der ebenfalls durch das plög liche Knallen zu erfchredi war, als daß er fich Hätte feit auf feinem Thiere halten Lönnen, und zehn Schritte weit hinausge⸗ fhleudert wurde. Die ganze Dienerfhaft des Schloffes lief bei dem Gefchrei ihres jungen Herrn zufammen, der Gärtner, einer der erſten: auch Müller warb aufgeweckt; erfchredt über das zu feinen Ohren dringende Gejchrei, wirft er, um jchneller Heinrich zu Hülfe zu eilen, die Tafel über Herrn Bethmann zufammen.

Unfern jungen Freund hatte mehr Furcht, als Schaben be: troßen, einige Quetſchungen abgerechnet, war ihm weiter nichts zugefloßen. Indeß theilte er, über bie Urfache feines Falles befragt, Müllern das Gefchehene mit; diefer wüthenn, daß man es gewagt, feinem Zögling eine alle zu legen, ſchwoͤrt, daß, wenn er ben Schurken vou Thäter entdecke, ex ihm die Luft zur Wiederholung benehmen wolle. Sämmtliche Diener betheuern ihre Unſchuld und man kehrt im Geſpraͤch über dieſen Vorfall nad) dem Schloß zurüd.

Dort hatte ſich aber eine andere Ueberraſchung vorbereitet; unten an ber Treppe hört Müller einen jonderbaren Lärm aus dem Speifefagl herausdringen, vier Stufen auf einmal nehmend, läuft ex hinauf und findet Herrn Bethmann fich unter dem Tifch zwifchen Flaſchen und Schüffeln wälgend, und nach Möglichkeit anſtrengend, feine Kopf aus einem Punfchnapf herauszuarbeiten. Endlich ge: lingt es ihm, jeboch nur mit Zurüdlaffung feiner Perrüde. Als dia Stille wieber etwas hergeftellt war, ging man auseinander und begab ſich zur Ruhe.

Dur feinen Sturz vom Pferde gezüchtigt, war Heinrich eine Zeitlang etwas friedlicher und begnügte fih damit, im Hofe zu galoppiren. Der Gärtner freute fih im Stillen über den guten Erfolg feiner Kriegslift und fah mit Gntzüden feine Gemüfe em: porſchießen.

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Nach und nach verwifchte fich der Cindruck des Sturzes, und Heinrich fing an, den engen Kreis feiner Reitfchule Iangweilig zu finden. Als er endlich wieder geheilt war, ſchlag er auch den Weg nad dem Garten wieder ein und machte aufs Neue, daß ihn der Gärtner zu allen Teufeln wünfchte. Mülfer, der den Streich mit den Schwärmern nicht vergefien hatte und vor Verlangen brannte, befjien Urheber zu erforfchen, faßte bald dringenden Verbacht gegen den Särtner, deſſen wieberholte Klagen feinen Unmuth nicht ver- kennen ließen. Er befchloß daher, unferem Mann aufzupaffen und bie Sewißheit feiner Vermuthungen zu erlangen; die Gelegenheit dazu ließ nicht lange auf ſich warten.

Der Gaärtner, müde, zu fehen, daß feine Vorftellungen zu nichts führten, entſchloß ſich, fein Experiment zu wiederholen, um dem jungen Heinrich feine Reitkünſte im Garten völlig zu ents leiden ; und damit ihn die Luft nicht anwandle, fpäter auf Neue zu fommen, dachte er, es werbe nicht übel fein, wenn er die Doſis verbreifache und die Sache dadurch wirkfamer mache. »

Wie aber es anftellen ? Das wenige Pulver, das er im Schloffe hatte auftreiben Tönnen, war bei der erften Exploflon verbraucht worden. Nach einigem Nachſinnen bachte er, Müller müfle eine mehr als zur Ausführung feines Planes hinreichende Quantität befigen, und er wolle einen Augenblid feiner Abweſenheit benügen, um ben Bebarf zu Holen.

Es Rand auch wirklich nicht Tange an, bis Müller herablam, wo er unfern Mann um dad Schloß herumfchleichen fah. Müller that, ala ob er, ohne etwas zu ahnen, weiter ginge; aber nach einigen Schritten kehrte er um und folgte bem Gärtner leiſe. Diefer, nicht ahnend, daß man ihm folge, trat in das Zimmer, nahm bie für nöthig erachtete Quantität Pulver und eilte fchnell in ben Sarten zurüd, wobei er über ben neuen Streich, den er unferem Sufarenzögling zu fpielen im Begriff war, in den Bart lachte.

Aber Müller Hatte Allee gefehen! und da er ben mherzeugenden

Baul de Kod. iu,

Beweis von ver Boeheit des Gaͤrtners erlangt hatte, verſprach er ſich, glänzende Rache zu nehmen. Nach wohl überlegtem Blane ließ ex den Gärtner Alles rüften, was feine Exploſton recht ges säufchooll machen konnte, und harte mit Ungeduld auf ben zur Ausführung feines Projekts beſtimmten Augenblid.

Endlich kam diefer von Müller und dem Gärtner fo fehnlihk gemwünfchte heran. Nachdem Lepterer fein Kunſtſtück gehörig vorbe⸗ reitet hatte, verftedte ex fich im Gebuͤſch, von wo auß er die Lunte anbrennen wollte. Er wartete nicht lange : der Galopp eines Pferbes ließ fidh vernehmen, ed kommt näher... Alsbald legt er Feuer an das Laufpulver... Aber o Ueberrafgung!... o Berzweif: lung!... ex felbft wird durch die Gewalt des Pulvers weit weg: geſchleudert und fällt unter durchbringendem Gefchrei auf den Rafen nieder.

Man denkt fich leicht, daß Müller es war, der den Pulver: reifen durch einen andern an den Berftedl des Gärtners führenven abgefchnitten und das Gebüfch fo mit Pulver unterminirt Hatte, baß er ihm die Luft benahm, Andere in die Luft zu ſprengen.

Auf dem herbeigaloppixenden Pferde ſaß Niemann: Müller hatte feinen Zögling von der ihm gelegten Falle benachrichtigt und dadurch vom Erſcheinen abgehalten.

„Aha!... Schure, Du aljo willt Deinen jungen Herm in die Luft fprengen, weil es ihm gefällt, Deinen Spinat mit ben Füßen feines Pferdes zu bearbeiten!... Dreifache Kanonade! ih weiß nicht, woran es hing, daß ich Dich nicht fo Hoch wie ber Kirchthurm des Dorfes habe fpringen laflen!... Aber, Her Müller!... was id that, gefchah zum Beften des Gern Yon Sramberg!... Was wird unfer Herr fagen, wenn er feinen Garten in diefem Zuſtande findet!... Wiffe, Schlingel, mein Oberſt licht feinen Sohn mehr, als feine Rohllöpfe, umb mag es meinem Zög⸗ ling gefallen, das ganze Schloß umzukehren, fo ſteht «6 Dir nicht zu, ein Wort darüber zu fagen.“

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Dee Gärtner ſchwieg und Hinkte nad feinem Händchen zu: räd, indem er alle jungen Leute, Pferde und Huſaren zum Teufel wünfchte. Müller aber, ftolz über das Gelingen feines Planes, feierte feinen Sieg mit dem Glas in der Hand, und diesmal brachte Herr Bethmann die Nacht unter dem Tifche zur.

Sechstes Kapitel. DaB Pachthaus und der Heuboden.

Auf ſolche Weiſe verging die Jugend unſeres Helden, und dieſer erreichte das Alter von fünfzehn Jahren, indem er fort: während alle Schloßbewohner nedte und ärgerte. Aber er ritt vor: trefflich, fchlug fich Beinahe eben fo gut, als fein Lehrer, ber bei feinem Schnurrbart ſchwur, daß ihm fein Zögling Ehre machen werbe.

Mit fünfzehn Jahren hatte Heinrich das Ausfehen eines Mannes, und bie Leivenfchaften mußten fih bei ihm eben fo frühzeitig, ale ber Körper eniwideln; er war groß, wohlgebaut, von eblen und angenehmen Geſichtszügen, eben fo fchnell, ſich über einen Fehler zu entſchuldigen, als Teichtfinnig, ihn zu begehen ; er war außer:

Inem brav, menſchlich, gefühlvoll, aber aufbraufenn, jähzornig, ungeflüm in feinen Wünfchen, barſch in feinen Handlungen unb Fannte Feine Grenze, keine Maͤßigung. Mit einem foldhen Charafter und von Müller geleitet, konnte e8 nicht fehlen, daß er zu guten und fchlimmen Bemerkungen über fi Beranlaffung gab.

Der Aufenthalt auf Schloß Framberg fing an, unferem Juͤng⸗ ling fehr langweilig zu werben, da Neifeluft und das Verlangen, die Welt kennen zu lernen, in ihm aufloberte. Jeden Tag machte ihm Müuͤller Hoffnung, daß der Oberſt eintreffen und fi alsdann feine Lebensweife ändern werde; aber bie Zeit verfirih und ber Dborſt kam nicht. Seinrich, müde, im Schloßraum umherzureiten, dehnte feit

einiger Zeit feine Spaziergänge ind Freie aus und fam nicht bälber zuruck, als bis Matiigkeit ober Bebürfuiß ihn zur Ruhe zwang. Müller, nicht mehr in dem Alter, wo ed Bergnügen macht, ſich lahm zu rennen, ließ feinen Zögling zuweilen biefe fernen Pro; menaden allein unternehmen, mit dem Bebing jedoch, daß er field . vor Einbruch der Nacht wiederkomme.

Eines Tages war er wie gewöhnlich aufgebrochen, aber bie Stunde feiner Zurückkunft verfirih, ohne daß er wieder im Schloffe erſchien. Müller, im Begriff, mit Bethmann eine Flaſche alten Rum zu leeren, gewahrte anfangs Heinrichs Abwefenheit nicht ; ale indeß die Nadht etwas vorgerüdt war, fragte er, ob der Herr Graf zurüd fei, und man antwortete ihm mit Nein. Nun fing er an, etwas unruhig zu werben, aber ex vermuthete, Heinrich werbe fi weiter, ald er zu thun pflegte, entfernt und nicht vorausge⸗ fehen haben, daß ihn die Nacht, ehe er aufs Schloß gelange, über: fallen würbe.

Do die Zeit verfirich: die Mitternachtsſtunde fchlug und Heinrich kam nicht wieder. Da Müller feiner Ungebuld und ber Furcht, es möchte feinem theuern Zögling irgend ein Unglüd zu: geſtoßen fein, nicht mehr Herr werben Fonnte, ließ er ein Pferd fatteln, ſchwang fich hinauf und befahl den übrigen Dienern , ſo⸗ glei auf verfihiedenen Wegen zur Auffuchung ihres jungen Herrn abgugehen.

Die Nacht war finfter: Müller ließ fein Pferd den erften beſten Weg einſchlagen, ermangelte jedoch nicht, ihm auf eine Weiſe zu: zufegen, daß es nicht einfchlief. Nachdem er ziemlich lange fort: galoppixt war, ohne auf ein lebendiges Wefen zu floßen, fah er endlich in der Entfernung einen Meinen Lichtſchimmer: alsbald ritt er barauf zu, in ber Hoffnung, hier einmal etwas über den Gegen; Rand feiner Nachforſchungen zu erfahren.

Das von Müller erblickte Licht Fam and einem inmitten ber Belder gelegenen Bachihofe. Müller pochte ungeftüm an bie Thüre,

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eine ftarfe Bulldogge laͤßt fich hören und verbreitet Lärm im ganzen Haufe. „Wer Hopft jo?" fragt eine rauhe Stimme im untern Stode. „Run, mad auf, Lümmel, und man wird's Dir fagen. Um dieſe Zeit aufmachen ? ... ei doch ! feht einmal den Pfiffi⸗ kus, der glaubt, man laſſe nur fo mir nichts Dir nichts die Diebe berein!... Wen nennft Du Dieb ? Wiſſe, Hunböfott, da Dir ein alter Feldwebel, der Lehrer des Sohnes des Oberften Sram: berg, bie Ehre eines Beſuchs erweist. Ja!... geh! ich werde mich durch ſolche Schnurrpfeifereien anführen laffen!... He, willſt Du Sffnen? oder ich haue mit meinem Säbel das Schloß von einander. Ah! er ift bewafinet!... Holla, Caͤſar! Caſtor! berbei, zu Hülfe! padt mir diefen Schurken da!...“ Mit diefen Worten öffnet der Pächter die Hofthüre und laͤßt zwei Bulldoggen Io8, welche über Müller herfallen ; biefer, wüthend barüber, daß der Bauer nicht mehr Reſpekt vor feinen Titeln und Aemtern Bat, fprengt zu Pferd in ven Hof, Haut dem erften ihm.in den Weg kommenden Hund mit feinem Säbel veh Kopf ab, flärzt nad dem Gemach, worin der Pächter war, und fucht Denjenigen auf, an dem er feine Rache nehmen will. Diefer aber, von Furcht er- griffen, wie er flieht, mit welchem Teufel er ed zu thun Bat, er- greift die Flucht, um feine Hoffnechte und das ganze Haus zu wecken. Müllern kann nichts aufhalten, ex rennt eine Treppe hinan, dann eine andere und kommt endlich auf ven Heuboden. Die Thüre war verriegelt. Vermuthend, dag fi fein Dann hieher geflüchtet babe, fprengt er fle, tritt ein, ſchließt wieder feft zu und befchäftigt fih durch Umbhertaften mit Unterfuchung des Orts.

Die tieffte Stille herrfchte Hier; indeß glaubte Müller beim Umdrehen der Heubündel Jemand athmen zu hören; er geht vor: wärts, fühlte fachte ringsumher und bleibt ganz erflaunt, als er unter feiner Hand völlig weibliche Formen fühlt. Er fährt im feinem Betaften fort, man rührt ſich nicht; was er befühlt, laͤßt ihn wohl ahnen, was ex nicht fieht; und von ber Hige feines

meine Rinder, wir wollen Alle hinab, ich nehme meinen Stutzer und, beim Teufel! er fol eine ſchlechte Biertelftunde Haben!“ Nach dieſen Worten ging der ganze Troß die Treppe hinab, um den Keller zu durchſuchen; und Müller, der hinter ihnen her fchlich, gewann den Hof, fand dort fein Pferd, ſchwang fih hinauf und fprengte in faufendem Galopp davon.

Da der Tag zu grauen begann, dachte Müller, er werbe wohl daran thun, wenn er aufs Schloß zurädreite, um nachzufehen, ob Heinrich während feiner Abweſenheit nicht zurückgekehrt fei. Bereits erlannte er In der Entfernung die Thürme des Schloffes Framberg, als er Pferdegetrappel vernahm; er fland fill, blidte um ſich und ſah Heinrich ganz ruhig auf feinen Lehrer zufraben.

„Ah: da feld Ihr doch einmal, mein Herr!... enblich finde ich Cuch wieder... Das ift meiner Treu eine faubere Stunde zum Nachhauſekommen! Und Du felbft, lieber Müller, woher kommſt benn Du... Ha! ha! ha!... wie Du ausfiehfi!... Wohin biſt Du gerathen, Freund, dag man Dich in folchen Zufland vers fepte ?“ Müller, der noch Feine Zeit gehabt hatte, ſich wieder in Ordnung zu dringen, war wirkli vom Kopf bis zu Buß mit Sen überzogen.

„Woher ich Fomme, mein Herr? Donnerwetter! Ihr feib Schuld, daß ih, Euch nacheilend, in fchöne Geſchichten geraten Bin; ich brach in ein Haus ein, töbtete die Hunde, prügelte den Pächter und... kurz einen Augenblick fpäter wäre ich erwürgt worben ohne dad Mitleid einer Frau, die mich allem Anfchein nad für zu jung zum Sterben hielt und mir die Mittel zum Entlommen verfägaffte. Ach! mein guter Müller! wie leid thut mir’s, daß ih daran Schuld Bin!... Aber warım feßteft Du Dir auch in ben Kopf, mir nadhzurennen? Ich bin Fein Kind mehr und groß ges mug zum Alleingehen. Ho! ho! welch folger Maun!... ih möchte wohl auch wiffen, wie Ihr Euch an meiner Stelle aus der "atfhe gezogen hättet!... doch darum handelt's ſich jegt nicht.

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Hoffentlich werdet Ihr mir jegt jagen, $unger Herr, was Ihr ſeit geftern gemacht habt? Sa, mein Freund, Du fol Alles er- fahren und felbft fehen, daß ich nicht Unrecht hatte Daran zweifle ich ſehr. Doch gleichviel, ſprecht! Du magft alfo wiſſen, daß, nachdem ich. lange Zeit im Freien umhergeſtreift war, id) fern yom Schloffe von der Nacht überfallen wurde; ungewiß bed ein- zufchlagenden Weges, wendete ich mich an einen Bauern, durch ben ich erfuhr, daß ich nur noch zwei Stunden von Offenburg enifernt jet. Demnach hatte ich mehr als ſechs Stunden zurüd: gelegt. Kehrte ich um, fo Eonnte ich mich verirren, ich hielt es für Hüger, bie Nacht in der Stadt zuzubringen. Der Bauer zeigte mir den Weg dahin. Aber noch Hatte ich Feine DViertelftunde ges macht, als ich ein kleines Haus von einfachem, doch angenehmen Aeußern erblickte: ich komme näher; o Ueberraſchung! ... melos diſche Töne ſchlugen an mein Ohr; eine Gottermuſtik laͤßt ſich vers nehmen, gegen eine Stunde bleibe ich unbeweglich vor dieſer Woh⸗ nung, einer Stimme laufchend, die bis in mein Herz drang! AH! Teufel! Durd Neugier, oder vielmehr ein geheimes, mid, beherrſchendes Gefühl getrieben, beſchloß ich endlich, die Perfon Iennen zu lernen, welche fo füße Empfindungen in meinem Herzen erregte!... Sch Elopfe, einnalte Dienerin oͤffnet mir; ich ver- lange die Herrin des Haufes zu ſprechen; fle führt mich in einen Eleinen Salon ; eine Dame von xeifem Alter war mit Lefen be- fhäftigt und neben ihr... . ach! miein Freund!... wie vermöchte ich das Vollkommenſte zu ſchildern, was der Erdkreis umfchließt!... das Schoͤnſte, was bie Natur hervotgebracht, kurz einen Engel!... Und dieſer Engel muſteirte? Ja, mein Freund; die Perſon, die ich gehört, war es. Bei meiner Annäherung ſchwieg fie; bie aͤltliche Dame fland auf und fragte mich, was ihr die Ehre meines Beſuchs verfchaffe. Ich nannte meinen Namen und erzählte, wie ich unvermerkt vom Wege abgefommen fei. Beim Namen des Grafen von Framberg jah ich ein wohlwollendes Lächeln ihre Züge

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Beleben. Beim Henker! das glaub ich wohl! Sie machkte mir das Auerbieten, den Anbruch des Tages in ihrem Haufe ab- zuwarten. Ich drückte ihr meine Befürchtumg aus, fie zu beun: ruhigen. Und doch bliebt Ihr? Gewiß! ... Ich nahm neben den Damen Platz; bald war das Geſpräch im Bang; die junge Berfon ſchien ſchüchtern und zurückhaltend ; aber vie ältere, etwas geſchwaͤtzige Dame theilte mie mit, daß fie feit eiwa zwölf Jahren dieſes Haͤuſschen bewohnen, Niemand bei fi fähen, weil ver Bater Baulinend (der Name des jungen Srauenzimmers) die Geſellſchaft nicht liebe; daß derſelbe wichtiger Angelegenheiten halber ſeit ei⸗ niger Zeit abweſend ſei, und fie mit Ungeduld auf feine Rückkehr harten, welche fie belehren folle, ob der Zweck feiner Neife ers füht ſei. O! o! welche Geheimnißfrämerei!... Endlich? Enblich, mein Freund, verging die Nacht unter folchem Geſpraͤch. So wie ich ſah, daß der Tag graute, erhob ich mich, und bat die Damen um Entſchuldigung, daß ich fie fo lange hingehalten babe... Breiter? Ich bat um die Erlaubniß, fie zuweilen in ihrer Einſamkeit flören zu bürfen; anfangs machte bie gute Frau eimige Schwierigkeiten... Ihr hättet derſelben ſagen follen, daß Ihr mein Zögling feir. Am Ende aber willigte fie ein, mich manchmal zu empfangen, bamit ich vie Cinſamkeit ihrer teuren Pauline etwas erheitere, und weil fie dachte, ber Sohn bes Oberſten Framberg werde dieſes Vorzugs würdig fein. Meine Sreude war unbefchreibiih! Der jungen Berfon fchien der Ent⸗

ſchluß ihrer Bllegemutter nicht unangenehm zu fein, und ich fchieb

mit der Hoffnung, Diejenige bald wieder zu fehen, welche von nun an all meine Gedanken erfüllen wird!... Sehr ſchoön, mein Herr; da wäret Ihr alfo nun verliebt mit fechzehn Jahren!... D! für das Leben, Mäler!.. Ihr habt die Weisheits: lehren, die ich TCuch gab, ſauber benüpt!... Glaubt mir, Tat Ente neue Letdenſchaft fahren, die Euch vielmehr zu entfeglichen ersnfheiten verfeiten wird, wenn ich nich Acht darauf Babe...

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Denke nicht daran, Müller, daß ich diefes anbeiungswärdige Fräulein vergeſſe, für das ich jebt ſchon mein Leben hiugäbe!... Du haft alfo nie geliebt? Berzeihung, mein Herr; ich liebte den Ruhm, den Wein und die Weiber; die letzteren indeß ſtets nur mit Mäßigung, und ich war immer bemüht, jenen heftigen Leidenfchaften auszuweichen, die und von unfern Pflichten abziehen, und dad Leben eines Don Quixote führen laſſen und das Anfehen eined Dummkopfs geben!... Glaubt mir, nur auf diefe Weile ift man gfüdlich und nicht, wenn man ſich den Kopf mit Trug⸗ bildern füllt, die nie zur Wirklichkeit werden! ... Trog aller Deiner ſchoͤnen Reden und Deiner Moral, die mir fonft fehr wichtig ift, werde ich doch nicht von dem Glauben laffen, lieber Müller, daß die wahre Liebe das einzige Glück auf Erden if, und was liegt mir daran, ob es ein Traumbild ? wenn ed und nur glück lich macht! Nun, ic fehe wohl, ich würde End umfonft zu⸗ rechtweifen und verzichte darauf; doch wuͤnſchte ich minbeftens, daß der Gegenftand Eures Liebesſchwindels deſſelben wärbig wäre und Ihr Such nicht wie ein Neuling in der Liebe einer Abenteurerin in die Arme würfet!... Ha, Müller, häte Dich, die zu ber ſchimpfen, die ich liebe! Aber wißt Ihr auch nur den Namen ihres Vaters? Gewiß; er heißt Chriſtiern. Ehriftiern! Diefen- Namen da Hab ich nie auf dem Schladhtfelde gehört! ... Unb Doch ift er Soldat. Soldat! fehr glücklich. Du ſiehſt alſo, e8 find Damen... Ich fehe. .. ich fehe, daß wir bier ame Schloffe find und es Zeit ift, fich ins Bett zu legen, wahrlich, mein Herr, Ihr laßt mich da ein hübfches Leben füähren!... Ein Feldwebel fi ind Bett fegen, wenn Jedermaunn auffleht!... Ber hindert Di, anfzubleiben? Ic bin kreuzlahm, weil ih die ganze Nacht hindurch umhergaloppirte! Unb vielleicht au, weil Du fo viel auf dem Heu herumgeruifiht bift,“ ſebie Heinrich laͤchelnd Hinzu.

Hier biß fi Müller in die Lippen und ging nach keine:

Bimmer, and Jurcht, die Reihe, Lehren gu geben, möchte an feinem Zöglinge fein.

Siebentes Rapitel. Empfang bes DOberften.

Während ber ſechs auf Heinrichs Abenteuer folgenden Monate begab ſich diefer täglich nad} dem Haufe feiner Schönen, die Bor- ſtellungen Müllers und die Anftrengung diefer fortwährenden Ritte nicht achtend.

Eines Tags indeß war Müller ſehr erflaunt, ald er Heinrich bei feinem Aufflchen noch im Schloffe fand. „Ci der Tauſend! Ihr feid nicht fort? Nein, Müller, und ich bleibe. Bah! Hat Euch Gase Dulcinen ſchon einige Streiche nach ihrer Weife ge ſpielt? Meine Bauline ift unfähig, fih zu ändern! Sie Bat Cuch alfo gefagt, daß fie Euch liebe? Glaubſt Du, daß folt der ſechs Monate, die ich fie fehe, unfere Herzen fich nicht verſtanden, unfere Augen fich nicht ausgebrüdt haben ?... O! ic fehe wohl, e8 ift ein Srauenzimmer, dad den Dienft verfteht! Wenn ich diefen Morgen nicht zu ihr gegangen bin, fo Liegt dies baran, daß bie gute Madame Reinhard (dev Name derer, bie Mutterſtelle bei ihr vertritt) mich benachrichtigte, der Vater meiner Ponline Fönne von einem Augenblide zum andern eintreffen, und ex möchte, ehe er von dem Anfange unferer Bekanntfchaft unter: richtet ſei, meine Beſuche übel aufnehmen. So wäret Ihr alſo von Surer-Schönen- für Lange Zeit getrennt. Für lange Zeit!... o! ich Hoffe wohl, mich ihrem Bater in einigen Tagen vorftellen zu koͤnnen; er wird. mich fehen, mich lieben und... Und. wenn er ein vernünftiger Mann iſt, Euch zum Haufe hinauswerfen. Wahrhaftig, Müler, Du bringft mich noch zur Verzweiflung mit Deinen Betrachtungen. Ah! ich bin eben nicht verliebt und fage, was ich denke.“

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Nah Berfiuß von vierzehn Tagen konnte Heinzich feine Uns.

gebuld nicht mehr zügeln und beſchloß daher, nach der Wohnung feiner Geliebten zu eilen; diesmal wollte Müller feinen Zögling begleiten, denn ed war ihm fehr gelegen, ben Bater des Fräulein zu fehen und zugleich ben Gegenſtand von Heinrichs Liebe kennen zu lernen. Heinrich wäre lieber allein gegangen. Müller aber hielt ihm entgegen, baß es fchidlicher fei, wenn er ihn begleite, und daß, wenn Paulinens Bater ein braver Soldat fei, ihm ber An: blick eines alten Feldwebels mehr Vertrauen einflößen würbe, als ber eined jungen Leichtfußes. Sie ritten daher beide mit einander. Bon dem Verlangen, feine Schöne zu fehen, angefpornt, ſprengte Heinrich im faufenden Galopp; vergebens ſchrie ihm Müller zu, daß er ihm nicht folgen Eönne; für unfern jungen Mann war died ein Grund weiter, nicht anzuhalten.

Endlich erblickten fie das fo fehnlich herbeigewünſchte Haus. Heinrich if bald vom Pferde; Müller betrachtet die unanfehnliche Wohnung genauer und fchüttelt unzufrieden den Kopf. Heinrich Hopft an. Einige Minuten vergehen, bis eine alte Frau unter der Thüre erfcheint, in welcher jedoch Heinrich nicht mehr bie Dienerin erkennt, die er fonft zu fehen gewohnt war; zitternd fragt er: „Herr Chriſtiern? Seit acht Tagen wohnt er nicht mehr Hier, mein Herr. Großer Gott! und feine Tochter? und Madame Reinhard? Die Tochter folgte ihrem Bater und Madame eins hard hat fle begleitet." Wie vom Donner gerührt, fieht Heinrich bei diefer Nachricht; Müller bricht in lautes Lachen aus.

„Ha! ba! Ha! taufend Bomben! es freut mich fehr, daß Ihe Eure ſchoͤne Unbekannte los feld... Nein, und wäre fie am Ende der Welt, ich müßte fie auffinden 1* ruft Heinrich aus, und fängt an, die gute Frau über die Abreife bed Herrn Chriſtiern auszufragen; aber er kann nichts weiter von ihr erfahten, als baß bie drei früheren Bewohner bes Haufes abgezogen feien, ohne

Grund oder Ziel ihrer Reife anzugeben, und daß bie jepige Kande

N

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. RNwohnerin ihre Vorgaͤnger gar nicht lenne. BRit dieſen Worten ſchlicßt die Alte wieder und läßt unſere Wanderer auf ber Heer⸗ ſtraße ſtehen.

In feiner Verzweiflung will Heinrich nach Offenburg reiten, die Amgegend durchſtreifen, Alles aufbieten, um feine Schöne wieber gu ſinden; aber Müller verficht ſich nicht dazu, fonbern zwingt ihn, den Weg nach dem Schloffe wieder mit ihm einzufchlagen.

Sier befanden fie fich feit einigen Tagen, Heinrich von nichts als Heifen und Entführungen träumend, Müller fih zur Eutwid: kung biefes Liebeshandeld Glück wunſchend, ald fie vernahmen, der Oberſt Framberg werde in Rurgem wieber auf dem Schloffe zurück fein.

Miller kennt fi nicht vor rende. Er fol feinen Oberften, feinen Wohltgäter wieder jehen! Alles wirb in Bewegung gejekt, damit der Graf auf feinen Beflgungen mit ber ſchuldigen CEhr⸗ furcht empfangen werbe.

Alte feine Bafallen greifen zu den Waffen, Müller erercirt fe vom Morgen bis zum Abend , orbnet Gefechte, Evolutionen an. Selbſt Herr Bethmaun, der feit einiger Zeit zu nichts mehr gut war, als fi zu beirinfen, Herr Beihmann war gensthigt, bie Muskete zu tragen, am Gxercitium Theil zu nehmen und zweimal täglich auf den Wählen des Schloſſes Wade zu fliehen, was ihm übrigens von Anfang an fehr mißflel; doch Müller vachte, dies fei die befle Weile, etwas aus ihm zu machen.

Heinrich vergißt einen Augenblid Diejenige, die ihm im Kopfe fpuft, und die Ankunft feines Vaters, den er fo lange nicht mehr geichen, beichäftigte alle feine Geiſteskraͤfte; er theilt Müllers Thätigleit und harrt voll Ungebuld des Augenblids, an dem er feinen Bater in die Arme drücken fol. Endlich kommt fie, bie er: fehnte Stunde. Herr Bethmann, gerade auf der Wache, erbiidt ben Wagen des Oberſten von ferne. Müllers Befehl zufolge fenert es ald Signal von beffen Ankunft feine Flinte ab, fällt aber ans Echroden über den Knall des Schuſſes zu Boden,

VDald ift Alles im Schlaß im Bewegung ; Müller löst eiligſt die Schildwache ab ; Täßt die Zugbrüde nieder und ſtellt die Bauem zu beiden Seiten des Thores in Schlachtordnung auf. Er fdhärft ihnen ein, alle zu gleicher Zeit Ioszufenern, fo wie fie ben Wagen des Oberſten ind Schloß einfahren fehen, und Herr Bethmann geht durch und in den Keller, um biefen furchtbaren Knall nicht zu hören, aber Müller, der ihn nicht aus den Augen läßt, läuft ihm nach, und zwingt ihn, wieber in die Reihen einzutreten, indem er ihm ein altes Gewehr gibt, das nach feiner Berficherung weit weniger Laͤrm macht, als dad andere.

Endlich Hört man Pferdegetrappel, der Wagen fährt über bie Zugbrüde, Müller gibt das Signal: alle Bauern ſchießen zu gleicher Zeit. Bethmann, erſchreckt oder elektrifixt durch dieſe plößliche Salve, verfucht ein @leiches zu thun ; aber die Flinte, die fett langer Zeit nicht gedient hatte, platzt und ſchlaͤgt Herrn Bethmann ins Geſicht, ber ſich heulend vor den Pferden auf dem Boden wälzt. Diefe, durch bad Gefchrei bed Lehrers fchen gemacht, fangen an, bie Kreuz und Quer im Hof herum zu rennen, bie Bafallen bed Oberſten andeinanber treiben ; Müller fchreit aus vollem Halfe, feine Truppen wieder zu fammeln, Heinrich Läuft hinter den Pferben ber, welche durch diefen Lärm aufgeregt, nur um fo ärger galop⸗ piren und erfl vor einer Pfüpe anhalten, in welche fie den Wagen werfen, ber im Yallen ein halbes Dugend Enten erbrüdt.

Nach vieler Mühe wurden die Pferde zum Stehen gebracht und Heinrich fpringt feinem Bater bei, der in die Pfütze gerollt war, glüdlicherweife aber Teinen andern Schaden genommen hatte, als daß feine Staatsuniform mit Koth bedeckt war und ſich eine bei ihm Schup fuchende Gans an fein Hintertheil angehängt hatte.

Mährenn man fi bemühte, das Thier, welches die Holen nieht loslaſſen wollte, wegzunehmen, trat Müller mit beſtürzter Miens vor. „Ah, mein Oberft! ... werben Sie mir gütigfl vers wihen ... . wenn bes Empfang, ben ich Ihnen bereitete, feine

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Wirkung verfehlte? ... Racht nichts, mein lieber Müller, Deine Abficht war gut und das iſt mir genug. Der verfluchte Beihmann iſt daran Schulb, Obefl!... Ich brauche weiter nichts, als meine Kleider zu wechſeln. Und er bat nichts ale ein Auge verloren, mein Oberſt. Wo ift aber mein Sohn?... Mein Heinrich, komm doch in meine Arme!... Der junge Mann Rürzte fih dem Oberſten in bie Arme, der ihn mit tiefem, innigem Gefühle anblidt, wobei er ausruft: „Sie it e8!... meine Gle mentine!”... Und er brüdte ihn zärttlih an fein Herz. Heinrich feinerfeits fühlte in feiner Seele die tiefe Empfindung der Ehr⸗ furcht und Dankbarkeit entfliehen, welche er demjenigen fchulbig war, ben er al8 feinen Vater betrachtete.

Nah einigen der Herzendergießung gefchenkten Augenbliden dachte der Oberſt, er werde nicht übel daran thun, fich umzu⸗ kleiden; er forderte Heinrig auf, nachzuſehen, ob im Schloß Alles wieder in feine Ordnung zurückgekehrt fei, und gab Müller ein Zeichen, ihm tin fein Gemach zu folgen.

„Run denn! licher Müller,” begann der Oberfi, als fie allein waren, „ed find num Beinahe zwölf Jahre Ger, daß ich Dir meinen theuren Heinrich anvertrante. Wie haft Du diefe Zeit zugebrackt, Du, dem ich's beſonders zur Aufgabe machte, daB Gerz meines Sohnes zn Bilden, während ich fie dazu verwandte, in der Welt umbherzuirren, bie Feinde zu fchlagen, kurz, mich von ber nagenben @rinnerung über den Berluft einer Frau zu zerflreuen, welche meine Thränen und mein Leib fo fehr verdiente ? Du Haft mir noch Feine Kechenſchaft ablegen koͤnnen über Deine Bemühungen, Deine Sorg⸗ falt und über Deine Weife, aus Heinrich einen Mann zu machen, über den ich nie zu erröthen habe: fag’, iſt e8 Dir gelungen? Ja, mein Oberft, und wader gelungen, beffen rühme ich mid. MH! der funge Mann if ein Teufel, ver feine Streiche machen wirb!... Wiel... Das heißt, mein Oberſt, er wirb von ſich ſprechen machen: erſtlich iR er brav, dafür ſtehe ich! ... und

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ex fchlägt fich! Ich hoffe, Sie werden es felbft fehen, und mir Ihr Compliment darüber machen. Ferner? Ferner ift er menſchlich, großmüthig, gefühlvoll! D, und im Teßtern Punkte!... Ich fehe, er wird alle Tugenden feiner Mutter beſitzen. O! ja mein Oberſt, nur fürchte ich, fein Gefühl möchte ihn zu weit führen!... Was willft Du damit fagen? Ei, das heißt, der junge Dann wird verdammt viel Geſchmack am andern Ge⸗ fhlecht finden! ... Du glaubt? Zum Henfer, ob ich es glaube...” Hier hielt Müller inne, denn er erinnerte fih an fein gegebened Verſprechen, dem Oberft Heinrichd Abenteuer mit feiner Schönen geheim zu halten.

„Du bift alfo völlig mit meinem Sohne zufrieden, Müller? %a, mein Oberft, jeher zufrieden; er ift ein Zögling, der mir eines Tagd Ehre machen wird, deſſen bin ich gewiß. Nicht, als ob er nicht auch einige Heine Fehler hätte... Erſtlich ift er Heftig, ungeduldig, aufbraufend... Ho! ho! das hatteſt Du mir nicht gefagt! Seien Sie jedoch ruhig, mein Oberſt, dieſe Fehler vergehen mit dem Alter, und wenn das Herz gut iſt, gibt es ſtets ein Heilmittel, und das feinige ift fo... ja! dafür flehe ich, fo gut ald das Ihrige, mein Oberft!... Er wäre würdig, Ihr Sohn zu fein... Was fagft Du, Müller?” rief der Oberft Tebhaft. Mäller war verwirrt, kratzte fich hinterm Ohr und bemerkte, daß er eine Dummheit gefagt Hatte; er faßte ſich indeß und antwors tete: „Meiner Treu, Oberft, weil das Wort einmal heraus if, fo werbe ich nicht fuchen, es zurüdzunehmen ; fehen Sie, ich kann mich überdies nicht verftellen und geftehe, daß es mich hart ankam, etwas Heimliches vor Ihnen zu haben, mein Oberſt! Nun wohlen, Müller! weil Du das Geheimniß von Heinriche Geburt kennſt, will ich mich gegen Dich nicht Länger verftellen ; überdies werden mich Zufall oder Umftände vielleicht eines Tages zwingen, ihm Alles zu fagen, und wenn ich fterben follte, ehe ich ihm diefes Dunkel aufgehellt, wäre es mir nicht unlieb, auch einen

Paul de Rod. II. 4

Audern in daſſelbe eingeweiht zu fehen. Bedenke aber wohl, Müller, nie eine Silbe von dem, was ich Dir fage, gegen irgend Jemand verlauten zu laffen, ohne durch die dringendſten Umftänbe bazu genöthigt zu fein, oder ohne Befehl von meiner Seite! _. . Seien Sie ohne Sorgen, Oberfi, ich gebe mein Wort darauf; Sie kennen mich und wiffen, Müller ift unfähig, feinen Schwur zu brechen.“ Der Oberſt Framberg unterrichtete nun Müller von Allem, was Heinrich Geburt beiraf, fo wie von dem wahren Namen feined Vaters, wie Elementine ihm angegeben.

Mehrere Monate verfirichen. Oberfi Framberg liebte Heinrich wie feinen Sohn; aber er gewahrte inzwifchen, daß Müllers Zög- ling gar nicht fo vollfommen fei, als diefer ihm gefagt Hatte, deſſen ungeachtet war Heinrich im Schloß viel gefeßter, feit der Oberſt wieder hier reflvirte.

Eines Tages ließ Graf Framberg Heinrich in fein Gemach fommen und redete ihn folgendermaßen an: „Mein lieber Sohn, Du tritt nun in ein Alter, wo der Aufenthalt in einem nur von Deinem Bater bewohnten Schloffe Dir nicht mehr genügend if. Du zaͤhlſt indeß nur ſiebzehn Jahre, haft aber doch das Aus⸗ fehen eines Mannes, und ich glaube, Dich Dir ſelbſt für einige Zeit ohne Gefahr überlaffen zu können. Wie, mein Bater ?“ rief Heinrich. „Sa, mein Freund, das heißt, Du ſollſt reifen, bie Welt kennen lernen. Ich ging im fünfzehnten Jahre zur Armee ab!... Du ſiehſt darans, ich war fünger ald Du. Sie fchiden mich alfo zur Armee, Vater? Nein, lieber Heinrich, da Du, Müllers Erziehung ungeachtet, keinen entfchiedenen Hang für die militärifche Laufbahn zu haben fcheinft, fo wollen wir warten, bis Dir felbft der Wunfch dazu kommt. Aber Du ſollſt Deine Jugend nicht in biefem Schloß zubringen ; Du magſt reifen, bie Welt durch⸗ ſtreifen; das wird Dich vollends ausbilden. Und Sie, mein Vater? Ih, mein Breund, ich fange an, in ein Alter zu kommen, wo man bie Ruhe allen Berguügungen vorzieht, ich bleibe

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baber in diefem Schloß und warte ruhig Deine Heimkehr ab, in der Ueberzeugung, Deine Aufführung in der Berne werde von der Art fein, daß ich nicht genöthigt Bin, Dich zu holen. Ach! mein Bater! feien Sie verfichert, ich werde ihre Lehren nie vers geffen. Dann ift die Sache abgemacht: in acht Tagen kannſt Du abreifen. Ich hätte fehr gewünfcht, Müller möchte Di auf Deinen Reifen begleiten, allein viefer gute Hufar, von dem ich jo lange getrennt war, wird die einzige Perfon fein, welche unter: deffen meine Einfamfeit theilt; überdies wird auch ihm die Ruhe zum Bedürfniß, und er foll daher bei mir bleiben. Du nimmft Frank, des Gärtnerd Sohn, ald Bedienten mit; er fam mir ver: ſtaͤndig vor: ich glaube, Du wirft mit ihm zufrieden fein.“

Erfrent über feines Baters Entſchluß, traf Heinrich alle Zus rüftungen zu feiner Reife. Das Andenken an feine theure Bauline Batte ſich nie aus feinem Gedaͤchtniß verwifcht, und er hoffte, er werbe im Lauf feiner Reife erfahren Einnen, was aus ihr ges worben fei.

Der Tag der Abreife erfchien, Heinrich verließ Schloß Fram⸗ berg in Franks Begleitung und reichlich mit dem nöthigen Gelbe verfehen. Der Oberft weinte, wie er feinen Heinrid von ihm fheiden ſah, und felbft Müller fühlte einige Thränen bei ber Trennung von dem, beffen Jugend er gebildet hatte und für ben er fein Leben eingefegt hätte, feine Wangen benegen.

Achtzehn Monate lang gab Heinrich ziemlich regelmäßig Nach⸗ sicht von fich ; nach Verfluß diefer Zeit aber blieben die Briefe aus. Der Oberſt und Müller, beide über dieſes Stillfchtweigen gleich fehr beunruhigt, wußten nicht, was fie daraus folgern follten. Endlich entfchloß fich der Oberſt, Erfundigungen über die Aufs führung feines Sohnes einzuziehen, under vernahm, daß tiefelbe nicht fo exemplarifch geweſen ſei, als er jo gerne geglaubt hatte, und daß ſich der junge Mann feinen Leidenfchaften fchranfeulug uͤberlaſſe. Anfangs nahm Müller Bartei für feinen Zögling und

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fnchte ihn bei dem Oberflen dadurch zu entſchuldigen, daß er diefem wieberholte, wie bie Jugend austoben müffe, und daß er ald Züngling noch ganz andere Streiche gemacht habe. Am Ende des jedesmaligen Streites war der Oberft ſtets befänftigt; bald aber machte eine wichtigere Nachricht Müllers Reben ein Ende: man theille dem Oberften mit, fein Sohn befinde fich mit einer jungen, unbefannten Berfon, die er zu beirathen im Begriff fiehe, in Straßburg. Da dachte der Oberſt, feine Pflicht echeifche, diefer Unbefonnenheit Heinrichs zuvorzufommen, und er entſchloß fih, mit Müller nad Straßburg zu eilen.

„Ha! diefer junge Menfch Hat den Teufel im Leib mit feinen Weibsleuten! ...“ rief Müller unterwegs aus. „Sch habe ihm gefagt, das werde ihn zu dummen Streichen verleiten! .... Aber Mohrenfapperment : eher hätte ich eine Kanonenkugel gerührt, als ihm Vernunft beigebracht! ...“

Der Oberſt gab feine Antwort, aber er fing zu glauben an, Müller fei gefchicter, fich mit dem Feind zu meſſen, als die Er⸗ ziehung eines jungen Menſchen zu leiten.

Endlich kamen fie nah Straßburg, wo fle erfuhren, daß Heinrich vor Kurzem nad; Paris abgereist fei. Unverweilt ſchlug ber Oberfi mit Müller den Weg nad} ver Hauptflabt ein, und in Paris angelangt, erhielten fie die Nachricht, Heinrich fei am Bor: abend wieder nach Straßburg zurückgekehrt.

„So reifen wir auch wieder nah Straßburg,“ ſprach der Dberft zu Müller. „Ha! taufend Citadellen!“ fluchte diefer, "ih glaube, ver Kant macht fich über uns Iuftig.“

Wir haben gefehen, wie ver Poftillon, um auf einem Rebens wege fehneller ans Ziel zu kommen, Müller und feinen Oberften in einen Graben geworfen hatte; aber wir wiffen noch nicht, wie Müller wieder aus dem Keller herausfam, in welchem wir ihr zurüdließen ; es ift Zeit, daß vwir ihm zu Hülfe eilen.

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Achtes RKapitel. Der Geheimnißvolle.

„&rharmen!... zu Hülfe!...” fchrie die Perfon, ver Müller auf die Nafe gefallen war. „Wer bift Du? ſprich!“ fagte der leßtere, ihr feinen Säbel auf die Bruft ſetzend. „Ah! großer Gott! ... ein Räuberhauptmann! ... Willſt Du mir Antwort geben, Hundofott, ftatt zu heulen * Sag, wer bift Du? was machſt Du Hier? Ih bin Pförtner dieſes Haufes ; in Abwefenheit meines Herrn war ich in den Keller herab gegangen, wo ich einfchlief, indem id... Den darin befindlichen Wein ſoff. Aha! ich fange an zu verftehen,” fiel ihm Müller in die Neve... „Gerne würde ich Dir Geſellſchaft Teiften, guter Freund; aber mein Oberft wartet oben auf den Erfolg meiner Nachforſchungen, und ich mag ihn nicht Länger im Dunkel darüber laſſen; wir wollen ihm alfo Licht bringen; hernach Finnen wir, wenn Du willft, immer wieder herab- fommen, wo ih Dir dann mit Vergnügen einige Flafchen zu leeren behälflich fein werde.“

Mit diefen Worten treibt Müller feinen Wirth die Treppe hinauf. Nachdem diefer fein Licht aufgerafft hat, geht er zitternd vor Müller her, noch nicht wiſſend, was er von biefem Borfalle denken follte.

Oben in einem Gemache angelangt, zündete Barl (jo hieß der Pförtner) fein Licht an, ohne daß er gewagt hätte, die Augen zu der bei ihm befindlichen Perſon aufzufchlagen. „Vorwärts, geh nur voran,” fagte Müller zu ihm, „damit wir meinen Oberft wieder finden.“

Nachdem fie mehrere Zimmer durchftreift Hatten, trafen fie endlich auf den Oberfi und den Poftillon, welche über Müller's Abwefenheit fehr in Unruhe waren. „Seht, Oberſt,“ fprach der letztere, „hier ift das einzige lebende Weſen dieſes Haufes ; ich hab's

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im Keller aufgefunden! Ad, braver Mann,“ fagte ver Oberft zu Carl, „werdet Ihr fo gütig fein, die Weife zu entfchuldigen, mit der wir in dieſes Haus gebrungen find 2” Carl, durch die Furcht wieder nüchtern geworben, hörte den Oberft aufmerffam an. „Ihr feld alfo Feine Räuber ?...“ rief er aus, als dieſer Ießtere feine Rede geenbigt hatte. „Wen heißt Du Räuber ?" fragte Müller. „Nein, mein Freund,” verfebte der Oberft, „wir find Reiſende. Ich war mit diefem braven Krieger auf dem Wege nadh Straßburg, als unfer Reifewagen in einen Graben flürzte; ich war am Bein verlegt, und da wir fein Obdach für die Nacht er- blickten, verfuchten wir, in ber Hoffnung, Hülfe zu finden, in dieſes Haus zu gelangen. Oh! wenn Sie Reifende find, ſtehe ih ganz zu Ihren Dienften, mein Herr. Mein Gebieter ift feit einigen Tagen abwejend ; Bis zu feiner Rüdkunft will ich Sie in ein Zimmer führen, wo Sie ein gute® Bett finden werden. Nun, das laß ich mir gefallen, Alter,” fagte Müller, Earl auf die Achfel klopfend, „das fühnt mich wiener mit Dir aus; ich fehe, Du bift ein guter Kerl und wir werden und ſchon vertragen. Aber,“ bemerkte der Oberft, „Ihr fagtet mir, Euer Gebieter fei abwesend, fürchtet Ihr nicht, er möchte, Euch bei feiner Zurück⸗ kunft Eurer großmüthigen Gaftfreundfchaft wegen auszanken? Nein, mein Herr, mein Gebieter ift ein fonderbarer Mann, zu: weilen finfter und ſchweigſam, zuweilen luftig und ſchwatzhaft; im Uebrigen aber habe ich ihn ſtets ziemlich menfchlich gegen Jeder⸗ mann gefehen, und ich zweifle nicht, daß er mein Benehmen gegen Sie gutheißt. Ei, zum Henfer! wenn er nicht ein wirklicher Bär iſt, wollen wir ihn fchon kirre machen!” rief Müller aus. Der Oberft, der Ruhe höchſt bevürftig, bat den Pförtner, ihn an ben für ihn beſtimmten Ort führen zu wollen. Carl war eifrig bemüht, ihm zu gehorchen; Müller und ver Poſtillon trugen ihn, denn feine Verlegung hatte ſich fo fehr verfchlimmert , daß er ſich nicht mehr aufrecht zu Halten vermochte. Sie gelangten in

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ein angenehm gelegenes Zimmer mit der Ausficht auf den Garten des Haufe. Der Oberft Tieß ſich zu Bette bringen und forderte Müller auf, fi gleichfalls zur Ruhe zu legen, mit der Ber: fiherung,, er werde ihn rufen, fowie er feiner bebürfe.

„Ha, Kriegskamerad!“ fagte Müller zu Carl, als fie aus dem Zimmer des Oberften gingen, „obgleich wir teufelmäßig mübe find, ich und diefer dicke Kümmel (dabei deutete er auf den Poſtillon), welcher nichts ſpricht, darum aber nicht weiter denkt, würben wir nach meiner Meinung doch nicht übel daran thun, uns ein wenig zu reflauriren ; denn feit beinahe zwölf Stunden Habe ich nichts zu mir genommen, und mit leerem Bauch Tann ich gar nicht ein- fchlafen. Nun, das heißt gut gefprodhen, Herr Müller,“ be- merkte der Poftillon, „und ich bin ganz Ihrer Meinung. In biefem Fall will ich fuchen, Euch ein Nachteffen vorzufegen, doch müßt Ihr vorlieb nehmen mit dem, was da iſt! ... O! wir find nicht lecker; im Krieg, wie anderswo, efje ich, wad man mir gibt ; aber ich glaube bemerkt zu Haben, baß der Keller gut ver- fehen tft...” Earl fing an zu lachen, und die Herren befchäftigten fich fogleich mit den Zurüftungen zu ihrem Mahle.

Bald war Alles bereit und man feßte ſich zu Tifche. Müller Vobte den Wein, der Boftillon fprach Fein Wort, aus Furcht, um einen Biſſen zu kommen, und der Pförtner, ein tüchtiger Zedh- bruder und voller Freude, daß er Leute gefunden Hatte, die ihm die Stange Halten konnten, war bald in befter Laune und Außerfl gefprächig. Er fing an, feinen Gaͤſten die Lebensweife feines Herrn zu erzählen. „Der Herr von Monterranville,” fagte er zu ihnen, „iſt ein närrifcher Kauz; er bringt fein Leben damit zu, im freien Felde umherzurennen, zu reifen, der Teufel weiß wohin, oder fich in diefem Haufe einzufchließen, wo er Niemand flieht ald mi und einen langen Bengel, ben ich nicht kenne. Bald ift er traurig, bald Iuftig; kurz; ſeit den zehn Jahren, die ich mit ihm in dieſem Haufe wohne, habe ich weder feinen Charakter entziffern, noch ben

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Beweggrund feiner häufigen Abweſenheit verfichen Tönnen!... Du biſt Halt Tein Pfiffifus, dreifache Patrontafche! Mich läßt man nie anlaufen, und wenn ich einen Menfchen fehe, errathe ich ſtets an feinen Augen, was an ihm if!... Ei was!” fiel ber Boftillon ein, „es gibt Geſichter, aus welchen man gar nichts herausbringen Tann !... Es gibt auch fehr trügerifche !“ fuhr Earl fort. „Thut Alles nichts, Freunde!" verfegte Müller; „ein Menfch mag verbergen, was in feiner Seele vorgeht, wie er will, ein durchdringender Blick gelangt ſtets zur Entdeckung ber Wahrheit; und ich Bin der Meinung, daß aller Berftellungsfunft ungeachtet, deren gewifle Leute fähig find, die Natur dem Schurken und dem Tugendhaften nicht einen und benfelben Blick verliehen bat; auch darf ich nur ein einziges Mal Deinen Herrn von Monter⸗ ranville fehen, und ich will Die bald fagen, was an ihm if.“

Nachdem Müller feinen phyfioguomifchen Scharfblid noch lang und Breit gerühmt hatte, gewahrte er endlich, daß feine beiden Tiſchgenoſſen ihn nicht mehr hörten und feft fchliefen. Sich hierauf der Länge nach in einem Lehnſtuhl ausſtreckend, brauchte ex nicht mehr lange, bis er ihnen nachahmte, und bald ſchnarchten fie ein herrliches Trio. j

Den andern Tag war der Oberſt nicht im Stande, aufzu: ſtehen; er hatte eine fchlimme Nacht gehabt, und feine Berlekung, gereizt durch die feit mehreren Tagen erlittenen Befchwerlichfeiten und bie fein Blut erhigende Ungeduld, nahm einen fehr bedenk⸗ lichen Charakter an. Der gute Garl, ein wenig in der Heilkunde erfahren, Iegte ihm einen Verband an, und empfahl ihm die größte Ruhe ; darüber fluchte der Oberft freilich .am meiften, allein man mußte ſich der Nothwendigkeit fügen.

Der Poftillon reiste mit dem Befehl, in Kurzem Pferbe ber: beizubringen, nach Straßburg ab. Seit acht Tagen befanden ſich der Oberfi und Müller in dem einzelnflehenden Haus, als der Gigenthümer von feiner Reife zurückkam. Der Oberfi war in Ber:

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zweiflung, auf folche Weife einer ihm unbekannten Berfon zur Laft zu fein; aber bei Erzählung des in feinem Haufe Vorgefallenen lobte Herr von Monterranville Carls Benehmen fehr, und ging nach des Oberften Zimmer, um diefem zu fagen, welches Vergnügen ed ihm mache, ihm bei dieſer ärgerlichen Beranlafjung nüglich fein zu koͤnnen.

Der Oberſt lag im Bett, im Gefpräh mit Müller über Hein: richs Aufführung, als fein Wirth in das Zimmer trat. Diefer näherte ſich dem Bett des Oberften und fagte, obgleich er den ihn betroffenen Unfall fehr bedaure, wünfche er fih doch Glück, daß er in feinem Haufe Hülfe gefunden habe. Während ber Oberfl biefe verbindlichen Reben erwiberte, war Müller auf die Seite ge- gangen und unterhielt ſich mit Betrachtung der Züge diefer neuen Perſon.

Herr von Monterranville war ein Mann von etwa fünfzig Sahren, groß, mager, von gelblicher Gefichtöfarbe, Iebhaften und bligenden Augen, wenn er Jemand ind Geſicht fah, aber gewöhnlich ſchlug ex fie nieder ; übrigens von ziemlich hübſchem Beh chte und anſtandsvoller Haltung.

„Dielen Menfchen mag ich nicht leiden,“ ſprach Maller bei ſich ſelbſt, nachdem er Herrn von Monterranville betrachtet hatte; „entweder irre ich mich ſehr, oder er ift nicht offenherzig in feinen Reden.”

Der Oberft dagegen dankte dem Hauöbefiber aufs Bärmfe und wünfchte fih Glück, in fo gute Hände gerathen zu fein. Mit der Bitte, zu thun, ald wäre er in feinem Eigenthum, verließ ihn ber leßtere.

Nach feinem Weggehen theilte Müller dem Oberft feine Ge- danfen hinfichtlich ihres Wirthes mit; aber der Oberft nannte ihn einen Geifterfeher und war nicht feiner Meinung.

Müller’ 8 Schlafzimmer lag dem des Hausherren gerade gegen: über; nur war das feinige einen Stod höher, er Tonnte daher

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burch die Halbvorhaͤnge hindurch mterjegeiden, was in dem Ge⸗ mache deſſelben vorflel,

Als Müller fchlafen ging, eltte er feine Betrachtungen über Vie Berfon an, in deren Haufe fie fidh befanden. Während dieſes Nachgrübelns verfirih die Zeit, und er ſah an feiner Uhr, daß es nahezn Mitternacht fei. Er ſtand auf, um fein Licht auszu⸗ Löfchen, und gegen das Fenſter tretend, gewahrte er noch Licht im Zimmer ded Herrn von Monterranville ; Neugierde und der Wunſch, etwas zu entbeden, was feine Gedanken rechtfertigen Tönnte, be- ſtimmten ibn, einen Augenblick zu feinem Nachbar hinüberzublicken. Er Iöfchte fein Licht, damit man ihn fchlafen glaube und flellte fich leiſe in eine Fenflervertiefung.

Geraume Zeit blieb er in diefer Stellung, ohne daß er etwas erblickt hätte; des vergeblichen Hartend müde, wollte er fich eben nieberlegen, als er Herrn von Monterranville mit flarfen Schritten im Zimmer aufs und abgehen fah, wie in tiefes Nachvenfen ver- funten ; ex bemerkte Hierauf, wie verfelbe feinen Schreibtifch öff- nete, mehrere Geldſaͤcke herauslangte, genau betrachtete, einige derſelben Aberzählte und endlich Alles flehen ließ, um wieder in feine Träumereien zu verfallen. Aergerlih, daß er nicht mehr ſah, legte fi Müller ins Bett, fehr mißgeftimmt, nicht enträtbjeln zu fönnen, was das Alles heißen ſollte.

Am andern Tage gleiches Verfahren von Seiten Müller’s, gleiches Benehmen von Herrn von Monterranville, nur daß er diesmal feinen Sekretär nicht berührte ; aber er ging wieder langſam auf und ab, blieb zuweilen ftehen, um fi an bie Stirne zu ſchlagen, ober wohl fich wie in ber heftigften Verzweiflung auf einen Seffel zu werfen.

Am Ende wünfchte Müller feinen Wirth und deſſen geheim: nißvolle Simmerfpaziergänge zum Teufel und Iegte fi mit bem Gedanken nieder, Herr von Monterranville fei entweder ein Nacht: wanbler, oder Habe Anfälle von Tollheit.

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Die Zeit verſtrich indeß, die Munde des Oberften heilte, jeboch nur langfam. Aergerlich, Feine Nachrichten von Heinrich zu be- fommen, und wohl einſehend, daß er ihm lange nicht nacheilen fönne, beſchloß er, Müller vorauszuſchicken, damit er endlich ers fahre, wie die Sachen flünden, und deßhalb Tieß er dieſen zu ſich fommen, um ihm fein Vorhaben mitzutheilen.

„Müller,” fagte er zu ihm, als fle allein waren, „ich Tann meiner Ungeduld nicht widerfiehen, ich muß durchaus Miffen, was Heinrich gegenwärtig treibt. Taufend Bomben, Oberft! glauben Sie, ich wuͤnſche es nicht eben fo fehnlich und fluche nicht, daß ih Sie da and Bett genagelt fehe, wie ein alter Achtundvierzig- pfünder ?... Aber was kann man machen, Oberft ? Muth gefaßt!... Hör einmal, Müller! wenn Du wilft, fo warte ich meine Her: ftellung viel gebulbiger ab. Wenn’d von mir abhängt, mein Oberft, fo dürfen Sie nur fprechen. Gut, in diefem Fall, lieber Müller, mußt Du nach Straßburg reifen, und Heinrich nachſpüren. Wie, mein Oberft, ich fol Sie in diefem alten, verfallenen Nefte allein Iafien?... Warım niht? Wo Sie zum ein- zigen Gefellfchafter einen Menfchen haben, der einem Orangutang ziemlich ähnlich flieht? Bedenk doch, daß. ich bald hergeftellt fein werde und Dir alddann folge. Nur mit Bedauern verlaffe ih Sie, Oberſt; weil Ste e8 aber wollen, muß ich gehorchen. Vergiß nicht, Müller, daß die Augenblide Toftbar find! Du weißt, was man von Heinrich fagte! ... Ich zittere, er möchte ſchon verheirathet fein!... Ah bah, Oberft! eine ſolche Dummheit wird er ſich nicht ohne Ihre Einwilligung erlauben... Wenn es überdies der Fall if... Wenn es der Fall ift... Sa, mein Oberft, was foll ich alddann machen? Meiner Tren!... thu, was Dir gut dünft; wenn es aber, wie ich hoffe, nicht der Fall ift, fo bemühe Dich, den Gegenftand, der dad Herz unferes jungen Mannes feffelt, zu fehen, befonderd laß Dich nicht durch den Schein täufchen! ... Unbeforgt, mein Oberft ! mid führt man

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nicht an, namentlich in Betreff der Weiber, und die ausgelerntefte, Kttfamfle Sprode würde mich nicht in ihre Netze bekommen.“

Da die Sache einmal abgemacht war, befchäftigte ſich Müller mit feiner Abreife: fchon längft hatte der Boftillon die verlangten Vferde zurüdgebracht; Müller beftieg eines derſelben, und nachdem ex feinen Oberſt dem alten Karl, welchen er mehr liebte, als den Seren des Hauſes, aufs Befte empfohlen und erfterem ein Lebe⸗ wohl gefaßt hatte, fchlug er im flarfen Galopp die Straße ein, welche ihn zu feinem Sögling führen follte.

Wir Taffen den Oberſt bei Herrn von Monterranville und ſehen ein wenig, was Müller in Straßburg machte.

Heuntes Kapitel.

Abermals ein Heuboben.

Begen neun Uhr Abends langte Müller in Straßburg an und flieg im „weißen Pferde”, dem erften auf feinem Wege befinplichen Gaſthofe, ab. „Geſchwind ein Nachteffen für mich und mein Pferd,“ fagte Müller, in das Gaſtzimmer tretend, wo mehrere Reifende um einen großen Tifch herum faßen.

„Des Herr wird fogleich bedient werben,” erwiderte mit Flöten: fimme eine ſchmucke Dirne, welche allein alle Laften der Wirth⸗ ſchaft zu tragen ſchien.

Müller trat zum Kamin, in Erwartung, daß man ihm auf: trage ; aber ploͤtzlich brechen die Neifenden und das Wirthegefinve beim Anbld des Neuangelommenen in ein fchallendes Gelächter ans. Diefer ließ nicht mit fich fpaßen und duldete nicht, daß man ihm, ohne zu wiffen warum, ind Geficht achte; er fing feinen Schnurrbart zu freien an und fragte mit martialifchem Geficht: „Bollet Ihr mir fagen, meine Herren, welches die Urfache Eures ſpottiſchen Gelaͤchters iſt? Zum Henker! Ihr müßt wohl fehen,

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baß Ihr es fein,” antwortete ein fehnurrbärtiger Kerl, mit einer großen, rofligen Klinge an der Seite, der fo ziemlich einem Werber gleich fah ober einem jener Leute, weldje gratis in der Welt durch⸗ zufommen fuchen, indem fie mit Kauft und Rippenftößen bezahlen ! „Ha! id bin's,“ entgegnete Müller, ihn von Fuß bis zum Kopf mit den Augen mefjend. „Ei! was findeft Du denn Lächer: liches in meiner Phyfiognomie? Schau nah dem Hintertheil Deiner Hofen und Du wirft fehen, daß wir nicht über Deine vor- dere Phyſiognomie Tachen.”

Müller blickte fogleih Hin und fah, daß die Bewegung bed Pferdes und der ſchnelle, anhaltende Ritt feine. Hofen dergeftalt zerrifien Hatte, daß er fein Hinterquartier allen Blicken bloßftellte, was ex freilich hätte fühlen follen ; in der Hiße feines Ritts mochte ex es nicht bemerkt haben. „Wie! das macht Dich lachen?“ fragte er den Werber. „Beim Teufel! Du mußt noch niemals in Deinem Leben einen Hintern gefehen haben, um beim Anblick des meinigen fo zu laden! Wahr, es ift nicht der Mühe werth,“ verfehte diefer. „Nicht der Mühe werth!“ rief Müller mit einem Seiten- Bli auf ven Werber; „Du dürfteft, glaube ich, wohl zufrieden fein, wenn Du einen folchen Hätteft, und ich rathe Dir nicht, Dich über den meinigen luſtig zu machen.”

Zungfer Hannchen, welche ſich wahrſcheinlich beffer auf dieſen Artikel verfiand, und den Müller’d ganz nad ihrem Geſchmacke fand, beeiferte ſich, zwifchen ven beiden immer mehr ſich erhigenden Parteien Frieden zu fliften, und z0g Müller mit fort an einen Tisch, auf welchem fein Abenveffen aufgetragen war, wobei fie ihm leife ins Ohr flüfterte, daß fle die Sorge für die Wiederherſtellung feiner Hofen auf fh nehme. Müller, wohl verflehend, was das fagen wollte, Tneipte fie ſchäkernd, blickte fie verftohlen an und fiel gierig über ein Stück Nehbraten her, um der Idee zu entſprechen, welche Jungfer Hannchen von ihm gefaßt Hatte,

Ich weiß nicht, ob der Werber gleichfalls feine Augen auf

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dad Kellermäpdhen warf, allein währen er feine Pfeife rauchte und fein Sammelsrippchen aß, fah er mit vielem Aerger die Auf: merkſamkeiten Gannchend für unfern Hufaren, und dieſer, ſtolz auf feine Eroberung, drehte fi zuweilen mit einer Miene um, welche fagen wollte: Du fiehft, mein Bopo macht mehr Ginprud, ald Deine verliebten Augen.

Um die Stunde bed Schlafengehend trat Hannchen zu Müller, und nachdem fie ihm das für ihn beflimmte Zimmer bezeichnet hatte, fagte fie ihm in’s Ohr: „Laßt den Schlüffel an Eurer Thüre, bald werde ich bei Euch fein. Fehlt ja nicht,” antwortete Müller, „sonft bringe ich das ganze Haus in Aufrufe.” Nun ergriff er ein Licht, und ven Werber, der bei feiner Flaſche eingefchlafen zu fein ſchien, zurüdlaffenn, flieg er nach dem ihm angewiefenen Zimmer hinauf.

Seit mehr als einer Stunde war er hier, mit Ungebuld auf die Erfüllung des von Hannchen gegebenen Berfprechens harrend: doch die Zeit verfirich ; Iängft mußte Alles in ber Herberge zu Bette fein; pünktlich Hatte er den Rath Hannchens befolgt, aber fie erſchien nicht. Wer Eonnte fie zurüdhalten ?... Da er feinem Berlangen und feiner Ungeduld nicht mehr zu widerſtehen vermochte, erhob er fi, fchlüpfte nur in feine Hofen und beſchloß, Jungfer Hannchen in allen Theilen des Haufes aufzufuchen.

Mit dem Lichte in der Hand durch lange Gänge unb mehrere leere Zimmer gelommen, geht er einen Stod höher und ſetzt feine Nachſuchungen fort. Schon fing er an, Die Hoffnung aufzugeben, als er, bei der Thüre des Speichers vorübergehend, Laute zu hören glaubt; er bleibt flehen, Iaufcht und zweifelt bald nicht mehr, daß Hannchen drinnen und im Begriff fei, eine Untreue an ihm zu begehen. Seiner Wuth nicht Herr, flößt er heftig an bie Thüre, biefe weicht und zum zweiten Male in feinem Leben befindet er fi auf einem Heuboden.

Aber welch ein Anblick. Auf die Perjonen zutretend, an benen

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er feinen Sorn auslaffen will, erfennt er ben Werber, wie er fi mit einer alten fechzigjährigen Magd, die ſchon lange keinen ſolchen Feſttag mehr gehabt hatte, vergnügt:

Wie kam der Werber hieher? das. wird gut fein, dem Lefer mitzutheilen. Diefer Schurke, welchem die Reize Jungfer Hannchens fehr ind Auge flachen, war entſchloſſen, unferem Huſaren feine Eroberung vor der Nafe wegzufchnappen. Darum hatte er fich ges ſtellt, als ſchlafe er über feiner Klafche ein, und nachdem Müller und bie übrigen Reiſenden fort waren, bemächtigte er ſich Hann⸗ hend, welche alle nur erdenkliche Mühe aufwandte, um fich los⸗ zumadhen. j

Aber Hannchen wollte nichts von dem Werber und brannte vor Berlangen, zu dem Hufaren zu kommen; es gelang ihr alfo, zu entrinnen; ihr aufbringlicher Liebhaber folgt ihr auf den Zehen ; um ihn irre zu führen, geht fie mehrere Treppen hinauf, aber er ift ſtets hinter ihr her, bis ihr bei der Biegung eines Ganges eine alte Magd vom Haufe, im Begriff zu Bette zu gehen, aufftößt ; Hannchen fchiebt diefe dem Werber entgegen und entfliebt. Der Ießtere padt die Magd bei ihren Kleidern, in der Meinung, den Gegenftand feiner Wünfche zu halten; die Alte will fchreien, ex läßt ihr Feine Zeit, eine Thüre nebenan wird aufgemacht; es if die des Heubobend, Der Werber zieht feine Schöne hinein und drängt fle auf das Stroh.

„Tauſend Donnerwetter,“ ruft Müller aus, ald er Werbers Süßliebchen betrachtete, „ich traute Dir Keinen fo baroden Ge: ſchmack zu... Laß Dich nicht fisren, Freund! ... O! ich will Dir einen ſolchen Fund nicht entreißen!.. .“

Beim Anblick der Züge und Reize Derjenigen, die er für Hannchen gehalten, wird der Werber wüthend; Müller fchlägt ein helles Gelächter auf, was feinen Herger noch vermehrt. „Kreuz Millionen Donnerweiter!“ rief er aus, „muß ber Hundefott da immer feine Nafe in meine Sachen ſtecken?“

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Müller, ver ihm feit feiner Hofengefchichte noch gram war, gab ihm bei dem Titel Hundefott einen tüchtigen Fußtritt, der ihn auf den unglüdlicden Gegenfland feiner Verachtung nieberwarf. Der Werber rafft ſich wieder empor und fpringt, eine neben ihm liegende Heugabel ergreifend, auf Müller los; Müller läßt fein Licht fallen, um feinen Gegner feften Fußes zu erwarten, und bie Beiden Herren prügeln einander weiblich ab. Aber, o unerivartetes Unglül! während fie fih im Boren üben, bemerfen fie nicht, daß das Licht im Fallen einen Bund Stroh angezündet bat; biefer Bund if mit andern in Verbindung, und in einem Nu brennt der ganze Boden lichterloh. Die Alte, von den Streitenden auf dem Stroh liegen gelaffen, wird Bald von dem Rauche beinahe erftict und erfüllt den Gaſthof mit ihrem Wehegefchrei. Alles ſpringt and dem Bett; man kommt, gebt, rennt Hin und her, ohne zu wiffen warum; aber bald verfünbigen die zum Dache hinausfchla: genden Yeuerfäulen den Zufchauern die ihnen drohende Gefahr. Umfonft fucht der Wirth Hülfe zu fchaffen, das Feuer Hat ſchon fo um ſich gegriffen, daß es nicht zu Iöfchen ifl. In diefem Tu: mult Täßt Müller feinen Gegner los, um an feine Flucht zu benfen; er eilt Hinab in fein Zimmer, aber auch dort iſt dad Feuer fchon: er will ſich entfernen, ald er Schreien von borther vernimmt; er fehrt um und erblidt das arme Hannchen, welche ihn aufgefucht, und ihn erwartend, fich in fein Bett gelegt hatte,

Unfer Hufar fleht Hannchen feinetwegen dem Verderben nahe, er flürzt fich daher mitten durch die Flammen, nimmt fie im Hembe halbtodt in feine Arme und eilt mit feiner koſtbaren Laſt aud tem Gafthofe Hinmeg.

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en nt BR a De or 7 Fa 1. Vonıa er „Behutes Kapitel.. u: * mn "Hannsine Tante. tn

fin wir. mein Freun gu fragte Samen ihten Retter, ala fie wieber zu ſich kam. „Meiner Treu, das meiß ich nicht,“ enigegnete Müller, ſie auf rine Steinband;.nieverfepend. „Alles, was ich weiß, iſt, daf ich nur zerriffene. Hoſen anhahr, Du. im bloßen Hemde biſt, und daß wir, wenn es Tag waͤre, einen Theil son, Straßburga Bewohnern, uns begaffend, vez uns hätten. Mich gelüftet nicht, fie zu erwarten,“ fagte Hanuchen, „Doch, wie! hätte dad. Feuer den ganzen Gaſthof verzehrt? PBreilih .-. ». Nach der Art, wie.ed überhand, nahm, würke es ohne bie größte Vorſicht die ganze Stabt verbrennen. Was ift zu machen? wir können nicht nackt auf Diefem Baba ..bleiben, Nein, das hiefe zu viel riskict. Ga, mir kommt ein Gedanke; ich habe eine Muhme, Feimmaͤſcherin, in dieſem Viertal; man muß fie aufſuchen, ſie iſt eine guke Fequ und wir und gerue aufnehmen. Wohl, es ſei, gehen wir zu Deiner Tante,“ Und Müller und Hannchen machen ſich im Sei, in, Am, auf ben. Wes zu der Fein⸗ waſcherin, LT an

Nach nemlich langem Umgerirren gelangen ie. in ‚eine kleine, enge und ſchmutzige Gaffe and bleiben vor ⸗inem Hausgenge flehen« bier ‚wohnte Hanuchens Tante, ‚Müller klopft viermal nacheinander, med aber die gute Freu. in ihrem .sierten Siode nicht hört. „Sie iR etmas harthoͤrig und- fchläft wie-eino-Rabe,” ſagte Hanxchen. „3 dieſem⸗ alle,” erwidert Müller, „laufen wir feine Ge⸗ fahr, wenn wir durch das Wenfter einſteigen. Er klopft noch mehr; mals ohne beſſean Crfolg. Müller, ungebuldig, gemarht, war ber Anficht,. Sheime nach ven Fenſtern zu werfen,: ald. ein Bewohner bes erſten: Stocks, von dem Par aufgewedt, fein Fenſter oͤffnet un fragt, wer mitken in ben, Macht auf diafe Weife ei vs

Paul de Kock. MI,

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Müller, der ihm feit feiner Hofengefchichte noch gram war, gab ihm bei dem Titel Hundöfott einen tüchtigen Fußtritt, ber ihn auf den unglüdlichen Gegenftand feiner Verachtung nieberwarf. Der Werber rafft fh wieder empor und fpringt, eine neben ihm Hegende Heugabel ergreifend, auf Müller los; Müller Täßt fein Licht fallen, um feinen Gegner feften Fußes zu erwarten, und bie beiden Herren prüägeln einander weidlich ab. Aber, o unermwarteted Unglüd! während fie fih im Boxen üben, bemerken fie nicht, daß das Licht im Fallen einen Bund Stroh angezündet Hat; biefer Bund ift mit andern in Verbindung, und in einem Nu brennt ber ganze Boden lichterloh. Die Alte, von den Streitenden auf dem Stroh liegen gelaffen, wird bald von dem Rauche beinahe erftidt und erfüllt den Gaſthof mit ihrem Mehegefchrei. Alles fpringt aus dem Bett; man kommt, geht, rennt Hin und ber, ohne zu wiffen warum; aber Bald verfünbigen die zum Dache hinausfchla- genden Yeuerfäulen den Zufchauern die ihnen drohende Gefahr. Umfonft fucht der Wirth Hülfe zu fchaffen, das euer hat fchon fo um fich gegriffen, daß es nicht zu Löfchen ift. In diefem Tu: mult läßt Müller feinen Gegner los, um an feine Flucht zu denfen; er eilt hinab in fein Zimmer, aber auch dort iſt das Feuer fchon: er will fich entfernen, als er Schreien von borther vernimmt; er fehrt um und erblidt das arme Hannchen, weldhe ihn aufgefudt, und ihn erwartend, fi in fein Bett gelegt Batte.

Unfer Hufar ſieht Hannchen feinetwegen dem Verderben nahe, er flürzt ſich naher mitten durch die Flammen, nimmt fie im Hemde halbtodt in feine Arme und eilt mit feiner foftbaren Laſt aus dem Gaſthofe hinweg.

ber ſtalt zu entfliehen, ließ fie vorwäͤrts, um beſſer zu Tehen, Geh doch ind Bett, mein Taͤubchen,“ ſagte Herr Speckkratzer, „ich werde Dir. alles Vorgofallene erzaͤhlen.“ Aber feine Chehälfte, welche auch Hannchen im Hemde erblickte und fürchtete, deren friſche Reize "möchten: ihren. Gatten zu Vergleichungen veranlaſſen, xiß dieſen: fott nach ihrem Zimmer mit der Bemerkung, daß, da die Thüre geöffnet ſei, man feiner nicht mehr bedürfe. Haunxchen dankte ‚Bern Spectreter and die botben Gegakten zogen wa in ihre Zimmer zuräd. Somit wären zun 1 Dlller und Hannchen vor der <hüne: * Mafcherin. Sie kopften beide jo, daß das ganze Haus erdrohnte; vie gute Frau erwacht, hommt zitternd herbei und fragt, wer da ſei? „Ich bin's, Liebe :Zante,* antwortet Hannchen; „oͤffnen Sie Schnell.” Die Alte macht anf: neue Ueberraſchung non ihrer Seita, als fie Hannchen im Hemd und eisen Dann in bemfelben Zußanbe bei Abe fieht, u. b. 3 Uber Hannchen hat ‘fie bald über. dag Borgefallene belehru uud Madame Tapin (fo hieß die Tante) fällt Müller um. via Hals und küßt ihn dreimal für die Mettung Ihrer Nichte. Müdler Hatte ihr. Die umarmung ‚gerne erlafen, allein neh munte fich bequemen. Hannchen und älter bebneſten der —* man mar ſchnell auf Mittel bedacht, Bolten herzurichten. Die ganze Wohnung ber Madanıe Tapin beſtand nur in einem großen Zimmer, worin fie Sclief:, und einem Tleinen Kabinet nebenan, wo für Hannchen eis Bett zurecht gemacht wurde. Müller fagte, er bequeme fih mit einem Seffel als Nachtlager. Hiebei blickte er Haunchen an, bie tn Sehr gut verftand, und Madame Tapin willigte in jedes Begehren. Bald war das Bett bereit. Hannchen legte fich nieder, Mar dame Tapin vesgleichen, und fo wie fie eingefchlafen. war, theilte Mütter das Lager Dertenigen, für die er ein alted Weib bei Nacht Aberfallen ˖ ließ, ein Haus in Brand ſteckte, einen Menjchen prügelde,

De Nachbarn ans dem Schlaf werte. und... Su Wahrheit, er Batte fie wohl erworben.

Als am andern Morgen. Alles wieder auf den Beinen war, dachte Bühler, ein gutes Fruhſtück werde ſehr am Blage fein, um ſich von den Anftvengungen bed vorigen Tages zu. erholen; aber Saunchen hatte Leinen Heller, Mabame Tapin war nicht reich. und konnte ihnen nichts weiter ald Brod und Milch vorſetzen. Da fiel «6 Mäller wieder bei, daß er eine wohlgeſpickte Boͤrſe in feinen Hofen haben müffe, denn Oberfi Framberg befahl ihm, weder übe noch Geld zu fparen, um feinen Heinrich wieder zu finden. Nun Ichrte Freubde in Aller Herzen zurüd; Haunchen holte eiligſt das zum Frühſtück Nothige, fowie einen Schneider herbei, der Müller aufs Schuellfte wieder Beiden folte ; und Madame Tapin feßte Alles zut Bereitung bed Mahles in Bewegung. Während deſſen ſaun Müller darüber nach, was er zu thun habe: er dachte, er fei eben fo gut bei Madame Tapin ald im Gaſthof, feine Nach: forfchungen koͤnne er gleichfalls von Hier aus anflellen, und das Meſultat feiner Betrachtungen mar, daß er während feines ganzen Wafenthaltes im Straßburg bei Hanuchen wohne.

FVroͤhlich ſetzte man ſich zu Tiſche: Hannchen war vor Freude außer fi, daß fie in Müller einen zugleich reichen und verliebten Mann gefunden habe Im Ganzen war fie ein. gutes Mäbchen, bie nur den Fehler Katie, daß fie bie Männer etwas zu ſehr lichte.

Müller erzählte ihnen Eurz, was ihn nach Straßburg führe wub gab dad Derfprechen, bei ihnen zu. wohnen, jo lang er bier bleibe. Madame Tapin war ganz entgädt darüber; fie ſah, Daß Müler gern gut af und trank, und bachte, fie werbe, fo lange er im Hauſe bleibe, ſtets Hochzeitsgerichte bekommen, wie fie es nannte, u

Nah dem Frühſtüch ging unfer Hufar aus, um feine Rach- forſchungen zu beginnen. Er durchſtreifte beinahe die ganze Stadt, ohne irgend eine Nachweiſung. aͤher Heinrich zu erhalten, uud am

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Abend kam er zu feinem Hanndhen zurück, um die Müuͤhſeligkeiten des Tages zu vergeflen. & verging ein Tag um ben andern, und Jedes war zufrieden; nur begriff Madame Tapin nicht, wie ein Mann, wie Müller, der gerne gut lebte, fich jede Nacht mit einem Sefjel als Bett begnügen koͤnne.

Nach Berlauf von etwa zehn Tagen kam er auf den Slauben, der Gegenfland feiner Streifereien fei nicht mehr in Straßburg ; denn obgleich er die ganze Stadt durchwandert, alle öffentlichen Orte befucht Hatte, war es ihm doch nicht gelungen, Heinrich zu begeguen. Bereits war er entfchloffen, dem Oberſt den geringen Erfolg feiner Schritte zu fehreiben und ihn zu fragen, was er thun folle, ald er eined Abends, beim Eintritt in ein Cafe, Frank, Heinrichs Diener, bei einer Flaſche Bier erkannte. Müller hütete fich fehr, denfelben anzureden, wohl erwägend, daß er ihn nur durch eine Tügenhafte Erzählung irre führen würde; dagegen ver: FHeß er alsbald das Cafe und harrte unfern der Thüre geduldig, bis Frank Herausfomme, um ihm unbemerkt zu folgen.

Nicht‘ lange ſtand er auf der Lauer; nach wenigen Minuten erſchien Frank, und Müller fulgte ihm auf eine Weile, daß ex nicht wahrgenommen werben fonnte, denfelben aber doch nicht aus dem Geſichte verlor. Frank fchlug mehrere abgelegene Straßen ein, und Müller fah ihn zu feinem Erflannen aus der Stabt hinaus gehen. Er war fortwährend Hinter ihm drein. In geringer Ent: fernung von der Stadt hält Frank vor einem huͤbſchen, von anbern Wohnungen abgejonderien Häuschen fill. Er Flopft an, man öffnet, und er fritt ein. Müller betrachtet dad Haus, fo gut ed ihm bie Nacht erlauben Tann, und mit dem Gedanken, es fei zu fpät, um in Erklärungen einzugeben, zieht.er fich zurüd, feft entfchloffen, am andern Morgen wieder zu kommen.

Ehe wir jedoch Deüller folgen, wollen wie wieber ein wenig za unfereni Helben zurüclehren, den wir ſchon ſo lange verlaſen haben. Le Be

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Eiftes Aagpitel. Florenz. Bei ihrer Abreiſe vom Schloſſe Framberg hatten Heinrich und Frauk den Weg nach Offenburg eingeſchlagen. Heinrich dachte nur an feine theure Pauline und gab ſich der Hoffnung Hin, daß er im ber Nähe unn Offenburg, wo er ihre Bekanntſchaft gemacht batte, irgend etwas über ihr. Schickſal werde erfahren können.

Da Heinrich ziemlich offenherzig war und überbied vor Ber: Iangen, fich von feiner Schönen za unterhalten, branute, war Frank bald fein Vertrauter ; außerbem mußte ex benfelben von ber Sache unterrichten, damit er beim Rachforfchen beffere Sülfe leiften fönne.

Frauk war ein verfländiger, pfiffiger Burfche und geſchickter, eine Intrigue durchzuführen, ald die Alleen des Schloßparks von Framberg von Unkraut zu ſäubern. Dur dad Vertrauen feines Herrn geſchmeichelt, verſprach er ihm, fich deſſelben wärbig zu zeigen und Alles zu thun, was zur Wisderauffindung ſeiner An⸗ gebeteten beitragen boͤnnte.

In Offenburg angelangt, forfehten gene und Diener auf jede mögliche Weife nach einem gewiſſen Ehriftiern und feiner Tochter; doch · Alles. umſonſt. Endlich befchloß Heinrich, des vergeblichen Suchend müde, zu feiner Zerftreuung fich unter einen fernen Him: melöftrich:zu begeben und dem Zufall die Sprge für das Wieder: finden feiner thenern PBanline anheimzuftellen. :

s: & dachte, Stalien, deſſen Schönheiten .er rühmen gehört, kanne ihm eher als andere Länder Zerfireuung bieten. Sie begaben fi daher auf den Weg nad Neapel, zu Pferde veifend und fi an aflen Orten verweilend, die ihre: Aufmerkfamleit zu feſſeln ver: beiten. Bis Florenz, wo Heinrich einige Zeit zu bleiben wünfchte, "Ihnen nichts Befonderes auf.

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Die: reigende ‚Bagsi::biefer Stäht am ben:-Begenkampen Ufern bed Arno, die Schönheit ihrer Baudentmnde;: die Meiſterwerke chen Art, welche Tie uimfihließt, berauſchaen Heinrichs Sinne, der nur and Schloß. Framberg hernusgfouunenzum die Umngegendezu durch⸗ ſtreifen, ſich nicht träume. Tief, ma ee. auf der a eisen {9 Ort gͤbee. u

. sei eines Abends auerheih. u Wient uutwandeite, hörte er aus einem eleganten Haufe am Wafler melodiſche Töne. „D, mein Freund! .. . ſiatiſtis! Merrift-flet... ‚A agte Heinrich zu feinem Diener; „es:ift dieſelbe Mufik, die: iedrbeit Offenhirg ger Yrih. „ur. @ie: landen, Gem? m Sch Binisugemiß! . .. Gi! welche / Andere als Pauline herueöchte:. ihren. Baute ſolche bezaubernde länge zu enkloden?... Achmein Herr! es gibt ſo viela Frauenzimmer,,; welche biefes Inſtrument ſpielen. Gleichviel, ich will bie Bewohnerin dieſes Haufes ‚kennen lernen. - Wein Heinrich ſich etwas ‚in: Kopf geſetzt hatte, mußte es ausgeführt: werden; darum fing er, um Axfnerkfunieht m er⸗ zogen, ukter den: Yenflern bes Haufss zu fingen an. Unfer Gelb: war nicht · muſtkaliſch; aber er. beſaß sine ſchoͤne Stimme, unk.ber Wunſch, zu’ gefallen, erſetzte bei. ihm den Mangel ra ABifiens.; alobald Yerfiammie vie Mufik, und man lauſchte dom neuen Sänger. „Du fiehft wohl, fie ift es,“ fagte Heinrich, „fle hat meine Stimme erkannt amd. ſchmeigt, um mich zu Hören. Mechumicht ſo Tücher, guäbiger Herr; "Bir wiſſen/ alſo nicht daf Linhea⸗Intriguen im Raliem nur auf: dieſa Weiſe eingefäͤdelt werdem; und datin, daß man Ihnen zuhoͤrt, nichts Erſtaunlicheq liegt ?,

Dieſex Anſicht ungeathtet, fuhr Heinrich mit. Singen, fort, andy: zw: lauſchen ward nau nicht. müde, MR er geenbigt.batke, affnete· man. keife inen ‚Baden nun warf, mit einen, Kiefel gebunben;, ein Billet herab. „Bin. Brief!" rief Heintich, nachn dam Pakiar, greifend/ aus; „ich fagte Dir das Hefel@ti.iec. re March, Ifl’S nicht gewiß, gukbigen Gern,” zantgegugte: Branfı mis. Rankicdätteinn

„ben, beſte Freumdin, ich Babe Meinem Diener nichts gefagt und... Gi was! follten wir aus Deined Dieners wegen fo kafb tzsumen und ich Dich allein mitten in der Nacht nach Florenz zuebllichunn Iafien?... O! nein, Du bleib hier, nicht wahr, mein ‚Biber... Mu dviefen Worten ſchlang Felicia ihre ſchoͤnen AUrme * Sdarkh, uns biete. hatte wicht die Rift, zu —*

Zelicla mug⸗lie sie Fan; welche HBeinrich eingeführt: hatte, - „Reabia,“ redelo ihre Gebieterin fe an, „trag und ein Aechteſſen auf.!“ Danı trat fe. auf ihre Dienerin zu und flüfterte Ihe einige: Borte ;. pie Heiurich nicht verfinhen Tonnte, ins Ohr; Lesbin, meidyer folche Abentener nichts Nenes zu fein fchienen, that behend, was ihre Gebieterin ihr befahl, und bald ward unfern beiben Liebenden ein Wendbeſſen vorgefegt.

Der Leſer erbennt :bexsitd, daß Heinrichs Eroberung eine jener galanten Faxen. war, an denen halten keinen Mangel bat. Felieia war lange Schaufpidlerin: geweſen una hatte ſich fpäter in das von ihr bewohnte hũbſche Laudhans bei. Jlarenz zurüdgegogen: Ihre zahtrrichen Eroberumpers hatten ihe reichliche Geſchenke eingetragen, and: Hũger alsı: viele ihrer@efähräinmen,;. lebte fie mit dem geſam⸗ melten glänzenden. Wermagen in: dem Augenblid; wo ver Zufall fie wit Heinrich zufaihmenführte, beinahe ald.chrbnre Frau. Seine Schönheit, feine anftlandevode Haltung: verfühtten fie; und fie bes ſchieß/ viefen :fehönen Frembllng an ihren/ Triumphwagen zu Fehlen. Göon: kängf folgte fie Heimtich überai:; auf Baͤllen und —— gaugen war fle:Reis hinter! Ihm, ohne daß erres vermuihele, und was Aufangsmur einb: wimößnäie Sanne gersejen war, wurde bald au: Beftigen Leibenſchaft:

Aber Welle ſah⸗ ** fort Geinieh Soc Renling in der Liebe —** ronnnhaßſten Ehnvakten:ſei / halfo nicht durch gemähnlicke Bitiel: verfährk werden Fonne zubartem ſuchte fie feine Aufmerkſam⸗

Kae pe Baicie / molche ſis moiſiethaft et⸗ zu feel. Wir

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Haben gefehen, wie es ihr gelang; bie Ginbilbungskzaft unſeres jungen Reifenden zu entflammen; jetzt wollen wir ſehen, welches die Folgen dieſes Abenteuers waren. |

Nach einer in den Armen feiner zärtlichen Freundin verbrachten Nacht dachte Heinrich über feine Lage nach; er hätte dieſe Keligia, die feine Siune gefeſſelt, näher Fennen mögen. Er machte ſich's fogar zum Borwurf, daß. er ſich zu leicht Habe hinreißen Laffen. Aber welcher Andere au feiner Stelle, einen Cato ausgenommen, wäre ſtandhafter gewefſen? Diefe vernunftgemäßen Betrachtungen, machten den füßen Eindrũcken des Vergnügens Plap. Heinrich war, zudem weber im Alter, fittfam I bleiben, noch von einem She rakter, es zu wollen.

Nachdem er das Frühſtuͤck mit feiner Schönen eingenommen, erlaubte ihm dieſe endlich, für einen Augenblick in ſeinen Gaſthof zurückzukehren, um die Beſorgniſſe feines. Dieners zu beſchwichtigen.

Heinrich ‚Ichtte nach Florenz zurück; abor unterwegs. war er, nicht mehr der Naͤmliche: was geſtern noch kaum feine Plicke anf, ſich gezogen, 'fefjelte Beute feine Aufmerkſamkeit, erfſchion ihm, reizend; er dachte an nichts und athmete nichts als Vergnügen. Seinen Frank fand er fehr wenig befümmert um ihn; denn da derfelbe das Abenteuer ‚feines Gebieterd fo ziemlich geahnt hafıag machte er ſich auch Feine Sorgen wegen feiner Abwejenheit :

Nun eilte Heinrich, wieder zu Felicia zurüd, gerade wie fie ihre Toilette beendigte. „Wohin. gehen; wir, meine liebe Freundin 3. Das Weiter ift prächtig; wir wollen auf dem Lande fpeifen, und auf den Abend wieder nach Florenz lommen, wo man, eig, habfches neues Stück aufführt, das wir beſuchen.“

Bald war Felicia bereit, und hie jungen Leute Begaben fi, unter taufend Schüfereien auf den Weg. Felicia Hatte nicht ger wollt, daß Lesbia fie begleite, und Heinrich Frank befohlen, in Florenz zu bleiben, weil man.huf dein Spaziergang mit dem ‚ger biebten Segenflaube: keiner. Dienkrſchaft bedarf.

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„ben, befte Freundin, ich Babe meinen Diener nichts geſagt und... Ei was! follten wir aus Deined Dieners wegen ſo Ialb tremen und ich Dich allein mitten in der Nacht nach Ylorenz zueülichuns Iafien ?... D! mein, Du bleibt Bier, nicht wahr, mein Biber? .." DE hisfen Worten fchlang Felicia ihre figönen Arate mr: Hetarich, und Diefer hatte nicht die Kraft, zu wiberfichen. Fa tn oo . ,

1 > Bella Bingelte; bie Bonn, weiche Heinrich eiugeführl "hatte, afıhien. „Retbia,” redels ihre Bebieterin fie an, „trag.und ein Aechteſſen anf!" Dann went ſte auf ihre Dienerin zu und flüflerte 5b einige. MBorte ;. bie Heintich nicht verfirhen. konute, ins Ohr: Seobin; meicher folche Abentener nichts Nenes zu fein ſchienen, that behend, was ihre Gebieterin ihr befahl, und bald warb unſern beiben Liobenden ein Wendeſſen vorgeſetgt.

Der Leſer erennt hercits daß Heinrichs Eroberung eine jener aulanten Frauen: mar ; an benen Shalien feinen Mangel bat. Felicia war . lange Schaufielerin genefen una Hatte fich fpäter in das von ihr bewohnte Hübsche Laudhauns beij Florenz zusücdgesogen: Ihre zahtreidien Croberungen hatten: ide reichliche Geſchenke eingetragen, und: flũger alen viele ihrer Orfaͤhrtinnen, lebte fie mit dem geſam⸗ melten glänzenden. Bermögen in: dem Augenblick; wo ber Zufall fie mit Heinrich zufainmenfühete, beinahe ala.chrbure Fran, Seine Schoͤnheit, feine afftandsvodle Haltuug verfülnten fie; und fie be ſchleßz/ vieſen :fchönen Freubling an tem Shuniphtuagen zu Teklen. Ghon: biugfb folgte fie Heintich überail:; auf Bällen und. Spazier⸗ ohügen war fle:Rets hinter! Ihn, ohse bufi_erte® vermuthele, und was Aufangomuu eins Panne getiejen ‘war, wurde bald zur Beftigen Leidenfdaft.:.

AMber · Belicht ſah⸗ wohl, Aa Seinzteh no Meuling in der Liebe und van umnubaftet Ehnrakten ſei / halſo· wicht Durch gews huliche BRitkel; verfahrt erden. Sdune jr bar: ſuchte fie ſeine Aufmerkſam⸗ l murq cee Saute wolcha ſte moiſtethaft Fpieltez zu fehfeig. Mie

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haben gejehen, wie es ihr gelang; die Einbildungqkraft unferes jungen Reifenben zu eutflammen; jet wollen wir ſehen, welches die Folgen dieſes Abentenens waren.

Nach einer in den Armen feiner zärtlichen Freundin verbrachten Nacht dachte Heinrich über ſeine Lage nach; er hätte dieſe Keligie, die feine Sinne gefeſſelt, näher Fennen mögen. Er machte ſich's fogar zum Vorwurf, daß. er fi zu leicht Habe hinreißen Laffen. Aber welcher Andere an feiner Stelle, einen Cato ausgenommen, wäre ſtandhafter gewejen ? Diefe vernunftgemäßen Betrachtungen machten den. füßen Eindrucken des Vergnügens Plap. Heinrich war. zudem weder im Alter, ſittſam La bleiben, noch von einem Che⸗ vakter, es zu wollen.

Nachdem er das Fruhſtad mit feiner Schonen eingenommen, erlaubte ihm dieſe endlich, für einen Augenblick in feinen Gaſthof zurückzukehren, um die Beſorgniſſe feines. Dieners zu befegwichtigen,

Heinrich kehrte nach Florenz zurüd ; ' aber. unterwegs war ex, nicht. mehr ‚der Nämliche ; was geftern noch Taum feine Blide anf; fich gezegen, fefjelte Heute feine Aufmerkſamkeit, erſchion ihm reizend; er dachte an nichts. und athmete nichts als Bergnügem, Seinen Frank fand er fehr wenig befümmert um ihn; denn da berfelbe dad Abenteuer ‚feines Gebieters fo ziemlich geahnt hafkay machte er fi auch Feine Sorgen wegen feiner Abweſenheit.

Nun eilte Heinrich. wieder zu Felicia zurüd, gerade wie fie thre Toilette beenvigte. „Wohin gehen; wir, meine liebe Freundin 3 Das Wetter ift prächtig; wir wollen auf dem Laibe ſpeiſen und auf den Abend wieder nad) Florenz Tommen, wo man ein, bübfches neues Stück aufführt, dad wir befuchen.“

Bald war Felicia ‚bereit, und bie ungen Leute begaben Fr unter taufend Schäfereien auf den Weg. Felicia hatte nicht ger wollt, daß Lesbia fie begleite,. und Heinrich Frank befohlen, in Zlorenz zu bleiben, weil man.huf dein Spaziergang mit dem .ger Hebten Gegenflanbe Feiner. Dieneeſchaft. bedarf.

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Sind wir glücklich, fo Anden wir bie Natur reizend ; jedes Bostet, jede hübfche Stelle fcheint und zum Vergnügen aufn: fordern ; des Laubgangs Stille, des Waldes Majeftät verbreiten über unfer ganzes Wefen eine Rührung, welche unfer Gemüth er: hebt und unfer Herz in ſüße Wallung bringt. Quält und im Gegentheil ein tiefer Kummer, dann ſtillt die Landluft unfern Schmerz nicht; die Stille-der Natur vermehrt nur unfere Melan- cholte; gleichgültig ſieht das Auge all die Schönheiten, die an unferem Blick vorübergehen, und das Dunfel der Wälder erzeugt in unferm Gehirn taufend finftere Sedanken, tauſend Plane der Zerſtoͤrung.

An jedem Ort, der ihnen gefiel, hielten die beiden Liebenden an. Kamen fle zn einem dunkeln, buſchigen Bosfet, fo hatte Fe⸗ Acta ſtets Luft, auszuruhen; Heinrich hütete fih, anderer Meinung zu fein ; aber durch forfwährendes Sitzen und Auffichen waren fie ein Ende wirklich der Ruhe bebürftig. „Wahrhaftig, mein Her, ich Tann kaum gehen!... Eo tft mir unmöglich, nach dem zu unferein Mahl beſtimmten Drte zu fommen. Iſt's aber meine Schuld, Madame? War ich nicht bereitwillig, zu fißen, fo oft ed Ihnen Bergnügen machte? DO, freilich! mein Kreund... ber fieh, wir wollen nicht mehr flpen, weil... Weil! Beil Du... aber fo Höre voh!... Du fihl vb... O diesmal Tiegt die Schuld nicht an mir... Nun, mein He, mäffen wir aufſtehen. Ja, meine Beſte! Ad Gott! wie weh thun mir die Rippen! Und mir bie Kniee! Ich werde vor a4 Tagen nicht ausgehen: Finnen. Gin anveres Mal, mein Thenrer! nehme ich Lesbia mit. Und ih Frank. Recht fo, inzwiſchen ‚aber wollen wir zu Mittag effen. O, gerne! denn ni babe einen Wolfshunger !. . Und ich !“

Die jungen Leute gingen eiligft vorwärte, um ein Haus zu —* wo man ihnen zu eſſen guͤbe.

„Ach, mein Freunb! ich glaube, wir haben und verirrt, benz

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ich fee niegends ein Haus. Ich fürchte auch, meine Beliebte! AG! mein Gott! wenn und die Nacht an dieſem Ort übers file... Bas ift zu machen? Das wäre ein, Unglüd, ‚Aber, Thenerſier! ich bin ſehr furchtſam. Nun, dann würde ich Dich gegen Angriffe vertheidigen. Sauberer Tuof!.. ." -

Nachdem fie lange umbergegangen waren, faman f endlich auf eine Straße und erblickten ein einzelnſtehendes Haus. Es war Zeit, denn die Nacht brach herein. Sie eilten auf die ‚Wohnung zu unb ſahen zu ihrer Freude, daß es gerade ein Wirthshaus war, zwar ziemlich unanfehnlich, aber für fie dad Manna bed Bolles Sirael.

Der Wirth, wie es ſchien, nicht an Gaͤſte gewöhnt, empfing fie mit ausnehmender Artigkeit, indem er Ihnen zum Voraus Allee, was fie wünfchen konnten, anbot und fie verficherte, daß fle wit dem Nachteffen zufrieden fein würden.

„Was werben Sie und aber geben?” fragte Hein. „Macaroni, mein Herr. Ich mag keine,“ ſagte Felicia ER dieſem verbammten Lande ißt man nichts anderes... Nun, Madame, dann gebe ich Ihnen Käfe und Kuchen, ben Sie. lahen werden. Wie!” ruft Heinrich aus, „Käfe und Kuchen, um ſich den Magen einzurichten, wenn man feit dem Morgen nichtd ger geflen hat? Und orbentlich Appetit befommen,“ bemerkte er licia. „Was iſt zu machen, Herr? ich Biete Ihnen, das ehe an, was ich habe. Wie! Sie haben nichts Anderes im Haufe ?,.. Berzeihen Sie, mein Herr, ich habe wohl etwas Geflügel, das ih ſchon feit vierzehn Tagen für eine Gelegenheit aufſparte. + Teufel, das muß zart fein!.,. Köfllih, mein Herr! Eifl ih!... Alsdann laffen Sie es fchnell auftragen. Ach Herr! es hat einen Heinen Anftand... Welchen? Es ift ſchon von zwei vor Ihnen angelommenen Offiziexen beftellt, welche in Erwartung ihres Nachteſſens oben Karten fpielen. Ha! Teufel...“ fluchte Heinrich, „das if ärgerlich. Mber, mein Freund,“ fagte

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Sind wir glücklich, fo Minden wir die Natur reizend ; jedes Bodtet, jede hübſche Stelle fcheint uns zum Vergnügen aufzu- fordern ; des Laubgangs Stille, ves Waldes Majeflät verbreiten Über unfer ganzes Weſen eine Rührung, welche unfer Gemüth er- hebt und unfer Herz in füße Wallung bringt. Quält ms im Gegentheil ein tiefer Kummer, dann ftillt die Landluft unfern Schmerz nicht; die Stille-der Natur vermehrt nur unſere Melan- cholte; gleichgültig ſieht das Auge al die. Schönheiten, bie an utfetem Blick vorübergehen, und das Dunkel der Wälder erzeugt in unferm Gehirn taufend finſtere Gedanken, tauſend Plane der Zerſtoͤrung.

An jedem Ort, der ihnen geſtel, hielten die beiden Liebenden ah. Kamen fle zn einem dunkeln, buſchigen Bosket, fo hatte Fe⸗ Nein ftets Luft, auszuruhen; Heinrich hütete fi, anderer Meinung zu fein ; aber durch forfwährendes Sitzen und Aufſtehen waren fie an Erde wirklich der Muffe bebürftig. „Wahrhaftig, mein Herr, ich kann kaum nehen!... @a th mir unmöglich, nach dem zu unfereih Mahl beftimmten Drte zu kommen. Iſt's aber meine Schuld, Madame? War ich nicht bereitwillig, zu fügen, fo oft es Ihnen Vergnügen machte? O, freilich! mein Freund... ber ſieh, wir wollen nicht mehr ſitzen, weil... Weil? Weil Du... aber fo höre doch! ... Du fiehſt doh.:. DO diesmal Tiegt. die Schuld nicht an mir... Nun, mein Her, müffen wir aufſtehen. Ja, meine Befle! Ad Gott! wie weh Hun mir die Rippen! Und mir die Kniee! Ich werde vor aiht Tagen nicht ausgehen Tünnen. Bin anderes Mal, mein Theurer! nehme ich Lesbia mit. Und ich Frank. Recht fo, inzwiſchen aber wollen wir gu Mittag effin. O, geme! denn ich Habe’ einen Wolfähunger!”. . —. Uns ich !”

"" ‚Die jungen Leute gingen eiligft vorwärtd, um ein Haus zu finden; wo man ihnen zu effen gäbe.

„Ag, mein Freunb! ich glaube, wir Haken ung verirtt, benz

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ich fehe nirgendo ein. Haus. Ich fſachte auch, meine Geliebte Ach! mein Gott! wenn und die Nacht an dieſem Ort über file... Was iſt zu machen? Das wäre ein, Unglück. ‚Aber, Theuerſter! ich bin fehr furchtſam. Nun, dann würde Dich gegen Angriffe vertheidigen. Sauberer Troſt! ...“

Nachdem fie lange umbergegangen waren, famen fie ie endlich auf eine Straße und erblickten ein einzelnſtehendes Haus. Es war Zeit, denn die Nacht brach herein. Sie eilten auf die Wohnung zu und ſahen zu ihrer Freude, daß es gerade ein Wirthohaus war, zwar ziemlich unanfehnlich, aber für fie dad Manna des Bolles Sfrael.

Der Wirth, wie es ſchien, nicht an Gaͤſte gewoͤhnt, empfing n. mit ausnehmenber Artigfeit, indem er Ihnen zum Boraus Allee,

was fie wünfchen konnten, anbot und fie verficherte, daß fie wit vom Nachteſſen zufrieben fein würben.

Bad werden Sie und aber geben?” fragte Heiurich

„Macaroni, mein Herr. Ich mag keine,“ ſagte Felicia; ci diefem verbammten Lande ißt man nichts anderes... Nun, Madame, dann gebe ich Ihnen Käfe und, Kuchen, den Sie lahen werden, Wie!” ruft Heinrich ans, „Käfe und Kuchen, um fh den Magen einzurichten, wenn man feit dem Morgen nichtö ger geflen Hat? Und ordentlich Appetit bekommen,“ bemerkte Fe⸗ licia. „Was ift zu machen, Herr? ich biete Ihnen das Heſte an, was ich habe. Wie! Sie haben nichts Anderes im Haufe?,.. Berzeihen Sie, mein Herr, ich habe wohl etwas Geflügel, das ih ſchon feit vierzehn Tagen für eine Gelegenheit aufſparte. r Teufel, das muß zart fein!... Koͤſtlich, mein Herr! koͤſt ih!... Alsdann laſſen Sie es ſchnell auftragen. Ah, Herr! es hat einen Kleinen Anftand... Welchen? Es ift ſchon von zivei vor Ihnen angelommenen Offizieren beftellt, welche in Erwartung ihres Nachteſſens oben Karten fpielen. Ha! Teufel...“ fuchte Heinrich, „das ift ärgerlich, Aber, mein Freund,“ fagte

"Welleta, „Hefe Herten werben gewiß fo galant ſein, He Nachteſſen einer Dame abzutreten ; denn ficherlich Haben fie feinen fo entfetz⸗ Eichen Hunger wie wir... AUG! Madame!“ enigegnete der Beftwirtb, „Site wiſſen, die jungen Leute thun ſich nicht mehr in der Balanterie hervor... Gleichviel, Herr Wirth,“ nimmt Heinrich wieber das Wort, „haben Sie vie &üte, mit den Serren zu fprechen, und machen Ste, daß dieſe einwilligen. Ich gehe, mein Herr, und werde mein Moͤglichſtes thun.“

Der Wirth ging hinauf; unterbefien ließ Heinrich den Tifch dedden ; er war nicht minder ungebuldig als Felicia, das Reſultat der Sendung ihres Wirthes zu vernehmen.

Sie begatinen an dem guten Erfolg zu zweifeln, als die Tritte mehrerer Perfonen die Treppe herab fie benarhrichtigten, daß bie Herren ſelbſt ihre Bitte Beantworten wollen. „Wir wollen einmal die Dame anfehen,“ fagte der eine. „If fie Hübfch ?" der An⸗ dere. Heinrich blickte Felicia Tächelnd an und gewahrte voll Er- ſtaunen, daß fie die Farbe werhfelte. '

Die beiden Militärs traten Tachend in den Saal; zwei junge wohlgebaute Beute, die aber ſehr lockeren Zetfigen gleigfahen. „Ber: zeihung, Madame ‚“ fagte ber eine, näher'tretend, „wenn wir md die Freiheit nehmen, felbft Ihren anzubieten... Doch was feh’ ich! ich tänſche mich nicht... es iſt Felicia,“ rief er, fich an feinen Kameraden wendend, aus. „3a! wahrlich, fie iſt's,“ verfehte der Andere.

Heinrich warb roth vor Zorn, umfonft fnchte Felicia den Herren ihre Züge zu verbergen und wußte nicht, welches Benehmen fie brobachten ſolle: Giner der Militärd trat-auf fie zu und umſing fle ganz ungegwungen-mit feinen Armen: „Wie, meine Schöne!... Dich fehe ich wieder!“ fagte er und wollte einen Kuß rauben ; aber Beltein ftoͤßt ihn kraͤftig zurück „Was !” rieferaus, „Du machſt bie Spröbe! Doch als Du bie Königinnen auf dem großen Theater du Reapel fpielteft, warft Du nicht fo ſtrenge. Was fol das

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Beien, nun Here? ſagte Heinrich voll Wuth auf den Maicee zugehend. Zum Henker! mein Herr, bad ſehen Sie wohl. Der alfo iſt Dein neuer Liebhaber, Felicia? Fährt der zweite Offizier hoͤhniſch laͤchelnd fort; „ih wuͤnſche Dir. Glück; er if noch jung, Du wirft ihn bilden. Unverſchaͤmter!“ ſchrie Heinrich, den jungen Mann mit zornfunkelunden Augen betrachtend; „ich will Dich lehren, daß ich Teiner Rektion bebarf, um Leute Deiner Art zu ‚züchtigen.” Damit werfeßte er bem Zunaͤchſtſtehenden ‚eine tüch⸗ tige Obrfeige. Diefer zieht wüthend feinen Säbel und. will damit über Heinrich herfallen, aber er parirt den Hieb mit einem Tiſch, deſſen er fich wie eines Schildes bedient. Der andere Offizier läßt angenblidlich Felicia Io, um fi mit jenem Kameraden zu ver- binden. Unterbefjen entflieht die Dame aus dem Zimmer. Die beiden Militärs find gleich ein paar Löwen wider Heinrich ; allein Viefex thut Wunder, und während er die ihm zugedachten Hiebe mit feinem Tiſche parirt/ ſchickt er ihnen noch zu, was ihm unter die Hände fallt: Schuͤſſeln, Flaſchen, Seffel, Krüge, Alles wird im Zimmer umher gegen einander geſchleudert. Der Wirth fucht den Frieden wieder Herzuftellen umd die Kampfenden zu trennems aber wie er fl unter fie mifcht, empfängt et einer für Heinrich beſtimmten Säbelhieb und rollt unter Banke und Tide, ſchreiend, er fei tobt. Unſer Held hat das Gluͤck, einen ver Offiziere mit einer Flaſche an den Kopf zu treffen; der Wurf betäubte ihn fo völlig, : daß er bewußtlos: neben dem Wirthe ‚niederfant. Sein Kamerad ward dadurch noch erbitterter gegen Heinrich, welcher feine Kraͤfte zu verlieren begann und vielleicht unterlegen waͤre, wäre nicht eine Menge Bauern, von der Wirthin berbeigerufen, zu feht gelegemer Zeit eingetreten und hätte dem Sthammüpel ein Enbe gemacht. Heinrich benutzte die Verwirrung, um die Thüre zu ge- winnen; zwei Pferde waren im Hofe; er beſties eines und langtie tn groͤßten Galopp Im Florenz an;

„Wie, Ser, Sie find’? Ich glaubte, Sie würden - heut⸗

GE nicht hier ſchlafen:. Mein, Frauk, wie ſchlafen auch nicht mehr hier. Bas fell das heißen, Herr? Zahle augenblicklich ben Wirth, ſattle Die Pferde und laß uns auf der Stelle abreiſen. Wie! Herr! mitten in der Nacht? .. Vorwärts! keine Bemerkungen, thu, was ich Dir ſage!“

Frank eilt zu gehorchen, bemn. er ſieht, daß fein Bebieter nicht in der Laune iſt, feine Worſtellungen anzuhören. Wie die Pferbe Bereit ſind, Reigen Gelmrich ud drank auf u vertaften Blgrenz weisten in ber Nacht.

un

Bmölftes Kapitel. Rom. Run

„Man muß asfehen, Herr, 8. iſt ein närrifces Ding, m das Berhängniß!... Oftmals fcheiterk.man in feinen Planen gerade in dem Hngenblid, we man ‚glaubt, fie gelingen zu fehen... Ein gacklicher Zufall Tommi, wenn man jede Hoffnung: verloren hat; usb den, Vegriff, auf den Ball zu gehen, krak! bricht man, Aım oder Bein und hleibt ſechs Monate in. das Bett gebanut.... Zu Wahrheit, Herr, wenn man vernünftig wäre, würbe man: nie Plane für die Zukunft ſchmieden, fondern: ruhig abwarten, bie das Buch des Mechängnifies vor uns aufgefchlagen liegt.” - .,

Frank, neben feinem Herrn zeitend,; verkieh fig, damit bie Zeit, daß ar biefem feine Betrarktuugen miitheilte. Obgleich um ein gewoͤhnlicher Diener, hatte er beohachtet, nachgedacht und theilte feige Betrakhaungen Heinrich mit. ‚Die Bernunftfchläffe mancher Bhtlojonhen ‚beruhen: häufig auf nichts weiter als dem Geſchehenen. eBagu- all, dioſer Galimathias 3", fragte Heinrich, aus feinen Traͤumereien erwachend. „Beil.mwir-ung Hier saufı.ger Shenfe nach Rom befinden, in dem Augenblick, mo ich am, wenigften baraz dachte. und Sie vielleicht auch nicht gnaͤdiger Heiz ? Er hat

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N

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Recht,“ dachte Heinrich Bei ſich felbft ; aber er mochte Krank ein Abenteuer nicht erzählen, das feine Eigenliebe verletzte und das er völlig aus feinem Gedaͤchtniß verwifchen wollte. „Fühlen Sie ben Regen nicht, Herr ?" ſagte Frank nad) einftündigem Schweigen. „Sa, aber was ift da zu machen? Meiner Treu, ich fehe nicht ein, was uns hindern follte, Tieber unter ein Obdach zu gehen, als uns die Haut durchnetzen zu laſſen, denn. ich glaube, es zieht ein Gewitter heran. Du haft Recht, nun fo laß uns denn einen Zufluchtsort fuchen, bis der Sturm vorüber ift. Wohlgeiprochen, Herr, aber ich fehe keinen. So reiten wir fort!“

Nach langem Suchen erblidite Heinrich ein altes, halbverfallenes Gebäude, bad völlig verlaffen ſchien. „Siehft Du piefe alten Mauern, Frank? Dort werden wir Zuflucht finden. Ich zweifle fehr, denn dieſes Bauweſen Hat ein ziemlich fchlechtes Ausfchen, und dient vieleicht ſchon Iange nur noch Räubern zum Schlupfs winkel. Hätteft Du Furcht davor ? A! mein Gott! nein, Herr, denn wenn mein DVerhängniß will, daß ich dort ermorbet werbe, fo ift Alles umfonft, was ich thue, ich kann ihm nicht aus⸗ weichen. Nun, ich fehe, Deine Philofophie ift zu etwas gut; doch wir wollen unfere Pferde antreiben und uns beeilen, benn der Sturm wirb heftiger.“

Endlich kamen fle vor das alte Gebäude, das ein ehemaliges Klofter zu fein ſchien: fie ſchritten über einen mit Schutt gefüllten Hof und traten unter einen geräumigen Kreuzgang, weldhen bie Zeit etwas mehr verfchont hatte. „Weißt Du wohl, Franf, daß diefer Ort etwas Nomantifches Hat, und ed mich nicht wunderte, wenn und bier irgend ein außergewöhnliche Abenteuer aufftieße? Mich ebenfalls nicht, gnädiger Herr! man fagt überdies, fie feien in diefem Lande nicht fehr felten.“

Kaum hatten fie zu ſprechen aufgehört, als fich hinten in. dem Kreuzgang ein. bumpfer Laut vernehmen ließ. „Haft Du gehört, Frank? Ja, gnädiger Herr, es belauſcht uns Jemand. Gehen

Baul de Kock. Ill. 6

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wir darauf zu,” fagte Heinrich: „ich bin begierig, zu wiffen, wer es if.“ Frank und fein Gebieter fehten fi) alsbald in Mari; fe weiter fie aber kamen, um fo weiter ſchien fich Jemand vor Ihnen davon zu machen. Am Ende der Galerie fanden fie eine Treppe und fliegen, im Finſtern tappend, hinauf; die fliehende Perſon machte in der Eile einen Fehltritt, flel herab, und Heinrich packte fle am Kragen. „Ach! Gnade! bringt mich nicht um, Herr Räuber!“ tief der Feftgehaltene, vor Heinrich auf die Kniee ſinkend. „Wer biſt Du?“ fragte ihn diefer. „Sin armer Bebienter, der feinen Heller Hat. Bil Du allein hier? Nein, Herr Räuber, ich Bin mit meiner Herrſchaft, die mich auf Kundſchaft ausſchickte. Führe mich zu ihr! Ja, Herr Räuber, gerne.“

Heinrich hielt den Unbekannten, deffen Wahrhaftigkeit er be: zweifelte, noch immer fer; diefer führte fle in ein oberhalb dem Kreuzgang befindliches Gemach und rief unter der Thüre: „hier it der Räuberhauptmann !”

Heinrich war fehr erflaunt, flch in einem Zimmer zu befinden, wo man ein gutes Feuer angemacht und mehrere Fadeln angezündet hatte, und in welchem eine Dame von etwa breißig Jahren mit einem andern viel jüngern Frauenzimmer und vier Männern in Livrée, die aufrecht Hinter ihr flanden, einguartirt war. Auf den Ausruf von Heinrichs Führer beim Eintritt machte die Dame eine Bewegung bed Entſeßens, und bie vier Männer fprangen nad ihren Feuergewehren.

„Ohne Furcht, meine Herren!” fagte Heinrich lachend; „ich bin kein Räuber, fondern ein Neifender, und ber hier iſt mein Diener. Es war mir fehr lieb, zu fehen, wohin mich biefer Menſch führen würbe, und enblich zu erfahren, mit wem ich es zu thun habe.“

Hierauf trat Heinrich zu der Dame, indem er fle um Ent; ſchuldigung wegen bes verurfachten Schreckens bat und ihr gefland,

baß er Keine fo große Befellfchaft an einem verlaffen ſcheinenden Orte zu finden glaubte,

i:

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Die Dame belehrte ihn, daß fle die Marquife voh Belloni fei, eine Reife nach einem ihrer Güter bei Florenz gemacht habe und nad) Rom zurüdfehre ; vor dem alten Gebäude von dem Ge⸗ witter überrafcht, fei fle Tieber hier eingetreten, um das Leben ihrer Dienerfchaft nicht aufs Spiel zu fegen. „Ich habe diefen Menſchen,“ fügte fie, auf Heinrich® Führer deutend, Hinzu, „auf Kundſchaft ausgefandt, und da ich feine Feigheit kenne, durfte ich mich wohl auf einige Mißgriffe gefaßt machen ; doch ich bin entzückt, mein Herr, daß er unfer Zufammentreffen veranlaßt hat.“

Heinrich erwiderte dieſes Compliment auf die galantefte Weife und unterrichtete die Marquifln gleichfalls von feinem Namen und dem Zwed feiner Reife. Als ſie Heinrichs Namen und Stand hörte, ſchien fle noch mehr zufrieden mit diefem Vorfall, und es entfpann fih ein fehr eifriges Geſpraͤch. Krank feinerfeits fuchte mit der jungen Perſon, wie es ſchien die Kammerfrau der Marquiſin, Bekanntſchaft anzufnüpfen, aber Sulie (fo hieß fle) hörte nicht fehr auf denfelben, fondern faßte Heinrich fcharf ind Auge.

Die Marquifin und Heinrich vergaßen im Geſpraͤch, daß die Nacht vorübergehe; allein die Dienerſchaft, welche ſich wahrſcheinlich nicht ſo gut unterhielt als die Gebieterin, machte ihr bemerklich, daß der Tag zu grauen beginne. Die Marquiſin erkundigte ſich nach dem Wetter; man ſagte ihr, der Sturm ſei vorüber, aber der Regen falle immer noch in Strömen ; nun bat ſie Heinrich, einen Pla in ihrem Wagen anzunehnten, da er fich gleich ihr nach Rom begebe. Heinrich, dem Juliens Seitenblidte nicht unbe⸗ merkt geblieben, und ber bie Marquifin fehr ſchoͤn fand, Yütete fi wohl, e8 auszuſchlagen, und man madhte-fich wieder auf den Weg.

„Aha!“ ſprach Franf bei fich felbft, „ich fehe wohl, dieſes Abentener, das einen fo romantifchen Anſtrich Hatte, wird ein eben fo profaifches Ende nehmen. wie andere.“

Heinrich war mit den beiden Damen im Wagen. Die Mar; quiftn wänjchte, er ſolle an ihrer Seite Platz nehmen ; Julie ſetzie

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ſich Heinrich gegenüber, mit fchmollender Miene, die ihr indeß zum Sutzüden gut fland. Diefe Julie war ein ganz hübſches Maͤdchen: ihre Augen hatten einen wunberlieblichen Ausdruck, und gewöhnlid rahten fie auf Heinrich, wenn fich Julie von ihrer Gebieterin nicht beobachtet ſah. Die Margquifin war ein vollendet fchönes Weib: ihr edler, eleganter Wuchs wurde durch ein Geflcht von regelmäßiger Schönheit noch mehr gehoben ; ihre Haare waren von glänzendem Schwarz; und ihre Augen, voll Feuer und Lebhaftigkeit, verkün- beten ein heißes Gemüth und einen ungeflümen Charakter.

Ohne weitern Unfall Iangten die Reifenden in Rom an; unb beim Abfchied Ind bie Marquifin unfern Helden ein, ihr oͤfters Gefellſchaft zu leiſten. Heinrich verſprach's mit einem Blid auf Julie, welche es nicht weniger jehnlich zu wünſchen fchien.

„Mindeftens,“ fprach Heinrich bei ſich felbft, ald ex zur Auf: findung einer Wohnung die Straßen Roms burchflreifte, „ift diefe Frau wirklich eine Marguifin und hat auf feinem Theater bie Brinzeffinnen gefpielt.“

Nachdem Heinrich den eleganteften Gafthof der Stabt gewählt, ließ er Schneider und Kaufleute kommen, um fi} nach dem neueften Geſchmack und aufs Reichfte zu Eleiven. „Gnaͤdiger Herr,” fagte Frank, „wiflen Sie, daß diefe Marquifin da Sie zu Grunde richten wirb, wenn's fo forigeht ? Dummkopf! glaubft Du, mein Bater werde ſich weigern, mir fo oft und fo viel Gelb zu fchiden, ale ih brauche? Ei, gnädiger Herr! er dürfte nur Ihrer Reifen ‚müde werben und Ihnen befehlen, nach Haufe zurückzukommen! Run, alddann wird’S immer noch Zeik fein, und einzufchränfen.“

Gleich am Abend feiner Ankunft begab ſich Heinrich zur Mar: quifin von Belloni. Sie wohnte im fehönften Theile der Stadt; ihr Hötel war aͤußerſt prachtvoll, und Alles bei ihr athmete Luxus und Gleganz.

Eine glänzende und zahlreiche Geſellſchaft war bei ihr ver- feumelt, Die Marquifin empfing Heinrich auf bie grazioͤſeſte Belle

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und ftellte ihn ben auögezeichnetften Berfonen ver, welche ihn, auf diefe Empfehlung hin, mit Artigfeiten überhäuften und ihm alte Aufmerkſamkeit erwiefen.

Sn einem jo glänzenden Eirfel war unfer Held noch nie geweſen. Bon reizenden Frauen umgeben, welche fih um feine Eroberung zu flreiten fchienen, und durch die. Zunorfommenheit der Marquifin gejchmeichelt, glaubte ex ſich auf der Höchften Stufe der Ehre.

Da er fih inmitten fo vieler Leute nicht häufig mit der Mar- quifin unterhalten konnte, feßte er ſich, um die Zeit zu töblen, an einen Spieltiſch. Bald fleigerte das vor ihm fchimmernde Gold feine Einbildungskraft; und da er überdies den Mitfpielenden gleichthun wollte, verlor er in einem Nu Alles, was er bei fich hatte.

Hierauf ging er ruhig im Salon umher, die verfchienenen Per: fonen der Berfammlung genauer betrachtend, als er am Gingang zu bemerken glaubte, daß ihm Jemand winkte. Der Gedanke an Julie, die er noch nicht gefehen,, trat augenbliclich vor feinen Geiſt, und mit der Abficht, fih von der Wahrbeit zu überzeugen, verab- ſchiedete er fich von der Marquiſin. Diefe fagte, fie erwarte ihn ‚den andern Morgen beim Frühſtück: er verfprach zu kommen und verließ Tangfamen Schrittes den Salon,

Kaum lag die Thürfchwelle Hinter ihm, als ihn eine Frau bei der Hand nahm und ihr zu folgen bat. Heinrich erfannte Julie nicht, doch Tieß er fich führen. Man wanderte mit ihm durch eine lange Reihe nicht erleuchteter Zimmer, fagte ihm hierauf in einem - Heineren Gemache, wo man anhielt, er möchte einen Augenblick warten, und ließ ihn in ver Dunkelheit allein. -

„Bas will das heißen ?” dachte Heinrich, als er fich jelbft überlafjen war. „Diefed Abenteuer nimmt eine ganz pilante Wen- bung. Doch vergeffen wir nicht, daß wir in Stalien find, und Stalien dad Land der Wunder iſt.“ Auf alle Faͤlle gerüftet, fegte er ſich auf ein Sopha und fchlief in Erwartung der Fortfegung viefer Begebenheit ein.

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„Wie, Sie ſchlafen I" fprach ein ſauftes Stimmchen, „wobei man Heinrich leicht rüttelte. Du biſt's, reizende Julie!” ant- wortete Heinrich erwachenn. „Es fcheint mir, Du ließeſt mid ziemlich Lange fehlafen.” Julie (denn fie war es) befannte, ex fei ſchon länger ald eine Stunde da, und fie hätte fogar gefürchtet, er möchte fich entfernt Haben. Ei! und wohin follte ich gegangen fein, da ich Die Kreuz: und Quergaͤnge dieſes Höteld nicht Tenne? Barum aber haft Du mich fo lange allein gelafien ? Weil die Frau Marauifin mich rufen ließ, und ich nicht bälder abfommen konnte... Aber laſſen Sie mich doch, mein Herr... ich bitte Sie; ich habe Ihnen etwas fehr Wichtiges zu fagen. Das ſagſt Du mir ein ander Mal. Nein, mein Herr... Aber fo Hören Sie doch auf... Wenn die Frau Marquifin fäme.. .“

Der großen Anfttengungen Juliens ungeachtet, benüßte Heinrich die Dunkelheit, um feine Kühnheit zu verboppeln, und man überließ ihm einen Sieg, den man nie die Abſicht Hatte, flreitig zu machen.

„Set werden Sie mich hoffentlich anhören, mein Herr! DO ja, theure Julie; ich bin ganz Ohr. So wiffen Sie denn, mein Herr, daß... Ach, großer Gott! ich glaube, da Tommt die, Frau Marquifin... In der That, ich höre etwas. O Himmel! muß fie gerade diefen Weg nehmen, um in ihr Schlafzimmer zn gelangen. Nun, was läge denn daran, wenn fie mich fähe? Ad, mein Herr! ich wäre unwiderbringlich verloren. Ich fage, ih hätte mi im Weggehen im Höfel verirrt. DO, Sie fennen den mißtrauifchen Charakter der Marguifin nicht ; fie würbe. Ver⸗ muthungen anftellen ; ich weiß gewiß, fie liebt Sie, und wir beide wären verloren. Was ift nun zu machen ? Sie fommt näher... Ih höre ihre Stimme; Sie müſſen ſich verbergen. Aber wo ? Hier, in diefem Schrank wird Raum genug für Sie fein. Da drinnen werbe ich aber erflicden. O nein, nein!... Rühren Sie ſich nicht, und ich befreie Sie, ſobald Madame zu Bette ifl.“

&8 war Zeit, daß Heinrich ſich verbarg, denn bald trat bie

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Marquifin, eine Kerze in der Sand, in dad Kabinet. „Ah, da bi Du, Julie! Wohin warf Du denn gegangen? Seit zwei Stunden fuche ich Dich überall. Aber Madame... ich war in Ihren Gemaͤchern, zu fehen, ob nichts fehlte. Wie? Du warft alfo ohne Lit? Gnädige Frau, dad meinige verläfchte... Schon recht; komm, kleide mich aus! Madame geht fchon zu Bette! Warum fchon ? es ift ja bald drei up, Ach, Sie haben Recht, gnaͤdige Frau.“

Julie folgte der Marquifin, das Schidfal vertänfchenb, das fie von dem Gelichten trennte, und in einem Augenblide, wo er threr fo fehr bedurfte. Heinrich war in der That nicht im behag- lichſten Zuſtande in einem Schranke, der zwar zum Aufhängen der Kleider der Frau Marquiſin paßte, wo er aber feine Stellung nicht verändern Fonnte, und ber Mangel an frifcher Luft feine Qual noch erhößte. Umſonſt wollte er verfuchen, die Thüre feines Kaͤſigs zu öffnen ; Julie Hatte zu größerer Sicherheit den Schlüffel mitge- nommen und von innen ging das Schloß nicht auf. „Ad!“ ſprach Heinrich bei fich ſelbſt, „Müller, mein Lehrer, Hatte mir richtig gefagt, die Weiber werben mich zu dummen Streichen verleiten! ..“ Nach einer qualvollen halben Stunde befchloß Heinrich endlich, ſich um jeden Preis aus einer Lage zu befreien, die ihm unerträgli . warb. Ueberdies hätte er vergeblich auf Juliens Hülfe gewartet ; bie Marquiſin, die etwas zu argwohnen ſchien, führte Julie aus bem- an ihr Schlafzimmer foßenden Kabinet und z0g die Thüre hinter fih zu, fo daß fih das arme Kind genäthigt fah, ihren Belichten der Gnade eines andern Weibes preiszugeben ; boch hoffte fie, Heinrich werde, von der Abendgefellichaft ermübet, ruhig in feinem Berftede einfchlafen.

„Meiner Treu, entfiehe daraus, was dem Himmel gefällt,“ fagte Heinrich, „allein Hier muß ich auf jenen Fall heraus.” Damit fing er an der Thüre des Schranfs zu rütteln an ; zu feiner Freude bemerkte ex, daß fie durch das Aufheben ein wenig aus ihren Angeln

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trat ; ex benüpte diefe Entdeckung und war bald befreit; aber bad war noch nicht genug; man mußte aus dem Hötel herauskommen, und darin lag die Hauptſchwierigkeit.

Heinrich befand fi, feinen Schlupfwinkel verlaſſend, in der: felben Finfterniß , wie früher. Wie follte er ven Weg wieder finden? ... Wie nicht irgend einen Mißgriff begehen ?... „Sehen wir nur gerade aus,“ ſprach er, „dad muß mich jedenfalls an einen Ort, führen.” Nach einigem Umbertappen auf den Zehen, fand er eine offene Thüre und trat in ein andered Gemach. „Suchen wir hier ein wenig nad einer Treppe,” fuhr er jetzt in feinem Selbfige- ſpraͤch fort. Und an der Wand fortfchleichenn, fühlte er flatt einer Treppe ein Bett vor fi. „Teufel,“ dachte er, „vielleicht das Bett der Marquiſin! ...“ Gin leichter Seufzer benachrichtigte ihn, daß es befept ſei; ba er feine Lu Hatte, die Perſon zu beunruhigen, entfernte er fich eilends, als beim Vorübergehen an einem Gueridon fein Frack an einem Porcelanfervice Hängen blieb, das beim Fallen auf den Stubenboben zerbradh.

„Ber ift da?“ rief eine beflürzte Stimme, welche Heinrich für Die der Marguifin erkannte. „Was war zu thun ?... Wahrlich,“ dachte Heinrich, „beſſer, für einen Liebhaber zu gelten, als für einen Dieb ; überdies noch das einzige Mittel, dad mir bleibt, und ich will mid) aus der Sache ziehen, fo aut ich Tann.” Mit diefem Entſchluß trat Heinrich zu der Marquiſin und fagte: „Werben Sie meine Kühnheit entfchuldigen, Madame? Nur eine Liebe, wie bie meinige, kann Sie vermögen, meinen Schritt zu verzeihen.”

„ie, Herr von Framberg, Sie find’s!... um diefe Stunde!... in meinem Zimmer! Ja, Madame, es gelang mir, Ihre Dienerin Sulie zu gewinnen; von meiner flammenden Liebe für ihre Gebie⸗ terin gerührt, verbarg fle mich in Ihrem Gemad ... Waͤr's möglich? ach, .jebt wundere ich mich nicht mehr über ihre Ber legenheit !... Aber das iſt abfcheulih!... etwas Entfepfiches!.... Die‘ Verwegenheit zu haben, zu... Wie! Sie find gefähllos

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fute die zaͤrtlichſte Liebe}... Run wohlan, dann entferne ich mich, gnädige Frau, ich fliehe Sie für immer... Halten Sie ein!... Und wohin wollen Sie feßt gehen ? Sieht man Sie aus meinen Gemaͤchern Tommen, fo bin ich verloren! .... Gut denn, gnä- dige Frau! was befehlen Ste? Bleiben Sie alfo! es muß wohl fein, als einziges Mittel, meinen Ruf zu retten! .. .” Heinrich blieb und that fo wohl daran, daß Ihn die Marquiſin am andern Morgen aufforderte, fie noch nicht zu verlaffen.

Dreizehntes Mapitel. Bortfenung des Borhergebenden.

Am andern Morgen, bei Tagesanbruch, erlangte Heinrich bie Erlaubniß der Marguifin, fich nach Haufe zu begeben. Nachdem er auf's Zärtlichfte Abfchlen genommen, öffnete er leiſe die Thüre des Kabinets und ging die Treppe hinab; kaum hatte er einige Schritte gemacht, als Julie dicht vor ihm fand. „Wie! Sie ſind's, mein Herr ? Sa, Julie, ich ſelbſt. Und wie find Sie aus Ihrem Schranke herausgelommen ? Ich that, fo gut ich konnte ; aber in Wahrheit, liebe Julie, ich bin jept zu mübe, um Dir's etzähblen zu können... Wenn Sie jetzt, wo die Frau Marquiſin ſchlaͤft, in mein Zimmer berauflommen möchten... Nein, Theuerfte, es ift Zeit, nach meinem Gaſthofe zuruͤckzukehren; dieſen Abend will ih Dir jagen, was Du wiffen willſt.“ Mit diefen Worten ging Heinrich Die Treppe hinab und verließ eilends das Hötelder Marguifin.

„Bahrhaftig, ich begreife gar nicht,“ fprach Julie bei ſich ſelbſt; und voll Ungeduld erwartete fie ven Augenblid, wo fie ſich zu ihrer Gebieterin begeben mußte. Gegen die Mittagsftunde klingelte die Marquifin. Julie ging in größter Eile hinab, nicht wiſſend, ob fie fürchten oder hoffen follte ; aber wie angenehm warb fie über-

rafcht, als fle ihre Gebieterin in der herrlichſten Laune ſah, und

>) biefe fie nur ihre liebe, ante Iulie nannte. Da Julie nicht vente, was fie ans einem fo ſchmeichelhaften Cmpfang abnehmen follte, glanbie fie am Ende, die Maranifin jet mit Allem unbefaunt, und legtere blieb bei ihren Lichlofungen und ihrer Freundlichkeit, ohne ihr ein Mehreres über das fagen zu wollen, was fie von Julien ſchon errathen wähnte.

Zu Haufe ſchrieb Heinrich an den Oberſt, ihn um Geld zu bitten, und ſchickte Frauk mit dem Brief nach der Poll. Nachdem Frank die Adreſſe gelefen, blickte er feinen Herrn Tächelnd und mit einer Diene an, welche fagen wollte: „Da find ja meine Vorher⸗ fagungen fchon in Erfüllung gegangen.“ Aber Heinrich warf ſich auf fein Bett, ohne ein Wort zu fprechen, und Frank fagte bei fih ſelbſt: „Wenn fein Berhängniß will, daß er fein Geld ver: lieren fol, fo iſt's nicht möglich, ihn davon abzubringen.“ Mehrere Monate verfloßen auf gleiche Weile. Heinrich theilte feine Zeit zwifchen der Marquifin, Iulien und dem Spiel. Der Oberſt Hatte ihm das erbeiene Geld gefchickt, und Heinrich fah ſich im Stande, biefe Lebensweife fortzufepen ; überbies war ihm das Gpielgläd, das ihn anfangs mißhandelte, günftig geworden, unb es ergab ſich mit Eifer einer Leidenſchaft, welche ihn zuweilen bie Marguifin und Julien vernacdkläfligen ließ.

So ſtanden die Sachen, als eine junge neapolitanifche Sräfn in den Girkelu der Marquiſin erfchien. Heinrich Tonnte fie nicht fehen, ohne jene Liebe für fie zu fühlen, bie er ſchon für die letz⸗ tere empfunden hatte. Die junge Gräfin ihrerfeits ſah unfern Helden nicht mit Gleichgültigkeit ; aber die Marquifin, bis zum Uebermaß eiferfüchtig, las in Heinrich& Augen deſſen neue Leiden: ſchaft und befchloß, fich an dem Treuloſen zu rächen.

Die Gelegenheit dazu blieb nicht lange aus. Heinrich empfing ein Billet, worin man ihn einlud, ſich vor bad Haus ber Gräfe zu begeben, und ihm fagle, er werde zu feiner Geliebten geführt werben. Nicht zweifelnd, dieſes Billet komme von ber Gräfin ſelbſt,

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rüßete ſich Hrinrich, im Gochgefühl. echärter Wünfche, zu feinem Menbeguoud umb ließ der Dlarguifin, welche ihn biefen Abend er- wartete, jagen, er fei unwohl und könne ſich nicht bei ihr einſinden.

Als die Stunde des Stellvicheins herankam und ſich Heinrich zum Gehen anfchidte, Elopfte man mehrmals an feiner Thüre. „Bielleicht die Marguifin,” fagte Heinrich zu Frank; „man muß ihr nicht öffnen.” Doc die Worte: „Oeffnen Sie, Hffuen Sie unbeforgt,“ mit ängfllicher Stimme ausgeſprochen, beflimmten ihn, zu fehen, wer es fein koͤnne; er fchloß auf und ſah Sulien in fein Gemach treten.

„Sie find verwundert über meinen Beſuch, gnädiger Herr,“ redete Julie ihn an, „wenn Sie aber den Beweggrund beffelben fennen, werden Sie mir, hoffe ih, Dank dafür wien. Was fol das heißen, Julie? Das foll Heißen, mein Herr, daß bie Fran Marquifin Ihre neue Leidenſchaft für die junge neapolitauifche Gräfin, welche feit Kurzem in ihr Haus kommt, Eennt... Wie, Zulie! ... Du kannſt denfen? ... Ab!... mein Herr, mid fönnen Sie nicht täufchen, ich weiß in Ihrem Herzen zu lefen; aber ich Liebe Sie zu fehr, als daß ich mich rächen möchte, felbft wenn ich ed Zönnte! ... Ich will Sie im Gegentheil aud ber Schlinge reiten, in die Sie zu fallen im Begriff fliehen. Was will Du damit fagen, Julie? Sie haben diefen Morgen ein Billet erhalten. Es ift wahr. Man gibt Ihnen darin ein Rendezvous für die heutige Mitternachtöftunde vor dem Haufe, das bie Gräfin bewohnt. Wer hat Dich aber von dem Allem unter richtet ? Ei! wie follte ich's nicht wiffen, da bie Frau Marguifin Ihnen diefes Billei Schreiben ließ? Die Marquifin? Sie ſelbſt. Und in welcher Abfiht? Zu fehen, ob Sie treulos an ihr werben, indem Sie an den Ort bes Stelldicheins gehen. Und wenn ich hingehe ? Sie ift eine Stalienerin ; damit baſta! Biet Dun hältft fie für fähig, zu... Die Eiferfucht macht fie wuthend gegen Sie, und wenn Sie mir glauben, fo gehen Sie

nicht zu diefem Rendezvons. Sei ruhig, Liebe Julie, wenn ich hingehe, werbe ich meine Vorſichtsmaßregeln ergreifen. Uebrigens habe ich Sie gewarnt, jet laffe ih Sie allein: Ihr Schickſal legt in Ihren eigenen Händen. Leb wohl, tbeure Julie, glaube mir, ich werde mein Lebenlang wicht vergefien, was Du für mich

gethan.“

Mit dieſen Worten drückte ſie Heinrich zaͤrtlich an ſein Herz, und fie entfernte ſich ſchnell.

„Bin gutes Mädchen, diefe Julie,“ fagte Frank zu feinem Herrn, als fie fort war; „ich Habe nicht gehört, was fie Ihnen - fagte, und doch bin ich ſicher, daß es zu Ihrem Beſten if... Frauk! Gnädiger Herr! Halte zwei Pferde bereit und packe unfere Mantelfäde... Wie? gnäbiger Herr!... reifen wir ab? Thu, was ich Dir fage und erwarte mich; in einem Augen⸗ blicke bin ih zurück. Ganz recht, gnäbiger Herr!“

Damit Kälte ſich Heinrich in feinen Mantel und eilte an ben zum Stelldichein bezeichneten Ort. Er wollte fich felbft überzeugen, wie weit die Marquifin ihre Mache treibe ; doch gebrauchte er bie Borfiht, einen Degen und ein Paar Biftolen unter ven Mantel zu nehmen.

Mitternacht hatte fo eben gefchlagen, als Heinrich vor bem Haus der Sräflu anlangte. „Ich komme vielleicht zu ſpät,“ fagte er bei fich ſelbſt, „und der ausgefonnene Streich wird unterbleiben.” Er ging inzwifchen vor dem Haufe auf und ab, welches die Gde einer Heinen bunteln Straße bildete und durch feine vereinzelte Lage fih für die Abfichten ver Marquiſin eignete.

Er wartete feit einigen Minuten, als ein Mann, in einen Mantel gehältt, mit einer Blendlaterne in ber Hand, aus ber Heinen Straße hervorkam und gerade auf Heinrich zuging. „Ihr feid pünktlich,“ fagte er zu dem letztern, „fo iſt's gut: folgt mir, ich führe Cuch zur Gräfin. Und warum treten wir nicht buch dieſe Thüre ein?" fragte Heinrich ‚ven Unbefannten. „Weil Ihr

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von Jedermann gefehen würdet, und ba. eine geheime Pforte auf die Straße hier führt, Hat mir die Frau Gräfin aufgetragen, Cuch durch diefe einzuführen. Boran alfo, ich folge Euch.“

Heinrich ftellte fi, ald folge ex feinem Führer ohne Miß- trauen ! aber er zog fachte feine Piftole unter feinem Mantel hervor und bielt ſich auf Alles gefaßt. Kaum waren fie um die Straßenede herum, als zwei andere Männer aud einem Hinterhalt hervorbradden und unverſehens auf Heinrich Loöftürzten. Unfer Held empfing fie mit ber Piflole in der Hand, und unverweilt auf fle abfeuernd, firedite er beide Ieblo8 zu Boden.

Wie der Mann mit der Laterne feine Kameraden fallen fah, dachte er nur noch an feine Flucht. Heinrich Lief Hinter ihm Her, aber fein Meuchelmörber kannte die Schleichwege der Stadt beffer und entſchwand feinen Blicken ſchnell. Sich befinnend, daß, wenn er biefen verfolgen wolle, er auf eine noch größere Zahl floßen fönne, hielt e8 Heinrich für Elüger, in feinen Gaſthof zurückzu⸗ fehren, und nach vielen Umwegen fand er ihn endlich wieber.

„Oh! oh! es fcheint, der Abend war hitzig,“ ſagte Frank, als er Heinrich die entladenen Piſtolen auf einen Tiſch legen ſah. „Sa, lieber Frank: da lade fie wieder. Will der gnädige Herr wieder von vorne anfangen ? Nein, aber wir reifen. Ah! es fcheint, Sie haben genug... Und wohin gehen wir, gnäs diger Herr? nach Neapel? Nein, ich habe Italien ſatt. Defto beffer, wahrlih, died Land langweilte mich auf, ih... Mir gehen nach Frankreich, nad) Paris, vieleicht bin ich dort glüdlicher als bisher ... und finde Diejenige wieder, für: weldye ich mein Leben hingäbe! Wie? Herr, Sie denken ihrer noch ? Ob ich an fie denke! ... ach! ... Frank, glaubft Du, dieſe rauſchenden Vergnügungen, dieſe Leidenſchaften eines Augenblicks, welche ſeit meiner Abreiſe meinen Geiſt in Anſpruch nahmen, haͤtten das Andenken an meine theure Pauline aus meiner Seele verwiſchen koöͤnnen )... Nein; dieſe jo verführeriſchen Frauen haben meinen

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Kopf eingenommen, meine Sinne verwirrt, aber keine ift bie zu meinem Herzen gebrungen. Das fehe ich wohl, daß Ihr Gefühl für Ihre Unbekannte die wahre Liebe it... DO ja!... die zärtlichfte, anfrichtigfte Liebe! Aber die Pferde ftehen bereit, gnäbiger Herr! Warum fagteft Du denn nichts? ...“

„Sonderbar,“ ſprach Frank, ald er Rom mit feinem Her verließ, „daß wir und immer mitten in der Nacht auf die Reife begeben: das ift das Verhängniß! ...“

dierzehntes Aapitel. Bari.

Heinri und fein Diener trafen nach kurzem Aufenthalt in Turin und Lyon zu Paris ein, ohne daß ihnen etwas Bemerkens⸗ werthes begegnet wäre.

„Wahrlich, gnädiger Herr,” ſprach Frank zu feinem Gebieter beim Gintritt in die Hanptflabt des Vergnügens und ber Heiterkeit, auf den erſten Anblid gefällt mir dieſe Stabt beſſer ald alle, durch bie wir bis jeßt gefommen find. Da fehen Sie einmal all diefe bins und herrennenden Leute; eine immerwährende Beivegung! ... Bei jedem Schritte finde ich Gegenflände, bie die Neugierde er: regen, wollte man hier auch traurig fein, koͤnnte man's doch nicht. Und die Frauen, Herr!... die find reizend ... Sagen Sie offen, haben Sie irgendwo welche gefehen, die ſolche Haltung, foldhe Anmuth, folche Eleganz hätten... welche bie Männer mit einem fo ſchmeichelhaften, ausprudsvollen Lächeln anbliden? ... . Ad, gnäbiger Herr! ih Bin ganz entzüdt! ... Zum Teufel! ... Srant, Du wirft beredt! Der Anblick begeiftert mich, Her... Laß Deinen Anblick und Befchäftigen wir uns mit Auffuchung einee Hötels, wo ich anſtaͤndig wohnen Tann.“

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Heinrich quartirte fih im Viertel der Chaussee d’Antin ein, und noch denfelben Abend burchflreifte er die beſuchteſten Schaus ſpiel⸗ und Gaföhäufer ver Stadt. Bon Mattigkeit erſchopft, kam er um zwei Uhr Morgens in fein Hötel zurüäd und fand Frank, feiner wartend, mit etwas minder heiterer Miene ald am Morgen. „Bas haft Du denn, Frank?" fragte Heinrich; „langweilſt Du Dich ſchon in Bars? D nein! Herr, das nit. Nun! warum haft Du denn diefen Abend eine ganz andere Miene als biefen Morgen? Ah, Herr! es ift mir ein kleines Abenteuer anfgeftoßen... Ein Abenteuer!... laß hören, was es if; erzähl? mir's. Gerne, gnäbiger Herr, wenn e8 Ihnen Ber: grügen macht. Wiffen Sie alfo, daß ich mich, nachdem Sie fort waren, ins Palais-Royal begab, weil man mir diefen Ort als den merfwürbigften der Stabt gefchildert Hatte. Seit einer Stunde war ich hier in Bewunderung begriffen, über jeben neuen Gegenftand, der ſich mir zeigte, in Extafe gerathend, als ein fehr gut gelleiveter und fehr ehrbar ausfehender Mann auf mich zutrat und nach dem Weg nach der Straße von... von... kurz, einer Straße fragte. Wahrlich, mein Herr,” antwortete ich ihm, „ich tenne fle eben fo wenig als Sie, denn ich komme fo eben in hiefiger Stadt an und bin völlig fremd. Ihr fein fremd?” fagte er zu mir, „ei! ih auch; und da der Zufall und zufammenführt, fo wollen wir den Abend mit einander zubringen. Ich nahm es an, erfreut, Jemand zu finden, mit dem ich plaudern Tonnte, in einer Stadt, wo ich Niemand kannte. Wir gingen daher nody etwas fpazieren und ſchwatzten, als ber Teufel over vielmehr das Geſchick wollte, daß er vom Billardfpielen ſprach... Sie wiffen, das ifl mein, Lieblingsfpiel, und ich Bin fogar darin etwas ftarf!... Sa! Du fagteft mir's Schon... Nun gut! Du mwollteft gewiß ſpielen? Richtig, Herr; das Heißt, mein Dann ſchlug mir eine Partie vor und ich verfehlte nicht, fie anzunehmen. Wir traten demnach in ein Cafehaus und gingen and Billard: ed war

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befegt, da aber bie Partie ihrem Ende nahte, blieben wir und faben zu. Giner ber beiden Spieler war viel jchwächer als ber andere, unb mein Fremdét befpötielte ihn über fein Spiel. Ich wette zwei Louis, fagte er zu ihm, Ihr macht biefen Ball nicht anf einen Stoß (und der Ball war ziemlich ſchwer); die Perfon wettete und gewann. Mein Mann fchien ärgerlich, daß er verloren hatte und fagte, er werde feine Revanche nehmen ; bie Gelegenheit zeigte fih bald; an der Perfon, welche bie zwei Louis gewonnen, war bie Reihe zu fpielen. Sie durfte durchaus nur floßen, um einen Ball, der {on Halb im Loch war, hineinzubringen: gut! mein Mann war fo frei, zu fagen, ber Anbere werbe den Ball nicht mahen!... Ic enigegnete ihn, er werbe ihn machen. Berden Sie mir glauben, gnädiger Herr, daß er ed wagte, zwanzig Lonis für dad Gegentheil mit mir zu wetten?... Sch nahm es auf der Sielle an. Unglüdlicherweife Hatte ich all mein Geld bei mir! Und Du gewannſt? Im Gegentheil, gnäbiger Herr! Der Ungeſchickte, der ſchon einen hundertmal fchwierigeren Stoß gewonnen, nahm feinen Ball fo auf der entgegengefehten Seite, daß er, flatt ihn zu machen, felbft verlief!... Da gab ih, Ber: zweiflung im Herzen, Alles hin, was ich befaß; es beſtand in zwanzig Louisb’or, weniger ſechs Franken, Mein Gegner Hatte bie Süte, mir das Fehlende zu erlaffen, und ich ging aus dem Cafe, das Berhängniß verfluchenn, das mich niit dieſem Fremden zu fammengeführt.“

Heinrich Fonnte nicht umhin, über das Abenteuer des armen Frank zu lachen; ex entfchäpigte ihn indeß für feinen Verluft und forderte ihn auf, ein anderes Mal Elüger zu fein, und ſich bes fonders vor jenen vorgeblichen Fremden zu hüten, welche ſich nur für foldge ausgeben, um die wirklichen beſſer zu betrügen.

Heinrich war fchon einige Tage in Paris, ald er eines Abends im Theater Hinter eine Dame zu figen Fam, welche feine Aufmerk⸗ ſamleit zu verdienen ſchien; fie war. in der That ſchlank, wohl

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gefaltet, von angenehmer Haltung und fchien die Blicke, welche ihr Nachbar ihr zuwarf, nicht mit Gleihgültigkeit zu fehen. Hein- rich, entzückt über feine neue Groberung, hätte gerne mit ihr fprergen mögen : aber fie hatte einen bien, mit Koftbarfeiten und Diamanten überladenen Mann bei fich, der fo ziemlich einem in Ruhe lebenden Ochfenhänpler gleichjah, ebenfo verlegen über feine zwei Uhren wie über feinen dicken Bauch fchien, und für ſich allein drei Biertheile der Loge einnahm. Da. er wohl.einjah, daß er ihr feine Gefühle nicht erklären Eönne, fo lange fie diefen Menfchen bei ſich habe, befchränkte er ſich darauf, beim Weggehen aus dem Theater Frank ihrem Wagen nachzuſchicken und ihm aufzugeben, einige Nachrichten über dieſe Dame einzuziehen.

Heinrich wartete voll Ungebuld auf die Rückkunft feines Dieners, und. wie er diefen von Weiten anflchtig ward, rief er ihm entgegen:

Nun, Frank, bringft Du mir gute Nachrichten? Ja, gnäbiger

Her, vortreffliche. Weißt Du die Wohnung der fraglichen Dame? Sa, Herr, ein prächtiged Haus auf dem Boulevard des Italiens. Gut! und haft Du etwas Weiteres erfahren? Ja, guädiger Herr! der Pförtner des Haufes if juf ein großer Schwäger und machte feine Umftände, mit mir zu plaudern. Bravo Frank! Nun wohlan! diefe Dame? Iſt eine Operntänzerin. Eine Tänzerin von der großen Oper!” fprach Heinrich bei fich felbft, „Teufel! mit folchen Srauenzimmern. ift viel zu gewinnen und viel zu verlieren! Sch weiß noch mehr,“ fuhr Frank fort, „der dicke Mann, der bei ihr war, ift ein ehemaliger Lieferant, der fie wie eine Prinzefjin unterhält, weil, wie Sie wiflen, gnädiger Herr, ed zum guten Ton gehört, eine Operntängerin zu unterhalten. Ah! es gehört zum guien Ton, Frank? Sa, Herr, au hat die Ihrige ald Liebhaber ſchon zwei ruflifche Fürſten, vier Finanz⸗ männer, ſechs Engländer, zehn Seneralpächter, drei Banquiers gehabt und ift jept eben an ihrem neunten Lieferanten. Du ſpaßeſt, Frank. Nein, gnäbiger Herr, ich fage bie Wahrheit: ; Paul de Kod. in, 27

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fle macht Auffehen, fie ift bie Dame ber Mobe, die Schönheit bed Tages; fo Iauten die eigenen Worte bes Pförtners. Ah! fie it die Dame der Mode! Dann werbe ih, da ich der Mode folgen will, der Tänzerin anf den Zahn fühlen. Sie Haben Hecht, gnädiger Herr, es iſt das befte Mittel, von Ihnen fprechen zu machen. Ich rathe Ihnen. indeß, fie nicht lange zu behalten, denn fo wie ſie's treibt, würden wir uns bald auf der Lifte ber Abge⸗ dankten befinden. Sei ruhig, Frank; wenn biefe Frau mich liebt, wird fie mich nicht zu Grunde richten. Ach! gmädiger Herr... Liebe fuchen bei einer Operntängerin ; das heißt zu viel verlangen.“ Mm folgenden Morgen fehrieb Heinrich einen Liebes: brief an feine Schöne und ließ ihn durch Frank beflellen. Diefer fam bald mit einer Antwort der Dame zurüd, welche Heinrich für den andern Morgen zum Cafo einlud.

„Rum wohlen, Frank!“ fagte Heinrich, „Du fichft, ich Habe ihr Herz gerührt. Möglich, gnaͤdiger Herr. Sag mir aber, bat fie Dich etwas gefragt? Gewiß, gnädiger Herr! fie fragte nah Ihrem Namen und Stand. Graf von Framberg!“ wie derholte fie, ala ich Sie genannt hatte, und augenblicklich ſchrieb fie dad Ihnen eingehändigte Billet. Eine Fran, die nicht jeben ° Hergelaufenen empfängt! .... Eine Frau vom feinften Ge⸗ ſchmack! ...“

Um die Zeit bis zum andern Tage zu töbten, fing Heinrich feine Wanderungen vom vorigen Abend wieder an und befuchte alle Öffentlichen Orte. An ein Spielhaus kommend, trieb ihn der Wunſch, fein Geld zu vermehren, um in Paris glänzend auftreten zu koͤnnen, hinauf, Zitternd fept er einige Louis, in ber fihern Erwartung, zu verlieren, auf dad Rothe; aber er gewinnt; ex ſetzt fein Spiel fort, das Glück bleibt ihm günftig, er fieht, daß er im Zug if, ſpielt Höher und geht endlich nach Verlauf einer Stunde mit dreißig- taufend Franken mehr in ber Taſche weg.

Auf dieſes hin will er gang nach der Mode fein und alle Zier—

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bengel des Tages überfirahlen. Wie ein Rafender laufend, kehrt er in fein Hötel zurüd. Frank erhält den Befehl, das fehönfte . Cabriolet zu miethen, ihm augenbliclich einen Juwelier, einen Pferdehaͤndler und einen Tanzmeifter zu ſchicken. Boll Verwunde⸗ rung lauft Frank da und dorthin, ohne zu wiffen, was er thun fol, aber das Berhängniß fegnend, das feinen Herrn zum Mil: lionär gemacht.

In Paris kommt man jedoch mit dreißigtaufend Franken nicht weit; der Juwelier und der Pferbehändler hatten ihm bald für mehr als das Doppelte verkauft; Heinrich fah wohl, daß er nicht fo reich fei, al8 er glaubte; allein er dachte, auf die Roulette zurückkehrend, Eönne er noch mehr gewinnen. Mittlerweile begnügte er fih mit einem Pferd für fein Cabriolet und einer Brillantnadel für ſich; dann entließ er feine Kaufleute mit dem Berfprechen, fle bald wieder zu fehen.

Endlich erfchien der andere Tag: Heinrich erwartete ihn voll Ungevuld, denn Reichthum ſchützt nicht vor Langeweile. Nach Vollendung feiner ausgefuchten Toilette flieg er in fein Cabriolet und ſchlug den Weg nach dem Boulevard des Italiens ein. |

Es war nicht weit von zwölf Uhr; um dieſe Stunde find die Straßen von Paris mit Menfchen angefüllt, namentlich in einem fo befuchten Quartier wie das, wohin er fich begab. Brennend vor Begierde, bei feiner Schönen einzutreffen, trieb unfer junger Mann fein Pferd wie ein Tollhäusler an; ſchon mehrmald war er nahe daran, Jemand zu überfahren, und nur feiner Geſchick⸗ lichkeit verbanfte er vie Vermeidung von Unglücksfällen; als er aber um eine Ede bog, erblickte er den Wagen eined Kärrnerd nicht, der auf ihn zufam; der Fuhrmann, nach dem Gebrauch diefer Leute, weicht einem Gabriolet nicht aus; Heinrich ſtoͤßt ge- waltfem an die Mäder des Karren; fein leichtes Fuhrwerk war nicht flark genug, gegen einen foldhen Wagen in ben Kampf zu treten; es flürzt um und wirft im Fall ein altes Weib nieber,

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das gerade aus einem Laden trat, wo es Lunge für ihre Katze ge⸗ kauft hatte.

Die Rufe: „3u Hülfe!... ich Bin tobt!...“ und bad um- geflürgte Cabriolet zogen Bald eine ungeheure Menge jener Pflafter- treter berbei, von denen Paris wimmelt. „Ein Weib von einem Gabriolet niebergerennt, welches ein junger Man: führt,” fagte der Eine. „Diefe Laffen richten lauter Unheil an... doch ift das Gabriolet zufammengebrocdhen. Erſtaunlich,“ rief eiu Anderer, „daß diefe Frau die Kraft hatte, einen Wagen umzuwerfen... .“ Und während man fo disputirte, Hatte ber Kärner für Elug ge- halten, fi; mit feinem Wagen aus dem Staube zu machen, da⸗ mit er die Sache nicht ausbaden burfte.

Heinrich flieg aus feinem Cabriolet, alle Fuhrleute und Maul: affen zum Teufel wünfchend. Frank, der hinten aufſaß, hätte bei- nahe das Leben verloren: doch Fam er noch mit einem gefchwollenen Auge und einigen Beulen an ber Stirne davon. Das alte Weib, bie mehr Furcht als Schaden genommen hatte, aber doch Nugen aus der Sache ziehen wollte, erfüllte die Luft mit Zetergejchrei und Gewinfel.

Heinrich glaubte, ruhig wieder nach Haufe zurüdfahren zu bürfen, und hatte Frank aufgegeben, fein Cabriolet wieder aufzu⸗ richten, als die fle umfichende Menge ber Alten rieth, ihn zu dem Gommiffär zu führen. „Zu dem Commiſſaͤr!“ rief Heinrih, „und was fol ich dort thun? Ah, fo! fchöner Herr: Ihr glaubt, man renne bie armen Leute nieder und bann fei won nichts mehr die Rede? Aber, Dummkopf! ich bin fa felbft bad Opfer von dem Allem, da mein Gabriolet zerbrochen wurde. D ja; und die arme Frau, die Ihr zufammengeführt habt, meint Ihr, man bürfe ihr nichts geben, ſich verbinden zu laſſen? Wenn ſie todt iſt, was Teufels ſoll ich dann machen? Gleichviel, ſie braucht einen Troſt.“

Heiunrich ſab wohl, daß, um aus der Sache zu kommen, Geld

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nöthig fei. Er ging daher auf die Alte zu, drückte ihr ungefähr fünfzehn Goldſtücke in die Hand, und auf diefe Weife gelang ed ihm, dem Commifjär zu entfchlüpfen. „Schaut! wie glücklich bie alte Schreierin iſt!“ fagte ein Weib zu ihrer Nachbarin. „Für die Hälfte der Summe ließe ich mir alle Tage ein Gleiches wider: fahren. Es gibt Leute mit unvernünftigem Glück,“ antwortete bie Zweite. „Diefe hat's ihrer Katze zu verdanken. Darum wirb fle nicht reicher,“ bemerkte eine Dritte! „fie iſt eine alte Spielerin, die all dies Geld wieber in die Lotterie trägt.“

Beſchmutzt, ermattet und befonders- darüber in Verzweiflung, daß er fein Rendezvous verfehlt hatte, kam Heinrich nach Haufe zurüd. Gr kleidete ſich indeß wieder um, beftellte einen Wagen und wagte es, fich Bei: feiner Schönen anmelden zu lafjen. Angenehm ward er durch die Nachricht überrafcht, daß fle noch zu Haufe fei; er wußte nicht, daß ed zum guten Tone gehöre, überall zwei Stunben auf fi warten zu laſſen. Wie Jemand, den man feit ange Fennt, warb er empfangen. Er fah, daß Frank ihn nicht getäufcht hatte, als er die Gleganz und Pracht der Mohnung der fchönen Tänzerin rähmte. Nie Hatte er in Italien etwas gefehen, das fich mit dem Boudoir einer Dame von der großen Oper vergleichen ließe.

Heinrichs Abentener war Gegenftand der Unterhaltung während des Frühſtücks. Die Dame lachte viel darüber und verfprach ihm, ed folle die Tageöneuigfeit werben. Heinrich war erflaunt, ebenjo viel Weltton als Geift an einer Theaterprinzeflin zu finden; was ihn aber am meiften überrafchte, war ihr zurüchaltendes Weſen und die Hinderniffe, welche man feinen Liebesaudbrüchen entgegens ſetzte. Heinrich wußte nicht, daß eine Frau, die ſich verkauft, föhwerer zu befiegen ift, ald eine Frau, die fi Hingibt: die eine folgt der Neigung ihres Herzens, während bie andere ihre Gunſt⸗ bezeigungen binauszielt, um fie theurer bezahlt zu machen.

Heinrich und feine Schöne waren im Gefpräche begriffen, ale man ber Dame melbete, es wünfche fie Jemand zu fprechen. „Ich

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babe ſchon gefagt, ich fei für Niemand zu Haufe,“ rief fle voll Ungebuld aus. Man erwibert ihr, es fei Jemand, der durchaus eintreten wolle. Da bat fie Heinxich, er möchte für einen Angens bli in ihren Salon gehen, mit dem Borgeben, es fei ihre Putz⸗ macherin, und fie wolle dieſelbe ſchnell abfertigen.

Heinrich ſchien bereitwillig, ſich zu entfernen ; ba er aber, nm in den Salon zu gelangen, durch ein Kabinet mit Glasthüre gehen mußte, das and Boudoir der Dame fließ, Tam er, fowie er allein war, leife zurüd, um fich mit eigenen Augen zu überzeugen, was im Bonboir vorgehe.

Statt der Putzmacherin fah er einen jungen Offizier eintreten, ber fi, unbefümmert um die Herrin des Haufes, in einen Lehns ſtuhl warf. „Wie! Ihr ſeid's Floricourt?“ fagte fie mit halb freundlicher, Halb verlegener Miene zu ihm. „Sa, ich bin's, und ich finde es höchft wunderbar, daß Du mich fo in Deinem Borzimmer warten läffeft. Konnte ich vermuthen, daß Ihr es ſeid, den ich feit acht Tagen nicht gefehen Habe? Du glaubteft obne Zweifel, es fei Dein dicker Monbor und er werde ruhig ab: tollen, fo wie man Deine Abwefenheit melve?... Aber ich bin nicht von ſolchem Taig und ſchere mich den Teufel um Deine Befehle und Deine Geldſpender! Was foll aber diefer Ton beveuten, mein Herr? ... Es flieht Cuch recht gut an, fo mit mir zu reden, Ihr, den ich mit Wohlthaten überhäuft, den ich von Kopf bis zu Fuß neu gelleivet Habe! Damals fchertet Ihr Euch nicht den Teufel um meine Eroberungen ... Barum war ih gut genug, Alles für ven Herrn aufzuopfern ? Wahrhaftig, die Frauen find fehr einfältig, wenn fie zuweilen Schwachheiten haben! Man verbindet ſtets nur Undankbare! In der That, es handelt fd um Ihre Gefchente, Madame! Sie haben mir eind gemacht, das mir gar nicht gefällt. Mein Herr, wenn man von einer Braun etwas empfängt, muß man bad Bute,” wie das Boͤſe an: nehmen, Wahrhaftig!... num wohlen! fo will ich Dich Ichten,

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mir Feine folche Streiche mehr zu fpielen, und Den, ber mit Dir frühſtückte, meinen Arzt bezahlen laſſen. Du bift naͤrriſch, Flori⸗ court, ih war allein, ich verfichere Dich. Ich gehe nicht auf ſolche Mähren... Da er fich verftedte, ift er Fein Zahler, und ih will ihm die Luft des Wiederkommens benehmen !”

Damit beginnt der junge Mann überall umher zu bliden, mit dem Fuß unter alle Tifche zu floßen. Endlich erblickt er Hein⸗ rich, der hinter der Glasthüre unbeweglich geblieben war; er öffnet

biefe ſchnell und gibt unferem Helden eine Ohrfeige, che er Zeit .

gehabt Hatte, audzumeichen. Heinrich wollte gerade über feinen Gegner herfallen, als fich die Dame zwifchen beide warf, um fie andeinanber zu bringen.

„Mein Herr,” fagte Heinrich zu dem Offizier, „wenn Sie ein Mann von Herz find, werden Sie mir Genugthnung für diefen Schimpf geben. AH! der Herr ift nicht zufrieden!“ antwortete diefer, Höhnifch lachend; „nun wohlan! fo fol er noch eine derbere- Lektion haben. Keine Schmähreben, mein Herr, ich liebe folche nit; Morgen früh um vier Uhr erwarte ich Sie in gyinem Haufe!” Mit diefen Worten verließ Heinrich dad Zimmer, ohn die neben ihm flebende Dame mehr eines Blickes zu würdigen.

„Auch meine Schuld,“ fagte er bei fich felbft auf dem Rück⸗ weg nad) feinen Höfel, „ich hätte nicht zu dieſem Weibe gehen follen... Aber feit ich reife, mache ich nichts als dumme Streiche!... Ah, mein Vater! welchen Kummer würde Ihnen die Aufführung Ihres Sohnes machen, wenn Sie diefelbe fennten! Und du, guter Müller, chätte ich deinen Rath beffer befolgt, wäre ich nicht" fo weit, wie ich jegt Bin... Da mir aber das Schidfal immer ent- gegen ift und ich Diejenige nicht finde, welche das Glück meines

Lebens gemacht hätte, fo ſchwoͤre ich, bald nach Framberg zurüde ®

zukehren.“ Der Offizier war pünktlich Beim Stelldichein, Heinrich griff zu feinen Waffen, und, ohne ein Wort zu verlieren, begaben fie ® | 2

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ſich nad; dem Gehoͤlz von Bonlogne. Dort 309 Jeder feinen Rod aus und griff den Andern ungeflüm an.

Heinrich war nit fo fertig im Fechten wie fein Gegner; aber er war kaltblütig und wußte alle feine Stöße geſchickt zu pariren. In Kurzem rannte der Offizier, indem er Heinrich Eins verfeßen wollte, in deſſen Degen und ſank Ieblos zu Boden. Mit ſchnellen Schritten ging Heinrich in fein Hotel zurüd ; ihm ſchien, es fei der Schatten feines unglüdlichen Opfers ihm auf den Ferſen. Es if wirklich etwas Eutfepliches, einen Nebenmenfchen wegen einer Fran zn töbten, bie man verachtet! ... Heinrich machte ſich taufend Gedanken, und feine Seele erlag unter der Laſt des von ihm vergoffenen Blutes.

Frank erfchrad, wie er feinen Herm in dem Zufland unge: wöhnlicher Niedergeſchlagenheit ſah. „Was haben Sie denn, gnaͤ⸗ biger Herr?“ fragte er iin; „follte Ihnen ein Unglüd begegnet fein? AG ja, Frank! ... ein Unglüd, das ih mir nie ver: zeihen werde!... Bas foll das heißen, gnädiger Herr?! ſchreiſen Sie es dem Berhängniß zu! Rüſte Alles zu unferer

.Abreife, noch diefen Morgen verlaffen wir Paris. Darf id wiffen, wohin wir gehen, gnäbiger Herr? Nach Framberg zu rüd: es treibt mi, meinen Bater und ben guten Müller, der mich fo fehr liebte, wieder zu fehen Meiner Treu, gnäbiger Herr ! ich freue mich gleichfalld darauf, denn nichts auf der Welt

. tommt dem Baterhaufe gleich.“ j

Fünfsehntes Aapitel. Ein Abenteuer andezer Art.

Heinrich und Pranf ritten gemächlich auf dem Wege nah Deutſchland fürbaß; ber erfiere in Gedanken, über das traurige Ergebniß feiner Heifen. In der That, was gewinnt mar and) mit

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Band II. Seite @. Der Undefannte wäre unfeblbar unterlegen, hätte die plotzliche Etſcheinung Deinriche bie Mörder nicht jo jehr erichredt, baf fie die Flucht ergriffen.

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Umberflteichen in ber Welt? Die Heberzeugung der geringen Aehn⸗ lichteit zwifchen dem wahren Glück und dem von unferer @inbil- bungskraft gefchaffenen. Frank, obgleich minder trübfinmig In feinen Betrachtungen als fein Herr, fand, daß ein flilles, ruhiges Leben wohl das Vergnügen aufwiege, in der Welt umherzuſchwärmen, und er pried Diejenigen glüädlich, welche ihr Geſchick friedlich an den Orten ihrer Geburt leben Läßt.

Cinige Meilen von Straßburg hielt Heinrich in dem nämlichen Walde an, wo einige Monate fpäter ver Oberfi Framberg und Müller eine Zufluchtsftätte fanden. Da er eine Welle im Schatten zu ruhen wünjchte, ſchickte er Krank mit dem Befehl voraus, ihn im erften Gaſthof zu Straßburg zu erwarten. Die Stille bes Orts fchien den Reiſenden zur Ruhe einzuladen; Heinrich, ber feit einigen Tagen ununterbrochen auf dem Wege war, fühlte das Bebürfniß, einen Augenblick der ihn „nieperbrüdenben Mattigkeit nachzugeben. Er fegt Tao } dichtty ‚Dre‘ eine majeſtaͤtiſchen Eiche befchattetes eh ‚und vbmt Achlaß y Schlaf feine Augenlider.

ALS er wieber ernfachte „. begann Br. Ing, fi? ‚zu neigen ; er wollte aufftehen, um fehnen Weg fortzuſetzeii Zug er von ber andern Seite des Gebüfches Sttmanen vernahm; er ſtreckte leiſe den Kopf „vorwärts und erblickte, nur einige Schritte entfernt, zwei Männer. Shre feinpfeligen Geſichter beftimmten ihn, ſich nicht gleich zu zeigen ; und ba ſich Beide völlig allein glaubten, Tonnte er leicht folgendes Geſpraͤch vernehmen :

„Du biſt alfo ganz ficher, daß er es it? Ja, Herr, ih bin's gewiß; und obgleich ich ihn teufelmäßig lang nicht gefehen, iſt mir fein Geſicht doch zu gut im Gedaͤchtniß, als daß ich ihn nicht erkannt Hätte! Ueberdies Habe ih in dem Wirthshaus, wo er war, Greundigungen über ihn eingezogen, unb weiß gewiß, daß ich mich nicht irrie. Und Du fagft, er werde durch diefen Walb fommen ? Ja, Herr, er Tann feinen andern Weg nehmen, und

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ich fuchte Sie eiligſt auf, damit wir eine fo ſchoͤne Gelegenheit nit entſchlapfen Iaffen... Was meinft Du denn, Stoffar, daß wir thun follen ? Beim Teufel! es gibt nur einen Ausweg, nämlich fi feiner zu entledigen, damit er und nicht mehr beunruhigt.“

Hier fühlte Heinrich, wie ihm dad Blut in den Adern Tochte, uub er wollte auf bie beiden Schurken losſtürzen; aber et be: dachte, es möchte dies vielleicht nicht das rechte Mittel fein, ihr. Schlachtopfer zu reiten, und bemühte ſich daher, feinen Unwillen zu mäßigen. „Aber,“ nahm Derjenige das Wort, welcher der Herr zu fein fehlen, „wenn wir und darauf befchränkten, uns feiner Berfon zu verfidern und ihn eingefperrt zu halten, fo Tönnten wir ihn zu dem Belenniniß zwingen, was er mit... Rein, He, fiel der Andere ein; „dad wäre zu nichts nüge!... Zudem, wo wollen Sie ihn einfpenen?!... In Ihrem Haufe?! Bon einem Augenblick zum andern önnte man ihn dort entdesten, ober er bürfte nur entkommen! ., Das wũrde und einen ſaubern Handel auf den Hals zichen! Glauben Sie mir, unter ſolchen Um⸗ flänben darf man feine halben Maßregeln ergreifen. Iſt er einmal tobt, fo find Sie ruhig, ‚denn ihn allein haben Sie zu fürchten... Du haft Recht, Stoffar, und ich bin entfehloffen, zu...” Der Suffchlag eines Pferdes unterbrach das Geſpraͤch. „Er iſt's, Herr,“ fagte einer der Maͤnner aufftchend ; „er kommt näher... : Halten wir und bereit, ihn gut zu empfangen !“

Beide ſtellten fich Hinter Bäumen anf. Auch Heinrich lub feine Piftolen, und dem Himmel dankend, daß er ihn zum Ber: theidiger eined Unglücklichen erforen hatte, war er auf jeden Fall geräflet. Nach einigen Minuten ſah er einen Mann auf einem Pferbe fi nahen. Noch war es nicht fo dunkel, daß er die Züge bes Reiſenden nicht hätte unterfcheiden koͤnnen. Es war ein Mann von etwa vierzig Jahren und edlem Wuchſe, beffen fanftes,. aber melancholiſches Geſicht eine unter ber Laſt tiefen Kummers ſeufzende Seele verrieth.

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Se näher ber Unbelannte kam, deſto gewaltiger ſchlug Heins richs Herz, und er vergaß über der Betrachtung feiner Züge bie fein eben bedrohende Gefahr. Bald war er feboch aus dieſem Zuſtand geriffen. Die beiden Männer brachen plöplich mit gezücktem Säbel auf den Reiſenden los, der durch einen fo unerwarteten Angriff betäubt, nicht Zeit gehabt hatte, nach feinen Waffen zu ' greifen; er wäre unfehlbar unterlegen, hätte fich nicht Heinrich mit der Schnelle des Blikes den Moͤrdern entgegengeftellt. Diefe plögliche Gricheinung erfihredte fie fo fehr, daß fie ihre Beute los ließen und nur an ihre Flucht dachten. Heinrich feuerte feine Pis ftolen auf fie ab; einer ber beiden Schurken fiel tobt nieder, ber andere war nicht getroffen und enifloh durch das Dickicht des Waldes.

Heinrich hielt Verfolgung für unklug und Tehrte fi zu dem Seretteten. Der Meifende wußte nicht, wie er feinem Befreier feine ganze Erkenntlichkeit bezeigen follte. „Sie find mir feinen Dank fhuldig, mein Herr,“ antwortete ihm Heinrich; „indem ich Ihnen zu Hülfe fam, erfüllte ih nur die Pflicht eined Ehrenmannes, und ich bin überzeugt, Sie hätten an meiner Stelle das Nämliche gethan. Wollen Sie aber meinem Rathe folgen, fo fputen wir ung, aus diefem Walde herauszukommen und eine befuchte Straße zu gewinnen : denn die Nacht wird finfter, und vielleicht wären wir nicht immer gleich glüdlih. „Ich Bin Ihrer Anſicht,“ erwiderte der Unbelannte, „aber, wie e8 fcheint, find Sie zu Fuß? Wahr, ih babe meinen Diener mit meinem Pferde vorausgeſchickt, denn ich gedachte, noch dieſen Abend in Straßburg einzutzeffen. Run denn! fleigen Sie hinten auf, fo werben wir fchneller aus dem Walde fommen.” Heinrich nahm ven Borjchlag an, und im Galopp flogen fie davon.

Unterwegs ſprachen fle von den auf diefen Borfall bezüglichen Einzelnheiten. „Ich glaubte nicht,” fagte der Reifenve, „daß Räuber diefen Bald unficher machen. Sie ircen fi, mein Herr, wenn Sie die Leute, die Sie anflelen, für Räuber hielten ; ich Bin ge:

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wiß, daß es Feine waren.“ Nun erzählte Seinrich, wie er Alle achört habe. Während der Erzählung betrachtete er feinen Ge: fährten genau und bemerkte, daß er feinen Worten die größte Auf: merkfamfeit fchenkte. „Wäre ed möglich 2” rief der Reiſende ans, als Heinrich geendet hatte. „Aber haben Sie fonft nichts gehört, mein Herr ? Nichts weiter; doch vermuthe ich, das werde hin: reichend fein, Sie auf bie Fährte zu bringen. Run denn! Sie irren ſich, mein Herr! denn ich verfldhere Sie, daß ich nicht von dem eben Befagten begreife; ich wüßte nicht, daß ich Feinde hätte, die einer ſolchen Schlechtigleit fähig wären. Beim Hehler, das IR wunderbar!... Ic Habe nie Jemanden gefchadet und fo viel Gutes gethan, ala ich Tonnte!... Durch Gutesthun zieht man ſich Häufig ven Haß ber Schlechten zu!... Ha! Sie haben Recht, mein Herr, und Sffnen mir die Augen!.. ..” Hier verfan? Heinriche Begleiter in tiefe Träumerei, und erfterer er: laubte fich Leine weiteren Fragen.

Nicht Lange, fo betraten unſere beiden Reiſenden einen be: fuchten Meg, und da die Nacht ſinſter war, dachte Heinrich, er werbe wohl daran then, den andern Tag zu feiner Weiterreife nach Straßburg abzuwarten. Bor der erften Herberge machten fle Halt. „Sie gehen nad Straßburg und ich fomme dort her; weil wir demnach beide eine enigegengefeßte Richtung zu nehmen haben, will ich Ihnen Lebewohl fagen. Wie? Sie Tehren hier nicht ein?“ entgegnete Heinrich. „Nein, denn ih habe Eile, nad Paris zu kommen, wo ich eine wichtige Angelegenheit beendigen muß: ba ich Bald wieder nach Straßburg zurüdzufehren gedenke, werde ich hoffentlich das Vergnügen haben, Ste bort zu fehen und nähere Befanntfchaft mit dem Erhalter meines Dafeins zu malen.” Heinrich erwiderte ihm, fein bertiger Aufenthalt werbe nicht von langer Dauer fein: „Aber,“ fügte er Hinzu, „ba ich eben fo fehr wünfdhe, daß wir ums eined Tages wieber zuſammenſinden, Tabe ich Sie ein, wenn Sie ber Zufall in die Mähe meines Bohnortet

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führt, nicht zu vergeffen, daß Sie in Heinrich von Framberg einen Freund baden, ver ſich glücklich fchäken würbe, Ihnen noch ein> mal nüglich fein zu können. Heinrich von Framberg!...“ rief der Unbelannte aus; „wie? Sie wären der Sohn des Oberften Framberg? Gewiß! Warum dieſe Ueberrafhung? Sollien Sie etwa meinen Bater kennen? Ich habe viel von ihm gehoͤrt; der Ruf feiner Tapferkeit und feiner Thaten iſt zu mir gebrungen. Run gut! ein Grund mehr, auf das Schloß zu kommen, ich bürge Ihnen für_gute Aufnahme.“

Der Brembling dankte Heinrich; der Name Framberg hatte eine Aufregung in ihm hervorgebracht, welche den Blidden unferes Helden nicht entging, aber er wagte nicht, ihn um bie Urfache zu fragen, und fle fchieden von einander mit wiederholten Meſiche⸗ rungen der aufrichtigfien Freundfchaft.

Heinrich trat in die Herberge, wo er fich ein Zimmer anweifen ließ; bier dachte er über fein fonderbares Abenteuer und feine neue Bekanntſchaft nach. Der Altersungleichheit zwifchen Heinrich und dem Fremden ungeachtet, fühlte ſich jener doch. mit Bruderliebe zu ihm Hingezogen, und er bebauerte jehr, daß er vergeffen hatte, ihn um feinen Namen zu befragen. Unter ſolchen Betrachtungen fchlief er ein und reiste am Trühehen Morgen mit der Poſt nad Straßburg.

Sechzehntes Kapitel. Wiederfinden.

In dem bezeichneten Gaſthof fand Heinrich den vorausgeſchickten Diener, ſeiner harrend. Frank war in Unruhe über das Ausbleiben ſeines Herrn am geſtrigen Abend, und dieſer erzählte ihm ſein ge⸗ habtes Abenteuer.

»Sie werden zugeben, gnädiger Herr, daß Sie auf einen ſolchen Vorfall nicht gefaßt waren! ... Ich bin überzeugt, der,

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den Gie gerettet, hegt reges Danfgefähl für Sie... Aber gleid- viel, wit fein Berhängniß, daß er ermordet werde, fo wirb er ihm früher oder fpäter nicht entgehen.“

Heinrich verließ Frank und fein Verhängniß, um in der Stadt umberzuftreifen. Seit dem geftrigen Abenteuer waren feine büftern Gedanken völlig verflogen, und es blieb ihm von der Erinnerung an feine Reifen und tollen Streiche nur noch der fefte Entſchluß übrig, fih in Zukunft beffer aufzuführen. j

Während er fo feine Tugendplane ſchmiedete, war er, anfangs ohne es zu getwahren, aus ver Stadt gefommen ; im Begriff aber, ben Rückweg einzufchlagen, Hört er hinter fi um Hülfe rufen; er dreht fih um und erblidt ein junges Frauenzimmer, fich gegen einen Soldaten firäubend, der fie wider ihren Willen mit fort: ziehen wollte. Er fpringt auf den Kriegäfnecht zu, der in feiner Truntenheit, beim Anrüden von Hülfe, feine Beute los Täßt; Heinrich will nun ber jungen Dame feine Dienfte anbieten: aber wie foll ich feine Ueberraſchung, fein Entzüden malen, ald er in der Befreiten feine geliebte Pauline erkennt!

„Wie? Sie ſind's mein Fräulein ?... Sie, mein Her?...“ war Alles, was fie fagen Eonnten, fo fehr waren Beide ergriffen. Heinrich bewunberte die Reize ver Geliebten, welche ſich feit ihrer Trennung noch mehr enifaltet hatten ; auch Paulinen konnte nicht umbin, Heinriche Freude und Berwirrung zu theilen.

„Ad, mein Herr,“ fagte fie endlich, „wie fehr danke ich dem Simmel, daß er Sie zu fo gelegener Zeit herſandte, um mich von ber drohenden Gefahr zu befreien!" „Mein Herr, mein Herr!“ wieberholte Heinrich feufzend... „ih bin alfo nicht mehr Heinrich für Sie?... Sonft nannten Sie mich fo; die Zeit hat Sie jene glüdlichen Tage vergeffen laſſen, bie ich an Ihrer Seite verlebte! Ach, Pauline! ... ach, mein Fräulein! ich babe alfo allein über eine fo lange Trennung gefeufzt, und fomit hätte ich wohl Sie, nicht aber dad Gluͤck wiebergefunden?,,. Wie

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ungerecht find Sie, Heinrih!... Aber.man Hatte mir fo oft wieberholt, daß Sie mich nicht liebten, mich vergeffen hätten!... Ihre lange Abwefenheit...... Ihr geringer Eifer, meinen Aufent: halt zu erfahren... Was fagen Sie, Banline? Der Himmel ift mein Zeuge, daß ich feit unferer Trennung alles Er⸗ finnliche that, Ihren Wohnort zu erforfhen! Iſt's wirklich wahr, Heintih?... Ach! diefer Glaube ift mir Benürfuiß! Ihre Worte machen mir zu viel Freude, ald daß ich daran zweifeln möchte.“

Unfere beiden Liebenden vergaßen über dem Wiederfehen, daß ed noch etwas Anderes auf der Welt gebe als ihre Liebe. Pau⸗ line gewahrte zuerft, daß man fich trennen müffe.

„seht müflen wir und trennen, Heinrich: bei Ihnen vergefie ih, daß die gute Madame Reinhard meiner wartet und vielleicht beforgt ift wegen meiner langen Abweſenheit. Wo wohnen Sie, Bauline? In dem Haufe dort unten am Stabttfore. Ich war allein ausgegangen, einige Einkäufe zu machen, denn Mabanıe Reinhard ift Trank, und unfere alte Dienerin konnte nicht von ihr weichen. Und Ihr Bater? If in diefem Augenblide nicht

‚in Straßburg; doch wird feine Abwefenheit nicht von langer Dauer fein. Nun, wohlan ! was fleht im Wege, mich in Ihrem Haufe vorzuftellen ? Diejen Abend nicht, mein Freund ; es ifl zu fpät, meine gute Mutter zu ſehen: kommen Sie morgen, ba haben wir Zeit, mit ihr zu reben.“ .

Nur mit Mühe willigte Heinrich in die Trennung von feiner theuern Pauline; aber die Hoffnung auf den andern Tag flößte ibm wieber Muth ein. Er begleitete feine Angebetete bis vor bie Thüre ihrer Wohnung und fehle nur mit dem Berjprechen baldigen Wiederſehens.

Glück im Herzen, kehrte Heinrich nach ſeinem Gaſthof zurück. Bon der Rückkehr zum Vater war Feine Rede mehr; feine Pau⸗ Iine befchäftigte all feine Gedanken, feine Liebe. Bei ber Nadhs sicht, fein Gebieter habe die Geliebte wiebergefunden, rief Frank:

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„Run, da war's wohl der Mühe werth, gnädiger Herr, daß wir fo weit herumreiöten wegen einem Fräulein, dns fo nahe bei und war! Uber es fland ba oben .gejchrieben !“

Kaum graute ber folgende Morgen, ald Heinrich fchon unter den FJenſtern feiner Geliebten wartete. Man war im Monat No: vember, wo es Ealt zu werben. anfing. Er ging vor dem Kaufe auf.und ab, bis feine Schöne wach wäre; bald öffnete Pauline, bie wahrſcheinlich nicht viel gefchlafen Hatte, ihre SJaloufien. „Wie! Sie find’s, mein Freund, fo füh!.... Ad, theure Bauline ! Tonnte. ich fern von Ihnen Schlafen? Auch ich ſchlief nicht, wie Sie wohl fehen ; doch gleichviel, es ift zu früh, Sie müſſen gehen. Ah, Pauline! Sie lieben mich alfo nit? ber, lieber Freund, Madame Reinhard fchlummert noch. Uno ich flerbe beinahe vor Kälte. Sie fünnen doch. nicht eintreten. Sie laffen mich lieber unter Ihrem Fenſter erfrieren?. . . Böfer!... Wohlan denn! warten Sie, ich komme herab.”

Nicht lange, fo öffnete Pauline. Wie reizend erfchien fie in Heinrich Augen! Ein einfaches Morgenkleid bedeckte ihren eleganten Buche ; ihre nachlaͤſſig zurückgeſchlagenen Haare beſchatteten eine Stirne, den Sig der Schambaftigfeit ; ihre fügjchmachtenden Augen waren zu fehüchtern, um auf benen ihres Geliebten zu ruhen : Alles an ihr Hößte Liebe ein! Wie Hätte Heinrich fo viele Reize nicht verehrten follen ? Unbeweglich blieb er vor dem Gegenftand feiner Bewunderung ftehen; Pauline, die Urſache von Heinrichs Verwir⸗ rung wohl ahnend, erröthete vor Vergnügen. Wo ift dad Mädchen, dem es entginge, welches Gefühl fie einflößt ?

Sie führte ihren Geliebten in ejn Heines Gejellfichaftszimmer mit der Ansficht auf den Garten; bort exwarteten fie das Erwachen ber Madame Reinhard. Die Zeit warb ihnen nicht lange; Liebente haben ſich fo vieles zu fagen! Heinrich erzählte Baulinen feine Reifen und bie. ihm aufgefioßenen Abenteuer, wobei er indeß über dad hinwegfchlüpfte, was für das Ohr feiner Geliebten nicht paßt.

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Gerne Hätte Heinrich wien mögen, wie «8 Banlinen mährend feiner Abweſenheit ergangen . . . wo ihr Bater und welches ber Grund feiner Meife wäre, fo wie tauſend andere Dinge, die ihn mit der Geburt feiner Geliebten und ihrer gegenwärtigen Lage Befannt gemacht hätten ; aber er wagte nicht, zu fragen, und harrte lieber, bis die Zeit ihm ihr Berirauen erwerben würbe, als daß er nengierig ober mißtrauiſch in ihren Augen hätte erfcheinen mögen.

Endlich bemerkte Pauline, daß die Stunde gelommen fei, wo Diefenige, bie Mutterſtelle bei ihr vertrat, zum Fruͤhſtück aufzu⸗ Reden pflegte. Sie flog zu Madame Reinhard, mit bem Verſprechen, hHeinrich bald zn holen. Waͤhrend ihrer Abweſenheit beſchäftigte fich biefer mit genauer Betrachtung der Wohnung feiner Freundin; Alles war fo einfach ald möglich ausgeftattet und zeigte mehr guten Geſchmack, als Reichtkum an. - „Ha! fie iR nicht glücklich,“ ſprach Geinrich bei ſich ſelbſt, deſſen bin ich gewiß, und fie bat nicht genug Berirauen zu mir, um mir ihren Kummer mitzutheilen!... Aber ich werde fle zum Bertrauen zu nöthigen wiffen, ihre Leiden verfügen, und ohne ihren Stolz zu verletzen, bas Mittel finden, ven Reichthum mit ihr zu theilen, der nur darum einigen Werth in meinen Augen hat, weil er mir zur Bereitung einer forgens freieren Lage für fle fürderlich fein kann!“

Mas Heinrich feinen Reichtum wannte, war nichts Anderes, als das in Paris im Spiel gewonnene Geld, welches er, wie man fi erinnert, durchzubringen Feine Zeit mehr gehabt Hatte, weil er ben zweitfolgenden Tag abgereiöt war.

Banline zog ihn aus feinen Betrachtungen burch bie Anzeige, dag ihn Madame Reinharb zum Frühſtück erwarte. Er folgte feiner Freundin und fand die gute Dame beim Feuer ſitzen. Heinrich warb durch die Meränderung, welche die Krankheit bei ihr hervor⸗ gebracht, ſehr betroffen ; die Bläffe ihres Geſichts und ihre beinahe

Baui de Rod. Hi. 8

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erloſchen⸗ / Stimme liefen ihn fürchten, fie möchte nicht mehr lange zu leben haben; allein er hütete fi wohl, feiner Bauline Gedanlen mitzutheilen, welche ihren Kummer nur verboppeln Tonnien.

Madame Reiuhard empfing Heinrich aufs Schmeichelhafteſte unb voll Freunde, ihn wieberzufehen. Das Frühſtück war ziemlid heiter; Heinrich war bei feiner Pauline; was bedurfte er weiter zu feinem SA? Wenn zufällig fein Fuß den ihrigen berührte, feine Sand auf ber ihrigen ruhte, und er in ihren Augen bie Verwirrung lefen konnte, bie fie empfand, o! dann hätte er gegen alle Schhäpe der Welt die Wonne, bei feiner Geliebten zu fein, nicht vertaufcht! Leicht erlangte er von Madame Reinharb bie Er: laubaiß, zuweilen ihre Cinfamkeit zu theilen ; zuweilen! das hieß täglih, unfere Liebenden wenigftens verftanden es fo. Pauline geſtand Heinrich, daß fie feit feiner Abweſenheit die Muſik fehr vernachläffigt Habe, ex verfprach ihr, noch am Abend eine Samms Iung der neueften und fchönften Stüde zu überbringen; Banline dradte ihn fanft die Hand; Madame Reinhard dankte ihm zum Boraus für bie Freude, die er ihrer gellebten Tochter bereiten wollte, und Heinrich ging, um fein Verſprechen zu erfüllen.

Ein Monat verfloß, während deſſen unfer Helb jenen Morgen und jeven Abend bei feiner Geliebten zubrachte. Man hatte ſich fo fehr daran gewöhnt, daß, wenn er zu feiner gewöhnlichen Stunde bei Madame Reinhard nicht erfhien, er feine Pauline in Unruhe fand, wie fle, traurig durch dad Fenſter blickend, feiner harrte. Heinrich ſchwamm in Seligfeit; von feiner Freundin war er geliebt, Pauline verfuchte nicht mehr, ihm ihre Liebe zu vers bergen, und wenn fie es auch gewollt Hätte, würbe nicht jedes Wort, jebe Bewegung verrathen haben, was in ihrem Herzen vors ing? Madame Heinhard felbft behandelte Heinrich tie ihren Sohn und fühlte die zärtlichfte Freundſchaft für in. Aber auch er war nit mehr jener ungeflüme, aufbranfente Züngling, jener Leicht: ſinn, Spieler und Saufewind; feine Liebe für Pauline Hatte alle

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feine Gefühle verändert, denn eine tugenbhafle keidenſchaft allein vermag alle anderen Leidenſchaften zu bezähmen.

Doch nicht lange, fo gewahrte er, daß feine Bauline an irgend einem geheimen Grame leide; Madame Reinhard felbft fchien oft traurig und nachdenklich. Heinrich fah mit Schmerz, wie die Ge⸗ funbheit diefer guten Dame von Tag zu Tag mehr dahinſchwand. Er erblidte für feine Pauline taufend Gefahren, taufend Verlegen: Beiten, wenn ihre Pflegemutter farb. Vergebens drang er in feine Geliebte, ihm ihren Kummer zu geftehen, ihre Sorgen und Uns ruhe anzuvertrauen ; ſtets vermieb fie es, eine Frage zu berühren, welche ihren Schmerz zu vermehren fehlen.

Als fich Heinrich eines Tages, nach feiner Gewohnheit, zu der Geliebten begab, erfchrad er, wie er beim Deffnen bie alte Dienerin bitterlich weinen fah. „Was ift denn gefchehen ?“ rief er alsbald aus. „Ah, Herr! meine gute Gebieterin iſt fehr übel auf und hat, wie ich glaube, nur noch wenige Augenblide zu leben.” |

Heimich fliegt ungefäumt nad dem Kranfenzimmer, wo er feine theure Pauline am Bette der Madame Reinhard, in Thränen gebabet, fand. Diefe Iehtere, obgleich fchwach und am Rande des Grabes, empfängt Heinrich mit fanftem Lächeln und richtet mit beinahe erlofchener Stimme folgende Worte an ihn:

„Ich erwartete Sie mit Ungeduld, mein lieber Heinrich; Ihnen übergebe ich meine geliebte Tochter, Ihnen trage ich auf, ihr Troſt zu fein. Ich Tas in Ihrer Seele, welches Gefühl Sie für dieſelbe hegen; Pauline erwidert es: feiet daher vereint und verlaſſet ein⸗ ander nie!“

Heinrich drückte Panline in ſeine Arme, gelobend, ſich nie von ihr zu trennen; ſeine Freundin hatte keine Kraft, zu ant⸗ worten, ſo ſehr war ſie vom Schmerz niedergebeugt. Madame Reinhard überwand ihre Schwäche und fuhr folgendermaßen fort: „Sie waren gewiß über das gehrimnißvolle Weſen verwundert,

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Ueber Heinrich, welchhes alle Handlungen von Baulinens Vater zu nmbüllen fcheint ; Sie Tonnen biefen tugendhaften Mann nicht! ... Boun Sie feine Unglüdsfähe vernehmen, werben Gie fein Bes tungen nicht mehr verbammen. Ich habs meine Bauline beauftragt, Sie von Allem zu unterrichten : die Zeit ift nicht mehr, Ihnen irgend etwas zu verbergen, und in Sie allein foll fie ihre ganze Hoffnung fegen.“ |

Hier verfiel Madame Reinhard nach folcher Anſtrengung in eine Schwaͤche, den Borboten ihres nahen Todes. Heinrich uud Benline umfingen fe mit ihren Armen; fle ſchlug die Augen noch einmal auf, ergriff die Hand ihrer Pflegetochter, legte fle in bie Heinrichs und entjchlief zum ewigen Frieden.

Heinrich beeilte ich, feine Freundin dieſer Schmerzenöfcene zu eniteißen ; in feinen Armen trug er file nach ihrem Zimmer. Dort ſachte er nicht, ihren Schmerz zu mäßigen, fondern er beweinte wit ihr Die achtungöwerihe Verblichene der befte Troſt, den er {fr bieten konnte.

Als nach einigen Tagen Paulinend Schmerz in eiwas geſtilli war, wagte Heinrich die Bitte um die verfprochene Mittheilung. Bauline Fam feinen Wünfchen nad: fie unterrichtete ihn von ber Ueſache ber Abweſenheit ihres Vaters und ben Beweggründen feiner häufigen Reiſen.

Da Heinrich Hieraus entnahm, daß dad lange Ausbleiben eis felben an ihrer Unruhe Schuld fei, entſchloß ex fi, nach Paris gu teilen, um Denjenigen dort auszukundfchaften, für den er fih fo lebhaft interefjirte. Er reiöte daher ab, mit Zurüdlaffung Frauk's, als Wächter für die Sicherheit feiner Freundin, und begleitet von ee Bünfchen Baulinens für den glüdlichen Erfolg feiner

eife.

Bir wien, daß um biefe Seit der Dherfi Framberg und Müller mid der Hoffnung in Straßburg eintrafen, Heinrich dert aufsußnven ; biefos war chen nad Barld abgereist, wohin fle ige

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folgten. ber unfer junger Mann war nicht glücklich in feinen Nachforfchungen ; er burchftreifte die Hauptſtadt nach allen Rich: tungen, ohne eine Spur von dem Gefuchten entdecken zu koͤnnen. Des vielen vergeblichen Umherrennens endlich müde unb von bem Bunfche getrieben, feine Pauline wieberzufehen, kehrte er nach Straßburg zurück, ftetd verfolgt vom Oberſt und Müller, welche ihn, ohne ven ihnen im Walde zugefloßenen Unfall unfehlbar ein- geholt hätten.

Heinrich fand feine Pauline mit der Iebhafteften Ungeduld feiner barrend. Sie eilte ihm entgegen, fo.wie fie ihn erblickte. „Nun denn, mein Freund! welche Nachricht? Gar Feine, Thenerfte!... Wie? mein Vater... Ich Eonnte nichts über fein Schickſal erfahren. Wie unglädlih bin ich!... Es iſt alfo ans! ich ſoll ihn nicht wiederfehen!... Ich Habe Niemand mehr auf Erden, der ſich einer unglücklichen Waiſe erbarmte!.... Was fagft Du?" rief Heinrich mit Heftigkeit; „Du Haft Niemand mehr auf Erben ? Ha! bin ich nicht Dein Beliebter... Dein Batte?... AG, Heinrich! feit Du fort warft, babe ich nachgedacht und gefunden, daß ich auf dieſes Glück Feinen Anſpruch machen varf!... Ich!... eine Waife, ohne Namen, ohne Vermögen, follte die Gemahlin des Grafen von Framberg werben! ... Ach! ich fehe nur zu gut, welche Kluft und trennt! ... Bif wirklich Du es, Panline, die ich fo fprechen hoͤre? ... Mit einem einzigen Wort kann idy Dich Deines Irrthumsd überführen. Sage mir, wenn der Zufall Dich reicher gemacht Hätte als mich, würdeſt Du mich darum ver- laffen Haben? .... Mein Freund, das tft ein großer Unter: fegten!...— Nein, Pauline! ich werbe nicht fo Abermäthig fein, Reichthümer der Tugend und Schönheit vorzuziehen. Du wirft meine Gattin ; die gute Madame Reinhard hat unfer Gelubde ge- fegnet, und Du Haft kein Recht mehr, Dich meinem Glück zu widerſetzen.“

Was konnte Pauline antworten? Sie betete Heinrich an; ſie

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unterließ es, feinen Bitten zu widerſtehen und willigte endlich ein, feine Gattin zu werben.

Sobald Heinrich dieſe Einwilligung erlangt hatte, dachte er auf Befchleunigung feiner Hochzeit. Er brannte vor Verlangen, feine Banline dem Oberfi vorzuftellen. „So wie Dich mein Bater fieht,“ ſprach ex zu ihr, „wird er meine Wahl nur billigen Fönnen. Wenn es aber nicht der Fall wäre, mein Freund! Wenn ex unfere Bande braͤche!... Nein, liebe Pauline! ... Dun kennſt meinen Bater nicht! ex iſt rauf, aber gut und gefühlvoll. Ueber: died braucht er Dich nur zu fehen, um Dich zu lieben...” Pau⸗ Iine laͤchelte und fing an zu hoffen. _

Heinrich machte alsbald die Vorbereitungen zu feiner Ver⸗ mählung. Frank warb aufgegeben, einen Notar und einen Priefter zu beftellen, und Heinrich erlangte von Baulinen die Erlaubniß, fie bis dahin nicht mehr verlaffen zu dürfen. Er ließ daher fein Gepäde aus feinem Gaſthof abholen und bezog die Gemaͤcher ber Madame Reinhard.

Frank vollzog punktlich die Befehle feined Herrn, und ale diefer eines Abends neben feines Pauline faß, meldete er ihnen, baß ver Notar am andern Morgen ben Heirathscontract bringen werbe. Heinrich hüpfte vor Freude bei diefer Nachricht, Pauline theilte fein Entzücken und Frank war glüdlich in dem Glüd feines

„Wahrlich, gnädiger Herr!" fprach er zu ihm, „ich war fo vergnügt, meine Aufgabe gelöst zu haben, daß ich in ein Café⸗ haus trat, um eine Zlafche zur Feier Ihrer bevorſtehenden Ber: mählung zu leeren,“

Heinrich umarmte Frank und die alte Dienerin ; er hätte im Ausbruch feines Entzücens die ganze Welt umarmt. Pauline theilte feine @lüdfeligkeit, und mit Gedanken an ben andern Tag trennte man fi.

Arme Kinder!.,. Ihr überlaffet Euch dem Schlafe, indem

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he Each tanſend Zrugbilber für die Zuluuft ſchaft! und Ihr bedenket nicht mit Frank, wie bizarr das Verhaͤngniß iſt, und daß es und im Augenblick, wo wir es am wenigſten vermuthen, bie härteften Schläge verfett,

Siebenzehntes Alapitel. Ber Hätte das gebadht?

Mit dem Tage war Heinrich fchon munter: Freude läßt nicht ſchlafen; da indeß feine Pauline noch fhlief, ging er bis zu ihrem Erwachen in den Garten hinab. Mit welcher Ungebuld zählte er bie Biertelftunden und Minuten! ... Es ſchien ibm, als müffe bie Zeit ihren Lauf verdoppeln, um feinen Wünfchen zu Hülfe zu kommen. Endlich erfhien Pauline, welche wahrfcheinlich eben fo wenig gefchlafen hatte, als er, mit der Einladung zum Frühſtück, in Erwartung des Rotard. Heinrich folgte ihr; traulich neben einander figend, ſchmiedeten fie Plane für die Zukunft; Heinrich gibt ihr fchon den Namen feiner Gattin... Man pocht flark an bie Thuͤre. „Er iſt's!“ ruft Heinrich, „Krank, mad ihm auf!" Frank eilt nach der Thüre, Heinrich Hört die Treppe heraufkommen, dad Herz fchlägt ihm vor Freunde. Die Thüre geht aufz er blick. bin ... D Wunder! flatt des Notars fieht er Müller in das Ges mach treten. „Ab! ah! finde ih Sie endlich, mein Kerr,“ fagte Müller, ohne auf Paulinen Acht zu geben. „Zaufend Bombenſaker⸗ ment!... Sie lafien fich teufelmäßig nadhjlaufen... Wie? Da biſt's, Müller 3” erwidert Heinrich, indem er ſich zu faflen fucht. „Ja, meinHerr, ich bin's; 0! mich erwartete man gewiß nicht!...“

„Ber ift diefer Menfch, Lieber Freund?“ fragte Pauline, Heinrich " beifeite nehmend. „Ein braver Soldat, der mich ſehr liebt. Ah! ah!" fagte Müller, als er fih umwandte und Pauline er- blickte, „das iſt fie alfo? ... Sie it meiner Treu hübſch! das muß ich gefießen.... .“ :

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Banline warb roth Bis in's Veiße des Auges, und Helarich der diefem Auftritt ein Ende zu machen wünjchte, bat fie, einen Augenblid in ihr Zimmer zu gehen und ihn mit Müller allein zu laſſen. Bauline willigte ein und entfernte fih, noch ganz erfiaunt _ über die Manieren bed Mannes, den fie zum erftenmale ſah.

„Seht, wo wir allein find, mein Herr,“ fagte Müller, „werben Sie mir hoffentlich Ihre neumodiſche Aufführung erklären! Wie befindet ſich mein Vater? das vor Allem! Sehr gut, fehr gut, nur hätte er beinahe ben Hals gebrochen, als er hinter Ihnen brein fuhr... Wie fo denn? Davon ift jetzt nicht Die Rede. Sagen Sie mir, mein Herr, was machen Sie in diefem Haufe? Wer if das Frauenzimmer, das ich fo eben bei Ihnen ſah? Diefe Fran? iR die meinige. Die Ihrige ?2.. Oper wenigſtens beinahe, denn fie wird es bald fein. Gut! ich fehe, fie iſt es noch nit! Hätte Du im Sinn, Hinderniffe in den Weg zu legen, Müller? Möglih, mein Herr! Dann bemerke ih Dir, daß Du Did vergeblich bemühſt; nichts in der Welt vermag mich von ihr zu trennen. Das iſt eine faubere Aufführung, mein Herr ? Sagen Sie mir, darf man fi in Ihrem Alter verheitatben, ohne daß man’s der Mühe werih Hält, feine Eltern um Rath zu fragen ? ber fprich ſelbſt, ift meine Pauline nicht reizend AB! was Schönheit betrifft, das ift wahr, da gebe ih zu: fie ift fehr habſch, aber es gibt fchäne Weiber, die darum nicht .beffer finb. Hüte Dich, Müller, meine Geliebte zu beichimpfen ! fie if eben fo tugendhaft als ſchoͤn! Nun wohl! wenn fie tugendhaft wäre, was zweifelhaft, aber nicht unmöglich tft: foll pas ein Grund fein, dag Sie die nächfte beſte Dahergelaufene heirathen!... ein Mädchen, befien Herkunft Sie nicht einmal Tennen? Du irrſt Dig, Müller, ich kenne fie, fie theilte mir Alles mit... Ich Eenne ihren Vater, feine Unglüdsfälle!... Pop Henker, Iauter Lgrifari, Herr! Rein, Müller, meine Bauline Tennt keine Lüge; fie bat mir bie Wahrheit gefagt. Nun gut! Iafien Sie voch biefe wunderbare

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Exzahlang hören. Ich will Die Alles mittheilen, was fie mir fagte. Der Bater meiner Pauline iſt ein Franzofe. Ein Fran⸗ gofe?... Der Name Chriſtiern ift alfo nicht ber feinige ? Nein, mein Freund, das iſt ein angenommener, welchen die Umflänbe ihm aufgedrungen hatten. Und wie heißt er denn eigentlich? D’Ormerille. D’Ormerille ?* rief Müller vor Erſtaunen. „Bas Haft Du denn?" fragte Heinrich. „Nichts! fahren Ste nur fort, ich Höre!"

Heinrich nahm feine Erzählung mit folgenden Worten wieder auf: „Da magſt alfo wiffen, daß der Vater meiner Geliebten in Militärdienfte getreten, fchon im Alter von zwanzig Jahren Streit mit einem andern Offizier feines Regiments bekam; er ſchlug ſich im Zweikampf und hatte das Unglüd, feinen Gegner zu töbten ; das war bie erfle Urfadhe all feines ferneren Ungemachs. Die Fa⸗ milie deö {ungen @ebliebenen war reich und mächtig: d'Ormeville fah fly gezwungen, ſein Baterland zu fliehen, um bem gegen ihn gefüllten Todesurtheil zu entgehen. Er Fam nach Deutſchland, in ber Mbficht, dort Dienfle zu nehmen, nachdem er ſich einige Zeit anf den Befluangen des Barons von Froburg aufgehalten Hatte... Des Barons von Froburg?... Ja, mein Freund! er Hat, wie man fagt, meine Mutter gefannt... Ah! ab! Gr Begab fi nach Wien und trat unter die Taiferlichen Truppen. Die Armee war im Begriff, einen Feldzug zu unternehmen; d’Ormeville kaͤmpfte wider die Ruſſen; aber beim erften Treffen erbielt er einen Schuß in den Unterleib und ward für tobt auf dem Schlachtfeld gelaſſen. Indeß gewahrte ein Mann, menfchlicher als die übrigen, daß er noch athmete. Es war ein armer Bauer, welchen der Zufall hieher geführt hatte. Er richtete d'Ormeville auf und trug ihn in feine Sätte, wo er ihn mit vieler Mühe in's Leben zurüdrief. Laͤnger als ein Jahr blieb er bei dem guten Bauer; erft nad Verlauf biefer Zeit erlaubten ihm feine nun völlig vernarbten Wunden, ſein fräheres Corps wierer aufzuſuchen; aber während feiner langen

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Erankheit war das Rriegegläd den Defterzeichern ungünftig. geweſen; und im Augenblick, wo er zur Armee floßen wollte, waren bie Ruflen Meiſter des Heinen Dorfs, in welchem er fich verborgen hatte, fo daß er an Fein Fortgehen denken durfte, aus Furcht, ald Feind erfannt und von den Ruſſen, die feine Gefangene machten, nieber gemegelt zu werben. D’Ormenrille beſchloß, günfligere Umflänbe abzuwarten: er trug die Kleidung eined gewöhnlichen Bauerd und ſah ſich gendthigt, zur Friſtung feines traurigen Dafeins auf dem Feld zu arbeiten. Um biefe Zeit machte er die Belanutichaft ber Butter meiner theuern Pauline. D’Ormerille hat feiner Tochter weder mitgetheilt, wer fie war, noch wie er fie Tennen lernte ; Alles, was er fagte, war, daß feine Gemahlin flarb, als fle Paulinen das Leben gab, D'Ormeville erzog feine Tochter fo gut es ging, mit Ungebuld des Augenblicks harrend, wo er nach Defterreich zuräd- Tchren Eonnte ; endlich war ihm das Schiefal holder, die Ruffen wurben gefchlagen. D'Ormeville ſtieß wieder zum Heere ; doch war feine Tochter der Gegenſtand feinge ganzen Sorgfalt: er wußte nicht, wem er dies Toflbare Kleinod anvertrauen follte, als ihn ber Zufall mit Madame Reinhard bekannt machte. Diefe gute Dame hatte eben erft ihren Sohn bei der Armee verloren und war von Schmerz nievergebeugt. D'Ormeville machte ihr ven Antrag, Mutter: ſtelle bei feiner damals vier Jahre alten Pauline zu vertreten. Mit Freuden willigte Madame Reinhard ein, und da ber Kriegsſchau⸗ play fie unaufhoͤrlich an ihren Verluſt erinnerte, reiste fie mit bem Kinde ab, um ein ihr zugehöriges Händchen bei Offenburg zu be- wohnen, und d'Ormeville verfprach, daß er dort fich mit ihnen ver- einigen wolle, fo wie feine Pflicht es ihm erlaube. Dort, lieber Müller, in jenem hübſchen Haufe, wohin ich Dich einmal geführt, verbrachte Pauline ihre Jugend unter den Augen der Madame Rein: hard, welche fie wie ihre. Tochter liebte. D'Ormeville kam hie unb ba, bie. ihm vom Dienfle ‚freigelaffene Zeit bei ihr zu verleben. Seine Tapferkeit hatte ihm ven Brad eines Hauptmanns verſchafft

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und da er ohne Chrgeiz war, verlangte er nichts weiter, Du weißt, lieber Müller, auf welche Art ich Paulinens Bekanntſchaft machte... Sa, ja! id weiß e&, und wünfchte, der Teufel hätte mich an dem Tage geholt, wo ich fo Dumm war, Sie allein gehen zu laffen!!... Doch weiter! Um diefe Zeit nun faßte d'Ormeville, von dem Berlangen gequält, fein Vaterland wiederzufehen, ven Blan, nad Frankreich zurüdzufcehren, Pauline wollte ihren Bater nicht vers laffen, und Madame Reinharb verftand ſich zur Begleitung. Sie reißten daher alle Drei nach Straßburg und quartirten fich in dieſem Haufe ein: hier lebten fie anderthalb Jahre ziemlich ruhig ; nach Ablauf diefer Zeit aber entfchloß ſich d'Ormeville, der feinen wahrs haften Namen wieder annehmen wollte, damit er feine Pauline aus ihrer Einſamkeit ziehen koͤnnte, zur Reife nach Paris, in der Hoff; nung, das ungerecht gegen ihn verhängte Topesurtheil ungültig zu malen. Seit feiner Abwejenheit nun Kat mich der Zufall: oder mein guter Stern... Sagen Sie lieber: die Hölle!... Meine Bauline anffinden laſſen; unfere Trennung hatte unfere Liebe vermehrt... Da hat fie etwas Sauberes gemacht! Die gute Madame Reinhard hat unfere Verbindung gefegnet! Alte Weiber machen immer dummes Zeug! Und wir gaben uns ohne Rüdhalt der und zu einander Hinziehenden Neigung hin!... Der Himmel nahm. indeß diefe gute Dame, welche Mutterftelle bei Baulinen vertrat, zu fih ; ſchon lange empfing biefe feine Nach⸗ richt mehr von ihrem Vater und wat in größter Unruhe über fein Schidfal. In der Hoffnung, ihn wienerzufinden, eilte ich nad Baris; aber alle von mir angeftellten nur erdenklichen Nachforſchun⸗ gen führten zu nichts! Und weil das Schickſal ihr dieſe letzte Stütze raubt, ift es an mir, lieber Müller, diefe Sorge zu übernehmen : ich werde ihr. Batte werben; meine Pauline gab mir ihr Wort: fie empfing meine Schwäre, und ich kann nicht glauben, daß mein fo gütiger, gefühlsoller Bater diefe Wahl tadeln koͤnnte.“ Müller blieb eine Weile in tiefe Gedanken verſunken. Ber

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wundert über fein” langes Schweigen, wollte ihhn Heinrich um bie Urfache befragen, ald Müller begaun: „Es thut mir leid, beſter Heinrich, ich muß Gie betrüben ! aber es iſt unmöglich, zu capitu⸗ liren, Sie müſſen auf diefe Heirath verzichten! Was fagft Du, Müller... auf viefe Heirat werzihten!... Ja, wie ich fage, uud Sie verlaffen mit mir im Augenblick dieſes Haus!... Und Du glaub, Müller, ich werde Dir gehorchen? Sa, ih hoffe es! Run, fo enttänfche Did. Was mid an Paulinen feffelt, ift kein vergänglicges Feuer, es ift die wahrhafte leiden⸗ fehaftliche Liebe, und keine Macht der Erde wäre im Stande, mich von ihr au Irennen. Wohlan denn,“ ſprach Müller bei fich ſelbſt, „ich ſehe, daß das ſchwere Wort heraus muß!" Gr tritt näher, und feine Hand ergreifend, fagt er zu ihm: „Mein lieber Heinrich, waffnen Sie fi mit Muth, ich fehe wohl, daß ich Ihnen ein Bes heimniß entgüllen muß, das ich gerne für immer verborgen hätte!... Bas fol das? Bauline iR Ihre Schweſter! Gwoßer Gott! wäre es möglih?... Ach nein, Da inf Dig, Weiler, willſt mich täufchen!.. .“ „Rein, Heinrich, id habe Ihnen die Wahrheit gejagt, die &ie lieben, if Ihre Schweiter; denn nicht der Oberſt Yramberg iR Ihr Bater, nein, d'Ormeville verdanken Sie das Leben !" Seinrich ſinkt vernichtet auf einen Stuhl und Müller erzählt ihm ausführlich, was er über feine Geburt und das edle unb großs müthige Benehmen des Oberflen Framberg weiß. Schweigenb hört Heinrich zu; ein ſtummer Schmerz, völlige Erichöpfung folgten auf feine heftigen Bemüthöbewegungen und Ansbrühe Müller leidet beinahe eben fo fehr, daß er ihn in ſolchem Zuftande fickt. „Brmannen Sie ſich, Tieber Heinrich,” ſprach er, „Iaffen Sie durch das Schieffal nicht darnieder beugen und zeigen Sie Gefühle, bie deſſen wärdiger find, ber Sie erzog. Xhränen bienen zu nichte unter ſolchen Umfländen ; hier bebarf es eined männlichen Charal⸗ terß. Jebt müffen Gie mir folgen und biefen Ort verlaffen....

ir

Das werd’ ih, Miller ; doch ſprich, was foll ans ihr werben? Geien Sie unbeforgt! . . . ich kenne meine Pflicht. Glauben Sie denn, der Ober Framberg werde, nachdem er an Ihnen neum- zehn Jahre lang Baterfielle verfah, Ihre Schweiter allein ficken lafßen in der Welt, als einen Spielball der Zufälle?... Rein, mein Herr, feten Sie gerechter gegen ihn; er liebt Sie zu ſehr, als daß er nicht auch Paulinen lieben ſollte!... Ad, Maller! Du belebſt meinen Muth wieder!... Wer wird es aber über ſich nehmen, meine theure Pauline zu belehren , welche Bande und ums flingen?... Ber? nun zum Henker! ich, und zwar auf ber Stelle, denn je mehr man in ber Art Krifen zögert, um fo gifti⸗ ger macht man die Wunde. Doch, vor Allem, mein Herr, müſſen Sie and diefem Haufe... Ohne fie zu fehen?... Bob Henker! Zu was mödte das gut fein? Ihre Berzweiflung zu vers mehren, und das ift unnoͤthig. Und wohin foll ich gehen, Müller ? Gleichviel, überall werden Sie beffer fein als Hier. Ich will Sie begleiten, in diefem Zuſtande mag ich Sie nicht allein laſſen; alsdann komme ich hieher zurüd, und, taufend Donnerwetter! in zwei Stunden, hoffe ih, foll Alles abgethan fein.“

Müller zieht Heinrich mehr fort, ale daß er ihn führt. Noch einmal erhebt diefer die Augen nach ber Wohnung, bie fein Theuer⸗ ſtes in der Welt umfchließt, und bei jebem Schritte, ber ihn von ber Theuren entfernt, blutet ihm das Herz. Der gute Hufar ges leitet ihn zw Hannchens Tante und empfiehlt ibn ber Sorgfalt biefer Frau; aber Heinrich bemerkte nichtd von dem, was um ihn vorging. Nun fchlug Müller wieber den Weg nah Paulinens Wohnung ein, indem er mit Gewalt bie fein Herz bewegenden Ges fühle nieberfänpfte.

Bol Unruhe erwartete Pauline Heinrichs Zurückkunft, welchen fie mit Müller immer noch im Hanfe glaubte. Gin geheimes Bors gefühl fchien fie von der Lage ber Dinge zu benachrichtigen, un» 049 fie Mühen allein in ihr Zimmer treten fah, bongten ſich ihre

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Knie, und Topienbläffe bedeckte ihr Geflcht. Langfam ſchritt Müller vorwärts, ohne zu wiffen, wie er ihr bie Abreife des Ges liebten kund thun follte. „Ich komme,“ begann er, „Ihnen Hein: richs Lebewohl zu bringen... Was, mein Herr! er wär fort 9... Ja, mein Fräulein! Für lange? Ich glaube. Und ohne mich zu fehen ? Es mußte fein. Großer Bott!... Er liebt mich alſo nicht mehr!...“ Und Pauline fällt bewußtloe in Naller's Arme. Der gute Hufar legt fie fanft auf eine Dit: mane nieber. Nachdem fie wieder zu fi gekommen, floßen ihre Tränen reichlich, und mit dem Gefühl des lebendigſten Schmerzes tief fie aus: „Er liebt mich nicht mehr!. .. Alle Wetter! freitich liebt er Sie, mein Bräulein!... Und gerade darum habe ich ihn zur Abreife gezivungen. Wie, mein Herr, Sie find’s?... Ya, mein Fräulein! Sie verabfchenen mid, nicht wahr ? Wohlen, Sie haben Unrecht; ich that nur meine Schuldigkeit. Ihre Heirath durfte nicht fattfinden!... Warum nicht, mein Herr ? Beil es nicht üblich if, daß ein Bruder feine Schwefter heirathet. Was fagen Sie? Heinrich wäre mein Bruder? Je, mein Fräulein! Heinrich iſt nicht der Sohn des Oberften Framberg, wie er bis jeht glaubte, fondern der des Hauptmanns d'Ormeville.“

Nun wiederholt Müller Baulinen, was er Heinrich ſchon er: zahlt Hatte. Diefe hoͤrt ihn fchweigend ; nur ihr Schluchzen unter: brach feine Worte. Nachdem Müller geenvigt, ging er mit ſtarken Schritten im Zimmer auf_und ab, wobei er zwifchen den Zähnen fluchte und fih Thränen aus dem Auge wifchte. Der Anblid von Baulinene Schmerz zerfchnitt ihm das Herz. „Ha! taufenb Bom: ben!“ ſprach er in abgeriffenen Worten, „wäre ich Pabſt! wie ſchnell wollte ih ihnen Difpenfation zum Hetrathen geben!... Aber ich bin's nicht, mein Oberft auch nicht, zum Henker alfe, nicht mehr geflennt, haben wir Tein Herz wie Apfelmuß, nnd ſuchen wir bie Sache beſtmoͤglichſt zu verändern "

„Mein Fraulein,“ ſprach ex, auf Paulinen zutretend, „Sie

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mühlen fit faffen; ich weiß wohl, dus iſt nicht fo leicht; worin läge aber dad Verdienſt, feine Leivenfchaften zu beflegen, wenn es nichts koſtete?... Aber werde ich ihn nicht mehr fehen ? D fa, mein Fräulein, Ste werben ihn wieber fehen, doch erfl, wenn die Zeit in euren Herzen eine Rrafbare Leidenſchaft getilgt Hat und Freundſchaft an die Stelle giner Hoffnungslofen Liebe ge: treten fein wird, Sie Haben Recht, mein Herr; wir mußten uns trennen!... Aber ach! ... was foll ih ohne ihn werben ?... Ich Habe Teinen Freund... Eeinen Befchüger mehr!... Sie iszen fh, mein Fräulein! Sie haben Jemand, der Ihnen Beides fein wird, Wer denn ? Derjenige, der Ihren Bruder erzog, ber ihn wie feinen Sohn liebt. Glauben Sie, der Oberft Framberg werde Sie verlaſſen ?... Rie, mein Herr, werbe ich bie Hälfe eines Menfchen erbetteln... Das Heiße ich einmal einen fehr übel angebrachten Stolz ; ich fage, Sie reifen fogleich nach Schloß Framberg ab. Ich, mein Herr? Ya, Ste, mein Fräulein! Und auf welchen Titel? Haben Sie's ſchon vergeffen ? als Schwefter Heinrichs. Glauben Sie, mein Fräulein, wir werben Sie allein laſſen in der Welt, während Ihr Bruber Titel und Reichs thimer genießt, die er mit Ihnen theilen follte?... Nein; das it eine ausgemachte Sache, Sie reifen nach dem Schloß ; außer: dem wird's auch Ihrem Bruder die Ruhe wieder geben. Aber, mein Herr! Was, mein Fräulein? Wenn der Oberft Fram⸗ berg... mich nicht liebt ? O! er wirb Sie lieben, das weiß ih gewiß. Aber wenn... ih nit... Aha! ich verfiche; wenn Sie ihn nicht Tiebten! ... Teufel, ba wären Sie jehr kitz⸗ lich!... Ein Mann, der zwanzig Felbzüge ehrenvoll durchgemacht! ein Mann, vor deffen Namen ſchon die Feinde zittern... ein Mann enblih, der Ihren Bruder erzogen, an Kindesſtatt angenommen,

wie einen Sohn geliebt hat... Ah! ich werbe ihn lieben,

mein Herr! ... Ja, pop alle Welt! Sie werden ihn Lieben, und Alles wird gut gehen, dafür ſtehe ich Ihnen!“

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Bette Mäler einmal einen Entſchluß gefaßt, fo mußte vs feibe ſchleunig ausgeführt werben; er forderte daher Vaulinen auf, angenblidtlich ihre näthigften Sachen zuſammenzupacken und ſich in dust Stunde zur Abreife bereit zu Halten. „Aber, mein Hear,“ antgegnete Pauline, „meine alte Dienerin?... Die nehmen Cie wit. Ich Tonne den Weg nad) dem Schloffe nicht. Ei! gum Teufel! halten Sie mid für ein Kind, Fraͤulein ?... Glau⸗ ben Sie, ih werbe Sie allein hinſchicken ?... Frank wird Ele gelsiten. Frank, ber Diener meines... . meined Bruberd? Ya, der Diener Ihres Bruders. Run wären alfo alte Schwierig; Bolten befettigt. Ich will für ben Meifewagen forgen, und biefen Abend werden Sie fern yon Straßburg fein.“ Und fern von Geinri, dachte Pauline, dem abgehenden Müller nachblickend. Sie fand indeß einen geheimen. Reiz darin, daß fie ben Ort be wohnen follte, au dem ihr Geliebter erzogen worben mar. Schloß Sramberg wäre ihr als ein himmliſcher Mufenihalt erjchienen, wenn fe mit ihm dort geweſen wärs.

Bon Baulinen ging Müller zu Frank und fagte ihn, was er zu thun habe. Frank, ber vor Müller wie ein Schüler vor feinem Lehrer Hand, verſprach feinen Vorſchriften treulich nachzukommen. Nachdem Müller einen Reiſewagen beftellt Hatte, dachte er, es werde am Ort fein, dem Oberſt zu ſchreiben und ihm alles Bor: gefallene zu erzählen. Bis jetzt hatte er keine Zeit dazu gefunben; er ergeiff alfo bie Weber und fchrieb folgenden Brief:

„Mein Oberſt!

„Endlich Habe ich unfern jungen Maun auefinbig gemadht, und tch darf mich rühmen, nicht-oßne Mübe!... Aber ed war dringend nöthig, daß ich kam. Tauſend Granaten! eine Stunde fpäter war's nicht mehr Zeit und die Kleine wurde... Aber ich war auf dem Play, Oberſt, hab's auf's Beſte von ber Welt eingerichtet. Hein⸗ rich weiß Alles, Ober... er weiß Alles, ich mußte es ihm wohl fagen, denn die Meise iR feine Schweſter; und hätte ich ihm wicht

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Alles erzählt, ich. verſichere Sie, Oberſt, ein Regiment Gufaren hätte fie nicht auseinander gebracht. Ich ſchicke die Kleine nach Schloß Framberg, und Heinrich führe ich Ihnen zu ; beide find in Berzweiflung und heulen, daß ed einen Achtundwierzigpfünder er⸗ barmen möchte!... Sie fehen Oberft, daß Alles gut geht, und ih Hoffe, Sie werben mit meinem Derfahren zufrieden fein. Ich, bin, mein Oberft, Ihr ireuer Soldat und Diener Müller.“

Müller verfiegelte bie Turge, aber energifche Epiftel und ſandte fie dem Oberſt zu, indem er dem Boten größte Eile befahl und aufgab, den Oberſt von feiner baldigen Ankunft in Kenntniß zu .fepen. Als diefe Sadye abgemacht war, Tehrte ex zu Paulinen zurüd, um ihre Abreife zu befchleunigen..

Mit ſchwerem Herzen erwartete Pauline den Augenblid, wo Müller fie von dem Theuerſten, das fie befaß, entfernen follte ; aber unfer Huſar hatte bereit fo viel Gewalt über fie, daß fie bei feiner Ankunft fchnell aufftand und ſich zur Abreife anſchickte. Müller führte fie mit ihrer alten Dienerin in ben Reifewagen, drückte ihr Mräftig die Hand und ſagte: „Muth! wer im Unglüd fo viel Ergebung zeigt, wird früher ober fpäter dafür belohnt.“ Sich hieranf an Frank wendend, befahl er dieſem, die Pferde tüchtig auzutreiben, und eilends rollte der Wagen davon.

Achtzehntes Kapitel. Ein Romanlsfer hat es ſchon errathen. „Dweh!...“ rief Müller, Baulinens Reifewagen zachblickend, „müßte ich oft folche Intriguen durchführen, da möchte ih mich lieber dem Musketenfeuer meines Regiments bloßftellen!... Doch hoffe ich, mich ehrenvoll aus diefer Sache zu ziehen. Das Schwerfte iſt geſchehen! ... Ich Hatte geglaubt, Heinrich Kummer werde mix am meiften zu Schaffen machen! ... Aber beim Teufel! jept Paul de Rod. II, 9

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fehe ich wohl, Weibertäränen wiffen ben Meg zu unferem Herzen am beiten zu finden! Ich Hätte mich nicht für fo weich gehalten!...“

Unter folchen Betrachtungen fchlug Müller den Weg nach Hann⸗ end Wohnung ein. Er begegnete ihr auf ber Treppe und redete fe an: „Run, Hannchen, was macht ber junge Menſch? Er IR immer in dem nämlichen Zuſtande, wie Du ihn gebracht haſt. —D!... verfiudte Licbe!... Sag mir doch, Müller, warum er fich fo abhärmt ? Einun, eines Weibes Willen... Liebt fie ihn nicht? Die wäre fehr wählig! Pot tanfend! freilich liebt fie ihn! aber fie können einander nicht heirathen. Das thut mir leid, denn der junge Menſch intereſſirt mich ... ex ſcheint fo gefüählooll!... Ich Yabe ihn gebildet, er it mein Zögling. Da made ich Dir mein Compliment.“

Müller ging ſchnell zu Heinrich Hinauf. Der junge Mann ſchien ganz feinem Schmerze Hingegeben ; fowie er aber ben An kommenden erblidte, fand er mit Lebhaftigkeit auf und warf fih in feine Arme, einen Strom von Thränen vergießend. „Wie kindiſch find Sie!“ fagte Müller. „Auf! Stand gehalten, beim Teufel! 3 if fie? Sag, was haft Du aus ihr gemacht ? Eie ifl fort, mein Herr, und hat bei dieſer Gelegenheit einen Muth be wiefen, ber über ihrem Befchlechte ik. Ahmen Sie ihr nach, mein lieber Heinrich, bleiben Sie nicht Hinter einem ſolchen Borbilb zuräd. Denken Sie an ben Kummer, ben Sie Demjenigen, der Ihnen Vater iſt, verurfachen würben, wenn Sie fich eiuem un: nügen Schmerze überließen! ... Sch fpreche nicht von dem alten Huſaren, ver Sie großgog, Sie wie feinen Sohn liebt, und den Ihre Verzweiflung ine Grab flürzen würde, AG! Ihre ungläd: felige Leidenſchaft erſtickt alle übrigen Gefühle in Ihrem Herzen; denn feit wir nach einer fo langen Trennung wieber beifammen find, haben Sie mir nicht einmal die Hanb gebrädtt!... mich nicht bed unbebentenbften Freundſchaftswortes gewärbigt . .. .“

Gier konnte Müller feine Thraͤnen nicht qurkekhalten, Heinrich

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bemerkte ed; ex flog ihm an den Hals, küßte ihn, bat ihn um Verzeihung und verfpradh, vernünftiger zu werden. Mehr verlangte Müller nicht, und bald war der Friede geichloffen.

„Bohlan, lieber Heinrich, jept wollen wir meinen Oberſt wieder auffuchen, ex erwartet und gewiß mit Ungebuld. Warım ift er aber nicht mit Dir nach Straßburg gefommen ? Weil ein täppifcher Poftillon uns ſechs Stunden von hier im Walde umge- worfen hat und der Oberft fo unglüdlich war, fih am Bein zu verlegen. Und wo if er gegenwärtig? In einem. Heinen, mitten im Walde vereinzelt gelegenen Haufe, bei einem Manne, deſſen Geſicht mir gar nicht Hinunter will; aber man mußte boch irgendwo unterfommen! ...“

Heinrich erinnerte fich an das im felben Walde ihm aufgeftoßene Abentener und erzählte es Müllen. „O! 0! wäre ich dabei ge: weien,“ fagte diefer, „jo follte der andere Schurfe auch nicht ent: kommen fein! Aber Sie haben fi 5 brav gehalten!... und ich Bin mit Ihnen zufrieden.“

Müller und Heinrich waren zur Abreife gerüftet, fie verließen daher dad Hans der Madame Tapin. Grfterer Hatte noch Hann: chend Thränen zu trocknen; allein er brüdte ihr einen Doppel: lonisd'or in die Hand mit dem Verfprechen, wieber zu fommen, ſobald die Umftände e8 erlaubten.

Der Oberft Framberg, den wir fchon fo lange im Haufe des Herrn von Monterranville verlafien haben, war beinahe von feiner Verwundung geheilt und ſchickte fich an, wieder in Straßburg mit Müller zufammenzutreffen, als er von ihm den Brief empfing, weichen der Leſer bereits kennt. Leicht kann man fi eine Bor: ftelfung von feiner Weberrafchung und Unruhe machen, als er die ihm unbegreiflich vorkommenden Begebenheiten erfuhr. Aber Müllers Brieffiyl war fo verwirrt, daß er nicht wußte, was er zu denken Hatte; und in größter Aufregung erwartete er die Ankunft ver Beiven, welche feiner Ungewißheit ein Ende machen folkte.

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Diefe trafen noch am nämlichen Tage im Haufe des Ken von Monterranoille ein. Garl öffnete ihnen die Thüre. Freund⸗ ſchaftlich klopfte ihm Müller auf die Achfel und fragte, ob fein Herr bei dem Oberſt fei. „In diefem Augenblide nicht,“ erwiberte Garl, „mein Gebieter iſt ausgegangen. Um fo beſſer,“ fagte Müller zu Heinrich, „fo wollen wir diefen Umftand benützen. Gilfertig fliegen fie die Treppe hinan und fanden den Ober in großer Bewegung im Zimmer auf und ab gehen. So wie er Hein rich erblidte, breitete er feine Arme aus, und diefer flürzte an feine Brufl.

„35 will Dir Feine Vorwürfe machen, lieber Sohn,“ fagte er, ihn küſſend, „wiewohl Deine leichifinnige Aufführung und Dein geringes Vertrauen in mich mir das Recht dazu geben ; aber nad . dem, wad Müller mir gefagt, bift Du unglüdlih, und ich will Deine Leiden nicht vermehren, Und taveln Sie, Oberſt,“ ſprach Müller vortretend, „mein Berfahren? Nein, mein Freund, wie: wohl mich Dein Brief nur wenig von dem Borgefallenen unter: richtete ; aber ihr werbet mir hoffentlich jegt Ausführlicheres mit: theilen.“

Um die Neugierde des Oberfien zu befriedigen, erzählte ihm Heinrich in gehöriger Reihenfolge alle feine Abenteuer feit feiner Abreife aus dem Schloffe, fowie die Gefchichte feiner Pauline und - die Art, wie er erfahren, daß er nicht fein Sohn fei. „Der Zufall bat Dich zum Herrn meines Geheimniffes gemacht, das ich Dir Dein ganzes Leben hindurch verborgen hatte,“ fagte ber Oberſt; „Du darfft baher überzeugt fein, baß ich nie aufhören werde, Vater⸗ ftelle bei Dir zu vertreten. Was Deine Schwefter betrifft, fo wird auch fie meine Tochter ; von dem Augenblide, wo ich fie an Kindes Ratt annehme, ſoll fie mich nicht mehr verlaffen. Hat die Zeit aus Deinem und ihrem Herzen eine Leidenfchaft verwifcht, welche nie entfianden wäre, wenn ihr bie euch umfehlingenden Bande gekannt hättet, fo lommſt Du, Theil an unferem Glüde zu nehmen und

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es durch Deine Gegenwart zu vermehren. Bis dahin aber muß ich mich aufs Neue von Dir trennen, mein Sohn, um Dich der Jung: frau nicht nahe zu Bringen, welche Du fliehen mußt!... Du wirft Din abermals von Schloß Framberg für einige Zeit entfernen ; biesmal aber wird Müller Dich begleiten; nur ihm mag ich die Sorge für ein mir fo theures Wefen anvertrauen!... Während Deiner Abmefenheit werde ich die Thränen einer Tochter trodinen, bie ich ſchon liebe und die mich über dieſe neug Trennung tröften wird.” \

Heinrich Füßte den Oberft taufendmal und drückte ihm die ganze Dankbarkeit aus, welche ihm fein edles und großmüthiges Bes nehmen einflößte. Müller war mit ven Anorbnungen feines Oberften ganz zufrieden, und fein Plan wurbe von Jedem gut aufgenommen.

Die Nacht rüdte vor, und da der Oberſt, durch die verſchiede⸗ nen aufregenden Gefühle angegriffen, der Ruhe bedurfte, dachten fie an die Trennung ; man fehte feft, am andern Morgen mit eins ander dad Haus im Walde zu verlaffen.

Das Schlafzimmer des Oberften enthielt nur ein Bett, Müller forderte daher Heinrich auf, die Nacht in dem feinigen zuzubringen. Diefer willigte ein, und nachdem fie den Oberft umarmt hatten, ließen fie ihn allein, um der Ruhe zu pflegen.

Als fie durch einen langen, zur Treppe führenden Gang da- hinſchritten, erblickten fle in der Ferne einen Mann mit einem Licht in der Hand. „Herr von Monterranville,” fagte Müller zu Hein: rich ; „vorüber, vorüber, ich liebe diefen Menfchen nicht.“ Aber Heinrich dachte, die Höflichkeit erlaube ihm nicht, die Nacht in feinem Haufe zuzubringen, ohne ihn vorher begrüßt zu haben ; auch fei er ihm außerdem Dankfagungen fchuldig für die dem Oberft gewährte großmüthige Gaftfreundfchaft. Dem zufolge. ging er auf denfelben zu, und Müller folgte ihm mit etwas ſaurer Miene unter Flüchen auf die Hoͤflichkeitsformeln.

Herr von Monterranville blieb ftehen, wie er Heinrich beran-

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fommen ſah: viefer redete ihn unter Berbeugungen au, fagte ihm bie ſchuldigen Worte des Dankes; aber die Augen zu feinem Wirthe erhebend, erkannte er in ihm einen ber beiden Meuchelmörber im Balve. Die Zunge erſtarrte unferem Helden, plößliche Blaͤſſe überzog fein Geſicht, kaum vermochte er einige unzufammenhängende Worte hervorzuſtammeln, er zog dann Müller, der die Urfache dieſer hef⸗ tigen Berwirrung nicht begriff, mit fich hinweg. Herr von Mon terranville konnte Heinrich nicht wiebererfennen, weil er auf ben erfien Waffenlaut enifloben war; wie aber Boſewichte immer Ber: rath befürchten, fo beſchloß auch Herr von Monterranville, über des jungen Mannes Verwirrung bei feinem Anblick höchlich erflaunt, bie Urfache derfelben zu erforfchen, damit er gegen alle Borfälle auf feiner Hut fein könnte.

Erft in Müllers Zimmer fland Heinrih ſtill, um freier zu athmen; hierauf ergriff er Müllers Hand und ſprach mit halb ers ftidter Stimme: „Laß und forteilen, mein Freund, meinen Bater ſchnell aufweden, ich Tann die Nacht nicht unter dieſem Dache zus Bringen. Ha, das noch! beim Teufel! Sie müſſen mir erklären, was das heißen fol, Woher diefe Verwirrung ... Died Entſetzen? Ad! Müller!. died Entfegen ift fehr natürlich. Sollten Sie etwas befürchten ? Für mich fürdhte ich nicht; aber mich ſchau⸗ bert vor Abfcheu, wenn ich bebenfe, daß wir im Haufe eined Mär: vers find!... Eines Mörder? Ja, Müller, in Herrn von Monterranville Habe ich einen ber beiven Männer bed Waldes er⸗ kannt! Waͤr's möglich? tauſend Granaten! Wie? diefer Schule wäre... Einer von Denen, welche den Unbefannten, ben id aus ihren Händen gerettet, um's Leben bringen wollten! Ha! dreifache Kanonade,“ rief Müller, indem er die Hand an feinen Säbel: griff Iegte, „fallen wir über diefen Schurken ber, alle Wetter! und üben wir Gerechtigkeit für fein Berbrechen !“ Bei diefen Worten machte fih Müller zur Ausführung feiner Abſicht bereit; doch

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Seinrich hielt ihn beim Arme zurück. „Haltan, Müller, was wii Dn beginnen? Ei, zum Heufer! die Erde von einem Böfes wicht befreien, fle behält deren noch genug übrig ! Bedenke hoch, daß wir keinen Beweis feines Verbrechens liefern können und ſelbſt für eigenmächtige Juſtiz beſtraft werden würden! Ha! beim Teufel! Sie haben Recht! Was tft aber nun zu machen? Höre, ih hab's jept überbgt und denke, es wäre unflug, ein Ge⸗ ſchrei zu erregen, das zu nichts führte; laß ung bis morgen warten: mein Bater mag unfer Baiehmen lenken; wir haben von dieſem Menſchen nichts zu befürchen; denn ex kann mich nicht erkennen, und an ung will er nicht. So ſei's denn... pop Henker, weil es fo fein muß, aber ich gflehe, nur ungern gebe ich nach ; denn ed hätte mir Freude gemadt, den Roft meines Säbeld an dem Körper dieſes Banditen abziwetzen!“

Nach dieſem Entſchluff warfen ſich beide völlig angekleidet auf ihr Bett; aber fie genfien feinen Augenblid des Schlafee ; der Gedanke, im Haufe eine: Meuchelmörbers zu fein, empoͤrte iht offenes, biederes Gemuͤth.

Am früheſten Morgen achten ſie den Oberſt ſchon wecken zu können, ohne daß fie Verdaet erregten; aber dieſe Vorfichtomaß⸗ segeln waren überflüffig, den Monterranville wußte Alles, Man erinnert fi, daß Heinrichs 3erwirrung ihm Schrecken verurfachte, baher begab er fih, ſobald ih Müller und fein Schlaflamerab in ihr Zimmer eingefchloffen baten, in ein anſtoßendes Gemach, öffnete einen Schrank, ftellte ſich dyt an die Scheidewand und hörte da ihr ganzed Geſpraͤch.

Man kann fich feinen Shreden vorftellen, als er fich erkannt wußte ; aber das Ende ihrerinterrebung beruhigte ihn ein wenig. Da er fah, daß fie zu Faſſug eines Entichluffes den andern Mor: gen abwarteten, hielt er ed ür klug, ſich eiligft aus dem Staube zu machen, unb mitten in di Nacht verließ er dad Haus.

Verwundert, fo früh auzeweckt zu werden, ließ Oberfl Fram⸗

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berg feine Weifegefähtten ein; aber noch mehr war ex erſtaunt, ale er ſah, mit welcher Vorficht Müller die Zimmerthüre wieder Hinter fich zufchloß und welches geheimnißvolle Weſen über ihre Züge audgegoffen war. Abſchen und Antrüftung folgten bald auf das Staunen, wie er erfuhr, in weſſen Haufe er fo lange fi aufgehalten. Er befahl indeß den Beien, fich zu bezwingen und nichts von ihrer Aufregung bemerfer zu laſſen. „Wie? mein Oberſt,“ fagte Müller, „wir follen tefen Schurken da nicht er⸗ würgen? Nein, Müller, unfere Pflcht fieht entgegen ; bedenke, daß ich faft einen Monat Gaſtfreunſſchaft in dieſem Haufe ges ieße: der Befiper iR ein Ungeheuer; aber nicht an uns if «6, die Gerechtigkeit gegen ihn zu waffnen fei überdies ruhig, Mäller, und glaube fiher, daß, wenn er ach einen Mugenblic der ihm gebührenden Strafe entgeht, ed nur zeſchieht, damit das Schwert bed Geſetzes etwas fpäter über ihn richte. Sie wollen es, Oberft, ich gehorche. Es muß feh, denn unter allen anderen Umfländen wäre ich der Erſte gewefer, der euch aufgeforbert hätte, meine Freunde, die Erde von dieſem Boͤſewicht zu fäubern ; doch wir wollen nicht länger in ber Höhle des Berbrechens bleiben ; mich drängt es, anberöwo eine Luf zu arhmen, hie nidgt durch Banbitenhauch verpeftet iſt.“

Mit diefen Worten ging Oberfl Sramberg aus feinem Zim⸗ mer; Heinrich und Müller folgten im. Im Hofe trafen fie auf Karl und vernahmen, daß fein Herrfchon vor Tagedandruch aus dem Haufe gewandert fei. „Daran!hat er wohl...“ murmelte Müller zwifchen den Zähnen; „ben: beim Teufel! hätte ich ihn gefehen, würde ich meine Entrüftung icht haben bemeiftern können.“

Unfere brei Meifenden fliegen u Pferbef und trabten eilig davon, um ſich fchneller von einemHaufe au entfernen, welches Entfegen in ihnen erregte.

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Heunzehntes Kapitel. Noch ein Augenblid der Freude.

Am beften Gafthofe zu Straßburg fliegen die drei Reiſenden ab, um einen Augenblic der Ruhe zu genießen, ehe fie fich aufs Mene trennten.

„Mein lieber Heinrich,“ fagte ver Oberſt Framberg zu unferem Helden, als fie allein waren, „ich babe Dir Feine Dorfchrift für Dein Tünftiges Betragen zu geben, ich überlaffe Müller gänzlich die Sorge für Dein Wohlergehen. Wenn Du indeß das Maffen- handwerf, als beſtes Mittel, den Kummer raſch zu zerftrenen, er: greifen willſt, fo werde ich Deiner Neigung nicht hinderlich fein, im Gegentheil; doch Bitte ich Dich, mich von Deinem jebesmaligen Vorhaben zuvor in Kenntniß zu feßen.“ Heinrich verfpracdh, nichts zu thun, ohne den Oberſt vorher befragt zu haben, Der geheime Kummer, den er in feinem SInnerften barg und feinen Freunden zu verhehlen bemüht war, machte ihn unfähig, irgend einen Plan für feine Zukunft zu bilden... Nur ein Gegenftand nahm feine ganze Denkfähigkeit in Anſpruch, trotz all ſeinen Anſtrengungen, ihn aus dem Gedaͤchtniß zu verbannen.

Müller wuͤnſchte fehnfüchtig, fein geliebter Zoͤgling möchte ſich dem Waffenhandwerk zuwenden. Ha!“ ſprach er zu Heinrich, „nach zwanzigjähriger Ruhe würde ich immer noch mit Freuden das Schlachtfelo und die alten Gefährten meines Ruhms wider fehen.“ Heinrich antwortete nicht, allein Müller Hoffte, die krie⸗ gerifchen Gemälbe, die er Häufig an ihm vorübergehen ließ, werben am Ende feine Seele bewegen, daß er fich feinen Wünfchen füge. In dieſer Hoffnung forberte er ihn auf, den Weg nach Wien eins zufchlagen, ‚und Heinrich willigte ein. |

Der Oberſt verabfchievete ſich von feinem Sohne, und auf bie Frage beö leztern, warum er fie nicht nach Offenburg beglette,

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antſchuldigte er fi unter dem Vorwand, daß ihn noch Geſchäfie in Frankreich zurüdhalten.

Doch lag darin nicht der wahre Grund; aber er mochte Hein: rich fein gefaßted Vorhaben nicht mittheilen, aus Furcht, fein Bert löunte ohne Erfolg bleiben. Müller vertraute er inbe feine Ab⸗ fit, ihm das ſtrengſte Geheimniß anbefehlend. Des Oberflen Beginnen im Stillen bewundernd, verfprach er biefes. |

Nach dem Abfchied von feinem Bater reiste Heinrich, mit dem Wunfche baldigen Wiederſehens, in Begleituug Müllers, uf | ber Straße nach Deutfchland ab. Ä

Bir laffen den Oberſt Framberg fi in Ausführung feines edlen Vorhabens nach Paris begeben und machen und mit unjern beiden Reifenden auf den Weg, damit wir fehen, wie Müller es anftellie, Heinrich von dem ihn verzehrenden. Kummer zu heilen.

Unfer Hufar und fein Zögling reisten zu Pferbe: „Dies if bie befte Art, Zerfiteuung zu ſinden,“ ſprach er; „fehen Sie ein mal, werfen Sie einen Blick auf diefe Herrliche, ſich nun vor unfern Augen auöbreitende Lanbfchaft!... ſehen Sie die ungeheuern Eins Sven des Schwarzwaldes, ber fich fernhin über Frendenſtadt er: ſtredt; Hier das hübſche Stäntchen Offenburg, das wir hinter und laffen, um uns in dieſe grünen Wiejentbäler zu vertiefen! ſehen Sie die Vögel, welche bie Wieberfehr des Frühlings fingen! bie Landleute, welche fich wieder an ihre Feldarbeiten madhen!... Das Alles erhebt das Gemüth und flattet mich mit einer Bere: famleit aus, deren ich mich nie fähig gehalten hätte!...” Hein rich lächelte, und Müller, erfreut, daß er benfelben für einen Augen: bli feinem vüftern Sinnen entriffen hatte, ſpann feine Rebe über die Schönheiten der Natur weiter aus.

Während Heinrich diefen Vorftellungen Inufchte, gewahrte er, daß fie, ohne darauf Acht zu haben, auf die Straße nach Schloß Bramberg geriethen. Er hütete ſich wohl, es feinem Begleiter bes merklich zu machen; doch nicht Iange, fo nahm biefex es ebenfall⸗

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wahr. „Ho! Ho!” rief er, plöplich fein Pferd anhaltend, „ic fehe, daß ih Sie mit meinen Neben nicht den rechten Weg führe! Donuerweiter! Wir müffen wieder umkehren... Barum denn, lieber Müller? Weil meine Abſicht nicht if, Sie nach dem Schloß meines OÖberften zu geleiten. Ah, Müller! es wieber: zuſehen hätte mir indeß große Freude gemacht! Möglich, mein Herr; fpäter, jept kann's nicht fein. Und Du willſt mich von meinem Kummer zerfireuen! Glaubſt Du denn, es gebe anges nehmere Zerſtreuungen, als bad Bergnügen bed Wiederſehens ber geliebten Stätte, wo ich meine Kindheit verlebt!... der Stätte, wo Du mich lehrteſt, ein Mann zu werden! ... ber Stätte enb- lich, die ich feit zwei Jahren nicht mehr gefehen!... .*

Durch die Worte feines Heinrich erweicht, wußte Müller nicht, wie er ihm das mit fo vieler Herzlichkeit Berlangte abfchlagen ſollte. „Aber zum Tenfel! mein Herr!" fagte ex endlich mit bar; fhem, flrengem Tone, um Heinrich zu imponiren, „wiſſen Sie nicht, daß Ihre Schweſter jezt auf dem Schloſſe iſt, und daß es Thorheit wäre, wenn Sie dieſelbe ſehen wollten? Ci! fo glaubſt Du denn, Müller, das ſei meine Abfiht... Nein, nur dem Schloffe nahe fein will ih, die Gegend durchſtreifen, jenen Bart, jene Gärten, die engen meiner erſten Freuden, wieberfehen, und mich bann entfernen, um in einer glüdlicheren Zeit wieberzulehren....”

„Aber Sie könnten Ihrer Schwefter begegnen... Nein, mein Breund ; der Zufall müßte fie mir denn gerade in den Meg führen, und das ift nicht wahrfcheinlih... Ich will ihr aus⸗ weichen, fag’ ih Dir, zudem bleibt Du bei mir. Wohlen, Sie wollen ed... ich willige ein... Aber, beim Teufel! ich fage Ihnen, fowie fi ein Weib und nähert, führe ih Sie mit verbängtem Zügel davon... Ic thue, was Du begehrfl. Wahrhaftig, ich bin zu gefällig... Doch die Nacht rüdt heran; Sie werden zugeben, daß jeht nicht Zeit zum Beſuche bes Parks und der Bartenanlagen iſt, beſonders ba wir noch bei zwei Stunden

zum Schloß Gaben. Nun gut, Müller, fo wollen wir die Racht in der Umgegenb zubringen... ſieh, in dieſem Pachthof da unten; man wirb uns ficherlich ein Rachtlager nicht verweigern, und morgen früh, fo wie der Tag grant, machen wir und auf den Weg nal dem Shloß... Wohlen, es fei, laß uns im Pachthof über nachten.“

Unfere Reiſenden ritten darauf zu, und Müller glaubte dad Hans zu erfennen, wo ihm, als er einft bei Nacht feinen Zögling fachte, ein fo ſpaßhaftes Abenteuer begegnet war; er beichloß, ſich zu überzeugen, ob feine Vermutungen gegründet feien.

Die Nacht war noch nicht lange hereingebrochen; die Thüre des Gehoͤftes ſtand offen; Rüller trat zuerſt ein. Jeder Gegen: Rand, auf den feine Blicke fielen, beſtaͤtigte ſeine Vermuthung; bald trafen fie ben Pächter im Stalle beſchaͤftigt; fowie er fle aber erblickte, verließ er fein Gefchäft und Fam ihnen unter tiefen Bädlingen entgegen.

„Bas wünfchen die Herren ? Ein Nachtlager, mein Freund, wenn’s möglich if,“ fagte Heinrich zum Pächter. „Ihr fehet bier, nahm Müller, näher tretend, das Wort, den Sohn bei Grafen von Framberg, Burgherrn des Schlofjes gleichen Namens, und den Feldwebel Müller, früher unter ven Eaiferlichen Hufaren dienend und jeßt Hofmeifter des Grafen...“ Der Pächter machte große Augen bei Anhörung aller dieſer Titel, wiewohl er nicht viel davon verfland; mit großem Belärme rief er feine Knechte herbei, damit man Alles für die Herren in Stand feke. „Hola, he! Großhans! ... Peter! herbei! mo fledt ihr denn, ihre Schlingel!“ Großhans kam fogleih. „Wo iſt denn Betr? Wahrlid, Herr! das weiß ih nicht!... Vielleicht hilft er der Frau!“ Müller erinnerte fich wirklich, daß Peter ber mit den außerorbentlichen Arbeiten beauftragte Knecht fei, umt and ben Meben bes Großhans, daß bie Hausfrau noch ihren alten Gewohnheiten nachhange.

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Indeß kamen auf des Pächters Geſchrei Frau Catharine und Beter von verjchievenen Seiten und beide roh wie gefottene Krebfe herbei. „Borwärts, liebes Weib, rühre Dich und bereite diefen Herren ein guted Rachieffen, während Peter die Betten rüſtet.“ Die Pächterin war behend und hatte bald ihr Nachteffen aufge: tragen. Neugierig betrachtete Müller Diejenige genauer, deren Bes fanntfchaft er nur im Finftern gemacht; mit Bergnügen fah er, daß fle wohl ihr Verbienft habe und, obgleich nicht mehr fo fung wie Hannchen, doch noch einen Gang auf den Heuboben werth fei.

Gatbarine führte die Reiſenden in die Wohnftube, und während fie den Tiſch deckte und das Eſſen auftrug, bemerkte fie Müllers verfiohlene Blide wohl. Ein Hufar von fünfzig Jahren kommt einem Bauernknecht von zwanzig nicht gleih; Kat man aber ben Bauernfnecht alle Tage bei. der Hand, fo verfucht man's gerne einmal im Borbeigehen mit dem Hufaren, ohne Nachtheil für das Alltaͤgliche.

Heinrich, der nur in der Hoffnung des andern Tags lebte, wenig und zog ſich in feine Schlafkammer zurück, um ſich baͤlder der Ruhe zu überlaſſen, aber Müller, begierig zu ſehen, was das werben ſollte, blieb am Tiſche und forderte den Pächter auf, Eins mit ihm zu trinken und einen Augenblid zu plaudern.

Müller war, wie man weiß, Fein übler Zecher. Der Pächter wollte es ihm gleichthun und bald ward das Geſpraͤch Higiger. „Wißt Ihr, Herr Hufar, daß Euer Titel als Feldwebel des Grafen von Framberg mich an eine vor drei Jahren vorgefallene Begeben⸗ heit erinnert... Sag’ einmal, Weib, denkſt Du noch an dem Schurken, der ſich auch für einen Hufaren ausgeben wollte? ... Ab! ja, ja, ich erinnere mich,” antwortete die Paͤchterin lächeln... „Was ift denn das für eine Begebenheit?” fragt Müller feinen Wirth. „Sa, mein Seel’! das will ih Euch erzählen... Stellt Cuch vor, da kommt mitten in ber Nacht ein Dieb und Eopft an unfere Thüre. Mein Weib lag im Bett, mein

Auckhte fdhliefen, nur ich war noch in diefer Stube an meiner Tagesrechnung. Ich frage: wer Hopft? Sa feht, da hat ver Kerl De Frechheis und antwortet mir, er fei Feldwebel und Zögling des Grafen von Framberg, kurz, er gab fi für dad aus, was Ihr fein! Wie?" fragte die Pächterin ihren Mann, „ber Hert führt bie nämlichen Titel wie der Dieb 1 Ja, Gatharine; fchan, wie er log, der Lumpenhund!“

Die Paͤchterin ahnte das wahre Berhältnig, und ein leichter Stoß Müllers mit: dem Fuße zeigte ihr, daß fie errathen hatte. Ws der Bauer fah, wie fehr die Geſchichte feinen Gaſt ergöke, gefiel er fi, fie mit allen Einzelnheiten zu würzen. Müller hütete Rh, ihn zu unterbrechen, und begnügte fih damit, ihm jeden Ungenblid einzufchenten! und vie Wirthin warf in ber Voraus⸗ ſicht, wo das hinauswollte, ihrem Manne vor, daß er mäßiger als gewöhnlich fei und ihrem Gaſt mit feiner Zurädhaltang feine Ehre anthue.

Run wollte der Pächter dem Hufaren die Stange halten, tonnte aber bald nicht mehr fehen, was um ihn her yorging; er ſchnarchte, vaß man glauben durfte, er werde nicht fo ſchnell wieber aufwachsen. Müller benüpte den günftigen Augenblid, Stau Ge- tharinen einen militärifchen Kuß zu geben, und ich weiß nicht, ob bie Gegenwart des Ehemanns feine Unternehmungen gehemmt hätte. ber indem bie Bächterin ſich ſtellte, als wehre fie ſich, entſchlüpfte fie ohne Licht, and Furcht, Peter möchte ihr begegnen, in iht Schlaflänmerlein, und der Hufar folgte ihr dahin, ohne baf fie wm Hulfe rief.

Hit Tagesanbruch ging Müller von feiner Schönen und fehte Ra neben ben immer noch fchnarchenden Pächter. Nicht lange, fo ſchloß die Müdigkeit auch Ihm die Mugen und er leiftete feinem Wirth Geſellſchaft.

Heinrich, mit Ungedulb des Augenblicks harrend, wo er Schloß ramberg wieder ſehen ſollte, ſtand mit ber-Morgenröthe auf, „Es

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in Bräter?“ fragte er einen Knecht, den er im Hofe traf. „DO, Herr! der ſchnarcht, was das Zeug Hält!... neben unferem Meiſter. Wie? er fchläft noch ? Ja, Herr... Bop taufend: es fcheint, fie haben geftern nicht übel zu Nacht getrunken. Ic mag ihn nicht aufweden. Sagt ihm, mein Freund, er folle im Schloß wieder mit mir zufammenfommen. Ganz recht, mein Herr!“

Erfrent, daß ihm der Zufall erlaubte, nach feinen Wünfchen und Eingebungen umbherzuftreifen, flieg ex fogleich zu Pferbe und ſchlug eiligft den Weg zum Schloffe ein. Je näher er den Orte kam, wo er bie glüdlichfien Augenblide feines Lebens genoflen, um fo freubiger wurben die Schläge feines Herzens; ein neues Gefühl durchdrang fein Inneres, und fein Araber, der die Ge⸗ fühle feines Herrn zu errathen ſchien, trabte langfamer vorwärts, damit er biefen Augenblid des Glücks länger genießen könne.

Beim Eingang in ben Park band Heinrich fein Pferd an einen Baum und beirat den Schauplag feiner erften Freuden. Mit welcher Wonne fah er nicht jedes Gebüſch, jeden Baumgang wieder, der ihm eine Zeit zurädrief, wo fein Glück darin beſtand, bie Beete zu verheeren und bed Bärtnerd Seglinge auszureißen!... Wie ſüß find die Brinnerungen an unfere Kinbheit!... Aber warum führen fie eine geheime Melancholie mit fih?... Weil man weiß, baß jene fchöne Zeit nimmer wieberfehrt..

An der Sinbiegung in eine Allee fließ er auf den Gärtner, Der gute Mann erkannte feinen jungen Herm und brach in ein Frendengefchrei aus. „Stille!" fagte Heinrich zu ihm, „ich will richt, daß die Bewohner von meiner Ankunft unterrichtet werben. Ah! das ift was anders, gnädiger Herr; dann ſchweige ich. Wo iR Dein Sohn? Frank, gnäbiger Herr, iſt vermuth⸗ lich im Schloffe. But, fuch’ ihn auf und fage, daß ich ihm bier erwarte. Sa, gnäbiger Herr, ich gehe. Aber fei vers ſchwiegen gegen bie übrige Dienerfchaft!... Seien Sie uns beſorgt, verlaſſen Sie ſich uf min!" --- - .

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Eilends geht der Gärtner an die Beforgung feines Auftrags, und Heinrich ſieht ſehnlichſt Frank's Erſcheinen entgegen. Er bat ihn fo Vieles zu fragen, fo Manches aus feinem Munde zu ver: nehmen ! feine einzige Furcht iR, Müller möchte kommen und durch feine Gegenwart alle feine Blane durchkreuzen; doch endlich ficht er Frauk und fliegt ihm entgegen.

„AB! da biſt Du ja, lieber Frank! ... wie freut mich's, Di wieder zu ſehen! Und mid au, gnaͤdiger Herr! ih hehe, ich war nicht darauf gefaßt; aber das Berhängniß ift fo feltfam ! Seit unferer Trennung ift fo Vieles geſchehen! Du haft Recht, Frank, und ich erwarte von Dir Grzählung alles Bors gefallenen. Gerne, gnäbiger Herr,” fagte Frank mit einem Seufzer. Heinrich hörte dieſen Seufzer und fah Franke traurige, gezwungene Miene. „Großer Gott!” rief er, „was haft Du mir denn zu verlündigen? Sollte meiner Banline. .. meiner Schwefter etwas zugeſtoßen fein? Es iſt ihr gerade nichts zugeftoßen, guäbiger Herr, und doch... Nun! und doch... In diefem Augenblide... In diefem Augenblide... Sf... if... fe... ©ie... aber fo fprich doch, zum Henker! Du läßt mid vor Ungebuld fierben. Wahrlich, guäpiger Herr, ich wage nicht, Ihnen zu fagen... Sprich, verhehle mir nichts ; ich befehl ed Dir. Nun wohl, gnädiger Herr! Fräulein Bauline if ſehr krank und in dieſem Augenblide fürchtet man fogar für ihr Leben. Großer Bott!“ rief Heinrich mit den Tönen ber Verzweiflung: „ha!...iheile... ich fliege... Halten Sie an, gnädiger Her,“ fagte Frank, ihn an feinem Kleive zurückhaltend, „wenn Sie fie nicht augenblidlich töbten wollen, denn in ihrem Zuſtande würde bie Gemüthsbewegung über Ihre unverhoffte Gegenwart nicht vers fehlen, fie ins Grab zu ſtürzen. Ach, Frank! ich fol fie alio nicht ſehen? Doch, guädiger Herr, Sie follen fie fehen: aber erft, wenn Sie Ihre Gegenwart ertragen Taun und ich fie auf Ihre Rädkunft vorbereitet habe. Doch erzähle mir, warum ih fr

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in disfem- Zuſtand wieder finde. Berne, gnädiger Herr, bas it bald gefrhehen. Ale wir Straßburg verließen, legte Fraͤu⸗ fein Bauline eine Beftigfeit, eine Grgebung an den Tag, bie mich felbR in Erftaunen ſetzte; denn ich dachte mir wohl, was fie in ihrem Innern leide; aber die Gegenwart und die Reden Müllers hatten ihr damals einen Muth ‚gegeben, ber nicht immer bauern fonnte ; unfere Reife war, wie Sie wohl glauben werben, fehr traurig. Umfonft fuchte ich fie durch meine Unterhaltung zu zer freuen ; fie beobachtete das tieffte Schweigen. Wie wir indeß nahe bei Schloß Framberg waren, fchien fie von einem neuen Gefühle bewegt; fie fragte mi, ob Sie da geboren wären, ob das Schloß viele Bewohner habe, und ob ſich der Herr Oberft in demſelben befinde. Als fie wußte, daß er nicht hier fei, fchien fie gefaßter und trat mit ziemlich ruhiger Miene in dad Schloß. Müllers Bes fehlen zufolge ließ ich ihr eined der angenehmften Gemädher ans weifen: ich führte fie in ven Park, in die Gärten, kurz, ich zeigte ihr alle Schönheiten des Schloſſes. Sie dankte mir für das, was fie meine ®efälligfeit nannte, mit jenem fanften Lächeln, das Sie an ihr fennen; aber alle dieſe Aufmerkſamkeiten konnten nicht ver: hindern, daß fie den Tag nach ihrer Ankunft in eine Krankheit verfiel. Bon da an ging ed täglich ſchlimmer, und beſonders feit geftern liegt fie in erſchreckendem ieberwahnfinn. Im Fieber: wahnfiın!, Großer Gott! ... gib mir bie Kraft, fo viele Leiden zu ertragen! Aber fage mir, Frank, fpricht fie dabei einige Morte aus? Pop Element! das glaub’ ich wohl!... Bald ruft fie laut nach Ihnen, indem fie Sie ihren Gatten ober auch ihren Bruder nennt; bald ift ihr Vater der Gegenftand ihrer Be- forgniffe und ihrer Binfce; aber am haͤufigſten find Sie es, gnädiger Herr, nach dem fie inbrünftig verlangt, und auf eine fo wehmüthige Weife, daß Einem ganz fehwer um's Herz wird.“ Durch Franks Erzählung niebergebeugt, bleibt Heinrich einen Augenblid unfähig, nur ein Wort hervorzubringen; aber nad Vaul de Rod. I. 10

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einer Meile ficht er haftig von feiner Mafenbant auf und läuft and vollen Kräften auf das Schloß zu. „Ums Himmels willen, halten Sie an!” rief Frank, indem er ihm nacheilte und ihn am Kleide zurüchielt. „Laß mich, Frank, laß mich, fog’ ich Dir, ich muß fie feben, ich will's. Ha, taufend Donnerietter! Sie werben fie nicht fehen,* rief eine rauhe Stimme, bie Heinrid veranlaßte, ſich umzuwenden; er erblidte Müller, der ihm den Weg verfverrte und nicht in nachgiebiger Laune zu fein ſchien.

Bwanzigfles Kapitel.

Die Liebe führt niht immer zum Buten.

Beim Erwachen war der Pächter gar nicht verwundert, daß \er Müller an feiner Seite eingefchlafen fah, als aber diefer bie Augen auffchlug und vernahm, Heinrich ſei fchon fort, da ſinchte er derb vor fih bin, daß in feinem Alter ihn die Weiber noch dumme Streiche begehen und feine Pflicht vergeffen Tießen ; dann ſchickte ex fi an, feinem Sögling anf den Ferſen zu folgen. „Wahrlich!“ fagte der Pächter, „es ift nicht zu verwundern, daß Ihr fo Lange geichlafen habt; geftern Abend haben wir Allee fauber ausgetrunken. Wahr,“ antwortete Müller; „aber Ih habt auch einen Wein, ber teufelmäßig in den Kopf ſteigt.“ Die Pächterin kam herab, und Müller beeilte fi, aufs Pferd zu fleigen, and Furcht, ihr Anblick möchte ihm wieder den Teufel in den Leib jagen. Der Ehemann Iud ihn ein, öfters mit ihm zu fchmanfen und zu trinfen, und bie Pächterin vereinigte ihre Bitten mit denen ihres Mannes. Kurz nach Henri langte Müller im Bereich des Schloffet an unb wollte denfelben bereits in ber Gegend aufſuchen, als er ihn auf fih zulommen ſah. Wie er feine legten Worte hörte, wußte

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er ſchon, um was e8 ſich Handle, ohne‘ indeß bie Urfache feiner Perzweiflung zu kennen.

„Wohin wollen Sie, mein Herr?" fragte er, Heinrich auf: baltend. „Ind Schloß, Müller! Weßhalb? Sie zu fehen. Sie werben nicht hingehen, fage ih. Ad, mein Freund, fie liegt in den legten Zügen! In den legten Zügen? das ift etwas flark. SH’ wahr, Frank? Sa, Herr Müller, die xeine Wahrheit. Ich will mich felbft davon überzeugen; es ift aber unnöthig, daß Sie mitgehen. Iſt's, wie Sie mir fagen, fo können Sie das Fräulein nicht ind Leben zurüdrufen: ift fie im Gegentheil weniger übel auf, jo wird Ihr Anblid ihren Schmerz erneuern, ohne demfelben Linderung zu fchaffen. Ah, Müller! lag mich mit Dir gehen! Sie vergeflen, Herr, daß es fih um Ihre Schwefter Handelt und Ihr Benehmen nicht fo iſt, wie es fein follte! AM Deiner Vorftelungen und Widerſprüche un: geachtet, werde ich mich von diefem Schloffe nicht eher entfernen, bis ich über ihr Schickſal Gewißheit habe. Hum !” fprach Müller bei fich felbft, „dieſe Liebe muß ich um jeden Preis mit der Wurzel ausrotten. Gehen Sie, erwarten Sie mich bei dem Gärtner am Ende des Parks,“ fagte er dann zu Heinrich ; „ich werde Sie dort treffen und Ihnen mittheilen, was Sie durchaus wiffen wollen.“

Heinrich wagte feinen Widerſtand und lieg fih von Krank zum Häuschen feines Vaters führen, dad am entgegengefeßten äußerften Ende der Gartenanlagen, in ziemlicher Entfernung vom Schloffe, lag. Müller blickte Heinrich nach, die Schwäche bereuend, womit er benfelben nah Schloß Framberg gelaffen Hatte, und auf ein Mittel finnend, wie er ihn wieder wegbringen Eonnte.

Dit unbefchreiblicher Angft harrte Heinrich der Rückkunft Müllers; doch Stunden verfloßen, der Hufar fam nicht. Als Hein- rich die Nacht hereinbrechen ſah, Tonnte er feiner Unruhe nicht mehe gebieten ; er ſchickte Frank nad) dem Schloſſe, um die Urſache biefer Verzögerung zu erfahren,

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Kaum war diefer fort, ald er Jemand auf das Haäuschen zu: kommen ſah. Trog der Dunkelheit glaubte er Müller'n zu erfennen und flog ihm entgegen. Er täufchte fi nicht. „Nun, Mülle,“ redete Heinrich ihn an, „was haft Du beun fo lange im Schloſſe gethan? Nichts!“ antwortete biefer mit düſterer Stimme, wo: bei er feinen Gang gegen das Bärtnerhand nicht unterbrach. Ums Himmelswillen, unterrichte mich von Allem ! In weldyem Zu: ſtande haft Du Pauline gelafien ? Sie hat nichts mehr zu fürd: ten. Was will Du damit fagen? Sprich! Dein Schweigen macht mich ſtarr vor Entfegen! Sie wollen ed... Run benn! So waffnen Sie fich mit Muth, Ihre Schwefter, Ihre Schwehtr ... ift nicht mehr!“

Heintich Härte nicht weiter: leblos fiel er zu Boben. „Run, die Krifis iſt ſtark,“ ſprach Müller; „doch um jo bälder wird fie vorüber fein!” Er verfuchte, Heinrich ind Leben zurückzurufen: mit Hülfe des auf fein Schreien herbeigelaufenen Gärtnerd trug er ihn in das Häuschen bed letztern und brachte ihn gu Bette. Hier ſchlug der junge Mann die Augen nur auf, um in einen noch beunrubigenberen Zuftand zu verfallen: ein hitziges Fieber hatte fich feiner Sinne bemädhtigt ; grauenvoller Wahnfinn war an bie Stelle der Bernunft. getreten, er ſah und erfannte Niemand mehr. Ueber Heinrichs Zuftand erfchreckt, zerfihlug ſich Müller ven Kopf, ranfte fi die Haare aus und ſchien nur ſich allein die Schul von feines Zöglingd Leiden beizumeſſen.

Fünf Tage lang blieb unfer Held in ſolchem Zuflande, und Müller brachte diefe ganze Zeit an feinem Wette zu. Gublich rief ihn die Natur, welche ftärfer war als die Krankheit, wieder ind Leben zurüd, und am fechöten Tage erlangte er feine Bernunft unt mit ihr etwas Ruhe wieder.

„Ach! ... nun ift die Kriſis vorbeit...“ fprach Müller, als er Heinrich etwas ruhiger fah. „Meiner Treu! fie war hart, und wären Sie unterlegen, fo wäre mir nichts ‚übrig geblieben, ale

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den Fröfhen im Schloßgraben Gefellfchaft zu leiſten! Aber Sie genefen twieber, und ich fühle mich um einen Sechsunddreißigpfünder leiter, den ih da auf der Bruft liegen hatte. Arıner Müller,“ ſprach Heinrich Iächelnd, „wie vielen Kummer verurfache ih Dir!..

Erlangen Sie Gefundheit und Muth wieder, und ich bin für meine Sorgen binlänglich belohnt.” Heinrich verfprach Alles und Müller füßte ihn, vor Freude weinend.

Erf nad vierzehn Tagen konnte Heinrich das Bett verlaffen.“ Müller verlor feinen Zögling nicht aus den Augen; allein dieſer fragte zumeilen, wo Frank fei und warum er ihn nicht Bei fi febe. Ich babe Frank aufgetragen, und einen guten Wagen anzu: ſchaffen, damit wir reifen Eönnen, fobald Sie fo weit. hergeftellt find : darum fehen Sie ihn nicht hier. Sind Sie etwa mit meiner Pflege nicht zufriehen, daß Sie nach Ihrem Diener fragen? -— Wie ungerecht Du bift, lieber Müller! Menn ich nach Frank frage, geſchieht ed nur, damit Du ebenfalls ber Dir fo fehr nöthigen Ruhe pflegen Tönneft. Seien Sie unbeforgt, meine Ruhe ift Ihre Gefundheit, und wenn Sie ſich wohl befinden, bin ich nicht mehr krank. Guter Müller! ...“

Wie Heinrich im Stande war, ein wenig auszugehen, führte ihn Müller durch eine Heine Pforte, nur einige Schritte vom Gaͤrt⸗ nerhaufe entfernt, ins Freie. „Warum verlaffen wir ben Umfang des Schloffes ?" fragte Heinrih. „Weil ein Blick ind Freie Sie mehr zerfireuen wird, als ein Bart, den Sie hundertmal nad alfen Richtungen durchflreift haben. Aber, Müller, ich hätte ihn fo gerne wieder gefehen!... Nein, mein Herr, dad würde Sie angreifen und Sie werden nicht gehen !" Heinrich wagte feinen Wiverſpruch; doch fühlte er im tiefften Herzensgrunde ein fehn- liches Berlangen, die Orte wieverzufehen, bie er aufs Neue und vielleicht für lange Zeit verlaffen follte.

Alamüͤller glaubte, Heinrich fei ſtark genug zur Reife, zeigte er ihm an, daß fle.in zwei Tagen fich auf den Weg begeben wuͤrden.

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„Frank iR alfo zurück? Ja, und der Reifeiwagen wird und vor der Meinen Pforte hier neben, welche auf bie Hauptftraße führt, erwarten. Wie? wir nehmen ven Weg’ nicht durch das Schloß? Sie fehen, «3 if unnoͤthig.“ Heinrich wagte feine weiteren Cinwendungen: aber er nahm ſich vor, gewiß nicht abzureifen, ohne das Afyl feiner Kinpheit ein letztes Mal geſehen zu Haben.

Am Abend vor dem zur Abreife beflimmten Tage forberte "Müller, der vor Müdigkeit niedergedrüdt war, Heinrich auf, fih bald niederzulegen, damit er am andern Morgen früher auf ben Beinen fei. Heinrich, mit feinem Plane bereits fertig, ſtellie ſich, ale komme er Müllers Begehren nach. Unfer Hufar ging zu Belte und lag bald im tiefſten Schlafe. Als Heinrich gewiß war, baf er nicht mehr an ihn denke, fand er vorſichtig auf, trat leiſe aus bet Hütte und ſchlug den Weg nach dem Schloffe ein.

Der Abend war prächtig, herrlicher Mondſchein verbreitete über De ganze Natur einen bläulichen Schimmer, und wenn das Auge auf einem Bufche oder Strauche rubte, glaubte es einen unbeweg⸗ lidgen Schatten, eine ſeltſame Geftalt zu erkennen. Tauſend Ge⸗ genftände bieten fi dann unſerem Blide dar, verwirren unfere Sinbildungsfraft und noch danken fie ihr Entſtehen nur bem Biber: ſchein des Nachtgeſtirns. Unficheren Trittes wandelte Heintih weiter ; in feinem durch die Krankheit gefchwächten Gehirn Tpuften taufend Geſtalten, es erfchuf fi taufend Viſionen; bei jevem Ge: genſtand, der ihm auffließ, pochte fein Herz gewaltig; eine geheime Ahnung ſchien ihm anzubeuten, daß etwas Außerorventliches fih ihm zeigen werbe.

Endlich gelangte er in den dem Schloffe näher liegenden Theil ber Bartenanlagen. Seiner Bewegung nicht mehr Herr, tritt er in eine Laube, fi einen Augenblick zu fegen.... aber hier fält ihm etwas in bie Mugen ; auf der Bank, bie er fich auderfor, bes merkt er eine weiße Schattengeflalt, welche regungsloq; ift und feine Gegenwart nicht zu gewahren fcheint, Heinrich fühlt ſich einer

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Ohnmmacht nahe und ift genöthigt, fi an einen Baum zu Ichuen ; er ſucht feine Schwäche zu überwinden... aber der Schatten ers hebt fih und kommt Iangfam auf ihn zu; ein Strahl,ded Mondes Belenchtet fein Geſicht; er erkennt ed. „Schatten meiner Bauline!...“ rief er, auf die Kniee finfend, „haft Du den himmliſchen Aufent: Halt verlaffen, um Denjenigen heimzufuchen, der nicht mehr glück⸗ Lich fein Tann auf einer Erde, die Du nicht mehr mit ihm bes wohnſt? ...“

„Heinrich,“ ſprach eine ſchwache Stimme, und Pauline (denn ſie war es) fiel bewußtlos vor ihrem Geliebten nieder. „Großer Gott! ...“ rief Heinrich, „iſt's keine Taͤuſchung ?... Doch nein, fie iſt es wirklich.. meine Bauline!... Gerübrt von meiner Berzweiflung bat der Himmel mir fie zurückgegeben, um mich nicht mehr von ihr zu trennen.“

Schnell fpringt er feiner Geliebten bei; Pauline jhlägt die Augen wieder auf, erkennt Heinrich, lächelt ihm zärtlich zu und liegt Demjenigen in den Armen, von dem fie ſich für immer ge: trennt wähnte; Heinrich drückt fie in höchfter Freude an fein Herz, bedeckt fie mit Küffen, und fie, weit entfernt, ihn zurüdzufloßen, gibt fich feiner Zärtlichkeit gänzlich Hin, und beide vergeflen bie Bande, bie fie umfchlingen, um nur noch an bie Liebe zu benken, welche fie von der rechten Bahn ablenkt und in den Abgrund zieht, den zu vermeiden fie nicht ſtark genug waren.

Die Reue folgte vem Vergehen auf dem Fuße nach; aber biefes Vergehen war Feines von denen, welche ein Liebhaber durch neue Lieblofungen vergefien macht! ... Entſetzt über die Größe feines Vorbrechens, wagt Heinrich nicht mehr, die Augen zu feinem Opfer aufzufchlagen. Pauline weint, ſchluchzt und bleibt bewußtlos auf dem Raſen, dem Zeugen ihrer Schuld, liegen. Under, ber fie in diefen Zuſtand gebracht, denkt nicht daran, ihr Hülfe zu leiften; eilfertig flieht er die unheilvolle Laube, vertieft ſich in den Park, gewinnt das Weite und verſchwindet, ehe die Sonne feine Frevel⸗ that beicheint.

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Urme Baufine ! wer aber wirb jeht Deine Thränen trodinen... Deiner Berzweiflung Einhalt thun ? ... Der verläßt Dich, ber allein Deine Beiden findern konnte! er verläßt Dich mit dem Schwure, nie Dich wieberzufehen!.... Doch der Himmel wird fi Deine erbarmen, ..... wirb Dir einen Freund, einen Tröfter fchiden, in dem Augenblide, wo Du gegen bie Borfehung und die Härte Deine? Geſchickes murrſt. |

Bor Allem möchte es gut fein, dem Lejer zu erklären, wie Pauline, die für tobt galt, mit Heinrich in der Laube zufantmieniraf.

Wir haben gefehen, wie ärgerlich Müller war, daß fl Grin rich während der Krankheit feiner Schweſter nicht vom Schloß ut: fernen wollte. Der gute-Hufar foh wohl ein, daß det junge Mann im Innerſten feine® Herzens ſtets eine Liebe bewahren werte, welche dad Unglüd ſeines übrigen Lebens ausmachen müßte, darum be ſchloß er, fie durch irgend ein gewaltfames Mittel zu erſticken. Wie er von Baulinens Krankheit hörte, flieg fogleich der Gedanke in ihm auf, fie für todt ankzugeben. Deßhalb begab er ſich zu ber fimgen Kranten, fi) von ihrem Befinden felbfl zu überzeugen ; er fand fle feßr übel auf, und meinte, was er als eine Lüge er: fonnen, fönne wohl zur Wahrheit werden. Nichts deſto weniger wollte ex ben Lanf ver Begebenheiten nicht abwarten, und noch benfelben Abend Fam er wieder zu Heinrich. Wir wiſſen, wie er fein Bor haben ausführte. Obgleich er RB aber auf Ausbrüche des’ Schmerzes gefaßt machte, glaubte er doch nicht, daß feine Li eine fo Heftige Wirkung hervorbringen werde, und als er feinen geliebten Gehurih am Hande des Grabes ſah, da gereute' ihn das Mittel, das er angewenbet, ihn von feiner Liebe'zu heilen. Eudlich erlangte Seins rich die Geſundheit wieder und Müller athmete' neun auf. Bien beifeh Krankheit Hatte er durch Frank erfahten, daß Pauline bei⸗ nabe'völlig hergeſtellt fei: da aber bie Krifid voruber' war, weilte er Heinrich nichto davor mittheilen, fonbern ihn in’ einent Itrtheu belaffen, der ihm ie Rue wieber geben ſollte. Darm trug: er

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Sorge Frank von feinem Herrn entfernt zu Halten und biefen am Spazierengehen im Schloffe zu verhindern.

Müllers Plan war gut ausgedacht, aber das Derhänguig ließ deſſen Vollführung nicht zu. Pauline, welche feit einigen’ Tagen in dem Garten vie frifche Luft genoß, hatte ſich, durch die Schon⸗ heit des Abends angezogen, unter eine fchattige Laube gefopt un über ihrem Sinnen vergeffen, daß die Stunde des Schlafengrheus längft vorüder fei. Wir Haben gefehen, wie der Teufel e8 anfing, daß er die beiden Liebenden zuſammenbrachte und fo in einem Nu alfe Plane unferes Hufaren über den Haufen warf.

Aber Mirlker konnte nicht immerwaͤhrend ſchlafen; der Gebuufe an die vorgehaßte Meife weckt ihr mit Anbruch des Tages auf; er fpringt aus dem Bette, kleidet fih an und ellt zu Heinrichs Schlafftätte, um zu hören, ob er eine gute Nacht gehabt. Wie groß ift fein Erſtaunen, feine Unruhe... als er venfelben nid mehr in ber Hütte fieht!... „Ho, ho!“ ſprach er, „mein junger Menſch Hat abermals feine Streiche gemacht! Wir wollen Reine _ Zeit verlieren und fehnell Hinter ihm her fein!...” Und vamitik Müller bereits im Park, den er nach Allen Richtungen burchflteift; enplich führt ihn der Zufall in das unheilvolle Bosket; er glaubt von Ferne etwas zu unterfcheiden, näher getreten flieht er Pauline. leblos am Boden liegen.

Unfer Hufar gibt fich nicht lange Vermuthungen Hin. „Der Teufel miſcht füh ind Spiel,” fagte er, „fle haben einander ges ſehen, geſprochen umb es ging Higig Her, wie es ſcheint. Wo ift denn aber mein Zögling ?“ Müller lud Pauline auf feine Sihultern und ſchlug den Weg nach dem Schloffe ein. Dort lag man noch in tiefem Schlafe; aber auf fein Gepolter und Grfchrei ift bald Alles auf den Beinen ; die Diener fbringen im Sembe herbei, ums zu erfahren, was es gibt: „Vorwaͤrts, meine Yreunde, Bomber und Granaten! Ihr müßt Alle die Umgegend burchfireifer, ums zwar auf ber Stelle. @uer junger Herr bat ben Teufel im Leib;

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id ſehe wohl, «6 iR umnäthig, Daß ich's Euch Länger verhehle; macht Euch binter ihm ber, Jeder febe ſich in Marſch, und man muß ihn zurückbringen, wäre er auch am Ende ber Welt. Id ſelbſt werde Cuch bald folgen.“ Bei diefen Worten fchiebt fie Müller fort ind Freie. Einige wollten fich widerſpenſtig zeigen unb machten die Bemerkung, daß fie doch nicht im Hemde fortgehen !anen ; Müller aber wirft fie zur Thüre hinaus, indem er ihnen einen Tritt vor den St... gibt, welchem Argumente Keiner wiberfleht.

Nachdem Müller feine Geſandten ausgeſchickt hatte, Tehrte er eilig gu Pauline zuräd und leiftete ihr alle Hülfe, welche ihre Sage erheiſchte. Nach vielen Bemühungen von feiner Seite flug fie endlich die Augen wieder auf. Der Name Heinrich war ihr acſtes Wort; alsdann erblidte fie zu ihrer Verwunderung unfern Hufaren an ihrer Seite. Ja, ich ſehe wohl, Sie find erflaunt über meine Gegenwart,“ ſprach biefer, „und ich kann Sie eben: falls verſichern, ich wäre lieber hundert Meilen von Ihnen weg!... Ya, wahrhaftig! ... . Frank Hatte wohl recht, ald er von einem Berhängniß fprad!...” -

Banline begriff nicht viel von diefer Rebe: Doch Müller ers Härte ihr, was das heißen wolle und auf welche Art er fie im Boslet gefunden habe. „Und was iſt aus Heinrich geworben?“ fragte Banline, „Sr wird meine Vorwürfe gefürchtet haben und Bat fi daher aus dem Staube gemadt!... doch follte ex wiſſen, daß ich irog meiner firengen Miene Tein Felſenherz habe! .. .“ ber Müller machte ſich noch Leine Borfiellung von der Größe bes Bergebent.

Er verſuchte noch, Banline zu tröften, und verließ ihr Ges mach, um bem Flüchtigen nachzuſpüren. Als Pauline allein war, ließ ſie ihren Thraͤnen freien Lauf; fie fürdstete und wünfchte zu gleicher Zeit, es möchte Müller gelingen, Heinrich wieder zurüd: anführen ; zuweilen machten Bernunft- und Pflicht fie vor feiner

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Wiederkunft erheben ; allein die Liebe, ſtaͤrker als alle Vernunft⸗ gründe, gewann field wieder die Oberhand und trug am Ende ben Sieg davon. '

Indeß waren Müller und ſaͤmmtliche Diener im Schloffe zurüd, ohne irgend eine Spur von Heinrich aufgefunden zu haben. Den folgenden Tag biefelben Nachforſchungen, ohne beffern Erfolg. Tage und Wochen vergingen, aber Heinrich erfchien nicht wieder. Müller ließ ven Muth nicht finfen und war Ifters acht Tage abs wefend, in ber Hoffnung, glüdlicher zu fein: nach zwei Monaten ging ihm die Geduld aus und er wünfchte Denfenigen laut zum Teufel, welchen wieberznfinden er im Grunde feines Herzens fo ſehnliches Berlangen trug.

„Barım aber eigentlich diefe Flucht?“ fagte Müller, als er fich einft mit Pauline allein befand ; „ich hatte ihm zwar verboten, Sie zu fehen, nicht aber ein Narr zu werben.“

Bauline fchlug die Augen nieder und antwortete nichte, Die Müller fah, daß feine Fragen ihren Kummer nur vermehrten, ſprach er von etwas Anderem und bemühte fich, fie zu zerfireuen. Das arme Kind fhien in der That der Zerfireuung fehr zu bedürfen, Es war nicht mehr diefelbe Pauline, wie ein Jahr früher, fo frifch und lieblich, aus deren Augen Freude und Geſundheit leuchtete. Ihre Thränen hatten deren Glanz gebrochen, ihr bleiches welles Geſicht verrieih die Leiden ihrer Seele, und Alles in ihr verfüns digte ein Opfer ber Liebe.

Se mehr bie Zeit verfloß, um fo größer ſchien Paulinens Kummer zu werben. Ganze Tage ſchloß fie fi in ihr Gemach ein, ober weinte fie in einer einfamen Laube. Müller dachte, es fei der Sram über Heinrichs Flucht. Unfer guter Huſar war nicht viel Heiterer als fie und fehr wenig geeignet, fie zu tröften.

Eines Abends war. er aus dem Schloffe gegangen, um bie frifche Landluft zu genießen, als er von Werne ein Frauenzimmer gervahrte, deren etferige Bang irgend ein beſonderes Vorhaben

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Vemuth, und vie Unglädlläge vergoß einen Strom von Thränen. Sobald Müller fie weinen fah, wich feine Strenge und er näherte ſich ihr, um fie zu tröften. .

* „Run, ich verzeihe Ihnen,“ fprach er, fle bei der Hand faſſend; „aber unter einer Bedingung. Unter welcher? Daß Sie mir die Urfache Ihrer Verzweiflung fagen ; denn eine foldye muf doch da fein. AS, zwingt mich nicht, durch Erzählung meiner Schande vor Euch zu erröthen. Es muß fein, fage ich Ihnen: men, Donnerweiter! Muth gefaßt! Ihr befehlt es ?... D, mein Bott! wie fehwer wird mir’s... Wohlan denn!... Bor: wärts! Ich Bin... Sie find?... Ich bin ſchwanger!“

Müller ift vernichtet. Pauline birgt dad Geſicht in ihren Händen. „Sie find ſchwanger! ...“ fagte Müller, endlich aus feiner Betäubung zurückkommend, „und Sie wollen ſich den Tot geben ! Unglücfelige! Sie wollen alfo auch das unfchuldige Opfer, das Ste unter Ihrem Herzen tragen, ermorben ? Ha! Sie fin Rrafbarer als ich ahnte! IH fühle mein Verbrechen nur zu fehr! aber ach! ift nicht das unglüdliche Geſchöͤpf, das ich bee Lichte beraubt Hätte, fchon vor feiner Geburt der Schande und Beratung geweiht? Ein Kind des Verbrechens und des Unglück, wird es je wagen, die Urheber feiner Tage zu nennen? ... Bas wollen Sie damit fagen? Muß ich Euch noch belehren, wer fein Bater iſt? Wie! Heinrich? mein Zögling ? Ha: dreifaches Donnerwetter! das bringt mich unter ben Boden! Sept bleibt mir nichts mehr übrig, ald mir von einem Achtundviergig- pfünder den Kopf wegnehmen zu laſſen.“

Paulinens Geſtändniß Hatte den Neft ihrer Kräfte vollende aufgerieben, und bewußtlos fiel fie auf ihr Bett zurück. Müllers ganzes Geiftesvermögen war burch das eben Gehoͤrte zu fehr be troffen, als daß er im Stande gewefen wäre, das um ihn her BVorgehenbe wahrzunehmen. Megungslos vor dem Kamin, ſtartte er, ohne zu fehen, träumte, ohne zu denfen, Titt, ohne zu fühlen,

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und die Nacht ging ihm worüber, ohne deß er von feiner Negungẽe⸗ Loſigkeit ſich echolt Hatte.

Mehrfahe Schläge an das Thor bes Schloſſes riefen ihn wieder zu ſich; er rieb fich die Augen wie Einer, der aus einem Schweren Traume erwacht, fehaute verwundert umher und fah Pau⸗ Line noch in dem gleichen Zuftande. Diefer Anbli ruft ihm alles Morgefallene ins Gedaͤchtniß zurüd ; zwei große Thränen rollen aus feinen Augen ; jeufzend wifcht er fie ab, fchüttelt ven Kopf, fireicht feinen Schnurrbart und flürzt die Treppe Hinab.

Man fuhr fort, gewaltig zu Flopfen; ber Pförtner kleidete ſich gemaͤchlich an; Müller, ungebulvig, öffnet ſelbſt. Ein Eil⸗ bote haͤndigt ihm ein Schreiben ein und entfernt ſich ſchnell wieder mit dem Bemerken, daß es keiner Antwort bedürfe. Müller hielt den Brief in der Hand, dachte an andere Dinge, als ihn zu Iefen, bis er, zufällig auf die Adreſſe ſehend, die Handſchrift feines Oberſten erkannte. „Ho! ho!“ ſprach er, ſich die Augen reibend, um ſich zu überzeugen, daß er nicht träume; „es iſt wirklich von meinem Oberſt und an mich gerichtet! Durch welchen Zufall weiß er, daß ich im Schloffe bin? ... Und das Thier von einem Boten flog wieder davon wie eine Bombe! Ich Hätte ihn ausfragen jollen: nun laß uns leſen ... Ich glaube, ich zittere zum erften Mal in meinem Lehen! Weiß mein Oberſt alles —— ſo iſt dieſer Brief meine Verdammung! Gleichviel, ich habe Strafe verdient und hätte ven Muth, mich ſelbſt abzuthun, wenn mein. Oberſt es beföhle !“

Mit viefen Worten reißt Müller den Brief ungeflüm auf und durchfliegt deffen Inhalt; bald geht eine merkliche Aenderung auf

feinem @efichte vor, je weiter er liest; Thraͤnen entftrömen dem Augen bed wadern Hufaren, aber es find Thränen ber Freude, ver Luft, der Rührung. Kaum hat er autgelefen, als er wie wahn; finnig nach der Treppe flürgt, die zu Paulinens Gemächern hin: aufführt. „Vivat! Sieg!” fehrie Müller unter mächtigen Sägen

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die Treppe hinauf. Enblich gelangt er in dad Zimmer Baulinend, welche ihre Kammerfrau wieber zu ſich gebracht hatte. Erſtaunt ‚blidt fie Müller'n an; fie faßt nichts von dieſer außerorbentlichen Frende. „Da lejen Sie, lefen Sie ſelbſt,“ fagte Müller, ihr den eben erhaltenen Brief darreichend, „und Sie mögen ſehen, ob id Unzedt habe, wor Jubel außer mir zu fein.” She wir jedoch dem Lefer nen. Brund von Müllers plöglicher Freude .erflären, müſſen ‚wir wieder den Oberfi Framberg aufſuchen, nen wir, im Begrifi nah Paris abzureifen, verlaſſen haben.

Einundzwanzigfies Rapitel. sind

Der Dberfi hatte Heinrichs Erzählung von d'Ormeville's Abenteuern aufmerkjam mit angehört. Seine edle und großmüthige Gisele faßte fogleich den Entfchluß, nach Paris zu gehen und dert alle noͤthigen Schritte zu thun, mwoburd er erfahren könnte, was an ‚dem Mater feines thenern Heinrichs geworben fei. Zwar hatte ber letztere bereits umfonft ſolche Nachforſchungen angeftellt; allein Heinrich kannte in Paris Niemanden; feine Jugend konnte über: bie ‚wenig. Vertrauen einflößen: ber Oberſt hingegen war vor einem Alter und einem Rang, hie Achtung und Ehrfurcht geboten. Gr ließ ſich Empfehlungsbriefe an die hohen Staatsbeamten geben und hoffte auf glüdlichern Erfolg in feinem Unternehmen.

Oberft Framberg beeilte fich, und bei feiner Ankunft in Paris begann er augenblidlich feine Nachforſchungen. Seine Schritte wurden Schnell yom beften Erfolge gekrönt; der Minifter benad: tichtigge hen Oberft, daß der Geſuchte in der Force, einem ber bebeutenpften Gefaͤngniſſe der Hauptſtadt, hinter Schloß und Riegel füge. D’Prmenille war bei feiner Ankunft in Paris feftgenonmen und ‚bie über ihn qusgeiprochene-Tobeäfttafe in zehnjaͤhriges Ge

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füngntb verwandelt worben, was er ſchon eine große Gunft nennen konnte, und ba feine Feinde nicht mehr am Leben waren, fo hoffte er bald feine Freiheit zu erlangen. Dazu aber war es nothwendig, bag füh Jemand in Frankreich für den Befangenen intereffirte, Unglüdlicherweife kannte er Niemanden hier und hätte wahrfcheins lich die feflgefeßte Zeit im Kerker verlebt, wenn nicht ber Zufall ihm einen mächtigen Befchüger in ber Berfon des Oberften zuge⸗ führt hätte. Diefer machte fi fogleih daran, die Freilaſſung d'Ormeville's zu erwirken, deſſen Vergehen nicht fo groß war, daß er fo befondere Strenge verdiente, unb ber durch eine Verbannung von zwanzig Jahren genug gelitten Hatte.

Die Schritte, welche der Oberft zu thun gendthigt war, zogen fi mehr in vie Länge, als er geglaubt. Man hatte-ihm bereits die Erlanbniß ertheilt, d'Ormeville zu befuchen ; aber ex mochte fi nur als Weberbringer feiner Begnabigung bei ihm vorftellen. Welch ein großmüthiges. Benehmen gegen einen Mann, ber fein Nebenbuhler geweſen war... ber ihn der Liebe einer angebeteten Frau beraubt hatte, und von bem er fürchten mußte, daß er ihm auch Denjenigen werde .entreißen wollen, ven er als feinen Sohn liebte!.... Es gibt wenige Männer wie der Oberfl.

Endlich, nach mehr ald brei in Umhergehen und Sollieitiren zugebrachten Monaten wirkte derſelbe bie Freilaſſung von Heinrichs Bater aus. Welcher Augenblid für fein edles Gemüth! Mit welch’ trunkener Freude begab er fih in das Gefängniß! Das Bewußt« fein einer guten That belohnte ihn reichlich für die angewandte Mühe! D'Ormeville hoffte nicht mehr auf Begnabigung: der Un- glückliche foß in einem Winkel feines Kerkers, dachte an feine Bauline, und der Kummer, ben fie empfinden mußte, vermehrte aur noch feine Traurigkeit. Da gehen ploͤtzlich die Thuͤren feines Gefängnifies auf: ein ihm unbelannter Mann, deſſen Geſicht je- boch Güte verfünbet, zeigt fich vor ſeinen Blicken (der Leſer hat

Baul de Rod. U. . 41

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(ton heraus, daß ed der Oberſt iii) und wirft ſich ohne Weiteres an feine Bruf ; ganz erſtaunt, weiß d'Ormeville gar nicht, was ex davon denken fol. „Zuerſt laßt und einander umarmen,“ ſprach der Ober zu ihm, „Belanntfgaft machen wir hernach; bier iR inzwiſchen Ihr Sreibrief ; ich Bin ber Oberfi Framberg und ich habe ihn ausgewirkt.“

D’Ormerille iR ungewiß, ob er wacht ober träumt; der Rame des Dberfien, das Wort Freiheit machen ihn fo fehr betroffen, daß er ganz erſtarrt; doch ber Oberſt, auf biefes Staunen gefaßt, zieht ibn fort aus dem Kerker, drängt ihn in feinen Wagen un last fich nach feinem Hötel führen. Unterwegs kommt dOrmeville wieder zu fih: „Es if Fein Traum!” ſprach er; „ich Bin in Frei⸗ heit und Ihnen, Herr Oberfl, habe ich fie zu banfn!... Ich begreife Ihre Berwunderung, lieber d'Ormeville, und ich will ihr ein Ende machen ; ba aber meine Erzählung etwas lang wir, wollen wir warten, bis wir in meinem Hötel find ; bort können wir seden, ohme Unterbrechung zu fürchten.“ D'Ormeville wiligt en, und man langt an; ber Oberſt verbietet jede Störung und erzählt dem Befreiten, was dem Lefer ſchon befannt iſt.

Ber vermödte d'Ormeville's Erſtaunen bei der Nachricht zu ſchildern, daß fein Sohn lebe und er ihn bald in feine Arme fließen werde! Seine Freude grenzt an Wahnfinn ; er wirft ſich an bie Bruſt des Oberſten und nennt biefen feinen Schutzengel. Ploͤſlich Hält er Inne und verfällt in tiefes Sinnen. „Was hab Sie denn I“ fragte ber Oberſt. „Woher dieſes Nachdenlken ? Sollten Sie noch einen andern Sohn haben?“ fragt er nach einer Weile, ſtatt einer Erwiderung. „Rein, ich Hatte nie einen andern ; nur Heinrich galt mir ale foldyer. Heinrich!... Kein Zweifel mehrg er iſt's. Was foll das heißen? Ich kenr⸗ biefen theuern Sohn!... und ber Himmel Hat ihn zum Reiter meines Lebens auserloren! Wär’ möglih?.. . Heinrich hat Ihnen das Leben gerettet? In einem Walde, ſeche Gtunten

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von Straßburg, wäre ich das Opfer zweier Menchtlmörder ge: worden, da fandte mir die Vorfehung meinen Sohn zur Mettung.”

D'Ormeville war in ber That jener Heifende, ven Heinrich gerettet. Oberſt Framberg bewunderte die Rathſchlüſſe der göttlichen Vorſehung, welche den Sohn feinem Bater zu Hülfe gefandt hatte ; alddann fuhr er in feiner Erzählung fort, welche durch d'Orme⸗ ville's Ausrufe unterbrochen worden war. Als diefer letztere von ber Liebe Baulinend and Heinrichs, und dem Kummer, welche dem Oberſt viefe unheilvolle Leidenfchaft verurſachte, börte, unterbrach er diefen mit den Worten: „Trodnen Sie Ihre Thränen, mein Freund ; unfere Kinder follen dem Glücke und ber Liebe wieber: gegeben werben ; vernehmen Sie endlich, daß Pauline nicht meine Tochter if. Sie iſt nicht Ihre Tochter ? ...“ rief der Oberft freubetrunfen ; „o! darüber verliere {ch noch ben Kopf! vie theuren Kinder! ... fle Hatten fo vielen Kummer! Noch wage ich nit, an dieſes Glück zu glauben!... 88 ift bie reine Wahrheit ; aber ich fehe ein, daß fie @rläuterungen bedarf. Hören Sie mid an, und auch ich will Ihnen alle Begebenheiten erzählen, die mir von bem Augenblide an auffließen, wo ich mich von Derjenigen trennte, die ich meine Gattin zu nennen hoffte. 0

D’Ormeville'8 Geſchichte.

„Als ich meine theure Glementine verließ, begab ich mich nach Wien, dem Kaifer meine Dienfte anzubieten. Zwifchen Rußs land und Defterreich war der Krieg erflärt. Leicht warb ich auf: genömmen und in Betracht meiner Eigenſchaft als Breiwilliger unb meiner Geburt, wurbe ich bald Lieutenant in einem Huſaren⸗ regiment, das zu Feld z0g. Bei einem Dorfe zwifchen Nowogrobel und Wilna trafen wir auf den Feind. Das Treffen war blutig, und bie Ruſſen erlitten, wie ich in der Folge erfuhr, eine Nieder⸗ lage ; denn da ich gleich im Anfang bed Gandgemenges einen Schuß erhielt, fiel ih vom Pferd umd wurde für tobt auf bem Schlachtfeld gelaffen,

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„Sin Bauer, welcher, Tange nachdem bie beiden Heere ent fernt waren, bei mir vorüber am, bemerkte, daß ich noch athmete; er war fo menfchenfreunblih, mich auf feinen Rüden zu laben und nach feiner Hütte zu tragen, um mir bort bie meiner Lage angemefjene Hülfe zu leiften.

„Begen ein Jahr blieb ich bei dem guten Landmann, denn erſt nach Verlauf diefer Zeit erlaubten mir meine nun wieber völlig geheilten Wunden, an Kücklehr zu meiner Fahne zu denken. Aber während meiner langen Krankheit hatte dad wanbelbare Kriegs⸗ glaͤck vie Muffen zu Meiflern bes Ortes gemacht, in dem ich vers borgen war; fte hatten auf bem ganzen Wege nad) Oeſterreich Voſten aufgeſtellt, und ih ſah, daß ich dad Dorf nicht verlaffen könne, ohne. mich beinahe unansweichlichen Gefahren bloßzuftellen.

MWas Tonnte ich thun ? ... Meine Lage war entjeglich, ich befaß nicht die geringfte Summe Geldes, und mochte dem wadern Manne, der mir dad Leben gefriftet, nicht Iänger zur Laſt fein.

„Nur ein Ausweg blieb mir, nämlich zu arbeiten, um zu leben: und ſchnell war mein Entſchluß gefaßt. Der gute Bauer, der mich unterftüht Hatte, verjchaffte mir Arbeit bei einem Pächter in ber Gegend.. Ich zog die Kleidung an, die für meinen neuen Stand paßte, und begann bie Mutter Erde zu bearbeiten, welche niemals undankbar gegen Diejenigen ift, bie fle.mit ihrem Schweiße tränfen.

„Ih lebte ziemlich ruhig; fehon Lange hatte ich mic) an mein neues Verhaͤltniß gewöhnt; überbied ließ mich bie Erinnerung an meine Clementine und die Hoffnung,® fle eined Tages wiederzu⸗ feben, bie lange Dauer meines Exils muthvoll ertragen. Gie wiffen, ih gab auf beutfchem Buben meinen Namen d'Ormeville auf, um ben Namen Chriftiern zu führen, und dieſen behielt id auch in meinem nunmehrigen Aufenthaltsorte bei.

„Gine Halbe Stunde von dem Pachthofe lag ein kleines Schlof, daß einem gewiffen Drogluski gehörte, Diefer Drogluski war in

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der Umgegend nicht fehr beliebt, und es liefen fogar verſchiedene Serüchte über ihn um, benen ih wenig Aufmerkfamfeit fchenkte. Da fein Schloß auf einer Anhöhe lag, von wo aus man eine weite Ausſicht genoß, lenkte ich, wenn bie Arbeiten es geftaiteten, meine Schritte nach diefer Seite und wandte meine Blicke nad der Gegend, die meine geliebte Glementine verfchänerte, und bat den Himmel, er möchte mir bald erlauben, die Angebetete wieder: zufehen. '

„Auf meinen einfamen Spagiergängen hatte ich einen Dienfchen bemerkt, der mir Häufig in ven Weg trat und mich aufmerkſam zu betrachten fchien. Anfangs gab ich nicht viel darauf Acht; aber ärgerlich geworben, daß ich ihn immer Hinter mir ber fehe, fragte ich ven Büchter, ob er ihn kenne. Auf meine Befchreibung deſſelben, fagte er mir, es könne Niemand anders ald der Vertraute und Diener des Herrn Drogluski fein, und er erinnere fi} fogar, daß derfelbe in den Pachthof gekommen fei und verfchiedene Fragen über mich angeftellt Habe. Begierig, zu wiſſen, was er von mir wolle, beſchloß ich, ihn anzureben, fowie ich ihn wieder träfe.

„Die Gelegenheit Tieß nicht lange auf fich warten : kaum ein paar Tage waren verfirichen, als ich eined Abends in der Nähe des Schloffee meinen Mann nur wenige Schritte vor mir ſah. Ich redete ihn an und fagte, ich wundere mich fehr, daß ich ihn immer mir auf ven Ferſen fehe, und bat ihn, mir den Beweg⸗ grund anzugeben. „Ihr follt ihn erfahren,‘ antwortete er mit däfterer Stimme; „da es aber jehr wichtig ift, was ich Euch zu fagen babe, fo findet Euch heute um Mitternacht auf diefer Stelle ein, wir haben danu keinen Ueberfall zu fürchten und Ihr werdet vernehmen, was Euch intereſſirt.“ „Warum nicht augenblids lich 3°" fagte ich, überrafcht durch feinen Ton gegen mich. „Nein,“ erwiderte er; „um Mitternacht follt Ihr Alles erfahren, fehlt aber nicht! Euer Leben flieht auf vem Spiel...‘ Mit diefen Worten entfernte er ſich und ließ mich in unbefchreiblichenm Erſtaunen zuräd.

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„Sollte ich entdeckt fein?“ ſprach ich Bei mir ſelbſt, wie ich allein war; „ſoll ich mich einfinden?...” Lange war ich un: ſchlafſig; doch endlich bedachte ich, daß er mir gefagt, es hanble fh um mein Leben, und vermuthete, er wolle mich vertathen, wenn ich nicht Wort Halte, daher beichloß ich, zur bezeichneten Stunde pünktlich eingutreffen.

„Um Mitternacht war ich am bemerften Orte, etwa hundert Schritte vom Schloß; bald fah ich meinen Mann auf mid zu kommen. Er führte mich auf eine Banf am Fuße eined Baumes und hielt folgende Rede an mi: „Ihr fein ein Defterreicher und demnach im Krieg mit ven Ruffen, Ihr Habt Keinen Heller un wartet nur auf eine günflige Gelegenheit zur Rückkehr in Euer Vaterland. Wenn Ihr erkannt würbet, müßtet Ihr auf ber Stelle erben ; ich Tann Euch Curen Feinden überliefern und zur Schledt: bank führen ; dies werbe ich auch thun, wenn Ihr nicht in meinen Vorſchlag einwilligt.‘“

„Ich fah, daß ich's mit einem Boͤſewicht zu thun Hatte; aber

mein 2eben war in feinen Händen, ich mußte mich daher verfellen. „Was fordert Ihr von mir!“ fagte ih. „Hoͤrt,“ amtwortee er ; „hier in dieſem Schloffe lebt ein Kind von brei bis vier Jahren; fein Dafein ift verfchiebenen Perfonen im Wege: wir hätten es ſelbſt umbringen können ; aber ich babe die Augen auf Eu gr: worfen, weil dieſer Mord, im Schloffe vollbracht, vielleicht hate Verdacht erregen koͤnnen.“

„Ich ſchanderte bei dieſer Rebe, verbarg jedoch meinen Un: willen, und ber Boſewicht fuhr fort: „Ihr braucht die Beweg⸗ gründe dieſes Racheſchritts nicht zu kennen; ich rathe Euch fogar, End nie darnach zu erkundigen ; denn biefe Neugierde würde End dad Leben koſten, und wenn Ihr in einigen Jahren im Verſuchung geriethet, wieder in biefe Gegend zu kommen (dem ich vermulke, daß Ihr. gleich nach dem riedensfchluß nach Defterreid; zuräd: kebren werdet), fo wardet Ihe, das fage ich Cuch vorher, sinm

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vergeblicgen Schritt thun: denn dieſes Schloß wird verlaffen fein, und Ihr werdet Niemand mehr finden. Entfchließt Euch alfo und fest zu, ob Ihr thun wollt, was ich von Euch begehre, Ihr follt dann reichlich belohnt werben ; weigert Ihr Euch Hingegen, fo gebe ich Euch den Rufen an, und ber Tod iſt Euch dann gewiß.” „Ich Tann nicht ſchwanken,““ fagte ich gu ihm ; „ich willige ein.“ „Sehr gut; fo folgt mir, ih will Euch das Kind ausliefern.‘“ „Bie! auf der Stelle!‘“" „Gewiß! je baͤlder, um fo beffer.‘“

„Schaudernd folgte ich dem Mieberträchtigen, ber mich ber Theilnahme an einer folgen Schandthat fähig hielt. Er führte mich in das Innere bed Schlofjes: tiefe Stille herrfchte ringe umher. In einem Gemach zu ebener Erbe hieß er mich feine Ruͤck⸗ Zunft erwarten und ging. Cinige Minuten blieb ich allein, Iaufchte forgfältig, ob ich nichts hörte, aber eine tiefe und ganz außer- gewöhnliche Stille führte mich auf den Gedanken, mein Führer wohne allein bier, umb ich geftehe, ich faßte damals den Eutfchluß, Die Erde von dieſem Ungeheuer zu befreien und fein unfchuldiges Schlachtopfer zu retten; doch ich warb in meiner Erwartung ge: tänfcht ; mein Dann kam mit einem Kind auf den Armen zurück; ihm folgte eine andere Perſon, die maskirt war, und mich ſprach⸗ 108 anſtarrte. „Sieh, da if das Kind und eine volle Bolbbärfe,‘“ fprach der erfiere. „Du weißt, was Du zu thun haſt; geh, ver⸗ laß dieſes Schloß und bedenke wohl, daß, wenn Du unfere Bes fehle nicht vollzieht, der Tod Deinem Verrathe auf dem Fuße folgen wirb.‘“

„Ich erwiderte nichts; ich nahm das Kind und bie Wäre, und mein Mann begleiteie mich bis an dad Thor; nachdem er mir dort feine Drohungen noch einmal wiederholt hatte, verließ er mid, und ih befand mich mit dem Kinde allein,

„Arme Kleine!" rief ich, fie genau betrachtend, denn ich fah, daß es ein Mädchen von hoͤchſtens vier Jahren war; „jollte ich aufs daß Leben vorüber verlieren, will ich Dich doch van ber Muth

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Deiner Feinde erretten!“ Bein Sutichluß war bald gefaßt: wenn ich im Dorfe blieb, mußte ich gewärtig fein, feſtgenommen zu werben ; ich befchloß daher, ein anderes Afyl aufzufuchen; zwar konnte id) auch auf ber Flucht ergriffen werben; aber ich dachte, der Himmel werde mein Beginnen fegnen, und dieſe Hoffnung gab mir Muth. Wirklich machte ich mehrere Neilen ohne die mindeſte Gefahr und gelangte eublich in einen ungeheuern Wald, wo id wobl zu thun meinte, wenn ich einige Zeit verborgen blieb.

„Das arme, mir vom Himmel anveriraute Bfand war ber Gegenfland meiner zärtlihften Sorgfalt. Ah! am Allem Mangel leivend, war ich genöthigt, ihr jeden Abend aus Baumzweigen eine Wiege zu machen, und Morgens, ehe fie erwachte, ging ih gitternb in eine Bauernhätte und Taufte dort die zur Friſtung me ſeres Dafeins nothwendigen Lebensmittel. Durch ihre unſchuldigen Lieblofungen machte mich die Kleing meine Leiden vergefien; fe nannte mich Vater, und ich beſchloß, diefe Stelle bei ihr zu wer: treten. Ich nannte fie Pauline, und wuͤnſchte, es möchte ihr mit einem franzoſiſchen Ramen auch die Heiterkeit und Aumuih ber Frauen meines Baterlandes zu Theil: werben.

„Die Belohnung, welche ſtets jeder guten That folgt, ward auch mir endlich: kaum waren vierzehn Tage feit unferem Aufent: halt im Walde verfirichen, als ich erfuhr, daß die Defterreicher in Eilmaͤrſchen gegen meinen Zufluchtovrt anrüdten ; die Muffen flohen vor ihren Siegern ber, und bald fah ich mich mitten unter meinen Baffenbrüdern.

„Run nahm ich in ihren Reihen meinen früähern Grad wieder ein ; aber ich war fehr in Verlegenheit wegen meiner Kleinen Par: line, als mich der Zufall mit Mabame Reinhard befannt made: fie war ihrem Sohn zum Heere gefolgt: ex war gefallen und fe in der finfterfien Verzweiflung. Ich machte ihr ven Vorſchlag Baulinen, die ich für meine Tochter ausgab, als Butter zu dienen; mit Freude willigte fie ein und reiste nach Offenburg, da fie ihren

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Sitz in der Gegend nehmen follte. Ich Hoffte, in kurzer Zeit pe ihr zu treffen, und auch meine Glementine wieberzufehen! ber ach! ein Öffizier, der beim Schloß Framberg vorübergelommen war, belehrie mi, daß meine Angebetete mich, wie Jedermann, für tobt: gehalten, den Grafen vou Yramberg geheirathet, einen Sohn von ihm gehabt hätte und nach Eurzer Ehe geftorben ſei.

„Diele Nachricht ſchlug alle meine Plane künftigen Erden⸗ glücks gu Boden. Ich dachte nur daran, mich durch den Ton wieder mit zgeiner Clementine zu vereinigen. Mehrere Schlachten wurden geliefert; ich fuchte den Tod in, den feindlichen Reihen, aber er blieb taub für meine Sehnſucht, und ich fand nur Rahm. Ich wurde zum Sapitän gemacht, und die Zeit, fowie dad Andenken an meine Kleine Pauline vermochten endlich, meinen verzweiflungds sollen Schmerz zu ſtillen. Meine Winterguartiere brachte ich ſtets bei Derjenigen zu, die mich für ihren Bater hielt, und ich hütete mich wohl, fie vom @egentheil zu belehren, damit ich ihr einen Kummer 'erfparte, der nur einen düſtern Schimmer über die fchönen Tage ihrer Jugend verbreitet Kätte.“

„Ich war fo glücklich, als ich's fein konnte; Pauline bes trachtete ich als meine Tochter und nie kam mir der Gedanke, jener Heinrich von Framberg, ven Jever Ihren Sohn nannte, könnte die Frucht meiner Liebe zu Glementinen fein,

„Sehnfucht nach meinem Baterlande trüßte.endlich meine Ruhe. Sie wiſſen bad Weitere, Herr Oberſt, und ich vermag nicht, Ihnen meine ganze Dankbarkeit auszubrüden.”

Biweiundswanzigfies Kapitel. Benig interejfant, aber nothwenpig.

Ber vermöchte die Freude des Oberften Framberg zu ſchildern, wie or vernahm, Pauline fei nicht Heinrichs Schweſter. „Sie

Pöunen ſich alfo ohne Gewiffensbiffe ihrer Zärttichkeit hingehen? ...“ ſorech er zu VOrmenifle; „denn id) zweifle nicht, def Sie Ihe Liebe billigen. Ach, Herr Oberſt!“ erwiberte der Iehiere, „glauben Cie, ich mölte meinen Sohn wieherfinten, um ihn unglädlid m machen ? Und Gaben Gie nicht überdies fortwährend die Nechte eines Waters über ibn, va Gie ihm fo Lange Bater waren? Sie behalten dieſe ehrwärbigen Kechte, und ich würbe Heinrich meiner Zartlichkeit wit wärbig erachten, wenn er für Sie nicht jet vie gleiche Liebe hegte.“

Die beiden Freunde umarmien fich herzlich, indem fie einh der zufcgworen® für Heinrich und Bauline immer bie Zärtlichkeit eines Baterö zu begen. „Uber,” fagte ver Ober, „haben Sie nie einen Berfud gemacht, zu entbecken, wer bie Eltern der armen Kleinen waren und woher die Uingehener kamen, welche ihren Tod wollten! Ich geftche, ich Habe es nie zu entdecken gefucht. Erſtlich dachte ich, ich würde mir vergeblidde Mühe geben ; ich Kälte in ein Land zurückkehren mäffen, wo id Riemanb kannte, um Leute aufzu⸗ fuchen, vie ficherlich meine Rüdktunft bis zw ihrer Flucht nicht eb: gewartet haben werben, wie fie mir's auch vorher gejagt Hatten. Dann dachte ich über die Lage meiner theuern Pauline nach; bei mir war fie glacklich, ruhig, uud vielleicht ſtoͤrte ich ihre Nuke, erweckte Feinde gegen fle durch Rachforſchung nach ihren item, welche fig ohne Zweifel wenig um fie befümmerten, ba fie nicht für ihre Wiederauffindung thaten. Hinfichtlich des erfien Punlti haben Sie Recht, Lieber d'Ormeville, in Betreff des zweiten bis ich jedoch nicht Ihrer Meinung ; denn jept, wo Pauline Befchüke, Freunde an und hat, die fie vor den Nachſtellungen ihrer nit: wärbigen Beinde zu bewahren willen, was follte fie fürchten, wen: wir ihre Herkunft zu Wievererlangung ihres Vermögens zu ms bedien fuchen? Denn Vermögen muß fie haben, baran zweifeln Sie nit, mein Freund! 06 gibt ſteto Beute, bie um Gele ve Größten Berbrechen fähig find. Ya benke wie Sie; mie eb che

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ngreifen? welche Mittel in Anwendung bringen? Darüber jllen wir uns befinnen. Mir fällt ein... ja, die wir ſuchen, nd mir vielleicht nicht unbelannt. Was wollen Sie damit agen ? Denken Sie noch an Ihr Abenteuer im Walde bei Straßburg, wo Heinrich Ihnen das Leben rettete? Ha! das verde ich nie vergeffen! Haben Sie fich nicht befonnen‘, daß jiefe beiden Männer, welche Teine gewöhnlichen Mörber waren, Kbgefandte Derer fein Tonnten, die Ihnen das Kind übergaben, und Sie für Nichtbefolgung Ihrer Befehle beftrafen wollten? Einen Augenblick habe ich es gedacht; wie fol ich aber annehmen, daß ich Leute in Frankreich und in meiner Nähe wiederſinde, welche fo vieles Intereffe Hatten, mich zu fliehen ? Gewiß wurden Sie hier nicht gefucht ; allein wenn Sie dennoch erfannt worden wären ... Erinnern Sie fih, daß man Sie für einen Oeſterreicher yon Ges burt Hielt, nicht denkend, Sie in Frankreich zu finden, und es für einen Grund mehr anfah, fich hier anzufledeln. Sie öffnen mir bie Augen, befter Oberſt, und ich zweifle jept nicht mehr, daß bie Schurken, die an mein Leben wollten, die nämlichen find, welche meiner Bauline den Tod gefchworen hatten. So vernehmen Sie denn, wie ich fie zu entveden hoffe: Als Heinrich dad Ges ipräch der beiden Clenden hörte, hatte ex Zeit genug, ihr Geſicht genauer zu betrachten; flellen Sie ſich feine Ueberrafchung vor, als er in dem Herrn des Meinen Haufes im Walde, wo ich gaft- freundliche Aufnahme gefunden hatte, denjenigen Ihrer Mörder erkannte, ver bei Heinriche Annäherung der ihm gebuͤhrenden Strafs ſich durch die Flucht entzogen Hatte, Wär’s möglih ?... Und dieſer Menſch? ... Konnte Heinrich nicht wiedererkennen, weil bie Zeit zu genauer Betrachtung zu kurz gewefen war; allein «4 mag fein, daß er Verdacht fchöpfte: in der Nacht vor unferer Abreiſe hatte er fein Haus verlaffen. Ich bin überzeugt, er tönnte und von dem, was wir gerne wiſſen möchten, unterrichten; wo ihn ober jezt finden? Das wirk und gelingen, bamım

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zweifeln Ste nicht, Im erfien Augenblid, wo Heinrich mic) damit bekannt machte, weigerte ich mich, einen Menfchen zu beftrafen, der gaftfreunblich gegen mich geweien war; aber jetzt, wo ich von all feinen Verbrechen unterrichtet Bin, will ich ihn entdecken, und follte ich ihn am Ende der Welt fuchen muüffen. Sch werte Ionen beiftehen, Oberfl, und es wirb uns gelingen, bem Gott⸗ lofen die Matfe abzureißen.“

Ueber diefen Punkt einig, dachten bie beiden Freunde, bad Dringendfte ſei, mit ihren Kindern zufammenzuireffen, und ber Oberſt, der in Erfahrung gebracht Hatte, daß Müller und Hein: sich auf bem Schloſſe ſeien, ſchrieb an den erſten und ſetzte ihm das Vorgefallene auseinander. Er trug ihm auf, feinen Kindern das Vergnügen einer fo glüdlichen Nachricht zu bereiten, und ba: mit Alle bälder vereinigt werben, follte Müller ihm und B’Orme- ville mit Heinrich und Pauline entgegenlommen. Nachdem biefer Brief einmal fort war, ſchickten fi der Oberfi und fein Fremd zur Reife nach Schloß Framberg an. Laffen wir fie reifen und Schren wir ins Schloß zurück.

Als Bauline den Brief des Oberſten zu Ende gelefen Hatte, ſtimmte fie in Müllers Freudenausbrüche ein, und ihre Gemütke- bewegung war fo ſtark, daß fie ihr beinahe unheilbringend geworben wäre, und fie aufs Reue den Gebrauch ihrer Sinne verloren hätte.

„Alle Wetter!...“ fagte Müller, Alles in Alarm fepend, „da habe ich mit meinem Teufelskopfe abermals dummes Zeug gemacht, und dafür, daß ich ihr zu viel Freude machen wollte, werde id fie ohne Laufpaß in die andere Welt befördern!... Seiner Be: fuͤrchtungen ungeachtet, kam Pauline wieder zu fih und befand fih beſſer als je. „Ha! Bomben und Granaten !” fprach unfer Hufar zu ihr, „bleiben Sie mir mit Ihren Ohnmachten vom Leibe, fonk verliere ih am Ende noch den Kopf darüber.“

Bauline wollte ſich fogleich anfleiven, um ihren Wohltgätern entgogenzugehen, „Ginen Augenblick!“ fagte Müller, „ih habe

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Teine Luft, Sie unterwegs wieder in Ohnmacht zu fehen, und ba dies leicht vorkommen koͤnnte, reifen wir erft übermorgen, denn Sie find noch zu ſchwach.“

Trotz Allem, was Pauline über ihre Geſundheit jagen mochte, war Müller unerbittlich. „Es thut mir eben fo leid als Ihnen,” fagte er, „benn ich brenne, meinen Oberfi wieder zu fehen, aber ich bin durch Schaden Flug geworben und Sie müffen ſich gedulden.“

Nachdem ber erſte Freudentaumel vorüber war, feufzte Pans line und ſah traurig nad) dem Himmel; Müller feinerfeits ward nachdenklich und legte die Kauft and Ohr, wie er zu ihun pflegte, wenn etwas mit ihm umging. Nach halbftündigem Schweigen blick⸗ ten beide einander an.

„Sch errathe, was Sie mir fagen wollen...” ſprach Müller zu Pauline ; „im erſten Augenblid unferer Freude hatten wir ihn vergeffen ; aber das konnte nicht Iange dauern. Adh!... mo er

fest fein mag ? Er beweint fein Bergehen wie ein Yüßender!. ! D! hätte er ben Muth gehabt, feften Fußes bie Begebenheiten au erwarten, jo würde er und nicht in biefe Verlegenheit gebracht baben!... Denn was werben wir ohne ihn vor ben ung Erwar⸗ tenden thun?. . Was wird mein Oberſt fagen?... Was wirb fein Water fagen, ber ihn bald in feine Arme zu brüden wähnt?... Was werden wir fagen, wenn man und um. bie Urfache feiner Flucht fragt?... Ha! taufend. Schwadronen! ich glaube, ich fürchte mich jest eben fo fehr vor dem Anblid meines Oberſten, als ich vor einer Weile ungebulbig war, mich an feinen Hals zu werfen.” .

Endlich bedachte er, daß er mit Hulfen des Oberſten und dOrmeville's Heinrich Leichter entdecken koͤnne, und ſie alsdann Alle vollkommen glücklich waͤren. Durch dieſe Betrachtungen beruhigt, verſuchte er auch Pauline zu troͤſten, was ihm ohne Mühe gelang. Der Glaube an feine Gründe machte ihr zu viel eranigen, ala daß fie ihn hätte befämpfen wollen ... i

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Die zwei Tage verſtrichen, und Frank, von Müller mit den Surüftungen zur Refe beauftragt, meldete, daß der Reifawagen vorgefahren fei.

„Run, fo reifen wir,“ fprad Müller und ſchickte nad Ban, line. Mittlerweile fudirte er eine Rede für feinen Ober ein, denn er fürdhtete den erfien Angenblid deö Zufammentreffens. Er ging im Hofe auf und ab, trat unter bad Thor, ſchante hinaus ins Freie und fprach bei fich ſelbſt: „Bo iſt jetzt Diefer boͤſe Seiſt?. was treibt er jegi? Ha! wenn er fein Glück Eennte!... Abe nein, er läuft lieber ind Weite und läßt mich finchen, als baf er zu wir zurädiommt...” Diefer Zögling hat mir ſchon manchen Knoten anfzulöfen gegeben.“

Bald kam Banline herab; fie warf wehmüthige Blicke auf Dad Schloß, wo ihr in fo kurzer Zeit fo Manches aufgefloßen war. Müller Half ihr in den Wagen, wobei ex fagte: „Sehen Sie, ich habe eine geheime Ahnung, daß wir bald und fröblicher hieher zurückkommen werben, ald wir auögegangen find. Möchteft Du wahr ſprechen! ...“ erwiberte fie fenfzend.

Müller ſetzte ſich neben fle, Frank flieg als Poftillon auf den Bol, und fo fahren fie ab.

Mur einmal hielt der Reiſewagen zum Pferdewechſel bie Dia: mont an: dort fliegen unfere Reiſenden im Poſthaufe ab, um bie Nacht daſelbſt zugubringen.

Dreiundzwanzigſtes Kapitel.

ßrevelthat, Shidfalslanne. |

Der Gaſthof war mit Reifenden angefüllt ; vie Leute vauntın

hin und her, ohne zu wiffen, wem fie Rebe ſtehen follten. Mile und feine Begleiter Toftste es alle Nähe, bis zum Wirthe durch⸗ zabringen : endlich trafen fie im. | „Horr Wirth,“ redete Müller ihn an, ar nu ſchnel Bin

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mer weil Beiten und sin Rachteſſen. He. Hem.. Hu.. Kuf.. Onfar .. ed ge. . ge.. ed ge. . geſchähe mit vie.. mit viel... Ber . Bergnü.. grü.. gen, aber ed.. Nun was denn ? bemüht Euch, deutlicher zu fprechen. 3.. ih, id habe nur ei.. ein fehr ſchoͤ.. ſchoͤnes mit einem Be. Bett. Nun, dae ſoll ja der Teufel holen! ...“ fagte Müller, „was machen wir va 3” Pauline war inbeß zu ermüdet, um weiter zu reifen; Müller bat fle daher, das noch übrige Zimmer zu nehmen, in der Hoff⸗ nung, er und Franf würben ſchon irgendwo eine Schlafftelle finden, unb wäre ed auch auf einem Dachboden.

Er gab dem Wirth ein Zeichen, fie in das fragliche Zimmer zu führen, denn er wollte es vermeiden, mit ihm zu ſprechen, fo fehr ärgerte ihn fein Stottern.

Bauline warb in ein hübfches Gemach geführt, deſſen Fenſter auf die Straße gingen, und da fie nichts genießen mochte, wünfchte fie Müller'n gute Racht, mit dem Bebenten, er folle morgen früh kommen und fie zur Reife abholen.

Müller und Frank Hatten Teine Luft, ohne Nachteſſen ſich nie derzulegen, deßhalb fragten fie den Wirth, wo fie am ſchnellſten bedient fein würden. „We.. wenn.. die Herren a.. a.. an. bie.. bie.. Bomben und Granaten ! werbei Ihr's einmal ha— ansbringen?... A.. A.. An.. die.. bie Ta.. Zum Teufel mit dem verdammten Stotterer mit feinen a, a, A, Die, Die, Die, Ta, Ta, Ta, und De, We, Ve; pop Schwerenoth ! ih glaube, er belufligt fi damit, uns bie Pſalmen bed Könige David vorzuabecediren!... Je ungebuldiger Ihr werbet, Herr, um fo weniger bringt er heraus,“ fagte Frank. „Das if fehr erfreulich! fo nimm Du ihm eine Erklärung ab, denn mid; wan⸗ delt die Luft an, ihm die Zunge mit Säbelhieben zu Töfen.“

Frank war geſchickter als Müller, der Wirth führte fie zur Table d’höte, wo man zu Macht fpeiöte „Run zu Nackt an die Tablo d'hote geſeſſen, nachher wollen wir an bie Beiten deuten.”

Das Zimmer der MWendtafel war ſtark befept ; beim Cintreten bemerkte Müller indeß, daß ein Mann eiligſt von ber Tafel auf: Rand, fein Schnupftuch vor's Geſicht hielt und aus dem Zimmer ging ; unfer Hufar gab wenig darauf Acht und ſetzte fich an deſſen Stelle.

Müller und Frank faßen eine Weile ruhig bei threm Eſſen, kammerten fi wenig um die übrigen Reiſenden, bie zuſammen ſchwatzten, al& zwei wie Yuhrleute gekleivete Männer ins Gemach traten und Müller und feinem Gefährten gegenüber Platz nahmen.

Nicht Iange, fo entfpann fich ein Geſpräch zwifchen ihnen und den NRenangelommenen ; dieſe ſchienen Lebemänner zu fein, tranfen tüchtig und ſchwatzten viel. Sie brachten Müller auf das Kapitel von feinen Schlachten, und wenn berfelbe einmal im Zuge war, hörte er nicht fo bald wieder auf; fein Kopf erhigte * und et glaubte fich noch mitten im Tumult bed Gefechtes. Die beiden Reis fenden ſchienen feiner Erzählung viel Aufmerkſamkeit zu Schenfen und munterten ihn auf, fortzufahren ; während des Redens wart wader gezeiht und dad Geſpraäch z0g fich. vergeftalt in bie Länge, daß Müller die Nacht vielleicht unter dem Tiſche zugebracdht hätte, wenn er nicht Frank Schon fchnarchend neben fich gefunden hätte.

„Seht zu Bette,” rief er, vom Tifche aufſtehend. Er wanie ein wenig, doch konnte er fich noch aufrecht erhalten. Die beiben Wanderer riefen den Wirth und gaben fich viele Mühe, für Müller und feinen Gefährten ein Zimmer zu finden. Zum Dank Elopfte ihnen unfer Sufar freundſchaftlich auf die Schultern und ſchwur, fle ſeien gute Kerls.

Durch die Sorgfalt der beiben Unbeannten warb ihnen wird lich ein Zimmerchen zu Theil, Freilich nur in den Manfarben, aber fie hätten auf der Bühne gefhlafen... Man geleitete fie hinauf unb bald ſchnarchten fis .in Barmonifchem Berein.

ben ſchlug es zehn Uhr, als Müller am andern Tage et: wachte. „Donnerweiter!“ rief er, „nad ift eins fanbere Kuffühs

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ung ?!... Aber mir fällt auch ein, daß wir geſtern Nacht mit zwei rensfelöferld tranten, wie die Tempelritter. Taufend Bomben ! die verlorene Zeit muß eingebracht werben !*

Damit rüttelte ex Frank, der noch Immer fchlief, und beide leideten fi eiligft an. „Ich Bin gewiß,“ ſprach Müller, „Sräu: ein Pauline wartet fchon mehr als zwei Stunden auf und! Mir vollen und fputen, damit fle nicht länger in Ungebuld if.“

In großen Sägen war er bie Treppe hinab und vor bem Zimmer, wo Pauline gefchlafen. Er Hlopft mehrmals, Teine Ant» wort. „Sie war bed Wartend überbrüffig und geht ohne Zweifel im Garten ſpazieren,“ dachte Müller; fchnell begibt er fih durch ben Hof nah dem Garten. Auf dem Wege trifft er den Wirth, der ihn anhält: „Wo.. wo... geht, gebt ber Herr Hin? Zum . Henker, ich fuche die junge Dame, die in diefem Flügel da fchlief, und nicht mehr in ihrem Zimmer iſt; wahrfcheinlich ging fie in den Garten. Du.. Durch .. Durchaus nicht; der Herr weiß wohl, baß.. daß fie abgereist if. Was, abgereist!... nein, dreifaches Donnerwetter! das weiß ich nicht; aber das Tann nicht fein, fagt, wann ? wie? mit wen? ©o.. fo.. fo eben! Iſt's moͤglich? Mit einem Mann, we.. we.. we.. we., Geht zum Teufel mit Eurem We, We, We,” fchrie Müller, außer fih vor Wuth, und ftößt den Wirth unfanft von fi, der mit dem Hintertheil auf einen großen Hofhund fällt, welcher, durch diefen unverhofften Angriff erſchreckt, den Ruheſtoͤrer in ſein Sitz⸗ leder beißt.

Müller zweifelt nicht, daß dahinter etwas Beſonderes ſtecken müſſe, und entſchließt ſich, ſchnell Paulinen nachzuſetzen. „Welchen

Weg hat ſie eingeſchlagen?“ fragte er ein junges, vor der Thüre ſitzendes Dienſtmädchen. „Die Straße nach Lüneville, Herr.“ Unfer Huſar ſpringt unverweilt auf das erſte Ihm unter bie Hand fallende Pferb und fagt Ipornftreiche auf der Straße nach Lines ville davon.

Baul de Kod. Ill. 12

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„Sie it fo eben erſt abgereist, Kat man mid verſichert, ſprach Müller bei ſich ſelbſt, „alfo kann fle noch nicht ſehr weit fein: ich Hätte auf Frank warten, ihn unterrichten follen!... aber ber vermalebeite Wirth Kat mich auch fo fehr geärgert!”

Während biefer Betrachtungen fam es ihm vor, ald höre er Geſchrei in einiger Entfernung ; ex eilt auf ben Ort zu, woher es fam, und erblidt einen ſtillſtehenden Relfewagen: „Wir wollen einmal fehen, ob es if, was ich ſuche.“ Alsbald ſpornt er fein Bferd zu hoͤchſter Elle; er kommt näher und erfennt eine Frau, die aus dem Wagen fpringen will, aber burdh einen Mann baran verhindert wird. Diefe Frau iſt Pauline, und in dem Mann e: kennt Müller einen von Denen, welche ihm am vorigen Abend mit fo vielem Bergnügen zuhörten. „Ha! zweifacher Berräther! Du font mir's bezahlen,“ rief unfer Hufar und fprengte auf ven: felben los. Aber wie kommt's, daß der Wagen hält? das muf feinen Srund haben.” Degengeklirr lenkt Müllers Blicke auf eine andere Seite, und er fleht zwei Männer in hitzigem Kampfe mit eingnder. „Gut,“ fpricht er, „einer bavon iſt ber Vertheidiger Baulinens !* Aber unfer Hufar ift in Verlegenheit, er weiß nicht, wohin er ſich wenben foll; endlich denkt er, er müfje zuerſt Den: jenigen retten, der fein Leben zu Paulinens Schutz einfepte. Er - eilt daher auf die Fechtenden zu... Aber, o neue Ueberraſchung! ber Eine iſt Herr von Monterranville, dem er ſchon lange gem ben Garaus gemacht Hätte, und der Andere, o unverhofftes Glüchk fein theurer Heinrich, nad bem er fchon fo Lange ſeufzte!

Durch welchen Zufall befand er ſich da und zu fo gelegene Zeit, um die Entführung feiner Bauline durch einen Boͤſewicht zu verhindern, ber fle verberben wollte? das wollen wir dem Lefer im folgenden Kapitel mittheilen ; dazu aber müffen wir zu bem Augen: F surüdgehen, wo fi unfer Held fo plöglih vom Schloß entfernte.

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dierundzwanzigſtes Kapitel. Kurz und traurig.

Man wird ſich erinnern, daß Heinrich fich mitten in der Nacht von dem Schloffe in einem Zuftand von Geiftedvermwirrung ents fernte, ber ihm weber erlaubte, fich zu befinnen, wohin er gehen, noch zu bedenken, was aus ihm werben follte.

Die Erinnerung an fein Verbrechen trübte feine Vernunft und Iaftete fchwer auf feiner Seele. „D, mein Gott!” jammerte er, „der bu mir ein gefühlvoll Herz gegeben, um mit Leivenfchaft zu lieben, und eine Seele, die zu ſchwach ift, um eine verbrecherifche Zärtlichkeit zu überwinden, nimm mir bad Leben oder entferne aus meinem Gedächtniß das Bild Derjenigen, die meine Marter und meine Seligfeit ift, und die mein Vergehen vielleicht ind Grab ſtürzt!“

Nachdem Heinrich einen ganzen Tag über Stod und Stein gelaufen war, vermochte er "der Müdigkeit nicht mehr zu wider: fiehen und ſprach in einer Köhlerhütte ein. Er befand fih nun mitten im Schwarzwald, in ber Nähe von Freudenſtadt. Der arme Heinrich, erſt von einer langen Krankheit erflanden, war außer Stande, fo Herben Schmerz zu ertragen, und faum war er bei dem guten Landmann, ald er zum zweitenmal Frank barnieberfiel. Er Hatte indeß beim Bintritt feinem Wirth tiefed Schweigen über feinen Aufenthalt bei ihm auferlegt, und diefer dad Geheimniß gewiffenbaft bewahrt. Der wackere Hufar ließ es ſich gewiß nicht einfallen, daß fein geliebter Zögling fo nahe bei ihm fei, daß ein hitziges Fieber ihn verzehre und daß er, von Kummer und Leiden nievergebrüdt, als einzigen Beiftand nur einen armen Köhler habe, ber felb an Allem Mangel litt. Müller wäre zu ihm geflogen, um über feine Tage zu wachen, aber bad Schickfal hatte es anders verordnet.

Nach ſechs Wochen war er endlich jo weit geneſen, daß er

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den Schwarzwald verlaffen konnte. Er fagte feinem Wirthe Lebe: wohl und ging weg, ohne zu wiffen wohin. Da er ſich indeß vom Schloß Framberg entfernen wollte, ſchlug er die Straße nach Frank⸗ reich ein und verweilte einige Zeit in Straßburg. Er quartirte ſich in dem Haufe ein, wo er feine theure Bauline wiedergefunden, in fenem Hauſe, wo er bie glüdlichften Augenblide feines Lebens an der Seite Derjenigen genoffen hatte, bie er damals feine Gattin nannte.

Zwei Monate blieb ex bier, dann beichloß ex, zu feiner Zer⸗ ſtreung nach Paris zu gehen. Auch war feine Abficht dabei, Hier He Nachforſchungen nach feinem Vater, ben er fo jehnlich zu Tennen und zu umarmen wänfchte, wieber aufzunehmen. Es war ihm uns befannt, daß fein edler Wohlthäter die Sache bereit über fi ge nommen und zu einem glüdlihen Ende geführt Hatte.

Der Zufall wollte, daß Heinrich in demſelben Gafthofe in Blamont raftete, wo Müller und fein Begleiter abgeftiegen waren. Er faß an der Table d’höte, als diefe in den Saal traten. Hein: rich erfannte fie auf der Stelle, und da er von Müller nicht ge feben werben wollte, ging er, das Sacktuch vor's Geficht Haltenk, ſchnell hinaus.

Er begab ſich in fein Zimmer und bier flel es ihm ein, Pau; line werbe vielleicht Müller begleiten. Seiner Neugierde nicht Meifter,, flieg er hinab in ven Hof, befragte eine Magd vom Haufe, bie ihn wirklich von der Ankunft einer jungen Dame, fo wie fie befchrieb, in Geſellſchaft des Hufaren, unterrichtete und ihm fagte, biefelbe habe in einem Zimmer bes erſten Stods ihr Nachts lager genommen.

In ber Ueberzeugung, daß PBanline, Müller und Frank mit einander reiöten, fuchte er. ben Beweggrund ihrer Reife zu «rs gründen und konnte feinen andern auffinden, als daß fie noch in feiner Verfolgung begriffen feien. Bit dem feften Entfchluß, ſich wicht zu zeigen, ging er wieber in fein Zimmer, unter Beitach.

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tungen über dieſes Zufammentreffen ; aber der Gedanke, feine Pauline ruhe unter einem Dache mit ihm, gönnte ihm feinen Augenblid Ruhe,

Sp wie der Tag graute, war Heinrich auf den Beinen. Das Verlangen, Pauline wieder zu fehen, trieb ihn fort und er flellte ſich vor dem Thore des Gaſthofs auf die Lauer, ungeduldig auf ihre Erſcheinung harrend. Nach ziemlich langem Warten fing fein- Muth zu finfen an, und er wollte gerade den Platz räumen, ala er die fo fehnlich Herbeigewünſchte an ſich vorüberfommen fah ; aber Müller und Frank waren nicht babei: ein einziger Mann, ein Mann, den Heinrich nicht kannte, fchien fie zu geleiten. Er⸗ ftaunt hierüber folgte ihnen unfer Held in ziemlicher Entfernung. Am Saume des Waldes fielen zwei Männer über Pauline her und trugen fie ein paar Schritte weit in einen Reifewagen ; vergebens ſträubt ſich Pauline und fehreit nach Hülfe, fie ift bald im Wagen, und ihr Führer fteigt auf den Bod und peitfcht auf die Pferde [08, die in rafchem Trabe davonfliegen.

Heinrih war Paulinen zu Hülfe geeilt; aber er war zu ſehr entfernt, als daß er hoffen durfte, fie ihrem Entführer abfagen zu Tönnen. Doch Liebe und Wuth geben ihm Flügel, er läuft mit folcher Geſchwindigkeit, daß es ihm Bald gelingt, den Wagen ein: zuholen. Nun fchreit er dem Poftillon zu, er ſolle anhalten: da dieſer nicht auf ihn Hört, fondern feinen Meg fortfept, greift Hein: rich zu dem einzigen noch übrigen Mittel, feine Freundin zu retten: er feuert eine Piftole auf den Kutfcher ab, und biefer ſtürzt tobt nieder auf den Weg.

Da hielt ver Wagen fogleich ftill ; ein Mann fteigt wie rafend heraus und fpringt mit dem Degen in ber Hand auf Heinrich (06 ; diefer erkennt ihn, es ift Herr von Monterranville, der Mörder im Walde. „Komm her, SIender !” rief er ihn zu; „Eomm her und empfange ben Lohn Deiner Schandthaten.“

Feften Fußes erwartet er feinen Gegner und beibe fallen ein:

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ander mit gleicher Wuth an; in diefem Augenblid fand ſich unfer Hufar auf dem Kampfplape ein.

Sünfundzwanzigfies Kapitel. Blüädlihes Zufammentreffen.

„Sa! ba! ... Galgenſchwengel!“ fchrie Müller, auf die Kämpfenden zueilend, „Du wagſt, Dich mit meinem Zöglinge zu meſſen! Warte, warte, wir wollen Dir zeigen, ob unfere Klingen fharf find.“

Aber er kam zu fpät, um noch dad Vergnügen zu baben, ſelbſt drein zu fchlagen, denn während er fprach, erhielt Herr von Monterranvilfe von Heinrich einen Degenflich, der ihn zu den Füßen umfere® Huſaren nieberfitedte.

„Bravo! braun! Lieber Heinrich,“ fagte Müller, feinen Zoͤg⸗ Unge um ben Hals fallend; „nun find Sie meiner ganz würbig, denn ber Schurke focht wie ein Rafender. Aber da ſehe ich noch Einen das Hafenpanier ergreifen. Ah! der ift für mich.”

Mit diefen Worten galoppirt Müller dem Zliehenden nad, demfelben, ber Pauline währen bed Kampfes bewacht hatte, aber ducchgegangen war, fobald er feinen Herrn niebergeftredt ſah. Da ex einen ſtarken Vorſprung Hatte, wäre er ihm entfommen, hätte nicht unfer Huſar in der Ferne eine Poſtchaiſe von der Seite heran: rollen fehen, auf welche ver Fliehende zufprang. Verſperret ihm den Weg! Haltet den Schurken feſt! ...“ fchrie Müller ſogleich. Sei e8, daß man ihn verfland oder daß man errieth, was er fagen wollte‘, der Wagen hielt, zwei Männer fleigen aus und verfperren dem Ylüchtling den Weg. Cr ift bald gepackt: Müller geht auf bie Reifenden zu, ihnen feinen Dank abzuftatten und wirft fi bem Oberft Framberg und feinem Freunde, denn biele waren es, an bie Brufl.

Der Ober und d'Ormeville, überrafcht durch biefes feltfame

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Zufammentreffen, richten taufend Fragen an ihn. „Kommt,“ ſprach 7, „folget mir, Ihr werdet fie fehen und faubere Geſchichten über ven Schurken von Monterramville hören! ... doch wollen wir den ba nicht entfommen laſſen!... Bon ihm wollen wir alle Um: fände der Entführung vernehmen.“.

Die beiden Freunde verfiehen nichts von dem Allem, folgen aber Müller'n nichtödefloweniger .auf den Kampfplak, wo Heinrich den Schreien feiner geliebten Pauline ftillte. Dex arme Heinrich war außer fih vor Freude; ein Wort von ihr war hinreichend gewefen, ihn glüdlich zu machen; fi ihm in die Arme werfend, hatte fie aefagt: „Du bift nicht mein Bruder !*

„Sieh, da iſt Dein Bater,” ſprach fie, als fie d'Ormeville erkannte. „Wär’s möglich ? großer Gott! ... Sie find’s...“ Und fchon lag Heinrich in den Armen bed Urhebers feiner Tage.

Die allgemeine Freude grenzt bi8 an den Wahnfinn ; ver Oberſt, v’Ormenville, Heinrih, Pauline, Müller herzen einander: nun find fie vereinigt! Sie dürfen ſich alfo Tieben, es ift fein Verbrechen

mehr, nach fo vielem Kummer, jo vielen Wiberwärtigfeiten! Ihr _

gebeugtes Gemüth vermag biefed Uebermaß von Glück kaum zu ertragen, und Thränen der Rührung füllen ihre Augen.

„Ah! ... taufend Millionen Patronen, wir find Sieger !“ rief Müller, indem ex feinen Tſchako hoch in die Lüfte warf, aber nicht ohne Mühe, denn der Plab Hat ſich lange gehalten.“

Als ſich die erſten Ausbrüche der Freude etwas gelegt hatten,

dachte man an die Weiterreife nah Schloß Framberg; doch ein -

klaͤgliches Stähnen erregte ihre Aufmerkfamleit : fie erblicten ven Herrn von Monterranville, der noch athmete und Durch Zeichen be⸗ deutete, man möchte ihm zu Hülfe kommen.

„Man darf diefen Menfchen nicht liegen laffen,“ fagte der Oberſt; „feine Geſtaͤndniſſe koͤnnen und von großem Nutzen fein und und endlich über das Herkommen unjerer geliebten Pauline in’s Klare fegen.“ -

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Alles ſtimmte dem Oberft bei, und man verfügte fidh zu bem Berwundeten. „Sch fühle,“ fprach er, „daß ich nur noch wenige Augenblicde zu leben habe; da aber meine Erklärungen die Ber mögenöverhältniffe diefes jungen, vielfältig von mir verfolgten Frauenzimmers begründen werben, fo führet mich an ben nächften Drt, und dort will ich Euch vor dem Notar die Geſchichte meines jämmerlichen Lebens erzählen, wenn mir noch die Kraft dazu bleibt.” Man that, was der Sterbende begehrte; Müller und Frank fers tigten eine Tragbahre, auf- welche man ihn legte. Der Boftillen war tobt und wurbe auf bem Platz gelaffen, bis die Gerechtigkeit ſelbſt an Ort und Stelle Unterfuchung anftellte ; den andern Spieß

geſellen des Verwundeten führte man mit fich nach Blamont, von wo man nicht fehr entfernt war.

In der Herberge angelangt, ließ der Oberft einen Kt, einen Notar und Zeugen kommen. Der Arzt erklärte nach Beftchtigung der Wunde des Herrn von Monterranville, daß verfelbe nur noch wenige Augenblicke zu leben habe, und daß man biefe benüken müffe, wenn man feiner Ausfagen bedürfe. Alles verfammelte fih fogleih im Zimmer bes Kranlen, ber nicht ohne Mühe folgende Grzählung lieferte:

Geſchichte bes Seren von Monterrauville.

„Jetzt, wo der Tod Über meinem Haupte fchwebt, wo mein Weſen feiner Auflöfung nahe ift, ſchaudere ich zurüd, wenn id mir all die Verbrechen wieder vorführe, zu welchen Reid und Hab: gier mich antrieben!... Die Binde vor meinen Augen iſt gefallen! ... Gewiſſensbiſſe zerfleifchen mein Inneres! ... und ich vermag mir feine Täuſchung mehr zu machen!... Ach! ... wie ſchrecklich find fie, vie letzten Augenblide des Verbrechers!... Tein Troft bleibt ihm mehr!... Die Welt, von der er fiheibet, blickt ihm mit Abs ſchen nah! ... und Fein Andenfen an eine gute That wildert feine Qual.

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„D Du intereffantes Weib, das ich feit feiner Kindheit ver- folge! ... wie fehr wirft Du erröthen, wenn Du in dem Blenden, den Du vor Dir haft, Deinen Oheim erkennſt! ...“

„Meinen Obeim!.. .“ rief Bauline überrafcht. „Ihr Oheim!“ wiederholen alle Anwesenden. Der Berwundete winkte, man möchte auf ihn Hören, und fuhr folgendermaßen fort:

„Mein wahrer Name ift Droglusfi; ich bin in Smolenst ge boren ; der Palatin, mein Vater, war unermeßlich reich und hatte feine andern Kinder, als mich und meine Schwefter, die zwei Jahre jünger war. |

„Don meiner zarteften Kindheit an nährte ich den tödtlichften Haß gegen dieſe Schwefter, weil ich vorausfah, daß ich bag reiche Erbe unfered Vaters, deffen alleinigen Befig mich meine Habgierbe wünfjchen ließ, mit ihr werde theilen müfjen.

„Das Unglüd wollte, dag ich einen gewiffen Stoffar in meine Dienfte nahm, den nieberträchtigften Boͤſewicht, den je die Erde getragen. Da er meinen Haß gegen meine Schwefter gewahrte, fchmeichelte er meinen Leidenschaften, wußte mein Zutrauen zu ges winnen und warb bald mein innigfter Vertrauter.

„Bellisfa, meine Schwefter, war täglich der Gegenftand meines Neides und meiner Bosheit; ohne Klage ertrug fie alle meine Quaͤlereien und Plagen. Allein fei es, daß mein Vater darum wußte, fei ed, daß er meinen heimtückiſchen Charakter durchſchaute, er fchrieb mir ein Drittel feiner Güter zu, gab das Uebrige meiner Schwefter und befahl mir, die Gegend zu verlaffen, die er bewohnte.

„Ruth im Herzen, Rache brütend entfernte ich mich und kaufte unfern Bilna ein Meines, einfam ftehendes Schloß, wohin ich mich mit Stoffar zurückzog, um ungehindert über die Mittel nachzu> finnen, wie ich die Verabſcheute verderben Tönne.

„Ungefähr ein Jahr war ich in dieſem Schloß, als ich ben Ton meines Vaters vernahm. Weit entfernt, mich über diefe Nach: richt zu betrüben, vermehrte folche nur meinen Haß für Belliska

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und befärkte mich in meinen Racheplanen. Sie war damals eine

der reichten Erbiunen Rußlands und ihr Vermögen der Gegenſtaud al meiner Hoffnungen, denn dad mir Zugefallene hatte ich ſchon größtentbeild verpraßt.

„Während ich mit Stoffar über die Maßregeln berieih, die wir ergreifen follten, vermählte ſich meine Schwefler mit einem jungen, ruffifchen Offizier, den fie liebte. Diefe Nachricht verdop⸗ pelte meine Berzweiflung. „Wir haben zu lange gezögert, gu biger Herr,““ ſprach Stoffar, „„iept müfen Sie handeln und meinem Rathe folgen. Begeben Sie fich zuerft zu Ihrer Schwerter, Rellen Sie fi, als hätten Sie die obgewalteten Zwiftigfeiten ver: geſſen und begeigen Sie ihr bie zartefte Freundſchaft.““

„R befolgte diefen Rath, ohne gerade zu wiſſen, welches fein Plan war. Meine ſtets gütige Schwefter empfing mich offenen Armen und ſtellte mir ihren Gatten vor, der mich gleid: falls aufs Schmeichelhaftefte aufnahm. Sie Inden mich ein, einige Zeit bei ihnen zu bleiben ; ich fagte zu.

„Bald wurden indeß unfere Plane noch weiter durchkreuzt durch die Geburt eines Toͤchterchens, welchem meine Schwefter das Leben gab und den Namen Glisfa beilegte. Du warft es, unglüdlide Bauline!... und mit Deinem Eintritt in die Welt ſchwur ich Dir unerbittlicden Haß.

„Der Zufall, der meine Plane zu begünftigen fchien, wolle, daß der Graf Benjowsfi, Dein Vater, zur Armee berufen wurd, um an ber Spige feined Regiments gegen die Schweben zu Fämpfen. Mit bitteren Thränen ſchied meine Schwefler von ihrem Gemafl, der mich aufforderte, fie während feiner Abwefenheit nicht zu ver laffen und ihr Befchüger zu fein. Ich verſprach's... Ach! er mußte nicht, welchem Ungeheuer er fein Theuerſtes vertraute !

„Der Unftern, der über Belliska waltete, ließ ihren Gatten im erſten Treffen getöbtet werben. Die Nachricht hievon erfüllte mid mit Freude; ich fah mich dadurch eines Hinderniffes zu meinem

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Gluck entledigt; ich war ed mübe, eine Freundfchaft für meine Schmefter zu heucheln, die meinem Herzen fo ferne lag; überbiee wollte ic ihrer Reichthümer genießen, und Stoffard fagte, es fei nun Zeit zu handeln.

„Jetzt werdet ihr vor Abfchen zurückſchaudern!... Doch ich kann das Belenntniß einer fürchterlihen Schandthat nicht länger verfchieben. Bernehmet alfo, daß ein vergifteter Trank mich für immer von der Verhaßten befreite... Ihr ſchaudert? ... Hört mich zu Ende!

„Um jedem Verdacht auszumeichen, trug ich Sorge, nur ein Iangfam wirkendes Gift zu nehmen. Mein Opfer fchleppte fich daher gegen ſechs Monate herum, ehe es flarb. Während dieſer Zeit verdoppelte ich meine Aufmerkfamfeiten gegen fie, um ihr Bertrauen deſto beſſer zu gewinnen.

„Als meine Schweiter ihr Ende heranuahen fühlte, hegte ſie die Ueberzeugung, daß der Gram über den Tod ihres Gatten fie ins Grab führe. Sie beſchied mich an ihr Sterbebett, empfahl mir ihre Tochter, ernannte mich zu deren Vormund und ftarb, ohne geahnt zu haben, daß ihr Bruder ihr Mörder fei.

„Run binderte mich alfo nur noch das Dafein der kleinen Eliska, die Reichthümer meiner Schwefter zu erben. Ich nahm fie mit mir in mein einfames Schloß, um dort über ihr Schickſal zu befchließen. Stoffar rieth mir, fie umzubringen ; aber durch ein Uebermaß von Borficht, das mir unheilbringend ward, wollte ich irgend einen unglüdlichen Fremdling, deffen Schwaghaftigfeit wir nicht leicht zu fürchten hätten, mit diefem neuen Verbrechen belaften.

„Sie erinnern ſich, mein Herr,” fagte Droglusfi, fih an d'Ormeville wendend, „mie Stoffar Sie entvedte und Sie für paſſend zur Ausführung unferes Vorhabens erachtete. Wir mußten, daß Sie in oͤſterreichiſchen Dienften fanden, wir hielten Sie für einen Oefterreicher. Bel meiner Abficht, nach Frankreich auszu⸗ wandern, fürchtete ich nicht, Sie je wieder zu treffen ; zudem fahen Sie mid bei Ueberlieferung des Kindes nur maslirt.

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Nachdem die Sache einmal abgemacht war, gab ich meine Richte für todt aus und nahm die ganze Erbfchaft meiner Schwefler in Befig. Mein fehnlicäfter Wunfch war, ein Land zu verlaflen, dad mir all meine Miffetbaten ins Gebächtnig zurüdrief: ich ver äußerte: daher fchnell meine Güter und ging mit Stoffar nad Frankreich.

„Unweit Straßburg kaufte ich das Fleine Händchen, bad ihr kennt; feine vereinzelte Lage fagte mir zu, und ich zog mich auf einige Zeit dahin zurüd, wenn ih mich an den Vergnügungen und Ausſchweifungen überfättigt hatte, denen ich mich in Paris mit meinem wärbigen Bertrauten unaufhörlidh hingab.

- „Sept habe ich euch nur noch die Begebenheiten zu erzählen, an denen ihr Theil nahmet. Eines Tages erkannte Etoffar zu Straßburg in Herrn d'Ormeville Denjenigen, dem wir dad Kind meiner Schweſter anvertraut hatten. „„Den müflen wir und vom Salfe ſchaffen,““ fagte er aldbald zu mir; „„benn er Eönnte mid früher ober fpäter treffen und erfennen, dann wäre ich verloren.“ Bor diefer neuen Schandthat bebte ich zurück; aber ich fürchtete Stoffar zu fehr, um ihm zu wiberfiehen, und Ihr Tob warb beichloffen. |

„Der Himmel ließ indeß die Vollſtreckung dieſes Verbrechens nicht zu; Sie wurben durch ben jungen Mann, den Sie Sohn nennen, gerettet, und Stoffar blieb auf dem Plage. Sch aber flüchtete mich in meine Wohnung, ziemlich vergnügt, ich geftehe eö, meinen Spießgefellen Io8 geworten zu fein.

„Mehrere Monate nach diefer Begebenheit kamen Sie, mein Herr,” ſprach er zu Heinrich, „in mein Haus, um den Herrn Oberf abzuholen. Ihre Berwirrung, Ihre Aufregung bei meinem Anblid entgingen mir nicht; ich flellte mir vor, Sie werben mich fennen, und ich Taufchte Ihrem Geſpraͤch mit jenem tapfern Hufaren zu, um meine Bermuthungen zu beftätigen. Raum hatte ich euch gehört, ‚ale ich den Kopf verlor und mitten in ber Nacht bie Flucht ergriff.

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„Als ich von meinem Schreden wieber etwas zu mir gelommen ax, befchloß ich zu erforfchen, was Sie thun und ob Sie mir u fchaben fuchen. Demzufolge verfleidete ich mich ald Bauer und olgte Ihnen auf Ihrer Reife mit Ihrem Freunde Müller.

„Sie begaben ſich ind Schloß Framberg und ich hielt mich nr der Umgegend ‘auf; bald erfuhr ich Ihre Liebe zu Derjenigen,

jie Sie für Ihre Schwefter hielten, und als ich hörte, daß ber Bater ber jungen Berfon den Namen Chriftiern geführt, Offizier jet und fie aus Rußland mitgebracht Habe, da zweifelte ich nicht mehr, ed fei meine Nichte,

„Bon nun an wurbeft Du, Pauline, der Gegenfland meiner ganzen Aufmerffamfeit, und ich ſchwur, Dich in meine Gewalt zu befommen, da ich zu fehr fürdhtete, daß, wenn Du Deinen Bes ſchützer wieder fändeft, ed ihm gelingen möchte, mich zu verberben.

„Durch vieled Gold hatte ich zwei Elende für meine Abfichten gewonnen, aber ed war nicht leicht, Dich vom Schloffe zu ents führen; ich war indeß auf dem Punkte, ald Du mit Müller und Frank abreisteft.

„Ih folgte euch auf dem Fuße, aber erſt in dieſem Gafthof fand ich Gelegenheit zu Ausführung meines Planed. Meine beiden PVertrauten übernahmen ed, Deine Gefährten, welche unfer Unter: nehmen vereiteln Tonnten, betrunfen zu machen.“

„Ha! bie Schurken !“ fiel Müller ein. „Wer hätte das ges dacht ?.

‚Am andern Morgen Tlopfte ber eine von ihnen an Deiner Thüre; ed war fchon ſpaͤt und Du warteteft ſchon lange auf Deine Meifegefährten: er fagte Dir, fie hätten den etwas beſchaͤdigten Wagen rebariren laſſen und erwarten Dich einige Schritte von ba.

Du glaubteft e8 und ließeſt Dich in die gelegte Falle führen, wos durch Alles gelungen wäre, wenn Dir der Himmel nicht, meiner Verbrechen müde, Befreier zugeſandt hätte !“

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Schoundzwanzigfies Kapitel. Schluß.

Bier ſchloß Herr von Monterranville, oder vielmehr Drogluski, feine Erzählung, weldye bie Zuhörer lebhaft ergriffen Hatte. Der Rotar hatte fie Wort für Wort niebergefchrieben, der Verwundete unterzeichnete, indem er noch beifegen ließ, daß feine Nichte feine einzige Erbin fei und ben Meft feines ungeheuern Vermögens, vor dem er erſt drei Viertel verſchwendet habe, in bem Häuschen im Walde finde.

Nachdem dieſe Angelegenheit zu Ende gebracht war, verließen unfere Freunde einen Menfchen, deſſen Anblie ihnen nur peinlih fein Tonnte, beſonders PBaulinen, bie er fo nahe anging. Kaum waren fle jeboch weg, als fle erfuhren, ex habe feinen Tegten Geufger audgeftoßen.

„Bünfche gute Nacht,“ ſprach Müller, „ich hoffe, wir werden

einander nicht mehr begegnen.” Pauline weihte feinem Gedaͤchtniß einige Seufzer, nicht daß fle Die geringfte Zuneigung für ihn haben fonnte, aber es war ber einzige Verwandte, den fie je gekannt

Nun hielt unfere Freunde nichts mehr in Blamont zurüd, fi machten fi daher nach Schloß Framberg auf den Weg, wo fe ben andern Tag eintrafen.

Mit welch’ trunkener Freude fahen fie die Orte wieber, -w Jedes von ihnen fo viele Erinnerungen fand! Der Oberft mt d'Ormeville vereinten die beiden Liebenden. Hymen bebedte hie Behltritte Amors. Heinrich und Pauline, enblih zum Glüde ge langt, verließen ihren Vater und ihren Wohlihäter nie; ber gut: Müller brachte fein Leben an ihrer Seite zu, betrank ſich öfter und fluchte viel; aber man muß Dem wohl einige Fehler vergeben, deſſen Seele fo ſchoͤne Tugenden beherbergt.

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Inhalt.

Erſtes Kapitel. Reife, Unfall, Abenteuer Zweites Kapitel. Die Grafen von Framberg „Dritted Kapitel. Elementine . .

Bierted Kapitel. Der Mann, wie eb wenige sißt Fünfter Kapitel. Heinrichs Erziehung .

GSechdted Kapitel. Dad Pachthaus und ber Heuboden

Siebented Kapitel. Empfang des Oberften . Achtes Kapitel. Der Gcheimnißnolle. Neuntet Kapitel. Abermald ein Heuboden . Zehntes Kapitel. Hannchens Tante . . Elfted Kapitel. Florenz . oo. Zwölftes Kapitel. Rom .

Dreigehntes Kapitel. Fortſetzung der Vorhergehenden

Vierzehntes Kapitel. Paris

Künfzehntes Kapitel. Ein Abenteuer anderer Art Sechzehntes Kapitel. Wiederfinden . . Siebenzehnted Kapitel. Wer hätte dab gebadht ? .

Achtzehntes Kapitel. Ein Romanlefer bat ed ſchon errathen Reunzehnteb Kapitel. No ein Augenblid ber Freude Zwanzigſtet Kapitel. Die Liebe führt nicht Immer zum Guten Einundzwanzigfted Kapitel. Glück. D'Ormeville's Geſchichte Zweiundzwanzigſted Kapitel. Wenig intereſſant, aber nothwendig Dreiundzwanzigſtes Kapitel. Frevelthat, Schickſaldlaune

Bierundzwanzigfieß Kapitel. Kurz und traurig

Fünfundzwanzigftes Kapitel. Glückliches Bufemmentsefen, —D

bed Herrn von Monterranville. Sechtundzwanzigſtes Kapitel. Schluß.