PFLÜGER® ARCHIV FÜR DIE GESAMMTE FEHNYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE. HERAUSGEGEBEN VON MAX VERWORN PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE UND DIREKTOR DES PHYSIOLOGISCHEN INSTITUTS DER UNIVERSITÄT BONN UNTER MITWIRKUNG VON PROF. BERNHARD SCHÖNDORFF IN BONN. BAND HUNDERT UND ACHTUNDDREISSIG. MIT 5 TAFELN UND 140 TEXTFIGUREN. BONN, 1911. VERLAG VON MARTIN HAGER. Inhalt. Erstes, zweites und drittes Heft. Ausgegeben am 2. Februar 1911. Die Magenbewegungen der Krähe und Dohle und ihre Be- einflussung vom Vagus. Von Ernst Mangold. (Mit 14 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institut der kgl. Universität Greifswald). DE 23 Über die Neutralisierung von Spermotoxinen und Alkaloiden durch Extrakte des Hodens und des Nebenhodens. Von S. Metalnikov. (Aus dem biologischen Laboratorium von Prof. Lesshaft, St. Petersburg) h Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. Von Hein- rich Gerhartz. (Mit 30 Textfiguren.) (Aus dem mediz.- poliklinischen Institut für innere Medizin der Universität Berlin) . : ; Über die vom tierischen Organismus unter verschiedenen Be- dingungen ausgeschiedenen Alkoholmengen. Von Wilhelm Völtz und August Baudrexel. (Mit 3 Textfiguren.) (Aus der ernährungs-physiologischen Abteilung des Instituts für Gärungsgewerbe der Kgl. landwirtsch. Hochschule zu Berlin) . Beziehungen zwischen Blutdruck und Atmung. Von Dr. Ludwig Hofbauer. (Mit 2 Textfiguren.) (Aus dem ’k. k. physio- logischen Institut der Universität Wien) zu 2 Über den Zusammenhang zwischen Sarkolemm und Muskelfaser und dem Streifen Z. Von Frl. J. Ponomarewa. (Mit 14 Textfiguren.) (Aus dem histol. Laboratorium der Hoch- schule für Frauen in St. Petersburg) . RR Die Frage der Tonempfindung. Von Dr. Geo. E. erhanah, Univ. von Chicago. Übersetzt von Dr. J. Holinger aus Chicago * Seite 14 19 134 141 155 IV Inhalt. Viertes, fünftes und sechstes Heft. Ausgegeben am 9. Februar 1911. Die automatische Tätigkeit der Atemzentren. Von Hans Winterstein. (Hierzu Tafel I, I und III.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin) Die Regulierung der Atmung durch das Blut. Von Hans Winterstein. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Rostock) Versuche am künstlich durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. Von Amedeo Herlitzka. (Mit 16 Text- figuren.) (Aus dem physiologischen Institut der Uni- versität Turin) ae ne Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. Ein Beitrag zur Physiologie der Drüsen. Von Franz Smetänka, Assistent des Institutes. (Mit 7 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institute der k. k. böhmischen Universität in Prag) En la Über den Einfluss der Extraktivstoffe des Fleisches auf die Resorption der Nährstoffe. Der physiologische Nutzwert des Fleischextraktes. Von Wilhelm Völtz und August Baudrexel. (Aus der ernährungsphysiologischen Ab- teilung des Instituts für Gärungsgewerbe der Kgl. Land- wirtschaftlichen Hochschule zu Berlin) . Zur 'Theorie des Kymographions. Von OÖ. E. Meyer f. Aus dem Nachlass herausgegeben von Ol. Schaefer Siebentes, achtes und neuntes Heft. Ausgegeben am 25. Februar 1911. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. Von Karl v. Frisch. (Mit 8 Textfiguren und Tafel IV und V.) (Aus der biologischen Versuchsanstalt in Wien) Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems bei Insekten. Von J. Matula. (Mit 6 Textfiguren.) (Aus der biologischen Versuchsanstalt in Wien) . Be 'Ein Versuch, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen in Zahlen auszudrücken. Von Dr. J. 8. Szymanski. (Mit 13 Textfiguren.) (Aus der biologischen Versuchs- anstalt in Wien). ae Lie lee A RER: Seite 159 167 185 217 275 292 319 388 457 Inhalt. Zehntes, elftes und zwölftes Heft. Ausgegeben am 3. März 1911. Über die Beeinflussung der primären Färbbarkeit und der Leitungsfähigkeit des polarisierten Nerven durch die den Strom zuführenden Ionen. Einfluss der Kationen Ca’ ‘, Na‘, K' auf die anodische Strecke. Von Alfred Schwartz. (Mit 7 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Strassburg i. E.) ie Zur Frage der Entstehung von Glykogen aus Formaldehyd. Von Bernhard Schöndorff und Friedrich Grebe. (Physiologisches Institut der Universität Bonn) SIR Über den Einfluss des Phloridzins auf die Glykogenbildung in der Leber. Von Bernhard Schöndorff und Fritz Suckrow. (Physiologisches Institut der Universität Bonn) Untersuchungen über die Atmung von Insekten unter An- wendung der graphischen Methode. Von Dr. Johann Regen, Professor am k. k. Sophiengymnasium in Wien. (Mit 20 Textfiguren) a Methodologische Aufklärungen zur Physiologie der Schilddrüse. I. Mitteilung. Von E. von Cyon Über den Einfluss der Äthernarkose auf die Körpertemperatur und den Kohlehydratstoffwechsel. Von Karl Grube. Über den Einfluss der komprimierten Luft auf die Blutbildung. Von Dr. Adele Bornstein. (Aus dem Laboratorium des Elbtunnelbaues und der physiologischen Abteilung des pathologischen Instituts des Krankenhauses St. Georg in Hamburg) . Über die Beeinflussung der Suprareninwirkung durch Sauerstoff und die Salze des Blutes. Von Erich Siegel. (Aus dem Laboratorium des medizinisch-poliklinischen Instituts der Universität Berlin. Berichtigung von Wilhelm Völtz und August Baudrexel Seite 487 609 617 638 (Aus dem physiologischen Institut der kgl. Universität Greifswald.) Die Magenbewegungen der Krähe und Dohle und ihre Beeinflussung vom Vagus. Von Ernst Mangold. (Mit 14 Textfiguren.) Ein ausgezeichnetes Versuchsobjekt zur Demonstration der rhyth- mischen Magenbewegungen und zur Untersuchung ihrer Veränderungen auf experimentelle Eingriffe hin bildet der Muskelmagen der Krähe und Dohle. Während der Hühnermagen infolge seines ausserordentlich leicht ansprechenden Hemmungsapparates die Geduld des auch mit diesem Objekte vertrauten Experimentators oft auf eine harte Probe stellt, wenn zur Entscheidung eines Versuches und zur Bestimmung des Rhythmus die Kurve verzeichnet werden soll und schon bei Einführung der Ballonsonde durch die lebhaften Schreckbewezungen des Tieres oder durch ein vorübergehendes Festfangen der Sonde im Kropfe eine langanhaltende Hemmung der Magenbewegungen eintritt, lässt sich bei den genannten Krähenvögeln mit weit grösserer Sicher- heit die Registrierung ungestörter Magenkontraktionen erzielen. Es lag mir daran, an diesem neuen Untersuchungsmaterial die Funktionen des Muskelmagens und ihre Abhängigkeit vom Vagus wie von den verschiedenen Verdauungs- und Ernährungszuständen zu prüfen und mit meinen am Hühnermagen!) gewonnenen Ergeb- nissen zu vergleichen. Die Krähen, die seit Spallanzani’s?) klassischen Versuchen 1) Der Muskelmagen der körnerfressenden Vögel, seine motorischen Funk- tionen und ihre Abhängigkeit vom Nervensystem. Pflüger’s Arch. Bd. 111 Ss. 163—240 1906. 2) Herrn Abt Spallanzani’s Versuche über das Verdauungsgeschäft des Menschen und verschiedener Tierarten S. 54. Übersetzt von Michaelis. Leipzig 1785. Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 138. 1 2 Ernst Mangold: nicht wieder zum Gegenstande verdauungsphysiologischer Unter suchungen gemacht wurden, besitzen einen Schlund ohne Kropf, an den sich ein Drüsenmagen und dann der Muskelmagen anschliesst. Spallanzani nennt diesen einen Mittelmagen, weil er weder so muskulös und mit dicken und starken Seiten versehen ist wie bei den Hühnern, noch auch eine so dünne Wand besitzt wie der häutige Magen der Raubvögel oder des Menschen. Dass seine mechanische Wirksamkeit bei weitem nicht an die erstaunlichen Kraftleistungen des Hühner- oder gar Truthühnermagens heranreicht, geht bereits aus Spallanzani’s vergleichenden Versuchen mit eingeführten Bleiröhren hervor, von denen nur die dünnsten im Krähenmagen verbogen wurden. Durch diese Mittelstellung ihres Muskelmagens charakterisieren sich die Krähen im Gegensatz zu den reinen Körnerfressern mit starkem Muskelmagen und zu den Raubvögeln mit häutigem Magen als omnivore Vögel, wie es auch der Verschiedenheit ihrer Nahrung entspricht. Meine Versuchstiere, Nebelkrähen (Corvus cornix) und Dohlen (Monedula turrium) bekamen hauptsächlich rohes gehacktes Pferdefleisch, gekochte Kartoffeln und Reis, Weizenkörner und Küchenabfälle, Fisch und dergleichen zu fressen. Die Krähen, die ganz jung zu uns kamen und noch nicht selbständig fressen konnten, erhielten zunächst nur Fleisch, wobei sie gut gediehen. Einige Dohlen gingen trotz reichlicher Fütterung nach starker Abmagerung ein. Die Sektion und mikroskopische Untersuchung des Darm- inhaltes ergab, dass dieser vorwiegend aus grossen Massen rund- licher Körperchen bestand, die sich als Eier einer der Dohle speziell eigenen Taenie, Anomotaenia puncta!), erwiesen. Steinchen waren in dem von einer gelbbraunen Cutieula über- zogenen Muskelmagen der zur Sektion gelangten jungen Dohlen und einer jungen Nebelkrähe, die drei Tage vorher aus dem Nest ge- fallen war, nicht zu finden. Jedenfalls verfüttern also die Alten keine Steinchen, die überhaupt bei den Krähen nicht die grosse Be- deutung zu haben scheinen wie bei den reinen Körnerfressern. Nach Spallanzani verschwinden auch die Steinchen aus dem Krähen- magen bei mangelnder Zufuhr meist in einigen Tagen, während sie bei den Hühnern monatelang im Magen bleiben. 1) Fuhrmann, Parasiten der Vögel. Die Magenbewegungen der Krähe und Dohle etc. 3 Zur Fixierung der Tiere während der graphischen Registrierung der Magenbewegungen mittelst der Ballonsondenmethode braucht man für Krähen und Dohlen ebensowenig wie für Hühner einen beson- deren Halter zu konstruieren, Ein aus rechtwinklig gekreuzten Holz- stäben gefertigtes Brett erwies sich als einfach und praktisch und passt für alle in Betracht kommenden Tiergrössen. Während des Aufbindens an Füssen und Flügeln sind die lebhaften Tiere stets besonders unruhig, hacken um sich und lassen sich keineswegs ebenso prompt in jenen auf Reflexhemmung beruhenden Zustand der Be- wegungslosigkeit versetzen, den man als tierische Hypnose bezeichnet hat, wie die Hühner, ‘Hennen sowohl wie Hahn. Bei den’ Krähen gelingt dies, wie ich bereits an andrer Stelle!) erwähnte, noch schwerer als bei den Dohlen, und es ergibt sich daraus die Not- wendigkeit, den Kopf der Tiere während des Versuches durch leichtes Festhalten am Schnabel zu fixieren oder von einem Assistenten fixieren zu lassen. Von der Anwendung von Äther, Chloroform, Chloral oder Curare kann natürlich keine Rede sein, da dureh diese Mittel ein Stillstand der Magenbewegungen hervorgerufen wird, wie ich es bereits kurz — für den Hühnermagen — angegeben habe. Trotz der häufigeren Schreckbewegungen lässt sich aber doch mit den Krähenvögeln verhältnismässig erfolgreicher experimentieren, weil ihre Magentätigkeit dadurch nicht so nachhaltig hemmend be- einflusst wird, wie es bei den Hühnern der Fall zu sein pflegt, und weil auch die Einführung der Ballonsonde, infolge des Fehlens des Kropfes, hier meist glatter vor sich geht als bei jenen, wo es beim Suchen der unteren Kropfmündung oft zu störenden mechanischen Reizungen kommt. Da die Untersuchungen bei den Krähen und Dohlen zu gleich- artigen Ergebnissen führten, so brauchen sie hier auch nicht getrennt wiedergegeben zu werden. Die Form der einzelnen Kurve, die einer Kontraktion des auch hier wie beim Huhne aus je einem Paare von Hauptmuskeln und Zwischenmuskeln bestehenden Magens entspricht, erwies sich als ebenso wechselnd wie beim Hühnermagen. Wie am besten aus den beigegebenen Kurven hervorgeht, lässt sich auch hier meist ein dikroter Typus der Einzelkurve beobachten (siehe Kurve 1 und 2), doch erhielt ich verhältnismässig häufig eine mono- 1) Zur tierischen Hypnose. Sitzungsber. d. mediz. Vereins zu Greifswald. Deutsche med. Wochenschr. 1910 Nr. 4. 1 * 4 Ernst Mangold: Kurve 1. Normalkurve vom Krähenmagen. Von Kurve 2. Dohle. Dikroter Typus der links nach rechts zu lesen. Zeıt in Sekunden. Magenkurve. Zain Me BANN Va az AB TAT T m PTTTTTTTIEETTTTTT Kurve 3. Dohle. Monokrote Magenkurven. Dikrotie Kurve 4.! Krähe 1. Trikrote nur angedeutet. Magenkurven. Kurve 5. Dohle. Magenkurve. Die Magenbewegungen der Krähe und Dohle etc. .) krote Form (Kurve 3) und konnte auch trikrote (Kurve 4) und poly- krote Kurven mit zahlreichen Zacken gewinnen. schiedenen Kurvenformen eine in den einzelnen Fällen etwas verschiedene Lage des Sondenballons im Magen ver- antwortlich zu machen ist, vermag ich zunächst nicht völlig in Abrede zu stellen. Wahrscheinlich sind die ver- schiedenen Formen wohl wie beim Hühnermagen hauptsächlich auf die ihrer Intensität nach, wie auch zeitlich nieht stets gleichmässige Beteiligung der beiden Muskelpaare zurückzuführen, und das häufige Fehlen der Dikrotie mag vielleicht in der schwachen Aus- bildung der Zwischenmuskeln seine Ursache finden. Auch hier zeigte sich gelegentlich die Neigung zur Gruppenbildung, wie in dem Beispiel der abwechselnd voll- kommenen und unvollkommenen Er- schlaffune in Kurve 5 angedeutet ist, und besonders auffallend erschien bei einer Krähe die gelegentliche periodische Zusammenordnung einer Anzahl von Einzelkurven zu Serien, wie es durch die Kurve 6 veranschaulicht wird. Ohne dass sich ein Verrutschen der Sonde oder sonst eine methodische Störung hätte nachweisen lassen, verzeichnete die Kurve in solchen Fällen ein perio- disches Schwanken der Magentätigkeit. Immer sechs bis sieben oder eine grössere Anzahl von Einzelkontraktionen folgen einander, von völligem Sinken der Kurve unterbrochen, und es kann sogar plötzlich oder auch durch das allmähliche Sinken der Kontraktions- höhen vorbereitet, eine längere Pause E | - E | 3 Ob für diese ver- l’eriodenbildung der Magenkontraktionen. Krähe 1. Kurve 6. > =) 6 Ernst Mangold: von 15 bis 30 Sekunden eintreten, nach welcher eine neue Kurven- serie beginnt. Gleichzeitig mit derartigen Periodenbildungen markierten sich des öfteren Schwankungen des Tonus; die Kurve der einzelnen Kon- traktionshöhen steigt im Anfange einer Kontraktionsserie an, um gegen Ende derselben wieder abzufallen, und die mittleren Kurven der Reihe fallen nicht, wie die ersten und letzten, völlig bis zur Ab- szisse ab. Einen derartigen Tonusanstieg bewirkte übrigens oft auch das erste Einführen oder das Tieferstossen der Sonde, während sich nach Schreckbewegungen des Tieres oder auch nur aus Anlass von störenden Geräuschen kurz dauernde Hemmungen, Tonusfall und schnell vorübergehende Pausen beobachten liessen. Tabelle 1. Magen- Lauf. Versuchs- erahnen Zeit der letzten an Nummer tier Fütterung zelnen Bewegung in Sekunden) 2 Sek: 11,7 1 Krähe 1 28. Juni 1909 gerade vorher 124 2 : >39. „ 1909 | vor 24 Stunden I 3 x 1. Juli 1909 gerade vorher 10,4 4 2, „ 1909. | vor.23 Stunden {| 101 5 Ri 2001909 vor 46!/a Stunden I in 6 i 300251909 vor 20 Minuten 14.4 7 ü 3001909 en 10,1 3 ® 60221909 vor 18 Stunden 13,7 5 i 14,8 6) ” Dr EN) vor 40 Minuten { 165 10 5 190 gerade vorher { I 11 Krähe 3 27. Juni 1910 au 82 [978] > BE 12,3 12 5 28. ol) 12,0 13 5 2 2 1OLO vor 221/a Stunden 9,5 14 Dohle 1 22205021909 — 10,5 15 N 28 02.1909 kurz vorher 14,0 16 : 1. Juli 1909 S ß 14,9 17 S 3211909 s 2 14,1 18 1 9, 2 1909 ai 11,4 19 Dohle 4 30. Juni 1909 ‘kurz vorher 14,3 20 ; 1. Juli 1909 : j 16,1 21 : 2 201909 \ 13,4 22 ss 91909 „ n 14,5 Die Dauer der einander normalerweise ohne jede Pause folgenden einzelnen Magenbewegungen betrug bei der Nebelkrähe Die Magenbewegungen der Krähe und Dohle etc. 7 durchschnittlich 11,9, bei der Dohle 13,4 Sekunden, während beim Huhne 15 bis 20 Sekunden der Norm entsprechen. Diese ver- hältnismässig hohe Frequenz erlitt auch in den verschiedenen Ver- dauungszuständen keine Veränderung, und es liess sich nicht, wie beim Hühnermagen, eine gesetzmässige Beeinflussung des Magen- rhythmus durch Hungerzustand und Fütterung nachweisen. In der beigefügten Tabelle, aus der dies ersichtlich ist, sind immer die aus je zehn oder zweimal zehn zusammenhängenden Kurven von Ein- zelkontraktionen gewonnenen Durchschnittswerte für den Magen- rhythmus angegeben. Eine merkliche Verlangsamung durch den Hungerzustand scheint hiernach bei den Krähen nicht einzutreten ; eher liesse sich aus der Tabelle das Gegenteil herauslesen. Übrigens wurde den Tieren während der Karenz das Trinkwasser nicht ent- zogen. Umgekehrt ergeben die nach der Fütterung mit rohem ge- hackten Pferdefleisch, die in einigen Fällen unter Beigabe von Kar- toffeln erfolgte, registrierten Zahlen einen, wenn überhaupt vorhandenen, . eher verlangsamenden Einfluss der Fütterung auf den Magenrhythmus. Da es sich hier auch um eine nicht mit so starker mechanischer Reizung verbundene Fütterung handelt wie bei der der Hühner mit Getreidekörnern, so ist der so gut wie negative Ausfall der Fütterungs- versuche vielleicht nicht zu verwundern. Andrerseits könnte auch die Zahl der Versuche als nieht ausreichend erscheinen: doch er- mutigten die miteeteilten kaum zu einer weiteren Ausdehnung der Beobachtungen, und es muss angenommen werden, dass sich der Krähenmagen, wie er auch durch mechanische Reize oder selbst durch heftige Bewegungen der Tiere viel weniger in seiner Tätig- keit gestört wird, so auch durch die verschiedenen Verdauungs- zustände in der Frequenz seiner Kontraktionen nicht in dem Grade beeinflusst wird wie der Hühnermagen. Und ebenso scheint er sich nach einigen Beobachtungen auch gegenüber der Verfütterung ver- schiedenartiger Nahrung !) zu verhalten. Nach meinen späteren Erfahrungen am Bussardmagen mag auch vielleicht die Dauer des Hungerzustandes in meinen Krähenversuchen nicht lang genug gewesen sein, um eine zeitliche Verminderung der Magenbewegungen hervortreten zu lassen, wenngleich der 1) Vgl. Mangold und Felldin, Über den Einfluss verschiedenartiger Fütterung auf die Bewegungen des Hühnermagens. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 23 S. 302. 1909. g : Ernst Mangold: eine Versuch mit 46 Stunden Hungerzeit (siehe Tabelle I, Nr. 5) ebenfalls keine Verlangsamung ergab. Tabelle II. Datum | Stunde | Vagus Rhythmus 12. Juli. 1910 — — 12,6 14. „ 1910 10h 45’ — 14,0 14251910 10h 55’ links Vagotomie —_ 1477521910 11h 12’ _ 11,7 15 TIL 10h 00’ _ 30,0 16. „ 1910 9h 00’ — 16,6 1800001910 2 — 10,8 197501910 10h 05’ _ 11,5 Die Versuche über den Einfluss der Nervi Vagi führten zu sehr ähnlichen Ergebnissen wie beim Hühnermagen. Wie aus der Tabelle II hervorgeht, folgte auch bei der Krähe der ersten Vagusdurchschneidung eine beträchtliche Verlangsamung des Rhythmus, die jedoch erst am Tage nach der Operation zutage trat (siehe Kurve 7 und 9), während gleich nach der Vagotomie ein Er- regungszustand einsetzte, der an- fangs zu nicht ganz regelmässigen Doppelkontraktionen führte, diedann Kurve 7. Krähe 3. Vor der ersten jn eine beschleunigte Bewegung mit Vagotomie. N Tonusanstieg und geringer Aus- giebigkeit der Einzelkontraktionen übergingen (siehe Kurve 8). Am vierten Tage erwies sich die Frequenz wieder normal (siehe Tabelle II). \IIYLUUVYYYUUAA TTTTTSTETTITEEN Im NUN THE Kurve 8. Krähe 3. Gleich nach der ersten Vagotomie. Die Magenbewegungen der Krähe und Dohle etc. 8) Die periphere Vagusreizung mit tetanisierenden Induktions- strömen rief zunächst eine Unterbrechung der bestehenden spontanen oder durch eine vorhergehende Vagusreizung veranlassten Bewegungen und ein Sinken der Kurve hervor, dem nach Aufhören der Reizung eine deutliche Frequenzzunahme und ein Tonusanstieg folgte (siehe TURMRTITTANNTRANTRNITNRATTTINITTRITATNTTG R Kurve 9. Krähe 3. Am Tage nach der ersten Vagotomie. Kurve 10. Krähe 3. Periphere Vagusreizung bei erhaltenem zweiten Vagus. R.-A = 14. Reizung von I—X. Kurve 10). Auf die zentrale Vagusreizung hin (Kurve 11) sank die Kurve bei genügender Reizstärke alsbald völlig ab, die Magen- bewegungen hörten auf, um nach Aufhören der Reizung wieder ein- zusetzen und ihren Fortgang zu nehmen. Wird auch der zweite Vagus durehschnitten, so sind die ein- zelnen schwachen Magenbewegungen von langen Pausen unterbrochen. Die periphere Vagusreizung hat dann wie bei dem Hühnermagen so 10 Ernst Mangold: auch bei der Krähe einen erregenden oder hemmenden Einfluss (vgl. op. eit. Pflüger’s Arch. Bd. 111 S. 212, 213), je. nachdem sich der Magen zur Zeit der Reizung in Ruhe oder in rhythmischer Tätigkeit befindet. In ersterem Falle (siehe Kurve 12) tritt als Kurve 11. Krähe 3. Zentrale Vagusreizung bei erhaltenem zweiten Vagus. R.-A. = 14 Kurve 12. Krähe 3. Periphere Vagusreizung nach der zweiten Vagotomie. 8 Wirkung der peripheren Vagusreizung zunächst eine starke Einzel- kontraktion ein, der ein Stillstand und dann eine in ihrer ungefähr der normalen entsprechenden Frequenz (12, 2) allmählich wieder abnehmende Kurvenserie folgt (siehe Kurve 12). Wird indessen während des Ablaufes einer solchen Kontraktionsreihe eine neue Die Magenbewegungen der Krähe und Dohle etc. 11 Reizung von gleicher Stärke appliziert (Kurve 13), so tritt nach einer verlängerten Kontraktion als erster Erfolg eine Hemmung ein, die eine Serie von Kontraktionen einleitet, welehe mit erhöhter Frequenz einsetzen, anfangs an Höhe steigen und dann an Frequenz und Höhe wieder abfallen. {5} Kurve 13. Krähe 3. Periphere Vagusreizung nach der zweiten Vagotomie R.-A. = 18. Kurve 1. Krähe 3. Zentrale Vagusreizung nach der zweiten Vagotomie. N er Die zentrale Vagusreizung (Kurve 14) hat auch nach der zweiten Vagotomie noch eine nachhaltige Hemmung und Stillstand der Magen- bewegungen zur Folge, die offenbar durch sympathische Bahnen’ver- mittelt wird. Nach deren Abklingen setzen die Einzelkontraktionen 12 Ernst Mangold: wieder ein, doch ohne anfänglich gesteigerte Frequenz, so dass sie wohl nicht als nachträgliche Folge der zentralen Reizung gedeutet werden dürfen, vielmehr auf die vorher bereits vorhandene und nun wieder durchbrechende Erregung zurückzuführen sind. Wenn: wir uns der Vorstellung anschliessen, dass der Auer- bach’sche Plexus das automatische Zentrum der rhythmischen Magenbewegungen darstellt, so ergibt sich aus den hier wieder- gegebenen Versuchen, dass dieses durch die Vagi in mehrfacher Weise beeinflusst wird. Wie aus den Durchschneidungs- und Reizungsversuchen hervorgeht, ist der Vagus in erster Linie ein Beschleunieungsnerv für den Magen, und die normale Frequenz der Magenbewegungen wird nur bei Unversehrtheit wenigstens eines der beiden Nerven aufrecht erhalten. Ausser dieser acceleratorischen besitzt der Vagus auch eine den Tonus erhöhende Wirkung, die bei den Reizungen des peripheren Vagusstumpfes zutag> kommt und auch wohl die Ursache der normalerweise periodisch auftretenden Tonusanstiege bildet. Nach der zweiten Vagotomie macht sich bei peripherer Vagusreizung fast stets nur die die Frequenz erhöhende Wirkung geltend, während die tonuserhöhende ausbleibt (siehe auch die Kurven 12 und 13, im Gegensatz zu Kurve 10). Dass dies Verhalten keine ganz allgemeine Gesetzmässigkeit darstellt, geht aus den Versuchen am Hühnermagen hervor, denn wie die Kurve 48 auf S. 226 meiner Hühnermagenarbeit beweist, tritt ausnahmsweise auch nach der zweiten Vagotomie die tonuserhöhende Funktion hervor. Jedenfalls darf aber aus den Krähenversuchen geschlossen werden, dass die frequenzsteigernde Vaguswirkung auch ohne gleich- zeitiges Inkrafttreten der tonuserhöhenden zur Geltung kommen kann, wie anderseits bei den spontanen Tonusanstiegen auch eine merkliche Frequenzzunahme fehlen kann. Meistens scheint sich allerdings beides zu vereinigen. Auch die von den Vagis auf den Muskelmagen ausgeübte Hemmungsfunktion erstreckt sich sowohl auf die Frequenz als auch auf den Tonus. Die der Erregung vorangehende Hemmung auf periphere Vagusreizung hin (Kurve 10), wie besonders der Erfolg der während einer Aktionsperiode des Magens einsetzenden peri- pheren Vagusreizung nach doppelseitiger Vagotomie (siehe Kurve 15) beweisen eine direkte Hemmungswirkung des Vagus auf den Magen bzw. auf sein automatisches Bewegungszentrum. Eine vom Vaguszentrum vermittelte reflektorische Hemmung Die Magenbewegungen der Krähe und Dohle etc. 13 liess sich durch zentrale Vagusreizung hervorrufen (Kurve 11). Dass dabei die absteigende Bahn nicht notwendig im zweiten Vagus zu verlaufen braucht, wie es bei erhaltenem Vagus der anderen Seite allerdings wohl wahrscheinlich erfolgt, beweist die auch nach Dureh- schneidung des zweiten Vagus noch auf zentrale Vagusreizung hin eintretende Hemmung, die jedenfalls auf sympathischen Bahnen ver- mittelt wird (Kurve 14). Zusammenfassung. Die Dauer uer einzelnen, einander normalerweise ohne Pause folgenden Magenbewegungen beträgt bei Nebelkrähen 11,9, bei Dohlen 13,4 Sekunden (beim Huhn 15—20 Sekunden). Eine Veränderung dieses Rhythmus durch Hungerzustand und Fütterung liess sich nicht nachweisen (im Gegensatz zum Huhn). Die vom Muskelmagen der Krähe und Dohle mittelst der Ballon- sondenmethode aufgezeichneten Kurven zeigen meist einen dikroten Typus. Die gelegentlich zu beobachtenden Gruppenbildungen und Tonusschwankungen lassen eine gewisse periodische Veränderung der sonst überaus regelmässigen Magenbewegungen erkennen. Die Nervi vagi besitzen einen frequenzsteigernden, ferner tonus- erhöhenden wie auch einen hemmenden Einfluss auf die Magen- bewegung. In erster Linie tritt normalerweise die acceleratorische Wirkung hervor. Periphere Vagusreizung hat nach kurzer Hemmung eine Er- reeung der Magenbewegungen mit Frequenzsteigerung und meist auch Tonuserhöhung zur Folge. Zentrale Vaeusreizung bewirkt, auch nach Durchschneidung beider Vagi, Hemmung. Der Muskelmagen der Krähen und Dohlen bildet ein besonders geeignetes Demonstrations- und Versuchsobjekt für die rhythmischen Magenbewegungen. 14 S. Metalnikov: (Aus dem biologischen Laboratorium von Prof. Lesshaft, St. Petersburg.) Über die Neutralisierung von Spermotoxinen und Alkaloiden durch Extrakte des Hodens und des Nebenhodens. Von S. Metalnikov. Die Frage von der Neutralisierung der Toxine bietet sowohl in theoretischer wie auch in praktischer Hinsicht ein ganz ausserordent- liches Interesse. In der Tat ist es ja allgemein bekannt, welche wichtige Rolle bei Erkrankungen aller Art der Intoxikation zufällt, und zwar sowohl der Intoxikation durch verschiedene Ausscheidungen von Bakterien, als auch durch mehr oder weniger giftige Produkte des Stoffwechsels, welche nicht rechtzeitig aus dem Organismus ent- fernt wurden. Allein der Organismus hat nicht nur bei Erkrankungen mit giftigen Substanzen zu kämpfen. In jedem gesunden und regel- mässig funktionierenden Organismus zirkulieren beständig nicht wenige Giftstoffe. Die einen derselben gelangen aus dem Darme in das Blut, andere sind das Ergebnis der Lebenstätigkeit von Zellen. Bevor die giftigen Produkte in die Nieren gelangen, um nach aussen be- fördert zu werden, müssen sie zweifelsohne mit lebenden Zellen in Berührung treten. Der Organismus würde nicht leben und regel- mässig funktionieren können, wenn er nicht besondere Vorrichtungen besässe, um seine Zellen vor der Wirkung verschiedener Gifte, wie sie beständig im Blute zirkulieren, zu beschützen. Ganz besonders wichtig erscheinen, wie anzunehmen ist, der- artige Vorrichtungen zum Schutze der Geschlechtszellen, indem diese sozusagen die allerwertvollsten Elemente des Organismus darstellen. Während nun die weiblichen Geschlechtsprodukte, d. h. die Eier, wenn sie ihre Reife erlangen, nach aussen ausgestossen werden, ge- langen die reifen Spermatozoen in die Kanäle des Nebenhodens, wo sie augenscheinlich sehr lange Zeit hindurch. verweilen können, Über die Neutralisierung von Spermotoxinen und Alkaloiden etc. 15 Wenn keine Vorrichtungen zum Schutze der Spermatozoen gegen die Wirkung von allerhand Toxinen vorhanden wären, so würde die ganze, auf die Hervorbringung von Spermatozoen gerichtete Arbeit des Organismus zweifelsohne ganz umsonst verloren gehen. Durch aile diese Erwägungen wurde ich bewosen, meine Auf- merksamkeit vor allem auf den Nebenhoden zu richten, wo die Spermatozoen aufbewahrt werden, und hier nach schützenden Stoffen gegen die Toxine zu suchen. Ausserdem lagen noch andere Erwägungen vor. Als ich vor einigen Jahren künstliche Spermatoxine untersuchte, stiess ich auf nachstehende interessante Beobachtung. "Injiziert man einem Meer- schweinchen seine eigenen Spermatozoen unter die Haut oder in das Peritoneum, so bildet sich im Blute des betreffenden Meerschweinchens nach Verlauf eines gewissen Zeitraumes ein starkes Toxin für seine eigenen Spermatozoen. Während die Spermatozoen im Blute und im Serum eines nor- malen Meerschweinchens ziemlich lange Zeit hindurch am Leben blieben, gehen dieselben im Serum von mit ihren eigenen Spermato- zoen injizierten Meersehweinchen augenblieklich zugrunde. Wenn demnach Spermatozoen eines Tieres aus ihrem gewohnten Auf- enthaltsorte, d. h. den Geschlechtsorganen, in ungewohnte verbracht werden, d. h. in die Bauchhöhle oder unter die Haut des Tieres, so reagiert der Organismus hierauf durch das Hervorbringen be- sonderer gegen die eigenen Spermatozoen zerichteter Toxine, der Autospermotoxine. Es ist jedoch von besonderem Interesse, dass diese Autospermo- toxine in den Geschlechtsdrüsen keine Wirkung ausüben. Unter- sucht man bei einem Tiere, dessen Blut ein starkes Spermotoxin enthält, den Hoden samt dem Nebenhoden, so erweisen sich die Spermatozoen vollständig lebendig oder normal. Es müssen daher in dem Hoden oder dem Nebenhoden irgendwelche Vorrichtungen enthalten sein, welche der Wirkung der Spermotoxine auf die Sperma- tozoen entgegenarbeiten. Um der Beantwortung dieser Frage näher zu treten, bereitete ich Extrakte aus dem Hoden und dem Nebenhoden und begann die Wirkung dieser Extrakte auf die Spermotoxine auszuprobieren. Bereits durch die ersten Versuche wurde der Nachweis geliefert, dass diese Extrakte nicht nur die Autospermotoxine, sondern auch noch andere: auf Spermatozoen wirkende Toxine mit grosser Energie 16 S. Metalnikov: neutralisieren. Nimmt man z. B. das Serum irgendeines anderen Tieres, z. B. eines Kaninchens oder eines Stieres, in welchem die Spermatozoen des Meerschweinchens sehr rasch zugrunde gehen, und füst diesem Serum von dem Extrakt des Nebenhodens oder des Hodens hinzu, so bleiben die Spermatozoen in dieser Mischung sehr lange am Leben. Nach diesen Versuchen stellte ich Versuche mit der Wirkung anderer giftiger Substanzen auf Spermatozoen an, sowie mit der Neutralisierung dieser Substanzen durch Hodenextrakte. Vor allem wurde die Wirkung einiger bakterialer Toxine geprüft, und zwar der Diphtherie-, Cholera- und Tetanustoxine.e Von den drei Diphtherietoxinen, welehe ich erhalten hatte, wirkten zwei nur sehr schwach auf die Spermatozoen des Meerschweinchens, während das eine die Spermatozoen in wenigen Minuten tötete. Wurde einem solchen Toxin Extrakt hinzugefügt, so blieben die Spermatozoen in dieser Mischung sehr lange Zeit hindurch am Leben. Das Cholera- toxin wirkte viel schwächer auf die Spermatozoen. Eine noch viel schwächere oder selbst gar keine Wirkung übte das Tetanusgift auf die Spermatozoen aus, welches ich in trockenem Zustande aus dem Institut für experimentelle Medizin erhalten hatte. Für meine Ver- suche bereitete ich eine 1 °/o ige Lösung des Toxins in physiologischer Kochsalzlösung. Selbst in dieser starken Konzentration übte das. Toxin nicht die geringste Wirkung aus. Ich erprobte ferner auch die Wirkung von Schlangengiften (Cobra und Vipera), welche ich ebenfalls durch Herrn Dr.S.K. Drzeschkowski aus dem Institut für experimentelle Me- dizin erhalten hatte. Eine 1°/oige Lösung dieser Gifte übte nicht die geringste Wirkung auf die Lebenstätigkeit der Spermatozoen so- wohl des Meerschweinchens wie auch des Stieres aus. Auch eine ganze Reihe von Alkaloiden wurde von mir erprobt, und zwar das Öurare, Cocain, Strychnin, Coniin, Eudermol, Daturin, Bruein, Pilocarpin, Nicotin, Digitalin, Physostigmin, Chinin, Veratrin, Atropin und Morphin. Von allen diesen Alkaloiden wurden Lösungen in physiologischen Kochsalzlösungen von verschiedener Konzentration zubereitet. Als. am stärksten auf die Spermatozoen des Meerschweinchens wie auch des Stieres wirkend erwies sich das Nicotin, welches die Sperma- tozoen selbst in Verdünnungen bis zu !/2ooo augenblicklich tötete. Weniger stark wirkt das Physostigmin, das Eudermol, das Chinin Über die Neutralisierung von Spermotoxinen und Alkaloiden etc. 17 und das Morphin. Einige dieser Alkaloide, wie das Nieotin, das Fudermol, das Physostigmin und das Morphin werden durch die Extrakte gut neutralisiert. Es genügt, eine geringe Quantität von Extrakt hinzuzufügen, um die Wirkung des Alkaloids auf die Sperma- tozoen zu paralysieren. Ob hier in der Tat eine Neutralisierung des Alkaloids, d. h. dessen Zerstörung, oder aber nur eine Un- sehädlichmachung desselben vorliegt, hoffe ich durch weitere Experi- mente feststellen zu können. Andere Alkaloide, wie das Curare, Strychnin, Daturin, Pilo- carpin, Veratrin und Atropin, üben eine nur sehr schwache oder selbst gar keine Wirkung auf lebende Spermatozoen aus. In Curare (sogar in 1°oigen oder 2°oigen Lösungen desselben) bleiben die Spermatozoen im Verlaufe mehrerer Stunden am Leben. Eine merkwürdige Erscheinung! Während die Extrakte des Nebenhodens auf starkwirkende Alkaloide eine neutralisierende Wirkung ausüben, ist die Wirkung dieser Extrakte auf Curare, Veratrin u. a. m. eine geradezu entgegengesetzte, d.h. sie verstärkt die Wirkung dieser Alkaloide! In einer Mischung von Curare mit Extrakt sterben die Spermatozoen ebenso rasch ab wie in Nicotin. Diesen Versuch wiederholte ich mehrere Male, sowohl mit Sperma- tozoen des Stieres wie auch mit solehen des Meerschweinchens, und habe stets die gleichen Resultate erzielt. In verschiedenen Curare- lösungen leben die Spermatozoen ausgezeichnet; allein es genügt, eine geringe Menge Nebenhodenextrakt hinzuzufügen, damit ihr augen- blieklicher Tod eintritt. Es gibt endlich Alkaloide, welche die Spermatozoen nicht nur nicht töten, sondern umgekehrt deren Lebenstätigkeit anregen. Zu solehen Alkaloiden gehört das Bruein, das Cocain und das Coniin. Sie regen die Tätigkeit sogar solcher Spermatozoen an, welche schein- bar leblos geworden sind und selbst beim Anwärmen nicht mehr zum Leben kommen. Aus allen oben dargelesten Versuchen geht demnach hervor, dass die am stärksten auf die Spermatozoen wirkenden Toxine und Alkaloide durch Extrakte aus dem Hoden und dem Nebenhoden gut neutralisiert werden. Die neutralisierende Grundsubstanz ist sehr wenig beständig. Bei dem Erwärmen auf 70° wird sie zer- stört, ebenso nimmt ihre Wirkung mit der Zeit, selbst bei Auf- bewahrung auf Eis, allmählich ab. Es ist wohl möglich, dass diese Grundsubstanzen bei der Organotherapie die hauptsächlichste Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 2 18 S. Metalnikov: Über die Neutralisierung von Spermotoxinen etc. Rolle spielen. Jedenfalls wird man im Auge behalten müssen, dass FExtrakte aus Organen möglichst in frischem Zustande anzuwenden sind. Behufs Aufklärung aller dieser Fragen beabsichtige ich in der nächsten Zeit eine ganze Reihe von weiteren Versuchen an Tieren anzustellen. Schlussfolgerungen. 1. Bei Tieren, in deren Blute starke Spermotoxine enthalten sind, erweisen sich die dem Nebenhoden entnommenen Spermatozoen als durchaus normal und lebensfähig. 2. Die Spermotoxine üben keine Wirkung auf die in dem Hoden und dem Nebenhoden enthaltenen Spermatozoen aus, weil hier eine besondere Grundsubstanz vorhanden ist, welche die Spermo- toxine neutralisiert oder unschädlich macht. 3. Diese Grundsubstanz wirkt neutralisierend nicht nur auf künstliche Spermotoxine, sondern auch auf andere für Spermatozoen giftige Substanzen, so auf das Serum anderer Tiere, einige Toxine und Alkaloide. 4. Unter den Alkaloiden übt das Nicotin die stärkste Wirkung auf die Spermatozoen aus, welches aber nichtsdestoweniger von den Fxtrakten aus dem Nebenhoden gut neutralisiert wird. 5. Durch gewisse Alkaloide, wie z. B. durch das Curare, werden _ die Spermatozoen selbst dann nicht getötet, wenn sehr starke Lösungen zur Anwendung gelangen. Allein es genügt, dem Curare etwas Nebenhodenextrakt beizumischen , damit dasselbe die Sperma- tozoen rasch zu töten beginnt. Zum Schlusse möchte ich Herrn J. D. Strelnikov, der mich bei meinen Arbeiten ständig unterstützt hat, auch hier meinen auf- richtigen Dank aussprechen. (Aus dem mediz.-poliklinischen Institut für innere Medizin der Universität Berlin.) Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. Von Heinrich Gerhartz. (Mit 30 Textfiguren.) Der Erwerb der aufrechten Körperstellung ist bisher noch nie Gegenstand der experimentellen Forschung gewesen. Was über dieses Kapitel geschrieben ist, bezieht sich lediglich auf Spekulationen, welche die Modifikationen, die zwischen Vierfüsser und Mensch im Aufbau des Körpers bestehen, dadurch kausal zu verbinden suchten, dass sie diese im Sinne der phylogenetischen Entwicklung ohne weiteres dem Einflusse der Vertikalstellung zuschrieben. Die Ge- schichte der Naturwissenschaft bietet viele Beispiele dafür, dass dieser Weg, so bequem er ist, ebenso trügerisch ist. Ich habe deshalb versucht, auf dem Wege des Experimentes, möglichst frei von Vor- urteilen, die Umwandlungen, die der Körper des Vierfüssers unter dem Einflusse der Vertikalstellung erleidet, zu studieren. Eine solche Untersuchung bietet leider viele Schwierigkeiten; denn es ist notwendig, einen Körper, der wenig zweckmässig für den aufrechten Gang eingerichtet erscheint, zur Vertikalbewegung zu zwingen. Dies kann nur schrittweise und unter Vermeidung von schädigenden Überanstrengungen geschehen. Es musste deshalb von vornherein zweifelhaft sein, ob die Einflüsse, die die Vertikalstellung mit sich bringt, stark genug bleiben, diejenigen, die infolge des ablösenden Vierfüsserganges einwirken, in einem feststellbaren Be- trage zu überragen. In der Tat sind die ersteren nicht durch die letzteren verdeckt worden, und es sind Transformationen eingetreten, die mir genügend gesichert erscheinen, um bekannt gegeben werden zu können. 9% 20 Heinrich Gerhartz: Methodik. Die Untersuchungen sind an zwei fast vollkommen gleichen Hunden desselben Wurfes von der sechsten Lebenswoche an 28 Wochen hindurch angestellt worden. Von diesen Hunden diente der eine als Kontrolltier. Ich kann mich leider nur auf den Vereleich dieser beiden Tiere stützen, weil die Untersuchungen so ausserordentlich mühsam und zeitraubend sind, dass es mir unmöglich ist, mehr Material zu beschaffen. Alle Ergebnisse werden deshalb unter dem Vorbehalt weiterer Bestätigung gegeben, obwohl ich die befolgte Methodik zur Gewinnung einwandfreier Resultate für ausreichend halten muss. Es wird sich auch weiter unten zeigen, dass die bei dem aufrecht gestellten Hund beobachteten Veränderungen nach unseren heutigen physikalischen und physiologischen Kenntnissen ohne Schwierigkeit dem Einflusse der Vertikalstellung zugeschrieben werden können, die Modifikationen also als solche, die nicht in der Individualität begründet liegen, wohl genügend charakterisiert sind. Ich nenne in den folgenden Ausführungen den einen Hund „Kontrollhund“, den anderen „Stehhund“, obwohl er nicht nur auf- recht stehen, sondern auch aufrecht gehen musste. Die beiden Hunde waren weibliche echte King Edward-Foxterriers, gehörten also einer Rasse an, welche die zu dem komplizierten Ver- such erforderliche Intelligenz und Gelehrigkeit besitzt. Als sie am 25. Januar 1909 (Geburt am 21. Dezember 1908) in meine Hände kamen, waren sie nicht gleich gross und schwer. Sie waren aber im übrigen als Geschwister durchaus gleichgeartete Tiere. Es liess sich gleich herausfinden, dass der kleinere, buntgezeichnete Hund das beste Talent zum Stehen und Gehenlernen besass. Er wurde deshalb vom anderen Tage an allein zu den systematischen Übungen herangezogen, über die ich nachher berichten werde. Beide Hündinnen wurden qualitativ gleich gefüttert. In der ersten Zeit erhielten sie Milch und Zwieback und etwas Fleisch, bald Reis und Fleisch und Zulagen von Knochen, später auch Hunde- kuchen. Ausserdem wurde Phosphor in der Form des Präparates Protylin noch eigens verabfolgt, um einen möglichst guten Knochen- anwuchs herbeizuführen. Die physiologische Aufzucht der Hunde wurde noch dadurch gefördert, dass die Hunde die Futtermengen nach Belieben wählen konnten. Als es damit nicht gelang, die zwischen den beiden Hunden anfänglich vorhanden gewesene Ge- Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. >21 wichtsdifferenz auszugleichen, wurden die Futtergaben des Stehhundes noch beträchtlich in diesem Sinne erhöht. Trotzdem aber behielt der Hund, wie zu erwarten stand, die schon in den ersten Lebens- wochen erkennbare Entwicklungstendenz bei. Da durch den Umstand nur eine quantitative Differenz zwischen den beiden Tieren geschaffen wurde, wird hierdurch der Vergleichbarkeit nicht Eintrag getan. Es kommt ja bei unseren Untersuchungen lediglich auf die Unter- schiede im Decursus des Organauswuchses an). Der Stehhund wurde systematisch an das Stehen und Gehen gewöhnt. Zunächst kam er in einen Glaszylinder, der so eng war, dass der Hund darin nur stehen und sitzen konnte. Durch Vorhalten von Knorpel und Knochen und ähnlichem wurde er in dieser Stellung so interessiert gehalten, dass er alle Müdigkeit ver- gass. Meist gelang es mit dieser Methode, ihn längere Zeit hindurch freistehend zu halten. Als der Glaszylinder dem Hund zu eng wurde, wurde dieser in einen grösseren Tonzylinder gesetzt. Er gewöhnte sich bald so an diese Tätigkeit, dass er in dem Zylinder stehend schlief, wobei der Kopf infolge der schnellen Ermüdung der Nackenmuskulatur auf den Zylinderrand gelegt wurde. Als der Hund auch aus diesem Gefäss herausgewachsen war, blieb er, mit dem Halsband an einem Stuhlrücken befestigt bzw. in dem Lauf- stuhl, frei stehen. 1) Hinsichtlich der Entwicklung der jungen Hunde habe ich noch einige Details notiert. In den ersten Tagen des April 1909, also in der 16. Lebens- woche, konnten die ersten Pigmentierungen (ausser den bei der Geburt mit- gebrachten und bis dahin unverändert gebliebenen) an den Ohren, den Augen, an der Nase, am Kinn und an den Genitalien bemerkt werden. Sie breiteten sich von da an immer weiter aus. Ich habe auch auf das Erwachen des Geschlechts- triebes bei den Hunden mein Augenmerk gerichtet. Es fiel mir schon am 4. Februar 1909 (7. Lebenswoche) auf, dass die beiden Hunde, wenn sie lange miteinander gespielt hatten, gleichsam als Höhepunkt ihres Spieles, sich gegen- seitig die Genitalien beleckten und hineinbissen. In den ersten Tagen des Juli 1909 (28. Woche) kamen die beiden Hündinnen in die Gesellschaft eines männ- lichen chinesischen Foxterriers mit dem Effekt, dass in den nächsten Tagen ein deutliches Erwachen des Geschlechtstriebes an den Manieren, die die Hündinnen gegeneinander zur Schau trugen, festzustellen war. Die Zähne entwickelten sich bei den beiden Hunden vollständig gleich. In der 9. Lebenswoche waren bei beiden Tieren je oben und unten die Schneide- zähne, Eckzähne und je zwei Backzähne vorhanden. In der 22. Woche standen alle Zähne da. 22 Heinrich Gerhartz: Mit den Gehübungen wurde am 17. März bei dem nuu zwölf Wochen alten Stehhund begonnen. Zunächst wurde alle 10 Minuten eine Pause von 1—2 Minuten gemacht, am folgenden Tage jede Tour auf 15 Minuten Dauer erhöht und so weiter fortgefahren, so dass der Hund am 22. März schon eine halbe Stunde in einer Tour zurückzulegen vermochte. In der Tabelle 1, die den besten Über- blick über die geübte Methodik gibt, sind die genauen Zeiten für jeden Tag angegeben. Es entsprechen im Durchschnitt 10 Minuten Gehen 349 m. Daraus lässt sich entnehmen, dass im Maximum ca. 1430 m in einer Tour von dem Hunde in aufrechter Stellung begangen werden konnten. Dabei machte sich aber einmal — am 6. Juni nach 20 Gehtagen — insofern eine Störung bemerkbar, als die Sohlenballen anfingen zu bluten. Die Komplikation erzwang natürlich eine Pause in den Übungen. Im übrigen wurde aber stets besonders darauf Bedacht genommen, dass der Hund nicht über- müdet wurde. In der Zeit, in der er nicht übte, konnte er sich mit seiner Schwester austoben. Tabelle 1. Steh- und Gehzeiten. In Lfde. Datum | Gegangen | vertikaler Nr. 1909 Gestanden | sang Stellung Min. gewesen 1 26.Jan.!) | erste kurze Übungen | —_ En 2 len Ih+1h — 2h 3 Sur; 45’ +30' | — | 15 15’ 4 Slae 1h +15’ — ' 15h 15’ 5 1. Febr 30’ + 30’ | — ih 6 n 45’ +20’ + 1b +30’ + 30’ | —_ 3h 5’ 7 3 0 1h +45’ | — ih 45’ 8 Are 15 15’ + 15h 40’ +40’ | — 3h 35’ 9 Di Ih+1h+1h+40' | _ 3h 40’ 10 6 50’ | _ 50' 11 Br 1h 15’+1h10’+1h 5’ — 3h 30" 12 8 2h 12’ + 1b + 1h 20’ — 4h 32’ 13 0 1h 30’ — 1h 30’ 14 10; 1h 50’ + 15h 10’ +45’ + 23’ — 4h 8 15 use 1h 38’ + 1b 5’+40’-+1h 15’ _ 4h 38" 16 2% 2h45’+45’+ 1526’ + 45’+19' — 6h 17 3:0 1b 30’ + 1b + 1h 10’ + 50’ — 4h 30' 18 LS 2h 41’ —_ ah 4] 19 Ha: 1530’ + 2b + 1b + 1515’ + 20’ — 6h 5" 20 162% 2h7’+2h25'’+1515’+38’+ 15° — 65h 40’ 21 la 45’ + 1540’ - 1520’ 20’ 412807 | | —_ 5h 357 1) 37. Lebenstag. Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 23 In Lfde. Datum Gestenden Gegangen | vertikaler Nr. 1909 Stellung Min. gewesen 22 18.Febr. | 15’+ 25 10’ + 15h 12’ + 1h — 4h 37' 23 19° 7, 1b 40’+1h+ Ih — 35h 40’ 24 205 1h12’+15h45’+1h+48’+1h | = 5h 45’ 25 21.05 1h6’+49'+15h5'’+1h24'’+5’ E 4h 29' 26 22: 05 1h43’+1b+1h15’+1h30+255’ = 1hr99. 27 23. 1h 25 +1 41’ + 1h 39’ — 4h 45’ 28 24. „ 45' - 45’ 29 PR 1b 16’ + Ih 23’ +48’ — 3h 27’ 30 26. „ 2h 4’+155’+1h10’+ 1518’ — 5h 37' 31 Die 5 1h 45’ +15 20’ +43’ + Ih 14’ — 5h 2’ 32 28. „ 47'’+1b 5'+37' + 57 _ 3h 26’ Br 1. März | 1 10’+1h6’ +24’ +50’+1h30’ — 5h 3 FEN, 1h24’+40'+1h14’+1h11’+28’+2h34’ = Th 28’ 35 Ban 2h +22’+1h5’ —_ 3h 27' 36 4. „ ah + 1h 12’ — 4h 12’ 37 Du. 2h + 2h — 4h 38 Ban 1h + 1h 22’ + Ih 25’ — 3h 47’ 39 (ee 1h 17’+46' +25’ + Ih E 3h 28’ 40 Oleıy 2b 8’+1h15’+1h5’ — 4h 28’ 41 3, 1h 10’ + 2b + 1h 15’ — 4h 25’ 42 10% 5 1b 45’ + 1h 10’ + 1 10’ — 4b 5’ 43 u a — — — 44 12.2, 1h 5’ +15 30’ + 20’ — 2h 55’ 45 1355 | 1h 30’ 1b 50' 46 14,2 Ih = Ih 47 15.0,, 1b + 25’ — 1h 25’ 48 16. 5 1416’ +51’ + 1h+ 1530’ + 46’ - 5h 23’ 49 1 er 1h 15’ +16’ +47’ 30 2h 48’ 50 185 1h 15’ + 30’ 15 +15 2h 15’ 51 19% ih 44’ + 1h 25’ +25’ + 1h 4’ 20 4h 58’ 52 20a; 1h + 53' — 1h 53’ 593 Dr 5 1h 10’ +30’ + Ih 55’ 5 + 15 3h 55’ 54 22. „ 30’+40'+ 15’ 30 | 1h55' BB) 23. „ 1h 39’ +58’ +5’ +40' + 17’ 4+4+30| 4h 17’ 56 2. „ 1h 22’ +38’ +24’ 11 +25 3h 57 29.2, 1h 8° +1h 12’ + 20’ 35 3h 15’ 58 PH 1h 8’ + 1h 18’ + 20’ 15 +35 3h 36’ 59 27.15 1h5’+5’+1h3’ 15 + 10 2h 38’ 60 DOSE 1.69! 12 181% 6l DIE, 50' | 35+15+20 | 2h 62 80375 1h 17’ +7' 120 +30 +5) 25 19’ 63 81.275 Ih | 830 +20 1h 50’ 64 1. 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Juli 37’ +2h 10’ + Ih 36’ 35 4h 58’ 156 DI 2b 5’ 1h15’+2h5’+ 1595’ 25 ah 15’ 157 30, 1h 36’+15h41’+1h 2'+22’+35’ 30 5h 46’ 158 ASUS ass 10941 30 3h 51' 159 De 14 40 + 14 2’ + 1h 32° —_ 4h 14’ 160 br, 47' + 1h 28’ + 11h 2’ + 32h 327 30 6h 19’ 161 TE, 9%h 7" + 14 30" +16 54’ — 5h 31’ 162 Sr SH 1 ESTER SO A 15 6h 1’ 163 ON 1h 385’ +2 4’ +20 1’ lg: 5h 57' 164 10.0 2h 2’+1520’+ Ih 45 er 165 15 48’ + 2h + 1h 25’ 35 4h 48’ 166 a 2h+1h1j5’+1h E 4h 15’ 167 lase6> 2h+1h+1h5’+1h5’+ 147 30 6h 47' 163 TAre 9h + 2ı 5 4h 5’ 169 ide, 2h7’+1h+ Ih 30 4h 37' 170 16.2, 2h 1 15 +2h+1h — 515. 171 17925 29h 13’ + Ih + 1m 5’ _ 4h 18’ 172 le, 2h ®ın 43’ +29' Bi 4h 49’ 173 19me5 2h 5’+1h30’+ Ih 28’ = Haag 174 20 2h 37’ + 1h 5’ + Ih 35’ a Hz 175 ale 2h5’+1h+1h 18’ — 4h 23’ 176 22.0, 1h 30’+2h+ 1h 30 5h 178 DATEN® 2h + 1h + 50’ u ;h 50’ 179 2. 05 2h 9’+2h 3’ — 4h 12’ 150 26. 5 2h +2h 5’ — 4h 5’ 151 Ol 1b 10’+2h 7’ + 1h 13’ 30 5h 182 2805 2h 10’+ 1h 5’ + 2h 22’ 30 (RR 183 DIE 2h 29’+1h8’+1h42’ == 5h 19’ 154 30% 2h 17’ +1 10’ + Ih — | 4& 11’ 185 ala 2h 8’ + 2h + 50’ — 4h 58’ 156 1. Aug. | 2h 4' +1h4’+1h — 4h 8’ 187 all, 2h+1h+1h .- 4h 183 Bunt 1h 40’ + Ih 18’ + 42’ 30 4h 10’ 189 Ar 2h5’+1+1 3 4h 35’ 26 Heinrich Gerhartz: Gestanden Ni 1909 en 190 5.Aug. | 2% 27° +1n + ın 57 191 & Ih + 2h + Ih 5’ 192 N 1h 34’ + Ih 2’ 4 Qı 15’ 193 Se 2h + Ih + Ih 30’ 194 Oh + Ih + Ih 40’ os | 1h 40’ + Ih 10° Ih 14’ 196 | 11. Ih 32’ 4 Ih Gegangen Min. — or | 25 In vertikaler Stellung gewesen 4h 32’ 5h 5’ 5h 21’ 4h 30’ 4h 40' 4h 44' 3h 32’ Bei den ersten Gehversuchen war das Tier an der Hand geführt worden. Das ging natürlich auf die Dauer nicht. Es wurde deshalb Fig. 1. Stehhund im Laufstuhl (134. Lebenstag). dazu übergegangen, den Hund in einen mit Rollen versehenen Lauf- stuhl, der an einer Schnur gezogen wurde und in dem der Hund nach allen Seiten hin ungehindert gehen konnte, zu stellen. zeigt diese Methode. Fig. 1 Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 27 Beide Hunde wurden zu Beginn der 34. Lebenswoche (11. August) mit Cyankali getötet. Die Sektion fand sofort nach dem Tode statt. Nachdem die Lage der inneren Organe beobachtet und photographiert und ihre Verschieblichkeit untersucht war, wurden die meisten Muskel präpariert, in Wiegegläser gebracht und gewogen. Zuletzt wurden die Hunde skelettiert. Der Ablauf des Wachstums. Die beiden Hunde wurden jede Woche gewogen und ungefähr alle vier Wochen — am 59., 103., 126., 152., 178. und 203. Lebens- tage — zu gleicher Zeit gewogen und gemessen. Die Messungen betrafen folgende Feststellungen: 1. Höhe. Die Hunde wurden an einer vertikalen Wand auf die Hinterbeine aufgestellt, ihre Schnauze so weit als möglich hoch- gehoben und nun mit dem Zentimetermaass die vertikale Höhe von der Fusssohle bis zur Schnauzenspitze abgelesen. Horizontale Länge. Dei dieser Messung nahmen die Hunde die normale Stellung auf allen Vieren ein. Der Kopf war geradeaus gerichtet. Es wurde vom Ansatz des Schwanzes bis zum äussersten Ende der Schnauze gemessen. 3. Brustweite. Sie wurde bei der gleichen Stellung wie eben, dieht an dem von den Vorderbeinen und dem Rumpf gebildeten Winkel, also dieht unter der Achsel, festgestellt. 4. Halsumfang. Er wurde an der dünnsten Stelle ermittelt, wobei das Messband so locker angelegt wurde, dass das Fell sich nicht in Falten legte. 5. Vorderbeinlänge Es wurde vom Öleeranon bis zum distalsten Phalanxende bei maximal gestrecktem Fuss gemessen. Hinterbeinlänge. Die Entfernung vom Knie bis zum distalsten Fussende wurde festgestellt. Die Messungen wurden jedesmal von einer zweiten Person kontrolliert. Am 40., 48., 104. und 191. Lebenstage wurden die Hunde in verschiedenen Stellungen photographiert; am 40., 48., 107. Lebens- tage und sofort nach dem Tode wurden auch Röntgenaufnahmen hergestellt, um eine fortlaufende Kontrolle über die später zu be- schreibenden Veränderungen zu haben. Im ganzen stützt sich die folgende Untersuchung ausser auf die abgebildeten noch auf 44 photo- graphische Aufnahmen. DD 2 28 Heinrich Gerhartz: Werden die absoluten Zahlen der Messungen in prozentuale Grössen (Differenz der Werte zweier aufeinanderfolgenden Messungen, dividiert durch den letzterhaltenen Wert) umgerechnet, so ist es leicht, einen Überblick über die Unterschiede im Wachstumsablauf zu ge- winnen. Es ist da zunächst — vgl. Tabelle 2 — zu beobachten, dass das Grössenwachstum bei dem Stehhund in der ersten Zeit etwas zurückblieb. Diese Retardation wurde aber bald über- kompensiert; denn der Zunahmewert liegt für die Folgezeit immer relativ über dem des Kontrollhundes. Tabelle 2. Prozentuale Zuwachswerte des Steh- und Kontrollhundes. En Si) = 3 [SS Mittlere lee = = ar = E | 5 E EEE = 5 3 | Wachstums- = e| = ie = intensität = 23 08313 83 3,0 — ae = En Sue teh- |Kontr.- Se 2 = IS | ” 2 | hund | hund 20.1 0 | 0 | 40:0. 90 | % |Yo| %o 0/0 Vertikale Höhe . . | 25,0 30 84 |5,7 99 | 7,0) 3212.93 11,92) 11,4 Horizontal gemes- | | | sene Rumpflänge | 27,0 295) 82 [1,6 49 |1,6 3,0 |1,6| 10,8 8,6 Brustweite . . 16,5. |. 15.) 254 15,931. 4,1.|8,831. 37 1234|, 4 7,0 Halsumfang(dünnste | | | Stelle. -. ». ... 12,0 10 24 |4,5| 48 |9,1| 12,0 |40| 78 6,9 Vorderbeinlänge | | | (Ellbog.bisZehen) | 34,0 |33| — |—: | 10,0 |80| 2,3 ,70] 15,4 | 16,0 Hinterbeinlänge | | | | (Knie bis Zehen). | 17,4 24 | 14,8 __(Knie bis Zehen). | 17,4 | 24 | 14,8 14,9 3,72 |80| —. | — | 12,0 | 12,3 Mittel ie az | 10,9 | 10,4 Lebenstag tens | 50-103. [10812 126-1: 59.—103. | 103.—126. | 126.—152. | 152.— 178. | 59.—178. I | nen ( ae Haupt- ee haupt- | Stehen | sächlich! sächlich sächlich| und | Stehen,| |Stehen Stehen, Gehen, | zuletzt zuletzt | ZU- Tätigkeit einen | eine gleich | | halben Weile | Monat | | lang | lang | | Gehen | l Gehen) | | | Auf das Längenwachstum der vorderen Extremitäten hatte die Lageänderung fast keinen Einfluss. Es ist nur zu beobachten, dass gegen Abschluss der Untersuchungen beim Stehhund das Wachstum der Vorderbeine etwas zurückbleibt. Wahrscheinlich ist diese geringe Differenz darauf zurückzuführen, dass beim Stehhund das Wachstum der Knochen etwas früher abgeschlossen wurde. Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 29 Grössere Unterschiede sind an den mehr beanspruchten hinteren Extremitäten zutage getreten. Hier wuchs der Stehhund anfangs langsamer, dann besser. Zuletzt, kurz vor seinem Abschlusse, blieb das Wachstum, wahrscheinlich infolge der vorangegangenen inten- siveren Wachstumstendenz, wieder zurück. Es war also überhaupt ein bestimmter Einfluss des Gehens oder Stehens auf das End- ergebnis des Längenwachstums der Extremitäten nicht zu erkennen. Der hauptsächlich den Rumpf betreffende Messungswert (hori- zontale Länge) wuchs im Beginn der Untersuchungen bei den beiden Hunden gleich stark. Dann aber wuchs der aufrechtzehende Hund nicht unbeträchtlich mehr in die Länge, während die Brustweite sich bei den beiden Hunden relativ gleich vergrösserte. Es handelt sich aber hier Jedielich um relative Werte der Zu- und Abnahme, so dass noch zu untersuchen bleibt, ob die Vergrösserung des Rumpfes dem Thorax- oder Lendenteil oder kranialen Abschnitt angehört. Fest steht bisher nur, dass eine Umformung des Thorax in dem Sinne statthat, dass der Stehhund einen relativ grösseren Sterno-vertebral- Durchmesser erhält. Es ist bemerkenswert, dass die Unterschiede zwischen den beiden unter dem Einflusse so verschiedener Beanspruchung stehenden Hunden fast lediglich in einer zeitweisen Verzögerung und Beschleunigung des Wachstums!) zum Ausdrucke kommen, die jeweilige Geschwindigkeit des Auswuchses der Komponenten des 1) Diese Beobachtung wurde auch von Fuld gelegentlich einer experi- mentellen Untersuchung im Roux’schen Institut, die Hunde, denen die vorderen Extremitäten entfernt worden waren, betraf, gemacht. Diese Arbeit, die mir erst nach Abschluss der meinigen zu Gesicht kam, ist leider für unsere Fragestellung nicht zu verwenden, da die Hunde hauptsächlich hüpfende, känguruhartige Be- wegungen machten. Ein Teil der Hunde „richtete wohl den Rumpf auf, wenn man in den Stall kam, hatte aber nicht viel Gelegenheit und Veranlagung, sich hüpfend zu bewegen“. Eine ohne Vorderbeine geborene Ulmer Dogge bewegte sich für gewöhnlich auf dem Bauche liegend vorwärts, erhob sich aber auch oft, wenn sie gerufen oder gefüttert wurde, auf die Hinterpfoten auf. Andere hüpften mehr. „In der normalen Haltung (bereit zur Lokomotion) lagen die Oberschenkel fast horizontal dem Bauche an...“ „Sehr häufig arbeiteten die Beine geradezu alternierend, wobei die Brust aufliegend blieb und eine watschelnd -schiebende Bewegung, ähnlich dem Rutschen der Kinder, resultierte. Zuweilen wurde auch die Schnauze (statt der Brust) als dritter Unterstützungspunkt bei der Fort- bewegung gewählt.“ (E. Fuld, Über Veränderungen der Hinterbeinknochen von Hunden infolge Mangels der Vorderbeine. Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 11 S. 1-65. 1901.) 30 Heinrich Gerhartz: Organismus also von funktioneller Inanspruchnahme, der Gesamteffekt aber von inneren Gesetzen abhängig ist. Die sich hierin dokumen- tierende innere Übereinstimmung zwischen den beiden Hunden hinsicht- lich der totalen Wachstumsintensität spricht m. E. sehr für die Zu- verlässigkeit der Einzelmessungen und der geübten Methodik überhaupt‘ Fig. 3. Kontrolihund. Fig. 4. Stehhund. Fig. 5. Kontrollbund. Seitenansicht der beiden Hunde (191. Lebenstag). Die Figg. 2—5 einschliesslich gestatten eine Kontrolle des Ge- sagten, soweit die Messungen an Photographien, welche die sagittale Ebene der Tiere in ihren Konturen repräsentieren, überhaupt dafür herhalten können. Die Ausmessungen, die in der Tabelle 3 für Fig. 2 und 3, in Tabelle 4 für Fig. 4 und 5 prozentual umgerechnet sind, lassen wiederum mit einiger Sicherheit erkennen, dass zunächst die Hinterbeinlänge bei beiden Hunden in demselben Verhältnis zur Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 3] Totallänge steht, die Brustbreite im sterno-vertebralen Durchmesser bei dem Stehhund grösser ist als beim Kontrollhund. Tabelle >. Messungen (sagittale Ebene) an den Photographien (Fig. 2 und 3) der aufrecht gestellten Hunde, hund Totale Höhe vom Scheitel bis zur Sohle . . . . . 100 100 Rumpflänge-Abstand vom prominentesten Punkte der i vorderen Thoraxkontur bis zum Schnittpunkt der . Bauchkontur mit der vorderen Kontur des Ober- Schenkelsa run een 31,2 90 28,3 Maximale Brustbreite. . . : 19,4 P/o 18,2 %0 Hinterbeinlänge-Abstand vom Schnittpunkt derunteren Schwanzkontur mit der hinteren Oberschenkel- kontur bis zur Fusssohle . 33,3 lo 33,3 %/o Tabelle 4. Brustbreite (sagittale Ebene), an der Photographie der in natürlicher Stellung befindlichen Hunde (Fig. 4 und 5) gemessen, Kontroll- Stehhund hund Körperlänge-Abstand von der prominentesten Stelle der vorderen Brustkontur bis zu derjenigen der GEsäasskonturkeeE EL ER a he 100 100 Maximale Brustbreite . . . . . Se N 46,8 %/o 33,9 %/o Es fragt sich nun, ob der Rumpf und eventuell welcher Teil des Rumpfes, Thorax oder Lendenteil, beim Stehhund modifiziert wurde. Für diese Untersuchung dürften am zweckmässigsten zu- nächst die Roentgenbilder, die ja die zuverlässigste und vielseitigste Übersicht über den Rumpfaufbau geben, herangezogen werden. Diese Aufnahmen — siehe Fig. 7—9 — wurden sofort nach dem Tode Hunde (235. Tag nach der Geburt) in den beiden üblichen Durchmessern hergestellt. In der Tabelle 5 sind die wichtigsten relativen Beziehungen, die sich daraus ablesen lassen, zusammen- gestellt, wobei vom Stand der Zwerchfellkuppe ausgegangen wurde. Bei diesem Verfahren gibt die Tabelle direkt an, dass beim Steh- hund der Thorax unten (transversaler Durchmesser) schmäler, der Lendenteil des Rumpfes kürzer ist als bei dem Kontrollhund. Ohne Zweifel haftet nun aber diesem Vorgehen infolge der Möglich- 32 Heinrich Gerhartz: Tabelle 5. Rumpfmessungen an den in ventro-dorsaler Strahlenrichtung auf- genommenen Röntgenbildern. (Zu Fig. 6 und 7: proportionale Angaben.) Stehhund |Kontrollhund % %g Abstand von der Zwerchfellkuppe bis zum kranialen Ende des Thorax (Thoraxteil). 100 100 Maximale transversale Breite der unteren Thorax: apertur. .. 102 124 Abstand von der Beckenschaufelhöhe "his z zur n Zwerch. fellkuppe (Lendenteil) >. 2. «-csesccn ie ri: 144 197 keit, dass infolge einer Differenz in den Respirationsphasen oder aus anderen Gründen bei den beiden Hunden Unterschiede im Stand der Zwerchfellkuppe bestehen können, eine gewisse Unsicherheit an, links rechts links rechts Fig. 6. Stehhund. Fig. 7. Kontrollhund. Röntgenbilder (ventro-dorsale Strahlenrichtung). Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 33 so dass es durchaus notwendig ist, am Skelett die endgültig ent- scheidende Kontrolle zu üben. Zu diesem Zwecke wurden auf der ventralen Seite die Körper der fünf obersten Brustwirbel, der folgenden unteren Brustwirbel und der drei ersten Lendenwirbel Fig. 9. Kontrollhund. Röntgenbilder (transversale Strahlenrichtung). abgemessen und auf der dorsalen Seite diese Abmessungen durch entsprechende an der Basis der zugehörigen Processus spinosi Kon- trolliert. Da sich der obere Thoraxteil bei beideu Hunden in genau dem gleichen Verhältnis zur Totalhöhe des Körpers stehend, also als zuverlässiges Vergleichsmaass erwies, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 3 34 Heinrich Gerhartz: wurde auf diesen — 100 bezogen. Es geht aus diesen Messungen, vgl. Tabelle 6, unzweifelhaft hervor, dass beim Stehhund der Lendenteil des Rumpfes, und schon in geringem Grade der unterste Thoraxteil, kürzer ist als beim Kontrollhund, der an den Röntgenbildern erhobene Befund also zutreffend war. Es ergibt sich daraus ferner, dass beim Stehhund das Zwerchfell tiefer steht. Tabelle 6. Wirbelsäulenmessungen. Lenden- teil Stehhund |Kontrollhund RER U SR Ne Dh) a 0/0 [ f Yom kranialen Rand der ventralen oa I 0) 2 m 0 Fläche des 1. Brustwirbelkörpers ar a] a ae ee obers bis zum kaudalen des 5. Körpers L| Körperhöhe | Körperhöhe Mhorax: Partie ' vom kranialen Ansatzpunkt des|\ teil Process. spinos. des 1. Brustwirbels | [ 963 96.6 2 bis zu dem kaudalen des Proc. spin. } ? des 5. Brustwirbels untere 8.—13. Wirbelkörper einschl. : c Bl (ventral gemessen) \ 131,5 134,5 1.—3. Lendenwirbel einschl. (ventral | gemessen) \ 85,2 91,4 | oben, an den Ansätzen der Proc. spin. ge- I messen 1.— 3. Lendenwirbel einschl., dorsal, wie 63,0 70,7 An den Röntgenbildern der ersten Zeit (48. Lebenstag) lässt sich mit Sicherheit aus dem Vereleich der Brust- mit der Lenden- wirbelsäule nachweisen, dass es sich hier um im Verlaufe der Unter- suchungen erworbene Eigenschaften handelt. Knochensystem. Wirbelsäule. Bezüglich der Wirbelsäule sind schon einige Angaben im An- schlusse an die Tabelle 6 gemacht worden. Ausserdem ist an den Figg. 4 und 5, sowie an den nach dem Tode in der physiologischen Vierfüsserlage aufgenommenen Röntgenbildern (Fig. 8 und 9) er- sichtlich, dass ventralwärts der Winkel zwischen Brust- und Lendenwirbelsäule beim Stehhund grösser ge- worden ist, die Brustwirbelsäule also mehr hintenüber verlegt wurde. Es handelt sich hier um ein Regulationsphänomen, das zur Verlegung Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 35 des Schwerpunktes in ursächlicher Beziehung steht. Der Schwer- punkt des Thorax liegt, wie aus Bestimmungen, die so vorgenommen wurden, dass nach dem Tode der abgetrennte Thorax in verschiedener Richtung an einer Schnur aufgehängt und photographiert wurde, hervorging, relativ weit ventralwärts. Infolgedessen besteht bei dem aufrechtstehenden Hund die Tendenz, vornüber zu fallen. Dieser wird dadurch begegnet, dass die kranialwärts gelegene Partie des Thorax dorsalwärts konkav gebogen wird. Das Bemühen, den Schwerpunkt in dieser Weise genügend weit über die Unterstützungs- fläche zu bringen, ermüdete den Hund bisweilen so sehr, dass er mit aller Gewalt zur Entlastung der überangestrensten Organe die alte natürliche Stellung wiederzugewinnen suchte. Er hing dann an seinem Halsband, stellte die Hinterbeine so weit als möglich nach hinten und liess Kopf und Vorderbeine nach unten herabfallen. Natürlich wurde diese Stellung alsbald von der Kontrollperson korrigiert bzw. die Übung abgebrochen. Mit der Verlegung des Schwerpunktes hängt augenscheinlich auch die am Skelett zu beobachtende stärkere Rückbiegung der Lendenwirbelsäule des Stehhundes zusammen, die z. B. an den Röntgenbildern Fig. S und 9 zu erkennen ist. An den hierfür noch besser geeigneten, in transversaler Strahlenrichtung auf- genommenen, die sagittale Ansicht des Beckens repräsentierenden Röntgenbildern, die weiter unten bei der Besprechung des Beckens abgebildet sind (Fig. 11), lässt sich das daran nachweisen, dass der als Maass des Kreuzbein - Lendenwirbelsäulenwinkels cenommene dorsale Winkel zwischen der ventralen Kontur des Kreuzbeines und der Richtung der Verbindungslinie der ventralen Kuppen der Ränder der Intervertebralflächen des letzten Lendenwirbels beim Stehhund 135,5 °, beim Kontrollhund 142° beträgt (vgl. auch die Skizze Fig. 12). An diesen Aufnahmen ist ferner unschwer eine Differenz in dem Verhalten der unteren Lendenwirbelkörper zu erkennen, die darin besteht, dass deren ventrale Delle heim Stehhund flacher als beim Kontrollhund ist. In der Tabelle 7 habe ich die Dellen- maasse, das Verhältnis ihrer Basis (= Verbindungslinie der Kuppen der Ränder der Intervertebralflächen) zu ihrer Tiefe (maximaler Ab- stand dieser Basis von dem tiefsten Punkte der Delle) für beide Hunde zahlenmässig zusammengestellt, so dass hieraus ein objektives Urteil gewonnen werden kann. Diese Transformation erklärt sich ebenso wie die Verringerung der Wirbelkörperhöhe (Tabelle 6) wohl 2% oO 36 Heinrich Gerhartz: ausreichend als Reaktionserscheinung auf die grössere funktionelle Beanspruchung, die die Körper infolge der Zunahme der Pressungen nach unten hin beim aufrechtstehenden Hunde auszuhalten hatten. Tabelle 7. Maasse für die ventrale Delle der Lendenwirbelkörper in der Figur 11. aa Das Verhältnis der Dellenbasis zur Dellentiefe 100 A Stehbund 11, 4, Lendenwirbel .. . [ Konusllhund 16.0 5 { Stehhund 11,2 ? 2 : Kontrollhund 14,3 6 { Stehhund 13,9 ; ® A Kontrollhund 14,7 7 { Stehhund 10,9 5 ) a Kontrollhund 14,1 Auf den erwähnten Beckenseitenansichten ist auch die beim Stehhund vorhandene stärkere ventralhin gerichtete Biegung der Processus eostarii der Lendenwirbel zur Darstellung gekommen. Weitere Unterschiede sind zwischen den beiden Hunden be- züglich der Wirbelsäule nicht zu beobachten gewesen, auch nicht hinsichtlich der Spongiosaarchitektur (Röntgenaufnahmen). Die oben beschriebene Modifikation der Rückenkontur bei der Vierfüsserstellung war bei dem Stehhund zuerst am 101. Lebenstage aufgefallen. Sceapula. Von den Veränderungen, die das Schulterblatt des Stehhundes erlitten hat, ist am bemerkenswertesten die, dass es im Längsdurch- messer (in der Richtung der Spina) vergrössert ist, also gegenüber dem des Kontrollhundes eine mehr langgestreckte Form besitzt. Die dabei bestehende relative Verschmälerung nimmt den grössten Betrag in der Gegend der Inzisur an. An dieser Stelle springt auch eine Differenz im Verlauf der Spina, die darin besteht, dass diese letztere beim Kontrollhund in der Nähe des kaudalen Randes bzw. in der Mitte der dorsalen, akromial gelegenen Fläche, beim Steh- hund aber ganz nahe am kranialen Rande verläuft, am meisten in die Augen. Hierdurch ist die Fossa infraspinata am akromialen Ende relativ gegenüber der kranialen Grube vergrössert. Dort, wo der‘ Muse. teres major an der beim Stehhund medialwärts Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 37 stärker konvex gekrümmten Basis seinen Ursprung nimmt, ist der Skapularand dorsalwärts aufgebogen, die Fossa tiefer eingebuchtet, so dass hier eine offenkundige Harmonie der Charaktere dieser Ursprungsstelle zu der tatsächlich beim Stehhund beobachteten stärkeren Entwieklung des Muse. teres major besteht. An der Fossa supraspinata ist infolge der Verschmälerung der zwischen Grat und Inzisur gelegenen Grubenfläche der Basisteil relativ stärker ausgebildet (Hypertrophie des Muse. supraspinatus beim Stehhund. Die Akromionfläche selbst ist beim Stehhund grösser als bei dem anderen). Erwäst man, dass alle auf der Scapula gelegenen Muskeln, die übrigens — abgesehen von dem Muse. supraspinatus, der stärker entwickelt war — denen des Kontrollhundes gleich ausgebildet waren, in der Richtung des Längsdurchmessers des Schulterblattes wirken, ferner bei der Stellung mit erhobenen ausgestreckten Vorderbeinen die Muse. rhomboidei an der Scapula zerren, auf der anderen Seite der Muse. teres major die Basis nach vorn zieht, so kann man wohl die Beobachtungen, dass die Ansatzstelle des Muse. teres major an der kranialen Basispartie des Schulterblattes umgebogen, die kaudale Partie der Scapula im Sinne einer medialwärts gerichteten Konvexität dorsalwärts gezogen, die Scapula im ganzen lang gestreckt wurde, verstehen. Vielleicht ist es aber riehtiger, der Anregung, die die Wachstumsintensität durch die funktionelle Beanspruchung zu er- fahren pflegt, die ausschlaggebende Rolle unter den ätiologischen Momenten zuzuschreiben. Becken. Über die Unterschiede, die das Becken aufweist, unterrichtet am zuverlässigsten Tabelle S, deren Daten an der Hand des dorso-ventral aufgenommenen frontalen Röntgenbildes des einen Hundes, Fig. 10, wohl leicht verständlich sind. Bei der Benutzung der Zusammenstellung ist zu beachten, dass die hier stehenden Zahlen, da sie auf die Symphysen- höhe bezogen sind, etwa das Dreifache der absoluten Werte (Milli- meter) sind. Die Tabelle gibt, um die wesentlichen Tatsachen noch- mals hervorzuheben, an, dass das Becken des Stehhundes relativ höher als das des Kontrollhundes ist und die Vergrösse- rung sich sowohl auf den über wie unter dem Acetabulum gelegenen Teil bezieht. Ferner zeigt sich, dass am Beckeneingang der sagittale Durchmesser grösser, der transversale aber 38 Heinrich Gerhartz: Tabelle 8. Relative Becken- und Kreuzbeinmaasse. | Kontroll- Stehhund hund Symphysenhohes u 2. reach ee ee 100 100 Maximaler sagittaler Durchmesser des Beckeneingangs. (Ge- messen von der Mitte der Innenseite der Symphyse bis zum entsprechenden Punkte der vorderen Kreuzbeinfläche 30,0 126 Maximaler transversaler Durchmesser des Beckeneingangs . 111 108 [| Entfernung vom kranialen Rand des Acetabulum bis zu dem des Os ilei. (Lichte Distanz über die Becken- laterale Fläche gemessen). . . . ...... 179 171 höhe | Entfernung vom kranialen Rand des Acetabulum bis zu dem am meisten kaudal gelegenen Punkte des-Ostischil... 2. nn ne 143,5 138,5 Entfernung der beiden Spinae iliacae anteriores superiores VOnEINANdEr aan. ee ee ee 168 171 Entfernung der beiden Spinae iliacae anteriores inferiores VONNEINANdEers re an N N 145 143 Entfernung der beiden Tubera ischiadica voneinander. . . 195 218 Maximale Breite der lateralen Fläche des Os ilei (senkrecht zum Längsdurchmesser gemessen). . . . » 2. ..... 92 86 Minimale Breite der lateralen Fläche des Os ilei (über dem Acetabulumsgemessen)., nes er ee 55 54 Schaufelbreite in der Höhe der Crista ischiad. anter. infer. 54 18,5 Ventrale Kreuzbeinbreite, in der Höhe des Beckeneingangs gemessen Wa 2 un ee 97 95 Ventrale Kreuzbeinlänge . . . . . ! 2! 22 2 22 2 000. 17 86 Ventrale Höhe des letzten Lendenwirbels . . ....... 99 bp) Ventrale Breite des letzten Lendenwirbels . ....... 54 97 Höhe des zweit- ( Entfernung der Mitten der benachbarten letzten Lenden-| Intervertebralscheiben . . . ..... 96 61,5 wirbels Eigentliche. Körperhöhe. - . 2... .2..r 48 Sl Höhe des dritt- ( Entfernung der Mitten der benachbarten letzten Lande | Intervertebralscheiben -. .. ..... 57 65 wirbels Eigentliche Körperhöhe. . ....... 48 52 Maximale Ent- f letzten Lendenwirbels. .. . . . ie 119 134 fernung zwischen J vorletzten DEE ee 119 125 den Process. arittletzien oo 110 111 costan.udess» riviertletzteny 2, Ne ln. = 94 gleich ist. Der quere Durchmesser des Beckenausganges ist beim Stehhund recht beträchtlich verengt. Da der Angulus pubis bei beiden Hunden 102° beträgt, betrifft diese Verschmälerung die ganze unter dem Acetabulum gelegene Beckenpartie. Die Schaufeln des Os ilei, die beim Stehhund breiter (grössere ventralkonkave Einbiegung des ventralen Ileumrandes) sind, laden dort nach links und rechts gleich weit aus. — Das Kreuzbein ist beim Stehhund ebenso breit als bei der Schwester, aber kürzer. Ferner ergibt sich hier wiederum, was schon früher Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 39 hervorgehoben wurde, dass die Lendenwirbel beim Stehhund niedriger und ihre Processus costarii mehr einwärts gebogen sind. Es ist für die Beurteilung der Tragweite der konstatierten Differenzen von Fig. 10. Frontales Röntgenbild vom Becken des Hundes. wesentlicher Bedeutung, dass die vom Stehen und Gehen aller Vor- aussicht nach sicher nicht beeinflussbaren, in der Tabelle aufgeführten Beziehungen bei den beiden Hunden völlig gleich sind. Die Stellung des Beckens ist aus den Röntgenbildern, Fig. 11a und b, die auch einige der soeben namhaft gemachten Charakteristika 40 Heinrich Gerhartz: zeigen, gut zu erkennen. In diesen Sagittalansichten beträgt der für die Beziehung des oberen zum unteren Beckenteil maassgebende Winkel zwischen dem dorsalen Schaufelrand und der unter dem a Fig. 11a. Sagittales Röntgenbild des Beckens (Stehhund). Acetabulum gelegenen Kontur des unteren Abschnittes beim Steh- hund 145 °, gegenüber 140 ° beim Kontrollhund. Es ist aus dem aus den Abbildungen leicht ersichtlichen unterschiedlichen Verhalten der kranial vom Acetabulum gelegenen Kontur, aus der Stellung der Symphyse des Stehhundes zur Wirbelsäule und der auch recht deut- lich zu beobachtenden Vergrösserung des von ventraler Wirbelsäulen- Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 41 und dorsaler Beekenkontur begrenzten Winkels leicht zu verstehen, dass diese Differenz sich so erklärt, dass der kraniale Becken- abscehnitt beim Stehhund sowohl dorsal nach unten Fig. 11b. Sagittales Röntgenbild des Beckens (Kontrollhund). hin rotierte wie ventralwärts abgebogen wurde, so dass oberer und unterer Beckenteil mit den ventralen Partien sich ein- 1) Die oben (S. 31) angegebene, aus den photographischen Aufnahmen des lebenden Stehhundes abgeleitete Verkürzung des Lendenteils des Rumpfes erklärt sich also 1. aus dem Tiefertreten der Wirbelsäule, 2. aus der Veränderung der Wirbelkörper selbst. Heinrich Gerhartz: 42 12 Zum besseren Verständnis wurden in Fig. Skizzen der beiden Seitenbilder so aufeinander gebracht, dass das ander näherten. , l D IND NM Mm 7 i ‚M) um 1 I IM ll N UNTNER De> I gur stellt Fig. 12. Darstellung der Beckenrotation (die ausgezogenen Linien entsprechen das. Becken des Stehhundes (Fig. 11a) dar. dem Röntgenbild (Fig. 11b) des Kontrollhundes; die schraffierte Fi Ausser den soeben namhaft ge- Acetabulum den Rotationspunkt bildete und die Richtung des Kreuz- beins bei beiden korrespondierte. Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 43 ınachten Differenzen ist nun hier vor allem die für die Ätiologie der Modifikationen bemerkenswerteste Tatsache, die Rück verlagerung des Kreuzbeines, zu erkennen. Ohne Zweifel hängt diese mit dem Umstand zusammen, dass die Wirbelsäule zur Verlegung des Schwerpunktes notwendig nach hinten umgebogen werden musste. Diese Reklination zog die Rotation des Beckens um seine horizontale Achse nach sich, so dass der obere Teil des Beckens dorsalwärts, der kaudale nach vorn hin sich drehte. Zu dieser Rotation kam dann noch die das Becken im Sinne einer oben ventral-konkaven Finbiegung deformierende Belastung hinzu. Für die Verkleinerung des queren Durchmessers kommt vor allem der Druck der Schenkel- köpfe als genetisches Moment in Betracht. In der 15. Lebenswoche wurde zuerst beobachtet, dass der Stehhund beim Stehen auf allen Vieren die Hinterbeine in einem stumpferen Winkel zum Rumpf aufsetzte. Ich bin geneigt, darin eine Regulation für die Veränderung des Becken-Wirbelsäulenwinkels zu sehen. Hinsichtlich der Struktur der Beckenknochen (Röntgenbilder) wurden keine Unterschiede zwischen beiden Hunden beobachtet. Femur. Schon durch die blosse Betrachtung sind durchgreifende Unter- schiede zwischen den beiderlei Femora zu erkennen. Während beim Kontrollhund der Knochen in seiner distalen Hälfte leicht medial- wärts konvex (Fontralebene) gebogen ist, wodurch in diesem Ab- schnitte eine leichte, aber doch deutlich wahrnehmbare S-Krümmung zustande kommt, ist beim Stehhund eher eine Biegung in entgegen- gesetzter Richtung — medialwärts konkav — zu konstatieren. Daher kommt es, dass bei dem letzteren — siehe die Frontalebene- Aufnahme Fig. 13 — die Fossa intereondylica in der Richtung des kranialen Diaphysenabschnittes liegt, beim Kontrollhund aber weiter lateral- wärts verschoben erscheint. Das Femur des Stehhundes ist, vor allem in der Mitte der Diaphyse, schmäler als das des Kontrollhundes. Der Unterschied macht am Frontalschnitt (Röntgenbild Fig. 13), auf die maximale Breite des proximalen und distalen Endes bezogen, etwas über 4 /o aus, wie man aus der Tabelle 9 ersehen kann. Die gleiche Be- obachtung ist am Sagittalschnitt zu machen (Tabelle 10). Die Fossa intereondylica erscheint beim Stehhund etwas tiefer, und zwar be- 44 Heinrich Gerhartz: trifft diese Vertiefung gleichmässig die mediale und laterale Partie. Augenscheinlich erscheint die des Kontrollhundes wegen der stärkeren Ausbildung der lateralen Partie flacher. Eine Veränderung der Stehhund. Kontrollhund. Fig. 13. Femur (Röntgenaufnahme, Frontalebene). Querscehnittsform tritt beim Stehhund im proximalen Teil in einer gerinegradigen Abflachung der Konvexität der vorderen Fläche, im distalen in einer deutlichen Konvexität des normal völlig flachen Planum popliteum der dorsalen Seite zutage. Auf der ventralen Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 45 Seite des Femur ist noch zu beobachten, dass beim Stehhund der mediale Wulst der Facies patellaris, beim Kontrollhund dagegen der laterale stärker ausgebildet ist. Es hängt das mit der besseren Ausbildung des lateralen Condylus beim Kontrollhund bzw. mit der verschiedenen Biegung des distalen Abschnittes des Femur zusammen. Tabelle 9. Relative Femurmaasse. (Frontalebene, Röntgenbild.) Stehhund |Kontrollhund Femurbreite, dicht unter dem Caput gemessen . . . 100 100 Maximale Femurbreite in der Hpicondylengegend KR 98 92 Femurbreite in der Mitte der Diaphyse ..... . 38 42 Corticalisbreite in der Mitte f medial . . .»..... 6,8 83 der Diaphyse laterale era AN al Tabelle 10. Relative Femurmaasse. (Sagittale Ebene, Röntgenbild.) Stehhund |Kontrollhund Maximale Länge vom Condylus bis zum Femurkopf 100 100 Maximale Breite am proximalen Ende, dicht distal vom Kopf des Femur gemessen . . 2. .2.... 10,1 10,6 Maximale Breite des distalen Endes... .... ... 19,4 20,5 ( an der Grenze ah der ventralen Cork & | zwischen proximalem alis; . Ba a5) 17 'o und mittlerem | Preite der Markhöhle a 8 ' 7,9 5,4 | 9,2 = Drittel ES „ dorsal.Öorticalis I 1,6 2,1 o Breite der ventralen Corti- 2) inder Mitte der , calis . . RED 1,6 5 Diaphyse ee der Markhöhle. 6 [21449072 9,8 2 9,0 3 „ dorsal.Corticalis | 1,5 1,6 3 an der Grenze Breite der ventralen Corti- 5 | zwischen distalem | calisı rn. a At] 1,7 en und mittlerem Breite der Markhöhle. N LE) 9,4 2 8,7 Drittel | = „ dorsal.Corticalis | 1,7 1,6 Auf den ventrodorsalen Röntgenbildern (Fig. 13) ist zunächst ersichtlich, dass die Cortiealis die oben beschriebenen Biegungen mitmacht; ferner aber sind noch andere evidente Unterschiede in der Struktur vorhanden. Beim Stehhund ist die Corticalis auf der lateralen, beim Kontrollhund auf der medialen Seite stärker ent- wickelt. Verfolgt man sie nach dem proximalen Ende hin, so sieht man deutlich, dass die mediale Cortiealis hier beim Stehhund weniger massig entwickelt ist. Sie wird bei ihm an der kranialen Biegung 46 Heinrich Gerhartz: nicht breiter, als sie in der Diaphyse war, wohingegen beim Kontroll- hund ihr Durchmesser auf das Doppelte geht. Die starke Verdichtung der Spongiosa ist bei dem normalen Femur an dieser Biegung noch recht weit nach dem Trochanter hin zu verfolgen, während eine solche beim Stehhund im Röntgenbild nur angedeutet ist. An der Corticalis der gegenüberliegenden lateralen Seite und an der des Collum ‚sind keine wesentlichen Unterschiede zu beobachten. Die bemerkenswertesten Unterschiede betreffen die Mitte des proximalen Femurteiles. Während hier beim Kontrollhund vom Trochanter nach der Diaphyse hin die Spongiosa eine fast gleich- mässige, der der Öortiealis wenig nachstehende Dichtigkeit besitzt, sind beim Stehhund Spongiosa und Cortiealis scharf gegeneinander abgesetzt, und vom kranialen Collumrand zieht, als Fortsetzung der Collumeortiealis, ein dichter Bälkchenzug nach der anderen Seite hinüber, etwa an der Grenze zwischen oberem und mittlerem Drittel des Femur sich in die beim Stehhund ja stärker entwickelte laterale Corticalis verlierend. Was hier so deutlich zutage tritt, ist eine Differenz zwischen den beiden Hunden in der Art, dass die maximale Beanspruchung von der medialen Seite auf die laterale im Sinne einer grösseren Beanspruchung auf Zugfestigkeit verschoben ist. Diese Einwirkung ist leicht verständlich, weil das seitlich am Femurkopf angreifende Becken infolge der aufliegenden Körperlast das Caput femoris nach unten abzubiegen strebt, also weniger ein Druck auf den Kopf in der Diaphysenrichtung einwirkt als eine nach lateralwärts konvexe Biegung des oberen Femurabschnittes erstrebt wird. Diese Biegung kann aber nur als ein Teil der nach aussen konvexen Biegung des ganzen Femur angesprochen werden. Dass die daraus resultierende Zugbeanspruchung proximalwärts zunimmt und sich hier sogar in einer Fortsetzung der in der lateralen Corticalis gelegenen Zug- bälkchen äussert, ist danach nur zu verständlich. Nicht grössere Schwierigkeiten für die Erklärung bietet die als weitere Konsequenz der einwirkenden Kräfte zu beobachtende, nach der medialen Seite hin gerichtete konkave Einbiegung des distalen Femurendes. Dass man es hier mit einer Einwärtsbiegung des nor- malen Knochens zu tun hat, folgt ausserdem daraus, dass an der betreffenden Stelle medial die Corticalis verdickt ist, also ein Ver- halten zeigt, das aus den Untersuchungen von Jul. Wolff als durch- weg zutreffend für solche Vorgänge hinreichend bekannt ist, so dass Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 47 m. E. kein Zweifel mehr bestehen kann, dass der Angriff des Gegendruckes gegen den Femurkopf medial erfolgt ist und eine medialwärts konkave Ausbiegung des ganzen Femur erzwungen hat. Die normale, dorsal-konvexe Biegung des proximalen Femurendes des Kontrollhundes (Sagittalebene) verdankt einem analogen Prozess ihre Entstehung. Hier ist es die ventral auf den Kopf einwirkende Last, die beim Kontrollhund die Krümmung bewerkstelligt, beim Stehhund aber der weiter dorsalwärts angreifende Druck, der die entgegengesetzt gerichtete Wirkung erstrebt. Diese ventral-kon- vexe Ausbiegung des proximalen Femurteiles des Steh- hundes wird nach unten hin von einer dorsal-konvexen abgelöst. Aus der Tabelle 10 ist zu ersehen, dass hier in der Mitte der Diaphyse auch eine Umkehrung der Corticalisausbildung bei den beiden Hunden in der Art stattgefunden hat, dass die dorsale Cortiecalis beim Stehhund gegenüber der ventralen stärker ausgebildet wurde, während beim Kontrollhund beide Seiten eine gleich starke Rindenschicht besitzen. Am distalen Ende sind ausser einer eben angedeuteten Verstärkung der ventralen Corticaliszüge keine Unterschiede zu beobachten. Vordere Fläche des Kopfes und des Trochanter major des proximalen Femurendes sind beim Stehhund mehr ventralhin gegen- einander zu gebogen. Die Ätiologie dieser Torsion ist schon von H. v. Meyer!) und Damany°) diskutiert worden. Ohne Zweifel steht sie hier mit der extremen Oberschenkelstreekung, die zu einer Zerrung des an der Linea intertrochanterica ansetzenden Ligam. ileo- femorale führt, in Verbindung. Tibia und Fibula. Die Condylen des Oberschenkels greifen an der Tibia haupt- sächlich dorsal an mit der offenkundigen Tendenz, infolge der Ver- mehrung der aufliegenden Last den Knochen von oben nach unten zusammenzudrücken. Es dürfte infolgedessen am zweekmässigsten sein, zunächst auf die in der Sagittalebene geschehenen Verände- 1) Herm. v. Meyer, Das menschliche Knochengerüst verglichen mit dem- jenigen der Vierfüssler. Arch. f. Anat. (u. Physiol.) 1891 S. 301. 2) P. Le Damany, L’adaption de l’homme ä la station debout. Journ. de Panat. et de la physiol. t. 41 p. 141. 1905. 48 Heinrich Gerhartz: rungen das Augenmerk zu richten. In dieser Hinsicht ist nur zu beobachten, dass die Tibia beim Stehhund am proximalen Ende nach hinten stärker konkav gebogen ist und zu einem grösseren Abstande zwischen Tibia und Fibula geführt hat; die Diaphysen- krümmung ist bei beiden Hunden, wie die genaue Ausmessung der korrespondierenden, bei medial-lateralem Strahlengang aufgenommenen Röntgenbilder ergab, gleich. Tabelle 11. Relative Tibiamaasse. (Sagittalebene, Röntgenbild.) | Stehhund |Kontrollhund Tibialänge (gemessen von proximal ventral bis distal dorsalı see a 100 100 Tibiabreite in der f Preite der dorsalen Corticalis .| 2,0 2,0 Ned n „ Markhöhler ©. 12293123:02 0.771 3,4 2 6,8 : Bay 5 „ ventralen Corticalis. | 2,1 | 1,4 Die Architekturbilder lassen wesentliche Unterschiede in der Anhäufung kompakter Knochensubstanz erkennen. Während in der Sagittalebene auf der dorsalen Seite die Corticalis — vgl. Tabelle 11 — bei beiden Hunden vollkommen gleich stark ist, ist sie ventral beim Steh- hund beträchtlich vermehrt, und zwar geschieht diese Verstärkung der ventralen Cortiealis auf Kosten der Markhöhle. Wir beobachten also auch hier wieder eine erstaunliche Anpassung an die durch den dorsal angreifenden Druck auf der ventralen Seite geweckte distal abnehmende Biegungsbeanspruchung. Am schönsten tritt uns diese Transformation naturgemäss am proximalen Ende entgegen. Hier sehen wir — vgl. die schematische Darstellung der Spongiosabälkehen, Fig. 14, und Fig. 15, die eine vergleichende Skizze der beiderlei in der Röntgenaufnahme ausserordentlich klar zum Ausdruck kommenden Spongiosaarchitekturen darstellt —, dass die Verknöcherung der ventral vorhandenen Sponeiosa beim Stehhund weiter kranial hinauf- reicht, so dass die Cortiealis sich hier bis zum proximalen Tibiaende hin verfolgen lässt, während sie beim Kontrollhund etwa in der Mitte der proximalen Enderweiterung sich in Spongiosabälkchen auffasert, die nach den hier stärker gebogenen Zügen der gegen- überliegenden hinteren Corticalis konvergieren. Auf dieser, der dor- salen Seite, ist die Corticalis beim Stehhund nach vorn und hinten Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 49 stärker umgebogen, wie die Blätter der Palme auseinanderweichen, wenn sie von oben gedrückt werden. venltral dorsal Fig. 14. Schematische Darstellung der Spongiosaarchitektur im proximalen Teile der Tibia des Hundes. Sagittale Ebene. (Nach dem Röntgenbild gezeichnet.) dor.sal Kontrollhund. Stehhund. Fig. 15. Anordnung der Spongiosabälkchen im proximalen Teil der Tibia. (Sagittale Ebene.) Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 4 50 Heinrich Gerhartz: Die Vollkommenheit des Strukturbildes gestattet es, aus der Spongiosaarchitektur die Richtung der angreifenden Kräfte zu re- konstruieren. Wird nämlich die Stützrichtung der im proximalen Tibiateil gelegenen, beim Stehhund ohne Zweifel als Reaktion auf stärkere Pressungen in stumpferem Winkel gegeneinanderstehenden Bälkehen in der Weise festgestellt, dass ihre Schnittpunkte ver- bunden werden, so ergibt sich, dass der von oben nach unten wirkende Druck beim Stehhund weiter dorsal angegriffen haben muss. Hinsichtlich der der Frontalebene angehörenden Differenzen ist die vollkommene Umkehrung der normalen Biegungen am proxi- malen und distalen Abschnitte der Tibia am bemerkenswertesten. Während nämlich der Knochen beim Kontrollhund in den oberen zwei Dritteln medial-konvex, im unteren Drittel aber lateral-konvex gekrümmt ist, ist beim Stehhund oben eine lateral-konvexe Biegung vorhanden, unten aber die Tendenz zu medial-konvexer Ausbiegung zu erkennen. Die Corticalis ist dementsprechend am proximalen und distalen Ende beim Kontrollhund medial relativ stärker, beim Stehhund lateral breiter. In der Mitte der Diaphyse, wo die medial- konvexe Biegung vorherrscht, besitzt die Rindenschicht bei beiden Hunden medial eine etwas grössere Dicke (Tabelle 12). Die Corti- calis ist also stets der Beanspruchung auf Zug entsprechend verstärkt, im übrigen aber beim Stehhund überhaupt etwas besser ausgebildet. Die hier beschriebenen Veränderungen, die wieder in einer Modifikation der Bälkchenarchitektur ihren entsprechenden Ausdruck gefunden haben, beweisen ohne Zweifel, dass beim Stehhund der Druck auf der medialen Seite einwirkte, wobei er den Knochen sowohl auf Strebefestigkeit wie besonders auf Biegung beanspruchte. Tabelle 12. Relative Tibiamaasse. (Frontale Ebene, Röntgenbild.) | Stehhund |Kontrollhund Maximale Tibiabreite am proximalen Ende. . .. . 100 100 B 5; »Qistalensinder me ne 74 74 Tiktahreter in der Breite der lateralen Oorticalis . Mitte der Diaphyse 2 5 EEG 2 © &0 7,8 8,8 17,8 , 37,8 | 18,8 7 37,6 R „ medialen Corticalis . 12,2 Diese Erörterung führt also zu dem gleichen Ergebnis wie das Studium der Femora. Sie zeigt wiederum, dass die beim Stehhund Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 51 vorhandene grössere Belastung der unteren Körperteile sich weiter medial und dorsal geltend gemacht und infolgedessen zu Verbiegungen der Knochen in der Sageittal- und Frontalebene uud entsprechenden Änderungen der Spongiosaarchitektur geführt hat. Da es sich hier wiederum um einen rein physiologischen, durch keinerlei entzündliche und sonstige pathologische Vorgänge gestörten Prozess handelt, kommt hier an der vom Druck am meisten betroffenen Tibia die ledielich durch primäre Änderung der Funktion hervorgerufene Transformation des Knochensystems besonders rein zum Ausdruck. Dass es sich nun in der Tat hier um eine wirkliche Trans- formation eines vorher normalen, d. h. dem des Kontrollhundes analog gebauten Knochens handelt, geht unzweifelhaft aus den in den frühen Epochen aufgenommenen Röntgenbildern hervor. Ich finde an den am 6. Februar, d.h. dem 48. Lebenstage, aufgenommenen Platten, was zunächst die Frontalebene betrifft, bei beiden Hunden die gleiche Krümmung der Femora, lediglich mit dem kleinen Unter- schiede, dass beim Stehhund die S-Form nicht mehr so scharf wie bei dem Kontrollhund ausgeprägt ist. Es ist also von der späteren Umkehrung der Biegungen noch fast nichts zu beobachten. An der Tibia ist dagegen die später so deutlich werdende Biegung des proximalen Endes schon besser erkennbar. An den die Sagittalebene repräsentierenden Aufnahmen tritt noch keine dem späteren Verhalten entsprechende Modifikation zu- tage. Hier sind bei beiden Hunden die gleichen Verhältnisse zu beobachten. Daraus geht nun auch wiederum hervor, dass beim Stehen die intensivste Modifikation, wie am Femur, in der Frontal- ebene vor sich geht. An den am 107. Lebenstage aufgenommenen Röntgenphoto- graphien sind sehon alle oben beschriebenen Veränderungen, soweit sie die Form der Knochen betreffen, deutlich wahrzunehmen. Über die Struktur der Knochen lässt sich aus den ersten Röntgen- aufnahmen kein Urteil gewinnen. Am 59. Lebenstage fiel zum ersten Male auf, dass der Stehhund sich bestrebte, möglichst breitbeinig mit den Hinterbeinen zu stehen. Man geht wohl nicht fehl, wenn man darin eine durch den oben ventral einwirkenden Druck ausgelöste Ermüdungserscheinung: sieht. Einige Zeit später wurde beobachtet, dass die Hinterfüsse mit breiterer Fläche aufgesetzt wurden. Diese Differenz zwischen den beiden Hunden war recht deutlich. An dem Knochensystem des 4* 52 Heinrich Gerhartz: Fusses traten aber nachher keine bemerkenswerten Differenzen zutage. Es verdient noch bemerkt zu werden, dass in dem Verhältnis der Tibialänge zur Femurlänge keine Verschiebung auftrat. In den vorstehenden Ausführungen sahen wir im Mittelpunkt der Statik und Dynamik des Knochensystems die grosse Biegungs- fähigkeit der Wirbelsäule, die es dem Hunde gestattete, den ver- änderten Schwerpunktsverhältnissen sich so anzupassen, dass ein der aufrechten Stellung des Menschen entsprechender Mechanismus zu- stande kam. Die Nichtbeachtung dieser grundlegenden Tatsache hat zu theoretischen Ableitungen über die Folgen der aufrechten Körperstellung des Vierfüssers geführt, die den hier direkt beob- achteten in wesentlichen Punkten widersprechen, also keine Allgemein- gültigkeit besitzen können. „Der Rumpf bleibt — so schreibt H. v. Meyer von der aufrechten Haltung der Vierfüsser (l. e. S. 305) — in sich unverändert, und insbesondere behält die Wirbel- säule ihre bogenförmige Gestalt bei, weshalb der Rücken seine gleich- mässige Wölbung behält und eine stärkere Aufrichtung des Kopfes nur in der Halswirbelsäule zustande kommt. DBei dieser Art der aufrechten Haltung ist also in Wirklichkeit der ganze Rumpf mit dem Becken in eine andere Stellung gebracht, und das haben die Beine allein ausgeführt. In der menschlichen aufrechten Haltung ist aber die Stellung des Beckens gegen den Horizont der Stellung des Beckens in dem vierfüssigen Stehen der Quadrupeden gegenüber nicht verändert, und dennoch erscheint der ganze Rumpf aufgerichtet. Dieses kann also nur durch eine Gestaltsveränderung in diesem selbst erreicht worden sein. Genauere Prüfung der Verhältnisse lässt auch bald erkennen, worin diese Veränderung besteht. Während wir nämlich bei den Vierfüssern eine einzige gleichmässige Krümmung der Wirbelsäule von dem unteren Ende des Halses bis zu dem hinteren Ende des Kreuzbeines wahrnehmen, finden wir an der menschlichen Wirbelsäule in der Lendengegend eine tiefe Einsenkung, deren Konvexität nach vorn gerichtet ist, so dass dadurch eine Ab- kniekung des Brustkorbes gegen das Becken gegeben ist, welche es hinlänglich erklärt, dass bei unveränderter Stellung des Beckens die Längenachse des Rumpfes senkrecht gestellt ist.“ Aus den Figg. 2 und 3, die die Seitenansicht eines aufrecht gestellten Hundes, dessen Tendenz, den Schwerpunkt zur Sicherung der Stellung nach hinten Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 53 N u zu bringen, künstlich unterstützt wurde, wiedergeben, ist deutlich zu erkennen, dass es sich hier nicht um eine Hockstellung handelt, sondern um eine Position, bei der die typische nach vorn konkave Krümmung der Vierfüsserwirbelsäule ausgeglichen und sogar so- weit modifiziert wurde, dass die für die menschliche Wirbelsäule charakteristischen Biegungen zutage treten. Ich habe mich von der Modulationsfähigkeit der Hundewirbelsäule sowohl durch Röntgen- aufnahmen, welche die normale Vierfüsserstellung bei verschiedener Kopfhaltung wiedergaben, wie durch solehe, welche bei aufrechter Position des Hundes aufgenommen wurden, überzeugt und kann hiernach versichern, dass sich die Wirbelsäule des Hundes unter den gleichen mechanischen Bedingungen nicht wesentlich anders ver- hält als die des Menschen. Sie ist keineswegs also immer ein „senkrecht gestellter Bogen, dessen oberes freies Ende durch die Schwere nach vorn hinuntergezogen wird, bis diese einen genügenden Widerstand findet, einesteils durch federnde Gegenspannung der Wirbelsäule und anderenteils durch die Spannung der Bauchmuskeln, gegen welche die Eingeweide gedrängt werden“ (H. v. Meyer, l. ec. 306). Infolgedessen sind auch die Folgerungen, welche aus der Beibehaltung der in der Horizontallage vorhandenen Vierfüsser- krümmung beim aufrechten Gang abgeleitet wurden, für unseren Fall unhaltbar. Es ist nun aber leicht einzusehen, dass vor allem durch das beim Hund besonders wichtige statische Moment des Kopfes besondere Modifikationen gegenüber den beim Menschen vorliegenden Ver- hältnissen hervorgerufen werden. Infolge hiervon, wegen der Klein- heit der Unterstützungsfläche des Körpers u. a., nahm der Stehhund nie die freie Stellung des aufrechtstehenden Menschen an, sondern musste oben unterstützt werden, und der Rumpfschwerpunkt wurde in der Regel nur so weit nach hinten verlegt, dass die Brustwirbel- säule und der grösste Teil des Thorax auf dem Abdomen getragen wurden, also die für die Folgen der aufrechten Stellung des Menschen ausschlaggebenden Bedingungen geschaffen waren. Dabei geschah die Reklination hauptsächlich in dem unteren und mittleren Teil der Lendenwirbelsäule und führte durch die aktive Tätigkeit der Rücken- streekmuskeln zu mehr als zu einer blossen Andeutung einer ventral- konkaven Thorax- und einer ventralkonvexen Lendenwirbelsäulen- krümmung. Wir erkennen also in der typischen doppelten S-Form der menschlichen Wirbelsäule eine mechanische, 54 Heinrich Gerhartz: dureh die Aufrechtstellung bedingte Gestaltung, die aber nieht durch den aufrechten Gang als solchen erst allmählich erworben wird, sondern eine schon primär auftretende, durch die Verlegung des Schwerpunktes des oberen Körpers nach hinten be- dingte Form einer biegsamen Wirbelsäule darstellt. Damit stimmt überein, dass schon beim menschlichen Fötus des fünften Monats, dessen Haltung wohl noch nicht vom Uterusdruck bestimmt wird, bei entsprechender Rückenbiegung die dorsalkonvexe Lendenkrümmung, wie die diesbezüglichen Röntgenbilder!) ersehen lassen, sehr deut- lich erkennbar ist, also nicht lediglich durch den aufrechten Gang herbeigeführt werden kann. Durch die fortgesetzte Übung dieser Biegungen bei der Aufrechtstellung treten allerdings mit der Zeit die entsprechenden dauerhaften Modifikationen an der Wirbelsäule auf, die oben geschildert wurden, und die beim aufrecht gestellten Hund hauptsächlich darin gipfelten, dass die geübten Biegungen auch in der natürlichen Ruhelage der Vierfüsserwirbelsäule ihren Einfluss noch in einer Rückbiegung des oberen Wirbelsäulenteiles und in einer Andeutung einer nach vorn konvex gerichteten Lendenkrümmung (Fig. 8) erkennen liessen. Wenn nun aber Hund wie Mensch die infolge der Aufrechtstellung sich geltend machenden Wirkungen der Schwere durch analoge Ausbiegungen der Wirbelsäule ausgleichen, folet, dass auch die Belastungen unter den beiderlei Umständen sich in gleicher Weise geltend machen müssen, da die hierfür in Betracht kommenden Gewichtsverhältnisse bei Mensch und Hund im wesent- lichen gleich sind. Daraus ergibt sich, dass sich an dem angestellten Versuch die Frage, ob sich die charakteristischen Eigenheiten des Beckens und der unteren Extremitäten des Menschen aus der Ein- wirkung der aufgelagerten Rumpflast ableiten lassen, entscheiden lassen muss. Ohne Zweifel wird die Formierung des Beckens, wenn es zu- trifft, dass eine solche in Abhängigkeit von den Belastungen geschieht, von zwei Komponenten herbeigeführt, einmal von dem Druck, den das Acetabulum seitens der hinteren Extremitäten erfährt, das andere Mal von der auflastenden Rumpfschwere.. Da nun der Hund im Versuch die für den aufrechtstehenden Menschen charakteristische Stellung mit gestreckten Knieen aufwies (Fig. 2 und 3), liegen auch 1) B. Alexander, Die Entstehung der knöchernen Wirbelsäule. Arch. u. Atl. d. norm. u. pathol. Anat. in typischen Röntgenbildern. Ergänzungsbd. 13 Taf. VI Fig. 24, Taf. VII Fig. 23, Taf. XII Fig. 30. Hamburg 1906. w Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 5: © für das Becken zwischen Mensch und Stehhund analoge Verhältnisse vor, die zu weiteren Schlüssen über die unter dem Einflusse der aufrechten Körperstellung erfolgende Beckentransformation berechtigen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen stehen unzweifelhaft mit manchen Erwartungen, die teils aus den beim primitiven Menschen vorgefundenen Bildungen, teils aus der physiologischen Ausgestaltung des Fötusskeletts zu dem des Erwachsenen, teils auch aus der ver- gleichenden Untersuchung von Vierfüsser- und Menschenskelett ab- geleitet wurden, in Widerspruch. Wir erfahreu, dass die infolge der aufrechten Stellung entwickelte Beckengestaltung mit der Form, wie sie theoretisch konstruiert wurde, nur noch wenig Ahnlichkeit hat. Weder ist das Kreuzbein eingesunken, das Promontorium tiefer ge- treten, noch wurden die Kreuzbeinkörper aus den Flügeln heraus- gepresst, noch wurde das Becken niedriger, mehr in die (@uere gespannt oder im queren Durchmesser des Einganges auf Kosten des geraden vergrössert. Nichts von alledem hat sich gezeigt. Da- gegen wurde eine Beckenform erzeugt, die am ehesten dem Typus des kyphotisch querverengten Beckens entspricht. Nach dem, was oben bei der Besprechung der Beckenkonfiguration gesagt wurde, liegt die Gleichheit der ursächlichen Bedineungen auf der Hand; denn auch beim kyphotisch querverengten Becken liegt das wirksamste genetische Agens in der Reklination der unteren Wirbelsäulenteile und in dem in der Richtung von ventral-eranial nach dorsal-caudal auf den eranialen Teil des Kreuzbeines seitens der Rumpflast ausgeübten Druck. Es ergibt sich hieraus, dass für die phylo- genetische und ontogenetische Entwicklung desprimi- tiven Beckens in die endgültige Form, insbesondere auch für die von den älteren Geburtshelfern auf die Belastung durch den Rumpf zurückgeführte Gestaltung des rachitischen Beckens!) im wesentlichen Wachs- tumsgesetze neben den mechanisch wirkenden Be- lastungsmomenten maassgebend sind. Es ist nicht erlaubt, die Erfahrungen, die am pathologischen menschlichen Becken (Osteo- malacie) gemacht wurden, gegen diese Auffassung anzurufen, weil sich dabei die durch Stehen, Gehen und Liegen sowie durch un- 1) Vgl. die Kritik dieser Anschauungen bei €. Breus und A]. Kolisko, (Die pathologischen Beckenformen Bd.1 T.1S.45ft., T.2 S.534ff.; Bd.2 8.67 ft. Leipzig und Wien 1900), wo einige schwerwiegende, aus der Entwicklung des Fötus- beckens abgeleitete Bedenken geltend gemacht werden. 56 Heinrich Gerhartz: gleichmässiges Befallensein durch den pathologischen Prozess zustande gekommenen Einwirkungen in schwer differenzierbarer Weise ver- mischen, so dass es späteren Untersuchungen vorbehalten bleiben muss, im Experiment diese einzelnen mechanischen Momente zu isolieren und dann an die Erklärung der komplexen pathologischen Formen zu gehen. Von einer Reihe von Autoren ist auch die Form der Knochen der unteren Extremität auf den Einfluss, den die Rumpflast auf die indifferente Gestalt der Fötusknochen ausübt, zurückgeführt worden. Es ist aber m. E. ohne allen Zweifel, dass schon im dritten Monat, wo der Uterusdruck noch keine Rolle spielen kann, die medial- konkave Krümmung des Oberschenkels und der Tibia !) eine stärkere Ausbildung im Sinne einer vertikal angreifenden Belastung erfahren hat, als sie sie später aufweist, nachdem tatsächlich die Einflüsse der Vertikalstellung eingewirkt haben. Es treten also auch hier Belastungsmomente hinter die durch die Wachstumsgesetze er- zwungenen Gestaltungseinflüsse weit zurück. Ich bin hier in der Lage, ausser der geführten experimentellen Beweisführung, die hier beim Knochensystem infolge der Möglichkeit, röntgenologisch die allmähliche Entstehung der Modifikationen aus ursprünglich durchaus dem Kontrollhund entsprechenden Formen zu erweisen, besondere Beachtung beanspruchen kann, einen zweiten Beweis aus der Patho- logie der Rachitis dafür zu bringen; dass tatsächlich die bei dem aufrecht stehenden Hunde beobachteten Deformationen auf das Konto der aufrechten Stellung kommen. Denn bei dieser Erkrankung: ist es vor allem neben der Weichheit der Knochen das Zurücktreten der Wachstumsreize, das den Belastungsmomenten die ausschlag- gebende Rolle zuweist. Ich habe nun bei zwei Jungen, durch Kalk- entziehung künstlich rachitisch gemachten Hunden die entsprechenden, beim rachitischen Menschen an den unteren Extremitäten auftretenden Verkrümmungen an den Vorderbeinen sich entwickeln sehen, weil die infolge übergrosser Mattigkeit fast immer sitzenden Hunde auf diese allein sich stützten. An diesen Erfahrungen lässt sich also mit Sicherheit erkennen, in welcher Richtung die Belastung sich 1) ©. Sick in Wilms und Sick, Die Entwicklung der Knochen der Ex- tremitäten von der Geburt bis zum vollendeten Wachstum. Arch. u. Atlas d. norm. u. pathol. Anat. in typischen Röntgenbildern. Ergänzungsbd. 9 Taf. IV Fig. 21, Taf. VII ff.. ‚Hamburg ..1902. —.B.-Alexander,‘l.c., Taf.I Kig..2, Taf. III Fig. 14, Taf. XVIII Fig. 39. Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 57 geltend macht, und da die rachitischen Verkrümmungen mit den beim aufrecht gehenden Hund gefundenen!) korrespondieren, kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die oben beschriebenen Trans- formationen auf das Konto der Aufrechtstellung zu setzen sind und auch für den Menschen volle Geltung besitzen. Die beim Wachstum des normalen Menschen erkennbare Tendenz zur Umwandlung der Knochen der unteren Extremitäten im umgekehrten Sinne kann also nur darauf beruhen, dass die Wachstumstendenz des Knochens noch anderen als statischen Gesetzen folgt, und dass die ersteren diesen letzteren wirksam entgegentreten, solange nicht Störungen vorhanden sind, bei denen infolge des Wachstumsstillstandes die statischen Momente die Übermacht gewinnen, wie bei der Rachitis. Muskulatur. Nachdem der Stehhund etwa einen Monat unter dem Einflusse der aufrechten Körperstellung gewesen war (Mitte der 9. Lebens- woche), wurde in der Regio lumbodorsalis das Auftreten einer sagittal gerichteten Furche bemerkt. Dieser Rückenscheitel verdankte einer besseren Ausbildung der mehr beanspruchten Rückenstreckmuskulatur seine Entstehung. Dass dies die wahre Ursache ist, geht neben der direkten Feststellung an der Leiche auch aus der Betrachtung der bei transversaler Strahlenrichtung aufgenommenen Sagittalbilder (Röntgenbilder, Fie. S und 9) hervor. Denn hier sieht man beim Stehhund eine Schicht Muskulatur über die Dornfortsatzenden hinüber- ragen, beim Kontrollhund dagegen nicht. Dieselbe Beobachtung ist an der am Brustteil gelegenen Rückenmuskulatur zu machen. Da der Hund gezwungen war, die Rumpfwirbelsäule nach hinten zu biegen, bildete sich die dazu dienende Muskulatur immer stärker aus. Die besten Aufschlüsse über die funtionell bedingte Modifikation der Muskulatur gibt die vergleichende Gewichtsbestimmung, wenn die infolge der Arbeitsleistung auftretende chemische Veränderung’) 1) Vgi. über die rachitischen Deformitäten des Menschen z. B. Alfr. Graf Über die Architektur rachitischer Knochen. Zeitschr. f. orthopäd. Chir. Bd. 3 S. 174—196. 1894. — Krauss, Rachitis, rachitische Verkrümmungen der unteren Extremitäten und deren rationelle Behandlung mittels des Krauss’schen Schienengipsverbandes. Zeitschr. f. orthopäd. Chir. Bd. 26 S. 193—356. 1910. 2) H. Gerhartz, Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit auf die Organe des tierischen Organismus, insbesondere ihren Wassergehalt. Pflüger’s Arch. f. Physiol. Bd. 133 S. 397—499. 1910. 58 Heinrich Gerhartz: nieht einen zu grossen Betrag annimmt. Aus den eben gemachten Angaben über die Hypertrophie der meist angestrengten Rücken- muskulatur geht aber hervor, dass hier beim Stehhund die mit einer Vermehrung einhergehende Arbeitsveränderung statthatte. Es darf also mit gutem Rechte aus der Gewichtsvermehrung auf die durch die Vertikalstellung mehr oder weniger in Anspruch genommene Funktion der untersuchten Muskel rückgeschlossen werden. Diese Methode, durch Hervorrufung einer Arbeitshypertrophie einen pro- portional der gesetzten komplexen Bewegung sich ausbildenden Zu- stand der Muskulatur herbeizuführen, stellt eine willkommene Er- sänzung der meistgeübten Analyse der Funktion einzelner Muskeln dar, erfordert aber andererseits recht viel Zeit und Hilfe. Es war mir deshalb nicht möglich, alle Muskeln detailliert zu untersuchen, sondern es wurden nur die in erster Reihe in Betracht kommenden ausgewählt. Ich glaube, dass auch so eine ausreichende Vorstellung über die Art der durch die aufrechte Position in Anspruch ge- nommenen Muskelpartien gewonnen werden wird. Die Muskeln wurden, wie ich es bei meinen früheren Unter- suchungen übte, sobald als möglich nach dem Tode herauspräpariert, von aufliegendem Fett und Bindegewebe befreit und in tarierte Wiegegläser gebracht, in denen sie auf der chemischen Wage ge- wogen wurden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen bringen die Tabellen 13 und 14, in denen ausser auf das Körpergewicht auch auf das kon- stantere und also maassgebendere Gewicht der (rechten) Niere!) bezogen wurde. Es ergibt sich, dass eine Anzahl von Muskeln beim Stehhund schwerer war, andere Muskeln gleiches Gewicht besassen, wieder andere beim Stehhund relativ leichter waren als bei dem Kontrollhund.. Von den Muskeln der vorderen Extremität nahmen zu: Muse. trapecius, supraspinatus, teres major, deltoideus, peetoralis major, biceps brachii und die Mm. anconaei. Ferner wurden, wie sich nachträglich noch bei der Untersuchung der konservierten übrigen Vorderbeinmuskeln herausstellte, der M. flexor carpi ulnaris internus, der M. flexor dieitalis sublimis und profundus sowie der M. extensor digitalis communis besser ausgebildet. 1) Die Beziehung auf das Gehirngewicht war durch einen unglücklichen Zufall unmöglich gemacht worden. Die Beziehung auf das Nierengewicht ist nur bei gleicher Ernährung, wie hier, korrekt, da grösserer Eiweissgehalt der Nahrung eine Hypertrophie der Niere bewirkt (Zuntz). Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 59 Der Muse. latissimus dorsi, infraspinatus, peetoralis minor, brachialis internus wiesen bei der Präparation ein geringeres Ge- wicht beim Stehhund auf, desgleichen noch, wie sich bei der nach- träglichen Untersuchung, auf die ich wenig Gewicht lege, zeigte, der M. flexor carpi ulnaris externus und extensor digitalis lateralis. Der Hund pflegte beim aufrechten Stehen und Gehen seine Vorderbeine gegen den oberen Laufstuhlrand zu stemmen. Dabei kamen hauptsächlich die Muskeln, die das Schultergelenk strecken und die Schenkel vorführen, in Betracht, also von den untersuchten Muskeln der M. supraspinatus und deltoideus, ferner die Mm. anconaei, die den Unterschenkel strecken, und der M. trapeeius und pectoralis major. Von den Gelenkbeugern nahmen der M. biceps und teres maior zu. Die geringere Entwicklung des M. latissimus dorsi, der in den besser entwickelten Mm. peetoralis und trapeeius hinsichtlich der Schulterblattbewegung Antagonisten besitzt, ist wohl durch die Entlastung, die dieser den Rumpf vorziehende Muskel bei der zur Verlegung des Schwerpunktes nach hinten notwendigen Tätigkeit aer Rückenstreekmuskulatur erfuhr, zu erklären. Eine geringere Ent- wicklung wiesen noch die an der Bewegung der vorderen Extremität beteilieten Muskeln (M. pectoralis minor, infraspinatus, brachialis internus) auf. Bemerkenswerter sind die Unterschiede, die sich an den hinteren Extremitäten zwischen Kontrollhund und Stehhund herausstellten. Tabelle ]2. Prozentuale @ewichte der Muskeln von der rechten vorderen Extremität und vom Rücken. Stehhund Kontrollhund pro 100 g pro 100 g|PrO 100 5|pro 100 g Körper- 2 Körper- } gewicht Niere Bericht | Niere Muse-zlatissimusadorsita. sn . . ... 0,76 231,8 0,51 237,0 ENILLADECHUSET ea ce 0,11 32,1 0,10 29,1 EUR LETESHNATOTEE LEN ER ie ehr. 0,16 48,1 0,15 42,4 Kasssupraspinatusar sm. 2: 0,42 127,6 0,39 113,7 ınttaspinatuscrese ee 0,29 88,7 0,31 90,8 „ deltoideus . TEE ERE 0,215 65,8 0,21 62,1 "us pectoralis-maior.. 2 2% 0,23 71,6 0,23 66,9 5 MINOTERAE EEE. 0,67 203, 0,74 215,0 Siibicepsährachin. 22 vo 0,16 48,9 0,16 46,6 5 brachialisginternuseser rer 0,07 2,0 0,08 2,3 Mm. anconaei . re 12 368,5 1,205 .| 350,5 60 Heinrich Gerhartz: Tabelle 14. Prozentuale Gewichte der rechten hinteren Extremität. Stehhund Kontrollhund pro 100g |... pro 100 g Körper- nn 8 Körper- N 3 gewicht iere | gewicht EIS Miele ee al 090 | ae 0,45 131,5 Musc. quadriceps (ohne M. rectus) . 1,24 | 378,0 1,06 308,2 SeRrectusstemoris Ars 0,19 59,0 0,15 43,1 BO SAHtoTlusern. ce 0,05 | 1 0,04 10,64 „ biceps, semimembranosus und | Semitendinosus- er a. 1,50..012 480,4 1,825 531,0 Mm. adductores . ». . 2.2.2... 1,43 486,7 1,51 439,0 Muse. tibialis anterior. . .» .... 0,095 28,9 0,11 31,3 „ extensor digit. pedis longus . 0,11 | 832,5 0,10 28,7 “2 peroneusslongus 2. 00. 0,05 14,4 0,05 13,6 > 5 breviss..a . 0,008 | 2,6 0,009 2,6 Be ; tertiuse sy De Ole 5, 0,01 3,0 „ Hexor digit. sublimis . . . . [0,14 | 441, 5 x 5 “ proiundus. =. 0:06 4 0,20 Tar61 N Lab 5,1 Aue oastrocnemiusa m 2. en. 0,44 | 133,9 0,44 127,6 Beim Stehhund hatten ein geringeres Gewicht die Mm. tibialis anterior, bieceps, semimembranosus, semitendinosus, adduetores und die Glutaeusgruppe; gleich blieben der M. peroneus brevis und tertius, von denen der letztere eher eine Tendenz zur Zunahme er- kennen liess. Von den untersuchten Muskeln nahmen der M.quadriceps, recetus, sartorius, gastroenemius, peroneus longus, flexor digitalis sublimis und profundus zu. Diese Differenzen stehen in erkennbarer Beziehung zu den ge- übten Funktionen des aufrechten Stehens und Gehens. Entsprechend dem Umstande, dass der Stehhund mit gestreckter unterer Extremität stand, ergibt die Untersuchung, dass die an dieser Funktion beteiligten Mm. gastroenemius, quadriceps, reetus besser entwickelt wurden, während die Kniebeuger, die keine grössere Rolle spielen konnten (M. bieceps usw.), ein geringeres Gewicht aufwiesen. Recht ver- ständlich ist auch die grössere Arbeitsleistung derjenigen Muskeln, welche die Zehenstellung verändern (M. extensor digitalis pedis longus und Mm. flexor digitalis sublimis und profundus), nicht minder die geringere Tätigkeit des hauptsächlich an der Dorsalflektion des Fusses beteiligten M. tibialis anterior und der Adduktoren. Nachträglieh wurden nochmals an dem konservierten Präparat des anderen Schenkels — beim Hunde pflegt rechte und linke Seite nach meinen Erfahrungen gleich ausgebildet zu sein — die Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 61 hier besprochenen Unterschiede in den Muskelgewichten nach- geprüft und durchaus bestätigt gefunden. Die geringere Entwicklung des M. gelutaeus medius und der Kniegelenkbeuger usw., die bessere des M. sartorius, gracilis und der Quadricepsgruppe war schon so deutlich wahrzunehmen; ferner sah man die etwas bessere Entwicklung des winzigen M. elutaeus maximus beim Stehhunde. Sie reichte aber nicht hin, die Abnahme des M. glutaeus medius zu kompensieren, so dass das Totalgewicht der Glutaeen bei dem Stehhund kleiner wurde. Es erscheint mir interessant, die aufgedeckten Beziehungen zwischen der Stehfunktion und der Tätigkeit der vergrösserten Muskeln an den Unterschieden, die zwischen den entsprechenden Hunde- und Menschenmuskeln bestehen, zu kontrollieren. Die Gebr. Weber!) teilen in ihren Untersuchungen über die Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge Muskelgewichte, die für diese Fragestellung verwendbar sind, von zwei wohlgebildeten und kräftigen Männern mit. Da das Gewicht der Muskulatur den Hauptteil der aktiven Körpermasse ausmacht, diese wiederum zum Nierengewicht sowohl beim erwachsenen Menschen wie beim ausgewachsenen Hund im gleichen Verhältnis steht), so ist es meines Erachtens wohl ge- nügend korrekt, bei Mensch und Hund die Muskelgewichte auf das Gewicht der Niere zu beziehen. Für den zum Vergleich dienenden Hund habe ich das Gewicht der Niere direkt bestimmt und die Muskelgewichte auf das Gewicht der rechten Niere bezogen. Das Körper- und Nierengewicht der von den Gebr. Weber untersuchten Personen ist unbekannt. Vierordt°®) nennt für den erwachsenen menschlichen Körper 153 g Nierengewicht. Es ist sehr wahrschein- lich, dass dieser Wert, der zu einem Körpergewicht von 66,2 kg gehört, für die von den Gebr. Weber untersuchten Personen zu niedrig ist. Ich rechne deshalb mit einem proportional auf das wahrscheinlichere Körpergewicht von SO kg aufgerechneten Nieren- gewicht von 185 g*). Mit dieser Zahl kommen die in der Tabelle 15 für den Menschen angegebenen Werte zustande. 1) Wilh. und Ed. Weber, Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge S. 217. Göttingen 1836. 2) H. Gerhartz, Experimentelle Wachstumsstudien. Pflüger’s Arch. £. Physiol. Bd. 135 S. 157. 1910. 3) H. Vierordt, Daten und Tabellen, 1906. Zit. nach C. Oppen- heimer’s Handb. d. Biochemie Bd. 3, Teil 2, S. 14. 1909. 4) Die Ergebnisse der Gegenüberstellung werden übrigens davon nicht be- einflusst. 62 Heinrich Gerhartz: Tabelle 15. Vergleichende Übersicht von auf das Nierengewicht bezogenen Vier- füsser- und Menschenmuskeln. "Auf 100 e Niere kommen Vierfüsser (Kontrollhund) Mensch [rechte Niere |fNiere — 185 a el 8 g Mmpolutaeisse na ae Ä 131,5 | 506 „ adductores . . ee 39 354 Muse. quadriceps (ohne m. rectus). a re 308 590 SO Serectuüsstemorise © Se ee. 43 108 Sr zracilisee ee ) 44 u 2sartonlus@. er. 5 11 68 » biceps, semimembranosus” und semiten- UINOSUSCRR N a N AS 531 343 FE SNOASLEOCHEMIUSEA TI ee 128 396 (samt M. plantaris und soleus.) „ fHexor digit. prof. u. sublimis . B) 24 „ peroneus longus . : 14 46 a 5 brevis . 3 28 5 5 tertius . B) 12 „ tibialis anterior . . Sl 67 „ extensor digitalis pedis longus 29 18 Die Gegenüberstellung der dem Menschen und dem Vierfüsser zukommenden relativen Muskelgewichte lehrt zunächst, dass sämtliche in Untersuchung stehenden Muskeln, mit Ausnahme der Adduktoren- gruppe, der Gruppe Biceps, Semimembranosus und Semitendinosus und des M. extensor digitalis pedis longus beim Menschen, ein relativ höheres Gewicht besitzen als bei dem auf allen Vieren laufenden Hund. s fragt sich, ob’ diese Differenzen durch die aufrechte Stellung provoziert sein können. Ist dies der Fall, so wird eine Parallele zu den zwischen Stehhund und Kontrollhund beobachteten Unter- schieden zu erwarten sein. Werden die Muskelgewichte von diesem Gesichtspunkte aus untersucht, so ergibt sich, dass diejenigen Muskeln, welehe beim Menschen relativ stärker als beim Vierfüsser entwickelt sind, auch beim Stehhund relativ schwerer als beim normal laufenden Kontroll- hund sind; eine Ausnahme bilden nur die Glutaeusgruppe, die Mm. tibialis anterior, extensor digitalis longus und der M. peroneus brevis, der im Gewicht gleichblieb. Die Adduktoren, der M. biceps samt semimembranosus und semitendinosus waren sowohl beim Steh- Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 63 hund wie beim Menschen schwächer entwickelt als bei dem vier- füssigen Partner. Wie sind die vier Ausnahmen unter den 15 untersuchten Muskeln zu erklären ? Hinsichtlich des M. peroneus brevis ist zu berücksichtigen, dass das Gewicht dieses kleinsten untersuchten Muskels nur 0,47 g bei dem Stehhund betrug, also die Fehler, die bei jedem Muskel not- wendigerweise der ungleichmässigen Präparation zufallen, so gross sind, dass eine kleine Differenz nichts besagen kann. Das in der Tabelle für den M. tibialis anterior angegebene Proportionalgewicht entspricht ferner nicht dem durehsehnittlichen Gewicht dieses Muskels beim Hunde; denn ich fand bei einem anderen, normal sich bewegenden Hund (Hund Nr. VII der zitierten „Untersuchungen über den Einfluss der Muskelarbeit usw.“) ein Proportionalgewicht von 60°o für denselben Muskel, womit die Differenz zwischen Mensch und Vierfüsser schon in die Variations- breite fällt. An der Glutaeusgruppe ergab sich bei der nachträglichen Unter- suchung am konservierten Präparat, dass der M. glutaeus maximus zugenommen, der M. glutaeus medius aber abgenommen hatte. Beim Hunde überwiegt der M. glutaeus medius bedeutend den M. glutaeus maximus. Beim Menschen ist es umgekehrt; dort ist der letztere doppelt so stark entwickelt als der M. glutaeus medius. Es ist also in Wirklichkeit auch hier eine Übereinstimmung vor- handen, da sich beim Menschen und beim aufrecht gehenden Hund das Verhältnis der beiden Glutaeen zugunsten des M. zlutaeus maximus verschiebt. Somit bleibt hier nur noch eine Ausnahme, bei dem Muse. extensor digitalis pedis longus, die meines Erachtens durch die so sehr verschiedene Gestaltung des Fusses bei Mensch und Hund und die daraus resultierenden Unterschiede in der Funktion genügende Aufklärung finden. Werden die Gewichte aller Strecker und aller Beuger mit- einander verglichen, so ergibt sich für den Menschen, worauf schon die Gebr. Weber hingewiesen haben, ein Überwiegen der Strecker über die Beuger. Für die beiden Hunde ergibt sieh dabei die entsprechende Tatsache, dass die Streekmuskeln desStehhundesdiedesKontrollhundes ebenfalls an Gewicht übertreffen, während die Beuger 64 Heinrich Gerhartz: des Stehhundes gegenüber denen des Kontrollhundes an Gewicht zurücktreten. Es kann also kein Zweifel darüber sein, dass die für den Menschen charakteristische Entwicklung der Muskulatur eine Anpassung an den aufrechten Gang darstellt. Interesse bietet noch der Vergleich der Folgen des Vierfüsser- laufes mit denjenigen des aufrechten Ganges. Bei meinen oben zitierten Untersuchungen über die Arbeitshypertrophie war auf die Unterschiede, die sich beim Hund zwischen dem Ruhezustand und dem durch foreiertes Laufen auf allen Vieren geschaffenen entwickeln, das Augenmerk gerichtet worden. Dort erwiesen sich die Beuge- und Streckmuskeln der hinteren Extremität gleichmässig hyper- trophiert. Hier beim aufrechten Gang hypertrophieren sowohl die Muskeln, die den Rumpf nach hinten bringen, wie die Strecker für das Knie- und Fussgelenk und die Zehenbeuger. Diese Unterschiede finden nun wiederum ihren Ausdruck in der endgültigen Ausbildung der Muskulatur bei Mensch und Hund; denn während beim Menschen das Gewicht der Streckmuskeln das der Beuger bedeutend überragt (Gebr. Weber), sind beim Hund Strecker und Beuger zu gleichen Teilen vorhanden). Thorax. Die Aussenkontur des frontal durchschnittenen Brustkorbes ver- läuft beim Hund nicht wie beim Menschen in nach aussen stark konvexem Bogen, sondern eher gradlinig cranial hin zu, so dass die Verlängerung der Thoraxseitenflächen in spitzem Winkel zusammen- läuft, nicht, wie es beim Menschen der Fall ist, in ovaler Rundung. Der Hundethorax erscheint also in dem kranialen Teil von der lateralen Seite her plattgedrückt. Die Folge davon ist, dass ein in der Höhe der ersten Rippe geführter Querschnitt, die obere Thorax- apertur darstellend, nicht die querovale Form wie beim Menschen, sondern eine längsovale besitzt, indem der sagittale Durchmesser auf Kosten des transversalen reduziert erscheint. Man kann sich wohl 1) C. Voit (Gewichte der Organe eines wohlgenährten und eines hungernden Hundes, Zeitschr. f. Biol. Bd. 30 S. 514. 1894) fand bei einem 15,4 kg schweren normalen Hund das Gewicht der Extensoren zu 6,6°o, das der Flexoren zu 6,9 °/o der Muskulatur; bei dem Hungerhund wurden für die Extensoren 6,1 °/o, für die Beugemuskeln 5,5 %/o der Gesamtmuskulatur gefunden. Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 65 vorstellen, dass beim Gehen auf den vier Extremitäten die Vorder- beine in dem Sinne auf den Thorax wirken, dass die Kielform des oberen Thoraxteiles noch mehr im Sinne der Tierform abgeändert wird, und es liest deshalb nahe, den Vierfüsser auf die durch die aufrechte Stellung hervorgerufenen Thoraxveränderungen hin zu untersuchen. Der dorsale Abschnitt des knöchernen Anteiles der Rippen war beim Stehhund mehr caudalwärts geneigt als beim Kontrollhund. Infolgedessen waren bei dem ersteren im vorderen Abschnitt die Rippenknorpel, um die gleiche Höhe des Ansatzes am Brustbein zu erreichen, schärfer abgebogen. Der Winkel, in dem Rippenknochen und angrenzender Teil des Knorpelstückes zueinander stehen, in dem also der steilere Abfall der Rippen beim Stehhund zum Aus- druck kommen muss, wurde z. B. an einer Stelle der mittleren Thoraxpartie an dem in Alkohol gehärteten Präparat rechts wie links beim Stehhund zu 135 °, beim Kontrollhund zu 140 ° gemessen. Tabelle 16. Vergleichende Zusammenstellung der relativen Rippenknorpellängen bei beiden Hunden. Knorpel der Rippe Nr Stehhund Kontrollhund 3 100 100 4 132 39 hi} 156 152 6 154 181 7 200 196 8 224 | 222 ı Die Rippenknorpel selbst wiesen charakteristische Längenunter- schiede auf, die zur Veränderung der Konfiguration des Brustbeines in direkter Beziehung stehen. In Tabelle 16 habe ich die relativen, je auf die Läuge des dritten Knorpels — 100 bezogenen Maasse, die durch Abstecken nit dem Zirkel festgestellt wurden. angegeben. Es ergibt sich hieraus eine relativ grössere Länge der unteren Rippenknorpel des Stehhundes. Diesem Verhalten entsprechend stand beim Stehhund die Richtung des Sternums in einem spitzeren Winkel zur Brustwirbelsäule als beim Kontrollhund. An der Figur 16, die diese Befunde illustrieren soll, ersieht man weiterhin, dass die eraniale Partie des Brustbeins bei dem aufrecht gehenden Hund fast geradlinig verläuft, die caudale erst vom Ansatz der sechsten Rippe Pflüger’s Archiv für Physiologie. Rd. 138. 5 66 Heinrich Gerhartz: ab dorsal hin zurückgebogen ist. Beim Kontrollhund dagegen besitzt das Brustbein zunächst an der dritten Rippe einen deutlichen ventral- konvexen Knick; in seinem caudalen Abschnitte aber bewahrt es, entgegen dem Verhalten, das beim Stehhund beobachtet wird, zu- nächst noch den geradlinigen Verlauf bei, ja biegt sich eher ventral hin vor, so dass eine leichte S-Krümmung zustande kommt. Aus diesen Abweichungen resultiert ein beträchtlicher Unterschied in der Grösse des vom oberen und mittleren Sternumteil gebildeten Winkels: beim Kontrollhund betrug er nur 170°, beim Stehhund dagegen wurde er zu 156 ° gemessen. Stehhund. Kontrollhund. Fig 16. Seitenansicht des Thorax. Das oben erwähnte stärkere caudalwärts gerichtete Absinken der knöchernen Rippen erstreckte sich bei dem Stehhund nicht auf die eraniale Brustkorbpartie. Hier war das gegenteilige Verhalten zu beobachten. So z. B. betrug der Winkel zwischen dem dorsalsten Abschnitt der ersten Rippe und dem eranialen Abschnitt einer Ver- bindunsslinie der Processus transversi beim Kontrollhund 90 °, beim Stehhund nur 85°. Die obere Apertur des Thorax war also samt dem Manubrium sterni vorn höher gehoben. Ausserdem wurden hier noch andere Unterschiede zwischen den beiden Hunden beobachtet. Während der dorso-anteriore Durchmesser der oberen Apertur, von der Wirbelvorderfläche bis zum Manubrium gemessen, bei beiden 3,5 em maass, wurde der transversale Durch- Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 67 messer beim Stehhund zu 3,0 em, beim Kontrollhund zu 3,5 em be- stimmt. Die Zahlen zeigen, dass beim Stehhund die obere Öffnung des Brustkorbes eine mehr längsovale Form besass, und dass diese Veränderung sowohl durch Verkürzung des transversalen wie durch Verlängerung des sagittalen Durchmessers zustande gekommen sein musste. Der Thorax des Stehhundes erschien also noch mehr von lateral her plattgedrückt, als es der Thorax des Hundes schon an und für sich ist. Ähnliche Beobachtungen, wie an der oberen, wurden an der unteren Apertur gemacht. Hier wurde der sagittale Längsdurch- messer, vom Processus ensiformis des Brustbeins zur Vorderfläche des entsprechend hochgelegenen Körpers des siebenten Wirbels gerechnet, beim Stehhund etwas grösser gefunden. Der Querdurchmesser maass bei dem ersteren dagegen weniger. Die untere Apertur war hier- nach auch im ganzen beim Stehhund relativ grösser. Die vordere Wölbung der Apertur war bei dem aufrecht gehenden Hund oval, bei dem Kontrollhund mehr keilförmig gestaltet. Damit steht in engem Zusammenhange, dass der Angulus infrasternalis bei dem ersteren zu nur 65 °, beim Kontrollhund zu 70 ° gemessen wurde. Einige Tatsachen könnten zu der Vermutung Anlass geben, es handele sich hier um Veränderungen, die dem Einfluss einer termi- nalen inspiratorischen Thoraxdehnung zuzuschreiben, also akzessorischen Momenten zu verdanken seien. Wenn nicht schon andere damit unmöglich in Übereinstimmung zu bringende Beobachtungen, z. B. die Knorpelverlängerung, überzeugend dagegen sprächen, würde der Umstand, dass die allmähliche Ausbildung der wesentlichsten der beschriebenen Veränderungen an den Röntgenbildern verfolgt werden konnte, dies tun. Andererseits aber hat sieherlich die Thoraxdefor- mation Veränderungen in der Topographie der Lungen in- folge der wechselseitigen Abhängiskeit von Thorax und Thorax- inhalt nach sich gezogen. Ich schliesse deshalb deren Beschreibung hier an. Die diesbezügliche Untersuehung der Lungen wurde an den in Alkohol-Formalin gehärteten Präparaten vorgenommen, wobei die Lungen durch Entfernung der Interkostalmuskeln zur Anschauung gebracht wurden. Die Figuren 17 und 18 geben ein Bild hiervon. Wegen der schlechteren Beleuchtung der tiefer liegenden Lungen- partien trat der genaue Verlauf der Lungenlappengrenzen auf der Kopie nicht überall deutlich zutage. Ich habe deshalb die Ab- 5* Heinrich Gerhartz: [0,6] 6 bildungen durch die Einzeichnung der Grenzlinien verständlicher gemacht. Bei dem Kontrollhund, von dem erst die Rede sein soll, lag die rechte Lungenspitze gegenüber der Mitte des horizontal verlaufenden Körpers der ersten Rippe, mit ihrem höchsten Punkte kaudal von dem kaudalen Rande dieser Rippe. Der vordere Rand Fig. 17. Lungentopographie beim Stehhund. des Oberlappens zog von da zur Mitte der Sternalbegrenzung des rechten dritten interkostalraumes, bog dann scharf um und verlief nach hinten zur Grenze zwischen dorsalem und mittlerem Drittel des horizontal verlaufenden Körpers der sechsten Rippe. In der Mitte des vierten Interkostalraumes kam unter dem rechten Oberlappen der Mittellappen vor. Sein vorderer Rand ging nach vorn bis zur Mitte des sechsten Rippenknorpels, wendete sich hier, einen Winkel von 60 ° bildend, nach unten und hinten bis I em Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 59 dorsal von der Knochenknorpelgrenze der siebenten Rippe und folgte dann dem unteren Rande dieser Rippe. Der vordere Rand des dorsal vom zweiten Lappen gelegenen Unterlappens bildete die direkte Fortsetzung der anterioren Kante des Mitteliappens. Sein kau- dales Ende lag wirbelsäulenwärts’am unteren Rande der zehnten Rippe. Nach vorn vom vorderen und unteren Rande des rechten Mittel- und Unterlappens wurde die äussere Zwerchfellwölbung, in dem Fig 18. Lungentopographie beim Kontrollhund. zwischen dem vorderen Rande des Ober- und dem kranialen Rande des Mittellappens frei werdenden Raume das Herz sichtbar. In dem linken Thoraxraum stand die Lungenspitze am linken Sternalrand in der halben Höhe der ersten Rippe. Von da an bog der nach vorn leicht konvexe vordere Bogen des Oberlappens bis zur Mitte der Knochenknorpelgrenze der vierten und fünften Rippe hin, wendete sich dann in fast rechtem Winkel nach hinten bis zur halben Höhe des Köpfehens der vierten Rippe. Ungefähr 1 em 70 Heinrich Gerhartz: weiter dorsalwärts erschien hinter dem Oberlappen der Unterlappen, dessen vordere Kante die vordere Biegung des Oberlappenrandes bis zu der achten Rippe fortsetzte. Kranial von der fünften Rippe wurde das Herz, kaudal von ihr das Zwerchfell sichtbar. Beim Stehhund befand sieh die rechte Lungenspitze gegen- über dem oberen Rande des Knorpelknochenbuckels der ersten Rippe. Die vordere Kante lief am rechten Sternalrand entlang bis zur Mitte des vierten Interkostalraumes, bog dann im rechten Winkel dorsal- wärts um bis zum oberen Rippenrande in der Mitte des Knochen- bogens der sechsten Rippe, wo der Mittellappen unter dem Öber- lappen zum Vorschein kam. Dessen kaudale Kante behielt die Richtung des hinteren Oberlappenrandes bis zum kaudalen Ende der Knorpelknochengrenze der siebenten Rippe bei, seine Vorderkante aber erstreckte sich, dem hinteren Rande parallel, von der vierten Rippe bis zur sternalen Anheftung der sechsten Rippe hin. Unter den beiden genannten Lappen und kaudal von innen kam der Unter- lappen hervor, dessen kaudale Grenze sich parallel zur Richtung der kaudalen Oberlappenkante hielt und sich so von der Knorpel- knochengrenze der siebenten Rippe nach hinten bis zum kranialen Rande des Köpfchens der elften Rippe hin erstreckte. In dem von Ober- und Mittellappen freigelassenen Raum lag das Herz vor, kaudal vom mittleren und unteren Lungenlappen sah man nur Zwerchfell. Die linke Lungenspitze des Stehhundes reichte nur bis zur mittleren Höhe des Knorpelknochenwulstes der zweiten Rippe, stand also tiefer als der rechte Apex. Der mediane Bogen verlief hinter den Knorpelansätzen der zweiten bis sechsten Rippe — mit einer Finbuchtung an der vierten Rippe — bis zur Knorpelknochengrenze der sechsten Rippe. Der kaudale Lappenrand schlug dann eine Richtung ein, die etwa einer von diesem Punkte bis zum hinteren Gelenkansatz der fünften Rippe gezogenen Geraden entspricht. Am Köpfchen der fünften Rippe bildeten die obere und untere hintere Kante des Oberlappens einen Winkel von 75 °. Der linke Unter- lappen reichte nach vorn bis 1 em hinter der Knorpelansatzlinie des siebenten Interkostalraumes, nach hinten mit dem unteren Pol bis zur hinteren Gelenkverbindung der zehnten Rippe. Der kaudale Rand des linken Unterlappens wurde durch die Verbindungslinie der beiden genannten Punkte bestimmt. Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 71 Kranial von der Mitte des sechsten Interkostalraumes lag das Herz, kaudal das Zwerchfell vor. Vergleicht man die hier gegebenen topographischen Notizen, so ergibt sich ohne weiteres, dass beim Stehhund die linke Lunge vielweniger weit kranialwärts hinaufreicht, dass ferner bei ihm rechts der Herzbeutel mehr von der Lunge überdeckt ist und nur an der fünften Rippe sehr wenig vom Herzen zum Vor- schein kommt, links dageeen umgekehrt das Herz an der In- zisur des medianen Randes des OÖberlappens in AN hinten links rechts Stehhund. Kontrollhund. Fig. 19. Schema, die Richtung der maassgebenden Kräfte (Herz) veranschaulichend. Tboraxquerschnitt in der Höhe der sechsten Rippe (kaudale Hältte). grösserem Umfange frei liegt, während beim Kontrollhund das Herz gleich weit von der rechten und linken Thoraxwand ent- fernt, also medial gelagert ist. Es ist diesen Beobachtungen noch hinzuzufügen, dass das Herz des aufrechtzehenden Hundes auch beträchtlich tiefer kaudal- wärts stand. Beim Kontrollhund wurde die Herzspitze zwischen fünfter und sechster Rippe, beim Stehhund aber einen ganzen Inter- kostalraum tiefer gefunden. Diese Senkung betraf das ganze Herz; denn nach oben reichte es bei dem ersteren bis zur Höhe der dritten Rippe, beim Stehhund einen halben Interkostalraum weniger hoch hinauf. Bei diesen Lageverschiebungen des Herzens hatte auch eine Drehung um die vertikale Achse stattgefunden. Während 72 Heinrich Gerhartz: das Herz des Kontrollhundes mit seiner Vorderfläche von der inneren Thoraxwandung überall, links und rechts, gleichweit ab lag — es lag ihr auch im ganzen näher — lag beim Stehhund der rechte Ventrikel mehr ventral vor, so dass die Herzspitze hier relativ mehr dorsalwärts zurücktrat, aber nicht um so viel, dass sie absolut weiter als die des Kontrollhundes dorsal zurückgelegen hätte. Genauerer Aufschluss über die Höhenlage und Achsendrehung des Herzens wurde aus Thoraxquerschnitten gewonnen. An den gehärteten Leichen wurde zunächst, um einen möglichst grossen Teil der Herzmuskelmasse zu treffen, in der Höhe des sechsten Inter- dorsal links rechts Stehhund. ventral Kontrollhund. Fig. 20. Thoraxquerschnitt im sechsten Interkostalraum (an Sternum und Wirbel- säule dicht an der sechsten Rippe). Ansicht der kranialen Fläche. kostalraumes, an Brustbein und Wirbelsäule dieht kaudal von der sechsten Rippe'), ein Querschnitt gelegt, den Figur 19 in der un- veränderten Anordnung schematisch gezeichnet, Figur 20 nur bezüg- lich des Thoraxinhaltes, aber mit photographischer Treue zur An- schauung bringt. Da die Blutgefässe und das Herz während der Schnittführung mit geronnenem Blute vollständig fest ausgefüllt waren, stellen die letzteren Abbildungen den Situs korrekt dar. — Ein zweiter Schnitt wurde im dritten Interkostalraum, direkt kaudal von der dritten Rippe, geführt. Hierüber orientiert Figur 21, vor deren 1) Der Schnitt ging beim Kontrollhund infolge eines Versehens links einen halben Interkostalraum weiter kranial hinauf. Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 7 (80) Herstellung ebenfalls, wie das bei Figur 20 geschehen war, die Blut- gefässe von dem sie ausfüllenden Gerinnsel vorsichtig befreit worden waren. Auf dem ersten Schnitt (sechster Interkostalraum. Fig. 20) sind rechter und linker Ventrikel zu sehen. Es ist daran leicht zu er- kennen, dass der Schnitt beim aufreehtzehenden Hund durch eine etwas weiter kranial gelegene Partie geht. Das Herz steht also bei ihm, da bei den beiden Hunden der Schnitt in der gleichen Thorax- höhe geführt worden war, in der Höhe des Abganges der Aorta tiefer. dorsal rechts links Stehhund. ventral Kontro Ilhund. Fig. 21. Thoraxquerschnitt im dritten Interkostalraum, dicht an der dritten Rippe. Ansicht der kaudalen Fläche. Auf dem weiter kranial geführten Querschnitt (Fig. 21) — es ist hier der rechte Vorhof setroffen — treten deutlichere Unter- schiede zwischen den beiden Hunden zutage. Auch hier ist vor allem zu beobachten, dass der Schnitt beim Stehhund einen weiter kranialwärts gelegenen Abschnitt getroffen hat, so dass also auch an der Basis mit dieser Methode der Nachweis geführt worden ist, dass das Herz des Stehhundes tiefer stand als das des Kontrollhundes. An den Schnittbildern ist weiterhin zu beobachten, dass beim Stehhund der grösste Teil des Herzens links vom dorso- ventralen Thoraxdurchmesser, beim Kontrollhund dagegen rechts davon, bzw. in der Mitte liegt, und während beim Kontrollhund der Längsdurch- messer des vom Schnitt getroffenen Herzmuskelovals schräg von 4 Heinrich Gerhartz: rechts hinten nach links vorn verläuft, ist dieser Durchmesser beim Stehhund fast in die Richtung des sterno-vertebralen Thoraxdurch- messers eingestellt. Es hat also das Herz beim Stehhund nicht nur eine Verschiebung von rechts nach links erfahren, sondern sich auch um seine kranio-kaudale Achse gedreht, wobei es mit der Dorsal- fläche um einen grösseren Betrag als mit der ventralen nach links hin rückte. Diese Drehung hatte auch eine Änderung in der Richtung des beim Hunde relativ straffen und unnachgiebigen hinteren Me- diastinums zur Folge (val. Fig. 19); denn während dieses beim Fig. 22. Schematischer Horizontalschnitt durch den Thorax des Menschen. Kontrollhund von links hinten nach rechts vorn verläuft, steht es beim Stehhund in der Richtung des Sterno-vertebral- Durchmessers. Die eben besprochenen Querschnitte lassen noch eine Kontrolle früherer Beobachtungen über die Form des knöchernen Thorax zu, die ich nicht übergehen möchte. Die Ausmessung der grössten Durch- messer der kaudal von der sechsten Rippe gelegenen Thoraxhälfte ergab für das Verhältnis des grössten dorso-ventralen Durchmessers — von der Mitte des Wirbelkanales bis zur Innenfläche des Brust- beines gemessen — zum grössten Querdurchmesser beim Stehhund eine Proportion von ni beim Kontrollhund eine solche von nn Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 75 was wiederum besagt, dass der Brustkorb des aufrechtgehenden Hundes relativ schmäler war als der des Kontrollhundes. Vergleicht man damit die Konfiguration des Querschnittes eines menschlichen Thorax, die ich in Fig. 22 nach Toldt!) schematisiert wiedergebe, so ergibt sich ohne weiteres — hier ist das Verhältnis der Durch- 100 : messer 164 dass die Veränderung der Querschnittsform des auf- recht gestellten Hundes in einer der phylogenetischen Entwicklung entgegengesetzten Richtung vor sich ging. Zum Verständnis der oben besprochenen Lageveränderungen des Herzens und der Lungen ist es notwendig, sich über den Stand des Zwerchfells zu orientieren. Die Zwerchfellkuppe befand sich beim Stehhund (Präparat) gegen- über dem Ansatz der sechsten Rippe, beim Kontrollhund etwas höher, zwischen dem der fünften und sechsten Rippe. Gleichzeitig liess sich feststellen, dass die ventrale Zwerchfellpartie beim Stehhund flacher gewölbt war als bei dem Kontrollhund, wo sie steiler nach vorn abfiel. Dieses Verhalten ist auch an den Röntgenbildern Fig. 8 und 9, die im übricen mit den Figuren 6 und 7 zusammen eine gute Übersicht über Stand und Form des Zwerchfells geben und noch auf einige Eigentümlichkeiten aufmerksam machen, zu erkennen. Man beobachtet hier auf den ersteren, bei transversalem Strahlen- gang angefertioten Aufnahmen, dass das Zwerchfell im Sagittal- schnitt beim Stehhund die normale gleichmässige kranial konvexe Wölbung vermissen lässt und in der Mitte eine kaudal gerichtete Eindellung aufweist. Die Konsequenz hiervon ist eine Vergrösserung der Winkel, die das Zwerchfell mit der Thoraxkontur bildet. Die Abplattung der Zwerchfellfläche, deren höchste Kuppe beim Stehhund auch dorsalwärts verschoben erscheint, lässt sich auch an den ventrodorsalen Bildern Fig. 6 und 7 (Frontalschnitt) er- kennen. Die Kuppe ist hier beim Kontrollhund deutlich höher, der Abfall nach den lateralen Seiten hin steiler als beim Stehhund. Daraus leitet sich ungezwungen folgende Ätiologie ab. Beim Kontroll- hund lastet ein vom Abdomen her kommender Druck auf der ventralen unteren Thoraxpartie, der das Zwerchfell dort in den Thorax hinein vorzuwölben strebt und die Zwerchfellkuppe beim Vierfüssergang boden- 1) C. Toldt, Anatom. Atlas, 2. Aufl., 4. Lieferung, S. 455 Nr. 774. Berlin und Wien 1900. 76 Heinrich Gerhartz: wärts hin verlagert (Fig. 23). Wird der Rumpf aufgerichtet, so fällt dieser Druck weg; der Zug der abflominalen Organe, hauptsächlich der Leber, zieht das Zwerchfell herab. Hierdurch und durch den mehr in der Mitte des Zwerchfells angreifenden Druck der thorakalen Eingeweide kommt ausserdem eine Abflachung des Zwerchfells und lateral eine bessere, ventral und dorsal eine geringere kranial konvexe Wölbung desselben zustande. Durch die grössere Abschüssigkeit der vorderen Zwerchfellpartie ist nun dem tiefer tretenden Herzen des aufrecht- gehenden Hundes die Möglichkeit und Tendenz gegeben, nach ventral Na Fig. 23. Schema, die Richtung der beim Vierfüsser maassgebenden Kräfte (Herz- und Abdominalorgane) andeutend. Fig. 24. Sagittalschnitt Fig.25. Frontalschnitt desThorax. (Fig. u. 9.) desThorax. (Fig. 6 u.7.) — — Stehhund. — — Stehhund. = Kontrollhund.. — Kontrollhund. und links hin abzusinken. Beim Vierfüssergang hingegen fällt das Herz nach der Mitte der Vorderlläche in die enge ventrale Thorax- wölbung hinein. Dieses ventrale Abfallen des Herzens zieht noch Folgen nach sich. Auf den seitlich aufgenommenen Röntgen- bildern (Fig. 8 und 9) — vgl. auch für die folgenden Erörterungen Fig. 24 und 25, bei denen die verschiedenen Formationen der beiden Hunde nach den Figuren 6—9 in je einem Schema zum besseren Vergleich zusammen gezeichnet sind — sieht man, dass der von der Mitte der dorsalen Herzkonvexität nach dem dorsalen Zwerchfell- ansatz verlaufende streifenförmige „Gefäss“-Schatten beim Kontroll- hund kaudalwärts etwas zur Wirbelsäule hin konvergiert, während Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 17 er beim Stehhund in entgegengesetzt gerichteten Verlauf zu ihr tritt, sich also kranial der Wirbelsäule nähert bzw. im allgemeinen parallel zu ihr verläuft. Am klarsten wird die Richtung der das Herz fixierenden bzw. an ihm fixierten Züge aus den schematischen Zeichnungen Fig. 26 und 27 erkannt werden können, da diese nur v N 3 N n N N ER I N N N 8 18 N N N hg) 14% % R SEEN IN R % ‚N N 3} N F SS DR IR Stehhund. Kontrollhund. Fig. 26. Schema der Richtung der die Herzlage bestimmenden Kräfte. (Sagittalschnitt, Fig. S und 9.) die für die Mechanik der Herzlage notwendigsten Dinge angeben und auf ihnen die beiden kranial und kaudal zelezenen fixen Punkte markiert sind. Vor allem wird man auch sofort einsehen, dass aus dem ventralen, der Schwere entsprechenden Absinken des Herzens beim Vierfüssergane der Winkel, den das kraniale Sehattenband mit x v „ N % = ” X % $ x BR S 28 % % & N v N N % 'n 4 N) v N ® N N, W N KL N N S Stehhund. Kontrollhund. Fig. 27. Schema der Richtung der die Herzlage bestimmenden Kräfte. (Frontalschnitt, Fig. 6 und 7.) der kranialen Herzkontur bildet, grösser werden muss. In der Tat war es beim Kontrollhund ein rechter, beim Stehhund dagegen ein spitzer Winkel. Bezüglich der Grösse des Herzens ergab sich aus dem hier behandelten Material (vgl. die Röntgenbilder Fig. 6—-9), dass 78 Heinrich Gerhartz: das Herz des Stehhundes im Längsdurchmesser grösser, im Breiten- durchmesser kleiner war. Die gesamte Herzschattenfläche war grösser. Es ist offensichtlich, dass die Ergebnisse der Flächen- ausmessung unter den hier vorliegenden Umständen für die Fest- stellung der tatsächlichen Grösse des Herzens nur mit Vorsicht ver- wendet werden können, da ja eine Drehung des Herzens um seinen Aufhängepunkt an dem Eintritt der Vena cava superior, der Aorta und Arteria pulmonalis stattgefunden hatte. Ich habe deshalb an dem Querschnitt eine Kontrolle vorgenommen. Es zeigte sich hier- bei, dass die Muskulatur der linken Kammer beim Stehhund relativ stärker war als bei dem Kontrollhund. Diese Hypertrophie des Herzens des aufrechtgehenden Hundes erklärt sich leicht aus der grösseren Arbeitsleistung dieses Hundes und den vermehrten Anforderungen, die bei aufreehter Körper- stellung an den Kreislauf gestellt werden. Auch für die allmähliche Genese der an Zwerchfell und Herz des Steh- hundes aufgetretenen Modifikationen wurde durch die Kontrolle am Röntgen- bild der sichere Nachweis geführt. Auf den der Zeit vom 40. bis 48. Lebens- tage, in welcher sechs Aufnahmen von den Hunden in verschiedenen Durch- @ leuchtungsrichtungen angefertigt wurden, Fig. 28. Thorax-Röntgenbild vom angehörenden Röntgenbildern — vel. Se Fig. 28 — war bezüglich des Zwerch- fellstandes und der Herzlage noch gar keine Differenz zwischen den Hunden wahrzunehmen, und auch am 107. Lebenstage war das Herz des Stehhundes noch kaum merk- lich nach links hin herabgesunken. “links Was nun die Erklärung der eigenartigen und wohl unerwarteten Transformation des Thorax des aufrechtgestellten Hundes angeht, so erscheint es mir auch hier überflüssig, mich in eine Kritik der für die vorausgesetzte mechanische Ätiologie der Umgestaltung des Vierfüsserthorax in die menschliche Form geltend gemachten illuso- rischen Anschauungen einzulassen, und ich werde versuchen, lediglich die Mechanik der tatsächlich gefundenen Modifikationen zu ent- wiekeln. Es ist nicht schwer, auch hier am Thorax in der Schwere- wirkung den maassgebendsten Faktor zu erkennen. Steht der Hund Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 79 aufrecht, so ist die Schwerkraft notwendig in der Art wirksam, dass sie eine laterale Kompression des beim Vierfüssergang ventral ge- dehnten Thorax und damit die beobachtete Rippensenkung und Ver- längerung des Sterno-vertebral-Durchmessers herbeizuführen strebt. Ein zweites wirksames Moment ist die Reklination der Wirbelsäule. Wird die Wirbelsäule aus der dorsal konvexen Krümmung des Vier- füssers in die gestreckte Form des aufrechtgehenden Hundes ge- bracht, so werden die Rippen gehoben, und zwar rückt vorn das obere Rippenende ventral und kranial hin. Hierdurch wird die normale Rückbiegung des Manubrium sterni (vgl. Fig. 16) aufgehoben und einer durch die Schwere erstrebten Senkung des oberen Thorax wirksam entgegengearbeitet. Im kaudalen Thoraxabschnitt erfährt umgekehrt die seitliche Krümmung der Rippen eine Tendenz zur ventralen und kranialen Ausbiegung, die ihrerseits den kaudalen Sternumabsehnitt dorsalwärts zu ziehen und die normale Keilform des vorderen Teiles der unteren Apertur in eine mehr ovale Form zu bringen sucht. Es ist also sowohl die Transformation des Brustkorbes in die schmale Form, wie die seringere Neigung des Sternums gegen die obere Wirbelsäule und seine Geradestreckung, ferner die Hebung des Sternums und der oberen Apertur, die Senkung der unteren Rippen und die Umformung der unteren Apertur des Stehhundes m. E. durchaus verständlich. Es ergibt sich ohne weiteres, dass bei der Genese der mensch- lichen Form des Thorax das Wachstum in einer Richtung sich be- west, die der durch die mechanischen Einflüsse der Vertikalstellung erstrebten gerade entgegengesetzt ist. Freilich wird auch beim Kinde, das die aufrechte Stellung gewinnt, in der Hauptsache die gleiche Mechanik sich geltend machen, die wir hier aus ihren Folgen ableiteten. Diese Momente sind aber nicht stark genug, um für die typische Gestaltung des menschlichen Brustkorbes verantwortlich gemacht werden zu können. Es ist auch m. E. unstatthaft, sie für die phylogenetische Entwicklung des menschlichen Thorax heran- zuziehen, obwohl dem Klettern — als Übergangsstadium vom Vier- füssergang zum aufrechten Gang betrachtet — eine gewisse ätio- logische Bedeutung nicht wohl abgesprochen werden kann (Zuntz). Die onto- und phylogenetische Bildung der menschlichen Thoraxform tritt nach den hier gemachten Beobachtungen in Parallele zu den Erscheinungen des artspezifischen Anwuchses, der Differenz, die in 80 Heinrich Gerhartz: der Körperform, der Organgrösse und ähnlichem zwischen den einzelnen Tieren beobachtet wird, und für deren Genese uns auch vorläufig jedes Verständnis fehlt. Abdomen. Bei der Autopsie, die unter den schon früher (S. 27) angeführten Kautelen vorgenommen wurde, wurde zunächst hinsichtlich der Leber: beobachtet, dass beim Kontrollhund — s. Fig. 30 — die Leber kaudalwärts bis 2 em oberhalb des untersten Rippenbogens herabreichte. Beim Stehhund lag dagegen der untere Leberpol (rechter Leberlappen) — vgl. Fig. 29 — 1 em unter dem untersten Rippenbogenpol. Aus den Autopsiebildern ersieht man auch, dass. die Leber des aufrecht gehenden Hundes weit mehr vorlag als die des Kontrollhundes und zwar in einem Betrag, der einen inspiratorisch möglichen Tiefstand um ein Erhebliches übersteigt. Die Leber des Stehhundes war zudem sehr verschieblich, was beim Kontrolltier nicht der Fall war. Es war demnach bei dem Stehhund ein aus- sesprochenes Hepar migrans vorhanden. Aus den Röntgenbildern ist noch eine Lageabweichung zu ersehen, die am unveränderten Situs nicht zu beobachten war. In diesen Figuren (Fig. S und 9) bzw. auf den Originalplatten be- obachtet man bei den beiden Hunden eine Verschiedenheit der kranialen Leberkonvexität, aus deren charakteristischen Formen ohne Schwierigkeit zu ersehen ist, dass die Leber beim Stehhund sowohl eine Kantendrehung in dem Sinne,. dass sie sich um ihre transversale Achse ventralwärts kranial, dorsalwärts in kaudaler Richtung be- weste, vollführte, wie auch in dorso-ventraler Richtung (kranial konvex) zusammengebogen wurde, Veränderungen, die die Senkung der Leber noch bedeutender erscheinen lassen, als es schon aus der Beobachtung am. Situs hervorging. Ähnliche Beobachtungen wie'an der Leber wurden am Magen gemacht. In Fig. 30.!sieht man allerdings beim Kontrollhund einen weit grösseren Abschnitt des Masens unter der Leber vorkommen als beim Stehhund. Nichtsdestoweniger stand bei dem letzteren der Magen absolut tiefer; denn er reichte z. B. mit der grossen Kurvatur bei beiden Hunden bis zur Höhe des kaudalen Poles des linken Leberlappens. Es war also vorn die Leber beim aufrecht gehenden Hund stärker herabgetreten als der Magen. Bei dem Kontrollhund wurde der kraniale Pol der rechten Niere von der Leber verdeckt; der kaudale Pol stand in der Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. Fig. 29. Situs der Baucheingeweide beim Stehhund. Pflüger’s Archiv für Physiologie, Bd. 138. 6 8 82 Fig. 30. Situs Heinrich Gerhartz: der Baucheingeweide beim Kontrollhund. Experimentelle Studien über den aufrechten Gang. 83 Höhe des kaudalen Leberrandes. Bei der linken Niere wurde der kraniale Pol in der Höhe des linken kaudalen Leberlappens an- getroffen. Die Jinke Niere stand also normalerweise tiefer als die rechte. Beim Stehhund befand sich der kaudale Pol der rechten Niere, deren Vorderfläche zu zwei Dritteln von der Leber verdeckt wurde, 2,5 em kaudalwärts vom oben genannten, vorliegenden Leberpol. Die rechte Niere lag also, nach der Leberlage beurteilt, beim Steh- hund tiefer als beim Kontrollhund. Der kaudale Pol der linken Niere war 3,5 em kaudalwärts vom untersten Pol des linken Leber- lappens gelegen; ihr kranialer Pol schnitt mit dem kaudalen Pol des linken Leberlappens ab. Die linke Niere lag also auch, entsprechend dem normalen Verhalten, tiefer als die rechte und in der normalen Höhe zur Leber. Daraus folet, dass auch die Nieren beim Steh- hund tiefer getreten waren. Da die Nieren nun bei dem aufrecht- sehenden Hund auch erheblich besser verschieblich waren — das war besonders bei der linken Niere des Stehhundes der Fall — kann wohl bei der Abwesenheit anderer in Betracht kommender ätiologischer Momente, wie entsprechende Unterschiede im Fett- polster, kein Zweifel sein, dass durch den Einfluss der aufrechten Körperstellung ein Zustand hervorgerufen wurde, der der Wander- niere des Menschen im Prinzip entspricht. Während diese aber stets die rechte Niere betrifft, hatte sich beim Hunde die bedeutendste Veränderung an der linken herausgebildet. Die Milz lag (vel. Fig. 30) beim Kontrollhund ventral vor, beim Stehhund weiter dorsal zurück. Auf diesen Unterschied ist, obwohl er vom Gesichtspunkte der differierenden Körperstellung leicht ver- ständlich ist, mit Rücksicht auf die lose Befestigung des Organs wohl wenig Wert zu legen. Ein Tiefstand der Milz des Stehhundes war unter diesen Umständen nicht nachweisbar. Sowohl Leber als Masen und Nieren weisen also bei dem unter dem Einfluss der aufrechten Körperstellung gestandenen Hund eine Differenz gegenüber dem normalen Tier in der Art auf, dass diese Organe sich an ihrer Anheftungsstelle lockerten und tiefer traten. Mit der Senkung der abdominalen Organe bei der aufreehten Position hängt ein Unterschied in der Abdomen- silhouette zusammen, der zwischen den beiden Hunden von der 13. Lebenswoche an zu beobachten war und darin bestand, dass das Abdomen des Stehhundes in seiner unteren Partie stärker vorgewölbt 6 * 84 Heinr ch Gerhartz: Experim. Studien über den aufrechten Gang. war. Die ventrale Vorbuchtung der Regio-meso-hypogastrica war an dem Hund viel eklatanter zu sehen, als die Photographien aus der letzten Zeit (Fig. 2 und 3) erkennen lassen. Es handelt sich hier zweifellos auch um eine auf Rechnung der aufrechten Stellung zu setzende Erscheinung. Eine Gewichtsvermehrung der abdominalen Organe, an die wegen der stärkeren Durchblutung dieser Organe gedacht werden könnte, trat nicht ein; denn die Niere z. B. wog bei dem Kontroll- hund 0,34 g, bei dem Stehhund 0,33 g pro 100 g Körpergewicht, also nur ebensoviel. 85 (Aus der ernährungs-physiologischen Abteilung des Instituts für Gärungsgewerbe der Kgl. landwirtsch. Hochschule zu Berlin.) Über die vom tierischen Organismus unter verschiedenen Bedingungen ausgeschiedenen Alkoholmengen. Von Wilhelm Völtz und August Baudrexel. ' (Mit 3 Textfiguren.) Vor kurzem haben wir an dieser Stelle!) über Versuche an Hunden berichtet, welche angestellt wurden, um die in Harn und Atmung zur Ausscheidung gelangten Alkoholmengen quantitativ zu bestimmen. Bezüglich der Apparatur und der Methodik haben wir bereits ausführliche Angaben gemacht und auch einige Versuchs- resultate mitgeteilt. Hier sei nur kurz rekapituliert, dass wir einen grossen Vakuumtrockenapparat nach entsprechenden Abänderungen als Respirationsapparat benutzten, um den ausgeatmeten Alkohol zu bestimmen. Das Wesentliche ist aus der Fig. 1 auf S. S6 und der Beschreibung der einzelnen Teile ersichtlich. Für die Bestimmung des Alkohols im Harn benutzten wir die Nieloux’sche?) Methode; ebenso kam diese Methode entsprechend modifiziert bei der Analyse des durch die Atmung ausgeschiedenen Alkohols zur Anwendung. Zu dem Zweck wird in die Vorlage, welche die durch den Respirationsapparat gesaugte Luft passiert, eine Lösung von Kaliumbichromat und Schwefelsäure von bekanntem Alkoholoxydationsvermögen gebracht. Nach Beendigung des Ver- 1) W. Völtz (Referent), R. Förster und A. Baudrexel, Über die Verwertung des Bierextraktes und des Bieres im menschlichen und tierischen Organismus. Pflüger’s Arch. Bd. 134 S. 133. 1910. 2) M. Nicloux, Dosage de l’alcool dans le chloroform. Bull. de la Soc. Chimique de Paris (3° ser.) T. 35 p. 330. 1906. SG Wilhelm\Völtz und August Baudrexel: suches wird durch Titration eines aliquoten Teiles der vorgelegten Lösung gegen eine wässerige 0,1 °/oige alkoholische Lösung bestimmt, wieviel Alkohol die gesamte vorgelegte Bichromat-Schwefelsäurelösung noch zu oxydieren vermag. Aus der Differenz des so gefundenen Wertes und des Wertes für das ursprüngliche Alkoholoxydations- vermögen der vorgelegten Lösung ergibt sich die Zahl für den in are EST se 10 10 10 A a L < : 2 aan a Fig. 1. Modifizierter Vakuumtrockenapparat. für Respirationsversuche. 2 und 2a Heizplatten. 3 Türe. 4 Glasrohr, durch das die atmosphärische Luft in den Apparat gelangt. 5 Glasrohr, durch das die Luft aus dem Apparat durch die Vorlagen 6 bzw. 7, 5 oder 9 gesaugt wird. 10 Aufsätze, die ein Mitreissen von Tropfen der Lösung mit der abströmenden Luft verhindern. 117 Verbindungsrohr zwischen Vorlage und Pumpe. 72 Harntrichter für männliche Hunde. 13 Gummi- schläuche, die durch das 7-Rohr 74 zum Abflussrohr 15 für den Harn führen. 16 mit angesäuertem Wasser beschickte Flasche zur Aufnahme des Harnes. 17 und 18 seitliche Einsätze, die die Bewegungen des Hundes beschränken. Die Befestigung des Tieres, die aus der Abbildung nicht zu ersehen ist, erfolgt mittelst Halsbandes und zwei seitlicher Ketten an entsprechenden Ansätzen vorn an deı oberen Heizplatte 2. der Atmung abgegebenen Alkohol (Genaueres siehe in der unter 1 zitierten Arbeit S. 181—184). In drei Fällen bestimmten wir die in den Harn übergehenden Alkoholmengen an Menschen. Die Herren Dr. med. H. Gerhartz, Dr. med. R. Förster und der eine von uns (Baudrexel) stellten Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. = 87 sich für diese Versuche, auf die später eingegangen werden wird, zur Verfügung. Die gesamte vom Organismus ausgeschiedene Alkoholmenge (also in Harn und Atmung) wurde nur an Hunden festgestellt. Die Tiere erhielten den Alkohol zumeist nach der Fütterung, die morgens erfolgte, mittels Schlundsonde. Bei einer Versuchsreihe, bei der der Alkohol in konzentrierterer Form (ca. 50 °/oig) zur Verwendung gelangte, wurde derselbe der ersten Futterportion zugemischt und von dem Tier stets sofort mit dem Futter aufgenommen; unmittelbar darauf erhielt der Hund den Rest des Futters in einer zweiten Portion vorgesetzt und wurde gleich nach dem Verzehr (nach längstens fünf Minuten) in den Respirationsapparat gebracht. Das Futter bestand aus gemischter Kost (Fleisch, Kartoffeln, Brot resp. Reiss und aus Fett). Die einzelnen Versuche dauerten 18—24 Stunden, da wir uns davon überzeugt hatten, dass nach dieser Zeit kein Alkohol mehr vom Organismus ausgeschieden wird. Die Tiere waren stets in dem Respirationsapparat so fixiert, dass ihre Bewegungsfähigkeit sehr beschränkt war, und dass wir somit diese Versuche als Ruhe- versuche zu betrachten haben. Allenfalls war es den Tieren möglich aufzustehen, jedoch kam das sehr selten oder nie vor. Wir haben die Hunde häufig durch ein Fenster des Apparates beobachtet und dieselben jedenfalls nur liegend gesehen. Nach der Beendigung der Versuche wurde der in der Blase noch vorhandene Harn zur Alkohol- bestimmung gewonnen, und zwar bei einem grossen älteren Hunde durch Katheterisieren, bei den jungen Hunden durch Anwendung der Zuntz’schen Methode!) der Harnabgrenzung. Das erste Harn- destillat wurde stets neutralisiert; hierauf erfolgte die zweite Destillation und die Alkoholbestimmung. Wir studierten den Einfluss folgender drei Faktoren auf die Ausscheidung des Alkohols dureh den tierischen Organismus: A der Quantität, B der Gewöhnung und C des Flüssigkeitsvolums. A. Einfluss der aufgenommenen Alkoholmengen auf die Ausscheidung des Alkohols in Harn und Atmung. Wir wählten vier männliche Hunde für unsere Versuche, und zwar erstens ein älteres Tier (Kreuzung von Teckel mit einer 1) Pollitzer, Über den Nährwert einigerVerdauungsprodukte des Eiweisses. Pflüger’s Arch. Bd. 37 S. 303. 83 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: anderen Hunderasse) und zweitens drei junge Hunde desselben Wurfes (Kreuzungsprodukte von männlichem Teckel und Terrier- hündin), die hier geboren und bei Beginn der Versuche 6—7 Monate alt waren. I. Versuche an dem älteren Tier. Der ältere, ca. S kg schwere Hund erhielt etwa 3 cem Alkohol pro Körperkilogramm pro die, und zwar zunächst nicht täglich, sondern nur an bestimmten Versuchstagen, die je durch 1—4 Tage vonein- ander getrennt waren, an denen das Tier alkoholfreie Kost erhielt. Nach einiger Zeit, als wir den Einfluss der Gewöhnung auf die Alkoholausscheidung an demselben Hund studierten, erhielt er regel- mässig täglich, also wenn er sich auch nicht im Versuch befand, °/s der an den Versuchstagen verabreichten Alkoholmenge. Bei den ersten vier Versuchen an diesem Tier gelang es nicht, den Harn quantitativ nach aussen abzuleiten, weil der Trichter zunächst nicht gut passte. Es sammelten sieh nicht unerhebliche Mengen Harn in dem Apparat an, die natürlich ihren Alkohol, teils während der Luftdurchströmung durch den Apparat, teils nach der Erwärmung und der Evakuierung desselben nach Abschluss jedes Versuches an die Bichromatschwefelsäurevorlage abgaben. Es sind infolgedessen die Zahlen für die in Harn und Atmung zusammen ausgeschiedenen Alkoholmengen einwandfrei. Um aber auch für diese vier Versuche annähernd zu erfahren, wieviel Alkohol im Harn, wieviel durch die Atmung ausgeschieden wurde, haben wir das Tier in drei besonderen Versuchen ausserhalb des Respirationsapparates mit Harn- trichter ausgerüstet und fixiert, hierauf die gleiche Alkoholmenge mittels Schlundsonde in den Magen gebracht und den während 24 Stunden gelassenen Urin quantitativ gesammelt und auf Alkohol untersucht. Bei den späteren Versuchen gelang die Abführung des Harns aus dem Apparat leicht vollständig durch die Benutzung eines besser passenden Harntrichters. Bevor die Tierversuche angestellt wurden, hatten wir uns durch besondere Versuche !) davon überzeugt, dass es gelingt, in den Apparat gegossene, bekannte Alkoholmengen in den Vorlagen quantitativ zu bestimmen. Ferner stellten wir fest, 1) Eine Anzahl der gefundenen Werte sind in der früheren Publikation, l. c., mitgeteilt. Wir bemerken, dass die Abweichungen von den theoretischen Werten bei den ersten diesbezüglichen Versuchen gefunden wurden; bei den späteren war die Übereinstimmung eine nahezu vollständige. Uber die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmensen. 89 dass der Titer der Bichromat-Schwefelsäurevorlage unverändert blieb, wenn wir 24 Stunden Luft durch den leeren Apparat saugten; die Zimmerluft enthielt also keine reduzierenden Stoffe. Hierauf war die Frage zu entscheiden, wieviel reduzierende Substanzen von Hunden bei alkoholfreiem Regime durch die Atmung abgegeben werden. (Harndestillate enthalten bei alkoholfreier Nahrung, wie wir uns überzeugten, keine solchen Substanzen.) Bei Menschen hatten Atwater und Benedict!) bekanntlich bei alkoholfreiem Regime im Mittel eine 0,3 g Alkohol entsprechende Menge dieser Stoffe innerhalb 24 Stunden nachgewiesen. Wir hatten an vier Hunden, und zwar: ccm Alkohol Bei einer entsprechende | Versuchsdauer | Berechnet auf Menge redu- von 24 Stunden zierender Stoffe Stunden 1. von 3,3 kg Gewicht eine 0,050 3 0,052 er Re A n 0,061 24 0,061 BU UNION ,, s a 0,054 22 0,059 4 4.,.10:0%,, 5 5 0,063 18 0,084 also im Mittel von 21°?/s Stunden 0,057 eem, bzw. auf 24 Stunden berechnet im Mittel 0,064 cem zefunden, also annähernd überein- stimmende Werte für die Gewichtsdifferenzen von 3,3—10,0 kg. Den Wert 0,064 eem für 24 Stunden bringen wir bei sämt- lichen Alkoholversuchen für die entsprechende Anzahl Stunden umgerechnet in Abzug. Bei einem Gespräch, welches der eine von uns (Völtz) gelegentlich mit Geheimrat N. Zuntz über die Resultate der vorliegenden Untersuchung hatte, regte derselbe an, doch auch beim hungernden Tier die reduzierenden Stoffe zu bestimmen. Wir haben an zwei Hunden von 9,3 und 7,4 kg Gewicht bei dem grösseren nach Otägigem, bei dem kleineren nach 6tägigem Hunger diese Bestimmungen ausgeführt. Es ergaben sich folgende Re- sultate für die beiden Versuche von je 22stündiger Dauer. Von dem grösseren Hunde wurden an reduzierenden Stoffen abgegeben: 1) W. O. Atwater and F. G. Benedict, An exp. inquiry regarding the nutritive value of Alcohol. Mem. ofthe nat. acad. of sciences vol. 8 p. 6 memoir. Washington 1902. 90 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: durch die Atmung durch den Harn eine 0,017 cem 0 von dem kleineren Hunde eine 0,019 „ 0 Alkohol entsprechende Menge, also im Mittel 0,018 cem, das sind nur rund 32°/o des bei normal ernährten Tieren gefundenen Mittelwertes. In einer Anzahl Versuche haben wir den in Harn und Atmung nach bestimmten Zeitabsehnitten je eines Versuchstages ausgeschiedenen Alkohol gesondert bestimmt, um den Verlauf der Alkoholausscheidung festzustellen. Die Details sollen bei der nun folgenden Besprechung der einzelnen Versuche mitgeteilt werden. Zur Erleichterung der Übersicht über die erste Versuchsreihe lassen wir zunächst die Tabelle I folgen. Tabelle l. Übersicht über die Versuchsreihe an dem älteren Tier. Ve Zufuhr Ver- Y- | von Alkohol Datum such |in 9,84%oiger Alkohol- suchs- 1910 Nr. Lösung bestimmungen dauer ccm Stunden 11./12. April 1 29,49 im Harn und in der Atmung 23 l2-loon, — — = — 13./14. „ 2 29,25 im Harn 23 14/15. „ 3 _ in der Atmung 24 15.16. 071, = — = NE — — — — El.lS. 25 2 — — —_ 18.19. 5 4 29,49 im Harn und in der Atmung 21 19.20. 5 29,29 im Harn 22 20.121. ,, — — — — 2112225, 6 29,49 im Harn und in der Atmung 21 22128. , n 20 — —_ 23.24. 7 29,49 im Harn und in der Atmung 22 24.125. ,„ — 20 — — 25.26. : „ 6) 29,49 im Harn und in der Atmung 21 2620 0, — 20 — — 2128. 5 _ 20 — — 28.129. , 9) 29,49 im Harn 23 29.180. — 20 _ —_ 830. April bis 1. Mai | — 20 — _ 1./2. Mai — 20 — — Vom 2.l3. Mai bis 26./27. Mai erhielt das Tier an sieben Versuchtagen, auf die später eingegangen werden wird, (siehe S. 102 und Tab. 5 S. 104) je 29,74 cem Alkohol täglich in konzentrierterer Form (50°/oig) und an den Zwischentagen je 20 eem. Nach Ab- schluss dieser Versuche wurden am 27./28. Mai in einem letzten Versuch (Nr. 10) wieder 29,49 cem Alkohol in 9,84°/oiger Lösung Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 9] segeben und der in Harn und Atmung ausgeschiedene Alkohol be- stimmt (21'/g Stunden Versuchsdauer). Nunmehr gehen wir auf die Beschreibung der einzelnen Ver- suche ein. 1., 2. und 3. Versuch. Der 8,2 kg schwere ältere Hund erhält am 11. April 1910 nach der Fütterung um 10 Uhr morgens 29,49 ceem Alkohol in 9,84 volumprozentiger Lösung, entsprechend pro Körperkilogramm 8,60 eem, und wird hierauf mit Harntrichter armiert in den Apparat gebracht. Nach ca. 1Ys Stunden bellte und heulte der infolge der sehr grossen Alkoholgabe stark bezechte Hund ca. 3 Stunden lang mit nur kurzen Unterbrechungen. Das Tier zeigte forcierte Atmung. Nach der angegebenen Zeit verhielt es sich ruhig bis zum Abschluss des Versuches, der nach insgesamt 23stündiger Dauer erfolgte. Es waren, wie bereits einleitend erwähnt, nieht unbeträchtliche Mengen Harn in dem Apparat verblieben, die nach Entfernung des Hundes durch Schliessen des Apparates, Erwärmung der Heizplatten und Evakuierung des Apparates vom Alkohol befreit wurden, welcher in die Bichromatvorlage überdestilliert und oxydiert wurde. Das Tier wurde sofort nach Beendigung des Versuches katheterisiert und der so gewonnene Harn mit dem im Harngefäss während des Versuches gesammelten vereinigt und nach der Nieloux’schen Methode auf Alkohol untersucht. Die Alkoholbestimmung des gasförmig aus dem Apparat in die Vorlagen gelangten Alkohols erfolgte in der in der früheren Publikation (l. e.) genau beschriebenen Weise. Es wurden im Harn ermittelt 0,494 eem. Alkohol = 1,67 °o der Zufuhr, im Destillat 2,988 eem Alkohol ; hiervon sind zu subtrahieren = 0,061 cem für die reduzierenden Substanzen (berechnet für 23 Stunden), so dass also 2,927 eem Alkohol in das Destillat übergegangen waren, entsprechend 9,9 %o der Zufuhr. Bei diesem Wert ist zu berück- siehtigen, dass ein Teil dieses Alkohols dem Harn entstammt. Ins- gesamt wurden in Harn und Atmung 3,421 cem Alkohol, entsprechend 11,6 °/o der Zufuhr, gefunden. Dieser Wert für die Gesamtaus- scheidung ist natürlich einwandfrei. Um nun die im Harn allein ausgeschiedene Alkoholmenge an- nähernd genau zu erfahren, wurde am übernächsten Tage, also am 13. April, in einem zweiten Versuch dieselbe Menge Alkohol unter gleichen Bedingungen verabreicht, nur wurde der Hund nicht in den Apparat gebracht, weil wir den Harn allein zur Alkohol- 093 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: bestimmung quantitativ gewinnen wollten. Zu dem Zweck wird der mit Harntrichter armierte Hund in einer zweckentsprechend kon- struierten Kiste befestigt. Der Kopf wird durch eine Öffnung heraus- gesteckt. Der Boden wurde durchbohrt, um den Trichteransatz hin- durchzuführen, von dem ein Schlauch den Harn in ein entsprechendes Glasgefäss leitete. Der 8,1 kg schwere Hund erhielt 29,25 cem Alkohol, also pro Körperkilogramm 3,62 eem, und schied innerhalb 23 Stunden 1,650 ecem Alkohol = 5,64 °/o im Harn aus. Der Hund war ebenso stark berauscht und heulte in gleicher Weise wie beim ersten Versuch. Bei den späteren Versuchen war der Rausch infolge der Gewöhnung weniger stark, das Tier heulte jedoch noch immer einige Zeit. Vier weitere Versuche, in denen bei stets gleicher Alkoholzufuhr (ea. 3,3 cem pro Körperkilogramm) die durch die Nieren sezernierte Alkoholmenge quantitativ bestimmt wurde, ergaben folgende Werte: Ver- Ver- | Ver- Ver- Datum Sale Datum uch 8 Datum | uchig Datum | antlhıll) 19./20. April | 4,06 %/0|25./26. April | 5,83 %/0[28./29. April| 5,33 /o| 27./28. Mai | 9,86 %o | Im Mittel dieser Zahlen und der eben mitgeteilten für den zweiten Versuch (5,64 °/o) berechnet sich als Durchschnittswert die Zahl 5,43 °/oe. Die Versuche wurden innerhalb eines Zeitraumes von 6!/a Wochen ausgeführt. Für die ersten vier Versuche an diesem Hund, in denen die quantitative Trennung das Harnalkohols von dem Alkohol der Atmung nicht gelang, haben wir den Mittelwert 5,34 für den Alkohol des Harnes eingesetzt und durch Subtraktion von dem gefundenen Gesamtwert die in der Atmung ausgeschiedene Alkoholmenge bestimmt. Aus den eben mitgeteilten Zahlen für den Alkohol des Harnes geht hervor, dass die gefundenen und mit einer Ausnahme (5. Versuch) geringen Abweichungen unabhängig ven der Gewöhnung an Alkohol sind, während im Gegensatz hierzu, wie wir noch sehen werden, die durch die Atmung abgegebenen Alkoholmengen allmählich geringer werden. Bei dem vorliegenden ersten Versuch wurden, wie bereits er- wähnt, insgesamt 3,421 eem — 11,6 °/o des aufgenommenen Alkohols in Harn und Atmung ausgeschieden, und zwar 1,574 cem = 95,3 lo im Harn und 1,847 cem = 6,3°% in der Atmung; resp. in Prozenten der Gesamtausscheidung im Harn 46°/o, in der Atmung 54 Jo. Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 93 Um uns davon zu überzeugen, ob noch 24 Stunden nach einer Alkoholzufuhr, wie wir sie gewählt hatten, nämlich 3,6 eem pro Körperkilogramm, Alkohol unverbrannt zur Ausscheidung gelangt, erhielt der Hund am 13.14. die angegebene Menge Alkohol und wurde am folgenden Tage, also am 14., und zwar 23°/4 Stunden nach dieser Alkoholzufuhr, in einem dritten Versuch in den Respirationskasten gebracht, in dem er 24 Stunden blieb. Die für die reduzierenden Stoffe ermittelte Zahl entsprach 0,061 eem Alkohol, stimmt also befriedigend mit den bei alkoholfreiem Regime er- mittelten Daten überein. Somit wird nach 24 Stunden nach der Aufnahme kein Alkohol mehr unverbrannt durch die Atmung aus- geschieden. Auch der Harn wurde bei diesem Versuch quantitativ sewonnen und das Destillat auf reduzierende Stoffe untersucht. Die Bestimmung ergab, dass solche Substanzen im Urin nicht ent- halten waren. Also auch durch die Nieren wird 24 Stunden nach der Aufnahme kein Alkohol mehr sezerniert. Wir haben noch mehr- fach die Destillate des innerhalb 24—28 Stunden nach der Alkohol- zufuhr ausgeschiedenen Urins auf reduzierende Stoffe untersucht, und zwar stets mit dem gleichen negativen Befund. 4. Versuch am 18./19. April 1910. Das Tier wog 8,15 kg und erhielt 29,49 eem, also pro Körper- kilogramm 3,62 eem Alkohol. Der Hund blieb 21 Stunden im Apparat. Die ausgeschiedene Alkoholmenge betrug: im Harn 1,150 eem, in der Atmung 1,862 cem = Sa. 3,012 cem = 10,2 Jo. Wie oben bemerkt, war etwas Harn in den Apparat gelangt, und wir haben infolgedessen den in besonderen Versuchen quantitativ bestimmten Harnalkohol von der gesamten ausgeschiedenen Alkohol- menge (Harn und Atmung) subtrahiert (s. Seite 92). Nach der Durchführung dieser Berechnung ergaben sich für den vorliegenden Versuch folgende Werte: im Harn 1,575 ceem = 5,3 °/o, in der Atmung 1,437 ccm — 4,9 o —= Sa. 3,012 ccm Alkohol = 10,2 %/o. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn = 52,4, in der Atmung —= 47,0. 5. Versuch am 19,/20. April 1910, In diesem Versuch wurde ausserhalb des Respirationsapparates der Alkoholgehalt des Harnes quantitativ bestimmt. Der Hund wog vor Beginn des Versuches 8,20 kg und erhielt insgesamt 29,29 eem 94 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: resp. 3,68 cem Alkohol pro Körperkilogramm. Versuchsdauer 22 Stunden. Der Harn enthielt 1,190 eem Alkohol = 4,06 °/o der Zufuhr. 6. Versuch am 21./22. April 1910. Der Hund wog 8,650 kg und erhielt 29,49 cem, resp. pro Körper- kilogramm 3,41 eem Alkohol. Versuchsdauer 21 Stunden. Auch bei diesem Versuch war die Trennung von Harnalkohol und Alkohol der Atmung nieht möglich, weil eine erhebliche Menge Harn in den Apparat entleert worden war. Der in die Harnflasche gelaufene und ferner der durch Katheterisieren gewonnene Harn enthielt zusammen 0,700 ecm Alkohol, während wir in den Bichromatvorlagen für den Alkohol in der Atmung und den im Apparat verbliebenen Harn 1,814 cem fanden. Die gesamte in Harn und Atmung ausgeschiedene Alkohol- menge betrug somit 0,700 + 1,814 —= 2,514 eem, entsprechend 8,5 °/o der Einnahme. Nach Ausführung der Korrektur (s. S. 92) ereibt sich für den Harn 1,575 cem == 5,3 %/o, für die Atmung 0,939. cem — 3,1 lo — Sa. 2,514 cem Alkohol = 8,5 9. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 62,7, in der Atmung 37,4. Vom 22./23. April ab erhielt der Hund an allen Tagen zwischen den einzelnen Versuchstagen zwecks Gewöhnung an Alkohol pro die ca. 20 cem 90%oigen Alkohol in das Futter gemischt, das stets sofort restlos verzehrt wurde. ‘. Versuch am 23./24. April 1910. Der Hund wog 8,85 kg und erhielt 29,49 eem, resp. 3,35 cem Alkohol pro Körperkilogramm. Versuchsdauer 22 Stunden. Der Harn gelangte auch hier teilweise in den Apparat. In dem nach aussen ge- langten Harn wurden gefunden 1,110 cem, in den Bichromat- vorlagen 1,325 cem = Sa. 2,435 em Alkohol —= 8,3 /o. Nach Ausführung der Korrektur (s. S. 92) ergibt sich: für den Harn 1,575 cem = 5,34 dio, für die Atmung 0,360 cem —= 2,92 °/o — Sa. 2,435 cem = 8,3 %/o, resp. in Prozenten der Gesamtaus- scheidung: im Harn 64,7 °/o, in der Atmung 35,3 /o. S. Versuch am 25./26. April 1910. Der Hund wog 8,97 kg und erhielt 29,49 eem, resp. pro Körper- kilogramm 3,29 eem Alkohol. Versuchsdauer 21 Stunden. Bei diesem Versuch wurde sämtlicher Harn ausserhalb des Apparates gewonnen. Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 95 Wir fanden: im Harn 1,720 cem = 5,8 °/o, in der Atmung 0,912 eem — 9,1 == Sa. 2,632 ccm Alkohol — 8,9 9. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 65,3 %/o, in der Atmung 34,7 Io. 9. Versuch am 28./29. April 1910. Der Hund’wog 8,900 kg und erhielt 29,49 cem, resp. pro Körper- kilogramm 3,31 eem Alkohol. Bei diesem Versuch wurde, wie oben be- sprochen, nur der Harnalkohol, und zwar ausserhalb des Respirations- apparates, bestimmt. Wir fanden: 1,571 eem Alkohol = 5,3 °/o der Zufuhr im Harn. 10. Versuch am 27.28. Mai 1910. Bevor dieser Versuch zur Ausführung gelangte, haben wir an diesem Hunde eine Versuchsreihe (III) mit denselben Alkoholmengen in konzentrierterer Form (50 °/oig) durchgeführt, um den Einfluss des Flüssigkeitsvolums auf die Alkoholausscheidung zu studieren. Nach Abschluss der Reihe III wurde der zu dieser Versuchsreihe gehörende 10. Versuch mit 29,49 eem Alkohol in 9,84 /oiger Lösung ausgeführt. Das Tier wog 9,80 kg und erhielt somit pro Körper- kilogramm 3,01 eem Alkohol. Wir fanden: im Harn 1.730 cem = 5,9%, in der Atmung 1,032 ccm = 3,5 'lo = Sa. 2,762 ccm Alkohol = 9,4 %/o der Zufuhr. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 62,6, in der Atmung 37,4. Die folgende Tabelle 2 (S. 96) ermöglicht eine Übersicht über die in dieser Reihe I gewonnenen Resultate. Wir ersehen aus der nachstehenden Tabelle, dass nach der sehr starken Alkoholzufuhr von ca. 3,2 eem pro Körperkilogramm in einer Dosis und in 9,84 °/oiger Lösung, also in einer Konzentration, die etwa dem Alkoholgehalt vieler Weine entspricht, eine sehr erhebliche Alkoholmenge in Harn und Atmung ausgeschieden wird. Der höchste Wert, nämlich 11,6 °o, wurde beim ersten Versuch gefunden, als der Hund wahrscheinlich zum erstenmal in seinem Leben Alkohol erhielt; den geringsten Wert, nämlich 8,3 %o der Zufuhr, ermittelten wir beim siebenten Versuch; bei den folgenden Versuchen 8 und 9 steigen die betreffenden Werte wieder etwas an, und zwar auf 8,9 und 9,4 P/o. Die höchsten Werte, welche bei den beiden ersten Versuchen ge- funden wurden, sind auf die vermehrte Alkoholausscheidung durch die Atmung zurückzuführen, während die Alkoholsekretion durch Wilhelm Völtz und August Baudrexel °0/, 98 — 09 QELT :ypnsıoy "07 pun 0/, EEE = 09 TLET :yPnsIoA 6 ‘0 EE'G — W99 OgL'T :yonsıaA "8 ‘0/0 907 — WI O61‘T :yons -I9 A °C 0%, 9‘ = WII (C9°T yansıay "zZ :uopına IeNTWIg Lay PPue3[oF u9uop Toq ‘OT pun & ‘8 °C ‘zZ ayansıoy Hp wm yoIs Jfepury sa ‘(e6 'S 9DIS) opına UHUUOM9F Aryeyyuenb SunwwrsoqjoyoNg[y UP1EPU0SHF nz uNeH AOp U9USP ur ‘uoyonsıo‘ Funz sne JIomfoyı (T d9p JU9ZoIg U] 3/18 rıe 99 762 29a etS 3801 Be ee 108 | 6768 86 te "82/18 01 18 LTE &09 68 29% Te 2160 8'c 03.1 | 638 | 66 | 268 rer 8 % Eog 279 es GEr% 6% 098°0 GEST GEIST | SEE |-6768-1 G8'8 2 RRgE j 18 rue 29 eg ala SE 6860 ME RSHST | Tre 2 6roza egis zzlalz 9 1 gır Arc) sor ralıya 6 LEFI Gee-| GsLeT | de |-66 | STE 2687 7 8 29 97 9TI IerE e9 981 Re 98 | 6965 8 tady 3T/TL I uoapungg dununy| ueH 0%, ws) 0% ws) 0% | - u) ws) 4 - ap 19p = = — wuwea wu» 97078 uaPpu9dsız -opmaod| - z ayons IT) yoryuo vurung -nP9T I9P gaijsnzqe umep u -10y 01d _ Seh oyonsaoA op = -syons | oSuowmpogonty Sunwyy dop ul sp | umwg A 13 wauspargosog: | — — —— = ZunsgrT a op "IN A | -sue ywesodsut a931 0/, 78‘6 ur. HP! De d Toyoy]V u9paIyosassne u9pAnA SH aunnz[ogoN[V. : [9199 IV TAN puny °I 9yTAsyonsTaA °V 's PIIPA®BL Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 97 die Nieren annähernd konstant bleibt. Zu Beginn der Versuche war die Reaktion auf die toxischen Alkoholgaben natürlich am stärksten, das Tier heulte länger als bei den späteren Versuchen, die Lungenatmung erfolete also foreierter, und daher wurde auch zunächst mehr Wasser- und Alkoholdampf ausgeschieden als später. II. Versuche an drei jungen Hunden desselben Wurfes Nr. 2, 3 und 4. a. 3 Versuche an dem jungen Hund Nr. 2. 1. Versuch. Der ältere Hund hatte sehr grosse Alkoholgaben erhalten, nämlich ca. 3,2 eem pro Körperkilogramm in 9,84 °/oiger Lösung. Der junge Hund erhielt Alkohol der gleichen Konzentration, jedoch etwa nur !/s der Menge, nämlich ea. 1 ccm pro Körperkilo- eramm. Der erste Versuch von 21lstündiger Dauer wurde am 8./9. April 1910 angestellt. ca. Y/s Stunde nach der Alkoholzufuhr mittels Schlundsonde schlief das Tier im Respirationsapparat ein. Die quantitative Alkoholbestimmung in der Atmung gelang nicht. Der Hund wog 4,260 kg und erhielt 4,92 eem = 1,15 eem Alkohol pro Körperkilogramm. Im Harn wurden gefunden 0,075 cem resp. 1,5°/o der Zufuhr. Bei den ersten drei Versuchen dieser Reihe wurden allerdings sehr geringe Harnmengen in den Apparat entleert; bei den späteren wurde der Harn dagegen stets restlos nach aussen geleitet. 2. Versuch am 12.13. April 1910, Der Hund wog 4,32 kg und erhielt 4,92 eem resp. pro Körper- kilogramm 1,14 cem Alkohol. Das Tier heulte einige Zeit nach der Alkoholzufuhr !). Versuchsdauer 20 Stunden. Es wurden gefunden: im Harn 0,065 ecem = 1,3 °/o; in der Atmung 0,147 ccm —= 3,0 Jo —= Sa. 0,212 cem —= 4,3 /o Alkohol. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 30,6 %/o; in der Atmung 69,4 ®'o. 3. Versuch am 15./16. April 1910, Gewicht des Tieres 4,57 kg, Alkoholzufuhr 4,92 ecm resp. 1,08 cem pro Körperkilogramm. Das Tier schläft bald nach der Alkoholaufnahme ein. Versuchsdauer 20 Stunden. 1) Siehe die Anmerkung auf S. 107. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 7 98 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: Es wurden gefunden: im Harn 0,085 ceem — 1,7 °o; in der Atmung 0,078 cem = 1,6 'o = Sa. 0,163 cem = 3,3 %/o Alkohol. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 52,2 °/o; in der Atmung 47,8 %/o. 8. 3 Versuche an einem jungen Hund Nr. 3 desselben Wurfes, der ebenfalls bei dem ersten Versuch (Nr. 4) zum erstenmal in seinem Leben Alkohol erhielt. 4. Versuch am 25./26. Mai 1910. Versuchsdauer 22 Stunden. Der Hund wog 6,52 kg und er- hielt 4,92 cem resp. pro Körperkilogramm 0,75 ccm Alkohol. Die Gewinnung des Harnes gelang vollständig. Der Hund heulte einige Minuten nach der Alkoholzufuhr kurze Zeit und dann noch wieder- holt in kurzen Zwischenräumen bis 3 Stunden nach der Aufnahme von Alkohol. Es wurden gefunden: im Harn 0,041 eem = 0,8 Ya; in der Atmung 0,147 cem —= 3,0 !lo —= 8a. 0,188 eem — 3,8 %/o Alkohol. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 21,8 0; in der Atmung 78,2 %. 5. Versuch am 28./29. Mai 1910. Versuchsdauer 23 Stunden. Der Hund wog 6,55 kg und er- hielt 7,48 cem resp. pro Körperkilogramm 1,15 eem Alkohol. Das Tier verhielt sich während des Versuches ganz ruhig. Es wurden gefunden: im Harn 0,206 ecem —= 2,80; in der Atmung 0,078 cem = 1,9 !o — Sa. 0,284 cem = 3,8% Alkohol. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 72,5 °/o; in der Atmung 27,5 "o. 6. Versuch am 31. Mai/l. Juni 1910. Versuchsdauer 22 Stunden. Der Hund wog 6,50 kg und er- hielt 7,48 ccm resp. pro Körperkilogramm 1,15 eem Alkohol. Es wurden gefunden: im Harn 0,121 cem = 1,6 °/; in der Atmung 0,112 cem = 1,5 lo —= Sa. 0,233 cem — 3,1% Alkohol. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 51,9 ®/o; in der Atmung 48,1 %o. Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 99 y. Ein Versuch an einem dritten Hund Nr. 4 desselhen Wurfes, der ebenfalls zum erstenmal Alkohol erhielt. Versuch 7, am 26./27. Mai 1910. Versuchsdauer 23 Stunden. Der Hund wog 8,62 ke und er- hielt 9,94 eem resp. pro Körperkilogramm 1,15 eem Alkohol. Das Tier verhielt sich vollständig ruhig. Es wurden gefunden: im Harn 0,142 eem = 1,4%; in der Atmung 0,117 cem = 1,2 ho = Sa. 0,259 eem —= 2,6 oo Alkohol. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 54,8 °/o ; in der Atmung 45,2 %o. Die folgende Tabelle 3 (S. 100) bringt eine Übersieht über die in dieser Versuchsreihe gewonnenen Resultate. Aus diesen Resultaten erzeben sich folgende Schlüsse: Alkoholdosen von 0,75—1,15 eem pro Körperkilogramm bewirkten bei den drei jungen Hunden also eine Gesamtausscheidung von 2,6—4,3 /o der aufgenommenen Alkoholmenge, also etwa nur !/s derjenigen Quantität, welche der ältere Teckel nach der dreifachen Dosis von 3,.01—3,6 eem pro Kilogramm ausgeschieden hatte. Wir sehen also, dass die Quantität des aufgenommenen Alkohols von grossem Einfluss ist auf die Alkoholausscheidung in Harn und Atmung. Was nun das Verhältnis des Harnalkohols zu dem Alkohol der Atmung anbelanst, so finden wir sowohl bei dem älteren Hunde als auch bei den jungen Tieren bei den ersten Versuchen die relativ höchsten Werte für den Alkoholgehalt in der Atmung. Diese Befunde finden ihre Erklärung in der Tatsache, dass bei den nicht an Alkohol ge-' wöhnten Tieren der Alkohol stärkere zentrale Wirkungen und somit stärkere Reaktionen des Organismus zur Folge hat, als bei solchen Tieren, die an Alkoholaufnahme mehr gewöhnt sind. Diese Re- aktionen äusserten sich insbesondere in einem längere oder kürzere Zeit anhaltenden Heulen, das naturgemäss eine verstärkte Atmung und somit vermehrte Wasserdampf- und Alhoholabgabe an die aus- geatmete Luft zur Folge hatte. Der Befund, dass der Hund Nr. 4 nach der ersten Alkoholdosis, die er erhielt, etwas weniger Alkohol in der Atmung als im Harn ausschied, steht nicht in Widerspruch zu den übrigen Befunden, denn es handelt sich bei diesem Hunde um das grösste und kräftigste 7* [ D . Wilhelm Völtz und August Baudrexel 100 8 sch Su 29 06 1837 6TE er 18 Dr 66 os 18 05 Sur Far 0% 769 908 1 = = uopungs | Sunwuyy | wieH ap u u 19NePp spoyos[v -syonSs 3 uausapalydsas „ION -SNB JWVS9SUT Say eeddesuomendsoy uop ur uoduowue oduLıad uaduejod £ pun zZ °T ’ıN otonsio‘ dosoıp puoiyeM 601 'S me 2 opoqeL yone yeıyus Z IN punpy ww oyansıoA [Op 0so1p uagec] Old (T | | Ye | 6:0 Gl 2150 Zi zo | sıı | ses |e9s | wm varaz | ı r ve | £g20 Gi | Ru 91 Iz1o | srı ı sw [0oc9 [me rsurwis | 9 & ser 780 0 | 320.07 | 8a 0020, | SIsı sp | cc = el © 8 Se ie8L0 | 0e 2 22750 so | 1700 | ro | 267 | ze) | Tem seise | v $ | | ie | EIEO 1.) 8200 ur 20:02 So eo na ori @ er | 8180 va 200 ET 90:0 | FIT | ebr | ccr ee & = -_ een st | 00 | sır | 267 | 9er |mdv’s/s |Gr 3 0%, | wm 0) | un) 0), | um er > | | | ww 3 - u — | —|-ojnp1od OT6L syons 9yars uapuamızunpar | a ad) SL) syonsaor -I9 A al ruumg | Me uepj WI = a sop sop sop sop en S : On IM - - IN Se ren ale 3 ws | a wunyecl AN [0yoy[y uapaıppsossne uopına Sy aynnzjoyosIYv UOLUIDZONT UI ge Oyeuom 2—9 0°TR) £O3T OYOINO °Sz we u910g93 *soJana U9gSSOp uapuny uasunf 191p Ju IT SyroasyonsaoA °V ES 9 KLOJERAT, Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 101 Tier des ganzen Wurfes, das also weniger durch die Alkoholeabe alteriert wurde als die übrigen, und das sich auch nach der ersten Alkoholzufuhr vollständig ruhig verhielt. B. Einfluss der Gewöhnung auf die vom Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. Zu dieser Frage liefert bereits die Versuchsperiode unter A (siehe die Tabelle 2 auf Seite 96) an dem alten Teckel einiges Material. Der Hund hatte ca. 3,2 g Alkohol pro Körperkilogramm in einer Portion, also toxische Dosen, erhalten. Die zunächst in Harn und Atmung ausgeschiedene Alkoholmenge von 11,6 °o der Zufuhr sank unter dem Einfluss der Gewöhnung bis auf 8,3 %o. Dieser Wert konnte auch, nachdem der Hund längere Zeit an gleiche Alkohol- dosen, die in konzentrierterer Form (50 '/oig) gegeben wurden, ge- wöhnt war und hierauf dieselbe Alkoholmenge wieder in 9,84 %/o iger -Lösung erhielt, nicht mehr unterschritten werden: wir fanden im Gegenteil wieder einen höheren Wert (9,4 °/o der Zufuhr) in den Ausscheidungsprodukten. Die Gewöhnung hatte also unter den ge- wählten Versuchsbedingungen, d. h. bei einer Zufuhr von 3,2 cem Alkohol pro Körperkilogramm in einer Dosis und in 9,84 "/oiger Lösung, zwar eine erhebliche, aber keine sehr grosse Verminderung der Ausscheidung von Alkohol durch den Tierkörper bewirken können. “ Wir haben nun an demselben Tier bei Zufuhr der gleichen Alkoholmenge, die dagegen in konzentrierterer Form (ca. 50 /oig) gegeben wurde, den Einfluss der Gewöhnung in sieben Versuchen, die sich über einen Zeitraum von etwa 1 Monat erstreckten, studiert. An den versuchsfreien Zwischentagen erhielt der Hund ebenfalls regelmässig Alkohol, und zwar etwa zwei Drittel der an den Ver- suchstagen gereichten Menge. Zur Erleiehterung der Übersicht über die Versuchszeit geben wir auf S. 102 Tabelle 4. Die Trennung des Alkohols im Harn von demjenigen in der Atmung gelang stets vollständig. Wir lassen nunmehr die detaillierten Angaben über die einzelnen Versuche folgen und bemerken, dass wir die reduzierenden Sub- stanzen von dem in der Atmung ermittelten Alkohol bereits sub- trahiert haben. 103 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: Tabelle 4. Übersicht über die Versuchsreihe an dem alten Hund Nr. 1. Alkohol- v n a zufuhr in ersuchs- Daun Versuch ca. 50/0 iger En 1910 Nr. Lösung \ ccm Men ar 20 Beh || Sander 2.3. Mai 1 29,74 91a 3.4... — 20 4.5. „ 2 29,74 2334 DO — 20 —_ 6./7. B) STE 20 = Take \) = 20 a Ude _ 20 — | 3./10. u 20 An den sieben er 10.110 & 3 29,74 233/4 ne > ne 2) Versuchstagen = na: 5 er \ ı wurde der Alkohol = 14/15. L — 20 [ regelmässig in Harn ie 5a = 20 Atnneshe —— Na. a: 20 en Malen a PN) stimmt ‚re IKLNISh © 4 29,74 2 IN, _ 20 — 2042125 b) 29,74 23lla 21.22. , _ 20 — 22.28. „ 6 29,74 23 23.124: „ — 20 a 24./25. 7 29,74 ) 24 1. Versuch "am 2./3. Mai 1910. Der Hund wog 8,75 kg und erhielt 29,74 ecem resp. pro Körper- kilogramm 3,38 cem Alkohol. Versuchsdauer 22"/s Stunden. Einige Stunden nach der Alkoholzufuhr winselte der Hund kurze Zeit. Der Harn enthielt: 0,161 eem = 0,5 %o; in der Atmung: 1,081 eem — 3,5 %o — Sa. 1,192 eem Alkohol — 4,0 %o, resp. in Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 13,5 %o; in der Atmung 86,5 °'o. 2. Versuch am 4./5. Mai 1910. Der Hund wog 9,00 kg und erhielt 29,74 cem resp. pro Körper- kilogramm 3,3 eem Alkohol. Versuchsdauer 23°/a Stunden. Das Tier verhielt sich ruhig. Der Harn enthielt: 0,324 cem — 1,1 °%o; in der Atmung: 0,839 cem — 2,8 %/’o — Sa. 1,163 ecem Alkohol = 3,9 %o resp. in Prozenten der Gesamtausscheidung; im Harn 27,8 Yo; in der Atmung 72,2 %. Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 103 3. Versuch am 10./11. Mai 1910. Das Tier wog 9,8 kg und erhielt 29,74 ccm resp. pro Körper- kiloegramm 3,0 eem Alkohol. Versuchsdauer 23°/ı Stunden. Zwei Stunden nach der Alkoholaufnahme heulte der Hund etwas. Der Harn enthielt: 0,455 cem —= 1,5 °o; in der Atmung: 0,656 cem = 2,2 °o — Sa. 1,111 ccm Alkohol = 3,7 lo, resp. in Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 40,9 /o; in der Atmung 59,1 °/o. 4. Versuch am 18./19. Mai 1910. Das Tier wog 10,1 kg und erhielt 29,74 eem resp. pro Körper- kilogramm 2,9 cem Alkohol. Versuchsdauer 23 Stunden. Der Hund verhielt sich ruhig. Der Harn enthielt: 0,456: cem = 1,5 °o; in der Atmung: 0,416 ccm = 1,4 %o = Sa. 0,872 ecm Alkohol = 2,9 °o resp. in Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 52,3 °o, in der Atmung 47,7 /o. >. Versuch am 20./21. Mai 1910. Der Hund wog 10.20 kg und erhielt 29,74 eem resp. pro Körper- kilogramm 2,9 eem Alkohol. Versuchsdauer 23!/ı Stunden. Einige Zeit nach der Alkoholzufuhr heulte der Hund etwas. Der Harn enthielt: 0,405 cem = 1,4 °o; in der Atmung: 0,486 cem — 1,6 'o — Sa. 0,891 cem Alkohol — 3,0 %o. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 45,5 °o; in der Atmung 54,5 lo. 6. Versuch am 22./23. Mai 1910. Der Hund wog 9,9 kg und erhielt 29,74 eem resp. pro Körper- kilogramm 3,0 eem Alkohol. Versuchsdauer 23 Stunden. Der Hund verhielt sich ruhig. Der Harn enthielt: 0,188 ecem — 0,6 °; in der Atmung: 0,634 ccm = 2,1 ob —= Sa. 0,822 com — 2,7%. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 22,9 °/o; in der Atmung 77,1 °/o. 7. Versuch am 24./25. Mai 1910. Der Hund wog 9,55 kg und erhielt 29,74 cem resp. pro Körper- kilogeramm 3,1 eem Alkohol. Versuchsdauer 24 Stunden. Der Hund verhielt sich ruhig. Der Harn enthielt: 0,204 cem = 0,7 Jo; in der Atmung: 0,633 cem —= 2,1 !o = Sa. 0,837 cem Alkohol = 2,8%. In 104 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: Prozenten der Atmung 75,6%. der folgenden Tabelle 5 haben wir die Resultate dieser sieben Versuche zusammengestellt. In Gesamtausscheidung: Tabelle 5. Versuchsreihe an dem alten Hund Nr. 1. Nr. des Versuches SISUTPOD-M im Harn 24,4 %o; in der an Alkohol- Es wurden ausgeschieden 3 = | zufuhr in Alkohol an ‚Prozent | 8 = ca. 50%oiger - |desınsgesam = Datum des| % _ Lösung in der an S Versuches | Z es en: | = '25| im Harn en = Summa & 1910 5 1: & zug .Tedu- | ? = 2 | ccm =. zierenden im |inder| > & Io Stoffe ı At- Keen — — Year. kg |cem ccm | o | ccm | Yo | cem | %o = uns Stunden . | 2./3. Mai| 8,75| 29,74 | 3,38 | 0,161 | 0,5 1,031 3,5 1,192 |4,0| 13,5 | 86,5 | 22Ua 4.15. „ | 900] 29,74 | 3,3 | 0,324 | 1,1 0,839 | 2,8 1,168 |3,9| 27,8 | 72,1 | 2334 10.11. „ | 98 |29,74 | 3,0 [0,455 1,5 0,656 2,2 1,111 3,7 | 40,9 59, 1 | 23% 18./19. „ [10,1 [29,74 2,9 |0,456 1,5 0,416 1,4 0,872 |2,9| 523,3 | 47,7 | 23 20./21. „ [10,20 | 29,74 2,9 [0.405 1,4 | 0,486 1,6 0,891 /3,0| 45,5 | 54,5 | 23Va 22123. „ | 93 [29,74 3.0 [0,183 0,6 | 0,634 | 2,1 0,822 | 2,71 22,9 | 77,1 | 23 24.125. „ | 9,55 129.74 | 3,1 [0,204 | 0,7 | 0,633 | 2,1 | 0,887 12,5] 24,4 | 75,6 | 24 Aus dieser Versuchsreihe ergeben sich bezüglich des Ein- flusses der Gewöhnung auf die Ausscheidune des Alkohols in Harn und Atmung folgende Schlüsse: Nach der Zufuhr von 2,9— 3,4 ceem Alkohol pro Körperkilogramm in 50 iger Lösung gelangen zunächst insgesamt 4 ° zur Aus- scheidung; dieser Wert sinkt im Verlauf von drei Wochen kontinuierlich um rund ein Drittel ab und kann auch bei weiterer Gewöhnung nicht mehr unterschritten werden. Es ist bemerkenswert, dass bei dem, kurze Zeit an stark verdünnten Alkohol gewöhnten, Hund durch weitere Gewöhnung keine höhere Verwertung des Alkohols mehr erzielt werden kann (A. Versuchsreihe I, Tab. 2 S. 96). Nach der Ver- abreichung derselben Alkoholmenge in stärkerer Konzen- tration an dasselbe an stark verdünnten Alkohol gewöhnte Tier sinkt dagegen die zunächst ausgeschiedene und von vornherein geringere Alkoholmenge unter dem Einfluss weiterer Gewöhnung noch um ein weiteres Drittel ab. Die gleiche Alkoholmenge in konzentrierterer Lösung bleibt hier infolge geringerer Diurese und infolge geringerer Wasser- und Alkoholdampfabgabe durch die Lungen länger in den Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 105 Geweben und kann daher zu einem höheren Prozentsatz verwertet werden. Was das Verhältnis des in der Atmung ausgeschiedenen Alkohols zu dem durch die Nieren sezernierten Alkohol betrifft, so gelangten mit einer einzigen Ausnahme (4. Versuch) grössere Mengen durch die Atmung zur Ausscheidung, und zwar am ersten Tage das Maximum (86,5 %o). Nach Verabreichung derselben Alkoholmenge in stärkerer Ver- dünnung (9,84 °/o) A. Versuchsreihe 1 (Tabelle 2 S. 06) wurde von demselben Tier nur am ersten Tage eine etwas grössere Alkohol- menge durch die Atmung ausgeschieden; später war die Atmung weniger forciert und die ausgeatmete Alkoholmenge daher geringer, während die durch die Nieren sezernierten Alkoholmengen annähernd konstant blieben. In Versuchen an Menschen fanden Atwater und Benediet (l. e.) etwa die neunfache Menge des im Harn ermittelten Alkohols in der Atmung. Wir können hieraus sehr gut erkennen, welche be- deutsame Rolle die Hautatmung beim Menschen spielt, während die Wärmeregulation beim Hunde so gut wie ausschliesslich durch die Maulhöhle und die Nase erfolet, also eine Wasserdampfabgabe und somit auch eine Ausscheidung von Alkohol durch die Haut fast gar nicht in Frage kommt. Versuchsreihe an dem jungen Hund Nr. 2. Das Tier wog bei Beginn der Versuche 4.25 kg. Iunerhalb eines Zeitraums von ca. 5 Wochen, und zwar vom 8. April bis zum 14. Mai, wurden 11 Versuche durchgeführt. An den Zwischentagen, welche die ersten drei Versuche trennen, erhielt der Hund keinen Alkohol. Vom 18. April ab wurden an sämtlichen Tagen, an denen das Tier sich nicht im Versuch befand, 50 eem einer 9,34 °/o igen Alkohollösung — 4,9 eem Alkohol resp. pro Körperkilogramm ca. l eem mit dem Futter aufgenommen. An den 11 Versuchstagen erhielt der Hund ebenfalls die gleiche Menge Alkohol mittels Schlund- sonde, und zwar nach der Fütterung. Die Abgrenzung des Harnes erfolgte nach Abschluss jedes Ver- suches regelmässig, und zwar nach der von Zuntz vorgeschlagenen Methode (l. e.). Der so gewonnene Harn wurde mit dem während des Versuches gesammelten Harn vereinigt und zur Alkoholbestimmung destilliert. Während der ersten drei Versuchstage wurden allerdings 106 Wilheim Völtz und August Baudrexel: sehr geringe Harnmengen in den Respirationsapparat entleert; bei den späteren Versuchen gelangte der Harn restlos aus dem Apparat in die zur Aufnahme bestimmte Flasche. Die Übersicht über die an den Versuchstagen und den Zwischen- tagen verabreichten Alkoholmengen enthält die folgende Tabelle. Tabelle 6. Die Alkoholbestimmungen wurden mit Ausnahme des 7. Versuches (29./30. April) stets in Harn und Atmung ausgeführt. Der 9. Versuch misslang, weil der Hund nach etwa 4stündigem Aufenthalt im Respirationsapparat das Futter zum Teil erbrach. Übersicht über die Versuchsreihe an dem jungen Hund Nr. >. Alkoholzufuhr Datum Versuch | in 9,84 %o iger Versuchs- B r 1910 Nr. Lösung dauer nn ccm Stunden 8./9. April | 1) | 4,92 21 Vom 9. April bis 12. April erhält der Hund keinen Alkohol. 32 Apel 2) 2977 4,92 | 20 Vom 13. April bis 15. April erhält der Hund keinen Alkohol. 15.16. Apeill 1 733) 2] 4,92 | 20 | Vom 16. April bis 18. April erhält der Hund keinen Alkohol. \ 18./19. April — 4,92 — 2005 — 4,92 _ A 4 4,92 21 22200 — 4,92 z— LE 5) 4,92 2ıl 23/24. „ _ 4,92 — 24.125. „ — 4,92 —_ 2312608 —_ 4,92 _ 20.120 6 4,92 2 2 2 u a = ns Ri l Am 29.30. April 29.130. % 7 4,99 »4 wu nr La: 30. April bis 1. Mai 8 4,92 > | Harn ‚auf Alkohol 1.72. Mai 2 4,9% Ar untersucht. Br N — 4,92 = 3/4. —_ 4,92 _ 4.18. On E= 4,92 — SAOE N _ 4,92 — EN $) 4,92 23 BASE SE — 4,92 _ SYS R — 4,92 _- LOSE RS — 4,92 _ UA _ 4,92 — IA — 4,92 = MS“ 10 4,92 22 13.114. 11 4,9 20 ” 1) Es gelangten geringe Mengen Harn in den Respirationsapparat. Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 107 Die ersten drei Versuche an diesem jungen Hunde Nr. 2 sind bereits auf Seite 97 besprochen und die Resultate in Tabelle 3, Seite 100 eingetragen worden. Wir beeinnen hier mit Versuch 4, werden jedoch in der Tabelle 7, welche die Übersicht über sämt- liche 11 Versuche bringt, nochmals die Ergebnisse der drei ersten Versuche eintragen. Vom 4. Versuch ab gelang es stets, den Alkohol des Harnes von dem der Atmung vollständig getrennt zu erhalten. 4. Versuch am 20./21. April 1910. Der Hund wog 5,07 kg und erhielt in 9,84 /oiger Lösung 4,92 ecem resp. pro Körperkilogramm 1,0 eem Alkohol. Das Tier verhielt sich ruhig. Versuchsdauer 21 Stunden. Der Harn enthielt: 0,044 eem — 0,9 °/o; in der Atmung: 0,062 eem —= 1,3 %o —= Sa. 0,106 ecem — 2,2 ob. In Prozenten der Gesamt- ausscheidung: im Harn 41,5 °/o, in der Atmung 58,5 Po. 5 Versuch am 22./23. April 1910. Das Tier wog 5,0 kg und erhielt 4,92 cem resp. pro Körper- kilogramm ca. ] cam Alkohol. Bald nach der Alkoholzufuhr winselte der Hund kurze Zeit!). Versuchsdauer 21 Stunden. Der Harn enthielt: 0,028 eem — 0,6 °/o; in der Atmung: 0,057 eem — 1,1 %o —= Sa. 0,085 ecem Alkohol = 1,7 %. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 32,9 %/o, in der Atmung 67,1 ®o. 6. Versuch am 26./27. April 1910. Das Tier wog 5,32 kg und erhielt 4,92 eem resp. pro Körper- kilogramm 0,9 eem Alkohol. Das Tier heulte kurze Zeit nach der Alkoholzufuhr (s. die untenstehende Anmerkung). Versuchsdauer 20 Stunden. Der Harn enthielt: 0,046 eem — 0,9 %o; in der Atmung: 0,026 cem — 0,5 '!o = Sa. 0,072 cem Alkohol = 1,4 °/o. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 63,9 %/o, in der Atmung 36,1 °/o. 1) Es ist möglich, dass das Winsein und Heulen, das bei den Versuchen Nr. 2, 5, 6 und 10 beobachtet wurde, nicht auf die Alkoholwirkung zurück- zuführen ist, sondern auf das Bestreben des Tieres, aus dem Respirationsapparat herauszukommen; denn bei früheren und späteren Versuchen verhielt sich der Hund ganz ruhig. 108 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: 7. Versuch am 29./30. April 1910. Das Tier wog 5,40 kg und erhielt 4,92 eem resp. pro Körper- kilogramm 0,9 eem Alkohol. Der Hund verhielt sich ruhig. Ver- suchsdauer 24 Stunden. Es wurden ausserhalb des Respirations- apparates nur Alkoholbestimmungen im Harn ausgeführt. Der Harn euthielt: 0,032 cem — 0,65 °/o Alkohol. 8. Versuch am 30. April bis 1. Mai 1910. Der Hund wog 5,4 kg und erhielt 4,92 ccm resp. pro Körper- kilogramm 0,9 eem Alkohol. Das Tier verhielt sich ruhig. Versuchs- dauer 22 Stunden. Der Harn enthielt: 0,019 cem — 0,4 °/o; in der Atmung: 0,015 cem — 0,3 !!o = Sa. 0,034 eem Alkohol — 0,7 °/o. ‘In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 55,8 °/o, in der Atmung 44,2 Jo. Ein 9. Versuch, der am 6./7. Mai 1910 angestellt wurde, konnte deshalb nicht durchgeführt werden, weil der Hund einige Stunden, nachdem er in den Respirationsapparat gebracht worden war, einen Teil des Futters erbrach. Das Tier wog 6,0 kg und hatte ebenfalls 4,92 eem resp. pro Körperkilogramm 0,5 eem Alkohol erhalten. 10. Versuch am 12./13. Mai 1910. Der Hund wog 6,60 kg und erhielt 4,92 eem, resp. pro Körper- kilogramm 0,7 cem Alkohol; er winselte kurze Zeit nach der Alkohol- zufuhr ein wenig. Versuchsdauer 22 Stunden. Der Harn enthielt: 0,022 eem — 0,45 °/o; in der Atmung: 0,020 cem — 0,41 °/o = Sa. 0,042 ecem Alkohol —= 0,86 Joe. In Prozenten der Gesamtausscheidung: im Harn 52,4 °/o, in der Atmung 47,6 °/o. 11. Versuch am 13./14. Mai 1910. Der Hund wog 6,50 kg und erhielt 4,92 cem resp. pro Körper- kilogramm 0,8 cem Alkohol. Das Tier verhielt sich ruhig. Versuchs- dauer 20 Stunden. Der Harn enthielt: 0,021 eem — 0,4 °/o; in der Atmung: 0,015 cem — (),3 Jo —= Sa. 0,036 cem = 0,7 °/o. Im Prozenten der Gesamt- ausscheidung: im Harn 58,3 °, in der Atmung 41,7 ®o. Die folgende Tabelle 7 (S. 109) bringt eine Übersicht über die Resultate dieser Reihe. 109 enen Alkoholmengen. ied i ausgesch 1Smus ischen Organ tier Uber die vom 03 A; at A) al) G10°0 A) [30°0 so 6 09 SZEplist I 36 gr res 980 | zr00 | 170 0200) | ı Stunde Stunde | Stunde | Stunde Stund.| %o |Stund| %o |Stund! % |Stund| % (9, 849foige In 414. |1,,6,4 4 8,0 13 2,7 _ —_ alkoholische RE Se | 3 43/4 7,8 133/& 3,6 — — Lösung) Aal 4,3 Dal 1 ONE 3:0 2 0,4 | 2| 3 4.9 7"/4 74 |131/e| 22 — = 5) 4 32 la 1,6 123/4 3,4 1!/a 0,0 0 = ° ’ z „0 R al | 38 1er | a jr a || © T, 5A 5,6 6 BB. 13V 6 —_ en ösung) | 6| 4 4,1 3 84 | 16 3,6 B > 7 4 4,6 6 7.6 14 2,9 _ — Amen Marz oe zen] Zur Es ist auffallend, dass während des zweiten im Mittel 5!/e- stündigen Zeitabschnittes, also 3°/«—9Y4 Stunden nach der Zufuhr, viel grössere Alkoholmengen (im Mittel 7,3 °/o pro Stunde) durch die Atmung ausgeschieden werden, als während der ersten 3 bis 4 Stunden (4,7 °/o). Geringe Alkoholmengen bleiben allerdings nach Abschluss der Versuche im Respirationsapparat zurück; wir haben diese Quantitäten in einigen Versuchen (Reihe I Versuch 4, Reihe II Versuch 1, 2 und 3) gesondert bestimmt; wenn wir diese kleinen Alkoholmengen aber auch der ersten Fraktion zurechnen, wozu wir nieht berechtigt wären, würden sich doch bei weitem nicht so hohe Werte für den pro Stunde während des ersten Zeitabschnittes durch die Atmung ausgeschiedenen Alkohol ergeben, wie wir sie für den zweiten Zeitabschnitt von durchsehnittlich sechsstündiger Dauer pro Stunde gefunden haben. Allerdings konnte doch noch folgendes in Frage kommen: Nach 22—24 Stunden waren, wie durch besondere Versuche nachgewiesen wurde, die in dem Respirationsapparat zu- rückgebliebenen Alkoholmengen minimal, weil eben mehrere Stunden, nachdem kein Alkohol mehr, oder doch nur minimale Mengen aus- geatmet waren, der Apparat fortwährend mit Luft durehspült worden war, welche die zu Beeinn noch vorhandenen Alkoholmengen längst in die Bichromatvorlagen hinübergerissen hatte; dagegen war es in 118 ° Wilhelm Völtz und August Baudrexel: Anbetracht der Grösse des Apparates wohl möglich, dass die nach dem ersten Zeitabschnitt, also nach 3°/ı Stunden vom Tier bereits aus- geschiedenen Alkoholmengen noch nicht vollständig in die Vorlagen übergegangen, sondern zum Teil in dem anfangs auch noch kälteren Apparat zurückgeblieben sein konnten. Verhielte sich die Sache so, dann wäre die während des zweiten 5!/estündigen Zeitabschnittes gefundene vermehrte Alkoholabgabe durch die Atmung eine nur scheinbare gewesen, bedingt durch die zu Beginn der zweiten Fraktion im Respirationsapparat noch vorhandenen Alkoholmengen, die zu der ersten Fraktion gehörten. Die für die einzelnen Versuchstage in der Atmung insgesamt gefundenen Alkoholmengen könnten natürlich infolge der vorstehenden Erwägungen in keiner Weise verändert werden; die betreffenden analytischen Daten sind einwandfrei. Um aber zu prüfen, ob in der Tat der höhere Wert für den Alkohol- gehalt der zweiten Fraktion auf eine in dem Apparat verbliebene Alkoholmenge der ersten Fraktion zurückzuführen ist, stellten wir besondere Versuche an, in denen die bei der ersten Versuchsanstellung mögliche Fehlerquelle vermieden wurde. Zu dem Zweck wurde den Hunden nach der Verabreichung von Alkohol ein Glaszylinder mit Gummihaube’ über den Kopf gestreift; die Gummihaube umschloss einerseits fest den Zylinder und legte sich auf der anderen Seite genügend dicht an den Hals des Tieres an. Einige kleine Öffnungen der Gummihaube, durch die Glasröhren gesteckt wurden, ermöglichten allein den Eintritt der Luft in den Zylinder. An der vorderen Seite des Zylinders, unmittelbar vor der Nase des Hundes, war ein Glas- rohr luftdieht eingesetzt worden, durch das die ausgeatmete Luft mittels Saugpumpen durch die Bichromatschwefelsäurevorlagen gesaugt wurde. Eine an Stelle des Glaszylinders eigens konstruierte Blech- haube bewährte sich ebenfalls für den Zweck. Auf diese Weise war es uns möglich, die: von den in Ruhelage fixierten Hunden aus- geatmeten Alkoholmengen nach beliebigen Zeitabschnitten leicht getrennt zu bestimmen, nnd zwar einfach durch Auswechselung der Vorlagen. Eine Hautatmung kommt beim Hunde so gut wie gar nicht in Frage und konnte dieselbe daher unberücksichtigt bleiben. Da den Tieren die Atmung durch den ziemlich engen Zylinder bzw. durch die Blechhaube auf die Dauer erschwert wurde, haben wir die einzelnen Versuche im allgemeinen nur 5—10 Stunden aus- gedehnt; in zwei Fällen wurden die Versuche 23!/s Stunden durch- geführt. Die Fraktionen wurden bis zu Beginn der sechsten Stunde Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 119 nach je 1 bzw. 2 Stunden, später nach längerer Zeit, entnommen und gesondert auf Alkohol untersucht. Es wurden insgesamt sechs Versuche, und zwar vier an einem alten männlichen Teckel und zwei an einer jungen Hündin, durchgeführt. Die Tiere erhielten pro Körperkilo- gramm ca. 3,3—4,5 cem Alkohol in ca. 50 YJoiger Lösung; es handelte sich also um toxische Dosen. Die Atemfrequenz war zum Teil ausserordentlich erhöht und unregelmässig. Übrigens sind die für die einzelnen Stunden eingetragenen Werte für die Atemfrequenz keine genauen Mittelwerte für die betreffenden Zeitabschnitte, sondern in der Weise gefunden, dass während der betreffenden Stunde ein- bis viermal die Zahl der Atemzüge pro Minute gezählt wurde. Die Versuchsergebnisse an den beiden Hunden waren folgende: Alkoholzufuhr: I. Der männliche Hund erhält insgesamt 35,79 ccm (ca. 500), resp. pro Körperkilogramm 3,25 ccm; II. die Hündin erhält insgesamt 23,20 cem (ca. 50°/o), resp. pro Körperkilogramm 4,46 ccm. I. Männlicher Hund II. Hündin 51) Versuch Nr. 1!) 21) 31) 41) 61) 7. Okt. 11. Okt. 21. Okt. | 24./25.Okt. | 14./15.Okt.| 17. Okt. 1910 1910 1910 | 1910 1910 1910 Alkohol in der Atmung j 0/0 | % | 0/o | % | % 0/o Stunde] cem | Se cem | Sr ccm Ser cem | ur ccm | Fa ccm Zn fuhr ‚fuhr fuhr fuhr fuhr fuhr | | | | | 1. [ 0,142 | 0,40 | 0,100 | 0,28 0,162 | 0,45 | 0,159 | 0,44 [0,168 0,72 | 0,166 | 0,72 2. | 0,177 | 0,50) 0,197 | 0,55 | 0,230 | 0,64 | 0,203 | 0,57 | 0,197 0,85 | 0,191 | 0,82 3. | 0,177 | 0,50 | 0,217 | 0,61 | 0,254 | 0,71 | 0,392 | 1,10 | 0,214 ‚0,92 | 0,202 | 0,87 4. 10,138 | 0,39 | 0,140 0,39 | 0,235 | 0,66 | 0,369 | 1,00 | 0,214 0,92 | 0,170 0,73 5. | 0,188 | 0,39| 0,140 | 0,39 | 0,213 | 0,60 | 0,339 | 0,95 | 0,110 |0,47 | 0,142 | 0,61 6. 10,128 1036| — | — | — | — 0,162 | 0,45 | 0,110 0,47 | 0,094 | 0,40 7. (‚0,128 |086| — | — | — | — [0,162 | 0,45 | 0,110 |0,47 | 0,094 | 0,41 8. [0,128 1036| — | — | — | — 0,162 | 0,45 | 0,047 0,20 | 0,094 | 0,40 9. 10,128 1036| — | — | — | — |0,162 | 0,45 | 0,047 10,20 | 0,039 | 0,17 10. 10,128 |0,56| — | — | — I ' 0,162 | 0.45 | 0,047 '0,20 | 0,039 | 0,17 1-3) — | — | — | —| — | — 0,050 | 0.14 | 0,008 0,034| — | — 23.-24| — | —-| — | —| — ) | — | — [09,001 0,04) — | — Sa. | 1,412 |4,0 | 0,794 |2,2 | 1,094 |3,1 |2,922|8,2 |1,368|5,9 |1,231]5,3 1) Die Atemfrequenz betrug bei den einzelnen Versuchen: in der 1. Stunde Nest 150 120 120 100 Nr. 2 Nr. 3 42 29 27 38 120 Nr.4 Nr.5 45 104 144 120 170 116 186 70 19% 60 130 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: Bei dem vierten Versuch wurden aussergewöhnlich hohe Werte für den Alkoholgehalt der Atmung gefunden. Das Tier war während dieses Versuches besonders stark alteriert, sehr unruhig und atmete sehr foreiert. Setzen wir nun die während der ersten Stunde bei den einzelnen Versuchen ausgeschiedenen Alkoholmengen gleich 100, so ergeben sich für die späteren Stunden folgende Werte: Versuch „ Also im Mittel Zunge | R | 7 der sechs 1 | 2 | 9 4 d 6 Versuche 1 100, 0222100 100 100 2 125 197 142 128 3 125 217 157 247 4 97 140 145 233 5 97 140 131 213 6 90 — — 102 Aus den obigen Daten ergibt sich folgendes: Die maximalen Alkoholmengen werden also unter den gewählten Bedingungen während der dritten Stunde ausgeatmet; im Vergleich zur ersten Stunde war der betr. Wert um rund zwei Drittel höher. Die in der zweiten und vierten Stunde ausgeatmete Alkoholquantität st annähernd gleich und um ein Drittel höher als in der ersten Stunde. In der fünften Stunde ergibt der Mittelwert noch eine um ein Fünftel höhere Alkoholmenge gegenüber der ersten Stunde. Von der sechsten Stunde ab wird der Alkoholgehalt der ausgeatmeten Luft im Vergleich zur ersten Stunde erheblich geringer und sinkt dann weiter ab. Die Tatsache, dass verhältnismässig spät, nämlich erst während der dritten Stunde, die maximalen Alkoholmengen ausgeatmet werden, kann wohl darauf zurückgeführt werden, dass kurz nach der Einführung des Alkohols in den Magen die Resorption noch nieht vollständig erfolet ist; ausserdem dürfte der Alkohol zunächst zu einem höheren Prozentsatz durch die Lipoide des Organismus festgelegt werden, als später. Wir beabsichtigen, weitere Versuche anzustellen, um u. a. auch die Frage zu entscheiden, ob die durch die Atmung innerhalb bestimmter Zeitabschnitte ausgeschiedenen Alkoholmengen beim hungernden Tier dasselbe Verhältnis zu einander aufweisen, wie wir es bei normal ernährten Tieren gefunden haben, und ob insbesondere auch die ausgeschiedenen Alkoholmengen die gleichen sind. Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 121 Versuchsreihe an dem jungen Hund Nr. 2. Wir versuchten an zwei Tagen den Alkohol der Atmung in je zwei Fraktionen zu bestimmen. In Anbetracht der geringen Alkohol- zufuhr bei dem jungen Hund und der Tatsache, dass nur ca. 1 °/o der aufgenommenen Alkoholmenge in der Atmung zu erwarten war, stossen solche Versuche natürlich auf grosse Schwierigkeiten. Immerhin haben wir bei beiden Versuchen befriedigende Übereinstimmung erzielt. Das Tier erhielt an den beiden Versuchstagen die gleichen Alkoholmengen nach der Fütterung, und zwar ca. 1 cem pro Körper- kilogramm in 9,84 P/oiger Lösung. Tabelle 12. Pro Stunde durch | In Dozenten In der Atmung die Atmung AuSSE | der in der Atmung direkt schiedene Alkohol- BER, mu mengen nach Sub- Bee Fraktion Stunden ermittelter Wert| traktion der redu- | Ausgeschiedenen zierenden Stoffe ccm ccm Alkoholmengen pro Stunde 1. Versuch am 20./21. April 1910. 1 | 0-8 0,075 0,007 11,5 2 | 3-21 0,043 0,0006 0,9 Sa. 0,118 Nach Abzug der reduzie- renden Stoffe. . . . Sa. 0,062 2, Versuch am 22./23. April 1910, 1 0—8 0,068 0,0058 10,2 2 8—21 0,045 0,00077 1,35 S220,115 Nach Abzug der reduzie- renden Stoffe. . . . Sa. 0,057 Wir ersehen aus diesen Versuchen. dass innerhalb der ersten acht Stunden nach der Alkoholzufuhr von ca. 1 cem pro Körper- kilogramm in 9,84 /oiger Lösung bereits rund S0—4Y0 °/o der über- haupt durch die Atmung ausgeschiedenen Menge ausgeatmet werden. — Gewinnung des durch die Nieren sezernierten Alkohols in zwei Fraktionen. Um zu erfahren, welche Alkoholmengen ea. 11/’.—2 Stunden nach der Zufuhr durch die Nieren sezerniert werden, haben wir in drei Versuchen an dem alten Teckel Nr. 1 nach Alkoholgaben von ca. 3 cem pro Körperkilogramm in 9,84 °/oiger Lösung den Tagesharn in je zwei Fraktionen gewonnen, und es sind diese Fraktionen ge- sondert auf Alkohol untersucht worden. © 122 ‘Wilhelm Völtz und’ August Baudrexel: 1. Versuch am 25./26. April 1910. Das 8,97 kg schwere Tier erhielt 29,49 eem Alkohol in 9,84 Joiger Lösung. Die erste bereits 1'/» Stunden nach der Alkoholzufuhr ent: leerte Harnmenge enthielt 1,00 cem Alkohol = 3,4°%0 der Zufuhr. Die zweite Harnfraktion wurde innerhalb der übrigen 19!/2 Stunden dieses Versuchstages gesammelt und enthielt 0,720 eem Alkohol — 2,43°/o der Zufuhr. Es wurden also bereits 1?/s Stunden nach der Alkoholzufuhr 98,2 %/o der gesamten im Harn ausgeschiedenen Alkoholmenge durch die Nieren sezerniert; also insgesamt gelangten ausser diesem 1,00 eem Alkohol nur noch 0,720 eem —= 41,8 °/o zur Ausscheidung. 2. Versuch am 28./29. April 1910. Der Harn wurde in zwei Fraktionen und zwar 2 Stunden und 23. Stunden nach der Alkoholzufuhr gewonnen und analysiert. Fraktion ‘Stunden Alkohol im Harn Prozent der Zufuhr ccm 1 0—2 1,38 4,68 2 2—23 0,191 0,65 In Prozenten der Gesamtausscheidung: in der 1. Fraktion 87,9 %o, in der 2. Fraktion 12,1 o. 3. Versuch am 27./2S. Mai 1910. Der Urin wurde in zwei Fraktionen, und zwar nach 2 Stunden und nach 21!/s Stunden gewonnen und analysiert. Fraktion Stunden Allsalsel Im |Earm Prozent der Zufuhr ccm 1 0—2 1,34 | 4,54 2 2—21!/2 0,39 1,32 In Prozenten der Gesamtausscheidung: in der 1. Fraktion 77,4 °/o, n der 2. Fraktion 22,6 Jo. Aus diesen drei Versuchen ergibt sich das Resultat, das bereits innerhalb der ersten 1"/s—2 Stunden nach der Aufnahme von ca. 3 cem Alkohol pro Körperkilogramm die Hauptmenge des über- haupt durch die Nieren sezernierten Alkohols im Urin zur Aus- scheidung gelangt. — Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 123 Alkoholausscheidung im Harn des Menschen. Wir haben schliesslich an den Herren Dr. med. H. Gerhartz, Dr. med. R. Förster und dem einen von uns (Baudrexel) in je einem Versuch nach der Aufnahme von 0,3—1 eem Alkohol pro Körper- kilogramm in einer Dosis die im Harn insgesamt zur Ausscheidung gelangende Alkoholmenge bestimmt. Es ergaben sich folgende Resultate: 1. Versuch an Dr. med. H. Gerhartz am 20./21. April 1910. Dr. Gerhartz ist 50 Jahre alt, gesund, mit gut ausgebildeter Muskulatur, SO kg schwer, an mässigen Alkoholgenuss gewöhnt. Am Montag, den 18. April, hatte Gerhartz ein Glas Bier ge- trunken, am Dienstag, den 19. April, keinen Alkohol genossen, auch nicht am 20. April bis zum Beginn der Versuches um 8°%4 Uhr abends; um diese Zeit trank Gerhartz innerhalb 10 Minuten 75,67 eem Alkohol in ea. 50 oiger Lösung. Ca. Vs Stunde vorher hatte Dr. Gerhartz seine Abendmahlzeit zu sich genommen und war auf dem Sofa sitzen eeblieben;, er stand auch während der nächsten 1?/s Stunden nicht auf, um eine Erhöhung der Pulszahl durch willkürliche Muskelbewegungen auszuschliessen. Der eine von uns bestimmte jede Viertelstunde die Pulszahl und notierte sonstige Beobachtungen. Es wurde folgendes im Protokoll vermerkt: Zeit: Pulszahl: gb 3 63 9h 18’ 61 (sehr kräftiger Puls), 9h 33 65 (leichter Rausch, starke Transpiration), Jh 48’ 61 (schwache Transpiration), 10h 3 63 (Transpiration normal, subjektiv der leichte Rausch im Abklingen), 10h 18’ 62 (ein leichter Rauschzustand macht sich wieder bemerkbar), 10h 33’ 02 10h 48’ 62 (das subjektive Befinden ist wieder normal). Die Abweichungen bezüglich der Pulszahl sind so gering, dass man nur folgern kann: Dr. Gerhartz ist durch die immerhin ziem- lich starke Alkoholdosis nur wenig alteriert worden. Die erste Harn- entleerung erfolgte um 11h 16’ abends, also 2!/s Stunden nach der Alkoholaufnahme. Die zweite Harnentleerung fand um 2h nachts, die dritte um Sh morgens statt, die vierte um 10h 10’, die fünfte 124 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: um 2b 15', die sechste um 5h 10’, die siebente um 6h 15°’ und die achte um 7b 30’. Der Harn wurde stets in eine Glasflasche direkt entleert, die etwas Salzsäure enthielt und regelmässig wieder gut verkorkt wurde, ebenso wie in den analogen Versuchen an den beiden anderen Herren. Der gesamte Harn wurde bereits am nächsten Tage zweimal destilliert und der Alkohol im zweiten Destillat nach Nieloux bestimmt. Wir fanden 0,199 eem Alkohol entsprechend 0,26 °/o der Zufuhr. Dieser Wert stimmt befriedigend mit dem von Atwater und Benediet (l.c.) gefundenen Mittelwert überein. Die amerikanischen Forscher hatten ungefähr die gleiche Alkohol- menge, allerdings in sechs Dosen über den Tag verteilt, an ihre Ver- suchspersonen verabreicht. 2. Versuch an Dr. med. Förster am 23./24. April 1910. Dr. Förster ist 32 Jahre alt, ca. 60 kg schwer, gesund, von grazilem Körperbau und an regelmässigen Alkoholgenuss nicht gewöhnt. Längere Zeit vor dem Versuch hatte Dr. Förster keinen Alkohol aufgenommen. Am 23. April 12?/ah mittags trank Dr. Förster 63,05 eem ca. 50 °/oigen Alkohol in einer Dosis und bestimmte nach verschiedenen Zeitabschnitten seine Pulsfrequenz, die sehr ab- weichende Zahlen ergab, und aus denen keine Schlüsse zu ziehen sind, weil dieselben zum Teil durch willkürliche Muskelbewegungen bei der Laboratoriumstätigkeit mit bedingt waren. In dem inner- halb 24 Stunden nach dem Alkoholgenuss gesammelten Harn wurden 0,720 eem Alkohol resp. 1,14°/o wiedergefunden; diese Menge ist etwa viermal so gross, als die bei Dr. Gerhartz ermittelte. Zum Teil mögen die Differenzen durch die Individualität bedingt sein; in der Hauptsache dürfte jedoch die stärkere diuretische Wirkung des Alkohols bei Dr. Förster, der längere Zeit vor dem Versuch keinen Alkohol genossen hatte, zu der vermehrten Alkohol- ausscheidung im Harn geführt haben. Ausserdem dürfte auch die Tages- zeit und der Füllungszustand des Magendarmkanals von Einfluss auf die im Harn zur Ausscheidung gelangende Alkoholmenge sein. Im äusseren Verhalten Dr. Försters wurden Störungen nicht bemerkt. 3. Versuch an Dr. phil. Baudrexel am 19./20. April 1910. Baudrexel ist 27 Jahre alt, 67 kg schwer, er ist gesund und besitzt gut entwickelte Muskulatur; er ist an mässigen Alkoholgenuss gewöhnt. Einen Tag vor dem Versuch wurde kein Alkohol genossen. Am 19. April 12°/ıh trank Baudrexel während des Mittagessens Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 125 allmählich 55,20 eem Alkohol in 20 °/oiger Lösung; er fand folgende Zahlen für seine Pulsfrequenz: Zeit: Pulszahl: Pulsfrequenz vor der Alkoholaufnahme: 12Y/zh 76 5 nach „ e 17 ;6 96 2 IRRE : 2 h 96 y ER S 2!/sh 96 E ER N ach 04 & MET 5 10 36 Bei Dr. Baudrexel wirkte die Alkoholdosis stark berauschend, er empfand beispielsweise um 15 Schwindel, immerhin konnte er seine Tätiekeit im Laboratorium fortsetzen, wenngleich seine Ge- schicklichkeit etwas beeinträchtigt erschien (er zerbrach einige Gläser). Offenbar wurde er stärker durch die Alkoholdosis alteriert als die beiden anderen Herren, das geht z. B. auch aus der Steigerung der Pulsfrequenz hervor, die allerdings zum Teil dureh die Nahrungs- zufuhr und willkürliche Muskelbewegungen bedingt war. In dem innerhalb 24 Stunden nach der Alkoholzufuhr durch sechsmaliges Urinieren gewonnenen Harn wurden 0,128 cem Alkohol resp. 0,23 0 der Zufuhr wiedergefunden, ein Wert, der mit dem von den amerikanischen Forschern (l. e.) angegebenen Mittelwert und dem an Dr. Gerhartz gefundenen befriedigend übereinstimmt. Wir beabsichtigen den Einfluss verschiedener Faktoren auf die vom menschlichen Organismus im Harn zur Ausscheidung gelangenden Alkoholmengen in besonderen Versuchen eingehender zu studieren. Tabellarische Übersichten. Schliesslich haben wir noch die Resultate der Versuche an den Hunden Nr. I und Nr. II tabellarisch und in Kurven übersichtlich zusammengestellt. Die Tabelle 14 enthält die diesbezüglichen Daten für den älteren Teckel Nr. I, Tabelle 15 diejenigen für den jungen Hund Nr. II, aus Tabelle 16 ist die Menge der reduzierenden Stoffe ersichtlich, die bei alkoholfreiem Regime durch die Atmung ab- gegeben werden. Die erste Kurventafel auf Seite 129 mit den Kurven Nr. I und Nr. II lässt den Einfluss der Gewöhnung und des Flüssigkeitsvolumens auf die Ausscheidung des Alkohols in Harn und Atmung nach der Zufuhr von ca. 3 cem pro Körperkilogramm bei dem alten Teckel Nr. I erkennen. Die Kurve III bezieht sich auf die Versuche mit dem jungen Hund Nr. II, der ca. 1 cem Al- kohol pro Körperkilogramm in 9,34 °/oiger Lösung erhielt. Wilhelm Völtz und August Baudrexel 2A “ayeyyuenb Jyoru sem Sunuuoayuaef] old (T % [7% ‘ ‘ ‘ [4 ‘ 3 se sıls | v6 | zur | se | 2e0'L | 200 | esoı | see | oe | 108 en yon 6s. | 086 | “ serıe | on ve | Sc | 2880 | Ta. | 8890 | 7900 | 2690 | «90 | rose | ore |\ [| 268 | eco | * were | ı sc | 86 | 880 | La | F890 | 1900: | <6o | 890 | 8sro | ooe | ang || 7266 | 066 | , 'ealac | 9 8 | 08 1680 | 91 | 9870 | 2900 | 8rco | YET | es | mer | ice | 6r6a | 068 | © 'earsa | 6 — = — = == = = = — | ee Bolle | er = = = = = En = = da > a || = Is | 68 ea | Te | 2160 | 200 | 8960 | esc | oa | ee | N Al ereg | 268 | © area | — = = = = = = —_ | = Va 'salre | 8 ca | ss | re | 9 | aaı | 800 | ser | zus ort | see | 0 || areas | ea | © Sauren |. — | — = — = — — — — a (ale e2l'ee | — ia |es | sea | 19 | vis | oc000. | orsr | 2e2 kono| we Aunsor ev | cos | © :zerız | 9 80 = = = = = == 907 | 06T | SEE || 15 . 6868 | 088 0al6L | € 1a | z0r | zı08 | 89 | zusı | 9co0o | siert | 088 Kosrı | aus [786 area | ers | © ‚SUreT | 7 Re — = — — — > | we Deo" 29° | | \ orien 018 : Hr i 83 | YıT | Tee | 66 | 286% | 1900 | 886 | 29T (ırorto | 09'E | 6766 | 088 [adv ann | I | | | uopungg | ayumz | u, | TUOZ | 09 wa) ww | aynmz | an LaR) 5 ouo 218 um) zonep | °P % 19Pp 0/y = DS Sunugy | P 0/g | od 5 SOXoL], 0161 -suons j0goy]y uw [uozueysqng ‘poup uazuegs | T9p UI ug ul [203 o1d yuesodsur sap wngeq N 35 Sunpiayassne Jönzqy yoeu joyoy -qng 2 = == ai A auesooy IV Zunuyy Pur | zupay Sunpioypssuggogostv. 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Versuche 1—4: Menge der während eines Hungertages nach vorheriger normaler Ernährung innerhalb 13—23 Stunden in der Atmung ausgeschiedenen reduzierenden Stoffe entsprechend Kubikzentimeter Alkohol. Versuche 5 und 6: Menge der nach neun- resp. sechstägigem Hunger in der Atmung innerhalb 22 Stunden ausgeschiedenen reduzierenden Substanzen entsprechend Kubik- zentimeter ‘Alkohol. Ver- Gewicht | Reduzie- |Versuchs- : de Sub- such Datum Bezeichnung des Tieres anzan RE dauer 1910 des Tieres sprechend Nr. kg |eemAlkohol| Stunden 1 5./6. April Hündin 3,81 0,050 23 2 13./14. - „ alter Teckel 9,89 0,063 18 3 14.115. „ alter Teckel I 7,90 0,061 24 4 13120225 alter Teckel 9,60 0,054 22 Also im Mittel von 24 Stunden 0,064 cem (pro Stunde 0,00266 ccm). b) 6./7. Juni | alter Teckel nach neun- 9,30 0,017 22 tägigem Hunger (pro die 213 g Gewichtsverlust) 6 20./21. -, junger Hund nach sechs- 7,40 0,019 22 tägigem Hunger (pro die 200 g. Gewichtsverlust) In weiteren Versuchen beabsichtigen wir, den Einfluss der Muskelarbeit und der Dosierung auf die Ausscheidung des Alkohols in Harn und Atmung zu studieren. Zusammenfassung der Resultate. 1. Von 4—10 kg schweren Hunden wird innerhalb eines Hunger- tages nach vorheriger normaler Ernährung bei alkoholfreiem Regime eine im Mittel 0,064 eem Alkohol entsprechende Menge reduzierender Stoffe durch die Atmung ausgeschieden. 2. Nach 6—9tägigem Hunger entsprechen die von Hunden gleicher Grösse innerhalb desselben Zeitraumes (24 Stunden) an die ausgeatmete Luft abgegebenen reduzierenden Stoffe ca. 0,02 cem Al- ‘kohol, das ist etwa ein Drittel des unter 1. angegebenen Wertes. — Bezüglich des Einflusses der aufgenommenen Alkoholmenge (A), der Gewöhnung (B) und des gleichzeitig verabreichten Flüssigkeitsvolumens (C) auf die Alkoholausscheidung, in Harn und Atmung wurde folgendes Konstatiert: Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 129 A. Einfluss verschiedener Alkoholmengen gleicher Konzen- tration (9,84°%%ig) auf die Alkoholausscheidung durch den Organismus des an Alkohol nicht gewöhnten Hundes. l. Nach der Zufuhr von ea. 3 ccm Alkohol pro Körperkilo- gramm in einer Dosis werden insgesamt 10—12°o der Zufuhr aus- Kurve, 6 Versuche an dem alten Teckel NeT nach einer Alkoholzufuhr von ca dcem oro Korperkiln ın 284 % Lösung © /lkoholzufuhr von 2943 re5p. 23 7kcim pro Tag Bu Alkoholzuführ von ca AÜcempro Tag 8,97 u mus /}|k0h10] iM farm mer /konol Inder mung mmummn /kond) inham und Armung | uva Y Versuche an den alten Teckel NT nach eıner Alkoholzufuhr von cadcem pro Korperki na O0.0Losung £0, 33° 370 geschieden, und zwar ungefähr zur Hälfte durch die Atmung, zur anderen Hälfte durch die Nieren. 2. Nach einer Alkoholdosis von 0,75—1,15 eem pro Körper- kilogramm und Tag werden insgesamt 2,6—4,3 jo der Zufuhr wieder ausgeschieden, also ca. nur "/ı—!/s der Menge, welche nach der dreifachen Dosis zur Ausscheidung gelangt. Die Quantität des auf- genommenen Alkohols ist also von grossem Einfluss auf die Alkohol- ausscheidung in Harn und Atmung. Was das Verhältnis der Harn- alkohols zum Alkohol der Atmung anbelangt, so scheiden Hunde, welche durch die Alkoholzufuhr stärker alteriert werden, infolge Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd, 138. be) 130 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: forzierter Atmung grössere Alkoholmengen durch die Atmung aus; Hunde, welche auf gleiche Alkoholdosen weniger stark reagieren, scheiden einen höheren Prozentsatz Alkohol durch die Nieren aus, einen geringeren durch die Atmung. Kiel Ö a andem Jungen und en + Alkoholzutune von ca Tcom pro Korpermilo Ind: Losung O Alkannlzufuhr win 4 9remmm Tag in BE Losung EN REESTLRLITZER Alkah KR Harn N e AlkenelingerAlmung N: zumasre /ulkand) ltr und Almung 12 a. | nn 142 7; RQ F 109? 06% OO—- 0-00-0-0-00000-0000000000000080 Zn TME, Zen em Rbfeae MM ET BREI B. Einfluss der Gewöhnung auf die vom Organismus des Hundes ausgeschiedenen Alkoholmengen. l. Nach einer Alkoholdosis von ca. 3 eem pro Körperkilogramm und Tag in 9,84°iger Lösung werden vom Hunde zunächst ins- gesamt 10—12°/ der Zufuhr wieder ausgeschieden. Im Verlaufe von 10—12 Tagen sinkt dieser Wert unter dem Einfluss der Gewöhnung auf 8,3°/0, also um rund 30 °o der ursprünglichen Menge und kann durch weitere Gewöhnung nicht mehr unterschritten werden. Zunächst erscheinen in Harn und Atmung ungefähr gleiche Mengen Alkohol, später nimmt der ausgeatmete Alkohol kontinuierleh ab, so dass schliesslich zwei Drittel der gesamten ausgeschiedenen Alkoholmenge mit dem Harn und ein Drittel mit der Atmung den Körper verlassen, Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkoholmengen. 131 d. h. die Ausscheidung durch den Harn bleibt unverändert, die durch die Atmung sinkt etwa auf die Hälfte des Anfangswertes (von 6,3 %/o auf 30). 2. Nach der Zufuhr gleicher Alkoholmengen in stärkerer Konzen- tration (50 °/oig) wird von dem an diese Alkoholquantität in starker Verdünnung (9,84 /oig) gewöhnten Tier von vornherein ein weit ge- ringerer Prozentsatz Alkohol (etwa die Hälfte, siehe unter C 2.) aus- geschieden. Unter dem Einfluss der Gewöhnung sinkt der betreffende Wert innerhalb 3 Wochen noch um ein Drittel und dann nicht mehr weiter ab. Es gelangen in der Atmung doppelt so grosse Mengen Alkohol zur Ausscheidung als durch den Harn (siehe unter C 2.). 3. Nach der Zufuhr von 0,7—1,15 cem Alkohol pro Körper- kilogramm und Tag in einer Dosis und in 9,84 /oiger Lösung werden vom Hunde zunächst insgesamt rund 4°o des aufgenommenen Al- kohols ausgeschieden. Dieser Wert wird unter dem Einfluss der Ge- wöhnung kontinuierlich geringer, bis nach ea. 3 Wochen die unterste Grenze bei zirka einen: Sechstel der ursprünglich ausgeschiedenen Menge erreicht ist. Durch weitere Gewöhnung kann der nach ca. 3 Wochen gefundene Minimalwert nicht mehr unterschritten werden; derselbe bleibt von da ab annähernd konstant. Wir ersehen also aus diesen Resultaten, dass nach der Aufnahme von ca. 1 eem Alkohol pro Körperkilogramm und Tag, also einer (Quantität, die, wenn sie in mehreren Dosen über den Tag verteilt genossen wird, nach den Versuchen von Atwater und Benediet (. e.) vom Menschen zu ca. 98 °/o verwertet wird, vom Hunde trotz de Verabreichung in einer Dosis nur 0,7—0,9° der Zufuhr insgesamt ausgeschieden werden. Die Verwertung des Alkohols durch den tierischen Organismus ist also unter diesen Bedingungen eine ausserordentlich hohe, sie beträgt über 99/0. Bezüglich des Verhältnisses der durch die Atmung ausgeschiedenen Alkoholmengen relativ zum Harnalkohol ist hervorzuheben, dass zu- nächst infolge stärkerer Alteration des Tieres und dadurch bedingter forzierterer Atmung mehr Alkohol in der Atmung erschien, später wurde relativ mehr Alkohol durch die Nieren sezerniert. Die höhere Verwertung des Alkohols im Organismus an Alkohol gewöhnter Tiere erklärt sich ungezwungen aus der verringerten Diurese und einer weniger starken Atmung. Der Alkohol bleibt also 9% 132 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: bei Tieren, die an denselben gewöhnt sind, längere Zeit in den Ge- weben und wird daher zu einem höheren Prozentsatz oxydiert, als bei nicht daran gewöhnten Tieren. Für eine Vermehrung der Alkoholoxydase unter dem Einfluss der Gewöhnung an Alkohol sprechen unsere Resultate nicht. C. Einfluss der gleichzeitig mit dem Alkohol aufgenommenen Flüssigkeitsmenge auf die Alkoholausscheidung. 1. Nach der Zufuhr von ca. 3 cem Alkohol pro Körperkilo- gramm und Tag in 9,84°%oiger Lösung und in einer Dosis wurden vom Hunde zunächst 11,6 °/o des verabreichten Alkohols ausgeschieden. Dieser Wert sank unter dem Einfluss der Gewöhnung um ca. 30°. Infolge der durch die grosse Flüssigkeitsmenge bedingten starken Diurese erscheint die Hauptmenge des Alkohols mit Ausnahme des ersten Versuchstages im Harn. 2. Nach Verabreichung derselben Alkoholmenge (ca. 3 ccm pro Körperkilogramm und Tag) in konzentrierterer Form (ca. 50 ?/oig), d.h. in etwa einem Fünftel des unter 1. angegebenen Flüssigkeitsvolumens, werden insgesamt nur 4°/o der Zufuhr vom Organismus ausgeschieden, also rund nur die Hälfte der Menge, welehe nach Aufnahme derselben Alkoholquantität in einem etwa fünfmal so grossen Flüssigkeitsvolumen, bei dem an Alkohol gewöhnten Hund gefunden wurde. Allmählich sinkt dieser Wert mehr und mehr ab, bis das Minimum bei 2,7 °/o, also zwei Drittel der zu Beginn der Versuche gefundenen Menge er- reicht ist. Die Diurese ist hier infolge weit geringerer Flüssigkeits- aufnahme viel schwächer, infolgedessen kann ein höherer Prozent- satz Alkohol verwertet werden, und es gelangt verhältnismässig mehr (etwa die doppelte Menge) Alkohol in der Atmung zur Ausscheidung als im Harn. D. Ausscheidung des Alkohols in Atmung und Harn während einzelner Zeitabschnitte der betreffenden Versuchstage. I. Ausscheidung des Alkohols in der Atmung. Nach Alkoholgaben von 3,5—4,5 eem Alkohol pro Körperkilo- gramm wurde beim Hunde das Maximum des in der Atmung aus- geschiedenen Alkohols in der dritten Stunde gefunden. Während der zweiten und vierten Stunde blieb die Alkohol- ausscheidung durch die Atmung etwa um ein Drittel gegenüber dem Maximum in der dritten Stunde zurück. Über die vom tierischen Organismus ausgeschiedenen Alkobolmengen. 133 Während der ersten Stunde war der Alkoholgehalt der Atmung um etwa zwei Drittel geringer als dem Höchstwert der dritten Stunde entsprach. Auch während der fünften Stunde werden noch 20°0o mehr Alkohol durch die Atmung ausgeschieden, als während der ersten Stunde nach der Alkoholzufuhr. II. Ausscheidung des Alkohols im Harn. ca. 1!/.—2 Stunden nach der Zufuhr von 3 eem Alkohol pro Körperkilogramm in 9,84 °/o iger Lösung werden weit über die Hälfte des überhaupt durch die Nieren sezernierten Alkohols im Harn wiedergefunden. E. Ausscheidung des Alkohols im Harn des Menschen. In je einem Versuch an zwei Personen und in zwei Versuchen an einer dritten Person wurden nach Zufuhr von 0,35—1 cem Al- kohol pro Körperkilogramm und Tag in einer Dosis: 0,23 0/0, 0,24 P/o (l. e. S. 85), 0,26% und 1,14% der zügeführten Alkoholmenge m Harn wiedergefunden. 134 Ludwig Hofbauer: (Aus dem k. k. physiologischen Institute der Universität Wien.) Beziehungen zwischen Blutdruck und Atmung. Von Dr. Ludwig Hofbauer. (Mit 2 Textfiguren.) Dass Beziehungen zwischen Atmung und Zirkulation, auch ab- gesehen von den schon bekannten, bestehen müssen, war durch eine Reihe von Erscheinungen nahegerückt. Schon die Erfahrung, dass beim Affekt, z. B. grosser Aufregung oder Angst, Atemstörungen auftreten, welche sich nicht durch eine Änderung der Blutgase er- klären lassen, legte diese Vermutung nahe. Auf Grund derselben gab Hofrat Sigmund Exner anlässlich einer Besprechung die Anregung, diesen Beziehungen nachzugehen, respektive sie einwand- frei festzustellen. Da es auf den ersten Blick leichter schien, Blutdrucksteigerung als -senkung zu erzielen, habe ich mich anfänglich mit dem Ein- flusse der Blutdrucksteigerung auf die Atmung beschäftigt. Als schon Resultate nach dieser Richtung erzielt waren, tauchte der Gedanke auf, es könnten die Wirkungen der Blutdrucksteigerung durch die von S. v. Basch beschriebenen Erscheinungen („Lungenstarre“) kompliziert sein. Daher entschloss ich mich, die Blutdrucksenkung als atmunesänderndes Moment anzuwenden, und veröffentliche im folgenden zunächst die Resultate dieser Untersuchung. Die Form, in welcher die Blutdrucksenkung zu erzeugen wäre, war durch die vorerwähnten vorausgegangenen Versuche mit Blutdruck- steigerung schon vorgezeichnet. Die stärkste Blutdrucksenkung tritt in jähester Weise dann auf, wenn die Bauchaorta des Versuchstieres plötzlich, und zwar möglichst knapp unterhalb des Durchtrittes durch das Zwerchfell, durchtrennt wird. Auf diese Weise wird natürlich ein sehr starker Abfall des Blutdruckes erzielt, und dieser erwies sich jedesmal als Auslösungsmoment für eine tiefgreifende, stets in dem gleichen Sinne statthabende Veränderung der Atmung (siehe Fie. 1). Beziehungen zwischen Blutdruck und Atmung. 135 Die Registrierung der Atembewegungen geschah in einer Reihe von Versuchen mittels des Phrenographen, in einer anderen Reihe mittels Marey’scher Trommeln. Die Aufnahmetrommel lag durch einen Fühlstift der Thoraxwand des Tieres an. Die dermaassen Bald Blutdruckkurve. (= ken, treten vertiefte Atemzüge mit erst dann der normalen Atmung sich hebt. aphische Atemkurve. blutenden Aorta) De ee ee ee eV Pe U IE EEE ER ER RN REN BE IN \ | u nn Fig. 1A Anfangsteil (A) und Endteil (B) der bei einem Verblutungsversuch erhaltenen Kurven. le aus Raumersparungsgründen nicht reproduziert. I / / / / f Pn = Pneumogr Mittelteil wurc nachdem der Blutdruck, aus der Karotis geschrieben (C), gesunl sen in Erscheinung. Diese Alteration macht Druck (durch Ligatur der Eee een] ee Der dazwischen gelegene längeren Atempau Platz, wenn der Fig. 1. N iS) & aufgenommenen Atembewegungen wurden mittels einer Marey- schen Schreibetrommel auf dem berussten Glanzpapier eines Schleifen- kymographions verzeichnet. Was die Technik der Aortendurchtrennung anbelangt, so musste selbstverständlich dafür gesoret werden, dass nicht etwa durch neben- 136 - Ludwig Hofbauer: hergehende Momente die Atmung sekundär verändert werde. An- fänglich geschah die Durchtrennung in der Form, dass ein Faden unter der Aorta durchgeführt, die beiden Enden desselben bei der geschlossenen Bauchwunde herausgeführt und durch plötzliches An- ziehen der Fäden die Aorta durchrissen wurde. Da jedoch bei dieser Versuchsanordnung sich infolge des plötzlichen Anreissens oft- mals eine Verschiebung der Phrenographenplatte ergab, verwendete ich später ein von Professor Kreidl zu diesem Zwecke erdachtes Instrument. Letzteres besteht aus einer Klemmpinzette, deren Fig. 1B. Branchen einen senkrecht auf die Berührungslinie stehenden Spalt aufweisen. In diesen Spalt hinein kann mittels einer Schiebe- vorrichtung eine kleine Klinge eingeschoben werden. Diese Klinge durchtrennt dann die von der Klemmpinzette gefassten Gewebsteile. Für die auch sonst so oft betätigte Unterstützung meiner Be- mühungen seitens Prof. Kreidl’s möchte ich auch hier meinen besten Dank ausgedrückt haben. Bei den Versuchen wurde die Aorta knapp unterhalb des Zwerchfells präpariert und zunächst mittels der Klemmpinzette ge- fasst. In dem Momente, wo die Aortendurchtrennung zweckmässig erschien, konnte (trotz der vorher schon erfolgten Abschliessung der Bauchhöhle) von aussen her die Klinge vorgeschoben werden; damit Beziehungen zwischen Blutdruck und Atmung. 137 war nun die komprimierte Aorta durchschnitten. Wurde nunmehr die Klemimpinzette abgenommen, so trat ohne jede anderweitige Veränderung der Versuchsbedingungen eine totale Durchtrennung resp. Eröffnung der Aorta ein. Dementsprechend verzeichnete der Blutdruckschreiber sofort ein rapides Absinken des Blutdruckes, und alsbald stellte sich jedesmal eine gleichsinnige Änderung der Atem- bewegungen ein (s. Fig. 1 bei A). Um ein Urteil darüber zu gewinnen, ob die im Gefolge der jähen Blutdrucksenkung auftretenden registrierten Änderungen der Atmung lediglich von der Blutdrucksenkung herrühren, war es nötig, soweit möglich, nach Eintritt dieser Veränderung wieder den status quo ante herzustellen. Dies wurde in der Form erreicht, dass die Aorta oberhalb der Durchschneidungsstelle abgeklemmt wurde, so dass der Blutdruck sich wieder heben konnte. In der Tat liess sich dadurch ein Verschwinden des durch den ersten Teil des Ver- suches hervorgerufenen Effektes erzielen (s. Fig. 1 B). Die Atmung wurde wieder regelmässig und normal, während der Blutdruck an- stieg. Behufs weiterer Kontrolle der Richtigkeit des beobachteten Resultates wurde dieser Versuch am selben Tiere nach einiger Zeit wiederholt. Immer wieder ergab sich dasselbe Resultat. Eine weitere Probe auf die Richtigkeit der Annahme, dass die Atemänderungen durch die Schwankungen des Blutdruckes bedingt seien, gaben Versuche, bei welchen die Blutdrucksenkung durch Reizung des Nervus depressor hervorgerufen wurde. Letztere er- zeugte eine gleichsinnige Änderung der Atmung wie die Durch- trennung der Aorta. Wenn nun auch im Laufe der mehrere Jahre sich hinziehenden Versuche die Technik nach manchen Richtungen hin ein wenig ab- geändert wurde, so lässt sich doch- leicht als Paradigma die folgende typische Versuchstechnik schildern: Das Versuchstier (verwendet wurden hauptsächlich Kaninchen, manchmal Hunde oder Katzen) wurde durch Inhalation oder Injek- tion von Äther maximal narkotisiert, aufgebunden und der Bauch in der Mittellinie vom Processus xyphoideus bis unterhalb des Nabels gespalten. Von links her wird die Bauchaorta und als Orientierungs- punkt die linke Nebenniere aufgesucht. Es hatte sich nämlich bald ergeben, dass in denjenigen Fällen, wo die Aorta an einer unter- halb des Abganges grösserer Bauchäste liegenden Stelle durehtrennt wurde, selbst dann, wenn dies oberhalb des Abganges der Nieren- 138 Ludwig Hofbauer: arterie war, der Blutdruck nicht steil genug abfiel. Ein rasches Abfallen aber ist, wie später noch erwähnt werden soll, für den Eintritt der Wirkung unbedinet nötig. In der Höhe der linken Nebenniere wird die Aorta aufgesucht und um dieselbe knapp unter- halb des Zwerchfells der Faden eines „Ligaturstäbchens“ gelegt. Als letzteres . benutzten wir Glasröhrehen, durch welche ein (zur Ver- hütung von Aufquellung stark mit Paraffın getränkter) Seidenfaden doppelt geführt worden war (v. d. Velden). Die aus dem oberen Ende des Röhrchens heraushängenden äusseren Fadenenden wurden mittels einer Arterienklemme ziemlich weit von dem Austritt fest- gehalten. Hierauf wird knapp unter- halb dieser Stelle die Aorta frei prä- pariert, die vorbeschriebene mit Klinge versehene Klemmpinzette angelegt und das Abdomen geschlossen, nachdem zwischen Leber und Zwerchfell der Phrenograph eingeführt worden war. Nunmehr wird am Halse die Karotis präpariert und von hier aus der Blut- druck geschrieben. Die Schreibung der Atmung erfolgte entweder direkt durch Übertragung der Bewegungen des Fig. 2. Gl — Glasröhre des FPhrenographenhebels mittels Faden auf Tagen Den ne w I den zugehörigen Schreiber oder aber mittels Luftübertragung. Nachdem nun eine Zeit verstrichen, Atmung und Puls gleich- mässig fortgegangen waren, wurde die Klinge der Klemmpinzette vor- geschoben, der Schieber derselben geöffnet, die Pinzette heraus- senommen. Die hierdurch bedingte Ausströmung des Blutes in die Bauchhöhle veranlasst, wie das Manometer zeigt, sofort eine starke Herabsetzung des Blutdruckes. Die Atmung wird nach einigen Sekunden einerseits tief, so dass man sie hört. Andererseits nimmt die Frequenz bedeutend ab, und es treten zwischen den einzelnen Atemzügen länger dauernde Atemstillstände auf. Sobald dieses Phänomen eingetreten, wurde mittels des „Ligaturstäbehens“ die Aorta oberhalb der Durchtrennungsstelle ligiert, was infolge der vorherigen Anbringung des Ligaturstäbehens ohne jede Störung möglich ist, d. h. es wurden die Fäden des Ligaturstäbehens aus dem Glasröhr- chen stärker herausgezogen und nun knapp oberhalb desselben Beziehungen zwischen Blutdruck und Atmung. 139 mittels einer Klemme in dieser Lage, bei welcher die Aorta fest an das untere Ende des Stäbehens angepresst und komprimiert wird, fixiert. Fast momentan beginnt der Blutdruck zu steigen, die Atem- pausen verschwinden, die Atemzüge werden kleiner, und es stellt sich wieder die regelmässige Atmung ein. Nach einiger Zeit kann an dem Tiere dieser Versuch wiederholt werden, mit dem gleichen Effekt. Oft gelingt dies sogar noch ein drittes Mal. Bei den Versuchen mit Depressorreizung wurde lediglich der Phrenograph zwischen Zwerchfell und Leberoberfläche eingeschoben und der Bauch sofort geschlossen. Der Blutdruck ward wieder aus der Karotis geschrieben und der Nervus depressor am Halse des Kaninchens präpariert. Auch bei diesen Versuchen zeigte sich mit Eintritt der durch die Nervenreizung veranlassten Blutdrucksenkung, wenn diese mit genügender Stärke und Schnelligkeit erfolgte, ein gleichsinniger Ein- fluss auf die Atmung. Lediglich um zu erweisen, dass nicht bloss das Zwerchfell, sondern ebenso die Brustkastenwände an dieser Veränderung der Atmung teilnehmen, trotzdem schon beim blossen Besehen des Ver- suchstieres dies kaum bezweifelt. werden konnte, wurde, wie gesagt, in einzelnen der Versuche die Atmung nicht mittels Phrenographen, sondern mittels einer Marey’schen Aufnahmetrommel geschrieben. Nach Beendigung jedes der geschilderten Versuche wurde durch die sofort angeschlossene Autopsie geprüft, ob die intendierten Ein- griffe richtig erfolgt sind. In mehreren Versuchen hatte ich bald nach der Durchtrennung der Aorta am Tiere die Atemvertiefung gesehen und das Ligatur- stäbehen behufs Hemmung weiteren unnützen Blutverlustes zugezogen. Die Besichtigung der geschriebenen Atemkurven ergab dann, dass zwar schon die Vergrösserung und Vertiefung der Atmung sichtbar war, längere Atempausen aber noch nicht aufgetreten waren. Aus diesem Umstande einerseits, andererseits weil selbst in denjenigen Versuchen, wo Atemstillstände schon aufgetreten waren, nach Ab- klemmung der Aorta mittels Ligaturstäbchens zuerst diese Atem- stillstände verschwanden, die Vertiefung der Atmung hingegen eine Zeitlang noch bestehen blieb, um erst nach vollständiger Erholung des Blutdruckes der normalen Grösse zu weichen, ergibt sich als naheliegend: die Vertiefung der Atmung verdanke dem geringeren 140 Ludwig Hofbauer: Beziehungen zwischen Blutdruck und Atmung. Grade der :Blutdrucksenkung ihre Entstehung, die längeren Atenm- pausen seien erst die Folge bedeutender Blutdrucksenkung. Dass die beschriebenen Atemeffekte Wirkungen des herabgesetzten Blutdruckes sind, geht ganz besonders aus diesen Versuchen mit plötzlichem Abfall des Blutdruckes hervor. Sie machen es sehr wahr- scheinlich, .dass auch Atmungsmodifikationen bei Affekten sowie die „terminalen Atmungen“ auf den gesunkenen Blutdruck zurückzuführen sind. Ob dies eine direkte Wirkung des Blutdruckes auf die Atmungs- zentren ist, oder nervöse Verbindungen zwischen den Gefässzentren und den Atmungszentren dabei mitspielen, muss dahingestellt bleiben. 141 (Aus dem histol. Laboratorium der Hochschule für Frauen in St. Petersburg.) Über den Zusammenhang zwischen Sarkolemm und Muskelfaser und dem Streifen Z. Von Frl. J. Ponomarewa. (Mit 14 Textfiguren.) Der Zusammenhang zwischen Sarkolemm und Muskelfaser und die damit eng verknüpfte Frage über Struktur und Bedeutung des Elementes Z wurden bereits von den älteren Autoren mehrfach be- rührt und ausführlich besprochen. Es wurde namentlich hervorgehoben, dass Z, als eine quere, durchgehende Verbindung zwischen den Fibrillen und als Befestigungs- punkt für das Sarkolemm gedacht, ein sehr wesentliches Momeut für die mechanischen Eigenschaften und die Festigkeit der Muskelfaser angesehen werden muss. In besonders schöner Ausbildung finden sich diese Verhältnisse in der Muskelfaser der Insekten vor. Jedem Muskelfach entsprechend, in der Höhe des Z, ist der Sarkolemmschlauch mit der Grund- membran des letzteren verwachsen; zwischen zwei benachbarten Z buchtet sich derselbe festonartig vor. Diese Festonbildung der Insektenmuskulatur war schon den älteren Autoren bekannt und wurde bereits von Amici zutreffend beschrieben und abgebildet. Es liegen zahlreiche Beweise vor, die für die grosse Festigkeit und Zähigkeit der Grundmembran Z sprechen. Es wird auch offenbar allgemein angenommen, dass in den Fällen, wo ein Zusammenhang zwischen Z und Sarkolemm resp. Festonbildung seitens des letzteren besteht, letztere ebenso fest und konstant sind. Es sind aber anderseits auch Muskelfasern bei Arthropoden beschrieben worden. bei denen der Sarkolemmschlauch von der Fibrillenmasse durch einen 142 J. Ponomarewa: breiten Plasmamantel getrennt wird und keinerlei Zusammenhang zwischen Z und dem Sarkolemm besteht (Engelmann). Dass jedoch Strecken letzterer Art mit solehen, wo ein Zusammenhang zwischen Z und Sarkolemm besteht, an einer und derselben Muskel- faser abwechseln sollten, wurde, soviel ersichtlich, bis jetzt noch nicht beschrieben, obwohl gelegentlich solche Fälle ohne jedes Kommentar oder Deutung zur Abbildung gelangen. Es wurde auch vielfach die Beobachtung gemacht, dass bei Kontraktion der Muskelfaser das Sarkolemm sich in grösseren Blasen von der Muskelfaser abhebt, ähnlich, wie man es künstlich durch Zusatz von H,O oder anderen Reagenzien an der Muskelfaser der Wirbeltiere hervorrufen kann. Es wurde des näheren auf diesen Vorgang von Exner hingewiesen, worauf wir noch im weiteren zurückkommen werden. Die Bedingungen für das Zustandekommen dieser Blasen und namentlich die Rückschlüsse, die sich aus dieser Tatsache auf die Art des Zusammenhanges zwischen Sarkolemm und Muskelfaser ergeben, wurden jedoch bis jetzt nicht des näheren geprüft. Es ergibt sich jedoch schon bei flüchtiger Betrachtung, dass hier eigentümliche und verwickelte Verhältnisse vorliegen, da die Blasenbildung weder vom Kontraktionsgrad der Muskelfaser, noch von der Reagenzienwirkung allein abhängig zu sein scheint. In vielen Fällen ist die Blasenbildung trotz der vorsichtigsten Behandlung der Muskelfaser einfach nicht zu umgehen; in anderen wieder bleiben auch eigens daraufzielende Versuche, wie Erzeugung gsewaltsamer Kontraktion der Muskelfaser, ohne Erfolg. Es schien daher angezeigt, die Frage über Zusammenhang zwischen Sarkolemm und Muskelfaser, und zwar auf experimentellem Wege, näher zu prüfen. Als geeignetes Objekt dazu erwiesen sich die Chironomus- larven. Die technische Behandlung derselben ist sehr bequem und leicht. Man hat nur die Larve zu durchschneiden, und den Gesamt- inhalt ihres Leibes unter gelindem Druck mit einer Nadel oder Skalpel auf den Objektivträger herauszustreichen. Die Muskelfasern lassen sich nun leicht bei schwachen Vergrösserungen aufsuchen, herausfischen und auf einen reinen Objektträger gruppenweise über- tragen. Da der Schwerpunkt unserer Untersuchung in der Be- obachtung des lebenden oder richtiger des überlebenden Objektes Über den Zusammenhang zwischen Sarkolemm und Muskelfaser etc. 143 liegt, erscheint es angezeigt, die Methoden der Untersuchung resp. die Kautelen derselben etwas näher zu besprechen, zumal in letzter Zeit seitens Hürthle’s ein extrem skeptischer Standpunkt in bezug auf die Fixationsbilder der Muskelfaser und auf die sog. indifferenten Zusatzflüssigkeiten für die überlebende Muskelfaser angenommen wurde. Die ausführliche Arbeit Hürthle’s wurde uns erst nach Ab- schluss unserer Untersuchungen bekannt; wir haben jedoch seinen Auseinandersetzungen insofern Rechnung getragen, als wir einige Versuche speziell unter den von Hürthle postulierten Kautelen an- stellten, wobei sich eine vollständige Übereinstimmung mit unseren Hauptversuchen ergab. Die Beobachtung der frischen Muskelfasern geschah entweder ohne jede Zusatzflüssigkeit oder in 0,7 °/oiger ClNa-Lösung. — Letzteres Medium war namentlich bei den Kontraktionsversuchen mittelst Induktionsschlüssen unentbehrlich. — Da die Kochsalzlösung von Hürthle für sein Objekt (Muskelfasern des Dytiscus) beanstandet wurde, haben wir wiederholt die Bilder in der letzteren mit den ohne jede Zusatzflüssigkeit untersuchten Objekten verglichen und keinerlei Unterschiede zwischen beiden gesehen. Um völlig sicher zu gehen, wurde für einige Versuche als Zusatzflüssigkeit der aus mehreren Chironomuslarven durch ein feines Leintuch herausgepresste Körpersaft benützt. Trotz allen Bemühungen gelang es leider nicht, den Körpersaft klar und durchsichtig zu erhalten; das Bild wurde stets durch zahlreiche kleine Fetttröpfehen und Partikel getrübt; es gelingt aber trotzdem bei einiger Übung, auch unter diesen Be- dingungen sich von völliger Übereinstimmung der Bilder mit den- jenigen der ClNa-Versuche zu überzeugen. Zum Durchleiten des Induktionsschlages wurden auf dem Objekt- träger Elektroden aus Stanniolblättern befestigt. Wurden die Muskel- fasern zwischen den Elektroden in einer indifferenten Zusatzflüssig- keit mit einem Deckglas bedeckt, so waren Kontraktionen durch In- duktionsschläge, offenbar infolge zu grosser Reibungswiderstände, nicht zu erzielen. Es musste daher von dem Gebrauch eines Deckgläschens und eines Immersionssystems abgesehen werden. Für alle nötigen Einzelheiten der Zeichnung der Muskelfaser erwies sich jedoch die Kombination von Obj. 5 Leitz und C.-Oe. 12 als völlig ausreichend. Wir lassen nun einige Versuchsprotokolle mit Skizzen folgen und werden denselben die Diskussion der Ergebnisse anschliessen. 144 . J. Ponomarewa: Die frischen Muskelfasern der Chironomuslarve lassen sich, nach Hürthle’s Vorgang bezüglich der Muskulatur des Dytiscus, in solche mit „einfacher“ und mit „reicher“ Zeichnung gliedern; die einfache Zeichnung, die nach herkömmlicher Anschauung einem mässigen Kontraktionsgrad entspricht, ist nach Hürthle der einzig wirklich normale Ruhezustand der Muskelfaser. Die reichgegliederte Zeiehnung wird von Hürthle als ein Alterationszustand der Faser oder gar als ein Artefakt in Verdacht genommen. Fig. 1a. Fig. 1b. Ohne hier auf die Gründe für die eigentümlichen morpho- logischen Differenzen zwischen den verschiedenen Muskelfasern 'des- selben Individuums einzugehen, können wir auf Grund sehr zahl- reicher Beobachtungen des Kontraktionsvorganges an der überlebenden Faser mit Entschiedenheit behaupten, dass die reichgegliederten Fasern in keiner Hinsicht in der Enereie ihrer Kontraktionen den „einfach gezeichneien“ Fasern nachstehen. .Da das ‚Studium der feineren Veränderungen der kontraktilen Substanz bei Kontraktion nicht in unser Thema gehört, wollen wir auf diese Frage hier nicht ‚näher eingehen. Über den Zusammenhang zwischen Sarkolemm und Muskelfaser etc. 145 Wir wollen zunächst einige Versuche anführen, aus denen der Zusammenhang zwischen Kontraktionsgrad der Muskelfaser und Be- festigungsweise des Sarkolemms mit Klarheit zutage tritt. 1. Muskelfaser frei in CINa-Lösung zwischen Stanniolelektroden liegend, leicht gekrümmt (Fig. 1). Zeichnung reich gegliedert, sehr regelmässig und klar. Sarkolemm fest anliegend, ohne Festonbildung, kaum unterscheidbar. Energische Kontraktion auf einen Induktions- schlag, hat das Abheben des Sarkolemms auf der ganzen Ausdehnung =D > Big lc. der Faser zur Folge. Zwischen Sarkolemm und kontraktiler Substanz sind grosse Mengen eines feinkörnigen Inhaltes (Sarkoplasma mit zahl- reichen eingestreuten Kernen) wahrnehmbar; Konturen des Sarko- lemms in Form grosser, flacher Vorwölbungen und Tälern (Fig. 1b). Es folgen noch einige weitere sehr energische Kontraktionen, die eine vollständige Geradestreckung der Faser zur Folge hatten. 2. Isolierte und gestreckte Muskelfaser (5 Minuten nach Be- ginn der Präparation). Links Sarkolemm in deutlichen, regelmässigen Festons sichtbar, rechts — ganz dicht anliegend und unsichtbar. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 10 146 J. Ponomarewa: Induktionsschlag, erzeugt ziemlich energische Kontraktion, wobei rechts sofort grosse Blasen entstehen, links die Festons zum grössten Teil erhalten, obwohl stark vorgestülpt, werden — daneben einige kleine Blasen (Fig. 2a). Bei wiederholter Reizung weitere Kontraktionen. In der grossen Blase liessen sich bei Untersuchung mit stärkerem System mehrere stark Fig. 2a. Fig. 2b. lichtbrechende, parallele, von der Sarkolemmwand gegen die Muskel- faser hinziehende Streifen nachweisen (Fig. 2b). Ein Zusammenhang derselben mit Z liess sich nicht wahrnehmen. — Ihre Zahl war jedenfalls geringer als die Z’s, obwohl einzelne derselben genau in die Ebene der Z fielen. 3. Isolierte, an beiden Enden mit anderen Elementen zusammen- hängende, leicht geschlängelte Muskelfaser mit deutlicher, reicher Zeichnung (Fig. 3a). Über den Zusammenhang zwischen Sarkolemm und Muskelfaser etc. 147 Links deutliche Festons im ganzen Verlauf, rechts — neben Festonnierung — einige kleine Blasen. Die Kontraktion erfolgt streckenweise; die Faser streckt sich nicht vollständig (Fig 3b). Links werden einige mittelgrosse Blasen Fig. 3a. Fig. 3b. gebildet, die mit Festons abwechseln. Rechts ist ein allmählicher Übergang von regelmässiger Festonnierung zu einer grossen, Blase wahrnehmbar, wobei die Konturen der einzelnen Festons sich auch im Anfangsteile der Blase deutlich erhalten. | 10* 1483 J. Ponomarewa: Es sei hervorgehoben, dass links der Stelle der stärksten Kontraktion deutliche Festonbildung, rechts dagegen — Blasenbildung entspricht. Auf wiederholten Reiz weitere mehrfache Kontraktionen. 4. Isolierte, leicht gekrümmte Muskelfaser. An der konvexen Seite glattes Anliegen des Sarkolemms, abgesehen von einigen Fig. 4a. Fig. 4b. kleinen und grösseren, mit Sarkoplasma gefüllten Blasen. In der Tiefe der Konkavität einige regelmässige Festons, sonst ebenfalls glattes Anliegen. SA Bei der Kontraktion — Streckung der Faser, Bildung grosser unregelmässiger Blasen an der konvexen Seite, ganz glattes Abheben in der ganzen Ausdehnung, ohne Blasen und Festonbildung an der konkaven Seite. Zwischen abgehobenem Sarkolemm und Muskel- faser reichliches Sarkoplasma mit Kernen. Über den Zusammenhang zwischen Sarkolemm und Muskelfaser etc. 149 5. Isolierte Muskelfaser mit klarer Zeichnung und freiem Ende (künstliche Schnittfläche). An der konvexen Seite Sarkolemm, zum Teil glatt ohne Festons anliegend, gegen das freie Ende zu, zwei flache, sarkoplasmatische Blasen. An der konkaven Seite Sarkolemm in der ganzen Ausdehnung von der Faser ohne Festonbildung ab- (nn nn mn nn 0 nn Fig. 5a. Fig. 5b. gehoben — freier Raum mit Sarkoplasma ausgefüllt. Nach erfoleter Kontraktion wurden die vorgebildeten Blasen höher und entsprechend kürzer, ihr Inhalt merkbar heller. Uubedeutende neue Blasenbildung. An der anderen Seite keine Veränderung. Unter maximaler Stromstärke nochmalige energische Kontraktion. Die Blasen verstrichen im Bereich der natürlichen Faseroberfläche ; 150 J. Ponomarewa: es quillt dagegen etwas Sarkoplasma über den freien Rand der Faser hervor. An der anderen Seite sind zwei kleinere, sarkoplasma- gefüllte steile Blasen entstanden. — Die Kontraktion ausserordentlich hochgradig, die Zeichnung undeutlich geworden. ; 6. Isolierte, ziemlich stark gekrümmte Faser. An der konvexen Seite Sarkolemm in grossen Blasen abgehoben, mit sarkoplasma- Fig. dc. tischem Inhalt und Kernen. An der konkaven Seite — fest anliegend ohne Festonbildung. Bei der erster Kontraktion erfolgt eine Gerade- streekung der Faser, dann noch weiter Kontraktionen. Die Interpretation der mitgeteilten, aus einer grösseren Anzahl von Beobachtungen herausgegriffenen typischen Fälle stösst auf ge- wisse Schwierigkeiten, da die Mannigfaltiekeit der Bilder jedem Ver- such, dieselben zu verallgemeinern, trotzt. Wir wollen zunächst diejenigen Punkte hervorheben, die in unserem Objekte in einem wesentlich anderen Lichte als in der gründlichen Untersuchung von Hürthle erschienen, wobei wir die Differenzen selbstverständlich hauptsächlich auf die Verschiedenheit unserer Objekte zurückführen, — handelt es sich ja bei Hürthle um Elemente eines Imago, bei uns um Elemente einer Larve, und zwar von verschiedenen Insekten. Wir können vor allem Hürthle’s Ansicht nicht beipflichten, welcher die „einfache“ Zeichnung der Muskelfasern als die „einzig“ Über den Zusammenhang zwischen Sarkolemm und Muskelfaser etc. 151 normale ansieht und die „reiche“ Gliederung als einen dem artifi- ziellen nahen Zustand der Faser betrachtet. In unseren unter allen Kautelen dargestellten, ganz frischen und ohne jeden Zusatz betrachteten Präparaten finden sich die Fasern mit reicher Gliederung sehr zahlreich vor. Ihr Verhältnis Fig. 6a. Fig. 6b. zu den „einfachen“ Fasern ist allerdings schwankend und wurde von uns nicht zahlenmässig bestimmt; so viel steht jedenfalls fest, dass sie nicht zur geringen Minderzahl gehören. Den spontan erfolgenden Kontraktionswellen haben wir nur wenig Beachtung geschenkt, wie ja überhaupt das Studium der Morphologie des Kontraktionsvorganges für unsere Zwecke von sekundärem Interesse war. 152 J. Ponomarewa: So viel scheint uns jedoch auf Grund unserer Beobachtungen festzustehen, dass sowohl in der Energie der Zusammenziehung nach einem Induktionsschlag als auch in der Anzahl der auf diesem Wege noch erreichbaren Kontraktionen keinerlei Unterschied zwischen beiden Faserarten wahrgenommen werden konnte. Der definitive Beweis der normalen Beschaffenheit der Fasern mit reicher Gliederung liegt schliesslich darin, dass nach einer energischen Kontraktion derselben eine typische, Hürthle’s ein- fache Zeichnung entsteht, worauf weitere Kontraktionen in der von Hürthle angegebenen Weise verlaufen. Auch in dem eigentlichen Kernpunkt unserer Untersuchung — in der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Sarkolemm und Muskelfaser — weichen unsere Erfahrungen beträchtlich von den Angaben Hürthle’s ab. Die Ansichten des letzteren Autors gipfeln in dem Satze: „Auch der Zusammenhang der Zwischenschicht mit den Spitzen der Festons der Bogen des Sarkolemms ist eine nach meiner Erfahrung nur an fixierten Präparaten auftretende und auch da sehr wechselnde Erscheinung“ (S. 111). Unsere Untersuchung, die sich ganz vorwiegend auf lebende Objekte bezog, erlaubt uns nur der zweiten Hälfte des zitierten Satzes beizupflichten. Der Zusammenhang zwischen Sarkolemm und Faser ist allerdings eine wechselnde Erscheinung, indem Zustände, in welehen das Sarkolemm anscheinend spontan oder auf einen leisesten Eingriff hin sich auf lange Strecken von der Muskelfaser abhebt, mit solehen abwechseln, wo das Sarkolemm mit ausser- ordentlicher Zähigkeit vermittelst der Zwischenscheibe mit der Muskel- faser zusammenhängt. Analysieren wir des näheren ersteres Verhalten der Muskelfaser, so lehren uns unsere Beobachtungen folgendes: Das Sarkolemm hebt sich von der kontraktilen Substanz in zweifacher Weise ab: entweder als glatter, zylindrischer, der Faser- oberfläche paralleler Schlauch oder in Form einzelner grösserer und kleinerer Blasen, die nachweisbar aus den Festons hervorgehen. Eine sichere Vorhersage, welchen von beiden Effekten die Kon- traklion einer gegebenen Faser zur Folge haben wird, ob überhaupt nach der Kontraktion das Sarkolemm abgehoben wird, lässt sich im allgemeinen nicht geben! Man kann auch nicht voraussehen, ob im gegebenen Fall die Kontraktion die Beziehungen zwischen Faser und Sarkolemm in irgendeinem Sinn verändern wird. -: Über den Zusammenhang zwischen Sarkolemmi und Muskelfaser etc. 153 In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ergibt sich jedoch der merkwürdige Zusammenhang, dass glattes Abheben des Sarkolemms nach der Kontraktion gerade in denjenigen Fällen erfolgt, wo keine Festonbildung im Ruhezustande der Faser wahrnehmbar war resp. das Sarkolemm ganz glatt und dieht sich der Faser anschmiegte. Die dem Sarkolemm von innen anliegenden Kerne erscheinen dabei gauz flachgedrückt, bilden keine Vorwölbungen desselben, wogegen sie unmittelbar, nachdem der Sarkoplasmaschlauch sich von der Faser abgehoben hat, eine ellipsoide oder kuglige Form annehmen und frei in der Sarkoplasmamasse liegen. Es wäre aus diesem Um- stande wohl zu folgern, dass das Sarkolemm der Faseroberfläche so fest anhaftet, dass sogar die Elastizität der Kerne überwunden wird, was aber wiederum im scheinbaren Widerspruch zum glatten Abheben des ersteren auf langen Strecken steht. Dieser scheinbare Widerspruch. lässt sich nur durch die Annahme erklären, dass das Sarkolemm in den betreffenden Fasern der Faseroberfläche ohne jede mechanische Befestigung (etwa durch Querverbindungen, Z usw.) nur anhaftet: diese durch eine Art Kapillarattraktion oder ein ähnliches Moment zustandekommende Adhäsion wird durch scherende Kräfte ge- lockert oder aufgehoben, die beim Vorgange der aktiven Kontraktion des Faserinhaltes innerhalb der nicht kontraktionsfähigen Sarkolemm- hülle entstehen. Ist einmal die Adhäsion zwischen der Muskelfaser und Sarkolemmschlauech aufgehoben, so werden keine weiteren Hinder- nisse der Vorwölbung der flachgedrückten Kerne und dem Vordringen eines breiten Flüssigkeitsmantels zwischen Faser und Sarkolemm gesetzt, wobei allerdings die Herkunft der Flüssigkeit zunächst eine offene Frage bleibt. Der zweite Typus, das Auftreten der Festons, deren Ver- bindungen mit der Muskelfaser vermittelst der Z-Membranen einen ausserordentlichen Grad von Zähigkeit aufweisen, steht zum ersteren Modus in einem denkbar schroffen Gegensatz. Dass es sich hier um zwei verschiedene stabile Arten von Fasern handeln könnte, lässt sich wohl ganz sicher ausschliessen, zumal beide Typen an der gleichen Faser in ihren verschiedenen Strecken vertreten sein können. Es handelt sich somit um zwei versehiedene Zustände, die als umkehrbar gedacht werden müssen. Eine rein hypothetische Erklärung des merkwürdigen Tat- bestandes, die von Professor Gurwitsch in mündlicher Äusserung 154 3. Ponomarewa: Über den Zusammenhang zwischen Sarkolemm etc. gegeben wurde, soll hier als möglicherweise nützliche Arbeitshypothese angeführt werden. Denken wir uns das Sarkoplasma als ein Kolloid im labilen Zustande, welcher leicht aus dem Zustande des Sols in denjenigen des Gels und umgekehrt umschlägt. In den Fasern, wo das Sarkolemm der Faser zwar glatt anliest, aber ebenso leicht und glatt ab- gehoben werden kann, wäre das Sarkoplasma im Zustande des Sols zu denken. / Findet dagegen eine Gelatinisation desselben statt, so soll die feste Phase sich waben- oder lamellenartig abscheiden. Für die Disposition der Lamellen wären dabei die Z-Körner als maassgebend anzunehmen, woraus die regelmässige quere Anordnung der Gel- Lamellen, die wir als Z-Membranen auffassen,, sich leicht erklären liesse. Dass derartige Lamellen ein bedeutendes Maass von Zug- festigkeit besitzen könnten, dürfte auf keinen Widerspruch stossen. Es wäre bei dieser Erklärungsweise der scheinbar paradoxe Gegensatz zwischen Labilität und Zugfestigkeit der Z-Quermembranen in befriedigender Weise erklärt. Die Frage der Tonempfindung. Von Dr. Geo. E. Shambaugh, Univ. von Chicago. Übersetzt von Dr. J. Holinger aus Chicago. Der physikalische Vorgang, dessen Endresultat der Übergang einer Schallwelle in einen Nervenimpuls in der Schnecke darstellt, stempelt die Frage der Schallempfindung eigentlich zu einer ana- tomischen. Nichtsdestoweniger gehen die meisten Arbeiten, welche sich mit diesem Problem beschäftigen, von physiologischen oder psychologischen Standpunkten aus, während die Unterstützung, welche das Studium der Anatomie gewährt hätte, zum grössten Teil übersehen wurde. Theorien wurden ziemlich unabhängig von den anatomischen Verhältnissen ausgebaut und nachher denselben an- zupassen versucht. So sind fundamentale Irrtümer entstanden, die nicht möglich gewesen wären, wenn die Frage von der anatomischen Seite her angeschnitten worden wäre. - Wir bekommen die beste Einsicht in die allgemeinen Prinzipien, welche der Physiologie der Schnecke zugrunde liegen, durch eine Vergleichung der verschiedenen Typen von Endorganen im Labyrinth, nämlich der Macula acustica des Utrieulus und Saculus, der Crista acustica der Bogengänge und des Corti’schen Organs in der Schnecke. Alle drei Typen von Endorganen haben histologisch denselben allgemeinen Grundcharakter. Das physiologisch wichtige Element in allen drei Typen ist die Haarzelle, und in jedem dieser Endorgane liest über den Haarzellen eine eigentümliche Membran von epithelialem Ursprung, nämlich die Otolithenmembran in der Macula aeustica, die Cupula in der Crista acustica und die Membrana teetoria in der Schnecke. Es scheint nun sehr wahrscheinlich, dass histologisch so ähnliche Gebilde auch auf Reize im Grunde ähnlich reagieren. Die Prinzipien, welche diesen Reaktionen der Endorgane auf Reize, zugrunde liegen, sind folgende: 156 Geo. E. Shambaush: Die Erregung jedes dieser Endorgane ist das Resultat eines physikalischen Impulses. Die Umsetzung des physikalischen in einen nervösen Impuls findet in der Haarzelle statt. Die Erregung der Haarzelle wird in jedem Fall durch eine Reizung der vorstehenden Haare ausgelöst. Die Auslösung des Reizes ist bedingt durch die Wechselwirkung der Haare und der darüberliegenden Membran, der Otolithen- membran am einen, der Cupula am andern, und der Membrana teetoria am dritten Endorgane. Endlich, dass diese Wechselwirkung in jedem Fall durch Be- wegung der überliegenden Membran hervorgerufen wird. . Es wird allgemein zugegeben, dass diese Grundprinzipien der Physiologie des Labyrinthes für die Macula acustica und für die Crista acustica gelten. Im Corti’schen Organ dagegen herrscht die Ansicht, dass die Wechselwirkung zwischen den Haarzellen und der Membrana teetoria durch Bewegungen der Membrana basilaris zustande komme. Die modernen Theorien der Tonempfindung fussen auf der Vorstellung, dass die Erregung der Haarzellen des Corti- schen Organs von Schwingungen der Basilarmembran abhänge. Keiner der verschiedenen Einwände, welche von Zeit zu Zeit gegen diese Theorien vorgebracht wurden, richtete sich gegen die Ansicht, dass die Membrana basilaris der aktive Teil sei bei der Erregung der Haarzellen. Es ist jedoch gleichgültig, wie fest sonst eine Theorie gestützt ist, sie wird unhaltbar, sobald ein Einwurf vorgebracht werden kann, der sich gegen das Grundprinzip richtet. Alle Theorien, welche der Membrana basilaris einen aktiven Anteil zuschreiben, setzen voraus, dass dieses Gebilde unter allen Umständen auf gleiche Reize in gleicher Weise reaciere. Es gibt jedoch einen anatomischen Befund, welcher dies unmöglich macht. Es finden sich nämlich an der Unterfläche dieser Membran, gerade unter dem C orti’schen Tunnel, ein oder sogar mehrere Blutgefässe. Durch Injektions- versuche ist es mir gelungen nachzuweisen, dass diese Blutgefässe gerade wie andere auf verschiedenen Blutdruck reagieren, dass sie sich bei jedem Druckwechsel ausdehnen oder zusammenziehen. Es ist klar, dass die Schwingungsfähigkeit der Membran beeinflusst werden muss, wenn ein Blutgefäss, das an ihr befestigt ist, sich ausdehnt oder zusammenzieht. Deshalb muss die Wirkung des Die Frage der Tonempfindung. SuNie, 157 Reizes, den ein bestimmter Ton ausübt, zu verschiedenen Zeiten eine verschiedene sein, und von der verschiedenen Füllung dieser Gefässe abhängen. Es ist ebenfalls klar, dass die Haarzellen im Corti’ schen Organ durch Impulse, welehe ihnen durch die Endolymphe übermittelt werden, nicht direkt erregt werden können, weil erstens das Corti’sche Organ auf solche Reize ganz anders antworten würde als die anderen analogen Endorgane, die Macula acustica und die Crista acustica, in welchen die Haarzellen angerest werden durch die Wechselwirkung mit dem über ihnen liegenden Gebilde der Otolithenmembran im einen, der Cupula im anderen Falle. Zweitens, weil, wie ich zu beweisen imstande war, das Verhältnis zwischen den Haaren der Haarzellen des Corti’schen Organs und der Membrana teetoria das gleiche ist wie dasjenige zwischen den Haar- zellen und den über ihnen liegenden Membranen in den anderen zwei Endorganen des Labyrinthes, über welches kein Zweifel herrscht. Dieses Verhältnis besteht nämlich in einem so vollständigen Kontakt, dass jede Möglichkeit, dass die Haare ohne Mithilfe der Membrana tectoria stimuliert werden, ausgeschlossen ist. Der Schluss scheint also unabweisbar, dass die Erregung der Haarzellen im Corti’schen Organ auf einer Wechselwirkung zwischen ihren vorstehenden Haaren und der Membrana tectoria beruht, und dass diese Wechselwirkung zustande kommt durch Bewegungen» welche der Membran unter dem Einfluss von Schall- wellen, welehe durch die Endolymphe hindurch gehen, mitgeteilt werden. Es ist unmöglich, die Bewegungen eines so zarten und kompli- zierten Gebildes, wie die Membrana tectoria, direkt zu demonstrieren. Die Aufgabe, zu bestimmen, wie sie auf Impulse von Schallwellen reagiert, wird also in der Frage gipfeln, welehe Reaktion am besten die physiologischen und pathologischen Erscheinungen erkläre, welche mit der Schallempfindung zusammenhängen. Nehmen wir zum Beispiel an, dass die höchsten Töne imstande seien, nur einen kleinen Teil dieser Membran in der Nähe des Anfangs der Basalwindung, wo sie also noch sehr klein ist, in Schwingung zu versetzen, und dass jeder tiefere Ton, fortschreitend mit grösserer Tiefe, immer grössere Ausdehnungen dieser Membran, und die tiefsten Töne das ganze Gebilde zu schwingen verursache, so würde eine solche An- 158 » Geo. E. Shambaugh, Die Frage der Tonempfindung. nahme wohl die Erscheinungen der subjektiven Tonanalyse er- klären, da durch jeden Ton eine verschiedene Gruppe von Haar- zellen angeregt werden. Eine solche Funktionsweise würde uns jedoch pathologische Erscheinungen, wie z. B. Toninseln oder die umsehriebenen Degenerationen im Corti’schen Organ, bei Über- reizung mit reinen Tönen nicht erklären. Nehmen wir an, dass bei jedem Ton die ganze Membrana tectoria schwingt, was Ewald für die Basilarmembran annimmt, so würden sogar die Erscheinungen der subjektiven Tonanalyse un- erklärt bleiben, weil es die Art der Verbindung der Haare der Haarzellen mit der Unterfläche der Membrana teetoria unmöglich machen würde, dass die ganze Membran schwinge, ohne zugleich alle Haarzellen des ganzen Corti’schen Organs zu erregen. Es scheint nämlich, dass die subjektive Tonanalyse von einer peripheren Analyse in der Schnecke abhängt, wobei für jeden Ton, den wir zu unterscheiden imstande sind, eine bestimmte Gruppe von Haarzellen erregt wird. Eine solche Tätigkeit, wie die oben erwähnte, würde ebenfalls die genannten pathologischen Erscheinungen unerklärt lassen. Die dritte mögliche Reaktion der Membrana tecetoria auf Schall- wellen ist die, dass für jeden verschiedenen Ton andere Teile in Schwingung geraten. Die höchsten Töne würden dann Schwingungen in der winzigen Membrana tectoria des Anfanges der Basalwindung erzeugen, während die viel grössere Membran in den oberen Windungen der Schnecke durch tiefere Töne mitzuschwingen ver- anlasst wird. Es scheint mir, dass eine solche Funktion nicht allein die subjektive Tonanalyse und die sekundären Erscheinungen der Schallempfindung erklären würde, sondern sie würde auch eine sehr wahrscheinliche Erklärung für die wichtigeren pathologischen Erscheinungen abgeben, nämlich die Toninseln und die umsehrie- benen Degenerationen im Corti’schen Organ bei Überreizung mit reinen Tönen. Eine solche Funktion der Membrana tectoria scheint am besten mit den Gesetzen der Resonanz übereinzustimmen. Jedoch kann wohl kaum gegen diese Hypothese angeführt werden, dass die sehr komplizierte und zarte Membrana tectoria, keinem der den Physikern bekannten Typen von Resonatoren ähnlich ist. 159 (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) Die automatische Tätigkeit der Atemzentren!). Von Hans Winterstein. (Hierzu Tafel I, II und II.) Über das Zustandekommen der rhythmischen Tätigkeit der Atemzentren stehen einander im wesentlichen zwei Auffassungen gegenüber. Die eine führt diese Tätigkeit zurück auf rhythmische, die Atemzentren treffende Reize, die entweder von Schwankungen des Gasgehaltes des Blutes oder von aus der Peripherie stammenden nervösen Impulsen geliefert werden, die andere erklärt sie in analoger Weise wie die Herztätiekeit durch eine „Automatie“, in dem Sinne, dass die Atmungsimpulse nieht, wie wir dies sonst für die Funktion der Zentren annehmen dürfen, „eine direkte und unmittel- bare Abhängige der äusseren Bedingungen der Reizune und Er- nährung sei“ (Luciani?), sondern wesentlich durch die den Atem- zentren selbst innewohnenden besonderen Lebensbedinsungen be- stimmt werde. Hierbei bleibt die Möglichkeit unbenommen, dass gewisse äussere Faktoren eine wichtige, eventuell auch unentbehrliche Bedingung für das Zustandekommen der Atmungsimpulse darstellen, wie dies z. B. auf Grund der neueren Untersuchungen (vel. die folgende Mitteilung) unter gewöhnlichen Verhältnissen mit einer sewissen CO,-Tension des Blutes der Fall zu sein scheint, Die Annahme rhythmischer Schwankungen der Blutbeschaffenheit (Gasgehalt) als Ursache der rhythmischen Atembewegungen darf wohl als endgültig widerlegt betrachtet werden, da die Atembewegungen 1) Die folgenden Versuche wurden kurz mitgeteilt in den Sitzungsber. und Abhandl. d. naturf. Gesellsch. zu Rostock, N. F. Bd. 2. 1910, und am achten internat. Physiologen-Kongress zu Wien. - 2) L. Luciani, Physiologie des Menschen, deutsch von Baelioni und Winterstein, Bd. 1 8.419. 1905. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 11 160 Hans Winterstein: auch nach Fortfall jeglicher Zirkulation und unter solchen Versuchs- bedingungen eine Zeitlang weiterbestehen, unter welchen die Blut- beschaffenheit Änderungen in dem der Norm enteegengesetzten Sinne erfahren muss (Einatmung eines O,-freien und CO,;-reichen Gas- gemisches). — Dagegen hat die Theorie eines reflektorischen Ur- sprungs der Atmungstätigkeit in jüngster Zeit wieder einen Vertreter in Baglioni!) gefunden, der die sehr bemerkenswerte Vorstellung entwickelte, dass die Atmung aufzufassen sei als ein Fall von rezi- proker Innervation antagonistischer Muskeln, bei welcher jede Atmungsphase (etwa in Analogie zu der Selbststeuerung der Atmung durch die Vagi) durch Erregung afferenter Atemmuskelnerven sich selbst hemmt und die entgegengesetzte Atmungsphase einleitet. Die Theorie der Automatie der Atmung (der gegenwärtig die überwiegende Mehrzahl der Physiologen zuneigt), gründet sich im wesentlichen auf die Feststellung des Erhaltenbleibens der rhyth- mischen Tätigkeit der Atemzentren nach Ausschaltung der Bahnen, die sie auf reflektorischem Wege zu dieser Tätigkeit anzuregen ver- mögen. Unter diesen Bahnen aber können, wie Baelioni mit Recht betont, die afferenten Bahnen der Atemmuskeln, denen bisher nur eine geringe Beachtung geschenkt wurde, eine wichtige Rolle spielen. Die operative Ausschaltung aller dieser Bahnen ist bisher wohl niemals gelungen. Ich verweise bezüglich der Literatur über die Automatie der Atmung auf die Zusammenstellung von Langen- dorff?2) und möchte hier nur hervorheben, dass eben wegen der mangelnden Berücksichtigung der Atemmuskelnerven weder die am Frosch angestellten Untersuchungen, bei welchen durch Durch- schneidung oberhalb und unterhalb der Medulla oblongata eine Iso- lierung des Atemzentrums angestrebt wurde, noch die Versuche am Kaninchen, bei welehen die Halsnerven durchsehnitten und das Ge- hirn oberhalb des Kopfmarks durchtrennt wurde, für die Automatie der Atmung etwas beweisen können. So bleiben nur noch die Ver- suche von Rosenthal’) zu erwähnen, der die Atembewegungen beim Kaninchen fortdauern sah, nachdem das Gehirn in der Vier- hügelgegend, das Rückenmark am 7. Halswirbel und ferner die Vagi 1) S. Baglioni, Zur Analyse der Reflexfunktion S. 35ff. Wiesbaden 1907. 2) OÖ. Langendorff, Physiologie des Rücken- und Kopfmarkes. Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd. 4 H. 1 S. 341 ff. 1905. 3) J. Rosenthal, Studien über Atembewegungen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1865 S. 191. Die automatische Tätigkeit der Atemzentren. 161 und sämtliche hinteren Wurzeln am Halsteil des Rücken- marks durchschnitten worden waren. So sehr dieser Versuch auch zweifellos zugunsten der Automatie der Atemzentren spricht, so bleibt doch auch hier noch der Einwand, dass nicht beseitigte, auf der Bahn des Trigeminus zugeleitete afferente Impulse, die durch die akzessorischen Atembewegungen ausgelöst wurden, zur Erhaltung der Atmungstätigkeit ausgereicht haben können. So schien mir die Frage nach dem Ursprung der Atemtätigkeit einer erneuten Untersuchung wert. Da eine weitere Verfolgung der operativen Methode wenig Erfolg versprach, so versuchte ich auf einem einfacheren Wege zum Ziel zu gelangen auf Grund des folgenden Gedankengangs: Wenn die Atmung ein Reflexakt in der von Baglioni angenommenen Weise ist, dass die Atembewegungen selbst durch Reizung sensibler Bahnen die zum weiteren Ablauf erforderlichen afferenten Impulse erzeugen, so müssen die Inner- vationsimpulse der Atemzentren aufhören, wenn durch Curare- vergiftung des Tieres alle Bewegungen und damit auch die durch sie erzeugten afferenten Reize ausgeschaltet werden. Als Index der Tätiekeit der Atemzentren sollten an Stelle der unter diesen Be- dingungen ja fortfallenden Atembewegungen vom Phreniceus etwa ableitbare Aktionsströme dienen. Erst nach Beendigung meiner Versuche habe ich gefunden, dass es schon vor längerer Zeit Macdonald nnd Reid!) gelungen war, rhythmische Aktionsströme von dem zentralen Stumpf des am Halse durchsehnittenen Phreniceus eurarisierter Tiere nach Abstellung der künstlichen Atmung zum Galvanometer abzuleiten, die zweifellos ein Ausdruck der durch die Asphyxie verstärkten Tätigkeit der Atem- zentren waren. Weder diese Autoren, noch Boruttau?), der ihre Befunde bestätigt zu haben angibt?), haben jedoch die Bedeutung 1) J. S. Macdonald and E. W. Reid, Electromotive changes in the phrenie nerve. A method of investigating the action of the respiratory centre. Journ. of physiol. vol. 23 p. 100. 1898/1899. 2) H. Boruttau, Die Aktionsströme und die Theorie der Nervenleitung. Pflüger’s Arch. Bd. 84 S. 309. 1901. 3) Diese Bestätigung kann jedoch nur eine sehr unvollkommene gewesen sein, denn die von Macdonald und Reid abgeleiteten Aktionsströme waren keineswegs, wie Boruttau (l. c. S. 384) angibt, unregelmässige Schwankungen von klonischem Charakter, sondern, wenigstens zu Beginn, völlig regelmässige und rhythmische Schwankungen von allmählich wachsender Intensität. 11“ 162 Hans Winterstein: dieser Versuche für die Theorie der Atmung erkannt oder gar sie im Hinblick auf diese angestellt; wenn also auch die Baglioni- sche Theorie bereits durch die Experimente von Macdonald und Reid widerlegt erscheint, so dürfte es doch nicht überflüssig sein, meine im speziellen Hinblick auf das Problem angestellten Versuche ausführlicher mitzuteilen, zumal die Technik der Reeistrierung so schwacher elektrischer Ströme inzwischen durch die Erfindung des Saitengalvanometers einen so bedeutenden Fortschritt erfahren hat. Da mir ein genügend empfindliches Saitengalvanometer in unserem Institute nicht zur Verfügung stand, so habe ich meine Versuche mit freundlicher Erlaubnis von Herrn Geheimrat Rubner im Berliner physiologischen Institute angestellt, und möchte bei dieser Gelegenheit Herrn Professor Piper für die liebenswürdige Gastfreundschaft, die ich in seiner Abteilung erfahren habe, auch an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank sagen. Die Versuche wurden an grossen Kaninchen angestellt, bei denen in Äthernarkose der eine Phrenieus am Halse freigelegt wurde. Die Ableitung erfolgte vom Längs-Querschnitt des zentralen Stumpfes des durehschnittenen Nerven mittels gewöhnlicher unpolarisierbarer Ton- stiefelelektroden zu einem grossen Edelmann’schen Saitengalvano- meter; die Bewegungen des Schattenbildes der Saite wurden auf photographischem Wege registriert. In den Zwischenpausen wurde der Nerv mit Watte, die mit warmer physiologischer NaCl-Lösung setränkt war, zugedeckt. Die Ableitung erfolete am besten von dem dicht oberhalb der sechsten Cervicalwurzel durchschnittenen Nerven. Unterhalb der letzteren ist der Nerv ohne Eröffnung der Pleura nur auf eine zu kurze Strecke isolierbar, und oberhalb der fünften, wo seine Isolierung auf. eine grössere Strecke am leichtesten durchführbar ist, ist er noch zu schwach, um die Ab- leitung von Aktionsströmen zu gestatten. Zur Erzielung registrier- barer Schwankungen musste dıe Saite stark entspannt werden. Die untereinander völlig übereinstimmenden an drei Kaninchen gewonnenen Versuchsresultate!) sollen an der Hand der in Taf. I—-Ill wiedergegebenen Kurvenbeispiele erörtert werden. Bei normaler spontaner Atmung des Tieres sind die in der angegebenen Weise vom Phrenicus ableitbaren Aktionsströme äusserst schwach (Fig. 1). 1) Bei zwei Tieren missglückte die Ableitung von Aktionsströmen überhaupt, jedenfalls aus technischen Gründen. Die automatische Tätigkeit der Atemzentren. 163 Eine Verstärkung erzielt man durch Dyspnoe erzeugende Eingriffe, so durch Verengerung oder Verschluss der Trachealkanüle (Fig. 2), oder dureh Durehschneidung der Vaei (Fig. 3). Die Kurven der Fig. 4 und 5 geben die Aktionsströme wieder, welche nach Ab- stellung der künstlichen Atmung bei den durch intravenöse Injektion von Curare völlig bewegungslos gewordenen Tieren gewonnen wurden. Sie zeigen, dass auch nach Fortfall aller dureh die Atembewegungen etwaauslösbarenafferenten Impulse die Tätigkeit der Atemzentren in völlig rhythmischer Weise weitergeht. Die unter diesen Bedingungen auftretenden Impulse unter- scheiden sich von den bei normaler Atmung zu beobachtenden vor allem durch ihre sehr viel grössere Intensität. Es läge nalıe, dies einfach auf die nach Fortfall der Atembewegungen eintretende Asphyxie zu beziehen. Gegen diese Auffassung spricht jedoch schon der Umstand, dass diese Verstärkung bereits unmittelbar nach Ab- stellung der künstlichen Atmung zu beobachten ist. Zur Entscheidung der Frage, ob diese Verstärkung der Atmungsimpulse auf die be- sinnende Frstickung zurückzuführen sei, ja ob nicht vielleicht über- haupt bloss unter den abnormen Bedingungen einer gewissen Asphyxie rhythmische Atmungsimpulse nach Fortfall der Atembewegungen auf- treten, habe ich an jedem der drei Kaninchen je eine Kurve bei künstlicher Atmung des curarisierten Tieres nach dem Meltzer- schen Verfahren !) aufgenommen, bei welchem durch einen dünnen, durch die Luftröhre tief eingeschobenen Gummischlauch mittels eines Doppelgebläses ein kontinuierlicher Luftstrom durch die Lunge ge- leitet wurde, der diese in leichte Blähung versetzte, ohne irgend- welche Volumschwankungen und dadurch Bewegungen des Brust- korbes herbeizuführen. . Es zeigte sich (vgl. Fig. 6 u. 7), dass unter diesen Bedingungen die automatischen Impulse der Atemzentren sich in der gleichen Weise und mit gleicher Intensität entladen wie bei gänzlichem Fehlen einer Lungenventilation, ja, von den beiden als Beispiel wiedergegebenen Kurvenausschnitten zeigt Fig. 6 sogar die stärksten Stromschwankungen, welche überhaupt abgeleitet werden konnten. Die Verstärkung der Atmungsimpulse, der jedenfalls eine Ver- 1) S. J. Meltzer und J. Auer, Kontinuierliche Respiration ohne respira- torische Bewegungen. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 23 S. 210. 1909. 164 Hans Winterstein: tiefung der Atmung entsprechen würde, kann demnach nicht auf Asphyxie zurückgeführt werden; sie dürfte vielmehr auf der gleichen Ursache beruhen wie die nach Durchschneidung der Vagi zu be- obachtende Vertiefung der Atmung, nämlich auf den Fortfall der afferenten Impulse, die normalerweise die Intensität der einzelnen Atmungsphasen regulieren, eine Regulation, die, wie dies Baglioni wohl mit Recht annimmt, eben nicht bloss durch die Vagi, sondern auch durch die afferenten Bahnen der Atemmuskelnerven erfolgt. Auf die gleiche Ursache dürfte auch die (jedoch nicht ausnahmslos beobachtete) mitunter sehr beträchtliche Verlangsamung der Atmungs- impulse unter den genannten Bedingungen zurückzuführen sein). Die genauere Betrachtung der in den Kurven zutage tretenden Einzelheiten ergibt ihre Zusammensetzung aus zahlreichen kleinen Zacken, die infolge ihrer im Verhältnis zur Bewegung der Reeistrier- fläche hohen Frequenz nicht überall deutlich wahrnehmbar sind (am besten in Fig. 6), aber zweifellos nicht auf die (bei so starker Entspannung des Fadens wohl kaum ganz vermeidbaren) Eigen- schwingungen der Saite oder zufällige Erschütterungen, sondern auf eine physiologische Diskontinuität der durch den Nerven fliessenden Impulse zurückzuführen sind. Dies steht in völligem Einklang mit der Feststellung Dittlers!), dass das Zwerchfell ein tonisch (besser wohl „tetanisch“) innervierter Muskel ist, der (vielleicht mit Ausnahme einer kurz dauernden Ruhephase) ständig oszillatorische Aktions- ströme aufweist, die ein mit den Phasen der Atmung parallel gehendes 1) Analoger Natur sind wohl auch die nach Abtrennung der Medulla ob- longata und Durchschneidung der Vagi auftretenden Änderungen des Atemtypus, die (in allerdings widersprechender Weise) von M. Marckwald (Die Atem- bewegungen und deren Innervation beim Kaninchen. Zeitschr. f. Biol. Bd. 23 S. 149. 1837), A. Loewy (Experimentelle Studien über das Atemzentrum in der Medulla oblongata und die Bedingungen seiner Tätigkeit. Pflüger’s Arch. Bd. 42 S. 245. 1888), C. Franck und 0. Langendorff (Über die automatische Tätigkeit des Atemzentrums bei Säugetieren. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1888 S. 286) und neuerdings von S. Kostin (Zur Frage nach Entstehen des normalen Atemrhythmus. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. S. 51. 1904 Suppl.) beschrieben wurden; Marckwald und Kostin haben wohl mit Recht versucht, sie durch den Fortfall reflektorischer Regulationswirkungen zu erklären, wenn auch die Deutung wegen der Schwere des operativen Eingriffes in diesen Fällen unsicher erscheint. 2) R. Dittler, Über die Innervation des Zwerchfells als Beispiel einer tonischen Innervation. Pflüger’s Arch. Bd. 130 S. 1. 1909. Die automatische Tätiskeit der Atemzentren. 165 An- und Abschwellen zeigen. Dieses tritt in den von uns gewonnenen Kurven als Ausdruck der zentralen Atmunesimpulse in einem all- mählichen Absinken der Kurve (Inspiration) und darauffolgendem raschen Ansteigen (Exspiration) zutage. Eine genaue Auszählung der Zahl der Oszillationen erscheint wegen ihrer, wie schon erwähnt, zu grossen Frequenz nicht durchführbar; doch lässt ihre Schätzung (wie sie etwa Fig. 6 ermöglicht) eine Übereinstimmung in der Grössenordnung mit den von Dittler vom Zwerchfell und in einer neueren Mitteilung!) auch vom Phrenieus des spontan atmenden Tieres abgeleiteten Stromschwankungen vermuten. Die vorangehenden Versuche zeigen auf das klarste, dass die Atemzentren auch nach Ausschaltung aller durch die Atembewegungen bedingten afferenten Impulse fortfahren, sich rhythmisch zu entladen bzw. die kontinuierlich von ihnen ausgehenden Entladungen rhythmisch zu verstärken. Damit aber erscheint mir der Nachweis erbracht, dass der Ursprung der Atmungstätigkeit tatsächlich ein automatischer in dem eincangs angegebenen Sinne ist, d. h. dass die Atemzentren in sich selbst die Bedingungen tragen, welche das rhythmische Spiel der Atmung veranlassen. — Die Möglichkeit, dass etwaige, kontinuierlich von der Oberfläche oder aus dem Inneren des Körpers den Atemzentren zufliessende, von den Atembewegungen unabhängige Impulse für die Tätigkeit der Atemzentren erforderlich seien, wird durch die vorangehenden Versuche allerdings nicht beseitigt; eine solehe Annahme erscheint aber wohl müssig, da keine Gründe zu ihren Gunsten sprechen, und sie für das Verständnis keinerlei Vor- teil bietet. Zusammenfassend können wir uns von dem Vorgang der Atmungs- innervation das folgende Bild machen: Die Tätigkeit der Atem- zentren istihrem Ursprunge nach eine automatische; diese automatische Tätigkeit ist in ihrem Bestehen und in der Art ihres Ablaufes geknüpft an gewisse Bedingungen, die durch die Beschaffenheit des Blutes erhalten und den Bedürfnissen des Organismus an- gepasst werden (vgl. die folgende Mitteilung); sie tritt in reiner Form nur nach Ausschaltung aller durch die 1) R. Dittler, Über die Aktionsströome des Nervus phrenicus bei natür- licher Innervation. Pflüger’s Arch. Bd. 131 S. 581. 1910. 166 Hans Winterstein: Die automatische Tätigkeit der Atemzentren. Atembewegungen ausgelösten afferenten Impulse zu- tage, die unter normalen Bedingungen ihr Ausmass und ihre Frequenz regulieren. Erklärung der Abbildungen. Alle Kurven sind von links nach rechts zu lesen. Die oberste Kurve gibt die Zeit in V/s-Sek. Die darunter befindliche Kurve zeigt die vom zentralen Stumpf des Phrenicus abgeleiteten Aktionsströme, die unterste (fehlt in Fig. 1, 2 und 6) die durch einen um den Leib des Tieres geschnallten Pneumographen mit Lufttransmission registrierten Atemschwankungen. Tafel Il. Fig. 1 (Kaninchen Nr. 1): Aktionsströme bei normaler spontarer Atmung (durch eine Trachealkanüle). Fig. 2 (Fortsetzung von Nr. 1): Aktionsströme bei spontaner Atmung nach Verschluss der Trachealkanüle. Fig. 3 (Kaninchen Nr. 3): Aktionsströme bei spontaner Atmung nach Durch- schneidung beider Vagi. Tafel I. Fig. 4 und 5 (Karinchen Nr. 3): Aktionsströme der automatischen Tätigkeit der Atemzentren des kurarisierten Tieres nach Abstellung der künstlichen Atmung. Tafel II. Fig. 6 (Kaninchen Nr. 1) und 7 (Kaninchen Nr. 2): Aktionsströme unter sonst gleichen Bedingnngen bei Anstellung Meltzer’scher Atmung mit kon- tinuierlichem Luftstrom. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Rostock.) Die Regulierung der Atmung durch das Blut!). Von Hans Winterstein. l. Der gegenwärtige Stand des Problems. Die Frage nach dem Einfluss, den die Beschaffenheit des Blutes, in Sonderheit sein Gasgehalt, auf die Tätigkeit der Atemzentren ausübt, ist Gegenstand einer sehr grossen Zahl von Untersuchungen gewesen. Man kann nicht behaupten, dass die Aufklärung dieses interessanten und in vielfacher Hinsicht bedeutungsvollen Problems mit seiner Bearbeitung gleichen Schritt gehalten hätte; ich möchte mich daher darauf beschränken, zur Illustration des gegenwärtigen Standes unserer Kenntnisse bloss diejenigen Arbeiten anzuführen, denen wir eine entscheidende Förderung dieses Problems verdanken, und in denen im übrigen auch der grösste Teil: der sonstigen Literatur sich zitiert findet. Wir können zweckmässig zwischen zwei ‚Grundfragen unter- scheiden, die aber offenbar im engsten Zusammenhange miteinander stehen, der Frage nach der Ursache der Dyspnoe und jener der Apnoe. Die Grundlage der Bearbeitung der ersteren Frage bildet die Arbeit Pflüger’s?), der im Jahre 1868 den Nachweis lieferte, dass sowohl die Verminderung des O,- wie die Steigerung des CU,- Gehaltes des Blutes eine dyspnoische Verstärkung der Atmungs- tätiekeit nach sich zieht.. Über diese Feststellung sind die folgenden Arbeiten trotz aller Bemühungen, die Dyspnoe auf einen dieser Faktoren allein zurückzuführen, nicht hinausgekommen. Pflüger war es auch, der zur Erklärung der paradoxen Tatsache, dass der Mangel eines Stoffes eine erregende Wirkung ausübt, die geistvolle 1) Die Versuche wurden kurz mitgeteilt am achten intern. Physiologen- kongress zu Wien. 2) E. Pflüger, Über die Ursache der Atembewegungen, sowie der Dyspnoe und Apnoe. Pflüger’s Arch. Bd. 1 S.61. 1868. 168 Hans Minterstein: Hypothese aufstellte, dass nicht der O-Mangel als solcher, sondern unter seinem Einfluss im Körper sich anhäufende Produkte unvoll- kommener Oxydation die unmittelbare Ursache der Dyspnoe darstellen. Im Jahre 1877 zeigte Walther!), dass die Injektion von Säuren (HCI) durch die damit verbundene Verminderung der Blut- alkalinität eine Reizung und darauffolgende Lähmung des Respirations- zentrums hervorrufen, die durch rechtzeitige Zufuhr von Alkali wieder behoben werden kann. Hierbei war der O,-Gehalt des Blutes unverändert, der CO,-Gehalt stark herabgesetzt. Eine Be- stätigung der Pflüger’schen Hypothese über das Zustandekommen der O,-Mangel-Dyspnoe brachten die Untersuchungen von Geppert und Zuntz?) durch den Nachweis, dass unabhängig von den Änderungen des Gasgehaltes des Blutes bei intensiver Muskeltätickeit eine offenbar auf abnorme oder in abnormer Menge sich anhäufende Stoffwechselprodukte zurückzuführende Erregung der Atemzentren eintritt: Loewy°) suchte durch sinnreiche Experimente darzutun, dass es sich hierbei um leicht oxydable, im Körper rasch der Zer- störung anheimfallende Stoffe handeln müsse, und Lehmann) kam auf Grund von Versuchen mit künstlicher Herabsetzung der Blut- alkalinität durch Säureinjektion zu dem Schluss, „dass die durch die Muskeltätigkeit erfolgende Acidulierung des Blutes einen sehr er- heblichen Anteil an der Erregung des Atemzentrums haben muss“. Einen noch direkteren Beweis für die Erregung des Atemzentrums durch bei der Tätigkeit gebildete Stoffe lieferte Mosso°) durch den Nachweis, dass das Blut eines tetanisierten Hundes, das einem in Narkose befindlichen anderen Hunde injiziert wird, bei diesem Beschleunigung des Herzschlages und Dyspnoe erzeugt. Den letzten bedeutsamen Fortschritt in der Erkenntnis der Regulation der Atmung und der Ursache der Dyspnoe verdanken wir englischen Forschern. Die vorangehenden Untersuchungen litten zum Teil unter dem Mangel, dass nur der Gasgehalt, nicht aber die 1) F. Walther, Untersuchungen über die Wirkung der Säuren auf den tierischen Organismus. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 7 S. 148. 1877. 2) Geppert und Zuntz, Über die Regulation der Atmung. Pflüger’s Arch. Bd. 42 S. 189. 1888. 3) A. Loewy, Beitrag zur Kenntnis der bei Muskeltätigkeit gebildeten Atemreize. Pflüger’s Arch. Bd. 42 S. 231. 4) C. Lehmann, Über den Einfluss von Alkali und Säure auf die Eiregane des Atemzentrums. Pflüger’s Arch. Bd. 42 S. 234. 5) A. Mosso, Die Ermüdung. Deutsche Ausgabe S. 119. Leipzig 1892. Die Regulierung der Atmung durch das Blut. 169 Gasspannung des Blutes berücksichtigt wurde, ein Fehler, der be- sonders für die Kohlensäure bedenklich ist, da hier bei Änderungen der Blutalkalinität CO,-Gehalt und CO,-Druck sehr wohl Änderungen in entgegengesetztem Sinne erfahren können, und das für die Funktion der Atemzentren maassgebende Moment zweifellos von dem Gas- druck und nicht von dem Gasgehalt dargestellt werden muss. Haldane!) beschrieb nun eine einfache Methode zur direkten Be- stimmung der Zusammensetzung der Alveolarluft des Menschen, auf Grund deren eine Reihe von Untersuchungen über die Beziehung zwischen dem Gasdruck der Alveolarluft und der Tätigkeit der Atemzentren ausgeführt wurden, die unsere Kenntnisse in wertvoller Weise geklärt und bereichert haben. Sehon frühere Untersuchungen, besonders von Zuntz?), haben die grosse Empfindlichkeit der Atemzentren gegen Änderungen des CO,-Gehaltes der Einatmungsluft festgestellt. Haldane und Priestley (l. ec.) deckten nun die Tatsache auf, dass der CO,-Druck der Alveolarluft für jedes Individuum unter normalen Bedingungen annähernd konstant ist, und dass die Empfindlichkeit der Atem- zentren gegen Änderungen dieses CO,-Druckes eine so ausserordent- liche ist, dass eine Steigerung desselben um nur 0,2°o eine Ver- doppelung der Lungenventilation herbeiführt. Erscheint auf Grund der Untersuchungen dieser Autoren ihre Schlussfolgerung auch be- rechtigt, dass unter normalen Bedingungen der CO,-Druck der Alveolarluft und damit der des Blutes den maassgebenden Faktor für die Regulation der Atmung darstellt, so lehrten doch die darauf- folgenden Untersuchungen wieder, dass unter allen Bedingungen eines gewissen O-Mangels, mag dieser nun durch Anhalten des Atems [Hill und Flack°)], durch Herabsetzung des Luftdruckes in der pneumatischen Kammer [Boycott und Haldane)], oder im Hochgebirge [|Ward?°)| oder schliesslich durch starke Muskel- 1) J. S. Haldane and J. G. Priestley, The regulation of the lung- ventilation. Journ. of Physiol. vol. 32 p. 226. 1905. 2) N. Zuntz, Über die Bedeutung des Sauerstoffmangels und der Kohlen- säure für die Innervation der Atmung. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1897 S. 379. 3) L. Hill and M. Flack, The effect of excess of carbon dioxide and of want of oxygen upon the respiration and the circulation. Journ. of Physiol. v0l..37 p. 77. 1908. 4) A. E. Boycott and J. S. Haldane, The effect of low atmospheric pressures on respiration. Journ. of Physiol. vol. 37 p. 355. 1908. 5) R.O. Ward, Alveolar air on Monte Rosa. Journ. of Physiol. vol. 37 p. 378. 170 Hans Winterstein: arbeit [Pembrey und Cook!), Douglas und Haldane?)] er- zeugt sein, dieser eleichfalls für die Regulierung der Atmung Be- deutung besitzt, da unter diesen Bedingungen eine Erregung der Atemzentren schon bei viel geringerem CO;-Druck, bzw. nach Ein- atmung Ö-reicher Gemische erst bei höherem CO,-Druck als vorher eintritt ([vgl. auch Leimdörfer?)]. Ja, nach Hough‘) würde sogar die Steigerung des O-Gehaltes der Einatmungs- luft über die Norm entgegen den bisherigen Angaben eine Wirkung ausüben und eine Verminderung sowohl des Minuten- volumens wie der Atemfrequenz herbeiführen. Um die Wirkung des O-Mangels mit seiner Theorie von der alleinigen Regulierung der Atmung durch den CO,-Druck in Ein- klang zu bringen, machte Haldane (Boycott and Haldane, l. e.) die Annahme, dass die unter den Bedingungen des O-Mangels auftretenden sauren Produkte unvollkommener Oxydation die Reiz- schwelle für die Wirkung der Kohlensäure herabsetzen, die somit jetzt bereits bei geringerem Dıiucke zu wirken vermag, eine Auf- fassung, die im wesentlichen auch von Leimdörfer?) geteilt wird und im Prinzip völlig identisch ist mit der schon 1870 ge- äusserten Anschauung Hermann’s?’), dass die Kohlensäure der alleinige Regulator der Atmung sein könne, wenn man annehme, dass „der Grad ihrer Wirksamkeit in hohem Maasse von dem gleich- zeitigen O-Gehalt des Blutes abhängt“; wir wollen später noch auf eine Kritik dieser Vorstellung eingehen. — Dass die Kohlensäure auch unter den Bedingungen des O-Mangels für die Funktion der Atemzentren von grosser Bedeutung ist, ergab sich aus der über- raschenden Feststellung ven Haldane und Poulton‘), dass die ee Wirkung des O-Mangels und vor allem die starke ) M. S. Pembrey and F. Cook, The influence of oxygen upon respira- tion. Journ. of physiol. vol. 37. 1908; Proc. physiol. Soc. p. 41. 2) C.G. Douglas and J.S.Haldane, The regulation of normal ie Journ. of Physiol. vol. 38 p. 420. 1909. 3) A. Leimdörfer, Über die Gasspannung in der Lunge, bei der zwingend ein neuer Atemzug ausgelöst wird. Biochem. Zeitschr. Bd. 22 S. 45. 1909. 4) Th. Hough, The influence of increase of alveolar tension of oxygen etc. Amer. journ. of physiol. vol. 26 p. 156. 1910. 5) L. Hermann, Untersuchungen aus dem physiologischen Laboratorium in Zürich. Pflüger’s Arch. Bd.3 8.8. 1870. 6) J. S. Haldane and E. P. Poulton, The effects of want of oxygen on respiration. Journ. of physiol. vol. 37 p. 390. 1908. Die Regulierung der Atmung durch das Blut. 171 Hyperpnoe in Fortfall kommt, wenn man durch foreierte Atmung die Kohlensäure aus dem Blute auswäscht; unter diesen Bedingungen kann unter Umständen völlige Bewusstlosigekeit eintreten, ohne dass eine nennenswerte Beschleunigung der Atmung oder sonstige sub- jektive Symptome zur Beobachtung kommen. So würde nach Haldane und Poulton die Kohlensäure auch unter den Be- dingungen des O-Mangels die souveräne Rolle des Regulators spielen, die sie wohl nur in den letzten Stadien der Asphyxie oder der Säurevereiftung einbüsse. In völlig übereinstimmendem Sinne mit der Erkenntnis der aus- lösenden Faktoren der dyspnoischen Erregung der Atemzentren ent- wickelte sich unsere Kenntnis von dem Zustandekommen der Apnoe., Obwohl die Rosenthal’sche Zurückführung der durch künstliche Ventilation erzeugten Apnoe auf übermässige O-Aufnahme auch heute noch in manchen Lehrbüchern figuriert, konnte doch Miescher') bereits im Jahre 1885 auf Grund seiner Zusammen- stellung der einschlägigen Literatur mit vollem Recht den Schluss ziehen, dass diese Theorie experimentell widerlegt sei. Miescher hat als erster scharf zwischen der durch Reflexhemmung erzeugten Apnoea vagi und der durch Änderung der Blutbeschaffenheit erzeugten Apnoea vera unterschieden, als deren Ursache er die Verminderung des CO,-Gehaltes des Blutes betrachtete. Da aber auch die Mög- lichkeit einer durch andere Nerven als die Vagi vermittelten Reflex- hemmung nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden kann, so müssen wir sagen, dass der einwandfreie Nachweis für die Existenz einer echten Apnoe erst durch Fredericq°) geliefert wurde, dem. es durch seine ingeniöse Methode der „eirceulation croisee“ gelang, durch die künstliche Ventilation des einen Tieres beim anderen Apnoe hervorzurufen. Fredericq war es auch, der als erster nicht bloss die Änderungen des Gasgehaltes, sondern die in Wahr- heit maassgebenden Änderungen der Gasspannung des Blutes in der Apnoe untersuchte und die starke Herabsetzung der CO,-Spannung nachwies, die auf weniger als die Hälfte des normalen Wertes ab- sinken konnte und offenbar das ursächliche Moment für das Zustande- kommen der Apnoe darstellte. Fredericq vermochte nicht durch 1) F.Miescher-Rüsch, Bemerkungen zur Lehre von den Atembewegungen. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1885 S. 355. 2) L. Fredericq, Sur la cause de l’apnee. Arch. de Biol. t. 17 p. 561. 172 Hans Winterstein: künstliche Steigerung der Blutalkalinität Apnoe herbeizuführen; aber später gelang es seinem Schüler Hougardy!) durch intravenöse Injektion CO,-bindender Substanzen wie NaOH oder Na,;C0O, (nicht aber bei Injektion von NaCl oder NaHCO,) eine kurz dauernde Apnoe zu erzeugen und die dabei eintretende Verminderung der CO,-Spannung tonometrisch festzustellen. Ja, Mosso?) vermochte bei tief narkotisierten Hunden auf diesem Wege sogar Atempausen von mehr als 2!/s Min. Dauer hervorzurufen. In völliger Über- einstimmung hiermit standen die Versuche von Mosso°), sowie von Haldane und Priestley (l. cc.) und von Haldane und Poulton (1. e.) über die Erzeugung von Apnoe beim Menschen durch Auswaschen der Kohlensäure aus dem Blute durch foreiertes Atmen, eine Apnoe, die selbst unter den Bedingungen eines gewissen Ö-Mangels hervor- gerufen, dagegen durch Zusatz von CO, zur Einatmungsluft ver- hindert werden konnte. Mosso*) beschrieb allerdings auch eine dureh Sauerstoff erzeugte Apnoe, welche bei Tieren dann auftrat, wenn nach vorangegangener O-Mangel-Dyspnoe plötzlich reichlich Sauerstoff zugeführt wurde. Es liegt aber auf der Hand, dass diese Apnoe nur scheinbar auf der O-Zufuhr beruht, und in Wahrheit, wie Haldane und Priestley mit Recht ausführen, dadurch zu erklären ist, dass erst nach Beseitigung des die Atemzentren erregenden O-Mangels die durch die vorangegangene dyspnoische Atmung be- dingte Auswaschung der Kohlensäure Apnoe auszulösen vermag. Fassen wir die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen zu- sammen, so können wir sagen, dass aus ihnen unzweifelhaft hervor- geht, dass die Kohlensäure einen wichtigen, innerhalb gewisser Grenzen vielleicht sogar den einzigen chemischen Regulator der Atmungstätig- keit darstellt, und dass bei Absinken des CO,-Druckes unter ein ge- wisses Maass die Tätigkeit der Atemzentren aufhört; dass ferner auch dem O-Mangel, dort wo er eben besteht, eine bedeutungsvolle Rolle bei der Regulation der Atmung zukommt. Diese beiden Momente auf eine einheitliche Ursache zurückzuführen, ist bisher nicht geglückt. Die 1) A. Hougardy, Apnee par injection intraveneuse de soude chez le chien et le lapin. Arch. internat. d. physiol. t.1 p. 17. 1904. 2) A. Mosso, L’acapnie produite par les injections de soude dans le sang. Arch. ital. d. biol. t. 42 p. 186. 1904. 3) A. Mosso, La physiologie de l’apnee etudiee chez l’homme. Arch. ital. d. biol. t. 40 p. 1. 1903. 4) A. Mosso, L’apnee produite par l’oxygene. Arch. ital. d. biol. t. 41 p- 138. 1904. Die Regulierung der Atmung durch das Blut. 173 Annahme, dass die bei O-Mangel auftretenden Produkte unvoll- kommener Oxydation die Reizschwelle für die Kohlensäure herab- setzen, vermag ich nicht als eine solche Zurückführung anzusehen. Denn erstens scheint diese Annahme gar nicht zuzutreffen, da nach Angabe Mosso’s!) gerade umgekehrt die erregende Wirkung der Kohlensäure unter dem Einfluss des O-Mangels ab- und nicht zu- nimmt, und zweitens bedeutet sie im Grunde doch nur eine Um- schreibung der Tatsache, dass eben nicht bloss die Kohlensäure, sondern auch die Produkte des O-Mangels die Atemzentren erregen, und dass die Wirkung beider Faktoren sich zu summieren vermag. 2. Methodik. Bei der grossen, die Deutung der Versuchsergebnisse in hohem Maasse erschwerenden Komplikation, die die natürlichen Bedingungen der Atmung und des Kreislaufs mit sich bringen, erschien es mir in hohem Maasse wünschenswert, eine Methodik zu gewinnen, die mit Umgehung dieser Schwierigkeiten eine direkte Untersuchung des Einflusses gestattet, den die Beschaffenheit der die Atemzentren umspülenden Flüssigkeit auf deren Funktion. ausübt. Dieses Be- streben führte mich zurück zu dem schon früher von mir und auch von anderen vergeblich studierten Problem, das Zentralnervensystem des Warmblüters durch künstliche Durchspülung am Leben zu er- halten. Die grosse Widerstandsfähigkeit, die wie längst bekannt, neugeborene Tiere gegen Asphyxie zeigen, brachte mich auf den Gedanken, solche als Versuchsobjekte zu verwenden. In der Tat waren diese Versuche von Erfolg gekrönt. Zwar gelang es durch körperwarme Lösungen die Reflexerregbarkeit nur für ganz kurze Zeit, 10—15 Min., zurückzurufen, bei Verwendung von Lösungen von Zimmertemperatur (16—24° C.) dagegen konnten Kanin- chen im Alter von 4—8 Tagen bei künstlicher Durchspülung mit Ringer-Lösung, mit oder ohne Blutzusatz, mehr als eine Stunde am Leben erhalten werden. Indem ich bezüglich der Einzelheiten auf meine an anderer Stelle gegebene Schilderung der Methode verweise?), möchte ich 1) A. Mosso, Que la sensibilit€e pour l’anhydride carbonique inspire diminue sur les montagnes. Arch. ital. d. biol. t. 41 p. 426. 1904. — Dans la de- pression barometrique la sensibilite pour l’anhydride carbonique diminue. Arch. ital. d. biol. t. 41 p. 438. 2) H. Winterstein, Das Überleben neugeborener Säugetiere bei künst- licher Durchspülung. Wiener med. Wochenschr. 1910 Nr. 39. 174 Hans Winterstein; hier nur kurz ihr Prinzip auseinandersetzen. Das Verfahren ist im wesentlichen das gleiche, wie es von Verworn!) zum Studium der Nervenzeutren des Frosches angegeben wurde, und besteht darin, dass die auf ihre Wirkung zu untersuchende Flüssigkeit durch eine in den peripheren Stumpf der unmittelbar bei ihrem Austritt aus dem Herzen durchschnittenen Aorta eingebundene Kanüle unter entsprechendem Druck durch den ganzen Körper getrieben wird, den sie durch den angeschnittenen rechten Vorhof wieder verlässt. Zur Durchspülung dient am bequemsten ein Langendorff’scher Herzdurchströmungsapparat. Die verwendete Ringer-Lösung hatte die folgende prozentige Zusammensetzung: NaCl 0,9; CaCl, (wasser- haltig) 0,047; KCl 0,042. Von einem Zusatz von NaHCO, wurde aus Später zu erörternden Gründen im allgemeinen Abstand ge- nommen; seine Anwesenheit scheint im übrigen keinen Vorteil zu bieten. Die Ursache für das schliessliche Erlöschen der Erregbar- keit lässt sich zunächst nicht mit Sicherheit angeben. Bemerkenswerter- weise liess sich, wie schon an anderer Stelle (l. ec.) erwähnt, von dem Zusatz von Blut kein günstiger Einfluss auf die Erhaltung des Lebens gegenüber der Durchspülung mit reiner O-gesättigter Ringer-Lösung feststellen. Die Ursache für das Schwinden der Erregbarkeit kann also nicht in O-Mangel gesucht werden. Viel- leicht liegt sie in der allmählichen Ausbildung der Ödeme, die von einer Alteration der Gefässwände herrühren dürften, da sie bei schädigender Beschaffenheit der Lösung sieh besonders rasch ent- wickeln. 3. Versuchsergebnisse. Nach Herstellung der künstlichen Durchspülung mit einer O-ge- sättigten Ringer- Lösung (mit oder ohne Blutzusatz) von Zimmer- temperatur kehrt die während der Operation mehr oder minder vollständig geschwundene Reflexerregbarkeit meist ausserordentlich rasch, innerhalb 1—2 Minuten wieder zurück, oft zunächst ein- geleitet von tiefen, dyspnoischen Atembewegungen, die nicht selten von Bewegungen des ganzen Tieres gefolgt werden. Dann tritt eine Beruhigung ein, und es verschwindet bei ausreichender Strömungs- geschwindigkeit (ca. 30—50 eem pro Minute) mit den Bewegungen auch die Atmung des Tieres. Es besteht dann während der ganzen 1) M. Verworn, Ermüdung, Erschöpfung und Erholung der nervösen Zentra des Rückenmarkes. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1900 Suppl. S. 152. Die Regulierung der Atmung durch das Blut. 175 Dauer der Durchspülung vollkommene Apnoe!), die meist nur bei spontanen oder durch künstliche Reizung hervorgerufenen Be- wegungen des Tieres eine Unterbreehung durch einige Atmungen erfährt. Während dieser Apnoe ist die Reflexerregbarkeit für mechanische Reizung in der ersten Zeit der Durchströmung (ca. 30 Min.) vorzüglich erhalten). Wird die Durchspülung abgestellt oder die Strömungsgeschwindigkeit zu sehr verlangsamt, so treten alsbald tiefe, mit Aufsperren des Maules verbundene Atem- bewegungen auf. Abstellung oder Verlangsamung der Durchspülung erzeugen so- wohl O-Mangel wie CO,-Anhäufung, und es handelt sich jetzt um die Differenzierung dieser beiden Faktoren: Setzt man zu der O- haltigen Lösung etwas mit CO, gesättigte Lösung hinzu, so treten bei reiehlichem Zusatz sogleich tiefe Atembewegungen und starke Unruhe des Tieres auf, die dann Unerregbarkeit infolge von COs- Narkose Platz machen, bei geringem Zusatz (ca. 2—3/o, so dass, da der Absorptionskoeffizient der CO, annähernd —= 1 ist, die Durch- spülungsflüssickeit jetzt ca. 2—3 Vol.-%/o enthält und — bei Ver- wendung reiner Ringer-Lösung — einen CO,-Druck von ca. 2—3 Io einer Atmosphäre aufweist) dagegen bleiben (der niederen Tempe- ratur entsprechend) langsame, völlig rhythmische Atembewegungen ohne irgendwelche Reizerscheinungen bestehen. Aus diesen Versuchen ergibt sich also, dass bei kontinuierlicher Durehströmung mit einer Flüssigkeit von sehr geringem CO,-Druck andauernd Apnoe besteht, die bei Zusatz von etwas Kohlensäure einer rhythmischen Atmung Platz macht. Wie verhält es sich nun mit dem O-Mangel? Zur Erzielung desselben wurde entweder reine Ringer-Lösung verwendet, die (in manchen Versuchen nach vorangegangener Erwärmung und Aus- pumpung mit der Wasserstrahlpumpe) durch mehrstündiges Durch- 1) Merkwürdigerweise gibt H. Aronson (Über die Apnoe bei Kaltblütern und neugeborenen Säugetieren. Arch. f. [Anat. u.| Physiol. 1885 S. 267) an, dass sich bei neugeborenen Kätzchen durch künstliche Atmung mit dem Blasebalg keine Apnoe hervorrufen lässt. 2) Dass die Erregbarkeit der übrigen Zentren auch der erwachsenen Tiere bei der durch künstliche Atmung erzeugten Apnoe keine nachweisbare Verminde- rung aufweist, habe ich schon an anderer Stelle: gezeigt (Die Wirkung apnoi- sierender künstlicher Atmung auf die Erregbarkeit der Nervenzentren. Zenträlbl. f. P’hysiol. Bd. 24 S. 208. 1910.) Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 12 176 Hans Winterstein: leiten von Stiekstoff (meist der gewöhnliche, einige Prozent O, ent- haltende käufliche Stickstoff, in einigen Versuchen auch vorher durch Absorption des Sauerstoffs gereinigter Stickstoff) O-arm gemacht worden war, oder mit Blut versetzte Ringer-Lösung, durch die mehrere Stunden lang Leuchtgas geleitet worden war; die Einspülung erfolgte in beiden Fällen unter Stiekstoffdruck. Die Resultate stimmten bei beiden Versuchsarten völlig überein: Bei Durchspülung mit einer O-armen Lösung ist das Verhalten der Atmung ganz das gleiche wie mit O-gesättigter Lösung. Eine Unterbrechung der Apnoe tritt nicht ein, sondern ohne irgendwelche spontane Erregung sinkt die Reflexerregbarkeit und erlischt schliesslich. Treten in einzelnen Fällen spontan Atembewegungen auf, so können sie durch Ver- stärkung der Durchströmungsgesehwindigkeit meist gleich wieder zum Verschwinden gebracht werden. Nach Erlöschen der Reflexerreo- barkeit kann durch rechtzeitige Zufuhr O-haltiger Lösung meist wieder Erholung herbeigeführt werden. Als Beispiele seien die folgenden Versuchsprotokolle wiedergegeben: Versuch Nr. 47. 27. Mai 1910. Kaninchen, 7 Tage alt. 10h 40’. Beginn der Durchspülung mit O;-haltiger Ringer-Lösung (O-R.-L.). 10h 44’. Reaktion mässig; keine spontane Atmung. i0h 45’. Durchspülung mit O,-armer Ringer-Lösung unter N-Druck (N-R.-L.). 10b 47’. Ganz leichte Unruhe; Erhöhung des Druckes der Einspülung, dann völlig ruhig. 10h 50’. Zwei tiefe Atmungen; weitere Verstärkung der Durchströmung; dann keine spontane Atmung mehr. 10h 53’. Reaktionen schwach; auf Reiz 1 Atmung. 10h 57’. Auf Reiz ganz schwache Atembewegung, sonst keine Reaktion mehr. 11h. Völlig reaktionslos; O-R.-L. 11h 4’. Ganz schwache Reaktionen. 11h 5’. Spontane schwache Kopfbewegungen, auf Reiz deutliche Reaktionen. 11h 7’. Reaktion schwach; starke Ödeme; Durchspülung abgestellt; sehr bald‘ treten einzelne Atembewegungen auf, dann frequente tiefe Atmung. 11h 11’. Keine Atmung mehr; Versuch abgebrochen. Versuch Nr. 57. 22. Juni 1910. Kaninchen, ca. 5—6 Tage alt. 125 26’. Beginn der Durchspülung mit O-R.-L. mit geringem Blutzusatz. 12h 27'. Reaktionen gut, keine Atmung. 125.28’. Unruhe des Tieres, schnappende Bewegungen des Maules. 12h 29'. Starke Uuruhe, schnappende Bewegungen des Maules, Reaktionen gut. 12h 30’. N-R.-L. Das Tier wird ruhig. 12h 32’. 12h 40". 12h 42'. 12h 45”. 12h 46’. 12h 47”. 12h 52°. 12h 56°. 22. 5h 38". 5h 50’. 5h 55". 6h, 6h 2. 6h 5”. 21 11h 45’. 11h 48’. 11h 50'. 11b 51’. 11h 52”. 12h 6. 12h 12°. 12h 14'. Die Regulierung der Atmung durch das Blut. E77 Tier die ganze Zeit völlig ruhig, keine Atmung, auf schwachen Reiz kräftige Reaktion. Verhalten das gleiche, auf starken Reiz noch deutliche Reaktion. Verhalten das gleiche, Reaktionen schwächer. Verhalten das gleiche, auf Reiz 1 Atmung und schwache Reaktion des Kopfes und einer Hinterextremität; hierauf O-R.-L. mit Blut (gleiche Lösung wie zu Beginn). Es treten spontane Atmungen auf. Auf Reiz lebhafte Reaktion des ganzen Tieres, ab und zu Atmung. Unruhe und Bewegungen des Tieres; auf Reiz lebhafte Reaktion. Lebhafte Bewegungen des Tieres und sehr lebhafte Reaktionen auf Reiz. Versuch 19. September 1909. Kaninchen 6 Tage alt. Beginn der Durchspülung mit O-R.-L. mit Blutzusatz (1:10); es treten bald dyspnoische Atembewegungen auf, die vorher erloschenen Reaktionen kehren zurück, dann hört die spontane Atmung auf. Atmung nur auf Reiz, Reaktionen sehr gut ; Durchspülung mit CO- Blut-R.-L. (Die obige Blut-Lösung nach Durchleitung von Leuchtgas.) Es tritt keine Atmung auf; erst Unruhe der Beine, dann völlig ruhig. Auch auf Reiz keine Atmung, Reaktionen schwächer. Verhalten das gleiche, Reaktionen kaum wahrnehmhar; gewöhnliche Blut-O-R.-L. Spontane Bewegungen, deutliche Reaktionen. Keine Atmung, von überall gute Reaktionen auslösbar. Versuch 53. . Juni 1910. Kaninchen, ca. 4—5 Tage alt. 11h 36’, 11h 40. 11h 41’. Beginn der Durchspülung mit O-R.-L. mit Blutzusatz (1: 20). Reaktionen gut, Atmung nur auf Reiz. CO-Blut-R.-L. (Die obige Blutlösung nach Durchleitung von Leuchtgas.) Leichte Muskelzuckungen, später Zuckungen der hinteren Extremitäten, einmal eine kurze Inspirationsbewegung. Auf Reiz nur schwache Reaktionen. Reaktionen minimal, keine Atmung. Minimale Reaktion einer Hinterextremität; gewönliche Blut-O-R.-L. Ganz leichte Bewegungen. Deutliche Reaktionen. Deutliche Reaktionen, Zusatz von (O,-gesättigter Blutlösung zu der Durchspülungsflüssigkeit; es tritt starke Unruhe ein und tiefe, krampf- haft-dyspnoische Atembewegungen; diese bleiben bestehen. Verhalten das gleiche; Durchspülung mit CO;-freier R.-L. Atmung hat aufgehört, Reaktionen deutlich. Diese Versuche beweisen auf das klarste, dass der O-Mangel als solcher in der Tat keine erregende Wirkung ausübt. Wenn auch 12% 178 Hans Winterstein: die sonst die O-Mangel-Dyspnoe erzeugenden Erstiekungsstoffe unter diesen Versuchsbedingungen keine Erregung der Atemzentren be- wirken, so liegt dies sehr wahrscheinlich daran, dass sie sich eben nicht anhäufen können, weil sie Kontinuierlich wieder ausgespült werden. Es ist auf Grund zahlreicher Untersuchungen nicht zu bezweifeln, dass die bei O-Mangel als Produkte unvollkommener Oxydation auf- tretenden Erstickungsstoffe zum Teil Säuren sind: Es ist fest- gestellt, dass unter den Bedingungen des O-Mangels der Gesamt- organismus uud speziell die Muskeln Milchsäure bilden und dass die Alkalinität des Blutes abnimmt [Galeotti!), daselbst auch die übrige Literatur]. Für das Zentralnervensystem speziell hat schon Langendorff?) das Auftreten saurer Reaktion bei Erstickung und die Wiederkehr der alkalischen Reaktion bei Erholung von derselben nachgewiesen, und neuerdings haben Douglas und Haldane?) eine Angabe von Hopkins mitgeteilt, welcher im Zentralnerven- system das Auftreten von Milchsäure infolge von O-Mangel und ihr Verschwinden in Gegenwart von freiem Sauerstoff beobachtet haben will. Auf Grund dieser Feststellungen erscheint zur Erklärung der O-Mangel-Dyspnoe der Gedanke naheliegend,, dass die Acidulierung des Blutes als solehe die Atemzentren zu erregen vermöge, eine Vorstellung, die, wie wir gesehen haben, in der Tat schon mehrfach ventiliert wurde (vgl. besonders Walther, ].c., Lehmann, |. c.). Ein direkter Beweis für diese Möglichkeit ist aber noch nicht er- bracht worden, denn die mit der bisher angewendeten Methode der Injektion von Säuren ins Blut gewonnenen Resultate müssten nicht notwendig auf die direkte Wirkung der Säuren zurückzuführen sein, sondern könnten auch auf einer hierdurch bewirkten Steigerung der CO,-Tension des Blutes oder einer durch Verminderung des C0;- Bindungsvermögens des Blutes veranlassten Anhäufung von CO, in den Zentren selbst beruhen. 1) G. Galeotti, Les variations de Palcalinit@ du sang sur le sommet du Mont Rosa. Arch. ital. d. biol. t. 41 p. 80. 1904. 2) 0. Langendorff, Zur Kenntnis der Zersetzungserscheinungen an den Muskeln und am Zentralnervensystem. Zentralbl. f. med. Wiss. 1882 Nr. 50. — Die chemische Reaktion der grauen Substanz. Neurolog. Zentralbl. 1885 Nr. 24. 89).C. G. Douglas and J. S. Haldane, The causes of periodic or Cheyne-Stokes breathing. Journ. of physiol. vol. 38 p. 400. .1909. Die Regulierung der Atmung durch das Blut. 179 Die Methode der künstlichen Durchspülung bietet anscheinend auch hier die Möglichkeit einer direkten Untersuchung, da der Säure- zusatz hier zu einer Durchspülungsflüssigkeit erfolgt, die bei Ver- wendung von Ringer-Lösung ohne NaHCO, weder gebundene Kohlensäure, die frei gemacht würde, noch CO;-bindende Substanzen enthält. Der ideale Beweis für die direkt erregende Wirkung von Säuren auf die Atemzentren wäre erbracht, wenn es gelänge, Säuren zu finden, die in bestimmter Konzentration, ohne irgendwelche Neben- wirkungen zu entfalten, die Atmung in der gleichen Weise wie ge- ringe CO,-Mengen rhythmisch zu erhalten vermöchten. — Das Be- streben, ein solches Mittel zu finden, war, wie es wohl auch nicht besonders verwunderlich erscheint, leider nicht von Erfolg gekrönt. Der Zusatz irgendwelcher Säuren in wirksamer Konzentration war stets von so grossen Schädigungen begleitet, dass die Einspülung immer nur auf ganz kurze Zeit erfolgen durfte. Immerhin gelang es in einer Anzahl von Versuchen, die erregende Wirkung einer sauren Beschaffenheit der Durchspülungsflüssigkeit deutlich zum Aus- druck zu bringen. Ich habe Versuche mit Weinsäure, Milchsäure, Mononatriumphosphat, Schwefelsäure und Salzsäure angestellt; die besten Resultate konnten mit der letzteren erzielt werden. Eine kurzdauernde Einspülung von Ringer-Lösung, der so viel HC] zugesetzt wurde, dass sie ca. "/ıcoo normal war, rief fast stets die Unterbrechung der Apnoe durch eine Reihe von Atembewegungen dyspnoischen Charakters hervor, meist begleitet von einer Unruhe des ganzen Tieres. Da auch die durch reflektorische mechanische Reizung des Tieres ausgelösten Bewegungen sehr oft von Atem- bewegungen begleitet werden, so habe ich auch. einige Versuche angestellt, in welchen die Wirkung einer %/ıooo HCI-R.-L. mit der- jenigen einer %/ıooo NaOH-R.-L. verglichen wurde. Es zeigte sich, dass die letztere, auch wenn sie eine Unruhe des Tieres veranlasst, doch meist keine Unterbrechung der Apnoe herbeiführt. Die bei Einspülung saurer Lösungen auftretenden Atembewegungen sind also mit grosser Wahrscheinlichkeit auf die direkte erregende Wirkung der Säuren zurückzuführen. Als Beispiele seien die folgenden Ver- suchsprotokolle wiedergegeben: Versuch 28. 30. März 1910. Kaninchen ca. 4 Tage alt. 10h 21’. Beginn der Durchspülung mit O-R.-L (ohne NaHC0,), bald rhythmische Atmung. 180 10h 24'. 105 27". 10h 28’. 10h 30’. 30. 11h 357. 11m 39’. 11h 40". 11h 41’. 24. 10h 48’. 10h 52”. 10h 53". 10h 54'. 10h 56’. 10h 57'. 10h 58’. 25. sh 15". 5h 20’. 5h 237. 5h 24', 53h 26’. 5h 28”. 17. DR 6h 4. 6h 8”. Hans Winterstein: Verstärkung der Durchströmung; die Atmung hört auf, Reaktionen gut. Abstellung der Durchspülung. Wiederbeginn der Atmung; neue Durchspülung, die Atmung hört gleich wieder auf. Auf einen Augenblick Einleiten von Ringer-Lösung, die 0,03 %o Weinsäure enthält; sogleich leichte Unruhe und krampfhafte Atem- bewegungen, die bei Herstellung der normalen Durchspülung rasch wieder aufhören. Die Reaktionen sind viel schwächer geworden. Versuch 29. März 1910. Kaninchen ca. 4 Tage alt. Beginn der Durchspülung mit O-R.-L. Reaktionen sehr gut, Apnoe. Einspülung von O-R.-L, die ca. 0,01 % Weinsäure enthält. Starke Un- ruhe, Atembewegungen. Normale Durchspülung; Unruhe und Atmung hören auf. Versuch 40. April 1910. Kaninchen ca. 4—5 Tage alt. Beginn der Durchspülung mit O-R.-L. Reaktionen gut, Apnoe. Einen Augenblick Einleiten von "/ıooo NaOH-R.-L., dann wieder normale Lösung. Leichte Unruhe, keine Atmung. Derselbe Versuch nochmals mit gleichem Erfolg. Reaktionen gut. Einen Augenblick Einleiten von “ıooo HOCI-R.-L., starke Unruhe und tiefe Atembewegungen; gleich darauf wieder normale Durchspülung. Reaktionen gut. Derselbe Versuch nochmals mit gleichem Erfolg. Versuch 4. April 1910. Kaninchen ca. 5—6 Tage alt. Beginn der Durchspülung mit O-R.-L. Reaktionen gut, Apnoe, nur auf Reiz Atmung. Vorübergehende Einspülung von "1000 NaOH-R.-L. Kaum merkliche Unruhe, keine Atmung, gleich darauf wieder normale Durchspülung. Reaktionen gut. Derselbe Versuch nochmals mit gleichem Erfolg. Der gleiche Versuch mit Wıooo HCI-R.-L. Leichte Unruhe und Atem- bewegungen. Dasselbe nochmals. Ganz geringe Unruhe, tiefe Atmungen, Reaktionen schwach. | Versuch Nr. 46. Mai 1910. Kaninchen ca. 4 Tage alt. Beginn der Durchspülung mit O-R.-L. Reaktionen gut. Kurzdauernde Finspülung von "/10o00 NaOH-R.-L. Keine Wirkung. Die Regulierung der Atmung durch das Blut. 181 6h 9’. Derselbe Versuch nochmals mit gleichem Erfolg. 65h 10’. Derselbe Versuch mit "ıooo HOI-R.-L. Unruhe und tiefe Atem- bewegungen. Reaktionen nachher wieder sehr gut. Derselbe Versuch noch zweimal mit gleichem Erfolg. Erscheint durch die vorangehenden Versuche der Nachweis ge- führt, dass Säuren unabhängig von allen Änderungen des CO;-Aus- tausches die Atemzentren zu erregen vermögen, so ist eine exakte Grundlage gegeben für die Vorstellung, dass auch die Regulation der Atmung durch die Kohlensäure nicht auf einer spezifischen Wirkung dieser Substanz, sondern einfach auf ihrer Natur als Säure beruhe, eine Möglichkeit, auf die gleichfalls schon mehrfach, so von Lehmann (l. ce.) und neuerdings von Hill und Flack (l. e.) und von L. J. Henderson!) hingewiesen wurde. Erkennt man diese Vorstellung als berechtigt an, so erscheint das vielumstrittene und widerspruchsvolle Bild der CO,-Vergiftung mit einem Schlage geklärt: Zahlreiche Versuche haben mich?) zu dem Ergebnis geführt, dass die spezifische Wirkung der Kohlensäure nicht eine erregende, sondern eine lähmende ist. Bei Fröschen liess sich, abgesehen von der reflek- torischen Erregung durch Reizung sensibler Nervenenden überhaupt keine erregende Wirkung der Kohlensäure nachweisen; dasselbe war bei Medusen der Fall, und die genauere Analyse der Erregungs- erscheinungen beim Warmblüter ergab, dass es auch hier keineswegs angeht, von einem Erregunges- und einem Lähmungsstadium zu sprechen, dass vielmehr die beiden 'entgegengesetzten Wirkungen gleichzeitig nebeneinander auftreten und ineinander übergreifen, ein Umstand, der mich zu dem Schlusse führte, dass unmöglich beide auf die direkte spezifische Wirkung eines Stoffes bezogen werden könnten, sondern die eine der beiden Wirkungsweisen, vermutlich die erregende, auf ein sekundäres Moment zurückzuführen sei. Dieses sekundäre Moment erscheint nunmehr in dem Charakter der Kohlen- säure als Säure gefunden; darnach setzt sich das Bild der Kohlen- säurevergiftung zusammen aus der erregenden Wirkung der Steigerung 1) L. J. Henderson, Das Gleichgewireht zwischen Basen und Säuren im tierischen Organismus. Ergebn. d. Physiol. Bd. 8 8. 318. 1909. 2) H. Winterstein, Über die Wirkung der Kohlensäure auf das Zentral- nervensystem. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1900 Suppl. S. 177. — Zur Kenntnis der Narkose. Zeitschr. f. allgem. Physiol. 1901 S. 19. — Über die Kohlensäure- dyspnoe. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 3 S. 359. 1904. — Wärmelähmung und Narkose. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 5 S. 323. 1905. 1823 Hans Winterstein: der Wasserstoff-Ionen-Konzentration, wie sie auch bei künstlicher Durehspülung mit HCI-Ringer-Lösung zur Beobachtung kommen, und aus der (besonders bei starken Dosen in den Vordergrund tretenden) spezifisch lähmenden Wirkung der Kohlensäure, die viel- leicht in der von Verworn (l. €.) angenommenen Weise durch eine auf Massenwirkung beruhende Verhinderung der CO,-Produktion erklärbar wäre. Mit der Zurückführung der Atmungsregulation durch die Kohlen- säure auf deren Natur als Säure erscheint aber auch das vielfache Bestreben, eine einheitliche Ursache für die Atmungsregulation zu finden, verwirklicht, und eine Theorie gegeben, die, soweit er- sichtlich, das ganze bisher vorliegende Tatsachenmaterial in einfacher und befriedigender Weise zu erklären vermag. Diese Theorie würde demgemäss lauten, dass weder der Sauerstoffmangel noch die Kohlensäurespannung als solche, sondern einzig und allein die Wasserstoff-Ionen-Konzentration des Blutes die chemische Regulierung der Atmung be- sorgen, indem die Erreebarkeit der Atemzentren mit der Konzentration der Wasserstoffionen innerhalb sewisser Grenzen parallel geht. Darnach erklärt sich die dyspnoische Steigerung der Atmungs- tätigkeit sowohl bei Anhäufung von Kohlensäure wie bei Sauerstoff- mangel «lurch die in beiden Fällen eintretende Steigerung des Wasser- stoff-Ionen-Gehaltes des Blutes, die im ersteren Falle von der CO;- Anhäufung, im zweiten von den sauren Produkten unvollkommener Oxydation herrührt. Als logische Notwendigkeit ergibt sich dann auch die algebraische Summierung dieser beiden Wirkungen, die in den Beobachtungen Haldane’s zum Ausdruck kommt, dass bei O-Mangel bereits ein geringerer CO,-Druck zur Erzielung der gleichen Erregung genügt, dass umgekehrt die Erregungserscheinungen des Ö-Maneels ausbleiben, wenn gleichzeitig durch foreierte Atmung die CO, aus dem Blute ausgewaschen wird, und dass das Alternieren dieser beiden Faktoren (O-Mangel und Akapnie) Cheyne-Stokes- sches Atmen erzeugt, wie Douglas und Haldane (l. ce.) in ihren interessanten Experimenten dargetan haben. — Sinkt der Wasser- stoff-Ionen-Gehalt des Blutes unter ein gewisses Maass, so erlischt die Erregbarkeit der Atemzentren völlig, und es tritt Apnoe ein; dies muss der Fall sein bei Auswaschen der Blutkohlensäure durch foreierte Lungenventilation (Akapnie), bei künstlicher Erhöhung der Blut- Die Regulierung der Atmung durch das Blut. 183 alkalinität durch Injektion von Alkali ebenso wie bei direkter Durch- spülung der Zentren mit CO,-armen Flüssigkeiten, im letzteren Falle auch bei O-Mangel, weil die entstehenden Erstickungsstoffe immer wieder entfernt werden und so die zur Funktion der Zentren er- forderliche H-Ionen-Konzentration nicht erreicht wird. Schliesslich sei noch eine interessante teleologische Betrachtung erwähnt, auf Grund deren gleichzeitie mit uns Perges zu einer ganz analogen Anschauung über die Regulation der Atmung selangt ist, die er in der Diskussion, die sich an die Mitteilung meiner Ver- suche am Wiener Physiologenkongress anschloss, sowie in einer kürz- lich erschienenen vorläufigen Mitteilung!) dargelegt hat: Porges und seine Mitarbeiter fanden, dass bei kardialer Dyspnoe und auch bei vielen mit Dyspnoe einhergehenden Erkrankungen der Atmungs- organe die CO,-Spannung des Blutes nicht, wie man erwarten könnte, erhöht, sondern herabgesetzt ist, dass somit die Dyspnoe in diesen Fällen durch O-Mangel, wahrscheinlich also durch Anhäufung saurer Produkte unvollkommener Oxydation, bedingt sein muss. Diese Ein- richtung erscheint nun vom Gesichtspunkte der O-Versorgung höchst unzweckmässig, da die Verstärkung der Lungenventilation bei nor- malem O-Gehalt der Alveolarluft keine nennenswerte Steigerung der O-Aufnahme bewirken kann, dagegen durch die vermehrte Tätigkeit der Atemmuskeln einen erheblichen Mehrverbrauch an Sauerstoff bedingen muss. Diese gewiss sehr unwahrscheinliche Schlussfolgerung, dass eine so leicht hervorzurufende Erscheinung wie die O-Mangel- Dyspnoe unzweckmässig sei, wird umgangen, wenn man annimmt, dass die Kohlensäure nur durch ihre Säurenatur als Atemreiz wirkt, und dass die durch die Acidulierung des Blutes bei O-Mangel erzeugte Hyperpnoe den Zweck hat, durch Auswaschen der CO, die Acidität des Blutes zu vermindern und die normale Reaktion wiederher- zustellen. — So vermag die Theorie, dass die Regulierung der Atmung durch die H-Ionen-Konzentration des Blutes erfolge, auch die unter pathologischen Bedingungen auftretenden Erscheinungen befriedigend zu erklären, und führt zugleich zu dem neuen und klinisch vielleicht sehr bedeutungsvollen Gesichtspunkt, dass die Atmung ein überaus empfindlicher Regulator der Reaktion des Blutes ist, deren Konstant- 1) ©. Porges, A. Leimdörfer und E. Markovici, Über die Regulation der Atmung in pathologischen Zuständen. Wiener klin. Wochenschr. Bd. 23 Nr. 40. 1910. 184 Hans Winterstein: Die Regulierung der Atmung durch das Blut. erhaltung für den normalen Ablauf der Lebenserscheinungen viel- leicht von ebenso grosser Wichtigkeit ist wie die Erhaltung des Gasaustausches. Zusammenfassung der Ergebnisse: 1. Die Methode der künstlichen Durchspülung überlebender neu- geborener Säugetiere ermöglicht eine direkte Untersuchung des Ein- flusses, den die Beschaffenheit der zirkulierenden Flüssigkeit auf die Atemzentren ausübt. 2. Bei Durchspülung mit einer Flüssigkeit von geringer CO,- Tension besteht dauernd Apnoe. 3. Der Zusatz von Kohlensäure zur Durchspülungsflüssigkeit erzeugt rhythmische Atmung. 4. Sauerstoffmangel, erzeugt durch Durchspülung mit O-armer Lösung, veranlasst keine Unterbrechung der Apnoe, sondern führt ohne Erregung zur Erstiekung. 5. Der Zusatz von Säuren zur Durchspülungsflüssigkeit vermag Atembewegungen hervorzurufen. 6. Es wird die Theorie aufgestellt, dass die chemische Regulation der Atmung durch die H-Ionen-Konzentration des Blutes erfolst, indem die Erregbarkeit der Atemzentren innerhalb gewisser Grenzen mit dieser parallel geht. Diese Theorie führt die ganze chemische Regulation der Atmung (die Erscheinungen des O-Mangels sowohl wie der CO,-Anhäufung und CO,-Verarmung) auf eine einheitliche Ursache zurück und ge- stattet eine befriedigende Erklärung des ganzen bisher vorliegenden Tatsachenmaterials. Pflüger’s Archiv für die ges. Physiologie. Bd. 188. Tafelek eegnseen sn neenge- WIEN Kies _ Ken. ‘ ’ \ P e r een / . er nee ie ee en en ee TREE EEE RE ge erlag von Martin Hager, Bonn. ‚uuog IOSRBH urIem UoA Se] Pte Bere er ham Bi Busen een uuenn:z “ Ze au ma a N 8 nn Bann Sa Ne ee a Tan Ph ne ea II TSJ8.L ger pa eiSojoisäyg SaZ alp any Alyoduy SJoanyd N30S343 SYNDOF @ H3R -uuog "LOS®H UINABM UOA SeNOA BE ERUEE: rer nn III TS4eL ‘Ser pg 'eıSojoisAyg 'seZ ap any Alypıy SJeSnyg (Aus dem physiologischen Institut der Universität Turin.) Versuche am künstlich durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde!) Von Amedeo Herlitzka. (Mit 16 Textfiguren.) Schon seit mehreren Jahren beschäftigte mich der Gedanke, eine Methode ausfindig zu machen, um das zentrale Nervensystem bei den Säugetieren durch eine künstliche Durchblutung längere Zeit funktionsfähig zu erhalten. Es wird wohl niemanden entgehen, dass das Vorhandensein solch einer Methode, wenn sie wirklich praktisch ist, für die Untersuchung so mancher Probleme wichtig werden kann; wie die entsprechenden auf das Herz angewandten Methoden unsere Kenntnisse in der allgemeinen Physiologie des Muskelgewebes so ungemein gefördert haben, so müsste auch für die Physiologie des zentralen Nervensystems eine Methode von Nutzen sein, die es ermöglichen würde, die Ernährung dieses Gewebes mittels künstlich geänderten und in ihrer Zusammensetzung be- kannten Flüssigkeiten zu bewerkstelligen. Bei den kaltblütigen Tieren sind zu diesem Zwecke schon verschiedene Methoden aus- gearbeitet worden, wie diejenigen von Ducceschi?), Baglioni?), Overton), Gies’) und Ries‘) beim Frosche, von Kuliabko’) 1) Vorliegende Versuche wurden schon vor über einem Jahre abgeschlossen {siehe darüber Herlitzka, Archivio di fisiologia vol. 6 p. 414. 1909), konnten aber aus äusseren Gründen nicht vorher zur Veröffentlichung gelangen. 2) V. Ducceschi, La Sperimentale vol. 52 p. 283. 1898. 3) S. Baglioni, Zeitschr. f. allgem. Physiol. 1904 S. 386. 4) E. Overton, Verhandl. d. Gesellsch. deutscher Naturforscher u. Ärzte, 75. Versamml. in Kassel. II. Teil. II. Hälfte 1904 S. 416. 5) W. Gies, Americ. Journ. of Physiol. vol. 9 p. 131. 1903. 6) J. Ries, Zeitschr. f. Biol. Bd. 47 S. 379. 1906. 7) A. Kuliabko, Archives internat. de Physiol. t. 4 p. 437. 1907. 186 Amedeo Herlitzka: bei dem Fische und von mir!) bei dem Frosche. Bei den Säuge- tieren sind auch manche Versuche angestellt worden, doch kenne ich keine, die den Anforderungen entspricht, welche an solch eine Methode gestellt werden dürfen. Diese Anforderungen sind haupt- sächlich folgende: 1. Das Nervensystem soll möglichst geschont werden; und vor allem soll seine Tätiekeit durch Unterbrechung des Blutkreislaufes nicht aufgehoben werden, so dass sich zu den von der künstliehen Ernährung bedingten Änderungen in der Funktionsfähigkeit des Nervensystems keine durch andere Eingriffe hervorgerufene Störungen gesellen. 2. Man soll immer darüber unterrichtet sein, welche Flüssigkeit durch das Nervensystem strömt. 3. Die Durchspülungsflüssigkeit soll in jedem Augenblicke geändert werden können. Die meisten Versuche über künstliche Durchblutung des Nerven- systems sind besonders der Frage gewidmet, ob und wie lange nach dem „Tode“ die Funktionsfähigkeit des Nervensystems wiederher- gestellt werden kann, und wie diese Wiederherstellung erfolet. Hier sei unter anderen an die Arbeiten von Hayem und Barbier’), an die von D’Halluin?), an meine eigene‘) und an die zahl- reichen von Pike, Guthrie and Stewart?’) erinnert. Die Durchspülungsversuche bei solchen Untersuchungen sind also für unsere Zwecke nicht verwertbar. Gies‘®) hat eine Methode aus- gearbeitet, die zwar der ersten oben gestellten Anforderung ent- spricht, bei der aber eine fortwährende Mischung der Durchspülungs- flüssigkeit mit dem Blute des Tieres erfolet, indem erstere durch die eine Jugularis zum Herzen gelangt, von dort zum Nervensystem und von diesem zurück ins Herz durch die zweite Jugularis. Die Mengenverhältnisse der Durchspülungsflüssigkeit und des Blutes wechseln also beständig in unbekannter Weise, und dementsprechend sind die von Gies erzielten Erfolge durchaus unbeständig. 1) A. Herlitzka, Archivio di fisiologia vol. 6 p. 369. 1909. 2) Hayem et Barbier, Archives de physiologie 1883 p.1. 3) D’Halluin, Resurrection du ceur. Paris, Vigot Freres. 1904. 4) A. Herlitzka, Archives ital. de biologie t. 44 p. 93. 1905. 5) Pike, Guthrie and Stewart, Americ. Journ. of Physiol. vol. 17 p. 344. 1907. — Pike and Stewart, Americ. Journ. of Physiol. vol. 19 p. 314. 1907, und vol. 20 p. 61. 1907. 6) a. a. 0. Versuche am künstl. durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. 187 Battelli!) hat Durchspülungsversuche mit Salzlösungen im Nervensystem des Meerschweinchens vorgenommen, doch nur eine Überlebungszeit von einigen Minuten erreicht. Müller und Ott?) haben die Unterbrechung der Durehblutung des zentralen Nervensystems vermieden, indem sie die Locke’sche Flüssigkeit, die sie zu ihren Versuchen benutzten, durch die Carotides einführen, von der Jugularis ableiten und erst nachher rechts die Suceelavia, links die A. anonyma unterbinden. Doch überlebte bei der Wahl der Spülungsflüssigkeit das Nervensystem nicht merklich. Pike, Guthrie and Stewart?) haben mittels einer unter beständigem Drucke erfolgenden Durchspülung des Nervensystems mit defibriniertem Blute die Reflexe und die motorische Reizbarkeit der Grosshirnrinde S bis 9 Min. lang aufrechterhalten können. Dieselben Forscher haben weiter beobachtet, dass wenn das nicht defibrinierte Blut in die Kopfgefässe eines Hundes durch das Herz eines anderen gefördert wird, so werden die willkürlichen Bewegungen 19 Min., der Cornealreflex 26 Min. und die Atmungsbewegungen 30 Min. überleben. Es ist kaum notwendig hervorzuheben, dass letztere Methode -—- die schon von Hayem und Barbier?) angewandt wurde — es nicht gestattet, eine beliebige Speisungsflüssigkeit zu wählen. Andererseits ist bei der Speisung unter beständigem Drucke die Überlebungszeit zu klein. Ich werde hier nicht auf alle meine Versuche eingehen, die keinen Erfolg hatten; ich werde unter diesen nur eine Methode be- schreiben, die mir zweckmässig erschien, die mir aber doch eine Enttäuschung bereitete. Dieser Methode liest der Gedanke zugrunde, das Blut durch die Brodie’sche Pumpe durch das Nervensystem zu schicken; ich führte eine Kanüle zentralwärts in die Aorta thoracica ein und pumpte durch diese das Blut, durch welches ich einen Sauerstoff- strom durchgeleitet hatte, in das Gefässsystem ein; daraufhin leitete ich das venöse Blut von dem zentralen Stumpfe der Cava inferior ab. Zuletzt wurde die Aorta ascendens und die Arteria 1) F. Battelli, Journ. de physiol. et pathol. gen. 1900 p. 993. 2) Müller und Ott, Pflüger’s Arch. Bd. 103.8. 493. 1904. 8) a:.2.0. 188 Amedeo Herlitzka: pulmonalis unterbunden. Die Speisung wurde mit defibriniertem Hundeblute vorgenommen. Auf diese Weise wurde der Blutkreislauf im oberen Teile des Zentralnervensystems nicht unterbrochen, und der Druck, der das Blut beförderte, war ein rhythmischer und kein beständiger, was ja bekanntlich bei allen Durchblutungsversuchen von grosser Wichtigkeit ist. i Obwohl man von vornherein von der Methode einen guten Erfolg erwarten musste, war in Wirklichkeit das nicht der Fall, wie aus den folgenden Versuchen hervorgeht. Deshalb gehe ich hier nicht auf Einzelheiten der Methode ein. Vor allem habe ich mir darüber Klarheit verschaffen wollen, wie sich der Blutdruck in den Arterien ändert, wenn das Blut gleichzeitig von dem Herzen und von der Pumpe in die Gefässe be- fördert wird. Zu diesem Zwecke habe ich das Blut mittels der Pumpe durch die eine Carotis herzwärts eingeleitet, während das venöse Blut von der Jugularis abgeleitet wurde. Zu gleicher Zeit wurde der Blutdruck in der Femoralis aufgezeichnet. Ich gebe hier zwei der so erhaltenen Kurven wieder, in welchen auch die Stösse der Pumpe aufgezeichnet sind. Das geschah mittels zwei miteinander verbundenen Marey’schen Trommeln. Die erste Kurve bezieht sich auf einen Hund, bei dem der mittlere Blutdruck 120 mm Hg betrug: die Pumpe arbeitete eben- falls unter demselben Drucke und zwar mit einem Rhythmus von 70 Stössen jede Minute. Wie leicht aus der Kurve ersichtlich ist, wird durch die Mitarbeit der Pumpe in diesem Falle gar nichts in der Kurve geändert; der Puls der Femoralis scheint unabhängig von dem Rhythmus der Pumpe zu sein. Anders aber verhalten sich die Sachen, wenn die Pumpe unter einem grösseren Drucke als das Herz arbeitet. Auf solch einen Fall bezieht sich die Kurve in Fig. 2. Hier war der Blutdruck ungefähr 66 mm Hg, und die Pumpe arbeitete unter einem Drucke von 130 mm Hg; wie aus der Kurve ersichtlich, steigt der Blutdruck gleich stark, sobald die Pumpe mit dem Gefäss- system verbunden wird, dann langsamer: die Blutdruckschwankungen werden sehr stark, der Rhythmus des Pulses nimmt bedeutend ab und sinkt unter dem der Pumpe eigenen Rhythmus; der mittlere Blutdruck erreicht 122 mm Hg. Es geht daraus hervor, dass beim Überwiegen des Druckes der Pumpe die Herztätigkeit stark verändert wird. Es ist natürlich nicht möglich, aus diesen Versuchen die mechanischen Einzelheiten dieser Veränderungen fest- Versuche am künstl. durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. 189 Fig. 1. Oben. Blutdruckkurve, unten Stösse der Pumpe (70 in 1 Min.). Das untere Ende der unteren Kurve befindet sich 20 mm höher als der Nullpunkt des Manometers. In + wird die Pumpe mit dem Gefässsystem verbunden. Fig. 2. Oben Blutdruckkurve, unten Stösse der Pumpe (70 in 1 Min... Das untere Iinde der unteren Kurve ist 17 mm höher als der Nullpunkt des Mano- meters. In « wird die Pumpe mit dem Gefässsystem verbunden. 190 Amedeo Herlitzka: zustellen, was übrigens nicht meine Absicht war; wir können indes daraus schliessen, dass die Herztätigkeit zum Teil mit der Pumpe zusammenwirkt, was sich in einer Vergrösserung der Pulsschwankungen kundgibt, zum Teil aber dessen Wirkungen aufhebt, wie aus der starken Verminderung der Zahl der Pulsschläge, welche unter die Zahl der Stösse der Pumpe sinkt, unzweifelhaft hervorgeht. Eine genauere Untersuchung über diesen Gegenstand wäre erwünscht; ich konnte mich aber damit nicht befassen, da ich andere Zwecke ver- folgte. Für diese genügte mir festgestellt zu haben, dass so lange der Druck in der Pumpe denjenigen des Arterien- systems nichtüberschreitet, die Herztätiekeit nicht gefährdet wird. Das zu wissen, war für mich von Wichtigkeit, denn so konnte ich getrost die Pumpe und das Herz im Anfange meines Versuches zusammen arbeiten lassen, ohne dadurch der Gefahr entgegenzugehen, dass der Blutkreislauf im Nervensystem gestört würde. Was die Erfolge meiner Versuche mittels der Brodie’schen Pumpe anbelangt, so kann ich mich kurz fassen, indem ich berichte, dass in den günstigsten Fällen (ich habe im ganzen sechs Ver- suche mit dieser Methode ausgeführt) die Atmung 17 Min. lang be- stand, während der Cornealreflex schon nach 12 Min. verschwunden war. Diese Zeiten wurden von der Unterbindung des Aortenstammes an berechnet. Durch diese Experimente wenig ermuntert, beschloss ich auf anderem Wege es zu versuchen, die Tätigkeit des Nervensystems aufrecht zu erhalten, und zwar indem ich meine beim Frosche mit Erfolg erprobte Zirkulationsmethode!) auch bei dem Säugetier, mutatis mutandis, anwandte. Diese Methode besteht wesentlich darin, dass dem Herzen die Speisungsflüssiekeit «eliefert, und diese vom Herz selbst weiter- befördert und durch das Venensystem wieder nach aussen abgeleitet wird. Im einzelnen gestaltet sich die Methode beim Frosche folgendermaassen: Der Frosch wird rücklings auf ein Brett befestigt und die Bauchwand der Länge nach, links von der Vena addominalis, die unversehrt bleiben muss, geöffnet; die vordere Brustwand wird abgetragen und der Herzbeutel weit ceöffnet. Daraufhin wird das Herz zurückgeschlagen und eine Schlinge um die Cava inferior ge- legt. Die beiden Cavae superiores werden unterbunden, die Cava 1) Archivio di fisiologia vol. 6 p. 369. 1909. Versuche am künstl. durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. 191 inferior aufgeschnitten und eine Kanüle in dieselbe in der Richtung . des Herzens eingeführt. Die Kanüle wird durch einen Schlauch mit einem .Gefässe verbunden, von welchem die Speiseflüssigkeit unter ganz geringem und konstantem Drucke in das Herz fliesst. Die Cavae superiores werden distalwärts von der Unterbindungsschlinge aufgeschnitten; zuletzt werden die Lungen -und die beiden Aortae deseendentes unterbunden. Auf diese Weise bildet das Herz einen Sack, der durch die Cava inferior .die Speisungsflüssigkeit empfängt und sie durch den Bulbus arteriosus in das Arteriensystem befördert; alle anderen Öffnungen des Herzens sind unterbunden. Durch die distalen Öffnungen der beiden Cavae descendentes gelingt die Speisungsflüssigkeit wieder nach aussen (die Einzelheiten dieser Methode möge man im Originale nachsehen). Wie man aus der mitgeteilten Methode leicht sieht, genügt dieselbe den Anforderungen, die wir oben für eine künstliche Durehspülung des Nervensystems gestellt haben. Der Druck ist kein beständiger, sondern ändert sich rhythmisch, da die Flüssiekeit durch die Herztätigkeit durch den Körper getrieben wird; letztere ist dem Rhythmus, der Kraft und der bei jedem Schlage beförderten Flüssigkeitsmenge nach eine durchaus normale; kurz, die Bedingungen, unter welchen die Flüssig- keit in das Arteriensystem getrieben wird, sind die tunlichst günstigsten. Die Spülflüssigkeit kann zu jeder Zeit geändert werden und mischt sich nieht mit Blut, da solehes nicht durch das Venen- system in das Herz zurückfliesst. Beim Säugetier muss die Methode dahin geändert werden, dass der kleine Kreislauf nicht umgangen werden kann. Zwar könnte man das Blut oder irgendeine andere passende Flüssigkeit durch eine der Venae pulmonales direkt in. den linken Vorhof gelangen lassen und die übrigen Venae pulmonales unterbinden, doch würde das die Tätiekeit der rechten Herzhälfte stark beeinflussen, so dass unter: solehen Um- ständen an eine langdäuernde ziemlich normale Tätigkeit der linken Herzhälfte nicht zu denken wäre. Deshalb habe ich es vorgezogen, das Blut durch die Cava ascendens in das Herz gelangen zu lassen. Von dort wird das Blut durch die Lungen in den linken Vorhof und in die linke Kammer und weiter in das Arteriensystem geleitet. Durch die aufgeschnittene Cava descendens gelangt das Blut wieder nach aussen. Die Ausführung dieser Methode bietet keine besondere Schwierig- keit; doch ist es notwendig, um die Tätiekeit des Zentralnerven- : Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 13 192 Amedeo Herlitzka: systems nicht zu beeinträchtigen, einige Vorsichtsmaassregeln zw treffen. Besonders ist zu beachten, dass, wenn anfangs die Speisungs- flüssigkeit in das Herz und weiter in das Nervensystem gelangt, für reichlichen Abfluss der Flüssigkeit selbst gesorgt wird. Das geschieht, wie ich schon hervorgehoben habe, durch den distalen Teil der Cava descendens; doch erheischt die Einführung einer Kanüle in dieselbe einige Zeit, und auch muss die Cava selbst gegen das Herz unter- bunden werden. Um zu verhüten, dass während dieser Zeit eine Stauung im Gehirn erfolgt, ist es vor allem notwendig, vorläufig den Abfluss des Blutes durch die Jugularis zu sichern. Ich gehe nun zur systematischen Beschreibung des Ganges meiner Methode über. Vor allem wird beim Hunde die Trachea für die künstliche Atmung präpariert; eine Kanüle wird dann in die eine Jugularis. kopfwärts eingeführt. Durch einen medialen Schnitt in die Brust- wand wird die Brusthöhle geöffnet. Um Blutungen zu vermeiden, muss man sich genau auf der Mittellinie halten; man kann dabei auch bei einem grossen Hunde das Brustbein ohne jede Anstrengung mittelst eines gewöhnlichen Messers vollständig vom kaudalen bis zum oralen Ende entzweischneiden. Dabei dient der linke Zeige- finger, den man sobald als möglich in die Brusthöhle einführt, zur Führung des Messers, um Verwundungen des Herzens und der grossen Gefässe zu vermeiden. Bei dieser Art, den Brustkorb zu öffnen, ist die Blutung ganz unbedeutend. Durch einen Divarieator wird die Brusthöhle weit zugänglich gemacht. Natürlich beginnt auch die künstliche Atmung mit dem Aufschneiden der Brust- wand. Die Brustwunde wird etwas auf die Bauchwand hinunter verlängert. £ Die Aorta thoraeica wird jetzt mit starkem Faden unterbunden; doch erfordert das einige Vorsicht, um beim Anziehen der Schlinge die Aorta nicht zu zerren, was eine Zerreissung einiger Aa. inter- costales mit sich ziehen würde. Die Cava inferior wird nun am Herzen durch einen kleinen Klemmer geschlossen, und um die- selbe wird eine Schlinge zur Befestigung der Kanüle gelegt. Dabei ist zu beachten, dass der N. phrenicus nicht auch in die Schlinge gerät. Durch einen Einschnitt in die Cava wird nun die Kanüle natürlich gegen das Herz eingeführt. Die Kanüle besitzt einen seit- lichen Ansatz, der mit dem Blutbehälter in der Erwärmungs- vorrichtung (s. weiter unten) verbunden wird. Nachdem die Kanüle selbst mit der Speisungsflüssigkeit (in der Folge immer defibriniertes Versuche am künstl. durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. 195 Blut) gefüllt worden ist, wird die Hauptröhre durch einen einen Thermometer tragenden Stopfen verschlossen. Die Heizvorrichtung und der Blutbehälter sind in Fig. 3 schematisch abgebildet. Von einer mit regulierbarem Abflussrohre versehenen Flasche fliesst das Blut in das Gefäss D, in welchem Sauerstoff durch die Röhre O in raschem Tempo durchperlt. Das Gefäss B ist durch einen Schlauch mit dem in einem Trichter stehenden Becher C verbunden. Letzterer ist bis zum Rande mit 13 194 Amedeo Herlitzka: Blut gefüllt, und der Schlauch selbst ist voll Blut. Das in Über- maass von A in B fliessende Blut läuft also von C in den Trichter über und sammelt sich in die Schale D. Durch die mit zwei Ventilen Y, und V, versehene fortwährend arbeitende Pumpe E wird das übergelaufene Blut wieder in die Flasche A gehoben. Diese Vorrichtung erlaubt es, den Blutdruck konstant zu erhalten. Von B gelangt das Blut weiter in die Spiralröhre F, an die sich eine T-Röhre mit durch den Schraubenklemmer @ verschlossene Seiten- öffnung anreiht. Es folgt ein durch den Klemmer Z verschliessbarer Schlauch, der zu einer Y-Röhre M führt. An diese Röhre setzt sich in N eine zweite der ersten von A bis M ähnlichen Vorrichtung an, die in der Zeichnung der Einfachheit halber fortgelassen ist. Die Spiralröhre F und die sich daran anreihenden Röhren liegen ‘in einem grossen ca. 1,50 m langen heizbaren Wasserbad: Heiz- vorrichtung und Wärmeregulator sind in der Zeichnung fortgelassen. Der Seitenansatz @ dient dazu, um bei der Füllung der Röhre F mit der Speiseflüssigkeit die Luft abzulassen: gewöhnlich ist es nötig, bei der horizontalen Lage der Spirale die Luft energisch durch @ auszusaugen. Die Klemme H dient dazu, die eine oder die andere a der beiden Flüssigkeitsbehälter mit dem Hunde zu verbinden. Von M geht ein Schlauch an eine kurze Glasröhre, die durch einen die untere Abflussröhre des Wasserbades schliessenden Stopfen gesteckt ist. An der äusseren Seite des Bades trägt die Glasröhre eine mit nach oben gerichtetem und verschliessbarem Seitenansatz Z versehene 7-Röhre und schliesslich einen aus kurzen Glas- und Gummistücken bestehenden Schlauch. Letzterer wird direkt an die Kanüle in der Cava angeschlossen. Die Röhre I dient dazu, eventuelle Luftblasen aus dem System zu jagen. Nachdem die Verbindung der Kanüle mit dem Blutbehälter hergestellt ist, wird die Cava superior frei präpariert, und eine Schlinge wird — bei Vermeidung des N. phrenieus — um dieselbe gelegt. Nun werden die Klemmen an der Cava inferior und gleichzeitig an der Jugularis geöffnet: gleich darauf wird die Schlinge an der Cava superior und zwar dicht am Herzen zusammengezogen. Rasch wird eine Klemme an die Cavasuperior ‚angelegt, und zwischen der letzteren und der Unterbindungsstelle wird eine fingerdicke Kanüle kopfwärts eingeführt. Ist das ge- schehen, so wird die Klemme abgenommen, und nachdem man sich vergewissert hat, dass der Abfluss des Blutes durch die Cava ohne Versuche am künstl. durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. 195 Störungen vonstatten geht, wird die Jugularis geschlossen. Die künstliche Atmung wird eingestellt. Auch diese Methode, wie die entsprechende beim Frosche, bietet den grossen Vorteil, dass das Herz selbst den Kreislauf der. Speise- flüssigkeit bei normalen Druck- und Rhythmusverhältnissen besorgt. Ich habe bei den meisten Versuchen die Herztätigkeit sowie die Atmungsbewegungen — sei es des Thorax, sei es des Zwerch- fells — durch Registriertrommeln aufgeschrieben. Die Aufnahme- trommel lag mit der elastischen Membran direkt auf dem Herzen, resp. auf der Brustwand und auf der Bauchseite des Zwerchfells. Die Atmungsbewegungen sind natürlich bei dieser Methode, da die Brustwand weit geöffnet ist, von keiner Lungenventilation begleitet. Die Sauerstoffversoreung des Blutes geschieht, wie ich schon mit- geteilt habe, in einem besonderen Gefässe (B), so dass durch den Körper fortwährend gleichmässig aeriertes Blut läuft, ohne rhythmische Schwankungen im Sauerstoffgehalt, wie es bei der natürlichen oder bei der künstlichen Atmung geschieht. Diese Methode hat einen besonders suten Erfolg gehabt, und dieselbe hat es mir möglich gemacht, verschiedene Beobachtungen auszuführen, von welchen ich einen Teil hier mitteile. Andere Er- gebnisse, und zwar über einige Punkte der Physiologie der Atmung, werden Gegenstand einer zweiten Abhandlung sein. Deshalb werde ich mich hier nur flüchtig mit den Atmungserscheinungen bei meinen Versuchstieren befassen. Ich gehe nun zu den Versuchsergebnissen über. Folgende Ver- suche wurden alle mit defibriniertem Blute ausgeführt. Zu diesem Zwecke entblutete ich einen oder mehrere Hunde, bis ich — je nach den Umständen — von 1200 bis 2500 oder mehr Kubikzentimeter defibriniertes Blut gewonnen hatte. Dieses Blut wurde als Speisungs- flüssigkeit benutzt, und das venöse Blut des Versuchstieres wurde von neuem defibriniert und wieder zur Speisung benutzt. Ich will gleich vorausgreifen, dass das venöse Blut nach einer kurzen Zeit keine Fibrinflocken mehr bildete; ich liess es doch schlagen, um eine bessere und raschere Durchlüftung des Blutes zu erzielen. Ich gebe hier einen kurzen Auszug meiner Protokolle wieder: Versuch vom 30. Dezember 1908, Um 5b 33’ nachm. wird die Aorta unterbunden. ». 5540’ „ fängt die künstliche Durchblutung an; die Jugularis wird geöffnet und die Cava superior unterbunden. 196 Amedeo Herlitzka: Um 5b 41’ nachm. Der Abfluss durch die Cava superior wird in Gang ge- setzt, die Jugularis wird geschlossen, und die künstliche Atmung hört auf. Das Tier führt spontane Atmungs- bewegungen aus. „ 5545’ „ Cornealreflex vorhanden. „ 5550’ „Die Registrierung der Atmung wird aufgenommen. „ 96 57° „Das Tier bewegt die linke Vorderpfote und führt rhythmische Atmungsbewegungen aus. „ Der Cornealreflex fehlt, Atmungsbewegungen vorhanden. „6 1’ ,„. Delirium Cordis. hör ap an N \ Zap gAgrag gae pe Tay T ge ea Fig. 4 Atmungskurve, Versuch vom 30. Dezember 1903, registriert mittelst doppelten Gürtel-Pneumograph. Einatmung nach unten. 4 — 1 Sek. Zwischen den verschiedenen Zeilen je 7 Min. Zeitintervall. Man sieht, wie die Pausen kürzer werden, während die drei Atmungen nach und nach zu einer Einatmung zusammenschmelzen. Um 6h 4’ nachm. Die Herztätigkeit ist wieder regelmässig geworden: Kräftige Herzbewegungen. Atmungsbewegungen ‚vorhanden, doch sehr schwach. h „ 6b 6° „136 Herzschläge in der Minute, „ 6 7' „Die Atmung ist periodisch. Jede Periode besteht aus drei Atmungsbewegungen. Zwischen je zwei Atmungsbewegungen während derselben Periode kehrt der Thorax nicht in die Ruhelage zurück (s. Fig. 4). „ 64 8° „Der Cornealreflex ist wieder vorhanden. Die Atmungs- N bewegungen werden grösser. »„ 66 10°’ „ Die ersten M. intercostales nehmen an der Atmung teil. Die Atmungspausen werden kürzer (5). Versuche am künstl. durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. 197 Um 6& 16’ nachm. Schluckbewegungen, spontane Be- ei) ” 6h 18’ 6h 20’ 6h 22’ 6h 23’ 6h 25’ 6h 297 6h 327 6h 39’ 6h 49° 6h 47’ 6h 51’ 6 52 6h 53° 6h 54’ 6h 56° 6h 57’ wegungen der linken Vorderpfote und des Halses. Das Herz schlägt periodisch; zwischen zwei Gruppen von je vier Schlägen eine Pause von ca. 3”. Fortwährende spontane Bewegungen der linken Vorderpfote und des Halses. Das Herz schlägt arhythmisch. Der Rhythmus der Atmung ist jetzt vollständig regelmässig, aber jede Einatmung durch eine Pause unter- brochen. Am Ende der Einatmung vor dem Anfange der Ausatmung Streckungs- bewegung der linken Vorderpfote. Pupille vollständig midriatisch. Pu- pillarreflex fehlt. Corneal- und Orbi- cularreflex sehr lebhaft. Das Herz schlägt unregelmässig mit langen Pausen. Das Herz schlägt etwas regelmässiger. Schluckbewegungen; die regel- mässigen Bewegungen der Vorder- pfote haben aufgehört. Die Atmung wird unregelmässig (s. Fig. 5). Spontane Bewegungen der Augenlider. Cornealreflex nicht mehr vorhanden. Die Atmungsbewegungen haben auf- gehört. Delirium Cordis. Bewegungen der Vorderpfoten. Ver- einzelte Atmungsbewegungen. Das Herz hat nur fibrilläre Zuckungen. Das Herz steht still. Versuch vom 5. Januar 1%9. Die Durchblutung geschieht mit Blut, welches 3 Hunden entstammt. Ich hatte davon 2600 cem. Die Hälfte davon liess ich anfangs durch das Tier zirku- lieren. Um 5h 17’ nachm. fängt die künstliche Durchblutung 5h 20’ an; Abfluss durch die Jugularis. Die Cava superior wird unter- bunden. Registriert wie in Fig. 4. Atmungskurve. Versuch vom 30. Dezember 1908. Br Fig. Amedeo Herlitzka: 198 ‘die e Atmung ’ 2' nachm. Der Abfluss geschieht durch die Cava superior [3 (4) Um 5h 2 ugularis wird geschlossen und ‚die künstlich eingestellt. J Cornealreflex vorhanden. Einzelne Atmungsversuche. ” Kleine Atmungsbewegungen. ” 5h 34° Klonische Zuckungen. der Vorderpfoten. ” Rippen betreffen. Atmungsbewegungen, die nur die ersten „ "9JoI8eIq Top IqaLLdsYu9 9AIny A9p [19], JOPUSFTEIS7NE :43ö17yne 192.197] wop Jne Iyaaıp saJdouyf saure Isfayjrur arp uauruouad -jne josdey oydezuto ydınp SIfeJuage usdunyonzzaay ayloy aaa pun Hylamz "sIedıoyaap.IoA uszuwd sap uadundanag uayaaadsyud uaAImy uadıyoez aIg "Funwyeunmg 19p Jyorıdsyua oAınyy apuadtajspne aIq "uowwousgng Yyonıp pucm “sn 9rp me aıp Tosdeyy Jagsgzurs yıuı “usdundonagsdununy aylayy ayLıp pun gsi "K0GT'TeNURF ‘GC woAyonsao‘ "O’BLT Mm Y tem beim Hunde. 199 J Versuche am künstl. durchbluteten zentralen Nervensys und kleinerer srösserer erioden grösserer Die Herztätigkeit weist Perioden 5h 40’ nachm. Um 5 Frequenz Den P Frequenz auf (s. Fig. 6). s Tieres. orderteiles de entsprechen Zuckungen des V ” "7091098. yeredyıg Sep y9anp JuggL SOPSLY PuM 4 Up Bor jme S[[apAMZ SOP Sosydneg ap uw dp “posdes -JJn’T 2OM9RJUIO IsToyıur uaWwmonsdrne “U9FUNS9naql[yFyg>aAnZ Ayla Sala “NOS T — NZ AgIay yLıp UIWIWOUDSINE 9 "AL,] ur 9IM opraq *usdunyanzzaof Ayla Oyloaz ‘uadundomagqssunumejsnıg IqIay 97Ssıg "606T Tenuzp 'c WwoA yonsaA °, ll TFT Um 6h ”» 6h 7 6h „0 Amedeo Herlitzka: 1’ nachm. Die Atmungsbewegungen sind unregelmässig. DA 4' 5 ” ” ” Dieselben werden seltener. Cornealreflex vorhanden. 130 Herzschläge in der Minute, werden aber plötzlich sehr zahlreich. Atmungsbewegungen und Cornealreflex nicht mehr vorhanden. Es wird nun versucht, ob die Tätigkeit des Nervensystems von ‚neuem er- weckt wird, wenn das schon seit 50’ immer wieder zirkulierende Blut ersetzt wird. Zu diesem Zwecke wird die zweite Serpentinröhre mit der zweiten Hälfte des anfangs erwähnten Blutes beschickt. Dieses Blut war einstweilen bei Zimmer- temperatur geblieben. 6h 6h „60h 6h 6h Fig. 8. Fortsetzung der Kurve von Fig. 7. 7’ nachm. Die Verbindung des Tieres mit dem Behälter des frischen s’ 9’ 10' ” Blutes wird hergestellt. Die Zirkulation des alten Blutes wird eingestellt. Die Atmungsbewegungen fangen an (s. Fig. 7 u. 8). Sehr träger Cornealreflex; um denselben auszulösen, ist es nötig, den Finger über die Cornea zu streifen. 70 Herzschläge ia der Minute. Die Atmungsbewegungen sind grösser, aber seltener. Lebhafter Cornealreflex. Noch einzelne Atmungsbewegungen. Cornealreflex nicht mehr vorhanden. Blutungen aus dem Maule. Es wird bemerkt, dass die Cava geknickt ist, so dass sich eine starke Blutstauung gebildet hat. Die Herzschläge sind unzureichend. Versuche am künstl. durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. 201 In diesem Falle ist der Tod durch die durch die Stauung verursachten Blutungen hervorgerufen worden. Beachtenswert ist, dass, nachdem die Tätigkeit des Zentralnervensystems bei der Speisung mit ein und demselben Blute aufgehört hatte, diese sich wieder einstellte, nachdem neues Blut zur Speisung verwandt wurde, was die Kurve in Fig. 7 zum Ausdruck bringt. Diese Tatsache ist von grosser Wichtigkeit, wie sie auch erklärt werden mag. Jedoch ist nicht ohne weiteres einzusehen, worin die Ursache dieses Sachverhaltes liest; denn erstens ist es möglich, dass die Eigenschaften des Blutes, welches immer wieder durch den Vorderteil des Körpers zirkuliert, sien so verändern, dass es zur Aufrechterhaltung der Tätigkeit des Nervensystems nicht mehr ausreicht; zweitens aber kann eine Ver- änderung des Blutes durch die Körpertemperatur, der es ausserhalb des Organismus ausgesetzt ist, bedingt werden. In der Tat wurde die Tätiekeit des Zentralnervensystems durch Blut wieder erweckt, welches während des ersten Teiles des Experimentes bei Zimmer- temperatur aufbewahrt worden war. Ausserdem ist zu bemerken, dass die Änderungen des Blutes, welches durch das Zentralnerven- system und überhaupt durch den vorderen Teil des Körpers zirkuliert hat, durch zwei verschiedene Ursachen hervorgerufen werden können, welche wahrscheinlich beide schwer ins Gewicht fallen: durch den Verbrauch von Stoffen, die von den nicht durchbluteten Organen herstammen, und durch die Anhäufung von Stoffwechselprodukten, die von den Abdominalorganen verarbeitet werden müssten. Ich habe mich bestrebt, mir in späteren Versuchen darüber Auf- klärung zu verschaffen. Ich habe deshalb den Versuch in verschiedener Weise wieder- holt, und zwar, indem das zur Erneuerung der Nährflüssigkeit be- stimmte Blut schon vor dem Gebrauche längere Zeit im Wasserbad gehalten wurde oder durch die in demselben sich befindende Serpentinröhre beständig zirkulierte. Ich will hier die Ergebnisse dieser Versuche kurz zusammen- fassen: Wenn man, nachdem die Atmung aufgehört hat und der Cornealreflex verschwunden ist, neues, durch das Tier nicht zirkuliertes Blut als Nährflüssigkeit gebraucht, so ruft man gewöhn- lich eine kurze Wiederbelebung des Zentralnervensystems hervor; diese Wiederbelebung betrifft vor allem die Atmungsbewegungen, während der Cornealreflex erst später — und nicht immer — wieder erscheint. Das geschieht auch bei im voraus erwärmtem Blute, wie 202 Amedeo Herlitzka: z. B. in dem Falle, den die Kurve in Fig. 9,betrifft (Versuch vom 3. Juni 1909). Wenn aber die Herztätigkeit! schon sehr stark; herabgesetzt ist, so ist das Erneuern des Blutes vollkommen zwecklos, und man er- In » wird noch stole nach unten; zweite Die Feder der Herzkurve schreibt oben rechts nicht gut. Erste Reihe Herzschlagskurve', Sy Reihe Atmungskurve, Einatmung nach oben; vierte Reihe Zeit — 1 Sek. ‚ aber während des ganzen Versuches durch das warme Wasserbad 28 3 ee —_———— | = Oo [7] aa er) S = = = En I Ss N i = © = © — D um x sH op) = sn a ns = So [®) - -Ssn5 B> n = >85 2-52 mi san E88 . 38 er) SE _ ikehrs A mem m sn hält keine Wiederbelebung des Tieres. Doch auch die Herztätigkeit lässt sich durch die Frische des Blutes beeinflussen, solange sie noch zur Aufrechterhaltung der Zirkulation-ausreicht. So teile ich hier aus dem Protokoll des Versuches vom 31. Ja- nauar 1909 folgendes mit: Um 5h 56’ nachm. BZ] Versuche am künstl. durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. 203 6h 28’ 6h 34' N ” Anfang der Durchblutung. Heftige Atmungen und Herzkontraktionen; Cornealreflex vor- handen. Kein Cornealreflex, keine Atmungsbewegungen. Motorische Hirnrinde bei faradischer Reizung unerregbar. Kleine Herz- kontraktionen. Es wird nun frisches Blut eingeleitet. Die Herzkontraktionen werden kräftiger. Eine Atmungsbewegung; sehr kräftige Herzbewegungen, Cornealreflex vicht mit Sicherheit festzustellen. schem zweite resp. dritte Brust- resp. g vollzieht sich seit 11 Min. mit fr Oberste Zeile Herzschlagskurve, Blute; in « wird das schon vorher während 38 Min. gebrauchte Blut wieder eingeleitet. Versuch vom 31. Januar 1909. Zwerchfellatmung, vierte Zeile Zeit = 1 Sek. Die Durchspülun Fig. 10. 204 Amedeo Herlitzka: Um 65 37’ nachm. Cornealreflex und Atmungsbewegungen vorhanden. Die Gross- hirnrinde ist wieder erregbar. f „ 6543’ „ Die Reflexe und die Reizbarkeit der Grosshirnrinde sind wieder verschwunden. Es sind noch einige konkomitierende Atmungsbewegungen vorhanden. Die Herzschläge sind nicht | mehr sehr kräftig. „ 66h45° „ Es wird wieder das schon gebrauchte Blut eingeleitet; die Herzschläge werden gleich viel kleiner (s. Fig. 10). Man sieht aus diesem Falle, dass die Herztätigkeit unter dem Einflusse des Umstandes steht, ob das Blut schon zur Speisung des Apparates gedient hat oder nicht. Wie ich aber schon bemerkt habe, kann das frische Blut die schon dem Erlöschen nahe Herz- tätigkeit nicht mehr beleben. Auch die Grosshirnrinde erlangt durch frisches Blut auf kurze Zeit die Erregbarkeit wieder, die sie durch die fortdauernde Zirkulation mit ein und demselben Blute ein- gebüsst hatte. Aus alldem geht hervor, dass es nicht oder nicht hauptsächlich von der Temperatur abhängt, in der das Blut aufbewahrt wird, wenn seine Fähigkeit, die Tätigkeit der Gewebe aufrechtzuerhalten, vermindert wird. Das hängt vielmehr von den durch die Tätigkeit der Gewebe verursachten Änderungen in den Beschaffenheiten des Blutes ab. Ob es sich dabei um positive oder negative Änderungen handelt — im Sinne, wie ich es oben auseinandergesetzt habe —, ist natürlich nicht möglich zu sagen. Jedenfalls aber glaube ich nicht, dass es sich hier — bei der Kürze der Versuche, bei denen es sich höchstens um ein paar Stunden handelte — einfach um eine Art urämischer Vergiftung durch Ausbleiben der Nierenfunktion handelt. Einen Schluss allgemeinen Charakters aber kann man aus diesen Versuchen ziehen, und zwar, dass das Zusammenwirken des ganzen Organismus nötig ist, damit die normale Fähigkeit des Blutes, die Gewebstätigkeit aufrecht- zuerhalten, nicht herabgesetzt wird, während der Stoff- wechsel nur eines Teiles des Organismus das Blut so verändert, dass es mit der Tätigkeit der Gewebe desselben Teiles unverträglich wird. Das gilt wenigstens für die höher ent- wiekelten Gewebe und jedenfalls für das Nervensystem. Ob derselbe Satz auf alle Gewebe ausdehnbar ist, soll natürlich dahingestellt bleiben. Dadurch ist aber noch nicht entschieden, ob es sich um An- häufung von Stoffwechselprodukten oder um Mangel an bestimmten Stoffen handelt. Versuche am künstl. durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. 205 Es sei hier noch daran erinnert, dass die Zeit, auf die sich die Wiederbelebung des Zentralnervensystems erstreckt, eine kurze ist. Das ist möglicherweise auf die Funktionsunterbrechung zurück- zuführen, und es ist wahrscheinlich, dass wenn man die Erneuerung des Blutes vor der vollständigen Einstellung der Erregbarkeit des Nervensystems vornimmt, die Wirkung des frischen Blutes eine längere Dauer aufweisen würde. Ich aber hatte keine Gelegenheit, solche Versuche anzustellen; so kann ich nur meine Vermutung darüber aussprechen. Hat aber auch die Temperatur, bei der das Blut aufbewahrt wird, einen Einfluss? Die Versuche mit Erneuerung des Blutes haben darüber keinen Aufschluss gegeben, wohl aber habe ich auf andere Weise reichliche Erfahrung gesammelt. Bei einem Teil meiner Versuche habe ich in den Vormittags- stunden das für das Experiment nötige Blut gesammelt und im Laufe des Nachmittags den Versuch ausgeführt. Während nun in den Wintermonaten die Experimente fast ausnahmslos gelangen, schlugen dieselben gänzlich fehl, sobald die warme Jahreszeit anfıng. Als ich aber das Blut nicht mehr 6 bis 7 Stunden vor dem Versuche sammelte, sondern dies unmittelbar vor demselben besorgte, da änderte sich der Erfolg wieder, und ich konnte wie früher das Präparat lebensfähig erhalten. Diese Unterschiede im Erfolge, die so konstant waren, können meiner Meinung nach nur den mit der Temperatur zusammenhängenden Veränderungen zugeschrieben werden. Natürlich kann ich mich über die Art dieser Veränderungen nicht aussprechen; man kann dabei an Änderungen in der Lebensfähigkeit und in der Struktur der Blutkörperchen, an chemische oder chemisch- physikalische Veränderungen des Serums oder auch an durch Mikro- organismen bedingte Modifikationen denken. Wie es auch sei, ist das Bild immer dasselbe bei all diesen Fällen. Während bei den anderen Fällen, bei welchen eine länger dauernde Durchblutung stattgefunden hat, die Herzschläge immer kleiner werden, und sowohl die Diastole als auch die Systole an Umfang abnehmen (s. Fig. 11), so beobachtet man, wenn man das Präparat direkt mit längere Zeit bei warmer Zimmertemperatur ge- standenem Blute speist, eine enorme Zunahme der Diastole; das Herz füllt sich immer mehr mit Blut, die Systole wird immer un- genügender, das Herz kann sich nicht mehr leeren, und man hat zuletzt den diastolischen Stillstand des Herzens oder ganz kleine, 206 Amcedeo Herlitzka: hydraulisch vollkommen nutzlose Zuckungen (s. Fig. 12). Ausser- dem ist noch zu bemerken, dass, während sonst die Atmungs- bewegungen immer vor dem Stillstande des Herzens aufhören, bei diesen fehlgeschlagenen Versuchen oft die Atmung nach dem Auf- Die Kurve veranschaulicht das Auf.hören der Herztätigkeit nach einem längere Zeit (1 Stunde 52 Min.) gedauerten Versuche. Versuch vom 16. März 1909, Oberste. Reihe Zeit = 1 Sek., dritte resp. vierte Brust- resp. © > : & - er — N S n—— 8 2 ı je: H © Res a A .— 8 [=B} a Fa E © 1 ä Ss E = >. x za &n je} : E 5 een = = = | le] St EM Yo: A RN hören der Herztätiekeit noch eine kurze Zeit fortdauert, wie in Fig. 12 zu sehen ist. In solchen Fällen dauert die ganze Überlebung des Tieres nur einige Minuten. Es seien hier einige Beispiele soleher Fälle in aller Kürze angegeben. Versuche am künstl. durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. 207 1. Versuch vom 19. Mai 1909. 2500 cem Blut werden morgens gesammelt; davon werden zu diesem Versuche: 1200 ccm verwandt. 6 kg schwerer Hund. i Um 5h 5’ nachm. fängt die Durchblutung an. „>: 6° „ wird die Cava superior geschlossen. „ 55 9’ .„ wird das venöse Blut von der Cava superior abgeleitet. „ 5h 17’ ,„ bleibt das Herz still. IRNIIRETERT) Fig.!12.£,Versüuch$vom 3. Juni 1909. Oberste Reihe Herzkurve, zweite resp. dritte Brust- resp. Zwerchfellatmung, vierte Zeit = 1 Sek. Die Kurve ver- anschaulicht das Aufhören der Herztätigkeit nach. einer ‚einige Minuten langen Speisung mittelst Blutes, welches mehrere Stunden im warmen Zinımer gestanden hat. (Siehe Text.) 2. Versuch vom 19. Mai 1909. Die übrigen 1300 cem des am Morgen gesammelten Blutes werilen zu diesem: Versuehe verwandt. 7 kg schwerer Hund. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 14 308 Amedeo Herlitzka: Um 6h 18’ nachm. fängt die Durchblutung an. „66 19’ ,„ wird die Cava superior unterbunden. 622 wird das venöse Blut durch die Cava superior abgeleitet. „ 628° „ Das Tier führt Atmungsbewegungen aus, doch steht das Herz still. Man massiert das Herz. 65 30° „ _ Cornealreflex vorhanden, aber schwach. „ 6532’ ,„ Fibrilläre Zuckungen des Herzens, und von Zeit zu Zeit eine Zuckung des Vorhofes. 6h 36’ „ Cornealreflex vorhanden. ” 6h 422° „ Keine Reflexe und keine Atmungsbewegungen. Das Herz wurde die ganze Zeit massiert. 1. Versuch vom 8. Juni 1909. 1950 ccm Blut werden morgens gesammelt. Um 35 52’ nachm. fängt die Durchblutung an. „ 3553’ „ Die Cava sup. wird geschlossen. »„. 35 55° „ Das venöse Blut wird durch die Cava sup. abgeleitet. Der Hund bewegt sich heftig. „ 35 58° „ Cornealreflex vorhanden. Das Tier zittert, Atmungsbe- wegungen der Brust, nicht aber des Zwerchfells. 4h 8° „ Das Herz ist erweitert und führt keine nützlichen Zuckungen mehr aus. Die Atmungsbewegungen werden anfangs häufiger, nehmen aber dann ab. „ 4b 9' ,„ Die Atmungsbewegungen sind viel geringer und seltener; die Herzschläge minimal. „ 4b 10’ ,„ Die Atmung hat aufgehört. Es sei hier darauf hingewiesen, dass das Blut im Gefässe B (Fig. 3) ungefähr 20 em höher als das Tier steht; deshalb hat man auch bei stillstehendem Herzen eine, wenn auch äusserst schwache Blutzirkulation; in diesem Falle kommt das Blut tropfenweise von der Kanüle in die Cava superior heraus. Am selben Tage habe ich noch mit demselben Blute ein zweites Experiment vorgenommen, und zwar mit demselben Erfolge: 17 Min. nach dem Anfange der künstlichen Durchblutung „weitet sich das Herz enorm aus bis zum Herzstillstand“. Im Versuch vom 17. Juni 1909 stirbt das 5%/e kg schwere Tier 9 Min. nach dem Anfange der Durchblutung mit 1220 ecm de- fibriniertem Blute, auch in diesem Falle mit denselben Erscheinungen der Herzerweiterung. Um den Wert meiner Methode der Durchblutung anderen Methoden gegenüber richtig beurteilen zu können, ist es nötig, die Überlebungsdauer des Präparates bei Speisung mit frischem Blute zu prüfen. Versuche am künstl. durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. 209 In den oben mitgeteilten Versuchen vom 30. Dezember 1908, vom 5. und 31. Januar 1909 war die Überlebungsdauer von un- sefähr einer Stunde; das ist schon ein Fortschritt im Vereleich mit den Erfolgen anderer Versuchsanordnungen, wie das aus der Literatur herausceht. Doch habe ich bei anderen Versuchen noch bessere Erfolge zu verzeichnen, und sogar bei ungünstigeren Bedingungen, die dadurch gegeben waren, dass ich verschiedene Eingriffe an dem Tiere machte, Eingriffe, die durch die anderweitigen Zwecke des Experimentes geboten waren: darunter erwähne ich die beiderseitige Vagusdurchsehneidung. In einzelnen Experimenten habe ich auch die Reizbarkeit der Grosshirnrinde geprüft. Zu diesem Zwecke habe ielı das motorische Feld einerseits blossgelegt und mittelst ein paar Platinelektroden, die mit einem Schlitteninduktorium verbunden waren, die Reizschwelle für das Zentrum der Vorderpfote bestimmt. Um Verschiebungen der Elektroden vorzubeusen, habe ich solche, die an der Schädel- decke festzuschrauben sind, verwandt; das Elektrodenstativ, das ich nur wegen seiner Einfachheit beschreibe, erlaubt aber auch, die Elektrodenspitzen willkürlich von der Grosshirnrinde abzuheben und dann wieder an dieselbe Stelle zu bringen. In Fig. 13 sind die Elektroden abgebildet. Die Schraube a wird in den Schädel ein- eeschraubt und durch die Schraubenmutter 5b auf demselben befestiet. Durch den Ring c geht der Stab d, der in demselben durch e festgeschraubt werden kann. Stab d trägt an einem seiner Enden den Ring f, in dem wieder ein Stab g durch die Schraube A be- festigt werden kann. Stab g ist durch ein Gelenk » mit dem eigentlichen Elektrodenhalter verbunden. Der Elektrodenhalter be- steht aus einem Stabe, an dessen Ende zwei voneinander isolierte federnde Metallplatten sich befinden. Letztere können -durch die Schraube / einander zenähert oder entfernt werden und tragen einerseits die Klemmschrauben für die Zuleitunesdrähte, anderer- seits an ihrem freien Ende die Klemmschrauben für die Platiu- elektroden. Diese Konstruktion macht es möglich, die Elek- trodenspitzen, die eine leichte Biesung haben, gegenseitig in jede Richtung zu verschieben, und — indem das Gelenk ® nach der einen Seite das Zurückklappen der Elektroden erlaubt, während es nach der anderen Seite unbieesam ist — die Elek- trodenspitzen vou der Hirnrinde zwischen je zwei Reizversuchen 14 * 210 Amedeo Herlitzka: aufzuheben und dann genau an dieselbe Stelle zu bringen, um die Hirnrinde nicht die ganze Zeit freiliegen zu lassen). Fig. 13. Ieh fasse nun die Ergebnisse einiger meiner Versuche zu- sammen. ; Versuch vom ?. März 1909. 1700.cem Blut aus drei Hunden. Vorbereitung: Das linke motorische Feld wird blossgelegt, die Elektroden befestigt, der Schwellenwert mittels Schlitten- induktoriums und Akkumulators festgestellt. (8,8 cm Rollenabstand.) Um 4h 46’ nachm. fängt die Durchblutung an. Anfangs keine Atmungsbewegungen. Cornealreflex vorhanden. 5h 3’ „ Reizbarkeit der Grosshirnrinde bei 9 cm Rollenabstand. 5b 6° _ „ Einzelne Atmungsbewegungen. ©) „ 1) Diese Elektroden wurden von dem Mechaniker unseres Laboratoriums, Herrn L. Corino, konstruiert. Versuche am künstl, durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. 211 Um 5b 8’ nachm. Reizbarkeit der Rinde. Siehe oben. „ 56 10° „ Atmungsbewegungen. „ 5h 14’ und 5h 16’ nachm. werden die Vagi rechts resp. links durchschnitten. Kurz dauernde Atmungshemmung. Die Herzfrequenz hat enorm zugenommen. „ 55 29’ nachm. Hirnrinde normal reizbar. „ 55 31’ „ Das Tier bietet starke Zuckungen dar; das venöse Blut scheint schon #Eirstickungsblut zu sein. 55h 33’ Das Tier macht sehr tiefe Atmungsbewegungen. Fig. 14. Versuch vom 5. März 1909. Perioden rascher und langsamer Atmung. Erste Reihe Zeit = 1 Sek., zweite Reihe Zwerchfellatmung, dritte Reihe Brust- atmung, vierte Reihe Herz. Um 5h 34’ nachm. Cornealreflex vorhanden. „ 56 35’ „ Eirstickungsblut: durch Verluste ist zu wenig Blut vorhanden, so dass der Sauerstoffstrom im Gefässe 5 (Fig. 3) mit dem Blute nicht vermischt werden kann. 372' „Das Tier ist tot; das Herz steht still. Versuch vom 5. März 1909. 1700 ccm Blut aus zwei Hunden. Versuchstier ca. 6 Monate alt, 7 kg schwer. Um 45 10’ nachm. fängt: die Durchblutung an. „ 45 25’ bis 4b 30° nachm. Tachypnöe und langsamere Atmung alternierend (Fig. 14). „ 4% 30’ nachm. Bewegungen im ganzen Vorderteil des Körpers. 212 Amedeo Herlitzka: Um 4h 35’ bis 4b 38’ nachm. CO,-Vergiftung durch Durchleitung eines CO,;- Stromes durch das Blut. 4h 46’ und 47’ nachm. Durchschneidung der beiden Vagi. 4h 49’ nachm. Cornealreflex vorhanden. Von nun an wiederholte Reizungs- versuche der zentralen Vagistummel. 5h 98’ bis 5h 30’ nachm. Das Tier erbricht wiederholt. Cornealreflex. 5h 33’ nachm. Rasche und kleine Atmungsbewegungen. Fig. 15. Versuch vom 5. März 1909. Vagusreizung und Herzstillstand nach dem Atmungsstillstand. Erste Reihe Reizungsmoment, zweite und dritte Reihe Atmung, vierte Reihe Herz, fünfte Reihe Zeit = 1 Sek. Fig. 16. Versuch vom 5. März 1909. Erste Reihe Zeit — 1 Sek., zweite Reihe Reizung des peri- pherischen Stumpts des Vagus, dritte Reihe Herz, vierte Reihe Trachea. Die Reizung bei R.-A.—=0 ist‘ (am Ende des Experimentes) unwirksam auf das Herz, noch wirksam auf die Trachea. Um 55 34’ nachm. Keine Atmungsbewegungen mehr, kein Cornealreflex. „ 55 37° „Eine Atmungsbewegung. „ ab4' „Keine weiteren Atmungsbewegungen; das Herz schlägt immer weiter. Peripherische Vagusreizung mit Hemmung des Herzens; bei 5 cm und 8 cm Rollenabstand ; nach Aufhören der Reizung wieder starke Herzschläge (Fig. 15). Versuche am künstl. durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. 213 Um 5h 56’ nachm. Vagushemmung des Herzens bei 8 und 10 cm. R.-A. vor; handen. „ 6h 5-6’ „ Das Präparat streckt sich. Kein Cornealreflex. „ 6612’ „ Dae Herz schlägt immer weiter. Vagusreizung bei ver- schiedenen Rollenabständen zwischen null und 8 cm erfolg- los, dabei aber bei jeder Reizung Hebung der Trachea, die registriert wird (Fig. 16). „ 6540’ ,„ Das Herz ist noch immer tätig. „ 65h 44’ „ Das Vorderteil des Tieres — Brust und Vorderpfoten — weist kräftige Zuckungen auf. Der Cornealreflex ist nicht wieder erschienen. In diesem Versuche ist die Überlebungszeit sehr bedeutend. Der Cornealreflex hat sich während 1 Stunde 20 Min. erhalien, die Atmung 1 Stunde 27 Min. Die Herztätigkeit aber war noch nach 2 Stunden 34 Min. ganz kräftie, und nach derselben Zeit waren noch Muskelzuckungen zu sehen. Es ist noch hervorzuheben, dass bei diesem Versuche verschiedene Eingriffe ausgeführt wurden, wie die CO,-Versiftung und die wiederholten Vagusreizungen (über die ich nächstens näher berichten werde). Von besonderem Interesse scheint mir der Umstand zu sein, dass das Tier wiederholt erbrochen hat, und zwar bei durchschnittenen Vagi, während durch die Magenwand seit über 1 Stunde keine Nährflüssiekeit mehr strömte. Versuch vom 16. März 1909. 1400 ccm Blut aus zwei Hunden. Versuchshund 7 kg schwer. _ Um 4h 28’ nachm, fängt die Durchblutung an. „ 45 50° „Das Tier bewegt sich fortwährend. „ 4459’ ,„ _ Rhythmische Streckungen des Halses ; doch ist es nicht sicher, ob es sich um respiratorische Bewegungen handelt. Corneal- reflex vorhanden. „ 5b 14’ ,„ Nachdem um 5h 10’ und 5h 12’ die Vagi durchschnitten worden waren, fangen Atmungsbewegungen an. „ >h 44’ 5 Das Tier bewegt sich. In der Zwischenzeit wiederholte Reizung der Vagi. »„ 66h 15° ,„ Atmungsbewegungen und Cornealreflex noch vorhanden. Von6h 16’ bis 6& 20’ nachm. rasche Verminderung der Höhe der Herzschläge, zugleich Verkleinerung der Atmungsbewegungen, die immer spärlicher werden (s. Fig. 11). Um 65 20’ nachm. Stillstand des Herzens. Cornealreflex nicht mehr vorhanden. In diesem Falle haben die Herztätigkeit, die Atmungsbewegungen und der Cornealreflex ungefähr 1 Stunde 52 Min. fortzedauert und 314 Amedeo Herlitzka: sind: ziemlich “gleichzeitig erloschen. Auch: hier wurden die Vagi durehsehnitten und öfters und während längerer Zeit gereizt. Versuch vom 20. April 1%. 1460 ecm Blut aus einem Hurde. 5 kg schwere Hündin als Versuchstier. Um 4h 18’ nachm. fängt die Durchblutung an. Ä „ 423’ „ Das Herz schlägt kräftig. Reflexe vorhanden. „ 4h 24° „Das Tier bewegt sich heftig. Atmungsbewegungen. | „ 434’ „ Das Tier zittert. Cornealreflex vorhanden. Während längerer Zeit sind die Atmungsbewegungen periodisch. Es werden auch CO,-Vergiftungsversuche vorgenommen, sowie auch Vagus- reizung nach Durchschneidung der Vagi. 5h 13’ ,„, Blutige Flüssigkeit aus dem Munde; die Cava superior ist wegen einer Biegung nicht ganz frei. Die Biegung wird be- seitigt. Cornealreflex vorhanden. Ebenso Atmungsbewegungen. „ 55 25° „ CO, wird in die Lungen geblasen.‘ „29h 26’ Cornealreflex nicht mehr vorhanden; von Zeit zu Zeit eine Atmungsbewegung. „ 55 28° „ Keine Atmungsbewegung. DRIN ine Cornealreflex wieder vorhanden. 5h 51’ „ 9648’ „ Cornealreflex verschwunden. Atmungsbewegungen vollkommen Wieder einige Atmungsbewegungen. rhythmisch. „ 65 389’ „ Die Atmungsbewegungen sind noch immer vorhanden. „ 66h 44’ „ _ Unregelmässige Bewegungen der Brustwand und des Zwerchfells. „ 65 47’ „Keine Atmungsbewegungen mehr. 94 Herzschläge in der Minute. In diesem Falle dauerte der Cornealreflex 1 Stunde 30 Min., die Atmungsbewegungen 2 Stunden 26 Min., während die Herz- tätiekeit noch immer ungeschwächt fortdauerte. Auch in diesem Falle habe ich verschiedene Eingriffe vorgenommen, die sicher die Lebensdauer gefährdet haben. Ich will vun die folgenden Versuche äusserst kurz zusammen- fassen :- Versuch vom 1. Juni 190). Um 35 52’ nachm. Anfang der Durchblutung. „ 45 10’ ,„ Durch das Blut geht ein Strom von CO, und 0, in gleichen Teilen. be „ 45 20°. „Sehr grosse Atmungsbewegungen ohne Zunahme der Frequenz. 4h 25° „ Die Atmungsfrequenz hat abgenommen. „45 53° „ Cornealreflex vorhanden. „ 4554’ „Dem Blute wird jetzt nur noch Sauerstoff zugeführt. En »„ Pie Atmungskurve wird nielerer. 5h 9° ,„ Höhere Frequenz, aber viel kleinere Atmungsbewegungen. ‘Versuche am künstl. durchbluteten zentralen Nervensystem beim Hunde. 215 Um 5% 15’ nachm. Die Mischung CO; + 0, wird wieder dem Blute. Buns -„ 55 16’ „. - Cornealreflex vorhanden. En NA nee Herzstillstand. Versuch vom 3. Juni 1909. Um 5& 4’ nachm. fängt die Durchblutung an. „ 66h 15° ,„ verschwindet der Cornealreflex. Atmungsbewegungen noch vorhanden. 65 16’ ,„ Keine Atmungsbewegungen mehr. 6 17’ .„ Eswird nicht gebrauchtes, während des Versuches warm auf- bewahrtes Blut eingeleitet. Atmungsbewegungen wieder vor- handen (s. oben Fig. 9). Versuch vom 28. Juni 1509. Um 45h 50’ nachm. Anfang der Durchblutung. 5h „ Keine Atmungsbewegungen. Cornealreflex vorhanden. 5h 2’ „ Einzelne Atmungsbewegungen. „55 3° „Die Atmungsbewegungen sind häufiger. 65h 25’ ,„ Cornealreflex noch vorhanden. Das Tier bewegt sich heftig. 65 26° „ Kleine Herzschläge; Atmungsbewegungen vorhanden; Corneal- reflex nicht mehr vorhanden. 6h N —] „ . Das Herz schlägt noch minimal. In all den letzten Versuchen waren die Vagi durchschnitten und wiederholt gereizt worden. Aus all diesen Versuchen geht also hervor, dass durch meine Durehblutungsmethode die Überlebungszeit des zentralen Nerven- systems bedeutend länger ist als mit irgendeiner anderen Methode. Die Überlebungszeit findet aber eine Schranke in der Unzulänglich- keit des defibrinierten und wiederholt zur Durchblutung ver- wandten Blutes. Inwiefern das defibrinierte Blut hei immer- währender Erneuerung desselben imstande ist, die Tätigkeit des zentralen Nervensystems zu unterhalten, ist natürlich nicht möglich zu Sagen. Als allgemeine Regel hört vor allem der Cornealreflex, dann die Atmungstätigkeit, zuletzt die Herzfunktion auf. Es eibt aber Fälle, in welchen die Herztätigkeit vor derjenigen des Zentralnerven- systems ausfällt und das besonders, wenn zur Durchblutung ein Blut Verwendung findet, welches mehrere Stunden bei warmer Temperatur aufbewahrt worden war. In den Fällen, in denen die Reizbarkeit der Hirnrinde untersucht wurde, habe ich das Ausbleiben von dieser gleichzeitig mit demjenigen des Cornealreflexes beobachtet. 3} A.)Herlitzka: Versuche am künst].“durchbluteten zentr. Nervensystem etc. Was die Atmung anbetrifft, beschränke ich mich hier auf das mitgeteilte Tatsachenmaterial, da ich auf diesen Gegenstand in einer zweiten Abhandlung zurückkommen werde. Zusammenfassung. 1. Es wird eine neue Durchblutungsmethode für das Zentral- nervensystem beschrieben, die eine längere Überlebungsdauer gestattet als alle übrigen Methoden. 2. Es wird durch diese Methode nachgewiesen. dass nach einiger Zeit das immer wieder nur durch den Vorderteil des Körpers zirkulierende defibrinierte Blut unfähig wird, die Tätigkeit des Zentralnervensystems aufrechtzuerhalten. :3. Es wird gezeiet, dass durch die Durchblutung von neuem Blute die erloschene Tätigkeit des Zentralnervensystems auf kurze Zeit wieder erweckt werden kann. 4. Es wird gezeigt, dass das einige Stunden in der Wärme ge- standene defibrinierte Blut unfähig wird, die Herztätigkeit zu unter- halten; die Wirkung solches Blutes auf das Herz wird beschrieben. 5. Es wird das Verhalten verschiedener Funktionen während der künstlichen Durchblutung mit defibriniertem Blute beschrieben. 217 (Aus dem physiologischen Institute der k. k. böhmischen Universität in Prag.) Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. Ein Beitrag zur Physiologie der Drüsen. Von Franz Smetänka, Assistent des Institutes. (Mit 7 Textfiguren.) Die Herkunft der Harnsäure beim Menschen ist, nach der Theorie von MaresS!), in molekularen Veränderungen im Proto- plasma zu suchen, welche die stoffliche Grundlage der physiologischen Verriehtungen der Zellen bilden, besonders solcher, welche in Pro- duktion bestimmter Stoffe oder überhaupt in einer chemischen Arbeit bestehen. Diese Theorie begründete MareS!) im Jahre 1887 auf Versuchsergebnissen, welche zunächst eine individuelle Kon- stanz der Harnsäureausscheidung im nüchternen Zustande zeigten und weiter ergaben, dass die Harnsäureausscheidung während dieses Zustandes sofort vermehrt wird, wenn zu einem bestimmten Moment Fleisch eingenommen wird, und dass diese Harnsäure- vermehrung der Vermehrung des Gesamtstickstoffes im Harne voran- eilt, indem ihr Maximum schon in die 3—5 Stunden nach der Fleischeinnahme fällt, augenscheinlich im Zusammenhange mit der dadurch angeregten Tätigkeit der Verdauungsdrüsen. Werden nun diese Drüsen durch einen künstlichen Reiz, durch das Pilokarpin in Tätigkeit versetzt, so erfolgt auch eine deutliche Steigerung der Harnsäureausscheidung. Gegen diese Theorie wurde aber der tatsächliche Einwand er- hoben, dass die nach Fleisch genuss erfolgende Harnsäurevermehrung direkt von den eingenommenen Fleischpurinen herrührt, und 1) MareS, Archives slaves de Biologie t.3 p. 207. 1887. — Sbornik lekarsky 1888, p.1. — Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 134 S. 59. 218 Franz Smetänka: dass somit die Annahme eines Zusammenhanges dieser Harnsäure- vermehrung mit der Tätiekeit der Verdauungsdrüsen sich erübrigt. Und weiter wurde von einer Reihe von Untersuchern angegeben, dass purinfreie Nahrung keinen Einfluss auf die Harn- säureausscheidung ausübe, :obzwar sie ja doch auch die Tätigkeit der Verdauungsdrüsen anregt. Dadurch ist die Aufgabe der vorliegenden Rbeit festgestellt. Es soll, in Hinsicht auf die sich widerspreehenden Angaben in der Literatur, mit einer einwandfreien Methode untersucht. werden, ob die Einnahme eines purinfreien Nahrunssstoffes, in erster Linie eines Proteins, eine Harnsäurevermehrung hervorruft oder nicht. Wenn die Tätickeit der Verdauungsdrüsen tatsächlich mit Harn- säurebildung verbunden ist, so muss die Harnsäureausscheidung während der Ruhe dieser Drüsen geringer sein und sofort eine Steigerung erfahren, sobald diese Drüsen durch welches Mittel immer in Tätiekeit versetzt wurden. Schon des öfteren wurde in der Literatur konstatiert, dass beim Hungern. wo die Verdauungsdrüsen ruhen, weniger Harmsäure aus- geschieden wird als bei regelmässiger Ernährungsweise. So fanden Schreiber und Waldvogel?), dass dasselbe Individuum, dessen Harn bei einer proteinarmen Kost in 24 Stunden 477 mg Harnsäure enthielt, nach dem ersten Hungertäge nur 290 mg und naclı weiteren 2 Tagen 233 bzw. 197 me Harnsäure ausschied; bei einem anderen sank die Harnsäuremenge von 718 mg auf 405 bis 205 mg. Zu einem ähnlichen Ergebnisse kam Hirschstein?); nach dem ersten Hunger- tage stellte sich eine Abnahme der Harnsäure von 332 auf 181 mg ein. Und in dem Versuche Cathcart’s?) schied ein Mensch bei Milechnahrung täglich gegen 4S0 mg Harnsäure aus, während beim Hungern diese Menge sich bis auf 150 mg reduzierte. Diese Befunde fügen sich gut in den Rahmen der oben angeführten Erklärung ein. Zur weiteren Bestätigung des Ursprunges der Harnsäure in der Tätiekeit der Verdauungsdrüsen ist der Nachweis zu führen, dass mit dieser Tätickeit eine Erhöhung der Harnsäuremenge einhergeht. Diese Drüsen können durch eingenommene Nahrungsstoffe in Tätig- keit versetzt werden. Allerdings müssen dazu purinfreie Nahrungs- 1) Schreiber und Waldvogel, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 42 S. 69. 1899. 2) Hirschstein, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 57 S. 229. 1907. 3) Cathcart, The Journal of Physiol. vol. 35 p. 500. 19061907. Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 219 stofie gewählt werden, da die Purinstoffe mit der Harusäure in naher chemischer Verwandtschaft stehen [Camerer'), Burian und Schur?), Siven?®)]. Nach dem Genuss purinfreier Nahrungs- stoffe müsste sich eine Erhöhung der Harnsäureausscheidung ein- stellen, wenn die durch diese Stoffe anzereste Drüsentätigkeit tat- sächlieh Material zur Harnsäurebildung abgibt. In der Literatur findet sich aber eine auffallende Divergenz in den Ergebnissen der Versuche über die Abhängigkeit der ausgeschiedenen Harnsäuremenze von der Nahrungsaufnahme. Hess und Schmoll*) fügten zu ge- misehter Kost Eiweiss oder Dotter von 24 Eiern hinzu und kamen zu dem Ergebnisse, dass nicht der geringste Zusammenhang zwischen der Ausscheidung der Purinstoffe, vor allem der Harnsäure, und der Eiweissnahrung bestehe. Denn nach Zusatz des Eiweisses von 24 Eiern zur gewöhnlichen Kost hielt sich die Menge der Harn- säure und der Purinstoffe überhaupt auf gleicher Höhe; im ersten Versuche betrugen die täglichen Harnsäuremengen 1.06, 1,18, 1,18, 1,09 g (am zweiten und dritten Tage wurde Eiweiss hinzugefügt). Im zweiten Versuche ergaben sich 1,22, 1,16, 1,21, 1.10, 1,21, 1.14, 1,19 & Harnsäure täglich (die fett gedruckten Ziffern beziehen sich auf jene Tage, wo die Nahrung um das Eiweiss von 24 Eiern ver- mehrt wurde). Ähnlich verlief die Harnsäureausscheidung auch nach Zusatz von Eidotter, der ebenfalls frei von Nukleinsäuren ist. Siv&n?®) benutzte bei seinen Versuchen Speisen, die nahezu gar keine Purinstoffe enthalten, und bestimmte die Harnsäuremenge mehreremal täelich. Das Ergebnis seiner Versuche fasst er in den Worten zusammen: „Während der Zeit der lebhaftesten Zellen- tätigkeit ist die Harnsäureausscheidung teils grösser, teils geringer als während der Zeit, wo keine derartige Arbeit stattfindet; daher sieht es so aus, als ob die Digestionsarbeit keinen Einfluss auf die Harnsäurebildung ausübe“ (S. 148). Auch Kauf- mann und Mohr’) kamen zur Ansicht, dass Zusätze von nuklein- freien Proteinstoffen zur gewöhnlichen Nahrung für die Harnsäure- ausscheidung im grossen und ganzen bedeutungslos seien. Ein Zu- 1) Camerer, Zeitschr. f. Biol. Bd. 35 S. 206. 1897. 2) Burian und Schur, Pflüger’s Arch. Bd. 80 S. 241. 1900. 3) Siven, Skandinav. Arch. f. Physiol. Bd. 11 S. 123. 1901. 4) Hess und Schmoll, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 37 S. 243. 1896. 5) Kaufmann und Mohr, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 74 S. 141. 1902. 220 Franz Smetänka: satz des Weissen von 26 Eiern zu einer purinfreien Nahrung rief nämlich nur eine gerinefügige Steigerung der Harnsäuremenge von 532 me auf 545 mg (zweiter Versuch) hervor; beim dritten Ver- suche, nach Zulage des Eiweisses von 30 Eiern, eine Erhöhung von 405 mg auf 472 mg, im vierten Versuche blieb die Ausscheidung sleichmässig (508 und 507 mg). Und Pfeil!) behauptet, dass die stündlichen Harnsäuremengen, abzesehen von der Erhöhung in den Morgenstunden, deren Ursachen schwer zu finden sind, gleich seien und dem Einflusse purinstofffreier Nahruzg nieht unterliegen. Dagegen fand Folin?), dass die Harnsäureausscheidung sinkt, wenn der Proteinmetabolismus ausgiebig reduziert wird. (When the total amount of protein metabolism is greatly reduced, the absolute quantity of urie acid is diminished, but not nearly in proportion to the diminution of the total nitrogen ... .. [p- 87].) Zu diesem Er- sebnisse gelangte Folin «durch Vergleich der Harnsäuremenge in jenen Abschnitten des Versuches, wo die Nahrung alle drei Nährstoff- arten enthielt, mit der Menge, die ausgeschieden wurde, sobald die Proteine aus der Speisekarte gestrichen wurden. Bei einer aus- schliesslich aus Stärke und Rahm bestehenden Diät schied die Ver- suchsperson stets bei weitem weniger Harnsäure aus, als in jenem Versuchsstadium, wo auch Proteine eingenommen wurden. Manclı- mal sank die Harnsäuremenge bei proteinarmer Diät bis auf die Hälfte. Das Vorhandensein der Proteine in der Nahrune ist also die Ursache. dass Harnsäure in grösserer Menge ausgeschieden wird. Das bestätiete neuestens Cathcart?), der schreibt: „Eine eigen- tümliche Erscheinung ist es, dass bei Fett-Protein-Diät (ohne Purin- stoffe) eine Erhöhung der Harnsäureausscheidung auftritt.“ (One eurious point ... is that the protein-fat-diet — a purin free diet — there is a rise in the output of the urie acid.“) Auch bei nur ober- flächlicher Betrachtung seiner Protekolle kaun diese Erscheinung der Aufmerksamkeit nieht eutgehen. Gegenüber dem nüchternen Zu- stande (75—82 mg Harusäure-N) werden bei Fett- und Protein- nahrung täglich 128—193 me Harnsäure-N ausgeschieden. Damit stimmt auch der Befund von Hopkins und Hope) überein, dass 1) Pfeil, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 40 S. ıi. 1908. 2) Folin, Americ. Journal of Physiol. vol. 13 p. 66. 1905. 3) Cathcart, The Journal of Physiol. vol. 39 p. 311. 1909. 4) Hopkins and Hope, The Journal of Physiol. vol. 23 p. 271. 1899. Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 231 der Genuss von Eiweiss die Menge der Harnsäure im Harne, wenn auch unbedeutend, erhöht. Hopkins und Hope veröffentlichen zwei Versuche, wo zu einer bestimmten Stunde des nüchternen Zu- standes über 400 g Eiweiss eingenommen wurden. Im zwölften Versuche (S. 289) wuchs die Harnsäuremenge zwei Stunden nach der Eiweisseinnahme von 22 mg auf 38 mg. — Im dreizehnten Ver- suche ist der Unterschied geringer; eine Stunde nach der Eiweiss- einnahme enthielt der Harn 36 mg Harnsäure gegenüber 26 mg; _ nichtsdestoweniger ist aber auch hier eine Harnsäurevermehrung zu verzeichnen. Hirschstein!) kam auf Grund seiner Versuche zu dem Resultat, „dass die endogene Harnsäure mindestens zu 70°%o der Verdauungstätigkeit entstammt“. Die einen Autoren nehmen also auf Grund ihrer Versuche an, dass Einnahme purinfreier Nahrung je naeh ihrer Qualität eine Steigerung der Harnsäureausscheidung bewirkt, wogegen die anderen dies in Abrede stellen. Es ist klar, dass dieses Kapitel der Physiologie einer Revision in einwandfreier Art und Weise bedarf, und das ist das Ziel der vorliegenden Arbeit. Denn wenn festgestellt wird, dass der Genuss von purinfreier Nahrung eine Zunahme der Harnsäureausscheidung hervorruft, so entfällt der Haupteinwand gegen die Annahme eines Zusammenhanges der Harnsäurevermehrung nach der Nahrungsaufnahme mit der dadurch angeresten Tätigkeit der Verdauungsdrüsen. Sehlussfolgerungen aus Versuchsergebnissen können nur dann eine tatsächliche Gültigkeit beanspruchen, wenn diese Ergebnisse auf Grund richtiger Methoden gewonnen worden sind. Aber die Methode, welche Hess und Schmoll?) befolgten,; ist nicht dazu geeienet, den Zusammenhang zwischen der Entstehung der Harn- säure und der Nahrungsaufnahme festzustellen. Sie setzten zur ge- wöhnlichen Nahrung, die schon grosse Mengen von Proteinen ent- hielt (Fleisch, Schinken, Eier, Milch), wiederum Proteine (Eiweiss oder Dotter von 24 Eiern) zu; die Harnsäureausscheidung wies hier fast keine Änderung auf. Hess und Schmoll schlossen daraus: „Diese Versuche bilden einen strikten Beweis für das vollkommene Fehlen eiues Zusammenhanges zwischen Eiweissnahrung und Harn- säure“ (S. 248). Ein solcher Schluss ist aus dem Ergebnis eines 1) Hirschstein, |. c. 2) Hess und Schmoll, I. c. 222 Franz Smetanka: auf diese Art angeordneten Versuches gar nicht zulässig. Hess und Sehmoll, die die Harnsäureausscheidung an sich selbst prüften, hatten schon vorher in ihrer Speise Fleisch; dadurch, dass sie zur Proteinnahrung neue Proteine hinzufügten, lösten sie, ohne sich dessen bewusst zu werden, nur die Frage, ob durch verschiedene Proteinmengen in der Nahrung die Harnsäureausscheidung eine Änderung erfährt? Ihre Ergebnisse dürfen jedoch nicht zur Beant- wortung der Frage herangezogen werden, ob der Genuss von Proteinen überhaupt in einem Zusammenhange mit der Harnsäure- menge stehe. Damit diese Frage richtig beantwortet werde, muss bekannt sein, wie die Harnsäureausscheidung bei Abwesenheit der Proteine in der Nahrung verläuft. Erst der Vergleich der. Harn- säuremenge bei proteinfreier Nahrung mit jenen, die sich nach Ge- nuss von proteinhaltigen Speisen ergeben, kann hier ein richtiges Ergebnis geben. Hess und Sehmoll!) waren sich dessen bewusst, dass der Einfluss des Eiweisses oder irgendeines Nukleoalbumins auf die Harnsäureausseheidung sich am deutlichsten zeiren würde, wenn der gesamte Stickstoff der Nahrung in einer Form auf- genommen werden würde, z. B. als Eiweiss, weil sieh dann in der Harnsäureausscheidung beim Vergleich mit den Normaltagen die grössten Differenzen einstellen könnten (S. 246). Und doch ordneten sie ihre Versuche so an, dass daraus ein unrichtires Ergebnis heraus- kam. Ihre Versuche lassen sieh nur zur Beantwortung der Frage benutzen, ob verschiedene Proteinmengen in der, Nahrung eine Änderung in der Harnsäureausscheidung bewirken. Daraus folet die erste methodische Forderung: Soll mit Sicherheit festgestellt werden, welchen Einfluss ein bestimmter Nährstoff auf die Harn- säureausscheidung hat, so darf dieser Stoff nicht schon vorher in der Nahrung anwesend sein. Es ist daher notwendig, den Einfluss der Proteine isoliert zu prüfen, ebenso den Einfluss der Kohlenhydrate, Fette usw. Feasy Aber auch unter diesen Umständen sind besondere Maassregeln zu befolgen, um richtige Erzebnisse zu erhalten. Siven?), Pfeil°) und Hirschstein®) gingen nach sehr ähnlichen Methoden vor und 1) Hess und Schmoll, ]. e. 2) Siven, |. ce. 3) Pfeil, l. c. 4) Hirscehstein, |. e. Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 233 _ doch widersprechen sich ihre Resultate. Alle reichten zwei- bis dreimal täglich eine purinfreie Nahrung und: bestimmten die Harn- säureausscheidung im Verlaufe kürzerer Perioden mehrmals täglich ; Siv6n vier- bis fünfmal, Pfeil siebenmal, Hirsehstein nur drei. mal in 24 Stunden. Und dabei kamen die beiden ersten Autoren zu dem Ergebnisse, dass der Genuss purinfreier Nahrung auf keinerlei Art auf die Harnsäureausscheidung einwirkt, wogegen Hirschstein behauptet, dass zumindest 70% der endogenen Harnsänre bei der Verdauung entstehen. Wer hat recht? Die Ursache dieses Widerspruches liegt in der Methode der Versuche. Soll der Einfluss der Nahrung auf irgendeinen Bestand- teil des Harnes, z. B. auf die Harnsäure, sichergestellt werden, so muss vor allem der Einfluss der früher vorausgegangenen Nahrungs- aufnahme ausgeschlossen werden. Ist dieser Einfluss unbekannt — der soll ja eben geprüft werden — so muss seit der letzten Nahrungsaufnahme so viel Zeit verstrichen sein, dass man mit Fug und Recht annehmen kann, ihr Einfluss sei bereits vorübergegangen oder doch nur mehr unbedeutend zurückgeblieben. Man muss also den Versuch im nüchternen Zustande anstellen und feststellen, wie die Ausscheidung des betreffenden Harnbestandteiles in diesem Zu- stande verläuft. Zu einer bestimmter Zeit des nüchternen Zustandes lässt man dann die Versuchsperson einen bestimmten Nährstoff ein- nehmen und bestimmt danach den weiteren Verlauf der Ausscheidung. Dann kann man aus dem Ergebnis der Analysen ganz einwandfrei schliessen, ob dieser oder jener Nährstoff irgendeinen Einfluss auf die Menge, z. B. der Harnsäure, hat oder nicht. Es versteht sich von selbst, dass im Verlaufe der Analysen bis zur: Beendigung des Experimentes die Versuchsperson nichts anderes geniessen darf. Aber noch eines darf nicht vergessen werden. Wird die Ausscheidung in zu langen Zwischenräumen bestimmt, so können ihre Schwankungen ganz verwischt werden. Durchschnittswerte sind niemals so verlässlich wie die durch direkte Analysen gefundenen. Der Verlauf der Ausscheidung muss in ganz kurzen Zeitabschnitten verfolgt werden. Wird die Bestimmung nach je einer Stunde vor- genommen, so kann eine noch so geringe Veränderung der Aus- scheidung der Beobachtung nicht entgehen, auch wenn sie nur eine kurze Zeit anhält. Der Genuss eines purinfreien Nahrungsstoffes kann eine nur kurz andauernde Erhöhung der Harnsäuremenge hervorrufen; wird hier die Harnsäuremenge nach längeren Zeit- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 15 234 Franz Smetänka: perioden bestimmt, so ist ihre Vermehrung an ihrem stündlichen Durehsehnittsbetrage gar nieht zu erkennen. Es wird die Folgerung nahe gelegt, dass dieser Nahrungsstoff auf die Harnsäureausscheidung nicht einwirkt, obgleich die öftere Bestimmung des Ausscheidungs- verlaufes gerade das Gegenteil zeigen würde. Vielleicht könnte der Einfluss des Nahrungesstoffes auch bei längeren Bestimmungsperioden hervortreten, wenn vor der Einnahme des zu prüfenden Nahrungs- stoffes eine längere Karenz vorangehen würde. Wenn aber die Versuchsperson dreimal täglich Nahrung aufnimmt und die Harn- säure nur 3—o mal täglich bestimmt wird, dann vergleicht man die unter dem Einfluss der zu prüfenden Nahrung: ausgeschiedene Harn- säuremenge mit einer Harnsäuremenge, welche ebenso unter dem Einflusse der Nahrung ausgeschieden wurde. Das Ergebnis ist dann allerdings negativ, und es wird der Schluss gezogen, dass die Harn- säure dem Einflusse purinfreier Speisen nicht im mindesten unter- liegt. Aber unter solchen Umständen muss dieser Einfluss dem Untersuchenden verborgen bleiben. Welchen Weg soll man also einschlagen, damit die Ergebnisse des Versuches der Wirklichkeit entsprechen? Das ist bereits in den vorangegangenen Abschnitten angedeutet worden: 1. muss man den Einfluss jedes Nährstoffes für sich prüfen; 2. ist die Unter- suchung in nüchternem Zustande vorzunehmen; 3. ist die Einnahme des prüfenden Nährstoffes auf eine bestimmte Zeit des nüchternen Zustandes zu fixieren und genau zu isolieren; 4. müssen die Zeit- räume zwischen den einzelnen Analysen so kurz sein wie möglich, um den zeitlichen Verlauf der Ausscheidung verfolgen zu können. Diesen Anforderungen entspricht die Methode, welche vor 23 Jahren MareS befolgt hat, als er das Verhältnis der Harnsäureausscheidung zur Nahrunesaufuahme ermitteln wollte. Nichtsdestoweniger fand auch diese Methode in den späteren Untersuchungen über die Her- kunft der Harnsäure keine Beachtung, woraus sieh die Verwirrung in den Ergebnissen dieser Untersuchungen erklären lässt; erst in jüngerer Zeit ist dieselbe von Burian!) angewendet worden. Ich gehe nun daran, die Ergebnisse meiner Versuche mitzuteilen. l. Einfluss purinfreier Proteine auf die Harnsäureausscheidung. Die Aufgabe der ersten Versuchsreihe war, zu untersuchen, welchen Einfluss der Genuss von purinfreiem Protein auf die Aus- 1) Burian, Zeitschr. f. physiol, Chem. Bd. 43 $. 532. 1904—1905. Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 295 scheidung der Harnsäure hat. Die Versuche wurden so angestellt, dass die Versuchsperson zu verschiedenen Tageszeiten, mindestens 9, mitunter bis 18—20 Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme, so viel frischen Topfen (Kasein) oder Eiweiss genoss, bis sie sich ge- sättigt fühlte. Die Harnsäure wurde nach Salkowski-Ludwig bestimmt. Versuch I. 14. Oktober 1909. Selbstversuch. (Gewicht 65 kg, Alter 21 Jahre.) Letzte Nahrungsaufnahme 19 Stunden vor Beginn des Versuches (keine Fleischspeisen). Am Tage des Versuches aufgestanden um 7 Uhr; zwischen 11 Uhr 30 Min. bis 11 Uhr 45 Min. vormittags genossen 196 g Eiweiss, vom letzten Mittagessen bis zur Beendigung des Versuches nichts getrunken. Harnmenge Harnsäure Tageszeit em mg 8-97 Uhr morgens! . -......... 27,9 13,8 9—10 „ Er RER RER 32,0 14,7 10-11 ,„ BR N 27,0 14,6 1i—12 „ mittags 196 g Eiweiss 25,0 16,0 12—1 r EIER 24,5 20,4 1-2 ,„ REN GREEN 28,0 25,8 2—3 , „ EEE 31,0 23,3 3—A , S I RAR ILS N 16,5 d4—5) „ Le 27,0 14,6 3—b sasabendsis Ana wen un 27,0 14,3 MO, Stunden a a nn a 277,0 174,0 mg 25 ISNOBENER SEEN 2 mBr Aeebeemüihr: mittags Fig. 1. O= 196 g Eiweiss genossen. Versuch II. 22. Oktober 1909. C. S., 23 Jahre, 65 kg. Letzte Nahrungsaufnahme am Tage vor Beginn des Versuches um 1 Uhr nachmittags, purinfreie Nahrung. Am Versuchstage um 7 Uhr aufgestanden, zwischen 12 Uhr 40 Min. und 1 Uhr mittags 293g Topfen, mit Wasser angemacht, genossen, etwas Wasser dazu getrunken. 15% 2236 Franz Smetänka: Tageszeit Harmnenee u 8-9 Ubrsmorgens nn... 0.2 48,5 16,0 9—10 „ RE 152 19,5 10—11 „ RUE EN N. 39 14,8 11—12 „ a Ra 34 17,0 12—1l „ mittags 293 g Topfen 27 18,4 1-2 ,„ A RE E 27,5 25,7 2—3 „ II AED EU Fe AÄFSERe 36,5 31,4 34 ,„ Fe RT TREE: 39,5 30,8 4—5 ,„ N Ar 40,5 21,9 9b, ngabendsi.m. 2 „1 .0R 44 15,0 Be RE ae 37 9,6 78, Le 39 ur 8-9 „ N Re 40 12,2 9—10 „ „ eingeschlafen 39 11,6 10—11 „ ee 39,5 10,7 11—12 Uhr nachts . ...... 40,5 10,5 2—1 ,„ aneeER , 44,5 10,6 1-2 ,„ N 39,5 11,4 23 , Bi ER RER 40,5 1177 3—4 ,„ I EN 35,5 1 4—5 ,„ A Ge ee ale 36,5 13,5 86, 1, morgensar ern ar 38 12,9 6-7 ,„ a) erwacht . . 47 16,0 8 ,„ ER Se a 41,5 14,1 In 24 Stunden . ARE 1046,5 378,7 20 } 18 | «| nr an I 1 1 1 — ı 1 er — m Vo en are een... 2a ae 8 Uhr morgens mittags abends nachts morgens Fig. 2.2 ©&= 293 g Topfen genossen. DD E Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. Versuch III. 2. November 1909. E. S., 34 Jahre, 92 kg. Letzte Nahrungsaufnahme {purinfreie Nahrung) 13 Stunden vor Beginn des Versuches. Am Versuchstage um 6 Uhr aufgestanden, zwischen 9 Uhr 05 Min. und 9 Uhr 15 Min, 203 g Topfen genossen, etwa 250 ccm Wasser getrunken, Harnmenge Harnsäure Tageszeit Kan Ing 18 Uhrlmorgens" m... 39,5 31,4 8 I An, a ER rer ne de 48 31,4 9-10 „ 5 203 g Topfen 51,5 40,8 10—11 „ EEE ROLE. 58 54,7 I ZI20 en aamittagsee 00.2: 91 56,2 12—1 „ a ee se 75 34,5 1-2 ,„ I 59 25,8 23, DE ER 267 27,1 3—4 ,„ 3 Ele vr 78 29,1 InS98Stundenp 5. 331,0 mg 60 56 48 44 40 Fr | 36 + 32 28 24 20 ERS IE 22 4 Uhr mittags Fig. 3. © = 203 g Topfen genossen. Versuch IV. 11. November 1909. V. D., 24 Jahre, 60 kg. Letzte Nahrungsaufnahme (Brot mit Butter und Käse) am Tage vor dem Versuche um 7 Uhr abends, 15 Stunden vor Beginn des Versuches. Von 3 Uhr 55 Min. bis 4 Uhr 25 Min. nachmittags 320 g Topfen in zwei Portionen, die zweite nach 18 Min., ein- genommen. Beim Essen !/s Liter Wasser getrunken. Tageszeit Harnmenge ‘© Harnsäure ccm mg 1—2 Uhr nachmittags . .. . . 37 16,0 23 „ Pe 26 16,9 324; ee ..: 21 16,4 228 Franz Smetänka: a Harnmenge Harnsäure Tageszeit Be mg 4—5 Uhr nachmitttags 320 g Topfen 25 23,0 5-6 „ MN ek 37,5 40,9 6—7 „ BRUNNEN 59 45,8 7, BE N ehrt 72,5 35,1 8-9 „ BE EN ee 81,5 29,4 Selleabendsp. ee 67 18,8 InToRStundenen. an 426,5 242,3 mg 48 ETUI, T Alison! To T T las) 44 ’ Se 40 - 36 | 32 : 1 28 [ | 24 | a 20 | | Ion - 12 | VE EEE LNLn Se BERN nenn oa AN oT or 910. Unz nachmittags Fig. 4& O = 320 g Topfen genossen. Versuch V. 11. Dezember 1909. C. S., derselbe wie in Versuch II. Mittagessen am Tage des Versuches um 41 Uhr, bestehend aus Erdäpfelsuppe und Äpfelauflauf. Zwischen 9 Uhr 25 Min. und 9 Uhr 45 Min. abends 350 g reinen Toptens und etwas Wasser eingenommen; um 10 Uhr abends eingeschlafen. Am nächst- folgenden Tage um 8 Uhr 45 Min. aufgestanden, obgleich bereits seit 7 Uhr wach. Tageszeit an ne 67. Uhr abends "77. 2... 27,9 10,2 1-8 ,„ N ER REN 21,5 IN 8-9 „ N ee ae N 17,5 9,6 9—10 „ 5 330 g Topfen 16 9,7 10—11 „ EN ET 25 17,9 11l—12 „ nachtseazu einer. 26 19,7 12—1 „ ( 19,2 0m. | ee 102 576 J 192 2—3 » J \ 13,2 3—4 ,„ j 17,5 45 ,„ EL Do DE 131 52,6 17,5 5-6 ,„ | \ 17,5 Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 229 Harnmenge Harnsäure Tageszeit ecm mg 6=-0sUhr morgens, 0. 0.2.24] 17,0 85 # RER ne de: 50 20,1 8-9 „ RE He tronl. 69 20,1 9-10 , Ale RER ER A 47,5 13,1 10—11 „ N el EL ee 46,5 22,1 u SlonUhrsmitiaese 0: 2722250 16,8 12 u = Er ee ol. 16,3 1-2 ,„ EINER I RE Sl 12,5 23, SE PRORERTESSEILR IE 28 12,8 3 % a 24 10,1 d— ,„ e a 23 3,6 be abendsurr er... Ar 26 8,7 InY24° Stunden see 825,9 370,2 an 2 a SE ER J | 22 N | 20 NV | 18 K | 16 | 14 12 10 8 GR WIE: abends nachts morgens mittags abends Fig. 5. O©=330 g Topfen genossen. Versuch VI. 2. Februar 1910. Selbstversuch. Am Versuchstage purinfreies Mittagessen um "sl Uhr mittags, nachmittags von 3"/2 Uhr bis 6 Uhr am Konzertpodium ge- standen. Von 9 Uhr 10 Min. bis 9 Uhr 25 Min. abends, demnach 3 Stunden nach Beginn der Analysen 255 g Topfen ohne Getränk genossen. In der Nacht keinen Schlaf gefunden. : Harnmense Harnsäure Tageszeit = s ccm mg GnUhsgabendsener ee... 32,9 ls) 1-8 ,„ BE u are 34 23,5 8-9 „ ET RAN 53 19,9 9—10 „ „ 255 g Topfen. . 39,5 21,4 10-11 „ N 36,0 22,3 1122 nachtstene.... 0. . u. 40,5 25,0 12—1 Uhr | 18,1 1—2 „ Dachtsem ae aan. 125 54,3 18,1 2—3 5 i \ 181 230 Franz Smetänka: Harnmenge Harnsäure Tageszeit Ba mg 93—4 Uhr ) ( 18,7 A oe \ morgenssa u. 2 lan ! 18,7 5-6 „ N 18,7 BU MOrDEensY. 2 20 20, 21,3 A—8 “ 42,5 21,6 8-9 „ 5 42 20,8 9—10 „ = 3 21,0 10—11 , DEE TR St 20,0 iz 122, 2 mittagsee 29 16,5 12—1l „ 5 ee DEINER 21,8 1l—2 „ 3 ZN) 14,1 2—3 „ s al 10,1 3—4 ,„ H 22,5 13,2 4-5 „ a Eee 3 2125 13,1 9b nabendsarane 020 11,8 In724 Stunden 10, 452,2 Bevor ich daran gehe, den Eiufluss purinfreien Nahrungsproteins auf die Harnsäureausscheidung auseinanderzusetzen, möchte ich auf zwei besondere Seiten der vorliegenden Versuche aufmerksam machen. Vor allem ersieht man aus dem Versuche II, dass abends und nachts sehr wenig Harnsäure ausgeschieden wird im Vergleiche zu den Harnsäuremengen während des Tages. Die nächtlichen Stundenmengen schwanken nur in sehr engen Grenzen zwischen 9,6 mg und 12,2 mg. Erst gegen morgen von 4 Uhr an beginnen die Harnsäuremengen zu steigen und erreichen in den Vormittagsstunden den Höhepunkt. Dieses Ergebnis erhärtet und ergänzt die älteren Berichte darüber. Auf die geringen nächtlichen Harnsäuremengen machte bereits Siven!) aufmerksam, und alle Autoren, die die Harnsäureausscheidung zu verschiedenen Tageszeiten verfolgten, bestätigen diesen Befund [Pfeil?), Leathes®), Hirschstein®), Kennaway?)]. Aus dem Vergleich der Versuche II und V ergibt sich ferner die Bestätigung der schon anerkannten Erfahrung, dass die Harn- säureausscheidung individuell konstant ist. Beide Versuche ge- schahen unter denselben Voraussetzungen; die Versuchsperson nahm 1) Siven, l. c. 2) Pfeil,. c. 3) Leathes, Journ. of Physiol. vol. 35 p. 125. 1907. 4) Hirschstein, l. c. 5) Kennaway, Journ. of Physiol. vol. 38 p. 1. 1908. Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 231 in 24 Stunden nur einmal Nahrung zu sich, und zwar einen und denselben Nährstoff in nahezu gleicher Menge. Und die Tages- menge der Harnsäure unterscheidet sich nur unbedeutend, obeleich der Verlauf der Ausscheidung während der einzelnen Tageszeiten ziemlich verschieden ist. Im Versuche II wurden 378,7 mg Harn- säure ausgeschieden, im Versuche V 370,2 mg, also nur etwa um 2°/o weniger. Ich hebe hervor, dass die Verhältnisse in beiden Ver- suchen beinahe vollkommen gleiche waren. Wir werden sehen, dass die Harnsäureausscheidung ganz anders verläuft, sobald die Art des Nahrungsstofies geändert wird. In allen Versuchen, ausgenommen den Versuch VI, stelltesichnach Genuss purinstofffreier Proteine eine bedeutende Erhöhung der Harnsäureausscheidung ein, welche einen regelmässigen Verlauf zeigte. In der Stunden- periode während der Einnahme des Eiweisses oder Topfens zeigt sich fast kein Anwachsen der Harnsäuremenge; nur in jenen Fällen, wo die Versuchsperson gleich zu Beginn der Stundenperiode das Protein einnahm, war schon zu Ende dieser ersten Stunde die Harnsäure- vermehrung ziemlich deutlich. In den weiteren Stunden vergrössert sich die Stundenmenge der Harnsäure sehr rasch und erreicht ihr Maximum 3 Stunden nach der Proteineinnahme Dann tritt ein Siuken der Harnsäuremenge ein, welches aber in den einzelnen Ver- suchen nicht gleich rasch vor sich geht. Am raschesten kehrt die Harnsäuremenge zu jener vor der Proteineinnahme ausgeschiedenen zurück, wenn das Protein am Morgen eingenommen wurde (Ver- such III); hier hielt die durch Topfeneinnahme bewirkte Harnsäure- vermehrung nur 4 Stunden lang an. Etwas länger dauerte die Ver- mehrung der Harnsäureausscheidung, wenn die Einnahme von Topfen in die Mittagsstunden fiel. Im Versuch II ist diese Vermehrung bis in die fünfte Stunde kenntlich. Im Versuche IV wurde das Kasein nachmittags um 4 Uhr eingenommen, und hier kann man auch noch in der letzten Analyse um 10 Uhr abends die Harnsäuremenge als ver- grössert ansehen, weil abends und nachts die Harnsäureausscheidung sonst mehr abnehmen würde. Danach hält die Harnsäurevermehrung, welehe durch die nachmittägige Proteineinnahme bewirkt wurde, bis 6 Stunden an, wenn nicht länger. In diesem Versuche ist ferner das sehr hohe Maximum der Harnsäureausscheidung auffallend. Während in den ersten drei Versuchen die Harnsäurevermehrung in der dritten Stunde nach der Proteineinnahme 79—87 °/o der im 232 Franz Smetänka: nüchternen Zustande ausgeschiedenen Harnsäuremenge beträgt, stellte sich in diesem Versuche eine Vermehrung um 177° ein. Die Ursache davon liest vielleicht darin, dass im Versuch IV die Versuchsperson den vorgelegten Topfen in zwei Portionen mit einer viertelstündigen Pause zu sich genommen hatte. Denn ebenso zeigte es sich in einem Pilokarpinversuche von MaresS!), wo nach zwei- facher Pilokarpineinverleibung innerhalb von drei Viertelstunden die Harnsäuremenge am höchsten anstieg und am längsten andauerte. Die Versuche V und VI unterscheiden sich bedeutend von den vorangehenden Versuchen. Im Versuche V nahm die Versuchs- person nach 9 Uhr abends 330 g Topfen zu sich; die Stundenmengen der Harnsäure vor der Proteineinnahme sind sehr niedrig, obgleich die: Versuchsperson noch zu Mittag desselben Tages eine purinstoff- freie Nahrung zu sien genommen hatte, ein neuer Beleg dafür, dass die durch das Mittagessen hervorgerufene Harnsäurevermehrung längstens sechs Stunden anhielt. In der zweiten Stunde nach dem Genuss des Topfens stellt sich die erhöhte Harnsäureausscheidung ein; die Steigerung ist hier ziemlich bedeutend, besonders im Ver- gleiche zu der Harnsäuremenge, welche von derselben Versuchs- person im Versuche II zu derselben nächtlichen Zeit ausgeschieden wurde (17,9 mg gegen 10,7 mg von 10—11 Uhr abends). Dabei ist das Maximum der Harnsäureausscheidung nach Einnahme von Topfen im Versuche V bedeutend niedriger als im Versuche I, welcher an derselben Person gemacht wurde; diese schied im Ver- such II in den Morgenstunden im nüchternen Zustande beinahe die- selbe Harnsäuremenge aus wie im Versuch V in den Nachtstunden nach Einnahme von Topfen. Aber die vermehrte Harnsäure- ausscheidung hielt hier die ganze Nacht an und liess sich bis in die Morgenstunden des folgenden Tages hinein verfolgen. Der Vergleich der Versuche II und V lässt keinen Zweifel darüber zu. In der Zeit von 11—12 Uhr nachts wurden im nüchternen Zustande 10,5 mg Harnsäure ausgeschieden (Versuch II), nach Genuss von Topfen aber zu derselben Zeit (Versuch V) 19,7 mg, also nahezu doppelt so viel. Von 12—3 Uhr im Versuche II 33,7 mg gegen 57,6 mg im Versuche V. Von 3—6 Uhr früh 38,1 mg gegen 52,6 mg; von 6—8 Uhr früh 30,1 mg gegen 37,1 mg; von 8 bis 12 Uhr vormittags 67,3 mg gegen 77,1 mg. Der Einfluss des b) Mares, 1, c. Ss Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 233 abendlichen Topfengenusses ist am grössten in den ersten sechs Stunden, sinkt dann, ist aber noch in den Vormittagsstunden des nächsten Tages zu bemerken. Diese langgezogene Harnsäure- vermehrung nach abendlicher Proteineinnahme bewirkt es, dass die Gesamtmenge der Harnsäure innerhalb 24 Stunden in beiden Ver- suchen nahezu gleich ist, ob zwar der Verlauf der Ausscheidung zu den verschiedenen Tageszeiten in beiden Versuchen ganz verschieden ist, wie es auch das folgende Diagramm (Fig. 6) deutlich macht.: Diese langgezogene, schleppende Harnsäureausscheidung ist auch im Versuche VI zu beobachten, obgleich in den ersten Stunden dieses Versuches Abweichungen vom regelmässigen Verlaufe der Harnsäureausscheidung bei dieser Versuchsperson auftreten. Für gewöhnlich schied diese Versuchsperson in den Abendstunden 11 bis 13 mg Harnsäure per Stunde aus (Versuch I, VII und Ende von VI), während im Versuche VI diese Menge an 20 mg beträgt. Man kann hier also mit Recht von einer erhöhten Harnsäureausscheidung sprechen. Die Ursache liegt vielleicht in der ungewohnten Muskel- tätickeit, die unmittelbar vor dem Beginn des Versuches geleistet wurde. Die Bedingungen, unter welchen die Versuche V und VI ausgeführt wurden, waren sonst vollkommen gleich. Jedenfalls ist das ununterbrochene, über 2!/s Stunden währende Stehen eine ziem- lich anstrengende und ungewohnte Leistung. Daher können die hohen Ziffern der Harnsäure zu Beeinn des Versuches nicht über- raschen, denn Muskelarbeit verursacht Veränderungen in der Aus- scheidung der Purinstoffe, wie Burian!), Catheart, Kennaway und Leathes’) und Kennaway°) zeigten. Während der Arbeit wird die Harnsäureausscheidung geringer, die Purinbasenausscheidung dagegen grösser; bald nach der Arbeit wird die Harnsäureausschei- dung grösser, und Burian!) fand in einem solchen Versuche sogar eine dreifache Vermehrung der Harnsäure. Im Versuche VI findet sich also ein neuer Beleg für den Einfluss der Muskelarbeit auf die Ausscheidung der Harnsäure. Zu dieser erhöhten Harnsäureausscheidung infolge von Muskel- arbeit, die im Versuche Burian’s vier Stunden dauerte, gesellte sich in unserem Versuche VI die Wirkung des Topfens. Während der ganzen l) Burian,. c. 2) Cathcart, Kennaway and Leathes, Journ. of Med. vol. 1 p. 415. 1908. 3) Kennaway,l. c. spuoqe® ) ne 5 € I un r ınka € c Franz Smet ‚sossnussuardo] Sp Ja Z =O 9 SA suad.lou syyosu 01 6 8 L ya 6 1 ol oe Se spusqe 9 7 v ' T T nl T T 7 T Per! ra) Zu Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 235 Nacht enthält der Harn ganz bedeutende Mengen von Harnsäure und die erhöhte Ausscheidung greift sogar in die Morgenstunden des nächsten Tages über. In den Vormittagsstunden hält sich die stünd- liche Harnsäuremenge beständig auf gleicher Höhe von ungefähr 20 mg, während bei derselben Person im Versuch I ohne abend- lichen Topfengenuss diese Menge nur 14 mıg beträgt, obgleich sonst die Umstände in den Versuchen I und VI vollkommen gleich waren. Und summiert man die Harnsäuremengen in der Zeit von S—12 Uhr vormittags in diesen beiden Versuchen, so ist der Unterschied be- sonders deutlich. Im Versuche I wurden zu dieser Zeit 59,1 mg, im Versuche VI dagegen 78,3 mg ausgeschieden, also um ein ganzes Drittel mehr. Ähnlieh ist es in den Versuchen II und V, welche an einer anderen Versuchsperson angestellt worden sind. In der Zeit von 6—12 Uhr vormittaes ist im Versuche II 97,4 mg, im Versuche V dagegen 114,2 mg Harnsäure ausgeschieden worden. Abends genossene Nahrung, auch wenn sie keine Purinstoffe ent- hält, bewirkt also eine Vermehrung der Harnsäureausscheidung, welche sich bis in die Morgenstunden des nachfolgenden Tages hinzieht. Damit ist die in der Literatur mehrfach angegebene Tatsache erklärt, dass in den Vormittagsstunden am meisten Harnsäure aus- geschieden wird. Diese Erscheinung ist übereinstimmend angeführt in den Arbeiten von Siven?), Pfeil?), Leathes?°), Hirsch- stein‘) undKennaway?’). Auch bei der Durchsicht der 22 hier- hergehörigen Versuche von MareS®) findet man dieses Verhalten der Harnsäureausscheidung fast ausnahmslos. Ich will nieht behaupten, dass die hohen Harnsäuremengen in den Vormittagsstunden einzig und allein von dem abendlichen Speisengenuss abhängen. Der Versuch II selbst sprieht deutlich da- gegen; obgleich am 21. Oktober und am 22. Oktober die Versuchs- person abends nichts genossen hatte, waren doch in den Morgen- stunden die stündlichen Harnsäuremengen etwas grösser als in den Nachtstunden (15—19 mg gegen 10—12 mg), was vielleicht auf die 1) Siven, ]. c. 2) Pfeil; 1: c. 3) Leathes, |. c. 4) Hirschstein, |. c. 5) Kennaway,l.c. 6) Mares, |]. c. 236 Franz Smetänka: mit dem Erwachen beginnende Muskeltätiekeit zurückzuführen ist. Der Unterschied in der Vormittags- und Nachtausscheidung der Harnsäure besteht also für sich, er wird aber auffallender, wenn am Abend zuvor Speisen genommen wurden, und wenn besonders auch noeh vormittags eine Speise gereieht wurde. Zu dieser Erklärung gelangte ich zuerst in jenen Versuchen, in welchen der Verlauf der Harnsäureausscheidung im nüchternen Zu- stande, also ohne Einfluss der Nahrungsaufnahme bestimmt wurde. Um nämlich sicherzustellen, dass die nach der Nahrungsaufnahme auftretende Harnsäurevermehruug tatsächlich durch den Einfiuss der eingenommenen Nahrungesstoffe bewirkt wird, wurden Kontroll- versuche im nüchternen Zustande angestellt, in welchen der Verlauf der Harnsäureausscheidune von Stunde zu Stunde bestimmt wurde, und in welchen die Harnsäureausscheidung tatsächlich geringer gefunden worden ist als nach Einnahme eines Nahrungsstoffes. Und da zeigte es sich, dass die letzte, vor Beeinn des eigent- lichen Versuches eingenommene, selbst purinfreie Nahrung, wenn dieselbe spät nachmittags oder abends vor dem eigentlichen Ver- suchstage genossen wurde, eine erhöhte Harnsäureausscheidung in den Morgenstunden des Versuchstages bewirkte. Diese Versuche waren die folvenden: Versuch VII. 9. November 1909. J.S., 22 Jahre, 67 kg. Abends vor dem Versuche um 6 Uhr Käse und Brot, bis zum Beginn des Versuches sind also nach dieser letzten Nahrungsaufnahme 14 Stunden verflossen. Tasosseit Harnmenge Harnsäure ” Gem mg 8—9, Ühr morgens m 2 2220.:0.649 24,7 3—1075 N ee a le 26,8 10—11 „ ER BE EN 56 28,3 111225 0°mittagsg 2 en 18. 25,6 12—1 „ eo A070) 19,0 1—2 „ EESELRERE Karla a Hal 16,7 —d EL Se 15,7 3-4 „ as 100 13,8 4 „ VE A) 14,7 5—6 „ RR ee 10,6 6—7 „ Eee or 0) 12,1 78... abendse a: 2. 222.0.25 9,3 InSl22 Stunden tor) 217,3 Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. DD co = Versuch VII. 24. November 1909. Selbstversuch. Am Abend vor dem Versuchstage um 7!/e Uhr Obstauflauf und Butterbrot genossen; auch schon zu Mittag am 23. No- vember kein Fleisch zu sich genommen. Tapes Harnmenge Harnsäure Se cem mg 3=9HUhrZmeorgens. .ı .,... =, 3,9 23,5 EN Be 2 AN BE 43 24,9 I U ag. Bear ei ehe 51 30,1 120 emittagserene a 40 27,7 12—1 „ 37 22,9 1—2 „ RER a DT 20,3 2—3 ,„ Ne 0 3200 16,9 SEA aa N enden. 23 17,3 EEE REN ON RE 19,5 15,4 36 , 17,5 12,8 6—7.,„ BEE LE 12,0 Sn RADENASN „es ses 20 12,0 In@1l2rStundensan se. a as ee 370,0 235,8. Versuch IX. 1. Dezember 1909. J. L., 24/2 Jahre, 72 kg. Zwei Tage vor dem Ver- suche kein Fleisch. Am Abend vor dem Versuche um 7 Uhr Butterbrot. Tageszeit ee a 8-9 Uhr morgens. ...... 30 14,6 GES OB UNE rs 40 14,7 10-11 „ NN N dh fs 36,9 17,5 OD mittags re 46 21,4 1 NEE ER RR I EEE Sl 16,1 EEE RATE Ne aaa ne 30 16,0 2—3 ,„ AP AS 0 17,2 3—4 ,„ ee LEUTE) 16,4 A N eu 30 16,1 Sure nabendsger 0.0: 028 12,3 InmeleStundene wer 2 222.2... 2.0350 162,3. Versuch X. 3. Dezember 1909. Derselbe wie im Versuche IX. Am Tage vor dem Versuche um 2 Uhr nachmittags Käse und Butterbrot; abends nichts genossen. Tageszeit HanınuBe ee 8 JE Uhrsmorpenseen 2. 33 15,2 9—10, ,„ 21 A 3 13,9 IK Il Er 41 16,1 11127000 mittapsaa ei: 41,5 13,0 238 Franz Smetänka: a Br Harnmenge Harnsäure Tageszeit cem mg 12 Uhrimttasse 20.0.0. al 13,3 1—2 ,„ SR RE 7] 13,8 23, Ve ER 7 12,7 34, Ede) 14,2 A or abends a ar. 29 14,8 Ina9R Stunden a ol) 127,0 Versuch XI. 98. Januar 1910. ©. S., derselbe wie in Versuchen II und V. Am Tage vor dem Versuche zu Mittag Erbsensuppe und Nudeln, nach 5 Uhr nachmittags Brot und Kuchen. Schlief von 10 Uhr abends bis 7 Uhr früh. Harnmenge Harnsäure. Tageszeit 5 cem mg 9 [V/UhrZmorgenseg 4 2 22022.20752:5 25,2 10—11 „ Re ea 105) 27,0 2 mittags een 22,0 12—1 „ a an AT 14,3 2 U a 13,9 23, RE RR 18,5 15,5 I E late 17,25 13,8 45 „ RL a JUN 13,7 Ba ae a 12,4 le, abends no al 10,0 In Stunden 2 03050 167,3 Versuch XI. 8. Februar 1910. J. H., 23 Jahre, 53 kg. Abends Vs6 Uhr vor dem Ver- suche Butterbrot und Milch. Schlief von 10 Uhr abends bis 7 Uhr trüh. Harnmenge Harnsäure Tageszeit Eon me 31V \Ühr morgens 2 20 202 7280 15,8 10-11 „ Bel 17,3 12 Sommttaesne 2 18,4 12 1 5316 17,3 1—2 ,, NS N 2.20 15,8 23, N 182 15,3 3—4 ,„ ATS 72258 13,5 A—5 , NE re 12,8 5—6 ,„ SE EN, 10,0 6-7, abends el 9,7 In@lORStundens ee os 146,4 In allen diesen Versuchen, bis auf den Versuch X, wurde noch spät nachmittags oder erst abends am vorhergehenden Tage Nahrung Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 239 aufgenommen. Und in allen diesen Versuchen zeigt sicht ein be- deutender Unterschied in der Harnsäureausscheidung während der Vor- und Nachmittagsstunden des eigentlichen Versuchstages. Stellen wir uns eine Tabelle zusammen, in welcher die Harnsäuremengen der Morgen- und Nachmittagsstunden addiert erscheinen, so erhalten wir folgendes Resultat: 9 Uhr vorm. bis Versuch Satyhr nach: 2—7 Uhr nachm. vi. 116,4 mg Harnsäure 66,9 mg Harnsäure VI. 125,9 „ ss 74,4 „ A XI. 102,4 „ ° 65,4 „ a XI. 84,6 „ 5 (ke n 8 Uhr vorm. bis 1 Uhr mittags 1—6 Uhr nachnm. WR: 100,1 mg Harnsäure 65,5 mg Harnsäure V. 934 „ 5 32,0, = IX. 84,3 „ h 28.07, „ x“ 71,5 , 5 59, „ (von 1—5 Uhr) Die Harnsäureausscheidung war also in den Vormittagsstunden viel grösser als nachmittags. Nur der Versuch X und mit ihm der Versuch IX bilden eine Ausnahme; hier ist die Harnsäureausscheidung in den Vormittagsstunden nicht erheblich grösser als nachmittags, was wohl damit zusammenhängt, dass gerade im Versuche X am Abend vor dem Versuchstage nichts genossen wurde, so dass zwischen der letzten Nahrungsaufnahme und dem Beginn des Versuches 18 Stunden verflossen sind. Den Einfluss des abendlichen Speise- geenusses auf die Harnsäuremengen in den Morgenstunden des nächst- folgenden Tazes ersieht man auch beim Vergleich der an derselben Person C. S. vorgenommenen Versuche. Im Versuche II schied diese Versuchsperson in der Zeit von 9—12 Uhr früh 51,3 mg Harnsäure aus (abends vor dem Versuch nüchtern), im Versuch V während derselben Zeit 60,3 mg (abends Topfengenuss), im Ver- such XI 74,2 mg, im Versuch XV bzw. XVI 66,5 mg bzw. 59,2 mg. Iu allen diesen Versuchen, ausgenommen den Versuch II, nahm diese Versuchsperson am späten Nachmittag oder am Abend vor dem Versuchstage Speisen zu sich, die nur Spuren von Purinstoffen enthalten; und allen ist vormittags die Harnsäureausscheidung im ‚Vergleich zu dem Versuch II erhöht. Man darf demnach auf Grund der vorgelegten zwölf Versuche als festgestellte Tatsache annehmen, dass der Genuss von Speisen, besondersvonProteinen, Ptlüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 16 240 Franz Smetänka: auch wenn sie purinfrei sind, eine Vermehrung der Harnsäureausscheidung hervorruft. Damit werden wir vor die Aufgabe gestellt, auseinanderzusetzen, warum die Schlüsse jener Autoren, die diesen Einfluss in Abrede stellen, diesem Be- funde nicht entsprechen. | Betrachten wir das Protokoll, welches Siven!) als Ergebnis seiner Untersuchung über den Ursprung der Harnsäure im mensch- lichen Körper veröffentlicht hat, und wenden unser Augenmerk be- sonders jenem Teile zu, der ihn zu dem bereits zitierten Ausspruche verleitet hat, „dass die Digestionsarbeit keinen Einfluss auf die Harn- säurebildung ausübe“. Es ist die fünfte Serie seiner Analysen auf Seite 130, die ich mir hier wiederzugeben erlaube. Die zweite Zeile bei jedem Versuchstage enthält die stündlichen Durchschnittswerte. 8—l11h | 35h 20’ 5h 20' 9h sh In 24 vorm. nachm. | nachm. abends früh Stunden 9. Dezember 0,0614 0,1239 | 0,0495 0,0626 0,0759 0.3739 1899 0,0205 0,0295 0,0248 0,0174 0,0069 ” 5 10h abends 10. Dezember 0,0649 0,0943 0,0399 0,1084 0,1073 0.4148 1899 , 0,0216 0,0236 0,0200 0,0217 0,0107 ? 5 11. Dezember 0,0747 | 0,1109 | 0,0575 | 01080 | 0,0654 | g4ıes 1899 0,0249 | 0,0277 | 0,0287 | 0,0216 |, 0,0065 ne 12. Dezember { 0,0710 0,1755 | 0,1755 0,0845 0,1403 1899 0,0237 0,0293 | 0,0293 | 0,0169 0,0140 Yoazıa & Um 1i Uhr wurden 8 Eier, 400 g Milch, 50 g Brot, 100 g Käse und 330 eem Bier genossen. Um 5 Uhr nachmittags 50 g Brot, 30 g Butter, 100 & Käse und 200 g Milch. Auf den ersten Blick scheint es, dass der Genuss dieser purin- freien Speisen keinen Einfluss auf die Ausscheidung von Harnsäure ausübe. Die erhöhte Ausscheidung, welche nach 11 Uhr eintrat, ist sehr gering. In meinen Versuchen trat in der dritten Stunde nach der Nahrungsaufnahme (Eiweiss oder Kasein) eine Harn- säurevermehrung bis um 80°o ein. In den Versuchen Siven's ist von einem so hohen Prozentsatze keine Spur zu finden. In der Zeit nach 5 Uhr nachmittags wird ausserdem stets eine geringere stündliche Menge von Harnsäure ausgeschieden als in der Zeit von 1) Siven, |. c. Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 241 8—11 Uhr vormittags. Wenn die Verdauungsprozesse tatsächlich Material zur Harnsäurebildung abgeben würden, so müsste nach 5 Uhr nachmitttags, wo Nahrung eingenommen wurde, die Harn- säureausscheidung grösser sein als in den Morgenstunden vor 11 Uhr, wo keine Nahrungsaufnahme stattgefunden hatte. Und das zeigen die Versuche Siv&en’s nicht, eher das Gegenteil. Es war also Siven’s Schlussfolgerung, dass die Nahrung auf die Harnsäure- bildung keinen Einfluss habe, auf Grund dieser seiner Versuche durchaus berechtigt. Und doch entspricht diese Schlussfolgerung nicht den tatsäch- lichen Verhältnissen. Denn durch die Anordnung und die Methode dieser Versuche wurden diese Verhältnisse verdeckt und irrige Er- gebnisse vorgespiegelt. Die Umstände, unter welchen die Unter- suchug Siven’s ausgeführt wurden, waren zufälligerweise so ver- wickelt, dass der Einfluss der Nahrung auf die Harnsäurebildung durch sie verwischt werden musste, wenn auch die Nahrungsaufnahme nur zweimal täglich stattfand. Schon dieser Umstand ist von Nachteil für die Untersuchung, wenn er auch an und für sich das negative Ergebnis des Versuches nicht herbeiführen würde. Aber die Tageszeiten, welche zur Nahrungsaufnahme bestimmt wurden, bewirken, dass der Einfluss der Nahrungsaufnahme auf die Harn- ‚säurebildung ganz verdeckt wurde. Durch meine oben angeführten : Versuche wurde gezeigt, dass in den späteren Nachmittags- und Abendstunden die Harnsäureausscheidung ziemlich gering ist. Durch ‚Darreichung von Speisen des Abends erzielt man zwar, wie zu jeder Tageszeit, eine bedeutende Erhöhung der Harnsäureausscheidung (von 9,7 mg auf 17,9 mg im Versuche V), aber ihr Maximum (19,7 mg) unterscheidet sich nicht bedeutend von den Harnsäure- -mengen, welche in den Vormittagsstunden, sogar auch im nüchternen Zustande, ausgeschieden werden (15—19 mg im Versuch ID), ja dieses Maximum kann sogar um etwas niedriger sein als die Harn- säuremenge in den Vormittagsstiunden, welche noch unter dem Ein- flusse der am vorausgegangenen Tage eingenommenen Nahrung ausgeschieden wird (20 mg im Versuch V und VI). Dadurch er- ‚klärt es sich, warum in den Versuchen von Siv&n die abendlichen Harnsäuremengen (von 5—9 Uhr oder 10 Uhr abends) immer etwas ‚geringer sind als die in den Morgenstunden ausgeschiedenen. Trotz- dem sind es doch erhöhte Mengen. Der Mensch, an welchem Siven die Harnsäureausscheidung untersuchte, schied mit dem Harn in 16 * 242 Franz Smetänka: 24 Stunden etwa 400 mg Harnsäure aus und nahm zweimal täglich Nahrung zu sich. Die in meinen Versuchen II und V untersuchte Person schied bei einmaliger Nahrungsaufnahme in 24 Stunden 370—380 mg Harnsäure aus, also nahezu gleich viel. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass auch die stündlichen Variationen der Harnsäureausscheidung, die in meinen Versuchen VII—XII mit einer solchen Gleichmässigkeit bei verschiedenen Personen verliefen, auch für die Versuchsperson Siv&n’s Geltung haben dürften. Im Versuche II und V schied meine Versuchsperson nach 5 Uhr nach- mittags stündlich 9—12 mg Harnsäure aus, in Siv&n’s Versuchen waren jedoch die Durchschnittsmengen 16—21 mg, also etwa um 85°/o höher. Um einen solchen Betrag stieg auch die Harnsäure- ausscheidung in meinem Versuche V abends nach dem Genuss des Topfens. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass Siven’s Ziffern in der Zeit von 5—10 Uhr abends höher sind, als sie es im nüch- ternen Zustande gewesen wären, und dass sie durch den Einfluss der Nahrung erhöht sind. Und weiter: wird der Versuch durch Nahrungsaufnahme abends vor dem Versuchstage so angeordnet, dass die Harnsäuremengen in den Morgenstunden ziemlich hoch sind, so ist zu erwarten, dass die nachmittägige durch Einnahme purinfreie Nahrung bewirkte Harnsäurevermehrung durch die Vormittagsmengen verdeckt wird. Nachmittags enthält der Harn regelmässig weniger Harnsäure als des Morgens, wo der Einfluss der Nahrung vom vorhergegangenen Tage noch nicht verschwunden ist; steigt in den Nachmittagsstunden durch Nahrungsaufnahme die Harnsäureausscheidung, so muss dieses An- wachsen vor allem die regelmässige Abnahme in der Ausscheidung ausfüllen, und erst nach diesem Ausgleichen auf die vormittägigen Mengen kann sich der Überschuss als eine positive Zunahme der Ausscheidung zeigen. Es kann aber in den Nachmittagsstunden ‚eine Harnsäurevermehrung durch purinfreie Nahrung bestehen, auch wenn die nachmittägigen Stundenmengen die vormittägigen nicht'er- reichen. Um dies deutlicher zu machen, kann ich zeigen, dass auch meine Versuche ein negatives Ergebnis gehabt hätten, hätte ich sie so angeordnet wie Siv&n. Ordnen wir die Versuche II, V, XI, XV und XVI, die an derselben Versuchsperson vorgenommen worden sind, nach Siv&en’s Art an. Ich wähle die Zeit von 9—12 Uhr, 'weil die Versuchsnahrung gewöhnlich um 12 Uhr gereicht wurde. Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 243 9 Uhr vorm. bis 12 Uhr mittags bis Versuch 12 Uhr mittags (pro Stunde) uhr naeh 0 4 0ro Stunde) II. nüchtern 51,3 mg (17,1 mg) 128,2 mg (25,6 mg) V: „ 91:6 (19,0 „) nach dem Genusse von Topten. XL ä 142 „ (24,7 „) XV. 5 66,5 , (222 „) XV. » 59,2 ” (19,7 » ) Oder die Versuche I, VI, VIII und XVII, die ebenfalls an dem- selben Menschen angestellt worden sind. 9 Uhr vorm. bis 12 Uhr mittags bis Versuch 12 Uhr mittags (pro Stunde) 5. Uhrnachmi (pro Stunde) T. 45,3 mg (15,1 mg) 100,6 mg (20,1 mg) V1. DI, OL N, 1275) nach dem Genusse von Eiweiss. VM. Bora, re) XVII. 64,4 „ (2150) Aus diesen beiden Tabellen geht hervor, dass sogar die sechs ersten Versuche, in welchen doch der harnsäurevermehrende Einfluss von Eiweiss und Kasein so deutlich hervorgetreten ist, dennoch mit einem negativen Ergebnis geschlossen hätten, hätte ich nach Siven’s Methode gearbeitet. Nur im Versuche I und II, wo die morgend- lichen Harnsäuremengen dem Finflusse der Nahrungsaufnahme vom vorhergehenden Tage nicht unterlagen, könnte dann von einer deut- lichen Harnsäurevermehrung durch Proteineinnahme gesprochen werden. Sonst wäre die Steigerung nach der Proteineinnahme un- bedeutend, manchmal würde sich sogar eine Verminderung zeigen (Ver- such VIII und I, XVII und D. Ich hebe daher von neuem die Vorteile hervor, welche die stündliche Bestimmung der Harnsäure gewährt. Werden diese Bestimmungen in längeren Intervallen vor- genommen, so kann man nicht erraten, ob die Harnsäureausscheidung während dieser längeren Periode gleichmässig war oder ob in den einzelnen Stunden Veränderungen in der Ausscheidung aufgetreten sind. Im Versuche I sind in fünf Stunden nach der Eiweisseinnahme 100,6 mg Harnsäure ausgeschieden worden; der stündliche Durch- schnitt wäre also 20,1 mg gegen 15,1 mg im nüchternen Zustande. Dieses Ergebnis würde leicht zu dem Schlusse führen, dass der Einfluss des Proteins auf die Harnsäurebildung sehr unbedeutend ist. Und doch kommen wir, wenn wir beachten, wie verschieden die Harnsäureausscheidung in den einzelnen Stunden verläuft, zu einer anderen Ansicht. Statt einer 33°/oigen Harnsäurezunahme D4A Franz Smetänka: von 15 mg auf 20 mg stellt sich in der dritten Stunde nach der Eiweisseinnahme eine 80 °/oige Zunahme ein, und statt der schein- baren Abnahme der Harnsäureausscheidung in der Kombination der Versuche VIII oder XVII mit I zeigt sich die wirkliche Zunahme derselben. Ich unterzog die Ergebnisse von Siv&n’s Versuchen einer gründ- lichen Erörterung, nicht um seine Arbeit herabzusetzen, sondern um einen schlagenden Beweis zu haben, dass das Ergebnis der Unter- suchung nur dann der Wirklichkeit entspricht, wenn sich der Forscher die Wirklichkeit nieht selbst durch eine unrichtige Methode verhüllt. Ist die Methode nicht richtig, so kommt anstatt der Lösung nur eine Verwirrung der Frage zustande, wie es auch in dieser Frage des Einflusses purinfreien Proteins auf die Harnsäurebildung ge- schehen ist. Ich könnte in analoger Weise nachweisen, dass auch Pfeil’s Versuche mit demselben Fehler behaftet sind, wie Siv&n’s Unter- suchung, dass auch seine negativen Ergebnisse der Wirklichkeit nicht entsprechen, will aber davon Abstand nehmen. Hirschstein!) gelangte zu der Behauptung, dass mindestens 70° der Harnsäure bei der Verdauung entstehen, nur dadurch, dass er für sich ge- sondert den Einfluss von Eiweiss, Kohlenhydraten und Fetten prüfte; würde er sich nur auf jene Teile seiner Arbeit stützen, wo er drei- mal täglich Speisen, bestehend aus allen drei Nährstoffen, verabfolgte und den Harn dreimal täglich untersuchte (Tabelle I und I), so hätte er zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der Einfluss der Verdauung auf die Harnsäureausscheidung unbedeutend ist. Hirsehstein’s Arbeit ist ein Beleg für die Berechtigung jener methodischen Anforderungen, welche in der Einleitung zur vor- liegenden Arbeit angeführt worden sind. Ebenso arbeitete Cathcart?), in dessen Versuchen der Einfluss der aus Proteinen und Fetten be- stehenden Nahrung in der Vermehrung der Harnsäureausscheidung zutage getreten ist: er verglich die Harnsäuremengen nach Ein- nahme einer bestimmten Nahrung mit den Mengen im nüchternen Zustande Aus allen Versuchen [siehe auch die zitierten Versuche von Hopkins und Hope?°)], in welchen wenigstens einer von den 1) Hirschstein, I. c. 2) Cathcart, |. c. 8) Hopkins und Hope,l. c. Zur Herkunft :der Harnsäure beim Menschen. 245 in der Einleitung zu dieser Arbeit angeführten Grundsätzen be- achtet wurde, geht hervor, dass die Menge der ausgeschiedenen Harnsäure ganz bedeutend durch den Einfluss des eingenommenen, purinfreien Proteins vermehrt wird. Die geringe Harnsäureausscheidung im nüchternen Zustande wird sofort erhöht, sobald ein purinfreies . Protein eingenommen wird. Es handelt sich nun um die Frage, wo das zur Vermehrung der Harnsäureausscheidung führende Material entsteht. Aus purin- freien Nährstoffen entsteht die Harnsäure sicher nicht, ihre Herkunft ist im Organismus selbst zu suchen. Damit kehren wir zur Auf- gabe der vorliegenden Arbeit zurück: ich hatte zu untersuchen, ob nach Einnahme purinfreier Nahrungsstoffe, in erster Linie der Proteine, eine Erhöhung der -Harnsäureausscheidung eintritt. Es handelt sich nämlich um die Frage, ob die nach Fleischeinnahme eintretende Harnsäurevermehrung einzig und allein von den Fleisch- purinen herrührt, wie behauptet wird, oder aber, ob auch die durch den Fleischgenuss in hohem Grade angeregte Fähigkeit der Ver- dauungsdrüsen als ein Teil dieser Harnsäurevermehrung anzusehen ist, wie es MareS für die ganze Harnsäurevermehrung ursprünglich angenommen hatte, besonders aus dem Grunde, weil diese Harn- säurevermehrung sofort nach dem Fleischgenuss anhebt und an- scheinend parallel mit der Tätigkeit der Verdauungsdrüsen verläuft. Wenn nun tatsächlich auch purinfreie Nahrungesstoffe, besonders Proteine, eine ähnlich verlaufende Harnsäurevermehrung hervorrufen, so ist der Einwand gegen die Hypothese von MareS, dass diese Vermehrung nur auf die Fleischpurine als direkte Muttersubstanzen der Harnsäure zurückzuführen sei, tatsächlich widerlegt und die Hypothese, dass diese Harnsäurevermehrung von den molekularen Veränderungen im Protoplasma der Drüsenzellen herrührt, durch welche die spezifischen Verdauungssäfte erzeugt werden, gewinnt einen festeren tatsächlichen Grund. Es wird durch diese Unter- suchungen auch die zweite, in der Einleitung angeführte Folgerung aus dieser Hypothese erfüllt, dass nämlich jeder Einfluss, der die Tätigkeit der Verdauungsdrüsen anregt, vor allem also der Einfluss einzelner Nahrungsstoffe, eine Vermehrung der Harnsäureausscheidung bewirkt. Für die erste Folgerung, dass mit dem Wegfall der Ver- dauungsdrüsentätigkeit eine verminderte Harnsäureausscheidung ver- bunden sein müsste, liefert die bisherige Literatur eine ganze Reihe übereinstimmender Belege. Man kann es daher als: eine wohl- 246 Franz Smetänka: begründete Erkenntnis annehmen, dass die der Tätigkeit der Verdauungsdrüsenzugrundeliegendenstofflichen Ver-. änderungen im Protoplasma der Drüsenzellen zu den ausgiebigsten Quellen der Harnsäure im menschlichen Körper gehören. Der Anteil, mit welehem sich diese Drüsen an der Bildung der Harnsäure beteiligen, dürfte 40—50*/o betragen; dieser Betrag entspricht dem Unterschiede in der Harnsäuremenge während des nüchternen Zustandes und einer gleichen Zeitperiode nach der proteinhaltigen Nahrungsaufnahme. Im nüchternen Zu- stande sinkt die Harnsäuremenge etwa auf die Hälfte der Menge bei gleichmässiger Ernährung, mitunter noch tiefer. Da im nüchternen Zustande die Verdauungsorgane ruhen, so ist hier die Abnahme der Harnsäuremenge wohl mit dem Zustande dieser Organe in Zusammen- hang zu bringen. Hirschstein’s Angabe, dass mindestens 70°%o der Harnsäure beim. Verdauen entstehen, ist etwas zu hoch gegriffen. Die Auffassung, dass die Drüsentätigkeit eine ausgiebige Quelle der Harnsäure ist, kann jedoch noch mit anderen Tatsachen be- gründet werden. Die Verdauungsdrüsen liefern nämlich bei ihrer Tätigkeit ein Material, aus welchem Harnsäure gebildet werden kann. Auf Grund des chemischen Zusammenhanges zwischen Nukleinen, Purinbasen und der Harnsäure kann man die Herkunft der Harnsäure im Organismus nach den Spuren der Purinkörper überhaupt verfolgen. Weintraud!) fand Purinbasen im Darminhalte, auch wenn die Nahrung keine enthielt. Dass dieselben nicht vielleicht von anderen Stickstoffverbindungen der Nahrung herstammen, geht daraus hervor, dass auch bei stickstofffreier Diät?) sich regelmässig Purinbasen im Kot finden. Ähnliches fanden auch Petr6n?), Krüger und Schittenhelm‘) und Parker?’). Es ist aller- dings möglich, dass ein bedeutender Teil von Purinbasen im Darmkanal aus Bakterienkörpern herrührt, aber grösstenteils müssen dieselben einen anderen Ursprung haben. Die angeführten Autoren führen die Purinbasen des Darminbhalts auf Materialien zurück, welche 1) Weintraud, Arch. f. Physiol. 1895 S. 385. 2) Weintraud, Verhandl. d. XIV. Kongr. f. inn. Med. 1896 S. 190, zit. nach Wiener, Ergebnisse der Physiologie Bd. 1. 8) Petren, Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 8 S. 315. 1898. 4) Krüger und Schittenhelm, Zeitschr. f. physiol: Chemie Bd. 35 S. 153. 5) Parker, Americ. Journ. of Physiol. vol. 4 p. 83. Zur Herkunft. der Harnsäure beim Menschen. 247 von. den Darmwänden oder den grossen Verdauungsdrüsen herrühren. Schittenhelm!) wurde in dieser Meinung durch den Nachweis von Guanin, Xanthin und Adenin in den Darmwänden bestärkt. Hirschstein?), der in der Verdauungstätigkeit die Hauptquelle der Harnsäure sieht, gab einen direkten Beweis, dass die Purin- basen durch die Sekretion der Verdauungssäfte in den Darminhalt gelangen. Einem Hunde wurden nach zweitägigem Hungern Eier, Milch und Brot gegeben, und 3—4 Stunden danach wurde der Hund getötet. Im Magen- und Darminhalt wurden bedeutende Mengen von Purinbasen gefunden, hauptsächlich Guanin, weniger Adenin und Xanthin; relativ das meiste davon konnte aus dem Duodenuminhalte isoliert werden. Die Purinbasen in den Exkrementen stammen also nieht bloss von den Bakterienkörpern, sondern auch aus einer anderen Quelle, die nur in den Drüsen liegen kann, woher sie mit dem Sekret in den Darminhalt gelangt. Dafür spricht auch Schittenhelm’s Befund, dass diese Stoffe auch in der Flüssig- keit einer pankreatischen Zyste vorhanden sind, wenn auch nur in geringer Menge. In diesem Zusammenhange scheint Burian’s und Schur’s?) Unterscheidung der Harnsäure als endogene und exogene nur ober- flächlich; denn ein grosser Teil der endegenen Harnsäure geht im Organismus dieselben Wege wie die exogene. Ob nun die Purin- stoffe in den Darminhalt mit der Nahrung oder mit den Sekreten der Verdauungsdrüsen gelangen, im Darme hört dieser Unterschied auf. Burian’s und Schur’s Unterscheidung der exogenen und endogenen Harnsäure hat aber eine tiefere physiologische Bedeutung, indem dadurch gezeigt worden ist, dass bei der Untersuchung der physiologischen Quelle der Harnsäure im Organismus ihre äusserliche, chemische Quelle aus den Nahrungspurinen ausgeschaltet werden muss, um Einsicht zu gewinnen, wie der Organismus mit seinen eigenen Purinstoffen wirtschaftet. Zum Beweise, dass die Drüsentätigkeit Material zur Bildung der Harnsäure liefert, kann man noch näher an die Quelle heran- treten, als es die Analyse des Darminhaltes ist. Seit den Unter- suchungen Heidenhain’s*) am Pankreas, welche später in den 1) Schittenhelm, Arch. f. klin. Med. Bd. 81 S. 123. 2) Hirschstein, |. c. 3) Burian und Schur, |. c. 4) Heidenhain, Pflüger’s Arch. Bd. 10 S. 557. 1875. 248 Franz Smetänka: Hauptumrissen auch an anderen Verdauungsdrüsen bestätigt wurden, sind die mikroskopischen Unterschiede in der Struktur der Drüsen während der Ruhe (im nüchternen Zustande) und während der Tätig- keit (nach der Nahrungsaufnahme) bekannt. In der Ruhe zeigen sich in den pankreatischen Drüsenzellen zwei Zonen, an deren Grenze der Kerr liegt; die innere Zone wird durch. eine körnige Substanz gebildet, in welcher die Körner in Reihen gelagert sind, die äussere, bedeutend engere Zone hat das Aussehen einer homogenen Masse. Im ersten Stadium der Verdauungstätigkeit, wo das Pankreas am meisten Saft produziert, wird die innere Zone verkleinert, die Körnchen verschwinden, dafür aber vergrössert sich die äussere Zone durch Aufnahme neuen Materials. Trotz dieses Wachstums des äusseren Gürtels haben die Zellen einen beständig kleiner werdenden Umfang, weil der innere körnige Teil, der im Ruhezustande bis ?/s der ganzen Zelle einnimmt, ganz verschwinden kann. In der zweiten Verdauungsperiode, nachdem die Erzeugung der Verdauungssekrete aufgehört hat, wächst die innere körnige Masse wiederum auf Kosten der homogenen, die während der Verdauung das Übergewicht errang; die Zellen erreichen wieder ihre frühere Grösse wie im nüchternen Zustande und bieten mikroskopisch dasselbe Bild wie vor Beginn der Verdauungstätigkeit. Das Verschwinden der körnigen Masse ist also das Zeichen der Tätigkeit, die körnige Masse wird zur Erzeugung der Fermente ver- braucht. Es ist nun die Frage, wohin jene Zellenteilchen kommen, die ihre Aufgabe schon erfüllt haben, Enzyme zu bilden, und welchen chemischen Charakters sie sind. Besonders die zweite Frage ist nicht ohne Bedeutung. Wird einmal die chemische Zusammensetzung der ersten Tätigkeitsprodukte irgendeines Organes bekannt sein, so wird man einen klareren Einblick in die Art und Weise der stoff- lichen Änderungen, welche der Tätigkeit des Organs zugrunde liegen, gewinnen können. Diese physiologischen stofflichen Veränderungen werden bis jetzt hauptsächlich nach den Endprodukten beurteilt, welche der Organismus durch die Lungen, den Harn, den Darm und die Haut ausscheidet. Aber diese Stoffe, die derart aus dem Organismus ausgeschieden werden, sind zu einfach, als dass sie einen Schluss darüber zuliessen, aus welchem Teile des Körpers sie stammen, und auf welche Art sie entstanden sind. Vielleicht kein einziger von diesen Stoffen ist ein direktes Produkt der im lebenden Körper verlaufenden stofflichen Prozesse. Soll also auf die stofflichen Ver- Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 249 änderungen, welche der Tätigkeit einzelner Organe zugrunde liegen, das erste schwache Licht fallen, so muss man den direkten und unp- mittelbaren Produkten dieses Stoffwechsels nachspüren und ihr weiteres Schicksal bis zur Ausscheidung der Endprodukte verfolgen. In der Literatur finden sich Angaben, welche als erste Schritte zur Lösung der angeführten Aufgaben bezeichnet werden können. Unter ihnen sind auch Analysen der Sekrete der Verdauungsdrüsen, deren eine ganze Reihe vorliegt. Dass diese Sekrete wahrscheinlich Primärprodukte enthalten, welche bei der Bildung der Verdauungs- fermente entstehen, ist nach Heidenhain’s Angaben zu erwarten. Die Fermentbildung ist mikroskopisch charakterisiert durch Abnahme der körnigen Masse, Abnahme der Zellengrösse und Abnahme des Umfanges und Gewichtes der arbeitenden Drüse. Wohin verschwinden alle diese Drüsenteile? Sicher ist, dass im Drüsensekret Fermente vorhanden sind, die aus der Zellensubstanz selbst gebildet werden; währscheinlich sind in dem Sekrete auch jene Stoffe enthalten, welche bei seiner Produktion entstanden sind, und welche aus dem Drüsenprotoplasma entfernt werden, wie man aus der Verkleinerung des Zellvolumens schliessen kann. Die Zelle hält natürlich keine Bestandteile zurück, welche sie zu ihren Verrichtungen nicht mehr gebrauchen kann. Ein Teil solcher Zersetzungsprodukte gelangt zweifellos direkt in das Blut. In einer unlängst veröffentlichten Arbeit haben Asher und Karauü- low!) darauf aufmerksam gemacht, dass das venöse Blut aus der Glandula parotis während der Sekretion viel mehr Glykose enthält als das arterielle; dieser Unterschied vergrössert sich, wenn die Drüse zur intensiveren Arbeit gereizt wird. Nach Beendigung der Sekretion ist das venöse Blut glykoseärmer als das arterielle; die Glykose wird also in der Drüse zurückgehalten. Die Glykose kann man hier als ein Produkt der Drüsentätigkeit betrachten, welches bei den während der Sekretion stattfindenden stofflichen Ver- änderungen in den Zellen abgespaltet und mit dem venösen Blut abgeführt wird. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass alle solche Produkte aus der Zelle in das Blut abgegeben werden. Der lymphatische Apparat spielt bei der Entfernung der überflüssigen Bestandteile gewiss die erste Rolle. Das ergibt sich aus Bain- bridge’s?) Entdeckung, dass bei der Fermentbildung der Lymph- 1) Asher und Karaulow, Biochem. Zeitschr. Bd. 25 S. 26. 2) Bainbridge, Journ. of Physiol. vol. 32 p. 1. 1904. 350 Franz Smetänka: u RL strom aus dem Pankreas beschleunigt wird. Die Lymphe führt augenscheinlich gewisse Zersetzungsprodukte unbekannter Art aus der Drüse fort. Die Tatsache, dass sich in den Drüsenlymphräumen bei der Drüsentätigkeit erobkörnige Leukocyten ansammeln, gibt Zeugnis für die Bedeutung des Iymphatischen Apparates bei dieser Tätigkeit. Trotzdem darf man die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass gewisse Produkte auch auf dem für das eigentliche Drüsen- sekret bestimmten Wege abgehen könnten, nämlich durch den Aus- führungsgang der Drüse. Zur Bestätigung dieser Ansicht trägt auch der Umstand bei, dass die durch den Drüsenausführungsgang ab- gehenden Zersetzungsprodukte nicht vollständig für den Organismus verloren sehen, sofern sie ihm noch dienstbar sein können. Denn dieselben gelangen in den Darm, von wo sie wieder resorbiert werden können. Dass die Säfte der Verdauungsdrüsen, z. B. des Pankreas, neben den Fermenten auch die bei deren Bildung entstehenden Zersetzungs- produkte enthalten, ergibt sich daraus, dass talsächlich in diesen Säften Stoffe gefunden werden, welche als solche Produkte angesehen werden können. Alle bisherigen Analysen des Pankreassaftes (das gilt in beschränkterem Maasse auch von den Säften anderer Ver- dauungsdrüsen) ergaben als einen konstanten Bestandteil desselben Proteine, welche im Pankreassafte des Hundes sowie des Menschen das Hauptprozent der organischen Sekretsbestandteile ausmachen. Zawadsky!) fand im menschlichen. Pankreassafte 13,25 °/o fester Bestandteile, wovon 9,200 Proteine und nur 4°’/o verschiedene andere Stoffe zusammen. Spätere Autoren geben für feste Bestand- teile bedeutend geringere Prozente an [Schumm?), Glaessner°), Babkin und Sawitsch‘*), de Zilwa°)], aber die organischen Bestandteile, hauptsächlich die Proteine (de Zilwa) behalten dar- unter stets das Primat. Der Hauptanteil entfällt auf einfache Proteine, wovon ein grösserer Teil bei 55°, ein kleinerer bei 75° koaguliert wird. Nebstdem aber finden sich im Pankreassafte, welcher durch Einfluss von Sekreten gewonnen wurde, auch Nukleoproteide. Diese l) Zawadsky, Wratsch 1891 Nr. 10, zit. nach dem Zentralbl. f. Physiol. Bd. 11. 2) Schumm, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 36 S. 292. 1902. 3) Glaessner, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 40 S. 465. 1903. 4) Babkin und Sawitsch, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 56 S. 321. 1908. 5) de Zilwa, Journ. of Physiol. vol. 31 p. 230. 1904. Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 251 Proteinstoffe können nur aus den pankreatischen Zellen herstammen ; sie entstanden darin zweifellos bei der Sekretbildung, und mit dem Sekrete werden sie als abgebrauchte Stoffe durch den Ausführungs- sang abgeführt. Man kann annehmen, dass diese Proteine durch die Veränderung des Zellplasmas während der Tätigkeit entstehen, dass sie abgebrauchte Trümmer des Plasmas vorstellen, welche energetisch entwertet zur weiteren Tätigkeit unfähig sind. Die Proteine der Drüsensekrete können also als Zersetzungsprodukte des Zellplasmas angesehen werden, und diese Ansicht kann durch die Tatsache gestützt werden, dass bei der Tätigkeit Grösse und Volumen der Zellen abnehmen. Zersetzungsprodukte stehen auf einer niedrigeren energetischen Stufe als ihre Muttersubstanz, und so sind auch die Albumine und Globuline des Sekrets auf einer niedrigeren energetischen Stufe als das Zellplasma. Die abgestorbene Drüsen- substanz besteht hauptsächlich aus Nukleoproteiden, also Stoffen, welche erst bei ihrer Zersetzung einfache Proteine frei werden lassen und daher energetisch höher stehen. Obwohl wir von der chemischen Struktur des lebenden Plasmas keine Kenntnis haben, können wir doch voraussetzen, dass sie durch das Absterben sehr vereinfacht wird. Von diesem chemischen Standpunkte aus ist die Ableitung der Proteine in den Drüsensekreten von dem Zellplasma wohl möglich. Zilwa’s Versuche zeigten, dass im durch Pilokarpineinfluss gewonnenen Pankreassafte die Proteinmenge steigt, besonders die Nukleoproteide werden hier in grösserer Menge vorgefunden. Die Menge der festen Stoffe im Pilokarpinpankreassafte wuchs auf die vierfache Höhe; die Menge der Proteine verneunfachte sich. Mag auch die Wirkung des Pilokarpins toxisch sein, so ist sie doch ein guter Beleg für die Ansicht, dass das Sekret der Verdauungs- drüsen nicht nur spezifische Drüsenprodukte, Fermente, enthält, sondern auch Stoffe mit abführt, welche bei der Bereitung dieser spezifischen Produkte als Abfallstoffe entstehen. Zilwa’s!) Ver- suche mit Pilokarpin bilden ausserdem eine Bestätigung der Ansicht von Mares, dass die Harnsäurevermehrung nach Verabreichung von Pilokarpin ein Werk der Drüsen sei, da die im Sekrete vorhandenen Nukleoproteide Material enthalten, aus welchem Harnsäure ent- stehen kann. Dde Zilwa, |. c. 253 Franz Smetänka: Das zweite Produkt, welches bei der Drüsentätiekeit entsteht, sind Purinbasen, vor allem Guanin und Adenin. Ich erwähnte be- reits eine Reihe von Autoren, welche die Purinbasen im Darminhalte gefunden haben und mit Recht ihren Ursprung in die Drüsen ver- legen, in deren Substanz die Purinkörper in ziemlich bedeutender Menge vorhanden sind. Es ist freilich möglich und durch weitere Versuche festzustellen, dass Purinbasen aus den Drüsen auch durch das Blut und durch die Lymphe abgeführt werden, wie aus den Muskeln nach dem Befunde Burian’s. Ausser deu Proteinen und den Purinbasen dürften wohl bei der Drüsentätigkeit noch andere Stoffe entstehen, deren detaillierte qualitative und quantitative Fest- stellung noch nicht durchgeführt ist. Das von Nencki und Sieber!) im Pankreassafte entdeckte Lecithin sowie die Schwefel- und Phosphorsäure dürften wohl auch Zersetzungsprodukte der Sekret bildenden Zellen sein. Vielleicht dringt durch spätere bis ins kleinste gehende Sekret- und Blutanalysen mehr Licht in die Prozesse, die sich bei der Produktion der Fermente abspielen. Die Drüsen eignen sich besonders zur Untersuchung des der Tätigkeit der Zellen zu- erunde liegenden Stofiwechsels. Die Veränderungen, welche die ein- zelne Zelle während ihrer Tätigkeit durchmacht, sind hier sehr aus- geprägt, so dass sie mikroskopisch verfolgt werden können, und die ersten Produkte dieser Tätigkeit mit dem Sekrete leicht gesammelt und untersucht werden. Erwägt man ausserdem, mit welcher Feinheit sich die Drüsentätigkeit, vor allem die des Pankreas, den ver- schiedenartigen Bedürfnissen anpasst, so dass das Sekret quantitativ und qualitativ nach der Qualität der Nahrung verschieden ist, SO muss man die Drüsen als ein Organ anerkennen, dessen Kenntnis manches erklären würde, was bei der Tätigkeit anderer Organe, welche der Beobachtung nicht so zugänglich sind, rätselhaft bleibt. Durch Zusammenfassung der bisherigen Erörterungen kommen wir zum folgenden Schlusse: Durch den der Tätiekeit zugrunde liegenden Plasmastoffwechsel entsteht eine Reihe von Stoffen, welche von der Zelle selbst nicht weiter verwendet werden können und aus den Zellen teils mit dem Lymph- und Blutstrome, teils mit dem Sekrete durch die Ausführungsgänge abgeführt werden. Zu den so entstehenden Produkten gehören die im Sekrete fast aller Ver- dauungsdrüsen vorgefundenen Proteine, dann die im Darminhalte 1) Nencki und Sieber, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 32 S. 291. Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 253 nachgewiesenen Purinbasen, endlich Glykose, Leeithin, Phosphor- .säure usw. Die aus den Drüsen stammenden Purinbasen machen -im Darme dieselben Wandlungen durch wie die mit der Nahrung eingenommenen Purinkörper und kommen zuletzt zum Teile in der Form von Harnsäure durch den Harn zur Ausscheidung. Es ist freilich auch möglich, dass die bei der Drüsentätigkeit entstehenden Purinkörper aus den Drüsen durch das Blut oder die Lymphe ab- geführt und dann direkt durch die Nieren ausgeschieden werden. Daher steigt die Menge der ausgeschiedenen Harnsäure nach der Nahrungsaufnahme, durch welche die Verdauungsdrüsen in Tätigkeit versetzt werden; denn bei dieser Tätigkeit entstehen im Zellenplasma Zersetzungsprodukte, aus welchen Harnsäure gebildet wird. .1I. Einfluss der Kohlenhydrate auf die Harnsäureausscheidung. Die Richtigkeit dieser Ansicht, dass nämlich die Harnsäure- vermehrung nach der Nahrungsaufnahme von der Tätigkeit der Ver- dauungsdrüsen herrührt, durch welche die Verdauungsfermente ge- bildet werden, kann durch Versuche mit Kohlenhydraten auf die Probe gestellt werden. Nach den Untersuchungen von Pawlow und seiner Schule reagieren die Drüsen des Verdauungsapparates ganz entsprechend den einwirkenden Reizen. Die Menge, die Zu- sammensetzung und die Wirksamkeit des Saftes richten sich nach der Qualität der eingenommenen Nahrung. Ein Nahrungsstoff wirkt wie ein Enzymogen, indem er durch seine Qualität die Natur des Enzyms bestimmt, durch welches er verdaut werden kann. Man kann nun annehmen, dass zur Bildung eines proteolytischen Fermentes eine kompliziertere und anstrengendere Zelltätigkeit erforderlich ist als zur Bildung einer Diastase, weil ein Protein viel komplizierter gebaut ist als ein Polysaecharid, und um das Gleichnis E. Fischer’s anzuwenden, der Schlüssel um so künstlicher gebaut sein muss, je komplizierter das Schloss ist. Es ist also annehmbar, dass die Drüsenarbeit bei der Proteinverdauung grösser sein dürfte als bei der Verdauung von Kohlenhydraten. Ist nun die erhöhte Harn- säureausscheidung nach der Nahrungsaufnahme ein Ausdruck der Tätiekeit der Verdauungsdrüsen, so kann nach dem Genusse von Protein eine bedeutendere Steigerung der Harnsäureaus- scheidung erwartet werden als nach dem Genusse von Kohlen- hydraten. | 254 Franz Smetänka: Man kann solche Abstufungen der Harnsäureausscheidung auch nach dem Genuss verschiedener Kohlenhydrate, je nach ihrer Ver- daulichkeit, erwarten. Die Stärke erfordert zu ihrer Verdauung in Glykose die Bildung von zwei Fermenten, einer Diastase und einer Maltase, während Glykose unverändert resorbiert wird und daher keine Fermentbildung hervorrufen dürfte. Es ist also die Frage, ob der Genuss einer stärkehaltigen Speise, welche eine grössere Arbeit der Verdauungsdrüsen hervorrufen dürfte, tatsächlich auch eine grössere Harnsäureausscheidung bewirkt als eine hauptsächlich Glykose enthaltende Speise. Auf Grund dieser Überlegung sind fünf Versuche durchgeführt worden, deren Ergebnis im folgenden vorgeführt wird. In zwei Versuchen verzehrten die Versuchspersonen zu einer bestimmten Stunde des nüchternen Zustandes eine Portion Kartoffeln, in drei anderen Versuchen eine Portion Honig. An jeder Versuchsperson wurden eigentlich drei Versuche angestellt, um das genaue Vergleichen der Ergebnisse zu ermöglichen. Der ‚erste Versuch mit Stärke (Kartoffeln), der zweite mit Honig (Glykose), der dritte ohne jedwede Nahrungsaufnahme, um den Verlauf der Harnsäureausscheidung im rein nüchternen Zustande festzustellen. Diese letzten Versuche wurden bereits in der zweiten Versuchsreihe der vorliegenden Arbeit angeführt, aber hier füge ich sie wieder bei zum Vergleiche mit dem Verlaufe der Harnsäureausscheidung nach dem Genusse der angeführten Kohlenhydrate. Versuch XIH. 21. Dezember 1909. J. H., 23 Jahre, 58 kg. Letzte Nahrungsaufnahme abends vor dem Versuchstage um 6 Uhr, Milch und Butterbrot. Geschlafen von 10 Uhr abends bis 6!/e Uhr früh. Am Versuchstage zwischen 12 Uhr 10 Min. und 12 Uhr 20 Min. mittags 377 g Kartoffelpuree zu sich genommen. Harnmenge Harneaure Im Versuch XII Tageszeit (nüchtern) ccm mg Harnsäure (mg) 9—10 Uhr morgens . . . . 33 16,8 15,8 N RA N ORDER 26 17,3 17,3 11—12 „ mittags (377g Kartoffeln) 23 14,6 18,4 Ol N 21,5 16,8 17,3 ne RE, Wr 19 18,6 15,8 a 6 21,5 18,0 15,8 DA 31 17,8 13,5 EN RE? 29,5 15,0 12,8 EEE ANMA ve 19 10,3 10,0 Ge nabends:. ........ 19,5 8,0 9,7 In TOgStundenen 00 | 2430 153,2 146,4 Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 2355 Versuch XIV. 6. Januar 1910. Derselbe. 5°4 Uhr abends vor dem Versuchstage Butter- brot und Milch. Geschlafen von 10 Uhr abends bis 7 Uhr früh. Um 12 Uhr 10 Min. bis 12 Uhr 25 Min. mittags 224 g Honig genossen. | h Harnsäure aus Tageszeit Harnmenge | Hamnsäure | Versuch XH ccm | mg mg 9-10 Uhr morgens. ... .. 30,5 15,6 15,8 10 hr neh. 29,5 141 - 17,3 11732, mittags. cn... 24 14,5 18,4 12-8 ,„; 224 e Honig... . 22,5 14,8 17,3 ala Kae TEE NEL URRAR 20 16,0 15,8 DB N ER a Met 22 20,1 15,8 re a RE EN 20 22,9 13,5 a N a Ar 21,5 22,7 12,8 De DE LEE er Male 19 16,2 10,0 Deabendst Ban 16 10,1 9,7 Inl10> Stunden cn. Sn - 225,0 | 170,6 146,4 Versuch XV. 16. Januar 1910. Derselbe wie in II, V, XI. Am Tage vor dem Versuche purinfreie Nahrung, gegen 6 Uhr abends 3 Semmeln. Geschlafen von 12 Uhr nachts bis 8 Uhr früh. Um 12 Uhr 10 Min. bis 12 Uhr 25 Min. mittags 442 g Kartoffel mit Salz. Harn- | Harn- | Gesamt- Aus Versuch XI Tageszeit menge | säure | stickstoff Stickstoff Harnsäure ccm | mg | mg mor | KL .me, 9-10 Uhr mo gens. .. . 3 | 20,6 -400,2 : 471,8 | 25,2 107, ER 47 | 24,3 387,8 4342 | 27,0 MZI22 ne mittagser > 4: 40 21:6 11.2.0906 356,3 | 22,0 12-1 ,„ (442g Kartoffel) 31 2218;9 999,9 3198 |. 14,3 en RE 55 | 248 | 8988 295,4 | 18,9 Du NE RER ee 42,5 244 | 341,6 2714 | 155 BE EN 29 | 182 | 305,4 281,6 13,8 De 19 198,47 127240,8 278.2 la) ER u RS N TE 17,5 11,0 | 271,5 236,6 12,4 Bel naabendsı. - 17,5 10492752 284.0 100 In210”Stundene au. 2, 336,5 | 187,2 | 3338,2 3279,3 167,8 Versuch XV]. 21. Januar 1910. Derselbe. Am Tage vor dem Versuche purinfreie Nahrung, abends um 5 Uhr 30 Min. drei Semmeln. Geschlafen von 10 Uhr abends bis 7'/ Uhr früh. Um 12 Uhr 10 Min. bis 12 Uhr 25 Min. mittags 300 g reinen Honigs genossen. Pflüger’s Archiv für Physiologie. BA. 138. 17 256 Franz Smetänka: | Harn- | Harn- | Gesamt- | Aus Versuch XI Tageszeit menge | säure | stickstoff nr ‚Harnsäure ecme |" m ame Amel @mg - 9-10 Uhr morgens. . . . 339 16,6 364,5 471,8 | 25,2 10—11 „ ER ERNR 42,9 24,6 | 404,3 434,2 27.0 1112. mittags ©... .| 8 180 | 3083 | 8563 | 2,0 2-1 ,„ 300gHonig ..| 185 14,8 2896 | 3198 | 143 a ler lu le | 371,1 295,4 13,9 DD N 29 27.8 | . 83960 271,4 15,5 Ba. 23 24,4 3764. | 281,6 | 138 Se 185 | 105 3106 1 289 | 157 DON Rai. Ilse | 14,27 , 306,7 284,6 12,4 bean eabendsana nn or ll0!6 282,3 284,0 | 10,0 In 10 Sundn u 250,75 | 1884 | 34048. | 32793 167,8 Versuch XVII. 17. Februar 1910. Selbstversuch. Am Tage vor dem Versuche purinfreie Nahrung, abends 7'/e Uhr Äpfelknödel. Geschlafen von 11 Uhr abends bis 7 Uhr früh. Um 12 Uhr 10 Min. bis 12 Uhr 25 Min. mittags 261 g Honig. Harn- He | Gesamt- w a n ; | äure : ersuc Tageszeit menge | an | stickstoff ae cem | mg | me mg | | 9—10 Uhr morgens. . .. . 39 | INN 337,4 21,0 N a en. 47 232 | 83198 20,0 a 120° mittaose. na 3 210 N Ro 16,5 12—1 „ 261g Honig... 35 2082 ||12.202,0 21,8 MD LE a 20,2 412,4 14,1 I NE RU RB S Sl 25) 2, 054,9 18; Se a a a 132 ES I ee ee Ba 21,80 00.073494 13,1 OR Erna 27 | 20,5 |. . 340,3 11,8 6—7 „ abends . i 30 16,200 09863 — InK10 Stunden N | 331,5 | 2104 | 3608,9 | Betrachten wir nun vor allem die Versuche XII und XV, wo Kartoffeln verabreicht wurden. Auf den ersten Blick scheint es, als ob der Kartoffelgenuss auf die Harnsäureausscheidung fast gar keinen Einfluss hätte, solange man nicht den Verlauf der Harnsäure- ausscheidung bei derselben Person im rein nüchternen Zustande zum Vergleiche heranzieht. Denn in den ersten Nachmittagsstunden, wo nach Analogie mit den Versuchen über den Einfluss der Proteine eine Vermehrung der Harnsäure eintreten sollte, zeigt sich keine solche auffallend und deutlich. Und doch kann man hier von einer erhöhten Harnsäureausscheidung sprechen. Denn die vormittägigen Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 257 Harnsäuremengen, mit welchen wir die Mengen nach dem Kartoffel- genuss vergleichen, sind ziemlich hoch. Um nämlich der Versuchs- person das Ertragen der Versuchsbedingungen zu erleichtern, wurde ihr am Abende vor dem eigentlichen Versuchstage ein Abendbrot gewährt; und dieses bewirkt, wie wir schon aus den angeführten Versuchen wissen, eine Harnsäurevermehrung noch in den Vor- mittagsstunden des Versuchstages. Es kann also die nach dem Kartoffelgenusse eintretende geringe Harnsäurevermehrung gegenüber den Vormittagsmengen nicht deutlich hervortreten. Dass eine solche Harnsäurevermehrung tatsächlich hier eingetreten ist, zeigtein Vergleich mit den im rein nüchternen Zustande von derselben Versuchsperson zu gleicher Nachmittagszeit ausgeschiedenen Harnsäuremengen, wie folgt: Von 12 Uhr mittags bis 5 Uhr nachm., JH: E28. ‘im nüchternen Zustande. . . 75,2 mg (XII. Versuch) 71,2 mg (XI.Versuch) nach. Kartoffelgenuss. .. .2.....:86,2. 0 (XII 452 55) INDIE + 11,0 mg (+ 13,3 %/o) + 28,1 mg (+ 39,4 %/o) nach»broteinsenuss an a 128,2 „ (II. Versuch) + 57,0 mg (+ 80 %o). Der Kartoffelgenuss ist, wie aus dieser Tabelle ersichtlich, von einer Erhöhung der Harnsäureausscheidung begleitet, aber die prozentuelle Zunahme bleibt weit hinter der durch Genuss von Proteinen hervorgerufenen Zunahme zurück. Während nach Kasein- senuss die Harnsäuremenge um 80°/o zugenommen hatte, beträgt die Zunahme nach Kartoffelgenuss nur 39°/o und im anderen Falle sogar nur 13°. Ähnliche Ergebnisse hatte Cathcart!). Bei Kohlenhydratnahrung stieg die Menge des Harnsäurestickstoffes in 24 Stunden einmal von 76 mg auf 89 mg (Tabelle II), das andere- mal von 75 mg auf 146 mg bzw. 88 mg (Tabelle I). Es ist aller- dings zu bemerken, dass hier die Nahrung mehreremals im Tage eingenommen wurde. Nach Verabreichung von Protein und Fett ohne Kohlenhydrate enthielt der Harn in Catheart's Versuchen 128 und 193 mg Harnsäurestickstoff gegen 82 mg im nüchternen Zustande (Tabelle III). Aus diesen Ziffern geht klar hervor, dass nach dem Genuss von Proteinen die Harnsäureausscheidunge viel ausgiebiger gesteigert ist als nach Einnahme von Kohlenhydraten, obgleich gleichzeitig auch Fette genossen wurden, welche nach l) Cathcart, |. c. ll“ 258 Franz Smetanka: Tabelle III der Arbeit Cathcart’s die Harnsäuremenge erniedrigen. Hirscehstein!) veröffentlicht in der erwähnten Arbeit eine Tabelle (II), wo bei Proteinnahrung in 24 Stunden 450 mg Harusäure ausgeschieden wurde, bei Kohlenhydratnahrung nur 165 mg; diese ungewöhnlich niedrige Ziffer ist jedenfalls noch auf den Einfluss des Fettes. zurückzuführen , welches tags zuvor die ausschliessliche Nahrung der Versuchsperson bildete. Diese Ergebnisse zeigen also, dass die Kohlenhydrate auf die Harnsäureausscheidung einen bei weitem geringeren Einfluss ausüben als die Proteine. Dieses Ergebnis entspricht also ganz der Erwartung, unter der gerade diese Versuche angestellt worden sind. Diese Erwartung oründete sich auf die folgende Überleeung: Die Arbeit der Ver- dauungsdrüsen ist je nach der Qualität der Nahrung sehr ver- schieden, wie Pawlow und seine Schule gezeigt haben; die Menge, die Zusammensetzung und die Wirksamkeit jedweden Verdauungs- saftes entspricht der Qualität der Nahrung. Es ist anzunehmen, dass die Bereitung eines proteolytischen Fermentes eine kompliziertere und anstrengendere Tätiekeit der Drüsenzelle erfordert, als die Be- reitung eines amylolytischen Fermentes, je nach der Kompliziertheit des entsprechenden Substrates. Nach unserer Theorie ist die Tätig- keit der Drüsenzelle mit Harnsäurebildung verbunden, und diese kann als Maass der stofflichen Veränderungen im Zellplasma, welche dessen Tätigkeit zugrunde liegen, angesehen werden. Es ist demnach nach Proteineinnahme, entsprechend einer angestrengteren Drüsen- tätigkeit, eine grössere Harnsäurevermehrung zu erwarten als nach Kohlenhydrateinnahme. Durch die Übereinstimmung des Versuchs- ergebnisses mit dieser Erwartung gewinnt jene Überlesung eine tat- sächliche Unterlage, und der Satz, dass die Tätiekeit der Ver- dauungsdrüsen mit Harnsäurebildung verbunden ist, findet darin eine neue Bestätigung. Demgegenüber ist das Ergebnis der Versuche über die Har»- säurevermehrung nach Stärke- und nach Glykoseeinnahme gerade umgekehrt, als wir auf Grund jener Überlegung erwartet haben. In der Meinung, dass nach Einnahme von Glykose (Honig) keine Drüsentätigkeit zur Bildung eines Verdauungsfermentes nötig ist, haben wir nach Honiggenuss eine geringere Harnsäurevermehrung erwartet als nach Stärkegenuss.. Die Versuche zeigten aber das WLEigsichsitein, le: Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 259 Gegenteil. In allen drei Versuchen war die Harnsäureausscheidung nach Honiggenuss in den Nachmittagsstunden bedeutend grösser als im nüchternen Zustande und stets auch grösser als nach dem Kartoffelgenusse. Stellen wir in eine Tabelle die Versuche XI, XII und XIV (dieselbe Versuchsperson) zusammen, so können wir diese je nach der Art des eingenommenen Koblenhydrates ver- schiedenartig verlaufende Harnsäureausscheidunge von Stunde zu Stunde verfolgen. Im nüchternen | Nach Kartoffel- | Nach Honig- Tageszeit Zustande | genuss genuss | mg | mg | mg | ar 9—10 Uhr vormittags . . . 15,8 | 16,8 | 15,6 De ee 17,3 | 17,3 | rl 11—12 „ mittags 18,4 14,6 | 14,5 RE 17,3 16,8 | 14,8 RENT IE ERRRNE 15,8 18,6 16,0 = ul Sea Ei Bas 15,8 18,0 20,1 3— NEE Ba 135 17,8 22,9 ADB er ee 12,8 15,0 22,7 I Re 10,0 10,3 | 16,2 bie „abends... .. cn Im 8,0 10 Ein ähnliches Bild ergibt sich aus dem Vergleiche der Ver- suche XI, XV, XVI und II (Versuchsperson C. S.), wie folgt: Harnsäure } im nach | | nach Tageszeit nüchternen | Kartoffel- H u ı Topfen- Zustande | genuss ee] genuss mg | mg mg mg 9—10 Uhr vormittags . 25,2 | 20,6 16,6 19,5 I N 27,0 24,3 | 24,6 14,8 11—12 „ mittags 22,0 | 21,6 | 18,0 17,0 Val ten syane 14,3 | 18,5 14,8 18,4 Bl arena ARE. 13,9 | 24,8 17,4 25,7 SR N. 15,5 | 24,4 27,4 31,4 DA een 13,8 | 18,2 24,4 30,8: Ge ee ee 13,7 13,4 19,5 21,9 ee 12,4 11,0 14,7 15,0 6—7 „abends. .. 10,0 10,4 10,6 9,6 Graphisch dargestellt erscheint die verschiedenartig verlaufende Harnsäureausscheidung folgendermaassen : 260 Franz Smetänka: 8 9 10 11 ı 819 02 3 AU 0005 6 7 Uhr morgens mittags \ abends Fig. 7. — — Verlauf der Harnsäureausscheidung im nüchternen Zustande (Versuch XI. en “ 5 & nach Topfengenuss WR II). eereen " x R „. Kartoffelgenuss . ( „ XV) nn 5 5 Ha „ Honiggenuss a ROA Die nachfolgende Tabelle zeiet, auf Grund der Harnsäure- ausscheidung im rein nüchternen Zustande, den Harnsäure ver- mehrenden Einfluss des Honigs im Vergleich mit dem Einflusse der Kartoffeln und des Proteins, zu gleichen Nachmittagsstunden von 12—6 Uhr, und zwar an drei Versuchspersonen. Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 261 Harnsäuremenge in der Zeit von ug \ 2 12 Uhr mittags bis 6 Uhr nachm., da Eh us Selbstversuch im nücht. Zustande 85,2mg (XD. Vers.) 83,6mg (XI. Vers.) 87,1mg (VI. Vers.) nach Kartoffelgenuss 96,5 „ XIH. „ ) 110,3 „ (XV. „ ) = se Honggenuss-r 112,703 DV. 5921186: AVL. 2). 129,85 XV. 20) „. Proteingenuss . — 143.2, 11. 2°. )2114,10. 5%: 2) ” Nach Verabreichung von Honig steigt also die Harnsäuremenge bedeutend mehr als nach den Kartoffeln, und der Einfluss des Honigs bleibt nicht weit hinter dem des Proteins zurück. Wie ist diese Erscheinung zu erklären? An die Drüsen des Verdauungsapparates ist hier nicht zu denken, weil zur Verdauung des Honigs keine grosse Arbeit der Drüsen nötig ist. Wenn diese Drüsen an der vermehrten Harnsäurebildung nach Honiggenuss überhaupt beteiligt sind, so ist ihr Anteil sehr gering anzuschlagen, wenn man erwägt, dass der Genuss von Kartoffelstärke, also eines komplizierteren Kohlenhydrates, eine so geringe Harnsäurevermehrung bewirkt. Die hochgradige Harnsäurevermehrung nach dem Genusse von Honig könnte verschiedenen Ursprung haben: Es könnten unter dem Ein- flusse des Honigs mehr Purinbasen, die sonst als solche durch den Harn ausgeschieden werden, zu Harnsäure oxydiert werden; aber die Menge der Harnpurinbasen ist zu gering, um als Quelle dieser Harnsäurevermehrung angenommen werden zu können, und diese Annahme wird auch nicht durch das Verschwinden der Purinbasen aus dem Harne nach Honiggenuss nahegelegt. Oder es könnten die urikolytischen Prozesse im Organismus durch den Einfluss des Honigs gedämpft werden. Solche Annahmen hätten gar keinen tatsächlichen Anhaltspunkt. Eine tatsächliche Grundlage hätte aber die folgende Erklärung des harnsäurevermehrenden Einflusses eines reichlichen. Genusses von Honigglykose. Unsere Versuche über den Einfluss der Kohlen- hydrate auf die Harnsäurebildung sind auf Grund der Überlesung vorgenommen worden, dass die Stärke, als ein kompliziertes Kohlen- hydrat, eine grössere Arbeit der Verdauungsdrüsen erfordern würde als die Glykose, und dass somit, nach Stärkegenuss eine grössere Harnsäurevermehrung zu erwarten sein dürfte als nach Genuss von Glykose. Bei dieser Überlegung wurde. aber nur diejenige Arbeit der Verdauungsdrüsen in Betracht gezogen, durch welche die -Ver- dauungsfermente gebildet werden; diese Arbeit wird allerdings von der Glykose in viel geringerem Maasse in Anspruch genommen. als 262 Franz Smetänka: von der Stärke. Es fragt sich aber, ob der Genuss von Honig die Arbeit anderer Organe nicht in viel intensiverem Maasse hervor- ruft, welche nach Genuss von Stärke in einem viel langsameren Tempo in Tätigkeit zu treten haben. Unsere Versuche mit Genuss von Kartoffeln und Honig unterscheiden sich vor allem in der Menge der .eingenommenen Kohlenhydrate. Gekochte Kartoffeln enthalten nur etwa 25°o Kohlenhydrate, hauptsächlich Stärke; die ein- genommene Menge von Kohlenhydraten in den Versuchen XIII und XV betrug also nicht viel über 100 g. Demgegerüber wurden 220—300 & Honig genossen. Honig aber enthält etwa 80 °/o Kohlen- iydrate, wovon 74°/o Invertzucker. Wichtiger als die Menge ist - aber die Art, in welcher die Verdauung der Poly- und Monosaecharide vor sich geht. Die in Honig enthaltene Glykose wird aus dem Darminhalte sehr rasch in grosser Menge in das Blut aufgenommen. Die Glykose aber, welche aus der Kartofielstärke durch Verdauung allmählich gebildet wird, gelangt in das Blut langsam in kleinen Mengen. Der rasche Glykosezufluss nach Honiggenuss bewirkt eine intensive Arbeit der Leber, welche die überschüssige Glykose aus dem DBlute aufzufangen und in Glykogen umzuwandeln und zu fixieren hat. Ist die Menge der zufliessenden Glykose gar zu gross, so kann sie die Leber nicht rasch genug auffangen und durch Anhydrisierung in Glykogen verwandeln; es kommt zur alimentaren Glykosurie. Dass in meinen Versuchen die Leber in Maximal- tätiekeit versetzt wurde, ist daraus zu ersehen, dass stets in der dritten Stunde nach dem Honiggenusse Glykose im Harne erschien. Die Bildung von Glykogen aus Glykose ist ein synthetischer Prozess, der von den Leberzellen durchgeführt wird, und es kann nach Analvgie mit den Verdauungsdrüsen angenommen werden, dass diese chemische Arbeit der Zellen mit stofflichen Veränderungen im Zellplasma verbunden ist. Dass diese Annahme den Tatsachen sehr nahe komnit, zeigen die histologischen Veränderungen in den Leber- zellen, welehe mit ihrer glykogenen Funktion zusammenhängen. Wird das Glykogen durch längeres Fasten aus den Leberzellen ent- fernt, so werden die Leberzellen nach Moszeik’s!) Beschreibung ungewöhnlich klein, und ihre Grenze wird wenig deutlich; der Kern nimnit den grössten Teil der Zelle ein und enthält viele kleine ' 1) Moszeik, Pflüger’s Arch. Bd. 42 S. 556. 1888. Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 2583 Körnehen. Der Zellkörper ist von grobkörnigem Plasma ausgefüllt, das keine besondere Struktur zeigt (S. 567). Ein ähnliches Bild beschreiben Asp!), Heidenhain?, und Böhm?). Ganz anders war die Leber eines 12 Tage lang mit Traubenzucker gefütterten Frosches: erosse, mit Glykogen in Brocken und Körnern gefüllte Zellen, wenig dichtes Protoplasma in der Umgebung des Kernes (Moszeik). Die Zellen gewannen zwar am Volumen, aber ihr Protoplasma nahm nicht nur nicht zu, sondern eher ab, und von seiner körnigen Struktur im Ruhestande war keine Spur zu sehen. Das mikroskopische Bild des Lebergewebes ändert sich demnach während der Tätigkeit, das Zellplasma verändert sich stofflich bei seiner chemischen Arbeit, zu welcher es seine eigene in der Plasma- struktur aufgespeicherte Energie aufzuwenden hat. Das Plasma nimmt ab, zersetzt sich, und die Zersetzungsprodukte werden aus der Zelle ausgestossen. Unter diesen Produkten befinden sich wohl auch Purinkörper nach Analogie mit den anderen Drüseu des Ver- dauungsapparates; denn aie Purinkörper scheinen ein regelmässiges Produkt der Zellentätigkeit zu sein. Die erhöhte Harnsäureaus- scheidung nach dem Honiggenuss dürfte also in erster Linie mit der Tätigkeit der Leberzellen in Zusammenhang zu bringen sein, durch welche aus Glykose Glykogen gebildet wird. Nach Genuss von Honig haben die Verdauungsorgane noch eine andere chemische Arbeit zu leisten, nämlich die Umbildung von Lävulose in Glykose . respektive in Glykogen. Auch diese Arbeit dürfte mit Harnsäure- bildung verbunden sein, was sich vielleicht durch eine Untersuchung des Einflusses von Maltose und Saccharose auf die Harnsäure- bildung näher bestimmen liesse. Die Theorie von MareS, nach welcher die Herkunft der Harn- säure beim Menschen in denjenigen molekularen Veränderungen im lebenden Plasma zu suchen ist, welche den physiologischen Ver- richtungen desselben zugrunde liegen, gründet sich unter anderem hauptsächlich auf das Verhältnis der Harnsäureausscheidung zur Tätigkeit der Verdauungsdrüsen. Aber nach derselben Theorie ent- 1) Asp, Ber. d. kgl. sächs. Gesellsch. d. Wissensch. 1873, zit. nach Böhm. 2) Heidenhain, Hermann’s Handb. d. Physiol. 1883 8.211, zit. nach Böhm. 3) Böhm, Zeitschr. f. Biel. Bd. 51 S. 409. 264 Franz Smetänka: steht die Harnsäure nicht nur durch den physiologischen Stoffwechsel der Verdauungsdrüsen, sondern aller Zellen überhaupt, deren physio- logische Verrichtungen mit molekularen Veränderungen im Zellplasma verbunden sind. Es dürften also wohl auch die verschiedenartieen Verrichtungen der Leukocyten mit Harnsäurebildung verbunden sein, und es ist auch anzunehmen, dass die Muskeltätiekeit, insofern sie mit molekularen Veränderungen im Sarkoplasma und dessen Kern- substanzen verbunden ist, eine Quelle der Harnsäure abgibt, wie es zuerst von Siv&n ausgesprochen worden ist und später von Burian®) nachzuweisen versucht wurde. In der Frage über Harnsäurebildung bei der Muskeltätigkeit herrschte dieselbe Verwirrung, welche auch den Einfluss der Nahrungsaufnahme auf die Harnsäurebildung ver- dunkelt hatte. Und diese Verwirrung ist auch hier durch eine mangelhafte Untersuchungsmethode verursacht worden. Während Burian!) gefunden hat, dass anstrengende Muskeltätigkeit mit einer Vermehrung der Purinbasen und auch der Harnsäure im Harn. verbunden ist, behauptet Siv&u?) das Gegenteil. Eine Entscheidung zwischen solchen sich. widersprechenden Versuchsergebnissen kann nur durch eine kritische Untersuchung der angewandten Ver- suchsmethoden gegeben werden. Burian wandte die Methode des nüchternen Zustandes an und bestimmte den Verlauf der Purin- ausscheidung stündlich vor, während und nach der Muskelarbeit. Am Tage vor dem Versuche nahm er schon um 2. Uhr nachmittags die letzte Nahrung zu sich, so dass die Morgenziffern dem Einfluss - der Nahrung des vorausgegansenen Tages nicht mehr unterliegen. Siv&n?) dagegen untersuchte den Einfluss der Muskelarbeit auf die Harnsäureausscheidung in ganztägigen Perioden und nahm auch an den Arbeitstagen dreimal täglich: um 10 Uhr vormittags, um 4 und 7 Ubr nachmittags Nahrung zu sich. Bei der Erörterung der: ersten Arbeit Siven’s habe ich gezeigt, dass bei einer derartigen Anordnung des Versuches der Einfluss irgendeines Faktors auf die Harnsäureausscheidung verdeckt bleiben muss. Siv&n’s Arbeiten sind ein guter Beleg dafür; ob er den Einfluss der Nahrungsaufnahme oder der Muskelarbeit auf die Harnsäureausscheidung prüfte, immer gelangte er zu einem negativen Ergebnisse. Auf diese Weise wurde 1) Burian, |. c. 2) Siven,l. c. Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 265 Siven in der Frage der Harnsäureherkunft auf einen negativen Standpunkt hingedrängt; nachdem er die Unzulänglichkeit der Leuko- eytosetheorie erkannt hatte, lehnte er dann auch die Tätiekeit der Verdauungsdrüsen als Quelle der Harnsäure ab und sprach sich jetzt auch gegen die Muskelquelle aus. So blieb Siv&n zuletzt, wenn man von seinem Versuche, die Nierentätigkeit als Harn- säurequelle darzustellen, absieht, nur diese ganz allgemeine und leere Formel. Purine, welche ihren Ursprung aus dem Organismus her- leiten, entstehen durch einen bis auf weiteres unbekannten Prozess in den Zellen desselben. Diese Formel führt er dann, in Ermangelung jedwedes physiologischen Grundes, bis auf Kossel’s Nachweis eines chemischen Zusammenhanges zwischen den Nukleinen und den Alloxur- körpern zurück. Aus dieser Darstellung geht hervor, dass die Ergeh- nisse der Untersuchungen über den Ursprung der Harnsäure in einem sehr hohen Grade von der Anordnung der Versuche abhängig sind, und dass nur die Methode, deren Regeln in der Einleitung dar- gestellt worden sind, zu einem richtigen Ergebnis führen kann. Der positive Nachweis, dass die Harnsäureausscheidung ınit einer be- stimmten physiologischen Verriehtung, z. B. mit der Tätigkeit der Verdauungsdrüsen oder der Muskeln zusammenhängt, hat einen grösseren Wert als eine Reihe von negativen Ergebnissen, welche gewöhnlich durch eine unrichtige Fragestellung oder durch eine un- geeignete Untersuchunesmethode verschuldet werden. Deshalb hat Burian’s Befund eines Zusammenhanges der Purinbildung mit der Muskeltätigkeit sein tatsächliches Gewicht, was auch von Catheart, Kennaway und Leathes!), und später von Kennaway?) selbst bestätigt worden ist. Der tatsächliche Grund, auf welchem MareS seine Theorie des Harnsäureursprungs beim Menschen aufgebaut hat, war erstens die individuelle Konstanz der Harnsäuremenge im nüchternen Zu- stande, weiter die Harnsäurevermehrung, welche nach der Fleisch- einnahme eintritt und augenscheinlich parallel mit der dadurch an- geregten Tätigkeit der Verdauungsdrüsen verläuft, und endlich die Harnsäurevermehrung, welche mit der Anregung der Drüsentätigkeit durch Pilokarpin zum Vorschein kommt. Der Zusammenhang der l) Catheart, Kennaway and Leathes,]. c. 2) Kennaway,l.c. 266 Franz Smetänka: Harusäurebildung mit der Tätigkeit der Verdauungsdrüsen, welche mit sichtbaren stofflichen Veränderungen im Protoplasma der Drüsen- zellen einhergeht, war der Hauptgrund des allgemeinen Satzes, (lass die Harnsäure überhaupt bei den molekularen Veränderungen im lebenden Protoplasma entsteht. Aber gerade der Zusammenhang der Harnsäurebildung mit der Tätiekeit der Verdauungsdrüsen ist von späteren Untersuchern in Abrede gestellt worden, weil sie nach purinfreier Nahrung keine Harnsäurevermehrung finden konnten. Durch die vorliegenden Untersuchungen ist der Nachweis geführt, dass tatsächlich auch purinfreie Nahrungsstoffe, besonders die Proteine, eine Harnsäurevermehrung hervorrufen, und es wird durch eine kritische Erörterung der Untersuchungsmethode soleher Versuche ge- zeigt, warum dieser Einfluss den anderen Untersuchern verborgen bleiben musste. Der tatsächliche Grund der Theorie von MareS$ ist dadurch befestigt und erweitert. In der gebildeten Harnsäure- menge kaun man wirklich ein Maass für die molekularen Verände- rungen im lebenden Protoplasma finden. Diese Veränderungen bilden den physiologischen Stoffwechsel im Protoplasma, welcher seinen physiologischen Verrichtungen zugrunde liegt. Wein diese Ver- richtungen in einer chemischen Arbeitsleistung bestehen, wie es bei der Bereitung spezifischer Stoffe der Fall ist, so kann ein Schwund der Zellsubstanz damit verbunden sein, wie es bei den Verdauungs- drüsen der Fall ist, weil diese Substanz bei der chemischen Arbeit der Zelle aufgebraucht wird und hierdurch entstehen die Purinstoffe. Damit ist nicht gesagt, dass die Harnsäure ein Produkt der Nekrose lebendiger Substanz ist, und dass ihre Menge ein Maass für die Verminderung der lebendigen Substanz ist. Im Gegenteil, die Menge dieses Stoffes deutet auf die Intensität der Lebensprozesse hin; je intensiver die Zelltätigkeit ist, desto mehr nimmt die Produk- tion der Purinbasen und der Harnsäure zu. Die Harnsäurebildung kann auch mit jener chemischen Arbeit der Zellen verbunden sein, welche in einer Vermehrung der Zellsubstanz durch Assimilation von Nahrungsstoffen besteht, also mit der Ernährung überhaupt. Die Harnsäure ist also nicht ein Maass für das Schwinden des Lebens, sondern für die Intensität seiner physiologischen Verrichtungen. Lebt ein Mensch in ungefähr eleichen Verhältnissen, so ver- laufen seine physiologischen Verrichtungen ziemlich gleichmässig, sein Körper befindet sich in einem stationären Zustande oder im Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 267 Gleichgewicht. Dieser stationäre Zustand richtet sich nach der Intensität der Lebensverriehtungen, welche individuell ziemlich ver- schieden ist. Ist nun die ausgeschiedene Purinbasen- und Harn- säuremenge wirklich ein Maass für die Intensität des physiologischen Stoffwechsels, welcher den Verrichtungen des Protoplasmas zugrunde liest, so ist zu erwarten, dass diese Menge bei einem Individuum im stationären Zustande ziemlich gleichmässig und bei verschiedenen - Individuen verschieden sein wird. Tatsächlich hat zuerst MareS die individuelle Konstanz der Harnsäuremenge im nüchternen Zustande nachgewiesen. So fand er bei einer Versuchsperson am 16. Juni 1556 in 15 Stunden nüchternen Zustandes 257 mg Harnsäure, am 14. Dezember 1886, also ein halbes Jahr später, bei derselben Ver- suchsperson unter gleichen Versuchsbedingungen 274 mg, also eine nahezu eleiche Menge von Harnsäure. Wurden nur einmal im Tage die Verdauungssdrüsen in Tätigkeit versetzt, wie es in meinen Ver- suchen II und V geschah, und wird die Lebensweise nicht geändert, so bleibt die Harnsäuremenge auch konstant (370 und 378 mg in 24 Stunden). Die individuelle Konstanz der Harnsäureausscheidung unter sonst gleichen Verhältnissen, auch bei mehrmaliger Nahrungs- aufnahme im Tage, ist von einer ganzen Reihe anderer Autoren be- stätiet worden [Hirscehfeld), Herringham und Davies?), Minkowski?), Sehreiber und Waidvogel®), Burian und Schur?), Siven®), Rockwood’) u. a.]. Man kann den Organismus aus seinem stationären Zustande herausbringen, wenn man seine Verrichtungen zu höheren Leistungen anreizt oder aber abdämpft. Eine Einschränkung der Lebens- verrichtungen erzielen wir leicht durch Vorenthaltung der Nahrung. Alle Organe, die an der Verdauungstätiekeit beteiligt sind, kommen zur Ruhe. Und wie verläuft die Harnsäureausscheidung? Nach übereinstimmenden Erfahrungen wird dieselbe im nüchternen Zu- stande bis um 50 °/o herabgemindert. 1) Hirschfeld, Virchow’s Arch. 1885 S. 301. 2) Herringham and Davies, Journ. of Physiol. vol. 12 p. 475. 1891. 8) Minkowski, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 41 S. 403. 1898. 4) Schreiber und Waldvogel,l. c. 5) Burian und Schur, |. c. 6) Siven, l. c. 7) Rockwood, Americ. Journ. of Physiol. vol. 12 p. 38. 1904. Franz Smetänka: DD [o}) [0 .6) Ein anderer Zustand, wo die Lebensprozesse weniger intensiv verlaufen, ist der Schlaf. Im Schlafe ruht die Muskulatur, die im wachen Zustande durch unzählige Reize in anhaltender Tätigkeit erhalten wird; es ruhen auch die Drüsen des Verdauungsapparates, wenn vor dem Schlafen nicht Nahrung genommen wurde. Und mit diesem Nachlassen der Lebensverrichtungen ist auch eine Ver- minderung der Harnsäureausscheidung verbunden, denn naclı vielen übereinstimmenden Befunden ist die Harnsäureausscheidung während der Nacht am geringsten. In meinen Versuchen zeigte sich, wie ich auseinandergesetzt habe, dass Einnahme von purinfreiem Protein am Tage, besonders in den Morgenstunden, eine ziemlich rasch verlaufende Harnsäure- vermehrung hervorbringt, während dagegen diese Vermehrung sehr “ Jangsam verläuft und bis in die Morgenstunden des folgenden Taxes sich hinzieht, wenn das Protein am Abend eingenommen wird. Wenn man aus diesem Verlaufe der Harnsäurevermehrung auf den Verlauf der Tätigkeit der Verdauungsdrüsen schliessen darf, so dürfte die durch abendlichke Nahrungsaufnahme angeregte Verdauungstätigkeit während der Nacht ziemlich langsam und träge vor sich gehen, während des Tages dagegen viel rascher. Man kann die Lebensverrichtungen zu einer grösseren Leistung anregen, als sie im stationären Stande leisten würden, und dabei eine Erhöhung der Harnsäureausscheidung beobachten. Wenn (die Muskulatur zu einer grösseren Arbeitsleistung oder Wärmeproduktion angeregt wird, so steigt die Purinausscheidung; ebenso, wenn die Verdauungsdrüsen durch Nahrungsaufnahme zu einer intensiven Tätig- keit gebracht werden. Aber bei der Beurteilung des Verhältnisses der Purinausscheidung zur Grösse der Tätigkeit verschiedener Organe sind physiologische Grundsätze zu beachten, nach welchen die Grösse der Tätigkeit eines Organes bestimmt werden kann. Es wäre z. B. irreführend, würde man die Grösse der Muskeltätigkeit nach der Grösse des angewandten Reizes oder des angehängten Gewichtes beurteilen; ebenso irrig wäre es, die Grösse der Tätigkeit der Ver- dauungsdrüsen nach der Menge der zu verdauenden Nahrung zu bemessen. Diesen Irrtum finden wir z. B. in der Arbeit von Hess und Sechmoll!) und in anderen nach diesem Vorbilde gemachten 1) Hess und Schmoll,l. ce. Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 2659 Untersuchungen, wo das Verhältnis der Harnsäureausscheidung zur 'Tätiekeit der Verdauungsdrüsen nach der Menge des zu ver- dauenden Proteins bemessen wurde. Hess und-Schmoll prüften den Einfluss von purinfreiem Eiweiss oder Eigelb auf die Harnsäure- ausscheidung, indem sie diese Nährmittel zur gewöhnlichen purin- haltigen und proteinhaltigen Nahrung in grösserer Menge hinzu- fügten. Diese Art des Versuches bezieht sich, wie bereits erörtert wurde, auf eine ganz andere Frage, ob nämlich grössere Mengen eines bestimmten Nahrungsstoffes eine grössere Harnsäurevermehrung hervorrufen. In Beziehung auf die Frage eines Zusammenhanges der Harnsäurebildung mit der Tätigkeit der Verdauungsdrüsen würde es bedeuten, ob etwa die doppelte Nahrungsmenge eine doppelt so grosse Drüsentätigkeit hervorruft, welche sich in einem verdoppelten Harnsäurezuwachs äussern würde. Die Frage, ob eine verdoppelte Menge von Nahrung eine doppelte Tätigkeit der Verdauungsdrüsen hervorruft, ist wohl noch nieht durch eigene Versuche beantwortet worden, weil ein geeignetes Maass für diese Tätigkeit fehlt, aber man kann sie nach allgemeinen physiologischen Grundsätzen be- urteilen. Ein doppeltes auf den Muskel aufgehängtes Gewicht be- deutet keineswegs eine doppelte Arbeit des Muskels, und ebenso ist es möglich, dass eine doppelte Menge eines Nahrunsesstoffes nur eine und dieselbe Arbeit der Verdauungsdrüsen hervorruft. Diese Arbeit besteht iu der Bereitung eines spezifischen Fermeutes und ist in erster Linie ven der Qualität des Nahrungsstoffes bestimmt, nicht von seiner Menge, denn das einmal gebildete Ferment kann eine sehr grosse Menge des Nahrungsstoffes verdauen. So können die Verdauungsdrüsen z. B. eine gleiche Menge eines proteolytischen Fermentes erzeugen, die Menge des genossenen fermentogenen Proteins mag gross oder klein sein. Die Schwierigkeit der Aufgabe und dem- nach auch die Grösse der Leistung besteht hier in der Erzeugung eines spezifischen Fermentes, welches zum fermentogenen Substrate genau passen würde. Wir haben auch in dieser Abhandlung an- genommen, dass die Tätigkeit der Verdauungsdrüsen um so intensiver sein dürfte, je komplizierter der Nahrungsstoff gebaut ist und suchten auch nach diesem Maassstabe eine entsprechende Harnsäurevermehrune. Die Voraussetzung, dass die Arbeit der Verdauungsdrüsen um so grösser ist, je mehr von bestimmten Nahrungsstoffen eingenommen wird, ist also ein sehr zweifelhafter Grund für die Bemessung des 270 Franz Smetänka: Verhältnisses zwischen der Arbeit der Verdauungsdrüsen und der Grösse der Harnsäureausscheidung. Von einer Vergrösserung der Arbeit der Verdauungsdrüsen kann man mit, Bestimmtheit sprechen, wenn diese Drüsen aus der Ruhe des nüchternen Zustandes durch eine eingenommene Nahrung zur Tätigkeit angeregt werden, oder wenn zur gewöhnlichen Nahrung ein ungewöhnter Nahrungsstoff zu- gesetzt wird, zu dessen Verdauung die Bereitung eines eigenen Fer- meentes erforderlich ist. Ein rein quantitatives Verhältnis zwischen der Arbeit des Verdauungsapparates und der Menge des ein- genommenen Nahrungsstoffes könnte in solehen Fällen bestehen, wo es sich um eire Synthese handeln würde, wie z. B. um Bildung eines neutralen Fettes aus eingenommenen Fettsäuren, besonders aber um Bildung von Glykogen aus Kohlenhydraten und ähnlichem. Eine solche Vergrösserung der Arbeit der Verdaüngsdrüsen ist «dann auch mit einer Vermehrung der Harnsäureausscheidung verbunden. Einnahme von purinfreier Nahrung zu einer bestimmten Stunde des nüchternen Zustandes versetzt die Verdauungsdrüsen in Tätigkeit, und es erfolst sofort eine Vermehrung der Harnsäureausscheidung. Wenn Nahrungsaufnahme keine Tätigkeit der Verdauungsdrüsen hervorruft, wie es unter pathologischen Umständen vorkommen kann, so erfolgt auch die Harnsäurevermehrung nicht. Horbaczewski!) untersuchte die Harnsänreausscheidung in drei Fällen von Magen- krebs. Nicht einmal die Verabreichung von Fleisch, das doch unter normalen Verhältnissen die Menge der ausgeschiedenen Harunsäure zu vervielfachen imstande ist, hatte irgendeinen Einfluss, sondern es stellt sich in allen drei Versuchen ein Sinken der Harnsäuremenee ein. Dieser negative Befund erklärt sich daraus, dass die Harusäure mit der Tätigkeit der Verdauungsdrüsen zusammenhängt. Wenn diese Organe arbeitsunfähig geworden sind, so bleibt ihre Tätiekeit nach dem natürlichen Reize aus, und mit ihr auch die molekularen Plasmaveränderungen, als deren Produkt Purinstoffe und Harnsäure anzusehen sind. Die Harnsäure, sowie die Purinstoffe überhaupt, ist also un- zweifelhaft ein Produkt des physiologischen Plasmastoffwechsels, weleher der Tätigkeit des Protoplasmas zugrunde liegt, und dieselbe 1) Horbaczewski, Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. in Wien Bd. C Abt. 3. 1891. Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. DE könnte als ein Maass dieses Stoffwechsels angewendet werden, wie es MareS zuerst ausgesprochen hatte. Aber dieses Maass ist doch ziemlich schwer anzuwenden, weil die gesamte Harnsäuremenge beim Menschen ziemlich klein ist und ihre Veränderungen unter ver- schiedenen Umständen sehr wenig hervortreten. Nach Einnahme von Protein wächst die Harnsäuremenge nur um wenize Zenti- gramme, obeleich die molekularen Veränderungen im Protoplasma der Verdauungsdrüsen, nach histologischen Befunden sowie nach der Beschaffenheit ihres Sekretes (Salzsäure, proteolytische Fermente usw.) zu urteilen, sehr eingreifend sind. Im menschlichen Körper werden also verhältnismässig wenig Purinstoffe erzeugt, wie auch Burian!) bei anstrengender Muskelarbeit gefunden hat. Ziemlich grosse Ver- änderungen der einzelnen Organe während der Tätigkeit sind von verhältnismässig kleinen Veränderungen in der Menge der gebildeten Purinstoffe begleitet. Und endogene Purinstoffe, vor allem Harn- säure, kommen in einer geringeren Menge zur Ausscheidung, als sie im Körper gebildet wurden, weil urikolytische Prozesse einen be- deutenden Teil der Harnsäure in einfachere Verbindungen zersetzen. Und so können ausgiebigere Schwankungen in der Harnsäure- ausscheidung nur dann entstehen, wenn im Organismus grosse Ver- änderungen vor sich gehen, die sich in bedeutend geänderter Arbeits- intensität der einzelnen Organe zeigen. Darum wird es kaum möglich sein, sich zu überzeugen, ob jedes Organ während seiner Tätigkeit Purinstoffe erzeugt, und noch grössere Schwierigkeiten wird die Frage bilden, welchen Anteil irgendein Organ an der Gesamtmenge der Harnsäure hat. In meinen Versuchen XI, XV, XVI und XVII wurden auch Be- stimmungen des Gesamtstickstoffes im Harn vorgenommen, um fest- zustellen, ob die Kohlenhydrate irgendeinen Einfluss -auf die Aus- scheidung des Gesamtstickstoffes haben. Die Ergebnisse zeigen, in Übereinstimmung mit den bisherigen Erfahrungen [vel. z. B. Roeh] ?)], dass die Stiekstoffausscheidung sich hei Genuss von Kohlenhydraten sehr wenig ändert. Nur beim Vergleich von Versuch XI (nüchterner Zustand während des ganzen Tages) und XVI (mit Genuss von 300 g Honig) scheint es, dass die Stickstoffmenge gestieren ist. In 5 Stunden, von 1—6 Uhr nachmittags, schied die Versuchsperson 1) Burian, |. c. 2) Roehl, Pflüger’s Arch. Bd. 108 S. 547. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 13 22 Franz Smetänka: im nüchternen Zustande 1,413 & Stickstoff aus, in derselben Zeit nach Kartoffelgenuss 1,583 g, nach Honigegenuss 1,760 g. Der Honig enthält durchschnittlich 1°/o Stickstoffverbindungen; die Versuchs- person genoss also mit dem Honig 3 g Stickstoffverbindungen und schied um 0,35 & mehr Stickstoff aus. Man kann also von einer erhöhten Stickstoffausscheidung sprechen, besonders nach Genuss grösserer Mengen von Honig, aber diese Erhöhung, die aus dem Körperstickstoff des Organismus selbst herrühren würde, ist zu un- bedeutend, als dass man daraus irgendwelche Schlüsse über den sparenden Einfluss der Kohlenhydrate auf den Proteinumsatz im Organismus ziehen könnte. Jedenfalls ist mit Pflüger anzunehmen, dass dieser Einfluss ziemlich gering ist; er dürfte erst dann deut- licher hervortreten, wenn der Organismus bereits seine Vorräte an Nährstoffen (Glykogen, Fett) erschöpft hat und auf eigene Kosten zu leben hat. Dann erst, nach längerem Hungern, zeigt es sich, dass durch Einnahme . von Kohlenhydraten die Menge des aus- geschiedenen Stickstoffes sich bedeutend vermindert [siehe z. B. Catheartd)]. Oben dargeleste Untersuchungen mit der Methode des nüchternen Zustandes und stündlichen Harnsäurebestimmungen haben also zu folgenden Ergebnissen geführt: l. Jeder, auch purinfreier Proteingenuss hat eine erhöhte Harı- säureausscheidung zur Folge, welche in der dritten Stunde nach dem Genuss um S0°/o, mitunter auch höher sein kann. 2. Erfolgt die Proteineinnahme in den späteren Nachmittags- stunden oder abends, so dauert die erhöhte Ausscheidung während der ganzen Nacht und kann sogar die vornittägigen Stundenmengen derselben aın nächstfolgenden Tage beeinflussen. 3. Diese Harnsäurevermehrung hat wahrscheinlich ihre Quelle in den stofflichen Veränderungen, welche in den Zellen der Verdauungs- drüsen während ihrer Tätigkeit (der Fermentbildung) vor sich gehen. 4. Nach dem Genuss von Polysaechariden ist, entsprechend der kleineren Arbeit der Verdauungsdrüsen, die Harnsäurevermehrung kleiner. 5. Die nach der Honigeinnahme erscheinende Harnsäurever- mehrung ist dagegen grösser und kann durch intensive Tätigkeit der Leberzellen bei der Glykogenbildung erklärt werden. DWathleant le: Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. 273 6. Die Gesamtstickstoffausscheidung wird durch Einnahme von Kohlenhydraten wenig geändert. 7. Die Harnsäurebildung ist also mit der Tätigkeit der Ver- dauungsdrüsen und anderer Organe verbunden und kann daher, wie es MareS zuerst angenommen hat, als Maass des physiologischen Stoffwechsels angewendet werden. Herrn Professor Mares danke ich für die Anregung und An- leitung zu dieser Arbeit. Ebenso gedenke ich dankbar der Liebens- würdigkeit, mit der mir stets der Assistent des Institutes, Herr Dr. Otakar Faustka, entgegenkam. Nachschrift. Nachdem das Manuskript der vorliegenden Abhandlung bereits zum Drucke abgesandt wurde, erhielt Herr Professor MareS den Abdruck der Arbeit Mendel’s und Brown’s!) über die Harnsäure. Bei stündlichen Bestimmungen fanden diese Autoren, dass nach Genuss von 6-8 Eiern im nüchternen Zustande eine ähnliche Vermehrung der Harnsäure stattfindet, wie sie in meinen Versuchen zutage ge- treten ist (von 16 mg auf 29,9, 38,9, 38,5, 27,0, 22,3, 16,9 mg im 6. Versuch). Der Genuss von Zwieback oder Sago mit Zucker rief eine bedeutend geringere Vermehrung hervor (von 12,7 mg auf 17,1, 28,8, 17.1, 11,6 mg im Versuch I oder von 7,5 mg auf 13,3 und 9,3 mg im Versuch II). Bei der Würdigung dieser Resultate standen die Autoren augenscheinlich unter dem Einfluss der üblichen An- schauung, dass der Genuss von purinfreier Nahrung keine grössere Bedeutung für die Ausscheidung der Harnsäure besitzt. Sie schreiben: „Ihe ingestion of a purin-free meal is followed by a minimal rise in urie acid output above the abstinence values....; when larger quantities of protein, such as the purin-free egg-proteins are included tlıe rise is somewhat larger“, während doch diese Resultate sich vollkommen mit den oben angeführten Versuchen decken, in denen ich gefunden habe, dass der Nahrungsaufnahme, je nach ihrer Qualität, eine verschiedene Harnsäurevermehrung folet. Die Arbeit Mendel’s und Brown’s vermehrt das Experimentalmaterial, aus dem die obigen Schlüsse über die Herkunft der Harnsäure gezogen worden sind, und unterstützt so ihre Richtigkeit. 1) Mendel and Brown, The Journ. of the Americ. Med. Association vol. 49 p. 896. 1907. 18* 974 Franz Smetänka: Zur Herkunft der Harnsäure beim Menschen. Beriehtigung. In der Arbeit des Herrn Professor Mares, „Der physiologische Protoplasmastoffwechsel und die Purinbildung* im Bd. 134 dieses Archivs soll der Seite 85 und Seite 86 verbindende Satz lauten: „Burian!) hat, mit der gleichen Methode des nüchternen Zustandes, nach einstündiger Muskelarbeit eine Vermehrung der Harnsäure-N von 11,4 mg auf 18,2 mg (um 60/0), in einem anderen Versuche von 7,3 mg auf 22,2 mg (200 °%o) per Stunde gefunden, was ihm genügte, um die Harnsäurebildung mit der Muskeltätigkeit in Zusammenhang zu bringen. Ebenso könnte“ usw. l) Burian,l. c. (Aus der ernährungsphysiologischen Abteilung des Instituts für Gärungsgewerbe der Kgl. Landwirtsch. Hochschule zu Berlin.) Über den Einfluss der Extraktivstoffe des Fleisches auf die Resorption der Nährstoffe. Der physio- logische Nutzwert des Fleischextraktes. Von wilhelm Völtz und August Baudrexel. Die vorliegende Untersuchung wurde ausgeführt, um festzustellen, ob die Extraktivstoffe des Fleisches, welche in ihrer Gesamtheit nach den Untersuchungen Pawlow’s als mächtige chemische Erreger der Fermentsekretion im Tierkörper wirken, die Resorption von gleich- zeitig verabreichten Nährstoffen zu erhöhen vermögen. Es liest eine diesbezügliche Arbeit von J. Effront!) vor, welcher gefunden hatte, dass die N-haltigen Bestandteile vegetabi- lischen Futters nach Fleischextraktzufuhr zu einem höheren Prozent- satz verdaut wurden. Effront verabreichte in einer Grundfutter- periode 20 g N in Form von vegetabilischer Nahrung; er fand im Kot 5,3 g N wieder. In einer anschliessenden Hauptperiode wurden ausser demselben Grundreeime 50 & Liebig’s Fleischextrakt als Zu- lage gereicht; der N-Gehalt der Fäces betrug während dieser Periode 3,4 &; somit war durch die Zugabe von 50 g Fleischextrakt der N-Gehalt des Kotes um 1,9 g — 35,8 °/o verringert worden. Uns kam es darauf an, nicht nur den Einfluss dieses Genuss- mittels auf die Resorption der N-haltigen Nahrungsbestandteile zu untersuchen, sondern auch gleichzeitig festzustellen, ob die Verdaulich- keit anderer Nährstoffe durch Fleischextraktzugaben erhöht wird. Durch diese Gesichtspunkte war die Versuchsanstellung gegeben. Es wurde ein aus reinen Nährstoffen bestehendes an organischen Genuss- 1) J. Effront, Über Peptone. Bericht IV des fünften internat. Kongresses für angewandte Chemie S. 97—99. 1904 976 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: stoffen freies Futter in Grundrationsperioden gereicht, in denen das Ver- hältnis von N-haltigen zu N-freien Stoffen ein derartiges war, dass man Verdauungsdepressionen erwarten konnte. In den Hauptperioden sollte als Zulage zu dem gewählten Regime Fleischextrakt gereicht werden, um zu ermitteln, ob die Verdauungskoeffizienten der Nährstoffe in der Tat hierdurch erhöht werden. Da zu diesem Zweck der Energie- gehalt sämtlicher Nahrungsbestandteile, ferner der Fäces und des Harnes sowie der N-Gehalt in Einnahmen und Ausgaben ermittelt wurden, so liess sich gleichzeitig feststellen, ob und in welchem Umfange der Stickstoff der Extraktivstoffe des Fleisches im tierischen Organismus zum Ansatz gelangen kann, und es konnte ferner der physiologische Nutzwert des Fleischextraktes bestimmt werden. Es erschien uns wichtig, gerade auch hierüber weiteres experimen- telles Material beizubringen, weil die Angaben der Autoren über den physiologischen Nutzwert dieses wichtigen Genussmittels recht wider- sprechende sind). I. Versuchsreihe. Zu der ersten Versuchsreihe diente eine ca. 11 kg schwere Hündin. Es wurden an dem Tier zwei Perioden durchgeführt, und zwar: 1. eine Grundfutterperiode I von zehntägiger Dauer und 2. eine zehntägige Hauptperiode Il, während welcher 10 & Fleischextrakt pro die als Zulage zur Grundration gereicht wurden. Die Hauptperiode Il folgte unmittelbar auf die Grundfutter- periode |. Eine abschliessende Grundfutterperiode suchten wir auch noch durchzuführen; dieselbe misslang jedoch, weil die Hündin das Futter ohne organische Genussstoffe nach der Fleischextraktperiode nicht aufnehmen mochte und dasselbe, als es ihr mit der Schlundsonde beigebracht wurde, erbrach. 1) M. Rubner, Über den Einfluss der Extraktivstoffe des Fleisches auf die Wärmebildung. Zeitschr. f. Biol. Bd. 20 S. 265. 18855. — E. Pflüger, Pflüger’s Arch. Bd. 79 S. 537. — J. Frentzel und N. Toriyama, Der Nutzwert des Fleischextraktes. Arch. f. Anat. u. Physiol. Physiol. Abteilung S. 499—512. 1901. — E. Bürgi, Der Nutzwert des Fleischextraktes. Arch. f. Hygiene Bd.51 S. 1—18. 1904. — M. Rubner, Über das Verhalten der Ex- traktivstoffe des Fleisches im Tierkörper. Arch. f. Hygiene Bd. 51 S. 19—61, 1904. — K. Thomas, Über die biologische Wertigkeit der Stickstoffsubstanzen in verschiedenen Nahrungsmitteln. Beiträge zur Frage nach dem physiologischen Stickstoffminimum. Arch. f. Anat. und Physiol. 8. 219—302, 1909. Über den Einfluss der Extraktivstoffe des Fleisches auf die Resorption etc. 277 Für die Versuche musste das ziemlich fette Tier erst durch eine Hungerperiode vorbereitet werden, da eine derartige Kost er- fahrungsgemäss nur bei grossem Hunger verzehrt wird. Wir liessen die Hündin unmittelbar vor der Grundfutterperiode I 10 Tage, und zwar vom 8.—18. Oktober 1909, hungern, weil uns sehr daran las, möglichst lange Perioden elatt durchzuführen. Aus letzterem Grunde durfte die Nahrungszufuhr auch nur eine sehr mässige sein. Das Gewicht des Tieres betrug am 9. Oktober, also am zweiten Hungertage 13,75 kg, aın letzten Hungertage, unmittelbar vor Beginn der Grundfutterperiode I, 11,35 kg. Die tägliche mittlere Gewichts- abnahme betrug somit 267 @. Um das Verhalten der organischen Be- standteile des (Liebig’s) Fleischextraktes möglichst rein hervortreten zu lassen, wurde ein Teil des Fleischextraktes verascht, und während der Grundfutterperiode eine 10 g Fleischextrakt entsprechende Menge an Asche im Futter gegeben. Ausserdem erhielt die Hündin während der ganzen Versuchsreihe täglich 4 kg Knochenasche und noch 0,5 & Kochsalz. Liebig’s Fleischextrakt enthielt 9,69 °/o N, und zwar 1,62 °/o in Form von Eiweiss), 19,700 Asche und lieferte pro 1 g frischer Substanz 2,935 Cal. Das Albumin enthielt 11.95 °/o N und 4,695 Cal.. die Stärke 0,027 0 N und 3,4365 Cal., der Rindertalg 0,012 %/0 N und 9,446 Cal. pro 1 & Substanz. Grundfutterperiode I. Vom 18./19.—27.128. Oktober 1909. Ausgeführt an einer Hündin. Nahruneszufuhr: 200er Rindertalen 2.2... —0024SN und 188.925.C3l. 15022 Oyalbuminz.. 0. 1493: 70,43 10007, sKartoffelstärker 2. 12 . —0,02%, 343,56 1,97 „ Asche von 10 & Fleisch- extrakt 3 EZ PURsenknochenasche 7 2.2... u 5 — 0,9... Kochsalz an 2,0 „ Kohle (zur Abgrenzung der Fäces von 10 Tgeın) . = — 13.19 „ ” ” Sa. 1,8448 N und 616,04 Cal. Nach Abzug der Cal. für die Kohle — 1,844 & N u. 602,91 Cal. pro die. b>) n ” ” | \ 1) Bestimmt nach der Methode von Barnstein, Die landwirtschaftlichen Versuchsstationen Bd. 54 S. 327. 1900. D | [0 6) Wilhelm Völtz und August Baudrexel: Die Abgrenzung der Fäces des ersten Fütterungstages gelang nicht scharf, weil das Tier an den vorhergegangenen Tagen erhebliche Mengen Haare gefressen hatte. Wir sahen uns daher genötigt, der Hündin einen Maulkorb umzulegen, den das Tier während der sanzen Versuchsreihe tragen musste, und der nur während der Futter- aufnahme ‚abeenommen wurde. Die trotz der schlecht gelungenen Aberenzung ausgeführten Bestimmungen des N- und Caloriengehaltes der Fäces ergaben etwa nur die Hälfte der an den späteren Tagen gefundenen Werte. Das Tier resorbierte die Nahrungsbestandteile also an den ersten Tagen relativ zu den späteren zu einem höheren Prozentsatz. Später konstatierten wir an derselben Hündin den sleichen Befund?). Zu Beginn des fünften Tages wurde die Abgrenzung der Fäces nochmals vorgenommen und gelang ganz scharf. (Die 2 g Kohle waren sorefältig unter die gesamte Tagesportion des Futters ge- miseht worden, das sie fast schwarz färbten. Ebenso waren die Fäces fast schwarz gefärbt, während der Kot der früheren Tage ganz hell war. Ebenso scharf gelang die Aberenzung der Fäces bei der folgenden Periode.) Die Tabelle 1 (S. 279) enthält die Werte für den N-Gehalt der Harne sämtlicher 10 Versuchstage und diejenigen für den N-Gehalt der Fäces und für die N-Bilanzen der letzten 6 Tage der Periode. Der Harn wurde täglich durch Katheterisieren abgegrenzt. Pro Kilo Lebendgewicht und Tag hatte die Hündin im Mittel 0,163 g N, hiervon 0,0265 & resorbierbar, und 53,2 Calorien er- halten. Die Nahrung genüste also in Anbetracht der exorbitant schlechten Resorption bei weitem nicht, um den Bedarf des Organis- mus zu decken. Nur 16°/o der N-haltigen Nahrungsbestandteile gelangten zur Resorption. Es bestand also eine starke Verdauungs- depression des Eiweisses, und auch Stärke war im Kot nachweisbar. Das Tier verlor täglich im Mittel 1,3 g Stickstoff von seinem Körper- bestande. Wir finden, wenn wir die Zahlen für den Stickstoffgehalt des 1) W. Völtz (Referent), R. Förster und A. Baudrexel, Über die Ver- wertung des Bierextraktes und des Bieres im menschlichen und tierischen Organismus. Pflüger’s Arch. Bd. 134 S. 151. 1910. Über den Einfluss der Extraktivstoffe des Fleisches auf die Resorption ete. 279 | | | 63E IT 1602 — co | 891 | &0 [6021 |EPT'E r7 | 800 E68 ı ve 638 seeı| F81 | I I IIINIH :U9SBL, 9 UOA JO wı osIy SION BGE = | | = Kr | =: ‚ssı| Sl | == ?°6 | _— | ers | F00T | gwung ee Fr re Sa Re ee ee ‚rin |osc—| so —| or |oco | ocr [ea | #7 [so | ve ci 1901 | VE Fe sel'ıg STTL- [8:68 —|- OEL | 89 21:08:01 09121 76% Fr 800 L’E8 VOTE Sn NET Voyage | | \ f f \ 3 | ‘ | f \ ( 2 soll 79 vol Sal &0 | 29T | 80% v7 800 L'E8 wı FL | HL He 981 85 Lat 199) 2 pa | Gr =. de N Tengzie v7 800 L'E8 I oh ee coli OF TI 9. — | Or | 89T. | 080 | 9ur | Fee Fr 800 EB = IEPEET ei a A u Bi 2 ralieg OPTI 7812091 126912 1080-1. 28T TES vr 800 | 2E8 71 66 esı| Fl oa OF II = = = — — = 77 800 | _ =. ges | or Fe a eekle Frl —_ — — ee — —r vr 80'0 = rg] s6ı | #81 SR sel = = TE eh re | 800 en rII 072 | ve 086 SETI = = — = _ = 88181050 a SET | 685 | FT | Baoryo '6T/sT awuyeu 9wuuvu YULRU yugyeu | | g9uubu 57 0, 5 ng 3 -urg 5 ug | 83 | -ug Dune en 5 | 19P 0/5 A9P 0/o 19p oo | | A9P 0% (Op 0/9 umpung 2 uapfrqadstuap | B N als I 19p 2 N 2I01q10891 -ıdq uap ut va u | Zehn SUITE rl I9TMEN) ZREUNEN loan sy Gh Sen ee ren 2a um UOPOINISHISNE N UB Y91SR} uopana SH FIMSIET 2380 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: Harnes an den einzelnen Tagen überblicken, in Übereinstimmung mit früheren Ergebnissen !), dass der Stickstoffgehalt des Harnes am ersten Tage einer Fütterungsperiode, die auf eine Hungerperiode folgt, im Vergleich zu dem Durchschnitt der späteren Versuchstage der Fütterungsperiode wesentlich erhöht, hier sogar verdoppelt ist (3,29 & gegenüber 1,65 g). Die N-Ausscheidung im Harn nimmt nahezu kontinuierlich ab, bis am neunten und zehnten Tage die geringsten Werte erreicht sind. Zum Vergleich mit den Resultaten der folgenden Fleischextraktperiode sollen nur die beiden letzten Tage der vorliegenden Grundfutterperiode herangezogen werden, au denen die Werte für den Gehalt an Harnstickstoff am niedrigsten sind und nahezu übereinstimmen. Energieumsatz: Einnahmen prordier. 0 en 02222 2002,310R0al Ausgaben: Der Kot sämtl. 6 Versuchstage wog getrocknet 156,9 8 und Enthieltprolg 3,989 Cal. also Sa. 625,980 „ ab für 2 g Kohle 13,128 also Sa. 612,852 Cal. resp. pro die . . 102,142 „ =16,90°/o d. Zufuhr Der Harn d. beiden letzten Tage ent- hielt sr... 21.5502). 293500078 > Sa. 123,492 Cal. — 20,40 %o d. Zufuhr— 123,492 Somit beträgt der physiologische Nutzwert. . . —479,418Cal. entsprechend 79,6 %/o der Zufuhr. Pro Kilogramm Lebendgewicht und Tag hatte die Hündin 43 nutzbare Calorien erhalten. Calorischer Quotient ( Nele Sı 194 2) Im Mittel sämtlicher Versuchstage enthielt der Harn 24,8 Cal. pro die. Die Eintrocknung der mit Thymol und Salzsäure versetzten Harne zwecks Vor- bereitung derselben für die calorimetrischen Bestimmungen gelang übrigens stets ohne N-Verluste, wie durch regelmässige N-Bestimmungen in den Kontrollproben der getrockneten Harne festgestellt wurde. ee Hana Em Uber den Einfluss der Extraktivstoffe des Fleisches auf die Resorption etc. 281 Periode II. Vom 28./29. Oktober bis 6./7. November 1909. Fleischextraktperiode. Das Tier erhielt pro die: 10,0 &g Liebig’s Fleischextrakt . —= 0,969 g N und 29:35 Cal. 20:0 , Rindertale a m 2.25 0,024, 3, 188,927) ,, 15:02 Oyalbumın 2270. 0,0200, 10099, 5, 2052: 47048, 100,0. Karsonelstarke 0... 00%0,,., 34350 1, As Kinochenascher 1 en — OHes Kochsalz ne a en a — 8 2,0 „ Kohle zur Abgrenzung der Bäceszvone je o. Bacenn . irn 2, Sa. = 2,813g N und 645,39 Cal. Nach Abzug der Cal. für die Kohle 2,813 & N u. 632,26 Cal. pro die. Die Werte für den N-Gehalt der Ausscheidungen und die N-Bilanzen an den einzelnen Tagen sowohl, als auch im Mittel der ersten und der zweiten Hälfte der Periode enthält die folgende Tabelle2 (S.282). Die Fäces der ersten 5 Versuchstage und der letzten 5 Versuchstage wurden gesondert auf ihren N- und Caloriengehalt untersucht. Pro Kilogramm Körpergewicht und Tag hatte die Hündin also 0,25 g N und 57.2 Cal. erhalten. Die mittlere tägliche Gewichtsabnahme betrug 38 @. Bezüglich der N-Ausscheidung im Harn bestehen im Durch- schnitt der beiden Versuchshälften keine wesentlichen Abweichungen (1,88 gegenüber 1,81 & N im Mittel pro die). Der N-Gehalt der Fäces ist während der letzten 5 Versuchstage nur um 0,08 & im Mittel pro die, der Caloriengehalt dagegen, wie wir sehen werden, stark er- höht. Es besteht offenbar während der zweiten Hälfte der Periode infolge der langen Versuchsdauer schon eine gewisse Darmreizung. Es sollen daher bei der Berechnung des physiologischen Nutzwertes der Extraktivstoffe des Fleisches nur die ersten 5 Versuchstage dieser Periode herangezogen werden. Die N-Bilanzen ergaben im Mittel jeder der beiden Versuchshälften nahezu Übereinstimmung. Von den 0,969 g Stickstoff der Extraktivstoffe des Fleisches wurden während der ersten Versuchshälfte im Mittel 1,69 — 1,54— 0,15 & N im Kot wiedergefunden, also 84,5 %o resorbiert, während der zweiten Ver- suchshälfte 1,77 — 1,54 = 0,23 g N im Kot wiedererhalten, also 76,3 °/o resorbiert, und im Mittel der zehntägigen Periode 1,73 — 1,54 voor | oe — | «o— | vre | wı | € | 6 | 80 | 08 | | #0 | ısı | :09BL G U9)ZJ9[ A9p IPIW wu sırır | v2 | 9eso—| se | ar | 8er | ange | 78% | 309 | es | #299 | ser | :99e.L G U0JS19 OP Ip wu . or | 2008 — | 80 — | +se | voeı | se | 82 | soo | 029 | oerı | wo | zreı | 2 :USOBL, OT U0A Joy wı osjy © = = | = 78 — | — |) EN za in 84‘9E | = 08 0 | - | 0821 | ı srl | wunung = m——————— I e 0801 son | rei | mo<| are |oı | u | 02E | #01 9IL | 96€ 63 800 9 | | ser | or = ung 2 16.07 er9ez 80] = | O8 | 701 BEI 6 8° | 800 | 0.89 | 221 ya | 90% = "gg En LOTT eRsE | 8072 | 008 2 301 EI | 688 63 | 800 3) Din gaL | v0 S "Ir = Re | | A | ar | WR 80 7.80.02) 002 nr 89 | El 2 Bus a So 190: | 20 2 1025 501 LeI | 9dE Ger 800 1 089 zu | 809 0] eu ee = a Ba = | ee | le ga | 8 sd | 800 | 209 | 69°T el | 90% TOqWOAON "ZT N LO FE Bea | 6.0 8 a sel | 09% 62 | 800 | 209 691 19 | 88T [ON 'TS!q PIO TE = DEE | seo 660 | os Lore er | 966 8 800 | 209 | 691 For | 661 eishos z 1 | 8 | 180— | Fe | ar Kamen: 6c | soo | 809 | 1 sig | SEl © 08168 e aa | 2 1 || ie a! ic u Zt 86 | 800 | 809 | 697 Use | Sg OIOPIO '60/'8G © | | = : MD x 90 ° 3 0/9 = an Oo er mr ar %o 5 0% a = 0%, fu an u9p]Ldys Ola vunung oda Joy wı uepz wı 606T sdp zyeSuUV-N JIOTAQLOSOY uop ur we] JDıMor) ee ze B ae N wopaıyasogsun Se 0 ee en sy a Fe Über den Einfluss der Extraktivstoffe des Fleisches auf die Resorption etc. 283 — 0,19 & N im Kot wiedererhalten, also SU0,4°o resorbiert. Im Hinblick auf die Wasserlösliehkeit der Extraktivstoffe des Fleisches erscheinen diese Verdauungskoeffizienten recht niedrie, und von einer Erhöhung der Resorption anderer N-haltiger Nährstoffe des Futters durch Fleischextrakt, wie sie Effront (l. ec.) bei anderer Versuchsanstellung gefunden hatte, kaun gar keine Rede sein. Was’nun den Einfluss der Extraktivstoffe des Fleisches auf den Stickstoffhaushalt des Organismus anlanst, so ergab die N-Bilanz im Mittel der beiden letzten Tage der zugehörigen Grundfutterperiode 1 einen täglichen Verlust von 1,09 e@, während der ersten 5 Tage der Fleischextraktperiode betrug der Stiekstoffverlust im Mittel pro die 0,54 g; derselbe war aiso um 0,25 & N geringer. Nun waren von den insgesamt im Fleischextrakt verabreichten 0,969 g N 0,162 g N in Form von Eiweiss enthalten. Nehmen wir selbst an, dass diese 0,162 g Eiweissstickstoff restlos retiniert worden wären, was sicher nicht der Fall sein kann, so hätten die 0,807 & N in Form von eiweissfreien Extraktivstoffen doch den Stiekstoffverlust des Organis- mus um 0,250 — 0,162, also um 0,088 ge N verringert, das sind 10,9 %/o der in Form von eiweissfreiem Fleischextrakt zugeführten Stiekstoffmenge. Bemerken möchten wir schliesslich noch, dass die Fäces während der Fleischextraktperiode sehr hart und trocken abgesetzt wurden; während der Grundfutterperiode 1 waren dieselben dagegen von normaler diekbreiiger Beschaffenheit. Energieumsatz. Die Fäces der ersten 5 Versuchstage wogen getrocknet 129,900 & undsentMmielteneprouk gr Na. ee 4,199 Cal. also SUMmaRR Een. Gr er ee DA AH RN ap tür 29, Kohle 2 2 2. u ee ale 532,332 Cal. Tesp. prordies 2.4... 106,466 Cal. Die Fäces der zweiten Versuchshälfte (6. 10. Tag) worenzgetrocknebl ur, 2.2... wer 2 188400:8 undgenthielten pro ec a1 m 1... 4,463 Cal. 2150 2Summar er Wa rt. 017,09 abiür 2.0, Kohle Day 2.202.2:.2.000 1,128, 604,551 Cal. Bespaproi dies mn een 2120, 910.Cal. 84 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: In Anbetracht der Störung des Verdauunesvermögens während der zweiten Versuchshälfte soll bei dem Vergleich mit den analogen Daten der Grundfutterperiode der Wert 106,466 Cal. pro die ein- gesetzt werden, welcher für die ersten 5 Tage dieser Periode im Mittel pro die bestimmt wurde. Einnahmen PEOLdIeNeN An. er 032200 Ausgaben: Der Kot enthielt pro die . . 106,446 Cal. = 16,84 °/o d. Zufuhr Der Harn der 5 ersten Versuchs- tage enthielt im Mittel pro die. 26,620), — 421%, „ Sa. 133,086 Cal. —= 21,05 °/o d. Zufuhr — 133,086 Cal. Somit beträgt der physiologische Nutzwert des Futters 499,174 Cal. entsprechend 78,95 %o. der Einnahmen. Harn-Cal. — 26,620 : HarıN — Tan) Nele. Die Fäces der Grundfutterperiode enthielten im Mittel pro die 102,142 Cal., die der Fleischextraktperiode 106,466 Cal., also 4,324 Cal. mehr. Es ist durch diese Befunde bewiesen, dass die Extraktivstoffe des Fleisches, trotz der Zugabe zu einem an organi- schen Genussstoffen nahezu freien Regime, die Resorption der Nähr- stoffe in keiner Weise zu erhöhen vermochten. Um nun den physiologischen Nutzeffekt der Extraktivstoffe des Fleisches zu berechnen, haben wir zunächst die betreffenden Daten der beiden in Betracht kommenden Perioden miteinander zu ver- gleichen. Es wurden im Mittel pro die gefunden: Calorischer Quotient ( im Kot im Harn In der Fleischextraktperiode (erste 5 Taee) . . . . 106,466 Cal. . 26,620 Cal. (erste 5 Tage) In der Grundfutterperiode.. 102.142 „ 21.350 „ (letzte2 Tage) Differenz . 4,324 Cal. 5,270 Cal. 1) Der im Mischharn der ganzen Periode pro die direkt bestimmte Mittel- wert betrug 26,085 Cal. Der Wert 26,620 wurde berechnet‘durch Multiplikation des calorischen Quotienten (14,16) mit dem mittleren täglichen N-Gehalt des Harns der ersten 5 Versuchstage (1,83). . Über den Einfluss der Extraktivstoffe des Fleisches auf die Resorption ete. 285 Nun ist noch der Eiweissgehalt des Fleischextraktes in Rechnung zu stellen. 10 g enthielten 1,013 g Eiweiss mit 5,7 Cal. pro Gramm, entsprechend 5,774 Cal. In Form von eiweissfreiem Fleischextrakt wurden also 29,35 — 5,774 — 23,576 Cal. täglich von der Hündin verzehrt. Nach Rubner gehen 19,02°/ vom Energiegehalt des Muskel- eiweisses in den Harn, 3,22°0o in den Kot über. Da im Fleisch- ‘extrakt täglich 1,013 g Eiweiss mit 5,774 Cal. verabreicht worden waren, so würden hiervon 1,098 Cal. im Harn und 0,1859 Cal. mit dem Kot ungenützt verloren gehen. Das Plus an Calorien in den Ausscheiduneen der Fleischextraktperiode im Vergleich zur Grund- futterperiode beträgt: im Kot im Harn 4,324 Cal. 5,270 Cal. von 1,013 g Eiweiss mit 5,774 Cal. sındezurenwaktene. we. 22.2... 220.186, IR0ISE, es@restieren also „0. ...2..2.2188 Cal 4172 Cal. — Summa 8,310 Cal. von den eiweissfreien Extraktivstoffen des Fleisches. Da der Energiegehalt des eiweissfreien Fleischextraktes 23,576 Calorien betragen hatte, so ist der physiologische Nutzwert des Fleischextraktes 64,75 °/o seines Energiegehaltes. II. Versuchsreihe. Wir haben an einem anderen Tier und zwar an einem männ- lichen kurzhaarigen schwarzen Hunde von 6,3 kg Gewicht noch eine zweite Versuchsreihe mit einigen Modifikationen durchgeführt. Da das Gewicht dieses Hundes annähernd die Hälfte des Gewichtes der Hündin betrug, erhielt er die halben Gewichtsmengen desselben Futters; nur gelangte eine andere Probe von Liebig’s Fleischextrakt, die natürlich ebenfalls analysiert wurde, zur Verwendung. Während in der ersten Versuchsreihe an der Hündin nach zehntägizgem Hunger zu- nächst eine Grundrationsperiode und im Anschluss die Fleischextrakt- periode durchgeführt wurde, erhielt der Hund in der Versuchsreihe II nach zwölftägigem Hunger während der ersten zehntägigen Periode Grundfutter + 5 g Fleischextrakt pro die und während der zweiten ebenfalls zehntägigen Periode Grundfutter; eine geplante dritte Periode -mit 10 g Fleischextrakt, also der doppelten Menge, als Zulage zur (Grundration konnte nicht glatt durchgeführt werden. Der Harn wurde täglich mittels Katheters abgegrenzt. Die Abgrenzung der 286 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: Fäces erfolgte durch Holzkohle. die mit "/s der betr. Tagesration des Futters vermischt gereicht wurde. Wir versuchten den Kot einige Tage nach dem Beginn der Periode abzugrenzen. Die Ab- erenzung gelang jedoch nicht zu unserer Zufriedenheit; soviel liess sich jedoch feststellen, dass die Menge des abgesetzten Kotes an den ersten Tagen erheblich geringer war als an den späteren. Für die Aufstellung der Bilanzen haben wir die Mittelwerte für Stick- stoff- und Caloriengehalt der Fäces aus der ganzen zehntägigen Periode eingetragen. (Bei Beginn und am Schluss der Periode war die Abgrenzunge des Kotes gut geglückt.) Die Daten über die Nahrungszufuhr resp. die N-Bilanzen während der Fleischextrakt- periode 1 enthält die folgende Übersicht bzw. die Tabelle 3 (S. 287). Periode ]l. Vom 10./11.—19./20. Februar 1910. Fleischextraktperiode. Das Tier erhielt pro die: als Grundfutter: 75 e Ovalbumin . . 2... mit 0,92 & N und 35,872 Cal. 10:0: 3, Rindertale. © ae 2.2287 2.0095. 0.081, 5.25.09, 94400 75 50:0: Kartoflelstärke, :>....2...001% 109850. 2,0%: 0. Knoehenasche ul 2a 02. 05, Gen N — S 129#=,; Kochsalz. u. en ns — 3 als Zulage: 5 „ Fleischextrakt (10,069 %/o N, 10,25 %/o Eiweiss, 15,93 /o Asche, 3,004.Cal) 2.....2....0502,,.22.2158205 Nach Subtraktion der Calorien für die zur Abgrenzung der Fäces verfütterte Kohle . . . . . 2... 144 g N und 315,502 Cal. (Siehe die Tabelle 3 auf S. 287.) Pro Kilogramm Lebendgewicht und Tag hatte der Hund im Mittel 0,23 g N und 49,802 Cal. erhalten. Der mittlere tägliche Gewichtsverlust betrug 12 e. Das Futter reiehte also zur Deckung des Nährstoffbedarfes nicht aus. Das Tier verlor im Mittel 0,76 g N von seinem Körperbestande. Allerdings wird der N-Gehalt des Harnes kontinuierlich geringer; am ersten Tage wurden 1,85 g N, am zehnten Tage wurden 1,15 g N im Harn ausgeschieden. Während der Grundfutterperiode 1 der Über den Einfluss der Extraktivstoffe des Fleisches auf die Resorption etc. 287 Tabelle 3. Es wurden ausgeschieden N Resor- Ge- Datum - biert N-Ansatz | wicht Be- Febr. | im Harn im Kot en Summa N des mer- 2 Tieres 1910 kungen g oe gan jr gr lo 22, 90 |E .0.1.9/0 g a kg 10./11.| 1,85 |123 0.64 44,5 10,03 12,1) 2,52 | 175 [0,80 55,6 | - 1,08 | - 75 | 6,340 [Der Harn ı112.| 181/126 |064 44,5 0,0312,1 248 | 172 |0.80|55,6 |- 1,04 - 72 paudı tel: 12.113.| 1,67 116 10,63 |43,7 |0,03|2,1| 2,33 | 162 [0,811 56,3 | - 0,89 | - 62 6,470 Katheters 13./14.| 1,61/112 |0,64 44,5 0,03 [2,1 2,28 158 |[:0,80 | 55,6 | - 0,84 | - 58 ab- 14.15.| 1,63 113 |064|445 0.03 2,1 2,30 160| 0,80 55,6 |- 0,86 -60 | 8,360 | gegrenzt- 15./16.| 1,51| 105 [0,63 43,7 0,03 [2,1 2,17 | 151 | 0,81/56,3 | - 0,73 | -51 Versuch 16./17.| 1,44 100 |0,64 44,5 0,03 12,1| 2,11 | 147 |.0,80 55,6 |- 0,67 |-47 | 6, ‚340 12 Tage 17.118.| 1.32 91,6 0,64 445 |0,0312,1 1,99 1380,80 55,6|-0,55 -38- Geezu 18./19.| 1,30 | 90,3 0,63 | 43,7 0,03 2,11 1,96 136 | 0,81|56,3 | - 0,52 | -36 16, ‚280 "Verlust 19./20.| 1,15 79,8 | 0,64 | 44,5 | 0,03 _19,8 | 0,64 | 44,5 | 0,03 12,1 | 1,82 | 126 10,80 55,6 | - 0,58 1-26 16,220] >35. |. 1,82 | 126 [0,80 55,6 | - 0,38 | -26 | 6,220 | 52,5 g- Summa | 15,29| — 637 rap Beer raT Also im Mittel von 10 Tagen: | 1,53|106 |0,64 | 44,5 10,03] 2,1| 2,20 | 153 | 0,80155,6 | - 0,76 | 52,8] 6,335 | ersten Versuchsreihe, welche ebenfalls nach längerem Hunger an- gestellt worden war, verlief die N-Ausscheidung im Harn in analoger Weise; nur waren die Differenzen der betreffenden Werte an den ersten im Vergleich zu den letzten Tagen noch grösser. Die Resorp- tion der N-haltigen Nährstoffe ist eine schlechte, dieselbe beträgt nur 55,6°/0; während der Fleischextraktperiode der ersten Versuchs- reihe wurden die N-haltigen Nährstoffe des Futters allerdings zu einem noch wesentlich niedrigeren Prozentsatz resorbiert (38,4 /o). Zu dem Vergleich mit den N-Bilanzen der folgenden Periode sollen nur die betreffenden Werte der letzten 3 Tage der vorliegenden Fleischextraktperiode herangezogen werden, da erst an diesen die N-Ausscheidung im Harn die niedrigsten Werte erreicht hat. Energieumsatz: Einnahmen pro die 315,502 Cal. Ausgaben im Mittel pro die: Der Kot enthielt nach Subtraktion der Calorien für die verfütterte Kohle 53,271 Cal. — 16,88 %/o Der Harn der letzten 3 Versuchstage enthielt 21,620 Sa. Somit beträgt der physiologische Nutzwert entsprechend 76,27 °/o der Zufuhr. 1) Direkt bestimmt wurde der Caloriengehalt des Harnes im Mischharn der ganzen zehntägigen Periode. Es wurden gefunden 26,25 Cal. im Mittel pro die Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138, 19 v6) 74,891 Cal. = 23,73%/o = 74.891 Cal. 240,611 Cal. 288 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: Periode I. Vom 20./21. Februar bis 1./2. März 1910. Grundfutterperiode. Das Tier erhielt pro die: als Grundfutter: mit 0,92 75 8 Ovalbumin e N und 35,872 Cal. 10,0 ,„ Rindertalg NO OL IA 50,0 „ Kartoffelstärke 00 10 2,0 „ Knochenasche er — h 1,25 ,„ Kochsalz . RN a — r 0,797 „ Asche von 5 g Fleisch- extrakt — a — 5 ” Sa. 0,94 & N und 300,182 Cal. Zur Abgrenzung der Fäces dienten 6 g Holzkohle mit 39,334 Cal. Tabelle 4. ‘ Es wurden ausgeschieden N Resor- | N- = Datum - - biert { wicht 1910 im Harn | im Kot en Summa N a ar | s |%|e |% | 8 || & | el%o | & | W«| ke 20./21. Febr. | 1,20 | 128 0,44 | 46,8 | 0,03 |3,2 | 1,67 [178] 0,50 | 53,2 | -0,73 | -77,6| 6,220 212/222, 0,95 | 101 | 0,44 46,8 0,03 13,2 | 1,42 |151 | 0,50 | 53,2 | -0,48 |-51,0|; — 22.129, , 1,10 | 117 | 0,45 | 47,9 | 0,03 13,2 | 1,58 168 | 0,49 | 52,1 | -0,64 -68,0| 6,100 23.124. 1,32 | 140 | 0,45 | 47,9 | 0,03 3,2 1,80 1192| 0,49 | 52,1 | -0,86 \-91,5| — 24.125. „ 1,32 | 140 | 0,45 | 47,9 | 0,03 | 8,2 | 1,80 1192 | 0,49 | 52,1 | -0,86 | -91,5 | 5,950 294126. 5 1,09 | 116 | 0,45 | 47,9 | 0,03 13,2 1,57 1167 | 0,49 | 52,1] -0,63 -67,0| — 20.200 1,03 | 110 | 0,45 | 47,9 | 0,03 13,2 | 1,51 161 | 0,49 | 52,1 | -0,57 | -60,7 | 5,980 2128 5 1,05 | 112 | 0,45 | 47,9 | 0,03 3,2 | 1,53 |163 | 0,49 | 52,1 | -0.59 -62,8| — 28. Febr. bis1.März| 1,11 | 118 | 0,45 | 47,9 0,03 3,2 | 1,59 170 | 0,49 | 52,1 | -0,65 |-69,1| 5,920 1./2. März 1,26 134 0,45 147,9 0,03 3,2 | 1,74 185 | 0,49 | 52,1 | -0,80 |-85.0] 5,890 Summa 1123 2 28) 27 2a area ee Also im Mittel von 10 Tagen: ; | 1,14 | 121 | 0,45 | 47,9 | 0,03 | 3,2 | 1,62 | 1721 0,49 | 52,1 | -0,68 |-72,4] 6,010 Pro Kilogramm Lebendgewicht und Tag hatte der Hund im Mittel 0,16 g N und 49,947 Cal. erhalten. Der mittlere tägliche Gewichtsverlust betrug 33 g. Die Zahlen für den N-Gehalt des Harnes an den einzelnen Tagen der 10tägigen Periode weisen keine erheblichen Abweichungen auf, Die N-haltigen Nährstoffe wurden zu 53,2°/o resorbiert; für bei einem N-Gehalt von 1,53 g. Der calorische Quotient betrug also 17,2. Da der Harn der letzten 3 Versuchstage im Mittel 1,26 g N enthielt, berechnet sich mit Hilfe des calorischen Quotienten der Energiegehalt zu 21,620 Cal. Über den Einfluss der Extraktivstoffe des Fleisches auf die Resorption etc. 289 den Stickstoff der Extraktivstoffe des Fleisches berechnet sich aus dem Vergleich dieser und der Fleischextraktperiode der Verdauungs- koeffizient 62°/0, ein Wert, der noch viel niedriger ausgefallen ist wie der in Versuchsreihe 1 ermittelte (80,40). Es findet also auch nach den Befunden der vorliegenden Versuchsreihe 2 bei dem ge- wählten Regime keine Erhöhung der Resorption N-haltiger Nähr- stoffe durch Fleischextrakt statt. Der mittlere Stiekstoffverlust des Organismus betrug pro die während dieser Periode 0,68 g, während der letzten 3 Tage der Fleischextraktperiode 0,48 g; hiernach hätten 0,5 g N in Form von Fleischextrakt den N-Verlust um 0,2 g ver- ringert. Nun ist aber noch der Eiweissgehalt des Fleischextraktes in Rechnung zu stellen, wenn wir die Wirkung der Extraktivstoffe des Fleisches allein auf die N-Bilanzen erkennen wollen. Von den 0,5 & Fleischextraktstickstoff waren 0,08 & N in Form von Eiweiss enthalten; nehmen wir nun auch an, dass diese 0,08 g N restlos zum Ansatz gelangt wären, was natürlich nicht zutrifft, so wäre doch durch die 0,42 g N in Form von eiweissfreien Extraktivstoffen der N-Verlust des Organismus um 0,12 g, also um 28,6°/o des ver- abreichten Extraktivstickstoffes verringert worden. | Energieumsatz. Einnahroensprodier 2a ee 8005182 Cal: Ausgaben: Der Kct enthielt nach Subtraktion des Energie- gehaltes der verfütterten Kohle im Mittel prordier > 220720720 ...91,026. Cal. 17.0210 Der Harn enthielt pro die 18,900 „ = 6,30 Sa. 69,976 Cal. — 23,3% = 69,976 „ Somit beträgt der physiologische Nutzwert . . . .„ 230,206 Cal. entsprechend 76,7 °/o der Zufuhr. Harn-Cal. = 18,90 Harn-N = nn a Calorischer Quotient ( Da der Energiegehalt der Fäces in der zugehörigen Fleisch- extraktperiode im Mittel pro die 53,271 Cal. betragen hatte, also 2,195 Cal. mehr als in der vorliegenden Grundfutterperiode, so haben die Extraktivstoffe des Fleisches in Übereinstimmung mit den Befunden der ersten Versuchsreihe die Resorption der Nährstoffe in ihrer Gesamtheit absolut nicht erhöht. 19 # 290 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: Der physiologische Nutzwert des Fleischextraktes lässt sich nun aus dem Vergleich der beiden in Betracht kommenden Perioden berechnen. Es wurden im Mitttel pro die gefunden: im Kot im Harn In der Fleischextraktperiode . 53,271 21,620 (letzte 3 Tage) In der Grundfutterperiode . . 51.076 18,900 Differenz 2,195 2,720 Jetzt ist der Eiweissgehalt des Fleischextraktes in Rechnung zu stellen. Die verfütterten 5 g enthielten 0,5125 & Eiweiss mit 5,7 Cal. pro 1 g entsprechend 2,9213 Cal. Der Hund verzehrte also in Form von eiweissfreiem Fleischextrakt täglich 15,320—2,921 — 12,399 Cal. Von den 2,921 Cal., die in Form von Eiweiss mit dem Fleisch- extrakt verabreicht worden waren, gehen 0,5556 Cal. in den Harn, 0,094 Cal. in den Kot über (siehe Seite 285). Das Plus an Calorien in Harn und Kot der Fleischextraktperiode im Vergleich zur Grund- futterperiode betrug: im Kot im Harn 2,195 Cal. 2,720 Cal. Von 0,5125 g Eiweiss mit 2,9213 Cal. sind.zurerwarten . vn .na.ı0 9: 289 .0.091 7, 0,556 „ Es.restieren. also. . . 2 . .2.....2,101..Cal. und 2,164 Cal: — Sa. 4,265 Cal. von den eiweissfreien Extraktivstoffen des Fleisches. Da der Energiegehalt des eiweissfreien Fleischextraktes 12,399 Cal. betragen hatte, so ist der physiologische Nutzwert des Fleischextraktes 65,60 °/ seines Energiegehaltes. Dieser Wert stimmt mit dem in der Versuchsreihe 1 ermittelten (64,75 °/o) befriedigend überein. Frentzel und Toriyama waren bekanntlich schon früher (l. e.) auf Grund einer am Hunde durchgeführten Versuchsreihe von 4 (Grundfutter- periode) und 3 Tagen (Fleischextraktperiode) zu dem gleichen Er- gebnis gelangt. Die Autoren folgerten, dass die eiweissfreien Extraktiv- stoffe des Fleisches zu einem recht erheblichen Teile — etwa zu ®/a ihrer Menge — am Stoffwechsel teilnehmen, d. h. dem Körper Energie liefern. Zusammenfassung. l. Durch die Zulage von Fleischextrakt zu einem an organischen Genussstoffen freien Regime wurde unter den gewählten Versuchs- bedingungen weder die Resorption der N-haltigen noch der N-freien Nährstoffe erhöht, Über den Einfluss der Extraktivstoffe des Fleisches auf die Resorption etc. 99} 2. Der in Form von eiweissfreien Extraktivstoffen des Fleisches verabreichte Stickstoff konnte bei dem verabreichten Regime unter sehr günstigen Bedingungen für eine N-Retention, nämlich bei N-Verlusten infolee ungenügender Nahrung, diese N-Verluste des Organismus um einen Wert verringern, der zum mindesten 11/o der N-Menge betrug, die in Form von eiweissfreien Extraktivstoffen verabreicht worden war. 3. Der physiologische Nutzeffekt der Extraktivstoffe des Fleisches beträgt rund ?/s ihres Energiegehaltes. 999 0. E. Meyer: Zur Theorie des Kymographions. Von ©. E. Meyer 7. Aus dem Nachlass herausgegeben von Cl. Schaefer!). $1. Einleitung. In einer Abhandlung über die Theorie der Pulswellenzeichner ?) hat E. Mach auf theoretischem Wege nachgewiesen, dass diese Instrumente im allgemeinem nicht die Pulswelle selbst darstellen, sondern nur eine Kurve, deren ÖOrdinaten mit der Pulswelle zu- 1) Bemerkung des Herausgebers: Die vorliegende Abhandlung fand sich als druckfertiges Manuskript im Nachlasse des Herrn Geh. Rats Prof. Dr. OÖ. E. Meyer vor. Sie ist vor längerer Zeit auf Anregung des Physiologen Ludwig, des Erfinders des Kymographions, entstanden, aber aus unbekannten Gründen nicht veröffentlicht worden. Wenn sie jetzt noch der Öffentlichkeit übergeben wird, so hat das folgende Gründe: Erstens ist durch die zahlreichen Arbeiten von O0. Frank die Aufmerksamkeit der Physiologen wieder auf die Theorie der registrierenden Instrumente hingelenkt worden; zweitens aber kann nach meiner Ansicht die Theorie dieser Instrumente — auch nach den Arbeiten Frank's — noch keineswegs als erledigt angesehen werden; vielmehr enthalten die Arbeiten dieses Autors Fehler, auf die ich in dieser Zeitschrift Bd. 137 S. 250 ff. 1910 hin- gewiesen habe. So wird jeder Beitrag zu dieser Frage willkommen sein. Meyer’s Abhandlung ist ausser durch die Eleganz der mathematischen Entwicklung noch dadurch interessant, dass die Fragestellung hier eine andere ist als bei Frank. Während dieser fragt: „Wie wird ein Manometer am zweckmässigsten konstruiert ?“, stellt Meyer sich die Aufgabe zu untersuchen, was aus den Angaben eines ge- gebenen Instrumentes herausgelesen werden kann. Demgegenüber verschlägt es wenig, dass das Kymographion Ludwig’s, d. h. das Quecksilbermanometer, heute nicht mehr die Bedeutung wie früher hat; denn die hier dargelegten Methoden lassen sich fast ohne weiteres auf alle manometrischen Apparate überrtagen. Meine Tätigkeit beschränkte sich auf eine Durchsicht der Formeln und eine (ziemlich erhebliche) Kürzung des Textes; doch habe ich mich nach Kräften be- müht, der Abhandlung die schöne Form der Darstellung zu erhalten, die Meyer eigentümlich war. Prof. Dr. Schaefer. 2) Sitzungsber. der k. Wiener Akad. d. Wissensch. Bd. 46 S. 157. 1862, Zur Theorie des Kymographions. 398 sammenhängen. Aus dieser direkt beobachteten Kurve lässt sich auf die der Pulswelle, welche jene abgeleitete erzeugte, zurück- schliessen. Hierzu hat Mach a. a. O. ein allgemeines Verfahren angegeben. Die vorliegende Untersuchung verfolgte eine speziellere Auf- ‚gabe und sucht lediglich dem praktischen Bedürfnis zu genügen. An allen wellenförmigen Kurven, wie sie vom Kymographion und anderen Instrumenten ähnlicher Bestimmung aufgezeichnet werden, ist die Lage der tiefsten’ und höchsten Punkte der Wellen- berge und Wellentäler von besonderem Interesse; und genaue Messungen von Abszissen und Ordinaten könnten auch nur an diesen ausgezeichneten Punkten der Wellenkurven ausgeführt werden. Ausser diesen Messungen, welche sich auf die Höhe der Wellen- berge und auf die Tiefe der Wellentäler, also auf die Exkursionen des zeichnenden Stifts, beziehen, kann man nur die Wellenlänge messen, d. h. die Entfernung zweier Wellenberge oder zweier Wellen- täler voneinander, allgemeiner: zweier korrespondierender Punkte der periodischen Wellenkurve. Führt man diese beiden Arten von Messungen an einer vom Kymographion gezeichneten Wellenlinie aus, und wiederholt man dieselben Messungenaneiner Kurve, welche dasselbe Instrument nach einem ein- maligen Impulse sich selbst überlassen aufzeichnet: so genügen diese Messungen zur Bestimmung des grössten, des kleinsten und des mittleren Wertes desjenigen variablen Druckes, unter welchem das Kymograpiondie Wellenlinie gezeichnethat, beispiels- halber des Pulsdrucks. Diese Herleitung des Druckwertes aus der Zeichnung der Wellenlinie ist namentlich dann ohne Schwierigkeit ausführbar, wenn die Impulse des veränderlichen Druckes sich in regelmässigen Perioden wiederholen. Es macht dabei nur geringen Unterschied, ob der Druck sich stetig ändert, oder ob er plötzlich von einem zu einem anderen Werte übergeht. Nur die Periodizität ist von Be- deutung für die einfache Herleitung des Druckes aus den Auf- zeichnungen. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so wird die Rechnung viel weitläufiger. Diese Bestimmung des Druckes, speziell des Blutdruckes, aus der unter seinem Einflusse vom Kymographion gezeichneten Wellen- 394 ©. E. Meyer: linie ist nun auf verschiedene Weise möglich. Die Methode der Berechnung gründet sich aber immer auf dasselbe Prinzip. Da nämlich, wie erwähnt, eine exakte Ausmessung der Wellen- linie nur an den Punkten der Wellenberge und Wellentäler möglich ist, so kommt es auch nicht darauf an, dass der aus der Kurve berechnete Druckwert der Wellenlinie in ihrem ganzen Verlaufe exakt entspreche; vielmehr genügt es, wenn er nur die Höhe der Wellenberge, die Tiefe der Wellentäler und die Wellenlänge mit Genauigkeit repräsentiert. Es lassen sich nun aber verschiedene veränderliche Druckkräfte denken, welche wenigstens angenähert dieselbe Zeichnung des Kymo- graphions veranlassen würden, welche namentlich dieselben Maximal- und Minimalwerte sowie dieselbe Wellenlänge zur Folge haben würden. Es lässt sich z. B. denken, dass ein Druck, welcher sich periodisch und kontinuierlich ändert, das Quecksilber des Manometers am Kymographion in Oszillationen von derselben Grösse versetze, wie eine Reihe von einzelnen Stössen kurzer Dauer, wenn diese Stösse sich nur in derselben Periode folgen wie die kontinuier- lichen Änderungen. Man kann daher aus der Zeichnung des Kymographions die Grösse des Blutdruckes in verschiedener Weise angeben, indem man diesen Druck durch verschiedenartige Druckkräfte misst, welche ihm hinsichtlich ihrer Wirkung gleich sind. Bleiben wir bei den er- wähnten einfachsten Fällen, so kann man erstens die Stärke eines Pulsschlages angeben durch einen Druck, welcher während der Dauer eines Pulsschlages kontinuierlich ab- und zunimmt, also durch einen periodischen Druck; ebensowohl aber kann man einen Pulsschlag auch messen durch die Intensität eines Stosses von bestimmter kurzer Zeitdauer, der sich in derselben Periode wie die Herzkontraktionen wiederholt. Das Kymographion liefert also die Bestimmung der Stärke des Pulses durch verschiedene Maasse, von denen man je nach dem be- absichtisten Zwecke das eine oder andere vorziehen wird. Im folgenden soll die Möglichkeit einer solchen Messung des Blutdruckes dadurch gezeigt werden, dass die Bewegung des Quecksilbers im Manometer des Kymographions bei verschiedenem auf dasselbe aus- geübten Drucke untersucht .wird, und zwar erstens bei kontinuier- lich und periodisch sich änderndem Drucke, zweitens bei unstetigen, aber periodisch wiederkehrenden Druckänderungen; ausserdem soll Zur Theorie des Kymographions. 995 noch der Fall untersucht werden, in welchem die Periodizität der Druckänderungen nicht mehr stattfindet. $ 2. Voraussetzungen und allgemeine Formeln. Bei der Aufstellung der Gleichungen, welche diese Probleme bestimmen, sehe ich!) ab von den inneren Bewegungen des Queck- silbers und beschränke mich auf diejenige Bewegung, welche die ganze Quecksilbersäule als zusammenhängende Masse ausführt. Unter dieser Voraussetzung ist die Differentialgleichung, von welcher die Bewegung des Quecksilbers abhängt, gleich der eines schwingen- den Massenpunktes. Sie lautet: 2 ra r(H)+90 . . - de Darin bezeichnet & die Entfernung der beiden Kuppen der Queck- silbersäulen in den Schenkeln des Manometers von ihrer Gleich- gewichtslage, ? die seit dem Anfange des Versuchs verflossene Zeit. Da — p?’x die bei der Entfernung aus der Gleichgewichtslage aus- geübte beschleunigende Kraft der Schwere, also p?x die bewegende Kraft ist, welche die Schwere auf eine Quecksilbersäule von der Höhe des Niveau-Unterschiedes 2x in beiden Manometerschenkeln ausübt, dividiert durch die Masse des ganzen allen so ist Da ag ee (2) wenn g die Erdbeschleunigung, ? die Länge der Queckeilbersiule l bezeichnet. Weiter ist wegen der Bedeutung von z und t F (%) eine Funktion der Geschwindigkeit, welche den Widerstand angibt, den das Quecksilber im Manometer findet. Endlich ist @ (f) eine Funktion der Zeit, welche den variablen äusseren Druck darstellt. Für die Funktion F' setzen wir, was erfahrungsgemäss in vielen Fällen statthaft ist, die spezielle Form an, wo 5 positive Konstante ist. Dadurch wird aus — + pa —gM) nn (la) Ihre vollständige Lösung ist nach bekannten Methoden: 1) In Übereinstimmung mit Mach. 296 Ö. E. Meyer: | a SE N! [Cı + [99er mas]. e - b-int Kir Ko Zr n N) (s) e Gamers] e N x Hierin ai zur Abkürzung gesetzt r? — p? —b? und es bezeichnet ©—= Y—1; ausserdem sind C, und 0, will- kürliche Integrationskonstanten, welche aus dem Anfangszustande der Bewegung zur Zeit = 0 zu bestimmen sind. Statt der Gleichung (3) kann ich auch schreiben 1: 5 Dir IQ, e'r' ne: e rt] gebt y (Je OWN —e- N ds. (3a) oder in reeller Form, falls p® grösser als d°, also r reell ist, 2—=ÄN sinrt +Bcosriy er?! [4 + — p(s)sar (d—s)e ’""9ds . (3b) 0) worin die Konstanten Y und ® mit C, und C, durch die Relationen C, + (0 —— ar, Q, Fer Ö, = 2ird verbunden sind. Für die Geschwindigkeit folgt aus der letzten Gleichung, da der Difterentialquotient nach der Integralgrenze t verschwindet: T- KAr— Bb) cos rt — (Ab + Br) sin rtye-’! + v2 (8) {eos r (e— 5) — sinr (i—9)} ES NE) ist türa 0: ee, so folst: = B —= 0, folg- dt Demnach wird nach Gleichung (3b) durch die Substitution: s—t 0, 0—t_—_S, ds— do: t »— 4 [oo sinroet de | (ale) ö E = In dieser neuen Form wird die Geschwindiekeit: | = Sp (dio) {eos ro — Dir sinro}e "do (41) 0 Zur Theorie des Kymographions. 297 Weiter sind diese Integrale allgemein nicht zu vereinfachen. Ich lasse daher spezielle Voraussetzungen über die Funktion 9 (), welche den äusseren Druck darstellt, eintreten. $ 5. Eigenschwingung des Manometers. Indem ich zu praktischen Anwendungen der gefundenen Formeln übergehe, untersuche ich zunächst den einfachsten Fall, dass das Quecksilber sich ohne äusseren Druck im Manometer bewegt, also seine Eigenschwingung ausführt. Diese Eigenschwingungen stelle ich deshalb an die Spitze, weil sie eine störende Fehlerquelle für die -Druckmessung durch das Kymographion und ähnliche Instru- mente bilden. Die Elimination dieser Fehlerquelle ist der Zweck der folgenden Untersuchung; es ist daher notwendig, die Eigen- schwingung zunächst für sich allein zu betrachten. Für (= 0 erhält man aus der allgemeinen Formel (3b): © Ilsınrt 1 Bcosninemior 2. 2.06) Die Konstanten X und B bestimmen sich aus dem Anfangs- zustande. Ist.etwa für 420: 2: E0, so erhält man: zs=hleosri+blrsinriye-®: dx r?+b2 . el) = — in nat oe dt r Aus diesen Formeln geht erstens hervor, dass die Dauer der Eigenschwingung A Re 3 Ar (6) ist; und zweitens, dass die aufeinanderfolgenden Aniniaen der Schwingungen nach dem Gesetze einer geometrischen Reihe abnehmen. Die Maxima und Minima der Elongation x treten nämlich zu den. Zeiten ein, in welchen die Gesehwindigkeit Null wird, also für DENT, wo n eine ganze Zahl bezeichnet. Es werden also die Werte der Maximalamplituden en — (— 1% h Eu nA . N $ { " (7) wenn die Konstante 4, das logarithmische Ren genannt wird, die Bedeutung N De ER (OD) besitzt. Ihr Wert hängt also ab von dem Widerstandskoeffizienten b sowie von der Oszillationszeit z. 298 O. E. Meyer: Lässt man vom Instrumente die Kurve der Eigen- schwingung aufzeichnen, so ist diese Zeichnung aus- reichend, die beiden Konstanten A und r, von welchen die Bewegung abhängt, zu bestimmen. Es wird sich zeigen, dass die Kenntnis dieser beiden Grössen un- erlässlich ist, wenn man aus einer Kurve, welche vom Kymographion unter dem Einflusse eines variablen äusseren Druckes gezeichnet worden ist, auf diesen Druck zurückschliessen will. Die Oszillationszeit erscheint in der Zeichnung dargestellt durch die auf der Abszissenachse gemessene Entfernung zweier Stellen, an welchen die Kurve diese Achse schneidet. Aus dieser Länge lässt sich . diese Zeit z leicht in gebräuchlichen Zeiteinheiten berechnen, wenn man den Umfang und die Umdrehungszeit des Zylinders kennt, auf welchen sich der zeichnende Stift bewegt. Eine solche Umrechnung ist indes für das Folgende nicht erforderlich; es genügt vielmehr eine willkürliche Zeiteinheit zugrunde zu legen, etwa die einem Millimeter der Zeiehnung entsprechende Zeit. Die zweite Konstante A kann man leicht aus den gemessenen Amplituden der Eigenschwingung berechnen. Es ist nämlich nach Formel (7) 110g (-—). ee) In-+1 wo der Logarithmus der natürliche Logarithmus ist, also in Briggs- schen Logarithmen = 2,3025 log vulg (-%-) ee U rab)) In-+1 Diese Formel muss für jeden ganzzahligen Wert von n gelten; man muss aus je zwei aufeinanderfolgenden Amplituden x. und der nach entgegengesetzter Seite gerichteten — &„--ı denselben Wert der Grösse 4 erhalten, wenn die Voraussetzung richtig ist, dass der Widerstand der Geschwindigkeit proportional ist. Die Beobachtung der Eigenschwingung, insbesondere die Messung des logarithmischen Dekrements A, kann daher zur Prüfung dieser Voraussetzung verwandt werden. $ 4. Kontinuierliche und periodische Druckänderung. Als erste Anwendung für den Fall eines ausgeübten Druckes mache ich die Annahme, dass der Druck g (2) sich kontinuierlich Zur. Theorie des Kymographions. 2399 und periodisch ändert, wie ein Cosinus oder ein Sinus der Zeit. Er ‚soll jedoch nie negativ werden, sondern sein kleinster Wert sei 0, weil dies in der Praxis fast immer der Fall ist. Ferner sei zur Zeit i=0: p(l)=0; demnach erhalten wir für den Druck die Form: DO EP 608ql)2 .,2.02.2...8) so dass die Konstante 4 die Höhe bezeichnet, um welche der Druck im Maximum seines Wertes das Quecksilber im Manometer zu heben vermag. Die Dauer der Periode, nach welcher der Druck denselben Wert wieder annimmt, ist: LI TEN ET q Setze ich nun den Wert von (t) aus der Gleichung (8) in die Gleichung (3e), so wird ip:h / 2 /(l-eösg li o]) sinroe-’"ao. (10a) 0 Die Ausführung dieses Integrals eibt: z—4nf1 — (Weosrt + Bsinrt) e=®' »®? (p? —-q?) eosgt + 2gbsingt\ dir (p? — ?)? Zu 4g?b? | HE) (10b) worin zur Abkürzung gesetzt ist: DAB 92) a ( 2° (pP? +) ) —— 1 — & —g A Vans Be) Y EG perig Diese Formeln sind in den von Mach aufgestellten allgemeinen enthalten. Die Gleichung (10b) zeigt, dass die Bewegung des Quecksilbers aus zwei Bewegungen verschiedener Natur zusammengesetzt ist. Die eine derselben ist eine rein periodische; die ihr zugehörige Schwingungsdauer fällt zusammen mit der Periode der Druck- änderungen nach Gleichung (9): z — lg. Der zweite Teil der Bewegung ist ebenfalls periodisch; es nimmt aber zugleich die Bewegung mit der Zeit ab, und zwar, wie der Faktor e”” zeigt, desto rascher, je grösser der Widerstand ist, den das Quecksilber bei seiner Bewegung im Manometer findet. Ist dieser Widerstand nicht zu klein, so wird sehr bald eine Zeit eintreten, zu welcher das mit dem Faktor e-"* behaftete Glied gegen das andere verschwindend klein geworden ist, so dass es er- 300 O0. E. Meyer: laubt ist, dasselbe zu vernachlässigen. Man kann daher für hin- länglich grosse Werte von Z — q?) eosgt + 2gbsingt\ Bat) ST setzen, vorausgesetzt, dass b nicht absolut Null ist, was in Wirk- lichkeit nie eintreten kann. Durch Einführung eines Hilfswinkels 3, der durch die Gleichung z=ih N A (10e) Dt Diamiga tang 4 —= ar; bestimmt ist, wird hieraus (10d) Be s sin (gt + 9) a v BeNnereern: Die Vergleichung dieser Formel mit der Gleichung (8) zeigt, wie bereits von anderen nachgewiesen worden ist, dass man die Ordinate « der vom Kymographion gezeichneten Kurve im all- gemeinen nicht als Ausdruck der veränderlichen Höhe ansehen darf, welche den wirkenden Druck darstellt. Vielmehr ist die Kurve, deren Ordinate x ist, im vorliegenden Falle ein in vergrössertem oder verkleinertem Maassstabe der Ordinaten gezeichnetes Bild der Druckkurve. Diese Vergrösserung oder Verkleinerung hängt von den Verhältnissen der Grössen p, g und 5 ab. Man bestimmt die Druckkurve am einfachsten durch die Maxima und Minima der gezeichneten Kurve. Dieselben liegen da, wo der in Gleichung (10d) enthaltene Sinus seinen grössten oder kleinsten Wert + 1 annimmt. Die Maxima und Minima sind also gegeben durch die Gleichung an I at P \ eo Vena, und zwar bestimmt das obere Vorzeichen ein Maximum, das untere ein Minimum. In dieser Formel ersetze ich die Grössen p, q und 5 mit Hilfe der entsprechenden Gleichungen: (11a) PB rie u T T dag durch die unmittelbar aus der gezeichneten Kurve und der Kurve der Eigenschwingungen zu entnehmenden Grössen z, T und A. So erhalte ich 2 yE T? ee nn, - v7 —12] +27) + Q@alrT): atn) Zur Theorie des Kymographions. 301 Nach dieser Formel sind die Amplituden X nicht schwer zu berechnen. Die Formel (11b) kann verwandt werden, die unbekannte Druck- höhe h aus den beobachteten Amplituden zu berechnen. Dies geschieht am einfachsten durch Kombination des Maximalwertes der Amplitude: Da! Be N a “ Ve Tr — 1] + RT) + (@RlTT)® mit dem Minimalwerte: (Ile) x an en | 23 VY(n? Im r2] +2? T)+(2rArT)?)) wodurch man erhält: MER N re (12) Die Berechnung dieser Druckhöhe h gestaltet sich also unter den gemachten Voraussetzungen sehr einfach. Durch Einsetzen in die Gleichung (8) erhält man aus ihr den Druck p(f), welchem die Druckhöhe H=3n{0—csa} =]: : : 08 entspricht. Die Formel (11b) lässt meistens noch eine bedeutende Ver- einfachung zu. Ks ist nämlich, im allgemeinen das logarithmische Dekrement A eine sehr kleine Grösse. Es ist deshalb häufig erlaubt, die Grösse 4? zu vernachlässigen. Dann wird Gleichung (11b) N... T2 —_ 12 j} Diese Vernachlässigung ist aber nieht erlaubt, wenn T und r sehr nahe gleich werden. Man kann dann aber noch immer im Zähler A? und im Nenner 4A* vernachlässigen, so dass man erhält nJı Be 1 i I Ye DR PBPRTTH = 2 Diese Formel wird in allen Fällen ausreichen, wo der Druck durch eine periodische Funktion von der Form (13) dargestellt werden kann. Une: (14a) | 2 5 [S $ 5. Anwendung auf den Blutdruck. Ich beschränke mich in diesem Paragraphen darauf, zu zeigen, wie man die Zeichnung des Kymographions benutzen kann, den 02 O0. E. Meyer: Maximal- und Minimalwert des Pulsdrucks und daraus den mittleren Blutdruck zu bestimmen. Um dies zu können, muss ich indes an den früheren Formeln eine Änderung vornehmen, welche geeignet ist, denselben allgemeinere Gültigkeit zu verleihen. Ich habe bisher der Einfachheit wegen vorausgesetzt, der Minimalwert des Druckes sei Null, d. h. gleich dem Drucke der Atmosphäre. Diese Voraussetzung braucht beim Blute nicht erfüllt zu sein. Ich habe daher für den Blutdruck eine allgemeinere Formel anzusetzen, so dass ich zu den früheren Werten noch eine konstante Druckhöhe %,, welche den niedrigsten Wert des Druckes bezogen auf Quecksilber angibt, hinzuzufügen habe. So erhalte ich statt der Formeln (14) allgemeiner X—=M,++h h pt LEN) 2 2 (15b) ?(T — 7)” +22#2T?(T + 7°) von denen die erstere nur gilt, wenn 7 und z genügend voneinander verschieden sind. In diesen Gleichungen bezeichnet, wie bereits bemerkt worden ist, 3, den niedrigsten Wert des Blutdruckes, ferner A, + h den höchsten, also A, + 4% den mittleren, alle drei ausgedrückt durch die Höhe einer Quecksilbersäule; ferner ist 2 7’ das Intervall zwischen zwei Pulsschlägen, das in der Zeichnung des Instruments direkt als Länge abgemessen werden kann, ebenso ist z zu messen, das die Öszillationszeit der Eigenschwingungen des Quecksilbers bezeichnet, A ist das logarithmische Dekrement dieser Eigenschwingungen in natürlichen Logarithmen; “endlich ist mit X die Maximal- oder Minimalamplitude des unter dem FEinflusse des Blutdruckes schwingenden Quecksilbers bezeichnet worden. Diese Grössen sind mit Ausnahme von h und A, sämtlich an den ge- zeichneten Kurven der Schwingungen unter dem Blut- druck und der Eigenschwingungen zu messen. Die Formeln (15) können also zur Berechnung der Druckhöhen A und A, aus den übrigen messbaren Grössen benutzt werden. Ist nun X, das Maximum, X, das Minimum der Amplitude, so ist nach Formel (15b): ı T? ten 1 er DE FORT (TE | sc T? | (TR — 2% +32 RT +7) X—h+ su + ht li, Zur Theorie des Kymographions. 303 Hieraus folet „+Ht os ER). do) narsit der mittlere Blurgruck durch die von der Ruhalase des Queck- silbers aus gerechneten. Amplituden derselben gegeben ist. Ferner ‚ergibt sich h= (X, — X) Vn? (T —- 22 +22 72 (T? + 22) | 7 12 ER so dass auch %) bekannt ist. Aus den Werten von A und A, + 4h lässt sich dann A, und A, + h berechnen.- Ist 7 nicht sehr nahe gleich z, so darf man in Gleichung (16 b) noch A? vernachlässigen. Man hat dann h=+(X—X)) -—_— wo das Vorzeichen so zu wählen ist, dass % positiv ausfällt. (16b) (16 6) $ 6. Diskontinuierliche periodische Druckänderung. Wichtiger als das im vorigen Paragraphen behandelte Beispiel einer periodischen stetigen Änderung des äusseren Druckes ist für die physiologische Praxis die Untersuchung des Effektes eines Druckes, welcher sich ssprungweise, aber periodisch ändert. ‘Diese Be- trachtung soll im folgenden durchgeführt werden. Ich setze bei dieser Untersuchung voraus, dass der Druck in regelmässiger Abwechslung einen konstanten, der Höhe h einer Queck- silbersäule entsprechenden Wert und den Wert 0 annehme. Die Zeit, während welcher die a h wirkt, sei 3; die Periode der Druckänderung wie bisher Zu dann ist die Zeit, während welcher der Druck 0 'ist, 2 7 — 9. Es wirke also vom Zeiten- momente t— 0 bis {= % die Druckhöhe Ah, von da bis t—=2 T der Druck 0, dann wieder von t=2 Tbst—=2 T+9 die Druck- höhe h, worauf der Druck wieder 0 wird usf. Ich habe also zu setzen o(d)—=p? h, wenn 02/129; 2 TLILaT LS: OmTLiLMmTı %; pt) 0, wenn 9 2L22T: ETHILILAT;- a 2nT+9L1/2 mt DT wo n eine ganze Zahl bezeichnet, und zwar die ein der seit dem Anfange des Versuches erfolgten Impulse des Druckes. weniger, 22 - Die mathematische Durchführung dieses Problens bietet ein Ebrenes Interesse. “Die Formeln, zu denen wir gelangen Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 20 (17a) 304 O0. E. Meyer: werden, zeigen nämlich eine auffallende Analogie mit denjenigen, welche die Intensität des durch ein Gitter zebeugten Lichtes be- stimmen. So überraschend diese Ähnlichkeit auf den ersten Blick erscheinen mag, so kann sie bei näherer Überlegung doch nicht be- fremden. Wie nämlich die Diffraktionsbilder, welehe jede Spalte des Gitters für sich bilden würde, sich wegen der Regelmässigkeit des Gitters zu einem regelmässigen Ganzen verbinden, so setzen sich die durch die einzelnen Druckimpulse hervorgerufenen Schwingungen des Quecksilbers im Manometer wegen der regel- mässigen Folge der Impulse zu einer regelmässigen periodischen Bewegung zusammen. Um den Ausdruck der Oszillationen zu erhalten, hat man nur aus (17a) den Wert der Funktion @ in die mit (3e) identische Gleichung N a (t — 0) Leire — er e-b°u0 einzusetzen. Diese Rechnung lässt sich in weit einfacherer Form durch- führen, wenn man in jeder einzelnen Periode der Druckänderung die Zeit, statt vom Anfange des Versuches, rechnet von dem Beginn des letzten Druckimpulses. Ich führe also zur Abkürzung ein mn =t—2mT für jeden ganzzahligen Wert von m, der kleiner oder gleich % ist. Dadurch lassen sieh die Gleichungen (25a) ersetzen durch die Be- dingungen, dass p(t) =p?h ist, wenn 0 Z mL 4, (17b) 9()—=(0, wenn 2 mZ2T welche für jeden 'ganzzahligen Wert von m gelten, welcher DmZ£n ist. Dadurch entstehen für die Funktion @ (t— o) folgende Be- dingungen: p(t—o)—=p®h, wenn Im — LO Lim, 17 ) oe —0)=(, wenn u Zoo Ztimzı— Y „le Setzt man diese Werte in die Gleichung (3e), so erhält man für x verschiedene Ausdrücke, je nachdem die eine oder die andere der beiden Ungleichheiten 0 = N = N; . « . D ° . (18 a) 2,227 2 ae 8) Zur Theorie des Kymographions. 305 erfüllt ist; von diesem bezeichnet die erste, dass der betrachtete Zeitmoment Dane en el) in die Zeit des positiven Druckes p?h fällt, dagegen die zweite, dass dieser Augenblick in der Zeit des Druckes Null liegt. Unter Voraussetzung der ersten Ungleichheit (18a) lässt sich die Gleichung (3e) schreiben: 2h t ao = De Ver emtmenirdo ger Wo (20 ) m—=n—1l tm va d= >= yF (ern re re 0 m—=0 tm—%$ dagegen ist, wenn die zweite Ungleichheit (18b) stattfindet, ph m—n tm (eiro — e—ir0) e be do (20 b) q T m=0 I3m— 9 > a) — Nur im Falle n— 0 gelten statt dieser Gleichungen die folgenden ko er fer — ee 722.0 N .. .(20.e) (pe p ir __p-iro\ g—bo a e Veran, Nach dieser Bezeichnung kann man das Gesetz, das die Oszillationsamplitude befolgt, so aussprechen, dass dieselbe in den aufeinanderfolgenden Zeitintervallen durch eine Reihe verschiedener Funktionen 202,0 Ed en. m, angegeben werden kann, so dass für einen Moment {, für welchen TEIZmMT+I it, 2 = nm ist; dagegen wird, wenn 2nT +I3Z1:Z2n + DT: 2 x," Es entspricht also der Index 1 einem Zeitpunkte, in welchem der äussere Druck h tätig ist, dagegen der Index 2 einem solchen, in welchem die Wirkung dieses Druckes aufgehoben ist. Ferner deutet der obere Index » an, dass seit dem Anfange des ersten Impulses eine Zeit verflossen ist, welche grösser als 2» T und kleiner als 2 (n + 1) T ist. Die Funktion x,” gilt also während des (na + D)ten Stosses, die Funktion x”) nach Vollendung desselben bis zum Eintritte des folgenden. 20 * 306 OÖ. E. Meyer: Die in den Formeln (20) vorkommenden Inteegrationen und Summationen sind leicht ausführbar. Man hat, wenn zur Abkürzung a, — er 08 Dan a a2) gesetzt wird: mn Im a doe“® ee en + eh + I ae et, \ m = 0 Un oder wegen der Bedeutung der Grössen “u Ct netee mn. Im ee =. 1 ae — F(T) e* m—o0 tm — 3 & worin zur Abkürzung geschrieben ist F(T) a 1l .n e-2«T En e t«T 1 RSSANER e-2n«T DIE Summe dieser geometrischen Reihe ist 1 Tal) Demnach ist m—=n tm 1 (7 I e«t e® 179 SS doe“@® PR I, & SEE oe 1— et2erT Setzt man dies in die Gleichungen (20) ein, so ergiebt sich p®h a ea Ze (nt a ty A 2r zu, 1-e 2er ® 1 — 988 “ J 1% ae | er eeT ein Ir = + ei er Her wo die Summierung sich auf die doppelten Vorzeichen von iin den beiden unter (22) angebenen Werten a bezieht. (22) X (6). 2 Für n—= o erhält man ga =] (0) Ze Da N a Ele p®h 1—e=«% „() en = at #2 ar = + ai welche spezielle Fälle der obigen Formeln enthalten, so dass die besondere Betrachtung des Grenzwertes RO fortan übergangen werden kann. ‚Führt man nun in die. Gleichungen (22) die Werte 5. bir—b I | P_er4b—=(tir—b)(-ir—b) ein, und bringt man durch Ausführung der Summe die Ausdrücke auf reelle Form, so nehmen dieselben folgende Gestalt an. Es wird Zur Theorie des Kymographions. 30% 2m —=hf1+(Ccosrt + Dsinrt) em’! — ([C + 1] eosrt„ + [D + bir] sin rt„) e="iny 2) — hf(C cosrt + Dsinrt) e="! — ([C + M]eosr+[D+ N] sin rt,) e-? worin, wie früher, (23) mn: on gesetzt ist. Ferner haben die Grössen C, D, M, N konstante Werte; welche sieh aus nachstehenden Formeln ergeben. Wird zunächst bezeichnet D £ 4: f sinrt-+e sure) 0 U) ! N / (24) 2.) = cosrt — e a gi so haben M und N die Werte M=ry (0) + hu (0) Er N=by(0) —rv(0) Setzt man ferner ad —=1—2ettcosrt + e?’ \ | b ( a=1enN 29 so ist ge ae (27) 9D=by(2 T)— rw(2 T)—by(0) + rv (0) Auf ganz dieselbe Weise, wie die Amplitude x, lässt sich aus den allgemeinen Formeln des $ 2 die Geschwindigkeit des oszillierenden Quecksilbers herleiten. Bezeichne ich den Wert der Geschwindigkeit während des (n + 1)" Stosses durch v,“”) und nach Vollendung desselben durch v9), so dass für 2NnTzZiZ2nT +4: en. u) dt ze : ee) nt ztz2n+)T:— = ww” ist, so ergeben sieh für diese Funktionen en Werte: ) v9 —= (r? + 52) h 1 (Acosrt + Bsinrt) e="! | | Sir (A cos ri, Ar |# ag -] sin +4.) et (29) 2,0 Rr (r2 + 52) h!— (Acosrt + Bsinrt) em®! + (A + w(0)] eosrt„ + [B+ x (O]siart,) e-?'n 308 O0. E. Meyer: Hierin sind die Konstanten A und B bestimmt durch die Gleichungen ne, OB a) 220) Aufmerksam sei gemacht auf folgenden Punkt: Die Grösse x, die Amplitude des schwingenden Quecksilbers, welche den Funktionen x, und x; abwechselnd gleich wird, ist keineswegs einediskontinuierliche Funktion der Zeit, vielmehr eine stetige. Ebenso ist die Geschwindigkeit oder der dx dt wohl die Funktionen v,” und v;” wie x,” und %® unstetig sind. Es finden nämlich infolge der Relationen (24) bis (27) und (30) zwischen diesen Funktionen die Beziehungen statt, dass hage:) wird. Es sind also « und sein erster Differentialquotient stetige Funktionen. Dagegen ist nach der Differentialgleichung (1b) wegen der Unstetigkeit der Funktion g (ft) der zweite Differential- quotientoderdiebeschleunigendeKrafteine unstetige Funktion der Zeit. Das Kymographion stellt nun die Amplitude z als Funktion der Zeit durch die Ordinaten einer Kurve graphisch dar. Wegen der Stetigkeit von x kann diese Kurve nirgends unterbrochen sein. Sie kann ferner wegen der Stetigkeit des ersten Differentialquotienten keine Ecken oder Spitzen zeigen. Dagegen muss wegen der Dis- kontinuität des zweiten Differentialquotienten ihr Krümmungshalb- messer sich unstetig ändern. Die Krümmungsmittelpunkte dieser Kurve liegen also nicht auf einer stetigen Kurve, sondern der Ort der Krümmungsmittelpunkte, die Evolute der gezeichneten Kurve, besteht aus getrennten Zweigen. Die Kurve des Kymographions verhält sich also unter den vorausgesetzten Verhältnissen etwa so wie eine aus Kreisen oder anderen kontinuierlichen Kurven zusammen- gesetzte krumme Linie. Diese Eigenschaften der Kurve sind leider durch die Erfahrung nicht zu bestätigen, da die Genauigkeit der Zeichnung nicht so weit getrieben werden kann, dass man mit hinreichender Sicherheit die Krümmungsmittelpunkte zu konstruieren imstande wäre. Doch stimmt insofern der Verlauf der durch das Experiment erhaltenen (80) Differentialquotient eine stetige Funktion der Zeit, wie- für t- 9m TD: 2" —D — 2,® und ,*-D — v,®) und für = 2n T +3: = undn,®9 — v Zur Theorie des Kymographions. 309 Kurve mit den hier entwickelten Folgerungen der Theorie überein, als jene Kurven weder Unterbrechungen noch Ecken zeigen. Bei näherer Untersuchung der Natur der Kurve, deren Ordinate & durch die Gleichungen (23) gegeben ist, bemerkt man zunächst, dass der Ausdruck derselben aus zwei einander sehr ähnlichen Gliedern zusammengesetzt ist, welche sich im wesentlichen nur dadurch unter- scheiden, dass das eine die Zeit ?, das andere die Grösse Z, als veränderliches Argument enthält. Die Ordinate unserer Kurve ist demnach als die Summe der Ordinaten & und &® zweier anderen Kurven anzusehen, deren eine t, die andere Z, zur Abszisse hat. Die Ordinate & der ersten Kurve ist immer durch den analytischen Ausdruck &—h{Ccosrt + Dsinrie=®! . . . (82) dargestellt. Dagegen wird die Ordinate &") der zweiten Kurve ent- weder durch die eine oder durch die andere der beiden Funktionen 2m =hf1 —[(C +1) cosrt„ + (D + bir) sin rt„]e="*n oder (33) &,%) ERGER h I(C + M) COS Yin + (D — N) sin riay e din angegeben, je nachdem das Argument Z, derselben der Bedingung Mr: oder der Ungleichheit EN ZEN Genüge leistet. Besteht die erstere Bedingung, so ist A 9) — & + 5, Findet dagegen die zweite statt, so ist nme (84) 2 00) E50 Die Bewegung des Quecksilbers, deren Ausdruck # ist, ist also aus zwei superponierten Bewegungen zusammengesetzt. Der Aus- druck der ersten derselben, &, enthält die Zeit 2; der der zweiten &%), enthält ? nur implieite in der Grösse nn —=t—2nT, welehe direkt und durch die unstetige Funktion n von £ abhängt. Diese Grösse bezeichnet die seit dem Beginne des zuletzt ein- getretenen Druckimpulses verflossene Zeit, während ? die seit dem ersten Stosse vergangene Zeit darstellt. Demnaeh ist diedureh die periodisch wiederkehrenden Stösse dem Queck- silber erteilte Bewegung anzusehen, als rührte sie 310 x.2.00r70.E2Meyer.. Lediglich von dem ersten und dem letzten.der bis da- hin erfolgten Stösse her. Diese Interpretation der erhaltenen Formeln nl ler noch dadurch unterstützt, dass die Amplitude & der vom ersten Stosse. herrührenden Bewegung der Form des Ausdrucks nach übereinstimmt mit dem in $ 3 für die Eigenschwingung des Quecksilbers auf- gestellten Formel (10a). Von.der durch & dargestellten Bewegung eilt daher alles, was oben von den Eigenschwingungen gesagtıworden ist; man darf sogar diese Bewegung ansehen als die Nachschwingungen, in die das Quecksilber gerät, nachdem durch den ersten eingetretenen Impuls ‚seine bisherige Ruhe gestört worden ist. Diese Nach- schwingungen sind Be Öszillationen , deren Schwingungs- dauer 1 m ist.. Die Amplituden dieser Oszillationen nehmen nach dem Gesetze einer geometrischen Reihe ab, deren logarithmisches Dekı ment == (06 ist. Diese Bewegung & nimmt..mit wachsender Zeit it rasch ab, so dass nach Verlauf einer gewissen Zeit dieselbe unmerklich ‘geworden sein wird. Die dazu nötige Zeit hängt ausser von A und 7 noch von der Druckhöhe / und den Konstanten C und D, also von den Zeiten T und 9, ab. ne Anders verhält sich dagegen die zweite der beiden einander superponierten Bewegungen. Freilich zeigt jede der Funktionen E00 und & für sich betrachtet dasselbe Verhalten wie &; im wesent- lichen hängen dieselben von f, in derselben Weise ab wie & von 4. Diese beiden Grössen würden also ebenfalls periodische, in geo- metrischer Progression mit der Zeit abnehmende Schwingungen dar- stellen. Es haben aber diese Funktionen 5% und 5% nur be- schränkte Gültigkeit, indem jede derselben nur für ein be- stimmtes Zeitintervall die Amplitude darstellt. Zugleieh ist I eine diskontinuierliche Funktion der Zeit £, welche die Kieenschaft hat, denseloen Wert zu behalten, wenn 2 um 27 wächst; denn da n um 2 zunimmt, wenn t um 27 vermehrt wird, so bleibt dadurch it, ungeändert. Demnach ist £, eine periodische Funktion von £ mit der Periode 27. Dasselbe silt von &,%, da diese Grösse eine > stetige Funktion von 4, ist. Demnach repräsentiert &®) eine rein periodische Bewegung, deren halbe Periode oder Schwingungsdauer 7 ist. “Sie’ist aber Zur Theorie des Kymographions. 31 nicht so einfach periodisch. wie die eines Pendels, sondern die Os- zillationen von der Dauer 7 werden. begleitet von Schwingungen von der‘ Dauer re, deren Amplituden mit wachsender Zeit geometrisch abnehmen. Demnach ist die Form der Schwingungskurven sehr verschieden, je nachdem z oder 7 den grösseren Wert besitzt, d. h. je nachdem die Periode der Eigenschwingungen des Quecksilbers und die der auf dasselbe ausgeübten Impulse die längere ist. Setzen wir zunächst den Fall, dass die Periode der einander folgenden Stösse die längere ist, dass also- PT ist, so werden wir eine Schwingungskurve erhalten, deren absolute Maxima und Minima im Abstande 7 aufeinander folgen. Zwischen diesen treten aber noch relative Maxima und Minima im Abstande tr voneinander auf, von denen das folgende immer kleiner ist als das vorhergehende, und zwar geschieht diese Abnahme nach dem Gesetze einer geometrischen Reihe. Die absoluten Maxima und Minima sind dagegen alle von gleicher Grösse. Das Ansehen einer solchen Schwingungskurve wird also ungefähr das einer Linie sein, deren Ordinate das arithmetische Mittel der Ordinaten zweier Sinus- linien von verschiedener, aber kommensurabler Periodenlänge ist. Solche sind aus der Akustik wohlbekannt. Sie zeigen mit manchen vom Kymographion gezeichneten Kurven allerdings auffallende Ähn- liehkeit. Führt man diese Konstruktion mit zwei Sinuslinien, von denen die eine in sehr viel kleinerem Maassstabe der Ordinate gezeichnet ist als die andere, so verschwinden an der aus beiden resultierenden Kurve die relativen Maxima und Minima; statt derselben erscheinen zunächst Wendepunkte mit horizortaler Tangente, dann Punkte, in denen einfach die Krümmung wechselt. Auch solche Kurven werden häufig vom Kymographion erhalten, namentlich wenn die Zeit z nur wenig kleiner als 7 ist. Wird aber die Dauer z der Eigenschwingung grösser angenommen als die Perioden der Stösse, so ist zwischen den absoluten Maximis und Minimis in der Entfernung 7 voneinander kein Platz mehr für die relativen, welche in der Entfernung z voneinander auftreten sollten. Da nun die Kurve periodisch nach 7 ist, so müssen diese zweiten Maxima und Minima ganz verschwinden. Die Kurve muss 312 0. E. Meyer: also in diesem Falle, von einigen Abweichungen der Krümmung ab- gesehen, ganz das Ansehen einer gewöhnlichen Sinuslinie erhalten. Diese Betrachtungen beziehen sich lediglich auf den zweiten Teil der Bewegung, der durch die Funktionen 5" dargestellt wird. Sie sind aber ohne merklichen Fehler auf die ganze Summe beider superponierten Bewegungen übertragen. Denn es ist oben nachge- wiesen, dass der mit & bezeichnete Teil der Bewegung mit wachsen- der Zeit abnimmt; dagegen kehrt der andere Teil 5 periodisch immer mit derselben Stärke wieder. Ist nun z hinlängelich gross geworden, ist also seit dem Anfange des Versuchs genügende Zeit verflossen, so ist es gestattet, den ersten Teil & der Bewegung gegen den zweiten £® als verschwindend klein fortzulassen. Demnach darf man unter Voraussetzung hinlänglich grosser Werte der Zeit it statt der exakten Formeln (23) angenähert setzen: 2,9 = h{1— [(C+ 1)cosrtu„+ (D + bir)] sin rt„Je => N 9 — —h IC + M)eosrtu„+(D+ N) sin riny e din | oO) un =t—2nT von welchen Formeln die erstere gilt, wenn VER, ist, dagegen die zweite, wenn »Z2122T ist. Dieselben Vernachlässigungen darf man für grosse 2 in die Aus- drücke (29), welche die Geschwindigkeit bestimmen, einführen; man hat dann: v9 — (r? + 52) h 1A cosrt, + (# - +) sin 2 een r (36) u) — (r?+b?)h LA +v(0) eosrt,+[B+x(O)] sin rt„ge = ’'%n In dieser einfachen Gestalt kann man die Formeln leicht ver- wenden, die Maxima und Minima der Amplitude x zu berechnen, welche ausser den Grössen 7, z und A die einzigen Beobachtungs- daten sind, die mit Nutzen zur numerischen Berechnung dienen können. Ein Maximum oder Minimum von & tritt da ein, wo die Ge- schwindigkeit v— (0 ist, also zu einer Zeit, welche durch eine der Gleichungen 0=Aecosrt+ (B+ lin) sinrt, 0—=[A+w(0)] eosrt, + [B + x(0)] sin a R Zur Theorie des Kymographions. 313 bestimmt ist, je nachdem die der Bedingung 0 £ 4, 22T unter- worfene Wurzel {, einer dieser Gleichungen grösser oder kleiner als $ ist. Wegen dieser Bedingungen werden also die Gleichungen nieht immer brauchbare Wurzeln besitzen. Man findet aus denselben für #4: 1 Am. ) a | sin ri, = 4 38 " VAa?+ (B+ Iir) 2) A Br len VA+(B+1 dagegen ergibt sich aus der zweiten Gleichung (46) für 4, <%#: I Z A Di arctang BE ORT =) sin rt, — al IS (38b) YarHOr+ +[B+x (0) CO3N — +3 WB +xOl | VIAa+»O)P+LB+2OR } Setzt man diese Werte in die Gleichungen (35) ein, so ergeben sich folgende Ausdrücke für die Maxiıma und Minima von &, und &£5), die ich durch die entsprechenden grossen Buchstaben bezeichne: x, ah a (-—C+1D Fr yA®-+ (B+1lr): x — rn CM Btxl) DAN (Atu) zn, VIA+w(OP+IB+x(0)]P Diese Ausdrücke nehmen eine sehr viel einfachere Form an, wenn man die zwischen den Konstanten A, B, C, D bestehenden Beziehungen benutzt. Nach den Gleichungen (27) und (30) ist (39) C=rB -+bA Bi) u) folglich ist C+1l=r(B+lr) +5bA D+br—b(B +1) — 5 0) und nach den Gleichungen (34): CH M—r[B+zO] +dLAHVON (pe) DIN BB Ko) —r Az no)] 314 0. E. Meyer: Durch diese Relationen werden die Gleichungen 39: RI N 4] +redt VAR + (B+ 1/r)2} } X, — three YIA+ YO? +[B+ nn Die hier noch vorkommenden Wurzelausdrücke lassen sich sehr einfach durch die in Gleichung (26) definierte Funktion g(t) ersetzen. Man hat nämlich nach den Gleichungen 24: (41) ı ee Sg I VOR RON] Ze 70) 0) WC) +20) 2) = 5 et! eos rt gl) Setzt man nun aus den Gleichungen (30) die Werte der A und B ein, so findet man es 2 7 Q A? + (B + 1’r)2} — e293 u) LA + WO + [B + 20) — Zei"? 409) Demnach werden schliesslich die Maximal- und Minimalwerte der Amplitude «: u es wıy h + eb(a+9) jet 2 | x | a 42T) We daQ=g(T) ist. Hierin sind die durch die ersten Gleichungen (38a) und (b) be- stimmten Exponenten noch einer einfacheren Darstellung fähig. Benutzt man nämlich die identische Gleichuug ‚arctang a + arctang b — arctang at so lassen sich die Glieder der in den Formeln (42) vorkommenden Exponenten zu je einem Term zusammenfassen, so dass man erhält a EN te) al | ds) rel a 9) | a gem) ). worin zur Abkürzung gesetzt ist Zur Theorie des Kymographions. 315 w2T)— u (9) al WER U0N kr 2) 2.0) und hierin bedeuten ı%’ und xy’ die Funktionen: sinrt— e-2’Tsinr(t—2nT) Br a, — bir aretang b Cohn arctang vd ; es cosrt — a le 2nT) ER, | Ferner ist wie früher d ou) gbt lo cosrt — e-°7 eosr (EI) nr r -Die Gleichungen (43) bestimmen die Maxima und Minima viel- deutig. Zu ihnen treten aber noch Bedingungen, welche diese Un- bestimmtheit einschränken. Zunächst unterliegen die Grössen « den Bedingungen, dass sie so zu- wählen sind, dass 020, 2b: ee ist, Bedingungen, welche aus den für £, und t, geltenden entspringen. (46) Ferner sind die Vorzeichen der in den Gleichungen (43) ent- haltenen Quadratwurzeln aus. denen der Grössen sin rt, und sin rt, zu bestimmen. Ersetzt man t, und Z, durch «, und «&, so findet man aus den Gleichungen (47) die Regel, ‘dass in der ersten Gleichung (52) das Vorzeichen gleich dem der Funktion 1) ET, em oo und in der zweiten Gleichung gleich dem der Grösse ER ER ER v@T)— (1—9Q)U(0) zu wählen ist. Damit ist alles vollkommen bestimmt. | Trotz dieser Einschränkungen liefern die Gleichungen (43) im allgemeinen mehrere verschiedene Werte der Maxima und Minima, und zwar wegen der Mehrdeutigkeit der Arctangenten in den Gleichungen (44). Die. versehiedenen Werte der X unterscheiden sich also durch Faktoren der Quadratwurzeln, welche die Form emreblr — embr sin r/b (2b T— o,) 316 0. E. Meyer: besitzen, worin m eine positive oder negative ganze Zahl bedeutet. Diese verschiedenen X stellen die Amplituden der Eigenschwingungen des Quecksilbers dar, welche jedem der erteilten Impulse folgen. Es hängt von dem Verhältnis der Zeiten 7, , $ ab, und zwar infolge der Bedingungen (46), denen die « unterworfen sind, ob solche Eigensehwingungen zustande kommen können. Man sieht sofort, dass ein im Verhältnis zu z grosser Wert von 7 erforderlich ist, wenn mehrere um die Grösse br unterschiedene Werte von a, in die denselben gesteckten Grenzen sollen fallen können; desgleichen ist für das Eintreten mehrerer Werte von «, ein grosser Wert von 3 erforderlich oder, da 3 notwendig kleiner ist als 2 =, ebenfalls ein grosser Wert von T im Verhältnis zu z. Die erhaltenen Endformeln lassen sich durch strenge Rechnung nicht weiter vereinfachen; sie sind aber für numerische Berechnung noch zu kompliziert. Es bleibt daher nichts übrig, als zweckmäsisige Näherungen eintreten zu lassen. Hierzu empfiehlt sich namentlich die Vernachlässigung des Widerstandes, den das Quecksilber im Manometer findet, oder wenig- stens der höheren Potenzen desselben. Ich lasse also die Voraus- setzung eintreten, dass die Konstante b eine kleine Grösse sei. Setze ich zunächst geradezu b=(, so wird nach Gleichung 35 die Funktion rt 9 ferner werden «a, und &—0; mithin werden die Formeln (52) unter dieser Annäherung: ad) —=2( — cosrt) —4sin? a ken gi u a sin 4 a a sinrT sintr%3 #7) Km sinr 7 Die durch die erste ‚dieser Formeln bestimmten doppelten Werte von .X, lassen sich auch schreiben sin4r (AT— 9) cos tr} sinrT . ne eos4r (AT— 9) siny3rY sinr7T X, 2h X, =2h von denen je nachdem der eine oder der andere zu wählen ist. . Zur Theorie des Kymographions. 317 Die bei dieser Wahl leitende Regel lässt sich einfach angeben. Mit Vernachlässigung von 5b ist aus den Gleichungen (45): vd) = = sinrT eosr t— T) ro, T) 9 1 (45 a) ıv )=-— nz > v3 cos ( 2 1 “eo 805,79 sinr( (:-5) )| Danach folgt aus (44): —b(59+m#)=2(5 34 mır) (48) il: 7U 1 ab (T- 594m) (7-59 + me) Hierin sind die m beliebige positive oder negative ganze Zahlen, deren Werte indes durch die Bedingungen (46) beschränkt werden; diese liefern die neuen Bedingungen > [2 — 9 mL n (49) —(T— 49) 2 mt £ Dog), Setzt man aus (48) die Werte der « in die Funktionen, welche die in X enthaltenen Vorzeichen bestimmen, so findet man unter Be- nutzung der Gleichungen (47) für diese die Werte Q sin r!b (bI$ — aı) en rsinrT v(2T) — v (0) sin r (T — 3/2) Ysinr/b 2BT—o,) 2 Tyms rsinrT en) VAEaD-A-Q,0) singrs Nach der aufgestellten Regel sind nun die in den X enthaltenen doppelten Vorzeichen so zu bestimmen, dass 'sie gleich den Vorzeichen dieser Grössen (50) werden. Man hat also statt der Gleichung (47) zu setzen: EN a h u a = sin4r “) sinrT und man sieht ein, dass die untere Gleichung (47a) immer einen richtigen Wert liefert, da m; — 0 der Bedingung (49) genügt; da- %— (Dreh 318 O0. E. Meyer: Zur Theorie des Kymographions. gegen gilt die.erste nur dann, wenn m; — 1 dieser n uneune nicht widerspricht. i Die Gleichungen (51) bestimmen im allgemeinen zwei Maxima und zwei Minima. Dies ist mit einer häufig beobachteten Erscheinung in Übereinstimmung. Die Kurven des Kymographions zeigen näm- lich oft das Ansehen von Wellenlinien, in welchen ein höherer und ein niedrigerer Wellenberg, ein tieferes und ein flacheres Wellental. regelmässig miteinander abwechseln. Dass dies nicht immer eintritt, _ erklärt sich aus den Bedingungen (49), denen die m unterworfen sind. Die eingeführte Annäherung reicht nicht aus, wenn Nach- schwingungen des Quecksilbers eintreten. Man wird dann, wenn auch nicht 5, so doch 5? vernachlässigen dürfen, da im allgemeinen diese Grösse sehr klein ist. Unter dieser Voraussetzung kann man die in (48) aufgestellten Werte von 5 als streng richtig ansehen, ebenso die ausgeführte Bestimmung der Vorzeichen. Man erhält dann statt der Formeln (51) aus den Gleichungen (43) als Werte der Maxima und Minima die Amplituden X, = h!l— (— I ie (2 er D) ed W2 $-Hm;T) ; | 27) \ 76, (52) — (— a 7 J pb (T— 12 9--mzT) X, = (— 1)": h 127) e Die Bedingungen 49, denen die m zu genügen haben, bedürfen wegen der Kleinheit von b, da es sich nicht um Brüche, sondern nur um ganze Zahlen handelt, keiner Verbesserung. In den Gleichungen 52 ist, wie früher, zur Abkürzung gesetzt eh “ol Deren eo. Endlich bestehen noch die Beziehungen : yı n;bı 105 Demnach sind alle in den Formeln (52) enthaltenen Grössen, mit alleiniger Ausnahme. von 9, aus den Zeichnungen des Kymo- graphions zu entnehmen, wenn: ausser den Schwingungen unter dein Einflusse des veränderlichen Druckes noch die Eigenschwingungen aufgezeichnet worden sind. Die Zeit $, die Dauer der Wirkung des Druckes, speziell der Öffnung des an muss auf andere Weise bestimmt werden. | Die Anwendung auf den Blutdruck ergibt sich demnach von selbst. (Aus der biologischen Versuchsanstalt in Wien.) Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. Von Karl v. Frisch. (Mit 8 Textfiguren upd Tafel IV und V.) Inhaltsübersicht. ER Einleitung EN se weilte 319 1. Die Beziehungen der Pigmentzellen zum Nervensystem. . ».» 2... 322 2. Über die Fleckenzeichnung der Eorellen .. .... ...»...... 337 3: Dier Wirkung2der» Anämie und des Druckes. . 2.22 woran 2 3939 AB Chemischestiinlüssenessn m. Su re 23 VD RR een ae Sr 346 5. Über die Erregbarkeit durch mechanische-Reize. ...2....... 347 6.2 DerEinfluss der» Augen aufrdie,Bärbung .. „2.0. Sram en, 348 a)aOperativerBineriiier ri nn ae en: 348 b)e VerklebensdersAugen: en an EN nennen ne ran 359 7. Wird die Pigmentbildung durch dauernde Expansion der Pigmentzellen bERUNSC SR ee ae ao are Nas Meere 365 8. Die Reaktion geblendeter Fische auf Licht . .......2..... 368 Zusammenfassung der wichtigsten Resultate . ». ».. 22 22.2.2... oe ISIteratunverzeic his a NT a ale 384 Hatelerklänunge.n 1a SS ee ee a ae ke een er 386 Wenn schlechtweg von Pigmentzellen die Rede ist, sind damit in der Regel die schwarzen Piementzellen oder Melanophoren ge- meint. Denn sie sind, wenn auch nicht immer die einzieen, doch stets die wichtigsten Urheber des Farbwechsels, und auf die Änderung ihres Expansionszustandes ist nicht nur das einfache Hell- und Dunkelwerden, sondern auch das Auftreten und Verschwinden der meisten Farben bei den niederen Wirbeltieren zurückzuführen. Mit ihnen allein beschäftigt sich auch die vorliegende Arbeit. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 21 320 Karl v. Frisch: Überblickt man die Untersuchungen, die bisher über die Physiologie der Pigmentzellen veröffentlicht wurden, und die Ryn- berk!) kürzlich in übersichtlicher Weise zusammengestellt hat, so findet man wenig Einigkeit und viel Widerspruch. Als gesicherte Tatsache tritt die Innervation der Pigmentzellen hervor, ihre Abhängigkeit vom Zentralnervensystem und mittelbar, durch dieses, ihre Beeinflussung durch zahlreiche äussere und innere Faktoren, wie Licht und Farben, Feuchtigkeit und Trockenheit, Tast- empfindungen, psychische Vorgänge Teils durch dieselben, teils durch andere Faktoren sind die Pigmentzellen aber auch direkt, ohne Vermittlung des Zentralnervensystems, zu beeinflussen. Von Licht und Wärme, elektrischen, mechanischen und zahlreichen chemischen Reizen, Anämie und Druck wird eine derartige lokale Wirksamkeit angegeben. Ob dabei die Beeinflussung der Piement- zellen wirklich eine direkte ist, oder ob die peripheren Nervennetze und Nervenenden, die ja schwer ganz auszuschalten sind, mit im Spiel sind, ist für die meisten Fälle nieht entschieden und schwer zu entscheiden. Wir müssen einstweilen zufrieden sein, wenn es gelingt, hinter manchen dieser Agenzien eineu gemeinsamen Faktor als den wahren Reiz zu finden und so das Chaos übersichtlicher zu machen. Von einer klaren Vorstellung über das Warum und Wie sind wir bei den Reaktionen der Pigmentzellen weit entfernt und werden es bleiben, solange wir über die Natur der Pigment- wanderung so wenig wissen. Wir wissen ja nicht einmal, ob der Vorgang als amöboide Bewegung oder als Wanderung der Pigment- körnchen in der Zelle aufzufassen ist. Allerdings, scheinbar ist diese Frage entschieden. Nachdem die ersten Beobachter, dem Augenschein trauend, die Ansicht ausgesprochen hatten, dass die Pigmentzellen wie Amöben Fortsätze aussenden und einziehen können, wurden bald Bedenken gegen diese Auffassung laut. Man konnte an günstigen Objekten pigmentfreie Zellfortsätze an kontrahierten Pigmentzellen erkennen, deren Verlauf oft dadurch deutlicher wurde, dass Reste von Pigment in ihnen zurückgeblieben waren, und neuer- dings sind sogar?) radiär verlaufende feine Streifen, welche man in den Pigmentzellen, und zwar auch in den pigmentfreien Ausläufern 1) Über den durch Chromatophoren bedingten Farbenwechsel der Tiere. Asher und Spiro, Ergebn. d. Physiol. 5. Jahrg. (1. u. 2. Abt.) S. 347. 1906. — 2) Franz, Die Struktur der Pigmentzellen. Biol. Zentralbl. Bd. 258 S. 536--548. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 321 derselben wahrnehmen kann, als ein festes Stützskelett gedeutet worden, dem die Aufgabe zukomme, die Form der Zellen trotz der reeen Verlagerungen, die sich in ihr abspielen, zu erhalten. Aber mit der Erkenntnis von der Erhaltung der Zellgestalt ist die Frage nicht erledigt. Biedermann!) (2, S. 469) hat schon die Möglich- keit betont, dass „nur eine ungleich rasche Bewegung verschiedener Teile des Zellplasmas stattfindet, derart, dass es, ähnlich wie bei Plasmodien und gewissen Rhizopoden, zur Sonderung eines leichter beweglichen flüssigeren ‚Körnerplasmas‘ und eines festeren ‚Hyalo- plasınas‘ kommt. Aus diesem letzteren würden dann die pigment- freien Fortsätze im wesentlichen bestehen, die aber möglicherweise schliesslich auch eingezogen werden“. Das Wesen der Frage scheint mir aber darin zu liegen: Haben wir es mit einer selbständigen Bewegung der Pigmentkörnchen im Zellplasma zu tun, oder werden jene von diesem passiv mitgenommen? Im letzteren Fall ist die Bewegung eine amöboide, auch wenn die Zellgestalt, sei es durch ein Innenskelett, sei es durch eine starrere Aussenschicht, erhalten bleibt. Und diese Frage ist auch durch die Untersuchung von Kahn und Lieben?) nicht entschieden, den einzigen Autoren, die sich nicht auf gelegentliche Beobachtungen beschränkten, sondern der Sache systematisch nachgingen. Sie nahmen Pigmentzellen in der Schwimmhaut von Rana temporaria mikrophotographisch auf, brachten sie dann dadurch, dass sie dem Frosch eine Adrenalin- injektion gaben, zu völliger Kontraktion, warteten, bis sie sich wieder expandiert hatten, und photographierten sie nun abermals; es zeigte sich nun, dass die Verzweigungen der Fortsätze nach ihrem Wieder- erscheinen bis in die feinsten Details dieselben sind wie vorher. Damit scheint mir zwar bewiesen, wenigstens für diesen Fall, dass das Pigment sich auf präformierten Bahnen bewegt; aber ob die Wanderung der Pigmentkörnchen im Zellplasma eine aktive oder passive ist, wissen wir so wenig wie früher. Wenn also im folgenden häufig von kontrahierten Pigmentzellen die Rede ist, ist damit der Zustand der Pigmentballung gemeint, ohne dass wir uns über die Art, wie er zustande kommt,. eine bestimmte Vorstellung machen. 1) Über den Farbenwechsel der Frösche. Ptlüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. d. Menschen u. d. Tiere Bd. 51. 1892. 2) Über die scheinbaren Gestaltsänderungen der Pigmentzellen. Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt. 1907 S. 104-111. 21 22 Karl v. Frisch: Im Gegensatz zu den anderen Wirbeltieren, bei denen sich die Manniefaltiekeit der Reize, auf welche die Pigmentzellen ansprechen, dem Experimentator als erschwerender Umstand fühlbar macht, ist bei den Fischen die direkte Erregbarkeit der Chromatophoren von untergeordneter Bedeutung, ‚und es dominiert hier der Einfluss des Zentralnervensystems; aber auch auf dem Umweg durch dieses wirkt die Umgebung nicht in so vielseitiger Weise ein wie bei den Land- tieren; das ist ja eine natürliche Folge des einförmigen Milieus, in dem .der Fisch sich befindet. Und so kommt es, dass hier manches leicht zu finden ist, was bei anderen Tieren verschleiert ist. Vor allem sind die Wege, auf denen das Zentralnervensystem seine Herr- schaft über die Pigmentzellen geltend macht, klar zu erkennen; diese möchte ich, als Voraussetzung für das andere, zuerst behandeln, um dann einige Erfahrungen über direkte Erreeung der Melano- phoreu mitzuteilen, dann den Einfluss der Augen und schliesslich ein bisher unbekanntes, leider auch jetzt noch einigermaassen in Dunkel gehülltes Sinnesorgan zu besprechen. 1. Die Beziehungen der Pigmentzellen zum Nervensystem). Durch die exakten Versuche, die Pouchet?) in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts veröffentlichte, wissen wir, dass die Gestaltsänderung der Melanophoren in der Fischhaut unter dem Ein- fluss des Nervensystems, und zwar des Nervus sympathieus, erfolgt. Pouchet experimentierte an Schollen und fand, dass Durchtrennung des Rückenmarks für die Färbung gar keine Konsequenzen hat; da- geren stellte sich nach Zerstörung des Sympathieus im Schwanzteil der Wirbelsäule, wo er zusammen mit den grossen Blutgefässen, die bei der Operation mit zerstört werden mussten, im Hämalkanal ver- läuft, sofort Verdunklung des Körpers kaudal von der Durchtrennungs- stelle ein, indem die Pigmentzellen dieses Körperteiles sich ex- pandierten; sie blieben nunmehr „gelähmt“ und nahmen am Farbwechsel des Tieres nicht mehr teil. Noch klarer ging die Be- deutung des Sympathieus aus folgendem Versuch hervor: Durch- schneidung der Spinalnerven hatte im allgemeinen die Lähmung der 1) Der Inhalt dieses Abschnittes wurde zum grössten Teil bereits als „vorläufige Mitteilung“ in der „Festschrift für Richard Hertwig“, Bd. 3 (Gustav Fischer, Jena 1910) publiziert. 2) Des changements de coloration sous l’influence des nerfs. Paris 1876. Librairie Germer Bailliere. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 323 Pismentzellen in den zugehörigen Hautgebieten zur Folge; wurde aber ein ventraler Spinalnerv am Wirbelkörper. unmittelbar nach seinem Austritt, durchschnitten, noch vor der Stelle, wo er sich mit dem Ramus communicans vom Sympathieus vereinigte, so verdunkelte sich das Hautgebiet des dorsalen Spinalnerven desselben Segmentes, während das Gebiet des durchschnittenen ventralen Nerven seine normale Farbe behielt. Hier trat die Lähmung erst ein, wenn die Durchtrennung distal von der Vereinigungsstelle mit dem Ramus communicans vorgenommen wurde. — Am Kopf erhielt Pouchet nach Durchschneidung des Nervus trigeminus Verdunklung des von diesem Nerv versorgten Hautbezirks. Hier bot sich ihm auch die Gelegenheit, Nerv und Gefässe eines Gebietes getrennt zu zerstören “und so einem Einwand zu begegnen, der ihm bei den anderen Ver- suchen gemacht werden konnte, dass nämlich die auftretende Ver- färbung eine Folce der Anämie sei. Wenn er die den Unterkiefer ‘ versorgende Arterie durchschnitt, hatte dies keinen Einfluss auf die Färbung, während die Durchtrennung des entsprechenden Trigeminus- astes auch bei erhaltener Blutzirkulation Verdunklung des Unter- kiefers bewirkte. Trotzdem ist in neuester Zeit wieder behauptet worden [von Golovine!)], das Nervensystem wirke auf die Pigment- zellen ausschliesslich durch Vermittlung des Gefässsystems. Indem es in einem bestimmten Hautbezirk Änderungen in der Zirkulation hervorrufe, könne es eine lokale Intoxikation veranlassen, da bei herabgesetzter Zirkulation sich gewisse, noch nicht genauer bekannte Substanzen anhäufen, und diese seien es, weiche die Pigmentzelien zur Kontraktion bringen. Das ist eine Ansicht, die mit vielen Tat- sachen in Widerspruch steht und sehr einfach durch folgenden Ver- such widerlegt wird: Exstirpiert man einem Fisch das Herz, so geht die Erregbarkeit der Pigmentzellen vom Nervensystem aus dadurch nicht verloren, wovon man sich leicht durch elektrische Reizung überzeuzen kann. Pouchet’s Versuche sind wiederholt bestätigt worden; so von Lode?), der an Forellen bei Reizung des Rückenmarks hinter dem Kopf Aufhellung des ganzen Körpers beobachtete; er deutete dies 1) Etudes sur les cellules pigmentaires des vertebres. Ann. Inst. Pasteur, 21° annee, 1908 p. 858—831. 2) Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Farbenwechsels der Fische. Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. in Wien Bd. 99 Abt. 3. 324 Karl v. Frisch: nicht als Folge der Rückenmarksreizung, sondern führte es auf die Reizung des nahe gelegenen Sympathieus zurück, der von den Stromschleifen natürlich mit betroffen wurde, und begründete dies damit, dass die Durchschneidung des Rückenmarks vor der Fettflosse wirkungslos blieb, während bei Sympathieusdurchschneidung an dieser Stelle der . Aufhellung bei der Reizung dort eine Grenze gesetzt war. Er machte den gleichen Fehler wie Pouchet, indem er das Rückenmark an seinem kaudalen Ende dem Rückenmark in der Brustregion gleichsetzte. Da nun der Farbwechsel der Fische zweifellos vom Gehirn aus beeinflusst wird — ich erinnere nur an die Anpassung an den Untergrund, die, wie auch bereits Pouchet wusste, bei blinden Fischen nicht eintritt —, ist die Frage berechtigt: Auf welchem Wege ist die Verbindung zwischen dem zerebrospinalen und dem sympathischen Nervensystem hergestellt? Und besitzt das letztere einen selbständigen Einfluss, oder ist es nur Leitungsbahn? Dass ich darüber Aufschluss geben kann, verdanke ich vor allem unsern gemeinen Ellritzen (Pfrillen, Phoxinus laevis L.), die wegen ihres ausgesprochenen Farbwechsels und anderer günstiger Eigenschaften zu den Experimenten sehr gut zu brauchen waren. Auf sie beziehen sich die folgenden Versuche, wo nichts anderes angegeben ist. Auch hier bewahrheiten sich Pouchet’s Behauptungen. Durch- trennung des Rückenmarks hinter der Rückenflosse hat keinen Effekt; ich habe so operierte Pfrillen mehrere Wochen gehalten, ohne dass sich ein Unterschied in der Färbung zwischen Schwanzteil und Kopfteil!) bei ihnen bemerkbar machte. Bei Zerstörung des Sym- pathieus (samt den Blutgefässen) im Hämalkanal aber ist schon nach !/»—1 Minute die Verdunklung der kaudalen Partie erkennbar, nach etwa 3 Minuten ist sie sehr deutlich, nach 5—10 Minuten maximal. Man kann die Zerstörung mit einem sehr feinen Messerchen vornehmen; empfehlenswerter ist es, den Gewebsstrang im Hämal- kanal, der durch einen kleinen Längsschnitt leicht sichtbar zu machen ist, resp. das Rückenmark durchzubrennen; ein Thermo- kauter ist in Anbetracht der Kleinheit der Fischehen zu grob; ich verwendete mit Vorteil das in Fig. 1 abgebildete einfache Instrument; 1) So nenne ich kurz den Teil des Körpers, der kaudal resp. kraniai von der Schnittstelle liegt. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 325 glühend gemacht, verhindert die Metallkugel (X) als Wärmereservoir ein zu rasches Auskühlen der Spitze. Die Durehsehneidung des Grenzstranges wurde, abgesehen von einigen resultatlosen Versuchen Pouchet’s am Hals-Sympathicus der Schollen, bisher: stets im Hämalkanal vorgenommen; sie ist aber auch weiter vorn nicht schwer auszuführen. „Der Grenzstrang des Rumpfes“, sagt Stannius!) von den Knochenfischen, „liegt immer hart an der Wirbelsäule über der Niere oder in dem Rücken- teil der Niere etwas eingebettet.“ Ich pflegte mit einem feinen krummen Messerchen in die Bauch- höhle einzustechen und unten an der Wirbelsäule einen Schnitt zu führen. Man kann diesen bei den Pfrillen bis unter das Vorderende der Rückenflosse “ nach vorn verlegen und erhält immer kaudale Ver- dunklung;, durchtrennt man aber wenige Millimeter vor der Rückenflosse, über dem Ursprung der Bauchflossen oder kranial von dieser Stelle, so ver- dunkelt sich prompt der Teil des Körpers, der vor der Schnittstelle liegt, während der Schwanzteil seine normale Färbung behält. Die Abbildung auf Taf. V Fig. 7 illustriert diesen Erfolg. (Dass die Grenze der Verfärbung mit der Wunde nicht auf gleicher Höhe liegt, erklärt sich aus dem schräg nach hinten gerichteten Verlauf der Spinalnerven.) An einigen Tieren, die den Eingriff gut überstanden, konnte ich mich überzeugen, dass dieser Zustand Fie. 1. in den nächsten Tagen erhalten bleibt. Es gelang auch mehrmals, den Sympathieus nur auf einer Seite zu durch- ‚schneiden (auf das Gelingen schloss ich allerdings aus dem Effekt); es trat dann die Expansion der Pigmentzellen nur an der operierten Seite auf, und war in der Medianlinie am Rücken scharf begrenzt, wie dies die Fig. 3 auf Taf. V zeigt. Diese halbseitige Verdunklung war wohl nie maximal, es blieben kleine hellere Flecken bestehen ; ob dies auf unvollständige Durchtrennung oder auf Verbindungen mit dem Grenzstrang der anderen Seite zurückzuführen ist, muss dahingestellt bleiben. Es verdunkelt sich in diesen Fällen auch der Teil des Kopfes, 1) Das peripherische Nervensystem der Fische. Rostock 1849. 326 Karlv. Frisch: der dem Innervationsgebiet des N. trigeminus entspricht, dessen Einfluss auf die Chromatophoren von Pouchet an Schollen nach- gewiesen wurde. In der Tat bewirkt z. B. die Durchtrennung des Ramus ophthalmieus nervi trigemini am Beginn seines Verlaufs am Dach der Augenhöhle, wo er leicht zugänglich ist, auch bei den Pfrillen Verdunklung der Stirne, von den Augen bis zur Schnauzen- spitze; es handelt sich aber offenbar nur um eine äusserliche Bei- mischung sympathischer Fasern zum Trigeminus, sonst wäre auch folgende Tatsache nicht zu erklären: Wenn man den Sympathicus vor der Rückenflosse, an der Stelle, wo die Grenze zwischen kau- dalem und kranialem Verlauf der zu den Pismentzellen ziehenden („pigmentomotorischen“) Nervenfasern liest, elektrisch reizt, hellt sich der ganze Fisch auf, und zwar auch die vom Trigeminus versorgten Hautpartien, und das wird nicht im geringsten gehindert, wenn man vorher das Gehirn samt verlängertem Mark und Trigeminusursprung vollständig entfernt hat; somit gesellen sich die piementomotorischen Fasern dem Trigeminus erst nach seinem Austritt aus dem Gehirn zu. — Durchschneidet man den Ramus ophthalmieus in der Augen- höhle nicht unmittelbar nach seinem Eintritt, sondern weiter vorn (schnauzenwärts), so wird der schwarze Fleck, der auf der Stirn entsteht, kleiner; die Erklärung dafür wird in den „Rami frontales“ zu finden sein, die vom Nervenstamm in der Augenhöhle abzweigen und durchs Stirnbein zur Haut ziehen. Ich möchte hier ein paar Beobachtungen erwähnen, die ich gelegentlich gemacht, aber noch nicht weiter verfolgt habe, und die ich vorderhand nicht zu deuten weiss. Bei einer Pfrille, der ich den Sympathiecus im Hämalkanal mit dem Glüheisen zerstört hatte, war am achten Tag nach der Operation die Farbe der gelähmten Hautpartie nicht mehr so tief dunkel wie zu Anfang. Ich stellte nun das Tier in seinem Aquarium abwechselud auf schwarzes und weisses Papier und bemerkte, dass nicht nur der normale Vorder- körper, sondern auch der paralysierte Schwanzteil dem Untergrund entsprechend die Farbe wechselte, wobei aber der Schwanzteil stets bedeutend dunkler blieb als der Vorderkörper. Die Reaktion des dunklen Teiles war nicht nur makroskopisch als ein Heller- und Dunklerwerden, sondern auch unter der Lupe an den einzelnen Pigmentzellen deutlich zu verfolgen. Es dauerte noch 13 Tage, bis sich der Unterschied in der Färbung zwischen dem vorderen und hinteren Körperteil ausgeglichen hatte. Bei einem anderen Tiere, Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 32 dem in gleicher Weise der Sympathicus durchtrennt worden war, ‘bemerkte ich 14 Tage nach der Operation, dass es. in Aufregung versetzt, nicht nur vorn, sondern auch kaudal von der Schnittstelle deutlich erblasste. Und doch war noch nach weiteren 10 Tagen der Schwanzteil stark dunkel gefärbt. Noch auffallender war eine ähnliche Erscheinung am Kopf, nach Zerstörung des zur Stirne ziehenden Trigeminusastes. Hier reagierte die paralysierte Partie schon am ersten Tag nach der Operation, indem sie, weun das Tier durch Herumjagen oder Anfassen (natürlich ohne dass der Kopf dabei berührt wurde) in Aufregung versetzt wurde, fast so licht wurde wie der übrige Körper, der sich auch aufgehellt hatte (Erregung bewirkt bei den Pfrillen stets Aufhellung). Nach einigen Minuten der Ruhe trat der dunkle Fleck auf der Stirn wieder deutlich hervor. Am besten lässt sich das zeigen, wenn man einem Tier an zwei auf- einanderfolgenden Tagen erst auf einer, dann auf der anderen Seite den Trigeminus durchtrennt und dann den Fisch irgendwie er- schreckt. Es wird nun die am vorhergehenden Tag paralysierte Kopfhälfte viel heller als die frisch eelähmte, welche ihre dunkle Farbe behält. Hat sich das Tier beruhigt, so wird nach kurzer Zeit die Stirn wieder auf beiden Seiten gleich dunkel. Man könnte daran denken, dass sich die Verbindung der Pigmentzellen mit dem Tri- geminus so rasch wieder herstellt; das ist aber nicht der Fall, denn wenn man jetzt die gleiche Operation an derselben Stelle wieder- holt, hat dies gar keine Folgen, die Flecken auf der Stirn hellen sich bei Erregung des Tieres ebenso auf wie vorher. — Der dunkle Stirnmakel blieb durch ca. 12 Tage erkennbar. Es fragt sich nun, ob an jener Stelle zwischen Bauch- und Rückenflosse, von der aus die pigmentomotorischen Fasern sowohl nach vorn als nach hinten verlaufen, ein Zentrum im Sympathieus anzunehmen ist. Die Untersuchung wird durch den Umstand sehr erleichtert, dass bei Pfrillen ca. Y/g Stunde nach dem Tod plötzlich am ganzen Körper eine maximale Aufhellung, d. h. vollständige Kontraktion aller Pigmentzellen eintritt, die ca. 20 Minuten (die Zeiten variieren sehr) anhält; dann färben sich die Fische wieder tieflunkel und bleiben so, bis sich nach mehreren Stunden Anämie- aufhellung einstellt, mit der diese erste Aufhellung nichts zu tun hat; denn was man als Anämieaufhellung bezeichnet, ist eine lokale, vom Zentralnervensystem unabhängige Wirkung auf die Pigment- zellen; durchtrennt man aber einer Pfrille im Stadium der ersten 328 Karl v. Frisch: postmortalen Aufhellung den Sympathicus, so hat dies genau den- selben Erfolg wie die Durchtrennung am lebenden Tier. Diese Auf- hellung ist also der Ausdruck einer vom Zentralnervensystem aus- gehenden Erregung. Das Gehirn, samt dem verlängerten Mark, ist dabei unbeteiligt, denn seine Entfernung hindert die Aufhellung nieht im geringsten; aber auch vom sympathischen Nervensystem geht sie nicht aus, sondern vom Rückenmark. Denn sie bleibt aus, wenn dieses (mit einer feinen Sonde) zerstört wurde, und wenn man diese Zerstörung vornimmt, nachdem die Aufhellung eingetreten ist, macht sie sofort einer Verdunklung Platz. Man hat sich also vor- zustellen, dass bei der Pfrille in der Region der Bauchflossen die pigmentomotorischen Nervenfasern aus dem Rückenmark in den Sympathieus übertreten und mit diesem nach vorn und hinten ver- laufen. Auf die genauere Lokalisation dieser Stelle komme ich später zurück. Es ist wohl das Absterben des Rückenmarks die Ursache dieser postmortalen Erregung; sie ist in ihrer Wirkung nicht auf die Pigmentzellen beschränkt, sondern äussert sich auch in Muskel- zuckungen, die sich als unregelmässige Zuckungen der Flossen und der Haut bemerkbar machen und gleichzeitig mit dem Beginn der Aufhellung zu erscheinen pflegen. Zu den Muskeln wird aber, nebenbei bemerkt, die Erregung natürlich auf ganz anderen Wegen geleitet; das illustriert z. B. folgender einfacher Versuch: Zerschneidet man einer Pfrille im Stadium der Erregung die Wirbelsäule hinter der Rückenflosse, so verdunkelt sich der Schwanzteil, die Muskel- zuckungen daselbst werden aber gar nicht beeinträchtigt. Es genügt ein kleiner Teil des Rückenmarks zum Hervor- bringen der maximalen Aufhellung. Tötet man eine Pfrille und durchschneidet ihr die Wirbelsäule (also auch Rückenmark und Sympathieus) an zwei nicht weit voneinander entfernten Stellen, welche die oben besprochene Austrittsstelle der pigmentomotorischen Nervenfasern aus dem Rückenmark zwischen sich einschliessen, so stellt sich in der gewohnten Zeit die Aufhellung ein, welche dann, da ja die beiden Schnitte auch den Sympathicus getroffen haben, als heller Gürtel auf die dazwischenliegende Zone beschränkt bleibt und vorn und hinten mit scharfer Grenze endet, wie die Bilder Taf. IV Fig. 1 und Taf. V Fig. 9 gut zeigen!). Doch scheint der 1) Dass vorn die Grenze einige Millimeter kaudal von der Schnittfläche liegt, erklärt sich, wie schon erwähnt, aus dem schräg nach hinten gerichteten Verlauf Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 329 vordere Teil des Rückenmarks, wenn er nicht künstlich ausgeschaltet wird, an der Aufhellung mit beteiligt zu sein. Denn es zeigt sich, dass diese länger anhält, wenn das Rückenmark vom Kopf bis zur Rückenflosse sich geltend machen kann, als wenn etwa das vorderste Drittel von dieser Strecke abgetrennt und so unwirksam gemacht wird. Dageeen ist es für die Dauer der Frregung unwesentlich, wenn man das Rückenmark unmittelbar hinterm Kopf oder unter der Rückenflosse durchtrennt und so das verlängerte Mark resp. den Schwanzteil des Rückenmarks ausschaltet. Ich tötete zu diesen Ver- suchen eine Anzahl Pfrillen (durch Zerstören des Gehirns!), legte sie in Wasser und durchschnitt in dem Augenblick, als die Auf- hellung begann, die Wirbelsäulen an den verschiedenen Stellen. Es schien mir wichtig, die Durchtrennung nicht gleich nach dem Tode, sondern erst zu Beginn der Aufhellung vorzunehmen, um die Fische länger unter gleichen Bedingungen zu haben und Fehler möglichst zu vermeiden, die z. B. dadurch entstehen könnten, dass ein kurzes Rückenmarksstück rascher abstirbt als ein langes. Die folgende Tabelle zeigt das Resultat eines derartigen Versuches. Ein Dutzend Pfrillen wurden auf gleiche Weise getötet una zu Beeinn der Auf- hellung sechs von den Tieren die Wirbelsäule unter der Rückenflosse und unmittelbar hinter dem Kopf, den anderen sechs unter der Rücken- flosse und mitten zwischen Kopf und Rückenflosse durchtrennt. Die Zahlen geben in Minuten die Zeit an, welche vom Beginn der Auf- hellung bis zu ihrem Verschwinden verstrich, die obere Kolonne (a) für die sechs ersterwähnten Tiere, die untere (b) für die sechs anderen, bei denen der vordere Teil des Rückenmarks ausgeschaltet war; je zwei übereinanderstehende Zahlen beziehen sich auf zwei gleich grosse Tiere, die zu gleicher Zeit getötet wurden und im gleichen Gefässe lagen: a ,.977,14 7 912098 b: 7 1] Bo jo} (or) der Spinalnerven; es wird auffallen, dass hinten die Grenze mit dem Schnitt zu- sammenfällt; das kommt daher, dass durch den Schnitt auch die Spinalnerven, die weiter vorn die Wirbelsäule verlassen haben, auf ihrem Weg zur Haut durch- getrennt werden. An grösseren Fischen, wo der Schnitt im Verhältnis zur Höhe des Tieres kleiner gemacht werden kann, ist auch die Verschiebung der hinteren Grenze über und unter der Schnittverletzung deutlich erkennbar (s. Taf. IV Fig. 2), 1) Die postmortale Aufhellung tritt in gleicher Weise ein, wenn die Fische ohne Verletzung, z. B. durch Erstickung, sterben. 330 Karl v. Frisch: Bei mehrmaliger Wiederholung und in verschiedenen Varianten fiel dieser Versuch stets im selben Sinne aus, und nur einmal blieb der erwartete Unterschied aus; der Versuch war an zehn Pfrillen genau so angestellt worden wie der eben geschilderte, mit folgendem Resultat: 21:00. 190318. az, bE782.0...3,,10.48 In diesem Falle hatte ich kleine, halberwachsene, statt, wie sonst, arterwachsene Pfrillen verwendet. Die angeführten zwei Tabellen stammen von Versuchen, die zur heissen Jahreszeit angestellt wurden; daher die kurze Dauer der Aufhellung; der Prozess läuft nämlich in der Wärme bedeutend schneller ab. Wie gross der Unterschied ist, zeigen die folgenden Zahlen: Einige Pfrillen wurden getötet und zum Teil in Wasser von ca. 20° C., zum andern Teil in solches von ca. 7°C. gelest; bei den ersteren trat die Aufhellung nach etwa !/ı Stunde ein und hielt 7—-20 Minuten an, bei den letzteren aber kam sie erst nach ca. 1 Stunde und dauerte länger als 1 Stunde an. Aus den angeführten Tatsachen geht hervor, dass das Rücken- mark selbständig Erregungen, welche die Ballung der Pigmentzellen bewirken, aussenden kann, und man darf daraus wohl, nach Analogie mit anderen nervenphysiologischen Erscheinungen, auf die Existenz eines Rückenmarkszentrums für die pigmentomotorische Funktion schliessen. Zwingend ist der Schluss nicht; denn es könnte die Er- regung vielleicht auch nur von den Nervenfasern im Rücken- mark stammen, es könnten diese durch die Voreänge beim Absterben in Erregung versetzt werden. Nehmen wir aber an, das Rücken- markszentrum besteht wirklich, so ist es für die Färbung beim lebenden Fisch doch von untergeordneter Bedeutung gegenüber dem dominierenden Einfluss des Gehirns. Denn wenn man einer lebenden Pfrille an einem beliebigen Punkt zwischen Kopf und der Übertritts- stelle der pigmentomotorischen Nervenfasern in den Syınpathicus das Rückenmark durchtrennt, oder auch wenn man dieses intakt lässt und das Gehirn entfernt, erfolst sofort Verdunkelung des ganzen Tieres, und zwar maximale Verdunklung, denn sie kann nun durch Sympathieuszerstörung nicht mehr verstärkt werden. Sie bleibt etwa 5—10 Minuten maximal, dann pflegen in eng begrenzten Haut- bezirken, meist in Forın kleiner heller Querstreifehen , die ersten Anzeichen der Kontraktion aufzutreten, die aber nur schwache Fort- Beiträge zur Physioiogie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 351 schritte machen, bis nach etwa !/g Stunde, meist ziemlich plötzlich, die maximale Aufhellung sich einstellt. Um die Übertrittsstelle der Nervenfasern festzulegen, nah ich bei einer grossen Zahl von Pfrillen, teils bei lebenden, teils bei toten, die sich im Stadium der ersten Aufhellung befanden, Durehtrennungen vor und gab die Fische nach eingetretenem Erfolg für kurze Zeit in heisses Wasser, worauf sie sich leicht skelettieren lassen. Die kritische Stelle liegt in der Gegend des I5. Wirbels, auf mehrere (2—3) Wirbel verteilt, kann aber bei verschiedenen Individuen um 1—2 Wirbel nach vorn oder rückwärts verschoben sein. Es treten erst die Fasern für die vordere Körperhälfte, dann die für die hintere Hälfte aus. rn ) 2 e + Fig. 2. Das folgt daraus, dass es eine Stelle gibt — die eben meistens am 15. Wirbel liegst —, wo die Sympathicusdurchtrennung weder den Schwanzteil noch den Kopfteil alteriert. Zerschneidet man nun an diesem Punkt das Rückenmark, so verdunkelt sich der Schwanzteil, während der Kopfteil seine normale Farbe behält; hier waren also die Fasern für den Hinterkörper noch im Rückenmark, die für den Vorderkörper hatten es schon verlassen. Kranial vom 12. und kaudal vom 18. Wirbel erzielte die Sympathieusdurchschneidung stets maxi- male Verdunklung des kranialen resp. kaudalen Körperteiles. Um bei der Wirbelbezeichnung einem Missverständnis vorzubeugen, sei erwähnt, dass die erste lange Rippe (+ in vorstehender schematischer Skizze [Fig. 2]) dem 4. Wirbel zugehört. Ich möchte nun an der Hand des Schemas (Taf. IV Fig. 6) in dem W die Wirbelsäule, R das Rückenmark, $ den Sympathieus, 332 Karl v. Frisch: T den Trigeminus, N zwei Spinalnerven, die schwarz eingezeich- neten Linien die pigmentomotorischen Nervenfasern, der dickere schwarze Strich das problematische Rückenmarkszentrum, P die Pigmentzellen andeuten sollen, die Tatsachen, aus denen auf den Verlauf der Fasern bei der Pfrille geschlossen wurde, kurz wieder- holen: 1. Durchtrennung der Wirbelsäule (Rückenmark und Sym- pathicus) in Strecke a und Strecke b am postmortal aufgehellten Tier: Verdunklung kranial von der vorderen und kaudal von der hinteren Schnittstelle, Erhaltenbleiben der Hellfärbung in der zwischen- liegenden Zone. 2. Dieselben zwei Schnitte am lebenden Tier: Ver- dunklung des ganzen Tieres), nach einiger Zeit Aufhellung zwischen den Schnitten. 3. Durchtrennung des Sympathieus am lebenden oder postmortal aufgehellten Tier in a: kraniale Verdunklung; in b: kaudale Verdunklung; in c: kein Fffekt. 4. Durchtrennung des Rückenmarks in a am lebenden Tier: totale Verdunklung; am post- mortal aufgehellten Tier: Abkürzung der Zeit, die die Aufhellung anhält; Durchtrennung des Rückenmarks in d5 am lebenden oder postmortal aufgehellten Tier: kein Effekt; in c: kaudale Verdunklune. Elektrische Reizversuche bestätigen die Resultate; tetanische Reizung des Rückenmarks in der Strecke a, Reizung des Sympathieus bei c bewirkt sofort Aufhellung des ganzen Fisches, von der Schnauzen- spitze bis zum Schwanz; schaltet man den Strom aus, so wird das Tier wieder dunkel. Es handelt sich bei diesen Dingen nicht etwa um eine Spezialität der Pfrillen. Bei der Forelle (Salmo fario L.), die in ihrer Organisation von jenen so verschieden ist, dass man sie in eine andere Unter- ordnung stellt, ist dasselbe zu beobachten. Der Übertritt der pigmento- motorischen Nervenfasern aus dem Rückenmark in den Sympathieus findet hier unter der Mitte der Rückenflosse, in der Gegend des 26. Wirbels statt. Denn es blieb ein Individuum, welchem ich an dieser Stelle, nachdem es sich postmortal aufgehellt hatte, die Wirbel- säule vollständig durchtrennte, sowohl vorn wie hinten hell?); der 1) Die zwischen den Schnitten liegende Zone verdunkelt sich dabei meist etwas langsamer als die übrigen Teile, so dass sie sich in den allerersten Minuten hell abhebt; ich halte dies für eine Folge des durch die Durchtrennung des Rückenmarkes gesetzten Reizes, der wegen der Sympathicusdurchschneidungen nur auf diese Zone wirken kann. 2) Allerdings nicht rein; es traten nämlich unregelmässige kleine dunklere Fleckchen auf, deren Ursache in verschiedenem gesucht werden könnte; am wahrscheinlichsten dünkt mir die Verletzung einiger Nervenfasern durch den Schnitt. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 333 Schnitt war also zufällig am Punkt c des Pfrillenschemas geführt worden. Bei anderen toten Forellen konstatierte ich die Verdunk- lung des Kopfteiles nach Durehtrennung der Wirbelsäule unter dem Vorderende der Rückenflosse, des Schwanzteiles bei Durchtrennung unter ihrem Hinterende (Taf. IV Fig. 2). Auf Grund der Tatsache, dass bei den lebenden Fischen das Gehirn über Kontraktion und Expansion der Pigmentzellen eine grosse Macht hat, schien es nicht aussichtslos, nach der Existenz und Lage besonderer Zentren für diese Funktion zu forschen. Ich suchte zunächst durch elektrische tetanische Reizung Aufklärung zu be- kommen !}. Um den Reiz auf möglichst eng begrenzte Hirnpartien zu beschränken, wurde unipolar gereizt: nur eine Elektrode (aus Platindraht) wurde am Gehirn angelegt oder in dasselbe eingestochen, während die andere mit der nassen Unterlage, auf der der Fisch lag, in Verbindung war; es gingen also die Stromschleifen durch den ganzen Fischkörper und sammelten sich an dem Punkt, wo die Platinelektrode angesetzt war. Die Fische wurden während des Ver- suchs durch einen im Mund befestigten Gummischlauch mit Atem- wasser versorgt. Ich arbeitete erst an Pfrillen, bei denen die Kleinheit des Objekts ein erschwerender Umstand war, dann an Forellen’), die sich aber auch nicht als sehr geeignet erwiesen, da sie bei wiederholter Anwendung gleicher Reize das zweite Mal schon bedeutend schwächer reagierten als das erste Mal, also sich rasch abstumpften, und da verschiedene Individuen unter scheinbar gleichen Umständen auf gleiche Reize nicht gleich reagierten. Durchaus konstant, bei Pfrillen wie bei Forellen, ist, dass Reizung des verlängerten Marks Aufhellung des ganzen Körpers zur Folge hat. Die Aufhellung pflegt — was nicht weiter zu verwundern ist — erst bei einer Reizintensität ein- zutreten, die auch eben genügt, um die Muskeln in Tetanus zu ver- setzen. Die Stelle, von der aus die Pigmentkontraktion ausgelöst wird, im Nachhirn genauer zu lokalisieren, gelang auf diesem Wege nicht, jedoch auf folgende Art: Ich habe schon oben erwähnt, dass bei den Pfrillen die Durchschneidung des Rückenmarks hinter dem 1) Diese Versuche wurden am k. k. physiologischen Institut ausgeführt. 2) Für deren kostenlose Überlassung sei auch hier der biologischen Station in Lunz bestens gedankt. 354 Karl v. Frisch: Kopfe sofortige Verdunklung des ganzen Tieres nach sich zieht — es werden eben durch diese Operation die Pigmentzellen dem Ein- fluss des „Aufhellungszentrums“ entzogen; nun suchte ich festzu- stellen, wie weit man den Schnitt nach vorn verlegen kann, ohne dass die Wirkung sich ändert. Um die Färbung richtig beurteilen zu können, ist es zweckmässig, sich einen Vergleich zu schaffen, und zwar an demselben Tier: um so mehr, als die Pfrillen — an solchen machte ich diese Experimente — zur Operation in feuchtes Filtrier- papier eingewickelt werden mussten; da kommt mechanische Reizung der Pismentzellen und allerlei anderes in Betracht, und es ist dann ohne Vergleich oft nicht zu entscheiden, ob der Fisch den Grad der Verdunklung erreicht hat, der bei völligem Wegfall des Nerven- einflusses eintritt. Ich durchtrennte deshalb gleich nach der Hirn- operation an irgendeinem Punkt den Sympathieus und paralysierte Fie. 3. V Vorderhirn, M Mittelhirn, X Kleinhirn, N Nachhirn. dadurch einen Teil des Körpers; nahm der übrige Körper die gleiche Dunkelheit an, so war die durch den Schnitt im Gehirn hervor- gerufene Verdunklung als maximal zu betrachten. Nach der Operation legte ich die Fischehen wieder in Wasser; um das Gehirn vor diesem zu schützen, wurde das Schädeldach, das nur zurückgeschlagen worden war, zugeklappt und die Wunde mit sehr weichem Paraffın ver- schlossen; dieses haftet ganz gut, wenn man die Haut vom Knochen abgeschabt und den Knochen abgetrocknet hat. Es ergab sich nun stets maximale Verdunklung des ganzen Körpers, wenn das Nachhirn an einer beliebigen Stelle bis nahe an sein vorderes Ende durchgetrennt wurde; war der Schnitt durch die Kuppe des Kleinhirns geführt (vel. die vorstehende Skizze, Fig. 3, a), so hatte das noch denselben Erfolg; war er aber zwischen Nachhirn und Mittelhirn angebracht (5b), oder weiter vorn, im Mittelhirn selbst, so wurden die Fische oft sehr hell und blieben so etwa 10 Minuten (dass sie nach dieser Zeit dunkel wurden, war ‚wohl eine Folge des Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 335 eingetretenen Todes), oft auch nahmen sie eine mittlere oder sogar ziemlich dunkle Färbung an; stets aber hob sich wenigstens einige Minuten lang der paralysierte Körperteil deutlich durch seine dunklere Farbe ab. Auch konnten sie die Farbe noch wechseln; ich beob- achtete wiederholt spontane Aufhellung. Die Entfernung des Klein- hirns änderte an der Sache nichts. Es deutet dies auf die Anwesen- heit eines Zentrums für die Aufhellung am Vorderende des Nach- hirns. Auch bei Forellen bewirkte Durchschneidung des Nachhirns unter der Kuppe des Kleinhirns maximale Verdunklung; nach Durch- schneidung des Mittelhirns konnten sie hell werden. Vom Mittelhirn aus war durch elektrische Reize weder bei Pfrillen noch bei Forellen ein konstanter Effekt zu erzielen. Da- gegen gab Reizung des Vorderhirns bei Pirillen sehr konstant Ver- dunklung des ganzen Körpers; sie war nicht maximal, aber deutlich. Doch ist das Vorderhirn selbst (dass der Reiz auf dieses allein be- schräukt bleibt, kann ja bei seiner Kleinheit nieht angenommen werden) an dieser Wirkung kaum beteiligt; wenigstens blieb Farbe und Farbwechsel bei einigen Pfrillen, denen ich es exstirpierte, länger als zwei Wochen, bis der Versuch abgebrochen wurde, ganz normal; sie vertrugen den Eingriff sehr gut, wenn der Schädel in der an- gegebenen Weise vor dem Wasser geschützt wurde. Es fragte sich nun: Wird diese Verdunklung ausgelöst durch die Reizung einer vorderen Partie des Mittelhirns oder des Zwischen- hirns oder des Opticus, der ja in nächster Nähe verläuft, oder des Nervus trigeminus? Ist es vielleicht eine Reaktion auf sensible Reize? Bei den Pfrillen liest alles so. nahe beisammen, dass an ihnen diese Fragen nicht zu entscheiden waren, und ich hoffte bei Forellen auf sicherere Befunde. Bei diesen stellte sich aber die Verdunklung bei Reizung der vorderen Hirnpartien nicht immer ein, und so brauchte ich mich auch nicht zu wundern, dass ich hier, wo die Grösse der in Betracht kommenden Hirnteile und Nerven ihre isolierte Reizung gestattete, damit auf keinen grünen Zweig kam. Die Reizung beider Nervi optiei hatte kein deutliches Resultat; es wurden bei diesem Versuch in einem Fall nach Exstirpation beider Augen, bei einem zweiten Tier nach Abtragen der Augsenvorderteile und Herausschälen der Bulbi die Sehnerven beiderseits in den Augen- höhlen mit gleichstarken Strömen gereizt. Auf beiderseitige Reizung des Nervus trigeminus, und zwar der Rami maxillares, nach ihrem Eintritt in die Augenhöhle, reagierte eine Forelle bei oftmaliger Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 22 G 0] 36 Karl v. Frisch: o Wiederholung stets mit Aufhellung des ganzen Körpers; bei einer anderen war, trotz eleicher Versuchsanordnung, keine deutliche Wirkung zu erkennen. Wie das zusammenhängt, dass die Reizung der Zwischenhirn- gegend bei den Pfrillen so deutlich, bei den Forellen so undeutlich verdunkelnd wirkt, wurde mir erst später durch andere Versuche klar, die ich im letzten Abschnitt mitteilen werde. Hier möchte ich nur betonen, dass man sich das Zustandekommen der Verdunklune bei der Erregung jener Hirnpartie wohl so vorstellen muss, dass von dort aus die Tätigkeit des Aufhellungszentrums gehemmt wird. Für diese Annahme spricht, dass häufig bei Pfrillen, denen das Gehirn zwischen Nachhirn und Mittelhirn durchscehnitten wurde, starke Aufhellung eintritt. Dass es sich dabei nicht um eine durch den Schnitt verursachte Reizerscheinung handelt, glaube ich daraus schliessen zu dürfen, dass die Fische dabei fast stets bewegungslos im Wasser ruhten; ich erinnere daran, dass, um Aufhellung vom Gehirn aus künstlich hervorzubringen, eine Reizstärke nötig ist, die auch die Beweguneszentren im Nachhirn in Erresung versetzt. Auch das Dunkelwerden der Fische auf dunklem Untergrund wird als zentraler Hemmungsvorgang aufzufassen sein; denn wir haben keinen Anhaltspunkt für die Annahme peripherer Hemmungs- nerven, die zu den Chromatophoren ziehen und, in Erregung ver- setzt, diese zur Expansion bringen würden. Vielmehr scheinen die Pigmentzellen vom Aufhellungszentrum aus tonisch in ihrem jeweiligen Kontraktionszustand erhalten zu werden; lässt der Tonus nach, so nimmt ihre Expansion zu, und werden sie dem Einfluss des Zentrums ganz entzogen, so gehen sie in ihre Ruhestellung über, sie expandieren sich völlie. Den Ausdruck Ruhestellung ge- brauche ich in bezug auf die Abhängigkeit vom Nervensystem und will damit nicht sagen, dass sich in den Pigmentzellen bei ihrer Expansion nicht lebhafte Vorgänge abspielen können. Die Angabe von Verrill, dass eine Menge Fischarten schlafend eine dunklere Färbung haben als in wachem Zustand, hat demnach nichts Befremdendes; ich selbst bemerkte wiederholt, dass Pfrillen, Karauschen (Carassius vulgaris Nilss.) und Forellen, wenn sie be- unruhigt wurden, erbleichten. Besonders bei Forellen war es auf- fallend, wie sie beim Versetzen in einen neuen Behälter bleich waren, solange sie unruhig! umherschwammen, und rasch dunkel wurden, wenn sie zur Ruhe kamen. Auch bei Erregungen anderer Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 337 Art, z. B. bei operativen Eingriffen, wird der Fisch zunächst blass. Dagegen fielen mir kranke Forellen und Karauschen, die durch die Krankheit schon so weit geschwächt waren, dass man sofort an der Art des Schwimmens ihre Mattigkeit erkannte, durch ihre tiefdunkle Farbe auf. Das schliesst natürlich nieht aus, dass in anderen Fällen kranke Fische abnorm hell sind, wenn nämlich die Krankheit mit Aufregungszuständen verbunden ist. Auch die Beobachtung Knauthe’s!), dass verschiedene Cyprinoiden und Hechte, die den Sommer über in unverhältnismässig grosser Zahl in einem nahrungs- armen Teich gehalten worden waren, im Herbst alle total mela- notisch geworden waren, wird wohl auf die Mattiekeit der „hoch- gradig abgemagerten“ Tiere zurückzuführen sein. So erklärt sich bei dieser Betrachtungsweise eine Reihe von Erscheinungen auf ein- fache Art. 2. Über die Fleckenzeichnung der Forellen. Der Kontraktionszustand, in welchem die Pigmentzellen vom Nervensystem aus erhalten werden, ist nicht am ganzen Körper der gleiche. In den dunkeln Flecken ?), welche die Forellen am Rücken und an den Seiten besitzen, sind die Chromatophoren viel stärker expandiert als in den hellen Zwischenräumen zwischen den Flecken; das fällt schon bei flüchtiger Betrachtung einer kleinen Forelle unter dem Mikroskop sofort auf. Kommt aber der dunkle Fleck nur durch die stärkere Expansion zustande oder auch durch eine reich- lichere Anhäufung von Pigmentzellen? An grösseren Tieren ist das schwer zu entscheiden, und ich benutzte daher die Gelegenheit, an jungen Forellen das Auftreten der Fleckenzeiehnung zu verfolgen, um darüber ins klare zu kommen. Solange die Fisehehen noch einen mächtigen Dottersack hatten, war von Flecken nichts zu erkennen, und unterm Mikroskop sah man die Pigmentzellen am ganzen Körper gleichmässig expandiert; erst mit dem Schwinden der Dottersäcke erschienen die Flecken. Ich fixierte®) nun von Zeit zu Zeit einige der Tierchen und zählte dann mit Hilfe eines Okularmikrometers, durch welches das Sehfeld in Quadrate geteilt wurde, die Pigmentzellen auf gleichgrossen Gebieten 1) Über Mechanismus bei Fischen. Zool. Anzeiger XV. Jahrg. 1892. 2) Ich meine die grossen Flecken, nicht die Tupfen. 3) Ein ausgezeichnetes Fixierungsmittel für die Pigmentzellen ist eine Mischung von zwei Teilen Alkohol 80% und einem Teil Formaldehyd 40%. 20% 338 Karl v. Frisch: innerhalb der Flecken und zwischen ihnen. Wo die Chromatophoren stark expandiert sind, kommt man beim Zählen häufig in Zweifel, ob man eine selbständige Zelle oder nur einen Teil einer solchen vor sich hat; die Piementzellen scheinen sich ja oft, wenn sie aus- gebreitet sind, mit ihren Fortsätzen zu vereinigen, tun es vielleicht auch wirklich; es ist daher, wenn man zuverlässige Resultate be- kommen will, notwendig, die Pigmentzellen vor der Fixierung zur Kontraktion zu bringen, daun kann man sie auch in den dunkeln Flecken leicht auseinanderhalten; man braucht dazu nur das Fischehen einige Minuten auf weissen Untergrund zu versetzen. Es stellte sich heraus, dass in den ersten Wochen zwischen den dunkeln Flecken und den hellen Zwischenräumen keine Differenz in der Zahl der Pigmentzellen besteht; die Flecken sind zu dieser Zeit nur durch stark expandierte Zellen veranlasst, das Zeichnungsmuster ist keine morphologische, sondern eine physio- losische Eigenschaft. Das ändert sich aber später. So erhielt ich beispielsweise noch bei einer ca. 14 Tage nach dem Auftreten der Flecken fixierten, 2 em langen Forelle folgende Zahlen für gleich- grosse Hautbezirke: Dunkler Fleck Heller Zwischenraum 57 97 116 114 109 | 104 Es geben in den Tabellen die nebeneinanderstehenden Ziffern die Anzahl der Chromatophoren in zusammengehörigen, d. h. be- nachbarten Flecken und Zwischenräumen an. Bei einer anderen Forelle, die erst 7 Wochen nach dem Er- scheinen der Flecken fixiert worden war und eine Länge von fast 3 em hatte, bestand schon ein deutlicher Unterschied: Dunkler Fleck Heller Zwischenraum 87 68 92 68 100 8 Und viel beträchtlicher war der Unterschied bei einem noch etwas älteren, ca. 3!/ge em langen Tier: Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 339 Dunkler Fleck Heller Zwischenraum 59 39 56 29 55 38. Doch sind auch dann noch die Pigmentzellen in den Flecken viel stärker expandiert, und dieser Umstand ist wohl für die Färbung von grösserer Bedeutung als die Zahlenverhältnisse der Zellen. Dies die Tatsachen. Auf ihre Deutung kommen wir zum Schluss zurück (S. 383). 38. Die Wirkung der Anämie und des Druckes. Man hat an versehiedenen Tieren die Erfahrung gemacht, dass Anämie die Pigmentzellen zur Kontraktion bringt. Ich erinnere an folgenden Versuch, der von Biedermann!) stammt: Durch- trennt man am Bein eines Frosches über dem Knie alle Weichteile bis auf die Arterie und die grosse Vene und klemmt nun die Arterie ab, so beginnt nach einiger Zeit das Bein, soweit es anämisch ge- macht ist, sich aufzuhellen; lässt man das Blut wieder zutreten, so breiten sich die Melanophoren wieder aus, und so lässt sich dureh zeitweises Abklemmen der Arterie das Bein beliebig oft hell und wieder dunkel machen. Auch bei den Fischen hat Anämie die gleiche Wirkung. Dies bemerkte ich zuerst, als ich einigen Pfrillen, um die Regeneration des Sympathieus längere Zeit hintanzuhalten, hinter der Rückenflosse ein Stückchen der Wirbelsäule exzidierte; zunächst trat natürlich, als Folee der Sympathieusdurchschneidung‘, Verdunkelung des Schwanzteiles ein. Ich gestehe, dass ich überrascht war, als am nächsten Tag bei allen operierten Tieren der Körper kaudal von der Wunde ganz weiss war; und am zweitnächsten Tag war ich abermals überrascht, denn nun war der Schwanzteil wieder schwarz. So blieb er. Um diese Erscheinung hervorzurufen, genügt es, wenn man die Wirbelsäule einfach durchschneidet oder das Rückenmark und den Inhalt des Hämalkanals durchtrennt; manchmal tritt sie auch ein, wenn man nur den letzteren zerstört. In den ersten Stunden nach der Operation bleibt der Schwanzteil tiefdunkel, dann beginnt die Anämieaufhellung. Dass wirklich die Anämie die Ursache ist, 1) Pflüger’s Arch. f. d. ges. Phys. Bd. 51. 1892. 340 Karl v. Frisch: geht daraus hervor, dass in allen Fällen, wo die Weissfärbung ein- trat, die Blutzirkulation im Schwanzteill vollständig unter- brochen war; man kann sich über den Stand der Zirkulation leicht unterrichten, indem man bei schwacher Vergrösserung unterm Mikroskop die Schwanzflosse beobachtet. Wenn aber die Aufhellung unterbleibt, was bei der einfachen Sympathieusdurchtrennung die Regel ist, ist zwar die Zirkulation infolge der Zerstörung der grossen Gefässe herabgesetzt; es finden sich aber doch an jedem Flossen- strahl Gefässe, in denen das Blut in normaler, lebhafter Strömung ist. Offenbar gelangt es auf kollateralen Bahnen nach rückwärts. Tritt Anämieaufhellung ein, so nimmt sie fast bis zu völliger Weiss- färbung zu (vel. Taf. IV Fig. 3 und Taf. V Fig. 10). Diese geht, wie schon erwähnt, nach einem Tag wieder in eine Dunkelfärbung über, und die mikroskopische Betrachtung lehrt, dass sich die Pigmentzellen wieder stark expandiert haben. Sie können aber jetzt durch elektrische Reize nicht mehr zur Kontraktion gebracht werden, während dies an paralysierten Chromatophoren, die von der Blut- zirkulation nicht ganz abgeschnitten sind, oder auch bei völlig anämischen vor Eintritt der Anämieaufhellung leicht gelingt. Auch längeres Reizen mit so starken Strömen, dass schon sekundenlanges Anlegen der Elektroden an einer normalen Körperstelle lokale Auf- hellung hervorruft, bleibt ganz erfolglos. Die Pigmentzellen sind also offenbar tot. Der ganze Schwanzteil wird später nekrotisch, und wenn er schliesslich abfällt oder das Tier stirbt, ändert sich doch nichts an seiner Dunkelfärbung. Die Anämieaufhellunge kann man auch an unverletzten toten Fischen beobachten. Sie ist ganz unabhängig vom Zentralnerven- system; das folgt schon aus den obigen Versuchen und auch daraus, dass sie durch Zerstörung des Rückenmarks nicht gehindert wird. Auch hier bemerkt man nach längerer Zeit, beim Absterben der Zellen, eine abermalige Expansion. Deutlich sah ich das an einer toten Forelle, undeutlicher ist es bei den Pfrillen, die dauernd hell bleiben; doch zeigt ein Vergleich von zwei Hautstücken, die vom selben Tier bald nach Eintritt der Anämieaufhellung und einige Stunden später genommen wurden, dass auch bei diesen die Tendenz zu nachheriger Expansion besteht, und denselben Eindruck hat man bei makro- skopischer Betrachtung, die reine hellgelbe Farbe geht in eine schmutziggraue über. Dass die Expansion keine so vollständige wird wie bei anämischen Teilen lebender Pfrillen, mag damit zusammen- Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 341 hängen, dass bei den toten nieht wie bei herumschwimmenden Tieren die Haut stets mit frischem Wasser in Berührung kommt, und dass so die Gewebe rascher absterben und sich zersetzen. Wieviel Zeit bis zum Beginn der Anämieaufhellung verstreicht, hängt stark von der Temperatur ab. Während sie bei den Pfrillen im Winter bei Zimmertemperatur erst nach S—10 Stunden kam, begann sie im Sommer an warmen Tagen schon nach 2—3 Stunden. Um mich zu vergewissern, dass daran die veränderte Temperatur schuld ist, tötete ich eine Anzahl Pfrillen und gab sie unter sonst gleichen Bedingungen, teils in Wasser von Zimmertemperatur (20 ° C.), teils in solches, das durch Eis auf S—12° abgekühlt war. In dem warmen Wasser waren nach 4'/a Stunden (wahrscheinlich schon früher) alle Tiere vollständig aufgehellt, im kalten Wasser waren sie noch nach 8!/s Stunden dunkel; am nächsten Tag waren sie aufgehellt. Schon Biedermann!) hat sich gefragt, ob nicht die mit der Anämie verbundene Verminderung der Sauerstoffzufubr oder die Anhäufung der Kohlensäure in deu Geweben an der Pigment- ballung schuld sei. Er untersuchte von diesem Gesichtspunkt aus die Wirkung der Dyspnöe und Asphyxie und fand, dass die Kohlen- säure nicht nur nicht im Sinne einer Kontraktion, sondern sogar im Sinne der Expansion auf die Melanophoren wirkt. Es schien also die Verminderung der Sauerstoffzufuhr das Wesentliche zu sein. An toten Pfrillen, welche an der Wasseroberfläche schwammen, fiel mir oft auf, dass zu einer Zeit, wo der ganze übrige Körper schon in voller Anämieaufhellung stand, jene Hautpartie, die mit der Luft in Berührung oder nur von einer dünnen Wasserschicht bedeckt war, sich scharf als dunkler Fleck abhob. Beim Liegen an der Luft nehmen die Fische eine so prachtvoll dunkle Farbe an, wie man sie bei lebenden Tieren nur sehr selten, unter bestimmten Bedingungen, zu sehen bekommt. Diese und andere Umstände sprechen dafür, dass der Sauerstoffmangel bei der Anämieaufhellung der wirksame Faktor ist. Auch die Beschleunigung des Phänomens durch erhöhte Temperatur ist so leicht verständlich, denn warmes Wasser ist ärmer an Sauerstoff als kaltes und die Sauerstoffzehrung im über- lebenden Gewebe bei hoher Temperatur eine viel intensivere. Noch manches andere liesse sich aufzählen, das in diesem Sinn zu deuten ist, so ein auffallend rasches Erscheinen der Anämieaufhellung bei einer jebenden Pfrille, der die Wirbelsäule durchschnitten worden war. und Melrc: 342 Karl v. Frisch: die sich in sehr sauerstoffarmem Wasser befand; doch will ich statt ge- legentlicher Beobachtungen lieber einen exakten Versuch ins Feld führen: Ich tötete neun Pfrillen und gab sie je zu dritt in drei gleiche Gefässe mit Wasser, von denen das eine offen stehen blieb, während die beiden anderen verschlossen wurden und im einen durch das Wasser ein langsamer Strom von Sauerstoff, im anderen ein eben- soleher von reinem Stickstoff geleitet und so der Sauerstoff aus dem Wasser verdrängt wurde. Die erste, vom Rückenmark ausgehende postmortale Aufhellung stellte sich bei allen neun Fischen in der gewohnten Zeit, nach etwa einer halben Stunde, ein. Während sie aber bei den sechs Tieren, die sich in gewöhnlichem und in sauer- stoffreichem Wasser befanden, auch in normaler Weise verschwand, d. h. nach ca. 20 Minuten einer Verdunklung wich, ging sie bei den Stickstofftieren direkt in die Anämieaufhellung über. Es trat zwar zur selben Zeit wie bei den anderen eine Verdunklung ein, diese verbreitete sich aber nicht mehr, wie bei den anderen, über den ganzen Körper, sondern war auf einzelne Flecken beschränkt, während der grösste Teil des Körpers weiss blieb. Auch diese dunkeln Flecken hatten sich zwei Stunden nach Beginn des Ver- suchs aufgehellt. Von den drei Tieren, die im gewöhnlichen Wasser lagen, hellte sich eines nach 3!/s, ein zweites nach 4'/e, das dritte nach 6 Stunden auf; von den drei mit Sauerstoff durchströmten zwei nach 6 Stunden, das dritte nach 7!/e Stunden. Ein zweiter, analoger Versuch hatte ein analoges Resultat. Es scheint mir dem- nach sichergestellt, dass Sauerstoffmangel Pigmentballung verursacht, und dass auf ihn die Anämieaufhellung zurückzuführen ist. Aber auch eine andere Erscheinung hängt damit innig zusammen. Es ist bereits seit langem bekannt, dass Druck lokal auf- hellend wirkt. Schon Siebold!) ist es aufgefallen, dass tote, dunkel gefärbte Forellen, die er längere Zeit in einem Fischnetz getragen hatte, auf ihrer Haut einen hellen Abdruck der Netzmaschen er- kennen liessen, und dass auch sonst häufig tote Fische nur da aus- bleichen, wo sie gegen harte Gegenstände gedrückt werden. Auch ich musste diese bei Versuchen oft störenden Folgen von ausgeübtem Druck kennen lernen, als ich zu bestimmten Zwecken kleine, ca. 2!/g cm lange Forellen in einem Ziegler’schen Durch- strömungskompressorium durch leichtes Quetschen zwischen den zwei 1) Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. W. Enge}/mann, Leipzig 1868. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 343 Glasflächen festzuhalten suchte. Will man die Druckwirkung schön sehen, so braucht man nur eine kleine Forelle zu töten und ziemlich stark im Kompressorium zu quetschen. Dann ziehen sich nach ca. 10 bis 12 Minuten die Pigmentzellen in den gedrückten Hautteilen ziemlich rasch zusammen, so stark, dass nach kurzer Zeit die Haut daselbst weiss erscheint, während die Farbe überall da, wo die Haut mit dem Glas nicht in Berührung ist, also am Rücken und am schmalen Hinterkörper, wenn das Tier seitlich komprimiert wurde, von jedem unbefangenen Betrachter als schwarz bezeichnet werden wird. Die Grenze ist eine ganz scharfe. Auf Taf. IV Fig. 4 ist eine mikrophotographische Aufnahme der Haut einer derart behandelten kleinen Forelle wiedergegeben. Sie zeigt bei 34facher Vergrösserung die Grenzzone zwischen der gedrückten und nicht gedrückten Partie, und man kann sich hier vom grossen Gegensatz im Expansions- zustand der Melanophoren überzeugen. Womit haben wir es hier zu tun? Etwa mit einer mechanischen Erregung der Pigmentzellen durch derart konstanten Druck? Das kam mir nicht sehr wahrscheinlich vor; vielmehr vermutete ich, da ich den grossen Einfluss des Sauerstoffs kannte, dass dieser an dem Druckefiekt wesentlich beteiligt sei, und ein genaueres Zusehen, unter welehen Bedingungen die Druckwirkung zustande kommt, konnte mich darin nur bestärken. Die Wirkung ist nicht nur an toten, sondern auch an lebenden Tieren zu beobachten; doch muss dann der Druck ein ziemlich starker sein, sonst ist er erfolglos. Es hellte sich z. B. eine lebende Pfrille, der ich ein kurzes Stückchen Gummischlauch überstülpte, rach längerer Zeit unter dem Gummiring vollständig auf, während sie am übrigen Körper dunkel blieb; der Ring war aber so eng, dass er beträchtlich einschnürte und so gewiss die Blutzirkulation, somit die Sauerstoffversorgung der gedrückten Hautpartie wesentlich hinderte. Dagegen hat gelinder Druck beim lebenden Tier für die Färbung gar keine Konsequenzen, sehr wohl aber beim toten Tier, wo keine Blutzirkulation mehr, also auch keine Sauerstoff- zufuhr von innen her stattfindet. Das geht aus folgendem Versuch hervor: Ich stülpte einer Pfrille ein kurzes (1 cm langes) Stückchen Glasrohr über, das so enz war, dass es eben nicht abgeworfen wurde; es schnürte mässig stark ein, so dass die Zirkulation wohl vielleicht beeinträchtigt, aber gewiss nicht unterbrochen war. Der Fisch nahm eine dunkle Färbung an und behielt sie in den nachsten 1'/ı Stunden, Sal Karl v. Frisch: und zwar auch unter dem Glasring. Ich entfernte nun den Rine. Am nächsten Tag tötete ich das Tier, wartete den Vorübergang der ersten postmortalen Aufhellung ab und brachte, nachdem die Haut wieder ganz dunkel geworden war, denselben Glasring an derselben Stelle wie gestern an. Schon nach 20 Minuten war deutliche, nach weiteren 10 Minuten einheitliche Aufhellung unter dem Ring ein- getreten, während der übrige Körper noch dunkel blieb. Dass an toten Fischen bei starkem Druck die Aufhellung rascher eintritt als bei schwachem, ist für unsere Ansicht keine Schwierigkeit; denn der in den Geweben vorhandene Sauerstoff wird um so schneller verbraucht sein, je vollständiger die Gewebssäfte von der betreffenden Stelle verdrängt sind. Ich erwähne noch, dass die hellen Flecken sich bald wieder verdunkeln, wenn der drückende Gegenstand ent- fernt wird. Die soeben angeführten Versuche halte ich nicht für beweisend, da man sie auch anders deuten könnte. Entschieden scheint mir die Sache dadurch zu werden, dass zum Hervorbringen der „Druck- wirkung“ gar kein Druck nötig ist. Bringt man eine getötete Pfrille in einer feuchten’ Kammer unter, so dass ihre Haut mit Luft in Berührung, aber vorm Vertrocknen geschützt ist, und legt man ihr an einer Stelle ein Stückchen Filtrierpapier auf, daneben aber. ein Stückchen Papier, das mit Paraffıin durehtränkt worden und dadurch für Luft undurchlässig gemacht ist, so entsteht nach !/,—?/ı Stunden (die absoluten Zeiten können natürlich variieren, es kommt nnr auf das Verhältnis an) unter dem Paraffınpapier ein lichter Fleck, der schliesslich ganz hell wird, wie ein richtiger Druckfleck, zu einer Zeit, wo nebenan unter dem luftdurchlässigen Filtrierpapier die Haut noch völlie dunkel ist. Dieses Stadium stellt die Zeichnung auf Taf. IV Fig. 5 dar. In a war das’viereckige Stückchen Paraffinpapier aufgelegt, in D gibt die punktierte Linie die Grenzen des Filtrier- papiers an. Lässt man die Papiere liegen, so hellt sich später, nach etwa 1!/s Stunden, die Haut auch unterm Filtrierpapier auf, wo ja der Luftzutritt zwar nicht abgeschnitten, aber doch behindert ist. Dagegen bleibt sie noch lange dunkel, wo sie mit der Luft in direkter Berührung steht. Ä Es ist zum Hervorrufen dieser Erscheinung nicht nur kein nennenswerter Druck, sondern nicht einmal eine Berührung nötig. So hellte sich z. B. eine: tote Pfrille, die in einem Gefäss mit Wasser an einem festen Gegenstand angelehnt lag, nicht nur an der Be- Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 345 rührungsstelle, sondern auch in weiterer Umgebung auf, und zwar gerade so weit, als nur eine dünne Wasserschicht zwischen der Körperoberfläche des Tieres und dem Gegenstand Platz hatte, während an der übrigen Körperoberfläche, die mit dem Wasser frei kommuni- zieren konnte, die Pismentballung eıst viel später eintrat — als sosenannte Anämieaufhellung. So sehen wir die Anämieaufhellung mit jener auf die Wirkung des Druckes zurückgeführten Aufhellung durch alle Übergänge ver- bunden und werden nicht fehlzehen, wenn wir in beiden Fällen den Sauerstoffmansel als den gemeinsamen wirksamen Faktor ansehen. Die besprochenen Reizerscheinungen gehören zu jenen, die ge- wiss als rein lokal und vom Zentralnervensystem unabhängig zu betrachten sind, und -von denen schon in der Einleitung bemerkt wurde, dass es meistenteils unentschieden ist, ob eine direkte Erregung der Chromatophoren vorliegt oder eine indirekte, durch periphere Ganglien- oder Nervennetze vermittelte. Plausibler scheint mir das erstere; aber sicher ausgeschlossen ist die andere Möglich- keit, soviel ich weiss, bisher nur für die Erregung der Chromato- phoren durch Licht [Steinach!) und Hertel?)]. Ich glaube, man braucht aber auch bei der durch Sauerstoffmangel veranlassten Pigmentballung nicht darüber in Zweifel zu sein, dass in den Chromatophoren selbst der Angriffspunkt des Reizes liegt, und zwar auf Grund einer einfachen Überlegung. Es wirkt nämlich bei den Cephalopoden der Sauerstoffmangel in gleicher Weise aufhellend wie bei den Wirbeltieren. Zum Beleg sei ein Versuch von Hofmann) angeführt: Er spannte ein grösseres Stück Haut von einem Oktopus über einen Korkrahmen und legte sie so auf eine Glasplatte, dass die Innenfläche der abpräparierten Haut dem Glas anlag. „Nun wurde auf die nach oben gekehrte Aussenfläche der Haut ein feines Deckegläschen gelegt. Nach !/ı bis !/s Stunde war die Haut unter dem Deckgeläschen vollständig aus- gebleicht, während die Umgebung unverändert dunkel geblieben war. 1) Über Farbenwechsel bei niederen Wirbeltieren, bedingt durch direkte Wirkung des Lichtes auf die Pigmentzellen. Zentralbl. f. Physiol. Bd.5. 1892. 2) Einiges über die Bedeutung des Pigmentes für die physiologische Wirkung der Lichtstrahlen. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 6 8. 4—70. 1907. 3) Über einen peripheren Tonus der Kephalopoden - Chromatophoren und über ihre Beeinflussung durch Gifte. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 118 S. 413—451. 1907. 346 Karl v. Frisch: Dass es sich hierbei nicht etwa um eine Druckwirkung des sich kapillar festsaugenden Deckgläschens handelte, ging .... schon daraus hervor, dass ein ca. 1 mm breiter Saum vom Rande des . Deekgläschens ab, also offenbar so weit, als Sauerstoff herein- diffundieren konnte, dunkel blieb. Noch schöner aber liess sich der maassgebende Einfluss der O-Versorgung dadurch demonstrieren, dass man unter dem Deckgläschen eine Luftblase mit einschloss. Unter dieser erhielt sich dann noch lange ein dunkler Fleck, während die Umgebung längst abgeblasst war.“ Nun ist aber bekanutlich der Mechanismus der Chromatophorenbewegung bei den Kephalo- poden ein ganz anderer als bei den Wirbeltieren, da bei ihnen die Expansion der Pigmentzellen durch glatte Muskelfasern bewerkstelligt wird, die sich ringsum an der Peripherie ansetzen und, wenn sie sich kontrahieren, die Zelle flächenhaft ausbreiten. Erregung der pigmentomotorischen Nerven eibt hier Pigmentexpansion, bei den Wirbeltieren aber Pigmentkontraktion. Somit müsste, wenn die Pigmentballang durch Sauerstoffmangel dadurch hervorgebracht würde, dass die Nerven in der Haut in Erregung geraten, die Wirkung bei Kephalopoden und Wirbeltieren eine entgegengesetzte sein. Dass sie tatsächlich dieselbe ist, kann man wohl als Beweis dafür ansehen, dass nicht nur das zentrale, sondern auch das peri- phere Nervensystem an dem Effekt unbeteiligt ist. 4. Chemische Einflüsse. Iım Anschluss an die Sauerstoffwirkung seien hier zwei gelegent- liche Beobachtungen kurz erwähnt: Pfrillen und Karauschen, die zur Vornahme einer Operation mit Chloralhydrat betäubt wurden, waren in der Betäubung tiefdunkel gefärbt, wahrscheinlich infolge einer Lähmung der Pigment- zellen selbst; denn bei einigen Karauschen, die in dem mit Chloral- hydrat versetzten Wasser liegen geblieben waren, fiel mir auf, dass die Anämieaufhellung ausblieb. Bei Versuchen, die ich später anführen werde, lag mir daran, an Pfrillen die Kopfhaut für sensible Reize unempfänglich zu machen, und ich wollte das durch Bepinseln mit einer 5°/oigen Lösung von Kokain erreichen. Dabei sah ich, dass dieses die Chromatophoren lähmt; die bepinselten Hautstellen wurden in kürzester Zeit dunkel, wo immer am Körper sie gelegen waren, und blieben so etwa zehn Minuten lang. Dagegen wurden die Fische am ganzen übrigen Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 347 Körper auffallend bleich, und diese Wirkung hielt stundenlang an. Auch wenn man sie auf schwarzen Untergrund stellte, wurden sie im Gegensatz zu normalen Tieren nicht dunkel. Es sind an dieser Erscheinung offenbar die geringen Mengen Kokain schuld, die an der bepinselten Stelle von der Haut aufgenommen und durch die Gefässe dem Zentralnervensystem zugeführt werden. Dass von diesem die abnorme Erregung ausgeht, folgt daraus: Behandelt man eine Pirille tüchtig mit Kokain, entweder durch Bepinseln der Haut oder durch Injektion in der Bauchhöhle, und durchschneidet ihr, nachdem sie hell geworden, den Sympathieus, so wird der paralysierte Körperteil wie gewöhnlich maximal dunkel, während die Haut, soweit die Ver- bindung ihrer pigmentomotorischen Fasern mit dem Zentralnerven- system aufrechterhalten ist, maximal hell bleibt. Es ist dabei für den Effekt belanglos, ob man den Sympathieus im Hämalkanal oder vorn, kranial vom 15. Wirbel, durchtrennt; im letzteren Fall ist der Versuch reiner, weil die Zirkulation in der verdunkelten Partie er- halten bleibt. 5. Über die Erregbarkeit durch mechanische Reize. -v. Siebold!) erzählt, dass man durch mechanische Reize, z. B. Reiben mit dem Messerrücken, selbst an toten Fischen die Chromatophoren in Erregung versetzen, und zwar zur Ausdehnung bringen kann. Da man stellenweise auch in neueren Arbeiten ähn- lichen Bemerkungen begegnet, ist es vielleicht nicht überflüssig, diese „mechanische Erreebarkeit“ etwas näher zu betrachten. Nach allem, was wir von den Pigmentzellen der Wirbeltiere wissen, entspricht ihr Erreguneszustand der Pigmentkontraktion, und es wäre doch sonderbar, wenn mechanische Reize im Sinn einer Ex- pansion wirken könnten. Tatsache ist, dass man an toten Pfrillen, die sich im Stadium der Anämieaufhellung befinden, mit einer Präpariernadel durch leichtes Hinstreichen über die Haut lokal, d. h. an den berührten Stellen, dauernde Verdunklung erhält; man kann so die ver- schwundene Fleckenzeichnung wieder zum Verschein bringen. Der Effekt tritt so momentan ein, dass das Bild ganz dasselbe ist, wie wenn man mit einem Bleistift über weisses Papier streicht. Der Versuch hat bei lebenden Fischen dieselbe Wirkung, und diese U) Ib 348 Karl v. Frisch: ist auch hier eine dauernde, d. h. die so entstandene lokale Ver- dunklung bleibt stunden-, ja tagelang bestehen. Schon diese beiden Umstände: das rasche Eintreten und die lange Dauer der Expansion machen es unwahrscheinlich, dass es sich um eine Erreeung im gewöhnlichen Sinn handelt. Auch wird das Auftreten dieser Ex- pansion nicht im gerinesten beeinträchtigt, wenn man gleichzeitig durch Reizung des verlängerten Marks mit starken elektrischen Strömen die Pigmentzellen lebhaft in entgegengesetzter Richtung beeinflusst. Die Erscheinung wird vielmehr rein physikalisch zu erklären sein, durch ein mechanisches Auseinanderdrücken der ge- ballten Melanophoren. Unter der Lupe oder von einen. kurzsichtigen Auge besehen entpuppt sich der dunkle Strich als ein schmaler heller Streifen, der jederseits von einem dunkeln Streifen eingefasst ist. Und betrachtet man die Stelle im Mikroskop, so erkennt man, dass das Pigment von (der Mitte nach beiden Seiten gedrängt worden ist, wie eine Furche und zwei Wellen im Sand entstehen, wenn man mit einem Stock hindurchfähr. Zum Teil hat sich diese Ver- schiebung innerhalb der Chromatophoren vollzogen, zum Teil aber sind die Pigmentkörnchen diffus zerstreut, offenbar durch Platzen von Zellen oder ihrer Fortsätze aus ihnen frei geworden, und dies erklärt, warum die dunkeln Striche so lange nicht verschwinden. Damit soll nicht gesagt sein, dass die Pigmentzellen für me- chanische Reize unerregbar sind, aber wenn sie reagieren, werden sie es durch Kontraktion tun und vielleicht nur indirekt, durch die mechanische Erregung der peripheren Nerven. So mag auch manchmal ein heftiger Druck als mechanischer Reiz in Betracht kommen und Aufhellung veranlassen; dies hat aber dann nichts zu tun mit jenem früher besprochenen Phänomen, das bisher als Druck- wirkung geschildert wurde. 6. Der Einfluss der Augen auf die Färbung. a) Operative Eingriffe. In neuester Zeit hat man gefunden, dass Hechte (Esox. lucius L.) und Bartgrundeln (Schmerlen, Nemachilus barbatula L.), wern sie geblendet wurden, eine stark dunkle Farbe annahmen und nach einigen Wochen auch an ihrer sonst unpigmentierten Bauch- seite Pigmentzellen auftraten. bei den Hechten hauptsächlich als Fortsetzung der dunkeln Querbänder der Oberseite, die von beiden Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 349 Seiten auf den weissen Bauch übergriffen und sich schliesslich auf ihm vereinigten!). In der Erwartuug, über die Ursache dieses sonderbaren Verhaltens etwas zu erfahren, habe ich eine Anzahl anderer Fischarten, vornehmlich Ellritzen (Phoxinus laevis L.), Karauschen (Carassius vulgaris Nilss.) und Forellen (Salmo fario L.) daraufhin untersucht; da zeigte sich, dass es sich durchaus nicht um eine allgemeine Eigen- schaft der Fische handelt, «denn bei keiner der untersuchten Arten trat eine derartige Pigmentvermehrung ein. Ich kann daher, wegen mangelnder Erfahrung, jene Erscheinung nicht weiter diskutieren und möchte nur bemerken, dass es mir bedenklich scheint, das Auf- treten der Bauchpigmentierung direkt auf den Fortfall der Seh- funktion zurückzuführen, wie dies geschehen ist. Es könnte sich sehr gut um eine indirekte Wirkung handeln. Die schon einmal zitierte Beobachtung Knauthe’s über die auffällig dunkle Färbung von Fischen, die eine längere Hungerkur hinter sich hatten, mahnt zur Vorsicht. Er sagt: „Jetzt, beim Befischen dieser Pfützen, erhalte ich nur noch hochgradig abgemagerte, total melanotische Tiere, so- gar die Bäuche der Karpfen, Karauschen, Gründlinge, Moder- lieschen, Scehmerlen und Hechte sind mit schwarzem Pigment übersäet?), und das noch in Wässern, wo sich sonst ganz entschieden bei den Fischen Neigung zu beeinnendem Albinis- mus zeigt.“ Also auch Schmerlen und Hechte, die normalerweise unpigmentierte Bäuche haben, und bei denen eben das Auftreten der Bauchpigmentierung nach Blendung festgestellt wurde, bekamen hier pigmentierte Bäuche infolge eines andauernden Hungerzustandes bei erhaltener Sehfunktion. Erwägen wir, dass die nächste Folge der Blendung eine anhaltende Expansion der Pigment- zellen ist, setzen wir in jenem anderen Fall statt Hungerzustand Schwächezustand und erinnern wir uns, dass auch Schwäche die Expansion der Pigmentzellen verursacht (vel. S. 337), so werden wir vielleicht in dieser Richtung eine Erklärung suchen können, besonders wenn sich die Vermutung von Keeble und Gamble?) 1) Mayerhofer, Farbwechselversuche am Hechte. Arch. f. Entwicklungs- mechanik Bd. 28 S. 546—560. 1909. — Seterov, Farbwechselversuche an der Bartgrundel. Arch. f. Entwicklungsmechanik Bd. 28 S. 629—660. 1909. 2) Von mir gesperrt. 3) The colour physiology of higher crustacea. Philos. Transaciions of the Royal Society of London. Series B vol. 196. London 1904. 350 Karl v. Frisch: bestätigt, dass dauernde Expansion der Pigmentzellen die Pigment- bildung fördere, dauernde Kontraktion sie aber hemme (vel. S. 365). Hatte bei meinen Versuchstieren die Blendung auch nicht den erwarteten Erfole, so war sie doch nicht ohne Erfelg. Die Reaktion ist bei den Cyprinoiden nicht ganz die gleiche wie bei den Salmoniden, und diese beiden Familien sollen daher getrennt be- sprochen werden. Zunächst ein paar Worte über die Methodik. Die Fische wurden in durchlüfteten Aquarien oder grossen Gläsern, ohne Pflanzen und Bodengrund bei Zimmertemperatur gehalten. Bei jedem Ver- such befanden sich natürlich, in einem eigenen Behälter unter gleichen Bedingungen untergebracht, eine Anzahl unangetastete „Vergleichs- tiere“. Gefüttert wurden die Cyprinoiden fast ausschliesslich mit Tubifex. Den blinden Tieren bereitet das Futtersuchen gar keine Schwierigkeit, sie lernen es rasch, sich den veränderten Umständen anzupassen; sobald sie durch eine Erschütterung aufmerksam werden, dass etwas vorgeht, schwimmen sie ziellos am Boden des Aquariums herum, das Maul an den Boden gedrückt, den Körper schief nach oben gerichtet, und suchen die Nahrung durch kräftige Inspirationen zu erlangen, wobei sie bei jedem Schnapper durch den Rückstoss in die Höhe geschnellt werden, was ein possierliches Schauspiel ist, wenn es eine grössere Schar zugleich macht. Die Salmoniden wurden in einem grossen Steintrog mit langsamem Wasserdurchfluss gehalten, die Versuchstiere einzeln in grossen Gläsern, die in den Steintrog eingesetzt und durch ein verzinktes Drahtnetz verschlossen waren, durch welches das Wasser frei kommunizieren konnte. Gefüttert wurden sie mit rohem Fleisch. Die jungen Forellen hielten sich sehr gut in kleinen Aquarien mit Wasserdurchfluss, bei Fütterung mit Tubifex. Die Exstirpation eines oder beider Augen bewirkt bei Pfrillen und Karauschen eine vorübergehende Dunkelfärbung am ganzen Körper, welche meist schon nach !/g Stunde deutlich zu erkennen ist, nachdem die Aufhellung, die sich als unmittelbare Folge des Eingriffs wie nach anderen psychischen Erregungen ein- gestellt hat, überwunden ist. Die Verdunklung nimmt in den nächsten Stunden zu, bei den Karauschen oft, namentlich am Rücken, bis zu einem tiefen Schwarz, während die Ellritzen überdies an den Seiten prachtvoll blaugrüne Schillerfarben zeigen, als sicheres Zeichen für die starke Expansion der Melanophoren. So bleiben sie Tage, oft Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 351 Wochen lang, um dann allmählich ihre frühere Farbe wieder an- zunehmen. Nach gleichzeitiger Entfernung beider Augen ist die Verdunklung eine ausgiebigere, sowohl an Intensität wie an Dauer, als nach der Entfernung nur eines Auges. Die Enukleation des Auges ist natürlich, wenn sie auch leicht überstanden wird, ein tiefer Eingriff, der nieht nur mit dem Wegfall der optischen Eindrücke, sondern durch Verletzung von Nerven und Gefässen auch mit anderen Störungen verbunden ist, und es musste daher zunächst festgestellt werden, welches Detail der Operation die Umfärbung verschuldet. Zehn Karauschen, denen ich einen oder beide Augenbulbi in der Augenhöhle ringsum losschälte, sodass sie nur noch durch die Nervi optiei mit ihrer Umgebung in Zusammenhang blieben, behielten in den nächsten Tagen völlig ihre normale Farbe. Dagegen war die Dunkelfärbung, was ihre Intensität und Dauer anlangt, genau die gleiche bei Karauschen, denen in der Augenhöhle nur der Nervus optieus vor seinem Eintritt in das Auge durchschnitten, wie bei solchen, denen das ganze Auge herausgenommen wurde. Ferner trat die Verdunklung auch ein, wenn die Augenhöhlen ganz intakt blieben, aber die Sehnerveukreuzung in der Schädelhöhle durehtrennt wurde, Dies geschah von oben, nach Eröffuung des Schädels, durch einen zwischen Vorder- und Mittelhirn geführten Schnitt. Anfangs, bevor ich die Lage des Chiasmias genau kannte, misslang der Schnitt bei manchen Tieren, und diese waren am nächsten Tag sofort an ihrer normalen Farbe zu erkennen. Die Sektion errab stets bei den normal gefärbten Karauschen ein unverletztes, bei den verdunkelten ein zerschnittenes Chiasma. Daraus ergibt sich, dass die blosse Schädel- eröffuung und die Verletzung des Gehirns für die Färbung belanglos sind, und dass es auf die Durchsehneidung der Sehnerven ankommt (zwölf Tiere, davon fünf mit teils absichtlich, teils unabsichtlich nicht durehsehnittenem Chiasma). Aber auch ohne Optieusdurchschneidung trat, wenn auch nicht starke, so doch deutliche Verdusklung ein, wenn den Karauschen von einem Auge der vordere Teil, Cornea und Iris, abgetragen wurde. Dass dies nicht etwa einer Zerrung des Optieus bei der Operation zuzuschreiben war, davou konnte ich mich — durch Zerrung des Opticus bei anderen Karauschen — mit Sicherheit überzeugen. Vielmehr geht aus diesem Versuch so recht die Abhängiekeit der Färbung von der Sehtüchtiekeit der Augen hervor; «denn diese freilick wird nicht nur vernichtet, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 23 352 Karl v. Frisch: wo immer in seinem Verlauf der Optieus zerstört wird, sondern sie wird auch beeinträchtigt, wenn das Augeninnere dem Wasser aus- gesetzt und so getrübt wird. Jedoch genügt, bei den Karauschen wenigstens, die Einschrän- kung oder der vollständige Ausfall der Gesichtsempfindungen nicht, um die Reaktion hervorzurufen — es :muss eine weitere Bedingung erfüllt sein, nämlich die Anwesenheit von Licht. Die Pigmentzellen der blinden Fische sind zwar dem Einfluss des Untergrundes entzogen, und es macht für die Färbung keinen Unterschied, ob man die Fische über schwarzen oder weissen Grund stellt; nicht gleichgültig aber, sondern in hohem Grade wirksam ist die In- tensität der Belichtung. Auf welchem Wege sich dieser Einfluss geltend macht, werden wir später sehen; hier sei nur erwähnt, dass Ellritzen, denen beide Augen exstirpiert sind, sich im Finstern binnen 1—3 Minuten am ganzen Körper sehr stark aufhellen und, ans Licht gebracht, schon nach !/g Minute deutlich, nach 1—3 Mi- nuten stark dunkel gefärbt -werden. Die gleiche Reaktion zeigen die Karauschen, nur vollzieht sie sich bei ihnen etwas langsamer, etwa binnen 5 Minuten. Belichtung wirkt also auf diese Fische, wenn sie geblendet sind, verdunkelnd. Zur Ergänzung der oben angeführten Experimente dient nun noch folgender Versuch: Nimmt man zwei Karauschen von gleicher Färbung, die sich auch auf schwarzem Untergrund in gleicher Weise verdunkeln (ein Kriterium, durch das man sich stets überzeugen soll, ob unter den Versuchsfischen keiner ist, der abnorm reagiert), und exstirpiert man in der Dunkel- kammer bei schwachem Licht dem einen Tier beide Augen und versetzt gleich darauf die zwei Fische unter Lichtabschluss, so zeigen sich, ‚ob man nun am nächsten Tag oder schon nach !/sz Stunde nachsieht, im ersten Moment der Belichtung beide Karauschen gleich gefärbt, sie sind beide hell. Aber schon nach wenigen Sekunden besteht eine deutliche Differenz; ob das normale Tier noch heller geworden oder das geblendete sich verdunkelt hat, ist zunächst schwer zu entscheiden. Doch bald kann man nicht mehr zweifeln, dass der blinde Fisch dunkler wird, und nach einigen Minuten hat er etwa den Grad der Dunkelfärbung erreicht, den er zur gleichen Zeit aufweisen würde, wenn die Operation am Tageslicht gemacht worden wäre. Der sehende Fisch aber, in den ersten Minuten der Belichtung auffallend hell, nimmt bald seine normale Farbe an. Die Erregung der Augen durch das Licht macht sich im Sinn einer Aufhellung geltend und Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 353 hält jener verdunkelnden Wirkung des Lichtes die Wagschale, ja hat in den ersten Minuten über sie das Übergewicht. Da nun nicht nur der Gegensatz zwischen Licht und absoluter Dunkelheit in Betracht kommt, sondern schon der Übergang in eine etwas andere Lichtintensität in der Färbung zum Ausdruck gelangt, wird man sich nicht darüber wundern, dass die Farbe der geblendeten Fische keine konstante ist, sondern mit den Lichtverhältnissen wechselt; die blinden Karauschen und Ellritzen, die sich an einem schönen, sonnigen Tag in tiefem Samtschwarz und prachtvollen blaugrünen Schillerfarben präsentieren, sind am Abend oder an trüben Tagen blass, wie ihre sehenden Kameraden. Darum ist es schwer, über den Verlauf der Dunkelfärbung, die als Folge der Augenexstirpation eintritt, genaue Angaben zu machen. Jene Fischehen, denen nur ein Auge enukleiert wurde, haben stets ihr normales Aussehen wiedergewonnen, so dass nach einiger Zeit ihre Färbung bei allen Beleuchtungsverhältnissen dieselbe war wie bei den Vergleichstieren. Die Zeit, die verstrich, bis dieser Zustand erreicht war, variierte bei den 19 Karauschen, von denen ich darüber Notizen habe, ungeheuer und betrug im Minimum 3 Tage, im Maximum 7 Wochen. In der folgenden Tabelle ist für die 19 Tiere der Tag resp. die Woche angegeben, wo die Dunkelfärbung gewichen war. Tage Wochen ı|213j#|5| 6 |7|j8| 9 Jao|ıılıalıs)1a]3|al5|6| 7 : | | | Karauschen Sehen ee Bei den Ellritzen war dagegen nach Entfernung eines Auges stets schon nach 3—5 Tagen die normale Färbung wieder erreicht (14 Tiere). Ist dies geschehen, so ändert sich daran nichts mehr. Ich habe einäugige Pfrillen monatelang unter Kontrolle gehabt und sie nie anders gefärbt gefunden als die Vergleichstiere. Das eine Auge leistet dasselbe wie früher die beiden. Die individuellen Verschiedenheiten, die schon nach der Ent- fernung eines Auges zum Vorschein kommen, sind in sehr ge- steigertem Maasse nach der Exstirpation beider Augen zu beobachten. Von den 20 total geblendeten Karauschen, deren Ver- halten ich näher verfolete, nahmen 13 Tiere wieder eine normale Farbe an, aber weniger rasch als die nur einseitig operierten, ; 23 * 354 Karlv. Frisch; . nämlich binnen 2—13 Wochen. Für die einzelnen Fische sind die Zeiten hier zusammengestellt; (eV) va ae = 0.10 a2 Karauschen . .|— | 1 || 2 | 5 2 u Aus dem oben erwähnten Grunde sind die Angaben nicht sehr genau. Tatsache ist, dass sie sich in den Wochen nach der Operation, nachdem sie rasch stark dunkel geworden waren, ganz allmählich wieder aufhellten und dann während der folgenden 7—8 Monate, solange ich sie beobachten konnte, meist ganz wie die Vergleichs- tiere gefärbt waren, zeitweise allerdings dunkler, namentlich an hellen Tagen, oder wenn man sie von ihrem Standort in der Mitte des Raumes ans Fenster nahm. Die übrigen sieben Karauschen benahmen sich anders. Eine von ihnen war nach etwa 3 Wochen normal ge- färbt und blieb so mehrere Wochen, dann wurde sie allmählich wieder dunkler. Bei vier anderen Karauschen hat eine wesentliche Aufhellung überhaupt nicht stattgefunden; auch bei ihnen unterliegt die Färbung Schwankungen, je nach der Lichtintensität, aber zwei von ihnen sind heute noch, 8 Monate nach der Exstirpation, sehr beträchtlich dunkler als die Vergleichstiere, und waren es die ganze Zeit über; bei den zwei anderen hat sich die Intensität der Dunkel- färbung im Laufe der Monate wohl noch gesteigert, sie sind jetzt tiefschwarz. Von den zwei letzten schliesslich war eine 2 Wochen, die andere 1 Woche verdunkelt. Die Aufhellung machte aber bei diesen nicht halt, als sie die normale Farbe erreicht hatten, sondern sie wurden noch lichter, und die eine war während der nächsten 8 Monate zeitweise, die andere fast konstant auffallend hell. Bei den beiderseits geblendeten Ellritzen wich die starke Ver- dunklung, die sich, wie bei den Karauschen, zunächst einstellte, gewöhnlich schon in der ersten Woche. Ihre Farbe bleibt dann normal, und da sich bei ca. 20 Pfrillen, denen beide Augen exstirpiert waren, binnen 5 Monaten keine wesentliche Änderung zeigte, ver- wendete ich die meisten zu anderen Versuchen und liess nur fünf am Leben, darunter eine, die — als einzige — seit der Operation dauernd dunkel zeblieben war und eine andere, die nun, 5 Monate nach der Operation, wieder duukel geworden war, nachdem sie monatelang eine normale Farbe gehabt hatte. Diese beiden blieben Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 355 in den nächsten Wochen dunkler als die anderen; eine starb nach einem Monat, die andere ist auch jetzt noch, 7 Monate nach der FExstirpation, stark dunkel. Dagegen hat sich jetzt, in den letzten Wochen, von den anderen geblendeten Pfrillen ein Tier abnorm auf- gehellt, es ist ganz bleich und durehscheinend. Fassen wir zusammen, was für Folgen bei den Karauschen und Pfrillen die vollständige Blendung hat, so zeigt sich zuuächst eine starke Verdunklune, weil die durch die Augen vermittelte aufhellende Wirkung des Lichtes weefällt und so jene andere, verdunkelnde Wirkung des Lichtes das Übergewicht erhält. Allmählich stellt sich aber das frühere Gleichgewicht im Kontraktionszustand der Pigment- zellen wieder her; nur besteht jetzt trotzdem ein grosser Gegensatz in der Färbung zwischen den geblendeten und den normalen Fischen, der vielleicht aus den wenigen oben angeführten Daten schon zu erkennen ist und der sofort in die Augen fällt, wenn man die Tiere vor sich sieht: es ist die grosse Übereinstimmung in der Farbe bei allen Normalen, und die Verschiedenheiten unter den Geblendeten — vorausgesetzt, dass sich alle auf einem Untergrund von gleicher Farbe und Helligkeit befinden. Da bei den blinden Fischen der reoulierende Einfluss der Augen weg- fällt, mögen Stimmungen und äussere Reize eine viel grössere Rolle spielen als sonst und daher wird es kommen, dass man hier und da bei einem oder dem anderen Tier eine Aufhellung oder Verdunklung antrifft, die nach einigen Tagen wieder vorübergeht und nichts zu tun hat mit der allgemeinen Verdunklung bei den Geblendeten, die sich als Folge stärkerer Belichtung z. B. an einem sonnigen Tag einstellt. Was aber jene dauernden Differenzen in der Färbung be- trifft, auf die wir bei einzelnen Exemplaren gestossen sind, so glaube ich, dass sie zum Teil auf individuelle Verschiedenheiten in der Pigmentierung zurückzuführen sind, die von vornherein vorhanden waren, aber unter dem regulierenden Einfluss der Augen, der die Färbung des Tieres mit der Farbe des Untergrundes in möglichster Übereinstimmung bält, nicht hervortreten konnten. In einigen Fällen war schon vor der Operation eine Färbungsdifferenz zu erkennen, und diese nahm nach der Blendung bedeutend zu. Vielleicht ist auch zum Teil ein zufälliges Variieren der Färbung schuld, dem nun nicht mehr wie früher durch die Kontrolle der Augen Schranken gesetzt sind und das sich so, wenn es einmal nach der einen oder andern Richtung begonnen hat, allmählich steigern mag. 356 Karl v. Frisch: Bei den Salmoniden hat die Exstirpation beider Augen im wesentlichen denselben Effekt wie bei den Cyprinoiden. Bach- forellen (Salmo fario L.) und Saiblinge (Salmo salvelinus L.) wurden unmittelbar nach der Operation am ganzen Körper dunkel, und zwar wohl nur infolge des Ausfalles der von den Augen aus- gehenden aufhellenden Wirkung und weniger durch einen positiven, verdunkelnden Einfluss des Lichtes, wie die Karauschen, denn ein soleher spielt bei den Salmoniden nur eine unbedeutende Rolle. Bei den Forellen pflegte die Verdunklung am Tag nach der Operation noch wesentlich stärker zu sein als in der ersten Stunde. Auch hier sehen wir die Dunkelfärbung längere Zeit andauern, ohne dass die Fähigkeit des Farbwechsels verloren gegangen wäre; denn schon bald nach der Operation gelingt es meist leicht, bei den Fischen starke Aufhellung hervorzurufen, wenn man sie durch irgend etwas in Erregung versetzt. Und auch hier sehen wir Färbungsunterschiede die schon vorher zu erkennen waren, nach der Blendung in ge- steigertem Maasse zum Ausdruck kommen. Im allgemeinen bleiben die Forellen mehrere Wochen tiefdunkel und wurden nach 1—2 Mo- naten lichter, so dass die roten und schwarzen Tupfen wieder her- vortraten; und wenn sie nun auch gelegentlich recht hell werden können, so fehlt doch die Fähigkeit der Anpassung an den Unter- grund, und darum wird eine blinde Forelle, die auf hellem Grund steht, fast immer durch ihre dunkle Farbe auffallen. Bei zwei Saib- lingen stellte sich nach der Blendung rascher als bei den Forellen die Aufhellung ein, sie hatten schon nach wenigen Wochen ihre normale Farbe wiedererlangt. Einen überraschenden Anblick gewährt hingegen eine Forelle, der nur ein Auge exstirpiert worden ist. Er ist auf Tafel V Fig. 13 wiedergegeben. Schon Pouchet!) gibt in einer Mitteilung, die mir leider nicht zugänglich war, an, dass bei Forellen die Enukleation eines Auges eine Dunkelfärbung der gegenüberliegenden Seite zur Folge hat. In seiner zusammenfassenden Arbeit?) über den Farbwechsel, die im selben Jahr erschien, ist davon nicht die Rede, und Steinach?°), der Pouchet’s Versuche wiederholte, 1) Note sur un changement unilateral de couleur produit par l’ablation d’un il chez la truite. Compt. rend. de la Societe de Biologie a Paris t. 3. 1876. 2) LE: 3) Über Farbenwechsel bei niederen Wirbeltieren, bedingt durch direkte Wirkung des Lichtes auf die Pigmentzellen. Vorläufige Mitteilung im Zentralbl. f. Physiol. 1891. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 357 bekam an Forellen nach Exstirpation eines Auges kein Resultat, und auch als ihnen später der zweite Augapfel entfernt wurde, be- hielten sie ihre natürliche Farbe. Der Widerspruch erklärt sich sehr einfach. Wie mir Prof. Steinach mitteilte, verwendete er zu den Experimenten. Seeforellen, die keinen ausgesprochenen Farb- wechsel besassen. Ohne solchen und somit ohne die Fähigkeit der Farbenanpassung kann aber eine Verdunklung nach Augenexstirpation nicht erwartet werden, denn diese ist ja nichts anderes als der Aus- fall der Anpassung an den hellen Untergrund. Exstirpiert man nun einer gesunden Bachforelle mit deutlichem Farbwechsel das eine Auge, so sieht man das Tier in der Regel sofort am ganzen Körper dunkel werden, kann aber schon wenige Sekunden nach der Operation einen Unterschied zwischen beiden Körperseiten bemerken: Wurde das rechte Auge entfernt, so wird die linke Seite stärker dunkel als die rechte und umgekehrt. Die Grenze ist haarscharf, der Mittellinie entsprechend. Manchmal kommt es auch vor, dass sich zunächst der ganze Körper verdunkelt, ohne dass ein Unterschied zwischen beiden Seiten erkennbar wäre. Namentlich von den 30 kleinen, 2—2!/g em langen Forellen, denen ich ein Auge entfernte, waren viele am ersten Tag gleichmässig dunkel gefärbt, andere zeigten gleich nach der Operation den Unter- schied, mit verschiedener Deutlichkeit. Von den sieben operierten grossen Forellen sind nur zwei auf beiden Seiten gleich dunkel ge- worden. Aber bei diesen schon nach einigen Stunden, bei den kleinen Forellen im Lauf der nächsten Tage stellte sich die Färbungs- differenz zwischen den beiden Seiten ein, und auch bei jenen Fischen, wo sie sofort erschienen war, nahm sie noch sehr an Deutlichkeit zu, entsprechend dem Rückgang der allgemeinen Verdunklung, der hier wie bei den Cyprinoiden mit der Entfernung eines Auges ver- bunden ist. Diese eigentümliche Färbung bleibt nun bestehen. Ich habe die Tiere monatelang gehalten, eines von ihnen durch 6 Monate, ohne dass sich ihr Aussehen veränderte; vielleicht wurde der Unterschied zwischen den beiden Körperseiten allmählich etwas grösser, doch will ich das nicht bestimmt behaupten. Auf Taf. V Fig. 13 ist das Portrait jener Forelle reproduziert, die die Er- scheinung am schönsten zeigte. Der Färbungsunterschied zwischen rechter und linker Seite war bei ihr meist so, wie es in der Ab- bildung festgehalten ist; er konnte aber auch zeitweise undeutlicher werden ‘oder viel schärfer hervortreten. 358 Karl v. Frisch: Es braucht wohl nicht erst betont zu werden, dass es mit: der Kreuzung der Sehnerven zusammenhängt, wenn die Ver- dunklung auf der gesunden Körperseite eintritt. Allerdings haben nieht nur die Forellen, sondern auch die Karauschen und Pfrillen eine vollständige Kreuzung der Optici, und doch bemerkt man trotz ‘aller Aufmerksamkeit bei diesen keine Färbungsdifferenz zwischen rechter und linker Seite, wenn man ein Auge entfernt, sondern sie werden beiderseits um denselben Grad dunkler. Aber es ist ja klar, dass die Erregungen, die der einen Gehirnhälfte zu- fliessen, nicht auf diese beschränkt bleiben. sondern durch die be- stehenden Kommissuren sich auch der anderen Hälfte mitteilen; nur wird, je nach der Innigkeit der Verbindungen, der Ausgleich bei verschiedenen Arten und auch bei verschiedenen Individuen einer Art verschieden sein, und so wird es sich aus den anatomischen Verhältnissen erklären, warum die Eindrücke, die ein Auge empfängt, bei den Cyprinoiden gleichmässig auf die Pigmentzellen des ganzen Körpers, bei Salmoniden aber vorwiegend auf eine Körperhälfte wirken, und warum nicht bei allen Forellenindividuen der Färbungs- unterschied mit gleicher Deutlichkeit hervortritt. Dass auch bei den Forellen die nervösen Verbindungen, welche zwischen dem Auge der einen Seite und den Piementzellen der anderen Seite bestehen, von den entsprechenden Verbindungen der anderen Körperhälfte nicht geschieden sind, dass auch hier die beiden Hälften voneinander abhängig sind und sich beeinflussen, nur weniger vollkommen als bei den Cyprinoiden, folgt schon daraus, dass bei der Exstirpation eines Auges der Fisch zunächst auch auf derselben Seite dunkler wird. Es wird einem aber besonders klar, wenn man bei einseitig geblendeten Forellen die Reaktion auf hellen und dunklen Untergrund verfolgt. Versetzt man ein solches Tier auf weissen Untergrund, so springt zunächst der Unterschied in der Färbung, der zwischen den beiden Körperhälften bestand, noch deutlicher hervor, indem sich rasch die lichte Körperseite stark auf- hellt; doch bald, nach wenigen Sekunden, wird auch die dunkle Körperseite lichter. Der Eindruck, den das eine Auge empfing, macht sich also an beiden Körperseiten geltend. Und wenn man das Tier auf schwarzen Grund versetzt, reagieren wiederum die Pigmentzellen des ganzen Körpers, der Fisch wird beiderseits dunkel. Aber ob hell ob dunkel, die Differenz zwischen beiden Seiten bleibt bestehen, die eine Hälfte bleibt stets dunkler als die andere Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 359 — solange das Auge Licht empfängt. Der Unterschied ist in wenigen Minuten, vielleicht Sekunden, ausgeglichen, wenn man den Fisch durch einen schwarzen Sturz verdunkelt, und stellt sich bei Belichtung sogleieh wieder ein. Diesen Versuch machte ich an einer Forelle, die seit mehr als 2 Monaten einseitig geblendet war. Ich habe eben erwähnt, dass beim Versetzen auf weissen Grund der Unterschied in der Färbung beider Seiten zunächst deutlicher hervorspringt. Dasselbe tritt ‘merkwürdigerweise bei psychischer Erresung ein. An Forellen, bei denen die Färbungsdifferenz eine geringe war, liess sie sich jederzeit deutlich machen durch Erregung irgendwelcher Art (Fütterung, Herumjagen, Versetzen in einen anderen Behälter usw.). Es bleibt noch zu erwähnen, dass die einseitige Verdunklung nach Entfernung eines Auges in genau gleicher Weise auch bei Saiblingen eintritt; es wird sich also voraussichtlich um eine allgemeine Eigenschaft der Saimoniden handeln. Nur ist beim - Saibling, wohl in Zusammenhang mit dem weniger stark ausgeprägten Farbwechsel, die Verdunklung nicht so stark und deutlich wie bei der Forelle. b) Verkleben der Augen. Da es sehr wünschenswert schien, die Veränderungen der Färbung, welche durch den Ausfall der Gesichtseindrücke hervor- gerufen werden, nieht nur mittels der Augenexstirpation, sondern auch auf andere, schonendere Weise zu prüfen, habe ich mich sehr bemüht, ein brauchbares Mittel zum Verkleben der Fischaugen aus- findig zu machen, was lange nicht glücken wollte. Die feuchte, Schleim sezernierende Fischhaut ist ein recht unangenehmes Objekt, wenn es sich um das Anbringen einer Masse handelt, die licht- dicht anschliessen und fest haften, aber dabei die zarte Haut nicht reizen soll. Schliesslich fand ich folgende einfache Methode brauch- bar: Gewöhnliches, weisses Vaselin wird mit Kienruss zu einem schwarzen Brei vermengt und diese Mischung über Augen und um- gebende Haut gestrichen, nachdem diese mit Filtrierpapier möglichst gut getrocknet worden. Dieser Verschluss hält zwar nur Viertel- stundes, manchmal nur Minuten lang, aber dies genügt, um einige interessante Tatsachen zu erfahren. Als Versuchstiere dienten zu diesen Experimenten durchweg Forellen. Aın wenigsten konstant waren die Resultate, wenn mit der schwarzen Masse beide Augen vollständig verklebt wurden. 360 Karl v. Frisch: Es mag dies daher kommen, dass schon eine kleine Undichtigkeit des Verschlusses, ein geringfüsiges Abheben der schwarzen Maske an einer Stelle des Augenrandes, das durch die Atembewegungen leicht geschah, schliesslich auch jenes Licht, das von Kopf und Körper aus durch Diffusion ins Auge gelangt. hier sehr störend wirken müssen. Dennoch lässt sich behaupten, dass das Verstreichen beider Augen eine starke, doch nicht maximale Dunkelfärbung zur Folge hat. Bei den neun derartigen Versuchen wurden die Forellen nur zweimal ziemlich hell, während. sie in den sieben anderen Fällen stark dunkel wurden, und zwar auch gerade in jenen Fällen, wo das Anbringen der Masken am besten gelungen und der Verschluss gewiss lichtdiceht war. Bis zum Abfallen oder Undicht- werden der Kappen waren im Maximum 17, im Minimum 5, meist ca. 10 Minuten vergangen. Da, wie schon erwähnt, jene ver- dunkelnde Wirkung des Lichtes, die wir bei den Cyprinoiden fanden, bei den Forellen kaum in Betracht kommt, kann man auch bei diesen, ohne störende Nebenwirkungen fürchten zu müssen, statt nur die Augen zu verkleben, die ganzen Fische ins Dunkle ver- setzen, indem man einfach einen liehtdichten Sturz über das Aquarium stülpt. Dies hat sehr konstant, schon nach wenigen Minuten, starke Verdunklung des Fisches zur Folge; entfernt man den Sturz, so hellt er sich sofort stark auf, vorausgesetzt, dass er auf lichtem Untergrund steht, und passt sich an den Untergrund an. Verklebt man einer Forelle nur ein Auge, so wird sie am ganzen Körper dunkler, und zwar tiefdunkel. Ich habe den Versuch achtzehnmal, an sechs verschiedenen Tieren, ausgeführt und nie ein abweichendes Resultat erhalten. Nur in den Details der Reaktion bestehen individuelle Verschiedenheiten, ganz wie wir es bei der Exstirpation- eines Auges sahen. Dieselben Individuen ver- halten sich bei Wiederholung des Versuchs eleich. Von den sechs Tieren wurden zwei beim Verkleben eines Auges am ganzen Körper gleichmässig dunkel, ohne dass eine Färbungsdifferenz zwischen der rechten und linken Seite zu bemerken war. Bei den vier übrigen war eine solche deutlich zu erkennen, ganz wie nach Exstirpation eines Auges. Sie war auch hier bei den einzelnen Fischen ver- schieden stark ausgeprägt und gewöhnlich in den ersten Minuten auffallender als später, da auch die hellere Seite bald beträchtlich dunkelte. Auch hier trat der Unterschied viel schöner hervor, wenn die Forelle in Aufregung geriet. Beiträge zur Physiologie der' Pigmentzellen in der Fischhaut. 361 Man sieht also, dass das Verkleben eines oder beider Augen denselben Effekt hat wie ihre Exstirpation. Dies wird durch folgende Experimente noch klarer: Einer Forelle, die nach dem Verkleben eines Auges nur eine schwache Färbungs- differeuz zwischen beiden Seiten erkennen liess, exstirpierte ich nun das Auge, das verklebt gewesen war. Das Resultat blieb das gleiche, der Unterschied wurde nicht deutlicher. Und eine andere Forelle, die sich nach dem Verkleben eines Auges auf beiden Seiten ganz gleichmässig, ohne die geringste Differenz, verdunkelte, verhielt sich genau ebenso nach der Entfernung eines Auges. Erst nach einer Stunde nahm ich einen schwachen Unterschied zwischen dem Farben- ton der beiden Seiten wahr, der in den nächsten Tagen um vieles deutlicher wurde. Es ist zu erwarten, dass sich die einseitige Ver- dunklung nach dem Verstreichen eines Auges auch in jenen Fällen, wo sie zunächst nicht zu erkennen ist, nach einiger Zeit einstellen würde, so wie es nach der Exstirpation zu beobachten ist. Doch könnte dies nur mit einer anderen, besseren Methode ge- prüft werden; denn meine Kappen hielten längstens eine halbe Stunde dem Wasser und den Bewegungen des Fisches Stand und wurden dann meist durch einen plötzlichen Ruck abgeworfen. Die un- mittelbare Folge davon ist starke Aufhellung des ganzen Fisch- körpers. Das Gegenteil, nämlich rasche Verdunklung, kann man gelegent- lieh wahrnehmen, wenn einer Forelle, der beide Augen verklebt waren, die Kappe von einem Auge abfällt oder undicht wird. Man ist aber nicht auf derartige Zufälle angewiesen, sondern kann sich auch sonst davon überzeugen, dass Forellen, denen nur ein Auge verklebt ist, sich dunkler färben, als wenn ihnen beide Augen ver- klebt werden. Kann man also die Dunkelfärbung, welche nach der Exstirpation oder nach dem Verkleben beider Augen oder beim Verfinstern der ganzen Tiere eintritt, auf den Fortfall der Wahr- nehmung des lichten Untergrundes, die ja aufhellend wirkt, zurück- führen, so ist diese Erklärung nicht ausreichend, wenn man eine Forelle betrachtet, der nur ein Auge exstirpiert oder verklebt wurde. Bevor wir aber diese Erscheinung zu deuten versuchen, müssen wir einige weitere Experimente anführen. Wir haben schon wiederholt vom Fortfall der Wahrnehmung des lichten Untergrundes gesprochen. Wie verhält sich aber eine Forelle gegenüber dem Wechsel von Lichtabschluss und Be- 362 Karl v. Frisch: lichtung, wenn sie auf dunklem Untergrund steht? Um dies zu erfahren, stellte ich ein Glasaquarium mit einer normalen Forelle auf schwarzes Papier und bedeckte es wiederholt mit dem licht- dichten Sturz; zunächst hatte sich das Tier dem dunkeln Untergrund angepasst, es hatte eine dunkle Farbe angenommen. Als es nun durch einige Minuten verdeckt wurde, zeigte sich bei der Entfernung des Sturzes, dass es dunkel geblieben war; doch hellte es sich bei der Belichtung rasch etwas auf. Dasselbe geschah bei Wiederholung des Versuchs. Nun ist ja klar, dass dieser schwarze Untergrund kein idealer ist. Nicht nur, dass das schwarze Papier das Licht nicht vollständig absorbiert, und dass zerstreutes Licht von unten her reichlich ins Auge gelangt, es muss auch der Glasboden des Aquariums eine bedeutende Lichtmenge reflektieren. Alle diese störenden Faktoren kann man aber ausschalten und einen idealen schwarzen Untergrund schaffen, indem man dem Fisch einfach die beiden unteren Augenhälften verklebt. Ich wiederbolte nun denselben Versuch an einer so vorbereiteten Forelle, und da war das Resultat ein ganz anderes: sie wurde am ganzen Körper tiefdunkel, und so oft sie durch Bedecken mit dem Sturz (4 bis 10 Minuten lang) in Finsternis versetzt wurde, erfolgte eine schwache Aufhellung, und obwohl sie im ganzen stark dunkel blieb, wurde die Färbung nach jeder Belichtung sofort, schon in der ersten Minute, noch wesentlich dunkler. Das Verkleben der beiden unteren Augenhälften habe ich sechs- mal an vier verschiedenen Forellen vorgenommen, und stets wurden sie sofort dunkel, waren nach einigen Minuten tiefschwarz und blieben so. Hingegen war es für die Färbung belanglos, wenn die beiden oberen Augenhälften verklebt wurden (drei verschiedene Forellen); die Fische behielten ihre helle Farbe bei, wie es dem hellen Untergrund entsprach, auf dem sie standen. Einige Forellen, denen ich die untere Hälfte eines Auges verklebte, während das zweite Auge vollständig frei blieb, wurden stark dunkel und zeigten eine Färbungsdifferenz zwischen rechter und linker Seite, wie sie nach der Exstirpation oder dem voll- ständigen Verkleben eines Auges auftritt. Wurde ihnen aber die obere Hälfte eines Auges verstrichen, so behielten sie ihre helle Farbe und waren beiderseits gleich gefärbt. Aus diesen Tatsachen ergibt sich zunächst, dass die Ver- dunklung der unteren Augenhälften (— oberen Netzhaut- Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 303 hälften) bei gleichzeitiger Belichtung der oberen Augen- hälften (= unteren Netzhauthälften) eine stärkere Expansion der Pigmentzellen. bewirkt als die Verdunklung der gauzen Augen. Wir haben es hier offenbar mit einem Hemmungsvorgang zu tun, von dem wir voraussetzen werden, dass er sich im Gehirn abspielt, so- lange wir zur Annahme peripherer Hemmungsnerven so wenig Grund haben. Ferner haben wir gesehen, dass die Verdunklung der oberen Ausenrhälften bei gleichzeitiger Belichtung der unteren keine der: artige Wirkung ausübt, und dass man analoge Resultate erhält, auch wenn man nur ein Auge in der angegebenen Weise behandelt. Woher kommt es nun, dass die Forellen nach dem vollständigen Verkleben eines Auges eine dunklere Farbe annehmen als nach dem vollständigen Verkleben beider Augen? Etwas anders aus- gedrückt lautet der Befund: Die Pigmentzellen expandieren sich sehr stark, wenn ein Auge verdunkelt wird bei gleich- zeitiger Belichtung des anderen Auges. Vielleicht lässt sich aber doch das Wesentliche an diesem Umstand noch etwas ge- nauer präzisieren. Die Tatsache selbst steht fest. Denn wenn man eine Forelle, der ein Auge vollständig verklebt ist, abwechselnd belichtet und verdunkelt, findet man den Fisch nach jeder Ver- dunklung etwas heller geworden und sieht ihn am Licht sich ver- dunkeln. Nehmen wir z. B. an, es wäre das rechte Auge verkleht; da das rechte Auge mit dem linken im Gehirn gewiss in inniger Verbindung steht und die Eindrücke, die vom einen kommen, mit denen des anderen in Beziehung gebracht werden, dürfte der An- nahme nichts im Wege stehen, dass es die Verdunklung der rechten unteren Augenhälfte bei gleichzeitiger Belichtung der linken oberen Augenhälfte ist, was die starke Expansion der Chromatophoren ver- schuldet; dass dabei auch die rechte obere Augenhälfte verdunkelt ist, wirkt nicht störend; dass links auch die untere Augenhälfte be- lichtet ist, wirkt der Expansion etwas entgegen und veranlasst ins- besondere die relative Helligkeit der rechten Körperseite, d. h. dieser Umstand ist schuld an der oft erwähnten Färbungsdifferenz zwischen beiden Körperseiten. Ist diese Annahme richtig, dann muss die Färbung des Fisches, wenn ein Auce vollständig, das zweite zur oberen Hälfte verklebt ist, eine hellere sein, als wenn beide Augen vollständig verdunkelt werden; sie muss aber, wenn das zweite Auge zur unteren Hälfte verklebt ist, eine dunklere sein als beim vollständigen Verdecken. Dies ist tatsächlich der Fall. Ich verklebte 364 Karl v. Frisch: einer Forelle das rechte Auge vollständig und liess das linke zu- nächst frei. So oft das Tier in Finsternis versetzt wurde, hellte es sich etwas auf und wurde am Licht deutlich dunkler. Nun wurde zum Teil auch das linke Auge, und zwar seine obere Hälfte, ver- klebt: es war also der Gegensatz zwischen unbelichteter rechter unterer und belichteter linker oberer Augenhälfte nicht mehr vor- handen; und jetzt wurde der Fisch, so oft er aus der Finsternis ans Licht gebracht wurde, nicht mehr dunkler, sondern etwas heller. Als aber die Kappe von der linken oberen Augenhälfte entfernt und statt dessen die untere Hälfte des linken Auges verklebt wurde, färbte er sich bei jeder Belichtung wieder stark dunkler. Es ist schon von verschiedenen Seiten darauf aufmerksam ge- . macht worden, dass die Expansion der Pigmentzellen, welche bei den mit Farbwechsel begabten Tieren auf dunklem Untergrund ein- tritt, nicht durch die Verminderung der Lichtintensität ausgelöst wird, die ja mit dem Übergang auf einen Licht resorbierenden Boden verbunden ist; denn die Expansion erfolgt auch bei sehr intensiver Belichtung auf schwarzem Grunde, dagegen kontrahieren sich die Pigmentzellen auch bei sehr schwacher Belichtung auf hellem Grunde. Vielmehr ist der Kontrast zwischen Dunkelheit und Helligkeit für die Pigmentexpansion erforderlich, und von ge- wissen Krebsen weiss man, dass es für ihre Färbung ganz gleich- bedeutend ist, ob dieser Kontrast durch einen dunkeln Untergrund oder durch einen dunkeln Hintergrund erzeugt wird. So fanden Keeble nnd Gamble!) z. B. an Macromysis inermis, dass diese Krebse, wenn man sie von unten belichtet und über ihnen eine schwarze Fläche anbriugst, ebenso dunkel werden wie auf schwarzem Untergrund bei Belichtung von oben. Und dasselbe hat Bauer?) für eine Meeresassel, Idothea trieuspidata, nachgewiesen und weiter gezeigt, dass man bei ihr dieselbe dunkle Färbung, wie sie sich auf schwarzem Untergrund einstellt, auch durch teilweises Lackieren der Augen hervorrufen kann, wobei es ganz gleichgültig ist, welche Teile der Augen lackiert werden, und nur darauf ankomnit, dass etwa die Hälfte der Oberfläche beider Augen verdunkelt, die andere Hälfte belichtet ist. Diese Krebse verhalten sich also anders als 1) 1. c. S. 354. 2) Über einen objektiven Nachweis des Simultankontrastes bei Tieren. Zentralbl. f. Physiol. (Exner) Bd. 19 S. 453—462. 1905. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 365 die Forellen, bei denen die unteren Augenteile verklebt werden mussten, wenn eine Dunkelfärbung eintreten sollte. In ihrer bio- logischen Bedeutung scheint mir diese Verschiedenheit verständ- lich, wenn man sich die Lebensweise der Tiere vorhält. Herrn Dr. Stiasny von der Zoologischen Station in Triest verdanke ich folgende Mitteilung: „Die Assel Idothea trieuspidata, die hier im Golfe sehr häufig ist, ist eine typische Bewohnerin der Zosterawiesen, wo sie zwischen den Stengeln ihr Wesen treibt und auf und ab klettert. Man findet sie auch häufig auf losgerissenen Zosterahalmen wie auf einem Flosse schwimmend; die Unterseite bald nach oben, bald nach unten gerichtet, hält sie sich mit den Beinen an dem Zosterastücke fest.“ Für sie wird also der Farbwechsel den grössten Nutzen haben, wenn sie sich an die allgemeine Umgebung anpasst und nicht an das, was sich gerade ventral von ihren Augen befindet; das kann ja gerade der helle Himmel sein, wenn sie sich mitten zwischen dunkeln Pflanzenstengeln befindet. Die Forelle aber hat stets, wenn sie frei sichtbar ist, unter sich den Boden, über sich den Himmel; für ihre Färbung ist der Untergrund allein maass- gebend. 7. Wird die Pigmentbildung durch dauernde Expansion der Pigmentzellen begünstigt ? Es ist schon wiederholt die Hypothese erwähnt worden, dass andauernde Expansion der Chromatophoren die Pigmentbildung fördere, andauernde Kontraktion sie aber hemme. Nach strikten Beweisen für diese Annahme sucht man vergeblich, sie wird nur als Vermutung, zur Erklärung einzelner Erscheinungen geäussert. So von Keeble und Gamble!), von Rynberk?), der darauf hinweist, dass ein Widerspruch, welcher zwischen gewissen Beo- bachtungen von Fischel und Flemming und den Erfahrungen anderer besteht, sich einfach lösen würde, wenn man diese Hypo- these akzeptiert. Erst kürzlich hat Franz?) auf einen Fall hin- gewiesen, wo Fische, die dauernd auf dunklem Untergrund leben, eine dauernd dunkle Farbe annehmen: Die dunkeln Schollen (Pleu- 1. c. 8. 397. 2) 1. c. 8.560. 3) Zur Physiologie und Pathologie der Chromatophoren. Biol. Zentralbl. Bd. 30 S. 150—158. 366 Karl v. Frisch: ronectes platessa) aus der westlichen Ostsee , die, mit Marken ver- sehen, in der Nordsee ausgesetzt wurden, wo die Schollen, dem helleren Grund entsprechend, hell gefärbt sind, fielen, wenn sie wieder gefangen wurden, sogleich durch ihre dunkle Tönung auf. Der Erklärungsversuch, den Franz bringt, wird allerdings nicht haltbar sein. Er meint nämlich, dass eine Masseuzunahme des Pigments vorliest, die durch stärkere funktionelle Inanspruchnahme der Chromatophoren bedingt sei, dass es sich um eine „trophische Reiz- wirkung“ handle. Er macht sich dann selbst den Einwand, dass nach seiner Theorie die Fische, die auf schwarzem Grund leben, eine Pigmentverminderung zeigen sollten, da bei ihnen die Figmentzellen erschlafft sind, und er sucht diesen Widerspruch auf eine recht unglückliche Art zu lösen: „Vermutlich wird die Sache normalerweise so liegen: auf dunklem Grund sind haupt- sächlich die dunkeln Chromatophoren tätig, um dem Fisch jeweils nach Möglichkeit die augenblicklich erforderliche Farbe zu geben; auf helleın Grund aber fliessen die meisten Erregungen namentlich den helleren Chromatophorenarten zu.“ Vor allem müssten wir wissen, ob eine Piementvermehrung als Folge eines dauernden Expansionszustandes wirklich stattfindet, und zur Entscheidung dieser Frage scheinen unsere einseitig geblendeten Foıellen, deren Melanophoren auf der gesunden Seite stärker ex- pandiert sind als auf der anderen Seite, besonders geeignet. Die Voraussetzung der „gleichen Versuchsbedineuneen“ könnte nicht besser erfüllt und der eine Faktor, der verschiedene Expansionsgrad, nieht schöner isoliert sein. Ich exstirpierte also einer Anzahl ganz kleiner, ca. 21 cm langer Forellen das eine Auge, worauf sich die Färbunesdifferenz zwischen beiden Seiten, wie schon oben besprochen wurde, bei den verschiedenen Individuen mit verschiedener Deutlichkeit einstellte. Die Fischehen wurden nun aufgezogen und von Zeit zu Zeit eines von ihnen fixiert und mikroskopisch untersucht. Wenn es auch in erster Linie der verschiedene Expansionszustand der Zellen ist, der nieht nur anfangs, sondern dauernd den Färbunesunterschied bedingt, so hat man doch bei einer Forelle, die seit längerer Zeit auf einer Seite blind ist, den Eindruck, dass die stärker expandierten Pigment- zellen auch reicher an Pigment sind. Doch wer will auf einen solchen Eindruck etwas geben! Findet auf einer Seite eine stärkere Pigmentanhäufung statt, so ist auch zu erwarten, dass sich die Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 367 Piementzellen dieser Seite stärker vermehren, und in ihrer Anzahl hätte man ein objektives Kriterium. Ich zählte also wieder, wie bei der Feststellung der Zahl der Pigmentzellen in und zwischen den dunkeln Flecken. (S. 337), mit Hilfe eines Okular-Mikrometers die Melanophoren an den fixierten Tieren, und zwar stets in zwei einander genau entsprechenden, gleich grossen Hautgebieten der beiden Körperseiten. In den folgenden Tabellen sind die erhaltenen Zahlen wiedergegeben. Die Buchstaben bezeichnen die verschiedenen Tiere, in Wochen ist die Zeit angegeben, die die Fische nach der Augenexstirpation am Leben blieben, die nebeneinander stehenden Werte geben die Zellzahl in den einander entsprechenden Haut- gebieten an; die starken Differenzen der untereinanderstehenden Zahlen kommen daher, dass sie aus verschieden stark pigmentierten Stellen und verschieden erossen Hautbezirken gewounen wurden. Die linken Kolonnen beziehen sich auf die hellen Körperseiten, deren Pigmentzellen stärker kontrahiert waren, die rechten auf die verdunkelten Seiten: d) 10 Wochen a) 2 Wochen b) 4 Wochen c) S Wochen kontrah. | expand.| kontrah. | expand. | kontrah. | expand. | kontrah | expand. 107 105 170 185 &5 97 170 162 142 141 23 28 105 107 394 436 17 16 102 102 75 80 326 322 67 68 108 108 IE 95 154 243 59 68 271 229 | 347 366 \ sene F e) 13 Wochen f) 14 Wochen 8) ne kontrahiert | expandiert | kontrahiert | expandiert | kontrahiert | expan.liert 45 46 123 | 132 54 69 39 | 42 148 | 154 [b} 76 65 | 65 245 | 237 70 70°: 46 | 41 60 | 71 66 72 67 74 57 58 230 256 59 64 225 | 226 59 62 | | 259 226 | | 166 162 Lässt sich nun aus diesen Zahlen ein sicherer Schluss ziehen ? Zunächst ist klar, dass in den allerersten Wochen von einer Ver- mehrung nichts zu erkennen ist. Zu dieser .Zeit ist die Zählung Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 24 3068 Karl v. Frisch: noch leicht durchzuführen, wegen der geringen Dichte der Pigment- zellen. Wenn die Fischehen aber heranwachsen, werden die Chro- matophoren bald so reichlich und schliessen so eng aneinander, dass die Verlässlichkeit der Zählung stark leidet. Dies ist ein böser Übelstand, solange man nicht weiss, ob man auf der Seite, wo die Pigmentzellen stärker expandiert sind, oder auf der Seite, wo sie kontrahiert sind, mehr Zellen übersieht. Das ist von vornherein nicht zu entscheiden; denn kontrahierte Zellen können wegen ihrer Kleinheit übersehen werden, expandierte aber, weil sie einander verdecken und sich scheinbar vereinigen. Ich exstirpierte deshalb zwei jungen, normalen, in ihrer Grösse etwa dem Tier d entsprechenden Forellen ein Auge und fixierte sie, sobald die Färbungsdifferenz aufgetreten war: eine nach 10 Miuuten, die andere am nächsten Tag. Es war da die Anzahl der Pigment- zellen auf beiden Seiten gewiss noch dieselbe, und man musste so finden, in welchem Sinne die Zählung durch die Expansion beeinflusst wird. Die von diesen beiden Forellen erhaltenen Zahlen sind die folgenden: kontrahiert expandiert kontrahiert | expändiert 95 92 322 | 256 101 93 263 212 96 95 242 190 67 65 209 178 230 225 Man sieht, dass das durch die Expansion bedingte gegenseitige Verdecken der Pigmentzellen ausschlaggebend ist. Wenn dennoch bei unseren Versuchsforellen, die nach der Operation mehrere Wochen am Leben blieben, fast durchweg für die verdunkelte Seite höhere Werte gefunden wurden !), scheint mir das sehr zugunsten der An- nahme zu sprechen, dass die Pigmentbildung in den dilatierten Zellen reichlicher ist als in den kontrahierten. 8. Die Reaktion geblendeter Fische auf Licht. Versetzt man eine Pfrille, der beide Augen vollständig exstirpiert sind, für einige Minuten in Finsternis und bringt sie dann wieder 1) Die letzten vier Zahlen der Tabelle g, die ein umgekehrtes Verhältnis zeigen, beziehen sich auf den Rücken des Tieres, wo die Pigmentzellen viel dichter liegen als an den Seiten, und wo die besprochene Fehlerquelle daher eine grössere Rolle spielt. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzelien in der Fischhaut. 369 ans Licht, so fällt jedem sofort auf, dass sie am ganzen Körper heller geworden ist, und dass sie nun am Licht sogleich dunkelt, wobei sie, wenn sie nicht erst vor kurzem zu einen solchen Versuch verwendet wurde, sondern vorher längere Zeit am Licht gestanden hatte, gewöhnlich dunkler wird, als sie zuvor war. Wie der Gegen- satz in der Färbung zu sein pfleet, zeigen die Fig. 11 und 12 auf Taf. V. Fie. 11 stellt eine Pfrille dar, die etwa 3 Minuten im Dunkeln war, in dem Moment, wo sie ans Licht gebracht wird; Fig. 12 dasselbe Tier eine Minute später. Als Vorlage für die Bilder diente ein Fisch, der die Reaktion mit einer Deutlichkeit zeigte, wie sie dem Durchschnitt entspricht; der Unterschied kann geringer, er kann aber auch wesentlich grösser sein. Will man die Reaktion schön sehen, dann darf man zu dem Versuch nicht frisch geblendete Tiere verwenden. In den allerersten Tagen nach der Blendung überwiest die durch den Weefall der Ausen bedinete Tendenz zur Verdunklung, und man erhält dann oft keine sehr deutliche Aufhellung. Dazesen kaun man einige Tage nach der Operation mit voller Sicherheit auf sie rechnen. Ich habe wohl Hunderte von Pfrillen daraufhin untersucht und bei keinem gesunden Tier die Reaktion vermisst. Auch wenn man eine Pfrille nur '/s Minute lang verdunkelt, ist an ihr meist schon eine deutliche Aufhellung zu erkennen. Doch findet man sie viel stärker aufgehellt, wenn man die Verdunklung über 2—3 Minuten ausdehnt. Ob man sie aber 3 Minuten oder 2 Stunden lang verdunkelt, macht keinen wesentlichen Unterschied; sie ist in beiden Fällen im Moment der Belichtung annähernd gleich hell und wird am Licht in gleicher Weise dunkel, auch dann, wenn man den kurzen Dunkelaufenthalt gleich auf den langen folgen lässt und das Tier dazwischen nur 2 Minuten belichtet wird. Das Dunkel- werden ist meist schon wenize Sekunden nach dem Becinn der Be- lichtung erkennbar, stets nach !/g Minute deutlich und nach 1 bis 2 Minuten vollendet. Eine rasche Abstumpfung tritt nicht ein. Ich habe eine Pfiille durch 20 Minuten je eine Minute verdunkelt und eine Minute belichtet, so dass sie in dieser Zeit zwanziemal die Farbe wechselte, und sie tat dies am Schluss ebenso prompt und mit derselben Deutlichkeit wie zu Anfang. Schliesslich ist zu bemerken, dass keineswegs der Übergang vom Licht zu absoluter Dunkelheit nötig ist, um die Reaktion auszulösen, sondern schon eine Änderung der Lichtintensität dazu genügt. 24* 370 Karl v. Frisch: Dass dieser verdunkelnde Einfluss des Lichtes an normalen, sehenden Tieren nicht auffällt, weil die Wahrnehmung des Lichtes, resp. des hellen Untergrundes durch die Augen in entzegengesetztem Sınne auf die Pigmentzellen wirkt, wurde schon oben besprochen. Wenn man normale Pfrillen auf grauem Untergrund einige Minuten verdunkelt und dann belichtet, werden manche Tiere am Licht heller, manche dunkler, manche ändern überhaupt nicht merklich ihre Farbe. Führt man denselben Versuch auf weissem Unter- erund aus, so werden mauche von den Fischen, die früher am Licht dunkel wurden, nun sofort nach der Belichtung heller; führt ınan ihn auf schwarzem Uutergrund aus, so nehmen mauche der Tiere, die sich früher zunächst aufhellten, sozleich eine dunklere Farbe an. Man erhält also im ersten Moment der Belichtung — nur um diesen handelt es sich ja, denn nach einigen Minuten erfolgt bei normalen, sehenden Tieren stets Anpassung an den Untersrund — keine konstanten Resultate, weniestens nicht konstaut bei ver- schiedenen Individuen; dasselbe Tier dagegen scheint, wenn der Untergrund derselbe ist, stets gleich zu reavieren; ich konnte mich an einigen Pfrillen überzeugen, dass binnen 3 Wochen jede ilıre Eigenheit beibehielt. Es wäre ja auch leicht verständlich, dass es bei jedem Individuum eine konstante, durch seine Organisation be- dingte Eigenschaft ist, ob bei Belichtung, unter sonst gleichen Ver- hältnissen, die von den Augen intendierte Aufhellung oder der auf anderem Wege bewirkte Impuls zur Verdunklung überwiegt. Nach der Blendung werden auch jene Fische stets bei Belichtung dunkel, die vorher entgegengesetzt reagiert hatten. Bei keinem anderen blinden Fisch fand ich diese Lichtreaktion so deutlich und konstant und so schnell verlaufend wie bei den Pfrillen. Sehr schön und zuverlässig, aber etwas langsamer erfolst die Aufhellung bei den Karauschen; die Verdunklung bei der Belichtung geht bei ihnen ebenso rasch vor sich wie bei den Pfrillen. Ich verwendete zu den Versuchen kleine, ca. 5-6 cm lange Karauschen und hatte nur einmal ein grosses, 14 cm langes Tier zur Verfügung. Dieses reagierte nach der Blendung genau ebenso auf Belichtung und Verdunklung wie die anderen; wurde es gemeinsam mit gleich gefärbten, kleinen Tieren in Dunkelheit ver- setzt, so waren nach einigen Minuten alle heller, aber wiederum alle untereinander gleich gefärbt und wurden am Licht in gleichem Maasse dunkel. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 371 An drei Flussbarschen (Perca fluviatilis L.), welche seit Monaten geblendet waren, sah ich diesen Farbwechsel manchmal in einer extremen Weise, viel schärfer ausgeprägt als bei den meisten Pfrillen. Auch hier spielte er sich in wenigen Minuten ab. Doch trat er nicht konstant ein, und andere Flussbarsche, die erst seit einigen Tagen oder Wochen geblendet waren, reagierten äusserst -ungleichmässie; oft konnte man bei der Belichtung gar keine Ver- änderung wahrnehmen. Von den Forellen erwähnte ich schon, dass diese Reaktion bei ihrem Farbwechsel kaum in Betracht kommt. Von zwölf Ver- suchen an drei verschiedenen zeblendeten, ca. 12 cm Jansen Foreilen lieferte nur einer ein deutliches Resultat; siebenmal glaubte ich einen schwachen Farbwechsel, im selben Sinne wie bei den Pfrillen, wahrzunehmen, und viermal konnte ich keine Veränderung bemerken. Zwei junge, erst einige Wochen alte Forellen aber wurden 14 Tage nach der Augenexstirpation deutlich, wenn auch nicht stark, im Dunkeln heller und am Licht etwa binnen 2 Minuten wieder dunkel. Einige geblendete, ca. 7 em lange junge Aale (Anguilla vulgaris Flem.) zeigten die gleiche Reaktion, aber recht schwach, wenn sie nicht ca. 1 Stunde im Dunkeln verblieben. Wie kommt nun dieses Phänomen zustande? Sind in der Fischhaut Sinnesorgane gelegen, die durch Licht erregt werden, und ist es ein durch das Zentralnervensystem vermittelter Reflex? Oder ist es eine direkte Wirkung des Lichtes auf die Pigmentzellen, so wie wir sie vom Chamäleon kennen? DBei diesem expandieren sich ja die Melanophoren unter dem Einfluss des Lichtes, und zwar, wenn nicht das ganze Tier, sondern eine begrenzte Hautpartie belichtet wird, nur soweit sie direkt vom Lichte getroffen werden, so dass es sich bestimmt um eine lokale Wirkung handelt, die von den Gesichtseindrücken unabhängig ist. Wenn wir es hier mit einer direkten Liehtwirkung zu tun haben, steht dies in Widerspruch mit den Befunden Steinach’s!), ‚der an Aalen und Salmoniden. die Erregbarkeit der Melanophoren durch Licht prüfte, und fand, dass sie auf intensive Belichtung durch eine sehr schwache Kontraktion reagierten. Wenn also das Licht 1) Untersuchungen zur vergleichenden Physiologie der Iris. II. Mitteilung, Anhang. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 52. 1892. 3792 Karl v. Frisch: ‚auf die Färbung direkten Einfluss hat, wäre zu erwarten, dass er sich, wie bei den Fröschen, im Sinne einer Aufhellung äussert. Ich untersuchte nun an kleinen, noch mit Dottersack versehenen Forellen die Wirkung des Lichtes auf die Pigmentzellen. Die Fischehen wurden in einem Ziegler’schen Durchströmungs- kompressorium durch leichten Druck festgehalten und in der Dunkel- kammer mit dem Licht einer Bogenlampe beleuchtet, aus welchem durch eine zwischengeschaltete Wasserschicht die Wärmestrahlen und durch Chininbisulfat !) die ultravioletten Strahlen ausgeschaltet waren, und das durch eine Linse konzentriert wurde. Bei zwei lebenden Tieren wurde eine Körperstelle, die dem Druck durch die Glasplatten des Kompressoriums nicht ausgesetzt war, durch !/s resp. ®/s Stunden beliehtet und im Mikroskop beobachtet, ohne dass eine Veränderung im Kontraktionszustand der Pigmentzellen, die auf die Bestrahlung zurückzuführen wäre, konstatiert werden konnte. FEbensowenis Effekt hatte die einstündige Belichtung einer Hautpartie an einer frisch getöteten Dottersackforelle. Die Melanophoren blieben an den unbelichteten und belichteten Stellen gleichmässig expandiert. Aber auch bei den Pfrillen, die so schön auf Verdunklung und Belichtung des ganzen Körpers reagierten, gab die lokale Ver- dunklung oder Belichtung der Körperhaut nie ein Resultat. Ich legte z. B. einer Pfrille einen Stanniolstreifen gürtelförmig um den Körper, indem ich die Erden des Streifens mit Kollodium aneinander- klebte, und liess den Fisch so einige Minuten am Licht. Dann ent- fernte ich den Gürtel; die Haut hatte in dieser Zone dieselbe Farbe wie am übrigen Körper. Um die Pfrillen bequein und ohne sie zu berühren an allen Körperstellen beliebig verdunkeln und belichten zu können, gab ich sie zu den Versuchen in ein Glasgefäss, das ihrer Grösse angemessen war (vgl. Fig. 4; der Gummistopfen 8 ist doppelt durchbohrt für Zufluss und Abfluss des Atemwassers; das Glasrohr für den Abfluss muss innen umgebogen sein, da der Fisch sonst die Öffnung mit seiner Schnauze verlegt). Auch bei dieser Versuchsanordnung hatte 10—30 Minuten langes intensives Belichten einer Körperstelle in ‚der Dunkelkammer gar keinen Erfolg. Ebensowenig war eine Ver- l) Eine 1 cm dicke Schicht einer gesättigten Lösung von Chininbisulfat absorbiert die kurzwelligen Lichtstrahlen vollständig bis zu einer Wellenlänge von 375 uu. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 373 änderung der Farbe zu bemerken, wenn am Tageslicht der Körper vom Schwanz bis zu den Kiemen durch Überschieben einer schwarzen Papierhülle über den Glasbehälter verdunkelt wurde. Dagegen stellte sich die Reaktion prompt ein, wenn der Kopf des Fisches verdunkelt wurde. Wurde z. B. eine schwarze Hülle nur über den Kopfteil des Gefässes gestülpt, und blieb der ganze Körper, von den Kiemen angefangen, dem Lichte ausgesetzt, so konnte man alsbald eine deutliche Aufhellung erkennen und unter der Lupe verfolgen, wie die Pigmentzellen sich kontrahierten. Wurde der Kopf wieder belichtet, so expandierten sich die Pigmentzellen am ganzen Körper genau in derselben Weise, wie es bei der Be- licehtung des ganzen, frei herumschwimmenden Fisches geschah. Auch blosses Beschatten des Kopfes durch einen vorgehaltenen Gegenstand genügt, um deutliche Aufhellung des ganzen Fisches zu veranlassen. Wir haben also am Kopf der blinden Pfrille ein Organ zu suchen, das durch Licht erregbar ist, und das mit dem pigmento- motorischen Apparat zu einem ganz bestimmten Reflex verbunden ist. Den Sitz dieses Organs galt es jetzt zu finden. Obwohl es höchst unwahrscheinlich war, dass die Optieusstümpfe in der Ausenhöhle in Betracht kämen, füllte ich doch zur Sicherheit einigen Pfrillen die Augenhöhlen mit weichem Paraffın aus, das durch Russ geschwärzt war; sie reagierten ebenso prompt wie vorher auf Verdunklung und Belichtung, und die Augenhöhlen waren somit ausgeschlossen. Mit grösserem Recht konnte man an einen Hautsinn denken. Es könnten sich in der Kopfhaut durch Licht erregbare Sinnesorgane befinden, deren Nerven irgendwie, wahrscheinlich durehs Gehirn. mit den pigmentomotorischen Nerven in Verbindung stehen müssten. Da der Versuch, die Kopfhaut durch Kokain zu anästhesieren, miss- 374 Karl v. Frisch: glückte (vgl. S. 346), wandte ich ein radikaleres Mittel an, um darüber ins Reine zu kommen; nämlich die Zerstörung der Haut und Durchschneidung der Kopfnerven. Durch diese Eingriffe wurde nun die Reaktion nie beeinträchtist. Ich will von den Versuchen nur einen arführen,. der mir entscheidend scheint: Ich durchschnitt einer Pfrille in den Augenhöhlen sämtliche Trigeminusäste und ausserdem das Gewebe unter den Augen, samt den Infraorbitalkuochen und natürlich samt allen Nerven, die hier verliefen. Nun atmete ich sie künstlich durch einen im Munde befesticten Schlauch und überzeuste mich dann, dass sie noch mit voller Deutlichkeit auf Verdunklung und Belichtung reagierte. Jetzt entfernte ich ihr von der Oberseite des Kopfes die Haut vollständig, bis an die oberen Enden der Kiemenspalten heran, und führte an der Unterseite (wo sich die Haut nicht abschaben lässt), zwischen den unteren Enden der Kiemenspalten einen Hautschnitt aus, so dass eventuell vorhandene Nervengeflechte der Kopfhaut mit solchen der Körperhaut durch die Haut nicht mehr in Verbindung sein konnten. Dennoch reagierte sie noch deutlich, und sie reagierte auch noch, als ich ihr die letzten Hautstellen am Kopf, die unter diesen Umständen in Betracht kamen, entfernte, indem ich beide Kiemendeckel wegschnitt. Es folet daraus, dass das fragliche Organ nicht aussen am Kopf, sondern im Kopf zu suchen ist. Betrachtet man aufmerksam den Kopf einer Pfrille von oben, so findet man bei jedem Tiere, allerdings nieht überall mit gleicher Deutlichkeit, in der Medianlinie an der Grenze von Vorderhirn und Mittelhirn, welehe durch das Schädeldach hindurch ganz gut zu er- kennen sind, eine rötlich durchscheinende Stelle, einen richtigen Scheitelfleck, wie er von Reptilien längst bekannt ist. Der Scheitelfleck ist in Fig. 11 und 12 auf Tafel V nach einer Pfrille, die ihn besonders schön zeigte, eingezeichnet. Natürlich lenkte sich mein Verdacht gleich auf diesen Fleck, als ich ihn bemerkte. Um die lokale Belichtung auf einzelne Stellen des Kopfes und speziell auf diesen Scheitelfleck beschränken zu können, war es notwendig, das in Fig. 4 abgebildete Gefäss etwas zu modifizieren. Die nebenstehende Fig. 5 zeigt einen Behälter, der sich als sehr brauchbar erwies. An den Enden sind die Gummischläuche für den Wasserdurchfluss angebracht. In der Mitte sind die beiden Teile durch ein kurzes Stück Gummischlauch (@) miteinander verbunden. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 375 Hier wird der Fisch in den Behälter eingebracht, nachdem ihm ein kleiner Angelhaken am Mund befestigt ist; dieser hängt an einem Faden (F), der durch die Eiuflussöffnung geführt ist und von aussen angezogen werden kann. Diese Einrichtung ist notwendig, um den Fisch am Vorderende des Gefässes festzuhalten. Dann liegt seine Stirn nahe an der Glasfläche, und man kann nun auf ihr kleine Partien scharf begrenzt beleuchten. Ich machte die Versuche in der Dunkelkammer, mit dem Licht einer Bogenlampe (Z), das: durch eine Linse konzentriert war (vgl. Fig. 6); vor die Stirn des Fisches wurde ein schwarzes Papier (P) gehalten, das nur durch ein kleines Loch Licht durchliess. Ausserdem war zwischen Lampe und Fisch eine Wasserschicht (W) zur Ausschaltung der Wärmestrahlen und in ‚manchen Fällen Chininbisulfat (C’A) zur Ausschaltung des ultravioletten Lichtes eingeschaltet. Es sei gleich hier erwähnt, dass die zuletzt genannte Maassregel auf den Ablauf der Reaktion keinen Einfluss hat. Es ergab sich nun mit aller Sicherheit, und ich konnte es auch anderen demonstrieren, dass es die Beleuchtung des Scheitel- fleckes ist, welche die Reaktion auslöst!). Ich konnte die Be- lichtung auf ein so kleines Gebiet beschränken, wie es die punktierte 1) Dass die Reaktion wirklich durch die Belichtung und nicht durch ine Wärmewirkung zustande kommt, geht schon daraus hervor, dass sie auch im diffusen Tageslicht, ja in der Dämmerung vor sich geht. 376 Karl v. Frisch: Linie in der nebenstehenden Skizze (Fig. 7), in welcher die durch den Knochen hindurch sichtbaren Konturen des Vorder- und Mittel- hirns eingezeichnet sind, angibt; der schwarze Punkt zeigt die Aus- dehnung des Scheitelflecks an. Die Belichtung dieses Gebietes hatte stets prompt die Expansion der Pigmentzellen am ganzen Körper zur Folge; bei Verdunklung dieses Gebietes wurde der ganze Körper hell. (Diese Vorgänge lassen sich beim Licht einer Kerze, dessen Intensität neben der des Bogen- lichtes nicht störend ist, leicht verfolgen.) Konzentriert man aber das Licht auf das Vorderhirn, oder auf das Mittelhirn bis nahe an den Scheitelfleck heran, oder auf die Schnauze, die Kiemendeckel, so erhält man keine Reaktion. Ich erinnere jetzt daran, dass es diese Stelle, an der Grenze von Vorderhirn und Mittelhirn, war, deren elektrische Reizung bei den Pfrillen so konstant, bei den Forellen so undeutlich Verdunklung des ganzen Körpers zur Folge hatte (S. 335,- 336); jene Differenz ist nun verständlich, da die blinden Pfrillen so viel deutlicher als die blinden Forellen auf Licht reagieren. Und es geht daraus hervor, dass das Organ, welches hier seinen Sitz hat, nicht nur auf Licht, sondern auch auf elektrische Reize anspricht. Wohl jeder wäre unter diesen Umständen, so wie ich, überzeugt _ gewesen, ein funktionierendes Parietalorgan nachgewiesen zu haben. Und ich wurde in dieser Meinung nur bestärkt, als ich die übersichtliche Zusammenfassung der bisher erlangten Kenntnisse über die Parietalorgane von Studnicka!) zu sehen bekam. Denn .da erfährt man, dass in der Wand des Pinealorgans |Epiphyse, hinteres Parietalorgan ?)] der Knochenfische, dessen Lage ja jener Fig. 7. 1) Die Parietalorgane. Oppel, Lehrbuch der vergl. mikroskopischen Ana- tomie der Wirbeltiere, 5. Teil. 1905. 2) Nicht homolog dem Parietalauge der Saurier und von Sphenodon (Hatteria), dem „vorderen Parietalorgan“. Beide Parietalorgane entstehen als hinter- einandergelegene Ausstülpungen des Zwischenhirndaches.. Bei den Knochen- fischen ist die Anlage eines vorderen Parietalorgans nur in einigen Fällen, in Jungen Entwicklungsstadien beobachtet. Das hintere Parietalorgan oder Pinealorgan kommt mit wenigen Ausnahmen allen Wirbeltieren zu. Es scheint ursprünglich ein einfach gebautes Sinnesorgan gewesen zu sein, das dann einen Funktionswechsel durchgemacht und zu einer Drüse mit unbekannter Funktion geworden ist. Als solche erscheint es bereits bei den Amphibien und Reptilien, während es bei den Fischen den Beginn der Umwandlung zu einer Drüse schon erkennen lässt, seine Bedeutung als Sinnesorgan aber noch nicht verloren zu haben braucht (Studnitka). Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 377 kritischen Stelle genau entspricht, Zellen nachgewiesen wurden, die in ihrem Bau sehr an Sinneszellen erinnern, und düss sich in mehreren Fällen, so beim Hecht und Karpfen, ein Nervenstrang („Traetus pinealis“) verfolgen liess, der von der Endblase des Organs durch dessen Stiel in die Commissura posterior zieht. Bei den Pfrillen sind diese Verhältnisse offenbar nicht untersucht, denn Studnitka erwähnt sie nicht und würde sonst auch schwerlich sagen, dass man bei den Teleostiern „in keinem Falle von einem Scheitelfleck sprechen“ kann (l. e. S. 85). Übrigens besitzt auch der Flussbarsch und die Karausche einen Scheitelfleeck, doch ist er bei diesen viel weniger auffallend als bei der Pfrille. Auch bei den kleinen Aalen fällt an der betreffenden Stelle ein kleiner heller Punkt auf. Die Tatsache, dass das Pinealorgan bei verschiedenen Knochen- fischen sehr ungleich entwickelt ist, würde zu unserer Erfahrung stimmen, dass die Reaktion auf Licht bei den verschiedenen Arten sehr ungleich ist. Und käme dem Pinealorgan nicht nur bei den Fischen, sodern auch bei anderen wit Farbwechsel begabten Wirbel- tieren eine derartige Funktion zu, so könnte eine bisher rätselhafte Erscheinung dadurch ihre Erklärung finden: dass die Kaulquappen von Rana temporaria nach !/«—!/estündigem Aufenthalt iın Dunkeln am ganzen Körper deutlich aufzehellt sind und sich am Licht wieder verdunkeln, während man doch von den erwachsenen Fröschen weiss, dass die Pigmentzellen durch Lichtreize zur Kontraktion gebracht werden. Auch andere Amphibien verhalten sich ähnlich. Junge, geblendete Axolotllarven (Amblystoma mexicanum Cope) werden, wie Babäk!) gefunden hat, bei längerem Dunkelaufenthalt hell, am Licht dunkel. Ich selbst sah die gleiche Reaktion bei einer jungen, ca. 3V/s em langen Larve vom Feuersalamander (Sala- mandra maculosa Laur.), aber‘ auch bei erwachsenen Kammolchen (Triton eristatus Laur.), von denen sich manche bei Belichtung ziemlich rasch, etwa binren fünf Minuten, am ganzen Körper deut- lich verdunkelten, und zwar wenn sie sehend waren in gleicher Weise ‚wie nach der Exstirpation beider Augen. Alle diese Dinge wären leicht zu begreifen, wenn die Epiphyse ein funktionierendes, Licht perzipierendes Organ wäre, das die Pigmentzellen in der geschilderten Weise beeinflusst. Doch leider lässt sich dies nicht so glattweg behaupten. 1) Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 131 S. S7—118. 378 Karl v. Frisch: Was zunächst die Amphibien anbelangt, so war bei der Feuer- salamanderlarve uud bei den Tritonen nicht jener deutliche Effekt bei Belichtung des Kopfes zu erhalten wie an den Pfrillen. Es scheint sich aber auch nicht um eine lokale Lichtwirkung zu handeln, vielmehr hatte ich den Eindruck, als würde die Belichtung einer jeden Körperstelle Verdunklung des ganzen Körpers zur Folge haben. Es wäre also diese Reaktion der Amphibien mit der der Fische nicht zu identifizieren. Wie steht nun die Sache bei den Pfrillen? Ist das Pinealorgan Vermittler der Reaktion, dann muss diese verschwinden, wenn jenes entfernt wird. Dies scheint auch bei flüchtiger Betrachtung der Fall zu sein. Zerstört man den Pfrillen mit einer Nadel das unter dem Scheitelfleck gelegene Gewebe, oder hebt man das Schädeldach ab, entfernt die Epiphyse mit der Pinzette und verschliesst den Schädel wieder, so werden sie in der Regel stark dunkel und scheinen zunächst auf Verdunklung und Belichtung nicht zu reagieren. Sieht man aber genau zu, so bemerkt man doch Andeutungen des Farb- wechsels, und am nächsten Tag pflegt dieser schon recht augenfällig zu sein. Er bleibt sogar auch dann bestehen, wenn der Schädel nach der Operation nicht verschlossen wurde und das Gehirn dem Wasser ausgesetzt ist, was die Fische merkwürdig lange aushalten. Und auch jetzt noch wird die Reaktion vom selben Punkt des Gehirnes ausgelöst. Führt man an einer der- artig operierten Pfrille in der Dunkelkammer solche Belichtungs- versuche aus, wie sie oben für normale geblendete Pfrillen geschildert wurden, so erhält man Verdunklung des Körpers nur dann, wenn man jene Stelle des Hirnes belichtet, wo das Pinealorgan gelegen war; die Beschattung dieser Stelle gibt Aufhellung des ganzen Körpers. Unzerstörte Reste der Epiphyse oder des Epiphysenstieles können dabei keine Rolle spielen; denn von solchen war in den Serieuschnitten durch die Köpfe zweier Pfrillen, die nach der Epiphysenexstirpation noch deutlich auf Verdunklung und Belichtung des Kopfes reagiert hatten, und die ich in Formol fixierte, keine Spur zu finden. Sieht man sich die Lage der Gehirnteile an einem medianen Sagittalschnitt durch einen Pfrillenkopf an (Fig. 8 gibt eine Über- sicht über die Gegend des Gehirns, die uns interessiert), so erscheint, nachdem die Epiphyse erledigt ist, die Hypophyse als verdächtiges Gebilde. Sie liest im Bereich der durch den Scheitelfleck ein- Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 379 dringenden Lichtstrahlen. Ihre Zerstörung bietet bei den augen- losen Fischen keine besondere Schwierigkeit; denn sie ist für ein spitziges Instrument von der Augenhöhle aus zugänglich. Ein solcher Eineriff blieb für die Lichtreaktion stets belanglos. Serienschuitte durch den Kopf einer operierten Pfrille bewiesen, dass die Reaktion auch bei völliger Zerstörung der Hypophyse erhalten geblieben war. Was bleibt nun noch übrig? Zwischen Epiphyse und Hypophyse liest der Hohlraum des Ventrikels, und nur eine Stelle gibt es noch, die Beachtung verlangt; eine Stelle des Ependyms, die ganz anders Fig. 8. O.h. Commissura habenularis. C.p. Commissura posterior. D Dorsal- sack. E Epiphyse. 4 Haut. Hy Hypophyse. K Kleinhirn. Kn Knorpelspange. M Mittelhirn. © Med. oblongata. P Pıgmentzellen. Pa Pallınm, Vorderhirn- decke. $ Epiphysenstiel. Sb Schädelbasis. Sd Schädeldach. Sch Schaltstück. Schf. Scheitelfleck (die Pigmentzellen der inneren Schicht fehlen, während die äussere Pigmentlage nicht unterbrochen ist). YV Ventrikel. Vo Vorderhirn. V.t. Velum transversum. aussieht als die übrige Auskleidung der Ventrikel; eine median gelegene, verdickte Partie, welche an der Einmündungsstelle der Epiphyse in den Zwischenhirnventrikel beeinnt und sich bis zur Commissura posterior erstreckt. Studnitka bezeichnet sie als das „Sehaltstück“ und erwähnt, dass es bei den Teleostiern manchmal ganz kurz, in anderen Fällen jedoch erheblich lang ist. Ohne erst dureh histologische Methoden die Natur dieser Zellen zu unter- suchen, trachtete ich durch ihre Zerstörung zu erfahren, ob man in ihnen das fragliche Sinnesorgan zu erkennen hat. Das ist nun 380 Karl v. Frisch: allerdings ein ziemlich tiefer Eingriff, doch überlebten ihn die Pfrillen senügend lange, wenn sie nur nach der Operation in kaltem, fliessendem Wasser gehalten wurden. In den ersten Stunden nach der Operation blieb die Verdunklung und Belichtung dieser Pfrillen ganz resultatlos.. Einen Tag später aber war bei allen Tieren die Reaktion zu erkennen, nur war sie recht ungleichmässig, indem die- selben Fische, wenn sie mehrere Minuten verdunkelt und dann belichtet wurden, manchmal gar keinen Farbwechsel zeigten, und manchmal einen so deutlichen, dass er auch von ungeübten Personen sogleich wahrgenommen wurde. Natürlich fixierte ich nach den Versuchen die Köpfe der Pfrillen und zerlegte sie in Serienschnitte. Da sich nun unter den derart behandelten Pfrillen vier befanden, die am Tage nach der Operation auf Belichtung und Verdunklung reagiert hatten, und bei denen das „Schaltstück“ zerstört war, und zwar bei zweien so gründlich zerstört, dass in den Serienschnitten keine Spur von seinen Zellen zu erkennen war, während sich bei den zwei anderen versprengte, aus ihrer Lage gebrachte Reste fanden, darf ich auch dem Schaltstück nicht die Bedeutung eines Sinnes- organes zusprechen. So stehen die Dinge jetzt, und es kommt mir nach alledem am wahrscheinlichsten vor, dass sich in der Zwischenhirngesend, wohl zwischen den Epithelzellen des Ventrikels und seiner Aus- stülpungen, lichtperzipierende Zellen befinden, von denen Nerven- fasern in die Tiefe des Gehirus ziehen, und die mit dem pigmento- motorischen Apparat zu dem oben beschriebenen Reflex verbunden sind. Vielleicht sind diese Zellen im Pinealorgan besonders dicht- sedrängt, vielleicht sind sie hier identisch mit den bekannten „Sinnes- zellen“, und vielleicht entspricht hier der „Tractus pinealis“ den postulierten Nervenfasern. Aber sie können nicht auf das Pineal- organ allein. beschräukt sein, sonst müsste nach dessen Zerstörung die Reaktion vernichtet sein. Die Annahme, dass unsere Sinneszellen ihren Hauptsitz im Pinealorgan haben, aber auch ausserhalb des- selben, im Epithel des Zwischenhirnventrikels selbst vorkommen, scheint mir nicht unberechtiet, wenn man bedenkt, dass das Pineal- organ als Ausstülpung des Zwischenhirnventrikels eutsteht, und dass seine epitheliale Auskleidung mit der des Ventrikels bei den Fischen dauernd in kontinuierlicher Verbindung ist. Doch bleibt die An- sicht reine Hypothese, solange sie sich nicht auf histologische Tat- sachen stützen kann. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 381 Zusammenfassung der wichtigsten Resultate. 1. Im Gehirn der Pfrille (Ellritze, Phoxinus laevis L.) befindet sich ein Zentrum für die Pigmentkontraktion am Vorderende des verlängerten Markes. Die Erregung dieses Zentrums hat Pigment- ballung, seine Zerstörung hingegen die Erschlaffung (Expansion) der Pigmentzellen am vanzen Fischkörper zur unmittelbaren Folge. Die Bahnen, auf denen die Erregungen vom Gehirn zu den Pigment- zellen der Haut geleitet werden, sind die folgenden: Vom Gehirn ziehen die pigmentomotorischen Nervenfasern im Rückenmaık kaudal- wärts bis in die Gegend des 15. Wirbels, wo sie aus dem Rücken- mark in den Sympathieus übertreten und nun in diesem nach vorne und hinten verlaufen. Aus den Sympathieus werden sie durch die Spinalnerven segmental der Haut zugeführt. Am Kopf übernimmt der N. trigeminus die Rolle der Spinalnerven. Es scheint im Rückenmark ein zweites, dem Gehirnzentrum untergeordnetes Zentrum für die Pigmentkontraktion zu bestehen, das sich von der Region des 15. Wirbels bis gegen den Kopf hin erstreckt; denn es gehen, ganz unabhängig vom Gehirn, einige Zeit nach dem Tode von hier Erregungen aus, die alle Pigmentzellen zu maximaler Kontraktion bringen. Bei der Forelle (Salmo fario L.) liegen die Verhältnisse im wesentlichen gleich. 2. Anämie hat bei Fischen, wie bei anderen Tieren, die Ballung die Piementzellen zur Folge. Denselben Effekt hat ein lokal auf die Haut ausgeübter Druck. Der wirksame Faktor ist in beiden Fällen der Sauerstoffmangel. Er wirkt direkt auf die Pigmentzellen, unabhängig vom zentralen wie vom peripheren Nervensystem. 3. Alle Eingriffe, durch welche die Augen sehuntüchtig ge- macht werden (Exstirpation der Augen, Durchschneidung der Nervi optiei, Durchsehneidung des Chiasmas in der Schädelhöhle, Zer- störung der Retinae) haben bei Cyprinoiden (Karauschen, Pfrillen) und Salmoniden (Forelle, Saibling) eine Verdunklung des ganzen Körpers zur Folge. Sie tritt sogleich (nach wenigen Minuten) ein und hält mehrere Wochen an, dann stellt sieh aber allmählich die normale Färbung wieder her. Der blinde Fisch hat die Fähigkeit, sich in seiner Färbung dem Untergrund anzupassen, verloren, nicht aber die Fähigkeit des spontanen Farbwechsels überhaupt. Bei den Salmoniden kommt es nach der Blendung einfach deshalb zu einer Dunkelfärbung, weil die Anpassung an den hellen Untergrund 382 Karl v. Frisch: weefäll. Die Wahrnehmung des. Lichtes durch die. Augen ist normalerweise der wesentlichste von den Faktoren, die am Zustande- kommen des tonischen Kontraktionszustandes der Piementzellen be- teiliet sind, und wenn er weefällt, erschlaffen die Pigmentzellen. Die Forelle färbt sich nieht nur dunkel, wenn man ihr beide Augen exstirpiert, sondern auch, wenn man sie mit intakten Augen ins Fiustere brinet. Bei den Karauschen und Pfrillen liegen die Ver- hältuisse insofern komplizierter, als hier die blinden Fische zwar nicht auf die Helliskeit des Untergrundes, wohl aber auf die Inten- sität der Belichtung, weleher sie ausgesetzt sind, in ausgesprochener Weise reagieren. Sie werden schon nach ea. Ye Minute dunkel, wenn man sie aus schwächerem in stärkeres Licht versetzt, und hellen sich rasch auf, wenn man sie ins Dunkle brinet. Diese Wirkung des Lichtes ist also direkt entgegengesetzt jener Wirkung, welche das durch die Augen wahrgenommene Licht auf die Piement- zellen ausübt; beim normalen Fisch durch den dominierenden Ein- fluss der Augen unterdrückt, wird sie erst nach deren Exstirpation deutlich und beherrscht nun den Farbwechsel; die Dunkelfärbung nach der Blendung bleibt aus, wenn man frisch geblendete Karauschen im Dunkeln hält. In der Regel ist die auffallende Verdunklung einige Wochen nach «der Blendung gewichen; doch findet man die blinden Fische selten mit den normalen Kontrolltieren völlig gleich gefärbt, da die Färbung bei den einen in eıster Linie von der jeweiligen Lichtintensität, b>i den anderen von Helliekeit und Färbung des Untererundes abhäuet. Manche Fische wurden aber nach einigen Wochen abuorm hell und manche andere blieben stark dunkel, und diese Differenzen steigerten sich allmählich. Manche wurden sogar erst nach Monaten, nachdem sie längst ihre normale F EuunD wieder- erlangt hatten, abnorm hell oder dunkel. Die Exstirpation eines Auges hat bei den Cyprinoiden auch eine vorübergehende, jedoch kürzer währende Verdunklung des, ganzen Körpers zur Folge. Dann stellt sich stets die normale Färbung wieder her, und die Anpassung an den Untererund wird nun dureh das eine Auge vermittelt, wie früher durch beide. Da- ‚gegen färbt sich bei Salmoniden nach der Exstirpation eines Auges die entgegengesetzte Körperseite dunkler, und diese Färbungsdifferenz zwischen beiden Körperseiten bleibt bestehen. 4. Das Verkleben der Augen mit einer schwarzen Masse hat bei Forellen denselben Effekt wie ihre Exstirpation. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut, 383 Verklebt man nur die unteren Teile der Augen und lässt -man die oberen Teile frei, so färben sich die Forellen tiefschwarz, viel dunkler, als wenn man beide Augen vollständig verstreicht oder exstipiert. Dagegen bleibt es ganz ohne Einfluss auf die Färbung, wenn man die oberen Augenteile verklebt und die unteren freilässt. Es folet daraus, dass zum Zustandekommen der Dunkel- .färbung, wie sie eintritt, wenn man eine Forelle auf schwarzen Untergrund versetzt, eben die Wahrnehmung des dunkeln Unter- grundes erforderlich ist, im Gegensatz zu gewissen Krebsen, welche sich dunkel färben, wenn ein bestimmter Bruchteil ihrer Augen- oberfläche, gleichgültig in welcher Region, verklebt wird. 5. Es ist die Hypothese aufgestellt worden, dass die Pigment- bildung durch einen andauernden Expansionszustand der Chromato- phoren gefördert, durch ihre andauernde Kontraktion aber gehemmt werde. An Forellen, denen ein Auge exstirpiert wurde, und die daher auf einer Körperseite dunkler gefärbt waren als auf der anderen, wurden zu verschiedenen Zeiten nach der Operation Zählungen der Pigmentzellen vorgenommen, und die Resultate sprechen zugunsten der genannten Hypothese. Durch diese scheinen mir die starken Abweichungen von der normalen Färbung, welche bei manchen blinden Fischen längere Zeit nach der Blendung eintraten, eine befriedigende Erklärung zu finden; denn man kann wohl das erste Auftreten, nicht aber das lange Andauern und die allmähliche Steigerung der Abweichung als Folge einer „Stimmung“ betrachten. Auch manche andere Erscheinung wird dadurch verständlich, so z. B. die von Franz beobachtete intensivere Pigmentieruug von Schollen, die sich dauernd auf dunkelm Grund aufhalten (vgl. S. 365) und. die bei verschiedenen Fischen nach anhaltender Expansion der Melanophoren auftretende Pigmentierung des vorher piementfreien Bauches (vgl. S. 348, 349). Vielleicht spielt derselbe Faktor auch beim Entstehen der grossen dunkeln Seitenflecken der Forellen mit. Zunächst, bei den jungen Tieren sind sie nämlich nur durch eine stärkere Expansion, nicht durch eine grössere Anzahl von Pigment- zellen verursacht, und erst später werden die Chromatophoren da, wo sie dauernd stark expandiert sind, auch zahlreicher. 6. Während das Licht auf die Färbung von Forellen, denen beide Augen exstirpiert worden sind, ziemlich ohne Einfluss ist, reagieren blinde Pfrillen, Karauschen und Flussbarsche auf eine Er- höhung der Lichtintensität prompt durch Verdunklung, auf eine Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 25 384 Karl v. Frisch: Herabsetzung derselben durch Aufhellung des ganzen Körpers. Es handelt sich dabei nicht um eine direkte Erregbarkeit der Chromato- phoren durch das Lieht; von einer solehen konnte weder bei jungen Forellen noch bei Pfrillen eine Spur gefunden werden. . Vielmehr wird die Reaktion bei den Pfrillen von einer Stelle des Kopfes aus- gelöst, deren Lage genau der Lage des Pinealorgans (Parietalorgan, Epiphyse) entspricht, und welche schon äusserlich dadurch auffällt, dass sie durchscheinend ist — die Pfrille besitzt einen richtigen Scheitelfleck, wie manche Reptilien, und die Belichtung dieses Scheitel- fleckes veranlasst die sofortige Expansion der Pigmentzellen des ganzen Körpers, seine Beschattung aber bewirkt Pigmentballung. Auch die elektrische Reizung dieser Stelle hat bei der Pfrille Verdunklung des ganzen Körpers zur Folge, während sie bei der Forelle ohne deutliche Wirkung bleibt. Die Annahme, dass die Pfrille ein funktionierendes Pinealorgan besitzt, welches Licht perzipiert und mit dem pigmento- motorischen Apparat zu dem beschriebenen Reflex verbunden ist, stösst auf die Schwierigkeit, dass die vollständige Exstirpation des Pinealorgans nicht die vollständige Vernichtung der Reaktion auf Lieht nach sich zieht; und zwar tritt auch dann noch die Reaktion nur ein, wenn man den Punkt des Gehirns belichtet, wo das Pineal- organ gesessen hatte. Da nun an dieser Stelle nur noch zwei Organe zu finden sind, die für die Reaktion verantwortlich gemacht werden könnten, nämlich die Hypophyse und das sogenannte Schaltstück; da es ferner gelang, auch diese beiden Organe völlig zu zerstören, ohne dass dadurch die Fähigkeit der blinden Pfrillen, auf Licht zu reagieren, aufgehoben war, vermute ich, dass in der epithelialen Auskleidung des Zwischenhirnventrikels die Sinneszellen zu suchen sind, die dureh Lieht erregt werden; es mag sein, dass sie in der Ausstülpung des Zwischenhirnventrikels, welche das Pinealorgan darstellt, be- sonders dicht liegen, und dass sie hier mit den bekannten „Sinnes- zellen“ und die zu ihnen gehörigen Nervenfasern mit dem „Traetus pinealis“ identisch sind. Literaturverzeichnis. Ein ausführliches Verzeichnis der Pigment-Literatur bis zum Jahre 1906 findet man bei Rynberk (1906). Die seither erschienenen Arbeiten, welche _auf unser Thema Bezug haben, führe ich hier vollständig an, soweit sie mir bekannt ge- worden. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. 385 1906. Fiore, Influenza dei centri visivi (lobi ottici e retina) sul pigmento della cute dei pesci colorati. Ann. Ottalm. Pavia Anno 35 p. 145—146. Fuchs, Zur Physiologie der Pigmentzellen. Biol. Zentralbl. Bd. 26. Lehmann, Über sympathische Färbung und die Pigmentbildung bei Barsch und Forelle. Diss. Bern. Parker, The influence of light and heat on the movement of the melanophore pigment, especially iu Lizards. Journ. exper. Zool. Baltimore vol. 3 p. 401—414, Saint-Hilaire, Über die Innervation der Chromatophoren bei den Kephalopoden. Sitzungsber. d. Naturwissensch. Gesellsch. Dorpat Bd. 15 S. 60—66. v. Rynberk, Über den durch Chromatophoren bedingten Farbenwechsel der Tiere. — Asher u. Spiro, Ergebn. d. Physiol. 5. Jahrg. (1. u. 2. Abt.) 1907, Hertel, Einiges über die Bedeutung des Pigmentes für die physiologische Wirkung der Lichtstrahlen. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 6 S. 44—70. Hofmann, Über einen peripheren Tonus der Cephalopoden — Chromatophoren und über ihre Beeinflussung durch Gifte. Pflüger’s Arch, f. d. ges. Physiol. Bd. 118 S. 413—451. Hofmann, Gibt es in der Muskulatur der Mollusken periphere, kontinuierlich leitende Nervennetze bei Abwesenheit von Ganglienzellen? I. Untersuchungen an Kephalopoden. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 118 S. 375—412. Kahn und Lieben, Über die scheinbaren Gestaltsänderungen der Pigment- zellen. Arch. f. Anat. u. Physiol. physiol. Abt. S. 104—111. 1908. Eternod und Robert, Les chromatocytes, Anatomie, Physiologie. Note provi- soire. Verhandl. d. anat. Gesellsch. 22. Versamml. p. 121—130. Franz, Die Struktur der Pigmentzellen. Biol. Zentralbl. Bd. 28 S. 536—548. Golovine, Etudes sur les cellules pigmentaires des Vertebres. — Ann. Inst, Pasteur 21. Annee S. 858—831. Ogneff, Über die Veränderungen in den Chromatophoren bei Axolotln und Goldfischen bei dauernder Lichtentbehrung und Hungern. Anat. Anz. Bd. 32. Ss. 591—607. Sollaud, Röle du systeme nerveux dans les changements de coloration chez la grenouille. Compt. rend. Acad. des Science. Paris t. 147 p. 536—538. Tornier, Vorläufiges über experimentell erzielten Hautalbinismus bei Axolotl- Larven. Sitzungsber. d. Gesellsch. naturwissensch. Freunde Berlin S. 66—67. Tornier, Über eine albinotische Ringelnatter und ihr‘ Entstehen. Sitzungsber. d. Gesellsch. naturwissensch. Freunde Berlin S. 196—200. 1909. Mayerhofer, Farbwechselversuche am Hechte. Arch. f. Entwicklungsmechanik Bd. 28 S. 546—560. Seterov, Farbwechselversuche an der Bachgrundl. Arch. f. Entwicklungs- mechanik Bd. 28 S. 629—660. Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. Biol. Zentralbl. Bd. 29 S. 683. 25 * 386 Karl v. Frisch: 1910. Babak, Zur chromatischen Hautfunktion der Amphibien. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 131 S. 87—118. Se Franz, Zur Physiologie und Pathologie der Chromatophoren. Biol. Zentralbl. Bd. 30 S. 150—158. Fröhlich, Experimentelle Studien am Nervensystem der Mollusken. VI. Die Bedeutung des Strychnins und der Karbolsäure für die Differenzierung ver- schiedener Mechanismen im Nervensystem. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 11 S. 4—%. Fröhlich, Experimentelle Studien am Nervensystem der Mollusken. VII. Über den peripheren Tonus der Kephalopodenchromatophoren und seine Hemmung. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 11 S. 99—106. Fuchs, Zur Physiologie der Pigmentzellen, zugleich ein Beitrag zur Funktion des Stellarganglions der Kephalopoden. Ach. f. Entwicklungsmechanik Ba. 30 - (Festschr. f. Roux) 2. Teil S. 389—410. Hofmann, Gibt es in der Muskulatur periphere, kontinuierlich leitende Nerven‘ netze bei Abwesenheit von Ganglienzellen? 2. Mitteil. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 132 S. 43—81. Hofmann, Chemische Reizung und Lähmung markloser Nerven und glatter Muskeln wirbelloser Tiere (Untersuchungen an den Chromatophoren der Kephalopoden). Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 132 S. 8$2—130. "Winkler, Beobachtungen über die Bewegungen der Pigmentzellen. Arch. f. Dermatologie und Syph. Bd. 101. Tafelerklärnng. Tafel IV. Fig. 1. Einer Pfrille (Phoxinus laevis) wurde an zwei Punkten, welche die Über- trittsstelle der pigmentomotorischen Nervenfasern aus dem Rückenmark in den Sympathicus zwischen sich fassen, die Wirbelsäule (also auch Rücken- mark und Sympathicus) durchtrennt. Die Photographie zeigt das Tier im Stadium der ersten postmortalen Aufhellung, welche von dem zwischen beiden Schnitten liegenden Teil des Rückenmarks ausgeht. Wegen der Sympathicusdurchtrennungen bleibt die Aufhellung auf die gürtelförmige Zone beschränkt. (Die natürlichen Farben sind aus der Fig. 9 auf Tafel V zu ersehen.) Fig. 2. Dieselbe Operation an einer Forelle (Salmo fario).. Konserviertes Exemplar. NB. Die vordere Grenze der Verfärbung liegt hinter dem Schnitt, weil die an der Schnittstelle den Sympathicus verlassenden Nervenfasern erst be- trächtlich weiter hinten die Haut erreichen. Für den hinteren Schnitt gilt dasselbe; doch wird das Bild dadurch verändert, dass die durch den Schnitt bedingte Zerstörung der Nerven auf ihrem Wege zur Haut eine Verdunklung hinter der Wunde bewirkt. DR) Bun, hen “ RUN: SVEN, Pflüger's Archiv für die ges. Physiologie. Bd.138. 3 Taf.W. a, u e 5; I POREONND Verlag von Martin Hager ‚Born. | Lith.Anst v_F.Wirtz Darmstadt. R. 2 IS aa 5 DE TEEN TarV. Pflüger's Archiv für die ges. Physiologie. Bd.138. 8 Lith.Anst. v.F. Wirtz Darmstadt. Verlag v: Martin Hager ‚Born. Beiträge zur Physiologie der. Pigmentzellen in der Fischhaut. 387 Fig. 3. Photographie einer Pfrille, der unter der Rückenflosse die Wirbelsäule durchtrennt wurde. Infolge der Anämie hat sich nach einigen Stunden der von der Zirkulation abgeschnittene Körperteil maximal aufgehellt. (Der Vorderkörper ist maximal dunkel, weil der Fisch vor der photographischen Aufnahme getötet wurde; das Farbenverhältnis am lebenden Tier gibt Fig. 10 auf Tafel V wieder.) “ Fig. 4 „Druckwirkung“. Eine tote junge Forelle wurde in einem Kom- pressorium seitlich zusammengedrückt. Nach kurzer Zeit kontrahieren sich die Pigmentzellen, soweit sie dem Drucke ausgesetzt sind. Es wurde nun eine Hautpartie an der Grenze der gedrückten Stelle mikro- photographisch aufgenommen, um den grossen Unterschied des Kontraktions- zustandes zu zeigen. (34 fache Vergrösserung.) Fig. 5. Eine Pfrille wurde getötet und in einer feuchten Kammer der Luft aus- gesetzt. Auf ihrem Körper wurden zwei viereckige Stückchen Papier auf- gelegt, und zwar ein luftundurchlässiges (mit Paraffin getränktes) in a und ein luftdurchlässiges (Lage durch die punktierte Linie bei b an- gegeben). Nach einiger Zeit wurden beide Papiere entfernt; die Zeichnung demonstriert den eingetretenen Erfolg: Aufhellung in a, keine Aufhellung in b. Der Versuch zeigt, dass die „Druckwirkung“ auf den durch den Druck bedingten Sauerstoffmangel zurückzuführen ist. Fig. 6. Schema des Verlaufs der pigmentomotorischen Nervenfasern (bei der Pfrille). W Wirbelsäule, R Rückenmark, 5 Sympathicus, N Spinalnerven, T Trigeminas, P Pigmentzellen, Z Rückenmarkszentrum. Tafel V. Fig. 7. Färbung einer lebenden Pfrille, der vor dem 15. Wirbel der Sympathicus durchtrennt wurde. Der Hinterkörper hat seine normale Farbe behalten, während der Vorderkörper maximal verdunkelt ist. (Natürl. Grösse.) Fig. 8. Pfrille, welcher der Sympathicus linkerseits vor dem 15. Wirbel durch- trennt wurde, von oben gesehen. (Natürl. Grösse.) Fig. 9. Gürtelförmige, postmortale Aufhellung an der Pfrille (vgl. Erklärung von Fig. 1). (Natürl. Grösse.) Fig. 10. Anämieaufhellung an der lebenden Pfrille.. Der Vörderkörper ist normal gefärbt. (Natürl. Grösse.) Fig. 11. Blinde Pfrille, nach 3 Minuten langem Aufenthalt im Dunkeln, in dem Moment, wo sie ans Licht gebracht wird. Fig. 12. Dasselbe Tier eine Minute später. (Beide Fig. etwas vergrössert.) Fig. 13. Färbung einer Forelle, welcher das rechte Auge exstirpiert wurde; bei Belichtung von oben und ohne Schattierung dargestellt. (Natürl. Grösse.) 388 J. Matula: (Aus der biologischen Versuchsanstalt in Wien.) Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems bei Insekten. Von 3. Matula. (Mit 6 Textfiguren.) Einleitung. Die Physiologie des Zentralnervensystems ist bis in die letzte Zeit, soweit sie exakt war, vornehmlich eine Physiologie der Reflexe und ihrer Koordination gewesen. Wenn auch gewisse andere Vor- gänge im Geschehen dieses komplizierten Organsystems, die nicht so ohne weiteres sich in das Schema des Reflexes einfügen liessen, naturgemäss dem aufmerksamen Beobachter nicht verborgen bleiben konnten, so ist doch ihre Bedeutung bis heutigen Tages im all- gemeinen wohl ungeklärt und unbekannt geblieben. Ich meine damit Erscheinungen, denen wir unter den verschiedensten Bezeichnungen, die allgemein zugestanden oft sehr heterogene Dinge zusammen- fassen (als wie Tonus, Kontraktur, Atonie, Ataxie usw., sowie unter manchen psychologisierenden Termini), auf Sehritt und Tritt in der Physiologie und Pathologie der nervösen Organe begegnen. Das In- einandergreifen verschiedenartiger Prozesse im Nervensystem höherer Tiere macht dieselben, solange eine ganz spezielle Fragestellung noch fehlt, selbst für eine rohe Analyse dieser Dinge ungeeignet. So ist es gekommen, dass die Exaktheit in der Physiologie des Zentralnervensystems nicht weit über die Reflexlehre hinausgeht, da darüber hinaus besonders die Vermischung von Physiologie und Psychologie alle Exaktheit zunichte macht. Daher die Tendenz einiger Autoren, den Begriff des Zentrums überhaupt zu beseitigen, um damit aller Unklarheit und allem Mystizismus ein Ende zu be- reiten. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 389. Die Verhältnisse bei niederen Tieren, die doch sieher einfacher liegen, waren bis vor nicht gar zu langer Zeit, man kann ruhig sagen, völlig unbekannt. Trotz der verhältnismässig kurzen Zeit ihres Bestehens hat aber die Physiologie der wirbellosen Tiere . wesentlich zur Förderung und Vertiefung unserer Anschauungen über die Funktionen des Zentralnervensystems beigetragen. Wenn es nun auch unzulässig ist, die an einem bestimmten Organismus gewonnenen Resultate zu verallgemeinern, so darf man doch hieraus bestimmte Fragestellungen für andere Organismen ableiten, und diese bestimmten Fragestellungen sind es eben, welche uns für höhere Tiere, nament- lich für Wirbeltiere, gefehlt haben. H. Jordan hat als erster die Ganglien niederer Tiere mit glatter Muskulatur („reflexarme Tiere“) auf andere Funktionen, als Reflex- und Koordinationsfunktionen messend untersucht, welche Funktionen, da sie nicht den Reflexvorgang als solchen, sondern bloss seine Quantität betreffen, er als „quantitative Funk- tionen bezeichnet hat!). Wir wollen einen Schritt weitergehen und die gleichen Funk- tionen bei einem Tiere mit quergestreifter Muskulatur, bei einem Vertreter der Insekten untersuchen.) Die „quantitativen Funk- tionen“ der Ganglien oder, wie ich allgemeiner sagen möchte, das „Problem der Energetik“ (im Gegensatz zum Problem der Reflexkoordination) im Nervensystem der Insekten sollen den Gegen- stand der vorliegenden Untersuchung bilden. Wir haben das Problem der Koordination, d. h. die Physiologie der Reflexe, nicht gänzlich ausser acht lassen können, da es in inniger Verbindung mit den energetischen Vorgängen im Nervensystem steht; jedoch haben wir den Reflexvorgängen erst in zweiter Linie Beachtung geschenkt. Unsere Methodik wird selbstverständlich von der von Jordan bei Schnecken und anderen reflexarmen Tieren geübten abweichen müssen; denn die Insekten besitzen keine glatte, der Lokomotion dienende Muskulatur, keine „Tonusmuskulatur“ im Sinne Jordans, so dass in unserem Falle der einzelne. Muskel keinen Indikator für die Messungen abgeben kann, denn der quergestreifte Muskel kennt nur eine Art der Verkürzung, nämlich: Verkürzung auf Erregung, l) Jordan, Zeitschr. f. Biol. Bd. 41. 1901. — Pflüger’s Arch. Bd. 106 und 110. 1905. — Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 7 und 8. 1907, 1908. 390 J. Matula: der glatte Muskel aber noch einen „tonischen“ Verkürzungszustand (Jordan 1905)). Der Gang unserer Untersuchung soll folgender sein: Im ersten Abschnitt werden wir die quantitativen Funktionen der Ganglien in bezug auf eine rhythmische Bewegung, im zweiten Teile N, Fig. 1. Nervensystem und Musku- latur der Libellenlarve. Das Tier ist in der dorsalen Mittellinie aufge- schnitten und auseinandergeklappt. Es ist bloss die Muskulatur des Ab- domens eingezeichnet. 7 Cerebral- ganglion. 2 Unterschlundganglion. 3-5 1.-1II. Thoracalganglion. 6-12 Abdominalganglien. 13 und 14 ventrale Längsmuskeln. 15 gerader, 16 schiefer Seitenmuskel. 17 und 18 dorsale Längsmuskeln. 19 Trans- versalmuskel. 20 Supraintestinal- muskel. 21 Subintestinalmuskel. kommissuren verbundenen Thoracalganglien. eine andere Seite der energetischen Vorgänge im Nervensystem, nämlich die efferente (zentrifugale) Er- regsungsleitung experimentell und theoretisch in eingehender Weise be- handeln und schliesslich anhangsweise einige andere Funktionen des Zere- bralganglions besprechen. A. Anatomie. ‚Das Objekt unserer Versuche waren die Larven der grossen Libellen- art Aeschna. Es sind dies bis über 5 cm lange, grosse, kräftige, räuberisch lebende, bald grün, bald braun gefärbte Wassertiere, die im Sommer in stehen- den Gewässern häufig und in grösseren Mengen zu finden sind. Das für die Anatomie des Nervensystems für uns Wichtige ist am besten aus der neben- stehenden Figur zu ersehen (Fig. 1). Im Kopfe liest das mit Fühlern und Augen nervös verbundene ÜCere- bralganglion, von welchem den Schlund umgreifend zwei Kommissuren zu dem unter dem Darm gelegenen Unter- schlundganglion (Subösophagealgan- slion) gehen. Von diesem aus führt eine Doppelkommissur zu den drei, untereinander ebenfalls durch Doppel- Auf diese folgt die siebengliedrige Ganglienkette des Abdomens. 1) Jordan, Pflüger’s Arch. Bd. 110. 1905. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 39] Von der übrigen Anatomie interessiert uns nur die Muskulatur des Abdomens, da letzteres die Atembewegungen und die Schwimm- bewegungen ausführt. Die Atmung erfolgt durch Einsaugen von Wasser in dem und Ausstossen desselben aus dem mit einer grossen Menge kleiner Kiemen und einem reich entwickelten Tracheensystem versehenen Enddarm, zu welchem Zwecke die Leibeshöhle durch entsprechende Bewegungen des Abdominalpanzers erweitert und verengt wird. Die Tätigkeit des Darmes ist demnach dabei eine rein passive. In neben- stehender Figur ist der Querschnitt eines Segmentes des zehnglied- rigen Abdomens in der Exspirationsstellung gezeichnet, woselbst auch die Bezeichnung der einzeinen Teile des Panzers angegeben ist (Fig. 2). ZU © ll Bauchscnild Fig. 2. Querschnitt durch die Mitte eines Segments in der Exspirationsstellung. (Die gestrichelte Linie deutet die Inspirationsstellung an.) 13 innerer ventraler Längsmuskel. 14 äusserer ventraler Längsmuskel. 15 gerader Seitenmuskel. 16 schiefer Seitenmuskel. 77 gerader dorsaler Längsmuskel. 18 schiefer dor- saler Längsmuskel. 19 Lage des Transversalmuskels angedeutet. Die Exspiration erfolgt durch ein Senken des als Bauchschild bezeichneten Panzerteils, welche Bewegung durch einen paarigen Muskel besorgt wird, der an der Grenze zwischen Bauchschild und Seitenschild einerseits und an den Seitenwänden des Rückenschilds anderseits inseriert, und den wir als geraden Seitenmuskel bezeichnen wollen. Unterstützt wird diese Bewegung durch die Kontraktion des schiefen Seitenmuskels (Fig. 1 u. 2, 26), der in gleicher Höhe mit dem geraden Seitenmuskel an der Seitenwand des Rückenschildes des nämlichen Segmentes und an der Grenze zwischen Seitenschild und Bauchschild des nächstfolgenden Segmentes befestigt ist, so dass seine Tätigkeit auch eine kleine Verkürzung des Abdomens zur Folge hat, die beim normalen Tiere aber nicht deutlich hervortritt. Die Inspirationsbewegung, bestehend in einem Heben des Bauch- schildes, erfolgt teils passiv durch die Elastizität des Chitinpanzers, 392 J. Matula: hauptsächlich aber durch die Tätigkeit eines quer über den Darm hinwegziehenden Muskels, der zwischen 4. und 5. Abdominalsegment an den Seitenwänden des Rückenschildes inseriert (Fig. 1 u. 2, 19). Mit diesem Transversalmuskel in engster Verbindung, aber tiefer, nämlich an: den Seitenschildern inserierend, ist ein gleichfalls dorsal über dem Darm hinziehender Muskel, der im Verein mit einem zweiten ebensolchen aber ventral vom Darme verlaufenden, aber zwischen 5. und 6. Segment inserierenden Muskel (Subintestinal- muskel) auf die Darmbewegung, vielleicht auch auf die Atembewegung von Einfluss ist; jedoch ganz klar ist mir die Bedeutung der beiden Muskeln nicht geworden. .Die Schwimmbewegungen erfolgen durch rhythmische Längs- kontraktionen des Abdomens und stellen somit ein Atmen mit einer sehr verstärkten Exspirationsphase dar. Beteiligt sind dabei alle Längsmuskeln des Körpers, also die ventralen Längsmuskeln, die dorsalen geraden und schiefen Längsmuskeln, sowie die schon er- wähnten schiefen und geraden Seitenmuskeln. Durch die einseitige Tätigkeit dieser Längsmuskeln kommen die in seitlichen Krümmungen des Abdomens bestehenden Abwehr- bewegungen zustande). B. Operationstechnik. Die Technik für Operationen am Bauchstrang ist sehr einfach. Infolge der Durchsichtigkeit des elastischen Chitinpanzers ist es möglich, jedes Ganglion sowie jede Kommissur des den Bauch- schildern anliegenden Nervenstranges hindurchschimmern zu sehen, so dass man, um ein Ganglion zu zerstören oder eine Kommissur zu durchschneiden, einfach mit einer feinen Nadel an geeigneter Stelle in den Panzer einsticht und so mit der Nadelspitze, ohne jede weitere grössere Wunde oder Blutung, die gewünschte Operation ausführen kann. Eine eigentliche Fxstirpation eines Bauchstrang- ganglions wurde fast nie vorgenommen, da eine entsprechende Durchtrennung einer Längskommissur oder eine Zerstörung des Ganglions in angegebener Weise zum gleichen Endeffekt führt. An- 1) Die hier gegebene Nomenklatur der Muskulatur ist wohl nicht mit der in der zoologischen Literatur angewendeten in Übereinstimmung. Da ich in der mir zur Verfügung stehenden Literatur keine Beschreibung der Anatomie der Muskulatur dies Tieres fand, war ich gezwungen, die diesbezüglichen Unter- suchungen selbst zu machen und auch eine eigene Nomenklatur anzuwenden. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 393 statt der mechanischen Zerstörung kann man das Ganglion auch in der Weise zerstören, dass man direkt über dem Ganglion in die Bauchwand eine Nadel einsticht und durch die entstandene winzige Öffnung eine heiss gemachte Nadel direkt mit dem Ganglion in Berührung bringt. Bei blossen Exstirpationen des Cerebralganglions ist die Methode nicht so einfach. Gewöhnlich wurde nicht das Cerebralganglion allein, sondern auch das Unterschlundganglion exstirpiert, mit anderen Worten, dem Tier einfach der Kopf abgeschnitten, nachdem vorher durch Anlegung einer festen Ligatur mit einem Zwirnsfaden um den Hals für einen Wundverschluss gesorgt wurde, um eine Sepsis sowie eine Schädigung des Nervensystems durch in die Leibeshöhle austretende Verdauungssäfte zu verhindern. Derartige kopflose Tiere können wochenlang ohne weitere Störungen leben, bis Nahrungs- mangel oder eine eintretende Häutung ihren Tod herbeiführt. In mehreren Fällen wurde aber auch eine blosse Exstirpation des Cerebralganglions ausgeführt. Zu diesem Zwecke wird ein recht- eckiges Stück Chitinpanzer zwischen den Augen, am besten nur an drei Seiten, ausgeschnitten und umgeklappt, wodurch das grau pigmentierte Cerebralganglion, das gerade zwischen den Augen liegt, freigelegt wird. Es geht dabei leider immer eine nicht unbeträcht- liche Blutmenge verloren. Nach Beendigung der Operation wird das Chitinstück wieder in seine frühere Lage gebracht, das Operations- feld gut abgetrocknet und mit Hilfe eines heissen Metallstäbchens mit einer Paraffinschicht überzogen und das Tier wieder ins Wasser zurückgesetzt. Eine besondere Fesselung des Tieres zu dieser Operation ist nicht notwendig. Es ist mir nie vorgekommen (und ich habe doch etwa 15 Tiere in der Weise operiert), dass dieser Paraffinverband sich losgelöst hätte. Leider halten sich die Tiere wahrscheinlich infolge des Blutverlustes nicht gut, sondern gehen nach 2—4 Tagen zugrunde. Shockerscheinungen wurden bei keiner Operation beobachtet. I. Die nervöse Mechanik der Atembewegungen. A. Experimenteller Teil. Die aktiven Atembewegungen bestehen, wie schon besprochen wurde, in einer Erweiterung und Verengerung des Abdomens, wobei besonders das Heben und Senken des mittleren Teils der Bauch- 394 . JS. Matula: wand die Hauptrolle spielt. Die Bewegung ist eine rhythmisch kontinuierliche. Die Anzahl der Atemzüge beträgt beim normalen Tiere (vorausgesetzt, dass dieses vollständig in Ruhe und ungereizt ist) bei einer Temperatur von ca. 20—25° C. in gewöhnlichem, sauer- stoffhaltigem Hochquellenwasser ungefähr 15—20 pro Minute. Schon leichte Reizung genügt, um diese Zahl um ein Bedeutendes zu steigern. Häufig steht die Atmung für kürzere oder längere Zeit beim normalen Tiere vollständig still. Da von E. Babak und seinen Mitarbeitern Foustka und Rotek (Babäk 1907, 1909) nachgewiesen wurde, dass sowohl der Sauerstoffgehalt als auch die Temperatur des Wassers von grosser Bedeutung für die Frequenz der Atembewegungen sind, indem O,-Mangel und erhöhte Temperatur den Rhythmus beschleunigen, müssen wir bei allen jenen Versuchen, _ wo uns der Einfluss der Gas- und Temperaturverhältnisse nicht inter- essiert, auf die Konstanz dieser Verhältnisse achten und dafür Sorge tragen, dass der O,-Gehalt und die Temperatur während eines und desselben Versuches sich nicht verändern, was sich ja leicht be- werkstelligen lässt. Wir haben aus diesem Grund verschiedene Versuchsreihen nie quantitativ verglichen. Unsere erste Frage ist: Haben irgendwelche Ganglien Einfluss auf die Frequenz der Atembewegung? 1. Einfluss der Kopfganglien auf die Atemfrequenz. Wird einem Tiere der Kopf abgeschnitten, also der aus Cerebral- ganglion und Unterschlundganglion bestehende Schlundring exstir- piert, so beobachtet man eine sehr bedeutende Erhöhung der Atemfrequenz. Diese Erhöhung der Frequenz ist keine vor- übergehende (etwa auf Reizwirkung der Operation beruhende), sondern eine dauernde; sie hält bis zum Tode des Tieres, also tage- bis wochenlang an. Während die Frequenz bei normalen Tieren, bei den mittleren Versuchsbedingungen, unter denen sie ge- halten wurden (20—25° C. und O,;-haltiges, durchlüftetes Wasser), ungefähr 15—18 Atemzüge pro Minute betrug, betrug sie bei deka- pitierten Tieren ca. 56—40 pro Minute (Tab. 1). 1) Babäk und Foustka, Pflüger’s Arch. Bd. 119. 1907. — Babak und Rotek, Pflüger’s Arch. Bd. 130. 1909. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 395 Tabelle. Atemfrequenz pro Minute!) Tiernormal ones in... 0: 16 Dasselbe Tier dekapitiert. . 37 Diese Erhöhung der Frequenz ist keine unvermittelte und tritt nicht sofort nach der Operation auf, sondern es erfolgt ein ganz allmählicher, in der Regel ungefähr eine halbe Stunde dauernder Anstieg (Tab. 2). Tabelle 2. : Atemfrequenz pro Ze Minute Tier in der Rückenlage gefesselt 5h 13’ normal 17 das Tier wird dekapitiert 5h 16 23 5h 20’ 26 ’ 5h 25 28 Atmung =: > ' 5 4 vertieft 5h 40’ 37 5h 44’ 38 Nicht nur die Frequenz, sondern auch der Umfang der Atem- züge ist erhöht; zu mindest wurde niemals beobachtet, dass die Stärke der einzelnen Atembewegung gegenüber dem normalen Tiere abgenommen hätte. Die beim normalen Tiere so häufigen längeren und kürzeren _ Atemstillstände, die nach Babak und Foustka?) das Zeichen einer Apnöe sein sollen, fehlen beim dekapitierten Tiere, und nur selten beobachtet man kürzere, wahrscheinlich reflektorisch hervor- gerufene Atemstillstände. Dies muss gegenüber den Ansichten der eben genannten Autoren besonders hervorgehoben werden, nach welchen der Sauerstoffmangel den auslösenden Reiz für das Atem- 1) Die Zählung der Atembewegung geschah gewöhnlich in der Weise, dass die Tiere auf einer Wachs- oder Korkunterlage in der Rückenlage mittelst ent- sprechend gesteckter Nadeln fixiert wurden. Ehe mit der Zählung begonnen wird, muss noch einige Zeit gewartet werden, da die Frequenz unmittelbar nach der Fixierung infolge der dabei vorgenommenen Reizung des Tieres bedeutend er- höht ist. Näheres über die Fixierung bei Babäk und Foustka, l. c. 2) Babäk und Foustka,l. c. 396 J. Matula: zentrum darstellen und Sauerstoffreichtum eine Apnöe bewirken soll (Babäk 1907). Bei der energischen und frequenten Atmung des kopflosen Tieres kann man nicht gut von Sauerstoffmangel sprechen; der Sauerstoffmangel kann also auch nicht der auslösende Reiz für die Atmung sein. Da aber der Einfluss des Sauerstoff- gehaltes des Wassers auf die Frequenz der Atmung unzweifelhaft ist, so wird man seine Wirkungsweise anders erklären müssen, wie noch näher untersucht werden soll. Das Cerebralganglion bzw. der Schlundring der Arthropoden wird allgemein als ein Hemmungszentrum betrachtet, was ja auch nach den hier vorliegenden Befunden gerechtfertigt erscheint. Das langsame, allmähliche Ansteigen der Frequenz nach der Dekapitierung stimmt aber gar nicht mit den allgemein geläufigen Vorstellungen über Hemmung, nämlich mit der Vorstellung von Hemmungsimpulsen, überein. Würden von den Kopfganglien aktive hemmende Impulse (die eventuell auch reflektorisch hervorgerufen sein können) aus- gehen, so müsste der Anstieg zur hohen Frequenz nach der Deka- pitierung ein plötzlicher, unvermittelter sein; dies ist aber, wie wir gesehen haben, nicht der Fall. Die Hemmung durch die’ Kopf- ganglien ist kein aktiver, d. h. kein reflektorischer Vorgang; die Ganglien wirken eben durch „ihre blosse Gegenwart“, wie dies von Jordan in so schöner Weise für „reflexarme Tiere“ gezeigt wurde (Jordan 1905). Man könnte noch dagegen einwenden: der Anstieg zur Atmung erfolge darum allmählich, weil durch die Operation ein Reiz gesetzt wird, der hemmend auf die Atmung wirkt, so dass erst mit dem allmählichen Abklingen des Reizes die Wirkung der Entfernung der Kopfganglien zur Geltung kommt, also der Anstieg ein ganz lang- samer ist. Dieser Einwand ist aber leicht durch Beobachtungen an Tieren zu beseitigen, bei denen die Operation zufällig so vorgenommen wurde, dass sie eine etwas länger andauernde Reizung der durch- schnittenen Schlundkommissuren verursachte. Man bemerkt dann sofort nach der Operation einen vorübergehenden Anstieg, nach -dessen Absinken ein neuerlicher Anstieg zur dauernden Frequenz- erhöhung führt. Die Tabelle 2a stellt ein freilich extremes Beispiel dieser nicht gerade häufig beobachteten Fälle dar. Wie sich die beiden Ganglien des Kopfes jedes einzeln für sich verhalten, wurde im speziellen nicht weiter untersucht. Jedenfalls Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 397 aber wirkt alleinige Exstirpation des Cerebralganglions zum mindesten qualitativ in derselben Weise wie Abschneiden des ganzen Kopfes, wie in dem in Tabelle 3 wiedergegebenen Versuch zu ersehen ist. Tabelle 2a. : Atemfrequenz Zeit pro Minute Tier normal | 20 sh 45’ dekapitiert — — 33 = 37 —_ 26 — 25 94 05’ 26 9h 30’ 33 105 00’ | 39 Tabelle:3. ; Atemfrequenz ze pro Minute 3h 10’ Cerebralganglion wird E exstirpiert 3h 20’ 24 3h 50° 29 4h.lo" 39 2. Einfluss des ersten Thorakalganglions auf die Atemfrequenz. Zerstört man beim dekapitierten oder normalen Tier das erste Thoraealganglion, bzw. durchschneidet man die Kommissur zwischen I. und II. Thoracalganglion, so tritt momentan und ohne Übergang eine bedeutende Frequenzerniedrigung der Atmung auf. Dabei treten häufig längere und kürzere Pausen ein; selten ist die Atmung längere Zeit hindurch kontinuierlich; nur in einigen wenigen Fällen wurde mehrere Tage nach der Operation ein kontinuierlicher, aber sehr langsamer Atemrhythmus beobachtet (Tab. 4 u. 5). Tabelle 4. Atemfrequenz pro Minute Tier A vor 3 Tagen dekapitiert 4 Tier B vor 2 Tagen dekapitiert und I. Thoracalganglion ex- stirpiert Saal... 7—8 (häufige Pausen) Beide Tiere wurden im nämlichen Gefäss gehalten und sind von gleicher Grösse 398 J. Matula: Tabelle 5. Zeit | Atemfrequenz 5h 55’ | Dekapitiertes Tier . . .... 38 6% 00’ | Durchschneidung der Kommissur } zwischen ]J. u. II. Thoracal- ganclona 2... 13 6h 05’ — 9 6h 15’ — 7—8 (Pausen) Nicht nur die Frequenz ist vermindert, sondern auch der Um- fang des einzelnen Atemzuges ist gering. Die häufig auftretenden Stillstände der Atmung, die oft ziemlich lange dauern und scheinbar spontan, durch keinen äusseren Reiz verursacht, auftreten, können auf keiner Apnöe beruhen, da ja infolge der mangelhaften Atmung von einem Sauerstoffüberfluss absolut nicht die Rede sein kann. Trotz der bestehenden geringen Sauerstoffversorgung kommt es zu kürzeren und längeren Stillständen; der Sauerstoffmangel kann also: nicht als Auslösungsreiz auf das Atemzcntrum wirken. Von den anderen Thoracalganglien besitzt keines eine ähnliche, merkwürdige Funktion in bezug auf die Atmung wie das erste. Fxstirpation des zweiten oder dritten ändert an dem Resultate nichts mehr; die Atemfrequenz bleibt so niedrig, wie sie es nach Exstirpation des ersten Thoracalganglions war; es lässt sich weder eine deutliche Erhöhung noch Erniedrigung nachweisen, abgesehen von vorübergehenden, unmittelbar auf die Operation folgenden mini- malen Frequenzerhöhungen, welche eigentlich gar keine Frequenz- erhöhungen im eigentlichen Sinne des Wortes sind, sondern die Atmung ist kurze Zeit hindurch kontinuierlich, während sonst auf jeden Atemzug unregelmässige Pausen folgen. Gewöhnlich ist aber selbst von diesen kleinen, scheinbaren Frequenzerhöhungen nichts zu bemerken (Tab. 6 u. 6a [S. 399]). Es war naheliegend, daran zu denken, dass zum I. Thoracal- sanglion afferente Bahnen gehen, deren Erregungen reflektorisch die Atembewegungen beeinflussen oder gar auslösen. Da nun das erste Thoracalganglion zugleich das Ganglion des ersten Beinpaares ist, so ist es auch am wahrscheinlichsten, dass diese afferenten Impulse von Rezeptoren des ersten Beinpaares, vielleicht aber auch von denen der anderen Beinpaare, ihren Ausgang nehmen. Tatsächlich hat es sich gezeigt, dass nach Abschneiden des ersten Beinpaares Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 399 Tabelle 6. ß Atemfrequenz Zei! pro Minute 4h 46' Exstirpation des I. Bein- En ganglions 4h 48’ 5 (Pausen) 55h 10’ Exstirpation des Il. Bein- - ganglions 5h 11’ 4 (Stillstand) 5h 21’ Exstirpation des III. Bein- u 2 ganglions h 2 E ' 4} Pausen) Tabelle 6a. Zeit Atemfrequenz pro Minute Exstirpation des I. Beinganglions | = 6h 15’ 7—8 (Stillstand) 6h 22’ Exstirpation des II. Beinganglions = 6h 32’ 12 (kontinuierl. Stillstand) 6h 40’ Exstirpation des III. Beinganglions 12 später (ganz unregelmässig lange Stillstände) oder nach Abschneiden aller Beinpaare, also nach Wegfall zum mindesten eines grossen Teiles dieser Impulse, die Atemfrequenz beim dekapitierten Tiere bedeutend vermindert wird, wenn auch, wie wir noch sehen werden, von einer reflektorischen Beeinflussung oder gar reflektorischen Auslösung der Atmung durch die von den Rezeptoren der Beine stammenden afferenten Impulse nicht geredet werden kann. Damit diese Erscheinung des Frequenz- abfalls deutlich eintritt, darf man bei Ausführung dieses Versuchs die Beine nicht gleich nach der Dekapitierung des Tieres abschneiden, sondern erst dann, wenn die auf diese Operation folgende Frequenz- erhöhung deutlich eingetreten ist (Tab. 7 [S. 400)). Zu dieser Tabelle ist zu bemerken, dass es fraglich ist, ob die weitere Erdniedrigung der Frequenz nach Abschneiden der Mittel- beine eine Folge dieser Operation ist, oder ob jene nicht auch ohne diese Operation im weiteren Verlaufe eingetreten wäre (vgl. Tab. 10). Die Erhöhung nach Abschneiden der Hinterbeine ist wohl nur eine Folge der traumatischen Reizung. Sehr instruktiv ist auch folgender Versuch: Zwei Tiere von gleicher Grösse und Atemfrequenz werden gleichzeitig dekapitiert Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 26 400 J. Matula: Tabelle 7. . Atemfrequenz zeit pro Minute Tier vor 3 Tagen dekapitiert 5h 40’ : 46 '.5h 42’ Vorderbeine abgeschnitten 46 5h 45' 30 5h 50’ 24 5h 57' Mittelbeine abgeschnitten 21 6h 5' 15 6h 20’ 13 64 21’ Hinterbeine abgeschnitten br 64h 30' 15 und dem einen Tiere ausserdem noch die Vorderbeine abgeschnitten. Die Tiere werden zusammen in das gleiche Gefäss mit Wasser ge- setzt. Werden beide Tiere dann nach mehreren Stunden beobachtet, so tritt der Unterschied der Frequenzen sehr deutlich hervor, wie dies Tabelle 8 zeigt. Tabelle 8. Atem- 5 Atem- Zeit Tier A frequenz| Zeit Tier B frequenz pro Min.| pro Min. Ih 10’ bloss dekapitiert 20 9h 15’ | dekapitiert u. Vorder- | 95 920' | 24 beine abgeschnitten 19 2h 30' 36 Ih 20’ 21 2h 30' 19 Wichtig ist, dass diese Abnahme der Atemfrequenz nicht un- vermittelt und plötzlich, sondern langsam und allmählich ein- tritt, während dies bei Exstirpation des ersten Thoracalganglions nicht der Fall ist (Tab. 7 und 9). Es weist dies darauf hin, dass die von den Rezeptoren der Beine ausgehenden Impulse nicht reflektorisch auf die Atmung wirken, da sonst der Abfall der Frequenz ein ziemlich plötzlicher sein müsste. Wenn auch für Reflexe eine „after discharge“, ein Fortdauern des Fffektes über die Reizung hinaus charakteristisch ist (Sherrington 1906)!), so handelt es sich dabei höchstens um einige Sekunden, während das Absinken der Frequenz hier viele Minuten dauert. 1) Sherrington, The integrative action of the nervous system p. 26—35. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 401 Tabelle 9. Zeit Atemfrequenz pro Minute Tier normal 15 4h 10’ Tier wird dekapitiert _ 4h 36’ 32 4h 48’ | Vorderbeine werden abgeschnitten = 4h 50’ 30 4h 55’ 24 5h 47’ 22 6h 30’ 23 Um eine Verminderung der Frequenz zu erzielen, ist es nicht notwendig, die ganzen Vorderbeine wegzunehmen, sondern es genügt, wenn man bloss die Tarsalglieder der Vorderbeine, an denen ja die meisten und empfindlichsten Rezeptoren sitzen, wegschneidet, wie der folgende Versuch zeigt (Tab. 10): Tabelle 10. Zeit Atemfrequenz pro Minute 92h 45' Tier dekapitiert 3 2h 48’ Tarsen der Vorderbeine abgeschnitten —_ 3h 45’ 30 4h 7' 23 6h 25' 22 8h 50’ (früh 22 nächsten Tages) sh 51’ Die ganzen Vorderbeine abgeschnitten — 9h 0’ 22 2h 45’ 22 4h 0’ Alle übrigen Beine abgeschnitten — 5h 52’ 28 Wir sehen aus dem in Tabelle 10 angegebenen Versuche, dass der übrige Teil des Beines, sein Vorhandensein oder Fehlen keinen Einfluss auf die Frequenz der Atmung zu haben scheint; die Tarsen sind übrigens auch die einzigen Teile der Beine, welche Rezeptoren in einem grösseren Maassstabe besitzen. Wir sehen ferner, dass der Einfluss der beiden hinteren Beinpaare von geringer Bedeutung für die Frequenz ist; auch das umgekehrte Experiment, nämlich Ab- schneiden der beiden hinteren Beinpaare bei Vorhandensein der Vorderbeine, ruft keine deutliche Frequenzerniedrigung hervor. Die Frequenzerniedrieung nach Abschneiden der Vorderbeine oder auch aller Beinpaare ist aber nie so bedeutend wie nach 26* 402 J. Matula: Exstirpation des ersten Thoracalgauglions. Die Frequenz ist sogar eewöhnlich dauernd etwas höher als die des normalen, ruhenden Tieres. Wahrscheinlich kommen noch von anderer Seite, als vom ersten Beinpaare, derartige afferente Impulse zum ersten Thoracal- sanelion, wie auch noch gezeigt werden soll. Hervorzuheben ist, dass die Frequenzabnahme nach Abschneiden des ersten Beinpaares nur beim dekapitierten Tiere bemerkbar ist, während beim normalen Tier derartiges nicht deutlich beobachtet wurde. Sehr merkwürdig scheint mir folgende Beobachtung zu sein: Schneidet man einem dekapitierten Tiere alle Beine ab, so zeist das Tier zunächst die für ein dekapitiertes Tier ohne Vorderbeine charakteristische Frequenz von ca. 22 Atemzügen pro Minute. Nach mehreren Stunden beginnt die Atmung namentlich ihrem Umfang nach schwächer zu werden, und sehliesslieh steht die Atmung ganz still. Die Muskulatur des Abdomens ist vollständig erschlafft und atonisch. Die charakteristischen Reflexe des Hinterleibes (Krüm- mung, Längskontraktion) sind nicht mehr auslösbar, und binnen höchstens zehn Stunden geht das Tier zugrunde. Ich habe mich auf alle mögliche Weise bemüht, die Tiere am Leben zu erhalten, es ist mir aber nie gelungen. Solange noch ein Bein am Körper sich befindet, kann das Tier tagelang leben, wird dieses aber weg- genommen, so geht das Tier in kurzer Zeit zugrunde. Tiere ohne Kopf mit nur einem Beinpaar, sowie Tiere mit Kopf ohne Beine habe ich tagelang leben gesehen, wobei die Beinstummel sich leb- haft bewegen. Schneidet man den Kopf bzw. das einzige Beinpaar ab, so werden die Tiere in mehreren Stunden atonisch, die Bein- stummeln (Hüftglieder) bewegungslos, und schliesslich erfolgt der Tod. Die Tabellen 11 und 11a zeigen sehr schön das typische Verhalten. Auch blosse Weenahme der Tarsen aller Beine beim dekapitierten Tiere hat, soweit meine wenigen Versuche über diese spezielle Frage ausnahmslos zeigen, den Tod unter den nämlichen Symptomen einer allgemeinen Muskelatonie und reflektorischen Un- erregbarkeit zur Folge. Ein „Atemzentrum* ist das erste Thoracalganglion jedenfalls nicht. Auch seine afferenten Bahnen scheinen nicht zum affereuten Teil des Reflexbogens der Atemrhythmik zu gehören; denn auch nach Exstirpation des ersten Thoracalganglions geht die Atmung weiter, wenn auch mit grosser Erniedrigung der Frequenz. Die Bedeutung des ersten Thoracalganglions liegt in etwas anderem, wie noch ge- Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 403 nauer ausgeführt werden wird. Die afferenten Impulse zur Atmung verlaufen aber auf anderen Wegen. Tabelle 11. Zeit Tier A Atemfrequenz pro Minute Tier dekapitiert und I. u. II. Beinpaar abgeschnitten 24 25h 15’ III. Beinpaar abgeschnitten — 3h 40’ 25 5h 5’ 20—25 — Atmung schwach, unregelmässig. Hüftglieder un- beweglich EN 5h 35’ Tier atonisch, reaktionslos 0 Nächsten Tag tot aufgefunden | Tabelle 1la. Zeit Tier B Atemfrequenz pro Minute Tier, dem alle drei Beine abgeschnitten wurden 10—14 9h 30’ Tier wird dekapitiert >21 10h 22’ 24 220 0 Tier reaktionslos und geht zugrunde 3. Das Atemzentrum und die afferenten (Auslösungs-) Impulse der Atmung. Exstirpiertt man beim normalen oder dekapitierten Tiere das letzte Abdominalganglion, so ist die Atmung, gleichgültig ob nun das erste Thoracalganglion vorhanden ist oder nicht, für immer er- loschen. Durchschneidet man den Bauchstrang zwischen letztem und vorletztem Abdominalganglion, so geht die Atmung in den letzten drei Segmenten, welche vom Abdominalganglion versorgt werden, fort; alle anderen Segmente aber nehmen aktiv an der Atmung nicht teil. Auch losgelöst vom Körper können die vom letzten Abdominalganglion versorgten Segmente Atembewegungen ausführen (Luchsinger'). Es fragt sich, wie wirkt das letzte Abdominalganglion? Ist es ein automatisches oder aber reflek- torisches Zentrum, und was sind im letzteren Falle seine afferenten Bahnen? Das Experiment lehrt uns, dass das letzte Abdominal- ganglion ein Sammel- bzw. Durchgangspunkt von afferenten Bahnen 1) Luchsinger, Pflüger’s Arch. Bd. 22. 1880. 404 J. Matula: für die Auslösung der Atembewegung ist, dass also die Atembewegung keine Automatie, sondern ein reflektorischer Vorgang ist. Denn schneidet man das letzte Abdominalsegment (das letzte Abdominal- sanglion liegt im drittletzten Hinterleibssegment), welches die spitzen Analstacheln und den After mit der dreiteiligen bei der Atmung sich rhythmisch öffnenden und schliessenden Analklappe enthält, weg, so tritt trotz des Bestehens des letzten Abdominalganglions dauernder Atemstillstand ein. Die Analstacheln sowie die Analklappe sind sehr empfindliche Organe, die jedenfalls reichlich mit Rezeptoren besetzt sind. Die Analstacheln tragen lange feine Borsten, wie diese für die Hautrezeptoren der Insekten charakteristisch sind, und deren leise Berührung schon ein energisches Zusammenklappen der Stacheln hervorruft. Um Atemstillstand hervorzurufen, müssen auch die äusserst empfindlichen Analklappen weggeschnitten werden; denn blosses Abschneiden der Analstacheln lässt die Atmung noch be- stehen. Wir müssen also schliessen, dass von diesen Rezeptoren aus die, die Atmung auslösenden Impulse, ihren Anfang nehmen, und dass bei Abschneiden des letzten Segmentes der Wegfall dieser Impulse die Sistierung der Atmung bedingt. Würden aber auch durch das erste Thoracalgangliou derartige afferente Bahnen des Atmungsreflexes verlaufen, so müsste die Atmung auch nach Exstir- pation des Abdominalganglions weiterbestehen; dies ist aber nicht der Fall. Die afferenten Bahnen zum ersten Thoracaleanglion ge- hören demnach nicht zum afferenten Teil des Reflexmechanismus der Atmung. Als ausschliessliches Atemzentrum kann man das letzte Ab- dominalganglion nicht ansehen; es ist nur das Atemzentrum für die von ihm versorgten Atemmuskeln. Ein einheitliches Atemzentrum gibt es hier gar nicht, sondern wir haben es mit einer Reihe koordi- nierter, gleichzeitig arbeitender Zentren zu tun, nämlich mit so viel Atemzentren, als Bauchstrangganglien die Atemmuskulatur inner- vieren; denn auch nach Exstirpation des letzten Abdominalganelions lassen sich koordinierte Atembewegungen hervorrufen, wenn das Tier dorsal aufgeschnitten und der freigeleste Bauchstrang schwach ge- reizt wird. Häufig genügt die blosse Berührung der freigelesten Ganglienkette mit der Luft, um eine Reihe koordinierter Atem- bewegungen hervorzurufen. Die Möglichkeit oder besser der Mechanis- mus, der zur Vollführung von koordinierten Atembewegungen not- Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 405 wendig ist, ist auch nach Exstirpation des letzten Abdominalganglions noch vorhanden; es fehlt nur der afferente Impuls, der diese Maschine in Tätigkeit setzt, und der von den Rezeptoren des letzten Hinter- leibsegmentes seinen Weg zum letzten Abdominalganglion nimmt. Die adäquaten Reize für diese Rezeptoren sind wahrscheinlich die leichten, beständig vor sich gehenden Bewegungen des Wassers. Leichtes Blasen auf das Wasser, in dem das Tier sich befindet, ge- nügt, um bei Atemstillstand eine oder mehrere Atembewegungen auszulösen. Der Auslösungsreiz ist also wahrscheinlich ein be- ständiger und auch in seiner Intensität ein konstanter. Wahr- scheinlich spielt auch die Erregung dieser Rezeptoren durch die Atembewegung selbst, d.h. durch das bei der Atmung in den Mast- darm ein- und ausströmende Wasser, eine grosse Rolle, in dem jeder Atemzug auch zur Auslösung des folgenden beiträgt. Chemische Reize, wie Gasgehalt des Wassers, scheinen auf diese Rezeptoren absolut nicht zu wirken, da selbst die stärksten chemischen Reize, die eingreifende Schädigungen des Tieres hervorrufen, diese Rezeptoren nicht beeinflussen, während schon geringe mechanische Reizung derselben exspiratorischen Atemstillstand reflektorisch auslöst. Mechanische Reizung als Auslösungsreiz für Atembewegungen finden wir ja auch bei Wirbeltieren, wie es die schönen Unter- suchungen von Bethe für die Haifische wahrscheinlich gemacht haben, wenn dies von anderer Seite auch wieder bestritten wird (Bethe 1903, Zusammenfassendes bei Baglioni 1910) ). 4, Die Beeinflussung der Atmung durch Reize. Wir haben nun die Veränderungen der Atemfrequenz durch ‚Reizung des Tieres und die Beziehungen, die die Ganglien zu diesen Frequenzänderungen haben, zu besprechen. Entsprechende Reizung eines normalen oder dekapitierten Tieres führt unmittelbar nach Aufhören der Reizung zu einer maximalen, vorübergehenden Erhöhung der Atemfrequenz. Während der Reizung tritt gewöhnlich eine nicht vollständige, reflektorische Hemmung der Atmung ein, die uns hier nicht weiter interessiert. Gereizt wurde gewöhnlich durch Anlegen der Elektroden des Induktoriums an die abdominale Bauchwand des in der Rückenlage unter Wasser 1) Bethe, Allgemeine Anatomie und Physiologie des Nervensystems. 1903. — Baglioni, Ergebnisse der Physiologie Bd. 10. 1910. 406 J. Matula: gefesselten Tieres. Besonders beim normalen Tiere ist die Steigerung der Atemfrequenz sehr auffallend und schon durch ganz leichte mechanische Reize hervorzurufen. Die blosse Fixierung des Tieres in der Rückenlage, jede Abwehrbewegung desselben gegen die Fesselung, genügt, um die Frequenz für kürzere Zeit hindurch um ein bedeutendes zu erhöhen (Tab. 12). Tabelle 12. Zeit Normales Tier 9h 47' Tier gefesselt, in Ruhe 15 9h 49' Abwehrbewegungen des — Tieres gegen seine Fesseln 9h 50’ 25 10h 05’ 19 10h. 07’ Abwehrbewegungen — 10h 08’ 37 10h 09’ 26 10h 15’ 21 10h 17' 19 Noch bedeutender ist das Ansteigen der Frequenz bei elektrischer Reizung, wobei oft ein Anstieg um den mehr als dreifachen Wert der normalen Ausgangsfrequenz erzielt werden kann (Tab. 15). Beim dekapitierten Tiere ist die Frequenzerhöhung nicht so gross, da die Frequenz ohnehin sehr hoch ist; jedoch ist die Steigerung immer sehr deutlich wahrzunehmen (Tab. 13) und namentlich, wenn die Ausgangsfrequenz etwas geringer ist, oft sehr beträchtlich. Das Maximum der Frequenz nach Reizung ist beim normalen wie beim dekapitierten Tiere von nahezu gleicher Höhe (Tab. 13 [S. 407]). Aus dem Versuche in Tabelle 13 ersehen wir aber noch ein interessantes Verhältnis, welches zwischen den Zeiten besteht, welche in beiden Fällen benötigst werden, um die Ausgangsfrequenz zu erreichen. Beim normalen Tiere geschieht dies in unserem speziellen Falle in S, beim dekapitierten Tiere in 16 Minuten, obwohl der Intervall zwischen Ausgangsfrequenz und erreichtem Maximum im ersteren Falle mehr als dreimal so gross ist wie im letzteren Falle. Die Abfallsgeschwindigkeit der Frequenz ist beim normalen Tiere in unserem speziellen Falle ca. achtmal so gross wie beim dekapi- tierten Tiere. Zur Veranschaulichung dieses Verhältnisses diene die folgende Kurve, welche die Werte der Tabelle 13 graphisch dar- stellt, indem als Abszisse die Zeit, als Ordinate die Frequenz ein- getragen wurde (Fig. 3). Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 407 Tabelle 13. 5 Atemfrequenz N pro Minute 10h 20’ normales Tier 19 10h 23’ Abdomen elektrisch ge- —_ reizt (R.-A. = 11 cm, Zeit = 60 sec) 10h 24 50 10h 25’ 38 10h 26’ 29 10h 27’ 27 10h 28’ 24 10b 31’ 19 Nu 11’ Tier wird dekapitiert — 2h 30 43 2h 44’ Abdomen gereizt (R.-A. = _ nie ll cm, Zeit = 60 sec) R 45 5 2h 46’ 52 2h 50’ ol 2h 53’ 47 2h 58’ 46 3h 00’ 43 ao a, a ge 46 Normales Tier Te ——— Dekapilierles Tier Fig. 3. Kurve des Abfalls der durch Reizung erhöhten Frequenz beim normalen und dekapitierten Tiere. Wir sehen auch, dass das Maximum der durch Reizung des Tieres erhöhten Frequenz längere Zeit beibehalten wird, während beim normalen Tiere ein sofortiger, rascher Abfall erfolgt. Der 408 J. Matula: normale oder, besser gesagt, der Ausgangszustand wird beim normalen Tiere also relativ und absolut schneller hergestellt als beim dekapitierten. Es fragt sich weiter, welcher Teil des Zentralnervensystems ist an dieser Beschleunigung beteilist. Und wieder zeigt uns die nähere Untersuchung die grosse und merkwürdige Bedeutung des ersten Thoraealganglions für die Atmung. Nach Exstirpation des ersten Thoracalganglions ist es unmöglieh, durch irgendwelche Reizung des Tieres eine Frequenzerhöhung zu erzielen (Tab. 14). Tabelle 14. > Atemfrequenz Zeit pro Minute Tier dekapitiert und Vorderbeine abgeschnitten 4h 33’ 23 4h 35’ Abdomen elektrisch ge- — reizt (R.-A. = 12 cm, Zeit —= 60 sec) 4h 36’ 32 4h 55' 24 5h 00’ erstes Thoracalganglion — exstirpiert 5h 05’ 15 (unregelmässig) 5h 09 Reizung wie oben. — R.-A. —= 12 95,10, 12 5h 14' Reizung wie oben. — R.-A. — 11 5h 15’ 12 5h 23’ Reizung wie oben. RA. — 210 5h 24 12 ah 25’ 15 5h 30' Rechtes Mittebein elek- u trisch gereizt 5h 31’ 13 Wir sehen aus Tabelle 14, dass eher von einer Frequenz- verminderung als von einer Frequenzerhöhung gesprochen werden könnte. Das erste Thoracalganglion ist also ein Mechanismus, durch den erst eine Frequenzerhöhung der Atmung bej Reizung des Tieres ermöglicht wird. Die. Frequenzerhöhung muss also in Beziehung zu den afferenten Impulsen stehen, welche das erste Thoracal- ganglion erhält. Diese Impulse können dem Ganglion bei Reizung einer beliebigen Körperstelle zugesendet werden; denn sowohl bei Reizung irgendeines Beinpaares als auch bei Reizung des Abdomens tritt bei Vorhandensein des ersten Thoracalganglions eine deutliche Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 409 Frequenzerhöhung auf. Von allen Teilen des Körpers erhält somit das erste Thoracalganglion jene für die Atmung so bedeutungsvollen Impulse, die dennoch nieht zum afferenten Teil des Reflexbogens der Atmung gehören; denn 1. tritt die frequenzerhöhende Wirkung dieser Impulse erst nach Aufhören der Reizung ein; ihr reflektorischer Effekt ist aber eine mehr oder minder vollständige Hemmung der Atmung; 2. nach Exstirpation des letzten Abdominalgangelions oder nur nach blossem Abschneiden des letzten Körpersegmentes hört die Atmune definitiv auf, trotz Vorhandenseins jener Erregungen, wie sie auch fortbesteht trotz Fehlens derselben. 5. Reflektorische Hemmung der Atmung. Die Atmung kann auf mancherlei Weise reflektorisch gehemmt werden. Nimmt man ein normales oder dekapitiertes Tier aus dem Wasser, so tritt sofort Atemstillstand ein. Wieder ins Wasser gesetzt beginnen die Atembewegungen nach kurzem Stillstand von neuem. Ist aber Luft in den Darm eingedrungen, so dauert der Stillstand länger an, und die Atmung beginnt erst dann wieder, wenn die Luft aus dem Darm entfernt wird. Sehr deutlich lässt sich zeigen, dass diese Hemmung vom letzten Analsegment ausgelöst wird. Hängt man nämlich ein Tier (normal oder dekapitiert) in vertikaler Lage auf, so dass nur das Analsegment ins Wasser taucht, so atmet das Tier in dieser Stellung ruhig weiter (wenn auch anscheinend mit etwas geringerer Frequenz). Zieht man das Tier nun ganz aus dem Wasser heraus, so steht die Atmung momentan still, und die drei Analstacheln schliessen sieh, eine einheitliche Spitze bildend. Es ist dieser Versuch eine neuerliche Bestätigung dafür, dass die afferenten Impulse zur Atmung von den Rezeptoren des letzten Anal- segmentes ihren Ausgang nehmen. Zugleich zeigt er uns, dass die Hemmung der Atmung in diesem Falle von der nämlichen Stelle erfolgt, von der die afferenten Erregungsimpulse zur Atmung ihren Ausgang nehmen. Der schwache, kontinuierliche Reiz der leisen Bewegungen des Wassers löst die Atmung aus; die stärkere Reizung derselben Stellen, wie dies beim Herausziehen aus dem Wasser ge- schieht, hemmt die Atmung. Auch wenn wir bei einem im Wasser rubig atmenden Tiere die Analstacheln an ihrer Innenseite durch Berühren mit einer Nadel leicht reizen, so tritt Hemmung der Atmung ein. - 410 J. Matula: Wenn es sich herausstellen sollte, dass Hemmung und Erregung der Atmung durch die gleichen Rezeptoren ausgelöst werden, dass also leichte Erregung derselben die Atmung veranlasst, stärkere hin- gegen dieselbe hemmt, so hätten wir hier wieder ein schönes Bei- spiel für die Erscheinung der „Reflexumkehr“, welche zuerst von v. Uexküll bei Seeigeln beobachtet wurde. (Uexküll, 1899 u. 1900.) ') Mit Atmuneshemmung sind auch alle Reflexe verbunden, die in seitlichen Krümmungen des Hinterleibes bestehen (z. B. die Ab- wehrbewegungen). Es wurden auch Versuche angestellt, um zu untersuchen, ob auch chemische Substanzen im Atemwasser hemmend auf die Atmung wirken, wie dies ja z. B. bei den Säugetieren vorkommt, bei denen ja viele, namentlich schleimhautreizende Gase und Dämpfe, reflektorisch Atemstillstand bewirken. Es hat sich hier die merkwürdige Tat- sache herausgestellt, dass selbst die stärksten chemischen Reize die Atınung reflektorisch nicht beeinflussen, sondern die betreffenden Lösungen der verwendeten Substanzen ungehindert in den Mastdarm eingepumpt werden, und die Atmung so lange fortgeht, bis durch Resorption oder Schädigung der Darmwand die Lösung in die Leibes- höhle gelangt und durch direkte Einwirkung auf Muskeln und Nerven der Atmung und dem Leben des Tieres ein Ende macht. Wir können die Tiere in Ammoniak-, Salzsäure-, Alkohollösungen von hohen Konzentrationen, in stark hypertonische Salzlösungen geben, die Atmung wird mit gleicher oder sogar beschleunigter Frequenz fortgesetzt und steht erst still, wenn die Schädigung bereits eine irreparable ist (Tab. 15). Weder im letzten Analseement noch in der Darmwand sind demnach Rezeptoren vorhanden, die auf chemische Reize reagieren und bei schädlichen chemischen Einflüssen diese durch eine zweck- entsprechende, reflektorische Atemhemmung unschädlich machen würden. Schliesslich ist ein solcher Hemmungsreflex auch nicht not- wendig, denn in der Natur wird eine Libellenlarve kaum jemals Gelegenheit zur Auslösung eines solchen Reflexes bekommen. N v. Uexküll, Zeitschr. f. Biol. Bd. 37 u. 39. 1899 u. 1900. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. A411 Tabelle 15. | Atemfrequenz Tier I. In reinem Wasser. . . 8 Atemzüge in 30 Sek. In 30°%/oigem Alkohol . .| 6 5 In reinem Wasser... . 2) R role, In 50°%oiger NH;-Lösung. | Tod nach einigen kräftigen | Atemzügen » ” ” Tier I. In reinem Wasser. . . .| 5 Atemzüge in 30 Sek. In 15 %/oiger NH3-Lösung. 7 r DE Im weiteren Verlaufe treten schwere, zum Tode führende Störungen auf. Tier II. In reinem Wasser. . . .| 12 Atemzüge in 30 Sek. In 6°%oiger NH,CI-Lösung | 13 5 alle, InS@\Vasserean. rs: 12 5 SR, In 5 /oiger CuSO,-Lösung | 7 30 ” ” ” nachher sind Störungen des Tieres bemerkbar. 6. Die Wirkung des Sauerstoffmangels auf die Atem- frequenz. Wie schon oben erwähnt, haben E. Babäk und O.Foustka!) eine Untersuchung über den Auslösungsreiz der Atembewegungen bei Libellenlarven veröffentlicht, in der sie zeigten, dass Sauerstoff- mangel eine dyspnöeartige Erhöhung der Atemfrequenz herbeiführt, während im umgekehrten Falle bei Sauerstoffreichtum die Atem- frequenz verlangsamt und häufig von längeren Pausen unterbrochen wird, also apnöisch erscheint. Die genannten Forscher schlossen daraus und aus einigen anderen Versuchen mit Kohlensäure, „dass der Sauerstoffmangel als der eigentliche Reiz der respiratorischen Zentralorgane anzusehen ist“, und „der Sauerstoffgehalt der Zentren eigentlich und sozusagen ursprünglich die Tätigkeit des Atemzentrums zu bestimmen scheint“ (1907 p. 547). In einer zweiten, sehr inter- essanten Arbeit, die Babäk in Gemeinschaft mit Rotek?) ausführte, und die sich mit dem Temperaturkoeffizienten der Atem- rhythmik der Libellenlarven bei Sauerstoffreichtum und Sauerstoft- mangel beschäftigte, fanden die Autoren, dass der Temperatur- 1) Babäk und Foustka, |. c. 2) Babäak und Rotek,l. ce. AD: J. Matula: koeffizient bei Sauerstoffmangel grösser ist als bei Sauerstoffreichtum. Dadurch glaubt Babäk seine Ansicht, dass der O,;-Mangel den eigent- lichen Atemreiz darstellt, aufs neue bestätigt; es ist das Atemzentrum der Libellenlarven, der Typus eines „sekundär-automatischen“ Atem- zentrums, d.h. eines Atemzentrums, dessen Tätigkeit durch O,-Mangel angeregt und durch den O,-Gehalt des umgebenden Mediums äusserst fein beeinflusst wird, im Gegensatz zu den „primär-automatischen“ Atemzentren, die wahrscheinlich „phylogenetisch älter“ sind, und die Babäk in den, die Kehlbewegungen der Urodelen (Salamander usw.) beherrschenden Zentren gefunden hat; diese „primär-automatischen“ Zentren werden vom Sauerstoffgehalt des umgebenden Mediums nicht beeinflusst '). - Unsere Experimente widersprechen aber der Auffassung, dass der O,-Mangel der auslösende Reiz für das Atemzentrum ist; denn wir haben gesehen: l. dass nach Dekapitierung oder auch nach blosser Exstirpation des Cerebralganglions die Atemfrequenz des Tieres dauernd erhöht ist, und dass trotz dieser reichlichen Ventilierung des Zentralnervensystems mit Sauerstoff (denn die Tiere befanden sich ja in O,-haltigem, durchlüftetem Wasser) niemals eine Abnahme der Atemfrequenz und selten ein auch nur kürzerer Atemstill- stand sich beobachten lässt, also von apnöischen Erscheinungen keine Rede sein kann; 2. dass nach Exstirpation des ersten Thoracalganglions die Atmung eine dauernd erniedriete, häufig von sehr langen Stillständen unterbrochene Frequenz zeigt, so dass demnach trotz geringer Versorgung der Atemzentren mit Sauerstoff es nicht zur ge- ringsten Andeutung einer Dyspnöe kommt, sondern die Atmung einen apnöischen Charakter aufweist; 3. dass nach Exstirpation des letzten Abdominalganglions oder nach blossen Abschneiden des letzten Analsesmentes mit seinen Rezeptoren die Atmung definitiv erlischt, obwohl ja noch die Atemzentren vorhanden sind und bei direkter Bauch- strangreizung Atembewegungen ausgelöst werden können. Daraus haben wir geschlossen, dass die Reize, welche die Rezeptoren des letzten Abdominalsegmentes treffen, die Atem- rhythmik auslösen. 1) Babak und Kühnova, Pflüger’s Arch. Bd. 130. 1909. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 413 Nun ist es aber nach Babäk’s Unteruchungen sicher, dass die Atemfrequenz sich je nach dem Sauerstoffgehalt des Wassers beim normalen Tiere verschieden verhält, dass sie bei O,-Mangel eine hohe dyspnöeartige, bei O,-Reichtum eine niedrige apnöeartige Frequenz zeigt. Es fragt sich nur, in welcher Weise und auf welchen Teil des Zentralnervensystems wirkt der O,-Mangel? Aus unseren Experi- menten haben wir indirekt geschlossen, dass der O,;-Mangel nicht auf das Atemzentrum, also nicht auf die Abdominalganglien wirken kann; er kann aber auch nicht auf das erste Thoracalganglion wirken. Es bleiben also nur die Ganglien des Kopfes übrig, in welche wir den Angriffspunkt des Sauerstoffmangels, also auch den Sitz der Regulation der Atmung nach dem Sauerstoffgehalt des Mediums verlegen müssen. Um dies direkt zu beweisen, wurden die nun folgenden Ver- suche ausgeführt. Es wurden normale Tiere, Tiere ohne Cerebral- sanglion, dekapitierte Tiere und Tiere, denen das erste Thoracal exstirpiert war, zunächst in sauerstoffhaltiges, durchlüftetes Wasser gebracht und ihre Atemfrequenz bestimmt; hierauf werden die Tiere in ausgekochtes, sauerstofffreies Wasser versetzt und nach längerem Verweilen darin gleichfalls ihre Atemfrequenz bestimmt. Sind unsere indirekten Schlüsse aus den obigen Versuchen richtig, so muss die Frequenz, wenigstens beim dekapitierten Tiere und beim Tiere ohne erstes Thoracalganglion sowohl in O;-haltigem als auch in O,-freiem Wasser im wesentlichen dieselbe sein. Die Tiere wurden einzeln in Glasschalen beobachtet, die je nachdem mit O;-haltigem bzw. O,-freiem Wasser gefüllt waren. Die Temperatur des O,-haltigen und O,-freien Wassers war während eines Versuches, dessen Resultate miteinander verglichen wurden, natürlich die gleiche. Es wurde immer Wasser verwendet, das längere Zeit bei Zimmertemperatur gestanden war, also ge- _ wöhnlich eine Temperatur von 22—25° C. aufwies. Von einer Fixierung der Tiere wurde abgesehen, um Reizung zu vermeiden, die natürlich wieder die Frequenz beeinflussen würden. Es wurde den Tieren ein Stein oder Holzstab ins Wasser gelegt, an dem sie sich anklammern konnten; die Tiere verhalten sich dann ruhig, und man kann bei geeigneter Stellung des Tieres bequem die Zählungen vornehmen. Die erhaltenen Resultate entsprachen vollkommen unseren Erwartungen, wie die nachfolgenden Tabellen es beweisen. (Tabelle 16 u. 17.) 414 J. Matula: Tabelle 16}). Versuchs: Atemfrequenz pro Minute nummer [in O,-haltigem Wasser | in O,-freiem Wasser Normales Tier .... . 1 14 39 = ie REST ni 2 23 39 “ A CHEN. 32) 32 58 Tier ohne Cerebralganglion 4 27 27 Dekapitiertes Tier. . . 5 22 22 s Er 6 3l 32 E NE Be. 7 34 34 5 re 8 29 30 2 „ mit ab- geschnitt. Vorderbeinen ) 22 26 Tier ohne I. Thoracalgangl. 10 10 14 el: 5 11 16 14 BEL ERT. a 12 18 17 ss 3 13 11 11 Tabelle 17. (Durchschnittswerte der Tab. 16.) Atemfrequenz pro Minute in Ö,-haltigem Wasser | in O,-freiem Wasser NormalestDier ae. ee 23 + Tier ohne Cerebralganglion . ... . 27 27 iersdekapitiertn. 2. eK: 27 29 Tier ohne I. Thoracalganglion.. . . 14 14 Wir sehen aus diesen Tabellen, dass nur beim normalen Tier die Atemfrequenz bei O,-Mangel erhöht wird, während sie bei allen operierten Tieren und auch beim Tier ohne Cerebralganglion sich nieht merklich ändert, sondern in sauerstoffhaltigem und in sauer- stofffreiem Wasser die gleiche ist. Wohl kann man kleine Schwan- kungen, sowohl nach oben als auch nach unten beobachten, aber sie sind nie bedeutend und auch nicht konstant; es ist überhaupt unwahrscheinlich, dass dies dem Sauerstoffmangel zuzuschreiben ist, denn man beobachtet Derartiges in oft viel höherem Maasse in O,-haltigem Wasser. In jedem Fall sind auch die zu beobachtenden 1) Die Zahlen dieser Tabelle sind Mittelwerte aus ca. 2—4, während einer halben bis ganzen Stunde gemachten Messungen. 2) Das Tier Nr. 3 gehörte nicht der Gattung Aeschna, sondern der Gattung Libellula an. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 4]5- kleinen Steigerungen, die nie konstant sind (und im höchsten Falle vier betrugen), gecen die mächtige Frequenzerhöhung des normalen Tieres, die das Dreifache der Frequenz im Sauerstoffmangel betragen kann, verschwindend gering. Durch diese Versuche ist also direkt nachgewiesen, dass der ÖO,-Mangel, sofern er auf die Atmung wirkt, diese nur indirekt vermittelst des Gehirneangelions beeinflusst, während er alle tieferen Zentren, also auch die Atemzentren, unbeeinflusst lässt. Demnach ist die Ansicht Babak’s, dass das Atemzentrum der Libellenlarven ein „sekundär automatisches“ ist, nicht richtig; es ist vielmehr ein typisch „primär-automatisches“, um Babäk’s, meiner Ansicht nach, nicht sehr glücklich gewählten Ausdruck zu gebrauchen; ich sage, diese Bezeichnung ist nicht sehr glücklich gewählt, denn zunächst ist es noch immer fraglich, ob es überhaupt automatische Bewegungen gibt, und dann sind die Atembewegungen der Libellen- larven, wie ich nachgewiesen zu haben glaube, tatsächlich Reflex- bewegungen. Indem das Tier aber durch den empfindlichen Regulationsmechanismus, den es im Cerebraleanglion besitzt, befähiet ist, seine Atmung auf den Sauerstoffgehalt des Atemwassers ein- zustellen, erweckt es den Anschein, als ob der O,-Mangel der Aus- lösungsreiz für die Atembeweguns sei. Die Wirkung des Sauerstoffmangels ist also nur eine indirekte; sie ist auch keine reflektorische, ebenso wie die Wirkung des ersten Thoracalganeiions keine reflektorische ist. Vielmehr werden wir annehmen müssen, dass das Cerebralganglion oder gewisse Teile desselben durch den Sauerstoffmangel eine Veränderung erfahren, welche Veränderung auf die Tätiekeit des ersten Thoracaleanglions derart einwirkt, dass der frequenzbeschleunigende Eiufluss des ersten Thoraealganglions in höherem Maasse zur Geltung kommt. Ein Tier in O,-freiem Medium verhält sich, soweit es seine Atmung anlangt, wie ein dekapitiertes Tier oder wie ein Tier ohne Cerebralgangelion, bei welch letzterem die Atmung unabhängig vom Sauerstoffmangel erhöht ist. Es liegt also nahe anzunehmen, dass bei einem Tier im Sauerstoffmangel die Verbindung mit dem Cerebralganglion und erstem Thoracaiganglion auf irgendeine Weise ausser Funktion gesetzt wird, natürlich nur so weit, als es die Atmung betrifft. Wie dies theoretisch zu erklären ist, wird noch weiter unten auseinander- gesetzt werden. Hier wollen wir nur noch den Nachweis führen, dass die Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 27 416 J. Matula: Frequenzerhöhung nach Dekapitierung und bei Sauerstoffmangel im Wesen das nämliche Phänomen ist. Das Mittel zu diesem Nachweis besitzen wir in dem von Babäk!) entdeckten Unterschied zwischen dem Temperaturkoeffizienten der Atemrhythmik bei Sauerstoff- reichtum und dem bei Sauerstoffmangel. Babäk fand nämlich, wie schon oben erwähnt wurde, dass der Temperaturkoeffizient der Atem- rhythmik des normalen Tieres bei Sauerstoffmangel grösser ist als bei Sauerstoffreichtum. Wenn nun nach unserer Ansicht die Frequenz- erhöhung beim dekapitierten Tiere und beim Tier im Sauerstoff- mangel im Wesen auf den nämlichen Grundlagen beruht — d.h. die Verbindung zwischen Cerebral- und erstem Thoracalganglion ausser Funktion gesetzt ist —, so muss beim dekapitierten Tiere der Temperaturkoeffizient, wie dies beim intakten Tiere im O,-Mangel der Fall ist, gegenüber dem des normalen Tieres in O,-haltigem Medium erhöht sein. Da, wie eben nachgewiesen wurde, das Vor- handensein oder Fehlen von Sauerstoff auf das dekapitierte Tier keinen Einfluss hat, so ist es auch gleichgültig, ob wir das Tier in O,-haltigem oder O,-freiem Medium halten; es muss die Erhöhung des Temperaturkoeffizienten in beiden Fällen stattfinden. Völlig beweiskräftie werden unsere Versuche natürlich dann sein, wenn die Bestimmung des Temperaturkoeffizienten beim dekapitierten Tiere in sauerstoffhaltigem Wasser durchgeführt wird. Die Experimente wurden in der Weise ausgeführt, dass die Temperaturkoeffizienten für Temperaturdifferenzen von 10° C. zu- nächst bei normalen Tieren in sauerstoffhaltigem, durchlüftetem Wasser und in O,-freiem (ausgekochtem) Wasser und dann bei dekapitierten Tieren in O,-haltigem Wasser bestimmt wurden. Die genauere Bestimmung des Temperaturkoeffizienten ist bei normalen Tieren mit einigen Schwierigkeiten verknüpft, da die Unruhe der Tiere die Beobachtung erschwert. Daher wurde es aufgegeben, die Tiere frei zu beobachten; es wurden daher die Tiere in der von Babäak?) angegebenen Weise gefesselt. Man muss nach jeder Fesselung, ehe man mit der Zählung beeinnt, warten, bis die Reiz- wirkung vorüber ist. Leider stören die häufigen Abwehrbewegungen des Tieres, die ja immer mit Erhöhung der Atemfrequenz verbunden sind, die Beobachtung, so dass man immer genötigt ist, das Ver- 1) Babak und Rocek,l c. 2) Babak und Foustka, Pflüger’s Arch. Bd. 119. 1907. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 417 schwinden der Reizwirkung abzuwarten und die Zählungen oft wiederholen muss. Ein unangenehmer Umstand bei der Bestimmung der Frequenz des normalen Tieres in sauerstoffhaltigem Wasser sind die namentlich bei niederen Temperaturen so häufigen, längeren und kürzeren Stillstände, welehe die Atmung unterbrechen und mit dazu beitragen, dass die Messungen zeitraubend sind und oft an Genauigkeit zu wünschen übrig lassen. Beim dekapitierten Tiere und beim normalen Tiere im O,;-Mangel fallen diese Schwierigkeiten zum grössten Teile weg. Bei Übertragen der Tiere in niedere Temperaturen ist es am besten, mit den Messungen einige Minuten zu warten, bis ein kon- stantes Minimum der Frequenz erreicht ist, während es bei höheren Temperaturen geraten erscheint, die Zählungen bald vorzunehmen, da die erreichten Maxima, besonders wenn sie beträchtlicher sind, selten längere Zeit hindurch beibehalten werden; sie sinken meist immer um einiges ab, wahrscheinlich infolge der Ermüdune, die die hohe Frequenz dieser doch sehr kräftigen Bewegungen hervorruft. Es wurden nur Temperaturkoeffizienten von innerhalb 12° und 320 C. liegenden Temperaturen bestimmt. Bei höheren Tempe- raturen ist der Temperaturkoeffizient des normalen Tieres in sauer- stofffreiem Medium gleich oder sogar kleiner als der desselben Tieres bei Sauerstoffgegenwart, wie dies Babäk gezeigt hat, und wie auch wir es bestätigen können. Die nun angestellten Versuche haben gezeigt, dass tatsächlich, entsprechend unserer Voraussetzung, der Temperaturkoeffizient bei den dekapitierten Tieren grösser ist als der der normalen, in O;-haltigem Wasser befindlichen Tiere, und dass derselbe von un-. sefähr gleicher Grösse mit dem Temperaturkoeffizienten des normalen, in O,-freiem Medium befindlichen Tieres ist. Während der Temperatur- koeffizient des normalen Tieres im Sauerstoffnedium durchschnittlich 1,4—1,5 (für die zwischen 12 und 32° liegenden Temperaturen) _ beträgt, beträgt er für das dekapitierte Tier und für das normale Tier im Sauerstoffmangel 1,5—1,9. Die Temperaturkoeffizienten der dekapitierten Tiere wurden immer in O;-haltigem Wasser be- stimmt; das nämliche Resultat wird auch in O,-freiem Wasser er- halten, wie dies nach unseren obigen Feststellungen nicht anders zu erwarten war. Als Beispiel geben wir in Tabelle 18 die Resul- tate einer an ein und demselben Tiere gewonnenen Versuchsreihe wieder. Als J. Matula: Tabelle 18. (Die Zahlen sind Durchschnittswerte aus mehreren Messungen.) Temperatur Q 12° | 14°| 150| 160] 17°| 22° 240| 250) 260) 270) 32° = | | { Normales Tier| 12 | | el 1,4 in | | | O,-haltigem | ke | | 26 | 1,5 8 Wasser | | | | E | Dasselbe Tier| | 4) | 44 1,8 z in 26 461) | 1,8 = O,- freiem 26 48 1,8 2) Wasser | 28 50 1,8 N m © | Dasselbe Tier, 118 33 1,8 = dekapitiert, | 20 36 1,8 & | in O,-haltigem 5 Wasser 22 | 43 | 1,95 < | Dasselbe Tier, 0 35 8 dekapitiert, | \ in O,-freiem 21 | Sl 1,8 Ä Wasser | | Diese Versuche bestätigen also unsere Ansicht, dass sich das Tier im Sauerstoffmangel wie ein dekapitiertes verhält (natürlich nur soweit es die Atmung anbetrifft, sie sagen uns noch weiter, dass der Temperaturkoeffizient des normalen Tieres bei Sauerstoffmangel jedenfalls den einfacheren (wenn auch numerisch grösseren) Wert darstellt, während der Temperaturkoeffizient bei Sauerstoffgegenwart sicherlich die Resultante von mindestens zwei nicht gleichsinnigen Faktoren darstellt, nämlich des Einflusses der Temperatur auf das Atemzentrum und auf das Cerebralganglion. In schöner Übereinstimmung mit der Tatsache, dass der Temperaturkoeffizient des dekapitierten Tieres höher ist als der des normalen, befinden sich die Untersuchungen H. Przibram’s?) über den Temperaturkoeffizienten einer anderen rhythmischen Be- wegung, nämlich der Laufbewegung bei den Larven der ägyptischen Gottesanbeterin (Sphodromantis bioculata). Przibram bestimmte die Laufgeschwindigkeit für verschiedene Temperaturen bei normalen und dekapitierten Tieren und fand gleichfalls den Temperatur- 1) Diese Zahl wurde nicht direkt ermittelt, sondern sie stellt das arith- metische Mittel der vorhergehenden (44) und der folgenden Zahl (48) dar. 2) Przibram, Arch. f. Entwicklungsmechanik Bd. 23 S. 597—602 und Ss. 626—628. 1909. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 419 koeffizienten Q,. beim normalen Tiere niedriger als beim dakapitierten. Es beträgt derselbe für das intakte Tier zwischen 10—17° C.: 2,1, zwischen 17—26°: 1,8 und zwischen 27—37°: 1,4; beim dekapi- tierten Tiere wurde gefunden für 12—22°: Qio = 2,3, für 22— 32°: Qıo = 2,7. Wenn auch die Bestimmungen der Laufgeschwindigkeit beim dakapitierten Tiere infolge der gestörten oder zum mindesten _ geänderten Ganekoordination nicht sehr genau sind, so weisen doch die Zahlen vielleicht auf ein ähnliches Verhältnis hin. B. Theoretischer Teil. Die angeführten Experimente sind, wie ich glaube, in mancher Hinsicht von Interesse, da sie uns in einige wichtige und intimere Voreänge im Zentralnervensystem einen Einblick gewähren. Sie haben uns vor allem gezeigt, dass gewisse Ganglien (die Kopfeanglien und das erste Thoracalganglion) eine „quantitative“ Funktion be- sitzen, indem dieselben die Grösse der Atmungsfrequenz beeinflussen. Diese Beeinflussung ist, wie weiter gezeigt werden konnte, keine reflektorische. Fragen wir uns zunächst nach der Bedeutung des ersten Thoracalganelions für die Atmung, soweit uns die angeführten Versuche darüber Andeutungen geben können. Wir wollen im folgenden zunächst nur die Verhältnisse am dekapitierten Tiere ins Auge fassen. Unsere Experimente haben zweifelhaft nachgewiesen, dass dem ersten Thoracalganglion eine grosse Bedeutung im nervösen Mechanismus der Atmung zukommt; weiter wurde gezeigt, dass dabei die diesem Ganelion zukommenden afferenten Erregungen eine grosse Rolle spielen, und dass diese Impulse sicher nicht reflektorisch die Atmung auslösen oder an der reflektorischen Auslösung teilnehmen; denn nach Exstirpation des letzten Abdominalganglions hört die Atmung definitiv auf, was nicht der Fall sein könnte, wenn ausser den afferenten Bahnen des letzten Abdominalganelions auch die afferenten Bahnen des ersten Thoracalganglions zum afferenten Teil des Reflexbogens der Atembewegung gehörten. Wenn also diese Impulse mit der Auslösung der Atmung nichts zu tun haben; wenn diese auch vor sich gehen kann ohne diese Im- pulse, wenn auch mit auffallender Erniedrigung der Frequenz, so dass diese Impulse doch die Atembewegung bedeutend beeinflussen, was ist dann ihre Bedeutung? Halten wir uns die zeitlichen Ver- hältnisse des Atmungsabfalls bei Exstirpation des ersten Thoracal- 420 J. Matula: ganelions und bei Abschneiden der Vorderbeine, von welchen aus der grösste Teil der erwähnten Impulse ihren Ursprung nimmt, gegenwärtig (vgl. Tab. 5, 9, 10). Wir haben gesehen, dass der Abfall der Atemfrequenz nach Exstirpation des ersten Thoracal- ganglions ein jäher und unvermittelter ist, während er bei Ab- schneiden ‘der Vorderbeine, was ja einem plötzlichen Wegfall des weitaus grössten Teils der afferenten Impulse zum ersten Thoracal- ganglion entspricht, ganz langsam und allmählich erfolgt; diese Im- pulse können also auch nicht auf reflektorischem Wege die Atmung bloss beeinflussen. Wir müssen demnach annehmen, dass die Er- resungen, die dem ersten Thoracalganglion zufliessen, daselbst etwas erzeugen, welches „Etwas“ in dem Ganglion gespeichert wird, und von. welchem beständig kleine Mengen an das Nervensystem des Abdomens abgegeben werden, auf deren Kosten eine Frequenz- erhöhung, also auch eine Erhöhung der Arbeitsleistung des Nerven- systems, stattfindet. Arbeit wird aber nur auf Kosten von Energie geleistet, weshalb jenes „Etwas“, auf dessen Kosten die Frequenz- erhöhung stattfindet, ein Arbeitsmaterial, eine Quelle von Energie sein muss. Nur auf diese Weise können wir erklären, warum der Abfall der Frequenz nach Exstirpation des Thoracalganglions ein plötzlicher, nach Abschneiden der Beine, also nach Wegfall der zentrifugalen Impulse zum ersten Thoraealganglion, ein allmählicher ist. Im ersteren Fall wird eben der Abfluss jener Energiemengen nach dem Abdomen aufgehoben; im letzteren Fall findet bloss die Neuerzeugung dieser Menge nieht mehr statt, so dass also das Thoracalganglion so lange von dieser Menge abgibt, als bis sich zwischen ihm und den Ab- dominalganglien ein Gleichgewicht herstellt. Wir haben also anzu- nehmen, dass die Erregungen, welche zum ersten Thoracalganglion gehen, zur Erzeugung einer potientiellen (latenten) Energie Anlass geben, auf deren Kosten die nervöse Arbeit beim Reflexvorgang ge- schieht, und von deren Menge die Frequenz dieser Atemrhythmik abhängt. Denn auch der nervöse Vorgang des Reflexes bedarf einer gewissen Quantität von Energie; es handelt sich doch darum, dass eine oft geringe afferente Erregung eine oft sehr bedeutende efferente Erregung, die einen grossen Muskelapparat in Bewegung setzt, aus- zulösen hat. Um diese Energie aufzubringen, ist die geringe Energie der afferenten Erregung zu schwach; es muss dies ohne Zweifel auf Kosten der im Körper gespeicherten Energien geschehen. Zu diesem Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 42] Zwecke muss in den Nervenzentren ein brauchbares Arbeitsmaterial vorhanden sein, da nicht jedes für den Betrieb der „Reflexmaschinen“ verwendbar sein wird, gerade wie auch unsere Maschinen nicht mit ‘jedem beliebigen Material und jeder beliebigen Energie geheizt und in Betrieb gesetzt werden können. Die Erzeugung einer für die Reflexmaschinen brauchbaren potentiellen Arbeitsenergie wird also durch die afferenten Impulse zum ersten Thoracalganglion veranlasst. Diese Arbeitsenergie wird sich im Nervensystem verteilen, und zwar nach dem Gesetz vom Energieausgleiche nach dem Gesetze des Gleichgewichts"). Es wird sich also immer das Bestreben geltend machen, bestehende Potentialdifferenzen dieser latenten Nervenenereie auszugleichen. Die Mengen dieser Energie an den verschiedenen Orten des Zentralnervensystems werden verschieden sein, da, wie wir noch näher besprechen werden, die Kapazität nicht überall die gleiche ist. Wir gelangen hiermit zu Anschauungen, die im wesentlichen mit denen Uexküll’s und Jordan’s über die Funktionen der Zentren niederer Tiere übereinstimmen. Unsere „potentielle Nerven- energie“ deckt sich wohl zum grössten Teil mit dem, was Jordan als Nerventonus und Uexküll als gebundenen Tonus oder, wie er sich neuestens in Anlehnung an Jordan ausdrückt, als „statische Erregung“ bezeichnet?). Ich habe von einer Anwendung dieser Termini abgesehen, einmal, weil ich den in so vielfachem Sinne ge- brauchten Ausdruck Tonus vermeiden und bestehende Unterschiede zwischen unserem Objekt und den Versuchsobjekten der erwähnten Forscher durch Gebrauch einer identischen Nomenklatur nicht ver- schleiern wollte, und dann ist der Ausdruck „potentielle (latente) Nervenenergie“ für meine Zwecke geeieneter. Jordan hat zwar in seiner letzten Arbeit [|1910°)] darauf verzichtet, seine Theorien auf krebsartige Tiere anzuwenden, und es ist ja auch sehr schwierig, bei Tieren ohne „Tonusmuskulatur* im Sinne Jordan’s für der- artige Anschauungen geeignete Belege, die sich zum grossen Teil auf quantitative Messungen stützen müssen, zu finden. Wir haben in der Grösse der Frequenz einer rhythmischen Bewegung einen bequemen Indikator für derartige „quantitative* Funktionen der 1) Jordan, Pflüger’s Arch. Bd. 110 S. 594. 2) v. Uexküll, Umwelt und Inwelt. 1909. 3) Jordan, Pflüger’s Arch. Bd. 131. 1910. 492 J. Matula: Zentren gefunden, ein Indikator, der der Untersuchung jedenfalls leichter zugänglich ist als die tonische Verkürzung der Tonus- muskulatur von Schnecken und Aszidien. Wir haben also nach unseren Experimenten angenommen, dass die zum ersten Thoracalganglion gelangender peripheren Erregungen, vielleicht unter Vermittlung besonderer Apparate (,„Tonuserzeuger“ Uexküll’s), zur Erzeugung einer potentiellen Energie Anlass geben, welche potentielle Energie durch afferente Impulse in die kinetische Energie einer efferenten Erregung verwandelt wird. Unsere Beweise für diese Funktion des Thoracalganglions waren aber nur indirekte. Wir haben aber auch den direkten Beweis geliefert, dass das erste Thoracalganglion ein Nervenenergie erzeugendes Zentrum ist, indem gezeigt werden konnte, dass nach Reizung des Tieres nur dann eine Frequenzerhöhung eintritt, wenn das erste Thoracalganglion vor- handen ist; nie konnte eine deutliche Frequenzerhöhung beim Tier ohne Thoracalganglion nachgewiesen werden, wenn auch noch so lange und stark gereizt wurde. Da diese auf die Reizung folgende Frequenzerhöhung nicht reflektorisch bedingt sein kann, wie schon oben dargetan wurde, so bleibt nur die Annahme übrig, dass diese Impulse zur vermehrten Erzeugung von potentieller Energie im Thoracalganglion Anlass gaben. Derartige Energie wird wohl im ganzen Bauchstrang erzeugt, denn die Atmung geht auch vor sich, wenn das erste Thoracal- ganglion fehlt; aber die Produktion geschieht in verschiedenem Maasse und im weitaus grössten Maasse (wenigstens soweit es die Atem- bewegungen angeht) im ersten Thoracalganglion. Diese hier erzeugte potentielle Nervenenergie wird zum Teil im ersten Thoracalganglion gespeichert und bestimmt damit das Potential desselben; zum Teil erfolgt ein Abfluss der Energie nach Orten niedereren Potentials, also beim dekapitierten Tiere nach den Atemzentren im Abdomen. Diesen Atemzentren kommen nun beständig die den Atemreflex aus- lösenden peripheren Erregungen vom letzten Analseement zu. Die Intensität dieser Erreeungen ist wohl annähernd eine konstante und von keinem weiteren Einfluss auf die Frequenz der Atmung. Diese Erregungen bewirken nun eine Umwandlung der potentiellen Nerven- energie in die kinetische Energie der afferenten Erregung. Es ist also unbedingt zur Auslösung des Reflexes notwendig, dass neben der zentripetalen oder afferenten Erregung auch ein gewisses Quantum einer zentralen Enereie da ist; fehlt dieses Quantum, so kann der Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 493 Reflex nicht ausgelöst werden, trotz der afferenten Erregung, so wenig eine Flinte ohne Pulver trotz Losdrücken des Hahnes nicht losgeht. Je mehr von dieser Energie sich in den Atemzentren befindet, oder, richtiger gesaet, je rascher infolge hohen Potentials des ersten Thoracalganglions die verbrauchten Energiemengen durch raschen, genügenden Nachfluss ersetzt werden, um so höher wird auch die Frequenz der Atemrhythmik sein. Die afferenten, die Atmung aus- lösenden Erregungen sind in ihrer Intensität konstant, ob der Rhythmus beschleunigt ist oder nicht, und auch die vorkommenden Änderungen dieser Intensität werden, sobald sie nicht unter die Erregbarkeitsschwelle sinken, keinen Einfluss auf die Frequenz haben. Wohl aber wird den Ansprüchen dieser Impulse bei stets in ge- nüsender Menge vorhandener Energie in erhöhtem Maasse Folge geleistet und mehr Atemzüge in der Zeiteinheit ausgeführt. Die Frequenz der Atemrhythmik ist also direkt proportional der Menge der verfügbaren potentiellen Nervenenergie. Wir ge- winnen so mit einem Male einen klaren Einblick in das Wesen des so viel umstrittenen Refraktärstadiums, wenigstens vorläufig in das Wesen des Refraktärstadiums dieser speziellen Atemrhythmik. Das Refraktärstadium ist nach unserer Auffassung ein Stadium, in welchem die potentielle Nervenenergie zum mindesten sehr verringert ist, da sie von dem vorhergegangenen Reflex zum grössten Teil verbraucht wurde. Aus den Reservoiren dieser Energie, also in erster Linie "aus dem ersten Thoracalganglion, strömt neue potentielle Energie nach den Ganglien des Abdomens, um die bestehende Potential- differenz auszugleichen. Erst wenn die verbrauchte Energie ersetzt wurde, kann ein neuer Reflex ausgelöst werden. Die Zeit also, welche nötig ist, um die verbrauchte Energie zu restituieren, ist identisch mit dem Refraktärstadium.. Je schneller also diese Restitution stattfindet, je grösser demnach die Potentialdifferenz zwischen den Energiereservoiren des ersten Thoracalganglions und denen der Atemzentren ist, um so kürzer wird das Refraktärstadium sein. Die Länge des Refraktärstadiums in einem gegebenen Moment ist also umgekehrt proportional der zwischen dem ersten Thoracalganglion und der in den Abdominalganglien gelegenen Atemzentren bestehenden Potentialdifferenz und unabhängig von den die Atembewegung auslösenden Impulsen. Dass das erste Thoracalganglion nicht nur ein Energie erzeugendes 424 J. Matula: Zentrum, sondern auch ein Energiereservoir ist, erschliessen wir aus der Tatsache, dass nach Wegfall wenigstens eines grossen Teiles der afferenten Impulse bei Abschneiden der Beine eine allmählich eintretende Frequenzerniedrigung erfolgt; das Ganglion wird also allmählich seiner Ladung beraubt, bis sich ein annäherndes Gleich- gewicht herstellt. Die Kapazität des ersten Thoracalganglions ist gegenüber der Kapazität der Abdominalganglien jedenfalls eine sehr hohe; die Abdominalganglien hingegen besitzen nur eine sehr geringe Kapazität, so dass schon das Nachfliessen kleiner Mengen genügt, um das Potential derselben von Null auf das Potential des ersten Thoracalganglions zu erhöhen. Jeder Atmungsreflex aber verbraucht diese potentielle Energie zum grössten Teil; das Potential sinkt also wieder gegen Null, und erst, wenn diese Potentialdifferenz durch frischen Zufluss ausgeglichen ist, ist wieder ein neuer Atemzug auslösbar. Das erste Thoracalganglion ist demnach das Energiezentrum für den Atemreflex, so wie die Abdominalganglien die Reflexzentren für denselben darstellen. Die Energieerzeugung wird, wie wir ge- sehen haben, durch Impulse ausgelöst, die von den Rezeptoren der Beine ihren Ursprung nehmen, und die jedenfalls durch die beständig diese Rezeptoren erregenden leiehten Reize der Aussenwelt ver- ursacht werden. Würden diese Impulse fehlen, so würde die im Nervensystem vorhandene potentielle Nervenenergie bald aufgezehrt werden, und da keine Neuerzeugung stattfinden könnte, müsste eine reflektorische Unerreebarkeit die Folge sein. Tatsächlich konnten wir dies nachweisen, indem wir dem dekapitierten Tiere alle Beine abschnitten; es trat regelmässig eine Erschlaffung des ganzen Tieres und eine Reflexunerregbarkeit, verbunden mit Atemstillstand, ein, obwohl noch die Rezeptoren des letzten Abdominalsegmentes vor- handen waren. Wahrscheinlich wurde die durch die Erregung dieser Rezeptoren im Nervensystem des Abdomens erzeugte potentielle Nervenenergie von dem ersten Thoracalganglion infolge seines sehr erniedrigten Potentials angezosen, so dass das Abdomen aller Energie entblösst wurde. Eine ganz analoge Beobachtung hat v. Uexküll bei Sipuneulus!) gemacht, wenn auch seine Erklärung dieser Erscheinung nicht ganz in Übereinstimmung mit der hier für die Libellenlarven gegebenen 1) v. Uexküll, Zeitschr, f. Biol. Bd. 44 S. 240. Untersuchangen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 425 ist (was ja übrigens in der Verschiedenheit der Objekte begründet ist). Ein normaler Sipuneulus ausserhalb des Sandes hat immer seine Muskulatur kontrahiert, weil Lieht und die Umgebung dauernd zahlreiche Reize aussenden. „Tief im Sande aber, in der Dunkel- heit einer Röhre, die von eigenem Schleim überzogen ist, sinken die äusseren Reize bis auf Null. Der freie Tonus verzehrt sich all- mählich, und schliesslich liest das Tier mit schlaffen Muskeln da. Hebt man es in diesem Zustande aus dem Sande, so bedarf es erst einiger Zeit, bis auf die äusseren Reize hin wieder genügend Tonus produziert worden ist, der dem Tier die Herrschaft über die Muskulatur wiedergibt.“ Auch bei anderen wirbellosen Tieren scheint es derartige, die Frequenz einer Rhythmik beeinflussende Zentren zu geben, soweit es wenigstens die spärlichen vorliegenden Angaben vermuten lassen. So findet Alfred Fröhlich (1904) bei den Kephalopoden nach Exstirpation der Statozysten (welche Operation ja auch einem Weg- fall afferenter Impulse zu einem zentralen Organ entspricht) eine Verminderung der Atemfrequenz!). Es wäre, glaube ich, eine dank- bare Aufeapde, den Einfluss des Vorhandenseins oder Fehlens, be- sonders sogen. „tonischer“ Zentren auf die Rhythmik verschiedener Bewegungen, bei verschiedenen Tieren einer eingehenden quantitativen Analyse zu unterziehen. Fragen wir uns nun, welche Rolle spielen nun die Kopfganglien (d. h. der Schlundring) im nervösen Geschehen der Atembewegungen? Wir haben gesehen, dass beim normalen Tier die Frequenz der Atmung im Verhältnis zum dekapitierten Tiere eine ziemlich niedrige ist und sich der Frequenz des Tieres ohne erstes Thoracalganglion sehr nähert; ja, man kann fast sagen, rein äusserlich betrachtet verhält sich ein normales Tier unter mittleren Bedingungen (Ruhe, mittlere Temperatur) wie ein Tier, dem das erste Thoracalganglion exstirpiert wurde, wenn auch bei letzterem die Stärke des einzelnen Atemzuges viel schwächer ist. Die Anwesenheit des Schlundringes übt also einen frequenzerniedrigenden Einfluss auf die Atemrhythmik aus; man könnte demnach die Kopfganglien als Hemmungszentren® betrachten, von denen beständig Hemmungsimpulse zum Atemzentrum gesendet werden. Wir haben schon oben hervorgehoben, dass eine solehe Annahme von beständigen reflektorischen Hemmungsimpulsen 1) A. Fröhlich, Pflüger’s Arch. Bd. 102. 1904. 426 J. Matula: (gleichgültig, ob man unter Hemmung einen ganz spezifischen Vor- sang oder eine Interferenz von Erregungen versteht) besonders mit der Tatsache des allmählichen Anstieges der Frequenz nach Dekapi- tierung in Widerspruch steht, daher für unseren Fall zu verwerfen ist. Da nach den obigen Ausführungen die Grösse der Frequenz direkt proportional ist der Potentialdifferenz zwischen erstem Thora- calganglion und den Abdominalganglien, muss also beim normalen Tier die Potentialdifferenz eine geringere sein und der Einfluss des Schlundringes darin bestehen, dass er das Potential des ersten Thoracaleanglions dauernd in niedrigem Niveau erhält. Der Schlund- ring muss demnach selbst ein dauernd niederes Potential aufweisen und so die vom ersten Thoracalganglion erzeugte potentielle Nerven- energie zum grössten Teil in sich aufnehmen und speichern, beziehungs- weise für seine eigenen aktiven Funktionen weiter verwenden. Das erste Thoracalganglion hat also zwei Wege offen, über welche die überschüssige potentielle Energie abfliessen kann: 1. einen Weg zu den Abdominalganglien und 2. einen Weg zu den Gangelien des Kopfes. Das erste Thoracalganglion ist, da doch hier beständig potentielle Nervenenergie erzeugt wird, zugleich die Stelle des höchsten Potentials. Diese Energie wird also nach allen Stellen niedrigeren Potentials abfliessen,. und zwar im reichlichsten Maasse nach der Stelle des niedersten Potentials. Aus unseren Versuchen geht hervor, dass beim normalen Tier die grösste Menge dieser Energie nach den Ganglien des Kopfes wandert; daraus folet weiter, dass diese Ganglien die Stelle des ständig niedersten Potentials vor- stellen. Das Potential des Abdominalganglions oder, präziser aus- gedrückt, der Zentralapparate der Atemrhythmik, ist ein wechselndes. Mit jedem Atemzuge sinkt das Potential auf ein Minimum, worauf ein Ersatz der verbrauchten Energie erfolgt; die Kapazität dieser Zentren ist demnach wohi sehr gering. Ist der Kopf mit seinen Ganglien entfernt, so bleibt der potentiellen Nervenenergie nur ein Weg zum Abflusse, nämlıch der zu den Abdominalganglien, übrige. Infolge der geringen Kapazität der letzteren wird die Potentialdifferenz und damit die Frequenz der Atmung erhöht. Sehr gut erklärt sich nach den hier entwickelten Anschauungen der Unterschied in den zeitlichen Verhältnissen des Abfalls der durch Reizung erhöhten Frequenz beim normalen und dekapitierten Tiere (vel. Tabelle 13 und Fig. 3). Wir sahen, dass nach Reizung des Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 427 normalen oder dekapitierten Tieres eine vorübergehende Frequenz- erhöhung eintritt, und dass die Rückkehr zur Ausgangsfrequenz beim normalen Tiere ungleich rascher erfolgt als beim dekapitierten. Die Reizung bewirkt demnach die Erzeugung einer grossen Menge von potentieller Energie; es entsteht in dem ersten Thoracalganglion also ein hohes Potential, das zu einem raschen Abfluss der Energie, sowohl nach den Kopfganglien als nach dem Bauchstrang hin, führt. Die Kopfganglien haben aber diese Potentialdifferenz infolge ihrer hohen Kapazität und ihres niederen Potentials bald ausgeglichen, und die normale Frequenz ist wiederhergestellt. Beim dekapitierten Tiere kann der Energieüberfluss nur in die Abdominalganglien ah- fliessen; diese haben jedoch nur eine geringe Kapazität, so dass dieser Energieausgleich nur langsam vonstatten geht. Wir haben aus unseren Experimenten über Einfluss des Sauer- stoffs auf die Atemfrequenz ersehen, dass der Os-Mangel kein aus- lösender Reiz für das Atemzentrum ist, sondern dass er direkt seine Wirkung nur auf das Cerebralganglion ausübt und dadurch indirekt die Atemfrequenz beeinflusst. Nach unseren Anschauungen ist eine Erhöhung der Atemfrequenz dadurch bedingt, dass das Potential des ersten Thoracalganglious erhöht ist, also mehr potentielle Nerven- energie in der Zeiteinheit zum Abdomen abfliesst. Da wir experimentell festgestellt haben, dass der O,-Mangel nur auf das Cerebralganglion einwirkt, so müssen wir annehmen, dass die Wirkung des O,-Mangels darin besteht, dass er dem Abfluss der potentiellen Nervenenergie ein Hindernis setzt. Dieses Hindernis kann darin bestehen, dass entweder die Kapazität des Cerebralganglions vermindert oder aber (was ja auch eine Folge der Kapazitätsverminderung ist) das Potential desselben erhöht wird. Man könnte sich ja auch leicht vorstellen, dass der O,-Mangel die Verbrennung der potentiellen Nervenenergie im Cerebraleanglion herabsetzt und es auf diese Weise zu einer Anhäufung derselben una damit zu einer Potentialerhöhung in diesem Ganglion kommt. Natürlich sind auch andere Erklärungsweisen für eine derartige Potentialserhöhung denkbar. Jedoch ist dieses „Wie“ für uns vorläufig Nebensache; die Hauptsache ist, dass diese Potentials- erhöhung des Cerebralganglions zu einem Abhfliessen des grössten Teils der potentiellen Nervenenergie in den Bauchstrang führt und hier die Frequenzerhöhung veranlasst. Eine Libellenlarve im O;- freien Medium verhält sich in bezug auf die Atmung demnach wie ein dekapitiertes Tier; denn auch bei einem solchen beruht die 428 J. Matula: Frequenzerhöhung in einem vermehrten Abfluss der potentiellen Nervenenergie in den Bauchstrang, da der Weg zum Cerebralganglion versperrt ist. Die Frequenzerhöhung bei Sauerstoffmangel ist dem- nach ebensowenig als eine Dyspnöe anzusehen wie die Frequenz- erhöhung beim dekapitierten Tiere. Eine weitere Stütze für diese Auffassung geben unsere Be- stimmungen des Temperaturkoeffizienten beim dekapitierten Tiere und beim Tier im O,-Mangel, die darauf hindeuten, dass das Ver- halten in beiden Fällen tatsächlich, trotz der äusserlichen Verschieden- heit, ein identisches ist, indem der Temperaturkoeffizient für beide Fälle von gleicher Grösse ist. Soweit es die Atmungsbewegungen betrifit, finden wir also im Zentralnervensystem der Libellenlarven drei Reservoire für potentielle Nervenenereie: 1. ein Reservoir in der Ganglienkette des Abdomens von geringem Fassungsvermögen und rhythmisch wechselndem Potential ; 2. ein Reservoir von mittlerer Kapazitat und beständig hohem Potential im ersten Thoracalganelion und 3. ein Reservoir von grösster Kapa- zität und beständig niederem Potential (wahrscheinlich eine Folge ständigen Energieverbrauches) im Schlundring bzw. im ÜCerebral- ganglion. Die drei Reservoire suchen immer untereinander im Gleieh- voewicht zu sein und beständig die zwischen ihnen bestehenden Potentialdifferenzen auszugleichen; zu einem tatsächlichen Ausgleich kommt es aber wohl nie, denn jeder Atemzug verbraucht potentielle Energie, vermindert also das Potential in dem Reservoir der Ab- dominalganelien; andererseits führt jede afferente Erregung, die zum ersten Thoracalganglion fliesst, zu einer neuen Erzeugung von poten- tieller Nervenenergie; dass ähnliche Schwankungen auch im Potential der Kopfganglien stattfinden, ist wohl selbstverständlich. Drei verschiedene Funktionen müssen wir nach diesen Dar- legungen dem Zentralnervensystem, soweit wir es von der ener- getischen Seite betrachten, zuschreiben: 1. Erzeugung von potentieller Nervenenergie, 2. Speicherung und Verteilung dieser Energie und 3. Verbrauch dieser Energie, d.h. Umwandlung potentieller Energie in kinetische, ein Vorgang, der mit der Auslösung der Reflex- bewegungen in engster Verbindung steht. Uexküll hat diesen Funktionen entsprechend drei Apparate angenommen: Tonuserzeuger, Tonusreservoir und Repräsentant. Wir konnten in unserem Objekt diese Funktionen, soweit die Atembewegungen in Betracht kommen, Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 429 als an drei verschiedenen Orten besonders entwickelt nachweisen; und zwar ist die energieerzeugende Funktion hauptsächlich im ersten Thoracalganglion,, die energiespeichernde, obzwar in ziemlich be- deutendem Grade im ganzen Nervensystem, so doch im höchsten Maasse im Schlundring (bzw. Cerebralganglion), und die enereie- verbrauchende Funktion (Reflexauslösung) ausschliesslich in der ab- dominalen Ganglienkette (wir sprechen nur von der Atembewegung!) lokalisiert. Dieser günstigen topographischen Verteilung sind zum grossen Teile die interessanten Ergebnisse der vorliegenden Unter- suchung zu verdanken. In welehe anatomischen Gebilde wir diese Prozesse der Energie- erzeugung und Energiespeicherung zu verlegen haben, ist fraglich. Möglicherweise sind daran die Ganglienzellen beteiligt, von denen man, seit Bethe und Sherrington, nicht recht weiss, welche Funktionen ihnen zuzuschreiben seien. Schliesslich ist ja diese Frage vom physiologischen Standpunkt erst in zweiter Linie von Interesse. Jedenfalls, und darauf deuten auch unsere Experimente, müssen wir zwischen Zentrum und Zentrum einen Unterschied machen. Die Koordinationszentren, als welehe wir mit Sherrington für das Nervensystem der höheren Tiere die Synapsen, d.h. die Stellen, wo ein Neuron aufhört und ein zweites beginnt, ansehen können. und die Zentren der Energieproduktion sind physiologisch, aber auch anatomisch nicht identisch. Während die Koordinationszentren (Reflex- zentren) der Atembewegungen bei der Libellenlarve in den Abdominal- ganglien lokalisiert sind, befindet sich ein grosser Teil der energie- erzeugenden und energiespeichernden Zentren, räumlich weit getrennt davon, im ersten Thoracalganglion. Wir müssen demnach, wenigstens _ für die Tiere mit höherem Nervensystem und quergestreifter Mus- kulatur, wozu ja auch die Insekten gehören, scharf die beiden grossen Probleme in der Physiologie des Zentralnervensystems auseinander- halten: nämlich das Problem der Koordination, welches bis in die neueste Zeit fast ausschliesslich den Gegenstand der Unter- suchung der Physiologen bildete, und das Problem der Energetik im zentralen Nervensystem, an welche man bis jetzt noch wenig gedacht hatte. Vielleicht wird dann auch in die eben erwähnte Frage nach der genaueren anatomischen Lokalisation der ver- schiedenen Funktionen mehr Klarheit kommen; denn seitdem die Untersuchungen Exner’s (1877) und dann besonders Bethe’s Karzinusexperiment (1897) und Steinach’s Versuche an den Spinal- 43 J. Matula: ganglien des Frosches [18991)] der Überschätzung, welche den Ganglienzellen allgemein zuteil wurde, ein Ende gemacht haben, hat sich diese Frage ziemlich kompliziert. Eine afferente, von einem Rezeptor kommende Energie kann also zweierlei bewirken: 1. eine Energieerzeugung veranlassen, 2. einen Reflexvorgang auslösen, also potentielle Energie in die kinetische Energie einer afferenten Erresung verwandeln. Vielleicht kann ein und dieselbe afferente Erregung beides gleichzeitig ausführen; in unserem Fall aber wurde wenigstens ein grosser Teil der für die nervöse Arbeit des Atemreflexes verwendeten potentiellen Energie von anderen Erregungen als denjenigen, die den Atemreflex aus- lösen, erzeugt. Ich glaube, dass man die hier skizzierten Anschauungen mit Erfolg zur Erklärung und ‚Erforschung noch wenig geklärter und wenig beachteter Erscheinungen auch im Gebiet der Physiologie und Pathologie des Zentralnervensystems der Wirbeltiere und besonders auch der Säugetiere wird anwenden können. Die Ansicht, dass iın Nervensystem Energie (Erresung) gespeichert wird, ist ja nicht so neu, und wir finden sie bei namhaften Autoren auf dem Gebiete der Physiologie des Zentralnervensystems der Wirbeltiere vertreten. So sagt Sherrington (1906): „At each Synapse a small quantity of energy, freed in transmission, acts as a releasing forcetoa fresh store of energy not along a homogeneous train of con- dueting material as in nerve-fibre pure and simple, but across a baren. 2.0. “2). Und Meyer und Gottlieb (1910) schreiben in ihrem jüngst erschienenen Lehrbuche bei Besprechung der Strychnin- wirkung: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass in den sensiblen (rezep- torischen) Zellen Hemmungen bestehen, die es verhindern, dass bei einer Erregung die gesamte in ihnen aufgespeicherte Energie, ihre vorhandene Ladung, ganz ausgegeben wird“ ?°). Im Gegensatz zu Bethe, der derartige Ansichten zum mindesten für unnötig findet (Bethe, 1905), bin ich der Meinung, dass diese Vorstellungen von latenten Energien im zentralen Nervensystem sehr berechtigt sind und für die Physiologie von Nutzen und Bedeutung sein werden. 1) Exner, Arch. f. Physiol. 1877. — Bethe, Arch. f. mikroskop. Anat. Bd. 50. — Steinach, Pflüger’s Arch. Bd. 78. | 2) Sherrington, The integrative action of the nervous system p. 150. 3) Meyer und Gottlieb, Die experimentelle Pharmakologie S. 15. 1910. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 431 An eine Möglichkeit einer Wanderung und Verteilung dieser potentiellen Energien bei höheren Tieren hat man meines Wissens noch nicht gedacht; doch sprechen dafür zahlreiche Tatsachen und Beobachtungen. So wären die „decerebrate rieidity“ (Enthirnungs- starre), jener eigentümliche nach Grosshirnexstirpation auftretende Zustand extremer tonischer Starre gewisser Muskeln sowie die wahr- scheinlich analoge Erscheinung der nach Hemiplegien auftretenden Kontrakturen beim Menschen (Sherrington 1906), ziemlich ein- fach und ungezwungen in der folgenden Weise zu erklären. Betrachten wir die beiden Hemisphären als Reservoire von niederem Potential und hoher Kapazität, so wird nach Entfernung derselben die in weiter unten gelegenen Zentren erzeugte potentielle Energie in das Rückenmark und die übrigen Hirnzentren fliessen. Daselbst kommt es zu einer grossen Anhäufung dieser Energie, was zur Folge hat, dass die beständigen Impulse, die dem Zentralnervensystem von allen Seiten und namentlich vom Labyrinthe zukommen, anstatt schwachen Reflextonus diesen Zustand extremer tonischer Starre auslösen. Natürlich ist diese Erklärung nur eine rohe Skizze, ein primitivstes Schema, das nur eine entfernte Ähnlichkeit mit den tatsächlichen Verhältnissen haben wird. Auch die Behandlung der Kleinhirnphysiologie von diesen Ge- sichtspunkten aus würde meines Erachtens manches Licht in die Frage nach der Funktion dieses so wichtigen und funktionell doch so wenig gekannten Organs bringen. Und wenn Luciani das Klein- hirn als ein Organ ansieht, das durch unbewusste Prozesse eine ver- stärkende Tätiekeit auf alle anderen Zentren ausübt !), so müssen wir uns doch fragen, was wir uns unter diesen „unbewussten“ Pro- zessen vorzustellen haben. Liest hier nicht der Gedanke nahe, es als ein Organ zu betrachten, das funktionell sich ähnlich verhielte wie das erste Thoracaleanglion der Libellenlarven, wenn auch von ungleich höherer Komplikation und Umfang seiner Wirkungssphäre ? Doch ich will nieht zuviel gesagt haben; es ist auch nicht meine Absicht, weitere Tatsachen aus dem Gebiet der Wirbeltierphysiologie, auf die eine derartige Erklärung anwendbar wäre, zu besprechen, sondern ich begnüge mich, darauf hingewiesen zu haben [vgl. Pa- gano?)]. 1) Luciani, Das Kleinhirn. Erg. d. Physiol. Bd. 3, 2. Abt. 1903. 2) Pagano, Rivista di patologia nerv. e ment. t. 4. 1899. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. - 28 432 J. Matula: II. Die efferente Erresungsleitung. Wenn wir im vorhergehenden Teile dieser Untersuchungen den quantitativen Funktionen oder, besser gesagt, den statischen Ver- hältnissen der nervösen Energie unsere Aufmerksamkeit geschenkt haben, so soll in diesem Abschnitte die andere Seite des Problems der nervösen Energetik, nämlich die Dynamik der Nervenenergie, und zwar dieErregungsleitung, den Gegen- stand der Betrachtung bilden. Die Verhältnisse der Erregungsleitung hat zuerst v. Uexküll eingehender untersucht und es hat sich dabei für niedere Tiere mit glatter Muskulatur das folgende Gesetz ergeben: In einem einfachen Nervennetz fliesst jede Erregung immer zu den gedehnten Muskeln hin. (Uexküll, Schlangensterne 1904.) !) In einer neueren Arbeit hat v. Uexküll die Gültiekeit dieses Gesetzes auch für die Gangkoordination der Libellen nachzuweisen versucht und das zentrale Nervensystem dieser Tiere als ein ein- faches Nervennetz angesprochen ?). Neuerdings hat sieh Magnus?) in einer sehr interessanten, zum Teil im Laboratorium Sherrington’s ausgeführten Arbeit die Frage vorgelegt, ob diese Regel etwa auch für Säugetiere Geltung hätte; er kam tatsächlich zu dem wichtigen Resultate, dass diese Regel auch für das hochkomplizierte Rücken- mark der Säugetiere Geltung hat, indem er bei einer ganzen Reihe von Reflexen der Extremitäten zeigen konnte, dass die Lage des Gliedes vor dem Auslösungsreiz von ganz entscheidendem Einfluss für die Endreaktion ist. Noch früher hatte Sherrington auf Be- obachtungen an Säugetieren aufmerksam gemacht, die ganz auf- fallend an Uexküll’s Beobachtungen an Schlangensternen und Seeigeln erinnerten. So schreibt er bei der Besprechung der Strychnin- und Tetanustoxinwirkung folgendes: „In the gradual pro- gress of the condition (nämlich der Vergiftung mit Tetanustoxin). I have several times found the hamstring nerve produce slight in- hibition of the extensor if the initial posture taken at the knee be extension, and yet produce distinet exeitation of the extensor if the initial posture taken at the knee be flexion. This recalls the l) v. Uexküll, Zeitschr. f. Biol. Bd. 46. 2) v. Uexküll, Zeitschr. f. Biol. Bd. 50. [x 8) Magnus, Pflüger’s Arch. Bd. 130. 1909. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 433 results of v. Uexküll in Ophioglypha and Echinus.* (Sherrington 17906,.p. 112.) 2) Jordan bestreitet in seiner neuesten Arbeit die Gültigkeit des Gesetzes für die Krustazeen. Seine Einwände dagegen sind aber, wie noch nachgewiesen werden soll, nicht stichhaltig. Ich habe mir zunächst die Frage vorgeleet, ob beim Bein der Libellenlarven sich eleichfalls das Uexküll’sche Gesetz vom Er- regungsablauf als gültig nachweisen lässt. Zu diesem Zwecke wurden die Bewegungen des nur mit seinem Ganglion in Verbindung stehenden Beines untersucht; es wurden dazu entweder Präparate verwendet, die nur aus dem herausgeschnittenen Thoracalsegment mit Ganglion und Beinpaar bestanden, oder ganze Tiere, bei denen die Kommissuren des betreffenden Thoracalganglions mit dem vor und hinter ihm liegenden Ganglion durchtrennt waren, so dass das zu untersuchende Beinpaar nervös vollständig isoliert war. Die Er- regbarkeit derartiger Präparate ist eine sehr hohe: schon leises Be- rühren der Tarsalglieder mit einer Nadel genügt, um eine vorüber- sehende Beugung (Hebung) des Beines im Hüftgelenk zu veranlassen. Je stärker die Reizung ist, um so grösser ist diese Beugung. Bei einer gewissen Reizintensität kommt zu dieser Bewegung noch eine gewisse Streckung oder Beugung im Kniegelenk hinzu. Zu unseren Versuchen wurden fast ausschliesslich Präparate des letzten Bein- paares benutzt, da dessen Verhalten etwas einfacher als das der beiden anderen Beinpaare ist; denn bei diesen kompliziert sich die Bewegung im Hüftgelenke dadurch, dass zu der Hebung des Schenkel- gliedes (Femur) noch eine Vorwärtsbeugung desselben hinzukommt. Zur Lösung der oben aufgeworfenen Frage wurden die Be- wegungen im Kniegelenk geprüft. An einem in der angegebenen Weise hergestellten Präparat wurde der folgende Versuch gemacht. l) Sehr schön kann man sich von der Gültigkeit des Uexküll’schen Er- regungsgesetzes auch für Wirbeltiere jederzeit beim Reflexfrosch überzeugen. Reizt man bei einem solchen Frosch lelcht die Zehen oder den Fuss des in Hüft-, Knie- und Fussgelenk mehr oder weniger gestreckten Beines, so erfolgt in allen drei genannten Gelenken eine energische Beugung. Reizt man nun in gleicher Weise und an derselben Stelle wieder, während das Bein sich in dieser Beugestellung befindet, so erfolgt eine Streckung in allen drei Gelenken oder manchmal bloss in Hüft- und Fussgelenk. Diese beiden Bewegungen haben im Leben des normalen Tieres eine grosse Bedeutung, denn sie stelien die Spring- bewegung des Hinterbeines vor. Ähnliches s. a. beiSherrington, Innervation of antagonistic muscles. VIthe note. Proc. roy. soc. vol. 66. 1899. 28 * 434 J. Matula: Das Tier wurde in der normalen Bauchlage auf eine Unterlage ge- setzt. Das zu untersuchende Bein gehört dem dritten Extremitäten- paare an und ist im Kniegelenke mässig gebeugt. (Fig. 4, HKA.) Werden nun die Tarsen durch leichtes Quetschen mit der Pinzette oder dureh nieht zu starke Induktionsschläge gereizt, so erfolet eine vorübergehende Beugung im Hüftgelenk und eine Beugung im Knie- gelenk, welch letztere, da sie später eintritt als die Beugung im Hüftgelenk, und ihr Maximum erreicht, erst wenn das Schenkelglied schon in seine ursprüngliche Lage zurückgekehrt ist, also die Tarsen den Boden bereits berühren, bestehen bleibt; die Tarsen berühren demnach den Boden nicht mehr in A, sondern in B, und das ganze Bein hat die Stellung IX,b. Reizt man nun die Tarsen, während das Bein sich in dieser Beugestellung befindet, so erfolgt neben einer neuerlichen vorübergehen- den Hüftbeugung die entgegen- gesetzte Bewegung, nämlich eine Streckung im Kniegelenk, so dass der Tarsus jetzt nach C kommt, also wieder sich vom Bir A Reizort, aber in entgegengesetzter Richtung als früher, entfernt. Bei abermaliger Reizung in dieser Streckstellung erfolgt wieder eine Beugung usw. Der Versuch kann beliebig oft mit stets gleicher Sicher- heit wiederholt werden. Es werden somit, wenn das Knie gebeugt, die Streckmuskeln also gedehnt sind, die Streeckmuskeln und umgekehrt bei gestrecktem Knie die gedehnten Beugemuskeln erregt. Wir sehen demnach bei den Libellenlarven aufs neue die Tat- sache bestätigt, die Uexküll bei den Echinodermen und dem Blut- egel, Sherrington und Magnus bei Säugetieren gefunden haben: Die Stellung des Gliedes, d. i. der Zustand der Muskeln, ihre Ver- kürzung oder Dehnung ist für den reflektorischen Endeffekt von maassgebender Bedeutung. Immerhin muss man mit Maenus zu- gestehen, dass wenigstens für die höheren Tiere (Arthropoden, Wirbeltiere) damit noch nicht einwandfrei bewiesen ist, dass die Muskeldehnung die wirkliche oder einzige Ursache dieser Leitung der Erregung ist. Um diese Frage eingehender zu untersuchen, wurden die eben erwähnten Versuche in einer etwas modifizierten Weise ausgeführt. Das in der angeführten Weise operierte Tier bzw. ein heraus- Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 435 geschnittenes Thoracalsegment wurde in der Rückenlage derart fixiert, dass sich die Hinterbeine ungehindert bewegen konnten. Ganz leichte Reizung der Tarsen z. B. durch Berühren mit einer Nadel ruft eine Beugung (Hebung) im Hüftgelenk hervor, wobei der Winkel zwischen Femur und Tibia konstant bleibt, d. h. keinerlei Bewegung im Kniegelenk stattfindet. Es wurde nun mittelst zweier in passender Weise gekreuzt in die als Unterlage dienende Wachs- oder Kork- platte gesteckter Nadeln verhindert, dass eine Beugebewegung im Hüftgelenk ausgeführt werden konnte, und nun abermals die Tarsal- glieder in der gleichen Weise wie vorhin gereizt. Eine Beugung (Hebung) im Hüftgelenk war nun unmöglich; dafür trat aber eine andere Bewegung ein, nämlich eine vorübergehende Streckung im Kniegelenk. Wurde nun auch diese Streckung im Kniegelenk in der angegebenen Weise verhindert, so erfolgt bei Reizung der Fuss- glieder eine Beugung im Kniegelenk. Die Beugung erfolgt selbst dann, wenn das Kniegelenk vor der Reizung stärker als normal ge- beugt ist als unter normalen Umständen, wo einer Streckung des Beines nichts im Wege steht, ausnahmslos eine Streckung erfolgen müsste. Wir sehen aus diesem Versuche, dass im ersten Falle, wo die Beuger des Hüftgelenkes an ihrer Kontraktion verhindert sind, eine ganz andere, bisher unbeteiligte Muskelgruppe, die sich weder anta- sonistisch noch synergistisch zum Hüftbeugemuskel verhält, nämlich der Extensor des Knies erregt wird, und dass im zweiten Falle, wo ausserdem auch die Kniestreckung verhindert wird, trotz schon vor- handener Beugung, also scheinbar entgegen dem Uexküll’schen Erregungsgesetz, eine noch weitere (vorübergehende) Beugung erfolgt. Mit wesentlich gleichem Erfolge wurden diese Versuche an den Extremitäten der ostindischen Stabheuschreeke (Dixippus morosus) wiederholt. Für diesen Zweck wurden Präparate verwendet, die durch Herausschneiden des das dritte bzw. zweite Beinpaar ent- haltenden Segmentes gewonnen wurden. Um Schädigungen des Zentralnervensystems zu vermeiden, legt man vor bzw. hinter den Durchschneidungsstellen Ligaturen an (was ja bei dem langgestreckten, dünnen Körper dieser Tiere eine Leichtigkeit ist); auf diese Weise gelingt es, die Präparate längere Zeit hindurch sehr kräftig und lebensfähig zu erhalten. Das Präparat wird dann wieder in ent- sprechender Weise fixiert. 436 J. Matula: Reizt man nun die Tarsen nicht zu stark elektrisch oder durch leichtes Drücken mit der Pinzette, so erfolgt eine vorübergehende Beugung im Kniegelenk. Wird diese Bewegung verhindert, so er- folgt bei neuerlicher Reizung eine Beugung im Hüftgelenk, und ver- hindert man auch die Hüftbeugung, so erhält man eine Streckung im Kniegelenk, auch dann, wenn das Bein viel weniger gebeust ist als unter normalen Verhältnissen. Da diese Beinbewegungen sehr kräftig sind, muss man auf gute Fixierung des Präparates und namentlich auf genügende Widerstandsfähigkeit der Hindernisse achten, damit auch die kleinste Bewegung nach den betreffenden Richtungen vermieden wird. Wir sehen -also, dass auch bei der Stabheuschrecke das Uex- -küll’sche Erregungsgesetz eine anscheinende Durchbrechung erfährt, dass trotz vorhandener Beugungen unter bestimmten Versuchs- bedingungen weitere Beugungen anstatt Streckungen auftreten, und dass auch umgekehrt bei vorhandener Streckung eine weitere Streckung erfolgt. Es ist demnach nicht immer die gedehnte Mus- kulatur, zu der die Erregung hinfliesst, sondern für die Übertragung einer vom zentralen Nervensystem kommenden efferenten Erregung ist es von ganz wesentlicher Bedeutung, ob unter den gegebenen Umständen eine Verkürzung des Muskels möglich ist oder nicht. Unter normalen Umständen, d. h. wenn das Bein durch nichts in seiner Bewegung gehindert ist, wird das Uexküll’sche Erregungs- gesetz befolgt; wird aber die normale Bewegung verhindert, so tritt an ihre Stelle eine andere, häufig entgegengesetzte Bewegung; an- statt des gedehnten Muskels wird ein verkürzter (selbstverständlich nieht maximal verkürzter) Muskel in Erregung versetzt. Das Uex- küll’sche Erregungsgesetz wäre demnach nicht allgemein eültig, zum mindesten muss es etwas modifiziert werden und den Zusatz erhalten: Die Erregung fliesst zu den gedehnten Muskeln nur dann, wenn für dieselben die Möglichkeit, sichzu verkürzen, besteht. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass dieses Gesetz nur eine scheinbare und keine tatsächliche Ausnahme erfährt. Es ist nämlich die Annahme berechtigt, dass die efferente Erregung zunächst tat- sächlich zu den gedehnten Muskeln hinfliesst, und da dieselbe auf diese Muskeln, die in geeigneter Weise an ihrer Kontraktion ver- hindert wurden, nicht übertragen werden kann — also die Energie dieser Erregung nicht verbraucht wird, und Energie aber nicht ver” Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 457 loren gehen kann —, nun den Weg, den sie gekommen ist, d. i. die „letzte gemeinsame Strecke“ zurückfliesst und an ge- eigneter Stelle auf die zu einem anderen Muskel führenden efferenten Bahnen übertritt. Dafür spricht die Tatsache, dass bei Wegnahme des Hindernisses, wobei das Bein nicht die geringste Änderung seiner Lage erfährt, sofort das alte Verhältnis wieder eintritt, was wohl kaum der Fall wäre, wenn tatsächlich eine Umschaltung des Er- resungsablaufes stattgefunden hätte; eine solche wäre doch wenigstens für kurze Zeit beibehalten worden. Direkt zu entscheiden wäre diese Frage nur durch die Messung der Latenzzeiten des normalen und des unter den erwähnten Umständen eintretenden Reflexes, welche im letzteren Falle grösser als im ersteren sein müsste; eine derartige Messung dürfte bei diesen kleinen Versuchsobjekten auf grosse methodische Schwierigkeiten stossen. Es werden aber weiter unten noch Versuche beschrieben werden, die, zwar nur indirekt, aber sehr deutlich, die Richtigkeit der hier vertretenen Ansicht: be- weisen werden. H. Jordan hat in seiner neuesten Arbeit!) geglaubt, bewiesen zu haben, dass die Uexküll’sche Regel für die Krabben bzw. krebsartigen Tiere überhaupt keine Gültigkeit hat. Bei der nach allem Bekannten im wesentlichen zutage tretenden Übereinstimmung der Funktionen der Muskeln und nervösen Organe der Krustazeen und Insekten möchte ich doch einiges zu diesem Gesenstande bemerken. Jordans Behauptung stützt sich auf folgende Versuche: 1. zeigte er am abgeschnittenen Krabbenbein, dass die Erregbarkeit des belasteten Muskels nicht grösser, sondern eher etwäs kleiner als beim unbelasteten; 2. wies er nach, und zwar gleichfalls am iso- lierten Bein, dass die Erregbarkeit des Beugemuskels der Klaue gleichbleibt, ob nun dieser Muskel gedehnt ist oder nicht. Diese Versuche beweisen absolut nichts gegen das Uexküll’sche Erregungsgesetz; denn sie haben mit demselben gear nichts zu tun. Jordan scheint die Unzulänglichkeit seiner Versuche auch zu fühlen, denn er sagt: „Wir haben naturgemäss die Versuche v. Uex- küll’s (z. B. am Schlangenstern) nicht voll und ganz nachahmen können; denn der genannte Forscher untersucht die beiden Ant- agonisten je zusammen, das Übergewicht des gedehnten beweisend.“ Und er fährt weiter fort: „Doch glaube ich sagen zu dürfen, dass 1) Jordan, Pflüger’s Arch. Bd. 131. 1910. 438 J. Matula: die Erregbarkeit des Cancermuskels nicht von seinem Dehnungsgrade abhängt, dass der gedehnte Muskel für den Reiz nicht nachweisbar empfänglicher ist als der verkürzte und daher die einfache Erklärungs- weise v. Vexküll’s für den lokomotorischen Rhythmus hier nicht zutrifft.“!) Nach diesem Satze müsste das Uexküll’sche Er- regungsgesetz folgendermaassen lauten: Die Erregung breitet sich nach allen Seiten gleichmässig aus und erregt die gedehnten Muskeln, da deren Erregbarkeit gegenüber den verkürzten eine gesteigerte ist. Uexküll’s Gesetz ist aber kein Gesetz über Erregbarkeit, sondern es betrifft die Ablaufsrichtung der Erregung und besagt, dass die Erregung in einfachen Nervennetzen immer zu den gedehnten Muskeln fliesst. Von einer Erregbarkeitssteigerung ist keine Rede, wenn auch nicht ausgeschlossen ist, dass die Erregbarkeit der ge- dehnten Muskeln erhöht ist. Jordan hat ja tatsächlich wahrscheinlich gemacht?), dass die glatte Muskulatur der reflexarmen Tiere im gedehnten Zustande erregbarer ist als im verkürzten, wie dies auch eine allgemeine Eigenschaft aller glatten Muskeln zu sein scheint. (Vgl. auch Biedermann’s Versuche am Helixherzen, wo dies zum ersten Male gezeigt wurde [|1895].) Was hat aber die Erregbarkeits- steigerung mit dem Uexküll’schen Gesetz zu tun? Sie ist für den Endeffekt ja doch Nebensache. v. Uexküll sagt auch ausdrücklich: „Die Muskeldehnung ist an sich kein Reiz und bedeutet auch keine blosse Erregbarkeitssteigerung, da eine solche niemals eine Erregung aus anderen Bahnen an sich zu reissen vermag. Die Muskeldehnung erteilt aber der auftretenden Erregung im Nervennetz die Direktion, die ihr fehlte.“ ?) Die Krustazeen wie auch unser Objekt besitzen keine „Tonus- muskulatur“ im Sinne Jordan’s und die Erregbarkeit ihrer Muskeln ist unabhängig vom Dehnungsgrad. Trotzdem fliesst auch hier die Erregung zu den sedehnten Muskeln; Erregebarkeit und Erregungs- leitung sind eben zwei voneinander unabhängige Faktoren. Abgesehen von diesem Missverständnis ist das Objekt, welches Jordan zu seinen obenerwähnten Versuchen verwendet, ganz in- kompetent, diese Frage zu entscheiden. Jordan scheint der Meinung 1) 1. c. 8. 354 u. 355. 2) Ich sage „wahrscheinlich gemacht“; denn bewiesen hat er es nicht, da Jordan doch nie den Muskel allein, sondern immer Muskel + Nervennetz untersuchte. 3) v. Vexküll, Ergebn. d. Physiol. Bd. 3 8. 4. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 439 zu sein, dass einzig und allein bei diesem Erregunesablauf die Muskeldehnung in Betracht kommt und zentrale Faktoren keine Rolle spielen. Daher sucht er auch die Frage an einem der all- gemeinen Ansicht und auch seiner Ansicht nach zentrenlosen Nerven- muskelpräparat zu entscheiden, indem er die Reizschwelle des Beugers bei direkter Reizung des zu ihm verlaufenden Nerven während Dehnung und Verkürzung bestimmt. Ganz wesentlich unterscheiden sich davon Jordan’s frühere Versuche, sowie die Versuche von v. Uexküll, Sherrington und Magnus, sowie auch die hier vor- liegenden Experimente über diesen Gegenstand. Diese sind keine Versuche an zentrenlosen Nervenmuskelpräparaten, sondern Versuche an mit einem zentralen Nervensystem versehenen Muskelkomplex. Auch der seiner zentralen Ganglien beraubte Schneckenmuskel besitzt noch ein Zentralnervensystem, indem er ein reich entwickeltes Nervennetz mit eingestreuten Ganglienzellen enthält, wie dies Jordan selbst ausdrücklich hervorhebt. Er bezeichnet ja selbst den sanglienlosen Schneckenmuskel als Nervenmuskelsystem erster Ordnung und spricht bei direkter Reizung dieses Muskels von Reflexerregbarkeit; über die Beziehungen, die zwischen Muskeltonus und Erregebarkeit be- stehen, schreibt er: „Gewiss ist vom Muskeltonus die Frregbarkeit abhängig, allein vorab nur insofern und nur weil er proportional ist und Hand in Hand sich verändert mit Zuständen im Zentral- nervensystem. Hand in Hand, das heisst aber, wie jetzt nicht mehr zweifelhaft sein dürfte: durch bipolaren Ausgleich.“ (Jordan, 1905.)*) Wo aber ist in diesen Versuchen an der abgeschnittenen Krabben- extremität ein Zentrum zu finden, das sich verändern und einen „bipolaren Ausgleich“ ermöglichen könnte? Jordan’s Versuche sind demnach zur Entscheidung der Frage nach der Gültigkeit des Uexküll’schen KErregungsgesetzes völlig unbrauchbar, womit natürlich nicht gesagt sein soll, dass sie auch nach anderer Richtung von keinem Interesse wären. Die von uns beobachtete Erscheinung, dass die Erregung, wenn sie auf den einen Muskel nicht einwirken kann, indem dieser Muskel an seiner Kontraktion verhindert ist, zu einem anderen, wenn auch weniger gedehnten Muskel fliesst, hat sich in einer anderen, in vieler Hinsicht noch lehrreicheren Weise nachweisen lassen. Stellt man sich ein in der oben erwähnten Weise durch nervöse Isolierung der 1) Jordan, Pflüger’s Arch. Bd. 110 S. 592. 440 J. Matula: Hinterbeine gewonnenes Präparat her, so findet man nicht selten die Hinterbeine eine oft sehr regelmässige spontane rhythmische Bewegung ausführen. An dieser Bewegung können beide Beine, mitunter aber auch nur ein Bein beteiliet sein. Bewegen sich beide Beine, so ist diese Bewegung gewöhnlich eine sehr regelmässig alternierende. Die Bewegung besteht in einer Beugung (Hebung) und darauffolgenden Streckung (Senkung) im Hüftgelenke, womit auch Bewegungen im Kniegelenk verbunden sein können. Wodurch diese Bewegungen veranlasst werden, ist mir unbekannt und für unsere Zwecke auch gleichgültig; wahrscheinlich werden sie durch zentrale Reize (vielleicht auch traumatischer Art) ausgelöst. Dass wir es wahrscheinlich mit direkt am Zentrum angreifenden Reizen zu tun haben, scheint auch daraus hervorzugehen, dass bei direkter, schwacher elektrischer Reizung des Thoracalganglions, dem das Beinpaar zugehört, eine derartige Rhythmik hervorgerufen werden kann. Mit derartigen, eine spontane, kontinuierliche Rhythmik auf- weisenden Präparaten wurden nun die folgenden Versuche angestellt. Zunächst wurde ein Präparat verwendet, bei dem die beiden Beine eine regelmässig alternierende Bewegung ausführen, d. h. bewegt sich das eine Bein, so ist das andere in Ruhe und umgekehrt. Die Anzahl dieser Bewegungen pro Minute ist unter gleichbleibenden Umständen längere Zeit hindurch eine annähernd konstante; jedes Bein führt natürlich, da die Bewegung in. unserem Fall streng alternierend ist, die gleiche Anzahl von Bewegungen in der Zeit- einheit aus. Wir fixieren nun das Tier derart, dass die Beine ungehindert ihre rhythmischen Bewegungen ausführen können, und bestimmen nun die Frequenz dieser Bewegungen pro Minute. Wird nun das eine Bein (durch entsprechend in die Unterlage gesteckte Nadeln) an der Ausführung seiner Bewegung gehindert!), so bemerkt man sofort eine Beschleunigung in der Rhythmik des anderen Beines. Wird nun diese neuerhaltene Frequenz zahlenmässig festgestellt, so findet man bei gelungenen Versuchen die merkwürdige Tatsache, dass. der Rhythmus des freien Beines um fast genau das 1) Eine Reizung des Beines muss dabei nach Möglichkeit vermieden werden, da schon leichtere Reizung eine Hemmung der Bewegung des Beines der Gegen- seite bewirkt. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 441 Doppelte erhöht wurde; also es macht das eine Bein bei Verhinderung des anderen ebensoviel Bewegungen wie unter den normalen Umständen beide Beine zusammen. Als Beispiel sei der folgende Versuch erwähnt. (Tab. 19.) Tabelle 19. Tier, dem die Kommissur zwischen II. und III. Thoracalganglion durchschnitten ist. — Beide Hinterbeine bewegen sich rhythmisch alternierend. Frequenz des rechten Frequenz des linken Hinterbeines pro Minute | | 20 | 20 Das rechte Hinterbein wird an seiner Bewegung ver- hindert | 38 Der Effekt ist jedoch nieht immer so deutlich, wie aus Tabelle 20 zu ersehen ist. Der Grund, warum hier die Frequenz etwas kleiner ist als gefordert wird, liegt in einer Verlangsamung des Rhythmus in der zweiten halben Minute. In den ersten 30 Sekunden wurden 25 Bewegungen ausgeführt, was 50 Bewegungen in der Sekunde als ganz genau der von uns geforderten Zahl entspricht. Tabelle 20. Gleiche Verhältnisse wie in Tabelle 19. Frequenz des rechten | Frequenz des linken Beines pro Minute 25 25 Rechtes Bein wird an seiner in den ersten 30" 25 Bewegung gehindert 4MIl, „ 2894.90) »„ „ letzten 30” 19 Bewegungen werden gegen | Ende langsamer. Wodurch diese Verlangsamung herbeigeführt wurde, kann ich nicht sagen. Möglicherweise verursacht die hohe Frequenz des Beines eine Ermüdung desselben; ich habe auch mitunter, wenn ein Bein fixiert wurde, nach Freilassung desselben eine Erniedrigung der Frequenz in beiden Beinen beobachtet. Ausserdem kann, wenn die Fixierung des einen Beines nicht ganz vollkommen ist, dasselbe doch hie und da eine kleine Bewegung ausführen, wodurch die Frequenz des anderen Beines eine der Anzahl dieser Bewegungen entsprechende 442, J. Matula: Verminderung erfährt. Jedenfalls ist immer und ausnahmslos eine bedeutende Frequenzerhöhung des einen Beines zu beobachten, wenn das andere an seiner Bewegung gehindert wurde. Diese Versuche, glaube ich, zeigen mit überzeugender Klarheit, dass diese doppelte Frequenz dadurch bedingt wird, dass der efferente Impuls, der bestimmt ist, das in seiner Bewegung gehinderte Bein zu erregen, nachdem er bei den Muskeln dieses Beines angelangt ist, nun Umkehr macht und die zentrifugale Bahn in zentripetaler Richtung zurückfliesst und vermittelst der zentralen Apparate sich auf die Muskeln der Gegenseite überträgt. Da die Bewegung der beiden Beine eine alternierende ist, so ist die notwendige Folge hiervon eine Verdoppelung des Rhythmus. Dass die von uns beobachtete Verdoppelung des Rhythmus kein blosser Zufall ist, sondern tatsächlich auf die von uns angegebene Weise zustandekommt, wird durch folgenden Versuch erwiesen. Wie schon erwähnt, kommt es nicht selten vor, dass bloss ein Bein die besprochene rhythmische Bewegung ausführt, während das andere sich vollständige in Ruhe befindet. Wird nun das sich bewegende Bein fixiert, so beginnt das bisher in Ruhe befindliche Bein rhyth- mische Bewegungen auszuführen, und zwar mit annähernd gleicher Frequenz, die das fixierte Bein vor seiner Fixierung gehabt hatte Vgl. Tabelle 21. Tabelle 21. Gleiche Verhältnisse wie in Tabelle 19 und 20. Das rechte Hinterbein ist in Ruhe. Frequenz des linken Frequenz des rechten Hinterbeines pro Minute 29 | 0 ‚Das Bein wird an seiner Bewegung gehindert 26 Ich glaube, dieser letzte Versuch beweist im Verein mit den vorigen wohl einwandfrei, dass tatsächlich die efferenten Impulse, wenn der Muskel, zu dem sie normalerweise fliessen sollen, mechanisch verhindert wird, sich zu kontrahieren, zu einem anderen Muskel fliessen und diesen in Bewegung setzen, und zwar nicht nur andere Muskeln desselben Gliedes, sondern auch Muskeln einer anderen Extremität. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 443 Man könnte gegen die Versuche noch den unwahrscheinlichen Einwand erheben, dass diese Frequenzerhöhung eine Folge oder zum Teil eine Folge der bei der Fesselung auftretenden Reizung sei. Dieser Einwand wird leicht dadurch widerlegt, dass bei andauernder, oft ganz leichter Reizung eine Hemmung der Rhythmik des Beines der Gegenseite stattfindet, welehe Hemmung auch nach Aufhören der Reizung noch mehrere Sekunden bestehen bleibt. Ist die Hemmung vorüber, so kehrt die Rhythmik mit einer anfänglichen Beschleunigung wieder !). Nach unserer Ansicht fliesst also die efferente Erregung in den besprochenen Versuchen ımmer zunächst zu den gedehnten Muskeln ; kann sie sie aber nicht auf diese übertragen (weil dieselben an ihrer Kontraktion gehindert sind), so kehrt sie um und fliesst die efferente Bahn die sie gekommen ist, in zentripetaler Richtung zurück, um, im Zentrum an- gelangt, auf eine andere efferente Bahn überzutreten. (Vgl. nebenstehendes Schema Fig. 5.) Wenn wir dies auch nicht direkt (durch Messung der „Reflex- fig, 5. Schema des efferenten Er- latenzzeiten“) nachgewiesen haben, so regungsverlaufes, wenn der Muskel \ (M,) an seiner Kontraktion ver- sprechen doch die erwähnten Versuche hindert wird. Die Pfeile deuten für die Wahrscheinlichkeit dieser Auf- {en Ablauf ser Trregung an. fassung, obgleich nicht ausgeschlossen erscheint, dass die für den gehinderten Muskel bestimmten Im- pulse direkt zu einem anderen Muskel fliessen. Wir haben aber keinen Grund zur Annahme, dass die Erregung bei reizloser Fesselung des Beines anfänglich nicht ihren normalen Weg einschlagen sollte; denn das blosse Vorhandensein äusserer Hindernisse, die auf das Bein während seiner Ruhelage keine Wirkung ausüben können, kann nicht gleich eine derartige „Umschaltung“ im Zentralnervensystem bedingen. Wenn wir auch keinen direkten Be- weis dafür erbringen können, so haben wir doch indirekte Beweise, die mit unverkennbarer Deutlichkeit darauf hinweisen, dass die Er- regung tatsächlich zuerst zu den Muskeln hinfliesst, die sie unter 1) Anfängliche Beschleunigung nach vorhergegangener längerer reflek- torischer Hemmung kann auch an der Atemrhythmik beobachtet werden. 444 J. Matula: normalen Umständen errest und erst dann zu anderen Muskeln fliesst, wobei natürlich eine zentripetale Leitung der zentrifugalen efferenten Erregung stattfinden muss. Entfernen wir nämlich in dem Präparate, wo beide Beine regel- mässig alternierende Bewegungen ausführten, das Hindernis und be- obachten nun die Frequenz, so können wir drei Fälle unterscheiden, je nach der zeitlichen Dauer der Behinderung: 1. Dauerte die Behinderung der Bewegung nur kurze Zeit an, so wird nach Entfernung des Hindernisses sofort das ursprüngliche Verhältnis annähernd wiederhergestellt, d. h. beide Beine bewegen sich in ungefähr gleichem Rhythmus; - 2. dauerte die Behinderung längere Zeit an (z. B. 2—4 Minuten), so ist nach Wegnahme des Hindernisses die Frequenz der Bewegung des fixiert gewesenen Beines anfänglich sehr verlangsamt und die des anderen Beines gegen normal erhöht; 3. dauerte die Behinderung noch längere Zeit an, so bleiben die dadurch hervorgerufenen Verhältnisse auch nach Entfernung des Hindernisses bestehen, d. h. das fixiert gewesene Bein bewegt sich gar nicht, das Gegenbein, aber mit annähernd doppelt erhöhtem Rhythmus. Dieses Verhältnis kann ziemlich lange andauern, ehe ein Ausgleich erfolgt. Diese drei Fälle sind nicht anders zu erklären, als dass im ersten Fall die Erregung jedesmal zuerst zu den Muskeln des an seiner Bewegung gehinderten Beines und dann erst zum Bein der Gegenseite geflossen ist, so dass nach Wegnahme des Hindernisses sofort das ursprüngliche Verhältnis hergestellt ist; während im zweiten Falle die Erreeung nur einige Male und im dritten Fall niemals mehr den normalen Weg einschlägt, sondern gleich direkt in das Bein der Gegenseite wandert, also sich einen kürzeren Weg gebahnt hat, was sich in dem unmittelbar auf die Entfernung des Hindernisses folgenden Verhalten kundgibt. Der dritte Fall tritt nur dann ein, wie ich nochmals hervorheben will, wenn die Behinderung längere Zeit angedauert hat. Dieser dritte Teil ist für unsere Beweisführung sehr wichtig, da, indem er uns das Verhalten zeigt, wenn die Er- regung nicht mehr zu dem fixierten Beine fliesst, also nicht mehr den normalen Wee wandert (und dies ist im dritten Falle doch als sicher und gewiss anzunehmen), damit zugleich indirekt bewiesen ist, dass dies in Fall 1 und 2 tatsächlich stattfindet. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 445 Die angeführten Versuche gewähren, wie ich glaube, einige nicht unwichtige Einblicke in die Beziehungen, die zwischen efferenter -Erregung und Muskel einerseits und efferenter Erregung und Zentrum andererseits bestehen. Aus unserer gefundenen Grundtatsache, dass, wenn ein Muskel durch äussere mechanische Bedingungen verhindert wird, sich zu kontrahieren, die ihm zukommende efferente Erregung einen anderen Muskel in Erregung versetzt, lassen sich mehrere wichtige Folgerungen ziehen, die wir auch durch Experimente wahr= scheinlich gemacht haben: 1. Ist ein Muskel verhindert, sieh zu kontrahieren, so kann auch keine efferente Erregung auf ihn übertragen werden. 2. Die zu einem solehen Muskel fliessende efferente Erregung kann deshalb auch nicht verbraucht werden, und da ihre Energie nicht verloren gehen kann, fliesst sie zu einem anderen Muskel; man könnte in einem gewissen Sinne von einem „Prinzip der Er- haltung der kinetischen Nervenenergie“ sprechen. 3. Damit ein anderer Muskel in Tätigkeit versetzt werden kann, muss die efferente Erregung, die zu dem betreffenden an seiner Kontraktion gehinderten Muskel geflossen ist, notwendig denselben Weg wieder zurückkehren, den sie geflossen ist, also rückläufig die „letzte gemeinsame Strecke“ durcheilen, um ins Zentralnervensystem wieder einzutreten. Jedenfalls.haben die Versuche zum mindesten sehr wahrscheinlich gemacht, dass die behauptete Irreversibilität der Leitung im Reflexbogen für den efferenten Teil des Reflexbogens oder, genauer gesagt, für den efferenten Erregungsvorgang nicht be- steht, sondern, dass auch eine aus dem Zentrum kommende Erregung unter bestimmten Umständen wieder ins Zentrum zurückkehren kann. Die Leitung im Reflexbogen ist also für die efferente Er- regung nicht strenge irreversibel !),. Das Gesagte gilt natürlich nur für Insekten; ob es auch bei anderen Tieren, namentlich Wirbel- tieren, Geltung hat, ist eine andere Frage, die ich noch zu unter- suchen hoffe. 1) Ob dies auch für die afferente Erregung oder, besser gesagt, für die durch direkte Reizung einer motorischen Bahn hervorgerufene Erregung gilt, ist fraglich; bei den Wirbeltieren ist diese Frage bekanntlich schon längst im ver- neinenden Sinne entschieden worden. Für die efferente Erregung aber ist diese Frage bei Wirbeltieren noch gar nicht untersucht worden, da man fast allgemein (wenn auch unserer Ansicht mit Unrecht) afferente und efferente Erregung sowie Erregung auf direkten Nervenreiz als im Wesen identische Vorgänge betrachtet. 446 J. Matula: Direkte Reizung des abgeschnittenen Beines. Am Bein der Libellenlarve lässt sich bei direkter Reizung des Beinnerven die gleiche Erscheinung konstatieren, die zuerst von W. Bieder- mann an der Krebsschere beobachtet wurde, nämlich dass bei schwacher Reizung die Streckmuskeln, bei stärkerer die Beuge- muskeln erregt werden (Tabelle 22). Dass dabei die Antagonisten gehemmt werden (also die Beuger bei schwacher, die Strecker bei starker Reizung), ist wohl als selbstverstäudlich anzusehen, wenn dies. auch bei der Kleinheit des Objekts nicht nachgewiesen werden kann. Tabelle 22. Direkte Reizung des Beines mit Induktionsströmen. Der Reiz wird durch zwei in den Femur gesteckte Nadeln übertragen. Rollenabstand | 48,5 cm | kein Effekt 48,0 „ Streckung im Knie (langsam) 33.00 | 5 N &rätuie) 345 „ R »_ „ mit kleinen Beugungen 34,0 „ | Beugung im Kniegelenk. Auch die von Richet zuerst am Krebsmuskel beobachtete Er- scheinung der Summation, (welche Richet auf den Gedanken brachte, dass Ganglienzellen am Muskel vorhanden wären), konnte an unserem Objekt beobachtet werden, indem bei hinreichend schwachen Reizen der Effekt 1. nicht sofort, sondern erst nach ungefähr einer Sekunde eintritt, und 2. die Bewegung eine langsame ist. Ich habe diese Verhältnisse nicht weiter untersucht, da sie nicht eigentlich in den Rahmen dieser Arbeit fallen. Jedoch will ich bemerken, dass die Erscheinungen der Hemmung und Summation typisch für Reflex- vorgänge sind, und dass, soweit mir bekannt, der Arthropodenmuskel der einzige Muskel ist, an welchem bei direkter Reizung Hemmung und Summation beobachtet werden konnten. Ich für meinen Teil halte daher die Ansicht v. Uexküll’s für wahrscheinlich ?), dass wir. es in diesem Falle nicht mit direkter Reizung zu tun haben, sondern, dass zwischen efferenter Bahn und Muske) noch Zentren eingeschaltet sind. Es müssen dies Zeutren sehr unvollkommener Art sein, welche allein einem Muskel angehören und wahrscheinlich weder unter- 1) Zit. nach Biedermann, Elektropkysiologie Bd. 1. 2) v. VUexküll, Leitfaden in das Studium der exper. Biologie S. 117. Untersuchungen über die Funktionen des Zentraluervensystems etc. 447 einander noch mit anderen Zentren eine nähere Verbindung auf- weisen; es fehlt ihnen auch ein wesentlicher Teil des Reflexbogens, nämlich die afferente Babn. Dass man keine Ganglienzellen an jenen Muskeln eefunden hat, beweist nichts gesen das Vorhandensein der- artiger Zentren, denn Zentrum und Ganglienzelle sind keine identi- schen Dinge. Unsere obige Kritik der erwähnten Folgerungen Jordan’s muss aber trotz alledem aufrechterhalten werden; denn einem Nervenmuskelsystem erster Ordnung entsprechen die Extremitäten der Krustazeen und Insekten auf alle Fälle nieht, und es ist über- haupt sehr fraglich, ob der erwähnten Eigenschaft des Nervenmuskel- präparats dieser Tiere irgendeine Bedeutung in der Koordination der Bewegungen zukommt. III. Über die Funktionen des Cerebralganglions. Eine Funktion des Cerebralganglions haben wir schon bei der Untersuchung der Atemrhvthmik kennen gelernt: nämlich sein Ver- mögen, potentielle Nervenenergie zu speichern. Es ist klar, dass dies nicht die einzige Funktion dieses wichtigen Gebildes sein kann, und dass die gespeicherte Energie weiter verwendet werden muss. Wir wollen daher einige Versuche besprechen, die die Bedeutung dieses Ganglions für den Reflextonus, die Lokomotionsrichtung und die Reflexerregbarkeit demonstrieren sollen. l. Cerebralganglion und Reflextonus. Unter „Reflextonus“ ist jene andauernde schwache Erregung der Muskulatur zu verstehen, die durch die beständig den Körper treffenden Reize hervorgerufen wird, also „Tonus“ im alten Sinne Brondgeest’s. Ich halte es für notwendig, etwas Selbstverständ- liches hervorzuheben; denn das Wort „Tonus“ ist wohl einer der missbrauchtesten Ausdrücke der Physiologie, unter dem jeder Autor etwas anderes versteht, vorausgesetzt, dass er überhaupt imstande ist, eine scharfe Definition dieses Begriffes zu geben. Es ist daher angezeigt, bei Anwendung dieses Wortes jedesmal weniestens an- zudeuten, in welchem Sinne man dieses vielseitice Wort zu gebrauchen beabsichtigt. Wird einem Tiere das Cerebralganglion exstirpiert, so findet man, dass die Stellung der Beine in der Ruhelage eegenüber dem normalen Tier eine Änderung erfahren hat. Während der Femur Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 29 448 J. Matula: des Vorderbeines eines normalen Tieres zur Längsachse normal steht oder gar nach vorne gerichtet ist, ist derselbe beim Tiere ohne Cerebralganglion nach rückwärts gerichtet (Fig.5 A, C). Auch die Tibia ist mitunter, wenn auch nicht immer, nach hinten gerichtet, was aber nicht von der Tibia, sondern von einer Drehung des Femurs im Hüftgelenk abhängt; denn die Tibia ist durch das Knie- gelenk nur zu Bewegungen in einer Ebene befähigt. Sehr deutlich sieht man diese Unterschiede bei einseitiger Ex- stirpation des Cerebralganglions, indem die nicht operierte Seite das A B L Fig.6. A Normales Tier. 5 Tier, dem die linke Hälfte des Cerebralganglions exstirpiert wurde. C Tier, dem das ganze Cerebralganglion exstirpiert wurde. normale, die operierte hingegen das geänderte Verhalten zeigt. Das einseitig operierte Tier zeigt die Verhältnisse auch darum noch deutlicher, weil bei ihm der Einfluss des Cerebralganglions auf die Muskulatur des Abdomens gut beobachtet werden kann; das Ab- domen der einseitig operierten Tiere ist nämlich seitlich gekrümmt, wobei die konkave Seite, also die Seite der stärksten Muskel- verkürzung, der normalen Seite entspricht. Beim Tier ohne Cerebralganglion überwiegt der Tonus der Rückwärtsbeugemuskeln des Hüftgelenks den der Vorwärtsbeuger; erstere sind gedehnt‘, letztere verkürzt; ob dabei eine stärkere tonische Innervierung der Rückwärtsbeuger oder ein Erschlaffen der Vorwärtsbeuger anzunehmen ist, vermag ich nicht zu entscheiden; Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 449 es scheint vielleicht das letztere der Fall zu sein. Beim normalen Tiere scheinen sich beide Muskeln das Gleichgewicht zu halten oder sogar der Tonus der Vorwärtsbeuger zu überwiegen. Deutlicher liegen die Verhältnisse bezüglich des Abdomens. Die Muskeln der normalen Seite sind beim einseitig operierten Tier verkürzt, während die der operierten Seite erschlafft sind. Der Tonus der Abdominal- muskulatur oder vielleicht bloss der Longitudinalmuskeln derselben ist also beim operierten Tiere bzw. auf der operierten Seite geringer geworden. Diese Beobachtungen lehren uns, dass vom Üerebralganglion dauernd vermutlich reflektorisch ausgelöste Impulse ausgehen, die zu mindest einen Teil der Muskulatur in einen leichten Erregungs- zustand (Tonus) versetzen, vielleicht ebenso einen anderen Teil der Muskulatur dauernd hemmen und so mit einem Worte die normale Haltung des Tieres wenigstens zum Teil bedingen. Dass durch die geänderten tonischen Verhältnisse der Muskulatur auch die Fortbewegung des Tieres ohne Cerebralganglion alteriert wird, ist wohl begreiflich. Die Beinbewegungen beim Gehen (ein Tier ohne Cerebralganglion kann ganz gut gehen) erfolgen beim operierten Tiere in etwas anderer Weise als beim normalen, indem der Femur nicht mehr so weit nach vorwärts bewegt wird, dafür aber mehr gehoben wird als bei letzterem. Bei einseitiger Exstirpation des Cerebralganglions erfolgen die Gehbewegungen in einem Kreise nach der gesunden Seite. Auch die Schwimmbewegungen erfolgen bei solchen Tieren in einem ebensolchen Kreise, was seine Ursache in der Krümmung des Ab- domens hat. 2. Cerebralganglion und Lokomotionsrichtung. Das Cerebralganglion ist, da es doch in direkter Verbindung mit den Hauptsinnesorganen, den Augen, steht, bestimmend für die Bewegungsrichtung des Tieres. Ich habe nur einige wenige Ver- suche über den Einfluss des Lichtes angestellt, die aber doch die Bedeutung der Augen und damit auch des Cerebraleanglions als richtungsbestimmenden Faktor in der Lokomotion des Tieres be- weisen. Die Mehrzahl der untersuchten Tiere zeigt eine ausgesprochene negative Phototaxis. Wurde ein Tier auf den Tisch gesetzt, so dass der Kopf dem durch das Fenster einfallenden Licht zugewendet war, 29 * 450 J. Matula: so erfolgte regelmässig, sobald das Tier zu gehen anfing, eine Um- kehr des Tieres und ein Wandern nach der lichtabgewendeten Seite. Wenn das Tier genau: in der Einfallsrichtung des Lichtes eingestellt war, erfolgte die Umkehr bald nach links, bald nach rechts. Wurde das Tier aber schief zur Einfallsriehtung des Lichtes gestellt, so dass das eine Auge mehr, das andere weniger beleuchtet war, so erfolgte die Umkehr stets in der Richtung des weniger beleuchteten Auges. Wurde aber ein Auge durch Bestreichen mit Lack geblendet, so erfolgte die Umdrehung stets nach der geblendeten Seite, selbst dann, wenn dabei ein grösserer Weg zurückgelegt werden musste, um die lichtabzewendete Seite zu erreichen. Derartige einseitig geblendete Tiere behalten selten die gerade Linie bei, wenn sie in der Einfallsriehtung des Lichtes nach der lichtabgewendeten Seite wandern; vielmehr zeigen sie die Tendenz, in einem Kreise nach der geblendeten, also nicht normalen Seite zu wandern, also in eanz entgecengesetzter Richtung wie beim Tier, dem die eine Hälfte des ÜCerebralgangelions herausgenommen wurde, bei welchem die Kreisbewegung nach der gesunden Seite erfolgt. 3. Cerebralganglion und Reflexerregbarkeit. Es ist fast allgemein von allen Autoren, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, nach Exstirpation des Cerebraleanglions eine Erhöhung der Reflexerregbarkeit beobachtet worden. Dies hat Bethe (1897) !) namentlich für verschiedene Arthropoden festgestellt, und es wurde diese auch für Tiere anderer Klassen angegeben (z. B. Aplysia [Jordan 1901], Weinbergschnecke [Jordan 1905], Eledone [|v. Uexküll 1895])?). Ich hätte diesem Thema keine weitere Auf- merksamkeit geschenkt, wenn nicht Jordan in seiner Arbeit über die Leistungen des Cerebralganelions krebsartiger Tiere die Ansicht vertreten hätte, dass aus seinen Experimenten hervorgeht, „dass Kreisbewegung und Reflexhemmung bei Cancer pagurus nicht in der Weise erklärt werden kann wie bei den Schnecken“. Schliesslich könnte dies ja möglich sein, aber aus den Experimenten Jordan’s 1) Bethe, Vergleichende Untersuchungen der Funktionen des Zentral- nervensystems der Arthropoden. Pflüger’s Arch. Bd. 67. 1897. 2) Jordan, Zeitschr. f. Biol. Bd. 41; Pflüger’s Arch. Bd. 106, 110. — v. VUexküll, Physiologische Untersuchungen an Eledone moschata. IV. Zeitschr. ,B10l2 Bd817 325942 31895. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 451 ist dies nicht abzuleiten. Jordan stellt sich die Frage, ob die Erregbarkeit des Krabbenmuskels auf Grund der nämlichen Gesetze reguliert wird wie die Erregbarkeit bei reflexarmen Tieren, also ob die Erregbarkeit nach Entfernung des Cerebralganglions steigt. Jordan reizt zu diesem Zwecke den direkt zum Muskel gehen- den Nerven einer Extremität beim intakten Tiere und beim Tier ohne Cerebralganglion und findet bei dieser Versuchanordnung, dass die direkte Erregbarkeit der Extremität unabhängig vom Cerebral- sanglion ist. Dies ist ja sicher ganz richtig. Hat er aber damit nachgewiesen, dass die Erregbarkeit des Krabbenmuskels nicht auf Grund derselben Gesetze reguliert wird, die er für die „Reflexarmen“ als gültig gefunden hat? Keineswegs! Der genannte Forscher scheint mitunter der Meinung zu sein, bei seinen Versuchen an Schnecken die direkte Muskelerregbarkeit geprüft zu haben. So spricht er in seiner Schneckenarbeit (1905) von „direkter Reizung“, wenn er die vom Pedalganglion abgehenden Bahnen reizt, und von „Reflex- erregung“, wenn er die Elektroden direkt dem Schneckenmuskel ansetzt, ohne aber einen wesentlichen Unterschied zwischen beiden Arten der Reizung zu machen und ohne einen freilich auch zu finden. Dennoch scheint er zu glauben, bei der sogenannten direkten Reizung einen direkt zum Muskel gehenden Nerven zu reizen. Dem ist aber nicht so. Zwischen diesem Nerven und dem Muskel liegt ja ein diffuses Nervennetz eingeschaltet, das auch ohne die makroskopisch sichtharen Zentralganglien die wichtigsten Bewegungskombinationen des Tieres, wenn auch in einer quantitativ geänderten Weise, aus- zuführen imstande sind. Jedes Muskelstückehen einer Schnecke ist demzufolge ein Reflexsystem, ein „System I. Ordnung“, wie es Jordan selbst bezeichnet hat. Jordan hat demnach bei den „Reflexarmen“ immer an einem aus Muskel plus Zentralnervensystem bestehenden Präparat gearbeitet. Änderungen in der direkten Muskelerregbarkeit bei den Schnecken nach irgendwelchen Eingriffen hat er nie nachgewiesen, aus dem einfachen Grunde, weil dies vor- läufig wenigstens noch methodisch unmöglich ist. Nachgewiesen hat er bloss, dass die Reflexerregbarkeit nach Exstirpation des Cerebral- ganglions erhöht ist. , Um die Frage zu prüfen, welche sich Jordan vorgelegt hat, darf man nicht die direkte Reizbarkeit eines Nervenmuskelpräparates, sondern muss die Reflexerregbarkeit prüfen. Ich habe daher die Reflexerrezbarkeit der normalen und der dekapitierten Libellenlarve 452 J. Matula: für zwei Reflexe geprüft und die Schwellenwerte zahlenmässig fest- gestellt. Zunächst wurde die Reizstärke bestimmt, welche bei Reizung der Tarsen des Hinterbeines eben noch eine Hebung des Beines im Hüftgelenk bewirkte. Die Tarsen des betreffenden Beines wurden auf die Elektroden des von einem Akkumulator betriebenen In- duktoriums geleet und der Rollenabstand bestimmt, bei dem eben ein Zurückziehen des Beines, also eine Hebung im Hüftgelenk, er- folete. Das Experiment wurde ausserhalb des Wassers ausgeführt und die Tarsen, um einen sicheren Kontakt mit den Elektroden zu ermöglichen, mit Wasser befeuchtet. Die Bestimmung wurde zuerst am intakten Tiere und dann am selben Tiere nach Dekapitierung ausgeführt. In Tabelle 23 sind neben den Mittelwerten aus 8—14 Messungen immer auch der jeweilig grösste beobachtete Rollen- abstand angegeben. (Tab. 23.) Tabelle 23. Beinreflex. Erregbarkeit. Normal Dekapitiert Mittlerer | Grösster beobach- Mittlerer Grösster beobach- Rollenabstand | teter Rollenabstand | Rollenabstand | teter Rollenabstand cm cm cm cm Tier I 17,4 17,6 192 19,7 Tier II 18,0 18,5 20,0 20,3 Die analoge Bestimmung wurde für einen Reflex der Anal- stacheln durchgeführt. Die drei Analstacheln sind, wenn das Tier ruhig atmend im Wasser liegt, geöffnet; bei schon leichten Reizungen legen sie sich aneinander, eine geschlossene Röhre bildend. Zu diesem Zwecke wurde das Tier unter Wasser, so dass es gerade davon bedeckt war, in einer Präparierschale gefesselt, und zu beiden Seiten der Analstacheln wurden Nadeln in den Wachsboden des Beckens gesteckt, auf welche dann der Strom übertragen wurde. Da die Induktionsschläge in diesem Falle nicht genau lokalisiert werden konnten, ist die Bestimmung der Reizschwelle nicht so genau wie im obigen Falle. Immerhin konnte durch entsprechendes An- bringen der Nadeln in möglichster Nähe der Stacheln der Fehler auf ein Minimum reduziert werden. (Tab. 24). Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 453 Tabelle 24. Analstachelreflex. Erregbarkeit. Normal Dekapitiert Mittlerer Maximaler Mittlerer | Maximaler Rollenabstand Rollenabstand | Rollenabstand | Rollenabstand cm cm cm | cm Tier IH 9,2 9,8 10kt | 11,3 Tier IV 10,5 11,0 11,5 11,8 Die Tabellen 23 und 24 beweisen demnach zahlenmässig, dass die Reflexerregbarkeit des Tieres nach Dekapitierung, d.h. also nach Exstirpation des Schlundringes deutlich gesteigert ist. Wir haben von einer blossen Exstirpation des Cerebralganglions aus dem Grunde abgesehen, weil die Dekapitierung des Tieres eine viel einfachere Operation ist und eine grössere Schädigung des Tieres (namentlich was den Blutverlust anlangt) mit Leichtigkeit vermieden wird. Ferner war es uns hauptsächlich darum gelegen, nachzuweisen, dass gewisse Zentren Einfluss auf die Reflexerregbarkeit haben. Ob nun dafür das Cerebralganglion bzw. das Unterschlundganglion allein oder beide zusammen verantwortlich zu machen sind, ist schliesslich eine Frage von speziellerem Interesse. Beobachtungen früherer Autoren, namentlich Bethe’s!), an Arthropoden sprechen für. eine alleinige Beteiligung des Cerebralganglions, wenn dies auch noch nie zahlenmässig festgestellt wurde. Zusammenfassung. 1. Die Atemzentren der Libellenlarven liegen in den Abdominal- ganglien. ID Die Atembewegungen werden wahrscheinlich durch die Er- regungen von Rezeptoren des letzten Körpersegmentes aus- gelöst. 3. Die Frequenz der Atembewegungen wird reguliert durch die Kopfganglien und das erste Thoracalganglion: a) Exstirpation der Kopfganglien bedingt dauernde Erhöhung der Atemfrequenz. | 1) Bethe, Pflüger’s Arch. Bd. 67. 454 J. Matula: b) Exstirpation des ersten Thoracalganglions bewirkt dauernde Erniedrigung der Atemfrequenz. c) Abschneiden des ersten Beinpaares bedingt beim de- kapitierten Tiere dauernde Erniedrigung der Atem- frequenz. d) :Die vorübergehende Erhöhung der Atemfrequenz bei Reizung des Tieres tritt nur bei vorhandenem ersten Thoracal- ganglion ein. e) Der Ausgangszustand nach dieser Erhöhung wird beim normalen Tiere bedeutend schneller erreicht als beim dekapitierten. f) Die Erhöhung der Atemfrequenz bei Sauerstoffmangel tritt nur beim Tier mit Cerebralganglion auf. Die Beeinflussung der Atemfrequenz durch die Kopfganglier und das erste Thoracaleanglion geschieht nicht auf reflek- torischem Wege. Unter normalen Verhältnissen werden bei einem bloss mit seinem Gangelion in nervöser Verbindung stehenden Bein immer die gedehnten Muskeln erregt. (Erregungsgesetz von v. Uexkül)). Werden die gedehnten Muskeln aber durch äussere Umstände verhindert, sich zu kontrahieren, so fliesst die Erregung zu anderen Muskeln. Bei Beinpaaren, die nur mehr mit ihrem Ganglion in nervöser Verbindung stehen, treten mitunter in beiden Beinen spontane, regelmässig alternierende Bewegungen auf, mitunter zeigt nur ein Bein diese Beweeung; wird im ersten Falle ein Bein an seiner Bewegung verhindert, so wird die Frequenz des anderen Beines um das Doppelte erhöht; wird im zweiten Falle das sich bewegende Bein gefesselt, so beginnt sich das ruhende zu bewegen, und zwar mit einer Frequenz, die vorher das andere Bein aufwies. Bei direkter Reizung des zu einem Bein abgehenden Nerven werden bei schwacher Reizung die Strecker, bei starker Reizung die Beuger erregt. Exstirpation des Cerebralganglions bewirkt: a) eine Änderung der tonischen Verhältnisse der Muskulatur, b) eine Erhöhung der Reflexerregbarkeit. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems etc. 455 Literatur. 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Zu... 461 EV4-Daphnien-Experimente.. 2 Way. nor eos = ae eek 463 Vs Mücken-Buppen-Bxperimente 2005. ei Se 478 VI Gottesanbeterin Experimente, er. zn. ae: 479 VII=PAmeisen-Bxperimentes A Ar csen ein sa ee ae 481 VIII Zusammenfassung Nu. ma ne een Be a a bean“ 484 I. Teilung der Reize in Vektor- und Skalarreize. Die moderne Tierpsychologie wird von der Tendenz beherrscht, das Verhalten der Tiere auf Grund der biologischen Verhältnisse, unter denen das Tier lebt, dem Verständnis näher zu rücken). Man stellt sich den Organismus als ein räumlich abgeschlossenes System von Kräften (innere Kräfte) vor, oder als die Resultierende von sämtlichen dynamischen Faktoren, die seit der Entstehung der Art wirkten oder noch jetzt wirken; ihm gegenüber steht die Aussenwelt, die den Komplex der sich ausserhalb des Organismus befindlichen Kräfte darstellt, von denen einige, gemäss der spezi- fischen Organisation des Tieres, sich als Reize erweisen; sie bilden die „Umwelt“ ?) des Tieres. Diese beiden Faktoren, „Umwelt“ und 1) v. VUexküll, Umwelt und Innenwelt der Tiere 1909 S. 6. 2) Diese Richtung vertreten folgende Werke: I. Vom allgemein biologischen Standpunkte aus: 1. Spencer, Die Prinzipien der Biologie Bd. 1 Kap. V. 2. Dautec, Klements de philosophie biologique 1907 Kap. X. — II. Vom 458 J. S. Szymanski: innere Kräfte, bedingen das Verhalten der Tiere. Mit der Möglich- keit, dieselben zu bestimmen und zu erforschen, deckt sich die Möglichkeit der Auslegung der Gesetzmässigkeit des psychophysio- logischen Geschehens nicht allein bei den anderen Tieren, sondern selbst bei den Menschen. Die nächste Aufgabe der Forschung besteht hiermit in der möglichst genauen Untersuchung der inneren und äusseren Reize !). „Nun bezeichnet die Physiologie jede äussere Einwirkung auf nervöse Elemente, die deren Funktionen irgendwie anregt oder abändert, als einen Reiz“ [|Wundt?)], oder nach einer noch weiteren, allgemein biologischen Definition kann „jede Veränderung der äusseren Fak- toren, welche auf einen Organismus einwirken, als Reiz betrachtet werden“ [Verworn?°)]. Der Efiekt der Einwirkung eines Reizes kann sich äussern entweder in einer Veränderung der Richtung der Bewegung im Aussenraume oder in einer Veränderung von Lebens- prozessen des Organismus, welche die Richtung der Bewegung in Aussenräume nicht beeinflussen. Ein richtungsgebender Reiz ist aufzufassen als ein besonderer Fall des Vorhandenseins der Be- dingungen, welche inn Organismus in einer Kraft sich äussern ®), tierpsychologischen Standpunkte aus: 3. Bohn, La naissance de l’intelligence. 1909 (insbesondere Kap. VIII: La methode ethologique). 4. Edinger und Claperede, Über Tierpsychologie. 1909. 5. Forel, Das Sinnesleben der Insekten. 1910. 6. Groos, Die Spiele der Tiere, II. Aufl., 1907. 7. Jennings, Behavior of the lower organisms. 1906. 8. Morgan, Instinkt und Gewohnheit. Übersetzt von M. Semon. 1909. 9. Pieron, L’evolution de la memoire. 1910. 10. Sokolowsky, Beobachtungen über die Psyche der Menschenaffen. 1908. Aus dem Seelenleben höherer Tiere. 1910. — Genossenschaftsleben der Säuge- tiere. 1910. 11. Washburn, The animal Mind, a Text-book of Comparative Psychology“. 1908. 12. Wasmann, Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen, II. Aufl., 1909. 13. Yerkes, The dancing mouse. 1907. 14. Ziegler, Der Begriff des Instinktes einst und jetzt, II. Aufl., 1910. — Ill. Vom erkenntnis- theoretischen Standpunkte aus: 15. Enriques, Probleme der Wissenschaft. Übersetzt von Grelling, I. Teil 8. 545 ff. 1910. 1) Eine Theorie der psychischen Evolution, wo der Reiz eine hervorragende Rolle spielt, hat Balwin aufgebaut” in seinen Werken: Die Entwicklung des Geistes beim Kinde und bei der Rasse. Übersetzt von Ortmann. 1888, und Development and Evolution. 1902. 2) Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, VI. Aufl., Bd. 1 S. 92. 1908. 3) Verworn, Allgemeine Physiologie, II. Aufl., S. 352. 1897. 4) Loeb, Vorlesungen über die Dynamik der Lebenserscheinungen. V1l. Vorl. S. 204 ff. 1906. Ein Versuch, das Verhältnis zwischen molal verschiedenen Reizen etc. 459 d. h. „müssen Intensitätsunterschiede der anwesenden Energie vor- handen sein“ [Ostwald)!]; richtungsgebende Reize wären nachdem Vektoren. Diese Reize machen sich geltend, wenn die Kraft bloss einseitig auf den Organismus wirkt. Es eibt aber auch die Reize, welche den Skalaren entsprechen. Die Wirkung des Reizes be- schränkt sich in solehen Fällen auf die Veränderung der allgemeinen Lebensprozesse des Organismus, wahrscheinlich durch die Be- einflussung der chemischen Reaktionen; dies äussert sich auch in der Herabsetzung bezw. Steigerung der Muskelkraft. Wenn gleich- zeitig die anderen riehtungsgebenden Reize wirken, bleiben sie un- beeinflusst. Der Kürze halber möchte ich im weiteren die richtungs- gebenden Reize als tropische, die nur — die Geschwindigkeit — ändernden als atropische bezeichnen. il, Beispiele der Skalarreize. Als ein Beispiel eines atropischen Reizes sei folgende Beobach- tung angeführt. Die Daphnien pflegen bei einseitiger Beleuchtung gegen das Licht zu und nach unten, dort angekommen, vom Lichte weg und nach oben sich zu bewegen (vel. unten). Ich habe die Geschwindig- keit der Bewegung in den beiden Richtungen gemessen und die folgenden Resultate bekommen. l em wurde zurückgelegt in Sekunden: Richtung Richtung Richtung Richtung Tage gegen das vom Lichte Tage gegen das vom Lichte Licht zu weg Licht zu weg 1 1,4 2,4 6 1,0 1,6 2 1,3 1,8 7 1,3 15% 3 1,3 1,6 8 0,8 1,2 4 | 1,0 1,8 ) 0,8 151 5 1,2 ot) 10 1,0 1,3 (Jede Zahl ist das arithmetische Mittel aus 10 Messungen.) Trotz gleiehbleibender Versuchsanordnung ist die Geschwindigkeit vom achten Tage an stark gestiegen: die Untersuchung deren Ur- sache hat ergeben, dass die Steirerung der Geschwindigkeit dem Auftreten der Männchen zu verdanken war: die geschlechtliche Er- regung äusserte sich in der Erhöhung der Geschwindigkeit, ohne eine Veränderung der Bewegungsrichtungen hervorzurufen. 1) W. Ostwald, Vorlesungen über Naturphilosophie, II. Aufl., S. 256 bis 257. 1902. 460 J. S. Szymanski: Die Erhöhung der Geschwindigkeit der vitalen Prozesse mit der Erhöhung der Temperatur, nach van’t Hoff’s Regel !), wäre hierher ein weiteres Beispiel. Vor kurzem hat Przibram die Gültigkeit der Regel für die Laufgeschwindigkeit der jungen Gottesanbeterinnen nachgewiesen ?). Ich konnte die Regel auch für die Laufgeschwindig- keit der Ameisen (Formica rufa) betätigen; ich maass in Sekunden die Geschwindiekeit, mit welcher die Ameisen 10 em zurücklegen; die Messungen wurden immer auf derselben Stelle der Ameisenstrasse um dieselbe Tageszeit (Y/ell Uhr vormittag) gemacht. Die folgende Tabelle zeigt die Resultate: le Tempe- Baro- Richtung | Richtung tar meter- Wetter vom gegen das mer 1910 stand Neste ab| Nest zu 20: mm Sek. Sek. 1 | 24. Juli 11,2 731 Gewitter 10,06?) —_ 2 9. August 192 729 Feiner Regen 5,42 6,58 3 8. a 11,8 29 Wind. Bedeckt 4,36 4,19 4 | 27. Juli 12,5 734 nn L 3,45 3,71 Dan ld 14,3 731 Wind. Sonnenschein 2,71 2,11 6320 16,2 731 4 u 2,80 — zu BOA. 16,2 132 N 5 2,50 — SE EZ 16,2 735 a 5 2,60 2,33 9Enl2630: 17,5 731 Mn 5“ 1,78 2,58 10 gs 5 18,1 131 Wind. . Bedeckt 3,22 —_ SENDER 18,7 732 Wind. Heiter 3,13 — 252308 18,7 734 Heiter 2,87 1,83 13518020 20,0 734 a 1,60 1,22 14 21 232, 23,7 729 Wind. Heiter 2,34 — Die Nr. 5 und 4 einerseits lassen sich mit Nr. 13 und 14 anderer- seits vergleichen, da die Wetterverhältnisse in diesen Tagen beinahe gleich, die Temperaturunterschiede dagegen gross genug waren. Die Berechnung des Temperaturquotienten ergibt folgendes: Nr. 3 und 13: Qs2 = 33 also Qi = 2,8 Nr. 3 " jetz 911,9 = 1,5 B) Q10 rt 1,4 NA oo oe Nr. 4 M 14: Q112 —_. 1,4 „ do — 1,2 1) Przibram, Anwendung elementarer Mathematik auf biologische Pro- bleme S. 29 ff. 1908. 2) Przibram, Aufzucht, Farbenwechsel und Regeneration der Gottes- anbeterinnen (Mantidae). III. Temperatur und Vererbungsversuche. Sonder- abdruck aus dem Arch. f. Entwicklungsmechanik usw. Bd. 28 H. 4 S. 595—602. 3) Jede Zahl ist das arithmetische Mittel aus zehn Messungen. “ Ein Versuch, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 4651 Das objektive unmittelbare Kriterium, nach dem man auf das Verhalten eines Tieres Rückschlüsse ziehen darf, ist vor allem die Bewegungsriehtung; deshalb will ich mich im weiteren auf die Unter- suchung der tropischen Reize beschränken. Die biologische Richtung in der Lehre von dem Verhalten der Tiere fordert die Feststellung des zahlenmässigen Verhältnisses zwischen den simultan wirkenden Reizen, um sich die Rechenschaft von den Faktoren, die sein Benehmen in der freien Natur be- stimmen, ablegen zu können. Die vorliegende Arbeit soll einen, auf die Vorschläge Herrn Dr. Przibram's hin unternommenen Versuch aarstellen, das Ver- hältnis zwischen modal verschiedenen Reizen in Zahlen auszudrücken ; so weit meine Kenntnisse in der einschlägigen Literatur reichen, ist dies der erste derartige Versuch, wenigstens in der Zoologie, und als ein solcher kann er nicht den Anspruch auf Vollkommenheit erheben. III. Methode der geometrischen Addition. Um zwei Reize miteinander vereleichen und in den Maass- einheiten eines von ihnen ausdrücken zu können, liess ich auf den Organismus beide simultan einwirken derart, dass sie den Organismus unter rechtem Winhel angreifen. Die Folge davon war, dass der Organismus in der Richtung der Resultierenden beider Komponenten sich bewegte. Ich maass weiter den Winkel, den die Resultierende mit einer von den Komponenten einschloss. Auf Grund dieser Daten war ich imstande, ein Parallelogramm der Kräfte zu konstruieren; wird die Grösse des Reizes, welcher quantitativ bekannt war, als 1 bezeichnet, so konnte ich das rechtwinklige Dreieck auflösen und das Verhältnis zwischen beiden Reizen zahlenmässig feststellen. Nachdem ich die mir bekannten Maasseinheiten eines Reizes in das Verhältnis substituiert hatte, erhielt ich die Grösse des zweiten Reizes in den Maasseinheiten des ersten. Das Ausdrücken des Ver- hältnisses in Prozent gibt eine Vorstellung von dem biologischen Werte der entsprechenden Reize. Nun liess ich einen neuen Reiz einwirken, dessen Grösse, ausgedrückt in den ihm entsprechenden Maasseinheiten, mir bekannt war; die Richtung seiner Wirkung fiel dabei mit einem der schon vorhandenen Reize zusammen; es ver- schob sich nun die Resultierende um einen bestimmten Winkel. Ich maass den Winkel, konstruierte ein neues Parallelogramm, löste das 462 J. S. Szymanski: ad rechtwinklige Dreieck auf und bestimmte in den gleichen Maass- einheiten die neue Reizgrösse. Jetzt braucht man nur von der ge- fundenen Grösse die schon bekannte Grösse des Reizes, mit dessen Riehtung die Richtung des dritten Reizes zusammenfiel, zu sub- trahieren, um den Wert des letzteren zu bekommen. Nun führte ich abermals neuen vierten Reiz ein und verfuhr wieder in gleicher Weise usw. Überall, wo es sich um die äusseren Reize handelte, habe ich die Reize von optimaler Intensität verwendet, was ich vorher experimental bestimmen musste. In der Literatur habe ich nur vereinzelte Beobachtungen über die Bewegungen der Tiere, welche unter dem Einfiusse von zwei Reizen nach der Resultierenden verliefen, finden können. So Jennings ist zur Überzeugung ge- kommen, dass bei Paramaecium „in some cases the behavior shown is a resultant of the action of the two stimuli“). Bohn hat ge- funden, dass „when light and gravity ave acting together upon the animal (— ein Weichtier), its movement seems be a resultant of the two“ (zit. nach Washburn)?). Weiter Anna Drzewina hat bei Careinus moenas die Erscheinung des Hydrotropismus beobachtet: „il est partieulierement marque chez les individus, qui vivent en un point du littoral, ou la mer se retire beaucoup et oü la dessiccation peut &utre tres intense. Tel est le cas de la petite ile de Tatihou dans la baie de la Hougue (Marche); & mer basse, elle est rattach6e au continent par une bande de terre... .. Or, un crabe place a la pointe qui regarde cette bande se dirige vers elle, et non vers l’eau; en re6alit&, il est attir&e d’un cöte et de l’autre par la mer... ., et par suite il suit une direction intermediaire“ (zit. nach Bohn)?). Nach W. Ostwald®): „Es zeigt sich ... ., dass bei Verwendung abnorm starker Lichtquellen ... . eine Negativierung der Tiere ver- bunden ist auch mit einer Umkehr des Geotropismus, indem nämlich die Organismen, welche bei positiver heliotropischer Re- aktion negativ heliotropisch (wahrscheinlich geotropisch?) waren, bei negativem Heliotropismus positiv geotropisch werden, resp. sich am Boden des Gefässes und an der Zimmerseite sammeln. Bei 1) Jennings, Behavior of the lower organisms p. 98. 1906. 2) Washburn, The animal Mind, a Text-book of Comparative Psychology- p- 185. 1908. 8) Bohn, La naissance de l’intelligence p. 134. 1909. 4) Ostwald, Zur Theorie der Richtungsbewegungen usw. Pflüger’s Arch. Bd. 95 S. 26 Bd. 111 u. 117. Ein Versuch, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 463 Verwendung von tieferen Versuchsgefässen vollziehen sich die heliotropischen Reaktionen, mit anderen Worten, in einer diagonalen Richtung vorn vorn und oben nach hinten und unten. Dieses Ver- halten ist von mehreren Autoren beobachtet worden. Auch bei den heliotropischen Reaktionen von Daphnien kann ich es bestätigen.“ Während meine Versuche schon weit genug fortgeschritten waren, erschien die Arbeit von Ewald!), wo die folgende Bemerkung zu lesen ist: „Im ersten Falle (d. h. bei der seitlich sich befindenden Lichtquelle) erhalten wir jedoch durch das Zusammentreffen von Licht und Schwerkraftwirkung Mischreaktionen, die dadurch ver- anlasst werden, dass bei dieser Anordnung beide Kräfte rechtwinklig zueinander angreifen. Das Tier wird gezwungen, nicht nur der seitlichen Lichtquelle zuzustreben, sondern auch der Schwerkraft entgegenzuarbeiten. Da nun, z. B. bei Daphnia, kommen schräg aufwärts oder abwärts führende Perioden vor...“ Guldberg?) hat die Meinung ausgesprochen, dass „die Richtung der Bewegung bei den Wirbeltieren ohne Sinnesleitung bestimmten Gesetzen unter- worfen und zirkulär ist“ ; dass „die biologische Ringbewegung die Re- sultante der physiologischen Kreisbewegung und einer von den Sinnen geleiteten Richtungsbewezung ist.“ Steuer endlich hat unlängst, als meine Arbeit schon in bestem Gange war, in seiner „Planktonkunde“ folgende Gedanken an- gedeutet: „..... wir können uns nach Loeb den Raum, in dem sich das Leben jedes einzelnen Planktonten abspielt, als von Kraftlinien der verschiedensten Art durchzogen vorstellen. Sobald wir imstande sind, den Einfluss jeder einzelnen zahlenmässig festzustellen, können wir auch, gleichsam als Resultierende eines komplizierten Kräfte- parallelogramms, die taktische Bewegung der Planktonten im voraus bestimmen“ °). IV. Daphnien-Experimente. Als erstes Versucbsobjekt habe ich die Daphnien erwählt, deren Empfindlichkeit gegen die äusseren Reize seit den Untersuchungen von Lubbock, Loeb und anderen wohlbekannt ist. Die Be- dingungen, unter denen die Versuche ausgeführt wurden, blieben 1) Ewald, Über Orientierung usw. Biol. Zentralbl. Bd. 30 Nr. 1,2. 1910. 2) Guldberg, Die Zirkularbewegung als tierische Grundbewegung. Zeit- schrift f. Biol. Bd. 35. 1897. 3) Steuer, Planktonkunde S. 392. 1910. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 30 464 J. S. Szymanski: stets dieselben: ich arbeitete in einer Dunkelkammer bei gleicher Temperatur; die Versuchstiere, ein- bis zweihunderte für jeden Ver- such, wurden immer in eine Glaswanne von 15 cm Länge, 10 cm Breite, bei 7 cm Höhe Wasserstand, untergebracht. Die grossen Becken, wo die Tiere sonst gehalten wurden, befanden sich im Winter in der Mitte eines grossen Raumes, wo täglich ähnliche Temperatur- und Lichtverhältnisse herrschten ; im Sommer draussen im Freien. Phototropisches und photopathisches Reizepaar. Beleuchtet man die Tiere von einer Seite mit einer 5 NK!) (= Normalkerzen) starken elektrischen Lampe in Entfernung von 5 em = 5 NKx55 cm), also von einer Beleuchtungsstärke — 3 U) Ionansaie nme — 20) Lux, so schwimmen alle im (0,55) ? ersten Momente schräg gegen das Licht zu und nach unten; am Boden angelangt, kehren sie wieder um und wandern vom Lichte fort und nach oben. Nachdem sie mit dem oberen Teil der vom Lichte abgewendeten Wand des Gefässes in Berührung gekommen sind, schlagen sie nach einigen Momenten die entgegengesetzte Richtung ein, also gegen das Licht zu und nach unten; dann, nach der Berührung mit unterem Teil der dem Lichte zugewendeten Wand des Gefässes wieder vom Lichte fort und nach oben ust. Diese Pendelbewegung wiederholt sich wieder und wieder. Das Sinken nach unten kommt nicht immer rein passiv zustande, wie dies nach W. Ostwald und Ewald der Fall sein soll, sondern sehr oft schwimmt ein Tier beinahe in horizontaler Linie von der beschatteten Seite her gegen das Licht zu; dann, bei der Annäherung an die Lichtquelle, wendet es sich nach unten und erreicht durch aktive, schräg gerichtete Bewegungen den Boden. Diesen Umstand möchte ich besonders hervorheben. Die Lichtintensität von 5 NK55 em scheint die obengenannten Bewegungen der Tiere besonders zu befördern, denn sowohl schwächere 1) Als Lichtquellen habe ich Paraffın-Normalkerzen und käufliche elek- trische Glühlampen benutzt. Die letzteren aber zeigen nur annährend richtigen Wert; z. B. eine fünfkerzige Glühlampe bei genauerer Prüfung mit dem Lummer- und Brodhum - Kontrast-Photometer hat den Wert — 4,46, eine solche von 25 Kerzen Stärke den Wert — 24,8 gegeben. Diese kleinen Differenzen habe ich aber bei weiteren Versuchen ausser acht gelassen. Ein Versuch, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 465 wie höhere Lichtintensität liegt ausserhalb der Grenzen der optimalen Wirkung. Die Bewegungen der Dapbnien bei einseitiger Beleuchtung ver- laufen unter dem Einflusse zweier Kräfte: sie stellen die Re- sultierende von diesen beiden Komponenten vor. Dabei ist zu be- merken, dass diese beiden Kräfte die Richtung ihrer Wirkung wechseln, je nach der Stelle, wo die Daphnien sich befinden. Wenn die Daphnien unten auf der beleuchteten Seite versammelt sind, wirkt die eine Kraft nach oben, die andere unter rechtem Winkel zur ersten in der Riehtung von der Lichtquelle fort. Das Resultat davon ist ein Fortschwimmen in der Richtung zz (Fig. 1). w z Licht > b Fig. 1. wz Wasseroberfläche. ab beide Kräfte. Wenn die Wand zy erreicht ist, macht sich ein negativ thig- motropischer Reiz geltend, der durch die Berührung mit der Wand verursacht wird; infolgedessen kehren die Tiere um. In demselben Moment beginnen die Kräfte dbı und aı unter rechtem Winkel auf das Tier zu wirken, und sie zwingen dasselbe, die Richtung 2x einzuschlagen. Bei der Berührung mit der Wand wx wird wieder der negativ thigmotraktische Reiz wirksam, welcher die Tiere um- kehren und die Kräfte a und 5 in die Wirkung treten lässt usw. Wie ist diese Erscheinung zu erklären, und was für Kräfte sind aund 6b? Die Kraft b resp. bı ist ein phototropischer Reiz, welcher durch 20 Lux dargestellt wird. Nicht so leicht ist die Kraft a bzw. aı zu bestimmen. Vor allem lag es nahe, diese Kraft als geotropische aufzufassen. Um das zu prüfen, habe ich das Verfahren nach 30 * 466 J. S. Szymanski: Loeb!) zum Feststellen des negativen Geotropismus angewendet: die Tiere wurden in ein vertikales gläsernes Rohr hineingesetzt und dem Tageslicht exponiert. Die Daphnien verteilten sich beinalıe gleichmässig in dem Rohre. Dann setzte ich dem oberen Teil des Rohres eine Kappe aus schwarzem Papier auf; die Tiere sanken bis in die untere Grenze der Kappe herunter derart, dass sich in dem oberen, verdunkelten Teil des Rohres keine Tiere befanden. Ein derartiges Benehmen der Tiere aber bezeugt, dass die nach oben gerichteten Bewegungen nicht als Folge des negativen Geotropismus sich deuten lassen. Mit diesem Befund stehen in Einklang die Resultate der ana- tomischen Untersuchungen der Sinnesorgane bei den Krebsen: „Die Gehörwerkzeuge (Statoeysten) kennt man nur bei gewissen Malaco- straken* (Boas)?). Ebenfalls trifft die Lehre Ostwald’s?°) über die innere Reibung nicht zu. Nach dieser Lehre besteht „ein positiver Geotropismus nur in einem Überhandnehmen der bei jeder Bewezung von Tieren, welche ein spezifisches Gewicht grösser als 1 haben, vorhandenen Sinkvorgänge.. .“ Das wäre vielleicht richtig, wenn die folgende Beobachtung des Verfassers der Wirklichkeit entspräche: „obgleich ich z. B. Hunderte von Oladoceren . . . einzeln beobachtet habe, so habe ich doch nie bei ihnen eine Bewegung nach abwärts mit Kopf voran bemerken können“ *). Auf Grund meiner, im Laufe von vielen Monaten gemachten täglichen Beobachtungen kann ich nicht die obigen Worte bestätigen. Wie schon oben bemerkt, beobachtete ich recht oft, bei einseitiger Beleuchtung, aktive Bewegungen der Daphnien von oben und rechts nach unten und links mit schräg nach unten gerichteter Lage des Körpers und mit dem Kopf voran. Wiederholt beobachtete ich, dass die Tiere beinahe in horizontaler Linie von oben und der vom Lichte abgekehrten Seite gegen die Lichtseite des Gefässes zusteuerten; dann in die Entfernung von einigen Zentimetern von der beleuchteten Wand gelangt, zögerten 1) Loeb, Über künstliche- Umwandlung positiver heliotropischer Tiere in negativ heliotropische und umgekehrt. Pflüger’s Arch. Bd. 54. 2) Boas, Lehrbuch der Zoologie, V. Aufl., S. 249. 1908. 3) Ostwald, Zur Theorie der Richtungsbewegungen usw. Pflüger’s Arch. Bd. 117 S. 385. 4) Ostwald, Zur Theorie der Richtungsbewegungen nsw. Pflüger’s Arch. Bd. 95 S. 25. Ein Versuch, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 467 sie einen Moment, dann stellten sie sich in die eben beschriebene Lage mit dem Kopf schräg nach unten ein, um aktiv den Boden des Gefässes auf der beleuchteten Seite desselben zu erreichen. Ebenso habe ich bei plötzlicher Beleuchtung von unten die aktive Bewegung nach unten mit dem Kopf voran wiederholt beobachtet. Die Betrachtungen der Temperatur sagen uns auch nichts über die Natur der Kraft a bzw. aı. Während meiner Versuche maass ich die Temperatur der oberen und unteren Wasserschichten in dem Gefässe und fand keine Differenz zwischen beiden. Ebenso be- einflusst die kühlere resp. wärmere Temperatur der dunklen Versuchskammer nicht im geringsten die normale Richtung der Be- wegungen. Dass diese Kraft auch nicht durch Sauerstoffbedürfnisse der Daphnien dargestellt wird, scheint mir daraus hervorzugehen, dass die Tiere, wenn sie Wirkung der Luftdrucksherabsetzung resp. -Erhöhung unter der Glocke der Luftpumpe ausgesetzt werden, bei der einseitigen Beleuchtung von 20 Lux keine Veränderung des Verhaltens zur Schau tragen. Wenn selbst in der freien Natur die Schwankungen im Luftdrucke während 24 Stunden vielleicht eine Rolle in den vertikalen Wanderungen der Tiere spielen, so entfällt diese Wirkung bei meinen Versuchen völlig, denn ich habe immer um dieselbe Tageszeit und nicht länger als 2—2?’/s Stunden ge- arbeitet; dies ist aber eine zu kurze Zeit, dass die vierundzwanzig- stündlichen Luftdruckschwankungen sich geltend machen könnten — Auch erreichen nicht alle Daphnien in ihren Wanderungen nach oben, wenn sie einseitig beleuchtet werden, die Oberfläche bzw. die der Oberfläche knapp anliegenden Wasserschichten; die meisten be- rühren die Wand zy (vgl. Fie. 1) irgendwo unterhalb z und schlagen dann die entgegengesetzte Richtung ein, ohne mit der sauerstoffreicheren oberen Schicht in Berührung zu kommen. Schliesslich blieb die chemische Zusammensetzung aller Wasser- schichten im Versuchsgefässe immer gleich, konnte also nicht die Richtung der Bewegungen beeinflussen. Steuer hält in seiner „Planktonkunde* für die Ursache der vertikalen Wanderungen folgende Faktoren maassgebend: Licht, chemische Zusammensetzung des Wassers, Atmungsvorgänge, Temperaturvorgänge. Dem negativen Geotropismus schreibt er keine oder nur geringe Bedeutung zu. Die meisten Forscher halten das Licht für „das Primäre und Wesentliche“ bei den vertikalen Wanderungen. Bei meinen Ver- 468 J. 8. Szymanski: suchen kam das Licht von der Seite her, konnte also die Bewegung nach oben resp. unten nicht unmittelbar beeinflussen; alle anderen Faktoren, welche in der freien Natur möglicherweise eine Rolle bei den vertikalen Wanderungen spielen, hoffe ich eliminiert zu haben. Wie ist also schliesslich das Vorhandensein der Kraft a resp. aı zu erklären ? ; Die Betrachtung der Lebensweise der Daphnien wird uns helfen, das Problem zu lösen. Die Daphnien, ähnlich wie viele anderen Planktontiere, unternehmen täglich vertikale Wanderungen: bei Heranbrechen des Tages sinken sie gegen den Boden zu; bei Annäherung der Nacht steigen sie gegen die Oberfläche hin!. Das Licht spielt also, wie oben bemerkt wurde, eine grosse Rolle in der Aufeinanderfolge der Lebensrhythmen. Neuerdings z. B. schreibt Ewald: „Die Wanderungen sind wahrscheinlich eine Folge der Reaktion auf Lichtreize, hervorgerufen durch Verschiebung der Adaptationszonen ?)“. Damit steht in Einklang das Steigen der Daphnien gegen die Oberfläche bei Finsternis und das Sinken bei plötzlicher Beleuchtung, welche Erscheinungen ich wiederholt be- obachten konnte. Im Verlaufe des normalen Lebens pflegen die Tiere bei steigender Lichtintensität nach unten zu sinken, bei ab- nehmender dagegen nach oben sich zu bewegen. Durch diese Wanderungen vermeiden sie möglicherweise eine zu starke Wirkung des Lichtes. Vergleichen wir nun das Verhalten der Tiere unter den Versuchsbedinguneen. Die Bewegung nach unten geht vor sich immer mit der Annäherung an die Lichtquelle, die Bewegung nach oben fällt mit der Entfernung von der Lichtquelle zusammen. Ob- wohl die Beleuchtungsverhältnisse oben und unten in jeder zur Einfallsriehtung des Lichtes senkrechten Vertikalebene gleich sind, wiederholen die Tiere immer und immer die im normalen Leben - festgewurzelten Gewohnheitsbewegungen. Die Kraft a resp. aı also, welche die Tiere nach oben resp. nach unten treibt, lässt sich dem- nach ungezwungen als einen aus normalem Leben in die neuen, un- gewöhnlichen Versuchsbedingungen übertragenen, durch Licht- intensitäten ausgelösten Faktor deuten; sie würde den Wert eines photopathischen Reizes darstellen. Dieser Reiz aber gehört in die Kategorie der tropischen Reize, denn er zeigt folgende Meckmale: 1) Steuer, Planktonkunde, Kap. V. 2) Ewald, Über Orientierung usw. Ein Versuch, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 469 1. die Richtung, 2. den Angriffspunkt (der Reiz-wird durch die Veränderungen in der Lichtintensität ausgelöst; er muss hiermit mit den optisch- motorischen Zentralbahnen verbunden sein), 3. die Grösse, wie wir dies gleich sehen werden. Diese Merkmale sind aber in der Physik Charakteristika einer Kraft?). Der photopathische Reiz scheint mit dem Älterwerden der Tiere an Kraft zuzunehmen, wie die folgende Beobachtung dies erschliessen lässt. Ich konnte mit Daphnien aus demselben Becken nicht länger als zirka 3 Wochen arbeiten: nach Verlauf dieser Zeit wurden die oben beschriebenen Bewegungsrichtungen bei der einseitigen Be- w Licht > Fig. 2. leuchtung verwischt; diese Unregelmässigkeit verschwand nach einiger Zeit wieder. Die Ursache dieser Erscheinung lag im Auftreten der jungen Generation; die jungen Daphnien bewegten sich herum, ohne . die Regelmässigkeit zu zeigen, welche die erwachsenen Exemplare kennzeichnet. Erst wenn die jungen Tiere älter geworden sind, wurden die gewöhnlichen Bewegungsrichtungen hergestellt. Diese Erscheinung habe ich einige Male im Verlaufe des Winters und des Sommers beobachtet. Um jetzt beide Kräfte zahlenmässig miteinander vergleichen zu können, maass ich den Winkel, unter dem die einzelnen Tiere sich bewegen (X « und X £ Fig. 2). Ich verfuhr in der Weise, dass ich die Stelle eines Tieres bis z mit Tinte an der Wannenwand markierte und dann das Tier bis x verfolgte, wo ich wieder einen Punkt markierte; dann ver 1) Lord Kelvin and Tait, Elements of Natural Philosophy $ 184 S. 59, 1994 — Lampe, Lehrbuch der Physik $ 6 S. 8—9. 1908. 470 J.S. Szymanski: einigte ich beide Punkte mit der geraden Linie, und mittelst eines Winkelmessers bestimmte ich X. Ebenso fand ich X «, indem ich den Weg eines Tieres von x bis z bezeichnet hatte. Die folgende Tabelle gibt die Werte der beiden Winkel: 2; 10° 25° 15° 30° 15° 30° 152 30° 290 25° 21° Le 70° 650 70° 65° z 550 62,5 750 72,5 730 780 "69% = 68,5 9) Wiederholte Nachprüfungen bestätigten immer die Zahlen. Nun konnte ich ein Paralleloeramm der Kräfte konstruieren, wobei der Wert des Lichtreizes als 1 angenommen wurde. Die Auslösung des rechtwinkligen Dreieckes (A xzy) ergab den Wert der zweiten Kraft. (Fig. 3.) Nachdem ich nun die mir bekannte absolute Grösse der Be- leuchtungsstärke =5 NKx55 em==20 Lux substituiert hatte, er- hielt ich die absolute Grösse des photopatischen Reizes (0,4)7 5 — DIN Ks em — 2-(1,2) O5 — 8 Lux. Ein Versuch, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 471 Zwecks der Verifikation der zefundenen Zahl beleuchtete ich das Gefäss mit den Daphnien einseitig mit einer Lichtstärke von 2 NKx55 em!); auf solche Weise wurden beide Kräfte gleich- gesetzt. Es hat sich erwiesen, dass die gesetzmässige Richtung aufgehoben wurde: die Tiere bewegten sich unregelmässig hin und her, entweder gegen das Licht zu oder vom Lichte fort. Viele schlugen die Richtung unter dem X 45° ein. Also konnte ich annehmen, dass die gefundenen Zahlen richtig seien! Phototropisches und thermotropisches Reizepaar. Bei den gleichbleibenden obigen Kräften habe ich den thermo- tropischen Reiz in folgender Weise eingeführt. Eine hohle Kupfer- spirale wurde in dem Gefäss derart befestigt, dass sie mit ihrer unteren Fläche gerade die Wasseroberfläche berührte. In der Spirale liess ich das warme Wasser, nach der Regel des Siphons, zirkulieren. Dank des geringen Wärmeleitungsvermögens des Wassers (K><0,00124) konnte man in den oberen Wasserschichten die Temperatur um einige Grade erhöhen, ohne die Temperatur der Bodenschichten während der Dauer des Experimentes zu beeinflussen. Die Ver- suche wurden im Anfange des Sommers ausgeführt; die Temperatur des Wassers in dem Becken, wo die Daphnien gewöhnlich unter- gebracht wurden, betrug in den Tagen der Versuche 20° C. Der optimale thermische Reiz war, wie ich mich wiederholt überzeugen konnte, gleich 22° C: die Daphnien versammelten sich immer in den Schichten, wo die Temperatur von 22° C. herrschte. Nun exponierte ich das Gefäss mit den Tieren der einseitigen Beleuchtung von 5 NKx55 em und liess die Temperatur in den oberen Schichten bis 22° C., also um 2° C., steigern. Die Daphnien schlugen die unter diesen Beleuchtungsverhältnissen normale Richtung von oben schräg nach unten und gegen das Licht zu; der Winkel #% (Fig. 4) war jedoch grösser als in früheren Experimenten: es machte sich also die anziehende Kraft der optimalen Temperatur geltend. Die Messung des Winkels # ergab den Wert von 78°, wie die folgenden Zahlen der Einzelablesungen dies zeigten: =, —_ 1100, 1090,189.24..4819,.84.9,78.9,842.0280,0080273502,7808, 8.0.07 79.002 1200,910, 268013 16:9, 37.256691 730% Die Summe der Einzelablesungen, durch 20 dividiert, ist = 78" 1) Meine früheren Beobachtungen haben mich gelehrt, dass der Winkel der Bewegnngen der Lichtintensität in gewissen mittleren Grenzen proportional sei. 472 J. S. Szymanski: Lieht > Fig. 4. Die Konstruktion des Parallelogrammes (Fig. 5) und die Be- rechnung des Dreiecks x2y, bei b—1, hat folgendes ergeben: a —_ 021: a ist jedoch keine einheitliche Kraft: sie ist die Resultierende aus zwei Komponenten, welche in der entgegengesetzten Richtung angreifen: einerseits aus der Kraft, welche die Tiere gegen den Boden hin zieht und, bei 5=]1, gleich 0,38 ist, andererseits aus der noch zu bestimmenden Kraft der Wärme, welche die Tiere nach oben steigen lässt. Die Grösse der zweiten Komponente ist augenscheinlich die Differenz zwischen 0,38 und 0,21; a, = 0,38 —0,21—0,17 nach der Substitution: bo NK =55 em 220, Eux a, — (0,17)5=0.85=1NK<55 cm— a aber ist gleich dem thermotropischen Reiz, welcher durch die Differenz von 2° C. zwischen den oberen und unteren Haupt- punkten, zwischen denen die Tiere sich bewegen, hervorgerufen wurde. Zwecks der Verifikation beleuchtete ich das Gefäss mit den Daphnien bei der Temperaturdifferenz zwischen den oberen und Ein Versuch, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 473 unteren Wasserschichten von 2°C. (22° — 20°), mit INKx55 en. Im ersten Moment bewegten sich die Tiere unter X 45°; bald aber wurde diese Bewegunesriehtung verwischt; und dies ist wohl begreiflich, wenn wir berücksichtigen, dass die Beleuchtungsstärke von 1 NKx55 cm viel zu tief unter der optimalen Beleuchtungs- stärke liest, um die regelmässigen Bewegungsrichtungen aufrecht- zuerhalten. Phototropisches und mechanotropisches Reizepaar. Als den mechanischen Reiz habe ich den fallenden Tropfen verwendet. Die stärkeren mechanischen Kräfte, welche das Wasser in starke Wellenbewegungen versetzen, haben sich für den Zweck als untauglich erwiesen, da sie die kleinen Tiere passiv mitreissen und deren aktive Bewegung aufheben. Nur sehr schwache Reize allein erzeugen optimale Wirkung. Diese letztere beobachtete ich bei Reizen, die ich erzeugte, wenn ich aus einer Bürette 100 Tropfen in 40 Sekunden, also 2,5 Tropfen in 1 Sekunde, von der Höhe von 16 em in das Gefäss mit Tieren hineinfallen liess. Selbst- verständlich war die Bürette mit Wasser aus dem Becken gefülit, in dem die Tiere ständig untergebracht waren; ausserdem wurde dafür gesorgt, dass der Wasserstand in der Bürette immer auf gleicher Höhe blieb. Da 70 Tropfen den Umfang von 5 ecem und das Gewicht von 5,1 g zeigten, also ein Tropfen 1,02 & wog, betrug die Dimension des Effektes in 1 see — cm? g! see"? — (16) ? (2,5 -1,02) — 654 Erg. Die Kraft dieser Arbeit hat sich, wie schon oben erwähnt wurde, als den optimalen Reiz erwiesen; die Tiere entfernten sich durch aktive Bewegungen von den Stellen der von diesem Reiz er- zeusten Wassererschütterungen. Nun liess ich, bei einseitiger Be- leuchtung von 5 NK><55 em, in die Mitte des Gefässes deuselben Reiz einwirken, wobei der Überschuss des immer zunehmenden Wassers durch eine Siphoneinrichtung abgesaugt wurde, so dass die Höhe der Wasseroberfläche immer dieselbe blieb (7 em). Die Tiere schlugen die üblichen Bewegungsrichtungen ein, mit dem Unterschied, dass sie infolge der abstossenden Kraft des mechanotropischen Reizes unter viel kleinerem Winkel (X £) schräg nach unten und gegen das Licht zu sich fortbewegten (Fig. 6). 474 J. S. Szymanski: Licht > Fig. 6. Die folgende Tabelle zeigt den Wert des X £: 55 cm lässt sie dem Lichte zustreben. Wenn ich die Tiere in der. Dunkelkammer dem einseitigen Lichte von 5 NK>=<55 em aussetze und das Gefäss leicht erschüttere, so sinken die Tiere nach unten. Einige steigen dann durch das Zusammenballen des Körpers und wahrscheinlich durch die Herabsetzung des spezifischen Gewichtes passiv in gerader Linie nach oben; die anderen aber bewegen sich aktiv gegen das Lieht zu und schräg nach oben; erst nachdem die Wand erreicht worden ist, bewegen sie sich gegen die Oberfläche (Fie. 9). Wr .Z Licht > Ein Versuch, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 479. Die Bewesung nach oben und gegen das Licht zu lässt sich als die Resultierende von zwei Kräften auffassen: der anziehenden und horizontal gerichteten Kraft des Lichtes (5) und der senkrecht dazu wirkenden Kraft, die wahrscheinlich durch den Mangel am Sauerstoff ausgelöst wird. Die Messung des Winkels «, die Kon- struktion des Kräfteparallelogramms und die Berechnung des recht- winkligen Dreiecks hat folgende Resultate ergeben: LM 990, 39.0, 3000.19. 9.122 302,820 84707 4270 732,0749:9, 5992. 89°,..30/9.869, 352, 280329718°%, 46%. Die Summe der Einzelaplesungen, durch 20 dividiert, ist = 35°. Ungeachtet der zienlieh stark abweichenden extremen Werte (13°, 49°) halte ich X = 35° für annähernd riehtig; denn die Mehr- zahl der Einzelablesungen (12) gruppiert sich um diesen Wert. w @ — 04; d. h. die Kraft des tropischen Lichtreizes von der Beleuchtungs-: stärke von 20 Lux verhält sich zur tropischen Kraft, die die Tiere: nach oben treibt, wie 100: 70. VJ. 6ottesanbeterin-Experimente. Die jungen, erst vor kurzem entschlüpften, noch nicht gefütterten Gottesanbeterinnen sammeln sich stets entweder auf der Käfigsdecke !) 1) Przibram, Die biologische Versuchsanstalt in Wien 1910. Sonderabdr., aus Zeitschr. f. biol. Techn. u. Meth., herausg. von Gildemeister. (Fig. 4, Przibram, Organtinkäfig.) Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. sl 480 J. S. Szymanski: oder auf den Wänden in unmittelbarer Nähe derselben. Unter dem Einflusse welcher Kräfte kommt nun dieses Verhalten zustande? Ich habe zuerst die Tiere in die Dunkelkammer gebracht und folgendes beobachtet: 1. im ‚Dunklen sind die meisten Tiere oben versammelt; 2. das gleiche findet bei Öberlicht statt: die Tiere sitzen auf der Käfiesdecke; die Reaktion besonders schön ausgesprochen ; 3. dem Unterlicht ausgesetzt, wandern die Tiere nach unten her und bleiben auf den dem Boden anstossenden Teilen der Käfigswände sitzen; am Boden selbst sind nur wenige Tiere. Wie die Reaktionen 1 und 3 vermuten liessen, sind die Tiere ebenso von der Lichtkraft wie von der negativ-geotropischen Kraft beeinflusst; unter den normalen Lebensbedingungen wirken die beiden Kräfte in derselben Richtung und verdecken sich gegenseitig. Um die beiden Kräfte auseinanderhalten zu können, verdeckte ich den oberen Teil des Käfigs mit schwarzem Papier im Verhältnis 4 zu 1 (die Käfigshöhe —= 41 em, der verdeckte Teil = 31 cm), und dann setzte ich die Tiere der einseitigen Beleuchtung aus. Ex- perimentell habe ich gefunden, dass die günstigste Beleuchtungsstärke 2o2l(l2) den 253 NKx55 ee Die meisten Tiere wanderten nun von oben nach unten, um die beleuchtete Wand zu besetzen; indessen andere oben sitzen blieben. Jetzt löschte ich das Licht aus, und gleichzeitig liess ich das Licht von gleicher Beleuchtungsstärke, also 100 Lux (25 NK < 55 em), auf der gegenüberliegenden Seite des Käfigs wirken: die unten versammelten Tiere beweeten sich von der jetzt dem Lichte abgewendeten Seite des Käfigs auf die beleuchtete Seite herüber, derart, dass sie zuerst die den Lichtstrahlen parallelen Käfigswände erreichten und dann denselben entlang ihren Weg schräg nach oben und gegen das Licht zu einschlugen (Fig. 11). — 100 Lux gleieh ist. Ich habe dieses Experiment öfter und immer mit demselben Resultate wiederholt. ‘Die Riehtung der Bewegung (deutete darauf hin, dass die Tiere unter dem Einfluss von zwei Kräften sich be- fanden: erstens einer nach oben gerichteten (Fig. 11a); zweitens der Kraft des Lichtes, welche senkrecht zur ersten Kraft wirkte (Fig. 11b). Die Messung des Winkels @ hat denselben Wert er- geben wie den für die Mückenlarven: Ein Versuch, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 48 L 20.0, — 35.0 280,309, 820, 492,,,40.0,.522, 7449, 299, 20, 35.02 450725, 158,300, 42.275020, 8005 20.0 902, 30 90 00 40,0 200,39 0 a AR TE: Die Summe der Einzelablesungen, durch 30 dividiert, ist —= 35°. Das Verhältnis zwischen beiden Kräften ist dasselbe, wie das bei Mückenpuppen der Fall gewesen ist; also die tropische Kraft des Lichtes verhält sich zur negativ geotropischen Kraft wie 100:70. TTY ERST EFFIREIE ESSEN SSiss 3 SR 358 wezsuugraen Ra BÜRBESLEESE HN <- Licht Fig. 11. ABCD Weg eines Tieres. VII. Waldhügelameisen (Formica rufa). Die Kraft, welche die Ameisen treibt, bestimmte Wege, „Ameisen- strassen“, zu verfolgen, ist keine einheitliche. Sie lässt sich un- gezwungen als die Resultierende aus zwei Komponenten auffassen, und zwar: 1. aus einer Kraft, welche die Ameisen die Richtung vom Neste fort oder gegen das Nest zu einzuschlagen zwingt; nennen wir kurz diese Kraft die Richtungskraft, ohne jedoch damit etwas über deren Charakter!) auszusagen; 2. aus der Kraft, welche die Ameisen der „Ameisenstrasse* entlang laufen lässt. Da die beiden 1) Fore]l, Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen, III. u. IV. Aufl. 1907. — Das Sinnesleben der Insekten. 1910. 31* 482 J. 8. Szymanski: Kräfte in derselben Richtung wirken, hat die Resultierende gleiche Richtung und lässt dadurch einzelne Komponente vermissen. Ich habe beide Komponente folgendermaassen voneinanderzutrennen versucht: In einer parkartigen Anlage fand ich zwei Ameisennester; das eine war knapp bei einem gepflegten Gartenweg, das andere seitwärts im Rasen, 12 m von dem Wese, aneelest. Von beiden Nestern eingen die Ameisenstrassen aus, derart, dass die Strasse vom ersten Nest knapp am Rand des Gartenweges auf der gleichen Seite, wo das Nest gelegen war, entlanglief; die Strasse des zweiten Nestes zog sich zuerst durch den Rasen, senkrecht zum Gartenwege hin, durchquerte denselben und setzte sich am gegenüberliegenden ° Rande des Weges weiter fort. Die beiden Ameisenstrassen waren ca. 10 cm breit. Ich setzte nun auf beiden Strassen eine mit Wasser gefüllte Wanne, 5 em hoch, 5 em breit, 35 em lang, senkrecht zur Richtung der Strasse, derart, dass die Strasse vollkommen abgesperrt wurde; mit dem freien, ca. 25 em langen Rande ragte die Wanne gegen den Gartenweg hin. Um die Ameisen zu verhindern, den Weg in den dem Gartenwege anstossenden Rasen einzuschlagen und sie auf den Gartenweg herauszulocken, habe ich mit den zwei senk- recht zur Wanne am Rande des Rasens gesetzten Glasscheiben den Zugang zu demselben verschlossen. Die Ameisen, einerlei, ob sie vom Neste fort oder gegen das Nest zu eilten, kamen bis zur Wanne heran, liefen dann der Wanne entlang bis zu ihrem freien Ende und wanderten herüber (bis Punkt a bzw. b). An diesen Punkt gelangt, beschritten die ersten Ameisen, welche hierhergekommen waren, nach einem Moment der Verzögerung einen neuen Weg, welcher in schräger Linie gegen die alte Strasse, in der Richtung der ursprünglichen Bewegung, verlief. Die vor- stehenden Schemata sollen den Verlauf des Versuches erläutern (Fig. 12). Im Punkte « bzw. b machten sich augenscheinlich die zwei Kräfte geltend: die eine Kraft wirkte auf die Ameisen im Sinne der Richtung der ursprünglichen Bewesung; die zweite, senkrecht zur ersten gerichtete, zog die Ameisen gegen die alte Strasse hin; das Resultat war die Bewegung entlang der Resultierenden aus den beiden Komponenten. Dieses Experiment habe ich viele Male mit gleichem Resultat wiederholt. Des Morgens um 8 Uhr stellte ich die Wanne und markierte den Weg der ersten Ameisen; im Verlaufe des Tages sah Ein Versuch, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 483 ich einige Male nach, und schliesslich gegen 5—6 Ahr abends, als ein besonders starker Verkehr herischte, bestimmte ich X «; die Richtung der neuen Strasse blieb immer dieselbe. Fig. 12. AB Ameisenstrasse. CD Glasscheibe. EF Wanne. cabd Weg einer Ameise. Die Messung des&X « ergab immer denseiben Wertund wurde weder dureh die Richtung der Bewegung, ob vom Neste fort oder gegen das Nest zu, noch von der Entfernung der Wanne vom Neste, noch von der Grösse der Wanne beeinflusst. Die folgende Tabelle (S. 484) zeigt die Resultate: Die Konstruktion des Kräfteparallelogramms und die Auflösung des rechtwinkligen Dreiecks BDC resp. CDE hat folgendes ergeben (Fig. 13). Fig, 13. b = AD = DF die Richtungskraft. AD die Richtungskraft vom Neste fort. DF die Richtungskraft gegen das Nest zu a —= CD die Kraft, welche die Ameisen gegen die Strasse zu treibt. 484 J. S. Szymanski: RD ‚750 „tg Ts Dell a — 0,26. Die tropische Riehtungskraft ist viermal grösser als die tropische Kraft, ‚welche die Ameisen treibt, der Ameisenstrasse entlang zu laufen. Und dies ist wohl begreiflich vom biologischen Standpunkte aus, dass es für eine Ameise viel wichtiger ist, das Nest bzw. die Nahrupgsquelle zu erreichen, als die Ameisenstrasse wiederzufinden. Entferuung der Io U = |W 9 t ist, erweist des I. Nerven auch für die stärksten Reize iger Nerven hier wiederum anfangs etwas geste des II. jetzt diejenige . sich Nach der 12. Minute wird eine kleine Pause ein- (0 em R.-A.), und zwar 12 Minuten lang als vollkommen auf- gehoben (Nr. 7). Über die Beeinflussung der primären Färbbarkeit etc. 509 geschaltet, um dem Nerven Gelegenheit zur Erholung zu geben; diese tritt auch ein, und von der 18. Minute bis zum Schlusse des Versuches ist die frühere Durchgängigkeit der Anode für schwächere Reize wieder zu konstatieren. Die Zuckungen des zugehörigen Muskels erreichen allerdings weder bei diesen noch auch bei stärkeren Reizen ihre ursprüngliche Höhe wieder, was darauf hindeutet, dass die Restitution der Leitungsfähigkeit wohl nicht bei allen Fasern im gleichen Maasse stattgefunden hatte. Der Gesamtverlauf des Versuches ist in Kurve I graphisch veranschaulicht. Die Verminderung resp. Aufhebung der Leitungsfähigkeit bei Nerv I tritt in Nr. 5 und 7 sehr deutlich zutage. Die beim Nerven I nach jeder Polarisation auftretende leichte Steigerung der Erreg- barkeit erscheint ebenfalls beachtenswert. b) Vergleich zwischen Knetton-Elektroden und freien Ringer-Elektroden. Versuchsbeispiel vom 18. Oktober 1909. Spezialbedingungen: Das erste Elektrodenpaar (I) ist ersetzt durch gewöhnliche Knetton- Elektroden (gewaschener Töpferton mit physiologischer NaCl Lösung angeknetet). Das zweite (II) ist mit Ringer-Lösung gefüllt (freie Flüssiekeitselektroden).. Der Abstand der Pole beträgt für diese beiden Elektrodenpaare je 20 mm; für die Reizelektroden je 3 mm. Der Verlauf des Versuches ist aus Tabelle II und Kurve II ersichtlich. Die Erregbarkeit des Vergleichsnerven II wird durch die drei ersten Polarisationen kaum verändert. Dagegen ruft schon die zweite Polarisation und noch mehr die dritte eine deutliche Depression in der Erregharkeit des Nerven I hervor, welche als Verminderung der Leitungsfähigkeit in der anodischen Strecke dieses Nerven aufzufassen ist. Nach der zweiten Polarisation (Nr. 5) tritt noch vollständige Restitution ein. Die vierte stärkere Durchströmung macht die anodische Strecke des Nerven I (Tonelektroden) für die sanze Dauer des Versuches leitungsunfähig. Beim Ver- sleichsnerven II (Ringer-Lösung) ruft sie eine vorübergehende und sehr geringe Depression der Erregbarkeit (Verminderung der Leitungs- fähigkeit) hervor (Nr. 9). Die letzte Polarisation (Nr. 10) betrifit nur den II. Nerven und setzt endlich auch bei diesem die Leitungsfähigkeit so stark herab, dass ihre Wiederherstellung erst nach längerer Zeit und nur teilweise wieder möglich ist. 510 Alfred Schwartz: Tabelle Il. } Schwelle in Zenti- Nr. | Zei metern R.-A. Bemerkungen Min. I II 1 0 Die Reizung geschieht mittels: absteigender Y 9,9 8,5 Schliessungsind uktionsschläge in Abständen von 6 l/’e—] Min. R.-A. 8—10 cm. 2 Polarisation (aufsteigend); 0,026 M.-A.; 2 Min. 3 0 Y 9,0 8,5 R.-A. = 3,2—9 cm. 2 4 Polarisation; 0,022 M.-A.; 4 Min. 5 0 x 8 89 R.-A. = 7—9 cm. Ya 8,2 8,5 Y 11 12!/g 8,4(s) 8,5 Y 15 6 Polarisation; 0,021 M.-A.; 6 Min. 7 0 Y ' 6,5 9,0 R.-A. — 3—9,5 cm. 2 Y 5 5,5 9,0 Y 18 6,5 — 19 6,7 9,0 20 6,8 (8) == an 8 Polarisation; 0,064 M.-A.; 4 Min. 9 0 E23 | kein Erfolg 89 R.-A. = 0—9 cm. 10 Polarisation nur des Ringer-Nerven (I]); { 0,077 M.-A ; 4 Min. 11 0 Y ji Erfolg 0(s) Reizung beider Nerven. R.-A. = 0-8 cm. 27 | | 28 5 Ne kein Erfolg 39 5,8 Y 45 N 5,7 53 ai Erfolg 20 er) 56 |) 008) ec) Vergleich zwischen Ringer-Lösung mit vermehrtem K-Gehalt und Ringer-Lösung. Versuchsbeispiel vom 16. Oktober 1909. Spezialbedingungen: In dem ersten (I) Elektrodenpaar befindet sich eine Ringer ’sche Lösung mit zehnfach vermehrtem K-Gehalt, in dem zweiten (ID) Über die Beeinflussung der primären Färbbarkeit etc. 511 Im W oLo‘o - Z[Lo‘o( m ınu) uoryesiuejog °5 ) und freien Ringer-Elektroden (II). (S. 508.) Kurve N N o N N o um 9 WW Re - 120'0 ln € EEE X übrigen gilt die Erklärung zu Vergleich zwischen Knetton-Elektroden (I Kurve 1. gewöhnliche Ringer’sche Lösung. Abstand der Pole hier je 20 mm, bei den Reizelektroden je 3 mm. Bereits die erste kurzdauernde Polarisation der Präparate (vel. Nr. 2 und 3, Tabelle III und Kurve III) bewirkt beim Nerven I eine bedeutende Herabsetzung der Leitungsfähigkeit, während sie dieselbe beim zweiten Nerven noch unbeeinflusst lässt. Die An- zeichen einer beginnenden Erholung. machen sich allerdings bei I schon nach wenigen Minuten bemerkbar; der Prozess nimmt aber bis zur vollkommenen Wiederherstellung des ursprünglichen normalen 512 Alfred Schwartz: Tabelle II. Schwelle in Zenti- Nele metern R.-A. Bemerkungen Min. I 1 1 0 | Die Reizung geschieht mittels absteigender Y 8,5 9 (5) Schliessungsinduktionsschläge in Abständen 2 von !/a—1 Min. R.-A. = 7—9 cm. 2 Polarisation (aufsteigend!); 0,077 M.-A.; 1 Min. 0 = 5(s) | 9 R.-A. = 4—10 cm. oO 4 6 6) 6,5 9 Y 6,7 (8) 14 15 6,9 (8) Y 18 19 7,2. (8) ) 20 7,4 (s) Y 24 25 7,5 (8) NL | 28 29 7,268) 30 BO) e | a BR} 8() ı Erst bei 7,5 cm R.-A. erreichen (in der 32 Min.) die Zuckungen wieder ihre ursprüngliche Höhe. 4 | Polarisation; 0,077 M.-A.: 10 Sek. 5) 0 1 7,5. (92) Y 6 R.-A. = 67,5 cm. 2 | > 7 | 6° I— Polarisation; 0,077 M.-A.; 5 Sek. 71) 0 7 (92) Y 4 R.-A. = 4-7 cm. 1 2 5 3 6 (5) Zustandes sehr viel Zeit in Anspruch. Die allmähliche Wiederkehr der Leitungsfähigkeit lässt sich auf der Kurve III an dem stetig, aber nur sehr langsam fortschreitenden Sinken der (auf 1 mm R.-A. abstufbaren) Reizschwelle gut verfolgen. Man sieht, dass diese erst nach einer halben Stunde ihr ursprüngliches Niveau wieder annähernd erreicht. Bei jeder einzelnen der beiden folgenden 1) In Nr. 5 und 7 ist die Erhöhung der Reizschwelle bei II wahrscheinlich nur scheinbar, da schwächere, als 7—7,5 cm R.-A. entsprechende Reize nicht verwendet wurden. Über die Beeinflussung der primären Färbbarkeit ete. 513 nur wenige Sekunden dauernden konstanten Durchströmungen (Nr.. 4—7) wiederholt sich noch einmal dasselbe Spiel, d. h. die Leitungsfähigkeit des Nerven I erfährt jedesmal eine (reversible) Verminderung, während beim Nerven II keine irgendwie deutliche physiologische Veränderung zum Vorschein kommt. Der Versuch wurde cm. M1 2 3 456 ee N ÜBEN % 2 SAN? ER a8 X S RR X Q $ RR = UN Q > RS IR ER > SEE I oo DS: RR ER D % % X RR 3 x x x2 ER GR xxx XS KxXX Min. 0 5 10 15 20 25 30 35 40 Kurve III. Vergleich zwischen Ringer-Lösung mit vermehrtem K-Gehalt (I) und Ringer-Lösung (II). Im übrigen gilt Erklärung zu Kurve I (S. 508). abgebrochen, bevor der Vorgang bei I wieder vollkommen rück- gängig geworden war. In anderen Versuchen trat nach etwas stärkeren Durehströmungen beim „Kalinerven“ bereits eine voll- kommene und langdauernde Leitungsunterbrechung ein, während der Vergleichsnervy noch keine Schädigung aufwies. Nach voll- kommener Leitungsunterbrechung konnte bei „Kalinerven“ bisher niemals eine vollständige Restitution erzielt werden. Es kam auch 514 Alfred Schwartz: nach mehr als einstündigem Warten höchstens zu geringfügigen Zuckungen bei relativ starken Reizen. Die Zahl derartiger Versuche war aber nur gering. d) Vergleich zwischen reiner Na0l-Lösung und Ringer-Lösung. Versuchsbeispiel vom 4. August 1909. Spezialbedingungen: das erste Elektrodenpaar (I) enthält 0,7 °/o Kochsalzlösung, das zweite (II) Ringer-Lösung, Abstand der Pole je 12 mm); bei den Reizelektroden je 3 mm. Die Reizung geschieht diesmal mittelst Schliessungsinduktionsschlägen von abwechselnd absteigender (x) und aufsteigender (4) Richtung. Tabelle IV. Schwelle in Zenti- Ne Zei metern R.-A. Bemerkungen Min. I Il 1 1 Die Reizung geschieht mittels absteigender x Y 10 11 und aufsteigender + Schliessungsinduktions- 12 schläge in Abständen von Ws—1 Min. R.-A. = 8—13 cm. 2 oT Polarisation (aufsteigend!); 0,015 M.-A.; 1 Min. B} x 10 10 R.-A. = 9—10 cm. 4 Polarisation: 0,014 M.-A.; 5 Min. 5 I} 97 2|2.21055 R.-A. = 7—10,5 cm. 10970210: Polarisation; 0,022 M.-A.; 3 Min. kein Erfolg | 10,5 vt | R.-A. = 7—13 cm. 7x 10,5vt | Von der 12.—19. Min.: Bei aufsteigender + (er) Mn ee 15 Richtung des Reizstromes kein Erfolg (beil). 16 Sy Y 18 19 9 |109vt 20 Von der 20.—24. Min: Bei aufsteigender + 10+ Richtung des Reizstromes Erfolg bei I nur 7t+ kein bei schwachen Strömen (10 cm R.-A.). W Erfolg 10,5 vt 24 | Von der 24.—30. Min.: Erfolg bei I auch bei 10 + 105 YA (aufsteigenden) starken Strömen (7 cm At Kriolg,| u > R.-A.) 30 | 1) Gegenüber 20 mm bei den vorhergehenden Versuchen. 915 Über die Beeinflussung der primären Färbbarkeit etc. Wie aus der Tabelle IV und der Kurve IV hervorgeht, setzt die erste konstante Durchströmung (Nr. 2) der Präparate beim ersten Nerven die Leitungsfähigkeit nicht (Nr. 3), die zweite (Nr. 4) ‘(808 'S) I 9Aınyy nz Sunaeyı 9Ip 15 uosLıqn wf "UEWONSSUOLNNPUL -sZunssal]gdg uUHPUAFL9FSsInKE Jım Sunziay "gg "USWoAgssuonyunpursdunsssrgpg UHAPU9ASLHISAL yıu Sunzioy 'y (77) Sunso[-ao5ury pun (7) Sunsor]-IyeN Jdoursı uHyoSsImZz YDTOJSIOA "AL PAIN een — RR [ ” REEER RR IX EEE ORERES [088% RER SIERT D KR N RKERL LET LEER RER ER] EERRRREREEEKN RR OR RER OERR u EEE 6 RESTE oO CE EEEETT] 6 RER I 000000 12102:000020000800800 RR ELLE ENNE ER =] ode LESEN, RR nn Kar RD IR, RS, nn RE ELLE u DS RER N) N902U0 LEER, 0 u EDEL DEE D. IHERTTEEEEEER 2 ° = EEE >) % 2b? SE RE Ku U [o} o “ 5 [e) = are Nr 0% SE 06 | 01 & Ye RL R TR BELLE = EEE EEE KEERTTT ä EEE SEE Bl ı ERSEREERERR > 5% EEK SEE SEE RESTE ER REEL ERREEETRE SS REEL & RS N SOSSE EREEEREEE EEE EEE EEE De EEE TRLEEEELTERS ES ELSCERT LER EEE Q EERREEEEEEEEEEER < EEELRCECEELTLNTN ET EEEEEREERS LEER, (e) LEITETE, = RER, LITER - RR KR RS 2 RK Dee EEE RORERI 8 RERR 08 N\ nn ES ED EEE zZ RG, UL. GIG 7 CH =) PERL 7 , WEZEORIELIILCECEIGT, u / IE 7 ; RS DD EN 9238 ” a OO r. 5). Die N nur vorübergehend und im geringen Maasse herab ( ge voll- dritte Polarisation (Nr. 6) aber ruft eine 12 Minuten lan kommene Undurchgängigkeit der anodischen Strecke für die Er- regungswelle hervor (Nr. 7); beim zweiten Nerven hingegen wird von keiner der drei Polarisationen der ursprüngliche Zustand in 516 Alfred Schwartz: nennenswerter Weise verändert!,. Nach der 12. Minute zeigen sich beim ersten Nerven die Anfänge einer beginnenden Erholung, die nach der 20. Minute, also verhältnismässig rasch, vollständig wird. Während ihres Verlaufs lässt sich aber ein auffallender Unterschied in der Wirkung absteigender und aufsteigender Reiz- ströme (Schliessungsinduktionsströme) beobachten. Zuerst werden absteigende starke Reizströme wirksam. Erst einige Minuten später werden auch aufsteigende Reizströme wirksam, aber nur schwache Reize, während die starken Reize noch für die Dauer von etwa 5 Minuten ganz erfolglos bleiben. Diese Erscheinung ver- liert sich erst nach der 24. Minute, von wo ab sich das frühere normale Verhalten wiederherstellt.e. Die Verhältnisse sind aus der Kurve IV, A und B ohne weiteres klar. In Kurve V sind einzelne Ausschnitte aus der ÖOriginalkurve beigegeben. — Dieselbe Er- scheinung zeigte sich noch in zwei anderen Versuchen, in denen ebenfalls mit aufsteigenden und absteigenden Reizströmen gereizt wurde. Analoge Erscheinungen sind bekanntlich schon von J. Fick?) bei Reizung des Nerven mittelst gleichdauernder, aber allmählich ver- stärkter aufsteigender konstanter Stromstösse und später auch mittelst aufsteigender Schliessungs- und Öffnungsinduktionsschläge (sogenannte Lücke) beschrieben worden. Fick brachte sie mit dem dritten Fall des Zuckungsgesetzes in Zusammenhang, fasste also die Unwirksamkeit der stärkeren Ströme als anodische Block- wirkung auf, Auf ähnliche Weise dürften sich vielleicht auch die hier beobachteten Phänomene erklären lassen. Der Ort der in unserem Falle gefundenen Hemmung der Erregungswelle für stärkere Reize wäre also nicht an die Anode des bereits lang geöffneten polari- sierenden, sondern an diejenige des reizenden Stromes zu verlegen. Dureh die vorhergehende Polarisation und die Überschwemmung mit Na‘-Ionen könnten hier für den Eintritt des Phänomens besonders 1) Nach der dritten Polarisation war die Erregbarkeit für absteigende Induktionsschläge vorübergehend etwas gesteigert; nach anderen Erfahrungen wird diese Steigerung auch bei den ersten Polarisationen nicht gefehlt haben. Es wurde aber nicht speziell hierauf geprüft. 2) Fick, Gesammelte Schriften Bd. 3 S. 156, 160. — Vgl. auch Tiger- stedt und Willhard, Mitteil. v. physiol. Labor. d. Karolin. Instituts Stockholm. 1884. Zit. nach Cremer (Handbuch, 1. c. S. 985). 517 C. Über die Beeinflussung der primären Färbbarkeit et “9WOASZIIY UHPUADTOJS -gqe pun -ne Adop Zunyarıy Jop ur polydsaoyun "I SYerederg SOp NOyaeqdanıdg AOp ayayaapaımy ayaıgewmy :F6—g) addnıg awqsanıun I yeredesq ‘1eq39119 710708 JI yeardesıg jneieq "uodunypnzsdunugg 'O Uoestaejog OYLIP A Togg UONNestae[og USYLIP Aop 104 uodunyanZ 97279] (TS 'n 06 addnıy) Suejuy uaqasdduR uayleZ Alp pun swoAnszioy sap Junyydig 9ıp ‘opuesqeusjjoy 9ıp purs HAıny Aop aoyuf) "(Zunsorf -193u1 4) JI SPeaedeıg sap uadunyonZ aoqnaep (TIEN) I syeredeag sap uadunyonZ aaqnıeqg “(aYAeIszIay A9y91o]d u uopuny9g (I—) U0A purss -qv WI 9z19Y loMmz d9usJJos ‘T9Ap Al) OyIwwziay 919Ju[) Yey Ju9Ip9d AI PAınyy Anz 9defioyuf) Se aydfom ‘HAany[eursuıg A9p JonıS :A 9Aıny 69 8 19 3199 99 c9 19 99 2189 E99 9 HT 19 2109 09 64 W18G SG 219g 9g SG 74 Ir 3 Hr or 68 "UN Y v Yyahacy Ver een, Ya st arg Neben N eve ter Y 1E wc6 I 8 nd OFE 08 0528527821707 0 a a Be L BEE EB OR FERN Age energie ene TEeererTen 518 Alfred Schwartz: günstige Verhältnisse geschaffen sein. Möglicherweise sind aber auch die Erscheinungen mit denjenigen paradoxen Zuständen des polarisierten Nerven, die Wedensky!) zuerst eingehend untersucht und als „parabiotische“ bezeichnet hat, und in welchen ebenfalls die Leitung stärkerer Erregungen schlecht oder gar nicht, diejenige schwächerer relativ gut stattfindet, verwandt. Paerna?) fand zwar, dass das paradoxe Stadium bei intrapolarer Reizung des in „Parabiose“ befindlichen Nerven nur bei absteigender Richtung des polari- sierenden Stromes zum Vorschein kommt, dass es also nur durch Veränderungen in der kathodischen Strecke bedingt sein kann. Er gibt indessen auch an, das Phänomen gelegentlich (wenigstens andeutungsweise) bei aufsteigendem Polarisationsstrom (also unter denselben Bedingungen, unter denen auch die oben be- schriebenen Tatsachen gefunden wurden) beobachtet zu haben, ver- mutet aber, da dies immer nur (wie auch hier) bei Reizung des Nerven mittelst aufsteigender Schliessungsschläge, also bei relativ grösserer Nähe des Reizortes an der Kathode der Fall war, dass hier wiederum nur diese letztere, und nicht, wie man diesmal auch annehmen könnte, die Anode, die Veranlassung dazu gegeben hat. Inwieweit diese letztere Erklärung Paerna’s zu- treffend ist, möge dahingestellt bleiben; jedenfalls dürfte aber auf Grund seiner ersteren tatsächlichen Angaben eine Identifizierung der von Wedensky beschriebenen mit den hier beobachteten Phänomenen sehr wohl denkbar erscheinen. Da ich die Erscheinungen indessen nicht näher verfolgt habe, ınöchte ich mich mit einem blossen Hinweis auf die zwei eben be- sprochenen Erklärungsmöglichkeiten begnügen , ohne entscheiden zu wollen, welehe von beiden die grössere Beachtung verdient. Theoretisches. Von zwei gleichlange und gleichstark mit dem konstanten Strom durchströmten Nerven bildete sich stets bei demjenigen der die Durchströmung überdauernde Anodenblock wesentlich früher aus, dem der Strom mit einem von der Zusammensetzung der Körper- flüssigkeiten (Ringer-Lösung) abweichenden Medium zugeführt wurde. Es können als Ursache dieser Erscheinung nur die stromzuführenden 1) Wedensky, Pflüger’s Arch. Bd. 100 S. 5. 1903. 2) Paerna, Pflüger’s Arch. Bd. 100 S. 145. 1902. Über die Beeinflussung der primären Färbbarkeit etc. 519 Kationen in Betracht kommen. Ist ein auch in der Ringerlösung vorkommendes Kation in übertriebener Menge vorhanden (relative Vermehrung des Ca-, K- oder Na-Gehalts), so muss sich die Elektrolyt- zusammensetzung an den Nervenfasern nach einer gewissen Durch- strömungszeit gegenüber den Verhältnissen bei Durchströmung mit Ringerlösung wesentlich. verändern!). Die äusseren Nervenfasern werden von dieser Veränderung natürlich früher betroffen als die inneren; die physiologische Wirkung wird aber erst vollständig sein, wenn auch die letzteren von einem abnormen Medium umgeben sind. Der Berechnung dieser Zeit stehen erhebliche Schwierigkeiten im: Wege, da die Stromfäden den Nerven nicht geradlinig durch- ziehen, der Spannungsabfall in der Zwischenflüssigkeit der Nerven- fasern unbekannt ist, Adsorptionen an den Oberflächen störend wirken können usw. Bestände die Zwischenflüssigkeit des Nerven aus einer homogenen Elektrolytlösung und träten an den Oberflächen der Fasern keine Adsorptionserscheinungen ein, so würden die Nervenfasern bei Zu- leitung des Stromes mit reiner NaCl-Lösung und einem Stromabfall von 1 Volt pro Zentimeter Nerv bis zum Abstande von 1 mm von der Anode K’- und Ca'-frei sein, nach etwa 300 Sekunden ?). Bei Zuleitung des Stromes mit Ringerlösung von zehnfachem K-Gehalt würde unter den gleichen Bedingungen die höhere K-Konzentration nach ungefähr 170 Sekunden 1 mm in den Nerven vorgedrungen sein. Wie ein Blick auf die Versuchsresultate ergibt, sind die zur Erzielung des die Durchströmung überdauernden Anodenblockes nötigen Zeiten von der gleichen Grössenordnung. Ist einmal die ungeeignete Elektrolytzusammensetzung an allen Nervenfasern eines Querschnittes erreicht, so dauert es längere Zeit, bis durch Diffusion von den Seiten her ein Ausgleich wieder herbeigeführt wird (siehe die Versuche). Dieser ist auch dann, wenn das physiologische Bild schon wieder normal ist, d. h. der 1) Nach dem augenblicklichen Stand der Erfahrungen ist die Funktion lebender Gewebe in hohem Maasse von der Elektrolytzusammensetzung der die Elemente umspülenden Flüssigkeit abhängig (Overton, Höber,Lillie, Bethe, Warburg u. a.). Es besteht zwar die Möglichkeit (Loeb), dass das eine oder andere im Übermaass herangeführte Ion in die Nervenfasern eindringt, jedoch scheint eine derartige Annahme im Augenblick wenig Wahrscheinlichkeit zu besitzen. 2) Berechnet aus der absoluten Wanderungsgeschwindigkeit der Ionen unter Berücksichtigung des Dissoziationsgrades. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 34 520 Alfred Schwartz: Anodenblock verschwunden ist, nicht vollkommen, denn es genügen jetzt viel kürzere Stromzuführungen als am Anfang, um den Block wiederkehren zu lassen (siehe Tabelle III, S. 512). Bemerkenswert bei den Versuchen erscheint die Tatsache, dass auch reine NaCl-Lösung eine schwere Schädigung durch Verarmung der anodischen Strecke an Ca- und K‘-Ionen hervorruft. Nach Versuchen von Overton!) musste man annehmen, dass Ca“- und K'-Ionen für die Funktion peripherer Nerven unnötig sind. Ich suche den Grund für meinen gegenteiligen Befund darin, dass auf elektrischem Wege die Fortschaffung der K‘- und Ca“-Ionen vollständiger gelingt als durch Diffusion. — Ein direkter Vergleich der bisher an- gestellten Versuche untereinander ist nicht durchführbar, da die Nerven verschiedener Tiere individuelle Unterschiede zeigen, abgesehen von ihrem nicht ganz gleichen Querschnitt. Trotzdem mögen diejenigen Strommengen genannt werden, welche nötig waren, um bei den bisherigen Versuchen eben gerade einen vorübergehenden Anodenblock hervorzurufen; es waren hierzu nötig: 1. bei Ringer-Lösung mit zehn- fachem KCl-Gehalt . . . . . 0,07—0,2 M.-A.-Minuten ?), 2. bei Ringer-Lösung mit zehn- fachem CaCl,-Gehalt. . . . . 0,2 —0,3 R 5 3. bei Knetton-NaÜl-Elektroden . 0,2 —0,3 3 A „ reiner NaCl-Lösung. . . . 0,18—0,25 „ r 5.» Ringer-Lösung -.7.... 2095 0,8 5 3 B= Der die Durcehströmuns überdauernde Anoden- block tritt also bei genügender Strommenge auch unter den günstigsten Bedingungen der Stromzuleitung (Ringer- Elektroden) ein und ist daher als notwendige Folge der elektrischen Durehströmung anzusehen. Jede Abweichung in der Elektrolyt- zusammensetzung der stromzuleitenden Flüssigkeit lässt aber den Anodenblock schon bei geringerer Strommenge eintreten. Die Deutung dieser Tatsache wird am ehesten darin zu suchen sein, dass die fremdartige Zusammensetzung der die Nervenfasern um- spülenden Flüssigkeit verändernd auf die semipermeablen Membranen derselben einwirkt. 1) Versamml. deutsch. Naturforscher u. Ärzte zu Cassel Bd.2 Abt.2 S.416. 1904. 2) Es ist dabei die zurzeit wahrscheinlichste Annahme gemacht, dass es nur auf die Strommenge ankommt. Über die Beeinflussung der primären Färbbarkeit etc. 521 Nach einer Auffassung Loeb’s'!) soll die Herabsetzung der Er- regbarkeit an der Anode (und demnach wohl auch der Anodenblock) eine Folge zunehmender Ca-Konzentration an der Anode sein?). Meine Versuche stützen diese Ansicht nicht. Es tritt zwar der die Durehströmung überdauernde Anodenblock früher ein, wenn die Anode mit Caleium überschwemmt wird, es tritt aber auch das gleiche ein, wenn durch reine NaCl-Lösung die Anode caleiumfrei gemacht oder Kalium im Überschuss zugeführt wird. Zusammenfassung und Deutung der Versuche, l. Das von Bethe beschriebene Polarisationsbild (Herab- setzung der Färbbarkeit der Achsenzylinder an der Anode und Er- höhung ihrer Färbbarkeit an der Kathode) tritt auch dann auf, wenn man an Stelle der von ihm anfangs benutzten Knetton- Elektroden „freie Flüssigkeitselektroden“ benutzt. Die in der strom- zuleitenden Flüssigkeit enthaltenden Ionen spielen beim Zustandekommen des Polarisationsbildes eine ausschlaggebende Rolle. a) Ringer-Lösung (ohne NaHCO,) lässt schon bei einem Stromdurehgang von 1,0 bis 1,5 Milliampere-Minuten®?) ein deut- liches Polarisationsbild entstehen, das mit grösserer Strom- menge an Ausdehnung und Stärke zunimmt. b) Isotonische NaCl- und KCI-Lösung geben bei einem Strom- durchgang von 1,0 bis 1,5 M.-A.-Minuten nur eine geringe An- deutung des Polarisationsbildes (wie Ringer-Lösung bei sehr viel geringerem Stromdurchgang). Bei grösserer Strommenge nimmt die Färbbarkeitsveränderung nicht zu. c) Vermehrung des K-Gehaltes der Ringer-Lösung setzt ihre Fähigkeit, ein Polarisationsbild zu geben, herab. 1) Pflüger’s Arch. Bd. 116 S. 195. 2) Es erscheint überhaupt verfrüht, schon jetzt Vorhersagen darüber zu machen, an welcher Stelle des Nerven bei elektrischer Durchströmung (und be- stehendem Verteilungsgleichgewicht der Elektrolyten) die Konzentration der Ca‘'-Ionen zu- resp. abnimmt. Die von Loeb gemachte Voraussetzung, dass die Ionen in den Medien des Nerven die gleichen Wanderungsgeschwindigkeiten haben wie im Wasser, trifft jedenfalls nicht zu. 3) Bezogen auf Nerven mittelgrosser Frösche und bei einem Elektrodenabstand von 10 mm. 34* 522 Alfred Schwartz: d) Vermehrung des Ca-Gehalts der Ringer-Lösung erhöht ihre Fähigkeit, ein Polarisationsbild zu geben. Bei zehnfachem Ca-Gehalt tritt ein deutliches Polarisationsbild schon bei einem Stromdurchgang von 0,2 bis 0,5 M.-A.-Minuten auf, bei grösserer Strommenge nimmt die Färbbarkeitsveränderung zu). Es wird hieraus der Schluss gezogen, dass Ca’'-Ionen fördernd, Na’- und K‘-Ionen herabsetzend auf die Ausbildung des Polarisations- bildes wirken. Da die stromzuführenden Lösungen sich nur in bezug auf die an der Anode in den Nerven eintretenden Kationen unterscheiden, der Einfluss auf die Färbbarkeitsveränderungen sich aber an beiden Polen äussert, so kann der befördernde Einfluss der Ca“-Ionen kein direkter, z. B. durch Eindringen derselben in die Achsenzylinder sein. Dies geht auch daraus hervor, dass Einbringen lebender Nerven in isotonische CaCl,-Lösung oder Mischung solcher mit Ringer-Lösung (für 24 bis 48 Stunden) keine nennenswerte Veränderung der Färbbarkeit der Achsenzylinder hervorruft. Eine Erklärung für die Wirkung der stromzuführenden Ionen mag in folgendem gesucht werden: Der konstante Strom bewirkt im Innern der Nervenfasern Konzentrationsänderungen, z. B. in bezug auf OH’- und H'-Ionen ?), welche ihrerseits Färbbarkeitsveränderungen hervorrufen. Diese können sich nur voll ausbilden, wenn die Plasma- häute für H'- und OH’-Ionen relativ undurchlässig sind. Wenn Na’- und K'-Ionen die Durchlässigkeit der Plasmahäute für die genannten Ionen vermehren, so muss bei ihrer Zuführung das Polarisationsbild abgeschwächt sein. Wenn andererseits Ca’-Ionen die Durchlässigkeit vermindern, so müssen sie verstärkend auf die Entstehung des Polarisationsbildes wirken. 2. Bei jeder genügend langen und genügend starken konstanten Durcehströmung eines Nerven tritt ein die Durehströmung überdauernder Anodenblock auf. Derselbe ist reversibel, wenn die Durchströmung nicht zu lange angedauert hat. Die in der stromzuleitenden Flüssig- 1) Die Färbbarkeitsveränderung des Bindegewebes verhält sich im all- gemeinen umgekehrt wie diejenige der Achsenzylinder; bei vermehrtem Ca-Gehalt zeigt sich die Färbbarkeit des Bindegewebes an der Anode erhalten oder ver- ‘ stärkt, während sie unter der Einwirkung von Na‘- und K'-Ionen abgeschwächt resp. aufgehoben wird. 2) Bethe, Vortrag, gehalten auf dem achten internat. Physiologenkongress zu Wien 1910. ; Über die Beeinflussung der primären Färbbarkeit etc. 523 keit enthaltenen Ionen spielen bei der Ausbildung dieses Anodenblockes eine bedeutende Rolle. a) Am langsamsten bildet sich der Anodenblock aus bei Strom- zuführung mit Ringer- Lösung. b) Wesentlich schneller bildet sich der Anodenblock aus, wenn der Ca'-Gehalt der Ringer-Lösung erhöht wird (oder Knetton-Elektroden verwendet werden). ec) Ebenfalls schneller bildet er sich aus, wenn der Strom mit NaCl-Lösung oder einer Ringer-Lösung mit ver- mehrtem K-Gehalt zugeführt wird. Der die Durchströmung überdauernde Anodenblock tritt (bei Stromzuleitung mittelst Ringer-Lösung) ein bei einer Strom- menge von etwa 0,5 bis 0,8 M.-A.-Minuten. DBei einer Strom- menge von 1,0 bis 1,5 M.-A.-Minuten ist bereits ein deut- liches Polarisationsbild zu erzielen. Sichtbare Andeutungen findet man aber schon bei einer Strommenge von ca. 0,7 M.-A.- Minuten. Es besteht also die Möglichkeit, den Anoden- block mit der sieh im Polarisationsbild zeigenden Veränderung desNerven inZusammenhangzu bringen. Hiermit steht in Einklang, dass der Anodenblock und die Herab- setzung der Färbbarkeit an der Anode früher, d. h. bei geringerer Strommenge eintritt, wenn der Ca-Gehalt der stromzuführenden Flüssigkeit erhöht wird. In scheinbarem Widerspruch mit dieser Erklärung steht die Tatsache, dass der Anodenblock bei vermindertem Ca-Gehalt der Lösung (reine NaCl-Lösung) und bei vermehrtem K-Gehalt ebenfalls leichter eintritt, obwohl diese Lösungen weniger ge- eienet sind, ein Polarisationsbild hervorzurufen. Man hätte vielleicht erwarten können, dass die Anwendung derartiger Lösungen den Eintritt des Anodenblockes eher erschweren würde. Die Tatsache, dass entgegengesetzte Abweichungen von den Normalbedingungen nicht in jedem Punkt zu entgegengesetzten Veränderungen des physiologischen Verhaltens führen, steht nicht vereinzelt da. So verhindert z. B. nach Warburg!) sowohl Zunahme wie Abnahme der H‘-Ionen-Konzentration des Seewassers die Furchung der See- igeleier, während Zunahme der H‘-Ionen bei demselben Objekt die Oxydationen vermindert, Abnahme derselben die Oxydationen steigert. 1) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 66 S. 312. 1910. 594 Alfred Schwartz: Über die Beeinflussung der prim. Färbbarkeit etc. Wenn wir die Wirkung der Na‘-Ionen und K‘-Ionen auf den Nerven in einer Schädigung der Plasmahäute, z. B. in einer Zunahme ihrer Durchlässigkeit für gewisse Ionen, erblicken, dann löst sieh der scheinbare Widerspruch ohne Schwierigkeiten: Wir sind gewöhnt, die Tätigkeit der Gewebe mit dem Zustand ihrer Plasmahäute in Zusammenhang zu bringen. Sowohl Zunahme wie Abnahme ihrer Durchlässigkeit muss zu Störungen in der Funktion führen. Diese entgegengesetzten Störungen könnten sich unter Umständen in gleicher Form äussern, nämlich in einer Herabsetzung der Funk- tionstüchtigkeit. Diese Herabsetzung der Funktionstüchtigkeit besteht aber beim Nerven in einer Verminderung resp. Aufhebung der Fähigkeit, die Erregung weiterzuleiten. (Physiologisches Institut der Universität Bonn.) Zur Frage der Entstehung von Glykogen aus Formaldehyd. Von Bernhard Schöndorff und Friedrich Grebe., Im Verlauf seiner Untersuchungen über die Bildung von Glykogen aus einfachen Zuckern vermittelst Durchströmungsversuchen durch die überlebende Schildkrötenleber stellte Grube!) auch Versuche an, welche die Frage entscheiden sollten, ob es möglich sei, durch diese Methode auch die Entstehung von Glykogen aus kleineren Bausteinen, z. B. aus Formaldehyd nachzuweisen, zumal ja die Entstehung von Zucker aus Formaldehyd durch die Untersuchungen von Oscar Löw und Emil Fischer festgestellt war. Nach den Angaben von Grube ergaben die ersten nicht publi- zierten Versuche negative Resultate, weil die Konzentration des Formaldehyds zu stark genommen war. In den weiteren Versuchen wurde deshalb der Formaldehyd nur in ganz schwacher Konzentration angewandt. Um aber der Leber eine genügend grosse Menge zuzu- führen, wurden grosse Mengen Durchspülungsflüssigkeit längere Zeit durch die Leber durchgeleitet. Er verwandte bei seinen Versuchen Lösungen, die 0,01—0,02 °o Formaldehyd enthielten. Da aber die Formaldehydlösung nur 40°/o war, so war die wirklich von ihm angewandte Konzentration um etwa die Hälfte geringer. Seine sämtlichen Experimente hatten unter ver- schiedenen Versuchsbedingungen immer ein positives Ergebnis. Wir lassen die Grube’schen Versuche in Form einer Tabelle, aus der auch die verschiedenen Versuchsbedingungen zu ersehen sind, folgen: 1) Pflüger’s Arch. Bd. 121 S. 636. 1908. Bernhard Schöndorff und Friedrich Grebe 526 Est 971 91 3/19 122 al 860 SET IL 8'8 38‘9 LrLl L g gT 98°C erel oL 002 7 691 LITT L 8 SI ST GE'zl 6 TıL LPT 21 L 9% g g3‘ 816 8 1'84 ig s1'8 9 v2 20 1% 8TI L uodderf a94y904Y ET 96% g1’61 3/ıy 2 oL LI'S 95 EL 9 uadderg a9yur 013 g&G 16'183 8 & 8I LTY gEL G 638 Gh Ill L v2 el E71 0°<1 v LEI 89° 61'z1 8 & SI LO'F 83°4 g 318 ce 808 8 & SI 09 836 ® gıE 07 ETE ) 8 2ysnr + Sp sop Iy9IMaK) a9p 9duoM JU9IMaL) AOL IUUIN pÄyapjew.Iog JM pÄyopfeuog auyQ TESTER Zur Frage der Entstehung von Glykogen aus Formaldehyd. 5927 Aus diesen Versuchen geht hervor, dass der mit Formaldehyd durchspülte Leberlappen immer mehr Glykogen enthielt als der Kontrolllappen, und zwar schwanken die Zunahmen zwischen 8,3 °/o und 77,1 Io. \ Die Bedeutung der Grube’schen Versuche für den Stoffwechsel der Kohlehydrate im tierischen Organismus, die ein Analogon für die von Bokorny!) für die Algen nachgewiesene Bildung von Stärke aus Formaldehyd zü bilden schienen, wurden von Abder- halden?) in der zweiten Auflage seines Lehrbuchs der physio- logischen Chemie mit folgenden Worten gekennzeichnet: „Dieser überraschende Befund eröffnet die wei- testen Ausblicke. Bestätigt er sich und wird auch für die Leber anderer Tierspezies eine so tiefgreifende Synthese nachgewiesen, so sind wir wohl berechtist anzunehmen, dass auch normalerweise die Leber aus einfachsten Bruchstücken Glykogen aufbaut.“ Wegen der ungeheueren Tragweite der Grube’scehen Versuche für die allgemeine Theorie des intermediären Kohlehydratstoffwechsels haben wir auf Veranlassung des verstorbenen Herrn Geheimrats Pflüger eine Reihe neuer Versuche angestellt, um eine weitere Bestätigung der Annahme der Bildung von Glykogen aus Form- aldehyd beizubringen. Unsere Versuche wurden in derselben Weise angestellt wie die Grube’schen, und zwar wurde in Versuch I-XI der Kontroll- . lappen (rechte) sofort analysiert, der andere (linke) verschieden lange Zeit mit grösseren Mengen Ringer ’scher Lösung (12—18 Liter) unter Zusatz von Formaldehyd in verschiedenen Mengen durchspült und dann analysiert. Die Durchleitung des Lappens erfolgte ausser- halb des Körpers der Schildkröte. In Versuch XII—XV wurden beide Lappen durchspült, und zwar der rechte mit Ringer’scher Lösung allein, der linke mit -Ringer’scher Lösung und Formaldehyd, und zwar aus folgenden Gründen: Grube?) hatte bei seinen Versuchen die Beobachtung gemacht, dass die Durchspülung mit Ringer’scher Flüssigkeit ohne jeden 1) Pflüger’s Arch. Bd. 125 S. 467. 1908. 2) E. Abderhalden, Lehrbuch der physiologischen Chemie, 2. Aufl., S. 431. Berlin 1909. 3) Pflüger’s Arch. Bd. 118 S. 10. 1907. 5238 Bernhard Schöndorff und Friedrich Grebe: Zusatz eine Abnahme des Glykogens von 27,5—36,1 °/o in dem durch- spülten Lappen bewirkt. Um, falls unsere Versuche negativ ausfielen, deshalb dem Einwand zu begegnen, es würde zwar aus Formaldehyd Glykogen gebildet, aber mittelst der Durchspülungsflüssigkeit wieder aus der Leber herausgespült, wurden beide Lappen durchspült, und zwar der eine linke mit, der andere rechte ohne Zusatz von Form- aldehyd. Die Durchleitung erfolgt dann unter demselben Druck und gleich lange Zeit. Die zur Durchleitung benutzte Ringer’sche Lösung hatte folgende Zusammensetzung: 1000 eem Wasser enthalten: 6 e Chlornatrium, 0,2 g Chlorkalium, 0,2 g Chlorealeium, 0,1 & Natriumbikarbonat. Die Glykogenbestimmung erfolgte nach der Pflüger’schen Methode, und zwar in Versuch I—VIII sowohl durch Polarisation als auch nach Inversion des Glykogens mit 2,20 Salzsäure durch Titration des Traubenzuckers nach Fehling-Soxhlet unter An- wendung von Ferrocyankalium und Essigsäure als Indikator'). Es stellte sich aber im Verlaufe der Untersuchung heraus, dass die polarimetrische Bestimmung des Glykogens in der Schildkröten- leber besondere Schwierigkeiten bot, weil man durch Ansäuern der wässerigen Glykogenlösung keine absolut vollständige Ausfällung des Farbstoffes und infolgedessen kein ungefärbtes, zur Polarisation so gut geeignetes Filtrat erhielt, wie man es sonst bei der Analyse von Lebern und Muskeln von Fischen, Amphibien, Säugetieren und Vögeln erhält. Infolgedessen wurde zur Kontrolle der polarimetri- schen Bestimmung die Glykogenlösung invertiert und der Zucker nach Fehling-Soxhlet bestimmt. Pflüger?) hatte nun bei seinen früheren Untersuchungen immer fast absolut übereinstimmende Werte zwischen Polarisation und Titration gefunden. Z. B. ergab sich in 23 an Fröschen an- gestellten Vergleichsversuchen als Mittelwert sämtlicher Analysen für den Glykogengehalt des ganzen Tieres: 1) In Versuch I—VIII wurden die Glykogenanalysen und die Polarisation von Herrn Geheimrat Pflüger, die Titration nach Fehling von Herrn Dr. Junkersdorf ausgeführt. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 120 S. 285. 1907, und Bd. 129 S. 374. 1909. Zur Frage der Entstehung von Glykogen und Formaldehyd, 529 Durch Polarisation... . ..’.... 0,6965%o, San itrattonee ey. 2..22.0:0,094.400: In 48 an Hunden angestellten Vergleichsanalysen von Leber- glykogen als Mittelwert sämtlicher Analysen: Durch Polamsatone... 20.0.2 202970)0, 5 litrabions 2020.02 .2,2839 00. In sieben Vergleichsversuchen betreffend den Glykogengehalt von Hundemuskeln als Mittelwert sämtlicher Analysen: Durch. Polarisation... 2... 22 20,410°%%; A hitralions sun. 2 222 0A, Nur in einem Falle zeigte sich, dass die Polarisation einen um 14°/o höheren Wert ergab als die Titration. Bei unseren Versuchen zeigten sich in fünf Analysen ziemlich bedeutende Unterschiede, während sonst Polarisations- und Titrations- wert dieselbe Übereinstimmung zeigte, wie sie Pflüger bei seinen zahlreichen Analysen gefunden. Da nun die Polarisationsbestimmungen wegen der starken Färbung der Glykogenlösung nicht ganz einwandfrei sind, so müssen wir, wie dies auch schon Pflüger früher getan hat, die durch Titration des aus dem Glykogen entstandenen Traubenzuckers er- haltenen Werte als die zuverlässigeren ansehen und dieselben für das Ergebnis als maassgebend in Betracht ziehen. Es muss hier ausdrücklich betont werden, dass die Titration nach Fehling-Soxhlet absolut einwand- freie Ergebnisse hatte, da der Endpunkt derTitration mit Ferroceyankalium und Essigsäure sich bei der grossen Übung, die Herr Dr. Junkersdorf hatte, mit absoluter Schärfe feststellen liess, da ein Teil des Farbstoffes nach der Inversion mit HCl und der nach- folgenden Neutralisation mit NaOH ausfiel. Um aber jeglichen Einwendungen gegen unsere Versuchsresul- tate bezüglich der angewandten Glykogenbestimmungsmethode zu begegnen, beschlossen wir noch eine Reihe weiterer Versuche anzu- stellen, in denen wir die wässerige Glykogenlösung ohne Aus- fällung des Farbstoffes mit Salzsäure invertierten und die Zucker- bestimmung nach der Pflüger’schen gravimetrischen Kupfer- 530 Bernhard Schöndorff und Friedrich Grebe: oxydulmethode bestimmten, und das Glykogen ausnahmslos aus dem nach Volhard titrierten Kupfer berechneten!). Wir möchten noch bemerken, dass wir die Titra- tion des Cu nach Volhard in allen Fällen für unbedingt notwendig halten, da man nie wissen kann, ob das sewogeneKupferoxydul ganzreinist, und mansichnur dadurch gegen Verunreinigung desselben sichern kann. Ä Wir möchten hier schon bemerken, dass die Versuche, in denen die Glykogenbestimmungen nach der gravimetrischen Methode aus- seführt wurden, dieselben Ergebnisse zeigten wie die ersten acht Versuche, in denen das Glykogen durch Polarisation und Titration bestimmt wurde. Wir lassen nunmehr die einzelnen Versuche ausführlich folgen. Versuch I. Zur Durchleitung wurden 15 Liter Ringer’sche Lösung + 3 cem Formaldehyd (40°/o) verwendet. Dauer der Durchleitung 10 Stunden. Rechter Leberlappen 16,9417 g sofort analysiert. Linker Leberlappen 10,6520 & durchgeleitet. Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 3,17 °/o, Titration: 3,173 %o. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 2,76 °/o, Titration: 2,506 'h. Abnahme in °/o (berechnet aus dem Titrationswert): — 21°/o. Versuch 1. Durchgeleitet 8 Liter Ringer’sche Lösung + 1,6 cem Form- aldehyd (40/0). Dauer der Durchleitung 4"/s Stunden. Rechter Lappen 14,1977 g sofort analysiert. Linker Lappen 12,5238 g durchgeleitet. Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 4,16 °/o, Titration: 5,16 %o. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 3,51 °o, Titration: 4,025 %o. Abnahme (berechnet aus dem Titrationswert) : — 22 /o. 1) Die Glykogen- und Zuckerbestimmungen in Versuch IX—XV wurden von dem einen von uns (Schöndorff) ausgeführt. Zur Frage der Entstehung von Glykogen aus Formaldehyd. 531 Versuch II. Durchgeleitet 16 Liter Ringer’sche Lösung + 3,2 eem Form- aldehyd (40°/o). Dauer der Durchleitung 6'/s Stunden. Rechter Lappen 11,3082 g sofort analysiert. Linker Lappen 15,1870 g durchgeleitet. Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 4,7 °/o, Titration: 4,19%. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 3,06 %o, Titration: 3,02 %o. Abnahme (berechnet aus dem Titrationswert): -— 26,7 %o. Versuch IV. Durchgeleitet 16 Liter Ringer’sche Lösung + 3,2 cem Form- aldehyd (40°). Dauer der Durchleitung 6?/« Stunden. Rechter Lappen 16,5275 g sofort analysiert. Linker Lappen 16,1815 g durchgeleitet. Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 4,078/o, Titration: 4,16 °/o. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: —, Titration: 2,83 %o. (Die Polarisation konnte wegen der starken Färbung der Glykogen- lösung nicht ausgeführt werden.) Abnahme (berechnet aus dem Titrationswert): — 31,9%. Versuch V. Durchgeleitet 16 Liter Ringer’sche Lösung + 1,6 ecem Form- aldehyd (40 0). Dauer der Durchleitung 5 Stunden. Rechter Lappen 13,5515 g sofort analysiert. Linker Lappen 11,015 g durchgeleitet. Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 4,597 °o, Titration 4,622 %o. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 2,71 °o, Titration: 2,31 %o. Abnahme (berechnet aus dem Titrationswert): — 50 o. Versuch VI. Durchgeleitet 16 Liter Ringer’sche Lösung + 1,6 cem Form- aldehyd (40°/o).. Dauer der Durchleitung 5!/« Stunden. Rechter Lappen 17,128 g sofort analysiert. Linker Lappen 10,517 g& durchgeleitet. 532 Bernhard Schöndorff und Friedrich Grebe: Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 6,96 °/o, Titration 6,64 /o. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 4,84 °/o, Titration: 4,56 °o. Abnahme (berechnet aus dem Titrationswert): — 31,3 %/o. Versuch VI. Durchgeleitet 16 Liter Ringer’sche Lösung + 3,2 cem Form- aldehyd (40°/o). Dauer der Durchleitung 5 Stunden. Rechter Lappen 8,578 g sofort analysiert. Linker Lappen 8,464 g durchgeleitet. Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 0,53 %0, Titration: —. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 0,66 °/o, Titration: —. Wegen des geringen Glykogengehalts der Lösung konnte nur polarisiert werden. Der beobachtete Unterschied von + 24,30 liegt innerhalb des Bereichs des Beobachtungsfehlers. Versuch VII. Durchgeleitet 12 Liter Ringer’sche Lösung + 23,4 ecm Form- aldehyd (40 °/o). Dauer der Durchleitung 6!/sz Stunden. Rechter Lappen 26,268 g sofort analysiert. Linker Lappen 16,062 g durchgeleitet. Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 2,74%, Titration 2,68 /o. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 2,51 /o, Titration 2,57 °o. Abnahme (berechnet aus dem Reduktionswert): — 4,1 lo. In den folgenden Versuchen wurde das Glykogen nach der Kupferoxydulmethode mit Titration des Cu nach Volhard bestimmt. Versuch R. Durchgeleitet 15 Liter Ringer’sche Lösung + 3 cem Form- aldehyd (40/0). Dauer der Durchleitung 7 Stunden. Rechter Lappen 11,638 g sofort analysiert. Linker Lappen 10,232 g durchgeleitet. Zur Frage der Entstehung von Glykogen aus Formaldehyd. 533 Glykogengehalt des rechten Lappens: 0,6919 /o. Glykogengehalt des linken Lappens: 0,2352 %/o. Abnahme: — 66 Jo. Versuch X. Durchgeleitet 15 Liter Ringer’sche Lösung + 3 cem Form- aldehyd (40/0). Dauer der Durchleitung 8!/sz Stunden. Rechter Lappen 18,002 g sofort analysiert. Linker Lappen 13,2265 g durchgeleitet. Glykogengehalt des rechten Lappens: 7,354 /o. Glykogengehalt des linken Lappens: 6,1935 °/o. Abnahme: — 15,8 /o. Versuch XI. Durchgeleitet 15 Liter Ringer’sche Lösung + 5 eem Form- aldehyd (40/0). Dauer der Durchleitung 7°/s Stunden. Rechter Lappen 16,105 g sofort analysiert. Linker Lappen 14,824 g durchgeleitet. Glykogengehalt des rechten Lappens: 7,96 °/o. Glykogengehalt des linken Lappens: 6,59°/o. Abnahme: — 17,2 °/o. Aus den Gründen, die schon S. 527 auseinandergesetzt worden sind, wurde in den folgenden vier Versuchen, um dem Einwand zu begegnen, es würde zwar aus Formaldehyd Glykogen gebildet, aber mittelst der Durchleitunesflüssigkeit zum Teil wieder aus der Leber ausgespült, durch den rechten Leberlappen Ringer’sche Flüssigkeit allein, durch den linken Ringer’sche Flüssigkeit mit Formaldehyd unter denselben Bedingungen und in gleich langer Zeit durchgeleitet. Versuch XI. Durchgeleitet durch den rechten Lappen 15 Liter Ringer’sche Lösung, durch den linken 15 Liter Ringer’sche Lösung + 3 cem Formaldehyd (40°/o). Dauer der Durchleitung 7!/a Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 16,1485 g. Gewicht des linken Lappens: 14,557 2. Glykogengehalt des rechten Lappens: 3,95 °/o. Glykogengehalt des linken Lappens: 2,78 °o. Abnahme: — 29,4 Jo. Bernhard Schöndorff und Friedrich Grebe: SU © H> Versuch XII Durehgeleitet durch den rechten Lappen 15 Liter Ringer’sche Lösung, durch den linken 15 Liter Ringer’sche Lösung + 3 ccm Formaldehyd (40°). Dauer der Durchleitung 3 Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 14,625 g. Gewicht des linken Lappens: 10,451 e. Glykogengehalt des rechten Lappens: 4,056 o. Glykogengehalt des linken Lappens: 4,094 %o. Der beobachtete Unterschied von + 0,9 °/o liest innerhalb des Bereichs des Beobachtungsfehlers. Versuch X. Durchgeleitet durch den rechten Lappen 15 Liter Ringer'sche Lösung, durch den linken 15 Liter Ringer’sche Lösung + 3 ccm Formaldehyd (40°). Dauer der Durchleitung 8 Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 21,691 g. Gewicht des linken Lappens: 14,781 g. Glykogengehalt des rechten Lappens: 6,486 °o. Glykogengehalt des linken Lappens: 4,58 /o. Abnahme — 29,4 Po. Versuch XV. Durchgeleitet durch den rechten Lappen 15 Liter Ringer’sche Lösung, durch den linken 15 Liter Ringer’sche Lösung + 3 cem Formaldehyd (40 0). Dauer der Durchleitung 8 Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 16,309 @. Gewicht des linken Lappens: 12,217 g. Glykogengehalt des rechten Lappens: 3,807 o. Glykogengehalt des linken Lappens: 3,508 lo. Abnahme — 7,85 lb. Wir stellen die Ergebnisse unserer Versuche in Tabelle II (S. 535) zusammen. ES geht also aus unseren Versuchen hervor, dass wir im Gegensatze zu Grube mit Ausnahme von Ver- such VII und XII, wo die beobachteten Unterschiede innerhalb desBereichsdesBeobachtungsfehlersliegen, nicht nur niemals eineZunahme desGlykogensbei der Durchleitung durch die Schildkrötenleber mit Form- 35 3 ee 8048 LIe@l 8 & 88a — "EL ET N { 9 F — 1 \ Bet Se es = 618 { og \ <1sT'gl #169 38 97 go Tg rer v = > 208 — '"NIL Se e BG { 6L’ 7 — "UEL \ ER BE = S 1'928 { 90 — [od \ LST’ (una “op zo | Bunpep op Funserruogps : Ton 10a | Bungeor et SpAy9pIe -I9SUl PU 2 \ -J I - E -SUOTPNPIY eyos soydnstoge’] | -QDand a an a a ey nl para uO9oMO]0B Kon uop sne -uodoyÄln pP | uoyzpsodnz -panp -usdoyKg 0 op -qınp = Yo2tıD zonzt | sop oBuow | 10p oduom Be one | zop oduamı | "°" N PUYI9AA) sop JyPIA9N sop Iy2IMaL) -unN bergsetun piyopwwıog 9uyO pÄyappewaogy JUN "U 994% L Bd. 138. Pflüger’s Archiv für Physiologie. 536 Bernhard Schöndorff und Friedrich Grebe: aldehyd gefunden haben, dass im Gegenteil unsere Durehspülungsversuche immer, abgesehen von den beiden erwähnten Ausnahmen, eine Abnahme desGly- kogens zur Folge hatten. Es entstand nun natürlich für uns die Frage, auf welche Ursachen diese absolut abweichenden Versuchsergebnisse zurückzuführen seien. Die grundsätzliche Voraussetzung für die Richtigkeit der Durehströmungsversuche durch die Schildkrötenleber, zum Nachweis der Fähigkeit derselben, synthetisch Glykogen aus Monosacchariden oder anderen einfacher zusammengesetzten Stoffen zu bilden, ist die, dass der Glykogengehalt in beiden Leberlappen bei Beeinn der Durchströmungsversuche gleich ist. Grube hat diese Tatsache dureh einen Versuch gestützt, den er in seiner ersten Arbeit!) über die Glykogenbildung in der überlebenden Schildkrötenleber angibt. Der rechte Lappen von 12,2 & enthielt 1,66 %, der linke von 10,5 g 1,51 %o, ein Unterschied von 9°). Wir haben nun bei sieben Schildkröten Vergleichsversuche über die Glykogenverteilung auf beide Leberlappen gemacht, und zwar wurde das Glykogen nach der Pflüger’schen Kupferoxydulmethode unter Kontrolle nach Volhard bestimmt). Wir geben die Resultate dieser Versuche in Tabelle III wieder: | Tabelle II. Nummer Linker Leberlappen Rechter Leberlappen Unterschied de 2 Glykogen- \ Glykogen- [in Prozenten s Gewicht Benalı Gewicht ale des höheren Versuchs 8 0/g g 0/9 Wertes 1 11,392 2,19 14,594 1,905 — 13,0 2 1,93 0,5672 11,366 0,4796 — 15,4 3 8,370 2,946 13,331 2,626 — 10,8 4 12,649 4,604 15,089 5,007 + 88 5 28,794 4,681 33,9245 3,997 — 32,3 6 19,0325 4,24 26,427 4,58 + 80 7 24,543 3,6 26,019 3,15 — 14,3 Es geht aus diesen Versuchen hervor, dass der Glykogengehalt der beiden Leberlappen sehr beträchtliche Unterschiede zeist und In keinem Falle enthielten die beiden Leber- zwar von 8 bis 32 o. 1) Pflüger’s Arch. Bd. 118 S. 10. 1907. 2) Die Analysen wurden von den einen von uns (Schöndorff) ausgeführt. Zur Frage der Entstehung von Glykogen aus Formaldehyd. 537 lappen die gleiche Glykogenmenge. Es zeigte ferner in fünf Fällen der linke Lappen mehr Glykogen (10,8, 13,0, 14,3, 15,4 und 32,3°o Unterschied), in zwei Fällen der rechte Lappen (8 und 8,8°/o Unterschied). Wenn auch die Differenzen in dem Gly- kogengehalt der beiden Lappen der Schildkrötenleber grösser sind, als sie Grube angenommen hat, so würden sie doch nicht das auf- fallende Ergebnis erklären, dass Grube in elf Versuchen immer eine Zunahme und wir in 13 von 15 Versuchen immer eine Ab- nahme des Glykogens während der Durchleitung mit Formaldehyd gefunden. Es bedarf also weiterer Versuche, um eine Aufklärung dieser verschiedenen Versuchsergebnisse herbeizuführen. Vorläufig müssen wir aufGrundunserer Versuchs- ergebnisse unsere Ansicht dahin aussprechen, dass die Bildung von Glykogen aus Formaldehyd in der überlebenden Schildkrötenleber nicht bewiesen ist. 35 * 538 Bernhard Schöndorff und Fritz Suckrow: (Physiologisches Institut der Universität Bonn.) Über den Einfluss des Phloridzins auf die Glykogenbildung in der Leber. Von Bernhard Schöndorff und Fritz Suckrow. . Zur Stütze der Ansicht, dass nicht die Nieren, sondern die Leber der Angriffspunkt der Giftwirkung des Phloridzins bei der Phloridzinelykosurie sei, hat Grube!) eine Reihe von Versuchen angestellt, welche beweisen sollten, dass das Phloridzin einen direkten Einfluss auf die Leberzelle auszuüben vermag. Bei Durchleitungsversuchen mit Ringer’scher Lösung durch die überlebende Schildkrötenleber hatte Grube?) nachgewiesen, dass ein Zusatz von Dextrose zur Durchspülungsflüssigkeit eine Neubildung von Glykogen in dem durchspülten Leberlappen veranlasse. Er suchte nun festzustellen, ob ein Zusatz von Phloridzin zur Durch- leitungsflüssigkeit die Neubildung von Glykogen aus Dextrose ver- hindern könne. Wenn er durch den einen Lappen Ringer’sche Lösung + Dextrose, durch den anderen Lappen Ringer’sche Lösung + Dextrose + Phloridzin durchleitete, so fand er, dass der erstere Lappen ohne Phloridzin 5°o, der andere mit Phloridzin 3,8 %o Glykogen enthielt. Er schliesst daraus: „Das Phloridzin hemmt oder verdeckt also tatsächlich die Glykogenbildung.“ Da sich nun bei den ausgedehnten Versuchen von Pflüger und Junkersdorf®?) über die Muttersubstanzen des Glykogens in ganz besonderer Weise herausgestellt hat, welche Rolle bei Tier- versuchen die Anzahl der Versuche spielt und Grube nur einen Versuch in dieser Form ausgeführt hat, so haben wir auf Ver- 1) Pflüger’s Arch. Bd. 128 S. 118. 1909. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 118 S. 13. 1907. 3) Pflüger’s Arch. Bd. 131 S. 201. 1910. Über den Einfluss des Phloridzins auf die Glykogenbildung etc. 539 anlassung des verstorbenen Herrn Geheimrats Pflüger eine grössere Anzahl von Versuchen in derselben Art ausgeführt. Die Versuche wurden in der von Grube bei seinem Versuch II angegebenen Art und Weise angestellt. Zu 1 Liter Ringer’scher Lösung (6 g NaCl, 028 KCl, 0,2 g CaCl,, 0,1 g NaHCO, auf 1000 cem Wasser) wurde 1 g chemisch reine Dextrose bzw. 1 g Dextrose und 0,1 g Phloridzin zugesetzt. Die Glykogenanalyse erfolgte in Versuch I—VIII durch Polari- sation und nach Inversion desselben durch Titration nach Fehling- Soxhlet, in Versuch IX—XIV nach der Pflüger’schen Kupfer- oxydulmethode, ausnahmslos mit nachfolgender Titration des Kupfers nach Volhard!)., Bezüglich der Gründe, weshalb in Versuch I—VIII die polari- metrische und in Versuch IX—XIV die gravimetrische Methode der Glykogenanalyse angewandt wurde, wird auf die vorhergehende Ab- handlung von Schöndorff und Grebe?) S. 528—530 verwiesen. Es muss aueh für unsere Versuche betont werden, dass dieaus den Reduktionswerten berechneten Gly- kogenmengen aus den dort angegebenen Gründen den Anspruch auf absolute Genauigkeit haben. Wir lassen nunmehr unsere Versuche im einzelnen folgen. Versuch IL Es wurden durchgeleitet: Rechter Lappen: 4 Liter Ringer’sche Lösung + 4 g Dextrose. Linker Lappen: 4 Liter Ringer’sche Lösung + 4 g Dextrose + 0,4 g Phloridzin. Dauer der Durchleitung: 1!/s Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 14,2415 g. Gewicht des linken Lappens: 10,2237 g@. Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 0,169 /o. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 0,157 °/o. Unterschied: — 7,1 lo. 1) In Versuch I—VIII wurden aie Glykogenanalysen und die Polarisation von Herrn Geheimrat Pflüger, die Titration nach Fehling von Herrn Dr. Junkersdorf ausgeführt. Die Glykogen- und Zuckerbestimmungen in Ver- such IX—XIV wurden von dem einen von uns (Schöndorff) ausgeführt. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 138 S. 525. 940 Bernhard Schöndorff und Fritz Suckrow: Versuch 1. Es wurden durchgeleitet: Rechter Lappen: 4 Liter Ringer’sche Lösung + 4 g Dextrose. Linker Lappen: 4 Liter Ringer’sche Lösung + 4 g Dextrose + 0,4 g Phloridzin. Dauer der Durchleitung: 2 Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 21,6775 @. Gewicht des linken Lappens: 20,6015 @. Glykogengehalt des rechten Lappens: Titration : 6,46 ®o. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 5,48 /o, Titration: 6,65 ")o. Unterschied: + 2,8 9o. Versuch I. Es wurden durchgeleitet: Rechter Lappen: 4 Liter Ringer’sche Lösung + 4 g Dextrose. Linker Lappen: 4 Liter Ringer’sche Lösung + 4g Dextrose + 0,4 g Phloridzin. Dauer der Durchleitung: 2 Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 15,654 g. Gewicht des linken Lappens: 12,867 g@. Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 6,45 °/o, Titration: 6,36 %o. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 5,030, Titration: 4,94%. Unterschied : — 22,2 0. Versuch IV. Es wurden durchgeleitet: Rechter Lappen: 8 Liter Ringer’sche Lösung + 8 g Dextrose. Linker Lappen: 8 Liter Ringer’sche Lösung + 8 g Dextrose + 0,8 g Phloridzin. Dauer der Durchleitung: 5 Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 21,354 g. Gewicht des linken Lappens: 17,087 g. Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 2,5 °/o, Titration: 2,008 %o. Über den Einfluss des Phloridzins auf die Glykogenbildung in der Leber. 541 Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 2,15 %, Titration: 1,84 %o. Unterschied: — 8,4 °)o. Versuch V. Es wurden durchgeleitet: Rechter Lappen: S Liter Ringer’sche Lösung + 3 g Dextrose. Linker Lappen: SLiter Ringer’sche Lösung + Sg Dextrose + 0,5 & Phloridzin. Dauer der Durchleitung: 6!/s Stunden. Gewieht des rechten Lappens: 19,694 e. Gewicht des linken Lappens: 12,747 8. Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 1,198 °/o, Titration: 1,28 %o. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 0,88 °/o, Titration: 0,888 /o. Unterschied: — 30,6 /o. Versueh VI. Es wurden durcheeleitet: Rechter Lappen: S Liter Ringer ’sche Lösung + 3 g Dextrose. Linker Lappen: S Liter Ringer’sche Lösung + Sg Dextrose + 0,8 g Phloridzin. Dauer der Durchleitung 3!Y/s Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 20,214 g. Gewicht des linken Lappens: 14,087 eg. Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 6,817 °/o, Titration: 6,57 lo. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 7,32 °o, Titration: 6,84 Po. Untersehied: + 4,1 o. Versuch VI. Es wurden durchgeleitet: Rechter Lappen: 8 Liter Ringer’sche Lösung + 8 g Dextrose. Linker Lappen: SLiter Ringer’sche Lösung + Sg Dextrose + 0,8 g Phloridzin. Dauer der Durchleitung: 4!/s Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 14,314 g. Gewicht des linken Lappens: 9,192 g. 542 Bernhard Schöndorff und Fritz Suckrow: Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 2,64°/o, Titration: 2,54 o. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 2,45 °/o, Titration: 2,45 /o. Unterschied: — 3,1 lo. Versueh VII. Es wurden durchgeleitet: Rechter Lappen: 8 Liter Ringer’sche Lösung + 3 g Dextrose. Linker Lappen: S Liter Ringer’sche Lösung + Sg Dextrose + 0,8 g Phloridzin. Dauer der Durchleitung: 6!/« Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 20,814 ge. Gewicht des linken Lappens: 15,302 ge. Glykogengehalt des rechten Lappens: Polarisation: 1,89 °/o, Titration: 1,85 %o. Glykogengehalt des linken Lappens: Polarisation: 2,490, Titration: 2,302 %o. Unterschied: + 25,4 lo. In den folgenden Versuchen wurde die Glykogenbestimmung nach der Kupferoxydulmethode mit Titration des Kupfers nach V ol- ' hard ausgeführt. Versuch IX. Es wurden durchgeleitet: Rechter Lappen: 3 Liter Ringer’sche Lösung + 8 g Dextrose. Linker Lappen: 8 Liter Ringer’sche Lösung + Sg Dextrose + 0,8 g Phloridzin. Dauer der Durchleitung: 4 Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 15,214 g. Gewicht des linken Lappens: 11,887 g. Glykogengehalt des rechten Lappens: 3,905 %/o. Glykogengehalt des linken Lappens: 3,036 P/o. Unterschied: — 22,3 lo. Versueh X. Es wurden durcheeleitet: Rechter Lappen: 10 Liter Ringer’sche Lösung + 10 g Dextrose. Linker Lappen: 10 Liter Ringer’sche Lösung + 10 g Dextrose + 1 e Phloridzin. Über den Einfluss des Phloridzins auf die Glykogenbildung in der Leber. 543 » Dauer der Durchleitung: 3 Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 18,524 g. Gewicht des linken Lappens: 14,011 eg. Glykogengehalt des rechten Lappens: 5,831 °/o. Glykogengehalt des linken Lappens: 5,397 P/o. Unterschied: — 7,9. Versuch \I. Es wurden durehgeleitet: Rechter Lappen: 10 Liter Ringer’ sche Lösung + 10 g Dextrose. Linker Lappen: 10 Liter Ringer’sche Lösung + 10 g Dextrose + 1 g Phloridzin. Dauer der Durchleitung: 7!/s Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 13,484 g. Gewicht des linken Lappens: 10,493 g. Glykogengehalt des rechten Lappens: 3,59 °o. Glykogengehalt des linken Lappens: 3,314 °/o. Unterschied: — 7,7°/o. Versuch XI. Es wurden durchgeleitet: Rechter Lappen: 10 Liter Ringer ’sche Lösung + 10 g Dextrose. Linker Lappen: 10 Liter Ringer’sche Lösung + 10 g Dextrose + 1 g Phloridzin. Dauer der Durchleitung: 7'Y/s Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 8,729 g. Gewicht des linken Lappens: 8,615 Glykogengehalt des rechten Lappens: 2,59 °/o. Glykogengehalt des linken Lappens: 4,1 Jo. Unterschied: + 54,8 /o. IR Versuch Xll. Es wurden durchgeleitet: Rechter Lappen: 10 Liter Ringer ’sche Lösung + 10 g Dextrose. . Linker Lappen: 10 Liter Ringer’sche Lösung + 10 g Dextrose + 1.g Phloridzin. Dauer der Durchleitung: 6'/e Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 11,431 eg. Gewicht des linken Lappens: 8,281 g. Bernhard Schöndorff und Fritz Suckrow 944 6LL— 80H Fr Lr9°0T 9 01 301 + 101 sLe‘c 680‘FL 9 | OL TOL. || SANDx 661 + 8E8T 182'8 2/19 01 01 +10l ve0'r 1EFIT 19 | SOL+IOL | IX sr + 17 198 rl 07 30T + 101 642 6818 &, | S0L +I0OL | IX Eh = FIEE E6F‘0L rk 01 30] + 101 69'8 vergl 7 | S0L +LOL | IX Bl LEBE 110021 S OL 30T + 101 188% ve<'sl 82220. 107 EX a 9808 LES'TL iz 50 38 +18 0 PIecı 2. 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Glykogengehalt des linken Lappens: 4,838 °/o. Unterschied + 19,9 %/o. Versuch XIV. Es wurden durchgeleitet: Rechter Lappen: 10 Liter Ringer’sche Lösung + 10 g Dextrose. Linker Lappen: 10 Liter Ringer’sche Lösung + 10 g Dextrose + 1 g Phloridzin. Dauer der Durchleitung: 6 Stunden. Gewicht des rechten Lappens: 14,029 Gewicht des linken Lappens: 10,647 g Glykogengehalt des rechten Lappens: 5,372 /o. Glykogengehalt des linken Lappens: 4,408 ?/o. Unterschied — 17,9 /o. QO', (o) o > Wir stellen die Ergebnisse unserer Versuche in der vorher- gehenden Tabelle I (S. 544) zusammen. Es geht also aus unseren Versuchen hervor, dass in neun Fällen der Zusatz von Phloridzin zur Durchspülungsflüssigkeit einen ge- ringeren Glykogenwert im Mittel um 14°%o, in fünf Fällen einen höheren im Mittel um 21°/o ergibt. Wenn man aus allen Versuchen die Mittelwerte bei der. Durch- leitung mit Dextrose allein und bei der mit Dextrose und Phloridzin aus den Reduktionswerten berechnet, so ergibt sich für den ersten Fall 3,752°/0o, für den zweiten Fall 3,654°/o. Dieser Art der Be- rechnung steht wohl nichts im Wege, denn man kann sich die 14 Schildkrötenlebern als eine einzige grosse Schildkrötenleber vor- stellen, deren Gewicht die Gesamtsumme aller Einzellebergewichte ist. Den prozentischen Glykogengehalt dieser grossen Leber resp. der beiden Lappen könnte man also berechnen, indem man die sämtlichen Glykogenwerte sämtlicher rechten und sämtlicher linken addiert und daraus das Mittel nimmt. Dies ergibt für den rechten Lappen 3,752°/o, für den linken 3,654 °/o. Dieser Unterschied liegt innerhalb des Bereichs des Beobachtungsfehlers ; denn die in der Arbeit von Sehöndorff und Grebe!) angegebene Vergleichsversuche 1) Pflüger’s Arch. Bd. 133 S. 525. 546 B. Schöndorff und Fr. Suckrow: Über den Einfluss etc. zwischen dem Glykogengehalt des rechten und linken Leberlappens haben viel grössere Unterschiede ergeben, bis zu 320, als wir sie bei den Mittelwerten unserer Versuche beobachtet haben. Das Ergebnis unserer Versuche lässt sich dahin zusammenfassen, dass das Phloridzin unter den an- gegebenen Bedingungen keinen Einfluss auf die Gly- kogenbildung in der Schildkrötenleber hat. 947 Untersuchungen über die Atmung von Insekten unter Anwendung der graphischen Methode. Von Dr. Johann Regen, Professor am k. k. Sophiengymnasium in Wien. (Mit 20 Textfiguren.) Vorwort. Die Atmung der Insekten wurde meines Wissens mit Hilfe reeistrierender Apparate bisher noch nicht untersucht. Den Entschluss, derartige Untersuchungen anzustellen, hatte ich bereits im Jahre 1903 gefasst, als ich den Winterschlaf von Gryllus campestris studierte !). Andere Arbeiten, namentlich aber meine praktische Lehrtätigkeit nahmen meine Zeit so stark in Anspruch, dass der gefasste Entschluss nicht sogleich zur Ausführung gelangen konnte. Erst nachdem das hohe k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht auf mein Ansuchen meine Lehrverpflichtung für das II. Semester des Schuljahres 1908/09 bedeutend ermässigt hatte, war die Möglichkeit hiezu geboten. Für diese Unterstützung sei dem hohen k. k. Ministerium mein untertänigster Dank ausgesprochen. Ebenso bin ich allen meinen hochverehrten Vorgesetzten, die mein Gesuch befürwortet und so der günstigen Erledigung zugeführt haben, in erster Linie aber dem Herrn Hofrat Dr. Johann Huemer und dem Herrn Landesschulinspektor Regierungsrat Dr. Ignaz Wallentin, zum ergebensten Danke verpflichtet. Nicht minder verbunden bin ich Herrn Professor Dr. Armin Tschermak Edl. von Seysenegg für das meiner Arbeit ent- 1) Untersuchungen über den Winterschlaf der Larven von Gryllus cam- pestris L. Ein Beitrag zur Physiologie der Atmung und Pigmentbildung bei den Insekten. Zool. Anz. Bd. 30. Nr.5 vom 17. April 1906. 548 Johann Regen: gegengebrachte grosse Interesse sowie für seinen Rat, diese Schrift schon jetzt in vorliegender Form erscheinen zu lassen. Die Untersuchungen wurden am k. k. Sophiengymnasium in Wien grösstenteils mit den Behelfen der naturhistorischen und physikalischen Lehrmittelsammlung durchgeführt, wofür ich meinem hochgeehrten Herrn Direktor, Regierungsrat Dr. Gustav Waniek, und meinem lieben Kollegen, Herrn Professor Dr. Karl Dattler, verbindlichst danke. Für die mir bei der Registrierung geleisteten Dienste bin ich meinem Freunde, Herrn Heinrich Vodnik, sehr verpflichtet. I. Methode. Um die einzelnen Phasen der Atembewegungen sowie deren zeitliche Verhältnisse bei den Insekten zu erforschen, liess ich, während die Tiere in sitzender Stellung verharrten, die Atembewesungen des Abdomens auf einen sehr empfindlichen zweiarmigen Fühlhebel ein- wirken, dessen längerer Arm die Abdomenschwankungen auf einer berussten Schleife, die sich an der Spitze des Schreibhebels vorbei- beweete, vergrössert aufzeichnete. Es wurden demnach die respiratorischen Änderungen des hetero- polen ') Durchmessers des Abdomens ventralseits registriert. Fig. 1 zeigt in schematischer Darstellung den eigens für diese Untersuchungen konstruierten Registrierapparat, den ich zum leichteren Verständnis des Folgenden an dieser Stelle etwas genauer be- schreiben will. Wie aus der genannten Figur ersichtlich ist, besteht der Apparat im wesentlichen aus drei Teilen: 1. aus der Eprouvette AB, 2 2. der Nadel CD und 3. dem Hebel EF. Die durch die Schraube 27 festgehaltene Eprouvette AB (deren Grösse sich nach der des Versuchstieres zu richten hat) besitzt vorne bei A eine runde Öffnung und unten einen 2 em langen, 2 mm breiten Spalt a5; sie kann, da sie um die Achse & x’ drehbar ist, mit Hilfe der Stellschraube 2 gegen den Horizont verschieden geneigt, durch die Stellschraube 3 aber in ihrer Längsrichtung ver- schoben werden. 1) Heteropol = dorsoventral, homopol = quer. Untersuchungen über die Atmung von Insekten etc. 549 “ III, a! Fig. 1. “7 G = Be) [e3] Die Eprouvette dient zur Fixierung des Versuchstieres. Da diese Art der Fixierung dem Tiere noch viele Bewegungen gestattet, wird manchmal die Geduld des Experimentators stark auf die Probe gestellt. Im allgemeinen aber, namentlich wenn man viele Tiere zur Verfügung hat und das am besten geeignete aus- zusuchen vermag, geht die Reeistrierung glatt vonstatten. 990 Johann Regen: Die bei den Wirbeltieren angewendeten Fixierungsmethoden können bei den Insekten nicht in Betracht kommen. Die Nadel CD besitzt die Form einer 4 cm langen, sehr dünnen Insektennadel. Die Öse c, durch welche die Nadel hindurchgeht, ist zur Ver- minderung der Reibung aus Glas und zwar so gross, dass sich die Nadel sowohl in vertikaler als auch in schräger Richtung leicht bewegen kann. Mittelst der Stellschraube £ ist man imstande, die Öse seitlich zu verschieben und lotrecht unter den Spalt ab zu stellen, wobei die Nadel CD in die Mitte der Breite des cenannten Spaltes zu stehen kommt, somit die Eprouvette in keinem Funkte berührt. Dureh die Nadel CD werden die Atembewegungen des in der Eprouvette befindlichen Versuchstieres auf den Hebel übertragen. Der Hebel (Schreibhebel, Fühlhebel) EF ist zwei- armig. Der längere Arm (Schreibarm) EO besteht aus einem etwa 10 em langen, dünnen Strohhalm, der an seiner Spitze den Schreib- stift trägt, und aus einem kurzen Aluminiumröhrchen in der Nähe der Hebelachse yy', das zur Befestigung des genannten Strohhalmes dient. Die bei eventuellen Berechnungen zu berücksichtigende Länge des Schreibarmes ist die Entfernung der Spitze des Schreibstiftes von der Hebelachse. Wird der Schreibarm vermittelst der verstellbaren Arretier- vorrichtung de gehoben, so ragt die Nadel C_ D mit ihrem Köpfchen C infolge der Senkung des kürzeren Hebelarmes FO durch den Spalt ab nicht mehr in die Eprouvette hinein, sondern sie befindet sich nun ausserhalb derselben, vertikal unter dem erwähnten Spalte. Das in die Eprouvette eingelassene Versuchstier kann daher infolge des frei- gemachten Weges anstandslos bis zur Eprouvettenspitze vordringen. Der kürzere Hebelarm (Fühlarm) FO ist ein etwa 3,5 em langes, auf seiner oberen Seite der Länge nach mit vier konischen, voneinander 2 mm abstehenden Vertiefungen (die erste Vertiefung ist von der Hebelachse 3 mm entfernt) ausgestattetes Aluminium- stäbehen. Je nachdem ein schwächerer oder ein stärkerer Ausschlag des Schreibarmes wünschenswert erscheint, wird die Spitze D der Nadel OD in eine von der Hebelachse mehr oder weniger entfernte Vertiefung gestellt. Untersuchungen über die Atmung von Insekten etc. 551 Bei eventuellen Berechnungen hat als Länge des Fühlarmes die Entfernung des jeweiligen Fusspunktes der Nadel von der Hebelachse zu gelten, Der Hebelarm FO. und das oben genannte, den Strohhalm tragende Röhrchen bilden ein zusammenhängendes Stück. Durch das in der Längsrichtung des Fühlarmes verschiebbare, von dem Hebelarm FO getragene Laufgewicht @ wird das Verhältnis der Gewichte der beiden Hebelarme derart reguliert, dass der längere nur um weniges schwerer ausfällt als der kürzere samt der Nadel CD. Zum Schreiben wurde nicht die gewöhnlich benützte Papierspitze, sondern ein Glasröhrehen bekannter Form verwendet. Das um den Stift f sehr leicht drehbare, mit dem angeschmolzenen Kügelchen schreibende Röhrchen g setzte eben wegen der geringeren Reibung beim Schreiben weniger Widerstand entgegen als die Papierspitze. Mit Hilfe dieses Apparates nahm ich nun die Registrierung der Atembewegungen, wie folst, vor. Der mit der Schraube 5 am Stativ in der erforderlichen Höhe festgehaltene Registrierapparat (mit arretiertem Hebel) wurde wo- möglich mit der Eprouvettenspitze A gegen das Licht aufgestellt und hierauf bei BD das Versuchstier in die Eprouvette eingelassen. Dieses schritt nun in der Regel rasch gegen A hin, streckte, daselbst an- gelangt, seine Fühler durch die hier befindliche Öffnung (deren Grösse wohl ein Hindurchstrecken der Fühler, nicht aber ein Ent- weichen des Tieres gestattete) hindurch und kam in der Regel bald zur Ruhe. Die genannte Öffnung schien dem Tiere wenigstens für kurze Zeit das Gefühl der Freiheit vorzutäuschen und gewährte noch den Vorteil, dass auch ein unruhiges Tier daselbst verblieb, indem es durch die Öffnung zu entrinnen suchte, wobei es vielfach durch die ihm hier dargebotenen Leckerbissen beruhigt werden konnte. Gelangte das eingelassene Tier nicht bis A, so wurde es mit einem Stäbehen an die gewünschte Stelle gebracht und durch einen bei 5 eingesetzten Wattepfropf am Entweichen verhindert. Sobald nun das Versuchstier ruhig dasass und in der Eprouvette eine Stellung einnahm, bei der sich sein Hinterleib auf dem Spalt «5 oder oberhalb desselben befand, so beobachtete ich die Atem- bewegungen des Tieres, um jene Stelle auf der Ventralseite des Ab- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 36 552 Johann Regen: domens ausfindig zu machen, die sich bei der Atmung am stärksten bewegte. Nach der Feststellung derselben erfolgte mittelst der Stell- schraube 3 die Einstellung der Eprouvette, bzw. des Versuchstieres, wobei das Köpfchen C der Nadel OD senau unter die genannte be- wecte Abdominalstelle zu liegen kam. Schliesslich wurde durch langsames Umlegen der Arretierung de der Hebel freigelassen. Der längere Hebelarm senkte sich ein wenig, wodurch der kürzere die Nadel soweit in die Höhe hob, bis sich das Köpfchen derselben an die bewegte Stelle des Abdomens an- lehnte. Indem sich nun die Spitze des Schreibarmes infolge des Über- gewichtes desselben beim Zusammenziehen des Abdomens senkte und dann durch die Kraft des sich ausdehnenden Hinterleibes vom Versuchstier wiederum gehoben wurde, zeichnete der Schreibstift auf der mit der Kymographiontrommel bewegten berussten Papierschleife die Atmuneskurve des Versuchstieres auf. Unterhalb der auf diese Weise erhaltenen Atmungskurve wurde gleichzeitig mit Hilfe allgemein bekannter Apparate die Zeit (ganze Sekunden und Bruchteille, bzw. 0,025—0,067 einer Sekunde) registriert. Brachte das Tier während des Versuches sein Abdomen in eine höhere Lage, als es die ursprüngliche war, so senkte sich der Schreib- arm, und die Eprouvette konnte nun mittelst der Stellschraube 2 soweit geneigt werden, bis der Schreibstift wieder in der gewünschten Höhe schrieb. II. Atmungskurven. Einleitende Bemerkungen. Entsprechend dem Umstande, dass bei der Zusammenziehung des Abdomens die Ausatmung (am Apparat ein Senken des Schreib- armes) und bei der darauf folgenden Ausdehnung desselben die Einatmung (am Apparat ein Steigen des Schreibarmes) stattfindet, stellt (Fig. 2) die Atmungskurve (abc) einen Atemzug dar, und zwar der absteigende Ast derselben (ab) die Exspiration, der aufsteigende (bc) die Inspiration. Bei völliger Ruhe des Abdomens zeichnet der Schreibstift eine horizontale Gerade. Je nachdem sich eine solche an den exspira- Untersuchungen über die Atmung von Insekten etc. 553 torischen oder inspiratorischen Kurvenast anschliesst, spreche ich von einer Exspirations- oder Inspirationspause. Sowohl bei der Exspiration als auch bei der Inspiration unterscheide ich den Anfang, den Verlauf und das Ende derselben. Die Atmungskurve ist die Resultierende zweier Bewegungen: einerseits der gleichförmigen Bewegung der berussten Schleife, andererseits der ungleichförmigen Bewegung der Spitze des Schreib- armes. Verlegt man (Fig. 2) den Anfangspunkt a der Atmungskurve abe in den Koordinatenursprung 0 und trägt auf der Abszissenachse 0x die Zeiten (0—30 Einheiten) auf, so veranschaulichen die den ein- zelnen Zeiten entsprechenden Ordinaten von O—10 die ungleichmässige \ era (& 10 15 20 25 30 Fig. 2. Zusammenziehung, von 710—30 die ungleichmässige Ausdehnung des Abdomens. Durch den Purkt e wird das Ende der Atmungskurve angedeutet. Die Ordinate, welche die durch die Exspiration und Inspiration hervorgerufene Abdomenschwankung darstellt, ist eine Funktion der Abszisse, bzw. der Zeit. Diese Funktion bestimmt die Form der Kurve. Die Atmungskurve gibt somit ein Bild vom zeitlichen Verlauf des variablen Atmungszustandes. Den jeweiligen Atmungszustand nenne ich Phase. Die Ordinate des Punktes 5 (des Wendepunktes) ist am grössten, sie zeiet somit das Maximum der Kontraktion an; in a und e ist die Ordinate — 0, die Kontraktion also ein Minimum. Die Geschwindigkeit der Zusammenziehung (der Exspiration), bzw. der Ausdehnung (der Inspiration) ist demnach um so grösser, je steiler der betreffende Teil der Atmungskurve erscheint. 36® 554 Johann Regen: Folgende Ausdrücke, die nur im Falle einer gleichartigen und gleichen Registrierung ihre Geltung haben können, mögen an dieser Stelle festgelegt werden. Durch eine Atmungskurve wird, wie erwähnt, ein Atemzug, durch mehrere aufeinanderfolgende Atmungskurven, bzw. Atemzüge eine Atmung veranschaulicht. Von zwei beliebigen Atemzügen nenne ich jenen den längeren, dem eine grössere Abszisse des Endpunktes der entsprechenden Atmungskurve!) zukommt. In analoger Weise wird von zwei beliebigen Atemzügen jener als der tiefere bezeichnet, bei dem die Ordinate des Wendepunktes der entsprechenden Atmungskurve grösser ist. Bei einem Atemzug, bzw. einer Atmungskurve kann die Exspiration und die Inspiration entweder scharf oder nach und nach einsetzen; der erste Atemzug wird stossweise, der zweite ruhig?) ausgeführt. Stossweises Atmen besteht aus stossweisen, ruhiges aus ruhigen Atemzügen. Stossweises und ruhiges Atmen?) sind zwei ver- schiedene Atmungsformen. Ein und dasselbe Tier kann bald stossweise, bald ruhig, bald tiefer, bald weniger tief atmen. Jene Atmungskurven, bzw. Atemzüge, bzw. jene Atmung nenne ich normal, die bei einem Tier unter natürlichen äusseren Verhältnissen am häufigsten angetroffen wird. Atemzüge, bzw. Atmungskurven, zu deren Wendepunkten eine viel kürzere Ordinate gehört als bei normalen, werden als schwach, im entgegengesetzten Falle als tief bezeichnet; dementsprechend wird eine schwache und eine tiefe Atmung unterschieden. Ein kurzer Atemzug ist kürzer als ein normaler, ein langer länger. Jene Atemzüge, bzw. Atmungskurven folgen langsamer auf- einander, deren Wendepunkte voneinander weiter abstehen. Daraus ergibt sich der Unterschied: langsamere, schnellere Atmung. 1) Bei diesen Betrachtungen ist stets der Koordinatenursprung in den An- fangspunkt der Atmungskurve zu verlegen. 2) Auch rasch aufeinanderfolgende Atemzüge können nach dieser Definition ruhig sein. 3) Die Unterschiede zwischen einer ruhigen und einer stossweisen Atmung sind nur bis zu einer gewissen mittieren Geschwindigkeit der Kymographion- trommel deutlich ausgeprägt. Rotiert diese aber sehr schnell, so verwischen sich die Unterschiede. Untersuchungen über die Atmung von Insekten etc. 555 Ein und dasselbe Individuum einer bestimmten Spezies kann bald langsamer, bald schneller atmen als normal. Bei diesem Tier ist die eine Atmung langsam, die andere schnell. Eine schnellere Atmung (bei gleicher Tiefe) oder eine tiefere (bei gleich schneller Aufeinanderfolge der einzelnen Atemzüge) als die normale ist die intensivere. Die Atemzüge, bezw. Atmungskurven können sich ohne Pausen aneinander reihen, oder sie sind durch Pausen voneinander getrennt. Die erste Art der Atmung nenne ich kontinuierlich, die zweite intermittierend. Regelmässig wird von mir jene Atmung genannt, bei welcher die Atemzüge, bzw. Atmungskurven gleich schnell aufeinander folgen und die homologen Kurvenäste untereinander kongruent, bzw. die homologen Ordinaten gleich sind. Folgen bei einer Atmung die Atemzüge nicht gleich schnell auf- einander, oder sind die homologen Äste der aufeinanderfolgenden Atmungskurven nicht kongruent, so wird eine solche Atmung als unregelmässig bezeichnet. Diese Unregelmässigkeit besteht darin, dass die aufeinauder- folgenden Atemzüge einerseits bald verschieden lang, bald wieder verschieden tief sind, andererseits bald ruhig, bald stossweise sich abspielen. Figurenerklärung. In den Abbildungen (Fig. 3—20) wird der exspiratorische Kurven- ast «ab mit e, der inspiratorische be mit x bezeichnet. Durch 2, 2, 3 u.s. f. über den einzelnen Atmungskurven wird, wo es notwendig ist, die Aufeinanderfolge der einzelnen Atemzüge angegeben. Mit 0, 1, 2,3 u.s.f. unter der einen Zeitlinie werden Sekunden, durch die Zähnchen der anderen Bruchteile von Sekunden an- gedeutet. Durch die Normalprojektion!) der Atmungskurve auf die Zeit- linie erhält man über die Zeitabschnitte, in denen sich die einzelnen Phasen jeder Atembewegung abgespielt haben, annähernd genaue Aufschlüsse. 1) Wegen der Kleinheit der Exkursionen und wegen der horizontalen Lage des Schreibhebels sowie wegen der verhältnismässig grossen Länge desselben ist der dabei gemachte Fehler sehr gering. 556 Johann Regen: Bei jeder Abbildung ist das Verhältnis des Fühlarmes zum Schreibarm in Klammern angegeben, woraus sich die Vergrösserung der Kurve ergibt. Misst man bei der Atmungskurve die Ordinate des Wendepunktes, die den grössten Ausschlag des Schreibarmes darstellt, so kann man unter Anwendung des genannten Verhältnisses den grössten Ausschlag des Fühlarmes ermitteln und somit feststellen, wie weit sich der mit dem letzteren (mittelst der Nadel OD, Fig. 1) in Be- rührung stehende Punkt des Abdomens bei dem betreffenden Atemzug dorsalwärts bewegt hat. Die Tiere atmeten bei einer Temperatur von etwa 20°C. Die Figuren geben Ausschnitte der Originalaufnahmen in ihrer natürlichen Grösse wieder. Bis jetzt wurden die Atembewegungen von zwei Vertretern der Grylliden und je einem Vertreter der Lokustiden und Akridier registriert. Die Gesamtlänge der erhaltenen Atmungskurven beträgt etwa 40 m. Im folgenden werden die Atmungeskurven von den untersuchten Tieren in der Reihenfolge der genannten Familien dargestellt und besprochen. l. Atmung unter normalen Verhältnissen. a) Atmungskurven von Gryllus ecampestris L. 2. Fig. 3 und Fig. 4 zeigen die Atmung des Versuchstieres unter den gleichen äusseren Verhältnissen. 4 3 A A oO il Fig. 3. (1:14). Verfolgt man in Fig. 3 die Entstehung der Kurve von rechts nach links'), so sieht man vier Atemzüge ziemlich regelmässig auf- einander folgen, den fünften etwas später. 1) bei allen übrigen Figuren ist, worauf ich hier aufmerksam machen will, die Kurve von links nach rechts zu lesen. Untersuchungon über die Atmung von Insekten etc. 557 Bei jeder Kurve sind die beiden Äste, welche die beiden Akte der Atmungstätigkeit vorstellen, deutlich voneinander zu unter- scheiden. Unter Berücksichtigung der Zeiten, in denen der exspiratorische und der inspiratorische Abschnitt der Atmungskurve (Fig. 3) ent- standen sind, ergibt sich folgendes: Die Exspiration wird schon nach einer sehr kurzen Zeit stark beschleunigt. Hierauf, etwa vom zweiten Drittel an, verzögert sie sich ein wenig und erreicht unter kurzer, aber starker Verzögerung den Wendepunkt. Die Inspiration verläuft anfangs mit grosser Geschwindigkeit, wird aber dann mässig und zuletzt auffallend stark verzögert, worauf sich bei sehr langsamer Atmung eine deutliche Inspirationspause an- schliesst. Fig. 4. (1:14). Beim ersten Atemzug dauerte die Exspiration 0,18, die In- spiration 0,56 einer Sekunde. Wie Fig. 4 zeigt, können bei Gryllus campestris schwache und kurze, tiefe und ziemlich lange Atemzüge unregelmässig mit- einander abwechseln; der Typus der Kurve bleibt jedoch derselbe. Die in Fig. 3 auftretende Kniekung des exspiratorischen Astes (bei e) ist in Fig. 4 bei der zweiten Atmungskurve weniger deutlich. Bestimmt man mit Hilfe eines Okularmikrometers die Grösse der Exkursion des Schreibstiftes in den beiden Atmungskurven in Fig. 4, so ergibt sich bei Anwendung des angeführten Verhältnisses der beiden Hebelarme, dass sich die Stelle des Abdomens, die mit dem Fühlarm in Berührung stand, beim ersten Atemzug etwa um 0,10 mm, beim zweiten um 0,42 mm dorsalwärts bewegt hat. Bei Gryllus campestris ist nach den bisherigen Unter- suchungen die Atmung zumeist stossweise und zwar bald kontinuier- lich (Fig. 3), bald intermittierend (Fig. 4). Die genannten Figuren zeigen den Typus einer stossweisen Atmung. 998 Johann Regen: Von regelmässiger Atmung im strengen Sinne der früher ge- gebenen Definition kann bei Gryllus campestris wohl nicht ge- sprochen werden. Wenn auch manchmal, sogar bei längerer Be- trachtung, die Atmung als regelmässig erscheint, erweist sie sich bei genauer Messung als nur annähernd regelmässig. Dasselbe gilt auch für andere bisher untersuchte Insekten. Ich bezeichne eine Atmung, die ohne vorgenommene Messung als regelmässig erscheint, als „fast“ oder „nahezu“ regelmässig. Die in Fig. 3 und Fig. 4 veranschauliehte Atmung von Gryllus campestris ist wohl unregelmässig zu nennen. b) Atmungskurven von Gryllotalpa vulgaris Latr. Ö. Fig. 5 veranschaulicht die tiefe Atmung des Versuchstieres. Die Exspiration setzt ausserordentlich prägnant ein und schreitet anfangs rasch, dann langsamer fort. An ihr Ende schliesst sich Fig. 6. (1:33). nach einer kurz andauernden Verzögerung die Inspiration an. Diese verläuft in ihrer ersten Hälfte geradezu rapid; in ihrer zweiten Hälfte aber wird sie zunächst schwach, hierauf stark verzögert, bis sie schliesslich in eine Inspirationspause überzugehen scheint. Hie und da atmet, wie aus der Fig. 6 zu entnehmen ist, Gryllotalpa vulgaris ausserordentlich schwach. In diesem Untersuchungen über die Atmung von Insekten etc. 559 Falle setzt sowohl die Exspiration als auch die Inspiration nicht scharf wie bei tiefer Atmung, sondern erst nach und nach ein. Bei Gryllotalpa vulgaris ist schwaches Atmen somit ein ruhiges, tiefes hingegen ein stossweises, wie bei Gryllus cam- pestris. Die in Fig. 6 veranschaulichte Atmung ist wohl als inter- mittierend zu bezeichnen; jene in Fie. 5 nähert sich sebr einer solehen. Vergleicht man die Atmungskurven von Gryllus campestris (Fig. 5) und Gryllotalpa vulgaris (Fig. 5), so erkennt man auf den ersten Blick den gleichen Typus der beiden Kurven. Die Exspiration, namentlich aber die Inspiration setzt scharf ein und beide verlaufen anfänglich mit grosser Geschwindigkeit. Gegen das Ende wird jedoch die Inspiration bedeutend stärker ver- . zögert als die Exspiration. Die genannten Atmungskurven unterscheiden sich jedoch hin- sichtlich der Inspiration, die sich in ihren ersten Phasen bei Gryllotalpa vulgaris viel rascher abspielt als bei Gryllus campestris. ec) Atmungskurven von Deecticus verrucivorusL. g. Die Atemzüge (Fig. 7) folgen nahezu regelmässig aufeinander. Die Exspiration setzt deutlich, aber in der Regel nicht scharf ein. Sie ist vom Anfangspunkte an gleichmässig beschleunigt, gegen Fig. 7. (1:14). den Wendepunkt hin gleichmässig verzögert und verläuft in der Mitte mit mässiger Geschwindigkeit. Die Inspiration wird anfangs schwach, dann kurze Zeit hin- durch etwas stärker beschleunigt und verlangsamt sich hierauf bis auf eine gegen das Ende derselben auftretende kurze, schwache Beschleunigung (die an anderen Stellen der Schleife vielfach fehlt) kontinuierlich, 560 Johann Regen: Die Exspiration dauert bedeutend kürzer als die Inspiration. Beim ersten Atemzug dauerte die Exspiration 0,10, die Inspiration 0,36 einer Sekunde. Fig. 8 stellt zum Unterschiede von Fig. 7 einen Abschnitt einer etwas weniger regelmässigen, intensiveren Atmung desselben Versuchs- tieres dar. Der Übergang der in Fig. 7 veranschaulichten Atmungsform zu der nachstehenden (Fig. 8) vollzieht sich auf folgende Weise: 1. die Exspiration verlängert sich; 2. die Inspiration wird verkürzt; 3. das deutliche Einsetzen der Exspiration verschwindet. Beide Kurvenäste erscheinen nun nahezu gleich, oder es kann hie und da, wie andere Stellen der Schleife zeigen, der exspiratorische Ast den inspiratorischen an Länge sogar übertreffen. Fig. 8. (1:14). Die in Fig. S abgebildeten Atmungskurven veranschaulichen den Typus einer kontinuierlich ruhigen Atmung. Die Atmung, welche Fig. 7 zeigt, nähert sieh der kontinuierlich ruhigen, in welche sie tatsächlich bei demselben Individuum nach und nach übergehen kann. Setzen aber die Fxspirationen schärfer ein, so nähert sie sich dann mehr der stossweisen Atmung. Sie bildet somit einen Übergang von der ersteren zur letzteren. Die Atmungskurven von Decticus verrucivorus unter- scheiden sich von den früher besprochenen in mehrfacher Be- ziehung: Die Exspiration, namentlich aber die Inspiration setzt bei Deeticus verrucivorus bei weitem nicht so scharf ein wie bei Gryllus campestris und Gryllotalpa vulgaris und ver- läuft anfangs auch bedeutend langsamer. Infolge dieser Unterschiede kann man die Atmungskurven. von Deetieus verrucivorus von denen der genannten zwei Spezies schon bei flüchtiger Betrachtung wohl unterscheiden. Untersuchungen über die Atmung von Insekten etc. 561 Die stossweise Atmung, die beiGryllus campestris (Fig. 3) nicht selten auftritt, finde ich nach den bisherigen Untersuchungen bei Deetieus verrucivorus kein einziges Mal. Wohl aber treten ähnliche Atmungskurven, wie sie in Fig. 8 veranschaulicht werden, bei Gryllus campestris auf. Die Atmungskurven der Fig. 9 zeigen die Atmung eines kurz vor dem Versuche gefangenen sehr scheuen Männchens. Dasselbe verhielt sich, in die Eprouvette gebracht, äusserlich einige Zeit ruhig. Es konnte also die Aufnahme leicht vorgenommen werden. Der Verlauf der Atmungskurven zeigt jedoch, dass im Ver- suchstiere innerlich während der Aufnahme eine gewaltige Unruhe gseherrscht hat. Diese kam bald auch äusserlich zum Aus- druck. Das Tier machte nämlich kurze Zeit darnach alle mög- lichen Anstrengungen, um aus der Eprouvette entrinnen zu können. Die Atmung ist wohl eine sehr unregelmässige. d) Atmungskurven von Arcyptera fusca. Pall. $)). Die Atmung ging langsam vor sich. Man sieht (Fig. 10) vier Atemzüge, zwischen denen sieh Pausen von immer längerer Dauer einzuschalten scheinen. I) Gleich Stetheophyma fuscum. 962 Johann Regen: Die Exspiration setzt zumeist deutlich ein und beschleunigt sich hierauf ziemlich ausgiebig. Aber schon nach kurzer Zeit wird sie stark verzögert und unter stetig wachsender Verzögerung wird das Maximum der Exspiration erreicht. Bei einzelnen Atmungskurven wird der exspiratorische Ast gegen dien Wendepunkt hin so flach, dass es den Anschein hat, als ob das Maximum einige Zeit festgehalten würde. Bei der Mehrzahl der Kurven ist das jedoch nicht der Fall. . Die stellenweise allzustark aufgetragene Berussung dürfte das präzise Funktionieren des Schreib- stiftes etwas behindert haben. Die Inspiration schreitet anfangs mit mässiger Geschwindigkeit fort, erlangt jedoch bald eine starke Beschleunigung. Infolge der nunmehr eintretenden starken Verzögerung wird die Ausgangslage nur ganz allmählich erreicht. Das deutliche Einsetzen der Exspiration und die starke Ver- zögerung gegen das Ende der Inspiration hat diese Kurve mit denen in Fig. 3 und Fig 5 gemeinsam; sie unterscheidet sich aber von den genannten auffallend durch das langsamere Wachsen der Fx- spiration. Hie und da steigt bei Areyptera fusca die Inspiration in ihren letzten Phasen noch etwas über die Einsatzstelle der Exspiration hinaus und senkt sich allmählich wieder bis zur Einsatzstelle, auf der sie nun bis zum Eintritt des nächsten Atemzuges verweilt. Bei Areyptera fusca wurde nach den bisherigen Beob- achtungen nur eine intermittierend stossweise Atmung angetroffen. Beim Uberblick der soeben beschriebenen Atmungskurven taucht nun die Frage auf: Welche Atmung ist bei den Insekten als die normale zu be- zeichnen ? Eine einzige Atmung allein kann nach den bisherigen Beob- achtungen als solche nicht angegeben werden. Die Insektenatmung variiert vielmehr sowohl hinsichtlich der Form als auch hinsichtlich der Tiefe: Arcyptera fusca atmet stossweise, Deeticus verruei- vorus ruhig, Gryllus eampestris und Gryllotalpa vul- garis atmen stossweise und ruhig. Gryllus campestris, Gryllotalpa vulgaris und Dec- tieus verrucivorus atmen bald schwach, bald tief, Gryllus Untersuchungen ‘über die Atmung von Insekten etc. 563 eampestris und Gryllotalpa vulgaris ausserdem bald kon- tinuierlich, bald intermittierend. Ausgedehntere Untersuchungen werden vermutlich zeigen, dass die Insekten je nach verschiedenen Umständen (die erst festzustellen sind) verschieden atmen. Die früher gegebene Definition hinsichtlich der schwachen und der tiefen Atmung muss nun dahin vervollständigt, bzw. erweitert werden, dass nicht nur eine mitteltiefe Atmung als die normale, sondern auch die schwache und die tiefe Atmung als normal zu gelten haben. Die beiden Tiefenextreme können mit „sehr schwach“ und „sehr tief“ angedeutet werden. Aus der Betrachtung der dargestellten Atmungskurven folst ferner, dass sich bei normaler Insektenatmung zwar keine Exspirations-, wohl aber eine Inspirationspause einzustellen pflegt, wie bei Gryllus campestris, Gryllotalpa vulgaris und Arcyptera fuseca. Des weiteren sind bei stossweiser Atmung die Unterschiede im zeitlichen Verlauf der Exspiration und der Inspiration bei den einzelnen Spezies schärfer ausgeprägt als bei ruhiger Atmung. Die Atmungskurven, welche die stossweise Atmung veranschau- lichen, in erster Linie die in Fig. 3 dargestellten, veranlassen mich zu folgender Auseinandersetzung: Die Zusammenziehung und die Ausdehnung des Abdomens werden durch Kräfte bewirkt, deren Natur eine verschiedene zu sein scheint. Die Kraft, welehe die Zusammenziehung des Abdomens, bzw. die Exspiration herbeiführt, setzt, wie aus der scharfen Biegung am Anfange des exspiratorischen Astes der Atmungskurven zu ersehen ist, fast sofort mit ihrer vollen Stärke ein,, wirkt nur eine verhält- nismässig kurze Zeit, aber mit nur wenig abnehmender Intensität und erlischt fast plötzlich, wofür einerseits die Steilheit und der schwach bogenförmige Verlauf des genannten Kurvenastes, anderer- seits die am Ende auftretende Knickung desselben spricht. Da hiebei nur Muskel- und Elastizitätskräfte in Betracht kommen können, da weiters die Muskelkräfte auf die beschriebene Art wirken, die Elastizitätskräfte aber, wie unten gezeigt werden wird, anders, so erscheint die Annahme, die Exspiration werde durch Muskeltätigkeit bewirkt, vollauf berechtigt. 564 ‘ Johann Regen: Betrachte ich den scharfen Knick, unter welchem der inspira- torische Kurvenast beginnt, sowie den weiteren Verlauf desselben, namentlich beim fünften Atemzug des Versuchstieres, so kann ich sagen: Nach rascher Erschlaffung der exspiratorischen Muskulatur ent- faltet die Kraft, welche die Ausdehnung des Abdomens, bzw. die In- spiration herbeiführt, sofort ihre volle Stärke, wirkt einige Zeit hin- durch fast gleiehmässig, wird jedoch dann schwächer und nimmt lange Zeit hindurch an Intensität kontinuierlich ab, bis sie schliess- lich verschwindet. Auf diese Art wirken die Hlastizitätskräfte (ich denke an eine zusammengedrückte Schraubenfeder, deren Kraft mit der fort- schreitenden Ausdehnung an Intensität kontinuierlich abnimmt) oder höchstens ein kompliziertes Muskelsystem. | | Somit kann die Inspiration weder durch einen einzigen Muskel noch durch mehrere zugleich wirkende Muskeln hervorgebracht ' werden. Es bleibt also nur die Möglichkeit einer zweifachen An- nahme: entweder wirken die Rlastizitätskräfte oder ein System von Muskeln, die nacheinander in Aktion treten. Da letzteres sehr un- wahrscheinlich ist, hat die Annahme, die Elastizität (der Abdominal- ringe und der Tracheen) dehne das von der Muskulatur zusammen- gezogene Abdomen wieder aus und führe dadurch die Inspiration herbei, die grösste Wahrscheinlichkeit für sich. Rathke!) kam auf einem ganz anderen Wece zu demselben Resultat, wodurch die vorstehenden Ausführungen, die sich nur auf die Form der Atmungskurven stützen, an Wahrscheinlichkeit noch gewinnen. Nach Rathke wird die Inspiration ausser durch die Elastizität ‚der Tracheen und der Hinterleibsringe auch durch „die dünne, seit- lich gelegne Stelle, die sich bei der Exspiration faltenartie nach innen einschlägt*, bewirkt. 2. Atmung unter abnormalen Verhältnissen. Bei diesen Versuchen handelte es sich um die Beantwortung der Frage, in welcher Weise abnormale äussere Verhältnisse auf die l) H. Rathke, Anatomisch - physiologische Untersuchungen über den Atmungsprozess der Insekten. Schriften d. k. phys.-ökon. Gesellsch. Königsberg, 1. Jahrg. 1860. Untersuchungen über die Atmung von Insekten etc. 565 Atmung der Insekten einwirken, bzw. inwiefern die normale Form der Atmungskurve durch solche Einwirkungen beeinflusst wird. Bis jetzt wurde die Einwirkung von Kohlendioxyd und die der Dekapitation auf die Atmung einiger Insekten etwas genauer studiert; der Einfluss verschiedener Temperaturen bleibt einer späteren Unter- suchung vorbehalten. A. Einfluss von Kohlendioxyd. Das Gas wurde durch Zersetzung von Kalkspat mit verdünnter Salzsäure erhalten und hierauf behufs Reinigung zuerst durch eine Waschflasche, sodann durch ein mit feuchter Watte gefülltes Glasrohr geleitet. Das so gereinigte Kohlendioxyd liess ich bei B (Fig. 1) anfangs in geringer, später in soleher Menge zum Versuchstier einströmen, dass die in der Eprouvette vorhandene Luft wenn nicht vollständig, so doch grösstenteils verdrängt wurde. Sobald das Tier in die Narkose verfiel, wurde die Zuleitung des Gases unterbrochen und das schwere Kohlendioxyd entwich nun bald durch die Öffnung bei A (Fig. 1) und durch den Spalt «ab aus der Eprouvette, worauf das Tier nach einiger Zeit aus der Narkose erwachte. Beim Beginn des Versuches setzte ich die Reeistrierapparate in Bewegung und beobachtete nun auf der berussten Schleife die Ein- wirkung des Gases auf die Atmung des Versuchstieres. Die folgenden Atmuneskurven veranschaulichen die Art und Weise, wie die Versuchstiere nach dem Erwachen aus der Narkose atmeten. a) Atmungskurven von Gryllus campestrisL. 2. Gryllus eampestris zeigt in der CO,- Atmosphäre ein charakteristisches Verhalten, das durch folgende nacheinander auf- tretende Erscheinungen gekennzeichnet ist: 1. Sehnellere Atmung. 2. Krampfhafte Kontraktion des Abdomens, Auseinanderklappen der Mundwerkzeuge und nach einiger Zeit erfolgendes Schliessen derselben. 3. Völliger Stillstand der Atmung und der Herztätigkeit !). 1) Das Stillstehen des Herzens konnte ich bei narkotisierten jüngeren Larven infolge der Durchsichtigkeit ihrer Haut unmittelbar nach deren Häutung mit Hilfe des Mikroskopes beobachten. — Mit dem Einsetzen der Atmung beim Erwachen aus der Narkose beginnt das Herz wiederum zu pulsieren. 966 Johann Regen: Aus der CO,-Atmosphäre gebracht, atmet das Tier nach dem Erwachen aus der Narkose zunächst schnell und schwach, dann lang- samer und tiefer. Die tiefere Atmung wird oft durch eine ausser- ordentlich starke Kontraktion des Hinterleibes eingeleitet. Verfolgt man die Atmungskurven in Fig. 11 und Fig. 12, die eine unmittelbare Fortsetzung der Fig. 11 bildet, und vergleicht man diese mit den normalen Atmuneskurven in Fig. 3, so bemerkt man folgende Erscheinungen, bzw. Unterschiede: 1. Die Exkursionen sind bald nach dem Erwachen des Tieres aus der Narkose wegen der schwachen Atmung desselben ausser- ordentlich klein (Fig. 11, bei A). Fig. 11. (1:14). Fig. 12. (1:14). 2. Das scharfe Einsetzen der Exspiration und der Inspiration verschwindet (Fig. 11, bei A); die Zusammenziehungen und Aus- dehnungen des Hinterleibes folgen fast gleichmässig aufeinander. 8. Die starke Verzögerung im letzten Abschnitt der Inspiration (Fig. 3) tritt hier offenbar wegen der schnellen Atmung nicht auf. 4. Das während der Narkose zusammengezogene Abdomen dehnt sich, wie das fortwährende Steigen der Atmungskurven von A gegen B in Fig. 11 zeigt, nach dem Erwachen des Tieres einige Zeit hindurch kontinuierlich aus. Aus der gleichzeitigen Betrachtung von Fig. 11 und Fig. 12 ergibt sich ferner: Untersuchungen über die Atmung von Insekten etc. 567 5. Die Atemzüge werden immer tiefer. 6. Nach und nach setzt die Exspiration immer schärfer ein; das Einsetzen der Inspiration hingegen bleibt unverändert. 7. Die Inspiration verzögert sich in ihren letzten Phasen immer mehr; der Verlauf der Exspiration hingegen bleibt sich gleich. Nachdem der Schreibstift die in Fig. 12 veranschaulichten Atmungskurven aufgezeichnet hatte, erfolgte die oben erwähnte ausser- ordentlich starke Kontraktion des Hinterleibes, worauf sich eine auf- fallende Wandlung in der Atmung des Tieres vollzog (Fig. 13). Fig. 13. (1:14). "Fig. 14. (1:14). Während vor der genannten Kontraktion die Exspiration schärfer einsetzte, setzte nunmehr die Inspiration schärfer, ja geradezu momentan ein. Die Atmungskurven in Fig. 13 entsprechen bereits im wesent- lichen der Normalform (Fig. 3, Fig. 4). Bei einem zweiten Versuch setzte das Tier nach der erfolgten Kontraktion des Hinterleibes nicht mit der normalen, sondern mit der in Fig. 14 veranschaulichten, bei einem dritten Versuch mit der in Fig. 15 dargestellten Atmungsform ein. In Fig. 14 wird das Maximum der Exspiration in der Regel unter zwei Zuckungen, einer stärkeren und einer nachfolgenden schwächeren, einige Zeit festgehalten. Allmählich verschwinden, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 37 568 Johann Regen: wie die Schleife zeigt, die genannten Zuckungen (die offenbar als Ausdruck einer sehr tiefen Atmung aufzufassen sind) und die Atmungskurven werden nun normal. Die Atmungskurven, die in Fig. 15 abgebildet sind, verhalten sich zu den normalen nahezu so wie ein Gegenstand zu seinem Spiegelbild. Während bei normaler Atmung der exspiratorische Ast unter einem Knick einsetzt und die Exspiration sich rascher abspielt als die Inspiration, erfolgt hier die Inspiration rascher; der inspira- torische Ast bildet einen Knick und geht unter einem flachen Bogen allmählich in den exspiratorischen über. Wie sich aus der Betrachtung des ganzen Verlaufes dieser Atmung ergibt, setzen die Exspirationen sukzessive immer schärfer ein; die Inspirationen hingegen verlaufen immer langsamer, bis die Knickungen Fig. 15. (1:14). der inspiratorischen Äste verschwinden und schliesslich die normalen Atmungskurven zum Vorschein kommen. Aus der Narkose erwacht, atmet Gryllus campestris somit zunächst ruhig, schwach und schnell, dann immer mehr: stossweise, tiefer und langsamer und dabei stets kontinuierlich, worauf nach einer starken Kontraktion des Hinterleibes die Atmung entweder so- fort oder nach einigen Übergängen normal wird. Die Einwirkung von Kohlendioxyd auf Gryllus campestris hinterlässt, wie mich die Erfahrung zu wiederholten Malen gelehrt hat, bei dem genannten Tier keine nachteiligen Folgen. Es können daher an demselben, während es sich in der CO,- Narkose befindet, sehr bequem operative Eingriffe zum Zwecke physio- logischer Untersuchungen ausgeführt werden. b) Atmungskurven von Gryllotalpa vulgaris Latr. d. Hier (Fig. 16) ist vor allem die sehr erhebliche Verlängerung der Exspiration gegenüber der Inspiration auffallend. Es tritt nämlich Untersuchungen über die Atmung von Insekten etc. 569 geradezu eine Fxspirationspause auf, durch welche die Kurve in- vertiert und sohin als eine Umkehrung der normalen Atmungskurve erscheint. Dreht man die Fig. 16 in der Ebene um 180° und liest sie von rechts nach links, statt wie früher von links nach rechts, dann ist sie einer normalen Atmungskurve ähnlich. Gryllotalpa vulgaris atmet nach dem Erwachen aus*der Narkose intermittierend stossweise wie unter normalen Verhältnissen. Während jedoch bei der normalen Atmung eine Inspirationspause 1 TER“ a In na ERNST SUN ZUorrrvnN DERRMEN SOTITODMEMENS SV SONNE nn ER Nmnaun Nanny 0 % 1 R 3 Age Fig. 17. (1:14). beobachtet wird, stellt sich hier, wie erwähnt, eine Exspirationspause ein, die bei so tiefer Atmung normalerweise nie vorkommen dürfte. Kohlendioxyd beeinflusst somit die Atmung von Gryllus campestris nach dem Erwachen des Tieres aus der Narkose in sanz anderer Weise als die von Gryllotalpa vulgaris unter den gleichen Umständen. Hier bewirkt es Erstickungserscheinungen, dort eine raschere Atmung; hier wird die Erschlaffung der Atmungs- muskulatur verzögert, dort nicht. ec) Atmungskurven von Arcyptera fusca Pall. 2. Während bei Arceyptera fusca unter normalen Verhältnissen (Fig. 10) ein intermittierend stossweises Atmen auftritt, ist die Atmung dieses Tieres nach dessen Erwachen aus «der Narkose kontinuierlich ruhig (Fig. 17, Fig. 18). Bye 570 Johann Regen: Die Atmung ist im letzteren Falle zunächst (Fig. 17) äusserst schwach, worauf die Kleinheit der Exkursionen hindeutet, aber ziemlich regelmässig. Exspirationen und Inspirationen erscheinen gegenüber der normalen Atmung verlängert. Die beiden Äste der einzelnen Atmungskurven sind nur wenig voneinander verschieden. Nach und nach werden die Atemzüge tiefer, und indem sich die Inspiration stetig verkürzt, kommt die in Fig. 18 dargestellte Atmungsform zum Vorschein. Kohlendioxyd übt somit unter gleichen Verhältnissen auf die Atmung von Areyptera fusca eine ähnliche Wirkung aus wie auf die von Gryllus eampestris, ANS ERRRINNDNON BERND SARLEB Den RBSEN OT ENNISTUTNTTENILRDESSS TITTEN mM [0] 4 P2 e\ o Fig. 18, (1:14). d) Decticus verrueivorusL. Z. setzt nach den bisherigen Versuchen nach dem Erwachen aus der Narkose sofort mit normaler, tiefer Atmung (Fig. 3) ein. B. Einfluss der Dekapitation. Die zahlreichen Berichte über die Lebenszähigkeit der Maul- wurfsgrille veranlassten mich, Untersuchungen anzustellen, in welcher Weise das Fehlen des Gehirnes die Atmung dieses Insektes be- einflusst. Zur Verhinderung des Blutverlustes wurde zunächst der enge Halsteil zwischen Kopf und Rumpf unterbunden und hierauf. die Trennung der genannten Körperabschnitte vorgenommen. Der Rumpf wurde nun in der Eprouvette AB (Fig. 1) in die gewünschte Lage gebracht und die Kymographiontrommel in Be- wegung gesetzt. Atmungskurven des Rumpfes von Gryllotalpa vulgaris Latr. Ö. Der Schreibstift zeichnete anfangs die in Fig. 19 abgebildeten, später jene in Fig. 20 dargestellten Atmungskurven auf. Untersuchungen über die Atmung von Insekten etc. 571 Aus dem Vergleich der genannten Figuren mit Fig. 5 ergibt sich unter Berücksichtigung des auf der Schleife verzeichneten Ver- laufes der Atmung folgendes: 1. Der Rumpf atmet längere Zeit unregelmässig weiter !), wird hie und da unruhig, setzt nach erfolgten Inspirationen oft durch mehrere Sekunden mit der Atmung fast ganz aus und beginnt wieder Fig. 19. (1:33). TAU) SDR ALLER AARAU N UNIV 4 5 6 Fig. 20. (1:33). zu atmen. Doch treten in der Regel keine wirklichen Inspirations- pausen ein, da sich die den Pausen entsprechenden Linien bei näherer Betrachtung zumeist als nicht vollkommen horizontal erweisen. Der Rumpf befindet sich sonach fast in ständiger Be- wWegung. 2. Die Atemzüge sind meistens tief. Sie erfolgen bald stoss- weise, bald mehr ruhig unter zahlreichen schwachen Zuckungen. 3. Die Atmungskurven weichen hinsichtlich ihrer Form gleich nach der Dekapitation von den normalen stärker ab als später. 4. Die Exspiration, bzw. die Zusammenziehung der Abdominal- muskulatur setzt nach der Dekapitation langsamer ein und vollzieht sich gegen das Ende der Ausatmung ebenfalls langsamer als bei einem normalen Tier. Dieser Unterschied ist anfangs (Fig. 19) grösser als später (Fig. 20). 1) Über den Abschluss dieser Atmung werde ich demnächst berichten. 572 Johann Regen: 5. Die Inspiration setzt bei normaler Atmung (Fig. 5) scharf ein und verläuft dann anfänglich ausserordentlich rasch; nach der Dekapitation hingegen (Fig. 19, Fig. 20) verlangsamt sich dieselbe auffallend stark. Die Abdominalmuskulatur ersehlafft somit infolge des Gehirn- mangels!) bedeutend langsamer als bei einem normalen Tier. 6. Unmittelbar nach der Dekapitation erscheint der Atmungs- akt gleichsam geteilt, d. h. auf den „Hauptatemzug“ folgt un- mittelbar ein „Nebenatemzug“ (Fig. 19z), eine Erscheinung, die später (Fig. 20) verschwindet. III. Ergebnisse. 1. Wesentlich und sehr charakteristisch für die Atmungskurven der bisher untersuchten Insekten ist es, dass die Atmung — be- sonders deutlich, wenn sie intermittierend stossweise vor sich geht — mit der Exspiration beginnt. Die Kontraktion des Abdomens und demnach das Austreiben von Luft aus dem Tracheensystem stellt somit den ersten und zwar aktiven Akt der Atmungstätig- keit dar. 2. Der zweite Akt der Atmungstätigkeit, die Inspiration, bzw. die Aufnahme von Luft in das Tracheensystem, ist wohl als einfaches, durch Hlastizität bewirktes, passives Zurückkehren des Hinterleibes in die Ausgangslage aufzufassen. 3. Die Exspiration geht unter normalen Verhältnissen stets direkt in die Inspiration über. Eine Exspirationspause wurde nach den bisherigen Untersuchungen hiebei nicht beobachtet; wohl aber kann eine Inspirationspause eintreten. Diese ist zum Unterschiede von der nur abnormal auftretenden, durch andauernde Muskelkontraktion herbeigeführten, demnach aktiven Exspirations- pause vollkommen passiv. 1) Vergleiche den tonischen Einfluss des sympathischen Binnennervensystems des Magens, bzw. des submukösen Plexus auf die Kontraktionsform der. Magen- muskulatur nach den unter der Leitung A. v. Tschermak’s ausgeführten Be- obachtungen von G. Kautzsch. Studien über die rhythmische Kontraktion der Froschmagenmuskulatur. Pflüger’s Arch., Bd. 117, S. 133—149. 1907. Ferner die Erörterungen A. v. Tschermak’s über tonische Innervation. Folia neuro- biologiea, Bd. 1, S. 30—37. 1907 und Bd. 3, S. 676—694. 1909. Untersuchungen über die Atmung von Insekten etc. 573 Die Insektenatmung. erscheint somit als das reine Gegenstück zu der Respiration des Menschen und der ihm zunächststehenden Säugetiere, bei denen bekanntlich die Respiration mit der Inspiration beginnt, eine Inspirationspause stets fehlt, die Inspiration eine aktive und die normale Exspiration eine rein passive ist. 4. Die Insekten atmen auch unter gleichbleibenden normalen Verhältnissen verschieden. Die Atmung kann nacheinander sein: unregelmässig, fast regelmässig; schwach, tief; stossweise, ruhig; kontinuierlich, intermittierend. Kontinuierlich ruhiges Atmen geht im allgemeinen regelmässiger vor sieh als intermittierend stossweises. 5. Die Form der Atmungskurve kann sowohl bei einzelnen Gruppen als auch bei einzelnen Vertretern derselben Gruppe vari- ieren. Bei stossweiser Atmung treten die Unterschiede in der Form deutlicher hervor als bei ruhiger. 6. Reichlicher Zusatz von Kohlendioxyd zur Atmungsluft ver- ursacht bei den bisher untersuchten Insekten völligen Stillstand der Atmung und das Erlöschen aller Reaktionen. Dauert die Einwirkung von Kohlendioxyd auf die Versuchstiere nur kurze Zeit, so erwachen sie aus ihrer Narkose und beginnen wieder zu atmen. Diese Atmung ist entweder sofort normal, oder sie unterscheidet sich anfangs von der normalen auf verschiedene Weise: Bei einigen Insekten wird die Atmung beschleunigt; Ex- spirationen und Inspirationen folgen rasch aufeinander. Bei anderen wird die Atmung verzögert; die Exspirationen‘ werden infolge der hinausgeschobenen Erschlaffung der Abdominalmuskulatur abnormal verlängert. 7. Dekapitation hat bei Gryllotalpa vulgaris eine Verzögerung nach Beginn und gegen Ende der Fxspiration, haupt- sächlich aber eine starke Verlangsamung der ganzen Inspiration zur Folge. 5 Das Gehirn scheint demnach namentlich auf die Form der In- spiration, somit hauptsächlich auf den zeitlichen Verlauf des Er- schlaffungsprozesses an der Abdominalmuskulatur von Einfluss zu sein, bzw. die Erschlaffung derselben wesentlich zu fördern. 574 Johann Regen: Untersuchungen über die Atmung von Insekten etc. Schlussbemerkung. Die hier angeführten Sätze gelten, wie ich ausdrücklich hervor- heben will, streng genommen nur für die bisher untersuchten vier Spezies, vielleicht auch noch für saltatore Orthopteren. Um allgemein gültige Schlüsse ziehen zu können, will ich diese Unter- suchungen nun systematisch fortsetzen und auf möglichst viele Insekten- ordnungen ausdehnen, wobei die Atmung dieser Tiere unter ver- schiedenen äusseren Verhältnissen beobachtet werden soll. Es soll aber auch das hier dargebotene Bild der Insektenatmung weiter ver- vollständigt werden, indem nicht nur die beiderseitigen Änderungen des heteropolen, sondern gleichzeitig auch die des homopolen Durch- messers des Abdomens sowie die Änderungen des letzteren in der Richtung der Hauptachse registriert werden. Methodologische Aufklärungen zur Physiologie der Schilddrüse. I. Mitteilung. Von E. von Cyon. Beim genaueren Studium der so reichhaltigen Literatur über die Funktionen der Gefässdrüsen gelangt man leicht zur Überzeugung, dass die grosse Divergenz in den Ergebnissen der verschiedenen Forscher in erster Linie von der häufigen Verwendung mangel- hafter Methoden herrührt. Bei der ausserordentlichen Verwicklung der in Betracht kommenden Prozesse ist es unvermeidlich, dass auch scheinbar geringe Abweichungen in der Ausführungsweise der Ver- suche zu ganz bedeutenden Gegensätzen in deren Resultaten führen müssen. Die polemischen Auseinandersetzungen mit mehreren For- schern, welche die Kontrolle meiner Ergebnisse unternahmen, hatten meistens ihren Grund in der unglücklichen Wahl von Methoden meiner Gegner, Methoden, die für die auf diesem Gebiete erforder- liche Präzision ganz unzureichend waren. Bekanntlich habe ich beim Studium der Verrichtungen der Ge- fässdrüsen und ihrer wirksamen Substanzen das meiste Gewicht darauf gelegt, in möglichst präziser Weise die Einflüsse zu eruieren, welche diese Substanzen auf die Funktionen sowohl der Zentren der Herz- und Gefässnerven, als auch auf ihre Stämme und periphere Endigungen ausüben. Die Zustände der Gefässnerven selbst, sowohl die physiologischen als die pathologischen, wurden, soweit möglich, immer genau in Rücksicht gezogen. Es gehört eine vollkommene Beherrschung der Physiologie der Blutzirkulation, sowohl in ihren Methoden als in ihren Ergebnissen dazu, um mit Erfolg Unter- suchungen in der von mir eingeschlagenen Richtung an Gefässdrüsen ausführen zu können. Für eine derartige Beherrschung der Methoden ist aber eine jahrelange Übung unerlässlich, und zwar nicht nur für die Anstellung der Versuche, sondern auch für eine richtige Deutung der erhaltenen graphischen Aufzeichnungen. 576 E. von Cyon: In Anbetracht dieser Schwierigkeiten pflegte ich in allen meinen Untersuchungen über die Gefässdrüsen immer sorgfältige Angaben über die gebrauchten Methoden und auch über die zu vermeidenden Versuchsfehler anzuführen. In jedem einzelnen Versuch wurde der Zustand des Versuchstieres und, wenn möglich, auch die besonderen Verhältnisse der Gefässdrüsen und der bei ihnen in Betracht kommen- den Nerven berücksichtigt. Ausführliche Tabellen und zahlreiche Figuren, sorgfältig aus den meistens viele Meter langen Kurven ge- wählt, wurden im Text oder in speziellen Tafeln wiedergegeben. Die Diskussion der während des ganzen Versuchsverlaufs erhaltenen Kurven umfasste die feinsten Schwankungen des Blutdruckes und der Herzschläge. Wenn die Physiologen und Pathologen, welche die Ergebnisse meiner Versuche prüfen wollten, sich die Mühe ge- geben hätten, den Text meiner Untersuchungen genauer zu studieren und, bei deren Wiederholungen, meine präzisen methodischen Hin- weise zu beobachten, so hätten sie mir, und auch sich selbst, pein- liche Polemiken erspart, die zu keinem Einverständnis führen konnten, eben weil es sich vorwiegend um methodoloeische Divergenzen handelte, Im Verlaufe meiner fast ausschliesslich in diesem Archiv er- schienenen Untersuchungen habe ich mehrmals nach Versuchsmethoden gesucht, die es gestatten würden, die Streitfragen beizulegen, ohne notwendigerweise zur Anwendung graphischer Methoden zur Messung des Blutdruckes und zur Zählung der Herzschläge zu greifen. Die mit Hilfe solcher Methoden angestellten Vorversuche haben ihre Ver- wendbarkeit demonstriert; die erhaltenen Ergebnisse waren aber un- zureichend, um veröffentlicht zu werden, als ich durch äussere Um- stände gezwungen war, auf das weitere Experimentieren zu ver- zichten. Ich beabsichtigte aber, bei Gelegenheit diese Methoden mit Angabe der bei den Vorversuchen gewonnenen. Erfahrungen zu be- schreiben, um deren weitere Ausarbeitung zu ermöglichen. Die soeben erschienenen Mitteilungen von Leon Asher und Martin Flack: „Die innere Sekretion der Schilddrüse und die Bildung des inneren Sekretes unter dem Einfluss von Nervenreizung“ !) veranlassen mich, zu dieser Veröftentlichung viel früher zu schreiten, als beabsichtigt war. Diese Mitteilungen umfassen so ziemlich alle Hauptfragen, welche beim Studium der Schilddrüsen in Betracht 1) Zeitschr. f. Biol. Bd. 55. Methodologische Aufklärungen zur Physiologie der Schilddrüse. I. 577 kommen. Sie bieten also ganz besonderes Interesse für die Auf- klärung des Wertes der verschiedenen bei der Lösung dieser Fragen verwendeten Methoden. Die Besprechung dieser: Mitteilungen wird also gewissermaassen als passende Einleitung zu den beabsichtigten methodologischen Aufklärungen dienen. Aus den einleitenden Zeilen der vorläufigen Mitteilung von Asher und Flack!) erfährt man, nicht ohne einiges Erstaunen, dass bis jetzt noch der Nachweis fehlt, die Schilddrüse sei ein Organ für innere Sekretion. „Es ist ferner unbekannt,“ lesen wir weiter, „ob die spezifische Funktion der Schilddrüse unter der Herrschaft des Nervensystems steht. Es ist bewiesen worden, dass die N. laryngei sup. mächtige Gefässerweiterer für die Schilddrüsengefässe enthalten.“ Leon Asher und Martin Flack unternahmen es, diese bedauer- lichen Lücken auszufüllen und den Nachweis zu liefern, dass die Schilddrüse ein inneres Sekret liefert und dessen Bildung unter dem Einfluss der Nerven steht. Ihr Versuchsplan bestand darin zu prüfen, „ob während der Reizung des peripheren Endes der durchschnittenen N. laryngei eine erhöhte Erregbarkeit des N. depressor nachweisbar wäre; v. Cyon hat die Beobachtung gemacht, dass intravenöse In- jektionen von Jodothyrin unter verschiedenen Bedingungen die Er- reebarkeit des N. depressor erhöht“. Asher und Flack wählten daher als Kriterium der inneren Sekretion der Schilddrüse die Erregbarkeitssteigerung des N. de- pressor. „Eine weitere Diskussion ist nicht nötig,“ schreiben sie, „da unsere positiven Ergebnisse die Angelegenheit für unsere Versuchsanordnung entschieden haben.“ Diskussion wäre in der Tat unnötig; kritische Prüfung der „Ergebnisse“ aber ist dringend angezeigt. Ich habe in der Tat auf experimentellem Wege vor Jahren festgestellt, dass die beiden N. laryngei — und nicht nur der Laryngeus sup. — Nerven für die Schilddrüsen abgeben. Diese Nerven werden als Nervi thyreoidei bezeichnet; sie wurden sorg- fältig isoliert und beschrieben, sowohl beim Kaninchen als beim Hunde und Pferde; ihre anatomische Lagerung, ihre Verbindungen mit den übrigen Halsnerven, die von ihnen gebildeten Nervennetze sind in meiner ersten Arbeit über die Schilddrüse genau abgebildet 1) Zentralbl. f. Physiol. 1910 Nr. 6. 978 E. von Cyon: worden !). Die Reizung eines N. thyreoideus der einen Seite er- zeugte bedeutende Erweiterungen des Blutstroms und Anschwellungen der Lymphgefässe; die Blutmenge, welche die betroffene Drüse während solcher Reizung durchströmte, war so beträchtlich, dass in der Karotis der anderen Seite der Blutdruck um 10—20 mm zu sinken pflegte. Andererseits wurde auf die verschiedenste Weise, direkt durch Einspritzungen des Baumann’schen Jodothyrins, und indirekt, durch Experimente an Tieren, deren Schilddrüsen vorher extirpiert oder kropfig entartet waren, tatsächlich erwiesen, dass die Depres- sores unter dem Einfluss des Schilddrüsensekrets bedeutend an Erreebarkeit zunehmen. Trotzdem Asher und Flack alle diese neuen Tatsachen als unbewiesen erklären, unternehmen sie es den- noch, ihren Versuchsplan auf eben diese Tatsachen aufzubauen. Sie begehen also bei ihren Versuchen den bekannten logischen Fehler, den Philosophen als petere principium bezeichnen: Tatsachen, die erst bewiesen werden sollen, werden als sicherer Ausgangs- punkt für die anzustellenden Versuche gebraucht. Die ausführliche Mitteilung der Untersuchung von Asher und Flack in der Zeitschr. f. Biol. Bd. 55 wird trotzdem nicht ver- fehlen, besondere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die grosse Zuversicht, mit der die Verfasser so ziemlich sämtliche bis jetzt be- kannten Leistungen auf dem Gebiete der Physiologie der Schild- drüsen einer absprechenden Kritik unterziehen, die in der Behaup- tung gipfelt, dass jene nicht einmal imstande waren, die Rolle der Sehilddrüse als Organ für die innere Sekretion festzustellen, wird auf den oberflächlichen Leser nicht ohne Eindruck bleiben. Wenn eine einzige neu aufzubauende Versuchsanordnung imstande ist, die ganze Physiologie der Schilddrüse und alles Unbewiesene streng und präzise zu begründen, so müssen die dabei verwendeten Methoden wirklich von epochemachendem Werte sein. Es ist daher an- gezeigt, diese wunderbare Anordnung und die Methoden, welche sie realisiert haben, etwas näher zu prüfen. Die Ergebnisse von Asher sollen nur so weit analysiert werden, als dies für die Abschätzung 1) E. v. Cyon, Beiträge zur Physiologie der Schilddrüsen und des Herzens. Pflüger’s Arch. Bd. 70 und auch im Verlag von Martin a gesondert erschienen. Bonn 1898. Methodologische Aufklärungen zur Physiologie der Schilddrüse. ._ 579 ihrer Versuchsanordnung und Methoden erforderlich ist. Beginnen wir mit der Besprechung der Narkotisationsmethoden Asher’s bei Versuchen an den Gefässdrüsen. 1. Die Narkotisationsmethoden bei Versuchen an den Gefässdrüsen. An der Spitze des Abschnitts „Methodik* lesen wir bei Asher und Flack folgendes: „Kaninchen und Hunde bekamen eine sub- kutane Morphiuminjektion und wurden während der Dauer des Ver- suches durch Äther in Narkose erhalten. Bei den Katzen verwandten wir Äther, Chloroform und mehrfach Äther und Urethan.“ Im weiteren Verlaufe ihrer Versuche zögerten sie nicht, ausser den auf- gezählten Giften bei der Narkose noch Skopolamin zu verwenden. Die gleichzeitige Anwendung mehrerer dieser Gifte in Versuchen, wo es sich darum handelt, die Verrichtungen der Herz- und Gefäss- nerven, bis in die feinsten Abstufungen ihrer Erregbarkeitszustände, zu prüfen, muss gewichtige Bedenken erwecken. Es handelt sich hier um eine der heikelsten Aufgaben, die beim Experimentieren am Nervensystem des Herzens und der Gefässe in Betracht kommen. Schon vor mehr als 40 Jahren habe ich eine Reihe von Unter- suchungen über das Gefäss- und Herznervensystem angestellt, welche mir Gelegenheit gaben, die Wirkungen der gewöhnlich gebrauchten Narkotiei auf dieses Nervensystem genauer zu studieren. Das über- raschendste Resultat dieser Studien war, dass Chloroform, Chloral, Äther usw. imstande sind, bestimmte Gehirn- und Rückenmark- zentren so gewaltig zu beeinflussen, dass sie manchmal eine voll- ständige Umkehr ihrer normalen Funktionen erleiden. Die be- treffenden Untersuchungen wurden zuerst der Pariser Akademie der Wissenschaften am 30. August 1869 kurz mitgeteilt; sie erschienen dann unter dem Titel „Hemmungen und Erregungen im Zentral- system der Gefässnerven“ im Bulletin de ’Acad&mie Imp6riale des Sciences de St. Petersbourg vom 22. Dezember 1870. Darauf folgte in den 70er Jahren in diesem Archiv eine grössere Anzahl von Untersuchungen über diesen Gegenstand, die zu sehr lebhaften Aus- einandersetzungen mit mehreren Forschern, unter anderen mit Heidenhain, Eckhardt usw.!), Veranlassung gaben. 1) Sämtliche darauf bezügliche Untersuchungen und polemische Auseinander- setzungen sind in meinen „Gesammelten physiologischen Arbeiten“, Berlin 1887 bei Hirschwald, erschienen. - 380 E. von Cyon: Im Besinn meiner Untersuchungen über die Schilddrüse musste ‚ich bei der Wahl der Narkotisationsmittel die Frage über die schäd- lichen Beeinflussungen des sensiblen und sekretorischen Nervensystems dureh Chloroform, Chloral, Äther und Morphium von neuem vor- nehmen. Diese Beeinflussung äussert sich, je nach dem Versuchs- thema, in verschiedenem Sinne. Die Erregbarkeit der zur Reizung gelangenden Nerven wird entweder herabgesetzt oder erhöht und kann, wie gesagt, in gewissen Fällen bis zu einer vollständigen Um- kehr ihrer gewöhnlichen Funktionen führen. Besonders häufig musste diese Frage bei der Besprechung und Verwertung der von englischen Physiologen bei ihren Versuchen an den Gefässdrüsen gewonnenen Ergebnissen erörtert werden, da diese Ergebnisse ihrer Versuche mit Reizungen der Gefäss- und Herznerven, nach Einführung der wirk- samen Substanzen der Gefässdrüsen, fast immer im vollen Gegensatz zu den von den kontinentalen Physiologen gewonnenen standen. Der ausgezeichnete Forscher W. Howell war einer der ersten, welcher den wahren Grund dieser Gegensätze ausdrücklich hervor- gehoben hat. Dies geschah bei Gelegenheit der Veröffentlichung seiner Versuche über die Wirkungen der Hypophysenextrakte, deren Ergebnisse in vollem Widerspruch zu denen von Oliver und Schäfer standen. Seit der Veröffentlichung des Antivivisektionsgesetzes sind nämlieh die englischen Physiologen gezwungen, an den Tieren nur in tiefer Narkose durch Chloroform, Morphium, Äther usw. zu operieren. Dieser Zwang zeigt sich bei Untersuchungen über die Gefässdrüsen, wegen der eben genannten Beeinflussung, fast immer verhängnisvoll, insbesondere, wenn es sich darum handelt, die Wirkungen der von ihnen sezernierten Stoffe auf die gefäss-erweiternden und verengernden Nervenzentren oder auf die hemmenden und erregenden Fasern und Ganglien des Herzens zu studieren!). Beim Experimentieren an der Schilddrüse, deren wirksame Substanzen so gewaltig die Funktionen der betreffenden Nerven beherrschen, dass ihre Exstirpation eine vollständige Umwälzung in: den Funktionen der Depressores, der Vagi und der Sympathiei erzeugt, die ich als Nerventollheit bezeichnen musste, ist es daher durchaus angezeigt, Chloroform, Chloral, Äther usw. streng zu vermeiden. Diese Stoffe, 1) Siehe „Die Gefässdrüsen als regulatorische Schutzorgane des Zentral- nervensystems“ S. 124ff. Julius Springer, Berlin 1910. Methodologische Aufklärungen zur Physiologie der Schilddrüse I. 581 wie manche andere, sind nämlich an sich schon imstande, eine Ver- wirrung ihrer Funktionen zu erzeugen oder jedenfalls dieselben eganz bedeutend zu modifizieren. Diese Tatsache, besonders die Umkehr, ist Asher nicht un- bekannt gewesen, da er mehrmals in seiner Arbeit darauf zurück- kommt, so z. B. bei der Zitierung der interessanten Beobachtung von’ Bayliss, dass bei Strychuinvergiftung die Erregung des Depressors, statt einer Senkung, stets eine Steigerung des Blut- drucks erzeugt. Eine derartige Umkehr der Funktionen kommt gerade beim Depressor höchst selten zum Vorschein. Ausfall der Senkung bei der Erregung des Depressors habe ich oft genug unter verschiedenen Umständen zu ‚beobachten Gelegenheit gehabt, nämlich auch im Laufe der Versuche an den Gefässdrüsen; eine vollständige Umkehr dagegen nur einmal, nämlich bei meinen Versuchen über den Einfluss hoher barometrischer Drucke auf das Nervensystem. Als ich Kaninchen reinen Sauerstoff unter dem Druck von zwei Atmosphären einatmen liess, beobachtete ich ein paar mal eine der- artige Umkehr. „Dans ce cas l’exeitation du depresseur produit une augmentation de la pression sanguine; l’exeitation des autres nerfs sensibles produit une diminution de cette pression“, schrieb ich in einem Vortrage, Sur les actions nerveuses mod6ratrices“, gehalten in der Physiologischen Sektion des Internationalen Kongresses der Medizin am 27. August 1878. Die von Bayliss gemachte Beobachtung bei Strychninvergiftung war daher für mich von grossem Interesse. Damit aber die erzielte Umkehr der Funktionen des Depressors als die alleinige Folge der Strychninwirkung gelten könne, wäre es erforderlich gewesen, das- selbe Experiment an einem nur curaresierten Tiere zu wiederholen. Leider hat Bayliss, auch bei der Demonstration seines Strychnin- versuchs am Physiologenkongress in Heidelberg nicht unterlassen, die in England obligatorische Narkotisierung des Tieres mit Chloro- form, Äther usw. anzuwenden. Asher und Flack waren von solehem Zwange frei, sie hätten daher besser getan, bei ihren Ver- suchen Komplikationen zu vermeiden, welehe eine richtige Deutung deren Ergebnisse geradezu unmöglich machen. Sie schienen übrigens selbst die Gefahren ihrer Narkotisierungs- methoden erkannt zu haben. So schreiben sie: „Es könnte über- flüssig erscheinen, wegen der Narkose Worte zu verlieren; trotzdem müssen wir bei ihr verweilen, um zu betonen, dass eine tadellose 583 E. von Cyon:; Narkose bei den Versuchen, wie den nachfolgenden, eine unumgängliche Notwendigkeit it. Wo es sieh darum handelt, Unter- schiede im Blutdrucke oder gar Erregbarkeits- unterschiede von Nerven!), insbesondere solchen, die zentralwärts erregen, zu beobachten, muss die Narkose eine derartige sein, dass ausschliesslich der geplante Versuchseingriff einen Einfluss auf die genannten beiden Versuchsvariabeln hat. Speziell bei Kaninchen, aber auch bei den anderen Tieren, kann man Phasen der Narkose beobachten, wo Schritte durch das Zimmer, Geräusche und vor allem gewisse unver- meidliche mechanische Manipulationen bei den Ver- suchseingriffen an dem sonst ruhig daliegenden Tiere Schwankungen des Blutdruckes, folglich auch Er- regbarkeitsschwankungen im Zentralnervensystem verursachen. Es kann sich leicht ereignen, dass jedesmal während einer Nervenreizung oder während einer intravenösen Injektion der gleiche Effekt eintritt, 'gar nicht infolge dieser beiden Faktoren, sondern deshalb, weil jedesmal die gleiche nicht zur Sache Manipulation am Tiere gleichzeitig stattfand.“ In Versuchen, wo die Bestimmung der Blutdruckschwanku en als einziges Kriterium für die Verwertung der Ver- suchsergebnisse dienen soll, sind sicherlich die von Asher und Flack beschriebenen Versuchsstörungen sehr zu bedauern. Die Autoren hätten sie, zum grossen Teil wenigstens, vermeiden können, wenn sie nicht den Fehler begangen hätten, ihre Versuchs- tiere mit Mischungen von Äther, Chloroform, Urethan, Morphium, Skopolamin usw, zu vergiften. Während der vielen Jahrzehnte, wo ich Tausende von Versuchen mit Messungen des Blutdrucks angestellt habe, erinnere ich mich nicht, je Gelegenheit gehabt zu haben, von derartigen Veranlassungen zu Schwankungen des Blutdruckes ge- stört worden zu sein. Auch habe ich nie Klagen über derartige Störungen von seiten anderer Forscher auf diesem Gebiete gehört. Es ist daher unbegreiflich, wie Asher, der mit Recht grosses Ge- wicht auf die Präzision seiner Versuchsmethoden legt, und viele Seiten seiner betreffenden Mitteilung deren Lobpreisung gewidmet hat, ohne diese in die Augen springende Fehlerquelle zu er- kennen. 1) Von mir gesperrt. Methodologische Aufklärungen zur Physiologie der Schilddrüse I. 583 Sogar das so viel bei Narkosen verwendete Morphium.ist im- stande, die Erregbarkeitsverhältnisse der Herz- und Gefässnerven, oft in sehr sehädlicher Weise, zu beeinflussen. Hermann Munk hatte noch unlängst solche störende Einflüsse sogar auf die Erregbarkeit der motorischen und sensiblen Hirnzentren hervorgehoben. In England beginnt man übrigens einzusehen, dass die den Physiologen aufgezwungenen Narkotisationsmittel eine Quelle von Irrtümern schaffen körnen, besonders bei Versuchen an den Herznerven. So schrieb mir vor einigen Jahren einer der hervorragendsten englischen Physiologen: „May not the peculiar susceptivity of the cardiac beat to chloroform (resp. ether) be due to the drug acting on nervous elements in the heart necessary for the heart’s beat? No doubt you have had such reflexions.“ So musste ich mehrmals bei entscheidenden Versuchen an den Gefässdrüsen sogar auf die Morphiumnarkose verzichten, um ein- deutige Resultate bei der Prüfung ihrer wirksamen Substanzen zu erhalten. Nur bei den Versuchen an der Hypophyse war ich einige- mal durch die Schwere der Operationseingriffe veranlasst, Äther zu verwenden; und auch dies nur beim Hunde. „Die Anwendung von Chloral und Chloroform soll ganz vermieden werden, schrieb ich, weil deren bekannte Wirkungen auf die Zentren der Herz- und Ge- fässnerven es fast unmöglich machen, reine Hypophysenwirkungen auf Blutdruck und Herzschlag zu erhalten.“ (Die Gefässdrüsen usw. Seite 140.}J „Bei guter Narkose“, geben auch Asher und Flack zu, „haben selbst kleine konstante Unterschiede eine grosse Be- deutung, während bei nicht euter Narkose selbst grossen Unter- schieden gegenüber ein kritisches Misstrauen am Platze ist“ (S. 91). Eben weil ihre Narkotisationsmethoden sehr mangel- haft waren, findet man in ihrer ganzen Mitteilung kaum eine einzige echte Depressorkurve. 2. Die Reizungs- und Operationsmethoden von Asher und Flack. Es wäre aber ungerecht, die Narkose als die einzige Quelle zu betrachten für die störenden Blutdrucksehwankungen, über welche Asher und Flack Klage führen. Ihren uuzuverlässigen Reizungs- und Operationsmethoden gehört ein grosser Anteil an dem Miss- erfolg ihrer Versuchsmethoden. Ehe wir zur Prüfung dieser Methoden schreiten, ist es aber zuerst erforderlich, folgende Hauptfrage zu er- ledigen: Welche Nerven haben diese Autoren im Laufe ihrer Ver- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 38 984 E. von Cyon: suche eigentlich den Reizungen unterzogen, wenn sie von Reizungen der Schilddrüsennerven sprechen? Eine präzise Antwort auf diese Frage kann allein über den Wert des Asher’schen Beitrags zur Physiologie der Schilddrüse die definitive Entscheidung treffen. Am Schluss ihrer „Methodik“ lesen wir zwar: „Über die Reizung der Drüsennerven ist nichts Besonderes zu bemerken.“ Das Warum dieser auffälligen Zurückhaltung wird aber nicht angegeben. Da- gegen wird der folgende Abschnitt überschrieben: „Die Wirkung der Reizung derSchilddrüsennerven aufBlutdruckund Pulszahl.“ Man wird aber vergeblich in der ganzen Arbeit von Asher und Flack nach Experimenten suchen, wo die Schilddrüsen- nerven tatsächlich direkt gereizt worden wären. Weder über die Lagerung, noch über die Reizung der angeblichen N. thyreodei findet man darin irgendwelche Angaben. Überall wird nur allgemein von der Reizung der Laryngei gesprochen. Nun führen diese letzteren Nerven hauptsächlich sensible und motorische Fasern für den Larynx, den Pharynx und — wahrscheinlicb — auch für die Trachea und die grossen Bronchien. Der Laryngeus inferior gibt ausserdem noch acceleratorische Fasern an das Herz ab. Meine anatomischen und experimentellen Studien über die Schilddrüse haben freilich den bestimmten Nachweis geliefert, dass bei Kaninchen, Hunden und Pferden die Nervi laryngei ebenfalls Fasern an die Glandula thyreoidea abgeben. Versuche mit direkter Reizung der isolierten Schild- drüsennerven haben aber, ausser der Wichtigkeit ihrer Funktionen noch festgestellt, dass es deren mehrere gibt, die ihrerseits in ihrem Verlaufe zahlreiche Anastomosen eingehen; abgesehen von den Laryngei erhalten sie noch Nervenfäden von dem Depressor, vom Halssympathieus und manchmal auch direkt vom Vagus, Nervenfäden, deren spezielle physiologische Bestimmung sich meistens experimentell feststellen liess. Auch in der Mitte des Halses bilden sie Anasto- mosen mit den dort befindlichen Nervennetzen, auf welche schon Ludwig und ich in unserer Depressorarbeit vom Jahre 1866 auf- merksam gemacht haben. In den „Beiträgen zur Physiologie der Schilddrüse usw.“, die in diesem Archiv erschienen waren, habe ich die anatomische Lage- rung der Schilddrüsennerven und ihre Verbindungen, sowohl mit den umgebenden Nervenstämmen, als mit der Drüse selbst in mehreren Varianten bildlich dargestellt. Bei Methodologische Aufklärungen zur Physiologie der Schilddrüse. I. 585 ihrer Beschreibung erklärte ich ausdrücklich, dass mit dem als Bei- spiele angeführten Varianten deren Zahl bei weitem noch nicht er- schöpft ist. In den entsprechenden Versuchsprotokollen und Tabellen wurden mehrmals die Schilddrüsennerver bezeichnet, welche tatsäch- lich gereizt wurden. Nie hätte ich mir erlaubt, so weitgehende Schlüsse über die Rolle dieser Nerven aus meinen Reizversuchen zu ziehen, wenn die Reizungen nicht direkt an den Schildrüsennerven vollzogen wären. Nicht einmal der Schluss, die von den Laryngei abgehenden Fasern greifen in die Verrichtungen der Drüse direkt ein, wäre gewagt, wenn gewisse Ergebnisse bei Reizungen der Laryngei nicht manchmal analog den Erfolgen der direkten Erregung der Nervi gewidmet, thyreoidei gewesen wären. Sehen wir nun zu, worin die Reizungsversuche von Asher und Flack der Nervi laryngei bestanden. Die kurze Beschreibung in ihrem drei Seiten langen Abschnitt, der Methodik ihrer Versuche gewidmet, lautet folgendermaassen: „Die Nervi laryngei sup. wurden in ihrer ganzen Länge vom Abgange aus dem Vagus bis zum Eintritt in den Kehlkopf freigelegt und die Abgangsstelle der Wurzel zum N. depressor festgestellt. Dicht peripheriewärts davon, mit sorg- fältiger Schonung des Depressors, wurden die Laryngei sup. durchschnitten und mit einem langen Faden abgebunden. Die N. laryngei infer. wurden tief unten an der Thoraxapertur aufgesucht, eine kurze Strecke weit vom Ösophagıs frei- präpariert, durchschnitten und die peripheren Enden abgebunden. Die Nerven kamen entweder in Glasröhrenelektroden von Gotch, beziehentlich ähnlich kon- struierte von Asher, oder in die Ludwig’schen Hartgummielektroden. Die Elektroden wurden aus den tierischen Teilen herausgehoben und mit Fäden an einem horizontalen, in einem Stativ befestigten Glasstab angeschlungen. Hier- durch waren Stromschleifen auf irgendwelche andere Teile ausgeschlossen. Die Nervi depressores wurden in bekannter Weise präpariert, abgebunden und durch- schnitten. Behufs Reizung wurde der Nerv jedesmal aus dem Wundspalt auf gut mit Kochsalzlösung angefeuchtete Platinhandelektroden aufgelagert und nach stattgehabter Reizung wieder in den Wundspalt zurückgelagert.“ (8. 91.) Die weitaus grösste Zahl der von Asher und Flack aus- geführten Versuche, welche sie als entscheidend halten, ist an Kanin- chen ausgeführt worden. Dies geschah wahrscheinlich wegen der grossen Leichtigkeit der Präparation des Depressors. Die Nn. laryngei sup. wurden peripher von dem Depressor durchschnitten und mit einem langen Faden abgebunden. Mit keinem Worte wird an- gegeben, ob die sehr zarten Fäden, welche von dem Depressor zu den Schilddrüsen gehen, und zwar nicht immer auf dem Wege des 38 * 986 ‚ E. von. Cyon: Laryngeus —, sich ausserhalb der Abbindungsstelle befanden. Bei der Zartheit der Fäden und der Kürze ihres Verlaufs wäre übrigens eine solche Konstatierung auch nicht leicht ausführbar. Über die Zweige desN.thyreoideus, die vom N. communicans der beiden Laryngei und vom Sympathieus herkommen, wird ebenfalls kein Wort gesagt. Das gleiche Schweigen wird über die Länge der Strecke des Laryngeus inferior beobachtet, welche der Reizung unterzogen wird. Nun spielt schon der Depressorzweig der Schilddrüse eine grosse Rolle bei der Erweiterung ihrer Gefässe. (Siehe Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse S. 21—24 und die nämlichen Seiten in „Die Gefäss- drüsen“ usw.). Es muss daher die Frage aufgeworfen werden, ob Asher und Flack bei der Reizung der Laryngei wirklich je die wichtigeren Schilddrüsenfasern in Erregung versetzt haben. Direkt geschah dies sicherlich nieht. Nur auf die Muskeln des Larynx usw. vermochte ihre Reizungsweise bestimmt einen Einfluss auszuüben. Wenn die Schilddrüsenfasern bei ihrer Reizungsmethode zufällig dabei mit in Erregung versetzt wurden, so konnte dies nur vermittelst der Strom- schleifen geschehen, welche von der Nachbarschaft der Reizungs- stellen auf sie übersprangen. Asher und Flack versichern zwar, dass Stromschleifen auf irgendwelche andere Teile „bei ihren Ver- suchen unmöglich waren“, liefern aber nicht den geringsten Beweis dafür. Bei ihren Versuchen waren nämlich immer auf jeder Seite des Halses zwei Stromquellen tätie; wenn der Laryngeus infer. mit- gereizt wurde, sogar drei Stromquellen. Die Stromstärken waren sehr bedeutend, 450 bis 1000 E. für jeden Laryngeus. Asher und Flack glaubten sich gegen die Stromschleifen gesichert zu haben, indem sie für diese Nerven Glasröhren- und Hartgummielektroden benutzten, die an Stativen befestigt waren. Nur für den Depressor benutzten sie angefeuchtete Platiuhandelektroden; die leiseste Er- schütterung des Tisches und der Stative, wie sie bei ihren Mani- pulationen ja selbst beschreiben, müsste schon das Anliegen der Nerven auf die Elektroden unsicher machen. (Siehe S. 90 ihrer Mitteilung.) Ein sicherer Beweis dafür, dass Asher und Flack bei ihren Laryngeusreizungen nieht dieSchilddrüsen- nervenin Erregung versetzten,gehtausfolgenden Tat- sachen hervor: Die alleinige Reizung des peripheren Endes des Laryngeus sup. blieb nach ihrer Behauptung immer ohne jede Wirkung auf den Blutdruck. Nun erzeugten in meinen Versuchen direkte Methodologische Aufklärungen zur Physiologie der Schilddrüse. I. 587 Reizungen der Schilddrüsennerven immer Blutdrucksenkungen von 10—20 mm. Asher und Flack erhielten dagegen bei Reizungen des Laryngeus sup. nur dann Blutdrucksenkungen, wenn gleichzeitig der N. depressor elektrisch mit- gereizt wurde. Freilich waren diese Senkungen des Blutdrucks in ihren Versuchen bedeutender als bei alleiniger Reizung des Depressors; dies spricht ebenfalls dafür, dass Stromschleifen von den Elektroden des Laryngeus auf den Depressor und eventuell auch auf die anderen umliegenden Nerven (Vagus usw.) zu überspringen pflesten. Überhaupt erinnern die Depressorkurven von Asher und Flack sehr wenig an die gewöhnlichen bei Reizung dieser Nerven ‘erhaltenen Kurven. So z.B. gleichen die Kurven 7—10 eher den Depressorkurven, die man bei dem künstlich durch Einführung von Nebennierenextrakten erhöhten Blutdruck erhält.- Wirkungen von Schilddrüsenextrakten sieht man kaum bei Asher und Flack, mit Ausnahme vielleicht der Kurve 16b bei Depressorreizung nach In- jektion von Schilddrüsenextrakt. Aber sowohl diese Kurve wie die vorhergehende (16), bei alleiniger Reizung des Depressor im Anfang des Versuches, ermangeln der gewöhnlichen Verlangsamung der Herz- schläge im Beeinne dieser Reizung. Daraus allein erschliesse ich, dass das betreffende Kaninchen strumös, und die Erregbarkeit seiner Vagi herabgesetzt war. In fünf Versuchen (Nr. 12—16) haben die Autoren sogar statt SenkungendesBlutdrucksdessenSteigerungen erhalten. Die Stromschleifen haben also die zentralen Enden derLaryngeierreicht. Wenn Asher und Flack bei alleiniger Reizung des Depressors nur geringe Wirkungen beobachtet haben, so liegt es einfach daran, dass sie dabei nur ganz schwache Ströme (30 E.) verwendeten, was bei dem Berner, ıneistens strumösen, Kaninchen ganz unzureichend war. In den Fällen, wo gar Reizungen der vier Laryngei an beiden Seiten des Halses stattfanden, wo also auf den beschränkten Raume sechs Elektrodenpaare elektrische Ströme zuführten, waren die Wirkungen der Stromesschleifen natürlich noch ausgedehnter. Wegen der ausserordentlichen Feinheit der Schilddrüsennerven bei Kaninchen war es daher ganz verfehlt, diese Tiere für Versuche zu wählen, wo die Erregungen dieser Nerven den wichtigsten und ausschlaggebenden Faktor des ganzen Versuchsplans bildeten. Aus 988 E. von Cyon: diesen Gründen habe ich auch davon Abstand genommen, direkte Reizungen der Nn. thyreoidei bei Kaninchen auszuführen. Um die Verriehtungen der Schilddrüsennerven festzustellen, studierte ich die Effekte ihrer Reizungen, vorzugsweise an Hunden. Hunde bieten nämlich bei solehen Versuchen noch den grossen Vorteil, dass man bei ihnen durch Einführung von Kanülen in die Arterien und Venen der Schilddrüse mit grosser Präzision die Veränderungen ihres Blutstroms, während der Reizung der Nerven, zu messen ver- mag und sich nicht, wie bei Kaninchen, mit dem blossen Anschauen der Rötung der Schilddrüse begnügen muss. Freilich verlangte es der Versuchsplan von Asher und Flack, gleichzeitig mit der Er- regung der Schilddrüsennerven auch die Depressores zu reizen. Derartige Reizungen bieten aber, wie ich dies mehrfach gezeigt habe, auch beim Hunde keine unüberwindlichen Schwieriekeiten. Asher und-Flack brauchen weder die schlechte Wahl der Versuchstiere, noch die begangenen methodischen Fehler besonders zu bereuen. Das Misslingen ihres Vorhabens wäre auch bei den besten Reizungsmethoden unvermeidlich. Ihr Versucehsplan ging nämlich von der ganzirrtümlichen Voraussetzung aus, dass während der kurzen Spanne Zeit, wo die gleichzeitige Reizung der Sekretions- nerven und der Depressores stattfindet, die Schild- drüse eine ausreichende Menge ihrer wirksamen Sub- stanz wird ausarbeiten und durch Lymphgefässe, das Herz und die Blutgefässe ins Gehirn senden können, um die Erregbarkeit der Zentren und des Stammes des Depressores sofort bedeutend zu erhöben, und dazu noch dies alles bei einem Kaninchen! Bei einiger Über- legung hätte schon diese Unmöglichkeit ihres Vorhabens sie von der Ausführung ihres Versuchsplanes abhalten müssen. Wenn sie auf ähnlichem Wege eine ausreichende Menge der wirksamen Substanz der Schilddrüse zu erhalten wünschten, so mussten sie für ihre Versuche sehr grosse Hunde wählen, bei denen das Lumen der Blut- und Lymphgefässe der Schilddrüse weit genug sind, um Glaskanülen in sie einführen zu können. Die Nn. thyreoidei müssten dann in der von mir angegebenen Weise in gewissen Inter- vallen stundenlang direkt gereizt werden, und die aus den Lymph- gefässen während der Reizung ausfliessende Lymphe gesammelt werden. Derartige Reizungen meiner Versuche an Hunden haben Methodologische Aufklärungen zur Physiologie der Schilddrüse. I. 589 ja gezeigt, dass sowohl die Venen als die Lymphgefässe bedeutend anzuschwellen pflegten. Der Ausfluss des Blutes aus den Venen pflegte in der Zeiteinheit um das Drei-Vierfache zu steigen. Eine analoge Steigerung ist wohl auch beim Ausfluss der Lymphe zu erwarten. Die während mehreren Stunden angesammelte Lymphe könnte man dann kleineren Tieren, etwa jungen Kaninchen oder Meerschweinchen, einspritzen, um eventuell eine Steigerung der Er- regbarkeit des Depressors zu erhalten. Das Gelingen eines solchen Versuches würde übrigens auch nur die Bedeutung eines indirekten, etwas bei den Haaren heran- gezogenen Beweises beanspruchen können, für Tatsachen, die seit Jahren keinem Zweifel mehr unterlagen. Nur wenn man die wahre Tragweite, die hier in Betracht kommenden Probleme völlig ver- kennt oder mit der Handhabung der zu benutzenden Versuchs- methoden wenig vertraut ist, kann man noch Zweifel erheben gegen die Tatsache, Jodothyrin und sonstige wirksame Schilddrüsenprodukte vermögen die Erregbarkeit des Depressors und der Vagi zu erhöhen, oder eventuell sie herzustellen, wenn sie durch Atropin, kropfartige Entartung oder Exstirpation der Schilddrüsen vernichtet ward. Der wahre Wert derartiger Vorhaben, wie z. B. das von Fürth und Schwarz, war ja Asher nicht unbekannt. Auch die vielen Bestätigungen der von mir festgestellten Tatsachen durch Bo- ruttau, O&ana, Besmeretny, Kraus und Friedländer konnten Asher nicht entgangen sein; erwähnt er ja nicht nur meine Zurückweisung der Fürth-Schwarz’schen negativen Ergebnisse, sondern auch ihre Arbeit selbst, wo alle diese Bestätigungen zitiert sind. Ja noch mehr: Asher hat ja selbst die Richtigkeit dieser Tatsache konstatieren können in einer Arbeit, von der ich erst aus der Mitteilung von Eppinger, Falta und Rüdiger Kenntnis erhalten habe. „Wie Asher gefunden (!) hat, ist bei schilddrüsen- losen Hunden die Atropinwirkung auf das Auge intensiver als bei normalen“ und „der bekannte Antagonismus zwischen Schilddrüsen- saft und Atropin, der von Asher, Boruttau und Kraus be- obachtet wurde“ usw.!). Beiläufig bemerkt, hat der Berner Ophthal- mologe Pflüger schon im Jahre 1898 mich auf diese Eigentümlich- keit der Atropinwirkung bei den Berner Patienten aufmerksam gemacht. (Pflüger’s Arch. Bd. 73.) 1) Verhandl. d. 25. Kongr. f. innere Med. S. 354—355. Wiesbaden 1908. 590 E. von Cyon: Diejenigen Bestätigungen des von mir entdeckten Antagonismus zwischen Jodothyrin und Atropin, welche mit Hilfe von anderen Extrakten aus der Schilddrüse erhalten wurden (Boruttau u. a.) bieten. noch das besöndere Interesse, dass sie gleichzeitig auch in- direkt die Bedeutung des Jodothyrins als einer wirksamen Substanz dieser Drüse bezeugen. Freilich scheint bei Asher das Vertrauen, das Baumann’sche Jodothyrin sei die wirksame von den Schilddrüsen sezernierte Sub- stanz, erschüttert worden zu sein. Die zahllosen experimentellen Untersuchungen über den Einfluss des Jodothyrins auf die Förderung des Stoffwechsels, deren Resultate meistens völlig mit denjenigen übereinstimmen, welche von Pathologen nach Exstirpation der Schild- drüsen, von Pathologen bei strumösen Entartungen und von Klinikern bei Behandlung von kröpfigen Patienten gesammelt wurden, er- scheinen Asher und Flack nicht als ganz beweisend. Als eigenen Beitrag gegen die physiologische Bedeutung des Baumann’schen Jodothyrins führen sie die Tatsache an, sie hätten bei ihrer Prüfung des von den Farbenwerken F. Bayer & Co., Elberfeld, ihnen gelieferten Jodothyrins negative Resultate erhalten; wie sie selbst vermuten, rührten diese negativen Resultate davon her, dass die Jodothyrinlösung eine alkalische war. Ihre Be- hauptung, dass die Farbenwerke auch mir solche alkalische Lösungen geliefert haben, ist nur insoweit richtig, dass dies nur ein einziges Mal geschah. Diese Lösung habe ich zum erstenmal bei einer De- monstration im Beisein einiger Berner Professoren verwendet, und zwar bevor ich von F.Bayer & Co. die Zuschrift erhielt, mit Anweisung der Mittel die Lösung von ihrer Alkaleszenz zu befreien. Ich wage nicht zu behaupten, dass diese die alleinige Ursache des Versagens der sonst nie fehlschlagenden Wirkung der gewöhnlichen Jodothyrinlösung war, da vor ihrer Verwendung durch Ver- sehen der Assistenz der ganze Inhalt der Manometerröhre (Blut und Magnesiumsulfatlösung) in die Jodothyrinflasche entleert wurde, und so das Jodothyrin unbrauchbar geworden ist. Jedenfalls vermag das Misslingen der Versuche von Asher und Flack mit der alkalischen Jodothyrinlösung nicht die zahlreichen positiven Ergebnisse von mir und anderen Physiologen mit dem gewöhnlichen Jodothyrin umzustürzen. Dass negative Ergebnisse beweislos sind, das weiss ja Asher sowohl aus seiner eigenen als auch aus fremden Erfahrungen. Die Veranlassung zu negativen Methodologische Aufklärungen zur Physiologie der Schilddrüse. I. 591 Resultaten liegt nicht immer in der Ungeschicklichkeit des Ex- perimentators, sondern häufig genug in der Verschiedenheit der Versuchsbedingungen. Es kann ja auch davon abhängen, dass die Kontrollversuche falsch gedeutet werden. So z. B., wenn man einen direkten Anhaltspunkt für die innere Sekretion der Schild- drüse finden will in der alten Beobachtung von Asher und Barbera, dass die Injektion von Lymphe, die überwiegend aus einem Struma stammend, „ähnliche kardiale Symptome erzeugten, wie sie bei Morbus Basedowii beobachtet werden“, so begeht man einen Fehlschluss; mein Schüler Barb&ra, der unter meiner Leitung die so wichtige Tatsache entdeckt hat, Jod wirke im entgegengesetzten Sinne als Jodothyrin auf die Herz- und Gefässerven ein, wäre von einem derartigen Schlusse nicht wenig überrascht gewesen. Kein Wunder, dass Carlson und Wölfel solche Erscheinungen nieht haben beobachten können. Dagegen „wenn Carlson und Woelfel in der Lymphe grosser Schilddrüsen auch kein Jod nachzuweisen vermochten, und selbst Reid Hunts sehr empfindliche, biologische Acetonitrilreaktion auf jodhaltige Schilddrüsensubstanz versagte in den Händen von Carlson und Woelfel bei Prüfung der Lymphe aus der Schilddrüse“ (S. 86—87), so lag das daran, dass ihre Schilddrüsen von strumösen Tieren herstammten. So vermochte auch Oswald in den Schilddrüsen von Züricher Kälbern kein Jod zu finden, während er in den Drüsen von Pariser Kälbern, die ich ihm sandte, Jod in der für das Jodothyrin ausreichenden Menge sicher hat konstatieren können. Asher und Flack anerkennen selbst die geringe Beweisfähigkeit ihrer negativen Ergebnisse gegen die physiologische Bedeutung des Baumann’schen Jodothyrins; daher suchen sie auch auf Seite 144—152 die positiven Ergebnisse meiner Versuche mit Jodothyrin zu bemängeln und zwar, indem sie — man sollte es kaum für möglich halten — meine Reiz- methoden des Depressors für nicht präcise genug er- klären! Es entgeht ihnen dabei, dass, indem sie meine Versuche über die Wirkung des Jodothyrins auf den Depressor als nicht stich- haltig betrachten, sie dadurch ihrem ganzen Versuchsplan, und ihrem wirklich „einzigen“ Beweis jeden Boden entziehen! In ihren weitläufigen, fünf Seiten langen dialektischen Er- örterungen finde ich drei methodische Vorwürfe gegen meine Reizungen des Depressors in den Jodothyrinversuchen. 1. Ich hätte es unterlassen, die Dauer der Reizungen dieser Nerven anzugeben; 992 E. von Cyon: diese Behauptung steht im vollen Widerspruch mit dem wahren Sachverhalt. In meinen Protokollen und Tabellen gebe ich meistens nieht nur die Dauer der Reizungen, sondern auch die Dauer aller wichtigen Versuchsphasen an. Die im Text und in den ausgedehnten Tafeln wiedergegebenen Kurven reproduzieren fast immer die graphisch verzeichneten Sekundenschläge. Es soll noch hinzugefügt werden, dass meine Originalkurven fast immer den ganzen Verlauf der Versuche zeigen; dies auch, wenn sie mehrere Stunden gedauert haben. So erreichten sie häufig eine Länge von 30 bis 60 Meter. Beiläufig gesagt, ist die Art, wie Asher und Flack ihre Kurven wiedergeben, ebenso mangelhaft und unzuverlässig wie ihre allgemeine Versuchsanordnung und die verwendeten Reizungsmethoden. Kleine Kurvenausschnitte, häufig nur einige Zentimeter lang, gestatten keineswegs eine richtige Deutung des Versuchsverlaufs. Man findet auch nirgends bei Asher und Flack Angaben über die absolute Höhe des Blutdrucks vor, während und nach der Depressor- reizung. Schon in der ersten Mitteilung von Ludwig und mir über die Entdeckung des Depressors findet man in den Tabellen, ausser den relativen Druckveränderungen, auch immer die absoluten Höhen des Blutdrucks angeführt. Ohne derartige Angaben der Blut- druckhöhen im Augenblick der Reizung des Depressors ist es kaum möglich, diese Kurven richtig zu verwerten. Asher und Flack brauchen nur die Depressorkurven bei Einspritzungen von Neben- nierenextrakten zu studieren, um sich davon Rechenschaft zu geben. Bei gleicher Erregbarkeit des Depressors und bei identischer Reizstärke kann man Senkungen des Blutdrucks von verschiedener Intensität erhalten, die allein von der Höhe des Blutdrucks im Beginne der Reizung und von den Ursachen des hohen Druckes abhängen. Wenn es sich darum handelt, feinere Schwankungen der Erreebarkeit des Depressors zu messen und zu beurteilen, wie dies bei Asher und Flack der Fall ist, sind die Angaben des Nullpunktes der Blutdruck- kurve unentbehrlich. 2. Der zweite Vorwurf dieser Autoren richtet sich gegen die Intensität der von mir verwendeten Ströme bei Reizung des Depressors. Obgleich meine mehr als A0jährige Erfahrung über die elektrische Reizung des Depressors jedes Eingehen auf einen derartigen Vor- wurf überflüssig macht, will ich dennoch daran erinnern, dass bei den Berner Versuchstieren die Erregbarkeit des Depressors (wie auch Methodologische Aufklärungen zur Physiologie der Schilddrüse. I. 593 die der Vagi) wegen der kropfartigen Entartung ihrer Sehilddrüsen bedeutend herabgesetzt ist, man also viel intensiverer Ströme zu derer Erregung bedarf. Asher bestätigt übrigens ausdrücklich die von mir beschriebene Tatsache, vermeidet aber die eben angeführte Ursache - dieser Erscheinung, nämlich die strumöse Entartung bei den Berner Tieren zu erwähnen. Überhaupt findet man in ihrer langen Mitteilung der in Bern ausgeführten Versuche, keinerlei Angaben über den Zustand der Schilddrüsen bei ihren Versuchstieren; und doch haben schon die klassischen Versuche von Kocher gezeigt, dass das Studium der Kröpfe eines der mächtigsten Hilfsmittel für die Er- kenntnis der physiologischen Funktionen dieser Drüsen abgibt. Meine Versuche mit Herstellung der erloschenen Erregbarkeit des Depressors und des Vagus bei strumösen Tieren, durch Einspritzungen von Jodothyrin lieferten ja eben den eklatanten Beweiss, dass Jodothyrin als die wirksame Substanz der Schilddrüse zu betrachten ist. Sie bezeugen aber auch, dass die physiologische Bestimmung dieser Substanz eben darin besteht, die Erregbarkeit der hemmenden Herz- und Gefässnerven im funktionsfähigen Zustand zu halten. 3. Als dritten Vorwurf gegen die Beweisfähigkeit meiner Reiz- versuche an dem Depressor beim Studium der Jodothyrinwirkung führen Asher und Flack die Tatsache an, mein nach Einheiten graduierter Induktionsapparat wurde nicht durch Akkumulatoren, sondern durch einfache Elemente gespeist. Diese Forscher ver- gessen, dass so ziemlich die ganze Physiologie des Nervensystems, und speziell die der Herz- und Gefässnerven, viele Jahrzehnte vor der Einführung der Akkumulatoren aufgebaut worden ist. Derartige kleinliche Verbesserungen sind ganz ohne Bedeutung für die be- treffenden Versuche; sie sind nur dazu bestimmt, dem oberflächlichen Leser eine scheinbare Präzision vorzutäuschen. Die rhetorischen Anstrengungen bei der Erfindung so sonder- barer Einwände gesen meine Reizversuche bezeugen klar genug, dass es Asher und Flack eigentlich nur darauf ankommt, die grosse physiologische Bedeutung des Baumann’schen Jodothyrins zu bekämpfen. Sie folgen übrigens dabei nur dem Beispiele von v. Fürth und Schwarz und manchen anderen. Die von diesen Gegnern des ‚JJodothyrins bisher erzielten Misserfolge rühren meistens davon her, dass sie bei ihren Versuchen gar nicht mit dem Baumann ’schen Jodothyrin gearbeitet haben; mehrmals operierten sie sogar mit Prä- paraten, welche überhaupt kein jodiertes Eiweiss enthielten, wie 994 E. von Cyon: dies bei von v. Fürth und Schwarz der Fall war. Die Versuche von Barbera, unter meiner Leitung in Bern ausgeführt, und die ich sehr häufig selbst wiederholt habe, haben uns den Antagonismus zwischen Jod und Jodothyrin in ganz unzweifelhafter Weise dar- getan. Es genügt die Anwesenheit ganz winziger Dosen von freiem Jod in den Präparaten, die man als Jodothyrin auseiebt, um völlig entgegengesetzte Resultate bei der Prüfung ihrer Wirkungen auf das Herz und Gefässe zu erhalten. Bei der unzweifelhaften funktionellen Bedeutung des Jodgehaltes in der Schilddrüse bezeugen derartige Misserfolge gerade im Gegenteil, dass Jodothyrin tatsächlich eine der wirksamsten Substanzen dieser Drüse ist. In dieser Überzeugung zögerte ich nicht, vor etwa zehn Jahren nach Zürich zu reisen, um dort im physiologischen Laboratorium von Gaule das Oswald’sche Thyreoglobulin, mit Hilfe meiner Methoden, auf seine Wirksamkeit zu prüfen. Wenn das Thyreo- globulin wirklich „derjerige aus der Schilddrüse gewonnene Körper ist, welcher das Jodothyrin konstant enthält“, so musste es auf die Gefäss- und Herznerven, besonders auf den Vagus und den Depressor, in ganz identischer Weise wirken, wie dieses letztere. Die Ergebnisse der Versuche, mit den Lösungen des Thyreoglobulins, die Oswald mir in Zürich zur Verfügung stellte, bestätigen vollauf diese Vor- aussetzung. Einspritzungen in die Vena jugularis von Lösungen des Thyreoglobulins wirkten in qualitativ gleicher Weise wie das Jodothyrin; sie erzeugten regelmässig Senkungen des Blut- drucks und Verstärkungen der verlangsamten Herz- schläge; desgleichen vermochten sie die Erregbarkeit des Depressors zu steigern, obgleich in viel geringerem Grade. „Was leicht begreiflich ist, da das Thyreoglobulin auf die Gewichtseinheit bezogen, viel weniger Jod enthält als das Thyreoglobulin“ '). Nicht weniger klar sprachen zugunsten des Jodothyrins einige Versuche mit dem jodfreien Thyreoglobulin, die Oswald aus den Schilddrüsen von Züricher Kälbern gewonnen hat. Dieses Präparat erwies sich als vollkommen wirkungslos, sowohl auf den Blutdruck wie auf Zahl und Stärke der Herzschläge. Die Versuche mit Pro- dukten, welche Oswald aus menschlichen Schilddrüsen durch 1) Cyon und Oswald, Über die physiologischen Wirkungen einiger aus der Schilddrüse gewonnenen Produkte. Pflügeı’s Arch. Bd. 83. In meinen „Gefässdrüsen“ wiedergegeben. Kap.I, Nachtrag zu 8.5. Methodologische Aufklärungen zur Physiologie der Schilddrüse. I. 595 Trypsinverdauung hergestellt hat, sind besonders . hervorzuheben. „Die erhaltene gelbliche Lösung enthält Jod in organischer Bindung, ‘aber nicht in Form von Jodothyrin, da sich auf Zusatz von Säure kein Niederschlag bildet... .. Sowohl beim Kaninchen als beim Hunde erzeugte sie eine bedeutende Steigerung des Blut- drucks mit merklicher Beschleunigung der Herz- schläge.“ Nach längerer Diskussion dieses letzten Versuchsergeb- nisses gelangten wir zu folgendem Schluss: „Die Möglichkeit scheint nämlich nicht ganz ausgeschlossen, dass durch diese Verdauung eine zweite wirksame Substanz der Schilddrüse gewonnen wird, deren Wirkungen denjenigen des Jodothyrins entgegengesetzt sind. Solche der Hauptsubstanz entgegenwirkende Produkte sind ja sowohl in den Nebennieren als auch in der Hypo- physe gefunden worden.“ d. Gleichzeitige Einwirkungen von Schilddrüsenextrakten und Adrenalin. Die eben zitierten Schlussworte vermögen einiges Licht auf eine Kapitalfrage der Physiologie der Schilddrüse zu werfen. Asher und Flack widmen fast zwei Drittel ihrer Mitteilung der Aufklärung dieser Frage. Im Abschnitt „Einfluss der Reizung der Schilddrüsen- nerven auf die Wirksamkeit des Adrenalins“ wählten sie als Aus- gangspunkt ihrer Erörterungen und Versuche die Lehre von der gegenseitigen Förderung von Schilddrüsen und Nebennieren, wie sie Eppinger, Falta und Rudinger nach längeren Untersuchungen in ihren Mitteilungen formuliert haben !). Schon im Beginne meiner Untersuchungen über den Einfluss der wirksamen Substanzen der Gefässdrüsen auf das Herz- und Gefäss- nervensystem habe ich besondere Aufmerksamkeit auf die gegen- seitigen Beziehungen ihrer Produkte gelenkt. Ich suchte festzustellen, in welcher Weise sich die Folgen der gleichzeitigen Einführung von Drüsenextrakten äussern werden, deren antagonistischen Wirkungen auf den Stoffwechsel resp. auf die verschiedenen Nervenzentren schon in unzweifelhafter Weise dargetan sind. Bei der grossen Kom- pliziertheit der Stoffwechselprozesse bietet die Entscheidung der Frage, welehe Gefässdrüsenextrakte im gleichem, welche im entgegen- 1) Über den Einfluss der Schilddrüsen auf Nerven und Gefässsystem. Verhandl. d. Kongr. f. innere Medizin. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908. .596 E. von Cyon: gesetztem Sinne wirken, mit anderen Worten, welche Sekretions- produkte dieser Drüsen anagonistisch und welche fördernd auf- einander wirken, grosse Schwierigkeiten. Die zahlreichen in dieser Richtung von Physiologen und Pathologen angestellten Versuche, so lehrreich sie an sich auch sein mögen, vermochten nicht zu all- gemeinen gültigen Ergebnissen zu führen; dazu gehen die Versuchs- resultate verschiedener Forscher zu weit auseinander. Gewöhnliche Stoffwechselversuche bedürfen schon so mannigfaltiger und müh- seliger Versuchsanordnungen, dass man bedeutenden Schwierigkeiten begegnet, wenn es sich darum handelt, die Wirkungen der Produkte einer einzigen Drüse streng methodisch zu untersuchen. Man konsultiere z. B. die in dieser Hinsicht musterhafte Untersuchung von Sehöndorff „Über den Einfluss der Schilddrüse auf den Stoff- wechsel“ (dieses Archiv Bd. 67), und man wird bald zur Überzeugung gelangen, dass die Feststellung der Wirkungen mehrerer antago- nistisch wirkenden Gefässprodukte auf den Stoffwechsel mit fast un- überwindlichen Schwierigkeiten verbunden sein muss; Schwierigkeiten bei der Ausführung der Versuche, die noch bedeutend zunehmen, wenn es darum handelt, ihre Ergebnisse richtig zu deuten. Dagegen waren die gegenseitigen Beziehungen der verschiedenen Drüsenprodukte bei ihrer Beeinflussung des Herz- und Gefässnerven- systems einer exakten Prüfung schon viel zugänglicher. Meine persönlichen Untersuchungen in dieser Richtung konzentrierten sich daher hauptsächlich auf die Feststellung der Einflüsse, welche die wirksame Substanz der Gefässdrüsen auf das Zentralnervensystem ausüben. Die Hauptsätze, die ich aus den festgestellten Ergebnissen meiner Versuche abgeleitet habe, lauteten: 1. „Die Hauptprodukte der Schilddrüse und der Hypophyse (Jodothyrin und Hypophysin) wirken erregend auf die Zentren und auf die peripheren Enden des Vagus, des Depressors und auf die sonstigen gefässerweiternden Nerven. Dagegen beeinflussen diese Produkte in stark hemmender Weise das ganze System des Sympathieus, d. h. die Nn. accelerantes und die Vasokonstriktoren. 2. Die Produkte der Nebennieren, wie das Adrenalin, erregen im Gegenteil das System des Sympathicus !) 1) Die spezielle Beeinfiussung des Systems des Sympathicus durch die Nebennierenextrakte wurde von mir schon im Jahre 1898 festgestellt und vor- läufig in diesem Archiv veröffentlicht. Seitdem habe ich diese spezielle Be- ziehung der Nebennieren zum System des Sympathicus definitiv festgestellt Methodologische Aufklärungen zur Physiologie der Schilddrüse I. 597 und mindern die Erregbarkeit des Systems der Vagi und des De- pressores oft bis zur Lähmung. Diese Sätze finden sich in voller Über- einstimmung mit den allgemeinen Gesetzen der Ganglienerregung, wie ich sie hauptsächlich für die antagonistisch wirkenden Nerven- systeme zuerst in den „Beiträgen zur Physiologie der Schilddrüse und des Herzens“ begründet und in den späteren Untersuchungen deren funktionelle Bedeutung soweit möglich aufgeklärt habe). Diese Hauptsätze meiner Ergebnisse haben gestattet, die physio- logische Bestimmung der Gefässdrüsen als regulatorische Schutz- organe des Zentralnervensystems festzustellen und demgemäss ihnen die entsprechende Bezeichnung zu geben, welche seitdem ven mehreren kompetenten Forschern auf diesem Gebiete als die passendste angenommen worden ist. Die physiologische Bestimmung der Gefässdrüsen bedingt es selbstverständlich, dass sowohl ihre im gleichen Sinne wirkenden Produkte wie die antagonistisch wirkenden Substanzen das Zentral- nervensystem, wie die anderen von ihm beherrschten Organe nur fördernd zu beeinflussen vermögen. Wie das parallele Zusammen- wirken der erregenden und hemmenden Nerven des Herzens sein regelmässiges rhythmisches Funktionieren ermöglichen und unter- halten, ebenso müssen auch die antagonistisch wirkenden Substanzen der Gefässdrüsen, welche die Tätigkeit dieser Nerven regulieren und beschützen, ihre Verrichtungen nur im günstigen Sinne beeinflussen; das Gleiche eilt natürlich auch für das zentrale und periphere System der erweiternden und verengernden Gefässnerven. Wir besitzen in dieser Funktionsweise der Gefässdrüsen eine der schönsten Beispiele von der wunderbaren Zweckmässiekeit der organischen Einrichtungen; der Kampf zwischen antagonistisch wirkenden Kräften resp. Mechanismen ist für die Erhaltung der vitalen Funktionen unentbehrlich. Die organische Autoregulierung beruht meistens auf dem Spiel derartiger Antagonisten. Aufsteigende und absteigende Temperaturschwankungen, ebenso wie Schwankungen und diese meine Auffassung besonders gegen die englischen Forscher, wie 'z. B. Langley, energisch verteidigt. - Aus der soeben zitierten Mitteilung von Eppinger, Falta und Rudinger erfahre ich, dass Langley sich jetzt meine Auffassung der Wirkungsweise der Nebennierenextrakte völlig angeeignet hat. 1) Siehe die „Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse“ Kap. 9 und der Nerven des Herzens“ Kap. 4 S.7 (erschienen bei Julius Springer. 1907). 998 E. von Cyon: -der Sauerstoff- und Kohlensäuremengen im Blute und in den Ge- ‘weben beeinflussen, wie ich dies schon vor 45 Jahren gezeigt habe, ganz im entgegengesetzten Sinne die Zentren der Herz- und Gefäss- nerven. Ganz wie die aufgezählten Gefässdrüsenprodukte wirken diese Schwankungen in dem einen Sinne auf das System des Vagus und des Depressors und in ganz entgegengesetztem Sinne auf das System des Sympathieus. Dies war auch der Hauptgrund, warum ich für die Untersuchungen über die gegenseitigen Beziehungen der wirksamen Substanzen der Gefässdrüsen analoge Versuchsmethoden geschaffen habe, wie ich seit dem Jahre 1866 mit Erfolg in die Physiologie eingeführt habe: Künstliche Herstellung der Blut- zirkulation in den vom Körper ausgeschaltenen oder sonst genau isolierten Organen, Wiederbelebung der durch Unterbrechung des Blutstromes abzestorbenen Organe, Erresungen und Hemmungen der organischen Funktionen der zentralen und peripheren Ganglien durch absteigende und aufsteigende Temperaturschwankungen, d. h. durch plötzliche Erwärmungen und Abkühlungen des sie umfliessenden Blutes, Einspritzungen von antagouistischen Giften. „Alte und neue Methoden zum Studium der isolierten intra- und extrakardialen Nervenzentra in ihrer Abhängieckeit von den Produkten der Gefässdrüsen“ betitelte ich die erste Mitteilung meiner hierher gehörigen Versuchsmethoden in den Studien über die Verrichtungen der Nebennieren (dieses Arch. Bd. 77). Die mit diesen Methoden angestellten Versuche waren sehr ver- schiedenartig, sie bezweckten aber hauptsächlich die gegenseitigen Beziehungen, aufzuklären die zwischen Jodothyrin und Hypophysin einerseits und Adrenalin andererseits bestehen. Ich wählte absichtlich Jodothyrin und Hypophysin und nicht Schilddrüsen- Hypophysenextrakte, weil besonders die letzteren an sich schon zwei antagonistische Substanzen enthalten, die ich durch die be- kannte Behandlungsweise gesondert herzustellen pflegte. Die Wirkung dieser letzteren, als sekundär zu betrachtenden Produkte stinnmen so ziemlich mit denen der Nebennierenextrakte überein. Es soll noch hervorgehoben werden, dass die gleichzeitige Existenz von zwei Substanzen in der einen Drüse, die in ganz verschiedenem, ja ent- gegengesetztem Sinne das Nervensystem beeinflussen, schon klar genug bezeugt, dass der Antaeonismus dieser Substanzen dazu bestimmt ist, deren Produktion den Bedürfnissen der zu beeinflussenden Organe anzupassen. Methodologische Aufklärungen zur Physiologie der Schilddrüse. I. 599 Sowohl Eppinger, Falta und Rudinger als auch Asher und Flack haben diese Bedeutung nicht ganz richtig aufgefasst; daher die Schwierigkeiten, welchen die ersteren bei der Verwertung ihrer Ergebnisse begegneten, und die unzähligen Widersprüche, aus denen Asher und Flack. trotz ihrer dialektischen Spitzfindigkeit, nicht herauszukommen vermochten, als sie mit Hilfe ihres „Versuchs- plans“ vergebens sich abmühten, die Lücken ihrer Vorgänger aus- zufüllen. Die in der gleichen Richtung angestellten Untersuchungen von Friedenthal und Kraus, sowie die von Pick und Pinneles haben sich der richtigen Lösung der betreffenden Probleme weit mehr senähert; dies hauptsächlich dank dem Standpunkt, von dem sie bei der Anstellung ihrer Versuche ausgegangen sind, der für die Auf- klärung der tatsächlichen Beziehungen zwischen den verschiedenen Gefässdrüsenprodukten viel passender gewählt war. Der Versuchsplan von Asher und Flaeck mit der vermeint- lichen Reizung der Schilddrüsennerven und der mangelhaften Prüfungs- methode der Erregbarkeit des Depressors war keinesfalls dazu an- getan, um Licht in diese verwiekelten Verhältnisse zu bringen. Im Gegenteil, sie haben die herschende Verwirrung noch eher ge- steigert, so z. B. in den Angaben, welche sich auf die Wirkungen des Adrenalins, auf die Erregbarkeit des Depressors beziehen. Über diesen letzteren Punkt sind zahlreiche und eindeutige Versuche vor- handen, die gerade das Gegenteil davon beweisen, was Asher und Flack als ihre Ergebnisse betrachten; doch genug davon. Dagegen enthalten ihre „Zusammenfassenden Betrach- tungen und Ausblicke“ manche wahren Ergebnisse. Nur sind diese wahren Ergebnisse schon seit Jahrzehnten von anderen Forschern entdeckt, entwickelt und ausser Zweifel gestellt worden, so z. B. „dass die Schilddrüse ein Organ mit echter innerer Sekretion sei“, und dass „die Schilddrüse vom Nervensystem abhängig ist“. Das ‚gleiche gilt von der unzweifelhafteren Bedeutung der Schildrüsen- funktionen und des Depressors für die Pathologie der Basedow- schen Krankheit. An der Feststellung dieser und noch vieler anderer Wahrheiten ist der „Versuchsplan“ von Asher und Flack sowie dessen Verwirklichung vollkommen unschuldig. Asher scheint übrigens von der Vorzüglichkeit seines „Versuchsplans“ völlig über- zeugt zu sein. So veröffentlicht er im Zentralblatt für Physiologie (Bd. 24 Nr. 20) eine Mitteilung „Die innere Sekretion der Neben- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 39 600 E. von Cyon: Methodologische Aufklärungen zur Physiologie etc. niere und. deren Innervation“, wo er einfache Steigerungen des Blutdruckes bei Reizungen des Splanchniei, als Beweis verstärkter Sekretion von Adrenalin in der Nebenniere betrachtet! „Wenn gar länest bekannte Dinge immer wieder entdeckt werden, oder wenn gar längst Gefundenes völlig verloren geht und Schwierigkeiten erhoben werden, die’schon völlig beseitigt sind, so ist dies keine solide Forschung, und die Wissenschaft kommt nicht vorwärts.“ „Die Wahrheit offenbart sich nur demjenigen, . der sie leidenschaftlich ihrer selbst wegen und ohne jede Nebenabsicht sucht,“ fügte ich diesen Worten Hensen’s hinzu, in meiner Vorrede zu den „Nerven des Herzens‘... P. S. In der nächsten Mitteilung werde ich einige Methoden und Ergebnisse von Vorversuchen mitteilen, die, wie ich hoffe, in den Händen geübter und gewissenhafter Forscher nicht unfruchtbar sein werden; darunter eine Methode, die es gestatten wird, gleich- zeitig an demselben Tiere die Wirkungen des Gefässdrüsen- produkte, sowohl auf den Chemismus des Stoffwechsels, als auf die Funktionsweise der Hirn- und Gefässnerven zu untersuchen. 601 Über den Einfluss der Äthernarkose auf die Körpertemperatur und den Kohlehydratstofiwechsel. Von Karl Grube. Zu den Giften, welche Glykosurie hervorrufen können, gehört auch. der Äther, und zwar dann, wenn er in solehen Mengen ein- geatmet wird, dass er Narkose erzeugt. Diese Ätherglykosurie zeigt bestimmte charakteristische Züge, welehe ihr Studium theoretisch interessant machen, und da der Äther zur Narkose häufig ver- wendet wird, hat es auch praktische Bedeutung, die Umstände zu kennen, unter denen die Äthernarkose von einer Glykosurie be- sleitet ist, und welche Momente andererseits das Auftreten der Glykosurie verhindern können. Über die experimentelle Äthergelykosurie bei Tieren, vornehm- lieh an Hunden, hat Selig eingehende Untersuchungen angestellt !). Er fand, dass die Äthernarkose beim Hunde und Kaninchen eine Zuckerausscheidung kervorrufen konnte, welche oft bedeutend war — bis zu 10°%o —, und dass dieselbe nach Aufhören der Narkose bald wieder verschwand. Dass sie ferner bei mit Fleisch gefütterten Hunden regelmässig zu beobachten war, während sie nach Kohlehydratfütterung nur dann auftrat, wenn die Fütterung kürzere Zeit vor der Narkose stattgefunden hatte, S—10 Stunden, dagegen ausblieb, wenn die Kohlehydrate längere Zeit, 20—22 Stunden, vor der Narkose gegeben worden waren. Bei gleichzeitiger intravenöser Sauerstoffinjektion trat die Glykosurie nicht auf; da- gegen konnte eine bereits bestehende Glykosurie durch nachträgliche Sauerstoffinjektion nicht zum Verschwinden gebracht werden. Was die Ätherelykosurie beim Menschen angeht, so fand Röhricht?) bei 100 Patienten, die nach der Witzel’schen Tropf- 1) Über Ätherglykosurie. Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 52 S. 481. 1905; Bd. 54 S. 206. 1906. 2) Klinische Beobachtungen über Glykosurie nach Äthernarkosen. Beitr. zur klin. Chirurgie Bd. 38 S. 535. 1906. 39 * 602 Karl Grube: methode narkotisiert waren, 12 mal Glykosurie, bei 8 Männern und 4 Frauen. Meist trat die Glykosurie direkt nach der Narkose auf, sie betrug im Maximum 1 Jo. Dass nicht die Operation bzw. der durch diese gesetzte Chok die Ursache der Glykosurie war, zeigten die Glykosurien, welche nach Narkosen auftraten, welche nur zum Zwecke der Diagnose und ohne nennenswerten operativen Eingriff vorgenommen waren. Bei sechs solcher Narkosen war 3mal Glykosurie zu konstatieren. Im Gegensatz von Röhricht stehen die Beobachtungen von E. Pflüger, Sehöndorff und Wenzel!). Diese Untersuchungen, 144 an Zahl, waren angestellt worden, um den Einfluss chirurgischer Eingriffe auf den Stoffwechsel festzustellen, d. h. nachzuweisen, ob chirurgische Eingriffe eine Glykosurie hervorzurufen imstande seien, wie das von anderer Seite (Minkowski, Neumeister) behauptet worden war. Es konnte kein einziges Mal eine Glykosurie beobachtet werden. Da sich unter diesen 144 Beobachtungen auch 83 Äther- narkosen befinden, also nahezu so viele wie bei Röhricht’s Unter- suchungen, so ist der Gegensatz der Resultate auffallend. Es fragt sich, ob sich für dies verschiedene Verhalten eine Erklärung finden lässt, welehe nicht, wie die Annahme Röhricht’s, von der be- sonderen Disposition der von der Glykosurie befallenen Narkotisierten, nur ein Notbehelf ist. Meine eigenen Versuche sind sämtlich an Hunden angestellt worden. Sie ergaben zunächst eine Bestätigung der von Selig be- obachteten Tatsache, dass bei den mit Fleisch gefütterten Hunden bei der Äthernarkose eine oft bedeutende Glykosurie auftrete. Versuch I. Hund, 5 kg, 2 Tage lang mit Fleich gefüttert. Vor dem Ver- such katheterisiert; 80 cem Harn; frei von Zucker und Eiweiss. 9h 45’. Narkose begonnen, Äther, Tropfmethode nach Witzel. Temperatur im Rektum 39,4° C. 10h 45. 3 cem Harn; kein Zucker, kein Eiweiss. 11b. Temperatur im Rektum 38,6° C. ilb 45. 2,5 cem Harn: schwache Reaktion mit Worm- Müller. Temperatur im Rektum 36,8° C. 1) Pflüger’s Arch. Bd. 105 S. 121. 1904. Über den Einfluss der Äthernarkose auf die Körpertemperatur etc. 603 1", Temperatur im Rektum 34,5 C.; 3,5 eem Harn, enthaltend 2,23°'/o Zucker (polarisiert). Der Harn zur Untersuchung auf 30 eem verdünnt. Polarisiert vor und nach Vergärung. Bis zum anderen Morgen lässt der Hund 150 eem Harn; keine Reaktion mit Worm- Müller, Spuren Eiweiss. Versuch 1. Hündin von 4,9 kg, 2 Tage mit Fleisch gefüttert. 9h 40’. Beginn der Narkose, vorher 4,5 cem Harn durch Katheter entleert; kein Zucker, kein Eiweiss. Temperatur im Rektum 38,3° C. 12h 15. 4 cem Harn: kein Zucker, kein Eiweiss. Tempe- ratur 35°C. ‚12h 50’. Temperatur 34,2°C.; 5 cem Harn: 1,16% Zucker. 1b 20. 5 cem Harn: 3,5°/o Zucker, Spur Eiweiss. Harn auf 25 eem verdünnt, vor und nach Vergärung polarisiert. Versuch II. Derselbe Hund wie in Experiment I. Fleischfütterung; vor dem Versuch katheterisiert: kein Zucker, kein Eiweiss. 9h 30’. Narkose begonnen, Temperatur 38,2° C. 10h 30’. 4 cem Harn: kein Zucker, kein Eiweiss. 11h 50’. Temperatur 35,3%; 5 cem Harn, schwache Reaktion mit Worm-Müller. } 12h 50'. Temperatur 34,3° C.; 5 ecem Harn: 5°%o Zucker, Spur Eiweiss. Versuch IV. Hund von 3,5 kg. Mit Fleisch und Fett gefüttert. 9h 40'. Beeinn der Narkose. Katheterisiert: kein Zucker, kein Eiweiss. - Temperatur 38,2° C. 105 40’. Temperatur 35,1° C. 11h 40‘. 14 cem Harn: 6 °/o Zucker. 12h 10’. Temperatur 33,6° C.; 8 cem Harn: 7,16 °/o Zucker, Spuren Eiweiss. Am folgenden Morgen ist der Harn zuckerfrei; dagegen dauert die Eiweissausscheidung mehrere Tage an. | Bei allen Narkosen zeigte sich eine beträchtliche Abnahme der Körpertemperatur. Dies legte den Gedanken nahe, dass die Ab- kühlung trotz der gegenteiligen Ansicht Selig’s für das Entstehen 604 Karl Grube: der Glykosurie von Bedeutung sein könnte. Es wurden deshalb Versuche angestellt, bei denen dieser Abkühlung entgegengewirkt wurde, und zwar in der Weise, dass das Tier während des Versuchs in einem Wasserbade von konstanter Temperatur (40° C.) gehalten wurde. Ehe die Tiere in das Wasserbad gebracht wurden, wurde die Temperatur im Rektum gemessen und die Blase durch Katheter entleert. Der Katheter blieb während des Versuches liegen, durch einen Gummischlauch wurde der Harn in ein neben dem Wasserbad stehendes Gefäss geleitet. Die Hunde wurden 2—3 Tage vor dem Versuch mit Fleisch gefüttert. Versuch V. Hund von 8,7 kg, 2 Tage mit Pferdefleisch gefüttert. 3h, Beginn der Narkose, Harn ohne Zucker und Eiweiss. Temperatur 38°C. 4h, Temperatur 37,2°C. 5h. Temperatur 34,5° C.; 12 ccm Harn, enthaltend 4,3 0/o Zucker. Nach 5 Tagen wurde dasselbe Tier abermals zu einem Versuche verwendet, und zwar im Wasserbad von 40° C. Versuch VI. 9b 50'. Beginn der Narkose, Temperatur 38,6°C., Harn frei von Zucker und Eiweiss. 10h 30°. 4 em Harn: kein Zucker und Eiweiss. 11h 45’. Temperatur 39°C.; 35 ccm Harn, frei von Zucker und Eiweiss. 12h 45'. Temperatur 39,9°C.; 10 cem Harn: kein Zucker und Eiweiss. 1b 30°. 8 cem Harn: frei von Zucker und Eiweiss. Versuch VII. Hund von 9,5 kg. 2 Tage mit Fleisch gefüttert. 1b 15. Temperatur 37,8°C., Harn frei von Zucker und Ei- weiss. Wasserbad von 40° C. Beginn der Narkose. Nach 4"/s stündiger Narkose und Tem- peratur von 39,2°C. im Harn weder Zucker noch Eiweiss. Drei ‘weitere Versuche hatten ein analoges Resultat. Nach Äthernarkose mit gleichzeitiger Immersion des betreffen- den Tieres in ein Wasserbad, welches die Abkühlung ‘verhindert, Über den Einfluss der Äthernarkose auf die Körpertemperatur etc. 605 bzw. die Körpertemperatur etwas erhöht, treten weder Glykosurie noch Eiweiss im Harn auf. Diese Versuche lassen es also als höchstwahrscheinlich er- scheinen, dass die Äthernarkose, zum Teil wenigstens, in der Weise die Glykosurie hervorruft, dass sie eine Störung der Wärmeregulation bedingt. Dass Abkühlung sowohl Glykosurie wie Albuminurie hervor- rufen kann, haben die Untersuchungen von Araki!) gezeigt, der nach energischer Abkühlung bei Hunden und Kaninchen Glykosurie und Albuminurie auftreten sah. Ferner hat Lüthje in neuer Zeit festgestellt °), dass die Grösse der Zuckerausscheidung beim pankreas- losen Hunde in hohem Maasse von der Aussentemperatur abhängig ist. Er beobachtete eine geringe Zuekerausscheidung bei hoher und eine hohe bei niederer Temperatur. Ferner beobachteten Lüthje?®), Embden und Liefmann*), dass die Blutzuckermenge bei niederer Aussentemperatur steigt und vice versa. Es mag noch hervor- gehoben werden, dass die betreffenden Tiere nach Angabe der Ver- fasser mit Pferdefleisch gefüttert worden waren. Auch einige klinische Beobachtungen über das Auftreten von Glykosurie nach Abkühlung sind mitgeteilt worden. Glässner?) berichtet von vier Fällen starker Abkühlung mit nachfolgender Gly- kosurie. Er schreibt: „An der hiesigen Abteilung ist seit Jahren von Herrn Primarius Bamberger die Beobachtung gemacht worden, dass bei Personen, welche den Tod durch Ertrinken suchten, und so längere Zeit hochgradiger Kältewirkung ausgesetzt waren, Zucker im Urin eintritt.“ Er gibt an, dass die Erscheinung nicht in allen Fällen von hochgradiger Abkühlung auftritt, so hatten von neun von ihm beobachteten Fällen soleher Abkühlung nur vier Gly- kosurie. Auch fand Glässner, dass es immer die ersten Portionen des Harnes waren, welche den Zucker enthielten, während derselbe 1) Über die Bildung von Milchsäure und Glykose im Organismus bei Sauerstoffmangel. Zeitschr. f. physiol. Chemie 1892 S. 451. 2) Über den Einfluss der Aussentemperatur und die Grösse der Zucker- ausscheidung. Verhandl. d. XXII. Kongr. f. innere Medizin S. 268. 1905. 3) Beitrag zur Frage der Zuckerökonomie im Tierkörper. Verhandl. d. XXIV. Kongr. f. innere Medizin 1907 S. 264. 4) Über den Einfluss der Aussentemperatur auf den Blutzuckergehalt. Hofmeister’s Zeitschr. Bd. 10 8. 265. 1907. 5) Über Abkühlungsglykosurie. Wiener klin. Wochenschr. Bd. 19 Nr. 30. 1906. 606 Karl Grube: nicht zu finden war, wenn der Patient nach längerer Zeit zur Be- obachtung kam. Die Verfasser der Beobachtungen über die Vermehrung des Blutzuckers bei niedriger Aussentemperatur sehen die biologische Bedeutung der Abhängigkeit des Blutzuckergehaltes von der Aussen- temperatur in wärmeregulatorischen Vorgängen. Die beim Warm- blüter in der Kälte gesteigerten Verbrennungsprozesse bedingen einen gesteigerten Verbrauch an Brennmaterial. Dieses Material ist zum Teil der Zucker. Dieser wird vom Ort der Produktion, also an erster Stelle der Leber, nach dem Orte der Verbrennung, als welche vielleicht die Muskeln anzusehen sind, in vermehrter Menge trans- portiert, und somit wird das Blut zuckerreicher. - E. Pflüger!) weist zur Erklärung des Kältediabetes auf die Erscheinung, dass die Kartoffeln bei nieht tödlieher Kälte süsser werden, was darauf beruht, dass der Lebensprozess fortwährend Stärke in Zucker verwandelt, während die gesunkene Temperatur die Oxydation des Zuckers hindert. Dafür, dass die Glykosurie bei der Äthernarkose in einer ver- mehrten Produktion bei vermindertem Gebrauch beruht, spricht das schnelle Aufhören derselben nach der Narkose. Betrachtet man daraufhin die Vorgänge bei der Äthernarkose, so können zwei, vielleicht drei Momente in Betracht kommen: ein- mal der gesteigerte Glykogenzerfall als Folge der durch die Inhalation grosser Äthermengen hervorgerufenen Abkühlung, und zweitens die verminderte Oxydation. Diese ist wieder die Folge von zwei Fak- toren: zunächst der infolge der Äthereinatmung herabgesetzten Sauer- stoffaufnahme und zweitens der durch die betäubende Wirkung des Äthers aufgehobenen Muskelarbeit. Da die Organe, in denen die Oxydation unter normalen Verhältnissen hauptsächlich stattfindet, durch die Narkose gänzlich gelähmt sind, kann in ihnen auch nur eine ganz geringe Oxydation stattfinden. Das mit vermehrtem Brenn- material versorgte Blut kann seinen Vorrat nicht loswerden, der Überschuss muss daher sofort durch die Nieren ausgeschieden werden. Da infolge der Lähmung der Muskulatur die Oxydation in den Muskeln stark herabgesetzt sein muss, erklärt es sich auch, warum bei der Ätherglykosurie die Abkühlung nicht so bedeutend zu sein braucht, 1) Untersuchungen über den Pankreasdiabetes. Pflüger’s Arch. Bd. 118 S. 310. Über den Einfluss der Äthernarkose auf die Körpertemperatur etc. 607 um Glykosurie hervorzurufen, als bei der Abkühlung ohne gleich- zeitige Narkose. Sobald die Narkose beendet ist, hört auch die vermehrte Bildung von Zucker auf, während andererseits durch vermehrte Oxydation wieder mehr Brennmaterial gebraucht wird. Daher verschwindet die Glykosurie bald nach Beendigung der Narkose. Als drittes Moment könnte möglicherweise für das Auftreten der Glykosurie noch eine vermehrte Durchlässigkeit der Nieren in Betracht kommeu, da diese ja, wie die Albuminurie beweist, in einen abnormen Zustand geraten. Doch ist die Frage nach der Durchlässigkeit der Nieren für Zucker noch so wenig aufgeklärt, dass dieses Moment von der Betrachtung ausgeschlossen werden muss. Von den beiden Momenten, Abkühlung und verminderte Oxydation, würde das erstere in Weefall kommen, wenn durch Wärmezufuhr von aussen, wie es im warmen Wasserbade geschieht, dieser Abkühlung entgegengewirkt würde. Man muss sich die durch die Ätherinhalation bewirkte Abkühlung in ihrer Wirkung auf die inneren Organe wesentlich intensiver denken, als sie bei äusserer Abkühlung, ausser bei sehr tiefer Aussentemperatur, sein kann. Wie entsteht nun diese Abkühlung? Man könnte sich vor- stellen, dass dieselbe in den Lungen zustande käme, dass die Ein- atmung der mit Ätherdämpfen geschwängerten kalten Luft eine Abkühlung des Blutes in den Lungen selbst hervorrufe, oder die Abkühlung kann zustandekommen durch starke Wärmeabgabe durch die Haut. Es ist bekannt, dass der Äther einen starken vasodilata- torischen Einfluss ausübt, so dass also durch die Erweiterung der Hautgefässe ein starker Blutzufluss zu den peripherischen Gefässen stattfindet, der seinerseits zur ausgiebigen Wärmeabgabe durch die Haut Veranlassung gibt. Auf diesem vasodilatatorischen Einfluss :zu- sammen mit der aufgehobenen Muskeltätigkeit beruht es wohl auch, dass die Temperaturerniedrigung bei der Äthernarkose so viel stärker ist, als wenn das Tier bei gleicher Aussentemperatur ohne Narkose längere Zeit festgebunden wird. Und es erklärt sich, warum im letzteren Falle die Glykosurie ausbleibt. Die Äthernarkose verhindert die Wärmeregulation, die beim nicht narkotisierten Tiere durch Kontraktion der Hautgefässe zustande kommen kann. Die Richtigkeit dieser Ansicht beweisen zunächst schon die Ver- suche im warmen Wasserbade, bei denen der Wärmeabgabe durch 508 Karl-Grube: Über den Einfluss der Äthernarkose etc. die Haut entgegengewirkt wird. Aber es genügt auch schon gutes Zudecken des Tieres, wie der folgende Versuch dartut. Versuch X, Hund, 2 Tage mit Fleisch gefüttert. Narkose begonnen um 11h 40° Tier mit Watte und Tüchern gut zugedeckt, ausserdem hat der Operationstisch eine Vorrichtung, dass er erwärmt werden kann. Um die Temperatur im Innern des Tieres genau zu erfahren, wird durch einen kleinen Einschnitt in der Mittellinie unterhalb des Brustbeins ein Thermometer unter die Leber bis zum Diaphragma eingeschoben, während ein zweites Thermometer im Rektum liegt. 12h 30. Temperatur im Abdomen 40,9° C. Temperatur im Rektum 40,9° C. Ib. Temperatur im Abdomen 41,3°C. Temperatur im Rektum 41,3° C. 1h 50°. Temperatur im Abdomen 42,4° C. Temperatur im Rektum 42,3° C. > eem Harn geben mit Worm-Müller keine Reaktion. Um festzustellen, ob die Abkühlung durch Erwärmung der ein- geatmeten Luft verhindert wird, wurde folgender Versuch angestellt: Versuch XI. Hund, 2 Tage mit Fleisch gefüttert. Äthernarkose, begonnen um 10% 30’. Das Tier wird nicht zu- gedeckt. Thermometer im Abdomen und Rektum, wie im vorigen Versuch. Temperatur im Abdomen 37,5° C., im Rektum 37,8° €. | Kanüle in Trachea, dieselbe wird mit dem Apparat für künst- liche Atmung verbunden. Die Luft streicht vor ihrem Eintritt in die Lungen durch einen elektrisch erwärmten Zylinder. Nach zirka 1!/e Stunden beträgt die Temperatur im Abdomen 36,2° C., im Rektum 35,9° C. 3 ccm Harn geben eine starke Reaktion mit Worm-Müller. Es ist demnach die Abkühlung bei der Äthernarkose bedingt durch die starke Wärmeabgabe durch die Haut, als Folge der durch den Äther hervorgerufenen Vasodilatation. Die Unterschiede, die man beim Menschen nach Äthernarkose in bezug auf das Auftreten. von Glykosurie beobachtet hat, beruhen möglicherweise darauf, dass bei den Narkotisierten mit nachfolgender Glykosurie eine stärkere Abkühlung- während der Narkose statt- gefunden hat und nicht auf einer besonderen Veranlagung. 609 (Aus dem Laboratorium des Elbtunnelbaues und der physiologischen Abteilung des pathologischen Instituts des Krankenhauses St. Georg in Hamburg.) Über den Einfluss der komprimierten Luft. auf die Blutbildung. Von Dr. Adele Bornstein. Der Einfluss der Luftverdünnung und insbesondere des Hoch- sebirgsklimas auf die Blutbeschaffenheit ist bekanntlich durch die Arbeiten zahlreicher Autoren sichergestellt worden — ich verweise nur auf die klassische Zusammenstellung in Zuntz’schen Buche?). Demgegenüber ist das Verhalten der Blutelemente in komprimierter Luft nur wenig studiert worden, und die spärlichen Hinweise in der Literatur zeigen keine Übereinstimmung in der Auffassung der verschiedenen Autoren. Es schien deswegen erwünscht, systematisch Versuche in dieser Richtung anzustellen, und ich ergriff deshalb die Gelegenheit, die sich mir bot, als beim Bau eines Tunnels unter der Elbe komprimierte Luft während längerer Zeit zur Verfügung stand. Der Hamburgischen Wasserbaudirektion bin ich dabei zu Dank verpflichtet, nicht nur für die Erlaubnis, diese Versuche im Tunnel auszuführen, sondern auch dafür, dass sie in Erkenntnis des praktischen Interesses in liberalster Weise. die Mittel zu ihrer Durch- führung zur Verfügung gestellt hat. Die Literatur über unsere Frage ist, wie gesagt, spärlich. Friedrich und Tausk sowie Heller, Mager und v. Schrötter fanden bei Caissonarbeitern keine Veränderungen in der Blut- zusammensetzung. Regnard hingegen fand bei Tieren, die er mehrere Tage hindurch in reinem Sauerstoff hielt, eine Abnahme des Hämoglobingehaltes und der roten Blutkörperchen. Die Versuche Regnards sind mit denen der anderen Autoren deshalb nicht gut zu vergleichen, weil Regnard seine Tiere während mehrerer Tage ohne Unterbrechung im Sauerstoff hielt, 1) Zuntz, Löwy, Caspari und Müller,.Höhenklima. . Berlin .1906. 610 Adele Bornstein: während Friedrich und Tausk!) sowie Heller, Mager und v. Sehrötter?) Arbeiter untersuchten, die nur wenige Stunden täglich in einer Pressluft sich befanden, deren O, — Partialdruck nur etwa zwei Drittel des reinen Sauerstofis betrug. Diese Versuchsanordnungen sind aber auch sonst in biologischer Hinsicht voneinander verschieden; so sterben z. B. Hunde nach einem Aufenthalt von 2—3 Tagen in Pressluft von 6 Atmosphären Druck, während sie bei einem Aufenthalt von täglich 8 Stunden in Pressluft diesen Druck während mehrerer Wochen vertragen. Ander- seits ist nach den Erfahrungen, die man mit verdünnter Luft gemacht hat, eine Einwirkung bei den Caissonarbeitern, die nur wenige Stunden am Tage dem veränderten Luftdruck ausgesetzt sind, nicht zu erwarten. Meine Versuche habe ich in folgender Weise angestellt: Die Versuchstiere erhielten während der ganzen Versuchszeit eine an- nähernd gleiche Nahrung, von der sie ihrem Hungergefühl ent- sprechende Mengen zu sich nahmen. So bekamen die Tauben Erbsen, die Hunde Hundekuchen (Marke Spratt) und etwas Knochen, der Affe Reis und Weissbrot. — Die Versuche begannen erst, nach- dem die Tiere einige Zeit diese Nahrung erhalten hatten. Bestimmt wurde die Zahl der roten Blutkörperchen und der Hämoglobingehalt in einer venösen Blutprobe. Ich benutzte zur Zählung der Blut- körperchen teils die Thoma-Zeiss’sche, teils die Hayem- Nachet’sche Zählkammer; in einer Anzahl Versuche beide Methoden, deren Resultate immer eine befriedigende Übereinstimmung zeigten. Für die Bestimmung des Hämoglobingehaltes diente das be- kannte Gowers-Sahli’sche Hämoglobinometer; doch schien es mir nötig, in bestimmten, weiter zu beschreibenden Versuchen die genauerere Haldane’sche Modifikation des Gower’schen In- strumentes zu benutzen. Zu den Versuchen wurden Hunde, Tauben sowie ein Affe gebraucht. Die Blutprobe wurde bei den Hunden aus dem Ohr, bei den Tauben aus einer Flügelvene, beim Affen aus der Fingerbeere entnommen. Um die Blutproben zu entnehmen, wurden die Tiere auf ganz kurze Zeit aus der Pressluft herausgebracht, um nach der Blut- entnahme sofort wieder eingeschleust zu werden. 1) Zeitschr. f. klin. Med. 2) Luftdruckerkrankungen. Leipzig und Wien 1910. Über den Einfluss der komprimierten Luft auf die Blutbildung. 611 I. Versuche an Säugetieren. Ich begann die Versuche so, dass ich einfach Tiere vor und während des Aufenthaltes in Pressluft beobachtete. Ich möchte hier gleich bemerken, dass die Tiere einen mehrmonatlichen Aufenthalt in komprimierter Luft stets gut vertragen und keine Absonderheiten im körperlichen Verhalten — in Fresslust usw. — zeigten. Jedoch nahm das Sehvermögen des Hundes „Terry“ während dieser Zeit beträcht- lich ab; ob dies als eine Wirkung der Pressluft aufzufassen ist, möchte ich nicht entscheiden; bei anderen Tieren wurde derartiges nicht beobachtet. Tabelle’. Hund „Terry“. Gewicht | Rote Blut- klmo; | Datum a globin Bemerkungen kg körperchen do | 22. September 1909 10,20 6 277 500 100 Inlattes 28. 5 1909 9,86 6 164 000 100 Ba h 7. Oktober 1909 | 10,2 6 125. 000 100 ei 14. 2 1909 10,450 | 7500 000 100 hs 22. ® 1909 10,26 5 767 000 90—95 Am 15. Oktober 5. November 1909 10,20 5 800 000 95 wird der Hund 30. he 1909 10,10 5 332 000 85—90 in den Tunnel 17. Januar 1910 9,60 4.092 000 70—75 auf 2 Atmo- 18. März 1910 9,70 5 394 000 75—80 sphären Uber- 29. April 1910 9,40 5 239 000 35—90 druck gebracht Die Blutbefunde an diesem Hunde „Terry“ zeigt die Tabelle 1. Es zeiet sich von Beginn der Presslufteinwirkung an ein Absinken der Zahl der roten Blutkörperchen und eine damit etwa parallel gehende Verminderung des Hämoglobingehaltes. Eine strenge Pro- portionalität zwischen Erythroeytenzahl und Hämoglobin bei der immerhin nur mässigen Anämie dürfte sien schwer feststellen lassen. Tabelle II. Affe („Sphinxpavian“). Gewicht | Rote Blut- an | Datum 5 globin Bemerkungen kg körperchen 0, | 20. März 1910 1,820 5.177 000 Am 22. März 1910 22. Mai 1910 — 423 etwa 2 Atm. Über- 1000 4550 4 in Pressluft_ von | druck 612 Adele Bornstein: Den gleichen Befund zeigte der Affe (Tabelle II): eine mässige Anämisierung in der Pressluft, sowohl in bezug auf Hämoglobin- gehalt als auf Blutkörperchenzahl. Es war von vornherein nicht zu übersehen, ob das Verhalten der Tiere auf die kumprimierte Luft als solche oder auf Begleitumstände, namentlich auf das besondere „Klima“ des im Bau befindlichen Tunnels, in dem die Tiere sich be- fanden, zurückzuführen war. Das Leben in diesem Tunnel bietet ja, was Belichtung, Luftfeuchtigkeit, Windstärke usw. anbelangt, manche Unterschiede gegenüber den Verhältnissen in freier Luft, die an sich wohl geeignet. sein könnten, eine Anämie hervorzurufen. Als daher der Tunnelbau so weit fortgeschritten war, dass ein Teil des Tunnels sich ausser Pressluft befand, benutzten wir diesen Um- stand zu vergleichenden Versuchen. Es wurden sechs Hunde vom gleichen Wurf ausgewählt, 7 Wochen alt, von denen zwei während der ganzen Versuchszeit in freier Luft, weitere zwei im Tunnel ohne Pressluft, endlich zwei im Tunnel mit Pressluft gehalten wurden. Tabelle II. Versuche an wachsenden Hunden. Hämo- Hund Datum Gewicht | Rote Blut- } lob B Nr. 1910 körperchen gıobın emerkungen kg 0/9 Tiere in freier Luft. 19 { 20. Januar 3,860 3 813 900 59—60 16.: März 7,800 5 115 000 60 I& { 20. Januar 3,340 3410 000 60 12. März 6,800 4 929 000 12-0 Tiereim Tunnel ohne Pressluft. 20. Januar 3,940 3 565 000 60—65 Beide Ti IS { 10. März | 6.000 | 4991 000 72 oa tern ıve$| 20. Januar | 4,050 | 3348000 55—60 in den Tunnel ohne 10. März 5,305 | 5022000 65—70 Pressluft gebracht Tiere im Tunnel mit Pressluft. VG { 20. Januar | 3,745 | 4495 000 65—67 Beide Tiere am 8. März | 5,070 | 4247000 55—60 A emaae CN 20. Januar | 4,107 | 3534000 60 in den Tunnel mit NE { 8. März 5,480 3 526 000 5560 Pressluft gebracht Es zeigt sich nun (Tabelle III), dass alle Tiere bei atmo- sphärischem Luftdruck, sowohl die Tiere an frischer Luft als auch die, im. ‚Tunnel, während des Versuches bedeutend sowohl‘ an Erythrocytenzahl wie an Hämoglobingehalt zugenommen haben; Über den Einfluss der komprimierten Luft auf die Blutbildung. 613 während diese Zahlen bei den Tieren in Pressluft gleichgeblieben sind oder vielleicht sogar einen leichten Rückgang erlitten haben !). Wir werden also die Anämisierung auf die kom- primierte Luft und nieht auf den Aufenthalt im Tunnel zurückzuführen haben. Nun beweist bekanntlich eine solche Anämie der peripheren Körperteile noch nicht eine Anämie des ganzen Tieres, namentlich wenn, wie es bei unseren Versuchen der Fall ist, Blutkörperchenzahl und Hämoglobingehalt einigermaassen einander parallel verlaufen. Ich hielt es daher für nötig, bei einigen Tieren der Tabelle III Be- stimmungen der Gesamthämoelobinmenge und — anschliessend daran — der Blutmenge zu machen. Ich benutzte dazu eine den Verhältnissen angepasste Modifikation der Welker’schen Methode. Dieselbe beruht ja darauf, dass man das Versuchstier aus der Arterie verbluten lässt, während man sukzessive NaCl-Lösung durch die Vene nachfüllt und so ein möglichst grosser Teil der Blutmenge erhalten wird. Der Rest des Tieres wird zer- kleinert und der Hämoglobingehalt des mit Buchner’scher Presse gewonnenen Presssaftes bestimmt. Diese Bestimmung bildet natürlich den schwachen Punkt der Methode, da es nicht ganz leicht ist, den ganzen Blutfarbstoff so zu gewinnen und an dem gewonnenen, von Fett usw. verunreinigten Safte eine Hämoglobinbestimmung aus- zuführen. Man wird deshalb danach trachten müssen, eine möglichst grosse Blutmenge bei der Entblutung zu gewinnen, — was übrigens alle Autoren betont haben, die mit der Methode gearbeitet haben. Es gelang mir nun, auf den Vorschlag von Dr. Arthur Bornstein, eine fast vollständige Entblutung — etwa 95°/o des Gesamtblutes wurden gewonnen — mit Hilfe der komprimierten Luft. Nachdem die Kanülen in Arterie und Vene eingelegt und die Tiere tracheotomiert waren, wurden sie in der Sanitätsschleuse auf 3 Atmo- sphären Druck gebracht und Sauerstoffatmung eingeleitet. Dann wurde die Entblutung bei gleichzeitiger Nachfüllung einer Ringer- schen Flüssigkeit vorgenommen. Durch die grossen Sauerstoffmengen, mit denen die Ringer’sche Lösung sich sofort in den Lungen sättigte, war es möglich, das Tier ausserordentlich lange am Leben 1) Dagegen kind. alle Tiere im Tunnel in bezug auf das Körperwicht gegen- über den Tieren in freier Luft zurückgeblieben. 614 Adele Bornstein: zu erhalten und grosse Mengen Ringer’scher Lösung — etwa 10 Liter — durch das Tier zu schicken. Es zeigte sich denn auch, dass die inneren Organe so gut wie frei von Blut waren und nur an einer Stelle noch grössere Blut- mengen sich befanden, nämlich im Marke der langen Röhrenknochen. Diese Tatsache scheint mir für die Beurteilung der Zirkulations- verhältnisse nicht unwichtig zu sein; es soll an anderer Stelle auf sie näher eingegangen werden. Um den Presssaft der Organe zu gewinnen, stand mir eine Buchner’sche Presse nicht zur Verfügung. Wohl aber bin ich der Versuchsstation Grevenhof der Hamburgischen Wasserbaudirektion zu Dank verpflichtet; dieselbe stellte mir eine hydraulische Presse zur Verfügung, die dem Zwecke diente, Zementsteine auf ihre Festigkeit zu prüfen. Nach Improvisation eines gusseisernen Presstopfes, der in den Apparat hineinpasste, liess sich dann — wenn auch mit einiger Mühe — der Presssaft quantitativ gewinnen. Die Hämoglobin- bestimmung wurde mit dem Haldane’schen Apparat ausgeführt. Tabelle IV. Hämo- End 1 Sauerstoft- Bl lobin- 2 utmenge Datum| Nr. | Ge- Hall a 3 BR Mai | der | wicht | des des prokg| Ge- | prokg een: 1910 | Tab. Karotis-| Gesamt- | Körper- en Körper- kungen II blutes | Blutes | gewicht gewicht i kg 0/0 ccm ccm ccm ccm 21. I [13,49 91 149,3 nl 886 65 freie Luft n | Tunnel ohne 20. | ıw 1042| 91 | 1445 | 140 | sar | sı { en Tunnel mit 18 VI | 7820| 74 122,3 15,5 893 | 114 { Pressiutt Die Resultate dieser Versuche, die sich in der vorstehenden Tabelle IV verzeichnet finden, sind in mancher Beziehung etwas überraschend. Zunächst bestätigen sie die Abnahme des Hämoglobin- gehaltes, der in den früheren Versuchen für das aus dem Öhre ent- nommene Blut festgestellt war, auch für den des Karotisblutes. Noch stärker als in der Tabelle III, aber in der gleichen Art, ist der Unterschied im Körpergewicht ausgeprägt; das Presslufttier ist hinter dem Tier im Tunnel ohne Pressluft zurückgeblieben, letzteres hinter dem Tiere in freier Luft. Dagegen ist die Gesamtblutmenge bei allen Tieren trotz der Verschiedenheit im Körpergewicht fast gleich; dagegen hat auf das Kilogramm Körpergewicht berechnet das Tier in freier Luft 65 cem Blut, also etwa normalen Wert, das Tier Über den Einfluss der komprimierten Luft auf die Blutbildung. 615 im Tunnel ohne Pressluft etwas mehr, nämlich 81 eem, während das Tier in Pressluft den höchsten Wert, 114 cem, aufweist, d. h. die Blutmenge beträgt bei ihm mehr als Y/s des Körpergewichts: ein ganz auffallend hoher Wert. Wirhabenesalsobeider Pressluftanämie mit einer Vermehrung der Blutmenge zu tun, die sich mit einer ‚mässigen Herabsetzung desprozentualen Hämoglobin- sehaltes vergesellschaftethat, in der Weise etwa, wie man es ‚auch bei der Chlorose findet. Nur tritt die Vermehrung der Blut- menge in unserem Falle verhältnismässig sehr viel stärker hervor als bei der Chlorose. Iufolgedessen ist auch die Gesamthämoglobin- menge (nach Haldane gemessen an der O,-Kapazität) bei unserem Presslufttiere nur wenig kleiner als bei den beiden anderen Tieren; ja, pro Kilogramm Körpergewicht berechnet besitzt das Presslufttier sogar etwas mehr Hämoglobin als das Tier im Tunnel ohne Press- luft, erheblich mehr als das Tier in freier Luft. Man wird demnach die Pressluftanämie nicht einfach als Pendant zur Polyeythämie des Hochgebirges auffassen können, — wenigstens nicht beim wachsenden Organismus, den wir in der letzten Versuchs- reihe untersucht haben. Es scheint sich vielmehr eher um Störungen im Gesamtwachstum des Körpers zu handeln, bei denen das Blut auch beteiligt ist"). II. Versuche an Tauben. Die Versuche an Tauben zeigt die Tabelle V. Ein deutlicher Einfluss der Pressluft auf diese Tiere war nicht zu verzeichnen. Tabelle V. Versuche an Tauben. Tube Datum Bote Bemerkungen Nr. Blutkörperchen 15. Oktober 1909 4 264 000 Am 16. Oktober 1909 in | 23. n 1909 4 054 000 Pressluft zirka 2 Atmo- 7. November 1909 3 776 000 sphären Überdruck I 9. Dezeinher 1909 4 526 000 3. Januar 1910 4 310 000 22. März 1910 3 162 000 L 21.22. Ma1 21910 3 744 000 Seit einer Woche nur !/2 bis 1 Atmosphäre Überdruck 23. November 1909 4.030 000 Am 29 November 1910 in 1 18. Januar 1910 4.092 000 Presslutt von 2 Atmo- 27. März 1910 4 092 000 sphären Überdruck 1) Die Tiere im Tunnel machten auch einen etwas rachitischen Eindruck. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 40 ‚616 Adele Bornstein: Über den Einfluss der komprimierten Luft etc. Zusammenfassung. 1. Beim Hunde und beim Affen zeigte sich bei länger dauerndem Aufenthalte in komprimierter Luft (2 Atmosphären Überdruck) eine Herabsetzung der Zahl der im Kubikmillimeter enthaltenen roten Blutkörperchen sowie des prozentualen Hämoglobingehaltes. 2. Diese Herabsetzung des prozentualen Hämoglobingehaltes zeiste sich auch bei wachsenden Hunden. Bestimmungen des Gesamthämoglobins und der Blutmenge nach einer modifizierten Welker’schen Methode zeigen, dass es sich dabei um eine Hydrämie handelt. 3. Bei Tauben konnten diese Veränderungen nicht nachgewiesen werden. (Aus dem Laboratorium des medizinisch-poliklinischen Instituts der Universität Berlin.) Über die Beeinflussung der Suprareninwirkung durch Sauerstoff und die Salze des Blutes. Von Erich Siegel. Unter den Faktoren, die für das schnelle Wiederabsinken des Blutdrucks nach intravenöser Injektion von Adrenalin verantwortlich gemacht worden sind, hat von jeher die Annahme einer Zerstörung durch Oxydation eine grosse Rolle gespielt. Schon Athanasiu und Langlois!) fanden, dass die Substanz durch ozonisierte Luft und durch die Oxydase des Krebsblutes leicht zerstört wird und ihre blutdrucksteigernde Kraft verliert; infolgedessen führten sie das schnelle Abklingen der Blutdrucksteigerung auf eine oxydative Zer- störung des Adrenalins im Organismus zurück. Batelli?) zeigte, dass dem Blute zugesetztes Adrenalin bei künstlicher Durchblutung der Leber leicht zerstört wird, und zwar nach seiner Annahme durch Umwandlung in „Oxyadrenalin“. Seitdem wurde dieser Befund als feststehend angenommen. In neuerer Zeit sind nun einige Tatsachen angeführt worden, die der Theorie einer oxydativen Vernichtung des Adrenalins wider- sprechen. Embden und v. Fürth?) leiteten bei Körpertemperatur einen lebhaften Luftstrom durch eine Mischung von defibriniertem Rinderblut und Suprarenin und stellten fest, dass diese Mischung nach zwei Stunden bei intravenöser Injektion keine Blutdruck- steigerung mehr hervorrief; sie bewiesen jedoch, dass für diese Zer- I) Athanasiu et Langlois, Comptes rendus de la Soc. de Biol. t. 49 p. 475. 2) Batelli, Comptes rendus de la Soc. de Biol. 1902 p. 1179. 3) Embden und v. Fürth, Hofmeisters Beiträge zur chem. Physiol. u, Pathol. Bd. 4 S. 421. 1904. 40 * 618 Erich Siegel: störung des Suprarenins nieht die Luftdurchleitung, sondern die Alkaleszenz des Blutes verantwortlich za machen sei. Neujean!) sah, dass Adrenalinlösungen und Adrenalinblutgemische, durch die er stundenlang einen Luftstrom leitete, ihre blutdrucksteigernde Kraft dadurch nicht verloren; er hält es also nicht für erwiesen, dass Adrenalin im Organismus durch Oxydation zerstört wird. Trotz dieser Befunde wird auch noch in der jüngsten Zeit all- gemein die Ansicht vertreten, dass die Wirkung der Substanz im Körper durch den Sauerstoff aufgehoben wird, so von Boruttau?), OÖ. B. Meyer?), Schmiedeberg*), Straub?) u. a. Da die Ehrmann’sche Froschpupillenreaktion, mit der bekannt- lich Adrenalin auch noch in sehr starker Verdünnung nachgewiesen werden kann, zur Klärung der vorliegenden Frage bisher nicht be- nutzt worden ist, habe ich mit ihr Versuche darüber angestellt, ob die Oxydation einen Einfluss auf die Adrenalinwirkurg ausübt. Meine Untersuchungen erstreckten sich des weiteren auf eine Gruppe von Substanzen, die ebenfalls im Blutserum vorkommen, und denen eine antagonistische Wirkung untereinander und gegenüber dem Adrenalin zuzeschrieben worden ist, nämlich Chlornatrium, Chlorealeium und Chlorkalium. Was die Wirkung von Kochsalz- lösungen, insbesondere physiologischen, auf die Froschpupille aunlangt, so gehen die Angaben der Autoren hierüber erheblich auseinander. Eine Klarstellung dieser Verhältnisse ist aber gerade für die Praxis der Ehrmann’schen Reaktion von grosser Bedeutung, da physio- logische Kochsalzlösung bei dieser allgemein als Flüssiekeit für die Kontrollpupillen gebraucht wird. Die Lösungen von Chlorcaleium und Chlorkalium, deren Einfluss auf die Pupille und die Adrenalin- wirkung bisher untersucht worden ist, waren viel konzentrierter, als es dem Gehalt des Blutserums an diesen Salzen entspricht; daher verwandte ich Salzlösungen von derselben Konzeutration, wie sie im Blutserum vorkommen. 1) Neujean, Arch. internat. de Pbarmacodynamie et de Therapie t. 13 p. 5—%. 2) Boruttau in Nagel’s Handb. d. Physiol. Bl. 2 S. 35. 1906. 3) O0. B. Meyer, Zeitschr. f. Biol. Bd. 48 S. 352. 1906. 4) Schmiedeberg, Lehrb. d. Pharmakol. 1909. 6. Aufl. 5) Straub, Zeitschr. f. ärztl. Fortbildg. Nr. 19 S. 577. 1910. Über die Beeinflussung der Suprareninwirkung durch Sauerstoff usw. 619 Methodik. Bezüglich der Untersuchungstechnik schloss ieh mich im wesent- lichen den Angaben Ehrmann’s!) und Frankl’s?) an. Ich ver- wandte durchweg kleine Exemplare von Rana temporaria (Winter- frösche) und brachte diese in einem geeigneten Gefäss für mehrere Stunden vor Anstellung der Versuche in den Eisschrank; die niedrige Temperatur und die Verdunkelung erhöhen, wie ich hervorheben will,. die Reaktionsfähigkeit der Pupillen für den darauffolgenden Versuch. Sodann wurden die Frösche rasch dekapitiert, die Bulbi herauspräpariert und sofort auf einem kleinen Eisblock intensiver Belichtung ausgesetzt (Tageslicht und zwei elektrische Glühlampen). Hier verengern sich die Pupillen meist sehr schnell; ich wartete jedoch stets ea. 30 Minuten, um sie nach dem anfänglichen Spielen ihrer Weite zur Ruhe kommen zu lassen. Stets verwandte ich eine grössere Anzahl von Augenpaaren zu einem Versuch; es ist dies nötig, um individuelle Schwankungen in der Anspruchsfähickeit der Pupillen möglichst auszuschalten. Nunmehr leste ich jeden Bulbus in ein Glastrichterchen und befestigte diese in einem horizontalen Holzgestell, natürlich die zusammengehörigen Bulbi nebeneinander, um ihre Pupillenweite bequem vergleichen zu können. Dann tropfte ich auf die linken Bulbi die zu untersuchende, auf die rechten die Kontrollflüssigkeit, und zwar beiderseits in gleicher Menge (meist acht Tropfen). Sera brachte ich möglichst bald nach der Entnahme des Blutes auf die Froschpupillen, jedenfalls aber stets noch am selben Tage; denn wenn man sie bis zum nächsten Tage stehen lässt, ent- wickelt sich in ihnen möglicherweise Ammoniak, und dieses bewirkt, wie Ehrmann?) fand, leicht Pupillenerweiterung. Waren die zu untersuchenden Flüssigkeiten vorher bei Körpertemperatur gehalten worden, so kühlte ich sie vor dem Auftropfen eine halbe Stunde lang im Eisschrank ab, um den mydriatischen Einfluss, den die Wärme ausübt, auszuschalten. Nunmehr wurden die Pupillen beobachtet, und in verschieden grossen Intervallen ihre Grösse notiert. Diese bezeichnete ich in l) Ehrmann, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 53 S. 97. 1905 und Deutsche med. Wochenschr. 1908 S. 783. 2) Frankl, Pflüger’s Arch. Bd. 130 S. 346. 1909. 3) Ehrmann,l. c. 620 Erich Siegel: den folgenden Protokollen durch die Grade: 1. spaltförmig (0), 2. Spur, 3. ziemlich (zieml.), 4. deutlich (deutl.), 5. bedeutend (bed.), 6. fast maximal (fast), 7. maximal (max.). Wenn man einige Übung in der Beurteilung der Pupillenweite erlangt hat, kommt man mit diesen Bezeichnungen völlig aus, zumal wenn man noch Zwischen- grade einführt, z. B. deutlich bis bedeutend (a ‚und Differenzen, die weniger als einen halben Grad betragen, durch den Zusatz „kleiner“ resp. „grösser“ ausdrückt. Bei allen Untersuchungen benutzte ich Lösungen von |-Suprare- ninum hydrochlorieum synthetieum, das mir die Höchster Farb- werke in liebenswürdiger Weise zur Verfügung stellten. Da es sich im Organismus stets um sehr geringe Suprareninmengen handelt, verwandte ich ebenfalls meist stark verdünnte Lösungen. Im folgenden ist aus einer grösseren Reihe von Versuchen immer nur ein Beispiel wiedergegeben. A. Wirkung der Oxydation. 1. Suprareninlösungen. Die meisten bisherigen Untersucher benutzten zum Studium der vorliegenden Frage Oxydationsmittel, wie Wasserstoffsuperoxyd, Per- manganate usw.!); hierbei kann man jedoch den Einfluss der übrigen darin enthaltenen Komponenten nicht ausschliessen. Andere Autoren leiteten zwecks Oxydation einen Luftstrom durch die Untersuchungs- flüssigkeit; diese Methode hat den Nachteil, dass die oxydative Kraft der atmosphärischen Luft zu gering ist. Nur ganz vereinzelt wurde zu demselben Zweck reiner Sauerstoff benutzt. Dieses Verfahren wandte auch ich an, denn nur so kann man den ausschliesslichen Einfluss der Oxydation studieren. Aus einer Gasbombe leitete ich Sauerstoff auf den Boden eines ea. 50 cem fassenden engen Glas- zylinders, in dem sich etwa 5 cem der Untersuchungsflüssigkeit be- fanden, und liess das Gas eine Zeit lang stetig durch diese hindurch- perlen. Versuch I. Links: Suprareninverdünnung 1:2 Millionen (hergestellt mit 0,85 %/o iger Na0Cl-Lösung), durch die 100 Minuten Sauerstoff hindurchgeleitet worden ist (ca. 120 Bläschen pro Minute). l) Goldschmidt, Inaug.-Diss.. Halle 1904. Über die Beeinflussung der Suprareninwirkung durch Sauerstoff usw. 621 Rechts: Dieselbe Lösung ohne Sauerstoffdurchleitung. Beginn des Ver- suchs 4h 25’. ll. links |rechts 11. links | rechts | 4h 25’ | bed. ' deutl. | zieml. | deutl. | bed. |deutl. | bed. | bed. | bed. | bed. IV. links |rechts V. Zeit Be links | rechts links |rechts |bed. |deutl. | bed. bed. fast 4h 55’ [fast |bed. |bed. |deutl. |gröss. |bed. | fast | bed. | bed. | bed. fast |fast bed. 2 fast fast | | Ost 6h 10’ | gröss. |bed. |bed. |deutl.|bed. bed. | bed. | bed. | bed. | bed. bed. fast fast bed. Ifast | fast fast fast | 7h 40’ |bed. |bed. |bed. ‚bed. |bed. bed. bed. | bed. | bed. |deutl. fast |fast [fast | fast fast fast | bed. Hieraus ergibt sich, dass trotz Sauerstoffdurchleitung der Er- weiterungsgrad der linken hinter dem der rechten Pupillen nicht zurückbleibt. Dabei handelt es sich hier um so geringe Suprarenin- mengen, dass ein etwa vorhandener Einfluss des Sauerstoffs hätte zur Geltung kommen müssen. Durch einen Vorversuch überzeugte ich mich davon, dass der Sauerstoff an und für sich ohne Einfluss auf die Pupillenweite ist; 0,85 '/oige NaCl-Lösung wirkt nach Sauerstoffdurchleitung genau ebenso wie ohne diese. Um die Versuchsbedingungen den Verhältnissen im Organismus mehr anzupassen, benutzte ich weiterhin als Verdünnungsflüssigkeit Ringer’sche Lösung. R. Magnus!) fand, dass Suprarenin in Ringer’scher Flüssigkeit bei O-Durchleitung und Körpertemperatur allmählich zerstört wird, d. h. die Eigenschaft verliert, auf die Be- wegungen des überlebenden Katzendarms lähmend zu wirken. Ich wandte dieselbe Konzentration an wie Magnus. Versuch I. Links: Suprareninlösung 1:5 Millionen (hergestellt mit Ringer’scher Flüssigkeit), durch die 50 Minuten lang bei 35—37° (Wasserbad) Sauerstoff ge- leitet worden ist (200 Bläschen pro Minute). Rechts: Dieselbe Lösung ohne Sauerstoffdurchleitung. Beginn des Ver- suchs 5h 30. 1) R. Magnus, Pflüger’s Arch. Bd. 108 S.1. 1905. 622,7. Erich Siegel: IN. links | rechts I. zei IV. links | rechts links | rechts links | rechts 5h 30’ 0 0 I n = = IN 5h 383’ | zieml. | zieml. | Spur | Spur Spur | Spur _ — zieml. | zieml. 5h 36’ | zieml. | zieml. ‚| deutl. | deutl. | bed. bed. Spur |, Spur deutl. | deutl. bed. 5h 39’ | deutl. | zieml. | klein. | bed. bed. bed. zieml. | deutl. | deutl. | bed. | 5h 42’ | deutl. | deutl. | bed. | bed. bed. bed. deutl. | deutl. bed. | | fast 5h 45’ deutl. bed. deutl. bed. fast bed. =. bed. deutl. deutl. Eine Abschwächung oder gar Zerstörung des Suprarenins lässt sich demnach nicht feststellen; denn bei sämtlichen Pupillen tritt Erweiterung ein, und zwar beginnt sie überall schon in den ersten drei Minuten. Auch hinsichtlich ihrer Stärke besteht kaum ein Unter- schied zwischen links und rechts. Selbst wenn ich bei sonst gleicher Versuchsanordnung die Dauer der O-Durchleitung verdreifachte (150 Minuten), übte diese keinen deutlichen Einfluss aus). 2. Serumversuche. Bei keinem meiner Versuche konnte ich also an der Hand der Froschpupillenreaktion feststellen, dass Suprarenin durch O zerstört oder in seiner Wirkung beeinträchtigt wird. Gleichwohl wäre es möglich, dass im Blute der Sauerstoff für die Zerstörung der ständig darin kreisenden minimalen Suprareninmengen von Bedeutung ist. Bevor ich hierauf eingehe, ist noch die Frage zu erörtern, ob im Blut der peripheren Gefässe überhaupt Suprarenin nachweisbar ist. Die Angaben, die sich hierüber in der Literatur finden, gehen sehr auseinander. Batelli?) erzielte durch intravenöse Injektion von konzentriertem Karotisserum Blutdrucksteigerung, woraus er auf das Vorhandensein von Adrenalin schloss. ©. B. Meyer?) glaubt 1) Ob die abweichenden Resultate von Magnus auf eine Veränderung der Darmwand selbst zurückzuführen sind, vermochte ich nicht festzustellen; bei den hierauf gerichteten Versuchen konnte ich jedoch -einen eigenartigen Befund er- heben: bringt man physiologische NaCl-Lösung zusammen mit kleinen Stücken Meerschweinchendürndarm für 2 Stunden in den Brutschrank, so gewinnt die Lösung die Fähigkeit, die Froschpupille geringgradig zu erweitern. 2) Batelli,l. c. 3) O0. B. Meyer, .c. Über die Beeinflussung der :Suprareninwirkung durch Sauerstoff usw. 623 an der Hand seiner Gefässstreifenmethode Adrenalin im Blut nach- gewiesen zu haben. Watermann!) kommt auf Grund der Kom- ‚plementbindungsmethode zu demselben Resultat. Ebenso schliesst A. Fränkel?) aus seinen Versuchen am Kaninchenuterus auf das Vorhandensein von Adrenalin im normalen Serum. Demgegenüber kommen die meisten anderen Untersucher zu dem Ergebnis, dass das Blut der.peripheren Arterien und Venen gegenüber der Frosch- pupille unwirksam ist [Ehrmann?), Kraus und Friedenthal%), R. H. Kahn?) u. a.]. \ Da jedoch nach der Vorschrift von Ehrmann bei Serum- untersuchungen als Flüssigkeit für die Kontrollpupillen stets nur Serum benutzt werden darf, so lässt sich die Frage, ob Adrenalin im peripheren Blute nachweisbar ist, mit der Froschpupillenreaktion überhaupt nicht entscheiden. Wohl aber kann geprüft werden, ob der Sauerstoff des Blutes auf die stets zirkulierenden, aber sehr geringfügigen Adrenalinmengen einen Einfluss ausübt. Denn wenn dies der Fall wäre, so müsste nach O-Durchleitung die mydriatische Tendenz des Serums geringer sein als in dem nicht mit OÖ be- handelten Kontrollserum. Versuch II. Links: Normales menschliches Serum, durch das 40 Minuten Sauerstoff hindurchgeleitet wurde (120—150 Bläschen pro Minute). Rechts: Dasselbe Serum ohne Sauerstoffdurchleitung. Beginn des Ver- suchs 3b 40’. S ) 10% 11. IV. ala, | 2 links | rechts links ‚rechts links | rechts links | rechts 34 40° | bed. | deutl. | bed. | bed. | deutl. | deutl. | deutl. . deutl. fast bed. bed. | ‚bed. 4h 10’ | bed. zieml. | bed. bed. deutl. | zieml. | klein. | deutl. fast | deut]. | | deutl. | 6h 10’ | deutl. | zieml. | klein. _ deutl. | deutl. | zieml. | zienil. zieml. bed. | deutl. deutl. | deutl. | deutl. 7h 45’ | deutl. | zieml. | zieml. | deutl. | zieml. | zieml. | klein. | zieml. bed. | deutl. | deutl. deutl. zieml. | | | 1) Watermann, Pflüger’s Arch. Bd. 128 S. 48. 1909. 2) A. Fränkel, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 60 S. 395. 1909. 3) Ehrmann, |. c. 4) Kraus und Friedenthal, Verhandl. d. Berliner Med. Gesellsch. 22. Juli 1908. 5) R. H. Kahn, Pflüger’s Arch. Bd. 128 S. 519. 1909. 624 Erich Siegel: Die im Laufe des Versuches eintretende Verengerung ist links überall ebenso stark wie rechts. Auch aus anderen Versuchen ging hervor, dass Sauerstoffdurchleitung die Wirkung normalen Blutserums auf die Froschpupille nicht beeinflusst; die Verengerung ist bald links, bald rechts etwas stärker, und auch hinsichtlich der Zeit ihres Eintritts zeigt sich kein deutlicher Unterschied. Für die Zerstörung der dauernd von den Nebennieren sezernierten Suprareninmengen scheint der Sauerstoff also ohne Bedeutung zu sein. — Trotzdem wäre es denkbar, dass er imstande ist, dasjenige Suprarenin un- wirksam zu machen, das dem Blute durch subkutane oder intra- venöse Injektion zugeführt wird. Ich stellte daher Versuche mit Serum an, dessen Suprareningehalt künstlich erhöht war. Versuch IV. Links: 4 ccm Normalserum werden mit 1 ccm einer Suprareninlösung 1:1 Million gemischt (also im ganzen Suprareninverdünnung 1:5 Millionen), und durch die Mischung 150 Minuten lang bei 37° (Wasserbad) Sauerstoff geleitet (ca. 200 Bläschen pro Minute). Rechts: Dieselbe Serumsuprareninmischung ohne Sauerstoffdurchleitung. Beginn des Versuchs 6h 0’. ; je 1. II. IV. Zeit u — 2 links | rechts links | rechts links | rechts links | rechts | 65 00’ | zieml. | zieml. _ — m | re — = 65 03’ | klein. , fast deutl. | zieml. | zieml. | ziem.| — — fast | deutl. | | 6h 06’ | klein. | fast fast bed. bed. deutl. — | I — fast | max. fast fast bed. | | I 65 09’ | klein. | fast fast | bed. bed. bed. gröss. | fast fast max. | fast fast | 65 13” | klein. | fast fast | bed. bed. bed. fast | fast fast | max. | max. | max. 64 18’ | klein. | fast | fast | bed. | bed. | bed. | fast | fast fast max. max. | max. Es tritt also bei allen Pupillen schon nach 3 Minuten eine ziemlich erhebliche Erweiterung ein, die überall rechts und links ungefähr gleich stark ist; eine abschwächende Wirkung der Oxydation lässt sich mithin auch hier nicht erkennen. Die vorstehenden Versuche ergeben demnach keiuen An- haltspunkt dafür, dass Suprarenin in physiologischen Salzlösungen oder im Blute durch Oxydation zerstört Über die Beeinflussung der Suprareninwirkung durch Sauerstoff usw. 695 En wird. Nicht einmal eine Abschwächung seiner Wirkung konnte ich feststellen, trotzdem ich den Sauerstoff überall ziemlich lange und intensiv auf eine verhältnismässig geringe Flüssigkeitsmenge ein- wirken liess. B. Wirkung der Salze des Blutes. I. Chlornatrium. Loewit!) beobachtete, dass „U,75—0,9°/oige Kochsalzlösung eine langsam sich entwickelnde miotische Wirkung auf das Froschauge ausübt, die manchmal schon nach 2—3 Stunden, manchmal aber erst später kenntlich wird, und die eine mydriatische Wirkung schwacher Adrenalinmengen entweder völlig zu verdecken, eventuell bei stärkeren Lösungen den Eintritt der Mydriasis wesentlich zu verzögern vermag“. Auch Wessely?°) fand in physiologischer NaCl- Lösung von 37,5° eine Verengerung der isolierten Kaninchenpupille. Comessati?) dagegen stetlte feste, dass wässrige NaCl-Lösungen eine — obwohl nicht prompte — mydriatische Wirkung ausüben können, und A. Wirz*) sah die in physiologischer NaCl-Lösung befindlichen Froschpupillen in den meisten Fällen sieh nicht verändern, oft sich verkleinern und ganz selten sich auch vergrössern. Über die Wirkung der Kochsalzlösung auf die Froschpupille weichen also die Ansichten der bisherigen Untersucher erheblich voneinander ab. Ich untersuchte zunächst die Wirkung der 0,85 °/oigen (isotoni- schen) NaCl-Lösung. Versuch V. Links: 0,85 /oige NaCl-Lösung. Rechts: Aqua destillata. Beginn des Versuches 11h 40’. Um 5h 15’ werden zu jedem Bulbus zwei Tropfen einer Suprareninlösung 1:1 Million zu- gesetzt, so dass das Suprarenin im ganzen im Verhältnis von 1:5 Millionen vor- handen ist. 1) Loewit, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 60 S. 420. 1909. 2) Wessely, Bericht über die 28. Versammlung der ophthalmologischen Gesellschaft zu Heidelberg 1900, zit. nach Deutsch. med. Wochenschr. 1909 Nr. 23 S. 1018. 3) Comessati, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. Bd. 60 S. 233. 1909. 4) A. Wirz, Zentralbl. f. inn. Med. 1910 Nr. 9 S. 225. 626 Erich Siegel: VAR 2 1 1. 11. V. Zeit : links |rechts| links | rechts | links | rechts links |rechts| links | rechts 11h 40’ [eröss. bed. |bed. bed. |klein. bed. !deutl. | deutl. | bed. | bed. bed. | bed. | bed. |fast | fast 11h 55’ |deutl. deutl. |bed. bed. |deutl. deutl.|ziem!. | deutl. | bed. | bed. bed. | bed. bed. deutl. bed. [fast fast 125 15’ | deutl. | deutl. | deutl. bed. | eröss. deutl. | zieml. deutl. |bed. | bed. | bed. fast | deutl. | | fast | fast 1h 40’ |zieml.| bed. |zieml. bed. | klein. | zieml. zienl. | deutl. | klein. | bed. fast | zieml. bed. |bed. |fast | | | | fast | 5h 15’ |zieml. max. [Spur fast [Spur | max. zieml.| fast |zieml. | fast | | zieml. | deutl. | 5h 15’ Hinzufügen der Suprareninlösung. 5h 45° I deutl. max. | ziem!. | fast zieml. | max. |zieml. fast | deutl. ‚ fast bed. | deutl. | bed. 7h 15’ I bed. | max. | deutl. fast |zieml. max. | zieml. | fast deutl. | fast fast | deutl. | | bed. Dieser Versuch ergibt ebenso wie alle anderen derselben Art, dass 0,85 Joige NaCl-Lösung dieFroschpupille verengert, Aqua destillata dieselbe erweitert, wie das auch Loewit bereits mitgeteilt hat. Was zunächst die Wirkung der physiologischen Kochsalzlösung anlangt, so sah ich die Pupillenverengeruns fast regelmässig ein- treten. Unter 72 Pupillen blieben nur 3 unverändert, resp. er- weiterten sich um "se Grad, alle übrigen verengerten sich; Smal ging der Verengerung eine kurzdauernde, geringgradige Erweiterung voraus. In mehr als der Hälfte der Fälle begann die Miosis bereits in der ersten halben Stunde; mehrfach setzte sie jedoch, erst in der zweiten und dritten Stunde ein und nahm dann dauernd zu. Die Zeit, in der sie ihr Maximum erreichte, schwankte zwischen Y/s und 6 Stunden; etwa in der Hälfte der Fälle betrug sie 2—3 Stunden. Wenn die Kochsalzlösung genügend lange eingewirkt hatte, waren die meisten Pupillen eng geworden; bei 17 von 69 Fällen war ihre Weite am Ende des Versuchs noch als „deutlich“ zu bezeichnen, während 38 sich auf „ziemlich“ oder noch stärker verengert hatten; 14 Pupillen wurden sogar zum Teil schon nach 4—5 Stunden spalt- förmig. Trotz des mehrstündigen Aufenthalts in NaCl-Lösung verlieren Über die Beeinflussung der Suprareninwirkung durch Sauerstoff usw. 697 die Pupillen nicht die Fähigkeit, sich auf Suprarenin zu erweitern, was auch aus vorstehendem Versuch hervorgeht; aber man ersieht doch, dass ihre Reaktionsfähiekeit gegenüber sehr verdünnten Supra- reninlösungen etwas leidet. Wenn ich nach mehrstündiger Ein- wirkung der Salzlösungen Suprarenin im Verhältnis 1:5 Millionen zusetzte, so trat zwar auch meist eine Erweiterung ein; diese er- reichte jedoch meist nicht den Grad „fast maximal“. Konzentriertere Suprareninlösungen dagegen, z. B. 1:500000, bewirkten stets eine beträchtliche Erweiterung, und zwar meist um 21/a—5 Grade; die meisten Pupillen wurden hierin „fast maximal“ und „maximal“. Die Erweiterung setzte auch bei schwachen Suprareninlösungen meist in der ersten halben Stunde ein; ein durchgehender Unterschied zwischen schwachen und starken Lösungen liess sich in dieser Be- ziehung nicht feststellen. Auf die Gestalt der durch Suprarenin er- weiterten Pupillen, z. B. im Sinne einer Verzerrung, hat die Koch- salzlösung keinen Einfluss. Des weiteren untersuchte ich, ob sich die miotische Wirkung der NaCl-Lösung auch bei Pupillen bemerkbar macht, die vorher durch Suprarenin erweitert worden sind. Versuch VI. Um 1h 30’ Beginn des Versuchs: Alle Bulbi werden in eine Suprarenin- ösung 1: 1 Million (hergestellt mit Aq. dest.) gebracht (in jedem Gläschen vier Tropfen). r Um 4h 0’ werden zu jedem linken Bulbus 4 Tropfen 0,85 0 NaCl-Lösung hinzugesetzt;; dasselbe um 5h 0’ nochmals. Zeit I Kal II. Il. IV. V. links |rechts| links |rechts| links |rechts| links |rechts| links | rechts 4b 0’ | fast | max. | klein. bed. | max. | max. | fast | fast | klein. | fast max. bed. max. | max. | fast 4h 0’ Hinzufügen der NaCl-Lösung, 5h 0’ | bed. | max. | bed. | bed. | max. | max. | fast | fast | klein. fast fast "fast 5h 0’ Hinzufügen der NaCl-Lösung. 7h 30' | un max. | deutl.| bed. | max. | max. | fast | fast | bed. | fast as Es zeigt sich also hier ebenfalls eine, wenn auch geringe, pupillenverengernde Wirkung der Kochsalzlösune. 628 Erich Siegel: Ich ging nun zur Untersuchung der Frage über, ob die Kon- zentration der Kochsalzlösung auf die Intensität der Pupillenverengerung einen Einfluss hat. Zu diesem Zweck verwandte ich eine 0,48 %/o ige NaCl-Lösung. | Versuch VII. Links: 0,85 VYoige Kochsalzlösung. Rechts: 0,48 °/oige Kochsalzlösung; beiderseits je vier Tropfen. Beginn des Versuchs 10h 45’. Um 2% 0’ wird zu jedem Bulbus ein Tropfen Suprarenin 1:1000 zugesetzt. : n 1 11. II. IV. \% ei links |rechts| links |rechts| links |rechts| links rechts links | rechts | | 10h .45' | fast fast Inc. deutl. II | deutl. | fast | deutl. | fast ffast fast | bed. bed. | 11h 15’ | bed. | bed. |bed. |deutl.| fast bed. | fast bed. | bed. | fast fast | fast | bed. “a fast | fast 11h 55’ | bed. | deutl. | deutl. | deutl. | klein. | deutl. | klein. bed. |deutl. | deutl. | bed. deutl. | bed. | fast bed. 2h 00' | klein. | deutl. | zieml.| deutl. | Spur | zieml.| Spur | deutl. | zieml. | deutl. deutl. deutl. zieml. | deutl. | | 2h 00' Hinzufügen der Suprareninlösung 2h 10’ | bed. |fast |fast | max. | bed. | fast | bed. | fast | bed. | max. | max. | | fast | max. | fast 2h 20’ | fast | fast |fast | max. | bed. | fast |fast | fast | max. | max. max. | max. | max. fast max. 2h 30" | max. | max. | klein. max. | bed. fast | fast | fast | max. | max. max. fast | Dieser Versuch lässt ebenso wie zahlreiche andere derselben An- ordnung erkennen, dass auch Lösungen von geringerem NaCl-Gehalt als 0,85 0/0 verengernd auf die Froschpupille wirken. Aber es zeigt sich doch in verschiedener Hinsicht ein Unterschied gegenüber kon- zentrierteren Lösungen. Die Verengerung tritt zwar auch hier in der Mehrzahl der Fälle ein, aber nicht so regelmässig wie in konzentrierteren Lösungen; von 55 untersuchten Pupillen verengerten sich nur 33 dauernd. Auch ‚die Intensität der Verengerung ist im allgemeinen geringer als in höherprozentigen Lösungen; sie schwankte bei meinen Versuchen meist zwischen '/g und 2 Graden, nur ganz vereinzelt erreichte sie 2!/a und 3 Grade. Infolgedessen war selbst nach 6—7 stündiger Ein- wirkung der Salzlösung nur bei sehr wenigen Pupillen die Weite als „Spur“ zu bezeichnen; keine der 55 Pupillen wurde spaltförmig ; Über die Beeinflussung der Suprareninwirkung durch Sauerstoff usw. 629 die überwiegende Mehrzahl blieb bei „bedeutend“ bis „ziemlich“ stehen, 5 sogar bei „fast maximal“. Die Verengerung begann auch hier vielfach schon in der ersten halben Stunde, ebenso oft jedoch erst nach 1—2 Stunden, im allgemeinen etwas später als in 0,85 /oiger NaCl Lösung. Ihr Maximum erreichte die Miosis meist in der zweiten bis dritten Stunde, bisweilen schon früher, nur selten später; im allgemeiuen nahm sie etwas langsamer zu als in kon- zentrierteren Lösungen. Ein wesentlicher Unterschied gegenüber der 0,85 °/oigen Lösung besteht darin, dass in 0,48 °/oiger Lösung relativ häufig eine Pupillenerweiterung eintritt wie auch bei Paar III und IV des vorstehenden Versuchs. Meist betrug sie nur !/—1 Grad, nie ging sie über 2 Grade hinaus. Nur ganz selten zeigte sie sich während des ganzen Versuches; in den meisten Fällen folgte ihr nach einiger Zeit doch noch eine Verengerung; bisweilen schloss sie sich auch an eine solehe an. Es machte sich also hierbei viel- fach ein Wettstreit zwischen Verengerung und Erweiterung bemerk- bar, und dieser führte wiederholt dazu, dass sich nach einiger Zeit die ursprüngliche Pupillenweite wieder einstellte; 4 von 55 Pupillen änderten ihre Grösse überhaupt nicht. Hinzufügung von Suprarenin bewirkte überall Mydriasis, falls das Suprarenin nicht zu sehr verdünnt war. Im allgemeinen ergeben sich dabei dieselben Verhältnisse wie nach vorausgegangener Einwirkung von 0,85°/oiger Lösung; ein gewisser Unterschied besteht jedoch darin, dass hier auch bei Anwendung stark verdünnter Suprarenin- lösungen verhältnismässig öfter „fast maximale“ Pupillenweite erzielt wird als in konzentrierteren NaCl-Lösungen. 0,48°%oige NaCl-Lösung wirkt also auch meist miotisch, aber schwächer und nicht so konstant wie 0,85 /oige. Einen solchen Unterschied in der Wirkung von Koch- salzlösungen von verschiedener Konzentration konnte O.B. Meyer!) mit der Gefässstreifenmethode nicht feststellen. Aus diesen Befunden ergibt sich, dass, wie bereits oben erwähnt, bei der Untersuchung von Blutserum mit der Ehrmann’schen Reaktion physiologische NaCl-Lösung nicht für die Kontrollpupille benutzt werden darf; denn sie wirkt stärker verengernd als normales Blutserum, was auch der folgende Versuch zeigt. 1) 0. B. Meyer, |. c. 630 Erich Siegel: Versuch VII. Links: Blutserum. Rechts: 0,85°/oige NaCl-Lösung. Beginn des Versuchs 5h 00’. Ä I. 11. II. IV. Zeit links rechts links rechts links | rechts | links | rechts 5h 00’ | fast fast max. | fast | gröss. | deutl. | bed. | fast deutl. >h 20’ | fast fast max. fast gröss. | deutl. | bed. fast | deutl. 64 20’ | bed. deutl. max. deutl. | bed. zieml. | deutl. | zieml. fast deutl. 8h 20’ | bed. zieml. ! max. deutl. | deutl. ! zieml. | deutl. | zieml.' fast deutl. | | Zu demselben Resultat bezüglich der Unbrauchbarkeit von NaCl-Lösungen als Kontrolle gegenüber Blutserum ist auch Loewit!) gelangt. Aqua destillata. Im Gegensatz zu der miotischen Wirkung physiologischer Koch- salzlösung zeiet, wie oben erwähnt, destilliertes Wasser einen mydriatischen Einfluss (vergl. Versuch V). Loewit!) fand, „dass die Froschbulbi in destilliertem Wasser in der Regel lange Zeit ihre anfängliche Pupillenweite unverändert beibehalten; erst nach längerem Aufenthalt (8—20 Stunden) macht sich eine entschiedene Erweiterung des Sehlochs bemerkbar, die manchmal maximale Weite erreichen, oft aber merklich geringer sein kann“. i Etwas abweichend von Loewit’s Befunden sah ich, dass die mydriatische Wirkung nicht erst nach 8—20 Stunden, sondern meist schon nach 3—4 Stunden eintrat. Vielfach fingen die Pupillen be- reits in der ersten halben Stunde an, sich zu erweitern, _oft jedoch erst nach 1—2 Stunden. Die Erweiterung nahm dann verschieden rasch zu und erreichte ihr Maximum meist nach 2—6 Stunden. Etwa die Hälfte aller Pupillen (20 von 42) wurde in dieser Zeit „maximal“ weit, die übrigen „fast maximal“ oder „bedeutend“; enger als „be- deutend“ waren nach mehrstündiger Einwirkung nur 4 Pupillen. Die Versuche mit der längsten Beobachtungszeit (6—8 Stunden) wiesen natürlich die grösste Zahl maximal weiter Pupillen auf. Unter 42 untersuchten Pupillen erweiterten sich nur 7 nicht, sondern ]) Loewit, |. c. Über die Beeinflussung der Suprareninwirkung durch Sauerstoff usw. 631 blieben teils unverändert, teils verengerten sie sich um "/a Grad. Einen Vorgang, der sich auch in Versuch V zeiet, konnte ich ungefähr bei der Hälfte aller Pupillen beobachten; er besteht darin, dass der endgültigen Erweiterung eine Verengerung um !/a—1 Grad vorausgeht, die meist in der ersten halben Stunde beginnt und sehr bald, spätestens jedoch nach 2 Stunden, der Erweiterung Platz macht. In Übereinstimmung mit Loewit!) konnte ich vielfach fest- stellen, dass die durch Aqua destillata erweiterten Pupillen nicht kreisrund, wie es für die Suprareninwirkung charakteristisch ist, sondern in die Länge gezogen sind und Ein- resp. Ausbuchtungen ‘ zeigen. Die Cornealtrübung, die Loewit regelmässig nach 8—20stündigem Aufenthalt der Pupillen in destilliertem Wasser be- obachtete, konnte ich auch schon nach kürzerer Zeit öfter feststellen ; sie tritt durchweg ein, wenn die Pupillen bis zum nächsten Tage in Aqua destillata bleiben. Ob die durch mehrstündigen Aufenthalt in Aqua destillata schon erweiterten Pupillen hinsichtlich ihrer Reaktionsfähigkeit gegenüber Suprarenin beeinflusst werden, lässt sich begreiflicherweise schwer feststellen. Wegen seiner mydriatischen Wirkung ist natürlich auch destil- _ liertes Wasser als Kontrollflüssigkeit für Serum bei der Ehr- mann’schen Reaktion nicht zu verwenden. II. Erdalkalien. l. Chlorealeium. Nachdem Ehrmann?) auf den Antagonismus zwischen Adre- nalin und Erdalkalien hingewiesen hatte, zeigte Schrank°), dass Chlorealeium eine Verzögerung der Adrenalinmydriasis bewirkt. Frankl*) konnte bestätigen, dass in CaCl, befindliche Frosch- pupillen gegenüber nachfolgendem Zusatz von Suprarenin reaktions- los sind. Diese Autoren verwandten jedoch viel konzentriertere Lösungen, als es dem Chlorcaleiumgehalt des Blutserums (0,03 bis 0,04) entspricht, und zwar Schrank eine 1’/oige, Frankl eine 1,7 /oige. Ich fügte deshalb 0,04 °/o CaCl, zu normalem Serum hinzu und verglich die Mischung mit normalem Serum. 1) Loewit, I. c. 2) Ehrmann, l. c. und Verh. d. Berliner Med. Gesellsch. 17. Juni 1908. 3) Schrank, Deutsche Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 67 S. 230. 1909. 4) Frankl, 1. c. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 138. 41 632 Erich Siegel: Versuch IX. Links: Normalserum + 0,04% CaCl; (5 ccm Serum + 0,5 ccm einer 0,4 Yoigen CaCl,-Lösung). Rechts: Daselbe Serum ohne CaCl,-Zusatz. Beginn des Versuchs: 11h 15’. Um 4h 30’ wird beiderseits je ein Tropfen einer Suprareninlösung 1: 100 000 zugesetzt. 2 1% ir II. Zeit = links rechts links rechts links rechts 18 157 fast bed. bed | fast gröss. fast fast fast 11h 40’ fast bed. bed. fast fast fast fast max. lm 159% fast bed. bed. deutl. bed. bed. bed. fast 4h 30’ bed. deutl. bed. deutl. gröss. deutl. fast bed. | bed. deutl. 4h 307 Hinzufügen der Suprareninlösung. 4h 40' klein. fast bed. fast bed. fast fast | 5h 00’ fast max. bed. fast bed. fast max. | fast max. 6h 45’ max. max. bed. fast deutl. bed. | fast bed. fast Nach 5 Stunden haben sich also die zusammengehörigen Pupillen überall gleich stark verengert. Auch ihre Reaktionsfähigkeit auf Adrenalin hat durch CaCl;-Zusatz keine Einbusse erlitten. Das gleiche Resultat ergab sich, wenn destilliertes Wasser mit einer 0,04 /oigen CaCl,-Lösung verglichen wurde; auf beiden Seiten trat hier genau die gleiche Pupillenerweiterung auf. Chlorealeiumlösungen von physiologischer und selbst doppelt so starker Konzentration lassen also keine charakteristische Wirkung erkennen. 2. Chlorkalium. Einen Antagonismus zwischen Kalisalzen und Adrenalin hat O.v. Fürth!) nachgewiesen; er zeigte, dass die lähmende Wirkung, welche nach Böhm’s?) Versuchen die Kalisalze auf das Herz aus- üben, durch Adrenalin aufgehoben wird. Frankl?°) fand, dass eine 1) ©. v. Fürth, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 26 8.15. 18%. 2) Böhm, Arch, f, exper. Path. u. Pharm. Bd. 8 S. 68. 1877. 8) Frankl,. c. Über die Beeinflussung der Suprareninwirknng durch Sauerstoff usw. 633 1,1°/oige KCI-Lösung die Froschpupillen zunächst etwas erweitert, dann aber gegen Adrenalin unempfindlich macht. Kommt nun diese Wirkung auch so geringen KCl-Mengen zu, wie sie im normalen Serum vorhanden sind (0,03—0,04 °/0) ? Versuch X, Links: Normalserum + 0,035 /o KCl (5 ccm Serum + 0,5 ccm einer 0,35 /oigen KCI-Lösung). Rechts: Dasselbe Serum ohne KÜl-Zusatz. Beginn des Versuches 4h 00’. IV. links | rechts I. / links | rechts | II. links | rechts Zeit links rechts 4h 00’ | Spur Spur Spur Spur Spur Spur Spur | Spur 4b 20’ | deutl. | deutl. | bed. | bed. zieml. | bed. zieml. | zieml. bed. bed. | deutl. 4b 55’ | bed. bed. fast | bed. zieml. | bed. zieml. , zieml. 6h 15’ | deutl. | bed. fast bed. zieml. | bed. zieml. | Spur bed. deutl. zieml. Am Ende des Versuchs sind die linken Pupillen, die anfänglich ebensoweit waren wie die rechten, teils etwas weiter, teils etwas enger als diese. Eine Wirkung des KCl lässt sich also nicht ein- wandfrei feststellen. Im Blutserum kommt mithin der Ein- fluss des Chlorkaliums wohl nicht zur Geltung. III. Salzgemische. Zu welchem Effekt vereinigen sich nun die drei Salze NaCl, CaCl, und KCl, wenn sie zu gleicher Zeit und in demselben Mengen- verhältnis wie im Blutserum auf die Froschpupille einwirken? Ich verwandte zur Beantwortung dieser Frage ein Salzgemisch, das 0,48°0o NaCl, 0,040 CaCl, und 0,04°/o KCl enthielt, und verglich seine Wirkung mit der einer 0,48 °/oigen NaCl-Lösune. (Versuch XI siehe Seite 694.) Es handelt sich also auch bei dem Salzgemisch im wesentlichen nur um eine Wirkung der 0,48 °/oigen NaCl-Lösung mit allen Eigen- schaften, die wir oben bei dieser kennen gelernt haben. Auch hier tritt in der Mehrzahl der Fälle Verengerung ein (16 von 25 Pupillen), und zwar um !/s—1!/» Grade; nur drei erweiterten sich, sechs behielten die ursprüngliche Weite bei oder erlangten sie nach einiger Zeit wieder. Von den als Kontrolle dienenden 25 NaCl-Pupillen verengerten sich 41* 3seF 807 8eJ 3seJ 8eJ ‘psq | “pmop 18eJ 877 8eF 8eJ 1s8eJ ISeF "poq 7seF ‘p9q "poq ser | 88010 ‚or ul 4567 "p2q 150} 357 3S0F 45eJ 350} 38% 48% ‘peq. | "NP ‘paq 35eJ "poq "poq 3504 358} “paq "poq "poq "poq "poq 38e} ee) ‘poq seJ ‘paq 1807 3seJ ‘poq ‘poq "pnop "poq "poq 45% 19a Sul>e1 158} "p9q ‘psq | "Pop "poq | 'ssg18 | "Twoaız ‘paq ‚gr u "p2q pmop ‘paq -poq | "paap "[wOIZ pmoap | 'ssoas | 'TMop 9se} | 'nnap | 'ssoas 78e7 "psq jseg | 'gnop | "pnep | "unap andg | "map Heanıe Sunsojuruaaeadng daap uasnynzurmy ‚Sr uV © a -pu9p ‘poq :poq seJ -paq 877 :poq = -pmop | uropy | 'Mop yse7 | 'pnop | 'Waop ‘psq | map ‘psq |, paop | "pnop | "paop andg | map ‚Sa uf ‚ -ped -p2q "p2q 4507 7567 "poq ‚peq | paaP = paq | 55918 | "pnop 7867 p9g= p9p ‘poq "pag ‘pseq | "mnap -peg | "nnSp | Tuuatz ‘peq 84 46 S 1su SeF 3seJ ‘poq 9877 1807 seF "poq ‘paq -pnop "psq "psq | "map | "PNOP "p9q ‘p2q "poq | up | map | 'pnop | "pnop | "uroM "poq "paq ı$6 16 BEE EE EEEEEERGE) UERREREEREREE KEERSERERRER ERBE EHE EEE EEE RER VERRERERERRRRERE BEER BE EEE syydaı | syur | syyoaa | syurm | sIypaı | syurp | syqpoa | syurp | syyoor | syur | sygoor | sau [| Syqaoa | Sun = I 192 "IA "IA AN "II I I | BE . *3z79s03nz 000 00T : I Funsojurusreadng Jours uaydos], us snqpng wopof nz pım ‚HF up u] ',63 nz :syonsıoy sop umwog 'uaydoag, 9 Of syrosaopıaq ‘SunsgT-TIeN 9810, 8F0 :S3y99yY -gosımaszjeg :SYUL’T IX yonsıaoa 634 Über die Beeinflussung der Supräreninwirkung durch Sauerstoff usw. 635 nur 11, dagegen erweiterten sich 8. Im Laufe des Versuches ver- engerte sich 13mal die linke Pupille stärker als die rechte; nur 6mal war das Umgekehrte der Fall. Die Tendenz zur Miosis ist also vielleicht in dem Salzgemisch etwas stärker als in der NaCl- Lösung. Hinsiehtlich der Wirkung des nachträglich zugesetzten Suprare- nins lässt sich ein durchgehender Unterschied zwischen Salzgemisch und Kochsalzlösung nicht feststellen. Die überwiegende Mehrzahl der Pupillen erweiterte sich durch Suprarenin um !/„—2!/s Grade; die Intensität der Erweiterung und die Zeit ihres Beginnes waren rechts und links ungefähr gleich. Entsprechend der vorausgegangenen etwas stärkeren Verengerung wurden die Pupillen in dem Salz- gemisch auch nach Suprareninzusatz im allgemeinen nicht ganz so weit wie die Kochsalzpupillen. KCl und CaCl, vermögen demnach, selbst wenn sie zu gleicher Zeit einwirken, in den im Blutserum vorhandenen Mengen nicht, die Froschpupillen gegenüber Suprarenin unempfindlich zu machen, wozu sie bei Anwendung stärker konzentrierter Lösungen imstande sind; für eine Abschwächung der Suprareninwirkung im Organis- mus kommen sie also nicht in Betracht. In einer weiteren Versuchsreihe suchte ich festzustellen, ob die Angaben Overtons!) bezüglich der lähmenden Wirkung grösserer Chlorkaliummengen in physiologischen Salzgemischen sich auch für die Pupille nachweisen lassen. Overton fand nämlich, dass in einer Lösung mit demselben Gehalt an Chlornatrium und Chlorealeium, jedoch dem doppelten Chlorkaliumgehalt wie das Blutserum eine voll- ständige Lähmung der motorischen Nervenendigungen des Frosch- Nerv-Muskelpräparates eintritt. Vergleicht man nun die Wirkung eines Salzgemisches von 0,48 /o NaCl, 0,035 /o CaCl, und 0,07°/ KC1 (statt 0,035 °/0) mit der einer 0,48/oigen NaCl-Lösung, so zeigt sich eine fast vollständige Über- einstimmung in der Verengerung der zusammengehörigen Pupillen, sowohl hinsichtlich ihrer Intensität wie auch ihres Beginnes. Aus den bisherigen Versuchen geht also hervor, dass hier die Wirkung des CaCl, und des KCl gegenüber der des NaCl in einem Salz- gemisch von der Zusammensetzung des Blutserums nicht aufkommen kann. Ich untersuchte deshalb schliesslich noch, ob sich dieses Ver- 1) Overton, Pflüger’s Arch. Bd. 105 S. 176. 1904. 636 Erich Siegel: halten ändert, wenn man das Salzgemisch durch Zusatz von NaHCO, und Dextrose zur Ringer’schen Lösung ergänzt. Zu meinen Ver- suchen benutzte ich eine Lösung, die nach Tigerstedt’s!) An- saben 0,8°% NaCl, 0,0075 °%0 KCl, 0,010 CaCl;,: 0,01 °/o NaHCO, und 0,1 °/o Dextrose enthielt. Versuch XI. Links: Ringer -Lösung. Rechts: 0,3 °/oige NaCl-Lösung, beiderseits 8 Tropfen. Beginn des Ver- suchs: 10h 10’. Um 6h 15’ werden zu jedem Bulbus 2 Tropfen einer Suprarenin- lösung 1: 100000 zugesetzt. Zeit I. 1. IM. el links rechts links rechts links rechts 10h 10’ fast fast fast bed. deutl. fast fast bed. 10h 40’ fast fast bed. fast deutl. bed. fast bed. fast 11h 55’ bed. deutl. deutl. deutl. klein. deutl. bed.- deutl. 64.15’ zieml. zieml. zieml. deutl. zieml. zieml. deutl. 6h 15' Hinzufügen der Suprareninlösung 6h 25’ deutl. zieml. bed. deutl. zieml. zieml. deutl. fast deutl. 7h 40’ fast bed. fast fast bed. fast max. fast max. max. Auch Ringer’sche Lösung zeigt also hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Froschpupille eine weitgehende Übereinstimmung mit physio- logischer Kochsalzlösung; andere Versuche ergaben dasselbe Resultat. Die Verengerung begann rechts und links zu gleicher Zeit, vielfach (wie auch im vorstehenden Versuch) schon in der ersten Viertel- stunde; hinsichtlich der Intensität und Schnelligkeit der Verengerung ergab sich ebenfalls keine nennenswerte Differenz zwischen links und rechts; und auch die Erweiterung durch nachträglichen Zusatz von Suprarenin liess keinen deutlichen Unterschied zwischen Ringer- und NaCl-Pupillen erkennen. Wir haben also gesehen, dass Salzmischungen von der Zu- sammensetzung des Blutserums eine Verengerung der Frosch- 1) Tigerstedt, Lehrbuch der Physiol., 4. Aufl., Bd. 1 S. 233. 1907. Über die Beeinflussung der Suprareninwirkung durch Sauerstoff usw. 637 pupille bewirken, die sich im wesentlichen von der dureh physiologische Kochsalzlösung bedingten nicht unterscheidet. Für die Ehrmann’sche Reaktion an und für sich ergibt sich daraus, dass auch physiologische Salzmischungen, wie z. B. die Ringer’sche Lösung, als Kontrollflüssiekeiten für Blutserum ebenso ungeeignet sind wie physiologische Kochsalzlösung; sie rufen eben- falls eine stärkere Verengerung hervor als normales Blutserum. Will man also ein Serum hinsichtlich seiner Wirkung auf die Frosch- pupille untersuchen, so darf man als Kontrollflüssigkeit nur normales Blutserum benutzen, wie das auch schon von Ehr- mann!) angegeben worden ist. | Zusammenfassung. 1. Dureh die Ehrmann’sche Reaktion lässt sich feststellen, dass Suprarenin allein oder im Blutserum durch Oxydation nicht zerstört wird. 2. Aqua destillata bewirkt nach mehrstündiger Einwirkung eine Erweiterung, NaCl-Lösungen von physiologischer Konzentration be- wirken eine allmählich zunehmende Verengerung der Froschpupille (Loewit), und zwar 0,85 '/oige stärker als 0,48 '/oige; für Suprarenin bleiben die Pupillen dabei empfindlich. 3. In den im Blutserum vorhandenen Mengen üben CaCl, und KCl wohl kaum einen Einfluss auf die Pupillenweite aus und zeigen keine Hemmung der Suprareninwirkung. 4. Die der Zusammensetzung des Blutserums entsprechenden Salzgemische wirken wie physiologische Kochsalzlösung. 5. Physiologische Kochsalzlösung und Salzgemische sind als Kontrollflüssigkeiten gegenüber Blutserum bei der Ehrmann’schen Reaktion nicht zu verwenden. 1) Ehrmann, |. c. 638 Wilhelm Völtz und August Baudrexel: Berichtigung. Berichtigung zur Abhandlung in Pflüger’s Archiv Bd. 138 S. 129. Von wilhelm Völtz und August Baudrexel. In der Kurvenfigur muss es unter Kurve II heissen: „nach einer Alkoholzufuhr von ca. 3 ccm pro Körperkilo“, statt „... von ca. 8 ccm pro Körperkilo“. Pierer’sche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. in Altenburg. AN re HN r ae DE yrass — ———