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Sitzungsberichte

der

Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Philosophisch-philologische und historische Klasse

Jahrgang 1916, 6. Abhandlung

Peire Cardinal

ein Satiriker aus dem Zeitalter der Albigenserkriege

vor)

Karl Vossler

Vorgetragen am 2. Dezember 1916

München 1916 Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften

in Kommission des G. Franz'scben Verlags (J. Roth)

III

Vorwort.

Durch 16 Monate Heeresdienst unterbrochen und durch die Unerreichbarkeit wichtiger ausländischer Quellen gehemmt, trägt diese Arbeit vielerlei Spuren des großen Krieges, die ich in absehbarer Zeit zu tilgen nicht hoffen kann. Eine kritische Ausgabe der Lieder Cardinais ist vor Jahren schon von Rene Lavaud in Aussicht gestellt, aber noch immer nicht veröffentlicht worden. So habe ich mich mit den mannigfach zerstreuten durch den Druck veröffentlichten Texten und Va- rianten behelfen müssen. Einige Abschriften aus der Hand- schrift D in Modena habe ich durch die Güte des Kollegen Giulio Bertoni erhalten. Wertvolle Winke haben mir auch Alfred Pillet, Emil Levy und Paul Lehmann gegeben. Ihnen und besonders Herrn Dr. Johann Georg Leimeiste r an der Münchener Hof- und Staatsbibliothek bin ich für ihre bereitwillige Hilfe zu Dank verpflichtet.

Unter den bedeutenderen Trobadors ist Cardinal der am wenigsten erforschte. Wie lohnend es aber in wissenschaft- licher und menschlicher Hinsicht ist, sich in seine Lieder und seine Persönlichkeit zu vertiefen, kann, wie ich hoffe, diese Skizze zeigen.

IV

Inhalt.

Vorwort ....

I. Das Minnewesen 11, Rügedichtung gegen die Großen

III. Der Beruf des Satirikers

IV. Frömmigkeit und Kirchlicbkeit V. Geistlicli- weltliches Lebensideal

VI. Albigenserkrieg und Politik VII. Persönliche und versteckte Satire Vlll. Die Geistlichkeit . IX. Der Künstler .... Anhang ..... Nachweis der erörterten Lieder

Seite

III

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I. Das Minnewesen.

Die Pessimisten sind nicht häufig unter den Trobadors. Die meisten" von ihnen tun als wäre immerzu Sonntag und Liebesfrühling. Wenn je der Ernst des Lebens sie erfaßt, wenn sie alt, unglücklich und fromm werden, so pflegen sie zu verstummen und sich von der Welt zurückzuziehen. Nur wenige, wie Marcabru z. B. oder wie Bertran von Born, er- kennen auch die dunkeln, die wilden und kriegerischen Seiten des Daseins; aber sie haben selbst daran als an einer Würze des allzu süßen Lebens ihre Freude. Von gelegentlichen Aus- brüchen des Mißmuts bleiben freilich die bestgelaunten Sänger nicht frei; herbe und gar grimmige Sirventese sind uns in stattlicher Anzahl erhalten; aber von Weltschmerz und tieferer Müdigkeit finde ich die ersten Spuren wenn man sich von den Todesseufzern schmachtender Minnediener nicht will täu- schen lassen erst bei einem verhältnismäßig späten Troba- dor, bei Peire Cardinal. Sein ältester Biograph, Miquel de la Tor, erzählt, daß „er wohl hundert Jahre alt sein mochte als er starb", so daß der Wurm etwas langsam an ihm genagt hätte. In der Tat, wenn man der Stimmung seiner Lieder nachspürt, so findet man eine zögernde, allmähliche Loslösung von den natürlichen Freuden und Leiden, ein schrittweises Er- kalten und Ermüden der inneren Teilnahme am menschlichen Treiben, eine nur langsam erstiegene Lebensferne.

Geboren in der malerischen Stadt Le Puy, in einer Ge- gend, deren liebliche Romantik durch den Schäferroman des Honore d'ürfe verherrlicht ist, stammt Peire Cardinal aus ritter- lichem Geschlecht. „Als er ein Knabe war, brachte der Vater ihn in die Canorguia major del Puei; dort lernte er schreiben und übte sich wohl im Lesen und Singen. Und wie er er-

Sjtzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1916, 6. Abb. 1

^ G. Aldiuiullun;,': K;irl Vü:i.sler

wachsen wai-, L^tii«'! •^'i" sicli in der Eitelkeit dieser Welt, denn er fühlte sich i'roh, schön und jun^ und erland ^ar schöne Texte und scheine Gesänge und dichtete Kanzonen, aber nur wenit^e." \)

Diese Jugenddichtung kann wohl nur in die Jahre vor Ausbruch des Albingenserkrieges (1209) gesetzt werden. Im Jahre 1204 ist uns ein Petrus Cardinalis als „scriba" des Grafen von Toulouse urkundlich bezeugt.^)

Von Trobadors, die zu dem Hofe des Grafen Raimon VI. von Toulouse (1194 1222) in Beziehung standen, sind Rai- mon de Miraval, Aimeric de Peguilhan, Aimeric de Belenoi, Ademar lo Negre, Gui de Cavaillon und Gausbert de Puycibot neben unserem Cardinal zu nennen. Besonders die drei erst- genannten^) gehören zu den galantesten Sängern der Spätzeit. An dem alternden Raimon de Miraval konnte Cardinal aus nächster Nähe beobachten, wie die Minne ihre leichtfertigen Diener zu Gecken und Narren macht. Dieser Trobador stand in einem süßlichen Freundschaftsverhältnis zu dem Grafen von Toulouse, den er seine Aldigard (mon Audiart) zu nennen und in Liebesangelegenheiten zu beraten pflegte. Alle drei aber waren Meister des geistreichen Tändeins mit den gekünstelten Formen und Motiven des höfischen Minnesangs. Wie hätte in einer solchen Umgebung nicht auch der junge, im Schrift- tum wohl bewanderte Cardinal dergleichen versuchen sollen?

^) Peire Cardinais si fo de Veillac, de la ciutat del Puei Nostra Domna; e fo d'onradas gens de paratge e fo filhs de ca valier e de domna. E cant era petitz, sos paires lo mes per quanorgue en la quan- orguia major del Puei; et apres letras, e saup ben lezer e chantar. E quant fo vengutz en etat d'ome, el s'azautet de la vanetat d'aquest mon, quar el se sentit gais e bels e joves. E mot trobet de belas razos e de bels chantz; e fetz cansos, mas paucas. So erzählt Miquel de la Tor. Hist. generale de Languedoc X, Toulouse 1885, S. 269. Die Fortsetzung der Vida S. 10 f., Anm.

2) Vgl. Hist. de Languedoc X, S. 370, Anm. 8.

3) Vgl. Hist. de Languedoc VII, S. 441 ff. die Note LVIl von P. Meyer, les Troubadours ä la cour des comtes de Toulouse und P. Andraud, la vie et Toeuvro du Troub. Raimon de Miraval, Paris 1902. Bes. S. 33-35.

Peire Cardinal 3

Uns freilich sind nur die bitteren Nachklänge dieser Jugend- dichtuncf erhalten. In fünf Gedichten hat er seine Abkehr vom Minnedienst gesungen.^) Als erstes dieser Gruppe darf man vielleicht das folgende ansprechen:

Lo segle vei chamiar,

per que * ra lais de chantar,

mais qe per ren que sia,

que silh que solon dar

vei sofraitos istar

e querer tota via.

[Et] eu que soilh m'amia

e mos bras noit e dia

e tinir e baisar,

car non o pois [plus]^) far,

gardas cals es ma via.

o

Ma vida, so me par, non pot gaire durar qu 'en tal istamen sia, car eu soil chavalchar e soen vestirs far, e gran legor n 'avia, c'ara non sai qe sia iois ni chans ni amia. Be m dei desconertar per mala senhioria.^)

^) Es sind nach der Zählung in Bartschs Grundriß zur Geschichte der prov. Literatur, PJlberfeld 1872, die Nummern 335, 6, 7, 11, 35, 50.

^) Hs.: non o ppois far.

**) Karl Appel, der diese zwei Strophen aus der einzigen Hs. D^ ver- öffentlicht hat (Poesies prov. ined. tirees des Ms. d'Italie, Paris und Leip- zig 1898, S. 64 ff.), bezweifelt Cardinais Verfasserschaft und hält das Stück für eine späte Nachahmung von Bertran d'Alamanons Nr. 76, 11, das seinerseits mit Gui d'Uisel Nr. 194, 16 und Fraire menre Nr. 159, 1 ver- wandt ist. Gewiß kommt der Hs. J) keine sonderliche Glaubwürdig- keit zu, wie sich denn auch unter die dort erhaltene Sirventesensamm- lung Cardinais ein Lied des Bernhard von Ventadorn eingeschlichen hat.

1*

fi. AblmiKllun^': Karl V'os.sler

Die Welt verändert sich, drum ])in ich müde nun um jeden Tand zu singen. Die Freigebigen sind in ofiner Armut jetzt und müssen selber bitten. Und ich, der ich die Liebste bei Tag und Nacht zu küssen in meinen Armen hab nun ich es nicht mehr darf, seht, was ist das ein Leben!

Mein Leben, wie mich dünkt, kann mir in diesem Stil nicht lange weitergehen. Gewohnt zu Rosse ich und reich zu kleiden mich, im Überflüsse immer, seh ich mir nun entschwinden Lust und Gesang und Liebe und sollt' getrösten mich so schlimmen Regimentes!

Vgl. A. Mussafia, Del codice Estense di rime prov. Sitzungsberichte der k. k. Akademie der Wiss. philos.-histor. Kl. Bd. 55, 1867, S. 400 ff. und G. Bertoni, Le Ms. prov. 1) et son histoire in den Annales du Midi, XIX, S. 238 ff. Aber die metrischen Gründe Appels überzeugen mich vor allem deshalb nicht, weil mir das Lied des Bertran d'Alamanon Lo segle m 'es camiatz alle Kennzeichen einer erweiternden und komplizierenden Nach- ahmung unseres in Frage stehenden viel einfacheren Stückes zu haben scheint. Daß in dem strophischen Schema der Reim auf -atz nur des- halb, weil er in den drei anderen Gedichten vorkommt, ursprünglicher sein soll als der auf -ar, der nur in dem des Cardinal steht, will mir nicht einleuchten. Nach Salverda de Grave, Le troubad. B. d'Alamanon, Tou- louse 1902, S. 41 ff., hätte Beitran sein Sirventes zwischen 1252 und 1262 gedichtet. Wenn unser Stück eine Nachahmung davon wäre, so müfste es in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden sein und könnte, wie Appel überzeugend darlegt, dem Cardinal schwerlich mehr zuge- schrieben werden, denn, nach menschlichem Ermessen kann er es nur

Peire Cardinal 5

Er scheint sich dennoch getröstet zu haben. In dem Lied Ben tenh per fol e per muzart (Nr. 11)^) ist er im Begriff die Bitterkeit des Verzichtes zu verwinden.

Seine Freundin, sagt er, habe ihn verraten, bleibt aber so ruhig dabei, daß man zweifeln darf, ob er damals eine ge- habt hat und nicht vielmehr einen Kasus konstruiert, um die Sache, die ihm kein Erlebnis mehr war, als grundsätzliche Frage abzuhandeln. Er kommt zu dem Schluß, daß die echte Minne auf Gleichheit und Gegenseitigkeit in der Treue wie in der Leistung beruht.

Qui dona mais que non rete, ni ama mais autrui de se chauzis avol partia . .

Wer hingibt mehr als er behält und andre mehr liebt als sich selbst, erwählt die schlechte Hälfte.

Froh sich selbst zu gehören und nicht mehr den Launen einer Kokette ausgeliefert zu sein, kann er nun mit spieleri- schem Scherz das ganze Minnewesen verlachen. Er parodiert es in dem Lied Ar mi posc eu laiizar d'amor (Nr. 7)^) und tut als lägen alle galanten Eitelkeiten bergetief unter ihm. Dabei kann er sich mit Wiederholungen, Häufungen der Worte und Alliterationen der übertriebensten Art nicht genugtun und klammert sich an den ohrfälligen närrischen Zierat einer sinn- lichen Kunst, deren Geist er sich rühmt überwunden zu haben.

als junger Mann, also ungefähr in den ersten Jahren des 13. Jahrhun- derts gedichtet haben. Dem Inhalte nach schließt sich das Lied, wie Appel selbst zugeben muß, zwanglos und natürlich an andere ähnliche Äußerungen Cardinais über die Minne an. Es liegt somit kein stich- haltiger Grund vor, um D zu mißtrauen und Cardinais Verfasserschaft zu bezweifeln.

*) Gedruckt bei Raynouard Choix des poes. orig. des troub. III, 436, Mahn, Werke der Troub. II, 210 und Parn. occit. 306.

2) Gedruckt bei Rayn. Choix 111, 438 und Mahn, Werke II, 209 u. in Bartsch» Chrestomathie provenyale^. Sp. 172 f.

6 C. Abhandlung : Karl Vossler

Mail l'ühlt, tlaü der lluiiior noch nicht rein und der Künstler noch nicht frei ist. Etwas Ähnliches gilt von dem Kügelied gegen höfische Liebedienerei Aqucsta (jcns quan son en lor gaieza (Nr. 6)^), das mit Alliterationen, mit Binnenreim und Wortspiel gespickt, ein sittliches Ideal von Minne (fma amors) und höfischem Leben gegen die entartete Wirklichkeit auf- stellt. Befangen und mifimutig gegen weibliche Buhlerei er- scheint der Dichter auch in dem groben Couplet noch, mit dem er dem Hugo de Maensac die Freude am Frauendienst vergällt.^) Einen höheren Standpunkt aber hat er mit dem Liede S'leu fos amat^ o ames (Nr. 50)^) erstiegen. Da ich einen kritischen Text davon nicht zu geben vermag, muü der Leser sich mit einer sinngemäläen Übersetzung begnügen:

Liebt' ich oder würd' geliebt, sang' ich wohl von Zeit zu Zeit. Aber, da es so nicht ist, wüiät' ich nicht, wovon ich sang'.

Hab ja keinen Grund.

Doch mir liegt im Sinn:

ich versuch einmal

wie ich singen will, wann ich eine Liebste hab.

Von der Welt der feinste Buhl wollt ich meiner Freundin sein. Wenn sie gleich nicht willig war, blieb' ich immer doch ihr Knecht.

Schon einmal geliebt

hab ich ja und weiß

^) Vgl. dazu den Anhang I.

2) Siehe P. Meyer, les derniers troub. d. Provence, Biblioth. d. l'ecole des Chartes, T. V., 6. serie, Paris 1869, S. 274 f. Ebenda S. 475, Anm. 3, wird eine minnefeindliche Strophe mitgeteilt, die in der Hs. /' unter Car- dinals Name steht, aber ohne Bedeutung ist.

3) Mahn, Gedichte Nr. 1248 und 1249. Das Schema der Reime ist auf Grund. der gedruckten Hss. J und M nicht wiederherzustellen.

Peire Cardinal 7

wie der Liebe Brauch, wie ich lieben muß, wenn ich noch einmal es will.

Dem, der Liebe säen wollt' lohnte sie mit reicher Frucht: für ein Körnchen gab' sie drei, mehr als zehn für eine Gunst,

zwanzig für ein Halb,

und aus einem Glück

sprießten hundert auf,

bis ich jubelte: „Tausendfältig ernt ich nun!"

Doch es sinkt der Minnedienst, weil der Edle drin verliert, der Gemeine nur gewinnt, und die hochgepriesne Frau

läßt den Edeln flehn,

schenkt dem Schlechten sich.

Schmeichler wird belohnt,

Edelmann gefoppt, Drum hab ich kein Frauenlob.

Um eine so lieblich geschwungene Gefühlskurve zwischen Wunsch und Verzicht, Erinnerung und Entsagung zu ziehen, muß man im Herzen ein Veteran und in der Phantasie noch Jüngling sein.

Daß er das letztere geblieben ist, mag das merkwürdige Spottlied gegen Esteve de Belmon beweisen Un sirventes tra- metrai per message (Nr. 68), das, wie man es immer datieren will, zweifellos erst nach 1212 gedichtet wurde. ^) Nachdem Cardinal Verräterei, Zerstörungswut und Habsucht der Geist- lichkeit, insbesondere des Esteve aufs Blut gegeißelt hat, macht er in der Schlußstrophe für seine Person das Geständnis, daß ihm der Sinn nicht nach Besitz, wohl aber nach den Umar-

') Vgl. Anhang 11.

^ G. Ahhaiidlunj^: Karl Vossler

iiiungen t'iiRT uiiborührten Jungfrau stehe. Jhichstiiblich oder gar moralisch M ist dieser an und für sich wenig charakter- istische Wunsch kainu zu nehmen, ich glaube, er gewinnt seinen tieferen humoristischen Sinn, wenn man bedenkt, wie der ijfeizijje Esteve sich in der Liebe mit einem rotliaarijjen alten Weib zu begnügen pflegte.*)

Es scheint, daü Cardinal weniger durch Enttäuschungen und bittere Erlebnisse als durch Vernunft und Selbstbesinnung sich langsam, ohne Haß und Gewalt, aus den Netzen des Minnewesens gelöst hat. Er ist nie, soviel wir wissen, zu eifernden oder rohen Ausfällen gegen den Frauendienst ver- schritten, wie Sittenprediger und alte Sünder tun. Wo er die Minne tadelt, hat er es auf deren Entartung in Buhlerei und Prostitution abgesehen.^) Im übrigen gelten ihm Liebe und Fröhlichkeit geradezu als sittliche Mächte.

leu laus e pretz bon' amor drechureira

ab cortes faitz et a bei' esperansa,

non ges amor falsa ni messorguejra

que 1 derriers caps repren la comensansa

aqueP amors que notz als amoros,

que on mais serf meyns val lo guazardos,

amors que merma on plus si enansa.*)

Ich lobe hoch die gut' und rechte Minne, die schöner Hoffnung ist und edler Sitte, doch nicht die falsche, lügnerische Liebe, deren Beginn dem Ende widerstreitet, nicht jene, die den Liebenden betrügt,

^) Appel, poes. prov. ined. tirees des mss. d'ltalie, S. 65.

2) Vgl. die 4. Strophe des Sirventes D'Estcve de Belmon nienueia (335, 19. Mahn, Gedichte 762 und 763).

3) Vgl, 335, 30 Las amairitz, qui encolpar las voJ (Nr. 78 in Appels prov. Chrestomathie) und 335, 63, Strophe 5 Domneis es nielhuratz mot fort (Rayn. Choix IV, S. 441 f. und Mahn, Werke 11, S. 199) und 335, 39, Strophe 5 (Lexique roman, S. 454 und Mahn, Werke II, 8. 228).

*) 335, 24, Strophe 4 (Mahn, Gedichte 1241, 1242).

Peire Cardinal ^

wo langer Dienst den Lohn verkürzt, nicht jene, die im Wachsen kleiner wird.

Ja, ich finde bei Cardinal sogar was bisher niemand meines Wissens, beachtet hat einen Ansatz zu der mysti- schen Auffassung Amors als eines religiösen Wesens.

Caritatz es en tan belh estamen, que Pietatz la resenh e la clau, Vertatz la vol, Dreitura la congau, Merces la te, e Patz la vay seguen;

Poders la defen

Sabers Fes amicx

e Bontatz abricx

sus, el gra aussor

ab lo dieu d'amor, cuy esperitz arm atz ve ab los huelhs clars de la fe!^)

An einem schönen Ort wohnt Caritas, von Mitleid ganz beschlossen und umringt, Wahrheit und Recht besuchen, grüßen sie, und Gnade steht ihr bei und Friede folgt;

Macht verteidigt sie,

Weisheit ist ihr Freund,

Güte ist ihr Schirm

Droben in der Höh,

wo den Gott Amor der gestärkte Geist erblickt, dem der Glaube klärt das Aug.

Vor diesem allegorischen Hofstaat findet ein Streitgespräch zwischen Recht und Unrecht (Dreitz und Tortz) statt, und das Gedicht schließt mit einer Widmung an edle Liebende:

*) 335, 13. Raynouard, Lex. rom. I, S. 457 und Mahn, Werke II, 215 f.

1 1) 6. Abhandlung: Karl \' ossier

A belli aniador

(jue II belli' ainor a (lonat son cor e se ai donat m'amor e me.

Feinen Liebenden,

die der feinen Lieb' ihre Herzen weih'n und sich, weih' ich meine Lieb und mich.

Man fühlt sich auf jene geheimnisvolle Kanzone Dantes hingewiesen, wo, ebenfalls in Gegenwart des Liebesgottes, die Gerechtigkeit ihre Klage führt: Tre donne hitorno al cor mi son venute. Amor, dessen übliches Gefolge Cortezia, Laryeza, Jois und Solatz waren, in die christliche Gesellschaft von Cari- tas, Misericordia, Justitia und Fax zu bringen, konnte nur ein philosophisch und theologisch gebildeter Trobador sich bei- kommen lassen. Vielleicht ist Cardinal der erste, der es getan hat. Seit der berühmten ersten Predigt des hl. Bernhard in festo annunciat'ionis heatae Mariae virginis ist in der mysti- schen Literatur das Schema des Rechtsstreites vor versammelten christlichen Tugenden beliebt.^) Die unmittelbare Quelle Cardi- nais ist mir leider nicht gelungen zu finden.

IL Rügedielitung gegen die Grossen.

Indem Cardinal vom Minnesang sich abwendet, um nur das Rügelied und die Lehrdichtung noch zu pflegen, gelangt er in eine Art Mittelstellung zwischen Trobador und Kleriker. Ob er ausübender Priester war, ob er je den geistlichen Stand, für den er erzogen worden, verlassen hat, wissen wir nicht. Äußerlich scheint er am Leben des Hofes, zuerst im Gefolge Raimunds VI., dann des VII. von Toulouse teilgenommen zu haben. Sein Biograph erzählt, er habe die besondere Gunst des Königs Jakob I. von Aragon genossen.^) Da dieser länger

*) Vgl. Giulio Salvadori, Sulla Vita giovanile di Dante, Rom 190G, S. 175 flf.

^) . . . e fetz mans sirventes, e tiobet los molt l)els e bons. En los quals sirventes deniostrava niolt de bcllas lazos e de bels exemples, qui

Peire Cardinal 11

als 60 Jahre regiert hat (1213 1276), so ist für eine zeit- liche Begrenzung der Tätigkeit unseres Dichters wenig damit anzufangen.

Das Gegebene für Cardinal war es, an die Kunstübung anderer Trobadors, die sich in der moralischen und persön- lichen Rügedichtung hervorgetan hatten, anzuknüpfen. Man sollte erwarten, daß er sich dabei vor allem an diejenigen hält, die, wie er selbst, halb Trobador, halb Kleriker waren. Dem ist nun aber nicht so. Marcabru lag ihm zeitlich und auch, was Stil und Stimmung betrifft, ferne. Einige volkstüm- liche einfache Strophenformen könnte er ihm entnommen haben, ^) sowie die längst zum Gemeinplatz gewordene Gegenüberstel- lung von wahrer und falscher Minne (flna amors und drudaria). Auch zu Peter von Auvergne steht er in keinem näheren Ver- hältnis, so sehr die gelehrte und geistliche Richtung dieses Sängers ihn hätte anziehen müssen.^) Viel stärker und nach- haltiger läßt er sich von dem junkerhaften Bertran von Born beeinflussen. Geradezu sklavisch ahmt er ihn nach in dem Kriegslied Tcndatz e traps, alcuhas, pahalhos (Nr. 56), das, obgleich nur lückenhaft überliefert, ziemlich deutlich auf eine bevorstehende Belagerung von Lectoure hinweist.^) Eine offen-

ben los enten, quar molt castiava la foUia d'aquest mon; e los fals cler- gues reprendia molt, segon que demostron li sieu sirventes. Et anava per cortz de reis e de gentils barons, menan ab si son joglar que can- tava SOS sirventes. E molt fo onratz e grazitz per mon seignor lo bon rei Jacme d'Aragon e per onratz barons. Et ieu maistre Miquel de la Tor, escrivans, fiiuc a saber qu'en Peire Cardinais, quan passet d'aquesta vida, qu'el avia ben entorn de cent ans. Et ieu sobredig Miquel ai aquestz sirventes escritz en la ciutat de Nemze. Hist. gen. de Languedoc X, S. 269.

^) Es handelt sich hauptsächlich um die Stücke 335, 27 und 42. Im übrigen vgl. F. W. Maus, P. Cardinais Strophenbau in seinem Ver- hältnis zu dem anderer Troub. Marburger Ausg. u, Abhandl. 1884.

'^) Nur das Reimschema zu 335, 20 scheint dem Peter von Auvergne (De josta 1s breus jorns e ' Is loncs sers, Nr. VI in Zenkers Ausgabe) ent- lehnt zu sein.

^) Das Vorbild ist Bertrans Miei sirventes Nr. 26 in Stimmings kleiner Au.sgabc, Halle 1913.

1- (). Althiimllung: Karl Vonbler

kiiiuli^'e Naclihildiin^r von Hertniiis berUljinteni Scliliichtgesan^ 1)( )n ]>l(tf.: lo (/(lis f(ni2)s di pascor ist ferner Cardinais Anc mais tan (/m )w vi venir pascor (Nr. 4), vorausfresetzt, dali ihm ^^il•klic•ll die Verfasserschaft zukommt.*) Durcli ihren scho- nun<,^slosen, wiUlen ilohn erinnern besonders die drei Sirven- tese, die Cardinal gegen einen gewissen Stephan von Belmon geschleudert hat (Nr. 19, 65 und 68 [= 22]), an Bertran von Born. Hier allerdings wird die Nachahmung freier und laut sich, wenn man vom Ethos absieht, nur an einigen Äußerlich- keiten noch erkennen, an Strophenbau und Keim oder an der herausfordernden Wiederholung des Namens zu Anfang jeder Strophe.^) Auch in den scharfen Ausfällen gegen die Feinde der Albigenser klingt hin und wieder der drohende Kriegs- ton Bertrans noch an.^) Demgegenüber tritt der mildere und gebildetere Meister des Sirventes, Giraut von Bornelh,

*) Das Lied ist in den Hss. C und F enthalten, von denen die erste es dem Cardinal, die zweite dem Bernart Arnaut de Moncuc zuweist. Mögen auch einige stilistische Gesichtspunkte für Cardinal sprechen (vgl. Maus a. a. 0. S. 61), so könnte doch ebensogut, ja noch eher, F recht behalten. Das Reimschema scheint einem Lied des Aimeric von Pegul- han (15) Seih que s^irais ni guerreya ab Amor entlehnt zu sein, das, der letzten Strophe zufolge, nach der Kaiserkrönung Friedrichs IL (1220) ge- dichtet ist. Daß der metrisch so wenig erfinderische Cardinal sich das Schema selbst gezimmert hat, ist ebenso unwahrscheinlich, wie daß er nach 1220 noch Lust zu Kampfgesängen hatte. Der höchst unchrist- liche Wunsch

Belh m'es quan vey bojer e pastor van si marrit qu 'us no sap vas o s'an, . . . wenn er gleich nur eine Reminiszenz aus Bertran de Born ist, muß im Munde Cardinais, des Fürsprechers der Armen, aufs höchste befremden. Viel besser könnten wir ihn bei Bernart Arnaut verstehen, da er in seinem zweiten Liede: Fr quan U rosier uns wiederum als ein kampf- lustiger und sehr grimmiger Herr erscheint.

2) Man vergleiche Cardinais D' Fsteve de Belmon m'euueia (Mahn, Ged. 762 und 763) mit Bertrans Bassa, tan creis e monta e poia.

^) Cardinais Per fohls tenc Polles e Lomhartz (40, Mahn, Werke II, S. 194) ist in Strophenbau und Reim nach Bertrans Ges de far sirventes vo m tartz gearbeitet. Ausschließlich formal ist der Zusammenhang zwischen Cardinais Totztemps azir falsedat et enyan (57, Mahn, Werke II, S. 11)5) und Bertrans Quan Ja novela /lors par tl verjan.

Peire Cardinal lo

einigermaßen zurück. Vielleicht war er ihm zu schwatzhaft, zu gutmütig, nicht scharf genug. Eigentümlich mutet es an, zu sehen, wie Cardinal seine Verhöhnung des Minnedienstes Ar mi posc eu lauzar d'amor ganz in den Reimen und dem Silbenmaß von Girauts berühmtem Liebestraum vom gezähmten Falken (No pos sofrir) gefertigt hat. Sogar die Melodie hat er übernommen,^) seis aus Bequemlichkeit, seis um sein Vor- bild zu parodieren. Ein andermal entlehnt er die metrische Form für ein sarkastisches, versteckt persönliches Straf lied (Varcivesques de Narhona Nr. 29) einer braven, ziemlich ein- tönigen und hausbackenen allgemeinen Moralisation des Giraut (Tals gen prezic' e sermona). Freilich, auf moralischen Gemein- plätzen begegnen sich die beiden. Man könnte unschwer eine stattliche Liste von Sprüchen aufstellen, in denen jeder von ihnen mit etwas anderen, z. T. auch ähnlichen Worten unge- fähr das gleiche lehrt: nämlich daß mit dem Verfall der ritter- liehen Minne Freigebigkeit, Fröhlichkeit, Wahrhaftigkeit, Groß- mut und alles Gute aus der Welt entschwunden und Geiz, Raub, Trug und Lug zur Herrschaft gelangt seien. ^) Während aber Cardinal in diesen Mißstand sich tief und tiefer hinein- wühlt, bis er zu einer pessimistischen und dualistischen Welt- anschauung kommt, weiß Giraut sich leicht zu trösten und be- ruhigt sich bei der irdischen Mischung von Licht und Schatten. Wo jener voll Ironie ist, hat dieser nur gutmütigen Humor. Ganz und gar nicht nach Cardinais unversöhnlichem Sinn klingt der Grundsatz des Giraut:

Que no m'azaut de trop sen, n'en trop foldat no m'enten. Pero sens, pretz e folia chascus a sas vetz

1) Beck, Die Melodien der Troub., Straßburg 1908.

'^) Wie oft kehren bei Cardinal die Gedanken wieder, die Giraut in seinen Sirventesen Per solatz revelhar, Tals gen prezich' e sermona und No' s pot sofrir ma Jou/a (Nr. 65, 67, G9 bei Kolsen) ausgesprochen hat; aber die Stimmung, und auf diese kommt es in der Dichtung an, ist nicht mehr dieselbe.

1-» ('). AbluiMilliiii},': Karl V'u.ssler

(|ui Ix' Is iisst'iiihla iii'ls tria, segoii iiio V('i:iire.^j

Zuviel Weisheit mag ich nicht, zuviel Narrheit trag ich nicht, Weisheit, Tugend, Narrheit haben

jedes seine Zeit, wenn man's richtig mischt und scheidet:

so ist meine Meinung.

Gerade damit, dalA jedes Ding seine Zeit hat, dalä Gut und Böse in buntem W^echsel durcheinanderlaufen und alle Werte nur in irdischer Trübung sich verwirklichen, kann Car- dinal sich nicht abfinden. Zu tief schon hat er spekuliert, um das Leben noch nehmen zu können, wie es ist. Mit dok- trinärer Schärfe faiat er es an. Alles zergliedert sich ihm in Schein und Sein, Wahr und Falsch, Gut und Böse, Wert und Unwert. Statt der Dinge sieht er deren Begriffe und Ideale und kann zu der W^irklichkeit kein freundliches Verhältnis mehr gewinnen. Bald wird die Lust am Abstrahieren ihn un- glücklich machen.

Zunächst mag es nur ein spielerischer Trieb seines Ver- standes gewesen sein, was ihn bewog, die üblichen alten The- mata der Lehrdichtung wieder aufzugreifen; und er mag sich gefreut haben, wie viel klarer, leichter, eleganter, übersicht- licher ihm das Räsonieren von der Hand ging, wie viel besser als Marcabru und Peter von Auvergne er mit Begriffen und Worten fertig wurde, wie viel schärfer und spitzer als dem Girant von Bornelh ihm die Antithesen und Parallelen gelangen.

Dieses Bemühen, mit Anmut und Leichtigkeit die Strenge des Tadels und die Höhe der Sittenlehre vorzutragen, tritt mehr oder weniger in sämtlichen Liedern Cardinais zutage, am handgreiflichsten aber in einer Gruppe von Sirventesen, die ohne fühlbare und nachweisliche Bezugnahme auf bestimmte Personen und Verhältnisse die durchschnittliche und allgemeine

^) Nr. 49, Strophe 3 in Kolsens Ausgabe.

Peire Cardinal 1^

Niederträchtigkeit der weltlichen Gesellschaft, insbesondere der Großen und Reichen rügt, also das alte seit Marcabru be- liebte Thema behandelt. Es sind gegen zwanzig Gedichte, die gewiß nicht alle derselben Zeit angehören, denn in den einen herrscht noch die Rittermoral vor, während in den an- deren, offenbar späteren, die Denkart des Geistlichen mehr zur Geltung kommt, ^) Wie dem auch sei, das Bedeutsame liegt für uns zunächst darin, daß Cardinal sein Auge ganz auf die Widersprüche, Gegensätze, Paradoxien, Unstimmigkeiten des menschlichen Treibens einstellt, daß er fast ausschließlich mit objektiven Kontrasten arbeitet. Die Begriffspaare: Schande und Ehre, Nehmen und Geben, Reich und Arm, Unrecht und Recht, Verrat und Treue, Lüge und Wahrheit, Narrheit und Weisheit, Mißmut und Frohsinn, Hochmut und Bescheidenheit wird er nicht müde, auf vielerlei Art in Reih' und Glied zu bringen.

Si tortz fos dretz, ni enians lealesa,

ni tolres dars, ni lagz peccatz merces,

ni amt' honors, ni cobeitatz largesa:

als crois malvatz fora * 1 segles ben pres. (Nr. 8, Str. 5.)

Oder: Si tolre fos caritatz

e messonguas fosson vers e si pezars fos plazers et erguelhs humilitatz

e tortz chauzimens et enueg essenhamens e malvolers amistatz: assatz son de pozestaz que pogron caber ab Dieu per aital poder. (Nr. 33, Str. 2.)

E'l sen tenon a folhia

e*l dreit tornon en biais. (Nr. 41, Str. 1.)

^) In der Hauptsache sind es die Nummern 2, 3, 8, 17, 18. 20, 24, 32, 33, 34, 3G, 38, 39, 41, 45, 46, 49, 57, 61.

G. Aliliaiitllun;,': Karl Vossler

(^iie dels vicis cuion siaii vertut

0 (lel mal ben, so lor es a veiaiie. Que Is pros son blasman eis malvatz prezan. (Nr. 2, Str. 3.)

.... als toledors a cui sens par foillia

e blasmes lauzors e tortz far gaillardia

et anta honors et enois cortesia

e donars dolors

e tolre doussors

e chans Fautrui plors e ioi Fautrui feunia

e Fautrui ciamors. (Nr. 38, 2.)

.... barons mesquis, paubres d'amor e de feunia ricx, sors en erguelb, en valor deschazetz, amicx de tort e de Dieu enemicx.

trebalh dels bos e dels layros abricx, cautz de tortz far, e de caritatz frez, ricx en raubar, et en donar mendicx.

(Nr. 20, Str. 1 u. 2.)

Hom Dieu temens non aura ia nessieyra, e 1 non temens aura greu aondansa, car Fus es larcx e viu de sa paubreyra, Fautr^es avars en sa melhor estansa.

que'l gran avers ten son don cossiros,

e Ih bon'amors alegre e ioyos. (Nr. 24, Str. 2 u. 3.)

Assatz es viltatz de condugz e de blatz.

Peire Cardinal 17

mas d'amor es falensa

e de fagz honratz; et es petit amatz hom paubres e coytatz, e troba bevolensa

lo rics e-1 sobratz. (Nr. 32, Str. 5.)^)

Lo sabers d'aquest segle es foudatz . . . Qu'eu vei qu'il ric son savis apellatz e * 1 paubre son fols e caitius clamatz

La riqueza d'est segl'es paubretatz.

(Nr. 34, Str. 1 u. 2.) Rics hom, quan vai per carreira, el ha una companeira, Malvestat, que vai primeira e mejana e derreira; e grans Cobeitatz enteira

li fai companhia, En Tortz porta la senheira

et Orgolhs la guia. (Nr. 45, Str. 2.)

Deissen Valors e dechai quascun dia,

et Engans sors e nais e multiplia;

^) Derselbe Gedanke fast in denselben Worten in dem von Appel, Provenz. Inedita, Leipzig 1890, S. 332, herausgeg. Stück 461, 236, Str.4.

Assas es pel mon grans vieutatz

de rrix maniars e de condut,

ciaras aiguas s'un corregut,

de blatz e de vins s'a viutatz,

mas d'amor a gran failliraen

e de fatz d'onor, veramen,

ez homps paures ven en azir

e decassatz, si ver vol dir. Ob Cardinal oder einer seiner Nachahmer der Verfasser ist, läßt sich nicht entscheiden.

Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1916, 6, Abb. 2

Ib G. Aldiandluiij^': Karl V'osaler

e mor Amors el iiion, e nais Feunia,

et es lauzors blasmes, e sens folhia. (Nr. 46, Str. 5.)

Que ' Is US dechai Lialtatz mantas vetz,

e'ls autres sors Eiijans e Malai'es. (Nr. 57, Str. 1.)

Die Beispiele ließen sieb gewaltig vermehren, wenn wir in andere Gruppen hinübergreifen und sie aus den gegen die Minne, gegen die Geistlichkeit, gegen einzelne Personen ge- richteten Sirventesen, aus den Sermons und Ensenhamens un- seres Dichters herausholen wollten. Ein Lied unserer Gruppe aber ist geradezu eine Sammelstelle begrifflicher und sprach- licher Antithesen und Parallelen (Nr. 49).

Ricx hom que greu ditz vertat e leu men, e greu vol patz e leu mov ochaizo, e dona greu e leu vol qu'om li do, e greu fai be e leu destrui la gen, e greu es pros e leu es mals als bos, e greu es francx e leu es orgulhos, e greu es larcs e leu toi e greu ren, deu cazer leu d'aut luec en bas estatge.

De tals en sai que pisson a prezen et al beure rescondo's dins maizo; et al manjar no queron companho, et al talhar queron en mais de cen, et al ostal son caitiu e renos, et a tort far son ric e poderos; et al donar son de caitiu prezen, et al tolre fort(z) e de gran coratge.

Malditz es hom qui ' 1 ben laissa e'l mal pren,

e l(s) ric(x) an pres enguan e tracio,

et an laissat condug e messio;

et an pres dan e gran destruzimen,

Peire Cardinal 19

et an laissat lays e vers e chansos; et an pres plaitz e novas e tensos, et an laissat amor e pretz valen, et an pres mal voler e far outrage.

Aissi cum son maior an meyns de sen ab mais de tort et ab meyns de razo, ab mais de dan tener, ab meyns de pro, ab mais d'orguelh, ab meyns de cauzimen. ab mais de tolr' et ab meyns de bels dos, ab mais de mais, ab meyns de bels respos, ab mais d'enueg, ab meyns d'ensenhamen, ab mais d'enguan, ab meyns de bon coratge.

Ära diguatz, senlior(s), al vostre sen de dos barons quäl a maior razo, quan l'us dels dos pot dar e tolre no, l'autre pot tolr'e dar no pot nien: ar diran tug que dars val per un dos, e veyretz los tolre totas sazos; a que far doncx van emblan ni tolen, pus lo donars a dos tans d'avantage?

Mos cbantars es enueg als enoios

et als plazens plazers, cui platz razos;

tug li dig son enoios e plazen:

so qu'als us platz als autres es salvatge.

Versmaß, Keime und Melodie zu dieser frostigen Morali- sation hat Cardinal einer galanten Huldigungskanzone des Rai- mon Jordan (404, 11) entlehnt. Sein Eigen ist weder die Form noch der Gedankengehalt. Nur in der hartnäckigen Freude am Unterstreichen und Häufen der Gegensätze liegt die persönliche Note. Dazu bedient er sich vorzugsweise syntakti- scher Mittel,^) zuweilen auch des Reims, des Binnenreims^)

1) So in Nr. 21, 66, 31, 6, 12.

2) Binnenreim hat man in Nr. 2, Str. 5, Nr. 6, Str. 4 nnd 5, Nr. 51. Durch Reim sind die Antithesen besonders in 36 unterstrichen.

2*

*20 Ü. Abliandlun^': Karl Vossler

und der Alliteration.*) An und für sich sind solche Kunst- griffe nicht neu, wie überhaupt, was das Formale, Akustische und Musikalische betrifft, Cardinal sehr wenig erfinderisch war. Unter den 69 Gedichten, die Bartsch als dem Cardinal gehörig in seinem „Grundrila*' aufführt, liat Maus nur etwa neun ge- funden, deren Strophenbau im besten Falle originell sein könnte. Inzwischen haben Appel und Ristori drei weitere Entlehnungen festgestellt.^) Von den drei unter Cardinais Namen erhaltenen Melodien sind zwei als übernommen erwiesen. Viel eher als schöpferisch ist Cardinal virtuos in der äui^eren Form. Es fehlt ihm an tiefem Empfinden für sprachliche und melodische Harmonie. In dieser Hinsicht steht er weit hinter Marcabru, Bernhard von Ventadorn, Arnaut Daniel, Peirol u. a. zurück. Man möchte sagen, es fehlt ihm die Andacht zum Laut und Klang. Wohl kennt er deren Wirkung und weiß sie auszu- nützen; aber er tut es mit einer Absichtlichkeit, die bald als Effekthascherei, bald als geriebene Respektlosigkeit und Ironie gegen die sinnlichen Schönheiten der Dichtkunst und des Ge- sanges anmutet. Er soll ja auch seine Lieder nicht selbst ge- sungen, sondern durch einen Spielmann haben vortragen lassen. Wir haben gesehen wie er ein Spottlied gegen den Frauen- dienst nach der Melodie eines Liebestraumes gehen ließ; und immer wieder macht dieser bittere Intellektualist gerade bei den süßesten Melodikern und Sprachkünstlern, bei Bernhard von Ventadorn vor allem, ^) bei Rudel, Vidal, Faidit, Peirol u. a. seine Anleihen. Eines seiner grimmigsten und berühmtesten Straflieder gegen die Geistlichkeit Taratassa ni voutor (Nr. 55) hat Strophenbau und Reim von Bernhards Liebeslied Era'm cosselliatz, senhor, ein Gesang der Menschen Verachtung D'un sirventes faire no'm tuolh (Nr. 17) geht nach Bernhards Can par la flors josta'l vert folJt. Erst in seinen spätesten Dich-

*) Vgl. Martin Scholz, Die AUiteration in dor prov. Lyrik, Zeitschr. für rom. Thil., Bd. 37 (1913), S. 418f.

2) Siehe Appel, Provenz. Inedita, S. 227, Poes. prov. ined. S. 67 und Beck, Die Melodien der Troub.

3) Vgl. Bern, von Vent. Ausg. Appel, Halle 1915, S. CVIlIff.

Peire Cardinal 21

tuiigen scheint Cardinal auf diese unreinen, buhlerischen Wir- kungen verzichtet zu haben. Kaum ein anderer Trobador ist in den Anforderungen an die Form sich selbst gegenüber so ungleich gewesen. Bald erscheint er gesucht im höchsten Grad, bald ebenso nachlässig. Das eine Mal kann er am Reim- geklingel sich nicht genugtun, ein andermal begnügt er sich mit unvollkommenem Gleichklang und Assonanz.^) Allerlei Strophen, von den geklügeltsten bis zu den volkstümlichsten, hat er versucht.

Von dieser Seite her ist seiner Eigenart schwer beizu- kommen, denn eher als ein sinnliches war er ein philosophi- sches Temperament.

Wenn wir zu der oben bezeichneten Gruppe seiner allge- meinen Rügelieder zurückkehren, so finden wir, seinen Vor- gängern gegenüber, das Neue vor allem darin, daß er nicht aus mißmutiger Stimmung oder Laune, nicht aus persönlichem Arger, sondern aus sittlichem Haß und moralischem Ethos schöpft. Es sind keine Temperamentsausbrüche wie bei Mar- cabru, keine Elegien wie bei Girant von Bornelh mehr. Auch von plötzlichen Übergängen aus den eigenen Angelegenheiten zu denen der menschlichen Gesellschaft, wie Vidal sie liebte, ist wenig mehr zu merken.'^) Der Dichter steht überhalb der Dinge, ist kühler, klarer, weniger mit sich selbst beschäftigt und eben darum den allgemeinen Werten, dem Idealen, viel zugänglicher. AIP seine Vorgänger im Rügelied stehen sich mit ihrer Subjektivität selbst im Licht. Er erst versteht es, beiseitezutreten, und ist, dank dieser Sachlichkeit, der Meister einer Satire geworden, die nicht aus wandelbarem Belieben, sondern aus den Unstimmigkeiten, Mißverhältnissen und L-ratio- nalitäten der menschlichen Welt selbst hervorgeht. Der stummen

^) Z. B. in Nr. 27 marrida : ajuda, tempre : ventre, tremblas : rendas, esforsas : remordas : deportas, enfrunas : enduras, delieitas : penras und in dem Lehrg-edicht T)e paraidas es c/rans mercatz escout : mot.

*) Vgl. meine Studie über Marcabru, Sitzungsberichte der K. B. Aka- demie der Wissenschaften 1913, 11. Abb. S. 22. Das einzige Gedicht Car- dinals, bei dem die einheitliche Idee nicht ersichtlich ist, dürfte Nr. 30 Las amairitz sein.

'_'_* (i. Abli.iiitiliiii;: : Karl V ussler

Ironie, die den Dingen innewohnt, verhilit er zur Sprache. Vor ihm war das Sirventes hald Loblied, bald Schniählied, manchmal beides zu<^leich. Durch ihn wird es in eine be- schaulichere Klarheit, in eine Luft, die keineswegs milder, aber ruhiger, durchsichtiger und schneidender ist, erhoben. Er tritt nicht als Ankläger und Verteidiger, sondern wesentlich als Richter, Kritiker und Arzt auf. Er zeigt die tiefsten Schlag- schatten der Welt, indem er sie mit dem Lichtstrahl der Ideale trifft.

Zwei Gedanken vor allem, die keineswegs neu. aber doch in der höfischen Satire nicht die herrschenden waren, bringt er zur Geltung. Während vor ihm die Trobadors gegen die allgemeine Habsucht und Unredlichkeit ihrer Zeit die ritter- liche Freigebigkeit, Freudigkeit und Off'enherzigkeit entschwun- dener Tage auszuspielen pflegten und der traurigen Gegenwart eine goldene Vergangenheit vorhielten,^) stellt Cardinal die Spiegel des Todes und des Jenseits auf. Es vollzieht sich bei ihm der Umschwung von der lebensfreudigen Kittermoral zu einer überweltlichen Wertung, die dem Hofwesen zwar nicht feindlich, aber wesentlich strenger gegenübertritt. Wohl for- dert auch Cardinal noch die Grolsen und Reichen zum fröhlich spendenden Genüsse auf, aber selbst bei dieser Ermunterung schon arbeitet er mit dem Todesgedanken.

Unhöfiscli ist und allem Preis abhold,

feindlich dem Lob und guten Ruf bei Hof

der Mensch, der das Geschenk für Sünde hält,

das man dem Spielmann macht, durch den der Ruhm

der Tüchtigen zu schöner Geltung kommt.

Denn Großes hat ein Mensch noch nie vollbracht

ohne Geschenk. Und hat nicht Gott gewollt,

man solle jedem Bettler Gutes tun?

Es weiß der Ärmste und der Reichste nicht, ob morgen er noch lebend ist. Vielleicht

^) Als typisch dafür galt und gilt das Sirventes des Girant von Bornelh Per solatz reveilhar.

Peire Cardinal 23

lebt er solang bis er bedürftig wird

und nur zum Arger noch den andern lebt

und ehrlos unter seinen Nachbarn steht.

Denn Zeiten gibt es, wo der Gießbach schwillt,

die Brücke überflutend mit Gewalt

und dann verläuft das Wasser sich zu nichts.

Ich weiß kein Jahr, daß es nicht Sommer ward und nicht ein rauher, böser Winter kam und so kein Mensch, dem Freude und Geschenk geworden ohne Schmerz und bittern Gram, wenn er's erlebt. Ein Narr drum, wer nicht eilt. Edles zu tun solang es ihm vergönnt. Denn, ist er tot, ich glaub, sein Erbe wird gerade ihm zulieb sich kaum bemüh'n.^)

Allmählich oder auch plötzlich man merkt es kaum und weiß nicht, wie es zugegangen ist erscheint an Stelle der höfischen Freuden die Fröhlichkeit in Gott: und damit treten an Stelle der Großen und Adeligen die kleinen Leute, die Ar- men, als die wahrhaft weisen, heiteren, tapferen und höfischen Menschen.

Qu'om non es ges valens per sol sa lansa.^) „Denn tapfer ist man nicht nur mit der Lanze."

Que 1 grans avers ten son don cossiros e Ih bon 'amors alegre e joyos.^)

*) Non es cortes Nr. 39, gedruckt im Lexique roman, S. 453 und bei Mahn, Werke II, S. 227.

2) Nr. 24 (Mahn, Ged. 1241, 1242).

3) Ebenda. Vgl. noch bes. Nr. 34 (Mahn, Ged. 643, 644).

Lo sabers d'aquest segle es foudatz, e Dieus dis ho e trobam ho ligen, et ieu cre ben sos ditz verayamen, qu'eu vei qu'il ric son savis apellatz e * 1 paubre son fols e caitius clamatz. AI ric parec del siecle trespassan et al Lazer, quäl mes Dieus en soan.

-1 Ü. Abluiiidhm^': Kiirl VossKt

„Denn lieiclituni macht nur Sorge seinem Herrn, tlie wiilire J^ieh" ihn heiter und vergnügt.''

Wie der Übergang von der gah'inten zu der mystischen Liebe sich ohne gewaltsamen Kuck bei Cardinal vollzieht, so biegt er auch hier, ohne mit der Denkart des Hofes zu brechen, die weltliche Wertschätzung in eine mystische hinüber.

Der Sprachgebrauch seiner Zeit an und für sich schon war geeignet, diesen Gesinnungswandel zu verschleiern und zu erleichtern. Ahnlich wie das Nordfranzösische kennzeichnet das Provenzalische des 12. Jahrhunderts sich durch eine starke Neigung, Vorstellungen und Bezeichnungen der äußeren, objek- tiven Welt mit inneren, subjektiven, ethischen, zum Teil geradezu mystischen und lyrischen Bedeutungen zu erfüllen.^) Man denke an den Bedeutungsspielraum von Wörtern wie ric, cortes, ija- zardos, acoindarisa, parage u. a.

Dazu kommt die besondere Veranlagung Cardinais zur Be- schaulichkeit, seine Art das höfische Leben und dessen Formen mitzumachen, ohne innerlich dabei zu sein, seine Neigung, alles Tatsächliche aus dem Gesichtspunkt des Ideals zu betrachten. Stufenweise, von Begriff zu Begrifi" zieht er sich zurück aus der Welt der Erscheinungen, um dann mit den Maßstäben dieser Begriffe bewaffnet wieder in sie hinabzusteigen. Durch die Verschiedenheit und Beweglichkeit des Maßstabes, der bald ein höfischer, bald ein ethischer und gar mystischer ist, wird es ihm möglich, die Menschen abwechslungsweise bei ihrem Ehrgefühl und Ehrgeiz, bei ihrem Gewissen und Glauben zu

Die Weisheit dieser Welt ist Narretei;

das sagt uns Gott, das liest man in der Schrift;

und ich glaub' seinem Wort wahrhaftiglich.

Wohl preist die Reichen man als weis' und klug

und nennt die Armen schlecht und dumm.

Am reichen Mann und armen Lazarus

ward klar, wen nach dem Tode Gott verwirft.

^) Für das Nordfranzösische habe ich den Nachweis in meiner Ar- beit „Frankreichs Kultur im Spiegel seiner Sprachentwicklung", Heidel- berg 1913, S. 87 ff., versucht.

Peire Cardinal 25

packen. Man denke nicht, daß dies ein überlegter Kunstgriff sei. Cardinal empfindet tatsächlich die menschlichen Schwächen und Bosheiten bald als etwas Verächtliches und Hassenswertes, bald als bedauerlich, des Mitgefühles und der Tränen würdig. Er geißelt und beweint sie; in seinem grausamsten Hohn ist noch Liebe und Wärme, in seinen beweglichsten Klagen noch etwas Eisiges und Müdes. Hinter den Tränen lauert der Witz, und in stiller Hoheit schwebt über den boshaftesten Sarkasmen der Schmerz. Eines der packendsten Rügelieder, das er gegen die Herzlosigkeit der Reichen gedichtet hat Qui ve gran maleza faire (Nr. 45)^), klingt aus in ein Gebet. Andererseits bringt er es fertig, in den Reimen und im Stil des warmherzigen Klageliedes, das Bertran von Born auf den Tod des jungen Königs Heinrich von England (1183) gesungen hatte, einen höchst künstlichen Planh auf Bösewichter und Verräter zu dichten, dessen Tränen in Wirklichkeit ein höhnisches und böses Lachen sind: Aissi com Jiom planh (Nr. 2).^)

Wie wir den Sohn beklagen oder Vater, oder den Freund, den uns der Tod entriß, beweine ich die überlebenden, die falschen, tückischen, gemeinen Kerle,

Schurken voller Lug,

gierig, schlechter Art,

Räuber, Diebespack,

Helfer falschen Eids,

Hehler des Verrats,

die der Teufel führt

und sie unterweist

wie die Kinderlein

und sie so berät. Daß der Herrgott sie verschmäht.

Er weint, weil sie ein so langes Leben haben und nicht

*) Gedruckt in Bartschs Chrestom. prov. Sp. 169 ft. 2) Lex. rora. S. 448 und Mahn, Werke 11, S. 211 f.

2h 6. Abhandlung: Karl \ ossler

•gehängt werden: und mit zierlichen Alliterationen und Binnen- reimen beschließt er seine Klage.

In einem starken, reinen, ungemischten Gefülile aufzu- drehen, will diesem romantisch und intellektualistisch veran- lagten Menschen nur selten gelingen. Die Antithese ist die Form nicht nur seiner Sprache, seiner Kunst, seines begriff- lichen Denkens; selbst sein Gefühlsleben schwelgt und wuchert in Gegensätzen und schwächt sich durch überreizte Lebendig- keit. Als der geborene Ironiker läuft er Gefahr, gleichgültig, überdrüssig und müde zu werden. Es ist ein schlimmes Zeichen, wenn ein Dichter über Welt und Menschheit in so kühlen, zierlichen Worten das Urteil spricht, als gehörte er selbst nicht dazu.

A fers faitz fai afortir lo mons selhs qu' y son nascut, que quan quecx a pron viscut, quecx quier cum puesca morir ab tortz far et ab mentir. Qu'en dos milliers non a dos qu'ab dreitz dos vuelhan devenir sai, on hom dous deu venir.^)

Greulicher Gewohnheit Grund legt die Welt in ihren Kindern. Haben herrlich sie gelebt, suchen sie den Seelentod in der Sünde, in der Lüge. Von zweitausend gibt's nicht zwei welche wohl durch ihr Wohltun wollten selig bei den Sanften werden.

Wie unentwirrbar verfilzen sich Menschenverachtung,

^) Nr. 18, Str. 2, gedruckt im Lexique roman, S. 455 und Mahn, Werke II, S. 223,

Peire Cardinal 27

Schmerz und literarisches Getändel in dem Lied B'im sirventes faire no'm tuelh.^)

On plus d'omes vezon mei hueilh

on meins pretz las gens e mais me

et on plus los sec peitz lor vueilh

et on mais los aug meins lor cre

et on plus intr'en lor demor

meins ai de plazer en mon cor. Que, si poges viure de mon captal ia non volgra sezer a lor fogal.^)

Je mehr mein Auge Menschen sieht,

veracht' ich sie und schätz' mich selbst,

je mehr ich diene, haß' ich sie,

je mehr sie reden, zweifle ich,

und je vertrauter mir ihr Haus,

je öder wird es mir ums Herz. Oh, daß ich leben könnt' vom eig'nen Gut, an ihrem Herde wahrlich saß' ich nicht.

Wohl hört man die Stimme des Herzens, aber es ist auch Eitelkeit des Verstandes dabei. Gerade in der bisher be- sprochenen Gruppe von Liedern scheint Cardinal uns oft auf dem besten Wege zu sein, mit dialektischer Überlegenheit und selbstgefälliger Reimkunst, mit Wort- und Begriffsspielerei seine Unlust an der Welt auf virtuosenhafte Weise zu variieren und den Formalismus des trohar sotil, menut und florit auf die Spitze zu treiben, wie er, um nur ein Beispiel noch zu nennen, in dem Gedichte Maint haro ses lei (Nr. 36)^) getan hat. Hinter der Munterkeit der Worte fühlt man die Müdigkeit der Seele.

1) Nr. 17. Gedruckt im Lex. rom., S. 437, in Mahn, Werke II, S. 224 und in Studj di fil. rom. IX, S. 511.

2) Greu m'asegra Ia nueg en lur fogal ist die Lesart bei Raynouard und Mahn.

^) Gedruckt bei Appel, Prov. inedita, S. 227.

<iö 6. Abhandlung: Karl VosHlei

111. Der IJenil' des vSatirikers.

Zwei Dinge, scheint mir, haben unseren Dichter aus dieser Sackgasse seiner Kunst herausgeholt: die erschütternden Er- eignisse der Albigenserkriege und die eigene Fähigkeit zur Selbstbescheidung und Sachlichkeit. Cardinal hat das Wichtig- tun mit der eigenen Persönlichkeit, das die späteren Trobadors den älteren zuweilen noch nachmachen, abgelegt. In keinem seiner Gedichte hat er seinen Namen genannt. Von der Künstlereitelkeit hat er sich befreit. Wohl finden sich noch einige Anwandlungen oder Reste davon. So wenn er in seinem Vers vertadier (Nr. 3) sich rühmt, der Erste zu sein, der weib- liche Wörter in männliche Reime zwängt,^) wenn er im Geleit zu Nr. 18 die Ungeschicklichkeit der Spielleute seinen Kunst- werken gegenüber bedauert, oder wenn er mit großartiger Ge- bärde sagt:

Bei m'es qu'ieu bastis

sirventes faitis

de faisso bei e ses tot sis e mot gent assis

en gai so. Pueis, qui que l'aprenda, enans que'l reprenda, guarde la razo: pueis lo don o*l venda, quan n'aura sazo,

o 1 retraya

lai don traya anel o cordo

o de saya

s'o essaya rauba de gordo.

(Nr. 10. Mahn, Ged. 760/61.)

1) Lex. rom., S. 4ü0f. und Mahn, Werke II, S. 213 f. Daß er, um- j^ekehrt, in Nr. 27 männlichen Ausgang- als weihlichen Reim verwendet: delieitaa : penras, dürfte eher Nachlässigkeit als Künstelei sein.

Peire Cardinal '^^

Bauen will ich Euch ein vollendet Lied

kunstgerecht, schön und ohne Fehl,^) Worte wohlgesetzt

heit'ren Tons. Jeder, der es höret, eh' er es bemängelt, achte auf den Sinn: schenken, auch verkaufen mag er's immer dann,

oder singen,

sich verdienen Ring und Band damit

vielleicht kriegt er

gar 'nen wolFnen dicken Rock dafür.^)

Andere Stellen verraten eher ein sittliches als ein künst- lerisches Selbstbewußtsein.^) Allein, so sehr sich Cardinal zum Richten, Strafen, Lehren und Predigen berufen weiß, so kennt er doch die eigene Unzulänglichkeit und fühlt sich Sünder unter den Sündern.

Si tot non ay joy ni plazer

ni delieg dels bes d'aquest mon,

la razo * m vir'on lo volar

de chantar. Pero no sai don

poirai penre que mi aon

a far sirventes entenden:

^) Sis in ses tot sis kann man als sil Furche, schwerlich als cüh Wimperhärchen auffassen.

2) Bauha de gordo deute ich als Kleidungsstück eines großen gort, d. h. eines behäbigen oder eines verfrorenen Menschen.

3) Vgl. das Geleit zu Nr. 9 (Mahn, Ged. 758/59 und Studj di fil. rom. IX, S. 552), die erste Strophe von Nr. 17 (Lex. rom., S. 437, Mahn, Werke II, S. 224 und Studj di fil. rom. IX, S. 511), von Nr. 18 (Lex. rom., S. 465,

AO G. Al)haiulluii^j: Karl Vossler

tal (jue HO (k'splass'a la gen,

s'ieu los repren de fallimeii, on tug fallem e no'ns*) gardam del latz Uli quascus es pres segon sos peccatz.*)

Hab' ich auch keine Freud' und Lust noch Spaß an Gütern dieser Welt, so treibt doch die Vernunft mich an zum Sänge. Doch ich weiü nicht, wo ich Mittel finde, daß das Lied verständlich und willkommen sei den Leuten, wenn ich tadeln muß L'rtum und Fehl an ihnen, doch wir irren all' und meiden nicht das Netz, das jedem seine eig'ne Sünde strickt.

Ein anderes Lied (Nr. 37), das man ihm mit Unrecht hat absprechen wollen,*) krönt er mit einem Geständnis, wie es

Mahn, Werke II, S. 223), von Nr. 41 (Rayn. Choix IV, S. 353, Parn. occ. S. 312, Mahn, Werke II, S. 187), von Nr. 47 (Lex. rom., S. 446, Mahn, Werke II, S. 231), von Nr. 64 (Appel, Prov. Chrest. Nr. 79) und von Nr. 38 (Mahn, Ged. 977/78 u. 1243 und Studj di fil. rom. III, S. 669 f.).

1) Korrigiert aus noiis in C u. 7?. 2) ^r. 51, Mahn, Ged. 1251/2.

^) G. Gröber auf Grund handschriftlicher Erwägungen (Die Liederhss. der Troub. in Roman. Stud. II, Straßburg 1875/77, S. 349). Siehe da- gegen Maus a. a. 0. S. 38 f. Für Cardinais Verfasserschaft sprechen meh- rere Gründe: 1. Strophenform und Reim finden sich in Cardinais Nr. 16 v^rieder und sind von Vidal (364, 4) übernommen. 2. Der Gedanke, daß, wenn man sich durch Wohlleben das Himmelreich verdienen könnte, die christlichen Märtyrer Toren gewesen wären, findet sich ähnlich in Cardi- nais Nr. 62, Str. 3 und Nr. 33, Str. 2 und in dem Spruch Bona pcns, veias cal cia (461, 55. gedruckt bei Appel, Prov. ined. S. 321), der wahrschein- lich auch dem Cardinal gehört. 3. Das Bewußtsein, wie schwer und wichtig es ist, die eigenen Ermahnungen selbst zu befolgen, entspricht ganz der Denkart Cardinais. Vgl. Nr. 42, Str. 1 und 2. 4. Die Wahr- scheinlichkeit, daß Nr. 37 und 16 nicht nur metrisch, sondern auch in- haltlich zusammengehören, werden wir in anderem Zusammenhang noch zu erwägen haben. 5. Der Ausdruck seihs qu^estan confes c poieäen kehrt wörtlich in Nr. 37, Str. 5 und 62, Str. 3 wieder.

Peire Cardinal ^1

von den Lippen der Sittenprediger nicht eben häufig kommt. Nachdem er allen Ständen vom König bis zum Landarbeiter ihre besonderen Verfehlungen vorgehalten hat, schließt er:

A l'autra gen darai conseilh leal, si tot no'l sai a mon ops retenir: que cascus pens de ben far e de dir de son poder; car plus de bon captal non porterem escrit en nostre brieu quan nos irem e rendrem cont a Dieu ques aurem faig, al ior del iuiamen, al gran seinhor qui'ns formet de nien.

Qui mi repren mon chantar, no m'es grieu: s'ieu man far ben, si tot m'en faz pauc ieu, car, si las gens reinheson ben ni gen, pois pogron dir: „De foll a hom trag sen." ^)

Den andern allen geb' ich treuen Rat,

obschon ich selbst ihn nicht zu nützen weiß:

daß jeder guter Werk' und Worte sich

nach Kraft befleiß'. Dies ist das beste Pfund,

das man im Briefe mit hinübernimmt,

wann man vor Gottes Stuhl zur Rechenschaft

der eig'nen Werke tritt am Urteilstag

des großen Herrn, der uns aus nichts erschuf.

Ich trags, wenn ihr dies Lied mir tadeln wollt, weil, was ich selbst nicht leiste, es verlangt; denn, wenn sich jeder schön und gut betrüg', so war' ich Narr, ein Quell der Weisheit ihm.^)

1) Mahn, Ged. 975, 976. Die drei letzten Verse lauten in R, ab- weichend von M:

ca mans fai be si tot pauc men fauc ieu

si que las gens venguan a saluamen

pueis poyran dir que de fol apren hom sen.

2) In der zweiten Strophe desselben Liedes heißt es:

e no tenon vertat ni sagramen e nos autre em d'aquel meseus sen.

•»- tj. Ahhiindluii;,'': Karl Vosslcr

80 ernst er im Grund seinen Beruf als Satiriker und Er- zieher nimmt, so weit ist er doch von Selbstgereclitigkeit und Aufgeblasenheit entfernt. Er scheut auch nicht, sich gelegent- lich selbst zu ironisieren. In seinem Lehrgedicht gegen tö- richte Schwätzer und Kritiker stellt er mit anmutigem Scherz sich als bezahlten Schwätzer hin.

Mit Reden ist ganz voll die Welt, \

und weil zum Reden ich bestellt, so ziemt sich, daß ich's reichlich üb': bestellte Zunge wird nicht müd'.*)

Natürlich ist ihm nun auch das Publikum und der Er- folg seiner Lehre nicht gar so wichtig mehr. Es gibt gute Zuhörer, meint er, und schlechte.

Der Gute hört, damit er lerne,

der Schlechte aber tadelt gerne. ...

Und alle beide handeln fein,

denn jeder nimmt, was wirklich sein:

der Gute trägt das gute Wort

nach Haus und läßt das schlechte fort;

das schlechte trägt der Schleclite heim

und läßt das gute gutes sein;

er gleichet einem Müllersieb,

in dem der Auswurf liegen blieb.

Das Feine läßt er all' zerrinnen.

Was will er denn? Schlechtes gewinnen

aus jeder Rede und ich dächt',

der läßt das Feine ganz mit Recht.

Geht man die Stellen durch, an denen Cardinal über seinen Beruf als Satiriker, über Sinn und Wert seiner Rüge, über sein Verhältnis zu den Gerügten und den Zuhörern sich äußert, so ergibt sich, alles in allem genommen, eine ebenso gesunde, vernünftige und sichere als vielseitige, den Gelegenheiten sich

*) Vgl. den provenzalischen Text im Anhang XII.

Peire Cardinal oo

anpassende Auffassung. Die Wirkung seiner Gedichte zu über- schätzen läßt er sich niemals hinreißen. Er weiß, daß man ihn mißversteht und daß er tauben Ohren zu predigen hat; aber die Schuld liegt nicht an ihm.

A mos ops chant et a mos ops flauiol, quar hom mas ieu non enten mon lati, qu'atretam pauc coma d'un rossinhol entent la gens de mon chantar que 's di ; mas ieu non ai lengua friza ni breta ni sai parlar flamenc ni angevi; mas Malvestatz, qui los eissalabeta, lor tolh vezer quez es fals ni es fi.

Ära m'es mals que fols hom s'entremeta de mon chantar, quar siey fag son porssi.

(Nr. 30, Str. 5.)^) Zum eigenen Nutzen sing' und flöt' ich mir. Denn mein Latein versteht kein Mensch als ich. So wenig wie von einer Nachtigall verstehen sie von meinem Sang den Sinn, obschon ich friesisch nicht noch britisch spreche, noch flämisch oder anjovinisch kann. Durch Bosheit aber sind sie so verblendet,^) Daß sie nicht seh'n, was falsch ist oder gut.

Drum ärgert's mich, wenn sich ein Narr beschäftigt, der schweinisch sich beträgt, mit meinem Lied.

In einem anderen Gedicht (Nr. 3), das leider schlecht über- liefert ist,^) nimmt er sich vor einen Vers vertadier zu schaffen,

car nuill cantar non tanh si'apellatz Vers, si non es vertadier ves totz latz,

wobei die Wortähnlichkeit von ver = wahr und vers = Ge-

^) Text nach Ajipel, Prov. Chrestom. Nr. 78.

^) Der Sinn von eissalabeta ist zweifelhaft.

^) Gedruckt im Lex. rom., S. 460 und Mahn, Werke 11, 213 f.

Sitzgsb. d. philos.-pliilol. u. d. hiat. Kl. .Tiilirg. 1916, ß Abli, 3

<>•* Ü. Aliliaudluii;^^ : K;irl VosHler

(liclit iliin hrdeutunj^svoll wird. Keine piunkhaltcii Worte sollen in einem sittlichen Küt^elied, wie er es vorhat, stehen. Nur männliche iieime will er verw^enden. Durcli solche, nach unserem Geschmack nur iiuüerliche, aber von vielen Trobadors aufrichti«^ ani^estrebte Ubereinstimmunf( von Sinn und Vers- form ^) liofft er, das Nützliche mit dem Schönen und Rühm- lichen zu verbinden.

Car, per bels motz er sos chantars hiuzatz, e 1 casticx es fondemenz de peccatz.

Von Wortes Schönheit kommt dem Liede Lob, und Sünde mufe zergehn vor Wortes Schärfe.

Er schmeichelt sich, durch die Macht seiner Verse den eigennützigen Sinn der reichen Leute zu brechen

mas cant lo ricx er d'aisso castiatz, venra N' Artus, sei qu'emportet lo catz.

Der Wortlaut des zweiten Verses ist unverständlich; dem Sinne nach aber wirft er das ganze Vorhaben über den Haufen. Denn, heißt es weiter, „den Reichen gelte ich nun wohl als Schwätzer, und ob ich die Wahrheit sage oder nicht, sie zeigen keine Besserung. Was ich tatsächlich meine, ist jedem klar; wenn ich es aber im einzelnen ausführe, so schmähen sie mich und, wenn ich schweige, so lasse ich mir Ehre und Lob entgehen". Kurzum, Cardinal glaubt selbst nicht an die Möorlichkeit, den Ernst seiner Ermahnuno^ durch einfache und kräftige Worte zu sittlichem und künstlerischem Erfolge gleich- mäßig auswirken zu können. Er weiß, wie schwer es ist, den Menschen den Pelz zu waschen, ohne sie naß zu machen.

Vielleicht hat er eben darum die Nennung bestimmter Namen und Tatsachen sich so oft versagt. Nur dort, wo die Angegriffenen zugleich Gegner und Feinde seiner Gönner und Schutzherren waren, pflegte er kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Im übrigen hat man bei vielen seiner allgemein klingenden Klagen, Verhöhnungen und Anschuldigungen den

*) Vgl. meine Abhandlung- über Marcabni a. a. 0 , S. 63.

Peire Cardinal ob

Eindruck, daß er etwas ganz Bestimmtes gemeint hat.^) Aber seine äuläere Stellung war nicht so unabhängig, vielleicht auch sein sittlicher Mut nicht so unbedingt, daß er diejenigen, auf die er zielte, immer hätte treffen können. Ob der künst- lerische Wert seiner Satire darunter gelitten hat? Ich glaube kaum; denn vielfach liegt ihr Reiz gerade in der Verhalten- heit des Grimms und in der vieldeutigen, aus der Ferne drohen- den Dunkelheit ihrer Anspielung. Bekanntlich ist die hem- mungslose und zensurfreie Satire noch selten zu künstlerischer Höhe gelangt. Die Literarhistoriker freilich, denen weniger an der Dichtung als am gelehrten Beiwerk liegt, beklagen sich, daß Cardinal soviel im allgemeinen geblieben und für die Kenntnis der Zeitverhältnisse so wenig ergiebig sei. Eines aber sollte man nicht vergessen: nämlich daß Cardinal nicht bloß aus Furcht und Befangenheit, sondern oft auch aus Scham- gefühl sich Schweigen auferlegt. Er weiß, daß das Geschäft des Satirikers nicht nur gefährlich, sondern auch ekelhaft und unliebsam werden kann:

Non aus dire so que eis auszon far; mai anc rascas non amet penchenar ni eis home qui lor dan lur castia.^)

Ich wag' mit Worten nicht, was sie mit Taten. Dem Grindigen war stets verhaßt der Kamm,^) und ihnen stets, wer ihre Schande züchtigt.

Bei aller Schärfe hat Cardinal, von einigen wenigen Derb- heiten (besonders in seinem Estribot) abgesehen, immer den

^) Zur Gewißheit verdichtet sich dieser Eindruck, wenn man die Gedichte Nr. 5, 9, U, 53 und 58 liest.

2) Geleit zu Nr. 66 (Rayn. Choix IV, S. 338 und Mahn, Werke II, S. 182 und Studj di fil. rom. IX, S. 523). Vgl. auch Nr. 60, Str. 3 (Rayn. Choix IV, S. 359 und Mahn, Werke II, S. 184).

Qui auzes dir quals son li falhimen que fan en cort selhs qui degron regir et an jurat de tenir Halmen dreg a quascun? ^) Dasselbe Bild kehrt in Nr. 42, Str. 7 wieder.

3*

36 C. Ahliandluii^^: Karl V ossler

Anstand gewahrt. Es gibt kaum einen mittelalterlichen Sa- tiriker, der edler und vornehmer wäre in seinem Ton. Vor allem aber meidet er die Gehässigkeit. Er kann beifäend und schonungslos sein bis zur Grausamkeit, aber nie, soviel wir sehen, wird er verleumderisch und gemein. Grausamkeit ist in gewissem Sinne noch eine Form der Liebe, und besonders in seiner Spätzeit scheint Cardinal sich bemüht zu haben, die Satire mit christlicher Liebe zu mildern und zu veredeln. Den Schmeichlern und Schmähern ruft er zu:

Aus tu que dizes lausenjas e que de mal dir desrenjas? fols yest, si las gens blastenjas si non per xiastiamen.

Gar si de mal dir t'esforsas, fas que fols, si be ' t deportas, que no ' s tanh las Jens remordas, car peccas y mortalmen.^)

Hörst du, der in Schmeichelreden und in Schmähwort dich vergissest, Tor, wenn du die Leute tadelst anders als zur Besserung.

In Verleumdung sich ergehen, mag's auch spaßhaft sein, ist närrisch, bissig sein, ist ungeziemend; wenn du's tust, so sündigst du.

Fast rührend ist es, wie er in seinem Sermon (Nr. 42) die angeborene Lust zur L'onie hinunterwürgt.

Hieu ai en cor que per demor ni per rire ni per iugar

») Nr. 27, Str 38 f. (Rayn. Choix IV, S. 452 und Mahn, Werke II, S. 205).

Peire Cardinal 37

non diga huei mal ni enuei de guiza que us deia pezar.

Non dirai ren

mais sol per ben, sol per vos autres esmendar,

e si US repren

adreohamen, nom m'o deves a mal tornar.^)

Mir liegt daran,

euch heut' einmal, weder zum Spafse noch zum Spiel,

kein böses Wort,

kein Ärgernis zu geben, das euch wurmen könnt'.

Im Guten nur

Sprech' ich zu euch, zu eu'rer Besserung allein,

und, tadl' ich euch

wie sich's gehört, so dürft ihr mir nicht böse sein.

Diese Väterlichkeit ist nun freilich nicht die Regel. Car- dinal hat nie ein Hehl daraus gemacht, was für eine wilde Lust es ihm bereitet, das Laster bestraft zu sehen und es zu züchtigen. Wenn ein Verräter gehängt wird, jubelt er, geht es ihm gut, so trauert er. Wie fanatisch und unpersönlich seine Wut, wie uninteressiert und menschlich rücksichtslos seine Bitterkeit gegen alles Unwahre und Gemeine ist, hat er selbst gewußt und mehrfach ausgesprochen.

Er dira hom que ieu sui mal mesclius de las molhers e dels avols espos.

1) Nr. 42, Str. 4 f.

38 0. Aldiandlun;,': Karl VdSHler

o qu'ieu die mal, o qu'en sia gilos,

so (ju'anc iio lui, iniis hen sui contrastius

(Ml tot quan puesc, e lur nozi ancse

ab sirventes et ab chans qu'en fauc be.')

Nun sagen sie, ich sei voll Händelsucht mit schlechten Ehemännern und mit Frau'n und schmähe nur und sei wohl neidisch gar.^) Das war ich nie. Wohl aber bin ich Feind soviel ich kann und will verfolgen sie mit Rügelied und Sang nach Herzenslust.

Den künstlich grausamen, oben besprochenen moralischen Planh beschließt er folgendermaßen:

Ar m'es semblans que mos chans no val guaire, quar de mal dir Tai ordit e tescut; mas de mal fuelh non cuelh hom leu bon frut, ni d'avol fag bon plag non sai retraire.

Dels laitz faitz qu'ilh fan

lor ai die lo dan,

josta la razo,

e delh felh talan

enic die lo cors;

quar greu ni'es qu'ieu penha

lur error ni fenha,

ni los an lauzan,

ni 1 chant an dauran mas per aital com seran.

Am Ende ist mein Lied von kleinem Werte, weil ich aus Schmähung es gewoben hab. Vom bösen Baum ist aber gute Frucht, von schlechter Tat gut' Rat kaum zu gewinnen.

1) Geleit zu Nr. 39 (Lex. rom., S. 454 u. Mahn, Werke II, S. 228).

2) Er selbst war unverheiratet, wie aus Nr. 1, Str. 7 (Mahn, Ged. 6 und 1233) hervorgeht.

Peire Cardinal ^«^

Nur ihr häßlich Tun hab ich aufgedeckt wie es sich gehört, ihrer Übeln Lust böse Bahn gezeigt; denn ich mag nicht schminken, ihren Fehl nicht hehlen, noch sie gar beloben, noch mein Lied bemalen andersfarbig als sie sind.

Diese ideale Sachlichkeit ist die Stärke und die Schwäche der Cardinaischen Satire, macht ihren Adel, ihren Schwung, ihre Gewalt, ihr Pathos und ihre Donquijoterie aus. Sie sucht das Laster auf Gipfeln, wo nur selten Menschen wohnen und wenn sie, wie wir gesehen haben, so wenig Personen und Tatsachen nennt, so ist nicht nur ihre irdische Befangenheit, sondern auch ihre Verbohrtheit ins Abstrakte daran schuld. Mir scheint, daß Cardinal im täglichen und im geselligen Um- gang ein harmloser gutmütiger Mensch war, ein Alonso Qui- jano el Bueno, und daß er niemand ein Leides tat. Solange er die Leute von Angesicht zu Angesicht betrachtete, konnte er ihnen, glaube ich, nicht böse sein. Aber wehe, wenn sie ihm ferne rückten und in die fatale Beleuchtung seiner Tugend- und Lasterbegriffe gerieten! Den schlappen, durchaus unzu- verlässigen und leichtfertigen Grafen Raimund VL von Tou- louse feiert er als einen Vorkämpfer der Tugend gegen fran- zösische Falschheit (Nr. 25) und Raimund VIL, der, soviel man weiß, auch kein Heiliger war, wird ihm zur Verkörperung des ritterlichen Herrscherideals (Nr. 12). Mag man den Löwen- anteil dieses Lobes auf Rechnung der Untertanenergebenheit, der Politik und der unvermeidlichen höfischen Schmeichelei setzen, so bleibt immer noch ein Rest von ehrlicher Überzeu- gung. Besonders die fünfte Strophe des Sirventes Ben volgra (Nr. 12) ist mit einer Art „heiliger Einfalt" empfunden.^) Der

M Als fünfte Strophe meine ich die folgende, in der Hs. M (Mahn, Ged. 1258) wohl am besten erhaltene:

40 Ü. Ahhandliin^': K;irl Wjsaler

Fürst erscheint dem Dichter aitals com ru lo doiimi vielleicht nur deshalb, weil er in seiner nächsten Näiie war, so daß Car- dinal, bei seiner angeborenen Weitsichtigkeit, ihn nur ober- flächlich kennen lernte. Jener Stephan von l^elmon aber, den er so fürchterlich mitgenommen hat, stand ihm vermut- lich weniger nahe. Wahrscheinlich hat er zu den Feinden des Grafen von Toulouse gehört. Denn Cardinal, der in der Ethik nur weiß und schwarz sieht, hat auch in der Politik aufs leidenschaftlichste und unbedingteste Partei ergriffen.

Er war naiv genug, die Gegner in bestem Glauben für die Bösen, die Parteigenossen für die Guten zu halten. Bald sieht er in Toulouse nur edle Gesinnung (Nr. 32, Geleit), im Velay nur Verrat (Nr. 9), in Deutschland nur Ehrlichkeit (Nr. 61). Gewiiä war er als Publizist und Scriba des Grafen zu dieser Einseitigkeit gezwungen und verpflichtet. Man hat aber in seinen Liedern keinerlei Anzeichen dafür, daß er den Zwang als solchen gefühlt hätte, daß es ihm je in den Sinn gekommen wäre, im feindlichen Lager auch nur ein Körnchen von Recht, auch nur ein gutes Härchen zu vermuten. Was die ungebrochene Fähigkeit des Parteiergreifens mit ganzer Seele betrifft, ist Cardinal ein naives echtes Kind des Zeitalters der mittelalterlichen Glaubenskriege. Ja, die rohe Verein- fachung, die ein Kampf wie der Albigenserkrieg in den Ge-

Le coms de Tolosa val tan,

tan fai e tan abrial Nengun home del mon non blan

per mal ni per feunia. Aitals es com ieu lo deman: arditz, alegres e vailhan,

frans de bella paria, vertadiers, dreitura gardan, leials e ses bausia, bels, ben parlan. Die Lesart von C, wo diese Strophe an dritter Stelle steht, gibt Mahn, Werke II, S. 240. Bei Rayn. Choix V, 303 fehlt die Strophe. Das Oedicht ist mit annähernder Sicherheit in das Jahr 1226 zu datieren. Vgl, Fr. Wittenberg, Die llohenstaufen im Munde der Troub. Münster, Diss. 1908, S. 70f. und unsere Ausführungen weiter unten.

Peire Cardinal 41

mütern und Köpfen der Beteiligten anrichten konnte, ist seiner Sinnesart gewissermaßen zu Hilfe gekommen und günstig ge- wesen. Denn jetzt erst wird seinem sittlichen Haß eine be- stimmte Richtung und seiner Satire ein Ziel gewiesen, das er ins Herz treffen kann. Auf keinen anderen Trobador hat dieser Krieg so tief und nachhaltig gewirkt. Für Cardinal ist er das große, nachweislichermaßen einzige dichterische Erlebnis geworden. Ohne ihn wäre er nicht viel mehr als ein lang- weilig-witziger Moralisator geblieben. Er, der vor lauter Be- schaulichkeit und spekulativer Sittlichkeit eine leer laufende Mühle war, konnte von sich sagen:

Lo jorn que ieu fui natz mi fon aitals dons datz que m plagues captenensa

d'omes ensenhatz e * m pezes malvestatz e faitz desmesuratz; per qu'ieu port penedensa

dels autrui peccatz, car mi do marrimen del autrui fallimen, e no * m volvi ni * m vire

ni m mudi leumen per negun estamen, qu'ades tort no m'azire;

e Is malvatz repren e Mort, car no los pren.*)

Am Tage der Geburt

ward es mir zugeteilt,

daß wohlerzog'ner Menschen

Art mir angenehm, und Bosheit, Übermut verhaßt mir sollte sein.

1) Nr. 32, Sir. 1 (Lex. roni., S. 449: Mahn, Werke II, S. 232 und Mahn, Ged. 612, 613).

^- Ü. Abhandlung': Karl VosKler

So trag' ich nun um fremder

Sünde willen Leid und mach' mir Kümmernis um andrer Leute Felil und kann mich nicht entziehen,

noch die Ruhe mir verschaffen, dafi nicht ^(leich ein Unrecht mich emjxjre.

Fhich den Bösen und dem Tod, der sie nicht holt.

Jetzt aber bekommt er richtiges, erdgewachsenes Korn zu mahlen und braucht seine Satire mit Einleitungen und Geleit- strophen allgemeinen Inhalts niclit erst zu entschuldigen, noch zu begründen; und wenn er fortfährt es zu tun, so ist es eine alte Gewohnheit, die aus dem Gedanken an die Zeitläufte einen tieferen, ehrlichen Sinn bekommt. Erst wenn man an die Religionskriege denkt, die ihn erschüttert haben, ist man ge- neigt ihm zu glauben was er über die Pflicht, die Notwendig- keit und sein inneres Bedürfnis zur Satire sagt.

Dreitz a mestier d'aiut! e qui li * n ditz de no, en pro dreg a pauc pro.^)

Zu Hilfe! ruft das Recht,

und wer nicht hilft, dem kommt

vom sfuten Recht kein Gut.

ö

Qui ve gran maleza faire de mal dir no se deu taire.-)

Siehst du große Bosheit üben, halte nicht zurück mit Tadel.

1) Geleit zu Nr. 43 (Mahn, Gedichte 979 und 980. Das Geleit fehlt in M).

2) Nr. 45, Str. 1 (Bartsch, Chrestom. prov. Sp. 169).

Peire Cardinal 43

Ges ieu no ' m sui de mal dir castiatz, quar de mal far la gens non si castia, quar de mal far deu hom aver feunia, de feunia deu issir malvatz glatz, de malvaj glat blasmes als encolpatz, e de colpa pena als mals fachors: qu' enaissi vay lai on drechura reiiha, e quan non es qui la colpa destrenha, a tot lo meyns le blasmes es ciamors et als blasmatz anta e deshonors.^)

Des Tadels hab' ich mich noch nicht entwöhnt,

weil sich des Fehls die Leute nicht entwöhnen,

weil ich den Fehl den Leuten will verbittern:

aus Bitternis entstehe dann Geschrei,

und aus Geschrei den Schuldigen der Schimpf,

aus Schuld die Strafe dem, der Böses tat:

so kommt man schließlich auf die rechten Wege,

und sollte auch der Schuld ein Rächer fehlen,

so ist der Tadel wenigstens ein Schrei,

der dem Getroff'nen Schimpf und Schande bringt.

Lairons son ilh, e renhon sobre nos;

doncx ben em folhs et ab pauc d'escien;

pus laires es qui al lairon cossen.

Que farem doncx, si no * ns en val razos?

Cridem lo mal qu'ilh fan o que fan faire,

si que puesc'on^) conoisser lors peccatz,

e no ' s tenga negus asseguratz

si ve desfar son vezi o son fraire.^)

Ein Pack von Dieben ist's, das uns beherrscht,

und wir sind Toren und gedankenlos;

denn Dieb ist, wer den Dieb gewähren läßt.

M Nr. 26, Str. 1 (Mahn, Ged. 982 und 1239).

^) Korrigiert aus Si quelhs puescon.

3) Nr. 69, Str. 2 (Lex. rom., S. 451 f. und Mahn, Werke II, S. 237;

44

ü. AltluiiulhiiiL' : Karl \ osbler

Was bleibt /u tun, da uns das Hecht nicht lülft? Wir wollen schreien ihre Missetaten, bis ihre Sünden kund und otienbar, auf dal3 in Sicherheit sich keiner wie^t, wann er den nahen Bruder sieht niil.diandeln.

Audi die Tragik dieser Satire, die auf der Seite der Unter- liegenden kämpft, tritt nun ins Licht. Noch lange, nachdem das Glück gegen die Seinen entschieden hat, erhebt Cardinal die Stimme gegen Unrecht und Trug.

Qu' eras en chan e totz temps mais en plor.^)

Heut' klingt als Lied was sonst mein Weinen ist.

Wir sind nun leider in der mißlichen Lage, die Gelegen- heiten der Cardinaischen Satiren nur in den seltensten Fällen

Mit einer merkwürdig verzwickten Zierlichkeit wird in Nr. 10, Str. 5 (Mahn, Ged. 760, 761) derselbe Gedanke entwickelt.

Ben tenc per cortes aquel qu'en cort es

quan desfai fag quan l'a enpres US ricx mal apres,

don tort fay. Fort es belha cauza qui malvestat chauza ad home savay, e seih qui la lauza, quant es soz la lauza, pessatz quossi ' 1 vay.

Qui folhia

afolhia malvestat dechay

e desvia

de la via

Höfisch ist fürwahr, wer bei Hof sogar

widersteht einem reichen Mann, der auf Unrecht sann

und 's begeht. Rühmlich Unternehmen ist es zu beschämen schlechter Menschen Tun denket, wie es jenen geht, die es beschönen, wann im Grab sie ruh'n.

Wenn wir Gecken

tüchtig necken, wird, was schlecht, verkürzt:

der Gemeine

fehlt dann seine alte Bahn und stürzt.

lo malvays, on chay. 1) Geleit zu Nr. 52 (Rayn. Choix IV, S. 353 u. Mahn. Werke 11, S. 187).

Peive Cardinal 45

bestimmen zu können. Ihr Kunstwert gibt natürlich keinerlei Gewähr, und man wäre schlecht beraten, wenn man alle frostigen und erkünstelten Lieder vor den Ausbruch des Albigenser- krieges, alle lebendigen und kraftvoll empfundenen hinter ihn setzen wollte. Mit einiger Wahrscheinlichkeit läßt sich nur eines, mit Bestimmtheit kein einziges seiner Gedichte als vor 1209 entstanden erweisen.^) Wir müssen die zeitliche Reihenfolge der angeführten Äußerungen Cardinais über seinen dichterischen Beruf im unbestimmten lassen. Im psychologi- schen Verstände aber, soviel ist sicher, finden seine wechseln- den Ansichten ihre Vollendung und Klärung in seiner religi- ösen Auffassung. Cardinal hat den Glauben gehabt, im Namen Gottes, al nom del Seignor dreiturier (Nr. 3), zum Besten der Menschheit und zu seinem eigenen Seelenheil, die Lieder des Hohns, der Rüge, der Mahnung anstimmen zu müssen.

Ihesum Christ, nostre Salvaire, per salvar nasquet de maire, salut fes e mandet faire, car sei que la fai Taten.

Aiso es gran cortezia, qui salva que salvat sia; qui autre a salut guia venir deu a salvamen.^)

Jesus Christus, unser Heiland, ward, zu retten uns, geboren, heilte uns und hieß uns heilen; Heil wird dem, der's andern bringt.

Darin liegt die große Güte, daß, wer rettet, wird gerettet, daß, wer andre führt zum Heile, selbst dazu empor sich schwingt.

^) Vgl. Anhang I.

2) Nr. 27, Str. 1 u. 2 (Rayn. Choix IV, S. 446 und Mahn, Werke II. S. 201). Vgl. auch Str. 17 n. 18 und Nr. 20. Str. 1 (Lex. rom., S. 403 und Mahn, Ged. 1256).

46 Ü. Abhundlun^': Karl VosshT

Geprahlt hat Cardinal mit seiner j^iittlichen Sendung nie- mals; aber erst von diesem einfachen (ihiuhen aus wird es verständlich, wie er mit Lust und Zorn, mit Liebe und Milde, mit Vertrauen in den künstlerischen und sittlichen Erfolg und dann wieder mit Zweifeln daran, mit Trauer und Hohn, mit Weinen und Lachen, heftig und zaghaft seine poetische Geiläel schwingen konnte, ohne je zur Gemeinheit und Verleumdung sich zu erniedrigen und ohne je im Stolz sich zu überheben. Seinen Vorgängern in der Satire und den meisten seiner Nach- folger war dieser Glaube weniger lebendig und gegenwärtig.

IV. Frömmigkeit und Kirchlichkeit.

Cardinal war gottesfürchtig und fromm auf eigene Art. Als Hermann Reuter mit dem Scharfsinn eines Großinquisi- tors die „Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter" schrieb,^) konnte unser Trobador ihm nicht entgehen. Frei- lich, als Aufklärer und Vorläufer der Reformation im strengen Verstand des Wortes werden wir ihn heute kaum mehr gelten lassen. Reuters Auffassung gründet sich m der Hauptsache auf ein einziges, höchst merkwürdiges Gedicht (Nr. 67).

Un sirventes novel vuelh comensar

que retrairai al jorn del jutjamen

a seih que'm fetz e'm formet de nien.

S'il me cuia de ren ochaizonar

e s'il rae vol metr'en la diablia,

ieu li diray: „Senher, merce, no sia!

qu'el mal segle tormentei totz mos ans,

e guardatz mi, si * us plai, dels turmentans."

Tota sa cort farai meravillar quant auziran lo mieu plaideyamen: qu'ieu die qu'el fai ves los sieus fallimen s'il los cuia delir ni enfernar,

1) Berlin, 1875 und 1877.

Peire Cardinal 47

quar qui pert so que guazanhar poiria, per bon dreg a de viutat carestia, qu'el deu esser dous e multiplicans de retener sas armas trespassans.

Ja sa porta non si degra vedar, que Sayns Peire hi pren trop d'aunimen, que n'es portiers. Mas que intres rizen tota arma que lai volgues intrar, quar nulla cortz non er ja ben complia que Tuns en plor e que l'autres en ria; e si tot s'es sobeirans reys poyssans, si no ns obre, sera li * n faitz demaiis.

Los diables degra dezeretar

et agra mais d'armas e pus soven,

e'l dezeretz plagra a tota gen,

et elh mezeus pogra s'en perdonar.

Tot per mon grat trastotz los destruiria,

pus tug sabem qu'absolver s'en poiria.

„Belh senher Dieus, siatz dezeretans

dels enemicx enoios e pezans!"

„leu no mi vuelh de vos dezesperar,

ans ai en vos mon bon esperamen

que me vallatz a mon trespassamen.

Per que devetz m'arm' e mon cors salvar,

e vos farai una bella partia:

que * m tornetz lai don muec lo premier dia,

e que'm siatz de mos tortz perdonans;

qu'ieu no'ls feira, si no fos natz enans.

S'ieu ai sai mal et en yfern ardia, segon ma fe, tortz e peccatz seria; qu'ieu vos puesc be esser recastinans, que per un ben ai de mal mil aitans/

Per merce us prec, dona Santa Maria, qu'ab vostre filh nos siatz bona guia,

4-Ö (i. .\lili:nullinig: Kiirl \'(t.sHiur

si (|U(* j)rtMidatz los paires e ' Is enfans e Is iiietiitz lay oii esta Sanhs .loluins.*)

Ein neues Uügelied beginn ich nun,

das sag ich einst am Tage des Gerichts

dem Schöpfer vor, der mich geformt ans niclits.

Will er mir irgendeinen Vorwurf tun

und will er, da(3 ich zu den Teufeln fahre,

sag ich ihm: „Gnade, Herr, tu's nicht! Bewahre

vor diesen Plackern mich, wenn's Dir gefällt,

hab mich geplagt mein Lebtag auf der Welt."

Mit Staunen soll sein ganzer Hofstaat sehn wie meine Sache ich vor ihm verfecht. Ich sag: „Den Seinen tut der Herr nicht recht, wenn er sie in der Hölle läßt vergehn; und wer verliert was er gewinnen könnte, dem geht mit Recht sein Überfluß zu Ende. Mild soll er sein und Mehrer seiner Scharn und seine Abgeschiedenen bewahrn.

Es sollt' sein Tor auch nicht verschlossen sein, Denn so ist's für Sankt Peter eine Schand Pförtner zu sein. Nein, frischer Hand dürft' jede Seel', die wollte, mir hinein. Wie soll das einen echten Hofstaat machen, wenn einer weint, indes die andern lachen! Und sei der König noch so groß und hoch schließt er uns aus, so murrt man doch.

Enterben sollte er die Teufel gar:

in Scharen kämen ihm die Seelen an

und die Enterbung freute jedermann,

die er sich selbst verzeihen könnt' fürwahr.

^) Ich folge mit einigen Änderungen in der Interpunktion dem kritischen Text in Crescinis Manualetto provenz. 2. Aufl., Verona-Padua 1905, S. 324 flP.

Peire Cardinal 49

War' ganz dabei, macht' er sie ganz zunichte und sprach sich frei nach eigenem Gerichte. Oh, lieber Herrgott, so zerbrich das Joch des bösen, schwer verbalsten Feindes doch.

Doch will ich nicht verzweifeln, Herr, an Dir, und habe gar die'^gute Zuversicht, daß Du mir hilfst in Todes Angesicht. Erretten mußt Du Leib und Seele mir, drum hör' den schönen Vorschlag, den ich wage: Bring' mich zurück zum Anfang meiner Tage, wo nicht, nun so vergib mir mein Vergeh'n, denn, war' ich nicht, so war' es nicht gescheh'n.

Auf Erden Plag' und in der Hölle braten, das wäre meiner Treu' ein Sund' und Schaden, da darf ich Dir den Vorwurf wohl erheben, daß auf ein Gut mir tausend Leid gegeben.

Zur Gnade, heil'ge Jungfrau, laß Dich rühren, wollest mit deinem Sohn uns gütig führen, nimm dich der Eltern und der Kinder an und hebe sie empor zu Sankt Johann.

Freilich, wenn man die humoristischen Töne des Liedes, die ich mich bemüht habe, in der Übersetzung herauszuarbeiten, überhört, oder wenn man sich auf die Nachdichtung von Diez^) verläßt, in der das Schlußgebet fehlt, so kann man mit Her- mann Reuter zu der Ansicht kommen, „daß hier ein Menschen- herz voll titanischen Trotzes sich entlade", daß „Gott selbst gehöhnt und die Welt als das verunglückte Machwerk eines launenhaften Wesens geschildert werde, welches selbst nicht weiß, was es will", und daß „das Schicksal des Menschen als ein grausiges Verhängnis gedacht" sei, „das man nur dadurch sich mildern könne, daß man den Urheber desselben durch Spott- reden ärgere".^) Gar so schlimm hat Cardinal es aber nicht

1) Leben und Werke der Troub. S. 463f.

2) Reuter a. a. 0., II. Bd., S. 59 ff.

Sitzgsb. d. philos.-philol. u, d. bist. Kl. Jahrg. 1916, 6. Abb. 4

'>0 {]. Aldmndlung: Karl Vü.s.sler

gemeint. Mit dem lieben Gott zu rilsonieren, zu scherzen und auch ein wenig zu hadern, war in der Dichtung der Troha- dors nichts Neues mehr. Im Jahre 1194 etwa hat der Mönch von Montaudon seine spaüige und rasch belieht gewordene Ten- zone mit Gott vertaLU: Uautrlcr fui cn paradis,^) der er bald eine zweite, derbere folgen liel^: Autra vdz fid a parlamen. Eine dritte, in der ein übel zugerichteter Raubritter sich mit dem ewigen Vater zankt, stammt von einem Ungenannten: Bei secjner Dens, s'ieu vos soi enojos,^) und noch mehr von dieser Art mag es gegeben haben. Hieher gehört wohl aucli eine Einzelstrophe, die in T unter Cardinais Stücken unvoll- ständig überliefert ist^) und in f vollständig wiederkehrt, aber ohne Namen. Sie lautet:

Ben volgra, si far si pogues,

que Dieus agues tot so qu'ieu ay,

e le pensament e Tesmay,

et ieu fos Dieus si con eil es:

qu'ieu li fera segon que * m fay,

e'l rendera segon c'ay pres;

car tut(z) li croy e li malvays

tenon li (l. lo) miels de tots sos bens;

aquilh Ten rendan las merces,

q'ieu non o fas ni o faray,

ni de Dieu non tenc un poges,

mas un'arma que li rendray.*)

*) Otto Klein, Die Dichtungen des Mönchs von Montaudon, Heft 7 der Marburger Ausg. und Abhandl. 1885, S. 30 ff.

2) H. Suchier, Denkmäler provenz. Literatur u. Sprache, Halle 1883, S. 336 ff. ^) Vgl. Chabaneau, Le Chansonnier prov. T in den Annales

du Midi XII, 1900, S. 194 ff.

*) Text nach P. Meyer, Les derniers troub. 1869, S. 673. Ich stelle den Text von T nach Mahn, Ged. 1259, daneben.

Ben volria que Dieus agues e ieu fos Dieus si con el es,

sol aitan petit com ieu ai qu'el penria segon c'ai pres

e lo pensamen e l'esmai etz el faria seguon que ' m fai.

Man sieht, daPs die von Bartsch in seinem Grundriß unter Nr. 461, 52 und 53 aufgeführten Stücke nicht zwei, sondern eines sind.

Peire Cardinal 51

Ich möchte wohl, wenn's möglich war, daß Gott bekam, was ich bekam: die Sorgen all' und all' den Gram, und daß ich Gott war' so wie er. Dann ging' es ihm wie mir geschah, ich zahlt' ihm, was mir ward, zurück. Da immer nur den Schlechten ja gewährt wird seiner Güter Glück, so hole er sich dort den Dank und nicht bei mir für solche Gaben; mir lieh er keinen Heller blank, die Seele nur die mag er haben.

Ob dieses Verschen nun von Cardinal ist, dem es aller- dings gleichsieht, oder von einem andern für mehr als einen Witz wird man es kaum nehmen dürfen. Was aber das Rügelied Cardinais betrifft, so möchte ich durch die Übertrei- bungen Reuters mich nicht in den entgegengesetzten Irrtum treiben lassen. Eine rein literarische Spielerei darin zu er- blicken, wäre bequem, aber Cardinal ist nicht der Mann, um völlig harmlos mit den jenseitigen Dingen zu tändeln. Dazu ist er viel zu schwer, zu tief und nicht gedankenlos genug; dazu ist auch die Sprache seines Liedes zu nachdrücklich, zu scharf, zu nackt und nicht launig genug. Wie so oft bei un- serem Dichter, umschlingen auch hier sich komische mit ernst- haften Tönen und überlieferte Formen mit seelischen Erleb- nissen und eigenen bitteren Gedanken. Kein Zweifel, daß der geistlich gebildete Herr von der Lehre der Katharer oder, wie sie in seiner Heimat hießen, der Albigenser gehört hatte. In Toulouse wimmelte es von Albigensern. Graf Raimund VI. ließ sie gewähren und hatte, ohne ihrer Sekte beizutreten, eine schlecht verhehlte Neigung für sie. Die höfischen Kreise des Languedoc, in denen Cardinal sich bewegte, nahmen diesen Ketzern gegenüber zumeist eine merkwürdig zweideutige Stel- lung ein. Äußerlich katholisch, im Grunde ihres Herzens gleichgültig, weltlich oder gar kirchenfeindlich, durch einen

4*

r,i>

(i. Aliliiiiidlung; Karl Voshler

neugierigen lel)li:if"ten Verstand /um Spiel mit allen Kühn- heiten des Zweifeins und Denkens getrieben, stolz auf ihr voi- nehnies Fieidenkertuni, lieljten sie es mit katharischen, wal- densischen, jüdischen Lehren zu kokettieren. In Wahrheit freilicli galt ihnen jeder ernste Glaube und jede demütige Ver- ehrung als eine Eigenart rückständiger l^ildung. Insbesondere liel3 ihnen ihr vornehmer, respektloser Individualismus den Zwang der religiösen Gemeinschaften, kirchlicher sowohl wie sektiererischer Art, als etwas Unleidliches und nur dem nie- deren Volke Ziemliches erscheinen.^) Man kann an der reli- ffiosen Haltunjr der südfranzösischen Aristokratie zu Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts schon all die Wider- sprüche und Schwankungen beobachten, schon jene gedanken- lose Spaltung und Doppelung des Gewissens zwischen Welt- lichkeit und Kirchlichkeit, die im Zeitalter der italienischen Renaissance zu einem allgemeinen Zustand der vornehmen ge- sellschaftlichen Geistesbildunoj wurde. So unorefähr sah die Zuhörerschaft aus, die dem Rügelied Cardinais Beifall spendete. Von Cardinal selbst aber wissen wir, wie glühend er die kirchlichen Anstifter und die weltlichen Vorkämpfer des Kreuz- zuges gegen die Albigenser gehaßt hat. Wenn er mit ansehen mußte, wie die schönen Städte und Schlösser seiner Heimat von habgierigen Frömmlern und irregeleiteten Fanatikern ver- wüstet und viele Tausende unschuldi(]jer Menschen hinore- schlachtet wurden, da konnte ihm wohl manchmal, ähnlich wie den verfolgten Katharern, das irdische Dasein als Hölle und Fegfeuer und die Welt als das Reich eines bösen Dämons erscheinen; und wie ein schöner Traum konnte ihm die Hoff- nung der Katharer auf Rettung und Erlösung der gesamten sündigen Menschheit am Ende aller Tage verführerisch winken.-)

^) Vgl. A. Luchaire, Innocent III. La Croisade des Albigeois, Paris 1905, S. 32 und H. Reuter a. a. 0. II, S. 41 f.

2) Über die Glaubenslehre der Katharer vgl, die Artikel „Albigeois" und „Cathares" in Vacant und Mangenet, Dictionn. de theol. cath. Paris 1903 ff., wo man die Quellen und die Literatur verzeichnet findet. Nach- zutragen ist .Toan Guiraud, Cartulaire de Notre-Dame de Prouille, pre-

Peire Cardinal 53

Als derartige Stimmungen ihn anwandelten, mag d«r lyrische Keim zu dem Rügelied gegen Gott in sein Gemüt gefallen sein. Je mehr dann aber das Motiv ihm ins Bewußtsein trat, desto stärker mochten die Hemmungen sich geltend machen: seine Überlegung, seine kirchliche Erziehung, seine literarischen Erinnerungen, seine trobadormäßigen Gewohnheiten, sein Witz vor allem erwachten: und die aufrührerische Regung des Her- zens wurde notdürftig gedämpft und zu einem halb spielmanns- mäßigen, halb höfischen, scherzhaften Einfall abgekühlt. Aber die Entgiftung ist nicht zu Ende gediehen, die ketzerische Anwandlung zwar maskiert, aber nicht beseitigt, die eigene Bitterkeit im Lachen verhüllt, aber nicht gelöst. So kam ein Gebilde von forcierter Laune und gezwungenem Witz zustande, das uns zweideutig anmutet, uns psychologisch und historisch aufs lebhafteste interessieren, aber künstlerisch nicht ganz be- friedigen kann. In dieser Weise ungefähr darf man sich die Entstehung und Bedeutung des Gedichtes vielleicht zurecht- legen.

Im übrigen liegt titanischer Trotz so wenig wie geist- reichelnder Leichtsinn in Cardinais Sinnesart. Zwischen seinem

cede d'une etude sur Talbigeisme languedocien au XII® et XIII® s. Paris 1907 und die ausführliche Besprechung des Werkes durch A. Luchaire im Journal des Savants 1908, S. 17 ff., sowie die Studien von Vidal in der Revue des quest. bist. 1906 1909. Über die Gedanken der Albi- genser bezüglich der Erlösung der gesamten Menschheit vgl. besonders Vidal, Revue 1909 (Bd. XLl), S. 395 97. „Omnes finaliter, ad minus in die judicii, salvabuntur" soll der albigensische Prediger Jacques Autier gelehrt haben; von einem andern, P. Garcias de Bourguet, wird gar be- richtet, er habe gesagt: Quod si teneret illum Deum qui de mille ho- minibus ab eo factis unum salvaret et omnes alios damnaret, ipsum dirumperet et dilaceraret unguibus et dentibus tanquam perfidum, et spueret in faciem eius, addens: de gutta cadat ipse! (Möge er die Gicht kriegen!) Vgl. auch C. Schmidt, Hist. et doctrine de la secte des Cath. ou Albigeois, Paris und Genf 1849, II, S. 47 ff. Im übrigen hat Cardinal natürlich nicht das Glaubenssystem der Katharer darstellen wollen, son- dern trägt in durchaus unverbindlicher Weise seine persönlichen P^infälle und Augenblickswünsche vor, die in der geistigen Luft seiner Zeit nicht umhin können, eine albigensische Färbung anzunehmen.

» 1 G. Altliaiitlliiii^' . K.nl \ (t-slcr

rt'liiriösen Ghuihen und dein dtT Katliarer lassen sich feste Be- rührimgspiniktc kaum erweisen. \'iel eher konnten diese auf ilni als er auf sie sich berufen. Man weiü, daü ihre Prediger, wenn sie die Gemeinde vor der katholisclien Geistliclikeit warnen wollten, das berühmte l\ügelied Cardinais zu zitieren ]>flegten: Li clcrc sc fan postor (Nr. 31) und die dort erwähnte Fabel vom Wolf in Schafskleidei-n sich zunutze machten.^) In politi- scher und ethischer Hinsicht freilich hat Cardinal mit seinen Sirventesen sich so entschieden für die Sache der verfolgten Albigenser, genauer für jene der Grafen von Toulouse ein- gesetzt, daß man ihn neuerdings für den Verfasser des zweiten Teiles der grofien epischen Dichtung über den Albigenser- kreuzzug gehalten hat.^) Der erste Teil stammt bekanntlich von Guillaume de Tudele und ist in einem den Albigensern feindlichen Sinne gehalten. Der zweite, größere und wichtigere Teil (Vers 2769 9578) schließt sich ohne weiteres daran an und führt die Erzählung in entgegengesetztem, den Albigen- sern günstigem Sinne von den Ereignissen des Jahres 1212 ab weiter bis zum Beginne der dritten, ebenfalls vergeblichen Belagerung von Toulouse am 16. Juni 1219. Der französische Gelehrte C. Fahre glaubt nun, mit Bestimmtheit nachweisen zu können, daß kein anderer als Cardinal diesen zweiten Teil gedichtet habe. Den eiorentlichen Nachweis freilich ist er bis jetzt, soviel ich weiß, schuldig geblieben und hat ihn nur in einem Privatbrief an Joseph Anglade angedeutet. Anglade hat das Folgende darüber mitgeteilt: „M. C. Fahre croit que c'est le grand troubadour Peire Cardenal, ce qui, en ce qui con- cerne le style et le mouvement, n'aurait rien d'etonnant (cf. Melanges Chabaneau, p. 264). Dans une communication qu'il a bien voulu nie faire, M. Fahre m'ecrit qu'il fonde son hypo-

*) Vgl. J. M. Vidcil, Les derniers ministres de ralbigeismo en Lan- guedoc in der Revue des quest. bist. Nouvelle serie, T. XLI, Paris 1906, S. 393 f. Der kritische Text des Cardinaischen Sirventes in Appels Piov. Chrestom. Nr. 76.

2) La Chanson do ]a Croisade contre les Albigeois, hcrausgog. von P. Meyer, zwei Bände, Paris 1875—79.

Peire Cardinal 55

these sur les faits suivants: trois pieces de Peire Cardenäl se retrouvent presque litteralement dans le poeme de la Croisade, une autre est imitee; il s'y trouve plusieurs Souvenirs du Puy; le style est tres souvent celui de Cardenäl, et enfin les parti- cularites dialectales de la Chanson sont celles de la langue du Puy au treizieme siecle. Ce n'est pas le lieu de discuter ici cette seduisaute Hypothese, mais si eile etait fondee, on ne serait plus etonne du talent litteraire et de la hauteur de pensee qui se revelent dans la seconde partie de la Chanson.''^) Nach- dem ich der Sache nachgegangen bin, glaube ich mit Be- stimmtheit versichern zu können, daß Cardinal nicht der Ver- fasser ist. Von den drei Liedern, die sich „buchstäblich" im Epos wiederfinden sollen, keine Spur es sei denn, daß man das Wort „buchstäblich" nicht buchstäblich, sondern genia- lisch nehme. An der Ähnlichkeit der Gesinnung des unge- nannten Epikers mit unserem Satiriker hat freilich noch nie- mand gezweifelt. Daß sich daraus ähnliche Wendungen und Sprüche ergeben, ist bei Dichtern, die sich zeitlich und viel- leicht auch sprachlich so nahe stehen, nicht weiter wunderbar. Die Verse 4132—4144 z. B., oder 4328—4335, oder 6482 ff., oder 6591 ff., oder 8684 ff. und meinethalben noch einige an- dere, vereinzelte Stellen könnten zur Not von Cardinal ge- schrieben sein , aber niemals das Epos als Ganzes. Jeder Dichter hat, sozusagen überhalb des zeitlich und örtlich be- dingten allgemeinen Wortschatzes, seine besonderen Lieblings- wörter, sein individuelles Sprachgut. Wenn nun gerade die ausgesprochensten Leibwörter des Epos wie glasiers, hrutles, manenjar für manjar, mercadals für mercatz und ganz beson- ders amarvir bei Cardinal überhaupt nicht vorkommen, so gibt dies zu denken. Andererseits wird das Wort harrey, das dem Cardinal so geläufig ist, im Albigenserepos niemals gebraucht, so oft auch von der Sache selbst die Rede sein mag. Es wird dann immer durch harrejamen oder harrejar ersetzt. Neben den Lieblingswörtern die Lieblingsbegriffe. Ein solcher, der

^) Jos. Anglade, la Bataille de Muret d'apres la Chanson de la Croi- sade, Toulouse-Paris 1913, S. 15, Anm. 1.

«>'» G. Alfliiiiullim^'-: Karl VoskK'i

wie ein l)e(leutun«^svolle.s Kclio im Kj)os iiiiuicr wiederkehrt, ist jmnujc, womit der dichter alles ilohc und Adelige im ge- sellschaftlichen wie im sittlichen ^Sinne umlaüt. Aber von pa- rayc ist in den Liedern Cardinais, soviel ich sehen konnte, kein einziges Mal die Rede; und doch hätte die Absicht dieser Lieder und Lehrgedichte tausend Anlässe geboten, das Wort im Sinne des E])ikers zu gebrauchen.^) Dieser Epiker hat eine ausgesprochene Neigung und Begabung zum Landschafts- bild, das er mit militärischen Szenen stimmungsvoll zu beleben und zu einem Fest für Auge und Ohr zu gestalten weiß. Eine der glanzvollsten Stellen in seiner Erzählung ist die Ankunft der Hilfstruppen, die von Marseille her zum Entsatz von Beau- caire kommen: die Rhone herauf zu Schiff und zu Land.

Per mei Taiga del Rozer cantan li remador; el primer cap denant so li governador que atempran las velas, e Ih'arquier e'l nautor; e li corn e las trompas e * Is cimbol e ' Ih tabor fan retindir e braire la ribeira e Talbor. Li escutz e las lansas e la onda qui cor, e l'azurs e * 1 vermelhs e * 1 vert am la blancor, e Taur fis e Fargens mesclan la resplandor del solelh e de Taiga, que partig la brumor. En' Ancelmetz per terra e sei cavalgador cavalgan ab gran joia ab la clara lugor, ab SOS cavals cubertz, e denant Tauriflor. De totas partz escridon Toloza! li milhor, per Tondrat fil del comte que cobra sa honor, e intran a Belcaire.^)

^) Einmal alleiding-s, nämlich in der 14. Strophe der Gesta Car mot home fan vers hätte Cardinal das Wort paragc gebraucht, wenn dieses Gedicht, 'wie Fahre zu glauben scheint (vgl. Melange Chabaneau, Roman. Forschungen Bd. 23, S. 2G3flF.), tatsächlich von Cardinal wäre- Daß es aber nicht diesem, sondern einem seiner späten Nachahmer Rai- mon de Cornet zuzusprechen ist, hat Chabaneau gezeigt. Noulet et Cha- baneau, Deux mss. prov. du XIV« siecle, Montpellier-Paris 1888, S. 2 u. 141.

2) Vers44Glff. Ähnliche Trachtbilder findet man Vers G627fr. und

Peire Cardinal ö7

Vom Rhonestrome her erschallt der Rud'rer Sang und auf der Schiffe Bug sieht man den Steuermann, wie er die Segel spannt, Matrosen und Soldat. Hörner, Trompetenstoß, Zimbeln und Paukenschall klingt nach dem Ufer hallend im ersten Licht des Tags. Die Schilde und die Lanzen, der flinken Wellen Glanz und tiefes Blau und Rot und Grün und weiße Färb' und pures Gold und Silber vermischen sich zumal mit Sonn' und Flusses Schimmern, indes der Nebel wallt. Herr Anselm kommt am Ufer mit seiner Ritterschar fferitten froho^emut im hellen Sonnenstrahl: die Rosse mit Schabracken, das Banner hoch voran. Von allen Seiten klingts: Tolosa! kühn und stark, des Grafen Sohn zu Ehren, der seine Ehre wahrt. So zieh'n sie nach Belcaire.

Diese sinnliche Bildhaftigkeit ist Cardinal ganz und gar versagt. Kein einziges Naturgemälde, keine Landschaft, keine Farben- und Klangschilderung in seinen Liedern. Wo er Bilder gebraucht, da werden sie ihm zu Vergleichen, die sich an den Verstand und das sittliche Gefühl richten, aber unsere Sinnlichkeit leer lassen. Will er je einmal ein Schlachten- gemälde entwerfen, so muß er sich an Bertran von Born an- lehnen und bleibt trotzdem noch blaß.^) Das dichterische Reich Cardinais ist die unsichtbare Welt der sittlichen und religiösen Werte, während der Erzähler des Albigenserkrieges ganz in irdischen Ereignissen und Erscheinungen und in den einzelnen Persönlichkeiten aufgeht, deren Charaktere er mit einer Unmittelbarkeit sich bewegen und aussprechen läßt und mit einer Kunst der Individualisierung darstellt,^) wie sie bei Cardinal nirgends zu beobachten ist. Cardinal müßte sich, um

5979 ff. Man vergleiche auch das Stimmungsbild nach dem Tode des Simon von Montfort, Vers 8492 ff. ») Vgl. Lied Nr. 56.

2) Man vergleiche Szenen wie den Abschied Raimunds VI. und dessen Sohnes vom Papst oder die heuchlerische Rede des Folquet von Marseille

an die Bürger von Toulouse.

•••^ 0. Al»liiiiMlliin;j^ : Karl X'o.shKt

dieses Kpos zu sclireiben, einen <rnuy. iiii(lereii, i»riinitiveren Kopf Huf<^esety,t und ein viel heiüeres lilutgeniiscli eingespritzt haben, als uns an ihm hekannt ist.

Wenn er aber, aHer philologischen und menschlichen Wahrscheinlichkeit zum Hohne, es dennoch sollte geschrieben haben, so wäre dies noch lange kein Beweis für seine Zuge- h(")rigkeit zum Albigensertum, noch, wie P^abre möchte, zum AValdensertum. Etwas anderes ist die politische Parteinahme, etwas anderes das religiöse Bekenntnis. Man weitB wie fast alle politischen und militärischen Führer der bedrängten Süd- franzosen, Graf Raimund voran, sich in der Versicherung ihrer Rechtgläubigkeit gar nicht genug tun konnten und wie sie bestrebt waren, den ganzen Krieg als einen rein politischen hinzustellen, bei dem der Kampf gegen die Irrlehre dem heuch- lerischen Gegner nur als Vorwand diene. Die Worte, die das Albigenserepos dem Grafen von Comminges in den Mund legt, sind dem ganzen südfranzösischen Adel und gewiß auch dem Dichter selbst wer er nun gewesen sein mag aus dem Herzen gesprochen:

E si la Santa Glieiza ni'ls sieus prezicador nos fan mal ni dampnatge, ja non fassam a lor, mas preguem Ihesu Christ lo paire redemptor que denant Tapostoli'ns do tal razonador que nos ab santa Gleiza aiam patz e amor; e del mal e del be qu'es entre nos e lor ne metrem Ihesu Crist sabent e jutjador.^)

Mag auch die heil'ge Kirche und ihrer Prediger Wort uns unrecht tun und schaden: wir ihnen nicht jedoch. Wir fleh'n zu Jesu Christ, der aller Gnade Hort, daß er beim Papst uns solchen Fürsprecher geben woll', der mit der heil'gen Kirche Versöhnung uns besorg'. Was zwischen uns und ihnen an Recht und Unrecht schon geschah, das legen wir vor Christi Ricliterthron.

') a. IX. 0. Vers 67G3 if.

Peire Cardinal o9

Es ging mit den Irrlehren und Reformbestrebungen von damals ähnlich wie mit den Modernisten von heute. Nach- dem sie von der kirchlichen Autorität festgenagelt und ver- dämmt waren, wollte niemand von dem in Bausch und Bogen ergangenen Bannstrahl sich getroffen wissen. Der Appell von der kirchlichen Entscheidung an das Gericht Gottes oder an das eigene Gewissen war der gegebene Ausweg, und noch eher der Appell von dem mangelhaft unterrichteten an den besser zu unterrichtenden Heiligen Vater. Diese Ausflucht blieb für kirchliche Gemüter gerade damals umso gangbarer, als man sehr wohl wußte, daß Innozenz III. weit entfernt war, mit allen Maßnahmen eines Arnaut Amalric oder eines Simon von Mont- fort einverstanden zu sein. Die neueren Forschungen von Achille Luchaire haben gezeigt, wie dringlich der Papst zur Milde riet und wie gerne er die rächenden Geister der Recht- gläubigkeit, die er gerufen hatte, wieder los geworden wäre.^)

Vielleicht hängt es mit dieser Zurückhaltung des dritten Innozenz zusammen, daß von den vielen und scharfen Aus- fällen, die Cardinal gegen die katholische Geistlichkeit macht, der Papst das Wenigste abbekommt. Nur im Zusammenhang mit der allgemeinen Entartung und Verweltlichung wird auch er, in gewissem Sinne der Vollständigkeit zuliebe, an seine Pflicht erinnert.

Aus tu que Gleyza governas e cobeitas e campernas l'autruy dreg? del tort t'infernas, si Caritat no * t defen.

Car si a tort escumenjas, de tu meteis cre que ' t venjas, que no s tanh las gens destrenjas mas tant c'a razon cossen.^)

^) Luchaire, Innocent III. La Croisade des Albigeois, Paris 1905.

2) Nr. 27, Str. 29 (Mahn, Werke II, S. 204). Solange kein kritischer Text dieses Stückes vorliegt, bleibt immer noch der Zweifel übrig, dnfa die angeführten Strophen von fremder Hand eingeschoben sind.

''^' G. AIiIkuhIIuii;^': K;hI \'u>thli'r

Mcikc. (Irr du lenkst die Kircljc und Ix'j^eliriicli in die Rechte andrer greifst, diiü in die Hölle Unrecht führt, wenn Liebe fehlt.

A\ ider Ivecht den Bannstrahl schleudernd dienst du nur der eigenen Rache. Sollst die Menschen nicht bedrängen, wenn's zur Sache nicht gehört.

Außerdem wird nur in Nr. 16, Str. 4^) noch der Pajist samt seinen Legaten und Kardinälen der allzu großen Nach- sicht seofen die Reichen und Mächtigen beschuldisrt.

o^n

L'apostoli ' h legat e ' 1 cardenal s'acordon tug et an lag establir que qui no * s pot de trassion esdir, s'aver non a, fassa ' Ih hom lo senhal.

Es haben Papst, Legate, Kardinal' in Einheit miteinander festgesetzt, daß wen man des Verrates überführt, sofern er nichts besitzt, brandmarken soll.

Von dem Kampf zwischen Kaiser und Papst läßt Cardi- nais Dichtung sich kaum berühren, wie überhaupt die proven- zalischen Trobadors, im Vergleich mit den deutschen, gerade in dieser Sache sich nur selten erwärmt haben.-)

Daß Cardinal sowenig wie den Katharern den AValdensern angehört hat, glaube ich mit Bestimmtheit versichern zu können. Gerade in seiner Eigenschaft als Sittenrichter der katholischen Geistlichkeit mußte ihm viel daran liegen , an seiner eigenen

1) Mahn, Gedichte 983.

'^) Siehe Wilh. Nickel, Sirventes und Spruchdichtung, Heft G3 der Palästra, Berlin 1907, S. 32 ff. Auch die vulgärsprachliche Dichtun«^ der Italiener ist hier ziemlich teilnahmslos geblieben. Vgl. meine Unter- suchung über „Weltgeschichte und Politik in der italienischen Dichtung vor Dante" in den Studien zur vergleich. Literaturgeschichte, III. Band, Berlin 19y3, S. 129 ff.

Peire Cardinal 61

Rechtgläubigkeit keine Zweifel aufkommen zu lassen. Wenn er, was er doch so ehrlich und leidenschaftlich angestrebt hat, Eindruck machen und sittliche Besserung wirken wollte, durfte er sich dem Verdacht, ein Abtrünniger zu sein, um keinen Preis aussetzen. So hat er denn auch sein Estribot gegen den Klerus mit einem ausdrücklichen Bekenntnis zum Katholizis- mus eröffnet.^) In seinem Sermon ermahnt er die Laien zum schlichten kirchlichen Gehorsam und warnt sie an den Worten des Priesters zu deuteln.

Dieus no vol sias toleire,

e vol cregas ton preveire,

qu'el(s) ben que ' t mostra deves creire

senes tot corrumpament.^)

Du sollst den andern nichts entwenden, du sollst auch deinem Priester glauben und seiner guten Lehre folgen, sie nicht entstellen irgendwie.

Die Waldenser verehrten zwar die heilige Jungfrau, aber beteten nicht zu ihr. Das Ave Maria galt ihnen nur als Gruß, nicht als Gebet. ^) Von Cardinal dagegen besitzen wir ein Marienlied: Vera vergena Maria (Nr. 70),*) das nach Form und Inhalt sich ganz den katholischen Gepflogenheiten anschließt. Lobgesang und Gebet zugleich, macht es vor allem durch die Abwesenheit persönlicher Gedanken einen durchaus kirchlichen Eindruck. Die fünfte Strophe zeigt den bibelfesten Gottes- gelehrten :

David en la prophetia

dis, en un salme que fes,

qu'al destre de Dieu sezia,

del rey en la ley promes,

una reyna qu'avia

1) Appel, Prov. Chrestom. Nr. 79. '^) Nr. 27, Str. 73.

^) Herzog, Die romanischen Waldenser, Halle 1853, S. 193 u. 211.

4) Gedruckt bei Rajn. Choix IV, 442 und Mahn, Werke II, 199.

o

>- C. Al)lmmnun^': Karl VühsIct

vestirs dv var e d'aurfres; tu yest elha, ses falhia,

non o ])ot vodar jdaides.

Cardinal weiü also, diiü die katholische Kirche den 10. Vers des 44. Psahns: Asüüt rcgina a dexterls tuis in vestitu dcauraio, circumdata varictate als einen prophetischen Hinweis auf die heilige Jungfrau deutet. Solche l^ezugnahmen auf alttesta- mentliche Ankündigungen der Mutter Gottes finden sich auch in den lateinischen Marienliedern des 12. und 13. Jahrhunderts.^) Und nicht nur für den (Gedankengang, sogar für die äutiere Form des Cardinaischen Gedichtes sind diese lateinischen Marien- lieder vorbildlich gewesen. Hier dürfte er für seinen Refrain

De patz, si ' t plai, dona, traita qu'ab ton filh me sia faita

die Beispiele gefunden haben. Wenigstens ist uns in der pro- venzalischen Dichtung vor Cardinal keine ähnliche Marien- Ballade bekannt,^) während in den lateinischen Marienliedern der zwei- und mehrzeilige Refrain schon seit dem 12. Jahr- hundert etw^as Geläufiges ist. Auf ein Stück besonders möchte ich hinweisen, das nach Refrain sowohl wie nach Gedanken- gang dem Cardinaischen Gedichte ziemlich nahe steht.

1. Ave, virgo egregia, Maria, plena gratia, orta de stirpe regia,

fac tuum filium

nobis propitium,

ut donet vitae praemium

et coeleste consortium.

') Vgl. G. M. Dreves, Analecta hymnica medii aevi, Bd. XX, Leip- zig 1895, z. B. Nr. 188, Str. 10.

2) Höchstens ein lateinisch -provenzalischer Wechselgesang für das Weihnachtsfest mit dem Refrain De virgine Maria könnte in Betracht kommen. Text veröffentlicht von P. Meyer, Anciennes poesies relig. en lang.ue d'oc in der Hihi. Je l'ec. des Chartes, 5^ serie, vol. I. Aus der-

Peire Cardinal "*5

2. Sancta Maria domina, excusa nostra crimina et exaudi praecamina, fac tuum etc.

5. Per Evam vita perdita est mundo per te reddita, Clemens et virgo inclita,

fac tuum etc.

6. Mater Christi piissima,

ejusque dextrae proxima

semper sedens sanctissima, fac tuum etc.

8. Virgo, sole prefulgida

et plus quam luna splendida marisque stella lucida, fac tuum etc.^)

Nicht daß wir hier das unmittelbare Vorbild hätten (denn in Versbau und Reim bleibt Cardinal bei der trobadormäßigen Technik), wohl aber kann das lateinische Lied mit einigen anderen des 12. und 13. Jahrhunderts zusammen^) als ein typi- scher Vertreter jener kirchlichen Tradition gelten, aus der Cardinal geschöpft haben muß. Auch die Häufung der Attri- bute der heiligen Jungfrau und deren Verbindung durch Al- literation in der Eingangsstrophe Cardinais ist ein echt kirchen- lateinischer Kunstgriff.^)

selben Hs. (Ms. lat. 1139 der Bibl. nat.) hat Meyer auch den ältesten pro- venzalischen Mariengesang: 0 Maria Deu maire a. a. 0. mitgeteilt.

1) Dreves, a. a. 0. Nr. 232. Die 3., 4. und 7. Strophe habe ich als weniger charakteristisch ausgelassen.

2) Man vergleiche besonders noch Nr. 186 bei Dreves a. a. 0.

^) Aus der ersten Strophe des Marienliedes von Peire de Corbiac (Bartsch, Chrestom. prov. Sp. 209) geht hervor, daß lateinische und pro- venzalische Marienlyrik in engem Zusammenhang standen und daß die Verwendung der loiga romana eher die Ausnahme als die Regel war. Häufiger werden die Marienlieder erst nach der Mitte des 13. Jahrhun-

'»• (1. AliliaiKllun^^: Kurl Vossler

Als l\nul)e uiul Jüiitrlinjr schon ma<( unser Dichter reich- lich (ielc^aMilicit geliiibt haben, in seiner Heimatstadt solche Marienliedcr sin«^aMi zu hören; denn die Kirche Notre-Üame in Le Puy war einer d(?r wichtigsten Ausgangspunkte des Marien- kultes im Languedoc. Hier hatten sich im 12. Jahrhundert die sogenannten Capuciati oder Confreres de la Paix als be- sonders eifrige Anbeter der heiligen Jungfrau organisiert.^)

Für die rechtgläubige Selbstverständlichkeit, mit der Car- dinal die weltliche Kunst des Trobadors mit dem kirchlichen Wissen und Denken des Geistlichen erfüllt, kann auch sein Lied auf das Kreuz Christi Dels quatre caps qiie a la cros (Nr. 15)^) Zeugnis ablegen. Strophenbau, Versart und Reime sind einer bekannten Minnekanzone des Jaufre Rudel (Quand lo rossi- ynols cl foillos) nachgebildet, während das Thema zweifellos der lateinischen Kirchendichtung entnommen ist. Schon in dem Hymnar der Abtei zu Moissac aus dem 10. Jahrhundert wird dieser Gegenstand behandelt,^) und in den folgenden Jahr- hunderten findet man kaum eine Sammlung von Hymnen, Pro- sen, Sequenzen, Psalterien und Diktaminas, wo er fehlte. Die Grundgedanken Cardinais: daß das Todesholz das Holz des Lebens und der Baum der Erkenntnis sei und das Zeichen des Schmerzes zugleich das des Sieges, gehören zu den Gemein- plätzen der lateinischen Dichtung. Etwas seltener begegnet man der von Cardinal gegebenen Ausdeutung der Form des Kreuzes:

Dels quatre caps que a la cros ten l'us sus ves lo firmamen.

derts. Unter den 34 „provenz. geistl. Liedern" aus dem Jahre 1254 (Bekker, Abhandl. der Akad. in Berlin 1842) sind neun der hl. Jungfrau gewidmet.

^) Siehe Alphandery, Les idees morales chez les heterodoxes latins au dcbut du XIII e s. Paris 1903 (Bd. 16 der Bibl. de Tee. des bautes etudes [Sciences relig.]), S. 17 ff. und A. Luchaire, La societe fran^aise au temps de Philippe Auguste, Paris 1909, S. 13—20. Anrufung der heiligen Jungfrau findet sich bei Cardinal auch sonst noch: im Geleit zu Nr. 25, in der zweitletzten Strophe von Nr. 27, ja sogar im Geleit zu dem oben besprochenen Rügelied gegen Gott {Nr. 67).

2) Rayn. Choix IV, 444 und Mahn, Werke II, S. 200.

^) Dreves, Analecta hymnica II, Nr. 119.

Peire Cardinal 6^

l'autre ves abis qu'es dejos e l'autre ten ves orien e l'autre ten ves occiden,

e per aitel entresenha que Crist o a tot en poder.

Doch fehlt es auch dazu nicht an Parallelen. In einer Sequenz des 12. Jahrhunderts heißt es:

quatuor per crucis cornua viva pacis hostia quatuor per mundi climata

rumpens mortis vincula in einer andern:

Ipsa crucis quadra forma spiritali monstrat norma, spes ut sursum sit in caelis, mens profundo sit fidelis,

Caritate dilatetur, ferat longum, quo probetur.^)

Innozenz III. lehrte in seinen Büchern „Mysteriorum evan- gelicae legis et sacramenti eucharistiae", daß man das Zeichen des Kreuzes von oben nach unten zu machen habe, weil Chri- stus vom Himmel zur Erde gefahren sei, und von rechts nach links, weil er von den Juden zu den Heiden ging.^) Schon die Viktoriner brachten die Form des Kreuzes mit der Jakobs- leiter in Verbindung und deuteten sie mit Hilfe der anschlie- ßenden Prophezeiung: „dilataberis ad occidentem, et orientem, et septentrionem, et meridiem" (Genesis, XXVIII, 14).^)

Unser Hinweis auf die kirchenlateinische Literatur will keineswegs die Möglichkeit ausschließen, daß auch in proven- zalischer Sprache eine religiöse, wesentlich volkstümliche Dich- tung bestand, aus deren Formenschatz und Gedankengehalt

1) Anal. hymn. Bd. VIII, Nr. 20 und 21. Vgl. auch Bd. XXXV, die 16. Strophe des Psalteriums Sanctae crucis.

'^) Lib. II, cap. 45 (Migne, Patrol. lat. 217, Sp. 824 f.). 3) Migne, Patrol. lat. 177, Sp. 38G. SiUgBb. d. philos.-pbilol. u. d. hist. KI. Jahrg. 1916, 6. Abb. 5

66

G. Al>handliHi<(: Karl Vossler

Cartliiijil (role^entlich schöpfen konnte. Ja. die Vermutung wild so^^ar zui- Wahrscheinlichkeit, wenn man die Schluüverse jenes langen zweiteiligen Passions- und Beichtgedichtes, das zu den älteren provenzalischen Prohen gehört, mit den Schlulj- versen von Cardinais Keim predigt zusammenhält.

E prec te per tas piagas

que de mi merce aias

al teil aveniiiient.

E prec te per ta crost

e per ta sancta vots

que disit uniilnient

Quant abellest Eli

e 1 cap tenguist ecli

al paire omiiipoten,

Que m tolas de senestre

e m metas al las dextre

al teu sanc jutgament.

E pecat criminal

ni negus autre mal

no * m sia damnament.

Perdona " m per ta mort

ta ira, don ai tort, que non posc far emendament.

E per ta resurrexio,

e s'auuis ma oraso,

Deus meus amen,

E pel teu nom mirable,

defen me de diable,

d'efern e del torment;

E met m'e paradis

on om no velesis

ni no mor ni no ment,

Mi e mos bevolent

e mos propris parenz,

totas tas autras gens. Qu'eu die pater noster pel seu enten-

demen.^)

Cardinal: Preguem doncx <iui ' ns apana e pres per no« carn huniana, que ' ns don far via sertana com tengam ves lui breumen.

E preguem sa doussa maire que'ns enseigne e'ns esclaire ab son filh et ab son paire tan per qu'en siam jauzen.

E tug digam en Amen gratias al seinhor valen, que el nos gart del tormen d'enfern orrible e puden. Amen.

1) P. Meyer, der das Stück veröffentlicht hat (Anciennes poesies relig. a. a. 0.), meint, daß diese Verse an den Schlufs von Cardinais Tara- tassa ni voutor (Nr. 55) erinnern; doch scheint mir dort die Ähnlichkeit viel weniger auffallend als hier.

Peire Cardinal 67

Im übrigen ist uns von volkstümlicher religiöser Dichtung aus den Tagen Cardinais so wenig erhalten, daß ihre Spuren in den Liedern unseres Trobadors sich mit Bestimmtheit nicht mehr erweisen lassen. Auch scheint es, dals die katholische Geistlichkeit die Fühlung mit dem niederen Volke gerade ^da- mals etwa in demselben Maße verlor, in dem die Bewegung der Katharer und Waldenser um sich griff. Vielleicht hat eben deshalb Cardinal sich bemüht, durch vereinfachte, der trobador- mäßigen Künstelei und aller persönlichen Pose entkleidete Dichtungen erbaulicher und belehrender Art die Kluft wieder zu überbrücken.

Mit dieser volkstümelnden Wendung nähert er sich nun freilich den Bestrebungen der Waldenser. Seine Stellung zu ihnen wird man mit einiger Sicherheit nur dann bemessen, wenn man sich über den merkwürdig schwankenden Gebrauch des Wortes Vaiides Klarheit verschafft. Die Anhänger des Petrus Valdus selbst pflegten sich Humiliaü oder Paupercs Lugdunenses zu nennen. Es ist auch „kaum ein Zweifel mög- lich, daß, wenn die Bewegung innerhalb der Kirche hätte bleiben können, die Genossen des Waldes, ähnlich wie die älte- sten Jünger des heiligen Franz, als Gehilfen der römischen Geist- lichkeit ihre Arbeit am Volk getan hätten."^) Im Jahre 1184 aber wurden sie von Papst Luzius III. zum ersten Male mit dem Bann belegt, und ihre Gegner haben ihnen den Namen Waldenser angeheftet,^) den sie selbst nicht gewählt hatten und immer wieder abzuschütteln sich bemühten. Dies bezeugen uns unter anderen die folgenden Worte der Nobla Leyczon:

Mas l'escriptura di, e nos o poen veir, qua si n'i a alcun bon que ame e tema Crist, que non volha maudire, ni jurar, ni mentir, ni avoutrar, ni aucire, ni penre de l'autrui.

*) Karl Müller, Die Waldenser und ihre einzelnen Gruppen bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts, Gotha 1886, S. 11.

2) Die älteste datierte Urkunde, in der er vorkommt, ist das Edikt des Königs Alfons von Aragon vom Jahre 1192 (Hahn, Gesch. der Ketzer im Mittelalter, Stuttgart 1845 ff., Bd. II, S. 703).

5*

r»b (). AlilKindlmi;,': Karl Vüssler

ni venjarse de li seo enemis,

illi tliron (|u'es Vaudes e degiie de punir.*)

„Die Schrift siber sagt, und wir küiineii es sehen, daG, wenn es irgendeinen Guten gibt, der Jesuni Christum liebt und furchtet, der nicht will fluchen, noch schworen, noch lügen, noch ehebrechen, noch tüten, nocli den Nächsten berauben, noch sich an seinen Feinden rächen, sie sagen, er sei ein Waldenser und würdig Strafe zu leiden." In ganz ähnlichem Sinne äuf^ert sich nun auch unser Cardinal:

Mas Jacopi apres maniar non queza, an[z] desputon del vin cals meillers es

et an de plaitz cort establia,

et es Vaudes qui * Is ne desvia.^)

Nach Tische ruh'n die Jakobiner nicht, nein, streiten, welcher Wein der beste sei, und setzen einen Weinrat ein, und wer sie stört, ist ein Vaudes.

Eine gewisse Sympathie für die Waldenser läßt sich in diesen Versen nicht verkennen, und man sieht, wie die Anti- pathie gegen das Wohlleben der katholischen Geistlichkeit dabei im Spiele ist. In der Sittenstrenge lag ja auch die Stärke und Werbekraft der Waldenser, während sie, was die Glaubenslehre betraf, sich möglichst auf dem Boden der Kirche hielten. „Fides, ut ipsi dicunt, una est in ecclesia Romana et in congregatione Waldensium, licet discrepantia sit in operi- bus" schreibt der Dominikaner Moneta von Cremona.^) Ja,

^)'Ant. De Stefano, La noble le9on des Vaudois du Pieniont, texte critique, introduction et glossaire, Paris 1909, vers 375 ff. (Genfer Dis- sertation). Die Entstehungszeit der nobla leiczon ist mir auch nach den Bemühungen De Stefanos, der sie an das Ende des 14. Jahrhunderts legen möchtö, noch immer zweifelhaft.

2) Nr. 1, Str. 2 (Mahn, Ged. 6 und 1233)

^) Adversus Catharos et Waldenses, Rom 1713. S. 405. Ähnlich der Chronist Pierre de Vaux de Cernay (Recueil des Histor. de France, XIX, S. 6).

Peire Cardinal 69

die Waldenser haben später im Verein mit den Katholiken das Katharertum bekämpft.^) Warum sollte nicht auch unser Cardinal im Kampf um die Reinheit der Sitten ihr Bundes- genosse gewesen sein? Zu ihrer Sekte brauchte er darum noch lange nicht zu gehören. Wenn man heutigentags als Waldenser kurzweg die Mitglieder waldensischer Gemeinden bezeichnet, so darf man nach den Forschungen von Karl Müler^) mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß im romanischen Sprach- gebrauch des Mittelalters der Name lediglich auf die apostoli- schen Reiseprediger, die sogenannten perfecti bezogen wurde. Zu Cardinais Zeit verstand man unter Vaudes eine Geheim- gesellschaft von Wanderpredigern, die, in Nachahmung der Apostel, all die Vorschriften der Aussendungsrede Christi im 10. Kapitel Matthaei buchstäblich befolgten. Sie zogen, zwei und zwei, mit hölzernen Sandalen an den Füßen, in einfachen AVollkleidern und ohne Geld von Ort zu Ort und ließen sich auf Straßen und freien Plätzen hören. Es waren zumeist Leute der ärmeren Klassen, Männer und Frauen ohne Unter- schied. An dem Auftreten der Frauen als Prediger nahmen, wie man sich denken kann, die Katholiken den größten An- stoß.^) Und mit diesen bettelnden Männlein und Weiblein auf Sandalen zusammen sollte Peire Cardinal, der höfische Troba- dor, sich im Lande herumgetrieben haben? Fahre ahnt wohl nicht, was er seinem Dichter zumutet, indem er ihn unter die Waldenser steckt. Er erinnert sich wohl nicht mehr an eines der bittersten Rügelieder Cardinais L'afar del comte Gido (Nr. 28)*), wo es in der zweitletzten Strophe heißt:

Encaras sera'l sazo que * 1 segle non aura ley e ' 1 clerc iran a torney e femnas faran sermo.

^) Siehe Luchaire, im Journal des Savants 1908, S. 17 ff.

2) Die Waldenser, Gotha 1886. ^) Alphandery a. a. 0., S. 125.

*) Mahn, Ged. 1226, 1227 und 972.

<" (j. Aliliaiidlunj,^: Karl Vosaler

Nahe sind die Zeiten schon, wo die AVeit sich ganz verkelirt, /um Turnier der Pfaffe j^eht und das Weib die Fredigt hält.

Wenn Theorie und Praxis ein und dasselbe wären, dann Ireilich könnte Cardinal Waldenser gewesen sein; denn in den Gedanken berührt er sich vielfach mit ihnen. Wie hätte ihre schroffe und starre Art seinem doktrinären, begriffsfreudigen Geiste nicht zusagen sollen? ,Den Waldensern fehlte alles Mystische, sie waren ebenso weit entfernt von der gefühlvollen Frömmigkeit Bernhards wie von der liebenswürdigen Schwär- merei des Heiligen von Assisi. Sie waren Moralisten, so schlicht und gerade, aber auch so starr und unbeugsam, wie die Männer zu sein pflegen, die vom Idealismus der Pflicht erfüllt sind." ^) Wie ihnen, ist auch unserem Dichter die schlaffe Bul^praxis und das Ablafa wiesen der Kirche verhaßt.

E s'ieu ia vuelh estrangolar romieu,

perdonat m'er, ab que done del mieu.

S'aver non ai, forfach ai pendemen,

e s'ai aver, manh lag fort me defen. (Nr. 16.)^)

Will ich erdrosseln einen Pilgersmann, vergibt man mir, wenn ich 'ne Schenkung mach'. Doch, hab' ich nichts, so werd' ich aufgehängt, und hab' ich was, leist' ich mir manche Sund'.

Waldensisch gedacht könnte auch Cardinais Auffassung des Meßopfers sein.

Aus tu que cantas las messas e fas a Dieu tas promessas? Si no so Sanas tas pessas, obras a ton dampnamen.

^) A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands IV, 3. und 4. Auflage. Leipzig 1913, S. 898.

'^) Leider ist dieses wichtige Riigelied nur lückonliaft in der einzigen

Peire Cardinal 71

Sei que fai lo sagrifizi no s tanh que * s pes nuil malvizi, ni qu'en aquel panh s'afizi, mas sol el sant sagramen.^)

Merke, Priester, der die Messe singt und seinem Gott gelobet, wenn nicht ehrlich dein Gedank' ist, schlägt's dir zur Verdammnis aus.

Jenem, der des Opfers waltet, ziemt es nicht, unrein zu denken und am Brote nur zu hangen, sondern ganz am Sakrament.

In seiner Äußerung gegen das unnötige Schwören kann man ebenfalls einen waldensischen Zug sehen.

A! greu sera est segPen Pestamen que a estat, segon que auzem dir; que hom era crezutz ses sagramen ab sol la fe, si la volgues plevir, e veritatz era sens escondire.^)

Zu jener Schlichtheit, ach! kehrt nimmer wohl die Welt zurück, von der man uns erzählt. Man glaubte einem damals ohne Schwur aufs bloße Wort, wenn man's verbürgte, hin. Keine Verleugnung griff die Wahrheit an.

Vor allem die Innerlichkeit und der Wert, den Cardinal auf die Gesinnung und auf die Güte des Wollens legt, im Gegensatz zu den Äußerlichkeiten des Kultus und der Buß-

Hs. C erhalten (Mahn, Ged. 983). Man vergleiche damit die Verse 387 f. der nobla leyczon. In Appels Chrestom. Nr. 108 sind es die Verse 49 If.

^) Nr. 27, Str. 21 f. Über die Stellung der Waldenser zum Sakra- ment der Eucharistie vgl. Herzog a. a. 0., S. 214ff.

2) Nr. 60, Str. 2 (Rayn. Choix IV, S. 359 u. Mahn, Werke II, S. 184).

'- (). AMiiincllung: Karl WishIct ^

praxis, kurz sein ethisches Schwergewicht ist es, was ihn den Waldensern nahebringt, und niclit nur diesen, sondern all den verwandten Ik'strebungen jener Zeit nach Erneuerung und Vertiefung des religiösen Lebens. Ebensogut wie an die Armen von Lyon könnte man an die sogenannten katholischen Armen denken, die von Innozenz IIL begünstigt wurden, oder an die Anfänge der dominikanischen und der franziskanischen Bewe- gungen. Es ist unmöglich und darum müijig, unseren Dichter dieser oder jener Sekte, diesem oder jenem auüerkirchlichen Glaubensbekenntnis zuweisen zu wollen, denn er war nicht nur kein extravaganter Dogmatiker, sondern dogmatisch über- haupt nicht interessiert. Da ihm die kirchliche Lehre eine Selbstverständlichkeit ist, kommt ihm alles nur darauf an, daß Ernst mit ihr gemacht werde.

V. Geistlich-weltliches Lebensideal.

Zunächst sollen die Prediger einmal ihre eigenen Worte befolgen. In dieser Forderung begegnet sich Cardinal so ziem- lich mit allen Satirikern seiner Zeit.^)

Predicator

tenc per meillor

cant fai Fobra que manda far,

non fas sellui

que Fobra fui

e als autres vai predicar.

Qui^) en predic

met son afic,

lo fag e 1 dig deu aiostar,

car meills lo cre

aquel que * 1 ve

son predic per Fobra mostrar. ^)

*) Vgl. z. B. Loramatzsch, Gautier de Coincy als Satiriker, Halle 1913, S. 32 und 38. ^) Korrigiert aus que.

3) Nr. 42, Str. 1 f. (Mahn, Ged. 941).

Peire Cardinal 7o

Ich lobe mir

den Prediger,

der auch erfüllt, was er verlangt,

jedoch nicht den,

der uns ermahnt

zum Werk, vor dem er selber bangt.

Wer sich verlegt

aufs Predigen,

passe dem Wort sein Handeln an.

Man glaubt ihm recht

erst, v^enn man sieht

wie er im Beispiel geht voran.

Die Geistlichkeit aber, sagt er, sei anderer Meinung.

Ben Volon obediensa

selhs de la clercia, e Volon ben la crezensa,

sol l'obra no y sia.^)

Den Gehorsam hat man gerne

bei der Klerisei, auch den Glauben nur daß ferne

jedes Tun ihm sei!

Mit Frömmigkeit und Beten allein ist nichts getan.

Qui vay Deu pregar e re no vol far de ren qu'anc (elh) dis e ses s'a*), pauc li deu Dieus dar.^)

Wer sich betend naht Gott und keine Tat

1) Nr. 25, Str. 5 (Parn. occ, S. 309 und Rayn. Choix IV, S. 340).

^) Dissessa C und M, diessessa /; reimt auf promessa ; ses fasse ich als senz = Sinn, Absicht.

^) Nr. 38, Geleit (Mahn, Ged. 977, 978 und Studj d i fil. rom. IX S. 514).

' 1 (j. Alili;indlun^': Karl Voshler

dem eigenen Uat laut folgen liat })(3i Ciott kein' Giuid'.

Das einzige, was vor Gottes Kichterstuhl Geltung behält, sind unsere Werke.

Non cug (|u"a la niort negus plus enport aver ni arney, mas los faitz que l'ey.^)

Keiner, glaube ich, nimmt im Tod mit sich Habe oder Macht, nur was er vollbracht.

Soviel aber Cardinal auf Betätigung des Glaubens und Ausführung der göttlichen Gebote hält, so kann man ihn doch nicht als einen Fürsprecher der Werkheiligkeit betrachten. Zunächst ist er Satiriker und richtet sein Augenmerk vorzugs- weise auf die Verfehlungen und Unterlassungen, und dieses negative Geschäft hat ihn zur Entwicklung einer positiven re- ligiösen Ethik nicht recht kommen lassen. Einige bemerkens- werte Ansätze dazu finden sich nur in den zwei Reimpredigten Nr. 27 und 42. Hier zeigt sich nun freilich, daß er auf kirchliche Übungen keinen sonderlichen Wert legt.

Perdonas leu,

venzas vos greu,

e non vos cal cheira portar.

Amas amics

et enemics,

e no*s cal anar outramar.^)

Vergebet leicht,

rächt euch nicht gleich,

so brauchet ihr kein Hemd aus Haar.

1) Nr. 40, Geleit (Rayn. Choix IV, S. 347 und Parn. oec, S. 311).

2) Nr. 42, Str. 23.

Peire Cardinal ^^

Liebet den Freund

und auch den Feind,

so braucht ihr keine Meeresfahrt.

Zu Kreuzzügen und Pilgerfahrten hat denn auch Cardinal niemals, soviel wir wissen, aufgefordert, und das will im Zeitalter des Kinderkreuzzuges schon viel heißen. Immerhin rechnet er es den Rittern und der Geistlichkeit zur Schmach, dalä sie das Heilige Grab vergessen und lieber das Land des Nachbars rauben als das der Sarazenen erobern.^) Ebenso verlangt er vom Mönch, daß er seine Regel befolge und sein Gelübde erfülle.^) Jeder Stand hat eben seine besonderen Pflichten ; daher sind Cardinais Mahnungen in durchaus mittel- alterlicher Weise noch nach Ständen und Berufsklassen ab- gestuft.

Per que cascus en sa vida

de l'obra que Fes cobida,

mentre que'l clartat lo guida,

deuria obrar lialmen.^)

Jeder sollt' in seinem Leben das, was ihm ist aufgegeben, ehrlich wirken und erstreben stets solang das Licht ihn führt.

Hinter dieser kirchlichen und sozialen Ethik aber, deren Darstellung als einer ziemlich bekannten und herkömmlichen Sache wir uns schenken dürfen, zeichnen sich, wenn auch erst schattenhaft, die Umrisse eines allgemein menschlichen und in- dividualistischen Bekenntnisses ab. Es sind die Anfänge einer vertieften Gesinnungsethik. Diese nimmt, ähnlich wie bei den Waldensern und Franziskanern, ihren Schwung aus der Stel- lung zum Reichtum und Besitz, fordert aber nicht wie jene den tatsächlichen und völligen Verzicht darauf, nicht die frei- willige Armut, sondern, was weniger und doch wieder mehr

1) Vgl. Nr. 18, Str. 4 und Nr. 51, Str. 5. 2j Nr. 27, Str. 34 f. ^) Nr. 27, Str. 19,

t^* (). Aliliiiiullun;,': Karl \ osslei

ist, die innere Freiheit und seelische Loslüsung von den Gütern dieser Welt. Schliclit und schön sind diese Gedanken aus- geführt in dem folgenden Lied:

Lo sabers d'|aqujest segle es foudatz, e Dieus dis o, e troljani o ligen, et ieu cre ben sos ditz verayamen, qu'ieu vei qu'il ricx son savis apellatz e'ls paubres son fols^) e caitius clamatz. AI ric parec, del siecle trespassan, et al Lazer, cal raes Dieus en soan.

La riqueza d'est segl'es paubretatz a sels que Tan conquista malamen: qu'el en pert Dieu e s'arma eissamen e re no (i)a pos quez es trespassatz et es plus fols^) que trichador de datz que per aver gieta Dieu ab son dan, ni per honor^) que malamen guazan.^)

Ges paubres hom non deu esser cassatz,

qu'atressi ha sen et entendimen,

com a lo ricx, e razo eissamen,

e trobar n'es de be aconseilhatz,

que si eis son en conseill apellatz,

eis lo(s) daran lial e ses engan,

e qui Is creira no i pora aver dan.

Mas tant es grans del segle ' 1 cobeitatz que nuls non ve son dan ni no Tenten, e Fenveia es tan grans de la gen, d'aver maisons, terras et heretatz. A guiza d'orb*) si gieton eis baratz, e can vezon que ' is baratz van ^) montan, empenhon s'i ades mays adenan.

^) fela C. ^) aver I. ^) sespan I.

*) a guiszardos I. -') vai C.

Peire Cardinal

Sels qui volran de Dieu esser amatz

aion en si leial entendimen

et ajoston so qu'auron leialmen

e fasson ben als paubres dezairatz,

que'l mandamens nos fo aifcals donatz;

e qui non a que don, aia'l talan,

qu'ill voluntatz venra a Dieu denan.

Maire de Dieu, siatz de mi membran lai on seran iutgat li pauc e'l gran.*)

Die Weisheit dieser Welt ist Narrentand, das sagt uns Gott, das liest man in der Schrift und glaub' ich seinem Wort wahrhaftiglich. Wohl heißt's, der reiche Mann sei voll Verstand, die Armen werden dumm und schlecht genannt. Am Lazarus und reichen Mann ward klar, wer Gott im Jenseits wohlgefällig war.

Zur Armut wird der Reichtum dieser Welt für jeden, der ihn wider Recht erwirbt, weil er's mit Gott und seiner Seel' verdirbt und nichts ihm bleibt, wann ihn der Tod gefällt. Ein Narr, der's Spiel auf falsche Würfel stellt, ist klüo^er noch als wer um Reichtums Trug und falsche Ehre sich mit Gott zerschlug.

Man weise nie zurück den armen Mann;

er hat nicht weniger Verstand und Witz

und Gründe als der Reiche im Besitz;

und wohlberat'ne Arme findet man,-

sobald man sie zum Rate zieht heran :

dann helfen sie euch ohne Falsch, und treu;

wer ihnen glaubt, der fährt nicht schlecht dabei.

1) Nr. 34 (Mahn, Ged. 643 und 644). Da auf Grund der Mahnschen Drucke kein einwandfreier Text sich gewinnen läßt, habe ich nur die wichtigsten Sinnvarianten von 643 = / und 644 = C berücksichtigt.

78 C. Al>li;iiulliiii}^': Karl \'ossler

Allein, so j^ieri<^ ist die Leidenschai't,

daü keiner sein Ver(ler))en mehr erkennt.

und jeder nui- voll lliibsucht rennt,

auf daß er Erbschaft, Haus und ilof errafft.

Und auf Betrug stürzt man mit blinder Kraft.

und wenn sie seh'n, wie ihr Betrügen glückt,

so sind sie gleich noch tiei'er drein verstrickt.

Wer wohlgefällig sein will seinem Gott,

erfülle sein Gemüt mit Redlichkeit

und sammle, was mit Recht ihm zugedeilit,

und lindere der armen Leute Not,

denn so ist uns ergangen das Gebot.

Und wer nichts hat zu geben, sei's gewillt,

der Wille schon vor Gottes Antlitz gilt.

Mutter des Herrn, wollest gedenken mein am Tag des Spruches über Groß und Klein.

Daß mit dem guten Willen, der vor Gottes Angesicht Gnade findet, das fromme Herz oder die heilige Gesinnung im evangelischen Verstände des Wortes gemeint ist, kann nicht bezweifelt werden. Cardinal mag an das Scherflein der Witwe gedacht haben oder an die Worte des Apostels Paulus: Si enim voluntas promta est, secundum id quod habet, accepta est, non secundum id quod non habet (2. Corinth. VHI, 12).

Gerade von dieser Ethik der heiligen Gesinnung aus ge- winnt Cardinal aber wieder ein freundliches Verhältnis zu den weltlichen und höfischen Werten.

Dieus e bona voluntatz garnis los pros e ' Is aders de vertutz e de sabers e de Valens faitz honratz

e Is fai entendens e cortes e conoyssens e larx e gent ensenhatz et amoros e privatz,

Peire Cardinal ^9

que puescon plazer a Luy quan los vol aver.

Et es ben desazi(s)matz ^)

qui no vol valer sivals ab sol lo voler.^)

Guter Wille, eins mit Gott, rüstet hoch den braven Mann aus an Tugeud und Verstand und an Taten ehrenvoll,

macht den Sinn ihm klar, macht ihn höfisch und erfahren, macht ihn mild, verständnisvoll, liebreich und vertraut, daß wohl

er dem Herrn gefällt, wann ihn der zu sich bestellt.

Der ist aber ganz bankrott,

der auf sich nichts hält, dem sogar der Wille fehlt.

Auch hier ist die Güte oder Heiligkeit des Willens im religiösen Sinne gemeint, nicht etwa, wovon das Mittelalter noch kaum etwas wußte, dessen Energie im psychologischen Verstand. Die Kirche hat diesen Willen bald als die tätio-e Liebe zu Gott und den Menschen bestimmt, bald als den inner- lichen und die Kraft der Rechtfertigung vor Gott in sich selbst tragenden Glauben des Einzelnen. Den Gedanken der Recht- fertigung durch den Glauben finde ich bei Cardinal noch nicht entwickelt. Unser Dichter bleibt in der Hauptsache, wie auch Dante noch, auf dem Standpunkt der Liebesethik. ^)

Tot son esfortz d'arm' e de cors

') mal aiuratz M, deszazematz /.

2) Nr. 33, Str. 5 und Geleit (Mahn, Ged. 973 u. 974 und Studj di fil. rom. IX, S. 514f).

^) Vgl. meine Ausführungen über Paulus und Dante. Vossler, Die göttliche Komödie, Heidelberg 1907, S. 348—365.

'^^ (i. Abliiindlmi«;: l\;irl Vossler

(It'ii hom rnetre eii Dien ;imar,

[)ueis am la gen

tot eissanien:

e se garda de son pezar.^)

Eine unverkennbare Erinnerung an das Evangelium Mat- tliaei, XXII, 37 39; und, wie im Evangelium, so steht auch hier unmittelbar daneben der Gedanke an das göttliche Gesetz.

E sabes, cals

es hom lials

e quäl pot per lial anar?

Qui la lei crei

e ten la lei

e segon la lei vol obrar.

Dafä diese evangelische Liebe sich vorzugsweise und fast ausschließlich in der Mildtätigkeit und Freigebigkeit mit Al- mosen auszuwirken hat, versteht sich bei einem mittelalter- lichen Moralisten ohne weiteres. Cardinais Forderungen und Mahnungen richten sich demgemäß am nachdrücklichsten und häufigsten an die oberen Stände, denn nur diese verfügen über die materiellen Mittel, um das Gebot der Liebe in die Tat der Milde umzusetzen. Dem kleinen Mann bleibt für die Aus- übung seines sittlichen Wollens dabei nur das Gebiet des Ge- horsams und der Treue noch übrig. So lebhaft Cardinal für die Armen eintritt, so ist er doch weit entfernt, ihre eigenen Bemühungen um Verbesserung ihres Loses zu billigen. Es soll ihnen geholfen werden, aber wenn sie zur Selbsthilfe schreiten, verhöhnt er sie.

Vilas no solon aver sen mas de laorar solamen ; aras son vezat e sahen, s'anplen la pelh,^)

^) Nr. 42, Str. 26. Das son des letzten Verses bezieht sich wohl t^leichermaßen auf J)eu und la gen.

2) Raynouard und Mahn lesen : s'an plen la pelh.

I'eire Cardinal öl

et a plag, avan sagramen, queron^) libelh.^)

Die Bauern richten sonst allein auf Arbeit ihr Verständnis ein, jetzt aber sind sie klug und fein

und stark im Fressen, seh'n vor dem Schwur die Akten ein

bei den Prozessen.

Die Eigenart der Cardinaischen Ethik liegt demnach nicht in dem Inhalt ihrer Forderungen, denn dieser überschreitet nirgends das weite und hohe Maß der christlichen und kirch- lichen Lehre; sie liegt eher in dem Nachdruck, der auf das spezifisch Evangelische dem spezifisch Kirchlichen gegenüber gelegt wird, und besonders in dem Streben , das evangelische Lebensideal mit dem höfischen in Einklang zu bringen. Frei- lich, auch damit steht Cardinal nicht allein. Der Ungenannte, der im Jahre 1254, also etwa in der Spätzeit unseres Dichters oder wenig nachher, die 34 religiösen Gedichte der provenzali- schen Handschrift in Wolfenbüttel verfaßt hat, weist diesem Streben mit kindlicher Klarheit die Bahn, wenn er sagt:

Mais en vertatz vos die: In Wahrheit sag' ich Euch:

se eil qu'en haut e ric*) Wenn die, die hoch und reich,

volgueson son poder gebrauchten ihre Macht

far e dreitz mantener, zu Recht und hätten acht,

las domnas ses mariz daß sie die Witwen stützten,

et los orfan[s] petiz den kleinen Waisen nützten

et los desconsellatz, und allen, die in Nöten,

de sas granz richitaz und wenn sie Hilfe böten

als paubres famellos aus ihrem Überflufs

donason per saizons, dem Mann, der hungern muß,

mantengezon drichura, und für das Recht sich rührten,

et malmezon falsura, die Falschheit überführten,

e feizon sens a ren wenn sie zu allen Dingen

quant pogexon de ben: ihr Bestes wollten bringen:

^) Raynouard und Mahn lesen qu'eron libelh, was keinen Sinn gibt. 2) Nr. 63, Str. 6 (Raynouard Choix IV, S. 442 und Mahn, Werke II, S. 199). ^) Korrigiert aus erit.

Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1916, 6. Abh. 6

o2 G. Abhandlung: Karl VoBHler

sens del toi delenquir brauchten sie nidit zu meiden

quest mon et sens jtartir die Welt, sich nicht zu scheiden

po<?nin en son aver von ihrem Gut und Reich,

estar et renianer sie könnten so zugleich

et quest seit^le menar das Zeitliche versehen,

et l'autre gazagnar. M im Kwigen bestehen.

In einem so ruhigen Licht wie dieser Ungenannte, der jedenfalls ein Geistlicher war und, wie es scheint, weit von Reichtum und Hofstaat entfernt, im Elend geschmaclitet hat,*) vermochte Cardinal die Sache nun freilich nicht zu sehen. Denn ihn ging sie persönlich an. Auch er war Kleriker, lebte aber an glänzenden Höfen und mußte für sich selbst die Lösung finden, den Kindern der Welt zu gehören, ja sogar ihnen angenehm zu sein und doch der Weltlichkeit nicht zu verfallen. Dem Papste Innozenz HI. war die in Südfrankreich verbreitete Unsitte, daß Geistliche, anstatt in ihren Klöstern oder Gemeinden zu wirken, sich an Fürstenhöfen um Gunst und Ansehen bemühten, schon lange ein Dorn im Auge. Er kannte die kirchlichen und seelischen Gefahren dieses Doppel- verhältnisses und hat in einem Schreiben vom April 1198 dem Erzbischof von Auch seine Mißbilligung folgendermaßen aus- gedrückt: „Ad audientiam siquidem nostram noveris pervenisse quod monachi, canonici et alii reguläres in tua provincia con- stituti, cum deberent potius in claustro juxta regularia consti- tuta divinis obsequiis vigilare de obedientiis et redditibus, quo- rum curam gesserunt, pecunia congregata, claustrum abhor-

^) Bekker, Provenz. geistl. Lieder des 13. Jahrhunderts in den Ab- handlungen der Akademie in Berlin 1842, Nr. 7. Der Text ist, wie man sieht, einigermaßen verdorben, jedoch dem Sinne nach in der Hauptsache klar. Derselbe Text bei E. Levy, Poesies relig. prov. et fran^. Paris 1897, S. 49 f. Die Worte feizon sens a ren quant pogezon ile hcn deute ich an- ders als Levy. Wahrscheinlich haben sich hier zwei Konstruktionen ge- kreuzt, nämlich: erstens feizon sens a ren ([ue pogezon, zweitens feizon de hen quant pogezon.

2) In einem anderen Gedichte (Nr. 14) sagt er: et de prizon on ai [ejstaz XX. ans et plus estres mon graz, et d'aiquest tormens on son vos quier, domna, deliuraxon.

Peire Cardinal 83

rentes, per curias principum et pofcentum discurrere non verentur, et muneribus suis illorum sibi gratiam et favorem acquirunt, ac de eorum familiaritate confisi, in conventu suo graves dis- sensiones commovent, et caeterorum humilitatem in spiritu ar- rogantiae contemnentes, mandatis praelatorum suorum inobedi- entes et contumaces existunt, et contra illorum prohibitionem saecularium negotiorum sollicitudinibus se immergunt."^)

So schlimm mag es unser Dichter zwar nicht getrieben haben. Wir wollen annehmen, daß er die höheren Priesterweihen gar nicht empfangen hatte oder doch wenigstens als Kanonikus kein „regularis" war und daß in rechtlicher und gesellschaft- licher Hinsicht ein Zwiespalt zwischen Geistlichkeit und Sä- kulum für ihn nicht bestanden hat. Der seelische Zwiespalt war darum nicht weniger vorhanden. Hätte Cardinal ihn nicht empfunden, wäre dieser ihm nicht ins Herz gegangen, wie hätte er nur so bewegliche, so grausame und heiße Worte finden können, um die verweltlichte Gesinnung der Geistlichkeit zu züchtigen? Sobald seine Satire sich gegen den Klerus wendet, nimmt sie eine wilde, finstere, glühende Art an. Wir haben gesehen, wie sie dem Hofwesen, den Reichen, den Großen und den Galanten des Säkulums gegenüber meist etwas Frostiges, Spielerisches und Verstandesmäßiges hatte. Hier aber zeigt sie eine tiefere und blutigere Farbe. Ja, man kann sogar be- obachten, daß in einigen Liedern, in denen beide Stände zu- gleich vorgenommen werden, die grimmigere Tonart aus der geistlichen Satire quillt.^)

Cardinais Lieder über die Minne haben uns gezeigt, wie er sich eine Zeitlang schmeicheln durfte, dank seinem klaren, philosophisch gekühlten Temperament, für seine Person wenig- stens die Lösung gefunden zu haben, und daß es ihm tat- sächlich gelungen ist, in höfischer Gesellschaft sich wohl und beliebt zu fühlen und doch eine lächelnde, ironische Erhaben- heit über die Eitelkeiten der Welt zu bewahren. Es gibt eine merkwürdige Reimfabel von ihm, deren Text hoffnungslos

1) Migne, Patrol. lat. 214, Sp. 70f.

2) Vgl. die Nummern 37, 47 und 60.

84 C. Al»liandlunj(: Karl V'ossler

entstellt und lückenhaft nur in einer Handschrift^) uns er- halten ist. Um das Verständnis des Wortlauts habe ich mich mit der freundlichen Hilfe Emil Levys, leider mit wenig Er- i'ohff bemüht. Den allgemeinen Sinn aber hoffe ich nicht zu miüdeuten, wenn ich annehme, daf3 Cardinal seine neidlose Höhe über den Freuden und Enttäuschungen des sinnlichen Weltwesens mit dichterischer Freiheit hier etwa folgender- maßen hat darstellen wollen.

„Möge der Schöpfer der Welt alle Wackern und Edeln bei Hofe wie in der Bürgerschaft erlösen! Mich hat er zu ihnen hergeschickt, um zu erzählen, was ich von einem frohgemuten braven Könige weiß, der die wahre Ehre pflegt und in Worten und Taten gute Sitte und Lebensverstand übt. Gemeine und schlechte Menschen mag er nicht um sich haben; er kann ihren Anblick nicht ausstehen. Das sieht man an der sinn- reichen Art, wie er sich gegen sie zu helfen weiß. Habe ichs doch letzthin selbst mit angesehen, wie er ihrer mehr als hundert sich vom Hals geschafft (oder kuriert?) hat. Draußen auf einem offenen Platz hat der König (offenbar mit allerlei Hokuspokus) eine Salbe herstellen lassen: eine Salbe aus Nebel und Wind und (zur Würze vermutlich) tat er hinein: Fiedel- klang und Gesang {vieuladura e lays), fröhliche Töne und Käfer - gezirpe (kurz, allerhand trügerisches Getändel und Geklimper), Kälbersprung und Weiberlaune, Windgebraus und Lerchen- wirbel, Nachbarnklatsch, Winkelzüge, Hinterlistigkeiten und falsche Liebesschwüre, Bachgemurmel, Schäferinnengesang und Krämertrug, müden Pilgertrab, Kniffe des Würfelspiels, Jagd- hundsgebell, Fersenweh und Schmerz vom Rückenhieb, Geruch nach Küche, nach Lendenreißen und Hühnermilch. Genug der Arznei! Das Gefäß aber (in dem diese Salbe unserer Täu- schungen, Illusionen und Narrheiten aufbewahrt wird) ist aus purem Golde, mit Hyazinth, Rubin, Saphir und Granat besetzt und funkelt gewaltig. Der Deckel ist aus marmo- riertem Jaspis mit einem köstlichen und wunderbaren Kar- funkelknopf darauf; und am Rande des Deckels herum sind

1) R, gedruckt bei Mahn, Gedichte 1245, Nr. 14 bei Bartsch.

Peire Cardinal 85

die sieben Künste der Liebe abgebildet und die musterhaften Liebhaber: Pjramus und Thisbe, Cliges und Fenisa (?), Flore und Biancaflor, Tristan und Isolde und viele andere. Und um all das schlingt sich als Saum das tiefe Meer. Im fernen Osten ist das Gefäß von Kappadoziern und Griechen gefertigt worden, und der türkische Sultan hat es letzthin den Franken zum Geschenk gemacht. Tausend Zentner Silber mag es v^^ert sein, w^enn ich mich nicht täusche. Die Salbe aber ist nun fertig und wohl geknetet. Mögen alle gut Veranlagten, die Edeln und Liebreichen, herbeikommen und sich auf unsere Seite, hierher zu der köstlichen Salbe bemühen: gleich werden sie ganz dadurch gesunden. Und wer sich schämt, davon Ge- brauch zu machen, wird es am nächsten Tage schon bereuen."^)

Offenbar denkt Cardinal sich seine Salbe homöopathisch. Mit einem Gebräu aus täuschenden, flüchtigen, windigen Freuden und Leiden will er seine weltlichen Kranken von allem Schein- wesen heilen, will sie wahrhaftig, gediegen, standhaft und getreu bis in den Tod machen, wie Pyramus und Thisbe, Tri- stan und Isolde waren. Nach dem Grundsatz similia similibiis ciirantur will er ja auch in seinem Rügelied D' Esteve de Bel- mon m'enueia^) den Erz Verräter Stephan von Belmon absieden lassen und aus dessen Säften eine Salbe gewinnen, mit der man alle anderen Verräter kurieren kann. So bietet er also in der merkwürdigen Reimfabel, wenn ich deren Bruchstücke richtig verstanden habe, mit Ironie und Güte, mit Laune und Gleichmut, als phantastische Quacksalbe zubereitet, uns eine stille und hohe Lebensweisheit an , die vom Vergnügen sich nicht locken und vom Schmerz nicht trüben läßt.

Ein anderes, ebenfalls arg entstelltes Lied, wahrscheinlich

^) Die zwei letzten Verse lauten:

E qui vergonh'aura estug l'a Tendema.

Wenn man estug als estuet oder estot {== nordfranzösisch estuet) deuten darf, so gibt es einen guten Sinn, nämlich: Wer sich schämt, dem ist schon den Tag darauf die Salbe nötig.

2) Nr. 19, Str. 2 (Mahn, Ged. 762, 763).

86 (i. Ahhandliin«,': Karl Vossler

ein Doscort,^) zeigt uns den Dichter in lioclifliegenden AViin- schen sicli wie<(end, vielleicht scherzliaft, vielleicht elegisch. Mächtig, reich und geehrt möclite er sein wie ein Kaiser, seine Feinde möchte er erniedrigt sehen, seine Freunde aber nicht reicher als er selbst ist, damit sie im Hoclimut ihn nicht vergessen. Und wenn er nun weltliche Macht und Reichtümer in Händen hätte, so wollte er ein Ausbund von Freimut, Kühnheit, Treue, Liebe und Milde sein, und Gott zu dienen wäre sein höchster Wille. Kurzum, er w^ollte zeigen, wie alle zeitliche Herrlichkeit nur im Dienste der ewigen Gebote ver- edelt wird und Glück stiften kann.

Se avetz d'aur una plena ribieyra

e non avetz amor ni acordansa^)

ab Dieu ni ab gent de bona manieyra,

ia non avretz delieg ni benenansa,

que'l grans avers ten son don cossiros

e 1 bon'amors alegre e iojos,

que'l ricx s'irais on plus li amors dansa.^) (Nr. 24.)

Und habt ihr Goldes einen vollen Strom

und habt die Liebe nicht und Einigkeit

mit Gott und mit den Menschen guter Art,

so wird euch Freude nie noch Glück zuteil.

Denn Reichtum macht nur Sorge seinem Herrn,

die wahre Lieb' ihn heiter und vergnügt.

Den Reichen wurmt's je mehr die Liebe jubelt.

Über sein persönliches Lebensideal kann man nach all dem nicht mehr im Zweifel sein. Kein katharischer Welt- verächter, kein waldensischer Armutsbruder, kein überspannter Büfser, sondern ein einfacher, frommer Christ ist er gewesen, dem es an der Furcht vor Gottes Gerechtigkeit so wenig ge-

1) Nr. 59 (Mahn, Ged. 1253 nach T. Der Text in D war mir leider nicht zugänglich. Die zweite Strophe scheint als cobla esparsa auch in Y zu stehen, 4G1, 108 bei Bartsch).

2) acoindansa M. ^) raentre Tamoros dansa 37.

Peire Cardinal 87

fehlt hat wie an der Zuversicht auf dessen Versöhnlichkeit und Gnade.

Pensa * t doncx, cant ti sojornas, don moguis ni en que tornas, car sobremal t'arm'enfornas en trebaill et en tormen.

Mas cobreras, si * t castias, sol dezesperatz no * t sias, que Dieus ti vol, si'l volias, et as molt bon partimen.^)

Denke nach auf dieser Erden: wie du kamst, was du wirst werden schrecklich kannst du sonst gefährden deine See!' zu Qual und Pein.

Bess're dich, wirst mehr erlangen! Nur nicht in Verzweiflung bangen! Wolltest du Gott hat Verlangen auch nach dir, und Glück ist dein.

Die jenseitige Vergeltung spielt in Cardinais sittlichem Denken noch eine bedeutende Rolle. Dabei ist es für seinen Rigorismus bezeichnend, daß er niemals und nirgends von dem Zwischenreich des Fegfeuers spricht. Die Waldenser haben es geradezu geleugnet. Da die Lehre vom Fegfeuer zwar schon von Clemens, Origenes, Augustin und Gregor dem Großen vor- bereitet war, in festen Umrissen aber doch erst durch Thomas von Aquino (f 1274) dargestellt wurde und zu wichtigeren dogmatischen Verhandlungen erst auf dem Unionskonzil (1438) Veranlassung gab, so wäre es sehr voreilig, wenn man aus Cardinais Stillschweigen irgendwelche Schlüsse gegen seine Rechtgläubigkeit ziehen wollte. Man bedenke auch, daß sitt- liche Rüge und Ermahnung, auf die es unserem Dichter vor allem ankam, in der Hauptsache viel besser und nachdrück-

1) Nr. 27, Str. 66 f.

8S C. Al)liaiullijii^': Kail Vosöler

lieber mit der Droliung der Hülle und der Lockung des liini- niels arbeiten als mit der gemäfjigten Aussiebt eines zeitlicben Fegf'euers. Dazu kommt, daü Cardinal, bei der abstrakten und pbilüsopbiscben Neigung seines Geistes und bei der Blässe seiner Einbildungskraft, weder Lust nocli Begabung batte, die jenseitigen Reiclie mit sinnliclier Anscbaulicbkeit darzustellen und auszumalen. „Himmel" und „Hölle" sind ibm keine Bilder, sondern im Grunde nur Wertbegrift'e wie Verdammnis und Seligkeit. Es ist für seine Verhältnisse scbon viel, wenn er die Hölle einmal als orrihle c piiden kennzeichnet.

Für mittelalterliche Verhältnisse aber ist das, was Cardi- nais sittlicher und religiöser Glaube an kirchlichem und dog- matischem Außen werk und Formalismus vorweist, außeror- dentlich wenig. Er gehört zu den innerlichsten Christen seines Volkes und seiner Zeit. Seine Innerlichkeit aber ist nicht mystisch und schwärmerisch, hat gar nichts virtuos Gesteigertes, trägt keinen Heiligenschein, keine Kutte, kein Ketzerhemd, ist kein frommes Träumen und Spekulieren, sondern fromme Ge- sinnung unter einem beinahe alltäglichen und bürgerlichen, zumeist aber höfischen und weltmännischen Gewand.

Dies eben ist seine Eigenart und seine stille Sehnsucht zugleich: höfisch und christlich in Einem sein, in der Welt und ihrer Schönheit leben dürfen und ihr doch nicht gehören müssen. Einem solchen Temperament möchte man eine Zeit und eine Kultur gönnen, in der die sinnliche Welt nicht bloß durch minnesingerliche Süßigkeiten, sondern durch die Kunst der ganzen Antike veredelt wird und wo das religiöse Ge- wissen nicht bloß von Sektierern sich beunruhigen und von Fanatikern sich muß pressen lassen, sondern wo große Refor- matoren es befreien und vertiefen. Wieviel reicher und kühner hätte Cardinal in den Tagen Luthers und Huttens sein Wesen entfalten und w^ieviel gewaltiger auch in der Satire es aus- wirken können! Unwillkürlich muß man an jene Tage denken, wenn man die grimmen Sirventese liest, die er über die Schmach der Albigenserkriege gesungen hat.

I

Peire Cardinal oy

VI. Albigenserkrieg und Politik.

Im Sommer des Jahres 1209 brach das Heer der Kreuz- fahrer, alles auf seinem Wege verwüstend, in Südfrankreich ein. Am 22. Juli stand es unter den Mauern von Beziers. Herzöge, Barone und geistliche Fürsten aus Nordfrankreich führten es an. Sogar der Erzbischof von Bordeaux und der Bischof aus Cardinais Heimatstadt stießen zum Heer. Beziers, von Katharern und Katholiken heldenmütig verteidigt, v^^urde im Sturm genommen, und viel tausend Menschen, Ketzer und Rechtgläubige , w^urden unterschiedslos hingeschlachtet. Der junge Schutzherr von Beziers, Vizegraf Raimund Roger IL, hatte sich indessen mit seinen tapfersten Rittern in Carcas- sonne zur Verteidigung eingerichtet. Am 1. August begann die Belagerung dieses zweiten Bollwerks der Albigenser. In der Hoffnung, sein Volk vor weiterem Unglück zu bewahren, ließ Raimund sich durch falsche Versprechungen zur Übergabe be- reden. Man versprach ihm die Freiheit, warf ihn aber, als man ihn hatte, in das Verlies seiner eigenen Burg in Carcas- sonne und schaffte ihn meuchlings, vielleicht durch Gift, aus der Welt (10. November 1209). Mag sein, daß der Anstifter dieser Scheußlichkeiten der englische Graf von Leicester, Simon von Montfort, gewesen ist. Wenigstens war er schamlos und habsüchtig genug, um sich von dem geistlichen Führer des Kreuzzugs, dem Abt Arnauld Amalric von Citeaux, die Städte und Länder des verratenen und gemeuchelten Vizegrafen zum Lehen übertragen zu lassen. Die französischen Großen, der Herzog von Burgund und die Grafen von Nevers und St. Paul, hatten sich geweigert, mit so schnödem Erwerb ihre Ehre zu besudeln. Der von Montfort aber wurde fortan der militärische und politische Führer dieses brutalen Krieges, von dem er sich ebensoviel für seine Herrschsucht wie für sein Seelenheil versprach: ein Fürstentum in Südfrankreich und einen Platz im Paradies. Gegen ihn, meint Fahre, ^) richte sich, zunächst noch versteckterweise, das folgende Rügelied Cardinais, das

^) Annales du Midi XXI, S. 8, Anmerkung.

90 G. Alduuidliin^' : K;irl NoKsler

demnach das erste wäre, das auf den Albi^enserkrieg Bezug nimmt und Ende des Jahres 1209 gedichtet sein könnte. Leider kann ich es nur in der nietriscli und spraclilicli verwahrlosten Gestalt, in der Raynouard und Mahn es mitgeteilt haben, hier- herstellen.

L'arcivesques de Narbona

ni 1 reis non an tan de sen, que de malvaisa persona puescon far home valen. Dar pot hom aur et argen e draps e vi et anona; mas lo belh ensenhamen a seih a qui Dieus lo dona.

Quar, ab renda gran e bona, sai ieu un caitiu dolen que non fai condutz, ni dona ni somo ni acuelh gen; mal conquier, e pietz despen ; e si'l donavatz Bayona, non despendria'l renden, si cum valors o faissona.

Valors vol que hom somona e meta e gast'e prezen; et a una companhona, Caritat, que l'o cossen; e lai on Valors s'empren e Caritatz esperona, Malvestatz es per nien, quant ab ellas se tensona.

Tals a sus el cap Corona e porta blanc vestimen, qu'il voluntatz es fellona, cum de lop o de serpen, e qui tolh ni trais ni men ni auci ni empoizona:

Peire Cardinal «^1

ad aquo es ben parven quals volers y abotona.

Ar diran que ieu despona mon sirventes a la gen, quais qu'ieu ai lengua bretona, que negus hom no m'eiiten; pro m'entendran li entenden, et a Fautra gen bricona chantarai dels filhs N' Arsen ^) e de Bueves d'Antona.

De traitor sobresaben dezir, que tals lo somona, que ' Ih do d'atretal pimen com elh als autres dona.^)

Der zu Anfang genannte Erzbischof von Narbonne war damals vermutlich noch Berengar II; mit dem König könnte Philipp August von Frankreich gemeint sein. Diese beiden Fürsten suchten, soviel wir wissen, auf den Eifer der Kreuz- fahrer zunächst noch mäßigend zu wirken. Die Deutung und Datierung Fabres hätte demnach manches für sich, wenn nur die vierte Strophe nicht wäre. Diese kann sich schwerlich auf Simon von Montfort beziehen, denn Krone und weißes Fürstenkleid kommen Kaisern und Königen, aber keinem Grafen zu.^) Die Schwierigkeit ließe sich zur Not durch die An- nahme beheben, daß der Dichter eine höhnische Anspielung

^) Wer N'Arsen sein soll, weifs ich nicht. Vielleicht ist N'Aimen (= Aimon) zu lesen. A. Pillet vermutet Hersent, Isengrins Frau, dahinter und glaubt, es handle sich dann um jene bekannte Episode des Roman de Renart, wo die kleinen Wölfe ihrem Vater den Ehebruch Hersents mit Renart anzeigen. Anspielungen auf das Tierepos sind ja bei Cardinal nicht selten.

2) Nr. 29 (Lex. rom., S. 438 und Mahn, Werke II, S. 226).

^) „Statt der Krone trugen die übrigen Fürsten einen Hut, den zu- weilen noch ein Kranz umschlang" (Jakob Grimm, Deutsche Rechtsalter- tümer, 4. Ausgabe, Leipzig 1899, L Bd., S. 335). Höchstens eine Zinken- krone oder eine kranzartige Umwind ung der Stirne konnte von bedeu-

•^- 6. Aldiaiullunj^: Karl Vossler

auf Simons elirgeizi«,^c Pläne im Sinne hatte und mit der vierten Strophe ihn als einen König in spe hinstellen und treffen wollte. Mit Kücksicht auf die fünfte Strophe, besonders auf die Worte jrro nicntt ndraji 11 cntcnden möchte ich ein solches V^ersteck- spiel nicht für völlig ausgeschlossen halten. Natürlicher und wahrscheinlicher aber bleibt es, an einen Kaiser oder König zu denken, den ich freilich mit Sicherheit nicht zu identifi- zieren vermag. Vielleicht ist König Johann von England (f 1216) gemeint, der im Jahre 1203 seinen NeflPen Artur ver- räterischerweise gemeuchelt hat. Am Ende kommt man der Wahrheit am nächsten, wenn man den Schwerpunkt des Liedes weniger in besonderen politischen und persönlichen Absichten sieht als in der literarischen Kunstübung, die sich ohne tiefere Erlebnisse an einem allgemein moralischen Thema betätigen wollte. Das Vorbild war, wie schon oben erwähnt wurde, das Sirventes des Girant von Bornelh Tals gen prezich' e sermona. Die Reime sind dieselben, das Versmaß könnte, mittelst einiger Korrekturen, ebenfalls auf das gleiche Schema gebracht werden. Sogar Gedanke und Stil berühren sich mehrfach. Da in Gi- rauts Lied das immer wiederkehrende tals, das unserem Car- dinal wohl noch im Ohre lag, den allgemeinen Sinn von „mancher" hat, so möchte ich der von A. Pillet in einer brief- lichen Mitteilung vorgeschlagenen Deutung den Vorzug geben, Corona mit „Tonsur" übersetzen und auch das weiße Kleid auf Geistliche oder Mönche, und zwar eher auf den ganzen Stand als auf eine bestimmte Persönlichkeit beziehen. Damit würde die obige Datierung hinfällig, und wenn das Lied nach 1212 gedichtet wäre, so hätten wir in dem Erzbischof von Narbonne den grimmigsten Feind der südfranzösischen Sache, Arnauld Amalric, zu sehen. Auch der König von Frankreich wäre von diesem Zeitpunkte ab zu den Feinden zu zählen, und der ironische Geschmack der ersten Strophe würde noch bitterer. Man sieht, der Deutungsmöglichkeiten sind so viele,

tenden Männern, welche Vasallen unter sich hatten, getragen werden (H. Weiß, Koatümkunde, Stuttgart 18G2, 1, S. 599).

Peire Cardinal 93

daß keine Entscheidnng getroffen werden kann, solange der Wortlaut des Textes nicht kritisch gesichert ist.

Etwas besser steht es um das Sirventes L'afar del comte Guio (Nr. 28). Die politische und militärische Lage hat sich geändert. Der Glaubenskrieg wälzt sich auf Toulouse zu, ob- gleich Graf Raimund, geängstigt durch die Metzeleien von Beziers und Carcassonne, immer wieder seine Unterwerfung an- bietet und sich sogar persönlich vor dem Heiligen Vater in Rom zu rechtfertigen sucht. Der Abt Arnauld und der Graf Simon arbeiten auf jede Weise an seiner Vernichtung. Ein neues Heer von Kreuzfahrern wird im Frühjahr 1211 aufge- boten. Toulouse wird belagert, aber vergeblich. Simon von Montfort hält sich für den Mißerfolg schadlos, indem er das umliegende Land verwüstet und die Burgen bricht. Unter der Führung des Abtes von Citeaux werden Schloß und Kloster von Casses zerstört und angebliche Ketzer daselbst hingerichtet (1211).^) Der Graf von Toulouse setzt sich kräftig zur Wehr. Aber auch Simon von Montfort erhält Verstärkung, unter an- derem durch das Heer, das sein Bruder, der Graf Gui von Montfort, ihm zuführt. Frühling und Sommer des Jahres 1212 gehen die Gewalttätigkeiten weiter. Schloß, Stadt und Kloster von Saint Antonin de Fredelas werden am 6. Mai von den Kreuzfahrern eingenommen und geplündert, wobei man selbst die Mönche nicht verschont.^) Die Stadt Moissac, seit 14. August belagert, fällt am 8. September.^) Daß bei der Einnahme auch die dortige Abtei der Plünderung anheimgefallen ist, geht aus einem Brief des Abtes an Philipp August hervor. „Postea vero cruce signati omnia dissiparunt, que intus erant vel extra, ita quod nullam potestatem habemus ante sublimi- tatem vestram veniendi, et ideo pietati vestre lacrimabiliter preces fundimus, ut divine pietatis intuitu domui nostre et ville subvenire dignemini, quoniam nisi modo subveniatis, de- solabimur omnino", klagt der geistliche Herr.*) Allenthalben

ij Histoire generale de Languedoc (neue Ausg.) VI, S. 367.

2) Ebenda, S. 386.

3) P. Meyer, Chanson de la Croisade II, S. 136, Anm. 3 u. 139, Anm. 1. *) Histoire generale de Languedoc VllI, Sp. 635 f.

(). Aliliundlunj,': Karl Vonsler

sah man Prälaten uiul Abte zu RoQ als Heerführer und Mönche und IViester als kSoidaten. Der Abt von ('iteaux selbst, der fanatische Arnauld, hatte sich im März 1212 mitsamt der Würde des Erzbischofs von Narbonne den weltliclien und krie- gerischen Rang eines Herzogs zugelegt. Unter dem Eindruck dieser und ähnlicher Ereignisse und Zustände dichtet Cardinal nach Metrum und Reim eines tändelnden Liebesgesanges des Raimbaut von Vaqueiras/) ein Rügelied.*)

L'afar del comte Guio e della guerra del rey e de Mausac lo barrey ai ben auzit cossi fo; mas encaras non aug dire perque nostre senescaics, que tant es pros e cabals, laissa los morgues aucire. De San Chaffre^) ar m'en gic, car dreitz no i troba abric ab los laicx ni ab los clers, aissi ' Is encaussa poders.*)

Poders a tout la maizo de Camalieiras, ses drey; e 1 monestier de Casey

don l'abbas es en cossire^) e 1 covens,®) car deslials los gieta de lurs ostals ses razon que n'es a dire;

^) Guerra ni plag no'm .so ho (392, 18, gedruckt nach G im Archiv für das Studium der neueren Spiuchen 32, S. 401).

'^) Ich gebe den Text nach C, M und B, die bei Mahn, Ged. 122G, 972 und 1227 abgedruckt sind, berücksichtige aber nur die wichtigeren Sinnvarianten, li hat abweichende Strophenfolge: V., I., II., III.. IV.

^) santafre C san iaufrei M san iacme It. Daß es sich tatsächlich um S. Chaffre handelt, wird man bald sehen. *) avers C und M.

^) don son en fort gran cossire M. ^) li convers M.

Peire Cardinal 95

qu'anc, pus Santz Chaffres^) moric, hom tan lag non envazic lo monestier ni ' 1 dezers. Guardatz si's a Dieu plazers.

En luec de processio, iran serrat et estrey, armat al caut et al frey, trompan, en luec de trinhon. Mas feunia^) m'en fai rire, car la maynada reals degra ben esser aitals qua 1 tolgues aquel martire. Car qui^) non ten drey del ric, ia no * 1 tengna del mendic, que dreitz non es mais volers, car Fentorssezis avers.*)

Trabuc (?) ni gran capairo^) non valran ni lait a pley,*^) ni 1 regia Saynt Benezey, mas ausberc e gambaizo; e silh que solion dire las pistolas e ' Is missals trairan peiras reversals, e lai ont eron sanctire''^) trevaran^) massas e pic, e qui anc se revestic,

*) sanctafres C santz iaufrei M sant Chastes R.

2) maluestat jR. ^) ni C.

*) can lo cortezis auers M can lo tortoris auers R.

^) Rauba ni gran capiron M, Trabuc e gran gambairon R. Ob tra- buc ein Kleidungsstück des Geistlichen bezeichnen kann? Vgl. en luoc iVausberc fai camisaredar, en, luoc cCehn fai capiron fresar bei Sordello (Bertoni-Jeanroy, Un duel poetique au XIII « s. Toulouse 1916, S. 17).

^) lait a pley ist mir unverständlich.

'^) on solian lire M on dizol sauteri R. Sanctire für sanctuari ist freilich auffallend. ^) troveran M.

96 C. Abhandlung': Karl Vossler

esti'armatz <'t aders,

si vol esser niorgues vers.

Encaras sera * 1 sazo que'l segle non aura ley e clerc iran a torney e femnas farau sermo, et hom non aura que frire, si non es fort deslials, e qui er tracher ni fals, s'er a mayestre assire, e quan Dieu s'aura amic, non trobara on si fic. E si er lo mons aders que per tot er non-devers.

Nostre clerge solon dire que raubar autrui ostals era peccatz criminals, et il an raubat San Gire!^) 6 dizon en lur prezic que hom am son enemic, mas ar nos mostra vezers qu'en lor es autre volers.

Von dem Tun des Grafen Veit,^)

von des Köniorg Aufo-ebot

und von Moissacs Fall und Not

hört' ich die Begebenheit.

Niemand aber kann mir sagen,

warum unser Seneschalk,

der doch mächtig ist und stark,

Mönche läßt getrost erschlagen.

Von Sankt Theofred seid still,

der das Recht nicht schützen will,

I

^) sanctire C santgili R. 2) Gui von Montfort.

Peire Cardinal ^f

nicht bei Lai'n noch Geistlichkeit, die von Kriegsmacht so bedräut.

'o

Kriegsmacht hat in Chamalieres ohne Recht das Haus besetzt; übers Kloster von Casses [fallen wilde Horden her], dessen Abt und Brüder trauern, weil sie ein verrät'scher Hund ^) ohne den geringsten Grund fortjagt aus den eignen Mauern. Seit Sankt Theofred ist tot, hat kein solcher Schuft bedroht die Abtei und sie zerstört. Seht, ob das nicht Gott empört.

Statt in frommer Prozession zieh'n sie nun in strammer Schar waifenstark das ganze Jahr ; statt der Glock' Trompetenton! Und ich bin so bös und lache, daß des Königs Kriegerschaft nicht einmal hat soviel Kraft, selbst zu tun die schwere Sache. Ehrt man nicht des Herren Brauch, wozu den des Bettlers auch?^) Rechten Sinn gibt's doch nicht mehr, Habsucht kommt ihm in die Quer.

Priesterrock ^) und Mönchskapuz und die Regel Benedikts gelten heutzutage nichts. Panzer nur und Wams sind nutz.

^) Gemeint ist Arnauld Amah'ic von Citeaux.

2) Mit, (hcy del ric. dürfte hier Pflicht und Recht zugleich g-enieint sein, da unmittelbar vorher von der Wehrhaftigkeit die Rede w^ar. ^) Der provenzalische Text scheint hier verdorben zu sein. Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1916, 6. Abb. 7

«^8 G. Ahhajullun^: Karl Vossler

Die, die einst zu lesen pflegten

in Episteln und Missal,

wälzen Steine nun zu Tiil.^j

AVo sie die Keli(]uien hegten,

wird mit KeuT und Hack' hantiert.

Und wer je ward investiert,

stelle sich bewaffnet ein,

w^ill ein echter Mönch er sein.

Bald kommts dahin, dalä die Welt allen ihren Brauch verdreht, zum Turnier der Pfaffe geht und das Weib die Predigt hält und dalB nichts mehr hat zu beißen, wer nicht stark ist im Betrug, daß Verrätern voller Lug sie den Stuhl des Meisters weisen, daß wer seinem Gotte dient, keinen Unterschlupf mehr find't. So wird alles eingerichtet auf das Gegenteil der Pflicht.

Uns're Pfaffen han entschieden, daß der Raub am fremden Herd uns mit Sündenlohn beschwert: sie beraubten Sankt Egiden. Und ihr Wort und Predigt meint, man soll lieben seinen Feind: uns belehrt der Augenschein, daß sie andern Willens sein.

Das Gedicht wird uns noch frischer und gegenständlicher, wenn wir nach der Geschichte des heiligen Theofred fragen.-)

0 Über peiras reversals siehe Levy, Supplement- Wörterbuch unter reversals. Die Steine wurden von den Zinnen der Stadt auf die Sturm- truppen geworfen.

2) Näheres in den Acta Sanctorum. Bolland. (1853) Octob. VIII, S. 515-26.

Peire Cardinal 99

Theofred US von Orange, vulgo Saint ChafFre, war Abt von Camery, in der unmittelbaren Nähe von Cardinais Geburtsort.^) Er lebte zu Anfang des 8. Jahrhunderts und starb, wahr- scheinlich im Jahre 732, den Märtjrertod. Die Legende er- zählt, er habe, als die Sarazenen ins Land fielen, das Schicksal seines Klosters prophetisch geahnt und habe gerade noch recht- zeitig seine Mönche veranlatst, sich im Wald zu verbergen. Er allein blieb zurück und warf sich betend vor dem Altar des heiligen Petrus nieder. Die Heiden brachen in die Kirche ein und, da sie nur ihn dort fanden, mißhandelten sie ihn, fragten ihn nach dem Verbleib der anderen und schlugen ihn, weil er die Auskunft verweigerte, halb tot. Dann hielten sie, da gerade ein Festtag für sie war, einen heidnischen Gottes- dienst ab. Der Abt raffte all seine Kraft zusammen und wet- terte gegen den Kult der Ungläubigen, bis ein Stein ihm den Schädel zerbrach. Daraufhin Erdbeben und fürchterliches Ge- witter, so daß die Kirchenschänder, soweit sie nicht umkamen, entsetzt davonliefen. Die zurückkehrenden Mönche finden ihren schwerverwundeten Abt, der nach erbaulichen Worten und Mahnungen seinen Geist aufgibt. Von der großen Abtei dieses heilio'en Theofred war nun das Eofidius-Kloster in Cha- malieres bei Le Puy unmittelbar abhängig als eines der ersten und wichtigsten Priorate. Was Wunder, wenn der Dichter es dem Schutzheiligen übelnimmt, daß er versäumt hat, die Seinigen gegen die gewalttätigen Übergriff'e der nordfranzösischen Kreuz- zügler zu sichern.^) Man muß wohl annehmen, daß die Plün- derung von Chamalieres, von der wir sonst nichts wissen, etwa zu gleicher Zeit, wie die von Moissac, also im Jahre 1212

^) Camery liegt 21 km von Le Puy entfernt,

2) Aus dem von Ulisse Chevalier herausgegebenen Cartulaire de l'abbaye de St. Chaffre du Monastier, Montbeliard-Paris 1884 (Collection des Cartul. Dauphinois VIII.) geht hervor, daß in den Jahren 1212 und 1213 Pierre III. Gaudin Abt zu Camery und Raimond de Mercoeur Prior zu Chamalieres waren. Im übrigen geschieht der Plünderung von Cha- malieres durch die Kreuzfahrer dort keine Erwähnung. Unzugänglich waren mir leider H. Fraisse, Cartularium conventus St' Egidii, Le Puy 1871 und Theillicre, l^tudes sur le Cartulaire de Chamalieres, Le Puy 1876.

lOO (\ \l.h;mdliin-: K;.il V..ss1.t

erfüllt ist. AN'cr mm mit „unserem Seuescbalk" «gemeint ist, der die Eniionlun«:^ der Mönche liiitte verhindern bzw. gerichtlich jihnden sollen, ist schwer zu sa^en. „Senescliall" hieüen im Languedoc sowohl die obersten Heerfülirer der <(roL"5en Lehensf ursten , als auch ihre ersten Gerichts- und Verwaltun<^sbeanjten, die man im Norden als bailli bezeichnete. Die Abte und Bischöfe hatten ebenfalls ihren Seneschall,*) und es ist nicht auszumachen, ob es sich hier um den Vertreter des Grafen von Toulouse, um den der geschädigten Abteien oder, was vielleicht das wahrscheinlichste ist, um den des Königs von Frankreich handelt. Denn über die maynada real vor allem beklagt sich der Dichter. Nun hat ja, wie man weiß, trotz der Einladung des Papstes, Philipi) August sich am Albigenserkreuzzug nicht unmittelbar beteiligt. Zunächst empfahl er Mä(3igung und trat eine Zeitlang sogar für Raimund von Toulouse ein. Andererseits hat er schon im Mai 1208 den Rittern des Herzojrs von Buro^und die Erlaubnis zur Be- teiligung am Kreuzzug erteilt,^) und es ist natürlich, daü in den Augen eines geborenen Südfranzosen die ganzen Kriegs- heere der Nordländer als Mannen des Königs galten. Tat- sächlich betrachtete und behandelte der König den Simon von Montfort als seinen Beamten und Untergebenen.^)

Zunächst aber, d. h. in den Jahren 1212 bis 1214 noch mußte Philipp August seine Kräfte gegen England und Deutsch- land zusammenhalten. König Johann und Kaiser Otto IV. hatten sich gegen ihn verbündet. Demgegenüber stützte er sich auf den Papst und dessen Günstling, den jungen Fried- rich von Hohenstaufen. Wahrscheinlich stammt der Gedanke, Friedrich als deutschen Gegenkönig aufzustellen, von Philipp August.*) Er hat ihn dem Papste sowohl wie den deutschen

^) Siehe A. Liu-haire, Manuel des institutions fran^. Paris 1892. §§ 29, 48, 142, 281, 298.

'^) Histoire generale de Langaedoc VIII (1879), Nr. 142, Sp. 563 f.

^) A. Luchaire, in Lavisse, Histoire de France III, 1, S. 277.

*) Scheffer-Boiohor.st, Deutschland und Philipp II. Aug. von Frank- reich, in den Forschungen zur deutschen Geschichte, Band VIII, Oöttin- gen 1868, S. 532 f.

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Peire Cardinal 101

Fürsten empfohlen, um die mißliebige Macht des Braunschweigers zu brechen. Im Sommer 1212 macht sich nun Friedrich von Sizilien aus auf den Weg nach Deutschland. Ende September reitet der puer ÄpuUae, wie ihn die Romanen, bald höhnend, bald schmeichelnd genannt haben, in Basel ein. Im November begibt er sich nach Toul und vereinbart sich mit dem fran- zösischen Thronfolger Ludwig. Französische Sendlinge wirken mit Geld und mit Worten für ihn in Deutschland, und im Dezember wird er auf dem Fürstentag zu Frankfurt in Gegen- wart der päpstlichen Legaten und der französischen Gesandten zum „römischen König" gewählt und wenige Tage darauf in Mainz gekrönt (9. Dezember 1212). Damit ist Friedrichs Er- folg in der Hauptsache schon entschieden. Otto hat nur in Sachsen und am Niederrhein noch Geltung; alle anderen Länder und Fürsten Deutschlands haben sich auf die Krönung hin für Friedrich entschieden.^) Unser Cardinal steht als Süd- franzose selbstverständlich auf der Seite der Engländer und des Kaisers und ist ein Gegner der französisch-päpstlich-staufi- schen Koalition. Wahrscheinlich gegen Ende des Jahres 1212 hat er auf diese großen europäischen Verwicklungen das fol- gende Lied gedichtet.

Per folhs tenc PoUes e Lombartz e Longobartz et Alamans, si Volon Frances ni Picartz a senhors ni a drogomans;

quar murtriers a tort

tenon a deport;

et ieu non laus rey

que non guarde ley.

Et aura'l ops bos estandartz e que fieira mielhs que Rotlans, e que sapcha mais que Raynartz, et aia mais que Corbarans;

*) Näheres bei Ed. Winkelmann, Philipp von Schwaben u. Otto IV. von Braunschweig, II, Leipzig 1878, S. 251 if., 313, 331 ff.

102 Ct. Aliliutullun^: K;irl Vu>sl<'r

et tenia inciiis iiiort que 1 coms de Monfort qui vol qu'a barrey

10 nioiis li sopley.

Mas sabetz quals sera sa partz de las guerras e dels niazans? Los critz, las paors e ' Is reguartz que aura fagz, e 1 dol e " 1 dans seran sieu per sort. D'aitan lo conort, qu'ab aital charrey venra del torney.

Ben petit val tos gieiis ni t'artz, si pertz rarrna per tos efans; per Fautruy carbonada t'artz, e l'autruy repaus t'es afans; pueys vas a tal port

011 cre que quecx port Tenguan e ' 1 trafey

e * Is tortz faitz que fey.

Anc Carles Martel ni Girartz ni Marsilis ni Aigolans ni 1 rey Gormons ni Yzombartz non aucizeron homes tans que n'aion estort lo valen d'un ort; ni non lur envey thezaur ni arney.

Non cug qu'a la mort negus plus enport aver ni arney, mas los faitz que fey.*)

') Nr. 40 (Rayn. Choix IV, S. 345 fr., Parn. occ. S. 310 ff. und Mahn. Werke II, S. 194 f.).

Peire Cardinal 103

Verrückt Apulier und Lombard und Langobard und Alemann, wenn sie Franzosen und Pikard zu Herren woll'n und Drogoman.

Denn an Mördern Spaß

finden hieße das.

König, der kein Recht

achtet, gilt mir schlecht.

Ein gutes Banner brauchte man, und Rolands Stärke reichte nicht, und Reineke war' noch zu schlicht, und reich genug kein Corbaran,^)

Montforts Todesmut

war' noch dem zu klein,

der durch Kriegeswut

Herr der Welt möcht' sein.

Und von dem Krieg und Schlachtgebraus, was glaubt ihr, daß er hat davon? Das Weh, der Schrecken und der Graus und all das Elend, ist sein Lohn,

das er uns gebracht.

Mag er mit der Fracht

des getrost' ich ihn

aus dem Kampfe zieh'n.

Was hilft dein Kunst dir und Verstand, wenn für dein Kind du Gott verfehlst, für and'rer Braten wirst verbrannt, um and'rer Ruhe dich verquälst?

Schließlich mußt du fort.

Jeden zwingt der Ort,

wo man den Verrat

hinträgt, den man tat.

^) Vielleicht ist der König Corbarant von Oliferne gemeint, der in den nordfranzösischen Kreuzzugsepen vorkommt (Nachweise bei Lang-

l''l <). AMiandliiii«,': Karl Vossler

K<'iii Kall Martell uml koin Ginirt, Marsilius nicht, noch Agohmt/) und Gormon nicht, noch Isenihart, soviel dem Tod er Opfer sandt',

hat auch einen Deut

sich damit erbeutet.

Air ihr Herrlichkeit

weckt nicht meinen Neid.

Keiner, glaube ich, nimmt im Tod mit sich Habe oder Macht nur was er vollbracht.

Schon Diez hat die Gelegenheit, aus der das Lied hervor- gegangen sein mag, richtig erkannt. Es läßt sich, sagt er, „füglich auf das Bündnis deuten, das der junge Friedrich, Herr von Sizilien, mit Philipp August gegen Otto IV. ein- ging; anstatt Friedrichs werden seine Untertanen, die Apulier, genannt, und die Lombarden und Deutschen, unter welchen er eine starke Partei hatte, daneben gestellt; seltsam aber ist es, daß der Dichter zwischen Lombarden und Longobarden einen Unterschied macht ''.^) Bezeichnend für die Art unseres Trobadors ist es auch, wie er die besondere politische Lage alsbald verläßt, um sich zu allgemeinerer Betrachtung zu er- heben. Man kann daher mit Bestimmtheit gar nicht erkennen, ob die Mahnungen, die auf die Eingangsstrophe folgen, sich gegen Philipp August oder nicht vielmehr gegen alle Er- oberer richten.

Zu Beginn des Jahres 1213 nahm der Sohn des französi- schen Königs das Kreuz gegen die Albigenser. Der Vater ließ

i

lois, Table des noms propres . . . compris dans les chansons de geste, Paris 1904), vielleicht der berüchtigte spanische Bandenführer Courbaran, der im Jahre 1183 bei Milhau gefangen und hingerichtet wurde und dessen Haupt man nach Le Puy brachte, so daß Cardinal wohl von ihm wissen konnte. Vgl. Luchaire, La societe fran9. S. 17.

^) Sarazenenfürst aus dem Epos Aspremont.

2) Leben und Werke der Troub. S. 263 ff.

Peire Cardinal 1^^

es, wahrscheinlich um seinen Bischöfen und dem Papst gefällig zu sein, geschehen, ließ aber dem Gelübde erst zwei Jahre später, nachdem im Norden, bei Bouvines (Juli 1214) die Koa- lition besiegt war, die Tat folgen. Jedenfalls konnte der schwer bedrängte Graf von Toulouse schon seit 1211 nicht mehr auf Philipp Augusts Hilfe rechnen. Dafür erwuchs ihm in König Peter IL von Aragon ein Beistand, der aber in der Schlacht bei Muret am 12. September 1213 von Simon von Montfort geschlagen wurde und das Leben verlor. Merk- würdigerweise findet sich über diese Katastrophe kein Wort in Cardinais Dichtung. Fahre möchte das Klagelied: Ässi com hom planh son filh o son paire, das aber keinerlei greifbare Anspielung enthält, in die Tage dieser trüben Erfahrungen setzen.^) Die Vermutung hat insofern etwas für sich, als dieser Planh, ähnlich wie das eben besprochene Lied, dem Bertran von Born nachgeahmt ist.

Ansprechend ist auch, wenn gleich nicht völlig sicher, die von Diez vorgetragene Meinung, daß Cardinal mit seinem Sirventes Barons es qit'ieii m'eshaudei (Nr. 48) sich auf ein Ereignis des Frühjahrs 1214 beziehe. „Es betrifft den Fall eines großen Verräters; der Dichter nennt ihn nicht, wen aber sollte er anders gemeint haben, als Balduin von Toulouse, der zu Simon von Montfort übertrat, seinen eigenen Bruder, den Grafen Raimund, auf das bitterste bekämpfte, endlich in seine Gewalt geriet und auf seinen Befehl (1214) von einigen Ba- ronen aufgeknüpft wurde? Auch ist zu erwägen, daß das Gedicht im Frühling entstanden ist, in welcher Jahreszeit die Tat geschah." 2)

Razos es qu'ieu m'esbaudey, e sia jauzens e guays el temps que fuelh' e flor nays, > et un sirventes despley:

•) Romanische Forschungen Bd. 23, S. 263 if.

^) a. a. 0. S. 457. Das Lied ist gedruckt im Pain. occ. S. 315 f., bei Rayn. Choix IV, S. 362 ff., Mahn, AVerke II, S. 191 f. und in Studj di fil. rora. IX, S. 516 f.

1<^<"» 6. Abhandlung: Karl Vossler

(jUiir Lialtatz a vencut P'alsedut, e iion a guaire (jiie ieu ai auzit retraire, (|'uiis fortz trachers a perdut son poder e sa vertut.

Dieus fai e fara e fey, si com es dous e verays, dreitz als pros et als savays, e merce segon lor ley: quar a la pagua van tut Tenguanat e Fenguanaire, si com Abels e son fraire; que'l traytor seran destrut e li trahit ben vengut.

Dieu prec que trachors barrey e los degol e*ls abays aissi com fes^) los Algays, quar son de peior trafey; mas aisso es ben sauput, pieger es tracher que laire. Atressi com hom pot faire de Covers morgue tondut, fai hom de trachor pendut.

De lops e de fedas vey, que de las fedas son mays; e per un austor que nays son niil perditz, fe qu'us dey: ad aquo es conogut que hom murtriers ni raubaire no platz tant a Dieu lo paire, ni tan non ama son frut com fai del pobol menut.

*) fcs ist die Lesart von 'J, während Rayn. und Mahr fos haben.

Peire Cardinal 107

Assatz pot aver arney

e cavals ferrans e bays

e tors e murs e palays

ricx hom, sol que Dieu reney:

doncx ben a lo sen perdut

totz hom a cuy es veiaire

que, tollen l'autrui repaire,

cuge venir a salut,

ni 1 don Dieus, quar a tolgut.

Quar Dieus ten son arc tendut e trai aqui on vol traire, e fai lo colp que deu faire a quec, si com a mergut, segon vizi e vertut.

Füglich darf frohlocken ich, hochgemut und lustig sein, jetzt da Blatt und Blut' gedeih'n, und mein Lied erhebe sich: Denn gesiegt hat treuer Sinn, und es hat sich zugetragen, wie ich neulich hörte sagen, daß die Kraft und der Gewinn eines Treulosen sind hin.

Gott ist gütig und ist wahr, und so übt er Gnad' und Recht, je nachdem sie gut und schlecht, allen Menschen immerdar. Keiner seinem Lohn entgeht, sei's ein Böser, sei's ein Guter, so wie Abel und sein Bruder. Der Verräter untergeht, der Verrat'ne wird erhöht.

Gebe Gott der Plünd'rung preis, der Enthauptung, jeder Schmach,

0^ (■). A1i!i;iii(1Iiiiil: : Karl \'()Hh1«M'

welche die Al<^Jiis*) zerbrach,

(his noch .schlimmere Geschmeiü

der Verräter. \s ist ja klai-:

lieber Käuber als Verräter.

Wie man Mönche macht, weil3 jeder,

aus Novizen? Scher^ ans Haar!

Strick dem Hals! der Lü^nier war.

Wenn ich Wolf und Schafe zähT, sind der Schafe mehr zu seh'n, und auf einen Falken geh'n tausend Hühner, ohne Fehl. Daran, mein' ich, sieht man gut, wie an Mord- und Raubgesellen unser Vater nicht die hellen Freuden hat, noch ihrer Brut Liebes wie den Kleinen tut.

Kleider kriegt ein Herr die FülT, falbes und auch graues Roß, Türme, Mauern und ein Schloß, wenn er Gott verleugnen will. Wahrlich des Verstandes bar ist der Mensch, der sich beredet, wenn er Nachbars Haus verödet, böte sich ihm Segen dar, Gottes Dank dem Diebe gar!

Aber Gott hält straff gespannt, zielend, treffend, seinen Bogen, tut den Schuß, den er erwogen, jedem, wie er ihn befand: linker oder rechter Hand.

^) Die Algais waren vier berüchtigte Bandenführer spanischer Ab- kunft, die in Südfrankreich ihr Wesen trieben. Der letzte von ihnen, Martin Algais, wurde im Jahr 1212 gehängt. Siehe P. Meyer, La Chan- son de la Croisade II, S. 109 und 522, Stinimings kleine Ausgabe des IJertran de Born, 2. Aufl., S. 182 und H. Carstens, Die Tenzonen aus dem

Peire Cardinal 109

Die grimmige Freude an der Bestrafung des Verräters erhält eine besondere Würze von Übermut und Bosheit noch dadurch, dals Metrum und Reim dieses Liedes einer galanten Huldigung nachgebildet sind, die gerade das Frühjahr zuvor der alternde Höfling Raimon von Miraval für die Gräfin Leo- nore von Toulouse gedichtet hatte, ^) so daß in derselben Ton- art und an demselben Hof, wo die junge Gattin des Grafen Raimund verherrlicht wurde, nun dessen feindlicher Bruder verhöhnt wird.

Die schwersten Schläge haben für Graf Raimund die Jahre 1213 bis 1216 gebracht. Alle seine Länder und Städte gingen ihm verloren. Wenn sich der Papst auf dem lateranischen Konzil im November 1215 nicht seiner angenommen hätte, wäre er an den Bettelstab gekommen. Man kann sich denken, daß unser Trobador keine sonderliche Lust empfand, alle die Niederlagen. Verluste und Demütigunojen seines Gönners im Liede zu erwähnen. Er zog es vor, den eigenen Mißstand in dem der ganzen Welt und das eigene Unglück hinter der ge- samten Bosheit der Menschen verschwinden zu lassen. Nie sind wir im Tadel der anderen so scharf und in dessen Ver- allgemeinerung so rasch, als wenn es uns schlecht geht. So wäre es denn psychologisch nicht unbegreiflich, wenn Cardinal die meisten oder wenigstens die bittersten seiner abstrakten Satiren gerade in jenen Jahren gedichtet hätte.

Eine Wendung zum Besseren trat für die Sache des Grafen von Toulouse erst dadurch ein, daß die Bürger seiner Stadt sich gegen Simon von Montfort empörten, die eingedrungenen Kreuzfahrer teils niedermachten, teils verjagten und am 13. Sep- tember 1217 ihrem angestammten Herrn die Tore öffneten.

Kreise der Trobadors Gui, Eble, Elias und Peire d'üisel, Königsberger Diss. 1914, S. 14 und 19 f. und Uc de St. Circ, Ausgabe Jeanroj-Salverda de Grave, Toulouse 1913, Nr. XXXVII und S. 163. Über das Treiben solcher Räuberbanden siehe A. Luchaire, La societe fran9. S. 9 ff.

^) Es ist die Kanzone Belh m'es qu'ieu chant e' m conltdey, heraus- gegeben und kommentiert von P. Andraud, La vie et Toeuvre du troub. R. d. Mir., Paris 1902, S. 152-158.

»10 (;. Abliandlun^: Karl N'ossler

Simon von Montfort logt sich nun mit großer lleeresmjicht vor die Stadt, und djimit Ijeginnt die zweite Belagerung von Toulouse, die den ganzen Winter 1217 und das Frühjahr 1218 gedauert und dem Simon das Leben gekostet hat. Auf den Anfang dieser Belagerung hat man das Sirventes unseres Dich- ters Tendatz c traps, alcuhas, pahaJhos (Nr. 50) *) beziehen wollen, das entstellt und lückenhaft in der einzigen Hs. li erhalten ist. Daü es sich um die Belagerung einer Stadt an einem Flulslauf handelt, geht unzweideutig aus dem Wortlaut hervor. Der dritte Vers der ersten Strophe weist aber, wie A. Thomas erkannt hat, nicht auf Toulouse, sondern auf Lec- toure am Flusse Gers hin:^) iosta Vaigua pres Leltorals camhos. Von einer Belagerung dieser Stadt habe ich in der Geschichte der Albigenserkriege keinerlei Nachricht finden können.^) Pillet schreibt mir, daiä in dem Erbfolgekrieg um die Grafschaft Armagnac in den vierziger Jahren des 13. Jahrhunderts eine solche hätte stattfinden können. Damals stand Arnaud Othon IL, Vizegraf von Lomagne, unterstützt von seinem Vetter Othon de Batz, gegen Guiraut V. von Armagnac.*) In dem Liede Cardinais ist nun zwar von einem Coms Gr. von Armalhac als Angreifer die Rede, auf der Seite der Verteidiger aber, denen der Dichter den Sieg wünscht, erscheint kein Arnaud und kein Othon, wohl aber ein Herr Amanieu, ein Herr Gaston und ein Graf von Foix und auf der Gegenseite, als Hilfstruppen für Armagnac, die homcs d'Aug, die Mannen von Auch. Da nun der Wortlaut des Liedes nicht auf eine tatsächliche, son- dern auf eine noch zu erwartende, in Wirklichkeit vielleicht gar nicht erfolgte Belagerung hinweist, so will mir die Ver- teilung der Rollen besser auf eine etwaige Kampfhandlung der Albigenserkriege, als der Armagnac'schen Erbfolgefehde

M Mahn, Gedichte 517.

'^) Levy, Supplement-Wörterbuch IV, S. VI.

^) Die Lokalgeschichten jener Gegenden sind mir unzugänglich ge- blieben. Vergebens habe ich mich u. a. um die Archives de la ville de Lectoure p. p. la Soc. hist. de Gascogne, ed. Druilhet, Paris -Auch 1885 und Cassassoles, Not. hist. sur la ville de Lect., Auch 1839, bemüht.

4) Alt de verifier les dates, Paris 1818, Bd. IX, S. 334.

Peire Cardinal 111

passen; um so mehr als der Graf von Armagnac dabei nicht um Besitz, deniers, sondern um pretz und onransa, also offen- bar nicht in eigener Sache kämpft. Dieser Guiraut wäre dann nicht der fünfte, sondern der vierte der Grafen von Armagnac, derselbe, der am 8. Juni 1215 in Montauban dem Simon von Montfort die Heeresfolge versprochen') und, wie uns durch eine Urkunde vom 18. Dezember 1217 verbürgt ist, an der Belagerung von Toulouse sich beteiligt hat.^) Wir wissen auch, daß Simon ihn schon das Jahr zuvor durch einen Boten gegen Toulouse aufgerufen hatte. ^) Ihm zur Seite würden die Mannen des Erzbischofs von Auch, die wie das Albigenserepos berichtet, ebenfalls vor Toulouse mitgewirkt haben,*) am richtigen Platze stehen. Im Frühjahr 1219 etwa, als der Kronprinz von Frank- reich von La Rochelle her gegen Toulouse zog, hätten diese Streiter sich ihm anschließen oder ihm voraneilen und die Stadt Lectoure, die auf dem Wege lag, bedrohen können. Zur Ver- teidigung aber wäre der Graf Raimon Rogier von Foix, der vorher schon auch den Toulousanern so wirkungsvoll zu Hilfe gekommen war,^) um jene Zeit wohl der rechte Mann gewesen. Der Herr Amanieu könnte jener Amanieu von Bouglon sein, der im Jahre 1219 auch Marmande gegen die Kreuzfahrer verteidigen half^), oder jener „hoff'nungsvolle junge" Wilhelm Amanieu, der für Toulouse sowohl wie für Marmande ge- kämpft hat."^) Herr Gaston kann zwar nicht der sechste Vize- graf dieses Namens von Bearn sein, denn dieser war schon 1215 gestorben. Ein sonst nicht weiter bekannter Gaston wird neben Wilhelm Amanieu im Albigenserepos erwähnt. Die Namen Amanieu und Gaston sind freilich in jener Zeit und Gegend so häufig, daß man sie für eine Datierung des frag- lichen Liedes in das zweite so gut und so schleclit wie in das

1) Histoire generale de Languedoc VI (1879), S. 463.

2) Ebenda, S. 510.

^) P. Meyer, La chanson de la Croisade, II, S. 312, Anm. 3.

*) Ebenda, I, Vers 6575.

5) Ebenda, Vers 6658 tf. C) Ebenda, Vers 8960.

'') Ebenda, Vers 6121 und 8961.

i 1^ G. Abhandlun«,': Karl VoshIci

iilnl'te .lalir/L'hiit des i;». .hiliiliuiulerts, für den Albigenserkrieg wie für den ArnKij^nacschen Krbfülgekrie<^ gebrauclien kann. Mir scluMiit die frühere Datierung aucli deshalb wahrschein- licher, weil man nacli den kriegerischen Erfolgen der Albi- genserpartei in den Jahren 1217, 1218 und 1219 die gehobene Stimmung und Kampflust des Dichters sich leichter erklären kann. Ob er in den vierziger Jahren noch Neigung hatte, die Gedanken und die Keime eines Bertran de Born so sorjr- sam nachzubilden, wie er es hier getan hat,^) darf man be- zweifeln. Wie dem auch sei, für Cardinais künstlerische Eigen- art ist das Lied von verschwindender Bedeutung.

o

Auf die heldenhafte Verteidigung von Toulouse im Jahre 1217 möchte Maus das moralisierende Sirventes Lo yiorn que ieu fui natz (Nr. 32) beziehen,-) doch kann er sich dabei nur auf eine Geleitstrophe berufen, die nicht einmal in allen Hand- schriften steht ^) und nichts weiter als eine allgemeine Ver- herrlichung dieser Stadt besagt. Wie gefährlich es aber ist, derartige Geleite zur Datierung zu verwenden, hat Appel erst neulich wieder betont.*)

Klarer und lauter zeugt das Sirventes Falsedatz e desme- ziira (Nr. 25)^) von dem gestärkten Bewußtsein der Partei des Grafen Raimund.

Kommt vom Lande der Franzosen

Einer, den geladen Niemand als die Reich' und Großen,

die im Weine baden .

heißt es da, und in der folgenden Strophe:

Raimund, Herzog von Narbonne, Markgraf von Provenze,

^) Das Vorbild Ist Bertrans Miei sircentefi ruoJh far (Jcls reis amdos.

2) Maus, Cardinais Strophenbaii, S. 41 f.

3) Sie fehlt z. B. in I (Mahn, Ged. G12).

*) In seinei Ausgabe des Bernart von Ventadorn. Halle 1915. S. XXX. 5) Farn. occ. S. 308 ff., Rayn. Choix IV, S. 338 flF., Mahn, Werke II, S. 192 if.

Peire Cardinal H^

Eure Tüchtigkeit wie Sonne

in der Welt erglänze. Ob vom Meere bei Bayonne

hin bis nach Valenze^) falsch und niedrig Volk auch wohne

rings an Eurer Grenze:

Ihr haltet nieder sie,

fürchtet so wenig wie Falkenschnabel Hühner scheut, der Franzosen Trunkenheit.

Schon Diez hat vermutet, daß dieses Lied im Jahre 1219 geschrieben sei. Zwar ist der Kronprinz von Frankreich, der spätere Ludwig VIII., auch im April 1215 den Kreuzfahrern zu Hilfe gekommen, aber die Partei Simons hatte ihn damals nicht geladen. Im Gegenteil, man fürchtete seine Konkurrenz. Nach Simons Tode aber, als die Belagerung von Toulouse auf- gehoben werden mußte und Amalrich von Montfort einen immer schwierigeren Stand gegen Raimund VI. und dessen Sohn hatte, schickte der Cardinal Legat Bertran den Bischof Folquet von Toulouse an den französischen Hof, um Hilfe zu suchen, und Papst Honorius III. wurde im August und September 1218 in demselben Sinne beim König vorstellig. Im Frühjahr 1219 fand sich denn auch der Kronprinz mit großer Heeresmacht in Südfrankreich ein. Man wird kaum fehl gehen, wenn man auf diese Zeit etwa das Lied unseres Dichters bezieht.

Freilich hat Ludwig von Frankreich auch später, nach- dem Raimund VI. im August 1222 und Philipp August im Juli 1223 gestorben waren, noch einmal die Waffen gegen die Albigenser erhoben. Seit Ende 1223 verhandelte er mit dem Papst und den Bischöfen über einen neuen Kreuzzug nach Südfrankreich. Der kriegerische junge Raimund VII. war im Begriffe, sein ganzes Herrschaftsgebiet zurückzuerobern, und Amalrich von Montfort hatte, um ihm erfolgreich zu wider- stehen, nichts von des Vaters Tatkraft. Kleinmütig trat er

h Wahrscheinlich ist Välence an der Rhone gemeint.

Sitzgab. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1916, 6. Abb. 8

1 11 G. AltliaiiJlun«,': Karl Vüsöler

air seine Aiisj)rüclie aul" das Gebiet der Grafen von Toulouse an den König von Frankreich alj. Üaraui'hin, Ende Mai 1220, setzte dieser sich mit einem Heer in Bewegung und zog am linken iihoneufer, stromabwärts, auf" Avignon los, wo er am 7. Juni ankam und sich den FlulJüber<jan<^ erzwinj^en mulJte. Auch auf diese Sachlage könnte man das obige Sirventes be- ziehen. Es >väre dann bei derselben Gelegenheit entstanden, wie das folgende, über dessen Datierung kein Zweifel besteht (Nr. 12).^)

leu volgra, si Dieus o volgues,

acsem cobrat Suria, e * 1 pros emperaire agues

cobrada Lombardia, e 1 Valens coms, ducx e marques agues sai cobrat Vivares,

qu'enaissi me plairia, que aitals voluntatz m'a pres

que dels afars volria so que dregz n'es.

Marseilla, Aires, (et) Avinhos,

tug segon una via, e Carpentras e Cavaillos

e Valensa e Dia, Viana, 1 Pupetz e'l Dromos: aion^) rei lo plus cabalhos

que d'aissi en Turquia porte^) caussas ni esperos,

que, si bes no ' ilh venia,*) en bada es pros.

Si cum val mais grans naus en mar que lings^) ni sagecia,

M Rayn. Choix V, S. 303, Mahn, Werke II, S. 239 und Mahn, Ge- dichte 1258. Die Lesart von Mahn, Ged. {= M) ist, w^as Strophenfolge und Vollständigkeit betrifft, vorzuziehen. 2) agron Rayn.

^) Que port Rayn. Der vorhergehende Vers fehlt dort.

*) Car si pro no * 1 tenia Rayn. ^) butz M,

Peire Cardinal H^

e val mais leos de singlar

e mais dos que fadia, val mais lo coms que autre bar, qu'ab tolr'als fals et als fis dar

sec de valor la via e pueia en pretz ses davallar,

et a la maestria de ricx faitz far.

Mir wäre lieb, wenn Gott es wollte,

wir hätten Syrien wieder, und unser wack'rer Kaiser holte

sich die Lombarden nieder, und hier zu Land im Vivarais der edle Graf und Herzog saß.

So möchte mir's behagen, dieweil im Weltgezänk' mein Sinn

sich immer fühlt getragen zum Rechte hin.

Marseille und Arles und Avignon

trennen vom Weg sich nie, Carpentras auch und Cavaillon,

sowie Valence und Die, und was um Dröme und Poupet wohnt: geschäh's, daß dort ein König thront',

und war' er höh'ren Mutes als alle bis zum Türken hin :

und brächte doch nichts Gutes, man pfiff' auf ihn.

Um wieviel besser ist ein Schiff

auf See als Kahn' und Barken, des Löwen als des Ebers Griff,

und milde sein als kargen: soviel ist unser Graf voran mit „Nimm" und „Gib" vor jedermann,

8*

HG C. Abhandlung: Karl VüssIlm-

und nacli der Höbe schreitet zur Ehre er und will nicht ruh'n, Tugend zum V^orbild leitet sein edles Tun.

Es folgen noch zwei Strophen zum Preis des Grafen Rai- mund, der weder Pfaffen noch Franzosen, noch sonst etwas auf der Erde fürchte. Ein Geleit mit einer schmeichelhaften Deutung des Namens Raimon^) krönt das Gedicht. Seiner Absicht nach ist es nicht bloL^ eine Verherrlichung des Grafen, sondern ein politisches Werbelied, dessen Geschicklichkeit und kluge Berechnung man bewundern muß, je näher man das Interessenspiel jener Zeit betrachtet. Es handelt sich hier um Herrschaftsverhältnisse des arelatischen Reiches.^) Mit Mar- seille, Arles, Avignon, Carpentras, Cavaillon, Valence, Die, Vienne, dem Dröme-Tal und dem Berge Poupet bezeichnet Cardinal, schrittweise von Süd nach Nord und Ost gehend, das ganze linksrhonische Arelat, vergißt aber auch das rechts- rhonische Stück nicht, die Grafschaft Vivarais. Auf diesem ganzen Gebiete, das bekanntlich zum Deutschen Reiche ge- hörte, hatte Kaiser Friedrich H. Interessen, die mit denen des Grafen von Toulouse vielfach Hand in Hand gingen. Früher, als Friedrich mit dem französischen König verbündet war, im Jahre 1212, sahen wir unseren Dichter als treuen Toulousaner noch unter den Gegnern Friedrichs. Je mehr sich aber, unter dem Vorwand der Ketzerbekämpfung, die nordfranzösische Herr- schaft im Süden ausbreitete und das Arelat bedrohte, desto enger mußten naturgemäß die Grafen von Toulouse, in ihrer Eigenschaft als Grafen der nördlichen Provence und des Vi- varais, sich an ihren obersten Lehensherrn, den Deutschen Kaiser halten. Über den Besitz eroberter Ketzerländer hatte

*) Aus mon = Welt und rni oder raiar = Sonne oder strahlen, her- vor^länzen (?), wozu das Wortspiel revoin raymon hinzukommt. Solche Spielereien mit den Namen gepriesener oder gescholtener Persönlich- keiten gehören zum Trobadorstil. Vgl. W. Nickel, Sirventes- und Spruch- dichtung, BerHn 1907, S. 43ff.

2) Siehe R. Sternfeld, Das Verhältnis des Arelats zu Kaiser und Reich, Berlin 1881, bes. S. 37—71.

Peire Cardinal 117

das lateranische Konzil von 1215 bestimmt, daß der Papst ihn an getreue Katholiken übertrage: „salvo jure domini princi- palis, dummodo super hoc ipse non praestet obstaculum" eine dehnbare Bestimmung, kraft deren die Geistlichkeit tief in die Rechte des Kaisers und seiner arelatischen Vasallen ein- greifen konnte. Der vom Kaiser eino^esetzte Vizekönio^ des Arelates, Wilhelm von Montferrat, war im Jahre 1225 ge- storben. Auf diese Vakanz scheinen Cardinais Worte über einen neuen, etwa zu erwartenden König anzuspielen. Zu- nächst aber führte der Kaiser dort selbst seine Angelegen- heiten und griff mit einem Schreiben vom 31. März 1225 zum erstenmal in die Ereignisse der Albigenserkriege ein. Er ver- bietet in dieser Urkunde dem Grafen von Toulouse, „Besit- zungen, die er vom Reiche zu Lehen trage, zum Schaden desselben zu veräußern und fordert ihn auf, die schon veräußerten wieder an sich zu bringen".^) Sternfeld meint, man könne über die Bedeutung dieses Briefes, da er uns so ohne Zusammenhang erhalten sei, Zweifel hegen. Das Wahrscheinlichste sei aber doch, daß er dem Grafen, der gegen Frankreich und die Geist- lichkeit schon allzu nachgiebig gewesen war, den Nacken stei- fen wollte. Er wollte demnach unter anderem ganz dasselbe wie unser Dichter, nämlich daß Raimund sich das Vivarais zurückgewänne. Als nun der König von Frankreich zu den Waffen griff und, immer durch Reichsgebiet marschierend, sich gegen Avignon bewegte, standen die von Cardinal genannten Gegenden und Städte vor der Wahl, sich dem nordischen Er- oberer zu unterwerfen oder ihm Widerstand zu leisten. Der Kaiser war fern und zu tatkräftigem Auftreten gegen Ludwig nicht in der Lage. Li diesem schwierigen Augenblick, wahr- scheinlich in der Zeit zwischen dem Einmarsch der Franzosen in das Arelat, Ende Mai 1226 und ihrem Sturm auf Avignon, Juni bzw. September 1226, mag Cardinal sein Lied gedichtet haben, um in den bedrohten Gebieten Stimmung zu machen für die Sache des Grafen von Toulouse, die zugleich als Sache des Kaisers sich darstellte, so sehr immer Ludwig und der

1) a. a. 0. S. 63.

ilö G. Ahliaiidluii«^' : K;irl Vossler

Papst l)ett'uertL'ii, daü die kaiserliche Oberhoheit durch die nnternclinuinj^en des Kreuzheeres nicht geschädi«^t werden sollte. Zu unserer Datierung stimmen auch die in der ersten Strophe ausgedrückten Wünsche des Dichters. Er möchte Syrien, das Heilige Land, wieder erobert sehen, eine begreif- liche und naheliegende Hoffnung, wenn man Ijedenkt, daß Kaiser Friedrich schon seit 1223 Anstalten zu einem Kreuzzug traf und daß er am 9. November 1225 Isabella von Jerusalem M geheiratet und mit dem Titel eines „Königs von Jerusalem" das feierliche Versprechen auf sich genommen hatte, der Christen- heit diese Stadt zurückzugewinnen. Auch der Wunsch, dalä es dem Kaiser gelingen möchte, die Lombardei, die als Ver- bindung zwischen Italien und dem Arelat so wichtig war, sich- gefügig zu machen, war, angesichts der Tatsache, daß im März 1226 der Lombardenbund sich erneuert hatte, höchst zeitgemäß.^)

Durch die Ereignisse aber sind diese Wünsche teils gar f nicht, teils unvollkommen erfüllt worden. Avignon fiel, die Franzosen siegten, der Krieg zog sich mit mancherlei Wechsel- fällen noch über zwei Jahre hin, bis er im April 1229 in einem Frieden seinen Abschluß fand, der den Grafen von Tou- louse aufs schwerste demütigte und der Selbständigkeit des Südens den Sarg zimmerte. Zu politischen Vorgängen der Folgezeit hat Cardinal, soviel wir sehen, seine Stimme nicht mehr erhoben. Wohl finden sich da und dort in seinen Lie- dern noch unbestimmte und flüchtige Anspielungen auf Ver- hältnisse und Ereignisse der späteren Jahre, doch sind sie nicht derart, daß sie eine annähernd genaue und sichere Datierung erlaubten.^) Als politischer Satiriker hat Cardinal, soviel wir sehen, nur in den Jahren der Albigenserkriege sich betätigt, und selbst hier lag ihm offenbar das Ethische näher am Herzen als das Politische und Militärische.

^j Maus a. a. 0. S. 85 datiert das fragliche Sirventes etwas ungenau ins Jahr 1227, Wittenberg, Die Hohenstaufen im Munde der Troubad., Münster, Diss. 1908, S. 70 f., dagegen richtig ins Frühjahr 1226.

2j Siehe die Anhänge Iff.

Peire Cardinal 119

VII. Persönliche und versteckte Satire.

Das ethische, ideale, überpersönliche Empfinden hat bei Cardinal selbst dort noch die Führung, wo seine Dichtung sich gegen ganz bestimmte Persönlichkeiten wendet. Dies läßt sich an seinen Schmähliedern gegen Esteve de Belmon beobachten.

Vielleicht hat dieser Herr ihm nie etwas zuleide getan. Wann und wieso er ihm vor das poetische Messer kam, wer- den wir mit Sicherheit kaum erfahren, denn nicht wenig Burgen, Schlösser oder Städtchen des Namens Belmont und unendliche Esteves gab es im südlichen Frankreich. Fahre hat in Ur- kunden des Hauses Polignac aus den Jahren 1226, 28 und 49 einen Esteve de Belmon ausfindig gemacht, der aus Beaumont an der Dore, in der Gemeinde St. Victor sur Arlane, bei La Chaise Dieu, etwa 45 km nördlich von Le Puy, stammte, also ein Landsmann Cardinais und, als geistlicher Herr, sogar sein Kollege war.^) Gegen diesen oder auch einen anderen Esteve hat Cardinal (wenn Fahre recht hat, etwa im vierten Jahr- zehnt des 13. Jahrhunderts, wahrscheinlich aber schon früher)^) drei Lieder geschleudert: Nr. 19, Nr. 65 und 68. Fahre möchte noch ein viertes, nämlich Nr. 9, auf Esteve beziehen. Ich kann ihm nicht beipflichten; denn, während in den drei anderen Esteve als ein weithin leuchtendes Beispiel von Verräter er- scheint, dessen Namen der Dichter gar nicht laut genug in der Öffentlichkeit ausrufen kann, verschweigt er hier mit wich- tiger Gebärde die Personalien seines Opfers und munkelt nur, daß er jemanden kenne und Dinge von ihm wisse, die, wenn er sich getrauen dürfte, sie auszusagen, diesem jemand den Ruf eines Verräters fruchten müßten.

Qu'un tal n'a say que, s'o auzava dire,

») Annales du Midi, XXI, S. 5 ff. 2) Siehe Anhang IX.

'-'^ (■>. AMiiindlunf,': Karl Vossler

I)er so qu^en say, for' {ipelliitz trahire.*)

Daf3 es ein sehr hoher Herr sein muß, der für seinen Verrat nicht gehenkt, sondern an eine regierende Stelle be- fördert wurde, deutet die zweite Strophe des Gedichtes an. Man könnte an Simon von Montfort, an den Abt von Ci- teaux, an den Bischof Folquet von Toulouse oder sonst eine mächtige Persönlichkeit denken, deren liache Cardinal zu fürchten hatte, aber gewiß nicht an Esteve. Höchstens in der Schlußstrophe, wo von verräterischen Spielleuten im Ve- lay und schließlich von der Häufigkeit aller Arten von Ver- räterei bei Laien und Geistlichkeit in jener Gegend die Rede ist, m.ag Cardinal auch an seinen Esteve gedacht haben.

Leider wissen wir nur unvollkommen, was dieser im ein- zelnen verbrochen hat. Nach des Dichters Vorwürfen zu schließen, hätte er bei einem Gastmahl einen seiner eiccenen Vorfahren, seinen Paten' und einen unschuldigen Knaben, das Kind seines eigenen Herrn, mitsamt der Dienerschaft, ver- räterischerweise ermordet. Ein südfranzösischer Atreus! Das Verbrechen scheint sich in Eynac bei St. Julien-Chapteuil zu- getragen zu haben. Statt uns den Hergang ordnungsgemäß zu erzählen, gibt uns der Dichter, wenn wir genau zusehen, eigentlich nur die sittliche Wertung der Tat. Am reinsten hat er diesen ethischen Stil in Nr. 65: Un sirvcntes ai en cor que comens^) durchgeführt. Durch Vergleich der Esteveschen Verbrechen mit denen des Judas und des Ganelon, läßt er uns deren spezifisches Gewicht fühlen und schreitet ihre ethisch- praktische Tragweite ab, indem er zeigt, wie auf einen Schlag, tot ab US ferramens, mit ein und denselben Werkzeugen, Un- schuldige, Märtyrer, Bekenner, Betrüger und Verräter von Esteve geschaffen wurden. Aber nicht auf die Opfer und Helfershelfer im einzelnen kommt es dem Dichter an. Man sieht jene nicht leiden und diese nicht am Werk. Wenn

1) Mahn, Ged. 758, 759 und Studj di til. rom. IX, Nr. 12, S. 521, erste Strophe.

'^) Kritischer Text in den Annales du Midi a. a. 0., S. 26 fF.

Peire Cardinal 121

in der dritten Strophe der Täter selbst uns handelnd vorge- führt wird, so geschieht es nicht, um zu erzählen, wie er es damals angestellt hat, sondern wie er es immer zu machen pflegt, als ob er die Gewohnheit hätte, jedesmal wenn er bei Verwandten zu Gaste sitzt, zwischen Vergnügungen und Scher- zen, plötzlich als improvisierter Verräter quon tradier desuptos^) vom Tische aufzustehen und unter den Köchen, Pförtnern und Verwaltern seiner Gastgeber ein Blutbad anzurichten. Mit anderen Worten: die Gesinnung und Vertrauenswürdigkeit dieses Menschen, nicht der einmalige Hergang jener Tat will festgelegt werden. Selbst in der äußeren Erscheinung des Missetäters tritt nur dessen Charakter zutage. Esteve war ein beleibter, blühender Herr; aber hinter seinem Umfang läßt Cardinal uns nur das Böse, die malas humors, und an seiner gesunden Farbe nur den blühenden Betrugt) sehen. Großartig und ungeheuerlich, wie jenes schöpferische Ver- brechen, in dem Kain fortlebt und eine ganze Stufenleiter ethisch-religiöser Werte, vom Heiligen bis zum Verräter ver- wirklicht wurde, muß nun auch die Buße sein. Strick und Gefängnis wären noch eine Ehre. Die Gerechtigkeit ist ratlos. Indessen tut Esteve Buße auf eigene Art: verleumdet, streitet, hurt, raubt, hehlt und stiehlt. Cardinal empfiehlt ihm einen anderen Weg:

Verräter Stephan, willst Du deine Schuld abbüßen? Sag herunter in Geduld dem Herrn Kaplan, daß er dein' Sund betrachte, ein bis zwei Lieder, die ich auf Dich machte.

Man sieht, wie der Hohn, der Haß, die Schadenfreude, die ganze Erregung dieser Satire durch sittliche Erschütterung ausgelöst ist. Esteve hat nicht die Interessen und im Grunde

1) Siehe desitptos in Levys Supplement -Wörterbuch, S. 154.

2) Fahre schreibt Str. IV, Vers 1 : Esteve es faitz a for dels aygolens und übersetzt: Est. e&t fait a Tinstar des fruits d'eglantier. aygolenc ist aber wohl dasselbe Wort wie das rätselhafte aigonenc. Wer die Früchte des Weißdorns kennt, wird der Deutung Fabres kaum zustimmen.

1^'- ß. Ablmiulliiiij; : Karl Voesler

aufli- nicht düii Gesclinuick, sondern das Gewissen und den (jlhiiiht'n (^siidinals verletzt.

Ähnliche Beübachtun<^en sind an dem anderen, der Zeit- folge nach vielleicht ersten Sirventes gegen Esteve, UEsteve de Bclmon m'cnucia (19),*) weniger leicht und unmittelbar /u machen, teils weil der Text unsicher und schwer verständ- lich, teils weil der Stil durch ]^ertran von Born beeinfluf3t ist.-) Immerhin fehlt es auch hier nicht an echt Cardinaischen Einfällen. Der dichterische Grundgedanke verrät dieselbe Herkunft. Die Bosheit des Esteve wird ins Übermenschliche und Phantastische derart gesteigert, dalä die Übertreibung er- haben und komisch zugleich wirkt und das Gedicht den Cha- rakter eines entsetzlichen Si)ieles, eines Lachens unter Ge- w^issensschauern annimmt. Durch das ganze Stück hin stellt der Dichter derb materialistische Bilder dicht neben ethisch- religiöse WertbegrifFe hin. Esteve ist dicker als ein Mühl- trichter und ist ein Rostfleck auf der Kirche, lügt wie ein Spion und versperrt im Kirchenchor den Platz mit seinem Bauch, hat einen Wasserkopf und einen Buckel und treibt Unzucht mit einem alten rothaarigen Weib. Niemand wird um ihn weinen, wenn er gehenkt wird und die Geier ihn fressen; er aber wird, wann er baumelt, noch seinen Galgen- brüdern die Stricke und Knebel stehlen; und so stark ist er im Verrat, daß man einen Absud von ihm nehmen und eine Salbe gegen Verräterei aus seinen Säften brauen kann. All diese Einfälle sind nicht erfunden, um gerade dieses Indivi- duum zu charakterisieren, sondern um ein Exemplum aufzu- richten, und nicht allein ihm, dem Esteve, zur Strafe geschieht es, sondern allen Verrätern zur Warnung, und nicht nur uns, sondern dem beleidigten Gewissen als solchem zur Genugtuung und zur Lust.

Das dritte Lied gegen Esteve schwenkt vollends ganz vom Angriff auf den Einzelnen zur Satire gegen den ganzen Stand,

1) Mahn, Ged. 762, 763 nach C und 7v.

'^) Besonders an Bertrans Rassa . tan crcis c wonta e poia scheint Cardinal sich ang-elehnt zu haben.

Peire Cardinal 123

dem dieser angehörte, über und erweitert sich zu einem ethisch- politischen Zeitgedicht. ^)

In anderen Sirventesen, auf die wir schon oben hinge- wiesen haben, ^) zerfließt der persönliche Tadel derart zur all- gemeinen Moralisation , daß wir die Einzelnen, auf die es ab- gesehen war, nicht mehr erkennen. Wer will heute noch erraten, wen Cardinal gemeint hat mit dem lügenhaften mal terrier (oder trentenier'^) in Nr. 5, oder mit dem meineidigen geistlichen Herrn in Nr. 44, oder mit dem guten Herrn Re und dem bösen Herrn Cesto d'Amon in Nr. 58, oder mit dem großen Verräter in Nr. 9?

Es gehört zu der Natur der Cardinaischen Satire, daß sie nur kurz und rasch, schnellend und pfetzend, wie die Peitsche eines erfahrenen und kaltblütigen Rosselenkers, aus den Höhen des Allgemeinen, in denen sie kreist, herabfährt und trifft, um gleich wieder hoch über den Köpfen der Ge- züchtigten zu nicken. Ohne recht zu wissen, wo es einge- schlagen und wem es eigentlich gegolten, fühlen sich alle bedroht. Schon wann der Meister, halb spielend, halb mahnend, nur im Winde seine Geißel pfeifen läßt, sitzt ihnen die Angst im Nacken. Nicht einzeln, sondern meist zu Paaren und Rotten gespannt, klassen- und herdenweise, liebt es Cardinal den Feind vor sich herzutreiben. Es liegt ohnedem in der Art der mittelalterlichen Lehr- und Rügedichtung, daß sie sich auf ganze Stände , Berufe und Gesellscbaftsschichten wirft. Der persönliche Angriff, die Invektive, ist erst mit dem Indi- vidualismus der Renaissance zur Mode geworden und hat unter den Trobadors nur vereinzelte Vorläufer gefunden, von denen Cardinal mit seinen Esteve-Liedern weder der erste noch der wichtigste ist. Ihn hat der Stil seiner Zeit und ebensosehr die eigene Neigung und Begabung auf Klassen- und Partei- satire angewiesen. Denn in hohem Maße besaß er die Fähig- keit, das Typische, das Gewohnheits- und Standesmäßige, das Gemeine des Durchschnitts bei den Menschen zu fassen. Re-

») Nr. 63, Mahn, Ged. 1254, 1255. Siehe Anhang IX. 2) S. 34f.

1-' 6. Abhandlung: Karl Vossler

jrelii, Sitten inid Bräuche bzw. Unsitten uml Miüliräuche, pro- fessionelle und zünftige Charakterzüge und Unarten, sittliche Massenerscheinunp^on, die eher der Analyse als dem schauen- den Auge zugänglich sind, weiLi er anschaulich zu machen und geradezu stimmungsvoll darzustellen. Was andere Sa- tiriker des Mittelalters nur lanf^weilig beschreiben und ärjjer- lieh säuerlich benörgeln, belebt er phantastisch. Ganze Grup- pen, Kreise, Kasten und Nationalitäten nimmt er nach ihrer gemeinsamen Denkart, Gesinnung und Willensrichtung zu- sammen und hüllt sie in ein Halbdunkel, das den künstleri- schen Reiz der „Anspielung" hat. Der Zauber seines Stiles liegt oft nur in dem, was er verschweigt: in der Verhalten- heit seines Grimms, in der Unbestimmtheit seiner Drohung, im scheuen Vermeiden der angekündigten Enthüllung, im grau- sam verlängerten Spiel mit dem Opfer ein Spiel, das freilich auch zur selbstgefälligen Tändelei und zum blolsen Wort- geplänkel entarten und alle Wirkung zerstreuen kann. Manch- mal gleicht er der Katze, die über dem Scherzen sich die Maus entj^ehen lälst. Andere Male tötet er mit einem einziojen Griff. Ein einziger Name, ein konkreter Einzelfall, ein treffender Vergleich, ein greller Schlagschatten, überraschend angebracht, fällt dann wie ein Tröpfchen beizender Säure in die matte Flüssigkeit seiner Moralisationen und Generalisationen und bringt das Ganze zum Kochen und Gären. Wie nichtssagend wäre das Sirventes Nr. 9 ohne die persönlichen Anspielungen in der ersten und letzten Strophe, und Nr. 44 ohne die in der dritten Strophe. Um so bedauerlicher für uns, daß wir sie nicht mehr verstehen. Besonders geeignet, unsere Neu- gier zu wecken ist Nr. 53.^)

So brav sind uns're Nachbarn fein, so voller Gut' und Menschlichkeit: wenn Stein zu Brot würd' weit und breit und alles Wasser wäre W^ein,

1) Bartsch, Provenzal. Lesebuch 1855, S. 83, Rayn. Choix IV, S. 360 f., Parn. occ. S. 319, Mahn, Werke II, S. 189 und Mahn, Ged. 1246, 1247.

Peire Cardinal 12o

die Berge Speck und Hülinerklein,

sie schenkten nichts! So sind die Leut'.

Und Leute gibt's, ich sag' nicht wer,

die Schweinen gleich im Gevaudan,

hündisch im Viennois getan,

im Velay glichen ungefähr

der Bulldogg sie; die Wandlung war'

erreicht, nur fehlt der Schweif noch d'ran.

Des Weibes Schwur gilt mir wie Sand, bin ihrem Eid nicht wohlgesinnt. Legt ihr, damit sie Wahrheit künd', 'mal einen Pfennig auf die Hand und für die Lüg' des Hellers Tand: Der Heller, sag' ich euch, gewinnt.

Und mancher sieht so kindlich drein und sinnt auf Erbschaft wider Recht ^) und spricht mit Logik kunstgerecht und ist voll Gier wie Isegrein, hat blondes Haar, sein Wuchs ist fein, im Leib das Herze falsch und schlecht.

Hätt' ich den Witz des Muselmans, des Christen Glauben, Zucht und Treu', des Heiden Kniff und Künstelei, die Kühnheit des Tartarenchans wer so begabt ist, glaub' ich, kann's gegen Kastiliens Lügnerei

die unrecht tut und lügt dabei und einzig steht in diesem Glanz.

Was mag sich hinter „Kastiliens Lügnerei", hinter dem „messongier Castella" verstecken? Vielleicht kein Mann, son- dern das Weib, auf dessen Schwur der Dichter nichts sieben

') Das trebellia oder trebulia des Textes ist Trebelhanus. Siehe darüber weiter unten.

1-G (). Ahluiiulhin^': Kiiil Vosaler

will, ilie KöMi«^in-Mutti'r Bluiika von Kastilien? Sie ist es, die HiiiinuiKl VII. den deinUtigenden Frieden des Jahres 1229 auf- ^ezwungüM liiit. Sie war, selbst in Nordfrankreich, gerade um jene Zeit, die Zielscheibe satirischer Diclitungen. Der Dichter llugues de la Ferte in französischen und die Clercs der Pariser Universität in lateinischen Versen schmähten sie und warfen ihr vor, sie schicke Geld nach S{3anien , umgebe ihren Sohn, den jungen Ludwig IX., nur mit Spaniern*) und treibe Unzucht mit dem päpstlichen Legaten. Der Mensch mit dem kindlichen Aussehen in der dritten Strophe könnte dann der junge König sein, der es auf Kaimunds VII. Erbe abgesehen hatte und dessen Äußeres uns durch Bilder und zeitgenössische Aussagen in der Tat ganz in Cardinais Sinn geschildert wird: blond, schlank, hochgewachsen, mit einem an- mutigen, engelgleichen Gesichtsausdruck, mit „Taubenaugen ".^) Diejenigen aber, die wie Schweine und Hunde in den Land- schaften Gevaudan, Vienne und Velay gehaust haben und die der Dichter nicht nennen will, sind vielleicht französische Truppen, die sich vor 1229 dort noch herumtrieben oder, was mit Rücksicht auf die Scheu des Dichters sie zu nennen und in Anbetracht des afaitamen cani, der „hündischen Dressur", noch wahrscheinlicher ist, die Dominikaner, die Domini canes, wie man sie später nannte,^) die als Werkzeuge der Inquisi- tion allerdings fürchterlich im Languedoc gehaust haben. Das Sirventes könnte demnach etwa um 1233 geschrieben sein, denn damals war die Inquisition zu einer regelmäßigen Ein- richtung geworden.*)

Doch air dies ist nur Vermutung. Gegen den Willen des Dichters, seinen Feind in Dunkel zu hüllen, bleibt die Forschung machtlos.

\

^) Siehe Elie Berger, Histoire de Blanche de Castille, Paris 1895, S. 108 f. und 134 f.

2) Ch. V. Lario-lois, in Lavisse, Histoire de France, III, 2, S. 19.

^j Über den Hund als Schimpfwort für päpstliche Advokaten und als Symbol der Dialektik vgl. H. Grauert, Magister Heinrich der Poet, Abhdlg. der K. B. Akademie der Wiss., philos.-philol. u, hist. Kl. XXVII, München 1912, S. 180 tf. 4) Histoire de Languedoc VI, 673 f.

Peire Cardinal 127

VIII. Die Geistlichkeit.

Den ungehemmten Schwung seiner Dichtung und zugleich damit die gröfste Spannweite seines Könnens entfaltet Cardinal in der allgemeinen Satire gegen die Geistlichkeit und weiterhin gegen die gesamte Verderbnis des Zeitalters. Die Motive des PfaflPen- und des Weltspiegels liegen ihm am besten. Hier haben ihm neben den Trobadors auch die Kleriker und Va- ganten vorgearbeitet, so daß er nun, fast mühelos, die Er- rungenschaften beider Traditionen vereinigen kann. Anderer- seits strömen ihm hier die eigenen Erlebnisse und Empfindungen so reichlich zu, daß von unselbständiger Nachahmung, sei es lateinischer, sei es provenzalischer Lehr- und Rügedichtung kaum mehr die Rede sein kann. Ich habe handgreifliche Entlehnungen weder da noch dort, wohl aber allerlei An- klänge finden können. Es mag genügen, durch einige Andeu- tungen und Belege Cardinais Bekanntschaft mit der satirischen Lyrik der Kleriker und Vaganten und mit der lateinischen Schulpoesie überhaupt wahrscheinlich zu machen.

Wir haben es als einen sympathischen und persönlichen Zug an ihm hervorgehoben, daß er, im Unterschied von dem herausfordernden Selbstbewußtsein der meisten Trobadors, aus seiner eigenen Unvollkommenheit kein Hehl macht und sich gelegentlich selbst in die Reihe der von ihm getadelten Sünder und Narren einschließt, Beispiele dieser bescheidenen Selbst- kritik konnte er in der mittellateinischen Dichtung viel zahl- reicher finden als in der provenzalischen. In dem bekannten Lied gegen die Simonie, Nr. LXXIII der Carmina Burana, das dem Thomas Becket (f 1170) zugeschrieben wird, heißt es:

Omnes siquidem sumus rei, nullus imitator Dei, nullus vult portare crucem, nullus Christum sequi ducem.^)

*) Außer den Carmina Burana siehe auch E. du Meril, Poesies popul. latines du moyen a^e, Paris 1847, S. 177 fF. Ähnlich W. Map: Omnes intendimus ad res illicitas. Thom. Wright, The Latin poems comnionly

l*-8 G. Alihiindliing : Karl VoHsler

An ilii' bcrüliniteii Selbstanklu«ren des Arcliipoetii Kraucht kaiiiii i'iinncrt zu werden. Die eigene lilüüe nicht zu ver- hüllen, «^ehihte geradezu zum Stil dieser Dichter. Ebenso zu- gänglich waren sie der Forderung, die eigenen Lehren und Mahnungen selbst zu Ijefolgen, und auch 'dafür hat Cardinal, im Unterschied vom Durchschnitt der Trobadors, ein offenes Ohr. Der dem Walter Map zugeschriebene Rhythmus an den Papst über die Milästände der Kirche^) beginnt mit einem Ge- dankengang, wie man ihn ähnlich bei Cardinal des (öfteren findet:

Commendarem bonos mores, sed virtutis amatores

paucos esse doleo ; quod si pravos reprehendam, et eis non condescendam,

bella mihi video.

i

Tanto viro locuturi studeamus esse puri,

sed et loqui sobrie; carum care venerari, et, ut caro simus cari,

careamus carie.

Decet enim, et hoc unum est in primis opportunum, ut me ipsum judicem.

attributed to W, Mapes, London 1841, S. 167. Im Prolog zu den Epi- grammen des Priors Godefridus heifst es:

Proposui ludendo quidem garrire aliorum

mores, carpo alios, me quoque carpo simul. Rubigo invidiae, species invisa cachinni,

omnis abest, ut me, rideo sie alios. Rideo mecum alios, ne nos male rideat alter; ne quis nos possit laedere, rideo nos. Wright, The Anglo-Latin sat. poets II, S. 103.

^) Gedruckt bei Flacius Illyricus, Varia doctorum piorumque viro- rum de corrupto Koclesiae statu poemata, Basel 155G, S. 9f. und mit besserer Textgestaltung bei Thom. Wright, The Latin poems commonly attributed to Walter Mapes, London 1841, S. 57 f.

Peire Cardinal 1^29

Eher den geistlichen als den weltlichen Satirikern eignet auch der Gedanke, daß man es nicht wagen dürfe, all' die Sünden und Greueltaten der Menschen, insbesondere der Macht- haber bei Namen zu nennen.

Inaudita dicerem, si liceret fari heißt es in dem Sermo Goliae Pontificis ad Praelatos irapios.^) Ein englischer Geistlicher, der in mehr als zwanzig Strophen das Lasterleben eines Kirchenfürsten verhöhnt hat, beschließt seinen Gesang:

A me si requiritur:

quis est qui sie dicitur

mendax et mendosus?: Oblitus sum nominis, quia nomen hominis

est „obliviosum".^)

Einer der wichtigsten Gemeinplätze, auf denen Cardinal sich mit der lateinischen Schulpoesie zusammenfindet, ist der Gedanke, daß durch die sittliche Entartung der Menschheit alle Werte in ihr Gegenteil verkehrt werden.

Ecce mundus moritur, vitio sepultus; Ordo rerum vertitur, cessat Christi cultus, Exulat justitia, sapiens fit stultus.^)

Die mittellateinische Satire weist auch gerne auf das Ende der Welt und auf die Vorzeichen des Antichristen als unmit- telbar bevorstehend hin.

Mundus in interituni vergit his diebus.*)

Oder: Amodo siquidem possum asserere, quia Antichristus creditur vivere,

*) Flacius Illyricns, S. 150 und Wright, S. 40. Ähnliche Äußerungen Cardinais sind oben, S. 35 angeführt.

2) W. Meyer aus Speyer, Die Arundel - Sammlung mittelalterlicher Lieder, Abhandig. der K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, philol.-histor. Kl. (neue Folge), Bd. XI, 2, Berlin 1908, Nr. 25.

3) Flacius lllyricus, S. 238 u. Wright, S. 149. *) Ebenda. Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. biat. Kl. Jahrg. 1916, 6. Abb. 9

1 '^n G. AMKiiulliinj,': Karl Vosslcr

cum sie Ecclesiae nunc per circuitum

vadsint ad tledecus et ad interituni:

Puto quod teinpora venerunt ultima,

cum tot ebuUiant per niundum scandiila . . .

klagt ein Geistlicher im Jahre 1173.^)

Die borülimteste künstlerische Entwicklung dieses Motiven hat man in der Apocaljpsis Goliae und in dem Gedichte D< adventu Antichristi.^) Unserem Cardinal müssen solche Ge- danken wohl vertraut gewesen sein. In seinem Rügelied Un sirvcntes vueih far dels aiäz glotos (Nr. G9)^) sagt er von der entarteten Geistlichkeit:

leu cug qu'els son messatge d'Antecrist. Guardatz si d'els pot ben issir totz mals!

Was Cardinal seinen Standesgenossen nun im einzelnen vorzuwerfen hatte, brauchte er bei anderen Satirikern gewilä nicht erst nachzuschlagen. Die Wirklichkeit bot Stoff genug. Aber der Entschlula, das Erlebte künstlerisch zu gestalten und zum Teile auch die Art wie dies geschieht, ist doch wohl durch den Voro^anff der lateinischen Satire bedinspt. Das Bild der bewaffneten Geistlichkeit z. B., wie es Cardinal in seinem Lied über die Zerstörung der Klöster von Moissac, Casses und Chamalieres entworfen hat, findet sich zwar etwas anders, aber doch ähnlich in den Carmina Burana (Nr. XVII) wieder:

Episcopi cornuti conticuere muti, ad pr^dam sunt parati, et indecenter coronati; pro virga ferunt lanceam, pro infula galeam,

1

I

1) du Meril a. a. 0., S. 321. Siehe auch Carm. Burana Nr. LXXXVI und Fragmenta Burana, hgg. von Meyer aus Speyer, Berlin 1901, S. 27 f.

2) Verweise bei Gröber, Grundriß der rom. Phil. 11, Straßburg 1902, S. 365.

3) Lex. rom., S. 451 f. und Mahn, Werke II, S. 237 f.

Peire Cardinal l«jl

clipeum pro stola, [h^c mortis erit mola,] loricam pro alba, [h^c occasio calva,] peliem pro humerali pro ritu seculari.

Die Ironie, die hinter dem pro des Lateiners steckt, ist dieselbe, die Cardinal mit seinepi en luec de ausdrückt:

En luec de procesio iran serrat et estrey, armat al caut et al frey, trompan en luec de trinho.

Ein anderes gemeinsames Motiv ist der Priester, der un- mittelbar vor oder nach dem Gottesdienst sich in Unzucht be- sudelt. In den Carmina Burana (Nr. LXIV) heißt es:

Tu sacerdos huc responde cuius manus sunt immunde, qui frequenter et iocunde cum uxore dorniis, unde surgens mane missam dicis, corpus Christi benedicis, scire velim causam, quare sacrosanctum ad altare statim venis immolare, virgis dignus vapulare.

Vapulare virgis dignus,

dum amoris tantum pignus

corvus tractas et non cignus,

iam non h^res sed privignus.

Castitate non inbute,

sed immundus corde et cute,

animarum pro salute

missam cantas, o pollute,

plenus sorde, plenus mendis

ad altare manus tendis

9*

l'^- fi. AlihanJhin^: Kiirl Vossler

quod contemnis, quod offeiidis, concubinani dimi ascendis.*)

In der A})ocaly])sis Uoliae:

Post Missain Presbyter relinquens ini'ulani, in meretriciam descendit insulani*)

im De avaritia et luxuria mundi:

indo lupanaris in sancta reportat odorem^)

und bei Cardinal:

los veiretz del bordelh issir; cap dreg van al autar servir*) und:

et en loc de matinas an us ordes trobatz

que iazon ab putanas tro * 1 solelbs es levatz.^)

Im übrigen ist dieses heikle Motiv von Guilhelm Figueira in dem Rügelied No'm laissarai per paor nachdrücklicher be- handelt worden.

Ein satirisches Genrebild, das besonders beliebt war, ist die schlemmende Geistlichkeit im Refektorium bei Tisch und beim Trinkgelage. Höchst lebendig und anschaulich wird es in der Apocalypsis Goliae ausgemalt. Es gibt kaum ein la- teinisches Gedicht über das Leben der Mönche, wo es fehlte. Ähnlich führt uns Cardinal in einem seiner farbigsten Rüge- lieder (Nr. 1) die Jakobiner vor, wie sie nach Tisch über die Güte des Weines zanken und zu Gericht sitzen,^) und in seinem bekannten Li clerc se fan pastor (Nr. 31) klagt er, daß im Refektorium reiche und betrügerische Handelsleute (cnsos) den Ehrenplatz als Tafelgäste einnehmen, während die Armen aus- geschlossen sind. Zum vollen Genrebild aber hat er solche Motive doch nicht entwickelt.

Man wird nicht erwarten, dafs wir über das Wohlleben der Geistlichkeit, über ihre Vorliebe für „Hühner und Wein",

1) Carmina Burana Nr. LXIV und Thom. Wright a. a. 0., S. 49.

2) Flacius lllyricus, S. 143 und Thom. Wright a. a. 0., S. 14.

3) Thom. Wright a. a. 0., S. 166. ^) Nr. 47, Str. 5. ^) Nr. G4. ß) Text weiter unten.

Peire Cardinal 133

für Pracht, Bequemlichkeit und Putz der Kleidung, über ihre Habsucht, Simonie, Heuchelei, ihre Wuchergeschäfte und Erb- schleicherei, ihren Ablaßhandel usw. all' die vielen Ausbrüche des Hohns und der Klage aus der mittellateinischen und vulgär- sprachlichen Satire zusammensuchen.^) Das Unternehmen wäre müßig; denn es läßt sich nicht entscheiden, wieviel im ein- zelnen die Kügedichtung Cardinais aus eigener Beobachtung oder aus literarischer Erinnerung geschöpft hat. Kulturge- schichtlich neue oder wesentliche Züge fügt sie dem Bild, wie es die zeitgenössische Satire entworfen hat, soviel ich sehen kann, nicht bei. Ein Punkt, den ich aus der lateinischen Schuldichtung bis jetzt nicht hinlänglich belegen konnte, ist der Vorwurf, daß Geistliche sich weigern, die Leichen armer Leute zu bestatten. Cardinal klagt:

e renoviers sebelliran

per aver, tant son enginhos,

mas ges lo paupre trachuros

no sera per eis sebellitz,

ni vizitatz ni acullitz,

mas aquelhs de cuy an grans dos.^)

Zwei Verse aus der Satira communis des Henricus Archidia- conus sind vielleicht in demselben Sinne zu deuten:

Corpora diripitis, sine respectu, sine jure,

nil vobis ubi mortua sint vel quomodo curae.^)

Wohl aber wissen wir, daß ein Pariser Konzilbeschluß des Jahres 1208 den Pfarrern verbot, die Leichen verstorbener Gemeindemitglieder unbeerdigt zu lassen, um Geld von den Angehörigen zu erpressen.*) Auch Jakob von Vitry erwähnt in einer Predigt das Beispiel eines Priesters, der eine arme

*) Einige, aber lange nicht alle Belegstellen hat W. Nickel, Sir- ventes und Spruchdichtung, S. 65 gesammelt.

2) Nr. 54, Mahn, Ged. 1228, 1229, 1230.

^) Thom. Wright, The Anglo-Latin satirical poets and epigramnia- tists of the twelth Century, London 1872, S. 165.

*) Luchaire, La societe fran9. au temps de Philippe Aug., S. 55.

i'^l G. Altliiimlliinf;: K;iil Vo8«ler

Frau nicht beer(ii«^on wollte, solange deren Sohn das l^egräbnis- geld nicht bezahlt hatte. ^)

Abel' Ijesser als durch inhaltliche Übereinstimmungen, die immerhin zufallig sein könnten, wird durch einige formale Züge die weitgehende Bekanntschaft Cardinais mit der mittel- lateinischen Schuldichtung gesichert. Bekanntschaft sagt noch zu wenig. Es handelt sich um wirkliche Vertrautheit. Car- dinal muß tief und lange in der Luft der geistlichen Schulen geatmet haben. Denn wie jene, so duften auch seine Dich- tungen von Schärfe, AVitz, Subtilität und Ironie, sind gemischt aus Ernst und Spott, haben etwas Spielerisches und zugleich Verdrossenes und Müdes, sind unerbittlich grausam und gleich wieder treuherzig wie ein Kind, sind verbissen und sprach- freudig, tändelnd und schwermütig, voll jener Stimmung in- tellektueller Überlegenheit und intellektuellen Weltschmerzes, doktrinärer, weltfremder Unschuld und ausgebrannter gleich- gültiger Unlust. Jene Gemütslage, die unter dem Namen Acedia in der Seelengeschichte des Mittelalters bekannt ist, eignet in gleicher Weise einem guten Teil der Cardinaischen Sirventese wie den lateinischen Satiren seines Zeitalters.^) Car- dinal ist, glaube ich, der erste, der die Weltverdrossenheit des Gelehrten aus der Luft der Klöster und Sakristeien in die Ge- sellschaft der Laien hinausträgt und in den Formen des Troba- dors zum Ausdruck bringt. Freilich muß man Ohren haben, um diese Stimmung, die meist nur den Unterton, nicht die Melodie macht, zu hören.

Ein Griff z. B. , der der überlegenen, kritischen Gleich- gültigkeit des Klerikers besonders gut lag, war die spielerisch- systematische Beleuchtung oder Beschattung des Weltwesens

^j The exempla . . . frora the sermones vulgares of .T. de Vitrj p. b. Crane, London 1890, Ex. 197.

2) Über die Wort- und Bedeutungsgeschichte des Begriffes der Acedia oder Accidia siehe den inhaltsreichen p]xkurs in H. Cochin , Le frere de Petrarque, Paria 1903 (Biblioth. litter. de la renaissance IV), S. 205—221, sowie Voigts Wiederbelebung des klassischen Altertums, 2. Aufl., Bd. J, S. 139 ff. und A. Farinelli, La malinconia del Petrarca in der Rivista d'ltalia, Rom 1902, fasc. VII.

Peire Cardinal 135

von zwei Seiten her, die mechanische Alternation von Lob und Tadel, Ja und Nein; z. B. :

Res odiosa nimis, Si subditur aequus iniquis;

Si sapiens stultis, Res odiosa nimis.

Res odiosa nimis, Facies si niarcet honoris;

Si ruit ordo boni, Res odiosa nimis.

Res onerosa nimis, Si torpet regula legis;

Si Vitium crescit, . Res onerosa nimis, etc.

Und gleich daneben:

Res statuenda bonis, Si praecipit aequus iniquis;

si sapiens stultis, Res statuenda bonis.

Res statuenda bonis, Facies si splendet honoris;

Si viget ordo boni, Res statuenda bonis.

Res retinenda bonis, Si currit regula legis;

Si Vitium cedit. Res retinenda bonis. ^)

Der Dichter der bekannten Satire gegen die Kirche Vehc- menti nimium commotus dolore, in dem man wohl mit Unrecht den Petrus de Vineis zu erkennen geglaubt hat, bedient sich dieser relativistischen Verteilung von Lob und Tadel mit be- wußter L'onie. Nachdem er den Klerus nach Herzenslust her- untergemacht hat, unterbricht er sich:

Sed sicut de vitiis recitavi quaedam, ita de virtutibus nunc sermonem edam et ipsos offendere nullo modo credam; sed per viam mediam, ut decet, incedam.^)

Das folgende Lob ist aber nur scheinbar und dient zur stär- keren Würze des Hohns. Und nun lese man das merkwürdige Sirventes qu'es mieg mals e mieg hos, das, obgleich es die Hand- schrift C einem Guillem de Lemotjas zuweist, nach dem Zeug- nis der anderen Handschriften (J, K, T, d) und nach Stil und Gedanke ein echter Cardinal ist.^)

1) Th. Wright, The Anglo-Latin satir. poets, S. 160 f. Ähnlich hat ein Trobador, der ebenfalls Geistlicher war, der Mönch von Montaudon, einem Enuefi ein Plazer zur Seite gestellt. 0. Klein, Die Dichtungen des Mönchs von Montaudon, Marburg 1885, S. 51 fF.

2) E. du Meril, Poes. pop. du ra. a., S. 169.

^) Nr. 21. Mahn, Gedichte, 1250 und zwei Strophen davon bei Ray-

i

»(> ('>. AliliarKlluiif,': Karl VoHHler

l<-li will ein Sirvente.s luilh bös', halb ;^ut

versuchen, das einmal was Neues brin<(t.

Da man doch meist zu Schimpf und Tadel sinj^t

und zuviel Tadel schlieülich unrecht tut,

und da ich auch nicht loben mag mit Jjüg',

so misch' ich nun mein Lied aus Preis und Rüg'.

Vom Preise soll die Tüchtigkeit gedeih'n,

und Rüge soll die Schlechtigkeit kastei'n. f

Drum gilt die Rüg^ für Pfaff und Uittersleut, von denen man beraubt w^ird statt beschenkt, Rüge, weil unser Volk durch sie bedrängt, und Rüge, weil die Schmach wird nicht gescheut; und Rüge ihnen, daß sie ohne Maß, und Rüge, weil sie blind in ihrem Haß, und Rüge, weil sie sind voll Lüsternheit, und Rüge ihrer Unbarmherzigkeit.

Den wacker'n Armen aber gilt das Lob, den Frauen auch, die gute Sitte wahr'n, und, läßt sie niemand Ehre mehr erfahren, seit Männer eifersüchtig sind und grob, so halten Frau'n die Ehre immer hoch, sind gut und höfisch mit den Dienern doch und bieten einem willig an und gern, was übrig ließen ihre reichen Herrn.

Verschlechtert ist die Freundschaft in der Welt, verschlechtert auch sind Lustbarkeit und Sang, verschlechtert höf 'scher Staat und Festesklang, verschlechtert, weil man nicht mehr sich gesellt; verschlechtert ist der Jugend Fröhlichkeit, verschlechtert Minnedienst in Ehrbarkeit,

nouard, Choix V, S. 200. Den Grundgedanken dieses Liedes hat Cardinal auch in der 4. Strophe des Liedes Tot aissi soi desconselhatz (461, 236) ausgesprochen. Siehe Appel, Provenz. Inedita aus Pariser Hss., Leipzig 1890, S. 332 f.; ebenso in Nr. 32, Str. 5.

Peire Cardinal 137

versclilechtert ist die Liebe treu und klar und alles, was von echtem Werte war.

Verbessert ist die Welt an Baulichkeit, verbessert auch an Gärten und Gefild, verbessert darin, daß man selt'ner stiehlt, verbessert in der Rüstung Zierlichkeit, verbessert, weil man reich're Kleidung pflegt, verbessert, was zum Speisetisch man trägt, verbessert, wenn man reist, ist das Geleit, der Vorrat auch an Wein und an Getreid.

Dem Grafen, der den echten Wert noch hegt, in Rodez, sei dies Liedchen vorgelegt, das sich bescheidet bei der Wirklichkeit.

Der Gesinnung nach ein höfisches Sirventes, aber nach Technik und Stimmung ein Erzeugnis der geistlichen Schule; denn diese pedantische Zierlichkeit und dieses schmerzliche Spiel der Ironie ist nicht die Sache eines Rittergemütes. Gewiß hatte auch die Technik der Trobadors in der Tenzone eine Dichtungsgattung ausgebildet, in der die witzelnde und alter- nierende Beleuchtung der Dinge von zwei Seiten her zu Hause war. Aber gerade hier zeigt sich der Unterschied: denn die Form der Tenzone lebt von der Voraussetzung, daß ein und dasselbe Auge nicht schwarz und weiß zugleich sehen, daß das „Für" und das „Wider" nicht in einer Brust wohnen können, sondern daß jedes von ihnen seinen besonderen Ver- treter heischt. Darum ist die Tenzone, auch die fingierte, die nur einen einzigen Dichter zum Verfasser hat, ihrem Wesen nach unlyrisch und stimmungslos, während das obige Lied, so kühl es mit seinen begrifflichen Antithesen und Par- allelen anmuten mag, doch die beschauliche, nachdenkliche und bittere Stimmung eines in seinem Lächeln verschlossenen Dialektikers hat.

Cardinal, der geistig gerne allein ist und, auch wenn er zu anderen spricht, sich auf einsamer Höhe fühlt, scheint

l'»'^ (j. Aliliaiidluij^': K;ul Vossh'r

lue Tenzone wenig gelie])t zu haben. Die Initiative dazu hat er, soviel wir wissen, niemals ergriffen. Ein einziges Mal hat er sich von einem Herrn Aimeric über die A'orzüge des „Ja" gegen das „Nein" in einen müüigen Streit verwickeln lassen.^) Ein andermal laut er, wie wir gesehen haben, in Erinnerung an die geistliche, nicht an die ritteiliche Literatur, Recht und Unrecht vor dem allegorischen Hofstaat Amors gegeneinander tenzonieren.^) Doch ist dies eher ein joc partit als eine Ten- zone und, psychologisch betrachtet, ist es weder dies noch jenes, sondern ein Spiel von Antithesen.

Die große, schon oben von uns beleuchtete Vorliebe Car- dinais für die Antithese legt uns die Vermutung nahe, daß zwei seiner Gedichte, die dasselbe Metrum und dieselben Reime haben, nämlich Nr. 37 und Nr. 16 im Verhältnis der Anti- these zueinander stehen und zusammengehören, mit anderen Worten, daß Nr. 16 die ironische Palinodie zu Nr. 37 ist. Leider ist durch die mangelhafte Überlieferung dieses Ver- hältnis fast bis zur Unkenntlichkeit verschleiert. Nr. 37, das ich aus oben erwähnten Gründen ^) unserem Dichter nicht ab- erkennen möchte, spricht in einfacher Form die Absicht aus, auf einen weiteren Hörerkreis aufklärend zu wirken und zeigt denn auch in schmucklosen Versen, wie habsüchtig und falsch alle Stände geworden sind, wie Könige, Grafen, haiJho und senescal die armen Leute ausbeuten, wie die Geistlichkeit ihnen nacheifert im Kleiderluxus, wie die Kirchenfürsten das Lehens- recht mißbrauchen, um ihre Einkünfte zu vergrößern, wie die schwarzen Mönche, also wohl die Kluniazenser, durch Fressen und Huren, die weißen Mönche, also wohl die Zisterzienser, durch Urkundenfälschung (per termes oder bolas a nientir), die Templer und Hospitaliter durch hochmütiges Auftreten und die Canonici durch Wuchergeschäfte ihr Seelenheil betrei-

1) Peirr dd Puci, li (rohador .o-edruckt bei Bartseh, Denkmäler der provenzal. Literatur, Bd. 39 der Bibl. des literar. Vereins, Stuttgart 1856, S. 134ff. und Mahn, Gedichte 1015. Derselbe Gegenstand wird von G. del OHvier aus Arles in einer Cobla esparsa behandelt. Bartseh a. a. 0., S. 49.

2) Siehe oben, S. Of. ^) S. 30, Anm. 3.

Peire Cardinal 139

ben.^) Dann werden Kapellane, Juristen, Wirte, Arzte, Händler, Verwalter, Wechsler, Kuriere, Türhüter, Ackerbauer und Ar- beiter summarisch durchgenommen. Zum Schluß der Hinweis auf die Rechenschaft am jüngsten Tag und, falls die achte Strophe nicht apokryph ist, auf je einen vorbildlichen König, Grafen, Prälaten und Baron. ^) All dem stellt nun, wie mir scheint, mit dem Liede Nr. 16 De selhs qu'avetz el sirventes dich mal^) der Dichter eine ironische Verteidigung oder Entschuldigung jener gewalttätigen und trügerischen Leute gegenüber, die in Wahrheit natürlich nur den Vorwurf und den Hohn zu bekräftigen dient. Wenn ich in freier Umschrei- bung den Sinn des zerrütteten Textes, der offenbar einem Ad- vocatus Diaboli in den Mund gelegt ist, wiedergeben darf, so lautet er ungefähr folgendermaßen: „Diejenigen, die Ihr in Eurem Sirventes getadelt habt, fühlen sich tatsächlich un- schuldig und glauben ihre Pflicht und Gottes Gebot zu er- füllen. Ihr Benehmen will ich Euch rechtfertigen, und, wären sie auch völlig im Irrtum, so spricht doch die Sitte der Welt und deren Vorschrift zu ihren Gunsten. Wenn ich z. B. Euer Haus und Euern Hof seit lange schon besetzt habe, so glaubt nicht, daß ich es so leicht wieder herausgebe und mich ver- jagen lasse. Das ist mein recht- und gewohnheitsmäßiger Besitz. Und will ich einen Pilgersmann erdrosseln, so kann ich durch eine Schenkung es mir verzeihen lassen. Habe ich aber nichts, so habe ich mir den Galgen verdient; habe ich etwas, so leiste ich mir manchen Übergriff. Der Arme kann sich so tadellos aufführen als er will, es wird ihn doch nie- mand achten. Besitz ist mächtiger als Gott und Teufel und wäre es noch hundertmal mehr, wenn der Tod nicht wäre. Papst, Legate und Kardinäle haben gemeinsam festgesetzt, daß wer des Verrates überführt wird, sofern er nichts besitzt, ge-

1) Nicht immer dieselben, aber ähnliche Vorwürfe erhebt Guiot de Provins in seiner Bible gegen die einzelnen Orden.

') Siehe darüber Anhang V.

^) Nur in C höchst lückenhaft erhalten und gedruckt bei Mahn, (Gedichte 083.

1 ''' (1. AltluiiKlliiiij,'; Karl VoShler

bniiulnisirkt werde ist er aber vermögend, so niuü man ihn glimjjriich heliandeln (vielleicht sogar belohnen?) . . . Drum acht' ich den Christen sowenig wie den Juden und würde ihn noch weniger achten, wenn ich nicht holUe, vermöge der Taufe meine Seele zu retten." Erst im Geleit nimmt der Dichter wieder selbst und ohne Ironie das Wort:

Caitiva gen, com cujatz que de lieu poscatz aver lo bon regne de Dieu, tot jorn ])eccatz fazen ad escien? Non o crezatz ni aiatz tan pec sen!

Wenn unsere Vermutunjr richtijj^ ist und dieses Lied als ironische Palinodie tatsächlich zu Nr. 37 gehört, so kann man wohl verstehen, wie einige Sammler, irregeführt durch dieses Spiel, das erste der beiden Stücke dem Cardinal absprechen konnten.^) Daß die ironische Zustimmung und Entschuldigung, das ironische Lob u. dgl. ihm durchaus geläufige Formen sind, beweisen noch andere Stellen, z. B.:

Dieus deu los barons grazir, quar ves luy son sort e mut!^)

Gott hat wohl die Ritter gern, weil sie taub und stumm ihm sind.

Oder: Entr'els clergues non truep departimen, tut son d'un sen, d'un cor e d'un albire, e siervon Dieu aitan honestamen, nulh'autra ren non lur pot abellir, ni es nulhs hom que mal en puesca dire mas seih que y es, si doncx no vol mentir, qu'el cavalguar e ' 1 manjar e ' 1 dormir 6*1 juec d'amor tenon a gran martire.^)

^) Die Hs. f bringt nach demselben Metrum und denselben Reimen eine anonyme Cohla csparsa, die das Thema der ungerechten Verteilung des Besitzes auf Erden behandelt und formal wie sachlich von Cardinal beeinflußt sein dürfte. Text bei P. Meyer, Les derniers troub., Paris 1869, S. 518. '^) Nr. 18, Str. 4.

3) Nr. GO, Str. 4. Rayn. Choix IV, S. 359 f u. Mahn, Werke II. S. 184.

Peire Cardinal 141

Beim Klerus find' ich nirgends Streitigkeit, sind air ein Herz, ein Hirt und eine Herde und dienen Gott mit solcher Ehrbarkeit, und nichts als dieses ist ihr Lust und Fleiß, und niemand ist, der ihren Ruf nicht ehrte (außer ein Klerk, der nicht zu lügen weiß). Was haben sie mit Ritt und Schlaf und Speis' und mit der Liebe Spiel doch für Beschwerde!

Die letzten Verse erinnern wieder an Ahnliches aus der lateinischen Satire:

Multa ferunt aspera, multos cruciatus; hie secretum thalami paucis comitatus in trat, ibi recubans, cibis crapulatus, delet vino veteri populi reatus.

Alter majus patitur nomine pro trino: hiemali tempore, proximus Camino, vinum forte redolet, ore resupino; posses sine poculo satiari vino.^)

Ein andermal stellt Cardinal die Unsitten der Geistlich- keit, des Rittertums, des Minnedienstes und der Bauern als Errungenschaften hin.^)

Das Schlechte zu loben, ist aber nur eines der einfachsten Ausdrucksmittel der Ironie. Als Schüler der lateinischen Sa- tiriker verfügt Cardinal über viele andere noch. So z. B. die ironische Verordnung, wie sie im De Mundi cupiditate, das dem Walter Mapes zugeschrieben wird, zu ausgiebiger Ver- wendung kommt :

Decretum ergo do pauper pauperibus, ut si non affici volunt verberibus, non unquam habeant in janitoribus ullam fiduciam sine muneribus.

^) Flacius Illyricus a. a. 0., S. 151 und Thom. Wright, The Latin poems commonly attributed to Walter Mapes, S. 42.

2) Nr. 63, Str. 3-G. Rayn. Choix IV, S. 441 f. u. Mahn, Werke II, S. 199.

I ■' - C. A!»han<lluii<_i:: Karl VossltT

Decretuin etiam secunduin facio, cinn papa scderit in consistorio, de (|Uüvis divitiun tractans negotio, tunc nulla pauperis detur petitio etc.*)

Älinlich verfügt Cardinal:

Un decret fauc drechurier e die: si clergues layc fier, que fieira lo colp primier, pus TApostolis o dis; e'l laicx feira per entier lo segon colp e * 1 derrier, e puejs sia " n patz e fis.

Pus no * m fauc autre jornal,

farai una decretal:

que qui a moller venal,

que la lays a sos vezis;

e, si la torna en l'ostal,

que Tenfant sion leyal,

pus elh los pays e ' Is vestis.^)

Besonders gerne lätH er das Verwerfliche glitzern und leuchten wie einen hoch gefaßten Edelstein und steigert es in demselben Maße, in dem er es als Minderung empfinden lassen will. Darum liebt er das stilistische Spiel der Komparative:

Aissi cum son maior, son ab mens de valor et ab mais de follor, et ab mens de ver dir et ab mais de mentir, et ab meyns de clercia et ab mays de falhir, et ab meyns de paria.^)

i

I

t

1) Thom. Wright a. a. 0., S. 169. 2) Nr. 63.

3) Nr. 31, Str. 3. Appel, Provenz. Chrestom., Nr. 76.

Peire Cardinal l4o

Oder: Qu'aissi com son plus aut prelat an mens de fe e de vertat e mais d'engan e de mentir, e mens en pot hom de ben dir, e mais hi a de falsetat, e mens hi trob'om d'amistat, e mais fan de mais us issir.^)

Oder: On plus d'omes vezon miei huelh, on mens pretz las gens e mais me; et on plus lo siec, piegz lur vuelh, et on mais los aug, mens los cre; et on plus intr'en lor demor, mens ai de plazer en mon cor.^)

Oder: Aissi cum son maior an mejns de sen

ab mais de tort et ab meyns de razo etc.^)

Oder: Aquel amors que notz als amoros,

que on mais sers, meyns val lo guazardos, amors que merma, on plus si enansa.*)

In den geistlichen Schulen, in denen man über Allegorie und Symbolik der Grammatik, der Konjugation des Zeitworts und dergleichen tüftelte, hatte man die Ironie des Komparativs lange erkannt. Ein einziges Beispiel möge genügen.

Magnus maior maximus, parvus minor minimus: gradus istos repperi, per quos gradus comperi, augeri et conteri gradus status hominis, prout datur dignitas, dignitatum quantitas quantitasque nominis.

M Nr. 47, Str. 4. Lex. rom., S. 447 und Mahn, Werke II, S. 231.

2) Nr. 17, Str. 2, siehe oben, S. 27.

3) Nr. 49, Str. 4, siehe oben, S. 19.

*) Nr. 24, Str. 4, Mahn, Ged. 1241, 1242.

111 G. Al.l.audluii«,': Karl Vüssler

Ma<^!H pur VHS extiti,

|»arvi liiaguus iiieriti,

juirvpque sunt ^ratir

diviti contrari(^;

cui plus (latur hodie,

magis est obnoxius,

quique minus liabuit

et minus attribuit,

minus (1. magis?) reddit gratie.^)

Ob Cardinal noch andere stilistisch -syntaktische Kunst- griffe, wie Antithese und Repetitio, der geistlichen Schule ver- dankt, ist schwer zu entscheiden. Unsere Kenntnis der mittel- lateinischen Literatur ist viel zu lückenhaft, als daü wir von den besonderen Formen und Motiven, die ein Südf'ranzose jener Zeit etwa daraus schöpfen konnte, uns ein klares Bild machen könnten.

Wohl aber darf man annehmen, daiä unser Dichter einige Vergleiche, Bilder, Witze und Namen, sei es aus der Dich- tung, sei es aus der Gesellschaft der Kleriker gelernt hat. Hieher gehört vermutlich der TrehelJian in dem oben über- setzten Rügelied gegen „Kastiliens Lügnerei" (Nr. 53): 2)

Tals a lo semblant effanti que 1 sens es de Trebellia.

Offenbar liegt eine dunkle Erinnerung an das Senatus con- sultum Trebellianum in den Digesten vor, einen im Jahre 56 nach Chr. „Annaeo Seneca et Trebellio Maximo consulibus" verfaßten Senatsbeschlufö, welcher bestimmte, daß nach der Restitution einer hereditas fideicommissaria die erbschaftlichen Klagen sowohl für als gegen den Universalfideikommissar ge- geben werden sollten.^) Wie nun aus dem Konsul Trebellius ein Trebellianus mit der Bedeutung des typischen Betrügers

I

») Carmina Burana Nr. XIV. 2) g. 124 f.

^) Siehe Heumann, Handlexikon zu den Quellen des röm. Rechts, 9. Aufl., Jena 1907, sub voce Trebellianum und Sohm, Institut. 14. Aufl., Leipzig 1911, S. 779.

Peire Cardinal 145

in Erbsachen, vielleicht auch der Erbschleicherei geworden ist, kann man sich wohl denken. Du Gange belegt zwar diese mittellateinische Bedeutung nicht, ich finde sie aber in einem satirischen Gedicht „Status mundi subtilissimus", das zur Zeit des Exiles der Päpste in Avignon entstanden sein dürfte. Es beginnt: Honesta mundi domina. Die einschlägige Stelle, in der sich auch das von Cardinal zweimal gebrauchte Motiv der moralischen Salbe wiederfindet, lautet:

Est enim unguentarius, conficiens unguenti emplastra, quibus varius profectus fit languenti: qui non ut mercenarius circumplicat dolenti, sed velut autor et Dominus fidelis testamenti.

Nihil tollens per Falcidiam

vel [per] Trebellianum:

sed ejicit invidiam

et quicquid est profanum . . . etc.^)

Ein echter Klerikerspaß ist zv\reifellos die Narrensalbe in Cardinais Fabel Gel qiie fes tot qiiant es (Nr. 14), um deren Deutung wir uns oben bemüht haben. ^) Ein ähnliches Rezept gibt im „Brunellus" des Nigellus Wireker der v^eise Galenus dem Esel, der einen längeren Schwanz haben möchte: Marmor- fett, Gänsemilch usw. Ich teile den Wortlaut nach der Aus- gabe von Köln 1499 mit, damit man durch den Vergleich sich überzeuge, wie unser Trobador dem englischen Magister an Witz und Erfindung nichts nachgibt, ihn aber an Anstand weit übertrifi't.^)

Recepta Brunelli de apoteca pro medicina caude sumenda.

1) Flac. Illyr. a. a. 0., S. 195. In welcher Hs. Flacius das Gedicht gefunden hat, habe ich nicht ermitteln können. In dem Verzeichnis der Initia der Münchener Staatsbibliothek fehlt es. ^) S. 84 f.

^) Auf ein ähnliches deutsches Rezept in der Zeitschr. für deutsches Altertum, n. F. III (1870), S. 510f. macht mich P. Lehmann aufmerksam. Sitzgsb. d. philos.-pyiilol. u. d. bist. KI. Jahrg. 1916, 6. Abb. 10

146 6. Abhandlung: Karl Vüsalei

Marnioris arvinani, Ibrni sej)tenijtlicis uiiibram.

quod })ej)crit iiiulo iiiula subacta suo, aiiseris et niilvi modicum de lacte receiiti,

de luteris^) cursu deque tiiiiore luj)i, de caiiis et leporis septenni federe dragman,

oscula (|ue iiiso iiiisit aiauda suo, pavonis propria libiaiu (1. iibram) de voce sonora.

Ante tarnen cauda quam sit adepta tibi,*) de non contexta rubra siue sanguine^) mappa,

nam risus asini tu dabis ipse tibi; allecis vel apum croceo*) de spermate Iibram,

de gyroli^) iecore sanguine[m] sine^) pede, natalis Domini modicum de nocte salubri,

que nimis est longa, iure valebit ad hec; in reditu de monte Jovis de vertice summo

accipias libras quatuor, asse minus; alpibus in mediis sancti de nocte Johannis

de nive que cecidit, fac simul inde feras, serpentisque rubri nee non de cauda colubri

utilis est valde, nee tamen illud eme! Hec bene collecta pariter recentia queque

imponas humeris sarcinulisque tuis.

Auch Cardinais Vorliebe für die Tierfabel, .insbesondere den Isegrim-Zyklus, liegt eher in der geistlichen als in der ritterlichen Greschmacksrichtung,'^) und gerade der Wolf als Mönch gehörte in jenen Kreisen zu den verbreitetsten Motiven.^)

^) luter = das Nilpferd. Wright, The Anglo- Latin satir. poets I, S. 33, liest lucis.

2) Wright: sibi. ^) Wright: flamine.

*) Von mir korrigiert aus crocro.

^) giroli oder gerruli ist eine Fischart , siehe Du Gange s. v. ger- ruli; Wright: ciruli. ^) Wright: sive.

'') Siehe Kuno Francke, Zur Geschichte der lateinischen Schulpoesie des 12. und 18. Jahrhunderts, München 1879, S. 65f.

^) Siehe die reichlichen Nachweise in Ernst Voigts Ausgabe des Ysengrinius, Halle 1884, S. 65 f.

Peire Cardinal 147

Das Schönste aber, was Cardinal der lehrhaften mittel- lateinischen Literatur verdanken dürfte, ist seine Fabel oder Parabel vom Regen. ^)

War einst 'ne Stadt, ich weiß nicht wo,

dort fiel ein Regen, der war so,

daß allen Leuten, die er netzte,

sich plötzlich der Verstand versetzte.

Alle verrückt, nur einen hat

es nicht getroffen in der Stadt,

weil er an jenem Regentag

in einem Hause schlafend lag.

Der stand nun auf, verließ das Haus,

und draußen war der Regen aus,

und wie er unter die Leute trat,

ein jeder schon wie närrisch tat.

Der ein' im Hemd, nackend der zweit',

ein anderer gen Himmel speit.

Und Steine werfen sie und Scheiter;

einer zerriß die eig'nen Kleider;

der eine stieß, der and're schlug,

einer sich wie ein König trug,

stemmt' in die Hüfte stolz die Faust,

ein and'rer über Bänke saust.

Und Drohung hörte man und Schelten,

und Flüche und Gelächter gällten,

und schwatzten, wußten selbst nicht was,

[drehten einander eine Nas'].

Und der, der bei Verstände war,

verwunderte sich dessen gar

und merkte wohl: sie sind verrückt,

und schaut nach vorne, schaut zurück,

ob irgendwo ein Kluger war',

und nirgend war kein Kluger mehr.

^) Ich übersetze sie nach dem kritischen Text in Appels Provenz. Chrestom. Nr. 111.

10*

''»^ 0. Al(li;iiidlun^': Karl Vossler

Wie wunderlich die Welt iliiii schien - sie wundert mehr sich über ihn. Wie sie so ruhevoll ihn seh'n. denken sie: dem ist was gescheh'n. Weil er sich nicht wie sie benimmt, so glaubt ein jeder nun bestimmt, daß sie die Klugen sind und Weisen, er aber wird ein Narr geheißen. Der ins Genick, der ins Gesicht haut ihn, daß er das Gleichgewicht verliert, und stoßen ihn und treten. Er will sich aus dem Haufen retten und wird gezerrt, gepufft, gestellt, springt unter Schlägen auf und fällt; in Stürzen, Sprüngen greift er aus, jählings entkommt er in sein Haus, schmutzig, zerschlagen und halb tot, froh noch, entwischt zu sein der Not.

Die Fabel will die Welt bedeuten und was darinnen lebt an Leuten, und unsere Zeit, das ist die Stadt, in der es soviel Narren hat. Doch, was die höchste Weisheit meint; in Lieb' und Furcht mit Gott vereint, seine Gebote treulich tun, der Sinn ist uns verloren nun. Ein Regen ist bei uns gefallen: Begehrlichkeit, wovon in allen Kindern der Welt ein Geist gedeiht der Hoffart und der Schlechtigkeit. Und wen der Herr bewahrt davor, der gilt den andern gleich als Tor und auf und ab wird er geprellt, weil er sich nicht wie sie verhält. Sie halten frommen Sinn für Wahn, doch wer dem Herrn ist zugetan.

Peire Cardinal 149

erkennt in ihnen bald die Toren, die ihres Gottes Sinn verloren, wie sie an ihm den Narren hän, weil er den Weltsinn abgetan.

Nicht übel würde auf dieses Gedicht jener Titel Status mtmdi subtiUssimus passen, unter dem der oben erwähnte Rhyth- mus Honesta mundi domina, freilich erst im 14. Jahrhundert, ge- schrieben wurde. Auch dort ist von allegorischen Städten, von der Urbs Jerusalem coelica und von Jericho famelica die Rede und von einem Wanderer, der auf dem Weg von der ersten nach der zweiten Stadt überfallen, niedergeworfen und beraubt wird. Und auch dort wird am Schluß die Moral der Fabel entwickelt eine ferne Familienähnlichkeit, die immerhin beweisen kann, daß Cardinais Fabel aus einer ähnlichen Schultradition stammen dürfte wie jenes lateinische Gedicht. Um die Entdeckung einer bestimmten Quelle hat man sich bis jetzt vergeblich be- müht.^) An mittellateinischen Sprichwörtern, die den Grund- gedanken der Fabel ausdrücken, fehlt es nicht; z. B. :

Heu! modo nummosus mundo solus dominatur, et sapiens inter fatuos fatuus reputatur.^)

Oder: Credit homo semper quod vivit stultior alter.^) Oder: Stultus stultitiam semper putat esse sophiam.*)

^) Vittorio Cian, Provenza satirica (la parabola di Pietro Cardenal) im FanfuUa della Domenica vom 22. Oktober 1905, XXVII, Nr. 43 hat nichts, was zu brauchen wäre, beigebracht. Jules Coulet, Le troub. Guil- hem Montanhagol, Toulouse 1898, S. 124 f., schreibt über die Fabel: il parait bien que P. Cardenal ne l'avait pas inventee. Nous sommes sans doute en presence d'une legende tres ancienne qui a du se modifier avec les temps et les pays. M. Roque-Ferrier (Compte rendu des Societes savantes, Journal officiel du 30 mars 1894) la retrouve dans une ho- raelie de saint Jean Chrysostome et la croit d'origine syriaque. Ich habe vergebens die Homilien des griechischen Heiligen und das ganze Register seiner Werke in Mignes Patrolog. graeca daraufhin durchgesucht. Auf keinen Fall könnte Chrysostoraus die direkte Quelle sein.

2) Jakob Werner, Latein. Sprichwörter u. Sinnsprüche des Mittel- alters, Heidelberg 1912, S. 36, Nr. 8. ^) Ebenda S. 13, Nr. 127.

♦) Ebenda S. 95, Nr. 176. Siehe auch Hilka, Beiträge zur Fabel-

150 G. Abhandlung,': Karl Vobßler

Es ist ferner iiiüglich und .so«(ar walirscheinlicli , dali Car- dinal die Legende von der Bekelirun<( des Petrus Valdus ge- kannt hat, etwa so wie das Chronicon anonymi Laudunensis sie erzählt.^) Petrus Valdus, heißt es dort, habe an Maria Himmelfahrt Geld unter die Armen geworfen und, als die Mit- bürger ihn für verrückt hielten, ihnen zugerufen: „0 cives et amici mei! non enim insanio, sicut vos putatis, sed ultus sum de his hostibus meis, qui me sibi fecerunt servum; ut semper plus essem sollicitus de nummo quam de Deo et plus servie- bam creature quam Creatori. Scio, quod me reprehendunt plurimi, quod hoc in manifesto feci. Sed propter me ipsum et propter vos hoc egi; propter me, ut dicant qui me viderint possidere deinceps pecuniam, me amentem esse; sed et propter vos . . . ut discatis in Deum spera ponere et non in diviciis sperare." Woher aber Cardinal das Motiv des Regens ge- nommen hat, ist mir nicht gelungen zu ermitteln. Vittorio Cian vermutet, er habe es selbst erfunden, was an und für sich nicht wahrscheinlich, besonders aber deshalb ausgeschlossen ist, weil ein anderer Trobador, Montanhagol, dieselbe Parabel, aber mit völlig veränderter Pointe kennt. In seiner Kanzone Non estarai, per ome quem casti erwähnt und kennzeichnet er sie folgendermaßen:

Mas d'amor tem que'lh si'a far aissi, per malvastat que vei part pretz prezar, com al savi fo ja que 's saup triar de la plueja que ' Is autres enfoUi, per que lui sol tenio " Ih fol per fat, tro qu'en viret son sen ab lur foldat e anet s'en en l'aiga ad enfollir.^)

Doch wenn ich seh', wie hoch man Schlechtes schätzt, so furcht' ich für die Minne, daß ihr's so

und Sprichw.-Literatur des Mittelalters im 91. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur, Breslau 1914, S. 34.

1) Monumenta Germaniae SS. XXVI, S. 448.

2) Le troub. Guil. Moni., Ausgabe Coulet, S. 120.

Peire Cardinal 151

wie jenem Weisen geht, der heil entfloh dem Regen, der der Leute Sinn versetzt': Die Narren hielten ihn, nur ihn für dumm, bis er zu ihrer Narrheit schwenkte um und auch hinauslief in die Narrentauf'.

Es muß demnach um die Mitte des 13. Jahrkunderts in den Kreisen der Trobadors eine noch pessimistischere Fassung der Parabel im Umlauf gewesen sein; denn Montanhagol hat zwi- schen 1233 und 1258 gedichtet.

Cardinal aber gibt durch den sachlichen Stil seiner Er- zählung, durch das Zurückhalten aller persönlichen Gefühls- töne, selbst in der „Moral", sich den Anschein, jenseits von Pessimismus und Optimismus zu stehen. Aus der kühlen Höhe und Klarheit eines weltentrückten Beobachters zeigt er tief unter sich das menschliche Treiben. Farblos und gleichgültig erscheint es uns in greller Beleuchtung, nur als phantastische Bewegung und närrische Gebärde noch, in einer ausgebrannten und verkohlten Welt, die allem Schuldbewußtsein abgestorben ist. Der Regen, nicht die Menschen haben es so gewollt. In diesem ethischen Indi£Perentismus halten Weinen und Lachen, Tadel und Lob sich die Wage, ähnlich wie in jenem Sirventes von der Verschlechterung und Verbesserung der Welt, ähnlich wie in dem Lehrgedicht von den Weisen und törichten Zuhörern:

Und alle beide handeln fein,

denn jeder nimmt, was wirklich sein.

Aber wir wissen genau, daß diese Neutralität bei Cardinal nur einer künstlerischen, keiner sittlichen Stellungnahme ent- spricht, nur Stimmung, nicht Überzeugung, nur Ironie und nicht sein Ernst ist. Unter den Goliarden mag es Charaktere gegeben haben, die von sich sagen konnten:

Similis sum folio de quo ludunt venti.

Cardinal hat höchstens von ihrer Kunst, schwerlich von ihrer Lebensführung sich anstecken lassen. Die Acedia gibt seiner Dichtung nur die Farbe, nicht die Tendenz.

'«'- 6. Abhandlung'; Karl Nodaler

Auch von den golelirton, philologischen Spässen dieser Kollegen hat er so gut wie keinen Gebrauch gemacht. Er- innerungen au das klassische Altertum sind, wenn man von Namensnennungen wie Pyramus, Thisbe , Alexander absieht, nirgends nachzuweisen.^) Seiner Bildung nach ist Cardinal durchaus mittelalterlich und in keiner Weise noch humani- stisch angehaucht; mittelalterlich nicht blolä dort, wo er volks- tümliche Töne anschlägt, sondern ebensosehr in seinem kunst- mäljigen und verkünstelten Zierat, in seinen Antithesen, Par- allelen, Wiederholungen, Häufungen, Alliterationen. Es ist wesentlich die Stimmung, das Fühlen und die Anschauungs- weise, nicht das Wollen noch das Wissen, was Cardinal aus der geistlichen Schule mitbringt.

Ein Zug besonders, dem er die tiefsten Wirkungen seiner Dichtung verdankt, muß hier noch hervorgehoben werden: die Umkehr und Einkehr von den Ausfällen bitterster Satire zur Fürsprache, zur Innigkeit, zum Gebet. Derartige Stimmungs- wechsel oder Gefühlskurven lassen sich zwar nicht erlernen, sondern wollen durchgemacht, zurückgelegt und erlebt sein, gelingen aber doch nur dem christlich erzogenen, in geist- licher Herzensbildung gezüchteten Gemüt. Daß es auf Zucht und Schule beruht, mag man an der oft unvermittelten, einiger- maßen gedankenlosen Plötzlichkeit erkennen, mit der manche mittellateinischen Satiriker die Geißel fallen lassen und die Hände zur Fürbitte falten für den Sünder,' den sie soeben ge- straft haben.^) Wie von der Satire, so aus dem Scherz heraus zum Gebet führt sie oft ein rascher Sprung,^) ähnlich wie wir es an Cardinais Rügelied gegen Gott gesehen haben. Auch sonst sind bei unserem Dichter solche Übergänge zuweilen

*) Wieweit hier Cardinal hinter anderen Trobadors zurücksteht, mag man aus den Zitaten bei Birch-Hirschfeld, Über die den provenzal. Trobadors bekannten epischen Stoffe, Halle 1878, S. 6 25, ersehen.

2) Vgl. den Schluß des Sermo Goliae Pontificis ad Praelatos impios, Flacius a. a. 0., S. 152 und Wright, S. 42.

^) Vgl. den Schluß des Rhythmus in sacerdotalis conjugii favorem bei Flacius, S. 23GflP.

Peire Cardinal 153

noch hart und machen den Eindruck des Angelernten und Konventionellen, so in Nr. 3, Nr. 25, Nr. 34. Etwas besser vorbereitet sind die frommen Wünsche am Schlüsse von Nr. 60. Zum vollen Einklang aber fließen Sarkasmus und Gebet in dem berühmten Straf lied Tartarassa ni voutor'^) zusammen. Langsam sich dehnend und weitend drängen hier, aus der Tiefe des Hasses selbst, die Gefühle des Mitleids und der Liebe ans Licht, und doch ist es keine weichliche Zerschmelzung der Gefühle, weil ihr Umschwung durch die kühlen Gründe des Witzes und Nachdenkens geleitet wird. Erst nachträglich emp- findet man als Innigkeit, was sich zunächst ganz nüchtern als Vernünftigkeit gibt.

Aasgeier und Bussard geh'n auf der Witterung nach Lud'r sich'rer nicht als PfafiP und Brud'r einen Reichen sich erspäh'n; tun ihm traulich um die Wett; wirft dann Krankheit ihn aufs Bett, zwingt man ihn zur Donation, und sein Haus wird arm davon.

Dem Franzos und Pfaff gefällt böse Tat, die ihnen frommt, weil ja doch zur Macht der Welt Wucherer und Verräter kommt. Drum von ihrem Lug und Trug ist die Zeit aus aller Fug; keinen Orden gibt es mehr, der nicht brav ihr Schüler war'.

Weißt du auch, was einmal wird aus der schlecht erworb'nen Hab'? Kommt ein Räuber unbeirrt, der nimmt alles ihnen ab.

Nr. 55, Kritischer Text in Bartschs Chrestom. prov,, Sp. 171t'.

'•>'* 6. Abhandlung: Karl VoHsler

Ja, der Tod ist's, der sie schlügt, in vier Ellen Tuch sie träj^^t weg zu jener Wohnstatt hin, wo's nicht fehlt an bös' Gewinn.

Mensch, was bist du für ein Tor, dalä du trotzest dem Gebot, das der Herr dir gab, dein Gott, der aus nichts dich rief hervor! Wer mit ihm in Streit will sein, fällt beim Schw^einemarkt herein. Des Verräters Judas Lohn hat er als Entgelt davon.

Gnädiger, wahrhaft'ger Gott, Herr, tritt für die Sünder ein, schütze sie vor Höllennot, rette sie aus schwerer Pein, und das Joch, in das sie sich durch ihr' Sund' gespannt, zerbrich, reiche ihnen deine Hand, wenn sie sich zu dir bekannt.

So zahlreich und nachhaltig aber die Spuren des satiri- schen und lehrhaften Klerikergeistes und seiner Ausdrucks- weise in Cardinais Dichtung sein mögen, im Kampfe der In- teressen zwischen weltlicher und kirchlicher Macht trennt unser Trobador mit heiligem Grimme sich von seinen Lehrmeistern und wettert gegen sie, als ob er nichts in der Welt mit ihnen gemein hätte. Man sollte nicht meinen, daß jemand anderer als ein Laie das Rügelied Li clerc se fan 2)astor oder gar das folgende^) gedichtet hätte.

Wer gerne hört ein Scheltgedicht, gewirkt aus Schmach, durchsetzt mit Leid,

^) Qui volra sirventes auzir. Nr. 47. Lex. rom., S. 446 f. und Mahn, Werke II, S. 2B1 f.

Peire Cardinal 1^55

der komm' zu mir, ich hab's bereit und weiß, wie man es webt und flicht, wie man sich fischt den Bösewicht, woran man kennt sein' Schlechtigkeit. Die Wackern lieb' ich allezeit, die falschen Lügner mag ich nicht.

Die schnöden Pfafi'en seht mir an:

zu ihnen strömt von weit und breit

der Stolz, der Trug, die Lüsternheit;

im Treubruch steh'n sie obenan.

Sie bieten gern uns Ablaß an,

nehmen dafür, was wir erspart.

Ihr eigen Gut liegt wohl verwahrt,

wo's Gott und Mensch nichts helfen kann.

Sie kriegen alles mit der Zeit,

da hilft kein Schutz und kein Verbot;

sie fürchten weder Sund' noch Gott,

in Wort und Tat kein' Häßlichkeit,

Land zu erschleichen stets bereit;

und wird davon manch' Auge feucht,

ihr Herze trachtet unerweicht

nur darnach wie ihr Bauch gedeiht.

Unmöglich, daß man sie bekehr':

je höher nämlich der Prälat,

je wen'ger Glaub' und Treu' er hat

und Lug und Trug um desto mehr;

je tiefer sinket seine Ehr,

je höher steigt sein falscher Rat;

je weniger die Lieb' ihm naht,

je reichlicher bringt Mißbrauch er.

Man hört wie in die Welt hinaus ihr Bannfluch gegen Räuber schallt haben dann sie geraubt, gekrallt: sieht man aus einem Hurenhaus

!•»'» (i. Abhandlung': Karl Vossler

crhoh'iien lliiu])t's geradeaus

zu Gott sie gehen zum Altar:

wenn dem der Dienst gefällt, iürwahr,

dann gibt man schlecht Almosen aus.

Durch Kirchenraub und durcyi Verrat

beherrscht das Plaffentun) die Welt,

hat Könige sich unterstellt,

die herrschen sollten in der Tat.

Da wuf3te Karl Martell noch Hat,

der war kein Tor wie heut' die Herr'n,

die alles jedem PfafF gewähr'n,

was ihm beliebt, ob krumm, ob grad.

Laß dich begraben, Ritterschaft,

und daß kein Wort dich künde mehr!

Verhöhnt bist du und ohne Ehr',

kein Toter hat so wenig Kraft,

du wirst geknetet und verpfafFt,

der König hebt dein Erbe auf,

und all dein Recht ist Trug und Kauf,

und also seist du abgeschafft!

IX. Der Künstler.

Versuchen wir, zu einem zusammenfassenden Urteil zu kommen und den Kern von Cardinais Kunst nunmehr zu be- greifen.

Seine dichterische Tätigkeit liegt in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts beschlossen. Die datierbaren Lieder weisen vom Anfang des zweiten bis in das vierte Jahrzehnt, also in eine Zeit, da die bedeutendsten Schöpfungen der trobadormäßigen Kunst vorbei waren. Zwar gefällt sich der höfische Minne- sang noch lange in Wiederholungen und Abwandlungen seiner Inhalte und Formen, in Cardinal aber wird das Bewußtsein, daß sie sich erschöpft haben, zum ersten Male klar und le- bendig. Nicht daß ich die Klagen über den Niedergang der

Peire Cardinal 157

E-itterlichkeit und des Frauendienstes, die längst nichts Neues mehr sind, als gültige Zeugnisse dafür nehmen wollte. Aber der mangelnde Ernst diesen Dingen gegenüber, die schwindende Naivität, die grundlegende Ironie, mit der er, mehr noch als die Gedanken, die Ausdrucksformen des Minnesangs zu Spiel- zeug und Firlefanz entwertet, reden eine deutliche Sprache. Der sittlichen Überzeugung nach war auch Marcabru ein Gegner des galanten Wesens, aber vor dessen geselligen Formen und vor dessen Kunst konnte er sich nicht genugtun in Verehrung und hat sich heiß und zäh um die Meisterschaft des Troba- dorstils gemüht. Cardinal besitzt und beherrscht von Anfang an und mühelos diesen Stil und, da er ihn sozusagen aus- wendig kann, benützt er ihn zwar nicht gedankenlos, aber schonungs- und maßlos, d. h. virtuosenhaft. Es fehlt ihm, wie allen Virtuosen, das eigene Schönheitsideal und der tiefere künstlerische Wille.

Wohl gibt er sich zuweilen den Anschein stilistischer Rechtgläubigkeit, aber man darf sich nicht täuschen lassen. Mit seinem Estribot z. B. kündigt er ein neues Gebilde an, das nach gramatica, d. h. nach der Kunstlehre, geradeso tadellos sein soll wie nach divinitat, d. h. nach der Gotteslehre. Genau besehen aber ist gerade hier das Metrum so locker und der durchgehende, strophisch ungegliederte Reim auf -atz so billig, daß ein Marcabru oder Daniel über diese angebliche Meister- leistung die Achsel gezuckt hätten. In den Schlußversen kommt denn auch der wahre Cardinal zum Vorschein: denn, sagt er, ist der Vortrag nicht geglückt, so möge die fromme Absicht mich entschuldigen, und die fromme Absicht war, den Geist- lichen eins zu versetzen.

An der Erfindung neuer Melodien und Metren scheint ihm wenig oder nichts gelegen zu sein. Dafür bewegt er sich, selbst in den künstlichsten Versgebäuden der anderen, mit solcher Meisterschaft und Sicherheit und beobachtet die Strenge und Reinheit der Reime so geflissentlich, daß dort, wo unreine Reime bei ihm auftreten, in den volkstümlichen Stücken vor allem, eine künstlerische Absicht zugrunde liegen muß. Eine ge-

158 G. Abhandlung: Kail Vo8Bler

imueic Untersuchung seiner Versteclmik ist freilich, solange wir keine kritische Textausgahe besitzen, aussichtslos.

Inwieweit er nun durch neue Inhalte die alten, an über- nommene Kunstformen geknüpften Erwartungen bewufjtermaiäen täuscht, also die Wirkung der Parodie erstrebt, und wieweit er sich's nur bequem machen, d. h, eigene Erfindung sparen will, mul3 von Fall zu Fall entschieden werden. Parodistische, ironische oder satirische Absicht konnten wir mit einiger Wahr- scheinlichkeit feststellen in den Sirventesen Nr. 7 und 48; viel- leicht liegt sie auch in Nr. 17, 55 und anderen vor. Jeden- falls weiß er auch den Verzicht auf eigene Formerlindung zu künstlerischer Geltung zu bringen, sei es, daß er wie in Nr. 49 mit der nachlässigen , lächelnden Überwindung technischer Schwierigkeiten kokettiert, oder wie in seinen Fabeln, als volks- tümelnder Schalk, oder wie in seinen Reimpredigten, als treu- herziger Mahner allem Formalismus aus dem Wege geht. Mag er sich mit melodischem und akustischem Zierat überladen, mag er ihn nur spärlich und schüchtern sich umhängen, er gilt ihm auf alle Weise nur als Zierat, Würze und Zutat, aber nie, wie dem Marcabru oder Daniel als konstitutives har- monisches Schönheitselement. Kurz, er ist kein klassischer Künstler. Die Probleme der äußeren Formen machen ihm Spaß, aber weder ernste Schwierigkeit noch tiefere Freude.

Was ihm zu schaffen macht, ihn quält und beseligt, sind die ethischen Probleme. Nicht daß er sich darüber den Kopf zerbräche, aber er bearbeitet sie dennoch eher mit dem Verstände als mit dem Herzen. Er steht nicht spekulativ und nicht mystisch zu ihnen, bohrt nicht und forscht nicht und ist auch kein ahnender Seher. Ihn plagen weder grund- sätzliche Zweifel über Gut und Böse noch eigene Gewissens- bisse. Er verhält sich wissend, besitzend und lehrhaft, kennt sich aus, ist mit sich selbst im Reinen und hat nur anderen, den Irrenden und Bösen, seine Meinung zu sagen. Also die ge- wöhnliche, schulmäßige, mittelalterliche, dogmatische,- trockene und zur Dichtung am schlechtesten geeignete Stellungnahme!

Gewiß, ein schöpferischer Dichter im großen Stil ist Gar-

I

Peire Cardinal 159

dinal schon deshalb nicht, weil ihm die große Sehnsucht fehlt. Er kennt nur die kleine, die jedermann drückt und die man Unzufriedenheit nennt diese kleine aber auf eigene, in ihrer Art großzügige Weise. Es tut ihm weh, buchstäblich und innerlich weh, die täglichen Gewalttaten, Räubereien, Gemein- heiten und Lügnereien der Menschen mitansehen zu müssen, gleichviel ob sie gegen ihn selbst oder andere sich richten. Über persönlichen Schaden beklagt er sich, soviel man sehen kann, nirgends. Sein Schmerz ist ethisch und uninteressiert; in ihm leidet das beleidigte Gewissen, als dessen Stimme er sich fühlt. Diese unpersönlich persönliche Stimme gibt seinen Sirventesen und Predigten das lyrische Leben. Wohl sind seine Gedichte voll lehrhafter Mahnung, voll Tadel und Lob und reich mit verstandesmäßigem Beweis- und Begriffswerk durchsetzt, aber all dieses unljrische Geräte ist nur Mittel und Werkzeug im Dienste einer Poesie, deren Klang aus dem ethischen Gewissen kommt.

In den Literaturgeschichten freilich pflegt Cardinal als ein Künstler der Lehrhaftigkeit und Tendenz zu erscheinen, weil man eben gewöhnt ist, sich unter Satire und Sirventes ein genus rhetoricum, kein genus lyricum zu denken. In der Hauptsache aber hat er mehr aus innerem Drang, aus eigenem Mißmut, Zorn und Groll heraus als nach bestimmten Zwecken hin gesungen. Wir haben zur Genüge erfahren, wie schwer sich die äußeren Gelegenheiten und die besonderen Zielscheiben seiner Satiren erkennen lassen und wie leicht die ethische Er- regung ihn ins Weite führt. Auch ist die spezifisch rednerische Kraft in ihm verhältnismäßig gering. Zum wirksamen Redner fehlt ihm die wichtigste Voraussetzung: die Gabe und die Lust in anderer Leute Sinnesart hinabzutauchen. Was für ein un- geschickter Lehrer und Mahner er ist, sieht man am besten an seinen zwei Reimpredigten.

Die erste, Jesu Grist nostre salvaire (Nr. 27) mit ihren 78 Strophen, mit ihrem 82mal wiederkehrenden Endreim auf -en und ihrem wenigstens ISmaligen Anruf aus tu! „hörst du!" gefällt sich sichtlich in der Eintönigkeit als einem Stimmungs-

160 c. Abhandlung: Karl Vossler

elenieiit. Diese lockere und doch gesclilusseiie, didaktisch gewiü nicht sehr wirksame, einlullende Uniraliniung erlaubt dem Ge- danken des liedners, sich ohne Ordnung und Aufbau, in weitem, beliebigem Schweifen, ebenso vielfältig als einstimmig, um das Grundthema der Erlösung aus den Sünden herzuschlingen. Man könnte sich das Ganze ohne ersichtliche Störung ver- kürzt oder verlängert denken, man kann einzelne Strophen, ja ganze Büschel von Strophen beliebig umstellen, ohne die Kunstform und die Logik zu schädigen. Die Predigt beginnt als Verheißung, erhebt sich zur Mahnung, pocht und häm- mert als Drohung, geht mit beharrlicher Wahllosigkeit, immer mit derselben Gebärde wieder anklopfend, bei allen Klassen und Arten von Sündern herum, um schliefBlich in einem chor- artigen Gebet sie alle zu beruhigen. Man hat eine Technik, die nicht rednerisch, sondern wesentlich musikalisch gezügelt ist, ähnlich etwa wie der Sonnengesang des hl. Franziskus mit seinem unregelmäßig eintönig wiederkehrenden Laudato sie, mi signore. Auch dort ist eine bunte, wahllose Mannig- faltigkeit von Lebensvorstellungen auf eine einzige Gefühlsfarbe abgestimmt, auch dort könnte man, ohne die Komposition zu zerstören, kürzen, längen und umstellen; und etwas Ahnliches gilt für andere franziskanische Dichtungen, wie das Dies irac, das Stahat mater, das Ave coeleste lilium. Sie sind alle, wie unseres Cardinais Predigt, wesentlich lyrisch empfunden und psalmenartig, genauer: sequenzartig angelegt. Sogar dem Me- trum nach ist jene Reimpredigt eine Sequenz.

Die zweite Reimpredigt Fredicator (Nr. 42) zeigt demgegen- über einen entschiedenen Versuch zur rednerischen Leistung. Der Dichter wendet sich an ein bestimmtes Publikum, näm- lich die Großen und Reichen, die haros. Er gliedert auch seine Rede ziemlich klar nach Ankündigung (Strophe 1 11), War- nung (11—18), Mahnung, die vom Besonderen allmählich zum Allgemeineren aufsteigt (18 27), und Verheißung (27 30). Sogar zur Captatio benevolentiae macht er einen Anlauf (4 7). Schrittweise entwickelt er einfache, klare, zum Teil tiefe (23) Gedanken und gibt ihnen kurzen, scharfen Ausdruck. Aber

Peire Cardinal 161

eben mit der Formulierung der Gedanken ist er so sehr be- schäftigt, daß er die Beweglichkeit und Schmiegsamkeit nicht mehr aufbringt, deren es bedarf, um zwischen Redner und Hörer den Wechselstrom des Einverständnisses, die Sympathie, in Gang zu bringen. Er gibt Grundsätze, Sprüche und Richt- linien, bleibt aber selbst starr wie ein Wegzeiger am Platze, doziert anstatt zu überreden und, wenn er für seine Forde- rungen die Vernunftgründe liefert anstatt der Willensimpulse, so ist es schon viel. Wie bezeichnend, daß dieser Prediger durch die bloße abstrakte Güte seiner Absicht, d. h. durch den Verzicht auf seine angeborene Neigung zu Spott, Hohn und Ironie, sich die Wirkung zu sichern hofft (4 5).

Kurz, die mitteilsamen, verbindlichen und werbenden Formen der Rede sind ihm versagt. Auch waren sie von der Kunst der Trobadors nur erst zu den schlimmheiligen Zwecken minniglicher Verführung und nicht zu sittlicher Seelsorge aus- gebildet worden.

Umso sicherer handhabt Cardinal das trennende, schnei- dende und schreckende Wort, das den Menschen auf sich selbst zurückweist und zu angstvoller Nachdenklichkeit und Einkehr ins Übersinnliche treibt. Und doch ist er kein Bußprediger im asketischen oder protestantischen Sinne des Wortes, ob- wohl er es an reichlichen Ansätzen dazu nicht fehlen läßt. Er macht sozusagen beim Anfangserfolge schon halt. Es ge- nügt ihm, im Hörer die bloße Stimmung zur Buße, den rein beschaulichen Schauder vor der Sünde, eine Art ethischen Gruseins erzeugt zu haben. Nur jenes Frösteln bringt er uns bei, das beim Schrei des Gewissens den inneren Menschen überrieselt, nur die gefühlsmäßigen Begleiterscheinungen, die von der Vorstellung zerstörter sittlicher Werte ausgehen. Eben kraft dieser Beschränkung ist er, so ausgedehnt immer die rednerischen Einschläge und die polemischen Absichten in seiner Dichtung sein mögen, wesentlich Lyriker.

Er hat nun zwar allerhand Mittel, um einem die morali- sche Gänsehaut zu machen. Da das instinktiv erstrebte Ziel aber sich gleichbleibt, so bestimmt es in gewisser Weise auch

Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1916, 6. Abb. 1 1

1^- 6. Aliliundhin^: Karl VossIcm*

die Grundlinien des künstlerischen Verhihrens. Selbstverständ- lich niuü er mit Ge<^ensiitzen arbeiten, denn nur Kontraste und Disharmonien lösen den Schauer aus. Und da es ein ethi- scher Schauer sein soll, werden es wesentlich die Unstimmig- keiten zwischen Sittengesetz und Lebenserfahrung sein müssen, zwischen der intelligiblen und der empirischen Welt, zwischen dem jenseitigen Glauben und dem diesseitigen Treiben.

Wie wenig es Cardinal um sinnliche Ausmalung der jen- seitigen Dinge zu tun ist, haben wir oben gesehen. Für einen mittelalterlichen Geistlichen hat er eine geradezu auffallige Scheu vor greifbaren Höllen- und Himmelsbildern. Die jen- seitige Welt ruht ganz in der inneren Gewißheit bei ihm und gilt ihm als ein gefühlter und gedachter und eben darum unmittelbar lebendiger Wert, nicht als ein Gegenstand, der durch die Aufregung der sinnlichen Anschauung erst belebt werden müßte. Er hat wie wenige seiner Zeit die absolute Idealität von „Gut und Böse" erfaßt: denkend und fühlend, mystisch und aufklärerisch zugleich. Dementsprechend stellt sie sich in seiner Sprache nur selten als Bild und meistens als Begriff, d. h. als Name mit pathetischem Klang und Bedeutungs- akzent dar. Läßt er je einmal die absoluten Werte der Tugen- den oder Laster auf dem Schauplatz der Erde erscheinen, so geschieht es nicht in volkstümlichen, engel- oder teufelhaften Verkörperungen, sondern in einem ebenso feierlichen als farb- losen Schattenspiel von Allegorien, nicht in vertraulichen, son- dern in erhabenen und gelehrten Formen, die im Idealen und Abstrakten wie in verklärender Ferne verschwimmen. Wohl das beste Beispiel dieser Art hat man in dem Liede Nr. 43.^)

Quais aventura es aisso d'aquest mon!

qua la dreytura no y troba gua ni pon,

mas Desmezura hi vai per tot afron^)

1) Mahn , Gedichte 980 u. 979. 2) [ vai tota afron M (979).

teire Cardinal 163

e mou rancura e auci e cofon, e Mentirs mantas ves nays hi aitan espes que Vertatz ni Merces ni Patz ni Conoyssensa no j atroba guirensa, e Poders pren lo ses lai on Dregz non a ges.

Tortz e Maleza et Erguellis yssamen

e Cobeeza ab trastot son coven^)

e Avareza an fait acordamen,

cossi Franqueza gieto d'entre la gen; e mueyra Caritatz e Patz e Pietatz; e Bona Voluntatz^) en nulh loc remanha, en valh ni en montanha, que * 1 fuecx es atizatz que i a mes Malvestatz. Usw.3)

Soll man die Namen dieser Laster und Tugenden groß oder klein schreiben? Sind es Begriffe oder Personen? Bald dies, bald das, und im Grunde beides durcheinander. Der Anschau- ung wird wenig oder nichts gegeben, und man muß sich die Wirkung solcher Gesänge auf den mittelalterlichen Hörer als eine wesentlich pathetische und sonore, erbauliche und er- hebende denken, wobei Unterweisung und Lehrhaftigkeit zwar

0 per aital covinen M. 2) q ßg [q[s q golatz M.

3) Ähnliche Partien hat man in Nr. 46, Str. 5; 51, 2; 52, 2; 62, 1 und 2; 33, 1; 25, 1 und in Nr. 13.

11*

' '* ' 6. Ahhundlung: Karl Vo8sler

nicht lelileii, iiher gewiü nicht ais so auidiin^lich und vur- herrschend empiunden wurden wie von dem modernen Leser. Derartige Sirventese stehen der Ode viel näher als dem Lelir- gedicht oder der Satire. Jede Übersetzung läuft Gefahr, die lyrische Wirkung zu zerstören und hinter dem Inhalt den Formgedanken, der doch allein die dichterische Schönheit macht, erbleichen zu lassen; es sei denn, daü man mehr nach Ohr, Rhythmus und Gefühl als nach dem Wortsinn übersetzte, d. h. als deutschgewordener Cardinal geradezu dichtete. Nur so könnte man dem heutigen Hörer von den Schauern der Erhabenheit, die wie Wetterleuchten durch das graue Ge- wölke der verschwimmenden und wogenden Bilder zucken, eine Ahnung geben.

An und für sich war diese lyrisch - dialektische Stilart nicht neu. Schon Marcabru hatte sie versucht; aber, wie ich glaube gezeigt zu haben, ^) mit einer Gequältheit und Dunkel- heit, die eher den Eindruck der Anstrengung als des schwung- vollen und ruhigen Schwebens über der irdischen Gemeinheit hinterläßt. Im Vergleich mit Cardinal haben die odenhaften Versuche des Marcabru noch etwas Unbeholfenes, Verbissenes und grimmig Pedantisches.

Cardinal freilich erhebt sich nur vorübergehend, zw^ar oft aber kurz, in jene hohen Regionen. Er taucht in die blasse Lichtwelt der Ideen nur soweit hinauf als nötig ist, um Di- stanz zu den Gemeinheiten und Narrheiten des allzu bunten Alltags zu gewinnen. Das eben angeführte Lied dürfte wohl das einzige sein, das den odenartigen Stil gleichmäßig durch- hält; im übrigen kann ich ihn nur im Wechsel und meistens in völliger Mischung mit anderen, sagen wir realistischeren Tönungen finden. Freilich, in derber Anschauung sich festzu- saugen ist ebensowenig Cardinais Sache. Wir haben zur Ge- nüge gesehen, wie wenig Farbe und Schilderung seine Dich- tung enthält. Das saftigste und satteste Kostüm- und Sitten- bild, das ich von ihm kenne, ist das Sirventes Ah vot^ cVangel

M Der Trobador Marcabru und die Anfänge des gekünstelten Stiles, Sitzungsberichte 1913, 6. Dezember.

I

Peire Cardinal 165

(Nr. 1). Dieses freilich bietet der Übersetzung eine viel ge- fügigere Hand. Leider kann ich den provenzalischen Text nur in einer provisorischen Form, wie ich sie nach Mahn, Gedichte der Troubadours Nr. 6 und 1233 (= Hss. I und T) mir notdürftig gezimmert habe, mitteilen.

Ab votz d'angel, lengu'es perta ' n nobleza, ab motz suptils, plans plus c'obra d'Engles, ben asetatz, ben digz e ses repreza, meills escoutatz ses tossir que apres,

ab plans sanglotz mostron la via

de Jesu Crist, cui quecx deuria teuer, com el la volc per nos teuer; van prezican com poscam Deu aver.

Religions fon li premieir[a] enpreza de gent que trieu^) ni bruida non volgues, mas Jacopi apres maniar non aqueza, an[z] desputon del vi, cals meillers es,

et an de plait(z) cort establia,

et es Vaudes qui * Is ne desvia. E los sicretz d'ome volon saber, per tal que meills si puoscan far temer.^)

Esperitais non es la lur paubreza; gardan lo lor, prenon so que mieu es. Per mols gonels testutz de lan'engleza laisson celitz, car trop aspres lur es,

ni parton ges lur draparia

aissi com Saint Martin fazia, mai almornas, de c'om sol sostener la paubra gen, volon totas aver.

Aissi com eis que bevon la cerveza e manio'l pan, per Dieu, de pur regres, e 1 bro del gras bueu lur fai gran fereza, et onchura d'oli non volon sjes

1) Der Sinn von trieu ist mir hier nicht klar.

2) car tener 1, far temer T.

U)t> Ü. Abhiiiuiluii^^: Karl Vo-.sl.i

iii peis ^ras, fresc de pescaria,*)

iii l)iO('t ni Salsa que fria: }3er qu'eu consoil qui * n Dieu ha son esper c\ab lurs condutz passo, qui " ii ]»ot aver.

Si non, coii eis mangem la bona freza e'ls mortairols batutz e ben espes^) ab gras sabriers de galina pageza e d'autra part iove ius vert ab bles^)

e vin qui meiller non podia,

don plus leu Fransses s'enebria. S'ap bei viure ni maniar ni iazer conquerron Dieu, be * 1 podon conquerrer.

Ab prims vestitz amples ab capa teza d'estiu, d'un camelin d'envern espes,*) ab fort caussar, solat a la franceza, cant fai grant freg, de fin cor marseilhes,

ben ferm liat(z) per maistria

(car mals liars es gran follia!) van prezican, ab lor soutil saber, qu'en Dieu servir metan cor et aver.^)

Mit Engeisstimm' und Sprache voller Adel,

mit Worten wie Engländer-Arbeit fein,

mit wohlgesetzten Sprüchen ohne Tadel,

auf die man lauscht und prägt sich's doch nicht ein,

mit Seufzern zeigen sie die Pfade,

die Jesus ging und die gerade wie Er für uns, ein jeder sollte zieh'n; so weist zu Gott uns ihre Predigt hin.

^) peis fr. gr. de p. /.

2) eil mortairol si batut com begues T, ells mortairols grasses e ben espes T.

^) insnert ab bles /. Zu hles siehe Levy, Suppl.-Wörterb. s. v. biet.

*) Dun cam. destiu denvern espes I. Dun cam. divern deostiue espes T-

^) In den Hss. folgt noch eine Strophe, aus der hervorgeht, daß Cardinal ledig war.

I

Peire Cardinal 167

Die ersten, die ins Klosterleben schieden, taten's, um Streit zu meiden und Geschrei.^) Die Jakobiner aber halten Frieden selbst nicht nach Tisch: welcher der beste sei

der Weine, wird gezankt, verhöret

„Waldenser!" wer sie dabei störet. Und um den Menschen fürchterlich zu sein, drängen sie in Geheimnisse sich ein.

Es ist ihr' Armut nicht die demutvolle;

das Eig'ne wahrend, rauben sie, was fremd.

Mit weichem Rock, gewirkt aus Englands Wolle,

vertauschen gerne sie das rauhe Büßerhemd und hüten sich vor jenem Handel des heil'gen Martin mit dem Mantel;

ja, selbst die mildtätigen Gaben, die

den Armen zugedacht sind, wollen sie.

Gerad' wie sie wahrhaftig sich bescheiden bei sau'rem Bier und purem Kleienbrot und wie sie fette Ochsensuppen meiden und Olgeback'nes wie die schwere Not,

wie frische Fische sie verschworen

in allen Brühen, welche schmoren, so rat' ich jedem, der auf Gott noch baut, daß er sich ihrer Führung anvertraut.

Wo nicht laßt essen uns die guten Bohnen, wie sie, und auch den fetten, dicken Brei,

^) Denselben Gedanken, freilich in ganz anderem Zusammenhang, hat man in Carmina Burana XVI, einem Rhythmus gegen die Herrschaft der Laienbrüder im Orden von Grandmont (1187). Siehe W. Meyer aus Speyer, in den Nachrichten der K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, philol.-histor. Klasse 1906, 1. Heft:

Clausa quondam religio vel ocium secretum, nunc subiacet obprobrio per vulgus indiscretum.

\^'^S G. Alihaiullunj^: Kiirl Vossler

das fettste Huhn vom Land lal^t uns nirlit sclionen, und saft'ge Hüben seien noch dabei I

Vom Weine sei's der beste Tropfe.

der selbst dem Franzmann steij^t zu Kopfe I Wenn ^uter Lebens-Essens-Schlafens-Brauch uns Gott gewinnt, so können wir das auch!

Mit feinstem Rock im Sommer weit gekleidet, bei Frost gefüttert und kamelbehaart, mit Schuhwerk, je nach Witterung bereitet: marsilisch Leder oder fränk'sche Art,

am Fuß geschnürt von Meisterhänden (denn, schlecht geschnürt, könnt' übel enden!): so geh'n sie predigen mit ihrem Witz: Gott soir man weih'n sein Herz und den Besitz!

Sogar in Prosa müßte dieses Stück noch seine Wirkung haben, weil es mehr durch das Auge als durch das Ohr und mehr durch Beobachtung als durch Ahnung zum inneren Men- schen spricht. Es ist, im Gegensatz zu jener makroskopischen Ode, mikroskopisch eingestellt.

Aber auch diese Kunstart, die man das sarkastische Genre- bild nennen könnte, wird von Cardinais Muse in der Regel nur gestreift, zwar oft und rasch ergriffen, aber alsbald wieder verlassen. Die natürliche Meisterschaft unseres Dichters ruht in der Mitte, im Wechsel und mehr noch in der gegenseitigen Durchdringung des Werthaften mit dem Erfahrungsmäßigen. Ahnlich wie das sittliche Gewissen selbst es macht, so fühlt und ahnt er allgegenwärtig im Großen und Ganzen das Böse und Unartige der Zeitläufte, um es dann plötzlich und über- raschend zu ertappen und festzunageln im Besonderen, im Ein- zelnen, im Typischen und auch im Kleinsten noch, wo es herausschaut und sich verrät, d. h. charakteristisch wird. In diesem unpersönlichen Sinne ist er Gelegenheitsdichter. Wäh- rend gehässige und händelsüchtige Satiriker sich ihre Opfer heranholen oder „kaufen", pflegt Cardinal die seinen im Vor- beigehen zu erwischen. Er kann streckenweise leeres Stroh

1

Peire Cardinal 169

dreschen, avo aber eine schnittreife Ähre ihm unter den Flegel kommt, sitzt der Hieb und spritzen die Körner. Die Aus- gestaltung und Vollendung des Liedes als Ganzes gelingt ihm zwar unter günstigen Bedingungen, in der Hauptsache aber sind es einzelne Strophen und oft nur kurze Wendungen dieser Lieder, mit denen er die wirksamen Volltreffer erzielt: patheti- sche oder witzige Schlager oder gar solche, die beides zu- gleich sind.

Pathos und Witz, zwei Noten, die ihrer seelischen Natur nach nur kurze Schwingungsdauer haben, weil sie zwischen dem Erhabenen und dem Gemeinen die straffeste Spannung voraussetzen, übernehmen die Führung in Cardinais Lyrik und bedingen die geschwungene Bewegtheit ihrer Linie. Ohne sie wären diese Lieder nur gereimte Prosa. Das Musikalische an ihnen ist das Pathetische und das Sarkastische: eine Musik, die freilich wenig Fülle hat und dem Ohr bald dumpf und hohl, bald scharf und spitz klingt. Dem Auge erscheint Car- dinais Lyrik etwa wie Schwarzweißkunst, mit tiefen Schatten, grellen Lichtern und, was dazwischen liegt, meist grau, lehr- haft, langweilig, moralisierend getönt. Was man zu sehen bekommt, sind keine Gemälde, sondern Federzeichnungen, bei denen die Buntheit durch Bewegtheit ersetzt ist, wie wir es an der Parabel vom Regen beobachten konnten. Cardinais Bilder sind im Grunde immer Gleichnisse oder Exempla, keine Anschauungen, sondern Einfälle. Lauernd und spähend, als Vorposten des bedrängten Gewissens niemals geruhsam und genießend versunken in Betrachtung steht er zum Leben. So entdeckt er und denunziert uns eindrucksvolle Gestalten, wie die des reichen Herrn, der über Land fährt: umgeben, be- gleitet und geführt von Bosheit, Gier, Unrecht und Stolz, ^) oder die des großen Lügners, an dem man, ohne ihn anzu- sehen, wie an einem Rosenstock die falsche Gesinnung riechen kann,^) oder des anderen, der die Lügen nach einem geregelten Wirtschaftsplan abwirft wie Zinsen: 100 im Tag, 3000 im

1) Nr. 45, Str. 2. Bartsch, Chrestom. provenzal. Sp. 169.

2) Nr. 5, Str. 2. Mahn, Ged. 214, 12'dl, 1232.

W* (i. Al)handlun^: Karl Vosülei'

Monat, 86000 im Jahr,*) oder des Wohlhabenden, der über alle seelischen Enttäuschungen sich mit Hebhühnern, Wein und anderen Geschenken der Erde hinwegtrüstet, um dann mit dem Gebetbüchlein in der Hand zu Gott zu seufzen: Was bin ich ein armer Mensch! Und wenn Gott ihm erwidern wollte, müüte er sagen: Du lügst. ^) Hier wird der beispielraälaige, lehrhafte, erfundene, hypothetische Untergrund dieser Bilder handgreiflich. Man erinnert sich, \vie selbst die leibhaftige Er- scheinung des Verräters Esteve de Belmon in Cardinais Augen die Tragweite eines Exemplums annimmt.**) Ein bemerkens- werter Sammelplatz solch' pathetisch-witziger Gleichnisse und Vergleiche ist das Sirventes Totztemps azir falsedat et engan.*)

Was doch die Reichen zu den Armen mild

und gütig sind wie Kain zu Abel war!

und auf den Raub ist noch kein Wolf so wild,

aufs Lügen aber keine Dirne gar.

Und schlitztet ihr sie vorn' und hinten auf,

es kam' kein wahres Wort, verlaßt euch drauf,

nur eitel Lüg' aus ihrem Herzen vor,

wie aus dem Quellgrund Wasser will empor.

Hab' manchen Herrn an manchem Platz geseh'n glänzen so falsch wie Glas an gold'nem Ring, und wer für echt sie nahm, dem ist gescheh'n, als ob statt Schafen er sich Wölfe fing; denn am Gehalte fehlt's und am Gewicht; wie falsche Münze sind sie hergericht', die sauber zwar mit Kreuz und Blum*' geprägt jedoch, schmilzt man sie ein, kein Silber trägt.

Ich mach' vom Morgen- bis zum Abendland den Menschen einen neuen Handel kund:

1) Nr. 5, Str. 4. Mahn, Ged. 214, 1231, 1232.

2) Nr. 41, Str. 4. Rayn. Choix IV, S. 354, Pjirn. occ, S. 312 u. Mahn, Werke IT, S. 188. ^) Siehe oben, S. 120 ff.

4) Nr. 57. Rayn. Choix IV, S. 347, Mahn. Werke II, S. 195, Studj di fil. rem. 111, S. 66G und IX, S. 510.

Peire Cardinal 1' 1

Ein Goldstück jedem Braven in die Hand für einen Nagel nur von jedem Hund. Dem Höf sehen geh' ich eine Mark in Gold, falls der Gemeine mir 'nen Kreuzer zollt; und dem Wahrhaft'gen geb' ich Gold zu Häuf, schenkt jeder Lügner mir ein Ei darauf.

Die ganze Redlichkeit der meisten Leut'

schreib' ich auf einen kleinen Lederfleck,

die Hälfte meines Handschuhdaumens breit!

Und alle Wacker' n sättige ich keck

mit einem Kuchen, 's kommt mir nicht d'rauf an,

und, füttert jemand mir die Bösen: dann

könnt ihr zum Essen, wo es euch gefällt,

die Guten rufen aus der weiten Welt.^)

Derartige Gleichnisse und Gleichungen, die den ethischen Gefühlswert ins Handgreifliche und Quantitative umzurechnen bestimmt sind, können heute noch als erfinderisch, witzig und geistvoll empfunden werden. Im Mittelalter, und besonders bei den Laien, wo das geistreiche Wesen noch nicht so wohlfeil war, dürften sie geradezu überraschend gewirkt haben. Sie tragen freilich auch den Keim der Müdigkeit in sich; denn dem menschlichen Gemüt kann bei der Rationalisierung des Übernatürlichen, an dem es nun einmal hängt, nicht wohl werden: selbst dann nicht, wenn, wie hier, das Übernatürliche ein Böses und dessen Rationalisierung ein guter Witz ist. Das Glück der Schadenfreude ist unserem Dichter zwar nicht ganz fremd geblieben; er hat es, wie wir gesehen haben, in einigen Versen vorübergehend gesungen und konnte, vorübergehend, auch grausame Töne anschlagen. Im Grunde aber muß er ein gemütvoller Mensch gewesen sein. Vielleicht hat eigener Notstand, denn reich oder auch nur wohlhabend ist er sicher nicht gewesen,^) ihm das Herz zum Mitleid an der allgemeinen Not gelockert.

*) Eine gereimte Übersetzung dieser Strophen tindet man auch bei Diez, Leben und Werke der Troub., S, 462 f.

2) Vgl. die oben zitierten Verse Nr. 51, Str. 1, Nr. 17, Str. 2 und

1'^ ü. AMuindluii^': Karl VüshIci

Er leidet ;mi sittlichen P]lend der Welt, vielleicht um so tiefer und stiller, weil es ilnn nicht gegeben ist, die vollen und wurmen Töne zu finden, mit denen gerade in seinen M Tagen die allumfassende und erlösende Liebe durch des heiligen Franziskus Stimme zu den Menschen gesprochen und gejubelt hat. Nur mittelbar, nur durch seine Müdigkeit und Unf^ihig- keit zur Freude hindurch kann man in Cardinal das fühlende Herz erraten. Die Lust an Welt und Leben, die er niemals als Eiferer geschmäht hat, sondern so gut er eben konnte, empfahl und lobte, bleibt stumm und verschlossen in seiner Brust. Ihn haben Schicksal und Anlage bestimmt, daß er den zügelnden und hemmenden Gewalten des menschlichen Gemütes, dem bösen Gewissen, seine hohle und scharfe Stimme lieh.

Tan vey lo segle cobeytos,

plen d'avareza e d'enian,

que gas lo paire en Tenfan

no s pot fizar, nengus^) d'amdos:

per qu * ieu n'estau tant cossiros

que ges non puesc negun ben dir,

si doncx no volia mentir

per qu'ieu volgra qu'autre mons fos.^)

besonders die erste Strophe des Descort 461, 236, dessen Verfasser wohl Cardinal sein dürfte. Sie lautet nach Appel, Provenz. Inedita aus Pa- riser Hss., S. 332:

Tot aissi sei desconsellatz con l'aucels qu'a som par perdut, non trop qui'm valha ni'm'aiut, per ren mas car non soi sobratz que pogues dar a totz cuminalmen. Adonx sai ieu que ' m valgron miei paren, que es ben vers le proverbis a dir: qui ren non a, an ab los mortz dormir.

*) nengun C und K. Der Sinn ist wohl : Der Vater kann dem Kinde nicht trauen, und keiner von beiden dem anderen, also auch da.s Kind dem Vater nicht.

2) Nr. 54, Str. 1. Mahn, Ged. 1228, 1229, 1230 nach C, li und 7.

Peire Cardinal 173

Ich. seh' die Welt so voll und schwer von Gier und Geiz, so falsch gesinnt, daß selbst der Vater seinem Kind nicht traut, und dieses ihm nicht mehr. Und darob sorg' ich mich so sehr und weiß kein Wort, das klänge hold, es sei denn, daß ich lügen wollt'. Oh daß die Welt doch anders war'!

Anhang. I.

Gelänge es, das Rügelied Aquesta gens, quan son en lor gaieza'^) zu datieren, so wäre für Cardinais ethische und künst- lerische Entwicklungsgeschichte viel gewonnen. Die fünfte Strophe könnte eine Handhabe dazu bieten. Sie lautet:

Que fan l'enfan d'aquella gen engleza, qu'avan no van guerreiar ab Franzes? Mal an talan de la terr' engolmeza! Tiran iran conquistar Gastines!

Ben sai que lai en Ndrmandia

dechai e chai lor senhoria, car los guarzos^) vezon en patz sezer. Antos es tos que^) trop pert per temer.

Man hat hier eine Anspielung auf die spärliche und wir- kungslose Hilfe sehen wollen, die der englische König Hein-

M Gedruckt in Raynouards Lexique roman J, S. 451 und bei Mahn, Werke II, S. 214 und nach der Hs. J in den Studj di fil. rom. IX, S. 519 Matfre Ermengau hat es in sein Breviari d'Amor aufgenommen.

2) fjuarlos I. ^) qui '/.

(

1^4 (». Al»handlunj(: Karl VobhIhi

rioli 111. dem (jirafen Kaimund VII. von Toulouse bei seiner Aullehiiung gegen den K("»nig von Frankreich im Jahre 1242 leistete.') Am 12. Mai 1212 waren die Engländer in Royan gelandet und näherten sich der Cliarente bei Taillebourg, so _ dali man erwarten durfte, sie wQrden zunächst in das Angou- " mois vorrücken, um die Franzosen, die über Chinon nach dem Süden zogen, zu schlagen. Aber König Ludwig kam ihnen zuvor, wai- ihnen an Zahl auch weit überlegen und besiegte sie mühelos am 22. Juli unter den Mauern von Saintes.^) Da das Gätinais weit nordöstlich vom damaligen Standort des engli- schen Heeres liegt, so bekämen die Verse

tiran iran conquistar Gastines einen ironischen, aber höchst gezwungenen Sinn. Im Ernste kann kein Engländer im Jahre 1242 an eine Eroberung jener Landschaft gedacht haben, die zwischen Paris und Orleans im Herzen der französischen Kronländer lag. Englische Hilfe hat man in Südfrankreich auch in früheren Jahren oft und vergeblich erwartet. Auch berechtigt der Wortlaut unserer Strophe in keiner Weise, auf einen englischen Einmarsch in Südfrankreich, geschweige denn auf eine bedrängte Lage des Grafen von Toulouse zu schließen. Der Vers

car los garzos vezon en patz sezer weist im Gegenteil auf ein völlig untätiges Verhalten der Eng- länder hin. Das Lied müßte also in der Zeit vor der Lan- dung, da man die englische Hilfe noch ungeduldig erwartete, verfaßt sein. Aber, hatte es denn einen Sinn, im Jahre 1241 von englischer Herrschaft in der Normandie noch zu sprechen? Die Meinung Cardinais ist doch wohl, w^enn man seine Worte

^) C. Fahre, Jfitudes sur P. Cardinal in den Annales du Midi, Tou- louse 1909, Bd. XXI, S. 25. Jeanroy ist offenbar nicht dieser Meinung, denn in seiner Untersuchung ,le soulevenient de 1242 chez les troub." Annales du Midi, XVI, 1904, S. SllflP., wird von Cardinal überhaupt nicht gesprochen.

'^) Vgl. Ch. Bemont, La campagne de Poitou, 1242/43, in den An- nales du Midi, 1893, Bd. V u. Langlois bei Lavisse, Hist. de France III, 2, S. 53-59.

Peire Cardinal 1*^

nicht zwängen will, etwa die folgende: Warum rühren die Engländer sich nicht gegen die Franzosen? Liegt ihnen so- wenig an der bedrohten Grafschaft Angouleme? Mit ihrem Zögern werden sie gewiß und darin liegt Ironie das Gä- tinais (das Philipp I. schon am Ausgang des 11. Jahrhunderts in die französischen Kronländer eingezogen hatte) sich noch erobern. Indessen ist es bekannt, wie in der Normandie ihre Herrschaft schwindet und fällt, dechai e chai, sinkt und stürzt. Das deutet zweifellos auf einen eben sich vollziehenden Vor- gang hin. Freilich nannte Heinrich III. von England sich immerzu Herzog der Normandie. Verloren aber war sie ihm längst. Seinem Vorgänger schon war sie im Frühsommer des Jahres 1204 von Philipp August entrissen worden, Warum also sollten wir nicht annehmen, daß in unserer Strophe sich die gespannte Erwartung, die Ungeduld und Enttäuschung spiegelt, die sich der südfranzösischen Gegner des Königs Phi- lipp August bemächtigte, als sie sahen wie König Johann sich, ohne England zu verlassen, von den Nordfranzosen nachein- ander die Normandie, Anjou und Touraine entreißen ließ und wie nun auch in Aquitanien der Abfall von England begann. Im August 1204 zog Philipp August in Poitiers ein, und wahr- scheinlich noch in demselben Monat huldigte Alix, die Gräfin von Angouleme, dem siegreichen Eroberer und schloß einen Vertrag mit ihm.^) Der König von England aber rührte sich nicht, um seinen Getreuen in Südwestfrankreich gegen die nordfranzösische Übermacht zu helfen. Erst im Jahre 1206 landete er in La Rochelle und eroberte sich einen Teil von Poitou zurück, erst nachdem Aimeri de Thouars, Gui und Savaric de Mauleon sich gegen die Herrschaft Philipp Augusts erhoben hatten. Cardinal wäre nicht der einzige Trobador, dem in der Wartezeit zwischen 1204 und 1206 die Geduld riß. Wir haben von Bertran de Born dem Jüngeren ein Lied, das unter denselben Umständen und aus ähnlicher Stimmung her-

^) Vgl. P. Boissonnade, Quomodo comites engolismenses erga reges Angliae et Franciae se gesserint, Pariser These 1893, S. 16 f. Im übrigen vgl. A. Lnchaire im 3. Band von Lavisse, Hist. de France, S. 127 ff.

I7n (]. Aliliiiiidlun^: Karl VosHier

aus «resuutrcn wurde.*) D.unjils sah es aus als sollte der König von Kurland seine Lchenshoheit und all* seine Ansprüche auf iVanzösischeni Hoden durch Zögern und Furcht, pei' inner, verlieren. Damals hatte es einen guten Sinn, den Engländer nicht nur an die Normandie und das Angoumois zu erinnern, die im Jkgritfe waren ihm zu entgehen, sondern aucli an das längst verlorene Gätinais, auf das er als IMantagenet und Graf von Anjou noch immer Anspruch erheben muffte. Leider aber steht der Datierung des Sirventes in das Jahr 1205 ein metri- sches Bedenken entgegen. Strophenbau und Reim sind nämlich, wie es scheint, einem „Vers" des Peirol nachgeahmt (M'entencio ai tot 'en un vers meza, 366, 20), der vielleicht viel später ent- standen ist. Auf Grund der siebten Strophe wollte Diez ihn in das Jahr 1210 verlegen.^) Neuerdings ist man sich einig, daiä die Strophe in den Jahren 1219 oder 1220 gedichtet sein mufä.^) Aber, wohlgemerkt, nur diese siebte Strophe. Und ist deren Datierung wirklich so sicher? Lesen wir:

D'amor mi clam e de nostra marqueza, mout m'es de greu quar la * ns tolh Viaues, per lieis es jois mantengutz e guayeza; gensor domna no cre qu'anc Dieus fezes, 5 ni eu cug tan belha * n sia

ni tan sapcha de cortezia, qu'a penas pot sos pretz el mon caber, qu'a totz Jörns creis e no y * s laissa chazer.

Dazu ein Geleit, das in manchen Handschriften fehlt:

Lo vers es fagz, qui Tentendia. 10 En Peirols vol que auzitz sia

^) Quan vei lo temps renovelar. Vgl. Bertran von Born , Ausgabe Stimming, 2. Aufl. (Roman. Bibliothek), Halle 1913, S. 47 und 146 tt"

2) Diez, Leben und Werke der Troub. 1829, S. 314.

^) Cerrato, Giornale storico della lett. ital. IV, S. 88. 0. Schultz, Die Briefe des Trob. Raimbaut de Vaqueiras, Halle 1893, S. 114. F. Ber- gert. Die von den Trobadors genannten oder gefeierten Damen, Halle 1913, S. 91.

Peire Cardinal 177

en Vianes, don pretz no pot cliazer, que'l comtessa li fa ben mantener.^)

Ist es ausgemacht, daß die Comtessa des Geleites auch die Marqueza der Strophe ist und daß man in beiden keine andere zu sehen hat als Beatrix, die Tochter des Markgrafen Wilhelm IV. von Monferrat, die sich im Jahre 1220 mit An- dreas Delfin von Vienne vermählt hat? Wer will beweisen, daß nicht zu anderer Zeit eine andere Marqueza, um deren Gunst sich Peirol bewerben konnte, nach Vienne gezogen ist? Man könnte zunächst an jene andere Beatrix von Monferrat denken, die eine Tochter Bonifaz' I. war, oder gar an eine Schwester von diesem. Die Beziehungen zwischen den Höfen von Monferrat und Vienne waren nicht auf die eine Heirat des Jahres 1220 beschränkt.

Doch lasse man immerhin die obige Datierung gelten, so bleibt doch die Möglichkeit, fast möchte ich sagen, die Wahr- scheinlichkeit, daß jene siebte Strophe, die in keinerlei ge- danklichem Zusammenhang mit dem Körper des Liedes steht, nachträglich ihm beigegeben wurde. Peirol hätte dann seinen

^) Text nach Mahn, Werke II, S. 12. Dazu die Varianten der im Druck veröffentlichten Hss. A (Studj di fil. rom. III, S. 477 f.), N (Mahn, Gedichte der Trobadors I, S. 176), V (Archiv für das Studium d. neueren Sprachen, Bd. 36, S. 435). In der Hs. M fehlt diese Strophe, ebenso in F und Q. Das Geleit fehlt in F, V und Q.

1. mi plane mas de N. e fehlt in V.

2. sont trop iraz car N. me pesa molt car V.

3. e proeza N. e proeza V.

4. plus pros domna non cug j^. meillor dona non cre canc hom uolges V.

5. ni non cre que tan V.

6. sapcha] a9a N. aia V.

7. el mon son pretz V.

8. e creis toitz iorn que non 1. c N. que totz i. er. et dobla nol 1. c. F.

9. qil aprendia M.

10. e peirols uol ben sauputz sia M.

11. don] on M,

12. quell marqeiza loi sap gen m. M.

Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1916, 6. Abb. 12

178 6. Abhandlunj^: Karl Vossler

verliebten Vers, den er als junger Mann gedichtet hatte und auf dessen kunstvolle Form er sich offenbar viel zugute tat, an dem italienischen Hofe wieder hervorgeholt, um ihn, mit einem Kom})liment bereichert, dem Töchterlein seines Gönners auf dem ^Veg nach Südfrankreich voranzuschicken. In der Tat fehlt in mehreren Handschriften dieses Kompliment, diese siebte Strophe. Das Lied wäre demnach , als es wieder auf- geputzt wurde, etwa so alt wie die Braut gewesen, zu deren Ruhm es zum zweitenmal in die Welt ging. Wem dieses Verhältnis unbehaglich ist, der mag sich um einen Mittelweg bemühen und zusehen, ob Cardinal sein Reimschema nicht doch bei einem andern als Peirol borgen konnte, bzw. ob er nicht auch in späteren Jahren noch die englische Trägheit an den Verlust des Gätinais, der Normandie und des Angoumois zu erinnern und zum Krieg gegen Nordfrankreich zu ermuntern Veranlassung hatte. Die politische Lage des Jahres 1213 könnte zur Not in Betracht kommen. In Flandern und in Südfrankreich wurde da- mals gekämpft, und auf beiden Schauplätzen standen englische gegen französische Interessen. König Johann hatte dem Grafen von Toulouse, der auf der Seite der Albigenser gegen Simon von Montfort und die Nordfranzosen sich zu wehren hatte, schon für den Spätsommer 1213 Hilfe versprochen, landete aber erst am 16. Februar des folgenden Jahres in La Roch eile. Auch damals, im Frühjahr oder Sommer 1213, wäre Cardinal nicht der einzige Trobador gewesen, den die englische Lässigkeit ärgerte.^) So hat man zwischen den Jahren 1205 und 1213 die Wahl. Der Hinweis auf die Normandie spricht eher für 1205, doch wäre er acht Jahre später immerhin denkbar.^) Das Rügelied noch tiefer herabzurücken mulä man Bedenken tragen. Es würden sich dann neben den politischen auch psychologische Unstimmigkeiten erheben; denn der Cardinal des dritten und vierten Jahrzehnts hat sich auf Formkünsteleien und Minne- fragen in der Art des Liedes Äquesta gens, qtian son cn lor

^) Vtijl. Diez, Leben und Werke der Troub., S. 54Sf. *) Den Anspruch, Herzöge der Normandie und Grafen von Anjou zu sein, haben ja die englischen Könige noch hinge erhoben.

Peire Cardinal 179

gaieza schwerlicli mehr eingelassen. Freilich, auf sicheren Boden den Fuß zu setzen, ist uns nicht gelungen. Im Gegen- teil, je mehr man prüft, desto schwankender wird wieder alles.

IL

Es fehlt nicht an Beweisen dafür, daß Cardinal auch nach seinem Sirventes vom Frühjahr 1226 {leu volgra, si Dieus o vol- gues) noch gedichtet hat. Sein berühmtestes Rügelied: Li clerc se fan pastor^) ist vor Ausbruch offener Feindseligkeiten zwi- schen Kaiser Friedrich II. und der Kirche nicht denkbar, also kaum vor Regierungsantritt des Papstes Gregor IX. im März 1227. Dafür spricht die fünfte Strophe des Liedes.

Ja non aion paor Alcays ni Almassor qua abbat ni prior los anon envazir ni lur terras sazir, que afans lur seria; mas sai son en cossir del mon quossi lur sia, ni cum En Frederic gitesson de Fabric; pero tals Faramic qu'anc fort no s'en jauzic.

Es liegt nahe, an die Zeit zu denken, da Friedrich zum erstenmal vom Papst mit dem Bann belegt, aus dem Heiligen Lande zurückkehrte.- Die Daheimgebliebenen, der französische Klerus und die Königin-Mutter Blanka von Kastilien, hatten seine Abwesenheit benutzt, um dem Grafen Raimund VII. von Toulouse einen schmählichen Frieden, der auch die Rechte des Kaisers im Arelat verletzte, aufzuzwingen (1229). Derjenige aber, der den Kaiser „herausgefordert hatte" {tals Varamic)^ nämlich der Papst, sollte der Sache nicht froh werden {no s^en jauzic), weil Friedrich, sofort nach seiner Rückkehr, Sieg- el Stück 7G in Appels Piovenz. Chrestomathie.

12*

l^^O G. Al»h;indluii^': Karl Vossler

reich in dan Kirchenstaat einfiel (1230) und die ^Schlüssel- soldaten" zu Paaren trieb.

Fahre befürwortet eine sj)ätere Datierung*) und möchte die Worte sai son en cossir . . . cum En Frederic yUesson de Vahric auf das Konzil von Lyon beziehen, das im April 1245 zusammentrat, um den Kaiser zu verfluchen und abzusetzen. Allein, die Erwähnung der Algais als einer noch gefjihrlichen luiubersippe ist im fünften Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts kaum mehr verständlich, nachdem der letzte Algai, soviel wir wissen, schon 1212 erledigt war.*) Man müßte denn annehmen, daß in der Sprache der Trobadors der Name Algai nachgerade ein Symbol für alles Bandenwesen geworden war. Die Hand- schrift Aj die im Veneto hergestellt wurde und das Alcays offenbar nicht mehr verstand, schreibt al cair li Älmassm\ Meint sie damit Cairo? Aber einen Almansor hat es in Cairo nicht gegeben, und es ist zweifellos der spanische Almansor, der hier spukt. Auch wäre die Form Cair für Cairo, das im mittelalterlichen Frankreich durchweg noch Babylon hieß,^) ein öTTol hyojuevov, das wir unserem Cardinal nicht zumuten wollen. Man muß also doch wohl bei Älcays bleiben und sich mit der Wahrscheinlichkeit begnügen, daß das Gedicht nicht allzulange nach Ausbruch der Fehde zwischen Kaiser und Kirche entstanden ist. Dafür sprechen auch, wenn ich mich nicht täusche, die unverkennbaren Anklänge an Figueiras Sir- ventes No'm laissarai per paor, das zweifellos noch in die Zeit der Albigenserkriege gehört, mag man es sich unmittelbar oder verspätet nach den Leidensjahren der Toulousaner verfaßt denken.*)

1) Annales du Midi, Bd. 21, Toulouse 1909, S. 25.

2) Siehe oben, S. 108, Anm.

^) Über Cairo siehe C. H. Beckers Artikel Cairo in der Enzyklopä- die des Islam (1908). Bei Ersch und Gruber finde ich die Bemerkung, der Name Cairo, lateinisch Cayrum, sei schon im Zeitalter der Kreuz- züge durch den Einfluß der italienischen Seestädte im Abendla"nd ver- breitet worden.

4) Siehe E. Levy, G. Figueira. Berliner Diss. 1880, S. 45 f. u. S. 6 f.

Peire Cardinal 181

III.

Auch das trübe Weltbild, das Cardinal in dem Lied Tals cuia he (Nr. 52)^) entwirft, dürfte erst nach dem Pariser Frieden von 1229 gezeichnet sein. Die Worte

Tals cuia be aver filh de s'espoza,

que no y a re plus que seih de Toloza

bekommen ihren vollen, schwermütigen Sinn erst, wenn man an die Bedingungen dieses Friedens denkt. Raimund VII., der ohne männliche Erben war, sollte durch die Heirat seiner Tochter Jeanne mit einem Bruder des Königs von Frankreich seinen ganzen Herrschaftsbesitz nach seinem Tode an das Haus von Frankreich übergehen lassen.

IV.

Soll man in dieselbe Zeit das grimmig gekünstelte Rüge- lied De sirventes suelh servir (Nr. 18)^) verlegen? Die vierte Strophe gibt freilich nur eine unsichere Handhabe dafür.

Dieus deu los barons grazir, quar ves luy son sort e mut, qu'el luec, on fon rezemut, no 1 Volon tan possezir com l'autruy terra saizir. E'no cug qu'el reys N Amfos aitals fos, quan volc descauzir Turcs, per Chrestias ayzir.

Der vorbildliche Held, der zwar nicht die Türken, aber, was für Cardinal wohl dasselbe war, die Sarazenen so entschei- dend geschlagen hat, daß ein wirkliches ai^imen, ein friedlicher

1) Rayn. Choix IV, S. 350, Parn. occ, S. 318, Mahn, Werke II, S. 186.

2) Lex. rom., S. 455 und Mahn, Werke II, S. 223.

lö-j (J. Alilumdlung: Karl VoHhler

(u'iiuü des c'ij^encu Landbesitzes den (Jhristen daraus erwuclis, dürfte wohl Alfons VIII. bzw. der Dritte als Köni^ von Ka- stilien sein.^) Am lO. Juli 1212 hat er über die Muselmanen in der Ebene von Las Navas de Tolosa einen denkwürdigen Sieg erfochten. Dieser kriegerische und vielgeplagte Sarazenen- kämpfer, von dem hier offenbar als von einem Toten gesprochen wird, ist 1214 gestorben. Es liegt nun nahe, anzunehmen, aber sicher ist es keineswegs, data solche Erinnerungen un- serem Dichter etwa in der Zeit vor dem fünften Kreuzzug (1228) kamen.

V.

Schwierig bleibt die nähere Datierung von Nr. 37 Mon chantar vaeilh retrair al comunal, auch wenn wir die Ver- fasserfrage nach den Ausführungen auf Seite 30, Anm. 3 und Seite 138 flP. für entschieden halten wollten. Es kommt für die Zeitbestimmung zunächst die letzte Strophe in Betracht, die in den Hss. M, R und a^ (Nr. 266) fehlt und nach Kaynouard, Choix, IV, S. 384, lautet:

De totz los reys ten hom per pus cabal lo rey 'N Anfos, tan fay bos faitz grazir, e dels comtes seih de Rodes chauzir fai sa valor e son pretz natural, e dels prelatz seih de Memde, qu'el trieu sec drechamen e despen gen lo sieu, e dels baros son fraire, tan valen son tug siey fag e siey captenemen.

Nach Maus, P. Cardinais Strophenbau, S. 41, der die Zeit zwischen 1227 und 1229 vorschlägt, wäre mit Anfos der König Alfons IX. von Leon (1188 1229) und mit dem Grafen von Rodez Hugo IV. (1227 1275) gemeint. Ich glaube aber nicht, daß Cardinal von dem König von Leon viel wissen konnte; es sei denn, daß er aus Peire Vidals Preis dieses Fürsten seine Kenntnis schöpfte, was nicht ausgeschlossen ist, da auch Me-

^) Vgl. Mihi y Fontanals, De los Trovadores en Espana, Barcelona 1861, S. Uöff.

Peire Cardinal 183

trum und Reim einem Liede Vidals nachgeahmt sind. Im übrigen sind die Beziehungen der Trobadors zu Alfons IX. von Leon sehr spärlich.^) Viel wahrscheinlicher und natür- licher ist es, daß Cardinal das Musterbild eines Königs in dem Sieger von Las Navas de Tolosa, jenem berühmten Sarazenen- kämpfer sah, den er auch in dem eben besprochenen Sirventes Nr. 18 erwähnt. Wenn dieser schon 1214 gestorben ist, so tut dies nichts zur Sache, denn in der öffentlichen Meinung und nur von dieser ist die Rede konnte er noch lange nach- her als vorbildlicher Herrscher leben. In dem Grafen von Rodez wird man allerdings Hugo IV. (1227 1275) erkennen dürfen, denselben wohl, dem Cardinal das Sirventes Nr. 21 ge- widmet hat. Demnach müßte auch dieses erst nach 1227 ge- dichtet sein. Ja, wahrscheinlich erst nach 1229. Vorher konnte ein dem Grafen von Toulouse so ergebener Dichter wie unser Cardinal schwerlich zu einem Grafen von Rodez in freundlicher Beziehung stehen. Der Vorgänger Hugos IV., Graf Heinrich von Rodez (1210 1221) hatte nämlich im Jahre 1218 dem Sohne des Simon von Montfort, dem Erbfeind von Toulouse, den Lehenseid geschworen. Erst nach dem Friedensschluß des Jahres 1229 entbindet König Ludwig IX. die Herren des Rou- ergue vom Lehenseid zu Montfort bzw. zum König von Frank- reich und gestattet, daß sie nun wieder ihrem alten Herrn, dem Grafen von Toulouse, den Eid leisten.^) Der Prälat von Mende kann kaum ein anderer sein als Etienne IL von Brioude, der 1223 Bischof in Mende wurde und 1247 gestorben ist, nachdem er schon einige Jahre vorher sein Amt nieder- gelegt hatte. Sein Nachfolger Odilon de Mercoeur war ein junger und, wie es scheint, ziemlich gewalttätiger Herr (1245 1273); sein Vorgänger, Wilhelm IV. von Peyre (1187 1223), lag

^) Milä y Fontanals, De los Trovad. en Espana, S. 153 f Die auf den Trobadorbiographien beruhenden Zeugnisse kann man aber als be- weiskräftig nicht mehr gelten lassen.

2) Siehe M. A. Fr. de Gaujal, ^tudes bist, eur le Rouergue, 2. Bd., Paris 1858, S. 95f. und 102. Unzugänglich war mir Bonnal, Comte et Comtes de Rodez, Rodez 1885.

i^t G. Al'liandluji^' : l\ail \ o.s.slei-

l'ortwälireml in Streit mit der Einwühnerscbaft vuii Menile, wurde llli-l verjagt und diirl'te nur unter der Bedingung zu- rückkehren, daü er Reformen einführte. Diese beiden konnten vor Cardinais Augen schwerlich Gnade finden, während von Etienne erzählt wird, dalj er Sorge trug, die kleinen Leute auf dem Lande gegen Übergriffe der Feudalherren und der Soldaten in Schutz zu nehmen.^) Über den Bruder des Bi- schofs von Mende, der das Vorbild der Barone genannt wird, habe ich nichts ermitteln können. So bleibt als wichtigster Anhaltspunkt die mehr als zwanzigjährige Kegierungszeit des Bischofs Etienne IL von Mende.

Die fünfte Strophe mit ihrem Hinweis auf die Minoriten- brüder:

que menudet no vivon folhamen

oder, nach anderer Lesart:

que'ls menoretz no reinho follamen stimmt zu der Zeit nach 1223 bzw. 1229 sehr schön, weil es Minoritenbrüder erst seit 1223 gibt. Im Jahre 1232 haben die Franziskaner sich in Rodez niedergelassen, und wir wissen > daß gerade Graf Hugo IV. sie besonders begünstigt hat.*) Sollte das Lied auf diesen Umstand anspielen, so dürften wir es in die Jahre nach 1232 setzen.

VI.

Das Sirventes Nr. 44 Qui's vol tal fays cargar wendet sich im Geleit an einen Delfin en Vianes. Die Grafen des Viennois haben sich, soviel man weiß, zum erstenmal unter Guigo IV. (1120-1142) den Titel Delfin zugelegt. Hier kann es sich wohl nur um den Delfin Andreas handeln, der, als sein Vater Hugo HL, Herzog von Burgund, starb (1192), acht Jahre alt war. Bis zu seiner Mündigkeit führte die Mutter Beatrix die Regentschaft. Er selbst ist am 14. März 1237 gestorben und hinterließ als unmündigen Nachfolger seinen

1) Histoire ^^enerale de Lanj,niedoc IV, S. 392 f. und VTI, S. 117 f. '^) de Gaujal a. a. 0., S. 104.

Peire Cardinal 185

Sohn Guigo VI. Maus a. a. 0., S. 62, wäre nach Maßgabe dieser Tatsachen, über die man sich in der Grande Encyclo- pcdie sub voce Dauphine unterrichten kann, zu berichtigen.

VII.

Das Sirventes Ä tot farai una demanda Nr. 61 mit seinem Lob der Deutschen:

No cre que ill gens alamanda seignor toUedor acuella, ni que mal parta vianda, ni que per maniar s'esconda, ni que sia dezeretans, ni que dezeret los enfans, ni que condug lai revenda^)

paßt am besten wohl in die Zeit, da der Graf von Toulouse mit dem Deutschen Kaiser gemeinsame Interessen hatte,^) also in die Zeit um 1226, in der das Sirventes Nr. 12 leu volgra si Dieus o volgiies gedichtet wurde. Mehr als diese Wahr- scheinlichkeit läßt sich nicht ermitteln.

VIII.

In dem Rügelied Nr. 66 Un sirventes fauc en luec de iurar hat man den ersten Vers der dritten Strophe:

Glot^ emperier non vol veser son par^)

politisch deuten und auf die Auflehnung des Kaisersohnes Heinrich VII. gegen seinen Vater Friedrich IL im Jahre 1235 beziehen wollen.*) In diesem Sinne übersetzt auch Brinckmeier:

Ein gier'ger Herrscher seinesgleichen haßt,^)

und Kannegießer:

1) Lex. rom., S. 451 und Mahn, Ged. 314.

2) Siehe oben, S. 114fF.

3) Rayn. Choix IV, S. 337 und Studj di fil. rom. IX, S. 552.

*) Wahrscheinlich hat Fahre, Roman. Forschungen XXIII, S. 264, diese Stelle im Auge, wenn er sagt: en 1237 Cardinal maudit Henri, le fils ingrat et rcvolte de Frederic II.

^) Rügelieder d, Troub. geg. Rom u. die Hierarchie, Halle 1846, S. 25.

186 G. AMuiudlunj^: Karl VoflBler

Kill ^ier'ger Herr will nachgealunt nicht sein.*)

Kin (jlotz cm per'ur ist aher kein gieriger Kaiser, sondern ein Vielfraß auf einem Birnbaum. Wer die in der fünften Strophe erwälinten Herren Gostia und Azemar sind, weiß ich nicht.

IX.

Ob Fahre die oben be.sprochenen Esteve-Lieder richtig da- tiert hat? Die freilich stark entstellte dritte Strophe des Sir- ventes Nr. 68 Un sirventes trametrai per messaUje läßt mich zweifeln. Die einschlägigen Verse lauten nach Mahn, Gedichte 1254 und 1255 (= C und B):

aquilh[a] gens fradelha,

(jue sei clergues o man,

iran

barreiar Tudelia

e * I Puej e Monferran.

Eine Plünderung von Tudela in Navarra glaubt Fahre in den Jahren 1238 und 1239, als König Thibaut daselbst 150 Menschen wegen Ketzerei verbrennen ließ, annehmen zu müssen.^) Aber ein Ketzergericht ist keine Plünderung, und was ging unseren Dichter Navarra an? Viel eher dürfte es sich um Tu- delle im Departement du Gers, arrondissement Auch, canton Vic-Fezensac handeln, das im Jahre 1212 von den Feinden der Albigenser tatsächlich geplündert wurde, w^ie der Chronist Petrus Vallium Sarnai erzählt:^) „Post paucos autem dies, pro- peraverunt nostri ad obsidendum quoddam castrum in Albiensi diocesi, quod dicitur Tudelle, et erat patris Giraldi de Pepios illius pessimi traditoris. Impugnantes autem nostri castrum post paucos dies illud ceperunt, et fere omnes in ore gladii interfecerunt." Was nun Le Puy betrifft, so liegt es nahe, an die blutigen Kaufereien zu denken, die zwischen dem Bi- schof Robert de Meung und den Feudalherren der Gegend,

1) Gedichte der Troub., Tübingen 1855, S. 322.

2) Annales du Midi, XXI (1909), S. 23, Anm. ^j Kecueil des histor. des Gaules, XIX, S. 58.

Peire Cardinal 187

dem Vizegrafen von Polignac, den Herren von Montlaur und von Mercoeur, in Stadt und Land während des ganzen zweiten Jahrzehnts des 13. Jahrhunderts getobt haben und deren wilde Geschichte erst noch zu schreiben wäre; denn die ebenso blasse als phantastische Darstellung dieser Ereignisse im vierten Band der Histoire du Velay von Francisque Mandet (Le Puy 1861) kann heute nicht mehr genügen. Bischof Robert gehörte zu den unversöhnlichsten Feinden des Grafen von Toulouse und zu den grimmigsten Verfolgern der Albigenser. Als er vom lateranischen Konzil des Jahres 1215 nach Le Puy zurück- kehrte, soll er erklärt haben ich zitiere nach Mandet IV, S. 27 : „Tout m'est permis, tout m'est impose pour etouffer jusque dans son germe le monstre qui desole les provinces voi- sines." Hinter den Glaubenskämpfen aber standen wirtschaft- liche und politische Interessen, denn es ging um den Gewinn, den die Pilgerfahrten nach Notre Dame du Puy abwarfen und um die weltliche Oberhoheit im Velay. Sollte Esteve nicht ein Werkzeug des streitbaren Bischofs Robert gewesen sein, der am 21. Dezember 1219 von einem Ritter, den er ex- kommuniziert hatte, ermordet wurde? Montferrand im Arron- dissement Castelnaudari ist schon in den ersten Jahren der Albigenserkriege zweimal von den Kreuzfahrern erobert wor- den. Die erste Belagerung, 1211, wird uns ausführlich im Albigenserepos (Vers 1641 1690) und summarisch in der Chronik des Petrus Vallium Sarnai (cap. LIV) erzählt. Noch in demselben Jahre scheint der Graf von Toulouse die Feste Montferrand zurückgewonnen, im Frühjahre 1212 sje aber auch schon wieder verloren zu haben.*)

Wenn nun Cardinal von den Freunden und Werkzeugen geistlicher Herrschsucht, von der gens fradelha höhnend sagt, daß es nur eines Winkes der Pfaffen bedürfe, um diese Leute zum Angriff gegen Tudelle, Le Puy und Montferrand zu treiben, so hat er dabei Erinnerungen an Ereignisse des Albigenser- krieges, besonders der Jahre 1211 und 1212 im Sinne, nicht,

^) Chanson de la Croisade, Vers 1988, 2232 und 2360.

188 G. AMiiindlun^': K;irl Vosgler

wie FjibiL' luöi'lite, Ereignisse der Jahre 12)ib iimi lliliÜ. Audi nach Stil und Stimmung passen die Esteve -Lieder besser in das zweite als in das vierte Jahrzehnt. Mit Sicherheit freilich liifjt ihre Entstehungszeit sich niclit bestimmen.

X.

Die Tenzone über den Wert von ^Ja" und „Nein": Peire dd Fuei, li trohador,^) in die sich Cardinal durch einen Herrn Aimeric hat verwickeln lassen, verdient kaum, daß man um ihre Datierung sich bemüht. Die Schluüstrophen geben dazu nur unbestimmte Anhaltspunkte. Cardinal ruft zur Verteidi- gung des „Ja" den „guten Herrn" Ugo del Baux auf und überläßt es seinem Gegner, sich für das „Nein" einen Kaimon oder Bertran oder Pero zu wählen, w^omit er vielleicht nur landläufige Namen, keine bestimmten Persönlichkeiten geben wollte. Aimeric erwidert, daß das Schiedsgericht in der Pro- vence durch Herrn Blacatz gehalten werden soll, worauf Car- dinal von neuem an Hugo appelliert. Dieser Hugo von Baux und Vizegraf von Marseille hat 1173—1240, also so lange re- giert, daß für unsere Zwecke nicht viel mit ihm anzufangen ist. Wenn Herr Blacatz derselbe ist, den Sordello in seinem berühmten Sirventes beweint hat und der nicht lange vor 1240 gestorben sein dürfte,^) so gewinnt man damit keinen neuen Terminus ad quem. Man muß sich also mit der Gewißheit begnügen, daß das Streitgedicht vor 1240 entstanden ist. Nach 1240, scheint mir, hat Cardinal überhaupt nicht mehr gesungen.

XL

Die Frage, in welcher Weise Cardinais Kunst auf die weitere Entwicklung der provenzalischen Dichtung gewirkt hat, ist heute noch nicht spruchreif. Es läßt sich erwarten und ist an einzelnen Beispielen auch schon nachgewiesen worden, daß Cardinal auf bürgerliche, geistliche und meistersingerliche Di-

1) Bartsch, Denkmäler der provenzal. Literatur, S. 134 flF. u. Mahn, Gedichte, 1015.

2) Siehe De Lollis. Vita e Poesie di Sordello, Halle, S. 37 ff., Anni. 1.

Peire Cardinal 189

daktiker der Spätzeit, insbesondere der toulousanischen Schule, auf Verseschmiede wie Bertran Carbonel und Raimon de Cor- net einen starken Eindruck gemacht hat. Die Herausgeber ihrer Sprüche und Lieder, Bartsch, Jeanroy und Chabaneau haben auf augenfällige Berührungspunkte schon mehrfach hin- gewiesen.^) Eine Reihe der in Bartschs Grundriß Nr. 461 unter Anonyma aufgeführten Coblas ist dem Cardinal oder unmittel- baren Nachahmern Cardinais zuzuschreiben. Es handelt sich um die Stücke 8, 11, 15, 30, 53, 55, 79, 84, 96, 112, 115, 119, 155, 182, 236, 238, 244. Andere sind Einzelstrophen aus Cardinais Sirventesen:

461, 25 = 335, 11, Str. 3

461, 46 = 335, 17, Str. 5

461, 71 = 335, 40, Str. 2

461, 99 = 335, 13, Str. 3 ff.

461, 153 = 335, 6, Str. 6

461, 168 = 335, 59, Str. 2

461, 199 = 335, 43, Str. 5 (?)

461, 225 = 335, 53. (??) Mit Cardinais problematischem Sirventes Nr. 37 bzw. 16 hängt die von P. Meyer, Les derniers troub. (1869), S. 518, veröffentlichte Cobla

Ges de poder non parton per egual nach Metrum, Reim und Gedankengang zusammen. Auch die anderen an jener Stelle herausgegebenen Coblas erinnern an Cardinais Geistesart.

Bei dem sentenziösen Stile Cardinais ist es natürlich, daß Matfre Ermengau sich einige Zitate für sein Breviari d'amor aus unseres Dichters Sirventesen geholt hat, so z. B. aus den Sirventesen Nr. 6, Nr. 50 und Nr. 54.

Weiterhin diesen verstreuten Spuren nachzugehen, wäre Sache einer Geschichte der provenzalischen Spruchdichtung.

*) Bartsch, Denkmäler der provenzal. Literatur, Anmerkungen zu S. 5 26 passim. Jeanroy, Les „Coblas" de Bertr. Carb. in den Annales du Midi, XXV (1913) und Chabaneau (Noulet), Deux Mss. prov., Mont- pellier-Paris 1888.

1 »'v G. Alihandluug : Karl Vossler

Xll.

Mit Hilfe der Lesarten von I)^, die Giulio Bertoni mir vermittelt hat, kann ich das von Bartsch nach T veröffent- lichte Lehrgedicht (Denkmäler der provenzalischen Literatur, S. 139 141) in verbesserter Textgestalt gehen.

Peire Cardinal.^)

De paraulas es granz mercatz,

et ieu soi de parlar logatz:

per qu'es drech que viutat en fassa,

car lenga logada non lassa. 5 Mas li genz mena aital nauza

capenas enguns i repauza:

Tuns conseilla e Tautre clama,

Tuns dis: Seinhor! e Fautre: Dama!

Tuns maldis e l'autre folia, 10 Tuns dis: No sia! Fautre: Si sia!

Can Funs plora: e Fautre ri,

Funs quer aigua e Fautre vi,

can Funs encaussa, Fautre fui,

can Funs seca: e Fautre brui. 15 E qui parla en aital bruda,

aco es paraula perduda,

e perduda, es eissamen

paraula, cant hom no Fenten.

C'aitan valria mantas ves 20 c'om a las parez o disses.

*) Pere Cardenal D. Die Verfasserschaft Cardinais, die Bartsch noch bezweifelt hat, darf als gesichert gelten.

1. gran uiltat 1). 2. E ensui d. p. loiat D. 3. P ques dreit que uiltat est falsa D. Per so qu'es T. 4. Que 1. löiada 1). 6. negus ireupaza D, irrepauza T. 7. siclama D, brama T. 8. Tuns menassa el autre clama T. 9. folleja ^. 10. Lautre di nosia, sisia D, Lautre diz non enaiasi vai T. 11. can plora T. 14. sicar D, si sella T. 20. o fehlt in D, dieises T.

21. Can an gaires homes que son I), Com a ganren de raes que son T.

22. apel lo ni. 7), aquelz per lo ni. T. Der Sinn ist offenbar: Auf wenige.

Peire Cardinal 191

Can n'a gaires d'omes que son, Cent d'aquelz a per lo mon: ( 1) can auran un comte auzit, ja no sabran que s'aura dit.

25 Et a ben talan de parlar qui ab aquelz si met contar. D'autres n'i a que * s fan sennat, c'an de reprendre voluntat et an so enpres per aital

30 que, digas ben o digas mal, enanz ora seras repres cais qu'ell es savis e cortes e gen parlans e sap ganre, mas negun hom non au ni ve.

35 E mantas ves a mais de sen le repres c'aquel qui repren. Tals cuja reprendre autrui que l'autre pot reprendre lui, mas en aiso son tuch obrier,

40 que cascuns fa de so mestier.

Homs mals quar fa sa malvestat CO * 1 bons, si fazia bontat le bons escouta per aprendre: e 1 mals per talen de reprendre.

45 Le bons escouta et enten per aital bon entendemen, si auzira moutz ditz de ben, que aquel apren e reten. E'l mals homps si met en escout,

50 si auzia dire mal mot.

die sprechen, kommen hundert, die nicht verstehen. 24. com saura dit D, ditz T. 26. aques met* contar 1), aquelz si met parlar T. 28. Can derepente D, Can repenre T. 30. diia^ be odiia m. D. 31. avant ora seres r. D. Qu'enanz T. 33. Et es p. e. s. ganren T. 34. Mais negus hom D. Mas denguns homps n. a. ni uen T. 35. Que T. 39. obreit D. 40. Chau-

1«'^ (i. Abbantlluiig: Karl VowHler

Cant la us nienaii gran gangalia,

e non es ges qu'azir e palia!

Et siquis dui fan que cortes,

car quascuns pren so que sieu es; 55 que'l bons s'en va ab sos bos motz

e laiss'estar los avols totz,

e 1 mals s'en va ab so niot mal,

si ren a bona, non li ' n cal,

que semblans es a barutel: 60 reten lo lach e laissa " 1 bei

e laissa en passar la flor.

E que i retenra? la pejor!

De so qu'au dire, ieu enten

qu'el laissara la flor per ben.

t das fai de somesteir D, son mestier T. 41. Lo mals can fai D, quan T.

42. fazia korrigiert aus faria U. 43. und 44. fehlen in D. 46. Per aital

bon entendemen D, fehlt in T. 47. Si auzira dir mout de be i), si auzia

mot ditz de ben T. 48. E aquel apren e rete D. 49. 50. El mals hom

simet enescolto. Si auzira dire bomot D. 51. E can lau menä 1), mena

grangnanguallas 2\ 52. chazeir en palia D, quazich e palla T. Vielleicht

ist empacha zu lesen. 54. senes D. 55. ab lobo mot D. 56. E laissa istar

laltre tot 1). 57. ab lo mot mal D. 58. Escrei abo no lienchal D, E si

res al bon non lin quäl T. 59. Barut el T. 60. Querete ades lodalbel T>,

ellaissal ben T. 62. E qui retenra la melior 2), E qui rentral la pejor T.

63. dire eenten Z), aus dire T 64. p bren D.

\

Peire Cardinal

193

Nachweis der erörterten Gedichte.

(Die Nummern nach Bartschs Grundriß 335.)

1. Ab votz d'angfel

Aissi cum hom plaing

AI nora del seignor dreiturier

Anc mais tan gen

Anc no vi Breto

6. Aquesta gens quan son

7. Ar mi posc eu lauzar

8. A totas partz vei mescl'ab avareza

9. Atressi cum per fargar

10. Bei m'es qu'ieu bastis

11. Ben teing per fol

12. Be volgra, si Deus

13. Caritatz es en tan bei

14. Gel que fe tot

15. Dels quatre caps

16. De cels qu'avetz

17. De sirventes faire

18. De sirventes soill servir

19. D'Esteve de Belmon

20. D'un sirventes far

21. (D'un) sirventes qu'es mieg mals

22. (El mon non a leo) = 68

23. En Peire, per mon chantar bei

24. Eu trazi peitz que si portava queira

25. Falsedatz e desmezura

26. Ges no me sui de mal dir ca- stiatz

Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1916, 6.

Besprochen auf Seite: 68, 132, 165 16, 25, 105 28, 33, 38, 45, 153 12, Anm.

35, Anm., 123, 169 6, 173 5, 13 15

35, Anm., 40, 119, 123 28, 44, Anm. 5

39, 114 9

84, 145 64

60, 70, 138 ff. 20, 27, 143 26, 28, 140, 181 12, 85, 119, 122 11, Anm. 16 135 ff., 183

8, 16, 23, 86, 143 39, 73, 112, 153

43

Abb.

13

1^1 G. Abhundlunj,': Karl Vossler

besprochen auf Seite:

27. lezu Crist, nostre salvaire 11, Aiini., 21, Anm., J^6,

45, 59, r,l. f;r,, 70 f., 75. 87, 159

28. I/afar del conite 09, 93, 130 f.

29. L'arcivescjues de Narbona 13, 89 fl'.

30. Las amairitz 21, Anm., 33

31. Li clerc se fan pastor 54, 132, 142, 179

32. Lo jorn qu'eu fui natz 17. 40. -11. 112

33. Lo mons es aitals tornatz 15, 78 f.

34. Lo sabers d'est segle 17, 23, Anm., 76, 153

35. Lo segle vei camjar 3

36. Maint baro ses lei 27

37. Mon chantar voill 30, 83, Anm., 138ff., 182

38. (No cre que mos ditz) = Ja non

vuoil mos digz 16, 73

39. Non es cortes 22, 37 f.

40. Per fols tenc Poilles 12, Anm, 74, 101 4L Pos ma boca 15, 170

42. Predicator 11, Anm., 35, Anm., 36,

72, 74, 79 f., 160

43. Quais aventura 42, 162

44. Qui-s vol tal fais 35, Anm., 123, 184

45. Qui ve gran maleza 17, 25, 42, 169

46. Qui vol aver 17 f.

47. Qui volra sirventes 83, Anm., 132, 143, 154

48. Razos es qu'eu m'esbaudei 105

49. Ries hom que greu ditz 18, 143

50. S'eu fos amatz 6

51. Si tot non ay joy 29

52. Tals cuia be 44, 181

53. Tan son valen vostre vezi ( =

Seigner N'Eble, vostre vezi) 35, Anm., 124 ff., 144

54. Tan vei lo segle 133, 172

55. Tartarassa ni voutor 20, 66, Anm., 153

56. Tendatz e traps 11, 110

Peire Cardinal Ido

Besprochen auf Seite :

57. Tostemps azir 12, Anm., 18, 170

58. Tostemps vir cuidar 35, Anm.

59. Tostemps volgra'm vengues 86

60. Tot (enaissi) atressi 35, Anm., 71, 88, Anm.,

140, 158

61. [A] tot farai una demanda 40, 185

62. Totz lo mons 163, Anm, 68. Un decret fauc 80 f., Ulf.

64. ün estribot 61, 182, 157

65. Un sirventes ai en cor 12, 119, 120

66. Un sirventes fauc 35, 185

67. Un sirventes novel 46

68. Un sirventes trametrai 7, 12, 119fiP., 122, 186

69. Un sirventes vuelh far 43, 130

70. Vera vergena Maria 61.

Cardinal gehörig sind ferner:

De paraulas es granz mercatz S. 21, Anm., 32, 151, 190 Peire del Puei, li trobador (Tenzone Aimerics mit Cardinal)

S. 138, 188 Una ciutatz fo, no sai cals S. 147 ff.

Vielleicht auch:

Ben volgra si far si pogues S. 50

Tot aissi soi desconselhatz S. 135 f., Anm., 171 f., Anm.

Über die Coblas esparsas siehe Anhang XI.

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