Pas“ Mr Br Ber Zt { S Wan er 1% Bi 2 Sr WERT ALLEIN GGF LK SR RUR a ANBERD BENANNT NETZE RN INNE NEE NIE MANN RR Ka! NEN LTaReN BRILN Ma KEN Er IRA RN N Aa Y BG nk UNdE NEN NEN AN al ) a, 3 [ % IRA ot y iin SH N AU I ARSR PM AH END Be URL NE RER TERN SU RN IR aa) Y Y 18 & Ra NO. LEN EABART = \ BR NR RRERE RI NEIN EM TEOL MIE HUN? s IRRE PION EAN EUR j AukaH N RR INA. BLAUEN NEUN IHN A NUR AS en. NS Pe des DINUHRRUFE ER oa Ha ‚Al N AN RNEERE) Ela Hay Rn EHE ARHLARNGS ANY an Re. v KUN BRENNEN CHE ERICH R NEHMEN f b An 5 h ' N UN AU HE } MANS AN Kar N N Kalte Ir f oh aan EN TERN Na 3 4 AR PFLÜGER" ARCHIV FÜR DIE GESAMMTE PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE. HERAUSGEGEBEN VON MAX VERWORN PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE UND DIREKTOR DES PHYSIOLOGISCHEN INSTITUTS DER UNIVERSITÄT BONN UNTER MITWIRKUNG VON PROF. BERNHARD SCHÖNDORFF IN BONN. BAND HUNDERT UND DREIUNDDREISSIG. MIT 18 TAFELN UND 103 TEXTFIGUREN. 3. BONN, 1910. VERLAG VON MARTIN HAGER. Eirı ‚37° Inhalt. Erstes, zweites und drittes Heft. Ausgegeben am 18. Jumi 1910. Über Entwicklungs- und Wachstumsgesetze. Von Wolfgang Ostwald. Über das Farbenunterscheidungsvermögen der Fische. Von Vietor Bauer. (Aus der physiologischen Abteilung der zoologischen Station zu Neapel) Hoden- und Övarialinjektionen bei Rana fusca-Kastraten. Von W. Harms. (Mit 9 Textfiguren.) (Aus dem biol. Labora- torium der Universität Bonn) Zur Frage über die Erregbarkeit der motorischen Zentra in der Hirnrinde neugeborener Säugetiere. Von Sergius Michailow. (Mit 23 Textfiguren.) (Aus dem physio- logischen Laboratorium der psychiatrischen und Nerven- klinik zu St. Petersburg) . Die Entwicklung der Pupillen- und anderer Augenreflexe bei neugeborenen Säugetieren. Von Sergius Michailow. (Mit 1 Textfigur.) (Aus dem physiologischen Laboratorium der Klinik für Geistes- und Nervenkrankheiten zu St. Peters- burn e, Über das Verhalten des Phlorizins nach der Nierenexstirpation. Entgegnung zu dem gleichnamigen Aufsatze von Erich Leschke. Von Privatdozent Dr. K. Glaessner und Privatdozent Dr. E. P. Pick. (Aus der chemischen Ab- teilung des k. k. serotherapeutischen Institutes in Wien) Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand, Leitungs- widerstand und Propagationsgeschwindigkeit für elektrische Stromstösse bei den Nervenfasern im Corpus callosum des Rindes.. Von G. F. Göthlin, Upsala. (Mit 1 'Textfigur Ur HTE tel) ee | Se Rt NR Seite 45 71 82 87 IV Inhalt. Radiologische Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Austreibungszeit des normalen Magens und Hungergefühl. Von Dr. Martin Haudek, Assistent am Röntgen- Institut des Allgemeinen Krankenhauses, und Dr. Robert Stigler, Assistent am physiologischen Institut der Uni- versität Wien. (Mit 3 Textfiguren) . Viertes, fünftes und sechstes Heft. Ausgegeben am 14. Juli 1910. Über das allgemeine Gesetz der Erregung. Von J. L. Hoorweg Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination. Von Dr. Carlo Foäa, Dozent und Assistent. (Mit 16 Text- figuren.) (Aus dem Institut für Physiologie der Universität Turin) . : Beitrag zur Kenntnis der Rumination. Von Dr. A. Aggazzotti, Dozent und Assistent. (Mit 8 Textfiguren.) (Aus dem Institut für Physiologie der Universität Turin) Über den Einfluss von Curare auf die Verdauungsdrüsen (Speicheldrüse, Pankreas) und die Gerinnungsfähigkeit des Blutes. Von Fr. Czubalski, Assistent des Institutes. (Aus dem Institut für experim. Pharmakologie der Uni- versität Lemberg) Eine Methode, die elektrische Leitfähigkeit im Innern von Zellen zu messen. Von Rudolf Höber. (Mit 7 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Kiel) . Untersuchung erregbarer Nerven bei Dunkelfeldbeleuchtung. Von Rudolf Höber. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Kiel) . 2 2 Chlorschwankungen im Organismus des Wetterfisches (Cobitis fossilis) je nach dem Chlorgehalt des Mediums. Von D. Calugareanu. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Bukarest) Über die Wirkung schwacher elektrischer Doppelreize auf die quergestreifte und glatte Muskulatur des Frosches. Von stud. med. Siegfried Levinsohn. (Mit 7 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Strassburg) Beitrag zur Lokalisation der Funktionen des Kleinhirns. Vor- läufige Mitteilung. _ Von A. Lourie, Berlin .. Seite 145 171 201 237 254 260 267 282 Inhalt. Untersuchungen über den Sexualeinfluss auf die Bluttemperatur der Vögel. Von Tierzuchtinspektor Dr. Löer Über die Identität des blutdrucksenkenden Körpers der Glandula thyreoidea mit dem Vasodilatin. Von Privatdozent Dr. Georg Modrakowski. (Hierzu Tafel II und II.) (Aus dem Institut für experim. Pharmakologie der Uni- versität Lemberg) Untersuchungen über reizlose vorübergehende Ausschaltung am Zentralnervensystem. I. Mitteilung. (Vorläufiger Bericht.) Von Prof. Dr. Wilhelm Trendelenburg, Assistent am Institut. (Aus dem physiologischen Institut der Uni- versität Freiburg ı. B.) Siebentes, achtes, neuntes und zehntes Heft. Ausgegeben am 26. Juli 1910. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. Die elektromotorischen Wirkungen des Musculus retractor penis im Zustande tonischer Kontraktion. Von Dr. med. E. Th. v. Brücke, Privatdozent und Assistent am Institute. (Mit 5 Textfiguren und Tafel IV und V.) (Aus dem physiologischen Institute der Universität Leipzig) Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. lI. Die Aktionsströme der Uretermuskulatur während des Ablaufes spontaner Wellen. Von Dr. med. Lewon Or- beli, St. Petersburg, und Dr. med. E. Th. v. Brücke, Privatdozent und Assistent am Institut. (Mit 6 Textfiguren und Tafel VI und VII.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Leipzig) . Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn auftretende Basen. Von K. Takeda. (Mit 9 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institut [physiol.-chem. Abt.] der Universität Marburg) Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe des tierischen Organismus, insbesondere ihren Wassergehalt. Von Heinrich Gerhartz. (Mit 4 Text- figuren.) (Aus dem tierphysiologischen Institut der kgl. landwarklochsehule zu’ Berlin) 2. . „En... Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. IH. Über den Einfluss des Vagus und des Sympathieus 305 313 341 397 vi Inhalt. auf die Tonusschwankungen der Vorhöfe des Schildkröten- herzens. Von Dr. med. Soroku Oinuma aus Tokio. (Mit 3 Textfiguren und Tafel VIla.) (Aus dem physio- logischen Institut der Universität Leipzig) . a Elftes und zwölftes Heft. Ausgegeben am 30. Juli 1910. Einfluss verschiedener Labmengen und verschiedener T’em- peraturen auf die Gerinnung der Milch und auf die mikro- skopische Struktur der Kasein- und Fibringerinnsel. Von cand. med. Richard Bräuler aus Aachen. (Mit 4 Text- figuren und Tafel VIII und IX) . " Deutung des Elektrokardiogramms. Von Prof. Dr. Aug. - Hoffmann. (Hierzu Tafel X—XIIL) (Aus der akademi- schen medizinischen Klinik zu Düsseldorf) . Störungen der Herztätigkeit durch Glyoxylsäure (Pulsus alternans) im Elektrokardiogramme. Von Privatdozent Dr. R. H. Kahn und Dr. E. Starkenstein. (Hierzu Tafel XIV—XVIl) (Aus dem physiologischen und dem pharmakologischen Institute der deutschen Universität in Prag) Re 3 5 Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme. Von Privat- dozent Dr. R.H. Kahn. (Mit 2 Textfiguren und Tafel XVII.) (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität In. Prag), ne, Ey N a es Seite [br I oo 597 Über Entwicklungs- und Wachstumsgesetze. Von Wolfgang Ostwald. Unter einem ähnlichen Titel hat vor einiger Zeit H. Frieden- thal!) in der Berliner Physiologischen Gesellschaft eine kritische Untersuchung der bisher aufgestellten Gesetzmässigkeiten der bio- logischen „Wachstumsvorgänge“ mitgeteilt, eine Betrachtung, die sich auch auf eine 1908 erschienene Broschüre des Verfassers erstreckt ?). Die Lektüre des im Zentralbl. f. Physiol. erschienenen Referates über diesen Vortrag hat den Verfasser in Staunen versetzt. Der Grund für diese Empfindung liegt nicht oder doch erst in durchaus zweiter Linie in den abweichenden Ansichten des Vortragenden; dies sei hervorgehoben. Vielmehr hat der Verfasser die Ansichten, die ihm von H. Friedenthal als eigen zugeschrieben worden sind, kaum wiedererkennen können, da die gemachten Angaben nicht nur den Schlussfolgerungen der zitierten Arbeit nicht entsprechen, sondern in mehreren wichtigen Punkten ausgerechnet das Gegenteil von ihnen besagen. Ich bitte, dies auf den folgenden Zeilen dartun zu dürfen, namentlich darum, da einige der mir zugeschriebenen Schlüsse etwas ungewöhnlich sind. H. Friedenthal zählt zunächst meine Arbeit zu denjenigen drei neueren Untersuchungen (M. Rubner, T. B. Robertson, Wo. Ostwald), „welche, von ganz verschiedenen Gesichtspunkten aus unternommen, durch eine ganz einfache mathematische Formel die Gesamtheit der Wachstumsvorgänge zu umfassen und zu be- herrschen erlauben sollen“. Demgegenüber bitte ich hervorheben zu dürfen, dass in meiner ganzen Arbeit von 71 Seiten nicht eine einzige Berechnung irgendeines Wachstumsprozesses vorgenommen worden ist, ja, dass ich nicht einmal die allgemeine 1) H. Friedenthal, Zeitschr. f. Physiol. Bd. 23 Nr. 16. 1910. 2) Wo. Ostwald, Über die zeitlichen Eigenschaften der Entwicklungs- vorgänge. Roux’ Vorträge über Entwicklungsmechanik 1908, H.5. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. ı 9 Wolfgang Ostwald: algebraische Form irgendeiner Gleichung für irgendeinen Wachs- tumsprozess angegeben habe. Offenbar verwechselt Friedenthal die Definitionsgleichungen der Geschwindigkeit, die zur Auf- stellung irgendeiner zeitlichen Funktion stets nötig sind, mit voll- ständigen Vorgangsgleichungen. Es finden sich nämlich zur Er- läuterung der graphischen Darstellung von Entwicklungsvorgängen Gleichungen wie = — f oder f’ usw. Der Ausdruck f oder f’ be- deutet aber eine beliebige, noch aufzustellende Funktion der Ge- schwindigkeit, und gerade über diese Funktion, welehe also erst die betreffende Wachstumserscheinung darstellen würde, habe ich aus wohlerwogenen Gründen geschwiegen. Ich habe also gerade keine Formel, geschweige denn „eine ganz einfache“ für „die Gesamtheit der. Wachstumsvorgänge“ angegeben, es sei denn, dass Frieden- thal die Gleichung : Geschwindigkeit — f für eine solehe ansieht. Die Angemessenheit der letzteren auch für „alle“ Wachstumsvorgänge wird mir Friedenthal vielleicht zugestehen. Der Vortragende fährt fort mitzuteilen, dass ich „eine Reihe von Wachstumserscheinungen verfolge, allerdings ohne eine Definition für Wachstum im wissenschaftlichen Sinne aufzustellen“. Darf ich fragen, in welch anderem „Sinne“ die auf S. 7 und 8 meiner Schrift angestellten Erörterungen über die Arten der Entwicklunges- und Wachstumsvorgänge aufzufassen sind ? Es heisst weiter: „O. zieht aus der Betrachtung der Kurven den Schluss, dass alles Wachstum in S-Kurven erfolgt.“ (Die Sperrung des Wortes „alles“ rührt von mir her. ©.) Wie Frieden- thal diesen Schluss aus meiner Arbeit herauslesen kann, ist mir unerfindlich. Zunächst habe ich hervorgehoben (S. 8), dass nur eine beschränkte Zahl von Entwicklungsvorgängen bisher kinetisch unter- sucht worden ist, und dass (8. 35) nur die hier. vorgeführten Vor- gänge gemäss dem „S-Typus“ verlaufen. Sodann fahre ich fort: „Ich will aber nicht in Abrede stellen, dass vielleicht (progressive) Ent- wicklungsvorgänge gefunden werden können, welche nach einem anderen Zeitschema verlaufen.“ Ich habe aber noch eine weitere Einschränkung vorgenommen, insofern als ich darauf aufmerksam machte, dass man zweckmässig zwischen progressiven und re- gressiven Wachstumsteilvorgängen unterscheiden müsse; nur für die ersteren gilt, soweit das mitgeteilte Versuchsmaterial es zeigt, die S-Form. Die regressiven Wachstumsvorgänge treten auf z. B. Über Entwicklungs- und Wachstumsgesetze. 3 bei der Metamorphose des Frosches, der Insektenlarven und in be- sonders typischer Weise bei der Entwicklung des Aales; sie bestehen z. B. in Gewichtsabnahme usw. Ich habe einen ganzen Ab- schnitt (V) für die Diskussion dieser offenkundig nieht nach dem normalen S-Typus verlaufenden Wachstumsprozesse verwandt und habe zur möglichst deutlichen Demonstration dieses Unterschiedes eine besondere photographische Tafel der Aalentwieklung beigelegt, die Friedenthal vielleicht verkehrt. betrachtet hat. Auf S. 36 meiner Arbeit heisst es dementsprechend: „Dass übrigens nicht alle!) Einzelheiten der Entwicklung von dieser Gesetzmässigkeit beherrscht werden, zeigt schon das Vorhandensein regressiver Teil- vorgänge.“ Friedenthal fährt fort: „Da eine grosse Reihe von auto- katalytischen Prozessen durch S-Kurven sieh wiedergeben lässt ?), sieht O. in den von ihm gelieferten Kurven den Beweis, dass Wachs- tum ein autokatalytischer Prozess ist; wie er vermutet, bedingt durch autokatalytisch beschleunigte Synthese von Kernmaterial.“ Dieser Satz ist in der Tat das genaue Gegenteil von dem, was in meiner Arbeit steht, da ich nämlich gerade vor einer Identifizierung von Wachstum und Autokatalyse mehrfach auf das nachdrücklichste gewarnt habe. Da ich ferner diese scharfe Trennung zwischen autokatalytischen und anderen Vorgängen beim Wachstum als einen der wichtigsten und charakteristischsten Punkte meiner Untersuchung ansehe, und da die Verkehrung in sein Gegenteil von Friedenthal infolgedessen einer besonders starken Entstellung meiner Ansichten gleichkommt, so bitte ich, einige Originalstellen wörtlich zitieren zu dürfen: S. 36. „Es ist vielleicht nicht unzweekmässig, Vorgänge, welche die angegebenen zeitlichen Eigenschaften, die „S-Form“, haben, mit einem besonderen Namen zu bezeichnen, da die Beschreibung dieser Eigenschaften bei häufigem Gebrauch etwas umständlich ist und andrerseits in der Kinetik der Entwicklung, wie ersichtlich, vielfach von diesem Vorgangstypus Gebrauch gemacht werden muss. In der allgemeinen Chemie bezeichnet man die häufigste und bekannteste Klasse beschleunigter Vorgänge als katalytische Reaktionen, sich selbst beschlennigende Reaktionen, welche also mit kleinen Ge- 1) Auch im Original gesperrt. 2) Ich bitte Friedenthal mir experimentelle Fälle von Autokatalysen zu nennen, welche nicht gemäss der S-Kurve verlaufen. 1 E 3 4 Wolfgang Ostwald: sehwindigkeiten anfangen, ihre Geschwindigkeit bis zu einem Maximum vergrössern, dann allmählich abklingen, als autokatalytische. Nun sind aber die Entwicklungsvorgänge nicht so ohne weiteres und ausschliesslich den chemischen Vor- sängen gleichzusetzen, und ein autokatalytisches Längenwachstum z. B. wäre eine ganz verfehlte Be- griffsbildung. Wir haben daher einen allgemeineren Namen zu wählen, und ich schlage vor, allgemein Vorgänge, welche eine Be- schleunigung erfahren, als katakinetische, solche aber, die sich in der angegebenen Weise selbst beschleunigen, als autokata- kinetische Voreänge zu bezeichnen. Ich hebe hervor, dass diese Namen keinerlei Voraussetzungen über die Natur dieser Vorgänge enthalten, sondern sich nur auf die zeitlichen Eigenschaften beziehen.“ — Man sieht, dass ich von der Nichtidentifizierbarkeit von Autokatalyse und Wachstum so durchdrungen war, dass ich zur besseren Unterscheidung sogar zwei neue Namen vorschlug. Dann heisst es (8. 37): „Es interessiert uns zu wissen, welcher Art im einzelnen die auto- katakinetischen Vorgänge sind, welche die Entwicklung zusammen- setzen, und insbesondere ob und inwieweit sich autokatakinetische physikalisch- chemische und chemische Vorgänge im Entwieklungs- geschehen isolieren und wiedererkennen lassen. — Bei näherer Be- trachtung erscheinen besonders zwei Gruppen von Zeitvorgängen der Entwicklung einer derartigen Analyse zugänglich.“ Unter die erste Gruppe zählte ich die Wasseraufnahme wachsender Organismen und versuchte einen theoretischen Vergleich mit einer „autokatakinetischen Quellung“, d. h. jedenfalls nicht mit einer chemischen autokata- lytischen Reaktion. „Sodann möchte ich auf eine andere Gruppe von Teilvorgängen der Entwicklung hinweisen, welche aus natürlichen Gründen einer Analyse in einfachere Wirkungsweisen am leichtesten zugänglich erscheinen. Es sind dies — Aufnahmen, Vermehrungen, Umsetzungen usw. bestimmter chemischer Stoffe (Stickstoff- vermehrung und CO;-Ausscheidung der Seidenraupen, postembryonale Fettvermehrung des Karpfens, Kohlensäureausscheidung und Sauer- stoffverbrauch der Weizenkeimlinge und insbesondere Chromatin- vermehrung bei der Zellteilung usw.“ Nach Hervorhebung der grossen Rolle fermentativer, d. h. katalytischer Prozesse in der Physio- logie des Stoffwechsels und damit auch des Stoffansatzes, folgere ich: „Es ergibt sich damit die Aussicht, wenn nicht geradezu die Wahr- Über Entwicklungs- und Wachstumsgesetze. 5 scheinlichkeit, dass zunächst die einfachen chemischen!) Teil- vorgänge der Entwicklung als autokatalytische erkannt und definiert werden können.“ Diese Beschränkung in der Anwendung des be- grifflichen Hilfsmittels der Autokatalyse nur auf chemische Teil- vorgänge der Entwicklung, noch dazu in konditioneller Form, ist also in der Tat das Gegenteil von den Ansichten, die mir Friedenthal zuschreibt. Ich bin aber noch weiter gegangen und habe im Gegensatz zu T. B. Robertson darauf hingewiesen, dass selbst eine rechne- rische Übereinstimmung von Wachstumsprozessen mit den Gleichungen der Autokatalyse nicht dazu genügt, einen Entwicklungsvorgang als autokatalytischen zu charakterisieren. S. 41: „Indessen ist — viel- leicht zur Vorsicht zu raten und zu betonen, dass aus der Über- einstimmung der zeitlichen Eigenschaften der Vorgänge mit denen der Autokatalyse nieht ohne weiteres und mit Sicherheit geschlossen werden darf, dass die betreffenden Entwieklungsvorgänge autokata- Iytische sind. Zunächst wurde schon darauf hingewiesen, dass es ersichtlich widersinnig ist, das Längenwachstum z. B. eines Bambus- sprosses gemäss der Wilh. Ostwald’schen Formel für die Auto- katalyse zu berechnen (obgleich eine solehe Berechnung sehr gut möglich ist), da eben die Länge eines Sprosses keine chemische Grösse oder ein direktes Maass für eine solche ist. Sodann aber gibt es zweifellos auch physikalisch-chemische und rein physikalische auto- katakinetische Vorgänge sowohl theoretisch als auch mit grosser Wahr- scheinliehkeit im Entwicklungsgeschehen, wie die obigen Bemerkungen zur Analyse der Wasseraufnahme wachsender Organismen zeigen. Es folgt aus diesen Erwägungen, dass die Möglichkeit, einen Ent- wicklungsvorgang gemäss der Formel für die Autokatalyse zu be- reehnen, allein nicht genügt, denselben als autokatalytischen zu präzisieren.“ (Siehe ferner die nochmalige Betonung dieses Satzes auf S. 68ff.) Richtig zitiert hat Friedenthal aber insofern, als er findet, dass das Robertson’sche Gesetz von der Symmetrie der Wachstumskurven (eine theoretische Konsequenz der einfachsten, aber bei weitem nicht einzigen autokatalytischen Geschwindigkeits- gleichung) nicht zutrifft; dies ist ausführlich von mir S. 68 ff. gezeigt worden. — Ein Eingehen auf weitere Einzelheiten würde nur eine weitere Niehtübereinstimmung der mir zugeschriebenen Ausichten mit meinen 1) Auch im Original gesperrt. 6 Wolfgang Ostwald: Über Entwicklungs- und Wachstumsgesetze. tatsächlichen Äusserungen zeigen. Als vollkommen unverständlich möchte ich nur noch den Satz hervorheben, dass ich „Wachstum mit Nukleinsynthese“ identifiziere. Ein derartiger Schluss liegt wirklich wieder in ausgesprochenem Gegensatz zu meinen, mit allergrösster Reserve gezogenen Folgerungen und kann von Friedenthal mit keinem einzigen Zitat belegt werden. Was nun die eigenen Anschauungen von Friedenthal an- betrifft, so wird zunächst z. B. jeden Pflanzenphysiologen die Kon- statierung bestürzen, dass „wir sehr wenig messende und vergleichende Betrachtungen von Wachstumserscheinungen besitzen“, und dass „die Geschwindigkeit des Wachstums zunächst durch Versuche festgestellt werden muss, was bisher in keinem Falle geschehen ist“. Ich habe allein in meiner zitierten Schrift 34 zum Teil doppelte und dreifache Tabellen über die verschiedenartigsten Wachstumsprozesse publiziert; diese Zahl wäre ohne Schwierigkeiten auf das Fünffache zu bringen. Dagegen stimme ich völlig überein mit Friedenthal, wenn er saet, dass erst nach Feststellung der Wachstumsgeschwindigkeiten versucht werden soll, „die beobachteten Erscheinungen, wenn es geht, dureh Schilderung einer Gesetzmässigkeit zusammenzufassen“. Ich darf diese Folgerung wohl als ein — diesmal richtiges — Zitat meiner Schrift auffassen, da es S. 7 heisst: „Es ist daher vorläufig vielleicht zweckmässiger, die zeitlichen Eigenschaften der verschiedenen Teilvorgänge der Entwicklung einzeln zu betrachten und nicht zu versuchen, durch einen Vorgang die gesamte Entwicklung zu charak- terisieren.“ Dagegen wieder nicht vermag ich der von Frieden- thal gegebenen „festen Definition des Wachstums“ zuzustimmen, welehe lautet: „Wachstum ist bei Zellwesen die Vermehrung der Masse an zellteilunesfähiger lebendiger Substanz.“ Oder wächst ein Knochen, eiu Gehörn, eine Muschelschale, ein Radiolarienskelett oder ein Kieselschwammgerüst nicht? (Aus der physiologischen Abteilung der zoologischen Station zu Neapel.) Über das Farbenunterscheidungsvermögen der Fische. Von Vietor Bauer. Von den verschiedenen Leistungen der Lichtsinnesorgane der Tiere ist das Vermögen der Farbenunterscheidung verhältnismässig eingehend untersucht worden. Auch für die Fische liegt eine Reihe von Arbeiten vor. Da sie sich jedoch in sehr verschiedenen Zeit- schriften zerstreut finden, kennt im allgemeinen keiner der Autoren die Untersuchungen seiner Vorgänger. So scheint es mir nicht un- gerechtfertigt, der Mitteilung meiner eigenen Resultate eine Übersicht des bisher Geleisteten vorauszuschicken. Die ersten Angaben verdanken wir, soviel ich sehe, Vitus Graber, welcher bei seinen Untersuchungen „zur Erforschung des Helliekeits- und Farbensinnes der Tiere“ auch die Fische in Betracht gezogen hat. Er benutzte die Fähigkeit zahlreicher Tiere durch aktive Bewegungen das Optimum der Helligkeit und Färbung in dem ihnen zur Verfügung stehenden Raume aufzusuchen. In einem Gefäss, dessen beide Hälften verschieden hell oder verschieden farbig beleuchtet wurden, zeigte sich diese Reaktion in einer Ansammlung der Tiere in der einen Hälfte. Mit dieser Methode konstatierte er in einer ersten Untersuchung !) (S. 126—132) bei den Süsswasserfischen Cobitis barbatula und Alburnus spectabilis eine Vorliebe für Dunkel gegenüber Hell, für Blau ohne Ultraviolett gegenüber Blau mit Ultraviolett, Rot gegen- über Grün und Grün gegenüber Blau (mit Ultraviolett). Zur Er- zeugung der farbigen Lichter wurden bunte Glasscheiben benutzt, welche keine reinen Spektralfarben lieferten. Die relative Helligkeit der Farben wurde mit dem (helladaptierten?) Auge beurteilt. 1) V. Graber, Grundlinien zur Erforschung des Helligkeits- und Farben- sinnes der Tiere. Prag und Leipzig 1834. g Victor Bauer: In einer zweiten Arbeit!) zog Graber auch zwei Meerfische, Gasterosteus spinachia L. und Syngnathus acus L. heran. Die Ver- suchsanordnung war dieselbe; nur wurde unterdessen die relative Helligkeit der farbigen Gläser etwas genauer bestimmt (Vergleichung der Helliekeit der punktförmigen Spiegelbilder, welehe von dem zu untersuchenden und einem in der Grösse abstufbaren Versleichslicht auf einem kleinen Kugelspiegel entstehen, mit dem [dunkeladap- tierten?] Auge. Die Methode ist von Aubert und Wheatstone angegeben worden. Genaueres siehe Graber 1885 1. e. S. 130). Bei dem Seestichling fand Graber ein sehr feines Unterscheidungs- vermögen für Helligkeitswerte, und zwar erfolgte die Reaktion in eleichem Sinne wie bei den Süsswasserfischen. Ausserdem wurde Rot dem Blau vorgezogen, selbst wenn sein Helligkeitswert als 12 mal grösser bestimmt war. Erst wenn dieses Rot mit einem 20 mal dunkleren Blau kombiniert wurde, trat ein Umschlag der Reaktion ein. Analoge (nieht im einzelnen mitgeteilte) Resultate erhielt er bei der Seenadel. In dieser einfachen Form sind die Graber’schen Versuche mancherlei Einwänden ausgesetzt. Die farbigen Gläser lieferten Mischlichter, und wenn auch bestimmt wurde, welche Strahlen- arten sie für unser Auge vorwiegend durchliessen, so ist damit nicht gesagt, dass sie den Fischen von gleicher oder ähnlicher Zu- sammensetzung erschienen; denn wir sind weder über die Grenzen des sichtbaren Spektrums noch über den relativen Helligkeitswert der einzelnen Spektralgebiete bei diesen Formen unterrichtet. Die Helligkeit der verwendeten Glaslichter wurde mit nicht sehr voll- kommenen Methoden bestimmt; besonders fehlt die Angabe, ob bei der Eichung der gleiche Adaptationszustand des Beobachters inne- gehalten wurde. Namentlich aber wird jede Bemerkung darüber vermisst, ob die Versuchstiere selbst vor dem Versuch im Dunkeln oder Hellen gehalten worden waren. Auch ist Graber’s Auffassung, dass aus seinen Versuchen auf Unterscheidung der Farbwerte ge- schlossen werden müsse, nicht zwingend. Denn auch unter der Voraussetzung, dass die Fische die ihnen gebotenen farbigen Lichter nur nach ihrer Helligkeit und nicht nach ihrem Farbwert beurteilten, 1) V. Graber, Über die Helligkeits- und Farbenempfindlichkeit einiger Meertiere. Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. in Wien, math. Klasse Bd. 91 Abt. 1 S. 129-150. 1885. Über das Farbenunterscheidungsvermögen der Fische. 10) wäre ihr Verhalten erklärbar. Es würde dann zeigen, dass ein unserem Auge relativ hell erscheinendes Rot für die Fische einen sehr viel geringeren Helligkeitswert gegenüber einem Vergleichsblau besitzt. Graber’s Hauptverdienst besteht in dem Einfall, die aktiven Bewegungen, mit denen die Tiere in einem ungleichförmigen Licht- milieu das Optimum aufsuchen, für die Beurteilung der Leistungen ihrer Lichtsinnesorgane zu benutzen. Seiner Methode ist die von Bert und Lubbock verwendete dadurch überlegen, dass diese statt der farbigen Gläser ein Spektrum benutzten und die Menge der in den verschiedenen Spektralbereichen sich ansammelnden In- dividuen zählten. Doch haben beide Forscher nicht mit Fischen experimentiert. Dass sich aber auch mit Hilfe der Graber’schen „Zweikammer“-Methode exaktere Resultate gewinnen liessen, wurde von Nagel in seinem Vortrag über den „Farbensinn der Tiere“ ?) ent- wickelt: „Interessant und wertvoll könnte eine Versuchsreihe werden, bei der im grossen und ganzen nach dem Graber’schen Zweikammer- verfahren vorgegangen würde, aber unter Verwendung möglichst reiner homogener Lichter, deren eines auf konstanter Intensität erhalten bliebe, während die Helligkeit des anderen so lange zu variieren wäre, bis die Reizwirkung der des anderen Lichtes, des konstanten Vergleichslichtes, gliche, mit anderen Worten bis die Tiere keine der beiden Kammern mehr vor der anderen merklich bevorzugten. Unter Beibehaltung des Vergleichslichtes könnte man dann die Wellenlänge des zweiten Lichtes ändern und so für die verschiedenen Regionen des Spektrums die relativen Reizwerte wenigstens näherungsweise bestimmen“ (S. 23). Soviel ich weiss, hat Nagel selbst derartige Experimente nicht angestellt. Wir kommen daher zu den neuesten Versuchen von Hess”), welche einen be- deutenden Fortschritt auf dem von Graber beschrittenen Wege bedeuten. Hess brachte einen roten und blauen Glaskeil (von der Firma Zeiss in Jena) so in das Liehtbündel einer Bogenlampe, dass sie in einer vertikalen Grenzlinie zusammenstiessen. Ein dahinter an- gebrachtes Bassin wurde auf diese Weise zur Hälfte von rotem, zur 1) W, Nagel, Der Farbensinn der Tiere. Bergmann, Wiesbaden 1901. 2) C. Hess, Untersuchungen über den Lichtsinn bei Fischen. Arch. f. Augenheilk. Bd. 64, Ergänzungsheft S. 1—38. 1909. 10 Vietor Bauer: Hälfte von blauem Licht bestrahlt. Durch Verschieben der Glaskeile konnten die Lichtstärken beider Farben variiert werden. Die unter- suchten Jungfische (Atherina hepsetus L.) zogen auch dann noch das Blau dem Rot vor, wenn es dem helladaptierten menschlichen Auge erheblich dunkler, dem dunkeladaptierten gleich hell: oder noch ein wenig heller erschien. Dasselbe Verhalten konstatierte er mit einer etwas veränderten Methode bei jungen „Weissfischen“ (wahr- scheinlich Squalius cephalus). Erst wenn das Blau dem dunkel- adaptierten menschlichen Auge dunkler erschien als das Rot, schwammen die Fischehen in dieses. Die Tiere scheinen vorher im Dunkeln gehalten worden zu sein (wenn es auch gerade bei diesen Versuchen nicht ausdrücklich angegeben wird). Im wesentlichen er- gab sieh also eine Bestätigung der Graber’schen Befunde. Homo- gene Lichter lieferten wohl auch die hier verwandten Glaskeile und farbigen Scheiben nieht. Wichtiger erscheinen daher Versuche mit einem Spektrum in der Art der von Bert und Lubbock an- gestellten. In dem Spektrum einer Bogenlampe (vel. die Anmerkung auf S. 19) sammelten sich die Fischehen vorwiegend im Gelbgrün (etwa E bis b), besonders deutlich, wenn sie vorher !/s Stunde im Dunkeln gehalten worden waren. Gegen das rote Ende hin nahm ihre Zahl rascher, gegen das blaue Ende hin langsamer ab. Indem den Tieren die Wahl zwischen einem abstufbaren gemischten Ver- sleiehslicht (Nernstlampe) und den verschiedenen Spektralbereichen des Bogenliehtspektrums gelassen wurde, gelang es, die relative Helligkeit für die letzteren mit einiger Genauigkeit festzustellen. Am _hellsten erschien den Fischen das Gelbgrün, dunkler das Gelb, Blau, Orange und Violett und am Jicehtschwächsten ein dem langwelligen Ende genähertes Rot. Den geringen Hellig- keitswert des Rot konnte Hess auch bei erwachsenen Fischen dadurch nachweisen, dass sie mit spektralem Rot bestrahlte Nahrungsbissen nieht annahmen, jedoch sofort zuschnappten, wenn das Spektrum etwas gegen das Gelb verschoben oder die Intensität erheblich verstärkt wurde. Hess fasst seine Versuche selbst in folgender Weise zusammen: „Für die in Rede stehenden Seefische und Süsswasserfische liegt die hellste Stelle des Spektrums in der Gegend des Gelbgrün bis Grün. Die Helligkeit nimmt für sie von hier gegen das langwellige Ende verhältnismässig rasch ab und ist schon in der Gegend des Gelb auffallend ‚viel kleiner als in der Über das Farbenunterscheidungsvermögen der Fische. 11 Gegend des Gelbgrün bis Grün; die gelbroten und roten Strahlen des Spektrums haben für diese Fische nur einen sehr kleinen Hellig- keitswert. Nach dem kurzwelligen Ende von der Gegend des Gelb- grün bis Grün nimmt gleichfalls die Helligkeit des Spektrums für die Fische ab, doch weniger rasch als nach dem langwelligen Ende ‘ (S. 33). Als wichtiges vergleichend-physiologisches Resultat hebt er hervor, „dass die relativen Helligkeiten, in welchen jene Fisch- augen die verschiedenen Teile des Spektrums sehen, nahezu oder ganz übereinstimmen mit jenen, in welchen sie der total farben- blinde Mensch bei jeder Lichtstärke und der normale dunkeladaptierte bei entsprechend geringer Lichtstärke sieht“ S. 35). Dadurch wäre also totale Farbenblindheit für die von ihm untersuchten Arten wahrscheinlich gemacht. Inwiefern mir diese Anschauung eine Ein- schränkung erfahren zu müssen scheint, wird sich aus der Mitteilung meiner eigenen Versuche ergeben. Zunächst ist noch eine Reihe von Arbeiten zu erwähnen, weiche: mit einer anderen Methodik arbeitend, ganz abweichende Resultate gezeitigt haben. Unter Benutzung des bei den Fischen auch durch andere Versuche nachgewiesenen assoziativen Gedächtnisses haben mehrere Forscher, in ähnlicher Weise wie dies bei Affen und Hunden gelungen ist, gedächtnismässige Assoziationen zwischen einer be- stimmten Farbe und dem Wohlgeschmack oder der Widrigkeit eines Futterbissens herzustellen versucht. Zolotnitsky !) beobachtete, dass Junge „Makropoden“ einen mit ihnen in demselben Bassin gehaltenen „Teleskop“fisch verfolgten und nach dessen roten Brustflossen bissen. Die Makropoden waren regelmässig mit roten Chironomuslarven gefüttert worden. Das brachte ihn auf den Gedanken, Versuche mit farbigen Wollfäden anzustellen. Er schnitt Stücke von der Grösse einer Chironomuslarve ab und klebte der Reihe nach die ver- schieden gefärbten Fäden von aussen an die Glaswand des Aquariums. An den grünen schwammen die Fische achtlos vorüber, ebenso an den weissen. An den gelben hielten sie an, und einige versuchten sie zu fressen. „Mais lorsque j’eus mis les morceaux rouges, surtout ceux dont la couleur ressemblait les plus aux larves, tous les poissons se pr&eipiterent, dans une grande agitation et se jeterent, avec avi- dit@ eontre la paroi de verre, ouvrants de grandes gueules et s’effor- 1) N. Zolotnitsky, Les poissons distinguent-ils les couleurs? Arch. de Zool. exp. (3) t. 9. Not. Rev. p- I-V und Physiol. russe t. 2 p. 277—280. 1901. 12 Vietor Bauer: cant d’attraper les morceaux de laine.“ Ganz besonders die „Tanches“ zeigten sich unermüdlich in diesen Versuchen. Wurden gleichzeitig mehrere Fäden geboten, so lockten nur die roten die Fische an, die übrigen blieben unbeachtet. Dasselbe galt für farbige Papierstückchen. Nachdem die Fische darauf längere Zeit mit weissen Brotkrumen gefüttert worden waren, die sie anfangs ungern, später bereitwilliger nahmen, suchten sie auch weisse Wollfäden und Papierstückchen zu verschlingen, aber nicht so gern wie rote. Wenn nun auch in den Versuchen mit Wollfäden und gefärbten Papierstückehen .die Helligkeit der verschiedenen Farben nicht ge- prüft wurde, so ist es deeh unwahrscheinlich, dass die Fische das Rot nur an seinem Helligkeitswert erkannt. haben, und dass nicht unter den anderen Farben sich auch solche von gleicher Helligkeit befunden haben sollten, welehe zu Verwechslungseleichungen ge- führt hätten. Als weitere Beobachtungen, welche dafür sprechen, dass die Fische ihre Beute mit Hilfe des Farbensinnes erkennen, führt der Verfasser an, dass man „Vaudoises“ in Russland angelt, indem man als Köder Heuschrecken, grüne Algenstückchen (Spirogyra), grüne Laubblätter oder Stückchen anderer grüner Objekte benutzt. Für andere Fische seien mit Mennige rot gefärbte Brotkrumen oder künst- liche Larven aus rot gefärbter Gelatine als besonders wirksame Köder bekannt. Zu ganz ähnlichen Resultaten sind unabhängig von der Be- obachtung Zolotnitsky’s, Washburn und Bentley!) gelangt. Sie lehrten einen Fisch (Semotilus atromaculatus), die Erinnerung an das ihm gereichte Futter mit der an eine bestimmte Farbe zu verbinden. Das Tier befand sieh in einem Aquarium, welches durch eine undurch- siehtige Scheidewand in zwei Teile geteilt war. Bei jedem Versuch wurden in der einen Hälfte zwei Pinzetten von gleicher Form an- gebracht, an deren Branchen gefärbte Holzplättchen, an der einen rote, an der anderen grüne, befestigt waren, und eine dieser Pinzetten wurde mit einem Wurm versehen. Der Fisch konnte zu ihnen dureh zwei Löcher in der Scheidewand gelangen, und es wurde darauf ’ 1) M. F. Washburn and J. M Bentley, The establishment of an association involving color- discrimination in the creek chub, 'Semotilus atro- maculatus. Journ. comp. neur. psych. vol. 16 p. 113—125. 1906. Uber das Farbenunterscheidungsvermögen der Fische. 13 geachtet, dass er ebensooft, und zwar in regelloser Aufeinanderfolge, zuerst die rote wie die grüne Pinzette erblickte. Zunächst wurde der Wurm immer an der roten Pinzette befestigt und beobachtet, an welcher Pinzette der Fisch zuerst schnappte. Sehr bald lernte er, sofort die rote Pinzette mit dem Futter sufzusuchen. Alle mög- lichen Fehlerquellen wurden dabei ausgeschlossen: das Erblicken des Wurmes selbst, das Erkennen am Geruch usw. Dass die rote Farbe nicht etwa an ihrem Helligkeitswert erkannt wurde, zeigte sich beim Auswechseln («es Rot gegen ein (für unser Auge) sehr viel helleres und des dunkleren Grün gegen ein sehr viel helleres Blau. Nachdem die Assoziation Rot-Futter fest geworden war, wurde nunmehr der Wurm immer an der grünen Pinzette befestigt. Nach einer interessanten Periode des Umlernens mit anfänglich häufigen Irrtümern und dann allmählich abnehmender Unsicherheit trat die neue Verbindung Grün-Futter an die Stelle der zuerst erlernten. Die verwendeten Farben waren nicht spektral rein, und ihr Helligkeits- und Farbwert wurde nur mit dem Auge beurteilt. Ihren Wert gewinnt daher die Untersuchung erst im Zusammenhang mit den Beobachtungen Zolotnitsky’s und den besonders exakt an- gestellten Versuchen Reighard’s'). Reighard beabsichtigte die Hypothese zu prüfen, die lebhafte Färbung der Korallenfische sei eine Warnfärbung, welehe, in Ver- bindung mit widrigen Eigenschaften auftretend, die Tiere ihren Feinden, den Raubfischen, von weitem kenntlich mache und ihnen auf diese Weise zum Schutz gereiche. Zu diesem. Behufe experimentierte er mit einem die Riffkorallen von Tortugas (Florida) bewohnenden räuberischen Fisch, Lutianus griseus — „the gray snapper“. Im einzelnen suchte er festzustellen: 1. ob und welche Farben die Sehnappfische unterschieden, 2. ob sie eine Assoziation zwischen einer bestimmten Farbe und unangenehmen Eigenschaften der Beutetiere zu bilden vermöchten, und 3. ob sie imstande wären, diese Assoziation gedächtnismässig festzuhalten. Die aus der Fülle der Versuche uns 1) J. Reighard, An experimental study of color-discrimination, association, and memory in the Gray Snapper Lutianus griseus (Linnaeus) and of warning coloration in coral-reef fishes. 6th Yearbook Carnegie Inst. p. 117—118. (Vor- läufige Mitteilung). 1907. — J. Reighard, An experimental field-study of warning coloration in coral-reef fishes. Pap. Tortugas Lab. Carnegie Inst. vol. 2 p- 257—325. Washington 1908. 14 Victor Bauer: hier besonders interessierenden sind kurz zusammengefasst folgende: Einem Schwarm von 100—150 Schnappfischen wurden in seinem normalen Milieu 21 verschiedene Arten von lebhaft gefärbten Korallen- fischen vorgeworfen; keiner von ihnen wurde verschmäht, sondern alle ohne Zögern gefressen. Ebenso wurden künstlich in sieben ver- schiedenen Farben gefärbte Atherina laticeps (ein farblos- silber- glänzender Fisch, welcher eine bevorzugte Nahrung des Zutianus bildet) ohne Unterschied angenommen. Trotzdem besitzt der Schnappfisch ein deutliches Unterscheidungs- vermögen für Farben. Denn wurden gleichzeitig weisse und blaue Atherinen verfüttert, so fielen stets die weissen zuerst zum Opfer. So waren z. B. von 80 verfütterten Fischen unter den 40 zuerst aufgeschnappten 34 weisse und nur 6 blaue, und nachdem alle weissen gefressen waren, blieben noch 32 blaue übrig. Wurde die Wahl zwischen Blau und Hellrot gelassen, so befanden sieh unter den fünf bei jedem Versuch zuerst gefressenen Fischen im ganzen 84° blaue; bei der Kombination Blau-Dunkelrot sogar 90/0 blaue. Ähnlich fiel die Kombination Blau-Gelb aus, während bei Blau-Grün keine Be- vorzugung der einen Farbe erkennbar war. Besonders interessant war auch das Benehmen der Zutianus den verschieden gefärbten Futterfischen gegenüber. Während sie die blauen und grünen ohne Besinnung aufschnappten, zögerten sie bei den gelben und roten, zuckten häufig zurück, nachdem sie zunächst auf sie zugeschwommen waren; und wenn zufällig zwei Fische von verschiedener Farbe, z. B. ein blauer und ein roter dicht nebeneinander fielen, nahmen sie in allen Fällen den blauen zuerst. Mit grosser Sorgfalt wurde darauf geachtet, dass die gleich- zeitig verfütterten, verschieden gefärbten Fische keinen Unterschied in der Grösse und im Geschmack zeigten (letzteres durch gleich- mässige Behandlung mit Formol und Essigsäure). Dem Einwand, dass es sich bei diesen Versuchen um Unter- scheidung der Helligkeits-, nicht der Farbwerte handeln könne, sucht Reighard durch eine möglichst genaue Bestimmung der Weiss- valenzen der verwendeten Farben zu begegnen. Mit dem Farben- kreisel wurde bei der einen Versuchsreihe die Helligkeit des ver- wendeten Blau als in der Mitte zwischen der des Hell- und Dunkel- rot liegend bestimmt. Grün und Blau, welche keine verschiedene Reaktion auslösten, waren in der Helligkeit sehr verschieden. Bei Über das Farbenunterscheidungsvermögen der Fische. 15 einer anderen Versuchsreihe waren die relativen Helligkeiten andere, die spezifische Wirkung der Farben blieb jedoch immer dieselbe. Des weiteren konnte gezeigt werden, dass die Zutianus eine Assoziation zwischen einer bestimmten Farbe und unangenehmem Geschmack zu bilden vermochten. Roten Atherina wurden nessel- kapselntragende Tentakel einer Qualle in den Mund gesteckt. Die ' Lutianus spieen diese Fische, nachdem sie sie zuerst aufgeschnappt hatten, wieder aus und nahmen bald keine roten Futterfische mehr an, auch wenn sie keine brennenden Tentakel trugen. Dagegen wurden zwischenein gereichte weisse Atherinen mit Tentakeln gefressen, ein Zeichen, dass nicht die durch die Tentakel veränderte Form, sondern die Farbe unterschieden wurde. Diesen Widerwillen gegen rote Atherinen hatte der zum Versuch verwendete Schwarm von Schnapp- fischen nach 20 Tagen noch nicht verloren. Übereinstimmend haben also die verschiedenen Autoren, und zwar unabhängig voneinander, das Vorhandensein des Farbenunter- scheidungsvermögens durch den Nachweis eines Farbengedächtnisses bei den Fischen festgestellt. Die Arbeiten sind Hess allem Anschein nach nicht bekannt geworden, und er hat daher keine Veranlassung gefunden, sie seinen eigenen Resultaten gegenüber zu diskutieren, welche für die totale Farbenblindheit der Fische zu sprechen scheinen. Um so mehr schien mir eine erneute Prüfung des hier behandelten Problems unter. Berücksichtigung der widersprechenden Resultate gerechtfertigt. Da Hess nach seinen eigenen Angaben vorwiegend an dunkel- adaptierten (resp. längere Zeit im Dunkeln befindlichen) Tieren ge- arbeitet hat, während die Fütterungsversuche der letztbesprochenen utoren auscheinend bei hellem Tageslicht angestellt wurden, lag es nahe, daran zu denken, dass die Unterschiede durch verschiedene Adaptationszustände der Versuchstiere bedingt sein mochten. Der Gang meiner Versuche war daher der, dass ich zunächst die Reaktion der Tiere gegenüber Hell und Dunkel nach längerem Aufenthalt in hellem Licht und nach längerer Verdunkelung festzustellen suchte, um damit ihr Benehmen bei farbiger Bestrahlung unter denselben Verhältnissen zu vergleichen. Sie erstrecken sich auf die Arten Charaz puntazzo Gm., Atherina hepsetus L., Box salpa L. und Mugil sp.'), welche charakte- 1) Die Bestimmung der Arten verdanke ich der Liebenswürdigkeit Dr. S. Lo Bianco’s. 10 Victor Bauer: ristische, wahrscheinlich mit dem natürlichen Aufenthaltsort und den Lebensgewohnheiten der Tiere zusammenhängende Verschiedenheiten in ihrem Verhalten zeigen. Zur Prüfung ihrer Reaktionsweise wurden die Tiere zunächst in einen „Phototaxistrog“, ein langes schmales, innen geschwärztes Gefäss, gebracht, welcher nur von einer Schmalseite her Licht empfing. Durch Vorsetzen verschieden- farbiger Filter vor die offene Schmalseite des Trogs konnte dieser auch mit farbigem Licht bestrahlt werden. Von farbigen Filtern standen mir zur Verfügung: 1. Rubinrot. Glasscheibe von Schott und Genossen, Jena mit der Fabriknummer F4512. Durchgelassen wurden Strahlen von 620 uu bis Ultrarot und ganz schwach 608—620 uu; 2. Dunkelgelb. Methylorange - Gelatinefilter nach Pringsheim (Ber. deutsch. bot. Gesellsch. Bd. 26a S. 556—565). Durchgelassen wurden Strahlen von 535 uu bis zum roten Ende; 3. Hellgelb. Doppelte Lage des gelben „Papier virida“, welches von der Firma A. Lumiere in Lyon zum Arbeiten mit „Autochrom“-Platten geliefert wird. Durchgelassen wurden 515 au bis- zum roten Ende mit sehr guter Begrenzung gegen das Blaugrün ; 4. Grün. Ein grünes und ein gelbes Blatt des „Papier virida“ der genannten Firma aufeinander gelegt, 505—570 uu. Grösste Helligkeit 525—530, also etwa bei E. Schwaches Band im äussersten Rot; 5. Blau. Glasscheibe mit der Nummer F 3873 von Schott und Genossen in Jena. Durchgelassen Ultraviolett bis etwa 545 wu, ein schwaches Band zwischen D und E und ein ganz schwaches bei B. Durch Aufeinanderlegen der Rotscheibe und eines Blattes „Papier virida“- Grün entstand ein Dunkelrot vom äusserten Ende des uns sichtbaren Spektrums, bei etwa 680--710 wu, welches sich zur Beurteilung der Grenze des den Fischen sichtbaren Spektrums benutzen liess. Bei weiteren Versuchen wurde den Tieren die Wahl zwischen zwei ver- schiedenen Farben oder zwei verschiedenen Helligkeiten gelassen. Dazu diente mir ein innen geschwärzter rechteckiger Kasten (zur Ausschliessung von Neben- licht), in dessen einer Schmalwand sich ein quadratischer Ausschnitt befand, hinter dem (innerhalb des Kastens) die Küvette mit den Fischen angebracht wurde. Vor diesem Ausschnitt liessen sich farbige Filterscheiben befestigen, von denen je zwei verschieden farbige oder verschieden helle so zusammengefügt wurden, dass sie in einer vertikalen Grenzlinie zusammenstiessen und demgemäss die Küvette in eine linke und rechte Hälfte teilten. In der dem quadratischen Aus- schnitt des Kastens gegenüberliegenden Wand befand sich ein verschliessbares Loch zur Beobachtung. Die Regulierung der Lichtintensität geschah durch Nähern oder Entfernen der Lichtquelle oder durch Episkotister. Bei starker Annäherung der Lichtquelle wurde ein Wasserkasten eingeschaltet, um Er- wärmung zu verhüten. Denselben schwarzen Kasten benutzte ich auch, um das Verhalten der Tiere im Spektrum zu prüfen. Dieses wurde entweder so ent- worfen, dass seine Ausdehnung der Breite der Kuvette entsprach, oder es wurden Über das Farbenunterscheidungsvermögen der Fische. 17 bestimmte Bereiche eines Spektrums von. grösserer Dispersion (Schwefelkohlen- stoffprisma) herausgeschnitten. Wenn es galt, ganz schmal begrenzte Spektral- gebiete zu verwenden, benutzte ich den Phototaxistrog, in dessen einer Schmal- seite ein senkrechter Spalt angebracht wurde. Die Qualität der jeweils zur Ver- wendung kommenden Strahlenart wurde durch ein dem Spalt gegenüber in dem schwarzen Belag des -Trogs angebrachtes Loch mit: Hilfe eines gradsichtigen Spektroskops mit Wellenlängenskala bestimmt. l. Charax puntazzo (. V. Das Wohngebiet dieser Art ist das litorale Flachwasser, wo sich die Jungfische vereinzelt, d. h. ohne Schwärme zu bilden, vorwiegend zwischen den Algenbüscheln aufhalten und diese nach kleinen Beute- tieren absuchen. Im Aquarium kann man beobachten, dass sie auf jeden fremden Körper, z. B. die hingehaltene Hand, gewissermassen neugierig zuschwimmen. Bewegt sich jedoch ein Körper auf sie zu, so fliehen sie, besonders wenn dieser einige Grösse hat, und ver- bergen sich zwischen den Algen oder in dunkeln Winkeln des Ge- fässes. Es standen mir etwa 15—20 mm lange Fischehen zur Ver- fügung, welche sich, wie auch die anderen von mir untersuchten Arten (ausser Atherina), in der Gefangenschaft, mit Mysiden gefüttert, mehrere Monate lang am Leben erhielten. In den Phototaxistrog gebracht, zeigen diese Tiere keine Tendenz, sich an einem Ende desselben anzusammeln; sie sind weder positiv noch negativ phototaktisch, sondern schwimmen ungestört aus dem hellen Ende ins dunkle und umgekehrt. Werden sie durch Er- schütterung erschreckt, so suchen sie sich zuweilen zu verbergen, indem sie sich den Kanten und Ecken des Gefässes anschmiegen und so einige Zeit verharren. Bringt man jedoch, nachdem die Tiere sich längere Zeit im Trog befunden und an ihn gewöhnt haben, vor dessen nicht geschwärzte Schmalseite ein Blatt weisses Papier, so schwimmen sie sofort darauf zu und stossen eine Zeitlang gegen die Glaswand, gewöhnen sich dann allmählich an den veränderten Zustand und schwimmen bald wieder ruhig hin und her. Dieselbe Ansammlung am hellen Ende tritt ein, wenn man das Blatt Papier fortnimmt oder durch ein durchscheinenderes oder weniger durch- scheinendes ersetzt. Es handelt sich hier offenbar um dieselbe Reaktion, die erfolgt, wenn man irgendeinen Körper, z. B. die Hand, in das Bassin mit den Tieren taucht: Auf jede Neuerscheinung im gewohnten Milieu schwimmen die Fische zunächst zu. Eine Aus- nahme wird nur. bemerkbar, wenn man plötzlich direktes Sonnen- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 123. 2 18 Victor Bauer: licht oder sehr intensives Licht einer künstlichen Lichtquelle in den Trog fallen lässt. Dann kehren sich die Tiere wie erschreckt von der Lichtquelle ab und schwimmen in raschen Stössen nach dem dunkeln Ende hin. Hält man die Tiere vor Beginn dieser Versuche längere Zeit (etwa 30 Minuten oder länger) im Dunkeln, so wird ihre Reaktion nur insofern etwas verändert, als jetzt Licht von geringerer Intensität schon als starker Reiz wirkt und zu einer Ansammlung am dunkeln Ende führt. Im übrigen zeigen sie auch die Tendenz, sich jede Veränderung der Intensität der Lichtquelle aus nächster Nähe an- zusehen. Das geschilderte Verhalten der Tiere habe ich in folgender Weise zur Prüfung ihres Farbenunterscheidungsvermögens benutzt: Statt verschieden heller weisser Blätter wurden die genannten ver- schiedenfarbigen Scheiben vor das offene Ende des Phototaxistrogs gebracht und jedesmal die Reaktion der Fische beobachtet. Zwischen je zwei farbigen Gläsern wurde ein schwarzes Kartonblatt eingeschoben, um die Tiere wieder zur Ruhe kommen zu lassen. (Der Trog wurde nicht bedeckt, so dass die Fische stets von oben mit ge- mischtem Licht diffus beleuchtet waren. Sie kamen also nie in voll- kommenes Dunkel oder in einfarbiges Licht allein, da sie unter diesen Bedingungen zu unruhig geworden wären.) Als Lichtquelle wurde Tageslicht oder eine künstliche Lichtquelle (Auerlicht) benutzt und deren Intensität so gewählt, dass bei plötzlieher Beleuchtung keine Flucht ins Dunkle, sondern vielmehr Ansammlung am hellen Ende eintrat. Dabei ergab sich folgendes interessante Verhalten: Wurde hell- adaptierten und seit längerer Zeit im Trog befindlichen Oharax die blaue Scheibe geboten, so reagierten sie wie auf gemischtes Licht durch äusserste Annäherung an dieselbe. Ebenso bei Grün und Hell- selb. Dunkelgelb rief in keinem Falle eine deutliche Ansammlung hervor; zuweilen kehrten sich sogar die Tiere, zumal wenn kurz vorher Blau vorgeschaltet wurde und sie noch am hellen Ende an- gesammelt waren, von der Lichtquelle ab. Wurde jedoch die rote Scheibe vorgesetzt, so schwammen sie sogleich in raschen Stössen von der Lichtquelle fort und hielten sich selbst bei länger dauernder Rotbestrahlung lange Zeit so weit wie möglich vom Licht entfernt am dunkelsten Ende des Gefässes auf. Das Verhalten der Tiere dem Rot gegenüber ähnelt also dem bei plötzlicher Bestrahlung mit Über das Farbenunterscheidungsvermögen der Fische. 19 sehr intensivem gemischten Licht. Da jedoch die Gesamtintensität des durch die verschiedenen Filter abgeschwächten Lichtes von Anfang an so schwach gewählt wurde, dass der Fluchtreflex nieht eintrat, so ist ersichtlich, dass die geschilderte Verschiedenheit im Verhalten gegenüber den verschieden gefärbten Filtern nicht auf Helligkeitsdifferenzen der letzteren zurückgeführt werden kann, sondern allein auf ihren Farbwert. Die starke, zu einer qualitativ verschiedenen Reaktion der Tiere führende Reizwirkung des Rot lässt sich auch zeigen, wenn man statt der farbigen Scheiben ein Spektrum verwendet. In dem etwa l m langen Spektrum einer Bogenlampe ') konnte der in die Richtung der Strahlen gebrachte Phototaxistrog parallel zur Querachse ver- schoben werden. In seiner der Lichtquelle zugekehrten Schmalwand befand sich ein etwa 5 mm breiter Spalt, durch welchen nach dem Fortziehen eines schwarzen Kartonblattes monochromatisches Licht 1) Da mir der Einwand zu bestehen schien, das Spektrum einer Bogen- lampe liesse sich ohne vorherige Feststellung seiner Helliskeitskurve dem Sonnenspektrum nicht gleich setzen, habe ich sowohl das Spektrum einer ge- wöhnlichen Gleichstrom -Bogenlampe wie das der von Hess benutzten Liliput- bogenlampe (von Zeiss, Jena)mit dem Engelmann’schen Mikrospektralphoto- meter untersucht. Dabei ergaben sich recht erhebliche Unterschiede. Das Spektrum der grossen Bogenlampe zeigte, verglichen mit dem Sonnenspektrum, eine deutliche Verkürzung im Rot und auffallend grosse Intensität im Gelbgrün. Mit diesem Spektrum angestellte Versuche würden also die Hess’schen Resul- tate (geringer Helligkeitswert des Rot und grösste Helliskeit im Gelbgrün für die von ihm untersuchten Fische) zweideutig machen. Nun wurden jedoch seine Befunde (wenigstens die bei den Seefischen mit Sicherheit) mit dem Spektrum der Zeiss’schen kleinen Mikroskopierbogenlampe erhoben, und dieses zeigt gegen - über dem Sonnenspektrum gerade umgekehrt einen grossen Reichtum im Rot und relativ geringe Helligkeit im Gelbgrün. Mit dem Sonnenspektrum würden sich also die erwähnten Hess’schen Resultate noch schlagender dargestellt haben. Herr Dr. Henker teilte mir auf meine Anfrage bei der Firma Zeiss freund- lichst mit, dass die Kohlen der Mikroskopierbogenlampe seines Wissens gewöhn- liche Dochtkohlen und nicht besonders präpariert seien. Die abweichende Energieverteilung im Spektrum dieser Lampe sei vielleicht darauf zurückzuführen, dass sie bei stark verminderter Luftzufuhr und dementsprechend mit höherer Temperatur brenne. Da auch mir in dieser Jahreszeit kein einigermassen konstantes Sonnenspektrum zur Verfügung stand, habe ich meine Versuche mit den Spektren der beiden erwähnten verschiedenen Bogenlampen angestellt; und da sich keine merkbaren Unterschiede ergaben, dürften die Resultate aller Wahrscheinlichkeit nach auch für das mit seiner Helliskeitsverteilung etwa in der Mitte liegende Sonnenspektrum gelten. 2 * 20 Victor Bauer: von einer bestimmten Wellenlänge einfallen konnte. Mit einem hinter dem Trog angebrachten Spektroskop mit Wellenlängenskala konnte die den Fischen jeweils dargebotene Strahlenart bestimmt werden. Von oben wurde der Trog zur Beobachtung mit schwachem gemischtem Licht bestrahlt. Während nun bei dieser Anordnung die helladaptierten Tiere vom Violett durch Blau und Grün bis zum Gelb stets dem farbigen Licht zustrebten, trat bei Übergang zum Orange eine plötzliche Um- kehr der Reaktion ein, die im Rot sehr deutlich wurde. Die Fische sammelten sich am dunkeln Ende des Trogs und suchten unter zappelnden Bewegungen dem unangenehmen roten Licht zu entrinnen. Aus mehreren Bestimmungen ergab sich die Stelle, bei welcher vom Violett gegen das Rot vorrückend eine Umkehr der Reaktion eben bemerkbar wurde, zwischen 620 und 630 uu, einmal deutlich bei 610. Endlich tritt die „Rotscheu“ der Charax auch in Wahlversuchen mit zwei verschieden gefärbten Lichtfiltern hervor. Beleuchtet man z. B. in dem oben beschriebenen Kasten die Küvette mit den (hell- adaptierten) Fischen zur Hälfte mit rotem und zur Hälfte mit blauem Licht durch Vorsetzen der entsprechend gefärbten Glasscheiben, so zeigt sich zunächst im Moment der Beleuchtung ein deutlicher Unterschied im Verhalten der in den beiden verschiedenfarbigen Hälften befindlichen Tiere. Die in der blauen Hälfte wenden sofort den Kopf der Lichtquelle zu und steigen mit zappelnden Bewegungen an der vorderen Glaswand in die Höhe; die auf der roten Seite dagegen kehren den Kopf vom Licht ab und sachen mit hin und her huschenden Bewegungen vorwiegend an der unteren Kante der Hinterwand zu entrinnen. Allmählich geraten sie jedoch dabei sämtlich in die blaue Hälfte und gesellen sich dann sofort zu den der Lichtquelle Zustrebenden. Nach und nach werden die Be- wegungen der Tiere ruhiger; sie beginnen hin und her zu schwimmen und zappeln nicht mehr so erregt an der vorderen Glaswand. Dann kann man häufig beobachten, wie sie dort, wo die blaue Hälfte in die rote übergeht, wie vor einer Wand zurückprallen. Sprieht schon dieses Benehmen der Tiere dafür, dass der ver- schiedene Reizwert von Blau und Rot durch den Unterschied der Farbe und nicht der Helligkeit bestimmt wird, so bestätigt sich diese Deutung durch Versuche mit Kombination von verschieden hellen weissen Scheiben. Diese ergeben nämlich, dass entsprechend der bei Charax nicht nachweisbaren Phototaxis (s. oben S. 17) keine Über das Farbenunterscheidungsvermögen der Fische. 5] Ansammlung in der einen Hälfte stattfindet, wenn beide Gefässhälften mit gemischtem Lieht von verschiedener Helligkeit bestrahlt werden. Die Fische schwimmen vielmehr ruhig hin und her. Von der auf- fälligen Erregung, wie sie bei farbiger Bestrahlung eintritt, ist nichts zu bemerken. Da es für den Vergleich mit dem menschlichen Auge nicht un- interessant schien, zu untersuchen, ob die von Hering!) beim total Farbenblinden festgestellte Verkürzung im Rot — der total Farben- blinde F. K. sah die Grenze des Spektrums am roten Ende bei etwa 665 wu — für die hier untersuchten Fische bestünde, habe ich das in der oben (S. 16) angegebenen Weise hergestellte Filter, welches etwa 680— 710 uu durchliess, vor die eine Hälfte der Küvette gebracht und die andere Hälfte verdunkelt. Die auf der beleuchteten Seite befindlichen Tiere kehrten deutlich den Kopf von der Licht- quelle ab, und bald waren alle in der dunkeln Hälfte gesammelt. Eine wesentliche Verkürzung im Rot scheint also nicht zu bestehen. Alle diese Erscheinungen beziehen sich, wie hier noch einmal ausdrücklich betont sei, auf helladaptierte Tiere. Ganz anders gestalten sich die Resultate, wenn man die Fische vor Beginn der Versuche !/sg Stunde oder länger im Dunkeln hält. Auf ihr Verhalten gegen gemischtes Licht im Phototaxistrog unter diesen Bedingungen wurde oben schon hingewiesen. Diese Reaktion bleibt nun gänzlich unverändert, wenn man, statt die Licht- intensität durch helle und dunkle weisse Filter zu verändern, die farbigen Scheiben vorschaltet. Die Fische schwimmen dann (bei entsprechend herabgesetzter Gesamtintensität) nicht nur auf Blau, Grün und Hellgelb zu, sondern auch auf Dunkelgelb und Rot. Es macht den Eindruck, als ob dureh die Dunkeladaptation das Rot für die Tiere seinen abschreckenden Farbwert verloren habe und nur mehr einen Helligkeitswert besitze. Derselbe Unterschied im Verhalten bei verschiedenen Adaptations- zuständen macht sich auch bei Verwendung des Spektrums geltend. An der Stelle desselben, wo die helladaptierten Tiere eine deutliche Umkehr ihrer Reaktion zeigten (im Orange), schwimmen die dunkel- adaptierten unverändert auf die Lichtquelle zu; sie tun dies auch noch beim Übergang zu homogenem Rot. 1) E. Hering, Untersuchung eines total Farbenblinden. Arch. f. d. ges, Physiol. Bd. 49 S. 563—608. 1891. 99 Victor Bauer: Wiederum entsprechend ist ihr Verhalten im Wahlversuch. Kombiniert man z. B. Blau und Rot, so gleicht ihr Verhalten durch- aus dem helladaptierter Tiere bei Kombination verschieden heller weisser Scheiben, d. h. sie schwimmen ruhig aus der einen Hälfte in die andere. Von einer Verschiedenheit im Verhalten der in den beiden Gefässhälften befindlichen Individuen ist nichts zu er- kennen. . Bringt man nun die Tiere für einige Zeit in helles Licht, so zeigen sie darauf wieder das zuerst geschilderte Verhalten, welches ich kurz als „Rotscheu“ bezeichnet habe. Um eine ungefähre Vor- stellung von dem zeitlichen Ablauf der Helladaptation zu geben, sei aus dem Protokoll mitgeteilt, dass nach 10 Minuten langer Belichtung mit einem Auerbrenner aus etwa 25 em Entfernung (mit zwischen- geschaltetem Wasserkasten) die Tiere sich als deutlich helladaptiert erwiesen. Nach 5 Minuten war die Reaktion noch undeutlich, nach 15 Minuten nicht deutlicher als nach 10 Minuten. Erwähnt sei noch, dass die Grenze des sichtbaren Spektrums am roten Ende durch die Dunkeladaptation nicht oder nicht wesent- lich verschoben zu werden scheint. Bestrahlt man die eine Hälfte der Küvette mit dem dunkelroten Filter (6S0—710 uu), während die andere verdunkelt ist, so sammeln sich die dunkeladaptierten Fische in der beleuchteten Hälfte. Eine Verkürzung des Spektrums ist nicht erkennbar. Atherina hepsetus L. Die Jungfische dieser Art, welche zur Zeit meiner Experimente (im Februar) die Länge von etwa 15 mm erreicht hatten, leben in Schwärmen pelagisch, und zwar finden sie sich bei ruhigem Wetter an der äussersten Meeresoberfläche. Wie die meisten oder alle Plankton- und Nektonformen der Oberfläche, ist diese Art positiv phototaktisch. Hess hat, wie bereits erwähnt, diese Reaktion benutzt, um die relative Helligkeit, in der den dunkeladaptierten Tieren die einzelnen Spektralbereiche erscheinen, zu bestimmen, indem er Helligkeitsgleichungen zwischen den spektralen Lichtern und einem Mischlicht von abstufbarer Intensität bildete. Ebenso liessen sich zwei nebeneinander gesetzte verschiedenfarbige Gläser, z. B. ein blaues und ein rotes, so in ihrer Helliekeit abstufen, dass keines vor dem anderen bevorzugt wurde, sondern dass die Fische ruhig von der einen Seite zur anderen schwammen. Über das Farbenunterscheidungsvermögen der Fische. 93 Gestützt auf diese Resultate, konnte ich auch bei Atherina den qualitativ verschiedenen Reizwert der verschiedenen Farben nach- weisen. Kombiniert man nämlich die Jenaer Blau- und Rotscheibe, ihre Intensitäten so abstufend, dass die dunkeladaptierten Tiere sich deutlich in der roten Hälfte sammeln, und bringt sie darauf für etwa 10 Minuten in helles Lieht, so tritt eine Umkehr der Reaktion ein: sie sammeln sich jetzt im Blau statt im Rot. Die Umkehr beruht wiederum auf einer „Rotscheu“ der helladaptierten Tiere; denn man kann das Blau so stark verdunkeln, wie man will, ja, man kann es sogar durch einen schwarzen Karton vollkommen abblenden, immer meiden die Fische die rote Hälfte. Entgegen ihrer positiven Phototaxis suchen sie also unter diesen Bedingungen die dunklere Hälfte auf, und es ist somit sichergestellt, dass das Rot für die helladaptierten Tiere ausser seinem Helligkeitswert noch einen Farbwert besitzt, der sie zu einer qualitativ verschiedenen Reaktion, nämlich einer Fluchtbewegung, führt. Das Rot ist die einzige Farbe, welche diese auffällige Reizwirkung ausübt; zwischen allen anderen Farben lässt sich auch bei helladaptierten Tieren eine Gleichung bilden. Auch bei Verwendung eines Spektrums lässt sich diese „Rot- scheu“ nachweisen. Führt man z. B. die Küvette mit den hell- adaptierten Tieren in einem etwa 1 m langen Spektrum langsam vom violetten gegen das rote Ende zu, so zeigen sie bis zum Gelb keinerlei Aufregung, sondern schwimmen ruhig hin und her und lassen sich durch teilweise Verdunkelung des Gefässes jederzeit in dem beleuchteten Teile sammeln. In dem Moment jedoch, wo die roten Strahlen von der einen Seite her mit in das Gefäss fallen, kehren sich die Tiere von dieser Seite ab und lassen das rot be- strahlte Gebiet frei. Auch durch Verdunkelung des übrigen Gefäss- teiles lassen sie sieh nicht ins Rot treiben. Die abschreckende Wirkung des Rot ist also den beiden bisher geschilderten Arten gemeinsam. Man wird an das Verhalten vom Truthahn und Stier erinnert, deren heftige Reaktion auf dieselbe Farbe bekannt ist. Box salpa €. V. Die Jungfische dieser Art, von denen mir eine Anzahl etwa 20—25 mm langer Tiere zur Verfügung stand, halten sich zwischen den Felsen und Pflanzen der Uferzone auf. Doch bilden sie im Gegensatz zu Charax puntazzo Schwärme un( zeigen auch insofern D4. Victor Bauer: ein abweichendes Verhalten, als sie sich auf Störungen nieht zwischen den Algen verbergen, sondern im Gegenteil dem freien Wasser zu- streben, wo sie ungehindert von ihren Flossen Gebrauch machen können. Diese verhelfen ihnen bei ihrem schlanken Körperbau zu einer sehr ausgiebigen Fluchtbewegung. Damit hängt es wohl zusammen, wie ich auch an anderer Stelle ') für die Art Smaris alcedo C. V., welche ein ähnliches Verhalten zeigt, erläutert habe, dass diese Fische im Phototaxistrog deutlich positive Phototaxis zeigen. Die Tendenz, in der Erregung, welche dureh das ungewohnte Milieu entsteht, den Weg ins Freie zu suchen, bringt die Tiere dazu, sich an der ungesehwärzten Seite des Troges abzuzappeln. Wenn sie dann nach einiger Zeit der Aufregung zur Ruhe gekommen sind, kann man diese Ansammlung an der hellsten Stelle durch Ersehütterung des Gefässes immer wieder er- zeugen. Diese Reaktion zeigen hell- und dunkeladaptierte Tiere in gleicher Weise. Im Verhalten gegen verschiedene Farben tritt jedoch wiederum ein deutlicher Unterschied bei verschiedenen Adaptationszuständen hervor. Entwirft man z. B. auf der Küvette mit den helladaptierten Fischen ein Spektrum von der Breite dieser Küvette, so dass ihnen die Wahl zwischen allen Spektralfarben gegeben ist, so streben sie sofort sämtlich dem Blau zu und zwar einer ziemlich eng begrenzten Stelle. Nach genügend langer Dunkeladaptation jedoch sammeln sie sich im Gelbgrün an der Stelle, welche auch unserem dunkeladaptierten Auge als die hellste im Spektrum erscheint. Dass in dieser Änderung der Reaktion sich nicht eine Verschiebung der relativ grösseren Hellig- keit gegen das blaue Ende des Spektrums, sondern das Hervortreten des Farbwertes des Blau ausspricht, wird in den Wahlversuchen deutlich. Bringt man z. B. vor beide Hälften der Küvette eine weisse Milchglasscheibe und dann ausserdem noch vor die eine Hälfte die Blauscheibe, so sammeln sich die helladaptierten Tiere im Blau, obgleich dieses nur einen Teil des Gesamtlichtes ausmacht, also sicher dunkler ist als die andere Gefässhälfte. Die Reaktion der Tiere ist dann eine ihrer nachweislich positiven Phototaxis ent- gegengerichtete, ein deutliches Zeichen, dass nicht die Helligkeit, sondern der Farbwert des Blau in diesem Fall bestimmend wirkt. Lässt man dagegen die Fische einige Zeit dunkel adaptieren, so _ 1) V. Bauer, Über sukzessiven Helligkeitskontrast bei Fischen. Zentralbl. Physiol. Bd. 23 S. 593—599. 1909. Über das Farbenunterscheidungsvermögen der Fische. 235 sammeln sie sich bei derselben Anordnung in der helleren, mit ge- mischtem Licht bestrahlten Gefässhälfte an, d. h. die blaue Seite erscheint ihnen jetzt offenbar nur dunkler als die weisse und chne ihren Farbwert. Wiederum tritt also die Unterscheidung der Farb- werte nur bei Helladaptation hervor. Von einer „Rotscheu“ ist bei dieser Art nichts zu bemerken. Mugil sp. Die 3—4 mm langen Jungfische, deren Artzugehöriekeit nicht sicher erkennbar war, fanden sich, ähnlich wie die Atherinen, in Schwärmen sowohl in der Nähe der Küste wie auf hohem Meer. Im Phototaxistrog zeigten sie sich hell- wie dunkeladaptiert positiv phototaktisch. Bei dieser Art konnte ich weder „Rotscheu“ noch „Vorliebe für Blau“ feststellen. Immerhin war auch hier bei verschiedenen Adaptationszuständen ein Unterschied, nämlich eine Veränderung in der Bewertung der Helligkeit der verschiedenen Farben, durch die Tiere nachweisbar. Kombinierte man z. B. Grün und Blau im Wahl- versuch und stellte die Intensitäten so ein, dass den helladaptierten Fischen die grüne Hälfte eben merklich heller erschien, d. h. eine Ansammlung hervorrief, und liess sie nun eine Zeitlang dunkel adaptieren, so zeigte sich darauf eine Umkehr der Reaktion, indem nunmehr das Blau ihnen heller erschien und eine grössere An- ziehungskraft ausübte. Mit anderen Worten: es gelingt auf diese Weise der Nachweis des Purkinje’schen Phänomens!). 1) Die grösste Helligkeit meines Grünfilters liegt zwischen 525 und 535 uu, während das Blaufilter vom violetten Ende bis etwa 550 uu so gut wie un- geschwächt durchlässt. Für die Wellenlängen 535 (resp. 537) und 490 uu sind die Helligkeiten für das hell- und dunkeladaptierte menschliche Auge von König und Schaternikoff ausgemessen_worden. Es ergab sich: Helligkeit für Helligkeit für das helladaptierte das dunkeladaptierte menschliche Auge menschliche Auge Grün vonlssdanpu. rn... 0.2 264 re. L000 Blamsvonr AWe me ri. 2 U ee 3 Würde (entsprechend meinem oben mitgeteilten Wahlversuch) das Grün bis auf "/ seiner Helligkeit verdunkelt, so dass es mit 29,3 dem helladaptierten menschlichen Auge eben noch merklich heller als das Blau (mit 27) erschiene, so würde dem dunkeladaptierten menschlichen Auge das Grün mit 111,1 nur etwa /3 so hell als das Blau (mit 339) erscheinen. Es würde also bei einem solchen Versuch für unser Auge ebenso wie für die Fische durch die wechselnde Adaptation eine Umkehr der relativen Helligkeiten von Blau und Grün erfolgen. 96 Victor Bauer: Über das Farbenunterscheidungsvermögen der Fische. Übrigens scheint diese Veränderung der relativen Helligkeit der Farben durch wechselnden Adaptationszustand eine allgemeinere Er- scheinung zu sein, denn ausser bei Mugil konnte ich den Versuch in ganz analoger Weise bei Aiherina hepsetus L. und bei Sargus Rondeletü C. V. anstellen. So zeigen also alle untersuchten Arten trotz der mannigfachen Abweichungen im einzelnen eine völlige Übereinstimmung darin, dass bei ihnen durch verschiedene Adaptationszustände Unterschiede in der Reaktion auf verschiedene Spektralfarben und farbige Glas- lichter hervorgerufen werden, welche dafür sprechen, dass die Farben für die Fische ausser ihrem Helligkeitswert noch einen (nur bei Helladaptation hervortretenden) Farbwert besitzen. Insofern haben die hier mitgeteilten Versuche eine Bestätigung und Erweiterung der von verschiedenen Autoren, besonders von Reighard, durch Fütterungsversuche angebahnten Kenntnis vom Farbenunterscheidungs- vermögen der Fische geliefert. Die von Hess gefundene Überein- stimmung der Helliekeitsverteilung im Spektrum bei den Fischen einerseits und beim dunkeladaptierten Menschen (bei minimaler Licht- intensität) und dem total Farbenblinden (bei jeder Lichtintensität) andererseits gilt, wie ich zeigen konnte, nur für die dunkeladap- tierten Fische. Wie beim normalen farbentüchtigen Menschen wird diese Helligkeitsverteilung durch Helladaptation verändert (Pur- kinje’s Phänomen, nachgewiesen bei Mugil, Atherina und Sargus), und wie beim normalen Menschen tritt bei Helladaptation zur Unterscheidung der Helligkeiten die Unterscheidung der Farben („Rotscheu“ bei Charax und Atherina, „Vorliebe für Blau“ bei Box). Eine wesentliche Differenz zwischen Mensch und Fisch zeigt sich jedoch darin, dass für das menschliche dunkeladaptierte Auge die farbige Empfindung erst bei äusserst geringer Helligkeit des Spek- trums aufhört, während für die dunkeladaptierten Fische der Farb- wert der untersuchten Lichter aueh bei relativ grosser Helligkeit derselben zurücktritt. (Aus dem biol. Laboratorium der Universität Bonn.) Hoden- und Ovarialinjektionen bei Rana fusca- Kastraten. Von w. Harms. (Mit 9 Textfiguren.) Bekanntlich gehen bei Fröschen nach der Kastration wie das M. Nussbaum zuerst feststellte, die sekundären Geschlechtsmerk- male zurück, was sich namentlich am Schwinden der Vorderarm- muskulatur und der Daumenschwielen erkennen lässt, trotzdem die Tiere gut gefüttert wurden. Auch durch Hunger kann man bei Fröschen eine Abschwächung der sekundären Geschlechtsmerkmale her- vorrufen. Während man nun bei hungernden Tieren die Brunst- organe durch Fütterung leicht wieder erzeugen kann, bedarf es bei kastrierten Tieren natürlich anderer Maassnahmen, um dieselben wieder hervorzubringen. Das kann nun einmal dadurch geschehen, dass man dem Tiere Hodengewebe mit Erfolg durch Transplantation einverleibt, wie das M. Nussbaum und neuerdings R. Meyns!) festgestellt haben, oder aber, dass man den Kastraten Hoden im- plantiert oder injiziert, wie das M. Nussbaum (l. e.) unter Aus- schluss des Nerveneinflusses und der besseren oder schlechteren FEr- nährung getan hat. Die Wirkung des Hodens auf die Brunstorgane beruht danach auf innerer Sekretion. Meine Versuche, die indessen durch eine Reihe von unvorher- gesehenen Komplikationen gestört wurden, gipfelten darin, fest- zustellen, ob auch Ovarialinjektionen dieselbe Wirkung auf männ- liche Kastraten hervorrufen könnten wie die von Hoden. 1) R. Meyns, Über Froschhodentransplantation. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 132 S. 433. 98 W. Harms: Es wurden zu den Versuchen Tiere genommen, die seit Januar 1909 kastriert waren (näheres s. Protokolle). Ein Tier diente zur Kontrolle (Tier C); ein anderes wurde mit Hoden (Tier B) und zwei weitere mit Ovarialsubstanz (Tier A u. D) injiziert. Zur Injektion bediente ieh mich der von M. Nussbaum an- gewandten Paraffınspritze, die von ihm zu diesem besonderen Zwecke etwas modifiziert ist. Es ist nämlich der feste Deckel der Spritze, der der Kolbenstange als Führung dient, abnehmbar gemacht, gleich- zeitig aber ist er mit einem Bajonettverschluss versehen, um ihn wieder luftdicht aufsetzen zu können. Ausserdem war noch die zur Injektion verwandte Hohlnadel stumpf gemacht worden, um jeg- liche Verletzung zu vermeiden. Man braucht also nur mit einer ge- schärften Nadel ein Loch in die Haut zu machen, um dann zur In- jektion die stumpfe Hohlnadel einführen zu können. Die Stich- wunden heilten immer sehr schnell. Eine Injektion des Frosches dureh die kleine Wunde war nicht zu befürchten, wenn man ihn nur für einen Tag nach der jeweiligen Injektion in ein steriles Ge- fäss setzte. Da ausserdem eine Abwechslung in der Benutzung der vielen Lymphsäcke des Frosches möglich war, so konnten die Injek- tionen sehr häufig gemacht werden. Es mögen jetzt die ausführlichen Versuchsprotokolle der ein- zelnen Tiere folgen: Tier €. Ein Männchen von Rana fusca wird Anfang 1909 vollständig kastriert. Das Tier war in gutem Ernährungszustande. Es wird nach der Operation gut gefüttert, trotzdem schwinden die Daumen- schwielen vollständig. Im August 1909 ist von Drüsen makroskopisch kaum noch etwas wahrzunehmen; Epidermishöcker sind ebenfalls nicht mehr vorhanden. Im September wird der Frosch nicht ge- nügend gefüttert. Die Fütterung wurde aus äusseren Gründen dem Diener überlassen, der das Füttern der Frösche wohl ganz gut er- lernte, aber doch nicht fähig war, den Tieren ihre Ration individuell zuzumessen. Ich musste ihm deshalb eine Minimalration vorschreiben, damit er den Tieren keinen Schaden zufüge. Bei allen Versuchen mit Fröschen ist es meiner Ansicht nach durchaus nötig, wie dies auch M. Nussbaum tat, stets die Fütterung persönlich auszuführen, wenn die Versuchsresultate nicht durch mangelnde oder ungeeignete Ernährungsweise beeinträchtigt werden sollen. Im Oktober 1909 Hoden- und Ovarialinjektionen bei Rana fusca-Kastraten. 29 übernahm ich wieder selbst die Fütterung. Der Frosch C wog am 6. Oktober 32,3 g; da das Tier nur mässig gross war, so ist das kein schlechtes Gewicht. Ende Oktober und namentlich im November 1909 begannen die Daumenschwielen des Kastraten etwas zu schwellen, namentlich zuerst die distale Partie derselben. Die Schwellung der Schwiele nahm immer mehr zu, der volare Winkel der proximalen und distalen Schwiele wurde immer kleiner. Im Dezember liessen sich mit der Lupe auch Drüsen in den Daumenballen erkennen; ausserdem aber begannen die Epidermishöcker sich wieder zu zeigen. Auf Brunstreize, die ich bei Tier A, B, und D noch erwähnen und genau definieren werde, reagierte das Tier während der Versuchszeit vom 6. Oktober bis 17. Januar 1910 nie. Am 17. Januar 1910 wurde das Tier gewogen; es hatte ein Gewicht von 40,3 g, also 8 g mehr als am 6. Oktober 1909. Das Tier war also gut ernährt worden. Am 17. Januar 1910 wird der Kastrat getötet. Die Sektion ergibt, dass das Tier rein kastriert ist, es sind an der Stelle, wo die Hoden sonst sitzen, zwei kleine Löcher im Mesoreetum vorhanden. Die Fettkörper sind blendend weiss; ebenfalls ein Zeichen reiner Kastration. Die Muskeln des Frosches sind gut entwickelt und fühlen sich fest an. Die Leber ist sehr gross. Die rechte Daumenschwiele wird in Flemming’s Gemisch konserviert. Die mikroskopische Untersuchung ergibt, dass die Epidermis der Daumen- ballen mit Epithelhöckern besetzt sind, die jedoch nicht so hoch und zahlreich sind wie bei nichtkastrierten Tieren um dieselbe Zeit (vel. Fig. 1a u. 5). Immerhin ist es merkwürdig, dass sie bei einem Kastraten sich entwickelt haben. Einen ähnlichen Fall finde ich auch in einer Abhandlung von M. Nussbaum). Der von ihm beschriebene Frosch (S. 530, 2) hatte seit der Laichzeit gehungert und war ab- gemagert. Er wurde am 18. Mai 1908 vollständig kastriert und von jetzt an gut gefüttert. Die Daumensehwielen waren „zur Zeit der Kastration flach und glatt auf der Oberfläche und blieben un- verändert bis Ende September, zu welcher Zeit kleine Wärzchen auf der zweiten Abteilung sichtbar wurden“. Am 4. November wurde der Frosch getötet; die Kastration hatte also 5'/g Monate einwirken können. Während dieser Zeit hat der Frosch um 18,3 g zugenommen. Die Untersuchung der Daumenschwielen ergibt De- D) M. Nussbaum, Hoden und Brunstorgane des braunen Landfrosches (Rana fusca). Arch, f. d. ges. Physiol. Bd. 126. 30 W. Harms: generation der Drüsen und geringe Ausbildung der Epithelwarzen auf den Oberflächen der Schwielen. In dem von mir untersuchten Tiere © war die Epidermis ziem- lich mächtig, zahlreiche Mitosen zeigten ein weiteres Anwachsen an. Die Daumenschwielendrüsen waren nicht so gering an Zahl, auch nicht so klein, wie sie bei Kastraten sonst sind. In den Drüsen, die oft noch Zeichen des Zerfalls zeigen, lässt sich eine intensive Neubildung feststellen; in ihnen lassen sich sowohl Knospen als auch Mitosen nachweisen. Auch bei dem vorerwähnten Kastraten, der im November getötet wurde, und dessen Schwielen mir Herr Prof. Nussbaum freundlichst zur Verfügung stellte, lassen sich Neubildungen in Form von Knospen feststellen. Die Drüsen sind hier noch nicht wieder so zahlreich als bei dem Tier C. Tabelle über die erfolgten Ovarialinjektionen bei Tier A und D. Tier A. Tier D. Kastriert im Januar 1909. Kastriert am Anfang 1909. Tod am 20. Oktober 1909. Zer-|Tod am 17. Januar 1910. Zer- quetschte Ovarien injiziert am: |quetschte Ovarien injiziert am: 6. Oktober 1909, 12. November 1909, 13. x 1909. 19. 3 1909, 2. Dezember 1909, 27. R 1909, 1. Januar 1910, Vs on ul 910, 16.0 2 BALD: Tier A und D. Beide Frösche sind im Januar 1909 kastriert worden und wurden bis zum 6. Oktober wie Tier C behandelt. Der Frosch A: wird von Anfang Oktober an wieder reichlich gefüttert, er hat am 6. Oktober 1909 ein Gewicht von 39,3 g. Seine Daumenschwielen sind glatt und ganz wie auch sonst bei Kastraten rückgebildet. Am 6. Oktober 1909 wird dem Tiere mit der Paraffinspritze Ovarium von Rana fusca in den dorsalen Lymphsack injiziert. Am nächsten Tage klammert der Frosch sehr intensiv, wenn man ihn mit einem Finger auf der Brust durch leichtes Reiben reizt. Derselbe Versuch lässt sich auch immer leicht an nichtkastrierten Tieren ausführen, Hoden- und Ovarialinjektionen bei Rana fusca-Kastraten. 31 jedoch nicht bei genügend lange kastrierten Fröschen. Am 13. Ok- tober lässt sich bei dem Tiere nur noch eine ganz geringe Klarımer- bewegung auslösen. Die Wirkung der Ovarialsubstanz hat sich also nach 4 Tagen in dieser Richtung erschöpft. Das Tier bekommt dann am 13. Oktober eine neue Övarialinjektion in den Lumbal- lymphsack. Die Injektion vom 6. Oktober 1909, ist noch nicht resorbiert; sie liegt als schollige gelatinöse Masse im dorsalen Lymph- sacke. Am folgenden Tage, am 14. Oktober 1909 ist die Klammer- bewegung wieder leicht bei dem Tiere auszulösen, was am 16. Ok- tober schon nicht mehr möglich ist. Am 19. Oktober 1909 ist der Frosch auf dem Rücken stark aufgetrieben und am ganzen Körper intensiv bläulich verfärbt. Dieser Farbenwechsel trat schon einige Tage nach der ersten Injektion auf. Um dem Tiere Erleichterung und Raum für neue Injektionen zu schaffen, wurden die injizierten Ovarialmassen aus dem dorsalen Lymphsacke durch Saugen entfernt. Die pechschwarz gefärbte dieke Masse enthält helle, durchsichtige ganz junge Eier, ausserdem Dotterkörncehen, Pigment und Lymphocyten. Da das Allgemeinbefinden des Frosches sehr schlecht war, ausserdem auch nach der Injektion in den lumbalen Lymphsack starker Deeubitus an den hinteren Extremitäten eintrat, sah ich mich genötigt, ihn am 20. Oktober 1909 zu töten, da sein Zustand sich hoffnungslos ver- schlimmert hatte. Die Sektion ergab eine vollständige Kastration. Die Daumenschwielen, die in Flemming’scher Flüssiekeit konser- viert werden, scheinen etwas zugenommen zu haben. Die Lymph- säcke des Frosches sind mit einem dicken gelatinösen schwarzen Kuchen vollständig ausgefüllt. Die Faszie ist braunrötlich verfärbt. Die mikroskopische Untersuchung der Daumenschwielen ergibt, dass die Drüsen entschieden zahlreicher und grösser als sonst bei Kastraten sind. Auch die Epidermis der Schwielen ist ziemlich dick; die Kerne in derselben zeigen lebhafte Vermehrung. Auf der Epidermis sind ganz kleine Höcker vorhanden. Tier D diente als Ersatz für den am 20. Oktober krankheits- halber getöteten Frosch. Auch für diesen Kastraten gelten dieselben Angaben vor Beginn des Versuchs wie bei den übrigen Tieren. Sein Gewicht betrug am 6. Oktober 1909 31,0 g. Am 12. November bekam der Frosch die erste Ovarialinjektion; über die folgenden Injektionen siehe die Tabelle, Tier D. Die Injektionen wurden so häufig gemacht wie der Frosch sie nur eben vertragen konnte. [ 39 W. Harms: Indessen zeigten sich hier wieder dieselben Erscheinungen wie bei Tier A. Vor allem trat wieder die intensive bläuliche Verfärbung auf, die auch nicht verschwand, wenn nach einer Injektion eine beträchtliche Zeit verstrich, ohne dass eine neue gemacht wurde. Decubitus trat bei diesem Tiere ebenfalls häufig auf, und zwar wenn das Tier die Injektion in die vordere Körperregion bekommen hatte, in den vorderen Extremitäten; hatte es dagegen die Injektion hinten, z. B. in den Saceus femoralis, erhalten, in den hinteren Extremitäten. Oft trat auch an anderen Stellen des Körpers brandige Verfärbung auf, da das Tier jedoch gut gepflegt und mit einer neuen Injektion gewartet wurde, bis es sich erholt hatte, so konnte es bis zum 17. Januar 1910 gehalten werden. Wie jedesmal nach einer je- weilisen Injektion festgestellt werden konnte, reagierte auch dieses Tier auf den vorherbeschriebenen Klammerungsreiz, der jedoch fast immer nur 2—5 Tage nach der Injektion anhielt. Die Daumen- schwielen des Tieres waren nur wenig stärker geworden. Am 17. Januar 1910 wurde der Kastrat getötet. Er wog vor seinem Tode 35,3 g, hatte also 4,3 g an Gewicht zugenommen. Der Befund ergibt, dass der Frosch, wie während der ganzen Zeit des Versuchs, intensiv bläulich verfärbt ist, namentlich an der Bauchseite. Die Leber hat ein schwärzliches Aussehen, ihre Oberfläche ist stark gerunzelt.e. Das Blut hat ein graurötliches Aussehen; das Herz ist grauschwarz. Der Fettkörper ist blendend weiss, ausserdem ist ein Loch im Mesoreetum vorhanden: Zeichen für eine reine Kastration. Die rechte Daumenschwiele des Frosches wird in Flemming’s Gemisch gehärte. Der Frosch selbst zwecks weiterer genauer Untersuchung in Sublimat fixiert. Was nun die mikroskopische Untersuchung der Daumenschwielen anbetrifft, so lässt sich sagen, das die Epidermis vollkommen ohne Höcker ist; die Zahl und Grösse der Drüsen jedoch entspricht nicht dem sonstigen Befunde bei Kastraten. Die Drüsen sind zahlreicher, grösser und verhältnismässig besser erhalten wie bei Kastraten; auch scheint noch Vermehrung der Drüsen stattzufinden, was aus knospenartigen Gebilden zu schliessen ist. Es soll weiter unten noch zusammenfassend auf den Zustand der Daumenschwielen und Drüsen eingegangen werden. Am auffallendsten an dem Frosche war die starke bläuliche Verfärbung; um diese zu erklären, war eine eingehende Untersuchung nötig. Schon bei der Sektion von Tier A war festgestellt worden, Hoden- und Ovarialinjektionen bei Rana fusca-Kastraten. 33 dass in den Lymphräumen die Bindegewebslage über den Muskeln stark braunrot verfärbt war. Schnitte durch die Haut und die all- seitige Umkleidung eines Lymphraumes ergaben nun folgendes: Der Lymphsack ist noch mit Dotterkörnchen reichlich angefüllt, Pigment ist jedoch kaum mehr darin vorhanden. In der Masse liegen ausserdem noch helle Bänder, die auf der gebogenen Seite rauh aus- sehen, während die äussere Seite glatt ist. So viel ich feststellen konnte, waren diese Gebilde als Zona pellueida der fast reifen Eier anzusehen. Das Pigment fand sich ausschliesslich in der der Haut gegenüber liegenden bindegewebigen Auskleidung des Lymphraumes und zwar in solehen Mengen, dass das betreffende vom Schnitt ge- troffene Stück vollständig schwarz erschien durch die grosse An- häufung von Pigmentkörnchen. Die Haut jedoch hat kaum mehr Pigment, als sie sonst normaler Weise aufweist. Die bläuliche Farbe der Haut rührt also daher, dass das mit Pigment schwarz gefärbte Bindegewebe durch die Haut durchsehimmert, wodurch ein blauer Ton hervorgerufen wird. Die Leber rief schon durch ihr merk- würdiges, geschrumpftes Aussehen das Interesse nach genauerer Unter- suchung wach. Wie schon makroskopisch vermutet werden konnte, war die Leber eirrhotisch. Schnittserien ergaben, dass sie ganz mit Bindegewebszügen durchsetzt war. Ausserdem war sie vollständig mit Pigment angefüllt, überall in den Leberzellen selbst und in den Binde- sewebszügen lagen grosse Mengen derselben. Die Blutgefässe in der Leber brachten ganze Mengen von Phagocyten, die mit Pigment vollgepfropft waren, um es hier abzulagern. Für die Leber waren diese Massen jedoch zu grosse, um sofort verarbeitet werden zu können; die Folge davon war die hochgradige Cirrhose. Pigment- anlagerung fand sich fast überall im Körper; sogar im Gehirn war sie vorhanden. In den Venen der Haut liessen sich eine ganze Reihe von Trombosen nachweisen, die auch die Ursache für den Decubitus und die brandigen Stellen in der Haut in sich bargen. Eine eingehendere Untersuchung der offenbar toxischen Wirkung der Ovarialsubstanz auf Froschmännchen wird noch der Gegenstand weiterer Studien sein. Bemerkt werden soll hier noch, dass eine an einem Frosehweibchen (Rana fusca) vorgenommene sehr reichliche Injektion von Ovarialsubstanz keine derartigen Folgen wie die beschriebenen zeitigten. Es trat keinerlei Verfärbung ein, auch das Allgemeinbefinden des Froschweibehens schien nicht gelitten zu haben. Auch eine zweite Injektion (die erste war am 14. Januar 1910, die zweite am 16. Ja- Pflüger’s Archiv für Physiologie, Bd. 133. 3 34 W. Harms: nuar 1910), die unmittelbar der ersten folgte, hatte keinen Erfolg. Die injizierten Massen wurden glatt resorbiert, ohne dass eine Ver- färbung eintrat. Die Resorption schien ausserdem viel schneller vor sich zu gehen wie bei den männlichen vorgenannten Kastraten. Die ÖOvarialsubstanz scheint also für das Weibchen keine toxischen Wirkungen in sich zu bergen, was ja auch erklärlich ist, denn sonst müssten ja Frösche, die aus irgendeinem Grunde nicht zum Ablaichen gekommen sind und darauf die reifen Eier resorbieren!) zugrunde gehen. Im Aquarium kann man beobachten, dass dies nicht geschieht. Tabelle über die erfolgten Hodeninjektionen bei Tier B- Kastriert im Januar 1909. Tod am 17. Januar 1910. Hoden injiziert am: 6. Oktober 1909, 23. Dezember 1909, 13. ü 1909, BA: e 1909, 19. ® 1909, 1. Januar 1910, 1. November 1909, Tree 1910, 12% s 1909, DER 1910, 19. 5 1909, 10:0, 1910, 26. n 1909, 12... 220.05 199.0) 2. Dezember 1909, 4.2.0810: 15. 5 1909, 1623,50, .910, 19. n 1909, 17. 20005. a9, Tier B. Die Behandlung des Kastraten vor Beginn des Versuchs ist wie bei den übrigen Tieren. Sein Gewicht beträgt 40,35 g&. Am 6. Oktober bekommt er seine erste Hodeninjektion; über die folgenden siehe Tabelle Tier B. Wie bei Tier A und D, so war auch hier ein Klammerungs- reiz auszulösen. Man verfährt dabei so, dass man den Frosch an den Hinterbeinen mit einem Tuche festhält und dann mit dem Zeigefinger in der Gegend des Fortsatzes des Sternums leicht hin und her reibt. Oft genügt schon ein leises Auftupfen auf diese Stelle, um den Frosch sofort zum Klammern zu bringen. Der Klammerungsreiz wirkt bei nieht kastrierten Froschmännchen um diese Zeit stets deutlich. Nicht dagegen bei Kastraten, bei denen nach der Kastration eine gewisse Zeit verflossen ist. Wie festgestellt werden konnte, beträgt diese 1) Vel. M. Nussbaum, Über die Beziehungen der Keimdrüsen zu den sekundären Geschlechtscharakteren. Arch. f. d. ges. Phys. Bd. 129. 1909. Hoden- und Ovarialinjektionen bei Rana fusca-Kastraten. 35 Zeit etwa zwei Monate; alsdann ist meistens jeglicher Brunstreiz ver- schwunden. Am 10. Februar 1910 konnte ich z.B. feststellen, dass bei Kastraten, die seit Mitte Dezember kastriert worden waren, nie mehr die Klammerung erreicht werden konnte. Bei einem Frosch, der am 19. Dezember 1909 kastriert war, konnte noch ein ganz leichtes Klanımern dureh Reiz hervorgerufen werden, während es bei Ende Dezember und Januar kastrierten Tieren ganz leicht war, sie zum Klammern zu bringen. Ein Beweis dafür, dass auch ohne Hoden der Brunstreiz eine Zeitlang noch erhalten bleibt. Es ist ja auch bekannt, dass Frösche, die während des Begattungsaktes kastriert werden, noch weiter das Weibchen umarmen. Bei Tier B nun war von Beginn des Versuchs am 6. Oktober der Brunstreiz vollständig verschwunden. Nach jeder Hodeninjektion kehrte er regelmässig, jedoch nur für eine bestimmte Zeit zurück. Das Tier klammerte z. B. nach der am 6. Oktober erfolgten Injektion lebhaft am Tage darauf, am 7. desselben Monats. Am 13. Oktober war der Klammerungsversuch nahezu erfolglos. Nach der Injektion am 15. Oktober klammerte er vom 14. bis 19. desselben Monats lebhaft auf Reiz. Am 15. Dezember wurde vormittags injiziert am Nachmittag konnte schon eine sehr energische Klammerung aus- gelöst werden, die auf jeweilig erneuten Versuch bis zum 19. anhielt. Es wurde am selben Tage wieder injiziert; die Wirkung war jedoch nur bis zum 22. Dezember nachzuweisen. Am 23. desselben Monats erfolgte eine Injektion mit artfremden Hoden, von Rana esculenta; auch danach war das Klammerungsvermögen sehr intensiv und hielt bis zum 27. Dezember an. Anfang Januar dauerte dasselbe nur etwa drei Tage. Es wurden dann keine Reizversuche mehr gemacht; aus dem Gebaren des Tieres beim Anfassen liess sich jedoch schliessen, dass bei demselben jederzeit durch die häufig erfolgten Injektionen eine Klammerung durch Reiz hätte hervorgerufen werden können. Die Daumenschwielen des Tieres machten makroskopisch den Ein- druck, als ob sie sich vergrössert hätten, jedoch nicht ganz so stark wie bei dem nichtinjizierten Tiere ©. Epidermishöcker waren bei dem Frosche B nicht zu erkennen, wohl aber bei GC. Am 17. Januar 1910 wurde der Frosch B getötet. Seine rechte Daumenschwiele wurde in Flemming’s Gemisch gehärtet. Vor der Tötung wurde sein Gewicht zu 59,3 & festgestellt, also eine Zunahme gegenüber der Wägung am 6. Oktober von 19 & nachgewiesen. Dieser riesigen Gewichtszunahme entsprachen auch die inneren Befunde. Die Leber BE 36 W:.@Harms: war riesig gross; der Fettkörper ebenfalls; ausserdem war letzterer blendend weiss gefärbt, schon ein Zeichen dafür, dass das Tier völlig kastriert war, und dass auch die Hodeninjektion die durch die Kastration hervorgerufene Weissfärbung nicht wieder in die normale selbe Färbung ‘zurückgeführt hatte. Ein Loch im Mesorectum ist vorhanden; da auch sonst nirgends Spuren von Hodensubstanz im Körper nachgewiesen werden können, so ist die Kastration eine voll- ständige gewesen. Der Frosch wird in Formol aufbewahrt. Die Daumenschwielen werden mikroskopisch an Schnittserien untersucht. Es ergibt sich, dass eine eigentliche günstige Einwirkung der Hoden- injektion, wie M. Nussbaum sie in einem analogen Falle feststellte, nicht eingetreten war. Die Drüsen waren wohl zahlreicher und grösser als sonst bei Kastraten, aber der nichtinjizierte reine Kastrat C, der zur Kontrolle diente, hatte ebenso grosse Drüsen als B, ausserdem waren sie zahlreicher. Körncehen waren in den Drüsen nachzuweisen sowohl beim Kastraten C wie auch bei dem injizierten Tiere B. Zum besseren Verständnis soll der positive Versuch M. Nuss- baum’s hier auszugsweise angeführt werden. Das Tier sei hier X genannt. Tier X. Der Frosch, der seit der Laichzeit mangelhaft gefüttert war, wird am 26. Mai einseitig kastriert und dann regelmässig gefüttert. Am 2. Juni wird auch der zweite Hoden entfernt. Die Daumen- schwielen waren in der Zeit vom Mai bis September glatt und niedrig, die einzelnen Abteilungen sind voneinander getrennt, trotz- dem das Körpergewicht zugenommen hatte. Dem Tiere wurden nun folgende Hodeninjektionen gemacht: Hoden injiziert am: 8. September 1908, 23. September 1908, 10. y 1908, 26. 2 1908 nicht ge- 14. 5 1908, raten; mangelhaft injiziert, 17 5 1908, 1. Oktober 1908. Ion nn 1908, Am 20. September, also schon nach der fünften Injektion, sind die Schwielen deutlich grösser geworden, Chagrin scheint auf der zweiten Abteilung vorhanden zu sein. Der volare Winkel zwischen basaler und zweiter Abteilung ist mit neugebildeter Drüsensubstanz ausgefüllt. 7 (U) Hoden- und Ovarialinjektionen bei Rana fusca-Kastraten. Nach der sechsten Injektion wurden Höcker auf der zweiten Ab- teilung sichtbar, die am 2. Oktober noch deutlicher sind und auch auf der basalen Abteilung bemerkbar werden. Am 6. Oktober wird der Frosch getötet; bei der Sektion ergibt sich, dass die Kastration eine reine war. Das Tier ist in sehr gutem Ernährungszustande, es hat 25 g zugenommen (49,3 — 24,3). Die mikroskopische Untersuchung der Schwielen ergibt, dass die Drüsen derselben bedeutend an Grösse und Zahl im Vergleich zum Kastraten zugenommen haben, jedoch haben die Drüsen und auch die Epithel- höcker bei weitem nicht die Mächtigkeit, wie wir sie bei normalen Fröschen um diese Jahreszeit feststellen können. Wenn ich nun zunächst auf die in meinen Versuchen gewonnenen Resultate eingehe, so muss in erster Linie festgestellt werden, dass ich weder durch Hodeninjektion noch durch eine solche von Ovarium eine Einwirkung auf die Daumenschwielen und Drüsen feststellen konnte, die keineswegs stärker, ja in dem Falle der Hodeninjektion (s. Tier B) schwächer entwickelt waren als bei dem nichtinjizierten Tiere (C). Wenn man den Nussbaum’schen positiven Versuch in Betracht zieht — dass er ein solcher ist, davon konnte ich mich selbst an den betreffenden Präparaten überzeugen —, so ist zunächst zu sagen, dass die Jahreszeit, in der die Versuche gemacht wurden, verschieden war. M. Nussbaum injizierte grösstenteils im Sep- tember (8. September bis 1. Oktober), während ich vom Anfang Oktober bis Mitte Januar experimentierte. Ausserdem war die Zeit, in der die Kastration bei meinen Tieren einwirken konnte, eine beträchtlich längere, meine Frösche hatten seit der Kastration ein ganzes Jahr lang gelebt. Als gewissermaassen positives Resultat sowohl der Ovarial- wie der Hodeninjektion lässt sich allerdings der nach den Injektionen regelmässig auftretende Brunstreiz anführen, der sich in lebhaftem Klammern äusserte. Ein Versuch, das Klammern auch durch Injektion von somatischen Zellen hervorzurufen, schlug fehl. Es sind also jedenfalls gewisse Stoffe der Generationsorgane, die diesen Reiz allein dadurch bewirken, dass sie aus den injizierten Hoden oder Ovarialmassen in den Säftestrom des Kastraten über- gegangen Sind. Soviel ich bis jetzt aus meinen Versuchen schliessen kann, scheinen die Daumenschwielendrüsen des Kastraten, ob mit Hoden 38 W. Harms: injiziert oder nicht, Ende Oktober bis Anfang Dezember bei guter Fütterung wieder etwas an Zahl und Grösse zuzunehmen. Auch die Epithelhöcker werden wieder sichtbar. Bei dem Tiere C war am 6. Oktober sicher niehts von Epithelhöckern vorhanden, auch die Schwielen waren ganz glatt, der volare Winkel sehr gross. Anfang November jedoch waren Epithelhöcker nachzuweisen, die Schwielen wurden stärker und der volare Winkel zwischen distaler und proxi- maler Partie allmählich kleiner, wie dies M. Nussbaum in einem Falle ebenfalls beschrieben hat. Von Mitte Dezember bis Mitte Januar liess sich dann keine Zunahme mehr makroskopisch fest- stellen. Dass aber noch eine anhaltende Regeneration vorhanden war, beweisen mir ziemlich zahlreiche Mitosen in den Drüsenepithel- zellen. Fig. 5 zeigt einen Teil eines Querschnittes durch eine Daumenschwiele (basale Partie, wie alle folgenden Figuren) von Tier ©. — Zu den Figuren möchte ich noch bemerken, dass sie alle ungefähr derselben Partie der Daumenschwiele entstammen und alle die gleiche Vergrösserung haben. Sie sollen Vergleichsstadien dar- stellen, worüber das Nähere sich aus dem folgenden ergibt. Wir sehen, dass in Fig. 5 die Drüsen sehr zahlreich sind, wenn man sie mit den Fige. 3 und 4, die von Kastraten stammen, die vom 26. Juni bis 6. November bzw. vom 18. Mai bis 4. November als solche gelebt hatten und gut gefüttert wurden, vergleicht. Noch mehr fällt der Unterschied in die Augen, wenn man Fig. 2 betrachtet. Dieses Bild stammt von der Daumenschwiele eines bis zur Erschöpfung ausgehungerten Tieres, das am 13. Juli getötet wurde. Die Figur gibt den vollständigen Querschnitt durch eine Schwiele wieder, während bei den übrigen Figuren nur etwa ein Viertel bis ein Dritttel dargestellt ist. Die Epidermis ist auf einen geringen Rest zusammen- seschrumpft. Die Drüsen sind, wie man sieht, an Zahl gering, enorm klein und haben ein extrem niederes Epithel. Die Drüsen des Kastraten in Fig. 3 sind auch sehr klein und nicht zahlreich, haben aber iınmerhin eine noch ganz beträchtliche Grösse, wenn man sie mit denen des Hungertieres vergleicht. Die Epidermis ist in den Fig. 3, 4 und 5 ziemlich gleich diek, nur sind in Fig. 5 bedeutend mehr und grössere Epithelhöcker vorhanden als in Fig. 4 oder in 3. Was nun die Drüsen anbetrifft, so sind sie in Fie. 3 an Zahl und Grösse am kleinsten vertreten. Der Kastrat, dem diese Schwiele angehörte, war, als er am 26. Juni kastriert wurde, in vorzüglichem Ernährungszustande und hatte Epithelhöcker auf den gut ausgeprägten Hoden- und Ovarialinjektionen bei Rana fusca-Kastraten. 39 Daumenballen. Bis zum 21. Juni blieb das durch die Epithelwärzchen erzeugte Chagrin gut sichtbar, um dann mit dem Kleinerwerden der Schwielen zu schwinden. Es ist möglich, dass auch hier in Fig. 3 Fig. la. Querschnitt durch die Daumenschwiele eines normalen Tieres aus Monat Oktober (Tod am 19. Oktober). £Oc. 2, Obj. A, Zeiss. Fig. 1b. Querschnitt durch die Daumenschwiele eines normalen Tieres zur Zeit der Umarmung im Frühling. Oc. 2, Obj. A, Zeiss. die Epithelhöcker kurz vor der Zeit der Tötung am 6. November etwas wieder gewachsen waren. Der Kastrat Fig. 4 hat ungleich mehr Drüsen als der Kastrat Fig. 3. Nach den Protokollen war dieses Tier zurzeit der Kastration am 18. Mai sehr mager, wurde dann gut gefüttert, und Ende September werden die ersten Epithel- 40 W. Harms: höcker sichtbar. Dass auch die Drüsen wieder zugenommen haben müssen, zeigt ihre grosse Zahl und hier und da die Bildung von Knospen. In Fig. 5 sind die Drüsen noch zahlreicher und nament- lich grösser als in Fig. 4; ausserdem lassen sich hier auch Körnchen Fig. 2. Querschnitt durch die Daumenschwiele eines Hungertieres. (Gehungert seit der Brunstzeit, Tod am 18. Juli 1908.) Oc. 2, Obj. A, Zeiss. Fig. 3. Schnitt durch die Daumenschwiele eines Kastraten von Rana fusca, Kastriert am 26. Juni, Tod am 1. November). Oc. 2, Obj. A, Zeiss. er, 8 9729 Fig. 4 Durchschnitt der Schwiele eines Kastraten. Rana fusca. (Kastriert am 18. Mai, getötet am 4. November.) Oc. 2, Obj. A, Zeiss. ENT Fig. 5. Querschnitt durch die Daumenschwiele eines Kastraten. (Kastriert im Januar 1909, Tod am 17. Januar 1910; s. Protokoll Tier C.) Oc. 2, Obj. A, Zeiss. in den Drüsen nachweisen. Immerhin haben auch die Drüsen nicht eine solche Mächtigkeit erreicht, wie sie normalerweise haben müssten. Um das einzusehen, genügt ein Blick auf Fig. 1a, ein Schnitt durch eine normale Schwiele aus der Zeit Ende Oktober. Keine von den in Fig. 2—9 dargestellten Drüsen hat im entferntesten einen solchen Umfang als die in Fig. 1a und b. Auch das Epithel der Drüsen Hoden- und Ovarialinjektionen bei Rana fusca-Kastraten. 41 ist bei weitem höher als das der anderen Drüsen, auf die ich noch zu sprechen komme. Mit den Epithelwarzen verhält es sich ähnlich, sie haben in Fig. 1a eine enorme Höhe, wenn man sie mit denjenigen der anderen Drüsen, ausser Fig. 1b vergleicht. Letztere Figur stellt einen Schnitt durch eine Daumenschwiele eines Fig. 6. Querschnitt durch die Schwiele eines mit Hoden injizierten Kastraten. ( Kastriert am 2. Juni, Tod am 6. Oktober; s. Protokoll Tier X.) Oc. 2, Obj. A, Zeiss. en _ Fig. 7. Querschnitt durch die Daumenschwiele eines mit Hoden injizerten Kastraten, (Kastriert im” Januar 1909, Tod am 17. Januar 1910; s. Protokoll Tier B.) Oc. 2, Obj. A, Zeiss. Fig. 8. Querschnitt durch die Schwiele eines mit Ovarium injizierten Kastraten. (Kastriert im Januar 1909, Tod am 20. Oktober 1909; s. Protokoll Tier A.) Oc. 2, Obj. A, Zeiss. Frosches während der Brunstzeit dar. Besonders auffallend sind hier die zu verhornten Spitzen ausgebildeten Epithelhöcker; sie dienen dazu, bei der Umklammerung das Weibchen festzuhalten. Die Drüsen sind in Fig. 1b schon etwas kleiner geworden, da während der Umklammerung reichlich Körnchensekret verbraucht wird. Einen Schnitt durch die Schwiele des von mir vom 6. Oktober bis Mitte Januar mit Hoden injizierten Frosches (Tier B) stellt 43 W. Harms: Figur 7 dar. ‘Der Kontrollkastrat, der nicht injiziert wurde, ist in Fig 5 dargestellt, Figur 7 muss also mit letzterer Figur verglichen werden. Es ergibt sich sofort, dass die Schwiele des nichtinjizierten Frosches Figur 5 ein bedeutend besseres Aussehen zeigt als Figur 7. In ersterer Figur sind ziemlich gute Epidermiswarzen zu erkennen, die natürlich nicht mit normalen um dieselbe Jahreszeit (s. Fig. la und b) verglichen werden können; in Figur 7 ist die Schwiele ganz glatt. Die Zahl der Drüsen in Figur 7 ist bedeutend geringer als in Figur 5; auch sind die Drüsen kleiner. Allerdings haben die Drüsen in Figur 7 durchweg ein höheres Epithel. Körnchensekret findet sich in den Drüsen der beiden Tiere. Fig. 9. Querschnitt durch die Daumenschwiele eines mit Ovarium injizierten Kastraten. (Kastriert im Januar 1909, Tod am 17. Januar 1910; s. Protokoll Tier D.) Oc. 2, Obj. A, Zeiss. Die beiden letzten Figuren stellen Schwielen von Drüsen dar, wo der Einfluss der Ovarialinjektion geprüft werden sollte. Es sind dieses die beiden Kastraten, die im Protokoll als Tiere A und D behandelt worden sind. Tier A wurde am 20. Oktober getötet. Makroskopisch liess sich nur eine kleine Zunahme der anfangs sehr kleinen glatten Schwielen feststellen. Wir gehen jetzt zur Betrachtung der in den Figuren 6, S und 9 dar- gestellten Drüsen über. Figur 6 gibt einen Schnitt durch die Daumen- ballen des Kastraten X!) wieder. Wir bemerken auf der Haut kleine Epithelhöcker, die während der etwa einmonatlichen Dauer der Injek- tionen von Hoden wieder erschienen sind; solche Höcker weisen jedoch auch die Kastraten Fig 3 und 4 ebenfalls auf. Was nun Zahl und Grösse der Drüsen anbetrifft, so ist festzustellen, dass sie an Zahl bedeutend stärker sind wie in Fig. 3, dagegen sind in Fig. 4 ebenso viele Drüsen vorhanden. Grösser sind die Drüsen nun entschieden in Fig. 6 verglichen mit Fig. 3 und 4, ausserdem weisen die Drüsen 1) Vgl. 8.41. Hoden- und Ovyarialinjektionen bei Rana fusca-Kastraten. 43 durch Knospung Vermehrung auf; letztere kommt jedoch auch in Fig. 4 vor. Mit Fig. 5, der Schwiele eines Kastraten aus dem Monat Januar (Tier C), hält nun Fig. 6 eben die Wage. Die Epi- dermishöcker sind in Fig. 5 etwas höher, die Zahl der Drüsen ist ziemlich die gleiche, die Grösse ebenfalls, nur dass die Drüsen in Fig. 6 ein etwas normaleres Aussehen haben; allerdings kommt in beiden Zerfall von Drüsen vor, der aber in Fig. 5 etwas stärker ist. Körnehensekret findet man in den Drüsen der beiden Schwielen. Das mikroskopische Bild Fig. S ergibt jedoch, dass hier die Drüsen viel grösser sind als in allen anderen Figuren ausser Fig. la und 1b. Auch die Epithelhöcker sind sehr hoch. Die Drüsen sind in sehr gutem Zustande und zeigen noch Vermehrung durch Knospung. Es ist nun die Frage, ob hier ein Einfluss der nur zweimal erfolgten Injektion von Ovarien das immerhin beträchtliche Anwachsen der Drüsen erzeugt hat; oder aber, ob wir es mit einer Zunahme von Drüsen und Schwielen überhaupt zu tun haben, die immer nur um diese Zeit bei Kastraten, auch wenn sie ganz unbeeinflusst sind, eintritt? Ich möchte aus Gründen, die noch angeführt werden sollen, fast das letztere vermuten. — Gleicherweise mit Ovarialsubstanz wurde Tier D, Fig. 9, injiziert. Das Tier war durch die Injektion immer sehr elend, infolgedessen ist auch die Epidermis sehr niedrig und glatt. Die Drüsen sind jedoch an Zahl reichlich vertreten, ihre Grösse steht dagegen hinter denen in Fig. S zurück. Immerhin liess sich auch Vermehrung durch Knospung bei diesem Tiere feststellen. Wie schon angedeutet, liess sich in meinem Versuch nicht nach- weisen, dass die Hoden- oder Ovarialsubstanz in positiver Weise einen günstigen Einfluss auf die Brunstorgane ausgeübt hätten. Fest- gestellt konnte lediglich werden, dass durch Einverleibung von Hoden sowohl wie Ovarium ein Klammerungsreiz erzeugt werden kann, wie er auch bei normalen unversehrten Fröschen vorhanden ist, der dagegen bei Kastraten schon etwa 2 Monate nach der Operation nicht mehr auszulösen ist. Die Brunstorgane sind in einem Falle, wo Hoden injiziert war, hinter denjenigen des Kontrolltieres zurück- geblieben, in einem anderen Falle waren dieselben stärker (Fig. 8). Da jedoch dieses Tier Ende Oktober getötet wurde, so käme zum Vergleich nur Fig. 3 und 4 in Betracht, die beide von Tieren stammen, die ungefähr um dieselbe Zeit, in den ersten Tagen des Novembers, getötet wurden. Die Drüsen sind namentlich im Ver- gleich zu Fig. 3 bedeutend zahlreicher und grösser, auch die Drüsen 44 W. Harms: Hoden- und Ovarialinjektionen bei Rana fusca-Kastraten. in Fig. 4 werden in der Grösse übertroffen, wenn auch nicht an Zahl. Die Schwiele Fig. 9, die von einem Tiere (siehe Protokoll D) stammt, das längere Zeit mit Ovarium injiziert wurde, lässt sich wieder mit Fig. 5 vergleichen, und zwar wieder zum Vorteil der nichtinjizierten Kastraten. Die Frage, wirkt Hoden- oder Ovarialsubstanz vermittelst der inneren Sekretion günstig auf die Brunstorgane ein, bleibt nach meinen Versuchen unentschieden. Die jedesmal nach einer Injektion auftretende Reizbarkeit zur Kiammerbewegung ist sicher festgestellt worden. Nun tritt aber während der Umklammerung bei normalen Fröschen eine mächtige Sekretion der Drüsen ein, auf die eine Degeneration derselben erfolgt. Es wäre also bei meinen Ver- suchen denkbar, dass die sehr häufig erfolgten Injektionen zunächst fördernd auf die Drüsen, dann aber wieder durch ihren Zerfall rück- bildend auf sie eingewirkt hätten. Dies ist um so eher möglich, als die Neigung zu Klammerbewegungen ebenfalls kurze Zeit nach der Injektion wieder schwand. Überdies hat R. Meyns (l. ec.) beobachtet, dass jedesmal bei frisch kastrierten Tieren, denen gleichzeitig mit der Kastration Hoden mit Erfolg transplantiert wurde, eine Rückbildung der Drüsen ein- trat, zu einer Zeit, wenn im Transplantat alle Samenelemente bis auf die Spermatogonien zugrunde gingen. Unter diesen Annahmen kann selbstverständlich der positive Ausschlag auf die Daumendrüsen durch die bald nach der Injektion rückgebildete zerquetschte Hoden- substanz kein sehr grosser gewesen sein. Modifikationen in bezug auf das Experiment sind daher in Aus- sieht genommen, so dass, wenn noch der Einfluss der Jahreszeit genügend berücksichtigt wird, was nur durch Beobachtung während eines ganzen Jahres und ständige Untersuchung der kastrierten Tiere möglich ist, in absehbarer Zeit die Frage abschliessend entschieden werden kann. 45 (Aus dem physiologischen Laboratorium der psychiatrischen und Nervenklinik zu St. Petersburg. Vorsteher: Prof. W. v. Bechterew.) Zur Frage über die Erregbarkeit der motorischen Zentra in der Hirnrinde neugeborener Säugetiere. Von Sergius Michailow. (Mit 23 Textfiguren.) Das experimentelle Studium der Funktionen der Hirnrinde neu- geborener Säugetiere begann bloss einige wenige Jahre nach der Veröffentlichung der bedeutungsvollen Untersuchungen Fritsch’s und Hitzig’s, welche gezeigt hatten!), dass es in der Hirnrinde bestimmte und umschriebene Partien gibt, bei deren Reizung mittelst des elektrischen Stromes Kontraktionen bestimmter, immer der gleichen Muskelgruppen eintreten. Diese Frage wurde in bezug auf neugeborene Tiere zuerst von Soltmaun?) im Jahre 1876 hervorgehoben. Soltmann studierte die Frage über die Erregbarkeit der Hirnrinde an neugeborenen Hunden und Katzen, wobei die in seiner Arbeit niedergelegten Ergebnisse fast ausschliesslich an jungen Hunden erlangt sind. Es wurden von ihm zu diesem Zwecke 132 Hunde utilisiert, die vorher mit Äther, Chloroform oder Morphium narkotisiert worden waren. Als Reiz benutzte Soltmann den konstanten Strom einer Pineus’schen Batterie, wobei die Stärke des Stromes eine derartige war, dass er von der Zungenspitze bloss leicht empfunden wurde; mitunter wurde aber der Strom bedeutend verstärkt. Soltmann 1) Fritsch und Hitzig, Über die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. Reichert’s und Du Bois-Reymond’s Archiv 1870. 2) Soltmann, Experimentelle Studien über die Funktionen des Gross- hirns der Neugeborenen. Jahrb. f. Kinderheilk. u. psych. Erziehung N. F. Bd. 9. 1876. 46 Sergius Michailow: reizte bei neugeborenen Hunden den ganzen Lobus prae- und post- frontalis und erhielt nie irgendeinen Effekt hinsichtlich Kontraktion der Muskulatur der Extremitäten, des Gesichts, Nackens, Rückens, Bauches und Schwanzes, woraus er den Schluss zog, dass diejenigen Partien der Hirnrinde, die bei erwachsenen Tieren motorische Funktionen besitzen, bei Neugeborenen der gleichen Art diese Eigen- schaft nicht haben. Daraufhin entstand natürlicherweise die Frage: Wann bilden sich solche motorische Rindenzentren aus? Soltmann erhielt erst am 10. Tage nach der Geburt des Tieres bei Reizung der Hirnrinde mittelst schwacher und starker Ströme Muskelzuckungen und bloss an den vorderen Extremitäten. Am 13. Tag ungefähr beginnt bei Reizung das Rindenzentrum für die Bewegung der hinteren Extremität zu funktionieren, und am 16. Tage erscheinen als schon vollkommen unischrieben und isoliert drei Zentra: für die vorderen, die hinteren Extremitäten und die Gesichtsmuskulatur ; die Zentra für die Kontraktion der Rücken- und Bauchmuskeln sowie der Muskulatur des Schwanzes bleiben noch aus. Die Rindenzentra nehmen, nach Soltmann, zuerst bedeutend grössere Partien der Hirnrinde ein; mit Vermehrung der Zahl der Zentra isoliert und umgrenzt sich jedes einzelne auf einem kleineren Gebiet, wobei es schon die dem erwachsenen Tier der gleichen Art eigene Lage einnimmt. Ausser dieser Serie von Experimenten mit Reizung der Hirn- rinde stellte Soltmann noch drei andere Serien von Experimenten an. Er exstirpierte bei Hunden, die das Alter von 9—10 Tagen noch nicht erreicht hatten, die Hirnrinde im Gebiete der motorischen Zentra und erhielt dabei nie irgendeinen Effekt im Sinne des Aus- falls der motorischen Funktionen. Dieser Effekt trat im Gegenteil ständig ein bei Tieren, die das genannte Alter überschritten hatten. Ferner exstirpierte Soltmann die Rinde der motorischen Zone bei jungen Hunden, bei denen die Rindenzentra sich noch nicht ausgebildet hatten, und liess diese Tiere am Leben. Hierbei kamen weiterhin nie irgendwelche motorische Defekte zur Beobachtung, und soche Hunde blieben nur überhaupt in ihrer Entwicklung und ihrem Wachstum vor ihren Altersgenossen zurück. Eine vierte Reihe von Experimenten endlich, die Soltmann angestellt hatte, bestand darin, dass er mittelst des elektrischen Stromes tiefer unter der Rinde liegende Teile reizte. Auf Grund soleher Experimente kam er zu dem Schlusse, dass das Corpus striatum bei Neugeborenen Zur Frage über die Erregbarkeit der mot. Zentra in der Hirnrinde etc. 47 keine motorischen Eigenschaften besitzt, und dass Reizung der Fasern in der inneren Kapsel beständig Zuckung der gekreuzten vorderen Extremität hervorruft. Hiermit haben wir kurz den tatsächlichen Teil der Unter- suchungen Soltmann’s über die Funktionen des Grosshirns neu- geborener Tiere auseinandergesetzt. Soltmann selbst aber begnügte sich nicht bloss mit Tatsachen und fügte seiner Arbeit noch eine bedeutende Anzahl von Betrachtungen, Vermutungen und Voraus- setzungen hinzu, welche alle darauf gerichtet waren, die an neu- geborenen Hunden erlangten Tatsachen auf das Kind zu übertragen. Dabei behauptete er, dass die Ausbildung der Rindenzentra indirekter Abhängigkeit von den Eindrücken der Aussenwelt stehe, welche das neugeborene Tier mittelst seiner Sinneswerkzeuge aufnimmt. (Nach Soltmann Öffnen Hunde ihre Augen am siebenten bis achten Tage nach der Geburt.) Gegen diese Verallgemeinerungen sprach sich aber schon bald darauf Tarehanoff'), der über die gleiche Frage — Erregbarkeit der Hirnrinde bei Neugeborenen — arbeitete, aus. Er stellte seine Experimente an Meerschweinchen an, die, wie be- kannt, bei der Geburt schon äusserlich über alle dem erwachsenen Tiere eigenen Funktionen verfügen. Tarchanoff benutzte Meer- schweinchen im Alter von 17 &tunden resp. 3 und 5 Tagen und verglich sie mit gleichaltrigen Kaninchen. Die Reizung der Ober- fläche der Hirnhemisphären geschah mittelst Elektroden von der Sekundärspirale eines du Bois-Reymond’schen Induktionsappa- rates, welcher von zwei Daniell’schen Elementen gespeist wurde. Auf den vorderen Partien der Hemisphären neugeborener Meer- schweinchen fand Tarchanoff Punkte, deren Reizung Bewegungen an den Kiefern und der vorderen und hinteren Extremität der kontralateralen Körperseite hervorrief, wobei zur Erzielung von Be- wegungen in jedem einzelnen dieser Glieder der Strom entsprechend verstärkt werden muss. Auf Grund dieser Experimente zog Tar- chanoff den Schluss, dass bei neugeborenen Meerschweinchen fast von den ersten Stunden nach der Geburt an, die, wie sie dann genannt wurden, psychomotorischen Zentra für den Kauapparat, die vorderen und hinteren Extremitäten bereits entwickelt sind. Ferner 1) Tarchanoff, Über die psychomotorischen Zentra und ihre Entwicklung beim Menschen und den Tieren. Russisch. St. Petersburg 1879. — Tarcha- noff, Revue mensuelle de med. et de chir. 1878. 48 Sergius Michailow: wies Tarchanoff nach, dass Meerschweinchen schon am Ende ihrer intrauterinen Lebensperiode wohlentwickelte psychomotorische Zentra besitzen. Bei Kaninchen dagegen, die mit. geschlossenen Augen und Ohren zur Welt kommen (nach Tarchanoff beginnt bei neugeborenen Kaninchen der äussere Gehörgang erst vom fünften Tage nach der Geburt an sieh zu: öffnen, die Augen öffnen sich voll- ständig am 13. Tage), beginnen die psychomotorischen Zentra vom 12. oder 13. Tage nach der Geburt an zu erscheinen, dabei ent- wickeln sich ‚früher als alle übrigen die Zentra für die Bewegung des Unterkiefers und überhaupt diejenige Gruppe von Zentren, durch deren Reizung der Kauakt ausgelöst wird. Nach ihnen erscheinen die Zentra für die Vorderpfote und 3—4 Tage später die Zentra der Hinterpfote. - Am 16. Tage nach der Geburt sind beim neu- geborenen Kaninchen alle psychomotorischen Zentra bereits vor- handen. Nach der Meinung Tarchanoff’s liegt die Ursache für den höheren Entwicklungsgrad des Nervensystems resp. der psycho- motorischen Zentra des neugeborenen Meerschweinchens im Vergleich zu demjenigen des neugeborenen Kaninchens nieht nur in der längeren Dauer des intrauterinen Lebens der ersteren, sondern auch in den besonders günstigen Ernährungs- und Wachstumsverhältnissen des Meerschweinchens während der intrauterinen Lebensperiode Zur Bestätigung dieser Vermutung unternahm Tarchanoff eine neue Reihe von Experimenten über:den Einfluss verschiedener Bedingungen und Regime auf die Entwicklung der psychomotorischen Zentra neu- geborener Kaninchen und Meerschweinchen. Um die Ernährung des Gehirns zu steigern, hielt er die Ver- suchstiere täglich während ?/a«—2 Stunden. nacheinander in senk- rechter Lage mit dem Kopf nach unten und verabreichte ihnen innerlich Phosphor in der Dosis von Yso Gran, in Lebertran ge- löst — ein oder zweimal täglich. Zur Erzielung des entgegengesetzten Effektes führte er dem Tier täglich 2—4 Teelöffel einer 35 %oigen Alkohollösung ein und brachte es ebenfalls täglich für ?/—2 Stunden in eine senkrechte Lage mit dem Kopf nach oben und den Beinen nach unten. Auf Grund solcher Experimente kam Tarchanoff zu dem Schluss, dass einerseits Phosphor und die Hyperämie des Gehirns, andererseits der Alkohol und die Hirnanämie in der Tat einige von denjenigen Bedingungen sind, welche die Entwicklung der psycho- motorischen Zentren und überhaupt des Nervensystems beeinflussen (die ersteren beschleunigen diese Entwicklung — die letzteren ver- Zur Frage über die Erregbarkeit der mot. Zentra in der Hirnrinde etc. 49 langsamen sie). Auf Grund dieser kurz von uns angeführten Unter- suchungen spricht sich Tarehanoff dahin aus, dass auf solche Weise bei manchen Tierarten sich schon während der intrauterinen Lebensperiode in der Hirnrinde psychomotorische Zentren ausbilden, ganz unabhängig von den Einflüssen der Aussenwelt, kraft bloss der Ernährungs- und Wachstumsprozesse der Gewebe. Diese Tatsache zeigt, dass die Schlussfolgerung Soltmann’s von dem Fehlen psychomotorischer Zentren bei neugeborenen Tieren nur auf solche beschränkt werden muss, die blind zur Welt kommen und zu einer regelmässigen Lokomotion nicht fähig sind; andererseits erscheint der Entwicklungsprozess dieser Zentren selbst, der nach Soltmann gewissermaassen nur ein Produkt der Einwirkung der Aussenwelt auf Sinnesapparate des Neugeborenen ist, tatsächlich gar nicht als solehes. Und abgesehen davon, dass schon Tarchanoff die Schluss- folgerungen Soltmann’s beschräukt und eingeengt hat, bestritten in den nächstfolgenden Jahren viele Autoren die Richtigkeit selbst der faktischen Seite der Soltmann’schen Mitteilungen. (Lemoiney Marcacei u. a.) Lemoine!) war der erste, der sich dahin aus- sprach, dass die Hirnrinde neugeborener Hunde und Katzen im Ge- biete der Gyri sigmoidei in einem bedeutend früheren Alter also das von Soltmann angegebene erregbar erscheint. Marcacei’) erhielt die gleichen Resultate bei der Untersuchung von sechs Hunden, die noch vor Ende der Schwangerschaft aus dem Mutterleibe ent- fernt worden waren, und auch von zwei Hunden und zwei Katzen, die das Alter von 1—2 Tagen erreicht hatten. Er benutzte dabei die Chloroformnarkose und erzielte Bewegungen in den vorderen, mitunter auch den hinteren Extremitäten der gekreuzten Seite. Bei Verstärkung des elektrischen Stromes kamen aber die Extremitäten beider Körperhälften in Aktion. Alle die Bewegungen erhielt Mar- eacci nur in dem Falle, wenn die Elektroden ins Hirngewebe in der Nähe des Sule. erueiatus leicht versenkt wurden; bei Reizung durch blosses Anlegen der Elektroden an die Hirnoberfläche blieb in seinen Experimenten der Effekt aus. Aus diesen Tatsachen zog Marcacei den Schluss, dass die Rindenschicht der grauen Mark- 1) Lemoine, Contribution & la determination et A l’etude experimentale des localisations fontionelles encephaliques. These de Paris 1880. 2) Marcacci, Etude critique experimentale sur les centres moteur corticaux. Arch. ital. de Biol. t. 1. 1882, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 4 50 Sergius Michailow substanz nicht erregbar ist, und dass das Gehirn neugeborener Tiere und selbst solcher, die sich noch im Mutterleib befinden, in der gleichen Weise wie das Gehirn erwachsener Tiere reagiert. In einer anderen Arbeit weist aber Marcacei') darauf hin, dass wenn man zur Fr- zielung eines Effektes bei Reizung der Hirnrinde frühgeborener Tiere auch in der Tat die Elektroden 1—2 mm tief in die Hirnrinde ver- senken muss, er bei Tieren, die das Alter von 2 Tagen erreicht hatten, charakteristische Zuckungen der gekreuzten Extremitäten durch blosses Anlegen der Elektroden an die Hirnoberfläche hervor- rufen konnte (Appoggiando leggiermente). Gegen diese Behauptungen äusserte sich Crosnier de Varigny°) aus dem Vulpian’schen Laboratorium. Er konnte sich nieht von der Erreebarkeit der Hirn- rinde durch den elektrischen Strom an zwei Hunden, die das Alter von 1—2 Tagen erreicht hatten, weder. bei Anwendung der Chloral- hydratnarkose noeh im wachen Zustande überzeugen. Paneth?°) war der Meinung, dass das Misslingen der Versuche Soltmann’s, Grosnier de Varigny’s und zum Teil Mareacei’s hauptsächlich dureh die Anwendung der Narkose bedingt sei und führte deshalb seine Untersuchungen stets ohne Narkose aus. Paneth hat seine Experimente an zwei Hunden im Alter von 18 Stunden, einem im Alter von 24, zwei im Alter von 36 und vier im Alter von 48 Stunden angestellt. Bei vier von diesen Hunden experimentierte er dabei an beiden Hemisphären und rechnete deshalb diese Experi- mente doppelt. Er erhielt ein positives Resultat in acht Experi- menten, ein wahrscheinliches in vier und ein negatives in einem. Paneth kam zu dem Schlusse, dass die Hirnrinde junger Hunde schon in den ersten Tagen des extrauterinen Lebens erregbar sei, wobei diese erregbare Region ein Gebiet von I—2 em in der Um- zebung des Suleus eruciatus einnehme, während der übrige Teil der Hirnoberfläche unerregbar bleibe. Nach den ursprünglichen Angaben von Bechterew) geschieht 1) Marcacci, Zentri motori corticali. Estrato dal giornale della R. Aca- demia di Torino. Torino 1882. 2) Crosnier de Varigny, Recherches experimentales sur V’excitabilite de circonvolutions cerebrales. Paris 1884. 3) Paneth, Über die Erregbarkeit der Hirnrinde neugeborener Hunde. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 37. 1885. 4) v. Bechterew, Über die Erregbarkeit der motorischen Rindenzentren bei neugeborenen Hunden. Wratsch 1886. Russisch. Zur Frage über die Erregbarkeit der mot. Zentra in der Hirnrinde etc. 51 die Entwieklung der motorischen Rindenzentren beim Hunde lange nicht zu den gleichen Terminen; bei den einen treten die ersten Spuren der Erregbarkeit der Zentren schon am 10. Tage auf, bei den anderen sind sie noch bis zum 12, bis 14., ja sogar 15. Tag noch unerreebar. Ausserdem gab v. Bechterew an, dass gar keine Beziehungen zwischen dem Öffnen der Augen und der Entwieklung der genannten Zentren existieren, worauf Soltmann hinwies; bei Katzen sind die motorischen Zentren schon nach 2—3 Tagen nach der Geburt erregbar, während sie die Augen erst 7”—S Tage nach der Geburt öffnen. Früher als die übrigen entwickeln sich die Zentren der Extremitäten, ferner diejenigen für die Bewegung der Ohren und des Gesichts und später als die anderen die Zentren für die Nacken- und Rückenmuskulatur und die Muskulatur des Schwanzes. Gleich von] vornherein lokalisieren sich die Zentren fast aus- schliesslich im Bereich des Gyrus sigmoideus, wobei sie beinah die gleiche Lage wie beim erwachsenen Tiere einnehmen: das Zentrum für die hintere Extremität lokalisiert sich im hinteren Abteil des Gyrus sigmoideus in der Nähe von der sagittalen Hirnspalte; das Zentrum für die vordere Extremität — im vorderen Teil der gleichen Windung, in der Nachbarschaft vom äusseren Rande des Suleus eruciatus, und etwas nach aussen und hinten von diesem Zentrum findet sich das Zentrum für die Gesichtsmuskulatur. Nach der An- sieht von Bechterew besteht der Unterschied zwischen dem er- wachsenen und dem neugeborenen Tiere in bezug auf die Lokali- sation der motorischen Rindenzentren darin, dass es beim erwachsenen Tiere eine grössere Zahl soleher Zentren gibt und die Reizung jedes einzelnen von ihnen die Zuckung nur einer bestimmten Gruppe von Muskeln des betreffenden Körpergliedes hervorruft, wahrend es beim neugeborenen Tiere nicht mehr als drei erregbare Punkte gibt und die Reizung jedes einzelnen eine allgemeine Zuckung der Muskulatur des betreffenden Körperabschnitts hervorruft (z. B. der vorderen oder hinteren Extremität oder des Gesichts). Nur allmählich differenzieren sich diese Zentren, ihre Lokalisation beibehaltend in der Weise weiter, dass an Stelle eines allgemeinen Zentrums für ein bestimmtes Körperglied mehrere Punkte erscheinen. Bechterew berücksichtigte in der angeführten Arbeit noch folgende vier Punkte. Er wies darauf hin, dass die motorischen Zentren des Neugeborenen sich durch eine auffallende Erschöpfbarkeit auszeichnen, wobei, je jünger das Tier, desto schneller tritt die Erschöpfung und desto länger keine Wieder- 4 + 523 Sergius Michailow: e herstellung der Erregbarkeit ein. Ferner gab er an, dass es nie gelingt, von der Hirnrinde neugeborener Hunde klonische Krampf- bewegungen eines Körpergliedes oder einen epileptischen Anfall her- vorzurufen. Die ersten Spuren von Frregbarkeit der motcrischen Zone in der Hirnrinde neugeborener Tiere stehen zu der Entwicklung der Riesenzellen der Hirnrinde, als zum Auftreten von Myelin in den Fasern des Pyramidenstranges in Beziehung. Und endlich: ent- sprechend dem, wie die Entwicklung der motorischen Rindenzentren vorwärts schreitet, erscheinen immer sehwächere Stösse als genügend, um, als Reizmittel angewandt, den gleichen motorischen Fffekt zu erzielen, welcher Umstand von der Verdiekung der. Myelinscheide in den Fasern des Pyramidenstranges abhängt. Langlois!) stellte seine Untersuchungen über die motorischen Zentren Neugeborener an Hunden, Katzen und Meerschweinchen an, wobei er mit den zwei ersten Tierarten Resultate erhielt, welche sich mit denjenigen Soltmann’s und v. Beehterew’s decken. Die Meerschweinchen, die ihm zur Untersuchung dienten, waren 15 Stunden bis 2 Tage alt, wobei Langlois stets Narkose, und zwar Chloroform-, Äther- oder öfter Morphiumnarkose anwandte. Im letzteren Falle bekamen die jungen Meerschweinchen mit. einem Körpergewicht von 150—200 g 4—6 ceem Morphii 'hydrochlorieci. Durch Reizung eines Punktes, der 4—5 mm vom Ende der Kreuz- furche entfernt liegt, wurde bei solchen Tieren der Kauakt aus- gelöst. Reizung des Rindengebietes vor und hinter dieser Furche und in der Nähe der sagittalen Hirnspalte erwies sich bei der gleichen Stromstärke als unwirksam und musste nach Langlois zur Erzeugung eines motorischen Fffektes von diesem Gebiete aus der Strom ver- stärkt werden. Hierbei tritt eine Bewegung der Extremitäten. ein, wobei die vordere Extremität bei schwächeren Strömen in Bewegung gerät als die hintere. Die exaktesten und beständigsten Resultate erhielt Langlois an Meerschweinchen, die das Alter von 2 Tagen erreicht hatten. In demselben Jahre veröffentlichte Bechterew?) wiederum eine Arbeit über die Erregbarkeit verschiedener Gehirnteile bei neu- 1) Langlois, Notes sur les centres psychomoteurs des nouveau-nes. Compt. rend. de la Societe de Biol. Paris 1889. 2) v. Bechterew, Über die Erregbarkeit verschiedener Hirnteile neu- geborener Tiere. Wratsch 1889. Russisch. Zur Frage über die Erregbarkeit der mot. Zentra in der Hirnrinde etc. 53 geborenen Tieren, in welcher er hinsichtlich der Erregbarkeit der motorischen Rindenzentren wiederholt, dass bei neugeborenen Hunden .die Erreebarkeit dieser Zentren zuerst im Alter von 10—13 Tagen nach der Geburt auftritt. Nach der Ansicht von Bechterew lässt sich bei neugeborenen ebenso wie bei erwachsenen Tieren eine Ein- teilung der motorischen Punkte in leieht- und in schwererregbare durchführen. Während bei neugeborenen Hunden bei Reizung der leicht erregbaren im Gebiet des Gyrus sigmoideus liegenden mo- torischen Punkte schon Bewegungen in den Extremitäten auftreten, erscheinen die schwer erregbaren nach hinten vom Gyrus sigmoideus liegenden motorischen Punkte (z. B. die Punkte für die Bewegung der Ohren und Augen) als noch völlig unerregbar, und erst viel später beginnt ihre Reizung die entsprechenden Bewegungen hervor- zurufen. So gelang es Bechterew erst eine Woche nach dem ersten Auftreten von Bewegungen in den Extremitäten durch Reizung des Gyrus sigmoideus eine Bewegung in dem Schwanze und den Ohren hervorgerufen, und konjugierte Bewegung der Augäpfel bei Reizung der Oberfläche des Lobus oceipitalis kam nicht vor Ende des ersten Monats zum Vorschein. In der dritten seiner die erwähnte Frage behandelnden Arbeiten kam Bechterew bei Berücksichtigung 1. dessen, dass seine neuen zusammen mit Bary angestellten Experimente gezeigt hatten, dass es in einzelnen Fällen gelingt, durch Reizung der Hirnrinde Zuekungen in den Extremitäten selbst bei 24 Stunden alten Hunden zu erzeugen, und 2. dessen, dass es in Vs aller an neugeborenen Hunden aus- geführten Experimenten unmöglich war, bei Reizung der Hirnrinde Bewegungen zu erzielen, die bei den meisten anderen Tieren des gleichen Alters auslösbar sind, zu der Überzeugung, dass die Erregbarkeit der Hirnrinde neugeborener Tiere von ganz ver- schiedenen und nicht selten zufälligen Bedingungen abhängt, unter welehen neben der grösseren oder geringeren Reife des neugeborenen Tieres wahrscheinlich auch individuelle Abweichungen in Betracht zu ziehen sind. In dieser Unbeständigkeit der Resultate, die bei Reizung der Hirnrinde Neugeborener der gleichen Art erzielt werden, sieht Bechterew eine genügende Erklärung für die Widersprüche in den Ansichten der Autoren hinsichtlich der Zeit des ersten Auf- 1) v. Bechterew, Über die Erregbarkeit ‘der Hirnrinde neugeborener Tiere. Öbosrenije Psychiatrii 1897. Russisch. 54 Sergius Michailow: tretens von Erregbarkeit in den motorischen Rindenzentren neu- seborener Tiere. Bary') wandte bei seinen Untersuchungen nie die Narkose an. Die Experimente wurden an neugeborenen Hunden und Katzen im Alter von einigen Stunden bis zu einem Monat und mehr angestellt. Ausserdem wurden einige Experimente an neugeborenen Kaninchen und Meerschweinchen ausgeführt. Auf Grund dieser Experimente ‘kam Bary zu folgenden Sehlüssen: bei neugeborenen Hunden und Katzen gelingt es durch Reizung mittelst eines äusserst schwachen faradischen Stromes bestimmter in Nachbarschaft des Suleus erueiatus liegender Punkte der Hirnrinde Bewegungen der Extremitäten hervor- zurufen; bei dem anderen Teil der gleichalterigen Tiere lassen sich dureh Reizung der Hirnrinde mittelst Strömen von derselben Stärke Bewegungen nicht auslösen; es fehlt die einzelne Bewegung in den verschiedenen Gelenken, die Extremität kontrahiert sich aber auf einmal in allen Gelenken; die Zentren erschöpfen sich äusserst leicht; vom fünften bis achten Tage an gelingt es gleichzeitig mit einer allgemeinen Kontraktion der Extremität auch Bewegung in den Ge- lenken hervorzurufen; eine wesentliche Rolle spielt bei der Ent- wicklung der Rindenzentren die Individualität; zuerst bei einem mindestens 2 Monate alten Tiere gelingt es, durch Faradisation der Hirnrinde einen epileptischen Anfall auszulösen. Endlich berührt Bechterew?) in seinem kapitalen Werke der letzten Jahre wieder die Frage über die Erreebarkeit der Rinden- zentren neugeborener Tiere und kommt sowohl auf Grund seiner eigenen Untersuchungen über diese Frage als auch auf Grund der Untersuchungen anderer Forscher zum Schlusse, dass bei neu- geborenen Tieren die motorischen Rindenzentren nicht vollkommen entwickelt sind. Von dem Umstande ausgehend, dass, wie gezeiet, über die im Titel zu vorliegender Arbeit angegebene Frage unter den Autoren eine grosse Meinungsverschiedenheit herrscht, erschien es als nicht überflüssig, nochmals eine Untersuchung der Erregbarkeit der mo- orischen Rindenzentren neugeborener Tiere vorzunehmen. Ich er- 1) Bary, Über die Erregbarkeit der Hirnrinde neugeborener Tiere. Dissert. St. Petersburg 1898. Russisch. 2) v. Bechterew, Grundzüge der Lehre von den. Hirnfunktionen.. Teil VI. St. Petersburg 1906. Russisch. Zur Frage über die Erregbarkeit der mot. Zentra in der Hirnrinde etc. 55 sriff deshalb den Vorschlag meines hochgeehrten und teuren Lehrers, Akademiker Bechterew, mich mit dieser Frage zu beschäftigen, wobei er schon damals betonte, dass einige der genannten Zentren bei neugeborenen Tieren überhaupt noch nicht gefunden worden seien (z. B. die Rindenzentren für die Kontraktion der Pupille usw.). Als Untersuchungsobjekt dienten fast ausschliesslich neugeborene Hunde in den ersten Tagen nach der Geburt und einige Meer- schweinehen. Die Operation der Eröffnung des Schädels und Bloss- legung der Rindenoberfläche der Hirnhemisphären wurde auf die ‚übliche Weise ausgeführt, wobei die drei folgenden Bedingungen stets angestrebt wurden: 1. Schnelliekeit der Operation, 2, Abheben der ganzen Schädeldecke womöglich in einer Etappe, jedenfalls in möglichst grossen Stücken, 3. Schonen des Blutsinus der harten Hirnhaut. Diese drei Ziele wurden stets angestrebt und in fast allen Fällen (ausser dem ersten, provisorischen) erreicht, und hierdurch wurden vermieden: 1. Eintritt einer Chokwirkung durch Schmerz, da bei den Untersuchungen Narkose nicht angewandt wurde, 2. Bildung einer Hirnhernie, 3. bedeutende Blutverluste usw. Ich will hier nicht auf diejenigen Vorteile hinweisen, welche mit der Beseitigung all dieser schädlichen Momente verbunden sind, weil die Angaben von v. Bechterew, Paneth, Bary u. a. deutlich gezeigt haben, dass diese Momente jedes Experimentieren unmöglich machen, da sie das Experiment zu keinen Resultaten kommen lassen. Ausserdem war schon seit lange der schädliche Einfluss der Abkühlung des Tieres und der entblössten Hirnrinde auf die Er- regbarkeit ihrer Zentren festgestellt; deshalb wurden unsere Tiere während der ganzen Dauer des Experimentes in Watte eingehüllt gehalten, und wurde die Hirnoberfläche fast ununterbrochen bald mit physiologischer Kochsalzlösung (von der t° = 38° C.), bald, was eigentlich fast immer ausgeführt wurde, mit Ringer-Locke- scher Flüssigkeit, welche bis zur angegebenen Temperatur erwärmt war, und die von Locke!) ursprünglich angegebene Zusammensetzung: (KCI) Kalium chloratum . . . 0,02 %o, (NaHCO,) Natrium bicarbonieum 0,02 P/o, (CaCl,) Caleium chloratum . . 0,02 %o, (C,H,s0,) Saccharum uricum. . 0,10 %o, (NaCl) Natrium chloratum . . 0,90 °/o, hatte, berieselt. 1) Locke, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 14. 56 Sergius Michailow: Zur Reizung der Hirnrinde wurde der elektrische Strom von einem Akkumulator, der mit einem du Bois-Reymond’schen Schlittenapparat und dessen Vermittlung mit zwei Platinelektroden in Verbindung stand, benutzt. Der Rollenabstand variierte etwas in den verschiedenen Experimenten; genaue diesbezügliche Angaben werden in den Protokollen der einzelnen Experimente angeführt sein. Experiment am 27. Juni 1908. Nr. 1. Junger Hund, geboren am 27. Juni 1908. Zur Zeit des Ex- perimentes war er ungefähr 12 Stunden alt. Körpergewicht: 450 g; Körperlänge: 16 em. Reizung der motorischen Rindenreeion führte bei einem Rollenabstand von 15—15—12 em zu keinem motorischen Effekt; bei einem Rollenabstand von 10 cm trat ein: 1. Kontraktion der Nackenmuskulatur mit Zurückwerfen des Kopfes nach oben und hinten bei Reizung des Punktes P (Fig. 1); 2. Zuekung (allgemeine) der gekreuzten Vorderpfote bei Reizung des Punktes A (Fig. 1); 3. Zuckung (allgemeine) der gekreuzten Hinterpfote bei Reizung des Punktes 5 (Fig. 1); 4. Öffnen und Schliessen des Maules, d. h. ein Kauakt, bei Reizung des Punktes © (Fie. 1). Experiment am 5. Juli 1908. Nr, 2. Junger Hund, geboren am 27. Juni 1908. Körpergewicht: 580 g; Körperlänge: 25 em. Reizung der motorischen Rindenregion blieb bei einem Rollenabstand von 18—16—15 cm ganz ohne Effekt; auf Reizung bei einem Rollenabstand von 14 cm trat ein: 1. Anziehen und Aufheben der gekreuzten Hinterpfote bei Reizung des Punktes B (Fig. 2); 2. Bewegung des Schwanzes bei Reizung des Punktes © (Fig. 2); 3. Auftreten und Kontraktion vornehmlich im Kubitalgelenk der sekreuzten Vorderextremität bei Reizung des Punktes A (Fig. 2); 4. Drehung des Kopfes um eine senkrechte Achse (d. h. Seit- wärtsbewegung des Kopfes) nach der entgegengesetzten Seite bei Reizung des Punktes F (Fig. 3); 5. Wendung des Kopfes um die sagittale Körperachse (d. h. Drehbewegung des Kopfes), wobei das Frontalgebiet sich nach der Zur Frage über die Erregbärkeit der mot. Zentra in der Hirnrinde etc. 57 Seite der Reizung, das Okzipitalgebiet in entgegengesetzter Richtung bei Reizung des Punktes @ (Fig. 3) bewest; 6. konjugierte Bewegung der Augäpfel bei Reizung des Punktes E .(Fig. 2) auf der rechten Hemisphäre, wobei das linke Auge nach oben aussen, das rechte nach oben innen gerichtet war. : Die Augenlider waren abgeschnitten. Experiment am %. Juli 1908. Nr. 3. Junger Hund, geboren am 27. Juni 1908. Körpergewicht 640 o, Körperlänge: 23 em. Reizung der motorischen Rindenzentren löste bei einem Rollenabstand von 14 em aus: l. Bewegung der Augäpfel (konjugierte) bei Reizung des Punktes E (Fig. 4) an der linken Hemisphäre, wobei das rechte Auge nach oben aussen, das linke nach oben innen gerichtet war 2. Verbreiterung der Pupille bei Reizung des Punktes D (Fig. 4);; 3. Anziehen und Aufheben der gekreuzten Hinterpfote bei Reizung des Punktes B (Fie. 4); 4. Ausstrecken und Geraderecken der gekreuzten Hinterpfote bei Reizung des Punktes H (Fig. 4); 5. Bewegung (vornehmlich Einkneifen) des Schwanzes bei Reizung des Punktes © (Fig. 4); 6. Schliessen der Augenlider bei Reizung des Punktes X (Fig. 4); 7. Bewegung der Oberlippe bei Reizung des Punktes M (Fig. 4); 8. Verbreiterung der Pupille bei Reizung des Punktes N (Fig. 4); 9. konjugierte Bewegung der Augäpfel bei Reizung des Punktes O (Fig. 5) an der rechten Hemisphäre, wobei das linke Auge nach aussen unten, das rechte nach innen unten. gerichtet war; 58 Sergius Michailow: 10. Wendung des Kopfes um eine senkrechte Achse (d. h. Seit- wärtsbewegung des Kopfes) nach der entgegengesetzten Seite bei Reizung des Punktes F (Fig. 5); 11. Wendung des Kopfes um die sagittale Körperachse (d. h. Drehbewegung des Kopfes), wobei sich das Frontalgebiet nach der Seite der Reizung, das Oceipitalgebiet in entgegengesetzter Richtung bei Reizung des Punktes @ (Fig. 5) bewegt; 12. Biegen des Rumpfes mit der Konkavität nach der entgegen- gesetzten Seite bei Reizung des Punktes R (Fig. 4). Wiederholte Reizung des motorischen Rindengebietes bei einem Ineinanderschieben der Rollen auf den Abstand von 10 —5—3—2— 1—0 em löste keine Krämpfe aus. Vor Eröffnung des Schädels sind die Augenlider durch einen Schnitt getrennt worden. Fig. 4. - Experiment am 31. Juli 1908. Nr. 4. Junger Hund, geboren am 28. Juli 1908. Körpergewicht: 500 8; Körperlänge: 16 em. Reizung der motorischen Rindenregion bei einem Bollenabstand von 18—15—12 cm blieb ohne jeden Effekt in der Bewegungssphäre. Reizung bei einem Rollenabstand von 10 em gab: 1. energische Kontraktion der gekreuzten Vorderextremität bei Reizung des Punktes A (Fig. 6); | | 2. Kontraktion der gekreuzten Hinterextremität bei Reizung des Punktes B (Fig. 6); i 3. Bewegung der Augäpfel nach der der Reizung entgegen- gesetzten Seite und etwas nach unten bei Reizung des Punktes & (Fig. 6). Die Augenlider sind durch Sehnitt getrennt worden; Zur Frage über die Erregbarkeit der mot. Zentra in der Hirnrinde etc. 59 4. Kontraktion der Nackenmuskulatur mit Zurückwerfen des Kopfes nach oben und hinten bei Reizung des Punktes / (Fig. 6). Bei Verstärkung des Stromes bis zu einem vollständigen Ineinander- schieben der Rollen gelang es nicht, einen epileptischen Anfall her- vorzurufen. Experiment am 2. August 1908. Nr. 5. Junger Hund, geboren am 28. Juli 1908. Körpergewicht: 550 g; Körperlänge: 13 em. Reizung der Hirnrinde gab bei einem Rollen- abstand von 12 em? 1. Biegen im Kubitalgelenk und ferner Wälzen unter sich, der sekreuzten Vorderextremität bei Reizung des Gebietes um den Punkt A (Fig. 7) herum; Fig. 7. Fig. 8. 2. Bewegung des Kopfes um die sagittale Körperachse bei Reizung des Punktes $ (Fig. 3) an der rechten Hemisphäre, wobei 60 Sergius Michailow: das Frontalgebiet sich nach der entgegengesetzten linken, das Ocei- pitalgebiet nach der Seite der Reizung bewegt (Rollbewegung des Kopfes) ; : 3. Aufrichten des Öhres bei Reizung des Punkes 7 (Fig. 7); 4. Einziehen des Augapfels und ein gewisses Zucken in den basalen Abschnitten der Augenlider, welche in diesem Experiment zwecks besserer Besichtigung der Augen abgeschnitten worden waren, bei Reizung des Punktes X (Fig. 7); 5. Abduktion und Extension (Geradestrecken) der gekreuzten Vorderextremität mit Extension der Zehen bei Reizung neben dem Punkte A (Fig. 7); 6. Biegen vornehmlich im Kniegelenk der gekreuzten Hinter- extremität bei Reizung des Punktes B (Fig. 7); 7. Drehung des Kopfes um die senkrechte Achse nach der ent- gegengesetzten Seite bei Reizung des Punktes F (Fig. 8); 8. Drehung des Kopfes um die sagittale Körperachse des Punktes @ (Fig. 8), wobei sich: das Frontalgebiet nach der Seite der Reizung, das Oceipalgebiet in entgegengesetzter Richtung bewegt. Experiment am 4. August 1908. Nr. 6. Junger Hund, geboren am 28. August 1908. Körpergewicht: 725 g; Körperlänge: 23 em. Nach Eröffnung der. Schädelhöhle er- wies sich das Gehirn als stark anämisch, was zweifellos von der starken Blutung aus Sinus transvers. der harten Hirnhaut während der Schädeleröffnung abhing. Auf Reizung mittelst des elektrischen Stromes bei einem Rollenabstand von 12 em und später von 15—16—17—18 em traten ein: 1. Strecken und Abduktion der ge- kreuzten Vorderextremität mit Spreizung der Zehen bei Reizung des Punktes A (Fig. 9). Dann war auch bei einem Rollen- abstand von 12—10—8 em ein motorischer Effekt von keinem Punkte ‚der Hirnrinde aus auszulösen. Bei wiederholten und zahlreichen Reizungen des motorischen Rindengebietes starb das ie ohne dass eine Zäckung der Extremitäten 'eingetreten war. Zur Frage über die Erregbarkeit der mot. Zentra in der Hirnrinde etc. 61 Experiment am 13. August 1908. Nr. 7. Hund, geboren am 27. August 1908. Zur Zeit des Experimentes sieht er schon mit beiden Augen. Körpergewicht: 840 &; Körper- länge: 34 cm. Bei Eröffnung des Schädels — Blutung aus dem Sinus longitudinalis superior, die zwar bald gestillt werden konnte, immerhin aber den Hund bedeutend entkräftete. Reizung der Hirn- rinde war bei einem Rollenabstand von 15—15 em von keinem motorischen Effekt begleitet; bei einem Rollenabstand von 12 em traten ein: 1. Biegen des Rumpfes mit der Konkavität nach der entgegen- gesetzten Seite bei Reizung des Punktes R (Fig. 10); 2. Aufheben der gekreuzten Vorderpfote im Carpo-metacarpal- Gelenk auf Reizung des Gebietes um den Punkt A (Fig. 10) herum; 3. Bewegung des Kopfes um die senkrechte Achse (d. h. Seit- wärtsbewegung des Kopfes) nach der entgegengesetzten Seite auf Reizung des Punktes F (Fig. 11). Beim Ineinanderschieben der Rollen gelang es nicht, einen epi- leptischen Anfall hervorzurufen. Experiment am 17. August 1908. Nr. 8. Junger Hund, geboren in der Nacht vom 16. auf den 17. August 1908. Zur Zeit des Experimentes war er 15 Stunden alt. Körper- gewicht: 410 g; Körperlänge: 15 em. Reizung des motorischen Rindengebietes löste bei einem Rollenabstand von 11 cm aus: l. Kontraktion der gekreuzten Vorderextremität auf Reizung des Punktes A (Fig. 1); Sergius Michailow: er) LO 2. Anziehen der ‚gekreuzten Hinterextremität auf Reizung des Punktes 5 (Fig. 1); 3. Eine dem Kauakt ähnliche Bewegung der Kiefer auf Reizung des Punktes © (Fig. 1); 4. Bewegung des Kopfes um die senkrechte Achse nach der entgegengesetzten Seite bei Reizung des Punktes F' (Fig. 12). Experiment am 25. August 1908. Nr. 9. Junger Hund, geboren in der Nacht vom 16. auf den 17. August 1908. Körpergewicht: 600 g; Körperlänge: 28 em. Reizung der Hirnrinde löste bei einem Rollenabstand von 15 em aus: 1. Bewegung der gekreuzten Vorderextremität auf Reizung des Punktes A (Fie. 13). 2. Konjugierte Bewegung der Augen auf Reizung des Punktes E Rn cz Fig. 13. Fig. 14. (Fig. 13) an der linken Hemisphäre, wobei sich das rechte Auge nach unten aussen, das linke nach unten innen bewegte; 3. Bewegung des Schwanzes, vornehmlich ein Einkneifen des- selben, bei Reizung des Punktes © (Fig. 13); Zur Frage über die Erregbarkeit der mot. Zentra in der Hirnrinde etc. 63 4. Anziehen und Aufheben der gekreuzten Hinterextremität bei Reizung des Punktes B (Fig. 13); 5. Bewegung des Kopfes um die sagittale Körperachse, wobei sich das Frontalgebiet nach der Seite der Reizung, das Oeceipitalgebiet in entgegengesetzter Richtung bewegt, bei Reizung des Punktes @ (Fig. 14); 6. Bewegung des Kopfes nach der gereizten Hemisphäre ent- gegengesetzten Seite bei Reizung des Punktes F' (Fig. 14). Bei einem Rollenabstand von 5—3—2 em und bei einem voll- ständigen Ineinanderschieben desselben wurden Krämpfe nicht be- obachtet. Experiment am 25. August 1908. Nr. 10. Junger Hund, geboren in der Nacht vom 16. auf den 17. August 1908. Körpergewicht: 680 g; Körperlänge: 31 em. Reizung der Hirnrinde gab bei einem Rollenabstand von 15 em: 1. Aufheben der gekreuzten Vorderextremität bei Reizung des Punktes A (Fig. 15); 2. Anziehen der gekreuzten 4 Hinterextreiität bei Reizung des Punktes B (Fig. 15); >. Verbreiterung der Pupille bei Reizung des Punktes D (Fig. 15); 4. Verbreiterung der Pupille bei Reizung des Punktes N (Fig. 15); 5. Ausstrecken der gekreuzten Hinterextremität bei Reizung des Punktes 4 (Fig. 15); 6. Bewegung der Augäpfel nach oben und nach der entgegengesetzten Seite bei Reizung des Punktes E (Fig. 15); 7. Bewegung des Schwanzes bei Reizung des Punktes @ (Fig. 15); 8. Kontraktion der Nackenmuskulatur mit Zurückwerfen des Kopfes nach oben und hinten bei Reizung des Punktes P (Fig. 15); 9. Zuekungen in den basalen Teilen der Augenlider, welche bei diesem Experiment entfernt worden waren, bei Reizung des Punktes K (Fig. 15); 10. Bewegung der Oberlippe bei Reizung des Punktes M (Fig. 15). 64 Sergius Michailow: Auch bei: völligem Ineinanderschieben der beiden Spiralen des Induktionsapparates gelang es nicht, Krämpfe hervorzurufen. Experiment am 27. August 1908. Nr. 11. Junger Hund, geboren in der Nacht vom 16. auf den 17. August 1908. Körpergewicht: 380 g; Körperlänge: 36 em. Auf. Reizung mittelst des elektrischen Stromes bei einem Rollenabstand von 15 em derselben Punkte der Hirnrinde, wie beim Hund Nr. 10, trat der- selbe Effekt ein, mit Ausnahme der Punkte Q und P, deren Reizung auch mit stärkereu Strömen (12—10 em) ohne Effekt blieb. Krämpfe gelang es nicht hervorzurufen. Experiment am 29. August 1908. Nr. 12. Junger Hund, geboren am 28. August 1908. Körpergewicht: 480 g; Körperlänge: 17 em. Auf Reizung des motorischen Rindengebietes bei einem Rollenabstand von 12 cm traten ein: 1. Kontraktion der gekreuzten Vorderextremität bei Reizung des Punktes A (Fig. 17); 2. Kontraktion der gekreuzten Hinterextremität bei Reizung des Punktes B (Fig. 17); 3. Drehung des Kopfes nach der entgegengesetzten Seite um die vertikale Achse bei: Reizung des Punktes F (Fig. 16). Experiment am 30. August 1908. Nr. 13. Junger Hund, geboren am 28. August 1908. Körpergewicht: 520 2; Körperlänge: 20 em. Bei Eröffnung des Schädels wurde der Oeeipitallappen der linken Hemisphäre leicht beschädigt. Reizung des motorischen Rindengebietes gab: Zur Frage über die Erregbarkeit der mot. Zentra in der Hirnrinde etc. 65 1. Anziehen der gekreuzten Vorderextremität bei Reizung des Punktes A (Fig. 17); 2. dem Kauakt ähnliche Kieferbewegungen bei Reizung des Punktes C (Fig. 17). Experiment am 1. September 1908. Nr. 14. Junger Hund, geboren am 28. August 1908. Körpergewicht: 570 g; Körperlänge: 23 em. Reizung des motorischen Rinden- sebietes bei einem Rollenabstand von 14 em rief hervor: 1. Bewegung der gekreuzten Hinterextremität bei Reizung des Punktes B (Fig. 18); Fig. 18. 2. Kaubewegungen der Kiefer bei Reizung des Punktes © (Fig. 18); 3. Bewegungen der Augen nach der entgegengesetzten Seite und nach unten bei Reizung des Punktes E (Fig. 18); 4. Bewegung des Kopfes nach der entgegengesetzten Seite um die vertikale Achse bei Reizung des Punktes F’ (Fig. 19); 5. Bewegung des Kopfes nach oben und hinten durch Kontraktion der Nackenmuskulatur bei Reizung des Punktes P (Fig. 18 und 19). Experiment am 3. September 1908. Nr. 15. Junger Hund, geboren am 28. August 1908. Körpergewicht: 610 g; Körperlänge: 24 em. Reizung der Hirnrinde ruft bei einem Rollenabstand von 15 em hervor: 1. Auftreten der gekreuzten Vorderextremität bei Reizung des . Punktes A (Fig. 20); 2. Anziehen der gekreuzten Hinterextremität bei Reizung des Punktes 5 (Fig. 20); Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 5 66 Sergius Michailow: 3. konjugierte Bewegung der Augenäpfel nach der entgegen- gesetzten Seite und nach oben bei Reizung des Punktes E (Fig. 20); 4. Bewegung des Kopfes um die sagittale Körperachse, wobei sich das Frontalgebiet nach der Seite der Reizung bewegt, bei Reizung des Punktes @ (Fig. 21); 5. Bewegung des Kopfes um die sagittale Körperachse, wobei ich das Frontalgebiet nach der der Reizung entgegengesetzten Seite | bewegt, bei Reizung des Punktes S (Fig. 21). Fig. 20. Fig. 21. Experiment am 1l. September 1908. Nr. 16. Junger Hund, geboren am 28. August 1908. Körpergewicht: 780 g; Körperlänge: 95 em. Reizung der Hirnrinde bei einem Rollenabstand von 16 cm gab: 1. Kontraktion der gekreuzten Vorderextremität bei Reizung des Punktes A (Fig. 22); 2. Kontraktion der gekreuzten Hinterextremität bei Reizung des Punktes B (Fig. 22); 3. Kaubewegungen der Kiefer bei Reizung des Punktes C (Fig. 22); 4. Verbreiterung der Pupille bei Reizung des Punktes D (Fig. 22); 5. Bewegung der Augenäpfel bei Reizung des Punktes E (Fig. 22) an der linken Hemisphäre, wobei sich das rechte Auge nach oben aussen, das linke nach oben innen bewegte; 6. Drehung des Kopfes um eine senkrechte Achse nach der ent- gegengesetzten Seite bei Reizung des Punktes F' (Fig. 23); 7. Bewegung des Kopfes um die sagittale Körperachse, wobei sich das Oceipitalgebiet nach der der Reizung entgegengesetzten Seite bewegte, bei Reizung des Punktes @ (Fig. 23); Zur Frage über die Erregbarkeit der mot. Zentra in der Hirnrinde etc. 67 8. Verbreiterung der Pupille bei Reizung des Punktes N (Fig. 22); 9. Kontraktion der Nackenmuskulatur mit Zurückwerfen des Kopfes nach oben und hinten bei Reizung des Punktes P? (Fig. 22); 10. Bewegung des Schwanzes bei Reizung des Punktes @ (Fig. 22); 11. Biegen des Rumpfes mit der Konkavität nach der entgegen- gesetzten Seite bei Reizung des Punktes R (Fig. 22). In Anbetracht der Bestimmt- heit der Ergebnisse, welche durch die eben beschriebenen Experi- mente erzielt worden sind, erschien Fig. 22. Fig. 23. es als zulässig, sich auf diese 16 Experimente, welche an jungen Tieren aus vier Würfen angestellt worden waren, zu beschränken. Sie umfassten die Altersstufen von 12 Stunden bis (inklusive) 16 Tage nach der Geburt. Bevor aber irgendwelche Schlüsse aus den an- gegebenen Tatsachen gezogen werden, wollen wir noch einige an Meerschweinchen angestellte Experimente erwähnen. An neugeborenen Meerschweinchen hatte ich die Absicht, mich bloss von folgendem zu überzeugen — wovon keiner der früheren Au- toren Erwähnung tut —: Ist es möglich, bei diesen Tieren in den ersten Tagen nach der Geburt durch Reizung des motorischen Rinden- gebietes Krämpfe (klonische sowohl als tonische) hervorzurufen ? — Die Antwort fiel positiv aus. Experiment am 17. November 1908. Nr, 17, 18, 19. Meerschweinchen, geboren am 13. November 1908. Der Schädel wird eröffnet. Reizung des motorischen Rindengebietes ruft unter der Bedingung, dass sie von gewisser Dauer ist (20—30 Sek.) bei einem Rollenabstand von 12—10 cm die erwähnten Krämpfe hervor. 5*+ 68 Sergius Michailow: Zwei Meerschweinchen, geboren in der Nacht auf den 17. November 1908, also einige Stunden alt. Der Schädel wird eröffnet. Reizung des motorischen Rindengebietes dieser Tiere ruft unter den gleichen Bedingungen und bei der gleichen Stromstärke die typischen Krämpfe hervor. Um die Ergebnisse der beschriebenen Experimente anschaulich zu machen, gruppieren wir sie in Form einer Tabelle, in welcher das Zeichen (+) gegenüber der Bezeichnung des Punktes (A, B, C... usw.), dessen Reizung einen bestimmten motorischen Effekt beim gegebenen Tiere auslöste, gestellt ist: 5) x 'S e & ee) des Hundes 1908 DIE FIG, H\X&| M!\N O0, 2/04 R|8 12 Stdn. | 27. Juni 19222, 17. Aug. 2 Tage 30. m + + ++ ++ ++ ++ 444444 4444 +++ +4+4++ +++4+4+ + ++ je) un D = 444 4+4++44+ +++++ 44 + ++ + +++ ++ +++ ++ = ++ 44 ++4++ 1 +++++ Aus den angeführten Untersuchungen folgt also: 1. dass die Hirnrinde neugeborener Hunde schon in den ersten Stunden nach der Geburt durch den elektrischen Strom erregbar ist, wenn nur bei Aus- führung der Operation alle nötigen Maassregeln ge- troffen worden sind; wobei nur eine geringe Anzahl motorischer Zentren erregbar erscheint; 2. dass die nötige Stromstärke mit dem zunehmenden Alter des Tieres abnimmt, wobei in den nächstfolgenden Tagen die Zentren sich weiterentwickeln und ihre Zahl sich folglich vermehrt; 5. dass sich unter dem Einfluss der genannten Reizung die Zentren neugeborener Hunde ausser- ordentlich schnell erschöpfen; Zur Frage über die Erregbarkeit der mot. Zentra in der Hirnrinde etc. 69 4, dass es während der ersten 24 Stunden auszu- lösen gelingt: allgemeine Kontraktion der gekreuzten Vorderextremität bei Reizung des Punktes A; all- gemeine Kontraktion der gekreuzten Hinterextremi- tät bei Reizung des Punktes B; dem Kauakt ähnliche Bewegungen der Kiefer bei Reizung des Punktes (; Drehung desKopfes um eine senkrechte Achse nach der entgegengesetzten Seite bei Reizung des Punktes ff); Kontraktion der Nackenmuskulatur mit Zurück- werfen des Kopfes nach oben und hinten bei Reizung des Punktes P; 5. dass bei einem 3 Tage alten Hunde ausser den genannten noch der Punkt E erregbarist, bei dessen Reizung eine Seitwärtsbewegung der Augen, welche sieh mit einer Bewegung bald nach oben, bald nach unten kombiniert, eintritt; 6. dass bei einem 5 Tage alten Hunde ausser den angeführten noch folgende Bewegungen auslösbar sind: Drehung des Kopfes um die sagittale Körperachse, wobei sieh das Oceipitalgebiet nach der der Reizung entgegengesetzten Seite bewegt, bei Reizung des Punktes G; eine ähnliche Bewegung aber nur nach der entgegengesetzten Seite bei Reizung des Punktes $; Schliessen der Augenlider bei Reizung des Punktes X; Aufrichten des OÖhres bei Reizung des Punktes T; 7. dass es bei einem 7 Tage alten Hunde gelingt, eine Bewegung des Schwanzes bei Reizung des Punktes Q auszulösen, ausser den übrigen von den entsprechenden Punkten auslösbaren Bewegungen; S. dass bei einem 9 Tage alten Hunde ausser den genannten Bewegungen beobachtet werden kann: Ver- breiterung der Pupille bei Reizung der Punkte Dund N; Bewegung der Oberlippe bei Reizung des Punktes M; Ausstreeken der gekreuzten Hinterextremität bei Reizung des Punktes ZH; 9. dass es bei einem 10 Tage alten Hunde ausser den genannten Bewegungen noch hervorzurufen ge- linkt: konjugierte Bewegungen der Augäpfel nach der entgegengesetzten Seite, wobei sie stets mit einer 70 Sergius Michailow: Zur Frage über die Erregbarkeit etc. gleichzeitigen Bewegung nach oben oder unten kom- biniert war, bei Reizung des Punktes O; Biegen des Rumpfes mit derKonkavität nach der entgegengesetzten Seite bei Reizung des Punktes R; 10. dass sich folglich mit dem zunehmenden Alter der neugeborenen Hunde die Zahl der erregbaren Punkte an der Rindenoberfläche vergrössert; il. dass einzelne der erwähnten Punkte nicht bei allen Tieren der gleichen Art und des gleichen Alters erreebar erscheinen; 12. dass der Unterschied des neugeborenen vom erwachsenen Tiere in bezug aufdie motorischen Zentren, abgesehen von der geringeren Anzahl der- selben, hauptsächlich darin besteht, dass es a) bei neugeborenen Hunden nicht gelingt, klonische und tonische Krämpfe auszulösen, und dass b) bei Reizung einzelner Punkte ein allgemeiner summarischer mo- torischer Effekt auftritt, während beim erwachsenen Tiere unter den gleichen Bedingungen mehr partielle, differenzierte und abgegrenzte Bewegungen hervor- serufen werden. Das betrifft z.B. die allgemeine Kon- traktion der Extremität des Neugeborenen und die Bewegung in den einzelnen Gelenken beim erwachsenen Tiere, ebenso die Augenbewegungen [siehe Gerwer?)]; 13. dass bei Reizung des motorischen Rinden- gebietes neugeborener Meerschweinchen, die einige Stunden vor dem Experiment zur Welt kamen, ein klares Bild klonischer, später in tonische übergehender Krämpfe auftritt. Das für die Fig. 1, 12, 16, 17 benutzte Gehirnschema stammt von einem 15 Stunden alten Hündchen, das für die übrigen Figuren benutzte von einem 6 Tage alten. 1) Gerwer, Über die Gehirnzentren für die Bewegung der Augen. Dissert. St. Petersburg 1899. Russisch. 71 (Aus dem physiologischen Laboratorium der Klinik für Geistes- und Nerven- krankheiten zu St. Petersburg. Vorsteher: Prof. W. v. Bechterew.) Die Entwicklung der Pupillen- und anderer Augenreliexe bei neugeborenen Säugetieren. Von Sergius Michailow. (Mit 1 Textfigur.) In der letzten Zeit erfährt in der Physiologie die Lehre von dem Reflexakt bedeutende Umgestaltungen im Sinne einer Erweiterung dieses Begriffes und einer Unterordnung unter den Begriff des Reflexes solcher nervöser Akte und Reaktionen, die unlängst und mitunter auch noch jetzt als Prozesse betrachtet wurden und betrachtet werden, die zu einer ganz anderen Kategorie von Erscheinungen, zur Kategorie der psychischen Erscheinungen gehören. Dabei ent- halten die Definitionen der reflektorischen Prozesse in sich oft den Begriff, dass diese Prozesse sich zum gegebenen Individuum von seinen Vorfahren vererben, und dass die betreffenden Individuen mit den Reflexen als mit schon fertigen und vollentwickelten Mechanismen und Reaktionen zur Welt gelangen. Diese Behauptungen wollte ich an der Entwicklung eines so klassischen und von allen anerkannten beständigen, einfachen und natürlichen Reflexes, wie es der Pupillenreflex ist, kontrollieren. Wie bekannt, kommen viele Säugetiere (Hund, Kaninchen und verschiedene andere) blind, mit geschlossenen Augen zur Welt und, naturgemäss, wäre für sie, solange sie die Augen nicht öffnen, das Vorhandensein des Pupillen- und anderer Augenreflexe ganz zwecklos. Meine Auf- gabe besteht zunächst eben darin, festzustellen, ob die Pupille neu- geborener (blind zur Welt kommender) auf Licht und ob sie auf Reizung des Halssympathieus gleich vom Moment der Geburt des Tieres an reagiert, und, wenn das nicht der Fall sein sollte, zu 7} Sergius Michailow: eruieren, wann dieser Reflex zur Entwicklung kommt. Späterhin gesellten sich zu dieser Grundaufgabe noch einige andere Fragen hinzu, von denen ich in den Protokollen der einzelnen Experimente Erwähnung tun werde. Die Beantwortung der aufgeworfenen ein- fachen Frage in Angriff zu nehmen war, natürlich, auch noch aus dem Grunde interessant, als in der ganzen riesigen, Hunderte von Arbeiten ‚zählenden Literatur über den Pupillenreflex, soweit mir bekannt, noch nie die Frage nach der Entwicklung dieses Reflexes aufgeworfen worden ist. Als Untersuchungsobjekt dienten neugeborene Junge trächtiger Hündinnen, die speziell zum Zwecke der genannten Untersuchungen am Laboratorium gehalten wurden; das Alter der neugeborenen Tiere konnte folglich genau festgestellt werden. An den jungen dem Experiment unterliegenden Hunden wurde ohne Anwendung irgend einer Narkose die allen bekannte Operation ausgeführt, welche zum Zwecke hat, den Nervus vagosympathieus auf dieser oder jener Seite des Halses auf Ligatur zu nehmen. Da aber noch Untersuchungen der Veränderung des Pupillendurchmessers unter dem Einfluss der Reizung des Halssympathieus bevorstanden, war es noch vor Aus- führung der obengenannten Operation zur Auffindung des Nervus vagosympathicus notwendig, den Augapfel des dem Experiment unterliegenden und mit geschlossenen Augen zur Welt kommenden Tieres der Beobachtung zugänglich zu machen. Zu diesem Zwecke wurde eine radikale Operation — Abschneiden der oberen und unteren Augenlider beiderseits — ausgeführt, wonach die Augen sanz deutlich besichtigt werden konnten. Bei der Reizung des Hals- vagosympathieus bloss der einen Körperseite hielt ich es in der grossen Mehrzahl der Fälle dennoch für zweckmässig, durch den Schnitt beide Augen zu Öffnen, um immer das andere Auge zum Vergleich hinzuziehen zu können. Es ist wohl nicht überflüssig, hierbei zu bemerken, dass die bei Ausführung der genannten Operation auf- tretende Blutung immer leicht getilet werden konnte durch Aufdrücken von mit zu 37 bis 38° C. erwärmter physiologischer Kochsalz- lösung oder mit Ringer-Locke’scher Lösung getränkten Watte- stückchen. Infolge dieses Umstandes büssten die neugeborenen Tiere nicht ihre Kraft ein und wurden nicht schwach (wie bekannt, sind neu- geborene und junge Tiere Blutungen gegenüber besonders empfindlich). Nach der künstlichen Eröffnung der Augen wurde sofort und zunächst die Reaktion der Pupillen auf Licht, welches auf diese Die Entwicklung der Pupillen- und anderer Augenreflexe etc. 18 Weise zum erstenmal aufs Auge fiel, beobachtet, und nachdem mit Bestimmtheit das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein des Pupillen- reflexes auf Lichtreiz festgestellt worden war, wurden die Augen mit in einer der oben genannten Flüssigkeiten befeuchteten Wattestückehen zugedeckt. Weiter wurde die oben beschriebene Operation am Halse zur Unterbindung einer der beiden Halsvagosympathiei ausgeführt, welcher auch dann neben dem Ganglion cervicale inferius — etwas höher — durchschnitten wurde. Das Kopfende des durchschnittenen Nerven wurde mittelst des elektrischen Stromes eines Akkumulators, welcher mit einem Dubois-Reymond'’schen Sehlittenapparat und zwei aus Platin verfertigten, hakenförmig sebogenen Elektroden (auf die der Nerv gelegt wurde) in Verbindung stand, gereizt. Nachdem auf solche Weise die Mitteilung der vorläufigen all- gemeinen Bemerkungen erledigt ist, wollen wir direkt zu einer kurzen Beschreibung der Experimente selbst schreiten. WurfI, bestehend aus fünf Jungen von einem weiblichen Hofhunde. Experiment am 24. Juni 1908. Hündchen I, geboren am 23. Juni 1908. Gewicht 250 g, Länge 12 em. Die Augen sind durch den Schnitt eröffnet worden. Die Pupille ist so vergrössert (!), dass die Iris sie bloss als schmaler Reif (1 bis 2 mm) umgibt. Auf Lichtreiz mittelst einer elektrischen Lampe und auch beim Einfallen von Sonnenstrahlen in die Augen (es war ein sonniger Tag) tritt nicht die geringste Verengerung der Pupille ein. Die Nickhaut (Membrana nietitans) ist erschlafft. Es wird unterbunden und durehschnitten der linke cervicale Nervus vagosympathieus. Bei seiner Reizung mittelst des elektrischen Stromes von der beweglichen Sekundärspirale eines Dubois- Reymond’schen Apparates beim Rollenabstand von 13—-15—12— 10—8—7—6—5 em tritt gar kein Effekt im Sinne einer weiteren Vergrösserung der Pupille, Kontraktion der Niekhaut usw. ein — alles bleibt in statu quo, als ob der Nerv gar nicht gereizt worden wäre. Das Benetzen der Augäpfel mittelst der obengenannten physio- logischen Lösungen sowie das Berühren mittelst eines Instrumentes oder Watte ruft Bewegungen des gereizten Augapfels (nach vorne und seitwärts) hervor; die Pupille bleibt aber auch dann unbeweglich. 74 Sergius Michailow: Experiment am 25. Juni 1908. Junger Hund 2, geboren am 23. Juni 1908. Gewicht 320 g, Länge 12 em. Die Augen sind durch den Schnitt eröffnet. Die Pupille ist verbreitert, wie auch bei dem gestrigen Hündchen; die Niekhaut ist ebenso erschlafft. Auf Lichtreiz trat kein Effekt ein; Reizung der Oberfläche der Augäpfel mittelst termischer und mecha- nischer Mittel gab das gleiche Resultat wie auch gestern. Reizung des rechten Nervus vagosympathieus mit Strömen verschiedener Stärke blieb ohne Effekt. Experiment am 26. Juni 1908. Hündchen 3, geboren am 23. Juni 1908. Gewicht 300 g, Länge 13 em. Die Augen sind durch den Schnitt eröffnet. Die Pupille ist verbreitert, wie bei den vorhergehenden Hündchen, und ebenso ist die Niekhaut erschlafft. Es wurde unterbunden und durchschnitten der rechte cervicale Nervus vagosympathieus, nachdem es feststand, dass die Pupillen auf Lichtreiz nicht reagieren. Bei Reizung des zentralen Endstückes des durchschnittenen Nerven mittelst elektrischen Stromes von der Sekundärspirale eines Dubois-Reymond’schen Apparates beim Rollenabstand von 15 cm bleibt die Pupille unbeweg- lich, die Niekhaut aber kontrahiert sich. Wiederholte Reizungen mit Strömen der gleichen Stärke sowohl als beim Rollenabstand von 12—10—8 em hatten das gleiche Ergebnis. Experiment am 30. Juni 1908. Junger Hund 4, geboren am 23. Juni 1908. Gewicht 480 g, Länge 18 em. Die Augen sind durch den Schnitt eröffnet. Die Pupille verengerte sich sofort bedeutend auf Licht. Es wurde unter- bunden und durchschnitten der linke cervicale Nervus vagosympathieus. Bei dessen Reizung mit dem elektrischen Strome von einem Dubois- Reymond’schen Apparate beim Rollenabstand von 13 em trat von seiten der Pupille und der Nickhaut ein vollständig deutlicher Effekt zutage,. wie er unter analogen Bedingungen bei erwachsenen Tieren der gleichen Art beobachtet wird: die Pupille verbreiterte sich prompt und deutlich, die Nickhaut kontrahierte sich. Experiment am 9. Juli 1908. Junger Hund 5, geboren am 23. Juni 1908. Gewicht 675 8, Länge 22 em. Die Augen begannen am 7. Juli 1908 sich zu öffnen, und am Experimenttag ist das rechte Auge noch nicht voll- Die Entwicklung der Pupillen- und anderer Augenreflexe etc. 75 ständig geöffnet, weil am lateralen Rande die Augenlider noch ver- wachsen sind, während das linke Auge schon in ganz normaler Weise offen ist. Die Lider werden an beiden Augen abgeschnitten. Die Pupillenreaktion auf Lieht ist deutlich ausgesprochen. Es wurde unterbunden und durchschnitten der rechte Nervus vagosympathieus. Bei Reizung mittelst des elektrischen Stromes von der Sekundär- spirale eines Dubois-Reymond’schen Apparates beim Rollen- abstand von 15 em trat ein deutlicher Effekt im Sinne einer Ver- breiterung der Pupille, Kontraktion der Niekhaut usw. ein. Wurf Il, bestehend aus fünf Jungen von einem weiblichen Hofhunde. Experiment am 31. Juli 1908. Hündehen 1, geboren am 28. Juli 1908. Gewicht 500 g, Länge 16 em. Die Augen sind durch den Sehnitt eröffnet worden. Die Pupille ist verbreitert, die Niekhaut erschlafft. Es wurde unterbunden und durehsehnitten der rechte Nervus vagosympathieus. Bei Reizung des zentralen Endes des durchschnittenen Nerven trat von seiten der Pupille beim Rollenabstand von 15—10—5 em kein Effekt ein, während sich die Nickhaut hierbei deutlich kontrahierte. Experiment am 2. August 1908. Hündehen 2, geboren am 28. Juli 1908. Gewicht 550 g, Länge 13 em. Die Augen sind durch Schnitt eröffnet worden. Die Pupille ist verbreitert und reagiert nicht auf Licht. Es wurde unterbunden und durehsehnitten der linke Nervus vagosympathicus, wobei die Reizung des zentralen Endes bei einem Rollenabstand von 15—10— 5 em von gar keinem Effekt von seiten der Pupille begleitet war, während die Niekhaut sich hierbei sehr energisch kontrahierte. Darauf wurde ebenso unterbunden und durchschnitten der rechte Nervus vagosympathiceus und sein zentraler Stumpf mit Strömen von derselben Stärke und mit genau dem gleichen Ergebnis gereizt. Experiment am 4. August 1908. Hündchen 3, geboren am 28. Juli 1908. Gewicht 725 g, Länge 23 em. Die Augen sind durch den Schnitt eröffnet worden. Die Pupille kontrahierte sich auf Licht, aber nicht so prompt wie beim Hündchen I, 4. Darauf wurde der rechte Nervus vagosympathieus unterbunden und durchschnitten. Infolge starker Unruhe wurde das 76 Sergius Michailovw: Tier für einige Zeit in Ruhe gelassen, und dann wurde der zentrale Stumpf des durchschnittenen Nerven gereizt, wobei beim Rollen- abstand von 15 em Verbreiterung der Pupille, Kontraktion der Niekhaut, Hervorwölben des Augapfels aus der Orbita, d. h. dessen Bewegung nach vorn aussen, eintrat. Alle diese Bewegungen sowohl als die ihnen entgegengesetzten nach Aufhören der Reizung erfolgen träge und ziemlich langsam. Der gleiche Effekt wurde auch bei wiederholentlichen Reizungen einige Male erhalten. Das :vierte Hündehen dieser Serie wurde zu Zwecken, die in vorliegender Arbeit angestrebt werden, nicht benutzt. Wurf HI, bestehend aus vier Jungen von einem weiblichen Pudel. Experiment am 17. August 1908. Hündcehen 1, geboren in der Nacht vom 16. auf den 17. August 1908. Zur Zeit des Experimentes war es 15 Stunden alt. Gewicht 410 g, Länge 15 em. Die Augen sind durch den Schnitt eröffnet worden. Die Pupille ist verbreitert, die Niekhaut erschlafft. Es wurde unterbunden und nachher durchschnitten der rechte Nervus vagosympathieus. Bei Reizung seines zentralen Endes mittelst des elektrischen Stromes beim Rollenabstand von 15--10—8—5 und sogar 2 em trat von seiten der Pupille und der Niekhaut gar kein Effekt ein. Experiment am 23. August 1908. Hündcehen 2, geboren in der Nacht vom 16. auf den 17. August 1908. Gewicht 600 g, Länge 28 em. Die Augen sind durch den Sehnitt eröffnet worden. Die Pupille kontrahierte sich prompt auf Licht. Es wurde unterbunden und durehschnitten der linke Nervus vagosympathicus, dessen zentraler Stumpf darauf mit dem elektrischen Strom beim Rollenabstand von 18 em gereizt wurde. Als Folge dieser Reizung trat Verbreiterung der Pupille und Kontraktion der Niekhaut ein. Experiment am 25. August 1908. Hündchen 3, geboren in der Nacht vom 16. auf den 17. August 1908. Gewicht 680 g, Länge 31 em. Die Augen durch den Schnitt eröffnet. Die Pupille verengerte sich prompt auf Lichteinfall. Es wurde unter- bunden und durchschnitten der rechte Nervus vagosympathicus. Reizung seines zentralen Stumpfes führte zu deutlicher und energischer Die Entwicklung der Pupillen- und anderer Augenreflexe etc. 77. Verbreiterung der Pupille, Kontraktion der Niekhaut und Bewegung des Augapfels nach aussen, d. h. seinem Hervorrücken aus der Orbita. Alle diese Erscheinungen traten zutage bei einem Rollenabstand von 15 em. Experiment am 27, August 1908. Hündchen 4, geboren in der Nacht vorn 16. auf den 17. August 1908. Gewicht 830 g, Länge 36 em. Die Pupille reagiert auf Lieht. Es wurde unterbunden, durchschnitten und gereizt der rechte Nervus vagosympathieus, wobei der gleiche Effekt erreicht wurde wie beim Hündchen III, 3. Wurf IV, bestehend aus sechs Jungen eines weiblichen Hofhundes. Experiment am 28. August 1908. Hündehen 1, geboren am 24. August 1908. Gewicht 580 g, Länge 17 em. Augen durch den Schnitt blossgelegt. Die Pupille reagiert nicht auf Licht. Es wurde unterbunden und durchschnitten der rechte Nervus vagosympathieus. Bei Reizung seines zentralen Stumpfes mittelst .des elektrischen Stromes bei einem Rollenabstand von 15—10—5 em trat Kontraktion der Niekhaut ein; alles andere blieb in statu quo. Experiment am 29. August 1908 (abends). Hündchen 2, geboren am 24. August 1908 um ea. 9 Uhr morgens. Gewicht 615 g, Länge 19 em. Augen durch den Schnitt blossgelegt. Von seiten der Pupille ist die Reaktion auf Licht deutlich aus- gesprochen. Die Pupille reagiert auch auf Schmerzreiz, der jedoch von bedeutender Intensität sein muss. Reizung des zentralen Stumpfes des durchschnittenen rechten Nervus vagosympathieus ruft Kontraktion der Niekhaut hervor; die Pupille jedoch bleibt unbeweeglich. Experiment am 30. August 1908. [2] Hündehen 3, geboren am 24. August 1908. Gewicht 680 g, Länge 20 em. Augen durch den Schnitt blossgelegt. Die Pupille reagiert mit Verbreiterung auf Schmerz- und Verengerung auf Licht- reize. Der rechte Nervus vagosympathieus wurde unterbunder und durebschnitten, wobei Reizung seines zentralen Stumpfes mittelst des elektrischen Stromes bei einem Rollenabstand von 15—10 cm keinen Effekt seitens der Pupille nach sich zieht; es tritt aber eine Kon- traktion der Niekhaut ein. 78 Sergius Michailow: Experiment am 31. August 1908. Hündchen 4, geboren am 25. August 1908. Gewicht 720 g, Länge 20 cm. Augen durch den Schnitt blossgelegt. Die Pupille reagiert auf Licht- und auf Schmerzreiz. Aufsetzen der Elektroden auf den zentralen Stumpf des durchschnittenen rechten Nervus vago- sympathieus ruft bei einem Rollenabstand von 15 cm energische Verbreiterung der Pupille und Kontraktion der Niekhaut hervor. Experiment am 1. September 1908. Hündehen 5, geboren am 24. August 1908. Gewicht 712 g, Länge 21 em. Augen durch den Schnitt blossgelegt. Die Pupille reagiert auf Schmerz- und Lichtreiz. Es wurde unterbunden, durch- schnitten und gereizt der rechte Nervus vagosympathicus, wobei bei einem Rollenabstand von 18 cm der gewöhnliche Effekt seitens der Pupille und der Nickhaut eintrat und auch Hervorrücken des Aug- apfels nach aussen beobachtet wurde. Experiment am 2. September 1908. Hündcehen 6, geboren am 24. August 1908. Gewicht 730 g, Länge 24 em. Augen durch den Schnitt blossgelest. Die Pupille reagiert auf Licht und Schmerz; bei Reizung des Nervus vago- sympathicus tritt der gleiche Fffekt und unter den gleichen Be- dingungen wie beim gestrigen Hündchen IV, 5 ein. Ehe irgendwelche Schlussfolgerungen aus allen angeführten Tatsachen gezogen werden, halte ich es für zweckmässig, diese auf verschiedene Experimente verteilten Tatsachen in einer Tabelle zu gruppieren, in welcher das Zeichen (+) bei dem Hündchen des gegebenen Alters die Anwesenheit der am Kopfende der betreffenden Spalte vermerkten Reaktion, das Zeichen (—) deren Abwesenheit bei dem betreffenden Hündchen angibt. Alle von uns untersuchten Tiere wurden zum Experiment vor dem Eintritt der natürlichen Augenöffnung hinzugezogen; eine Aus- nahme bildet in dieser Beziehung nur das Hündchen I, 5 (Experiment am 9. Juli 1908), welches schon ein Alter von. 16 Tagen erreicht hatte, und bei dem zur Zeit des Experimentes die Augen schon auf natür- lichem Wege geöffnet waren. Die Entwicklung der Pupillen- und anderer Augenreflexe etc. 79 Zeit a | Reaktion WReaktionr |} Reaktionen IE Alter des | des Experi- Reaktion d. Pupille | der Pupille | der Niekhaut in D mentes d. Pupille ser auf Reizung auf Reizung hr Hündchens auf Licht des N. vago- | des N. vago- Reizung das 1908 Schmerz | symp- symp, |N.vagosymp. 15 Stunden | 17. Aug. _ — —- — 24 ” 29. Juni — —_ _ _ 2 Tage 29:40, — — — — 35 2b: — _ + — Rn 31. Juli = _ + au Au 28. Aug. — _ _ + _ DIN 28 0, — _ + — 6 n 29. ” + ar TR 37 TE OR OHR, + Hi 2 + 2 Re 30. Juni + + + — ae 4. Aug Ar ee + + 7 „ 31. n» + + + + 2 8, 2. ou + al ar Sl 1. Sept + + + + se 9 ” 2. ” ar Ar Ir + + 104% 25. Aug + + + + 12,8 x All 5 + a + AL 16725 9. Juli + + + + Diese Tabelle, die auf Grund der obenangeführten Tatsachen zusammengestellt ist, zeigt, dass: 1. bei jungen Hunden, die, wie bekannt, mit ge- schlossenen Augen zur Weltkommen, der Pupillar- und andere Augenreflexe nicht in fertiger und vollent- wickelter Weise schon bei der Geburt präexistieren, sondern erst in den ersten Tagen des extrauterinen Lebens zur Entwicklung gelangen, wobei sie natürlich als vererbte aufzufassen sind; 2. zur Zeit der natürlichen Augenöffnung die neu- geborenen Tiere schon über alle Pupillar-Augen- reflexe in wohlentwickelter Form verfügen; 3. verschiedene dieser Reflexe sich in verschiedener Frist nach der Geburt des Tieres entwickeln; 4. früher als die anderen der Reflex der Niekhaut- kontraktion bei Reizung des Nervus vagosympathicus zur Entwicklung kommt — nach Erreichung des Alters von 3 Tagen; 5. nach 5 Tagen die Pupille auf Lichtreiz zu reagieren beginnt; 6. nach 5 Tagen auch die Reaktion-der Pupille auf Schmerzreiz bedeutender Intensität deutlich aus- gesprochen ist; 80 Sergius Michailow: 7. der gewöhnliche durch Reizung des Nervus vagosympathicus bedingte Pupillarreflex zum ersten- mal auftritt, wenn das Tier das Alter von 7 Tagen erreicht hat; 8. wenn das Tierdas Alter von 8, mitunter auch nur von 7 Tagen erreicht hat, bei Reizung des Nervus vago- sympathicus Hervorrücken des Augapfels nach aussen eintritt; .. 9. der Pupillar- und die anderen Augenreflexe sich entwickeln, folglich um einige Tage früher, als ihr Vorhandensein fürden Organismusin dieser oderjener Lebenslage notwendig erscheinen könnte. Einige dieser Schlussfolgerungen decken sich mit manchen klinischen Tatsachen und Beobachtungen; beziehentlich des neu- geborenen Kindes jedoch will ich mich mit der Aufstellung soleher Analogien absolut nicht abgeben, weil ja das Kind mit offenen Augen zur Welt kommt und sich folglich in der Hinsicht unter anderen Bedingungen befindet als der neugeborene Hund. Um die Untersuchung der Pupillar- und Augenreflexe auch auf solche Tiere auszudehnen, die mit offenen Augen zur Welt kommen, wurden Experimente am Meerschweinchen angestellt. Experiment am 13. November 1908. Meerschweinchen, geboren um 8 Uhr morgens des 13. November ‘1908. Zur Zeit des Experimentes war es 2 Stunden und einige Minuten alt. Zwecks besserer Besichtigung des Auges wurden die oberen sowohl als die unteren Augenlider abgeschnitten, nachdem festgestellt worden war, dass die Pupille deutlich auf Lichtreiz reagiert. Darauf wurde unterbunden und durchschnitten der cervicale Nervus sympathieus; auf Reizung seines zentralen Stumpfes mittelst des elektrischen Stromes von der Sekundärspirale eines Dubois- Reymond’schen Apparates beim Rollenabstand von 15 em traten Verbreiterung der Pupille, Kontraktion der Nickhaut und Hervorrücken des Augapfels nach aussen ein. Experiment am 17. November 1908. Meerschweinschen, geboren in der Nacht vom 16. auf den 17. November 1908. Von der Geburt an sieht und läuft es. Bei Reizung des zentralen Stumpfes des durchschnittenen Nervus Die Entwicklung der Pupillen- und anderer Augenreflexe etc. sı sympathicus am Halse trat der gewöhnliche Oculopupillarreflex, wie er auch beim erwachsenen Tier beobachtet wird, ein. Ein zweites Meerschweinchen derselben Nummer gab unter den gleichen Be- dingungen genau die gleichen Resultate. Dasselbe wurde bei einem Meerschweinchen, das am 13. November 1908 um 8 Uhr morgens zur Welt kam und folglich das Alter von 4 Tagen erreicht hatte festgestellt- Auf Grund dieser Tatsachen kommen wir zum- Schlusse, dass: | l. neugeborene Meerschwein- chen, die bekanntlich mit offenen Augen zur Welt kommen, gleich von der Geburt an über wohlent- wickelte oculo-pupilläre Reflexe verfügen; 2. diese Reflexe sich wahr- scheinlich in den letzten Tagen des intrauterinen Lebens ent- wickeln. Bevor ich die vorliegende Arbeit schliesse, will ich noch kurz Auszüge aus jener Kategorie von Experimenten anführen, welche zum Studium der Erregbarkeit der motorischen Rindenzentren ange- stellt wurden, und bei welchem es gelang unter anderem auch die Verbreiterung der Pupille bei Reizung bestimmter Punkte zu beobachten. Zu den genannten Experimenten dienten neugeborene Hunde (s. die entsprechende Arbeit Pflüger’s Archiv). Aus diesen Experimenten folgt, dass es bei Reizung der Hirnrinde neugeborener Hundemittelst des elektrischen Stromes bis zum Alter von 9 Tagen nicht gelingt, als motorischen Effekt dieser Reizung eine Verbreiterung der Pupille zu bekommen. Von dem genannten Alter an aber tritt Verbreiterung der Pupille bei Reizung des Punktes D (Fig. 1) im Oceipital- und des Punktes N (Fig. 1) im Frontalgebiet ein. Ausführlichere Angaben finden sich in der Arbeit „Zur Frage über die Erregbarkeit der motorischen Zentra in der Hirnrinde neugeborener Säugetiere“. (Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 133 S. 45. 1910.) Das auf Fig. 1 abgebildete Gehirnschema stammt von einem sechs Tage alten Hündchen. N N Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 6 82 K. Glaessner und E. P. Pick: (Aus der chemischen Abteilung des k. k. serotherapeutischen Institutes in Wien Hofrat Prof. Dr. R. Paltauf.) Über das Verhalten des Phlorizins nach der Nierenexstirpation. Entgegnung zu dem gleichnamigen Aufsatze von Erich Leschke!). Von Privatdozent Dr. K. Glaessmer und Privatdozent Dr. E. P. Pick. In einer ausführlichen, vor mehreren Jahren erschienenen Arbeit?) über Phlorizindiabetes haben wir, wie es uns schien, wichtige und eindeutige Befunde betreffend den Mechanismus der Phlorizinglykosurie, sowie das Schicksal des Phlorizins und seinen Angriffsort im Tier- körper veröffentlicht. Unter anderem konnten wir feststellen, dass das Phlorizin nach subkutaner Injektion bei normalen Kaninchen im Blut und den Organen dieser Tiere chemisch und biologisch nach- weisbar ist, während bei nephrektomierten Tieren das Phlorizin in Gaben bis zu 3 g sich sowohl im Blute wie in der Leber dem Nachweis entzieht. In diesen Versuchen wurde zum erstenmal der biologische Nachweis des Phlorizins mit Erfolg durchgeführt in der Form, dass Organ- und Blutextrakte, welche auf Phlorizin untersucht werden sollten, dem gegen dieses Gift äusserst empfindlichen Hunde beigebracht und die bei diesem auftretende Glykosurie quantitativ semessen wurde. Diese Methode hat sieh uns als ungemein genau erwiesen; es gelingt mit ihrer Hilfe, noch sehr geringe Mengen von Phlorizin nachzuweisen. Gestützt wurde der biologische Nachweis durch den chemischen mit Vanillin-Salzsäure, einer Methode, die noch 0,0002 g Phlorizin, wie aus unseren Versuchen hervorgeht, aufzu- finden gestattet. 1) Leschke, Über das Verhalten des Phlorizins nach der Nierenexstirpation. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 132 8. 319. 1910. 2) Glaessner und Pick, Über Phlorizindiabetes. Hofmeister’s Bei- träge z. chem. Physiol. u. Pathol. Bd. 10 S. 473. 1907. Über das Verhalten des Phlorizins nach der Nierenexstirpation. 83 Im Auftrag von Pflüger hat nun Leschke unsere Befunde mit den von uns angegebenen Methoden nachgeprüft und im wesent- lichen vollinhaltlich bestätigt. Von der Anschauung ausgehend, dass die Resorption von Phlorizin bei subkutaner Injektion entnierter Tiere leide, fühlt sieh Leschke zu dem Schlusse berechtigt, dass der von uns vermisste Nachweis des Phlorizins bei entnierten Tieren auf eine schlechte Resorption des Giftes zurückzuführen, und dass der negative Ausfall unserer Versuche durch irrtümliche Deutung des Versuchsergebnisses bedinet sei. Gegen diese übrigens nur durch zwei und, wie wir unten ausführen, nichts beweisende Versuche ge- stützte Supposition von E. Leschke fühlen wir uns verpflichtet, von vornherein Stellung zu nehmen und im folgenden den Nachweis zu führen, dass seine Auffassung und Beurteilung unserer Resultate eine durchaus irrige ist. Es ist a priori klar, dass jeder erfahrene Experimentator den Einfluss der Resorption subkutan eingeführter Gifte wohl zu würdigen weiss, und auch wir haben selbstverständlich dem Einfluss der Resorption auf den Ausfall unserer Versuche Rechnung getragen, wie aus folgender Stelle unserer Arbeit hervorgeht: (p. 486) „anderer- seits konnte der Einwand, dass die nephrektomierten Kaninchen früher getötet worden waren, als die Re- sorption des gesamten injizierten Phlorizins statt- gefunden hatte, dadurch entkräftet werden, dass die Kaninchen 24 Stunden und darüber am Leben gelassen wurden.“ Ausserdem wurde bei jedem Versuche durch Autopsie die In- jektionsstelle genau untersucht und festgestellt, wie weit die Resorption des Giftes vorgeschritten war, wobei sich selbstverständlich auch bei normalen Tieren wenige Stunden nach der Injektion noch immer Phlorizin bei Applikation grösserer Mengen am Einstichort nach- weisen liess, eine Tatsache, die keines Kommentars bedarf. I. Der Einwand, dass die Nephrektomie als ausserordentlich ein- greifende Operation die Resorptionsverhältnisse in maassgebender Weise beeinflusse, ist völlig haltlos; jeder, der einige Erfahrung besitzt, weiss, dass gerade Kaninchen die Nephrektomie ganz ausgezeichnet vertragen, tagelang überleben und häufig sogar ihre Fresslust bis einige Stunden vor dem Tode bewahren, ein Umstand, der übrigens | 6* 34 K. Glaessner und E. P. Pick: auch aus den Protokollen von Leschke hervorgeht, welcher aus- führlich beschreibt, wie ihm ein Kaninchen nach Ausführung der Operation „durch die Stube fortlief“ ! Da wir unmittelbar nach der Operation injiziert haben, ist es ausgeschlossen, dass sich sofort grössere Resorptionsstörungen bei dem vorerst völlig normalen Tier eingestellt hätten, was selbst- verständlich hätte berücksichtigt werden müssen, wenn die Injek- tionen an kranken oder moribunden Kaninchen vorgenommen worden wären. Dieser Einwand Leschke’sentbehrtsomitjeder Grund- lage, wie er sich bei genauerer Lektüre unserer Arbeit hätte selbst überzeugen müssen. Welche Beweise bringt nun Leschke für seine Behauptung? Er sucht zunächst nachzuweisen, dass bei entnierten Tieren nach subkutaner Einverleibung des: Phlorizins dasselbe an der Injektionsstelle gefunden wird. In welcher Weise stellt er nun diese Versuche an? Zwei Kaninchen erhalten nach Nephrektomie 2 bzw. 1g Phlorizin in wässeriger, sodaalkalischer Lösung (20 cem H;0O), werden nach 4 resp. 8 Stunden getötet und das schleimige, ge- quollene Bindegewebe der Injektionsstelle wird zum physiologischen oder chemischen Nachweis des Giftes verwendet. Selbstverständlich fiel die Vanillinprobe bei Versuch I (2 g Phlorizin, Tod nach 4 Stunden) positiv aus; bei Versuch II (1 g Phlorizin, Tod nach 3 Stunden) wurde die physiologische Wirkung des Extraktes untersucht und ergab, da der Urin des Versuchshundes am ersten Tage nach der Injektion wegen Anurie nicht geprüft werden konnte, am zweiten und dritten Tage nach der Injektion eine Grünfärbung bei der Worm- Müller’schen Reaktion; ein quantitativer Zuekernachweis wurde nicht versucht und war wohl auch nieht möglich, wie aus den an- geführten Daten hervorgeht. Auf Grund dieser zwei Versuche stellt Leschke die Behauptung auf, dass die Resorption des Phlorizins nach Nierenexstirpation so langsam vor sich gehe, dass sogar noch unresorbiertes Phlorizin 4 und 8!/e Stunden nach der Operation nachweisbar ist. Weit davon entfernt, eine Verzögerung der Resorption des Phlorizins zu beweisen, lassen diese zwei einzigen Kontrollversuche, die Leschke angestellt hat, im Gegenteil erkennen, dass die Resorption sogar unter der von Leschke gewählten Versuchsanordnung noch als vorzüglich bezeichnet werden muss, da nach 4 Stunden nur chemisch nachweis- bare Mengen, nach 3 Stunden überhaupt kein Phlorizin bzw. nur Über das Verhalten des Phlorizins nach der Nierenexstirpation. 55 Spuren davon gefunden werden konnten. Hätte Leschke seinen zwei Versuchen an nephrektomierten Tieren noch einen dritten an einem normalen Kaninchen hinzugefügt, so hätte er die Ent- deekung gemacht, dass auch bei normalen Tieren noch Spuren von Phlorizin nach 4 Stunden und länger an der Injektionsstelle vor- kommen können. | Ergebnis: Diese Versuche Lesehke’s sind daher nach keiner Richtung beweisend und entbehren für die Resorption des Phlorizins jedweder bedeutung. 1. In einer zweiten Versuchsreihe unternimmt es Leschke, unsere Behauptung, dass das Phlorizin nach subkutaner Injektion bei nephrektomierten Tieren nicht mehr nachweisbar sei, zu widerlegen, indem er statt der subkutanen die intravenöse Injektion von Phlorizin wählt und mit Hilfe unserer Methoden auf biologisch-chemischem Wege den Nachweis des Phlorizins in den Organ- und Blutextrakten zu führen versucht. Es bleibt bei der von ihm gewählten, höchst unzweckmässigen Versuchsanordnung, bei welcher Kaninchen 20—30 eem der alkalischen Phlorizinlösung intravenös beigebracht werden, zunächst die traurige Tatsache nieht erspart, dass ihm in der ersten Versuchsreihe alle und in den anderen Versuchen die Hälfte der Tiere an Herzlähmung während der Injektion zugrunde gehen. Zwei Versuchstiere überlebten aber dennoch den Eingriff, welcher darin bestand, dass der Experimentator nach Nephrektomie einem der Tiere 1 g Phlorizin mit 30 eem H,O, dem zweiten Tiere 1,2 g Phlorizin mit 35 & H,O in die Vena renalis injizierte. Die Tiere wurden nach 9 bzw. 9's Stunden getötet und das Blut auf Phlorizin untersucht. Wir würden von vornherein erwartet haben, dass bei intravenöser Applikation so grosser Giftmengen bei ent- nierten Tieren ein namhafter Teil des Phlorizins im Blute des Ver- suchstieres gefunden werden, und ein sehr deutlicher Ausschlag der Glykosurie eintreten müsste, da sich ja subkutane und intravenöse Applikation dureh die Schnelligkeit der Aufnahme ins Blut wesentlich unterscheiden. Was fand aber Leschke? In Versuch I fand er innerhalb 6 Stunden eine Zuckermenge, welche sich auch nur durch schwache Worm-Müller’sche Reaktion kennzeichnete; der Zuckergehalt betrug 0,1°/o, wobei auf den im Kaninchenblut befindlichen mitinjizierten Blutzucker gar keine Rücksicht genommen wurde; bereits nach 86 K. Glaessner und E. P. Pick: Uber das Verhalten des Phlorizins etc. 12 Stunden ist der Ausschlag am Polarimeter negativ. Im Versuch II fand er eine Rechtsdrehung von + 0,1. Leschke schliesst aus diesen zwei Versuchen, dass bei intravenöser Injektion von nur 1 g Phlorizin dieses auch nach der Nierenexstirpation unverändert im Blut nachweisbar sei. Bei vorurteilsloser Prüfung dieser zwei Versuche kommt man zur Ansicht, dass diese Werte geradezu verschwindend gering sind gegenüber den grossen, intravenös beigebrachten Phlorizingaben, zumal wenn man berücksichtigt, dass bereits Spuren von Phlorizin (Moritz und Prausnitz, O. Loewi) bei Hunden Glykosurie erzeugen. Ergebnis: Im Gegensatze zu Leschke müssen wir den Aus- fall seiner Versuche, soweit sie experimentell überhaupt ver- wertbar sind, als Stütze für unsere Anschauung verwenden, da sie zeigen, dass nicht nur bei subkutaner, sondern auch bei intra- venöser Applikation nach Nephrektomie das Phlorizin zum grössten Teil verschwindet. Durch diese Versuche widerlegt Leschke unfreiwillig seinen eigenen Einwand, dass die Resorption des Phlorizins nach sub- kutaner Einverleibung eine schlechte sei und unsere Versuchsresultate beeinflusst habe. Aus dem Angeführten geht somit hervor, dass die Versuche von Leschke in keiner Weise geeignet sind, die Deutung unserer Versuche zu ändern, dass vielmehr diese Experimente, soweit sie einwandfrei angestellt sind, eine Bestätigung unserer Ergebnisse darstellen, welche wir in jeder Hinsicht vollinhaltlich aufrecht- halten. 87 Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand, Leitungswiderstand und Propagationsgeschwindigkeit für elektrische Stromstösse bei den Nervenfasern im Corpus callosum des Rindes. Von 6. F. Göthlin, Upsala. (Mit 1 Textfigur und Tafel I.) 1. Das Untersuchungsmaterial. Für eine Untersuchung, die besonders auf die Erforschung der physikalischen Struktur der einzelnen Nervenfaser gerichtet wird, ist der peripherische Nervenstamm kaum ein günstiges Versuchsobjekt. Das Verkommen und die Anordnung seiner epi- und perineuralen Bindegewebslamellen wirken störend auf die meisten Bestimmungen und verleiten leicht zu unzulässigen Deutungen der Untersuchungs- ergebnisse. So ist man der Ansicht gewesen und ist es mehrfach wohl noch, dass die von E. du Bois-Reymond zuerst nachgewiesene „elektrotonische“ Ausbreitung eines der Mantel- fläche des Nerven bipolar zugeführten Gleichstroms allein durch die Eigenschaft der einzelnen Nervenfasern, Kernleiter zu sein, hervorgerufen wird. Indessen ist es nicht bewiesen oder auch nur wahrscheinlich gemacht, dass in einem unbeschädigten Nerven und bei mässiger Stromdichte direkte Stromschleifen die Markscheide in solcher Ausdehnung durchdringen. In Wirklichkeit bietet bereits der bedeutende Widerstand in den Epi- und Perineurallamellen beim Übergang des Stromes auf die von ihnen eingeschlossenen Lymph- spatien wenigstens teilweise die Erklärung für das fragliche Phänomen und für die Eigenschaft des peripherischen Nervenstammes als Kern- leiter '). 1) Vgl. G. F. Göthlin, Om den funktionella betydelsen af dielektriska och elektrolytiska mediers topiska anordning i den märghaltiga nerven. II. Upsala Läkareför. Förhandl., N. F., vol. 8 p. 167—169. 1902 1903. 88 G. F. Göthlin: Je weniger fremde Formelemente in das Untersuchungsmaterial eingemischt sind, um so besser werden ohne Zweifel die physi- kalischen Eigenschaften der Nervenfasern selbst der Untersuchung zugäneig. In Übereinstimmung hiermit hat Verfasser für seine Unter- suchungen ein ganz anderes Versuchsobjekt gewählt, als es sonst gebräuchlich gewesen ist, nämlich das Corpus callosum des Rindes. Die gliöse Stützsubstanz ist in diesem Material spärlich und bildet vor allem keine Scheiden; auch die Schwann’sche Scheide fehlt. Mit diesen unbestreitbaren Vorteilen verbindet das Corpus callosum die Eigenschaft des peripherischen Nervenstammes, parallelfaserig zu sein. Damit die Faserriehtung in dem Präparat bekannt sein soll, muss indessen die Präparation mit grosser Sorgfalt geschehen. Das Verfahren hierbei ist folgendes gewesen: Der Schädel wird durch einen Sägeschnitt in der Mittellinie gespalten und das Gehirn in seiner Gesamtheit herausgenommen. Mit einer Pinzette werden sowohl die Fissura longitudinalis als die angrenzenden Teile der Facies convexa cerebri, einschliesslich ihrer Sulei, vorsichtig von ihrem Pialüberzug befreit. Nachdem dies ge- schehen, erfasst man mit der Hand die eine Gehirnhemisphäre und übt einen leichten Zug an ihrer oberen Hälfte gerade nach der Seite hin aus. Die Oberfläche des Corpus eallosum wird dann auf dem Grunde der Fissura longitudinalis entblösst. Darauf wird in der Verlängerung dieser freiliegenden Oberfläche des Corpus ceallosum mit einem breiten Parenchymmesser ein möglichst ebener Schnitt durch das Centrum semiovale geführt. Dasselbe Verfahren wieder- holt man dann an der anderen Gehirnhälfte. Durch einen vorderen und einen hinteren koronalen Schnitt sowie zwei sagittale Seiten- schnitte wird darauf das die Gehirnventrikel überbrückende Corpus callosum in Form einer rechteckigen Scheibe aus seinem Zusammen- hang mit dem übrigen Gehirn gelöst und in möglichst natürlicher Form auf einer ebenen Holzplatte ausgebreitet. Mit einem scharfen Doppelmesser, dessen Klingen sich in einem Abstand von l cm von einander befinden, wird die Scheibe in 1 em breite Streifen von koronaler Längsrichtung geteilt. Aus diesem werden schliesslich durch sagittale Schnitte mit demselben Doppelmesser quadratische Scheiben hergestellt, in welchen wegen der Schnittführung die Nervenfasern mit dem einen Seitenpaar parallel und zu dem anderen senkrecht verlaufen. Eine notwendige Voraussetzung für die Erhaltung anwendbarer Präparate ist die, dass die Tiere nicht mittelst einer Schlachtmethode Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 89 getötet werden, welche das Corpus callosum beschädigt. Am besten ist es, eine Schlachtmaske mit Eisenbolzen anzuwenden und sie so asymmetrisch anzubringen, dass der Eisenbolzen in den lateralen Teil des Corpus striatum eindringt. Das Tier wird auf diese Weise ebenso sicher betäubt, als wenn der Bolzen in der Mittellinie ein- dringt. 2. Dimensionsbestimmungen an den Nervenfasern im Corpus callosum. Die erste Aufgabe, die zu erledigen war, bestand darin, durch Messung die Dimensionen der Nervenfasern, Markscheiden und Achsenzylinder in dem (uerschnitt eines auf die eben angegebene Weise hergestellten Präparates festzustellen. In natürlichem Zustand legt leider die Konsistenz des Gewebes der Anfertigung hinreichend dünner Schnitte Hindernisse in den Weg. Bei vorhergehender Behandlung mit verschiedenen Härtungsflüssigkeiten wurden die sowohl distinktesten als dem Anschein nach naturgetreuesten Bilder durch Härtung in Überosmiumsäure (1 0) erhalten. Infolgedessen wurden die für die Messungen bestimmten Stücke eine Woche lang in 1%/oiger Lösung von Überosmiumsäure fixiert. Danach wurden sie in 2 u dieke Schnitte senkrecht zur Faserrichtung zerlegt. Mit einem Zeiss’schen Mikroskop (Objektiv von S mm Brenn- weite; numerische Apertur 0,65; Kompensationsokular 4) und einer Bogenlampe als Lichtquelle wurde ein 1600 mal vergrössertes Bild eines derartigen Schnittes auf ein Stück weissen Kartons projiziert. Für 50 Faserquerschnitte — so gewählt, dass alle vorkommenden Grössen vertreten waren — wurden der grösste (d,) und der kleinste (d,) Durchmesser im Bilde gemessen; für dieselben Fasern wurde die Dieke (4M) der Markscheide an solchen Stellen gemessen, wo sie einen Durehschnittswert für den ganzen Umkreis darzustellen schien. Die Ergebnisse dieser Bildmessungen finden sich in der nachstehenden Tabelle (S. 90) wiedergegeben, in welcher die Ein- heiten Millimeter bedeuten. Aus der Tabelle geht hervor, dass der Durchmesser der dieksten gemessenen Nervenfaser etwa 3mal so gross ist wie der Durch- messer der feinsten. Die Dieke der Markscheide hält annähernd gleichen Schritt mit dem Faserdurchmesser; doch lässt sieh nicht sagen, dass volle Proportionalität herrscht. 90 G. F. Göthlin: RS ou I S N : Be > Br = = = ae _ N a BEN EU BL BED EL NO EEE PS FH EP a SEE ee Fa SIOPSOTOUPRDODOCDITOD OS OOo rn oO Er m = = = = S > = Er er De > _ = = = = > = = = = = Ss HHrreeDearHHwvHmHHmkrrHeremem DDPASTPERUTFDWDODOOTEITTOHPH DOT PB w > — n = De = De = = > = = Ir De = > fat SIPOSISAOAÄADIADADAATAITORDNORT UN XS) OOSOOOTOSO SID ID DITITTWEDO OO -I TI UI 00 = Dr Er Er De = = nn = = Er = _ 0 Dr Dr ir = > Er = = = = = _ = en = = = = = = = = _ Dr rt -_ OPAAAIOSODITITDAPATATPROD IT AP OTCO XOOoONSIOFIIXODIODISDHHXOO IT TO IE er = = m m = Ir = _ _ = 5 = _ = = = POT ZIDROTOWR AT WAOHHH-mn -IO PSIOSIDH-DPRDFATTPRURHEONOW-IWN ID = = = = = = Dureh Division der Zahlen in der Tabelle durch 1600 erhält man die wirklichen Dimensionen der entsprechenden Nervenfasern in Millimeter ausgedrückt. Den 50 Messungen gemäss beträgt durchschnittlich der Durchmesser einer Nervenfaser im Corpus callo- sum 4,354 u und die Dieke der Markscheide bei derselben Nerven- faser 0,9 u. Der aus diesen Zahlen berechnete Durchmesser des Achsenzylinders beträgt 2,54 u und der Querdurchsehnitt des Achsen- zylinders 5,1 >< 10=® gem. d. Untersuchungen über die Kapazität der Nervenfasern. Im Jahre 1901 begann Verfasser im Laboratorium des Herrn Prof. Sv. Arrhenius eine Untersuchung!) mit der Absicht, die Kapazität der Nervenfasern festzustellen. Zu dem Plan gehörte, mittelst der Nernst’schen Methode die Dielektrizitätskonstante für Neurokeratin sowie für Extrakt von weisser Hirnmasse, welcher die 1) In schwedischer Sprache ist über dieselbe berichtet worden in einem Aufsatz: Om den funktionella betydelsen af dielektriska och elektrolytiska mediers topiska anordning i den märghaltiga nerven. I. Upsala Läkareför. Förhandl., N. F., vol. 7 p. 187—145. 1901. Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 9] hauptsächlich in der Markscheide vorkommenden Substanzen enthält, zu bestimmen. Als Material für die Herstellung des Extraktes diente rein weisse Hirnsubstanz von Rindern. Ausser dem Corpus callosum wurde ein so grosser Teil des Centrum semiovale herauspräpariert, wie die Umstände es erlaubten; 25—35 g Rohmaterial konnten auf solche Weise von dem Gehirn eines ausgewachsenen Rindes erhalten werden. Um ein indifferentes Lösungsmittel zu finden, das ohne An- wendung höherer Wärmegrade als der Körpertemperatur möglichst vollständig die Gehirnlipoide herauslöst, wurde eine Vorprüfung der verschiedenen Löslichkeit in Mischungen von 96°/oigem Alkohol mit Äther, mit Chloroform und mit Benzol angestellt. Die heraus- präparierte Gehirnpartie wurde, soweit ihre zähe und klebrige Beschaffenheit es zuliess, in kleinere Stücke zerteilt und nebst der Extraktionsflüssigkeit in einen geschlossenen Kolben gebracht. Nach Verlauf einiger Tage, wenn die Stücke eine festere Konsistenz angenommen hatten, wurden sie herausgenommen, mit einem scharfen Messer fein zerteilt, in einem Mörser zerrieben und unter Ver- meidung von Substanzverlusten wieder in das Extraktionsgefäss gebracht, wo die Masse unter wiederholtem Umschütteln bei Zimmer- temperatur eine weitere Woche belassen wurde. Die Mischung wurde nun filtriert und die abfiltrierte Flüssiekeit nebst der aus dem Filtrum ausgepressten bei 40 ° im Thermostat zum Verdunsten gebracht. Von 12 g Substanz wurden mit den nachstehenden Extraktionsflüssigkeiten folgende Extraktionsmengen erhalten: %/o der weissen Hirnmasse 1 Teil 96 /oiger Alkohol + 1 Teil Äther... . 1,46 12,2 ie 73,9040/0, 7, a2 Teilen. „ae 1.63 13,6 100027,96,0/0.%%, » + 1 Teil Chloroform 2,35 19,6 I 22:2:90.2/0: ,, ser-ri „. Benzoke.z. 2.45 20,4 Die grösste Menge Trockensubstanz — etwas über 20 °/o der weissen Hirnmasse entsprechend — wurde also in der Mischung von gleichen Gewichtsteilen 96 °/oigen Alkohols und Benzols gelöst. Der Extrakt, der mit dieser Flüssigkeit erhalten wird, hat den folgenden Fraktionierungen zugrunde gelegen. Er repräsentiert eine Mischung der in den Lösungsmitteln der Fette löslichen Substanzen 99 G. F. Göthlin: (Cholesterin, Phosphatide, Cerebroside; ausserdem wohl auch ver- schiedene sogenannte Fxtraktivstoffe), welche in der markhaltigen Nervenfaser vorkommen. Die Masse, soweit sie in der Verdunstungs- schale zurückbleibt, ist nicht homogen: eine oberflächliche Schicht besteht aus spröden, farblosen Lamellen; der tiefere Teil ist schwach gelb gefärbt, kompakt und von einer Konsistenz, die etwas weicher als Wachs ist; bei Aufbewahrung im Exsikkator nimmt er eine sprödere Beschaffenheit an. Da eine Untersuchung des dielektrischen Vermögens einer bereits makroskopisch ungleichförmigen Mischung von geringem Wert wäre, musste der Primärextrakt in Fraktionen geteilt werden. Zu diesem Zwecke wurde er mit reinem Benzol digeriert. Die Hauptmasse ging dabei wieder in Lösung, ein Teil aber — ungefähr 3°2/a °/o des Gewichts der weissen Hirnmasse — blieb ungelöst in Form eines sämigen, weissen Niederschlages. Nach Auspressen des Benzols blieb eine klebrige, kleisterähnliche Masse zurück; nach Verdunstung und Aufbewahrung im Exsikkator bildete sie grauweisse, tragantähnliche spröde Stücke, die bei Reiben ein etwas hygro- skopisches Pulver ergaben. Der ganze in Benzol gelöste Teil wurde sorgfältig nach dem Abfiltrieren und Auspressen des Niederschlages aufgehoben. Das Benzol wurde bei 40 ° im Trockenschrank zum Verdunsten gebracht. Die Gefässe wurden 1—2 Tage nach dem Verschwinden des Benzol- geruchs herausgenommen. Der Extrakt war dann zu einem wachs- gelben, zähen und festen Kuchen mit glasigem Glanz an der Ober- fläche, welche die Wände des Gefässes berührt hatte, zusammen- gesintert. In diesem „Benzolextrakt“ ist u. a. die Hauptmasse der Cholesterin- und Leeithinkörper zu finden. Zur Herstellung der Fraktion, die vorzugsweise die Stoffe der Leeithingruppe enthält, wurde eine Quantität möglichst fein verteilten Benzolextraktes in reinem Aceton geschlämmt, welcher die Cholesterin- substanzen aufnimmt. Nach mehrstündigem Umrühren und Um- schütteln wurde filtriert, wonach der Rückstand mit neuen Mengen Aceton geschüttelt und wiederum filtriert und ausgepresst wurde; nachdem der Acetongeruch verschwunden, wurde der Rückstand im Exsikkator über Phosphorsäureanhydrid zum Trocknen gebracht. Bei Herausnehmen aus dem Exsikkator bildete er ein ockergelbes, stark klebriges Pulver. Wir wollen es der Kürze wegen als „Leeithin- gruppenextrakt“ bezeichnen. Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 05 Um dann die Veränderungen des dielektrischen Vermögens dieses Extraktes durch Wasserabsorption untersuchen zu können, liess ich einen Teil bei Körpertemperatur Feuchtigkeit absorbieren. Einige Uhrgläser, in welchen das Pulver in dünner Schicht aus- gebreitet worden war, wurden auf den Boden einer niedrigen zylindrischen Schale gelegt, die auf der Wasseroberfläche in einem ÖOstwald’schen Thermostat schwamm. Die Schale wurde zuerst mit einer Düte aus Filtrierpapier bedeckt, um das Heruntertropfen von Kondensationswasser zu verhindern; über sie wurde dann eine Glasglocke gestülpt. Die Temperatur im Thermostat betrug 37° C. Wenn das Präparat im Laufe von 1'/s Tagen sich mit Feuchtigkeit bei dieser Temperatur gesättigt hatte, hatte es eine Konsistenz, vergleichbar mit der der im Handel vorkommenden Schmierseife, angenommen. Die Farbe war gelb mit einem schwachen Stich ins Braune. Neurokeratin, der von Kühne isolierte Hornstoff, wurde nach der von Kühne und Chittenden!) angegebenen Methode durch Verdauung vor dem Entmarken dargestellt. Das Rohmaterial bestand aus überwiegend weisser Substanz, ohne dass die Beobachtung der- selben Sorgfalt bei seiner Reinigung von grauer Masse für nötig erachtet wurde wie bei den früheren Darstellungen. So z. B. wurde der ganze Pons Varoli mitgenommen. Magensaft wurde artifiziell aus einem kräftig digerierenden Pepsin zubereitet. Für die Pankreas- digestion wurde eine Chloroformwasserinfusion auf Pankreas an- gewendet, die Herr Prof. OÖ. Hammarsten die Güte hatte, mir zur Verfügung zu stellen. Sie digerierte kräftig Fibrin nach Alkalisierung mit 3%0o0o Na60,. Die Extraktionen wurden mit 96°/oigem Alkohol, Äther und Benzol ausgeführt, zuerst bei Zimmer- temperatur, später unter Anwendung von Wärme (Extraktionskolben mit Rückflusskühler auf Wasserbad; Filtrieren durch Wärmetrichter). Der eingetrocknete und pulverisierte Rest nach den Fxtraktionen wurde einen Tag lang auf dem Filtrum mit destilliertem Wasser gewaschen, wonach er über Phosphorsäureanhydrid vollständig ge- trocknet wurde. Betrefis der Nernst’schen Methode und des Apparates, mit 1) W. Kühne und R.H. Chittenden, Über das Neurokeratin. Zeitschr. f. Biol. Bd. 26 S. 294-296. 1890. 94 G. F. Göthlin: welchem die Bestimmung der Dielektrizitätskonstante ausgeführt wurde, sei auf Nernst’s Originalarbeit!) verwiesen. Als Eichungsflüssiekeit wurde ein aus Anilin dargestelltes Benzol (Kahlbaum) gewählt, das vor der Bestimmung über gepresstem Natriumfaden destilliert wurde. In Übereinstimmung mit einer von Fl. Ratz?) aufgestellten empirischen Formel für Benzol D; = 2,2582 — 0,00164 (t — 15), wo D; die Dielektrizitätskonstante des Stoffes bei der Temperatur Z° ist, wurde das D des Benzols bei 20° C. als 2,25 angenommen. Obwohl keine der Substanzen, die untersucht werden sollten, flüssig war, konnten doch die meisten gepresst oder auf andere Weise modelliert werden, so dass die Bestimmung in der für Flüssigkeiten angegebenen Weise ausführbar war. Nur das Neurokeratin, das ein vollkommen trockenes, nicht klebriges Pulver bildet, verlangte not- wendig ein anderes Verfahren. Nach einem Prinzip, das von H. Starke?) angegeben worden ist, erfahren die elektromotorischen Eigenschaften eines von einer nichtleitenden Flüssigkeit ausgefüllten elektrischen Feldes bei Einführung eines festen Isolators keine Ver- änderung der Richtung oder Grösse nach, sofern nur die Flüssigkeit und der feste Körper dieselbe Dielektrizitätskonstante haben. Man hat demnach eine nichtleitende Flüssigkeit oder Flüssigkeitsmischung aufzusuchen, der dieselbe Verschiebung bei dem Messkondensator entspricht, gleichgültig ob sie für sich allein oder in Mischung mit dem festen Körper geprüft wird. Die Untersuchung der einzelnen Substanzen gestaltete sich folgendermaassen: Benzolextrakt: Aus der eingetrockneten, zusammengesinterten, vollkommen kompakten Masse, die den Boden der Verdunstungs- schale bedeckte, wurde eine Scheibe von derselben Form wie das Innere des Nickelkondensators ausgestanzt. Die Dieke wurde so gewählt, dass sie etwas geringer war als der Abstand zwischen dem Stempel und dem Boden des Gefässes. Dünne Lamellen wurden auf 1) W. Nernst, Methode zur Bestimmung von Dielektrizitätskonstanten. Zeitschr. f. physik. Chem. Bd. 14 S. 622 f. 1894. 2) Fl. Ratz, Über die Dielektrizitätskonstante von Flüssigkeiten in ihrer Abhängigkeit von Temperatur und Druck. Zeitschr. f. physik. Chem. Bd. 19 S. 94. 1896. 3) H. Starke, Über eine Methode zur Bestimmung der Dielektrizitäts- konstanten fester Körper. Wiedemann’s Annal. Bd. 60 S. 629. 1897. Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 95 der Oberfläche der diekeren Scheibe fest gepresst, bis eine Masse er- halten worden war, die vollständig den Kondensatorraum ausfüllte. Die Bestimmung geschah bei einer Temperatur von 20°C. Als Durehschnitt von zehn Ablesungen wurde eine Verschiebung erhalten, die sich nur in der dritten Dezimale (1 unterschied. Wir können also, da der Unterschied sich innerhalb der Grenzen der Beobachtungsfehler befindet, mit einer praktisch völlig hinreichenden Genauiskeit das D des Benzolextraktes bei 20° C. —= dem des Benzols — 2,25 setzen. Das Widerstands- minimum wurde bei Einschalten des Probekondensators nicht ver- schoben; ein galvanisches Leitungsvermögen des Extraktes war also nieht nachweisbar. In Benzol unlösliche Fraktion des Alkohol-Benzol- extraktes: Das hellgraue Pulver backte durch Pressen unter dem Stempel zusammen, so dass es beim Entfernen in Form von Stücken erhalten wurde. Die Bestimmung wurde bei einer Temperatur von 23,5° C. ausgeführt und ergab als Durchschnitt von zwölf Ablesungen D = 2,13. Da die Pressung, die der Kondensator erlaubt, unzu- reichend war, um die erstrebte völlig kompakte Beschaffenheit des Materials hervorzurufen, muss indessen dieser Wert als ein unterer Grenzwert betrachtet werden, der allerdings nicht viel niedriger als der wirkliche sein kann. Eine Veränderung der Nebenschlüsse war überflüssig, das Trockenpräparat also nichtleitend. Das Leeithingruppenextrakt, direkt dem Exsikkator ent- nommen, bildete, wie erwähnt, ein stark klebriges Pulver, das sich mit Leiehtigkeit pressen liess. Ein galvanisches Leitungsvermögen von der Grösse, dass es eine Veränderung der Nebenschlüsse er- forderlich machte, war nicht vorhanden. Als Durchschnitt von zehn Ablesungen wurde die Dielektrizitätskonstante — 2,12 erhalten. Nach Absorption von Feuchtigkeit bei 37° C. trat ein Leitungs- vermögen ein, das zu seiner Kompensation eine Verschiebung des Stempels in dem weiteren, mit Mannitborsäurelösung gefüllten Neben- schlussgefäss um 55 Skalenteile erforderte. Bei Versuchen, den Messkondensator einzustellen, konnte in diesem Falle kein deutliches Kapazitätsminimum erhalten werden. Der Wert der Dielektrizitäts- konstante für das mit Feuchtigkeit gesättigte Leeithingruppenextrakt ist demnach mittelst der Nernst’schen Methode nicht feststellbar. Neurokeratin war in einer Menge. von 1,65 g vorhanden, ) von der für Benzol 96 G. F. Göthlin: während zur Füllung des Troges nicht ganz 5 ccm erforderlich sind, Nachdem es sich herausgestellt hatte, dass die Einführung von Neuro- keratin die Dielektrizitätskonstante des Benzols erhöhte, die des Äthylenchlorids [Kahlbaum’s reinstes Präparat, über Phosphor- säureanhydrid destilliert); D desselben bei 19° zu 10,93 bestimmt] aber senkte, wurde eine solche Mischung von diesen beiden Flüssig- keiten gesucht, dass ihre Konstante sich bei Zusatz von Neurokeratin nicht änderte. Eine Mischung, die dieser Forderung nahezu genügte, wurde aus 1 Volumen Äthylenehlorid und 3 Volumen Benzol er- halten. Bei 20° C. entsprach dieser Flüssigkeit eine Verschiebung des Messkondensators — 1,57 em (Durchschnitt aus zehn Ablesungen), während die Verschiebung bei Einführung des Neurokeratins 1,90 cm (Durehschnitt aus elf Ablesungen) betrug. In Übereinstimmung hiermit kann für das Neurokeratin D = 3,95 (approx.) gesetzt werden. Die Bestimmungen, über die bisher berichtet worden, sind, wie man sieht, nicht hinreichend, um auch nur annäherungsweise die Kapazität der Markscheide zu berechnen. Unzureichend sind sie hauptsächlich, weil die Nernst’sche Methode sich als unanwendbar erwiesen hatte, sobald die mit Feuchtigkeit gesättigten Präparate untersucht werden sollten. Um dem Ziel näher zu kommen, mussten die Untersuchungen mittelst einer Methode betrieben werden, bei welcher das galvanische Leitungsvermögen der Substanzen von ge- ringerem Einfluss ist. Ich wählte die von P. Drude’?) ausgearbeitete. Bei dieser Methode wird der Brechungsexponent (n) des Stoffes für schnelle elektrische Schwingungen (Hertz’sche Wellen) gemessen und dann die Dielektrizitätskonstante e nach Maxwell’s Gleichung &— n? berechnet, welche als gültig vorausgesetzt wird, sofern nicht der untersuchte Stoff eine ausgesprochene Absorption der Energie der elektrischen Schwingungen zeigt?). Von den beiden Verfahren, 1) Starke schlägt Destillation des Äthylenchlorids über Natrium vor. Da indessen Liebig gefunden hat [Ann. d. Pharmacie Bd. 14 S. 37. 1835], dass das Äthylenchlorid sich bei Destillation über Kalium zersetzt, so dass sich Chorkalium und Vinylchlorid bilden, hielt Verfasser es nicht für zweckmässig, diese Vorschrift zu befolgen. 2) Paul Drude, Zwei Methoden zur Messung der Dielektrizitätskonstante und der elektrischen Absorption bei schnellen Schwingungen. Zeitschr. f. physik. Chem. Bd. 23 8. 267—825. 1897. 3) Auf diese Weise hergeleitet, wird die Dielektrizitätskonstante im folgenden nach Drude’s Vorgang mit e bezeichnet. . Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 97 die Drude angegeben und selbst für derartige Messungen angewandt hat, ist nur Methode 2 so beschaffen, dass sie zu Bestimmungen an Hirnsubstanz umgearbeitet werden kann. Mit einer wesentlichen Veränderung des Baues des Kondensators sowie mit Benutzung eines späteren Verbesserungsvorschlages ') seitens des Urhebers der Methode ist sie es auch, die den folgenden Bestimmungen zugrunde liegt. Eine kurze Beschreibung der instrumentalen Anordnung im Anschluss an Taf. I möge zugleich zur Einführung in die Methode dienen. Ein Rühmkorff’scher Induktor I mit 9 em grösster Funken- länge steht durch die Drähte D,D, mit einer Batterie von vier Akkumu- latoren hoher Kapazität in Verbindung. In die Leitung zur Batterie finden sich eingeschaltet ein regulierbarer Widerstand sowie ein Amperemeter (auf der Tafel nicht sichtbar). Zu der Primärleitung gehören auch die Drähte D,D;, die von den betr. Belägen des Konden- sators des Induktors ausgehen und je zu einem Pol eines Quecksilber- motorunterbrechers U nach Mackenzie-Davidson führen. Die Drähte D,D, kommen von einem Voltregulator her, der von einer Batterie von 100 Volt Spannung gespeist wird, und gehen zu dem Elektromotor des Unterbrechers. Durch Verschiebung eines Kon- taktes am Voltregulator kann der Motor auf verschiedene Geschwindig- keiten eingestellt und die Anzahl Unterbrechungen pro Zeiteinheit -in entsprechendem Grade dadurch reguliert werden. Bei meinen Versuchen ist indessen der Motor auf eine 25 Unterbrechungen in der Sekunde entsprechende Geschwindigkeit fest eingestellt gewesen. Die Sekundärpole des Induktors stehen durch hoch isolierte Leitungen mit je einem der beiden gestielten Zinkstäbe Z in Ver- bindung, die durch Schraubvorrichtung gegeneinander fein stellbar sind. Jenseits von den Zinkspitzen gehen die Sekundärleitungen des Induktors je in einer Hälfte der Primärspule eines Teslatrans- formators 7 weiter, um schliesslich die eine in dem inneren, die andere in dem äusseren Belag der Leidener Flasche Z zu endigen. Die Sekundärspule des Teslatransformators ist durch die Drähte dd mit dem Öszillatorr O verbunden. Letzterer ist von Drude nach Blondlot’s Modell modifiziert und besteht aus zwei Halbringen von 1) P. Drude, Verbesserung eines Apparates zur Messung der Dielektri- zitätskonstante mit Hilfe elektrischer Drahtwellen. Zeitschr. f. physik. Chem. Bd. 40 S. 635. 1902. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 7 98 G. F. Göthlin: diekem Kupferdraht, die in eine Fassung von Ebonit so gesteckt sind, dass ihre Konkavitäten gegeneinander sehen, und die vorn (auf dem Bilde) in je eine kleine Messingkugel auslaufen. Durch Sechraub- justierung sind die Bögen nebst den Kugeln im Verhältnis zuein- ander fein einstellbar. Wenn der Induktor in Tätigkeit gesetzt wird, geschieht folgendes. Bei jeder Unterbrechung des Primärstromes in U kommt es in der Sekundärleitung zu einem Induktionsvorgang, der die Leidener Flasche zu hoher Spannung ladet. Sind die Zinkstäbe in geeignetem Ab- stand voneinander eingestellt, so tritt zwischen ihnen eine Funken- entladung von dem oszillierenden Typus ein, den Feddersen zuerst beschrieben hat. Diese Öszillationen kommen auch in der Primärspule des Teslatransformators vor, weil sie zwischen die Be- läge der Leidener Flasche und die Zinkfunkenstrecke eingeschaltet ist. Ihre Anzahl, die von der Kapazität der Leidener Flasche so- wie von der Selbstinduktion der Entladungsbahn abhängt, ist in diesem speziellen Falle nicht gemessen worden, die Grössenordnung dürfte aber um 10°—10° in der Sekunde herum betragen. In der Sekundärspule des Teslatransformators erzeugt jede Phase der oszil- lierenden Entladung ihren entsprechenden Induktionsstrom, d. h. einen Teslastrom. Durch die Teslaströme werden ihrerseits die Halbringe des Oszillators geladen, und bei minimalem Abstand zwischen den Kugeln entsteht unter Liehtphänomenen eine entsprechende An- zahl oszillierender Entladungen in dem Medium zwischen ihnen. Gleichzeitig mit jeder Oszillation wird eine elektrische Welle aus- gesandt. Die Stärke dieser Wellen kann, wenn die Verhältnisse bei dem Induktor und der Stromquelle unverändert bleiben, von zwei verschiedenen Seiten her reguliert werden. So wird sie durch gegen- seitige Annäherung der Öszillatorkugeln vermindert, wenn diese sich bereits in einem für fortlaufende Funkenbildung günstigen Abstand befinden. Dasselbe ist der Fall, wenn die Zinkstäbe einander zu stark genähert werden. Die Teslaströme werden dann geschwächt, und indirekt nimmt infolgedessen die Energie der ausgesandten elek- trischen Wellen ab. Aus der Lage, die der Oszillator (der Deutlichkeit wegen) auf der Tafel einnimmt, muss er um den tragenden Stativpfeiler um 90 ° nach vorn gedreht und darauf so weit gesenkt gedacht werden, dass seine Bögen sich in gleicher Höhe mit dem ringförmigen proxi- malen Ende der Resonatorleitung rr und innerhalb desselben befinden. Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 99 Eine untergestellte, mit Petroleum angefüllte Glasschale ist danach so hoch zu placieren, dass das Funkenspiel in dem Petroleumbade vor sich geht. Die Resonanzleiturg, in welcher die Wellenlänge der ausgesandten elektrischen Schwingungen unter verschiedenen Bedingungen gemessen werden soll, beginnt mit dem erwähnten, ringförmig gebogenen Teil und geht in Form zweier paralleler Metalleitungen r” nach dem Kondensatortisch X weiter, wo der angewandte Kondensator zwischen zwei Quecksilberkontakte eingepasst werden soll. Da die runden Glaskondensatoren, welche Drude bei seinen Versuchen angewandt hat, sich für die Untersuchung von Hirnsubstanz nicht eignen, musste dem Kondensator eine andere Form gegeben werden. Auf Vorschlag des Herrn Instrumentenmachers L. Rose wurde er aus vulkanisiertem Kautschuk angefertigt, der um einen Würfel von 1 cm Seitenlänge herumgegossen wurde. Eine Seite des Abgusses wurde offen gelassen. Die übrigen Wände wurden bis auf eine Dieke von 0,6 mm abgefeilt. Durch die Mittelpunkte zweier gegenüberliegender Seitenwände wurden Platindrähte von !/s mm Durchmesser so eingepasst, dass der Abstand zwischen ihren freien Enden 5 mm betrug. Ein plan- geschliffenes Glas von 0,5 mm Dicke diente als Deckel. Die Leitung rr kann dadurch verlängert und verkürzt werden, dass zwei mit dem Kondensatortisch fest zusammenhängende parallele Kupferdrähte . in von Messingröhren gebildeten Tunnels laufen. Beim Verschieben wird durch Quecksilberkontakte für die Kontinuität der Leitung gesorgt. Bei 5b sind die Resonatordrähte durch einen metallenen Quer- bügel miteinander und mit der Erde verbunden. Jenseits von b in einem Abstand, der ungefähr ein Viertel der Wellenlänge der bei den Versuchen angewandten elektrischen Wellen beträgt, wird quer über die Resonatorleitung eine evakuierte Glasröhre placiert, welche Heliumgas enthält. Unter gewissen Voraussetzungen entstehen in der Leitung distalwärts von b Phänomene von Resonanz mit den ausgesandten elektrischen Wellen. Genauer bestimmt, trifft dies ein, wenn die geschlossene Resonatorleitung ein Vielfaches der Länge der ausgesandten Wellen fasst. Es wird dann daselbst ein System von stehenden Wellen erzeugt. Geschieht die Beobachtung in der Dunkelkammer, so ist die Resonanz von Lichterscheinungen in der Heliumröhre begleitet, die unter Voraussetzung gleicher Stärke der induzierenden Wellen an Intensität in dem Maasse zunehmen, als 6 100 G. F. Göthlin: die Resonanz. vollständiger wird. Man bedient sich dessen, um umgekehrt mit der Heliumröhre als Indikator solehe Einstellungen aufzusuchen, bei welchen vollständige Resonanz herrscht. Die Methode bezweckt zunächst, durch derartige Einstellungen für ein und dieselbe elektrische Wellenbewegung die Wellenlänge in Luft sowie in dem Medium zu messen, dessen elektrischen Brechungsexponenten man kennen lernen will. Die Brechungsexponenten verhalten sich umgekehrt wie die Wellenlängen. Betreffs der Be- stimmung der Wellenlänge in Luft sei auf Drude’s Originalarbeit verwiesen (die entsprechende Anordnung ist auf der Tafel nicht wiedergegeben). Man findet sie — 4. Zur Bestimmung von & bei bekanntem 4 braucht die Wellen- länge in der fremden Substanz nicht ihrem Wert nach berechnet zu werden. Man kann sieh mit zwei Resonanzeinstellungen begnügen, welche die für die Berechnung von & nötigen Auskünfte enthalten. Die erste wird aufgesucht, nachdem man zwischen die Quecksilber- kontakte des Kondensatortisches einen Metalldraht eingepasst und so die Resonanzleitung kurzgeschlossen hat. Die entsprechende Resonanzlage an der Skala kann mit Vorteil als Nullage bezeichnet werden, solange die Wellenlänge dieselbe ist. Die zweite Resonanz- lage wird bestimmt, nachdem der Metalldraht durch den mit der Substanz beschickten Kondensator ersetzt worden ist; ihr linearer Abstand von der Nullage möge mit Z bezeichnet werden. Nach einer von Drude theoretisch gefundenen und durch eine grosse Anzahl Bestimmungen gut bestätigten Herleitungsweise findet man aus diesen Werten von 4 und / das & des Stoffes gemäss folgender Gleichung: Cote 2 + ed. do ist eine für jeden Kondensator konstante Grösse; 6 variiert etwas mit verschiedenen Werten von &. Beide lassen sich aus obiger Gleichung berechnen, wenn man / für zwei Substanzen von bekanntem & aufsucht, von denen die eine Luft (e=]1) sein kann. Um auf die Variation von d mit der Grösse von e Rücksicht zu nehmen, ist die andere Substanz so zu wählen, dass ihr & nicht allzusehr sich von dem der gesuchten Substanz unterscheidet, mit anderen Worten, dass die Resonanzlage für den mit der Hilfssubstanz gefüllten Kondensator in der Nähe der Resonanzlage für denselben mit der zu untersuchenden Substanz gefüllten Kondensator liegt. Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 101 Eine besondere Erwähnung verdient die Technik für die Auf- suchung der Resonanzlage nach dem Lichtschein in der Heliumröhre. Die Präzision der Untersuchung hängt nämlich in hohem Grade von diesem Detail ab, und die Anweisungen des Urhebers der Methode in dieser wichtigen Hinsicht sind allzu kurz gefasst. Der Ablesung muss stets eine Weile Dunkeladaptation vorhergehen; ferner darf sie nicht so lange Zeit in Anspruch nehmen, dass Ermüdung eintritt, und sie muss bei beweglichem Blick geschehen. Mit gewünschter Genauigkeit direkt auf das Maximum von Resonanz einzustellen, ist mir nie gelungen. Dagegen habe ich es durch Kunstgriffe dahin bringen können, dass zwei Lagen mit gleich starker, aber unter- maximaler Resonanz zugänglich werden. Vorausgesetzt dass Sym- metrie innerhalb der Resonanzstrecke herrscht, liegt dann das Maximum mitten zwischen diesen Grenzlaeen. Um letztere scharf hervortreten zu lassen, kann man folgendermaassen verfahren. Die Heliumröhre, die aus einem schmalen mittleren Teil und zwei terminalen weiteren Teilen besteht (vel. Tafel I, 7), wird über den Resonatordrähten so fixiert, dass der eine Draht unter dem weiteren Teil, der andere unter der Verbindung zwischen dem schmalen und dem weiten Teil der Röhre liest. Bei schwacher Resonanz glimmt es nur in dem weiten Rohrteil, bei stärkerer Resonanz dringt ein Lichtstreifen in den schmalen Teil ein und zwar um so weiter, je stärker die ‚ Resonanz ist. Man kann sich dann eine geeignete Stelle an dem schmalen Rohr anzeichnen, welche die gewünschte Grenzlage markiert. Wenn der Lichtstreifen dort hingelangt, ist die Resonanz von einer ganz bestimmten Stärke. Beiderseits von dem Maximum werden nun die einander entsprechenden Lagen aufgesucht, welche diese Bedingung erfüllen. Wenn keine Absorption!) vorliegt, kann auf diese Weise das Resonanzmaximum mit einer Genauigkeit von 1 mm bestimmt werden. Bei geringer Absorption wird die Grenzlage in der Heliumröhre näher der Verbindungsstelle gewählt. Bei etwas stärkerer Absorption sieht man nur sporadisches Glimmlicht in der schmalen Röhre. Man bestimmt nun die ganze Strecke, innerhalb welcher dies geschieht, und nimmt deren Mitte. Auf die eine oder andere dieser Weisen hat stets bei Untersuchung von Markscheiden- substanz verfahren werden können. 1) Unter Absorption wird verstanden, dass während des Durchgangs durch die Substanz ein grösserer Teil der Energie der elektrischen Wellen in andere Energieformen übergeht. 102 G. F. Göthlin: Bei noch stärkerer Absorption wird der Resonanzschein auch in dem weiten Teil der Heliumröhre diskontinuierlich und dringt in den schmalen Teil der Röhre nicht ein. Da jeder Versuch, subjektiv eine Grenze zwischen starkem und schwachem Glimmlicht anzusetzen, mir vollkommen illusorisch erschienen ist, habe ich in derartigen Fällen die ganze Resonanzstrecke bestimmt, innerhalb welcher der Schein deutlich wahrgenommen wird. Dabei ist der Kondensator um Abstände von !/s mm verschoben und ais Bedingung dafür, dass eine Lage auf die Resonanzstrecke zu beziehen ist, die aufgestellt worden, dass der Schein sich innerhalb 1 Minute wiederholt. In der zuletzt beschriebenen Weise hat die Ablesung bei der Mehrzahl der Bestimmungen an weisser Hirnsubstanz vor sich gehen müssen. Von Umständen, die auf die Bestimmungen einwirken, dürfte die Temperatur besonders zu erwähnen sein. Leider haben mir keine Mittel zur Verfügung gestanden, in wünschenswertem Grade den Forderungen nach thermischer Genauigkeit zu genügen. Alle Thermoregulierung hat nämlich mit Gasflammen in dem Beobachtungs- zimmer in der Weise geschehen müssen, dass die Grösse der Gas- flammen mit der Hand für die gewünschte Temperatur abgepasst wurde. Insgesamt zwölf offene Gasflammen sind zur Verwendung gekommen. Dass eine derartige Thermoregulierung nur die gröbsten Forderungen erfüllt, ist klar. Sie leidet, abgesehen von ihrer ge- ringen Präzision, auch an einem prinzipiellen Fehler. An der Tem- peraturveränderung nimmt nämlich der Öszillator teil, und bei be- trächtlichen Temperaturschwankungen könnten möglicherweise infolge der Volumveränderung der Metallteile die Oszillatorbögen im Ver- hältnis zueinander verrückt und dadurch die Länge der ausgesandten Wellen verändert werden. Dass diese Fehlerquelle indessen keine nachweisbare Rolle bei den Versuchen spielt, wird eine folgende Kontrolluntersuchung (vgl. S. 106) zeigen. Eine erste Serie von Bestimmungen ist direkt an weisser Hirn- substanz aus dem Corpus callosum ausgeführt worden. Der Zweck hiervon war, eine obere Grenze zu finden, welche die Dielektrizitäts- konstante der Markscheide nicht übersteigen kann. Da nämlich das Wasser, soviel man weiss, von allen Stoffen die grösste Dielek- trizitätskonstante hat, und da die Markscheide, den chemischen Ana- lysen !) nach zu urteilen, eine der wasserärmsten Strukturbildungen 1) Vgl. z. B. D. Petrowsky, Zusammensetzung der grauen und der weissen Substanz des Rindes. Arch. f. d. ges. Phys. Bd. 7 S. 367. 1873. Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 103 des Gehirns ist, so kann das & für die Markscheide nie einen so hohen Wert wie für weisse Hirnsubstanz in ihrer Gesamtheit er- reichen, vorausgesetzt, dass man in bezug auf eine solche Sammlung ungleichartiger Medien von einer Dielektrizitätskonstante sprechen könnte. Ebensowenig kann e auf den Wert heruntergehen, den Verfasser früher für wasserfreien Benzolextrakt von weisser Hirn- substanz gefunden hat, da man nicht voraussetzen kann, dass die Markscheide wasserfrei ist. Dass die Hirnsubstanz schon bei der ersten Messung Zeichen einer ausgesprochenen Absorption aufwies, für welche die Methode keine exakte Korrektion ermöglicht, hat Ver- fasser nicht abgeschreckt. Infolge der Absorption wird zwar &, nach der vorliegenden Methode bestimmt, einen Bruchteil zu hoch aus- fallen, da aber die Untersuchung doch darauf ausgeht, einen oberen Grenzwert zu finden, so wurde der Einfluss dieser Fehlerquelle als verhältnismässig unbedeutend erachtet. Das Corpus callosum von Rind wird bei Zimmertemperatur in der oben beschriebenen Weise präpariert. Scheiben von 1 qem Flächeninhalt werden unter genauer Berücksichtigung der Faser- richtung ausgeschnitten und dieser parallel in zwei gleichgrosse Hälften geteilt. Dadurch werden rechteckige Stücke erhalten, deren Dicke der Dicke des Corpus callosum beim Tiere ent- spricht, deren Breite 0,5 em und Länge 1 em beträgt, und deren Faserrichtung der längeren Seite des Rechteckes parallel ist. Einander entsprechende, d. h. aus demselben Quadrat geschnittene Stücke werden auf je einer Seite von den hineinragenden Platindrähten in den Kondensator eingeführt und genau gegen dessen Wände und gegeneinander eingepasst. Schicht für Schicht unter sorgfältiger Vermeidung aller Lufträume geschieht so die Packung, bis der Trog ein wenig über den Rand hinaus gefüllt ist. Das Glas wird dann aufgeleot und vorsichtig hinabgedrückt, so dass der Überschuss von Hirnsubstanz über den Rand des Deckglases gedrängt wird und ent- fernt werden kann. Bei allen mit nativer Hirnsubstanz angestellten Versuchen ist derselbe Kondensator angewandt worden und die Aufstellung der Apparate unverändert geblieben. Sämtliche Konstanten sind daher die gleichen in allen hierhergehörigen Experimenten. 4, d. h. die Wellenlänge der elektrischen Schwingungen in Luft, wurde zu 765,7 mm bestimmt. Eine vorbereitende Untersuchung ergab, dass & für weisse Hirnsubstanz etwas höher liegt als für Aceton. Die 104 G. F. Göthlin: Grössen d, und Öd wurden dadurch bestimmt, dass die Resonanz- lagen für den Kondensator aufgesucht wurden, wenn er das eine Mal nur Luft (l—= 154,7 mm) enthielt, das andere Mal mit aus der Bisulfitverbindung (Kahlbaum) hergestelltem Aceton (!—= 103,6 mm) gefüllt war. Unter der Annahme, dass für Luft e=1 sowie für reines Aceton bei 19°C. e = 20,5 ist, wird dureh Einsetzung der be- — du + 80 für den fraglichen Kondensator d, — 0,2818 und d = 0,029 erhalten. Bevor die eigentlichen Versuche begannen, wurde die Anwend- barkeit der Methode dadurch kontrolliert, dass mit den gegebenen Konstanten e für dest. Wasser bestimmt wurde. Bei 19,2° C. wurde treffenden Werte in die Gleichung cotg 2 dabei = 44 mm erhalten; cotg 2 { — 2,64825 und e = 80,2 (nach Drude ist e bei 19° C.— 80,9). Versuch 1. 20. Februar 1906. Ochse, geschlachtet um Ih nachm. Die zugeschnittenen Stücke des Präpa- rats werden in dem Kondensator so verpackt, dass die Faserrichtung der Ver- bindungslinie zwischen den Platindrähten parallel ist. Der Kondensator wird in die Resonatorleitung um 2h 45’ bei einer Temperatur von 32,5° C. eingesetzt. Ablesung 3h 40’ bis 4b. Temp. 32,6—32,5 °C. = 8,5 mm; cotg 2 x - — 1,18335; & — 31,1. Versuch 2. 21. Februar 1906. Ochse, geschlachtet um 12h 30'. Verpackung wie beim vorigen Versuch. Der Kondensator wird um 2h 40’ bei einer Temperatur von 20° C. eingesetzt. Ab- lesung 65 10’ Dis 7h. Temp. 20,2—20,4° C. li —= 84,54 mm; cotg 277 - —= 12025; e = 31,75. Versuch 3. 23. Februar 1906. Öchse, geschlachtet um 1b. Wie bei den vorigen Versuchen geschieht die Packung so, dass die Faserrichtung longitudinal wird und die elektrischen Wellen sich demnach durch die Hirnsubstanz im Verlauf der Fasern fortpflanzen. Der Kondensator wird erst um Sh 5’ eingesetzt; doch ist das Präparat während der nächsten 4 Stunden auf 20° C. gehalten worden. Ablesung Sh 30’ bis 8’ 48’. Temp. 20,0 bis 20,2° C. ol 2 ame Same > Versuch 4. 2. März 1906. Ochse, geschlachtet um 2h, Die Faserrichtung im Präparat wird im Ver- hältnis zum Kondensator wie in den Versuchen 1—3 abgepasst. Der Kondensator Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 105 wird bei einer Temperatur von 35° um 4h 20’ eingesetzt. Ablesung 5h 55’ bis 6h 15’. Temp. 36,0° C. = 85,2 mm; cotg 2 7 - —= 1,18%; « = 31,3. Unmittelbar hiernach wird das Zimmer ausgekühlt. Temperatur um 91h 30’ — 5,7°C. Ablesung 10h 20’ bis 10b 45’. Temp. 5,5—5,0° C. 1 —= 87,6 mm; cotg 2 2 — 1,1492; € = 29,7. Bei der niedrigeren Temperatur wurde bemerkt, dass ein kleiner Luftraum sich unter dem Deckglas bildete. Versuch 5. 6. März 1906. Öchse, geschlachtet um 1b. Die Packung geschieht in diesem Experiment so, dass die Fasern transversal von den elektrischen Wellen passiert werden. Der Kondensator wird bei 20°C. um 35 55’ eingesetzt. Ablesung 7h 50’ bis Sh 25”. Temp. 20,0° C. li = 86,7 mm; cotg 2” - —= 1,1600; & = 30,3. Beim Auspacken wurde an einer Stelle zwischen den Hirnstücken ein un- bedeutender Luftraum wahrgenommen. Versuch 6. 7. März 1906. Öchse, geschlachtet um 1b. Packung mit longitudinalem Verlauf der Fasern. Der Kondensator wird um 3b eingesetzt. Ablesung 10h 30’ bis 11h. Temp. 20,2° C. I E l — 85,25 mm; cotg ? 7 ei 1,18841; e —= 31,26. Versuch 7. 3. März 1906. Kuh; altes Tier. Geschlachtet um 1h. Faserrichtung wie beim vorigen Versuch. Der Kondensator wird um 3h 5’ bei einer Temperatur von 37,4° C. ein- gesetzt. Ablesung 5h 5’ bis 5h 35’. Temp. 38,2—38,1° C. li = 88,8 mm; cotg 2 7 - — ı 11 989,1E°— 28,9, Unmittelbar danach wird das Zimmer abgekühlt. Um Sh Temp. 20,4 C°. Ablesung 95h 10’ bis 10h 5’. Temp. 21,0—20,6° C. " _ 108056; 2 — 27,54. = 91 mm; cotg 2 r ZT Versuch 8. 9. März 1906. Ochse, geschlachtet um 2h. Packung mit longitudinalem Faserverlauf. Der zur Kondensator wird um 3h 55’ bei einer Temperatur von 20,4° C. eingesetzt. Ab- lesung 65 50’ bis 7h 30’. Temp. 20,3—21,0° C. 1 — 84,83 mm; cotg 2 4 — 1,1967; € — 31,55. Das Zimmer wird während der Nacht ausgekühlt. Ablesung am folgenden Morgen 8h 20’ bis 9h 5’. Temp. —4,0° C. (stieg während der Ablesung allmählich über den Nullpunkt). 1 = 87 mm; cotg 2 7 Ä — 1,15495; € = 30,1. 106 G. F. Göthlin: Versuch 9. 14. März 1906. Ochse, geschlachtet um 12h. Packung wie beim vorigen Versuch. Der Kondensator wird um 4h 10’ bei 39,0° C. eingesetzt. Ablesung 6h 5’ bis 6h 35”. Temp. 38,1—37,8°. I —= 833,85 mm; coig ? 7 - — 11.216595; € 19232, Das Zimmer wird danach auf 20° C. abgekühlt. Temp. Sh 25’—=20,5°C. Ab- lesung 9b 45' bis 10h 5’. Temp. 20,8% C. = 8355 mm; ootg 2 n - —= 1,1985; e = 31,4. Das Zimmer wird während der Nacht vollständig ausgekühlt. Ablesung am olgenden Tage Sh 30’ bis Sh 55’ vorm. Temp. 2,4°C. (stieg während der Ab- esung auf S°C.). ! = 84,8 mm; cotg ? 7 > =. 1,19729;,€e — 3140. Schliesslich wurde zum Vergleich ein Versuch mit grauer Hirpsubstanz angestellt. Versuch 10. 12. März 1906. Öchse, geschlachtet um 1h. Nachdem die Häute vorsichtig abpräpariert und noch anhaftende Cerebrospinalflüssigkeit mit einer Kompresse weggetupft worden, wird von den Gyri auf dem Parietallappen die erforderliche Menge grauer Hirnsubstanz abgekratzt. Der Kondensator wird damit gefüllt, und um 2h 45’ bei 20,4% O. eingesetzt. Ablesung 5h 45’ bis 7h. Temp. 20,22 C. ! = 70,75 mm; cotg 2 = S — 1,5245; e = 42,9 Da ich, wie bereits betont wurde, im voraus gewisse Bedenken gegen die Messungen heste, die bei Temperaturen in grösserem Abstande von 20° ausgeführt worden waren, so wurde ein Kontrollexperiment angestellt, um festzustellen, ob die Bestimmung von &e an einem Stoffe mit bekanntem Temperaturkoeffizient bei diesen abweichenden Temperaturen zu anwendbaren Werten führte. Als Kontroll- substanz wurde Wasser gewählt, das unter denselben Bedingungen untersucht wurde, wie sie bei den vorhergehenden Experimenten geherrscht hatten. Dabei wurde ein genauerer Wert für d angewendet, nämlich 0,0287, Ferner wurde & bei 1900. für Wasser — 80,9 angenommen. Einstellung bei 33,0° C. ergab: I = 48,17 mm; cotg 2% — = 2391; 8 — 18,7. >| Bei 9° C. wurde erhalten: I = 43,33 mm; cotg 2 nr — = 2,6929; e — 84,0. Aus dem letzterwähnten Versuch geht hervor, dass, wenn der Stoff, der untersucht wird, kein grösseres Leitungsvermögen als Wasser hat, die Anordnung mit Temperaturveränderung des ganzen Zimmers nieht nur die Richtung der Veränderung des Temperaturkoeffizienten angibt, sondern auch eine ziemlich gute Vorstellung von der wirk- Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 107 lichen Grösse des Temperaturkoeffizienten gewährt. Was dagegen bei den Experimenten an Hirnsubstanz bewirkt hat, dass die Be- stimmung von & bei verschiedenen Temperaturen von verhältnismässig geringem direktem Wert ist, ist das relativ grosse Leitungsvermögen des Präparates. Ein Blick auf die Versuche macht es wahrscheinlich, dass der Einfluss des letzteren die erwartete Veränderung von & mit der Temperatur nicht nur aufwägt, sondern sogar etwas über- kompensiert. Infolgedessen erhalten die, wie es sonst scheinen könnte, unmotivierten Bestimmungen bei niedrigen Temperaturen ein entschiedenes Interesse. Da nämlich das galvanische Leitungs- vermögen bei sehr niedrigen Temperaturen am geringsten ist, so erhält man in diesem Teil der Temperaturskala die durch das Leitungsvermögen am wenigsten beeinflussten Werte von e, wenn- gleich diese freilich nur für eben diese niedrigen Temperaturen gelten. Von Bestimmungen bei niedriger Temperatur finden sich drei, die folgendes Resultat ergeben haben: in Versuch 4 bei 5,5—5,0 °C. e— 29,7; in Versuch 8 bei —4°C. e= 30,1 und in Versuch 9 bei 2,4° ©. = 31,6. Der Durchsehnittswert bei diesen drei Beobachtungen beträgt 30,5. Wahrscheinlich ist es, dass, wenn man sich ganz von der Missweisung befreien könnte, die durch das galvanische Leitungs- vermögen des Präparates verursacht wird, e in der Nähe von 0°C. für weisse Hirnsubstanz einen Wert annehmen würde, der um 50 her- um, eher darunter als darüber läge, und dass, wenn man mit Analogien zwischen der Hirnsubstanz und den chemisch einfachen Körpern im Verhältnis zu Temperaturveränderungen rechnen dürfte, & bei Körper- temperatur kleiner ausfallen würde als bei 0° C. Obwohl es dem- nach theoretisch anzunehmen ist, dass die für weisse Hirnmasse bei Körpertemperatur geltende korrigierte Dielektrizitätskonstante etwas kleiner als 30 ist, so wollen wir, um nicht mit Wahrscheinlichem, sondern nur mit Gewissem zu rechnen, betonen, dass der höchste bei den angestellten Versuchen erhaltene Wert von g, nämlich (in Versuch 9) 32,2, ein Maximalwert der Dielek- trizitätskonstante für weisse Hirnsubstanz ist, und dass das e der Markscheide unter dieser Grenze liegen, jedenfalls aber 2,25 übersteigen muss. Eine genauere Schätzung der Dielektrizitätskonstante der Mark- scheide glaubte ich, wie bereits betont worden ist, dadurch gewinnen zu können, dass ich eine ähnliche Bestimmung an einem die Lipoid- substanzen der Markscheide enthaltenden Extrakt ausführte, nachdem 108 G. F. Göthlin: dieser sich bei Körpertemperatur mit Feuchtigkeit gesättigt hatte. Die Lipoidsubstanzen müssen nämlich als die quantitativ wichtigsten Bestandteile der Markscheide auch vor allen anderen für das dielektri- sche Vermögen derselben bestimmend sein. Bei der Zubereitung des FExtraktes wurde folgendermaassen verfahren: 92,5 g rein weisser Hirnsubstanz wurde in einem Ex- traktionsgefäss mit einer Mischung von 300 « Benzol und 300 g 95 °/oigem Alkohol versetzt. Als die Stücke feste Konsistenz an- genommen hatten, wurden sie herausgenommen und fein zerteilt. Die Masse wurde dann unter Vermeidung von Substanzverlust in das Extraktionsgefäss zurückgebracht. Nach 10tägiger Extraktion, zuerst bei Zimmerwärme, dann bei Körpertemperatur, wurde die Extraktionsflüssigkeit abfiltriert und ausgepresst und in einem Scheide- triehter aufgesammelt. Hier teilte sie sich mit scharfer Grenze in zwei Schichten, eine obere, die vorzugsweise Benzol, und eine untere, die vorzugsweise Alkohol enthielt. Erstere (Benzollösung 1) wurde, nachdem sie in eine Schale abgeflossen, in einen Thermostat bei Körpertemperatur eingesetzt. Letztere wurde im Scheidetrichter mit einer neu hinzugesetzten Menge (100 g) Benzol geschüttelt. Nach erneuter Separierung wurde die neue Benzolschieht zur Verdunstung aufgehoben (Benzollösung 2). Benzollösung 1 teilte sich im Thermostat allmählich in einen Bodensatz und einen nach Alkohol riechenden Flüssiekeitsrest, der sich nur langsam verflüchtigen wollte. Letzterer wurde im Exsikkator von einem etwaigen Wassergehalt befreit, aufs neue mit dem Bodensatz vereinigt, worauf man die Mischung bei Körper- temperatur abdunsten liess, so dass ein vollständig trockener Rückstand erhalten wurde. Aus Benzollösung 2 ergab sich bei Abdunstung direkt eine homogene, feste, gelbliche Substanz. Der feste Rückstand der beiden Benzollösungen wurde mit 200 g Benzol digeriert, worauf filtriert wurde. Hierbei blieb auf dem Filtrum ein kleisterähnlicher Rest zurück, aus welchem alles Benzol sorgfältig ausgepresst wurde. Das Filtrat liess bei Abdunstung 13,1 g einer gelblichen, fast durch- sichtigen, knetbaren Masse zurück. Die nachstehenden vier Versuche sind alle mit Portionen des gleichen, auf einmal zubereiteten Materials, aber zu verschiedenen Zeiten, angestellt. Versuch 1 wurde nämlich kurz nach vollendeter Extraktion ausgeführt. Die Versuche 2—4 wurden dagegen erst ein halbes Jahr später angestellt. Während der Zwischenzeit wurde das Präparat in einer Glasflasche mit gutgeschliffenem Stöpsel und Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 109 einem Rauminhalt, der dem Extraktvolumen entsprach, aufbewahrt. Obwohl keine Veränderung der Konsistenz, des Geruches oder des Aussehens während der Aufbewahrung wahrgenommen werden konnte, ist es natürlich nicht ausgeschlossen, dass eine Veränderung vor sich gegangen war. Es könnte sogar Grund vorliegen, dies zu vermuten, wenn man sieht, dass in Versuch 1 die Wasserabsorption reichlicher ausfällt, der Wert von & aber doch etwas niedriger ist als in Ver- such 4. Eine naheliegende Erklärung wäre die, dass das Präparat während der Aufbewahrung spontan Feuchtigkeit aufgenommen hat. Indessen ist diese Erklärung nicht die einzig mögliche. Der Extrakt ist ja eine Mischung von mehreren verschiedenen Stoffen mit unter- einander verschiedener Löslichkeit in Benzol. Beim Verdunsten des Benzols scheiden sich die schwerlöslichen zuerst, die leiehtlöslichen später ab, so dass eine Art Schichtung stattfindet. Da nun der ab- gesetzte Extrakt nur in der Weise homogenisiert wurde, dass mit dem Messer dünne Lamellen ausgeschnitten wurden, die von der Oberfläche bis auf den Grund des Extraktionsrestes gingen, so kann möglicherweise ein Unterschied in der Zusammensetzung zwischen verschiedenen Portionen des Materials entstanden und sowohl in etwas verschiedener Wasserabsorption als in etwas verschiedenen Werten von e zum Ausdruck gekommen sein. In nachstehendem Versuch 1 ist mit demselben Kondensator und mit denselben Konstanten gearbeitet worden wie in der Ver- suchsserie mit Hirnsubstanz. Versuch 1. 17. März 1906. Der Benzolextrakt von weisser Hirnsubstanz hat während 24 stündiger Aufbewahrung in einer mit "Wasserdampf gesättigten Atmosphäre von 37° C. unmittelbar vor dem Versuch 28,07 %/o Wasser absorbiert. Der Kondensator wurde um 12h 30’ bei einer Temperatur von 38,2° C. eingesetzt. Ablesung 3h bis 3b 30’. Temp. 38,6° C. != 126 mm; cotg2 = —= 0,592; = 10,8. Zu dem folgenden Versuch (Versuch 2) wurde ein anderer Konden- sator von demselben Typus verwendet, dessen Konstanten durch Be- stimmung der Resonanzlagen erhalten worden waren, wenn er das eine Mal Luft, das andere Mal Aceton enthielt. Die Berechnung ergab 0. —= 0,2991; d —= 0,0329. A war bei diesem Versuch — 760,4 mn. 110 G. F. Göthlin: Versuch 2. 20. September 1906. Ausgeführt an Extrakt aus weisser Hirnsubstauz, nachdem während 26 stündiger Einwirkung gesättigten Wasserdampfes bei 38° C. das Präparat 24,7°/o Wasser absorbiert hatte. Der Kondensator wurde um 6h bei einer Temperatur von 19,50 C. eingesetzt. Ablesung 9h 20’ bis 10h 20’. Temp. 20,2—20,3° C. = 119,1 mm; cotg?2 x = — 0,66475; e= 11,1. Vor der Anstellung der beiden übrigbleibenden Versuche wurde an dem zuletzt angewendeten Kondensator eine kleine Änderung vor- genommen, die auf seine Konstanten zurückwirkte. Nach der Än- derung wurde d, = 0,1908 erhalten. Um einen Wert von d zu erhalten, der dem & der Markscheidensubstanz besser entsprach, wurde eine Einstellung der Resonanzlage für Äthylenchlorid (Kahl- baum) vorgenommen, dessen & bei 16,5°C = 11,515 angenommen wurde). Als entsprechender Wert für d ergab sich 0,0247. A war in Versuch 3 und 4 = 765,75 mm. Versuch 3. 25. September 1906. Der die in Benzol löslichen Stoffe der weissen Hirnsubstanz enthaltende Extrakt hat unmittelbar vor dem Versuch während 25 Stunden bei 38° C. in einer Atmosphäre von gesättigtem Wasserdampf 15,3 °/0o Wasser absorbiert. Der Kondensator wird bei 20° C. um 1" nachm. eingesetzt. Ablesung 5h 50’ bis 65 30’. Temp. 20,4 °. = 139 mm; cotg 2 r 2 — 0,4589; € = 8. Versuch 4. 1. Oktober 1906. Extrakt, der während 20 Stunden in mit Feuchtigkeit gesättigter Atmosphäre bei 39° C. 20,77 °/o Wasser absorbiert hat. Der Kondensator wird um 2 bei 20° C. eingesetzt. Ablesung 6h 30’ bis 65 50’. Temp. 19,7—20° C. 1 — 135,25 mm; cotg 2 x - — 0,4967; = 11,2. Als Durchschnittswert aus vier Versuchen wird für den mit Feuchtigkeit gesättigten Fxtrakt &%» — 10,5 erhalten. Von diesem Werte ausgehend, kann man eine Schätzung der Kapazität der einzelnen Nervenfaser vornehmen. Bezeichnet man mit r, den Radius der Nervenfaser und mit r, den Radius des Achsenzylinders sowie mit & die Dielektrizitätskonstante der Scheide, I) Vgl. Landolt und Jahn, Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 10 S. 313. 1892. Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. IT so wird nach der Formel für Zylinderkondensatoren die Kapazität C für eine Strecke von L cm auf folgende Weise abgeleitet: Le ll 0, rs a 5 - 107 Farad. 2 log nat—- r; Wird in dieser Gleichung e = 10,5 sowie r, — 2,17 X 10” em und r, = 1,27 X 10”: cm gesetzt, so findet man die Kapazität für l cm einer Nervenfaser mit diesen Durchschnittsmaassen : 4 2 1 0010 Rare. 2 lognat - Al Su - 1,27 107% _ Dieser Wert ist zwar als eine Approximation zu betrachten, aber eine so gute Approximation, wie sie bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft möglich ist. Der Einwand lässt sich ja immer gegen die Grundlagen der Berechnung erheben, dass‘, wenn auch die Hauptmasse der nativen Markscheidensubstanz eine Zu- sammensetzung hat, die mit der des feuchten Benzolextrakts von weisser Hirnmasse nahe übereinstimmt, daneben in der Markscheide Neurokeratin und wahrscheinlich noch andere Proteinstoffe !) vor- kommen, welche bei der Berechnung gebührend zu berücksichtigen wären. Von diesen gegenüber den Lipoidstoffen jedenfalls quanti- tativ zurücktretenden Markscheidensubstanzen muss das Neurokeratin, das nicht hygroskopisch ist und selbst eine niedrigere Dielektrizitäts- konstante hat, darauf hinwirken, den Wert von e zu senken. Be- züglich anderer Proteinstoffe in der Markscheide ist unsere Kenntnis zurzeit allzu gering, um auch nur über die Richtung ihrer Ein- wirkung auf e etwas mit Sicherheit sagen zu können. 4. Untersuchungen über den Isolationswiderstand der Markscheide. Die im vorigen Kapitel angeführten Bestimmungen der Dielektri- zitätskonstante für gewisse Substanzen in der Markscheide sind auch für die Beurteilung des Isolationswiderstandes dieser letzteren von Bedeutung, wie aus folgenden Überlegungen hervorgeht, die nach W. Nernst?) wiedergegeben seien: 1) Vgl. W. Koch’s Analyse des Corpus callosum des menschlichen Ge- hirns. The americ. journ. of physiol. vol. 11 p. 326. 1904. 2) W. Nernst, Dielektrizitätskonstante und chemisches Gleichgewicht. Zeitschr. f. physik. Chem. Bd. 13 S. 531—532. 1894. 112 G. F. Göthlin: „Die elektrische Energie eines Systems geladener Konduktoren beträgt bekanntlich il 52eP, wenn e und V Elektrizitätsmenge und Potential der einzelnen Kon- duktoren bedeuten; wird das System in ein dielektrisches Medium eingetaucht, so sinkt die Energie auf 5: aD ZEV. worin D die Dielektrizitätskonstante des Mediums bedeutet. Wird das System ohne sonstige Veränderung an der gegenseitigen Ent- fernung und elektrischen Ladung der einzelnen Konduktoren aus einem Medium mit der Dielektrizitätskonstante D, in ein solches mit der Dielektrizitätskonstante D, übergeführt, so ist damit ein Verlust an Arbeitsfähigkeit (freier Energie) von 1 IA: (0, 2)22°7 verbunden. Ein an der Grenze zweier dielektrischen Medien befind- licher elektrisch geladener Punkt erfährt also eine Kraftwirkung, die ihn in dasjenige mit der grösseren Dielektrizitätskonstante hin- einzuziehen trachtet.“ „Diese Sätze erscheinen anwendbar auf die Verteilungeines Elektrolyten zwischen zwei Lösungsmitteln ..... ; die Ionen als elektrisch geladene Punkte erfahren hiernach eine Anziehung seitens des Mediums, das die grössere Dielektrizitätskonstante besitzt, und in dieser Anziehung haben wir ein Moment zu erblicken, das stets dahin wirkt, die Verteilung der Ionen zugunsten des Mediums mit der grösseren Dielektrizitätskonstante zu verschieben.“ Es liegt nahe, diesen Gedankengang auf die Markscheide an- zuwenden. Der Inhalt derselben kann nicht als eine wässerige Lösung betrachtet werden, denn Cholesterin, das selbst in Wasser unlöslich ist, findet sich in der Markscheide reichlich in gelöster Form. Eine andere und wahrscheinlich nicht weniger reichlich ver- tretene Substanzengruppe, die Phosphatide, wird schon durch ziemlich kleine Mengen reinen Wassers zersetzt. Es dürfte sich daher so verhalten, dass Cholesterin, Phosphatide, Cerebroside und Wasser in der Markscheide in gewissen, genau bestimmten Mengenverhältnissen auftreten, welche bedingen, dass sie einander lösen und ein gemein- sames, obwohl allerdings nicht homogenes Lösungsmittel für in der Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 113 Mischung lösliehe Substanzen, beispielsweise Äther und Chloroform, bilden, sowie dass die fragliche flüssige Mischung in derselben Weise als Lösungsmittel für Elektrolyte dient, wenn solche in derselben etwa löslich wären. Beiderseits von der Markscheide, d. h. in dem Gewebssaft und in dem Axoplasma, findet sich dagegen kein Anlass, ein anderes Lösungsmittel als Wasser anzunehmen. Da also das Lösungsmittel in der Markscheide eine Dielektrizitätskonstante von derselben Grössenordnung hat wie der mit Feuchtigkeit gesättigte Benzolextrakt aus weisser Hirnmasse, d. h. ungefähr 10, die Dielektrizitätskonstante des Lösungsmittels in den umgebenden Medien aber ungefähr 70 beträgt, so würde aus oben angeführten Gründen Jie Grenzfläche der Markscheide sowohl nach aussen als nach innen zu Sitz einer Kraft sein, die sich der Einwanderung der Ionen widersetzt. Erst wenn elektromotorische Kräfte anderen Ursprungs, entgegengesetzter Richtung und höherer Grössenordnung einwirken, resultiert eine derartige Einwanderung. Nach Nernst’s Theorie hat man demnach Ursache anzunehmen, dass in der intakten Markscheide Dissoziation entweder überhaupt nicht oder wenigstens nur in sehr geringem Grade vorkommt. Man wäre folglich berechtigt, von einem gewissen Isolationswider- stand zu sprechen, den die Markscheide schon auf Grund der Be- schaffenheit des Lösungsmittels den kleinen elektromotorischen Kräften entgegensetzt, deren Isolierung während des Lebens in Frage kommen kann. Dass gerade die Markscheide Voraussetzungen besitzt, um isolierend zu wirken, ist wohl bisher noch nicht genügend betont worden. Ein auf diesem Gebiete so hervorragender Forscher wie Hermann!) bemerkt ausdrücklich, dass er „als Kern der Fasern immer nur den ganzen protoplasmatischen Inhalt und nicht den Achsenzylinder gegenüber der Markscheide verstanden hat“. In gewissen Fällen ist der galvanische oder physikalische Elektrotonus als Beweis dafür angeführt worden, dass die „Hülle“ der Nerven- faser, obwohl schlechter leitend als der „Kern“, doch ein nicht zu vernachlässigendes Leitungsvermögen besitzt. Man hat in diesen Fällen ohne Bedenken angenommen, dass die Eigenschaft des peripherischen Nervenstammes, ein Kernleiter zu sein, auf der Kern- 1) L. Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 109 S. 127 Anm. 1905. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 8 114 G. F. Göthlin: leiterstruktur der einzelnen Nervenfasern allein beruht. Gestützt auf eigene Untersuchungen über den Leitungswiderstand des epi- neuralen Bindegewebes, verglichen mit dem des spezifischen Nerven- sewehes, muss indessen Verfasser die Stichhaltigkeit dieser Beweis- führung bestreiten !). Auch könnten möglicherweise als ein Beweis für das Leitungs- vermögen .der Markscheide gewisse Untersuchungen von A. Bethe?) angeführt werden, welche gezeigt haben, dass die Färbbarkeit der Achsenzylinder in einer durchflossenen Strecke eines peripherischen Nerven auf eine bestimmte Weise durch den konstanten Strom alteriert wird. In diesen Versuchen liegt indessen die angewandte elektromotorische Kraft (5 oder 6 Daniell) weit oberhalb der Grössenordnung, die eine im Achsenzylinder bei der natürlichen Funktion des Nerven auftretende elektromotorische Kraft erreichen kann. Bethe’s Nervenstamm wird einer Elektrolyse in Miniatur unterzogen. Im folgenden soll über einige Methoden berichtet werden, nach welchen die aus der Nernst’schen Theorie hervorgegangene Auffassung von den isolierenden Eigenschaften der Markscheide zum Gegenstand experimenteller Prüfung gemacht worden ist. Ich habe versucht, einerseits das elektrische Leitungsvermögen weisser, parallelfaseriger Hirnsubstanz in der Längsrichtung der Fasern, andererseits das elektrische Leitungsvermögen des Gewebs- saftes in derselben weissen Hirnsubstanz zu bestimmen, sowie aus diesen Bestimmungen zu berechnen, ein wie grosser Teil von dem Querschnitt der Hirnsubstanz galvanisch nichtleitend wird, für den Fall, dass alles Leitungsvermögen von Gewebslymphe oder hinsicht- lich galvanischer Leitung dieser zleichwertigen Säften herrührt. Damit die Markscheide isolierende Eigenschaften haben könne, ist erforderlich, dass der auf oben angegebene Weise berechnete, dem galvanischen Strom nicht zugängliche Teil des Querschnittes wenigstens so gross ist wie die Gesamtarea der in dem Querschnitt enthaltenen Markscheiden. Ich habe ferner versucht, den Leitungswiderstand weisser par- allelfaseriger Hirnsubstanz sowohl in der Längsrichtung der Fasern 1) Vgl. 8.87 1. c. 2) Albrecht Bethe, Allgem. Anat. und Physiol. d. Nervensystems S. 276—280. Leipzig 1903. Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 115 als transversal zu derselben zu bestimmen, und habe dabei erwartet, in letzterem Fall, wenn die Markscheide wirklich isoliert, die Achsen- zylinder ausserhalb der Strombahn liegend und infolgedessen den Leitungswiderstand entsprechend erhöht zu finden. Für peripherische Nervenstämme ist es bekanntlich seit lange von Hermann!) nach- gewiesen, dass der Querwiderstand um ein Vielfaches grösser ist als der Längswiderstand; infolge der Beschaffenheit des Versuchsmaterials kann man jedoch nicht ohne weiteres aus Hermann’s Resultaten sich ein Urteil darüber bilden, ob die Ursache des grösseren Quer- widerstandes in den Bindegewebsscheiden oder in den Nervenfasern selbst oder in beiden zu suchen ist. Bei der Behandlung der erstgenannten Aufgabe geschah eine Schätzung des grössten Gesamtflächeninhaltes der Markscheiden in der Querschnittsarea auf folgende Weise. Angenommen, es hätten alle Nervenfasern untereinander gleiche Dimensionen in Überein- stimmung mit den in Kap. 2 angegebenen Durchschnittswerten, an- genommen ferner, sie lägen einander so nahe im Raum, dass jede Faser die nächstliegende berührte, so wäre die Gesamtzahl Faser- querschnitte, die auf eine Fläche von 1 qem gingen, 1 Ir2yV3 ferner die gesamte von Faserquerschnitten repräsentierte Area in IT I gem = 2.75 — 0,9069 qem, sowie die von den Markscheiden ein- 5 1 genommene Area in demselben Querschnitt — ans -z [r®—o?] r2V; — 0,5963 qem —= 59,63 °/o des Gesamtquerschnittes. In den Formeln ist x der Radius der Nervenfaser (2,17 >< 10#) und o der des Achsen- zylinders (1,27 x 10%), beide in Zentimeter ausgedrückt. In Wirklichkeit liegen die Nervenfasern nicht ausnahmslos und kaum auch nur der Regel nach einander so nahe, wenigstens nicht in osmiumgehärteten Schnitten, dass jede Faser die nächstliegende berührt. Der berechnete Wert des Anteils der Markscheiden an dem Querschnitt ist daher ein Maximalwert. Die Herstellung von Gewebslymphe aus weisser Hirnmasse dürfte auf grosse technische Schwierigkeiten stossen. Indessen kann als 1) L. Hermann, Über eine Wirkung galvanischer Ströme auf Muskeln und Nerven. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 5 S. 229—231. 1872, 8* 116 G. F. Göthlin: sicher angenommen werden, dass sie ihrer Zusammensetzung nach sehr nahe mit der Cerebrospinalflüssigkeit der Hirnventrikel über- einstimmt, die ja zu einem wesentlichen Teil ihren Ursprung eben von der Gewebslymphe des Gehirns herleitet. Es bestand auch ur- sprünglich die Absicht, Bestimmungen des Leitungsvermögens der Hirnkammerflüssiekeit bei jedem Tier vorzunehmen, von welchem ein Präparat des Corpus eallosum untersucht wurde. Leider erwies sich jedoch infolge der Beschaffenheit der modernen Schlachtmethoden die Hirnkammerflüssigkeit so oft durch intraventrikulare Blutungen geschädigt, dass die Absicht nieht ausgeführt werden konnte. Die Schwierigkeit musste auf die eine oder andere Weise umgangen werden, was folzendermaassen geschah. Es war mir durch eigene frühere Untersuchungen bekannt, dass das aus den flüssigen und halbtlüssigen Augenmedien (Humor aqueus + Glaskörper) gewonnene Filtrat ein Leitungsvermögen besitzt, das sehr nahe mit dem der Hirnkammerflüssigkeit übereinstimmt. Beispielsweise hatte ich bei demselben Tier (Kalb) das Leitungsvermögen der Cerebrospinal- flüssigkeit bei 39,5 ° C. — 0,01980 und der Augenflüssiekeit bei der- selben Temperatur — 0,01974 gefunden, eine so gute UÜberein- stimmung, dass der Unterschied für die Untersuchung, um die es sich hier handelt, so gut wie bedeutungslos war. Durch neue Ver- suche überzeugte ich mich davon, dass diese Übereinstimmung kein Zufall war, sondern die Regel bildete. Bei den Versuchen wurde dann mittelst einer Cohn ’schen Tauchelektrode das Leitungsvermögen der Augenflüssigkeit bei allen den Tieren bestimmt, an deren Corpus callosum Widerstands- bestimmungen vorgenommen wurden. Über die Versuchstechnik im übrigen bei diesen Untersuchungen ist folgendes zu bemerken. Nach der Tötung des Tieres verflossen, wo nicht anders an- gegeben, ungefähr 50 Minuten unter Maassnahmen im Schlachthause und während des Transportes sowie 25 Minuten bei dem Zersägen des Schädels und Herausnehmen des Gehirns. Die weitere Prä- paration geschah nach der in Kap. 1 näher beschriebenen Weise und ging in den meisten Experimenten bei Zimmertemperatur (17 bis 19°C.) vor sich, bei zwei Experimenten aber in einer feuchten Wärmekämmer bei 37 ° C. Die in der Wärmekammer hergestellten Präparate wurden demnach vor dem Einsetzen in den Thermostat, in welchem die Bestimmungen geschahen, keiner anderen Abkühlung “ Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. &1.L.7 ausgesetzt als der, die notwendigerweise während des Transportes eintraf, und die während der Sommermonate, in welchen die Arbeit ausgeführt wurde, nicht weiter als bis 30—28 ° C. ging. Als Widerstandsgefäss für die Präparate diente eine aus ebenen Glasstücken zusammengefügte, quadratische Kammer von 1 gem Bodenfläche und Yes em Höhe (Genauigkeit "/ıoo mm). Der Deckel, gleichfalls aus Glas, kann durch eine Schraubvorrichtung bis zum Kontakt mit den Seitenwänden der Glaskammer niedergepresst werden, mit der Beschränkung, dass zwei dünne (0,06 mm), rechtwinklig ge- bogene Elektrodenlamellen aus Platin, die mit dem umgebogenen Teil dieht an gegenüberliegende Innenflächen des Glastroges aptiert sind, zwischen dem Deckel und dem Rande des Troges mit je einer ausserhalb des Troges befindlichen Klemmschraube zusammenhängen. Der Glastrog und die Klemmschrauben, die die Elektroden tragen, sind auf einer Ebonitplatte montiert. Die Platte wird mit Hilfe der Elektrodenhalter an zwei durch Glas isolierten Kupferstäben be- festigt, welche den Deckel eines grösseren Glaszylinders (!/2 Liter) durcehbohren. Durch eine Fassung im Deckel ist ausserdem ein Thermometer eingepasst. Die Verbindung zwischen Deckel und Zylinder ist wasserdicht zuschraubbar. Die aus dem Corpus callosum geschnittenen Scheiben werden mit äusserster Sorgfalt in den quadratischen Glastrog eingeführt, alle mit gleich gerichtetem Faserverlauf und in einer solchen Anzahl, dass die letzte sich etwas über die Ränder erhebt. Danach wird der Glasdeekel vorsichtig zugeschraubt, wobei ein geringer Über- schuss an Hirnsubstanz herausgepresst und sorgfältig entfernt wird. Die Elektrodenlamellen sind von Anfang an in den Glastrog ein- gesetzt. Wenn bei der ersten Bestimmung der Strom das Präparat in seiner Faserrichtung durchfliesst und dann eine neue Ablesung des Widerstandes senkrecht zur Faserrichtung vorgenommen werden soll, wird zuerst der Deckel abgeschraubt, wonach die Elektroden- lamellen emporgehoben und in dem entgegengesetzten Durchmesser des Glastroges angelegt sowie dort mittelst eines anderen Klemm- schraubenpaares fixiert werden. Bei dem Elektrodenumtausch muss die grösste Vorsicht beobachtet werden, um die Laxe des Präparates nicht zu verändern. Geschieht dies dennoch, so bleibt nichts anderes übrig, als den Versuch zu verwerfen. Alle Widerstandsmessungen sowohl an Nervenpräparaten als an Augenflüssigkeit sind gemäss dem Prinzip der Wheatstone’schen Brücke mit Wechselströmen und Telephon geschehen. 118 G. F. Göthlin: Das Instrumentarium bestand aus: Einem Akkumulator und einem Du Bois’schen Induktor, in welchem der Wagner ’sche Hammer durch einen Stimmgabelunterbrecher mit 100 Unter- brechungen in der Sekunde ersetzt worden war, beide in einem von dem Untersuchungssaal getrennten Raum aufgestellt; einer Mess- brücke; einem Normaletalon (W olff), ablesbar von 0,1— 100000 Ohm; einem Erikson’schen Telephon. In dem Tauchgefäss waren die Elektroden frisch platiniert (nach Lummer-Kurlbaum). Seine N : Widerstandskapazität wurde mit Hilfe von 70 KCI-Lösung (reines KC] [Kahlbaum]; kontrolldestilliertes Wasser) bei 30° C. bestimmt. .Alle zu der Versuchsserie gehörigen Messungen sind bei 38° C. geschehen. Um eine möglichst unveränderte Temperatur während der Experimente zu garantieren, wurde auf folgende Weise ein Thermostatbad angeordnet. Ein Blechgefäss, 20 Liter fassend, wurde mittelst einer Gasflanmme erwärmt. Die Gaszufuhr zu dem Brenner wurde durch einen in das Wasserbad gesenkten Toluol-Queck- silberregulator, der mit einer Genauigkeit von 0,02° C. einstellbar war, reguliert. Die Temperatur des Bades wurde an einem in ihm ständig befindlichen, vorher kontrollierten, Fünfziestel Grade C. zeigenden Thermometer abgelesen. Das Wasser wurde durch eine mittelst eines elektrischen Motors betriebene Flügelschraube in eine ununterbrochen fortgehende zirkulierende und rotierende Bewegung versetzt. Der Glaszylinder, der das Nervenpräparat umschloss, wurde unter die Wasseroberfläche im Bade hinabgesenkt. Die Widerstands- bestimmungen wurden erst ausgeführt, rachdem der innere Thermo- meter eine Stunde lang sich auf konstanter Höhe gehalten hatte. Als Einheit für das Leitungsvermögen (x) wurde die von Kohl- rausch und Holborn eingeführte gewählt: das Leitungsvermögen eines Körpers mit einem Widerstande von 1 Ohm pro 1 em Länge und 1 qem Querschnitt. 2 bedeutet den eingeschalteten Etalonwider- stand, ausgedrückt in Ohm; ®; und @, den Widerstand des Nerven- präparates (em > '/s gem) in der Richtung der Nervenfaser (l) bzw. senkrecht zur Faserrichtung (g). Mit © bezeichnen wir den aus dem Widerstand bei Längs- durehleitung berechneten Querschnitt — ausgedrückt in °/o des Gesamtquerschnittes —, den eine gleichlange Säule von Cerebrospinal- flüssigkeit haben müsste, um denselben Widerstand wie das Präparat Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 119 aufzuweisen. 100 — @ ist der Rest von dem Querschnitt des Präparates, der für den Fall, dass das gesamte Leitungsvermögen des Präparates von Gewebssaft (Cerebrospinalflüssigkeit) herrührt, als galvanisch nichtleitend betrachtet werden kann. Jede Widerstandsbestimmung ist auf wenigstens vier Telephon- ablesungen mit verschiedenen Etalonwiderständen gegründet. Für die Hirnpräparate werden die Primärwerte angegeben, um die Fehler- grenzen zu veranschaulichen. Für die Augenflüssigkeit differierten die Primärwerte infolge schärferen Tonminimums äusserst unbedeutend, weshalb nur die berechneten Durehschnittswerte wiedergegeben werden. Versuch 1. 10. Juli 1902. Präparierung bei Zimmertemperatur. Längsrichtung Querrichtung 500 1063 500 | 2726 1000 1062 2000 2706 2000 1077 3000 2660 3000 1110 4000 2612 4000 1031 5000 2634 5000 1098 Mittlerer Widerstand Mittlerer Widerstand für cm > qcm | für cm > gem — 536,7 Ohm | — 1333,83 Ohm 2.485 Verhältnis 27 — ce Augenflüssigkeit #390 — 0,01913. 9 — 9,740 %/o. 0 100 — 0 = 90,26 /o. Versuch 2. 14. Juli 1902. Präparierung bei Zimmertemperatur. Querrichtung Längsrichtung 2 | wg Le) | [07 500 | 2000 5000 | 1250 1000 1985 4000 1298 2000 | 1960 3000 1286 3000 1918 2000 1226 5000 1944 1000 1198 500 1224 Mittlerer Widerstand Mittlerer Widerstand für cm x gem für cm x qem — 981 Ohm — 623,5 Ohm Verhältnis zn Augenflüssigkeit #398. — 0,01877. Q = 8,5458 o. a 100— 9 — 91,4542/o. 120 G. F. Göthlin: Versuch 3. 16. Juli 1902. Präparierung in feuchter Wärmekammer (37° C.). Auch der Elektroden- wechsel beim Übergang von Quer- zu Längsdurchströmung wurde in der Wärme- kammer ausgeführt. Das Tier wurde um 11h vorm. getötet. Das Präparat wurde in das nn nalbet um 15h 15’ nachm. eingesetzt. Bestimmung des Quer- widerstandes um 35. Bestimmung des Längswiderstandes um 4% 50’ nachm. Querrichtung Längsrichtung Le) | [077 Ko) [07) 1000 2175 6000 1273 2000 22ll 5000 1289 3000 | 2172 4000 1263 4000 2154 3000 1255 5000 2143 2000 1279 6000 2163 Mittlerer Widerstand Mittlerer Widerstand für cm >< gem für cm x qem — 1085 Ohm — 636 Ohm Verhältnis © Ba Angenflüssigkeit #390 — 0,01918. W — 8,1986 %/o. eo] 100 —Q = 91,8014 Io. Versuch 4. 18. Juli 1902. Präparierung in der Wärmekammer (37° C.). Das Tier wurde um 11h 15’ vorm. getötet. Das Präparat wurde in das le um 15h 40' eingesetzt. Ab- lesung des Längswiderstandes um 4h 35’, des Querwiderstandes um 6h 55". Längsrichtung Querrichtung 5000 1039 5000 2092 4000 1031 4000 2107 3000 1027 3000 2042 2000 1053 2000 2082. . 1000 ! 1041 1000 2125 Mittlerer Widerstand | Mittlerer Widerstand für cm > gem für cm x gem — 519 Ohm — 1044,35 Ohm Verhältnis a url Augenflüssigkeit #390 = 0,01953. @ = 9,862 %). [07 Bl > ! ? 100—Q = 90,138 %. | Nach: dieser Bestimmung wurde das Hirnpräparat in einem Mörser zerrieben und der Leitungswiderstand ® für das’ so erhaltene Produkt in gleicher Weise wie vorher für das intakte Präparat bestimmt. Hierbei ‘wurde als Durchschnittswert für em >< qcm zerriebener weisser Hirnmasse ® = 508 Ohm erhalten. Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 121 Versuch 5. 22. Juli 1902. Präparierung bei Zimmertemperatur. Querrichtung Längsrichtung 2 @gq 2 [07 5000 2463 5000 393 4000 2400 4000 1405 3000 2505 3000 1317 2000 2494 2000 1361 1000 2509 1000 1342 Mittlerer Widerstand Mittlerer Widerstand für em >< qem | für em x qem —1954.0hm — 677,3 Ohm RS 0 1,825 SEE Dar Verhältnis a Augenflüssigkeit #390 — 0,0189. 9 — 7,7933 %/o. l 100 — @ = 92,2067 /o. Versuch 6. 23. Juli 1902. Präparierung bei Zimmertemperatur. Querrichtung Längsrichtung 5000 | 2463 6000 | 1290 4000 2483 5000 | 1289 3000 2405 2000 | 1306 2000 2444 1000 1273 1000 2390 Mittlerer Widerstand Mittlerer Widerstand für em > gem | für em x qem — 1218,5 Ohm — 644,7 Ohm Verhältnis nr Augenflüssigkeit #390 — 0,01916. 9 — 3,0966 ?/o. n 100—@ = 91,9034 9/o. Versuch 7. 8. Juli 1902. Präparierung bei Zimmertemperatur. 3% Längsrichtung IR By) Querrichtung A) | 077 N [077 500 1318 500 2025 1000 1315 1000 2030 AL. 2000 1322 2000 16057 3000 1317 3000 1918 4000 1333 4000 1970 5000 1321 5000- 1944 Mittlerer Widerstand Mittlerer Widerstand für cm > gem für em x gem — 660,5 Ohm — 987,3 Ohm 122 G. F. Göthlin: ...0g 1,495 aaaln : - Verhältnis Fa T . Es wurde bei diesem Versuch keine Bestimmung v7 des Leitungsvermögens der Augenflüssigkeit ausgeführt. Nimmt man für diese Grösse einen Durchschnittswert 0,01913 an, wie ihn Verfasser aus einer grösseren Anzahl Bestimmungen gefunden hat, so ergibt sich in diesem Fall = 7,9144 %/o; 100 — Q) = 92,0856 ®o. Die angeführten Versuche führen zu folgenden Durchschnitts- werten des Leitungswiderstandes im Corpus eallosum: in der Längs- richtung der Fasern — 614 Ohm für em X qem; in der Quer- richtung der Fasern — 1127 Ohm für em X gem. = : E EX ß () 2 Das Verhältnis zwischen Quer- und Längswiderstand (=) ist Ü 1 im Durehsehnitt — = = H): Eine Zusammenstellung aller Versuche rücksichtlich der Werte von 100—@ (des galvanisch nichtleitenden Querschnitts in %o des Gesamtquersehnitts bei Durchströmung in der Längsrichtung der Fasern) ergibt folgendes: 100—0 Versuch. I, Son men ee 2 0232090,26 Versuch I mr er ee aA Versuch Ile 12 4.2.0038 9158014 Versuch IV. gen 2 Be 2,5.288,,000.188 Versuch. .V... messe, 009212067 Versucht VE a en rd INS Versuch VII... 0.2. 2:02:0..2.857992:0856 Durehschnitt. . 2 222 2.20.22 2°25.291.4079/0 Nach einer früheren Berechnung nehmen die Markscheiden höchstens 59,63 °/o des Gesamtquerschnittes ein. Nimmt man an, wie in den Berechnungen geschehen, dass das gesamte Leitungs- vermögen der Hirnsubstanz von einem Safte mit dem Leitungsver- mögen der Cerebrospinalflüssigkeit herrührt, so findet sich kein Ver- such, wo der Anteil der nichtleitenden Medien am Querschnitt weniger als 90°/o beträgt. Es ist daher dem Anschein nach recht unwahrscheinlich, dass die Markscheiden ein Leitungsvermögen 1) Bei peripherischen Nervenstämmen ist dieser Quotient bedeutend grösser. Hermann fand für den N. ischiadicus des Frosches = und Verfasser für den N. opticus des Rindes n bis : (vgl. S. 124). Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand ete. 123 gegenüber den elektromotorischen Kräften, die in den angeführten Versuchen zur Anwendung gekommen sind, aufgewiesen haben. Dass die nichtleitenden Bildungen der Berechnung gemäss einen so grossen Teil des Querschnittes wie 90° und darüber einnehmen, dürfte teils dem Umstand zuzuschreiben sein, dass Nervenfasern, die nieht durch ihre natürlichen Verbindungen gespannt gehalten werden, gern einen welligen Verlauf annehmen, teils der Neigung des Myelins, in Querschnitten hervorzuquellen und bisweilen sogar die Sehnittfläche des Achsenzylinders zu überziehen. Senkrecht zur Faserrichtung ist die galvanische Leitung in noch höherem Grade reduziert, jedoch immer noch vorhanden. Wenn wir in Übereinstimmung mit den tatsächlichen Verhältnissen etwas von der Annahme ablassen, die bei der Berechnung der maximalen Faseranzahl (S. 115) gemacht wurde, dass nämlich jede Faser ihre nächsten Nachbarn berührt, so lässt sich die Annahme einer isolierenden Markscheide ziemlich gut mit der Beobachtung eines geringen Leitungsvermögens bei transversaler Stromdurehleitung vereinigen. Der geringste gefundene Widerstand (Versuch II) in transversaler Richtung ist 951 Ohmem, entsprechend einem gal- vanisch leitenden, aus Cerebrospinalflüssigkeit bestehenden Quer- schnitt —= 0,0533 gem, der in Wirklichkeit kleiner ist als die Summe der Zwischenfaserspatien bei Längsdurchleitung, auch wenn man annähme, wie in der Berechnung geschehen, dass die Fasern allgemein einander berührten. Die Zwischenfaserspatien nehmen nämlich sogar unter dieser Voraussetzung pro @Quadratzentimeter eine Area von 0,0931 gem ein. Und auch wenn man annimmt — wie es wohl geschehen muss, falls die Markscheide isolierend ist —, dass die Ionen bei transversaler Durchleitung, statt geradlinig zwischen den Elektroden zu passieren, längs dem Umfang der Fasern gehen, l wodurch der Weg in einem Verhältnis von höchstens z vergrössert wird, so würde der auf oben angegebene Weise theoretisch berechnete galvanisch leitende Querschnitt nicht weiter als bis auf 0,0593 qem heruntergebracht werden, was recht wohl mit dem in den Versuchen gefundenen Werte übereinstimmt. So zeigt auch diese Betrachtung, dass die Annahme isolierender Eigenschaften der Markscheide in Übereinstimmung mit den experimentellen Ergebnissen steht. Es sei hier im Vorbeigehen erwähnt, dass zwei Untersuchungen, sanz gleichartig mit denen am Corpus eallosum, des Vergleichs 124 G.!E"Goth lın: wegen am Sehnerven des Rindes ausgeführt wurden. Sowohl die Arachnoideal- als die Pialscheiden waren zuvor entfernt worden. Das Ergebnis war folgendes: Versuch 1. 31. Juli 1902. In Querrichtung 1043,3 Ohm, in Längsrichtung 299,6 Ohm für cm > gem. .) Verhältnis © — 3,484 be 1 100— 0 = 832,45 %. %sgo der Augenflüssigkeit — 0,01902. @ = 17,55 %o. Versuch 2. 4. August 1902. In Querrichtung 1022,5 Ohmem, in Längsrichtung 252,6 Ohmem. Verhältnis 7 — a0 [07 1 100—@ = 79,022 %o. %ag0 der Augenflüssigkeit — 0,01857. @ — 20,978). Der galvanisch leitende Querschnitt bei Stromrichtung längs den Fasern ist, den Werten für @y und © nach zu urteilen, mehr als doppelt so gross in den peripherischen Nerven als in der weissen Hirnmasse. Da Markscheide und Achsenzylinder sich wohl in dem Nerven auf gleiche Weise wie in dem Corpus callosum verhalten, so müssen natürlich die neuen Leitungsbahnen ausserhalb der Markscheiden liegen. Anatomisch gesehen, kann also der gefundene Zuschuss an Leitungsvermögen nur von den mit Saft gefüllten Lymphräumen zwischen und nach innen von den epineuralen und peri- neuralen Bindegewebslamellen herrühren. Da trotz eines mehr als doppelt so hohen Leitungsvermögens in der Faserriehtung bei dem Sehnerven, verglichen mit dem Corpus ceallosum, das Leitungs- vermögen in @uerriehtung nahezu das gleiche ist, so muss der Widerstand in dieser Riehtung teilweise durch andere Bildungen als die Nervenfasern verursacht sein. Vom anatomischen Gesichtspunkt aus gesehen, finden sich indessen keine anderen Bildungen, die einen solehen Widerstand darbieten können, als die scheidenartigen Bindegewebslamellen, welche das Stützwerk des Nerven bilden. Nachdem die Untersuchung des Corpus callosum, soweit sie Schlüsse erlaubt, die Auffassung bestätigt hatte, dass die Mark- scheide eine für geringere elektromotorische Kräfte wenigstens an- nähernd isolierende Bildung ist, erschien es dem Verfasser wünschens- wert, festzustellen, ob diese Eigenschaft der Markscheide sich in gleich ausgesprochenem Grade bei den aus derselben dargestellten Lipoidsubstanzen wiederfinde. Ein hinreichendes Material zur Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 195 Prüfung des galvanischen Leitungsvermögens stand Verfasser in Form von „Benzolextrakt“ aus weisser Hirnsubstanz zur Verfügung, wie er durch das auf S. 108 beschriebene Verfahren erhalten worden war. Bei der Nernst’schen Methode zur Untersuchung der Dielektrizitätskonstante hatte dieser Extrakt, wie früher erwähnt worden ist, kein messbares galvanisches Leitungsvermögen gezeigt. Es galt nun zu untersuchen, wie das wasserhaltige Präparat sich in dieser Hinsicht verhält. Nachdem der Extrakt in der obenbesehriebenen (S. 95) Weise sich mit Feuchtigkeit bei Körpertemperatur gesättigt hatte, wurde eine Widerstandsbestimmung in demselben Gefäss und mit der gleichen Anordnung, wie sie für die Gehirnpräparate benutzt worden waren, versucht. Es zeigte sich indessen, dass das Tonminimum so flach war, dass eine Messung sehr unsicher geworden wäre. Die Schwierigkeit wurde jedoch zum grössten Teil dadurch überwunden, dass, wie sogleich zu beschreiben, die Wechselströme durch einen periodisch kommutierten pulsierenden Gleichstrom ersetzt wurden. In die Hauptleitung zu der Wheatstone’schen Brückenkombination wurden zwei Akkumulatoren hintereinander, ein regulierbarer Wider- stand und ein Stimmgabelunterbrecher, der 100 Unterbrechungen in der Sekunde bewirkte, eingeschaltet. Bevor der Strom die Mess- brücke erreicht, muss er durch einen Kommutator, der ihn 6mal in der Sekunde wendet, passieren. In der Messanordnung werden dadurch regelmässige Perioden von 10—17 Stromstössen erzeugt, die innerhalb derselben Periode gleichgerichtet, in zwei benachbarten Perioden aber entgegengesetzt gerichtet sind. Mit dieser Anordnung, die die Vorteile geringer Polarisation und grosser Stromdichte ver- bindet, hat Verfasser ein scharfes Minimum erhalten. In zwei Experimenten sind die Widerstandsbestimmungen mit bestimmten Intervallen zwischen Körper- und Zimmertemperatur aus- geführt worden. Die Temperaturangaben oberhalb 28° C. besitzen eine Genauigkeit von 0,03 ° C., die unterhalb 28° C. eine solche von 0,05 °C. Versuch 1. Der trockene Extrakt absorbiert bei 38° C. während 25 Stunden 18,3 %/o Wasser. Das Widerstandsgefäss wurde am Abend des 25. September gefüllt und in das Wasserbad bei 38° C. gesetzt. Die einzelnen Bestimmungen geschahen zu folgenden Zeiten und Temperaturen und führten zu folgenden Widerstands- werten: 126 G. F. Göthlin: Ablesungszeit I una nl 26. Sept. 1906 9h 30’ vorm. 38,0 9084 3h nachm. 36,0 8248 Th s 34,0 7916 10h 45' 5 32,0 1822 27. Sept. 1906 9h vorm. 30,0 8092 ih nachm. 28,0 3406 5h $ 26,0 8577 g9h 20° 5 24,0 8786 28. Sept. 1906 8h 30’ vorm. 39,6 9231 Versuch 2. Der trockene Extrakt absorbiert während 25 Stunden bei einer Temperatur von 839,6° C. Wasser in einer Menge von 16,65°/0. Einpackung der Substanz in das Widerstandsgefäss sofort und bei derselben Temperatur. Das Gefäss wurde n das Wasserbad bei 39,5° C. um 35 30’ nachm. gesetzt. Die Einzelbestimmungen wurden mit Intervallen von 2,5° C. zwischen Körper- und Zimmertemperatur ausgeführt. Ablesungszeit a alır ann 5. Nov. 1906 7h 30’ nachm. 39,5 9685 6. Nov. 1906 84 30’ vorm. 37,0 8315 1h 30’ nachm. 34,5 7794 6h 5; 32,0 7809 10 30’ „ 29,5 8100 7. Nov. 1906 8h 30’ vorm. 27,0 8536 2h nachm. 24,5 9030 615’ „ 22,0 9380 10h n 19,2 9980 8. Nov. 1906 8% 45’ vorm. 16,3 10960 7h nachm. 39,5 9685 Die Kurve (Fig. 1) gibt graphisch auf Grund der Resultate von Versuch 2 die Änderungen des Leitungswiderstandes mit der Tempe- ratur bei dem mit Feuchtigkeit gesättigten Extrakte wieder. Die 11000 1000 Sassmerz nme 9000 9000 8000 Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 127 Abszisse gibt die Temperatur, die Ordinate den Widerstand in Ohmzentimetern an. Die isolierenden Eigenschaften der untersuchten Substanz sind nicht von sehr hoher Grössenordnung, da das Leitungsvermögen mehr als 2000mal so gross ist als das des reinsten dargestellten destillierten Wassers’). In Anbetracht der Unbeständiskeit der Phosphatide bei Gegenwart von Wasser ist es auch nicht unwahr- scheinlich, dass die Wasserabsorption des Präparates in einer spuren- weisen Zersetzung resultiert hat. Eine solche hat nur einen minimalen Einfluss auf den Wert der Dielektrizitätskonstante, kann aber bedeutende Fehler bei der Messung des Isolationswiderstandes ein- führen. Die Widerstandsbestimmungen an dem Benzolextrakt be- rechtigen uns jedenfalls nicht zu der Annahme, dass die Lipoid- substanzen für das Isolierungsvermögen der Markscheide von derselben dominierenden Bedeutung sind wie für die Kapazität der Mark- scheide.e Ein unerwartetes Interesse erhalten diese Widerstands- bestimmungen indessen durch den Nachweis der Kurve, nach welcher der Widerstand sich mit der Temperatur ändert. Bei 32—34° C. — also einige Grade unter Körpertemperatur — zeigt nämlich (Fig. 1) die Widerstandskurve ein Minimum und steigt von da an nach beiden Seiten, langsam bei Abkühlung, schneller bei Erwärmung auf Körpertemperatur. In letzterer Hinsicht steht der Benzolextrakt in bestimmtem Gesensatz zu den Gewebssäften, deren Leitungs- widerstand auf diesem Teil der Temperaturskala ?) wohl ausnahms- los mit steigender Temperatur abnimmt. Dass eine derartige bedeutende Vermehrung des Leitungswider- standes mit der Temperatur eintritt, gerade wenn man sich von unten- her der Körpertemperatur nähert, kann nicht gut ein Zufall sein. Verfasser wagt zu glauben, dass, was auf diese Weise bei der „arti- fiziellen Myelinsubstanz“ beobachtet worden ist, ein ähnliches Ver- halten innerhalb der Markscheide im lebenden Organismus abspiegelt, und was ist natürlicher als anzunehmen, dass dieser Verlauf auf die eine oder andere Weise in den Dienst der Isolation tritt? 1) Vgl. F.Kohlrausch und Ad.Heydweiller, Über reines Wasser. Sitzungsber. d. k. preuss. Akad. d. Wissensch., 29. März 1894, S. 295 und 303. 2) Über die Möglichkeit eines entgegengesetzten Verhaltens bei höheren Temperaturen, siehe Sv. Arrhenius, Über die Dissoziationswärme und den Einfluss der Temperatur auf den Dissoziationsgrad der Elektrolyte. Zeitschr. physik. Chemie Bd, 4 S. 112—115. 1889. 128 G. F. Göthlin: Es hat, trotz des scheinbar Widersinnigen der Annahme, ein vewisses Interesse, den Isolationswiderstand in einer Nervenfaser für den Fall zu berechnen, dass die Isolierung ausschliesslich dureh das Myelin geschähe, und dass dieses einen spezifischen Leitungswider- stand besässe, der sich approximativ dem des mit Feuchtigkeit ge- sättisten Benzolextrakts gleichstellen liesse. W. Siemens!) hat für den Isolationswiderstand in Kabeln mit homogener zylindrischer Bedeckung eine Formel angegeben. Wenn der Durchmesser des Kabels, aussen über den Isolierungsstoff gemessen, = D ist und sein Kern einen Durchmesser — d hat, wenn ferner der Leitungswiderstand von 1 eem des Isolierungsstoffes — oe ist, so wird der Isolations- widerstand W für eine Strecke von Z em ausgedrückt durch die Formel W =, log nat — Wird nach dieser Formel für 1 cm Länge der Nervenfaser der- jenige Wert des Isolationswiderstandes berechnet, der einem Wert von e = 10000 Ohm entspricht, und ninımt man dabei gemäss den Messungen des Verfassers D —= 4,34 xX 10% em und d= 2,54 x 107 em an, so erhält man: wo 10000 | Bar. 4,34 X 10 2 7 2,54 x 104 Wenn auch nur annähernd angenommen werden könnte, dass dieser Wert ein Ausdruck für den Isolationswiderstand in der Nerven- faser wäre, so brauchten nicht viel Worte auf eine elektrische Theorie des Nervenprinzipes verschwendet zu werden. Ein Isolationswiderstand von kaum 1000 Ohm pro Zentimeter für einen Kern, dessen Leitungs- widerstand — wie wir weiter unten sehen werden — die Dimension von etwa einer Milliarde Ohm pro Zentimeter haben dürfte, ent- spricht nämlich in keiner Weise den Forderungen, die eine derartige Theorie aufstellen muss. Bei dieser Schätzung ist indessen voll- ständig eine Substanz ausser Rechnung gelassen worden, deren Wert als Isolationsmaterial die grössten Erwartungen erweckt, deren morpho- logische Anordnung aber vielumstritten ist, nämlich das Neuro- keratin. Kühne und Ewald?) beschrieben von dieser Substanz — 852,6 Ohm. l) Werner Siemens, Gesammelte Abhandlungen und Vorträge S. 224. 1881. Vgl. auch A. v. Waltenhofen, Die internationalen absoluten Maasse, 3. Aufl., S. 181. 1902. 2) Verhandl. d. naturbist.-med. Vereins zu Heidelberg, N. F. Bd. 13.460. 1876. Untersuchungen über Kapazität, ‚Isolationswiderstand etc. 129 ausser einem Netzwerk zwei zusammenhängende Scheiden, von denen eine sich auf der Grenze nach dem Achsenzylinder hin befinden, eine andere die Markscheide peripherisch begrenzen sollte. Stimmte diese Beschreibung mit der Wirklichkeit überein, so könnten diese Neuro- keratinmembranen Schranken bilden, die an und für sich die Isola- tion aufrechterhalten, auch wenn das zwischenliegende Myelin ein Stoff von relativ unvollkommenem Isolationsvermözen wäre. Einen entscheidenden Grund gegen eine elektrische Theorie des Leitungsprozesses im markhaltigen Nerven kann also der Befund ziemlich schlecht isolierender Eigenschaften bei den Lipoidsubstanzen der Markscheide in Mischung mit Wasser nieht bilden. Dagegen fordert er ganz entschieden zu einer Wiederaufnahme der Kühne- Ewaäld’schen Untersuchungen betreffs der topographischen Ver- breitung des Neurokeratins in der Markscheide sowie zu einer ge- nauen mikrochemischen Untersuchung der kutikularen Bildungen auf, die überhaupt die Markscheide sowohl nach innen als nach aussen abgrenzen, und die wohl in den peripherischen Nerven auf die eine oder andere Weise, wenngleich in modifizierter Form, auch die Ranvier’schen Einschnürungen überbrücken müssen. 5. Über den Leitungswiderstand in den Nervenfasern des Corpus callosum. Der Leitungswiderstand in dem Kern einer einzelnen Nerven- faser, d. h. in dem Achsenzylinder, ist nicht direkt messbar und streng genommen auch keiner Berechnung zugänglich, denn man kennt weder das Leitungsvermögen des Axoplasmas noch das der Fibrillen- substanz, auch weiss man nicht, ein wie grosser Teil des Quer- schnittes des Achsenzylinders von Fibrillen eingenommen wird !). Will man überhaupt bei dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens die galvanische Leitung des Achsenzylinders untersuchen, so ist dies also nur auf dem Wege der Wahrscheinlichkeit und der ungefähren Schätzung möglich. Es handelt sich in erster Linie darum, eine Flüssigkeit zu finden, von der man annehmen kann, dass sie dasselbe Leitungs- 1) Nach Bethe (Allgem. Anat. u. Physiol. des Nervensystems S. 261. Leipzig 1903) nimmt jedenfalls die Perifibrillarsubstanz in einem Querschnitt des N. ischiadicus des Frosches eine mehrere hundert Mal grössere Fläche als die Fibrillen ein. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. I 13 G. F. Göthlin: vermögen besitzt wie das Axoplasma. Unter den Flüssigkeiten, auf welche die Wahl beschränkt ist, besitzt wohl keine grössere Voraus- setzungen, dieser Forderung zu genügen, als die Cerebrospinal- flüssiekeit. Es verhält sieh, übrigens nicht so, wenn man sich auf die Erfahrung bei den bisher angestellten Untersuchungen verlassen darf, dass die Säfte, die in dem lebenden Gewebe enthalten sind, eine erosse Variabilität des Leitungsvermögens aufweisen. Der Fehler, der dadurch bedingt wird, dass man das Leitungsvermögen des Axoplasmas dem der Üerebrospinalflüssigkeit gleichsetzt, kann daher zu keinem Irrtum bezüglich der Grössenordnung führen. Es ist mir infolge der gebräuchlichen Schlachtmethoden nicht möglich gewesen, eine völlig unveränderte Cerebrospinalflüssigkeit von erwachsenen Rindern zu beschaffen; dagegen ist es mir gelungen, solche von Kälbern zu erhalten, die durch Verbluten getötet worden waren. Nachdem der Schädel "mittelst Säge sespalten und das Gehirn in unbeschädigtem Zustande herauspräpariert worden, wurde die Gehirnoberfläche in und in der Nähe der Fissura longitudinalis von den weichen Häuten befreit. Mit Schnitten wurde dann direkt. in die Seitenventrikel eingegangen und aus ihrem Grunde mit sterilen Pipetten die dort angesammelte Flüssigkeit entnommen. Diese zeigte sich opalisierend ohne eine Spur von Rotfärbung.. Da vermutet wurde, dass die Opaleszenz von Leukoeyten herrührte, so wurde Zentrifugierung vorgenommen. Dabei entstand eine voll- kommen wasserklare obere Schicht sowie ein grauer Bodensatz mit einem Stich in Rosa. Die Flüssigkeit wurde in ein Kohlrausch- sches Widerstandsgefäss zu Bestimmungen an kleinen Quantitäten übergeführt. Die Elektroden des Gefässes waren in gewöhnlicher Weise (nach Lummer-Kurlbaum) platiniert. Die Ablesungen geschahen bei 39,5 ° C. mittels derselben Anordnung, wie sie auf S.118 beschrieben worden ist. %30,5o wurde im Durchschnitt — 0,0198 erhalten. Bezüglich des galvanischen Leitungsvermögens der Fibrillen ist es weit schwieriger sich zu äussern. Sie sind optisch differenziert von der Interfibrillarsubstanz und sollen, wie Apathy!) angibt, als starre, vollkommen homogene Bildungen mechanisch von derselben 1) St. Apathy, Das leitende Element des Nervensystems usw. Mitteil. a. d. zool. Stat. zu Neapel Bd. 12 S. 516 u. 519. 1897. Apathy’s Angabe bezieht sich auf Evertebraten. Untersuchungen über Kapazität, Isolationswiderstand etc. 131 isolierbar sein. Wahrscheinlich sind sie also wasserärmer und gal- vanisch schlechter leitend als das Axoplasma. Die Färbbarkeit der Fibrillen, unter anderem mit kolloidalem Gold [Joris)], deutet darauf hin, dass sie starke Adsorptionswirkungen entwickeln. In Überein- stimmung hiermit ist anzunehmen, dass sie an ihrer Oberfläche Elektrolyten in grösserer molekularer Konzentration zurückhalten, als sie sonst im Axoplasma besteht. Es lässt sich demzufolge nicht der Satz verfechten, dass die Gegenwart der Fibrillen das galvanische Leitungsvermögen des Achsenzylinders deshalb herabsetzt, weil ihre eigene Materie schlechter leitend ist als das Axoplasma. Unsere gegenwärtige Kenntnis betreffs der Fibrillen ist offenbar so unvollkommen, dass es auf Schwierigkeiten stösst, auch nur zu entscheiden, in welcher Richtung ihre Gegenwart eine Verschiebung des galvanischen Leitungsvermögens eines im übrigen mit Cere- brospinalflüssigkeit angefüllten Achsenzylinders veranlasst. Als eine allererste Approximation kann indessen der Leitungswiderstand des Achsenzylinders unter der allerdings unwahrscheinlichen Annahme berechnet werden, dass eine Veränderung des galvanischen Leitungs- vermögens durch die Gegenwart der Fibrillen nicht entsteht. Wird auf diese Weise der Leitungswiderstand (®) in dem Achsenzylinder pro Zentimeter berechnet, so findet man 1 1 9 7 0,0198 ° z (1,27 x 10-9?’ wo 1,27 x 10% der Radius des Achsenzylinders ist. Als Endwert für ® erhält man die enorme Ziffer 996750000 oder abgerundet 1 Milliarde Ohm. 6. Über die Propagationsgeschwindigkeit elektrischer Ladungen in den Nervenfasern des Corpus callosum. Nimmt man an, dass die markhaltige Nervenfaser ihrem Baue nach mit einem Kabel übereinstimmt, so können die in den vorher- gehenden Untersuchungen schätzungsweise berechneten Werte für Kapazität und Leitungswiderstand auch dazu benutzt werden, um die Grössenordnung der Geschwindigkeit zu berechnen, mit welcher eine elektrische Ladung sich durch den Achsenzylinder ausbreiten wird. 1) H. Joris, A propos d’une nouvelle methode de coloration des neuro- fibrilles. Bulletin de l’Acad. roy. de med. de Belgique 4® serie, t. 18 p. 203 a 232. 1904. 9 * 132 G. Nare Nun ist auch: a=/ dp. BD AR also: n= Bo EW und, weil für die minimale Zuckung 7 —= m (konstant), RERRI MUND are: a an a W was mit obiger Formel (2) übereinstimmt. 3. Weil nun die Theorie Nernst’, dass die Erregung von Ionen- verschiebungen oder Konzentrationsänderungen herrührt, eine kern- gesunde Theorie ist, die am besten mit unsren bisherigen Kennt- nissen übereinstimmt, so wäre es als ein grosser Fortschritt zu be- trachten, wenn es gelünge, diese Formel (1) aus der Nernst’schen Theorie abzuleiten. Schon manchmal habe ich dazu den Versuch gemacht, ‚aber ‘mmer ohne Erfolg. Die Diffusionsgleichung: Über das allgemeine Gesetz der Erregung. 165 de d?c e widersteht allen diesen Versuchen. Deshalb habe ich in einer anderen Arbeit!) an die Stelle dieser Gleichung (3) die folgende, allgemeinere, gesetzt: = ner oe — BE rd) und habe in dieser Weise den gewünschten Zweck erreicht. Die Gleichung (4) hat dieselbe Gestalt wie die allgemeine Gleiehung, die Fourier?) für die Diffusion der Wärme in einem von Luft umgebenen Stabe gefunden hat: 5 +m—hT! a lo 305): wo: v die Temperatur im Punkte x, %k der Koeffizient der inneren Leitung, h der Koeffizient der oberflächlichen Leitung. Dieselbe Gleichung haben Thomson und Stokes?) für die Bewegung der Elektrizität in einem unterseeischen Kabel, dessen Isolierung nicht vollkommen ist, abgeleitet, welche Gleichung ich später auf die Bewegung der Elektrizität in Kernleitern *) angewendet habe. Die Gleichung (4) gibt an, wie in einer dünnen, semipermeablen, mit einem Elektrolyten gefüllten und allseitig auch von Elektrolyten umgebenen Röhre eine von einem elektrischen Strom hervorgerufene Konzentrationsänderung sich über die ganze Länge der Röhre fort- pflanzt. Co ist die Konzentration der äusseren Flüssigkeit, e ist die zeitliche Konzentration in der Röhre, k ist der Diffusionskoeffizient der longitudinalen Bewegung, Ah ist der Diffusionskoeffizient der transversalen Bewegung. Für eine einzige Muskel- oder Nervenfaser würde diese Gleichung nicht zutreffen, aber für einen aus zahlreichen, an allen Seiten von interfibrärer Flüssigkeit umgebenen Fasern zusammen- gesetzten Muskel- oder Nerventeil, in welchem die Diffusion gleich gut in transversaler wie in longitudinaler Richtung stattfinden kann, ist Gleichung (4) gewiss anwendbar. 1) Pflüger’s Arch. Bd. 119 S. 39. 2) Theorie de la chaleur p. 266. 3) Philos. Magazine vol. 11. 1856. 4) Pflüger’s Arch. Bd. 71 S. 146. 1898. 166 J. L. Hoorweg: Aus dieser Gleichung (4) wird nun Formel (1) leicht abgeleitet, wenn man nach der Nernst’schen Theorie, dass jede Erresung von Konzentrationsänderungen herrührt, die Differentialerregung & bestimmt nach der Formel: Man findet dann: Br rn = fx2Hi/} em 2 c0s7 | nn oder für & = 0, wenn man Setzt AR ee a ee SE (lo) ea a © ea. ee t und alsdann auch: 7 = «a Sie?! dt. 0) Die von mir aus verschiedenen Versuchen ermittelten Werte der Koeffizienten « und £ erhalten jetzt die aus (6) und (7) ab- geleitete Bedeutung: Beam... (8), EVEN: Re le Dass die Substitution der allgemeineren Gleichung (4) an die Stelle der einfacheren Gleichung (3) berechtigt ist, geht aus folgenden in der letzten Zeit angestellten Versuchen Laugier’s deutlich hervor: Laugier bestimmt unter Leitung La Pieque’s nach der Kondensatormethode in einer Reihe von Versuchen mit Frosch- präparaten, die für längere oder kürzere Zeit in Lösungen ver- schiedener Konzentration verweilt haben, welchen Einfluss diese Lösungen auf den Wert der Koeffizienten « und £ ausüben. Hier hat man deutlich mit einer transversalen Bewegung der Ionen zu tun und kann man also nach dem obigen eine Änderung des Koeffizienten 8 erwarten. Nun schreibt Laugier die Kondensatorformel in folgender Form: Vo odoR 0.022 und bestimmt dann nach Einwirkung verschiedener isotonischen, 1) Journ. de physiol. et de path. gener. t. 12. 1910. Über das allgemeine Gesetz der Erregung. 167 hypotonischen und hypertonischen Lösungen die Änderungen von 5b und von Laugier beobachtet nun bei allen Versuchen eine a m deutliche Änderung dieser beiden Grössen in der Weise, dass eine a b Nun ist mit meinem Koeffizienten « und £ die Kondensator- formel: Zunahme von immer mit einer Abnahme von 5 verbunden ist. da ro „» ARE ana also: DE - und a: Nach (8) und (9) ist also: ON. i ) immer von einer Abnahme von b gesellt ist, ändert sich bei den Laugier’schen Versuchen / sehr wenig und h sehr viel, wie auch erwartet war. und weil eine Zunahme von ( Wenn man diese Versuche Laugier’s mit denen von Overton, Schwarz, Höber u. a. vergleicht, die alle den grossen Einfluss der umgebenden Flüssigkeit auf die Erregbarkeit des Gewebes be- weisen, so muss man die Gleichung (4) als die wahre Vorstellung des im lebendigen Gewebe stattfindenden Prozesses annehmen, und alsdann ist die Formel (1) mit der Nernst’schen Theorie in Übereinstimmung. 4. Man kann jetzt näher untersuchen, was die verschiedenen darin vorkommenden Grössen bedeuten. Allererst zeigt sich dann, dass jede Differentialerregung, &, nicht, wie du Bois-Reymond meinte, der Stromschwankung oder Strom- änderung sondern der Stromstärke, i, selber direkt proportional di ar ist. Dies ist vollkommen in Übereinstimmung mit der Nernst’schen Theorie, dass jede Erregung von Ionenbewegung herrührt; denn für diese Bewegung gilt das bekannte Faraday’sche Gesetz: also ist ganz natürlich: a —_00dt:. 168 J. L. Hoorweg: Zweitens fällt jetzt ein neues Licht auf den in Formel (1) vor- kommenden Term: e=-?‘ und auf den Koeffizienten %, welchen ich den Extinktionskoeffizient der Erregung genannt habe. Dieser Term e=-?‘ der zugleich ein Maass ist für das, was Nernst die Akkommodation genannt hat, findet nun deutlich seinen Grund in der Ionenbewegung in transversaler Richtung. Bei Reizung einer einzelnen isolierten Muskel- und Nervenfaser würde dieser Term ver- schwinden, und würde unter übrigens gleichen Umständen jede folgende Erregung ebenso gross wie die vorhergehende sein. Dies ist bei den wirklichen Versuchen nicht der Fall, wie schon Engelmann im Jahre 1871 entdeckte!); denn in dessen bekannter Arbeit über die Erregung des Ureters findet man S. 281: „dass sich bei diesen Ver- suchen noch eine wichtige Tatsache herausstellt, nämlich die, dass die Wirkung jedes späteren Reizes immer schwächer ist als die der vorhergehenden“. Dasselbe Resultat ist später von Gotch, Wedenski u. a. für ganz andere Gewebe gefunden und in der letzten Zeit noch- mals von Samojloff?) durch genaue Versuche bewiesen. Die Formel e—=oıe-Ptdt steht also jetzt auf ziemlich festem Boden. Wie ist es nun nach der Formel: { ! n—=j/ed—uj/ıettdt, die ausdrückt, dass jede merkliche Erregung aus einer Summe vieler Differentialerregungen zusammengesetzt ist? Diese Summation oder Addition der Erregungen ist schon von du Bois-Reymond postuliert und von Engelmann experimentell bewiesen. Du Bois-Reymond hat zuerst den Unterschied zwischen Elementarerregung und Totalerresung gemacht, und weil ich diese Vorstellung als ganz naturgemäss erkannte, habe ich diesen Unter- schied auch in meiner Formel angenommen. Man hat manchmal diese Vorstellung verworfen, wie z.B. Hermann und andre Physio- logen, aber Engelmann sagt ausdrücklich in seiner oben ge- nannten Arbeit über die Erregung des Ureters S. 282: „Aufeinander- folgende Schliessungsreize, von denen jeder für sich kaum sichtbare 1) Pflüger’s Arch, Bd. 3. 2) Arch. f. Anat. u. Physiol., Physiol. Abteil. 1908. Über das allgemeine Gesetz der Erregung. 169 Wirkung hervorruft, können durch Addition ihrer Wirkungen Kon- traktion veranlassen. Die Zusammenwirkung tritt um so früher ein, je kürzer die Intervalle zwischen den einzeluen Reizungen sind.“ Dieselbe Erscheinung ist später auch von andern Forschern be- obachtet, und in diesem Archiv Bd. 125 ist eine umfangreiche Arbeit Steinachs über diesen Gegenstand erschienen, in welcher dieser Forscher die Summation der Erregungen als eine wichtige all- gemeine Eigenschaft aller lebendigen Gewebe, selbst auch des Pflanzenreichs, annimmt. Recht deutlich ist der Effekt der Summation von Keith-Lucas in seinen letzten Versuchen !) über die Reizung eines Froschpräparats mittelst Öffnungsinduktionsströmen bewiesen. Keith-Lucas sucht erst den grössten Rollenabstand, für weichen ein einzelner Schlag noch eine minimale Zuekung auslöst, und nimmt dann den Rollen- abstand noch etwa 5°/o oder 10°/o grösser. Von diesen subminimalen Reizen lässt er dann zwei in einer bekannten sehr kurzen Zeit auf- einanderfolgen und findet dann z. B.: Reiz B folgt auf Reiz A nach 0,0019 Sek.: Zuckung, Reiz B folgt auf Reiz A nach 0,0023 Sek.: keine Zuckung, Reiz B folgt auf Reiz A nach 0,0020 Sek.: keine Zuckung, Reiz B folgt auf Reiz A nach 0,0019 Sek.: Zuckung. Aus diesen Versuchen kann man auch noch schliessen, dass nach 0,0019 Sek. die von einem subminimalen Reize herv gerufen Erregung noch nieht verschwunden ist, dass also jede noch so kurz dauernde Erregung eine gewisse Fortdauer besitzt, wodurch sie sich zu der folgenden addieren muss. Was uns allen als eine Eigenschaft der Netzhaut bekannt ist, ist also auch mehr oder weniger die Eigenschaft aller lebendigen Gewebe. Auf diese allgemeine Eigen- schaft der Reize stützt sich jetzt die Formel: 1 00 est: Zum Schluss noch eine kleine Bemerkung zu der jüngst er- schienenen Arbeit von v. Zeyneck und v. Bernd’): Über die Erregung durch hoch frequente Wechselströme. Diese Autoren erweisen sich als getreue Anhänger des Nernst’schen Quadratwurzelgesetzes und glauben noch immer, dass sich dieses Gesetz glänzend bestätigt hat. v. Zeynek und v. Bernd gestehen aber, dass für langsam 1) Journ. of Physiol. vol. 29. 1910. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 132 S. 21. 170 J. L. Hoorweg: Über das allgemeine Gesetz der Erregung. wechselnde Ströme das Gesetz nicht zutrifft, und finden jetzt durch eine Reihe sorgfältiger Versuche mit Strömen von sehr hoher Frequenz, dass auch dann die gefundenen Werte der minimalen Stromstärke weitaus grösser!) sind, als erwartet nach dem Nernst’chen Quadratwurzelgesetz: z. B. für 100000 Wechslungen fand man 0,1 Ampere, indem man nach diesem Gesetz erwartete 0,0054 Ampere. Also auch hier wieder dieselbe Geschichte. Bloss für mittlere Frequenzen scheint das Gesetz haltbar, weil man alsdann in die Nähe des Minimums kommt. 1)21.16. 82.28. (Aus dem Institut für Physiologie der Universität Turin. Vorstand: Prof. A. Mosso.) Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination. Von Dr. Carlo Foä, Dozent und Assistent. (Mit 16 Textfiguren.) Die Rumination ist ein besonderes komplexer Akt, da er gleich- zeitig zu den willkürlichen und zu den reflektorischen Akten gehört. Colin!) zählt das Kauen und Schlucken des wiedergekäuten Futters zu den willkürlichen Geschäften, während das Wiederaufwürgen nach seiner Ansicht ein unwillkürliches Geschäft darstellt, obwohl es mit Hilfe der thorakalen und abdominalen Muskeln ausgeführt wird und von einer besonderen inneren Empfindung abhängen soll, weleher das Tier nachgeben muss, obwohl es ihr innerhalb gewisser Grenzen Widerstand leisten kann. Das Wiederkäuen ist ein für das Leben des Tieres unentbehrliches Geschäft, da bei Fehlen desselben das Tier an Hunger stirbt, auch wenn sein Pansen mit Futter gefüllt ist. Die innere Empfindung, welche das Tier zum Wiederkäuen an- regt, würde somit dem Hungergefühl ähnlich sein; dieselbe würde das Tier veranlassen, eine ruhige Lage zu suchen, um den Akt vor sich gehen zu lassen. Es ist jedoch mit Sicherheit festgestellt, dass die Rumination nicht beginnt, wenn das Tier nicht ruhig ist, und zuweilen sogar bis zu einigen Stunden nach der Fütterung verschoben werden kann, bis das Tier in die Ruhe des Stalles zurückgekehrt ist. Wir müssen deshalb einen gewissen Einfluss des Willens auf den Beginn der Rumination anerkennen, während, wie wir im folgen- den sehen werden, die Fortsetzung der begonnenen Rumination eine Reihe von unwillkürlichen und reflexen Akten darstellt. 1) Colin, Lehrbuch d. vergl. Physiologie S. 690 ff. 172 Carlo Foa: Wir wollen uns in dieser Arbeit nicht mit der Frage befassen, wie sich die Nahrung, nachdem sie zum ersten Mal verschluckt worden ist, in den Magen verteilt, und welche Rolle die ösophageale Rinne in der Bereitung des wiederaufgewürgten Futterballen spielt; diese Fragen wird der Leser in den Lehrbüchern der vergleichen- den Physiologie von Ellenberger, Colin und Laulanie6 ge- nügend behandelt finden!). Wir wollen dagegen den Mechanismus der Rejektion und der Akte, die auf dieselbe folgen, untersuchen und uns bemühen, durch experimentelle Untersuchungen auf die Frage nach dem nervösen Apparat näher einzugehen, welcher diesem so komplizierten Akt vorsteht. Die Rejektion des Futters wird von Duvernoy?) gänzlich auf eine starke Zusammenziehung des Pansens und von Daubeton?) auf eine Kontraktion des Netzmagens zurückgeführt; diese letztere Meinung wird aber von Flourens‘*) bestritten, welcher be- obachtete, dass nach Entfernung eines Teiles des Netzmagens und Befestigung, des zurückgelassenen Teiles an die Bauchwand die Rumination noch stattfand. Colin ist der Ansicht, dass das Wieder- aufwürgen durch eine heftige Kontraktion des Netzmagens und des Pansens erfolgt, und dass das Zwerchfell dabei keine grosse Rolle spielt, da der Schnitt der Nervi phrenieci nicht hindert, dass die Rumination stattfindet. Flourens versuchte durch den Schnitt des Rückenmarks oberhalb des Ausgangspunktes der Abdominalnerven die Mitwirkung der Bauchmuskeln an der Rumination auszuschliessen ; die Tiere verfallen aber nach dieser Operation in ihren Kräften, so dass man, wenn die Rumination auch nicht mehr stattfindet, doch nieht behaupten kann, dass dies nur auf die Lähmung der Bauchmuskeln zurückzuführen ist. Colin glaubt den Beweis dafür, dass der wesentliche Teil der Rejektion auf die Kontraktion des Pansens und des Netzmagens zurückzuführen ist, in der Tatsache finden zu können, dass nach dem Schnitt der Vagi das Wiederkäuen nieht mehr stattfindet. Dagegen kann man aber einwenden, dass durch den Schnitt der Vagi eine, und zwar vielleicht die Haupt- leitungsbahn beseitigt wird, durch welche der Anreiz nach den l) Siehe auch Aggazzotti, Beitrag zur Kenntnis der Rumination. Pflüger’s Arch. Bd. 133 S. 201. 1910. 2) Duvernoy, (Euvres anatom. t.2 p. 434. Paris 1761. 3) Zitiert bei Colin. 4) Flourens, Me&m. d’anat. et de physiol. comparee p. 59. Paris 1844. Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination. 173 Zentren geleitet wird. Nach meiner Ansicht wird ein kräftigerer Beweis für die unentbehrliche Mitwirkuug des Pansens zur Her- vorrufung der Rejektion durch das Experiment Ellenberger’s geliefert, welcher sah, dass die Rumination unmöglich wird, wenn man eine Pansenfistel anlegt und die Ränder derselben an die Bauchwandungen befestigt, so dass die Kontraktionen des Pansens keinen Nutzeffekt haben können. Es ist jedoch nachgewiesen, dass die Vagi die Bewegungsnerven des Pansens und des Netzmagens sind, da nach den Versuchen Ellenberger’s, die ich bestätigen konnte, eine Reizung des peripheren Stumpfes des Vagus heftige Kontraktionen beider Mägen hervorruft. Dieselbe Beobachtung wurde von Colin gemacht, welcher nebenbei manometrische Messungen des Druckes ausgeführt hat, welcher im Innern des Pansens entsteht, wenn dieser infolge einer Reizung der Vagi sich kontrahiert; diese Versuche wurden aber bei nicht durchschnittenen Vagi ausgeführt, und Laulani& äussert in seinem Lehrbuch die Meinung, dass bei diesen Versuchen die Wirkung auf einen durch die Reizung der zuführenden Vagusbahnen bewirkten Reflex zurückzuführen sei. Wir werden aus den Resul- taten meiner Versuche sehen, dass diese Deutung nicht richtig ist, werden aber auch sehen, dass, im Gegensatz zu Colin’s Anschauung, die auf die Anreizung des Vagus folgende Kontraktion des Pansens nicht genügt, um die Rejektion des Futters durch die Kardia und den Ösophagus — das von Colin beobachtete Heraustreten von Futter aus einer an der Wand des Pansens angebrachten Öffnung bedeutet noch lange keine Rejektion — und die übrigen Akte zu bewirken, welche nacheinander und miteinander koordiniert statt- finden und zusammen das Geschäft der Rumination bilden (Speichelung, Kauung, Wiederschlucken). Der Lehre, nach welcher die Rejektion von einer Kontraktion des Pansens, unterstützt oder nicht durch die Bauchpresse, abhängt, steht die von Chauveau aufgestellte Theorie gegenüber, welche Toussaint!) experimentell kontrolliert hat, und welcher Laulanie in seinem Lehrbuch der Physiologie (S. 113) zustimmt. Diese Lehre lest Toussaint folgendermaassen dar: Im Augenblick der Rejektion 1) Toussaint, Application de la methode graphique a la determination du mecanisme de la r&jection dans la rumination. Arch. d. Physiol. norm. et path. 1875 p. 141—176. 174 Carlo Foa: schliesst sich die Kehle, und es tritt eine sehr energische und plötz- liche Kontraktion des Zwerchfells ein, welche eine starke Verdünnung der Luft in der Brusthöhle und dadurch ein erhebliches Zuströmen von Blut nach den Iugularvenen bewirkt, und denselben - Einfluss auf die im Pansen enthaltenen und in der Nähe des Ösophagus gelegenen Stoffe ausüben müsste. Diese befinden sich, dank ihrem fast flüssigen Zustande, unter denselben Bedingungen zum Thorax wie das Blut der Drosselvenen und strömen infolgedessen durch den offenstehenden Ösophagus hinauf, und der in diesen eingedrungene Teil von ihnen wird sofort durch eine Kontraktion des rechten Zwerchfellschenkels nach dem Magen hin abgeschlossen; dadurch wird eine antiperistaltische Kontraktion der Ösophagusmuskulatur hervorgerufen, welche den Futterballen nach dem Munde hindränst. Wir wollen vorläufig von den Lücken absehen, welche diese Lehre bezüglich des nervösen Mechanismus der Rumination aufweist, und uns mit den schwachen Seiten beschäftigen, welche sie der Kritik gegenüber zeist. Toussaint nimmt an, dass das Futter in den Ösophagus durch ein Vakuum gesogen wird, welches in der Brusthöhle infolge einer Senkung des Zwerchfells bei geschlossener Glottis entsteht. Ellenberger sagt in seinem Lehrbuch, indem er die Reihen- folge der Akte beschreibt, welche in ihrer Gesamtheit die Rumination darstellen: dass „auf einen ersten Inspirationsakt eine starke Kon- traktion der Bauchmuskeln, begleitet von einer Fxspiration, folgt“ und dass man „danach im Ösophagus die Welle des Futters her- aufsteigen sieht“. Wenn also das Heraufsteigen des Futters nach einer starken Exspiration eintritt, so erfolgt es zu einer Zeit, wo eine Erhöhung des intrathorakalen Druckes und nicht, wie Tous- saint behauptet, ein Sinken desselben stattfindet. Dieser Autor hat versucht, die Lehre Chauveau’s dadurch zu unterstützen, dass er während des Wiederkäuens den intrathorakalen Druck vermittels eines mit dem einen Ende in die Luftröhre eingeführten und am anderen Ende mit einem Marey’schen Registrierapparat ver- bundenen Trokars und zu gleicher Zeit das Anschwellen des Ösophagus während des Aufsteigens des Futters in denselben und die abdominale Respiration aufzeichnet. In der Fig. 1 habe ich eine Skizze der Fig. 7 aus der Arbeit von Toussaint wiedergegeben, um die Analyse des Vorganges deutlicher zu gestalten. In derselben ieht man, dass der intratracheale (intrathorakale) Druck sinkt, bevor Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination. 175 die Futterkugel in den Ösophagus eintritt; ehe diese aber statt- findet, steigt der durch die Luftröhre registrierte intrathorakale Druek, und die Bauchwände sinken wieder ein, wie aus der durch den Pneumographen aufgezeichneten Kurve hervorgeht, da der Schlund Luft- röhre Abdom.- Atmung Schlund ı & r Es “ Y D ' ' u Luft- röhre zu... -wes Kiefer Fig. 2 (nach Toussaint!. Schreibstift sich hebt, wenn die Bauchwände einsinken. Wenn wir also von dem Punkte in der Kurve, in welchem der intrathorakale Druck steigt, eine Senkrechte nach unten ziehen, so sehen wir, dass das Anschwellen des Ösophagus nach diesem Punkte stattfindet und somit nicht dem Moment entspricht, in welchem in der Brusthöhle ein Unterdruck vorhand°n ist, sondern den Moment, in welchem, 176 Carlo Foa: infolge der Zusammenziehung der Bauchwandungen und der Auf- wärtsbewegung des Zwerchfells nicht nur in dem Abdomen, sondern auch im Thorax ein. Überdruck besteht. In der Fig. 2 habe ich die in Fig. 8 der Arbeit Toussaint’s abgebildete Kurve wiedergegeben, in welcher er die Registrierung der abdominalen Atmung durch die Aufzeichnung der Kaubewegungen vermittels eines an den Kiefern angebrachten Marey’schen Knopfes ersetzt hat. Wenn wir hier, wie im vorigen Fall, von dem Punkt, in welchem der Druck in der Trachea steigt, eine Senkrechte ziehen, so sehen wir, dass der Durchtritt des Ballens durch den Ösophagus und die Kaubewegungen nach diesem Punkte eintreffen und somit einer Erhöhung des intrathorakalen Druckes entsprechen. Pansen Schlund Abdom.- Atmung Fig. 3 (nach Toussaint). Ich habe noch in Fig. 3 die in Fig. 11 der Arbeit Toussaint’s abgebildete Kurve wiedergegeben. Dieselbe bestätigt die von uns bezüglich der vorigen zwei Kurven gemachte Bemerkung, indem sie nachweist, dass das Heraufsteigen des Futterballens in der Speise- röhre einem plötzlichen Sinken (a) der Bauchwandungen folst und zu der Zeit stattfindet, in welcher die Bauchwand niedrig bleibt (a—c) und infolgedessen ohne Zweifel der intraabdominale Druck erhöht ist. Aus dieser Kurve soll nach Toussaint’s Behauptung auch hervorgehen, dass im Pansen während der Rejektion kein positiver Druck auftritt. So sieht man in der Tat in der Abbildung, dass ein Marey’scher Registrierapparat, welcher mit einer an einem Ende in den Pansen eingeführten Sonde verbunden ist, während des Aufsteigens des Futters nichts aufschreibt, Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination, 177 und nur eine langsame Kontraktion ankündigt, nachdem die Rejektion stattgefunden hat. Ich muss gestehen, dass ich nicht begreife, wie hier der Schreib- Stift hat unbeweglich bleiben können, denn, wenn man auch an- nehmen wollte, dass sich die Wandungen des Pansens nicht kontrahiert haben, und dass, wie Toussaint behauptet, im Ösophagus ein aspirierendes Vakuum entstanden sei, so müsste sich doch dieser Unterdruck auf die Pansenhöhle fortgepflanzt haben, so dass das Futter aus demselben herausgetreten wäre, und dann wäre es unerklärlich, dass der mit dem Pansen verbundene Registrierapparat diesen Unterdruck nicht angezeigt hat. Man muss also annehmen, dass das untere Ende der Sonde durch den Futterbrei verstopft war und nicht funktionieren konnte, und somit nicht imstande war, die in der Pansenhöhle stattfindenden Druckänderungen auf den Schreibstift zu übertragen; dadurch verliert die Kurve und ihre Deutung durch Toussaint jeden Wert. Das Argumentum cerueis gegen die Lehre Chauveau- Toussaint’s liegt jedoch nach meiner Ansicht in der Tatsache, dass die Rejektion auch bei offener Luftröhre vor sich gehen kann. Colin teilt mit, dass bei tracheotomierten Tieren das Aufsteigen des Futterballens von einem pfeifenden Geräusch begleitet ist, welches dadurch erzeugt wird, dass die Luft aus der Öffnung der Trachea mit Gewalt heraustritt. Beweist dies nicht, dass im Inneren des Thorax ein positiver und nicht ein negativer Druck vorhanden ist? Anderseits kann in der Brusthöhle, solange die Luftröhre mit der Aussenwelt in Verbindung steht, keine Luftverdünnung entstehen, da, sobald ein solcher vorhanden wäre, von aussen Luft hineinströmen würde, und zwar viel rascher als der dieke im Pansen befindliche Futterbrei in der Speiseröhre aufsteigen könnte. Um seine Lehre auch in den Fällen von Tracheotomie zu verfechten, behauptet Toussaint, dass, während bei geschlossener Luftröhre das Zwerch- fell bei seiner Senkung die Brustwände nach unten zieht, diese da- gegen bei offenstehender Luftröhre sich ausdehnen, um das Zwerchfell bei der Erzeugung der intrathorakalen Vakuums zu unterstützen, Um dıeses Experiment zu kontrollieren, habe ich bei einem der Sehafe, welche mir zu den Versuchen, über die ich im folgenden berichten werde, dienten, durch Resektion zweier Rippen auf jeder Seite und Eröffnung der Pleura einen beiderseitigen Pneumothorax Pflüger’s Archiv für Physiologie, Bd. 133. 12 178 Carlo Foa: erzeugt. Als ich nun vermittels eines Blasebalgs eine regelmässige künstliche Atmung ausführte, beobachtete ich, dass die Rumination stattfand, und in diesem Fall war ohne Zweifel die Möglichkeit aus- geschlossen, dass dieselbe durch eine intrathorakale Aspiration her- vorgerufen war. Bevor ich auf meine Versuche, den nervösen Mechanismus zu erklären, durch welchen die Rumination stattfindet, näher eingehe, möchte ich über einige Versuche berichten, die ich angestellt habe. Versuche über die bei Schafen beobachtete spontane Rumination. Il. Versuch. Ein Schaf wurde 24 Stunden im Hungerzustande gehalten; dann wurde ihm eine reichliche Ration Heu und etwa 1 Liter Wasser verabreicht; zwei Stunden später wurde es auf den Operationstisch getragen. Während es auf den Rücken gelegt und in dem Kontentiv- apparat befestigt wird, hört man charakteristische Würgegeräusche, welchen regelmässige und hörbare Kaubewegungen folgen. Nachdem das Tier festgebunden worden ist, beobachtet man es während einiger Minuten und stellt fest, dass es sich um echte Ruminationsakte handelt, welche wahrscheinlich begonnen haben, bevor das Tier immobilisiert wurde, da der Diener des Laboratoriums behauptet, das Tier habe, während es vom Stall zum Operationszimmer geführt wurde, gekaut. Es wurde nun an der Vorderseite des Halses ein Längsschnitt ausgeführt, und nachdem die Speiseröhre blossgelegt worden war, wobei Sorge getragen wurde, die Nerven nicht zu ver- letzen, wurde dieselbe quer durchgescehnitten. Nichtsdestoweniger setzten sich die Ruminationsbewegungen regelmässig fort, und bei jedem Ruminationsakt beobachtet man, dass aus dem proximalen Ösophagusstummel eine gewisse Menge breiigen Futters herausströmt, und dass sofort danach eine Reihe von Kaubewegungen stattfindet, auf welehe eine gehörige Schluckung von Speichel folgt, welcher durch die Sehnittöffnung des distalen Ösophazusstummels heraustritt. Dann tritt ein einige Minuten dauernder Stillstand ein, welchem ein mit dem ersten identischer Ruminationsakt folgt usw. Nachdem sieben bis acht solcher Akte beobachtet worden waren, wurden dem Tier 0,2 & Morphinum muriatieum, in 50 cem physio- logischer Kochsalzlösung gelöst, langsam in die Vena saphena ein- gespritzt. Nach wenigen Minuten wurde die Atmung langsamer und Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination. 179 oberflächlich, und das Tier führte keine willkürlichen Bewegungen mehr aus, wogesen ‘der Kornealreflex fortbestand, und die Ruminationsbewegungen sich in derselben Weise fortsetzten wie vor der Morphineinspritzung. Nun wurde in den distalen Absehnitt des Ösophagus eine T-förmige Glasröhre eingeführt, so dass der in die Speiseröhre eingeführte Ast mit der Aussenluft in Verbindung stand; der dazu senkrechte Ast wurde mit einer Marey’schen Trommel in Verbindung gesetzt. Diese hatte den Zweck, die Druck- änderungen aufzuzeichnen, welche in dem distalen Abschnitt des Ösophagus im Augenblicke der Rejektion stattfanden. Der rejizierte Futterballen war aber so diek, dass die mit dem Marey’schen Apparat verbundene Partie der Röhre oft verstopft wurde, oder es wurde sogar Flüssigkeit bis in den Registrierapparat selbst gedrängt. Deshalb brachte ich an der Einrichtung einige Änderungen an, und zwar folgende: Von einer T-förmigen Röhre (7) von grossem Kaliber wurde der Ast a in den proximalen Stummel des Ösophagus eingeführt und dort befestigt; der Ast 5 wurde mit einem Gefäss r verbunden, welches zur Aufsammlung des rejizierten Bolus bestimmt war, und an den Ast e wurde eine dünnwandige Gummikappe befestigt (3). An dem Ast c wurde vermittels eines Stopfens eine Röhre (4), von 1275 180 Carlo Foä: etwas grösserem Durchmesser, angebracht, welche an dem anderen Ende dureh einen Korken verschlossen war; dieser war durchbohrt, und in das Loch wurde eine mit einem Marey’schen Apparat ver- bundene Röhre (5) eingeführt. Der grosse Durchmesser der Röhren verhinderte ein Verstopftwerden derselben durch den Futterbrei, und die Kappe (3) verhinderte, während er die Veränderungen des intra- ösophagealen Druckes auf den Marey’schen Apparat übertrug, das Eindringen von Futterteilen in diesen. Der Futterballen hatte bei seinem Heraustreten vom Pansen einen derartigen Druck, dass dieser auf den Marey’schen Apparat übertragen würde, trotzdem die weite Röhre, welche mit dem offenen Gefäss r verbunden war, offen stand, wie es wenigstens bei Beeinn des Experimentes der Fall war. Dieses Gefäss könnte anderseits dazu dienen, die T-Röhre auszu- spülen, wenn sie durch das rejizierte Futter verstopft werden sollte. An dem Abdomen des Tieres wurde ein Pneumograph angebracht; in die Luftröhre wurde eine T-Röhre eingeführt, von welcher ein Ast mit der Aussenluft und die dritte mit einem Marey’schen Registrierapparat, zwecks Aufzeichnung der Änderungen des intra- trachealen resp. intrathorakalen Luftdruckes, verbunden war. An die Kiefer wurde ein mit einem Marey’schen Registrierapparat ver- bundener Kardiograph angelegt. In den Mastdarm des Tieres wurde ein Explorator zur Aufzeichnung des intraabdominalen Druckes ein- eingeführt. Während alle diese Einrichtungen getroffen wurden, und trotz der zahlreichen Traumen, welche das Tier erlitten hatte, führte dieses noch zahlreiche Ruminationsakte aus, von welchen wir schliess- lich die in Fig. 5 wiedergegebene Kurve aufnehmen konnten. Vor der Aufnahme der Kurven wurden sämtliche Schreibstifte genau auf eine und dieselbe Vertikallinie gestellt, um die Gleich- zeitiekeit oder die Aufeinanderfolge der zu registrierenden Akte fest- zustellen. Der Kopf des Tieres zeigt ein fortwährendes Zittern, vielleicht weil er nicht ordentlich gestützt ist, und dieses Zittern überträgt sich auf den an die Kiefer angelegten Knopf. In R erfolgt die Rejektion eines grossen breiigen Bolus, welcher in der Flasche aufgefangen wird; darnach beginnt sofort: eine Reihe von Kaubewegungen. In ? tritt aus dem distalen Ösophagusstummel ein heftiger Speichelstrom hervor. Der in den proximalen Ösophagus- stummel eingeführte Explorator zeichnet die durch den Durchgang Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination. 181 des Futterballens bedingte Drucksteigerung an, und gleichzeitig be- obachtet man eine starke Hebung der Bauchwände (der Stift sinkt, wenn sich die Wände heben), was jedoch nicht ein Sinken des intra- abdominalen Druckes zur Folge hat, sondern im Gegenteil sogar aaa Bi von der durch den Explorator angeregten und durch eine plötzliche Senkung des Zwerchfells bewirkten Steigerung des Druckes ab- hängt. Der Luftröhrenexplorator zeigt keine merkbare Änderung des intrathorakalen Druckes an, was beweist, dass die Senkung des Zwerehfelles durch eine entsprechende Einziehung der Brustwände kompensiert ist. 182 Carlo Foä: In der Fig. 6 ist ein weiterer vollständiger Ruminationsakt dargestellt und in Fig. 7 ein dritter. In dieser letzteren sind die Kauakte deutlich registriert; bei der vorhergehenden konnten die- selben dagegen nicht gut aufgezeichnet werden, weil sich der Kopf 1 a Er IHRER .... Schlund Kiefer Abdom.-Atmung Mastdarm Fig. 6. des Tieres bewegte und somit auf den kardiographischen Knopf drückte; die Kaubewegungen waren jedoch hier ebenso zahlreich und enereisch wie die übrigen Male. In diesen beiden letzten Kurven finden wir, wie in der vorigen, alle die bereits beschriebenen Ele- mente und beobachten in der Trachealkurve keine besonderen Änderungen des intrathorakalen Druckes. Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination. 183 Aus diesem Experiment gehen verschiedene Tatsachen hervor, welche verdienen, hervorgehoben zu werden. In erster Linie ist es bemerkenswert, dass die Rumination, welche zugleich mit dem Experiment begonnen hatte, weder infolge Ib 1 hy _Uuul N AU RUN LLN LU — \ Trachea Schlund L ES Nr Aw, hr A ade" Y \ / Aa ji Kiefer ‘ un \ Mast- darm Fig. 7. der leichten Morphinnarkose noch infolge der zahlreichen von dem Tiere erlittenen Traumen aufhörte. Wir können infolgedessen nicht annehmen, dass es sich um willkürliche Akte handelt, und sind ge- zwungen, die ganze Reihe der beobachteten Akte unter die reflektorischen einzureihen. Die reflektorische Natur dieser Akte 184 Carlo Foä: erscheint unstreitbar, wenn man bedenkt, dass die Querdurchschneidung des Ösophagus ohne Verletzung der. Nerven, trotzdem sie das Ein- treten des Futterballens in die - Mundhöhle verhindert, doch nicht die Möglichkeit ausschliesst, dass sofort nach der Rejektion die Kauung, die Einspeichelung und das Schlucken in derselben Weise stattfinden wie bei der normalen Rumination. Um festzustellen, ob die Schluckakte nur unter der Bedingung stattfanden, dass Speichel vorhanden war, habe ich eine beiderseitige Fistel der Duetus parotidei angelegt. Es ist durch die Unter- suchungen Ellenbergers bekannt, dass während der Rumination die Absonderung der Unterkieferdrüsen aufhört, während diejenige der Ohrspeicheldrüsen sehr reichlich wird, so dass, nachdem die Duetus parotidei nach aussen hin geöffnet worden waren, im Munde nur äusserst wenig Speichel vorhanden sein konnte. Nichts- destoweniger beobachtete man nach jedem Ruminationsakte einen reichlicheren Speichelausfluss aus den (katheterisierten) Gängen, und das Kauen und Schlucken geschah gleicherweise, woraus hervorgeht, dass es zur Auslösung dieser Akte nicht notwendig ist, dass Nahrung oder Speichel in den Mund gelangen. Es handelt sich also um eine Reihe von Bewegungen, welche in einer bestimmten Ordnung aufeinander folgen, und welche alle vor sich gehen, wenn der erste von ihnen — die Rejektion — statt- gefunden hat. Der Versuch der Durchschneidung der Speiseröhre erinnert an einen ähnlichen, welchen A. Mosso!) über die Deglutition aus- geführt hat. Mosso hatte nämlich nachgewiesen, dass die Fort- pflanzung der peristaltischen Welle im Ösophagus beim Deglutitions- akt einen Punkt überspringen kann, an welchem die Speiseröhre durchschnitten ist, so dass man annehmen muss, dass die Welle sich nicht durch die Kontinuität der Muskelwände, sondern durch einen reflektorischen nervösen Mechanismus fortpflanzt. Das Ex- periment Mosso’s wurde in der Tat von Lüscher und Kronecker’?) erklärt, welche nachgewiesen haben, dass beim Kaninchen der 1) A. Mosso, Über die Bewegungen der Speiseröhre. Moleschott’s Unters. Bd. 11 S. 327. 1876. 2) Kronecker und Lüscher, Innervazione dell’ esofago. Atti della R. Accad. dei Lincei 1895 p. 360. — Lüscher, Über die Innervation des Schluck- aktes. Zeitschr. f. Biol. Bd. 35 S. 192. 1897. Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination. 185 N. laryngeus reeurrens die verschiedenen Ösophagusabschnitte durch getrennte Äste versorgt, so dass, wenn auch der Ösophagus quer durchschnitten wird, die oberhalb und unterhalb des Durehtrennungs- punktes gelegenen Partien den motorischen Anreiz durch die Ver- zweigungen des N. laryngeus recurrens nacheinander empfangen. Dieselbe Erklärung könnte für den Hund nicht gelten, weil bei diesem die Nervenversorgung des Ösophagus nach Espezel!) und nach den neuesten Untersuchungen von Kahn’) verschieden von derjenigen des Kaninchens ist. Beim Schaf habe ich dagegen nach- weisen können, dass der N. laryngeus recurrens der Speiseröhre entlang resp. parallel verläuft und derselben zahlreiche Ausläufer zukommen lässt. Nichtsdestoweniger muss die Deutung unseres Experimentes von derjenigen abweichen, welche dem Experimente Mosso’s gegeben worden ist. In der Tat handelte es sich bei diesem um peristaltische Bewegungen, zu welchen der Anreiz in den verschiedenen Abschnitten des Ösophagus von den Verzweigungen eines und desselben Nerven geliefert wurde. In unserem Fall müsste man dieselbe Übertragung von Anreizen annehmen, aber in entgegengesetzter Richtung, um eine antiperistaltische Welle ein- zuleiten. Nun fragt es sich, ob bei der Rumination tatsächlich eine antiperistaltische Kontraktion des Ösophagus stattfindet. Diese Frage wird von Toussaint ohne weiteres, d. h. ohne einen Beweis dafür zu erbringen, bejaht, während sie Mosso, Wild?®), Wild und Mellinger*) betreffs des Vomitus, welcher in dieser Hinsicht mit der Rumination eine so grosse Ähnlichkeit hat, verneinen. Ich konnte nachweisen, dass bei dem Erbrechen tatsächlich keine ösophageale antiperistaltische Welle besteht, dadurch, dass ich bei einem Hunde den Vomitus durch eine intravenöse Einspritzung von 0,01 g Apomorphin hervorrief und zu gleieher Zeit die Atmungs- bewegungen und Bewegungen zweier, durch einen (Querschnitt ohne Verletzung der Nerven getrennter Ösophagusabschnitte aufzeichnete. Die Ergebnisse dieses Experimentes sind in Fig. 3 wiedergegeben. 1) Espezel, Contrib. a l’etude de l’innervation de l’esophage. Journ. de Physiol. et Path. gen. t. 3 p. 555. 1901. 2) Kahn, Studien über den Schluckreflex. II. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1906 S. 355. „>) Zitiert von Kronecker im Kapitel „Deglutition“ des Richet’schen Dictionaire. 4) Wild und Mellinger, Pflüger’s Arch. Bd. 24 S. 244. 186 Carlo Foa: Nach der Einspritzung von Apomorphin wird die Atmung be- schleunigt und sehr oberflächlich, mit starken aktiven periodischen Exspirationen, wie aus der Atmungskurve ersichtlich ist, welche in der Weise aufgenommen wurde, dass von einer T-förmigen Röhre ein Ende ‚in die Trachea eingeführt, das zweite mit einem Marey’schen Registrierapparat verbunden und das dritte offen, d. h. mit der Aussenluft in Verbindung gelassen wurde. In den proximalen Ösophagusstummel führte ich den bereits beschriebenen Schlund, oraler Stumpf. Schlund . ; ” ; : Se " a : Ne U aboraler Su el a a va Nun Stumpf Fig. 8. Explorator ein; in den distalen Stummel führte ich das eine, mit einem dünnen Kautschukhütchen bedeckte Ende einer Glasröhre ein, welche mit Wasser gefüllt werden konnte, da sie mit einer mit Wasser halbgefüllten Flasche kommunizierte, deren oberer Luftraum mit einem Marey’schen Trommelregistrierapparat verbunden war. Bei jeder Kontraktion des Ösophagus wurde somit ein Teil des Wassers von dem Gummihütchen, resp. der Röhre, auf welcher dieses angebracht war, in die Flasche gedrängt, und der Druck wurde somit: durch die darüber stehende Luft auf den Marey’schen Registrierapparat übertragen. Es handelte sich also um ein System, das mit demjenigen, welches Ducceschi zur Aufzeichnung der Bewegungen des Magens angewendet hat, identisch ist. Dieser Explorator zeigt in unserem Fall auch die Sehluckakte an. Die Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination, 187 Kurve beginnt 2 Minuten nach der Apomorphineinspritzung; aus derselben sieht man, dass auf zwei Schluckakte zwei kurze, durch weitere vier Schluckakte getrennte Perioden von Dyspnöe folgen, und dass dann, bei fast aufgehobener Atmung, der Vomitus erfolgt, welcher durch den Explorator des proximalen Ösophagusstummels angekündigt wird. Danach wird die Atmung wieder normal — das wird auch durch diesen letzteren Explorator angezeigt, welcher auch die Änderungen des intrathorakalen Druckes angibt —, und es findet eine Reihe von Schluckakten statt. Was aber bei diesem Versuch besonders 'hervorzuheben ist, das ist die Rapidität der beiden Kon- traktionen des Magens, welche den Vomitus bewirken, und das Fehlen von Kontraktionen im distalen Ösophagusstummel im Augen- blicke des Brechaktes. Man muss somit annehmen, dass sich bei dem Brechakt keine ösophageale antiperistaltische Welle bildet, und höchstwahrscheinlich kann man für die Rumination dieselbe Annahme machen. In beiden Fällen würde somit der Futterballen nur infolge des starken vom Magen aus mitgeteilten Stosses in die Speiseröhre hinaufsteigen und ebenso wie bei dem Erbrechen noch Schluckakte erfolgen, auch wenn die Nahrung — wie bei unserem Experiment — nicht in den Mund gelangt, so erfolgen bei der Rumination Kau- akte, Speichelabsonderung und Schluckakte, auch wenn der Futter- ballen und der Speichel nicht in den Mund gelaugen. In beiden Fällen handelt es sich um eine Reihe von Akten, welche nicht in- folge einer anatomischen Kontinuität oder infolge einzelner peripherer Reize, die sie hervorrufen, miteinander verbunden sind, sondern von einem und demselben Nervenzentrum oder von mehreren mit- einander zusammenhängenden Zentren abhängen, und von welchen nacheinander die zentrifugalen Anreize für die einzelnen Teile aus- gehen, welche in Funktion treten, Nun liegt uns die Frage vor, welche Anreize die Zentren an- regen, und durch welche Bahnen ihnen dieselben zugeleitet werden; bevor wir aber zur Untersuchung dieser Frage schreiten, habe ich mich bemüht, eine der Bahnen, welche nicht nur zuführend, sondern ohne Zweifel auch ausführend ist, nämlich den N. vagus, und die Erscheinungen zu untersuchen, welche auf die Reizung des peripheren Stummels desselben folgen. 188 Carlo Foä: Reizung des peripheren Stummels des Vagus bei dem Schaf | und dem Hund. Wir haben bereits die Experimente Colin’s erwähnt, aus welchen er schloss, dass nach Durchsehneidung der Vagi die Rumina- tion unmöglich ist, und dass eine Reizung der undurelitrennten Vagi heftige Kontraktion des Pansens und des Netzmagens hervorruft. Aber die Versuche mit undurehtrennten Vagi lassen immer die Frage offen. ob die Efiekte auf die Veränderungen der zentrifugalen oder der zentripetalen Funktion des Vagus zurückzuführen sind. Bei den folgenden Experimenten wurden dieselben Methoden der graphischen Registrierung angewendet wie bei den beschriebenen Versuchen; es wurde der periphere Stummel eines durchschnittenen Vagus bei In- taktsein des anderen angereizt. 2. Experiment. Ein Schaf, welches seit etwa einer halben Stunde aufgehört hatte wiederzukäuen, wurde ösophagotomiert und tracheotomiert; dann wurde demselben ein Luftröhrenexplorator, ein Speiseröhren- explorator, ein Pneumograph um den Bauch und ein kardiographischer Knopf an die Kiefer angelegt. Die Stifte der Registrierzylinder wurden genau auf eine und dieselbe Vertikallinie gestellt. Die beiden Vagi wurden am Halse blossgelegt und durehschnitten. Der periphere Stummel von jedem wurde mit einer aus einer doppelten Platin- schlinge bestehenden .Elektrode zum Zwecke der Anreizung dauer- haft verbunden. In den Primärstrom des Induktionsapparates wurde ein Hand-Stromunterbrecher, und ein Desprez’sches Signal ein- geschaltet, dessen Schreibstift auf dieselbe Vertikallinie wie die übrigen eingestellt wurde und deu Zweck hatte, den Augenblick des Anreizes aufzuzeichnen. Der in den proximalen ‚Stummel des Ösophagus eingeführte Explorator kommunizierte mit der Aussenluft, so dass eine Erhöhung des Druckes in demselben nicht lange andauern konnte und nur zu ihrem Beginn aufgeschrieben wurde. In der Fig. 9 sind die Phänomene aufgezeichnet, welche auf drei Anreizungen des peripheren Vagusstummels folgten, von denen die zwei ersten sehr kurz, der dritte dagegen ziemlich langdauernd (die Zeit ist in Sekunden verzeichnet) war. Auf die zwei ersten Reizungen folgte eine momentane Erhöhung des intraösophagealen Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination, 189 Druckes, welcher eine Senkung unmittelbar folgte, wonach wieder ein normaler Zustand eintrat. Die Kurven des intratrachealen Druckes und der abdominalen Atmung wiesen nichts Bemerkenswertes auf. N US UN OH EE UN NIS EEE ULEUNWERSRNENN ....... Schlund Kiefer Abdom.- Atmung Fig. 9. Bei der länger dauernden Reizung verhielt sich der intraösopha- geale Druck in derselben Weise wie im vorigen Falle; beim Auf- hören der Reizung sank der Druck, wonach er wieder normal wurde, Es wurden infolge dieser langdauernden Reizung keine Veränderungen des intratrachealen Druckes beobachtet, dagegen beobachtete man anfangs eine Steigerung des Tonus der Bauchdecken, welcher dann noch während der Reizung selbst allmählich wieder normal wurde, 190 Carlo Foaä: Wovon hängt die Erhöhung des intraösophagealen Druckes bei Beginn der Reizung ab? Bekanntlich kontrahiert sich der Pansen und der Netzmagen, wenn der Vagus gereizt wird; diese Kontrak- "Sun En [N \ An Mi mb Trachea Schlund PN 2 £ . Ka BEE u 98 N a a JH Yo BR Kiefer 3 Y ; Abdom.- Atmung tionen haben aber einen peristaltischen Charakter und sind langsam, während die Erhöhung des intraösophagealen Druckes in unserem Fall eine starke und momentane war. Courtade und Guyon!?) haben beobachtet, dass die Reizung des Vagus beim Hunde eine l), Courtade et Guyon, Innervation motrice de l’estomac. Journ. de Physiol. et Path.: gen. t. 1. p: 38. 1899. ersuchungen über den Mechanismus der Rumination. 191 brüske tetanische Kontraktion der Längsfasern der gastro-Ösophagealen Gegend auslöst, und wir glauben, dass es sich in unserem Fall mehr um eine Kontraktion der gestreiften Muskulatur der der Kardia am nächsten gelegenen Ösophagus- partie handelt. Die Ösophaguswandungen bleiben während der ganzen Dauer der Reizung kontrahiert und erschlaffen, wenn diese auf- hört; da aber der Explorator mit der Aussenluft in Verbindung stand, hat derselbe in der Kurve nur das erste Steigen und dann das Sinken des Druckes bei dem Aufhören des Reizes verzeichnet. Bei dem Experiment, auf welches sich die Kurve 10 be- zieht, wurde das mit der Aussen- luft in Verbindung stehende Ende des in den proximalen Öso- phagusstummel eingefügten Ex- plorators durch einen Kork, wenn auch unvollständig, abgeschlossen, und man beobachtete, dass der den intraösophagealen Druck auf- schreibende Stift nient momentan auf Null zurückkehrt, sondern langsam, um dann die Druckver- minderung anzuzeigen, welche auf das Erschlaffen der Ösophagus- wandungen folgt. In Fig. 11 sieht man jedoch, dass nach Aufhörung des Reizes der ösophageale Explorator noch Trachea Schlund Kiefer Ahdom.- Atmung Mas‘ darın Fig. 11. eine Reihe von Erhöhungen und Senkungen des Druckes anzeigt, welche vielleicht auf aufeinander folgende Kontraktionen der Öso- phaguswände zurückzuführen sind. man eine Immobilität der Kiefer. Bei beiden Versuchen beobachtet 192 Carlo Foa: 8. Experiment. Dieser Versuch wurde, zum Vergleich mit dem vorigen, am Hunde, und zwar mit denselben Einriehtungen ausgeführt; es wurde nur die Aufzeichnung der Bewegungen der Kiefer weggelassen. In Fig. 12 sieht man, dass der Öso- phagusexplorator auch die Herzpul- sationen und die Atmungsbewegungen verzeichnet. Bei Reizung des peri- pheren Vagusstummels beobachtet man, wie bei dem vorigen Versuch, eine brüske Erhöhung des endoösophagealen Druckes; danach sinkt aber der Stift sofort herab, und zwar infolge der Elastizität unter Null. Wenn der Reiz aufhört, beobachtet man eine momen- tane und rasch vorübergehende Ver- minderung des intraösophagealen Druckes, welcher dann zur Norm zurückkehrt. Zu gleicher Zeit sieht man in der Kurve die Herzpulsationen aufhören, und während die Atmung in normaler Weise vor sich geht, wird Trachea Schlund DE AAN A Re. sie während der Reizung, infolge der ANA NN Atmung Steifigkeit der Osophaguswände, von dem Explorator nicht mehr vermerkt. In der Kurve 13 sind die Fffekte eines starken und langdauernden Reizes verzeichnet. Bei Beginn desselben beobachtet man die gewöhnlichen Erscheinungen und keinerlei Änderungen des intra- abdominalen Druckes; bei Fortbestehen des Reizes tritt aber, infolge des Herzstillstandes und der dadurch bewirkten Anämie der Nerven- zentren, eine heftige Dispnöe auf, welche auch in der durch den Mastdarmexplorator aufgeschriebenen Kurve kundgegeben wird. Auf diese Dispnöe folgt eine kompensatorische Apnöe, In der durch den ösophagealen Explorator gezeichneten Kurve ist die vor dem Auf- hören des Reizes begonnene Dispnöe infolge der Steifheit der Öso- phaguswände nicht vermerkt. Nach Aufhören des Reizes beobachtet Fig. 12. el Ä Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination. 19: man die gewöhnliche Erschlaffung der Speiseröhrenwände, und der FExplorator zeigt eine kurze Zeit auch die Atmungsbewegungen an; es tritt jedoch sofort eine neue Kontraktion ein, begleitet von Herz- stillstand, geradeso als ob der Vagus noch gereizt wäre, und erst nach einigen Sekunden erschlafft der Ösophagus von neuem, und die Kurve wird wieder normal. N Schlund Abdom.- Atmung Mast- darm Fig. 13. Aus diesen beiden Versuchen körnen wir schliessen, dass auf die Reizung des peripheren Stummels des Vagus sowohl beim Schaf wie beim Hunde eine Kontraktion der Ösophagusmuskulatur erfolgt, und dass, obwohl auch eine Kontraktion des Pansens und des Netzmagens (Colin) und der Magenwände beim Hund!) stattfindet, diese Tat- sache nicht genügt, um die Rejektion des Mageninhaltes zu bewirken. 1) Ducceschi, Archivio di Fisiologia t. 2 p. 521. 1905. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 13 194 Carlo Foa: Dazu genügt nicht die Kontraktion der Magenwände, es ist ausser- dem notwendig, dass sich die Kardia öffnet. Courtade und Guyon haben beobachtet, dass die Kardia infolge einer Reizung des Vagus, je nach ihrem Tonus im Augenblicke der Reizung, sich öffnet oder schliesst, und Marcacci!) hat nachgewiesen, dass, wenn man den Vagus reizt, die Bewegungen des Magens zum Stillstand kommen, wenn sie bereits begonnen hatten, dagegen hervorgerufen werden, wenn der Magen vorher stillstand. Im Vagus existieren somit er- regende und hemmende Fasern für die Magenwände und die Kardia, aber in unserem Fall wurde nur die Erregungsphase mit Schliessung der Kardia beobachtet. Doyon?°) hat nachgewiesen, dass dieses in der Tat die Regel ist, und dass man, um die Wirkung der hemmen- den Vagusfasern hervortreten zu lassen, dem Tier zuerst Strychnin oder Pilokarpin darreichen muss. Keine der Erscheinungen, welche die Rumination begleiten, wurde beim Schaf, selbst wenn dieses mit Curare behandelt worden war, infolge der Reizung des peripheren Stummels des am Halse durchtrennten Vagus beobachtet: weder die Rejektion der Nahrung, noch das Kauen, noch das Wieder- schlucken. Wenn es also wahrscheinlich ist, dass der Vagus bei der Rumi- nation eine Rolle als ausführende Bahn spielt, so genügt er allein nicht, um die Rumination zu bewirken, und damit diese stattfindet, muss der Reiz auf die Zentren übertragen werden, von welchen alle die koordinierten motorischen Reize ausgehen. Zwecks Anregung dieser Zentren habe ich einige Versuche über die Reizung des zentralen Stummels des am Halse dnrchtrennten Vagus ausgeführt. 4. Experiment. Einem Schaf wurde ein Explorator in die Luftröhre, ein anderer in die Speiseröhre, ein Pneumograph um den Unterleib und ein kardiographischer Knopf an die Kiefer angelegt. Der rechte Vagus wurde intakt gelassen, der linke wurde am Halse durchschnitten, und an den zentralen Stumpf wurde eine Dauerelektrode mit doppelter 1) Marcacci, Atti della Soc. Toscana di Scienza Naturali. 1885. 2) Doyon, Sur l’inhibition du tonus et des mouvements de l’estomac etc. Arch. de Physiol. 1895 p. 374. Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination. 195 Platinschlinge angelegt. Die Dauer der Reizung wurde durch ein Despretz’sches Signal notiert, welches mit einem Hand- Stromunterbrecher in den primären Stromkreis des Induktions- apparates eingeschaltet war. In der Kurve 14 sieht man, dass ein ll Sekunden dauernder schwacher Reiz keine bemerkens- werten Erscheinungen hervorruft. Wenn man den Versuch mit stärkeren Reizen wiederholt, so ruft man einen starken Schmerz hervor, welcher eine Kontraktion des ganzen Körpers des Tieres mit Auf- hebung der Atmung und Änderungen in allen Kurven zur Folge hat; dagegen ist es mir nie gelungen, durch Reize von ver- sehiedener Intensität und Dauer, weder im wachen Zustande noch nach Einschläferung des Tieres durch Morphin, Chloralose oder Chloroform, die Erscheinung der Rumi- nation hervorzurufen. Es ist durch die Untersuchung von Openckowski (siehe weiter unten) be- kannt, dass Brechweinstein dadurch als Brechmittel wirkt, dass er die zentripetalen Bahnen des Vagus und dadurch das Brech- zentrum anreizt, und Landois be- hauptet, dass man den Vomitus durch elektrische Reizung des zentralen Vagus- stumpfes hervorrufen kann. So oft ich auch den Versuch am Hunde wiederholte, ist es mir nie gelungen, durch Reizung des zentralen Stummels des einen Vagus, bei Intaktsein des anderen, das Er- brechen hervorzurufen. Wertheimer hat beobachtet, dass diese Reizung, infolge der Existenz von Hemmungsfasern , oft eine Hem- mung der Bewegungen des Magens bewirkt. Man kann also auf diesem Wege nicht nachweisen, dass die Rumination von Reizen abhängen kann, die durch die zuführenden Vagusbahnen nach den Zentren gelangen, wogegen man diesen Nachweis: vielleicht durch Reizung der Pansenschleimhaut hätte er- bringen können. Fig. 14. 13 * Schlund Kiefer b Abdom.- 4 Atmung 196 Carlo Foa: Die Effekte der elektrischen Reizung der Pansenschleimhaut und diejenigen der Einführung von Brechmitteln wurden von Aggaz- zotti!) mit negativem Erfolg untersucht; ich habe versucht, die Pansenschleimhaut durch Einführung eines starken Strahls kalten Wassers durch die Kardia anzureizen. Experimente über die Wirkung der Einführung von kaltem Wasser in den Pansen. 5. Versuch. Ein chloroformiertes Schaf wird ösophagotomiert; danach wird — wie bei Experiment 1 — ein Explorator in jeden der beiden Oso- phagusstümpfe eingeführt, ein Tracheal- und ein Rektal-Explorator und schliesslich ein kardiographischer Knopf an die Kiefer angelegt. Das in den proximalen Ösophagusstummel eingeführte T-Rohr ist an einem Ende mit dem unteren Rohr einer oben offenen Flasche ver- bunden, durch welche man unter einem gewissen Druck Wasser in den Pansen einführen kann; während des Durchfliessens des Wassers wird vermittels eines Quetschhahnes der zum Marey’schen Registrier- apparat führende Schlauch abgeschlossen, um nicht die Kurve zu verderben; dieser wird natürlich nach der Einführung des Wassers sofort wieder geöffnet. Jedesmal, nachdem ungefähr ein Liter Wasser unter hinreichen- dem Druck, in den Pansen eingeführt war, fand nach einigen Sekunden ein starkes Aufstossen dieker und schlecht gekauter Nahrung statt, und es folgte darauf eine Reihe regelmässiger Kau- und Schluckakte. Alle diese Erscheinungen sind in Fig. 15 graphisch dargestellt, in welcher — ebenso wie in Fig. 16 das Zeichen + den Augenblick anzeigt, in welchem die Einspritzung von Wasser beendigt ist. Die Atmung weist während des Ruminationsaktes nur einen kurzen Stillstand auf. Bei Fig. 16 war die Einspritzung von ungefähr 1 Liter kalten Wassers in den Pansen von einem vollständigen Ruminationsakt gefolst. In dieser Figur beobachtet man, ebenso wie in der vorigen, ein rasches Aufsteigen des intraösophagealen Druckes in dem Augen- blicke, in welchem der Ballen in die Höhe steigt, und zugleich eine in zwei Zeiten erfolgende Erhöhung des intraobdominalen Druckes, 1) A.1a..0: Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination. 197 während die Atmung nur geringe Unregelmässigkeiten aufweist. Sofort nach der Rejektion beobachtet man eine Reihe von Kauakten und dann drei Schluckakte, welche durch den in dem distalen Oso- Mast- darm Kiefer Schlund Trachea Fig. 15. phagusstummel angelegten Explorator angezeigt werden. Die Kurve der Kaubewegungen ist nicht sehr schön, weil nach der 'ersten Bewegung der Kiefer der an diese angelegte kardiographische Knopf längere Zeit eingedrückt blieb. 198 Carlo Foa: Aus diesem Versuch geht hervor, dass man bei einem chloroformierten Schaf einen vollständigen NRuminationsakt da- durch hervorrufen kann, dass man die Pansenschleimhaut durch einen starken Strahl kalten Wassers anreizt. Wahrscheinlich ist diese Wirkung mehr auf die niedrige Temperatur als auf das ver- Kiefer Schluck akt Schlund Trachea hältnismässig geringe Volumen des eingespritzten Wassers zurück- zuführen, welches jedenfalls keine grosse Dehnung des Pansens bewirken konnte. Wie ich .bereits gesagt habe, musste die Reizung der Zentren von der ‚Pansenschleimhaut selbst ausgehen, und dieses Experiment hat bessere Resultate gegeben als diejenigen, bei welchen man ver- sucht hatte, die zuführenden Bahnen längs ihres Verlaufes anzureizen. Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination. 199 Nun liegt die Frage nach der Lokalisierung des Zentrums oder der Zentren der Rumination nahe. Ist dasselbe in der Nähe des- jenigen des Herzens und der Atmung gelegen ? Bekanntlich haben diese bei den Zentren Beziehungen zu dem- jenigen des Erbrechens; in der Tat kann man durch rasche und tiefe Atemzüge das Erbrechen hemmen, und anderseits wird das Entstehen der Apnöe durch die Emetica hintangehalten (Landois). Ellenberger behauptet in seiner Beschreibung der Beegleit- erscheinungen der Rumination, dass zu diesen eine Beschleunigung der Herztätigkeit und der Atmung zu zählen ist. Gegen die An- nahme, dass diese Zentren einander nahe liegen und sich gegenseitig beeinflussen, könnte man einwenden, dass, wenn von dem Rumi- nationszentrum ein Anreiz des Vagus zur Kontraktion der Mägen ausgelöst wird, statt einer Beschleunigung eine Verlangsamung der Herzschläge erfolgen müsste. Dieser Einwand hat aber keine Berechtigung, wenn man in Betracht zieht, dass die Vagusfasern, welche der Herztätigkeit vorstehen, von denjenigen verschieden sind, die die Bewegungen des Magens beherrschen. Langley') hat in der Tat beobachtet, dass man die ersteren durch Atropin lähmen und diejenigen, welche eine Erweiterung der Kardia bewirken, anregen kann. Hiernach scheint die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass die beiden Fasergruppen bei der Rumination voneinander unabhängig wirken, was übrigens kein grosses Licht über die Lokali- sation des Ruminationszentrums verbreitet, deren Untersuchung ein noch offenes Gebiet darstellt. Schlusssätze. 1. Die Annahme von Chauveau und Toussaint, dass die Rumination durch eine intrathorakale Ansaugung erfolgt, welche die Nahrung aus dem Pansen in die Speiseröhre hineindrängt, wird auf Grund der Experimente Toussaint’s selbst und auf Grund neuerer Versuche in Abrede gestellt, aus welchen hervorgeht, dass die Rumination auch bei offenem Thorax stattfinden kann, und dass während der Rejektion der Nahrung der intratracheale und intra- thorakale Druck sich nicht ändert. 2. Die Rumination erfolgt durch eine kräftige Kontraktion des Zwerchfells, welches den Pansen und den Netzmagen komprimiert 1) Langley, On inhibitory fibres in the vagus for the end of the oeso- fagus and the stomach. Journ. of Physiol. vol. 23 p. 407, 1899. 200 Carlo Foä: Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination. und den intraabdominalen Druck erhöht, und durch eine gleichzeitige Kontraktion des Pansens. 3. Die Rumination besteht aus einer Reihe reflektorischer Akte, welche in einer bestimmten Reihenfolge stattfinden und zu einem gegebenen Zwecke koordiniert sind; diese reflektorischen Bewegungen sind, wenn sie einmal angefangen haben, der Willkür entzogen, können aber nicht beginnen, solange die zerebrale Hemmung nicht aufgehört hat. Infolgedessen stellt die Rumination zu gleicher Zeit einen willkürlichen Akt und einen Komplex reflektorischer Akte dar. 4. Bei der Rumination ebenso wie beim Erbrechen findet keine antiperistaltische Kontraktion des Ösophagus statt, und das Futter steigt, dank dem starken Ausstoss von unten, dem es ausgesetzt ist, herauf. 5. Wenn die Rumination einmal begonnen hat, so kann sie weder durch eine leichte Narkose noch durch schmerzhafte operative Eingriffe am Tiere unterbrochen werden. 6. Die Querdurehtrennung des Ösophagus und die Anlegung einer Fistel der Duetüs parotidei verhindern nicht, dass die Rejek- tion der Nahrung von den Kauakten und den Schluckakten gefolgt wird, welche bei der gewöhnlichen Rumination stattfinden, und ' welche somit, um zustande zu kommen, nicht einer direkten Reizung der Mundschleimhaut durch die Nahrung oder den Speichel be- dürfen. 7. Es existieren also ein oder mehrere Zentren der Rumina- tion, von welchen alle die Akte abhängen, die mit derselben zu- sammenhängen. 8. Die zuführenden Bahnen dieser Zentren müssen wenigstens zum Teil im N. vagus gelegen sein; es gelingt jedoch nieht durch direkte Reizung des zentralen Stummels des einen Vagus, bei In- taktsein des anderen, die Rumination herbeizuführen. Dagegen kann man eine Anregung der Zentren bewirken und die Rumination her- vorrufen dadurch, dass man die Pansenschleimhaut durch einen Strahl kalten Wassers reizt. 9. Auch die ausführenden Bahnen müssen zum Teil im N. vagus gelegen sein, welcher auf den Pansen und den Netzmagen eine motorische Wirkung ausübt; eine Reizung des peripheren Vagus- stummels allein genügt aber nicht, um die Rumination herbei- zuführen. 201 (Aus dem Institut für Physiologie der Universität Turin. [Vorst. Prof. A. Mosso.|.) Beitrag zur Kenntnis der Rumination!). Von Dr. A. Agsgazzotti, Dozent und Assistent. (Mit 8 Textfiguren.) Man hat lange geglaubt, die Rumination sei auf eine einfache Kontraktion der ersten zwei Mägen zurückzuführen. Diese Annahme stützte sich hauptsächlich auf eine bekannte Beobachtung Colin’s°), dass nach Durchtrennung der beiden Vagi keine Ruminationsakte mehr stattfinden können, weil infolge dieser Operation die Kon- traktionen des Pansens und des Netzmagens aufhören. Danach sollte der N. vagus bei der Rumination die grösste Rolle spielen; als man aber diesen Akt durch die Reizung dieses Nerven hervorrufen wollte, fiel der Versuch negativ aus. Ellen- berger?®) hatte beobachtet, dass man durch Reizung des peripheren Vagusstumpfes nur eine Kontraktion des Pansens und des Netz- magens, aber keine Rumination hervorruft. Um den Mechanismus dieses in der Verdauung der Wiederkäuer so wichtigen Aktes zu erklären, haben Chauveau und Toussaint*) angenommen, dass die Rejektion der Nahrung nicht von einer Kontraktion des Pansens sondern von einer intrathorakalen Aspiration abhinge, bewirkt durch eine Senkung des Zwerchfells bei geschlossener Glottis. Auch diese Erklärung von Chauveau und Toussaint konnte aber vor der experimentellen Kritik nicht bestehen, da 1) Ins Deutsche übertragen von Dr. med. K. Rühl, Turin. 2) Colin, Traite de Physiologie Comparee p. 690. 3) Ellenberger, Vergleichende Physiologie der Haussäugetiere, I. Teil, S. 734. 4) Toussaint, Application de la methode graphique & la determination du mecanisme de la rumination. Arch. de Physiol. norm. et pathol. 1875 p. 141. 202 A. Aggazzotti: Colin beobachtet hatte, dass die Rejektion der Nahrung auch bei tracheotomierten Tieren stattfand, bei welchen kein starker negativer intrathorakaler Druck bei Kontraktion des Zwerchfelles entstehen konnte, weil die Luft ohne weiteres in die Lungen einströmen und das Gleichgewicht des Druckes wieder herstellen konnte. Foä hat dann neuerdings, indem er die Schwankungen des intrathorakalen und intraabdominalen Druckes während des Ruminationsaktes eines Schafes graphisch aufzeichnete, festgestellt, dass die vermutete Aspiration nieht stattfindet, sondern im Gegenteil eine Steigerung des intra- trachealen und intraabdominalen Druckes nachweisbar ist. Obwohl die Reizung des peripheren Vagusstummels eine Kon- traktion des Pansens und des Netzmagens hervorruft (Ellenberger), so kann sie eine Rejektion und Rumination nicht herbeiführen, weil sie gleichzeitig die Sehliessung des Ösophagus durch eine Kon- traktion der Ringmuskelfasern hervorruft. Das kann man durch folgendes Experiment leicht nachweisen: Einem Schaf werden 0,20 g Morphin und 5 g Chloralhydrat in die Vena safena eingespritzt; wenn das Tier eingeschlafen ist, wird es tracheotomiert und in die Luftröhre eine T-förmige Glasröhre ein- geführt, von welcher ein Ast mit der Aussenluft und ein anderer mit einem Marey’schen Trommelregistrierapparat verbunden ist, welcher die Schwankungen des Druckes der Atmungsluft aufzeichnet. Demselben Tier wird der Ösophagus am Halse quer durchschnitten und in den proximalen Stummel ein besonderer Explorator !) ein- geführt, welcher mit einem anderen Marey schen Registrierapparat verbunden, die Änderungen des intraösophagealen Druckes registriert, ohne dass es durch die rejizierte Nahrung verstopft werden kann. Der Ösophagus ist mit der Aussenluft nicht verbunden und bildet mit dem Explorator und den Mägen ein geschlossenes System. Der rechte N. vagus wird durchgeschnitten und der periphere Stummel mit einem elektrischen Ekzitator mit doppelter Platin- schlinge verbunden, welcher in den Induktionsstromkreis eines nach Einheiten graduierten Kronecker’schen Schlittens eingeschaltet wird. Um den Augenblick zu fixieren, in welchem die Reizung statt- findet, wird in den ‚primären Stromkreis ein Desprez’sches Signay eingeschaltet. Il) ©. Foä, Untersuchungen über den Mechanismus der Rumination. Pflüger’s Arch. Bd. 133 S. 171. 1910. Beitrag zur Kenntnis der Rumination. 203 Die Schreibstifte der mit der Trachea und dem Ösophagus ver- bundenen Registrierapparate und derjenige des Desprez’schen Signals werden genau auf eine und dieselbe Vertikallinie gestellt. In Fig. 1 stellt die obere Linie die Kurve der Zeit (in Sekunden), die zweite die Kurve des Desprez’schen Signals, deren Stift im Augenblicke des Anreizes sinkt, die dritte die Kurve der Schwankungen des intratrachealen Druckes und die vierte diejenige der Schwankungen des endoösophagealen Druckes dar. Sobald der Nerv gereizt wird, beobachtet man ein rasches Steigen des intraösophagealen Druckes, welchem, sobald der Strom unterbrochen wird, ein rasches Sinken folgt. In der Trachea be- obachtet {man keine bemerkbaren Druckänderungen. Bei diesem Versuch wirkt der Reiz tetanisierend, da der Wagner’sche Strom- unterbrecher funktionierte und die Entfernung zwischen den beiden Spulen 500 Einheiten betrug. Das rasche Steigen des Druckes hängt von einer Kontraktion der gestreiften Fasern des Ösophagus ab, welche sich während der ganzen Reizungsdauer in einem fast voll- ständigen Tetanuszustande befinden; das allmähliche Sinken des Stiftes, welches man während des Tetanus beobachtet, ist wahrschein- lieh auf Luftundichtigkeit des Systems zurückzuführen. 204 A. Aggazzotti: Wenn man an Stelle der tetanisierenden Ströme Induktions- ströme mit einer geringeren Zahl von Unterbrechungen anwendet, so beobachtet man nicht eine tetanische und einzige Erhöhung des intraösophagealen Druckes, sondern mit den Kontraktionen des Ösophagus und den elektrischen Reizen synchronische Schwankungen des Druckes. In Fig. 2 ist dieser zweite, bei einem Hund ausgeführte Ver- such wiedergegeben; die Kurven sind in der umgekehrten Reihenfolge angeordnet, nämlich von oben nach unten, wie folgt: Desprez’sches Signal, Ösophagus, Zeit (!/s Sekunde). Es fehlt die Trachealkurve. Öso- phagus Zeit 1/; Min. Beim Schaf finden zuweilen auch spontane Kontraktionen der Ösophagusmuskulatur statt, ohne dass das Tier besonderen Reizungen ausgesetzt ist. Diese spontanen Kontraktionen des Ösophagus sind nieht immer auf Ruminationsakte zurückzuführen, weil sie nicht von der Rejektion von Nahrung und von den anderen Akten beeleitet sind, wie Kaubewegungen und Erhöhung des intraabdominalen Druckes, welche das komplexe Geschäft des Wiederkäuens charak- terisieren. In Fig. 3 sind gerade einige dieser spontanen Kontraktionen des Ösophagus aufgezeichnet. Das Schaf ist wie bei dem ersten Versuch narkotisiert, und es werden mit den bereits beschriebenen Vorkehrungen die Schwankungen Beitrag zur Kenntnis der Rumination. 205 des intraösophagealen (zweite Kurve) und des intratrachealen (dritte Kurve) Druckes aufgezeichnet. Auf die Kiefer des Tieres wird ein Kardiographenknopf angelegt, welcher mit einem anderen Marey- schen Registrierapparat verbunden ist (erste Kurve), und in den Mastdarm ein Explorator eingeführt, welcher auf den Markier- stift eines anderen Registrierapparates die Schwankungen des intraabdominalen Druckes (vierte Kurve) überträgt. Wie aus den Kiefer DI N Kurven der Fig. 3 ersiehtlieh ist, tritt hin und wieder eine Kon- traktion der Ösophagusmuskulatur, verbunden mit einer plötzlichen Erhöhung des intraösophagealen Druckes ein, aber die Kiefer be- ginnen nicht sofort danach die Kaubewegungen, und es findet keine Änderung des intraabdominalen und intrathorakalen Druckes statt. Der zweiten in den Kurven von Fig. 3 wiedergegebenen spontanen Kontraktion des Ösophagus geht eine Verminderung des intraösopha- gealen und intratrachealen Druckes voraus, welche wahrscheinlich von einer starken Senkung des Zwerchfells abhängt. 206 A. Aggazzotti: Die geringen Erhebungen in der oberen Kurve entsprechen leichten Bewegungen des Kiefers, welche das Tier ausführt, wenn es schluckt. Wenn man den peripheren Stummel des N, vagus reizt, so tritt, wie gesagt, eine Kontraktion des Pansens und des Netzmagens ein; in der entsprechenden Kurve der Fig. 1 konnte der Explorator die Öso- phagus Pansen Zeit 1/5 Min, Fig. 4. Erhöhung des Druckes im inneren dieser beiden Mägenfnicht auf- sehreiben, weil die Kontraktion der gestreiften Fasern des Ösophagus und der Kardia die Verbindung zwischen dem Pansen und dem Ösophagus unterbrach. Bei einem anderen Versuch, welchen ich mit einem Schaf aus- geführt habe, um die auf eine Reizung des Vagus folgende Kon- traktion der Ösophagusmuskulatur und diejenige des Pansens getrennt aufzuschreiben, habe ich zwei verschiedene Exploratoren, den einen in die Speiseröhre und den anderen in den Pansen eingeführt. Der Beitrag zur Kenntnis der Rumination. 207 Explorator des Pansens war nach der gewöhnlichen Methode mit Gummi- hütehen eingerichtet, welche zur Aufzeichnung der Schwankungen des Druckes im Ösophagus angewendet wird. Nachdem der Bauch ge- öffnet und ein Einschnitt in die Wand des ersten Magens auf der Mittellinie ausgeführt worden ist, wird die Röhre des Explorators in den Pansen eingeführt und vermittels einer Schnur mit seinen Wänden verbunden. In Fig. 4 stellt die obere Linie die Kurve der Ösophagus- kontraktion, die untere diejenige der Kontraktion des Pansens dar; sobald ein Reiz (Kronecker’scher Schlitten, 5000 Einheiten) auf den peripheren Stummel ausgeübt wird, beobachtet man die gewöhnlichen Kontraktionen der Ösophagusmuskulatur, welche synehronisch mit den Reizen sind; dann beginnt, etwas in Verspätung, die Kontraktion des Pansens, und der Markierstift des Registrierapparates erhebt sich langsam, führt einige Schwankungen aus und kehrt dann, lange Zeit nachdem der elektrische Reiz aufgehört hat, langsam zur Ruhe- lage zurück. Die raschen Schwankungen des Druckes im Ösophagus hängen von Kontraktionen der gestreiften Muskelfasern ab, die lang- samen Druckschwankungen im Pansen von den Kontraktionen der glatten Fasern seiner Wände. Bei der Aufnahme einiger Kurven habe ich beobachtet, dass auch im Pansen während des Höhepunktes der Kontraktion rasche Schwankungen des Druckes stattfinden, welche wahrscheinlich von Kontraktionen der gestreiften Fasern der Kardia abhängen. Wenn man die Schwankungen des Druckes im Ösophagus und im Pansen bei Reizung des peripheren Vagusstummels genauer untersucht, so sieht man, dass sie voneinander gänzlich unabhängig sind, d. h. dass die Erhöhung des Druckes im Innern des Pansens nicht den Ösophagusexplorator beeinflusst. In der Fig. 4 beobachtet man, dass, während die Kontraktion des Pansens noch fortbesteht, der Markierstift des Ösophagusexplorators schon zur Ruheposition zurückgekehrt ist. Zuweilen beobachtete man sogar, dass, während im Pansen eine bedeutende Erhöhung des Druckes wahrnehmbar war, im Ösophagus eine starke Senkung des Druckes stattfand (Fig. 5); diese Erscheinung ist wichtig, weil sie bestätigt, dass während der Reizung des peripheren Stummels des Vagus eine vollkommene Schliessung der Kardia stattfindet. In Fig. 5 sehen wir, dass nach der ersten raschen Erhöhung des intraösophagealen Druckes, welche eintritt, sobald der erste 208 A. Aggazzotti: elektrische Reiz den Vagus trifft, der Druck im Ösophagus sinkt, während die Reize fortdauern, und die mit den Reizen rhythmischen Kontraktionen seiner Fasern von dem Stift des Registrierapparates während des Sinkens aufgeschrieben werden. Das Sinken des intra- Öso- phagus ‚ Pansen Zeit 1/5 Min. Fig. 5. ösophagealen Druckes trifft mit der Kontraktion des Pansens zu- sammen; wenn dieser wieder erschlafft und der Druck in seinem Innern sinkt, wächst der Druck im Ösophagus, und der Stift hebt sich. Diese Erscheinung können wir nicht erklären ohne anzunehmen, dass die Schliessung der Kardia während der ganzen Periode der Beitrag zur Kenntnis der Rumination. 209 Reizung fortbesteht und auch nach derselben fortdauert. Der Pansen übt dann, indem er sich kontrahiert, einen Zug auf den Ösophagus aus, und bewirkt dadurch eine Verminderung des Druckes in dem- selben. Flourens hatte bereits bei Kälbern beobachtet, dass, wenn die Kontraktion des Pansens stattfindet, die Ösophagusöffnung nach unten gezogen wird und sich dem Blättermagen nähert. Bei den Wiederkäuern ist die kardiale Ösophagusöffnung in besonderer Weise gestaltet und bildet die Ösophagusrinne; Fig. 6 stellt eine Photographie der Ösophagusrinne eines Schafes dar, welehe aufgenommen wurde, nachdem ein grosser Teil des Pansens weit aufgeschnitten und entfernt worden war. Unten links sieht man den Labmagen, oben den Blättermagen und den Netzmagen; diese drei Mägen sind nicht geöffnet worden Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 14 210 A. Aggazzotti: und sind von der Seite des serösen Überzuges sichtbar. Mehr nach oben und in einer nach dem Beschauer zu aus der Bildfläche hervor- tretenden Ebene sieht man die zottige Schleimhaut des Pansens mit der Ösophagusrinne; ganz oben befindet sich der letzte Ösophagus- abschnitt. Die Ösophagusrinne besteht aus zwei grossen, glattfaserigen Muskelsträngen, welche vom Blättermagen ausgehen, einen Teil des Netzmagens und des Pansens durchsetzen und an der Ösophagus- öffnung sich trennen und eine andere Richtung annehmen, um sich in Form eines Gürtels um die Ösophagusmündung zu legen. Unter normalen Bedingungen ist beim Schaf die Ösophagusrinne offen und der Ösophagus kommuniziert mit den Mägen, wie aus folgenden Tatsachen hervorgeht: wenn man in den Ösophagus eines Schafes eine Kanüle einführt und diese mit einer Wasser enthaltenden Flasche verbindet, sieht man, dass die Flüssigkeit in den Pansen einfliesst, auch wenn der Niveauunterschied ein minimaler ist. Wenn man das Schaf in einen von Cyon’schen Kontentionsapparat be- festigt und es so umdreht, dass der Kopf nach unten gerichtet ist, so entleert der Pansen nicht sofort die ganze Flüssigkeitsmenge, die er enthält, sondern es tritt aus demselben ein mit den Atmungs- bewegungen synchronischer schwacher Flüssigkeitsstrahl heraus, welcher die dunkle Farbe der in Suspension enthaltenen Nahrungs- stoffe aufweist; wenn das Tier mit dem Kopf nach oben gestellt wird, so hört dieser Flüssigkeitsstrahl auf. Wenn man in die Ösophagusröhre Wasser giesst und langsam die Lage des Tieres ändert, so beobachtet man, dass die Flüssigkeit nicht in den Pansen eintritt, solange die Ösophagusmündung sich unterhalb des Niveaus der Kardia befindet; dass aber, wenn man sich der horizontalen Lage nähert, ein Augenblick kommt, in welchem die Flüssigkeit in den Magen eintritt, gerade so als ob die Kardia keinen Widerstand leistete. Ein weiterer Beweis für das dauernde Öffenstehen der Kardia beim Schafe ist uns durch die Kurven 4 und 5 geliefert: die Schwankungen des intraösophagealen Druckes, welche bei jedem Inspirationsakt stattfinden, hängen von den Bewegungen der flüssigen Masse im Pansen ab, welche bei jeder Senkung des Zwerchfells einen Druck erfährt; diese Schwankungen sind gross, wenn sich der Inspirationsakt vollzieht, und nehmen während der Exspiration all- mählich ab, um bei der nächsten Einatmung von neuem anzufangen. Beitrag zur Kenntnis der Rumination. 211 Wir müssen infolgedessen annehmen, dass normalerweise die Schlundrinne offensteht und sich nur schliesst, wenn der Vagus ge- reizt wird. Danach begreift man, dass kein Hinaufstossen des Futters stattfinden konnte, wenn der Vagus gereizt wurde, und dass Colin infolge von Reizung des Vagus das Futter nicht durch die Kardia und den Ösophagus, sondern durch eine künstlich angebrachte Öffnung des Pansens heraustreten sah. Wir haben gesehen, dass, wenn ein Schaf mit dem Kopf nach unten gelegt wird, bei jedem Respirationsakte der Inhalt des Pansens durch den Ösophagus heraustritt; wenn man, während sich das Tier in dieser Lage befindet, den peripheren Stumpf des einen Vagus reizt, so hört der Flüssigkeitsausfluss sofort auf, und zwar solange die Reizung dauert. Ich habe oft beobachtet, dass die Verbindung zwischen dem Pansen und dem Ösophagus, auch nachdem die Reizung des Vagus aufgehört hatte, noch lange unterbrochen blieb, so dass man entweder an eine Art Krampf der Ösophagusmuskulatur denken oder annehmen muss, dass die zwei Muskelstränge der Schlundrinne nach der Reizung nahe bei einanderbleiben und wie ein Ventil funktionieren. Der N. vagus soll aber nicht nur die Kardia verengernde Fasern, sondern nach Langley auch erweiternde Fasern enthalten, welche dieser Autor durch folgenden Versuch nachgewiesen hat. Nachdem ein Hund durch Äther oder Chloroform eingeschläfert und beide Vagi durehgeschnitten waren, wurde das Tier ösophago- tomiert und der proximale Stummel mit einem vertikalen graduierten Rohr verbunden. Als er in diese eine Salzlösung goss, sah er, dass keine Flüssigkeit in den Magen eindrang, weil die Kardia geschlossen war, und dass nur, wenn der Niveauunterschied zwischen der Kardia und der Oberfläche der Flüssigkeit 20 em übertraf, der Druck die Tonizität des Sphinkters überwand und ein Teil der Lösung in den Magen eintrat; und dass sich das Gleichgewicht wieder einstellte, wenn die Höhe der Flüssigkeitssäule auf 20 em zurückgegangen war. Wenn der periphere Vagusstumpf gereizt wurde, stieg das Niveau der Flüssigkeit infolge einer Kontraktion des Ösophagus in die Höhe. Nun behandelte Langley das Tier mit Curare, um die motorischen Nervenendigungen im Ösophagus zu lähmen, und mit Atropin, um die hemmenden Fasern des Herzens zu lähmen, ohne jedoch bis zur Lähmung der glatten Muskelfasern zu kommen; unter diesen Bedingungen sieht man, sobald der Vagus gereizt wird, 14* 212 A. Aggazzotti: dass die Flüssigkeit in der Glasröhre sinkt und, da sich der Sphinkter geöffnet hat, in den Magen eindringet. Daraus schliesst Langley, dass der N. vagus auch erweiternde Fasern enthält. Man muss hier erwähnen, dass Opemkowski 1883 im Vagus des Kaninchens Fasern entdeckt hat, welche von den Streifenhügeln ausgingen, und deren Reizung eine Kontraktion des Pylorus und die Öffnung der Kardia bewirkte. Es erschien mir interessant, mit einem Schafe das Experiment Langley’s zu wiederholen, um festzustellen ob, nachdem durch Curare-Vergiftung die motorischen Nervenendigungen in den Muskeln des Ösophagus und der Kardia gelähmt worden sind, eine Reizung des peripheren Vagusstumpfes die Öffnung der Schlundrinne, be- gleitet von der Rejektion des Futters und eventuell von einem kompletten Ruminationsakte, bewirkte. ‘Zu diesem Zwecke habe ich folgenden Versuch angestellt. Einem Sehafe wurde ein Explorator in den Ösophagus und einer in den Pansen eingeführt; danach wurde der linke -Vagus durchsehnitten und an den peripheren Stumpf desselben ein FExzitator mit Platin- schlinge angebracht. Dem Tier wurden dann 10 cem von einer 0,5 /oigen Curarelösung (von welcher 0,5 ccm einen Frosch in 25 Minuten immobilisieren) in die Vena saphena eingespritzt. Das Gift wirkte nicht sofort, und das Tier atmete noch 20 Minuten spontan weiter. Eine Reizung des Vagus rief eine starke Kon- traktion des Ösophagus und des Pansens hervor. Die aufgezeichneten Kurven sind den in Fig. 4 und 5 wiedergegebenen ähnlich. Nach 20 Minuten trat die Wirkung des Curare ein, und es wurde die künstliche Atmung ausgeführt. Eine Reizung des Vagus rief keine Kontraktionen des Ösophagus mehr hervor, und der Druck im entsprechenden Explorator blieb un- verändert (Fig. 7), während die glatte Muskulatur des Pansens nicht reagierte und der Druck in diesem zunahm. Das Tier war aber noch nicht gelähmt, und hin und wieder beobachtete man noch spontane Respirationsakte, welche der Schreibstift des ösophagealen Explorators dureh plötzliche Senkungen aufzeichnet. Der Schreibstift des Pansen- explorators zeigt die spontanen Respirationsakte durch rasche Er- hebungen an, da das Zwerchfell bei diesen spontanen respiratorischen Bewegungen sich senkt und dadurch eine Abnahme des intrathora- kalen Druckes und eine Kompression im Abdomen bewirkt. Beitrag zur Kenntnis der Rumination. 313 Da das Tier nicht vollständig gelähmt ist, erfolgt während der Reizung des Vagus noch die Schliessung der Kardia, und die Kon- traktionen des Pansens beeinflussen nicht den ösophagealen Explo- rator. Wenn einmal das Tier gänzlich gelähmt ist, bewirkt die Reizung des Vagus eine Kontraktion der glatten Muskelfasern des Pansens und des Netzmagens, und der Ösophagusexplorator zeigt eine Druck- ()30- phagus Pansen zunahme an, und zwar gleichzeitig mit dem Magenexplorator, weil nun der Ösophagus und der Pansen miteinander kommunizieren. In der in Fig. 8 wiedergegebenen Kurve hat der Schreibstift des Ösophagusesplorators die durch die künstliche Atmung bewirkten Drucksehwankungen nur unvollständig aufgezeichnet. Im Gegensatz zu dem, was man auch unter diesen Versuchs- bedingungen hätte erwarten sollen, ruft eine Reizung des N. vagus keine Rejektion hervor. Die ersten zwei Mägen fahren fort, sich zn kontrahieren, es gelingt ihnen aber nicht, ihren Inhalt durch die 214 A. Aggazzotti: offenstehende Kardia hinaufzudrängen. Dies hängt meines Erachtens davon ab, dass infolge der Curarevergiftung alle gestreiften Muskel- fasern gelähmt sind, samt denjenigen des letzten Ösophagusabschnittes und denjenigen, welche sich auf dem Grunde des ersten Teiles der Schlundrinne befinden, und diese kann nicht mehr funktionieren. Wenn nämlich infolge des elektrischen Reizes die Kontraktion der aus glatten Fasern bestehenden Pfeiler. der Schlundrinne stattfindet, Öso- phagus Pansen Zeit [f/5 Min. {ee} Fig. so können sich diese infolge der Lähmung der gestreiften Querfasern der Rinne nicht einander nähern, und das Futter, welches sich zwischen den Labiis der Schlundrinne befindet, wird nicht, wie es normalerweise bei der Rumination der Fall ist, durch den Ösophagus hinaufgestossen, sondern fällt in das Innere des Pansens. Bevor wir aber zur Erklärung des komplizierten Mechanismus der Wiederkäuung schreiten, müssen wir einiges über die Reize an- führen, welche unter normalen Bedingungen einen Ruminationsakt Beitrag zur Kenntnis der Rumination. 215 hervorrufen können, und über die Bahnen, welche eventuell diese Reize zu den oberen Nervenzentren leiten. Welche Reize gewöhnlich das oder die Zentren des komplexen Ruminationsaktes zur Tätiekeit anregen, wissen wir nicht, ebenso- wenig wie wir die Natur der Reize kennen, welche das Hungergefühl erzeugen; ebenso wie dieses muss die Rumination von einer inneren Gefühlsempfindung beherrscht werden, welche das Tier bis zu einem gewissen Grade überwinden kann. Auch wissen wir nicht mit Sicherheit, durch welehe Bahnen der Reiz sich fortleitet. Jedenfalls ist das Intaktsein des N. vagus für die Rumination unentbehrlich; dieser Nerv kann aber eıne Fort- leitungsbahn sowohl für zentrifugale wie für zentripetale Reize dar- stellen, und auch die Tatsache, dass man durch Reizung des zentralen Vagusstumpfes keine Rejektion hervorruft, genügt nicht, um die Möglichkeit auszuschliessen, dass unter normalen Bedingungen andere geeignetere Reize durch die Vagusbahn nach den Ruminationszentren gelangen. Bekanntlich ist es nieht möglich, beim Hunde durch Reizung des zentralen Vagusstumpfes das Erbrechen hervorzurufen, während dies durch direkte Reizung der Magenschleimhaut in der Nähe der Kardia gelingt [Bulatowiez!), Muratori?)]. Das kann man hingegen nicht durch zentrale Reizung des Vagus und Öffnung der Kardia erzielen, und zwar infolge der von Wertheimer beschrie- benen Hemmungsphänomene. Beim Schaf bleibt die Kardia stets zum Teil offen, muss sich aber bei der Rumination weiter öffnen, um das rasche Hinaufstossen des Futters zu erlauben; so haben wir in der Tat gesehen, dass bei einem mit dem Kopf nach unten liegen- den Schaf der breiige Inhalt des Pansens in kleinen, mit den Re- spirationsakten syncehronischen Wellen heraustritt, aber nicht so reichlich wie bei der Rumination. Das Zentrum der Erweiterung der Kardia soll nach Opem- bowski im Streifenhügel und die zuführenden Bahnen in den Vagi gelegen sein. Es ist sicher, dass der Kardia bei der Erzeugung des Vomitus 1) Bulatowicz, De partibus, quas nervi-vagi in vomitu agunt. Diss. Dorpat 1358, zit. von Muratori. Archivio di fisiologia vol. 6 p. 145. 1909. 2) L. Muratori, Effetti delle stimolazioni elettriche e meccaniche sulla mucosa gastrica. Archivio di fisiologia vol. 6 p. 145. 1909. 216 A. Aggazzotti: eine wichtige Rolle zukommt. Die Experimente von Schiff!) sind bekannt, welcher, als er beim Hunde einen Finger durch eine Magenfistel einführte und im Augenblick des Erbrechens die Kardia betastete, fühlte, wie sich diese infolge einer Kontraktion der vom Ösophagus nach der Kardia ausstrahlenden Längsfasern aktiv er- weiterte: nach Durchschneidung dieser Fasern war der Vomitus un- möglich. Tantini?) hat das bekannte Experiment Magendie’s wiederholt, welcher den Magen eines Hundes durch eine Schweine- harnblase ersetzt hatte, und beobachtet, dass, wenn die Kardia nicht vom Ösophagus getrennt wurde, das Erbrechen infolge von Ein- spritzung eines Emeticums trotz der Wirkung der Bauchpresse nicht stattfinden konnte, weil die Kardia geschlossen blieb. Beim Erbrechen bewirkt somit ein von der Magenschleimhaut ausgehender Reiz eine Reihe koordinierter reflektorischer Akte: Kontraktion der Bauehwandungen, Kontraktion des Magens, Öffnung der Kardia, Schliessung der Rachen- und Nasenhöhle und der Glottis, eine Kontraktion der Uvula, welehe das Eindringen des hinauf- gestossenen Futters in die Choanae zum Teil oder ganz verhindert. Diese ganze Reihe von Akten erinnert an die allerdings von diesen verschiedenen, jedoch in einer bestimmten Reihenfolge vor sich gehenden und zu einem einzigen Zweck miteinander koordinierten Akte, welche man bei der Rumination beobachtet. Und auch hier müssen wir, ebenso wie beim Vomitus, versuchen, die Zentren auf dem Wege der natürlichen zuführenden Bahnen zu reizen, weil wir kein Medikament kennen, welches sie direkt anregen könnte. Vielleicht beteiligt sich bei dem Ruminationsakt auch der Simpathieus, welcher nach Courtade und Guyon?) beim Hunde auf reflektorischem Wege die Erweiterung der Kardia bewirken kann. Um einige Klarheit über diese Zuführungsbahnen der Reize bei der Rumination zu gewinnen, müssen wir untersuchen, welche Wirkung auf eine Stimulation der Pansenschleimhaut und besonders in der Gegend der Kardia folgt. 1) Schiff, zit. im Lehrbuch der Physiologie von Luciani Bd. 1 S. 685 ff. 2) Zit. im Lehrbuch der Physiologie von Luciani Bd.1 S. 685. 3) Courtade u. Guyon, L’innervation motrice de l’estomac. Journal de Physiol. et Pathol. gen. t.1 p. 38. 1899. Beitrag zur Kenntnis der Rumination. 21 -1 Direkte Stimulation der Pansenschleimhaut. Ein Schaf wird im von Cyon’schen Kontentivapparat befestigt, und ohne es einzuschläfern, wird dem Tier eine breite Öffnung in die Bauchwand und in den Pansen gemacht. Der Apparat wird so gedreht, dass das Tier in eine horizontale normale Stellung kommt; es wird durch die gemachte Öffnung der ganze Inhalt des Magens entfernt und letzterer durch einen Wasserstrahl ausgespült. Nach- dem das Schaf wieder in die Rückenlage gebracht worden ist, werden die Ränder der Magenwunde an diejenigen der Hautwunde befestigt und die Öffnung durch eine Spreizvorriehtung klaffend gehalten. Es wird somit die Innenfläche des grössten Teiles des Pansens sichtbar, und in der Tiefe sieht man die Gegend der Kardia und eine Partie der Schleimhaut des Netzmagens. Um die ver- schiedenen Regionen auf elektrischem Wege zu reizen, führte ich einen Arm in den Pansen ein und brachte mit der entsprechenden Hand einen Exzitator mit Platinspitzen in Berührung mit der zu untersuchenden Schleimhaut. Der faradische Strom wurde von einem Ostwald’schen Akkumulator in Verbindung mit einem Dubois-Reymond’schen Induktionsapparat geliefert. Ich erhielt folgende Resultate. Auf jede elektrische Stimulation der Schleimhaut des Pansens und des Netzmagens folgt eine Kontraktion der Magenwände; diese Reaktion ist aber nicht immer gleich stark, sondern am stärksten, wenn die Schleimhaut in der Nähe der Kardia gereizt wird. Wenn die Schleimhaut in der Gegend der Scehlundrinne gereizt wird, nähern sich, wie bereits Colin!) beobachtet hatte, die Lippen, und die obere Öffnung des Blättermagens nähert sich derjenigen der Kardia; die Kontraktion ist eine rasche und kurzdauernde. Bei keinem meiner Versuche durch direkte Reizung der Schleimhaut gelang es mir, Schluckakte und Wiederkäuungsakte hervorzurufen ; die Rejektion konnte nicht stattfinden, weil der Magen leer war. Wenn man einen Finger in die Schlundrinne einführte und zu gleicher Zeit die Schleimhaut in der Gegend der Kardia reizte, so bekam man deutlich den Eindruck einer energischen Kontraktion der Stränge und fühlte zu gleicher Zeit, wie sich das Infundibulum des Ösophagus bei jedem Anreiz schloss; dadurch erklärt sich ge- nügend das Fehlen des Hinaufstossens von Futter. Colin, 1. c-T. 129.698. 218 A. Aggazzotti: Colin hat durch Reizung der Gegend der Schlundrinne bei einem Tier mit gefülltem Pansen ein Neuaufstossen von Futter durch den Ösophagus bewirkt, ohne jedoch einen echten Ruminationsakt mit Wiederkäuen und Schlucken zu erziehen. Die mechanischen Reize hatten dieselbe Wirkung wie die elektrischen und erwiesen sich unfähig, die Rumination oder auch nur das Erbrechen hervorzurufen. Um die Schleimhaut mechanisch zu reizen, strich ich mit den Fingern auf den verschiedenen Gegenden derselben wiederholt hin und her. Bei einigen Versuchen habe ich auch durch die Öffnung der Kardia eine Sonde eingeführt und versucht, den letzten Abschnitt des Ösophagus zu reizen, jedoch stets mit demselben negativen Re- sultat. Nur in den Fällen, wo der Pansen übermässig mit Futter gefüllt ist, scheint man bei Rindern den Vomitus dadurch hervor- rufen zu können, dass man eine Weidenrute in den Hals einführt und die Schleimhaut des Pansens durch Streichbewegungen reizt !). Bei diesen Experimenten habe ich beobachtet, dass sowohl bei der Stimulation der Schleimhaut durch elektrische Ströme als auch durch mechanische Reize das Tier keine Schmerzerscheinungen aufwies und unempfindlich schien. Man muss aber berücksichtigen, dass bei den Versuchen die Bedingungen sehr verschieden waren von denjenigen, unter welchen sich das Tier befindet, wenn es spontan aufängt wiederzukäuen; vielleicht würde man, wenn man die Experimente unter günstigeren, den normalen sich mehr nähernden Bedingungen wiederholte, be- friedigendere Resultate erzielen. Schliesslich möchte ich erwähnen, dass Colin einem Kalb eine weite Pansenfistel angelegt, einen Arm in den Magen eingeführt und die Schleimhaut in der Nähe der unteren Öffnung des Ösophagus mit der Pinzette gezwickt und beobachtet hat, dass das Tier: „s’est mis A ruminer quatre ou ceing bols de suite“ ®). Bezüglich dieses Versuches muss man jedoch bemerken, dass, wenn es sich um eine wirkliche Rumination handelte. d. h. um ein Hinaufstossen des Futters mit allen übrigen Akten, welche zum Wiederkäuen gehören, dieselbe von dem Zwicken der Schleimhaut unabhängig sein Konnte, weil das Tier schon die Rumination spontan eingeleitet hatte, und das Wiederkäuen, wenn es einmal begonnen hat, ein unwillkürliches 1) J. Toggia, Della ruminazione e digestione dei ruminanti p. 83. Torino 1819. Druck von Ved. Pomba e figli. 2), Colin, 1. c#T. Ip. 706. Beitrag zur Kenntnis der Rumination. 219 Geschäft darstellt und trotz der tiefsten operativen Traumen fort- fährt, wie Foä nachgewiesen hat. Experimente über die Wirkung der Brechmittel bei den Wiederkäuern. Um festzustellen, ob es möglich sei, die Zentren der Rumination direkt zu stimulieren, habe ich einige Versuche über die Wirkung des Apomorphins und des Brechweinsteines beim Schaf ausgeführt. Die intravenöse Einspritzung von Apomorphin bewirkt beim Schaf weder Erbrechen noch Rumination. Flourens hat nach- gewiesen, dass die Wiederkäuer durch Einspritzung von Emetieis nicht zum Erbrechen gebracht werden, weil diese Mittel heftige Kontraktionen des Labmagens, aber nieht der übrigen Mägen her- vorrufen, so dass das Heraustreten des geringen flüssigen Inhaltes des Labmagens durch die übrigen Mägen in unüberwindlicher Weise verhindert ist. Dies bestätigt die Meinung Opemkowski’s!), dass das Apomorphin direkt auf die Nervenzentren einwirkt, und dass die Bahnen, durch welche es den Vomitus hervorruft, nicht im Vagus, sondern im Rückenmark gelegen sind, da sonst das Apomorphin auch die Kontraktion des Pansens und des Netzmagens herbeiführen würde. Der Labmagen ist auch mit einigen Verzweigungen des Vagus versorgt, reagiert aber auf die elektrische Stimulation dieses Nerven nur wenig durch schwache Kontraktionen. Aus diesen Versuchen kann man noch die weitere Schluss- folgerung ziehen, dass, wenn bei den Wiederkäuern ein durch Apo- morphin anregbares Brechzentrum vorhanden ist, dieses von dem- jenigen der Rumination verschieden ist, auf welches das genannte Medikament. keine Wirkung hat. Opemkowski ist aber der An- sicht, dass beim Hunde kein einheitliches Brechzentrum existiert, und dass, während das Apomorphin auf die Zentren einwirkt und dabei der Anreiz durch die Rückenmarksbahnen weitergeleitet wird, der Brechweinstein dagegen auf reflektorischem Wege wirkt und dabei der Reiz durch die Vagi geleitet wird, nach deren Durch- schneidung kein Erbrechen mehr möglich ist. Bei den Versuchen, die Rumination hervorzurufen, muss man also den Brechweinstein und nicht das Apomorphin anwenden. Bei einem ersten Experiment wurden 5 & Brechweinstein, in 100 cem Wasser gelöst, durch den durchtrennten Ösophagus ein- 1) Opemkowski, Zentralbl. f. Physiol. 1839 S. 7. 220 A. Aggazzotti: gespritzt; es wurde aber kein Zeichen von Erbrechen oder Rumi- nation beobachtet. Es muss hier aber bemerkt werden, dass der Pansen eine beträchtliche Menge Zucker enthielt, und dass dieser Umstand eine derartige Verdünnung des Medikaments herbeigeführt haben konnte, dass es unwirksam wurde. Bei einem zweiten Versuch liess ich das Schaf 48 Stunden hungern und injizierte dann vermittels einer durch den Mund ein- geführten Sonde 10 g Breehweinstein, in 1 Liter Wasser gelöst, in den Pansen. Diese Operation war ganz wirkungslos, und das Tier frass danach begierig Gras, was die Annahme nahe lest, dass es auch nieht einmal Übelkeit empfand. In den Stall zurückgeführt, war das Tier eine Stunde später noch am Fressen und befand sich ganz wohl. Am nächsten Morgen wurde es tot gefunden. Dies ist wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass nach einer gewissen Zeit der Inhalt des Pansens in die anderen Mägen und in den Darm übergegangen war, wo die grosse Menge Brechweinstein resorbiert wurde und das Tier tötete. Der Pansen besitzt in der Tat kein ausgesprochenes Resorptionsvermögen, und sein Inhalt ist immer sehr flüssig (S0—90 °/o Wasser). Wenn wir nun erklären wollen, wie normalerweise bei der spontanen Rumination die Rejektion des Futters geschieht, müssen wir einen komplexeren Mechanismus annehmen, als eine einfache Kontraktion des Pansens oder des Netzmagens, oder dieser beiden Mägen zu gleicher Zeit, wie es nach den alten Theorien von Duverney, Peyr, Perault, Daubenton!) der Fall sein sollte. Ebenso ist die Deutung Colin’s?) unvollkommen, wenn er annimmt, dass der Pansen und der Netzmagen durch ihre gleichzeitige Kon- traktion „poussent vers l’orifice inferieure de l’&sophage l’une des aliments tres delag6s, l’autre des lequides“ und dass „l’esophage se reläche et leur offre une dilatation infundibuliforme dans laquelle ils s’engagent“ und dass danach „il se referme aussitot et &prouve une contraetion antiperistaltique qui le porte de bas en haut vers la ceavit& buceale“. Colin legt der Kontraktion des Zwerchfells keinen grossen Wert bei, welche Foä während des Ruminationsaktes energisch und rasch hat stattfinden sehen, und nimmt eine anti- peristaltische Kontraktion des Ösophagus an, welche nicht nachge- l) Zit. bei Colin in seinem Lehrbuch Bd. 1 S. 701. 2), Co lin? Al cr Bd.-ES.705: Beitrag zur Kenntnis der Rumination. 231 wiesen ist und wahrscheinlich nicht existiert. An dem Ruminations- akte soll sich nach dem französischen Gelehrten nur der untere Ösophagusabschnitt beteiligen, welcher sich triehterförmig öffnet, um den Mageninhalt zu empfangen und ihn dann im Augenbliek der Kontraktion nach dem Munde hinzudrängen; die Schlundrinne soll hiernach nur dazu dienen, die Flüssigkeiten und das wiedergekäute Futter nach dem dritten und vierten Maeen zu leiten. Aus den von uns ausgeführten Versuchen hahe ich die Über- zeugsung gewonnen, dass die Schlundrinne sich in einer aktiveren Weise an dem Rejektionsakte beteiligen müsse, und dass ohne die- selbe die Kontraktion des Pansens, des Netzmagens und des Zwerch- fells, selbst unter Zuhilfenahme der Kontraktion der Bauchmuskeln, nicht genügt, um bei der Rumination die Rejektion des Futters zu bewirken. Der erste, der der Schlundrinne eine grosse Bedeutung bei dem Wiederkäuen zuschrieb, war Peyer!). Perrault?) be- hauptet, der Anschauung Peyer’s beitretend, dass der Schlundrinne die Aufgabe zufällt, unter der im Pansen enthaltenen Futtermasse den nicht gut gekauten Teil herauszusuchen, mit ihren Labris zu sreifen und nach oben zum Maul hin zu drängen und ihn dann, nach der zweiten Kauung, in den Netz- oder in den Blättermagen hinzuleiten. Später hat Flourens?) der Sehlundrinne die Funktion beigelegt, den Futterballen zu bilden, welcher dann durch die Kon- traktion der ersten beiden Mägen nach dem Maul gedrängt wird. Um diese Annahme Flourens’ zu widerlegen und nachzuweisen, dass die Schlundrirne sich nieht an dem Ruminationsakt beteiligt, sondern nur dazu dient, das bereits wiedergekäute Futter und die eingeführten Flüssigkeiten in die beiden letzten Mägen zu leiten, hat Colin mit vier Nahtstichen mit Draht die Lefzen der Schlund- rinne so vernäht, dass die freien Ränder miteinander in Berührung kamen und nur die Enden der Schlundrinne offen blieben, und be- obachtet, dass bei Kälbern nach dieser Operation die Rumination ebensogut wie vorher möglich war. 1) Merycologia Conradi Peyeri medici, seu de ruminantibus et rumi- natione, commentarius, zit bei Toggia,]. c. S. 18. 2) Perrault, Essais de Physique 1680. (Euvres diverses de physique et me&canique, t.2 p. 437. Leyde 1721. 3) Flourens, Mem. d’anatomie et physiologie comparees p. 5l. Paris 1844. Colin, ]. c. t.1 p. 702. 2323 A. Aggazzotti: Meines Erachtens genügt dieser Versuch Colins nicht, um eine aktive Beteiligung der Schlundrinne an der Rumination in Ab- rede zu stellen, da bei diesem Experiment die Schlundrinne ja gerade in die Lage gebracht wurde, besser funktionieren zu können, wie wir sehen werden. Der Boden der Schlundrinne besteht aus einer oberflächlichen Schicht von glatten Fasern und einer tiefen Schicht von quer angeordneten glatten und gestreiften Fasern; die oestreiften Fasern sind eine Fortsetzung der gestreiften Fasern des Ösophagus, und während sie nach der Kardiaöffnung zu zahlreich sind, fehlen sie im unteren Teil fast gänzlich. Infolge der Kontraktion dieser Querfasern nähern sich die Lefzen der Schlundrinne. Die beiden dieken Muskelstränge, welche die Seiten der Schlundrinne bilden, sind ausschliesslich aus glatten Längsfasern gebildet, welche, wenn sie sich kontrahieren, eine Verkürzung der Rinne selbst be- wirken. Das Endresultat der gleichzeitigen Kontraktion aller dieser (uer- und Längsmuskelfasern wird ein Verschwinden oder wenigstens eine bedeutende Verkleinerung der Schlundrinnenhöhle sein. Bei der Rumination spielen sich wahrscheinlich folgende Akte ab: der Pansen und der Netzmagen fangen an, sich zu kontrahieren und füllen mit ihrem Inhalt die Schlundrinne; darauf folgt eine rasche und energische Kontraktion dieser letzteren, welche das Futter, welches sie enthält, mit Gewalt in den Ösophagus drängt. Im Augenbliek der Kontraktion der Schlundrinne senkt sich das Zwerech- fell, die Bauchmuskeln ziehen sich zusammen und bewirken dadurch eine starke Erhöhung des Druckes im Inneren der Mägen. Wenn die Kontraktion der Schlundrinne stattfindet, kann das in dieser enthaltene Futter nicht wieder in den Pansen fallen, weil die Lefzen aneinandergelegt und die Rinne geschlossen ist; das Futter ist ge- zwungen, nach der Kardia und dem Ösophagus hinaufzusteigen, weil es in dieser Richtung einen geringeren Widerstand findet. Es ist wahrscheinlich, dass, wie es beim Erbrechen der Fall ist, ebenso bei der Rumination im Moment der Rejektion die Kardia sich durch eine Kontraktion der Längsfasern aktiv erweitert und somit das Eindringen des Futters in die ösophageale Röhre erleichtert. Auch Colin war, wie wir gesehen haben, der Meinung, dass der letzte resp. unterste Teil des Ösophagus sich ver der Rejektion triehterartig öffnet; er glaubte aber, dass sich der Ösophagus danach kontrahierte, um das Futter nach dem Maul zn drängen, und es wäre in diesem Fall nicht begreiflich, warum das Futter während Beitrag zur Kenntnis der Rumination. 223 der Kontraktion nicht wieder in den Pansen fallen sollte, welcher im Augenblick der Rejektion, obwohl kontrahiert, nie ganz mit Futter gefüllt ist, sondern immer reichlich Luft enthält. Bei dem Experiment von Colin, welches wir beschrieben haben, bestand die ösophageale Röhre auch nach Vernähung der Lefzen der Schlund- rinne weiter, weil die Querfasern der Basis nicht kontrahiert waren, und sie konnte sich auch füllen, da die Enden der Schlundrinne offen standen, so dass es leicht begreiflich ist, dass die Rumination trotz allem stattfinden konnte. Dieser Versuch Colins schliesst die Funktionierung der Schlundrinne nicht aus; es genügt nicht, die beiden Lefzen aneinander zu legen; um die Mitwirkung der Schlund- rinne zu verhindern, muss man ihre Höhle ganz abschaffen oder, noch besser, hindern, dass sich die beiden Lefzen im Augenblick der Kontraktion einander nähern können. Bei den Tieren, bei welchen die Schlundrinne fast auschliesslich aus einer einzigen Lefze gebildet ist, wie es beim Kamel und beim Lama der Fall ist, wird es für die Rumination notwendig sein, dass die Rinne unter Mitwirkung der Magenwand gebildet wird; da wir aber keine genügenden anatomischen Daten über die Struktur der Kardia und der Sehlundrinne bei diesen Tieren gefunden haben, würde es zwecklos sein, Annahmen machen zu wollen. Natürlich ist es zur Herbeiführung der Rejektion bei der Ru- mination notwendig, dass die verschiedenen Teile des Ösophagus, der Schlundrinne und der Mägen in geordneter und koordinierter Weise in Wirkung treten, und man begreift, dass die Reizungen des peripheren Vagusstumpfes oder die direkten Reizungen der Schleim- haut der Mägen, da sie keine geeigneten Reize sind, wirkungslos auf das Vorsichgehen der Rejektion bleiben können. Die Rejektion des Futters durch den Ösophagus bei einem Schaf, welches spontan wiederkäut, erfolst in Form von getrennten Ballen und nicht in kontinuierlichem, langem Strom; das ist sehr gut mit einer plötzlichen Kontraktion der Schlundrinne vereinbar, aber nicht mit einer langsamen Zusammenziehung der Wände der beiden ersten Mägen. Wir haben des weiteren bei unseren Versuchen gesehen, dass, wenn man den peripheren Stumpf des Vagus reizt, die letzte Strecke des Ösophagus sich kontrahiert, und die Lefzen der Schlundrinne sich nähern. Diese Kontraktion kann lange dauern und sich sogar längere Zeit nach dem Aufhören des Reizes hinziehen (Fig. 4). DD 24 A. Aggazzotti: Beitrag zur Kenntnis der Rumination. Wenn bei der spontanen Rumination die Lefzen der Schlundrinne eine gewisse Zeit, nachdem sie durch ihre energische Kontraktion das Futter für die Wiederkäuung nach dem Munde gedrängt haben, aneinandergefügt bleiben, /so werden sie das zum zweiten Mal geschluckte Futter nach dem Blättermagen und dem Labmagen leiten können, ohne es in den Pansen und den Netzmagen fallen zu lassen. Schlussfolgerungen. 1. Beim Schaf steht die Kardia. normalerweise offen und die Mägen kommunizieren zum Teil mit dem Ösophagus. 2. Eine Reizung des peripheren Vagusstumpfes hat die Schliessung der Kardia zur Folge. 5. Die Schliessung der Kardia im Augenblicke der Reizung des Vagus kann das Fehlen der .Rejektion und Rumination nicht er- klären, denn dieses Fehlen beobachtet man auch, wenn das Tier mit Curare vergiftet ist und die verengernden Fasern der Kardia nicht mehr auf den Anreiz reagieren. 4. Durch die elektrische und mechanische Reizung der Schleim- haut der beiden ersten Mägen ruft man Kontraktionen der Wand- muskulatur hervor, ohne jedoch die Rejektion und Rumination herbeizuführen; die direkte Reizung der Schleimhaut in der Nähe der Kardia bewirkt die sofortige Schliessung dieser und der Schlund- rinne. 5. Das Apomorphin und der Brechweinstein rufen bei den Wiederkäuern weder die Rejektion noch die Rumination hervor; diese Stoffe sind infolgedessen auf das Zentrum oder die Zentren der Rumination wirkungslos. 6. Die Schlundrinne funktioniert nicht nur wie ein Leitungs- kanal für das wiedergekäute Futter und die Flüssigkeiten, sondern wirkt wahrscheinlich bei der Rumination in aktiver Weise mit, indem sie zur Rejektion des Futters beiträgt. DD D or (Aus dem Institut für experim. Pharmakologie der Universität Lemberg. Direktor: Prof. Dr. L. Popielski.) Über den Einfluss von Curare auf die Verdauungsdrüsen (Speicheldrüse, Pankreas) und die Gerinnungsfähigkeit des Blutes. Von Fr. Czubalski, Assistent des Institutes. Curare ist, wie bekannt, in chemischer Beziehung kein genau erforschter Körper. Es ist eine harte, braungefärbte Masse, die auf näher nicht bekannte Weise von den Bewohnern Südamerikas aus der Rinde und den Wurzeln gewisser Stryehnosarten bereitet wird. Die verschiedenen Curarearten, die sich im Handel befinden, unter- scheiden sich nicht nur durch das äussere Aussehen (Tubo-Curare, Calabassen-Curare, Topf-Curare), sondern auch durch ihre chemische Zusammensetzung, was die verschiedene Wirkungsstärke und den oft ungleichartigen pharmakologischen Effekt auf den tierischen Organismus erklärt. Der Bestandteil des Curare, von welchem die Wirkung auf die motorischen Nervenendigungen abhängt, ist von Böhm als das Alkaloid Curarin erkannt und chemisch genau be- stimmt worden. Wenn wir im Curare die Gegenwart des Curarins und in chemischer und physiologischer Beziehung ihm verwandter Alkaloide berücksichtigen, so werden wir in dem übrigen Teil der Substanz ein Gemisch von chemischen Verbindungen haben, deren Wirkung auf den tierischen Organismus noch erheblich sein kann. Die Hauptwirkung des Curare resp. des Curarins auf den tierischen Organismus ist die Lähmung der motorischen Nervenendigungen in den quergestreiften Muskeln. Es ist das jedoch nicht der einzige Effekt des Curare; bei subkutaner und noch mehr bei Injektion direkt ins Blut tritt eine ganze Reihe von Veränderungen in den physiologischen Funktionen der verschiedenen Organe auf. Die Er- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 15 226 Fr. Czubalski: regbarkeit des Nervensystems wird deutlich erhöht, was in unzwei- deutiger Weise bei subkutaner Injektion am Frosch gezeigt werden kann, dem vorher die Haut und die Blutgefässe eines Beines en masse unter dem Plexus lumbalis abgebunden wurden; in diesem Falle bewirkt die leiseste Berührung einen vollkommen gleichartigen Tetanus wie beim Strychnin. In der Blutzirkulation treten sehr erhebliche Veränderungen auf. Schon im Jahre 1885 stellte Kobert!) die starke Erweiterung der Blutgefässe an isolierten Organen unter der Wirkung von Curare fest. Weitere Beweise in dieser Richtung lieferte Tillie?), der überdies eine genaue Analyse zur Erklärung des Mechanismus der Blutdrucksenkung und Gefässerweiterung durchführte. Bei kleinen und mittleren Gaben von Curarin ergibt sich Blutdrucksenkung, die sich schnell wieder ausgleicht; dagegen kehrt nach grossen Dosen der stark gesunkene Blutdruck meist nicht mehr zur Norm zurück. Während des Stadiums der Blutdrucksenkung lässt sich der Blut- druck weder durch Reizung der Gefühlsnerven noch des Rücken- markes selbst, wie auch nicht des peripheren Endes des durchge- schnittenen Nervus splanchnieus erhöhen, was beweist, dass eine vollständige Lähmung des peripheren vasomotorischen Apparates vor- liegt. Tillie?), der in diesem Zeitabschnitte noch Blutdrucksteigerung durch Injektion von BaCl], erhielt, gelangt zu der Überzeugung, dass Curarin die Endigungen der vasomotorischen Nerven lähmt. Die Tätigkeit des Herzens unterliegt bei kleinen Curaredosen keiner Veränderung, grössere dagegen erzeugen Beschleunigung der Herz- tätigkeit, was der Ausdruck der Lähmung der Endigungen der Herz- bemmungsnerven ist. Böhm?) lenkte ausserdem die Aufmerksam- keit auf die sogenannte paradoxe Tätigkeit des N. vagus unter dem Einflusse der Curarinvergiftung. Diese Erscheinung beruht darauf, dass während der Lähmung die Endigungen der Herzhemmungsnerven durch Reizung des peripheren Vagusendes Beschleunigung der Herz- aktion bewirkt werden kann und nach Ablauf einiger Zeit Erhöhung des Blutdruckes. Daraus schliesst Böhm, dass im Stamme des N. vagus drei Arten von zentrifugaleun Nervenfasern verlaufen: herz- hemmende (die unter dem Einflusse von Curare gelähmt werden), 1) Kobert, Lehrbuch der Intoxikationen Bd. 2 S. 1181. 1906. 2) Arch. f. experim. Path. u. Pharm. Bd. 27 S. 1. 1890. 3) Arch. f. experim. Path. u. Pharm. Bd. 4 S. 351. 1875. Über den Einfluss von Curare auf die Verdauungsdrüsen etc. 2327 die Herztätigkeit beschleunigende (die nicht gelähmt werden) und vasomotorische. Ausser den beschriebenen Erscheinungen beobachteten die Forscher Tränen- und Speichelsekretion [Beck!), Pawlow?)]. Cl. Bernard erhielt durch direkte Injektion von Curare in die Drüsen den sogenannten paralytischen Speichelflus. Nach Paschutin?), Drozdow?°), Lesser?) und Tarchanow°) be- wirkt Curare Lymphsekretion; Tscehirwinskij?°) hält die Lymph- absonderung jedoch als bedingt durch mechanisches Ausdrücken infolge der künstlichen Atmung. Weiter notieren die Autoren heftige Darmperistaltik besonders gegen Ende des Lebens bei dem vergifteten Tiere, ferner Zuckerausscheidung und schliesslich Pupillenerweiterung die H. Mayer*) als Ausdruck einer Lähmung der Endigungen des N. oculomotorius auffasst. Da viele der Autoren nicht mit reinem Curarin, sondern mit Curare arbeiteten, ergibt sich die Frage, welche von den beobachteten Erscheinungen dem ersteren zukommen, und welche von anderen unbekannten Bestandteilen des Curare abhängen. Bei Anwendung von Curare zu experimentellen Zwecken beob- achtete ich bisher nicht bekannte Erscheinungen und beschloss daher, mich näher mit ihrer Analyse zu beschäftigen und gleichzeitig die chemische Natur des Körpers, der diese Erscheinung hervorruft, zu erforschen. Sämtliche Versuche nahm ich an Hunden, denen ich Kanülen in Fisteln der Glandula submaxillaris und des Pankreas ein- führte, vor. Die linke A. carotis war mit dem Kymographion ver- bunden; die Injektionen wurden in eine Vena jugularis oder femoralis vorgenommen. Sämtliche Hunde, mit Ausnahme von einem, dem das Rückenmark unter der Medulla oblongata durchschnitten war, waren mit Chloralhydrat narkotisiert (es wurden 0,2 g pro 1 kg Gewicht des Tieres iu 10 °/oiger Lösung in die Vena eingeführt). Zu den Versuchen benutzte ich einerseits seit über 10 Jahren im Institute befindliches Calabassen-Curare oder auch reines Curarin. 1) A. Beck, Untersuchungen über die Innervation der Speicheldrüsen. Verhanrdl. der Akad. der Wissensch. in Krakau. 1898 Bd 35 (math.-philosoph. Abteilung). 2) Joh. Pawlow, Über die reflektorische Hemmung der Speichelabsonderung. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 16 S. 272. 188. 3) Nach Kobert, Lehrbuch der Intoxikationen. Bd. 2 S. 1181. 1906. 4) H. Meyer, Arch. f. experim. Path. u. Pharm. Bd. 32 S. 103. 1893. 15 * 298 . Fr. Czubalski: I. Versuch vom 28. Oktober 1909. Männlicher Hund von 17 kg Gewicht. Pankreas- und Speichelfistel. Flüssigkeitsniveau in der Röhre Zeit |Blutdruck der Fistel | Blut ineinem in mm Hg der Pankreas- | or Glandula Feagenzglase Bemerkungen fistel ., . ‚aufgefangen, nr submaxillaris gerinnt nach 159 20.1) 20) 1.54 98 20 alas 12’ 00’ 759 20 22 756 21 60 1 Einführung von5cem 757 )) 115 3%/oiger Öurarelös, minimum ) 37 Künstliche Atmung. Da u 20 18337 °% 38 (Röhrchen- 2.2 ei =>) wechsel — 10) 3 Ehen = Sl 130) 55 0: |BES5808 801 1654 73 I Nee 8.02 180.12 II ae S 03 190) 10 Io oem: 3.04 204) 11 Sunens (Röhrchen- 29230 wechsel — 100) TEE5 = 8 05 114 Ik SE R8% 8 07 EN 1 338%: 8 08 132 1 Bassme In diesem Versuche sehen wir die bisher nicht beobachteten Erscheinungen von Pankreassekretion und Aufhebung der Blut- serinnungsfähiekeit, sowie die bereits beschriebene Erscheinung der Speichelsekretion. Offenbar ergibt sich hier die Frage, ob diese Effekte nicht von der Erstiekung des Tieres infolge der Lähmung der Atemmuskeln abhängen. Vor allem ist hervorzuheben, dass die künstliche Atmung unmittelbar nach der Curarininjektion vorgenommen wurde, und weiterhin, dass der Blutdruck, der bei der Erstickung steigt, hier von 98 mm He auf 25 herabsank; dabei begann das Absinken 10"—15" nach der Injektion, was offenbar gegen eine derartige Vermutung spricht. Weiterhin zeugt die rote Farbe des Blutes ebenfalls dafür, dass die Atmungsfunktionen des Tieres mit Hilfe der künstlichen Atmung vollkommen normal vor sich ging. Interessant ist, dass 4’ nach 1) Die Zahlen zeigen das Flüssigkeitsniveau in der Röhre an. 100 Teil- striche = 1 cem. Über den Einfluss von Curare auf die Verdauungsdrüsen etc. 3239 der Injektion entnommenes Blut noch nach 14 Stunden flüssig war, wobei eine deutliche Trennung des Serums von den Blutkörperchen auftrat. II. Versuch vom 3. November 1909. Männlicher Hund 10 kg Gewicht, vorbereitet wie im Versuch 1. Flüssigkeitsniveau in der Röhre der Fistel der Glandula Zeit Blutdruck der _ submaxillaris au Bemerkungen inmm Hg |Pankreas- links. Durch- fistel rechts | es 17% W tympani 3 56 581) 17) 3 11 338 a nn 359 54 58 24 6 11 || a H}e) >65 4 4 02 58) 0 40) 3 11 4 02Y/2| J ) 2) 11 3 a ee: 4 03 |Yach7“ beginntdie| 58 3 1 TER ZA Drucksenkung nach =Q 0 ap) 11 406 (Promenger kan | 38) 12 00) 0 1 dauernder Druck- [A] 14 DD 0 11 4 06 SSrIeSL Une. Mininom 84] 6 66 0 11 nac < a LAND r 1% le 4.09 10er 11 4 10 104) &| #7 11 411 105) 3 | 67 11 4 12 103% 7.10.67 11 4 13 109) 1 68 11 4 14 110) 1 | 68 11 4 15 111 68 11 Beide Versuche ergaben eine sehr wichtige Tatsache, nämlich dass ausser Blutdrucksenkung unter der Curarewirkung 2’ nach der In- jektion eine Pankreassekretion erfolgt, die 6’ anhält, sowie Tränen- fluss und Speichelabsonderung, jedoch nur auf der Seite mit erhaltener Chorda tympani, der etwa nach 20” beginnt und im ganzen 2’ anhält. Zur weiteren Analyse der von mir beobachteten Erscheinungen war es notwendig, sich zu überzeugen, ob reines Curarin nicht einen ähnlichen Effekt hervorruft. Zu diesem Zwecke führte ich folgenden Versuch aus: 1) Die Zahlen zeigen das Flüssigkeitsniveau in der Röhre an. 100 Teil- striche —= 1 ccm. 230 Fr. Czubalski: III. Versuch vom 5. November 1909. Männlicher Hund von 10 kg Gewicht, vorbereitet wie in Versuch I. Flüssigkeitsniveau i.d. Röhre Blut der Fisteld.Glan- | in einem Zeit Blutdruck der |dula submaxill. | Reagenz- A Bemerkungen inmm Hg |Pankreas- links. Durch- Bar auf- 5 fistel n schneidung gelangen, ? N rechts | der Chorda [serinntnach h e | tympani 116 109... 5° | 0 | | 5’ 40" = 117 57 10,001. a5 0 118 192.21. 9.8 0 119 10 Da 0 | Einführung v.3 ccm 0,1%oig. Curarinlös. 1 20 | Nach kurzdauernder 10 5 0 Drucksteigerung in T ho91- 121 der 25” beginnt die 10 5 0 ei a ae Blut gerinnt 1 3° 30“ erreicht. 10 5 0) nach 123 100520 1 24 4 10 | Di 0 [9 = | 1929 10 I 0 Um 1h 29° 1929 entnommenes | | Blut gerinnt | | nach 2° 00” Wie ersichtlich, bewirkt reines Curarin bei intravenöser Injektion weder Absonderung von Pankreassaft noch von Speichel, die Ge- rinnungsfähigkeit des Blutes hebt sie nicht nur nicht auf, sondern erhöht sie im Gegenteil: das Blut gerann in der Norm nach 5’ 40”; nach Curarin dagegen schon nach 2—3". Im folgenden IV. Versuche benutzte ich grössere Dosen von Curarin. IV. Versuch vom 9. November 1909. Hund von 12 kg Gewicht, der 14 ccm 0,1°/oiges Curarin intravenös erhielt. Der Blutdruck, der in der Norm 69 mm Hg betrug, begann nach einer an- fänglichen leichten Steigerung nach 15” zu sinken und fiel allmählich bis auf 12,5 mm Hg in der 2’ 10” ab. Pankreasabsonderung trat nicht auf, der Speichel rückte auf der Seite der erhaltenen Chorda tympani einmal um 20 Teilstriche vor in 30”. Veränderungen in der Gerinnungsfähigkeit des Blutes ergaben sich nicht. Die Speichelabsonderung ist in diesem Versuche in deutlichem Zu- sammenhange mit der Gehirnanämie als Folge der starken Erniedrigung des Blut- druckes. Sie ist, wie aus dem Versuche hervorgeht, zentralen Ursprunges. Sämtliche oben angeführten Erscheinungen nach Einführung von Curare werden auch ebenso nach Durchschneidung des Rückenmarkes 1) Die. Zahlen zeigen das Flüssigkeitsniveau in der Röhre an. 100 Teil- striche = 1 ccm. Über den Einfluss von Curare auf die Verdauungsdrüsen etc, 231 unter der Medulla oblongata erhalten, was der folgende Versuch beweist. V. Versuch vom 23. März 1910, Männlicher Hund von 9 kg Gewicht. Pankreasfistel. Durchschneidung 20) des Rückenmarkes unterhalb der Medulla oblongata. 3°o frisch bereitete Curare- lösung. | 18 Baer Blut ineinem - ste Zeit Blutdruck | Flüssigkeits- Reagenzglas Bemerkungen in mm Hg | niveau | aufgefangen, Hedi ‚in der Röhre gerinnt nach I 6 51 193!) 5° 15” 6 52 24 193 6 53 194 6 54 | 194 Einführung in die Vena femoralis von #2 ccm | 30/oiger Curarelösung. 6 55 Nach Ban DLUGE 218 56 S eıgerung b a ung 275 | Um 65h 56° Dal ars der 28. | (Röhrchen- | entnommenes Blut Minimum: 10 | 0 | gerinnt nach 8° 00“ wechsel =17) 6 57 80 6 58 130 659 174 700 207 701 232 1702 247 Um Th 02’ (Röhrchen- So enen Bht: & __ogy nach 15° schwimm wechsel —38) im flüssigen Blute ein kleines lockeres Gerinnsel 703 40 704 40 Die genaue Abhängigkeit der Speichel- und Pankreassekretion von der Blutdrucksenkung trat in deutlicher Weise bei der zweiten Injektion der gleichen Curaremenge hervor. Der Blutdruck sank von 16 mm Hg kaum um 1 mm, wobei weder Pankreas- noch Speichelsekretion auftrat. Auf diese letzte Erscheinung gehe ich näher ein, da die Tätigkeit der Speicheldrüsen unter dem Einflusse von Curare den Gegenstand der Untersuchungen mehrerer Autoren war. Wie oben bereits gezeigt, fällt der Beginn der Speichelsekre- tion in den Zeitraum der starken Blutdrucksenkung, d. i. die Sekretion beginnt 20—25” nach dem Momente der Einführung von Curare. Die Absonderung dauert kurze Zeit nur 2—3’, dann hört l) Die Zahlen zeigen das Flüssigkeitsniveau in der Röhre an. 100 Teil- striche = 100 ccm. 292 Fr. Czubalski: sie plötzlich auf, was vollkommen den Charakter einer Hemmung darstellt. Auf der Seite mit durchsehnittener Chorda tympani erfolgt gar keine Speichelabsonderung, was den zentralen Ursprung beweist, worauf schon Beck!) in seiner Arbeit hinweist. Die plötzliche Blut- drucksenkung bewirkt Gehirnanämie, was ein Reiz für die Sekretions- zentren der Speicheldrüsen ist. Speichelsekretion nach Curarin wird nur dann angetroffen, wenn nach einer grossen Dosis der Blut- druck rasch und erheblich absank. Auf Grund des über die Speichel- absonderung Gesagten ist vollkommen klar, warum bei der zweiten Curareinjektion, während der Blutdruck noch niedrig ist, kein Speichel abgesondert wird, eine Tatsache, auf die Beck aufmerksam macht, und die ich bestätigen kann. Ebenso ist verständlich, dass je stärker die Blutdrucksenkung, desto grösser die Speichelabsonderung ist, d. i. dass grössere Dosen von Curare eine erheblich stärkere Absonderung hervorrufen. Die von mir angewandten grossen Dosen von Curare ergaben Sekretion, während dagegen kleine gar keine Absonderung hervorrufen. Diese Tatsache steht in vollem Gegensatze mit den Angaben Pawlow’s”?), der behauptet, dass ihm gerade kleine Dosen Sekretion bewirkten, während im Gegenteil grosse einen hemmenden Effekt auf die Speicheldrüsenfunktion hatten. Pawlow sagt, dass die Speichelabsonderung am deutlichsten zu Anfang nach der Curarin- injektion auftrat, und dass in den Fällen, wo keine Sekretion auf- trat, der Blutdruck sehr niedrig war. Diese Angaben stehen in Übereinstimmung mit meinen Resultaten. Was dagegen die grossen Curaregaben betrifft, welene den Speichelfluss hemmten, so ist her- vorzuheben, dass die Veränderungen des Blutdruckes im Versuch XII von Pawlow so gering waren, dass sie keine Sekretion bewirken konnten. Diese erfolgt nach Curare nur bei plötzlicher und erheb- licher Blutdrucksenkung. Es ist darauf aufmerksam zu machen, dass Pawlow in vielen Fällen nicht die in den ersten Minuten abge- sonderte Speichelmenge angibt, sondern häufig erst nach 2 Minuten, wenn, wie wir sahen, die Speichelsekretion schon vollkommen auf- hört. So ist also bei näherer Untersuchung die Speichelabsonderung l) A. Beck, Untersuchungen über die Innervation der Speicheldrüsen. Verhandl. d. Akad. d. Wissensch. in Krakau 1898 Bd. 35. 2) Joh. Pawlow, Über die reflektorische Hemmung der Speichelabsonderung. Arch. f. d. ges. Phys. Bd. 16 S. 289—292. 1878. Über den Einfluss von Curare auf die Verdauungsdrüsen etc. 233 {>} bei Curarewirkung vollkommen aufgeklärt und verständlich: die Speichelsekretion erfolgt nur unter der Bedingung eines plötzlichen und ziemlich erheblichen Abfalles des Blutdruckes, was hauptsächlich bei grossen Dosen erfolgt. Langsame Blutdrucksenkung, die bei langsamer Einführung der Substanz ins Blut erfolgt, bewirkt keine Sekretion. Ebenso erscheint sie nicht bei wiederholter Curareinjek- tion, solange der Blutdruck noch niedrig ist, und man daher keine stärkere Senkung erwarten kann. Mit Rücksicht darauf stellt die Speichelabsonderung nach Curare nichts Spezifisches dar; jedes auf den Blutdruck in ähnlicher Weise wirkende Mittel erzeugt Speichel- absonderung, wie wir das bei Curarin sahen. Bisher sprach ich nur von der Absonderung der Glandula submaxillaris. Es ist nicht zu be- zweifeln, dass dasselbe auch für die Glandula parotis gilt. Doch behauptet Gonka!) in bezug auf diese Drüse kategorisch, dass Curare, in das Blut injiziert, keine Absonderung von Parotisspeichel bewirkt; dagegen gibt er eine Einwirkung auf die Glandula sub- maxillaris zu. Wenn wir jedoch die Kürze der Speichelabsonderung unter dem Einflusse des Curare in Erwägung ziehen, so verstehen wir leicht, dass ein Forscher, der erst nach vollständiger Aufhebung der Bewegungsfähigkeit des Tieres die Kanüle in den stenonischen Ductus einführte, den Augenblick der Sekretion des Parotisspeichels verpassen konnte. Der Speichel, der während des Einführens der Kanülen reichlich aus dem Maule ausfloss, und der nach Gonka allein von der Glandula submaxillaris abhing, konnte eine Mischung beider Speichelarten sein, die während der Blutdrucksenkung abge- sondert wurden. Dieser Speichel sammelte sich in grösserer Menge im Maule des Hundes an und entleerte sich bei der Abnahme des Maulkorbes. Die Absonderung des Pankreassaftes ist keine primäre, sondern eine sekundäre Erscheinung, die enge mit der Blutdruck- senkung und der Aufhebung der Gerinnungsfähiskeit des Blutes verbunden und vollkommen mit der Sekretion nach Vasodilatin identisch ist. Diese Absonderung ist ganz unabhängig von den Nerven und überhaupt von dem Nervensystem. Die enge Abhängig- keit der Sekretion von Blutdruck und Gerinnungsfähigkeit des Blutes weist deutlich darauf hin, dass wir es hier mit einem physikalisch- 1) A. Gonka, Über die Sekretion und die Zusammensetzung des Parotis- speichels unter dem Einfluss verschiedener Agenzien. Krakau 1900. „Medizinische Übersicht“ (polnisch) Nr. 27 u. 28 S. 405—410, 421—428. 234 Fr. Czubalski: chemischen Prozess zu tun haben. Der Umstand, dass die Sekretion dann beginnt, wenn der Blutdruck schon sein Minimum erreicht hat, niemals früher, beweist, dass die Pankreassaftabsonderung unmittel- bar aus dem Blute hervorgeht, dass sie ein Filtrat desselben dar- stellt. Diese ganz neue Anschauung stellt die Tätigkeit des Pankreas in einem bisher unbekannten Lichte dar und ist eigentlich nur der Ausdruck in Worten von beobachteten Tatsachen. Diese Analyse hat Popielski') vorgenommen, indem er die verwickelten und unklaren Sekretionserscheinungen auf die vollkommen klaren physi- kalischen Gesetze der Filtration?) von Flüssigkeiten zurückführte. Sämtliche physiologische Eigenschaften des von mir untersuchten Curare wiesen darauf hin, dass wir es hier mit Vasodilatin zu tun haben. Jedoch führten die Versuche, dieses vollkommen von Curarin abzusondern, nicht zum Ziele. Überhaupt ist zuzugeben, dass trotz der ungemein sorgfältigen Bemühungen von Böhm kaum 75 °/o des Curarins aus dem Curare entfernt werden können. In jedem Falle versuchte ich nach Möglichkeit, das Curarin durch Be- handlung mit Methylalkohol, welcher das Vasodilatin nicht löst, zu entfernen. Mit dem zurückgebliebenen Curarerest führte ich Ver- such VI (auf S. 235) vom 13. November 1909 aus. Männlicher Hund 10 kg Gewicht, wie bei den früheren Versuchen vorbereitet. Dieser Versuch zeigt, dass mit Hilfe von Methylalkohol ein erheblicher Teil des Curarins entfernt werden kann, da der Ein- fluss auf die Atmung viel später als beim gewöhnlichen Curare erfolgte. Wenn wir Versuch II und VI vergleichen, so sehen wir, dass die Wirkung des Curare in Versuch IV keineswegs geringer ist. Im Gegenteil sind die hier und dort erhaltenen Zahlen beinahe identisch, was am besten bei der Pankreassekretion zum Ausdruck kommt: bei gleichem Gewichte der Tiere (10 kg) drückte sich die stärkste Pankreassekretion in Experiment II in den Zahlen 14, 12 aus, während sie hier 16 und 12 beträgt. 1) Popielski, Über den Charakter der Sekretionsfähigkeit des Pankreas, unter dem Einfluss von Salzsäure und Darmextrakt. Pflüger’s Arch. Bd. 121 S. 253, 255, 258— 263, 264. 1908. 2) W. Mazurkiewicz, Die festen Bestandteile des Bauchspeichels und die Theorie der Sekretionstätigkeit des Pankreas. Pflüger’s Arch. Bd. 121 S. 98—109. Über den Einfluss von Curare auf die Verdauungsdrüsen etc, 235 VI, Versuch vom 13. November 1909, Männlicher Hund von 10 kg Gewicht, vorbereitet wie in Versuch I. Flüssigkeitsuiveau in der Röhre Blut in einem Reagenzglase Zeit Blutdruck der |derF istel Bemerkungen in mm Hg Rs derGlan- | aufgefangen, ‚dula sub-| gerinnt nach HT fistel |maxillaris 2 1 ll er: 12 41 ) 0 ) 1? 57 494 12 42 62 No|2l)o 12 4 RE Einführung von3cem des aus 3%oiger o| u en Alkohol erhaltenen x Produktes, 12 45 | Gleich nach Ein- II. | 473 | Um 120 40. Beschleunigung der ) 10 k ) 0 entnommenes Blut: 12 47 | Herzaktion. in der | 20 a 48 nach 9 Stunden be- 17" Senkung. ) 16 ) 0 | findet sich an den Künstliche Atmung. 12 48 Minimum 1% 36 48 sonst flüssigen Blute o ) 12 OÖ E Sg 2 Se) ein kleines Ge- 12 49 48 | 4 48: 0 rinnsel; Trennung 12 50 52 49) der Blutkörperchen 12 51 62) 10 48) 0 Iyomfarblosen Plasma 9 BE = N) angedeutet; nach 12 52 64 | 48 18 Stunden derselbe Zustand, Plasma etwas gefärbt Dieser Versuch spricht, obwohl ich keine vom Curarin voll- kommen befreite Substanz hatte, dafür, dass die oben beschriebene Reihe von Erscheinungen: Blutdrucksenkung, Pankreassaft- und Speichelabsonderung, sowie die Aufhebung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes vom Vasodilatin abhängen. So findet sich also zweifel- los im Curare Vasodilatin, das die Reihe der von mir beschriebenen Erscheinungen hervorruft. Bis jetzt wurde das Vasodilatin nur in den Zellen von Menschen und Tieren ?), sogar so niedrigen wie Regen- würmern, Krebse und Blutegeln (auf Grund der Untersuchungen von 1) Die Zahlen zeigen das Flüssigkeitsniveau in der Röhre an. 100 Teil- striche = 1 ccm. 2) Popielski, Über die physiologische Wirkung von Extrakten aus sämt- lichen Teilen des Verdauungskanales (Magen, Dick- und Dünndarm), sowie des Gehirns, Pankreas und Blutes und über die chemischen Eigenschaften des darin wirkenden Körpers. Pflüger’s Arch. Bd. 128 S. 191—221. 1909. 236 Fr. Czubalski: Über den Einfluss von Curare etc. Popielski’s Laboratorium) gefunden. Über das Vorkommen des Vasodilatins in Pflanzen haben wir bis jetzt keinen Aufschluss. Die Gegenwart von Vasodilatin im Curare kann man durch Beimischung von tierischen Bestandteilen oder auch durch Vorkommen der Sub- stanz in den Pflanzen, aus denen das Curare gewonnen wird, er- klären. Meiner Meinung nach ist die Herkunft des Vasodilatins aus tierischen Bestandteilen, welche die Indianer dem eigentlichen Curare zusetzen, wahrscheinlicher. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Kiel.) Eine Methode, die elektrische Leitfähigkeit im Innern von Zellen zu messen. Von Rudolf Höber. (Mit 7 Textfiguren.) Über die elektrische Leitfähiskeit des Inhalts von Zellen ist bisher nichts bekannt; dies heisst zugleich: wir kennen noch nicht den Zustand der Salze im Innern der Zellen. Misst man den elektrischen Widerstand von Geweben nach dem üblichen Verfahren von Kohlrauseh mit Brücke und Telephon, so findet man, dass die Zellen, solange sie leben, dem elektrischen Strom einen grossen Widerstand bieten, während nach dem Absterben der Widerstand stark sinkt. Die elektrische Leitfähigkeit des Blutes rührt nach den bekannten Untersuchungen von Stewart, Bugarszkyund Tangl, Roth und Oker-Blom so gut wie ganz vom Plasma her, die durch Zentrifugieren aus dem Plasma herausgeschleuderten, aber auf diese Weise keineswegs völlig vom Plasma befreiten Blutkörperchen leiten daher den Strom mehr als 100 mal schlechter als das Plasma; zerstört man nun die Blutkörperchen, etwa mit Saponin (Stewart), so schnellt die Leitfähigkeit in wenigen Minuten in dem Maass in die Höhe, als wäre die Elektrolytkonzentration auf das 40- bis 50 fache gestiegen. Dies ebenso wie die Widerstandsabnahme beim Absterben eines jeden Gewebes kann entweder darauf beruhen, dass die normale Oberfläche der Zellen eine dielektrische Hülle um einen elektro- lytischen Inhalt darstellt, und dass im Tode die isolierende Eigen- schaft der Hülle verloren geht, oder darauf, dass durch eine Ab- sterbereaktion vorher gebundene Elektrolyte im Innern frei werden. Welehe Erklärung die richtige ist, liess sich bisher nur auf in- direktem Wege und nur unsicher entscheiden. Inwiefern eine sichere Entscheidung von Interesse wäre, wird später erörtert werden. Zu- 2338 Rudolf Höber: nächst soll eine Methode beschrieben werden, mit der es glückt, die „innere Leitfähigkeit“ der Zellen direkt zu messen. Prinzip der Methode: Wenn man zwischen die Platten eines Kondensators von der Kapazität Fl en nee a wo Fl die Fläche der Kondensatorplatten, d ihren Abstand und & die Dielektrizitätskonstante bedeutet, eine starke Metallplatte von per Fläche 7! und der Dicke d, schiebt (Fig. 1), so vergrössert sich die Kapazität; sie wird so gross, wie wenn zwei Kondensatoren von der Fläche Fl und den Abständen d, und d, hintereinanderge- schaltet, oder wie wenn die Kondensatorplatten aus dem Abstand d um d, einander genähert wären. Die Kapazität beträgt nun: Fl Ges. ee Nieht grundsätzlich hiervon verschieden ist folgender Fall: in einem parallelepipedischen Trog, welcher mit einer Mischung aus Chloroform und Benzol vom spezifischen Gewicht 1 gefüllt ist, tauchen zwei Metallplatten; der Trog hat dann eine durch die Gleichung 1 gegebene Kapazität. Giesst man nun etwas Wasser in den Trog und stellt durch Umrühren eine Emulsion her, so steigt die Kapazität um so mehr, je mehr Wasser zugesetzt ist. Die Erklärung ist darin zu suchen, dass Wasser gegenüber dem Gemisch aus Chloroform und Benzol als unendlieh guter Leiter fungiert, es ist also in seiner Wirkung der starken Metallplatte vergleichbar, welche vorher, zwischen die Kondensatorplatten geschoben, kapazitätserhöhend wirkte. Der eben geschilderte Versuch ist vor längerer Zeit von Millikan!) auf Anresung von Nernst ausgeführt worden, er schien mir das Prinzip für eine Messung der inneren Leitfähigkeit der Zellen zu enthalten. Denn denkt man sich an Stelle der Wasser- tröpfehen der Emulsion Blutkörperchen, an Stelle der Chloroform- Benzolmischung eine mit den Blutkörperchen isotonische, für sie indifferente reine wässerige Nichtleiterlösung, so müssen für den Fall, dass die Elektrolyte im Innern der Blutkörperchen frei sind, diese letzteren sich gegenüber der Nichtleiterlösung als sehr gute Leiter 9). l) Millikan, Wiedemann’s Annalen Bd. 60 S. 376 (1897). Eine Methode, die elektr. Leitfähigkeit im Innern von Zellen zu messen. 239 verhalten und dementsprechend kapazitätssteigernd wirken. Es handelte sich also darum, Kapazitätsmessungen an wässerigen Lösungen vorzunehmen. An und für sich bieten nun entsprechende Kapazitätsmessungen keine Schwierigkeiten, sie können bequem in einer von einem Wechselstrom gespeisten Wheatstone’schen Brücke vorgenommen werden, in der zwei Widerstände durch zwei Kapazitäten ersetzt sind. Sind in der Fig. 2 C, und ©, zwei Kapazitäten, zv, und 0, zwei Wider- stände, 7 ein Telephon als Nullinstru- a ment, so verhält sich. wenn durch die / Brücke kein Strom fliesst, C, IR NE C, a OHIO lo): N Wie aber vor allem Nernst!) ge- legentlich seiner dielektrischen Mes- sungen gezeigt hat, kommen bei Ver- wendung von Wasser oder wässerigen Lösungen als Dielektrikum Störungen vor, hauptsächlich dadurch, dass Wasser nicht ganz unbeträchtlich den elek- trischen Strom leitet, und dass sich infolgedessen bei Verwendung der gewöhnlichen niedrigfrequenten Wechselströme Polarisationskapazitäten ausbilden. Über diese Schwierigkeiten kann man jedoch nach Nernst durch Verwendung höherfrequenter Wechselströme, nament- lich durch Verwendung von Schwingungen, wegkommen. Versuchsanordnung: Für die spezielle Ausarbeitung der Methode der Messung der inneren Leitfähigkeit habe ich nun ver- sucht, mir die ausserordentlich reiche Erfahrung von Nernst im Gebiet der dielektrischen Messungen zu Nutze zu machen, und ihn um seinen Rat gebeten. Geheimrat Nernst ist mit dem grössten Entgegenkommen auf meinen Plan eingegangen, er hat mir das gleich zu beschreibende Verfahren zu dessen Ausführung empfohlen und mir während einiger physikalischer Vorversuche, die ich in seinem Institut anstellte, ununterbrochen seine Hilfe gewährt. Ich sage ihm auch an dieser Stelle meinen wärmsten Dank dafür. — Es wurde soeben gezeiet, dass man feststellen kann, ob Zellen eine erhebliche innere Leitfähickeit besitzen oder nicht, indem man zusieht, ob die Kapazität eines Troges durch Eintragen der Zellen ee Fig. 2. 1) Nernst, Wiedemann’s Annalen Bd. 60 S. 600 (1897) und Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 14 S. 622 (1894). 240 Rudolf Höber: in sein wässeriges Dielektrikum geändert wird, oder ob das nicht geschieht. Will man aber das Verfahren zu einer quantitativen Messung der inneren Leitfähigkeit ausbilden, dann ist zuvor zu ent- scheiden, ob die Methode überhaupt verschiedene Grade der inneren Leitfähigkeit erkennen lässt. Zu diesem Zweck wurden die Blut- körperchen zunächst sozusagen imitiert durch Glasröhrehen, welche mit verschieden konzentrierten Elektrolytlösungen gefüllt wurden; diese Röhrehen wurden in einen parallelepipedischen Trog gehängt, der mit Wasser gefüllt und mit Silberplatten als Elektroden ver- sehen war. Fig. 3 gibt ein Bild des Troges. I | (NBNUNMUNE NN! III] Die Kapazität dieses Troges wurde nun bei verschiedener Füllung der Röhrchen mit einem zweiten „Messtrog“ (Fig. 4) ver- slichen. Dieser bestand aus einen zylindrischen Gefäss, in welches senkrecht zu seiner Achse zwei kreisrunde Silberelektroden eingesetzt waren, die eine (a) fest, die andere (b) mit Hilfe einer durch den Hartgummideckel c geführte Mikrometerschraube parallel zur ersten verschieblich. Der Trog wurde mit Wasser gefüllt. Kapazitäts- änderungen des Röhrchentroges konnten so durch Verschiebung der Elektroden am Messtrog kompensiert und durch den jeweiligen Ab- stand der Elektroden zahlenmässig gemessen werden. Die beiden Tröge wurden nun in folgende Brückenanordnung eingeschaltet !) (Fig. 5): Z ist ein Induktorium, f eine Funkenstrecke; 1) Siehe dazu: Nernst und v. Lerch, Annalen d. Physik, IV. Folge, Bd. 15 S. 836 (1904). Eine Methode, die elektr. Leitfähigkeit im Innern von Zellen zu messen. 241 daran ist in der üblichen Weise ein Schwingungskreis angehängt, bestehend aus der Selbstinduktion s, und der Kapazität ©. Dem Schwingungskreis ist ein zweiter Kreis gegenübergestellt, welcher die Brückenanordnung repräsentiert. Er besteht aus der Spuhle s,, dem Messtrog ?f, und dem Röhrchentrog f,. Von der Mitte von s, führt eine Brücke zur Verbindung von f, mit %; in der Brücke liest das Nullintrument n. Durch enge Koppeiung zwischen s; und s, werden die Schwingungen des ersten Kreises dem zweiten aufgezwun- sen und können durch entsprechende Än- derung der Kapazitäten von ft, und f, so verteilt werden, dass » ein Minimum anzeigt. Im speziellen ist der Apparat folgender- maassen gebaut: Das mittelgrosse In- duktorium ist mit Deprez- Unter- brecher versehen und wird mit 12 Volt fr, betrieben. Die Funkenstrecke be- steht aus zwei Zinkstäben, deren Ab- stand zweckmässig durch eine Mikro- meterschraube geändert werden kann, weil auf die Weise leicht die Empfindlichkeit des später zu erwähnenden Nullinstrumentes zu ändern ist. Der Kondensator C ist eine 2 mm dicke Glasplatte, welche Stanniolbelegungen von der Grösse 15 >20 cm hat. Die Spule s, besteht aus 16 Windungen eines 0,5 mm starken Kupferdrahtes, welche in ca. 1 em gegenseitigem Ab- stand um einen gewöhnlichen Zylinder für Gasbeleuchtung herum- gelegt sind. Diese Spule ist in die Spule s, hineingeschoben. $S; besteht aus einem Glasrohr von 30 em Länge und 8 cm Durchmesser; darum sind, eng gewickelt, 66 Windungen des 0,8 mm-Drahtes herumgelegt; der Draht ist in der Mitte geteilt und die beiden Enden zu einer mit Hartgummi isolierten Klemmschraube geführt, ebenso geht der Draht an den beiden Enden der Spule zu isolierten Klemmschrauben. Der meist benutzte Röhrchen- trog ist innen 6,5 cm hoch, 3,5 em breit und 2 em tief. Die in ihn in einem Abstand von ca. 1,5 em eingehängten Elektroden sind Silberbleche von der Grösse 5 x 2,5 em. Zwischen die Elektroden ist oben ein Hartsummideckel eingeklemmt, der zur Aufnahme der Röhrehen durchbohrt ist. Meist wurden zwei Röhrchen eingesetzt; sie reichen bis zum Boden des Trogs, ihre Wandstärke beträgt Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 16 Fig. 5. 242 Rudolf Höber: 0,3 mm. .Von der Weite der Röhrchen wird später die Rede sein. Der Trog wird mit Leitfähigkeitswasser (Kahlbaum) gefüllt; in die Röhrchen können Lösungen gefüllt werden. Die Dimensionen dieses Troges habe ich nach den Dimensionen des gleich zu beschreibenden Messtrogs eingerichtet; Fläche und Abstand der Elektroden wurden relativ klein gewählt, damit bei grösserer Elektrodenfläche im Mess- trog Kapazitätsänderungen im Röhrchentrog relativ grosse Elektroden- verschiebungen zur Kompensation nötig machten. Der Messtrog ist ein Glasrobr von 5 em Durchmesser und ca. 10,5 em Höhe. Seine Elektroden sind kreisförmige Scheiben aus Silberblech von 4,5 em Durchmesser. Der zentral eingelötete Draht der unteren Elektrode ist ins Glasrohr unten eingeschmolzen, der obere Draht ist mit: der Mikrometerschraube verbunden. Der Trog war gewöhnlich bis zur Hälfte mit Leitfähigkeitswasser gefüllt. Messtrog und Röhrchen- trog sind gut gegen die Unterlage isoliert. Bei der Verbindung der einzelnen Bestandteile miteinander wurde für gute Kontakte ge- sorgt, und die Drähte wurden gestreckt geführt, um nicht durch variable Nebenkapazitäten und -selbstinduktionen Störungen in das System hineinzubringen. Es erübrigt nun noch die Beschreibung des Nuilinstrumentes. Als solches fanden anfangs ein Funkenindikator nach Nernst?!) und ein elektrolytischer Detektor nach Nernst?) und Schloemilch?) Verwendung. Zu allen definitiven Messungen benutzte ich dann aber auf den Rat von Herrn Privatdozenten Dr. Zahn in Kiel einen Blei- glanzdetektor nach Braun, der sich für meine Zwecke den anderen Detektoren überlegen zeigte. Für diesen wie für manchen anderen Ratschlag bin ich Herrn Zahn zu grossem Dank verpflichtet. Bei dieser Gelegenheit sei es mir auch erlaubt, Herrn Geheimrat Dieteriei dafür zu danken, dass er mich für die Fortführung meiner Unter- suchung mit einigen Hülfsmitteln des Kieler physikalischen Instituts unterstützte. — Die Schaltung des Bleiglanzdetektors ist aus Fig. 6 ersichtlich. s,, i; und Z, sind die schon erwähnten Spulen und Tröge der Brückenanordnung. Die Brücke ist durch die kleine Spule s; gebildet; sie besteht aus neun Windungen eines 2 mm dicken Kupfer- drahtes, die eng um ein 2,6 em dickes Rohr gewickelt sind. Die 1) Nernst, Wiedemann’s Annalen Bd. 60 S. 602 (1897). 2) Nernst und v. Lerch, l.c. 3) Schloemilch, Elektrotechn. Zeitschr. 1903 Nr. 47. Eine Methode, die elektr. Leitfähigkeit im Innern von Zellen zu messen. 243 Spannung, die gegebenenfalls in dieser Spule besteht, wird dann durch die in s, steckende Spule s,, welche aus etwa SO Windungen eines um ein Rohr von 1,9 em Durchmesser herumgelegten 0,6 mm dicken Drahtes besteht, herauftransformiert. An s, ist der Detektor d angelegt; er besteht aus einem Stückchen Bleiglanz, dessen einer glatt polierter Fläche eine Graphitspitze (Bleistift) leicht durch eine c, Fie. 6. Feder angedrückt ist. Dem Detektor parallel liegt ein Zeiger- sgalvanometer von Hartmann & Braun (@) mit vorgeschaltetem Widerstand w. Gehen Schwingungen dureh den Deteetor, so wird er Sitz einer elektromotorischen Kraft, der resultierende Strom lenkt die Galvanometernadel ab. Damit der auftretende Strom sich nicht durch s, kurz schliesst, sind in die Leitung zwei Blockkondensatoren (©, und ©, von je zwei Mikrofarad eingeschaltet. Die Windungen von Ss; und s, sind in der Richtung der Kraftlinien von s, und ss, d.h. senkrecht zu deren Windungen gelegt, um das Nullinstrument dem Wirkungsbereich von s,; und s, zu entziehen; aus dem gleichen Grunde liegst der Detektor in ziemlicher Entfernung vom schwingenden System. Wird nun der Detektor als Nullinstrument benutzt, so hat man darauf zu achten, wann der Ausschlag der Galvanometernadel ein Minimum ist. Die Genauigkeit der Messungen mit dem geschilderten Apparat hängt von verschiedenen Umständen ab, welche zum Teil später noch zu erörtern sind. Unter günstigen Bedingungen — d.h. in erster Linie: bei Füllung der Röhrchen mit Wasser oder mit einer starken Elektrolytlösung — beträgt sie 1—2°/o. Diese nicht gerade grosse Genauickeit ist wohl damit in Zusammenhang zu bringen, dass durch die Elektrodenverschiebung im Messtrog nicht bloss die Kapazität, sondern auch der Ohm’ sche Widerstand geändert wird. 16 * 244 Rudolf Höber: Vorversuche: Wie gesagt, war es nötig, zuerst einmal fest- zustellen, wie weit die Kapazität des Röhrchentrogessich ändert, wenn die innere Leitfähigkeit der Röhrchen durch Beschicken mit verschieden starken Elektrolytlösungen geändert wird. Zu diesem Zweck wurden die Röhrchen nacheinander mit Leitfähigkeitswasser, 0,001-, 0,01-, 0,1- und 1,0-norm.-KCl, gefüllt, und für jede Lösung wurde der Elek- trodenabstand am Messtrog aufgesucht, bei dem die Galvanonıeter- nadel ein Minimum anzeigte. Die Röhrchen wurden stets einiger- maassen genau bis zur Nivaugleichheit mit dem Leitfähigkeitswasser im Trog ausserhalb der Röhrchen gefüllt. (Das Niveau im Trog stand aber nicht in allen Versuchen gleich hoch.) — Es erwies sich ferner noch als notwendige, zu probieren, wie die Weite der Röhrchen, d. h. das Verhältnis der Elektrolytfüllung zur Menge des Wassers ausserhalb der Röhrchen, die Kapazität des Röhrchentroges bs>- einflusst. Die Ergebnisse dieser Messungen sind in den Kurven der Fig. 7 zusammengefasst. Auf den Ordinaten sind die Abstände der beiden Elektroden im Messtrog verzeich- 00m 0m 04 10 net, der Abstand bei Füllung der Röhrehen mit Wasser eleich 100 NS gesetzt. Auf der Abszisse sind die Logarithmen der Elektrolyt- konzentrationen des Röhrchen- 80 0 inhaltes abgetragen. Das Zahlen- verhältnis, das den einzelnen ne 1° Kurven beigeschrieben ist, be- deutet das Verhältnis des Vo- Balz 0:03 0 iu lumens von Wasser ausserhalb Fig. 7. der Röhrehen zum Volumen der Lösung innerhalb der Röhrchen. Man sieht, dass kleine Elektrolytkonzentrationen von grossem Einfluss auf die Kapazität sind, während weitere Konzentrations- steigerungen den Elektrodenabstand im Messtrog nur noch wenig zu verringern vermögen. Im speziellen fand ich, dass eine Steigerung der Konzentration von O0,1-norm. auf 1,0-norm. an der Minimum- stellung des Nullinstrumentes gar nieht erkannt werden kann, und dass die Steigerung von 0,01 norm. auf 0,1 norm. zwar offenbar noch einen kleinen Unterschied im Elektrodenabstand ausmacht, dass sie aber im einzelnen Versuche bei der prozentischen Genauigkeit 100 90 Eine Methode, die elektr. Leitfähigkeit im Innern von Zellen zu messen. 945 meiner Versuchsanordnung nicht sicher festgestellt werden kann. Diese zunächst sehr unerfreuliche Erfahrung veranlasste mich, die Röhrchen verschiedener Weite durchzuprobieren, um die günstigste Weite herauszufinden. Die Kurven zeigen jedoch, dass eine Steigerung der Empfindlichkeit für das für die physiologischen Fragen gerade besonders kritische Gebiet von 0,01 bis 0,1 nicht zu erzielen war. Auch Versuche mit einem parallelepipedischen Trog ohne Röhrchen, der zur Stromzuführung aussen auf zwei gegenüberliegenden Flächen mit Stanniol belegt war und ganz mit den verschiedenen Elektrolytlösungen gefüllt wurde, lieferten keine günstigeren Resultate. Es ist also nicht möglich, am Elektrodenabstand zu erkennen, ob die innere Leitfähigkeit einer 0,01- oder einer O,1-normal-Salz- lösung entspricht. Die Durchführung des Versuchsplanes würde da- mit vereitelt gewesen sein, wenn sich nicht ein anderes Mittel zur Unterscheidung der stärkeren Elektrolytkonzentrationen geboten hätte. Alle Messungen wurden so ausgeführt, dass die verschiebliche Elektrode des Messtrogs 2—3 mal von oben und 2—3 mal von unten her in die Minimumstellung gebracht wurde. Dabei ergab sich, dass die Breite des Minimums stark variiert, und dass diese Variationen sich auch auf das Gebiet zwischen 0,01-norm. und 0,1-norm. erstrecken. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal für die verschiedenen Konzentrationen ist die Geschwindigkeit, mit welcher die Galvanometernadel in die Nullstellung einrückt. Genauer aus- gemessen wurde in den bisherigen Versuchen nur die Breite des Minimums. In der folgenden Tabelle I gebe ich zwei Versuchsbeispiele: Tabelle I. Konzentration Elektroden- | Minimum- Elektroden- | Minimum- in den abstand (für | breite in abstand (für breite in Röhrchen Wasser— 100) mm Wasser—= 100) mm 0,001-norm. 56,7 4,1 54,2 2,5 0.002, 29.0.0 ah 2,30 75,5 37 0.005 . 69,7 18 67.6 14 RD TEH 66.9 14 65.9 14 Mor 67,4 07 66,0 05 Man sieht, wie sich 0,0l-norm. und O,1-norm. in der Breite des 'Minimums deutlich voneinander unterscheiden. Auch der Gang der Galvanometernadel ist im ersten Fall erheblich langsamer als im zweiten. 946 Rudolf Höber: Die Erklärung für diese Erscheinungen ist wohl darin zu suchen, dass bei geringen Leitfähiekeiten in den Röhrchen Energie absorbiert wird. Bei Füllung der Röhrchen mit Wasser ist das Minimum scharf, weil die Trogfüllung für die schnellen Schwingungen als guter Iso- lator fungiert, in dem bei der dielektrischen Leitung keine Energie absorbiert wird. Bei Füllung mit einer gut leitenden Lösung findet ebenfalls ’kein oder fast kein Energieverbrauch statt, weil der Wider- stand zu gering ist. Absorption von Energie findet erst statt, wenn die Leitfähigkeit relativ klein ist, und dann wird zugleich das Minimum unscharf, weil eigentlich zwei Minima vorhanden sind, ein Kapazitäts- und ein Widerstandsminimum, welche nieht zu- sammenfallen. Man könnte das Minimum wieder schärfer machen, wenn man dem Messtrog einen entsprechenden Widerstand parallel schaltete. Jedenfalls ist es nach diesen Versuchen möglich, grössere innere Leitfähigkeiten an der Breite des Minimums, kleinere am Elektrodenabstand des Mess- trogs zu erkennen. Die innere Leitfähigkeit der Blutkörperehen: Bis- her erstrecken sich meine Untersuchungen allein auf Blutkörperchen. Diese wurden aus dem defibrinierten Blut vom Rind, Kalb oder Schwein durch Zentrifugieren mit 7 °/o iger Rohrzuckerlösung gewonnen. Der Rohrzucker (Saecharose, Kahlbaum) war in Leitfähigkeitswasser gelöst. In den meisten Versuchen wurden die aus dem Serum aus- geschleuderten Blutkörperchen 4 mal je 4 Minuten in einer Runne- schen Zentrifuge bei ca. 3500 Umdrehungen mit reichlicher Rohr- zuckerlösung zentrifugiert. Saugt man jedesmal die überstehende Lösung mit einer Kapillare ab, so erhält man dann einen Brei, dessen Kohlrausch’sche Leitfähigkeit zwischen der einer "2ooo- und einer "/s4ooo-norm.-KCl-Lösung liest. Wenn auch bei dieser Prozedur, wie aus den Versuchen von Gürber!) hervorgeht, Elektrolyt aus den Blutkörperchen austritt, so geht aus allem Weiteren hervor, dass jedenfalls die meisten Salze im Innern bleiben. Bei der geringen Kohlrausch’schen Leitfähigkeit der Blut- körperehen konnten nun die Versuche zur Messung ihrer inneren Leitfähigkeit einfach so vorgenommen werden, dass die Blutkörperchen in die Röhrchen des Röhrchentrogs gefüllt wurden; es musste sich 1) Gürber, Salze des Blutes. II Würzburg 1904. Eine Methode, die elektr. Leitfähigkeit im Innern von Zellen zu messen. 947 dann ja zeigen, ob ihre innere Leitfähigkeit grösser als ihre Kohlrausch’sche Leitfähigkeit ist, d. h. ob sie die Kapazität des Troges mehr steigern, als wenn die Röhrehen mit einer "/2ooo- bis !/s000o-norm.-KCl-Lösung gefüllt sind. Die zwei Röhrchen des Troges hatten in allen diesen Versuchen einen inneren Durchmesser von ca. ll mm. Ich teile nun zunächst eine Anzahl von Versuchen mit: Tabelle I. 1. Blut vom Schwein. Leitfähigkeit — ca. "/2200-norm.-KCl. we Elektrodenabstand 0,001-norm.-KÜl 80,1 Blutkörperchen 74,6 0,01 „ 69,4 0,1 n 68,7 2. Blut vom Schwein. Leitfähigkeit —= ca. "/asoo-norm.-KÜl. 0,001-norm.-KCl 79,6 Blutkörperchen 65,9 0,002 5 74,4 a + Saponin 60,5 0,005 { 60,8 0,01 a; 61,1 0,1 2 61,2 3. Blut vom Rind. Leitfähigkeit — ca. "/2400-norm.-KCl. 0,002-norm.-KÜl 74,2 Blutkörperchen 69,4 0,005 er 66,4 „ + Saponin 64,9 4. Blut vom Rind. Leitfähigkeit = ca. !/2s00-norm.-KÜl. 0,001-norm.-KCl 86,7 Blutkörperchen 70,5 0,002 5 79,0 he + Saponin 66,1 0,005 E 69,7 0,01 R 66,5 0,1 n 67,2 5. Blut vom Kalb. Leitfähigkeit —= ca. Vs3400-norm.-KÜl. 0,001-norm.-KÜl 84,2 Blutkörperchen 70,6 0A, 75,5 E + Saponin 68,3 0,005 A 67,6 0,01 = 65,4 0,1 e 65,9 Vergleicht man den Einfluss der KCl-Lösungen auf die Kapazität in diesen Versuchen mit dem Einfluss der Blutkörperchen, so wird man finden, dass die Blutkörperchen etwa so wirken wie eine KClI-Lösung von 0,002—0,005-Normalität. Man wird daraus zu- nächst den Schluss ziehen, dass im Innern der Blutkörperchen nur sehr wenig freie Elektrolyte vorhanden sind, dass die meisten der Salze, die sich in der Asche der Blutkörperchen finden, organisch 948 Rudolf Höber: gebunden sind. Zu diesem Schluss passt dann auch gut, dass, wenn man die Blutkörperchen mit etwas Saponin zerstört — in jedes Röhrchen wurde ein Tropfen einer mässig starken, wässerigen Sapo- ninlösung gegeben —, die innere Leitfähigkeit der Röhrchen, wie die Tabelle zeigt, ansteigt. Es sieht ganz so aus, als ob durch das Abtöten der Blutkörperchen die vorher gebundenen Salze frei werden; auch die Kohlrausch’sche Leitfähigkeit der Blutkörperchen steigt ja stark, wenn man mit Saponin hämolysiert, und auch diese Steigerung kann auf Lösung der Salze aus einer natürlichen organischen Bindung bezogen werden. Der Einfluss des Blutkörperchen-Gesamtvolumens: Es ist aber ein Bedenken geltend zu machen. Wenn man sieh in der beschriebenen Weise einen Blutkörperchenbrei herstellt, so ist nicht daran zu denken, dass man nun 100 Volumprozent Blut- körperchen in dem Brei hat, sondern sicherlich ist noch etwas Zwischenflüssigkeit da, welche die Blutkörperchen voneinander trennt; die Blutkörperchen sind durch eine dielektrische Hülle, dargestellt durch etwas Rohrzuckerlösung, gesondert. Es fragt sich nun, ob das nicht auf dasselbe hinauskommt, als wenn ganz mit Blutkörper- chen ausgefüllte, aber engere Röhrchen als in Wirklichkeit in dem Trog steckten. Und die Kurven der Fig. 7 (S. 244) lehren ja, wie die Kapazität von der Weite der Röhrchen abhängig ist. In der Tat ist denn auch leicht nachzuweisen, dass das Blutkörperchen- Gesamtvolumen von grossem Einfluss ist, wie die Tabelle III zeigt: Tabelle I. 1. Blut vom Kalb. Elektroden- nach abstand Saponin Blutkörperchen... ae Er are 71,0 66,15 1 Teil Blutkörperchen + 1 Teil Rohrzuckerlösung 50,0 66,3 2. Blut vom Kalb. Blutkörperchen 2... u... vr an 69,1 == 1 Teil Blutkörperchen + 1 Teil Rohrzuckerlösung 76,3 co Tre 3 +3, A 19,5 67,6 3. Blut vom Rind. Blutkörperehengn .. 1, 2.0020 le age en. N 70,6 65,3 1 Teil Blutkörperchen ++ 1 Teil Rohrzuckerlösung 79,0 — 1 ” ” + 3 ” ” 86,9 66,3 Je geringer also das Blutkörperchenvolumen, um so geringer die Kapazitätserhöhung. Dabei sind an und für sich genug Elektrolyte Eine Methode, die elektr. Leitfähigkeit im Innern von Zellen zu messen. 249 auch in 25 Volumprozent Blutkörperchen vorhanden, um, durch Saponin frei gemacht bzw. gleichmässig in den Röhrchen verteilt, die Kapazität gerade so stark zu erhöhen wie der unverdünnte Blutkörperbrei nach Saponinbehandlung; auch das lehrt die Tabelle. Auf jeden Fall folet aus diesen Versuchen, dass die bisher mit- geteilten Werte kein reiner Ausdruck der inneren Leitfähigkeit der Blutkörperchen sein können, sondern dass man sich zunächst erst fragen muss, wie gross die Kapazitätssteigerung bei 100 Volumprozent Blutkörperchen ist. Der Einfluss stärkeren Zentrifugierens: Um diese Frage zu beantworten, wurden die Blutkörperchen mit Hilfe einer Thilenius-Zentrifuge!) noch stärker zusammengepresst, und die überstehende Lösung wurde mit besonderer Vorsicht durch eine Kapillare abgesaugt. Der Effekt ist deutlich: Tabelle IV. 1. Blut vom Schwein. 2. Blut vom Schwein. Elektroden- Elektroden abstand abstand lanorn.-Rel 72, er: 82,62) |Blutkörperchun. .. .... 68,2 Blutkörperchen”. ». 2... 83,32) n + Saponin.. . 67,4 rn + Saponin. . 33,3?) | 3. Blut vom Rind. | 4. Blut vom Rind. Vlenorm:-KOlkenes rer 65,6 O,l-norm-KOrererare 82,2?) Biuikörperebeu. - 23... 66,4 WBlntkörperchentzern 2 a. 85,32) 3 + Saponin. . 65,2 a + Saponin.. . 83,92) Es ist ersichtlich, dass nun nicht mehr der Elektrodenabstand dem einer 0,002—0,005-norm-KÜCl.-Lösung entspricht, wie in den ersten Versuchen (Tabelle II), sondern dass der Elektrodenabstand durch das starke Zentrifugieren fast auf sein Minimum, wie es einer 0,1-norm.-KCI-Lösung entspricht, herabgedrückt ist. Dazu stimmt, dass der Einfluss des Saponins auf den Elektrodenabstand fast ver- sehwunden ist. In der folgenden Tabelle stelle ich die Differenzen des Elektrodenabstandes vorundnach Saponinbehand- lung aus den Tabellen II, III und IV zusammen, als Ausdruck dafür, wie das Blutkörperchen-Gesamtvolumen diese Werte beeinflusst: 1) Siehe Koeppe, Pflüger’s Arch. Bd. 107 S. 183 (1905). 2) Nur ein Röhrchen war mit Blutkörperchen bzw. Lösung gefüllt, das andere mit Wasser. 350 Rudolf Höber: Tabelle V. Kleines Grosses Fast 100 Volum- Blutkörperchenvolumen Blutkörperchenvelumen prozente Blutkörperchen (Tab. II) (Tab. II) (Tab. IV) 11,9 5,4 0 20,6 4,5 0,8 — 4,4 1,2 — 2,3 1,4 Danach darf man wohl behaupten, dass, wenn es gelänge, die Blut- körperchen in grösserer Menge vollkommen von anhaftender Lösung zu trennen, sie die Kapazität gerade so steigern würden wie die stärkste der Salzlösungen, gleichgültig ob sie hämolysiert wären oder nicht. Danach ist es aber auch als erwiesen anzusehen, dass die innere Leitfähigkeit der Blutkörperchen mindestens der einer Q,0l-norm.-Salzlösung gleichkommt, vielleicht erheblich grösser ist, da 0,01-, 0,1- und 1,0-norm.-Lösungen auf den Elektrodenabstand gleich wirken. Welche dieser Leitfähigkeiten wirklich vorhanden ist, lässt sich nun, wie wir (S. 245) sahen, eventuell herausbekommen, wenn man bei der Messung die Breite des Minimums beachtet. Die Breite des Minimums: In einer Anzahl von Versuchen wurde die Breite des Minimums möglichst sorgfältig bestimmt: die Ergebnisse enthält die folgende Tabelle: Tabelle VI. Breite Breite 1. 7°/oige Rohrzuckerlösung 0,4 mm 2. 7P/oige Rohrzuckerlösung 0,4 mm Blutkörperchen... . . . HE S> Blutkörperchen... . . 0,80, a + Saponin 0,3 „ 5 + Saponin 0,5 „ 0,001-norm.-KÜl .... 32 „ O,1-norm:-KCl Aa: 1,04%, Q,lenorm-KCle 22.2 04 „ 3. 7P/oige Rohrzuckerlösung 1,1 mm 4. 7P/oige Rohrzuckerlösung 1,0 mm Blutkörperchen. ... . 1,190% Blutkörperchen. . . . . 016 =, a + Saponin 10 „ 0,01-norm.-KÜOl . . ... 1.94, O:lenorm=Kelin ser 0:0 O,1-norm.-KCl7. era: 05075, 5. 7°/oige Rohrzuckeriösung (0,9 mm 6. Blutkörperchen !. . .. . 0,5 mm Blutkörperchen. . . . . 132,5 0,005-norm.-KCl. ... . . 4,9 „ 0,01-norm.-KCl. .. . . 1,0905 0,01-norm.-KÜl . . . . . 20% 0,1-norm-KOl 722% 0,0e> 0,1-norm-KOl anne 0,6 „ Breite 7. Blutkörperchen . 0,6 mm 0,01-norm.-KCl . 16 „ 0,1-norm.-KCl . 0,6 „ Eine Methode, die elektr. Leitfähigkeit im Innern von Zellen zu messen. 251 Man sieht, dass das Minimum bei den Blutkörperchen oft so scharf ist, wie es nur sein kann, und dass es im allgemeinen an Schärfe kaum dem Minimum bei einer 0,1 norm.-KCl-Lösung nachsteht. Was aber wichtiger ist, ist das, dass das Minimum bei den Blut- körperchen stets erheblich schärfer ist als bei einer 0,01-norm.- KCI-Lösung. Daraus folgt, dass die innere Leitfähigkeit der Blutkörperchen annähernd gleich der einer Q,l-norm.- Salzlösung ist. Dies ist das Ergebnis meiner Untersuchungen. Es gelingt also, das Innere von Zellen zu analysieren, ohne die Zellen zu verletzen. Was hier an Blutkörperehen gemacht ist, wird sich natürlich auch an anderen Zellen und Geweben ausführen lassen. Der Grad der Genauigkeit der Analyse ist freilich bisher kein sehr grosser, dadurch, dass in unvorhergesehener Weise gerade in dem für die physiologischen Fragen kritischen Konzentrations- gebiet die Methode an Leistungsfähigkeit einbüsst. Ich hoffe, dass eine andere Methode zur Messung der inneren Leitfähiekeit, die demnächst probiert werden soll, noch mehr leistet. Schlussfolserungen: Es sei nun noch einiges darüber gesagt, inwiefern die Versuche über ihr faktisches Ergebnis hinaus eine Bedeutung haben. Da ist in erster Linie an die altbekannte Tat- sache zu erinnern, dass die Blutkörperchen, wie sonst noch viele Zellen, andere Salze oder wenigstens die Salze in anderer Zusammen- setzung enthalten als ihre Umgebung. So oft diese Tatsache kon- statiert wurde, war sie gleichbedeutend mit der Frage, wie die Differenzen zu erklären sind. Und da können hauptsächlich zwei Deutungen gegeben werden: entweder führt man die Differenzen darauf zurück, dass die Salze aussen und innen zwar in freiem Diffusionsaustausch miteinander stehen, dass aber ein Teil von ihnen durch Bindung an organische Komponenten des Zellinhalts fest- gehalten und angehäuft wird, während der Inhalt zu einem anderen Teil der Salze keine Affinität äussert. Oder man nimmt an, dass die Zelloberfläche, die Plasmahaut, für die Salze ein Diffusions- hindernis bedeutet, vermöge dessen bestehende Konzentrations- differenzen zwischen den freien Elektrolyten aussen und denen innen aufrechterhalten werden. Schliesst man sich der zweiten Deutung an, so ist die Konsequenz, dass man die Zelloberfläche mit der Fähigkeit begabt denken muss, Stoffe, welche nicht in die Zellen hineindiffundieren können, eventuell von sich aus aktiv hinein- 359 Rudolf Höber: zubefördern; eine andere Konsequenz ist die, dass, wenn gewisse Salze die Funktion von Zellen zu beeinträchtigen vermögen, man diese giftige Wirkung an eine Veränderung der bei der Funktion beteiligten Oberfläche gebunden zu denken hat. Genug, man hat der Plasmahaut komplizierte Leistungen zuzutrauen. Man ist also je nach dem Bild, das man sich von dem Zustand der Salze in den Zellen macht, genötigt, zu wichtigen Fragen des Zellebens eine ganz verschiedene Stellung einzunehmen. Ich selbst habe mehrfach die zweite der genannten Auffassungen vertreten, aus welchen Gründen, soll hier nicht wiederholt werden, ebensowenig, warum ich die Gegengründe, welche von J. Loeb, Bang, Moore und Roaf u. a. vorgebracht worden sind, nicht für überzeugend halten kann). Die hier mitgeteilten Versuche bestärken mich aber in meiner Ansicht, da hier der Nachweis geführt wird, dass wenigstens in den Blutkörperchen die Elektrolyte zum mindesten grösstenteils als frei gelöst anzusehen sind. — Freilich, der ganze Aufbau der Blutkörperchen bleibt auch weiter noch für uns recht rätselhaft; ich erinnere allein daran, dass noch jede befriedigende Erklärung für die so interessanten Angaben von Stewart?) fehlt, nach denen, je nach der Art des Eingriffs, von den lädierten Blut- körperchen bald das Hämoglobin, bald die Salze vorwiegend los- gelassen werden. Einen neuen Einblick in die Struktur der Blut- körperchen scheinen mir die mitgeteilten Versuche höchstens noch insofern zu gewähren, als sie für eine gleichmässige Verteilung der Salze über den ganzen Blutkörpercheninhalt sprechen; denn bestände das Innere der Blutkörperchen zu einem erheblichen Teile aus einer „Gerüstsubstanz“, welche keine Salze enthält, so könnte nach meinen Versuchen über den Einfluss des Blutkörperchen-Gesamtvolumens auf die innere Leitfähigkeit, d. h. nach dem Einfluss der Zwischen- 1) Siehe hierzu: Höber, Ergebnisse der wissenschaftl. Medizin Ba. 1 S. 119 (1910) und Biochem. Zeitschr. Bd. 20 S. 56 (1909). Auch das neueste, vor kurzem von Osterhout [Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 70 S. 408 (1910)] vorgebrachte Argument, dass Ca-Salze nachweislich in lebende Pflanzenzellen eindringen, kann ich für keinen Beweis der freien Diffusibilität durch die Plasma- haut hindurch ansehen; siehe dazu meine Ausführungen über physikalische und physiologische Permeabilität (Biochem. Zeitschr., 1. c., und Physik. Chemie der Zelle und der Gewebe 1906 8. 178 ff.). 2) Stewart, Journ. of physiol. vol. 24 p. 211 (1899). Eine Methode, die elektr. Leitfähigkeit im Innern von Zellen zu messen. 253 sehaltung nicht leitender Schichten zwischen leitende (S. 248) die innere Leitfähiskeit nicht so hoch gefunden werden, wie sie tatsäch- lich gefunden wurde. Zusammenfassung. Es wird eine Methode beschrieben, mit welcher es gelingt, die „innere Leitfähigkeit“ von Zellen, d. h. die Leitfähigkeit des Inhalts der unverletzten Zellen zu messen. Es wird gefunden, dass Blut- körperchen, deren Leitfähigkeit, nach der Kohlrausch’schen Methode gemessen, fast gleich Null ist, eine innere Leitfähigkeit besitzen, welche ungefähr derjenigen einer 0,1-norm.-KClI-Lösung entspricht. Daraus ist zu schliessen, dass die Salze im Innern der Blutkörperchen, mindestens vorwiegend, frei und nicht organisch ge- bunden vorhanden sind. 254 Rudolf Höber: (Aus dem physiologischen Institut der Universität Kiel.) Untersuchung erregbarer Nerven bei Dunkelfeldbeleuchtung. Von Rudolf Höber. Durch eine Reihe von Untersuchungen über den Einfluss der Salze bin ich zu der Ansicht gekommen, dass bei der Erregung mit dem elektrischen Vorgang eine kolloidale Zustandsänderung über das erregbare Gebilde hinläuft!). Ich habe nun versucht, den Kolloidprozess optisch nachzuweisen. Seitdem, hauptsächlich durch die ausgezeichneten Arbeiten von Siedentopf, die Methoden der mikroskopischen Untersuchung bei Dunkelfeldbeleuchtung ihre Aus- bildung und hohe Vervollkommnung als ultramikroskopische Methoden, speziell auch als Methoden zur ultramikroskopischen Untersuchung von Kolloiden erlanst haben, erschien es mir gegeben, am lebenden Nerven nach dem angenommenen Kolloidvorgang zu suchen. Die Dunkelfeldbeleuehtung ist ja hauptsächlich dadurch charakterisiert, dass zwar nur ein sehr kleiner Bruchteil des von der Lichtquelle dem Objekt zugeführten Lichtes ins Mikroskop gelangt, nämlich nur der abgebeuste Teil, dass aber dieser Anteil besonders wirksam ist, weil alle Grenzflächen, welche durch die Diffraktion zum Ausgangs- ort von ins Mikroskop eindringenden Strahlen werden, sich auffallend von ihrer dunklen Umgebung abheben; diese scharfen Kontraste, die das Dunkelfeld charakterisieren, sind es ja eben, welche nicht 1) Siehe meine zusammenfassende Darstellung in der Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 10 S. 173 (1910). Ferner: Höber, Pflüger’s Arch. Bd. 106 S. 599 (1905), ebenda Bd. 120 S. 492 (1907). Zentralbl. f. Physiol. Bd. 19 S. 390 (1905). Biochem. Zeitschr. Bd. 14 S. 209 (1908), ebenda Bd. 17 S. 518 (1909). Zeitschr. f. physikal. Chemie Bd. 70 S. 134 (1909). Ferner: Overton, Pflüger’s Arch. Bd. 105 S. 176 (1904). Schwarz, Pflüger’s Arch. Bd. 117 S. 161 (1907). Lillie, Americ. Journ. of physiol. vol. 24 p. 459 (1909). Goldschmidt und Pribam, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Ther. Bd. 6 (1909). Untersuchung erregbarer Nerven bei Dunkelfeldbeleuchtung. 255 nur die Sichtbarkeit der ultramikroskopischen Teilehen, sondern auch das Erkennen von Veränderungen an ihnen ausmachen, und aus dem gleichen Grunde, aus dem man Änderungen in der Beu- gung des Lichtes an sehr kleinen mikroskopischen und ultra- mikroskopischen Teilchen bei Hellfeldbeleuchtung nicht sehen, im Dunkelfeld aber sehr wohl erkennen kann, können einem optische Änderungen, die sich am Nerven bei seiner Erregung abspielen, im Hellfeld bisher entgangen sein, während sie im Dunkelfeld nachweis- bar werden. Ich bin freilich von vornherein mit sehr geringen Er- wartungen an die Untersuchung gegangen. Denn so epochemachend die bisherigen ultramikroskopischen Beobachtungen an kleinsten Teilchen gewesen sind, so wenig ist bis jetzt bei der Untersuchung sröberer Objekte herausgekommen; an deren grossen und unregel- mässig gestalteten Oberflächen wird oft so viel Licht in die ver- schiedenen Richtungen zerstreut, dass alle Konturen verschwimmen und nur eine ziemlich diffuse Beleuchtung resultiert; dazu kommt, dass auf die Weise oft nur wenig Licht ins Innere der innen differen- zierten Objekte eindringt, da das meiste Lieht an der Oberfläche abgebeugt wird. Mit beiden Übelständen hatte ich auch bei der Untersuchung von Nerven zu rechnen, mit dem zweiten namentlich bei der Untersuchung markhaltiger Nerven, bei welchen der prä- sumptive Kolloidprozess im Innern, an den Neurofibrillen zu suchen war. Trotz dieser Bedenken habe ich probiert, ob man bei der Er- reeung eine Veränderung sehen könnte. Die Herstellung des Dunkelfelds: Die meisten Versuche wurden mit dem von Siedentopf konstruierten Paraboloid- kondensor der Firma Zeiss ausgeführt). Als Lichtquelle wurde eine Bogenlampe verwendet. Der ÖObjektträger, auf welchem der Nerv lag, hatte eine der Fokuslage des Kondensors entsprechende Dicke von 1,2 mm. Beobachtet wurde meistens mit einem Apo- chromaten von 4 mm Brennweite und Kompensationsokular 4 oder 18. Zwecks Verbesserung des Dunkelfeldes war zur Verkleinerung seiner numerischen Apertur in das Objektiv eine Einhängeblende gelegt. Unterhalb des Kondensors lag meistens eine Schlitzblende, mit ihrer Richtung senkrecht zur Richtung der beobachteten Nervenfasern; diese Einrichtung erwies sich als sehr vorteilhaft, um die Längsstrukturen 1) Siedentopf, Zeitschr. f. wissensch. Mikroskopie Bd. 24 S. 104 (1907) und Bd. 25 S. 273 (1903). 256 Rudolf Höber: der Nerven, zu denen ja auch die Neurofibrillen gehören, hervor- zuheben, entsprechend den Hinweisen und Beobachtungen von Sieden- topf'), dass das an einem freien Rand abgebeugte Licht ein Intensitätsmaximum hat, wenn das Azimut der Beleuchtung senkrecht zum Rand gelegen ist. Zu einer Anzahl von Versuchen wurde auch die ältere von Siedentopf ausgebildete Methode der Dunkelfeldbeleuchtung ver- wendet, bei welcher die Beleuchtung mit einem Spezialobjektiv mit ganz geringer Apertur, die Beobachtung mit einem Immersionssystem (2 mm Brennweite) vorgenommen wird, dessen Frontlinse in der Mitte plan geschliffen und so weit geschwärzt ist, dass bei guter Zentrierung sämtliche durch das Spezialobjektiv einfallenden und die Distanz zwischen Spezialobjektiv und Immersionsobjektiv glatt durchlaufenden Lichtstrahlen auf die geschwärzte Fläche fallen, und nur abgebeugtes Licht durch die Randpartien des Immersions- objektivs ins Mikroskop eindringt. Diese Methode hat schon an sich die Nachteile geringerer Lichtstärke und vor allem der auffallenden und störenden Ausbildung besonders starker und farbiger Diffraktions- säume um die Objektgrenze herum. Dazu kommen bei der Unter- suchung der Nerven noch als Nachteile hinzu, dass das Immersions- system besonders dünne Objekte verlangt, deren Herstellung bis zu einem einigermaassen ausreichenden Grad der Dünne, wie nachher besprochen werden wird, so wie so schon schwierig ist, und dass ferner aus Gründen, welche ebenfalls nachher ersichtlich werden, die Verschmierung des Immersionsöls mit der Lösung, in der die Nerven liegen, schwer zu vermeiden ist. Dennoch wurde die Methode versucht, weil nach den Erfahrungen von Siedentopf bei ihr das Licht noch eher ins Innere gröberer Objekte eindringt als bei anderen Methoden. Das Untersuchungsobjekt: Die Herstellung eines geeigneten Nervenpräparates machte grosse Schwierigkeiten. Der Untersuchungs- plan musste ja der sein, dass ein Nerv an einer Stelle gereizt, an einer daneben liegenden betrachtet und an einer dritten, darauf- folgenden der Erfolg seiner Reizung geprüft wurde, sei es durch Zuckung eines anhängenden Muskels, sei es durch Ableitung von Aktionsströmen. Der Nerv musste also lang und dünn sein und musste sich gut frei präparieren lassen. Bei der Suche nach einem 1) Siedentopf, Zeitschr. f. wissensch. Mikroskopie Bd. 25 .S. 424 (1908). Untersuchung erregbarer Nerven bei Dunkelfeldbeleuchtung. 257 geeigneten Objekt fand ich diese Bedingungen schliesslich wieder beim Frosch am besten realisierbar, und auch da au dem land- läufigsten Präparat, dem Ischiadieus-Muskelpräparat. Ich habe, bis ich einen brauchbaren Weg fand, viele Versuche mit besonders dünnen Nerven des Frosches gemacht und dabei hauptsächlich Äste des Cruralis, den N. tibialis superfieialis, den N. peroneus medialis, die zu den Zehenmuskeln führenden Endäste des Peroneus, den N. ileo-hypogastrieus und besonders dessen zum Musculus eutaneus abdominis führenden Ast verwendet, welcher nach der Angabe von K. Lucas!) aus nur neun bis zehn Fasern besteht. Alle diese Nerven waren aber immer noch nicht dünn genug, im Dunkelfeld erhielt ich nichts, als eine diffuse Helligkeit, mit der nichts an- zufangen war. Schliesslich stiess ich auf die Angabe von Gross’), dass sich der N. ischiadieus mit Nadeln merkwürdig gut in einzelne Bündel oder einzelne Fasern zerlegen lässt, ohne dass die Leitungs- fähigkeit verloren geht; nach meinen Erfahrungen gelingt die Zer- zupfung besonders, wenn man den Ischiadieus nach der Präparation für 4—5 Tage in physiologische Kochsalzlösung hängt, in der er sich etwas auflockert. Lange nicht alle Nerven vertragen das Zer- zupfen, und die Erregbarkeit sinkt stets, aber immerhin ist doch eine grössere Anzahl von Versuchen geglückt. Die Zerzupfungs- methode habe ich dann auch mit Erfolg auf den Olfactorius vom Hecht angewendet, den ich wegen der Marklosigkeit seiner Fasern ebenfalls untersuchte. Die Versuche: Im speziellen bin ich nun folgendermaassen verfahren: das Ischiadicus-Unterschenkelpräparat wurde nach der Mazeration in Kochsalzlösung auf den Objektträger gelegt, welcher 5><15 em gross ist. Das freie Nervenende kam auf Platindraht- Elektroden, welche auf den Objektträger aufgekittet und zur mög- lichsten Beschränkung der Stromlinien auf die Reizstelle tripolar an- geordnet sind. 10—15 mm von der Reizstrecke entfernt begann die Beobachtungsstrecke, welche etwa 5—7 mm breit war; in diesem Bereich war der Nerv in Kochsalzlösung so fein wie möglich zer- legt, ausgebreitet und dann mit einem Glimmerplättchen zugedeckt. Auch die vorhergehende wie die nachfolgende Nervenstrecke wurde mit Glimmer gedeckt, um zu verhüten, dass das unbequeme breite 1) K. Lucas, Journ. of physiol. vol. 38 S. 113 (1909). 2) Gross, Pflüger’s Arch. Bd. 46 S. 56 (1890). Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd, 133. 17 258 Rudolf Höber: Apochromat-Öbjektiv 4 mm zu leicht nass wurde, oder dass, was sehr oft passierte, bei Benutzung der Immersion das Öl mit der Kochsalzlösung in Berührung kam. Bei der Benutzung der Immersion war die Beobachtungsstrecke mit 3 em langen Glimmerplättchen ge- deckt, deren Enden mit Paraffıin befestigt wurden. Gereizt wurde während der mikroskopischen Beobachtung mit Induktionsströmen, wobei der primäre Kreis bald durch ein Metronom, bald durch einen Wagnerschen Hammer geschlossen und geöffnet wurde. Das Ergebnis war negativ. Man sieht im Mikroskop die einzelnen Nervenfasern, wenn sie isoliert verlaufen, in Form von grauen Bändern mit strahlend hellen Konturen oder breiten hellen Rändern ohne sonstige besonders bemerkenswerte Details; wo die Nervenfasern zu Bündeln vereinigt durchs Gesichtsfeld laufen, sieht man helle breite Streifen, aus denen die Grenzen der einzelnen Nervenfasern meist als noch hellere Linien hervorleuchten. Ich hatte günstigsten Falls erwartet, bei der Erregung eine Helliekeitsänderung zustande kommen zu sehen. Sie trat jedoch nie ein, so gut das dem Nerven anhängende Bein auch zucken mochte. Nach diesem Ergebnis machte ich noch den Versuch, mit mark- losen Nervenfasern weiter zu kommen, bei denen möglicherweise der nachzuweisende Kolloidvorgang frei zutage treten konnte. Dazu wurde der Olfaetorius vom Hecht in der üblichen Weise herauspräpariert'). Es zeigte sich, dass er sich mit Nadeln ausserordentlich leicht in feine Bündel aufspalten lässt, während die Aufsplitterung in einzelne Fasern nicht so gelingt, wie beim Ischiadieus. Auch der Olfactorius verträgt diese Behandlung, ohne seine Erregbarkeit zu verlieren. Um das Vorhandensein derselben zu prüfen, wurde von dem der Reizstelle entgegengesetzten Ende des Nerven mit in Kochsalzlösung getränkten Fäden zu Kalomelelektroden abgeleitet und von da zu einem empfindlichen Kapillarelektrometer, das Nervenende hatte ther- mischen Querschnitt. Der Ruhestrom wurde kompensiert und dann gereizt. Es ist mir so in vier Versuchen geglückt, Aktionsströme nach der Zerzupfung und sowohl vor der mikroskopischen Beob- achtung wie nach ihr nachzuweisen. Am mikroskopischen Bild änderte sich jedoch auch diesmal nichts. Es ist mir also bis jetzt nieht gelungen, die Existenz der kolloidalen Zustandsänderung bei der Erregung, 1) Siehe dazu: Garten, Beiträge zur Physiologie der marklosen Nerven. 1903. Untersuchung erregbarer Nerven bei Dunkelfeldbeleuchtung. 259 deren Vorhandensein ich vermute, aufoptischem Wege nachzuweisen. Dies negative Ergebnis ist aber selbstverständlich nicht als eine Widerlegung meiner Annahme anzusehen. Denn die Bedingungen für die Sichtbarkeit des Kolloidvorganges sind bei meinen Versuchen aus mehreren Gründen keine günstigen; erstens fällt bei der Untersuchung der markhaltigen Nervenfasern ins Gewicht, dass möglicherweise der an den Neurofibrillen sich abspielende Vorgang durch die massige Marksubstanz verdeckt wird; zweitens ist zu be- denken, dass, wenn sich der markhaltige Nerv so weit zerzupfen lässt, dass neben Bündeln von Fasern auch isolierte Fasern zu sehen sind, ohne dass die Erregbarkeit erlischt, doch nicht zu sagen ist, ob der Erregungsvorgang nun wirklich auch die isolierten, gut zu beobachtenden Fasern passiert, ob er nicht vielleicht bloss durch die diekeren Bündel nicht voneinander getrennter Fasern läuft, während die ganz isolierten Fasern ihre Erregbarkeit eingebüsst haben; drittens sind die Versuche an marklosen Nerven nicht endgültig be- weisend, weil hier die Zerlerung in einzelne Fasern nicht durch- führbar war und ich mich auf die Beobachtung der breiteren Bänder von Nervenmasse beschränken musste. Ich glaube danach die Sach- lage vorläufig so auffassen zu dürfen, dass, sobald ein geeigneteres Objekt gefunden wäre, die Versuche mit der geschilderten Methode von neuem aufgenommen werden müssten. I7* 260 D. Calugareanu: (Aus dem physiologischen Institut der Universität Bukarest.) Chlorschwankungen im Organismus des Wetterlisches (Cobitis fossilis) je nach dem Chlorgehalt des Mediums. Von D. Calugareanu. Seit den Arbeiten von’ L.: Fr&d6riegqg‘), Quinton), V. Henri und Lalou°) wissen wir, dass manche Seetiere (wirbel- lose Tiere und einige Teleostier), den osmotischen Druck der inneren Flüssigkeiten nach der osmotischen Konzentration des Mediums, in dem sie sich befinden, umzuändern vermögen. Allein ich kenne keine Arbeiten, die zeigen, ob diese Erscheinungen auch bei den Süsswassertieren vorkommen können. Die Lösung dieses Problems scheint mir wichtig, wenn wir den Wunsch hesen, die physikalischen Charaktere der bei diesen Tieren das innere vom äusseren Medium trennenden Membranen kennen zu lernen. Es sind zwei Jahre her, seit ich eine Reihe von Versuchen angestellt habe, die den Zweck hatten festzustellen, bis zu welchem Grade der Organismus eines Süsswasser-Knochenfisches (der niemals ins Meer gelangt) imstande ist, in einem diluierten Medium Salze zu verlieren oder in einem konzentrierten Medium Salze zu. ge- winnen. Das Versuchstier war der Wetterfisch, die geprüften Salze die Chloride. Es war nicht möglich, in diesen Versuchen die osmotische Konzentration der inneren Flüssigkeiten zu messen, indem die Tiere 1) Arch. de zool. experim. t.3. 1885, et Bull. de l’Acad. roy. de Belgique (classes des sciences) 1882 et 1901. 2) C. R. Akad. Sciences, 26. November und 3. Dezember 1900. 3) Journ. de Physiol. et Pathol. generale t. 6. 1904. Chlorschwankungen im Organismus des Wetterfisches (Cobitis foss.) ete. 261 zu klein sind, um die nötigen Flüssiekeitsmengen, liefern zu können. Ich glaube aber, dass diese Bestimmungen nicht unentbehrlich sind, um die Ergebnisse zu verstehen, indem ich mir vorgenommen habe festzustellen, dass Salze, wie die Chloride, den Organismus ver- lassen und in denselben eindringen können, in experimentellen Bedingungen, die mit dem Leben verträglich sind. Technik. Der Fischvorrat ist in einem grossen, mit Leitungswasser gespeisten Aquarium aufbewahrt worden, woselbst die Tiere keinerlei Nahrung bekamen. Der Wetterfisch kann während einer Dauer von 6—7 Monaten ohne Nahrung lebendig bleiben. Von diesem Vorrat wurden mehrere Individuen genommen und in mit destilliertem Wasser gefüllte, 3—4 Liter fassende Glasgefässe gebracht; das Wasser ist mindestens einmal täglich gewechselt worden. Unter diesen Be- dingungen bewahrte ich die Fische 41—169 Tage lang. Andere Individuen wurden in 7—10 Liter fassende Glasgefässe gebracht, die mit Salzwasser gefüllt waren. Das salzige Gemisch bestand aus Leitungs- und Meerwasser (entnommen dem Schwarzen Meer, im Norden des Hafens Constantza) in verschiedenen Pro- portionen. Um die Tiere den salzigen Konzentrationen, die höher (stärker) waren als das Leitungswasser, anzupassen, verfuhr ich immer stufenweise, indem ich mit schwachen Mischungen begann und immer mehr Meerwasser nahm, bis ich zu einem Verhältnis von 60, 70 und 50 Teilen Meerwasser vom Hundert gelangte. In diesen maximalen salzigen Konzentrationen lebt die Cobitis verhältnis- mässig recht lang, bis zu 11 Tagen, ohne deutliche Krankheitserscheinungen auf- zuweisen. Nur wern eine stärkere, 80°o Meerwasser enthaltende Mischung ver- wendet wurde, wurden einige Individuen nach 2 oder 3 Tagen leidend, die Augen wurden undurchsichtig, und nach weiteren 2 oder 3 Tagen verendeten sie. Andere Tiere vertragen auch diese Mischung ohne jedwede Schädigung während 10—11 Tagen. — Zu Versuchszwecken sind immer nur gesunde Fische verwendet worden, nie kranke, selbst wenn ihr Leiden noch so uubedeutend war. Im Organismus der in diesen Konzentrationen gehaltenen Fische bestimmte ich das Wasser, die Trockensubstanz und das Chlor. Zu diesem Zweck wurden die dem destillierten Wasser entnommenen Tiere zunächst mit Filterpapier getrocknet und in Porzellantiegel, deren Gewicht genau bestimmt war, gewogen. Die dem Leitungswasser entnommenen Tiere sowohl wie jene, die im Salz- wasser aufbewahrt wurden, wurden zunächst mit destilliertem Wasser eingehend gewaschen, dann mit Filterpapier getrocknet und hierauf gewogen. Nach dem Wiegen wurden die Fische durch Hitze getötet: die Tiegel wurden in heisses Wasser bis zur Hälfte ihrer Höhe versenkt, wobei ihr Deckel fest aufgedrückt wurde, damit das Tier nicht nach aussen gelange. Hierauf wurden sie in den Brutofen bis 110° gebracht, woselbst sie bis zum konstanten Gewicht eintrockneten. 262 D. Calugareanu: Nachdem Wasser und Trockensubstanz bekannt waren, goss ich in dieselben Tiegel über die Trockensubstanz etwa 10 ccm eines Gemenges einer konzentrierten Lösung von CO,Na, und chemisch reinem NO3K, liess es von neuem trocknen, veraschte und bestimmte hierauf das Chlor mittels 2 NO3Ag. Die Ergebnisse der 57 in dieser Weise vorgenommenen Analysen sind in der folgenden Tabelle verzeichnet. Zur vollständigeren Würdigung derselben, lasse ich an dieser Stelle auch einige physi- kalische und chemische Eigenschaften der Medien folgen, in denen die Tiere gehalten wurden. A = 0,015 — 0,020 ° 1. Leitungswasser Kos. : 1074 = 3,846 — 4,009 Cl = 0,015 — 0,02 /oo NaCl. A: 0,6592 2 3 1 7 2. s nn + Kar 102 2 187.153 ) Teile Leitungswasser CI — 9,857 %oo NaCl. EAN RR | A4.-— 0,1300 3. 70 Teile Meerwasser + keys Cl —= 11,466 °/oo NaCl. 4. 80 Teile Meerwasser + 20 Teile Leitungswasser A — 1,005 - 104 —.297,804 16,526 %/oo NaCl 'ockenes Residuum 18,775 /oo Sulfate = 3,308 %/oo SO,Ba. (Siehe Tabelle I, II, III auf S. 263, 264 und 265.) Meerwasser ohne Beimisehung (Sn { J | { ( | L ( ) 30 Teile Leitungswasser . .| ( ( ji I ( E Ko; el Tı | ( Die Vergleichung der Durchschnittsziffern, die für jede Kategorie von Versuchen erzielt wurden, zeigt erstens, dass der Organismus der Fische die in destilliertem Wasser gelebt haben , wasserreicher und chlorärmer geworden ist im Vergleich zu denjenigen, die im Leitungswasser verweilten — wir verwenden sie zu Vergleichs- zwecken —, während der Organismus der im Salzwasser auf- bewahrten Fische den gleichen Wassergehalt behielt, aber viel Chlor gewinnt, wie dies aus der folgenden zusammenfassenden Tabelle (8. 265) ersichtlich ist. 3 Chlorschwankungen im Organismus des Wetterfisches (Cobitis foss.) et. 263 Tabelle Il. Analyse der Wetterfische, die in destilliertem Wasser verweilt haben. Nummer des Versuches jan SODAITIIERDDM la Datum | Lebend- des der Versuches Tiere 1905 g g 27. März 27. 8. April 8. »„ & n 8. ” 2 13. Mai > "ed. n 5 De,.y Ben 228 5 Do &, 221, Da SE S. Juni °. „ Br, Ö. „ 8. 48,959 30,356 | 29,738 a 32,248 29,786 96,814 26,082 39,632 | 44,626 25,146 28,142 31,001 17,164 27,080 27,646 25.636 4: 2: ’ 50 38 ‚660 | Durchschnitt | 32,268 | 31,834 en ILSER 6.675 ar 6,748 6,362 9,675 10.932 6,069 6,33: 6,366 3,770 5,940 6.166 9,224 8.975 7,807 1,276 | | | E47 | | Zeit während Cl | Wasser |Clin NaCl gewicht |Trocken-| inNaCl | pro 100 Jausgedrückt der die Tiere substanz| AUS | des | pro 100 in dest. Wasser ver- weilt haben gedrückt) Lebend- des Lebend- g | gewichts gewichts 0,073 TTS 70:229 41 Tage 0,084 75,002 | 0,172 4 „ 0,053 79,322 0,173 16975 0,045 | 77,392 0,153 169, 0,050 80,858 0,117 SER 0,043 79,304 0,133 DD 0,073 75,418 0,245 3% 0,053 74,83 0,196 Sms 0,055 75,608 0,213 On 0,059 78,111 0,148 Sa 0,064 175,145 0,144 Sum, 0,052 76,111 0,206 JOwRE 0,055 77,492 0,197 el Fr 0,055 | 77,852 0,177 Hbn= 0,045 77,990 0,237 I „ 0,047 73,065 0,172 I RL 0,049 77,699 0,179 hoAy 2 0,041 79,544 0,159 29 0,056 78,807 0,202 254: 0,072 19,725 0,156 112 0,058 | 77,572 0182 | Tabelle 1. zum der ae weriren, die in Leitungswasser verweilt haben. SR, Lebend- | € | Wasser | Cl in NaCl Ba: gewicht | Trocken- | in NaCl | pro 100 | ausgedrückt =2 1 der | gubstanz aus- des | pro 100 =5 Versuches Tiere | gedrückt | Lebend- | des Lebend- > 1908 g | g g | gewichts gewichts | | 1. 15. April 28,729 6.799 0.078 76,334 0,274 2. 19.230 50,384 12,591 0,120 75,009 0,238 3% 13. Mai 29,944 7,418 0,060 | 75,227 0,199 4. ap rn 40,797 9716222 172009 76:0 0,243 3. lo, 49,617 11.560° | 0:104272|7 76,687 0,204 6 BR 38,750 9396 | 0061 | 75,696 0,158 7: 32-00; 41,101 9,709, 17 0:06 ee 276:577 0,149 8. 22 45,378 | 11,042 0,085 75,666 | 0,189 9. DD 27072 | 6913 | 0,056 74.467 0,205 10. Di 27,685 Ga 00 76,194 0,275 He; 9277, 38,067 10,050 0,081 | 75,599 0,213 12. 19. Juni 28,562 5,898 0,055 | 79,350 0,194 3.50) A 33,331 1654 | 0,067 | 77,036 0,202 De. 2192. 38,752 | 8736 | 0,070 77,456 0,181 1.319, , 38.678 8,157 0,090 78,910 0.234 16. 19% 38,800 8,738 0,098 77,479 0,253 17: 19.4 6 42,078 | 10,010 0,114 78,589 0,271 {8° 19. „ 37,900 | 8038 | 0,101 78,791 0,268 Be re 79 om 76.960 |. 023 Durchschnitt | 37,166 | Ss | 0081 | 7631 | 02% : | TE | 9er0 9.992 8020 gee's 08F'98 re SHISHA OL E N . ! | 9209 se | sIEL SIa TE sI 0% 8 2 N ss | nn 662° 18672 ad m L 8 “ 180°6L 5 197.8 rlE71 In einer anderen Versuchsreihe wurde das Galvanometer an- statt des Präparats eingeschaltet, wobei die Schaltung sich nicht von derjenigen unterschied, die am Anfange dieses Abschnitts beschrieben ist (die beiden Kontakte befanden sich also jetzt in den beiden primären Kreisen). Dann war immer dieselbe Ablenkung zu beobachten, gleichgültig ob die beiden Reize gleichzeitig oder mit zeitlichem Abstand erfolgten, vorausgesetzt dass dies Intervall klein im Vergleich zur Schwingungsdauer des Galvanometers war. Damit ist bewiesen, dass die später beschriebene „Subtraktion“ nicht etwa einen rein physikalischen Grund hat. Zu den Versuchen an glatten Muskeln dienten zwei grössere Induktorien mit Kernen, die nach denselben Methoden untersucht wurden. Hier brauchten die Öffnungsströme zu ihrem Ablauf be- trächtlich längere Zeit, nämlich 0,009 Sek. Das kleinste Reizinter- vall (ausser Null) betrug aber bei diesen Versuchen 0,042 Sek., so dass die Verwendung dieser Ströme unbedenklich war. Über die Zubereitung und Behandlung der Untersuchungs- objekte wird bei der Besprechung der Versuche das Nötige gesagt werden. Versuche. A. Quergestreifte Muskulatur. Als Untersuchungsobjekte dienten überlebende Gastroenemien (nur unvergiftet) und Sartorien (unvergiftet und ceurarisiert) von Esceulenten und Temporarien. Der bequemeren Handhabung wegen verzichtete ich auf unpolarisierbare Elektroden, da nach den Unter- suchungen von Gildemeister') bei den Studien über Interferenz die Verwendung von Platinelektroden durchaus zulässig ist. Die Muskeln waren mit geringer Belastung (Gastroenemien einige Gramm, Sartorien 0,7 g) an leichten Schreibhebeln befestigt, welche die Zuekungen auf einer stillstehenden Kymographiontrommel aufzeich- neten. Nach jedem Strich wurde diese ein wenig gedreht. Die Versuche folgten einander im Abstande von 30 Sekunden, um die Ermüdung möglichst hintanzuhalten. Sie verliefen in folgender Weise: Zuerst wurde durch Veränderung des primären Stromes und des Rollenabstandes bei beiden Induktorien der Schwellenwert der Öffnungsströme aufgesucht. Dann wurde der Reiz I so weit ab- 1) M. Gildemeister, Beiträge zur Physiologie und Pathologie, herausgeg. von OÖ. Weiss (Festschrift für L. Hermann) $. 53—58. Stuttgart 1908. 373 Siegfried Levinsohn: geschwächt, bis weder graphisch noch bei direkter Betrachtung des Muskels irgend eine Reaktion festzustellen war. (Wenn man auf die Lichtreflexe , besonders in der Nähe der Kathode, achtet, so macht die Entscheidung, ob ein Reiz über- oder unterschwellig ist, gar keine Schwierigkeit.) Der Reiz II wurde dagegen so weit ver- stärkt, bis die Zuckung !/s bis '/a der maximalen Höhe hatte'). Dann folgten einander die fünf Teilversuche: «. Reiz I allein; ?. Reiz II allein; y. Reiz I + Reiz Il in bestimmtem, auf der Milli- ıneterskala des verschiebbaren Kontaktes ablesbarem zeitlichen Ab- stande; d. derselbe Teilversuch y wiederholt; &. zur Kontrolle noch- mals Teilversuch %. — Wenn eine solche Versuchsserie beendigt war, so folete sofort eine andere mit verändertem Intervall, wobei ich ge- wöhnlich um ganze Millimeter fortschritt (1 mm = 0,00045 Sek.). 1. Unvergiftete Gastroenemien. Die ersten Versuche sind nur als Vorversuche zu betrachten, bei denen ich mir die nötige Fertigkeit in der Handhabung des Instrumentariums erwarb. Die Muskeln wurden teils unbedeekt untersucht, wobei sie von Zeit zu Zeit mit Locke’scher Lösung (NaCl 0,6, KCl 0,01, CaCl 0,02 in 100 Wasser) bepinselt wurden, teils nach dem Vorgange von v. Kries und Sewall unter ihrer eigenen Hautbedeckung, teils in einer feuchten Kammer. Der eine Platindraht wurde an der Sehne be- festigt, der andere an der dicksten Stelle in das Muskelfleisch hinein- gestochen. Dieser primitiven Methodik entsprechend waren die Re- sultate ziemlich schwankend, aber in 6 unter 17 Fällen deutlich positiv, d. h. der Doppelreiz wirkte bei einem gewissen Intervall weniger als der Einzelreiz. Irrtümlich benutzte ich zuerst eine falsch zusammengesetzte Locke’sche Lösung (zu viel K und Ca). Das mag auch zu dem ungleichmässigen Resultat beigetragen haben. Einige Beobachtungen will ich noch erwähnen. Das Subtraktions- stadium war manchmal deutlicher, wenn die Sehne zur Anode gemacht wurde. Ferner schien es von günstigem Einfluss zu sein, wenn der mit den Kathoden der Induktorien verbundene Platindraht nur wenige Muskelfasern schlingenförmig umfasste. Von technischen Kunstgriffen, die sich als sehr nützlich für die Erlan- gung guter und ausdauernder Präparate erwiesen, mögen noch folgende angeführt werden: Bei der Tötung des Frosches ist es gut, in bekannter 1) Die besten Resultate geben solche Muskeln, bei denen kleine Änderungen der Reizstärke grossen Änderungen der Zuckungshöhe entsprechen. Über die Wirkung schwacher elektrischer Doppelreize etc. 373 Art mit der Durchschneidung der Wirbelsäule dieht über dem Becken anzufangen, damit die Beinmuskulatur durch das Ausbohren usw. nicht unnütz erregt wird. Ferner scheinen Frösche, die in Holzgefässen aufbewahrt sind, viel ausdauernder zu sein als solehe, die in Zink- gefässen gesessen haben. Als ich diese Vorsichtsmaassregeln be- achtete, gaben gegen das Ende meiner Untersuchungen, die vom November bis März dauerten, fast alle Versuche ein positives Re- sultat, während das, wie schon erwähnt, am Anfange anders war. Tabelle]. Resultate der Doppelreizung von quergestreiften Muskeln. + Summation (++ sehr stark), — Subtraktion (—— sehr stark), — Indifferenz. Erster Reiz unter- schwellig, zweiter submaximal, nur beim Intervall — 1 umgekehrt. v absteigender, + aufsteigender Strom. @ Intervalle zwischen subliminalem und submaximalem Reiz. Nr. Versuchs- Einheit 0,00045 Sek. objekt | = Ft z . -1| 0 [05| ı |15) 2 | # | 6] 8 |10|15] 20 |25]30]40|50 2 | Fl 25 a == - za) | 6 | Gastro- | ale = ZN IRA TSRSN | 7 - I _ == — — = _— = | | g | enemius | | =: | 9 | unvergiftet BERSIRUE I ER yluksp ir a IURSı == 16 | | u — 20 ++ —— — = 25 |Sartorius | Seal Di | 26 | unver- % ji | al Fer PL Na nn giftet ) = + | = = = Zn | Y c ar = = | 28 |Sartorius Et: ——l—— = | 29 unvollständiee ++ — == — 1, |] 3 curarisiert ++ —— | _ Ne 33 + er —_ 35 |Sartorius|+ + + = == —- = = == 2) ! FE — 36 | voll- a =| |=| | 37 }| ständig HR er a RE a BE 3 curarisiert Zi ı — u ||, E— — | 3 - — | -— Die Resultate der sechs positiven Versuche sind aus dem ersten Teil der Tabelle 1 zu ersehen. Es braucht wohl nicht besonders gesagt zu werden, dass die Bezeichnung „Summation“ gewählt worden ist, wenn der Doppelreiz eine höhere Zuckung ergibt als der einzelne, dass bei „Subtraktion“ das Gegenteil stattfindet, und dass „Indiffe- renz“ die Gleichheit beider Zuckungen bedeutet. Subtraktion Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133 18 274 Siegfried Levinsohn: findet hier statt bei einem Intervall von ungefähr zwei bis vier Ein- heiten, d. h. 0,0009 bis 0,0018 Sek., einmal noch etwas länger. Es verdient hervorgehoben zu werden, was auch die folgenden Versuche lehren, dass Summation bei quergestreiften Muskeln niemals zu beobachten war, wenn das Intervall zwischen beiden Reizen den Wert von 0,0018 Sek. überstiee. Glatte Muskeln verhalten sich anders. (Vgl. S. 279 Mitte.) Um das Gesagte zu verdeutlichen, ist der Versuch 9 in Fig. 1 abg ebildet. + —— Reizmarken Fig. 1. Versuch 9. Zuckungen eines nicht curarisierten Gastrocnemius bei Doppelreizung. Von rechts nach links zu lesen. Die Zahlen bedeuten Intervalie zwischen Reiz I (unterschwellig) und Reiz II (submaximal); Einheit 0,00045 Sek. Jede Gruppe besteht aus fünf Teilversuchen: «. Reiz I (keine Zuckung); $. Reiz II; y. Reiz I + Reiz II; d. wie y; e. wie 8. Summation bei 0 und 1, Subtraktion bei 2 und 4, Indifferenz bei 10 und 50. 2. Unvergiftete Sartorien. Da bei der beschriebenen Technik wahrscheinlich immer nur einzelne Fasern des Gastroenemius gereizt wurden, und da sich dieser Muskel überhaupt wegen seiner unregelmässigen Faserung zu direkten Reizversuchen schlecht eignet, eing ich zu der Benutzung des Sartorius über. Zuerst hatte ich hier keinen Erfolg; erst als ich alle oben beschriebenen Vorsichts- maassregeln beobachtete und ausserdem zum Zweck des sauberen Präparierens eine stereoskopische Lupe benutzte, kam es fast gar nicht mehr vor, dass ein Versuch negativ ausfiel. Die beiden Endsehnen wurden sorgfältig geschont. Um die Erregbarkeit möglichst gut zu konservieren, wurde der Muskel ganz in Locke’sche Lösung versenkt. Die „nasse Kammer“ bestand aus einer Glasröhre von 55 mm Länge und 19 mm Weite. Unten war sie mit einem Gummistopfen verschlossen, durch den ein kurzes Glasröhrehen hindurchgesteckt war. Dieses trug wieder an seinem dem Innern der Kammer zugekehrten Ende ein Stück Kork. auf dem die Beckensehne des Muskels mit einer Nadel festgesteckt wurde. Die stromführenden Platindrähte, voneinander durch Paraffın isoliert, liefen durch das Glasröhrehen und durchbohrten den Kork, der mit Paraffın getränkt war. Der eine berührte den Muskel Über die Wirkung schwacher elektrischer Doppelreize etc. 275 möglichst dicht an der Beckensehne, der andere 2 mm weiter distal. An die Kniesehne wurde ein feiner Seidenfaden geknüpft, dann wurde die Kammer mit der Öffnung nach oben festgeklemmt, mit Locke- scher Lösung gefüllt und schliesslich der Faden mit dem Schreibhebel verbunden. An einem dauernd eingetauchten Therniometer konnte die Temperatur der Flüssigkeit, die zwischen 14 und 16° C. schwankte, abgelesen werden. Die Induktionsströme hatten meistens absteigende Richtung; wo es anders war (Versuch 27 und 37), ist es in der Tabelle be- sonders erwähnt. Die Resultate sind aus dem zweiten Teil der Tabelle 1 zu er- sehen. Auch hier ist etwa in demselben Bereiche wie beim Gastro- enemius deutliche Subtraktion zu erkennen. Der Versuch Nr. 27, von dem der erste Teil in Fig. 2 reprodu- ziert ist, verdient besondere Beachtung. Hier zeigte sich mit aller Sieherheit eine Beeinflussung des Subtraktionsbereichs von der Strom- richtung. Das Intervall 7 fiel bei absteigendem Strom schon in den Subtraktionsbereich, während es bei aufsteigendem noch dem initialen Summationsbezirk angehörte. Dass hier kein Zufall obwaltete, lehrt der Kontrollversuch (27e). Vielleicht fiel im ersten Falle die Kathode in !die Gegend der Nervenendigungen, wo nach Keith Lucas!) zwei, verschiedenen Gesetzen folgende, erregsbare Sub- stanzen vorhanden sind. Fig. 2. Versuch 27a. Sartorius, nicht curarisiert. Von rechts nach links zu lesen. Erklärung siehe Fig. 1. Steigende Erregbarkeit. 3. Curarisierte Sartorien. Das Ergebnis der oben be- schriebenen Versuche deckt sich ungefähr mit den von Gilde- meister am Nervmuskelpräparate erhobenen Befunden. Das konnte 1) Keith Lucas, Journ. of physiol. vol. 35 p. 103—114. 18 * 276 Siegfried Levinsohn: daran liegen, dass auch hier die im Muskel verlaufenden Nerven ge- reizt wurden, obgleich diese Erklärung für die Sartoriusversuche nicht sehr wahrscheinlich ist. Denn die Kathode lag. dort, wo nach Kühne keine Nerven vorhanden sind. Um die Frage, ob auch die Muskel- substanz ein Subtraktionsstadium besitzt, zu entscheiden, benutzte ich durch Curare entnervte Muskeln. Das Gift wurde in 1oiger Lösung (gewöhnlich 1,5 eem) in den Rückenlymphsack eingespritzt und das Präparat erst dann angefertigt, wenn das Tier vollständig bewegungslos geworden war. Bei der Präparation untersuchte ich durch elektrische und mechanische Reizung des N. ischiadieus, ob das Gift die indirekte Erregbarkeit der Muskeln vollständig auf- gehoben hatte. Wenn das der Fall war, so wurde das Tier als „vollständig eurarisiert“ bezeichnet, wenn aber noch die geringste Reaktion zu erzielen war, als „unvollständig ceurarisiert“. Als ich frisches Curare von Grübler-Leipzig benutzte, kam letzteres nicht mehr vor. Es ist noch zu erwähnen, dass die vollständig vergifteten Muskeln in Yıo Y/oiger Curare-Locke-Lösung untersucht wurden, damit das Gift nicht etwa ausgewaschen werden konnte. (Nach den Angaben von Keith Lucas!) hätte schon Y/ıo dieser. Konzentration zu dem be- absichtigten Zwecke genügt.) Eine stärkere Lösung habe ich des- halb nicht benutzt, weil Curare nach der Arbeit von Mines?) sehr reich an löslichen anorganischen Substanzen ist. Die Resultate sind im dritten und vierten Teil der Tabelle 1 dargestellt. Sie sind ganz identisch mit den früheren (Intervall 0 mm?): Summation; 1 mm: schwankend; 2 und 4 mm: Sub- traktion; 10 mm und mehr: Indifferenz.).. Der Muskel verhält sich nach der Curarisierung also auscheinend genau so wie vorher: die Lage des Subtraktionsbezirkes wird dadureh nicht merklich verändert. Die Fieg. 3 und 4 führen die Versuche 29 (unvollständige Ver- giftung) und 35 (vollständige Vergiftung) vor Augen. Letzterer zeigt deutlich, dass die Subtraktion sich auf einen ganz kleinen Bereich beschränken kann (vel. Intervall Z mit 2 und 6). Noch auffälliger ist dies bei Versuch 25 (s. die Tabelle). Nach den Ergebnissen dieses Abschnittes ist die nebenstehende Fig. 5 gezeichnet worden. Die Einzelheiten sind aus der Legende 1) Keith Lucas, Journ. of physiol. vol. 36 p. 126. 2) Mines, Journ. of physiol. vol. 37 p. 416. 3) 1 mm = 0,00045 Sek. ID [I 1 Über die Wirkung schwacher elektrischer Doppelreize etc. rm sthttg ft re Fig. 3. Versuch 29. Sartorius, unvollständig curarisiert. Von rechts nach links zu lesen. Erklärung siehe Fig. 1. Anscheinend starke Ermüdbarkeit (in2jeder Gruppe nehmen die Zuckungen ab, auch wenn kein sichtbarer Erfolg eingetreten ist.)] Amin en en He 6112405000 4 30 Fig. 4. Versuch 35. Sartorius, vollständig curarisiert. Von rechts nach link® zu lesen. Erklärung siehe Fig. 1. Summation bei 0, + 17 und —/, Subtraktion nur bei 4, nicht bei 2 und 6. hi) 4 % 3 = 520, Fig. 5. Quergestreifte Muskeln. Einfluss eines unterschwelligen Reizes auf einen darauffolgenden submaximalen. ...... Zuckungshöhe auf den zweiten Reiz allein. Zuckungshöhe auf den Doppelreiz. Die Zahlen bedeuten Intervalle zwischen beiden Reizen; Einheit !/ı000 Sek. (0). 278 Siegfried Levinsohn: zu ersehen. Die Kurve ist nach links hin nicht weiter fortgeführt worden, weil der Einfluss eines unterschwelligen Reizes auf einen vorhergehenden submaximalen Reiz bei quergestreiften Muskeln noch nicht untersucht worden ist. Bei glatten Muskeln sind solche Versuche angestellt worden; siehe S. 279 und Fie. 7. B. Glatte Muskulatur. Ausser den beschriebenen Experimenten habe ich noch einige an der Magenmuskulatur des Frosches vorgenommen, um festzustellen, ob auch hier ein Subtraktionsstadium zu finden sei. Bisher kennt man nichts derartiges. R. du Bois-Reymond schreibt bei der Besprechung der glatten Muskeln im Nagel’schen Handbuche!) „Ein Stadium, in dem sich der Muskel gegen den zweiten Reiz refraktär zeigte, existiert also nicht. Ebensowenig kommt der Fall vor, dass die summierte Zuckung geringer ausfiele als die Einzel- zuckungen für sich.“ Ich richtete mich ganz nach den Vorschriften von P. Schultz), die sich gut bewährten. Nahe beim Pylorus wurde vom Magen ein zirkuläres Stück abgetrennt; dann wurde der Ring aufgeschnitten und mit zwei Pinzetten von der Schleimhaut befreit. Zur Be- seitigung des Nerveneinflusses bestrich ich dann den Muskelstreifen mit 1°/oiger Atropin- Locke-Lösung; bis auf zwei Fälle wurde er dadurch im Verlauf einiger Minuten ganz schlaff und ruhig. Dann wurde er an einem Ende auf einem Kork festgesteckt und in eine feuchte Kammer gebracht. In der Nähe seiner Anheftungsstelle be- rührte er einen Platindraht, der ihm den Reizstrom zuführte; die Ableitung erfolgte am anderen Ende durch einen Platinhaken, von dem aus der Faden zum Schreibhebel gespannt war. Der Muskel wurde also in seiner ganzen Länge durchströmt. Zur Reizung dienten die beiden grösseren Induktorien mit Kernen, von denen schon bei der allgemeinen Besprechung der Methodik die Rede gewesen ist. Im Vergleich zu den anderen Objekten waren sehr starke Ströme nötig. Der Plattenträger des Myographions wurde jetzt durch ein Uhr- werk bewegt, so dass er in 1 Sek. 0,042 mm zurücklegte. Die Ge- 1) Handb. d. Physiol., herausgeg. von W. Nagel Bd. 6 S. 559. 2) P. Schultz, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1897 S. 307—335; 1903 Suppl. Ss. 1—134. Über die Wirkung schwacher elektrischer Doppelreize etc. 379 schwindigkeit betrug also etwa !/ıoo der früheren. Im übrigen ver- liefen die Versuche in derselben Art. Ich musste aber zwischen je zwei Versuchen mehrere Minuten warten, weil der Muskel sich erst nach dieser Zeit vollständig ausgedehnt hatte. Jede Versuchsserie bestand auch hier aus fünf Teilversuchen, wie S. 272 beschrieben. Daraus kann man ermessen, wie lange eine ganze Versuchsreihe dauerte. Der sehr leichte Hebel war so belastet, dass er auf den Muskel einen Zug von 1,1 g ausübte. Er vergrösserte die Bewegungen auf das 16—19fache. Die beiden Reize wurden wieder so abgestuft, dass der eine eben unter der Schwelle lag, während der andere mit Sicherheit eine kleine Zuckung hervorrief. Da die Erregbarkeit manchmal schwankte, musste ich hin und wieder die Reizstärke beim Übergang von einem zum anderen Intervall verändern, denn es kam darauf an, den schwächeren Reiz dicht unter der Schwelle zu halten. Dies trug dazu bei, dass meine Ergebnisse nicht so klar sind wie bei quergestreiften Muskeln, und ich spreche daher meine Folgerungen mit einer gewissen Reserve aus. Das allgemeine Resultat ist, dass ein sicheres Subtraktions- stadium nicht festgestellt werden konnte, wenn der schwächere Reiz vorausging. In einigen Fällen war (beim Intervall 0,08 Sek.) eine Andeutung davon zu sehen, die aber vielleicht dem Zufall zuzuschreiben ist (siehe Fig. 6, XIII). Dieser Punkt muss noch mit besserem Ver- suchsmaterial entschieden werden. Dagegen ist es ganz sicher, das bei dieser Reihenfolge der Reize in der Regel Summation eintritt [beobachtet von 0,042—3,36 Sek. !)]. Bei Gleichzeitigkeit beider Reize erfolgt, wie nicht anders zu erwarten, Summation. Sehr auffällig ist es aber, dass der Doppelreiz mit grosser Regelmässigkeit weniger wirkt als der stärkere allein, wenn er aus einem submaximalen und einem innerhalb der Latenzzeit desselben nachfolgenden unter- schwelligen Stromstoss besteht?). Das habe ich beobachtet in dem Intervall — 0,042 bis — 0,252 Sek. Das Latenzstadium dauerte in allen Fällen mehr als 1 Sek. Das Gesagte erhellt aus der Tab. 2 und der Fig. 6. Die graphische Darstellung ergibt die Kurve der Fig. 7. 1) Bei quergestreiften ist es anders, siehe S. 274 oben, 2) Bei quergestreiften Muskeln ist diese Reihenfolge noch nicht unter- sucht worden. 280 Siegfried Levinsohn: Tabelle 2. Resultate der Doppelreizung von glatten Muskeln. + Summation, — Subtraktion, — Indifferenz. Erster Reiz submaximal, zweiter unterschwellig. Intervalle in Millimetern. Einheit = 0,042 Sek. Nr 0 1 2 se 5 6 7 VII a 2% De X a 2 _ ran xT — mn er Be u a = Xu AR u | | IIIX + EN Fig. 6. Versuche VIII und XIII. Atropinisierter Magenring. Von rechts nach links zu lesen. Erklärung siehe Fig. 1, aber Zeiteinheit 0,042 Sek. Negative Intervalle: zuerst der submaximale, dann der unterschwellige Reiz; positive Inter- valle umgekehrt. Summation bei O und + 10, Subtraktion bei —3, —2 und +2. De VE sung; -300 -200 100 OÖ +10 +2100 +3907 Fig. 7. Glatte Muskeln. Einfluss eines unterschwelligen Reizes auf einen vor- hergehenden (— 300 bis 0) und auf einen folgenden (0 bis + 300) submaximalen. Die Zahlen bedeuten Intervalle zwischen beiden Reizen; Einheit !/ıooo Sek. (0). ee... Zuckungshöhe auf Einzelreizung. Zuckungshöhe auf Doppelreizung. Zusammenfassung. Im ersten Teile dieser Arbeit wurden quergestreifte Frosch- muskeln (Gastroenemius und Sartorius), teils unvergiftet, teils kurari- siert, durch’zwei Öffnungsinduktionsströme direkt gereizt. Der erste Stromstoss wurde so bemessen, dass er dieht unter der Reizschwelle lag, der zweite war submaximal. Das Intervall zwischen beiden Reizen wurde zwischen 0 und 0,0414 Sek. variiert. Bei sehr kleinem Intervall (bis 0,0004 Sek.) verstärken sich die beiden Reize in bezug Uber die Wirkung schwacher elektrischer Doppelreize etc. 281 auf die Zuckungshöhe, dann kommt eine Periode der gegenseitigen Abschwächung, und schliesslich ist die Zuekung so hoch, als ob der submaximale Reiz allein gewirkt hätte. Das deckt sich mit den früher von Gildemeister bei indirekter Reizung erhobenen Be- funden. Ein direkt oder indirekt unterschwellig ge- reizter Muskel hat ein nicht sofort einsetzendes, rasch verschwindendes relatives Refraktärstadium, in dem er auf submaximale Reize weniger hohe Zuekungen ausführt als vorher und nachher. Im zweiten Teile der Arbeit wurde die glatte Magenmuskulatur des Frosches ebenso untersucht, nachdem sie mit Atropin behandelt worden war. Wenn der unterschwellige Reiz dem submaximalen vorausging, konnte ein Subtraktionsstadium nicht mit Sicherheit festgestellt werden; Andeutungen davon wurden wiederholt be- obachtet. Bei umgekehrter Reihenfolge der Reize aber war ein solches Stadium manchmal deutlich vorhanden. Hier ist die Wirkung eines Doppelreizes vermindert, wenn der unterschwellige Reiz in den Anfang des Latenz- stadiums des submaximalen fällt. 282 A. Lourie: Beitrag zur Lokalisation der Funktionen des Kleinhirns. Vorläufige Mitteilung. Von A. Lourie, Berlin. Es ist gelungen, für die Bewegungen der Arme, Beine usw. eine Lokalisation im Grosshirn zu finden, und sind die hierfür maassgebenden Zentren genau bestimmt. Anders verhielt es sieh im Kleinhirn. Weder klinische Beobachtung noch experimentelle Untersuchung boten genügend Anhaltspunkte, eine bestimmte Lokali- sation möglich zu machen. Am 16. Juli letzten Jahres hatte ich die Ehre, in der hiesigen physiologischen Gesellschaft sechs operierte Hunde zu demonstrieren, an denen ich zum erstenmal eine ganz bestimmte, ganz genau an- gegebene Lokalisation, ein Zentrum im Kleinhirn festgestellt zu haben glaube. Bei meiner Operation habe ich eine ganz bestimmte, eircumseripte kleine Stelle der Kleihirnrinde exstirpiert, die meines Wissens noch nieht Gegenstand näherer Untersuchung und Forschung war, nämlich nur die obere Partie der Rinde, des Ober- wurms: es ist derjenige Teil des Oberwurms, der cerebralwärts von der ersten, kaum sichtbaren Furche des Wurms sich auf das vel. med. ant. lest. (Oben darüber liegt der Kamm und die beiden Hinterhauptslappen.) Die Technik der operativen Methode soll in der demnächst er- folgenden ausführlichen Publikation angegeben und auseinandergesetzt werden. Hier sollen nur kurz Resultat und Schlüsse mitgeteilt werden: bei dem aus der Narkose erwachendem Hunde geht der Kopf nach rückwärts. 24 Stunden nach der Operation sitzt er be- reits munter in seinem Käfig. Nach weiteren 24 Stunden läuft er bereits, er macht nur einen geringen Katzenbuckel und überschlägt sich ab und zu nach vorn. In den folgenden 5—6 Tagen verschwinden allmählich diese Erscheinungen, am 6.—7. Tage ist an einem solchen Tier fast nichts Pathologisches mehr nachzuweisen; erst am 8. resp. Beitrag zur Lokalisation der Funktionen des Kleinhirns. Vorl. Mitt. 283 9. Tage tritt bei allen von mir in dieser Weise operierten Hunden übereinstimmend ein völlig isolierter Tremor eapitis ein, welcher his jetzt in dieser vollkommen isolierten Weise von einer einzigen, ganz genau bestimmten kleinen Stelle herrührend, 16 Monate hindurch anhaltend, bei derInner- vation ganz bestimmter Muskelgruppen eintretend, noch nicht beobachtet und beschrieben worden ist. Die Intensität des Tremors hat die ganze Zeit nicht nachgelassen ; im übrigen war nichts von der Norm Abweichendes festzustellen. Bei drei Hunden, die ich nach 21 Tagen töten liess zwecks Unter- suchung nach der Marchi’schen Methode (kurze Beschreibung der mikroskopischen Präparate endstehend).ergab die Sektion das Fehlen der oberen Partie der Kleinhirnrinde des Oberwurms. Das Zustandekommen dieses Tremors rührt vom Fehlen der ober- flächlichen Rinde des Oberwurms her. Denn hierdurch fehlt den Tieren Stütze und Halt in denjenigen Muskeln. die Kopf und Nacken stützen und aufrecht erhalten. Bei Drehung des Kopfes nach der Seite ist von dem Treinor fast nichts oder nur wenig zu sehen. — Diese Exstirpation zieht ein sehr bestimmtes, sich immer gleich bleibendes Symptom nach sich, wohl ein Beweis, dass es mir gelungen ist, eine Lokalisation im Kleinhirn zu finden, die in Be- ziehung zur Muskulatur der Halswirbelsäule steht. — Auch die Pathologie des Menschen hat solche Fälle von isoliertem Tremor capitis aufzuweisen, die vielleicht auf dieselbe Weise gedeutet werden können. Im Gegensatz zur vorher beschriebenen Fxstirpation habe ich bei anderen Hunden den Oberwurm in toto exstirpiert (eine Operation, die bis jetzt noch nicht unternommen und ausgeführt wurde); nur eine dünne Schicht ist zurückgelassen worden, um den Ventrikel zu schonen. Die operative Technik wird in der grösseren Publikation angegeben werden; hier sollen die Resultate und Folge- rungen erörtert werden. Das Ergebnis einer solchen Operation waren zwei typische, über- einstimmende Erscheinungen, a) eine intensive Störung des Gleich- gewichtes, wie eine solche von einer kleinen, genau bestimmten Stelle herrührend, ein Jahr anhaltend, schwerer wohl kaum vor- kommen dürfte; b) eine ausgeprägte, lediglich auf die Rücken- muskulatur sich erstreckende Schwäche, die sich in einer Krümmung oder Kyphose der Wirbeisäule dokumentiert. Eine solche Schwäche 284 A. Lourie: der Rückenmuskulatur, von einer einzigen bestimmten Stelle herrührend, ein Jahr anhaltend, ist noch nicht beobachtet und be- schrieben worden. — Die Sektion dreier Hunde ergab das Fehlen des Oberwurms fast bis zum Boden des Ventrikels Ein in dieser Weise operierter Hund ist in den ersten 14 bis 18 Tagen vollkommen bewegungslos; sodann versucht er, den Kopf aufrechtzuhalten, der aber, im Gegensatz zu den eingangs be- schriebenen Hunden permanent zittert. Jedoch ist von einem Sich- aufrichten noch nicht die Rede. Ferner fällt jetzt schon eine ge- wisse Krümmung der Wirbelsäule auf. Nach weiteren 3 Tagen ver- sucht das Tier, sich auf die Beine zu stellen, fällt aber sofort um, ohne irgend eine Seite oder Richtung zu bevorzugen. In den folgenden Tagen kann es bereits laufen, wobei es aber wie ein Betrunkener schwankt. Es besteht also eine intensive Störung des Gleichgewichts. Allmählich nehmen diese Erscheinungen ab, doch ist selbst nach 12 Monaten noch immer eine Störung des Gleichgewichts vorhanden. Die oben erwähnte Parese der Rückenmuskulatur wird noch deutlicher, sobald das Tier sicherer auf den Beinen stehen kann. Ein soleher Hund vermag seine Rückenmuskulatur nicht in normaler Weise zu innervieren, was sich in einer gewissen Schwerfälligkeit in den Bewegungen dokumentiert. Das Drehen nach einer Seite geschieht unbeholfen, schwerfällig; man sieht förmlich, dass die Rückenmuskulatur ihre Elastizität eingebüsst hat. In drei ausgezeichneten Röntgenaufnahmen dieser Hunde, die ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Prof. Joachimsthal ver- danke, findet man sehr ausgeprägte Kyphosen, wobei bereits Um- wandlungen im Bereich des Knochens stattgefunden haben (Ab- bildung und eingehendere Besprechung in der grossen Publikation). Abgesehen von der Störung des Gleichgewichts, der ausgeprägten Kyphose und deren Nicht-Bellen [In dieser Weise operierte Hunde bellen die ersten 2—3 Monate überhaupt nicht, in den folgenden nur, wenn sie angebellt werden, oder wenn andere Hunde bellen. Spontanes Bellen kommt selbst nach längerer Zeit kaum vor und ist auch nicht so klangvoll wie beim normalen Hund. Die Untersuchung des Kehlkopfs ergibt eine Andeutung von Kadaver- stellung. Diese bis jetzt unbekannte Tatsache berechtigt auch bei Kleinhirnerkrankungen des Menschen, den Kehlkopf auf das ge- naueste zu untersuchen, um auch dieses neue Phänomen bei Fest- stellung der Diagnose zu verwerten.] habe ich an diesen Hunden Beitrag zur Lokalisation der Funktionen des Kleinhirns. Vorl. Mitt. 285 trotz peinlichster Untersuchung nichts von der Norm Abweichendes feststellen können. Diese intensive, ein Jahr anhaltende Störung des Gleichgewichts tritt ein, nur, wenn die bereits beschriebene Stelle exstirpiert wird. Denn ich habe verschiedene Kontrollversuche an den Hemisphären angestellt, wobei niemals nur annähernde Störungen des Gleichgewichts beobachtet wurden. Auch die übrigen Teile des Wurms habe ich experimentell angegriffen und festgestellt, dass solche Störungen der Rückenmuskulatur kaum andeutungsweise auszulösen sind. Jedoch, je mehr man sich dem Oberwurm nähert, desto deutlicher treten die Störungen ein, um an der bewussten Stelle das oben geschilderte typische Bild darzustellen. Damit habe ich wohl den Beweis für das Vorhandensein einer spezifischen, eireumscripten Stelle in der Tiefe des Oberwurms ge- funden, die für die Störung des Gleichgewichtes pathognomisch ist. Es muss hier ein Apparat bzw. Leitungen eines solchen Apparates liegen, die für die Regulierung des Gleichgewichtes von Ausschlag gebender Bedeutung sind. Diese Gleichgewichtsstörung ist wahr- scheinlich auf die Vernichtung der grossen vorderen Kommissur, die ganz in der Tiefe verläuft, zurückzuführen. (Nähere Begründung behalte ich der nächsten Publikation vor.) Was die oben erwähnte Parese der Rückenmuskulatur anbetrifft, so kommt diese nur durch Exstirpation der totalen Rinde des Ober- wurms zustande. Denn ich habe auch bei einigen Hunden nur die totale Rinde exstirpiert und die Kommissur möglichst unverletzt ge- lassen (durch Sektion bestätigt). Bei diesen Hunden war keine Spur von Gleichgewichtsstörung festzustellen — sie liefen schon 8 Tage nach der Operation —, dagegen bestand das typische Bild der isolierten Parese der Rückenmuskulatur, die Kyphose. Damit elaube ich den Beweis geliefert zu haben, dass es mir gelungen ist, eine Lokalisation zu finden, die für die Innervation der Rückenmuskulatur pathognomoniseh ist, d. h. die tiefere Rinde des Oberwurms ist Sitz und Zentrum für die Muskulatur der Wirbel- säule. Auch die Pathologie des Menschen hat solebe Fälle von schwerer Störung des Gleichgewichtes und Schwäche der Rücken- muskulatur bzw. Kyphose aufzuweisen, die vielleicht auf Grund der vorliegenden experimentellen Untersuchungen ihre Erklärung finden können. 386 A. Lourie: Beitrag zur Lokalisation der Funktionen des Kleinhirns. Beschreibung des mikroskopisch-anatomischen Bildes. Mit der Marchi’schen Methode lassen sich sekundäre De- generationen in mehr oder weniger ausgesprochenem Grade ver- folgen, die im Rückenmark an der Peripherie des Seitenstranges vereinzelt beginnen. Sie sind spärlich vertreten im Corpus restiformae, beiderseits, und den angrenzenden Markstrahlen des Kleinhirns. Ziemlich deutlich sind sie in den Trigeminusfasern zweiter Ordnung. Dagegen finden wir schwere Degenerationen in der Formatio faseieulata und der Vestibularisbahn zweiter Ordnung, die sich bis zur Kreuzungs- kommissur verfolgen lassen, ferner in den beiden Dachkernen. Weniger deutlich lassen sich die sekundären Degenerationen ver- folgen im Velum medullare anticum und in den beiden Bindearmen. In beiden Brückenarmen finden sich sehr unbedeutende Degenerationen; fast ganz frei ist das Gower’sche Bündel, die Umgebung des Nucleus lateralis, ebenso das Corpus trapezoides. In der lateralen Schleife beiderseits finden sich leichte Degenerationen, die mediale Schleife ist fast ganz frei. Untersuchungen über den Sexualeinfluss auf die Bluttemperätur der Vögel. Von Tierzucbtinspektor Dr. Löer. Während Bärensprung!) und Elsching?°) die Behauptung aufstellten, dass die Temperatur der Frauen um ein geringes höher sei als die der Männer, gelangte Nasse°®) auf Grund seiner Be- obachtungen zu einem entgegengesetzten Resultate. Hinsichtlich der Temperaturdifferenzen bei Hengsten, Stuten und Kastraten (Wal- lachen) kam Siedamgrotzky*) zu folgenden Resultaten: Hengste 37,5 °C., Stuten 38,2°C., Wallache 38,5 °C. Nach Endlich’) wiesen die Stuten 0,12 °C. mehr auf als Hengste, Wallache 0,9 °C. weniger als Hengste. Durch eine grosse Anzahl von Messungen bei Truppenpferden wurde bei Stuten eine durchschnittlich um 0,1 ° höhere Temperatur als bei Wallachen festgestellt. Einen erheblichen Unter- schied zwischen der Blutwärme von Bullen und weiblichen Rindern konnte Hajnal‘®) nicht konstatieren. Berneburg‘') fand für Schaf und Ziege, an denen er umfangreiche Erhebungen anstellte, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern nicht bestände. 1) Bärensprung, Untersuchungen über Temperaturverhältnisse des Fötus und des erwachsenen Menschen im gesunden und kranken Zustande. Müller’s Arch. 1851. 2) Elsching, Übersichtliche Darstellung der Wärmeverhältnisse im Tier- körper. Triest 1561. 5) Nasse, Versuche über den Anteil des Herzens an der Wärmeerzeugung. Rheinisch-Westfälisches Korrespondenzblatt 1843/1544. 4) Siedamgrotzky, Beiträge zur Thermometrie der Haustiere. Sächsische Veterinärberichte 1373. 5) Endlich, Untersuchungen über physiologische Unterschiede edler und schwerer Pferde. Inaug.-Diss. 1395. 6) Hajnal, Die Normaltemperatur des Rindes. Berliner tierärztl. Wochen- schrift 1903 Nr. 39 und 40. 7) Berneburg, Untersuchungen über die normale Rektal- und Vaginal- temperatur des Schafes und der Ziege. Inaug.-Diss. Jena 1908. 288 Löer: Einfluss des Geschlechtes auf die Temperatur der Puten. =) Äuss Rektal- Maxi- | Mitte]. , Mini- = ! ages- Nähr- mal- mal- 5 u au. zeit zustand m zahl Zu | al z 0:0: °C. 0. I: a Männliche m | 42,02 AR 41,16 3 |f 9. Er 41.08 4 |) | "\| 42,00 5 41,12 6 \ 20 42,01 a 41,10 8 ern 41,16 9 h 16 12hv. us Schneeputen- 10, 411 ltr gut Bronzeputen- 42,02 | 41,20 | 40,19 12 . 41.17 Kreuzung 2 | | | 41,16 lex 41,13 16 | 1.19 | 41,01 17 41,11 18 |) 41,10 94 97 23h - 41,06 202 a 22) 40,19 b) Weibliche. 1.9 ) 41,08 2 41,11 3 41,12 2 41,14 5 2J. 2hn.!| 41,11 6 41.08 1 41.12 8 | 42,00 rn ' En Schneeputen- 1 \ 20 41119 \ gut |Bronzeputen-| 42,09 41,18 | 40,18 12 1/9 J. | 42.00 Kreuzung 13 1hn.g| 41,13 14 41,14 15 42.09 16 | 41.16 17 & ) 41.04 2.3: ; Is \ıon - Ban 19 | || 41.05 20 ) ) 1] 40,18 In den Kreis der oben bezeichneten vom Verfasser angestellten Untersuchungen wurden gezogen, von den Hausvögeln Pute und Gans und von den wild lebenden Vögeln der Fasan; letzterer in Die Resultate sind genau wie die beim verschiedenen Rassen. Menschen und den Haustieren befundenen verschiedenartig. Der Die Gans zeigt Truthahn ist höher temperiert als das Weibchen. Untersuchungen über den Sexualeinfluss auf die Bluttemperatur etc. 289 hinsiehtlieh des Geschlechtes keinen Wärmeunterschied, während das Fasanenweibehen eine höhere Temperatur aufweist als das Männchen. Jedenfalls spielt bei der Beurteilung der Rektalwärme der Tiere wie des Menschen das Temperament des Einzelindividuums die Hauptrolle. Einfluss des Geschlechtes auf die Temperatur der Gänse. Nummer fer SOOSI9UTPUD» Äuss Temp a 00, zei N 15 | 2h n. | 20 5hn. | 21 6A. 13 5hn. ) 15 | 1lar. | 12 5hn | 15 2h n. | 13 4hn. | 20 12hy. 11/2 J. 2). Landgänse gut 5M. ad. Ua J. Landgänse gut nn } Rasse a) Männliche. Landgänse | gut Emdener Gänse gut Zn a len m me me Von, un nme. b) Weibliche. Landgänse | gut Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 41,06 40,16 41,11 40,16 41,03 40,11 41,01 40,10 41,08 41,03 40,19 41,02 41,10 40,11 41,03 41,06 40,18 40,19 40,17 41,02 Maxi- | yr: | Mini- mal- uuee| mal- zahl | Zahl | zahl och. 00% |, oc | \ 40,65 | 40,05 | J | 141,11 40,65 \ 49,10 | | | I J 19 390 :Löer: Untersuchungen über den Sexualeinfluss auf die Bluttemperatur etc. Einfluss des Geschlechtes auf die Temperatur der Fasanen. le h Zeit | Maxi- |\r4:.].| Mini- = Tages- Alter Rektal R Nähr- der | mal- Mittel mal- = Temp zeit temp. 2 zustand Unter- | zahl zahl „ahl ZART: Da. suchung] ° C. | °C. | ec. a) Männliche. 1] (| 37 42.03 ) 2 1) 42,18 Goldfasan A ae 41) (| 4M 42,18 Ringfasan 5 4M. 42,07 Goldfasan 6 (| 42,04 M 7 || 45.12 ongolischer 8 19 |3h n 6 M. ; 42.02 Fasan 9 {| 42,03 x iesfa 10 0% 43,00 {önigsfasan u 0 05 11 43 03 ich ktober 44, 10 4 „27 42,02 19 | 17 |4n | 42.06 \Amhirstfasan gut 3 DE 42,10 re I Kol 16/7 16 [4b n 43,07 an 17 44,10 18 137J. 43,04 Silberfasan 19 43,00 ner 20 } 15 2 n 1 43.02 h asan |) a) Weibliche. in (| 43,14 nn ) 2 6M ) 42,10 Fasan 3 an 4800) 4|% 19 | 3b. (| 43,08 || 5 42,01 |} Königsfasan 6 2). 42,19 1 42,17 | 8 | [ [ 42,04 II 917 ” Le 6MA| cc, \ Torgnadorz | ziem- 11 | | 42°05 | } lich |Oktober| 43,18 | 42,65 | 42,01 12 5hn.} cl 4sı2 au 13 II 43,18 KR 14|\ ı6 2J. ! 43.02 | Silberfasan 15 | 43,04 16 l (| 43,08 17) 43,09 en y 18 | ale N | 43.07 \ lkr 201) (| 2,10 |) (Aus dem Institut für experim. Pharmakologie der Universität Lemberg. Direktor: Prof. Dr. L. Popielski.) Über die Identität des blutdrucksenkenden Körpers der Glandula thyreoidea mit dem Vasodilatin. Von Privatdozent Dr. &eorg Modrakowski. (Hierzu Tafel II und III.) Zahlreiehe Forscher haben als sichere Tatsache festgestellt, dass mit Wasser, Glycerin oder verdünnten Säuren hergestellte Extrakte verschiedener Organe bei intravenöser Injektion Blutdrucksenkung hervorrufen. Zu diesen Organen gehört auch die Schilddrüse. Da v. Fürth?) erst vor einem Jahre in einem Sammelreferat die Literatur über diesen Gegenstand erschöpfend dargestellt hat, kann ich mich darauf beschränken, die betreffenden Autoren nur in Kürze anzuführen und in bezug auf alle Einzelheiten sowie die genaueren Literaturangaben auf die Arbeit von v. Fürth zu verweisen. Die Mehrzahl der Autoren, die sich mit der Injektion von Schild- drüsenpräparaten beschäftigten, beobachtete danach Blutdrucksenkung ohne besondere Einwirkung auf das Herz. Hier sind zu nennen: Schäfer, HaSkovec, Georgiewsky, Guinard und Martin, Fenevessy, Svehla, Ocaüa, Lohmann, v. Fürth und Schwarz. Im Gegensatz zu den Angaben über Blutdrucksenkung nach Injektion von Schilddrüsenextrakten haben jedoch einige Autoren Erhöhung des Blutdruckes beobachtet. So zählt Livon die Schild- drüse zu den „Glandes hypertensives“. Heinatz gibt ebenfalls an, 1) ©. v: Fürth, Die Beziehungen der Schilddrüse zum Zirkulations- apparate. Ergebn. d. Physiol. 1909. S. 524. - 16)“ 292 Georg Modrakowski: nach intravenöser Injektion des Saftes von Hundeschilddrüsen bei der gleichen Tierart stets Blutdrucksteigerung beobachtet zu haben. Ferner beobachtete Patta bei Anwendung von Salzextrakten der Drüsen oder von Mercek’schem Thyreoidin bald Drucksteigerung, bald Senkung. In neuester Zeit wurde die Frage der Wirkung von Schilddrüsen- extrakten noch einmal von A. Farini und G. Vidoni untersucht). Die Autoren beobachteten bei intravenöser Injektion von Thyreoidea- Extrakt Sinken des Blutdruckes, dem ein leichter Anstieg voraus- ging oder folgte. Auf Grund der vorliegenden Literatur darf die blutdrucksenkende Wirkung von Schilddrüsenextrakten als fast immer auftretender haupt- sächlichster Effekt angesehen werden. Die blutdruckerhöhende Wirkung kommt nur unter gewissen Verhältnissen zur Geltung. Wenigstens geht aus einer Mitteilung von Popielski?) hervor, dass sie erst dann in Erscheinung tritt, wenn sie nicht mehr durch den Effekt der blutdruckerniedrigenden Substanz verdeckt wird, sei es dass diese vorher entfernt wurde oder — wie in nicht mehr ganz frischen Drüsen — der Zersetzung unterlag. Die blutdruckerniedrigende Substanz wurde von Lohmann?) sowie von v. Fürth und Schwarz) als Cholin angesprochen. Gautrelet°) vertritt die gleiche Anschauung. Gegen seine Methodik und Schlüsse traten jedoch Blanchetiere und Chevalier‘) energisch auf. Sie fanden nur Spuren von Cholin 1) Azione degli estratti di tiroide, delle soluzioni di tiroidina, degli estratti di timo sul sistema circolatorio. Lo speriment. fasc. 62 p. 721. Ref. Biochem. Zentralbl. 2) Popielski, Über eine neue blutdrucksteigernde Substanz des Organis- mus von Extrakten der Glandula tbymus, Speicheldrüsen, Schilddrüse, des Pankreas und Gehirns. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 23 Nr. 5. 3) Lohmann, Zur Physiologie der Schilddrüse. Sitzungsber. d. Gesellsch. z. Beförd. d. ges. Naturw. Marburg, 25. Mai 1908. Ref.: Zentralbl. f. Physiol. Bd. 22 Nr. 19 S. 616. 4) Fürth und Schwarz, Über die blutdruckerniedrigende Substanz in der Schilddrüse. Pflüger’s Arch. Bd. 123 8.361 u. l. ce. 5) Gautrelet, Mecanisme de l’action hypoiensive de certaines glandes. C. R. Biol. t. 65 p. 176. — La choline dans P’organisme. C. R. Biol. t. 65 p. 448. — La choline. — Son röle hypoteuseur dans l’organısme. Journ. de phys. et de pathol. gen. no. 2. Mars 1909. 6) Blanchetiere et Chevalier, Sur la recherche de la choline dans le pancr&as et la thyroide. C. R. Biol. t. 67 p. 249. Über die Identität des blutdrucksenkenden Körpers etc. 293 in Schilddrüsenextrakten, die für eine physiologische Wirkung nicht ausreichen würden. Weiterhin ist von mir festgestellt worden, dass die Wirkung des reinen Cholins!) in einer Erhöhung des Blutdruckes besteht. Daher lässt sich die Ansicht, dass Cholin das blutdruckerniedrigende Prinzip der verschiedenen Organextrakte sei, nicht mehr aufrecht- erhalten. Höchstens könnte es sich um Zersetzungs- resp. Um- wandlungsprodukte des Cholins handeln, wenn anders dieses sich überhaupt in genügender Menge in den betreffenden Organextrakten findet, was auf Grund der Untersuchungen von Blanchetiere und Chevalier zu bezweifeln ist. Es ist mit Nachdruck zu betonen, dass die durch zersetzte Cholinpräparate hervorgerufene Blutdrucksenkung (die manchmal nur als anfängliche Wirkung auftritt) stets mit einer Verlangsamung der Herzschläge einhergeht. Diese Wirkung hängt von muskarinartigen Körpern ab, die sich unter den Zersetzungsprodukten des Cholins finden. Darum hebt auch Atropin die erwähnte Pulsverlangsamung vollkommen auf, und der Blutdruck steigt dann stets an. Aus meinen Versuchen geht hervor, dass die Blutdrucksteigerung des reinen Cholins peripheren Ursprungs ist. Bei gleichzeitiger Vasodilatininjektion vermag aber Cholin den Blutdruck nicht zu erhöhen. Daraus wäre im Sinne der von Popielski?) entwickelten Anschauungen zu folgern, dass Cholin erregend auf die Gefässnerven wirkt. Czubalski°) hat im Laboratorium von Popielski gefunden, dass sich im Handelseurare Beimengungen von Vasodilatin finden. Darum tritt nach grossen Curaregaben Blutdrucksenkung infolge von Vasodilatinwirkung ein. Nach Injektion von grossen Curaregaben kann daher Cholin nieht blutdrucksteigernd wirken, wie das auch Pal) festgestellt hat. 1) Modrakowski, Über die physiologische Wirkung des Cholins. Pflüger’s Arch. Bd. 124 S. 601. 1908. 2) L. Popielski, Über die Wirkungsweise des Chlorbaryums, Adrenalins und Pepton Witte auf den peripherischen vasomotorischen Apparat. Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. Supplbd. Festschrift für Schmiedeberg 18 Ss. 435 —442. 3) Pflüger’s Arch. Bd. 133 S. 225. 4) Ss. Pal, Zur Kenntnis der Cholinwirkung. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 24 Nr.1 8.1—2. 2. April 1910. 294 Georg Modrakowski: Dass reines Cholin Blutdruckerhöhung bewirkt, ist inzwischen von einer Reihe von Forschern bestätigt worden. Boruttau!) bestätigt auf der Tagung der Deutschen Physiologischen Gesellschaft in Würzburg (1909) durchaus meine Angabe, dass „Cholinum hydrochl., wenn frisch umkristallisiert und vor Luft und vor allem Licht geschützt gehalten, nur blutdrucksteigernd wirkt“. In der Diskussion schliesst sich ihm R. Müller an, der fand, dass ein vonImpens dargestelltes reines Cholinpräparat keine oder höchstens eine sekundenlange geringe Blutdruckerniedrigung hervor- rief; ältere Präparate bewirkten ihm nach Maassgabe der Zersetzung und Verunreinigung stärkere Blutdrucksenkung. Lohmann da- gegen bleibt dabei, dass auch chemisch reines Cholin den Blutdruck erniedrigt, und beruft sich auf Ruckert, der Cholin durch Ein- wirkung von Oidium lactis und Vibrio cholerae nieht in Neurin, Muskarin oder ähnliche Körper überführen konnte. Demgegenüber weisst A. Heffter darauf hin, dass Gram im Laboratorium von Schmiedeberg bereits vor Jahren durch wenig eingreifende chemische Manipulationen Cholin in einen muskarinartig wirkenden Körper umwandeln konnte. Dieser Befund steht durchaus im Ein- klang mit den von mir beobachteten Wirkungen über zersetzte Cholinpräparate. Weiterhin wird die blutdruckerhöhende Wirkung auch von einer Anzahl von französischen Nachuntersuchern anerkannt, so von H. Busquet et V. Pachon?) und von Parisot?). Ferner sprach Popielski*) gelegentlich seiner Untersuchungen über das Vasodilatin die Ansicht aus, dass das blutdruckerniedrigende Prinzip der Organextrakte nicht Cholin sei, und hebt hervor, dass er es im Darmextrakt nicht fand. Dagegen führte er Belege 1) Boruttau, Über blutdruckerniedrigende Verunreinigungen resp. Zer- setzungsprodukte blutdrucksteigernder Substanzen. Zentralbl. £. Physiol. Bd. 23 S. 293. 1909. Diskussion: Müller, Abderhalden, v. Fürth, Heffter, Lohmann. 2) H. Busquet et V. Pachon, Addition d’effets hypertenseurs de choline et d’adrenaline C. R. Soc. de Biol. t. 67 n0.27 p. 277. 1909. — Sur l’action vaso-constrictive de la choline. C. R. Soc. Biol. t. 67 no. 26 p. 218. 1909. 3) J. Parisot, Le röle de la choline dans les effets cardio - vasculaires produits par les secretions internes. €. R. Soc. Biol. t. 67 no. 36 p. 749. 4) Popielski, Über die physiologische Wirkung von Extrakten aus sämt- lichen Teilen des Verdauungskanales sowie des Gehirns, Pankreas und Blutes, und über die chemischen Eigenschaften des darin wirkenden Körpers. Pflüger’s Arch. Bd. 128 8. 191. Über die Identität des blutdrucksenkenden Körpers etc. 295 dafür an, dass sich in den meisten Organextrakten das von ihm entdeckte Vasodilatin fände und diesem die blutdrucksenkende Wirkung zukäme. Es erschien daher von grossem Werte, die Be- rechtigung dieser Anschauung für ein so wichtiges Organ wie die Glandula thyreoidea genauer zu prüfen und eventuell experimentell zu begründen, um damit unsere Kenntnisse über die Verbreitung und Wirkung des physiologisch so bedeutungsvollen Vasodilatins weiter auszubauen. Auf Grund der Arbeit von Tosaku Kinoschita: „Über den Cholingehalt tierischer Gewebe“ (Pflüger’s Arch. Bd. 132 S. 631) möchte ich noch mit einigen Worten auf das Verhältnis von Cholin zum Vasodilatin eingehen. Der erwähnte Autor sagt: „Wir dürfen wohl nunmehr hoffen, dass die Möglichkeit, das Cholin in Organen quantitativ zu bestimmen, der Aufklärung der physiologischen Bedeutung dieses anscheinend allgemein verbreiteten Bestandteiles tierischer Gewebe und seiner mutmaasslichen Beziehungen zu den Vasodilatinen und Sekretinen zustatten kommen werde.“ Zu- nächst wäre hierauf zu erwidern. dass Cholin wohl aus den ver- schiedenen Organen erhalten werden kann, aber dort, wie ich schon in meiner früheren Arbeit hervorhob, nicht frei vorkommt, sondern als Bestandteil des Leeithins. Aus diesem wird das Cholin erst durch die chemischen Eingriffe bei der Darstellung abgespalten. Zum Vaso- dilatin steht das Cholin in keinerlei Beziehung, was schon daraus hervorgeht, dass Popielski ersteres aus reinem Eiweiss erhalten konnte. Derselbe Forscher stellte es auch aus chemisch reinem Kasein, aus kristallisiertem Eiweiss-Ovalbumin — durch Einwirkung von reinem Magensafte dar. — Von Beziehungen des Cholins zu den Sekretinen kann nicht gesprochen werden, da die Existenz des Sekretins im Sinne von Bayliss und Starling nicht bewiesen ist. Zu meinen Versuchen verwandte ich frische, aus dem Schlacht- hause bezogene Schilddrüsen von Rindern oder Schweinen. Der leichteren Beschaffung wegen arbeitete ich später ausschliesslich mit Schweinedrüsen. Die frischen Organe wurden möglichst von Fett, Bindegewebe und anhängenden Fleischstücken befreit, grob zerkleinert und sorgfältig gewaschen. Dann passierten sie eine Hackmaschine, wurden mit Sand zerrieben, mit etwa der doppelten Menge Ex- traktionsflüssigkeit übergossen und einige Stunden im Schüttelapparat durchgeschüttelt. Als Flüssigkeit wurde Wasser, schwache Essig- 296 Georg Modrakowski: oder Salzsäure benutzt. Wässerige Extrakte erwiesen sich ebenso wirksam wie saure. Die Rohauszüge enthielten grosse Mengen Ei- weiss, die bei schwach saurer Reaktion durch Kochen entfernt wurden, ohne dass die Wirkung der Extrakte sich irgendwie änderte. Die Injektion auf die beschriebene Weise hergestellter Lösungen gab stets das gleiche Wirkungsbild, wie es die folgenden Versuche darstellen. Experiment I. 10. November 1909. Männlicher Hund von 13,5 kg Gewicht. Aufzeichnung des Blutdruckes der rechten Arteria femoralis. Die Injektionen erfolgen in die rechte Vena femoralis. Blutdruck in mm Hg a der 5 erz- Zeit schläge Bemerkungen unterer | oberer | mittl. in 5" 4h 154 194 174 12 4h 5’ bis ANT5 Tg = PEreR u N Injektion von 13,5 cem salzsaurem, neutralisierten Extrakte der Glan- dula thyreoidea vom Rinde, un- gefähr 7 g frischer Drüse ent- sprechend. ARISanT er zer Ei.> ar Beginn der Blutdrucksenkung, die folgende Zahlen erreicht: 4h 5’ 55" 70 102 86 16 Dann allmählicher Anstieg bis auf: 4h 9’ 162 200 181 ie) Dieser Versuch zeigt, dass die Injektion des nicht enteiweissten Extraktes der Glandula thyreoidea, wobei auf 1 kg Gewicht des Versuchstieres eine etwa "/a g frischer Drüse. entsprechende Extrakt- menge kommt, eine bedeutende Blutdrucksenkung von 174 mm Hg bis auf 86 hervorruft, die gegen 40” anhält. Nach 3 Minuten ist der Blutdruck bereits wieder zur Norm zurückgekehrt. Mit der Senkung geht eine Beschleunigung der Herzaktion von 12 Schlägen auf 16 in je 5” einher. Während des nachherigen Ansteigens des Blutdruckes vermindert sich die Pulszahl unter die Norm. Auf die Blutdrucksenkung erfolet eine Periode einer leichten Erhöhung (181 mm Hg gegen 174), die mit einer Verlangsamung der Herz- tätiekeit auf neun Schläge in 5” einhergeht. Experiment II. 25. November 1909. Weiblicher Hund von 4,3 kg Gewicht. Aufzeichnung des Blutdruckes der rechten Arteria femoralis. Die Injektionen erfolgen in die rechte Vena femoralis. Über die Idensität des blutdrucksenkenden Körpers etc. 297 Blutdruck in mm Hg ie Zeit a schläge Bemerkungen unterer | oberer | mittl. | in 5” 10h 59' 55” 76 134 105 10 11h bis 1 (OL — en — = Injektion von 10 ccm salzsauren, von Eiweiss befreiten Extraktes | von Schweineschilddrüsen, etwa 6 g frischer Drüse entsprechend. man u: en ze Beginn der Blutdrucksenkung, die folgenden Stand erreicht: 11h 0’ 40” 34 2 | 10 ala 10% —_ >— — — Der Blutdruck beginnt wieder an- 11m 4’ ss | mo | 18 6 n [e) E > Der zweite Versuch zeigt die Wirkung eines Schilddrüsen- extraktes vom Schweine nach Entfernung des Fiweisses durch Kochen bei schwach saurer Reaktion. Die Wirkung des vom Eiweiss befreiten Fxtraktes entspricht durchaus der des eiweisshaltigen; nur tritt die Pulsbeschleunigung während der Blutdrucksenkung nicht hervor. Jedoch ist das nur als eine zufällige Erscheinung anzusehen, da auch bei der späteren chemischen Reinigung die Pulsbesehleunigung meist mehr oder minder ausgeprägt zur Beobachtung kommt. Die weitere chemische Bearbeitung der Extrakte erfolgte nach den von Popielski und Panek!) aufgestellten Grundsätzen. Die enteiweissten Rohextrakte wurden mit einer 10 °/oigen Lösung von Phosphorwolframsäure in 5 °/o Schwefelsäure gefällt, wobei die blut- druckerniedrigende Substanz in den Niederschlag überging. Dieser wurde abfiltriert, mit schwacher Phosphorwolframsäure gewaschen und dann mit Barythydrat zerlegt. Das Baryum wurde durch Ein- leiten von Kohlensäure, die letzten Spuren mit Schwefelsäure ent- fernt. Die abfiltrierte Lösung wurde auf dem Wasserbade eingedampft und auf ihre Wirkung geprüft. Das folgende Versuchsprotokoll (III) gibt ein typisches Bild der Wirkung des Phosphorwolframsäure- Niederschlages. ; Experiment III. 25. November 1909. Weiblicher Hund von 4,3 kg Gewicht. Aufzeichnung des Blutdruckes der Arteria femoralis dextra. Die Injektionen erfolgen in die rechte Vera femoralis. 1) Popielski und Panek, Chemische Untersuchung über das Vasodilatin, den wirksamen Körper der Extrakte aus sämtlichen Teilen des Verdauungs- kanales, dem Gehirn, Pankreas und Peptou Witte. Pflüger’s Arch. Bd. 128 S. 222. 298 Georg Modrakowski: Blutdruck in mm Hg a Zeit = Bemerkungen z schläge unterer | oberer | mittl. in 5” 10h 34' 55" 78 166 122 10h 35’ bis 10h 35 ' 4' AuıE Yekı mn —— Injektion von 4!/2 ccm der Lösung des Phosphorwolfram - Niederschlages eines Extraktes aus Schweine- [0 0) schilddrüsen. 105 35’ 10” ehe int un A Beginn der Blutdrucksenkung, die 3 folgenden Stand erreicht: 10h 35’ 50” 36 76 56 10 Dann allmählicher Anstieg auf: 10h 39’ 120 192 156 Ü Aus dem angeführten Versuchsprotokoll ist ersichtlich, dass die Wirkung des Phosphorwolframsäure-Niederschlages genau gleich der des ursprünglichen Extraktes ist. Auch kommt die Beschleunigung der Herzaktion während der Senkung, sowie die Verlangsamung bei der nachfolgenden Erhöhung des Blutdruckes deutlich zur Geltung. Zur weiteren Reinigung wurde die Lösung des Phosphorwolfram- säure-Niederschlages in einer Hofmeister-Schale mit Seesand ab- gedampft und im Vakuum bei leichter Erwärmung vollkommen ge- trocknet. Die gepulverte Masse wurde sodann im Sehüttelapparat energisch mit absolutem Alkohol ausgeschüttelt und die alkoholische Lösung abfiltriert. Diese wurde zur weiteren Reinigung mit dem mehrfachen Volumen Äther versetzt und von dem reichlichen Nieder- schlag abfiltriert. Die alkoholisch-ätherische Lösung wurde zur Trockene verdampft und in Wasser gelöst. Experiment IV zeigt die Wirkung dieser Lösung. Experiment IV. 11. Dezember 1909. Männlicher Hund von 5,5 kg Gewicht, der 5,5 ccm 10°/oige Chloralhydrat- lösung intravenös erhielt. Blutdruck der linken Arteria carotis. Die Injektionen erfolgen in die rechte Vena femoralis. ’ Blutdruck in mm Hg Ze Zeit schläge Bemerkungen unterer | oberer | mittl. in 5" 12h 4' 55" 100 144 122 7 12h 5’ us we > — Injektion von 10 cem in Wasser ge- lösten, mit Ather gereinigten Al- koholrückstandes, der aus dem Phosphorwolfram .- Niederschlage a von Schweinedrüsen erhalten war. 12h 5'9 = — — — Beginn der Blutdrucksenkung, die den tiefsten Stand erreicht; dann Anstieg auf: 12h 5' 50’ 58 74 66 B 12h 7' 70 138 104 10 Über die Identität des blutdrucksenkenden Körpers etc. 299 Wir sehen hier den gleichen Effekt wie bei den früheren Ver- suchen, nur dass die früher nach der Senkung aufgetretene leichte Erhöhung des Blutdruckes ausbleibt. Da diese bei dem gereinigten Präparate nicht mehr in Erscheinung tritt, ist anzunehmen, dass sie von der Beimischung eines blutdruckerhöhenden Körpers, vermutlich des Vasohypertensins von Popielski!) abhängt, das durch Phosphor- wolframsäure nicht gefällt wird. Das Alkoholextrakt des Phosphorwolframsäure - Niederschlages wurde weiterhin mit Kadmiumchlorid gefällt; die blutdruckerniedrigende Substanz blieb in Lösung, wie der folgende Versuch zeigt. Experiment V. 12. Dezember 1909. Männlicher Hund von 5 kg Gewicht, der 5 ccm 10°/oige .Chloralhydrat- lösung intravenös erhalten hatte. Blutdruck der linken Arteria femoralis. Die Injektionen erfolgen in die linke Vena femoralis. Zahl der Blutdruck in mm Hg Harz Zeit schläze Bemerkungen unterer | oberer | mittl. | in 5” 1h 8' 55" 106 126 116 10 10 )% m ‚eR == — Injektion von 3 cem einer wässerigen Lösung des Alkoholextraktes des Phosphorwolframsäure - Nieder- schlages nach Reinigung mit Ather und Kadmiumchlorid. a — — | — ai Beginn der Blutdrucksenkung, die 3 ß > Are 5 den tiefsten Stand erreicht: 19,9730. 46 58 52 10 rl Dann allmählicher Anstieg auf: 1b 13’ 90 118 104 9) Der Versuch mit dem auf die beschriebene Weise gereinigten Körper ergibt wieder die charakteristische Blutdrucksenkung, die nachfolgende leichte Erhöhung der ursprünglichen Fxtrakte, die schon im Alkohol- auszuge der Phosphorwolframsäurefällung nicht mehr auftrat, bleibt, wie vorauszusehen, nunmehr nach der weiteren Reinigung auch aus. Die bisherige Untersuchung ergab, dass der blutdrucksenkende Körper der Glandula thyreoidea sich mit der von Panek und Popielski für das Vasodilatin des Darmextraktes und Peptons Witte ausgearbeiteten Methode darstellen lässt. Nunmehr musste an weitere Reinigung des Präparates gedacht werden. Zu dem Behufe wurde der Alkoholauszug der Phosphorwolframsäurefällung mit ver- schiedenen Lösungsmitteln behandelt. 10).)o ce 300 Georg Modrakowski: Dabei zeigte sich, dass aus der Reihe der probierten Reagenzien nur heisses Benzol eine leichte Gelbfärbung annahm. Daraufhin wurde der Aikoholauszug des Phosphorwolframsäure- Niederschlages mit Seesand in einer Hofmeister-Schale abgedampft, im Vakuum bei erhöhter Temperatur getrocknet und nach dem Pulverisieren im Soxhlet’schen Apparat mit Benzol extrahiert. Nach 30stündiger Extraktion wurde der Auszug durch Abdampfen von Benzol befreit, der lösliche Anteil in Wasser gelöst. Dieses wurde abgedampft und mit heissem Alkohol aufgenommen, wobei ein Teil ungelöst zurückblieb. Die alkoholische Flüssigkeit wurde zur Verjagung des Alkohols wieder abgedampft. Die zurückbleibende gelbliche, glänzende Masse gab weder die Biuretreaktion, noch erfolgte Fällung aus alkoholischer Lösung mit alkoholischem Platinchlorid '). Die erhaltene Substanz wurde gewogen und in einer bekannten Menge Wasser gelöst. Der auf S. 301 befindliche Versuch zeigt ihre Wirkung auf den Blutdruck und die Pankreassekretion. Die Einwirkung der mit Hilfe von Benzol weiter gereinigten Substanz entspricht, wie das vorstehende Versuchsprotokoll lehrt, durchaus den früheren Experimenten. Um die Indentität des blat- drucksenkenden Körpers der Gl. thyreoidea mit Popielski’s Vaso- dilatin festzustellen, musste noch der Nachweis der Anregung der Pankreassekretion und der Aufhebung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes erbracht werden. Die kolossale Vermehrung der Pankreas- sekretion ist aus dem Versuchsprotokoll ersichtlich. Die Saft- absonderung betrug vor der Injektion 2 Millimeter-Teilstriche der sraduierten Kanüle. Am Ende der ersten Minute war das Saft- niveau in der Röhre um 23 Teilstriehe vorgerückt. In der nächsten Minute wurde der Höhepunkt mit einer Sekretion von 91 Teilstrichen erreicht, dann erfolgte allmähliche Abnahme, bis in der neunten Minute nach der Injektion wieder der anfängliche Typus von 2 Teil- strichen erreicht wurde. — In diesem Versuche (VD) wurde die Blutgerinnung vor der Injektion des Fxtraktes durch Auffangen von Blut aus der Art. femor. sin. in ein reines trockenes Reagenz- rohr bestimmt. Das Blut war nach 3’ 45” gewonnen. 1) Hier sei bemerkt, dass vollkommen reines, absolutes (wasserfreies) Benzol den blutdrucksenkenden Körper nicht löst. Ich gedenke, an anderer Stelle noch auf diese Frage weiter einzugehen. Über die Identität des blutdrucksenkenden Körpers etc. 301 Experiment VI. 7. März 1910, Männlicher Hund von 12 kg Gewicht, der 12 ccm 10%oige Chloralhydrat- lösung intravenös erhielt. Blutdruck der linken Carotis, die Injektionen erfolgen in die rechte Vena saphens. Die linke Arteria femoralis ist zur Blutentnahme mit einer Kanüle versehen. In Duktus Wirsungianus befindet sich eine Glaskanüle mit Millimeterteilung für den Pankreassaft. Niveau | Pro 1’ 2 Zahl des werden | Blutdruck in mm Hg der Pankreas-| abge- Herz- Zeit Bemerkungen saftes im | sondert | : schläge Röhrchen | Teilstr. [unterer oberer mittl. | pro 1’ I | 8 —— 136 | 180 | 158 10 4h 55' 33 2 | 4h 56’ 86 2 — —57' 88 2 nn - — —58' Sr — — —59' 4 ccm wässerige Lösung des ” : | 59 Benzolextraktes der Phos- | phorwolframsäure-Fällung von Schweineschilddrüsen — 0,0036 Substanz oder 0.0003 pro Kilogramm Tier. — ee N — SR 3eginnd. Blutdrucksenkung, £ 3 > tiefster Stand des Blut- 113 23 46 86 66 12 I = druckes; dünn allmäh- 204 91 = = —l licher Anstieg. 280 76 LEE I EUR Be 9 Wechsel der Kanüle, Saft- 68 44 136 180 158 7 ao einstellung auf 24. 92 24 = —t’ 104 12 En - -— — —)' 113 9 = - —_ -- —6 ’ 119 6 —7' 123 4 ar a 126 B) — - — —9' 128 2 - — — = — [0° 130 2 Z— — — — 11 ' 131 1 R Be 2 —_ [9 Eine Minute nach der Injektion wurde während des tiefsten Standes des Blutdruckes wieder eine Blutprobe entnommen. Dieselbe war noch nach 2 Tagen flüssig. Auf Grund dieser Beobachtungen ist die Identität des blut- druckerniedrigenden Körpers der Schilddrüse mit dem Vasodilatin bewiesen, da sämtliche Hauptwirkungen, nämlich die charakteristische Blutdrueksenkung, Erzeugung von Pankreassekretion sowie Auf. hebung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes übereinstimmen. Der blutdrucksenkende Körper der Gl. thyreoidea ist also Vaso- dilatin. Da dieses sich nach den Untersuchungen von Popielski im Darmextrakt und verschiedenen anderen Organen findet, darf es nicht als spezifisch wirksamer Körper der Gl. thyreoidea angesehen werden. Schon v. Fürth hebt in der eingangs zitierten Abhandlung treffend hervor, dass die Schilddrüse die blutdrucksenkende Wirkung 3023 Georg Modrakowski: „mit zahlreichen anderen Organen gemeinsan hat“, und dass sie daher „keineswegs spezifisch“ für die Gl. thyreoidea ist. Trotzdem wird immer noch von einer Anzahl von Autoren die blutdruck- erniedrigende Wirkung der Schilddrüse als physiologischer Regulator der Adrenalinwirkung im Organismus hingestellt, wobei die erstere auf Grund der Arbeiten von v. Fürth und Schwarz sowie Loh- _ mann dem Cholin zugeschrieben wird. Selbst wenn wir das Vor- kommen von Cholin in der Schilddrüse in solcher Menge annehmen wollen, dass seine Zersetzungsprodukte eine Blutdrucksenkung be- wirken könnten, so würde das Verhalten der Pankreassekretion und die später zu besprechende Atropinwirkung dagegen zeugen. Ich habe nachgewiesen, dass reines Cholin keinerlei Drüsenwirkung hat und auch dem zersetzten Präparate nur eine geringe Wirkung auf das Pankreas!) zukommt. Ich sagte in der zitierten Arbeit: der Charakter der durch ein unreines Handelspräparat hervorgerufenen Pankreassekretion — „das späte Einsetzen und die lange Dauer — würde dafür sprechen, dass sie durch sauren Darminhalt im Duo- denum hervorgerufen wird“. Es bleibt mir unverständlich, wie W. E. Dixon und Hamill?) auf Grund dieser meiner Angaben folgende Bemerkungen machen können: „It has lately been stated by Modrakowski, that cholin causes a pancreatis secretion, which is not antagonized by atropine: he says it is identical with seceretin.* Gegen die Behauptung, dass ich Cholin und Sekretin für identisch erklärt hätte, muss ich mit aller Entschiedenheit Einspruch erheben. Die Lektüre meiner Arbeit über Cholin wird jedermann den Beweis liefern, dass ich gerade die genau entgegengesetzte Ansicht verfechte; nämlich dass Cholin und das sogen. Sekretin nichts miteinander semein haben. Die Autoren führen ihrerseits an, dass die Injektion von 0,02 g Cholin nur die Absonderung von 1—2 Tropfen Pankreassaft bewirkt; eine Angabe, die auch für meine Behauptung, dass die blutdruck- erniedrigende Substanz der Schilddrüse nicht Cholin sei, verwertbar ist; denn erstere bewirkt, wie aus dem Versuchsprotokoll hervorgeht, eine gewaltige. Pankreassekretion von durchaus anderem Charakter. Weiterhin ist das Verhalten der Cholinwirkung nach vorheriger Atropineinführung für das erstere äusserst kennzeichnend.. Es herrscht '1) Vgl.‘ S. 615 meiner zitierten Arbeit. 2) The: Journal of Physiology vol. 37 p. 316. 1909. Über die Identität des blutdrucksenkenden Körpers etc. 303 unter allen 'Autoren, die sich mit Cholin beschäftigt haben, absolute Übereinstimmung, dass Cholin nach vorangegangener Atropinisierung stets Blutdruckerhöhung bewirkt, selbst wenn das betreffende (unreine) Präparat’ sonst den Blutdruck erniedrigte. Es wurde daher ein Ver- such mit der durch Benzolextraktion gereinigten Substanz nach vor- heriger Atropinisierung des Tieres unternommen. Experiment VO. 1. April 1910. Männlicher Hund von 8,5 kg Gewicht. Blutdruck der rechien Arteria femoralis. Die Injektionen erfolgen in die entsprechende Vena. Das Tier er- hielt 10 ccm einer 10°/oigen Chloralhydratlösung. Dann Injektion von 8,5 mg Atropin. sulf. Blutdruck in mm Hg Zeit Bemerkungen unterer oberer | mittl. 3n 55’ 106 146 | 126 4h | a) ee Injektion von 2 ccm der im Experiment vom | | 7. März 1910 benutzten Lösung. 4h 5' — — > Beginn der Blutdrucksenkung, die den tiefsten 190’ Stand erreicht; 4 46 66 56 | | Dann allmählicher Anstieg auf: 4h 3’ 50” 106. | „146. | 126 Der eben angeführte Versuch zeigt klar, dass die Blutdruck- senkung des aus der Schilddrüse gewonnenen Präparates auch nach Atropin unverändert bestehen bleibt. Damit ist nochmals der Beweis geliefert, dass es sich nicht um Cholin handeln kann. Vielmehr stimmt, wie in jeder Beziehung, so auch in seinem Verhalten gegen Atropin der blutdruckerniedrigende Körper der Schildrüse mit dem Vasodilatin überein. Dass auch die Allgemeinwirkungen der In- jektionen auf die Versuchstiere vollkommen dem von Popielski für das Vasodilatin beschriebenen Bilde entsprechen, habe ich bei den einzelnen Versuchen nicht besonders hervorgehoben, da sie — Aufregungszustand mit nachfolgender Depression — als Folge der durch die Blutdrucksenkung hervorgerufenen Gehirnanämie beim nieht narkotisierten Tiere selbstverständlich auftreten mussten. Der in der vorliegenden Arbeit erbrachte Beweis, dass das Extrakt eines vom Darmkanal so entfernt liegenden. Organes wie die Schilddrüse hochgradige Pankreassekretion hervorruft, wie sie Bayliss und Starling als spezifische Wirkung des Auszuges der Duodenal- schleimhaut hinstellen, ist ein schwerwiegender Einwand gegen die 304 Georg Modrakowski: Über die Identität etc. auf dieser angenommenen Spezifizität errichtete Hormonentheorie. Trotz Behandlung mit kochendem Alkohol nach den Angaben von Bayliss und Starling gelingt es nicht, den blutdrucksenkenden Körper von dem die Pankreassekretion anregenden zu trennen. Wenn wir in Betracht ziehen, dass schon minimale Mengen der weitgehend gereinigten Substanz, die von mir aus der Schilddrüse und von Popielski und seinen Mitarbeitern aus den verschiedensten anderen Organen erhalten wurde, stets die gleiche Wirkung, Blut- drucksenkung, Aufhebung der Blutgerinnbarkeit und Pankreas- sekretion hervorrufen, so muss bis zum Beweise des Gegenteils daran festgehalten werden, dass diese Wirkungen untereinander in Beziehung stehen und einem einheitlichen Körper zukommen. Da dieser sich in den verschiedensten Organen des Körpers befindet, ist er für keines spezifisch. An dieser Stelle möchte ich her- vorheben, dass selbst ein so anerkannt blutdruckerhöhendes Organ wie die Nebenniere nach den Untersuchungen von Studzinski!) im Laboratorium von Popielski grosse Mengen einer blutdruck- erniedrigenden Substanz erhielt. Studzinski erkannte diese ent- gegen Lohmann’s Befund, dass es sich um Cholin handle, als Vasodilatiu. Studzinski gelang auch der Nachweis, dass Vaso- dilatin den blutdruckerhöhenden Einfluss des Adrenalins aufzuheben vermag, eine Fähigkeit, die Lohmann ebenfalls dem Cholin zuschrieb. Da, wie ausgeführt, das Vasodilatin kein spezifisches Produkt eines bestimmten Organes ist, kann ihm auch nicht im Sinne der Hor- monentheorie die irrtümlich dem Cholin zugeschriebene Rolle eines physiologischen Regulators der Adrenalinwirkung zugesprochen werden. Anmerkung zu den Blutdruckkurven. Die Kurven werden von rechts nach links gelesen. Die gezackte Linie bezeichnet die Sekunden. Die Erhebungen der untersten geraden Linie geben die Injektionszeit der angeführten Substanzen an. 1) Studzinski, Zur Frage der physiologischen Wirkung des Nebennieren- extraktes. Vortrag, gehalten am 3. März 1910 im ärztlichen Verein zu Lemberg. Erscheint demnächst ausführlich in Pflüger’s Archiv. Pfläger's Archiv für die ges. Physicjogie. BA 133 Taf.I. Fi ig 18 I II Y Id || | | | N 70 h. 35’ Jnjektion von "denlösung des Phosphor -Welframsäure-Niederschlages aus Schwelneschilddrüsen Au Malin LIU NeL M fig.2- n lt me NN en a a EEE a ER TR SEN EEE ED EN EN N IR DR ERS ER ER il fall 1h.9' Injektion von 3cm® des Filtrates der Codmiumfällu ng Lilh Anat,eP Wiria,Durmaah 2 ABe=, Su f Kfehede Taf.Il. Pflüger'sArchiv für die ges Physiologie Bd. 133 A I | Fig.3. JEUBENEEUENBUNEEEDUEEEEEUNUNNEUNNEE fl 4+h.59' Injektion von #cc des Benzolextraktes - 0,0036 g Substanz N . NMITUN I ET RR ER ET TB RT a RR ET a ET ET TE EEE N 4 h. Injektion von 2cm? des in Exp. Vi verwandten Benzolextraktes nach vorheriger Einführung von 8,5 mg Ätropin- su/f. Lartin Hagen, Bum Tin Anst vF Wirtz Darmstadt Re W Mi: (Aus dem physiologischen Institut der Universität Freiburg i. B.) | Untersuchungen über reizlose vorübergehende Ausschaltung am Zentralnervensystem. I. Mitteilung. (Vorläufiger Bericht.) Von Prof. Dr. Wilhelm Trendelenburs, Assistent am Institut. Bei der Analyse der Funktionen des Zentralnervensystens der Tiere stehen uns, von der Beobachtung des unverletzten Tieres und seiner Leistungen unter den verschiedensten mehr oder weniger verwickelten Bedingungen abgesehen, zwei hauptsächliche Methoden zur Verfügung. Wir können versuchen, die Tätigkeit eines Hirnteiles durch Reizung über das gewöhnliche Maass zu verstärken oder dieselbe durch eine Ausschaltung zu vermindern oder aufzuheben. Nur dann aber können unsere Eingriffe in den unübersehbar komplizierten Mechanismus der Hirntätigkeit zu genügend sicheren Schlüssen führen, wenn diese Eingriffe in der ganzen Folgezeit zu Störungen führen, die entweder ‚als ausschliessliche Reizerscheinungen oder lediglich als Folgen reiz- loser Ausschaltung gedeutet werden dürfen. Von diesem Gesichts- punkt aus betrachtet sind bis jetzt die Reizmethoden den Aus- schaltungsmethoden bei weitem überlegen; während bei einer richtig ausgeführten Rindenreizung die Einwirkungsstelle nach der Reizung sich wohl wieder genau im Zustand wie vor derselben befindet, so dass substanzielle oder auch nur funktionelle Ausschaltungen an ihr vermieden sind, können wir bis jetzt nicht mit Bestimmtheit sagen, ob bei einer operativen Entfernung derselben Stelle die Folge- erscheinungen nicht zunächst durch einen von der Operationsstelle Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 20 306 Wilhelm Trendelenburg: ausgehenden und sich vielleicht allmählich verlierenden Reizzustand bedingt werden. Dadurch kommt es, dass man nur zu oft nicht entscheiden kann, ob man es mit einer vorübergehenden Reizwirkung oder mit einem erst allmählich eintretenden funktionellen Ausgleich von Ausfallerscheinungen zu tun hat. Ein weiterer Nachteil der bisher am Zentralnervensystem ver- wendeten Ausschaltungsmethoden liegt darin, dass bei ihnen die Ausschaltung nicht oder nicht vollständig vorübergehend ist. Hat es hingegen der Experimentator in der Hand, eine Ausschaltung ganz nach Belieben zeitlich zu begrenzen, und ist das Mittel so ge- artet, dass es keinerlei bleibende Veränderungen hinterlässt, so kann er die Ausschaltung beliebig oft etwa unter den verschiedensten Bedingungen wiederholen und ist stets sicher, dass während der kurzdauernden Ausschaltung keine Ersatzerscheinungen sich ausbilden können, wofern nicht dieser Ersatz ein unmittelbarer ist, wie etwa bei Versperrung nur eines von zwei einander gleichgeordneten Leitungswegen. Mit einer solchen Methode würde man ferner das Tier jederzeit in ganz normalem Zustand untersuchen und die Aus- schaltung ohne jede Narkose vornehmen können, ohne dass man das Tier durch die Maassnahme selbst irgendwie belästigt. Auch würde unter Umständen nicht die geringste Fesselung notwendig sein, wir könnten vielmehr eine plötzliche Ausschaltung am: freibewegten irgendwelche komplizierte Handlungen vornehmenden Tier ausführen. Auf dieser Stufe steht bisher nur eine Reizmethode, nämlich. die Ewald’sche Rindenreizung am freilaufenden Hund. Auch für die menschliche Hirnpathologie würde es von Interesse sein, die Ausschaltungsmethoden in der genannten Richtung zu er- weitern. Ohne uns allzu weitgehenden Hoffnungen hinzugeben dürfen wir von der Anwendung einer solchen Methode am Tier die Auf- klärung und vielleicht auch Entscheidung mancher Streitfrage der menschlichen Hirnpathologie und Hirnphysiologie erwarten; haben wir erst einmal am Tier ein Symptom als echte Ausfallerscheinung erkannt, so sind: wir berechtigt, dieselbe beim Menschen bei der entsprechenden Verletzung auftretende Erscheinung auch im gleichen Sinne zu deuten. Ausgehend von den Erfahrungen, die man an den peripheren Nerven der Warmblüter über reizlose und vorübergehenae Aus- schaltung durch Abkühlung gemacht hat, habe ich mich, wie ich Reizlose vorübergehende Ausschaltung am Zentralnervensystem. 307 schon an anderer Stelle kurz angab!'), schon seit längerem mit dem Gedanken beschäftigt, durch systematische Anwendung der Ab- kühlung von .Zentralteilen eine solche reizlose vorüber- sehende Ausschaltung zu.erzielen. Über die bisher gewonnenen hauptsächlichsten Ergebnisse meiner Versuchsreihen möchte ich hier vorläufig berichten. ‚ Sollte die. durch Abkühlung bewirkte Veränderung sicher vor- nbergeheni und beliebig oft wiederholbar sein, so konnten nur Kälte- srade in Betracht kommen, bei denen kein Gefrieren auftritt, .also bis zu wenigen :Graden unter Null oder, wenn möglich, nur die Temperatur des Nullpunktes. Sollte die Ausschaltung reizlos er- folgen, so. musste die Abkühlung auf die Zentralteile vergleichsweise ähnlich wirken wie auf ein in einer Retorte auf höherer Tempe- ratur befindliches Reaktionsgemisch, welches auf 0° gekühlt wird, und in: welchem dabei qualitativ die gleichen Vorgänge wie in der Wärme nur mit beträchtlich. verlangsamter Reaktionsgeschwindigkeit ablaufen. Die Anwendung der Abkühlung kann entweder indirekt erfolgen, indem das in einen Teil des Zentralnervensystems fliessende Blut gekühlt wird, oder direkt, indem die Kühlung auf die Ober- fläche des auszuschaltenden Teils selbst einwirkt. Im: folgenden sollen zunächst nur die Ergebnisse der letzteren Anwendung berück- sichtigt werden, da sie aus mehreren Gründen der ersteren Methode vorzuziehen ist. Eine ganz strenge Scheidung ist übrigens zwischen beiden Verfahren nicht möglich, da ja auch bei der direkten An- lagerung einer kühlenden Fläche an die Oberfläche der Zentralteile meist die von der Oberfläche in die Tiefe einstrahlenden Gefässchen mit gekühlt werden, so dass die etwas tiefer liegenden Teile nicht nur dureh Wärmeleitung,. sondern auch durch die Wirkung des ab- gekühlten Blutes eine Temperaturerniedrigung erfahren. Ein Vorteil der Abkühlung ausschliesslich von der Blutbahn aus würde in der Gleichmässigkeit der Temperaturherabsetzung grösserer Bezirke liegen. Andererseits zeigte sich aber z. B. am Rückenmark , dass bei einer seinen ganzen Umfang in der Breite 1) w. Trendelenburg, Das zentrale Nervensystem der warmblütigen Tiere (Methodik), Tigerstedt’s Handb. d. physiol. Methotik Bd. 3, Abt. 4 S. 35,55. 1910. _ 20 * 308 Wilhelm Trendelenburs: weniger Millimeter umfassenden Kühlung die Tiefenwirkung aus- reicht, um eine völlige Aufhebung von Leitungsvorgängen zu erzielen. Ja, bei Untersuchung des Grosshirns wird geradezu ein erosser Vorteil gewonnen sein, wenn es gelingt, die Abkühlungen möglichst auf die Oberfläche (Rinde) zu beschränken, da gerade in dieser die wichtigsten Strukturen angeordnet sind. Wir wenden uns weiter zu der Frage, ob die Anwendung der Abkühlung keine schädigenden Nachwirkungen hinterlässt, ob also die Aussehaltung vorübergehend ist und im Prinzip beliebig oft wiederholt werden kann. Gerade in diesem Punkte kann nach meinen bisher ausgeführten Versuchen die Methode der Ausschaltung durch Kälte als recht befriedigend bezeichnet werden. Am Kaninchen kann man eine Ausschaltung der Leitung im obersten: Halsmark, kenntlich an der Veränderung der Atmung und des Blutdrucks, be- liebig oft wiederholen, vorausgesetzt, dass nicht durch die Dauer der Einwirkung eine schädliche Nebenwirkung (allzustarke Asphyxie) auftritt. Wurden die Kühlungen nur so lange fortgesetzt, bis die Funktionsänderung einen annähernd konstanten Betrag erreicht hatte, so konnte beispielsweise in einem durch die verschiedensten tech- nischen Schwierigkeiten nicht gestörten Versuch im Verlauf vou 2 Stunden 18mal hintereinander eine Leitungsunterbrechung und Wiedereinschaltung der Leitung vorgenommen werden (Versuch vom 29. Januar 1910). Das gleiche lässt sich von der Kälteanwendung am Boden der Rautengrube (Atemzentrum) sagen und weiterhin auch be- sonders von der Abkühlung von Teilen der Grosshirnoberfläche, und zwar wiederum bei einer Anwendung, die zu deutlichen Funktions- änderungen führte, worauf natürlich ein entscheidender Wert zu legen ist. So konnte in einem Versuch an der Grosshirnrinde am Hunde nach Einwirkung der Nulltemperatur von nur Yes. Minute Dauer ein charakteristischer Funktionsausfall festgestellt werden. Als nach weiteren 20 Sekunden wieder Körpertemperatur eingestellt wurde, war "a Minute nach Wiedererwärmen der Hirnrinde die Funktionsstörung nicht mehr nachweisbar.. Die Versuche liessen sich beliebig oft wiederholen. Dass gerade an der Hirnrinde ge- legentlich bei zu langer oder zu starker Abkühlung, die versehentlich vorgenommen wurde, die Wiederherstellung der normalen Funktionen nicht wie sonst mit der Wiedererwärmung erschien, sondern ‚etwas länger auf sich warten liess, um aber nach einiger Zeit ebenfalls Reizlose vorübergehende Ausschaltung am Zentralnervensystem. 309 vollkommen einzutreten, beweist nichts gegen die prinzipielle Brauch- barkeit der Methode, bei der naturgemäss erst die zulässigen Grenzen der Dauer und Stärke der Abkühlung zu ermitteln waren. Ebenso günstig liegen die Dinge nach meinen bisher gemachten Erfahrungen bezüglich des Fehlens von Reizwirkungen. Da an den peripheren Nerven sich reizlose Ausschaltungen durch Ab- kühlung erzielen lassen, konnte man vielleicht mit einiger Gewissheit einen ähnlichen Befund bei der Ausschaltung solcher Zentralteile erwarten, die viele Markfasern enthalten, wie etwa der Rückenmarks- querschnitt. Für die graue Substanz lag keine entsprechende Ana- logie vor!). Tatsächlich aber kann man z. B. den Boden des vierten Ventrikels mit positivem Erfolg an Ausfallerscheinungen abkühlen, ohne dass das Tier (Kaninchen) irgendeine Spur von Reizwirkungen erkennen lässt, obwohl es aus der anfänglichen für den operativen Eingriff eingeleiteten .Äthernarkose ziemlich erwacht ist. Da am Tiere bei den Kühlungen oder Wiedererwärmungen keinerlei Mani- pulationen ausgeführt wurden, lag es ganz ruhig da, und nur an den Ausfallerscheinungen war festzustellen, welche Temperatur gerade an der Medulla einwirkte. Die gleichen günstigen Erfolge gab die Ringskühlung des obersten Halsmarks unter den gleichen Bedingungen der abklingenden Narkose. Noch augenscheinlicher ist aber das Fehlen jeder Reizwirkung aus meinen bis jetzt an der Grosshirn- rinde des Hundes (Gyrus sigmoideus) ausgeführten Versuchen zu entnehmen; bei diesen konnten die Kühlungen zu einer Zeit an dem völlig ungefesselten Tier vorgenommen werden, zu welcher es von der Äthernarkose wieder erholt war, die zur Anbringung der geeigneten Kühlungsvorrichtungen angewandt wurde. Bei dem ruhig dastehenden Tier lässt sich überhaupt nieht erkennen, wann an der Einwirkungsstelle Körpertemperatur und wann die Kühlung auf den Nullpunkt (oder ein wenig tiefer) angewendet wurde, ob- wohl auch hier im letzteren Fall sichere Ausfallerscheinungen durch besondere Maassnahmen nachweisbar waren. Dabei kann sogar die Kühlung durch die intakte Dura hindurch vorgenommen werden, woraus sich manche technische Vorteile ergeben. 1) Auf einige in anderem Zusammenhang angestellte Versuche, die ich in der bisherigen Literatur fand, und die für unsere Fragen keine Anhaltspunkte Y geben, ist später einzugehen. Sie sind in meiner S. 306 angegebenen Arbeit zitiert. 310 Wilhelm Trendelenburg: Neben diesen für die ganze Bewertung der Methode in Betracht kommenden allgemeinen Ergebnissen sejen dann ferner einige be- sondere Versuchsresultate hier kurz mitgeteilt, von denen sieh eine Gruppe mit der Aufgabe befasste, den Einfluss des Gehirns und der Medulla auf Blutdruck und Atmung: mit der Methode der reizlosen vorübergehenden Ausschaltung zu. untersuchen. Ist doch bis in. die neuere Zeit hinein die Ansicht ‚mit gewichtigen Gründen beleet worden, dass die eigentlichen Atemzentren im Rücken- maık gelegen sind und dass die Aufhebung der Atmung durch hohe Halsmarkdurchschneidung die Folge einer Reizwirkung des Schnittes sei. Wartete man unter Anwendung künstlicher Atmung das Vor- übergehen dieser Schnittreize ab, so sah man rhythmische Bewegungen, die als echte Atembewegungen gedeutet wurden. Besonders ;die Anhänger der Segmentaltheorie sind es gewesen, welche die Lehre von dem medullären Atemzentrum bestritten. Man wird. zugeben müssen, dass dessen Anwesenheit bewiesen ist, wenn auch die reiz- lose -Ausschaltung von Hirn und Medulla die Lungenventilation ebenso aufhebt wie ein Öperationsschnitt durch _ das Halsmark. Ähnliche Betrachtungen , die nicht weiter ausgeführt zu werden brauchen, gelten für die Lehre von den medullären Gefässzentren, welche gleichzeitig einer Prüfung unterzogen werden. konnte. Die hier in Frage kommenden Ausschaltungen wurden . durch drei Methoden versucht, durch Abkühlung des Karotidenblutes bei hochgelegenem Verschluss der Vertebralarterien, durch direkte Kälte- anwendung an der Medulla und durch Ringskühlung des Halsmarkes in der Höhe des Epistropheus. Auf die im ganzen etwas weniger günstigen Ergebnisse des ersteren Weges sei hier nicht eingegangen; der zweite ergab keine prinzipiellen Verschiedenheiten der Ergebnisse segen den dritten, der als der beste zu bezeichnen ist. Durch: eine besondere Technik gelang es, die kühlende Flüssigkeit rings um den ganzen Umfang des Markes zu führen und eine totale Unterbrechung der normalen an der Atmung und dem Blutdruck. beteiligten. Er- regungen zu erzielen. Wenige Sekunden nach Beginn. der Kälte- wirkung, die ich in der Regel mit schnellem Temperaturabfall ein- setzen liess, verkleinerten sich die mit Gad’s Volumschreiber aufgezeichneten Atemvolumina, um schnell ganz aufzuhören; die beim Kaninchen so deutlichen Nasenflügelbewegungen- setzten aber ihren Rhythmus dabei ruhig fort und zeigten damit die unveränderte Reizlose vorübergehende Ausschaltung: am Zentralnervensystem. alt Tätigkeit-des Atemzentrums an. Mit dieser Aufhebung der Thorax- und Zwerchfellatmung ging eine Blutdrucksenkung einher, die sich als unabhängig von der Veränderung der mechanischen Kreislauf- bedingungen im Brustkorb erwies, indem sie auch am eurarisierten und künstlich ventilierten Tier zu erhalten war. Bei schnellem Wiedereinsetzen der Körpertemperatur traten zuerst kleine, dann bald anwachsende Lungenvolumscehwankungen ein, die sofort wieder mit ‘den Nasenbewegüngen synchron waren; der Blutdruck erhob sich meist sehr schnell auf die frühere Höhe oder etwas darüber hinaus, und zwar oft schon, ehe die geringsten Atembewegungen eingetreten waren. Hierdurch scheint mir die Existenz und führende Bedeutung der medullären Atmungs- und Gefässzentren allen Hemmungs- und Shocktheorien gegenüber ein- wandfrei erwiesen zu sein. Hiermit ist am Rückenmark natürlich nur eine von den sich jetzt bietenden Aufgaben in Angriff genommen. Auf andere Fragen, z. B. die nach den Shockwirkungen, welche bei Durchschneidungen auf die Rückenmarksreflexe ausgeübt werden, ist später zurück- zukommen. Ein weites und nicht unlohnend erscheinendes Feld bietet sich ferner nunmehr bei Untersuchung der Grosshirnrinde dar; sind doch gerade hier noch die grössten Schwierigkeiten für die Deutung der Symptome vorhanden, und scheint doch eine Methode der reizlosen Ausschaltung geeignet, die prinzipielle Frage nach der Beurteilung der Rindensymptome zu beleuchten, die neuerdings vor allem durch die Diaschisistheorie von v. Monakow so mächtige Anregung erfahren hat. Über meine bis jetzt an der Hirnrinde ge- wonnenen Ergebnisse möchte ich erst nach weiterer Vervollständigung derselben berichten. Bei der Notwendigkeit, jeden Schritt durch eingehende experimentelle Kritik zu sichern, wird die Bearbeitung der vielen nunmehr in neuer Weise angreifbaren Fragen, welche auch andere Hirnteile betreffen und hier nur zum Teil angedeutet sind, längere Zeit in Anspruch nehmen; ich hoffe aber, in kurzem nähere Mitteilungen folgen lassen zu können. Dass mit der hier angewendeten Methode eine Ergänzung, nicht aber ein vollständiger Ersatz der bisher üblichen operativen Aus- schaltungen beabsichtigt ist, braucht kaum besonders hervorgehoben zu werden. Den vielen Vorteilen, welche die erstere den letzteren 312 Wilh. Trendelenburg: Reizlose vorübergehende Ausschaltung etc. gegenüber besitzt, steht oft darin ein Nachteil gegenüber, dass die Ausdehnung des Ausschaltungsbereichs nach der Tiefe hin sowie die Vollständigkeit der Ausschaltung nicht so einfach festzustellen sind, wie bei der operativen Entfernung eines Rindenteils oder sonstigen Hirnabschnittes. Nur die planmässige Vergleichung der mit beiden mit verschiedenen Vor- und Nachteilen ausgestatteten Methoden ge- wonnenen Ergebnisse kann bei der Beurteilung der Funktionen des Zentralnervensystems weiterführen. Können wir doch kaum darauf hoffen, je eine einzige ganz ideale Methode zu besitzen. 313 (Aus dem physiologischen Institute der Universität Leipzig.) Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. IE Die elektromotorischen Wirkungen des Musculus retraetor penis im Zustande tonischer Kontraktion. Von Dr. med. E. Th, v. Brücke, Privatdozent und Assistent am Institute. (Mit 5 Textfiguren und Tafel IV und V.) Unsere gesamte Kenntnis von der Physiologie der glatten Muskulatur entsprang, abgesehen von histologischen Untersuchungen, bisher vor allem aus dem Studium einer Funktion dieser Muskeln: ihrer Längen- bzw. Spannungsänderung unter dem Einfluss von ver- schiedenen Bedingungen und Reizen. Wie lückenhaft die auf diesem Wege gewonnenen Erfahrungen notwendig sein müssen, lehrt die Überlegung, weleh unvollständiges Bild wir etwa von der Physio- logie der quergestreiften Muskulatur gewonnen hätten, wenn uns die elektromotorischen und thermischen Wirkungen sowie die optischen Veränderungen des quergestreiften Muskels unbekannt geblieben wären. Im folgenden soll nun gezeigt werden, dass auch die Funktions- weise der glatten Muskulatur durch das Studium ihrer Aktionsströme in mancher Hinsicht weiter aufgeklärt werden kann. Unsere Kenntnisse auf diesem Gebiete sind bisher noch recht gering. Bekanntlich hat seinerzeit A. Fick!) vergebens versucht, Aktionsströme am Schliessmuskel von Anodonta zu beobachten, und seitdem galt ziemlich allgemein der Satz, dass die Zusammenziehung 1) A. Fick, Beiträge, zur vergleichenden Physiologie der irritablen Sub- stanzen S. 67 fi. Braunschweig 1863. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. al 314 E. Th. v. Brücke: der glatten Muskeln ohne merkliche elektrische Begleiterscheinungen einhergehe. Möglicherweise haben G. Fano und V. Fayod!) die Aktions- ströme der glatten Muskelfasern in den Vorhöfen des Schildkröten- herzens beobachtet; doch war ihre Methodik nicht so einwandfrei, dass es sich aus ihren Kurven sicher entscheiden liesse, ob die be- obachteten Veränderungen des Längsquerschnittstromes des Vorhofs während einer Tonusschwankung als echte Aktionsströme oder nur als Folgen einer Elektrodenverschiebung aufzufassen sind. Ferner wäre eine Untersuchung von Reid?) zu nennen, die, soviel ich sehe, bisher wenig beachtet wurde. Reid leitete von einer intakten Stelle und einem thermischen Querschnitt der frei- gelegten Katzen- oder Kanincheniris ab und beobachtete, je nachdem er die Fasern des M. sphineter oder die des M. dilatator zwischen die Ableitungselektroden nahm, eine negative Schwankung des Demar- kationsstromes bei Oculomotorius- oder bei Sympathieusreizung; da- gegen sah er eine positive Schwankung des Sphinkter-Längsquer- schnittstromes bei Sympathieusreizung und des Dilatator-Längsquer- schnittstromes bei Oeculomotoriusreizung. In sieben Versuchen, die ich gemeinsam mit L. A. Orbeli am Saitengalvanometer ausführte, konnten wir uns von der Richtigkeit der Reid’schen Angaben nicht überzeugen. Sollten sie sich aber dennoch bestätigen lassen, so wären sie von weittragender Bedeutung speziell für das Verständnis der Funktionsweise der Hemmungsnerven. Mit Sicherheit wurden Aktionsströme glatter Muskeln von R. F. Fuchs beobachtet?). In einer vorläufigen Mitteilung hat Fuchs speziell die ein- und zweiphasischen Aktionsströme der Retrak- toren von Sipuneulus nudus beschrieben. Aus den Angaben des Autors sowie aus den auf der dritten Tagung der Deutschen physio- logischen Gesellschaft in Würzburg demonstrierten Kurven geht deut- lich hervor, dass dieser Evertebratenmuskel funktionell wesentlich von der glatten Wirbeltiermuskulatur abweicht, und Fuchs weist 1) G. Fano et V. Fayod, De quelques rapports entre les proprietes con- tractiles et les proprietes electriques des oreillettes du caur. Arch. ital. de Biol. t.9 p. 143. 1888. 2) P.W.Reid, Electrical phenomena during movements of the iris. Journ. of physiol. vol. 17 p. 433. 189. 3) R. F. Fuchs, Die elektrischen Erscheinungen am glatten Muskel. Sitzungsber. d. phys.-med. Soc. in Erlangen Bd. 40 S. 201. 1908. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. . 315 selbst mit vollem Recht auf die grosse Ähnlichkeit der elektrischen Erscheinungen seines Versuchsobjektes mit denen des Herzmuskels hin. Wie im folgenden gezeigt wird, lassen sich auch aus dem elektromotorischen Verhalten des Sipuneulusmuskels keine allgemeinen Schlüsse auf dasjenige anderer glatter Muskeln, speziell solcher der Warmblüter ziehen. Abgesehen von den Versuchen Reid’s, liegt meines Wissens nur noch eine Mitteilung über Aktionsströme glatter Muskeln eines Warmblüters von H. Straub!) vor. Dieser beobachtete bei verschiedenen vasokonstriktorisch wirkenden Reizen (intravenöser Strophantin- oder Adrenalininjektion, Erstieckung) regelmässig eine Schwankung des von einer Vorder- und einer Hinterpfote abgeleiteten Stromes, die bis zu 0,05 Volt betrug. Der Sinn dieser Strom- schwankung entsprach einem im Tier von vorn nach hinten verlaufenden Strom. H. Straub vermutet, dass es sich hierbei um Aktionsströme speziell der vom Splanchnieus innervierten Gefässe handelt. Ein Urteil über diese interessante Beobachtung wird wohl erst nach einer noch eingehenderen experimentellen Analyse möglich sein. Als besonders günstig für das Studium der Aktionsströme eines glatten Säugetiermuskels erwies sich mir der M. retractor penis des Hundes, der zuerst von Sertoli?) und seitdem von einer grösseren Zahl von Physiologen als Versuchsobjekt verwendet wurde. Eine eingehende anatomische Beschreibung dieses Muskels und seiner Innervation wurde von J. N. Langley und H. K. Ander- son?) gegeben. Soweit meine gelegentlichen Beobachtungen reichen, erwiesen sich die Angaben der genannten Autoren als vollkommen einwandfrei. Bei meinen Versuchen kam nur derjenige Teil des Muskels zur Verwendung, der als einheitliches Band, am Präputium inserierend, an der Unterseite des Penis hinzieht, während das Dammende des Muskels, etwa von der Stelle an, bis zu der er von ein- zelnen Fasern desM. bulbocavernosus begleitet wird, immer insitu blieb. Langley und Anderson geben an, dass der Retraetor penis einzelne quergestreifte Muskeifasern enthält, die aus dem Sphineter 1) H. Straub, Ein wahrscheinlicher Nachweis von Aktionsströmen der Ge- fässe durch das Saitengalvanometer. Zeitschr. f. Biol. Bd. 53 S. 122. 1909. 2) E. Sertoli, Contribution & la physiologie generale des muscles lisses. Arch. ital. de biol. t.3 p. 78. 1883. 3) J. N. Langley and H. K. Anderson, The innervation of the pelvic and adjoining viscera. Part. IV. The external generative organs. Journ. of physiol. vol. 19 p. 85 (88 ff.). 1895. 2b* 316 E. Th. v. Brücke: ani externus und zum Teil wahrscheinlich auch aus dem M. bulbo- cavernosus stammen. Nach den Angaben de Zilwa’s!) fänden sich diese quergestreiften Fasern nur am perinealen Muskelende. Diese Angabe kann ich nicht bestätigen, da ich auch an Schnitten durch das präputiale Muskel- ende derartige Fasern gesehen habe. Die Annahme, dass die am M. rectractor zu beobachtenden Aktionsströme von diesen spärlichen quergestreiften Fasern stammten, scheint mir wenig wahrscheinlich. Wie im folgenden gezeigt wird, ist die Dauer, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit und die natürliche Frequenz der Erregungswellen, die wir aus diesen Aktionsströmen erschliessen können, absolut verschieden von den Vorgängen, die sich im quergestreiften Skelettmuskel abspielen; ferner lassen sich die Aktions- ströme bei Reizung des Nervus pudieus auch dann noch beobachten, wenn das Tier durch Curare völlig gelähmt ist, und zeigen einen strengen Parallelismus zu den typischen trägen Kontraktionen des Muskels. Alle diese Momente und manche andere, die im folgenden erörtert werden, dürften wohl dafür sprechen, dass wir die elektro- motorischen Erscheinungen des M. retractor penis auf die Aktions- ströme seiner an Zahl bei weitem überwiegenden glatten Muskel- fasern und nicht auf die der vereinzelten quergestreiften beziehen müssen; immerhin wäre es aber denkbar, dass die in den M. retractor penis versprengten quergestreiften Muskelfasern anders reagierten als die Fasern der Skelettmuskulatur,, vielleicht sogar ähnlich wie die glatten Fasern ihres „Wirtmuskels“. Als Versuchstiere dienten ausschliesslich Hunde, die in Morphium- Chloroformnarkose operiert und dann während des Versuches weiter in Narkose gehalten oder curaresiert wurden. Die Haut des Penis wurde durch einen Schnitt in der Median- linie durchtrennt und der Muskel an seinem vorderen Ende mit seiner Insertionsstelle am Präputium abgeschnitten und auf eine Strecke von 4—5 cm (bei mittlerer Spannung gemessen) von seiner Unterlage abpräpariert. Das am Muskel verbliebene Stück des Präputiums wurde selbst oder vermittelst eines Fadens in eine Klemme gefasst und diese so weit gehoben, dass das freigelegte Muskelstück sich etwa unter einem Winkel von 45° von seiner l) L. A. E. de Zilwa, Some contributions to the physiology of unstriated muscle. Journ. of physiol. vol. 27 p. 200 (201). Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. 317 Unterlage abhob. In den Versuchen, bei denen auch die Kon- traktionskurve des M. retraetor graphisch verzeichnet wurde, stand das präputiale Muskelende durch Vermittlung einer Rolle mit dem Schreibhebel in Verbindung. Um eine Berührung des Muskels oder der Ableitungeselektroden mit dem Skrotum zu vermeiden, wurde dieses längs gespalten und die Hoden durch Gewichte nach aussen und hinten abgezogen. Leitet man von zwei etwa 1 cm voneinander entfernten un- verletzten Stellen eines derart präparierten Muskels mittelst Woll- fäden und unpolarisierbarer Elektroden zu einem Saitengalvanometer mit schwach gespannter Saite ab, so sieht man in den meisten Fällen ein langsames, mehr oder minder regelmässiges Hin- und Herpendeln der Saite. Von 20 untersuchten Hunden liessen nur drei diese spontanen elektromotorischen Wirkungen vollständig vermissen, zwei andere zeigten sie angedeutet, während sie bei allen übrigen mit voller Deutlichkeit zu sehen waren. Die photographisch registrierten Kurven dieser Stromschwan- kungen zeigen untereinander beträchtliche Differenzen. Oft folgen die einzelnen Wellen so regellos aufeinander, dass wir aus ihnen uur vage Schlüsse auf die ihnen entsprechenden Erregungsvorgänge ziehen können. (Vgl. die Textfig. 1.) In anderen Fällen dagegen zeigen diese Stromschwankungen sehr charakteristische Formen und folgen sich in einem auffallend strengen Rhythmus. Die regelmässigste Tätigkeit, die ich während längerer Zeit je am M. retractor beobachtete, ist in der Kurve Fig. 1 auf Taf. IV wiedergegeben. Ein Ausschlag der Saite zu der vom sekunden- markierenden Jaquet’schen Zeitschreiber gezogenen Linie ent- spricht dem Negativwerden des Muskels an der dammwärts gelegenen Elektrode; demnach sind die im letzten Drittel der Kurve ver- zeichneten Schwankungen als einzelne doppelphasische Aktionsströme aufzufassen, die voneinander durch ein kurzes Verharren oder Zögern der Saite in ihrer Ruhestellung getrennt erscheinen. Die zwei- phasische Stromschwankung beginnt mit einem Ausschlag der Saite gegen den Jaquet zu, diese Phase wird durch die zweite entgegen- gesetzt wirkende kupiert, die Saite vollführt eine steile Wanderung vom Jaquet weg, um sodann langsamer in ihre Ruhelage zurück- zukehren. Es lief demnach während dieses Aktionsstromes eine Er- regungswelle in der Richtung von hinten nach vorn über den E. Th. v. Brücke: 318 (uopunyag 0] af = ueyıewmez) "I "XL ee ea u Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. L. 319 Muskel hinweg. Im ersten Drittel der zitierten Kurve folgen der- artige zweiphasische Aktionsströme so rasch aufeinander, dass jede zweite Phase ihrerseits wieder durch die erste Phase der nach- folgenden Schwankung kupiert erscheint, so dass steile Bewegungen der Saite in beiden Richtungen ohne Pause aufeinanderfolgen. Dieser letztgenannte Modus ist bei weitem der häufigere (vgl. Fig. 3 und 4 auf Taf. IV). Nur selten sieht man die einzelnen Aktions- ströme so deutlich durch Intervalle getrennt wie auf dem erst be- sprochenen Teile der Kurve. Ganz besonders regelmässige zwei- phasische Aktionsströme, die bei rascherem Trommelgang registriert wurden, sind in Fig. 3 auf Taf. V wiedergegeben. Am Anfang der Figur, ist die Kurve durch eine steile Bewegung der Saite nach abwärts gestört, es ist dies eine Eichungskurve, die der Ein- schaltung einer E.K. von !/ıooo Daniell entspricht, sodann folgen drei typische zweiphasische Schwankungen, deren erste Phase in der Richtung vom Jaquet weg verläuft, und zwischen denen deutliche Pausen zu erkennen sind. Die Elektrodenstrecke betrug in diesem Falle 10 mm. Bei anderen ununterbrochen aufeinanderfolgenden Strom- schwankungen ist es nicht immer möglich zu entscheiden, ob die Kurve sich aus ein- oder zweiphasischen Aktionsströmen zusammen- setzt, nur wenn die Schwankungen für einige Zeit sistieren, und so die Ruhestellung der Saite ermittelt werden kann, lässt sich mit Sicherheit der ein- oder zweiphasische Charakter einzelner Wellen feststellen '). Einphasische Aktionsströme sind in manchen Fällen mit Sicherheit zu beobachten. (Vgl. z. B. die .erste stärkere Schwan- kung in der Gruppe B auf Fig. 2 der Taf. V.) In anderen Fällen pflanzt sich die Erregungswelle mit grossem Dekrement fort, so dass die zweite Phase im Verhältnis zur Grösse der ersten auffallend klein ausfällt. Bei Ableitung von einer intakten und einer durch Quetschen abgetöteten Stelle des Muskels werden die Aktionsströme ein- phasisch; es scheint aber bald eine strenge Demarkation der ab- gestorbenen von den gesunden Muskelfasern einzutreten, denn ich 1) Die Möglichkeit, dass die Erregung einer einzigen Muskelstelle an und für sich einen mehrphasischen Aktionsstrom, etwa infolge des Auftretens einer positiven Nachschwankung, ergeben könnte, wird später noch diskutiert werden. (Vgl. S. 326.) 330 E. Th. v. Brücke: habe wiederholt einige Zeit nach der Abtötung der einer Elektrode anliegenden Muskelstelle wieder das Auftreten zweiphasischer Ströme beobachtet. Eine solche Demarkation ist bei der Kürze der einzelnen glatten Muskelfasern [de Zilwa') gibt ihre Länge in kontrahiertem Zu- stande zu 0,3 mm an] sehr wohl verständlich; der Muskel verhält sich demnach ähnlich wie nach Garten’s Untersuchungen der N. olfaetorius des Hechtes?). In den Fällen, in denen ich den Muskel daraufhin untersuchte, liess sich immer nach Anlegung eines thermischen oder mechanischen Querschnittes ein typisch gerichteter, wenn auch schwacher De- markationsstrom nachweisen. Die Werte der zu seiner Kompen- sierung nötigen E. K. schwankten etwa zwischen !/ı0o00 und ?/ı000 Daniell. Was nun den zeitlichen Verlauf der Einzelaktionsströme be- trifft, so zeigt er enorme Unterschiede gegenüber allen bisher be- obachteten elektromotorischen Wirkungen eines Muskels. Aus der Gesamtheit der dieser Arbeit beigegebenen Kurven lässt sich er- sehen, dass der Anstieg der ersten Phase im Mittel etwa 2 Sek. dauert; er erfolgt demnach etwa tausendmal langsamer als der An- stieg der Aktionsströme der quergestreiften Skelettmuskulatur. Die Grenzwerte für die Anstiegszeit der ersten Phase betragen einerseits 4 Sek., andererseits etwa 0,5 Sek. Derart kurze Anstiege habe ich allerdings nur bei künstlicher Reizung des Muskels, nie aber bei spontaner Aktion beobachtet. Die kürzeste Anstiegszeit bei spontanen Aktionsstromwellen betrug etwa 1 Sek. Wir müssen wohl annehmen, dass sich in diesen Fällen die erste Phase nicht voll entwickeln konnte, sondern dass sie vor Erreichung ihres Maximums von der zweiten Phase kupiert wurde. Hierfür spricht unter anderen auch die Tatsache, dass die Anstiegszeiten mehrerer aufeinanderfolgender Wellen zeitlich mitunter stark differieren, und zwar sieht man in der Regel, dass die Anstieeszeit um so kürzer ist, je grösser die be- treffende Welle ist, — eine Beobachtung, die möglicherweise auf eine verschieden rasche Fortpflanzung stärkerer und schwächerer Er- regungswellen hinweist. Jedenfalls sind die für die Anstiegszeit er- mittelten Werte eher noch etwas zu kurz als zu lang. 1. ec. 8. 21. 2) S. Garten, Beiträge zur Physiologie der marklosen Nerven 8. 25 ff. Jena 1903. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. 321 [nn Auch die Berechnung der Fortpflanzungsgesehwindigkeit aus dem zeitlichen Ablauf zweiphasischer Aktionsströme stösst in dem vorliegenden Falle auf grosse Schwierigkeiten. Beim zweiphasischen Aktionsstrom des quergestreiften Skelettmuskels beginnt die zweite Phase (bei Benutzung der üblichen Zwischenstrecken) lange bevor noch die erste Phase ihr Maximum erreicht hat, so dass die Zeit zwischen dem Beginn der ersten und der zweiten Phase aus dem Abstand des Beginnes der photographisch registrierten Schwankung von dem steilen Umkehrpunkt der Kurve ersehen werden kann. Im M. retraetor penis pflanzt sich dagegen die Erregung so langsam fort, dass es sich oft schwer entscheiden lässt, ob die erste Phase in ihrem Anstieg von der zweiten kupiert wird, oder ob diese erst im absteigenden Teil der ersten Phase einsetzt. Eine voll- ständige Trennung beider Phasen so, dass zwischen ihnen die Saite für kurze Zeit in der Ruhelage verharrte, habe ich nur selten deut- lich beobachtet. Der ganze Verlauf der zweiphasischen Aktions- ströme des Retraktors scheint mir dafür zu sprechen, dass in den meisten Fällen bei den von mir verwendeten Ableitungsstrecken die erste Phase etwa ihr Maximum erreicht, wenn die zweite Phase die Saite nach der entgegengesetzten Riehtung abzulenken beginnt. Bei Betrachtung der in Fie. 3 auf Taf. V wiedergegebenen Aktionsströme gewinnt man entschieden den Eindruck, dass die Kurven an den mit einem Kreuzchen bezeichneten Stellen eine Diskontinuität aufweisen, dass ihr Anstieg an diesen Stellen von einer nach abwärts gerichteten Saitenbewegung unterbrochen wird. An den beiden letzten zweiphasischen Aktionsströmen beträgt die Zeit vom Beginn der in der Richtung vom Jaquet weg verlaufenden ersten Phase bis zu dem eben besprochenen Punkte etwa 2 Sek.; die Ableitungsstrecke betrug in diesem Falle 10 mm, so dass sich hieraus eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit von etwa 5 mmseec”" berechnen lässt. Leider gelinet es äusserst selten und nur durch Zufall regel- mässige und isolierte Aktionsströme des M. retraetor zu erhalten!). Die an einigen solchen Kurven auf analoge Weise ermittelten Fort- pflanzungsgeschwindigkeiten ergaben Werte von derselben Grössen- 1) Einzelne dieser Kurven, deren zweiphasischer Charakter mir vollkommen einwandfrei erscheint, werden in einen anderem Zusammenhange später mit- geteilt werden. (Vgl. Beitrag IV.) 399 E. Th. v. Brücke: ordnung, so dass wir wohl mit Sicherheit annehmen können, dass der Erregungsprozess in diesem Muskel nur wenige Millimeter in der Sekunde fortschreitet. Die von R. F. Fuchs!) am Sipunculus-Retraktor beobachtete Fortpflanzungsgesehwindigkeit von 700 mm ist demnach etwa 100 mal grösser als die der Erregung im M. retraetor penis. Zu den eben genannten Schwierigkeiten gesellt sich noch ein Fehler, nämlich die Breite (etwa 2 mm) der als Ableitungselektroden dienenden nassen Wollfäden. Eine Korrektion der photographisch registrierten Kurven ist in unserem Falle ganz unnötig; wie alle Eichungskurven zeigen, er- folgt die Einstellung der Saite bei Einwirkung einer entsprechenden E.K. im Vergleich zu der geringen Anstiegsgeschwindiekeit der registrierten Aktionsströme so rasch, dass der Fehler, den die Aus- messung der unkorrigierten Kurven bedingen kann, gar nicht in Betracht kommt. (Vgl. z. B. den Verlauf der Eichungskurve und der Aktionsströme auf Fig. 3 der Taf. V.) Wenn wir nochmals den in Fig. 3, Taf. V wiedergegebenen Fall ins Auge fassen, in dem etwa sechs Wellen im Laufe einer Minute mit einer Geschwindigkeit von 5 mmsec-! über eine Stelle des Muskels hinzogen, so lehrt eine einfache Überlegung , dass in diesem Falle die Distanz zweier in der gleichen Erregungsphase befindlicher Muskelstellen 50 mm betragen haben muss. Wie lange aber die während des Ablaufes einer Erregungswelle in Kontraktion befindliche Teilstrecke des Muskels ist, lässt sich aus diesen Ver- suchen nicht ermitteln, weil wir keinerlei Anhaltspunkte dafür haben, wie sich die Kontraktionsdauer zur Dauer des einer Ableitungsstelle entsprechenden Aktionsstromes verhält. Die elektromotorische Kraft der ableitbaren Aktionsströme, die durch Vergleich der Saitenanschläge mit solchen nach Einschaltung einer bekannten E. K. gemessen wurde, entspricht im Durchschnitt etwa !/ıiooo Daniell, sie kann bis auf wenige Zehntausendstel herab- gehen und unter Umständen wieder ?/ı000 überschreiten; sie ist dem- nach auf alle Fälle bedeutend geringer als die E.K. der Aktions- ströme der quergestreiften Muskulatur. Die Erregungswellen, welche den beschriebenen Aktionsströmen entsprechen, laufen an der von mir untersuchten Hälfte des. Muskels I) R. Fuchs, ]. c.:8..202. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. 393 fast ausnahmslos vom perinealen („hinteren“) zum präputialen („vorderen“) Ende des Muskels („rechtläufig“). Dies gilt sowohl für die Erregungswellen des spontan arbeitenden Muskels wie auch für die auf Nervenreizung, Dehnung oder diffuse Abkühlung hin am vorher ruhenden Muskel auftretenden Wellen. Unter den 20 unter- suchten Hunden habe ich eine einzige Ausnahme dieser Regel be- obachtet (Hund Nr. XVID). Bei diesem Tiere, von dem die beiden Fig. 3 auf Taf. IV und V stammen, verliefen die Erregungswellen während der ganzen Dauer des Versuches rückläufig; es trat erst eine Negativität an der vorderen Elektrode und nach einer normalen Fortpflanzungszeit an der hinteren Elektrode auf. Da ein Irrtum (wie etwa Vertauschung der Elektroden) vollkommen ausgeschlossen ist, müssen wir annehmen, dass in diesem Falle irgendein un- bekannter Reiz ständig in der Gegend des präputialen Muskelendes wirksam war und die abnorme Richtung der Erregungswellen be- dingte. Dass auch sonst dureh künstliche, lokalisierte Erregung einer Muskelstelle in der Gegend der vorderen Elektrode eine oder mehrere rückläufige Erregungswellen ausgelöst werden können, lässt sich leicht durch lokale Kühlung des Muskels nachweisen. (Vel. S. 329.) Die Frequenz der Erregungswellen liess sich bei allen Ver- suchen einwandfrei feststellen, da sich fast in jeder längeren Kurve Gruppen von Aktionsströmen finden, deren regelmässige zeitliche Intervalle und deren einfacher Verlauf erkennen lassen, dass sie einzelnen, geordnet aufeinanderfolgenden Erregungswellen entsprechen. Sehr schön ist dieses Verhalten z. B. an den Aktionsströmen der Fig. 3 auf Taf. IV zu erkennen: Hier sehen wir, wie Reihen von streng rhythmischen und gleichmässigen Aktionsströmen zeitweilig durch relativ unregelmässige Saitenbewegungen unterbrochen werden. Diese Störungen dürften zum Teil wohl durch Interferenz der Aktions- ströome der beiden symmetrischen Muskelhälften oder einzelner Faserbündel auch innerhalb eines Muskels zu erklären sein. Direkt bewiesen scheint mir diese Erklärung durch die in Fig. 2 auf Taf. IV wiedergegebenen Kurven. Hier zeigt die mit A bezeichnete Stelle, wie zwei interferierende Wellenzüge von etwas verschiedener Wellen- länge nach je sechs Schwingungen zu einer einheitlichen Wellen- bewegung verschmelzen. Man erhält geradezu den Eindruck (speziell im Hinblick auf die Stellen 5, C und D der Figur), dass die Tendenz besteht, Phasendifferenzen der Erregungswellen der einzelnen Muskel- 394 E. Th. v. Brücke: fasern auszugleichen, so dass dann alle Fasern eines einzelnen Quer- schnittes gleichzeitig in Erregung geraten können. Diese beiden Beispiele mahnen auch zur Vorsicht bei der Aus- zählung der Rhythmen quergestreifter Muskeln, die ja in letzter Zeit so vielfach untersucht wurden; wie schon von Piper!) mit Recht betont wurde, muss auch hier zwischen phasengleichen und interferierenden Aktionsströmen der einzelnen Muskelfasern bzw. -bündel streng geschieden werden. Wenn man von diesen Gesichtspunkten aus die Frequenz der Aktionsstromwellen des Retraktors bestimmt, so erhält man als Durch- schnitt die Zahl von sieben Schwankungen in der Minute. Das grösste Intervall zwischen je zwei regelmässig aufeinanderfolgenden zweiphasischen Aktionsströmen betrug im Mittel 13 Sek., so dass in diesem Falle nur etwas über drei Wellen in der Minute abliefen. Die Fig. 1, 2 und 3 auf Taf. IV und 3 auf Taf. V zeigen acht bis neun, sieben bis acht, sechs bis sieben und vier bis fünf Schwan- kungen in der Minute. Die kürzesten Intervalle zeigt Fig. 4 auf Taf. IV, sie schwanken hier zwischen 6 und 7,5 Sek.; als mittlere Frequenz ergibt sich also hier die Zahl von neun Schwankungen in der Minute. Wir müssen es vorläufig dahingestellt lassen, ob dieser äusserst langsame Rhythmus in eine Parallele zu setzen ist mit dem etwa 1000 mal frequenteren, der unter verschiedenen Bedingungen am quergestreiften Skelettmuskel beobachtet wird; diese Frage soll in einer weiteren Mitteilung diskutiert werden, die über die Abhängig- keit der Aktionsströme des Retraetor penis vom Nervensystem be- richten wird. Wie eingangs erwähnt wurde, zeigt der Retraktor einzelner Hunde die beschriebenen spontanen Erregungswellen nicht; es gelingt aber regelmässig auch solehe Muskeln durch künstliche Reize in Erregung zu versetzen, und man beobachtet dann an ihnen ein analoges Verhalten wie an spontan tätigen Muskeln. Es sollen an dieser Stelle nur die Wirkungen des Dehnungsreizes?) und die ver- schiedener Temperaturen besprochen werden. 1) H. Piper, Über die Rhythmik der Innervationsimpulse bei willkürlichen Muskelkontraktionen und über verschiedene Arten der künstlichen Tetanisierung menschlicher Muskeln. Zeitschr. f. Biol. Bd. 53 8. 140 (151£.). 1909. 2) Solange wir über die Wirkungsart der Dehnung auf die glatte Muskel- faser nichts Genaueres wissen, scheint es mir richtig, den alten allgemeineren Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. 525 Eine einmalige kurze Dehnung des Muskels durch Zug an dem präputialen Ende löst auch an einem vollkommen ruhenden Muskel regelmässig eine Erregung aus, die sich an der von mir benutzten Muskelhälfte in allen Fällen rechtläufig, d. h. in der Richtung von hinter nach vorn über den Muskel hin fortpflanzt. Nur in seltenen Fällen beobachtet man als Wirkung des Dehnungsreizes eine so kurze Erregung, wie sie z. B. der Anfang der auf Fig. 1 Taf. V wiedergegebenen Kurve zeigt. Diese isolierte Kurve verläuft so regelmässig, dass sie besonders geeignet scheint, uns näheren Aufschluss über den Ablauf einer einzelnen Erregungswelle am M. retractor penis zu geben. Wir sehen eine steile Schwankung in der Richtung zum Jaquet, der eine zweite entgegengesetzte Phase folgt, und zum Schluss eine neuerliche Ablenkung der Saite im Sinne der ersten Phase. Trotz der Regel- mässiekeit dieser Kurve bietet ihre Deutung grosse Schwierigkeiten. Auf den ersten Blick könnte man das Auftreten der dritten Phase durch die Annahme zu erklären suchen, dass in diesem Falle die Erregung an der ersten Ableitungsstelle länger angehalten hätte als an der zweiten; versucht man aber unter dieser Voraussetzung die beiden einzelnen Phasen zu konstruieren, als deren Resultante die Gesamtkurve aufzufassen wäre, so ergibt sich die Tatsache, dass dies nur möglich wäre, wenn man für den Ablauf der beiden Er- regungskurven sehr gezwungene Annahmen machte, wenn man ent- weder die erste Phase anfangs abnorm rasch, später abnorm langsam abfallen liesse, oder wenn man die zweite Phase in einer ganz un- wahrscheinlichen Grösse zeichnete. Es bleiben nun zur Erklärung der dritten Phase noch weitere Möglichkeiten. Da der Effekt des zweiten auf dieser Kurve wiedergegebenen Dehnungsreizes in einer ganzen Reihe allmählich schwächer werdender Erregungswellen be- steht, so könnte man annehmen, dass die dritte Phase der be- sprochenen Kurve durch eine neuerliche schwache Erregung der an der ersten Ableitungsstelle gelegenen Muskelpartien zustande käme. Sucht man unter dieser Voraussetzung die drei Summanden der Ausdruck „Dehnungsreiz“ beizubehalten und nicht, wie dies neuerdings vielfach üblich ist, von „Dehnungsreflexen“ zu sprechen; durch die letztgenannte Be- zeichnung wird die Wirkung mechanischer Reize (zpeziell der Dehnung) auf glatte Muskeln a priori in einen Gegensatz zur analogen Wirkung dieser Reize auf den Skelettmuskel gestellt, ein Vorgehen, dessen Berechtigung heute noch nicht fest- gestellt ist. 326 E. Th. v. Brücke: Kurve zu konstruieren, so gelingt es tatsächlich, drei Kurven von befriedigendem Verlauf zu finden, als deren Summe ‚unsere Kurve resultieren würde. Auf eine andere Erklärungsmöglichkeit wurde ich durch Herrn Geheimrat Hering hingewiesen: Wenn man nämlich annimmt, dass der die Erregung einer einzelnen Muskelstelle begleitende Aktions- strom nicht nur in einer negativen Einzelschwankung besteht, sondern dass dieser noch eine positive Nachschwankung folgt, so lässt sich die dritte Phase unserer Kurve als positive Nachschwankung für die zweite Ableitungsstelle auffassen, während die auffallende Höhe der zweiten Phase dadurch erkärt werden könnte, dass sie die Summe aus der eigentlichen zweiten Phase und einer der ersten. Phase — Lulu vssbsntsstsubsstoutbsutsulbssdunt Textfig. 2. (Zeitmarken — Sekunden.) folgenden positiven Nachschwankung darstellt. Es scheint mir nun nicht wahrscheinlich, dass sich an dem Aktionsstrom des M. retractor in allen Fällen eine positive Nachschwankung beteiligt; wohl aber zeigen einzelne Kurven Merkmale, die sich durch diese Annahme wohl erklären liessen. Wenn wir z. B. die einzelnen Kurven der Fig. 1 auf Taf. IV betrachten, so finden wir im mittleren Teil dieser Abbildung eine Reihe von Kurven, deren Verlauf schematisch in der beistehenden Textfig. 2 wiedergegeben ist; diese Schwankungen ver- laufen im Prinzip ganz analog wie die eben besprochene, zu Anfang der Fig. 1 auf Taf. V abgebildete Kurve. Auch in diesem Falle liesse sich also der Schwankungsverlauf durch die Annahme einer positiven Nachschwankung ungezwungen erklären, und vor allem wäre die auch an vielen anderen Kurven zu beobachtende, auf- fallende Höhe der nach oben gerichteten zweiten Phase auf Grund dieser Vorstellung wohlverständlich. Möglicherweise wird sich eine Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. (ormıew eds nz uopunyag Z eago um apına zroasdunugag Aa) (uapunyag u9yIBWMDZ) '& 'DIXOL 328 E. Th. v. Brücke: sichere Entscheidung dieser Frage beim Studium der durch indirekte Einzelreize ausgelösten Erregungen finden lassen. Meistens löst die Dehnung des M. retractor eine längere Reihe mehr oder minder regelmässiger Wellen aus, die sich rechtläufig über den Muskel fortpflanzen und die im wesentlichen mit den Wellen des spontan tätigen Muskels übereinstimmen. Der zweite Dehnungsreiz, dessen Wirkung auf Fig. 1 Taf. V zu sehen ist, löste z. B. eine ganze Reihe von Erregsungswellen aus, von denen die erste sich bis zur zweiten Ableitungselektrode fortpflanzte, also einen zweiphasischen Aktionsstrom ergab, während die nächstfolgenden vermutlich mit grossem Dekrement fortgeleitet wurden, so dass ihre Aktionsströme keine deutlich ausgebildete zweite Phase erkennen lassen. Das Intervall zwischen je zwei Wellen dieser Reihe beträgt 4—5 Sekunden; ihre Frequenz ist also höher als jede an spontan tätigen Muskeln beobachtete. In anderen Fällen wieder bewirkt der Dehnungsreiz das Auf- treten ziemlich unregelmässiger Wellenzüge, wie solche ja auch bei spontaner Tätigkeit häufig zu beobachten sind. Ein Beispiel hierfür gibt die auf die Hälfte verkleinerte Textfig. 3. Übt man einen Dehnungsreiz auf einen spontan tätigen Muskel aus, so treten meist mehrere abnorm hohe und frequente Wellen auf. Wir können also dem Dehnungsreiz eine positiv ino- und chronotrope Wirkung zuschreiben. Die zweiphasischen , durch einen Dehnungsreiz ausgelösten Aktionsströme zeigen eine auffallend kurze Anstiegszeit der ersten Phase. Speziell an der allerersten Schwankung wird die erste Phase oft schon nach einer Sekunde, ja noch früher von der zweiten Phase kupiert, während bei den folgenden Schwankungen die Anstiegs- zeiten wieder wachsen. Es deutet dies Verhalten entschieden auf eine Differenz in der Fortpflanzungsgeschwindigkeit starker und schwacher Erregungswellen im Muskel hin. Über den Einfluss verschiedener Temperaturen auf den Tonus des Retractor penis liegen sehr eingehende Untersuchungen von de Zilwa!) vor. Seine Resultate lassen sich dahin zusammen- fassen, dass innerhalb des Temperaturintervalles von 15—38° C., ähnlich wie bei anderen glatten Muskeln, der Tonus bei zunehmender Erwärmung abnimmt. 1) L.A.E. de Zilwa, Some contributions to the physiology of unstriated muscle. Journ. of physiol. vol. 27 p. 200 (205—210). Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. 329 Im allgemeinen konnte ich diese Angabe vollkommen bestätigen. Die Temperatur des zum Zwecke des Experimentes in längerer Aus- dehnung freipräparierten Muskels lässt sich schwer feststellen; ein dem Muskel direkt anliegendes empfindliches Thermometer!) zeigte meist Zimmertemperatur an, und auch im Innern des dünnen Muskels, dessen Gefässe zum Teil bei der Präparation durchtrennt werden, zum Teil wohl durch die niedere Temperatur in starke Kontraktion geraten dürften, wird die Temperatur wohl nur wenige Grade höher sein als die der umgebenden Luft. Daher erklärt es sich wohl, dass ein derart freigelegter Muskel sich fast immer in tonischer Erregung befindet. In den wenigen Fällen, in denen am Muskel elektrisch keine Erregungswellen nachweisbar waren, gelang es immer durch künstliche noch weiter gehende Abkühlung solche hervorzurufen. Die Abkühlung wurde hierbei entweder durch Be- pinseln mit kalter Ringer’scher Lösung bewirkt oder dadurch, dass mittelst eines Handgebläses Luft, die durch Eiswasser geleitet worden war, auf den zuvor befeuchteten Muskel geblasen wurde. Wurde hierbei der Muskel in seiner ganzen Ausdehnung ab- gekühlt, so traten regelmässig Erregungswellen auf, die rechtläufig über den Muskel abliefen. Dasselbe trat ein, wenn der Muskel durch lokalisiertes Anblasen nur an der dammwärts gelegenen Elektrode abgekühlt war, nur dass in diesem Falle sich die Er- regung oft nicht bis zur zweiten Elektrode fortpflanzte, so dass also ein oder mehrere einphasische Aktionsströme zu beobachten waren. Wurde dagegen der Muskel nur lokal in der Gegend der vorderen (präputialen) Elektrode gekühlt, so geriet zuerst diese Stelle in Er- regung, es trat also ein entgegengesetzt geriehteter Ausschlag der Saite auf als wie bei Kühlung des perinealen Endes; auch in diesem Falle pflanzte sich die Erregung entweder bis zur anderen Elektrode (also in rückläufiger Richtung) fort, oder sie blieb auf die Ab- kühlungsstelle und ihre nächste Umgebung beschränkt, so dass sie sich nur in einem einphasischen Aktionsstrom äusserte. Als Beleg für diese Tatsachen möge die im Vergleich zum Original auf zwei Drittel verkleinerte Kurve der Textfig. 4 dienen. Zu Anfang der Kurve befand sich der Muskel in Ruhe (Temp. 20,4° C.), dann wurde er am vorderen Ende gekühlt (Temp. 19,0° C.), worauf 1) Vgl. S. 331. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 22 390 E. Th. v. Brücke: eat — Sekunden.) (Zeitmarken Textfig. 4. zwei Aktionsstromwellen in der Richtung vom Jaquet weg auftreten. Der zweiten dieser Wellen folgt eine schwache zweite Phase. (Die steile Zacke der Kurve bei a entstand durch eine unbeabsichtigte Berührung des Muskels mit dem Rohr, aus dem er angeblasen wurde; sie zeigt zugleich die enorm rasche Reaktion der Saite im Vergleich zur Langsamkeit des Verlaufes der mit ihr registrierten Aktionsströme.) Nunmehr wurde der Muskel lokal in der Gegend der damm- wärts gelegenen Elektrode gekühlt, woraufein typischer zweiphasischer Aktionsstrom auftritt, dessen erste Phase zum Jaquet gerichtet ist, also im Gegensatz zu den beiden ersten Schwankun- sen eine Negativität der hinteren Elektrode anzeigt. Auf der hier nicht wieder- gegebenen Fortsetzung der Kurve folgt noch je ein der ersten Phase gleich gerich- teter einphasischer und ein zweiphasischer Aktions- strom. Diese bei Abkühlung des Muskels auftretenden Stromschwankungen ent- sprechen sicher Erregungs- wellen im Muskel und sind Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. 331 nicht etwa durch die von Hermann!) studierte Negativität einer gekühlten Längsschnittstelle gegen den Rest des Muskels zu erklären. Den sicheren Beweis hierfür liefern die typisch zwei- phasischen Aktionsströme, die bei Kühlung einer beschränkten Muskelstelle wiederholt zu beobachten waren, und deren Phasen, wie erwähnt wurde, je nach dem Ort der Kühlung verschiedene Richtung haben. Wie ein runender Muskel durch Abkühlung in Erregung ver- setzt werden kann, kann umgekehrt ein erregter Muskel durch Er- wärmung zur Ruhe gebracht werden. Die Erwärmung wurde anfangs durch Bepinseln des Muskels mit körperwarmer Ringer’scher Lösung bewirkt; da aber eine solehe Bepinselung zu starken Saitenbewegungen führt, die den Ver- lauf der Kurven stören, benutzte ich später folgende Vorrichtung: Eine kleine Glasplatte war mit einem dünnen Widerstandsdraht be- wickelt, durch den der Strom von zwei Akkumulatorzellen geschickt wurde. Die Drahtlage wurde mit einer Lage feuchten Filtrierpapiers bedeckt und nun dieser kleine Heizapparat unter dem Muskel und parallel zu ihm in einem Stativ mit Trieb fixiert, so dass er dem Muskel beliebig genähert werden konnte. Wurde der Heizstrom ge- schlossen, so stieg feuchte erwärmte Luft empor, und es konnte der Muskel beliebig hoch erwärmt werden. Die Temperatur des Muskels wurde an einem in "/5s-Grade ge- teilten Thermometer abgelesen (der ursprünglich zur Messung der Bluttemperatur innerhalb eines Gefässes diente), dessen schmales röhrenförmiges Quecksilbergefäss der Unterseite des Muskels direkt anlag;; natürlich können die auf diese Weise bestimmten Temperaturen nur ein ungefähres Bild der im Muskel herrschenden Temperatur geben. Meist genügte eine Erwärmung auf etwa 22—24° CG., um die Aktionsströme eines spontan tätigen Muskels zum Verschwinden zu bringen; nur in ganz seltenen Fällen beobachtete ich auch noch bei Temperaturen über 30° C. eine dann allerdings sehr schwache spontane Tätigkeit. Ein sehr gutes Bild von dem Einfluss verschiedener Temperaturen auf die spontane Tätigkeit des Retractors liefert die Kurve der Fig. 2 Taf. IV. 1) L. Hermann, Versuche über den Einfluss der Temperatur auf die elektromotorische Kraft des Muskelstroms. Pflüger’s Arch. Bd. 4 8.163. 1871. 22* 332 E. Th. v. Brücke: u Zu Beginn der Kurve zeigt der Muskel schwache und langsame Aktionsstromwellen (Temp. 21,0°C.). Von der Marke M, an wurde der ganze freiliegende Teil des Muskels durch Anblasen gekühlt (bis 19,1° C.): es tritt erst ein einphasischer Aktionsstrom auf, dessen Riehtung (zum Jaquet) einer Negativität der dammwärts gelegenen Ableitungsstelle entsprieht; ihm folgt ein typisch zweiphasischer Aktionsstrom und sodann eine Reihe weniger regelmässiger Wellen, die mit voller Deutlichkeit auf eine Interferenz je zweier in etwas verschiedenen Intervallen wiederkehrender Frregungswellen hin- weisen; gegen Ende der Abkühlung (Temp. 19,4° C.) und zu Be- ginn der Erwärmung, deren Dauer immer durch den Hochstand der Kurve des elektromagnetischen Signals angezeigt wird, verschmelzen die beiden anfangs interferierenden Wellenzüge. Bei fortschreitender Erwärmung!) (bei M; Temp. 21° C.) werden die Wellen ganz klein, verschwinden aber nicht vollkommen. Jetzt wurde der Muskel wieder bis zur Marke M, gekühlt (Temp. 19,0° C.): es tritt erst ein einphasischer, dann eine Reihe von 10 typisch zweiphasischen Aktionsströmen auf. Während der beiden weiteren Erwärmungs- perioden bis auf 23 bzw. 22° C., schwinden die Wellen vollständig, -um bei jeder folgenden Abkühlung (bis 18,4° C.) prompt wieder- zukehren. Die kleinen und kurzen Zacken der Kurve während der zweiten Erwärmung sind durch Erschütterung des Galvanometers bedingt. Hand in Hand mit dem Kleinerwerden der Wellen bei zu- nehmender Erwärmung geht in dem eben besprochenen Falle eine Abnahme der Frequenz. Diese Frequenzänderung ist in vielen Fällen angedeutet, kann aber auch trotz starker Amplitudenänderung der Wellen vollkommen fehlen. Diese beiden Änderungen verlaufen also nicht unbedingt parallel. Durch dieVersuche Garten’s?) und Dittler und Ticehomirow’s?) ist festgestellt, dass die rhythmisch-elektrischen Vorgänge, die am Skelettmuskel unter dem Einfluss verschiedener Dauerreize auftreten, 1) In dem Moment der kurzen Unterbrechung des Markierkreises (wie z. B. M, usw.) während der Erwärmung wurde hier und während der beiden folgenden Erwärmungen die Temperatur abgelesen und notiert. 2) 8. Garten, Über rhythmische elektrische Vorgänge im quergestreiften Skelettmuskel. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. Bd. 26. 1901. 3) R. Dittler u. N. P. Tichomirow, Zur Kenntnis des Muskelrhythmus. Pflüger’s Arch. Bd. 125 S. 111. 1908. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. 333 in dem Sinne von der Temperatur abhängig sind, dass ihre Frequenz bei zunehmender Erwärmung des Muskels (und zwar bei einer Temperatursteigerung von 10° GC. um etwa das Doppelte) ansteigt. Das oben erwähnte Verhalten des M. retraetor steht hierzu, sowie zu dem Verhalten des Herzens gegen Temperaturänderungen im Gegensatze; denn hier sehen wir eher ein Sinken, niemals ein An- steigen der Frequenz bei zunehmender Temperatur. Es sei hier an eine Beobachtung Fröhlich’s!) am Öffner der Krebsschere erinnert. Dieser Muskel zeigt niemals spontan, sondern nur als Nachwirkung eines Reizes tonische Er- regung; dieser Tonus sinkt bei Erwärmung des Muskels von 18° auf etwa 22° C. bis auf Null ab und kann bei gut reagierenden Muskeln durch abwechselndes Erwärmen und Abkühlen wiederholt zum Verschwinden und Wiederauftreten gebracht werden; er verhält sich also in seiner Abhängigkeit von der Temperatur ganz so, wie der M. retractor, ja es stimmt zufällig das kritische Temperatur- bereich für beide Muskel fast vollkommen überein. Im Anschluss an diese Beobachtung entwickelt Fröhlich eine allgemeine Theorie über die Temperatureinflüsse auf die Muskel- kontraktion?). Er setzt das Verschwinden des Tonus bei steigender Temperatur in Parallele zu der Wärmelähmung des ceuraresierten Skelettmuskels und erklärt das Ansteigen des Tonus bei Kühlung des Muskels in folgender Weise: „Die Zunahme des Tonus bei sinkender Temperatur kann nur in einer Dehnung des zeitlichen Verlaufes jeder einzelnen Erregungs- welle begründet sein, gleichwie die Zunahme der Hubhöhe eines unter 19° C. abgekühlten Skelettmuskels infolge der Dehnung der Erregungswelle in den einzelnen Muskelelementen zustande kommt. Beim erwärmten Öffner haben die einzelnen Erregungswellen der tonischen Erregung einen so kurzen Verlauf, dass sie sich nicht zu einem sichtbaren Erfolg summieren können; mit sinkender Temperatur wird ihr Verlauf gedehnt, sie summieren sich zu einer sichtbaren Zusammenziehung des Muskels, die schliesslich maximal wird?). 1) F. W. Fröhlich, Die Analyse der an der Krebsschere auftretenden Hemmungen. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 7 S. 393. 1907. 2) Vgl. hierzu auch die Ausführungen bei F. W. Fröhlich, Das Prinzip der scheinbaren Erregbarkeitssteigerung. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 9 (speziell S. 25 ff.). 1909. 3) 1. c. S. 408. 334 E. Th. v. Brücke: Ob Fröhlich’s Ansicht über den Wirkungsmodus der Temperatur für den Tonus der Krebsscherenmuskulatur zutrifft, kann ich nicht entscheiden, wohl aber zeigen die hier vorgebrachten Versuche, dass diese Temperatureinflüsse auch auf einer anderen Grundlage be- ruhen können; denn am Retraetor penis kann von einer Dehnung des zeitlichen Verlaufes jeder einzelnen Erregungswelle infolge der Abkühlung des Muskels nicht die Rede sein, die Erregungswellen werden vielmehr enorm verstärkt und laufen am gekühlten Muskel eher rascher ab als am erwärmten. Die Temperaturabnahme hätte hier also anscheinend auf die Muskelfaser selbst eine positiv inotrope Wirkung. Wollte man das Verhalten des Retractor penis auf Grund der theoretischen Vorstellungen Fröhlich’s über die Natur der scheinbaren Erregbarkeitssteigerungen erklären, so müsste man die Annahme machen, dass Erwärmung und Abkühlung nicht direkt auf die Muskelfaser, sondern auf «ie Nervenendigungen wirke, und dass von diesen die (dem Tonus entsprechenden) Errezungswellen im Muskel ausgelöst würden. Die Erregungsperioden in einer solehen hypothetischen primär in Erregung geratenden Substanz könnten sich z. B. bei der Abkühlung durch zeitliche Dehnung superponieren und dann in der Muskelfaser verstärkte Erregungs- wellen auslösen. Ob diese Annahme, die zur Stütze der Fröhlich- schen Theorie dienen könnte, berechtigt ist, müssen erst weitere Versuche zeigen. Das mechanische Verhalten des Retraktors während der be- obachteten elektrischen Äusserungen lässt sich sehr leicht durch gleichzeitige Verzeichnung des Elektrogrammes und der Verkürzungs- kurve feststellen. Derart vergleichbare Kurven ergeben nun, dass ein Muskel, an dem mittelst Galvanometer keine Erregungswellen nachweisbar sind, eine gerade Linie zeichnet, unter die der Schreib- hebel nie herabgeht, die also der Ruhelänge des Muskels bei der jeweiligen Dehnung entspricht. Der elektromotorisch unwirksame Muskel erweist sich demnach als tonusfrei. Andererseits schreibt der Muskel aber auch bei konstant bleibendem Tonus eine gerade Linie, und in diesen Fällen zeigt die Galvanometerkurve Aktionsströme von sehr gleichmässiger Amplituden- grösse. So wie aber die einzelnen Aktionsströme an Amplitude zu- oder abnehmen, so tritt auch eine Erhebung bzw. Senkung der Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. 335 Längenkurve auf, und ebenso sinkt die Kurve eventuell bis zur Null- linie ab, wenn die Aktionsströme vollständig verschwinden. Jede Veränderung des Tonus äussert sich also in einer Ver- stärkung oder Abschwächung der über den Muskel ablaufenden Er- regungswellen. In ganz analoger Weise beobachtet man bei jedem wirksamen Dehnungsreiz oder bei Abkühlung neben dem Auftreten oder der Verstärkung der Aktionsströme eine Verkürzung, bei jeder wirksamen Erwärmung neben dem Verschwinden oder der Abschwächung der Aktionsströme eine Verlängerung des Muskels. Die tonische Kontraktion des M. retraetor penis entspricht dem- nach, wie dies auch für den Tonus der Krebsscherenmuskulatur von F. W. Fröhlich aus theoretischen Überlegungen erschlossen wurde, vollkommen einer tetanischen Verkürzung und nicht etwa einem sleichförmigen, stationären Erregungszustand des Muskels, wie dies für den Tonus der glatten Muskulatur vielfach angenommen wird. In den meisten Fällen beobachten wir einen vollkommenen Tetanus; doch lassen sich bisweilen die jeder Einzelerregung ent- sprechenden Verkürzungen an der mechanischen Kurve noch er- kennen. In Fig..2a und b, Taf. V, sind nebeneinander die Längenkurve und das Elektrogramm eines Muskels wiedergegeben, der anfangs bei Erwärmung sinkenden Tonus, dann bei Kühlung eine rasche Tonus- steigerung zeigt. Zu Beginn dieser Tonussteigerung erkennt man deutlich zwei einzelne Wellen, deren Dauer je etwa 7 Sek. beträgt, also ebensoviel wie die Intervalle der betreffenden Einzelaktionsströme. Es scheint mir demnach festzustehen, dass diese beiden Wellen Einzelkontraktionen des Muskels darstellen, und dass im weiteren Verlauf der Kurve sich die übrigen Einzelkontraktionen zu einer einheitlichen „tonischen“ Kontraktion summieren !). Analoge Beobachtungen machte bereits de Zilwa; er gibt an, dass die spontanen Kontraktionen des Retraktors mitunter klein und frequent sind, etwa acht bis zehn in der Minute, in anderen Fällen dagegen grösser und langsamer, so dass eine Kontraktion bis über 2 Min. dauern kann. An solehen grossen und trägen Spontan- l) Die feine Kräuselung der Kurve, speziell im letzten Anstieg zum Plateau, dürfte durch die Eigenschwingungen des langen zum Schreibhebel führenden Fadens bedingt sein. 336 E. Th. v. Brücke: kontraktionen beobachtete er eine Zähnelung im ansteigenden Ast und auf dem Gipfel der Kurve, während der absteigende Ast einen glatten Verlauf zeigte. Nach allem, was wir aus den Aktionsströmen des Retraktors über den Verlauf der Einzelerregung in diesem Muskel wissen, lassen sich diese Beobachtungen nur so deuten, dass die kleinen und frequenten Spontankontraktionen echte „Einzelzuckungen“ darstellen, denn ihre Frequenz stimmt genau mit der von mir für die Aktions- stromwellen beobachteten überein; die trägen Kontraktionen müssen wir dagegen als inkomplete Tetani bezeichnen, an denen aus der Zähnelung im ansteigenden Kurventeil die Frequenz der Einzel- erregungen zu entnehmen ist. Die Erklärung de Zilwa’s, der die Zähnelung im Anstieg durch Interferenz der Kontraktionen der einzelnen Muskelbündel zu erklären suchte, scheint mir demnach nicht zutreffend. Sehr leicht erklärt sich auch der von de Zilwa (l. e. S. 210£.) studierte Einfluss der Temperatur auf die Dauer der durch Einzel- induktionsschläge direkt ausgelösten Muskelkontraktionen. Die Ge- samtdauer der Kontraktion beträgt bei einer Temperatur von 40° nur 15 Sek., während sie bei niedrigen Temperaturen viel länger anhält. Eine nur 15 Sek. währende Kontraktion kann sehr gut einer einzigen Erregung des Muskels entsprechen, wie sie durch ver- schiedenartige Reize erzielt werden kann (vgl. z. B. den ersten Dehnungseffekt auf Fig. 1, Taf. V). Die gedehnten Kontraktionen bei niedrigerer Temperatur sind dagegen nicht etwa durch eine Ver- längerung des Kontraktionsaktes am gekühlten Muskel zu erklären, sondern als Tetani aufzufassen, da wir ja wissen, dass der gekühlte Retraktor besonders leicht in rhythmische Tätigkeit gerät. Hierfür sprechen auch wieder die kleinen superponierten Wellen, die nach de Zilwa auch in diesem Falle an den Kurven auftreten. (Vgl. de Zilwa’s Fig. 9.) Ebenso wie de Zilwa hat meines Erachtens sich auch schon Sertoli über die Dauer der Einzelkontraktion des Retraktors ge- täuscht, für die er einen mittleren Wert von 75 Sek. angibt. Wie leicht man sich einer solchen Täuschung hingeben kann, zeigt z. B. die einer Arbeit F. Bottazzi’s!) entnommene Kurve in Textfig. 5. 1) F. Bottazzi, Recherches sur les mouvements automatiques de divers muscles stries. Journ. de physiol. et de pathol. gen. t.8 p. 193. 1906. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. 337 Diese Kurve stellt eine Reihe streng rhythmischer Kontraktionen eines in durchlüfteter Ringer’scher Lösung von 25° überlebenden M. retractor dar. Die links unten angegebene Strecke entspricht einer Zeit von 5 Min. Jeder würde (speziell bei dem extrem lang- samen Trommelgang) auf den ersten Blick diese Kurven für rhythmische Einzelkontraktionen halten; diese Kontraktionen folgen sich aber ohne Pause in Intervallen von mehreren Minuten, es ist deshalb ausge- schlossen, dass sie ein- zelnen Erregungswellen entsprechen. Wirhaben es hier also nicht mit rhythmischen Einzel- kontraktionen, sondern mit rhythmisch wieder- kehrenden Tetanis zu tun, wie sie z. B. auch für die Krebsscheren- muskulatur von F. W. Fröhlich beschrieben wurden !). Es gehört zu den Aufgaben weiterer Un- tersuchungen, wie sich die Aktionsströme wäh- rend solcher mehr oder wenigerrhythmisch auf- tretenderlängerdauern- e Textfig. 5. (Die Marke link :ntspricht der Spontankontraktio- ee Di 5. Minuten‘) a ar. nen verhalten. In den hier mitgeteilten Versuchen habe ich derartige in bestimmtem Rhythmus wiederkehrende ausgiebige Kontraktionen nicht bemerkt, sondern nur langsame und regellose Schwankungen des Tonus. Die Ursache für das Fehlen der Spontankontraktionen liegt offenbar in der relativ niedrigen Temperatur, bei der der Muskel während meiner Versuche gehalten wurde?). Da-ich aber nur in wenigen Fällen die Muskel- 1) F. W. Fröhlich, I. c. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 7 S 430 ff. 2) Die Angaben de Zilwa’s über die Abhängigkeit der Spontankontraktionen von der Temperatur sind mir nicht ganz verständlich: Er gibt an, dass die 398 E. Th. v. Brücke: kontraktionen graphisch verzeichnete und mich im übrigen auf die Inspektion des Muskels beschränkte, so könnten mir wohl auch typische Spontankontraktionen in vereinzelten Fällen entgangen sein. Nach allem, was wir über den Erregungsablauf im M. retractor wissen, können wir wohl mit Sicherheit vorhersagen, dass während solcher spontaner rhythmischer Kontraktionen Gruppen von kräftigen Einzelaktionsströmen mit Gruppen von schwächeren oder mit Pausen abwechseln werden. Es sei hier nochmals auf die in Fig. 3, Taf. IV wiedergegebene Kurve hingewiesen. Es ist dies die erste (also sehr bald nach vollendeter Präparation gewonnene) Kurve von einem Muskel, dessen Temperatur noch relativ hoch gewesen sein dürfte, denn eine Erwärmung auf 29,2° C. verkleinerte zwar die Wellen, brachte sie aber ausnahmsweise nieht völlig zum Stillstand. Wir sehen hier Gruppen von kräftigen und besonders regelmässigen Aktionsströomen abwechseln mit schwächeren und zum Teil wohl auch interferierenden Wellen, und es scheint mir nicht unwahrscheinlich, dass hier ein Fall vorlag, in dem der betreffende Muskel die erwähnten spontanen rhythmischen Kontraktionen ausführte. Gegen Ende dieses Versuches wurde der Muskel erwärmt (von der Hebung des Reizmarkierers an), ohne dass zunächst ein merklicher Erfolg eingetreten wäre; die scheinbare Verlangsamung des Rhythmus wird, wie die Zeitmarken zeigen, nur durch eine Beschleunigung der Bewegung der Schreibfläche vor- getäuscht. Es ist zu hoffen, dass uns das Studium der Aktionsströme noch weiteren Aufschluss darüber geben wird, welche von den bisher als „Zuckungen“ bezeichneten Kontraktionen glatter Muskeln wirklich einzelnen Erregungswellen entsprechen, und welche als tonische Kontraktionszustände, d. h. also als Tetani aufzufassen sind. So konnten L. A. Orbeli und ich mit Hülfe der Aktionsströme nach- weisen, dass die spontanen peristaltischen Wellen des Urethers echte, langsam fortschreitende Einzelkontraktionen sind. Spontankontraktionen bei zunehmender Erwärmung des Muskels erst bei 38° C., also wenn der Tonus ganz niedrig ist, einsetzen (S. 206, vgl. Fig. 3 ibidem); andererseits beschreibt er, das bei einer von 40°C. an fortschreitenden Kühlung die Spontankontraktionen an Grösse allmählich zunehmen, aber an Frequenz ab- nehmen, Unter 20° C. soll auch ihre Stärke abnehmen und erst bei 15° C. träten überhaupt keine mehr auf (S. 207 und Fig. 1b S. 203). Das Verhalten der Spontankontraktionen bei verschiedener Temperatur scheint demnach individuell beträchtlich zu schwanken. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. 339 Die wesentliehen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung scheinen mir der Nachweis relativ kräftiger Aktionsströme an einem glatten Säugetier- muskel und die Feststellung der Tatsache, dass der tonischenKontraktion diesesMuskels ein diskontinuier- licher Erregungsvorgang zugrunde liegt. Zusammenfassung. Der im wesentlichen glatte Musculus retraetor penis befindet sich nach Freilegung seiner präputialen Hälfte infolge der Abkühlung meist in tonischer Kontraktion. (De Zilwa.) Dieser Zustand lässt sich in folgender Weise charakterisieren: Es laufen kontinuierlich Erregungswellen über den Muskel in der Richtung vom hinteren zum vorderen Ende ab. (Unter zwanzig Hunden zeigte nur einer rückläufige Wellen.) Diese Erregungswellen äussern sich bei Ableitung von zwei Punkten der intakten Muskeloberfläche zumeist in typisch zwei- phasischen Aktionsströmen, deren E. K. für jede Phase etwa !/ıooo Daniell entspricht, und an denen die Anstieesdauer einer Phase im Mittel 2 Sek. beträgt. Diese Aktionsströme folgen sich entweder in ziemlich strenger Rhythmik, drei bis neun Wellen in der Minute, oder in mehr oder minder regelloser Weise in wechselnder Stärke und mit wechselnden Intervallen, zum Teil wohl infolge von Interferenzerscheinungen zwischen den Erreguneswellen der beiden Muskelhälften oder einzelner Muskelfaserbündel. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregungswellen schwankte zwischen 0,9 und 7 mm see —!. Bei Erwärmung des Muskels sinkt der Tonus, und gleichzeitig werden auch die rhythmischen Aktionsströme schwächer, mitunter zugleich langsamer, oder sie verschwinden ganz. An einem tonusfreien Muskel können durch Dehnung und durch Abkühlung einzelne oder (häufiger) Reihen von rhythmisch sich folgenden rechtläufigen Erregungswellen ausgelöst werden. Bei lokalisierter Abkühlung gehen die Erregungswellen immer von der gekühlten Stelle aus. Die Kontraktionskurven des Musculus retracetor penis zeigen mitunter im Anstieg Wellen, die zeitlich den Einzelerregungen ent- sprechen; es ist zu vermuten, dass die mehrfach beschriebenen weit- 340 E. Th. v. Brücke: Beiträge zur Physiologie etc. aus träger verlaufenden rhythmischen Spontankontraktionen nicht Einzelkontraktionen, sondern Tonusschwankungen, d. h. also Te- tani sind. Tafelerklärung. Sämtliche Kurven der beiden Tafeln: sind von links nach rechts zu lesen. Die Zeitmarken entsprechen überall Sekunden; an den bei langsamem Trommel- gang registrierten Kurven ist jede zehnte Sekunde nachträglich durch Retusche hervorgehoben. Ein Ausschlag der Saite in der Richtung zu den Zeitmarken entspricht immer dem Negativwerden der dammwärts gelegenen Elektrode. Die eingeklammerten römischen und arabischen Zahlen geben die Nummer des Ver- suchstieres und die der Aufnahme an. Die angegebenen Temperaturen wurden immer auf die im Texte erörterte Art gemessen. Tafel IV. Fig. 1 (X1,1). Spontane, besonders regelmässige Erregungswellen. Ableitungs- strecke 8 bis 9 mm. Temp. 20,6° C. Fig. 2. (X1,3). Wirkung abwechselnder Kühlung und Erwärmung des Muskels. Der Signalschatten unter den Sekundenmarken stand während der Dauer der Heizung des Muskels hoch. Temp. bei M, 21,0° C. Von M, an Kühlung durch Anblasen des Muskels mit kalter Luft bis auf 19,1°C. Temp. zu Beginn der Erwärmung 19,4° C., beiM,; 21° C. Zweite Kühlung durch Anblasen bis M3 (Temp. 19° C.), zweite Erwärmung Temp. anfangs 20° C., bei M, 22,0° C., am Ende 23,0° C.), dritte Kühlung bis M, (Temp. 18,4° C.), dritte Erwärmung (Temp. bei M, 20,0° C., bei M, 22,0° C.), vierte Kühlung bis 18,4° C. Fig. 3 (XV1L2). Spontane Rhythmen mit Gruppenbildung. Temp. 20,4° C. Ab- leitungsstrecke 10 mm. Zum Schluss Erwärmung des Muskels. Fig. 4 (IX, 1). Spontane, besonders frequente Erregungswellen. Temp. 20,1° C. Tafel V. Fig. 1 (IV, 2). Wirkung zweier Dehnungsreize auf einen tonusfreien Muskel. Fig. 2a und b (VIL7). Gleichzeitig verzeichnetes Elektrogramm und Längen- kurve eines kurze Zeit erwärmten und dann gekühlten Muskels. Koinzidenz- marken durch elektromagnetische Signale in einem gemeinsamen Kreise ver- bürgen die zeitliche Übereinstimmung der beiden wiedergegebenen Kurven- stücke. Fig. 3 (XVL3). Typisch zweiphasische Aktionsströme eines auf 18,4° C. gekühlten Muskels. Ableitungsstrecke = 10 mm. Die erste steile Ablenkung der Saite in der Richtung zum Jaquet entspricht einer Eichung mit 1/1000 Daniell. Fig. Flaua Irkrst Brlin Verlag von Martin Hager, Bonn, Pflügers JEUUERERERTT Re" VER BaRDE TUN PT ae EIRRFFFRENERRTEN | BEER ERTL BE LE EL EL ELEND SE 5: us RIT zu, Er Er BLEI NTRE EN 341 (Aus dem physiologischen Institut der Universität Leipzig.) Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. Die Aktionsströme der Uretermuskulatur während des Ablaufes spontaner Wellen. Von Dr. med. Lewon Orbeli, und Dr. med. E. Th. v. Brücke, St. Petersburg, Privatdozent und’ Assistent am Institut. (Mit 6 Textfiguren und Tafel VI und VII.) Zufällig beobachteten wir an einem laparotomierten Hunde, an dem sehon längere Zeit experimentiert worden war, äusserst kräftige und frequente Ureterwellen und sahen in diesem Falle bei Ableitung von zwei Stellen des freipräparierten Ureters zum Saitengalvanometer auffallend kräftige und regelmässige Aktionsströme. Die systematische Untersuchung der Ureteraktionsströme zeigte uns bald, dass wir es hier mit einem besonders günstigen Zufalle zu tun hatten; denn es erwies sich als sehr schwierig, an einem im Tier belassenen, aber auf eine längere Strecke von der Unterlage freipräparierten Ureter spontane peristaltische Wellen zu erzielen. Zwei Kaninchen er- gaben ein völlig negatives Resultat, obwohl wir bei dem zweiten Versuchstiere die Körpertemperatur durch Wärmflaschen, Decken, heisse Klysmen usw. möglichst hoch erhielten; die Temperatur im Rektum schwankte bei diesem Tiere immer um 39°, und trotzdem sahen wir an dem freigelesten Ureter kaum je eine peristaltische Welle. Bessere Resultate ergaben uns zwölf Hunde, an denen wir die Versuche in folgender Weise anstellten: Sobald die mit Morphium und Chloroform narkotisierten Tiere auf das Öperationsbrett auf- gebunden waren, wurden ihnen ein Termophor über den Thorax und zwei mit heissem Wasser gefüllte Wärmflaschen seitlich an die 342 Lewon Orbeli und E. Th. v. Brücke: Thoraxwände gelegt, dann wurde, abgesehen von dem für die Laparotomie freibleibenden Abdomen, das ganze Tier mit heissen Tüchern und einer dicken Wattelage bedeckt. Die Bauchhöhle wurde in der Linea alba von der Symphyse bis zum Schwertfortsatz eröffnet, und der grösste Teil des Dünndarms in einen, mit einer Zugschnur versehenen heissen, nassen Leinensack gepackt, der dann ınit heissen Tüchern und einer Watteschicht bedeckt und durch einen Halter oder durch angespannte Tücher gegen den Thorax zu gedrängt wurde, so dass das Rektum und die Ureteren frei lagen. Beide Ureteren wurden nun mit einem stumpfen Sucher von ihrer Unterlage eine Strecke weit freipräpariert, an je zwei ein bis fünf Zentimeter voneinander entfernten Stellen mit Baumwollfäden, die mit heisser Ringer’scher Lösung befeuchtet waren, umknotet und eines der Fadenpaare mit zwei, an einem gut beweglichen Stativ angebrachten, unpolarisierbaren Tonstiefelelektroden verbunden. Zunächst wurden die Elektroden so weit gesenkt, dass der mit ihnen verbundene Ureter seiner Unterlage vollkommen anlag, und nun wurde er (und die übrigen freigelesten Beckenorgane) mit heissen, Ringer-getränkten Wattebäuschen bedeckt, über die wieder eine trockene, von einer dicht darüber befindlichen Glühlampe erwärmte Watteschieht gedeckt wurde. Wenn man auf diese Weise die Ureteren während 5 oder 10 Min. erwärmt hat, sieht man nach Abheben der Wattebäusche meist eine oder mehrere spontane Wellen über den Ureter ablaufen; hebt man nun die Elektroden so weit, dass der Ureter zum Teil sozusagen frei an den Elektroden hängt, so sieht ° man an einer nicht zu straff gespannten Galvanometersaite ausnahms- los sehr charakteristisch verlaufende Aktionsströme. Die rasche, unvermeidliche Abkühlung des freiliegenden Ureters lässt allerdings nach kurzer Zeit das Wellenspiel verschwinden, doch gelingt es meist während mehrerer Stunden, den Ureter durch neuerliche Erwärmung immer wieder in Aktion zu setzen. Um bei schlecht arbeitenden Ureteren die Wellenfrequenz zu erhöhen, injizierten wir den Tieren mehrfach 100—200 cem körperwarmer Ringer’scher Lösung in eine Dünndarmschlinge oder in das an seinem unteren Ende ligierte Rektum; die hierdurch hervorgerufene Diurese bewirkte eine ent- schiedene Verbesserung der spontanen Ureterentätiekeit. So sahen wir z. B. in einem Falle 35 Min. nach einer solchen Injektion über einen frisch erwärmten Ureter im Laufe von 22 Sek. neun Wellen Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. II. 343 ablaufen. Die bekannte zuerst von Engelmann!) festgestellte und später von Protopopow?) und L. Stern?) bestätigte Ab- hängigkeit der Frequenz der Ureterwellen von der Temperatur konnten auch wir regelmässig beobachten: am eben aufgedeckten Ureter folgten sich die peristaltischen Wellen in relativ kurzen Intervallen; aber wenige Minuten nach Entfernung der wärmenden Hüllen nahm die Frequenz der Wellen rasch ab, und spätestens nach 10 Min. verschwanden die Wellen offenbar infolge der Ab- kühlung des Ureters vollkommen. Ein Beispiel dafür, wie streng der Rhythmus der spontanen Wellen an einem gut erwärmten Harn- leiter sein kann, bietet Fig. 1 auf Tafel VII: hier betragen alle sieben Intervalle zwischen den acht verzeichneten Kurven 11 Sek. Die mit dem Saitengalvanometer verzeichneten Aktionsstrom- kurven der Ureterwellen zeigen einen sehr komplizierten Verlauf. Während jeder, beide Ableitungsstellen passierenden Welle treten neben anderen zwei auffallend kräftige, entgegengesetzt gerichtete Ströme auf. Der erste dieser Ströme verläuft im äusseren Kreis von der blasenwärts gelegenen („unteren“) zur nierenwärts gelegenen („oberen“) Elektrode, entspricht also einer Negativität der oberen, der zweite einer Negativität der unteren Ableitungsstelle.. Diese beiden Phasen, die wir, um nichts zu präjudizieren, als „Haupt- schwankungen“ bezeichnen wollen, beherrschen das Bild des Ureter- Aktionsstromes, sie sind immer viel kräftiger entwickelt als alle übrigen Zacken der Kurve. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass diese beiden Haupt- schwankungen je einer Erregung an der oberen und der unteren Ableitungsstelle entsprechen: wenn nämlich, wie dies an erkaltenden Ureteren sehr häufig zu beobachten ist, einzelne Wellen zwar noch die obere Ableitungsstelle erreichen, aber dann irgendwo innerhalb der Elektrodenstrecke erlöschen, so sieht man regelmässig an den Elektrogrammen eine typisch ausgebildete erste Hauptschwankung, der aber keine zweite, entgegengesetzt gerichtete folgt. Nur in einem 1) Th. W. Engelmann, Zur Physiologie des Ureter. Pflüger’s Arch. Bd. 2. 1869. 2)S. A. Protopopow, Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Ureteren. Pflüger’s Arch. Bd. 66. 1897. 3) L. Stern, zitiert nach R. Metzner. Nagel’s Handb. der Physiol. Bd. 2 (1) S. 293. 344 Lewon Orbeli und E. Th. v. Brücke: einzigen derartigen Falle (vgl. Fig. 3 auf Taf. VII) haben wir eine zunehmende Verkleinerung der zweiten und in weit schwächerem Maasse auch der ersten Hauptschwankung, also anscheinend ein Dekrement vor allem im Gebiete der zweiten Ableitungselektrode bei einigen aufeinanderfolgenden Ureterwellen gesehen; in allen übrigen Fällen trat die zweite Hauptschwankung entweder voll entwickelt auf oder gar nicht; oft wechselten auch Wellen, die über die zweite Ableitungsstelle hinwegliefen, mit solchen ab, die in der Zwischenstrecke erloschen, so dass einzelne Kurven (vel. Fig. 2 auf Taf. VII) grosse Ähnlichkeit mit den Elektrogrammen eines im Alternans schlagenden Herzens aufweisen. Durch die Untersuchen Engelmann’s!) wissen wir, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregungswelle am Ureter je nach der Temperatur des Organes sehr verschieden sein kann. So kann sie z. B. beim Kaninchen von dem normalen Werte, der 20—30 mm sec! beträgt, auf 10, ja sogar 7 mm see”! sinken. Dem entspricht vollkommen die Tatsache, dass wir regelmässig in unseren Versuchen das Intervall zwischen beiden Hauptschwankungen mit der Zeit wachsen sahen, wie dies schlagend auf Taf. VII die Fig. 1 und 2 und angedeutet auch die Fig. 5 zeigen. Bei der ersten Welle auf Fig. 1 sind die beiden Hauptschwankungen durch ein eben merk- liches Zögern der Seite getrennt, das sicher kürzer als 0,1 Sek. währt; bei den folgenden Wellen nimmt dieses Intervall kontinuierlich zu und erreicht bei der letzten Welle einen Wert von 0,35—0,4 Sek. Dass diese Verzögerung der Fortpflanzungsgescehwindigkeit der Er- regung in diesem Falle nieht mit einer Verminderung der Frequenz der Wellen einhergeht, erklärt sich wohl dadurch, dass die Ur- sprungsstelle der Wellen am Nierenbecken gegen Auskühlung bei weitem besser geschützt war als das zur Ableitung benutzte, völlig - isolierte Stück des Ureters?). Von den sechs vollständigen Wellen der Fig. 2 auf Taf. VII zeigt die erste ein Intervall von etwa 0,2 Sek. zwischen den beiden Hauptschwankungen, die letzte eines von etwa 0,5 Sek. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Ureterwellen, wie wir sie aus den bei rascherem Trommelgang registrierten Kurven durch l) Th. W. Engelmann, |. c. 2) Man beachte bei dieser Kurve die an der Distanz der Jaquetmarken kenntliche ungleichmässige Geschwindigkeit der Schreibfläche. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. II. 345 Vergleich der Länge der Elektrodenstrecke mit dem zeitlichen Ab- stand des Beginnes der beiden Hauptschwankungen ermittelten, stimmt cut mit den von Engelmann für den Kaninchenureter und von L. Stern für den Meerschweinchenureter angegebenen Werten überein. Die Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwindiekeit aus dem an den Kurven ersichtlichen Abstand des Beginnes oder der Gipfel beider Hauptschwankungen ist allerdings nicht vollkommen korrekt: Beginn und Gipfel der zweiten Hauptschwankung können auf den Kurven dadurch etwas verschoben scheinen, dass die Galvano- metersaite zu dieser Zeit meist auch noch von der positiven Nach- schwankung an der ersten Ableitungsstelle in ihrer Bewegung be- einflusst wird. Bei der Steilheit und Grösse der durch die zweite Hauptschwankung bedingten Ausschläge wird aber dieser Fehler so geringfügig, dass er bei den relativ groben Bestimmungen der Fort- pllanzungsgeschwindigkeit im folgenden vernachlässigt werden kann. Bei den in Fig. 1 und 2 auf Taf. VI wiedergegebenen Versuchen betrug die Ableitungsstrecke 14 bzw. 11 mm, woraus sich die Fort- pflanzungsgeschwindigkeiten von 14 bzw. 15 mm see”! ergeben. Auf den eigenartigen Verlauf der beiden eben besprochenen Kurven (Nr. 1 und 2 der Taf. VII) zwischen den beiden Haupt- schwankungen wird noch eingegangen werden. Wir werden im folgenden sehen, dass der bisher als zweite Hauptschwankung bezeichnete Teil des Ureterelektrogramms meist durch Interferenz mehrerer Phasen zustande kommt, während die erste Hauptschwankung bei den von uns benützten Ableitungsstrecken bis in ihren wieder ansteigenden Teil einer einfachen Stromschwankung entspricht. Wir können deshalb aus den zeitlichen Verhältnissen der zweiten Hauptschwankung keinerlei Schlüsse ziehen, sondern müssen uns in dieser Hinsicht auf die Ausmessung der ersten Haupt- schwankung beschränken. Die an der Gesamtheit unserer Kurven ermittelten Werte für die Gipfelzeit dieser Schwankung liegen zwischen 0,2 und 0,4 Sek., was auch an allen dieser Arbeit beigegebenen Kurven zu ersehen ist. Diese Zeiten sind etwa 100 mal länger als die für den analogen Vorgang am quergestreiften Skelettmuskel ge- messenen und etwa 10 mal kürzer als die Anstiegszeiten der einzelnen Phasen der von einem von uns am M. retraetor penis des Hundes beobachteten Aktionsströme. Die ableitbare E.K. der beiden Hauptschwankungen war bei den einzelnen Versuchstieren sehr verschieden. Als Grenzwerte be- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 23 346 Lewon Orbeli und E. Th. v. Brücke: obachteten wir. 0,0003 und 0,003 Daniell. (Man vergleiche hierzu die Höhe (der Eichungskurven, die in Fig. 2 auf Taf. VII der Ein- und Ausschaltung einer E.K. von 0,001 bzw. 0,002 Daniell, in Fig. 4 von 0,001 Daniell entsprechen.) Diese Werte stimmen niit den am M. retraetor penis beobachteten gut überein. Bei Ableitung von einer intakten und einer durch Quetschen abgetöteten Stelle der Ureteroberfläche beobachteten wir regelmässig typisch gerichtete Demarkationsströme, deren E.K. in den einzelnen Fällen zwischen 0,0015 und 0,0030 lag. Es ergibt sich die Frage, ob die eben beschriebenen Phasen des Ureterelektrogramms etwa der Tätigkeit einer einzelnen Muskelschicht, der Ringmuskulatur oder der Längsmuskulatur, ent- sprechen. Wir suchten dies durch Versuche zu entscheiden, in denen wir quer, d. h. also von zwei gegenüberliegenden Stellen des Ureterschlauches ableiteten', in der Hoffnung, etwa auf diese Weise Aktionsströme zu erhalten, die für die Ringmuskulatur charakteristisch gewesen wären; diese Versuche, die sich auch technisch als ziemlich schwierig erwiesen, ergaben so wechselnde Resultate, dass auf diesem Wege keine Antwort auf unsere Frage zu erhoffen ist. Die Tatsache, dass die Ringmuskulatur am Ureter des Hundes die oberflächlich gelegene Schicht bildet und die Augabe Proto- popow’s!), dass sie viel stärker entwickelt ist als die Längs- muskulatur, könnte dazu verleiten, die Hauptschwankung eher als Ausdruck der Erregung dieser Schicht aufzufassen. Nun gibt aber Protopopow selbst und eine grosse Zahl von anderen Autoren an, dass eine strenge Scheidung zwischen Ring- und Längsmuskulatur — etwa wie beim Darm — am Ureter nicht möglich ist, weil sich hier in jeder Schicht mehr oder minder reichlich Fasern von ver- schiedener Verlaufsriehtung finden lassen; ja manche Forscher gehen so weit, überhaupt jede Regelmässigkeit in der Schiehtung der Uretermuskulatur zu leugnen. (Sappey.) Eine Entscheidung darüber, welche Muskellage während der beiden Hauptschwankungen in Er- regung gerät, lässt sich also auch auf diesem Wege nicht fällen. Diese Frage wird überhaupt irrelevant, wenn man mit Engelmann annimmt, dass die gesamte Uretermuskulatur sich wie ein kon- traktiles Kontinuum verhält, dass also die an einer Stelle des Ureters gelegenen, aber in verschiedener Richtung verlaufenden 11.228. SEL Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. II. 347 Muskelfasern sich synehron kontrahieren. Für diese Annahme spricht auch die während des Ablaufes einer Welle direkt zu beobachtende Bewegung einer Ureterstelle. Fasst man nämlich einen Punkt des Ureters ins Auge, so sieht man, wie dies auch schon von früheren Beobachtern festgestellt wurde, im wesentlichen folgendes: Im Momente des Auftretens der Welle am Nierenbecken wird der ganze Ureter etwas nach oben (nierenwärts) gezogen; während die Welle die beobachtete Stelle passiert, kehrt sie in ihre Anfangsstellung zurück, und sobald die Welle den betreffenden Punkt überschritten hat, wird er wieder deutlich zur Blase hingezogen. Da diese Ver- zerrung des Ureters (die meist auch mit einer Drehung um die Längsachse einhergeht) kaum anders als durch eine Kontraktion der längs verlaufenden Muskelfasern zu erklären ist, so lässt sich ‘das Gesamtbild der Ureterbewegung wohl am besten durch die An- nahme erklären, dass sich an jeder Stelle des Organes die in ver- schiedener Richtung verlaufenden Muskelfasern annähernd gleich- zeitig kontrahieren. Sollte diese Erklärung zutreffen, so wären die beiden Hauptschwankungen des Ureterelektrogramms als Aktions- ströme der gesamten Muskulatur unter den beiden Ableitungs- elektroden aufzufassen. Was die übrigen Phasen der Ureteraktionsströme betrifft, so können wir sie trennen in solehe, die der Erregung der ersten und solche, die der Erregung der zweiten Ableitungsstelle angehören: wenn eine Ureterweile innerhalb der Elektrodenstrecke erlischt (wir ‘wollen solche Wellen im folgenden als „Halbwellen“ bezeichnen), so sehen wir ausser der ersten Hauptschwankung immer noch eine auch an vollständigen Ureterelektrogrammen niemals fehlende, ihr zeitlich vorangehende, entgegengesetzt gerichtete Phase. die wir als „positive Vorschwankung“ bezeichnen wollen. Das zeitliche Intervall zwischen dem Beginn der Vorschwankung und dem der ersten Hauptschwankung wechselt bei verschiedenen Versuchen zwischen 0,3 und 1,0 Sek. (vel. z.:B.; Fig. 2 auf Taf. VI und Fig. 2 auf Taf. VII). Ist das Intervall gross, so sehen wir die Vorschwankung und ‚die erste Hauptschwankung durch ein kurzes, fast horizontales Kurven- stück getrennt, und nur unmittelbar vor dem Einsetzen der ersten Hauptschwankung steigt die Kurve meist nochmals eben merklich in der Richtung der Vorschwankung an, wie dies z. B. auf Fig. 1 auf Taf. VI zu erkennen ist. Nur ein einziges Mal sahen wir dies aeuerliche Ansteigen der Kurve knapp vor dem Einsetzen der ersten Da: 348 Lewon Orbeli und E. Th. v. Brücke: Hauptschwankung so deutlich ausgeprägt wie an den in der Text- figur 1 wiedergegebenen Halbwellen. In ihrem zeitlichen Ablauf verhält sich die Vorschwankung sehr ähnlich den beiden Haupt- schwankungen. In einem Falle (Hund L) beobachteten wir eine „Spaltung“ der der Vorschwankung entsprechenden Zacke, so dass. sie einen ausgesprochen dikroten (ana- oder katakroten) Charakter erhielt. In jenen Fällen, in denen das Intervall Vorschwankung — erste Hauptschwankung kurz ist, sehen wir, dass die Vorschwankung von der ersten Hauptschwankung kupiert wird. (Vgl. Fig. 2 und 3: auf Taf. VI und Fie. 1, 3 und 4 auf Taf. VII.) Textfig. 1. (Die Kurve ist von links nach rechts zu lesen. Zeitmarken — Sek.): In vielen Fällen kann die Vorschwankung völlig getrennt von. den übrigen Phasen des Ureteraktionsstroms auftreten. Mit fort- schreitender Abkühlung des freigelegten Ureters sieht man, wie schon erwähnt wurde, immer häufiger einzelne Wellen die zweite: Ableitungsstelle nicht mehr erreichen, und bei weiterem Zuwarten treten dann oft einzelne Vorschwankungen auf, denen keine Haupt- schwankung folet, und schliesslich kann es dazu kommen, dass wir am Galvanometer Reihen von isolierten Vorschwankungen beobachten, während uns die Inspektion wenigstens an dem freigelesten Teile des Ureters keine Bewegungen mehr erkennen lässt. Derartige isolierte Vorschwankungen zeigen die Fig. 2 und 4 auf Taf. VII. Die Fig. 4 zeigt elf in regelmässigen Intervallen auftretende Vorschwan- kungen; bei a wurde in den Stromkreis eine E. K. von "/ıooo Daniell eingeschaltet, die zufällig im selben Moment wieder ausgeschaltet wurde, als die dritte Vorschwankung der Kurve von einer folgenden. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. II. 349 Hauptschwankung kupiert wurde. Auch auf die achte und zehnte Vorschwankung der Figur folgen Hauptschwankungen, von denen die letzte allerdings viel schwächer ist als die beiden vorangehenden. Derartige rudimentäre erste Hauptschwankungen beobachteten wir nur in ganz seltenen Fällen; ein weiteres Beispiel einer solchen zeigt Fig. 2 auf Taf. VII bei R; hier tritt nach einem auffallend langen (2,2 Sek.) Intervalle nach einer typischen Vorschwankung eine, kaum die halbe normale Höhe erreichende Hauptschwankung auf. Textfig. 2. (Die Kurve ist von links nach rechts zu lesen. Zeitmarken — Sek.) Es kann aus diesen Kurven natürlich nicht entschieden werden, ob es sich in diesen Fällen um submaximale Erregunsen , um partielle Kontraktionen der Uretermuskulatur oder nur um Stromschleifen von einer maximalen, aber dieht oberhalb der ersten Ableitungsstelle er- loschenen Ureterwelle handelt. Während die Vorschwankung und die erste Hauptschwankung an jeder Welle, die sich nur über die erste Ableitungsstelle fort- pflanzt, zu erkennen sind, zeigen derartige Halbwellen nur in seltenen Fällen nach dem Ablauf der ersten Hauptschwankung eine neuer- liche, trägere Ablenkung der Saite im Sinne der Vorschwankung. Besonders deutlich lassen dies die Textfizur 2, die drei letzten Halb- wellen .der Fig. 3 auf Taf. VII und Fig. 3 auf Taf. VI erkennen. Wir 350 Lewon Orbeli und E. Th. v. Brücke: wollen diese Phase als „(positive) Nachschwankung“ bezeichnen. Die Gesamtdauer dieser Nachschwankung kann 2—3 Sek. betragen. Wenn wir nunmehr den zweiten Teil des Ureterelektrogramms betrachten, d. h. jenen Teil, der offenbar einer Erregung der zweiten Ableitungsstelle entspricht, so sehen wir an ihm ausser der zweiten Hauptsehwankung gleichfalls einige weitere Phasen. An einer Reihe von Kurven (vgl. Fig. 1 und. 2 auf Taf. VII) haben wir folgendes: beobachtet: Wenn sich mit zunehmender Abkühlung des Ureters das Intervall zwischen der ersten und zweiten Hauptschwankung ver- längert, so nimmt die Saite während dieses Intervalles nicht ihre Ruhestellung ein, sondern sie zeigt oft einen meist zweiphasischen Ausschlag, den wir vorläufig als Zwischenschwankung bezeichnen wollen. Das Ende des einer vollständig ablaufenden Ureterwelle entsprechenden mehrphasischen Aktionsstromes bildet eine Schwan- kung, die einer Positivität der zweiten Ableitungsstelle entspricht. In besonders ausgeprägter Weise zeigt dies Fig. 5 auf Taf. VII. Hier sehen wir neben vier typisch verlaufenden Halbwellen, nie sich aus der ersten Vorschwankung der ersten Hauptschwankung und vielleicht einer ganz schwachen Nachschwankung zusammen- setzen, zwei vollständige Wellen, die aber neben den beiden Vor- und Hauptschwankungen zum Schluss noch eine ausserordentlich: kräftige Schwankung in der Richtung zu den Marken des Jaquet zeigen. Diese Phase findet sich zwar nicht an allen, wohl aber an der überwiegenden Mehrzahl der verzeichneten Kurven; sie fehlt z. B. auf Fig. 3 der Taf. VII und bei Fig. 1 auf Taf. VI. An allen übrigen wiedergegebenen Kurven ist sie mehr oder minder kräftig entwickelt zu sehen. Das Intervall, in dem sie der zweiten Haupt- schwankung folet, ist ganz verschieden; in Fig. 1 auf Taf. VII sehen wir dieses Intervall deutlich mit der Dauer des Versuches, also mit zunehmender Abkühlung des Ureters, wachsen. In anderen Fällen wird die zweite Hauptschwankung in ihrem Abstieg von der letzten Schwankung kupiert (Fig. 5 auf Taf. VI und Fig. 2 auf Taf. VI), oder diese tritt erst nach dem vollständigen Ablauf der zweiten Haupt- schwankung auf. Da die Muskulatur des Ureters, abgesehen von kleinen Ab- weichungen am Nieren- und Blasenende, einen in seiner ganzen Länge ziemlich gleiehmässig aufgebauten Muskelschlauch bildet, und auch die Funktion dieser Muskulatur an allen Stellen des Harn- leiters dieselbe ist, so ist es von vornherein wahrscheinlich, dass der Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. 351 Erresungsablauf an zwei benachbarten Stellen des Ureters keine wesentlichen Unterschiede aufweisen wird. Von dieser Voraus- setzung ausgehend müssen wir erwarten, dass sich das Elektro- sramm einer vollständig ablaufenden Ureterwelle aus zwei gleichen Hälften zusammensetzt, deren einzelne Phasen in beiden Hälften entgegengesetzt gerichtet sind, und die je nach der Grösse der Ab- leitungsstrecke und der Fortpflanzungsgeschwindigkeit verschieden weit gegeneinander verschoben erscheinen, dass sich also das Ureter- elektrogramm prinzipiell ebenso wie die bisher bekannten sogenannten zweiphasischen Aktionsströme verhält. Dabei ist natürlich nicht zu erwarten, dass die beiden, je einer Ableitungsstelle entsprechenden Kurvenhälften vollkommen identisch seien; wir sahen, dass die Wellenbewegung an dem erkaltenden Ureter nur kurze Zeit anhält und müssen bei den an einem solchen Organe beobachteten Wellen au die Möglichkeit der Fortpflanzung mit einem Dekrement denken. Mit besonderer Vorsicht sind die oben als Halbwellen bezeichneten Erregungen zu betrachten, denn von ihnen wissen wir, dass sie innerhalb der Ableitungsstrecke erlöschen; eine Erregung, die sich mit einem so starken Dekrement fortpflanzt, besitzt zum mindesten nicht mehr normale Stärke, und wir können auch nicht mit Sicher- heit sagen, dass uns die während einer solchen Halbwelle ver- zeichnete Galvanometerkurve den normalen FErregungsablauf an einer Stelle der Uretermuskulatur genau wiedergibt. Wenn wir von dem oben aufgestellten Postulat ausgehen und die beiden Einzelkurven zu rekonstruieren suchen, aus denen sich die von uns verzeichneten vollständigen Ureterelektrogramme zu- sammensetzen, so gelangen wir zu einem ziemlich befriedigenden Resultat. Die Rekonstruktion der beiden Teilkurven lässt sich in sehr einfacher Weise ausführen: An einem vollständig entwickelten Ureter- elektrogramm entspricht der Anfang ausschliesslich einer Potential- änderung an der ersten Ableitungsstelle, das Ende einer solchen der zweiten Ableitungsstelle; somit ist uns der Anfang und das Ende der im Idealfalle als identisch anzunehmenden beiden Teilkurven bekannt und nur ihr relativ kurzes Mittelstück noch zu eruieren. Den Zeitpunkt, in dem eine Veränderung auch an der zweiten Ab- leitungsstelle einsetzt, d. h. also die Abszissenstrecke, um welche die beiden Teilkurven gegeneinander zu schieben sind, ergibt sich am einfachsten aus der zeitlichen Differenz zwischen dem Gipfel der RD Lewon Orbeli und E. Th. v. Brücke: ersten und zweiten Hauptschwankung. Die Konstruktion, wie sie in den Figg. 3, 4 und 5 wiedergegeben ist, wurde in der Weise aus- geführt, dass nach dem ermittelten zeitlichen Intervall, von der Ab- zisse der Kurve aus, das Spiegelbild des Kurvenanfangs wieder auf- getragen wurde, also so, dass die der zweiten Ableitungsstelle ent- sprechende positive Vorschwankung nach unten, die zweite Haupt- schwankung nach oben gezeichnet wurde. Die Differenz der Ordinaten- . werte dieser spiegelbildlich gezeichneten Kurve und der als algebraische Textfig. 3. Summe aufzufassenden tatsächlich registrierten Elektrogrammkurve ereibt dann den weiteren Verlauf der der ersten Ableitunssstelle entsprechenden Teilkurve. In den meisten Fällen zeigt es sich, dass diese durch Konstruktion ermittelte Fortsetzung der ersten Teilkurve entweder vollständig analog verläuft oder doch grösste Ähnlichkeit mit dem von vornherein gegebenen Ende der zweiten Teilkurve zeigt. In Fig. 3 auf Taf. VII sehen wir zu Anfang zwei vollständig ent- wickelte Ureterelektrogramme zum Schluss drei typische, untereinander fast vollständig gleich verlaufende Halbwellen. Wenn wir zwei der- artige Halbwellen in der eben besprochenen Weise zu einem voll- ständigen Ureterelektrogramm zu kombinieren suchen und sie hierzu zeitlich um etwa 0,7 Sek. verschieben, was der zeitlichen Differenz Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. 353 der Hauptschwankungen in den vollständigen Elektrogrammen der zitierten Figur entspricht, so erhalten wir eine Kurve, die sich in allen Details mit einem der tatsächlich verzeichneten vollständigen Ureterelektrogramme deckt. In der Textfig. 3 sind bei a die beiden, Halbwellen entsprechenden Teilkurven spiegelbildliich und gegen- einander entsprechend verschoben aufgezeichnet und bei 5 die kon- struierte Resultante dieser Kurven wiedergegeben, deren Über- einstimmung mit einer der beiden ersten Kurven der Fig. 3 auf Tafel VII in die Augen springt. Die mit a markierte Verzögerung im Verlaufe dieser Kurve ist auch an den vier ersten Kurven der Fig. 3 auf Tafel VII deutlich ausgeprägt, ja es scheint sogar, als ob auch die letzten drei Halbwellen der Figur eine Andeutung dieser Verzögerung aufwiesen !), so dass in diesen Fällen von den der zweiten Ableitungsstelle angehörigen Stromsehwankungen nur mehr die posi- tive Vorschwankung vorhanden wäre, was mit der Tatsache über- einstimmen würde, dass die Phase auch bei Halbwellen die am er- kaltenden Ureter zuletzt verschwindende Phase des Elektrogrammes ist. Zu Anfang dieser Abhandlung haben wir erwähnt, dass sich in vielen Fällen bei zunehmender Abkühlung des Ureters zwischen die beiden Hauptschwankungen eine, meist zweiphasische, Schwankung einschiebt, die wir als Zwischenschwankung bezeichnet hatten. (Vel. Figg. 1, 2 und 5 der Taf. VII.) Auch diese Zwischenschwankung lässt sich zwanglos erklären, wenn wir als Summanden des vollständigen Ureterelektrogrammes zwei Kurven annehmen, die aus einer positiven Vorsehwankung, einer negativen Hauptschwankung und einer positiven Nachschwankung bestehen. In den schematischen Textfiguren 4a bis e sind dieselben (auch untereinander gleichen) Teilkurven in der Weise kombiniert, dass ihr zeitliches Intervall in a am kleinsten, in b grösser und in e am grössten ist; es würde also a den Vor- gängen an einem gut erwärmten, e denen an einem stark ausgekühlten Ureter entsprechen. Die (gestrichelten) Summationskurven lassen in deutlichster Weise die zunehmende Ausbildung der Zwischenschwankung bei wachsendem zeitlichen Intervall der Teilkurven erkennen. Wie oben erwähnt wurde, dürfen wir nicht erwarten, dass die beiden Teilkurven des Ureterelektrogammes stets vollkommen identisch sein müssen, und tatsächlich finden wir nur ausnahmsweise Kurven, an denen dies, nach der Konstruktion zu schliessen, der Fall ist. Meist lassen sich als Summanden nur Kurven finden, die 1) Dies ist allerdings an den reproduzierten Kurven nicht zu erkennen. Lewon Orbeli und E. Th. v. Brücke: Textfig. 4b. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. 355 zwar im ganzen Typus ihres Verlaufes identisch sind, die aber doch kleine Unterschiede aufweisen. So z. B. zeigen die Kurven der Fig. 1 auf Taf. VII eine relativ so schwach ausgebildete zweite Haupt- schwankung, dass wir in diesem Falle die Erregung an der zweiten Ableitungsstelle wohl schon schwächer annehmen müssen als an der ersten. In anderen Fällen wieder genügt die besprochene, im Prinzip dreiphasische Teilkurve nicht; so sieht man in einzelnen Fällen als letzte Phase des vollständigen Ureterelektrogrammes eine sehr schwache und äusserst träge verlaufende der zweiten Haupt- —> Textfig. £ c. schwankung gleichgerichtete Stromschwankung, die also wohl eine vierte Phase der zweiten Teilkurve bildet. Mitunter müssen wir auch kleine Differenzen in der Stärke und Dauer der Vor- oder Nachschwankung annehmen, um passende Teilkurven aufzufinden; so sind z. B. in Fig. 5 zwei Kurven (gestrichelt) wiedergegeben, als deren Summe sich das in Fig. 2 auf Taf. VI abgebildete Elektrogramm (ausgezogene Kurve der Figur) ergibt. Auf alle Fälle können wir sagen, dass sich bei weitem die meisten Kurven, die wir von Aktions- strömen vollständig abgelaufener Ureterwellen erhalten haben, ein- wandfrei deuten lassen als zusammengesetzt aus den beiden be- sprochenen, annähernd symmetrischen dreiphasischen Kurven, dass also eine Stelle des Ureters während des Ablaufes einer peristaltischen Uyoy ehe Lewon Orbeli und E. Th. v. Brücke: Welle erst ein positives, dann ein negatives und zum Schluss wieder ein positives Potential gegenüber einer ruhenden Stelle zeigt. Es ist eine Tatsache, dass die positive Nachschwankung. an vollständigen Ureterelektrogrammen meist viel vollständiger entwickelt ist als an Halbwellen, so dass. wir wohl annehmen müssen, dass diese Phase nur unter möglichst günstigen Verhältnissen zur vollen Entwicklung kommen kann. Dass unter Umständen auch an der ersten Ab- leitungsstelle sehr kräftige positive Nachschwankungen auftreten können, zeigt wohl der Umstand, dass an vollständigen Ureterelektro- grammen die zweite Hauptschwankung im allgemeinen um so höher ausfällt, je stärker die ihr folgende Nachsehwankung entwickelt ist. Textfig. 5. Diese abnorme Höhe der zweiten Hauptschwankung (vel. z. B. Fig. 5 auf Taf. VII) lässt sich u. E. dadurch erklären, dass in dieser Phase auch noch eine, der ersten Ableitungsstelle zugehörige positive Nach- schwankung: steckt. . Sa Da wir bei der Mehrzahl unserer Versuche relativ kurze Ab- leitungsstrecken benutzt hatten, bekamen wir die beiden Hälften der Gesamtkurven nie getrennt zu Gesicht. Wir stellten deshalb noch zwei Versuche an Hunden an, bei denen wir die Elektrodenstrecke mögliehst lang wählten, um die den heiden Ableitungsstellen ent- sprechenden Aktionsströme möglichst isoliert beobachten zu können. Bei diesen Versuchen ergab sich folgende Schwierigkeit: Das oberste Stück des Ureters eignet sich aus verschiedenen Gründen wenig zu unseren Versuchen, es wird durch die passiven Atembewegungen der Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. 357 Niere stark gezerrt, und es fällt auch wegen der Nachbarschaft der übrigen Eingeweide sehr schwer, eine Elektrode so anzubringen, dass dieses Ende während des eigentlichen Versuches freischwebend ge- halten wird; wir mussten deshalb immer das mittlere und untere Drittel des Ureters verwenden. Legt man nun die Elektroden in grösserer Entfernung voneinander an (der Abstand betrug bei unseren Textfig. 6. (Die Kurve ist von links nach rechts zu lesen. Zeitmarken — Sek.) letzten Versuchen 35 und 50 mm), so muss man den Ureter sehr gut erwärmen, damit die peristaltischen Wellen auch noch die zweite, nahe der Blase gelegene Elektrodenstelle erreichen; in diesem Falle folgen aber die einzelnen Wellen einander so rasch, dass oft noch während eine Welle die zweite Elektrode passiert, auch schon wieder eine zweite Welle an der ersten Elektrode anlangt, so dass also auch jetzt wieder an den Kurven Störungen durch Überdeckung einzelner Phasen eintreten, Die beistehende Textfigur 6 zeigt zwei vollständige Ureter- wellen, die aber so rasch aufeinander folgen, dass die Saite zwischen 358 Lewon Orbeli und E. Th. v. Brücke: ihnen nicht ganz in ihre Ruhelage zurückgekehrt ist. Die Elektroden- distanz betrug in diesem Falle 50 mm, woraus sieh unter Berück- sichtigung des Gipfelabstandes beider Hauptschwankungen eine Fort- pflanzungsgeschwindiekeit der Erreeung von etwa 30 mmsee-! ergibt, ein für unsere Versuche auffallend hoher Wert, der auch auf eine in diesem Falle besonders hohe Temperatur des Ureters hinweist. An den Elektrogrammen dieser Figur sehen wir die beiden Hauptschwankungen (H, und H,) nebst der typischen ersten Vor- und zweiten Nachschwankung (Y und N); das Intervall zwischen den beiden Hauptschwankungen ist gegenüber dem an den übrieen hier mitgeteilten Kurven stark in die Länge gedehnt, ohne aber die erwarteten beiden Phasen, nämlich die der ersten Ableitungsstelle zugehörige positive Nachsehwankung und die der zweiten Ableitungs- stelle entsprechende positive Vorschwankung zu zeigen. Wenn die beiden Teilkurven in diesem Falle wirklich identisch verliefen, so müssten, wie schon der Anblick der Kurve lehrt, diese beiden fehlenden Schwankungen unbedingt zum Ausdruck kommen. Nun ist aber zu bedenken, dass bei diesen Versuchen die Tätigkeit relativ fern voneinander liegender Stellen des Ureters verzeichnet wurde, von denen die eine dem Blasenende schon ziemlich nahe lag, und der Ablauf der Erregung an diesen beiden Stellen könnte stärkere Differenzen aufweisen, als bei den bisher besprochenen Versuchen, in denen stets zwei einander eng benachbarte Stellen aus dem mittleren Abschnitt des Harnleiters benützt wurden. Wenn z. B. die Nachschwankung an der ersten Ableitungsstelle relativ später als an der zweiten auftritt oder die Vorschwankung an der zweiten relativ früher als an der ersten, so könnte die Summe dieser beiden interferierenden Phasen unter Umständen einen fast glatten Kurven- verlauf, etwa wie in der zitierter Figur, vortäuschen. Andere Elektro- gramme, die bei so grossem Elektrodenabstande verzeichnet wurden, zeigten in dem fraglichen Intervall gleichfalls kleinere oder grössere, oft von Welle zu Welle wechselnde, unregelmässige Schwankungen, die auch keine einwandfreie Deutung zuliessen, es liessen sich also die beiden gesuchten Phasen auch hier nicht mit Sicherheit nach- weisen. Das wesentliche Resultat der vorliegenden Unter- suchung scheint uns die Tatsache zu sein, dass die Aktionsströme einer Ureterwelle sich nicht wie die Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. II. 359 meisten bisher beschriebenen elektromotorischen Wir- kungen linear fortschreitenderErregunrgsvorgängenur in einer vorübergehenden Negativität der erregten Stelle gegenüber einer ruhenden äusseren, sondern dass während des Ablaufes einer peristaltischen Welle jede Stelle des Harnleiters eine dreifache Änderung ihres elektrischen Potentiales relativ zu einer ruhen- den Stelle zeigt, was sich im Elektrogramm im Auf- treten der positiven Vorschwankung, der negativen Hauptschwankung und der positiven Nachsehwankung zu erkennen gibt. Wenn wir nach einer Deutung dieser bisher völlig unbekannten Tatsache suchen, so müssen wir uns wohl auf das Gebiet der Hypo- thesen begeben. Abgesehen von den eben besprochenen Beobachtungen hatte der sichere Nachweis positiver Schwankungen an den Aktions- strömen eines Muskels bisher nicht erbracht werden können, wenn auch — wie der eine von uns vor kurzem erörterte — einzelne Erscheinungen an den Aktionsströmen des M. retraetor penis des Hundes sich im Sinne einer positiven Nachschwankung deuten liessen. Dagegen liest eine Reihe von Beobachtungen über positive Nach- schwankungen an Nervenaktionsströmen vor. Zuerst wurde eine solche Schwankung bekanntlich von Hering nach tetanisierender Reizung des Froschischiadieus und am Hechtolfactorius auch nach mechanischen Einzelreizen beobachtet; sie wurde dann von Biedermann an den marklosen Nerven von Anodonta unter ähn- lichen Bedingungen und von Garten unter günstigen Umständen am Hechtolfaetorius auch nach elektrischen Einzelreizen festgestellt. Nach der Auffassung Hering’s!) haben wir diese positive Nach- schwankung als elektrischen Ausdruck für die nach Ablauf der dissimilatorischen Erregung einsetzende autonom aufsteigende Änderung der Nervensubstanz anzusehen. Den Umstand, dass die Schwankung am ausgeschnittenen Muskel bisher nie zu beobachten war, führte Hering auf die im Vergleich zum Nerven relativ grosse Ermüdbarkeit des quergestreiften Muskels, also sein relativ geringes Restitutions- vermögen zurück. 1) E. Hering, Zur Theorie der Vorgänge in der lebendigen Substanz. Letos 1838, S. 23ff. des Separatabdr. 360 Lewon Orbeli und E. Th. v. Brücke: Es wäre nun sehr wohl denkbar, dass die von uns am Ureter und vielleicht auch am M. retraetor penis beobachtete Nach- schwankung ein Analogon der am Nerven beobachteten ist. Ein Moment, das dafür spräche, ist folgendes: Durch die Arbeiten Hering’s und seiner Schüler wurde festgestellt, dass die positive Nachschwankung des Nerven unter sonst gleichen Bedingungen um so kräftiger entwickelt ist, je leistungsfähiger, je „tüchtiger“ der betreffende Nerv ist; etwas ähnliches wurde auch von uns am Ureter beobachtet, während nämlich die normale Ureterwelle fast immer eine sehr kräftige positive Nachschwankung zeigt, finden wir diesen Teil der Kurve an den Halbwellen eines erkaltenden Ureters nur mehr rudimentär entwickelt oder vollständig fehlend. Wenn wir an der Analogie der positiven Nachschwankung der Nerven- und Ureteraktionsströme festhalten wollen, so müssen wir diese Schwankung als einen integrierenden Bestandteil jenes Aktions- stromes auffassen, der einer Einzelerreeung der Uretermuskulatur entspricht.. Wir hätten dann die Ureterwelle als die — eventuell auch auf muskulärem Wege verlaufende — Fortleitung einer Einzel- erresung über die Uretermuskulatur hin anzusehen, wobei wir diese, ähnlich wie Engelmann, als ein muskuläres Kontinuum auffassen könnten. Ferner müssten wir wohl, unter Voraussetzung jener Analogie, die Annahme machen, dass die ausgeschnittene, aber mangelhaft er- nährte glatte Säugetiermuskulatur ein relativ grösseres Restitutions- verınöcen besässe, als die unter analogen Bedingungen stehende Skelettmuskulatur; dies würde auch mit der bekannten Tatsache übereinstimmen, dass die Überlebensdauer glatter Muskeln im all- gemeinen viel grösser ist als die der quergestreiften Muskulatur. Eine Deutung der positiven Vorschwankung ist in diesem Zu- sammenhange wegen des Mangels vergleichbarer Beobachtungen an anderen Organen nicht möglich. Andererseits möchten wir noch eine andere Deutungsmöglichkeit der positiven Schwankungen des Ureterelektrogrammes zur Diskussion stellen, bei der wir von den speziellen Leistungen der peristaltischen Welle ausgehen wollen. } Jede Peristaltik an muskulösen Hohlorganen dient dazu, den jeweiligen Inhalt des betreffenden Organes in einer bestimmten Richtung fortzubewegen. Am eingehendsten ist diese Bewegungsform am Darm studiert worden. Als erster hat bekanntlich Nothnagel Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. II. 361 die wichtige Tatsache beobachtet, dass eine lokale Reizung der Darmwand, z. B. durch einen aufgelegten Kochsalzkristall, eine Kon- traktion oberhalb der betrefienden Stelle hervorruft, und dieser Forscher beschrieb auch zuerst die Erschlaffung der Darmwand unterhalb der gereizten Stelle. Genauer wurde dieser Mechanismus von Bayliss und Starling untersucht, die sowohl durch Inspektion wie auch durch graphische Verzeichnung feststellten, dass ein in den Dünndarm oder Dickdarm eingeschobener Bolus eine starke tonische Kontraktion des gerade über dem Bolus gelegenen Darmsegmentes bewirkt, während z. B. beim Hund die unterhalb des Bolus befind- lichen Partien des Darmes bis in eine Entfernung von mehreren Dezimetern erschlaffen bzw. in ihren rhythmischen Kontraktionen voehemmt werden, ein Verhalten, das heute wohl allgemein auf die Tätigkeit lokaler Nervenzentren zurückgeführt wird. Ähnlich könnten u. E. nun auch die Verhältnisse am Ureter liegen. Alle Beobachter stimmen darin überein, dass bei jeder nor- malen Ureterwelle der eigentlichen, fortschreitenden Kontraktions- welle eine Erweiterung eines verschieden langen Stückes des Ureters vorangeht. Diese Erweiterung wird meist als passiv bezeichnet, d. h. als Ausdehnung des Harnleiters durch die nach abwärts ge- drängte Harnmenge aufgefasst. Die Analogie zu den funktionell ähnlichen Verhältnissen bei der Dünndarmperistaltik lässt es aber möglich erscheinen, dass diese Erweiterung des Ureters zwar durch eine passive Dehnung zustande kommt, die aber mit einer Erschlaffung, einer Hemmung des normalerweise bestehenden Tonus der Ureter- muskulatur einher geht. Wäre dies der Fall, so läge es wohl nahe, die von uns beobachtete positive Vorschwankung als elektrischen Ausdruck dieses Hemmungsvorganges aufzufassen. Es liegt bisher kein Beispiel dafür vor, dass in der Muskulatur autonom Hemmungs- voreänge auftreten und ‘sich nach Art einer Erregungswelle fort- pflanzen können; wenn wir also die positive Vorschwaukung als Ausdruck einer Hemmung ansehen wollten, so könnten wir wohl kaum an der von Engelmann aufgestellten Theorie festhalten, dass die regelmässige Peristaltik des Ureters ihre Ursache in einer „auto- matischen Erregbarkeit der Uretermuskulatur“ habe. Wir müssten uns vielmehr vorstellen, dass diese peristaltischen Wellen prinzipiell in ähnlicher Weise vom Nervensystem abhängig seien, wie nach den bekannten Untersuchungen M osso’s die Schluckbewegungen des Öso- phagus, nur dass in diesem Falle die indirekte Tätigkeit der Oso- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 24 362 Lewon Orbeli und E. Th. v. Brücke: phagusmuskulatur vom Zentralnervensystem aus bewirkt wird, während beim Ureter, etwa ähnlich wie beim Darm, diese Funktion dem intra- muskulären Teile des Nervensystems zufiele, also vielleicht den von R. Maier und von Protopopow (auch innerhalb der Muskularis) aufgefundenen Ganglienzellen. Ein Unterschied zwischen dem Verhalten des Darms und des Ureters läge allerdings dann immer noch in der ganz verschiedenen Ausdehnung des durch einen Reiz bewirkten Hemmungseffektes: Während nämlich beim Darm eine relativ sehr lange Strecke unter- halb der Reizstelle erschlafft, müssten wir aus der kurzen Dauer der positiven Vorschwankung am Ureterelektrogramm wohl den Schluss ziehen, dass nur eine ganz kurze Partie des Ureters, dicht vor der jeweiligen peristaltischen Welle eine Tonussenkung zeigte. Dieser Unterschied fällt vielleicht deshalb nicht so sehr ins Gewicht, weil )a beim, Harnleiter nur eine ganz kleine, eng begrenzte Menge Inhalt vorwärts zu drängen ist, während die Darmperistaltik, speziell bein Diekdarm, meist grössere Massen innerhalb eines längeren Abschnittes des Darmrohres fortzubewegen hat. Die positive Nachschwankung könnte auch bei der zuletzt er- örterten Annahme als Ausdruck der Restitutionsprozesse in der Ureter- muskulatur angesehen werden. Durch die Untersuchungen Engel- manns wissen wir, dass der Ureter oder auch nur ein Stück des Ureters nach Ablauf einer peristaltischen Welle sich während relativ sehr langer Zeit (bis zu einer Sekunde) gegen weitere Reize refraktär verhält. Die von uns beobachtete positive Nachschwankung könnte möglicherweise mit diesem auffallend langen Refraktärstadium in irgendwelchem Zusammenhange stehen, doch lässt sich aus unseren Versuchen hierüber noch nichts Bestimmtes sagen. Vielleicht wird uns das Stadium der Aktionsströme anderer Organe (Ösophasus, Darm) während des Ablaufes peristaltischer Wellen auch Aufschlüsse über die Bedeutung der einzelnen Phasen des Ureterelektrogrammes geben. Zusammenfassung. Bei Ableitung von zwei Stellen des von seiner Unterlage ab- gehobenen, aber sonst in normalem Zusammenhang belassenen Ureters lassen sich während des Ablaufes der peristaltischen Wellen charakte- ristisch verlaufende Aktionsströme beobachten. Der einer einzelnen Ableitungsstelle entsprechende Aktionsstrom zeigt in den allermeisten Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. ID. 363 Fällen drei Phasen, eine positive Vorschwankung, eine negative Hauptschwankung und eine positive Nachschwankung. Am stärksten ist von diesen drei Phasen stets die Hauptschwankung entwickelt, deren elektromotorische Kraft bei verschiedenen Versuchstieren zwischen 0,0003 und 0,003 Daniell liegt. Solche isolierte dreiphasische (einer Ableitungsstelle zugehörige) Aktionsströme erhält man z. B. an erkaltenden Ureteren dann, wenn die Welle sich mit so grossem Dekrement fortpflanzt, dass sie inner- halb der Elektrodenstrecke erlischt („Halbwellen“). Pflanzen sich die Wellen dagegen über beide Ableitungsstellen hin fort, so erhält man Kurven, die sich durch Interferenz zweier entgegengesetzt ge- richteter, zeitlich gegeneinander verschobener dreiphasischer Aktions- ströme erklären lassen. Der wesentliche Unterschied der Aktionsströme des Ureters gegenüber den bisher an anderen Muskeln beschriebenen liegt in den beiden positiven Phasen. Eine Deutung dieser Phasen könnte man vielleicht durch die Annahme nervöser Hemmungsvorgänge gewinnen, wodurch die Peristaltik des Ureters in gewisser Hinsicht in Analogie zu der des Dünndarmes gebracht wird. Tafelerklärung. Sämtliche Kurven beider Tafeln sind in natürlicher Grösse reproduziert und von links nach rechts zu lesen. An allen Kurven entspricht ein Ausschlag der Saite in der Richtung zu den Marken des Jaquet einem Negativwerden der nierenwärts gelegenen Ableitungselektrode. Die Zeitmarken entsprechen im all- gemeinen Sekunden, nur auf Fig. 3 der Tafel I und Fig. 5 der Tafel II "/s Sek. Die eingeklammerten Buchstaben und Zahlen entsprechen der Bezeichnung des Versuchshundes und der Nummer des betreffenden Photogramıms. Tafel VI. Fig. 1. (E,7.) Normales Ureterelektrogramm. Einschaltung von !/ıooo Daniell ergab auf der Schreibfläche einen Ausschlag von 15 mm. In diesem Falle fehlen die Schlussschwankungen. Elektrodenstrecke — 14 mm. Fig. 2. (I,4.) Normales Elektrogramm. Elektrodenstrecke = 11 mm. Fig. 3. (1,7.) Aktionsstrom einer Ureterwelle, die sich nicht bis zur blasenwärts gelegenen Ableitungsstelle fortpflanzte. Elektrodenstrecke = 11 mm. Tafel VI. Fig. 1. (4,1.) Normale Ureterelektrogramme. Zunehmende Verlängerung der Intervalle zwischen der ersten und zweiten Hauptschwankung und zwischen 24 * 364 Lewon Orbeli und E. Th. v. Brücke: Beiträge zur. Physiologie etc. Fig. Fig. Fig. Fig. letzterer und der Schlussschwankung. Elektrodenstrecke = 12 mm. Man beachte den ungleichmässigen Trommelgang. 2. (4,3.) Elektrogramme normaler und unvollständiger Ureterwellen. Iso- liert auftretende Vorschwankungen. Bei R eine auffallend schwache und isolierte erste Hauptschwankung. Eichungen mit */1000 und */ı000 Daniell. Elektrodenstrecke — 15 mm. 3. (L,6.) Allmäkliche Abnahme der zweiten Hauptschwankungen bei zu- nehmender Abkühlung des Ureters. Die letzten drei Halbwellen zeigen eine deutliche Nachschwankung. Elektrodenstrecke = 11 mm. 4. (B,1.) Isoliert auftretende Vorschwankungen, denen nur in drei Fällen eine erste Hauptschwankung folgt. Bei A Eichung mit !/ıooo Daniell; die Aus- schaltung des Eichstromes erfolgte zufällig gleichzeitig mit dem Beginn einer ersten Hauptschwankung. Elektrodenstrecke = 20 mm. 5. (@G,5.) Elektrogramme normaler und unvollständiger Ureterwellen. Auf- fallend starke Nachschwankungen. Elektrodenstrecke = 12 mm. Pflüger’s Archiv für die ges. Physiologie. Bd. 183. Tafel VI. Verlag von Martin Hager, Bonn. Taf.Ml. Big vr Figs. Zlaus Lach ImutBerün. 1.3. 3 Verlag von Martin Hager, Bonn. un KR E H Rechter Vorhof uf HN, I Nylı IN \ lH hy \ Linker Vorhof ADAM U N I Ba RUM Rechter Vorhof UITTTELIEREGENUNRELUSTRERROTEIUHRUPENUNRTKERGELRNTTRENNE: 44 2 + © 1 | ), f ar bil! b i ER MB Linker Vorhof a m f TR = 2 TR N zu ld Be ww. Pi: ’ ERTER FV a Ten N \M, AN 0, ech en W \Af WW Wi | In V Anhihren 2 5 Ha — ee a N ne Elektrogramm N27. Elektrogramm N?2. LV. RA=150mm LV. RA:»150mm Martin Hager ‚Bon I Wr 369 (Aus dem physiologischen Institut [physiol.-chem. Abt.] der Universität Marburg.) Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn auftretende Basen. Von K. Takeda. (Mit 9 Textfiguren.) Seit den Respirationsversuchen von J. Bauer"), A.Scheider?) und H. Welsch?) scheint sicher zu sein, dass bei mit Phosphor vereifteten Hunden und Kaninchen die O,- Aufnahme sowie die CO,-Ausfuhr gegenüber der Norm verringert ist, womit eine Abnahme der Verbrennungen beim phosphorvergifteten Tiere bewiesen wäre. Allerdings sind diese Angaben nicht ganz unbestritten geblieben, aber ©. Löwi*) kommt nach Erwägung aller für und gegen sprechenden Versuche zu folgendem Schluss: „Mit einer derartigen Anschauung, dass die Phosphorvergiftung beruhe auf einer die ÖOxydationsenergie herabsetzenden Wirkung des Giftes auf alle oder einzelne Organe lassen sich in der Tat die beobachteten Erscheinungen am besten in Einklang bringen.“ Ist nun wirklich das Oxydationsvermögen der Zellen des phos- phorvergifteten Organismus vermindert, dann schien mir die An- nahme gerechtfertigt, es müssten Bestandteile des Stoffwechsels, die bei gesunden Tieren ganz oder bis auf Spuren verbrannt werden, im Harn auftreten. Wir kennen denn auch bereits einige Stoff- wechselprodukte, die in verstärkter Menge vom phosphorvergifteten 1) Zeitschr. f. Biol. Bd. 7 S. 63. 2) Einige experimentelle Beiträge zur Kenntnis der Phosphorvergiftung. Inaug.-Disser. Würzburg 1905. 3) Arch. intern. de pharmacod. et de therapie t. 14 p. 211. 4) C. v. Noorden’s Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels, 2. Aufl., Bd. 2 S. 749. 366 K. Takeda: Tiere durch den Harn ausgeschieden werden, ich nenne hier nament- lich die Fleischmilehsäure und die aromatischen Oxysäuren !) ein- schliesslich die Oxyphenylmilchsäure ?), welche letztere man beim Gesunden bisher überhaupt nicht gefunden hat. Meine Untersuchungen waren hauptsächlich darauf gerichtet festzustellen, ob im Phosphorharn eigenartige organische Basen auf- treten. Hier ist besonders eine Arbeit von Wohlgemuth?°) zu nennen, der aus Phosphorharn grössere Mengen von Arginin gewinnen konnte. Ich habe diese Base allerdings nieht darzustellen vermocht, glaube aber imstande zu sein eine befriegende Erklärung für den Irrtum Wohlgemuth’s zu geben; hingegen vermochte ich drei andere eigenartige Basen zu isolieren und teilweise ihre chemische Kon- stitution zu ermitteln. Ich schildere zunächst, in weleher Weise ich mir den Phosphor- harn verschaffte. Als Versuchstiere benutzte ich ausschliesslich Hunde, die durch subkutane Injektion von Phosphoröl vergiftet wurden. Die Hunde bekamen während des Versuches immer gewöhnliches semischtes Futter und Wasser nach Belieben. Der Harn wurde von einem Morgen zum anderen Morgen gesammelt. Ich prüfte täglich den Harn qualitativ auf folgende Reaktionen und zwar auf: 1. die Diazoreaktion mit sodaalkalischer Diazobenzolsulfosäure; 2. Eiweiss mit Esbachs Reagens; 3. Gallenfarbstoff mit der Gmelinschen Methode; 4. Zucker nach Trommer. I. Hund. Gewicht 12 kg. Am 6. Juli 1908 um 1 Uhr nachmittags wurde dem Hund 0,05 g Phosphor in Form einer 1%/oigen Lösung in Olivenöl subkutan injiziert. Es traten alsbald schwere Vergiftungssymptome ein, und das Tier erbrach innerhalb der nächsten 2 Stunden dreimal. Die Diazoreaktion des Harns war sehr verstärkt; 3 Tage vor der Ver- giftung war nur eine schwache Rotfärbung zu bemerken gewesen. Am nächsten Tage verschlechterte sich der Zustand des Tieres noch mehr, und es trat aufs neue Erbrechen ein. Am dritten Tage war der Hund völlig apathisch, auch stellte sich Dyspnöe ein. Um 10 Uhr vormittags ging er ein. Nach der Ver- giftung hatte er 1260 ccm Harn gelassen. - 1) Baumann, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 4 S. 311. 2) Schultzen und Ries, Über akute Phosphorvergiftung und Leber- atrophie. Berlin 1869, sowie Baumann, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 2 S. 192 Ferner J. Kotake, Zeitschr. f. physioi. Chemie Bd. 65 8. 379. 3) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 44 S. 74. Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn ete. 367 II. Hund. Gewicht 15 kg. Dem Hunde wurde am 10. Juli 1908 0,02 g Phosphor subkutan injiziert. Es traten darauf leichte Vergiftungssymptome ein, die sich nur durch Unlust äusserten. Nach 3 Tagen wurde wieder 0,02 g Phosphor subkutan injiziert. Darauf erfolgte innerhalb 3 Stunden dreimaliges Erbrechen. Am 14. Juli exitus. Während des fünftägigen Verlaufes der Vergiftung konnte ich 4280 ccm Harn sammeln. Die Diazoreaktion des Harns war erst sehr schwach, nahm aber allmählich zu; am letzten Tage war sie sehr intensiv. Bei der Sektion der Hunde Nr. I und II fand ich die für Phosphorvergiftung charakteristischen Leberveränderungen; das Organ war vergrössert, von grau- gelber Farbe und fettiger Beschaffenheit. Die bei Hund I und II ermittelten Ergebnisse konnten wegen der kurzen Dauer der Vergiftung nicht in einer Tabelle zusammengefasst werden. Von drei weiteren Hunden, die die Vergiftung längere Zeit überstanden, gebe ich die er- hobenen Befunde in den folgenden Tabellen wieder. IH. Hund. Gewicht 15 ke. Der Hund lebte 14 Tage. Näheres siehe Tabelle I (S. 368). Sektionsbefund: Die Leber zeigte eine starke Vergrösserung und zahlreiche, verschieden grosse, safrangelbe Flecke, im Magen fand sich eine dunkelrote, teerartige Flüssigkeit, in der Wand viele verschieden grosse und tiefe Erosionen, darunter eine pfenniggrosse, die tiefgehend die Schleimhaut zerstört hatte. Die Gallenblase gefüllt mit Galle. Gallengang durchgängig. IV. Hund. Gewicht 12 kg. Der Hund lebte 14 Tage. Näheres siehe Tabelle II (S. 369). Das Sektionsergebnis war im allgemeinen wie bei Hund III. Nur waren die Magenerosionen nicht so gross und nicht so tief. Der Gallengang durchgängig. V. Hund. Gewicht 24 kg. Der Hund lebte 42 Tage. Näheres siehe Tabelle III (S. 370 und 371.) Sektionsergebnis: Die Leber war verkleinert, Oberfläche und Schnittfläche waren safrangelb und fleckig gerötet, auch das Herz gelb gefleckt und mit dünn- flüssigem Blut gefüllt. Die Magenwand war mit schwarz gefärbtem Schleim be- deckt, in der Gallenblase nur wenig Galle vorhanden. Der Gallengang durchgängig. Ich beobachtete in allen Fällen, dass die Diazoreaktion im Ver- laufe der Phosphorvergiftung an Stärke zunimmt, denn vor dem Versuche bestand immer nur eine schwache Rotfärbung!), die sich von Tag zu Tag verstärkte. Gallenfarbstoff konnte ich bei den 1) Meine Beobachtung, dass die Hunde vor der Vergiftung einen Harn mit schwacher Diazoreaktion lieferten, steht mit Angaben Engeland’s (Münch. med. Wochenschr. 1903 Nr. 31 und Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 57 S. 48), nach der der Harn der Fleischfresser durch schwache Diazoreaktion ausgezeichnet ist, in Einklang. K. Takeda: 368 "wununz 9YARIg Ue SOA9LL, SOP 9POL umz sıq oIp fue uONNLOALOZEI HFNFRIN 33192 UONNBIIOZEICT OIP any uaJfegeL uap ur uogarez + ug u = == = = =: 00EFL = um mg JoIA U0A U9UIIIATT A9Jun 19 Zurd YydeN dep UI — = & 2. + € FOL 0‘00I N > — 2 8mM | + Ar £ Sr0l 0009 “98 = = 5 ge 2, * FOL 0'088 70 — —_ = et + e 9FOI 00°E re | = 5 = T 2 9a01 0'086 U99AqıT SpewFo uoyyoluf op ypeu| 00 E= S _ + A9nes Feol 0'088 er ge — = _ "ZWWBSTEAS | TEIL ZF0L 0'089 EZ NEL BERGRICE = = £ = = x SEoL 009, 2206 jeumoıp uonyoluf op yoeu uopunys &| 100 — s —_ + = TEOI 0'048 268 = = 2 = HE z E01 0079 sel = = B = + ones 1701 00LE FL] == ze lnds] = ah ö 1201 0.008 “2379[ NEL PERF: = = = = y9eayos "Texte 3c0l 0'006 erg speunJo uonyofug 1op yoeu uopunys z| 800 es = == = = = == nFZFL B uoryolur YOoIsqae} | uoryead JU9IM9H dus S06I uud | -10ydsoyg 7oonZ BSH | oren, | -ozeigg upieieod ‘zodg -UICH wunyeq "puny "III TOIIPAEL 369 Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn etc. POL "op op u9y99Agqırg [ewosTturo uoryolu] zopyoeu uoy9aaqarg eu -9dıuro uonyolu a9p yoeu uapunyg F uasdunydowag | = — | — - -- _ 0OELL _ - — st + £ 0201 0'0z1 Fe g — = setz = r 9TOL 0'048 an = — , a e rad) 008 BET 100 — e | zz Ar 2 TI0L 0'008 5 sı = _ a me Ar = 9001 00LF SET _ _ “|. + : 1201 0'001 ll - — “|. + & SI0T 0'083 N 100 — 2 4 > 9T0L 0‘008 ne _ el a ze Test 1801 0078 2) _ Ze an + x 0201 0'099 Et — — re + E 0201 00.7 EEE 10'0 — | Sum | .— + jeamou 0z0L 0'068 ae — > % — + e SIOL 0'076 Be e= = ; — ZI 5 0201 0'008 BZ = = ands _ Hip x 0301 0067 ysnany 'T — — — — TDemyds "Tee 3501 0'008 RE 100 = — — = = — = np 08 en sen nn Fu en Be ehe este Fee he A Tr En Eee 1 BER EB BE EHER | FERIEN uonolur yorsquez | uonseal PL R)UNGYS) ua 806I -10ydsoyg za -U9][EH | -OZeIA HER! 'zods -ULICH wumyedl "AI puny II OTIoq®L K. Takeda: 370 _ — 5 = a9nes F201 00081 RS 20°0 _ 3 ie & 8z01 00031 zn — = 5 + z 8201 00021 eg Fe Be « + [14 901 0‘0001 “ °C 20'0 = 3 + 4 3201 ‘0561 wer — = 3 + # 9201 0‘0gSL ce — — 2 + € 8201 000LL 20‘0 = ® yoemyos x Fzol 00083 das "I — — 5 + Teanau 2201 0'009 ee — — 5 3 8 0301 000, ee 200 — ; + # 0701 0“00LI BZ = — ne “rege 3101 aa ver = == & en & 0301 0'966 ng — — 2 + x gIoL 000F1 98 — -- $ + 2 8I0I 00081 x 20'0 — $ 5 £ 01 0'0881 a = = * 4 eagnau 9I0L 0°008 282 — z = E 5 sIol ‘0001 er = - = + £ 9ToL 00091 Fils =- = 2 + E FIoL 00811 ng uoy9aagqıy Teuuto — _ ands ydemg9s aones SIOIL 0'056 sl, uonyoluf A9P yoeu uapunyg & 20°0 — — —_ E— — — ‘any 'SI uoryolur 04sq1e] | WOIJNROAI IIMO oduau uodunydouag = er oyd JONINZ | SSIOMIT er e 5 a a uoryeoy er “ -ureH a puug "A "II eIIeq®L 371 Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn etc. 720 = = = = = | = | 0'98008 | POL En ER = = S + tr 2 STOT 00021 er £0'0 = 2 ne als , sIol 0008 "9 = >. x ar + z STOT 0°0021 ce = = i + ar z 0201 0‘00zL Br 300 — S Ar 1 2 3201 000L1 0:02 == — Fruom + + x 9201 00081 dd = — & + ip 5 3£01 0‘008 lg 30°0 = * Ar Ar = E0I 0'068 0 = _ 2 3 + [eye E01 0‘000T eg — — E Ar 4 z 0801 0‘008 BE] — = ; Är ir 2 0801 006 eh — — x at = 2 : 8Z01 0OOBL er] Tewmomz uonyoluf op yoeu £0°0 = = — + aonvs Sz0l 00082 Bel = = 5 _ 4 5 8z01 00003 ra = = 5 — AB vese 8501 0°00TI ll 30°0 = ä _ Deay9s Ss 9z01 0'861 ol —_ — andg — UIEAUDS AONBS SE0I 0°00ST dag '6 — = = — — == = 0'908L3 uonyolur 03sqae} | UOINNR9AI YydIM9 uw 0 Loans touIgg a ze IH an ar UOEETESET ne -uIeH En (Sunzysj107) "puny "A III OIIOA®L 372 K. Takeda: sehr schnell verlaufenden Fällen I und II nicht finden, bei Hund III und IV trat er am zehnten Tage nach der Vergiftung im Harn auf. Bei Hund V, der .über 40 Tage lebte, war er vom 28. Tage nach der Vergiftung zu beobachten. Spuren von Eiweiss fand ieh erst einige Tage nach der Ver- giftung, in deren Verlauf es sich nur wenig vermehrte. Zucker war niemals zu finden. Die tägliche Harnmenge schwankte sehr, bei Hund V von 300 eem bis 2500 cem. Chemische Verarbeitung des Harns der mit Phosphor vergifteten Hunde. Der Harn von sämtlichen Hunden wurde vereinigt und durch Zusatz von Schwefelsäure gegen Verderben geschützt. Ich ver- wandte davon etwa 65 Liter. Zur Verarbeitung wurde vom Boden- satz abfiltriert und zum Filtrat so viel Schwefelsäure zugesetzt, dass die Flüssigkeit 5 °/o Schwefelsäure enthielt. Darauf wurde mit konzentrierter nach Drechsels!) Angaben dargestellter Phosphorwolframsäurelösung gefällt. Der Niederschlag wurde abgesaust und mit 5°/oiger Schwefel- säure gewaschen, dann nach bekannter Methode mit Baryt zersetzt, durch Kohlensäure vom überschüssigen Baryt befreit und das Filtrat von Baryumphosphorwolframat und Baryumearbonat auf dem Wasser- bad "eingeengt. Die eingeengte Flüssigkeit säuerte ich mit Salpetersäure schwach an und fällte mit 20 °/oiger Silbernitratlösung die Alloxurbasen aus und filtrierte von dem Niederschlag ab. Diesen Niederschlag habe ich nicht näher untersucht. Das Filtrat von den Alloxurbasen wurde mit so viel Silbernitrat- lösung versetzt, bis eine Probe mit Barytwasser sofort eine braune Fällung gab, und unter Kontrolle von ammoniakalischer Silbernitrat- lösung durch Zugabe von Barytwasser gefällt. Die Fällung nenne ich „Silberniederschlag I*. Das Filtrat von Silberniederschlag I. wurde durch weiteren Zusatz von Barytwasser vollkommen ausgefällt. Diese Fällung will ich als „Silberniederschlag II* bezeichnen. 1) Berichte d. deutsch. chem. Gesellsch. Bd. 20 S. 1452. Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn etc. 373 Das Filtrat von Silberniederschlag II wurde durch Salzsäure von Silber, durch Schwefelsäure von Baryt befreit und nach dem Ansäuern mit Schwefelsäure mit Phosphorwolframsäure aufs neue gefällt. Aus dieser zweiten Phosphorwolframsäurefällung wurde in der oben geschilderten Weise die Lösung der kohlensauren Basen gewonnen, dieselbe wurde auf dem Wasserbad zum Sirup eingeengt. Dieser Sirup wurde mit Salzsäure angesäuert und bis zur be- ginnenden Kristallisation abgedampft. Nunmehr nahm ich mit Methylalkohol auf; hierbei blieben reichlich anorganische Salze, welche hauptsächlich aus Kaliumehlorid bestanden, zurück. Es wurde hiervon abfiltriert, aus dem Filtrat der Methylalkohol durch Erwärmen verjagt und der Rückstand mit Äthylalkohol aufgenommen. Der Äthylalkohol liess einen Teil un- gelöst zurück. Die von dem ungelösten Rückstand abfiltrierte alkoholische Lösung wurde abgedampft, diese Behandlung wurde dreimal wiederholt. Schliesslich wurde mit Äthylalkohol aufgenommen und mit Quecksilberchlorid in der Hitze gesättiet; es trat ein reich- licher Niederschlag von schwerlöslichen Quecksilberverbindungen auf. Nach 24stündigem Stehen wurde der Niederschlag abgesaugt und mit gesättigter alkoholischer Queeksilberchloridlösung gewaschen. Quecksilberchloridfällung 1. Die Quecksilberchloridfällung wurde mit heissem Wasser unter Zusatz von Salzsäure gelöst und durch Einleiten von Schwefelwasser- stoff das Quecksilber entfernt. Das Filtrat von Quecksilbersulfid wurde zum Sirup eingedampft und dann: mit Äthylalkohol aufgenommen, wobei ein gut kristalli- sierendes Chlorid ungelöst zurückblieb. Der unlösliche Rückstand wurde in Wasser gelöst und nach dem Einengen mit 30 °/oiger Goldehloridlösung gefällt. Es schied sich sofort ein kristallinisches Doppelsalz aus, nach dreimaligem Umkristallisieren war es rein. Die Analyse ergab folgenden Wert: 0,1612 g Subst. gaben 0,0952 & CO, und 0,0344 & H,O 0216. 7 „. 0,0732 „ CO, und 0,0244 „ H,O MITA 7 „>84 ccmıN; Temp. =4510°C.; Ba == 751 mm VSt21o , »’ 0,0508 g Au. VICE BE 00675, 374 K. Takeda: Für C,3Hg3sN:0,. 2 AuCl, Berechnet: gefunden: E.7= 16;6. %o C = 16,1 %o; 16,4 0 Hr ,25:02/0 Hr —_ 2 240jo: 233,90 Ne —118,0:010 N-=.28.10/o Au = 42,0 9% Au = 41,8 Jo; 42,1 "lo. Das Chlorid ist wenig hygroskopisch, in Wasser leicht, in Alkohol schwer löslich und schmilzt bei 2140—216° C.; vorher sintert es etwas. Bei trockener Destillation treten stark nach Trimethylamin riechende Dämpfe auf. Es schmeckt süsssauer. Jodjodkalium, Kalium- cadmiumjodid liefert keine Fällung, aber mit Kaliummerkurijodid gibt es eine ölige Fällung, die leicht löslich ist im Überschuss des Fällungsmittels; mit Dragendorff’s Reagens gibt die Substanz einen starken Niederschlag, der aus roten Nadeln besteht. Das Goldsalz kristallisiert in derben hellgelben Nadeln. Es schmilzt bei 165° C. Im Wasser ist es ziemlich schwer löslich. Um über die Konstitution dieser Verbindung, namentlich über die Art der Bindung der Sauerstoffatome einen Aufschluss zu be- kommen, habe ich versucht, die Substanz zu verestern. Dies gelang in der Tat relativ leicht und zwar zeigte sich, dass hierbei ein Alkoholrest in das Molekül eingetreten war, woraus hervorgeht, dass die Substanz eine Carboxylgruppe enthält. Ich verfuhr folgendermaassen: Das Chlorid dieser Base wurde mit salzsäurehaltigem, absolutem Äthylalkohol einige Zeit auf dem Wasserbad erwärmt, schliesslich abgedampft und die Operation noch mehrmals wiederholt. Der sirupöse Rückstand wurde mit absolutem Äthylalkohol aufgenommen und mit 20°/oiger alkoholischer Platinchloridlösung gefällt. Die Fällung erwies sich nach dem Umkristallisieren aus Wasser als das Platindoppelsalz des reinen Äthylesters der Substanz. Ich lasse hier die gefundenen Werte folgen: 0,1022 & Substanz gaben 0,0290 g Pt, 0,1126 & x „0,1060 g CO, und 0,0446 g Hs0, 0;1126 g e „...0,0316'2 Pt. Für C,Hs7N:sO - COOC3H, - PtC1, berechnet: gefunden: GC —25,9%0 0) 25,7. 910, H'—= .4,6.%0 HN = i411477/0, Pt = 28,0 % Pt = 28,4 %, 28,1%. Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn etc. 375 Das Platinat ist in Wasser schwer löslich; es schmilzt bei 156 bis 157° C., zersetzt sich bei 165 bis 170° C. Durch die gelungene Veresterung ist gleichzeitig die dureh die Analyse des Goldsalzes festgelegte empirische Formel als richtig er- wiesen worden. Eine Base wie die oben geschilderte ist bisher beim Warmblüter nicht gefunden worden, hingegen haben Acker- mann und Kutscher!') bei ihren Untersuchungen über den Krabben- extrakt zwei Basen gefunden, die damit die grösste Ähnlichkeit haben. Die eine derselben bezeichnen sie als Crangitin und schreiben ihr die Formel C,3Hs,N,0, zu. Die genannte Base ist wie meine zwei- säurig, entwickelt beim Destillieren starken Geruch nach Trimethyl- amin, das Goldsalz schmilzt zwischen 162—165° C., das Chlorid allerdings schon bei 160°. Das Chlorid ist in Alkohol wie das meine schwer löslich. Die zweite von Ackermann und Kutscher!) aus Krabben- extrakt dargestellte Base, „das Crangonin“, ist mit meiner Base isomer, sie hat ebenfalls die Formel C,3H:s,N50;. Beim Verbrennen entwickelt sie einen starken Geruch nach Trimethylamin, doch ist das Chlorid in Alkohol leicht löslich und das Goldsalz schmilzt schon bei 130 bis 140°. Alle drei Basen müssen in naher Beziehung zu- einander stehen, die ich allerdings noch nicht ganz enthüllen kann, die uns aber in Zukunft klar vor Augen liegen werden. Das alkoholische Filtrat des oben beschriebenen Körpers engte ich bis zum dünnen Sirup ein, fällte darauf mit 20 °/oiger alkoho- lischer Platinchloridlösung aus, wobei eine reichliche Menge von Platinverbindungen abgeschieden wurden, filtrierte die Fällung als- dann ab und wusch sie mit absolutem Alkohol aus. Die Platinfällung. Die Platinate wurden im heissen Wasser gelöst, wobei etwas Ammoniumplatinat zurückblieb; das Filtrat hiervon wurde mit Schwefelwasserstoff zersetzt. Das Filtrat des Schwefelplatins wurde auf dem Wasserbad zum Sirup eingedampft und mit 30 /oiger wässeriger Goldchloridlösung gefällt. Die Goldverbindungen schieden sich zunächst zum Teil ölig, zum Teil kristallinisch aus. Sie bestanden aus zwei Körpern, die ich durch ihre verschiedene Löslichkeit in Wasser trennen konnte. ]) Zeitschr. f. Untersuchung d. Nahrungs- und Genussmittel Bd. 14 S. 637. 376 K. Takeda: Der schwerer lösliche Teil war nach dreimaligem Umkristalli- sieren rein. Er bestand, wie die weiteren Untersuchungen lehrten, aus dem Goldsalz einer Base, die identisch ist mit einer von Brieger aus faulem Pferdefleisch gewonnenen !). Das Goldsalz kristallisierte in hellgelben Nadeln und Blättehen, es ist also dimorph. Genau so beschreibt Brieger die ulm des Goldsalzes seiner Base. Die Analyse ergab folgende Werte: 0,0984 g Substanz gaben 0,0399 & Au, 0,1041 „ 5 2.2002 0,1272 „ 5 SER AD UN UN: 0,1272 „ B u 20,0830, co, und 0,0420 g H,O, 0,1360 „ 5 008028; „0,0864, 23 0,1419: , A „ 38 eceem N; Temp. = 15,5; Ba = 744 mm. Für C-H,sNO; - AuCl, berechnet: gefunden: G2i—117.8.20 6:7—=1117,8:0l0,..1713 0, Ha 233.00 Hl. .18,7:910.2.:83,8:270, N: :2:9/0/0 N..—13,0 %o; Au = 40,7 loı Au — 40;5:9/0, 40,500, :40,7:%/0; Das Geldsalz schmolz bei 176 ° C.; bei derselben Temperatur schmilzt das Goldsalz der Brieger’schen Base. Auch das aus Goldsalz gewonnene Chlorid zeigte alle Eigenschaften und Reaktionen des Chlorides der Brieger’schen Base. Es kristallisierte in Nadeln, die in absolutem Alkohol schwer löslich waren. Mit Kaliumquecksilberjodid entsteht eine ölige Fällung, die im Überschuss des Reagenzes löslich ist, sie wird nach einiger Zeit kristallinisch. Kaliumeadmiumjodid liefert eben- falls einen öligen Niederschlag, der im Überschuss löslich ist und nach einiger Zeit kristallisiert. Mit Jodjodkalium entsteht eine ölige Fällung, die sich nach einiger Zeit in lange Nadeln umwandelt. Dragendorft’s Reagens gibt rotbraune amorphe Fällung, die sich nach einiger Zeit in vierseitige rhombische Plättehen umwandelt, die den Kristallen des salpetersauren Harnstoffs sehr ähnlich sind. Das Chlorid schmolz bei 200° C., bei 195° C. fing es an zu sintern. Es hatte einen süsssauren Geschmack. l) L. Brieger, Untersuchungen über- Ptomaine III. S. 27. Berlin 1886. Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn etc. 377 Ist schon durch die Übereinstimmung in Zusammensetzung, Eigenschaften und Reaktionen die Identität der beiden Substanzen zur grossen Wahrscheinlichkeit gemacht, so wurde dieselbe fast zur Gewissheit durch den Vergleich der Wirkungen beider Substanzen auf den tierischen Organismus. Wie die Brieger’sche Base ist meine Substanz giftig für Warm- und Kaltblüter (Frösche), und die Vergiftungssymptome sind die gleichen. Ich injizierte einer Maus von 19,5 g Gewicht 0,005 g des Chlorides subkutan. Es erfolgte Diarrhöe, Dyspnöe und reichliche Salivation. Im Laufe von 4 Stunden erholte sich das Tier jedoch wieder. Darauf injizierte ich 0,01 g des Chlorides. Es traten aufs neue dieselben Symptome auf. Nach 15 Stunden hatte sich das Tier jedoch wieder völlig erholt. Ich injizierte daher am folgenden Tage 0,015 g des Chlorides. Sofort traten die oben beschriebenen Sym- ptome wieder auf, die Augen quollen vor und nach 5 Minuten trat der Tod ein. Wie oben erwähnt, ist meine Substanz auch für Frösche giftig und zeigt auf das Herz dieser Tiere dieselbe charakteristische Wirkung wie die Brieger’sche Base. Ich lasse hier die Resultate meines Versuches folgen: Bei einem kräftigen Exemplar von Rana esculenta wurde das Herz freigelest. Zeit pn der Minute 12h 15’ 22 Kontraktion kräftig 12h 17’ 22 12h 21’ 22 12h 22’ = Injektion von 0,015 g der Base in den Oberschenkel 42h. 26’ 21 12h 28’ 20 Diastole etwas verlängert 12h 30' 10 Herz verhält sich vorwiegend in diastolischem Stillstand 12h 37’ 15 Herzkontraktion wurde sehr schwach und oberflächlich 12h 38’ 17 nur Vorhofkontraktionen 12h 40’ _ geringe Kontraktion der Venensinus, sonst diastolischer Stillstand 12h 44’ = Injektion von 0,001 g Atropin direkt ins Herz 1b 00’ — schwache Kontraktion des Vorhofes 1h 10’ 14 Kontraktion sehr schwach und unregelmässig 1h 15’ 14 1b 50’ 10 2h 00’ 8 unregelmässig 3h 05’ 6 Kontraktion ganz schwach 3h 30’ _ Tod. Herz stand diastolisch still. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 25 378 K. Takeda: Im Gegensatz zu den Brieger’schen Befunden konnte ich durch Atropin die Herztätigkeit vorübergehend beleben. Diese Ab- weichung ist wohl so zu erklären, dass Brieger das Atropin offenbar in den Oberschenkel injizierte. Eine solche Injektion kann bei stark verlangsamtem Herzschlag resp. bei Herzstillstand nur schwer eine Wirkung auf das Herz entfalten. Die Atropinwirkung setzt, wie mein Versuch zeigt, auch sehr spät ein. Ich habe nun weiter versucht einen Einblick in die Konstitution dieses interessanten Körpers zu gewinnen, und zwar habe ich zu- nächst die Art der Bindung des Sauerstoffs zu ermitteln versucht. Ich unterwarf daher den Körper in der oben geschilderten Weise der Veresterung. Der positive Ausfall dieser Reaktion zeigte sich schon daran, dass das Chlorid hierbei in absolutem Alkohol leicht löslich wurde. Das daraus in der geschilderten Weise gewonnene Platinat erwies sich als das reine Doppelsalz des Äthylesters. Nach dem Umkristallisieren lieferten 0,1072 g Subst. 0,0276 g Pt. Für (C;H,,;N -COO -C;H,),; PtCl; berechnet: gefunden: Pt 290g BE —225.7.210, Damit ist bewiesen, dass die beiden Sauerstoffatome in einer Carboxylgruppe stehen. Der Schmelzpunkt des Platinates lag bei 222° Es war in Wasser schwer löslich. Um zu ermitteln, in welcher Form der Stickstoff gebunden ist, destillierte ich 0,24 g des Chlorides, das in einigen Kubikzentimeter Wasser gelöst war, mit 10 g festem Baryumhydrat zur Trockne, setzte darauf wieder einige Kubikzentimeter Wasser zu und destil- lierte aufs neue zur Trockne. Diese Operation wurde noch dreimal wiederholt. Das Destillat wurde in verdünnter Salzsäure aufgefangen. Die in der Vorlage befindliche Flüssiekeit wurde zur Trockne ab- gedampft, mit absolutem Alkohol aufgenommen, die alkoholische Lösung verdunstet und mit 30 %/oiger Goldchloridlösung gefällt. Die Fällung wog 0,21 g, entsprechend 50 °/o der Theorie, wobei zu be- rücksichtigen ist, dass der Kolben zersprang, ehe die Zersetzung beendet war. Das umkristallisierte Goldsalz erwies sich als reines Trimethyl- aminaurat. Analyse: 0,1044 g Subst. gaben 0,0516 & Au. Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn etc. 379 Für N(CH;);. HAuCl], berechnet: gefunden: Au = 49,4 Io Au —= 49,4 "Jo. Der Körper enthält also neben der Carboxylgruppe noch einen Trimethylaminkern. Er gehört in die Klasse der Betaine, und zwar ist er, wie die Formel zeigt, ein Butyrobetain. Nun enthalten von den fünf möglichen Butyrobetainen drei ein asymmetrisches Kohlenstoffatom, und da die Körper mit asymmetrischen Kohlen- stoffatomen, die im tierischen Organismus auftreten, auch optisch aktiv sind, so war zu erwarten, dass auch unser Körper den polarisierten Lichtstrahl ablenkte, falls er identisch war mit einem der drei Betaine mit asymmetrischem Kohlenstoffatom. Das war jedoch nicht der Fall, eine ca. 1,2 /oige wässrige Lösung des Chlorides zeigte im 100 mm-Rohr auch nicht eine Spur von Drehung. Es kommen also mit grosser Wahrscheinlichkeit nur die beiden anderen Butyrobetaine, das «-Isobutyrobetain und das y-n-Butyro- betain in Betracht. In der Tat spricht die Wahrscheinlichkeit für die Identität mit dem letzteren. Dieses ist von R. Willstätter!) synthetisch gewonnen und neben der freien Base auch das Platinat beschrieben worden. Ich stellte zum Vergleich das letztere her. Es erwies sich in Wasser leicht löslich und kristallisierte daraus in kleinen Blättchen. In Alkohol ist es unlöslich. Die Analyse ergab: 0,0976 g Subst. gaben 0,0272 g Pt. Für (C,H,sNO;), PtCl, berechnet: sefunden: Pt = 27,8 lo Pt = 27,9 0. Das Salz schmolz unter Zersetzung bei 225 bis 228° C. Will- stätter gibt für das Platinat des synthetischen als Schmelzpunkt 224 bis 225° C. an. Mit diesen Befunden lässt sich auch eine auffällige Angabe Brieger’s gut erklären. Brieger schreibt seiner Base saure Reaktion zu, die sich durch eine Spur Na;CO, auch bei grossen Mengen beseitigen lässt. Die Betaine reagieren aber neutral, und eine kleine Verunreinigung mit Säure würde die auffällige Beobachtung Brieger’s deuten lassen. Der Formel nach unterscheidet sich meine 1) Bericht d. deutsch. chem. Gesellsck. Bd. 35 S. 617. 29: 380 K. Takeda: Base von der Brieger’s nur durch ein Minus von zwei Wasser- stoffatomen, was bei der Analyse keinen starken Ausschlag gibt). Die Mutterlauge des oben beschriebenen Goldsalzes lieferte eine zweite in Wasser leichter lösliche Goldverbindung, einer bisher un- bekannten Base. Sie schied sich zuerst ölig aus, aber nach mehr- tägigem Stehen kristallisierte sie vollständige. Nach mehrmaligem Umkristallisieren war sie analysenrein. Ich lasse die Analysenwerte folgen: 0,1346 g Subst. gaben 3,8 cem N; T = 15,5; Ba = 743 mm, 0.1262 le: 7 „0,0736 g CO, n. 0,0384 g H,O, 0,0962 g Subst. gaben 0,0390 & Au. Für C,3H3ssNs0;-2 AuCl, berechnet: gefunden: E76 100 015,921, H2 152,906 HI :3,4.20/6, N N 1183:22%070, Au = 40,6 Io Au 405% Das Goldsalz scheidet sich immer erst als Öl aus, kristallisiert aber nach einiger Zeit und schmilzt bei 110° C. | IS) Ne) — o 1) Ich möchte hier nochmals auf die toxische Wirkung meiner Substanz eingehen. Für gewöhnlich gelten die Betaine nicht für giftig, doch haben Waller und Plimmer (Proc. Royal Soc. London vol. 72 p. 345) und Kohl- rausch (Zentralbl. f. Physiol. Jahrg. 1909 S. 154) gezeigt, dass das weitverbreitete, typische Betain (Trimethylglykokoll) C,H,,NO, bei Injektion in die Blutbahn Speichelfluss, Blutdrucksenkung, Dyspnöe und Tod durch Atemstillstand erzeugen kann. Namentlich sind Katzen dagegen empfindlich, wie auch gegen Cholin und Neurin. Das Betain wirkt also wie zahlreiche andere Ammoniumbasen, nur schwächer, und in ähnlicher Weise könnte ich den toxischen Effekt des von mir gefundenen Butyrobetains erklären. Trotzdem ich nur mit einem Chlorid ge- arbeitet habe, das ich aus dem analysierten Goldsalz darstellte, und das scheinbar aus weissen einheitlichen Kristallen bestand, möchte ich doch die Frage auf Grund von Erfahrungen, die Engeland an synthetischem y-Butyrobetain machte, offen lassen, ob sich in meinem Präparat nicht eine täuschende Ver- unreinigung befunden hat. Engeland konnte nämlich aus dem Aurat des y-Butyrobetains, das bei 178° C. schmolz, ein Chlorid darstellen, das bei 201—202° C. schmolz, in Alkohol schwer löslich war, sich aber doch durch Alkohol in zwei Fraktionen teilen liess. Von diesen war die in Alkohol leichter lösliche Fraktion für Frösche giftig. Sie wirkte ganz ähnlich wie meine Substanz. Der in Alkohol schwerer lösliche Anteil hingegen wirkte kaum auf Frösche ein. Da mein Material beschränkt war, hatte ich eine solche Fraktionierung nicht vor- nehmen können. Möglicherweise wird bei der Zersetzung des Aurates mit Schwefelwasserstoff das Butyrobetain teilweise reduziert. Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn etc. 381 Das Chlorid bildet einen hygroskopischen Sirup, der über Schwefelsäure allmählich in Nadeln kristallisiert. Er schmeckt süsssauer. Auch hier versuchte ich die Art der Bindung der Sauerstoff- atome durch Verestern zu ermitteln. Es ergab sich, dass die Sub- stanz zwei Alkoholreste dabei aufnimmt, also zwei Carboxylgruppen enthält. Ich verfuhr hierbei ganz wie oben angegeben und stellte auch hier in der geschilderten Weise das Platinat her. Es kristalli- siert in Blättchen, die bei 220 °C schmelzen; in Wasser ist es nicht sehr schwer löslich. Die Analyse ergab folgende Werte: 0,1058 g Substanz gaben 0,0270 g Pt, 0,1024 „ £ 0,020 0,1038 „ s „ 0,1036 „ CO, und 0,0496 g H,O. Für C,.HssNx0(CO0OC3H,),PtCl,. Berechnet: Gefunden: C = 26,9%, GC =327,2%; Eif 2 5,1,9/o; ES #55:3.0/0; Et 3252.20: Pt-—253520/0,.29542/0; Für C,,H3,Nz0(CO0C3H,),PtQI;. Berechnet: Gefunden: 63 221.088; 6) —227,2010, EW——74812708 I. nl dr — Pre Bin —25:9410%.219,4:2[0. Ich berechnete die zwei Formeln, welche einen Unterschied von zwei Atomen Wasserstoff haben. Die Analysen stimmen allerdings besser zu der an Wasserstoff reicheren, dagegen lassen die bezüglich der Konstitution der Base ermittelten Daten wohl nur die zweite berechnete Formel zu. Die Lösung des Chlorides zeigte, dass dieser Körper optisch aktiv ist. Ich prüfte die Drehung mit einer 1°/oigen Lösung dieses Körpers im 100 mm-Rohr; sie drehte den polarisierten Lichtstrahl nach links. Die Lösung der Base gibt mit Kaliumwismutjodid eine körnige rotbraune Fällung, mit Kaliummerkurijodid einen weissen Niederschlag, der im Überschuss des Fällungsmittels löslich ist. Kein Niederschlag aber entsteht mit Pikrolonsäure und mit Pikrinsäure. Auch bei dieser Base suchte ich zu ermitteln, in welcher Form die zwei Atome Stickstoff gebunden sind, zu diesem Zweck 382 K. Takeda: destillierte ich 0,238 g Chlorid der Base mit Baryt genau wie oben angegeben, und zwar wurde das Chlorid in einigen Kubikzentimetern Wasser gelöst, ‘mit 10 g festem Baryumhydrat bis zur Trockne destilliert und von neuem einige Kubikzentimeter Wasser zugesetzt und destilliert. Diese Operation wurde wiederholt, bis sich keine alkalischen Dämpfe mehr entwickelten. Das in Salzsäure auf- gefangene Destillat wurde stark eingeengt und mit 30 /oiger Gold- chloridlösung gefällt. Die Goldfällung erwies sich durch die Analyse als reines Trimethylaminaurat. Ich lasse hier die Analysenwerte folgen: 0,1294 g Substanz gaben 0,0642 g Au. Für N(CH;);HAuCl.. Berechnet: Gefunden: Au — 49,490, Au —= 49,6 lo. Die Ausbeute des Aurates betrug 0,43 g. Es ist durch die Menge des Aurates nachgewiesen, dass die zwei Atome Stickstoff der Base in zwei Trimethylaminkernen stecken müssen. Die Ausbeute an Trimethylamin entspricht 83,40 der Theorie, aber es ist zu berücksichtigen, dass das zur Destillation verwendete Chlorid nur über Schwefelsäure getrocknet war und beim Wägen etwas Wasser angezogen hatte. Die von mir bisher über die letzte Base beigebrachten Daten lassen eigentlich keinen Zweifel mehr, dass dieselbe ein Betain, und zwar ein Dibetain sein muss. Aus dem Filtrat der Platinate wurde der Alkohol verjagt, dann mit Wasser aufgenommen, durch Einleiten. von Schwefelwasserstoff das Platin abgeschieden und das Schwefelplatin von der Flüssigkeit abgesaugt. Das Filtrat des Schwefelplatins engte ich zum dünnen Sirup ein und fällte es mit 30°/oiger wässeriger Goldchlorid- lösung aus. Die Goldverbindungen waren zuerst ölig, aber nach einigen Tagen kristallisierte ein Teil des Öles, während der andere Teil ölig blieb. Um sie nun in analysierbare, kristallinische Verbindungen über- zuführen, zersetzte ich sie durch Schwefelwasserstoff,. filtrierte sie von Schwefelgold und engte zum dünnen Sirup ein. Nunmehr fällte ich sie wieder mit 30 V/oiger Goldehloridlösung aus. Das Golddoppel- salz schied sich ebenfalls ölig aus, kristallisierte aber doch nach 24stündigem Stehen. Die Ausbeute war sehr gering. | Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn etc. 383 Ich nahm deshalb davon Abstand Analysen davon zu machen, sondern verwandte sie zu physiologischen Versuchen, die mir darüber Aufklärung geben sollten, ob sich im Phosphorharn, abgesehen von der Brieger’schen Base noch andere toxische Basen finden. Das Filtrat von diesem letzten Goldsalz wurde durch Schwefel- wasserstoff von Gold befreit. Nach, dem Einengen zum Sirup benutzte ich es zu einem Tierversuche. Damit hatte ich Quecksilber- niederschlag I annähernd aufgeteilt. Filtrat von Quecksilberchloridfällung I. Das Filtrat von Quecksilberchloridfällung I wurde mit kalt- gesättigter alkoholischer Quecksilberchloridlösung und Natriumacetat- lösung gefällt, wodurch ein ziemlich reichlicher Niederschlag entstand (Quecksilberfällung II). Diese Fällung wurde abgesaugt, mit einem Gemenge beider Fällungsmittel gewaschen, dann mit heissem Wasser unter Salzsäure- zusatz gelöst und durch Einleiten von Schwefelwasserstoff zersetzt. Die von dem Schwefelquecksilber abgesaugte Flüssigkeit engte ich zum Sirup ein, nahm dieselbe mit Alkohol auf, verdunstete den Alkohol, entfärbte mit Tierkohle, nahm dann wieder mit Alkohol auf. Die alkoholische Lösung wurde zum Sirup eingedampft und zum Tierversuch benutzt. Aus dem Filtrat der Quecksilberchlorid- und Natriumacetat- fällung wurde auf dem Wasserbad der Alkohol verjagt, durch Schwefelwasserstoff das Quecksilber entfernt, zum Sirup eingeengt, sodann mit Alkohol aufgenommen. Nachdem die Substanzen von alkoholunlöslichen, anorganischen Salzen abfiltriert und vom Alkohol durch Erwärmen befreit waren, wurden sie mit Tierkohle entfärbt und zum Sirup eingeengt. Den Sirup verwendete ich zum Tierversuche. Über die Tier- versuche berichte ich am Schlusse im Zusammenhang. Verarbeitung der Silberfällungen. Die Silberfällung I wurde mit Salpetersäure und Wasser gelöst dann wieder mit überschüssigem Barytwasser gefällt, um das darin vorhandene Kreatinin zu beseitigen. Die Fällung wurde mit Salpetersäure und Wasser wieder gelöst und mit Ammoniak unter Vermeiden eines Überschusses ausgefällt. 354 K. Takeda: Die Fällung wurde abfiltriert und mit Wasser gewaschen, dann mit Salzsäure zersetzt. Das vom Chlorsilber befreite Filtrat wurde bis zur beginnenden Kristallisation eingedampft, mit Alkohol auf- genommen; dabei blieb ein Teil ungelöst zurück. Die von dem Rückstand abfiltrierte alkoholische Lösung ver- dunstete ich auf dem Wasserbad, nahm mit Wasser auf und entfärbte mit Tierkohle. Die jetzt erhaltene farblose Flüssigkeit wurde zum Sirup ein- geengt; nach langem Stehen kristallisierte ein Teil. Die Kristalle wurden von der Mutterlauge abfıltriert; sie waren in Wasser und Alkohol schwer löslich, geben mit sodaalkalischer Diazobenzolsulfosäure eine starke Rotfärbung [Pauly’s!) Reaktion], aber keine Biuretreaktion und auch mit Bromwasser keine Rotfärbung (Reaktion von Knoop?). Sehon die geringe Löslichkeit der Substanz im Wasser sprach gegen Histidinchlorid, der negative Ausfall der scharfen qualitativen Histidin-Reaktionen (abgesehen von der Pauly’s) schloss dann diese Substanz vollkommen aus. Der Körper schmilzt, aber sublimiert nieht (Thymin ausgeschlossen). Mit Dragendorff’s Reagens entsteht ein körniger, rotbrauner Niederschlag, der in Salzsäure und Schwefelsäure löslich ist; mit Millon’s Reagens entsteht ein weisser Niederschlag, der beim Erwärmen keine Rotfärbung gibt. Mit Natriumpikrat entsteht ein kristallinischer Niederschlag. Natür- lich fällt der Körper auch mit Phosphorwolframsäure. Dagegen bildete sieh mit Pikrolonsäure kein schwerlösliches Pikrolonat. Da der Körper ähnlich dem Uraeil kristallisierte, dachte ich daran, dass in ihm vielleicht ein Pyrimidinderivat vorliegen könnte. Ich habe deshalb mit ihm noch folgende Reaktionen vorgenommen. Die Weidel’sche Reaktion war negativ, ebenfalls war die von Wheeler und Johnson?) für Cytosin ausgegebene Reaktion negativ. Damit ist Uracil und Cytosin ausser Betracht gebracht. Mit Silbernitrat und Baryt liefert er nach Beseitigung der Salzsäure reichliche weisse Fällung, auch durch Silbernitrat und Ammoniak erzielt man starke Fällung, die leicht in Salpetersäure und über- 1) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 42 S. 508. 2) Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. Bd. 11 8. 356. 3) Journ. of biolog. chimestry vol. 4 S. 111. Referat Chem. Zentralbl. Jahrg. 1908 Teil I S. 1467. Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn etc. 385 schüssigem Ammoniak löslich ist. Was für ein Körper hier vorliegt, vermag ich nicht zu sagen. Von Analysen habe ich bisher Abstand genommen, um das kostbare Material zu schonen. Ich möchte mir hier die Bemerkung gestatten, dass es nach meinem Befunde nicht mehr zulässig ist, einen Körper, der in die sogenannte „Histidin- fraktion“ geht und die Reaktion von Pauly gibt, als Histidin an- zusprechen. Man muss, wenn man sich auf qualitative Reaktionen verlassen will, mindestens noch positiven Ausfall der Biuretreaktion !) und der Knoop’schen Reaktion erhalten. Aber auch dann ist das Resultat unsicher, ich verweise hier auf die Untersuchungen Engeland’s?). Silberniederschlag II. Der Silberniederschlag II wurde wieder: mit Salpetersäure und Wasser gelöst und mit überschüssigem Baryt gefällt. Um das Kreatinin zu beseitigen, wiederholte ich diese Operation zweimal, dann wusch ich den Niederschlag mit Wasser. Der Niederschlag wurde nun mit Wasser und Schwefelsäure gelöst, durch Einleiten von Schwefelwasserstoff von Silber, durch Baryt von Schwefelsäure, durch Kohlensäure vom überschüssigen Baryt befreit. Die nun gewonnenen freien Basen wurden mit Alkohol auf- genommen. Aus dem Rückstand liess sich in keiner Weise Arginin darstellen. Er gab auch nicht die Reaktionen dieses Körpers. Aus der alkoholischen Lösung wurde der Alkohol verjagt. Ein Teil hiervon wurde mit Pikrinsäure gefällt, die Fällung mit Schwefel- säure und Wasser gelöst, mit Äther die Pikrinsäure und mit Baryt die Schwefelsäure beseitigt und zum Sirup eingedampft. Nachdem ich ihn mit Salzsäure angesäuert hatte, fällte ich ihn mit 30 °/o iger Goldcehloridlösung aus. Das Goldsalz erwies sich durch die Analysenwerte und den Schmelzpunkt als Methylguanidinaurat. Analyse: 0,1444 & Subst. gaben 0,0686 g Au, 0,1236 g Subst. gaben 0,0588 g Au. 1) R. G. Herzog, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 37 S. 248. 2) Münch. mediz. Wochenschr. Jahrg. 1903 Nr. 31 und Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 57 S. 48. 386 K. Takeda: Für C;H;N;AuCl, Berechnet Gefunden Au = 47,7 lo 47,5:°lo, 47,6 lo | Schmelzpunkt = 198° Das Filtrat von Methylguanidinpikrat wurde ebenfalls in der oben geschilderten Weise von Pikrinsäure und Schwefelsäure befreit und zum Sirup eingedampft. Nach langem Stehen wurde er kristal- linisch. Die Base gibt mit Kaliumwismutjodid eine rotbraune Fällung, mit Nessler’schem Reagens einen Niederschlag, der gleich reduziert wird, mit Pikrolonsäure keine Fällung. Damit ist mit Sicherheit nachgewiesen, dass bei mit Phosphor ver- gifteten Hunden jedenfalls kein Arginin im Harn erscheint, denn dieses hätte in den Silberniederschlag II hineingehen müssen, der von mir sehr genau untersucht worden ist. Selbst kleine Mengen von Arginin wären mir, wie ich wohl versichern kann, nicht entgangen. Wie ist nun die gegenteilige Behauptung Wohlgemuth’s!), der Ar- sinin im Harn von Phosphor-Vereifteten Kaninchen und Menschen fand, zu erklären? Zunächst ist allerdings in Betracht zu ziehen, dass die Ver- suchsobjekte Wohlgemuth’s andere waren als meine, aber davon abgesehen glaube ich doch behaupten zu dürfen, dass auch Kaninchen und Menschen nach Phosphorvergiftung kein Arginin ab- scheiden. Jedenfalls ist ein zwingender Beweis dafür durch Wohl- gemuth nicht erbracht worden, denn zunächst stimmt das von ihm analysierte Präparat in seiner Zusammensetzung nicht mit dem von Steudel?) bekannt gegebenen Argininpikrolonat überein. Dann war, als Wohlgemuth seine Beobachtungen veröffentlichte, noch nichts von den Harnbasen, die Kutscher und seine Mitarbeiter, deren Erfahrungen und Methoden ich benutzen konnte, im Harn auffanden, publiziert worden. Von diesen vermag aber das Methyl- guanidin und das Dimethylguanidin sich mit Pikrolonsäure zu schwer- löslichen Verbindungen zu vereinigen. Selbst das Kreatinin liefert ein nicht ganz leicht lösliches Pikrolonat. Beseitigt man also der- artige Basen nicht, so kann man ganz wohl zu der Vermutung kommen, man hätte Arginin isoliert. 1) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 44 S. 74 Nr. 428. 2) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 44 S. 157. Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn et. 387 Die physiologische Wirkung der bei der Phosphorvergiftung durch den Harn ausgeschiedenen Substanzen. Um die im Phosphorharn befindlichen toxischen Substanzen zu untersuchen, injizierte ich der Reihe nach die verschiedenen Frak- tionen Kaninchen intravenös. Ich nahm für meine Versuche nur kräftige Tiere, die vorher durch 2 g Urethan per reetum narkotisiert wurden. Vena jugularis, Karotis und Trachea wurden frei präpariert und je eine Kanüle eingebunden. Die Kanüle in der Ven. jugl. diente zur Injektion der zu untersuchenden Substanzen. Blutdruck und Atmung wurden mittels elastischer Manometer registriert. Die Substanzen kamen meistens als Chloride zur Anwendung, die ich vorher, wenn nötig, mit Natriumearbonat neutralisierte. Im Phosphorharn fanden sich, wie die Untersuchungen lehrten, eine Reihe von Substanzen, die auf Blutdruck, Atmung und Drüsen- sekretion eine starke Wirkung haben. Ich verfuhr so, dass ich zu- erst die einzelnen Fraktionen untersuchte, dann die daraus ge- wonnenen reinen Substanzen. Ich gebe hier eine tabellarische Übersicht über die einzelnen Fraktionen, die im Tierversuch geprobt wurden. _ Phosphorwolframat I u . —————— — — — — — — en —— As-Fällung I Ag-Fällung Il Phosphorwolframat II PPPEEREESEEEEEEE SEEEEEERSEEEEEEE SEES NSG Alkohol Alkohol e) f) g) N 4 N HgÜl;-Fällung HgCl, + Na- Filtrat von f a) b) y d) | Acet.-Fällung löslich unlöslich löslich unlöslich Alkohol h) unlöslich i) löslich | Je Van. )) Platinfällung k) Filtrat der | Platinfällung nen NER) BERRERBEIENE mm — —— m l) Gold- m) Mutter- n) Gold- 0) Mutter- fällung lauge fällung lauge von n | "Nimm. I II p) Brieger’s Base q) Base CH7,N0; C3H%N 50; a, b,c, d) Diese durch Silbernitrat und Ammoniak resp. Silber- nitrat und Baryt gewonnenen Fraktionen zeigen bei der intravenösen Injektion fast gar keine Wirkung, obgleich die Fällung d das giftige 388 K. Takeda: Methylguanidin enthält. Fig. 1 erläutert das Ausbleiben jeder Wirkung, nach Injektion der aus Silberfällung II gewonnenen Basen. Ich habe diese Figur wiedergegeben, weil wie gesagt in dem Ver- such eigentlich das Methylguanidin zur Wirkung kommen sollte. Bei den Quecksilberfällungen wurde zunächst das Geinenge der daraus dargestellten Chloride geprobt. e) HgCl,-Fällung. Auf die Injektion erfolgt eine starke Blut- drucksenkung und Pulsverlangsamung, dann nach 10 Sekunden Blut- drucksteigerung mit annaltender Pulsverlangsamung; allmählich Fig. 1. a Zeitmarkierurg in Sekunden, 5 Nullinie, e Blutdruckkurve. Die Pfeile zeigen an, dass je 0,035 g Basengemisch aus Silberfällung II injiziert wurden. kehrte der normale Druck zurück, während die Pulsverlangsamung noch weiter bestehen bleibt. Die Atmung wird mit der Blutdruck- steigerung vorübergehend unregelmässig und oberflächlich. Es stellte sich eine sehr starke Speichel- und Tränensekretion ein. Fig. 2 zeist die Wirkung des Basengemisches, das ich aus der ersten HgCl,-Fällung gewinnen konnte. f) HgCl, + Natriumacetatfällung. Diese Fraktion bewirkte auch Blutdrucksenkung, aber nicht so beträchtlich. Die Atmung war nicht verändert, Speichelfluss nicht zu beobachten. Siehe Fig. 3. g) Filtrat der Fällung f. Die Injektion dieser Fraktion hatte geringe Blutdrucksenkung, sonst keine toxische Wirkung zur Folge. Siehe Fig. 4. Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn etc. 389 h) Die Ausbeute an Base C,3Hs.NsO;, die fast ausschliesslich Fraktion m bildete, war so gering, dass für Tierversuche kein Material übrig blieb. i) Alkohollöslicher Teil von e. Diese Fraktion wirkte genau wie das ganze Basengemenge aus e. Ich verweise deshalb auf Fig. 2. a NNNANRÄNNANNANANANANA NAH AANNAAANNANNAANNANNANANNNNNI geseean, \ ZH 5 4 A Fig. 2. a Zeitmarkierung in Sekunden, b Blutdruckkurve, c Atemkurve. Der Pfeil zeigt an, dass 0,2 g des aus der ersten Quecksilberfällung gewonnenen Basengemisches in die V. jugularis injiziert wurde. )) Platinfällunge. Die Platinfällung besteht der Hauptsache nach aus den Basen C-H,;NO, und C,sHsgN50;. Sofort nach der Injek- tion tritt Blutdrucksenkung ein, alsbald aber steist der Blutdruck rapid an. Siehe Fie. 5- k) Filtrat von j. Nach der Injektion dieser Fraktion tritt Blut- drucksenkung und Pulsverlanesamung ein, allmählich geht der Blut- druck auf normale Höhe zurück; ausserdem tritt starke Speichel- sekretion auf. Siehe Fig. 6. ]) Die Fraktion 1 wurde in die beiden Basen C-H,;NO, und C,3H5,N50; aufgeteilt. 390 RK. Takeda: m) Die Mutterlange von l. Nach Entfernung des Goldes ge- probt, wirkt gar nicht. nd Fig. 9. a Zeitmarkierung in Sekunden, b Blutdruckkurve. An Stelle des Pfeils wurden 0,035 g Basen aus Fraktion £f injiziert. Fig. 4 a Zeitmarkierung in Sekunden, b Blutdruckkurve. An der Stelle des Pfeils werden 0,035 g Basen aus Fraktion g injiziert, in 0,5 ccm Wasser gelöst. n) Goldfällung der Fraktion k. Nach der Injektion tritt geringe Blutdrucksenkung und Pulsverlangsamung ein. Fig. 7. 0) Mutterlauge von n. Nach Entfernung des Goldes geprobt. Dieses wirkt gar nicht. Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn etc. 391 p) Base C,H,;NO,. Zum Tierversuch wird die Lösung von 0,15 g Chlorid in 2 em H,O benutzt. ‘Dem Tier waren vor dem Ver- such die Vagi durchschnitten. Fig. 5. a Zeimarkierung, d Blutdruckkurve. An der Stelle des Pfeils werden je 0,035 g Baten aus Fraktion injiziert. Dieselben waren in 0,5 ccm Wasser gelöst. | ra u N a" a Me u 02 Yun RE: Pla IE 7 I ELLE HÄLLELLUNLUL NUN Fig. 6. a Zeitmarkierung, b Blutdruckkurve, An Stelle des Pfeils werden 0,035 & Basen aus Fraktion k injiziert. Dieselben waren in 0,5 ccm Wasser gelöst. 392 K. Takeda: Nach 0,5 cm Injektion von dieser Lösung erfolgte eine Blutdruck- senkung, dann eine Steigerung. Die Atmung wird etwas oberfläch- lich. Siehe Fig. 8. q) Base CsHs,N50;. Das aus dem Goldsalz dargestellte Chlorid wog 0,16 g. Es wurde zur Anwendung des Tierversuches im 2 cem Wasser gelöst und 0,5 g Lösung davon injiziert, wodurch eine Blut- drucksenkung hervorgerufen wurde. Siehe Fig. 9. Die Tierversuche zeigen, dass mit dem Phosphorharn toxische Basen ausgeschieden werden, die auf Blutdruck, Atmung und die sezernierenden Drüsen, namentlich die Speicheldrüse, mehr oder weniger stark wirken können. Diese Erfahrung erscheint mir aber weniger wichtig wie die chemischen Ergebnisse meiner Untersuchung. Ich möchte dieselben hier kurz zusammenstellen. NN A Fig. 7. a Nullinie, d Blutdruckkurve, c Zeitmarkierung in Sekunden, d Atem- kurve. Der Pfeil zeigt an, dass 0,025 g Basen der Fraktion n in 0,5 ccm H,O gelöst injiziert wurden. Es ist mir gelungen, aus Silberniederschlag I eine Base darzu- stellen, die manche Ähnlichkeit mit den bekannten Pyrimidinbasen zeigt, aber sich doch von ihnen wieder deutlich unterscheidet. Ihre hervorstechendste Eigenschaft ist ihre Fähigkeit, wie das Histidin in soda-alkalischer Lösung mit Diazobenzolsulfosäure eine tiefrote Flüssig- keit zu liefern (Pauly’s Reaktion). Weiter habe ich im Harn Methylguanidin nachweisen können. Dieses ist jedoch jedenfalls ein Harnbestandteil, der mit der Phosphorvergiftung nichts zu tun hat, da es in letzter Zeit im hie- sigen Laboratorium regelmässig im Harn beobachtet worden ist. Dann habe ich aber noch drei andere Basen auffinden können, die zur Phosphorvergiftung meiner Tiere wahrscheinlich in enger Beziehung stehen. Die Konstitution der einen habe ich ermitteln Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn etc. 393 können, sie ist ein Butyrobetain. Die beiden anderen Basen, deren Konstitutionsermittlung noch nicht abgeschlossen ist, müssen wie das NO, markiert. ase CH Cl- Linie, d Blutdruckkurve, 35 » Chlorid der E oO Oo {2} “) ) g in Sekunden, b Markierer für die Injektion, c Na In db ist die Injektion von 0,0: a Zeitmarkierun e Atemkurve. Briegers Base. Fig. 8. Butyrobetain Substanzen sein, die am Stickstoff methyliert sind; da- für spricht der intensive Geruch nach Trimethylamin, der sich bei rde Destillation der Basen C,;H;,N;0, und C,3H:,N50; erhebt. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 26 394 K. Takeda: Woher stammen nun diese merkwürdigen Körper? Bis vor kurzem wäre uns eine Erklärung vollkommen unmöglich gewesen. In letzter Zeit aber haben wir durch eine Arbeit von R. Enge- land!) erfahren, dass sich die Eiweissspaltungsprodukte auch im Gemenge ausserordentlich leicht methylieren lassen und aus den beim Zerfall des Eiweisses frei werdenden Aminosäuren durch Methylierung Körper entstehen, denen man fast regelmässig unter den Extraktstoffen von Pflanzen und Tieren begegnet. Ich erinnere hier an das weitverbreitete Trimethylelykokoll oder Betain, das man bisher mit dem Leeithin in Verbindung zu bringen versuchte,?) obschon die gewaltigen Mengen davon, die man bei einigen Pflanzen Fig. 9. a Nullinie, d Blutdruckkurve, c Zeitmarkierung in Sekunden, d Atem- kurve. Der Pfeil zeigt die Injektion von 0,04 g des Chlorids der Base C,3Hs,N50; an. und Tieren?) antraf, die Erklärung, das Trimethylglykokoll sei ein Öxydationsprodukt des im Leeithin steekenden Cholins, sehr bedenk- lich erscheinen liess. Dagegen kann man es ungezwungen vom Glykokoll des Eiweisses herleiten, und diese Erklärung trifft nicht auf Erscheinungen, die durch sie nicht zu deuten sind. In ähnlicher Weise müssen wir für das Butyrobetain und die beiden Basen C,s3HssN50; und C1s3Hs;N0;, Eiweisssplitter, die einer mehr oder weniger weitgehenden Methylierung anheim gefallen sind, als Muttersubstanzen ansehen. Für gewöhnlich werden nun diese 1) Sitzungsber. d. Gesellsch. z. Beförd. d. ges. Naturwissensch. zu Marburg. Jahrg. 1909 und Berichte d. deutsch. chem. Gesellsch. Ba. 42 S. 2457. 2) Fr. Czapek, Biochemie der Pflanzen Bd. 2 S. 180. 3) Siehe die Arbeiten’ von Suwa, Pflüger’s Arch. Ad. 128 und 129. Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung im Harn etc. 395 Körper im Organismus des Hundes zerstört, durch die Phosphor- vereiftung haben wir ihn aber geschädigt und namentlich sein ÖOxydationsvermögen herabgemindert. So sehen wir denn diese grösseren, eigenartig veränderten Bruchstücke des Eiweisses der vollkommenen Vernichtung entgehen und im Harn auftauchen. Um derartige Körper, die ein eigentümliches Licht auf den intermediären Stoffwechsel werfen, sich sichtbar zu machen, ist also die Phosphor- vergiftung ein brauchbares Mittel. Mit dem Phosphorharn habe ich noch folgende Untersuchungen angestellt. Beim Beginn meiner Arbeit habe ich erwähnt, dass sich in dem mit Schwefelsäure angesäuerten Harn ein Niederschlag ge- bildet hatte, den ich absaugte. In demselben liess sich Kynuren- säure vermuten, die nach L. Mendel und Schröder!) von Phos- phor vergifteten Hunden in vermehrter Menge abgesondert wird. Der Niederschlag war sehr dunkel gefärbt, und ich versuchte ihm zuerst die Kynurensäure durch Ammoniak zu entziehen; die ammoniakalische Lösung säuerte ich dann mit Schwefelsäure an. Auf diese Weise erhielt ich auch einen mikrokristallinischen Nieder- schlag, der aber immer reichlich Farbstoff einschloss. Dieser Farb- stoff liess sich auch nicht beseitigen, wenn ich die ammoniakalische Lösung mit Tierkohle kochte, auch danach liess sich durch Sch wefel- säure nur ein dunkles, unreines Produkt ausfällen. Dagegen bekam ich die Kynurensäure schnell schneeweiss, wenn ich in ähnlicher Weise wie Hlasiwetz und Habermann?) bei der Reinigung von Tyrosin vorging. Ich löste den kynurensäurehaltigen Niederschlag in starkem Ammoniak und fügte tropfenweise Bleizucker zu, bis die Flüssigkeit nur noch hellgelb gefärbt war. Von der Fällung liess sich sehr leicht absaugen; den Niederschlag wusch ich mit Ammoniak, ver- einigte das Waschammoniak mit der ersten Flüssigkeit und säuerte die Flüssigkeit mit Schwefelsäure an. Jetzt fiel die Kynurensäure rein weiss aus. Sollte das Filtrat vom Bleiniederschlag überschüs- siges Blei enthalten, dann muss man dasselbe zunächst mit einigen Tropfen Ammonsulfid entfernen. Die weitere Verarbeitung ist die gleiche wie oben. Die Anwendung dieser Methode, die schnell eine ungefärbte Kynurensäure liefert, hat nur einen Nachteil. Es verbindet sich, 1) Americ. Journ. of Physiol. vol. 5 p. 427. 2) Liebig’s Annalen Bd. 169 S. 160. 395 K. Takeda: Untersuchungen über einige nach Phosphorvergiftung etc. wie bekannt, auch die Kynurensäure mit dem Blei zu einer schwer- löslichen Verbindung; man muss deshalb mit dem Zusatz von Blei- zucker vorsichtig sein, da man sonst starke Verluste an Kynuren- säure erleidet. Den mit Phosphorwolframsäure ausgefällten Harn habe ich schliesslich noch auf Leuein und Tyrosin untersucht. Beim Phos- phor vergifteten Menschen sind diese Amidosäuren allerdings mehrfach im Harn nachgewiesen worden, beim Hunde haben sie aber bis auf einen Fall (Ray, Me Dermott und G. Lusk)!!) gefehlt. Die Aus- sichten, sie in meinem Hundeharn aufzufinden, waren deshalb keine grossen; trotzdem befreite ich den Harn durch Baryt von der über- schüssigen Phosphorwolframsäure und Schwefelsäure und engte ihn vorsichtig ein. Es schieden sich aber auch nach langem Stehen in der Kälte keine in Wasser schwerer löslichen Kristalle ab, die die Reaktionen des Leueins oder Tyrosins gaben. Dieser negative Aus- fall meiner Untersuchungen auf Leuein und Tyrosin steht demnach mit den Ergebnissen der meisten anderen Autoren in Einklang. Zum Schluss sei es mir gestattet, Herrn Prof. Dr. Kutscher für die Überweisung dieser Arbeit und für die liebenswürdige Unter- stützung bei der Ausführung derselben meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. 1) Americ. Journ. of Physiol. vol. 3 p. 139. (Aus dem tierphysiologischen Institut der kgl. landw. Hochschule zu Berlin. [Geh.-Rat Prof. Dr. Zuntz.]) Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe des tierischen Organismus,insbesondereihren Wassergehalt. Von Heinrich Gerhartz. (Mit 4 Textfiguren.) Inhaltsübersicht. Rn IEIDIEHLUNON ARE Se een ee 398 —405 I. Teil. Das Verhalten des Lebendgewichtes und des Stoffwechsels DeißderWALT Dein. ar a: Le ten re 405—448 ie Versuchegfamswachsenden-Tieri: 1.0 seen le. 405—408 DissViersucheramserwachseneny Tier >>... =®. 2. 202 513 „au. 409—448 DISNUENITKITSEG Bol RR EHRE OWON OO 409--417 b) Einfluss der Arbeit auf: &)adassBebendgewichtr. „ui. 2. aa er 417—420 Bldier Dinresere rad ra Bee. & 420—421 WRdIegBeuistaltike a cr 2 et ee 421 O)RAIERFANUSTIULLZUN OHREN 422—426 E)MAIEHMBHWEISSZELSEIZUNG... 22 . ee te. 426—428 SlMdEenWBINerSIeumsatzuue rc ee 429—435 )aden\Vasser.wechselu.n..# .. so Ve ee N: 435 —441 adieeViıneralstoffaustuhr? . .) .20 0 meer 441—448 Anhang. Einfluss der Brunst auf die Stickstoffausscheidung 427—428 II. Teil. Die chemische Abänderung der inneren Organe infolge der Arbeitsleistung ge ar ce wen a. 448—487 Einfluss der Arbeit auf: ON ERSABIINE DS ne el Be. 6 MON; A060 8 a ER 448—450 ZUKIEFINNELENEOÖRTANEMERR EL 7. 1. u a 450—456 3 die, peripherische" Muskulatur. . >. ser. 2. 2. 457—487 a)n desswachsendensrRierestan.n... .. na e. .glt - 459—462 b)i#desterwachsenen®Bieressr.w:, 20. Be es 462—487 Anhang. 1. Über die topographischen Unterschiede in der peri- pherischen Muskulatur desselben Individuums . . 472—477 2. Allgemeine Zusammensetzung des Hundemuskels, insbesondere seines Extraktes . . »....... 487 —497 EIRTEDNISSege Cru ee te 497—499 398 Heinrich Gerhartz: Einleitung. Besser als die Tatsache, dass das Wasser einen integrierenden Teil des Körpergewichtes ausmacht !), beweist seine ausserordentliche Bedeutung für den Ablauf der Lebensfunktionen, dass Vorenthaltung des Wassers dem Organismus verderblicher wird als die Entziehung der festen Nährstoffe. Obwohl nun auch grosse Wasserverluste eine ernstliche Schädigung der Lebensfunktionen nach sich ziehen, gibt es doch unzweifelhaft Variationen des physiologischen Optimums des Wassergehaltes der Organe, die ohne Schaden vertragen werden. Das beweisen die vielfältigen Beobachtungen von Lebendgewichtsschwankungen, die nieht auf Änderungen der Trockensubstanz bezogen werden können. Solche Gewichtsänderungen sind nach plötzlichem Wechsel in der Ernährung notiert worden. Wir können heute viele Tatsachen dafür, dass Differenzen im Nährstoffgehalt eine Quelle für Variationen im Wasserreichtum des Körpers und der Organe sein können, an- führen ?). Zuntz erklärte aus diesen Gesichtspunkten die früheren Erfahrungen von Bischoff und Voit über die grossen Gewichts- änderungen, die auftreten, wenn von Brot- zu Fleischfütterung über- gegangen wird. Da nun die Arbeitsleistung unter den physiologischen Funktionen in erster Linie den Stoffbestand des Organismus variiert, so ist von vornherein anzunehmen, dass die Arbeit der etwa die Hälfte des gesamten Wasservorrates des tierischen Körpers ent- haltenden Muskelmasse®?) die intensivste Modifikation im Wasser- bestand nach sich zieht. 1) Über 60% i. d. R. Siehe Vierordt, Daten und Tabellen S. 378. Jena 1886. 2) H.Grouven, Vorträge über Agrikulturchemie mit besonderer Rücksicht auf Tierphysiologie, 3. Aufl., Bd. 3 S. 343. Köln 1872. — L. Adametz, Ein- fluss des Ernährungszustandes, des Alters und der Rasse auf die Zusammen- setzung der Muskel des Rindes. Preuss. Landw. Jahrb. 1888 S. 577 — Vgl. ferner M. Rubner’s Arbeiten, z. B.: Arch. f. Hyg. Bd. 38 8. 155 ff. 1900, ebenda Bd. 51 S. 48 ff. 1904. — Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. S. 19 u. a. a. OÖ. Leipzig 1902. — N. Zuntz, A. Loewy, F. Müller und W. Caspari, Höhenklima und Bergwanderungen in ihrer Wirkung auf den Menschen S. 114. Berlin 1906. (Glykogen wird mit dem vierfachen Gewicht Wasser angesetzt.) 3) Die Muskeln machen etwa 43°%o des Gesamtgewichts des erwachsenen Menschen aus. Sie enthalten ?/s ihres Gewichtes Wasser, so dass also das Wasser der Muskeln etwa 3000 des Körpergewichktes, d. h. etwa die Hälfte der 67,6— 70 %0 Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 399 In der Tat ist es ja eine alltäglich vom gemeinen Manne zu gewinnende Erfahrungstatsache, dass während der Arbeit der Körper Wasser verliert. Ebenso bekannt ist jedoch auch die Tendenz des Körpers, seine Verluste durch Aufnahme von Flüssigkeit auszu- gleichen). Ob er die Deckung des gesetzten Defizits erreicht, kann nur durch direkte Messung des Wasserwechsels erschlossen werden. Die ersten exakten Unterlagen für den Umfang, in welchem Aufnahme und Abgabe von Wasser sich abspielt, haben die Zuntz- Schumburg’schen Studien am marschierenden Soldaten !) (S. 151) geschaffen. Sie zeigten, dass „die Muskeltätigkeit zu einer Wasserverarmung des Körpers führt, welche durch die der Willkür vollkommen überlassene Getränkaufnahme nicht alsbald kompensiert wird. Sowohl aus dem kombinierten Studium von Respiration und Gewichtsänderungen als aus positiven Beobachtungen am Verhalten des Blutes (Blutdiehte und Zahl der Erythrocyten), sowie endlich aus dem Studium der Marschdiurese (S. 178) ging das unzweideutig hervor. Diese Beobachtungen von Zuntz wurden durch analoge im Hoch- gebirge wesentlich gestützt und erweitert. Die hier während der Märsche gesehenen Wasserverluste übertrafen bei weitem die früher gefundenen. „Es ist auffallend und beachtenswert — lesen wir darüber”) —, dass der grosse Wasserverlust während der Märsche kein entsprechendes Bedürfnis der Wasseraufpahme, welche stets bei uns dem freien Ermessen überlassen war, herbeiführte. Erst am späten Nachmittage, mehrere Stunden nach der Rückkehr von den Märschen, wurde durch reichliches Trinken der normale Wasser- bestand des Körpers wiederhergestellt.“ Auch Kaup?®) hat Ähnliches während der Arbeit beobachtet. Während im ersten und zweiten seiner Versuche sich kein erheblicher Wassermangel feststellen liess, berichtet der Autor auf Grund der betragenden Wassermasse des Körpers ist. (Siehe Moleschott, Physiol. d. Nahrungsmittel, 2. Aufl., S. 224. 1859. — Vierordt, Tab. S. 378. — A. Spiegler, Zeitschr. f. Biol. Bd. 41 S. 239. 1) Zuntz-Schumburg, Studien zu einer Physiologie des Marsches. Bibl, v. Coler Bd. 6. Berlin 1901. — Külbs, Experimentelles über Herzmuskel und Arbeit. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 55 S. 288—306. 1906. 2) Zuntz, Höhenklima S. 393 ff. 8) J. Kaup, Ein Beitrag zu der Lehre vom Einflusse der Muskelarbeit auf den Stoffwechsel. Zeitschr. f. Biol. Bd. 43 S. 221. 1902. 400 Heinrich Gerhartz: Wägungen vom dritten Versuche, dass der Körper während und in- folge der Arbeit grössere Wassermengen abgab und den Verlust bis zum Ende des Versuches nicht vollständig wieder ersetzte. Bei länger dauernder Arbeitsleistung scheint also das Wasserbedürfnis des Organismus allmählich abzunehmen. Da nun gerade die Muskeln die erhebliehsten Wasservorräte enthalten, liest die Annahme auf der Hand, dass in diesen Fällen der Wassergehalt der Ruhe- und Arbeits- muskulatur differiert. Mit der Untersuchung der Wasserverarmung der unter dem Ein- flusse der Arbeit gewesenen Muskeln ist die Frage nach den durch die Arbeit bedingten Veränderungen des Chemismus überhaupt angeschnitten. Nach anfänglich erfolgreicher Bearbeitung ist dieses Thema bald ver- lassen worden; und bis durch die Arbeiten von Zuntz die Frage wieder in Fluss kam, lag im wesentlichen nur die Hypothese von G. Jäger!) vor, dass Arbeit zur Anreicherung von Eiweiss und Wasser und zur Abnahme von Fett führt. Ausserdem konnten für diese Frage Be- obachtungen, welche Ranke?) am tetanisierten Muskel gemacht hatte, und Untersuchungen Danilewsky’s?) und von Kurajeff®), Saxl?) und Steyrer‘) ausser zahlreichen Arbeiten, welche die Glykogen-, Phosphor- und Extraktivstoffverteilung und Säureverhält- nisse bei Ruhe und Arbeit betreffen und hier nicht zur Sprache kommen sollen, herangezogen werden. 1) G. Jäger, Die menschliche Arbeitskraft. 1878. 2) Ranke, Verhandl. d. Würzb. physik.-med. Gesellsch. 1857—1858. Zit. A. v. Koränyi u. P. Fr. Richter, Physik. Chemie u. Medizin Bd. 1 S. 439 (Boruttau). Leipzig 1907. 3) Al. Danilewsky, Über die Abhängigkeit der Kontraktionsart der Muskeln von den Mengenverhältnissen einiger ihrer Bestandteile. Beitrag für eine zukünftige Theorie der Kontraktion. Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 7 S. 124. 1832— 1883. 4) J. K. Kurajeff, Über das Verhältnis des Eiweissgehaltes des tätigen und ruhenden Muskels. Wratsch 1895 Nr. 39. — Über die Restitution der festen Bestandteile und Eiweisskörper während des Ausruhens nach geleisteter Arbeit. Russ. Arch. f. Path. Bd. 2 S. 597. 1896. — Ref. Maly’s Jahrb. für Tierchemie Bd. 26 S. 487 u. Bd. 30 S. 335. 1898. 5) P. Saxl, Uber die Mengenverhältnisse der Muskeleiweisskörper unter physiologischen und pathologischen Bedingungen. Hofmeister’s Beitr. Bd. 9 Ss. 1-27. 6) A. Steyrer, Ein Beitrag zur Chemie des entarteten Muskels. Hof- meister’s Beitr. Bd. 4 S. 243. 1904. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 40] Ranke hatte in den geruhten Muskeln im Mittel 80,4 °/o Wasser und 19,6°/ feste Stoffe, im tetanisierten 82,1 °/ Wasser — 17,9 /o Fixa gefunden }). Die wichtigsten Untersuchungen Danilewsky’s stammen aus neuerer Zeit. Zwar haben seine Wassergehaltsbestimmungen weder dem Autor selbst noch Anderen genügend Aufschluss gebracht). Immerhin aber sind die Ergebnisse seiner umfassenden und sorgsamen Studien über die Beziehungen des Bewegungscharakters verschiedener Tiere zu der Zusammensetzung ihrer Muskulatur als wertvolles Material an- zusehen, nachdem jetzt die Frage nach dem Verhalten des Wasser- wechsels des arbeitenden Tieres wesentliche Aufklärung gefunden hat. Danilewsky gibt an, dass Muskeln, welche zu schnelleren Bewegungsphänomeren fähig sind, oft mehr Trockensubstanz ent- halten: „Diese Schlüsse aber haben, scheint es, nur für verschieden- artige Muskeln eines und desselben Tieres Geltung. Denn vergleicht man ganze Tiere mit unzweifelhaft sehr verschiedener Bewegungsart, so sind diese Schlüsse nicht immer zutreffend. Wahrscheinlich existieren in verschiedenen zoologischen Ordnungen verschiedene Grenzen für die Mengenverhältnisse der Muskelbestandteile, welche eine Vergleichung der Tiere innerhalb weiterer Gebiete nicht erlaubt.“ Ich führe, weil es für die späteren Mitteilungen von Wert ist und diese erst den Schlüssel dazu liefern, absichtlich einzelne Ab- schnitte und Tabellen der vortrefflichen Arbeit in extenso an und füge hier zunächst eine Zusammenstelluug (Tab. 1) ein, deren Studium ohne Zweifel das Resümee Danilewsky’s rechtfertigt, dassin manchen Fällen, wo die Verschiedenheit des Bewegungscharakters der Tiere sehr scharf ausgesprochen ist, die Differenz in der Menge der Trocken- substanz nur höchst unbedeutend ist. Insbesondere lehren auch diese 1) Schon zur damaligen Zeit wurden die Angaben nicht als beweisend hin- genommen. Ich führe hier die Worte an, mit denen W. Kühne (Lehrb. d. physiol. Chemie S. 318. Leipzig 1868) den damaligen Stand der Kenntnis charakterisierte: „Der Wassergehalt der Muskel ist indessen grossen individuellen Schwankungen unterworfen, und auch die einzelnen Muskel desselben Leibes enthalten ungleiche Wassermengen. Die am meisten arbeitenden Muskel (Herz) sollen auch die wasserreichsten sein, und andererseits diejenigen Muskel die leistungsfähigsten, welche am wasserärmsten sind.“ 2) Die Gründe dafür decken sich zum Teil mit denen, welche das Ergebnis der Arbeiten Rogozinski’s verschleierten und später Erwähnung finden. 4023 Heinrich Gerhartz: Zahlen , dass Muskel aus verschiedenen Regionen des Körpers nicht immer denselben Wassergehalt besitzen. Wie man aus der Tabelle ersehen kann, ist es hier unmöglich, die Unterschiede im Wasser- gehalt der Muskel mit ihren grösseren oder geringeren Arbeits- leistungen in ursächlichen Zusammenhang zu bringen. Tabelle 1. Beispiel aus Danilewsky’s Muskelanalysen. Trockensubstanz (°/o der frischen Muskeln) a frSchildkröte rue 20,2 Kaltblüter | fisch... . . ... 215 [ Schenkelmuskel . . 25,0 Huhn | Brustmuskel. . . . 254 1:1. $ Schenkelmuskel.. . 26,6 Sperling \ Brustmuskel. . . . 27,0 f Schenkelmuskel . . 25,8 Taube \ Brustmuskel. . . . 28.6 VCH a ee 25,8 Kalbe at en Sn 25,1 Es wurden noch Untersuchungen in der Art angestellt, dass Muskeln von gutgenährten Haustauben mit denen wildlebender Tauben verglichen wurden (Tab. 2). Der Unterschied in der Verteilung des Wassers zwischen den viel in Bewegung befindlichen wilden Tauben und den für den Markt gezüchteten Tieren ist hier allerdings eklatant. Doch bleibt es zweifelhaft, wieweit hier Einflüsse der verschiedenen Ernährung obwalten. Tabelle 2. Wassergehalt der Taubenmuskel (Danilewsky). Trockensubstanz 0/0 Brustmuskel . . Eauserube | Schenkelmuskel. } 22,45 Wildlebende f Brustmuskel . . 08.7 Taube _\ Schenkelmuskel. } Vergleiche zwischen normalen und hypertrophischen Herzen er- gaben unsichere Resultate. Ich kann nicht anerkennen, dass von Danilewsky der Beweis dafür geliefert ist, dass sich im hyper- Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 403 trophierenden Herzen allmählich spezifische chemische Umwandlungen ausbilden '). Die Analysen von Siegert?) lassen sich ebensowenig für die Ent- seheidung der Frage, ob Muskelgruppen, welche intensivere Arbeit leisten, konstante Veränderungen ihrer chemischen Zusammensetzung erleiden, heranziehen. Auf experimentellem Wege hat in allerjüngster Zeit Ferrarini°), dessen Arbeit mir leider nur im Referat bekannt geworden ist, das Gebiet betreten. Er immobilisierte eine der hinteren Extremitäten für eine Zeit bis zu drei Monaten und fand dann, dass in dem ruhig gehaltenen Glied das Wasser um 0,7 °/o zugenommen hatte. Dieser Zuwachs an Wasser war nicht proportional zur Dauer der Immobili- sation erfolgt, sondern hatte sehr schnell eine gewisse Grenze er- reicht, welehe dann konstant beibehalten wurde. Die Versuche sind kompliziert durch ein infolge der Einwickelung der Extremität ent- standenes Ödem, so dass, obwohl die Salze der Muskeln progressiv ab- nahmen, die Abänderung der chemischen Zusammensetzung nicht als einwandfrei erwiesen gelten kann; um so mehr dies, als Ferrariui selbst die beobachteten Veränderungen später *) einem der Ermüdung analogen Zustande zugeschrieben hat. Der Versuch Ferrarinis erinnert an eine Angabe von Zuntz und Hagemann’), nach der diese Autoren bei Pferden, die durch entsprechende Befestigung an ausgiebigen Bewegungen der Extremitäten gehindert wurden, eine Wasseraufstauung von S kg, die an einem Tage bei wieder freier Bewegung schwand, beobachteten. Auch bei Krankheiten, welehe zur Körperkonsumption führen und also den Kranken zur Ruhe zwingen, ist Zunahme des Wasser- l) Vgl. auch die neueren Erfahrungen von J. Bence (Die Verteilung des Stickstoffes im hypertrophischen Herzmuskel. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 66 Ss. 441453. 1908. 2) Siegert, Grouven’s Vorträge über Agrikulturchemie, 3. Aufl., S. 347. 1872. 3) G. Ferrarini, Sopra la composizione chimica dei muscoli degli arti sottopasti ad immobilizzazione. Nota 12 Contenuto in acqua e in sali. Studie ricerche sperimentali. Ref. (Ascoli) Biochem. Centralbl. Bd. 5 S. 544. 1906. 4) G. Ferrarini, Etudes et recherches experimentales sur la physio- patbologie des muscles des membres soumis ä l’'immobilisation. Arch. ital. de Biol. t. 46 p. 83—%. 1906. — Ferner Archivio di Ortopedia. t. 22 p. 507. 1905. Ref. Biophys. Zentralbl. Bd. 2 S. 329. 1906. 5) Zuntz und Hagemann, Untersuchungen über den Stoffwechsel les Pferdes. Berlin 1898 404 Heinrich Gerhartz: gehaltes der willkürlichen Muskulatur beobachtet worden (v. Hoess- lin!), v. Moraczewski°)). Trotz der zahlreichen Untersuchungen tritt also eine grosse Unsieherheit darüber, in welcher Richtung die Modifikationen des Chemismus, namentlich des Wassergehaltes, infolge der Arbeitsleistung sich bewegen, zutage. Um Aufschluss zu erhalten, unternahm Rogozinski?’) auf An- regung von Zuntz, durch dessen Studien am marschierenden Sol- daten und in den Alpen diese Frage akut geworden war, direkte diesbezügliche Untersuchungen, welche sich auf die Organe, ins- besondere die Muskeln, sowie das Blut erstreckten und an Tieren, welche auf der Tretbahn genau dosierte Arbeit leisteten, vorgenommen wurden. Die Arbeit Rogozinski’s hat eine Reihe wichtiger Tat- sachen bekannt gegeben und insbesondere wahrscheinlich gemacht, dass lange fortgesetzte Arbeit zu einer Verarmung der Muskelsubstanz an Wasser führt, das Blut aber, weder was seine physikalische, noch seine chemische Zusammensetzung angeht, verändert wird. Rogozinski hatte aber selbst „wegen der erheblichen, durch Individualität, Alter und Rasse bedingten Schwankungen der Organ- gewichte und auch des Wassergehaltes der Organe“ weitere Unter- suchungen für erforderlich gehalten. Bezüglich verwandter Fracen war durch Rogozinski’s Untersuchungen so viel erreicht worden, dass es als sicher gelten konnte, dass eine erneute Unter- suchung, welche den durch diese Arbeit aufgedeckten grossen individuellen und Rassendifferenzen zwischen den zum Vergleich herangezogenen Tieren Rechnung trug, wichtigeres Material zur Lösung der aufgeworfenen Fragen bringen würde. Namentlich gilt dies hinsichtlich der Arbeitshypertrophie der Organe; auch schienen genügend Anhaltspunkte gewonnen, eine auf Rechnung der Arbeits- leistung von manchen Autoren gesetzte Depression der Fettverdauung des arbeitenden Tieres von der Hand zu weisen. Ich bin deshalb 1) v. Hoesslin, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 33 S. 600. 1883. 2) W.v. Moraczewski, Die Mineralbestandteile‘der menschlichen Organe. Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 23 S. 483—496. 1897. 3) N. Zuntz, Über die Einwirkung der Muskelarbeit auf die Organe des Tierkörpers, nach Versuchen von Dr. F.Rogozinski, aus Krakau. Sitzungber. d. Berl. physiol. Gesellsch. vom 11. Mai 1906. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1906 Supplbd. 8. 432. — F. Rogozinski, Über den Einfluss der Muskelarbeit auf Gewicht, Zusammensetzung und Wassergehalt der Organe des Tierkörpers. Biochem. Zeitschr. Bd. 1 S. 207. 1906. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 405 sern der Aufforderung des Herrn Geh.-Rat Prof. Zuntz, dem ich die praktische Einführung in das Gebiet der Physiologie des Stoff- wechsels und viele Ratschläge verdanke, gefolgt, die Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf Gewicht, Zusammensetzung und insbesondere den Wassergehalt der Organe wieder aufzugreifen. - Ich spreche Herrn Geh.-Rat Zuntz auch an dieser Stelle den ge- bührenden herzlichsten Dank aus. Auch den Herren Kollegen im Laboratorium bin ich für ihre freundliche Unterstützung bei den Versucher zu Dank verpflichtet. - Mittlerweile sind, während ich mit diesen Untersuchungen be- schäftiet war, von anderer Seite Beiträge geliefert worden. Soweit sie direkt die Dinge, welche in Untersuchung stehen, betreffen, kommen sie weiter unten zur Sprache. Die übrigen haben haupt- sächlich die Erkenntnis von den grossen individuellen Schwankungen, welche die Menge des in den Organen vorhandenen Wassers erleidet, mit neuen Belegen gestützt und durch den Widerstreit, der in ihren Resultaten liegt, auf Fehler der Technik und Versuchsanlage hin- gewiesen, deren Vermeidung sehr im Interesse der Gewinnung klarer Ergebnisse lag. Nicht zuletzt haben auch sie dazu angeregt, den Umfang der Aufgabe immer mehr zu erweitern. Dies gilt namentlich für die Bilanzversuche am lebenden Tier, die immer mehr in den Kreis der Untersuchung einbezogen wurden. Für dieses Vorgehen war die Auffassung maassgebend, dass diese indirekte Methode, den Stoffwechsel der Muskeln kennen zu lernen, sowohl über den Umfang als die Art des Verbrauchs von Körpersubstanz wertvollen Aufehluss zu geben gestattet und somit die direkte Untersuchung aufklärend ergänzt. l. Teil. Das Verhalten des Lebendgewichtes und des Stoffwechsels bei der Arbeit. Bereits früher wurde angeführt, dass Lebendgewichtsbestimmungen bekannt wurden, welche nur die Deutung zuliessen, dass es während langdauernder Arbeitsleistung zu einer Wasserverarmung des Organis- mus gekommen war. Um weiteres Material in dieser Hinsicht zu gewinnen, wurde das Verhalten der Körpergewichte sowohl heran- wachsender wie erwachsener Hunde einesteils in der Ruhe, anderen- teils unter dem Einflusse einer gemessenen Arbeitsleistung verglichen. l. Versuche am wachsenden Tier. Um zu untersuchen, welche Gestalt die Körpergewichtskurve noch in der Entwicklung begriffener Tiere infolge intensiver Arbeit Heinrich Gerhartz: 406 annimmt, wurden vier Terriers von demselben Wurf untersucht. Über diese sind in. einer früheren Arbeit!) nähere Mitteilungen gemacht worden; ich verweise deshalb auf die dortigen Angaben. Die zur Tretbahnarbeit erzogenen Hunde arbeiteten nicht von der gleichen Zeit an, sondern der „Arbeitshund“ des ersten, völlig sleichen Paares vom 24. September 1906 (28. Lebenswoche), der arbeitende Hund des zweiten, etwas differierenden Paares („Schwarzer Arbeitshund“) vom 21. Oktober desselbeu Jahres (32. Lebenswoche) an. Es sind für unsere Fragestellung also nur die Lebendgewichte von diesen Daten an verwertbar. Die Tiere erhielten stofflich gleiches Futter, Eiweiss und Mineralstoffe in genügender Menge; die Energiezufuhr für Erhaltung und Zuwachs war für jedes Tier identisch, und zur Bestreitung des der Arbeit äquivalenten Energie- betrages wurde eine in der früher!) angegebenen Weise berechnete Zulage von Fett gegeben. Die vier Tiere empfingen also Nahrungs- mengen, welche bei allen in gleicher Weise dem Bedarf angepasst waren. Tabelle 3. Vergleich der Lebendgewichte der Ruhe- und Arbeitstiere. Körpergewicht (Mittel jeder Woche) Lebenswoche Ruhehund |Arbeitshund Weiblichker | Schwarzer 18 Ruhehund Arbeitshund 30. (2. Hälfte) 6868 6820 5252 4636 (Rune) ah 7039 7020 5152 4567 (Ruhe) a 7104 6952 5090 4456 [33.2)] [7000] [7022] [5003] [4460] Tägliches mittleres Gewichtsintervall(= Anfangsgewicht — Endgewicht:: 7 Lebenswoche : Ruhehund |Arbeitshund Weiblicher Schwarzer I. 1. Ruhehund Arbeitshund l | 30. (2. Hälfte) + 32,5 + 400 |. — 123,5 + 12,5 (Ruhe) 31 + 83 — 383 | u) + 3,3 (Ruhe) 32 + 45,0 — 25,0 | — 11,7 — 25,0 [33.3] [110,07 982.0] | [2 18600] [— 140] 1)H. Gerhartz, Zur Physiologie des Wachstums. Biochem. Zeitschr. Bd. 12 Ss. 97—118. 1908. 2) Es macht sich am Schlusse der 33. Woche der Einfluss der Staupe seltend. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc, 407 Tabelle 4. Vergleich der Lebendgewichtsänderungen der Ruhe- und Arbeitshunde, Ruhehund Arbeits | Weiblicher | „chwarzer 16 un ‚ Ruhehund Zuuslue: II. hund 8 8 g g Anfangsgewicht (Anfang | F der 30. Woche). . . . 6700 6750 5070) 4600 }) Endgewicht (Ende der | San Wioche) ara. 6950 | 6850 53702) 4650?) Absolute Differenz . . . + 250 | + 100 + 300 + 50 Differenz in °o des Anfangsgewichts . Ba 1,5 9,9 1,1 Aus den durch tägliche morgendliche Wägung gewonnenen Körper- gewichtswerten habe ich Mittelzahlen für je eine Woche berechnet, da solche zur Beurteilung genügen und die Übersicht erleichtern (Tab. 3). Die Unterschiede sind nicht sehr deutlich; und da alle Hunde ihr Gewicht nur um einen minimalen Betrag (vgl. Tab. 4) verändert haben, dürfen sie kaum nach der einen oder anderen Seite hin ge- deutet werden. Will man auf sie Wert legen, so können sie aller- dings nur im Sinne einer Gewichtsabnahme der Arbeits- tiere ausgelegt werden (Kurve I). Nach vielfältigen Erfahrungen ist an Eiweissverluste bei der Arbeit hier nicht zu denken; die Ausnutzung der gereichten Nährstoffe (vgl. später) war in keiner Weise verschlechtert; es kann sich also nur um Verluste von Glykogen, Fett oder Wasser gehandelt haben. Zur Erklärung der Differenzen kommt zuerst die Wahrscheinlichkeit in Betracht, dass Glykogen ge- schwunden ist und dafür die äquivalente Menge Fett angesetzt wurde. Da etwa 9 g wasserhaltiges Glykogen 1 g Fett kalorisch äquivalent sind, würde hierdurch ein Teil des Gewichtsverlustes erklärt werden. Wollen wir aber nicht ganz unwahrscheinliche Annahmen über den vorher vorhandenen Glykogengehalt machen, so kommt wohl eine direkte Verarmung der Gewebe an Wasser in Betracht, die allerdings nur gering sein kann. 1) Gewicht zu Anfang der 32. Lebenswoche, d. i. bei Beginn der Arbeits- ‚leistung des schwarzen Arbeitshundes. 2) Mitte der 33. Lebenswoche (30. Oktober 1906), d. h. vor dem durch Krankheit bedingten Gewichtssturz. JA IeuL 9Amy U9PuUayaı -9q d9p Aoyum purs sSOyonsIpAsSunzmusny uopuajjeF PDOMSUIgIT "gg pun °zg 9Ip ur JJ punysprmqgay"unag sop ade] SI "Wuydıezoq yaqıy pun oyny uw zmy pums pangspoqıy pun -oyquyf 'sjany uaqjessop opuny] uasunl Adora ap aAmySIg9ImeD1sdıog] °T PAıny 008 009 osB 008 000 008 008 005 008 008 St ZIL :usınoL D 79) — 17) 9 Eu) :adeinz 7 >. „U agay ">, ‘ amqıyı 8 - =. ”>-—r =—- un, punysyagsy 3221emyag S2--..-..- 027 = __ - - Since N +. - = punyayny ala - {eb} & En >) .- - = ER =) S orarepsien (00'9) zpewuysS 57/9 zpewuyas HELL :adeynzsyıagsy 0049 D0TE OOTE DOTE 007E 007€ DOZE 002€ DOTE MSEc 007E ShTE 00ZE ThZE 007E 007€ O0ZE 007C — 007E OOZE 00TE 009 EL9L 009% — 009, dag DSL LED n y 1 ”» > Janspsgiy we Jumzynusny punysyragqsy es punyayny [6,0] (ce) Fi Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 409 2. Versuche am erwachsenen Tier. Ausser an den besprochenen jungen Tieren wurden die Gewichts- änderungen an erwachsenen Hunden während Ruhe- und Arbeitsperioden beobachtet. Es wurden dazu Tiere benutzt, an denen durch Ampu- tation eines Beines Material für die chemische Untersuchung von Muskeln, die durch die Arbeit alteriert waren, gewonnen wurde. Diese Hunde sind deshalb im folgenden kurz als Amputationshund I und II bezeichnet. Amputationshund I war ein schöngewachsener Foxterrier von ca. 9 kg Gewicht. Bei diesem Tier musste natürlich, um ver- schiedene Lebensperioden vergleichen zu können, dahin gestrebt werden, das einmal erreichte Gewicht konstant zu erhalten. Durch Tastversuche wurde also zu Beginn der Versuchsreihe diejenige Menge Nahrung bestimmt, welche dazu ausreichte. Es stellte sich dabei heraus, dass Bruttowert Nutzwert !) 320 g Pferdefleisch — ca. 4S Cal. —= 313,6 Cal. + 35 g Schweineschmalz — 32:5,9,.0312 311,51. Cal: insgesamt 11354Gal: — 625,1.0al: d. s. 93,2 Roheal. bzw. 75,3 Nutzeal. pro Kilogramm Körpergewicht (im Mittel 8300 g) und Tag, genügten; denn wie Tab. 5 lehrt, blieb das Lebendgewicht 8270 &, das am 12. Juni mit 774 Cal. erreicht war, sechs Tage hindurch kurz vor dem Beginn der Arbeitsleistung konstant (vgl. auch Kurve II). Dieser Energiewert stellt also auch für die nun folgende Arbeitszeit den Erhaltungsbedarf dar. Dem für die Arbeit benötigten Mehr an Energie wurde durch eine Schmalz- zulage, die in der früher angegebenen Weise berechnet worden war, Genüge getan. Sie musste natürlich mit wechselndem Gewicht des Tieres variieren. Da sie aber tags vorher bzw. für einige Tage im voraus berechnet worden war, deckte sich nieht das berechnete mit dem zugeführten Äquivalent. Ich habe deshalb in Tab. 5 die pro Tag der Theorie nach für die Arbeit erforderlich gewesene Energie- menge angegeben. Aus diesen Zahlen folgt, dass in Wirklichkeit die Arbeitszeit hindurch der Erhaltungsbedarf nicht erreicht worden war. Im ganzen machte diese Differenz zwischen zugeführter Gesamt- 1) Siehe bezüglich der Nutzwertberechnung meine Arbeit: Zur Physiologie des Wachstums. Biochem. Zeitschr. Bd. 12 S. 101—106. 1908. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 27 6 SIT #16 ‘op or LSE 0008 0088 SEGEL 6 997 FI6 ee. ‘op 07 L8E GI6L 0188 I z A9IISAIBUB DIU ß r 6I 991 F16 | sono a } or ıSE 0008 0538 z 6 991 r16 089 Sam or L8E 0008 01.38 0 6 991 FI6 089 es or 188 0008 0658 u Kr 6l F91 r16 089 GH or 188 0008 0 0958 SUCHE a rLL = = PL g°E7 LOL i6 08 = 0658 ng © FLL =: = 1208 g'ErF LOL Gg 05% =- 0L28 Sr c S PL = = PLL ger LOL Sl 423 orr TS g] F = 00F8 2 m) 128 Ko TI 08 000% 0088 en Col GL 91 84 0008 0088 Re, @r% FE Fl E= 0008 05P8 ee), r16 059 GL 0F = 0598 275) r16 059 Go 12 000F 058 SR 916 0.59 GT or 0008 | 01.78 SET, eh arr &T] 18 0008 00P8 BR: rI6 0.59 EII OF 0008 | O1P8 2120 »16 09 EEE 2 _ | 0488 mp '[ r16 0% CIE 0r. 0008 0688 tunf °06 a7 * (yuwnsaq SundopnT op A0A pun Sunystorspraqgiy uvgqjeyq Aap yaeu opana dIMasıdıoy SEA) °f sopunysuomeyndwy u9)19119do pun uapuspogae SOp PAımySIpImaSıdıoy II Army N — - Ss B= - © & Ä L>} „m = oO =) 8 'ı— q © 5 jan 5 E 5 [47 “(aynyg ) yansıaA - sdunzinusny 2229 4 IIALE ELESENOR EIG BL SIE E9 TE IST HT ETEe TS EZ EOE ob 28h 412 u 4 s ht Ki) u bh 0sı (3) ayaımadsadıoyg © (13) 3 [7 Ef -@taqıy) yansıa A -sdunzinusny 00. 3 000m DOOR ons — OODh OHR DODs DOOR — O8 DDP HIGL ooos O0DR anos 0os ving NR? uaıno,, ul Jungsıa[staguy a Ts I a IE a Er ER zT m oe Tr 17 97 52 9 ME2.°9061 Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 413 energie und Arbeitsäquivalent, d. h. also die nach Abzug des Arbeits- äquivalentes für die Erhaltung disponible Energiemenge in 22 Tagen 19509 Calorien, — 2317 Calorien, 16 692 Calorien, also pro Tag 759 Calorien aus. Der Erhaltungsbedarf war also nicht erreicht worden, sondern es blieb ein Defizit von 15 Calorien pro Tag. Da es sich wohl nur um Fettverluste gehandelt haben kann, würde sich hieraus ein Verlust von 1,7 & pro Tag berechnen. In der Tat bestand aber eine geringe Zunahme an Gewicht; denn in der ersten Arbeitswoche war das mittlere Gewicht 8344 g (18.—24. Juni einschliesslich), in der letzten Woche (3.—9. Juli einschliess- lich) 8419 g. Es muss also der aus dem Energieverbrauch berechnete Verlust durch einen entsprechenden Ansatz, wahrscheinlich von Eiweisssubstanz, verdeckt worden sein. Für einen Wasser- verlust durch die Arbeit haben sich also in diesem Versuch keine Anhaltspunkte ergeben. Bei der vorausgegangenen Berechnung sind Standard - Brutto- energiewerte zugrunde gelegt. Die Zahlen für Stiekstoff und Äther- extrakt sind durch direkte Analysierung des Pferdefleisches gewonnen. Nur für die Zusammensetzung des Schmalzes wurden von Koenig!) angegebene Zahlen benutzt. Die Analysen des verfütterten Fleisches hatten die in Tab. 6 (siehe S. 414) zusammengestellten Werte er- geben. Ich mache noch darauf aufmerksam, dass bei dem operierten und ruhenden Tier (nach dem 10. Juli 1906), wie sich an den Zahlen zwischen dem 23. Juli und 30. Juli erkennen lässt (Tab. 5 und Kurve II), pro Kilogramm Körpergewicht eine gleiche Energiemenge, wie vor der Operation, zur Erhaltung des Gewichtes erforderlich war. Der zweite Amputationshund, ein weiblicher, 12,15 kg schwerer und 2 Jahre alter Pudel, bot ein günstigeres Objekt zum Studium dar. Nicht nur gelang es hier, den Harn unter allen Kautelen aufzufangen, sondern es war auch möglich, eine Reihe naheliegender Untersuchungen anzuknüpfen, welche unsere Kennt- nisse von dem Einfluss der Arbeitsleistung auf den Stoffumsatz 1) J. Koenig, Chemie der menschlichen Nahrungs- und Genussmittel Bd. 1 S. 38. 1903: Wasser 0,7%; Rohprotein 0,26%; Fett 99,04%. Ähnliche Werte habe ich selbst in späteren Analysen von Schmalz derselben Herkunft gefunden. 414 Heinrich Gerhartz: Tabelle 6. Zusammensetzung des dem Amputationshund I verfütterten Pferdefleisches. %/o der fett- x °/o der frischen Sub- °/o der Trocken- freien Stickstoff z stanz substanz Trocken- | in %oder substanz | fett- und <=) Datum = asche- u = [= ! X | eb} u 5 "& [eb) ı {eb} freien = = $ S$ | = FH | ee 38 3 & 3 Eh: = Trocken- 23 5 an | Be * = Rz = x | & 2? = substanz rl 6.22. Juni No les ee 8 N einschhexslich [2620 [3,831 12,78 |1,15 | 12,62 10,61 4,40 114,13 14,91 | 14,86 II 123. Juni bis9. Juli | 26,97 | 2,96 |6,04 1,21 |10,96 22,41 4,48] 14,14 5,78] 15,01 10.—31.Juli | 29,92 |3,46 |6,74 |0,93 | 11,57 | 22,53 3,09 | 14,93 | 4,01| 15,55 1.—7. August | 28,77 3,37 | 6,37 — [11,71 |22,14 | — [15,04| — _- Mittel:). . . . | 27,965] 3,275 |5,483 | 1,097 [11,7 |19,6 |3,9 |14,6 |4,9 | 15,3 Ihre Besprechung soll gleich hier erfolgen, da sie Teil erst die notwendigen Anhaltspunkte für der Wassergehaltsschwankungen des arbeitenden fördern sollte. zum grössten die Diskussion Tieres gibt. Die Hündin kam am 8. März 1907 in meinen Besitz und wurde gleich zur Arbeitsleistung, die sie ohne Schwieriekeit und An- gewöhnung zu vollziehen vermochte, herangezogen; es wurde also in diesem Falle nicht erst, wie beim Amputationshund I, ein Aus- nutzungsversuch eingeschoben. Die Versuchsruhezeit war demnach hier allein die Zeit nach der Amputation. Nach fünf Tagen lief das Tier schon vortrefflieh 4000 Touren auf der 28,52°/o zur Ebene geneigten Tretbahn (1 Tour Weg von 65,16 em. — Vgl. im übrigen meine frühere Arbeit S. 99—101 1. e. S. 406 Anm. 1); es konnte deshalb alsbald die Tourenzahl auf S000 Touren (= 5220 m Weg und 1480 m Steigung) gesteigert werden (2 Abschnitte). Obwohl so das Tier an grössere Arbeit gewöhnt war, wurden ihm doch während des Bilanzversuchs nur 6000 Touren täglich, aller- dings ohne Unterbrechung, zugemutet. Nur an den Tagen des Höhe- punktes der „Brunst“ wurde die Arbeit sichtlich schwer getragen; es wurden deshalb Pausen eingelest. Das Futter erhielt die Hündin gleich nach der Arbeitsleistung. Als Grundration wurden zur Zeit der Ruhe (vom 5. April 1907 an) 350 g Pferdefleisch und 44,8 g Schweineschmalz gegeben; es wurde 1) Siehe Aschenanalyse S. 437. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 415 also auch in diesem Versuch mit den einfachsten Kostmitteln ge- arbeitet. Dies hat den Vorteil, dass der Stoffumsatz bequemer zu übersehen ist. In der gereichten Ration war das Eiweiss so reich- lich bemessen, dass ein unter dem Einfluss der Arbeitsleistung ein- setzender vermehrter Eiweisszerfall nicht zu befürchten war, im Gegenteil angenommen werden konnte, dass die gereichte Zulage von Fett die Kraftleistung bestreiten würde. Ich erinnere auch an die Versuche von Pettenkofer und Voit, Rubner und Magnus- Levy!), aus denen hervorgeht, dass die Zugabe von 30—150 g Fett fast keine Mehrzersetzung von Fett bei für den Unterhalt des Stoffwechsels genügend grosser Eiweisszufuhr bewirkt. Auch bei dem arbeitenden Tier lag die gereichte Fettmenge innerhalb der genannten Amplitude, denn in der Regel genügten 66,2 g Schmalz; nur am 31. März wurden, der grösseren Arbeitsleistung entsprechend, 67,3 g Schweineschmalz gegeben; am 4. April wurden 56,9, am 5. April 47,6 g Fett dem Fleisch beigelest. Die Methodik der Analysierung war die gleiche, wie sie bei den früheren Untersuchungen geübt worden war. Die Trocken- substanz wurde im Wassertrockenschrank bei etwa S0° C. ermittelt. Der Stickstoff wurde nach Kjeldahl’s Verfahren in den Modifika- tionen von Wilfarth und Neuberg?) bestimmt. Das „Äther- extrakt“ („Fett“) wurde so gewonnen, dass erst 24 Stunden mit wasserfreiem Äther, dann mit salzsaurem Alkohol behandelt, digeriert, getrocknet und nochmals ein Tag mit Äther extrahiert wurde. Alle angegebenen Analysenzahlen sind doppelt, oft dreifach kontrolliert. Im Sehweineschmalz wurde, was nicht Wasser und Stickstoffsubstanz, die bestimmt wurden, war, als Fett gerechnet. Die Analysierung des Fleisches war an der lufttrockenen Substanz vorgenommen worden. Infolge eines unglückliehen Zufalles war deren Wassergehalt nicht genau genug bestimmt worden, infolgedessen ist die exakte Aufrechnung der in der Trockensubstanz gefundenen Werte auf frische Substanz un- möglich geworden. Da während der Ruhe wie bei der Arbeit Fleisch von derselben Mischung benutzt wurde, und nur im Fettgehalt be- 1) M. v. Pettenkofer und C. Voit, Über die Zersetzungsvorgänge im Tierkörper bei Fütterung mit Fleisch und Fett. Zeitschr. f. Biol. Bd. 9 8.1. 1873. M. Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. Leipzig 1902. — A. Magnus-Levy, Pflüger’s Arch. Bd.55 S.1. 1893. 2) Wilfarth, Zeitschr. f. analyt. Chem. Bd. 22 S. 336. — C. Neuberg, Hofmeister’s Beitr. Bd. 2 S. 214-215. 1902. 416 Heinrich Gerhartz: kannte Differenzen obwalteten, bleiben die Ausscheidungen vergleich- bar. Ich habe doch dort, wo es wünschenswert war, als Zufuhr den Wert eingesetzt,. der auf Grund vielfacher früherer Analysierungen und der noch benutzbaren Anhaltspunkte, welehe die Analysen des gereiehten Fleisches boten, die grösste Wahrscheinlichkeit für sich hat. Natürlich will ich diese Werte nur unter diesem Vorbehalt geben. In den Tabellen, in denen übrigens durch das Missgeschick nichts wesentliches unsicher wird, sind die betreffenden Zahlen dureh Einklammerung kenntlich gemacht. Nach der Darreiehung des Futters erhielt die Hündin ein Liter Wasser vorgesetzt; der stets nachher noch vorhandene Rest wurde im Messzylinder bestimmt. Der Harn wurde täglich kurz vor der Arbeitsleistung durch Katheterisieren abgegrenzt. Er wurde in einen Messzylinder entleert und das spezifische Gewicht nach der Abkühlung auf 15° ©. bestimmt. Durch vielfache Blasenspülung wurden die letzten Spuren des Harns noch gewonnen. Zum Schluss wurde die Blase mit 1°/oiger Bor- säurelösung gespült. Die Auffüllung des Harns geschah im Mess- kolben in der Regel auf zwei Liter. In dem gut durchgemischten Harn wurde der Stickstoff sogleich bestimmt, der übrige Harn, durch Thymol und nach einiger Zeit durch Salzsäure konserviert, von drei zu drei Tagen zusammengebracht und in diesem Mischharn der Phosphorsäuregehalt durch Säuregemischveraschung nach Neumann’s Verfahren !) festgestellt. Die übrigen Aschenbestandteile wurden an einem der ganzen Periode entsprechenden Durchschnittsharn be- stimmt. In den letzten Tagen der Versuche wurde auch in der Zwischen- zeit. zwischen den Katheterentleerungen Harn in den Stoffwechsel- käfıg gelassen. Das Gefäss, in welches dieser Harn abfloss, war stets reichlich mit Thymol beschiekt. War der Harn während der Nacht gelassen worden, so wurde erst stets bei dem morgens um 9V/a Uhr vorgenommenen Katheterisieren der Käfig gründlich mit destilliertem Wasser gespült. Dieses Spülwasser wurde, nachdem die Harnmenge (s. 0.) bestimmt war, zu dem Tagesharn zugefügt. Während der „Brunst“ des Tieres wurde ab und zu etwas blut- haltiges Sekret auf die Tretbahn gelassen. Dieses wurde mit einer Pipette möglichst vollständig aufgesogen; es wurde dann noch mehr- 1) A. Neumann, Arch. f. (Anat.. u.) Phys. 1900 S. 159. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 417 mals mit destilliertem Wasser nachgespült, in ein Leinentuch ein- gesogen und die gesamte gewonnene Flüssigkeit zum Harn gebracht. Obwohl die Hündin vor dem Beginn des Versuchs geschoren war, gingen doch zahlreiche Haare in das Käfigspülwasser hinein. Von diesen wurde abfiltriert und das Filter gut gewaschen; in den gesammelten restierenden Haaren und Epithelgebilden wurde am Schluss des Versuchs der Stickstoff bestimmt. Der typische Fleischkot wurde immer gleich bei der Entleerung aufgefangen und in tarierter Schale gewogen. Von jeder Portion wurde eine gewogene Menge in einem grossen Wägeglas nach dem Vorgange von Zuntz (l.c. S. 399 Anm. 1) mit 1%oigem Salzsäure- Alkohol beschickt und, gut gemengt und verschlossen, im Exsikkator aufbewahrt. Der Rest wurde bei einer Temperatur unter 60° C. im Vakuum getrocknet, lufttrocken zerkleinert, pulverisiert und so zur Ätherextraktion, Wassergehaltsbestimmung, Aschenanalyse und kalori- metrischen Untersuchung weiter verwendet; der Stickstoff dagegen wurde in der mit Salzsäure versetzten und so vor etwaigen Stickstoff- verlusten sicher geschützten Kotpartie bestimmt. Das Aufsammeln des Harns war am zweiten Tage nach der Operation, also einige Tage nach Abschluss des Ausnutzungsversuchs, dadurch verhindert worden, dass sich infolge einer Darmerkrankung des Hundes diarrhöischer Kot beimischte. Es gelang, durch Ersatz des bis dahin gereichten Pferdefleisches durch 250 g Rindfleisch, 57 g Schweineschmalz und 20 g Plasmon (pro Tag) die Darmstörung schnell zu beheben, so dass alsbald wieder zum alten Futter zurück- gekehrt und die Abgrenzung für den Ruheversuch am 14. April (am sechsten Tage nach dem Beginn der Erkrankung) ohne Risiko gegeben werden konnte. Auch später erkrankte der Darm nicht wieder. Für die Beurteilung der Lebendgewichtsveränderungen bietet der Verfolg der Wasseraufnahme und der Harnmengen bei konstantem Futter und ziemlicher Konstanz der Temperaturverhältnisse wertvolle Unterlagen, da diese die einzigen erheblich schwankenden Grössen sind, welche das Gewicht wesentlich beeinflussen. Über die Wasseraufnahme orientieren am besten Tab. 7 und S und Kurve Ill. Ich erwähne hier nur, dass dort, wo grössere Gewichtsschwankungen vorhanden sind, auch erheblichere Differenzen in der Menge des auf- genommenen Wassers beobachtet wurden. Nach der Amputation 418 Heinrich Gerhartz: (5. April 1907) wurde einige Zeit hindurch täglich mehr Wasser auf- genommen, als es in der Arbeitsperiode geschehen war. Weder die Körpertemperatur, noch die Temperatur des Aufenthaltsraumes des Tieres war in dieser Zeit erhöht über die Werte der vorhergehenden Epoche. Tabelle 7. Tägliche Wasseraufnahme und Harnmenge beim ruhenden Amputations- hund II. | Spezifisches | Lebend- Datum Trinkwasser Harnmenge Gewicht Eiche 1907 | des Harms | ® ccm ccm | g | g 15.—16. April 95 | 380 1,032 10 670 16.—17. „ 170 346 | 1,036 10 740 Mean, 99 290 | 1,040 10 770 18.—19. „ 205 295 1,027 10 870 19.—20. „ 49 | 200 1,041 10 870 20 —21. „ 150 233 1,035 10 920 21.—22. , 260 254 1,039 11050 22.—28. „ 250 | 282 1,038 11.030 23.—24. „ 170 363 1,058: 122.-11:080 24.—25. ,„ 100 265 | 1,0407 2229220 Mittel | 157,8 Are = Tabelle 8. Tägliche Wasseraufnahme und Harnmenge beim arbeitenden Amputations- hund II. | | Spezifisches | Tebend- Datum Trinkwasser Harnmenge Gewicht eh a gewicht 1907 | des Harns ccm ccm | g | g 20.—21. März Saul 220 | 2 201,350 21.—22. ,„ 190 | 430 1,032 11 300 22.—23. ,„ 280 | 384 15.1.0520 11 300 23.—24. ,„ 2) | 295 1,0425 11 230 24.—25. „ 365 | 325 1,03: | 113830 23.—2%. „ 400 | 298 _ 11 300 26.—27. „ 175 | 275 1,040 1.7:.11°280 27.—28. „ 325 | 343 | 1,034 11 260 28.—29. „ 350 | 438 1,024 11 250 29.—30. , 305 340 1,0315 11 260 30.—31l. „ 360 | 317 1,028 11 320 31. März bis 1. April 320 236 I... 1,0375 11370 1.—2. April 210 | 242 1,039 ' 11400 2.—3. „ 215 | 220 1.0375 11 400 3.—4. „ i 292 | 305 1,031 | ..11410 Mittel 326 1,03 | — Untersuchungen über den Einfluss“ der Muskelarbeit auf die Organe etc. 419 Ruheversuch. IRRE RI xx NS \ N \ \ "uone1ado St II ii Arbeits - Ausnutzungs- Versuch Kurve 3, das Lebendgewicht und die Wasseraufnahme des II. Amputationshundes illustrierend. 3 3 = = 3 63 S S F o 2 E3 = o 2 oO = = o Z S Ss = o & S = < S P3 < Ss o S = Ss < F 3 = o = S = = F 8 EI © 2 S = 3 Ss = Ss = S 1 = o 5 = o 3 e = = e e E3 Fr = o 3 2 = 2 e S 3 = 6 = o = £ 3 SE = = - = o 2 a ES S o 4 S = Pr 3 = E 3 E = o 2 En = o 2 S = 3 = r Ss 2 = o S = = 2 = 2 2 En 2 = o 2 2 = - 2 u o 2 P3 = e Ss z = e zZ 5 n Fe o 3 = a e | ws. 16.0. 20 4 2 3. 23% 20.82 30. Mm 2 3.4 56089 10. mM. 12.13. 14. 15. 16.17. 18.19. 20. M. 22. 23. 24, 25 aa << Körper- gewicht. (g.) aysımadıadıoy 2Se2g:22009200900o ! ssusr nn anesS 420 Heinrich Gerhartz: Die Harnmenge, die während der Arbeit ausgeschieden wurde, war grösser als die, welche das ruhende Tier eutleerte. Im ersteren Falle betrug sie. im Mittel pro Tag 326 eem, während der Ruhe dagesen nur 291 cem. Diese Beobachtung, ferner das niedrige spezifische Gewicht des Harns (1034 während der Muskelarbeit gegen- über einem Ruhewert von 1056) entsprechen durchaus den Angaben, welche sich in der Zuntz-Schumburg’schen Physiologie des Marsches (l. e., S. 147) über diese Verhältnisse finden. Wird die Menge der im Verlaufe von 24 Stunden abgesonderten festen Stoffe des Harns mit dem Häser’schen Koeffizienten an- senähert berechnet, so bringen meine Zahlen eine Vermehrung der festen Substanzen in dem während der Arbeits- leistung abgeschiedenen Harn zum Ausdruck, da so für den Ruheharn im Mittel pro Tag 23,5 g, für den Arbeitsharn 25,8 g feste Bestandteile gefunden werden. Da bei der Arbeit etwas mehr Natrium ausgeschieden wurde (0,53 & Na,0 gegenüber 0,47 g pro Tag bei der Ruhe), dürfte hauptsächlich das die Dichte des Harns wegen seines hohen spezifischen Gewichtes besonders modifizierende Chlornatrium an der Vermehrung der Ausscheidung fester Stoffe beteiligt sein. Ein solches Parallelgehen der Salzausfuhr mit der Diurese, wie es hier der Fall ist, ist auch unter anderen Um- ständen vielfach beobachtet worden. So haben schon die Versuche von O. Loewi!) dargetan, dass infolge Hinderung der Rück- resorption der gelösten Salze mit dem Ansteigen der Diurese die Troekensubstanzmenge sowie die Chloridausfuhr bedeutend gesteigert werden. Experimente von Dreser und Galeotti?) bezeugen das gleiche. Dies eilt aber nur für hohen Wassergehalt des Körpers. Bei Wassermangel wirken ja z. B. die Diuretika, die sich sonst der Arbeit analog verhalten, nicht. Es ist also anzunehmen, dass, wenn die Arbeitsleistung schon einige Zeit angedauert hat und kein neues Wasser im Überschuss zugegeben wird, die von Zuntz und später auch von anderen und hier von mir beobachtete Steigerung der 1) 0. Loewi, Untersuchungen zur Physiologie und Pharmakologie der Nierenfunktion. Arch f. exp. Path. und Pharm. Bd. 48 S. 410. 1902. 2) H. Dreser, Über das 1,3 - Dimethylxanthin und seine diuretische Wirkung beim gesunden Menschen. Pflüger’s Archiv Bd. 120 S.1. 1904. — G. Galeotti, Über die Arbeit, welche die Nieren leisten, um den osmotischen Druck des Blutes auszugleichen. Arch. f. (Anat. u.) Phys. 1902 S. 200. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 421 Diurese bei der Arbeit versiegt. Um zu erfahren, wie die tatsäch- lichen Verhältnisse liegen, habe ich für je eine Hälfte der Arbeits- periode Wasseraufnahme, Harnmenge und spezifisches Gewicht ge- sondert pro Tag berechnet und die erhaltenen Zahlen in der Tab. 9 zusammengestellt. Man sieht, dass die Diurese in der zweiten Periode der Arbeit stark abgefallen ist, wobei die Aufnahme von Wasser sogar etwas höher als früher liegt. Die Fixa sind von 8°/o des Harngewichts auf 7,4°/o heruntergegangen. Es verhält sich also wie bei der durch Trinken von grossen Wasser- mengen hervorgerufenen Steigerung der Diurese; die gesteigerte Ausfuhr der Fixa hält eben nur so lange an, als noch dem Körper entziehbare Salze da sind. Tabelle 9. Mittlere tägliche Wasseraufnahme und Harnmenge beim arbeitenden Amputationshund II. Trink- Harn- | Spez. ee Harn- wasser menge Gewicht scher Ko-| wasser des Harns effizient) cem ccm g g | | © I. Periode (21.—27. März 1907 einschl.) II. Periode (28. März bis 3. April 1907 einschl.) - 268 1 349.(362 9) 1036,,5|92.,292,°°| .,.333 6) co 6) & 1 \ J | | | 293 |300(810 8) | 1032 | | Ehe ich näher auf die Bilanz eingehe, erwähne ich über das Verhalten der Kotausscheidung, dass in der Arbeitsbilanzzeit 191 &, während das Tier ruhte 146 g frischer Kot im ganzen ent- leert wurder. Das macht im Durchschnitt pro Tag für das arbeitende Tier 12,7, für das ruhende 14,6 g frischen Kot. Es ist also in der Arbeitszeit weniger Kot entleert worden. In dieser Zeit kamen 7 Kotentleerungen auf 15 Tage, also alle 2 Tage eine; bei der Ruhe 5 auf 10 Tage, also dieselbe Zahl der Entleerungen. Ein Einfluss der Arbeit auf die Peristaltik des übrigens während der Arbeit stets nüchternen Tieres, der sich z. B. in Pfiüger’s!) Versuchen ergeben hatte, trat hier also nicht zutage. 1) E. Pflüger, Über Fleisch- und Fettmästung. Pflüger’s Arch. Bd. 52 Ss; 15. 189. 422 Heinrich Gerhartz: Auch die Untersuchung der Nährstoffausnutzung hat keine Unterschiede ergeben, welche das arbeitende vom ruhenden Tier in dieser Hinsicht genügend charakterisieren würden. Die Ergebnisse stehen also in Einklang mit dem Resultat der sorgfältigen Unter- suchungen von Rosenberg'). In diesen war ja sogar während der Magen- wie während der Darmverdauung geleistete anstrengende Arbeit nicht imstande gewesen, die Ausnutzung abzuändern. Haben doch auch die Untersuchungen von Atwater, von Zuntz und seinen Mitarbeitern bei der Höhenexpedition, von Heinsheimer?) niehts ergeben, was die alte Anschauung von der Schädigung der Verdauungsenergie des Darmes bei Muskelarbeit stützen könnte (vgl. bezüglich der Daten Tab. 10 und 11). Tabelle 10. Ausnutzungsversuch am ruhenden Amputationshund IH. Trocken- = | : re Atherextrakt Stickstoff 8 | g g 38 | Pferdelleisch are kn en. | (943,1) | (101,7) | (117,0) Schweineschmalz . . - ..... 448,0 447,8 | 0,2 Sa. (1391,1) | (5295) | =dins) Ausscheidung im Kot ... . . . 69,1 12,0 | AN Alsor ausgenutzte an. 1322,0 | 537,9 112,6 Prozentsatz der Ausnutzung. . . 95 %/o | 9300 | 56 9/0 Tabelle 11. Ausnutzungsversuch am arbeitenden Amputationshund II. I Ei Ätherextrakt | Stickstoff Er : Bars Pferdefleisch er 2 u | (1414,7) | (152,6) | (175,9) Schweineschmalz =. 2%... 974,1 | 973,3 | 0,8 Sa. (238889) | (1259) | (176) Ausscheidung im Kot . . . . . 80,95 | 1152) 7,9 Also ausgenutzt® .ı.. „u. 22.3. (2307,9) | (1114,4) (168,2) Prozentsatz der Ausnutzung 37 0/0 | 99 %/0 | 35 %/o 1) S. Rosenberg, Über den Einfluss körperlicher Anstrengung auf die Ausnützung der Nahrung. Pflüger’s Arch. Bd. 52 S. 401—415. 189. 2) F.Heinsheimer, Experimentelle Untersuchungen über die Resorptions- kraft des Darmes bei Überernährung und Muskelarbeit. Med. Klin. Bd. 4 Ss. 1915—1917. 1908. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 423 Immerhin kann in meinen Zahlen für die chemische Zusammen- setzung des Kotes eine Bestätigung der Pflüger’schen An- gabe, dass der Kot des arbeitenden Tieres (weniger Trockensubstanz und) mehr Stickstoff enthält, gesehen werden. Bezüglich des Fettes ist der Befund weniger sicher. Ich habe aus den vier Versuchen an Hund A Pflüger’s Mittelwerte berechnet und sie in Tab. 19 (S. 433) der Zusammensetzung des Arbeitskotes gegenübergestellt. An dieser Stelle möchte ich noch einfügen, was ich über die Ausnutzung bei einem wachsenden arbeitenden Hund und beim Amputationshund I bei Ruhe und Arbeit erfahren habe. Bei dem ersteren wurde das Fleisch morgens nach der Arbeits- leistung gereicht, der Milchreis am Nachmittag gegeben. Beim Amputationshund I wurde dagegen anders verfahren. Er erhielt morgens um 11 Uhr, nachdem er die Hälfte der zu leistenden Tret- bahnarbeit hinter sich hatte, das ganze Futter (Pferdefleisch und Schmalz), wurde dann aber am Nachmittage, 6—7 Stunden nach der Fütterung, zur Absolvierung der zweiten Hälfte der Arbeit heran- geholt. Es fiel also auch diese zweite Hälfte der Arbeitsleistung nicht in das Maximum der Verdauung'). Es wurde Wert darauf gelest, dass die Kotbildung irgendwie nachweisbar beeinflussende Nährstoffe in den beiden zu vergleichenden Perioden der Ruhe und der Arbeit in genau der gleichen Menge und Form gereicht wurden. Die Zulage von Fett beeinflusst die Kotbildung bekanntlich äusserst wenig. Für den kleinen Arbeitshund II fehlt ein Vereleichs- ausnutzungsversuch in der Ruhe. Ich gebe aber dennoch die Zahlen hier wieder, weil sie zeigen, dass die Stickstoffausnutzung bei diesem arbeitenden Tier immerhin so hoch lag wie bei dem Amputations- hund I in der Ruhe und höher als z. B. bei den beiden Hunden Rogozinskis (l. ec. S. 404 S. 226 [Arbeit 94,97 Yo, Ruhe 94,16 °/) N-Ausnutzung)]). 1) Nach den Angaben von E. Zunz (Contribution & l’etude de la digestion de la viande crue et de la viande cuite, chez le chien. Mem. cour. et autr. mem. publ. par l’Acad. roy. de med. de Belg. t. 19 fasc. 3 p. 36. 1906) ist beim Hunde nach 14 Stunden die gastrische Verdauung von 400 g Pferdefleisch noch nicht beendet. Sie ist aber im Anfang reger als späterhin; jedenfalls ist das Maximum aber 6—7 Stunden nach der Fütterung überschritten. 424 Heinrich Gerhartz: Die Versuchsperiode dauerte sieben Tage: Hleisch =. 722 025 512267 0%N he | Milch Be RB Eu ne Reismehl: .) *.) „22.1 3:19:87, | Schmalz... 2 Km OLE zusammen. sen... 584.0 Ausfuhr im Kot: 2,8gN Dißerenz 22027 99:0. 28% Prozentsatz der Ausnutzung also 9,2 lo. Am Amputationshund I wurden drei Ausnutzungsversuche angestellt. Alle dauerten längere Zeit; die beiden Ruherversuche — der eine vor, der andere nach der Amputation — 8 bzw. 22, der Arbeitsversuch 8 Tage. Die Analysenzahlen sind bereits oben (vel. Tab. 6) mitgeteilt worden. Der Kot wurde wiederum mit Kieselsäure abgegrenzt. Über die erhaltenen Mengen und die Zusammensetzung orientiert Tab. 12. Hiernach gestaltete sich die Ausnutzung in der Weise, wie Tab. 13, 14 und 15 sie wiedergeben. Wie insbesondere der Vergleich der in der Tab. 16 zusammengestellten Ergebnisse aller Ausnutzungs- versuche an der Hündin lehrt, haben wesentliche Unter- schiede zwischen den beiden Perioden der Ruhe und Arbeit nicht bestanden. Tabelle 12. Zusammensetzung des Kotes in den Ausnutzungsversuchen am Amputations- hund 1. Prozent der frischen Substanz Kot- B s Trocken- | Ather- tick- : ae substanz | extrakt stoff g Yo 0/0 0/0 Ruheausnutzungsversuch I 99: I (10.18. Juni. 1906.) } 225 2 u al Ruhe’ausnutzungsversuch I : r | (14. Juli bis 1: August 1906.) ' 479 27,4 3,4 “= Arbeitsausnutzungsversuch. ° c DER (1.14, Juli 1906.) } 1 a = a Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 425 Tabelle 13. I. Ausnutzungsversuch am ruhenden Amputationshund I. Trocken- Äther- ? : substanz extrakt Stickstoff 8 8 8 Pferdefleisch (2560 g) 9.—16. Juni 1906 | einschliessich@r gr aaa 670,7 71,2 84,7 Schweineschmalz (280 8). . . .... 278,0 Dill 0,7 Sa. 948,7 348,5 85,4 Ausscheidung InSKOtEmENTE N. ea 66,0 6,0 4,6 INISOBSAUSCenUtze ge ae. ee, 882,81) | 342,5 80,8 Prozentsatz der Ausnutzung... . . 93,0 %/o 98,0 %/o 94,6 %/o Tabelle 14. lI. Ausnutzungsversuch am ruhenden Amputationshund 1. Trocken- Äther- Di substanz extrakt Stickstoff g 8 8 Pferdefleisch (9570 g) (10.—31. Juli 1906 einschliesslich) A son rear. 2863,83 645,0 331,1 Schweineschmalz (330 9) . ..... 327,7 326,8 0,9 Sa. 3191,0 971,8 332,0 Ausscheidune@imsRote 2 2.23. 131,2 16,4 11,0 INISOg- ausgenutzt: ser zune n. 3059,8 955,4 320,9 Prozentsatz der Ausnutzung . . . . . %6,0 9/0 98,3 %/o 96,7 0 Tabelle 15. Ausnutzungsversuch am arbeitenden Amputationshund I. Trocken- Äther- £ substanz extrakt Stickstoff g 8 g Pferdefleisch (3370 g) 30. Juni bis 9. Juli 19062einschliesslich)e sauna 2a 1043,6 233,9 114,4 Schweineschmalz (343 8) . . .... 340,6 339,7 0, Sa. 1384,2 573,6 115,3 AusscheidungkimaKotk see 49,4 5,0 4,2 NISoWrausgenutzterss er cur 1334,7 568,1 111,0 Prozentsatz der Ausnutzung . . .. . 96,4 0/0 99,0 9/0 96,3 9/0 1) Aus den Originalanalysenzahlen aufgerechnet. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd, 133. 28 426 Heinrich Gerhartz: Tabelle 16. Ergebnisse der Ausnutzungsversuche am Amputationshund TI. Trocken- Äther- a 5 substanz extrakt ticksto 0/0 %/o 0/0 Ruheausnutzungsversuch I. . ... ... 93 95 95 Ruheausnutzungsversuch I . . . ... 96 98 97 99 96 Arbeitsausnutzungsversuch. . . . . . 96 Was aber die Zersetzung von Eiweiss angeht, so ist eine Differenz allerdings da (vgl. Tab. 17 und 18); denn einem mittleren Ruheharn-Stickstoffwert von-10,11 & N pro Tag steht ein Arbeitswert von 9,95 g Harnstickstoff gegenüber. Ist dieser Unter- schied auch gering, so ist er doch bedeutungsvoll, weil die Ruhe- periode sich an die Amputation anschliesst, d. h. einer Zeit angehört in der prozentual weniger tätiges Körpermaterial zersetzt wurde. Es ist ferner zu erwägen, dass dem Ruheversuch eine Periode abnorm gesteigerten Eiweisszerfalles voranging. An den beiden der Operation folgenden Tagen stieg der Harnstiekstoff von dem Periodenmittel von 9,958 N auf 10,46 g N am ersten und 12,25 g N am zweiten Tage nach der Amputation. Während der folgenden Tage dürfte der Stick- Tabelle 17. Stickstoffausscheidung während der Ruhe beim Amputationshund II. Stickstoffin Harn- | Kot- | Eridermie, Datum stick- stick Peace Ins- 1907 Ran Ho a Ag gesamt Bemerkungen g g g 8 ey 14.—15. April 11,40 — — —_ 15.—16. „ 11,91 0,47 0,04 12,42 16.—17. , 9,85 0,47 0,04 10,36 17.—18. , 9,19 0,47 0,04 9,70 13.—19. „ 9,12 0,47 0,04 9,63 19.—20. „ 9,81 0,47 0,04 10,32 19. April Brunst! 20.—2l. „ 9,75 0,47. 0,04 10,26 21.—22. ,„ 10,56 0,47 0,04 11,07 22.—23. ,„ 10,17 0,47 0,04 10,68 23.—24. , 9,78 | 0,47 0,04 10,29 25. April Blutverlust 25. , 11,00 | 047. | o04 | ars \ Supra uen Mittel der Periode (15.—25. April) 11011 | 047 | 004 | 10,8 | Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 427 stoffverlust noch grösser gewesen sein, da Durchfall bestand. Zudem war ja am neunten und zehnten Tage nach der Amputation die Bilanz bei einer Stickstoffausscheidung von 11,40 bzw. 11,91 g pro Tag noch leicht negativ. Dieser dem Ruheversuch vorangegangene nicht unerhebliche Stiekstoffverlust des Körpers lässt den an sich geringen Mehrzerfall in der Ruheperiode als guten Beweis für die Förderung des Stickstoffansatzes durch die Arbeit erscheinen. Tabelle 18. Stickstoffausscheidung während der Arbeit beim Amputationshund II. Harn- | Kot- Tpitemis, a Datum stick- | stick- |gebilden un im Käfig- amt B kung 1907 stoff stoff leer Eye Be g g g g 14.—15. März 10,70 — = — 19.—20. „ 10,96 _ — — 20.—21. , 10,82 0,52 0,06 11,40 21.—22. „ 10,55 0,52 0,13 11,20 22.—23. „ 11,49 0,52 0,13 12,14 | 22.März. Beginn d. Brunst 23.—24. „ 10,50 0,52 0,13 11,15 | 24.u.25. März. Verlust von 24.—25. „ 9,11 0,52 0,13 9,76 Blut durch die Vulva 25.—26. „ 10,14 0,52 0,13 10,79 26.—27. „ 9,81 0,52 0,13 10,47 | 26. März. Verlust von Blut 27.—28. „ 10,04 0,52 0,13 10,69 durch die Vulva 28.—29. , 10,23 0,52 0,13 10,89 29.—30. „ 9,16 0,52 0,13 9,82 30.—3l. „ 840 | 0,52 0,13 9,06 31. März bis 1. April | 10,13 0,52 0,13 10,79 | 31.März. Verlust von Blut 1.—2. April 10,17 0,52 0,13 10,33 durch die Vulva 2.—8. ,„ 9,34 0,52 0,13 10,00 Ro 9,38 0,52 0,13 10,04 4.—5. ,„ 10,46 — | — — GE 12,25 a Mittel d. Versuchsperiode vom 20, Märzbis4. April | 9,95 0,52 0,125 | 10,59 In den mitgeteilten Stickstoffausscheidungswerten fallen einige Unregelmässigkeiten auf. Analysenfehlern ist nieht schuld zu geben, da diese Zahlen mehrfach kontrolliert sind. Worauf sie beruhen, ist schwer zu sagen. Zum Teil bestehen Beziehungen zum Eintreten der „Brunst“. In die Arbeitsperiode fiel ihr Beginn am 22. März 1907. Die Hündin verlor sowohl an diesem Tage, wie am 24., 25., 26. und 31. März Blut aus der Vulva. Die Arbeit wurde in diesen Tagen, obwohl sie die Hündin jetzt sichtlich angriff, nicht unter- brochen. Dieser Periode geht ein Absinken der Stickstoffausscheidung 28 * 428 Heinrich Gerhartz: parallel. In den nächsten, auf die ersten Verluste folgenden Tagen stieg die Stickstoffmenge wieder etwas an, um dann, als — wahr- scheinlich infolge des unhygienischen Arbeitsvollzugs — die Blutung rezidivierte, wieder zu sinkeu. In die Ruheversuchszeit fiel dieselbe Komplikation am 19. April. Hier sank die Ausscheidungsgrösse des Stickstoffs ebenfalls, stieg aber bald trotz weiteren Fortbestandes der Brunst wieder leicht an. Während der Arbeit machte anfänglich der Phosphorsäure- gehalt der Exkrete die Stiekstoffschwankungen mit, fiel aber dann, auch als der Stickstoff wieder anwuchs, weiter ab. In der Ruhezeit stieg der Phosphorsäuregehalt in den Ausscheidungen lang- sam an. (Über die Ursache des Anstiees vel. S. 447). Es erscheint deshalb nicht statthaft, aus meinen Versuchen auf einen Einfluss der Brunst auf die P;O,-Ausfuhr zu schliessen '). Es lässt sieh aus den Daten nur das entnehmen, dass die Stickstoffausfuhr während der Brunst etwas niedrigere Werte annahm. Das stimmt ja auch mit den Ergebnissen der Untersuchungen anderer Autoren, insbesondere von Schrader und Schöndorff über die Menstruation ?) überein. Die Beobachtung steht allerdings in Wider- spruch mit den Feststellungen Hagemann’s?), der eine Mehr- zersetzung von Eiweiss während der Brunst konstatierte. Da aber in diesen Fällen die Brunstperiode durch die Begattung und erste Schwangerschaft kompliziert war, sind die Daten Hagemann’s mit den unserigen nicht vergleichbar. Um über die Quantität der Sekretion einigen Aufschluss zu gewinnen, habe ich am 22. und 23. April (Ruhe) eine Spülung von Uterus und Vagina vorgenommen. Die für den Stickstoff er- haltenen Zahlen sind so gering (0,013 bzw. 0,008 g N), dass sie zeigen, dass der Blutverlust als solcher gänz- lich vernachlässigt werden kann, und dass es sichhier nur um allgemeine Wirkungen der Brunst auf den Stoffumsatz handeln kann. I) Schrader, Untersuchung über den Stoffwechsel während der Men- struation. Zeitschr. f. klin. Medizin Bd. 25 S. 72. 1894. — G. Hoppe-Seyler, Brodersen u. Rudolph), Über den Blutverlust bei der Menstruation. Zeit- schrift f. physiol. Chem. Bd. 42 S. 545. 1904. 2) Schöndorff, Über den Einfluss der Schilddrüse auf den Stoffwechsel. Pflüger’s Arch. Bd. 67 8. 395. 1897. 8) 0. Hagemann, Beitrag zur Kenntnis des Eiweissumsatzes im tierischen Organismus. Diss. Erlangen 1891. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 429 Der Berechnung des Energieumsatzessind beim Amputations- hund II direkte Bestimmungen der Verbrennungswärme der Ein- und Ausgaben zugrunde gelegt worden. Sie gelten für die Ruhe- periode vom 15. bis 24. April 1907 einschliesslich und für die Arbeitszeit vom 20. März bis 3. April einschliesslich, umfassen also einen Zeitraum von 10 bzw. 15 Tagen. In der Ruhezeit (nach der Amputation) erhielt die Hündin täglich 350 g Pferdefleisch. Die kalorimetrische Untersuchung ergab pro 1 g Trockensubstanz im Mittel 5320,6 eal.; für Schmalz!) wurde pro 1 g ein mittlerer Brennwert von 9300,4 cal. gefunden. In 94,3 g Fleisch- trockensubstanz täglich sind also 501,8 Cal. gereicht worden. Hinzu kommen’ 416,7 Cal. in Schmalz. Die gesamte Aufnahme machte also pro Tag 918,5 Cal. aus. Von diesem Werte kommen in Abzug die in Harn und Kot abgegebenen Energiemengen. Zur Bestimmung des Brennwertes wurde der Harn (Mischharn von je 3 Tagen) in Zelluloseblöckechen im Vakuum eingesogen und nach sründlichem Auswischen des Schälehens in der von Kroeker verbesserten Mahler’schen Bombe verbrannt. Bei der Ver- brennung der Blöckchen bediente ich mich mit Vorteil der Praxis, den Draht mit einer feinen Nadel durch das Blöckchen zu ziehen. Ich kann diese Methode auf Grund meiner Erfahrungen nur emp- fehlen, da hierdurch Fehlbestimmungen, die auf mangelhaftem Kontakt beruhen, nicht mehr vorkommen können. Die Kontrolle am Stiek- stoffgehalt von beschickten Blöckchen garantierte die Richtigkeit der erhaltenen Verbrennungswerte. Die Berechnung geschah nach der Stohmann’schen Formel ?) unter Berücksichtigung der Verbrennungs- wärme des verwendeten Eisendrahtes und der entstandenen Salpeter- säure. Die Angabe von Fries?), dass die Mengen des eingelassenen käuflichen Sauerstoffs Differenzen in den Resultaten bedingen, konnte ich für unsere Verhältnisse nicht bestätigen. Mit der besprochenen Methodik wurden für den Ruheharn im Mittel mehrerer völlig übereinstimmender Verbrennungswerte 697,1 Cal. — 69,7 Cal. pro Tag gefunden. 1) Das Schmalz wurde in Zelluloseblöckchen aufgesogen verbrannt. 2) Stohmann, Kleber u. Langbein, Methodik der Verbrennung usw. Journ. f. prakt. Chemie N. F. Bd. 39 S. 502. 1889. 3) J. A. Fries, Investigations in the use of the bomb calorimeter. U. S. Dep. of Agricult. 1907 Nr. 9. S. A. 430 Heinrich Gerhartz: Mit dem Kot wurden in derselben Periode 387,4 Cal. — 38,74 Cal. pro Tag abgegeben. Die Tagesbilanz stellt sich also für das ruhende Tier folgendermaassen dar: Zuführ 2% ......018,5 Cal: (Rleisch = 501,8:6313 Schmalz —= 416,7 Cal.) Verlust . .:.. : 108,4 Cal. Differenz. . . 810,1 Cal. Für die Arbeitszeit gelten folgende Zahlen: Abgabe im Harn = 1026,3 Cal..— 68,4 Cal. pro Tag, 5 Kot. — .404,0.°,,. —-.30;9 so dass also nur der Brennwert des Kotes von dem Ruhewert abwich. Die Gesamtausfuhr betrug 1490,53 Cal., d. s. pro Tag also 99,3 Cal. Da die Zufuhr 1118,4 Cal. (501,3 Cal. im Fleisch, 616,6 Cal. im Schmalz) ausmachte, ist hier die Rechnung für die Tagesbilanz: 1118,4 Cal. — 99,3 Cal. = 1019,1 Cal. Hiernach stellt sieh der Verlust bei der Ruhe zu 12°o, bei der Arbeit der Hündin zu 9°%o heraus, so dass der physiologische Nutzeffekt bei der Arbeit (91°o) grösser war alsin der Ruhe (880). Dieser Unterschied ist aber nicht als ein spezifischer zwischen Ruhe und Arbeit anzusehen, vielmehr beruht erim wesentlichen darauf, dass bei der Arbeit ein grösserer Prozentanteil des Energie- verbrauchs durch das zu 98—99°/o verwertbare Fett, bei der Ruhe durch das nur zu 70,5— 72,9 °/o verwertbare Eiweiss bestritten wurde. Zu der gleichen Schlussfolgerung wie die Bilanzrechnung führt die Ableitung des Nutzwertes des gereichten Fleisches. „ ” ” A. Ruhe. Täglich wurden 94,3 « Fleischtrockensubstanz ge- reicht. Diese enthielt 10,17. g „Fett“ und 11,70 g Stickstoff... Da das Fleisch pro 1 g 5320,6 cal. lieferte, beträgt der Brennwert der Tagesportion 501,77 Cal. Rechnen wir hiervon den Brennwert des Fettes mit 10,17 -9,5 = 96,61 Cal. ab, so bleiben 501,77 Cal. — 96,61 Cal. — 405,16 Cal. täglich für das verabreichte Fleisch. Nach den früheren Analysen (Tab. 6) kommen auf 100 g fett- freie Fleischtrockensubstanz im Mittel ca. 4,9 & Asche. Der Abzug beträgt also für Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 43] 94,3 g Fleisch — 10,2 gsFett.= 84,1 g fettfreies Fleisch 4,12 & Asche; d. h. 80,0 g fett- und aschefreies Trockenfleisch lieferten 405,16 Cal. Es entspricht also 1 g fett- und aschefreie Fleischtrockensubstanz 5064,5. eal. In 94,3 g trockenem Fleisch waren 11,7 g Stickstoff. 94,3 8 Trockensubstanz entsprechen 80 g fett- und aschefreiem Trockenfleisch. Auf 1 g N kommen also 6,838 g fett- und aschefreie Fleisch- trockensubstanz, die 34,64 Cal. Energiewert besitzen. Pro Tag, wurden 10,62 g N (Tab. 17) ausgeschieden. Demnach betrug die Verbrennungswärme des täglich umgesetzten Eiweisses | 10,62- 34,64 = 367,88 Cal. Nutzbar waren davon 367,88 Kal. — 108,44 (Harn- und Koteal.) 259,44 Cal.; d. s. 70,52% der Energiezufuhr. Der Nutzwert pro 1g N derFleischzufuhr ist hier- nach 24,43 Calorien. B. Arbeit. Da die Fleischzufuhr die gleiche war, gilt hier ebenfalls für die Zufuhr die obenstehende Rechnung. ' Im übrigen kommt noch folgendes in Betracht. Die Ausfuhr von Stickstoff betrug täglich (Tab. 18) 10,59. & N. Von der Verbrennungswärme des täglich. umgesetzten Fleisches — 366,84 Cal. waren nutzbar: 366,84 - — 99,30 (Harn- und Kotcalorien) . 267,54 Cal. unter. Ansatz von 30,9 Kotealorien pro Tag. - Die Energieverwertung bemisstsich also zu 72,93 Jo. Der Nutzwert pro-1 g N ist, da 10,59: g N umgesetzt wurden und 267,54 Nutzealorien in Betracht kommen, — 25,26 Cal. Der gegebene Kraftvorrat war also während der Arbeit besser verwertet worden). Bei Pflüger’s Ver- suchen wurde in der Arbeit mehr durch den Kot verloren, bei mir in der Ruhe. | | | 1) Nach Pflüger: Ruhe. .1gN des Fleisches 26,76 Cal. (1. c.Bd. 31 8. 78). Aubleit«1 „7.0. :, 5 25,98 .-, 432 Heinrich Gerhartz: 1 g fett- und aschefreie Fleischsubstanz (trocken) lieferte bei der Ruhe 5064,5 70,52 ESTER an! Cal. bei der Arbeit il — 3,09 Cal., im letzteren Falle also für 1 g: 3,69 — 9,97 0,12 Cal. mehr. Im Mittel der Frentzel-Schreuer’schen Ruheversuche (Abh. ID!) lag der Nutzwert für 1 g fett- und aschefreie Fleischtrockensubstanz bei reiner Fleischfütterung bei 4,22 Cal. (Nutzwert von 76,07 °/o), also nicht unerheblich über meinen Zahlen. Auf 117,3 & N-Zufuhr kamen bei meinem Hunde in der Ruhe 4,7 & N im Kot, also 4%; Frentzel und Schreuer fanden nur 2°/o; es war bei meinem Hunde also doppelt so viel Stickstoff im Kot verloren worden als in den erwähnten Versuchen. Die schlechtere Nutzung des zugeführten Eiweisses, die in meinem Ver- such beobachtet wurde, erklärt sich also aus der schlechteren Auf- nahme im Darm. Zur besseren Veranschaulichung der besprochenen Verhältnisse stelle ich die Analysen des Fleischkotes dieser Versuchsreihen mit den Angaben, welche von Pflüger (s. o.), Frentzel und Schreuer?), Prausnitz®) und Rubner*) darüber vorliegen, tabellarisch zusammen (Tab. 19). Wie man sieht, besitzt der Kot meines Versuchs durchaus die Charakteristika des gut verdauten Fleischkotes. Wir können deshalb mit Recht in den oben diskutierten Versuchsresultaten einen wünschenswerten Beitrag zur Frage des Nutzwertes des Fleisches sehen. Aus diesem Grunde habe ich hier auch noch die Zahlen, die am Amputationshund I gewonnen wurden, in der Tabelle beigefügt. 1) J. Frentzel u. M. Schreuer, Der Nutzwert des Fleisches. Arch. f. (Anat. u.) Phys. 1902 S. 297—306. (Abh. III) 2) J. Frentzel u. M. Schreuer, Die Zusammensetzung und der Energie- wert des Fleischkotes. Arch. f. (Anat. u.) Phys. 1903 S. 460—479. (Abh. IV.) 3) W. Prausnitz, Die chemische Zusammensetzung des Kotes bei ver- schiedenartiger Ernährung. Zeitschr. f. Biol. Bd. 35 S. 335— 8354. 1897. 4) M. Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. S. 34. Leipzig 1902. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 433 — 60°FI = E91 = als = = ZNUUSNEIT YOU JONYDSTOHTLUNON > sc Hl = 80'123 = rel = = yasuam N ots _ 128 = vor — ei) = -- png Zi LITO® 60'33 _ IPTI — ee) — _ I 304 91958 7361 _ SEE =, > SE — . v 904 SUSE BEDUN ß ls EE I | ei to | 2 ee OnsIo [924u9A1 J yoeu 0 LLes 8181 16 01 I6 fo) | 1I u 30 YYOSTOHTLUNION g'Igag 1872 = La El = 969 = _ I yonsıaoA — = = &E (170) Sal (09T) ara yonspoquy |] (4 | 1 [3 Ä [3 u h) -h = — (1:70) 107 | (69 D art ygegg | TFT = LO'LI 80'9 100 | 96€ re Tue 39'cE JONSNoqLy rt ‘ ‘ | N fi ‘ an S ‚nd — 9PEL &cr 0°'21 are BL | 28% ase 1 yoyoyny 12 ana == or<ı 3:7 016 192 16:9. | 60:8 88'623 yoyoyuyy 16.1814 — — 6T FI 20°9 su6 | er 12243 JoNSNOqIy || (IT pungsuoreynd gE‘6098 = >= RAN eilkee L1'9 6T’E gLır yoyayny j -uy)zyıeyaon He be ll a TE 2 re EEE ZuvIsqns zueJsqns ZUrISqnS ZUVISANS ZUPJSANS zuvJsqunsS zurjsqns -U9MIOL], U9UISLIF -U9NI0ALL, UOYISLIF -UOYIOLT, | UALISLIF -UOMIOAJ, "p 3U9ZOAJ | "pP YU9ZOLT | ‘pP Ju9zoag | "p 4u9zoA1g | 'P 4u9ZzoA1g | "p 4U9ZOAII Ei 37024 ea I 3: | I0aL aydsY PIEIIXAIOUFY HYOISP>UYS a e,]|]m,m uw nn. _ (zyrusneag pun dougny ‘ton9ayag pun [9z4u9.ıA *aosngz d U0A usgesuy pun u9SunyansIoJuN) U9U9FI9 YOBU) SOJOYLISTILT SOp Sunzpsupwwesnz "GT S1I9q®L 434 Heinrich Gerhartz: Aus schon oben erwähnten Daten lässt sich für 1 g Kot-N beim Amputationshund II in der Arbeitszeit ein Brennwert von 59,0 Cal., für die Ruhezeit ein solcher von 82,9 Cal. berechnen. Die Zahlen sind wegen des wechselnden Fettgehaltes des Kotes schlecht vergleichbar. Ich führe deshalb für den fettfreien Kot die Rechnung durch: I. Ruhe. Pro Tag wurden im Kot ausgeschieden: 6,9 g Trockenkot mit 1,2 g Ätherextrakt 0,47 g Stickstoff, also 5,70 g fettfreie, aber aschehaltige Trockensubstanz. Insgesamt kam den 14,64 g täglichen frischen Kotes ein Brennwert von 38,74 Cal. zu. Wir rechnen also für 5,70 g fettfreien Kot: 38,74 Cal. — 11,46 „ (Fetteal.) 27,28 Cal., wenn wir mit Frentzel und Schreuer!) den Brennwert des Kotfettes zu 9,55 Cal. pro 1 g annehmen. 1 g dieses Kotes entsprechen nun 0,08 g N und auf der anderen Seite 4,79 Cal. Das gibt pro I g N in der fettfreien Kotsubstanz 59,9 Cal. | : II. Arbeit. Hier wurden täglich ausgeschieden: 5,40 g Trockenkot mit 0,77 g Ätherextrakt 0,52 g Stickstoff, d. s. 4,63 g fettfreie, aschehaltige Trockensubstanz. Der Brennwert der täglich ausgeführten Kotmenge (12,72 g frischer Kot) betrug 30,93 Cal. 0,77 g „Fett“ = 7,35 Cal. Es bleiben also für den fettfreien Kot. (4,63 g) 30,93 Cal. | —:7,85 „5 23,58: Cal. Da nun auf 1 g fettfreien trocknen Kot 0,11 g N kommen, 1 g dieses Kotes aber 5,09 Cal. entspricht, so resultieren für 1.g N des fettfreien Kotes 45,35 Cal. Beide Zahlen, die das „Mittel“ 52,6 Cal. repräsentieren, har- monieren durchaus mit früheren Befunden, so z. B. mit denen von 1) 1. c. Abh. IV S. 470 (Stohmann 9,50 Cal. pro 1 g Neutralfett). Untersuchungen über den: Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 435 Zuntz und seinen Mitarbeitern. Von diesen werden in der Höhen- klimaarbeit Werte von 37,2 bis 71,1 Wärmeeinheiten pro Gramm N für fettfreien Kot genannt; das Mittel liegt also dort bei 53,35 Cal. Ich habe die Mittelwerte aus den Versuchen an je einer Versuchs- person berechnet und folgende recht naheliegende Zahlen erhalten: . Waldenburg 51,2; Kolmer 58,2; Caspari 55,9; Müller.58,2; Löwy 43,0; Zuntz 53,6 Cal. (Tab. IXa im Anhang der Höhenklima- arbeit 1. e.). Der früher von Frentzel und Schreuer (Abh.D)!) gefundene Mittelwert liest allerdings etwas niedriger. Diese Autoren nennen pro 1 g N im Mittel von 9 Bestimmungen 48,91 Cal. unter An- rechuungvon 9500 eal. pro 1 & Kotfett (tatsächlich für 1 g Kotfett 9793,75 eal: gefunden, so dass1& N im fettfreien Kot 48,24 Cal.entsprach). Pflüger rechnete pro 1g N des fettfreien Fleischkotes nur 28,2 Cal. Es ist noch von Interesse, für den Harn die viel untersuchte Calorien Stickstoff In der ganzen Arbeitsperiode kommen auf 14928 g N 1026,31 Cal., in der Ruheperiode auf 101,14 & N 697,01 Cal. Der ealorische Quotient ist also in beiden Fällen der- selbe, eleich 6,9. Er ist identisch mit dem von Frentzel und Schreuer (l.c. Abh. III. S. 300 und 304) für den Fleischharn an- gegebenen. Relation festzustellen. In Energiebilanz, Stickstoffbilanz, den Daten für die Wasser- aufnahme und Harnmengen sind die wichtigsten Unterlagen für eine Betrachtung des Wasserwechsels gegeben. Nach den Bestimmungen von Zuntz und Sehumburg (l. e.) entsprechen bei vorwiegender Fettverbrennung (wie hier) 4,686 eal.: 1 Liter Sauerstoff. Für den Hund berechnet sich nun auf 1 Liter Sauerstoff nach den von Porges und Pribram?) als Mittel von 25 Ruheversuchen angegebenen Zahlenwerten eine Lungenventilation von 21,2 Liter Atemluft; denn die Atemgrösse war pro Minute 1,35 Liter. Pro Minute wurden 63,6 eem OÖ, auf- 1) J. Frentzel u. M. Schreuer, Der Nutzwert des Fleisches. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901 S. 293 ff. (Abh. ]). 2) 0. Porges u. E. Pribram, Über den respiratorischen Stoffwechsel nach ermüdender Arbeit. Biochem. Zeitschr. Bd. 3 S. 463. 1907. 436 Heinrich Gerhartz: genommen. Hier entspricht also 1 Liter Sauerstoff 21,2 Liter Atemluft. Auf der Tretbahn betrug die Atemgrösse pro Minute 8,53 Liter. Pro Minute wurden (S. 469 der betr. Arbeit) 400 eem O, aufgenommen, so dass also 1 Liter O, — 21,32 Liter Lungenventilation. Bei ruhiger Atmung änderte sich der Wert für die Atemluft also nicht merklich. Wir können also annehmen, dass 1 Cal. ne — 4,54 Liter Venti- lation entspricht. Für die Ruhezeit kommen 810,1 Nutzcalorien in Betracht; diesen entsprechen 3677,85 Liter Atemluft. In der Arbeitszeit wurden pro Tag 1118,43 Cal. eingeführt ; 90,35 Cal. gingen in Harn und Kot verloren. Im Organismus 9,08 - 21,16 wurden also 1019,08 Cal. frei. Hiernach sind on ask 1,16 4623,5 1 Luft respiriert worden. Die in der Exspirationsluft ausgeführte Wassermenge betrug bei der gemessenen mittleren Körpertemperatur von 38,9° C. unter der Voraussetzung vollständiger Sättigung 54,2 mg pro Liter. In den 3677,85 Liter Atemluft der Ruheperiode (täglich) sind also 199,34 g Wasser ausgegeben worden. Die eingeatmete Luft enthielt im Mittel der Versuchsperiode im Liter 6,7 mg Wasserdampf. In 3677,85 Liter Atemluft wurden also 24,64 g Wasser aufgenommen. Daraus berechnet sich, dass 199,34 g — 24,64 g 174,70 g Wasser in der Atemluft von 24 Stunden der ruhenden Hündin entzogen wurden. Im ganzen haben wir also beim ruhenden Hund einen Total- verlust von 301,77 g Harn 14,64 g Kot 174,70 g Respirationswasser 49,11 &%). Da pro Tag 350,0 g Fleisch + 44,8 & Schmalz + 157,8 g Trink- wasser, im ganzen also 552,6 g aufgenommen wurden, stellt sich die Tagesbilanz so, dass eine Retention von 552,6 g — 491,1 g — 61,5 g sich ergibt. 1) Ausserdem Verlust durch das Überwiegen der CO,- Ausscheidung über die O,-Aufnahme, der aber nach meiner Berechnung hier nicht wesentlich in Betracht kommt. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 437 Das Anfangsgewicht war (am 15. April 1907) 10,640 kg, das Endgewicht (am 25. April, nach 10tägiger Zufuhr) 11,120 kg. Die mittlere tägliche Gewichtszunahme machte also 11,120 g — 10,640 & 480 8:10 = 48 g aus. Die detaillierte Berechnung ergab eine mittlere Tageszunahme von 61,5 g, was eine Differenz von 615 g — 48,0 ge 13,5 g ausmacht. Da es sich nur um eine Schätzungsberechnung handelte, ist das nicht zu ver- wundern. So z. B. ist schon die Harnmengenbestimmung keineswegs völlig exakt, da nur durch Spülen alle Harnreste aus der Blase ent- fernt werden können, die hier genannte Harnmenge aber den vor der Spülung erhaltenen Harn angibt. Die Detailzahlen sind also nun nach der Gewichtsbilanz zu korrigieren. Natürlich hat diese Korrektur da einzusetzen, wo direkte Bestimmungen fehlen. Am wahrscheinlichsten ist, dass der in der Exspiration erfolgte Wasser- verlust zu gross angegeben ist. Korrigieren wir diesen Wert mit der tatsächlichen Zunahme, so finden wir 174,7 — 13,3 161,2 g Exspirationswasser. — Mit diesen Zahlen lässt sich die Wasserbilanz ziehen. Die Hündin trank während der Ruhe täglich im Mittel 157,5 g Wasser. Ausser dieser Wassermenge stand dem Tier noch sowohl die in der Nahrung gegebene Flüssigkeitsmenge — im Fleisch 255,69 g Wasser — wie das bei der Verbrennung entstehende „Oxydationswasser“ zur Verfügung. Von der elementaren Zusammen- setzung eines Fleisches von 16,65 °/o N finden sich nach Zuntz (Höhenklimaarbeit S. 102) nach Abrechnung der organischen Bestandteile des Harns und Kotes von 100 g 4,40 g H wieder. Demnach sind für die 11,73 & N des Eiweisses der Ruheperiode 3,10 g H anzusetzen, d. s. 27,90 g aus der Verbrennung des Wasserstoffes hervorgehendes Wasser. 100 g Fett enthalten 11,9 &H. Da hier ohne Abzug gerechnet wird, kommen auf die 54,95 g Fett der Ruheperiode 6,54 g H, d. s. 58,85 g Oxydationswasser. In Summa haben wir es also mit 27,90 g + 58,85 8 86,75 g Oxydationswasser zu tun. AIR NR 438 Heinrich Gerhartz: Die gesamte Wasserzufuhr setzt sich also zusammen aus: 255,69 g in der Nahrung zugeführtem Wasser, 157,50 & Trinkwasser, 86.75 & Oxydationswasser, 500,24 & Wasser. Die Ausfuhr an Wasser addiert sich aus: 278,77 g Wasser im Harn, LANE: Kot, 174,70 g Überschuss des Exspirationswassers über das Inspirationswasser zu 461,21 g Wasserausfuhr. Die Bilanz ist also positiv mit 900,24 g — 461,21 g 39,03 g Wasser täglicher Retention. Zur Erklärung dieses Wassers haben wir uns zu erinnern, dass auch ein Stickstoftansatz stattgefunden hat (vgl. S. 426). Im Mittel der 10 Ruhetage haben wir gegenüber einer Resorption von 11,26 g N einen Verlust im Harn von 10,11, in den Epidermisgebilden (e. g. s.) von 0,04 gN, d. i. im ganzen von 10,15 g N, demnach einen täglichen Ansatz von 11,26 g — 10,15 g len In der Muskulatur des Hundes wurden am Ende der Ruhe- periode 74,38.°/o Wasser und 3,39 °/o Stickstoff gefunden. Daraus berechnen sich auf einen Ansatz von 1,11 g N: 24,35 g Wasser. Der Wert zeigt, dass das angesetzte Wasser sich aus dem Fleisch- ansatz zur Genüge erklärt. In der gleichen Weise lässt sich für das arbeitende Tier die Rechnung durchführen. Nehmen wir einmal an, dass die Lungenventilation des auf der Tretbahn arbeitenden Tieres der des ruhenden entsprochen habe. Dann sind in der Arbeitsperiode: pro Tag 4623,5 Liter Atemluft respirtert worden. Darin wurden 32,36 & H,;O aufgenommen. Da beim arbeitenden Hunde die Körpertemperatur wohl gut um 1° bis 2° GC. höher angenommen werden kann, wird es den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommen, wenn mit einer mittleren Körper- temperatur von 40° C., d. h. mit einer Dampfmenge von 54,86 mg pro Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 439 Liter gerechnet wird, so dass in 4623,5 Liter Respirationsluft 253,64 g Wasser abgegeben sein mögen. Vom Oxydationswasser treten aus dem verbrannten Fleisch- eiweiss (11,74 g N Zufuhr), wie. vorher, 27,90 g Wasser, aus dem zugeführten „Fett“ (75,05 g) 8,93 H = 80,35 g Wasser, zusammen also 27,90 8 + 80,38 & 108,25 & Wasser in die Berechnung ein. - Für die Gewichtsbilanz kommen also nach dem Gesagten folgende Daten in Betracht. Für die Aufnahme: 390 Fleisch, 66,3 g Schmalz, 279,6 g Trinkwasser, d. s. im ganzen 695,9 RR MR 0 e} Der tägliche Gesamtverlust machte aus: 359,0 g Harn, & 12,72 g Kot, 221,28 g Überschuss des Exspirationswassers über das Inspirationswasser, 873,0 8. Das Aufgenommene übertraf also um 695,9 g, — 575,0 8, 122,9.g die Ausfuhr. Nun betrug das mittlere Gewicht bei Beginn der Arbeitsperiode 11,350 kg, am Ende dieses Versuchs (4. April) 11,410 kg, war also konstant geblieben bzw. um 60 & angestiegen. Die Differenzen in der Wasserabgabe sind nur zu klar; denn der arbeitende Hund scheidet ja viel mehr Wasser durch seine Speicheldrüsen und infolge der foreierten, hachelnden Atmung, bei der oft der CO,-Gehalt der Exspirationsluft auf 1 %o und darunter herabgeht, aus. Für diese Spezialfunktion stehen, da das Körpergewicht nur um 60 g pro Periode = 4,0 g pro Tag zugenommen hat, : 122,9 g, — 40 8, 118,9 g an Wasser täglich zur Verfügung. -Die Wasserbilanz des arbeitenden Hundes ist hier- nach in folgender Weise zu formulieren: 440 Heinrich Gerhartz: 59 9,69 g Wasser im Fleisch, z 0,01 g „ „ Schmalz, Aufnahme: | 279,60 g Trinkwasser, 108,28 g& Oxydationswasser, { 643,58 8 ' 58 g Wasser. 310,47 g Harnwasser, 7,32 g Kotwasser, 403,04 g Respirations- und Speicheldrüsenwasser, 720,83 @ 83 8 ' Wasser. Die Bilanz ist mit 720,83 &, — 643,58 g, 77,25 g Wasser täglich negativ. Es ist also zu einer erheblichen Verarmung an Wasser infolge der Arbeit gekommen. Ausfuhr: Das wird noch augenfälliger, wenn in Betracht gezogen wird, dass zur Erzielung eines Fleischansatzes ein Mehr an Wasser gegen- über der Ruheperiode verwandt wurde. Die Differenz zwischen resorbiertem Stickstoff und der Summe von Harn- und Epidermis- stickstoff macht 1,26 g N pro Tag aus. Im Arbeits- muskel (vgl. die Analysen im zweiten Teile der Abhandlung [Tabelle 52]) waren 73 °o Wasser und 3,56 °/o Stiekstoff. Auf einen Stickstoff- ansatz von 1,26 g N kommen also 25,34 & Wasser. Der Ansatz betrug während der Ruheperiode pro Tag 1,11 g N, womit nur 24,35 g Wasser zurückgehalten wurden (vel. S. 438). Die oben genannten Zahlen sagen aus, dass die Differenz zwischen Ruhe- und Arbeitszeit-Wasser auf täglich Ruhe 39,0 g Wasser + Arbeil ragen d. i. auf 116,3 g , Wasser zu bemessen ist. Von Interesse ist nun noch die Untersuchung der Beziehungen des Atemwassers zur Arbeitsleistung. Eine Tour der Tretbahn, die in einem Winkel von 28,52 lo zur Ebene stand, entsprach 65,1 em Horizontalkomponente und Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 441 18,58 em Steigung. Im Mittel der Arbeitszeit wurden 6020 Touren täglich geleistet. Das sind 922,6 m Horizontalkomponente, und 1119,0 m Steigung, woraus sich unter Zugrundelegung der in meiner früheren Arbeit über das Wachstum (l. e., siehe An- merkung auf S. 406) angegebenen Daten für das mittlere Körper- gewicht 11,37 kg 75,135 Cal. für den Horizontalanteil, 89,825 „ „die Steigarbeit ergeben, so dass sich die Ge- samtleistung auf 164,958 Cal. beziffert. Wenn diese Mehrproduktion von Wärme durch Wasserver- 164,958 dunstung weggeschafft werden sollte, würden dazu 03ası 308 g 0) Wasser notwendig gewesen sein. Bei der Arbeit wurden 403,1 g, bei der Ruhe 174,7 & Wasser exspiriert, also vom arbeitenden Tier 228,4 g Wasser mehr, was, zusammengehalten mit dem obigen Werte von 308 g Wasser, zeigt, dass der grösste Teil der durch die Arbeitproduzierten Wärme durch Wasserverdunstung, und nur etwa ein Viertel durch vermehrte Strahlung und Leitung abgegeben wurde. Die vermehrte Abgabe durch Wärmestrahlung und Wärmeleitung wird leicht verständlich erstens durch die erhöhte Hauttemperatur des arbeitenden Tieres, zweitens dadurch, dass ein weit grösserer Teil der Haut der Berührung mit der kühlenden Luft ausgesetzt ist. Das ist beim Hunde, der in der Ruhe fast stets zusammengerollt ist, in noch stärkerem Maasse der Fall als beim Menschen. Ehe ich zur Mitteilung der Ergebnisse der direkten Organ- insbesondere Muskeluntersuchung, die namentlich für die zuletzt ge- geschilderten Verhältnisse Aufklärung gibt, übergehe, soll untersucht werden, inwieweit sich ein Abbau oder Aufbau von Knochensubstanz aus den Mineralstoffausscheidungen des arbeitenden Tieres herleiten lässt. Die Technik dieser Aschenanalysen sei in den nachstehenden Zeilen kurz besprochen. Alle Bestimmungen wurden, mit Ausnahme der Harnphosphorbestimmungen, an Mischproben, welche der ganzen jeweiligen Periode entsprachen, ausgeführt. Die Phosphorsäure desHarns Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 29 442 Heinrich Gerhartz: wurde in- äquivalenten Mengen Mischharn je dreier vorhergehender Tage bestimmt. Es wurde hier, wie bei der Kotanalysierung, nach der Neumann’schen Methode der Säuregemischveraschung ver- fahren. Die übrigen Mineralstoffe wurden im Harn wie im Kot in je drei Portionen bestimmt (I. Ca+ Ms; I. S; IT. K-+Na). In der ersten, zur Bestimmung desKalks und der Mag- nesia dienenden Probe wurde zunächst in der üblichen Weise durch öfteres vollständiges Abdampfen mit Salzsäure die Kieselsäure ab- geschieden. Nachdem dann noch mit Eisenchlorid und Ammonium- azetat die Phosphate aus dem essigsauren Filtrat entfernt worden waren, wurde der Kalk mit Ammoniumoxalat gefällt. Das Caleium- oxalat wurde nach etwa zwölfstündigem Stehen bei ca. 50° C aufs Filter gebracht, dort mit ammoniumoxalathaltigem Wasser gewaschen und im Platintiegel durch starkes Glühen in CaO übergeführt. Zur Schwefelbestimmung wurde die Kohle nach Zusatz eines Gemisches von Soda und Salpeter geglüht, die Kieselsäure ab- geschieden und im heissen Filtrat der Schwefel mit Baryumchlorid als Baryumsulfat gefällt. Die Bestimmung der Alkalien wurde in der Weise vor- bereitet, dass zunächt Schwefelsäure, Magnesia, Phosphorsäure und die Erdmetallphosphate durch Barytwasser (unter Zusatz von Eisen- chlorid) entfernt wurden. Dem folgte die Eliminierung der Reste der Salze der Alkalierden (mit Ammoniumkarbonat). Die Lösung der Chloride von K und Na wurde mehrmals abgedampft und dann von den Ammonsalzen befreit. Nach der Wägung der gesamten Chloride wurde das Kalium als Kaliumplatinchlorid aus dem Gemisch ab- geschieden und gewogen, das Natrium aus der Differenz bestimmt. Alle Analysenwerte sind, wie üblich, auf Oxyde berechnet worden. Bei der Ausführung der Bestimmungen bin ich von Herrn Dr. Strigel, einem gewiegten Analytiker, in der liebenswürdigsten Weise unterstützt worden. Die Ergebnisse der Mineralstoffbestimmungen sind in den Tabellen 20—25, spezifiziert sowohl hinsichtlich der Verteilung der Ausscheidungen auf Harn und Kot, wie zusammengefasst als mittlere tägliche Ausfuhrgrössen, zusammengestellt. (Tab. 20.) Es wird zweckmässig sein, die einzelnen Aschenbestandteile zu- nächst gesondert zu betrachten. | T | 2100 | 6000 | 620°0 | 6270 | 280°0 | 6970 | aE2'0 | LEST | E00 | 2300 | 6920 0027 | aqnysuy oyoıyory OOIpıN 0 Greo 9EST |FITO| 2550 6780 vr2'8 FEC'ST | 92T | TOV°E |EHL'Z1 | G0'85 | 687°0 681°0 | «sT‘T | 889° | 608‘T | or«‘z | <86° Kalk zn taz re re ein a et = | Zee Te OR = ge2'S | = — | — |8g3 | madyipsumum oe |C , DAL re NE re re ; | — a || = ei BIN, z RE (ee ee = er ann — 11609 9-77 |(_ Io 3789 3 : en 12: ; ves‘g. | zen 8a — 18 |OFELDI © Abe sein N 2 Seal rer Beeren Eee ne I er ee ° J Gn3 [4 p4 Q | - INC Ba rd 173 r mr Br GAS oren| o°u |o3m | oeo | °os | oa | ofen | 01 | o@m | 080 | "OS | oa ON o°1 |O3m | 0% | os | "ord 106L pe 2 RE z = i er = E z 7 e mie, > FRE : - > = Eur, 7 Fr wunIe(lT 9POLIIT yuwsoosu] Joy] ucH °-(II punysuoryeyuduy) »portodsprog.tv Op PUDAyyA HTOIPULISOGI-AOUFN OP -UUDJSUV "Is OTI94®eıL I | | | 3680 08T | ET0 | eco 660 800 | 1600 2100 1070| ME | 1200 To |LLFo SH 5500 | 1100| 2250 686 | TENV yorar} OAOIIN 806 7 Sos'aı | Gau L Sra& | 1876 | 089°55 2020 , 1310 900° | IETE | ETL’O ger'Z | aTuF | 789'ST. | E33:0| 211.0. 21/8 211868561 |, > 2 7 eeuns 6967 | aal'C | 1670 668 1 8686 a ee 9881 nos BEE sog | . 00% 2 Kun ‘9 066 J1#879 22700 | 2y0X0 |509°0 | zgg‘T ‘ı |ezg'z | arin Koonin | wortal899.5 oe 3467 | 689°. | 8620 | 086°T | 369°C | gpzig |j PETO | 8L00 7090 | E88°T | 8ar'0 | ar9I on E10 ,890°0 793°C | ey | 1udysI—9T |ESRLOL m oren| 0°1 08m |0W | ®os | ‘oda | o’.n | 0% | O°M | ord | #08 Ki ON o°1 |OSM | 0% | °0s. | "oa 1061 Frog == = z Fa SAT= STE r = = 2 Be z FE ve ar = En I SpoOM9T yuesodsuf 304 uıeH au U (IT Punysuoryeyndwy) Pportwdoyny AP PUHLyYA 9LLOIPURISIgEAOUNE A9P -TUNJSUV "06 STI9AEL 444 Heinrich Gerhartz: Tabelle 22. Mittlere tägliche Mineralstoffausscheidung in der Ruhe- und Arbeits- periode beim Amputationshund Il. Ruhe | Arbeit 8 | P50; 2.26 | 1,57 SO, 0.95 | 0,85 CaO 0,32 0,23 MsO 0,12 | 0,11 K,0 1,28 | 1,24 Na0 0,49 0,55 Tabelle 23. Prozentuale Verteilung der Mineralstoffe in den Ausscheidungen in der Ruhe- und Arbeitsperiode beim Amputationshund II. Ruhe | Arbeit %o | %/o Harn... 7 91,0 P;0 f = AR ; ) | ) SA Kot. er per: 12,1 9,0 "Ham. um. 99,5 | 89,8 Se uk ek Be 20,9 Cao f Harn a 34 20, Rot. ee: 66 | 79,1 Harn I 17,9 | 30,7 Mgo J H 7 RO ee" 82,1 69,5 Ko jeHam. une. 99,1 0% 2 aKatıı nr Do (NElarnna (are: 95,7 | 96,9 NR ler 2.6 51 Tabelle 24. Beziehungen der Stickstoff- zur Phosphorsäureausfuhr beim Amputations- hund II. Es wurde aus- N geschieden Bere N Periode a im Harn und Kot | . P o P,0- in Harn |. 275 N P;0, Re m Harn I (8 Tage) | 16.—18. April | 32,478 | 6,246 | 5,200 Ruhe #- I @ „) [19-21 , 30.209 | 6484 | 4,659 ee 43,548 | 9,898 | 4,400 ANNE RB KOPIE TRSERREIERERRSERT >, 106,235 | 22,630 | 4,694:1] 5,08:1- I (3 Tage) | 21.—23. März | 34,747 | 6,342 9,479 1® ,„)124—26. „ 31,709 5,999 5,669 Arbeit * TI@ ,„) 127.29. 32,047 ° 6,008 5,938 IV(& ,„.) 130. März bis1. April 29,662 | 5,736 5,171 v@% 2). .2-4. April,| 30,866:|4,355 7,087 ZUBanmener ee ee er 159,031 28,035 9,673:1| 5,85:1 Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 445 Tabelle 25. Mineralstoffbilanz im Ruhe- und Arbeitsversuch beim Amputationshund L. Tägliche Zufuhr Tägliche Ausfuhr | | Bilanz (Fleisch) Schmalz: Wasser (WS, Harn | Kot a | | P0 Ruhe | (1,99) | 0,06 _ | (2,05) | 1,99 , 0,27 | 2,26 | (— 0,21) 25 | Arbeit| (1,99) | 0,09 — (2308) | 1,70 | 0,17 | 1,87 | (+ 0,29) Gao J Ruhe | 0,02) — 0,01 | (0,03) | 0,01 | 0,31 | 0,32 | (— 0,29) Arbeit | (0,02) E 0,02 | (0,04) | 0,05 | 0,18 ı 0,23 | (— 0,19) Moo JRuhe | 0,1) — — | (0,14) | 0,02 | 0,10 | 0,12 | (+ 0,02) 8” | Arbeit| (0,14) — — (0,14) | 0,08 | 0,08 | 0,11 | (+ 0,08) x,o J Ruhe | (1,46) — | (1,46) | 1,27 | 0,01 | 1,28 | (+ 0,18) 2 Da ae ==. (1,46) [11,935 10,01 11,24 | (2 0,23) Na,0 Ruhe | (0,57) — | — | 0,57) | 0,47 |. 0,02 | 0,49 | (+ 0,08) 22 | Arbeit| (0,56) _ 0,01 (0,57) | 0,53 | 0,02 | 0,55 | (+ 0,02) so, $ Ruhe ? — | 0,003 _ 0,88 | 0,07 | 0,95 _ ” Arbeit | ? E 0,005 — 6,76 | 0,09 | 0,85 | — | | | A. Schwefelsäure!). Das ruhende Tier schied pro Tag 0,1 g SO, mehr aus als das arbeitende. Da der Schwefel, soweit er im Körper angesetzt oder abgebaut wird, wesentlich nur in Form von Eiweiss in Betracht kommt, dürfte es von Interesse sein, die Beziehung der Stickstoff- zur Schwefelausscheidung zahlenmässig festzustellen. Das Tier hatte bei gleicher Kost 1,26 g N a 0,15 & N bei der T Arbeit ınehr angesetzt. Es würde hierbei, da die Relation = im Fleisch etwa = = also nn = 5% — r ist, eine Retention von 0,025 g SO, zu erwarten gewesen sein. Die faktisch gefundene vier- mal grössere Retention (Tabelle 22) zu diskutieren, erscheint mir bei der Geringfügigkeit der Zahlen nicht zweckmässig. Ich verweise nur noch bezüglich der Verteilung auf Harn und Kot in beiden Perioden auf die Angaben der Tabelle 23. B. Kalium. Bei der geringen Retention von Stickstoff (Ver- mehrung der Fleischsubstanz) ist auch eine geringgradige Retention von K;O — etwa !/ıo, bei Mehransatz von 0,15 g N also 0,015 g K,O 1) ©. Beck und H. Benedict, Über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Schwefelausscheidung. Pflüger’s Arch. Bd. 54 S. 27—61. 1393. (Dort Literatur.) 446 Heinrich Gerhartz: — zu erwarten. Wir finden tatsächlich eine Differenz von 0,04 & K,0. Bei der Schwierigkeit der Bestimmung ist das eine genügende Über- einstimmung. C. Natrium. Das arbeitende Tier verlor Y/s & NasO mehr als das ruhende, wobei jedoch die prozentuale Verteilung auf Harn und Kot gewahrt blieb. Es bewegt sich also das Natrium in ent- gegengesetzter Richtung wie alle anderen Mineralstoffe. Das ist wichtig. Das Natrium findet sich vorwiegend in Blut und Lymphe. Es wird somit wahrscheinlich, dass, während die Masse der Muskulatur infolge der Arbeit zugenommen hat, die Masse der natriumhaltigen Gewebsflüssigkeiten sich verminderte. Der relativ grosse Wasserverlust des arbeitenden Tieres dürfte also zum Teil als Abnahme der Na-haltigen zirku- lierenden Flüssigkeiten zu deuten sein. Für den Menschen liest über das Verhältnis, das zwischen Natrium und Arbeitsleistung besteht, eine Mitteilung von Munk im Anschluss an die Marschversuche von Zuntz und Schumburg vor. Hier wurde an den Arbeitstagen die Natriummenge im Harn vermindert gefunden. Das bedeutet aber keinen Widerspruch gegen meine Befunde, erklärt sich vielmehr befriedigend aus dem hohen Chlornatriumgehalt des Schweisses, der in jenen Versuchen in Mengen von 1—3 Liter ausgeschieden wurde. D. Magnesia. Die Verteilung der Ausfuhr in Harn und Kot ist dergestalt in den beiden Perioden verschieden, dass beim ruhenden Tier nahezu die Hälfte derjenigen Menge, welche in der Arbeits- periode im Harn vorgefunden wurde, im Harn ausgeschieden wurde. Im allgemeinen geht die Magnesiaausscheidung der des Kalks parallel. ‚ E. Kalk. Bei der Beurteilung der Kalkausfuhr ist die diffe- rierende Zufuhr im Trinkwasser zu berücksichtigen. Die Hündin nahm bei der Arbeit täglich 250 eem, bei der Ruhe nur 158 cem auf. Das Berliner Leitungswasser enthielt nach einer Durch- sehnittsanalyse, die mir Herr Dr. Strigel freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, im Liter: Barren. 0,00, 8 MEON. ee en a0 0 K30%2:. „200 28 10.0048 NO N SO; innen a. 10,0 Glen 2230,02 Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 447 Die Kalkzufuhr betrug also im Wasser: bei der Ruhe 0,01 & CaO täglich, u eAtbeit0,02 ,.CaQl mr, Um diese Verhältnisse einigermaassen illustrieren zu können, habe ich die Bilanz durchgeführt (vgl. S. 415). Dieser Rechnung ist eine eigene Aschenanalyse des benutzteu Pferdefleisches unter- gelegt. Diese hatte ergeben: CGa0 . . .... 0,02% der Trockensubstanz MEOR 2 .503.51005 191010: =; a Dom 1,9000 4 i Ko 155 ) NO 0 10 0,605.0/0 5 A 0,589. Tabelle 25, welche die Bilanzen angibt, lässt das eine mit Ge- wissheit erkennen, dass die Kalkbilanz stets negativ gewesen ist, und dass trotz grösserer Zufuhr die Kalkausscheidung gegenüber der Ruhe recht erheblich, um mehr als ein Viertel des Ruhebetrages, herabgesetzt war. Es kann daran gedacht werden, dass die Resorption des Knochen- stumpfes des amputierten Beines Kalk frei gemacht hat. Das Ge- wicht des Femur meines Hundes betrug annähernd ca. 42 g; der Knochen besass also einen Kalkgehalt von etwa 8,5 g CaO. Der Mehrverlust während der Ruheperiode betrug 0,09 g CaO pro Tag, in den 10 Tagen der Periode also 0,9 g. Das sind 11°o vom Kalk- vorrat des ganzen Femur. Da nun von einem Amputationsstumpf stets Material resorbiert wird, erscheint es durchaus wahrscheinlich, dass die vermehrte Kalkausscheidung dem Knochenstumpf entstammt, und dass demgemäss in bezug auf die normale Knochen- ernährung keine Unterschiede zwischen Ruhe und Arbeit nachweisbar sind. F. Phosphorsäure. Die Differenz in der Ausscheidung be- trug hier ungefähr Y/e g zugunsten einer grösseren Ausfuhr im Kot des ruhenden Tieres. Hierbei kann es sich um zweierlei handeln, einmal um einen Zerfall von phosphorhaltigen Eiweissstoffen, dann aber um einen Abbau von Knochensubstanz. Dass das letztere statt- gefunden hat, beweist der Kalkschwund. Da im Knochen Kalk und Phosphor im Verhältnis von 142 P;O, zu 168 CaO stehen, war für 448 Heinrich Gerhartz: die in Verlust gegangene CaO-Menge von 0,09 g ein Verlust von 0,076 g P,;O, zu erwarten. Es dürfte also ausser dem Knochen- sewebe keine phosphorhaltige Substanz zerfallen sein. Es versteht sich von selbst, dass die so geringen Differenzen im Knochenwachstum auf das Körpergewicht keinen Einfluss haben können. I. Teil. Die chemische Abänderung der inneren Organe infolge der Arbeitsleistung. ') Bei der Muskelarbeit werden hochmolekulare Verbindungen zu kleineren Molekülen zersetzt. Diese letzteren sind osmotisch wirk- sam und verschieben infolgedessen die Wassergehaltsverhältnisse der Muskulatur. Das Wasser, welches sich bei diesen Prozessen beteiligt, kann unmittelbar nur aus dem Blute stammen. Es ergibt sich also, dass sich am Blute nach verrichteter Arbeit Änderungen in seiner Zusammensetzung ausbilden müssen. In der Tat sind durch die Untersuchung des Blutes solche Unterschiede nachgewiesen worden, so insbesondere bei den Versuchen von Zuntz und Schumburs, wo gleich nach der Arbeit eine erhebliche Vermehrung der roten Blutkörperchen und eine Zunahme des spezifischen Gewichtes des Blutes konstatiert wurde. Es hat sich dabei gezeigt, dass bald regu- liert wird; auch Rogozinski (l. e., Anm. 1 auf S. 404) fand bei einem täglich arbeitenden Hunde die physikalischen und chemischen Eigenschaften des Blutes einige Stunden nach der Arbeit nicht ver- ändert. Die Versuche Rogozinski’s wurden an 15 Tage, also längere Zeit hindurch arbeitenden Hunden angestellt, sind aber nach den oben (S. 404) gemachten Ausführungen nicht geeignet, die Frage, ob eine Abänderung des Blutes unter dem Einflusse der Leistung von Arbeit zustande kommt, zu erledigen. Die Beant- wortung dieser Frage liest in den Ergebnissen der an den schon oben beschriebenen Versuchstieren !) vorgenommenen Blutunter- suchungen. Ich erinnere daran, dass der Arbeitshund II der Hunde gleichen Wurfes 37 Tage, Amputationshund II 23 Tage auf der Tretbahn arbeitete. 1) Erste kurze Notiz in Mediz. Klinik Jahrg. 6 S. 23. 1910. — Die vor- liegende Arbeit war schon im März 1909 endgültig abgeschlossen. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 449 Das Blut wurde durch Aderlass bzw. Entbluten der seit 24 Stunden nüchternen Tiere gewonnen. Ein Teil wurde mit Queck- silber defibriniert, ein anderer in einem Messzylinder zur Serum- gewinnung aufgefaugen. Die Bestimmungen sind in der üblichen Weise vorgenommen worden (spezifisches Gewicht pyknometrisch ermittelt). Ich möchte es nicht unterlassen, auf eine Fehler- quelle, welche bei der Defibrinierung mit Quecksilber sich ein- schleichen kann, hinzuweisen. Durch das Schütteln wird das Queck- silber so fein zerstäubt, dass es sich erst sehr spät zu Boden senkt und beim Pipettieren mit in die Pipette gerät. Die Stäubehen sind dann nicht zu sehen. Man wird erst darauf aufmerksam, wenn beim Trocknen des Blutes das Quecksilber sich wieder zusammen- ballt und dann als feinste Kügelchen am Boden des verwendeten Gefässes vorgefunden wird. Ich kann aus diesem Grunde die Metho- dik für die Vorbereitung des Blutes zur chemischen Untersuchung nicht empfehlen. Hier sind Glasperlen besser. Der Gehalt au Hämoglobin wurde mit dem Hüfner’schen Spektrophotometer bestimmt. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind aus den beiden Tabellen 26 und 27 ohne weiteres ersichtlich. Im ersteren Falle (Tab. 26) handelt es sich um Blut von verschiedenen Individuen desselben Wurfes, in dem anderen um Blut vom gleichen, einmal geruhten, das andere Mal arbeitenden Hund (Tab. 27). Tabelle 26. Ergebnis der Untersuchung des Blutes von Tieren gleichen Wurfes, | @Weib- Ruhe- | Arbeits- licher hund I | hund II | Ruhe- | hund) So ao | 0/0 Trockensubstanz im defibrinierten Blut . . . . 19,74 | 22,36 18,7 Serum. 856 | 9,03 5,7 Stickstoff im defibrinierten But . . ... .. 2192 1.267 2,5 N ISEEUMIE REIS BI 0 0,925 210722 1077 Spezifisches Gewicht des defibrinierten Blutes . 1055, 15 71:098. 122.1:050 BE SEHTESEEER 2... 0 1,027 1,029 1,020 Anzahl der Erythrocy ten im Quadratmillimeter . | 6 560 000 6856 000. 5 700 000 | 1) Die Tiere waren 7'!/s Monate alt, als sie getötet wurden. 450 Heinrich Gerhartz: Tabelle 27. Ergebnis der Untersuchungen bei einem erst arbeitenden, dann ruhenden Hund (Amputationshund II). Ruhe |. Arbeit un | %g Trockensubstanz im defibrinierten Blut. . . ... 23,54 24,90 . SELBER 7,90 8,39 Stiekstoff ım. deiibrinierten Blut, . . 2... 1) 4,22 5 5 SEEUSON AS Ha re Re 0,98 1,05 Spezifisches Gewicht des Serums?). ....... 1,025 1,025 Die Unterschiede sind wohl genügend gross, um im Sinne einer Wasserverarmung des Blutes infolge lange dauernder Arbeitsleistung gedeutet werden zu können. Bei der Ruhe wurden in 100 g Blut 19,85 g Hämoglobin ge- funden, nach der Arbeit 21,98 g. Es ist also eine geringe Ver- mehrung des Oxyhämoglobingehaltes des Blutes zutage getreten. Bei der Untersuchung der übrigen inneren Organe lag es nahe, auch die absoluten Gewichte der Organe fest- zustellen, um einigermaassen zu einem Urteile darüber zu kommen, wie weit die Abänderung der chemischen Zusammensetzung einzelner Organe eine andere Verteilung der Stoffmasse des Körpers bedingt. Diese Organwägungen betreffen insgesamt den frisch entbluteten Körper. Wir wissen, dass das Körpergewicht kein gutes Bezugs- maass bei der Beurteilung der Organgewichte abgeben kann, eines- teils wegen der wechselnden Anteilnahme des Magen- und Darm- inhaltes am Gewichte, der variierenden Organgewichte und Wasser- gehaltsdifferenzen, andererseits der bekannten Beziehungen zwischen Ernährungszustand und Organgewicht, z. B. Herzgewicht?), wegen. Die absoluten Gewichte sind deshalb in den nachstehenden die Er- 1) Kontrollzahl verloren gegangen; nur soviel ist sicher, dass der Ruhewert niedriger, als der Arbeitswert liegt. 2) Bestimmung des spez. Gewichts des defibrinierten Blutes durch Queck- silberbeimengung verdorben. 3) Schieffer, Über den Einfluss des Ernährungszustandes auf die Herz- grösse. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 92 S. 54—63. 1907. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 451 sebnisse der Organuntersuchung wiedergebenden Tabellen 28, 29 und 30 auch auf das Gehirngewicht bezogen. Tabelle 28. Absolute Organgewichte von Arbeits- und Ruhehunden desselben Wurfes, I. gleiches Paar II. etwas differierendes Paar ER, | Arbeits- Weiblicher Schwarzer Ruhehund I| Jund IT | Ruhehund. |.Arbeitshund g S 8 | g Gehirnyerree een 66,1 61,3 99,7 58,7 klerzu se at, Tree 57,01) 54,6 39,1 39,4 Teberse 2 : m ne, 216,6 222,4 143,2 197,8 Rechte Lunge. ... . SH. 9. E akt rn 26:59 7, | — Linke Lunge . . . ... 95 | 937,06 | 175‘ = Bankreasy nn — 21,3 14,3 13,0 IM zE re 19,0 17,5 93 6,2 ee Nee Das OT SEE en inke Niere... urn 2 ee | 16700 | 152,510 Linkes Femur. . .. . 24,2 20,2 15,6 16,0 Körpergewicht. - . ... 6950 6670 4600 . 3950 Tabelle 29. Organgewichte von Arbeits- und Ruhehunden desselben Wurfes in Prozenten des Körpergewichts. - ll. etwas differi I. gleiches Paar etwas differierendes Paar rl ATDEItS- Weiblicher , Schwarzer Ruhehund I | hund II Ruhehund | Arbeitshund 0/9 0/9 0, 0/g | GEIEDV REN RER REN | 0,95 0,92 1,30 1,49 Her 0,82 0,823) 0,85 0,99 eben sat en 3,12 3,39 3,11 5,00 Tungen u se. er 0,85 0,83 0,96 _ Bankreasear re: = 0,32 0,31 0,33 II ZI RL Re 0,27 0,26 0,20 0,16 INVErENEE ER 0,64 0,65 0,73 0,78 Linkes Femur 0,35 0,30 0,40 0,40 1) Enthielt Blutgerinnsel! Das Herz wurde nach Abpräparieren des epi- kardialen Fettes am Herzbeutelansatz losgetrennt und im Wägeglas gewogen. 2) Leber mit gallefreier Gallenblase. 8) Blutkoagulum! 452 Heinrich Gerhartz: Tabelle 30. Organgewichte von Arbeits- und Ruhehunden gleichen Wurfes “in Prozenten des Gehirngewichtes. ll. etwas differierendes I. gleiches Paar Pasr | Arbeits- Weiblicher | Schwarzer Ruhehund I| „und IT | Ruhehund | Arbeitshund %o %o 0/o %o Herz aan se Nee 36,23 89,07 65,49 67,12 leben a un Ak.‘ 327,68 362,81 239,87 336,12 kungen. ge eteuarehe> 89,26 90,70 73,10 _ Pankreas. Were u 34,75 23,95 22,15 Milze. aan Yes 28,74 28,55 15,58 10,56 Nieren en en 67,78 70,96 56,11 52,81 Linkes’ Femur ..... 36,61 32,95 31,16 27,26 Es hat sich hierbei durchweg eine Gewichtszunahme von Herz und Leber bei den arbeitenden Tieren ergeben. Wägungen von Herzen nach Ruhe und schwerer Arbeitsleistung sind wiederholt vorgenommen und ihre Ergebnisse in Vergleich ge- setzt worden, so von Robinson, Bollinger, Bergmann, Parrot, Hirsch, Rogozinski, Külbs (l. e., Anm. 1 auf S. 399), Grober!) und Bruns. Was nun diese Sektionsbefunde angeht, so scheint es mir, dass die von den Autoren geübte Art der Be- rechnung keinen definitiven Beweis für eine Arbeitshypertrophie des Herzens abgibt; denn die genannten Wägungen betreffen weder das Herz entbluteter Organismen, noch ist die Herzmasse auf ein Organ bezogen, das geringeren Schwankungen unterworfen ist als Körpergewicht und Muskulatur. Wie fehlerhaft es sein kann, das Herzgewicht des Ruhe- und Arbeitstieres an den in Prozenten des Lebendgewichtes ausgedrückten Zahlen zu vergleichen, sofern man 1) J. Grober, Untersuchungen zur Arbeitshypertrophie des Herzens. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 91 S. 502—517. 1907. — J. Grober, Über die Arbeits- hypertrophie des Herzens und seiner Teile. Zentralbl. f. inn. Med. Bd. 28 S. 657-660. 1907. — OÖ. Bruns, Welche Faktoren bestimmen die Herzgrösse? Münch. med. Wochenschr. Bd. 56 S. 1003—1007. 1909. — Dort und bei Külbs weitere Literatur. Über orthodiagraphische Messungen vgl. u. a.: Schieffer, Über Herzvergrösserung infolge Radfahrens.. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 89 S. 604—625. 1906. — A. Selig, Sport und Herz. Med. Klin. Bd. 4 S. 448-451. 1908. Ältere Literatur bei den Genannten und bei ©. Fraentzel, Die idio- - pathischen Herzvergrösserungen S. 112ff. Berlin 1889. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 453 nicht für völlige Gleichheit der Tiere Sorge trägt, gibt auch Grober!) zu. Er schreibt: „Das Proportionalgewicht des Hundeherzens wird von Külbs für seine beiden Kontrollhunde auf 0,6 und 0,55 an- gegeben. Andere Daten von gesunden Hunden waren in der physio- logischen und zoologischen Literatur nicht aufzufinden. Ich habe versucht, mehr Zahlen für das Proportionalgewicht des Hundeherzens zu erhalten. Im Laufe des letzten Jahres habe ich es bei allen Tieren, die im Laboratorium der Klinik zu anderen Untersuchungen verwendet worden waren, und an Tieren, die in den Tierställen spontan an Krankheiten starben, bestimmt. Aus diesen (sechs) Be- stimmungen ergibt sich als Mittel 0,583, ein Wert, der mit denen von Külbs ganz gut übereinstimmt. Die einzelnen Zahlen bei den einzelnen Tieren aber weichen stark voneinander ab. Die Zahl der von mir gewonnenen Bestimmungen ist unter solchen Verhältnissen zu klein, um einen entscheidenden Wert auf die daraus gewonnenen Durchschnittszahlen für die einzelnen Herzteile zu legen“. Dass der Wert 0,583 nicht dem Mittel entsprechen und keine Ver- sleiche zulassen kann, geht schon aus den Messungen Rogozinski’s, die Grober unbekannt geblieben sind, unzweifelhaft hervor. Ich habe seine Zahlen in Tabelle 31 zusammengestellt. Alle Zahlen liegen höher als 0,60. Das Gleiche ist bei meinen Zahlen in Tabelle 29 vorhanden. Da nun das Gewicht von Tieren desselben Wurfes auch bei gleicher Aufzucht stark variieren kann, ist es durch- aus unstatthaft, sich auf diese Variable zu beziehen. Tabelle 31. Herzgewichte (in Prozenten des Lebendgewichts) bei Ruhe- und Arbeits- tieren nach den Untersuchungen von Rogozinski. Arbeitshungeleger u... | 0,9: Ruhehundaleesr.mrın 0. 0, Arbeitshund II . . . ... | 0,8: Ruhehundellesssr 2. 1) Es lässt sich überdies zeigen, dass die Zahlen Grober’s nicht das beweisen, was er aus ihnen liest, die Herzhypertrophie des 1) J. Grober, Über die Beziehungen zwischen Körperarbeit und der Masse des Herzens und seiner Teile. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 59 Ss. 424—429. 1908. 454 Heinrich Gerhartz: arbeitenden Tieres. Grober nennt nämlich folgende Zahlen für den Ausdruck: Herzgewieht > 1000 e EN > = : : I. für die Kontrolltiere Körpergewicht 5 7 (Mittel 5,99) I. für das Arbeitstier . 6,20 I, ,s.huhetier 0. 20.5952, Der Mittelwert der Kontrolltiere liegt also recht nahe unter der Zahl des Arbeitstieres, und bei den Kontrolltieren kommt ein Wert vor, der den des Arbeitstieres weit übersteigt. Man hat aus theoretischen Gründen eine Definition der Herz- hypertrophie aufgestellt, die dem Verfahren mancher Autoren, das Herzgewicht auf die Muskelmasse zu beziehen, die Grundlage geben soll. Der konstruierte Parallelismus zwischen peripherischer Musku- latur und Herz besteht aber nicht in dem Umfange, wie dazu er- forderlich wäre. Die Definition, die eine Herzhypertrophie nur dann gelten lässt, wenn das Herz über das normale Verhältnis zur Muskel- masse des Körpers hinaus grösser geworden ist, jst unzweifelhaft zu eng gefasst und einseitig. Eine Herzhypertrophie ist, wie jede Hyper- trophie eines Organs, in physikalischem Sinne definiert, dann vor- handen, wenn das Organ aus der Proportionalität zu den übrigen Organen, die ihm entsprechend der aktiven Masse des Körpers, dessen Alter, Geschlecht und Ernährungszustand notorisch zukommt, heraustritt. Da wir nun wissen, dass das Gewicht des Zentral- nervensystems die grösste Konstanz besitzt, halte ich es für am un- sezwungendsten und korrektesten, von diesem Gesichtspunkte aus die Beurteilung vorzunehmen, d. h. es ist notwendig, für das ent- scheidende Experiment gleich aufgezogene Tiere desselben Wurfes zu untersuchen, bei denen die auf das Gehirngewicht bezogenen Herz- gewichte in Vergleich gesetzt werden. | Aus den Protokollen von Külbs!) (Tab. IV und V seiner Arbeit) ergibt sich nun in der Tat auch so eine eklatante Herzhypertrophie, wie es ja auch in dem einwandfreiesten Versuche Rogozinski’s der Fall war. 1) Die Arbeit von Külbs war zur Zeit, als ich meine Versuche anstellte, noch nicht erschienen.. Rogozinski, dessen Untersuchungen zeitlich vor denen Külbs’ lagen, bezog das Herzgewicht auch schon auf das Gehirngewicht. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 455 Die auf die genannte Weise bei den 7!/2 Monate alten Tieren zustande gekommenen Zahlen der Tabelle 30 sprechen zwar im Sinne einer durch längerdauernde Arbeitsleistung eut- standenen Gewichtszunahme, doch ist die Differenz gegenüber den Ruhetieren überraschend gering. Das Gleiche gilt nun auch für die Leber. Ich erinnere daran, dass bereits Külbs eine Volums- und Gewichtszunahme der Leber des Arbeitstieres festgestellt hat (l. e., s. Anm. 1 auf S. 399). Er schreibt aber darüber: „Nach der Versuchsanordnung können Arbeit und Verdauung als an dieser Differenz sich unmittelbar beteiligende Faktoren ausgeschlossen werden (S. 301).“ Wenn man die chemische Zusammensetzung der Leber (Tabelle 32) nach den Beobachtungen an der noch später zu erörternden chemischen Zusammensetzung der Arbeitsmuskulatur beurteilt, so ergeben sich auch keine weiteren Beweise hierfür. Tabelle 32. Chemische Zusammensetzung von Herzmuskulatur und Leber bei Arbeits- und Ruhehunden gleichen Wurfes. R ___Herzmuskulatur Trocken- Stickstoff Äther- substanz | », Proz. der | extrakt (Proz. der Pı ur der entfetteten (Proz. der frischen | Trocken- "poeken- Trocken- Substanz)| substanz | substanz , substanz) N) 'o 0) 'ö 0/9 {1} 'o J. gleiches f Ruhehund I. 22,45 13,71 — | _ Paar \ Arbeitshund II 22,82 13,46 15,04 | 10,54 I. etwas diffe- | Weiblicher Ruhehund 23,43 13,14 15,36 | 14,47 rierendesPaar | Schwarzer Arbeitshund 22,04 | 13,23 13,86 | 4,50 Leber Trocken- Stickstoff | Äther- substanz | extrakt Anz | Proz. der | Proz. der (Proz. der Trocken. [entfetteten| (Proz. der frischen | | Trocken- , Trocken- Substanz)| substanz | substanz | Substanz) 0/o | 0/o % | % I. gleiches fRuhehund I. .... 25,80 11,74 — — Paar \ Arbeitshund II 30,20 II 2a 10,27 Il.etwasdiffe- [ Weiblicher Ruhehund | 29,52 | 12,04 | 13,90 13,37 rierendesPaar | Schwarzer Arbeitshund 25,89 11,54 | 13,19 12,49 456 Heinrich Gerhartz: Für das Herz trifft dasselbe zu; denn es zeigt sich bei einem Vergleich der hier (in Tab. 32) stehenden Zahlen für den Wasser-, Fett- und Stickstoffgehalt!) mit denen in Tab. 40—43, 45, 46, 50 und 52, dass sich Herz- und peripherer Muskelin chemischer Hinsicht durchaus nicht analog verhalten. Die Analysen Danilewsky’s (l. e. s. Anm. 3 auf S. 400 muskel- tätige und muskelruhige Tierarten), die ich in Tabelle 33 zusammen- gestellt habe, sprechen in demselben Sinne. Sie sind aber nicht überzeugend, da an die Möglichkeit gedacht werden musste, dass hier andere Arten Einflüsse in Betracht gekommen sind. Bence’s (l. ce. s. Anm. 1 auf S. 403) Untersuchungen decken sich in ihren Resultaten ebenfalls mit den meinigen: er fand auch während der Entstehung einer einseitigen Hypertrophie des Herzens den Stickstoff gleichmässig verteilt. Tabelle 33. Vergleich der Trockensubstanz von Herz- und peripherer Muskulatur bei verschiedenen Tieren (Danilewsky’s Analysen). Herzmuskulatur Periphere | Beziehung (Trocken- Muskulatur | zwischen Herz- (Trocken- und peripherer substanz) substanz) Muskulatur wie oo 0 100: Mensche: 1. serie wear: 20,85 | 21,48 103 Ochs rk 21,92 — — Kaninchen. 2. a. en 20,60 ‚23,03 (rote Musk.) ll Maubes u rar een 23,67 25,81 109 Huhnta sales an Da 22,10 24,97 113 Im übrigen beweisen meine Untersuchungen noch, dass die Angabe von Danilewsky, dass die Herzmuskelsubstanz, die doch dauernd Arbeit leistet, wasserreicher ist als die periphere Muskulatur, zutrifft. Sie besitzt auch weniger Stickstoff. Die Veränderungen, welche die peripherische Muskulatur zeigte, sind also beim Herzmuskel unter denselben Unter- suchungsbedingungen nicht vorhanden. Das kann daran liegen, dass im ersteren Falle die Untersuchung erst einige Zeit nach der Leistung der Arbeit vorgenommen wurde, während das Herz bis zum Moment des Todes arbeitete. Es würde also das Herz in Parallele stehen z.B. zu den tetanisierten Muskeln Ranke’s, bei denen ebenfalls der Wasser- gehalt erhöht war. Ich behalte mir eine aufklärende Untersuchung vor. 1) Hinsichtlich der befolgten Methodik vgl. die späteren Ausführungen, wo von den Muskelanalysen die Rede ist. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 457 Untersuchung der peripherischen Muskulatur. Es stand zu erwarten, dass sich die Unterschiede zwischen „Ruhe-“ und „Arbeitsorganismus“ am deutlichsten an der peripheri- schen Muskulatur zu erkennen geben würden. Meine diesbezüglichen Untersuchungen umfassen sowohl die Bestimmung der absoluten Masse wie die der chemischen Zusammensetzung der Muskeln. Tabelle 34. Muskeluntersuchungen Rogozinsky’s. Versuch I Versuch 1 Prozente = - = der frischen Substanz Ruhe Arbeit Ruhe Arbeit 0/0 %/o | 0/0 0/0 Trockensubstanz . . . 23,90 28,25 26,89 26,84 StIckstofben.- „dry 2,77 3,92 3,97 3,29 ln 5,56 5,40 3,00 4,81 Glykogen. . . . . ., 0,46 0,43 0,60 | 0,70 Ich habe zu erwähnen, dass Rogozinski (l. ec. s. Anm. 1 auf S. 404) in seinen beiden Versuchsreihen völlig differente Zahlen für die beiden physiologischen Zustände erhalten hatte, wie Tabelle 34, die seine Resultate (S. 215 und 224 seiner Arbeit) wiedergibt, er- sehen lässt. Diese Unterschiede in den Ergebnissen, die sich auch auf die Daten der absoluten Muskelmasse beziehen, sind von Rogozinski dahin gedeutet worden, dass im Versuch II „durch Individuum und Rasse bedingte Schwankungen“ den Effekt der Muskelarbeit überkompensiert haben. Man muss diese Deutung entschieden für die wahrscheinlichste halten, obwohl überraschenders weise manchmal die Organwägungen bei ganz verschiedenen Hunden einander sehr nahestehende Resultate ergeben (Tab. 35). Es mus- aber immer daran gedacht werden, dass individuelle und Rasse- unterschiede sich für einen direkten Vergleich der Tiere in der Regel als zu gross erweisen. Der Weg zu eindeutigen Ergebnissen ist also gewiesen: es ist, wie schon oben betont wurde, notwendig, Geschwistertiere, die in gleicher Weise lange Zeit hindurch herangezogen worden sind, in Vergleich zu setzen, und womöglich auch die hier noch vorhandenen individuellen Schwankungen zu umgehen. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 30 458 Heinrich Gerhartz: Tabelle 35. Beispiele für die gelegentliche Konstanz der Organgewichte bei verschiedenartigen Hunden. Pudel Hofhund 0/0 %/o Gehirngewicht . . . . . 0,72 des Körpergewichts | 0,87 des Körpergewichts Herzgewichtl..n..2 .....: 109,1 ,„ Gehirngewichts | 106,0 „ Gehirngewichts Lebergewicht. .. .. . 282,8 „ N 303,6 „ si Bezüglich der Details der so angestellten Versuche verweise ich auf die Ausführungen auf S. 406ff. Die Arbeitstiere hatten vor ihrem Tode, wie hier wiederholt sei, über einen Monat regelmässig Arbeit eeleistet. 24 Stunden vor dem Tode (Entblutung aus der Art. femor., ausser bei dem schwarzen Arbeitshund, der an Staupe zugrunde ging, aber sehr bald nach dem Tode seziert wurde) er- hielten sie keine Nahrung, weil mit der Möglichkeit, dass nicht vollendete Resorption des Futters den Wassergehalt der Organe beeinflusse, gerechnet werden musste. Ausserdem war die zuletzt gereichte Nahrung, um den grossen Einfluss des Glykogens auf den Wassergehalt auszuschalten, arm an Kohlehydraten. Die Muskeln wurden nach der Entblutung der Hunde so schnell als möglich von ihrer Ansatzstelle losgelöst, von Bindegewebe, so- weit es das oberste Prinzip, es zu keiner Verdunstung von Wasser kommen zu lassen, zuliess, befreit und in vorher tarierte, im Exsik- kator getrocknete Gläser eingefüllt. Nach der Wägung wurden sie über Schwefelsäure im Vakuum bei etwa 60°C. getrocknet, sobald tunlich, im Mörser grob zerstossen, wieder getrocknet und so weiter verarbeitet, bis die Substanz in feinste Pulverform gebracht war. Sie wurde hierauf im Wassertrockenschrank bei etwa 90°C. bis zur Konstanz der dritten Dezimale weiter getrocknet. Ursprünglich war die Absicht gewesen, die Muskeln frisch auf ihren Stickstoffgehalt hin zu untersuchen. Nachdem aber die Unter- suchung von Muskulatur vor und nach dem Erhitzen auf ungefähr 90°C. dargetan hatte, dass keine Stickstoffverluste zu befürchten sind, wenn in dieser Weise verfahren wird, unterblieb die Ver- arbeitung der frischen Substanz zur Kjeldahlbestimmung, und es wurde die gesamte Muskelsubstanz getrocknet und lufttrocken weiter untersucht. Die Analysierung wurde, wie schon oben angegeben, vorgenommen, d. h. der Fettgehalt durch mindestens 24 stündige Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 459 Extraktion im Soxhlet’schen Apparate mit wasserfreiem Äther, Behandlung mit salzsaurem Alkohol, Trocknen, nochmalige Äther- extraktion, bestimmt. Auf Glykogengehalt wurde nicht untersucht, da die Glykogenarmut arbeitender Tiere genügend sichergestellt ist. Ich gehe nun zu den Ergebnissen der Untersuchungen über und verweise zunächst auf die Tabellen 36—43, die die Hunde des gleichen Wurfes betreffen. Tabelle 36. Absolute Gewichte von Muskeln des ersten, gleichen Paares. Bahehond I 3 Aelammail II g g Musculus extensor digitalis longus . . 5,92 | 5,50 & rectus-femoris. . -..- ... 10,69 12,50 = SAHtOLIUSIE WARE an ae le 9,26 6,06 Tabelle 37. Absolute @ewichte von Muskeln des zweiten, etwas differierenden Paares. Weiblicher o | | Schwarzer Ruhehund Arbeitshund g g Museulus tibialis anterior . . . . . . 2,91 3,19 n SAHLOLIUSE ET Ua. 3,12 4,75 5 graclistare 3 ern. 1,47 1,46 Tabelle 38. Prozentuale Gewichte von Muskeln des ersten Paares. Prozente Prozente des Körpergewichts | des Gehirngewichts Ruhe- | Arbeits- Ruhe- Arbeits- hund I hund II hınd I hund II 0/0 %o %o %o Musculus extensor digitalis longus | 0,090 | 0,079 8,96 8,65 rectus femoris . . . . 016271 705184 16,17 20,39 5 Sartoriuseree a a: 0,080 0,099 7,95 9,89 Körpergewicht 2...» ».. 6,95 kg 6,67 kg Gehirnsewichtu nen. 0. 66,1 g 613 g Mit einer einzigen Ausnahme (Tab. 36 und 38) liest man in den Tabellen, dass die Muskeln des unter dem Einflusse der Arbeitsleistung gestandenen Tieres die des Ruhe- tieres an Gewicht übertreffen. In einem Falle (Tab. 37 30 * 460 Heinrich Gerhartz: bzw. 39, Musculus graeilis) war das Gewicht unter den verschiedenen physiologischen Bedingungen gleich. Angesichts der Schwierigkeit, den Muse. extens. digit. long. schnell und in genau konstantem Umfange bei zeitlich weit auseinander liegenden Präparationen von seinem Bindegewebe zu isolieren, dürfte diese Ausnahme wenig besagen. Tabelle 39. Prozentuale Gewichte von Muskeln des zweiten Paares. Prozente | Prozente des Körpergewichts des Gehirngewichts Weiblicher | Schwarzer | Weiblicher| Schwarzer Ruhehund |Arbeitshund| Ruhehund |Arbeitshund Io 0/0 0/0 00 Musculus tibialis anterior . . . 0,063 0,081 4,88 9,44 » SArtOLIUSE Eee 0,068 0,120 220 8,10 2 gracilisp. ser. 0,03 0,037 2,46 2,48 Körpergewicht ..... nn... 4,60 kg 3,95 kg Gehirngewicht . . ...... | DIT: NE 598,7 8 Tabelle 40. Trockensubstanzgehalt von Muskeln des ersten, gleichen Paares. (Prozente der frischen Substanz.) Ruhehund I | Arbeitshund II Yan 0/0 Musc-tiblalis anterior a re 23,13 26,51 =, »peroneusslongusues a a u), 22,11 24,49 ».. extensor disitalis. longus.. . .... ..... 24,49 26,23 Mm. gastrocnemius u. flexor digitalis sublimis 24,64 27,24 Muse.nrectus; temoris u 2.0. „ame ne. 22,92 25,20 Tabelle 41. Trockensubstanzgehalt von Muskeln des zweiten, etwas differierenden Paares. (Prozente der frischen Substanz.) Weiblicher Schwarzer Ruhehund | Arbeitshund e.3910 0% Muse. tibialis- anterior. .. -... url... 25,95 26,97 „oo peroneuszlonguse see 27,96 27,16 Mm. gastrocnemius u. flexor digitalis sublimis 26,23 26,82 Muscz sartorius er ee 25,45 27,97 „*-:gracilis? ha, ai 24,34 26,49 Gemisch beliebig gewählter sonstiger Muskeln 24,87 26,08 Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 461 "ZUPISAUS UAUISLIF AOP 0/,60'95, — ZURISqUSUANIOL], (8 — 'ZURIsqnS UATOSL.IF 19Pp 0/, 8F‘Lz — zuejsgqnsuoy901], (1 — 'Zur/sqng UOUOSLIF A9P 0/, 18°pz — ZURISqUSUHN0L]L, (9 — 'ZURISINg UAYOSTIF OP 0/,62'Cz — ZurIsqns -U9NDOL]L, (G — "zZueIsqng UOUISLIF A9P 0/,QT'CZ — ZURISANSUHNIOLT], (F — 'zurIsqng uay9SLIF A9P 0/, [G'Cz — zurIsqusuoyoo.L], (g — "IST 31199893 -I9y9Is uosunwwumsoqpddoqg yaanp Joy Op ep ‘ufopımao nz Iyoıu yaıseaygowu Ist ‘wey SungroqieisA ANZ JONSHAT AoydroıoF Sa9puosoq Sıpemz aoıy osoIM (Z — (59998 9IA ‘usjgezjeustig uUHp NE JOug99ASnYy) "zueIsqng UoyosLI AOP 0/,60'EZ = ZUrISquSUoN90AL, (T 1E°91 86,81 age yet set | ge | (egicı 107° | (891 r0F7 “ . pangspoqay Jozıemgag 96°| substarz| Trocken- [Substanz'substanz substanz %o % %g %o % %o 90 Ruhemuskel. . 3,66 14,07 3,50 13,46 16,39 0,99 3,179 Arbeitsmuskel . 4,64 16,68 3,63 13,04 16,33 0,97 3,45 Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 465 Ein zweiter Hund („Amputationshund‘“ II, vel. S. 414) wurde am 5. April 1907, nachdem tags vorher etwa um dieselbe Tageszeit das letzte Futter gereicht worden war, operiert. Das Tier wog 11,36 ke. Auch diesmal wurde von einer Allgemeinnarkose abgesehen. Es wurde in der Weise anästhesiert, dass 25 ecm einer 0,5 l/oigen Novokain-Suprareninlösung teils direkt in den Nerv. ischiad. injiziert, teils zur intrakutanen Infiltrationsanästhesie nach dem Verfahren von Reelus unter Zuhilfenahme der elastischen Abschnürung ver- wandt wurden. Der Suprareninzusatz sollte zur Verzögerung der toxischen Wirkung des Kokains dienen. Vor der Amputation wurde die Art. femoral. geöffnet, um Blut zur Analyse zu erhalten. Die Absetzung der linken Extremität geschah wiederum im Schaft- teil des Femur, und zwar wurde diesmal, da sich in dem früheren Falle der Zirkelsehnitt nicht bewährt hatte, vorteilhaft ein breiter vorderer und ein schmälerer hinterer Hautlappen gebildet und recht weit nach der Basis zu heraufpräpariert. Die Wunde wurde mit steriler Gaze bedeckt, mit einer Binde umwickelt und zum Schluss mit einer aus elastischem Gewebe bestehenden Kappe, die durch Schnüre am Tier sicheren Halt fand, bedeckt. So sass diesmal der Verband sehr sicher. Am fünften Tage nach der Operation wurde er gelöst. Die Wunde sah ausgezeichnet aus; sie heilte prima intentione ab. Die Temperatur stieg nach der Operation nie über die Norm: Das Maximum betrug 39,15°C. in der Vagina am Abend des zweiten Tages nach der Operation. An den folgenden Tagen waren die Morgentemperaturen 38,8°; 38,9°; 39,19%; 38,7°C., stets in der Vagina in derselben Tiefe bestimmt. Die Operation hatte das All- gemeinbefinden auch dieses Hundes so wenig mitgenommen, dass er, wie der frühere, sein Futter am Nachmittage des Operations- tages mit dem alten Behagen verzehrte. Am zweiten Tage. von der Operation an gerechnet, wurde diarrhöischer Kot entleert. Da bis dahin, der Billiekeit wegen, 30 Tage hindurch Pferdefleisch gereicht worden war, dürfte es sich auch hier wieder zweifelsohne um Pferdefleischtoxine gehandelt haben, wofür auch spricht, dass Diätwechsel sofort Änderung brachte. Der Hund wog am Tage der Amputation 11,60 kg, nach 21 Tagen Ruhe (amputiert) 10,83 kg; es hatte also eine Gewichts- abnahme stattgefunden. Nun sind aber die genannten Gewichts- 466 Heinrich Gerhartz: Tabelle 47. Absolute Gewichte von Muskeln des Amputationshundes I. Ruhe | Arbeit (rechtes Bein) | (linkes Bein) g g Musc»tibialstanterior: ven ze 9,11 8,29 Muse. peroneus longus 2 nr un. 3,24 3,05 Muse. flexor digitalis profundus . . . ... 12,73 12,50 Musc. extensor digitalis longus. .. ... . 7,65 7,11 Musc. gastrocnemius med. u. lat... .... 46,43 44,13 Musc.=peroneus tertius.. A.n.. en. 1,49 1,59 Gesamte übrige Unterschenkelmuskulatur . . 9,98 9,90 Insgesamt een | 86,03. 82,62 Tabelle 48. Gewicht von Muskeln des Amputationshundes II. (Prozent des Körpergewichtes). Ruhe £ Gewicht korri- Arbeit giert—=11,127kg| (linkes Bein) (rechtes Bein) %o % Muse tiblalissanteriorse mer ee 0,082 0,073 Musc.-peroneüs longus °. ....°. I 2.2.2.7. 0,029 0,027 Musc. flexor digitalis profundus . ... . . 0,114 0,110 Muse. extensor digitalis longus. . . . . . . 0,069 0,063 Mm. gastrocnemius med. u. lat. . ..... 0,417 0,394 Muse. ‚peroneus tertius .-. . . - „2... 0,013 0.014 Gesamte übrige Unterschenkelmuskulatur . . 0,048 0,047 Insgesamt m. RC | 0,773 0,727 Tabelle 49. Gewicht von Muskeln des Amputationshundes Il. (Prozent des Gehirngewichts [80,1 g].) Ruhe Arbeit (rechtes Bein) (linkes Bein) 0/0 0/0 Muse. tibialis anterior . . . .. . El eh, 11,37 10,35 Musc. peroneus.longus ....... er... 4,04 3,80 Muse. flexor digitalis profundus . . . . . . 15,89 15,60 Musc. extensor digitalis longus . . . . » - 9,55 8,88 Mm. gastrocnemius med. u. lat. ...... 57,97 59,84 Musc. 'peroneus'tertius- .... .... 2a... 1,86 1,98 Gesamte übrige Unterschenkelmuskulatur . . 6,71 6,68 Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 467 zahlen nicht ohne weiteres kommensurabel, da das letztere Gewicht um den amputierten Schenkel zu gering gewogen ist. Dessen Gewicht betrug 300 g, das Blut, das bei der Operation verloren ging (110 ecm), 117 g, so dass also das Tier gleich nach der Operation 10,94 kg gewogen hätte. Diesem Gewicht entspricht das tatsächliche Ruhegewicht 10,83 kg, einem Schenkel von 300 & Gewicht also ein solcher von 297 g. Hätte der Hund also bei der Ruhe noch sein linkes Bein besessen, so — kann man annehmen — wäre sein Ruhegewicht 10,330 + 297 — 11,127 kg gewesen. Auf dieses Gewicht sind die Muskelgewichtszahlen (Tab. 47) in Tabelle 48 berechnet worden. Eigentlich ist auch dies nicht ganz korrekt; denn, wie ein Blick auf Kurve III lehrt, nahm das Körpergewicht vor dem Tode nach längerdauernder Konstanz stetig und so stark zu, dass die Muskeln mit dieser Zunahme nicht Schritt halten konnten. Richtiger wäre demnach schon die Beziehung auf das mittlere Ruhegewicht. Aber auch diese Berechnung ändert eben- sowenig wie die Aufrechnung auf das konstante Gehirngewicht (Tab. 49) etwas daran, dass in diesem Versuch sämtliche untersuchten Muskeln das merkwürdige Phänomen darbieten, dass die Ruhemuskeln schwerer sind als die Arbeitsmuskeln. Diese Tatsache ist um so auf- fälliger, als die Ergebnisse der chemischen Unter- suchung wiederum mit den früheren harmonieren und eklatant den Einfluss der Arbeit im Sinne einer Erhöhung der Trockensubstanz (Tab. 50 und 51) er- kennen lassen. Die Zahlen für den Stickstoffgehalt Tabelle 50. Trockensubstanzgehalt von Muskeln des Amputationshundes II. (Prozent der frischen Substanz.) Ruhe Arbeit (rechtes Bein) (linkes Bein) 0/0 0/0 Musewiibralssanteniors Pause. 2 29:52 27,99 Muse Beroneus longusı 2 mass 7. 26,55 29,00 Muse. flexor digıtalis profundus . . .. . . 25,92 26,68 Musc. extensor digitalis longus . . .. . - 25,38 27,01 Mm. gastrocnemius med. u. lat. ...... 25,92 27,15 Muse: !peroneusitertiust . „eltanesz. du. u: 28,00 29,18 Gesamte übrige Unterschenkelmuskulatur . . 25,40 26,67 INTSCESÄM ER WE EN En Se 2 25,62 | 27,00 468 Heinrich Gerhartz: sind gleich; die Werte für die Menge des vorhandenen Ätherextraktes demonstrieren deutlich die grössere Fettarmut der Arbeitsmuskeln (Tab. 52). Tabelle 51. Gewicht der trockenen Muskel vom Amputationshund II. Ruhe Arbeit (rechtes Bein) (linkes Bein) g 8 Muse-stibialisganterior =. 2.0 nn. 2,32 2,32 Muse: iperoneus longusı. = 7.3. Wi .nr. 0,86 0,88 Muse. flexor digitalis profundus . . .. . . 3,950 3.8 Musc. extensor digitalis longus. . . .... 1,94 1,92 Muse. gastrocnemius med. und lat... ... . 11,85 11,94 Musc-peroneus-tertiust era. 2 Sn ne 0,42 0,46 Gesamte übrige Unterschenkelmuskulatur . . 1,37 1,45 Insgesamt SU | 22,06 | 22,32 Tabelle 52. Ätherextrakt- und Stickstoffgehalt der Unterschenkelmuskel des Amputationshundes II. Ätherextrakt Stickstoff Prozent Prozent Prozent Prozent Prozent d. der der der der fettfreien frischen Trocken- frischen Trocken- Trocken- Substanz | substanz Substanz substanz substanz % %/o 0/0 0/9 %/g Ruhemuskel . . . 3,69 14,42 3,39 13,25 15,48 Arbeitsmuskel . . 3,25 12,25 3,56 13,20!) 15,01 Die Menge des erst nach dem Digerieren mit Salzsäurealkohol aus dem Muskel mit Äther Extrahierbaren war in diesem Falle bei der Arbeit ebenso gross wie bei der Ruhe. Die kürzeste Extraktion dauerte 25 Stunden, so dass die Zahlen ohne Fehler vergleichbar sind (Tab. 54). Die Ergebnisse der früheren Untersuchungen zeigen diese Kon- stanz der zweiten Extraktion nicht, sondern weisen durchweg ein relatives Überwiegen der zweiten Extraktion bei der Arbeit auf, 1) Von drei angesetzten Bestimmungen verunglückte eine, so dass nur zwei übrig blieben. Davon wies die eine einen Trockensubstanzgehalt von 13,20 (Tab. 52) nach, die andere einen erheblich höheren von 13,30% N der Trockensubstanz — 15,12°/o der fettfreien Trockensubstanz. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 469 El LP | 8988 08 09T L'al 66-78 El [ONSNIN AOdlsuos yosıuar) Lil 66 ' 09-Fr LE 391 FI #I—el & ° °.° JONSNWUONHLWOIKH Gol 98 8798 97 Feel 601 cl 66 ne ee 19 OHT: 7 sr 85 | 9 Hl ve 6 IT "02° 2° [oysnwzıoH 0), UA uapungg 0), 0/9 0), uapungg 0), zueIsqns zuvIsqns uonyen 9X y 'T Sop| zuwsqns ZUGISANS | Tanya | PXOLOUPY "T Sop -UONDOAL, AOP | -UONOOLL AOP| gr. 202 Ur (joyoN]y |-UON9oLL dop|-Uay90aL A0p| _.,, . |Z01g ut (jogosIYy ’z01J ut zo] uı al -HAMBSZIBS AuL 'z017 ut 'z01] ur u. I | -sineszeg yıu IEAIX9 IE.1IX9 2 dunjpuegogt yoeu) FNEAIXO INL.AIX9 a Sunjpugyogt yoeu) -9ugepe}o,], | -1oupy "I TUE | gyegxauayv 'z -ougepjoL | -1auV "I Sue PENNY 'z punyspogay Ozwapg RE pungayny aogoıpqto AA ö —. er] Sopusaouiopip ea IT oo Bern F > | 0%1 301 ode 8 81 9°97 yeı 68 a1 jOSUL AOSNSUOS yasLurH) EIN: L'6 88 91 LOL > 9:01 LE68 &l "7° [ONSNWUOFFHWONKM ar AR 06 yr u | u 5 ot N nen, - = — — _- | — — - De ET osnuzaor; | 0/6 0/0 uopungg 0/0 0), 0/9 uopungg | 0), zueIsqns zurysqus "IX9I19qJY '[ SOp| zZuejsqns | zuwsqns un XOdagyy "LSOp -UON90A]L, AOp | -UONPOLT, 10p a -z01.] ur (joyoy[Yy|-uospo.L]L aop |-uospoL], op ae 2014 U ([OyoN]YV ZOTTEUr © | Z01TRUT an -IINBSZILS MU z0I] u | zog u sc | -amyszieg u IE1IX9 PEAIX9 Br dunjpueyogydeu) YNwayxo INL.UIXO Au: Sunpuegagt deu) -T9geeI0L, | -doggy "I dl INeNXoIOyI y 'Z | -AomerwloL | my "I u T NEXT Y 'Z N jenen De _ [ pungoyny r ABBdIHISIMLISIH soyropd "I n "AUBSLOLOTFIOISTMUISIH OP OPNEIXIALH,Y Op Sunzosusmuresnz ‚ss Sad EL 470 Heinrich Gerhartz: auch, wo infolge der längerdaueruden ersten Extraktion ein kleinerer zweiter Anteil zu erwarten gewesen wäre (Tab. 53). Allein die Herz- muskulatur weicht von diesem Verhalten ab. Hier ist es aber sehr zweifelhaft, ob die Zahlen der Tabelle überhaupt vergleichbar sind. Zusammensetzung der Ätherextrakte der Extremitätenmuskeln Tabelle 54. Amputationshunde. der Amputationshund I. Ruhe | Arbeit 2. Äther- Re NIE 2. Äther- r Total- extrakt(nach | Dauer | "s Ser äther- | extrakt(nach | Dauer Ran äther- Behandlung i extrakt Behandlung extrakt De derss |.. extrakt | ” a deren, extrakt mit Salzsäure- rn 0/o der oe mit Salzsäure- plan /o der non der Alkohol in%o 2, rocken: Ir: © _ [Alkohol)in®/o | " . | Trocken- 2 x des 1.Äther- traktion Trocken- | ges 1. Äther- |traktion Trocken Ertraktor (Stdn.) substanz | substanz | „x: substanz | substanz : extrakts (Stdn.) 0/0 0/0 0/0 0/0 0/o 0/0 | UNE ER 2 h 8 obs 180 | 14 34 149 | 167 Amputationshund II. Ruhe | Arbeit 2. Äther- n Total- 2. Äther- xaranı) : Total- extrakt(nach | Dauer 1. Ather- äther- | extrakt (nach Dauer | 1. Ather äther- Behandlung | q extrakt Behandlung | der extrakt TEN er : extrakt : a len extrakt mit Salzsäure- in-%o der |: o mit Salzsäuer-| 1. Ex- |inoder |; o Alkohol)in / 1. Ex- in % der | Ajkoholi 0) : in %/o der On in traktion| Trocken | Trocken- oho!)in /0| traktion| Trocken- Trocken- des 1. Ather- substanz | substanz des 1. Ather- | (Stän.) | substanz | substanz extraktes | (Stdn.) extraktes 0/0 0/o 0/0 0/0 0/0 0/0 0/0 10 42 12,9 14,4 10 25 10,8 12,25 Die Verhältnisse (vgl. Tab. 53—55) liegen also für die peri- pherische Muskulatur so, dass die Muskelarbeit vor allem (eine Ausnahme) zu einer Verminderung des leicht aus dem Muskel extrahierbaren eigentlichen Fettes führt, der Gehalt an schwer mit Äther extrahierbarem regelmässig — von einem Falle, wo er gleich blieb, abgesehen — zunimmt. N. Zuntz!) hat darauf aufmerksam gemacht, dass das erste Extrakt das zwischen den Muskelfasern gelegene Fett repräsentiert, das 1) Zuntz, Über die Fette des Fleisches. 1897 S. 149—150, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 471 zweite (erhebliche Mengen freier Säuren) aber das der quergestreiften Muskelfaser selbst entstammende „Fett“ darstellt. Bogdanow fand unter Leitung von Zuntz, „dass diese schwer extrahierbaren, in der kontraktilen Substanz selbst verteilten Fette zur Tätigkeit derselben in inniger Beziehung stehen“, und dass sie „bei der Arbeit verbraucht, aber durch Neuzufuhr vom Blute her rasch wieder ersetzt zu werden“ scheinen. Zuntz demonstrierte als Beleg hierfür in der Berliner physiologischen Gesellschaft „drei korrespondierende, mit Osmium- lösung behandelte Muskelproben von Fröschen. Die Farbe der drei in genau gleicher Weise bereiteten Präparate variierte von hellem Gelbbraun bis zu Schwarzbraun. Die hellste Farbe zeigten die Muskeln, welche nach Aufhebung des Blutkreislaufs bis zur Er- schöpfung tetanisiertt waren, am dunkelsten waren jene, welche nach zweitägiger Curarelähmung bei gut erhaltener Zirkulation aus- geschnitten wurden. In der Mitte stand die Färbung der nach langer Tetanisierung bei erhaltenem Blutkreislauf präparierten Muskeln“. Meine Befunde bestätigen durchaus diese Anschauungen über die Bedeutung der zweiten Ätherextrakte für die Arbeitsleistung. Sie zeigen, dass sie dabei gelegentlich sogar erheblich zunehmen, sei es dass überkompensiert wird oder neue Stoffe eintreten. Tabelle 55. Ätherextrakte bei Ruhe- und Arbeitsmuskeln. In °o der Trockensubstanz waren vorhanden . | Erst nach Leicht extra- | Digerieren mit hierbares | Salzsäure-Alkohol Fett | rgkmingende 0/0 | d/o | I. Gleiches Geschwister- f Ruhehund I ... 10,6 0,1 paar \ Arbeitshund II . . 9,7 1,6 ll. Etwas differierendes weibl: A Do 14,1 2,1 Geschwisterpaar Es Sale 99 | 48 u Rubel. 1. 822 130° | 1,1 Ba 0rE \rAlrheitess 2.00 14,2 213 Amputationshund II a Te I I INDIE Te eig | —_ 1,89 Ich vermute nach diesen Erfahrungen, dass das sekundäre Äther- extrakt überhaupt für den normalen Ablauf der Lebensfunktionen eine BD: Heinrich Gerhartz: grosse bedeutung besitzt. Eine Stütze für diese Ansicht finde ich in Beobachtungen von Schulz!), der verhungerte Hunde auf ihren Fettgehalt untersucht hat. In den Tabellen dieses Autors findet man nun wohl grosse Differenzen im Gehalt an leicht extra- hierbarem Fett bei seinen Hunden, aber ausserdem eine Konstanz des Prozentsatzes an erst durch die Verdauungsmethode erschliess- barem „Fett“ und sogar einen Prozentsatz, der etwas über dem von mir an normalen Tieren gefundenen Mittel liegt. Das höhere Gewicht der Ruhemuskeln des Amputationshundes II bedarf noch einer aufklärenden Untersuchung. Ich erinnere daran, dass der Einfluss der Arbeit am linken, der der Ruhe am rechten Unterschenkel studiert wurde. Beim Amputationshund I, bei dem das arbeitende Bein schwerer war, war dieses das rechte. Liegt in diesem Momente die Ursache? Über die topographischen Unterschiede in der peri- pherischen Muskulatur desselben Individuums. Dass Unterschiede zwischen rechter und linker Muskulatur beim Menschen vorhanden sind, ist jedermann geläufig. Dass sie beim Vierfüsser sich geltend machen, ist von vornherein mit Rücksicht darauf, dass hier alles das, was der Erscheinung beim Menschen als Erklärung untergeleet wird, fehlt, unwahrscheinlich. Ist es der Fall, so wirft es ein aufklärendes Licht nicht zum mindesten auf die (senese der Unterschiede beim Menschen. Meines Wissens enthält die Literatur keine Angaben über die hier auftretenden Fragestellungen. Das Einzige, was mir bekannt geworden ist, ist eine Mitteilung von C. v. Voit?), in der sich ge- naue Maasse der Organe eines gesunden wohlgenährten und eines hungernden Hundes finden. Unter diesen Zahlen ist bei dem 15,4 kg schweren ersteren Hund folgende Angabe gemacht: rechte hintere Extremität = 280,2 & (= 11,75 °/o des Körpergew.), linke = N — 241,98. 10,14. %or , 5 )h 1) Fr. N. Schulz, Über die Verteilung von Fett und Eiweiss beim mageren Tier, zugleich ein Beitrag zur Methode der Fettbestimmung. Pflüger’s Arch. Bd. 66 S. 145—167. 1897. 2) C. Voit, Gewichte der Organe eines wohlgenährten und eines hungernden Hundes. Zeitschr. f. Biol. Bd. 30 8. 510 ff. 1894. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc, 473 Auf den rechten Unterschenkel kamen 85,6 2, auf den linken 77,5 g. Beim Fuss waren die Unterschiede ebenfalls sehr gross; die Oberschenkel wiesen eine nur geringe Differenz auf. Die Muskeln des rechten Unterschenkels wogen zusammen 173,5 g, die des linken 195,5 g. Weitere Differenzierung fehlt. Beim Hungerhund fand v. Voit noch geringere Unterschiede. Ich habe seine Zahlen in der Tabelle 56 zusammengestellt. Tabelle 56. Extremitätengewichte des Hundes nach C. von Voit., (Hunger.) Rechts Links g g ER Be 1 |361,4— 11,4% |359,5 — 11,97% Hintere Extremität. . . .. . - “ \ | des Körpergew. ' des Körpergew. Unterschenkel 0% .ı. . 0, I 114,0 110,5 Unterschenkelmuskulatur . . . . 22... 145,5 147,0 Diese Ergebnisse v. Voit’s: grösseres Gewicht der rechten Ex- tremität ohne Mitbeteiligung der Muskulatur, konnten zur Aufklärung der beobachteten Differenz nicht genügen. Es sind deshalb eigene Untersuchungen angestellt worden. Drei gesunde Hunde wurden vor dem Tode einige Zeit hin- durch mit überwiegenden Mengen Pferdefleisch, einer kleinen Zulage Sehweineschmalz und sehr wenig Reis gefüttert, so dass also den früheren Versuchen völlig gleiche Verhältnisse zeschaffen waren. Zwei Hunde waren junge Hofhunde von gleichem Gewicht (7,6 und 7,7 kg, 8), der dritte Hund war ein Jagdhund, der 19,4 kg wog. Diese Tiere sind im folgenden mit Hund VII, VII und IX bezeichnet. Die übrigen Verhältnisse waren den oben beschriebenen analog; z. B. wurden auch diese Hunde durch Entbluten getötet. Den Tabellen, welehe die Untersuchungen der Muskulatur wiedergeben, ist noch eine die inneren Organe betreffende Notiz (Tab. 57) beigefügt. Es ergibt sich aus den Aufstellungen (Tab. 58 59 und 60), dass beim Vierfüsser in der Ruhe rechte und linke Seite, sowohl was das absolute Gewicht der Muskeln als ihren Wassergehalt angeht, sich gleich verhalten. Bei Hund VIII waren die entsprechenden Zahlen: rechte hintere Extremität 25,69 0/o Trockensubstanz, linke S . 25,12 lo z Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. ol 474 - Heinrich Gerhartz: Tabelle 57. Absolute und prozentuale Organgewichte vom Hund VII. (Körpergewicht 7,6 kg). Absolutes Prozent des Prozent des Gewicht Körpergewichts Gehirngewichts g %/o %/o Gehirn. 2 u. 2e 66,5 0,37 100 Herzayne er ne. 70,8 0,93 106,0 Tkebera.c een er: 202,0 2,66 303,6 Lungen. 229° 1%. Te: 130,2 1,71 195,7 Pankreas ers nene 18,1 0,24 27,2 IMlz 2.20 0, 13,9 ; un 20,9 e zechtsee = 14,81: 0,19 \ 22,2\ Nieren | jinks . .. 15 0,20 g 40 23,0 | > Tabelle 58. Vergleichende Zusammenstellung der Muskelgewichte vom Hund VII. Rechts | Links g g Muse.xpleepsun 2. m nen 9,19 9,54 Muskel der Musc. pectoralis major 18,24 18,72. ° vorderen Musc. anconaeus internus . . . 7,30 6.89 Extremität Muse. tibialis anterior . . . . 93,07 8,72 ) Muse. extensor digitalis pedis | I ee lonzus Ra Ne 5,46 5er en Musc. peroneus longus . . . . 2,48 2,59 ) ; | 51.75: 1051.99 Tabelle 59. Trockensubstanzgehalt der Muskeln vom Hund VII. Rechts Links Insgesamt 0/0 0% 0/0 I Muse.zbiceps. 0. 2 22,74 24,00 Vordere ine pectoralis major . 23.12 22.96 23,33 Muskeln | Musc. anconaeus internus 22,40 25,13 ß { Musc. tibialis anterior. . 25,18 25,05 Hintere } Musc. extensor digitalis 95.09 Muskeln | pedis longus . .. . . 24,98 24,76 | , ( Musc. peroneus longus . 25,12 25,25 ) Sonstige Oberschenkelmuskulatur . . 23,61 23,98 —_ Sonstige Unterschenkelmuskulatur. . 24.15 24,91 — 1) Am Herzbeutelansatz losgetrennt. 2) Schulz,l.c.(s. Anm. S. 472) fand bei einem verhurgereen gesunden Hund von 24 kg Gewicht das Herz zu 102,6°0 des Gehirngewichts, aber zu 1,3°/0 des Körpergewichts. Also auch hier zeigt sich der grössere Vorzug des ersteren Modus der Berechnung. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 475 Tabelle 60. Trockensubstanzgehalt der Muskeln vom Hund VII. Vordere Muskeln sa 24,58 %/o Eiinteren Muskel nes Sad 25,19 %/0 Oberschenkelmuskulatunze nr ae ne 25,10 %0 > 95 0/ 2 = Unterschenkelmuskulatur | Rechte „7... . 125,420 25,47 %/0 links... oe in Weiterhin hat sich aber die interessante Tatsache ergeben, dass die vorderen Extremitätenmuskeln die hinteren an Wassergehalt übertreffen, desgleichen die Öber- schenkel wasserreicher sind als die Unterschenkel. Die hier gemachten Beobachtungen decken sich nun durchaus mit meinen früheren Erfahrungen. Beim Amputationshund I lagen beim Ruhemuskel die Trockensubstanzwerte der hinteren unteren Extremität bei etwa 25,5 °/o, eher höher, für den Peetor. maj. wurden dagegen nur 21,7 °/o, für die Bauchmuskeln 22,6 %/o Trockensubstanz gefunden. Nur bei den vier Geschwistertieren sind solehe Unterschiede nicht hervorgetreten. Es ist demnach wahrscheinlich, dass das Alter hier eine Rolle spielt, in der Art, dass erst lJangdauernde Einflüsse die genannte Verteilung des Wassers bedingen. Werden doch in der Tat die Muskeln der vorderen Extremität beim Hunde weniger intensiv benutzt als die der hinteren; denn beim Laufen haben die Hinterbeine der Vierfüsser die Aufgabe, den Rumpf nach vorn zu bringen. Dazu muss die hintere Extremität verlängert werden durch Funktion der Muskeln, welche die Winkelstellung der Beine fixieren. Die Vorderbeine dagegen tragen nur den Körper; sie vollführen hiermit eine viel geringere Arbeit. Die Erkenntnis der Gesetzmässigkeiten, die hier zugrunde liegen, wird erleichtert durch eine Zusammenstellung der Unterschiede, die im Gewicht der frischen und trockenen Substanz zwischen Ruhe- und Arbeitsmuskeln bestehen (vgl. Tab. 61). Die Differenzen, die sich hier finden, illustrieren deutlich genug, dass die Beuger und Strecker in erster Reihe unter dem Einflusse der Arbeit an Wasser verarmen. Da sich aus dieser ganzen Untersuchung als hier wichtigstes Ergebnis herausgestellt hat, dass eine Differenz sowohl der Gewichte wie im Wassergehalt zwischen der Muskulatur der rechten und linken Körperseite beim hier als Versuchsobjekt dienenden Vierfüsser nicht alı= (T68T ug sopunyp SOp SIwoyeuy :180do yewogsig ‘wneg "pn aosıoqua]g "M eu yoryoesydneg) "SJeMsSne yosu ssng uop Iq9ag “doönaqawjuelg pun d9N991SSSn A (OT 'SOSSNT SOP A9AynzJIoA pun 1979919suoy97Z (6 "Ms 'n sopdunygy sop doaynjsyemyony pun aopynppY (8 OU )Z °C a9p aoyynp -qy pun 10suogxrf (} "SNSAR], SP A9]JEISISI T pun 19799Hg "syuojoFatuyy SOp AOdnag ‘sOssnT Sp aaaynyyony “woyaz dop 1odnog (9 "SYU9[OSOTUy S9p JOsnag "ION99ASSSNJJONIMN (GC -PUBISSn J uoferpaur uOPp ga "1WOSNn9gSssmypNIM. (F 'SOSSHT SOP AOaynpy>ny “aanaquayaz (£ ‘S[OJUOTIg U9IOAF SOP A0JNPpYy pun waynzaoA (Z "yuofogaruyf sep I799198 !EYUOYISI9IO UOP I49H (I 1 + er 070 — = 887 ar, — "9° (9, SNSUoL Sna9uorad "osuml GT E99‘ hi AL — — — FI + EU — (6 snduof sıpenäip A0OSUIIXI "ISUML S so = sg + 200 + 3% ER er "(gSITOrad SO = 21 Sr a: er = ai =. — 0° *(„smmaol smouodsd "osupy 3 y er ee R 2% Ä Be (0 stupqns SI[ENSIP AOXOy "OSUML = Sl er ee az 098 H ° * *(„SNIWOUDOLISEH "OSUL © 61 ned coL+ 90 + 960 + aan — 0° („snoue steigt} SO] (de) 0° 91.0 + STEH u = _ == (6 snpunjoad sıpeyiäip d0OX9y DSnW S 08 = =5 ea + ıse + = #I+ (SSOMOTACSFOSDIN: = are Bas: Se = — Sa an + PEST: SLTOUIF SNYI91 OSUN an 0/o 0/0 0/0 0/0 0/0 0/o 0/0 yeyod (zu9aayıp (zu9aaypıp eos (syqpImo8 eos (SHP1MaS zue}sqns zuejsqns -zueIsqns zue}sqns -umy9d) SOPp -zueJ54QnS -umgog) SOp -UOM9OALT, -U9M9OLL,) -U9M90.],) -U9M90ALL, 0/0) FEDIMOH) -uU9M90LL 0/0) JqPımaN ut ZU] jr puny I pıny wr zuodogigg | WI zuadogieg | WI ZUadayIe] | WI ZUOAOIA MATHE SU LUNG] FLUT nz awedaogsimypson TE | wedaagsımyoson "I "NOqIYy d9p uOsUnsnZ — + (SIPIMOFUIITEN SOP HFUOZOTT PULS U9ZUMLYIPSIPIMON HIPp any U9LRZ OA) "U9ZU9TIJFIPZURISQNS -UIYIOLL, PUN -SPIITAO) UOPUAUTOY UJOYSMUWSOGgTY pun -Duny USUj2Zzurs 9Ip June Op Sunpjpjsusumesnz SPUSTITOLSIIA 5 ‘79 91794@L Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 477 die Regel ist, ist es notwendig, die Erklärung für die im letzten Versuch beim Amputationshund II beobachtete Abweichung von den sonstigen Erfahrungen in anderer Richtung zu suchen, in einer Wasserverarmung der arbeitenden Muskeln von so hohem Grade, dass die Zunahme der Trockensubstanz im Gewicht des frischen Muskels nicht zum Vorschein sekommen ist. Das lässt sich näher zeigen. 100° & Ruhemuskel hatten bei der Analyse 25,62 g Trockensubstanz ergeben. Es blieben also 74,4 & Wasser. Nun wogen 86,03 & Ruhemuskel nach der Arbeit 82,62 g; 100 g Ruhemuskel würden also 96,03 & Arbeitsmuskel entsprechen. 100 g Arbeitsmuskel enthielten (Tab. 50) 27 °/o Trocken- substanz, 96,03 g Muskel also 25,93 & Trockensubstanz. Es waren also nun 96,053— 25,953 —= 70,10 g Wasser im Arbeitsmuskel vor- handen. Demnach gingen infolge der Arbeit 74,4 g Wasser 25,95 g Trockensubstanz, — 701g s — 25,62 g R 4,3 g Wasser verloren, und nur 0,31 & Trockensubstanz kamen bei der Arbeit hinzu. Es trat also eine Gewichtsdifferenz von 4,0 g auf 100 & infolge Wasserverlustes ein (vgl. die graphische Darstellung auf S. 478). Die Beobachtung lehrt, dass die übliche Anschauung, die Ge- wichtsvermehrung charakterisiere die Arbeitshypertrophie der Musku- latur, der Korrektur bedarf. Nicht sie ist das Wesentliche, sondern die konstantere Abänderung in der chemischen Zusammensetzung. An der Hand der weiteren Analysenresultate von Amputations- hund II lassen sich einige Erwägungen anstellen, welche die Art der bei der Arbeit stattgehabten Änderungen der Zu- sammensetzung noch näher beleuchten. Ich habe eben angegeben, dass aus 100 @ Ruhemuskel mit 25,62 g Trockensubstanz: 96,03 g Arbeitsmuskel mit 25,95 g Trocken- substanz geworden sind, also 0,31 g Trockensubstanz hinzugekommen sind. Um über die Art dieser Trockensubstanzzunahme Aufschluss zu erhalten, ist die Kenntnis der Extraktivstoffmenge der Muskel notwendig. Ich habe deshalb sowohl das Ruhe- wie das Arbeits- fleisch mit Wasser ausgelaugt und die Extrakte näher untersucht. Um hier den Zusammenhang nicht zu zerreissen, gehe ich später auf Technik und Ergebnisse dieser Untersuchungen näher ein und führe jetzt schon mit den hier notwendigen Analysenzahlen die 478 Heinrich Gerhartz: Graphische Darstellung des Einflusses der Arbeit auf die periphere Muskulatur. Amputationshund I. Amputationshund I. _ ee m———— ——— = [—— S4,43 g Wasser 14,38 g 70,10 g 74,46 g Wasser Wasser Wasser ae 32,57 25,62 g 29,08, 6, 25.54 & Trocken Trocken- Tı ocken- Trocken- substanz substanz substanz substanz Ruhe- Arbeits- Ruhe- Arbeits- muskel muskel muskel muskel 100,00 g 96,03 8 100,00 g 117,00 g Rechnung durch. Damit ergeben sich für die Ruhe- und Arbeits- muskulatur die absoluten Werte für die Konstituenten, die in Tabelle 62 (S. 479) angegeben sind. Wie man sieht, bestehen 9,69 g Rohfett, 100 & Ruhemuskel aus ? 3,62 g Extrakt, 0,15 & Asche, 7,49 g und einem Rest von . . 25,62 g Trockensubstanz, — 7,49 g, [4 18,13 g für das „Fleischeiweiss“. 1 Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 4 -JUBSOH AO 0/,L9°78 :79 'QBL, Ur oIM (E OYISTHNRAIK 3 260 Noqay op 19q 3 80 Ayny aop Tag ospe !IEIXT wr oyose OUMETOFUD 915 PULS ‘UOPAINA UHULOMAZ Funwwmsogg oyyaup Yonp Iyoıu IT punysuor -ndury uop any uoyez uopuogajsusgo op weg "PIegxzy wr 8 810 oypsy 3 66‘ uoa !3 6,0 ospe uam 60 uoA Saoqn YPEIXT HDTIISSUA sep UT Oyaswyuwsdrn) Op 0/,L9°Tg Uagod 99 'qeL PeN (Z (6TO) + so+ (Fo) Gar (GE0) 05€ 2 E IMUIXO -UOM9OLT, WE | YSpnS YOYSNPIS -JIUBSYH) ‘I Ppungsuonemduy sap anyepnysum Ao9p uoA uolyez (I (E00) + 10 + 0) + LET 80 re rs er le 25 Tonsnusgtogity; | | | sop uaSUNSNZ ZUOdap Te | (120) st | 98) ep | 282g erg “ * [oysnuspoqgay 8 I1] (x. (8T'O) 660 (17°8) 998 r4'G2 012677 "0° poysnmoung 8 001 5 kn) 3 D | o | S UST U9UOJ[EUJUO J2PEAIXO J27U.1X9 ZUBISAqNS | 19s8R ı PEN u -JIURSON) -UOM9OL], | -19U V | -moypoa], | MN \ryoru OP ISO \ | ur uoypeyuo puIs Sy °] pungsuoryejnduy U0A HSUHWJONSMWSIOgLV UOpuoa9.cdsjuo dosoıp aop pun [OySnwogny A9p Sunzyosusumesnz "69 O]I94®L 60°0 + 0+ | MO — | 00) 970 LEO 1E0 + 8 — . °° ° SONSNWSMOANLY | sop uosunonz ZU LT 970 178 (L10) (1 (660) r0°& LE E66 070, “ . paysnusppgty 8 60°96 &o 688 (810) (1 (26°0) cyE 69€ 9°C BE FL “0 oapsnwognyg 8 007 3 3 3 | 3 | 3 | 3 | 3 | 3 I[R.1IXO („oyasYy | | == | -UON90L7, wu HOISPTIS a | 9TISR |. me | PIEIIXO | zUuRrJsqns 10s8e 4 ut uoypeuguo puıs Sc] -NUBSOK UHRCHUNT -JURSON | -UONDOLT, -OUV | -UONDOLL HOSPUS i ) yoru op Isoy| ve I Y | °II punysuorpeynduy woA HSU9WJOYSNWSOAgTy UOpusp9adsjun aosoıp A9p pun anyepuysnumunyg aop Sunzjyosuouruesnz ‚s9 aTI94eL 480 Heinrich Gerhartz: Beim Arbeitsmuskel nennt die Tabelle {312 g Rohfett, für 96,03 g ? 3,04 g Extrakt, 0,17 & Asche, 0,33 8, d.h. 25,95 g Trockensubstanz, — 6,33 8, 19,6 g fett-, extrakt- und aschefreies Fleisch. Die eigentliche Fleischfasersubstanz hat also nach dieser Berechnung bei der Arbeit zugenommen. Die Differenz beträgt 19,60 g, — 18.13 g, 1,47 g = 8,1°/o des Ruhewertes. Da nun in 100 g fett-, extrakt- und aschefreier Muskelsubstanz nach einer Berechnung, die weiter unten zur Sprache kommen wird, 15,257 & N sind, hätten in 1,47 g „Fleischfaser“ zum mindesten 0,22 g N mehr in den Muskel kommen müssen. Hier versagen die Analysen; denn da nur 0,02 g N im Arbeitsmuskel mehr waren, musste der übrige Stickstoff aus dem Extrakt herübergenommen, oder ein an Stickstoff sehr viel ärmeres Eiweiss angelagert worden sein. Das erstere war nicht der Fall, da im Gegenteil der Trocken- extrakt des Arbeitsmuskels 0,09 &g N mehr besass; das letztere ist im höchsten Grade unwahrscheinlich, obwohl, wie wir später sehen werden, eine geringgradige Reduktion des Stickstoffgehaltes des „Ei- weisses“ bei der Arbeit konstant statthat. Die plausibelste Er- klärung ist wohl die, dass für eine so detaillierte Berechnung sich die Analysenfehler zu sehr summieren, zumal ja mit zwei auf fremdes Material gestützten Zahlen gerechnet werden musste. Was aus der Rechnung als wesentliches und sicheres Resultat sich bier ergeben hat, ist, dass der Arbeitsmuskel überhaupt an stiekstoffhaltiger Substanz gewonnen hat. Es seien noch einige Beziehungen festgestellt. Wie wir aus. den Tabellen ersehen, entsprachen bei der Ruhe: 18,13 g „Fleisch- faser — 3,39 g Gesamtstickstoff, — 0,37 g Extrakt-Gesamtstickstoff, 3.020. N; Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 481 bei der Arbeit: 19,60 g extrakt-, fett- und aschefreie Muskel- substanz —= 3,41 g Gesamtstickstoft, — 0,46 g Extrakt-Gesamtstickstoff, 2,95 gN. Auf 100 g fett-, extrakt- und aschefreie Fleisch- substanz kommen also bei der Ruhe: 16,66 g Stickstoff, Arbeit: 15,05 & n Ruhe 6,00 & fett-, extrakt- und aschefreie bzw. es ist ] n Muskelsubstanz, Stickstoff — | Arbeit 6,64 & fett-, extrakt- und asche- freie Muskelsubstanz. Beim Amputationshund I entsprachen 56,30 g Unter- schenkelmuskulatur des ruhenden Hundes 65,55 g Arbeitsmuskulatur (totale Unterschenkelmuskulatur). Auf 100 & frische Substanz des Rullemuskels entfallen also 117,0 g Arbeitsmuskel. Die Trocken- substanz machte im ersteren Falle (Tab. 45) 25,54 °/o, im letzteren 27,33 /o aus. Die absoluten Werte sind also für 100 & Ruhemuskel 25,54 g, für 117 g Arbeitsmuskel 32,57 g Trockensubstanz. Der Arbeitsmuskel hat also 84,45 g Wasser — 74468 „ r 0,97 & Wasser mehr erhalten. In der- selben Weise sind die Zahlen für die übrigen Konstituenten berechnet worden. Sie finden sich in der Tabelle 63 (S. 479) zusammengestellt. In dieser Aufstellung sind die Extraktzahlen nach den Analysen an der Muskulatur des Amputationshundes II (fettfreie Trockensubstanz) eingesetzt. Dort enthalten (Tab. 64, s. u.) 100 g fettfreie Muskel- trockensubstanz 15,58 g Trockenextrakt und 1.58 g Gesamt-Extrakt- stickstoff. Auf 21,88 g fettfreie Trockensubstanz, wie hier, kommen demnach 3,41 g Trockenextrakt und 0,35 & Gesamtstiekstoff im Extrakt. — Im Arbeitsmuskel (Tab. 65, s. u.) entsprechen 100 g fettfreier Muskeltrockensubstanz 13,537 & lrockenextrakt und 2,01 g Gesamt-Extraktstickstoff; .d. s. für die 27,14 g fettfreie Trocken- substanz des Amputationshundes I 3,63 g Trockenextrakt und 0,54 « Extrakt-Stickstoff. 482 Heinrich Gerhartz: Auf Grund dieser Zahlen ergibt sich, dass der ( 3,66 g Rohfett | 3,41 g Extrakt Ruhemuskel 25,54 g | 0,18 & Asche ha ea 18,29 g fett-, extrakt- und aschefreie Muskeltrockensubstanz enthielt, der ( 5,43 g Rohfett Arbeitsmuskel 32,97. | 8,69 g Extrakt — 9.27 a) 0.21 & Asche 23,30 8 | 9278. Die dafür geltenden Stickstoffzahlen sind: 3,50 g Gesamt-N 4,25 & Gesamt-N Ruhe: ! — 0,55 g Extrakt-N Arbeit: ! — 0,54 & Extrakt-N | N, \ 3.7. Ni; d.h.es kommen auf 100 & extrakt-, fett- und asche- freie Fleischtrockensubstanz bei der Ruhe 1722 eN, bei der Arbeit nur 5,92 ge N, bzw. 1g N entspricht bei dem Ruhemuskel 5,81, bei dem Arbeitsmuskel dagegen 6,28 & fett-, extrakt- und aschefreier Fleischsubstanz. Also auch diesmal entfällt auf die von Extrakten und Asche befreite Muskelsubstanz des Arbeitstieres ein geringerer Stickstoffgehalt als auf die des Ruhetieres. 32 199 3,15 Die Differenz der absoluten „Fleischfaser“ werte macht 23.30 — 18,29 5,01 g aus. Es hat also eine Zunahme um 27,4 °/o des Ruhewertes stattgefunden. 73 Le Be) Ehe es möglich ist, näher diese Verhältnisse zu diskutieren, muss auf die Extrakte selbst eingegangen werden. Verdienen sie doch auch im Hinblick auf die allgemeine Anschauung, dass die Arbeit zu einer Anhäufung stickstoffreicher wasserlöslicher Abbau- produkte führe, Interesse. Die Extraktuntersuchung zeschah an der Muskulatur von Am- putationshund II, bei dem allerdings der Stickstoff in der Arbeits- muskulatur nicht reichlicher, eher spärlicher vertreten war als in der Ruhemuskulatur. Das ist nicht das Häufigere; indessen wird Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 483 die Untersuchung der Stickstoffverhältnisse der Extrakte auch hier von Nutzen sein müssen. Die Extrakte wurden so gewonnen, dass das lufttrockene Muskel- fleisch, dessen Gehalt an absoluter Trockensubstanz und Stickstoff bekannt war, zunächst ungefähr 14 Tage hindurch — so lange, bis das Wasser farblos über dem Fleisch stand — mit Wasser von Zimmertemperatur (Thymolzusatz) ausgelaugt wurde. Es wurde oft geschüttelt, um den Prozess zu beschleunigen. Das Auslaugewasser — vel. das Schema — wurde nachdem auf dem Wasserbade erhitzt; in gleicher Weise wurde mit dem ausgelausten Fleisch ver- fahren, von beiden Koagulis abfiltriert und im ausgewaschenen Rückstande zur Kontrolle der Gesamtstickstoff bestimmt. Die ver- einigten Filtrate wurden auf dem Wasserbade bis zur Trockne ein- sedampft, der Rückstand mit kaltem Wasser aufgenommen, mitsamt dien unlöslich gewordenen Resten (feinen Häutchen) in ein geeichtes Kölbehen übergespült und bis zur Marke aufgefüllt. Im Filtrat — dem endgültigen’ Wasserextrakte der Ruhe- und Arbeitsmuskeln — wurde auf Trockensubstanz, Stickstoff, „Reinprotein“ und Brennwert untersucht. Ich hielt mich also im wesentlichen an die Methodik von Frentzel und Schreuer (Abh. III S. 284, 1. ec. S. 432). Schema der Extraktdarstellung. „ Auslaugewasser — ——_ —-— | Muskel- | trocken- un 2 | substanz = Rückstand Be | m | Koagulum x | \_ Wasser- Filtrat _ , bad 3 — (heiss Extra- Ar x Eingedampft. hiertes) Ns \__Mit kaltem / Koagulum x Wasser- 7 Wasser auf- \ Wasserbad Beat x genommen a lernt E \— (heiss Extra- X hiertes) Die Bestimmung des Trockenextraktes wurde so vorgenommen, dass das letzte Filtrat, in Porzellanschälchen mit ausgeglühtem See- sand vermischt, auf dem Wasserbade langsam unter Vermeidung von Krustenbildung zetrocknet wurde. Die endgültige Trocknung Heinrich Gerhartz: 484 wurde im Wassertrockenschrank bei etwas unter 100° C. bewerk- stelligt. Bei der Ermittelung des Reinproteins wurde im Prinzip nach der Vorschrift Stutzer’s!) verfahren: Das Extrakt wurde im Becherglase mit etwa der doppelten Menge Wasser versetzt und erhitzt; kurz vor dem Sieden wurden 25 ecm Kupfersulfatlösung (60: 1000) zugefügt, beim Aufkochen unter Umrühren allmählich 25 cem Natronlauge (12,5: 1000) eingetropft. Die Lösungen waren so bemessen, dass die Mischung neutral reagierte. Nach dem Erkalten wurde von dem Niederschlage abfiltriert, dieser letztere mit lauwarmem Wasser, Alkohol, Äther ausgewaschen und ge- trocknet, zuletzt im Rückstande der Stickstoff (nach Kjeldahl) bestimmt. Der in Form von Nichteiweiss-Verbindungen vorhandene Stick- stoff wurde aus der Differenz des Protein-N vom Gesamt-N berechnet. Das Extrakt wurde auf Zelluloseblöckchen verbrannt. Aschenbestimmungen konnten der relativ geringen Extraktmenge wegen nicht ausgeführt werden. Ich habe deshalb an anderweitigem Hundemuskelfleisch (Hund VII, VII und IX) eine Kontrolle vor- genommen. Es wird weiter unten davon die Rede sein. Tabelle 64. Zusammensetzung des Ruhemuskelextraktes von Amputationshund I. | . | . Gesamt-| Rein- | Wirk- Trocken- |nrotein- |]i x- in : ‘1... protein- licher Ex Das Extrakt enthielt extrakt, SH | stick- | traktiv- |Calorien in Prozenten stoff | stoff | stickstoff %o %o | 0/0 %o des Trockenextraktes .. . ... 100 10,17 4,30 5,87 139,5 der frischen Muskelsubstanz . 3,62 0,37 0,16 0,21 3,05 der Muskeltrockensubstanz. .....| 1413 1,44 0,61 0,53 19,71 der entfetteten Muskeltrocken- SUbSTANZ- ea ee 15,58 1,58 0,67 0,91 21,74 Die Ergebnisse der Extraktuntersuchungen sind in den Tabellen 64 und 65 zusammengestellt. ist die Abnahme der Extraktivstoffe im Arbeitsmuskel. Am hervorstechendsten Der Verlust im Arbeitsextrakt bezieht sich nicht auf die stickstoffhaltigen Sub- stanzen; denn das Trockenextrakt des Ruhemuskels besitzt 10,2 /o, 1) A. Stutzer, Untersuchungen über die Verdaulichkeit und die quantita- tive Bestimmung der Eiweissstoffe. Journ. f. Landw. Bd. 29 S. 473-492. 1831. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 485 Tabelle 65. Zusammensetzung des Arbeitsmuskelextraktes vom Amputationshund I. Gesamt- Rein- Wirk- | : Trocken- 2 rotein- licher Ex-| ? Das Extrakt enthielt extrakt | Stick- nn ck- | traktiy. |Calorien in Prozenten | sto stoff | stickstoff 0, 'o | I) 0 0 'o | 0 N} | 0/9 | I des Trockenextraktes . . . . 100 15,05 | 4,41 10,64 131,8 der frischen Muskelsubstanz . 3,17 0,48 0,14 | 0,34 4,18 der Muskeltrockensubstanz ı2| ın 08 | 15 | 18% der entfetteten Muskeltrocken- | Substanzen an ei. 13,37 2,01 0,59 1,42 17,63 das des Arbeitsmuskels 15,1 ®o Gesamtstickstoff, bzw. 5,9 %/o und 10,6 °/o Extraktivstickstof. Da nun der Gesamtstiekstoff der trocknen Muskulatur sich gleichblieh (vgl. Tab. 52), ging die Arbeit bei dem Amputationshund II mit einem Verluste von dem Anteile, den das Muskeleiweiss an der Zusammensetzung der Trockensubstanz nimmt, einher, oder — mit anderen Worten — die stickstoffhaltigen Extraktivstoffe nahmen bei der Arbeit unverhältnismässig mehr zu, wie das ja auch aus der Relation Ruheextrakt Extrakt-Gesamt-N dd ' (trocken): Wirklichem Extraktiv-N 9,87 Sr Arbeitsextrakt Extrakt-Gesamt-N __ 15,05 __ 100 (trocken): Wirklichem Extraktiv-N 10,64 70,7 bzw. aus der von Frentzel und Scehreuer als fast konstant angegebenen Beziehung: Eee 802,100 Muskel-Gesamt-N Ei] TE Wr 6,26 Wirklichem Extraktiv-N Be 13,20 _ 100 Ss ga hervorgeht. Die Verhältnisse können — unter Einsetzung des Material gefundenen Aschengehaltes (s. u. Tab. 66) anderer Weise illustriert werden. In 100 & Ruhe-Trockenextrakt waren 4,50 g N als Eiweiss- stickstoff (Stutzer) vorhanden. Auf 1 g N kamen laut früherer Berechnung 6,00 & fett-, extrakt- und aschefreie Muskelsubstanz. Unter Benutzung dieses Wertes würden den 4,30 g N 25,3 g Eiweiss entsprechen, so dass ein Rest von 74,20 g für stiekstoffhaltige Extraktivstoffe, die nieht Reinprotein sind, bleibt. Ziehen wir davon an anderem noch in A486 Heinrich Gerhartz: die Aschenbestandteile mit 27,435 & (Tab. 66) ab, so bleibt für die aschefreie, stickstoffhaltige Nichteiweiss-Extrakt- substanz der Wert 74,20 — 27,43 — 46,77 mit einem N-Gehalt von 5,87 g N, d. s. 12,4 0 Stickstoff. Im Arbeitstrockenextrakt (4,41 - 6,64 — 29,28 g „Eiweiss“) entsprechen 43,29 g stickstoffhaltiger Nichteiweissrest 10,64 & N. 100 g aschefreie, stieckstoffhaltige eiweissfreie Extraktsubstanz enthalten also im Arbeitsmuskel 24,6 g Stickstoff, d. h. doppelt so viel, als für den Ruhemuskel gefunden wurde. Überraschend niedrig ist die Verbrennungswärme des Extraktes, besonders, wenn man bedenkt, dass darin auch Glykogen enthalten sein dürfte. Es fällt namentlich auf, wenn man die Verbrennungs- wärme berechnet, welche das „Eiweiss“ allein geben würde. Ein Grund zu der Annahme einer falschen Bestimmung des Brennwertes liegt nicht vor, da mehrere ganz unabhängig gewonnene Extrakte dieselben Resultate geben. (Vgl. weiter unten, s. Anm. 2 S. 494). Es hatte sich oben herausgestellt, dass unter dem Einflusse der Arbeit aus 100 & Ruhemuskel beim Amputationshund II 96,05 & werden; ferner ging schon aus der Tabelle 62 hervor, dass der Gesamtstickstoff sich gleich blieb, und nur der Stickstoff im Extrakt zunahm. Differenzieren wir noch den letzteren laut Tabelle 64 und 65 in Reinprotein-N und wirklichen Extraktiv-Stickstoff, so stehen sich gegenüber: 100 g Ruhemuskel mit 0,16 & Reinproten-N und 021 g Extraktiv-N, 96,03 g Arbeitsmuskel mit 0,13 g Reinprotein-N und 0,33 g Extraktiv-N. Daraus folgt, dass der Extraktiv-Stickstoff (eiweissfrei) allein, und zwar um 0,12 °%o des frischen Ruhemuskels, infolge der Arbeit zugenommen hat, die Relation Gesamtstickstoff: wirklichem Extraktiv-Stickstoff also keine Konstante ist. Es ergibt sich nun aber in der Beziehung des Proteins zum Wassergehalte der Muskeln eine bemerkenswert regelmässige Zahlengrösse. In 100 g Ruhemuskel sind (Tab. 62 und 64) 74,38 g Wasser, 3,39 g Gesamtstickstoff und 0,21 g wirklicher Extraktivstickstoff vorhanden gewesen, also 3,39 — 0,21 = 3,18 g Protein - Stickstoff. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 487 Für 100 g Arbeitsmuskel sind die entsprechenden Zahlen: 73 Wasser; 3,56 g Gesamt - Stickstoff und 0,34 g wirklicher Extraktiv- Stickstoff. Hier sind also 3,56 — 0,34 = 3,22 g „Eiweiss*-N vorhanden. Nach diesen Daten ist also die Beziehung „Protein“ - Stickstoff „. 2 für den Wasser Ruhemuskel = für den 1 32,6 „a, Arbeitsmuskel = Sie ist also — die minimale Differenz kann auf eine Glykogen- abnahme zu beziehen sein — innerhalb der Fehlergrenzen konstant. Diese Relationen zeigen nun auch wiederum, dass die, wie schon lange bekannt, während der Arbeit stattfindende Wasseran- reicherung der Muskeln in der nachfolgenden Ruhe zwar in das Gegenteil umgeschlagen ist, aber doch nuriin äusserst geringem Maasse, so dass der geübte Muskel wohl wasserärmer ist als der dauernd ruhende, immerhin nur in einem geringen Prozentsatz. Die Beobachtung der relativen Konstanz des Verhältnisses des wichtigsten Konstituens der Trockensubstanz zum Wasser des Muskels spricht dafür, dass das Wasser im Muskel kein Reserve-!) und Luxusstoff?) ist. Anderenfalls würde wohl eine Regulation von der Ausdehnung, wie sie hier beobachtet wurde, nicht ein- setzen. Ich neige deshalb der Auffassung zu, dass das im Muskel vorhandene Wasser Quellungswasser ist und sich nicht wie in einer gewöhnlichen Lösung darin befindet. Die interessanten Beziehungen zwischen den einzelnen Bestand- teilen der Muskeln, die im Verlaufe meiner bisherigen Untersuchungen aufgedeckt worden waren, riefen den Wunsch nach einer Vervoll- ständigung der Extraktuntersuchungen wach. Ich habe deshalb an dem grossen Materiale, das von Hund VII, VIII und IX stammte, in der nachstehend geschilderten Weise weiter gearbeitet. 1) W. Engels, Die Bedeutung der Gewebe als Wasserdepots. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 51 S. 346. 1904. 2) A. Magnus-Levy in v. Noorden’s Handb. d. Pathol. d. Stoffw., 2. Aufl., S. 448. Berlin 1906. A88 Heinrich Gerhartz: Zur Herstellung eines wässerigen Extraktes wurden 33,742 g absolut trockene Muskelsubstanz in einer Lehmann- Völtz’schen !) Kugelmühlenflasche mit destilliertem Wasser versetzt und 47 Stunden gemahlen. Um Fäulnisprozesse völlig auszuschliessen, waren einige Tropfen Chloroform und die nötige Menge Thymol zu- gesetzt worden. Nachher blieb das Extrakt mit der extrahierten Substanz in einem Kolben in der Kälte solange stehen, bis sich der Rückstand von der intensiv gelbgefärbten Fleischlösung abgesetzt hatte. Die sauer reagierende wässerige Lösung wurde dann dekantiert, in einer Schale ohne Zusatz von Säure 5 Minuten gekocht und dann durch gewogenes Filter filtriert. Darnach wurde der Muskelrest wiederum mit Wasser versetzt, das erhaltene, noch intensiv gelb- gefärbte Auslaugewasser wieder, wie vorher beschrieben, behandelt und so fortgefahren, bis das zugesetzte Wasser auch nach gutem Durchschütteln des Kolbens farblos blieb. Das bisher Extrahierte wurde nun in einer Porzellanschale auf dem Wasserbad auf geringes Volumen eingedampft, der Inhalt durch ein gewogenes Filter filtriert. Das trübe, durch Filtrieren nieht weiter zu klärende gelb gefärbte Filtrat wurde beiseite gestellt, das Filter samt Rückstand im Trocken- schrank bei 70—73° C., zuletzt kurze Zeit bei 95° C. getrocknet und gewogen, um eine Kontrolle zu haben. Nachdem wurde der Rückstand quantitativ — mechanisch und zuletzt durch Abspritzen mit heissem Wasser — vom Filter in ein Wägeglas zur weiteren Verarbeitung gebracht. Aus diesem Rückstande wurden, im Mittel zweier gut überein- stimmender Bestimmungen, 8,67 °/o seiner Trockensubstanz Rohfett mit Petroläther im Soxhlet’schen Apparat extrahiert. Das sind 7,49 °/o der ursprünglichen Muskeltrockensubstanz und, da die frischen Muskeln 25,17 °/o Trockensubstanz besassen, 1,885 °/o der frischen Muskelsubstanz. Ich habe den so ermittelten Fettgehalt mit dem in der ur- sprünglichen Muskelsubstanz bestimmten verglichen. Zu diesem Zwecke war die letztere mit Äther, der erst durch Chlorealeium, dann noch mit Natriumsulfat von Wasser befreit worden war, 19 Stunden im Soxhlet’schen Extraktionsapparat (Modifikation l) C. Lehmann, Über eine neue Fettbestimmungsmethode. (Vorl. Mitt.) Pflüger’s Arch. Bd. 97 S. 419—420. 1903. — W. Völtz, Eine neue Methode der Fettbestimmnng. Ebenda S. 606—633. 1903. Untersuchungen über den Eınfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 489 von Zuntz) entfettet worden. Das gelblich-bräunlich gefärbte Ex- trakt wurde qualitativ in ein tariertes Wägeglas abgegossen, und nach dem Verdunsten des Schwefeläthers 2 Stunden bei etwas unter 100° C. getrocknet. Das so extrahierte Muskelpulver wurde nun mit Alkohol und 1—3 Tropfen Salzsäure (1,19) in der Wärme be- handelt, zum Schluss fein zerrieben und nochmals mit Äther extra- hiert. Auf diese Weise wurden bei der ersten Extraktion (drei Be- stimmungen) 12,33 %o der Trockensubstanz, im ganzen 14,27 %o Ätherextrakt erhalten, so dass also bei der zweiten Extraktion noch 13,63 °/o des zuerst Extrahierten herausgeholt worden waren. Mit dem zuerst (erste Extraktion mit Schwefeläther) gewonnenen Wert stimmte der Rohfettgehalt, der nach der Kumagsawa-Suto- schen Methode!) (Extraktion nach Verseifung mit Natronlauge) er- mittelt wurde, überein. Ich fand hier 12,096 °o der Troekensubstanz Ätherextrakt, dagegen nur 10,235 %o Petrolätherextrakt. Die Differenzen zwischen den beiden für das Rohfett gefundenen Werten (7,5 °/o an der von wässerigen Extraktivstoffen befreiten Muskelsubstanz, 10,2% bzw. 14,3 °/o im ursprünglichen Muskel) sind augenscheinlich dureh die Eliminierung von äther- und wasser- löslichen Säuren ?) (z. B. Milchsäure) hervorgerufen. Das wässerige Extrakt wurde in einer Porzellanschale auf dem Wasserbad eingedampft. Als dann mit heissem Wasser aufgenommen wurde, löste sich alles bis auf die spärlichen, schon von Frentzel und Schreuer beschriebenen Häutchen. Es wurde durch gewogenes Filter in ein Maasskölbcehen filtriert, mit heissem Wasser gewaschen, mit Toluol versetzt und nach dem Abkühlen zur Marke aufgefüllt. Der Rest, der durch das Eindampfen unlöslich geworden war (denatu- riertes Eiweiss?), machte 0,0155 g = 0,047 °/o der Muskeltrocken- I) M. Kumagawa und K. Suto, Ein neues Verfahren zur quantitativen Bestimmung des Fettes und der unverseifbaren Substanzen in tierischem Material nebst der Kritik einiger gebräuchlichen Methoden. Biochem. Zeitschr. Bd. 8 S. 212—347. 1908. 2) Zur Aziditätsbestimmung der Muskelsubstanz wurde Muskeltrocken- substanz mit destill. Wasser auf dem Wasserbad ausgekocht; dann wurde in ein Kölbchen filtriert, wiederum kurze Zeit gekocht, filtriert usw. bis zu neutraler Reaktion. Die Filtrate wurden vereinigt und unter Zusatz von Phenolphthalein mit wässeriger Kalilauge titriert. Zur Neutralisation wurden, auf 100 g Trocken- substanz berechnet, 1,364 g KOH (= 0,469: s KOH für 100 g frische Substanz) gebraucht. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. k 32 490 Heinrich Gerhartz: substanz, 0,345 °/o der Trockensubstanz des wässerigen Extraktes aus. Hiernach stellt sich also die Differenzierung in wasserlöslichen und wasserunlöslichen Anteil für 100 g Muskelsubstanz in folgender Weise dar: 13,59 g Trockenextrakt, wasserlöslieh: ! 0,05 g durch Abdampfen unlöslich gewordene, anfänglich wasserlösliche Stoffe, 13,64 & wasserunlöslich: 86,36 g (davon 7,49 g petrolätherlöslich). Die beiden Partien verhalten sich also zueinander wie 1: 6,33. Von dem eigentlichen wässerigen Extrakte wurden mit der Pipette gleich abgemessene Mengen auf Seesand getropft, gewogen und dann getrocknet (s. oben). Es wurden (im Mittel) 4,585 g Trockenextrakt in der verarbeiteten Muskelsubstanz gefunden. Der Stiekstoffgehalt betrug 0,711 g im ganzen, der Eiweissstickstoff (Stutzer, vgl. oben) im Mittel 0,222 g. Die prozentualen Werte sind in der Tabelle 66 zusammengestellt. In der ursprünglichen Trockensubstanz der Muskulatur waren 12,99 0/o (3,27 °/o der frischen Substanz) Stickstoff gefunden worden. Zur genaueren Charakterisierung des Stiekstoffes des Extraktes wurde ein Teil des Filtrates nach den Vorschriften von Hausmann!) mit Phosphorwolframsäure in der Kälte gefällt. Später wurde filtriert, der Niederschlag aufs Filter gebracht und mit kleinen Mengen Phosphorwolframsäure-Lösung und später mit destilliertem Wasser gewaschen. Das Filtrat vom Phosphorwolframsäure - Niederschlag wurde samt den Waschwässern auf bestimmtes Volumen aufgefüllt und nach Kjeldahl verarbeitet. Es wurden, für das ganze wässerige Extrakt berechnet, 0,24 g N gefunden. Der Niederschlag wurde in einen Messkolben übergespült, mit Kalilauge gelöst, das Filter zugebracht und das Ganze aufgefüllt. In aliquoten Teilen des Filtrats wurde wiederum der Stickstoffgehalt ermittelt. Es wurden 0,561 g N für das ganze Extrakt erhalten. 1) W. Hausmann, Über die Verteilung des Stickstoffs im Eiweissmolekül. Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 27 S. 95—108. 1899. — Vgl. auch B. Schön- dorff, Eine Methode der Harnstoffbestimmung in tierischen Organen und Flüssig- keiten. Pflüger’s Arch. Bd. 62 S. 1-58. 1896. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 4091 "IEAJNYUHNIOLL, SOLIIOIOISY (Z "ZURISANSUOIOAT, AOTOAy -oyosp pun -7oF 3 2]‘I8 pun 19PYayNUu9 3 51‘78 0Se uoydoadsyus ZURISYNSUINIONINSUN 9 001 "PIENXAINV 8 ZLz FI pun ayasy 9 uc'y uoyye ZUBjsqusuoporprsnn 3 001 !:HNSPNS 0/,,7E pun zZuvjsqnsusspoL]L 0/yLT'CZ SSTSIN ZUBISAYNS[ONSNI O4q>NOF Old (LE * a ap) I7’E8 = 810 6LT r20°0 61T 180 09% GITZL * zaugsqusuop>oraysum. u9TOJOHDSR pun UHPNONU9 AOp SITE ver gro 01.1 v20°0 69°T LL0 IP% gest ne RE TA ES RZUSISHNE -UONIOAFJONSUA UOPNFJUD AOp 91°L age 90 9v1 00 eg 990 I1s 668 “ zugsqnsuog9olyarsnm Aop 789 16 970 LEO 000 980 s9ro N) orE * zuB}SqNS[ONSU UOYDSLY} A0p or’cLa | 6LLE 659 LUHl 060 6ITI L9'9 9518 == U LIEDER ELTTT -U9M9OAL, UATDAFOJISL SOp 88'661 v2 v9 srol ‘To IHOL og'gl 001 0 SOPENXOUNTIOLT, SOP 0% 0/0 0/0 %/o % 0/0 0/0 0/0 SUNEPPANBS | «Sp ans | 197 S al a yo9s en Se n}S) os en UOJUOZOAT ur y arasy -1oydsoyg SEES ID -JOrJsspuLu nahe MEN NE -19138 a OIqJu9 PEAIXSE SU aop seayıı] -1oydsoqyg -owuy A9yaıJ -u1970.1d ueson) -UODO.LL, S9p POISPPHIS | SOP FOISY91IS -YILM -UrOM i = - = — — —os - — 2 3 = : mn -(dopuny -IDU9P9IUISIIA Y9STW9STOYSn SOIJNE.IIXYJOYSNn UISLIISSEA SOP FUNZIOSUAULULESNT, I I Ü ! u / EUER NN 492 Heinrich Gerhartz: Zur Bestimmung des Ammoniakstiekstoffs waren 100 eem der Extraktlösung nach dem Verfahren von Grafe!) mit 100 cem ge- sättigter Chlornatriumlösung, 100 cem Alkohol (96 %), 100 ecem destilliertem Wasser und 50 eem gesättigter Natriumkarbonatlösung auf dem Wasserbad erst bei niederer Temperatur, dann bei ea. 60% C. 5 Stunden erhitzt worden. Als Vorlage diente ein mit wässeriger Sehwefelsäurelösung beschickter tubulierter Erlenm eyer-Kolben. Es wurde mit der Wasserstrahlpumpe evakuiert. Die Titration ge- sehah mit Phenolphthalein als Indikator. Es wurden für das ganze Extrakt 0,0075 & NH;3-Stiekstoff gefunden. Die Verteilung des Stiekstoffs ist also: Stickstoff des Phosphorwolframsäure-Niederschlags (Di- aminosäuren-N)7 .nu ua a. need Davon gehen.ab für NEE 2. 2272 212805. 72.90.40:00058.8 Es:bleiben.. u. a... 00 0.0 us ee 01553080 Stickstoff des Phosphorwolframsäure -Filtrats (Amino- säuren-N) gg ge an a 2A Die Summe der drei Konstituenten beträgt also . . 0,8014 e?). Die prozentuale Zusammensetzung des Stickstoffs. im Extrakt gestaltet sich nach dem Gesagten folgendermaassen : Diaminosäuren-N = 69,12 %/o Aminosäuren-N == 29,94 /o -Ammoniak-N —— 22019420] 0: Auf den ersteren Anteil würden dann .noch 0,222 g Reinprotein in 0,5539 g Niederschlags-N —= 40°/o der Diaminosäuren-Komponente Reinprotein (Stutzer) entfallen. - - - a Der Aschengehalt wurde zu 27,43 °/o des Trockenextraktes. ermittelt. In der ursprünglichen Substanz waren 4,555 °/o der ab- soluten Trockne — 1,15 °/o der frischen Muskulatur Asche gefunden worden. 1) E. Grafe, Methodisches zur Ammoniakbestimmung in tierischen Geweben. Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 48 S. 300-314. 1906. ; ‘2) Direkt wurden im Extrakt insgesamt 0,7108 g N ermittelt. Die Differenz betrug also bei 33,742 g Ausgangsmaterial 0,801 — 0,711 = 0,099 g N = 027 g von 100 g trockener Muskelsubstanz. In der Tabelle 66 ist der richtigere Wert der Berechnung zugrunde gelegt und nach dem hier angegebenen Prozentsatz verteilt worden, so dass also für das ganze Filtrat angenommen wurden: Diamino- säuren-N: 0,4914 g; Aminosäuren-N: 0,2129 g; Ammoniak-N: 0,0066 g. Untersuchungen über Jen Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 493 Im nicht extrahierten getrockneten Muskel war auch der Gly- kogengehalt bestimmt worden. Es war genau nach Pflüger’s Verfahren [1903]?) gearbeitet worden, aber das durch die Zueker- lösung reduzierte Kupfer im Goochtiegel als Kupferoxydul und Kupferoxyd, teils als reines Kupfer (zur Kontrolle) gewogen worden. In 100 g Muskeltrockensubstanz waren 0,337 g Zucker aus Glykogen vorhanden (— 0,097 °/o des feuchten Muskels). Nimmt man mit Zuntz an, dass das Glykogen mit der vier- fachen Menge Wasser vorhanden ist, so kämen in 100 g feuchtem Muskel nur 74,33 — 0,39 74,44 g Wasser auf das Eiweiss, das 2,9 & N enthält. Hier ist also die Relation „Biweiss-N: 7 1 Wasser 35,6. Für 1 g Trockenextrakt wurden nach der schon oben an- gegebenen Methodik (vier gut übereinstimmende Werte) 1998,38 eal. gefunden. Dieser Wert liegt höher als meine früher erhaltenen Zahlen (1395 und 1315 pro 1 g Trockensubstanz), liegt aber noch beträcht- lich unter den Werten, die Frentzel und Schreuer (3130,4 cal.) und Frentzel und Toriyama (3177,0) angegeben haben. Da es sich in meinem Material um recht nahe beieinanderliegende Werte aus verschiedenem Material handelt und die Richtigkeit der Bestimmungen durch mehrere Kontrollen sichergestellt ist, müssen wir wohl aunehmen, dass die enormen Differenzen zwischen den Zahlen der früheren Autoren und mir auf die Verschiedenheit des Ausgangsmateriales zu beziehen sind. Bei den genannten Unter- suchern handelte es sich um vom Schlächter bezogenes Rindfleisch (Autolyse?), hier um sofort getrocknete Muskulatur vom Hund. Aus den hier von mir bekanntgegebenen kalorimetrischen Unter- suchungen schliesse ich ferner, dass die Brennwerte für das Fleisch- extrakt derselben Herkunft doch nicht so konstant sind, wie Frentzel und Sehreuer angenommen haben. Ich habe von dem letztbeschriebenen Hundemuskelfleisch noch mehrere kalorischen Bestimmungen an der fett- und extraktfreien 1) E. Pflüger, Vorschriften zur Ausführung einer quantitativen Glykogen- analyse. Pflüger’s Arch. Bd. 93 S. 163 ff. 1903. 494 Heinrich Gerhartz: „ Troekensubstanz gemacht und für 1 g entfetteten und aus- selaugten Muskelrückstand 5748,7 und 5758,2, im Mittel also 5755 cal: gefunden. Frentzel und Schreuer fanden für 1 g fett- und extraktfreies Trockenfleisch bei drei Bestimmungen die identischen Brennwerte 5760, 5758 und 5767,4, im Mittel also 5761,38 eal., und auch von Rubner!) ist ein gleichlautender Wert (5754 cal. pro 1 g mit Äther und Wasser extrahiertes trocknes Fleisch) ermittelt worden. Die genannten Zahlen beziehen sich auf Muskel vom Rind. Aus der auffallenden Harmonie, in der meine Zahl mit den genannten steht, ziehe ich den Schluss, dass der fett- und extraktfreien Trockensubstanz der Muskeln der verschiedensten Tierarten der gleiche Brennwert zukommt. Die niedrigeren älteren Zahlen von Stohmann und Langbein (5720,5 eal.) und Berthelot und Andr6& (5728,4 eal.) können in Änderungen der Fettextraktionsmethodik ausreichende Erklärung finden ?). 1 g des ursprünglichen, trockenen Muskels hatte einen Brennwert von 5567,7 und 5566,4 eal., im Mittel also von 5567 eal. Mit diesen Zahlen lassen sich nun einige wichtige Beziehungen aufstellen. 100 g Muskelsubstanz (trocken) enthielten 12,99 g Stickstoff. Im entfetteten und ausgelaugten Fleisch sind 2,11 & Extrakt-Gesamt- stickstoff verloren gegangen, so dass auf 100 g extrahierten Muskel- 1) M. Rubner, Kalorimetrische Untersuchungen. Zeitschr. f. Biol. Bd. 21 S. 298. 1885. 2) Mit den hier mitgeteilten Energiewerten lässt sich übrigens eine Kon- trolle des Extraktbrennwertes ausführen. 100 g trockene Fleisch- substanz enthielten 556,7 Cal. In ihr waren 7,49 g im ausgelaugten Fleisch ver- bleibendes Fett (& 9,5 Cal. = 71,15 Cal.) und 13,59 g Trockenextrakt vorhanden. Da 1 g des entfetteten und ausgelaugten Fleisches 5753 cal. entsprach, kommen auf 78,92 g entfettete und ausgelaugte Fleischsubstanz 454,0 Cal. Auf Fett und Extrakt entfielen also 556,7 — 454,0 = 102,7 Cal., auf die 13,59 g Trocken- extrakt, die 9,87 g organische Substanzen, darunter 6,75 g ätherlösliche Stoffe enthielten, 102,7 — 71,1 (Fett-Cal.) = 31,6 Cal. Rechnen wir die ätherlöslichen Stoffe als Milchsäure (3,66 Cal. pro 1 g) = 24,8 Cal. pro 100 g Fleischtrocken- substanz, so bleiben für die noch übrigen 3,1 g organischen wohl im wesentlichen N-haltigen Substanzen 6,3 Cal., also 2,2 Cal. pro 1 g. Mit dem berechneten Wert von 31,6 Cal. stimmt der direkt gefundene von 27 Cal. genügend überein, um den gefundenen Wert sichergestellt zu wissen. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 495 rückstand noch 12,99 — 2,11 = 10,88 & Stickstoff konimen, d.h. 1 g Stiekstoff — 9,192 & ausgelaugtes Muskelfleisch (trocken). Um die entsprechenden Werte für die fett- und extraktfreie Trockensubstanz zu finden, sind von 100 g Muskeltrockensubstanz 14,27 & Rohfett 3,59 g wässeriges Extrakt 27,86 g abzurechnen, so dass auf 100,00 g Trockensubstanz — 27,86 g Extrakte 72,14 g fett- und extraktfreie Trocken- substanz 10,88 g Stickstoff entfallen; d. h. 100 g fett- und extraktfreie Trockensubstanz = 5,02 gs N. I1gN= 6,63 g völlig extrahierte Muskelsubstanz. 1 g Trockensubstanz des extrahierten Fleisches hat einen Brennwert von 5755 eal. Die analoge Rechnung, wie oben, ergibt also: 1 g N in der fett- und extraktfreien Muskel- trockensubstanz entspricht 38,15 Cal. In das Extrakt waren 3,72 °/o des trockenen Muskels Mineral- bestandteile übergegangen. Im ganzen enthielt die Muskeltrocken- substanz 4,555 °/o Asche. In dem ausgelausten und entfetteten Rück- stand von 100 g trockenem Muskel waren also noch 4,55 g Asche — 3,172 g Extraktasche 0,83 g Asche enthalten. Kommen diese von den oben genannten 72,14 g fett- und extraktfreien Trockenfleisches noch in Abzug, so entsprechen 72,14 g völlig extrahiertes Fleisch — 0,83 g Asche 71,31 & fett-, extrakt- und aschefreie Fleischtrocken- substanz 10,88 g Stickstoff und 72,14 - 5753 = 415,02 Cal. Daraus ergibt sich: 72,14 g& fett- und extraktfreies Fleisch haben 0,83 g Asche, 100 g also 1,1505 g; d.h. 100,0000 g — 1,1505. g 98,8495 gfett-, extrakt- und aschefreies Trockenfleisch haben einen Brennwert von 575,3 Cal.; 1 g entfetteten, extrakt- und aschefreien Trockenfleisches entsprechen also 5819,9 eal. Ferner ergibt sich: 100 g fett-, extrakt- und asche- freiem trockenem Muskelfleisch entsprechen 1,257 g 496 Heinrich Gerhartz: Stickstoff, d. h. 1g Stiekstoff in dieser Substanz = 6,554 g völlig extrahiertes und aschefreies Fleisch 38,144 Cal. Mit den oben berechneten Zahlen. (S. 431) zusammengehalten, ergeben sich pun folgende Mittelwerte für den Muskel des Hundes: 100 & fett-, extrakt- und aschefreie Muskel- trockensubstanz besitzen 16,02 g Stickstoff; IeN = 6,24 g Substanz = 56,5 Cal. Ich stelle die für die grobe Zusammensetzung des normalen Hundefleisches hier erhaltenen Zahlen in Tabelle 67 nochmals über- sichtlich zusammen. \ Tabelle 67. Zusammensetzung von normaler Hundemuskulatur. (Muskelgemisch von verschiedenen Hunden.) Es sind vorhanden in 100 g . „. |fett- und| fett- und |fett- wasser- feuchter Trock fettfreier| asche- | wasser- \extrakt- und Sub- | ht N Trocken. freier | extraktfr. | aschefreier substanz Trocken- Trocken- | Trocken- Sauz a stan| substanz | Substanz 0/o US ER LOB a EEE NN Vassere oe ae 74,33 — — _ = = Trockensubstanz 25,17 — — == IR StICKStOT a 3 RE) 15192 1..216:00 15,08 15,26 Atherextrakt ..... 3,59. 1714497. = — — = Petrolätherextrakt (aus dem ausgelaugten Muskel 1885 —_ _— | Wasserextrakt au .nalerak) 15:85 |1212316 Zu Kohlenhydrate . . . . 0,097 | 0,387 0,45 0,48 —_ — Mineralstoffe . . . . . 1,15 4,555 5531 —_ 1:15 | — Galorien ar) 2 2 02. 140,1 1556,7 — — | 9753 | 982,0 In den wiederholt zitierten Arbeiten von Frentzel und Schreuer finden sich Angaben, mit denen analoge Rechnungen, wie sie hier angestellt wurden, für die Fleischfasersubstanz des Rindes durchgeführt werden können. Frentzel und Schreuer fanden (Abh. III S. 307, 1. e., s. Anm. 1 auf S. 432) in 19,072 g fett- und extraktfreiem Trockenfleisch (Nr. IH) 109,847 Cal. Aus meinen Versuchen am Hund geht her- vor, dass in 100 g fett- und extraktfreiem Trockenfleisch 1,1575 g Asche enthalten sind. Wird mit diesem Werte gerechnet, so kommen auf 19,072 g fett- und extraktfreies Trockenfleisch 0,221 & Asche in Abzug, so dass für 18.851 g asche-, fett- und extraktfreie Trockensubstanz Untersuchungen über den Einfluss der- Muskelarbeit auf die Organe etc. 497 109,847 Cal. in Betracht kommen. Daraus berechnet sich für 1 & asche-, fett- und extraktfreie Trockensubstanz ein Wärmewert von 3827,4 cal. Für Fleisch A derselben Autoren gilt folgende Rechnung: 18,92 extrahiertes Trockenfleisch —= 108,941 Cal. 18,70 aschefreies extrahiertes Trockenfleisch — 108,941 Cal. Also 1 g völlig extrahiertes und aschefreies Trockenfleisch — 5825,7 cal. In Fleisch B von Frentzel und Schreuer kommen auf 15,284 g extrakt- und fettfreies Trockenfleisch 105,451 Cal. In Abrechnung kommen 0,212 g Asche, so dass sich gegenüberstehen 15,072 & asche-, fett- und extraktfreie Trockensubstanz und 105,451 Cal., d.h. 1 g extrakt-, fett- und aschefreie Trockensubstanz — 5835 eal. Ich habe alle Zahlen in der Tabelle 68 zusammen- gestellt, um die Übersicht zu erleichtern. Die grosse Überein- stimmung in den Werten entspricht durchaus dem oben für die noch aschehaltige Substanz gezogenen Schlusse, dass die völlig 'extrahierte und aschefreie Muskelsubstanz bei ver- schiedenen Tieren denselben Brennwert besitzt. Tabelle 68. Brennwerte der fett-, extrakt- und aschefreien Muskeltrockensubstanz (1g). cal. Muskel vom Rind ae ee | RE Z R Bleisch Age 9825, 1 (Frentzel und Schreuer) Rleschepe wi 5835.0 Muskel&vomeHundk..*.* re. Mala Ba a 5819,9 Die Ausdehnung, die die Arbeit angenommen hat, rechtfertigt eine kurze Übersicht über die wichtigsten (nieht analytischen) Er- gebnisse: 1. Die Arbeitsleistung der Muskulatur steigert die Harnflut. Hierbei geht die Salzausfuhr (Chlornatrium) der Wasserausscheidung parallel. 2. Die bei der Arbeit produzierte Wärme wird beim Hunde hauptsächlich durch Verdunstung von Wasser, nur zum geringen Teile (?/s) durch vermehrte Strahlung und Leitung abgegeben. 498 Heinrich Gerhartz: [2] 3. Die Aufnahme von Wasser kompensiert nicht vollständig die Ausscheidung von Wasser, so dass es zu einer Verarmung des Organismus an: Wasser infolge der Arbeit kommt. 4. Diese Wasserverarmung lässt sich sowohl am Ablauf der Lebendgewichtskurve dartun, wie namentlich an der Wasserbilanz, schliesslich an der chemischen Untersuchung der Organe. 5. Die Wasserabgabe betrifft, wie aus der Mineralstoffbilanz und aus der Untersuchung des Blutes hervorgeht, 1. die zirkulierenden Organflüssigkeiten, 2. hauptsächlich die peripherische Muskulatur. 6. Am Blute des Arbeitstieres lässt sich eine Zunahme der roten Blutkörperchen, des spezifischen Gewichtes und des Hämo- globins, in chemischer Beziehung eine Vermehrung von Trocken- substanz und Stiekstoff konstatieren. | ‘. Die peripherischen Muskeln werden in der Regel infolge der Arbeitsleistung schwerer. 8. Die peripherischen Muskeln besitzen nach der Arbeit weniger Wasser, Mineralstoffe und in der Regel auch weniger leicht extra- hierbares Fett, dagegen mehr Stiekstoff (N -haltige Extraktivstoffe, mehr Fleischfasersubstanz) und schwer aus dem Muskel mit Äther auszuziehendes Extrakt. 9. Die Zunahme der Trockensubstanz stellt das wichtigste Charakteristikum der Muskel-Arbeitshypertrophie, deren Begriff somit zu revidieren ist, dar, nicht die Gewichtszunahme; denn die Muskeln können so viel Wasser verlieren, dass die Zunahme der Trocken- substanz in der Gewichtsänderung nicht zum Ausdruck kommt. 10. Im Herzmuskel treten keine für die Arbeitshypertrophie der peripherischen ' Muskulatur charakteristischen chemischen Ver- änderungen auf. Er besitzt auch nicht an und für sich schon die genannten Merkmale der Arbeitshypertrophie; denn er enthält mehr Wasser und weniger Stickstoff als die peripherischen Muskeln. Der Herzmuskel nimmt aber infolge der Arbeit an Gewicht zu. Ebenso verhält sich anscheinend die Leber. 1l. Die Darmperistaltik und die Nährstoffausnutzung werden durch die Arbeitsleistung nicht geändert, die Eiweisszersetzung da- gegen wird in geringem Grade vermindert. 12. Der kalorische Quotient des Harns ändert sich nicht. 13. Die Knochenernährung wird durch die Arbeitsleistung nicht alteriert. Die beobachtete Retention von SO, und K,;O ist wahrscheinlich auf den Ansatz von Fleischsubstanz zu beziehen. Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe etc. 499 14. Beim erwachsenen Vierfüsser gibt es bezüglich des Gewichtes und des Wassergehaltes der peripherischen Muskulatur keine Unter- schiede zwischen rechter und linker Seite, wohl’ aber zwischen vorderer und hinterer Extremität, sowie zwischen Oberschenkel und Unterschenkel; die hintere Extremität und die Unterschenkel sind wasserärmer. Die hier beobachteten Differenzen stehen im Zu- sammenhang mit der Arbeitsleistung. 15. Während der Brunst sinkt die Stickstoffausfuhr beim Hunde ab. Dieser Abfall bedeutet aber nicht eine Regulation für den Stiekstoffverlust. Es handelt sich hier vielmehr um eine allgemeine Wirkung der Brunst auf den Stoffumsatz. 500 Soroku Oınuma: (Aus dem physiologischen Institut der Universität Leipzig.) Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. III. Über den Einfluss des Vagus und des Sympathieus auf die Tonus- schwankungen der Vorhöfe des Schildkrötenherzens. Von | Dr. med. Soroku Oinuma aus Tokio. (Mit 3 Textfiguren und Tafel Vlla.) Fano!) beobachtete als erster, dass die Vorhöfe des Schild- krötenherzens träge verlaufende, mehr oder minder rhythmische Schwankungen ihres Tonus zeigen können. Dieser Forscher und seine Schüler, vor allem Bottazzi, suchten dieses Verhalten der Vorhofsmuskulatur durch die Annahme zu erklären, dass die relativ rasch verlaufenden Systolen auf die Tätigkeit der anisotropen Substanz der Muskelfasern (die Muskelfibrillen) zurückzuführen seien, während der wechselnde Tonus (der nicht etwa nur an der verzeichneten Kontraktionskurve, sondern mit freiem Auge sehr deutlich an der jeweiligen Form der Vorhöfe zu erkennen ist) den trägen Kontrak- tionen des Sarkoplasmas entspräche. Diese „Sarkoplasmatheorie“, die bekanntlich von Bottazzi in einer Reihe von Arbeiten zur Deutung mancher träger Reaktionen glatter und quergestreifter Muskeln herangezogen wurde, hat sich speziell für den Fall der Tonusschwanknngen des Schildkrötenherzens als nicht haltbar erwiesen. 1) Fano, (I.) Über die Tonusschwankung der Atrien des Herzeus von Emys europaea. Beitr. zur Physiol. (Festschrift für C. Ludwig) S. 287. Leipzig 1837. (Da im folgenden eine Reihe von Arbeiten Fano’s und Bottazzi’s zitiert werden, habe ich, um Raum zu sparen, die einzelnen Arbeiten dieser Autoren mit fortlaufenden römischen Ziffern bezeichnet.) Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. IT. 501, Schon die im folgenden zu besprechenden antagonistischen Effekte der Reizung des N. vagus und des Sympathieus einerseits auf die Herzschläge, andererseits auf die Tonusschwankungen waren mit jener Theorie schwer in Einklang zu bringen. Dann teilte Rosen- zweig!) die Beobachtung mit, dass sich dieht unter dem Endokard der Vorhöfe glatte Muskelfasern fänden, und diese Beobachtung wurde auch von Bottazzi [und Ganfini]?) bestätigt. Diese Autoren, mit deren Angaben auch die Resultate meiner allerdings nur orientierenden histologischen Untersuchungen im wesentlichen über- einstimmen, beschreiben diese glatte Muskulatur folgendermaassen: Unmittelbar unter dem Endothel der Vorhöfe liegt eine ziemlich kompakte, im Mittel 150 u (70 « bis 250 «) dicke Schicht glatter Muskelzellen, die als Fortsetzung der Tuniea media der in die Vor- höfe mündenden grossen Venen anzusehen ist. Diese Lage glatter Muskelfasern ist stellenweise so beträchtlich, dass ihr Querschnitt „den der quergestreiften, mehr nach aussen liegenden Fasern zum Teil übertrifft; sie nimmt mit zunehmender Entfernung von der Einmündunssstelle der Venen immer mehr an Stärke ab, aber selbst im Ventrikel sind noch vereinzelte elatte Muskelfasern nach- weisbar. Nach diesen histologischen Befunden scheint es mir nicht mehr zweifelhaft zu sein, dass die Tonusschwankungen der Schildkröten- vorhöfe als Kontraktionen jener glatten Muskelfasern aufzufassen sind und nicht als solche des sarkoplasmatischen Anteiles der übrigen auergestreiften Herzmuskulatur. Diese Ansicht wird ‘sogar von Bottazzi, dem eifriesten Vertreter der Sarkoplasmatheorie, geteilt, während Fan o (allerdings noch vor der Bestätigung der Rosenzweig- schen histologischen Befunde durch Bottazzi) an der Bedeutung des Sarkoplasmas für die Tonusschwankungen festhielt, Die Innervation dieser slatten Muskelfasern wurde von Fano und Bottazzi in einer Reihe von Untersuchungen eingehend studiert. Während Fano in seiner ersten Mitteilung (I. p. 299) nur angibt, keinen hemmenden Einfluss der Vagusreizung auf die 1) E. Rosenzweig, Beiträge zur Kenntnis der Tonusschwankungen des Herzens von Emys europaea. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903, Suppl. S..192 (206/207). ANHck 2) F. Bottazzi, (I.) Richerche sulla muscolatura cardiale dell’ Emys europaea. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 6 S. 140 (171 ff.). .1907. 502 Soroku Oinuma: rhythmischen Tonusschwankungen gesehen zu haben, teilt er in seiner zweiten Untersuchung!) mit, dass die Vagusreizung bei einem vorher tonusfreien Vorhof häufig Tonusschwankungen hervorruft und bildet hierfür auch eine Kurve (l. ce. Textfig. 1) als Beweis ab. Diese motorische Wirkung des Vagus auf die glatte Vorhofmuskulatur wurde in weiteren Arbeiten?) von Fano und Bottazzi bestätigt und auch noch durch Kurven belest. Dagegen erschien 1905 eine unter Engelmann’s Leitung ausgeführte Arbeit von E. Rosen- zweig (l. e.), der sich unter anderem auch mit der Frage der Vaguswirkung auf die Tonusschwankungen des Schildkrötenvorhofes beschäftigte. Rosenzweig gibt an, dass während einer Vagus- reizung die Vorhöfe weiter erschlaffen als in der Norm, so dass die während der Diastolen erreichten Fusspunkte niedriger werden als vor der Vagusreizung. Diese Beobachtung, die man, wie an jedem anderen Herzmuskel, auch an den Schildkrötenvorhöfen sehr häufig machen kann, wurde auch von Bottazzi (Ill. p. 278) erwähnt und, wohl mit Recht als eine „sekundäre“ 'Tonusänderung (im Gefolge primärer negativ chrono- und inotroper Vaguseffekte) bezeichnet. Das Auftreten von Tonusschwankungen am vorher tonusfreien Vor- hof oder die Verstärkung bestehender Tonusschwankungen . konnte Rosenzweig während oder nach einer Vagusreizung nie beob- achten, er bestreitet also die von den italienischen Autoren be- schriebene „positiv tonotrope“ Wirkung des Vagus auf die Schild- krötenvorhöfe. Über die Wirkung der Sympathieusreizung macht Rosenzweig keine Angaben. Gegen diese Untersuchung nahm Bottazzi?) neuerdings Stellung, indem er abermals Kurven vorbrachte, welche die fördernde Wirkung der Vagusreizung auf die Tonvusschwankungen zeigten, und indem er eine Reihe von Umständen angab, die als Ursachen für das 1) G. Fano et V. Fayod, (Il.) De quelques rapports entre les proprietes contractiles et les proprietes electriques des oreillettes du ceur. Arch. ital. de biol. t.9 p. 143. 1888. 2) G@. Fano et S. Sciolla, (Ill.) De l’action de quelques poisons sur les oscillations de la tonicite auriculaire du c&ur de l’emys europaea. Arch. ital. de biol. t.9 p.61. 1883. — F. Bottazzi, (II.) Action du vague et du sym- pathique sur les oreillettes du ceur de l’emys europaea. Ibidem t. 34 p. 17. 1900. — F.Bottazzi, (Ill.) Encore de l’action du vague et du sympathique sur les oreillettes du cur de l’emys europaea. Ibidem t. 36 p. 277. 1901. 3) F. Bottazzi, 1. p. 143 £. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. II. 503 Fehlen der positiv tonotropen Vaguswirkung in Betracht kommen können: Das Hauptkontingent zu den negativen Fällen stellen jene Atrien, welche keine oder nur schwache Tonusschwankungen zeigen, z. B. wenn die Tiere bei zu hoher Temperatur gehalten worden waren. Für andere negative Fälle nimmt Bottazzi an, dass sym- pathische Fasern im Vagusstamm verlaufen, deren Erregung den eigentlichen Effekt der Vagusreizung verdecken könnte. Da nach den Einwänden Rosenzweig’s der Einfluss des N. vagus auf die Tonusschwankungen des Schildkrötenherzens nicht feststand und auch die Wirkung des N. sympathicus bisher nicht nachuntersucht worden war, habe ich auf die Anregung von Herrn Dr. v. Brücke hin die Innervation der glatten Vorhofsmuskulatur des Schildkrötenherzens nachgeprüft und will im folgenden über die Resultate dieser Versuche berichten. Die Experimente wurden während der Monate Dezember bis Mai an grossen Exemplaren (meist 15—20 em Schildlänge) von Emys europaea ausgeführt. Die Tiere wurden dekapitiert, das Rückenmark, soweit dies bei Schildkröten gelingt, zerstört, dann wurden die Schildkröten in Rückenlage zwischen vier seitlich ein- geschlagenen Nägeln auf einem kräftigen Brett fixiert, und nun wurden die vordersten Plattenreihen des Plastrons mit der Knochen- zange reseziert. Das Perikard wurde vom Herzen abpräpariert und meist, um das Herz zu entbluten, die grossen Arterien und die Hohlvenen der Länge nach angeschnitten. Hierbei beobachtete ich eine Erscheinung, die ich nicht unerwähnt lassen möchte: Während bei vielen Schildkröten eine reichliche Blutmenge aus den Arterien ausströmte, und diese mitunter anfangs auch spritzten, sah ich in einer Reihe von Fällen nur wenige Tropfen oder überhaupt kein Blut aus den Arterien austreten, weil das Blut, etwa so, wie es meist bei Vögeln der Fall ist, unmittelbar nach der Durchschneidung der Arterien gerann; wenn ich sofort nach dem Einschnitt die Pinzette ergriff und an der die Arterie füllenden Cruormasse zupfte, konnte ich in diesen Fällen nach wenigen Sekunden ein oft — je nach der Lage der Schnittstelle — mehrere Zentimeter langes Blut- gerinnse]l hervorziehen, das einen Abguss des Lumens der betreffenden Arterie darstellte. Worauf diese abnorm rasche Gerinnung des Blutes noch innerhalb der Gefässe zurückzuführen ist, konnte ich nicht er- mitteln; ich beobachtete sie sowohl bei Tieren, die zuvor bei Zimmer- temperatur, als auch bei solchen, die bei niederer Temperatur (im 504 Soroku Oinuma: Keller) gehalten worden waren, sowohl im Dezember als auch noch; im April; getötet wurden diese Tiere stets in einem normal tem-' perierten Zimmer. Die Vagusstämme wurden am Halse beiderseits aufgesucht ‚und: nach abwärts bis zum Ganglion cervieale medium !) verfolgt. Die bei- stehende, einer Arbeit Bottazzi’s”) entnommene Skizze (Textfig. 1) gibt den Verlauf des Vagus und des Sympathieus in der Seiten-, ansicht einer normal gelagert gedachten Schildkröte wieder. Unter meinen sämtlichen Schildkröten fand ich nur in einem Falle den Vagus und den Sympathicus beiderseits am Halse getrennt verlaufend, bei einem anderen Tier war dies nur an einer Seite des Halses der Fall; sonst zweigte der Grenzstrang immer ‘erst in der nächsten s >» Z N 00 Ar . a | Textfig. 1. Verlauf der Herznerven bei Emys europaea nach Bottazzi. S — Sympathicus, V = Vagus, GFcm und G@ci — Ganglion cervicale medium und inferius, 'rcs und rcs’ = Rami cardiaci sympathici, rcv — Ram. card. vagi.' Nachbarschaft des mittleren Cervicalganglions vom gemeinsamen Vago- Sympathieusstamme ab. Wie die Textfigur 1 zeigt, und wie auch ich mehrfach sah, verlaufen von diesem Ganglion aus mehrere äusserst zarte Fäden in der Richtung zum Herzen, die nach den Angaben von Bojanus und anderen zum Plexus cardiacus ziehen; diese, Fasern haben aber wohl keine grosse Bedeutung für die Innervation des Herzens, denn Bottazzi?®) selbst gibt an, dass er bei seinen. 1) Von anderen Autoren .wird dieses Ganglion als Ganglion cervicale inferius angesehen und dementsprechend das von Bottazzi so bezeichnete als erstes Thoracalganglion Bene (Vgl. hierzu J. Mollärd, Les nerfs du caur in der Rev. gen: d’histol. t: 3 fasc. 9 p. 3—88. Karis 1908. | 2) F. Bottazzi, I. p. 18 Fig. 1. | 3E E , 9: F.:Bottäzziy:l p:141 und p; 151. Rn ee Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. II. 505 letzten Versuchen nicht wie früher den Sympathiceus in der Gegend des Ganelion cervicale medium, sondern entweder das Ganglion cervicale inferius selbst reizte oder den Grenzstrang, und zwar erst dort, wo er den Plexus brachialis kreuzt; dabei erhielt er regel- mässig die typischen Wirkungen auf die Herzmuskulatur, die dem- nach offenbar in erster Linie durch die vom Ganglion cervicale inferius zum Plexus cardiacus ziehenden Fasern vermittelt werden. Bei meinen Versuchen wurde der Sympathieus sofort nach seiner Trennung vom Vagus ligiert und abgeschnitten, und der zwischen dem mittleren und unteren Cervicalganglion gelegene Teil des Grenz- stranges möglichst distalwärts, also nahe dem unteren Ganglion, gereizt. Da die feinen Äste vom Ganglion eervicale medium zum Plexus cardiacus bei der Präparation der beiden Nerven nicht ge- schont wurden, so konnte bei meinen Versuchen die Erregung bei der Reizung des Grenzstranges nur durch die vom Ganglion cervicale inferius abgehenden Fasern zum Herzen gelangen. Der Vagus wurde natürlich stets nach Abtrennung vom Sympathicus und meist in der Nähe des Abganges des R. cardiacus gereizt. Bei allen Versuchen waren Vagus und Sympathieus beiderseits angeschlungen und durchschnitten. Nach der Präparation der Nerven wurden die beiden Vorhöfe mittelst zarter Häkchen mit zwei senkrecht über ihnen befindlichen, fein verstellbaren Schreibhebeln verbunden, so dass — da keine Rollenübertragung stattfand — die Hebel bei jeder Systole oder jeder Tonussteigerung der Vorhöfe nach abwärts ge- zogen wurden. Die Längenänderung der Vorhöfe wurde bei vier- facher Vergrösserung verzeichnet, dabei betrug die Belastung der Vorhöfe je 0,5 g. Zur Registrierung diente eine von einem Wecker- uhrwerk getriebene Kymographiontrommel, die, je nachdem wie die Friktionsscheibe gestellt wurde, in 6, bis über 24 Stunden einmal herumlief!),. Da nach den Angaben der früheren Autoren eine an der Atrio-Ventrikulargrenze angebrachte Ligatur das Auftreten der Tonusschwankungen begünstigen soll, habe auch ich stets eine solche zweite Stannius’sche Lieatur angelegt, was nebenbei den Vorteil bietet, dass hiernach der Ventrikel entweder dauernd stillsteht oder nur ganz seltene Schläge (mit Pausen von mitunter mehreren Minuten) 1) Dieses einfache, aber für manche Versuche sehr geeignete Kymographion kann von dem Mechaniker des Institutes, Herrn R. Rothe, zum Preise von 35 Mark bezogen werden. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 33 506 Soroku Oinuma: ausführt. Bei meinen Versuchen war die „Basis“ der Vorhöfe nicht eigens fixiert, sondern das ganze Herz war nur durch seine grossen Gefässstämme festgehalten; dass dies vollkommen genügt, geht aus dem Umstande hervor, dass die Ventrikelschläge, abgesehen von einem einzigen Falle, nie die Kurven der Vorhofkontraktionen be- einflussten; dass auch die beiden Vorhöfe sich gegenseitig bei der Verzeichnung ihrer Längenänderungen nicht störten, ergibt sich aus der Tatsache, dass ich — wie schon hier erwähnt werden mag — im Gegensatz zu Rosenzweig niemals eine synchrone Tätigkeit der Tonusschwankungen beider Vorhöfe beobachtethabe. NurineinemFalle, in dem periodisch wiederkehrende Gruppen von Tonusschwankungen auftraten, war ein, allerdings auch nur ganz angenähertes, Parallel- gehen dieser Gruppenbildung an beiden Atrien zu sehen. Oft fand ich auch Tonusschwankungen an einem der Vorhöfe, während sie an dem anderen fehlten, wie dies z. B. an den Fige. 1 und 5 auf Taf. VIIla zu sehen ist. Um das Herz und die Nerven während der immer mehrere Tage dauernden Versuche vor dem Vertrocknen zu schützen, wurde, ähnlich wie bei den Versuchen Rosenzweig’s, die Brusthöle rings um das Herz mit Ringer-getränkter Watte gefüllt und die Öffnung dieses das Herz umschliessenden Kraters mit Deckgläsern so weit zugedeckt, dass nur für die beiden zu den Schreibhebeln ziehenden Fäden eine kleine Lücke offen blieb. Ebenso war der Hals des Tieres mit feuchter Watte bedeckt, die wie die übrige Wattelage nur während der Reizversuche entfernt wurde. Abgesehen von einigen Vorversuchen untersuchte ich die Herzen von 32 Schildkröten; von diesen zeigten 21 mehr oder minder kräftige Tonusschwankungen, 2 schwache und 9 — wenn man von ganz flachen Wellen an der die Fusspunkte der Systolen verbinden- den Linie absieht — überhaupt keine Tonusschwankungen. Hierbei kann ich im allgemeinen die von Bottazzi aufgestellte Regel bestätigen, dass die Herzen jener Tiere, die bei niedriger Temperatur gehalten worden waren, kräftigere Tonusschwankungen zeigen als jene von warm gehaltenen; so gaben z. B. speziell Herzen solcher Schildkröten gute Schwankungen, die nach der Dekapitation und Verblutung ein oder mehrere Tage im Eisschrank aufbewahrt worden waren. Dieser auch hier mit zum Ausdruck kommende Einfluss des Alters des Präparates auf die Entwicklung der Tonus- schwankungen ist vielfach besprochen worden; wenn auch nach Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. II. 507 Fano’s und Bottazzi’s Angaben und auch nach meinen Be- obachtungen unter Umständen die Vorhöfe eben getöteter Tiere Tonusschwankungen zeigen können, so ist es doch die Regel, dass diese erst einige Zeit, ja mitunter erst mehrere Tage nach der Präparation des Herzeus ohne ersichtliche Ursache auftreten. In den allerletzten Stadien des Absterbens, in denen die Tätigkeit der quergestreiften Herzmuskular meist schon erlosehen ist, sah ich aber den Tonus wieder absinken und die einzelnen Tonusschwankungen kleiner werden, so dass also der Tonus der glatten Vorhof- muskulatur nicht etwa direkt in einen der Totenstarre ähnlichen Zustand übergeht. Fig. 2 auf Taf. VIla demonstriert dieses Verhalten. Diese Kurve stammt von einem Vorversuche an einem aus- geschnittenen Herzen. dessen linker Vorhof ganz besonders regel- mässige Tonussehwankungen zeigte. Es ist dies die einzige Kurve der Tafel, bei deren Aufnahme die Verzeiehnung so eingerichtet war, dass die Steigerung des Tonus sich in einem Ansteigen der Kurve zu erkennen eibt. Die Zeitmarken entsprechen, wie bei allen übrigen Kurven dieser Tafel, je einer Minute. Die Tonus- schwankungen, an denen die einzelnen Systolen meist eben noch zu erkennen sind, nahmen an Frequenz und Höhe kontinuierlich ab und erloschen etwa eine Stunde nach dem Ende der vorliegenden Kurve vollständig. Die eben besprochene Kurve ist für die Tonusschwankungen des Schildkrötenvorhofes deshalb nicht ganz typisch, weil hier der Tonus während der Zeit zwischen je zwei Steigerungen anscheinend fast oder ganz bis auf Null absiukt; wir haben es hier also meines Erachtens mit fast vollständig voneinander isolierten Einzel- kontraktionen der elatten Vorhofsmuskulatur zu tun; meistens besteht aber an einem Vorhof, welcher Tonusschwankungen zeigt, ein bis zu einem gewissen Grade kontinuierlicher Tonus, auf den sich dann die einzelnen Schwankungen superponieren. Dies möge die untere Kurve der Fie. 1 auf Taf. Vlla illustrieren, die von einem zwei Tage vor der Aufnahme dieser Kurve getöteten Tiere stammt. Der Anfang der Kurven wurde bei relativ rascherem Trommelgange aufgenommen und zeigt zwei kräftige isolierte Tonusschwankungen des linken Vorhofs (untere Kurve). Im weiteren Verlaufe dieser Kurve nimmt die Frequenz der Tonusschwankungen zu, und sie superponieren sich, so dass wir wohl berechtigt sind, in diesem Falle von einem unvollkommenen Tetanus der glatten Vor- II > [973] 508 Soroku Oinuma: hofmuskulatur zu sprechen. (Der rechte Vorhof bleibt fast vollkommen tonusfrei, nur das Ende der oberen Kurve Jässt schwache Schwankungen erkennen). Wenn Bottazzi’s Angabe zutrifft, dass die hier in Betracht kommende glatte Muskulatur als Fortsetzung der Tunica media der grossen Venen anzusehen ist, so.könnte uns das eben besprochene Verhalten vielleicht einen Hinweis auf das Wesen des Gefässtonus geben. Auch hier sehen wir ja 1. einen dauernden Tonus, der z. B. nach Durchschneidung der Vasokonstriktoren weefällt, und 2. periodisch wiederkehrende Verengerungen und Erweiterungen der Gefässe; auch hier könnte der dauernde Tonus meines Erachtens sehr wohl durch einzelne immer wiederkehrende äusserst träge Einzelkontraktionen erklärt werden, von denen sich jede auf den absteigenden Teil der vorhergehenden superponiert, und deren Gipfel eben jenen vielfach beschriebenen periodischen Schwankungen der Gefässweite entsprechen. Wie erwähnt wurde, zeieten von den 32 zu diesen Versuchen verwendeten Schildkröten 21 kräftige Tonusschwankungen, 11 da- gegen keine oder nur ganz geringfügige. Von diesen letztgenannten elf Tieren habe ich an dreien die Reizung des Sympathieus und des Vagus vorgenommen, ohne aber eine Wirkung im Sinne einer Tonusänderung zu erzielen, wie dies Ja auch nach den zitierten Angaben Bottazzi’s zu erwarten war. An 19 der übrigen 21 Versuchstiere habe ich die Wirkung beider Herznerven auf die Tonusschwankungen untersucht, an einem Herzen nur die des Vagus, an einem anderen nur «die des Sympathieus und kam hier- bei zu folgenden Resultaten: Bei sechs Herzen war die Reizung beider Nerven ohne tonotropen Effekt, bei zwei Herzen war nur der Vagus, bei zwei anderen nur der Sympathieus tonotrop wirksaın. Eine deutliche Tonussteigerung beobachtete ich an elf Herzen bei Vaeusreizung, an zwei Herzen bei Sympathicusreizung, eine deut- liche Tonussenkung an zehn Herzen bei Sympathicusreizung, an einem Herzen bei Vagusreizung. In der Hälfte der Fälle hatte demnach der Vagus eine ausgesprochen positiv tonotrope, der Sym- pathieus eine negativ tonotrope Wirkung; meine Beobachtungen stimmen demnach mit denen von Fano und Bottazzi überein, widersprechen aber z. T. den Ergebnissen Rosenzweig’s. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. III. 509 Ich habe nur in einem Teil der Fälle die Nerven beider Seiten auf ihre Wirksamkeit hin untersucht; in etwa drei Fünitel aller Fälle von wirksamer Nervenreizung sah ich ausschliesslich einen tonotropen Fffekt auf den Vorhof der gleichen Seite, in einem Fünftel einen Effekt auf beide Vorhöfe und in einem weiteren Fünftel ausschliesslich eine tonotrope Wirkung auf den Vorhof der Gegenseite. Das schönste Beispiel einer Tonussenkung durch Sympathieus- reizung ist in Fie. 3 auf Taf. VIla wiedergegeben. Die betrerfende Schildkröte war fünf Tage vorher getötet worden und hatte vier Tage auf Eis gelegen. Der rechte Vorhof (obere Kurve der Figur) schlug noch ziemlich kräftie, der linke zeigte sehr regeJmässice Tonusschwankungen, aber keine Systolen mehr. Während der Zeit zwischen S, und S, (20 Minuten lang) wurde der linke Sympathieus gereizt (R.-A. — 155 mm, 1 Akk.). Nach einer Latenz von zwei bis drei Minuten tritt ein steiler Abfall des Tonus ein, und sobald der Tonus unter ein gewisses Maass gesunken ist, beginnt der Vor- hof — wohl unter dem Einfluss der fördernden Wirkung der im Sympathicus verlaufenden Acceleransfasern — wieder zu schlagen. Auch diese Kurve zeigt, ebenso wie Fig. 1 dieser Tafel, dass die Anfangspunkte der einzelnen Tonusschwankungen viel höher liegen als die Fusspunkte der Systolen des tonusfreien Vorhofes, dass wir es also nicht mit vollständig ablaufenden „Einzelzuckungen“ der glatten Vorhofmuskulatur zu tun haben, sondern mit Gipfeln einzelner zu einem inkompleten Tetanus verschmelzender Kontraktionen. Derartige plötzlich einsetzende und nur relativ kurze Zeit an- haltende Senkungen des Tonus witten zwischen regelmässigen und kräftigen 'Tonusschwankungen kommen spontan nie vor, so dass diese Kurve, ebenso wie viele andere, hier nicht reproduzierte Fälle, einen sicheren Beweis für die von Bottazzi beschriebene negativ tonotrope Wirkung der Sympathicusreizung liefert. Diese Wirkung lässt sich nur an Vorhöfen nachweisen, welche einen ausgesprochenen Tonus, d. h. also Tonusschwankungen zeigen. An tonusfreien Atrien sieht man meist eine beträchtliche Vergrösserung der einzelnen Systolen, ohne dass aber — etwa als Ausdruck einer Tonusabnahme — die Verbindungslinie ihrer Fusspunkte absinkt. Eine positiv chronotrope Wirkung der Sympathieusreizung auf den Herzschlag kam bei dem von mir benutzten, äusserst langsamen Trommelgang nur ausnahmsweise durch ein Hellerwerden der betreffenden Stelle der Kurve zum Ausdruck, 510 Soroku Oinuma: In der Textfig. 2 ist eine Kurve von einem der beiden Herzen wiedergegeben, an denen ich einen positiv tonotropen Effekt der Sympathieusreizung beobachtet habe. Das betreffende Tier war am vorhergehenden Tage getötet worden: der linke Vorhof (obere Kurve) zeigt während der Intervalle zwischen den Tonusschwankungen noch Systolen!), der rechte (untere Kurve) zeiet fast nur mehr Tonusschwankungen. Die erste Reizung des linken Sympathicus [bei 5°)] hat eine sehr energische positiv tonotrope Wirkung, es nimmt sowohl die Höhe als auch die Frequenz der Tonus- schwankungen zu; nach dieser vorübergehenden Tonussteigerung e \AARKAnnnannAnA ann AA AnAMÄAÄ Linker Vorhof Rechter “ edv Aa z Vorhof Kack ! 5 ) = Arion. ME RTNNMNINEN RN sehen wir aber auch in diesem Falle auffallend schwache und seltene Schwankungen, so dass die Vermutung nahe liegt, dass hier einzelne positiv tonotrop wirkende Vagusfasern im Sympathieus- stamme verliefen, deren Effekt nach der etwa eine Minute währen- den Reizung zunächst überwiegt, dass aber nach dem Abklingen der Erregung dieser Fasern noch die negativ tonotrope Wirkung der mitgereizten sympathischen Fasern zur Geltung kommt. Die hierauffolgende Reizung des rechten Vagus brachte das Herz zum 1) Ich habe wiederholt diese interessante, auch von Fano beschriebene Erscheinung gesehen, dass an Schildkrötenvorhöfen mit kräftigen Tonusschwankungen die einzelnen Systolen nur dann zu sehen sind, wenn der Tonus niedrig ist, dass sie dagegen während der Tonusmaxima anscheinend verschwinden. oO 2) Die Reizmarken stehen auf dieser Kurve um etwa 3 mm zu weit links. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. II. 511 Stillstand .(vgl. die obere Kurve bei a), ohne aber eine tonotrope Wirkung auszuüben. Die zweite Sympathieusreizung (S$,) war wirkungslos. Es sei im Anschluss hieran erwähnt, dass ich bei wiederholter Nervenreizung in der Regel eine Abnahme des Reiz- erfolges bei jeder weiteren Reizung gesehen habe, dass also die erste Nervenreizung meist am wirksamsten war. Der zweite hierher gehörige Fall ist schwer zu rubrizieren: Der linke Vorhof des betreffenden Tieres zeigte schwache, ziemlich regelmässige Tonusschwankungen, aber keine Systolen mehr; bei Reizung des rechten Sympathieus trat nun zwar eine Senkung der die Anfangspunkte der Tonusschwankungen verbindenden Linie ein, aber die einzelnen Schwankungen selbst nahmen an Grösse so weit zu, dass ihre Gipfel etwa ebenso hoch lagen wie die der schwachen Schwankungen vor der Reizung. Wir haben es also hier mit einer Abnahme des mittleren tonischen Verkürzungszustandes verbunden mit einer Grössenzunabme der einzelnen Tonusschwankungen zu tun. Der rechte, viel kräftiger arbeitende Vorhof zeigte auch in diesen Falle während der Sympathieusreizung ein exquisites Absinken des Tonus und ein Seltenerwerden oder Erlöschen der einzelnen Tonus- schwankungen. Wesentlich schwieriger als die Feststellung der negativ tono- tropen Sympathieuswirkung war der Nachweis des antagonistischen Einflusses der Vaeusreizung. Ein solcher Vaguseffekt lässt sich nämlich nur an Vorhöfen beobachten, die an und für sich zum mindesten die „Tendenz“ zu Tonusschwankungen haben, und anderer- seits dürfen diese Tonusschwankungen wieder nicht zu kräftig oder zu frequent sein, wohl weil sie dann keiner weiteren Steigerung mehr fähig sind. Eine Schwierigkeit in der Beurteilung des Erfolges der Vagusreizung liegt ferner darin, dass viele Vorhöfe einzelne oder Gruppen isolierter Tonusschwankungen eingestreut in längere Perioden normaler, tonusfreier Tätigkeit zeigen; reizt man an einem solchen Präparate den Vagus und tritt hierauf eine Tonussteigerung auf, so lässt es sich schwer entscheiden, ob hier spontan auftretende Tonusschwankungen zufällig mit der Vagusreizung zusammenfallen, oder ob es sich wirklich um eine Folge der Reizung handelt. Einen solchen Fall zeigt z. B. die Kurve der Fig. 4 auf Taf. VIla. Betrachten wir die mit 5 bezeichnete Stelle der unteren Kurve (linker Vorhof), so sehen wir, dass, nachdem der Vorhof eine Viertel- . stunde lang ohne jede Tonusschwankung tätig war, bei Reizung des 512 Soroku Oinuma: linken Vagus zwei kräftige Tonusschwankungen auftreten, und dass der Vorhof hierauf während einer weiteren Viertelstunde tonusfrei bleibt. Würde ‚man dieses Stück der Kurve isoliert abbilden, so wäre es scheinbar ein ausgezeichneter Beleg für die positiv tono- trope Wirkung der Vagusreizung. Dies ändert sich aber, sobald wir den übrigen Verlauf der Kurve ins Auge fassen: Anfangs zeigt der linke Vorhof ziemlich frequente Tonusschwankuneen, die aber auch schon durch deutliche Pausen getrennt sind; bei a beginnt im Ver- laufe der Abnahme einer Sehwankung ein neues Anwachsen des Tonus, das möglicherweise durch die gleichzeitige Vagusreizung hervorgerufen wurde; dann folgt die besprocheue Stelle d, und nach weiteren Pausen folgen wiederum Gruppen von ein bis drei Tonus- schwankungen, und zwar folgt z. B. die Gruppe ce nach einem tonus- freien Intervall von ganz ähnlicher Dauer wie das zwischen a und db, so dass die Stelle 5 in diesem Zusammenhange betrachtet einen Teil ihrer Beweiskraft einbüsst. Dennoch bin ich nach meinen Er- fahrungen an anderen Herzen überzeugt, dass die besprochenen Tonussehwankungen bei 5 durch die Vagusreizung hervorgerufen wurden, und vermute, dass ohne diese Reizung entweder die Pause länger geworden wäre oder die Tonusschwankungen schon jetzt gänzlich erloschen wären, worauf der weitere Kurvenverlauf mit seinen schwachen Tonusschwankungen und langen Pausen hinweist. Die von Fano und Bottazzi als Belege für die positiv tono- trope Vaguswirkung abgebildeten Kurvenstücke leiden alle an dem Nachteil, dass sie die Tätigkeit des Vorhofes nicht während genügend langer Zeiten vor und nach der Vagusreizung wiedergeben. Trotz dieser Schwierigkeit in der Beurteilung des Vaguseffektes habe ich aber in einer so beträchtlichen Anzahl von Fällen im Ge- folge der Vagusreizung das Auftreten von Tonusschwankungen oder eine Verstärkung und Beschleunigung der vorhandenen Tonus- schwankungen beobachtet, dass ein zufälliges Zusammentreffen in all diesen Fällen vollkommen ausgeschlossen ist. Ein typisches Beispiel für die Wirkung der Vagusreizung an einem Vorhof, der schon vor- her relativ kräftige Tonusschwankungen zeigt, ist in der Textfig. 3 wiedergegeben. Der rechte Vorhof (untere Kurve) dieses Herzens, das von einem tags zuvor getöteten Tiere stammt, führte einzelne Tonusschwankungen aus, die durch deutliche Pausen voneinander getrennt sind; die Reizung des rechten Vagus bringt das Herz an- fangs zum Stillstand, dann treten noch während der Reizung schwache Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. III. 513 und seltene Systolen auf, und die glatte Vorhofmuskulatur beantwortet den Reiz mit drei rasch aufeinanderfolgenden und sich summierenden Tonusschwankungen, die mit Sicherheit als Folgen der Vagusreizung anzusprechen sind. Wohl den schönsten Beweis für den positiv tonotropen Effekt des Vagus bildet die zweite Hälfte der auf Fig. 3 (Taf. VIla) wieder- gegebenen Kurve. Der linke Vorhof dieses Herzens zeigte einen sehr hohen Tonus mit gut ausgebildeten Schwankungen, die, wie schon oben besprochen wurde, bei Reizung des linken Sympathieus vollständig gehemmt werden. Einige Zeit nach dieser ersten Linker Vorhof Recht Vorhof Minuten Textfig. 3. Sympathieusreizung wurde der rechte Vagus 12 Minuten lang (bei V) ohne deutlichen Erfolg gereizt, vermutlich war der Tonus so stark, dass er einer weiteren Steigerung nicht mehr fähig war. Hierauf wurde neuerdings der linke Sympathieus (36 Minuten lang) von $, bis $, gereizt und ‚während dieser Reizung 16 Minuten lang auch der rechte Vagus. Solange der Sympathieus anfangs allein in Er- regung war, sehen wir eine Tonusabnahme eintreten, die vollständig der bei der ersten Sympathicusreizung erzielten gleicht; nun beginnt aber die Vagusreizung, die Herzschläge erfolgen äusserst selten, und nach einigen Minuten !) tritt eine Tonussteigerung ein, die den Effekt der Sympathiceusreizung völlig aufhebt; bei V,; endet die Vagus- 1) Es wurde durch Einlöten dafür gesorgt, dass die Schreibspitzen der Vorhofhebel und des Reizmarkierers genau übereinanderstanden. 514 Soroku Oinuma: reizung, während der Sympathicus noch bis S, weitergereizt wurde, dementsprechend sehen wir den Tonus zunächst von neuem energisch abnehmen; dann wächst er aber trotz der fortdauernden Reizung wieder an und erreicht nach dem Schluss der Sympathieusreizung (5;) allmählich wieder seine alte Stärke. Wenn nun auch nach den früheren und den hier mitgeteilten Beobachtungen die Beeinflussung der Tonusschwankungen vom Nervensystem aus als sichergestellt zu betrachten ist, so bleibt es doch auffallend, dass diese Nervenwirkungen im allgemeinen recht geringfügig sind; so fehlten sie ja z. B. in meinen Versuchen in über der Hälfte der Fälle, und auch in den positiven Fällen sah ich speziell bei der Vagusreizung nur sehr selten tiefgreifende Änderungen im allgemeinen Verlauf der tonischen Vorhofkontraktionen auftreten. Wie bei so vielen autonom innervierten Muskeln gewinnt man auch hier den Eindruck, dass die Innervation nur — in relativ geringem Maasse — die Bedingungen für das Auftreten von Kontraktionen ändert, die unter Umständen auch ohne Erregung der fördernden Nerven „spontan“ auftreten können, ein Verhalten, das von v. Tschermak!) in sehr zutreffender Weise als „Be- dingungsinnervation“ bezeichnet worden ist, und zwar scheint in dem vorliegenden Falle dieser „tonische Bedingungseinfluss des Nervensystems“ keine econditio sine qua non, sondern nur ein graduell fördernder oder hemmender zu sein. { Im Anschluss an meine Beobachtungen möchte ich auch kurz auf die Bedeutung der Tonusschwankungen für den Kreislauf des Blutes eingehen. Bottazzi?) ist der Meinung, dass die Tonus- schwankungen zur Unterstützung der Vorhofsystolen dienen. Er schreibt: „Le oseillazioni del tono, probabilmente, coadiuvano le lente eontrazioni sistoliche del cuore dell’ Emys a effettuare l’es- pulsione del sangue dalle cavitä cardiache, speceialmente durante il letargo di quegli animali, nella stagione fredda, quando i loro eorpi sono immobili. In quelle condizioni il freddo eccita la funzione dell tono, mentre deprime e rarefä le contrazioni sistoliche.* Wir hätten hiernach auch die glatte Herzmuskulatur als Motor für den Blut- kreislauf anzusehen. 1) A. v. Tschermak, Über tonische und trophische Innervation. Folia neuro-biologica Bd. 3 S. 676 (692 fi.). 1910. 2) F. Bottazzi, I. p. 150 ff. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. II. 515 Einen Beweis für diese Ansicht glaubt er durch Versuche zu erbringen, in denen er nach dem Vorbilde von v. Kries!) und v. Frey?) bei tonusfreien Vorhöfen den Schreibhebel in wechselndem Ausmaass unterstützte. Er fand hierbei, in Übereinstimmung mit dem v. Kries’schen Satze, „dass der Muskel um so höhere Zuckungs- gipfel erreicht, je weniger Arbeit er während der Zuckung leistet“, dass auch die Höhe der Vorhotsystolen bis zu einem gewissen Grade mit der Höhe der Unterstützung des Schreibhebels wächst. Es entstehen hierdurch allerdings Bilder, die äusserlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Verhalten der Systolen während der Tonussehwankungen darbieten; ob aber die Zunahme der Zuckungs- höhen (bei kontinuierlicher Abnahnie der Hubhöhen) am tenisch tätigen Schildkrötenvorhof als echte äussere Unterstützung aufzufassen ist, muss m. E. noch dahingestellt bleiben. Eine Entscheidung in dieser Frage erwarte ich von elektrokardiographischen Versuchen, die ich in Angriff genommen habe. Die Hypothese Bottazzi’s wäre nur dann plausibel, wenn bei der Schildkröte während des Winterschlafes die Schlagfrequenz des Herzens so weit herabgesetzt wäre, dass die Systolen genau isorhythmisch mit den Tonus- schwankungen aufträten. Wenn aber — wie dies wohl mit Sicher- heit zu erwarten ist — die Periode der quergestreiften Vorhofs- muskulatur auch dann noch kürzer ist als die der glatten, wenn also mehrere Systolen auf je eine Tonusschwankung kommen, dann kann sich der tonisch kontrahierte Vorhof während der Diastolen nur mangelhaft füllen, was mit der unterstützenden Wirkung der Tonusschwankungen nicht in Einklang zu bringen wäre. Selbst wenn aber der Rhythmus .der Tonusschwankungen und jener der Systolen jemals übereinstimmen sollte, so würden doch diese immer unvergleichlich rascher ablaufen als die äusserst trägen Kontraktionen der glatten Vorhofsmuskulatur. Die Verringerung des Vorhof- lumens, welche von der glatten Muskulatur während der Dauer einer Systole bewirkt werden könnte, ist demnach stets so gering, dass sie für die Blutförderung so gut wie gar nicht in Betracht kommt. Die zweite Theorie über den Zweck der Tonusschwankungen 1) J. v. Kries, Untersuchungen zur Mechanik des quergestreiften Muskels. Du Bois’ Arch. 1880 S. 348. 2) M. v. Frey, Versuche zur Auflösung der tetanischen Muskelkurve. Beitr. z. Physiol. (Festschrift für C. Ludwig) S. 55. 1887. 916 Soroku Oinuma: stammt von Fano!). Dieser Forscher ist der Ansicht, dass die verschiedene Weite der Vorhöfe das Verhältnis zwischen der aus dem rechten und der aus dem linken Vorhof in die gemeinsame Kammer abfliessenden Blutmenge regelt und hierdurch indirekt auf die Erhaltung des „Gleichgewichts zwischen grossem und kleinem Kreislauf“ einwirkt. Wenngleich auch ich der Ansicht zustimmen möchte, dass die glatte Muskulatur durch die Verengerung der Vorhof-x lumina gewissermaassen als Drosselventil auf den Kreislauf wirkt, so scheint mir doch Fano’s Hypothese aus verschiedenen Gründen nicht glücklich zu sein; da sie aber auch von ihrem Autor nur in aphoristischer Form aufgestellt wurde, gehe ich nicht auf die Mög- lichkeit ihrer Widerlegung ein. Wenn man bedenkt, dass die Tonusschwankungen im allgemeinen gerade unter jenen Bedingungen auftreten, die eine schwächende und verlangsamende Wirkung auf die Systolen ausüben (Vagus- erregung, Kälte, Entblutung, Absterben), so -liegt m. E. die Annahme nahe, dass die Volumabnahme dertonisch kontrahierten Vorhöfe zur Entlastung des Ventrikels diene. Weil — wie oben nachgewiesen wurde — auch während der relativen Tonusminima an einem Tonusschwankungen zeigenden Herzen noch ein dauernd sehr beträchtlich erhöhter Tonus (im Vergleich zur Norm) herrscht, so muss das Schlagvolumen der tonisch tätigen Vorhöfe immer wesentlich kleiner sein als das der tonusfreien. Bei der geringen Schlagfrequenz des Schildkrötenherzens dürfte der Druck in den grossen Venenstämmen minimal sein, so dass die Kammer während der Systole der Vorhöfe sicher nur jene Blutmenge aufnimmt, die eben dem Schlagvolumen beider Vorhöfe entspricht. Nehmen diese Schlagvolumina ab, so wird hierdurch auch die Auf- gabe der Kammer in gleichem Maasse verringert. Hierzu dürfte wohl auch noch folgendes Moment kommen: Je kleiner das Schlagvolumen der Kammer wird, desto geringer wird auch — unter sonst gleichen Verhältnissen — die durchschnittliche Strömungsgeschwindiekeit des Blutes; da nun bei dem trägen Stoff- wechsel der Schildkröten, z. B. während des Winterschlafes, auch geringere Ansprüche an die Zirkulation gestellt werden, so liegt eine 1) G. Fano (et F. Badano), Sur les causes et sur la signification des oscillations du tonus auriculaire dans le ceur de !’„Emys europaea“. Arch. ital. de biol. t. 34 p. 301 (320). 1900. Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Musknlatur. II. 517 Verkleinerung des Schlagvolumens nicht nur im Interesse der Ökonomie des Herzmuskels, sondern sie entspricht auch dem ver- ringerten Durchblutungsbedürfnis der übrigen Organe des Tieres. Meine Annahme sucht also im Gegensatz zu der von Bottazzi die Bedeutung der glatten Vorhofsmuskulatur nicht in den Tonus- schwankungen, sondern in dem kontinuierlichen Tonus, auf den sich diese Schwankungen superponieren, und ferner nicht in einer Unter- stützung der Vorhofsystolen, sondern in einer der Leistungsfähigkeit des Ventrikels angepassten Variation des Schlagvolumens der Vorhöfe. Zusammenfassung. 1. Die hier mitgeteilten Versuche ergabenin den wesentlichen Punkten eine Bestätigung der Angaben von Fano und Bottazzi, nach denen die glatte Vorhof- muskulatur des Sechildkrötenherzens im Gegensatz zur quergestreiften fördernd vom Vagus, hemmend vom Sympathicus innerviert wird. 2. An jenen Vorhöfen, welche Tonusschwankungen zeigen, be- steht fast stets auch ein beträchtlicher dauernder Tonus, auf den sich die einzelnen Tonusschwankungen superponieren, und der durch die Annahme eines unvollständigen Tetanus der elatten Vorhof- muskulatur erklärt werden kann. 3. Der glatten Vorhofmuskulatur dürfte die Aufgabe zufallen, den Fassungsraum der Vorhöfe in einer der jeweiligen Leistungs- fähigkeit des Ventrikels und dem Durehblutungsbedürfnis der übrigen Organe entsprechenden Weise zu variieren. Tafelerklärung. Sämtliche Kurven der Tafel sind von links nach rechts zu lesen. Die Zeit- marken entsprechen überall Minuten. In Fig. 2 entspricht einer Verkürzung des Vorhofs eine Hebung der Kurve, in den drei übrigen dagegen eine Senkung. Belastung jedes Vorhofes: 0,5 g. Hebelvergrösserung: 1:4. Fig. 1. Tier XX. Getötet am 14. Februar 1910. Kurve vom 16. Februar. Minimale Tonusschwankungen des rechten Vorhofs, zunehmende tonische Ver- kürzung des linken Vorhofs in Form eines unvollkommenen Tetanus. Fig. 2. Tier II. Getötet am 13. Dezember 1909. (Hebung des Hebels bei Tonus- steigerung.) Auffallend regelmässige tonische Einzelkontraktionen eines ab- sterbenden, ausgeschnittenen linken Vorhofs. 518 Fig. Fig. Soroku Oinuma: Beiträge zur Physiologie etc. 3. Tier XXXVI dGetötet au 19. April 1910. Auf Eis aufbewahrt bis 23. April. Der rechte Vorhof (obere Kurve) fast frei von Tonusschwankungen. Der linke Vorhof zeigt kräftige Tonusschwankungen, aber keine Herzschläge mehr. $,;—S3;'= Reizung des linken Sympathicus (20 Min.); Effekt: Tonus- senkung und Wiederauftreten der Systolen. Bei V Reizung des rechten Vagus (12 Min.) ohne Effekt. S)—S, neuerliche Reizung des linken Sym- pathicus (35 Min.), während welcher eine Zeitlang (16 Min.) (Y,—V>) auch der rechte Vagus mitgereizt wurde. Effekt: Anfangs Tonussenkung, dann während der Vagusreizung Tonussteigerung und nachher vorübergehende Rückkehr zu dem niedrigen Stand des Tonus. Die Schreibspitzen der Vor- höfe und des Reizmarkierers waren mit Hilfe eines Lotes genau senkrecht übereinandergestellt worden. 4. Tier XXXI. Getötet am 5. April 1910. Auf Eis aufbewahrt bis 7. April. Rechter Vorhof fast frei von Tonusschwankungen (obere Kurve). Linker Vor- hof (untere Kurve) zeigt einzeln und gruppenweise auftretende Tonus- schwankungen. Die Marken des Reizmarkierers im ersten Drittel der Figur sind nur Koinzidenzmarken für gleichzeitig registrierte Elektrogrammkurven. Bei a und b: Reizung des linken Vagus mit positiv tonotropem Effekt. Die Reizmarken stehen um 1,5 mm zu weit links. 519 Der Einfiuss verschiedener Labmengen und verschiedener Temperaturen auf die Ge- rinnung der Milch und auf die mikroskopische Struktur der Kasein- und Fibringerinnsel. Von cand. med. Richard Bräuler') aus Aachen. (Mit 4 Textfiguren und Tafel VIII und IX.) l. Einleitung. Historische Vorbemerkungen. Dass Milch durch die Schleimhaut des Magens vom Kalb und anderen Tieren zur Gerinnung gebracht werden kann, ist eine schon seit dem Altertum bekannte und bei der Käsebereitung praktisch verwertete Tatsache. Die erste uns überlieferte Erwähnung des tierischen Labs findet sich nach Peters?) bei Aristoteles. Das Zustandekommen der Gerinnung suchte man lange Zeit dadurch zu erklären, dass die Magenschleimhaut ein Ferment liefere, welches den Milchzucker in Gärung versetzte; die dabei entstehende Milchsäure solle das Kasein ausfällen. Endgültig aufgegeben wurde diese Theorie erst nach dem Erscheinen der Arbeiten von Hammarsten. Indessen macht Hammar- sten darauf aufmerksam?) (S. 144), dass Berzelius schon milchzuckerfreie 1) Vorliegende Arbeit, deren Ergebnisse kurz im mediz.-naturw. Verein in Tübingen am 15. Februar 1909 vorgetragen und in dessen Mitteilungen ver- öffentlicht wurden, ist im wesentlichen der Inhalt einer von der Tübinger Karl Faber-Stiftung im Jahre 1907 gestellten und von R. Bräuler gelösten Preis- aufgabe, welche den Titel führte: „Es soll die Gerinnung der Milch durch Lab mikroskopisch untersucht und dabei namentlich auf die Wirkungen verschiedener Labmengen Rücksicht genommen und mit der Gerinnung des Blutes verglichen werden.“ Da die Anfertigung der Arbeit ein paar Jahre zurückliegt und es dem Verfasser unmöglich war, die inzwischen erschienenen einschlägigen Arbeiten ein- eingehend zu berücksichtigen, so sei gleich hier darauf hingewiesen, dass die- selben so weit wie möglich in Anmerkungen Berücksichtigung fanden. Grützner. 2) R. Peters, Untersuchungen über das Lab und die labähnlichen Fermente. Preisschrift und Dissertation. Rostock 1894. 3) 0. Hammarsten, Über den chemischen Verlauf bei der Gerinnung des Kaseins mit Lab. Maly’s Jahresber. über d. Fortschr. d. Tierchemie Bd. 4 .8.135. 1874. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 34 520 Richard Bräuler: Kaseinlösungen mit Lab zur Gerinnung gebracht hat, und es demnach scheint, „als hätte schon Berzelius die Bedeutungslosigkeit des Milchzuckers für die Käsebildung erkannt. Und wären seine Angaben nicht unbeachtet oder ver- gessen geblieben, hätte wahrscheinlich die irrige Ansicht von einer Milchsäure- bildung bei der Kaseingerinnung mit Lab niemals eine grössere Verbreitung ge- winnen können“ Selmy und Heintz zeigten, dass eine durch Alkalizusatz alkalisch gemachte Milch bei 50—62° durch Kälberlab gerinnen kann, und dass dabei die überstehende Flüssigkeit noch immer sehr deutlich alkalisch reagiert. Heintz zog daraus den Schluss, dass bei höherer Temperatur die Koagulation des Kaseins unabhängig von der Säurebildung durch Lab erfolgen kann, während seiner Ansicht nach bei niederer Temperatur die Gerinnung durch Säuerung er- folgt. [Nach der Angabe bei Soxleth?).] Hammarsten?) erbrachte den endgültigen Beweis, dass Milchgerinnung unabhängig von Milchsäurebildung erfolgen kann, indem er Milch in mit Natron- lauge schwach alkalisch gemachter Lösung mit dem Extrakt der Schleimhaut eines Labmagens zur Gerinnung brachte und nachwies, dass bis nach erfolgter Gerinnung die Lösung stets alkalisch blieb. Einen anderen Beweis brachte er dadurch, dass er milchzuckerfreie Kaseinlösungen mit einem Magenschleimhaut- extrakt zur Gerinnung brachte. | Diese Gerinnung wird durch ein Ferment veranlasst, das eine spezifische Wirkung auf das Kasein ausübt, und für das Hammarsten?) (S. 120) den Namen „Lab“ vorschlug, welcher sich jetzt durchweg, sogar in fremden Sprachen, eingebürgert hat. Neben diesem Labferment konnte er allerdings auch ein Milch- säure bildendes Ferment in der Magenschleimhaut nachweisen. Unabhängig von Hammarsten kam Alexander Schmidt?) zu den- selben Ergebnissen. Der Vorgang der Milchgerinnung durch Berührung mit der Magenschleim- haut oder Extrakten daraus ist also zweifellos als fermentativer Prozess erkannt, bei dem durch das Ferment entweder eine Spaltung des Kaseins der Milch in Parakasein und ein albumosenähnliches Produkt stattfindet, oder das Kasein in Parakasein umgewandelt wird. Für eine Spaltung des Kaseins sprechen entgegen der früheren Annahme spätere und besonders auch die neuesten Forschungen). Demnach scheint auch der Labungsvorgang ein der Pepsin- und Trypsinwirkung nahestehender proteo- lytischer Prozess zu sein. 1) F.Soxhlet, Zur physiologischen Chemie der Milch. Maly’s Jahresber. Bd. 2 8.109. 1872. 2) O0. Hammarsten, Über die Milchgerinnung und die dabei wirkenden Fermente der Magenschleimhaut. Maly’s Jahresber. Bd. 2 S. 118. 1872. 3) Alexander Schmidt, Ein Beitrag zur Kenntnis der Milch. Dorpat 1874. Zit. nach Maly’s Jahresber. Bd. 4 S. 154. 1874. 4) Arthus et Pages, Sur le labferment de la digestion du lait. Arch. de Physiol. t. 2 p. 540. Zit. nach Hermann Schwalbe, Jahresber. über d. Fortschr. d. Physiol. Bd. 19 8. 368. 1891. — Rotondi, Contributo allo studio del Labfermento. Biochem. Zentralbl. Bd. 3 S. 207. 1904/05. — E. Laqueur, Der Einfluss verschied.. Labmengen und verschied. Temperaturen eter 524 2. Das Zeitgesetz der Labung. a) Vorbemerkungen. Ein Einwand, der gegen eine derartige Übereinstimmung verschiedentlich erhoben worden ist, ist die Verschiedenheit der Zeitgesetze der beiden Vorgänge, welche die Beziehung zwischen Reaktionsgeschwindigkeit und Fermentmerge aus- drücken. Während die am Pepsin aufgefundene und durch Vernon (vgl. Oppenheimer!) für das Trypsin bestätigte Schütz-Borrissow’sche Regel besagt, dass die Verdauungszeit der Quadratwurzel aus den Fermentmengen um- gekehrt proportional ist, folgt das Lab einem anderen Gesetze, nach dem die Fermentmenge selbst der Gerinnungszeit umgekehrt proportional ?), d.h. das Produkt aus Fermentmenge und Gerinnungszeit ceteris paribus konstant bleibt. Doch haben Reichel und Spiro?°) gezeigt, dass die beiden Gesetze bis zu einem ge- wissen Grad einander identisch sind ®). Zunächst hat Peters’) darauf aufmerksam gemacht, „dass Lab, über eine gewisse Quantität hinaus der Milch zugesetzt, die Gerinnung nicht mehr be- schleunigt“. Dasselbe fand Benjamin®) bei der Wiederholung der Versuche Über das Kasein als Säure und seine Unterschiede gegen das durch Lab ver- änderte (Parakasein). Dissertation. Breslau 1905. Zit. nach Autorreferat im Biochem. Zentralbl. Bd. 3 S. 670. 1904/05. — E. Laqueur, Hofmeister’s Beitr. Bd. 7 S. 273. 1906. — Spiro, Beeinflussung der Natur des Labungs- vorganges. Hofmeister’s Beitr. Bd. 8 S. 15. 1906. 1) €. Oppenheimer, Die Fermente und ihre Wirkungen. 2. Aufl. Leipzig 1903. 2) Es war mir bisher nicht möglich (wohl weil mir die gesamte umfang- betreffende Literatur nicht zugänglich war), denjenigen Forscher festzustellen, welcher zuerst dieses Gesetz von der umgekehrten Proportionalität bestimmt aus- gesprochen und bewiesen hat. Nach Fuld hätten es Segelke und Storch zuerst aufgestellt, Hansen und Soxhlet es aber eingehender zahlenmässig belegt. Ich will es daher, um nicht irgendwie ungerecht zu sein, das Pro- ortionalitätsgesetz der Labung nennen. 3) H. Reichel und K. Spiro, Beeinflussung und Natur des Labungs- vorganges. Hofmeister’s Beitr. Bd. 3 S. 15. 1906. 4) Übrigens hat neuerdings Grützner (Versuche und Betrachtungen usw. Arch. di Fisiol. fasc. 7 p. 223) darauf hingewiesen, dass auch die „Regel von Schütz“ keineswegs allgemein gültig ist, sondern nur innerhalb ziemlich enger Grenzen ungefähr zutrifft. Vermeidet man die schädigende Wirkung der Peptone, welche jene Regel zur Folge haben, so besagt das viel einfachere Grützner’sche Gesetz: dass die in der Zeiteinheit gelösten Eiweissmengen unter sonst gleichen Bedingungen direkt proportional sind den wirksamen Pepsinmengen. 5) R. Peters, Untersuchungen über das Lab und die labähnlichen Fermente. Preisschrift und Dissertation. Rostock 1894. 6) R. Benjamin, Beiträge zur Lehre von der Labgerinnung. Virchow’s Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. Bd. 145 S. 30. .1896. 34 * 522 Richard Bräuler: von Peters, während beide das Gesetz im übrigen bestätigen. Lörcher!) gibt an, dass das Gesetz innerhalb ziemlich grosser Breiten gilt, und nur bei sehr kleinen und sehr grossen Fermentmengen die Gerinnungszeit obige und andere Ausnahmen’ zeigt. Auch Duchaux hat nach Fuld?) (Die Arbeit, „Le lait, etudes chimiques et microbiol. Paris, 1894“ war mir leider nicht zugänglich) das Gesetz nur für mittlere Konzentrationen bestätigt gefunden. Schliesslich hat die jüngste diesbezügliche Untersuchung von Becker?) für das menschliche Lab- fermet eine bedeutende Abweichung ergeben, indem Becker bei Zusatz kleiner Fermentmengen die Gerinnung unverhältnismässig verzögert sah. Andererseits hat Fuld®) die Richtigkeit des Gesetzes nur für ganz kurze Gerinnungszeiten von wenigen Sekunden innerhalb geringer Grenzen geprüft und bestätigt. Mittlere Zeiten hat er nur gelegentlich untersucht und bei der Prüfung sehr grosser eine ganz andere Methode angewendet, deren Ergebnisse, wenn ich sie recht verstehe, nicht so ohne weiteres auf diejenigen der anderen Methode übertragen werden dürften. Ein Vergleich von Proben mit sehr verschiedenem Fermentgehalt ist nicht durchgeführt, so dass auch die Versuche Fuld’s nur die Gültigkeit des Gesetzes innerhalb enger Grenzen beweisen. Daher versuchte ich, das Gesetz durch längere Versuchsreihen zu prüfen, die sich über grössere Zeitabschnitte erstrecken sollten; denn wenn man den Gang und Charakter einer Kurve bestimmen will, muss man nicht bloss ein ganz kurzes, sondern ein möglichst langes Stück von ihr untersuchen. b) Eigene Versuche. _ Ich benutzte zu diesen Versuchen saure und neutralisierte Lab- extrakte, sowie das auf Lackmus alkalisch reagierende Präparat von Merck in Darmstadt. Die beiden ersten stellte ich aus der getrockneten Schleimhaut eines Schweinemagens her, den ich nach Ebstein und Grützner°) (S. 37) präparierte, wie es an der ebengenannten Stelle und bei Lörcher‘) des näheren beschrieben ist. Die Schleimhaut wurde dann mit 1- oder 2 P/oiger Salzsäure oder auch Glycerin extrahiert und ergab so kräftig wirkende Lab- extrakte. Zu meinen Versuchen liess ich 100 cem Salzsäure einige 1) G. Lörcher, Über Labwirkung. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 69 S. 141. 1897. 2) E. Fuld, Über die Milchgerinnung durch Lab. Hofmeister’s Beitr. Bd. 2 S. 169. 1902. 3) G. Becker, Untersuchungen über das Zeitgesetz des menschlichen Labfermentes und dessen quantitative Bestimmung. Hofmeister’s Beitr. Bd. 7 S. 89. 1906. 4) 1. c., Hofmeister’s Beitr. Bd. 2 S. 169. 1902. 5) P. Grützner, Über die Bildung und Ausscheidung des Pepsins. Breslau 1875. 6) 1. c., Pflüger’s Arch. Bd. 69 8. 141. 1897. Der Einfluss verschied. Labmengen und verschied. Temperaturen etc. 523 Stunden lang auf 0,5 g Schleimhautpulver oder nach der Vorschrift Lörchers 10 cem Glycerin auf 0,1 g Schleimhautpulver wirken. Das Filtrat der ersten Lösung ist gebrauchsfertig, das des Glycerin- auszuges wird etwa eine halbe Stunde vor Gebrauch mit dem gleichen Volumen 1 "/ooiger Salzsäure versetzt und zum Gebrauch mit dem doppelten Volumen destillierten Wassers verdünnt. Die von Merck in Darmstadt hergestellte „Labessenz 1: 10000“ ver- dünnte ich zu meinen Versuchen mit destilliertem Wasser auf das 20fache ihres Volumens. Die Verdünnung muss kurz vor Gebrauch vorgenommen werden, weil das verdünnte Ferment ausserordentlich schnell an Wirksamkeit verliert, wie die folgende Beobachtung zeigt: 5 eem frischer Kuhmilch, mit 0,2 ccm dieses frisch verdünnten Extraktes versetzt, gerannen innerhalb 2 Minuten; 7 Stunden später brauchten sie mit derselben Menge derselben Lösung bei gleicher Temperatur 7 Minuten. Zu den Versuchen brachte ich die miteinander zu vergleichen- den Labmengen in eine Reihe ausgesuchter, gleich grosser Reagenz- gläser, fügte bei Verwendung von Salzsäureextrakten so viel derselben Säure hinzu, dass in allen Proben gleich viel Säure und auch gleich viel Flüssigkeit war; bei den Glycerinextrakten sorgte ich durch Zusatz von 1 °/oo Säure und destilliertem Wasser in entsprechenden Mengen dafür, dass alle Proben gleiche Säure- und gleiche Flüssig- keitsmengen enthielten. Auf diese Weise war dem Einwand begegnet, dass die mehr Ferment enthaltenden Proben infolge der stärkeren Verdünnung zu spät gerännen. Ausserdem setzte ich in der Regel noch einen Kontrollversuch an, bei welchem ich zu der Milch so viel Salzsäure zufügte, wie jede Probe der Versuchsreihe enthielt, und vergewisserte mich so, dass die Gerinnung nicht die Folge der in dem Extrakt enthaltenen Säure war. Übrigens trat bei den verwendeten Säuremengen niemals (oder erst nach vielen Stunden) Gerinnung ein. In die so vorbereiteten Reagenzgläser goss ich möglichst schnell nacheinander in der Regel 5 ccm frischer Kuhmilch, stülpte das mit dem sauber gereinigten Daumen ver- schlossene Glas einmal um und brachte die Proben möglichst gleich- zeitig ins Wasserbad von Körpertemperatur. (Bei meinen ersten Versuchen habe ich mit nicht vorgewärmter Milch ge- arbeitet, während ich später die Milch vor dem Gebrauch im Wasserbade auf die Versuchstemperatur brachte; einen Unterschied in den Resultaten habe ich nicht gesehen. Bei der grossen dem Wasser ausgesetzten Oberfläche nimmt der Inhalt der Reagenzgläser die Temperatur des Wasserbades sehr schnell an.) 524 Richard Bräuler: Den Eintritt der Gerinnung zeigten mir die ersten Gerinnsel an, die deutlich zu, erkennen waren, wenn man das Reagenzglas langsam neigte und wieder aufrichtete. Bei der Beobachtung kürzerer Gezinnungszeiten benützte ich ausserdem den von Bürker angegebenen!) Apparat zur Ermittelung der Blutgerinnungszeit. In dem Apparat nimmt ein Tropfen der zu untersuchenden Flüssigkeit sehr schnell die gewünschte Temperatur an und behält sie unverändert gegen Verdunstung geschützt bis zur Gerinnung. Zu meinen Versuchen brachte ich demgemäss einen Tropfen der zu untersuchenden Mischung von Milch, Labextrakt und eventuell Säure, die ich wie angegeben im Reagenzglase hergestellt hatte, mit einer Pipette möglichst schnell nach dem Zusammen- schütten in den Apparat und fuhr dann mit einem zu einem langen Faden ausgezogenen Glasstab hindurch, entsprechend der Vorschrift in der zitierten Arbeit. Das Durchfahren wiederholte ich jede halbe Minute. Solange die Milch noch nicht geronnen war, konnte der Glasfaden durchgezogen werden, ohne dass sichtbare Spuren der Milch an ihm haften blieben; sobald aber die Gerinnung begann, blieb ein kleines Gerinnsel an ihm zurück. Beim nächsten Durch- fahren aber hinterliess der Glasfaden in der geronnenen Milch seine Spur, welche stehen blieb. Durch versehiedene Versuche, bei denen ich gleichzeitig einen Tropfen einer Probe auf die eben beschriebene Weise bei Körper- temperatur zur Gerinnung brachte, den Rest im Wasserbad von gleicher Temperatur im Reagenzglas gerinnen liess, habe ich mich davon überzeugt, dass beide Methoden durchaus übereinstimmende Resultate ergeben; der Vorteil ds Bürker’schen Apparates besteht darin, dass der Eintritt der Gerinnung absolut scharf zu bestimmen ist. Die ersten Versuche stellte ich mit sauren Extrakten an; dabei zeigte sich, dass, übereinstimmend mit den Beobachtungen von Lörcher, bei Zusatz grosser Labmengen die Gerinnung nicht so schnell verläuft, wie nach dem Gesetz zu erwarten wäre, und dass sie. von einer gewissen oberen Grenze ab durch Zusatz von mehr Ferment nicht mehr merklich beschleunigt werden kann, wie ja auch von Peters angegeben worden ist (Versuch 4). il) K. Bürker, Ein Apparat zur Ermittlung der Blutgerinnungszeit. Pflüger’s Arch. Bd. 118, S. 452, 1907. Der Einfluss verschied. Labmengen und verschied. Temperaturen etc. 595 Aber auch bei Zusatz geringer Labmengen verläuft die Gerinnung langsamer, als nach dem Gesetz zu erwarten wäre (Versuch 1 und 6): diese Abweichung hat Becker für das menschliche, saure Labferment auch gefunden (l. e.). Diese Ergebnisse meiner Versuche seien durch folgende Protokolle erläutert: 1. Versuch (vom 28 Oktober 1907). Temperatur des Wasserbades: 36° C. Benutzt ist ein Säureextrakt von 2°/ooiger HCl. Je5ccm Milch werden versetzt mit Geri e Fermentmenge Gläschen Labextrakt 2°%00o HCl SELDUNERZET. > Gerinnungs- ccm ccm in Minuten zeit Kontrollgl. 0,00 0,25 nicht geronnen u 1. 0,25 0,00 BIT; 955/6 1. 0,20 0,05 le 762/s III. 0,17 0,08 le 651/6 Vz 0,15 0,10 4 60 V. 0,12 0,13 5 60 VI. 0,07 0,18 8 56 VI. 0,05 0,20 21 105 VII. 0,03 0,22 über 60 > 180 2. Versuch (vom 2. November 1907). Temperatur des Wasserbades: 36° C. Benutzt wird ein Säureextrakt von 1°/ooiger HCI. Je5ccm Milch werden versetzt mit Geri 4 Fermentmenge Gläschen Labextrakt | "10% Heil SAL DUDESZELA Gerinnungs- ccm ccm in Minuten zeit Kontrollgl. 0,00 | 0,22 nicht geronnen — I 0,20 0,02 2 40 u 0,16 0,06 2 32 III 0,14 0,08 21/6 30!/s IV 0,12 0,10 21/a 30 3. Versuch (vom 5. November 1907). Temperatur des Wasserbades: 36°C. Benutzt ist ein saures Glycerinextrakt. Je 5 cem Milch werden versetzt mit | destilli Gerinnungs- Ferment- Gläschen | [abextrakt | 1900 HCl | io zeit menge > Ge- | SEEN rinnungszeit ccm ccm ccm in Minuten I 10 12:00 0,00 1 & II 0,7 0,07 0,23 1 0,7 II 0,5 0,12 0,38 1 0,5 526 Richard Bräuler: Fortsetzung von Versuch 93. Je 5 ccm Milch werden versetzt mit destilli Gerinnungs- Ferment- Gläschen | [abextrakt | 1%0 HCl nn: on zeit menge > Ge- ERST rinnungszeit ccm ccm ccm in Minuten IV 0,4 0,15 0,45 1 0,4 1% 0,3 0,17 0,53 11/4 0,375 VI 0,2 | 0,20 0,60 1?/a 0,35 vu 0,1 0,22 0,68 3 0,30 vmI 0,08 0,23 | 0,69 4 0,32 IX 0,06 | 0,23 0,71 5 0,30 4. Versuch (vom 6. November 1907). Temperatur des Wasserbades 36° C. Lablösung ist ein saures Glycerin- extrakt. Es wird gleichzeitig im Wasserbad und mit Hilfe des Bürker’schen Blutgerinnungsapparates beobachtet mit demselben Resultat. Je 5 ccm Milch werden zusammen- gebracht mit Gerinnungs- Ferment- Gläschen destilliertem zeit menge > Ge- 0 Labextrakt | 1°%oo HÜl en rinnungszeit ccm ccm cem in Minuten I 1,0 0,00 0,00 il 10 II 0,7 0,07(5) 0,225) 1 7 III 0,5 0,12(5) 0,37(5) 1 5 IV 0,4 0,15 0,45 1 4 V 0,3 0,17(5) 0,5205) 11/4 33/a VI 0,2 0,20 0,60 13/4 3lla v1 0,1 0,22(5) 0,67(5) Bla 23/a 5. Versuch (vom 7. November 1907). Temperatur des Wasserbades: 36° C. Als Lablösung wird ein saures Glycerinextrakt verwendet. Je 5 com Milch werden versetztmit Gerinnungs- Kerment: Gläschen | Glycerinextrakt 1°/oo HC1 zeit men Ge- ccm ccm in Minuten rinnungszelt I 0,08 0,23 3 24 1 0,07 0,23 31/ 2448 III 0,06 0,23(5) 4 24 IV 0,05 0,24 5 25 V 0,04 0,24 6/2 26 SI... 0,03 0,24 81/2 2512 Es mag noch bemerkt sein, dass in den letzten drei Versuchen die Glycerinmengen in den einzelnen Proben verschieden gross sind. Der Einfluss verschied. Labmengen und verschied. Temperaturen ete. 597 Je weniger sie von einander abweichen, um so besser stimmt das Gesetz. Zum folgenden Versuch wurde eine besonders stark verdünnte Ferment- lösung (1:10) von saurem Glycerinextrakt benützt. 6. Versuch (vom 7. November 1907). Temperatur des Wasserbades: 36° C. Je 5 ccm Milch werden versetzt mit ; | Gerinnungs- Ferment- verdünntem illi Gläschen | Ferment | 0,1%%o HCl se un zeit menge > Ge- (1:10) Bene rinnungszeit ccm ccm | ccm in Minuten I 02 0.0.00 a7 0,00 16 3,2 11 0,1 0,0205) 0,08 45 4,5 III 0,08 | 0,03 0,09 60 4,8 IV 0,06 0,0305) 0,11 100 6,0 Wie man sieht, bestätigte sich das Gesetz von der umgekehrten Proportionalität von Gerinnungszeit und Fermentmenge bei Anwendung von sauren Lablösungen so gut wie gar nicht. Wie steht es nun aber, wenn die Labgerinnung ohne die unterstützende Wirkung der Säure, die ja unter normalen Verhältnissen im Magen nie fehlt, bei verschieden grossen Labmengen vor sich geht? Meine dahingehenden Versuche, welche ich mit dem Merck’schen Präparate und mit neutralisiertem (von Haus aus saurem) Labextrakt ausführte, gaben da ein anderes Resultat, wie folgende Beispiele lehren. 1. Versuch (vom 2. März 1903). | i Temperatur des Wasserbades: 37° C. Je 5 cem Milch werden zusammen- gebracht mit Gerinnungs- Ferment- VER ENUNTm 5 zeit menge > Ge- neutralem Extrakt |destilliertem Wasser nt, ccm ccm in Minuten 0,4 0,0 1 5,2 0,3 0,1 17 51 0,2 0,2 25 5,0 0,1 0,3 50 5,0 528 Richard Bräuler: 3. Versuch (vom 13. Februar 1908). Temperatur des Wasserbades: 36° C. Je 5 ccm Milch werden versetzt mit Gerinnungs- zeit Fermentmenge Merck’s Labessenz| destilliertem Wasser >< Gerinnungszeit ccm ccm in Minuten 2ila 4 20 36!/a 1 1 8 0, 0 0 Diese und viele andere ähnliche Versuche, welche dieselben Ergebnisse lieferten, zeigen also, dass innerhalb geringer Grenzen das Labgesetz zu Recht besteht, dass aber schon bei starken Ver- dünnungen die Gerinnungszeit unverhältnismässig stark zunimmt. Noch auffälliger tritt diese Verzögerung der Gerinnung infolge sehr kleiner Fermentmengen zutage, wenn man die neutralen Ferment- lösungen durch gekochte Fermentlösungen verdünnt, wie folgende Versuche zeigen. 1. Versuch (vom 29. Februar 1908). Temperatur des Wasserbades: 36° C, Je 4 ccm Milch werden zusammen- gebracht mit Gerinnungs- Ferment- I zeit menge > Ge- neutralem Extrakt | gekochtem Extrakt rinnungszeit ccm ccm in Minuten 1,0 0,0 0,6 0,4 0,5 0,5 0,3 0,7 keine Gerinnung beobachtet 2, Versuch (vom 2. März 1908). Temperatur des Wasserbades: 37° C. Je 5 ccm Milch werden versetzt mit Gerinnungs- ot Fermentmenge neutralem Extrakt | gekochtem Extrakt 7 > Gerinnungszeit ecm ccm in Minuten IE 0,4 0,0 10 4 0,3 0,1 16 4,8 0,2 0,2 34 6,8 0,1 0,3 100 10,0 Der Einfluss verschied. Labmengen und verschied. Temperaturen etc. 599 Wie man also sieht, treten schon innerhalb recht enger Grenzen diese Schädigungen zutage. Es entsteht die Frage: wie haben wir diese Schädigungen zu erklären? Schon oben (S. 523) habe ich er- wähnt, dass stark mit Wasser verdünnte Lablösungen schnell an Kraft verlieren. Offenbar liest also für die Versuche der ersten Reihe eine derartige Schädigung vor. Wieso die gekochten Ferment- lösungen die Wirkungen namentlich von schwachen Lösungen so gewaltig schädigen, ist nicht ganz leicht zu erklären. Die Annahme, dass es die in den Extrakten vorhandenen Salze (vgl. Lörcher) sein sollten, welche hemmend wirken, ist nicht recht wahrscheinlich, aber doch nicht von der Hand zu weisen. Sicher aber ist, dass Peptone oder peptonartige Körper, vielleicht das ge- kochte Labferment selbst, den Labungsprozess verlangsamen. Des- halb glaube ich, wird die Verlangsamung entweder dadurch bedingt, dass von Haus aus in den Extrakten peptonartige Körper vorhanden sind oder sich während des Gerinnungsprozesses (in saurer Lösung) bilden. Die sauren Extrakte enthalten nämlich ausser Lab auch noch wirksames Pepsin. Da erst Gerinnung eintritt, nachdem alles Kasein in Parakasein umgewandelt ist, so hat bei kleinen Labmengen während der schon an und für sich langen Umwandlungszeit das Pepsin Zeit, das umgewandelte, aber noch nicht gefällte Parakasein unter Bildung von Albumosen und Peptonen anzugreifen. Bei der Extraktion der Schleimhaut mit Säure werden ausserdem schon während der Extraktion Verdauungsprodukte gebildet, was von Grützner (l.c. S.24) betont ist. Diese so gebildeten peptonartigen Körper können ebenfalls die Gerinnung verzögern, wie folgender Versuch zeigt. Versuch. Ein Glycerinextrakt der Schleimhaut eines Katzenmagens wurde mit dem zehnfachen Volumen 2°/oo Salzsäure versetzt, ein Teil davon während °/s Stunden bei 37° C. mit Fibrin zusammengebracht und dann filtriert. Der andere Teil wurde längere Zeit gekocht und dadurch alles Ferment zerstört. Dann brachte ich in zwei Reagenzgläser gleiche Mengen eines Labextraktes, in das eine I ccm des gekochten Extraktes, in das andere 1 ccm des peptonhaltigen Filtrates, goss in beide unmittelbar nacheinander je 5 ccm Milch und brachte sie ins Wasserbad von 37° 0. Die erste Probe gerann nach 1 Min. 35 Sek., die andere pepton- haltige nach 2 Min. 25 Sek. Ähnliche Resultate erhielt ich, als ich an Stelle von Fibrin Kasein in gleicher Weise kurze Zeit verdauen liess und das Filtrat dieser Verdauungsflüssigkeit auf seine gerinnungsverzögernde Kraft prüfte. 530 Richard Bräuler: Vermutlich sind die Abweichungen der Versuche von Becker mindestens zum Teil ebenfalls auf die Wirkung des Pepsins zurück- zuführen, besonders da er dieselben Abweichungen sah, wenn er Kälberlab in stark saurer Lösung verwandte (]. e. S. 103), während es sich in schwach saurer und neutraler Lösung normal verhielt. Wenn also keine Störungen eingreifen, so besteht, wie mir scheint, das Proportionalitätsgesetz zu Recht und liess sich auch, wie schon oben erwähnt, bei den mit neutralisierten Extrakten und dem Merck schen Präparate angestellten Versuchen für kurze Gerinnungs- zeiten nachweisen. Verlängern sich die Gerinnungszeiten um weniges, so wird das Ferment aller Wahrscheinlichkeit nach geschädigt, und die Gerinnungs- zeiten werden verhältnismässig zu gross. Aber auch bei viel Ferment tritt, wie schon Peters und Lörcher!) gefunden haben und ich bestätigen kann (s. Versuch 2, S. 525), eine Verzögerung ein. Viel- leicht werden mit dem Ferment — reine Fermente kennen wir ja wahrscheinlich überhaupt noch nieht — noch andere schädigende Stoffe den Gerinnungsgemischen beigefügt, möglich auch, dass die Zahl der Fermentmoleküle zu gross ist, um alle Kaseinmoleküle zu packen und deshalb ein Teil derselben untätig beiseite stehen muss, wie Truppen, welche nicht in den Kampf eingreifen können. Fasse ich hiernach die Ergebnisse meiner Untersuchungen über die wirksame Fermentmenge und die Schnelligkeit der Gerinnung zusammen, so muss ich sagen, dass, falls alle Störungen ausgeschaltet werden, die Gerinnung unter sonst gleichen Umständen um so schneller erfolgt, je grösser dieFermentmengeist, und zwar bestehtein umgekehrtes Verhältnis dieser beiden Grössen zueinander. Die doppelte Menge Ferment braucht die halbe Zeit u. s. £. Man sieht, dass hier dieselbe einfache Gesetzlichkeit obwaltet wie bei dem Grützner’schen Pepsingesetz. Ein Fermentmolekül hat die gleiche Wirkung wie jedes andere. 1) Ich möchte nicht versäumen, hier auf die Versuche Lörcher'’s (l. c. S. 179) hinzuweisen, der in der Breite von 1:50 Lab das Zeitgesetz ziemlich genau bestätigt fand, indem die Zahlen (Produkte und Gerinnungszeit und Lab- menge), bei denen diese Labmengen, von unvermeidlichen Versuchsfehlern ab- gesehen, zwischen 480 und 500 schwankten. Von 50—100 Lab stiegen sie all- mählich von 500—600 an. Kleinere Labmengen unter 1 zeigten allerdings in diesen Versuchen keine Verzögerung der Gerinnung. Der Einfluss verschied. Labmengen und verschied. Temperaturen etc. 531 Bemerkenswert scheint mir ausserdem noch die Tatsache, dass kleine Fermentmengen unter sonst eleichen Bedingungen durch Schädliehkeiten verhältnismässig stärker angegriffen werden als grosse). d. Einfluss der Temperatur auf die Geschwindigkeit der Labung. Ein zweiter Faktor, der die Geschwindigkeit der Gerinnung ausserordentlich beeinflusst, ist die Temperatur. Dass, wie jeder fermentative Vorgang, so auch die Labgerinnung innerhalb gewisser Grenzen durch höhere Temperaturen begünstigt, durch niedere ver- zögert wird, ist bekannt; ebenso dass hohe Temperaturen das Ferment zerstören. Am günstigsten wirkt das Lab nach Boas?) von 35—40 ° C., nach Peters (l. e.) bei Körpertemperatur oder das speziell von Peters benutzte Präparat bei 40,5 °, nach Benjamin (]. ec.) bei 40°; nach Fuld liegt das Optimum der Labwirkung nahe bei 45°. Was die obere und untere Grenze betrifft, bei der ohne weitere Kautelen Labgerinnung möglich ist, so haben wir eingangs gesehen, dass Selmy und Heintz bei 62° Labgerinnung erzielten. Boas saet, dass unter gewöhnlichen Umständen das Lab bei 14—16° R. (also 17,5—20 °C.) nicht wirkt; als obere Grenze der Wirksamkeit gibt . Boas etwa 70° C. an, Mayer (Milchztg. 1881; zit. n. Fuld, die mir nicht zugänglich) 40 °; nach Lörcher ist Labgerinnung zwischen 10° und 50—60° möglich. Pawlow und Parastschuk?) haben nach einer Erwärmung auf 62° während 5 Minuten Hundemagensaft seine milchkoagulierende Wirkung verlieren sehen, während er nach einer Erwärmung auf 60° noch wirksam war. Weiterhin gibt Fuld an, „dass, soweit Störungen vermieden werden können, für das Lab die auch sonst allgemein gültige Regel 1) Ähnliche Tatsachen konnte auch Kübel (Pflüger’s Arch. Bd. 76 S. 276. 1899) betrefis der gegenseitigen Beeinflussung dünnen und dicken Stärke- kleisters auf das Speichelferment und Salze beobachten. Auch von anderen Fermenten wird ähnliches mitgeteilt. 2) J. Boas, Untersuchungen über das Labferment im gesunden und kranken Magen. Zeitschr. f. klin. Mediz. Bd. 14 S. 249. 1888. 3) Pawlow und Parastschuk, Über die ein und demselben Eiweiss- ferment zukommende proteolytische und milchkoagulierende Wirkung verschiedener Verdauungssäfte.e Hoppe-Seyler’s Zeitschr. .f. physiol. Chemie Bd. 42 S. 422. 1904. 532 Richard Bräuler: besteht, dass einer Abkühlung um 10° etwa eine Verlangsamung des Prozesses aufs Doppelte entspricht“. (L. e. S. 184.) Ausser dieser letzten Angabe habe ich keine genauere Angabe über die Abhängigkeit der Gerinnungsgeschwindigkeit von der Tem- peratur gefunden. Aber auch der von Fuld selbst zitierte Versuch brinst das angegebene Verhalten durchaus nicht einwandfrei zum Ausdruck. Eine Prüfung des Verhaltens gleicher Milchmengen mit gleichen Labmengen versetzt bei verschiedenen Temperaturen erschien . darum von Interesse. Ich verfuhr dabei ähnlich wie bei den vorhergehenden Versuchen und brachte in der Regel je 5 ecın Mileh mit genau abgemessenen sleichen Labmengen in ausgesuchten gleichen Reagenzgläsern zu- sammen und setzte nach einmaligem Umstülpen des verschlossenen Glases die Mischungen gleichzeitig in Wasserbäder von verschiedenen Temperaturen. Die Ergebnisse einiger Versuche seien durch folgende Protokolle veranschaulicht. Als Fermentlösung diente ein saures Glycerinextrakt ; dieses besitzt nach den Untersuchungen Lörcher’s [an und für sich und was den Säuregehalt betrifft, in Übereinstimmung mit der Beobachtung von Boas (0. e. 8. 254), allerdings entgegen der Angabe von Johnson!)] die grösste Temperaturresistenz. Der Pepsingehalt dieser Lösungen konnte bei den meist nicht langen Gerinnungszeiten bei höherer Temperatur und der geschwächten Wirksamkeit bei Temperaturen unter 30 ® nicht so störend in Betracht kommen wie bei den früheren Versuchen; hingegen war so die schädigende Wirkung der Wärme noch am ehesten ausgeschaltet. Um sicher zu gehen, sind ausser- dem nur solche Versuche berücksichtigt, die das Zeitgesetz oder die besprochene Abweichung bei grösseren Fermentmengen zum Ausdruck bringen. In den nachfolgenden Versuchen sind zwei Versuchsreihen, die Versuchs- reihe a mit 3 ccm Labmenge und die Versuchsreihe b mit 0,1 ccm ineinander- geschrieben. 1) E. G. Johnson, Studien über das Vorkommen des Labferments im Magen des Menschen mit pathologischen Verhältnissen. Zeitschr. f. klin. Mediz. Bd. 14-8. 240. 1888. Der Einfluss verschied. Labmengen und verschied. Temperaturen etc. 533 1. Versuch (vom 18. November 1907). Je 5 ccm Milch. ee i Ferment- Temperatur IF Fermentmenge | Gerinnungszeit e ze > Ge- IC: ccm in Minuten rinnungszeit 20 a) 0,8 18 54 b) 0.1 + 0,05 1/00 HCl 48 48 30 a) 0,9 6 18 b) 0, 1-+ 0,05 1°/oo HCl 17 17 40 a) 0,5 5 <<, b) 0,1 + 0,05 1°/oo HCl | keine Gerinnung = 50 a) 0, 3 „ ” Sat |»01+00 10 Ha | ; 2 z= 2. Versuch (vom 21. November 1907). Je 5 cem Milch. Temperatur Fermentmenge Gerinnungszeit en e ee EC: ccm in Minuten rinnungszeit 21 a) 0,3 20 60 b) 0,1 + 0,05 1/00 HCl 60 60 33 a) 0,3 5 15 b) 0,1 + 0,05 1°/oo HCl 15 15 41 a) 0,3 4 — b) 0,1 + 0,05 1°/oo HCl keine Gerinnung 47 a) 0,3 n = b) 0,1+0,05 1% HQI | . x 3. Versuch (vom 19. November 1907). Je 5 ccm Milch. Drei Versuchsreihen, a, b und c, mit bzw. 0,4, 0,3 und 0,1 ccm Lab ineinandergeschrieben. Temperatur Fermentmenge Geriunungszeit | A e ge (05 ccm in Minuten rinnungszeit 20 a) 0,4 b) 2,0 b) 0,3 + 0,02(5) 1°/oo HCl 7 2,1 c) 0,1 + 0,07(5) 1°/oo HC1 18 1,8 30 a) 0,4 3 1,2 b) 0,3 + 0,02(5) 1°/oo HCl B) 0,9 ce) 0,1 + 0,07(5) 1/00 HCl 5 0,5 40 a) 0,4 1!/a 0,6 b) 0,3 + 0,02(5) 10/oo_ HCl 1Y/g 0,45 c) 0,1 + 0,07(5) 1/00 HCl 5 0,5 50 a) 0,4 1 0,4 b) 0,3 + 0,02(5) 1°/oo HCl 1!/a 0,45 c) 0,1 + 0,07(5) 1°/oo HCl keine Gerinnung 7 534 Richard Bräuler: 4. Versuch (vom 25. November 1907). Je 5 ccm Milch. Zwei Versuchsreihen, a und b, mit bzw. 0,2 und 0,15 ccm Lab zugleich angestellt und untereinandergeschrieben. Temperatur Fermentmenge Gerinnungszeit Fermentmenge 910. ccm in Minuten >< Gerinnungszeit 92 a) 0,2 5 1,0 b) 0,15 61/2 9,75 7 a) 0,2 4 0,8 b) 0,15 5 0,75 42 a) 0,2 3a 0,65 5. Versuch (vom 27. November 1907). Je 10 ccm Milch. Zwei Versuchsreihen, a und b, mit je 0,4 und 0,6 ccm Lab untereinandergeschrieben. Temperatur Fermentmenge Gerinnungszeit Fermentmenge EC: cem in Minuten >< Gerinnungszeit 21 a) 0,4 nicht beobachtet = b) 0,6 37 = 26 a) 0,4 10 4,0 b) 0,6 6 3,6 30 a) 0,4 7 2,8 b) 0,6 B) 1,5 BB) b) 0,6 21/a 1,35 36 a) 0,4 4 1,6 39 a) 0,4 3 1,2 b) 0,6 1!/a 0,9 42 a) 0,4 Ba 1,5 b) 0,6 1"/ 0,9 45 a) 0,4 5) 2,0 b) 0,6 1'a 0,9 49 a) 0,4 15 6,0 b) 0,6 1!/s 0,9 Da in diesem Versuch nicht für gleichen Säuregehalt von je zwei Proben gesorgt ist, gerinnt die mit weniger Ferment auch relativ etwas später (denn die Säure befördert die Gerinnung); das zugehörige Produkt >< Gerinnungszeit ist also grösser als das der anderen Probe. Vergleichen wir die Ergebnisse dieser‘ Versuche mit dem S. 531 zitierten Temperaturgesetz, so bestätigen sie dasselbe ebensowenig wie die Fuld’schen Zahlen. . Zuzutreffen scheint es im allgemeinen für die Temperaturen: zwischen 30° und Der Einfluss verschied. Labmengen und verschied. Temperaturen etc. 535 40°. Bei niederer Temperatur ist die Koagulation jedoch stärker ver- zögert, als das Gesetz verlangt, bei höherer Temperatur erfolgt Minuten: 0,6 ccm Labextr. 210 26° 30° 332 36° 39° 42° 45° Fig. 1. Versuch 5 (Seite 534). Abhängigkeit der Zeit der Milchgerinnung von der Temperatur. (Die Kreuze bezeichnen die Stellen, die genau der Beobachtung entsprechen.) sie schneller, solange die Labmengen genügend gross sind. Bei Ver- wendung kleiner Labmengen sehen wir über 40° anstatt einer Zu- nahme eine Abnahme der Gerinnungsgeschwindigkeit im Vergleich Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 35 536 Richard Bräuler: Minuten 18 x 5 4 3 2 1 0 nr EEE Re NORD TE GESRTU ERE BETEN Temp.20 30 40 50 Fig. 2. Versuch 3 (8. 533). Abhängigkeit der Zeit der Milchgerinnung von der Temperatur. 30rMinuten Minuten 50 40 30 Temp.20° 30° .u0° 50° Fig. 3. Versuch 4 (Seite 534). Fig. 4. Versuch 1 (Seite 533). Der Einfluss verschied. Labmengen und verschied. Temperaturen etc. 537 mit niederer Temperatur oder sogar völliges Ausbleiben der Koagu- lation. (Versuch 4 u. 5.) Zeichnen wir die Ergebnisse dieser Versuche als Kurven, indem wir die Temperaturen als Abszissen, die Gerinnungszeiten als Ordi- naten abtragen, so zeigen sie alle einen ähnlichen Verlauf (s. Fig. 1 bis 4): Sie fallen von den niederen zu den höheren Temperaturen schend erst steil, dann immer weniger steil ab, was der stets lang- samer werdenden Zunahme der Gerinnungsgesehwindigkeit entspricht, bis sie schliesslich der Abszissenachse nahezu parallel verlaufend das Optimum der Wirkung ausdrücken. . Dann wenden sie sich teilweise wieder aufwärts, um bald, der Ordinatenachse parallel verlaufend, das völlige Ausbleiben der Gerinnung auszudrücken. Die Kurve macht diese Biegung um so schärfer und plötzlicher, je kleiner die angewandten Labmengen sind ; andererseits geht sie um so später in die ansteigende Richtung über, je grösser die Labmengen sind. Sehen wir von der genannten Wendung der Kurve nach aufwärts ab, so gleicht ihr erster Teil durchaus derjenigen, welche die Ab- hängigkeit der Blutgerinnungszeit von der Temperatur ausdrückt, wie eine solche von Bürker!') festgestellt worden ist. Vergleichen wir die Wirkungen verschiedener Labmengen bei denselben Temperaturen, was die übereinanderstehenden Kurven erleichtern sollen, so sehen wir, wie schon erwähnt, dass kleine Labmengen das Optimum ihrer Wirksamkeit bei niedrigeren Tempera- turen erreichen als grössere Mengen, und dass das Optimum für srössere Mengen bei Temperaturen liegt, die kleinere Quantitäten in ihrer Wirksamkeit schädigen oder sie sogar zerstören. Wir sehen also, je reicher an Ferment eine Lösung ist, desto höher liegt auch die günstigste Temperatur; aber niemals liest das Optimum der Wirksamkeit tiefer als etwas über Körpertemperatur (bei etwa 39°). Ein geringes Überschreiten dieser Temperatur schädigt bereits in schwachen Lösungen die Wirksamkeit des Fermentes. Auch durch alleiniges Erwärmen der Lablösung auf 42° während einiger Stunden kann ihre Wirksamkeit erheblich vermindert werden, wie es auch Hammarsten?) [Seite 122°)] angibt. Nach Hammarsten?) kann l) K. Bürker, Blutplättchen und Blutgerinnung. Pflüger’s Arch. Bd. 102 S. 36. 1904. 2) l. c., Maly’s Jahresber. Bd. 2. 1872. 3) Hammersten, Lehrb. d. physiol. Chemie. Wiesbaden 1871. 39 * 538 Richard Bräuler: in einem Salzsäureextrakt der Magenschleimhaut durch 48 Stunden dauerndes Erwärmen auf 37—40° alles Ferment zerstört werden; auch Lörcher fand die Fermentwirkung eines so behandelten Extraktes wenigstens wesentlich herabgesetzt. Nach dem Vorhergegangenen können wir also sagen, dass Er- höhung der Temperatur innerhalb ziemlich weiter Grenzen die Wirk- samkeit des Fermentes erhöht, dass diese erhöhte Wirksamkeit bei Temperaturen über 39° aber nur dann zum Ausdruck kommt, wenn die Fermentlösung konzentriert genug ist, um in einer .Zeit das Kasein auszufällen, in der die schädigende Wirkung der Wärme noch nicht eingetreten ist. Die höchste Temperatur, bis zu der ich eine beschleunigende Wirkung der Wärme habe wahrnehmen können, betrug 50°, so dass ich ohne Berücksichtigung der schädlichen Wirkung der Wärme das Optimum der Labwirkung bei mindestens 50° annehmen möchte; hiermit käme ich der Ansicht von Fuld am nächsten, der es, wie erwähnt, auf 45 ° schätzt. Das Ferment wirkt also unter obigen Bedingungen am günstig- sten und schnellsten bei einer Temperatur, die es bei längerer Einwirkung erheblich schädigt. Diese Temperaturen liegen bei grossen Fermentmengen viel höher als bei kleinen. Was die obere Grenze der Wirkungsfähigkeit angeht, so stimmen meine Beobachtungen mit den auch sonst gemachten überein, dass sie bei etwa 60° liegt; über die untere Grenze habe ich keine Ver- suche angestellt, da sie wohl im wesentlichen von der Stärke der angewandten Lablösung abhängt, ihre Feststellung ausserdem bei der sewöhnlichen Versuchsanordnung nach den Arbeiten von Morgenroth nicht von besonderem Interesse sein dürfte. Fasse ich also die Ergebnisse dieser meiner Versuche zusammen, so zeigt sich, dass 1. Erhöhung der Temperaturbisetwa39°C. dieG@erinnungsgeschwindigkeitdurchweg beschleunigt, dass aber 2. grössere Fermentmengen viel höhere Tem- peraturen ertragen als kleine. Diese kleinen werden inihrer Wirkung schon durch Temperaturen, nament- lich wenn sie längere Zeit einwirken, geschädist, welche die Wirkung grösserer Fermentmengen nochin hohem Grade fördern, also wiederum wie oben eine ausser- ordentlich viel grössere Empfindlichkeit und Labilität schwacher Fermentlösungen gegenüber starken; 3. die Temperaturgrenze Der Einfluss verschied. Labmengen und verschied. Temperaturen etc. 539 nach oben, welche auf Grund meiner Versuche noch fördernd wirkte, betrug 50° C.; 4. jede Fermentmenge hat also streng genommen ihr eigenes Temperatur- optimum. 4. Makroskopisches und mikroskopisches Verhalten der Kaseingerinnsel, welche unter verschiedenen Bedingungen entstanden sind. Die Menge des der Milch zugesetzten Fermentes und die Temperatur beeinflussen nicht nur die Reaktionsgeschwindigkeit, sondern auch die Art der Gerinnung. Im allgemeinen lässt sich sagen, dass bei den Proben, bei denen die Gerinnung relativ schnell erfolgt, das geronnene Kasein sich energischer, nämlich schneller und stärker, zusammenzieht und daher mehr Flüssigkeit, die „süssen Molken“, auspresst als bei langsamer geronnenen Proben. Also, Proben mit mehr Ferment liefern im allgemeinen ein stärker kontra- hiertes Koagulum als solche mit weniger Ferment. Ebenso verhalten sich bei höherer Temperatur geronnene Proben zu solehen, die bei niederer Temperatur geronnen sind. Das Kasein der bei Zimmer- temperatur geronnenen Proben habe ich fast nie sich bedeutend kontrahieren sehen, während solche, die bei Körpertemperatur in wenigen Minuten geronnen waren, schon wenige Minuten nach der Gerinnung die besinnende Kontraktion deutlich zeieten, indem das ausgefallene Kasein sich an einzelnen Stellen nahe dem oberen Rande von den Wandungen des Probierröhrehens zurückzog. Nach etwa einer halben Stunde war der Prozess beendigt, und das Kasein bildete eine in dem Röhrchen frei stehende kleine Säule. Bei Verwendung geringer Labmengen dauerte die Konktraktion oft einige Stunden und war auch dann weniger vollkommen; bei Verwendung ganz geringer Mengen des Ferments schliesslich war eine Kontraktion und ein Auspressen der süssen Molken überhaupt nicht wahrzunehmen. Wenn man daher mit verschiedenen Labmengen in demselben Wasser- bade geronnene Proben nebeneinander sieht, so kann man, worauf schon Grützner hingewiesen hat, mit ziemlicher Sicherheit sagen, welche Proben mehr und welche weriger Ferment enthalten. Endlich lässt sich auch durch Zusatz gerinnungsverzögernder Agenzien zeigen, dass die Fähigkeit, sich zu kontrahieren, von der Reaktionsgeschwindiekeit abhängt. Es ist eine bekannte Tatsache, dass Alkalien die Gerinnung stark verzögern. Dementsprechend zeigt 540 Richard Bräuler: sich nach Zusatz verschiedener Mengen einer 1 /oigen Sodalösung, dass sich das Koagulum um so weniger stark kontrahiert, je mehr Soda die Proben enthalten. Diesem verschiedenen Verhalten der unter verschiedenen Be- dingungen geronnenen Proben entsprechen auch mikroskopische Unterschiede. Deutlicher als bei der Milch waren die diesbezüg- lichen Verhältnisse jedoch bei durch Lab gerinnbaren Kaseinlösungen zu sehen. Solche Kaseinlösungen wurden zuerst wohl von Berzelius her- gestellt (Seite 519 dieser Arb.). Durch die genaueren Untersuchungen von Hammarsten, Söldner!) und Courant?) ist erwiesen, dass die Verhältnisse bei der Gerinnung solcher Lösungen dieselben sind wie bei der Milch, und dass man vielfach von dem Verhalten der einen auf das der andern schliessen darf. Die Lösungen stellte ich ber aus einem chemisch reinen Präparat des hiesigen Physiologischen Instituts nach der Angabe von Röh- mann?), indem ich 0,5 g Kasein in 10 cem einer 1,25 °/oigen Dinatriumphosphatlösung löste und langsam 10 eem einer 0,4 /oigen Lösung wasserfreien Chlorcaleiums in Wasser zufügte. Die Lösung ist fast dieselbe, mit welcher Hammarsten einen Teil seiner Ge- rinnungsversuche ausgeführt hat. Diese auf Lackmus schwach sauer reagierende Flüssigkeit von milchig trübem Aussehen gab mit kräftigen Lablösungen Gerinnung genau wie Milch und schied sich dabei in das ausgefallene Kasein und eine wasserhelle Flüssiekeit, welche sich genau wie die süssen Molken der Milch nach kurzer Zeit um das Gerinnsel ansammelte. Nebenbei möchte ich erwähnen, dass diese Lösungen auch bei 3—4 Tage langem Stehen selbst bei annähernd 0° spontan ge- rannen. Bezüglich der Technik, um mikroskopische Präparate geronnener Milch herzustellen, möchte ich folgendes vorausschicken. Rasier- 1) F. Söldner, Die Salze der Milch und ihre Beziehungen zu dem Ver- halten des Kaseins. Landwirtschaftl. Versuchsstation Bd. 35. 1888. Zit. nach Hermann-Schwalbe, Jahresber. über d. Fortschr. d. Physiol. Bd. 17 S. 314. 1889. 2) G. Courant, Über die Reaktion der Kuh- und Frauenmilch. Pflüger’s Arch. Bd. 50 S. 109. 1391. 3) F. Röhmann, Anleitung zum chemischen Arbeiten für Studierende der Medizin. Berlin 1890. Der Einfluss verschied. Labmengen und verschied. Temperaturen etc, 541 messerschnitte von in Formalin gehärteten Kaseingerinnseln gaben keine übersichtlichen Präparate. Ich brachte daher aus einem Reagenzelas, in welchem ich die gewünschten Mengen Kaseinlösung bzw. Milch und Labextrakt gemischt hatte, mit Hilfe einer Pipette einen Tropfen der Mischung auf den sorgfältig gereinigten Objekt- träger. Den Tropfen kann man entweder in einer feuchten Kammer serinnen lassen und dann aus einer Spritzflasche so lange möglichst senkrecht gegen die Ebene des Objektträgers Wasser auf ihn spritzen, bis nur noch eine ganz dünne Schicht zurückbleibt; oder besser deckt man den Tropfen, der in diesem Falle möglichst klein sein soll, mit einem Deckglas zu und schützt das Präparat durch einen Wachsrand vor dem Verdunsten. Den Eintritt der Gerinnung zeiet bei den Kaseinlösungen wie bei Milch die mehr weisse Farbe der Schicht unter dem Deckglas an. Gleichzeitig soll der Rest der Probe im Reagenzglas geronnen sein, den man möglichst auf derselben Tem- peratur gehalten hat wie den Objektträger. Um die Gerinnung bei beliebigen höheren Temperaturen ein- treten lassen zu können, brachte ich eine Schale, die gross genug war, um einige Präparate aufnehmen zu können, in ein Wasserbad und bedeckte sie mit einem Deckel von Filz oder Pappe, durch den ein Thermometer gesteckt war, so dass ich jederzeit die Temperatur im Innern der Schale kontrollieren konnte. In diesem einfachen Apparat erwärmte ich den Objektträger vor Anfertigung des Präpa- rates auf die gewünschte Temperatur und legte ihn, nachdem das Deckelas aufgeleet und der Wachsrand angebracht war, bis zur er- foleten Gerinnung wieder in die Schale. Ein so hergestelltes Milchpräparat lässt zunächst unter dem Mikroskop nicht viel mehr als die Fettköpfehen erkennen; hebt man aber nun nach Entfernung des Wachsrandes das Deckglas vorsichtig ab, bringt das Präparat etwa 5 Minuten lang in Äther und betrachtet es wieder unter dem Mikroskop, so sieht man das Kasein sich als mehr oder weniger feines Netzwerk durch das ganze Präparat ver- zweigen. Bei den Präparaten von Kaseinlösungen ist ein Entfetten natürlich nicht nötig. Nur muss man dafür Sorge tragen, dass das Präparat nicht eintrocknet, weil dann die Gebilde sich sofort verändern. Um die Netze, die bei mittlerer und starker Vergrösserung sehr schön zu sehen sind, in ihren Feinheiten deutlicher hervortreten zu lassen, kann man sie färben und in Kanadabalsam oder Glycerin einschliessen. Mit Methylviolett, Kongorot und Magdalarot, auch 542 Richard Bräuler: der von Weigert angegebenen Methode zur Fibrinfärbung lassen sich die Netze leicht färben. Die letztere Methode ist jedoch um- ständlicher als die drei erstgenannten, ohne dass ich mit ihr bessere Resultate erhalten hätte. Am meisten zu empfehlen sind wohl die beiden roten Farbstoffe, deren Überschuss nach dem Färben leichter zu entfernen ist als bei Verwendung von Methylviolett, das, wenn es nicht genügend ausgewaschen ist, sich nach dem Einschluss in Kanadabalsam in letzterem löst und so das Präparat verdirbt. Solche Präparate zeigen uns also unter dem Mikroskop ein Netzwerk, bestehend aus verhältnismässig derben, langgestreckten Gerinnseln, die sich in feinere und feinste Ästehen auflösen und unter- einander verzweigen. Derartige Netzwerke sind auf den beiliegenden Tafeln (siehe Taf. VIII u. IX) wiedergegeben. Stellt man die Präparate mit verschiedenen Labmengen unter sonst ganz gleichen Bedingungen her, so kann man deutlich sehen, dass in denen, die mehr Lab ent- halten, das Kasein in Form gröberer und strafferer Gerinnsel sich verzweigt, zwischen denen aber die feineren Verästelungen nicht fehlen, während andererseits Proben mit weniger Labferment feinere Netze geben, die so fein werden können, dass sie nur mit starken Vergrösserungen als solche zu erkennen sind. Die beiliegenden Photographien I, II und III sind Aufnahmen dreier Präparate von Kaseinlösungen, die mit verschiedenen Labmengen geronnen sind, und veranschaulichen diese Verhältuisse sehr deutlich. (Vgl. die Tafelerklärungen.) Man kann wohl annehmen, dass dieses Netzwerk es ist, welches dem ausgefallenen Kasein seine Festigkeit verleiht, und durch seine Kontraktion die Verkleinerung des Gerinnsels und die Auspressung der süssen Molken bewirkt. Je zarter und feiner das Netzwerk ist, um so weniger kompakt ist auch das ausgefallene Kasein; je derber und fester das Netzwerk, desto besser kann es das Kasein zusammen- schnüren, desto dichter und weniger voluminös ist. demnach das Gerinnsel. Wenn das richtig ist, so müssen auch die anderen Umstände, von denen es abhängt, ob das Kasein sich nach dem Ausfallen mehr oder weniger stark zusammenzieht, die gröbere oder feinere Struktur dieser Netze beeinflussen. Als solche kämen die vorhergenannten in Betracht: Temperaturdifferenzen und Reagenzien. In der Tat zeiet sich denn auch derselbe Unterschied wie zwischen Proben, die einerseits viel und andererseits weniger Ferment enthalten, sowie Der Einfluss verschied. Labmengen und verschied. Temperaturen etc. 543 ® zwischen solchen, die bei höheren bzw. niederen Temperaturen ge- ronnen sind. Die Netze der bei höherer Temperatur geronnenen Proben sind gröber und bestehen aus derberen Fäden als die der- selben Proben, wenn sie bei niederer Temperatur gerönnen sind. Ein Vergleich der mit I und IV bezeichneten Bilder bestätigt das sofort. Die beiden Präparate sind mit derselben Kasein-Labmischung hergestellt, I ist bei 37°, IV bei Zimmertemperatur geronnen. Dieselben Vorgänge wie die Präparate von Kaseinlösungen zeigen uns auch diejenigen von Milch. Allerdings sind die Unterschiede nicht so deutlich zu sehen; aber wohl erkennbar sind sie doch immer. Aller Wahrscheinlichkeit nach verhindern die Milchkügelchen die Bildung so dieker und grober Kaseinausscheidungen, wie das erste Präparat sie aufweist. Die Bilder V, VI und VII zeigen drei solcher Präparate von Milch, welche durch verschiedene Ferment- mengen zur Gerinnung gebracht worden sind. Hier wie in den drei ersten Präparaten verhielten sich die Fermentmengen wie 10:5:1. Auch hier ist deutlich zu sehen, wie mit abnehmender Labmenge die Gerüste feiner werden. Einen deutlichen Unterschied in der Art der Gerinnung weisen auch die Figuren VIII und IX auf. Die zu- gehörigen Präparate sind nicht von mir hergestellt, sondern von Herrn eand. med. Werner, der im Jahre 1896 sich im hiesigen Institut ebenfalls mit dieser Frage beschäftigte. Eine Reihe der- artiger, zum Teil sehr guter Präparate, die ich der Güte des Herrn Professor von Grützner verdankte, war mir bei meinen Unter- suchungen eine wesentliche Hilfe. Dass auch die Milch sich verschiedenen Temperaturen gegenüber bei der Gerinnung wie die Kaseinlösungen verhält, veranschaulichen die beiden Bilder X und XI. Die zugehörigen Präparate sind mit derselben Mischung von Milch und Ferment hergestellt; das zu X gehörige ist bei 37 ° C., das andere bei Zimmertemperatur geronnen. Denselben Einfluss wie die niedere Temperatur zeigen auch gerinnungsverlangsamende Agenzien. Ich habe vorher schon erwähnt, dass man durch Zusatz von Sodalösung eine weniger starke Kon- traktion des Koagulums erzielen kann. Entsprechend war das Re- _ sultat, wenn ich gleiche Mengen Milch mit gleichen Mengen desselben Labextraktes zusammenschüttete und der einen Probe etwas Wasser, der anderen ebensoviel schwache Sodalösung zusetzte; auch hier ergab die mit Soda versetzte langsamer gerinnende Probe das feinere Netzwerk. 544 Richard Bräuler: Aus dem Vorhergehenden folgt, dass die Netzwerke nicht un- mittelbar nach der Gerinnung am charakteristischsten sind, sondern erst einige Zeit.später, nachdem das ausgefallene Kasein sich zu- sammengezogen hat. Ein diesbezüglicher Versuch hat die Richtigkeit dieser Annahme bestätigt. Einige Kubikzentimeter Milch wurden im Reagenzelas mit einer Labmenge versetzt, die innerhalb einiger Minuten Gerinnung erzeugte, und Reagenzglas und Objektträger auf derselben Temperatur gehalten. Sobald im Reagenzglas Gerinnung eingetreten war, wurde das eine Präparat in Kanadabalsaın ein- geschlossen; das andere blieb einige Stunden sich selbst überlassen und wurde dann ebenso behandelt wie das erste. Unter dem Mikro- skop zeigte das zweite bedeutend kräftigere Netze als das erste. Mikroskopische Präparate sollten darum erst einige Zeit nach der Gerinnung angefertigt werden. 5. Mikroskopischer Unterschied zwischen Lab- und Säure- gerinnung. Ein von der Milehgerinnung durch Lab ganz verschiedener Vor- sang ist der der Gerinnung durch Säuren. Bei ihr ist das Ausfallen des Kaseins nieht Folge einer chemischen Veränderung des Eiweiss- moleküls, sondern das Kasein, das sich chemisch wie eine schwache Säure verhält — Hammarsten sagt sogar!) (S. 161), „das Kasein ist selbst eine Säure“ —, wird durch die stärkere Säure aus reinem Caleiumsalz, als das es in der Milch gelöst ist, verdrängt und fällt aus, weil es allein unlöslich ist. Dass das so gefällte „Säurekasein“?) ein anderer Körper als das durch Lab gefällte „Labkasein“ ist, zeigt sein chemisches Verhalten deutlich. So gibt das mit Säure gefällte Kasein in Kalk- wasser gelöst mit Lab gerinnbare Lösungen, das mit Lab gefällte nicht. Dieser von Hammarsten?) (S. 139) aufgestellte Unterschied ist zwar von Peters angefochen worden (l. c. S. 36), welcher glaubt, auch durch Lab gefälltes Kasein nach seiner Lösung in Kalk- 1) O. Hammarsten, Zur Kenntnis des Kaseins und der Wirkung des Labfermentes. Maly’s Jahresber. Bd. 7 S. 158. 1877. 2) Ich bediene mich mit Grützner dieser sehr zweckmässigen, von Salkowski eingeführten Bezeichnungen, statt der, wie mir scheint, weniger empfehlenswerten, von Hammarsten gebrauchten Kasein und Käse. 3) l. c., Maly’s Jahresber. Bd. 4 8. 135. 1874. Der Einfluss verschied. Labmengen und verschied. Temperaturen etc. 545 wasser wieder mit Lab gefällt zu haben, doch scheint es sich dabei nach Laqueur!) (S. 9) um Salzfällung zu handeln. Weiterhin unterscheiden sich die beiden Körper voneinander durch ihr Verhalten gegenüber Säuren und Laugen. Während Säure- kasein in verdünnter Essigsäure und Natronlauge leicht löslich ist, ist nach Kapeller°) (S. 156) 5—6 mal mehr Natronlauge und 16 bis 13 mal mehr Essigsäure zur Lösung des Labkaseins notwendig. Nach Alexander Schmidt?) (S. 157) ist Labkasein sogar nur in konzentrierter Essigsäure bzw. Natronlauge löslich ?). Auch äusserlich unterscheidet sich das durch Säure gefällte Kasein von dem bei der Labgerinnung ausgefallenen; während das letztere ein einheitliches zusammenhängendes Ganzes bildet, ist ersteres mehr eine unzusammenhängende krümelige Masse. Es lässt sich nun erwarten, dass dieser von der Labgerinnung so verschiedene Prozess auch andere mikroskopische Bilder ergibt. In der Tat hat bereits Grützner auf der Naturforscher- und Ärzte- versammlung in Köln im Jahre 1888 derartige Präparate vorgewiesen, welche zeieten, dass das Säurekasein mehr in krümeligen Massen ausfällt, während das Labkasein zierliche Netze bildet (vgl. Fig. I—IX mit X). Die diesbezüglichen Präparate stellte ich auf die angegebene Weise her mit dem Unterschied, dass ich einen Tropfen Milch mit einer Spur verdünnter Säure auf dem Objektträger selbst zusammenbrachte, weil die Gerinnung in diesem Falle fast augenblicklich erfolgt. Zeisten sich bei den so erhaltenen Präparaten auch oft feine Unterschiede der von Grützner angegebenen Art gegenüber den mit Lab geronnenen, so war doch ein deutlicher Unterschied zwischen mit Lab und Säure geronnenen Proben nicht immer sicher nachzı.- 1) 1. c., Hofmeister’s Beitr. Bd. 7 S. 273. 1906. 2) 1. c., Maly’s Jahresber. Bd. 4 S. 154. 1874. 3) Neuerdings haben Kreidl und Neumann (Zentralbl. f. Physiol. Bd. 22 S.133. 1908, sowie Pflüger’s Arch. Bd. 123 S. 523. 1908 und Wiener Sitzungs- berichte d. mathem.-naturw. Klasse Bd. 117 Abt. III. 1908) in höchst interessanten und wichtigen Untersuchungen vermittelst des Ultramikroskopes und chemischer Methoden gezeigt, dass bei den Kuhmilchgerinnseln ein deutlicher Unterschied besteht, je nachdem sie durch Säure oder Lab gebildet sind, indem die Säure- gerinnsel in kleine Teilchen zerlegt werden können, wenn man die Säure ein wenig abstumpft, die Labgerinnsel dagegen nicht. Die Labgerinnsel haben also ein festeres Gefüge, was mit unseren Beobachtungen (s. weiter unten) durchaus zusammenstimmt. 546 Richard Bräuler: weisen. Auch gegenüber den vorher erwähnten Farbstoffen und der Weigert’schen Methode zur Fibrinfärbung verhielten sich die Präparate oft wenig verschieden. Immerhin legte mir das Aussehen der Netze die Vermutung nahe, sie könnten durch die Milchkügelchen präformiert sein, indem sich bei der Fällung das Kasein um diese herum abscheidet!). Ich untersuchte daher weiterhin Milch, der ich durch Zusatz von etwas Kalilauge und Sehütteln mit dem doppelten Volumen Äther das Fett entzogen hatte. Nach dem Schütteln liess ich die Milch einige Zeit ruhig stehen, bis sich der Äther mit dem Fett über der entfetteten Milch gesammelt hatte, und konnte nun mit Hilfe eines Scheidetrichters die beiden Flüssigkeiten leicht von- einander trennen. Brachte ich so behandelte Milch mit einem Tröpfehen Säure unter dem Deckglas zusammen, so fiel das Kasein grösstenteils in Form von zusammenhängenden Flocken aus, die bei starker Ver- erösserung sich aus zahllosen kleinen Körnehen bestehend erwiesen. Freilich sind auch hier stellenweise feine netzartige Gebilde wahr- zunehmen; doch unterscheidet sich das ganze Bild wesentlich von dem, das mit Lab geronnene Milch darbietet. Die beigefügte Photographie XII stellt ein derartiges Präparat dar. Ein Tropfen der entfetteten Miich ist mit einem Tropfen 2 °/ooiger Salzsäure aufdem Objektträger zur Gerinnung gebracht worden. Bei der stark alkalischen Reaktion der so behandelten Milch gelang es mir nicht, sie zum Vergleich auch mit Lab gerinnen zu lassen. Ein annäherndes Neutralisieren gelinet nur mit sehr ver- dünnten Säuren, wobei die Milch auch ausserordentlich verdünnt wird; in diesem Falle liegen keine normalen Verhältnisse mehr vor. Versuche, das Fett auf andere Weise zu entfernen, scheiterten. Hin- gegen ermöglichten einen Vergleich die schon erwähnten gerinnbaren Kaseinlösungen. Sie enthalten keine Milchkügelchen und sind mit Säure und Lab gleich gut zur Gerinnung zu bringen. Auch hier zeigte sich bei der Gerinnung mit Säure genau dasselbe Bild wie bei der von Fett befreiten Milch, während wir ja andererseits schon gesehen haben, dass bei der Labgerinnung Kaseinlösungen noch typischere Netze als Milch geben. Wir können also unter günstigen 1) In ähnlicher Weise nehmen Kreidl und Neumann an, dass durch Adhäsion um die Fetttropfen der Milch herum sich eine dichtere Zone von ultra- mikroskopischen Teilchen bildet, welche von den Verfassern mit Sicherheit als Kasein angesprochen werden. Der Einfluss verschied. Labmengen und verschied. Temperaturen etc. 547 Bedingungen auch in dem mikroskopischen Bild einen Unterschied der Gerinnung dureh Labferment von der durch Säure nachweisen. 6. Vergleich des mikroskopischen Bildes bei Milch- und Blutgerinnung. Ein der Milehgerinnung durch Lab ausserordentlich ähnlicher Vorgang ist die Gerinnung des Blutes durch das Fibrinferment. Einen kurzen Vergleich zwischen Blut- und Milchgerinnung, auf deren Ähnlichkeit schon oft aufmerksam gemacht worden ist, hat Arthus!) durchgeführt. Er weist darin auf die weitgehende Über- einstimmung in bezug auf die äussere Erscheinung und auf das chemische Verhalten der beiden Vorgänge hin, ohne natürlich die Unterschiede zu übersehen. Über die Übereinstimmungen in chemischer Hinsicht sagt Arthus im wesentlichen folgendes: Fibrin wie Kasein entstehen durch Zusammentritt eines Eiweiss- körpers und eines Kalksalzes. Der Gerinnungsprozess beruht bei Blut und Milch auf einer Spaltung: Fibrinogen und das ursprüngliche Kasein werden in zwei Eiweisskörper zerlegt. Das eine Spaltungsprodukt, Fibrin oder Parakasein, wird gefällt, das andere bleibt in dem Serum gelöst. Die Hauptspaltungsprodukte, Fibrin und Parakasein, haben ähn- liche chemische Konstitution. Es sind Verbindungen von Eiweiss und einem Metall: Calcium. Fibrin und Kasein stehen in ihrem chemischen Verhalten den Verbindungen, aus denen sie entstanden sind, sehr nahe. Ebenso ist der sichtbare Verlauf der Gerinnung bei Blut wie Mileh fast derselbe. Fangen wir einige Kubikzentimeter frisches Blut in einem Reagenzglas auf, so erstarrt die Flüssigkeit nach kurzer Zeit, der Blutkuchen zieht sich je nach der Temperatur mehr oder weniger zusammen und presst eine helle, klare Flüssigkeit, das Serum, aus. Es ist bekannt, dass diese Verkleinerung des Blut- kuchens die Folge der Zusammenziehung der Fibrinfäden ist, die als dichtes Maschenwerk den ganzen Kuchen durchsetzen. Das ganze 1) M. Arthus, Parallele de la coagulation du sang et de la cas£ification du lait. Comptes rendus de la societe de biologie t. 45 p. 435. 1893: Has“ ln. Richard Bräuler: Verhalten ist also dem der durch Lab geronnenen Milch vollkommen analog. Wir können sogar den Fibringerinnseln überraschend ähn- lich aussehende mikroskopische Bilder herstellen, wenn wir Milch mit einem gleichen Volumen Wasser verdünnen und mit wenige Lab serinnen lassen. (Bei Verwendung von viel Ferment entstehen dicke, straffe Gerinnsel.) Bei dieser grossen Ähnlichkeit der beiden Gerinnungsvorgänge ist es von Interesse, zu untersuchen, ob auch das Fibrinnetz des eeronnenen Blutes ähnliche Verschiedenheiten zeigt, wenn es unter verschiedenen Bedingungen gerinnt, wie das Kaseinnetz der Milch. Die diesbezüglichen Blutpräparate stellte ich auf die gewöhnliche Weise her, indem ich einen kleinen Tropfen Blut, durch einen Wachsrand vor dem Verdunsten geschützt, unter dem Deckelas ge- rinnen liess. Zur Färbung der Fibrinnetze erwiesen sich dieselben Stoffe als geeignet, die auch die Kaseinnetze gefärbt haben. Bei der Auswahl der zu untersuchenden Blutarten ging ich von der Annahme aus, dass das schneller gerinnende Blut auch das wirksamere Ferment enthalten müsse, wie auch Fuld!) bei seinen Untersuchungen über das Zeitgesetz des Fibrinferments, welches er, nebenbei bemerkt, nieht mit dem Zeitgesetz der Labung, sondern mehr mit der Regel von Schütz in Übereinstimmung fand, als ein möglichst wirksames Ferment das der Vögel gewählt hat, deren Blut bekanntlich am schnellsten gerinnt. Als schnell gerinnendes Blut, das also einer an Lab reichen Milchprobe entsprechen sollte, benützte ich das der Taube; es gerinnt bei Zimmertemperatur innerhalb einer Minute nach der Entnahme aus dem Gefäss. Verhältnismässie langsam gerinnt das Blut des Pferdes, das daher mit der an Ferment armen Milchprobe verglichen werden soll, während das leicht zu erhaltende Menschenblut, was die Gerinnungszeit angeht, zwischen den genannten steht. Ein Vereleich dieser drei Blutarten untereinander und mit Präparaten geronnener Milch ergab in der Tat eine Übereinstimmung, wie sie der Voraussetzung entsprach. In dem Präparat des ge- ronnenen Taubenblutes sind, wenn auch spärlich, auffallend lange und verhältnismässig dicke Fibrinfäden sichtbar neben ausserordent- lich feinen Fädchen, die nur durch Färbung sichtbar werden, und die sich zwischen je zwei Blutkörperchen ausspannen. 1) E. Fuld, Über das Zeitgesetz des Fibrinferments. Hofmeister’s Beitr. BJ. 2 3. 514. 1902. Der Einfluss verschied. Labmengen und verschied. Temperaturen etc. 549 Die Wiedergabe eines solchen Präparates mit Hilfe des Zeichen- apparates zeigt die Kerne der Blutkörperchen, die untereinander durch feine Fädchen verbunden sind, und ausserdem einige dicke lange Fibrinfäden, die stellenweise mit den Kernen fest verklebt sind, so dass die Kerne nicht deutlich von den Fibrinfäden zu unter- scheiden sind (s. Fig. XII). Vielleicht ist aus dem spärlichen Vorhandensein dieser derberen langen Gerinnsel und der grossen Menge roter Blutkörperchen zu erklären, dass, soweit ich sehen konnte, der Blutkuchen des Vogel- blutes sich nach der Gerinnung nicht zusammenzieht, was ja nach dem Vorhergegangenen sogar in besonders starkem Maasse der Fall sein müsste. Die wenigen Fäden haben unter sich zu wenig Ver- bindung und sind daher nicht stark genug, den Kuchen zusammen- zuziehen und das Serum auszupressen. Das Präparat unterscheidet sich wesentlich von dem bekannten Bild geronnenen menschlichen Blutes, bei dem das Fibrinnetzwerk bedeutend feiner aussieht. Dem menschlichen Blut viel ähnlicher gerinnt das des Pferdes). Aber auch hier erwiesen sich die Fibrinfäden des langsamer ge- rinnenden Pferdeblutes im allgemeinen noch feiner und an ungefärbten Präparaten schwerer siehtbar als die des Menschen. Ein Vergleich des ebenfalls mit dem Zeichenapparat wieder- gegebenen Aussehens eines solchen Präparates mit dem Bild, welches das geronnene Taubenblut zeigt, lässt den Unterschied wohl unschwer erkennen (vgl. Fig. XIV). Schliesslich versuchte ich noch, die Gerinnungsgescehwindigkeit derselben Blutart dadurch zu modifizieren, dass ich das Blut einmal bei 40° C., das andere Mal bei Zimmertemperatur gerinnen liess; doch gelang es mir nicht, typische Unterschiede in den Fibrinnetzen zu erhalten. Bessere Resultate erzielte ich, wenn ich die Gerinnung durch Zusatz eines Tropfens einer 1,6 ®/oigen Sodalösung verzögerte. Auch dann fehlten in den so hergestellten Präparaten die dickeren Fibrin- fäden, die in normalem, schneller gerinnendem Blute nach der Ge- rinnung zu sehen sind. 1) Pferdeblut erhielt ich durch einen Stich in die mit Alkohol sorgfältig gereinigte Oberlippe des Tieres. Das Blut tropfte unmittelbar auf den Objektträger. 550 Richard Bräuler: Wir sehen also bei den von uns untersuchten Blutarten das bestätigt, was wir bei der Milch gefunden haben: Je schneller die Gerinnung erfolgt, um so diekere und stärkere Netzwerke durchziehen das Gerinnsel. Dadurch zeigt auch das mikroskopische Verhalten eine weitere Übereinstimmung der Blut- und Milchgerinnung. Ehe ich schliesse, erlaube ich mir, Herrn Professor v. Grützner, in dessen Institut ich die Arbeit angefertigt habe, für sein freund- liches Entgegenkommen zu danken, indem er mir in liebenswürdiger Weise die Mittel des Institutes zur Verfügung stellte und nach Ab- schluss und Abgabe der Arbeit bei der endgültigen Gestaltung und Drucklegung derselben hilfreich zur Seite stand. Tafelerklärungen. Fig. I. .10 Teile Kaseinlösung und 1 Teil Labextrakt (neutral), bei 37° C. ge- ronnen. 72 mal vergrössert; gefärbt mit Magdalarot. Viel Ferment, grobe Fasern. Fig. I. 20 Teile Kaseinlösung, 1 Teil Labextrakt (neutral) und 1 Teil Wasser, bei 37° C. geronnen. 72 mal vergrössert; gefärbt mit Magdalarot. Mittlere Fermentmenge, dünnere Fasern. Fig. II. 100 Teile Kaseinlösung, 1 Teil Labextrakt (neutral) und 9 Teile Wasser, bei 37° C. geronnen. 72 mal vergrössert; gefärbt mit Magdalarot. Wenig Ferment, ganz zarte Fasern. Fig. IV. 10 Teile Kaseinlösung und 1 Teil Labextrakt (neutral), bei 17° C. ge- ° ronnen. 72 mal vergrössert; gefärbt mit Magdalarot. Fig. V. 10 Teile Milch mit 1 Teil Labextrakt, bei 37° C. geronnen. 72 mal vergrössert; gefärbt mit Magdalarot. Fig. VI. 20 Teile Milch mit 1 Teil Labextrakt und 1 Teil Wasser, geronnen bei 37° C. 72 mal vergrössert; gefärbt mit Magdalarot. Fig. VII. 100 Teile Milch mit 1 Teil Labextrak und 9 Teilen Wasser, bei 37° C. geronnen. 72 mal vergrössert; gefärbt mit Magdalarot. Fig. VIII. Milch mit Lab geronnen. Milch :Lab — 40:1. Präparat von Herrn Werner. 72 mal vergrössert; gefärbt mit Kongorbot. Fig. IX. Milch mit Lab geronnen. Milch:Lab = 80:1. Präparat von Herrn Werner. 72 mal vergrössert; gefärbt mit Kongorot. Fig. X. 5 :cem. Milch mit 0,2 ccm Labextrak, bei 37° C. geronnen. 72 mal vergrössert; -gefärbt mit Magdalarot. wi Tafel-VIll. Pflüger's Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 133. Verlag von Martin Hager, Bonn. Verlag von Martin Hager, Bonn. Der Einfluss verschied. Labmengen und. verschied. Temperaturen etc. 551 Fig. XI. 5 ccm Milch mit 0,2 ccm Labextrakt, bei 17° C. geronnen. 72 mal vergrössert; gefärbt mit Magdalarot. Fig. XII. Mit Äther entfettete Milch, durch Salzsäure geronnen. 72 mal ver- grössert; gefärbt mit Magdalarot. Fig. XII. Fibringerinnsel von Taubenblut. 360 mal vergrössert; gefärbt mit Methylviolett. Fig. XIV. Fibringerinnsel vom Pferde. (Nach einem frischen Präparat ge- zeichnet.) 360 mal vergrössert. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 183. 36 502 Aug. Hoffmann: (Aus der akademischen medizinischen Klinik zu Düsseldorf.) Zur Deutung des Elektrokardiogramms. Von Prof. Dr. Aug. Hoffmann. (Hierzu Tafel X— XII.) Die Untersuchung der Aktionsströme des Herzens, für welehe durch die Einführung des Saitengalvanometers von Einthoven eine für die Klinik brauchbare Methodik gewonnen ist, scheint berufen zu sein, über manche bisher noch dunkle Vorgänge bei der Tätigkeit des Herzens neue Aufschlüsse zu geben. Die bisherigen Versuche, aus dem Elektrokardiogramm Rückschlüsse auf das Verhalten des Herzmuskels und seiner Tätigkeit zu ziehen, können aber deshalb nicht voll befriedigen, weil das typische Elektrokardiogramm in seinen einzelnen Teilen noch nicht gedeutet werden kann. Um so mehr macht eine Deutung der atypischen Elektrokardiogramme in ihren Ab- weichungen gegenüber den typischen zurzeit noch grosse Schwierig- keiten. Bevor man über die Bedeutung der einzelnen Zacken, in welche man nach dem Vorgange von Einthoven!) die Kurve des einzelnen Herzschlages zerlegt, ein einigermaassen feststehendes Urteil hat, wird es schwer halten, aus Abweichungen einzelner derselben oder ihrer Gesamtheit Rückschlüsse auf pathologische Verhältnisse des Herzmuskels oder seiner Tätiekeit zu ziehen. Wenn trotzdem schon jetzt gewisse klinische Erfahrungen Rückschlüsse in beschränktem Maasse auf pathologische Verhältnisse zulassen, so sind dieselben doch keineswegs so sicher gestützt, dass nicht jederzeit neu gefundene Tatsachen die bisher gewonnenen Resultate in Frage stellen können. 1) Einthoven, Über das normale menschliche Elektrokardiogramm. Pflüger’s Arch. Bd. 80 S. 140, Zur Deutung des Elektrokardiogramms. 553 Vor allen Dingen vermisst man in den meisten der nach Versuchen mit dem neuen Instrument veröffentlichten Arbeiten jeden Zusammen- hang mit den von früheren Untersuchungen gefundenen Resultaten, wenn auch diese Ergebnisse mit anderen Untersuchungsmitteln ge- wonnen sind. Andererseits ist eine Nachprüfung der mit älteren Methoden angestellten Versuche für das weite Gebiet der Elektro- physiologie mit dem Einthoven’sehen Instrument noch nicht erfolgt. Es ist aber zu erwarten, dass auch die mit der neuen Methodik zu findenden Tatsachen mit den durch ältere Methoden festgestellten nicht im Widerspruch stehen werden, da, abgesehen von der grösseren Empfindlichkeit und Handlichkeit des Messinstru- mentes, die Methoden prinzipiell die gleichen geblieben sind. Die bisherige Auffassung des Elektrokardiogramms als Ausdruck der Tätigkeit des Herzmuskels, also des Verlaufes seiner Kontraktion, haben dazu verleitet, aus Abweichungen des typischen Elektrokardio- gramms Rückschlüsse nicht nur auf eine Veränderung des Kon- _ traktionsablaufes, sondern sogar auf die Qualität, das mehr oder weniger Intaktsein, des Herzmuskels im einzelnen Falle zu ziehen. Es müssen aber, nachdem bereits klinisch eine solche weitgehende Elektrodiagnostik des Herzens sich als nicht einwandfrei erwiesen hat, auch theoretische Bedenken dagegen auftauchen, in dem Ablaufe der Kurven des Aktionsstromes einen einfachen Ausdruck der Kon- traktion zu sehen, und es verlohnt sich deshalb, die Frage der Deutung des Elektrokardiogramms weiteren klinischen Untersuchungen voran- zustellen; denn erst nach befriedigender Deutung desselben wird man in der Lage sein, von einer klinischen Methode der Elektro- kardiographie zu sprechen. Der Weg zu einer grundlegenden Theorie des Elektrokardio- gramms oder auch nur zu einer richtigen Abschätzung der praktischen Bedeutung desselben kann ein doppelter sein: erstens der Tier- versuch und zweitens die klinische Beobachtung im Vergleich mit anderen graphischen Methoden sowie unter Heranziehung des patho- logisch-anatomischen Befundes. Vor allen Dingen ist es notwendig, das Elektrokardiogramm in bestimmte Beziehung zu den einzelnen Phasen der Herztätigkeit zu bringen und festzustellen, ob der Ver- lauf der Kurven desselben in Form und zeitlichen Verhältnissen be- stimmten, bekannten Vorgängen am Herzen entspricht. Was nun die bisher über diese Verhältnisse veröffentlichten Studien betrifft, so ist wohl sicher festgestellt, dass die Gruppe P 36 * 554 : Aug. Hoffmann: der Erregung. beider Vorhöfe: entspricht. Samojloff!) stellte dieselbe durch direkte Ableitung vom Froschherzen vermittelst des Kapillarelektrometers dar; ich selbst habe beim Frosch wie bei der Katze durch direkte Ableitung die Zacke P isoliert darstellen können; ‚speziell gelang es mir auch mit der weiter unten beschriebenen Methodik auf das Sicherste die Identität der Zacke P mit den Er- regungsvorgängen am Vorhofe nachzuweisen. Ganz anders verhält es sich mit den Gruppen R und 7. Ich spreche hier von einer Gruppe R und T ebenso wie von der Gruppe P, weil in vielen Fällen sich nieht nur bei der Zacke AR, sondern auch bei der Zacke P und 7 deutlich zeigt, dass dieselben aus verschiedenen Schwankungen zu- sammengesetzt sind, was ja auch Nicolai?) veranlasste, die Gruppe 2, welche er mit A bezeichnet, in eine Aa, A und Ap, also eine der Atriumzacke vorangehenden und eine ihr folgende Schwankung auf- zulösen, während schon Einthoven?) die Gruppe R in die Zacken OR und $S auflöste (nach Nicolai Ja, J und Jp). Die Zacke T= F wurde von Nicolai in Fa, F und Fp aufgelöst. Da die Einthoven’sche Nomenklatur bisher allgemein angenommen ist, so möchte ich in dieser Arbeit diese beibehalten, besonders auch weil die Niecolai’sche Bezeichnung, welche von den Anfangsbuch- staben der Vorgänge genommen ist (Atrium-, Initial- und Final- schwankung der Kammersystole), schon eine ganz bestimmte aber zurzeit noch unbewiesene Beziehung zur Systole annimmt und so vielleicht den Tatsachen vorgreift. Der Verlauf der Gruppe R, die als Initialschwankung der Systole jetzt allgemein aufgefasst wird, nachdem auch Einthoven die Zacke © nicht mehr zur Vorhofkontraktion rechnet, ist eine äusserst schnell verlaufende diphasische resp. triphasische Schwankung. Auf dieselbe folgt eine mehr oder weniger parallel der Abszisse verlaufende, mitunter aufsteigende Linie, die dann nochmals durch eine langsam und sanft verlaufende, meist nach oben gerichtete Schwankung 7 unterbrochen wird. 1) Samojloff, Beiträge zur Elektrophysiologie des Herzens. Engel- mann’s Arch. 1906. — Elektrokardiogrammstudien. Jena 1909. 2) Nicolai und Simons, Zur Klinik des Elektrokardiogramms. Mediz. Klinik 1909 Nr. ‘5. 3) W. Einthoven, Über die Form des menschlichen Elektrokardiogramms. Pflüger’s Arch. Bd.60 8.101. 1885. Zur Deutung; des Elektrokardiogramms. 555 Während Einthoven in der Höhe des Ausschlages R den Ausdruck für die Kraft der Kontraktion des Herzens sieht und diese als den Maassstab für die Kraft der Herzkontraktion betrachtet, hat Kraus!) der Zacke 7 eine besondere klinische Bedeutung beigelegt. Er bezeichnet die Aufsplitterung und das vollständige Fehlen von 7 als Ausschlag nach oben als pathognomisches Zeichen für einen kranken Herzmuskel. „Ist die Splitterung jedoch stark ausgeprägt, so finden sich für gewöhnlich auch noch andere Anomalien der Kurve, und die betreffenden Individuen haben einen klinisch unzweifelhaft kranken Herzmuskel“, und an anderer Stelle: „Der speziell diag- nostische Wert des Fehlens von 7 liegt vielmehr darin, dass wir eine exakte, fürden Patienten weniger strapa- ziöse Methode besitzen, um z. B. in Fällen von „Neur- asthenie“, im ersten Stadium von Arteriosklerose, bei „Unfallherzen“, beim „Tropenherz“ usw., in.welchem Falle die Fragestellung manchmal klinisch sonst höchst schwierig liegt, bestimmt zu entscheiden, dass das Myocard nicht normal ist. Andere Male vermögen wir ebenso, z.B. in einem Fall von Alkoholherz, selbst mit mässiger Erweiterung von Herzdämpfung, mit starken subjektiven Beschwerden, sieher auszusagen, der Herzmuskel verhält sich in einer auf das Wesentliche seiner Tätigkeit betreffenden Richtung nicht abnorm; wir können einen ängstlichen Neurastheniker be- ruhigen usw.“ Dies sind die wichtigsten Folgerungen, welche bis- her aus dem Verhalten der beiden in den Bereich der Systole fallenden Gruppen R und 7 gezogen sind. Ich sehe hier ganz ab von den Abweichungen, welche diese Gruppen bei den verschiedenen Formen der Irreeularität des Herzens zeigen; es handelt sich hier ja zunächst nur um die Feststellung der. Bedeutung des typischen Elektrokardiogramms. Diese rein empirisch gewonnenen Schlüsse sind experimentell und eingehend noch nicht geprüft worden. | Was nun zunächst die Einthoven’sche Ansicht anbetrifft,| dass die Höhe der Zacke R mehr oder weniger einen Maassstab für die DKraus und Nicolai, Über das Elektrokardiogramm unter normalen und pathologischen Verhältnissen. Berl. klin. Wochenschr. 1907 Nr. 25 und 26. 556 Aug. Hoffmann: Kraft der Herzkontraktion abgibt, so hat Einthoven!) schon eine gewisse Schwierigkeit in dem Verhalten der atypischen Elektro- kardiogramme bei Extrasystolen gefunden, wenngleich er sein Kapitel mit den Worten einleitet, „man hat allen Grund, anzunehmen, dass bei der Vergleichung einiger nahezu dieselben Formen besitzenden Elektrokardiogramme die Höhe der Spitzen einigermaassen einen Maassstab für die Kraft der Herzkontraktion angibt“. Die Tatsache, dass die atypischen Kontraktionen oft einen bedeutend grösseren Ausschlag des Galvanometers bewirken als die typischen, obwohl sie doch einer schwächeren, erfolgloseren Kontraktion entsprechen (je länger die Pause, um so stärker, je kürzer, um so schwächer fällt die Kon- traktion aus), machen ihm einige Bedenken; er glaubt aber, dass die Verfrühung der Extrasystole bisweilen so gering ist, dass sie kaum in Betracht gezogen zu werden braucht, und aus dem Puls schliesst er, dass der Effekt, wahrscheinlich auch die Kraft, bei beiden Kontraktionsarten nur wenig verschieden ist, ja er nimmt als be- wiesen an, „dass die Kraft von jeder seiner (des Patienten R.) atypischen Kontraktionen wenig geringer ist als die Kraft einer normalen Systole‘“. Die klinische Untersuchung zeigt weiter, dass die Zacke R in vielen Fällen von schwacher Herztätigkeit bei gleicher Ableitung und Fadenspannung grösser ist als bei kräftigem, ja hypertrophischem Herzen. Zugleich ist schon ein Widerspruch darin zu finden, dass bei Lageveränderungen, wie in meiner Klinik Dr. Grau?) eingehend nachwies, die Zacke R bei demselben Menschen sehr verschiedene Höhe zeigt. Noch weniger wird dieser Maassstab einleuchtend, wenn, wie Einthoven?®) weiter ausführt, die Zacke R wesentlich ein Ausdruck der Arbeit des rechten und die Zacke S ein solcher des linken Ventrikels sein soll. Dann aber noch kommt hinzu, dass Zacke R bei den verschiedenen Ableitungen I (r. Arm, ]. Arm), II (r. Arm, 1. Bein), IH (l. Arm, 1. Bein) ganz verschiedene Höhe 1) W. Einthoven, Weiteres über das Elektrokardiogramm. Pflüger’s Arch. Bd. 122 S. 517. 2) Grau, Über den Einfluss der Herzlage auf die Form des Elektrokardio- gramms. Zeitschr, f. klin. Med. Bd. 69. 2) W. Einthoven, Weiteres über das Elektrokardiogramm. Pflüger’s Arch. Bd. 122 S. 517. Zur Deutung des Elektrokardiogramms- 557 bei demselben Individuum zeigt. Welche Ableitung gibt denn die Kraft richtig an? Noch schwieriger wird die Deutung, wenn man bedenkt, dass die Zacke R zum grössten Teil der Kontraktion vor- ausgeht, sich also durchaus nicht zeitlich deckt mit der Austreibungs- zeit des Herzens, in welcher der eigentliche Effekt der Herzkontraktion zum Ausdruck kommt, und in welcher das Herz seine Kraft in Arbeit umsetzt. Schon diese theoretische Überlegung macht es un- wahrscheinlich, dass die Höhe der Zacke R irgendeine Beziehung zur Herzarbeit hat. Es bedarf also weiterer Untersuchungen, um die Deutung des ersten Teils des Kammerelektrokardiogramms festzustellen. Weiterer Untersuchungen bedarf aber auch die Bedeutung der Zacke T. Die von Kraus!) zuerst geäusserte Ansicht, dass Ver- änderungen der Spitze 7 mehr oder weniger beweisend für eine Erkrankung des Myocards sein sollen, ist von Einthoven?) über- nommen worden. Über die Gruppe 7 liest bereits eine Reihe von Beobachtungen vor. Ich beschränke mich hier nur auf die Betrachtung der Spitze 7’ bei der Ableitung I, d.h. von Hand zu Hand. Es ist bekannt, dass sie nach den Untersuchungen von Einthoven?), Nieolai und Müller?) nach Arbeit gewöhnlich stärker wird; bei Vergiftungen tritt mitunter im Anfang eine Vergrösserung und nach- her eine Verkleinerung der Nachschwankung ein (Kraus, Nicolai); vor dem Tode des Versuchstieres wird sie kleiner und verschwindet (dieselben Autoren); bei starkem Blutverlust und in Chloroform- narkose soll 7 kleiner oder gar negativ werden (Einthoven). Ein Einfluss des Alters auf 7 wird ebenfalls behauptet (Nicolai), im Greisenalter wird sie kleiner oder verschwindet. Es ist demnach eine Reihe von Umständen bekannt, welche ein Kleinerwerden und Verschwinden von‘ 7 hervorrufen sollen: Herzinsuffizienz, Myo- degeneratio, Blutverlust, Chloroformnarkose, Vergiftung, Greisenalter. Zahlreiche von mir aufgenommene Kurven zeigen, dass trotz Myo- degeneratio und trotz bestehender Herzinsuffizienz die Gruppe 7’ wohl 1) Kraus und Nicolai, l. ce. Das Buch „Das Elektrokardiogramm“ er- schien nach Drucklegung dieser Arbeit und konnte nicht berücksichtigt werden. 2) W. Einthoven, Weiteres über das Elektrokardiogramm. Pflüger’s Arch. Bd. 122 S. 517. > .[7 f '3) Müller und Nicolai, Über den Einfluss der Arbeit auf das Elektro- kardiogramm des Menschen. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 22 Nr. 2. 558 Aug. Hoffmann: ausgebildet sein kann. Ganz besonders betrifft dieses Herzen, bei denen die Insuffizienz mit einer starken Beschleunigung der Herz- tätigkeit einhergeht. Die Fälle von erhaltener Nachschwankung bei Insuffizienz des Herzens sind so häufig, dass die einfache Folgerung, Fehlen der Gruppe 7, ergo geschädigter Herzmuskel, sich nicht aufrechterhalten lässt. Diese meine schon im September 1903 geäusserte Anschauung wird durch die Untersuchungen von Simons und Nicolai!) bestätigt, die ebenfalls in Fällen von klinischer Herzinsuffizienz die Gruppe 7 erhalten fanden. Umgekehrt fehlt die Gruppe 7 im Alter, aber auch sonst bei Menschen, bei denen keinerlei Anzeichen einer Herzinsuffizienz klinisch nach- zuweisen sind. Es ist aber andererseits eine Tatsache, dass oft ein Fehlen resp. Kleiner- oder Negativwerden der Gruppe 7 mit Herz- schwäche zusammentrifft. Über die Gründe soll am Schluss der Arbeit diskutiert werden. Ein Grösserwerden ist bisher beobachtet worden erstens bei kräftigen Personen, zweitens nach Arbeit, und zwar nicht nur bei suffizienten, sondern auch bei insuffizienten Herzen (Nicolai, Simons), drittens im Anfangsstadium einiger Vergiftungen (Kraus, Nicolai). Kraus?) betont, dass die Höhe der Nachschwankung bei solchen Leuten gross sei, die vermehrte Ansprüche an das Herz mit einer Vergrösserung der Füllung beantworten, d. h. solchen, bei denen das autonome System die Kompensation übernimmt; dagegen soll bei solchen Kranken, die mit vermehrter Schlagfrequenz (Sympathicuswirkung) regulieren, die Gruppe 7 kleiner sein. Was das Verhalten des Herzens nach Arbeit anbetrifft, so kann ich bestätigen, dass in sehr vielen Fällen, wo die Gruppe 7 vorher kleiner war, nach einigermaassen erheblichen Muskelanstrengungen sie sich sehr deutlich zeigt, zugleich damit regelmässig eine Be- schleunigung der Herztätigkeit verbunden, und gerade diese Be- schleunigeung der Herztätigkeit scheint mir für das Anwachsen der Gruppe 7 das Wesentliche zu sein. Bei Beschleunigung der Herz- aktion wird zunächst die Herzpause verkürzt, d. h. die zwischen den einzelnen Herzrevolutionen liegende Ruhezeit. Die Dauer der Systole (Systole plus Diastole) bleibt bei mässiger Erhöhung der Pulsfrequenz 1) Nicolai und Simons, l. c. 2) Kraus, Diskuss. Bun. Verhandl. des Kongresses f. innere Medizin. Wiesbaden 1909. Zur Deutung des Elektrokardiogramms. 559 erhalten. Tritt aber stärkere Beschleunigung ein, so verkürzt sich auch die Systole und nicht nur die Pause (Frey und Krehl)!). Bei diesen Systoleverkürzungen besonders tritt die Erhöhung von Tein. Ich fand in allen Fällen, welche ich im Laufe der letzten 2!/2 Jahre elektrokardiographisch untersucht habe, dass einer Verkürzung der Systole eine besonders ausgeprägte Gruppe 7 entspricht, Sehr schön zeigt dieses Fig. 1, bei der chronotrope Einflüsse wirksam sind. Die hier bestehende Irregularität wird durch vom Atrium ausgehende Systolen hervorgerufen; demgemäss ist die typische Form des Elektrokardiogramms auch nicht verändert. Man kann die Gruppe 7 bei allen Systolen deutlich erkennen. Es zeigt sich nun, dass die Zacke 7 bei einzelnen Schlägen verschieden hoch ausfällt. Bei den Schlägen, bei denen sie besonders hoch ist, lässt _ sich deutlich eine Verkürzung gegenüber den Systolen mit niedrigem T nachweisen. Auch bei Fällen von Hyperthyreoidismus zeigt sich das abnorme Grösserwerden von 7 mit Kürzerwerden der Systole. Bei diesen Kranken bemerkt man oft einen abnorm schnellen Verlauf der im Elektrokardiogramms darstellbaren Systole. Wenn man dieses Verhalten mit dem bei Herzinsuffizienz vergleicht, so geht daraus hervor, dass ein schneller Ablauf der Kontraktion eine Vergrösserung von 7 zur Folge hat, ein langsamer Ablauf eine Ver- kleinerung. Da viele insuffiziente Herzen wahrscheinlich einen ver- langsamten Kontraktionsablauf zeigen, so kann deshalb eine Ver- kleinerung von 7 eintreten, wird umgekehrt durch Arbeit bei solchen Herzen der Erregungsablauf beschleunigt, dann tritt 7’ wieder auf resp. wird grösser. Es zeigt sich also, dass R% von der Kontraktilität resp. von der Kontraktion unabhängig sein kann, während 7 gewisse Beziehungen zum Ablauf der Systole hat. Zu einem Verständnis des Verhaltens der einzelnen Gruppen kann man aber nur dann kommen, wenn man festzustellen sucht, was denn eigentlich im Elektrokardiogramm geschrieben wird. Nach den Ausführungen von Einthoven, Kraus und Nicolai soll das Elektrokardiogramm ein Ausdruck für die Kontraktions- vorgänge im Herzen sein; es soll gewissermaassen ein getreues Spiegelbild der Verhältnisse der Muskulatur des Herzens während des Kontraktionsablaufes sein. l) v. Frey u. Krehl, Untersuchungen über den Puls. Arch. f. Anat. u. Phys., Phys. Abt., 1890 S. 31. 560 Aug. Hoffmann: Von dem Grundsatze ausgehend, dass die gereizte resp. tätige Materie sich gegenüber der nicht gereizten resp. untätigen zinkartig verhält, muss der Weg der Erregung resp. der Kontraktion gesucht werden, der die eigentümliche Form des Elektrokardiogramms er- klären soll. Nicolai!) erklärt die R-Zacke für einen Ausdruck der Erregung des basalen Teils des papillaren Muskelsystems. Die Fr- regung pflanzt sich bis zur Spitze fort; wenn sie dort anlangt, ist die Kurve bereits wieder abgesunken. Der darauf folgende wage- rechte Verlauf der Kurve soll der allseitigen Kontraktion der ge- samten Kammermuskulatur (zirkuläre Muskelschicht) entsprechen, und in diesem Intervall soll sich die entstehende Potentialdifferenz so ausgleichen, dass keinerlei Ausschläge nach der einen oder anderen Seite erfolgen. Die Zacke 7 soll die Rückkehr des Erregungsvor- ganges zur Herzbasis andeuten (durch die äussere Längsmuskelschicht des Herzens?). Von Goteh?) ist eine auf embryologische Verhält- nisse zurückgeführte Erklärung gegeben, indem er annimmt, dass die Erregung den Vorhöfen durch den rechten Veutrikel zur Herzspitze und von dort durch die linke Kammer zum Aortenteil zurückläuft. Die Zacke R würde dem ersten Vorgang, die Zacke 7 dem letzteren entsprechen, wobei die Basis des Herzens sowohl zu Anfang wie zum Schluss der Revolution negativ ist. Beide Erklärungen so be- stechend sie zunächst scheinen haben doch etwas Gezwungenes. Vor allen Dingen muss es auffallen, dass die Schwankungen @, R, 8 so rasch verlaufen, während die Schwankung 7 einen langsamen, ver- weilenden Verlauf nimmt. Dies muss das Bedenken erwecken, ob denn die in R und 7 verzeichneten Vorgänge gleicher Art sind, oder ob es nicht vielleicht etwas Verschiedenes ist, was einerseits A, anderer- seits 7’ anzeigt. Die Nicolai’sche Auffassung, dass es sich bei der Zacke R um eine reine kräftige Negativität der Herzbasis gegenüber der Spitze handelt, die sich gewissermaassen in gerader Linie zur Spitze hin fortbewegt, liesse auf eine grosse Geschwindigkeit der Leitung schliessen, da die ganze Gruppe R nur einen geringen Zeitwert hat; ich berechne denselben beim menschlichen Elektrokardiogramm auf 1) Nicolai in Nagel’s Handbuch der Physiologie. Zentrabl. f. Phys. 1907 Nr. 20. ST 2) Gotch, Capillary Electrometer Records of the electrical. changes during the natural beat of frogs heart. Proceedings of the Royal Soc. vol. 79. 1907. Zur Deutung des Elektrokardiogramms. 561 etwa 0,1 Sekunde. Auch bei vermehrter Schnelligkeit der Herz- revolutionen zeigt sich an der Zacke R keine weitere Veränderung, als dass sie mitunter kleiner wird. Wir wissen durch die Unter- suchungen von Hering!) und Salzmann’), dass sich die Papillarmuskeln in der Regel vor dem Konus der rechten Kammer kontrahieren. Wenn das Elektrokardiogramm der Ausdruck der Kontraktionen sein soll, so müsste bei der ersten Kontraktion der Papillarmuskeln sich die Negativität umgekehrt verhalten, da der Papillarmuskulatur der Erregungsreiz von ihrem Ansatz an der Herzwand zugeführt wird und der Verlauf der Papillarmuskeln von der Spitze zur Basis hinauf gerichtet ist. Die Strecke zwischen R und 7, welche namentlich bei langsam schlagenden Herzen häufig ganz wagerecht verläuft, soll die Zeit darstellen, in der sieh die allseitige Kontraktion der Ringmuskel- schieht abspielt. Hier nimmt Nicolai einen Ausgleich der ver- schiedenen Potentialdifferenzen an, so dass keine eigentliche wirk- same Potentialdifferenz zwischen Spitze und Basis resp. den Herzteilen, welche durch die Arme abgeleitet werden, besteht. Ist schon an und für sich ein derartiges Verhalten der sich angeblich nacheinander kontrahierenden Teile und der in vielfach verschlungenen Richtungen verlaufenden Muskelfasern unwahrscheinlich, nämlich dass alle durch die Kontraktion der einzelnen Fasern enstehenden Potentialdifferenzen sich zu einem plus minus Null ausgleichen und somit der Dar- stellung gänzlich entgehen, und dass dies so regelmässig und gleich- mässig erfolgen soll, dass bei jedem Herzschlage ein identisches Verhalten sich zeigt, so wird diese Annahme eigentlich durch den langsamen Ablauf der Schwankung 7 noch unwahrscheinlicher gemacht. Die Zacke 7 soll die Rückkehr der Negativität zur Basis durch die Kontraktion deräusseren Muskelschichtandeuten. Diese verhältnismässig dünne und für die Leistung des Herzens erst in zweiter Linie in Betracht kommende Muskelschicht soll nunmehr die an Dauer längste und nach der Annahme von Kraus und Nicolai?) für die Beurteilung 1) Hering, Über den Beginn der Papillarmuskelaktion ete. Pflüger’s Arch. Bd. 126 S. 225. 2) Salzmann, Über die Fortpflanzung der Kontraktion im Herzen mit besonderer Berücksichtigung der Papillarmuskeln. Skand. Arch. f. Physiol. 1908. 3) Kraus und Nikolai,l. c. 562 Aug. Hoffmann: der Herztätigkeit wichtigste Zacke bilden. Wenn die Erklärung von Nicolai und zugleich die klinische Deutung riehtig wären, so müsste ganz wesentlich das Verhalten der äusseren Muskelschicht für die Herzkraft von Bedeutung sein. Noch weniger einleuchtend scheint ‘mir die Erklärung von Goteh (l. e.) zu sein, bei dem sich zunächst die rechte Kammer- basis, dann die rechte Herzspitze, dann die linke Kammerspitze und zuletzt erst die linke Kammerbasis kontrahieren soll. Für einen solchen Verlauf, der noch dazu recht langsam vor sich gehen müsste, sprechen jedenfalls die Versuche von Hering und Salzmann!) in keiner Weise. Bei allen diesen Autoren findet man das ganze Kammerelektro- kardiogramm gleichgestellt mit dem Ablauf der Kontraktion; die Tätig- keit des sich kontrahierenden Muskels wird zu dem ganzen sogenannten Kammerelektrokardiogramm direkt in Parallele gestellt. Es handelt sich aber beim Kammerelektrokardioeramm sicher nicht nur um den Ausdruck der Bewegung des Herzens. Schon die Kritik der an- gegebenen Erklärungen lässt erkennen, dass die Kontraktilität des Herzens nicht den adäquaten Ausdruck im Elektrokardiogramm finden kann. Zunächst besteht für die Kontraktion eine gewisse Latenzzeit. Bei suspendierten Froschherzen beginnt das Elektrokardiogramm z. B. bereits 0,15 Sekunden (Fig. 2) vor der am Suspensionshebel erkennbaren Kontraktion des Muskels. Die Latenzzeit wechselt in ihrer Länge. Auf Fig. 4e beträgt sie z. B. 0,26—0,28 Sekunden. Der Spitzenstoss ist in Fig. 3 durch ein Cremer’sches?) Telephon auf ein kleines Saiten- galvanometer übertragen, wodurch zwischen dem ersten Vorwölben der Herzspitze und der Saitenschwingung eine Zeitdifferenz nicht entsteht. Es ist also die Zeichnung des Spitzenstosses in der Kurve genau mit diesem gleichzeitig. Auch hier zeigt sich eine Latenzeit von mindestens 0,08 Sekunden zwischen dem Beginn der Zacke k und dem Beginn des Spitzenstosses. Da letzterer in der Anspannungszeit entsteht, also vor der Austreibungszeit, so kann die Zacke R nicht den in der Austreibungszeit wirksamen Kräften ihre Entstehung verdanken. Sie kann in ihrer Grösse nicht einen Maassstab für die Kraft des Herz- D1.re. 2) Cremer, Über die Registrierung mechanischer Vorgänge auf elek- trischem Wege, speziell mit Hülfe des Saitengalvanometers. Münch. medizin. Wochenschr. 1907. Zur Deutung des Elektrokardiogramms, 563 muskels darstellen. Es geht also die elektrische Schwankung der eigent- lichen Tätigkeit des Herzmuskels weit voraus, was auch im menschlichen Elektrokardiogramm, wenn man dasselbe zugleich mit dem Spitzenstoss aufnimmt, dentlich zu erkennen ist. (Fig. 3.) Daraus geht doch wohl hervor, dass, während bereits das Elektrokardiogramm sich abzeichnet, die Muskeln noch eine, wenn auch geringe Zeit sich voll- ständig untätig verhalten. Würde das Kammerelektrokardiogramm die Folge der Kontraktion sein, so könnte es nicht derselben zum Teil vorausgehen. Die experimentelle Nachprüfung wurde in folgender Weise vorgenommen: Es wurde die Suspensionsmethode mit der Aufnahme des Elektrokardiogramms vereinigt, und zwar in der Weise, dass das Tier unmittelbar unter den Aufnahmeapparat ge- bracht wurde, so dass die Suspensionsfäden direkt an Aluminium- hebeln über dem Tiere befestigt waren, und zwar vor der Achse derselben. Am Ende des Hebels war ein langer Strohhalm senkrecht rechtwinklig nach unten angeklebt, so dass die Ausschläge genau wie das Elektrokardiegramm von links nach rechts zu lesen und dabei nach oben gerichtet sind. Zunächst wurden Versuche am Katzen- und Hunde- herzen vorgenommen. Die Suspensionskurve der Kammer zeigt beim Herzflimmern nur geringe unregelmässige Ausschläge, die des Vor- hofes noch rhythmisch erfolgende. Während derselben Zeit durch- toben starke Potentialschwankungen das Galvanometer und bringen hier langsam verlaufende, aber sehr ausgiebige Schwankungen hervor. Diese Ausschläge sind bedeutend grösser als das unmittelbar vorher bei derselben Fadenspannung aufgenommene Elektrokardio- gramm. Es zeigt also hier ein ganz inkoordiniert wühlendes Herz, welches sich kraftlos um seinen Inhalt abmüht, stärkere Potential- differenzen als das vorher kräftig schlagende. Bezeichnend hierbei ist, dass die Ausschläge langsam wie bei Gruppe 7 des typischen Elektrokardiogramms verlaufen, entsprechend dem sichtbaren relativ langsamen Verlauf der „fibrillären“ Kontraktionen beim Flimmern. Weitere Versuche wurden an Fröschen vorgenommen, und zwar an Froschherzen teils in situ, teils an ausgeschnittenen. Wenngleich das Elektrokardiogramm des Frosches nieht ganz identisch mit dem des Menschen ist, so eignet sich doch dasselbe wegen der langsamen Aktion sehr wohl zu grundlegenden Versuchen. Die Versuche in situ wurden einfach so angestellt, dass der leicht euraresierte Frosch unter die Suspensionshebel gebracht, dann das Herz freigelegt und Vorhof und Ventrikel oder letzterer allein an die Suspensionshebel 564 Aug. Hoffmann: angehakt wurden. Vom Sinus und von der Herzspitze aus wurde entweder mit unpolarisierbaren Elektroden oder vermittelst neu- silberner Serres-fines zum Galvanometer abgeleitet. Die so er- haltenen Kurven sind oft etwas abweichend von der „typischen“ Form, lassen aber deutlich die drei Gruppen P, R und T erkennen; vor allen Dingen bemerkt man, dass Gruppe 7 sich häufig sehr lange hinzieht. Es mögen dabei leichte. Irritationen des Herzens beim Manipulieren die veränderte Form bedingen. Zur Feststellung des zeitlichen Verlaufes ist aber die Kurvenform weniger von Belang. Die Kurven haben bei verschiedenen Tieren oft bei anscheinend derselben Ableitungsstelle recht verschiedene Formen; doch sind die drei Gruppen stets herauszuschälen. Das Einkammerelektrokardio- gramm des Frosches steht dem Zweikammerelektrokardiogramm des Säugetieres in seiner Form ausserordentlich nahe. Es zeigt sich nun, dass beim Muskarin vergifteten, durch Atropin wieder zum Schlagen gebrachten Herzen, trotzdem der Ausschlag des Suspensions- hebels ein immer stärker werdendes Nachlassen der Kontraktilität anzeigt, die Ausschläge am Galvanometer bei unveränderter Ab- leitung und unveränderter Fadenspannung doch gross bleiben, ja mitunter sogar anwachsen können (Fig. 4a, b, c, d, e). In Fig. 5, ein menschliches Elektrokardiogramm mit graphischer Aufnahme der Carotis bei Extrasystolenarhythmie. Es ist die von Einthoven ge- gebene Erklärung, dass die Extrasystole den gleichen Effekt und die gleiche Kraft wie die Systole hat, keineswegs zutreffend. Die Extrasystole hat, wenn sie recht früh nach der letzten Systole ein- setzt, so gut wie gar keinen motorischen Effekt; noch wichtiger aber erscheint mir, dass die erste normale Systole nach einer Extrasystole, die aus dem Grunde, dass das Herz in der kompensatorischen Pause sich mehr ausruht und an Kontraktilität und Leitungsvermögen ge- winnt, keinen abnorm hohen Ausschlag des Elektrokardiogramms erkennen lässt. Auch bei den nach Art der Bowditch’schen Treppe schlagenden Herzen (Fig. 6), wobei die einzelnen Systolen am Suspensionshebel zunehmende Stärke zeigen, sind die Elektrokardio- sramme in Höhe der Zacke R einander gleich. Ebenso verhält es sich bei der alternierenden Herztätigkeit. R bleibt gleich, während T mitunter das Alternieren zeigt. Es ist demnach die Ansicht voll zulässig, dass die Höhe der Spitze R einen Maassstab für die Kraft der Herzkontraktion nicht abgibt. Die Höhe der Spitze R verdankt anderen Umständen ihre Verschiedenheit. Zur Deutung des Elektrokardiogramms. 565 Die Versuche am ausgeschnittenen Froschherzen wurden in folgender Weise vorgenommen. Das ausgeschnittene Herz wurde in einem kleinen Glastrichter befestigt. Durch das Rohr des Trichters wurde ein feiner Kupferdraht bis in den Hals desselben geführt, dann das Rohr mit Paraffın ausgegossen. Vor dem Erkalten des Paraffins wurde eine kleine Korkplatte in den Hals des Trichters gebracht, die vermittelst einer hakenförmig gebogenen Nadel in dem erstarrenden Paraffın befestigt wurde. Das ausgeschnittene Herz wurde mit dem Sinusende mit Hilfe zweier Steeknadeln auf der Kork- platte festgesteckt und dann an Vorhof und Kammer vermittelst kleiner Serres-fines suspendiert. Einige Tropfen Kochsalzlösung in den Trichter gebracht, stellten leitende Verbindung zwischen Sinus und dem. durch die Trichterröhre gezogenen Kupferdraht her; der andere Pol wurde mit einer neusilbernen Serre-fine von der Spitze abgeleitet. In einzelnen Versuchen wurden unpolarisierbare Elek- troden verwandt, aber es ergab sich kein wesentlicher Unterschied in den Kurven. Füllt man den Trichter bis zur Artrioventrikular- grenze mit physiologischer Kochsalzlösung, .so ist ohne Veränderung der Lage des Herzens damit eine Ableitung von Herzspitze und Basis der Ventrikel gegeben, da die Vorhofpotentiale durch die Kochsalz- lösung sich ausgleichen. Ebenso ist man in der Lage, Herzgifte, destilliertes Wasser usw. direkt an den Vorhof oder an das ganze Herz zu bringen, indem man die betreffende Lösung in den Trichter bis zu verschiedener Höhe einfüllt. Durch Absaugen mit einer Pipette kann man diese jederzeit wieder entfernen. Fig. 7 ist von einem Froschherz in situ gewonnen. a Ableitung vom Sinus und Herzspitze, b Ableitung von Kammerbasis zur Kammerspitze. Aus diesen Elektrokardiogrammen ereibt sich zunächst die Identität der Zacke P mit der Vorkammerkontraktion.e Der gleichzeitig suspendierte Vorhof zeigt nun in der Kurve, dass die Vorhof- kontraktion ganz erheblich länger dauert als die Zacke P und ihr um einige Hundertstel Sekunden nachfolgt. Es entspricht der oben ge- äusserten Ansicht, dass auch die Zacke P nicht der Ausdruck der ge- samten Muskelkontraktion ist, denn wenn dieses der Fall wäre, so müsste sie wenigstens so lange dauern wie vom Beginn der Vorhof- kontraktion bis zum Beginn des absteigenden Kurvenschenkels, der dem Augenblick entspricht, indem der Vorhof eerschlafft. Die geringe Muskel- masse der Vorhöfe lässt es erklärlich erscheinen, dass der „Aktions- strom“ sehr schwach ist und, in seinem weiteren Teile nicht zum 566 Aug. Hoffmann: Ausdruck kommt. In Fig. 3 sieht man die Einwirkung des destil- lierten Wassers auf das ausgeschnittene Herz. Trotzdem die Kon- traktion nicht nur am Suspensionshebel, sondern auch für das Auge immer kleiner und langsamer wird, werden die Ausschläge des Galvanometers nicht schwächer. Die sich kaum noch zusammen- ziehende Kammer, in der nur mit grösster Aufmerksamkeit noch leise Zuckungen bemerkbar sind, gibt noch kräftige Elektrokardio- eramme. Bei weiteren Schädigungen durch destilliertes Wasser (Fig. Sa, b, c, d) zeigen sich trotz stillstehender Kammer noch vereinzelte Ausschläge am Galvanometer. Fig. 9 zeigt die Elektrokardiogramme von durch mechanische Reizung bei stillstehendem Herzen hervorgerufenen Systolen, die durch Berührung mit einem gespitzten Glasstab hervorgerufen wurden. Trotzdem die Kammerrevolutionen ausserordentlich schwach sind, zeigen sich wohlausgeprägte Kardiogramme, die auch, der Kammerzacke folgend, dureh irreziproke Leitung erzeugte deutliche Vorhofzacken zeigen, obwohl der durch Wasser gequollene Vorhof gar nicht in Aktion tritt. Diese Versuche zeigen ein direktes Miss- verhältnis zwischen Elektrokardiogramm und der Muskeltätigkeit. Ein in seiner Muskulatur schwer geschädigtes Herz gibt unveränderte, gar noch grössere Ausschläge am Saitengalvanometer wie das vorher kräftig arbeitende. Ein weiterer Versuch wurde noch gemacht, indem das in situ befindliche Herz mit Paraffın von niedrigem Schmelz- punkt plötzlich überschüttet wurde. Die Herzbewegungen hörten sofort durch den mechanischen Druck des Paraffıns auf, das Herz wurde vollkommen blutleer ausgedrückt; trotzdem gingen kräftige Elektrokardiogramme von diesem Herzen aus, bis auch diese endlich aufhörten. Auch Fano und Fayod!) fanden, dass, wenn der Vorhof des Schildkrötenherzens durch Spannung immobilisiert wurde, der „elektrische Puls“ des Vorhofes weiterbestehen, ja sogar zunehmen kann. Weitere Resultate ergaben die Experimente mit Herznervengiften. Das Herz, welches mit Muskarin gelähmt wurde, gibt trotzdem beim Reizen vom Sinus aus eine deutliche Vorhof- und Kammerzacke im Elektrokardiogramm; es war hierbei nicht die geringste Bewegung am Herzen zu konstatieren (Fig. 45). Nach Injektion von Atropin 1) Fano und Fayod, Di alumi rapporti fra le proprietä contrattili es le electriche degli atri cardraci. Mantova 1887. Zur Deutung des Elektrokardiogramms. 507 belebt sich das Herz wider (Fig. 4c), aber es zeigt sich kein An- wachsen der Spitze & bei zunehmender Systolengrösse. Da sich die Grundeigenschaften des Herzmuskels die ganze Wirbeltierreihe hindurch bisher als gleich erwiesen haben, so kommt diesen Versuchen eine weitergehende Bedeutung zu. Sie beweisen, dass der Verlauf des Elektrokardiogramms wenigstens teilweise vom Ablauf der Kontraktionen unabhängig ist. Ob der Muskel sich kontrahiert oder nicht, ist nicht ausschlaggebend für die Grösse der Zacken R des Elektrokardiogramms. Die Aufhebung der Kon- traktilität bei noch erhaltenem Leitungsvermögen, welches ja auch das Bestehen einer gewissen Erregbarkeit voraussetzt — denn Leitung pflanzt sich von Punkt zu Punkt durch eine Alteration der leitenden Materie fort —, zeigt kein Schwinden der durch die Er- regung entstehenden Potentialdifferenzen. Es ist deshalb anzunehmen, dass das, was das Elektrokardiogramm ir dem Gruppe R genannten Teile schreibt, nicht die Kontraktionswelle, sondern die Erregungs- welle ist. Die Erregungswelle wird unter normalen Verhältnissen von einer Kontraktionswelle gefolgt; es sind aber in pathologischen Fällen wie im Experiment Verhältnisse denkbar, dass trotz normal verlaufender Erregungswelle die Kontraktionswelle nicht derselben folgt. Diese kann auch sonst verändert sein. So kann sie verlangsamt sein, sie kann gewisse Teile des Herzens unkontrahiert lassen. Diese Erregungs- welle, deren Geschwindigkeit man bisher nur an der Geschwindig- keit des Fortschreitens der Kontraktion messen konnte, indem an zwei Punkten eines Muskels die Kontraktionszeit genau fest- gestellt und aus der Differenz die Geschwindigkeit der Leitung berechnet wurde, ist in ihrem eigentlichen Wesen unbekannt. Es handelt sich hier um den alten Streit, ob die Erregbarkeit resp. Reizbarkeit von der Kontraktilität verschieden ist. Hering hat eine gegenseitige Abhängigkeit der Reizbarkeit, der Kontraktilität und des Leitungsvermögens der Herzmuskelfasern angenommen, während Engelmann an der Selbständigkeit der verschiedenen Eigenschaften festhält. Es hiesse auf den Streit um die myogene oder neurogene Theorie eingehen, wollte ich hierzu weitere Ausführungen machen. Das ist aber nicht beabsichtigt. Jedenfalls wird das Elektrokardio- gramm uns verständlich, wenn wir wenigstens für den instanten Teil, die Gruppe R, den Ablauf eines Reiz- oder Erregungsvorganges durch den Herzmuskel als Ursache ansehen. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bü. 188. BY 568 Aug. Hoffmann: Schwieriger werden die Verhältnisse der Gruppe 7 zu deuten sein. Die Gruppe 7, welche ja im allgemeinen langsamer, träger verläuft als die Gruppe Z, ist in ihren zeitlichen Verhältnissen zur Kammerkontraktion, wie es die Suspension zeigt, so gestellt, dass ihr Ende meistens mit dem Beginn des absteigenden Teils der Kammersuspensionskurve zusammenfällt, d. h. sie erreicht ihr Ende in dem Moment, wo die Herzkammer ganz erschlafft (Fig. 16). Die von Kahn!) veröffentlichten Kurven, bei welchem er mit einem Gad’schen Blutwellenschreiber die Druckverhältnisse in den Ven- trikeln mit dem Elektokardiogramm zugleich registrierte, zeigen, dass auch in den von ihm mitgeteilten Abbildungen das Ende von 7 mit dem Beginn des Abfallens der Ventrikeldruckkurve zusammen- fällt. Dasselbe finde ich in den von Samojloff mitgeteilten Kurven, die mit dem Kapillarelektrometer geschrieben sind. Es scheint dem- nach T etwas anderes zu bedeuten wie die Gruppe R. Von nicht ge- ringer Wichtigkeit scheint mir dabei die von Judin?°) mitgeteilte, mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer aufgenommene Kurve des M. gastroenemius des Frosches zu sein, die ein dem typischen Elektrokardiogramm des Herzens ähnliches Aussehen zeigt. Auch hier fällt die ganze aufwärts gerichtete Zacke fast vollständig in das Latenzstadium hinein, während mit dem Beginn der Kontraktions- kurve eine zweite gleichgerichtete langsam verlaufende Schwankung einsetzt, deren Ende in der Abbildung leider nieht wiedergegeben ist. Der ganze weitere Verlauf der Kurve bleibt etwas über der Abszisse. In Fig. 10 sind zunächst unter a alternierende Kontraktionen, bei denen auf eine längere Kontraktion jedesmal eine kürzere folet, dargestellt. Man sieht das Ende vom Elektrokardiogramm sich genau nach der Länge der Systolen richten; in 5 sind durch Kälteeinwirkung verlängerte Kontraktionen der Kammer aufgerechnet und in ce Kon- traktionen desselben Herzens (in situ) nach Einwirkung eines warmen Luftstroms. Den verkürzten Systolen entspricht ein verkürztes Elektrokardiogramm. Die nach abwärts gerichtete Zacke 7 fällt stets an das Ende der Kontraktion. Es hängt also die Entstehung ]) Kahn, Beiträge zur Kenntnis des Elektrokardiogramms. Pflüger’s Arch. Bd. 126 S. 197. 2) Judin, Zur Erklärung der Form des Elektrokardiogramms. Zentralh. f. Physik 1903 S. 365. Zur Deutung des Elektrokardiogramms. 569 der Zacke 7 sicher mit der Kontraktion des Herzmuskels zu- sammen. Es zeigt sich nun in den von mir aufgenommenen Kurven, dass, wenn ein abgekühltes und wieder erwärmtes Froschherz verschieden lange Systolen zeigt, was sich aus der Länge der einzelnen Sus- pensionskurven erkennen lässt, auch die Zacke 7 in verschieden langen Abständen der Zacke R folst. Je länger die Systole, um so später kommt 7, während R ganz unbeeinflusst bleibt (Fig. 10a und 5b). 7 ist beim Froschherzen sowohl bei Aufnahme der Kurve in situ als auch beim ausgeschnittenen Herzen meistens negativ. Dagegen fehlt T in den Kurven, in welchen sich an die Erregung keine Kontraktion anschliesst (Fig. 45). Wenn man die Deutung der Zacken versuchen will an der Hand der über die Aktionsströme des Muskels bekannten Tatsachen, so ist man, da ausgiebige Untersuchungen der Aktionsströme der Muskeln mit dem Saitengalvanometer noch ausstehen, auf frühere mit unvollkommeneren Instrumenten angestellte Untersuchungen an- gewiesen. Leider sind dieselben nicht widerspruchsfrei. Vor allem ist das Verhältnis des Aktionsstroms zur Reizbewegung nicht sicher- gestellt. In folgendem soll versucht werden, kurz einen Überblick über die hier interessierenden Untersuchungen zu geben. Engelmann!) und Marchand?) haben den zeitlichen Verlauf der elektromotorischen Schwankungen genauer festgestellt. Bei allen die Kammer treffenden Reizen tritt als erster Erfolg ein am Herzen vom Ort des Reizes weggerichteter Strom auf, es wird also bei einer Reizung jeder Teil des Kammermuskels zunächst vorübergehend elektromotorisch wirksam. Diese Negativität breitet sich vom Ort der Reizung nach allen Richtungen durch die Kammer aus. Das elektromotorische Verhalten des Herzens entspricht in der Regel vollständig dem eines parallelfaserigen, quergestreiften, von zwei Längsschnittpunkten abgeleiteten Muskels und zwar werden die dem Reiz auch näher gelegenen Stellen zunächst negativ und dann positiv gegen die entfernteren. Dieses ist bei Ableitung von der äusseren Kammeroberfläche von zwei in der Ruhe unwirksamen Punkten, die ungleich weit vom Orte der Reizung entfernt sind, der Fall. Mit- unter fehlt die zweite positive Phase an der Reizstelle, und es stellt 1) Engelmann, Pflüger’s Arch. Bd. 61, 62, 66, 17. 2) Marchand, Pflüger’s Arch. Bd, 16. 37*r 570 Aug. Hoffmann: sich entweder der anfänglich indifferente Zustand direkt wieder her, oder es bleibt eine schwache Nachwirkung im Sinne des Negativität an der dem Reizorte näheren Stelle, die ja auch beim Beeinn der Reizung negativ war. Engelmann fand, dass die elektrischen Schwankungen am Orte der Reizung ohne merkbare Latenzzeit beginnen, während die Kontraktion nicht früher als 0,1 Sekunden nach der Reizung beginnt. In 0,09 Sekunden erreicht die Negativität der gereizten Stelle ihren Höhepunkt, so dass also schon vor Beginn der Zuckung die Reizwelle ihren Höhepunkt überschritten hat. Dies sind wichtige Feststellungen, die sich durch meine Versuche bestätigen. Es geht daraus zur Genüge hervor, dass die Negativitätswelle, wenigstens in ihrem Anfang der Kontraktionswelle vorauseilt. Sanderson und Page!) berechneten die Fortpflanzungsgeschwindig- keit der Reizwelle auf 125 mm in der Sekunde, während Engel- mann nur 20 bis 40 mm fand, sie fanden dabei eine Fortdauer der örtlichen Negativität bei 12 Grad Celsius von 2,1 Sekunden Zeitwert, welcher genau der Kontraktionsdauer des Herzmuskels entspricht. Aus dem Gebiete der allgemeinen Elektrophysiologie hebe ich hier ferner folgende Untersuchungen hervor: Bernstein?) fand, dass in einer gereizten Muskelfaser die Reizwelle der Kontraktionswelle wenigstens teilweise voranläuft, was schon Helmholtz?) durch seinen Versuch der indirekten Reizung des Nerv-Muskelpräparates nachweisen konnte. Nach v. Bezold‘*) beginnt die elektrische Schwankung unter günstigen Verhältnissen unmittelbar nach dem Augenblick der Reizung und fällt daher in den Beginn des Latenzstadiums der Kontraktion. Umgekehrt erlischt die elektrische Welle nieht früher als die Kontraktion aufhört. |Biedermann?’), Lee‘)]. Dies beweist auch das elektromotorische Verhalten des Muskels bei der ideo- muskulären Kontraktion. Dies ist eine bei lokal beschränkter Reizung in absterbenden Muskeln auftretende lokale Kontraktion der Fasern, l) Sanderson und Page, Journal of Physiol. vol. 2. 2) Bernstein, Untersuchungen. I. Halle 1888. 3) Helmholtz, Ber. d. Berl. Akad. 1854. 4) Bezold, Ber. d. Berl. Akad. 1861. 5) Biedermann, Elektrophysiologie. Jena 1895. Elektrophysiologie in Ergebnisse der Physiologie 1902 u. 1903. 6) Lee, Arch. f. Anat. u. Phys., phys. Abt. 1887, S. 210. Zur Deutung des Elektrokardiogramms. 571 die meist nicht mehr schwindet. Czermak'!), Kühne?) und Har- less?) zeigten, dass diese kontrahierte Stelle sich gegen alle übrigen Faserstellen negativ verhält. Auch Biedermann fand bei Dauer- kontraktionen, welche einzelne Stellen des Frosch-Sartorius betrafen, negatives Verhalten dieser Stellen gegen nicht kontrahierte. Was das Herz betrifft, so fand Dardus*), dass die in einem Nerv-Muskelpräparat, dessen Nerv über die Kammer des schlagenden Kaninchenherzens geiegt war, entstehende sekundäre Zuckung zirka !/ro Sekunde früher auftrat als die Kontraktion des Herzens. Alle diese Feststellungen sprechen für eine Trennung der elektrischen Kurve in zwei Abschnitte: Erregungswelle und Kon- traktionswelle. Über die Natur der Aktionsströme scheint insoweit Einigkeit der Anschauungen zu herrschen, dass man nach Hermann’s°’) Vorgang jetzt annimmt, dass alle elektrischen Wirkungen lebender Gewebe auf chemische Veränderungen der Substanz zurückzuführen sind. Hering‘) erweiterte diese Anschauung dahin, dass er als Grund für die Stromlosigkeit unversehrter ruhender Muskeln annimmt, dass dieselben einen nach aussen ableitbaren Strom nicht entwickeln, so lange ihr Stoffwechsel, d. i. das innere chemische Bestehen, in allen Teilen derselben gleich ist. Jede Störung dieser Gleichheit bedingt das Entstehen ableitbarer Ströme. Aus dieser sogenannten Alterationstheorie müssen auch die Aktionsströme des Herzens erklärt werden. Biedermann nimmt an, dass, wenn als sicher gelten darf, dass die negative Schwankung, d. h. eigentlich das elektrische Geschehen an einer erresten Muskelstelle der Kontraktion grössten- teils vorausgeht und dieselbe sozusagen einleitet, die Vermutung nahe liest, dass sie der elektrische Ausdruck desjenigen Prozesses ist, welcher die Quelle der Energie des Muskels darstellt. Bern- stein nimmt ebenfalls an, dass die mechanischen Vorgänge in der Muskulatur die Kontraktionsprozesse, nur die Folge der vor- 1) Czermak, zit. nach Biedermann, Elektrophysiologie. 2) Kühne, zit. nach Biedermann, Elektrophysiologie. Untersuchungen aus dem physiol. Institut Heidelberg. III. 3) Harless, zit. nach Biedermann, Elektrophysiologie. 4) Dardus, zit. nach Biedermann, Elektrophysiologie. 5) Hermann, Pflüger’s Arch. Bd. 4. u. 27. 6) Hering, Beiträge zur allg. Nerven- und Muskelphysiologie. Sttzungsber. d. Akademie, 1879 u. 1883, 572 Aug. Hoffmann: ausgehenden chemischen Änderungen sein können. Der daraus viel- leicht zu folgernde Umstand, dass die negative Schwankung sich mit der Arbeitsleistung des Muskels in gewissem Sinne ändert, ist bisher experimentell nicht sicher gestellt, zumal namentlich die Versuche von Amaya, Bernstein und CGzermak dartun, dass die ver- stärkte mechanische Leistung mit einer Abnahme und auch Ver- kürzung der negativen Schwankung verknüpft sein kann. Diese Wirkung zeigt sich jedoch nicht in dem Teil, der vor der Kontraktion anhebt. Es bestehen demnach nur Beziehungen zwischen mecha- nischen Leistungen und dem abfallenden Teil der negativen Schwankung. Aus der raschen Fortpflanzung der Negativität und weiter dem Beharren im negativen Zustande müssen bestimmte Schlüsse für das Elektrokardiogramm zu ziehen sein. Dass die Reizwelle der Kon- traktionswelle vorauseilt, beweist, dass sie in ihrem ersten Teil nicht von der Kontraktion abhängig sein kann. Dass andererseits, solange die Kontraktion dauert, solange also tätige Materie vorhanden ist, sich Potentialdifferenzen, d. i. elektrische Erscheinungen, zeigen müssen, ist ebenfalls sicher, denn jedes kontrahierte Muskelstück verhält sich, solange die Kontraktion dauert, negativ gegenüber den noch oder schon wieder erschlafften. Aus dem Beharrungsvermögen in der Negativität durch die folgende Kontraktion folgt, dass die Reizwelle, die sich ja sehr schnell fortpflanzt, 125 mm in der Sekunde nach Sanderson und Page, ungefähr um das zehnfache an der Stelle der ersten Reizung von der Negativität überdauert wird. Die Froschkammer hat ja im erschlafften Zustande nur eine Länge von etwa 0,75—1l em. Es genügt demnach eine Zeit von weniger als !/ıo Sekunde, um die Erregungswelle von der Basis zur Spitze fortzuleiten. Es folgt aber die Kontraktion erst 0,4 Sekunden später. Danach kann die Reizwelle längst passiert sein, ehe die Kontraktionswelle anhebt. In der Zwischenzeit kann die Negativität der Basis auf kurze Zeit schwinden, da zwischen dem ersten chemischen Vorgang der Erregung und dem zweiten der Kontraktion eine genügend lange Pause liegt. Wenn während der ganzen elek- trischen Systole die normal etwa 1,6 Sekunden beim Frosch beträgt, die Negativität der zuerst gereizten Stelle immer fortbestände, in- zwischen aber alle anderen Stellen, die bereits in Y/ıo Sekunde in Erregung geraten sind, und da selbst, wenn wir einen ziekzack- mässigen Verlauf nach Nicolai annehmen wollten, doch immerhin Zur Deutung des Elektrokardiogramms. 573 in etwa einem Drittel der Systolenzeit alle Teile erregt sein müssen, wäre nach der kurzen Zeit, die zwischen R und $ liegt, eine Nega- tivität der Spitze gegenüber der Basis nicht möglich, da diese doch noch erregt, also elektrisch wirksam geblieben sein müsste, und es könnte also kein diphasischer Strom entstehen. Deshalb muss, wenn die Spitze erregt wird, die Negativität, d. i. die Erregung der Basis, nachgelassen haben. Wenn also die Kontraktion einsetzt, dann kommt rasch eine Zeit, in der sich das ganze Herz zwar peristaltisch zusammenzieht, eine Zeit, in der aber wenigstens kurze Zeit durch das bestehende isoelektrische Verhalten aller Teile das ganze Herz sich isoelektrisch verhält, d.h. keine Aktionsströme erzeugt. Erst wenn das Herz teilweise zu erschlaffen be- sinnt, werden die zuletzt aus der Kontraktion erschlaffenden, also noch tätigen Partien gegenüber den schon erschlafften nicht mehr tätigen wieder zinkartig reagieren, und so kann wieder eine ablenkbare Potentialdifferenz entstehen, falls diese Teile näher der Basis oder näher der Spitze gelegen sind. Diese Anschauung findet sich schon bei Bayliss und Starling!). Nach den Untersuchungen von Hering wissen wir, dass die Papillarmuskeln und damit die Spitze des Herzens sich zuerst kontrahiert, und dass die Kontraktion an der Basis zuletzt erschlafft. Dadurch ist es ermöglicht, dass auch zum Schluss des Kardiogramms des einzelnen Herzschlages sich wieder eine nach oben ausschlagende Welle finden kann. Diese Welle der durch langsame Erschlaffung der Muskeln allmählich ent- stehenden und vergehenden Potentialdifferenzen kann nun auch den langsamen Verlauf der Zacke 7 erklären. Hieraus geht also hervor, dass wir es mit zweierlei Dingen bei dem Elektrokardiogramm zu tun haben müssen: mit einer Reizwelle und mit einer Kontraktions- welle; die Reizwelle ist von der Kontraktion unabhängig. Die Kontraktionswelle setzt nach Ablauf der ersteren ein, nur ein Teil der letzteren tritt als eigentliche Welle bei T auf, da vorher alle Teile des Herzens eine kurze Zeit keine merkbaren Potential- differenzen zeigen. Erst wenn die Kontraktion partiell nachlässt, also bei Beendigung der Kontraktion, können wieder Potential- differenzen auftreten, die, da die Basisgegend zuletzt erschlafft, eine nach aufwärts gerichtete Zacke 7 erzeugen als Ausdruck l) Bayliss und Starling, Intern. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol. Bd. 9 8.7. 574 Aug. Hoffmann: dafür, dass zum Schluss die Basis wieder gegenüber der Spitze negatives Potential zeigt. Diese Erklärung würde auch am besten das mitunter beobachtete Negativwerden der Welle 7 erklären. Wie Salzmann!) fand, ist mitunter der Ablauf der Kontraktion anders als von der Spitze zur Basis. Dies ist vielleicht auch in Fällen eines negativen 7 der Fall. Eine Analogie zu dem von mir angenommenen Verhalten, dass eine Erregungswelle der Kontraktion auf eine bestimmte Zeit voraus- seht, dass also die Erregung nicht identisch mit der Kontraktion ist, bietet die von Burdon-Sanderson?) 1882 mitgeteilte Unter- suchung über elektrische Erscheinungen am Dionaeablatt. Er fand, dass bei dieser Pflanze gleich wie an den reizbaren Organen der Tiere jede Schliessbewegung der Blätter, welche durch mechanische oder auch elektrische Reizung hervorgerufen wird, von einer elektri- schen Veränderung begleitet ist, und zwar fängt dieser Aktionsstrom frühestens 0,03 Sekunden nach der Reizung an, pflanzt sich mit der Geschwindigkeit von 200 mm in der Sekunde fort, während die mechanische Bewegung erst nach 1—1,5 Sekunden latenter Reizzeit beginnt und viel langsamer fortschreitet. Hier haben wir zwischen Aktionsstrom und mechanischer Bewegung (Kontraktion) also eine enorme Pause, wir sehen hier die Erregungswelle ganz isoliert von der Kontraktion verlaufen. Burdon-Sanderson setzt diese Er- scheinungen direkt in Parallele zu den elektrischen Erscheinungen in gereizten tierischen Geweben, wenngleich die physikalischen Vor- gänge bei der Bewegung andere sind. Die von mir versuchte Erklärung des Elektrokardiogramms als einer Kurve der Erregbarkeit des Herzens plus dem Ende einer Kontraktionskurve erklärt also die bisher von früheren Beobachtern nieht recht unterzubringende Zacke 7, die nicht nur in ihrem zeit- lichen Verhalten zu den ersten Zacken, sondern auch in ihrer Form und ihrem verspäteten Auftreten durch alle bisher gegebenen Er- klärungsversuche nicht einwandfrei untergebracht werden konnten. Für die klinische Bedeutung des Elektrokardiogramms halte ich die Auffassung desselben, wie sie hier gegeben, für aussichtsreicher als die bisherigen Erklärungen. Schon liegt eine Menge klinischen und 1) Salzmann, |. c. 2) Burdon-Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea- blatt. Biolog. Zentralbl. Bd.2. 1832, und Bd. 9. 1889. Zur Deutung des Elektrokardiogramms. 575 experimentellen Materials vor, welche nicht recht in Übereinstimmung gebracht werden konnte. Auch für Abweichungen des Verlaufes der Gruppe R trifft dieszu. So beobachtete Hering!), dass bei Vagus- stillstand auftretende Kammerelektrokardiogramme den Elektrokardio- grammen von Extrasvstolen gleichen; Kahn) fand bei der Arbeit des linken Ventrikels unter isometrischen Bedingungen atypische Elektro- kardiogramme, die dem von Kraus und Nicolai”) angegebenen Schema für den linken Ventrikel entsprechen, während sie zeitlich als elektrischer Ausdruck des sich zu dieser Zeit dissoziiert schlagenden rechten Ventrikels aufzufassen sind. Es handelt sich aber dabei wohl nur um einen abnormen Gang der Erregungswelle. Auch fand er bei Vagusreizung ein Negativwerden von T, was durch Änderung des Kontraktionsablaufes resp. der Richtung der Erschlaffung des Herzmuskels zu erklären ist. Vor allen Dingen werden auch ver- ständlich die bei Extrasystolen auftretenden atypischen Elektro- kardiogramme, wie ich sie bei Dissoziation von Kammer und Vorhof klinisch und experimentell gesehen habe. Veränderungen des instanten Teils werden uns verständlich und erklärlich, wenn wir darin Veränderungen des Erregungsablaufes sehen. Es ist uns auch verständlich, dass die Erregbarkeit trotz erlahmender Kontraktili- tät gesteigert sein kann. Sucht man sich nach diesen Ausführungen ein Bild davon zu machen, was im typischen Elektrokardiogramm des Herzens verzeichnet wird, und in welcher Weise die Form desselben zustande kommt, so wäre die Zacke P als Ausdruck der Erregung der Vorhöfe aufzufassen. Die folgende gerade Strecke wird von der Zeit ausgefüllt, in der die muskelschwachen Vorhöfe sich kontrahieren, und die die Erregung braucht, um durch die His’sche Muskelbrücke zu den Kammern zu gelangen. Diese Leitung erfolgt ja sehr langsam. Aber nicht zur Basis der Kammern geht die Leitung durch das His-Tawara- sche Fasersystem, sondern direkt zum Ansatz der Papillarmuskeln. Über elektromotorische Vorgänge bei der Erregung glatter Muskel- fasern ist nichts bekannt [Grützner*). Makenzie und Kühn 1) Hering, Experimentelle Studien an Säugetieren über das Elektrokardio- gramm. Pflüger’s Arch. Bd. 127 S. 155. 2) Kahn, cc. 3) Kraus und Nicolai, Über die funktionelle Solidarität beider Herz- hälften. Deutsche med. Wochenschr. 1908 Nr. 1. 4) Grützner. 576 Aug. Hoffmann: vermissten elektrische Erscheinungen an den bewegten Muskelmassen des Darms und der Uretra. Langsam bewegliche Muskeln sind nicht zur sekundären Erregung von Froschnerven geeignet (Biedermann). Es ist deshalb verständlich, dass in den Elementen des Vorhof- Kammerleitungssystem während des Durchganges der Erregung wirksame und messbare Potentialdifferenzen nicht auftreten. Der instante Teil des Kammerelektrokardiogramms, die Gruppe R, setzt sich, wie man auch beim Menschen in vielen Fällen beobachten kann, aus drei Zacken, ©, R, S, zusammen; von diesen ist © klein und nach abwärts gerichtet, R nach oben und $ wieder nach abwärts. Man kann wohl mit Recht annehmen, dass die Frregungswelle in ihrer Verlaufsrichtung der ihr nachfolgenden Kontraktionswelle ent- spricht. Nach Hering!) und Salzmann?) tritt die erste Kontraktion der Kammer in den Papillarmuskeln, und zwar an der Basis der- selben auf. Es muss deshalb auch die erste Erregung die Basis der Papillarmuskeln treffen, von hier schreitet die Erregung nach dem Ende derselben also aufwärts fort. Es sind also zunächst der Spitze näher liegende Teile in Erregung, und damit gegenüber der Basis elektronegativ. Diesem Verhalten würde die initiale Zacke & entsprechen, die meist klein ausfällt entsprechend dem kurzen Ver- lauf der Papillarmuskeln. Die Erregung schreitet dann rasch zur Basis fort, und zwar zu einer Zeit, in der die Kontraktion noch nicht eingesetzt hat. Dadurch entsteht die ausgesprochene Negativität an der Herzbasis, welche in der Zacke R sich kundgibt! Dann verbreitet sich die Erregungswelle von der Basis wieder zur Spitze, dieses würde der Welle $ entsprechen. In diesem Moment setzt die Kontraktion ein, und die gesamten Herzkammermuskeln sind dadurch nach und nach in einen eine Zeitlang andauernden gleich- mässigen elektrischen Zustand versetzt, bis dann, wie oben ge- schildert, in der Erschlaffungszeit die Zacke 7 entsteht. Ich bin mir wohl bewusst, dass eine so detaillierte Erklärung für den in- stanten Teil der Kammerelektrokardiogramme noch weiterer Unter- suchungen und genaueren Studiums bedarf, und ich bin weit davon entfernt, diese Erklärung als eine abschliessende hinzustellen. Vor allem wird man dabei mit sich gegenseitig addierenden oder auch sich entgegengesetzt verhaltenden gleichseitigen Erregungen ver- schiedener muskulärer Teile des Herzen rechnen müssen. Es soll YAsc DO)iL.e Zur Deutung des Elektrokardiogramms. SL, hier nur der Versuch gemacht werden, den eigentümlichen Ver- lauf der Zacke R, die, wie oben nach gewiesen ist, der Kontrak- tion vorangeht, zu erklären oder doch darzulegen, dass nach An- ordnung des Herzmuskels ein solcher Erregungsverlauf möglich ist. Bei allem muss man sich vor Augen halten, dass bei dem komplizierten Bau des Herzmuskels und Herznervensystems sich Erregungsvorgänge nach verschiedenen Stellen zugleich ausbreiten müssen, dass je nach Richtung der Fasern Subtraktionen und Summationen der elek- trischen Ausschläge erfolgen müssen, und dass diese möglich sind, zeigen ja die von mehreren Menschen zu gleicher Zeit aufgenommenen Elektrokardiogramme. Je nachdem hier die Systole der Herzen von zwei Personen, die sich die rechte und linke Hand gegeben haben und mit der rechten und linken Hand in die Ableitungs- gefässe eintauchen, zusammenfallen oder nacheinander erfolgen, entstehen grössere oder kleinere Ausschläge. Daraus folgt, dass Summation und Subtraktion sich im Elektrokardiogramm aus- drücken müssen. Diese werden auch ganz wesentlich dureh die Lage des Herzens im Körper beeinflusst. Es wird durch die üblichen Ableitungsstellen an den Extremitäten eine Summe von Potential- differenzen, welche den verschiedenen Teilen des Herzens entstammen, abgeleitet, und durch Drehung und Verlagerung des letzteren muss die Summe aus verschiedenen Teilen bestehen. Dass trotzdem die Form des Elektrokardiogramms so konstant ist, ermöglicht es viel- leicht, gröbere Abweichungen der Form auf pathologische Verhältnisse zurückzuführen, während feinere Abweichungen durch unberechenbare Umstände schon hervorgerufen werden. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Kürzere und längere Systolen mit verschieden hohem 7 in derselben Kurve. Die kürzeren Systolen haben eine höhere Zacke T als die längeren. Fig. 2. Elektrokardiogramm und Suspensionskurve des Ventrikels einer Tem- poraria gleichzeitig übereinander geschrieben. Die Latenzzeit beträgt zwischen Beginn des Elektrokardiogramms und Beginn der Ventrikelzuckung 0,18 Sek. Fig. 3. Elektrokardiogramm und Spitzenstoss gleichzeitig mittelst zweier Galvano- meter aufgezeichnet. Zeit 0,04 Sek. Der Spitzenstoss wurde mit dem Edel- mann?’schen Telephon aufgenommen und die Schwingungen wurden auf ein kleines Saitengalvanometer übertragen. Die Latenzzeit beträgt 0,08 Sek, 978 Aug. Hoffmann: Zur Deutung des Elektrokardiogramms. Fig. 4. Muskarin- Atropinversuch. Rana esculenta schwach curarisiert. Elektro- Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig Fig kardiogramm abgeleitet von Sinus und Herzspitze mit Neusilber Serres-fines. Kammerspitze suspendiert. «) Beginn der Wirkung von 0,25 mg Muskarin in den Lymphsack gebracht. 5) Vollständiger Kammerstillstand. Es ist weder am Vorhof noch an der Kammer irgendeine Bewegung zu bemerken. Trotz- dem entstehen spontan Kammer- und Vorkammer-Elektrokardiogramme. Die Zacke T fehlt dem Kammerelektrokardiogramm. Bei c) erste Wirkung von 0,0002 Atropin. Die Zacke R wird trotz zunehmender Grösse und Kraft der Systolen nicht grösser, sondern kleiner wie beim absoluten Kammerstillstand. Die Gruppe 7 erscheint wieder. Die Latenzzeit, welche bei der Muskarin- wirkung 0,2 Sek. betrug, wird erheblich verlängert auf 0,28 Sek. d) e) Weitere Atropinwirkung: Suspensionskurve wird höher. R kleiner. 5. Gastrogene Extrasystolenirregularität beim Menschen. R1 und R3 sind in der Höhe gleich. R2 ist, trotzdem Systole 2 kleiner ist wie $1 und 53, grösser als das zu 1 und 2 gehörige R. Obwohl 53 grösser ist als 81 und 2, ist doch R2 nicht grösser. Die Latenzzeit der Extrasystole auf Carotispuls bezogen ist grösser. 6. Elektrokardiogramm der Bowditch’schen Treppe. R. temporaria. 7. Ableitung « von Sinus und Spitze b von Kammerbasis und Spitze. Bei b fehlt P. 8. Rana esculenta. Herz ausgeschnitten am Sinus auf Korkplatte im Trichter befestigt. Spitze suspendiert. Der Trichter wird mit destiliertem Wasser gefüllt. Beginn des Versuches 11 Uhr vorm. a) 11 Uhr 15 Min. 5) 11 Uhr 25 Min. <) 11 Uhr 35 Min. Stillstand von Kammer und Vorhof. d) Dito mit grösserer Empfindlichkeit des Galvanometers gezeichnet. 11 Uhr 40 Min. 9. Extrasystolen des Stanniusschen Versuchs. Rana temporaria. Ligatur zwischen Atrium und Kammer. Elektrokardiogramme der mit einem spitzen Glasstab gereizten Kammern a an der Spitze b an der Basis. 10. a) Ausgeschnittenes Herz von Rana esculenta. Durch Liegen auf Eis abgekühlt. In der Länge der Systolen alternierender Rhythmus. Zu jeder Systole gehört ein in der Länge gleichsinnig alternierendes Elektrokardio- gramm. Zeit (unten) 0,2 Sek. 10 db) Einwirkung der Kälte auf ein Herz von Rana esculenta in Situ. Elektrokardiogramm von der Kammer. Der Vorhof wurde durch Anlegen eines Schiebers immobilisiert. a) Einwirkung von Kälte. Das Kammerelektro- kardiogramm abgeleitet von Kammerbasis und Herzspitze hat eine Dauer von 1,9 Sek. Die mechanische Systole dauert 1,7 Sek. b) Nach Einwirkung eines erwärmten Luftstroms auf das Herz. Die Dauer des Elektrokardiogramms der Systole ist 1,26 Sek., die der mechanischen Systole 1,3 Sek. Die Höhe von R ist bei a: 6 mm, bei b: 9,2 mm. Die Höhe der mechanischen Systole ist umgekehrt 26 bzw. 32 mm. Zeit 0,04 Sek. on ER Pflüger's Archiv für die ges. Physiologie. Ba. 188. Ir a re eitı MIT 1 ÄRTTITTITLTNRATANA NN NENNT ILNWINLLNMIIIINIINTELLLHLIN 0,18 Sec. Fig. 2. 4 EHERER LER en zus & fi - IS I ge : : . NND RR NINE \ IRARRFRRKERT \ NEINEEERNI ANAND ROLE LEN ON Verlag von Martin Hager, Bonn. Hömmler & Jonas, Drosdon. RE Pflüger’s Archiv für die ges. Physiologie. Bd. 188. | ITIT IN, i a Verlag von Martin Hager, Bonn. Tafel XI. Ill! ) | | | | LER Ill Biabe RBömmler & Jonas, Dresden. Ki 2 > [4 Be KERNE Pflüger's Archiv für die ges. Physiologie. Bd. 183. Tafel XI, ana DIRTEFTETTETFETEERTTETETTERERTECETTTT Fig. Sb. Fig. Sc. Fig. 8d. Verlag von Martin Hager, Bonn. ans at HAE Ta X Kr a BR Na ve HUnEER EL al ERROR a6 hl 0 0 Dart H nu Ef 1 Tafel XII. Pflüger's Archiv für die ges. Physiologie. Bd. 133 Verlag von Martin Hager, Bonn Bömmler & Jouas, Dresden. 979 (Aus dem physiologischen und dem pharmakologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) Die Störungen der Herztätigkeit durch Glyoxylsäure (Pulsus alternans) im Elektrokardiogramme. Von Privatdozent Dr. R. H. Kahn und Dr. E, Starkenstein. (Hierzu Tafel XTV—XVL) Die merkwürdigen Störungen der Herztätigkeit durch Glyoxyl- säure sind bereits mehrfach Gegenstand eingehender Untersuchung gewesen. Die ersten Angaben über die Erzielung typischer Herz- störungen durch diese Substanz finden sich bei Adler!). Die Er- gebnisse seiner Untersuchung bezüglich des Warmblüterherzens bestanden in folgendem: Die intravenöse Injektion von glyoxylsaurem Natron verursacht anfänglich leichte Drucksteigerung und verlang- samt die Schlagfolge des Herzens, weitere Infusionen lösen allmählich Sinken des Blutdrucks unter zunehmender Verlangsamung der Schlag- folge und gleichzeitiger Grössenabnahme der Einzelkontraktionen aus. Als Ausdruck direkter Schädigung des Herzmuskels kommt es sodann zum Pulsus alternans und schliesslich unter allmählicher Abnahme der Frequenz zur totalen Lähmung unter Aufhebung der direkten Anspruchsfähiekeit des Muskels. Atropinisierung oder Durch- schneidung der Vagi ändern nichts am Ablauf der Herzphänomene. Der hier erwähnte typische Befund von Herzstörung, nämlich der durch Glyoxylsäure erzeugte Pulsus alternans, ist dann Gegenstand einer weiteren Untersuchung des einen von uns [Starkenstein]’) gewesen. 1) ©. Adler, Wirkung der Glyoxylsäure auf den Tierkörper. Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. Bd. 56 S. 207. 1907. 2) E. Starkenstein, Über experimentell erzeugten Pulsus alternans. Zeitschr. f. exper. Path. u. Therapie Bd. 4. 1907. 580 R. H. Kahn und E. Starkenstein: Diese Untersuchung bestätigte zunächst die Beobachtungen Adler’s, dass das Auftreten dieser Erscheinung eine konstante Folge der Glyoxylsäurevergiftnng darstellt. Es ergab sich unter Be- rücksichtigung der bereits in der Literatur mitgeteilten Fälle von experimentell erzeugtem Pulsus alternans die Anschauung, dass die Fähigkeit, dieses Phänomen auszulösen, im wesentlichen nur solchen Körpern zuzuschreiben sei, deren primäre Wirkung auf das Herz als Erregung festgestellt werden konnte (z. B. Digitalisglykoside). Dementsprechend gelang es auch, durch Anwendung solcher Agentien, welche eine Lähmung der Herztätigkeit zur Folge haben (Chloral- hydrat und Chinin), die erwähnte Erscheinung zum Schwinden zu bringen, bzw. ihren Eintritt zu verhindern. Auf Grund der beiden eben erwähnten Untersuchungen war die Mögliehkeit gegeben, im Experiment an der Hand eines sicher wirkenden Mittels den Herz- und Pulsalternans zu erzeugen, ein Umstand, welcher dem weiteren Studium dieser Herzunregelmässig- keit in ausgezeichneter Weise zu Hilfe kommen musste. So ist es Hering!) durch experimentelle Erzeugung des Pulsus alternans mit Hilfe der Glyoxylsäure möglich gewesen, zu bestimmter Anschauung über das Wesen dieser Herzunregelmässigkeit zu ge- langen, welche im wesentlichen darin besteht, „dass zur Zeit der kleinen Systole ein Teil der Muskelfasern auf die ankommmende Erregung nicht reagiert, dass man es also beim Herzalternans mit einer periodisch auftretenden partiellen Herzasystolie zu tun hat“. Die Untersuchung des experimentell erzeugten Pulsus alternans mittelst der Registrierung der Aktionsströme des Herzens ist ebenfalls von Hering?) unternommen worden. Das wesentlichste Ergebnis dieser letzteren Untersuchungen, welches aus den der erwähnten Arbeit beigegebenen Kurven zu ent- nehmen ist, scheint uns — worauf auch gelegentlich der Mitteilung der Untersuchungsresultate in Wiesbaden F. Kraus?) hingewiesen hat — der Umstand zu sein, dass auch der zweite schwächere Herz- schlag eingeordneter Herzschlag ist und kein derart abnormer, wie er als elektrischer Ausdruck der ventrikulären Fxtrasystole (Bigeminus) festgestellt ist. 1) H. E. Hering, Das Wesen des Herzalternans.. Münchner medizin. Wochenschr. 1908 Nr. 27. 2) H. E. Hering, Experimentelle Studien an Säugetieren über das Elektro- kardiogramm. II. Zeitschr. f. exper. Path. u. Therapie Bd. 7 S. 363. 1909. 3) Verhandl. d. Kongr. f. inn. Medizin in Wiesbaden 1909 S. 651. Die Störungen der Herztätigkeit durch Glyoxylsäure (Pulsus altern.) etc. 581 Schliesslich ist zu erwähnen, dass es Kraus und Nicolai!) nicht gelungen ist, durch Anwendung der Glyoxylsäure den Pulsus alternans zum Zwecke des Studiums seines Elektrokardiogramms hervorzurufen. Kraus und Nicolai sehen danach nur verschiedene Ab- weichungen, darunter auch einen Wechsel von J (R), aber keine längeren Reihen von Alternans. Da die während des Alternans am Herzen sich abspielenden Vorgänge auch für Pathologie und Klinik bedeutsam sind, berichten wir im folgenden über eine weitere Reihe diesbezüglicher Versuche. l: Zu unseren Experimenten wurde ein Glyoxylsäurepräparat be- nützt, welches uns die chemische Fabrik Kinzelberger & Co. in Prag in zuvorkommender Weise zur Verfügung gestellt hatte. Die Lösung war ca. 60 °/oig und enthielt bedeutende Mengen freier Oxalsäure. Zur Orientierung jener, welche solche Versuche auszu- führen gedenken, muss hervorgehoben werden, dass es notwendig ist, die Oxalsäure mit CaCl, zu entfernen, mit Na,CO, zu neutrali- sieren und Lösungen von ca. 5°/o glyoxylsaurem Natron zu ver- wenden. Schwächere Konzentrationen führen, wie schon in früheren Arbeiten (Starkenstein, ]. ec.) hervorgehoben ist, zu keinem Resultat, allzu starke dagegen erzeugen schwere Schädigungen des ganzen Kreislaufs vor Eintritt jeder typischen Glyoxylsäurewirkung. Sämtliche im folgenden zu beschreibenden Versuche wurden derart angestellt, dass die Herzaktion (Blutdruck, Ventrikeldruck) des Hundes mit einem oder mehreren G ad schen Blutwellenschreibern am Kymographion registriert wurde, während zu gleicher Zeit die Aufnahme des Elektrokardiogramms stattfand. Die Tiere wurden eurarisiert, künstlich geatmet und die Injektion des Präparates er- folgte in die Vena femoralis. Es empfiehlt sich, die Injektion mittels einer Bürette vorzunehmen, weil die zu verwendenden Mengen er- hebliehe sind und eine kontinuierliche und langsame Infusion be- züglich der Erzielung einer typischen Wirkung der raschen Injektion grösserer Mengen mittels einer Spritze vorzuziehen ist. I) F. Kraus und G. Nicolai, Das Elektrokardiogramm . des gesunden und kranken Menschen. Veit & Co., Leipzig 1910. 582 R. H. Kahn und E. Starkenstein: Was die Aufnahme des Elektrokardiogramms betrifft, so verweisen wir bezüglich der allgemeinen Aufstellung der dazu not- wendigen Spezialhilfsmittel auf die in den Untersuchungen des einen von uns [Kahn] !) gemachten speziellen Angaben. Die Ableitung zum Saitengalvanometer erfolgte von den Extremi- täten in der Einthoven’schen Anordnung II (rechts vorn, links hinten). In sämtlichen zur Besprechung gelangenden Elektrokardio- srammen bedeutet die Länge eines kleinen Quadrates des Koordinaten- netzes in der Abszisse 0,045 Sek., so dass also die Distanz zweier starker senkrechter Linien etwas über 0,2 Sek. beträgt. Die Spannung der Saite wurde in allen Fällen nach der Methode Einthoven’s so geregelt, dass eine Ordinatenhöhe von 10 mm (5 kleine Quadrat- seiten) 1 Millivolt entspricht. Leider machten sich in diesen Versuchen die in einer früheren Arbeit des einen von uns [Kahn] ?) über das Elektrokardiogramm künstlich hervorgerufener Herzstörungen erwähnten Übelstände ebenfalls geltend. Sie bestehen darin, dass bei der zur Verfügung stehenden Registriereinrichtung die Länge der Registrierfläche bloss 50 em, die Dauer der Registrierung bei der notwendigerweise zu wählenden Geschwindigkeit höchstens 12 Sek. beträgt, so dass man darauf angewiesen ist, aus den der Vergiftung folgenden Erscheinungen mehr oder weniger dem Zufall entsprechend kleine Perioden heraus- zuschneiden. Da man nun aber den Verlauf der Erscheinungen im Einzelfalle nicht voraus weiss, so verlaufen viele mühsam angestellte Versuche erfolglos. Es wäre natürlich in diesem Faile die Verwendung eines Registrierapparates mit sehr langer photographischer Registrierfläche von grossem Vorteil. Um nun über die der elektrographischen Untersuchung unter- zogenen Teile des ganzen Ablaufs der Herzaktion genau orientiert zu sein, wurde wiederum die Einrichtung getroffen, dass der elek- trische Strom, welcher den Spalt des Registrierapparates für das Galvanometer elektromagnetisch öffnet, zugleich ein elektromagnetisches Signal bediente, welches auf dem berussten Papier die Dauer der l) R.H. Kahn, Beitrag zur Kenntnis des Elektrokardiogramms. Pflüger’s Arch. Bd. 126 S. 197. 1909. — Derselbe, Pflüger’s Arch. Bd. 129 8. 291. 1909. 2) R. H. Kahn, Die Störungen der Herztätigkeit durch Adrenalin im Elektrokardiogramme. Pflüger’s Arch. Bd. 129 S. 379. 1909. Die Störungen der Herztätigkeit durch Glyoxylsäure (Pulsus altern.) etc. 583 Registrierung des Elektrokardiogrammes genau verzeichnete. Auf diese Weise war es also ermöglicht, jene Teile der am Kymographion registrierten Kurven genau zu bestimmen, welche den Elektrokardio- grammen entsprechen, sowie die zusammengehörigen Details in beiden Kurven durch Auszählen festzustellen. Von den auf diese Weise gewonnenen Negativen erscheint eine Anzahl von Kopien im Folgenden reproduziert. Da diese Reproduktionen natürlich die Güte des Originals nie völlig ereichen können, sind wir gerne bereit, auf Verlangen Original- abzüge unserer Negative abzugeben. 11. Wir beginnen mit der ausführlichen Schilderung einer An- zahl von Versuchen, welche alle nach der beschriebenen Anordnung ausgeführt wurden. Die Injektion der Glyoxylsäure verursacht einen typischen Ver- siftungsverlauf,. Die Geschwindigkeit des Ablaufs desselben lässt sich sowoll durch Änderung der angewandten Dosen als auch dureh Änderung der Applikationsgeschwindigkeit auf längere oder kürzere Zeit ausdehnen. Individuelle Schwankungen scheinen übrigens bei verschiedenen Versuchstieren ebenfalls eine Rolle zu spielen. Wir geben zunächst in den Fie. 1 und 2 auf Taf. XIV den raschen Verlauf der vorkommenden Erscheinungen nach rascher Injektion von ca. 10 cem unserer etwa 5°/oigen Lösung wieder. Die Er- scheinungen waren folgende: Kurze Zeit nach der Injektion beginnt der bis dahin regel- mässige Ablauf der Herzschläge (mit einem Gad’schen Blutwellen- schreiber aus der Karotis registriert) unregelmässie zu werden. Es folgen kleinere und grössere Druckpulse in unregelmässiger Weise kurze Zeit aufeinander, plötzlich entsteht eine scheinbare Verlangsamung der Pulsfrequenz, während sich schon nach wenigen Pulsen ein ausgesprochener Alternans entwickelt, indem der kleine Puls desselben aus dem absteigenden Schenkel der Pulskurve gleich- sam herauszuwachsen scheint. Diese Pulsform, welche gelegentlich insofern aussetzt, als der kleine Pulsschlag zu fehlen scheint, dauert einige Zeit an und geht schliesslich in eine Pulskurve über, bei welcher grosse, gleichhohe und gleichgeformte Einzelpulse in an- nähernd halber Frequenz gegen die normale aufeinanderfolgen. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 183. 38 584 R. H. Kahn und E. Starkenstein: Nachdem dieser Zustand eine Weile angedauert hat, geht er wieder in die vor der Injektion bestehende Pulsform über. Die Verteilung dieser Erscheinungen auf den ganzen Verlauf der Unregelmässiekeit bzw. der allmähliche und unvermittelte Über- sang der einen Erscheinung in die andere kann wesentlich durch Änderung der angewendeten Dosen und der Gesehwindiekeit der Applikation beeinflusst werden. So ist es nicht schwierig, den zuletzt geschilderten Zustand der Pulsverlangsamung plötzlich nach dernormalen Pulsfolge eintreten oder den endlichen Übergang der Herzstörungen zu normalen Verhältnissen auf dem Wege des Alternans bzw. plötzlich erfolgen zu lassen. Des weiteren ist es von besonderer Wichtigkeit, dass man sowohl den ausgesprochenen Pulsus alternans als auch den in der geschilderten Pulsverlangsamung bestehenden Zustand durch Anwendnng entsprechender Applikationsverhältnisse für längere Zeit ungeändert aufrechterhalten kann. Auch von der steten Gültigkeit der in der oben erwähnten Untersuehung ') vorgetragenen charakteristischen antagonistischen Wirksamkeit lähmender Herzgifte während des Ablaufs der Glyoxyl- säurewirkung haben wir uns neuerlich überzeugt. So bringen wir als Beispiel in Fig. 3 der Taf. XIV die plötzliche Rückführung der Vergiftungserscheinungen durch eine intravenöse Injektion von 3 cem einer 1°/oigen Lösung von Chinin. hydrochl. Während bereits seit längerer Zeit nach der Injektion von Glyoxylsäure die open erwähnte Halbierung (eigentlich handelt es sich, wie die kleine am absteigen- den Schenkel der Pulskurve bemerkbare Zacke andeutet, um einen hochgradigen Alternans) andauerte und vermutlich auf Grund früherer Erfahrungen auch noch längere Zeit angedauert hätte, sehen wir ziemlich unvermittelt für wenige Herzschläge das Auftreten eines leichten Alternans, welcher sogleich wieder in eine Schlagfolge normal rascher, und hoher Pulsschläge übergeht. Wir beginnen nun mit der Schilderung eines Versuches, bei welchem ein längere Zeit dauernder typischer Alternans erzeugt wurde unter gleichzeitiger Registrierung des Elektrokardiogrammes. Fig. 4 auf Taf. XIV zeigt den normalen Ablauf der Herzschläge eines Hundes. Wir sehen deutlich ausgesprochene „Atem- schwankungen“ als Ausdruck der durch künstliche Atmung beein- flussten Verhältnisse im geschlossenen Thorax. 1) Starkenstein, |. ce. Die Störungen der Herztätigkeit durch Glyoxylsäure (Pulsus altern.) etc. 585 Aus dem gleichzeitig abgeleiteten Elektrokardiogramme geben wir in Fig. 5 auf Taf. XIV einen 18 Herzschläge umfassenden Aus- schnitt wieder. Das Elektrokardiogramm entspricht typischen Ver- hältnissen. Wir sehen eine hohe, spitze Vorhofzacke P, ein ent- sprechend hohes R und ein ausgesprochenes S. Die Nachschwankung T ist hoch und breit und positiv. Infolge der hohen Frequenz der Herzschläge ist die Vorhofszacke auf den absteigenden Ast der vorher- gehenden Nachschwankung superponiert. Die Atemschwankungen des Elektrokardiogramms sind deutlich }). Nach sehr langsamer Injektion von etwa 30 cem einer 5 /oigen Lösung von glyoxylsaurem Natron trat ein ganz typischer Pulsus alternans auf, welcher in der Druckpulskurve längere Zeit hindurch verfolgt werden konnte. Einen Ausschnitt aus den so gewonnenen Kurven zeigt Fig. 6 auf Taf. XIV. Wir sehen, dass durch das elektromaenetische Signal (unterste Linie) eine Anzahl von 33 Pulsen ausgeschnitten erscheint, von welchen abwechselnd einer nur die halbe Höhe des vorhergehenden besitzt. Der kleine Puls ist nieht verfrüht, sondern vielmehr deut- lich verspätet?). Es handelt sich also um einen ganz typischen Pulsus alternans. Die eben erwähnten 35 Pulse wurden elektrokardiographisch registriert, während die künstliche Atmung ausgesetzt wurde. Einen Ausschnitt, nämlich die Pulse 19—33, aus dem so gewonnenen Negative zeigt Fig. 7 auf Taf. XIV. Das Elektrokardiogramm weist einen deutlichen Alternans auf. Sämtliche Herzschläge lieferten vollständig normal ablaufende Elektrokardiogramme. Das Alternieren bezieht sich bloss auf verschiedene Form und Höhe der einzelnen Zacken. Die den hohen Pulsschlägen entsprechenden Elektrokardiogramme unterscheiden sich von den andern nur be- züglich des Kammerteils. Es entspricht nämlich dem hohen Pulse ein hohes R, ein kleineres S und ein breites niedriges 7, dem kleinen Pulse ein kleines R, ein grösseres $ und ein hohes spitzes T. Es erscheint also bei den grossen Pulsen das System RS im Anfangs- teile der Kammerkontraktion zleichsam nach unten gedrückt, die Nachschwankung hingegen wesentlich anders geformt und auch etwas 1) Vgl. hierzu: R. H. Kahn, Pflüger’s Arch. Bd. 126 S. 216. 2)H. E. Hering, Die Unregelmässigkeiten des Herzens. Verhandl. d. XXIII. Kongr. f. innere Medizin. Wiesbaden 1906. 38 * 586 R. H. Kahn und E. Starkenstein: höher. Die Unterschiede in den einzelnen Elektrokardiogrammen sind aber überhaupt nicht sehr gross, worauf in Anbetracht des Umstandes, dass die „normalen“, von verschiedenen Versuchs- tieren gewonnenen Flektrokardiogramme gelegentlich sehr von- oinander verschieden sind, besonders hervorgehoben zu werden verdient. Die Besonderheit in den Unterschieden liest bloss in dem regelmässigen Alternieren, während nochmals hervorgehoben werden möge, dass es sich in jedem Falle um ein normal gebautes Elektro- kardiogramm handelt. Das weist mit Sicherheit darauf hin, dass der Ablauf der Erregung im Herzen sowohl beim Zustandekommen des hohen als auch des niedrigen Pulsschlags derselbe und ein normaler ist. Diese letzterwähnte Tatsache zeigt also am besten den für die Einreihung des Alternans unter die Allorythmien wichtigen Umstand der bezüglich des Erregungsablaufs herrschenden Gleichwertigkeit aller einanderfolgenden Herzschläge. Wir gehen nun zur ausführlichen Besprechung eines anderen Falles über, in welchem die Aufnahme des Elektrokardiogrammes zur Zeit des Vorhandenseins einer anderen Äusserungsform des Alter- nans gelang. Fie. 8 auf Taf. XV zeigt den normalen Ablauf der Herzschläge eines Versuchstieres bei Aussetzen der künstlichen Atmung. Aus dem gleichzeitig gewonnenen Flektrokardiogramme reproduzieren wir in Fig. 9 der Taf. XV eine Anzahl aufeinanderfolgender Herzschläge. Wir sehen wiederum die Zacken PR und 7 gut aus- gebildet, die Zacke S aber nur angedeutet. Auch hier erkennt man die Superposition von P auf den absteigenden Schenkel der vor- hergehenden Nachschwankung. Nach einer entsprechenden Dosis der Glyoxylsäurelösung (5 °/o) trat der bereits eingangs besprochene Fall ein, dass unvermittelt aus dem normalen Ablauf der Herzschläge die Vergrösserung der Pulse mit Halbierung der Pulsfrequenz eintrat. (Fig. 10 auf Taf. XV). Diese dauerte einige Zeit an, um dann in einen typischen Alternans überzugehen, indem allmählich am absteigenden Puls- schenkel der niedrige Puls als kleine Zacke herauswächst. Wie man aus der Spurlinie des elektromagnetischen Signals erkennt, ist es ge- lungen, eine Anzahl von Pulsen dieses Alternans sowie auch noch drei Die Störungen der’ Herztätigkeit durch Glyoxylsäure (Pulsus altern.) ete. 587 Pulse aus der bereits eingangs geschilderten verlangsamten Pulsfolge elektrokardiogrammatisch aufzunehmen. Fig. 11 auf Taf. XV zeigt einen Ausschnitt aus dem Ablauf des Elektrokardioeramms, welcher die in der Pulskurve mit den Nummern 9—14 bezeichneten Pulse umfasst. Dieser Teil der Pulskurve weist sechs hohe und drei niedrige Pulsschläge auf, während die zugehörige Fig. 11 zwölf vollständige Elektrokardiogramme umfasst. Daraus ist bereits zu sehen, das auf jene Herzschläge, welche die hohen Pulse 12, 13, 14 verursachten, je ein Herzschlag gefolgt ist, welcher mangels eines erzeugten Pulses aus der Pulskurve nicht erschlossen werden kann. Betrachtet man zunächst die Elektrokardiogramme der ersten drei von niedrigen Pulsen gefoleten hohen Pulsschläge, so sieht man, dass sich die Form derselben von der Form der Elektrokardiogramme zur Zeit des normalen Ablaufs der Pulsschläge wesentlich unter- scheidet. Wohl sind auch diese Elektrokardiogramme vollständig und normal ablaufend, es hat sich aber eine sehr deutliche Zacke © ausgebildet, während die Zacke & völlig verschwunden ist. Die Nachschwankung, welche früher hoch und positiv gewesen war, ist in ihrer Form wesentlich geändert. Sie ist deutlich diphasisch, zu- erst negativ, dann positiv und von der R-Zacke durch eine nach der negativen Seite gebogene, stumpfe Zacke getrennt. Die Elektro- kardiogramme der drei niedrigen Pulsschläge sind ebenfalls voll- kommen und von normalem Verlauf. Indessen alternieren sie deutlich mit den eben beschriebenen. Das Alternieren bezieht sich wiederum auf den Kammerteil und besteht im wesentlichen in der veränderten Form der Nachschwankung. Man findet nämlich hier ein hohes, steiles und positives 7, welches von dem vorhergehenden R durch eine lange Pause getrennt ist. Dabei ist die Höhe von R etwas geringer als in den anderen Elektro- kardiogrammen. Wir sehen also in diesem Falle wesentlich dasselbe Verhalten wie in den zuerst beschriebenen: Sämtliche Elektrokardiogramme, mögen sie nun zu den hohen oder den niedrigen Pulsen gehören, entsprechen Kammerschlägen von normalem Erregungsablauf -und unterscheiden sich voneinander abwechselnd nur durch verschiedene Form und Höhe einzelner Zacken. Was nun die Pulse 12, 13 und 14 der Fig. 10 anlangt, so er- kennt man zunächst an der Hand des gleichzeitig aufgenommenen 588 R. H. Kahn und E. Starkenstein: Elektrokardiogrammes (Fig. 11), dass zwischen ihnen je ein voll- kommener Herzschlag aufgetreten ist. Die Elektrokardiogramme dieser drei Pulse, welche sieh in der Pulskurve nur sehr wenig an Höhe unterscheiden, sind untereinander, namentlich was die Nachschwankung anlangt, verschieden. Während der erste von ihnen (12) der Form der vorher beschriebenen grossen Pulsschläge entspricht, zeigen die beiden letzten eine mittelhohe, positive Nachschwankung. Die ungleiche Höhe dieser beiden letzten 7-Zacken wird da- durch vorgetäuscht, dass sich infolge der gleich zu besprechenden Verfrühung der dazwischenliegenden Herzschläge auf die erstere eine ‘ gleichzeitig auftretende Vorhofszacke superponiert. Die drei Herzschläge, in deren Gefolge kein Puls auftrat, weisen Elektrokardiogramme auf, welche zunächst erkennen lassen, dass die auf die Nummern 12 und 13 folgenden Herzaktionen bedeutend ver- früht eintraten, während der letzte derselben ein rechtzeitiger war. Alle drei Elektrokardiogramme sind vollständig, die verfrühten von einer kompensatorischen Pause sefolgt. Die Vorhofzacken der beiden verfrüht eintretenden Herzschläge fallen mit den Nach- schwankungen der vorhergehenden zusammen und verändern dadurch deren Höhe und Form. Die R-Zacken dieser drei Herzschläge sind sehr verschieden hoch, die Nachschwankungen ganz verschieden geformt. Aus dem Umstand, dass diese im Elektrokardiogramm noch vollständigen Herzschläge verfrüht eingetreten sind, liesse sich nach dem heutigen Stande der Anschauungen schliessen, dass es sich in den ersten beiden Fällen um Vorhofsextrasystolen mit folgender kompen- satorischer Pause handelte; auch das Fehlen des Pulses wäre aus der Verfrühung genügend zu erklären. Da aber auch der dritte vollständige, nicht verfrühte Herzschlag keinen Puls geliefert hat, scheint die Anschauung berechtigt, dass es sich in allen diesen drei Fällen um die Fortsetzung jener Herzunregelmässigkeit gehandelt hat, welche zu Beginn der ganzen Registrierung herrschte, nämlich um einen Alternans, welcher am Ende der registrierten Zeit so hochgradig wurde, dass der kleine Herzschlag keinen Puls mehr verursachte. Der auf Nr. 14 folgende pulslose und nicht verfrühte Herzschlag zeigt wieder dieselben Verhältnisse und Formen wie die vorher beschriebenen. Die Nachschwankung ist sehr hoch und spitz und von der AR-Zacke durch eine grössere Pause getrennt. Wir sehen also auch in diesem Versuch, wie in dem vorigen, als wesent- Die Störungen der Herztätigkeit durch Glyoxylsäure (Pulsus altern.) ete.. 589 lichste Erscheinung die Tatsache, dass die den kleinen Pulsen ent- sprechenden Herzschläge dieses in hohem Grade ausgesprochenen Alternans von vollständig normal ablaufenden Elektrokardiogrammen begleitet sind. Wir sehen aber auch, dass selbst in dem Falle, wo der Alternans so hochgradig ist, dass der durch den kleinen Herz- schlag erzeugte intraventrikuläre Druck nicht mehr genügte, um die Semilunarklappen zu öffnen und einen Puls zu erzeugen, immer noch ein geordneter Herzschlag vorliegt. . Bei der Wichtigkeit der geschilderten Tatsachen bringen wir nun weiter das Resultat eines dritten Versuches, welcher in gleicher Weise wie die vorhergehenden angestellt wurde. Es handelte sich um einen Hund, dessen normale Pulskurve und Elektrokardiogramm wir der Raumersparnis wegen nicht reproduzieren. Das Elektro- kardiogramm zeigt den normalen Ablauf der Herzschläge und besteht aus hoher, spitzer Vorhofschwankung, mittelgrosser R-Zacke, deutlich ausgesprochenem S und breitem, niedrigem positivem T. Nach Injektion einer entsprechenden Menge unserer Lösung von glyoxylsaurem Natron trat ein längere Zeit dauernder typischer Alternans ein, aus welchem eine Anzahl von Herzschlägen elektro- kardiographisch aufgenommen wurden. Aus Fig. 12 Taf. XV sind dieselben zu ersehen. Zu dieser Zeit handelt es sich um einen Alternans, bei welchem der kleine Herzschlag einen sehr niedrigen, aber deutlich ausgesprochenen und deutlich verspäteten Pulsschlag auslöste. Durch das elektromagnetische Signal sind 17 grosse Puls- schläge eekennzeichnet, deren Elektrokardiogramme sich auf dem Negative vorfinden. Aus diesem stellt Fig. 13 Taf. XV einen Aus- schnitt dar, welcher die zu den Pulsen 6—13 gehörigen Herzschläge umfasst. Wir sehen die Elektrokardiogramme bezüglich der Form und Grösse ihrer Zacken deutlich alternieren, während jedes Elektro- kardioeramm auf einen vollkommenen und normal ablaufenden Herz- schlag hinweist. Die zu den hohen Pulsschlägen gehörigen Elektrokardiogramme unterscheiden sich von den vor der Injektion während des normalen Ablaufs gewonnenen durch die Form der Nachschwankung, welche etwas höher und spitzer geworden ist, die den kleinen Pulsschlägen entsprechenden sind in Form und Grösse vollständig und regelmässig verschieden. Sie bestehen aus einer Vorhofszacke, einer hohen, im Anfang des aufsteigenden Teiles leicht geknickten R-Zacke und einer diphasischen Nachschwankung (zuerst negativ, dann positiv). Bei 590 R. H. Kahn und E. Starkenstein: Betrachtung der ganzen Kurve fällt es auf, dass die zu den kleinen Pulsen gehörigen Elektrokardiogramme wesentlich grösser sind als die zu den grossen Pulsen gehörigen. Das Alternieren ist ein regel- mässiges, die Frequenz sämtlicher Herzschläge ist die gleiche. 111. Der Umstand, welcher in den oben besprochenen, durch die Fig. 10 und 11 auf Taf. XV erläuterten Versuchen erkennbar war, dass das Elektrokardiogramm die doppelte Anzahl der Herz- schläge aufwies, als Pulse vorhanden waren, veranlasste uns, Versuche ‘anzustellen, in denen neben der Reeistrierung der Druckpulse und des FElektrokardiogramms auch die Druck- schwankungen in der linken Kammer verzeichnet wurden; denn es war von Interesse, das Verhalten des Herzens auch durch Verzeichnung der mechanischen Verhältnisse desselben während der Erscheinung zu beobachten, welche darin besteht, dass in einem gewissen Stadium der Vergiftung doppelt so viel Herzschläge als Karotispulse durch das Galvanometer angezeigt wurden. ' Wir geben im folgenden die Resultate eines solehen Versuches wieder, bei welchem am defibrinierten Tiere der intraventrikuläre Druck neben dem Karotisdruck durch einen Gad’schen Blutwellen- schreiber registriert wurde, der mit einem langen Katheder in Ver- bindung stand. Diesen letzteren führten wir durch die linke Karotis, die Aorta und das linke arterielle Ostium in die Höhle des linken Ventrikels ein und erhielten auf diese Weise die im linken Ven- trikel herrschenden Druckschwankungen auf dem berussten Papier. Fig. 14 auf Taf. XVI zeigt die normalen Verhältnisse. Wir sehen in der obersten Kurve den Ventrikeldruck verzeichnet. Man erkennt sehr deutlich die Vorhofszacke und das Plateau. Die untere Kurven- linie zeigt die Druckpulse der Karotis während des Stillstandes der künstlichen Atmung. Jedem Herzschlag entsprieht natürlich ein Karotispuls, die Frequenz beider ist eine regelmässige. Die durch das elektromagnetische Signal gekennzeichneten Herzschläge wurden elektrisch registriert. Aus dem so gewonnenen Negativ zeigt Fig. 16 auf Taf. XVI einen Ausschnitt, welcher die Pulse 9—25 umfasst. Das Elektrokardiogramm zeigt normale Verhältnise, PRS und 7. Nach Injektion der entsprechenden Dosis von glyoxylsaurem Natron trat in der Druckkurve der Karotis Pulsus alternans auf, welcher nach weiterer Injektion in jenen Zustand überging, bei Die Störungen der Herztätigkeit durch Glyoxylsäure (Pulsus altern.) ete. 591 welchem bei erhöhter Pulsgerösse eine scheinbare Halbierung der Pulsfrequenz für längere Zeit in Erscheinung trat. (Fig. 15 auf Taf. XVI.) Gleichzeitig mit dem Pulsus alternans erschien der Herzalternans, daran kenntlich, dass bei jedem zweiten Herzschlage die Höhe des intraventrikulären Druckes ein geringerer war. Zur Zeit der eben erwähnten Halbierung der Pulsfrequenz zeigt das Herz ausgesprochenen Alternans. Aus dieser Kurve geht also hervor, dass bei jedem zweiten Herzschlage der Ventrikeldruck nicht jenes Maass erreichte, welches genügt hätte, um die Semilunarklappen zu öffnen. Es stellt also die Erscheinung der Pulshalbierung im Verlauf des künstlich erzeugten Alternans ein hochgradigeres Stadium der Vergiftung dar als der Pulsus alternans selbst. Dieselbe Erscheinung findet sich in Fig. 13 der oben zitierten Arbeit Hering’s, in welcher sich an der Karotiskurve kaum eine Andeutung der kleinen Systole des linken Ventrikels vorfindet, während an der Suspensionskurve des rechten Ventrikels der Alternans sehr stark ausgeprägt ist. In Fig. 15 sehen wir wiederum jene Herz- und Pulsschläge angezeigt, welche sich auf dem Negativ der elektrischen Auf- nahme vorfinden. Aus diesen stellt Fig. 17 auf Taf. XVI einen Aus- schnitt dar, welcher die Herzschläge 5—12 umfasst. Das Alter- nieren der Elektrokardiogramme ist unverkennbar, die Form der- selben aber sehr verschieden. Obwohl es sich in allen Fällen um vollständig ablaufende Herzschläge handelt, weisen die Einzelheiten, namentlich die zu den grösseren Pulsen gehörigen Elektrokardio- gramme, hocheradige Unregelmässigkeiten auf. In Anbetracht des Umstandes, dass dieselben niemals am sonst unversehrten Tier zu beobachten waren, sind wir veranlasst, diese auf die zur Einführung des Katheders notwendige Defibrinierung (lange Versuchsdauer) zurückzuführen; denn eine solche, sowie das lange Verweilen des Katheders im Herzen überhaupt, kann wohl im- stande sein, den Ablauf der Herztätigkeit sehr abnorm zu gestalten. Die zu den vorhandenen Pulsen gehörigen Elektrokardio- gramme, die zu jenen Herzschlägen gehören, welche einen schwächeren Ventrikeldruckanstieg zufolge haben, stellen sich folgendermaassen dar: Auf eine gut ausgebildete Vorhofszacke folet ein System von mehrerer nach oben und unten gerichteten Spitzen, etwa fünf an der Zahl, welche hier das System ® R $ regelmässig ersetzen. 5923 R. H. Kahn und E. Starkenstein: Auf dieses Spitzensystem folgt eine sehr ausgeprägte, eigentümlich geformte hohe Nachschwankung. Mit diesen alternieren regelmässig, entsprechend den mit schwachem Druekanstieg einhergehenden Herz- schlägen, welche keine Karotispulse ausgelöst hatten, Elektrokardio- sramme, welche wiederum vollständig und weniger unregelmässig gebaut sind. Diese bestehen aus Vorhofszacke, mässig hohem R, deutlichem S und einer sehr hohen, spitzen Nachschwankung. Man sieht aiso, dass vollständig ablaufende Herzschläge von verschiedener Form miteinander regelmässig alternieren und erkennt weiter. dass die zur Darstellung aller drei Kurven notwendig gewesenen um- fassenden Maassnahmen das Elektrokardiogramm nicht klarer ge- stalten als die frühere einfache Versuchsanordnung. Wir erkennen aber weiter an dem angeführten Beispiel, dass wenigstens im Tierexperiment lange Reihen scheinbar gleichmässig ab- laufender verlangsamter Pulse einen Alternans in sich verbergen können, welcher auf Grundlage seleichzeitig aufgenommener Elektrokardio- gsramme sofort als soleher zu erkennen ist. Hierfür eignet sich die elektrische Registrierung, wie es scheint, auch deshalb besser als die gleichzeitige, in irgendeiner Weise vorzunehmende mechanische Registrierung, weil sie ohne besondere Eingriffe und umfassendere Maassnahmen sofort die wahren Verhältnisse im Herzen klarlest, während aus der gleichzeitigen Verzeichnung von Puls, mechanischer Herzaktion und Elektrokardiogramm zu ersehen ist, dass die mechanische Verzeichnung der Herzschläge selbst bereits mit einer grösseren oder geringeren Schädigung des Ablaufs der Herzaktion verbunden sein kann. Dass die in dem zuletzt vorgeführten Elektrokardiogramm (Fig. 17) auftretenden auffallenden Unregelmässigkeiten nicht mit der Glyoxyl- säurewirkung (hochgradiges Alternieren, Frequenzhalbierung) direkt. zusammenhängen, sondern vielmehr auf die mit der Methodik des Versuches zusammenhängenden Herzschädigungen zu beziehen sind, geht aus der regelmässig gemachten Beobachtung hervor, dass bei jenen einfachen Maassnahmen, welche zum Zwecke der blossen Re- gistrierung des Karotispulses angestellt wurden, das Elektrokardio- gramm bei völlig fehlendem niedrigen Pulse im Verlaufe des Alternans keine derartige Erscheinung erkennen liessen. Wir führen als weiteres Beispiel hierfür einen Versuch vor, in welchem nach langsamer Injektion. von im ganzen 18 ccm einer: Lösung von 5°/o elyoxylsaurem Natron der bis dahin herrschende Die Störungen der Herztätigkeit durch Glyoxylsäure (Pulsus altern.) ete. 593 Alternans so hochgradig wurde, dass für längere Zeit ein ganz regelmässig ablaufender Puls von etwa halber Frequenz gegen früher auftrat. Die Betrachtung der Pulskurve dieses Falles (Fig. 18 Taf. XVI) lässt keine Spur eines kleinen Pulsschlages erkennen, und bei blosser Betrachtung würde niemand, der über die Versuchsbedingungen nicht orientiert ist, darin einen Alternans vermuten. Das Elektrokardio- gramm zeigt aber ohne weiteres den wahren Sachverhalt: Aus der Reihe von 14 registrierten Schlägen der Pulskurve bringen wir die Elektro- kardiogramme der ersten sieben Druckpulse (Fig. 19 der Taf. XVD). Wir sehen, dass die elektrographische Kurve nicht sieben, sondern doppelt so viel Herzschläge aufweist, welche sich voneinander nur sehr wenig unterscheiden: Die Unterschiede je zwei aufeinander- folgender Elektrokardiogramme bestehen lediglich darin, dass die Form der Zacke 7 sowie ihre Verbindung mit der vorhandenen R-Zacke ein wenig anders gestaltet sind. Die Höhen der Zacke R sind nicht erwähnenswert verschieden, vielleicht ist die Zacke © etwas verschieden .tief. Die Herzschläge, welehe den vorhandenen Pulsen entsprechen, sind von Elektrokardiogrammen begleitet, deren Nachschwankung eine deutliche Spitze besitzt und sich mit einer bogenförmigen, nach unten sekrümmten Linie an die R-Zacke ansetzt, während die Elektrokardiogramme der pulslosen Herzschläge eine leicht kuppen- tragende Nachsehwankung aufweisen, die sich mit flacherem Ver- bindungsstück an die R-Zacke anschliesst. Derartige Erscheinungen sind die auffallendsten bei der Une suchung des experimentell erzeugten Alternans bei gleichzeitiger Darstellung der Aktionsströme des Herzens. Wir erwähnen noch, dass die vorgeführten Verhältnisse in einer Reihe anderer mit der gleichen Methodik angestellter Experimente sich ebenfalls vorfinden, und dass als wesentlichste Erscheinung immer wieder der Umstand hervortritt, dass alle während des künstlichen Alternans zu gewinnenden Elektrokardiogramme voll- ständige und normal ablaufende sind. IV: Es sei uns nun gestattet, an die Beschreibung unserer Versuchs- ergebnisse bezüglich der bereits vorliegenden Untersuchungen einige Bemerkungen anzuknüpfen. Zunächst bezüglich eines bei Kraus 594 R. H. Kahn und E. Starkenstein: und Nicolai (Il. e. S. 282) vorgebrachten Elektrokardiosrammes. Die Fig. 115 ist ein Beispiel dafür, dass in manchen Fällen das blossliegende, den Reizen der Abkühlung und Vertrocknung aus- gesetzte Herz des narkotisierten Hundes ein Alternieren von positiver und negativer Nachschwankung aufweist. Wir glauben auch auf Grund unserer Versuchsresultate, dass es sich in diesem Falle, ent- gegen der abweichenden Ansicht der Autoren, doch um einen echten Alternans gehandelt haben dürfte. Soweit dies die für solche Zwecke nicht sehr geeignete Darstellung der mechanischen Kammer- aktion zulässt, ist übrigens auch in der daselbst verzeichneten Kurve durch Ausmessen der Höhen der Ordinaten und auch bei Betrachtung der Form deutliches Alternieren festzustellen. Weiter müssen wir hervorheben, dass wir das Vorkommen ab- normer Ventrikelschläge während des Verlaufes der Vereiftung mit Glyoxylsäure und der durch dieselbe hervorgerufenen typischen Er- scheinungen niemals beobachten konnten. Wir verweisen auf die eingangs im methodischen Teile hin- sichtlich der Versuchsanordnung erwähnten Kautelen, bezüglich völliger Reinheit des verwendeten Präparates namentlich in Hinsicht auf das Vorhandensein freier Oxalsäure, sowie auf die herrschende Reaktion und Konzentration. Auch die. auf Störungen besonderer Art hinweisenden Er- scheinungen der rückläufigen Schlagfolge sowie der ausgesprochenen Spaltung einzelner Zacken haben wir mit Ausnahme des durch Fig. 17 auf Taf. XVI illustrierten Falles (Defibrinierung, Katheder im Herzen) niemals zu beobachten Gelegenheit gehabt. Wir halten auch diese Erscheinungen, wie schon oben bemerkt, nicht zum Bilde der Glyoxylsäurevergiftung gehörig. Betrachten wir also die durch elektrographische Registrierung des künstlich erzeugten Pulsus alternans in den vorhandenen ex- perimentellen Untersuchungen gewonnenen Ergebnisse, so scheint uns das Wesentlichste derselben darin zu bestehen, dass sich zeigte, dass sämtliche während dieser Herzunregelmässigkeit ablaufenden Herzschläge den Charakter des normalen Ablaufesansich tragen, wie sehr sie sich auch bezüglich ihrer Wirkung vonein- ander unterscheiden mögen. Wohl ist in den meisten Fällen auch im Elektrokardiogramm ein deutliches Alternieren bemerkbar, in- Die Störungen der Herztätigkeit durch Glyoxylsäure (Pulsus altern. etc.) 595 dessen bezieht sich dasselbe, wie es scheint, nicht auf wesentliche Punkte; denn in den Elektrokardiogrammen, welche von „normalen“ Tieren gewonnen werden, zeigen sich, wie aus den bereits in grosser Zahl vorliegenden diesbezüglicheu Untersuchungen hervorgeht, häufig so bedeutende Unterschiede, dass in den Fällen des Alternans eigent- lich bloss die regelmässige Abwechslung auffällt, während man eine regelmässige Aufeinanderfolge der einen oder andern Form wohl zum grössten Teile als „normale“ Elektrokardiogramme bezeichnen würde. Sämtliche Herzschläge des Alternans sind alsovon normalem Ablauf; er unterscheidet sich daher nach allem, was die bisher vorliegenden Untersuchungen ergeben haben, wesentlich von jener Herzunregelmässigkeit, welche auf das regelmässige Wieder- kehren von Extrasystolen zurückgeführt wird: der Herzbigeminie; denn bei dieser zeigt das Elektrokardiogramm jeden zweiten Herz- schlag als abnormen Ventrikelschlag, so dass im zweifelhaften Falle die Aufnahme des Elektrokardiogramms ohne weiteres eine Differential- diagnose zu ergeben scheint. Wir verweisen diesbezüglich auf die bei Kraus und Nicolai (l. e. S. 300 ff.) vorgebrachten Er- örterungen. Nicht zu übersehen ist aber der Umstand, dass es sich bei den bisherigen, das Elektrokardiogramım des Alternans betreffenden Fest- stellungen um Tierexperimente handelt; das Elektrokardiogramm des menschlichen Alternans hat bisher noch niemand vorgezeigt. Es ist aber mit Recht zu vermuten, dass auch in solchen Fällen die Registrierung der Aktionsströme des Herzens das gleiche Resultat ergeben würde. Besonders möchten wir noch aus den Beobachtungen die Er- scheinung hervorheben, welche darin besteht, dass ein schein- bar regelmässiger: (Pulsablauf. mit. niedriger Frequenz einen echten Alternans in sich birgt. Diese Erscheinung ist im Hinblick darauf sicher erwähnenswert, weil jene Methoden, welche der Konstatierung des Herzalternans am Menschen zu Gebote stehen, nicht mit Sicherheit in allen Fällen zu einem Resultate führen müssen. Wir haben gesehen, dass in solehem Falle das Elektrokardioeramm in einfacher Weise erkennen lässt, dass doppelt so viel normal ablaufende Herz- schläge vorhanden sind, als Pulse erscheinen, und möchten im Hinblick darauf glauben, dass es nicht ausgeschlossen wäre, durelı 596 R. H. Kahn u. E. Starkenstein: Die Störungen der Herztätigkeit etc. elektrographische Untersuchung gelegentlich bestehende scheinbare Pulsverlangsamung als Alternans zu erschliessen. Dass eine in dieser Herzstörung begründete Pulsverlangsamung tatsächlich beim Menschen zur Beobachtung gelangen kann, wird durch eine Kurve von Hornung und Galli!) illustriert. An dem betreffenden Kranken konnte durch Reeistrierung des Spitzenstosses die Diagnose erzielt werden. Noch einige Bemerkungen wären bezüglich der oft beobachteten Er- scheinung anzuschliessen, dass im Verlaufe der Glyoxylsäurevergiftung doppelt so viel Herzschläge als Pulse festzustellen waren. Diese Erscheinung bedeutet den Höhepunkt der Herzunregelmässigkeit; denn in diesen Fällen ist das Ausbleiben jedes zweiten Pulsschlages darauf zurückzuführen, dass die Kontraktilitätsstörung am Herzen so hochgradig wurde, dass der durch die Systole erzeuste Ventrikel- druckanstieg nicht mehr genügte, um die Semilunarklappen der Aorta zu öffnen. Dementsprechend sehen wir im Verlaufe des Vergiftungs- bildes bei fortschreitender Schwere der Erscheinungen den niedrigen Pulsschlag des Alternans immer kleiner werden und schliesslich ganz verschwinden, während andererseits bei anschliessender Erholung aus dem absteigenden Schenkel der nun mit halber Frequenz verlaufenden Pulssehläge der niedrige Pulsschlag zunächst als kleine Zacke heraus- wächst, bis das typische Bild des Pulsalternans wieder erreicht ist. Dass bei einigermaassen stärkerer oder rascherer Vergiftung der Herzalternans unvermittelt in so hohem Grade einsetzen kann, dass es sofort zu der beschriebenen Pulsfrequenzhälbierung kommt, ist schon oben erwähnt worden. | Zu jeder Zeit im Verlaufe der geschilderten . Erscheinungen wirken lähmende Herzeifte (Chinin) antagonistisch: Besteht typischer Pulsalternans, so schwindet er; zeigt sich die beschriebene Puls- frequenzhalbierung, so entsteht zunächst Pulsalteruans, welcher in der kürzesten Zeit in die normale Schlagfolge übergeht. 1) Beitrag zur Lehre von Pulsus alternaus. Münchn. mediz. Wochenschr. 1906 8. 1955. 597 (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) Die Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme. Von Privatdozent Dr. R. H. Kahn. (Mit 2 Textfiguren und Tafel XVII.) Die Registrierung der Herztöne ist eine Errungenschaft der neueren Zeit. Die heissen Bemühungen, dieses schwierige Ziel zu erreichen, sind erst vor kurzem von Weiss!) ausführlich geschildert worden. Die Resultate der verschiedenen Untersuchungen, deren allgemeine Bekanntmachung infolge der Unmöglichkeit geeigneter Reproduktion der Versuchsergebnisse zum Teile grossen Schwierig- keiten begegnet, scheinen vorläufig alle zwar zum weiteren Ausbau der Versuchstechnik zu ermutigen, sie müssen aber bezüglich mancher Punkte noch als wenig befriedigend betrachtet werden. So macht neuestens Gerhartz?) auf die recht verwunderliche Unstimmigkeit in den Versuchsresultaten von Einthoven und Weiss bezüglich der Schwingungszahlen in den von den beiden Autoren vorgeführten Schallbildern aufmerksam, einen Umstand, für welchen er Eigenschwingungen der benützten Apparate verantwortlich macht. Wenn dieser Autor aber die bereits in der Literatur vor- handenen Herztonkurven lediglich als Erscheinungen bezeichnet, welche nach Reduktion des Spitzenstosses durch Öffnung des Zu- leitungssystemes von der Spitzenstosskurve übriebleiben, so geht er entschieden zu weit. Auch sind die mit den verschiedenen Methoden erzielten Resultate zum Teile durch Abhören der Töne von solchen Stellen der Brustwand gewonnen worden, bei denen ein Einfluss des Spitzenstosses selbst ganz ausgeschlossen ist. Immerhin er- ımahnen die Ausführungen von Gerhartz mit Recht zur Vorsicht. 1) O. Weiss, Phonokardiogramme. G. Fischer, Jena 1909. 2) H. Gerhartz, Herzschallstudien. Pflüger’s Arch. Bd. 131 8. 509. 1910. 598 R. H. Kahn: Von den in Betracht kommenden Reeistriermethoden besitze ich nur mit einer, der Einthoven’schen !) eigene Erfahrung und teile im Folgenden Einiges aus meinen bisherigen Resultaten mit. Einthoven’s Methodik besteht in der Zuleitung des Herztöne zu einem Mikrophore, der Transformierung der Stromesschwankungen durch ein Induktorium und der Reeistrierung der Sekundärströme durch das Saitengalvanometer. Mit einer solehen, ziemlich roh improvisierten Vorrichtung habe ich °) schon vor längerer Zeit das Elektrokardiogramm und die Herz- töne gleichzeitig registiert. Die damaligen recht mangelhaften Er- gebnisse genügten zur Feststellung der Lage der Herztöne im Elektro- kardiogramme. Es ‚konnte festgestellt werden, dass der erste Herzton in die Pause zwischen R und 7 fällt. Er beeinnt zugleich mit dem Anstiege des Ventrikeldruckes in dem Momente, in welchem die R-Zacke verschwindet, und endet kurze Zeit vor dem Ansteigen von T. Es ergab sich weiter, dass der zweite Herzton etwa 0,05 Sek. nach dem Ende der Nachschwankung beginnt). Meine damals gewonnenen Kurven waren, wie gesagt, wenig befriedigend. Seitdem habe ich meine Aufstellung der Apparate zur Registrierung der Herztöne wesentlich verbessert und dadurch viel brauchbarere Resultate erhalten. Das Mikrophon steht jetzt in der Julius’schen *) Aufhängung. An drei langen Stahldrähten ist eine Holzscheibe horizontal be- festigt, von deren Mittelpunkt eine Metallstange nach abwärts führt. An dieser ist ein schweres Bleigewicht derart befestigt, dass es in vertikaler Richtung verstellbar ist. Auf der Holzscheibe steht das Stativ, welches das Mikrophon trägt, und das Bleigewicht hat eine 1) W. Einthoven und M. A. J. Geluk, Die Registrierung der Herztöne. Pflüger’s Arch. Bd. 57 S. 617. 1894 — W. Einthoven, Die Registrierung der menschlichen Herztöne mittels des Saitengalvanometers. Pflüger’s Arch. Bd. 117 S. 461. 1907. — W. Einthoven, Ein dritter Herzton. Pflüger's Arch. Bd. 120 S. 31. 1907. 2) R. H. Kahn, Weitere Beiträge zur Kenntnis des Elektrokardiogrammes. Pflüger’s Arch. Bd. 129 S. 291. 1909. 3) Diese Resultate hat Gerhartz unter teilweiser Verwendung meiner früheren Versuchsresultate im allgemeinen bestätigt. 4) W. H. Julius, Über eine Vorrichtung, um Messinstrumente gegen die Erschütterungen des Bodens zu schützen. Wiedemann’s Annalen der Physik B1. 56. S. 151. 1895. Die Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme. 599 solche Stellung, dass der Schwerpunkt des ganzen Systemes in die Aufhängungsebene fällt. Die Stahldrähte sind etwa 4 m lang und mit ihren oberen Enden an einer festen Konsole befestigt, welche unter der Zimmerdecke in einer Ecke der Zimmerwände angeschraubt ist. Drei von der Peripherie der Holzscheibe nach abwärts reichende Stäbe sind mit grossen, lockeren Wattebäuschen armiert und tauchen in untergestellte, mit einer Mischung aus Glycerin und Wasser ge- füllte Glasgefässe, ohne die Wand oder den Boden derselben zu be- rühren. Die Erschütterungsfreiheit des Mikrophons ist befriedigend, leider aber nicht vollkommen. Das liegt an dem Umstande, dass die ganze Lokalität, welche aus äusseren Gründen für die Auf- stellung gewählt werden musste, dazu nicht sehr geeignet ist. Denn dieser Teil des Gebäudes ist Erschütterungen aus verschiedenen Ursachen besonders stark ausgesetzt. Das Mikrophon ist ein Kugelmikrophon von F. Reiner in München (von Edelmann bezogen). Es besitzt zur Öffnung der zuleitenden Luftwege ein Ansatzrohr, welches einen in der Länge verstellbaren Schlitz aufweist. Die Zuleitung der Herztöne zu dem Mikrophone erfolgt durch Kautschukschläuche von etwa ®/ı m Länge und erheblichem Quer- schnitte. In der Mitte der Schlauchleitung befindet sich ein gläsernes Zwischenstück, welches von einer iu der Mauer eingelassenen dieken Eisenstange getragen wird. Leichtes Hin- und Herbewegen des freien Schlauchendes lässt das Mikrophon völlig in Ruhe. Die Ab- nahme der Herztöne erfolet bei Mensch und Tier mit gewöhnlichen am Rande gut abgeschliffenen Glastriehtern, welche in ein Stativ ge- fasst auf die Brustwand aufgepresst werden. Beim Menschen hat sich mir auch folgendes Verfahren gut bewährt. Der Glastrichter wird durch die zentrale Öffnung einer nicht zu schweren Scheibe aus Blei hindurchgesteckt und mittels einer langen Schnur an dem Arme eines hohen Statives befestigt. Sodann wird der Stativarım so lange gesenkt, bis der Trichterrand an der gewünschten Stelle aufliegt, an welche er durch das Gewicht gut angepresst wird. Eine solche Vorrichtung bringt den erheblichen Vorteil mit sich, einer- seits den Bewegungen der Brustwand bei der Atmung gut zu folgen, andererseits auch bei Rückenlage des zu Untersuchenden an ab- hängigen Partien der Brustwand gut anzuliegen. Bei der Aufnahme der menschlichen Herztöne hat sich mir ein Durchmesser des Trichter: Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 133. 9 600 R. H. Kahn: von 5 cm am besten bewährt, bei Versuchen am Hunde von 3 em und weniger. Weiss!) gibt an, dass der von ihm zur Aufnahme der Herz- töne verwendete Trichter einen Durchmesser von 120 mm gehabt habe. Das wäre ein Trichter von einer Grösse, deren Brauchbarkeit ich mir nicht vorstellen kann. Indessen stimmen alle bei Weiss auf S. 350 angegebenen Maasse mit den Verhältnissen seiner Fig. 4 nicht überein. Entweder die Maasse sind falsch angegeben, oder die Figur ist falsch. Die Weiterleitung zum Mikrophon erfolgt nun, wie schon er- wähnt, durch Gummischlauch. Das Leitungssystem muss zur Ver- meidung jeglicher Druckdifferenzen im Innern desselben, wie schon Einthoven betont hat, offen sein. Dazu genügt der an dem er- wähnten Mikrophone befindliche Längsschlitz der Zuleitungsröhre auch bei grösster Öffnung desselben für die Registrierung der Spitzentöne nieht. Vielmehr empfiehlt es sich, durch Einschaltung eines 7-Stückes auch den Schlauch seitlich zu Öffnen. In meinen Versuchen befand sich an dem Schlauche zwischen dem Mikrophone und der oben erwähnten fixierten Stelle der Schlauchleitung ein seitliches kurzes Ansatzrohr von gleichem Durchmesser wie diese selbst, welches offen gehalten wurde. Zur Transformierung der Schwankungen der Mikrophonströme dient mir völlig ausreichend ein kleines Schlitteninduktorium ohne Eisenkern. Ich halte die Verwendung eines solchen für viel zweck- mässiger als die des kleinen für diesen Zweck von Edelmann an- gebotenen Transformators mit unveränderlichen Spulen, weil man in der Möglichkeit, den Rollenabstand zu variieren, ein willkommenes einfaches Mittel besitzt, die Grösse der Ausschläge der Galvanometer- saite nach Belieben zu regulieren, ohne an den sonstigen Versuchs- bedingungen etwas zu ändern. Als Mikrophonstrom diente der Strom einer Akkumulatorzelle, welcher dem Mikrophone und der I. Spule des Induktoriums durch Schliessung eines Schlüssels zugeleitet wurde, während die Verbindung zwischen der II. Spule und der Galvano- metersaite durch einen Vorreiberschlüssel kurz geschlossen war. Diese letztere Anordnung ist dringend zu empfehlen, weil bei 1) 0. Weiss und G. Joachim, Registrierung und Reproduktion mensch- licher Herztöne und Herzgeräusche. Pflüger’s Arch. Bd. 123 S. 341. 1908. Siehe auch: Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 98 S. 513. 1910. Die Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme. 601 Schliessung des Mikrophonstromes ein so starker Induktionsschlag die Saite trifft, dass dieselbe regelmässig beschädigt wird. Was die Anordnung des Galvanometers und Registrierapparates in unserem Falle betrifft, so verweise ich auf meine!) früheren Arbeiten über das Elektrokardiogramm. Auch die beschriebene An- ordnung zur Registrierung der Herztöne ist in dem neben dem Galvanometerzimmer gelegenen Raume angebracht; die Zuleitung von der II. Spule ist durch die Wand geführt. Bei Verwendung einer dünnen versilberten Quarzsaite im Galvanometer, wie sie auch zur Darstellung des Elektrokardiogrammes dient, erzielt man ganz befriedigende Resultate, namentlich wenn es, wie in unserem Falle, auf getreue Wiedergabe der Schwingungszahlen, (welcher wohl noch andere in der ganzen Methodik liegende Um- stände im Wege sein dürften), nicht ankommt. Nur ist es nötig, die Seite stark zu spannen. In unseren Versuchen hat dieselbe bei einem Ausschlage von 5 mm =1 Millivolt eine Einstellungszeit von etwa 0,01 Sek. Ich gehe nun dazu über, einiges aus den gewonnenen Resultaten vorzuführen. Die Registrierung der Spitzentöne des Menschen mit der beschriebenen Einrichtung führt zu Kurven, von denen Fig. 1 auf Taf. XVII ein Beispiel gibt°). Man sieht hier Spitzentöne und Karotispuls eines 20 jährigen, gesunden Menschen verzeichnet. Die Bewegungsgeschwindigkeit der Schreibfläche, welche durch eine Stimmgabel (deren Spurlinie der Raumersparnis halber weggelassen wurde) mit hundert Schwingungen in der Sekunde kontrolliert wurde, war so geregelt, dass die Seite eines kleinen Quadrates im Mittel eine Zeit von 0,047 Sek. bedeutet, so dass die senkrechten starken Linien um etwa 0,235 Sek. voneinander abstehen. Man erkennt die Herztöne als je eine Anzahl rasch verlaufender Saitenschwingungen von verschiedener Höhe. Der erste ist von dem zweiten Tone sehr gut zu unterscheiden; Schwingungszahl und Dauer beider ist ver- schieden. Da aus den oben angedeuteten Gründen bezüglich der korrekten Wiedergabe der Schwingungszahlen berechtigte Zweifel nieht zu unterdrücken sind, sehen wir, zumal es für unseren Gegen- stand nicht von Belang ist, von der genauen Auszählung derselben I) R. H. Kahn, a. a. O. und Beiträge zur Kenntnis des Elektrokardio- grammes. Pflüger’s Arch. Bd. 126 S. 197. 1909. 2) Originalabzüge von meinen Negativen stehen auf Wunsch zur Verfügung. 39 * 602 R. H. Kahn: ab. In den Pausen zwischen den beiden Tönen und auch in der Herzpause zeigt die Saite eine recht befriedigende Ruhe, welche es gestattet, den Beginn der Töne sehr genau, ihr Ende namentlich bei Berücksichtigung srösserer Reihen, welche uns zur Verfügung stehen, ebenfalls genügend genau festzustellen. Der erste Ton dauert länger als der zweite; die ganzen Reihen stimmen mit den Ein- thoven’schen sehr gut überein. Die Kurvenlinie über der Herztonkurve zeigt den Karotispuls an. Sie wurde mit der Triehtermethode gewonnen; der Trichter war durch ein durch die Zimmerwand geführtes Bleirohr mit einer Marey’schen Trommel verbunden, deren Schreibhebel seinen Schatten auf den Registrierspalt warf. Eigens angestellte Versuche ergaben, dass durch diese Leitung der Karotispuls gegenüber der Saiten- bewegung um ca. 0,015” verspätet erschien. Es ist also der vordere Fusspunkt (Beginn) der Karotispulskurve etwa um ein Drittel der Seite eines kleinen Quadrates nach links (die Kurven sind von links nach rechts zu lesen) vorzuschieben. Aus einer grösseren Reihe registrierter Spitzentöne ergibt sich die Dauer des I. Tones zu 0,109 Sekunden, die des II. Tones zu 0,081 Sekunden, während die Distanz ihres Beginnes 0,334 Sekunden beträgt. Das sind Werte, welehe mit den von anderer Seite bisher erhobenen ganz gut übereinstimmen. Was nun den Beginn des ersten Herztones im Verhältnisse zu dem Beginne des Karotispulses anlangt, so finde ich in meinen Kurven einen mittleren Zeitwert von 0,099 Sekunden, welcher zwischen beiden verfliesst').. Davon soll noch weiter unten die Rede sein. An der Hand der zeitlichen Beziehung zwischen erstem Herzton und Karotispuls lässt sich die Lage der Herztöne im Elektrokardio- gramme feststellen, indem man das letztere mit dem Karotispulse zeitlich vergleicht. Unmittelbar nach jener Herztonreeistrierung, welche eben vorgeführt wurde, zeigte die Registrierung des Elektro- kardiogrammes derselben Person Verhältnisse, von denen Fig. 2 der Taf. XVII ein Beispiel gibt. Es wurde in Einthoven’s Abteilung II (rechte Hand, linker Fuss) vom Galvanometer abgeleitet und zu- gleich in der oben geschilderten Weise der Karotispuls verzeichnet. 1) Alle auf den Karotispuls bezüglichen Zeitwerte sind korrigiert (— 0,015”) angegeben. Die Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme. 603 Man sieht ein wohlausgebildetes Elektrokardioeramm mit den Zacken P, R und T. Die Ausmessung der zeitlichen Verhältnisse!) ergibt folgendes: Vom Beginne der Zacke P bis zum Beginne der Zacke R: 0,170 Sek. Vom Beeinne von R bis zum Ende von 7 (Systole): 0,331 Sek. Vom Ende von P bis zum Beginne von R (Überleitungszeit): 0,066 Sek. Dauer der Zacke P: 0,104 Sek. Dauer der Zacke R: 0,038 Sek. Die obere Kurvenlinie der Fig. 2 zeigt wiederum den Karotis- puls. Zwischen dem Beginne von R& und dem Beeinne des Karotis- pulses ist eine Zeit von 0,127 Sek. verflossen. Da wir nun oben gesehen haben, dass der I. Spitzenton 0,099 Sek. vor dem Karotis- puls beginnt, so ergibt sich, dass die R-Zacke in diesem Falle um 0,028 Sek. früher als der I. Ton begonnen hatte. Da nun weiter die Dauer der Zacke R 0,038 Sek. betrug, so ist zu ersehen, dass der erste Spitzenton 0,01 Sek. vor dem Ende von R begonnen hatte, also sein Beginn in das Ende des absteigenden Schenkels von R ge- fallen war. Da der erste Spitzenton eine mittlere Dauer von 0,109 Sek. hatte (= ca. 2,3 der Seite eines kleinen Quadrates der Kurve), so erkennt man, dass er zu einer Zeit vorüber war, zu welcher die Nachsehwankung 7 anzusteigen begann. Das ist auch annähernd der Moment des Anstieges des Karotispulses. Zieht man weiter von der Dauer der Systole mit 0,331 Sek. die Dauer der R-Zacke mit 0,038 Sek. ab = 0,293 Sek., so zeigt sich, dass dieser letztere Zeitwert um 0,041 Sek. kleiner ist als die Distanz zwischen den Anfängen der beiden Spitzentöne. Berück- sichtigt man aber auch, dass der erste Spitzenton 0,01 Sek. vor dem Ende von R beginnt, so lässt sich der Beginn des zweiten Tones mit 0,031 Sek. nach dem Ende der Nachschwankung 7 ansetzen. Man sieht, dass wir hier zu Resultaten gelangen, welche mit den seinerzeit vorläufig von mir?) mitgeteilten sehr befriedigend übereinstimmen. Der erste Spitzenton beginnt gegen das Ende der 1) Vgl. hierzu: R. H. Kahn, Zeitmessende Versuche am Elektrokardio- gramme. Pflüger’s Arch. Bd. 132 S. 209. 1910. 2) A. a.0. Pflüger’s Arch. Bd. 129. 604 R. H. Kahn: R-Zacke, der zweite mehrere Hundertstel einer Sekunde nach der Nachschwankung. Der erste Ton endet am vorderen Fusse der Nachschwankung, annähernd zur Zeit des Anstieges des Karotis- pulses. Wir gehen nun dazu über, die Resultate der Registrierung der Pulmonaltöne zu besprechen. Zu letzterem Behufe wurde der Auf- nahmstrichter im zweiten Interkostalraume links, hart neben dem Sternum, auf die Brustwand gesetzt. Fig. 3 der Taf. XVII zeigt ein Beispiel der so gewonnenen Resultate. Man unterscheidet auch hier ohne weiteres den ersten vom zweiten Pulmonaltone. Die gelegent- lich etwas stärkere Unruhe der Saite während der Pausen ist ver- mutlich auf äussere, vorläufig nicht vermeidbare Ursachen zurück- zuführen, Auch hier führe ich die aus einer grösseren Reihe registrierter Töne gemessenen Werte für die Dauer derselben an. Die Dauer des I. Pulmonaltones beträgt 0,095, die des zweiten Tones 0,068 Sek. Die Distanz zwischen dem Beginne beider beträgt 0,308 Sek. Auch in diesen Fällen wurde nach der oben angegebenen Methode der Karotispuls verzeichnet. Zwischen dem Beginne des I. Pulmonaltones und dem Momente des Anstieges des Karotispulses vergeht eine Zeit von 0,078 Sek. Die in Fig. 1 der Taf. XVII vorgeführte Reihe der Spitzentöne, das Elektrokardiogramm (Fig. 2) und die eben besprochene Kurve der Pulmonaltöne wurden von demselben Individuum unmittelbar hintereinander gewonnen. Daher ist es gestattet, ebenso wie oben die Spitzentöne, hier die Pulmonaltöne bezüglich ihres zeitlichen Verhaltens auf das Elektrokardiosramm zu beziehen. Wir haben oben gesehen, dass in dem letzteren zwischen dem Beginne von R und dem Beginne des Karotispulses eine Zeit von - 0,127 Sek. verflossen war. Da nun der I. Pulmonalton 0,078 Sek. vor dem Anstiege des Karotispulses beginnt, so fällt der Anfang der R-Zacke 0,049 Sek. vor den Beginn des I. Pulmonaltones. Da nun weiter die Dauer der A-Zacke 0,038 Sek. betrug, so ergibt sich, dass der I. Pulmonalton 0,011 Sek. nach dem Ende der Zacke R einsetzt. Der erste Pulmonalton hatte eine Dauer von 0,095 Sek. = ea. das Doppelte der Seite eines kleinen Quadrates der Kurve. Daher erkennt man, dass auch er, ebenso wie es oben vom I. Spitzenton gezeigt wurde, zu Beginn des Anstieges der Nachschwankung vor- Die Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme. 605 über ist, also zu einer Zeit, in welcher etwa der Anstieg des Karotis- pulses beginnt. Vergleicht man wiederum die Zeit, welche zwischen dem Ende der R-Zacke und dem Ende der Systole verfliesst (Dauer der Systole 0,331 Sek., Dauer der R-Zacke 0,038 Sek. — 0,293 Sek.), mit der Distanz des Beginnes der beiden Pulmonaltöne (0,308 Sek.) und berücksichtigt den Umstand, dass der I. Pulmonalton 0,011 Sek. nach dem Ende von R beginnt, so zeigt sich, dass der Beginn des II. Pulmonaltones 0,026 Sek. hinter das Ende der Nachschwankung T fällt. Wir sehen also, dass auch für die Pulmonaltöne der oben er- wähnte, von mir früher erhobene Befund sich mit der eben vor- getragenen Methode bestätigen lässt. Der I. Pulmonalton beginnt am Ende der R-Zacke des Elektrokardiogrammes und dauert bis zum Anfange der Nachschwankung, der II. Pulmonalton setzt mehrere Hundertstel einer Sekunde nach dem Ende der Nach- schwankung ein. Betrachtet man registrierte Herztonreihen eines und desselben Individuums, so fällt es regelmässig auf, dass die Distanz der beiden Spitzentöne eine etwas grössere ist als die der Pulmonaltöne. Diese bereits von Einthoven und Geluk!) hervorgehobene Tatsache ist auch in den oben vorgeführten Kurven zu bemerken. Indessen finde ich den Unterschied viel kleiner als diese Autoren. Denn während dort angegeben ist, dass der I. Gefässton 0,06 Sek. nach dem I. Spitzentone erscheint, beträgt die Differenz in unseren Kurven 0,026 Sek. In Einthoven’s?) Besprechung der mit dem Saiten- galvanometer registrierten Herztonreihen ist von diesem Unterschiede nicht mehr die Rede. Wenn Weiss?) aus diesen Kurven Ein- thoven’s die in Rede stehende Erscheinung herauslesen will, so beruht das auf einem Irrtum. Denn die von ihm angeführten beiden Einthoven’schen Kurven (Fig. 4 und 6 Einthoven’s) stammen von zwei verschiedenen Personen mit ganz verschiedener Pulsfrequenz und sind daher miteinander diesbezüglich nicht ver- gleichbar. Auch konnten Weiss und Joachim *) mit ihrer Methodik Finthoven’s Resultat nicht bestätigen. 1) A. a. O. S. 630. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 117. 3) Phonokardiogramme S. 13. 4) Pflüger’s Arch. Bd. 123 S. 365. 606 R. H. Kahn: Was nun das zeitliche Verhältnis zwischen dem Beginne der Herztöne und dem Anfange des Karotispulses anlangt, so geht, wie schon erwähnt, aus unseren Kurven hervor, dass der I. Spitzenton 0,099, der I. Pulmonalton aber 0,078 Sek. vor dem Karotispulse beginnt. Das sind Zeitwerte, welche mit den von Weiss und auch von Gerhartz angegebenen ganz gut übereinstimmen. Man be- merkt, dass diese Zeitdifferenz zwischen I. Ton und Karotispuls an- nähernd der Dauer der I. Herztöne entspricht, ein Umstand, auf welchen wir später noch zu sprechen kommen. Die Betrachtung der Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme gibt nun bezüglich der Frage Aufschluss, ob etwa in dem I. Herz- tone ein Vorhofsanteil enthalten sein könnte, bzw. ob die gelegent- lich zu beobachtende Spaltung des I. Tones auch auf solcher Grund- lage beruhe. Hier ist zunächst der „Vorton“ Hürthle’s!) zu erwähnen. Hürthle findet bei der Markierung des Beginnes des I. Herztones gelegentlich einen etwa 0,05 Sek. dauernden Vorton, welchen er im Hinblick auf sein zeitliches Verhältnis zur Kammer- systole als Vorhofston ansprieht. Auch führt er die oben erwähnte, bedeutende zeitliche Differenz zwischen dem Beginne des I. Spitzen- und Pulmonaltones (0,06 Sek.) in den Versuchen Einthoven’s auf dieselbe Ursache zurück, indem er vermutet, dass der Vorton sich leichter durch die Ventrikelmuskulatur fortpflanze, als in die grossen Gefässe, welche ausserdem der Brustwand weniger dicht anliegen, als die Herzspitze. Dabei bezieht sich Hürthle darauf, dass von Krehl?) am blossgelegten Tierherzen während des Flimmerns der Kammern bei schlagenden Vorhöfen Vorhoftöne vom Charakter des Herzmuskeltones gehört wurden. Dieser Anschauung stimmt Weiss?) zu. Er führt Herztonkurven vor, welche einen „Vorschlag“ erkennen lassen, welcher dem Karotis- pulse um mehr als 0,075 Sek. vorangeht. Weiss ist der Meinung, dass dieser Vorschlag, ebenso wie Hürthle’s Vorton und Ein- thoven’s Differenz zwischen dem Beginne des I. Spitzen- und Pulmonaltones vom Vorhof herrühre. Was die Spaltung des I. Herz- tones anlangt, so findet sich ein Beispiel hierfür bei Weiss*). Die 1) K. Hürthle, Beiträge zur Hämodynamik. Pflüger’s Arch. Bd. 60 S. 263. 1895. 2) L. Krehl, Über den Herzmuskelton. Du Bois’ Arch. 1889 S. 253. 3) Phonokardiogramme S. 26. 4) Phonokardiogramme S. 32. Die Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme. 607 ersten Schwingungen des ersten Tones beginnen 0,1125 Sek. vor dem Karotispulse. Nach einigen grösseren Schwingungen erfolgt eine Abnahme der Amplituden, danach wieder eine Zunahme. Diese geht dem Karotispuls um 0,065 Sek. voraus. Die erste Hälfte der Ton- kurve soll nach Weiss vom Vorhofe die zweite vom Ventrikel be- rühren. Bei Joachim und Weiss!) finden sich weitere Beispiele. Zunächst die eben erwähute Kurve wiederholt, nur sind hier die Zeitangaben andere. Hier heisst es nämlich, dass die ersten Schwingungen 0,125 Sek., die zweiten nach der „Cäsur“ ea. 0,8?) Sek. vor dem Karotispuls einsetzen. Ein weiterer Fall zeigt vor den grossen Schwingungen des I. Tones, welche dem Karotispulse um 0,08 Sek. vorausgehen, mehrere minimale Schwingungen, und in einem dritten Falle beginnt der I. Ton etwa 0,115 Sek. vor dem Karotispulse. In allen diesen Fällen wird der erste Teil des ganzen Tones auf den Vorhof bezogen. Die Möglichkeit der Annahme, dass gewisse Anteile des I. Herz- tones vom Vorhofe herrühren, lässt sich von zweckmässigem Stand- punkte aus prüfen, wenn man die Lage der Herztöne im Elektro- kardiogramme betrachtet. Dazu eignet sich mit Vorteil die Anwendung der von mir?) bereits früher mit Erfolg angewendeten Methode der gleichzeitigen Verzeichnung von Elektrokardiogramm und Herztönen mit derselben Saite. In der nachstehenden Fig. 1 sieht man ein Schema der dazu nötigen Versuchsanordnung, welche gegenüber meiner früheren wesent- lich verbessert ist. A und D sind zwei Vorreiberschlüssel. Die eine Metallbacke (b) des einen ist mit der einen Metallbacke (b) des anderen durch einen Draht (d) leitend verbunden. Von den beiden freien Backen der Schlüssel (b,) ist zum Galvanometer (@) ab- geleitet. Ausserdem münden in den Schlüssel A die Drähte der beiden Elektroden E und E,, in welche die Extremitäten der Ver- suchsperson eintauchen, und in den Schlüssel D die Ableitungsdrähte der II. Spule eines kleinen Schlitteninduktoriums. Die I. Spule des- selben durchläuft nach Schliessung des Schlüssels S der Mikrophon- strom, welcher von einer Akkumulatorzelle (Z) geliefert wird. Die 1) Deutsches Arch. f. klin. Med. S. 535. 2) Soll heissen 0,08. 3) Pflüger’s Arch. Bd. 129. 608 R. H. Kahn: Herztöne werden von derselben Versuchsperson mit dem Trichter 7 abgeleitet und dem Mikrophon (M) zugeführt. Diese Vorrichtung gestattet in bequemer Weise bei geschlossenem Schlüssel A die Herztöne, bei geschlossenem Schlüssel 5 das Elektro- kardiogramm zu registrieren. Hält man aber beide Vorreiberschlüssel offen, so verursachen sowohl die Aktionsströme des Herzens als auch die Sekundärströme aus der II. Spule Saitenausschläge, indem die ersteren die II. Spule, die letzteren den Körper der Versuchsperson Fig. 1. passieren. Trotz einiger theoretisch vorhandener Fehlerquellen (Selbst- induktion in der I. Spule) sind die auf solche Weise erzielten Resultate bezüglich der zeitlichen Verhältnisse zwischen Elektrokardioeramm und Herztönen ganz befriedigend. Die Saite des Galvanometers macht nun Ausschläge, welche dem Elektrokardiogramme und den Herztönen entsprechen. Die gegen- seitigen zeitlichen Verhältnisse beider Erscheinungen sind ganz korrekt wiedergegeben. Zwar verliert man bei der Registrierung der Herz- töne jene Zeit, welche vom Momente des Entstehens des Herztones bis zum Anlangen der Luftschwingungen des Schalles im Mikrophon vergeht. Indessen handelt es sich dabei bei einer Schlauchlänge von Die Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme. 609 50—75 em um einen Zeitwert, welcher einen zu vernachlässigenden Betrag nicht überschreitet. Ein Beispiel einer solchen Registrierung bei gleichzeitiger Auf- nahme des Karotispulses sieht man in Fig. 4 der Taf. XVII. Man er- kennt die drei Zacken P, R und T des Elektrokardiogrammes. Infolge des Umstandes, dass die Saite nicht völlig ruhig war, finden sich gelegentlich kleine Zacken, welche aber das genügende Hervor- treten der Elektrokardiogrammzacken nicht stören. An den ent- sprechenden Stellen sieht man die Saitenschwingungen der Herztöne. Es handelt sich um Pulmonaltöne (der Aufnahmstrichter war im zweiten linken Interkostalraum am Sternalrande angelest), und man erkennt in der Kurve die Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme, entsprechend den oben gegebenen Ausführungen. Der erste Ton beeinnt kurze Zeit nach völligem Abstiege der R-Zacke und endet zur Zeit des Beginnes der Nachschwankung, der zweite Ton setzt einige Zeit nach dem Ende der Nachschwankung ein. Was das zeitliche Verhaiten des ersten Tones zum Karotispulse anlangt, so stimmt auch dieses mit unseren früheren Ausführungen überein. Zwischen seinem Beginne und dem Anstiege des Karotispulses ver- geht eine Zeit von ca. 0,05 Sek., er endet annähernd zur Zeit des Pulsbeginnes. Über die Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme und ihre Beziehung zum Ventrikeldrucke habe ich in meiner oben zitierten Arbeit eine schematische Darstellung gegeben. Dabei war die Be- ziehung der Herztöne zum Karotispulse nicht berücksichtigt. In der nachstehenden Fig. 2 führe ich nun eine schematische Darstellung vor, welche in übersichtlicher Weise alle bisher er- wähnten zeitlichen Beziehungen umfasst. Die einzelnen Abschnitte in der Abszisse bedeuten 0,05 Sek. Die mittlere senkrechte, mit X bezeichnete Gerade bedeutet den Moment des Beginnes des Karotis- pulses. Die Dauer der Zacken des Elektrokardiogrammes (kg) ist in der ersten, die der Spitzen- (Spt) und Pulmonaltöne (Pt) in der zweiten und die Dauer des Ventrikeldruckes (Vd) in der dritten Linie als schwarze, dicke Gerade eingezeichnet. Der Anfang der Nach- schwankung des Elektrokardiogrammes sowie die Enden der Herz- töne sind gestrichelt gezeichnet. Das soll bedeuten, dass sich für diese Punkte genaue Zeitmomente überhaupt nieht mit voller Sicher- heit ausmessen lassen. Vielmehr beginnt die Zacke 7 sehr allmäh- lich, und die Herztöne verschwinden, indem sich die ihnen ent- sprechenden Saitenausschläge in den Kurven verlieren. 610 R. H. Kahn: Man erkennt in dem Schema deutlich, dass der I. Spitzenton früher beginnt als der I. Pulmonalton, und dass die Distanz des Beginnes der beiden Spitzentöne grösser ist als die der Pulmonal- töne. Der Moment des Druckanstieges im Ventrikel ist zugleich mit dem Ende von R eingezeichnet, ein Umstand, welcher von mir!) zuerst festgestellt worden ist. In der Linie des Ventrikeldruckes sehen wir vor dem Momente des Anstiegsbeginnes des Karotispulses Fig. 2. eine Marke, welche zeitlich 0.03 Sek. vor dem letzteren gelegen ist. Sie trennt die Anspannungszeit (A) des Ventrikels von der Aus- treibuneszeit. Betrachtet man die zwischen der Vorhofszacke des Elektrokardio srammes und dem Beginne des I. Herztones verfliessende Zeit, so bemerkt man, dass dieselbe im Verhältnis zu der Dauer des I. Herz- tones sehr gross ist. Wollte man den ersten Teil eines I. Herztones oder einen Vorschlag desselben als Vorhofsmuskelton deuten, so käme man zu ganz unwahrscheinlichen Zeiten. Man hat allen Grund anzunehmen, dass der eine Muskelkon- traktion im Herzen begleitende Ton ungemein rasch nach dem Auf- treten der zugehörigen elektrischen Erscheinung bemerkbar sein wird?). .Es wäre also der Beginn eines Vorhofsmuskeltones sehr 1) Pflüger’s Arch. Bd. 126. 2) Vgl. hierzu: R. H. Kahn, Pflüger’s Arch. Bd. 132. 8.209. 1910. Die Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme. 611 bald nach dem Beginne der Vorhofszacke des Elektrokardiogrammes anzusetzen. Aber selbst für den Fall, dass ein soleher erst gegen das Ende der Zacke P entstehen sollte, würde der I. Herzton bzw. dessen erster Teil bei Spaltung desselben in grosser Distanz vor dem Karotispulse erscheinen. So z. B. beträgt nach den obenstehenden Ausführungen die Zeit, welche vom Beginne der Vorhofszacke des Elektrokardiogrammes bis zum Ende von R, also etwa bis zum Beginne des I. Herztones verfliesst, 0,21, vom Ende der Vorhofszacke immer noch 0,11 Sek. Der I. Ton selbst aber dauert etwa 0,1 Sek. und beginnt etwa 0,085 Sek. vor dem Karotispuls. Ein Vorhofsinuskelton plus I. Kammerton müsste daher 0,3 oder im äussersten Falle 0,2 Sek., also etwa doppelt so lange dauern als letzterer allein und fast ebensolange Zeit vor dem Karotispuls beginnen. Daraus scheint mir hervorzugehen, dass der „Vorton* Hürthle’s mit 0,05 Sek. vor dem I. Herzton und die Differenz zwischen Spitzen- und Pulmonalton bei Einthoven mit 0,06 Sek. unmöglich, wie Weiss vermutet, ihre Ursache in einem Vorhofmuskelton haben können. Dasselbe gilt auch mit grosser Wahrscheinlichkeit für den ersten Teil gespaltener erster Herztöne. Dass man bei geeigneter Versuchsanordnung (Krehl) einen Vorhofs- muskelton hören kann, beweist nicht, dass er unter normalen Ver- hältnissen zu hören ist. Nichtsdestoweniger können aber die eben erwähnten Er- scheinungen mit der Vorhofsaktion in letzter Linie zusammenhängen. Denn die Bewegung des Blutes aus dem Vorhofe in die Kammer, welche ja auch in der Ventrikeldruckkurve eine deutliche Druck- erhöhung verursacht, kann ganz gut die Ursache dafür abgeben, dass kurz vor dem Eintritt des I. Herztones etwas gehört bzw. registriert werden kann. Welches dabei die Umstände sind, welche diese Er- scheinung einmal hervortreten lassen, ein anderes Mal nicht, entzieht sich vorläufig der Beobachtung. Man wird also auf Grund der Be- trachtung der Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme Hürthle’s Vorton, Einthoven’s Differenz zwischen dem Beginne der Spitzen- und Pulmonaltöne, die Vorschläge von Weiss und wohl auch den ersten Teil der gespaltenen Herztöne nicht als Vorhofsmuskelton aufzufassen, sondern auf Umstände zu beziehen haben, welche mit dem Einströmen des Blutes aus dem Vorhofe in die Kammer zusammenhängen. Endlich aber ist auch der Um- 612 R. H. Kahn: F stand nicht ausser acht zu lassen, dass sich als erste Erscheinung bei der Kammertätigkeit die Kontraktion im Papillarsysteme des Herzens abspielt. Für diese ist ja vermutlich die R-Zacke des Elektrokardiogrammes der elektrische Ausdruck. Dass aus vorläufig nicht feststellbaren Ursachen ein Muskelton des Papillar- systemes gelegentlich gehört und registriert werden könnte, ist ebenfalls nicht ausgeschlossen. Eine weitere bei Betrachtung der zeitlichen Verhältnisse zwischen Herztönen, Elektrokardiogramm, Ventrikeldruck und Karotispuls auf- fällige Erscheinung besteht in der langen Pause zwischen den beiden Herztönen. Man würde doch eigentlich erwarten, dass der erste Herzton, wenn man ihn im wesentlichen als Muskelton auffasst, die ganze Austreibungszeit hindurch andauere. Überblickt man aber die herrschenden Verhältnisse (Fig. 2), so fällt der Umstand auf, dass der I. Herzton wohl während der ganzen An- spannungszeit nachzuweisen ist, sich aber schon im ersten Teile der Austreibungszeit allmählich verliert. Dementsprechend fällt der erste Herzton in die Pause zwischen den Zacken R und 7 des Elektrokardiogrammes. Zur Zeit, zu welcher er endet, beginnt die Nachschwankung in demselben. Sucht man nach einer Erklärung des Umstandes, dass der I. Herzton die Anspannungszeit des Ventrikels nur wenig überdauert, dass aber der grössere Teil der Austreibungszeit tonfrei ist, so drängt sich, wenn man den I. Ton wesentlich als Muskelton betrachtet, die “Anschauung auf, dass eine Änderung des Zustandes der austreibenden Muskulatur die Ursache dafür abgeben könnte. Tatsächlich geht etwa in jenem Zeitabschnitte, in welchem der I. Herzton verschwindet, die Austreibungsmuskulatur aus der isometrischen Tätigkeit in die isotonische über. Ferner zeigt das in diese Zeit fallende Auftreten der Nachschwankung an, dass eine Änderung im Verhalten der Kammermuskulatur eingetreten ist. Es ist aber nieht in Abrede zu stellen, dass das geschilderte besondere zeitliche Verhalten, für sich allein betrachtet, eigentlich mehr dafür zu sprechen scheint, dass, wie manche!) glauben, der I. Herzton seine Ursache in Schwingungen _ der Klappen, bzw. der Herzwände oder des Blutes selbst habe, also in Erscheinungen, welche zur Zeit der Anspannung und im ersten Teile der Austreibung besonders ausgesprochen sein könnten. 1) Die Literatur über diesen Gegenstand ist in Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd.1 8.849 von Nicolai zusammengestellt. Die Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme. 613 Man sieht, dass man sich vorläufig damit begnügen muss, auf das Auffallende der besprochenen Erscheinung hingewiesen zu haben. Tierversuche mit gleichzeitiger Registrierung von Elektrokardiogramm, Herztönen und mechanischen Erscheinungen werden vielleicht nähere Aufklärung zu bringen geeignet sein. Das Material, über welches ich diesbezüglich verfüge, ist noch zu klein, um ein einigermaassen sicheres Urteil abzugeben; indessen kann ich das eine aussagen, dass beim Hunde die Lage der Herztöne im Elektrokardiogramme sowie die sonstigen oben für den Menschen besprochenen Verhältuisse die- selben zu sein scheinen. Auch gelingt die Registrierung der Herz- töne bei Tieren nach Einthoven’s Methodik aus verschiedenen Gründen in noch befriedigenderer Weise als beim Menschen. Altenburg Pierersche Hof buchdruckerei Stephan Geibel & Co. TR EBEN DE N al, in eh‘ y Tafel XIV Pflüger’s Archiv für die ges. Physiologie. Bd. 133. N u Fig. 1. | | ! l NN An ha mm h ] hf I A Al \ hi nf un N LIU I IN INN Kann ah \ N N u N Mh NN ANRN ul) fi j IN in hl N \ | NN ILL N NN N chrhrhahthiäuhuhn u hnch Hull! 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