! A ji N A = = Seen ei DE en ee = 2 See EIS == =r SITE ee N HAN) ii AN hr 1 N N) “ Du MS ARN N nolnlnne, INNE N x u IN N nn Nu RL InUEKBlN UN a LH) Anh, DE = = ESS RER AN EIN RENTEN R An Bktin) RN A Kur N PFLÜGERS ARCHIV FÜR DIE GESAMMTE PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE. HERAUSGEGEBEN VoN MAX VERWORN PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE UND DIREKTOR DES PHYSIOLOGISCHEN INSTITUTS DER UNIVERSITÄT BONN UNTER MITWIRKUNG VON PROF. BERNHARD SCHÖNDORFF IN BONN. BAND HUNDERT UND DREIUNDVIERZIG. MIT 10 TAFELN UND 116 TEXTFIGUREN. BONN, 1912. VERLAG VON MARTIN HAGER. 1238949 Inhalt. Erstes, zweites und drittes Heft. Ausgegeben am 25. November 1911. Studien über den Brechreflex. Von Dr. med. F. R. Miller, Toronto (Canada). (Hierzu Tafel I und II.) (Aus dem physiologischen Institut in Strassburg) LE Blutdruckveränderungen bei Reizung des Magenvagus. Vor- läufige Mitteilung. Von Dr. med. F. R. Miller, Toronto (Canada). (Hierzu Fig. 3 und 10 auf Tafel I und Fig. 11 bis 17 auf Tafel II.) (Aus dem physiologischen Institut in Strassburg) ee ER Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen in Zahlen auszudrücken. II. Mitteilung. Von Dr. J. S. Szymanski. (Mit 22 Textfiguren.) (Aus der biologischen Versuchsanstalt in Wien) Der Druckablauf in den Herzhöhlen. Der Mechanismus der Herztätigkeit.e. Von Dr. med. Hermann Straub, Assistenten der Klinik. (Mit 8 Textfiguren.) (Aus der medizinischen Klinik der Universität Tübingen) . Zur Physiologie des Phosphorhungers im Wachstum. Von Alexander Lipschütz (Bonn) Die biologische Bedeutung des Kaseinphosphors für den wachsen- den Organismus. Von Alexander Lipschütz (Bonn) Gehirn und Sympathieus. III. Mitteilung. Sympathicusleitung im Gehirn und Halsmark. Von Prof. Dr. J.P. Karplus und Prof. Dr. A. Kreidl, Assistenten am physielogischen Institut in Wien. (Mit 3 Texfiguren.) (Aus dem physio- logischen Institut der Universität Wien) x Seite 21 25 69 3 109 IV Inhalt. Über das Verhalten des lebenden Katzendünndarms gegenüber elektrischen Reizen. Von Prof. Dr. Tösaku Kinoshita, Osaka (Japan). (Mit 5 Textfiguren.) (Ausgeführt unter der Leitung von Prof. A. Kreidl in dem physiol. Institut der k. k. Universität in Wien . ER TE RR Berichtigung zur Arbeit: Über die Gewinnung des Banken saftes bei Menschen zu diagnostischen Zwecken. Pflüger’s Archiv Bd. 140 S. 436. 1911. Von W. Boldyreff. Seite 128 136 Viertes, fünftes, sechstes und siebentes Heft. Ausgegeben am 7. Dezember 1911. Das Elektrokardiogramm und die pharmakologischen Mittel aus der Gruppe des Digitalins und des Digitoxins. Von Dr. med. Wlad. Ph. Selenin (Moskau). (Mit 19 Text- figuren.) (Aus dem ae Institut der Uni- versität zu Moskau) REN Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 1. ne Die Ursache der gesteigerten Stickstoffausscheidung infolge Sauerstoffmangels. Von G. Mansfeld und Friedrich Müller. (Aus dem pharmakologischen Institut der Uni- versität Budapest) Narkose und Sauerstoffmangel. Ill. Mitteilung. Die Wirkung von Narkotika und O,-Entziehung auf keimende Samen. Nach zum Teil in Gemeinschaft mit B. Farkas ausgeführten Versuchen. Von G. Mansfeld-Budapest. (Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Budapest) Narkose und Sauerstoffmangel. IV. Mitteilung. Von Dr. Elisabeth Hamburger. (Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Budapest) . 2 Über die verschiedenen Methoden, Pepsin und Trypsin quantitativ zu bestimmen, nebst Beschreibung einer einfachen der- artigen Methode. Von cand. med. Wilhelm Wald- schmidt. (Mit 2 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Tübingen) i Über die Verschmelzung zweier nacheinander leder Tast- reize. Von Prof. Dr. Adolf Basler, Assistent am physiologischen Institut Tübingen. (Mit 3 Textfiguren) Über die Verschmelzung von zwei nacheinander erfolgenden Lichtreizen. Von Prof. Dr. Adolf Basler, Assistent am physiologischen Institut Tübingen. (Mit 2 Textfiguren) 137 157 175 186 189 230 245 Inhalt. Über die Natur der Thermoströme des Nerven. Von Fritz Verzär. (Mit 2 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institut der kgl. Universität Halle a. S.) Sen Malen Achtes, neuntes und zehntes Heft. Ausgegeben am 30. Dezember 1911: Versuche über die gegenseitige funktionelle Beeinflussung von Gross-- und Kleinhirn. Von Prof. Dr. A. Beck und Prof. Dr. G. Bikeles. (Mit 2 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Lemberg) Versuche über die sensorische Funktion des Kleinhirnmittel- stücks (Vermis). Von Prof. Dr. A. Beck und Prof. Dr. G. Bikeles. (Mit 2 Textfiguren.) (Aus dem physio- logischen Institut der Universität Lemberg) : Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere, mit besonderer Berücksichtigung der Anpassungserscheinungen. Von Alfred Dernoscheck. (Mit 20 Textfiguren.) (Aus dem zoologischen Institut der Universität Leipzig) Ueber die Unabhängigkeit der Reizbildung und der Reactions- fähigkeit des Herzens. Von Prof. H. E. Hering (Prag) Der Erregungsvorgang in der Magenmuskulatur nach Versuchen am Frosch- und am Vogelmagen. Von Hans Stübel. (Mit 2 Textfiguren und Tafel III und IV.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Jena). Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Aien zentrum. Von Ernst Laqueur und Fritz Verzär. (Mit 1 Textfigur.) (Aus dem physiologischen Instiiut der Universität Halle) ? ; Untersuchungen über den Einfluss des Sallefniae auf a ak, der Muskelreizung mit konstantem Strom. Von Eduard Kahn. (Mit 8 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Strassburg i. E.) RR Elftes und zwölftes Heft. Ausgegeben am 16. Januar 1912. Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppel- reizungen des quergestreiften Muskels. Von Professor A. Samojloff. (Mit 4 Textfiguren und Tafel V— VII.) (Aus dem physiologischen Laboratorium der physiko-math. Fakultät der kais. Universität Kasan) a 252 283 296 395 428 453 vI Inhalt. Beiträge zur Regenerationsphysiologie. VI. Mitteilung. Über das Verhältnis des Nervensystems zur Regeneration. Von Dr. Sergius Morgulis. (Mit 2 Textfiguren und Tafel IX und X) Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sogenannte arterielle Hypertension; zugleich ein Beitrag zur Frage . der aktiven Arterienbewegung. Von Dr. K. Hasebroek. (Mit 5 Textfiguren.) (Aus dem Hamburger medieco-mechan. Zander-Institut) Über die Muskelaktionsströme bei übermaximalen Zuckungen. Von Professor K. Ishimori (Nagoya, Japan). (Mit 4 Text- figuren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Strassburg i. E.) f ä BR IR Über das Verhalten der Talenchiedsschwellst bei HAN daptekiön. Von Dozent Dr. W. Lohmann, Oberarzt der Klinik. (Aus der Universitäts-Augenklinik zu München) . Zu dem Aufsatz von Rudolf Höber: Untersuchungen erreg- barer Nerven bei Dunkelfeldbeleuchtung. (Pflüger’s Archiv Bd. 133 8. 254. 1910.) Von Leopold Auerbach (Frankfurt a. M.) re Seite 501 519 560 567 574 (Aus dem physiologischen Institut in Strassburg.) Studien über den Brechreflex. Von Dr. med. F. R. Miller, Toronto (Canada). (Hierzu Tafel I und II.) Inhaltsübersicht. un JDITTABNTEENOE: 15.1 0, a A N ee A 1 DIEchochkape ee. a en a enden ga 2 Versuchstieren ns. 50 ee 2 Narkotikan et ee ET 2 ISROPATAUIOnEE een 4.2 N ee 3 Eee ee ee ee Du ARTE 3 euistnierunon.e er. a ae ee a 3 ersuchegangger Katze... Des a re ee 3 INllsemeiner Symptomenkomples u 0... 2a: 3 Katenzzeite Reese ee A d Einfluss der Reizart und Reizstärke (Summation). ... . an b) Anemetischest(Brodromal-)Stadium un 0. u. en 8 Eimetischest(Brech-)Stadium > a a. nu ee 10 IKüitemetischess(Nach.)Stadium 2 ya nn ech 11 IneiraktärerBeriodes u... 2 nee ee Te er Rene 12 Reiznachwirkungs 2... 00 an ee ee ae 15 NANleskoderiNichts-“..;... ee. 2 ee N ee 15 Dlersucherams#Kaninehen . .: . nee a Se lall 15 Mersuchegangder> Raube u... ana era bestes Isedle Det 17 Ausammentassunn. eg Thank u... alla Nele Nerenie ae 17 Enauwenerklärungic- url. al eyar. nd ln DR ehe le lea an 18 In einem kürzlich erschienenen Artikel!) habe ich Experimente beschrieben, welche beweisen, dass die Erregungen des Magens, welche zum Erbrechen führen (lokale Brechmittel, z. B. Senf), durch die Vagi zur Medulla geleitet werden. Dieser Schluss wurde be- 1) Journ. of Physiol. vol. 41 p. 409, 1910. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 1 2 F. R. Miller: stätigt durch die weitere Beobachtung, dass faradische Reizung der zentralen Enden des Magenvagus Erbrechen hervorruft. Das eigentliche Erbrechen besteht in einer Reihe rhythmischer Bewegungen, welche von denselben Muskeln ausgeführt werden wie die Atembewegungen, und zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit anderen rhythmischen Reflexen von beschränkter Dauer (z. B. mit dem von Goltz entdeckten, von Sherrington genauer analysierten Kratz- reflex). Es ergaben sieh hieraus eine Reihe von Fragestellungen, bezüglich der refraktären Phase, der Reiznachwirkung usw., welche Gegenstand dieser Untersuchung sind. Eine weitere Frage ergab sich aus der Tatsache, dass gewisse Säugetiere unfähig sind zu er- brechen. Es war zu untersuchen, ob diese Unfähigkeit nur gradual oder absolut ist. Methodik. Versucehstiere: Die vorliegenden Versuche wurden angestellt an Katzen (als Repräsentant leicht erbrechender Tiere), Kaninchen (als Repräsentant nicht erbrechender Tiere), und Tauben (als Tier- art, welche zwar erbricht, aber auf Grund eines offenbar anderen Mechanismus). Narkotika: Die Wahl des Narkotikums ist für den Erfolg der Versuche von grosser Wichtigkeit (s. S. 5 und 9). Bei den ersten Versuchen benutzte ich Urethan. Da es häufig unmöglich war, den Brechreflex während der Urethannarkose zu erregen, benutzte ich später mit Vorteil eine leichte Äthernarkose. Die besten Resultate erzielte ich mit der von Richet!) so sehr empfohlenen Chloralose. Die Anwendung dieses Narkotikums schien von vorneherein be- sonders aussichtsvoll, weil dasselbe nach den Angaben von Richet zu gleicher Zeit die „willkürlichen Bewegungen“ und die „Schmerz- empfindungen“ aufhebt und die Erregbarkeit der Medulla erhöht. Die benutzte Chloralose (x-Chloralose) wurde von Merck bezogen. Die einzige Unannehmlichkeit dieser Substanz besteht in ihrer geringen Löslichkeit (0,2 0/0—0,3°%0). Ich benutzte eine 0,2%oige Lösung in physiologischer Kochsalz- lösung, welche vor dem Versuch auf 37° erwärmt wurde. Bei Katzen wurden etwa 14 ccm pro Kilogramm, bei Kaninchen etwa 8 ccm pro Kilogramm in eine Vene injiziert. Auf diese Weise wird eine genügend tiefe Narkose hervorgerufen (ohne willkürliche Bewegungen mit regelmässigen Respirationen und Herz- bewegungen). Während der Magenoperation war es bisweilen nötig, kleine Äther- mengen zu geben. 1) Richet, Dictionnaire de Physiologie t. 3 p. 582. 1898. Studien über den Brechreflex. 3 Präparation: Wie bei meinen früheren Experimenten wurde das Ab- domen in der Mittellinie geöffnet, der Magen herausgewälzt und mit in Kochsalz- lösung befeuchteten Tüchern bedeckt. Bei der Katze erreicht der Vagus den Magen in zwei Hauptstämmen, einem dorsalen dickeren und einem ventralen dünneren. (Beim Kaninchen liegen die Nerven in der Regel ventral.) Der dorsale und der ventrale Nerv wurden auf dem Ösophagus bis an das Zwerchfell isoliert. Ein Ligaturfaden wurde unter den Nerven durchgezogen und mit demselben der Ösophagus fest zusammen geschnürt. — Der Pylorus wurde oben durch eine Ligatur fest verschlossen. In eine seitliche Öffnung am Fundus wurde eine Glas- röhre eingebunden. Von hier aus konnte der Magen mit Hilfe eines angesetzten Gummischlauches ausgespült und mit einem lokalen Brechmittel gefüllt werden (Senf. Wenn nur vom Nerven aus gereizt werden sollte, so wurde die Unter- bindung des Magens unterlassen. Reize: Gereizt wurde 1. mit Senfaufschwemmungen ver- schiedenen Senfgehaltes, 2. mit Hilfe eines kleinen Induktions- apparates von 10 cm Rollenlänge und mit einem Akkumulator im primären Kreis. Bei einem Rollenabstand von 13 em und der ‚benutzten Reizfrequenz wurden die Ströme gerade mit der Zunge empfunden. Registrierung: Da die Brechbewegungen von denselben Muskelgruppen ausgeführt werden wie die Atembewegungen, so ist immer mit denselben eine ausgiebige Ventilation der Lungen ver- bunden. Man bekommt daher einen recht vollständigen Überblick über die gesamten Vorgänge, wenn man die Luftbewegungen in der Trachea reeistriert. Es wurde daher in folgender Weise verfahren: In die Trachea wurde eine kurze Trachealkanüle eingebunden, welche mit einer grossen geschlossenen Flasche (12 Liter) in Verbindung stand. In der Flasche befand sich eine genügende Menge vcn Fliesspapier, welches mit starker Kalilauge angefeuchtet war. Eine zweite Öffnung der Flasche stand mit einer Marey’schen Kapsel in Verbindung }). Der Anfang und das Ende der eigentlichen Brechbewegungen, welche leicht durch direkte Beobachtungen festzustellen sind, wurden mit der Hand auf der Kurve verzeichnet. Versuche an der Katze. Allgemeiner Symptomenkomplex. Obwohl der Brechakt individuell und je nach Art des Reizes und des angewandten Narkotikums in meinen Versuchen sehr ver- 1) Diese auch sonst schon benutzte Methode -ist, wie nochmals durch Kontrollversuche festgestellt wurde, bei kurzen Versuchen (wie die meinigen) durchaus zulässig. 1 * 4 F. R. Miller: schieden abläuft, so kann man doch an demselben stets mehrere Hauptphasen unterscheiden (s. Fig. 1—5 u. Fig. 7 u. 9 Taf. ). Nach einem verschieden langen Latenzstadium (Fig. 1 Taf. I A—B) treten Bewegungen der Zunge und Schluckbewegungen zugleich mit Speichelfluss und Veränderungen in den Atembewegungen ein [anemetisches!) Stadium oder Prodromalstudium; Fig. 1 Taf. I B—C]. Auf den Kurven kommen aus diesem Stadium vor allem die Veränderungen der Atembewegungen.zum Ausdruck. Die eigentlichen Brechbewegungen setzen dann plötzlich ein (Fig. 1, 3 und 4 bei ©), nehmen an Heftigkeit zu und wieder ab und hören unvermittelt auf (Fig. 1,3 u. 4 O—D) Jemetisches Stadium oder Brechstadium |. Diese Bewegungen sind sehr charakteristisch für den Beobachter, sind aber auch auf der Atemkurve meist ohne Schwierig- keit von den eigentlichen Atembewegungen zu unterscheiden. Wenn im folgenden von Erbrechen gesprochen wird, so sind nur diese Be- wegungen damit gemeint, nicht aber die Herausbeförderung von Magen- kontenta. Eine solehe war in meinen Versuchen ausgeschlossen, da der Magen entweder leer oder abgebunden war. Es folgt dann zum Schluss noch ein meistens kurzes Nach- stadium (katemetisches Stadium) mit verändertem Atemtypus, welches, ohne scharfe Grenze, zu normalen Verhältnissen überführt (Fig. 1 u. 3 Taf. I D—E). Das anemetische Stadium kann bisweilen ausgelöst werden, ohne dass sich Erbrechen anschliesst. Dies ist ja auch aus der Erfahrung am Menschen bekannt. Wie ein Blick auf die Kurven zeigt, sind sehr grosse Ver- schiedenheiten vorhanden. Als Hauptursachen derselben wird man Hemmung durch die} unnatürliche Lage, Narkose und individuelle Verschiedenheiten ansehen dürfen. Diese Umstände erschweren, da sie nur zum Teil zu übersehen sind, die Versuche ausserordentlich. Unter ungünstigen Verhältnissen ist auch bei stärkstem Reiz kein Erbrechen zu erzielen: Die direkte Nervenreizung führt stets leichter zum Ziel als die Reizung mit Senf. Hemmung durch Lage: Obwohl die Rückenlage, wie frühere Autoren angegeben haben, und ich selber bestätigen kann, einen hemmenden Einfluss auf die Auslösung der Brechbewegungen aus- 1) Abgeleitet von ö &usros (das Erbrechen). Studien über den Brechreflex. 5 übt, so habe ich doch aus technischen Gründen diese Lage an- gewandt und unter geeigneten Bedingungen gute Resultate erzielt. Einfluss der Narkose: Für den Erfolg der Versuche kommt es nicht nur auf den Grad der Narkose, sondern auch auf die Art des Narkotikums an. Urethan und Äther einerseits und Chloralose anderseits geben bei anscheinend in bezug auf die willkürlichen Bewegungen gleich tiefer Narkose nieht nur verschieden günstige Erfolge, sondern Kurven mit typischen Verschiedenheiten. Auf diese letzteren wird im Verlauf der Arbeit mehrfach zurück- zukommen sein. Was die Verschiedenheiten im Erfolge anbetrifft, so sei hier nur noch erwähnt, dass bei gerade genügender Narkose durch Urethan oder Äther häufig die Reizung durch Senf (bei Urethan manchmal sogar die direkte Nervenreizung) erfolglos blieb. Latenzzeit. Es ist zweckmässig, zwei Latenzzeiten zu unterscheiden. Latenz- zeit A rechne ich vom Anfang des Reizes bis zu den ersten typischen Reaktionen des Tieres (Beginn des anemetischen Stadiums), die Latenzzeit B vom Anfang des Reizes bis zum Eintritt der ersten Brechbewegung (Beginn des emetischen Stadiums). Die Latenzzeit A (s. Tab. auf S. 6 Stab 7) zeigt bei ätherisierten Tieren sehr grosse zeitliche Unterschiede, und es ist unmöglich, hier irgendwelche allgemein gültigen Aussagen über die- selbe zu machen. Unter der Einwirkung von Chloralose ist die Dauer der Latenzzeit A stets kürzer als bei Äther und variiert in meinen Experimenten nur in geringem Maasse (1—5 Sek.; selten mehr). In einem Experiment (s. Tab. 20. Juli 1911), in welchem sich das Erbrechen oftmals hintereinander auslösen liess, wurde das Latenzstadium dauernd grösser, obwohl die Reizstärke mehrmals gesteigert wurde. Die Latenzzeit B zeigt sowohl bei Äther wie bei Chloralose wesentliche Differenzen in der Länge, welche auf der grossen Ver- schiedenheit des anemetischen Stadiums beruhen (s. Tab. S. 6 Stab 8). Einfluss der Reizart und Reizstärke. In welcher Weise verschieden starke Aufschwemmungen von Senf wirken, habe ich noch nicht mit Sicherheit festgestellt. Es schien aber, dass stärkere Aufschwemmungen einen grösseren Effekt ausüben als schwächere. DRS Mallern: "UHMIISIOAIOU FUAS YIMP U9TI9AAIT (8 [PwwmoAI] A9p SOPurIs][]4S UHPUHY9STHAqNIOA SOUTI UHH9M UATISNZUR NEU9S JUDIN (Z “9INıIMIA UHSUNUTOTISIT AUOSYOWEUR nu 998.19 A9P UHUHP UOA ‘UHMAHZIOAIIT 9ZION TOMZ y9and (T ABER | FIL sg (e cr 112 8 ay “ "OTGT TUN OB L 1A sol & 6 ig 91 a er 9 Sa 96 61 6 LG 21 88 © “ " TI6T Tnp '0g 06T 001 (e ( E28 9% (1) ayyy 08 6 L 57 981 2/9 DE N: ne 1 37 977 &L 6 27 IP 2 (D) av or] G 'SLH 19 ° L r9 87% 01 (2) % 1 : ic 01 2 6 Si »z IT | (m osopeaogyg AUREINTE 8% € v 8 j28 L’V& 7/89 (GR \ 3 sd 2 q 6 08 0°98 8 (7) 9soraorgg Age IN 5 ST "al L Ze 8 2/2686 JLL ol (9 ; a1 14 8 Ehe 22 or <'9g1 ol e 5 L : Ge 98 g08 16 12 | IT 314 (1(8D ZA 6 18 912 es ELOB TEE 0e 07 214 G I 6 gr 8.°7 2/18 (2) 6 314 g 6 6 98 UL "16 (7) 9s0TeIOTYJ "og ur ‘u9sund | y9S ul : “og 0g ur Fa ur -Hmogqgporg zop| "Sunaopuyao) | "Pr UNU0Z 798 al anaosn PS 05 ul SENSE Ga Sam: Ey wnz sıq a ınz sıq | ur pueIsqe | suoy99agı le uouoyeands UMITIONAEN ann apa weguezıoy WOA | Suejueziayg WOA Ei 5 2 un, ‘17 yIOzzuoyerT Salekt SPS op gez | STORTEZ 6 8 9 Em 27 € EIER Se I oTI9q®eL Studien über den Brechreflex. 7 Die Erregung der Magennerven geschah stets mit faradischen Reizen!) (schätzungsweise 20—25 Unterbrechungen in der Sekunde). Es wurde entweder kontinuierlich gereizt oder in mehrfach wiederholten Reizperioden von 3—20 Sek. Dauer und etwa gleich langen zeitlichen Abständen. Es schien, dass die letztere Reizart wirksamer ist. Ausserdem wurde die Reizstärke durch den Rollen- abstand variiert. Gereizt wurde 1. bis zum Eintritt des an- emetischen Stadiums oder 2. bis zum Eintritt des emetischen Stadiums oder 3. auch noch während desselben oder über dasselbe hinaus. Die zur Auslösung des Symptomkomplexes notwendige Reiz- stärke schwankt. Ist die Schwelle überschritten, so sind die Effekte nicht wesentlich verschieden. Nur die Latenz und die Dauer des anemetischen Stadiums scheint von der Stärke des Reizes beeinflusst zu werden. Der Schwellenwert liest relativ hoch. Bei dem benutzten Induktionsapparat (s. S. 3) konnte mit einem Rollenabstand von mehr als 9 cm der Reflex nicht hervorgerufen werden. Zum Vergleich wurde die Reizschwelle zur Erzielung eines Fffekts an den gleichen „letzten gemeinsamen Strecken“ (Atemapparat) von seiten zweier anderer Nerven (des Nervus femo- ralis und des Halsvagus) bestimmt. Bei Reizung des Femoralis wurden noch sehr starke Respirationsänderungen bei einem Rollen- abstand von 16 cm (und mehr) erzeugt. Bei Reizung des Vagusstammes am Halse konnte eine reflek- torische Veränderung der Atembewegungen noch bei einem Rollen- abstand von 20 cm hervorgerufen werden (s. Fig. 8 Taf. I). Dieses Resultat erinnert an das von Brodie und Russell, welche fanden, dass sehr viel stärkere Reize notwendig sind, um auf reflektorischem Wege Hemmung des Herzens vom Magenvagus aus oberhalb des Zwerchfells zu erzielen als vom Halsvagus aus?). Die Summation an und für sich unwirksamer Einzelreize, welche ein so wichtiges Charakteristikum der Reflexerscheinung ist ?), kommt beim Brechreflex in hervorragender Weise zur Beobachtung. Wir können hier wie bei manchen ähnlichen Reflexen zwei Arten von Summation unterscheiden: 1. die Summation unwirksamer 1) Ob sehr starke Einzelschläge wirksam sind, wurde noch nicht untersucht. 2) Journ. of Physiol. vol. 26 p. 92. 1900—1901. 3) Sherrington, Integrative Action of the Nervous System p. 36. .1906. 8 F. R. Miller: Einzelschläge bei der faradischen Reizung (Summation erster Ordnung), 2. die Summation mehrerer an und für sich unwirk- samer Perioden faradischer Reizung (Summation zweiter Ord- nung). Beide Arten der Summationserscheinungen treten besonders deutlich bei ätherisierten Tieren in Erscheinung s. Fig. 1 u. 7 Taf. I u. Fig. 6 Taf. I). Auch Summation der chemischen Reizwirkung von Senf und der elektrischen Reizung eines Magennerven konnte beobachtet werden. Wenn nämlich auf Füllung des Magens mit Senfauf- schwemmung nach längerer Zeit keinerlei Veränderungen zu be- merken waren, so konnte durch elektrische Reizung eines Magen- nerven schon nach aussergewöhnlich kurzer Zeit Erbrechen hervor- gerufen werden. Anemetisches Stadium. (Prodromalstadium, Nausea. Auf den Figuren von B—C, resp. A—Ü, wenn A und B nahezu zusammenfallen.) Der ersten Periode des Reizeffektes (von den ersten sichtbaren Reaktionen des Tieres bis zum Eintritt der ersten Brechbeweegung) habe ich den Namen „Anemetisches Stadium“ (von «v« [hinauf] und Zusrog [Erbrechen]) gegeben. Diese Periode ist identisch mit dem, was man beim Menschen als Nausea bezeichnet. Sie variiert ausserordentlich in der Dauer und im Ablauf. Von den verschiedenen, während dieses Stadiums zu beobachtenten Erscheinungen (s. S. 4) sollen hier nur die mannigfaltigen Veränderungen der Atemkurve be- schrieben werden. Dieselben zeigen besonders gegen das: Ende prinzipielle Unterschiede, je nachdem Äther oder Chloralose als Narkotikum angewandt wird. Ich beschränke mich darauf einige Haupttypen zu beschreiben. l. Die Respirationen werden allmählich schneller und nehmen an Tiefe zu (s. Fig. 2 Taf. D. 2. Auf der Höhe der Exspi- ration treten anfangs hin und wieder, später regelmässiger kleine eingeschobene Atembewegungen auf, welche immer grösser werden und schliesslich zu einer Verdoppelung der Zahl der Atembewegungen führen ') (s. Fig. 1 Taf. I). (Bisweilen ist die Atmung am Anfang etwas verlangsamt, was auf einer Hemmung durch den Eintritt der 1) Ähnliche Verdoppelungserscheinungen sind bei den rhythmischen Be- wesungen des Herzens und der Medusen beschrieben. (Bethe, Pflüger’s Arch. Bd. 127 S. 223. 1909. Studien über den Brechreflex. 9 Schluckbewegungen beruhen könnte.) Dieser Typus kam, ebenso . wie der erste Typus bei ätherisierten Tieren zur Beobachtung. 3. Unter Chloralose fehlt in der Regel eine Vermehrung der Atem- frequenz ganz. In diesem Fall besteht die einzige am Anfang be- merkbare Veränderung in einer Verminderung der Inspiration und einer Verstärkung der Exspiration (s. Fie. 3 u. 9 Taf. I u. Fig. 11 bis 13 Taf. ID). Bisweilen findet die Verminderung der Inspiration nicht bei jeder Respirationsbewegung statt (Fie. 4 Taf. I), sondern trifft nur bei einzelnen, z. B. bei jeder zweiten zu. Werden diese verkleinerten Atembewegungen immer kleiner, so kommt es schliess- lich zu einem Ausfall einzelner Bewegungen oder sogar zu einer Halbierung der Zahl der Atembewegungen (s. Fig. 5 Taf. D. Bei Äthernarkose konnte es durch den umgekehrten Prozess zu einer Verdoppelung kommen (vgl. oben Typus 2 Fig. 1). Zu einer Hal- bierung auf längere Strecken kam es in den bisherigen Ver- suchen nicht. Die Verstärkung der Exspiration nimmt mit der Zeit so stark zu, dass es zu einem mehr oder weniger vollständigen exspiratorischen Stillstand kommt (Fig. 3, 4 u.5 Taf. Tu Fig. 11—135 Taf. ID). Bisweilen tritt der exspiratorische Stillstand mit einer vertieften Exspiration ganz unvermittelt ein (Fig. 10 Taf]). Durehbrochen wird der Atemstillstand durch die erste Brechbewegung, mit welcher das nächste Stadium des Symptomen- komplexes anfäntge. Dieser exspiratorische Stillstand ist durchaus charakteristisch für die Chloralosenarkose. Die der ersten Expulsions- bewegung vorausgehende Bewegung inspiratorischeu Charakters findet meist in mehreren Absätzen statt (Fie. 3 Taf. ]). Auch bei den ätherisierten Tieren endet das Prodromal- stadium in der Regel mit einem Stillstand der Respiration, welcher dann aber immer von kürzerer Dauer und stets inspira- torischer Natur ist (s. Fie. 1 Taf. D,. 4. Bei einem ätherisierten Tier wurden, während des Prodromal- stadiums Gruppenbildungen in den Atembewegungen beobachtet, wobei die Amplitude der Atembewegungen wuchs und wieder sank, sodass die Atemkurve das Bild einer unregelmässigen Wellenbewegung darbot (s. Fig. 6 Taf. II u. Fig. 7 Taf. I). Diese Erscheinung zeigte sich sowohl bei kontinuierlicher (Fig. 6), wie auch bei periodischer fara- discher Reizung (s. Fig. 7), so dass die Periodenbildung nicht in der letzteren Reizart ihre Ursache haben kann. 10 F. R. Miller: An dieser Stelle müssen ähnliche Befunde früherer Autoren Erwähnung finden: Chloralose ist eine Verbindung von Glukose und Chloral.e. Unter der Einwirkung von Chloralhydrat fand Frederieq'!) bei der Reizung des zentralen Vagusstumpfes stets exspiratorischen Tetanus, während unter normalen Verhältnissen bekanntlich nur schwache Reize solchen bewirken, starke Reize aber einen inspiratorischen Tetanus. Ich habe denselben Befund unter der Einwirkung von Chloralose erhoben. Auch Aducco?) konnte unter der Einwirkung von Chloralhydrat eine Begünstigung der Exspiration, besonders im Bereich der Bauchmuskeln, feststellen. Emetisches Stadium. (Brechstadium. Auf den Figuren von (—D.) Als emetisches Stadium bezeichne ieh denjenigen Teil der Ge- samterscheinung, in welchem wirkliche Brechbewegungen erfolgen. Sowie diese einmal richtig eingeleitet sind, so läuft der Brechakt nach meinen bisherigen ‚Untersuchungen, abgesehen von leichten Variationen, meist in gleicher Weise ab°). Es folet nämlich auf die erste Brechbewegung in ziemlich rhythmischer Weise eine ganze Reihe anderer (20—60, meist gegen 30). Der Rhythmus ist zu Anfang am schnellsten (Maximum 14 Bewegungen in 10 Sek., Fig. 1 und Tabelle auf S. 6, Stab 4) und nimmt gegen das Ende langsam ab (Fig. 9 u. 10, Taf. I). Bei der Chloralosenarkose und manchmal auch bei der Äthernarkose ist die Atemfrequenz wesentlich geringer als die Frequenz der Brechbewegungen (siehe die Tabelle auf S. 6, Stab 3 u. 4). Ist aber, wie so häufig, bei Äthernarkose die Atemfrequenz sehr gross, so tritt nach den bisherigen Beobachtungen beim Ein- setzen der Brechbewegungen eine Verminderung (statt einer Vergrösserung) der Frequenz ein (Fig. 6, Taf. II, und Fig. 7, Taf. I, Tabelle auf S. 6, Vers. vom 20. Juni). (In diesem Falle schieben sich bisweilen kleine Atembewegungen zwischen die Brechbewegungen 1) Arch. de Biol. 1900—1901. Zitiert nach Luciani; Handb. d. Physiol. 2) Annali di freniatria e scienze affıni. Torino 1889. Zitiert nach Luciani, Handb. d. Physiol. 3) Bei ungenügendem Reiz kommt es in der Regel nur zur Ausbildung des Prodromalstadiums (Fig. 11 Taf. II, erster Reiz), bisweilen aber auch zu einer oder einigen wenigen Brechbewegungen. Studien über den Brechreflex. 11 _ ein.) Hieraus scheint hervorzugehen, dass bei den Brechbewegungen eine bestimmte für das Tier charakteristische Frequenz angestrebt wird. Die Amplitude der Bewegungen wächst allmählich bis zu einem Maximum an, welches bei Äther meist vor der Mitte, bei Chloralose, wenn überhaupt deutlich ausgebildet, meist hinter der Mitte liegt, und sinkt gegen das Ende wieder ab (siehe Fig. 1 u. 10, Taf. ]). Vor allen Dingen ist die Dauer des ganzen Vorganges nahezu immer dieselbe (siehe Tabelle S. 6). Der sanze Verlauf des Brecehstadiums scheint der- selbe zu sein, gleichgültig ob mit Äther, Urethan oder Chlora- lose narkotisiert war, ob ein langes oder ein kurzes anemetisches Stadium vorherging, ob der auslösende Reiz ein natürlicher (Senf) oder ein künstlicher (elektrischer Nervenreiz) war, ob ein starker oder ein schwacher Reiz die Auslösung bewirkte. Elektrische Reizung während des Brechaktes scheint die Dauer zu verlängern (siehe Fig. 5, Taf. I), aber wohl nicht in wesentlichem Maase. Wenn einmal eingeleitet, ist der eigentliche Brechakt ziemlich unabhäneig von den Bedingungen. Ein Vereleich desselben mit anderen ähnlich ablaufenden Reflexen (Kratzreflex) erscheint daher von wesentlichem Interesse (siehe unten S. 18). Katemetisches Stadium. (Nachstadium. Auf den Figuren von D—.E.) Dieses Stadium rechne ich von der letzten typischen Brech- bewegung bis zur Rückkehr normaler (regelmässiger und gleich hoher) Atembewegungen. Die letzte Brechbewegung ist bei Chlora- lose nach den bisherigen Beobachtungen ausnahmslos eine exspira- torische, bei Äther in typischen Fällen eine inspiratorische!), Dieser letzten Brechbewegung folgt gewöhnlich ein kürzerer oderlängerer Atemstillstand, bei Chlora- lose in Exspirationsstellung (Fig. 3 und 5, Taf. D), bei Äther in Inspirationsstellung (siehe Fig. 1, Taf. I). Der Atemstillstand wurde vermisst, wenn die Atmung von Anfang an beschleunigt war, wie das häufig bei Äther der Fall ist (Fig. 6, Taf. II und Fig. 7, Taf. I), oder wenn der Versuch am selben Tier 1) Also umgekehrt wie die erste Brechbewegung, welche bei Chloralose (ausgehend von einem exspiratorischen Stillstand) inspiratorisch ist, während sie bei Äther immer exspiratorisch zu sein scheint. 12 F. R. Miller: oft wiederholt worden war. (Verel. Fig. 10, Taf. I, mit Fig, 11, 12 und 13, Taf. II.) Die ersten Atembewegungen nach dem Still- stand sind gewöhnlich langsam und gehen allmählich in solche von normaler Amplitude und Frequenz über (siehe Fig. 1 und 3, Taf. D). Refraktäre Periode. Die Erfahrung an erbrechenden Tieren und Menschen deutete schon darauf hin, dass der Brechreflex ein „rhythmischer Perioden- reflex“* ist. Nach Aufnahme einer Substanz, welche durch lokale Erregung des Magens Erbrechen hervorruft, tritt nämlich in der Regel mehrfaches Erbrechen ein. Obwohl der Reiz auch während der Pause fortbesteht, hören doch alle Erscheinungen zwischendurch auf. Noch deutlicher sieht man bei mit Erbrechen verbundener peritonitischer Reizung, dass eine kontinuierliche Erregung — denn als kontinuierlich wird man die Entzündungsreize wohl ansehen müssen — nicht imstande ist, kontinuierliches Erbrechen hervor- zurufen. Das Erbrechen tritt vielmehr in Anfällen auf, die häufig bei ein und demselben Subjekt in Art und Dauer sehr ähnlich sind. Auch bei den Katzen, bei welchen in unseren Versuchen das Eirbrechen durch Einfüllen von.Senf hervorgerufen wurde, trat nicht ununterbrochenes Erbrechen während der ganzen Dauer der Ein- wirkung auf, sondern es kam zunächst immer nur zu einem Anfall von beschränkter Dauer (Fig. 2, Taf. D). Wie oben beschrieben wurde, zeigte sich die Dauer des Brech- stadiums bei elektrischer Reizung eines Magenvagus ziemlich un- abhängig von den sonstigen Versuchsbedineungen und war von der- selben Grösse wie beim natürlichen Reiz. Reizung während des emetischen Stadiums vermag dasselbe etwas, aber nur unbedeutend zu verlängern (z. B. Fig. 5). Reize, welche während des katemetischen Stadiums appliziert werden, bleiben auch, wenn sie stark sind, erfolglos (siehe Fig 5. Reizung mit 4 em Rollenabstand erfolglos, während vorher 7 cm Rolienabstand genügten, um Erbrechen hervorzurufen). Auch längere Zeit danach können häufig selbst starke Reize ohne jede Einwirkung bleiben (kein Erbrechen, nicht einmal Andeutungen der Atemänderungen des Prodromalstadiums, Fig. 4 und 5, Taf. I, und Fig. 6, Taf. I). In einigen Versuchen (besonders bei Äther) gelang es, innerhalb der Versuchsdauer von !/—2 Stunden nur ein- oder zweimal Erbrechen zu erzielen, während die Anfänge des Prodromalstadiums noch öfter Studien über den Brechreflex. 13 hervorgerufen werden konnten. (Analogien hierzu sind auch aus der Erfahrung am Menschen zur Genüge bekannt.) Man sieht aus diesen Tatsachen, dass beim Brechreflex ein richtiges Refraktärstadium vorhanden ist, welches zur Aus- bildung kommt, nachdem die Brechbewegungen eine gewisse, für jede Tierart wohl ziemlich konstante Zeit gedauert haben. Dieses Refraktärstadium verhindert es, dass das Erbrechen bei lange an- dauernden Brechreizen ununterbrochen andauert. Sherrington spricht in bezug auf eine ähnliche Erscheinung, nämlich die (auch bei Fortdauer des Reizes) stets beschränkte Dauer des Kratzreflexes, nicht von einer refraktären Phase, sondern von „Fatigue“ oder „negative induetion“ '). Wenn ich hier beim Brechreflex von einem Refraktärstadium spreche, so bin ich mir wohl bewusst, dass die Erscheinung mit dem, was man sonst Refraktär- stadium nennt, nicht vollkommen übereinstimmt. Folgende Über- lesungen mögen dies rechtfertigen: Als Refraktärstadium bezeichnet man im all- gemeinen in der Physiologie des Zentralnervensystems eine Zeitspanne, während welcher das „Reflexzentrum“ unerregbar ist. Man hat dabei aber in der Regel nur kurz dauernde Einzelbewegungen im Auge, nicht aber Gruppen von Einzelbewegungen. — Durch die Annahme eines Refraktär- stadiums im herkömmlichen Sinne sucht man zu erklären, warum bei Fortdauer des erregenden Reizes kein Tetanus der betreffenden Muskeln zustande kommt [siehe Sherrington, Kratzreflex ?)]. Die oben gegebene Definition des Refraktärstadiums trifft aber in genau derselben Weise auch für eine ganze Gruppe soleher Bewegungen zu und erklärt, warum bei der Fortdauer eines Reizes die rhythmische Bewegung nicht andauert, sondern ein Ende findet, um eventuell nach einiger Zeit wieder zu beginnen. Ich schlage daher vor, von einer refraktären Phase erster Ordnung und zweiter Ordnung zu sprechen. — Bei allen rhythmischen, nervös vermittelten Bewegungen, welche bei Fortdauer des Reizes ununterbrochen andauern, ist nur eine refraktäre Phase (nämlich die refraktäre Phase erster Ordnung) vorhanden, während bei solchen rhythmischen Bewegungen, die nur eine be- 1) Integrative Action of the Nervous System p. 222. 1906. 2) Integrative Action of the Nervous System p. 50. 1906. 1A F. R. Miller: schränkte Dauer erreichen (Brechreflex, Kratzreflex), zwei re- fraktäre Phasen bestehen (nämlich die refraktäre Phase erster und zweiter Ordnung). Gerade so wie beim Kratzreflex') besteht auch beim Brech- reflex eine absolute refraktäre Phase erster Ordnung, denn es ist unmöglich, durch starke Reizung der Magennerven während der Dauer der Breehbewegungen einen Tetanus der betreffenden Muskeln zu bewirken. Die refraktäre Phase zweiter Ordnung ist beim Brechreflex sehr viel länger wie beim Kratzreflex und betrug selbst in den günstigsten Fällen (Chloralose) immer noch 30 Sekunden. Sherrington konnte beim Kratzreflex, durch Vermehrung der Reizstärke keine Beschleunigung des Rhythmus hervorrufen und schliesst auch hieraus auf das Vorhandensein einer refraktären Periode !) (erster Ordnung). Dasselbe lässt sich beim Brechreflex kon- statieren (siehe z. B. Fig. 5). Der starke, während des Erbrechens angesetzte Reiz rief weder eine Beschleunigung der Bewegungen hervor, noch konnte er das Abbrechen der Bewegungen verhindern. Es besteht, wie es scheint, eine Konkurrenz zwischen den Atenbewegungen und den Brechbewegungen. Wenn in meinen Versuchen die Atmung langsam war, d. h. wenn die augenblickliche Errestheit oder Erregbarkeit des zentralen Mecha- nismus derselben gering ist, so war das Erbrechen leicht aus- zulösen und das Prodromalstadium und das Refraktärstadium zweiter Ordnung kurz. War andererseits die Erregbarkeit des Atemmechanismus gross (die Atmung frequent), so -war in der Regel das Erbrechen schwer auszulösen, das Prodromal- stadium lang und die Atembewegungen setzten sofort nach Schluss der Brechbewegungen wieder ein (siehe Fig. 6, Taf. II, und Fig. 7, Taf. D. Ein deutliches katemetisches Stadium fehlt dann, ja es kann schon zwischen den letzten Brechvewegungen zu einzelnen ein- geschobenen Atembewegungen kommen (siehe Fig. 7). Dies er- innert an Versuche von Sherrington?), welche ebenfalls beim Kratzreflex und Flexorreflex einen Kampf um die letzte beiden Re- flexen gemeinsame Strecke zeigten. 1) Sherrington, Integrative Action of the Nervous System p. 49. 1906. 2) Sherrington, Integrative Action of the Nervous System p. 221. 1906. Studien über den Brechreflex. 15 Der Brechreflex zeigt in ausgesprochenem Maasse das Phänomen der Reiznachwirkung |[,After-discharge‘“, Sherringston!)]. Der Reiz braucht nämlich nur so lange an- zudauern, bis der Vorgang in Gang gekommen ist?) und kann dann abgebrochen werden, ohne dass sich am weiteren "Verlauf irgend etwas wesentliches ändert (siehe Fig. 1, 3, 4). Der Reiz löst also nicht einzelne Brechbewegungen, sondern eine ganze Serie von Bewegungen aus. Ähnliche Erscheinungen sind bei anderen Reflexen zu beobachten (Kratzreflex, [Sherring- ton®)], Pulsieren randkörperloser Medusen [Bethe, Mayer], Sehwirreflex dekapitierter Insekten usw.). Da das Stadium der eigentlichen Brechbewegungen (emetisches Stadium) von der Dauer und Stärke des Reizes wenig oder gar nicht beeinflusst zu werden scheint, dasselbe vielmehr, wenn einmal ausgelöst, immer in fast derselben Weise abläuft, so ist man wohl berechtigt, diese Erscheinung als „Alles oder Niehts“ zu be- zeichnen. Bei den ıneisten Erscheinungen, bei welchen man bisher vom „Alles-oder-Nichts“ gesprochen hat (Herzschlag, Medusenschlag, Streckreflex [Sherrington‘)] usw.), handelt es sich um Einzel- bewegungen, während dieses Gesetz in unserem Fall für eine ganze Gruppe von Einzelbewegungen gültig zu sein scheint°). Versuche am Kaninchen. Obwohl Grund zu der Ansicht vorhanden ist, dass der Brech- akt nicht einfach in einer exzessiven Steigerung der Atembewegungen, sondern in einer besonderen Bewegungskorrelation 1) Sherrington, Integrative Action of the Nervous System p. 26. 1906. 2) Bei stärkeren Reizen genügt vielleicht eine noch kürzere Dauer, doch liegen darüber keine exakten Versuche vor. 3) Dieser Vergleich mit dem Kratzreflex usw. ist natürlich nur dann zu- lässig, wenn die Brechbewegungen Bewegungen sui generis (bei Stillstand der Atembewegungen) sind, was ich für wahrscheinlich halte. Wer dagegen die Brechbewegungen nur für modifizierte Atembewegungen hält, wird die be- schriebene Reiznachwirkung vielleicht mit der Nachwirkung bei Acceleratorreizung vergleichen können. 4) Sherrinston, Integrative Action of the Nervous System p. 74. 1906. 5) Ob und ir welchem Maasse der Brechakt während seines Verlaufs durch andere Reize gehemmt werden kann, ist noch nicht untersucht worden. 16 F. R. Miller: besteht, so sind doch nahe Beziehungen zwischen Atmung und Brech- akt vorhanden. Daher erschien es wünschenswert, die Atem- bewegungen unter denselben Bedingungen, welche bei der Katze Erbrechen bewirken, bei einem Tier aufzuschreiben, welches nicht die Fähigkeit zu erbrechen besitzt. Diese Unfähig- keit könnte auf einer sehr geringen Erregbarkeit der in Betracht kommenden zentralen Mechanismen beruhen. Man würde in diesem Fall auf „Brechreize“ wenigstens Veränderungen in den Atembewegungen zu erwarten haben. Diese Annahme erschien um so wahrscheinlicher, als nach den Versuchen von Harnack!) das Apomorphin (ein zentralwirkendes Brechmittel) bei Tieren, die nicht erbrechen können (Kaninchen), nach intravenöser Applikation wenigstens eine erheb- liche Steigerung der Atembewegungen hervorruft. Zu meinen Versuchen benutzte ich das Kaninchen, welches auf keine Weise nach den bisherigen Untersuchungen zum Erbrechen gebracht werden kann. Bei Reizung des Magenvagus mit faradischen Strömen verschiedener Stärke und verschiedener Dauer konnten keine konstanten Veränderungen der Respiration hervorgerufen werden. In einigen Fällen wurden am Anfang und am Ende der Reizung kleine Modifikationen ın der Form der Atembewegungen (aber nicht in ihrer Frequenz) bemerkt (siehe Fig. 16, Taf. ID). In anderen Fällen fehlten auch diese, ganz oder sie waren nur am Anfang resp. am Ende der Reizung zu beobachten (Fig. 17 und 15, Taf. II). Ich glaube Grund zu der Annahme zu haben, dass diese manchmal beobachteten Verände- rungen auf Stromschleifen durch das Zwerchfell zu beziehen sind. Vollkommen negative Resultate wurden erzielt, wenn starke Aufschwemmungen von Senf (5—20°b) in den Magen hineingebracht wurden. Faradische Reizung der Aussenseite des Magens und der Ge- därme blieb ohne nachweisbaren Effekt auf die Atembewegungen. Dagegen wurden schon durch schwache Reizung von Extremitäten- nerven starke Respirationsänderungen hervorgerufen. Diese unerwartete Wirkungslosigkeit der Reizung des Magenvagus auf die Atmung legte die Frage nahe, ob dieser Nerv beim Kaninchen überhaupt zentripetale Fasern enthält.: Es 1) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. Bd. 2 S. 269. 1874. Studien über den Brechreflex. 17 wurde daher untersucht, ob es möglich ist, von diesem Nerv aus eine Einwirkung auf den Blutdruck zu erzielen. Wie in der folgenden Mitteilung gezeigt werden soll, ist dies in ausgesprochener Weise der Fall. Zentripetale Fasern sind also im Magen- vagus des Kaninchens vorhanden. 4 Wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Respirations- änderungen und dem Eintritt des Erbrechens vorhanden ist, so wird man die Unfähigkeit des Kaninchens, zu erbrechen, darin suchen können, dass zwischen dem zentralen Ort dieser Fasern und den- jenigen zentralen Mechanismen, welche der Atemkoordination vor- stehen, keine Verbindungen vorhanden sind. Versuche an der Taube. Tauben erbrechen bekanntlich sehr leicht, besonders infolge von Operationen am Zentralnervensystem und am Labyrinth. Ob sie auch nach Aufnahme un- geeigneter Nahrung erbrechen können, habe ich bisher nicht in Erfahrung bringen können. — Es handelte sich hier nur um die Frage, ob durch Reizung des Magenvagus die charakteristischen Brechbewegungen der Taube oder wenigstens Veränderungen in der Frequenz und der Art der Atembewegungen hervorgerufen werden können. Meine Versuche nach dieser Richtung (elektrische Reizung des Magenvagus mit faradischen Strömen verschiedener Stärke am leicht ätherisierten Tier) blieben bisher vollkommen negativ!). Der periphere Auslösungsort der Brechbewegungen scheint also nicht im Magen zu liegen. Da die Be- wegungen, welche die Taube beim Erbrechen ausführt, ganz andere sind als bei Säugetieren, so ist es wohl möglich, dass auch die auslösenden Ursachen andere sind. Zusammenfassung. 1. Bei Katzen kann Erbrechen durch Einfüllen von Senf in den Magen oder durch elektrische Reizung der Magenvagi hervor- gerufen werden. Die Reizschwelle liest relativ hoch. 2. Dem eigentlichen Erbrechen (emetisches Stadium) geht ein Prodromalstadium (anemetisches Stadium) voraus und folgt ein Nach- stadium (katemetisches Stadium). 3. Die angewandten Narkotika beeinflussen den Brechakt in verschiedener Weise. Chloralose begünstigt ihn. 4. Das Prodromalstadium ist unter anderem durch recht ver- schiedenartige Veränderungen der Atembewegungen ausgezeichnet. Es ist bei Äther lang und endet meist mit einem inspiratori- 1) Reizungsversuche an den Nerven des Kropfes aunden bisher nicht ausgeführt. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 2 18 F. R. Miller: schen Atemstillstand. Bei Chloralose ist es kurz und endet mit exspiratorischem Atemstillstand. 5. Das eigentliche Erbrechen (emetisches Stadium) ist ein rhythmischer Periodenreflex, d. h. es besteht in rhyth- mischen Bewegungen, welche auch dann nur eine beschränkte und annähernd konstante Zeit dauern, wenn der Reiz fort- wirkt. Der Ablauf ist nahezu immer derselbe, gleichgültig ob der Reiz stark oder schwach, lang oder kurz ist, wenn es nur über- schwellig ist („Alles oder Nichts“). 6. Summation unterschwelliger Reize spielt bei der Auslösung eine grosse Rolle. 7. Der Reflex läuft in typischer Weise ab, auch wenn der Reiz frühzeitig unterbrochen wird (Reiznachwirkung, Afterdischarge [Sherrinston)). 8. Durch Verstärkung des Reizes lässt sich weder eine Be- schleunigung der Frequenz noch Tetanus der in Aktion tretenden Muskeln erzielen (refraktäre Periode erster Ordnung). — Nach seinem Ablauf lässt sich der rhythmische Reflex (auch durch starke Reize) nicht sofort wieder auslösen (refraktäre Periode zweiter Ordnung). 9. Es besteht ein Kampf um die letzten „gemeinsamen Strecken“ zwischen Atemreflex und Brechreflex. 10. Reizung des Magenvagus bewirkt beim Kaninchen kein Er- brechen und auch keine deutlichen Veränderungen der Atem- bewegungen. Auch bei der Taube war Reizung der Magenvagi in diesen Beziehungen erfolglos. Figurenerklärung der Tafel I und 1. Abkürzungen. Äther — Äthernarkose. Oerv. Vag. = Cervical Vagus. Chloralose = Chloralosenarkose. Dors. Vag. = Dorsaler Magenvagus. Erbr. — Erbrechen. R. A. — Rollenabstand. Reiz. — Reizung. Urethan —= Urethannarkose. Ventr. Vag. = Ventraler Magenvagus. Studien über den Brechreflex. 19 A—B = Latenzzeit A. A—C = Latenzzeit B. B—-C = Anemetisches Stadium. C—D = Emetisches Stadium. D-—E = Katemetisches Stadium. F«a = Blutdruckfall während anemetischen Stadiums. Fe — Blutdruckfall während emetischen Stadiums. 5 == Blutdrucksteigerung (Kaninchen). Sb —= Schluckbewegungen. F' = Erster Blutdruckfall (Kaninchen). F, = Blutdruckfall nach Aufhören der Reizung (Kaninchen. O = Nullinie des Blutdrucks. In den Kurven folgen von unten nach oben: 1. Zeitmarkierung, 2. Reizmarkierung, 3. Atem- resp. Brechkurve, 4. in Fig. 3 und 10—17 Blutdruckkurve. Fig. 1. Versuch vom 15. Juni 1911. Katze. Äther. Reiz.: Ventr. Vag. R.-A. 9 cm. Schluckbewegungen fangen bei Sb an. Fig. 2. Versuch vom 20. Juni 1910. Katze. Nachdruck aus: Journal of Physio- logy Bd. 41. Äther und Urethan. Senf im Magen. Das Signal zeigt Ein- füllen und Herauslassen der. Senfaufschwemmung an. Fig. 3. Versuch vom 5. Juli 1911. Katze. Chloralose. Reiz.: dors. Vag. R.-A. 9 cm. Blutdruck in Arteria femoralis. Blutdruckfall während anemetischer (Fa) und emetischer (F) Stadien. Fig. 4. Versuch vom 26. Juni 1911. Katze. Chloralose. Reiz.: dors. Vag. R.-A. 9 cm. Erbr. um 12h. Reiz. derselben Stärke nach 63” und 184” erfolglos. Fig. 5. Dasselbe Tier wie Fig. 4, eine halbe Stunde später. Reiz.: dors. Vag. R.-A. 7 cm und 4 cm. Zwischen A und © Andeutung von Halbierung der Atembewegungen. Erbr. um 12h 35’. Reizungen (7 und 4 cm R.-A.) während des Erbrechens rufen weder Tetanus noch Beschleunigung des Rhythmus hervor. Reizung während des exspiratorischen Stillstandes, ebenso wie zwei spätere Reizungen erfolglos. Fig. 6 (Tafel II). Versuch vom 30. Juni 1911. Katze. Äther. Reiz.: Ventr. Vag. kontinuierlich. R.-A.9 cm. Erbr. 6b p.m. Reizung derselben Stärke nach 75’ erfolglos. Zwischen A und © Gruppenbildung der Atembewegungen. Fig. 7 (Taf. I). Derselbe Versuch (später). Reiz.: Ventr. Vag., periodisch. R.-A. 9 cm. Erbr. 6h 15’ p.m. Fig. 8. Versuch vom 26. Juni 1911. (Dasselbe Tier wie in Fig. 4 und 5.) Reiz. des zentralen Endes des Cerv. Vag. Reizung gibt exspiratorische Effekte oder exspiratorischen Stillstand. R.-A. auf der Kurve angegeben. 9* [4 230 F. R. Miller: Studien über den Brechreflex. Fig. 9, 10 (Taf. I) und Fig. 11, 12, 13 (Taf. I). Versuch vom 20. Juli 1911. Katze. Chloralose. Die 1., 2., 3., 5. und 6. Reiz. des dors. Vag. In Fig. 9, 10, 11 R.-A. 9 cm; in Fig. 12 R.-A. 8,5 cm; in Fig. 13 R.-A. 8 cm. In Fig. 10, 11, 12, 13 Blutdruck in Arteria carotis. Blutdruckfall während des anemitischen und emitischen Stadiums (allmählich an Deutlichkeit abnehmend). In Fig. 12 und 13 kein Atemstillstand nach D und überhaupt wenig deut- liches katemetisches Stadium. | Fig. 14, 15, 16, 17. Versuch vom 17. Juli 1911. Kaninchen. Chloralose. Blut- druck in Arteria carotis. Die 1., 2., 5. und 7. Reizung des Magenvagus. In Fig. 14 und 15 R.-A. 5 cm; in Fig. 16 R.-A. 6 cm; in Fig. 17 R.-A. 5 cm. 21 (Aus dem physiologischen Institut in Strassburg.) Blutdruckveränderungen bei Reizung des Magenvagus. | Vorläufige Mitteilung. Von Dr. med. F. R. Miller, Toronto (Canada). (Hierzu Fig. 3 und 10 auf Taf. I und Fig. 11—17 auf Tafel II.) Seitdem Goltz!) Hemmung des Herzschlages auf reflektorischem Wege durch Reizung der Eingeweide erzielt hat, ist oftmals der Einfluss des Splanchnieus auf die Blutdruekkurve untersucht worden. Dagegen ist mir nur eine Arbeit (von Brodie und Russell?) be- kannt, in welcher der Einfluss der Reizung des Vagus in seinen distalsten Abschnitten auf den Blutdruck und den Herzschlag fest- zustellen gesucht wurde. Brodie und Russell legten die zum Magen ziehenden Teile des Vagus unter künstlicher Atmung (in ‚ Alkohol-Chloral-Äther-Narkose oder in Urethan-Narkose) auf dem Ösophagus in der Gegend der siebenten und achten Rippe frei. Reizung dieses Nerven (auch mit starken Strömen) rief bei Katzen in der Regel keine Wirkung auf den Blutdruck hervor, während bei Hunden meistens Verlangsamung des Herzschlages mit Blutdruckfall, manchmal auch Blutdrucksteigerung (ohne Pulsveränderung) oder gar kein Effekt beobachtet wurde. Die nötigen Reizstärken waren stets wesentlich höher als zur Erreichung einer Wirkung von seiten des cervikalen Vagus. Meine eigenen Versuche wurden an zwei Katzen und zwei Kaninchen unter Chloralose- Narkose und bei natürlicher Atmung angestellt, indem die Magenvagi unterhalb des Zwerchfells auf dem 1) Virchow’s Arch. Bd. 26 S. 1. 1863. 2) Journ. of Physiol. Bd. 26 S. 92. 1900-1901. 22 ER Miller: Magen selbst aufgesucht wurden !). Der Blutdruck wurde mit Hilfe eines Hürthle’schen Tonographen von der Carotis resp. Femoralis aus verzeichnet; gleichzeitig wurde die Atmung (und eventuelles Erbrechen) aufgeschrieben ?). Die Reizung der zentralen Enden der Magenvagi mit tetani- sierenden, faradischen Strömen bewirkte sowohl bei der Katze wie beim Kaninchen deutliche Blutdruckveränderungen, welche sich voll- ständig wieder ausglichen und oft am selben Tier wieder hervor- gerufen werden konnten. Die Art der Veränderungen war bei Katze und Kaninchen verschieden. Da beim Kaninchen die Reizung des Magenvagus kein Erbrechen, meist auch keine deutlichen Veränderungen der Atmung und keine Bewegungen der übrigen Skelettmuskulatur hervorruft?), so liegen hier die Ver- hältnisse am einfachsten. In Fig. 14, 15, 16, 17 (Tafel II) sind vier Reizungen am selben Kaninchen abgebildet, 14 und 15 bei gleicher und geringer Reiz- stärke, 16 und 17 bei grösserer Reizstärke. In allen Fällen steigt der Blutdruck zunächst an. Bei dem ersten (und schwachen) Reiz bleibt er während der ganzen Dauer hoch und sinkt erst nach dem Aufhören des Reizes auf die alte Höhe herab. Dagegen folgt bei den letzten stärkeren Reizen der anfänglichen Steigerung bald eine erhebliche Senkung, welche mit Verkleinerung und Verlangsamung der Pulse einhergeht (Fig. 16 und 17). Diese Senkung gleicht sich noch während der Reizung wieder aus und ist von einer neuen Senkung nach Aufhören des Reizes gefolgt. (Da beide Senkungen auch in Fig. 15 angedeutet sind, so sind sie wohl nur zum Teil auf den stärkeren Reiz zurückzuführen, z. T. aber auf das Konto der „Ermüdung“ zu setzen.) Die nicht unerhebliche Verkleinerung und Verlangsamung der Pulse mag die erste Senkung genügend er- klären; die zweite Senkung nach dem Öffnen des Reizstromes wird jedenfalls zum grösseren Teil auf vasomotorische Einflüsse zurück- geführt werden müssen. Während der Blutdrucksteigerung, dem charakteristischsten Stadium des ganzen Vorganges, ist eine geringe Beschleunigung der Pulse zu bemerken; da die Pulse aber gleichzeitig meist kleiner werden, so ist die Blutdrucksteigerung wohl vorwiegend auf vaso- motorische Ursachen zu beziehen. 1) Miller, Studien über den Brechreflex. Dieses Arch. Bd. 143 8.3. 1911. 2) Miller, Studien über den Brechreflex. Dieses Arch. Bd. 143 S. 16. 1911. Blutdruckveränderungen bei Reizung des Magenvagus. 33 Bei der Katze wurden in den bisherigen Versuchen, wenn die Reizung überhaupt wirksam war, stets nur Blutdrucksenkungen ver- schiedener Form und Grösse beobachtet (s. Fig. 3 und 10 Taf. I, und Fig. 11, 12, 13 Taf. II). Diese waren immer mit Veränderungen der Atmung (anemetische Erscheinungen) resp. mit Erbrechen ver- bunden ?). Es ist daher ohne besondere Versuche vorläufig nicht abzusehen, inwieweit die Blutdruckveränderungen lediglich Folge resp. Begleit- erscheinungen dieser Vorgänge sind. Dass dies sicher zu einem grossen Teil der Fall ist, geht daraus hervor, dass den einzelnen Stadien des Brechaktes mehr oder weniger charakteristische Ver- änderungen der Blutdruckkurve entsprechen, und dass die Blutdruck- veränderungen den Reiz so lange überdauern, als noch Brech- bewegungen und katemetische Symptome?) vorhanden sind. Die Blutdruckveränderung steht also zum grossen Teil mit dem Reiz in keiner direkten Beziehung. Die Blutdrucksenkung beginnt gleichzeitig mit dem exspira- torischen Atemstillstand, der bei Reiz des Magenvagus (Chloral- Narkose!) dem Erbrechen vorangeht?) (Fig. 3 und 10 Taf. I und Fig. 11 Taf. II). Vor dem Beginn der Brechbewegungen steigt der Blutdruck meist noch einmal für kurze Zeit an (s. Fig. 10 Taf. I und Fig. 11, 12, 13 Taf. ID). Kommt es nicht zum Erbrechen (Fig. 11, erster Reiz), so bleibt die Kurve auf der Höhe; tritt Er- brechen ein, so sinkt sie von neuem ab (Fig. 10—13) oder fährt fort abzusinken (s. Fig. 3 Taf. I) und steigt erst nach dem Aufhören der Brechbewegungen wieder langsam zur Normalhöhe an. Bei mehrfacher Wiederholung werden die Brechanfälle schwächer und auch die Blutdrucksenkungen geringer (vgl. Fig. 10, 11, 12 und 13). Während des ersten Absinkens des Blutdrucks (anemetisches Stadium) sind die Pulse meist etwas verlangsamt und verkleinert (s. Fig. 10 und 11). Findet das Absinken langsam statt, so ist eine Verlangsamung und Verkleinerung der Pulse nicht zu bemerken (s. Fig. 3). Auch während des Brechstadiums fehlt, soweit sich dies bisher feststellen lies, eine Änderung der Frequenz und der Puls- höhe. Es ist daher zu vermuten, «dass die Blutdrucksenkung auf 1) Miller, Studien über den Brechreflex. Dieses Arch. Bd. 143 S.s—11. 1911. 2) Miller, Studien über den Brechreflex. Dieses Arch. Bd. 143 S. 11. 1911. 3) Miller, Studien über den Brechreflex. Dieses Arch. Bd. 143 S.9. 1911. 34 °F. R. Miller: Blutdruckveränderungen bej Reizung des Magenvagus. Veränderungen im Gefässsystem beruht. — Während des Brech- stadiums sind an der Blutdruckkurve einzelne höhere Zacken zwischen den Pulsen zu bemerken, welche wohl auf mechanische Wirkungen von seiten der Brechbewegungen zu beziehen sind. Die Wirkungen der Reizung des Magenvagus auf den Blutdruck sind also, nach den bisherigen Befunden bei der des Erbrechens fähigen Katze ganz andere als bei dem des Erbrechens unfähigen Kaninchen. Als direkte Wirkung der Nervenreizung können mit Sicherheit wohl nur die Blutdruckänderungen beim Kaninchen an- gesehen werden. Ob essich hier um prinzipielle Unterschiede zwischen Katze und Kaninchen handelt, oder ob auch bei der Katze primäre Blutdrucksteigerung vorkommt wie beim Kaninchen, diese aber durch sekundäre Wirkungen infolge der Atemveränderung und des Er- brechens verdeckt wird, müssen weitere Untersuchungen entscheiden. Zum Schluss möchte ich Herrn Prof. Bethe für seine Hilfe bei der Abfassung dieser und der vorhergehenden Arbeit meinen besten Dank aussprechen. Auch Herrn Prof. Ewald und Herrn Prof. Gildemeister bin ich für verschiedene Ratschläge zu Dank verpflichtet. (Aus der biologischen Versuchsanstalt in Wien.) Versuche, das Verhältnis zwischen modal ver- schiedenen Reizen in Zahlen auszudrücken. II. Mitteilung. Von Dr. 3. S. Szymanski. (Mit 22 Textfiguren.) Inhaltsübersicht. En Sehxpernmentermit, Mehlwürmeın a na. a. none 25 sshrxperimente mit. Dauben.. 2... Say ee ee 28 ERSehxperimentermit Bliritzen. “u. ara. a. 0 en 39 Weslizperimenteimit'Ratten: ..... oa 4 u eu en 42 Naeeizperimentesmit, Kindern See en 56 MESEmioewEintdeckungsreisen. ya. een... 63 Se Nodus@dersHandlung "0 yams ar anne ee. 66 VIN. Zusammenfassung der Versuchsresultate . ... 2.2... 2.2... 67 Die vorliegende Arbeit ist eine direkte Fortsetzung des unter gleichem Titel im 138. Bande des Archivs für die gesamte Physio- logie (1911) erschienenen Berichtes über eine Reihe der Versuche an Daphnien, Mantiden, Mückenpuppen und Ameisen. In diesen Experimenten konnte ich mit Hilfe der Methode der geometrischen Addition das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen in Zahlen ausdrücken. I. Experimente mit Mehlwürmern (Tenebrio molitor L.). Die Versuche mit Mehlwürmern bezweckten das Verhältnis zwischen dem Lichtreiz und der Reaktion mit Hilfe der Methode der geometrischen Addition festzustellen. Der Mehlwurm zeigt in seinem Benehmen einen stark aus- gesprochenen negativen Phototropismus!). Nachdem ich auf einem 1) Auf diese Erscheinung hat Herr Matula, mein Kollege aus der bio- logischen Versuchsanstalt in Wien, meine Aufmerksamkeit gelenkt. 26 J. S. Szymanski: Stück weissen Kartons resp. auf einem Pappendeckel ein Quadrat mit Bleistift gezeichnet hatte, setzte ich in der Dunkelkammer eine Anzahl der Larven auf eine Ecke (bei A) des Quadrates und be- leuchtete dieselbe mit zwei Lichtquellen von gleicher Intensität derart, dass die Lichtstrahlen sieh unter rechtem Winkel kreuzten (Fig. 1). Die Tiere bewegten sich ihrem negativen Phototropismus gemäss vom Lichte fort, und zwar in der Diagonale A 5; beide Lichtquellen übten also die gleiche abstossende Kraft auf die Tiere aus und liessen sie einen Weg unter X 45° einschlagen. Um nun das Verhältnis zwischen den Lichtreizen und I Lichlgualle i der Reaktion zu bestimmen, Y D änderte ich sukzessiv die Licht- intensität der einen Lichtquelle bei immer gleichbleibender In- tensität der zweiten Quelle. Die erste Lichtquelle habe ich in allen unten folgenden Versuchen gleich einer Normalkerze in Ent- fernung von 50 cm (1 NK. X 30 cm) gemacht; die zweite habe C B ich sukzessiv von 2 NK. bis Fie. 1. 50 NK. geändert. Mit der wachsenden Lichtintensität der zweiten Quelle wuchs ihre abstossende Wirkung, und infolgedessen nahm der Winkel ABC (Fig. 1) immer mehr und mehr zu. Den Winkel ABC mass ich, indem ich mit dem Bleistift die Kreuzungs- punkte der von A kriechenden Tiere mit der Linie CB markiert hatte. Ich habe folgende Werte für den X ABC erhalten: A T. Tabelle]. .. .ı. Zahl ABO | Reizintensität des nijer << ; Ze 25 55—65 I a a 16 6580 2 4 5055 1 30 Be u { a 22 6575 4 50-55 Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. DM Eu N Zahl ABC | Reizintensität | der Tiere | x : 36 55—65 22 65—80 8 50-55 19 50—72,5 7 72,5—82,5 4 45—55 20 6 4 I. IV. 69— 15 15— 85 65—55 21 70—75 39— 10 80—85 8 6 15 65—80 VII. 7 85—90 5 45—65 14 65—80 6 65—55 2 80—90 VII. XI. XII. 0 en 5 1 ” 50 „ XIV. XV. I ” u u ln ln u ud ul un ul un uch EN ln ne ln Fi oOo- I. Meile) [or | ILL 100 oo Wie die Tabelle zeigt, bewegt sich die Mehrzahl der Tiere bei 2,3, 4 NK. unter annähernd dem gleichen Winkel (zirka 60°). Von > NK. bis einschliesslich 7 NK. wächst X ABC um 10° (von 60—70°); von den 8 NK. bis 50 NK. bleibt derselbe beinahe konstant und gleich 80°. Diese drei Grenzreize 2, 5, SNK. stellen also die Grössen dar, bei denen sich eine eben merkliche Ver- änderung der Reaktion im Sinne einer Verstärkung derselben be- 28 J. S. Szymanski: obachten lässt. Und zwar entspricht 2 NK. einem Winkel von 60°, 5 NK. einem solchen von 70° und 8 NK. einem solchen von 80°. Auf Grund der gefundenen Werte habe ich die folgenden Kräfte- . parallelogramme konstruiert (Fig. 2). Die Auflösung der Dreiecke A B, B,CB, B, DB, B, gibt bei AC—b—. 1 folgende. Werte: für B, B, a,: BB, —-a,;: BD, Az; a, = eotg 30 °— 1,73; a, — cotg 20° — 2,74; As; — eotg 10° — 5,67. Wenn wir nun die Werte für a,, 4s, a, als Ausdruck. für die Reaktion auf die entsprechenden Reize 2, 5, 8 auffassen dürfen, ergibt sich das Verhältnis: Beize 2a sl 2 Reaktion, 1,73: 244. 560/-——-01.215 232: Diese Zahlen zeigen die allgemeine Reaktion der Mehlwürmer auf das Licht. Ich fühle mich nieht berechtigt, irgendwelche Schlüsse betreffs der Gültigkeit oder Nichtgültigkeit des Weber- Fechner’schen Gesetzes zu ziehen; es ist wohl möglich, dass die Photopathie (s. u.), wenn hier überhaupt vorhanden, störend in den reinen Ver- lauf der phototropischen Reaktion eingreift. II. Experimente mit Lauben (Alburnus lueidus Heck.). Phototropisches und photopathisches!) Reiz-Paar. Die 2—4 em langen Lauben zeigen stark ausgesprochene Reaktion auf Licht, und zwar bewegen sie sich bei einseitiger Beleuchtung gegen das Licht zu und nach unten; am Boden angelangt, kehren sie wieder um, steigen ein wenig nach oben und wandern vom Lichte fort, in dem sie in Abhängigkeit von der Lichtintensität der Lichtquelle (1,5, 25 NK.) entweder geradeaus oder gegen den Boden zu oder aber zur Oberfläche emporsteigend davonschwimmen. Nachdem sie mit der vom Lichte abgewendeten Wand des Gefässes in Berührung ge- kommen sind, schlagen sie nach einigen Momenten die entgegen- 1) „Die Wanderung der Organismen in eine weniger oder stärker intensiv beleuchtete Region, in dem die Bewegungsrichtung durch eine neue Differenz in der Beleuchtungsintensität der zwei Pole des Organismus bestimmt wird“, be- zeichnen wir mit Davenportals „Photopathie“(Davenport, Experimental Morphology I. Macmillan Co., New-York 1897). Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 29 ‚gesetzte Richtung ein, also gegen das Licht zu und, falls die Be- wegungsrichtung vom Lichte fort nicht gegen den Boden gerichtet war, wie bei 1 NK. dies der Fall ist, richten sie sich nach unten; dann, nach der Berührung mit dem unteren Teil der dem Licht zu- sewendeten Wand des Gefässes bewegen sie sich wieder vom Lichte fort usf. Diese Pendelbewegung wiederholt sich wieder und wieder. ‚Die Lage der Fische im Wasser (auf der vom Lichte abgewendeten Seite, ob oben, unten oder in der Mitte) ist die Funktion der Licht- intensität. Um nun das Verhältnis zwischen beiden Variablen in Zahlen auszudrücken, beleuchtete ich in der Dunkelkammer das B C @ 18 16] >| A = w) Fig. 3. Gefäss mit Fischen von einer Seite sukzessiv mit 1 NK. X 50 cm, 5 NK. x 50 em, 25 NK. X 25 em. Auf einer von zwei den Licht- strahlen parallelen Wänden des Gefässes werden drei Maassstäbe an- geklebt, und zwar derart, dass ein Maassstab in der Mitte, die zwei anderen jeder nahe dem Rande sich befanden. Fig. 3, welche einen Längsschnitt durch das Gefäss darstellt, veranschaulicht die Lage der Maassstäbe und die Richtung der Lichtstrahlen. Zum Ausgangs- punkt meiner Messungen habe ich den Moment erwählt, da ein Tier gerade die mittlere Linie (LM) passierte; ich brauchte bloss die entsprechenden Zahlen auf der Linie ZM abzulesen; dann brauchte man bloss den Weg des Tieres bis zum zweiten Maassstab (BA resp. CD, in Abhängigkeit von der Bewegungsriehtung) zu verfolgen und die Zahl, welche sich auf der gleichen Höhe mit dem Fische befand, auf dem Maassstabe abzulesen, um den Winkel berechnen zu können; wenn ein Tier z.B. sich von 5 LM bis 3 BA bewegt, so entspricht 30 J. S. Szymanski: das dem Winkel von 70°; ebenso entspricht 9 LM bis 22 CD einem Winkel von 115°. Die Messungen des X ß (Bewegungsrichtung gegen das Licht zu) bzw. des X « (Bewegungsrichtung vom Licht fort haben die folgenden Resultate ergeben: Tabelle Il. Xß X 65,50, 085 80, 75, 70, 70 75 55, 70, 65 80, 70, 80, 75 5er ee 60, 55, 60, 70 80, 75, 75, 80 70, 55, 70, 70 75, 75 65, © 1. 1 NK.x 50 cm 75, 85, 70, © 85 70, 65, 70 65 65, 70, 65 70, 65, 70, 70 75, 70, 75, 70 75, 65, 80, 70 70, 65, 65, 70 70 05,065, 65 A556 6 70, 60, 70, 65 Re 71° I. > NK. ><50 cm II. 25 NK. x 50 cm Ss RE 80, 75, 65, 68 85, 85, 85, 110 a Der X ß u gegen das Licht zu) variiert nur ‚wenig in Abhängigkeit von der Lichtintensität; er zeigt, dass die Fische sich immer gegen das Licht zu und nach unten bewegen. Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 31 Der X « (Bewegungsrichtung vom Lichte fort) weist auf viel. interessantere Verhältnisse hin, und zwar, dass die Fische, in ihrer Bewegung vom Lichte fort, von der Lichtintensität viel mannig- faltiger beeinflusst werden. Konstruieren wir unter Zugrundelesung des Wertes von X « die entsprechenden Kräfteparallelogramme (Fig. 4). G H 110-90 20° Im Parallelogramme ABEF können wir a, — 0 Setzen, da X FAE nahezu ist = 90°; es bleiben die Parallelogramme ABCD und AGHB aufzulösen: bewor — | — a, = cotg 71 = — 0,34 = — 0,3 a et A 050 20,4 d.h. die Reaktion ist bei dem photopathischen Reize, welcher durch eine Lichtintensität von 1 NK. X 50 cm dargestellt wird, = — 0,3 2 E „ 5 NK.xX 50 cm 5 sel) 5 s „25 NK. << 50 cm „ Be Der phototropische Reiz äussert sich bei allen diesen Licht- intensitäten als gleiche vorwärtstreibende Kraft. Die zunehmende Lichtintensität beeinflusst nieht die Geschwindig- keit der Bewegung, soweit ich dies beobachten konnte; die Ge- schwindigkeit ist also keine Funktion der Liehtintensität. Die Abhängigkeit der Reaktion von der Lichtintensität lässt sich auch graphisch darstellen, wobei die Reizeinheiten (NK.) auf der Abszisse, die Reaktionswerte auf der Ordinate eingetragen sind (Fig. 5). 33 J. S. Szymanski: Die Kurve zeigt, dass das gleiche Resultat auf der negativen Seite mit der fünfmal geringeren Lichtintensität, vom Wendepunkt aus gerechnet, zu erreichen ist als auf der positiven Seite; mit anderen Worten, steigen die Fische von der photopathisch neutralen Wasserschicht bei zunehmender Lichtintensität unter dem fünfmal kleineren Winkel hinauf, als sie mit abnehmender Lichtintensität gegen den Boden zu sinken. Dieses Verhalten aber ist zweifelsohne von grosser biologischer Bedeutung und bezweckt die Flucht schon bei Annäherung des Feindes vor dessen „Schatten“. +Y 0% — 034 -Y Fig. 5. Phototropisches (und photopathisches) und thermo- tropisches Reiz-Paar. Die Anordnung des Versuches war dieselbe wie bei den Daphnien- Experimenten, d. h. bei den gleichbleibenden Licht- und Temperatur- reizen wurde eine hohle Kupferspirale im Gefäss derart befestigt, dass sie mit ihrer unteren Fläche gerade die Wasseroberfläche be- rührte. In der Spirale liess ich warmes Wasser zirkulieren. Die Fische haben sich als nicht allzu empfindlich gegen die Temperaturunterschiede erwiesen. Ich musste die Temperaturdifferenz zwischen unteren und oberen Wasserschichten gleich ea. 9°C. machen, um deutliche Reaktionen zu bekommen. Bei der geringeren Differenz verschiebt sich die Lichtadaptionszone etwas nach oben, die Bewegunssrichtung aber erleidet keine nennenswerte Veränderung. Die Messung des X « (Fig. 3), also vom Lichte fort, hat bei der einseitigen Beleuchtung von 1 NK. x 50 em und der Temperatur- differenz von 20° C.—11,6° C. —= 8,4° C. die folgenden Resultate ergeben: Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 33 Sack 30, 100,85, 109595, 15, 95) 89,85, 120, 952.908, 100, 100, 100, 95, 85, 80, 100. Durchschnitt = 9,5°. Ohne einen grossen Fehler zu machen, können wir X «= 90° annehmen. Bei der 1 NK. X 50 em und einer gleichmässigen Tem- peratur bewegen sich die Tiere, wie dies eben beschrieben wurde, vom Lichte fort und nach unten unter den X 71°. Die Grösse der Kraft, welche die Tiere nach unten treibt, haben wir rund gleich a — 0,3, bei phototropischem Reiz —=b—1, gefunden (Fig. 6). Rei einer Temperatur- differenz von ca. 3° C. aber macht sich eine Kraft geltend, welche die Wirkung — a auf- hebt, so dass die Tiere nun gezwungen sind, sich mehr in Fig. 6. der Linie AD zu bewegen. Diese Kraft, d. h. die Kraft des thermotropischen Reizes, welcher durch die Temperaturdifferenz von 8,4° C. bewirkt wurde, muss hiermit gleich und entgegengerichtet der Kraft — a sein: +a4a—a—=0 a— 0,3 bed, — 1 Phototropisches (und photopathbisches) und mechano- tropisches Reiz-Paar. Versuchsanordnung wie bei den Daphnien-Experimenten, d. h. als den mechanischen Reiz habe ich den fallenden Tropfen verwendet, welchen ich aus einer Bürette in das Gefäss mit Tieren hineinfallen liess. Eine deutliche Wirkung hat sich bei einer Entfernung der Bürette von der Wasseroberfläche von 10 em bei der Zahl der fallenden Tropfen in 1” gleich 3,4 (denn 100 Tropfen fallen in 29 Sek., also in 1” fällt 19%/g — 3,4 Tropfen) und bei dem Gewichte eines Tropfens — (),06!) (berechnet aus dem Gewichte von 50 Tropfen = 2,97 g also 1) Bei den Experimenten mit den Daphnien (Pflüger’s Arch. Bd. 138 S. 473. 1911) wurde der Effekt falsch berechnet; indem das Gewicht eines Tropfens 0,07 statt 1,02 anzunehmen ist, ist dort der Effekt gleich 16 (2,5 > 0,07) - 981 = 2746,8 Erg. Herr Prof. Berninger aus dem Technologischen Gewerbe-Museum zu Wien hatte die Freundlichkeit, diese Formel für mich zu berechnen. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143, 3 34 J. S. Szymanskı: ein Tropfen —= 2,97:50 = 0,06 &) geäussert; der Effekt in 1 ist also —= 10 - (3,4 X 0,06) - 981 = 1962 Erg. Die Messung des < « bei dieser Arbeitsgrösse und 25 NK. X 50 em ergab folgendes: 0.0. — 119, 8040.90, 90, .95:290.n100,1.00,.85,.905.952. 9% 105, 85, 95, 90, 90, 95, 85, 90. Durchschnitt —= 90, 75°, also rund 90°. Bei 25 NK. X 50 Beleuchtungssintensität und einer gleichmässigen Temperatur X « ist gleich 110°, d. h. die Tiere bewegen sich gegen die Oberfläche hin mit der Kraft —= a 0,4 (rund), bei dem phototropischen Reiz =b —= 1 (Biera): Wenn nun der mechanotro- pische Reiz von 14,4 Erg. in Spiel tritt, erfolgt die Bewegung in der Linie AD; der eben genannte Reiz musste also die Kraft + a aufheben. Dies könnte aber der Fall sein nur bei ta — a — 0; 1 (ÜL Zwecks der Verifikation der gefundenen Verhältnisse hab ich das Experimentum crueis ausgeführt. Um bei allen Reizen den phototropischen und photopathischen Reiz gleich setzen zu können, habe ich zunächst bestimmt X « bei 25 NK. X 50 em und einer Temperaturdifferenz von ea. 10°C. Sie — 120, 125,.:120,0125) 120% 125, 135,145, 2715.29: Durehsehnitt —= 125,5 °. Bei einem phototropischen Reiz —=b=]1 ist a (d. h. photo- pathischer und thermotropischer Reiz) = cotg (125 — 90°) = eotg 55° — 0,17; da aber der photopathische Reiz bei 25 NK. X 50 em gleich ist 0,4, erweist sich der thermotropische Reiz — 0,7 — 0,4 = 0,3. Diese Zahl ist aber gleich der Zahl, welche für thermotropischen Reiz bei 1 NK. X 50 gefunden worden ist. Nun liess ich auf einmal sämtliche Reize, d. h. phototropisch —= (25 NK.X50 m)=db=[|, thermotropisch }F (Differenz von 10° C.) — 0,3 photopathisch (25 NK. X 50 em) = 0,4 mechanotropisch (1962 Erg) = — 0.4 auf die Fische einwirken, Big... ae‘ 03 Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen et. 35 Die Tiere schlugen einen Weg ein unter: 202 120,120, 11052105 105, 105, 1001407410, 110. Durchsehnitt — 109°; bei dem b=1, a — cotg [90 — (10990 9)] — cotg 71° — 0,34 ist. Die Kraft a aber ist eine zusammengesetzte Kraft, deren sämt- liche Komponente uns bekannt sind; die Summe derselben, wie wir eben gezeigt haben, beträgt 0,3. III. Experimente mit Ellritzen (Phoxinus laevis Ag.). Die Fische bilden eine in vergleichend psychologischer Hinsicht überaus interessante Tierklasse. Wie wir eben gesehen haben, zeigen die 2—4 cm langen Lauben deutlich ausgesprochene Tropismen, welche das Benehmen der niederen Tiergruppen in so auffallender Weise charakterisieren. Auf der andereu Seite, wie die Experimente von Moebius, Thorndike, Thorndike und Washburn, Edinger’s Enquete und in allerletzter Zeit Beobachtungen Polimanti’s!) hinzuweisen scheinen, befinden sich die Fische im Besitze eines, wenn auch nur schwach entwickelten Gedächtnisses. Es lag der Gedanke nahe, zu ermitteln, in welchem Verhältnisse die Tropismen zum Gedächtnis stehen? Welcher von beiden Faktoren übt den dominierenden Einfluss auf das Benehmen der Tiere? Oder halten sich beide das Gleichgewicht? Meine Versuche habe ich aus Mangel an Lauben mit 2—4 cm langen Ellritzen angestellt. Diese Fische zeigen einen recht stark ausgesprochenen Phototropismus. Werden sie z. B. in der Dunkel- kammer mit 2 Lichtquellen von je 1 NK. X 50 cm, deren Strahlen sich unter einem X von 90° kreuzen, beleuchtet, so bewegen sie sich in der Resultierenden aus beiden gleichen Lichtquellen; be- leuchtet man unter den gleichen Bedingungen links mit 1 NK. X 50 em —= a, rechts mit 25 NK. X 50 cm = b, so bewegen sich die Fische gegen das Licht zu und nach rechts unter dem Winkel von 1) Washburn, Animal mind p. 241ff. — Edinger, Haben die Fische ein Gedächtnis? Beilage zur Allgem. Zeitung Nr. 241, 242. Oktober 1899. — Edinger, Die Beziehungen der vergleichenden Anatomie zur vergleichenden Psychologie S. 12. 1909. — Polimanti, Activite et repos chez les animaux marins. Bull. de l’instit. gen. psychol. 11. ann. no. 2 p. 153—159. 1911. — Vgl. ausserdem Wundt, Vorlesungen usw. S. 428—429, 5. Aufl., 1911, und Mandsley, Die Physiologie und Pathologie der Seele S.47. Deutsch von Boem. 1870. — Thorndike, Animal intelligence p. 169—171. 1911, Ip 36 J. S. Szymanski: 30°. Das Verhältnis zwischen beiden Kräften ist gleich a:b — 1: 2,7, denn bei a=1, b = cotg 20 — 2,7. Um zunächst den Grad des Gedächtnisvermögens der Fische prüfen zu können, liess ich eine quadratische Glaswanne konstruieren, bei der in zwei zusammenstossenden Wänden je ein breites Glasrohr eingesetzt war; ausserdem war die Wanne durch eine mit einem Loch versehene diagonale Scheidewand aus Glas in zwei Abteilungen c derart der Länge nach geteilt, dass die beiden mit Röhren versehenen Wände die eine von .den Abteilungen einschlossen. Das Loch, durch welches beide Abteilungen in Verbindung miteinander standen, lag auf der gleichen Höhe wie die Mündungen der Röhre. Die Fig. 8 zeigt die Wanne in toto, Fig. 9 im Querschnitt (Z der Fig. 9 ent- spricht de der Fig. 8). Die Dimensionen der Wanne waren folgende: AB:— 30 em, ACID) 20 em wab, — ch 5. cm, (ae —alsicm: Die Wanne wurde in einem allerseits von schwachen reflektierenden Strahlen gleichmässig beleuchteten Raum untergebracht und während der ganzen Dauer der Versuche nicht von dem Platz verschoben. Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen usw. 37 Beide Abteilungen der Wanne, MZ und ZN, wurden gleichmässig durchlüftet,; der Wasserstand in der Wanne war einige Zentimeter über den Mündungsöffnungen der Röhren. Ungefähr 30 Stück Fische wurden in ZN gesetzt (Fig. 9). Dieselben lernten beide Abteilungen und den Durchgang Z kennen und verweilten bald in der einen, bald in der anderen Abteilung der Wanne. Täglich ca. um 2 bis 1/63 Uhr nachmittags bei Unterbrechung der Durchlüftung („food- sienal“) habe ich in das Rohr A mit einer Pinzette ca. 30—40 Tubifex- N Rio). würmer als Futter hineingesetzt. In den ersten Tagen der Versuche sind immer einige Minuten verstrichen, bis die Fische das Futter entdeckt und verzehrt hatten; später aber geschah dies gleich nach dem Hineinsetzen der Würmer. Den weiteren Verlauf des Versuches will ich nach den Versuchstagen beschreiben, wobei zu bemerken ist, dass ich sämtliche Versuche um 2—!/s3 Uhr nachmittags vor dem Hineinsetzen der Würmer in das Rohr A und bei Unterbrechung der Durchlüftung ausgeführt habe; die Prüfung des Phototropismus habe ich immer so unternommen, dass ich früher den Raum, in dem sich die Fische befanden, in eine Dunkelkammer umgewandelt hatte; die Fische wurden mit einem kleinen Netz in die Abteilung ZN 38 Tes: Szymanski: (Fig. 9) gebracht und dann einzeln durch die Öffnung Z hindurch in die Abteilung ZM langsam durchgelassen. Im Momente, als ein Fisch sich in der Öffnung Z, befand, konnten zwei unter 90° sich kreuzende Kräfte auf denselben einwirken (wie dies Fig. 9 deutlich veranschaulicht) und seine Bewegung bestimmen. Die Zählung der Fische im Rohre A resp. /NB B habe ich bei unter- N WR brochener Durchlüftung RB “ vor dem Hineinsetzen der Würmer in das Rohr A vorgenommen. 4. Versuchstag. Bei der einseitigen Beleuchtung der Wannenseite, wo sich das Rohr B befand, auf der Höhe des Rohres BmitINK.><20 cm schwimmen die Tiere gegen das B zu. 5. Versuchstag. Eben- A B so. (Von ca. 30 geprüften Fischen ca. 25 gegen Licht geschwommen.) Ö 9. Versuchstag. Die I meisten Fische sind bei der \ Mündung des Rohres A an- gesammelt. Lässt man die 1% Tiere bei allseitiger Beleuch- tung durch die Öffnung L hin- durchtreten, sv schwimmen die meisten Tiere in der Richtung der resultierenden LM (Fig. 9). 12. Versuchstag. Im Rohre A sammeln sich eine Fig. 10. bedeutend grössere Anzahl der Tiere an als im Rohre 5. 14. Versuchstag. Es wurde folgendes festgestellt: 1. In 5 Minuten sind in das Rohr A 70, in das Rohr 3 29 Fische hinein- gelangt. : 2. Bei dem Durchlassen der Tiere durch die Öffnung L bei allseitigem gewöhnlichen Beleuchten schlagen die meisten Tiere den folgenden Weg ein (Fig. 10D: Von L bis P geradeaus, dann in der Richtung PO. 3. Bei Beleuchtung der Wand des Rohres B mit 1 NK.>< 20 cm schwimmen viele Fische in der Richtung der resultierenden ZP wenigstens bis P (Fig. 10), dann kehren sie meistens gegen B zu. Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 39 15. Versuchstag. In 5 Minuten sind in das Rohr A 100, in das Rohr B 34 Fische hineingelangt. 16. Versuchstag. In 5 Minuten sind in das Rohr A 120, in das Rohr 5 36 Fische gelangt. Bei Durchlassen durch Öffnung Z bei gewöhnlicher allseitiger Beleuchtung bewegen sich die Tiere in der Richtung: AR — 216mal, MI ermal, 2 BB — 6 mal. 17. Versuchstag. In 5 Minuten sind in das Rohr A 128, in das Rohr B 37 Tiere hineingelangt. Bei der Beleuchtung der B-Seite mit 1 NK. ><20 cm bewegen sich die Tiere so wie früher in der Richtung: FABR, —lomalı, 2 Me 322 male 2 5.05 mal. Ich liess beinahe alle Fische zweimal durch die Öffnung L hindurch- passieren. 19. Versuchstag. Alle Fische werden aus der Wanne herausgenommen und in ein anderes Gefäss hineingesetzt. In die Wanne wurden ca. 30 Kontrolltiere gesetzt. Versuche mit den Kontrolltieren. 1. In 5 Minuten gelangten in das Rohr A 11, in das Rohr B 12 Tiere. 2. Bei der Beleuchtung der B-Seite mit 1 NK. >< 20 cm bewegten sich in der Richtung: LB = 2% Fische, LM = 6 Fische, LA = 4 Fische. 3. Bei der allseitigen gewöhnlichen Beleuchtung bewegten sich in der Richtung: LB=2 Fische, LM = 13 Fische, LA = 2 Fische. Nachher wurden alle Kontrolltiere entfernt, die Versuchstiere wieder in die Wanne zurückgesetzt und wie täglich gefüttert, indem Tubifex in das Rohr A hineingelegt wurde. 20. Versuchstag. Bei der Beleuchtung der B-Seite mit 1 NK. x 20 cm bewegen sich in der Richtung: AL —= 71 Tiere, ML — 6 Tiere, LK — 10 Tiere, LB = 6 Tiere. Der Winkel ALK — 20° (Fig. 9). 25. Versuchstag. Das Rohr B hat sich lesgelöst wegen der schlechten Ausführung der Wanne durch den Glasbläser. Das Wasser gesunken in der Wanne unterhalb der Öffnungen beider Rohre. Es wurde ein Knäuel der Würmer in die Abteilung LM auf der A-Seite geworfen. 26. Versuchstag. Keine neue Nahrung hineingegeben. 27, Versuchstag. Die Öffnung, wo sich früher das Rohr B befand, wurde mit einem Korkstöpsel verstopft. Die Wasserhöhe war ungefähr gleich hoch wie früher, d. h. einige Zentimeter über die Mündungen der Rohre (das nachgefüllte Wasser war von gleicher Qualität und Temperatur wie dasselbe in der Wanne). AO J. $ Szymanski: Um die gewöhnliche Zeit (1/s3 Uhr nachm.) wurden die Tiere mit 1 NK. >< 20 cm von der B-Seite beleuchtet. In der Richtung AL bewegten sich 16 Tiere, LK3 Tiere, ML 6 Tiere, BLO Tiere. Die Resuitate der Versuche rechtfertigen folgende Schlüsse: I. Die Ellritzen besitzen die Fähigkeit, auf Grund der Rezeption von kinästhetischen Reizen !), d. h. solchen, welche „im Zusammen- hange mit Gliederbewegungen auftreten“, zu lernen; diese Fähigkeit aber setzt das Vorhandensein von Gedächtnis voraus. Die Ver- mutung, dass die Tiere zu dem Rohre A durch etwaige chemische Absonderungen der Tubifex, welche am Glas haften geblieben sind, herangezogen wurden, lässt sich durch folgende Tatsachen feststellen: 1. Die Tubifex blieben nur recht kurze Zeit in A liegen, denn sie wurden von den Fischen in wenigen Minuten verzehrt. 2. Nach jedesmaliger Fütterung habe ich das Rohr A mit Watte gründlich gereinigt. 3. Während der 24 Stunden, welche zwischen der letzten Fütterung und dem neuen Versuche und der darauffolgenden neuen Fütterung jedesmal verstrichen, wurde. das Rohr durch die fort- währenden ziemlich starken Wasserschütterungen, welche die Durch- lüftung bewirkte, gründlich ausgespült. 4. Schliesslich beweist das noch das Verhalten der Kontrolltiere, welche beide Röhren gleich- zeitig in gleicher Zahl aufsuchten, wenn sie in die Wanne, wo sich die Versuchstiere früher befanden, gesetzt wurden. II. Die Ellritzen lernen mittelst der Methode des „dropping off useless movements“ ?). Im ersten Stadium des Lernens erreichen die Tiere das Rohr A, indem sie sich zunächst geradeaus in der Resultierenden des beiderseits gleich wirkenden Lichtes bewegen, und erst, auf die Höhe des Rohres A gelangt, kehren sie gegen dasselbe um (Fig. 10 2); in den letzten Versuchstagen bewegten sich die Fische auf dem kürzesten Wege von L—0 (Fig. 10 IT). 1) Die Fische besitzen keine Vater-Paccini’schen Körperchen, welche man als das spezifische Organ für kinästhetische Empfindungen auffasst; unbeachtet dessen reagieren die Fische auf motorische Reize. Vielleicht spielen hierbei, wie ich es in einer bisher noch nicht publizierten Arbeit über die Seitenorgane von Ammocoetes vermutet habe, die Seitenorgane eine Rolle, deren topographische Verteilung für die Ermittlung der Körperlage durch Rezeption geringster, durch die Bewegung des eigenen Körpers verursachten Wassererschütterungen sehr günstig zu sein scheint. 2) Washburn, The animal mind 1908 $ 84 p. 219. Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen et. 41 III. Das Gedächtnis zeigt die Merkmale einer mechanischen Kraft: Grösse (äquivalent dem Phototropismus bei n NK.), Richtung und Angriffspunkt (peripherisch-zentrale Bahnen für Rezeption der kinästhetischen Reize); hiermit kommt dem Gedächtnisse der Wert eines mnemotropischen Reizes zu). IV. Die Kraft des mnemotropischen Reizes am 17. Versuchs- tage war äquivalent der Kraft des phototropischen Reizes bei 25 NK.xX 50 em: (1 NK.xX50 em) — 2,7 (vgl. oben S. 35—36). V. Das Verhältnis zwischen dem phototropischen Reiz von 1 NK.x< 20 em und mnemotropischem Reiz ändert sich in Abhängig- keit von der Dauer des Versuches: in den ersten. Tagen ist dieses & M Verhältnis = 1:0; vom 17. Ver- °/ suchstag an gleich 1:1; am 20. Versuchstage 1: 2,7; am 27. Versuchstage 0:1. VI. Der Wettstreit zwischen beiden Kräften, phototropischen und mnemotropischen, lässt sich direkt beobachten: wenn wir die Wanne, welche die gewöhn- lichen, nicht längere Zeit in Versuchen befindlichen Fische ent- hält, mit den zwei unter dem ie I Winkel von 90° sich kreuzenden Lichtstrahlen von der gleichen Intensität beleuchten, bewegen sich die Tiere in der Resultierenden von beiden Kräften, wobei der Weg bei den meisten Tieren eine Ziekzacklinie darstellt (Fig. 11). Diese Ziekzacklinie ist aber der Ausdruck für den Wettbewerb von zwei gleichen Kräften. Denselben Charakter trug der Weg der Versuchstiere bei der Beleuchtung von der B-Seite mit 1 NK. x 20 cm am 14. bis 19. Ver- suchstage, an welchem die beiden Kräfte, mnemotropische und photo- tropische, untereinander gleich sind. Zum Schlusse möchte ich hinzufügen, dass sämtliche Reaktionen bei den Ellritzen mit ungewöhnlicher Klarheit und Deutlichkeit verlaufen. Diese Fische scheinen ein sehr günstiges Versuchsmaterial vorzustellen. 1) Vgl. Teil I dieser Arbeit in Pflüger’s Arch. Bd. 133: I. Teilung der Reize in Vektor- und Skalarreize S. 458 und 459 43 95: Szymanski: IV. Experimente mit Ratten. Einige von den Benehmens-Faktoren zu ermitteln und quantitativ miteinander zu vergleichen, war der Zweck meiner Versuche an weissen Ratten, welche Tiere, ebenso wie ihre nächsten Verwandten (Mäusearten), in der letzten Zeit zum Gegenstand einiger wichtiger vergleichend-psychologischer Untersuehungen geworden sind. Für meine Versuche habe ich einen ad hoc konstruierten hölzer- nen Versuchskäfig AH mit einem Vorraum Z M benutzt (Fig. 12). a Fig. 12. Die Dimensionen waren folgende: EF= FH=120 m, DF=—03 m. Die Wand AF war aus einer Glasscheibe her- gestellt. Der mittlere Teil des Deckels AC stellte einen Rahmen dar, in welchem Drahtnetz eingespannt war; die beiden Seitenteile (AN und DK) wurden aus Holzbrettern gemacht, mit einem Loch in der Mitte zur Aufnahme zweier Zylinder aus weissem Blech (ed und ab), welche innen mit Asbest ausgekleidet waren; die letzteren dienten bei den ersten Versuchen als Futteral für eine Glocke resp. eine Glühlampe. Bej den weitern Versuchen wurden die eben ge- Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 43 nannten Reizquellen in eines der beiden hölzernen Kästen S resp. T untergebracht. Unter dem Zylinder auf dem mit Linoleum über- zogenen Boden des Käfigs wurden zwei gleiche kleine, geschwärzte Blechgefässe r resp. 9 für die Aufnahme von Wasser aufgestellt. Um die Ratten zur Bewegung im Versuchskäfig anzuspornen, habe ich auf Rat des Herrn Dr. Przibram Durst verwendet; die Ver- suchstiere haben nur einmal in 24 Stunden Trinkwasser bekommen, und zwar während der Dauer eines Versuches, in einem von beiden Gefässen r resp. p. Sämtliche Ratten haben sehr gut solche Diät ertragen, wie dies Herr Dr. Przibram mir vorausgesagst hatte. a) Versuche mit Licht-, Schall- und kinästhetischen Reizen. Zunächst wollte ich Gewohnheitsbewegungen gegen die Wasser- quelle zu erzeugen; als „food signal“ habe ich in der ersten Serie der Versuche Licht- Schall-, und kinästhetische Reize angewendet. Ich wollte nämlich bei den Ratten die Assoziation, Licht (resp. Schall) — Wasser; oder bei kinästhetischen Reizen Links — Wasser entstehen lassen. Als Lichtreiz diente mir eine elektrische Lampe von 5 NK., als Schallreiz der rasselnde Laut, welchen der Elektro- magnet einer elektrischen Glocke erzeust. Diese beiden Reiz- quellen habe ich nach vielen Versuchen mit Reizen von ver- schiedener Intentität innerhalb jeder Reizart deshalb gewählt, weil dieselben von den Tieren augenscheinlich bemerkt werden, ohne dabei Furcht hervorzurufen. Die Versuche wurden auf solche Weise angestellt, dass die Reizquellen täglich abwechselnd entweder in Zylinder cd oder ab untergebracht wurden (um die Entstehung der kinästhetischen Empfindungen zu verhindern); beide Gefässe r und p wurden mit Wasser gefüllt, wobei dasjenige, welches sich unter dem die Reizquelle tragenden Zylinder befand, freigelassen, der andere aber mit dem Drahtnetz bedeckt wurde (um eventuell die Geruchs- empfindungen auszuschliessen). Für die Erzeugung der Gewohnheits- bewegungen, welche durch kinästhetische Reize hervorgerufen werden sollten, stellte ich in der ersten Serie der Versuche täglich um 3—4 Uhr nachm. das unbedeckte Gefäss mit Wasser unter den linken Zylinder. Die Dunkelkammer, in: der die Versuche statt- fanden, wurde bei den Experimenten mit den Schall- und kinästhetischen Reizen mittelst einer von grauem Papier umhüllten 5 kerzigen Lampe, bei den Lichtexperimenten nur von der als Reizquelle dienenden Lampe, 44 J. S. Szymanskı: welche sich in einem der beiden Zylinder befand, schwach be- leuchtet. Der Verlauf des Versuches war folgender: die Tiere wurden paarweise in den Vorraum ZM des Versuchskäfigs gesetzt. Gleich- zeitig liess ich den Reiz einwirken: die im Zylinder untergebrachte Lampe oder der Elektromagnet wurden in Tätigkeit gesetzt. Die Versuchstiere liefen nach einigen Tagen vollkommen frei im Käfig hin und her, ohne die geringste Angst zu äussern. Den Versuch habe ich als erfolgreich betrachtet, wenn die Tiere viele Tage nach- einander sich gleich nach dem Hineinsetzen in den Vorraum in der geraden Linie zum Wasser bewegten (Fig. 12 Or und Fig. 15 IV). Da ich nach dem Verlaufe von 22 Versuchstagen keine Spur der Entstehung der gewünschten Assoziation Licht (resp. Schall) — Wasser bemerkt habe, so versuchte ich vom 23. Versuchstage an die Verstärkung der Wirkung des Licht- resp. Schallreizes dadurch herbeizuführen, dass ich den Reiz von nun an nicht konstant, sondern mit den Unterbrechungen 1—2 mal in 1 Sekunde einwirken liess (Prinzip des Leuchtturmes). Die Ratten der ersten Serie waren Geschwister und von gleichem Alter, 5 Monate alt. Dass der Käfig nach jedem Versuch mit der Seife und Bürste gründlich gewaschen wurde, um die Geruchsreize zu eliminieren, ist kaum zu erwähnen notwendige. Die Ergebnisse der Versuche zeigt Tabelle III, wobei zu bemerken ist, dass das Pluszeichen die richtige Bewegungsrichtung, also die Bewegung gegen das Wasser zu, von Punkt OÖ an berechnet, das Minuszeichen falsche bedeutet. Zum Beispiel, das Licht in cd und das Wasser r links. Das Versuchstier bewegt sich von OÖ in der Richtung r, also die Bezeichnung wäre in diesem Falle Plus. Der Elektromagnet in ab und Wasser (p) — rechts, die Ratte schlägt die Richtung Or ein, also die Bezeichnung ist minus usw. Die Tabelle III (S. 45) zeigt, dass der Lichtreiz und Schallreiz nicht als food-signal dienen könne: die Versuchstiere haben nach dem Verlaufe von 43 Versuchstagen keine ausgesprochenen Fortschritte gemacht. Der kinästhetische Reiz hat sich dagegen als das aus- gezeichnete Mittel zur Erzeugung der Gewohnheitsbewegungen er- wiesen. Die Ratten bewegten sich schon nach Verlauf von wenigen Tagen wie Automaten in der geraden Linie nach links, gleichviel ob ich das Gefäss links mit Wasser gefüllt, oder ob es überhaupt entfernt war. Die Ergebnisse der ersten Serie der Versuche stehen im vollen Einklang mit den Untersuchungen sämtlicher Forscher, welche sich mit der gleichen Frage beschäftigt haben. Small, Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 45 Tabelle II. Lichtrize | Schallreiz | Kinästhet. Reiz n Versuchs- tag Na wenig beweg- lich, scheu Nr. 2,2 beweglich, nicht scheu Nr beweglich, nicht scheu Nr. 8,2 nicht bewegl., sehr scheu Nr 3 beweglich, nicht scheu Nr. 4, 2 beweglich, scheu Nr. 5, & sehr bewegl., nicht scheu N, © sehr bewegl. nicht scheu Il | el Denen DD Fee] Blazer ker le ana, kakkele) | et te ler ee else ee ee Ill Pre || 2 ae a ee le ee | | BE ttt HH tr H tt HH HH HH HH HH 44H | 4 4 | IH HH HH HH tr HH HH HH HH HH HH | 44H | HH HH | | w DERUTE Fl ee ee ee er leeeer IS bee e + release elle le I Watson, Yerkes, Waugh und in allerletzter Zeit Bogardus und Henke!) schreiben einstimmig den kinästhetischen Empfindungen 1) Small, The amer. Journ. of Psych. vol. 11 no. 2. — Watson, The psychol. Review Monogr. suppl. vol. 8 no. 2. May 1907 (Kinaesthetical and 46 J. S. Szymauski: die hervorragende Rolle bei dem Lernen der Wege in einem Labyrinth zu. Die Resultate der Experimente bringen aber nichts Überraschendes; sie wiederholen nur im kleinen, was sich in der freien Natur im grossen abspielt: die Ratten leben ja in ihren normalen biologischen Ver- hältnissen in einem grossen dunklen Labyrinth, wo die kinästhetischen Empfindungen als Richtung gebender Faktor die allerwichtigste Be- deutung haben müssen. b) Versuche mit der Schreckmethode. Um nun meiner eigenen Frage näher zu kommen, habe ich die I., IH. und IV. Serie der Versuche angestellt. Die Idee war folgende: Zunächst Erzeugen der Gewohnheitsbewegungen in einer bestimmten Richtung, und dann, als das entlang dem erlernten Wege fortlaufende Tier einen bestimmten Punkt erreicht hat, die in diesem Punkte verborgene Reizquelle (Licht oder Glocke) für kurze Zeit in Tätiekeit setzen. Der Schall einer Glocke ruft in den Ratten, wie ich mich früher überzeugt habe, ziemlich starke abstossende Wirkung hervor; es kommt der Fluchtreflex von der Glocke fort zustande, wahrscheinlich als Ausdruck für einen Furchtaffekt. In dem Momente also, da das Tier seinem erlernten Wege folgend den plötzlich er- klingenden Schall der Glocke perzipiert, treten zwei Kräfte in Wett- streit: die vorwärtstreibende Kraft des Gedächtnisses (mnemotropischer Reiz) und die unter dem 90° zu der ersten wirkende und abstossende Kraft des Fluchtreflexes (affektotropischer Reiz). Dieses Verfahren möchte ich die Schreckmethode nennen. Auf welehe Weise würden sich die beiden Kräfte summieren? Dass die Ratten in der Resultierenden laufen würden, schien mir anfangs ziemlich zweifel- haft. Die theoretische Überlegung hat mich zum Schlusse verleitet, dass, wenn die Ratten die Richtung in der Resultierenden einschlagen würden, eine solche Handlung höchst unzweckmässig wäre, denn die Ratte wird in solchem Fall weder das Wasser erreichen, noch von der Glocke auf dem kürzesten Weg fliehen können. Es schien, dass die Sherrington-Theorie (prineiple of the final common path) von dem simultanen Verlauf zweier Reflexe ihre Anwendung in unserem Falle finden würde: „The flexor reflex when it occurs seems there- organic sensations etc). — Yerkes, The dancing mouse (p. 178). 1907. — Waugh, The Journ. of Neurol. and Psych. vol. 20 no. 6. — Bogardus and Henke, The Journ, of animal Behavior vol, 1 no.2 p. 130. 1911. Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 47 fore to exelude the extensor-reflex, and vice versa. If there resulted a compromise between the two reflexes, so that each reflex had a share in the resultant, the compound would be an action which was neither the appropriate flexion nor the appropriate extension.“ !) Wenn aber unsere Theorien „grau“ sind und die Ratte in der Resultierenden läuft, auf welchem Wege wird sie dann das Wasser erreichen ? Um zunächst die Gewohnheitsbewegungen zu erzeugen, habe ich bei einer Gruppe der Ratten als food-signal die schon erprobten kinästhetischen Reize und ausserdem bei der anderen Gruppe Geruchs- reize angewendet. Schon die in der ersten Serie verwendeten Ratten Nr. 1, 2, 5, 6, 9, 10 wurden angehalten, rechts zum Wasser (Fig. 13, Op), und die Nr. 13 bis 18°?) links zum Wasser zu laufen. Um die Zeit zu sparen, wurden die Ratten an den ersten Versuchstagen paarweise oder selbst mehrere auf einmal in den Käfig gesetzt; nachdem die gewünschten Bewegungen erlernt wurden und die eigentlichen Ver- suche begannen, liess ich nur eine Ratte auf einmal in den Käfig laufen. Die zweite Gruppe wurde abgerichtet, durch Geruch sich leiten zu lassen. Als Geruchsreiz habe ich eine wässerige Lösung von Pferdeexkrementen gebraucht. Ich habe dieses Reizmittel gewählt, denn ich glaubte, dass der Geruch der Exkremente von den Tieren der eigenen oder fremden Art als Erkennungsmittel eine gewisse Rolle in normalen biologischen Verhältnissen der Ratten spielen müsse®). Das Pferd ist weder. Beutetier noch Verfolger der Ratten in deren normalem Leben; der Geruch seiner Exkremente sollte demnach ziemlich indifferent für die Ratten sein und doch gleich wie jeder „biologische“ Geruch in genügendem Maasse die Auf- merksamkeit auf sich lenken. Ich habe mit der Lösung links oder rechts täglich abwechselnd die Strecke zwischen Op resp. Or (Fig. 13) und die Stelle » resp. r gestrichen und dann mit Watte getrocknet. Danach habe ich den 1) Sherrington, The integrative action of the nervous system p. 117. 1909. 2) Die Ratten Nr. 13 bis 18 waren gleichaltrig, 3 Monate alt, 3& und 38; leider habe ich versäumt, zu rechter-Zeit das Geschlecht jeder einzelnen Ratte festzustellen; da jedoch ich keine Unterschiede im Benehmen bemerkt habe, welche ich auf das Geschlecht zurückführen konnte, glaube ich, dass dieses kleine Versäumnis ohne weitere Bedeutung ist. 3) G. Zell, Ist das Tier unvernünftig? 1909. 43 J. S. Szymanski: .ganzen Boden im Käfig mit einem in reinem Wasser aufgetauchten Lappen schwach feucht gemacht, um den Feuchtigkeitsgrad des Bodens auszugleichen. Nach jedem Versuch wurde selbstverständlich der Käfig längere Zeit mit Seife und Bürste reingewaschen. Die Glocke resp. elektrische Lampe wurde in dem entsprechenden von den zwei ganz gleichen Holzkasten $ resp. 7 untergebracht. Die Glocke liess ich im Momente erschallen, wenn die Ratte den vorher bezeichneten Punkt X erreichte (Fig. 13). Als Lieht- reiz habe ich die 5- resp. 10- kerzige Lampe angewendet, mit deren Strahlen ich den Punkt X durch eine Spalte (x) im Kasten beleuchtet habe. Die Entfernung ‘ der Lampe vom Punkte K betrug 16 em. Bei den Schallversuchen habe ich die Kästehen ohne Spalte an- gewendet. Zur Erzeugung des Schalles habe ich mich zweier Arten kleiner elektrischer Glocken bedient: der kleinsten im Handel erhält- lichen Glocke und des Mignon- Sienalapparates (Nr. 731 des Kataloges der Wiener Firma Deckert und Homolka). Die erste Glocke hatte (laut Bestimmung mittelst eines Glocken- spieles dureh die Firma Karl Richter, Musikinstrumenten- fabrik zu Wien) ungefähr die Tonhöhe H,, der Signalapparat die Tonhöhe @,. Um die Intensität bei der Glocke zu ermitteln, habe ich die Entfernung gemessen, in der ich eben den Schall der zu prüfenden Glocke nieht mehr wahrzunehmen imstande war. Es wurden auf diese Weise drei Signalapparate und die oben erwähnte Glocke ge- messen; der Kürze wegen will ich im folgenden den Signalapparat als G@, und die zweite Glocke als H, bezeichnen. Fig. 13. Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 49 Noe Tonhöhe Entfernung a | 53,5)? Fire, 535 L nn — 105 u os 52 1,0 (56) |. @; 56 { er 2 57): IV. H, 97 { = 1,2 Da nun die Intensität eines Schalles umgekehrt proportinal dem Quadrate aus der Entfernung ist und (die Intensität der H R—]1, lassen sich die Intensitäten sämtlicher Glocken miteinander ver- gleichen (vgl. oben die Tabelle). Sie köunten als gleich betrachtet werden, wenn nicht der Umstand, dass die Glocke H, einen tieferen Ton erzeust als die Glocke @,, im Wege stehen würde. Denn wie bekannt, „nimmt bei gleicher physikälischer Intensität verschie- dener Schwingungsvorgänge die Empfindungsstärke der durch sie hervorgebrachten Töne mit. der: Höhe bis zu einer bestimmten Grenze sehr beträchtlich zu“). Die Intensität der Glocke #4, war also etwas beträchtlicher als die der Glocke G,; aber jedenfalls war der Unterschied selır unbedeutend, was auch bei dem unmittelbaren Anhören der sukzessiv läutenden Glocke .sich konstatieren liess. Die Reaktion der Ratten auf den Schall dieser oder jener Glocke "ebenso wie auf den Schall von zwei @s-Glocken war dieselbe. Die Tabellen IV und V veranschaulichen den Verlauf der Versuche, wobei zu bemerken ist, dass die Buchstaben v die unveränderte Vor- wärtsbewegung nach dem Erschallen der Glocke in der Richtung X r (Fig. 13), r die Rückwärtsbewesung (von Ä bis O), die Zahl der Grade die Bewegung in den Resultierenden unter dem Winkel, welcher der angegebenen Zahl gleich ist, 'bedeutet. Aus den Tabellen IV und V (8. 50 und 51) ergeben sich folgende Resultate. - I. Von acht in dieser Hinsicht geprüften Ratten zeigten drei, und zwar Nr. 4, 11, 12 (Tabelle IV) die Fähigkeit, sich durch Geruch- reize beim Auffinden des Wassers leiten zu lassen. 1) Ebbinghaus, Die Grundzüge der Psychologie Bd. 18. 304, 3. Aufl. 1911. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Pd. 143. 4 J. S. Szymanski: 50 + (098 pop" Yodıun) — + 14 (OF MPIM + (a O0) + (1 090019) + nay9s Ay9S “89Maq JUdTU der N le (085 9079 °yo3um) — (008 11088 PO) + + + Bye (A 099079) + III++l+I+ +++ nayos Jyaru RIEEZTEN] PIL“N ( “ )+ (A «“ )+ CAOP09)+ (SE Po) + (084 Po) + (Fiss Hr 3 zig A9UISIWAUJ + + (10909) + + (AON9079)+ (A999079)+ [(1PP0]9)+ (0051 Poy)+ +l+1|+ (0.48 Popp) + nayos Jyaru “8oMmag Iyas |"[39Maq FydTu 501 “N (A909) + + ( [44 ” )+ (A OPOTI)+ (o CF 9Po) + + II I+++++++++ nay9s Ayos PEN « [44 ' [44 « : IN [79 )+ GE = )+ & [14 )+ | (A OOL))+ (A gar) + ( [14 [44 )+ (AOPOTI)+ + + (0 SE 979079) + + (009 709) + Eh ker are IN + + + (‘A ‘Yyorry) + (0 8 Popp) + + + (098.109) + zog AOydsYpygseuny DEREN: (elle el (o0LI Alles (A909) + + (82% )E+ (ARPOLH)+ (A gar) + (089 972079) + BIS ERB ER TAN EN EonES DI SI orten) "AI OTI9AEL 51 Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. Al = = a 77 ae "23 4189198 \ = N { 125193 1189195 \ Rn 2 + + + = 2 a u. (ern N:oz + + + A'35 9990[9 \ = ı@9gompog | 1909 \ = { A) 999019 ler + + + + 1% 970079 | Az e7poI9, | 19900) | 00, =” ?9H 9 | 1909 | AH 90079 \ '8I + + + + + + a { ATH Po \ a zen op —R"H 9 | AU EA009 | A 9709 Yu | + + + + + een + — + + + + 9L — + — + + + + CI zeH + + + + + + TI Sie — | — + + + + + + "el 02E =» #9 U) \ er a er a er Y 4 "21 =P = — | — + + + + + + "IL — + + + + + + + + + “ol + _ + + + + + + + + 6 = + — | + + + + + + g + — + + + + + + + + Y — + + N 0) Tr == = TE :G we Ei = A -2795899 SyeysyonsIo‘A UP UT yoTojanz 7 Ar = —_ —_ ST— EL "IN UOYey 9Ip uapınM 996], 9 U9JSIE 19P puaıye mM Q m + ze en ’z — — eu + Ti nIU9S AU9S Bon. er | era | LI aN | 9T N ST N | EN | g1 N zIay Joydstwagg zIOy] JOyosıyoygseury SeL a ul mal A oTI9qaeL 4*F Kan / ©’). 8. Szymanski: II. Der Lichtreiz ist nicht imstande, die Ratten von ihrer er- lernten Bewegungsriehtung abzulenken; nur. ein einziges Mal habe ich unter dem Einfluss des Lichtes die Bewegung nach der Resultierenden (X a@a—40°, Fig. 13) bei einem sehr scheuen Weibchen Nr. 12 gesehen. II. Auf Schallreiz reagieren die Tiere viel stärker, und als Antwort auf einen Reiz lassen sich drei Fälle unterscheiden: 1. das Tier setzt seine Bewegung fort (von X bis r Fig. 13); der Einfluss des Reizes äussert sich bloss in der Steigerung der Geschwindigkeit (ungefähr in 25 °/o der Fälle); 2. das Tier kehrt um und läuft zum Vorraum von K bis O zurück (ca. 25 °/,); 3. das Tier läuft in in der Resultierenden aus beiden Komponenten von K bis m (ca. 50 20). IV. Die ersten zwei Fälle möchte ich auffassen als den Aus- druck für die überwiegende Wirkung der erlernten Bewegungsricehtung. Ob ein Tier dabei vorwärts oder aber rückwärts entlang dem er- lernten Wege läuft, ist nicht von wesentlicher Bedeutung und hängt von dem Grade der Scheuheit des Tieres ab. Dass der stärkere oder schwächere Durst nicht die eigentliche Ursache der Beibehaltung der ursprünglichen Vorwärtsbewegung ist, zeigen die Fälle, in welchem ‘ein Tier, nachdem es den Punkt r erreicht hat, weiter entlang der Wand läuft, oder wo dasselbe nur wenig trinkt oders elbst gar nicht das Wasser berührt.. In einem Falle‘ nur — scheint mir — spielte der Durst die maassgebende Rolle in der Beibehaltung der erlernten Strecke, und zwar bei der Nr. 6 (Tabelle IV), welche Ratte, nach- dem sie am 19. Versuchstage Junge geworfen hatte, sieh durch die Glocke von dem kürzesten Wege zum Wasser nicht ablenken liess, obzwar sie in den früheren Versuchstagen in der Resultierenden lief. Der Durst, welchen das Säugen der Jungen bedeutend steigern musste, hat Oberhand über den Fluchtreflex gewonnen. V. Falls die Ratte in der Resultierenden läuft, ist der Winkel der Bewegung (X «a Fig. 13) in der Hälfte sämtlicher diesbezüglicher Fälle konstant und gleich 35°; in diesen Fällen verhält sich der mnemotropische Reiz zum Fluchtreflex wie 1:0,7, denn b=a eotg 898 —,7, bein a —_ 1. VI. Dass die in. der -Resultierenden laufende Ratte schliesslich das Wasser erreicht, zeigt Fig. 13: in dem Punkt m angelanet, ändert die Ratte in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Riehtung und begibt sich in einem Bogen Ir zum Wasser. Viel Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 53 seltener schlägt ein Tier die Auehtmnert m II und nur ausnahmsweise m III ein. VII. Welchen mächtigen Einfluss aut le Benehmen der Tiere die kinästhetischen Reize ausüben, lehrt, die Geschichte der Ratten Nr. 21 und Nr. 22. Die beiden Ratten, welehe auf den Geruchsreiz zu reagieren abgerichtet wurden, schlugen gleich von dem ersten (Nr. 21) oder dem zweiten (Nr. 22) Versuchstage an, wenn sie in den Versuchskäfig gesetzt wurden, unfehlbar den Weg Nr. 21 nach rechts, Nr. 22 nachs links ein, gleichgültig von welcher Seite der Geruchs- reiz einwirkte. In diesen Fällen sind ganz spontan, abgesehen von Durst, die Gewohnheitsbewegungen entstanden. VIII. Ich möchte von zwei Ratten noch Erwähnung tun. Nr. 11, durch die Versuche mit der Glocke am 19. Tage stark beunruhigt, hat vom 20. bis 23. Tage, in den Käfig gesetzt, entgegengesetzt der erlernten Be- wegungsrichtung ihren Weg eingeschlagen. Wenn also der Geruchsreiz von links ge- kommen ist, lief sie nach rechts, und um- gekehrt. Es liegt der Gedanke nahe, dass hier eine neue Assoziationsreihe: Geruch- reiz— Schall (glech Unlust—Gefühl) ent- standen ist. Ähnlich hat sich Nr. 9 ver- halten, welche von dem 23. Versuchstage an bis zum letzten Versuchstage, in den Vorraum des Versuchskäfigs gesesetzt und in den Punkt O0 gelangt, den eigenartigen, den andern Ratten durchaus fremden Weg einschlug, wie die Fig. 14 zeigt. IX. Zum Sehlusse möchte ich erwähnen, dass die Ratten nach der Methode des „dropping off useless movements“ lernen, das Wasser auf dem kürzesten Wege zu erreichen. Fig. 15 zeigt die . aufeinanderfolgenden Stadien des Lernens. (In Fig. 15 /7 bedeuten 7 und /,, dass das Tier in diesem Stadium des Lernens das Wasser erreichte, indem dasselbe entweder den Weg I oder den Weg'Z, eingeschlagen hatte). Ausser der Kraft der Gewohnheitsbewegungen habe ich noch eine andere Kraft in das Bereich meiner Versuche herangezogen, und zwar die Kraft, welehe die Ratte zwingt, der Wand entlang zu laufen. In identischer Weise habe ich diese Kraft mit der quanti- tativ mir schon bekannten Kraft des Fluchtreflexes (affektotropischen 54 J. S. Szymanski: Reizes) verglichen, indem ich die weissen (ausser Nr. 20 und 21) Ratten von verschiedenem Alter in den Versuchskäfig einzeln gesetzt nnnmen Fig. 15. und entlang der Wand «ac (Fig. 16) jede dreimal auf und ab habe laufen lassen. Die hinter dem Käfig knapp bei der Wand «ac unter- gebrachte Glocke @, liess ich er- schallen, sobald die Versuchsratte den früher bezeichneten Punkt d erreicht hat. Ich habe 27 Ratten geprüft. Die Ergebnisse zeigt die Tabelle VI (S. 55). Die Resultate haben sich gleich denjenigen der früheren Versuche erwiesen; der Winkel « (Fig. 16) schwankte in den meisten Fig. 16, Fällen zwischen 30, 35, und 40; derselbe ist also gleich dem Be- wegungswinkel der früheren Versuche. Daraus möchte ich den Schluss ziehen, dass auch die Kraft, welche die Ratten den Rändern ent- Versuche, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen etc. 55 Tabelle VI. Nr. ZZEZE TIER Alter Eu |, | en, | Bemerkungen 1 « —= 50° 2 r 5) r 4 12 — NV 5 «350 6 & — 35° 7 1,5 Monate v \ im ersten Moment Körper- 8 alt v stellung unter ca. X 35° 6) «= 0° 10 r It « — 40° 12 0 —_ 300 > \ idem 15 | 390 | 16 2 Monate v 17 alt v 18 & — 50° 19 1 a = 39° Verspätung! 20 (gescheckt) v, v, &—80° 21 (braun) v 22 ca. « — 40° 23 6 Monate r 24 alt V 25 « — 45° 26 v 27 vn a lang treibt, der Kraft der Gewohnheitsbewegung, d. h. dem mnemo- tropischen Reiz der erlernten Bewegungen in den beobachteten Fällen gleich war. Die Entstehung solcher Gewohnheit ist sehr leicht zu begreifen, wenn wir die Verhältnisse des normalen Lebens berücksichtigen. Die Ratten halten sich ja in engen Spalten und anderen geschlossenen Räumen auf und vermeiden offene Stellen. Kein Wunder, dass die Tiere in den Versuchskäfig gesetzt die Wände aufsuchen; dies ist eben ein Ausdruck für die Beibehaltung der alten Gewohnheiten in neuen Verhältnissen. Falls eine Ratte in der Resultierenden gelaufen ist und den Punkt b (Fig. 16) erreicht hat, schlägt sie weiter einen von den beiden Wegen / oder IT ein, wobei der Weg I die Regel ist. In einigen seltenen (drei bis vier) Fällen habe ich auch die seltene Er- scheinung derVerspätung im Auftreten der Reaktion beobachten können: nachdem eine Versuchsratte zu dem Punkte d (Fig. 16) gelangt war, . und ich die Glocke ertönen liess, setzte das Tier ruhig, ohne jedes Zeichen der Erregung, den Weg im Sinne der ursprünglichen Rich- 36 J. S. Szymanski: tung fort und lief erst dann in der Resultierenden, wenn der oben gelegene Punkt c erreicht worden war. V. Kinderexperimente!). Es ist eine überaus häufig zu beobachtende Erscheinung des Alltagslebens, dass, wenn ein entlang einer Stadtstrasse Vorwärts- gehender (also durch etwaige Kraft Getriebener) Mensch zu grosses Gedränge usw. (die zweite abstossende Kraft) vermeiden will, er die Strasse in einer Linie kreuzt, welche unter einem Winkel mit der Richtung der ursprünglichen Bewegung ‚steht (vgl. Fig. 17). Diese Erscheinung hat schon im 14. Jahrhundert der Verfasser des „Blüten- kranzes des hl. Franziskus von Assisi“ genau beschrieben: ... „und wenn es sich bisweilen so traf, dass Bruder Elia (den Franziskus vermeiden wollte) ihm (Franziskus) entgegen kam, machte er einen N Bogen und ging auf die andere Seite, damit er ihm nicht begegnete“ ?). Die Kinderexperimente habe ich in Form von Spielen, welche ich im Sehulhofe veranstaltete, ausgeführt. Ich habe mit zehn- bis zwölfjährigen Knaben und nur wenigen Mädchen (zum Teil im zweiten Spiel) experimentiert. In jenem Spiel fungierte eigentlich als Versuchsobjekt nur ein einziges Kind. (Das Kind A in beiden Spielen (Fig. 17 und 18)]. Dasselbe Kind wurde nie mehr ein zweites Mal zum gleichen Zwecke verwendet. Für die nicht un- mittelbar im Spiele teilnehmenden Kinder wurde ein anderes Spiel veranstaltet, um die Aufmerksamkeit der erst auf ihre Reihe harren- den Kinder nicht auf das Versuchsspiel zu lenken. a) Das erste Spiel. Das erste Spiel bestand in der genauen Nachahmung der oben beschriebenen Erscheinung. In dem sehr grossen Schulhofe liess ich mit Kalk die in der Abb. 17 dargestellte Figur andeuten; die Ent- fernungen zwischen den einzelnen Linien waren folgende: mn —28 m, mz—=]18'm, £ 2 ww [0.0] 2 [owi De Ei] = G e E n = > = Zi =, =) Fin) S a = =) © 4 =: . S 12 a ES S g = e & a "= an a S En 2 = &) ii S = 2 = z Ss A ap} . = > 1 & | Eingiessen von physiologischer Kochsalzlösung und Anwendung von Helleborein dasselbe wieder in den normalen Zustand zu versetzen Das Elektrokardiogramm und die pharmakologischen Mittel etee 141 Fig. 5 in der Norm. Nur die Zacke R ist gut ausgeprägt, die anderen Aufstiege sind durch das wellenförmige Aussehen des ganzen Profils der Kurve und durch supplementäre Ziekzacke maskiert. Fig. 6. Fig. 6 nach der Durchschneidung der Halsmuskeln und der Tracheotomie erhalten. Alle Zacken sind scharf ausgeprägt und deutlich zu unterscheiden, obgleich das Elektrokardiogramm seine _Wellenförmigkeit bewahrt hat. Ausser der bedeutenden Vergrösserung des Vorhofaufstiegs unterscheidet sich die zweite Tafel von der ersten durch die Verkleinerung der Zacke R von 13 mm bis 4 mm, durch 142 Wlad. Ph. Selenin: die Vergrösserung der Zacke S$ von 1 mm bis auf 4 mm; die kaum sichtbare Zacke 7 auf der vorhergehenden Abbildung erreicht auf der nachfolgenden 4 mm. In Anbetracht dessen, dass der einzige in das Experiment ein- geführte Faktor die äusserste Erschöpfung des Tieres durch die ver- schiedenen Manipulationen und die lange Dauer des Versuchs war, musste nach einer Erklärung dieses so paradoxalen Parallelismus mit den pharmakologischen Agentien in der dissoziierten Arbeit der Herzkavitäten geforscht werden. Als unwiderleglichen Beweis dessen, dass das Herz in diesem Falle stark gelitten hatte, dienen: das Fig... Fallen des Blutdrucks (um 48°/o), die Beschleunigung des Pulses von 60 Schlägen bis auf 180 in 1 Minute, die Verkleinerung der Pulswelle von 13—15 mm bis 1—2 mm. Fig. Nr. 7 bietet das Interesse, dass sie uns in den Kreis von Erscheinungen, die in das Bereich klinischer Beobachtungen gehören, eingeführt. Nach intravenöser Eingiessung von 100 cem NaCl 0,9% + 0,003 Helleborein stieg der Blutdruck um 18°/6; der Puls wurde etwas verlangsamt, und das Elektrokardiogramm erhielt ein etwas anderes Aussehen, was offenbar der Entfaltung des therapeutischen Effekts des Helleboreins zuzuschreiben ist. Sowohl die Spaltung der Zacken R und T als die supplementären Zickzacke sind ganz ver- schwunden, und die Wellung des ganzen Profils ist weniger scharf ausgeprägt. Ausserdem hat die Zacke R auf Kosten der Zacke S$, Das Elektrokardiogramm und die pharmakologischen Mittel etc, 143 welche kleiner geworden ist, sich vergrössert, hat aber seine frühere Grösse wie auf der ersten Abbildung nicht erreicht. Man erhält deu Eindruck, dass das Herz mit grösserer Sicherheit, mit besserer Koordination der einzelnen Momente arbeitet. Im toxischen Stadium, wenn die Arbeit des Herzens sich durch ihre Regellosigkeit, ihre Koordinationsmängel besonders geltend macht, tritt die Be- deutung der Erscheinung, welche wir betrachten, besonders anschau- Fig. 8. lich hervor. In der zahlreichen Serie der Elektrokardiogramme meiner Sammlung gilt als Regel folgendes Verhältnis der Zacken der Herzkammergruppe zueinander'. In dem Maasse, wie die Zacke R, immer kleiner werdend, bis zur Abszisse fällt, werden die Zacken 8 und 7 fortwährend grösser, die erste unterhalb, die zweite oberhalb der Abszisse. Als Endstadium dieser Evolution erscheint die von Kraus und Nikolai Extrasystole der linken Herz- kammer benannte Kurve (Typus A: die erste Phasis ist nega- tiv, die zweite positiv). Auf einigen Figuren sieht man Übergänge verschieden von der Norm zum beschriebenen Typus [Siehe Fig. 8 (Konvallamarin)]. In dem von den Klinizisten gesammelten Material 1) Das therapeutische Stadium ist infolge der unbedeutenden Veränderungen in der Höhe der Zacken zur Analyse wenig geeignet. 144 Wlad. Ph. Selenin habe ich ebenfalls Angaben über die oben beschriebene wechsel- seitige Beziehung der Zacken gefunden. Als vorzügliches Beispiel kann eine Figur aus Dr. P. Usow’s Arbeit!) (Moskau), in welcher eine atypische Gruppe. in ein in jeder Hinsicht normales Elektro- kardiogramm eingetröpfelt ist, angeführt werden. Fig. 9. Adonidinum. EB Nr Bar aa ET DEN SENT Fig. 10. Inf. Tol. Digitalis 20 /o. Als zweite häufig angetroffene Erscheinung unter den klinischen Beobachtungen sowohl als in dem Stadium der toxischen Desorgani- sation der Herztätigkeit in unseren Versuchen verdient die Spaltung der Zacken R und T Beachtung. Die Spaltung ann an beiden 1) P. Usow, Klinische Beobachtungen über das Elektrokardiogramm. „Der praktische Arzt“ 1910 Nr. 38—40. St. Petersburg. Das Elektrokardiogramm und die pl armakologischen Mittel etc. Zacken zugleieh oder auch nur an einer statthaben (siehe Fig. 6, 9, 10 und 11)}). Ich kann hier wegen Man- gel an Raum nicht die schon sehr zahlreichen Theorien über das Elektrokardiogramm be- trachten, muss. aber hervor- heben, dass keine davon die von mir bemerkte Wechselbeziehung zwi- schen den Zacken AR, 5 und T noch auch die Be- deutung der Spaltung dieser oder jener Zacke, die sich regelmässig auf einem längeren Abschnitt der Kurve wiederholt, Eigenlelären vermas. Unsere Versuche mit dem ermüdeten Hundeherzen (Fig. 5, 6 und 7) und eine Reihe von Experimenten unter Anwendung der oben genannten Mittel boten uns einen festen Grund und Boden für die Ausarbeitung der Vorstellungen, welche ich mir gestatte, hier in Gestalt von auf 1) Als gewöhnliche Erscheinung, die im toxischen Stadium beobachtet wird, ist auch das Verschwinden der Zacke P anzusehen, welches offen- bar von einer Parese der Vorhöfe abhängt, da bei der mechanischen Registrierung (der Haken war am rechten Herzohr-Vorhof befestigt) die - Vorhofkurve keine normalen Auf- stiege zeigte. (Siehe Fig. 12 [A=Vor- hofsmechan.-Kurve].) BEE WIWETWEE >E „E . 145 Convallamarinum (von rechts nach links zu lesen). Fig. 11. 146 Wlad. Ph. Selenin: Grund der Analyse des faktischen Materials zusammengestellten Schemata zu verallgemeinern. Ehe ich an die Erklärung der verschiedenen Einzelheiten heran- trete, muss ich mich bei den durch Nicolai und Rehfisch’s') Versuche festgestellten Grundtypen der anomalen Kurven aufhalten. Bei der Reizung des linken Ventrikels mit einem Induktionsstrom erhielten die Verfasser Kurven, bei denen die erste Phasis „negativ“, die zweite — „positiv“ war; bei der Reizung der rechten Herz- kammer war. das Gegenteil der Falle Wertvoller sind Eppinger und Rotberger’s?) Versuche, da sie kein künstliches Reizmittel Fig. 12, Strophantinum. A = mechanische Vorhofskurve. eintrugen, sondern nur den Gang der elektrischen Welle unter dem Einfluss eines normalen Impulses modifizierten. Die Autoren durchsehnitten bald den rechten Schenkel des atrioventrikulären His-Tawara’schen Reizleitungssystems (Ausschliessung des rechten Ventrikels), bald den linken Schenkel (Ausschliessung des linken Ventrikels); die erhaltenen Elektrokardiogramme entsprechen Nieolai und Rehfisch’s Typen. Ich möchte die Aufmerksamkeit auf einen Umstand lenken, der 1) Nicolai und Rehfisch, Über das Elektrokardiogramm des Hunde- herzens bei Reizung des rechten und linken Ventrikels. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 22 Nr. 2. 2) Eppinger und Rothberger, Über die Folgen der Durchschneidung der Tawara’schen Schenkel des INES SENENGTINE. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 70 H.1 und 2, Das Elektrokardiogramm und die pharmakologischen Mittel etc. 147 von Kraus und Nicolai!) beim Konstruieren der entsprechenden Schemata ausser acht gelassen wurde. In allen mir bekannten Fällen einer gut ausgeprägten anomalen Kurve hat das Elektrokardiogramm des „linken“ Typus fast gleiehgrosse Zacken, während in einer Kurve vom „rechten“ Typus die erste (nach oben gerichtete) Zacke die zweite bedeutend überragt (Fig. 12, 13 und 18). Dieses wesentlich wichtige, obgleich vorderhand noch wenig aufgehellte Ver- hältnis hat mich veranlasst, das normale Elektrokardio- Fig. 13. „Delir. cordis.“ Inf. Fol. Digit. 10/0 (16 cem). gramm als das Resultat einer bestimmten Interferenz der elektrischen Wellen, die von dem rechten und linken Herzen ausgehen, anzusehen. Die zahlreichen Ab- weichungen von der Norm halte ich für den Ausdruck der dureh irgendeine Ursache gestörten Interferenz. Somit erscheint die Kurve des zweiphasischen Stroms als Grund- element. Der Sinn des Unterschieds der Typen wird leicht ver- ständlich, wenn man sich die Entstehung dieser Kurve vergegen- wärtigt. Der rechte und linke Ventrikel?) entsprechen den Punkten 1) Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm des gesunden und kranken Menschen. Berlin 1910. 2) Infolge der schiefen Lage des Herzens sind diese Stellen bei der Ab- leitung der Ströme zum Galvanometer der Herzbasis und der Herzspitze gleich- wertig (Nicolai). 148 Wlad. Ph. Selenin: A und B. Bei einer und derselben Einschliessung dieser Teile in die Kette des Elektrometers gewahrt man, dass, wenn der im Punkt A entstandene Reiz eine positive Welle gibt, welche in Punkt 5 eine negative x > | Riehtung annimmt, um- SH & sekehrt der in Punkt B m entstandene Reiz die nega- ei tive Schwingung der Saite des Galvanometers an der Entstehungsstelle und die positive, sobald er den Punkt 4A erreicht, be- dinget. Zur Veranschaulichung dessen, wie sich die ver- schiedenen Bedingungen, welche aufdie Aufeinander- folge und die Wechsel- beziehung der elektrischen “Vellen verändert wirken, in dem Elektrokardio- gramm abspiegeln, können die kombinierten Elektro- kardiogramme zweier Her- zen dienen !). Man gewahrt hier die Erscheinungen einer positiven (Ver- grösserung der Zacken) und einer negativen (Ver- kleinerung oder volles (Siehe Erklärung auf S. 150.) Fig. 14. u TE Na} kle - 1) Prof. A. Samojloff ea (Elektrokardiogramm - Studien) & i u hat als erster auf die Mög- = : lichkeit einer Analogie | zwischen der Kombination zweier Herzen 'ınd der zu- sammengesetzten Kurve der linken und rechten Herzhälfte hingewiesen. Das Elektrokardiogramm und die pharmakologischen Mittel etc. 149 Schwinden des Aufstiegs) Interferenz, sowie der „Spaltung“ der Zacke als Ausdruck einer unvollkommenen Koinzidenz der respek- tiven Phasen (Fig. 14 und 15, Fig. 10 — Schemata). (Siehe Krklärung aufs, 150) 8 Fie. 15a. = Ri tel ‚(Siehe Erklärung auf S. 150.) 1. E Fig. 15 b. 9 1: ID Wlad, Ph. Selenin: Fig. 14. Vereinigung der ungleichnamigen Hände (die Gesichter nach einer Seite hin gewandt). Fig. 15a. Vereinigung wie bei Fig. 14. Fig. 150. Vereinigung der gleichnamigen Hände (die Gesichter nach den entgegengesetzen Seiten gewandt), Zu kombinierten Kurven wurden Herzen gewählt, deren Elektrokardiogramme voneinander so verschieden sind, dass sie leicht in einer Abbildung erkannt werden können. Ein und dasselbe Herz durch ein normales gegen- seitiges Verhältnis der Zacken und ein ausgeprägtes () charakterisiert, wurde in einem Fall in die Kette des Galvanometers mit einem Herzen eingeführt, dessen Kurve sich von der gewöhnlichen durch ein niedriges R und scharf ausgeprägte 5 und 7 unterschied, im zweiten Fall mit einem Herzen, dessen Kurve gleichsam das Spiegelbild von der ersten ‚vorstellt; eine verhältnismässig grosse Vor- hofzacke, ein hohes R und sehr niedriges 7". Auf Fig. 14 sind alle gleichnamigen Zacken nach einer Seite gerichtet und summieren sich bei der Koinzidenz (positive Interferenz der elektrischen Ströme). Auf Fig. 14 tritt besonders deutlich die Summierung der Zacken [ und 7, zutage; was R und AR, betrifft, so ist hier die Interferenz wegen der Zacke $’ verändert. Bei (x) hat die Zacke 5’ mit der Zacke R kongruiert — negative Interferenz — ist selbst verschwunden und hat um ihren Aufstieg die Zacke R verringert. Auf Fig. 15a tritt in zwei benachbarten Gruppen sehr deutlich demon- strativ vollständige Kongruenz und Summierung der Zacken R und A, hervor. Auf Fig. 155 haben die gleichnamigen Zacken ver- schiedene Richtungen. Hier ist eine gelungene Kongruenz der nach entgegen- gesetzten Seiten gerichteten 7’ und 7, (gerade Linie bei 0); die Zacken R und R, (die äusserste Gruppe links) haben gast ganz kongruiert und sind bedeutend kleiner geworden. Fig. 16. 1) Der Reiz entsteht in der Gegend des rechten Ventrikels. — 2) Der Reiz entsteht in der Gegend des linken Ventrikels. — 3) (N) Normäales (kombiniertes) Elektro- kardiogramm (negative Interferenz der Ströme). — 4) Kurve l mit vergrösserten Zacken. — 5) Kurve 2 u. 4: Vorherrschen des rechten Typus (dynamische Dissoziation). — 6) Kurve 2 mit vergrösserten Zacken. — 7) Kurve 1 u.6. Vorherrschen des linken Typus (dynamische Dissoziation). — 8) Dieselbe Kombination; eine häufig angetroffene Kurve; Vorherrschen des linken Typus und zeitliche Nichtkoinzidenz (dynamische und rhythmische Dissoziation). Zacke 5, erste Phasis des linken 'Typus; nach unten gerichteter Winkel (punktiert) — zweite Phasis des rechten Typus. — 9) Bedeutende Ver- grösserung der Zacken der Kurve 2. — 10) Kurve 1 u. 9: scharf ausgeprägtes Vorherrschen des linken Typus. —- 11) Dasselbe beim Fortrücken des Schemas 9 um 1 mm nach links. Vorherrschen des linken Typus und Nicht- koinzidenz der Phasen des Stroms (dynamische und rhythmische Dissoziation). — 12) Kurve 1 u. 2 (2 ist um 1 mm nach links gerückt). Normaler Typus (N) des Elektro- kardiogramms (gewöhnlicher Entstehungsort des Impulses) mit rhythmischer Dissoziation. — 13) Dasselbe, nur ist die erste Phasis bis zur Abszisse gespalten; bei der Koinzi- denz der zweiten Phasen (punktiert) wird die Kurve des Typus C von Nicolai (das Übergangsstadium zur vollen Längsdissoziation) erhalten (s. Fig. 11). Das Elektrokardiogramm und die pharmakologischen Mittel etc. 151 Im Einklang mit den gewöhnlichen Vorstellungen von der Ent- stehung und Verbreitung des Impulses kann das Elektrokardiogramm als Endresultat folgender Abwechslungen der Erscheinungen auf- sefasst werden. | Der normal im Gebiet der Vorhöfe ausgearbeitete Impuls zur Kontraktion tritt durch die beiden Schenkel des His-Tawara- schen Reizleitungssystems (Bündels) in die Ventrikel ein, welche ihn durch eine harmonische Kontraktion auslösen. Die elektrischen Wellen (nach dem Typus eines zweiphasischen Stromes), die als Ausdruck der Tätigkeit der rechten und linken Herzhälfte erscheinen, treten in ganz bestimmte (negative) Interferenz miteinander und be- dingen als Resultat der Wechselbeziehung kleinere!) und nach einer Seite hingerichtete Schwingungen der Saite des Galvanometers (siehe Fig. 16, Schemata 1, 2 und 3. Die Schemata wurden auf Grund von Elektrokardiogrammen von verschiedenen Herzen konstruiert. Sehr wertvoll wären Kurven vom linken und rechten Typus, welche neben dem normalen Elektro- kardioeramm von einem und demselben Herzen unter nahezu gleichen Bedingungen seiner Tätigkeit erhalten werden würden. Dies würde uns das Mittel in die Hand geben, mit srösster Ansehaulichkeit die Richtigkeit der von mir vorgeschlagenen Theorie der Bildung der Zacken zu prüfen. Der Versuch mit der Ent- blutung des Hundes bietet uns ein solches. In dem letzten Ab- sehnitt des photographischen Bandes (der Blutdruck war bis Null eefallen) befindet sich mitten in der Reihe der Kurven vom linken Typus eine Ziekzackgruppe vom rechten Typus. Die algebra- ische Summe der respektiven Zacken koinzidiert so senau mit dem normalen (kombinierten) Elektro- kardiogramm, wie man es nur kaum hätte erwarten können. Fig. 17 (normales Elektrokardiogramm). Fig. 13 (nach dem Fall des Blutdrucks bis zur Abszisse auf dem Kymographion). In der Tat: die Höhe der Zacken ist bei X:PR!—=5 mm; 2 3 mm; bei y;R—-8 mm; T=A mn, kei der normalen Interferenz der elektrischen Ströme muss die Zacke R (in der 1) Alle sogenannten „Extrasystolen“ geben in der Tat grössere Wellen als die normalen Herzkontraktionen. 152 Wlad. Ph. Selenin: [9] „positiven“ Richtung) des kombinierten Elektrokardiogramms 3 mm, die „negative“ 7= 1 mm hoch sein, was auch wirklich der Fall ist. Theoretisch denkbare und in Wirkliehkeit auch vorkommende Abweichungen von der Norm sind folgende. Nehmen wir an, dass Fig. 17. Rn Fig. ] fo) die eine Herzkammer, ohne ihren Kontraktionsrhythmus zu ändern, unter dem Einfluss irgendwelcher Ursache mehr elektrische (resp. muskuläre) Energie als in der Norm ausarbeitet, — in diesem Falle werden auch die Schwingungen der Saite (die Zacken der „as Elektrokardiogramm und die pharmakologischen Mittel etc. 153 elektrischen Kurve des entsprechenden Typus) natürlich grösser sein. Diese Erscheinung wird dynamische Längsdissoziation ge- nannt; auf dem Elektrokardiogramm tritt sie als Vorherrschen des rechten oder linken Typus zutage (siehe Schemata 4, 5, 6, 7,9, 10; Beispiel Fig. 12). Somit müssen die erstere grössere Zacke (R) und die zweite kleinere (7) die vorherrschende Tätigkeit des rechten Herzens anzeigen und umgekehrt die verhältnismässig kleine Zacke erste (oder die stärker, ausgeprägte Zacke S, Schema 8) und die srössere zweite von der vorherrschenden Bedeutung des linken Herzens zeugen!). Ferner, in den nicht selten beobachteten Fällen, wo die Ver- änderung nicht die Stärke, sondern den Rhythmus oder richtiger die Koordination der Kontraktionen beider Herzkammern betrifft, spricht man von einer rhythmischen Längsdissoziation, welche auf dem Elektrokardiogramm in Gestalt von Spaltung der Zacken R und 7 (zugleich oder vereinzelt) als Ausdruck einer unvollkommenen Koinzidenz der elektrischen Wellen der ersten und zweiten Phase erscheinen (Schemata 12 und 15; Beispiele: Fig, 6 und 11). Natür- lich ist auch die Kombination einer dynamischen und rhythmischen Dissoziation möglich (Schema 11 und Fig. 10). Das von Dr. med. Usow gesammelte klinische Material (siehe oben) hat ihn auf Grund physikalischer Symptome bei den Kranken (die Spaltung des zweiten Tons) ebenfalls zu der Anerkennung der Ansicht geleitet, dass die Spaltung der Zacke R der Ausdruck einer Längsdissoziation ist. Es ist natürlich zu erwarten, dass eine jede Abweichung des Charakters ‘der Herztätigkeit von der Norm ihren elektrischen 1) Der Umstand, dass der unpaarige Ventrikel des Frosches eine eben- solche elektrische Kurve wie. die zwei Ventrikel der Warmblütler gibt, darf nicht als Einwurf gegen die von uns dargelegte Ansicht dienen, sondern muss nur zu einem weiteren und genaueren Studium dieser Erscheinung anspornen. Gibt doch ein noch einfacheres gebautes Muskelgebilde — der M. gastrocnemius des Frosches — nach A. Judin’s Untersuchungen (Berichte des ersten Kongresses russischer Therapeuten. Moskau 1910) ebenfalls ein komplexes Elektromyogramm, welches anscheinlich noch zerlegt werden kann. Dafür redet die Veränderung verschiedener Teile desselben unter dem Einfluss künstlich erschaffener Be- dingungen. Als elementare elektrische Kurve ist unzweifelhaft die Kurve des zweiphasischen Stromes, welche das Wesen des elektrischen Prozesses, die Ent- stehung und Vorbereitung der elektrischen Welle, veranschaulicht. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 11 154 3 Wlad. Ph. Selenin: Äquivalenten haben muss, der somit eine wichtige dia- snostische Bedeutung gewinnt, und dass, je komplizierter der Prozess ist, desto wunderlicher das Elektrokardiogramm aus- fallen muss. Als Beispiel soleher komplizierter Bilder weisen wir auf Fig. 11, 13 und 19 hin. Das zweite ist dem Versuch mit Inf. Digit. im Stadium vollständiger Desorganisation der Herz- tätigkeit, „delirium cordis“, das erste und dritte einem Versuch mit Convallamarin (dieselbe Serie, wohin Fig. 8 gehört) entnommen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir hier!) die Anomalie der Herz- tätigkeit vor uns haben, die man „systolia alternans“ nennt. Fig. 19. Versuchen wir nun, die uns bekannten Tatsachen aus dem Gebiet der Elektrokardiographie vom Standpunkt der von uns dargelegten Vorstellungen aus zu betrachten. Vor allem verdient eine Beleuchtung die Erscheinung, welche wir in allen unseren Versuchen wiederfinden, nämlich die Ver- grösserung der Zacke 7’ im therapeutischen Stadium und die anomalen Kurven des linken Typus?), die in der toxischen Periode stets er- scheinen. Die Schemata 8 und 10 in Betracht ziehend, drängt sich uns der Schluss auf, dass wir es mit einer in verschiedenem Grade erhöhten Tätigkeit des linken Ventrikels zu tun haben oder mit 1) Convallamarinum (Fig. 11 und 19). 2) Diese letzten Bilder erhielten auch Rothberger und Winterberg bei der Anwendung von Substanzen der Digitalisgruppe. Das Elektrokardiogramm und die pharmakologischen Mittel etc. 155 anderen Worten: die Substanzen der Digitalin- und Digitoxingruppe üben eine elektive Wirkung gerade auf die linke Herzkammer aus. In der pharmakologischen Literatur finden wir in der Tat Hinweise darauf, dass die genannten Mittel die verschiedenen Teile des Herzens nicht in gleichem Maasse stimulieren. Ich führe in extenso die Tabellen von Oppenchowsky!) und Schatilow’s?) Ver- suche an. | Der normale Blutdruck der A. carotis 70 mm verändert sich und wird nach ame Dieitals. 0 ..2.28008 , De: R 100 77 De 5 ee N lOl0)" vr KR g 0 kor (tödliche Dosis): Der normale Blutdruck der Lungenarterien 15,0 mm wird nach AemeDiaitalisı., 2. 0. 020.0 2 0 No 3, u a a: De, rt Direiienaio Deası a en 2,0 (Sch at 110:W): Aus Oppenchowsky’s Versuche mit dem herausgeschnittenen, nach der Einwirkung von Substanzen der Digitalin- und Digitoxin-. gruppe in physiologische Kochsalzlösung bei 37° gebrachten Herzen. Normales Katzenherz: Der rechte Ventrikel kontrahiertt . . 7 Min. „ linke “ 2 A es Katzenherz (nach Helleborein): Der rechte Ventrikel kontrahiert . . 1 „ linke ä ® ES 1) Oppenchowsky, Über die Druckverhältnisse im kleinen Kreislaufe. Wiener Sitzungsber. Bd. 34. 18831. — Oppenchowsky, Das Verhalten des kleinen Kreislaufes gegenüber einigen pharmakologischen Agentien usw. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 16. 1889. — Oppenchowsky, Zur Frage über verschiedene Formen der funktionellen Dissoziationen des Herzens. Compt. rendus du XIIe Congres Internat. de Medecine t. 3. 1897. i 2) Schatilow, Zur Frage über die verschiedenen Arten der funktionellen Dissoziationen des Herzens. Russisches Arch. f. Pathol. usw. 1897 und Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 37. 1898. I 156 Wlad. Ph. Selenin: Das Elektrokardiogramm etc. Kaninchenherz (Kurare, künstliche Atmung): Der rechte Ventrikel kontrahiert . . 25 Min. „ 2linke 5 5 a LS Kaninchenherz (Digitalein): Der’ rechte Ventrikel kontrahiert . . 127 „ linke 5 S TERRA Somit stehen die elektrokardiographischen Kurven in vollem Einklang mit den durch unmittelbare Beobachtungen über die Arbeit des Herzens unter den Bedingungen des pharmakolo- gischen Experiments erhaltenen Tatsachen. Sehr interessant ist die Identität der Bilder aus dem therapeutischen Stadium der Wirkung von Substanzen der Digitalisgruppe mit den nach einer mässigen Muskelarbeit erhaltenen Elektrokardiogrammen!). In beiden Fällen findet offenbar eine mässige Stimulierung der Tätigkeit des linken Ventrikels statt, nämlich die Vergrösserung der Zacke T., Wenn Nicolai und Rehfisch’s Versuche auf Grund des Charakters des Elektrokardiogramms uns zur Bestimmung des Ortes, wo der Impuls zur Kontraktion entsteht, verhelfen, so stellen Roth- berger und Winterberg's?) Experimente mit erschöpfender Klar- heit den Konnex zwischen dem Entstehungsort des Impulses und der Arbeit des gegebenen Teils des Herzens fest. Bei der Zuklemmung der A. pulmonalis erhielten letztgenannte Autoren immer anomale Kurven des rechten Typus, bei derjenigen der Aorta Elektro- kardiogramme des linken. Dieser Umstand hat es mir möglich ge- macht, in meinen Schematas nicht nur von dem Entstehungsort des Impulses, sondern auch von der vorherrschenden Rolle des einen oder des anderen Ventrikels zu reden. Zum Schlusse ist es mir eine angenehme Pflicht, Herrn Professor Dr. 8.J. Tsehirwinsky für die höchst liebenswürdige Überlassung der pharmakologischen Laboratorien und für die Anregung zu dieser Arbeit meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. 1) Müller und Nicolai, Über den Einfluss der Arbeit auf das Elektro- kardiogramm des Menschen. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 22 Nr. 2. 2) Rothberger und Winterberg, Über scheinbare Vaguslähmung (bei Muskarin, Physostigmin und andere Giften sowie bei intrakardialer Drucksteige- rung). Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 132. (Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Budapest.) Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. I. Mitteilung. Die Ursache der gesteigerten Stiekstoffausscheidung infolge Sauerstoffmangels. Von 6. Mansfeld und Friedrich Müller. I, Eimleritune: Fragestellung: Die quantitativen Änderungen der Schild- drüsenfunktion in ihren Folgen für den Eiweissstoffwechsel sind aus klinischen Erfahrungen und pharmakologischen Untersuchungen zur Genüge bekannt. Ob diese in pathologischen Zuständen (Myxödem, Morbus Basedowi usw.) so deutlich zutage tretende Stoffwechsel- wirkung der Schilddrüse auch bei physiologischen Schwankungen des Eiweissumsatzes eine Rolle spielt, ist bisher nieht entschieden worden. Nachdem festgestellt ist, dass der Ausfall der Schilddrüse eine Einschränkung des Eiweissumsatzes bis zu 50 °o bewirkt, die patho- logische Steigerung der Funktion dieses Organes als auch die Ver- fütterung der Drüse von einer wesentlichen Erhöhung der N-Aus- scheidung begleitet wird, schien die Untersuchung der Frage gerecht- fertigt, ob nicht die Steigerung des Eiweissumsatzes durch äussere Einwirkungen — beobachtet am gesunden Individuum in einer ge- steigerten Funktion der Schilddrüse ihre Ursache findet? Mit anderen Worten fragen wir nach der physiologischen Rolle der Schilddrüse, nachdem wir seine Bedeutung für das normale Leben bereits kennen gelernt haben. Über das Wesen jener längst bekannten Erscheinung, dass dem O,-Mangel, sei er durch Erstickung, Blutentnahme, Höhenluft oder Gifte hervorgerufen, stets ein bedeutender Eiweisszerfall folgt, sind wir trotz vielfacher Untersuchungen nur wenig unterrichtet. Dass 158 G. Mansfeld und Friedrich Müller: lange währender und exzessiver O,-Mangel (z. B. des Rumpfmuskels hungernder Rheinlachse) oder Gifte, welche die oxydative Energie der Zellen schädigen (P, As, St usw.) zu anoxybiotischen Spaltungen, ähnlich der Hefegärung, und dadurch schliesslich zur Liquidation von Organeiweiss im Sinne Miescher’s führen können, ist ohne weiteres verständlich. Wir wissen jedoch, dass schon bei relativ ge- ringem Mangel an O,, selbst wenn dieser nur kurze Zeit dauert, es am zweiten Tag stets zu einer bedeutenden N-Ausscheidung kommt (Bauer, Fraenkel und Geppert, P. Bert, Terray, Al- bitzky, Reale und Bo&ri, Harnack und Kleine)?). Die Annahme, dass in solchen Fällen nicht eine direkte Schädigung des Protoplasmas vorliegt, son- dern die gesteigerte N-Ausscheidung — die Folgeeiner erhöhten Schilddrüsenfunktion ist — schien uns nicht unwahrscheinlich und der Untersuchung wert. Versuchsanordnung: Um diese Frage zu entscheiden, musste die Änderung des FEiweissumsatzes infolge von O,-Mangel an normalen und schilddrüsenlosen Tieren untersucht werden. Als Versuchstiere eieneten sich zu diesem Zweck nur Kaninchen, da diese die Exstirpation der Schilddrüse ausnahmslos ohne sichtbaren Schaden ertragen und auch zu längeren Stoffwechselversuchen ver- wendbar sind. Die Schilddrüsen wurden in Äthernarkose exstirpiert, und der Stoffwechselversuch wurde niemals vor vollständiger Heilung der Operationswunde begonnen, was spätestens in einer Woche erfolgte. Die Versuche wurden teils im Stickstoffgleichgewicht, teils an Hunger- tieren angestellt, wie aus den Protokollen ersichtlich. Gleichviel ob die Tiere gefüttert wurden oder hungerten, bekamen sie täglich 100 eem Wasser mit der Schlundsonde, um eine möglichst gleich- mässige Diurese zu erzielen. Um den Sauerstoffmangel in allen Versuchen möglichst gleich zu gestalten, schien es uns am zweckmässigsten, die Tiere mit mini- malen Gaben von Blausäure zu vergiften. Die Dosis war so gering, dass es höchstens zu einer ganz geringen Dispnoe der Tiere kam, welche kaum einige Minuten dauerte. Führte die Vergiftung aus- nahmsweise zu heftigeren Erscheinungen, so wurde der Versuch ab- 1) Literatur bei Speck in Asher-Spiro, Ergebn. d. Physiol. Jahrg. 2 Abt:1 8.1. Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 1. 159 gebrochen und verworfen. Die Blausäure wurde in Form von Aqua amygd. amar. subkutan verabreicht. Obwohl das Wesen der Blausäurevergiftung seit Geppert!) ohne Zweifel als innere Erstickung der Organe angesehen wird, wurde in besonderen Versuchsreihen auch der Eiweissumsatz nach O,-Entziehung und Blutentnahme untersucht. Die Blase wurde in 24stündigen Intervallen mittelst Katheters entleert und der Stickstoff im Harn nach Kjehldal bestimmt. Im folgenden soll über die Versuche und deren Ergebnisse be- richtet werden. II. Versuche. 1. Versuche, in welchen Sauerstoffmangel mittelst Blausäure erzielt wurde. a) Im Stickstoffgleichgewicht. Die Nahrung der ‚Tiere bestand aus Hafer, welcher 1,35 °/o Stickstoff enthielt. Versuch I. (Normal.) Kaninchen A. Gewicht 1820 o. Ein- " -Aus- Datum | gefüh Be Sarmeuge N a S : R 1910 | Stickstoff | in 24 Std. | scheidung ıllanz emerkungen g ccm g 5. März 0,95 BB) 1,01 — 0,06 6%, 0,95 40 1,02 — 0,07 Lauer 0,95 60 1,00 — 0,05 Sa 0,95 62 1,09 — 0,14 Va 0,95 6l 0,99 — 0,04 10: .„ 0,95 60 0,98 — 0,03 EI’), 0,95 87 0,95 + 0,00 12. 5 0,95 82 0,97 — 0,02 OL 0,95 79 0,95 + 0,00 2 mg CN .H. ea 0,95 33 0,69 + 0,26 9, 0,95 3 1,24 — 0,29 Anstieg 30 %/o 6. „ 0,95 90 1,02 — 0,07 ra 0,95 3 — — Nor. 0,95 85 0,77 + 0,18 oe 0,95 77 1,00 — 0,05 20. 0,95 80 0,98 — 0,03 Br 1) Geppert, Über das Wesen der Blausäurevergiftung. Berlin 1889. 160 G. Mansfeld und Friedrich Müller: Versuch II. (Schilddrüsenlos.) Kaninchen B. Gewicht 1300 g. Exstirpation der Schilddrüse am 2. März 1910. Ein- 2 Dat Er Harn- N-Aus- x n nn ge . menge : scheidung Bilanz Bemerkungen ccm g 8. März Velen 1,04 — (0,23 Ian, Ba ee 1,11 —.0,30 ° ln; 0,8. °1...67 1,01 — 0,20 IN, UK Den ee 3 1,02 — 0,07 1a Ve ci 1,02 — 0,07 By 0,95 3 1,01 — 0,06 EIER 0.990120 274 1,01 — 0,06 img CN -H abends 6h oa e> 05 | 4 0,37 + 0,58 16... 0,95 3 0,54 + 0,41 192 0,95 50 0,57 + 0,38 18.20, 0,95 60 0,64 +0,31 Versuch III. (Schilddrüsenlos.) Kaninchen ©. Gewicht 2100 g. Exstirpation der Schilddrüse am 5. April 1910. Datum a | Harn- N-Aus- 1916 SE ckstofp menge |scheidung, Bilanz Bemerkungen g ccm g 13. März | 1,01 75 1,00 + 0,01 14. , 1,01 12 0,99 + 0,02 190% 1,01 57 1,00 + 0,01 16. 2, 1,01 56 1,60 + 0,01 10.2, 1010 75 0,98 + 0,03 een 1.017358) 72 0,99 + 0,02 ee | mgCN -H mittag 19 1 | 375 0,99 +0,09 m SON Habends 6h 20:7, 1,01 62 0,83 + 0,18 al 1,01 116 0,68 + 0,38 20, 1.0108 67 0,87 + 0,14 2; 1,0120) 60 0,75 + 0,26 777 1,012 87) 62 0,75 + 0,26 Versuch IV. (Schilddrüsenlos.) Kaninchen D. Gewicht 2000 g. Exstirpation der Schilddrüse am 5. März 1910. Datum 1910 10. März BE WERR 122%, 13.20, 14., 5 Ve 600, geführter Ein- Stickstoff g 0,81 0,81 0,81 0,81 0,81 81 | 0,81 0,81 N-Aus- scheidung Bilanz sun H++++ | | T = eeosooo®e ur ponmoom SPpROHSöoo Bemerkungen img CN.H abends 6h Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 1. 161 :b) Versuehe an Hungertieren. Versuch V. (Normal.) Kaninchen E. Gewicht 1600 g. Datum Harnmenge | N-Ausscheidung Bemerkungen 1910 ccm g 4. März 116 0,83 DER, 110 1,07 Be 78 0,66 2.5, 80 0,65 Sa, 12 0,66 3, 70 0,66 1 mg .CN-H NO 90 0,70 al 3%, 75 0,34 Anstieg: 27/0 2 75 0,67 Versuch VI. (Normal.) Kaninchen F. Gewicht 2000 g. Datum Harnmenge | N-Ausscheidung Bemekunsen 1910 ccm | g 4. März BB) 0,66 nn. 110 | 0.91 en 95 0.94 1 90 0.80 a 85 0,80 sr, 85 0,80 img CN:H 10 >: 110 0,88 I, 118 1,23 Anstieg: 53/0 12. 120 | 0,50 Versuch VI. (Schilddrüsenlos.) Kaninchen G. Gewicht 1400 g. Exstirpation der Schilddrüse am 7. Mai 1910. Datum Harnmenge. | N-Ausscheidung Beer unen 1910 ccm S 3. Mai 3 0,50 1 40 0,53 N 49 0,53 I 45 0,54 I. 52 0,53 1 54 0,54 19. 53 0,54 2 mg CN-H a 60 0,57 1 50 0,48 >.) 40 0,47 a. 60 0,57 24, 60 0,57 162 G. Mansfeld und Friedrich Müller: Versuch VII. (Schilddrüsenlos.) Kaninchen H. Gewicht 2000 g. Exstirpation der Schilddrüse am 2. Mai 1910. | Datum Harnmenge | N-Ausscheidung Bemerkansen 1910 ccm cem 3. Mai 40 0,78 14. >, 40 0,73 IR 74 0,79 ir 70 0,79 I 52 0.79 1 55 0,79 10 53 0,79 2 mg CN-H 20% 716 0,66 RR 70 0.63 90 40 0,54 9 60 0,63 Versuch IX. (Schilddrüsenlos. Kaninchen J. Gewicht 1750 g. Exstirpation der Schilddrüse am 16. Febr. 1911. Datum Harnmenge ‚N-Ausscheidung Bererkuneen 1911 ccm | ccm 21. Februar 90 | 0,99 DOES 95 | 0,83 BE 98 1.08 21° Wi 96 0.83 15 mg CN-H DS 86 0,76 26. 86 0,79 A 96 0,77 958 98 0.82 2. Versuche, in welchen 0,-Mangel durch Luftverdünnung erzielt wurde. Die Versuche wurden in einem luftdicht verschlossenem, mit Glasplatte bedeckten Messingkasten ausgeführt. Zunächst wurde in einem grossen Gasometer von 100 Liter Inhalt ein Gemisch von Luft und Stickstoffgas im Verhältnis von 1:2 hergestellt. Dann kamen die Tiere in den Kasten, in welchen aus dem Gasometer die mit Stickstoffeas verdünnte Luft mit ca. 7°/o O,-Gehalt langsam ein- strömte. Während des ganzen Versuches strich dieses Gasgemisch durch den Kasten. Die Gasströmung wurde durch eine Wasser- strahlpumpe im Gang gehalten. Es wurde stets ein normales und ein sehilddrüsenloses Tier gleichzeitig in den Kasten gesperrt, um an beiden genau denselben Grad des O,-Mangels zu erzielen. Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse, I. 163 Versuch X. - (Normal.) Kaninchen K. 1900 g. 4 5 6 7 &. % 10 11 12 4 5 6 T. 8. te) 10 11 Datum Harnmenge |N-Ausscheidung Benierkunten 1911 ccm . g Februar 120 1,01 | ” 4 108 | 0,85 © 124 | 0,85 5 121 | 0,85 > 108 | 0,85 h 110 | 0,85 abends 5h: !/o Std. O,-Mangel n 124 | 0,85 a :98 | 0,97 Anstieg: 14%. a 99 | 0,57 Versuch XI. (Schilddrüsenlos.) Kaninchen L. Gewicht 1300 g. Exstirpation der Schilddrüse am 29. Jan. 1911. Datum Harnmenge | N-Ausscheidung onenlomuen 1911 ccm | g Februar 140 | 0,62 5 ma 800 { 115 2 0068 Ss 108 068 i 102 008 " 110 0,63 | abends 5h: !/a Std. O,-Mangel ö 107 0,59 2 106 0,62 109 0,63 Versuch XII. (Normal.) Kaninchen M. Gewicht 1600 g. Datum Harnmenge |N-Ausscheidung Bemerkungen 1911 ccm g 4. Februar == == d. ” Ku Gm 6. 5 140 0,94 7. 5 136 | 1,10 8. a 136 1,07 3 R 122 1,04 10. 5 132 1,03 abends 6h: 50’ O,-Mangel Ile 4 128 0,90 12. 4 13 1,11 Anstieg: So. 13. 5 126 1,03 164 Kaninchen N. Gewicht 1150 g. Exstirpation der Schilddrüse am 29. Jan. 1911. G. Mansfeld und Friedrich Müller: Versuch XIII. (Schilddrüsenlos.) Bemerkungen Abends 6h: 50’ O,.-Mangel Datum Harnmenge |N-Ausscheidung 1911 cem g 4. Februar 92 0,62 >. n 105 0,75 6. " 92 0,75 1. R 100 0,75 Se 80 0,75 ER s0 0,75 10.0 84 | 0,75 11° n 90 | 0,73 12. i 70 | 0,68 13. 84 | 0,74 3. Versuche, in welchen der 0,-Mangel durch Blutentnahme erzielt wurde. Versuch XIV. (Normal.) Kaninchen O0. Gewicht 2120 g. Datum 25. März 1911 Kaninchen P. Gewicht 1500 g. Harnmenge |N-Ausscheidung Bemerkungen ccm g | 80 | 1,20 100 | 0,97 107 1,42 18 A < ccm Blut der Karotis ent- 100 1,48 { nommen. 162 2,27 155 2,29 Anstieg: 51°/o 130 1,83 Versuch XV. (Normal.) Harnmenge |N-Ausscheidung Bemerkungen ccm g 70 0,83 65 0,70 60 0:69, Re | 2 10 cem Blut der K | ccm Blut der Karotis ent- 100 0,70 { nommen. 90 0,79 100 0,54 Anstieg: 20 °/o 90 0,79 Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. I. 165 Versuch XVI. (Schilddrüsenlos.) Kaninchen Q. Gewicht 1900 g. Exstirpation der Schilddrüse am 1. März 1911. ame. N Jusschädıns Bemerkungen 1911 Bon 8 g 4. März 95 0,50 >. bi) 110 0,66 6. 98 0,67 on 90 0,66 8 80 0,67 \ | ge; e) | 0,67 { 15 ccm udn Karotis 10. „ 92 0,68 11. „ 9% 0,67 12 cn s0 0,6 5 . Versuch XVII. (Schilddrüsenlos.) Kaninchen R. Gewicht 2000 g. Exstirpation der Schilddrüse am 20. März 1911. Datum Harnmenge |N-Ausscheidung Bemerkungen 1911 ccm 8 | 24. März 80 | 1,20 29. „ 80 | NE 6. 100, 0,89 a 95 | 0,93 L D . 108 0,93 { In ie Be BON. 100 0,92 RL e 102 0,88 Sl. 5 = \ 0,90 In der folgenden Tabelle I (S. 166) haben wir, um die Übersicht zu erleichtern, die Änderungen der N-Ausscheidung — wie sie durch O,-Mangel an normalen und schilddrüsenlosen Tieren bewirkt wird — zur Anschauung gebracht. IIl. Besprechung der Ergebnisse. Ein Bliek auf die Tabelle I zeigt uns eine bisher völlig un- bekannte physiologische Rolle der Schilddrüse und belehrt uns, dass die gesteigerte Stickstoffausscheidung infolge O,-Mangels ohne Zweifel in einer Reizung dieses Organs seine Ursache findet. Wir sehen aus diesen 17 Versuchen, dass das normale Tier auf O,-Mangel, sei ‘er durch Blausäure, Luftverdünnung oder Blutentnahme erzeugt, stets mit einer bedeutenden Eiweisszersetzung reagiert, weiche am zweiten 166 G. Mansfeld und Friedrich Müller: Tag ihr Maximum erreicht, um am dritten, spätesten vierten Tag zur Norm zurückzukehren. Tabelle I. ? "Normal i Sehilddrüsenlos FE TEE Kr I W BER = Art des | N-Aus- |N-Ausscheid.| _. 2 N-Aus- |N-Ausscheid.| n; Ver- | erne en Diffe- Ver- | scheidung um zweiten Diffe- Os- Such | Gm none | Orangen] FED2A SUCHE nern Ochitanger 722 | #Mangels Nr. | 8 g oo Nrs| g | Rr UM T. 0,95 1,24 |+30 IE 1,01 0,54 — 46 |\ | | II.| 0,99 0,68 |—36 | | IVa2.002 0,67 1—6 Ü v.| 0,66 084 |-+ 27 | | OR VI 220,80 123 |+53| VO.| 0,4 048 | —11l VIII 079 0,63 | — 20 | | | 27 20:83 0,79 °/—4 I) X 00:85 097° | +14 | XL 063 | 0,62 |—1,5|1 Luftwer- IL 1 1,112 238, XI 07a 0168 —9 dünnung XIV. 07145 2,2907 (201 MRS: 06778 2.0.67 sel) Blut- XV E00 0,84 |+20 |XVI.ı 098 | 0,88 —5 entziehung Die Ursache dieser gesteigerten Eiweisszersetzung glaubte man seit den Untersuchungen von Fränkel!) und Miescher?) in einer primären Schädigung des Zelleiweisses gefunden zu haben. Man hatte angenommen, dass bei O,-Mangel — ähnlich wie bei der Autolyse von Organen die — wahrscheinlich fermentative Spaltung des Zelleiweisses im exzessiven Maasse vor sich geht. Dass es — wie wir schon in der Einleitung betonten — bei lange anhaltendem und exzessivem O,-Mangel in der Tat zu einem Eiweisszerfall infolge direkter Schädigung des Protoplasmas kommen kann, soll keines- wegs bezweifelt werden; dass aber die oft recht bedeutende Eiweiss- zersetzung (in unseren Versuchen bis zu 53°/o) in Fällen von O;- Mangel, welche in physiologischen Grenzen liegen, eine ganz andere Ursache hat, geht aus unseren Versuchen hervor. An Tieren, welche ihrer Schilddrüse beraubt wurden, sehen wir auch nicht eine Spur von gesteigertem Eiweisszerfall, als Beweis dessen, dass die gesteigerte Eiweiss- zersetzung infolge O,-Mangels an die Funktion dieses Orgars gebunden ist. Fehlt dieses Organ, so sehen wir sogar die eigentliche primäre Wirkung des O,-Mangels auf: den Eiweissstoffwechsel in die Erscheinung treten, welche 1) Virchow’s Arch. Bd. 67 S. 273 und Bd. 71 S. 117. 2) Histochemische und physiologische Arbeiten S. 116. Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 1. 167 bisher völlig unbekannt war und sich in einer bedeutenden Ein- schränkung des Eiweissumsatzes (bis zu 63 °/o in Versuch IV) kundeibt. Das Maximum dieser Eiweisssparung wird meistens erst am zweiten Tage erreicht (nur in Versuch II und IV finden wir sie bereits am ersten Tag) beginnt aber schon sofort nach dem eingeleiteten O,-Mangel und kann unter Umständen tagelang dauern. \ Ist jedoch die Schilddrüse in normaler Funktion, so wird diese primäre Wirkung des O,-Mangels völlig verdeckt. Am ersten Tag sehen wir die N-Ausscheidung unverändert oder schwach ansteigen (bloss in Versuch I und XI ist eine Verminderung zu beobachten); und zeigt am zweiten Tage eine ganz bedeutende Steigerung (in unseren Versuchen bis zu 53 /o). Offenbar liegt also die Ursache des gesteigerten Eiweisszerfalls in einer erhöhten Funktion der Schilddrüse, welche die primäre, den Fiweissumsatz einschränkende Wirkung des O,-Mangels nicht nur verdeckt (am ersten Tag), sondern auch mächtig überkompensiert, wodurch dann am zweiten Tag die bedeutende Stickstoffausscheidung in die Erscheinung tritt. Wir glauben also auf Grund dieser Versuche zu- nächst im O,-Mangel einen physiologischen Reiz der Schilddrüse erblicken zu dürfen. IV. Prüfung von möglichen Einwänden gegen diese Annahme. Diese einfachste Deutung unserer Versuchsergebnisse war nicht die einzige, welche sich uns darbot. Es könnte zunächst noch an- genommen werden, dass wir es gar nicht mit einer Hypersekretion der Schilddrüse zu tun haben, sondern dass der O,-Mangel wohl die Zellen direkt angreift, dies aber nur bei Anwesenheit von Schild- drüsensubstanz wirksam tun kann. Um diese Möglichkeit experimentell zu prüfen, hatten wir Kaninchen, welche ihrer Schilddrüse beraubt waren, während des ganzen Versuchs mit Thyreoidtabletten (Parke, Davies und Comp.) gefüttert und in diesem Zustand die Wirkung des O,-Mangels auf den Eiweisszerfall untersucht. Zwei an Hungertieren so ausgeführte Versuche teile ich im folgenden mit: 168 G. Mansfeld und Friedrich Müller: Versuch XVII. Kaninchen S. Gewicht 1600 g. Exstirpation der Schilddrüse am 13. Oktober 1910. Das Tier erhält seit dem 16. Oktober täglich 1 Stück Schilddrüsentablette in 100 ccm Wasser. Datum Harnmenge |N-Ausscheidung Bemerkungen 1910 cem g 18. Oktober 129 0,95 19.7, 90 0,94 SO 100 0,95 DUSCHEN, 128 0,95 Img CN-H 22.0, 135 0,75 Da, 110 0,78 De 101 0,80 ee 124 0,95 Er Versuch XIX. Kaninchen T. Gewicht 1350 g. Exstirpation der Schilddrüse am 13. Oktober 1910. Das Tier erhält seit dem 16. Oktober täglich 1 Stück Schilddrüsentablette in 100 cem Wasser. Datum Harnmenge | N-Ausscheidung Bemerkungen 1910 ccm | g 18. Oktober 20 0 0.2088 1922 5 150 0,89 ZONE: 125 | 0,89 2 Be 101 | 0,88 1 mg CN-H 22.00 132 0,72 De 131 0,81 DAS 101 0,75 Da | 96 0,87 | = Wir sehen also, dass trotz Anwesenheit der Schilddrüsensubstanz im Organismus die Stickstoffausscheidung dureh Blausäure ebenso eingeschränkt wurde wie in allen anderen Versuchen an schilddrüsen- losen Tieren. Eine weitere Deutung unserer Versuchsergebnisse lag in der Möglichkeit, dass bei schilddrüsenlosen Tieren infolge herabgesetzter Verbrennungen grosse Mengen von Glykogen aufgestapelt sein könnten, welche das Eiweiss vor dem Zerfall schützen würden, und daher käme es bei schilddrüsenlosen Tieren trotz O,- Mangels zu keinem Eiweisszerfall. Wir hatten also vergleichsweise an normalen und schilddrüsen- losen Tieren die Leber auf ihren Glykogengehalt untersucht, sowohl bei reichlicher Nahrung als auch im Hungerzustand. Die Glykogen- bestimmung geschah genau nach Pflüger’s Vorschriften; der Zueker wurde nach Pflüger-Allihn bestimmt. Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 1. 169 Versuch XX. (Normal.) Kaninchen U. Gewicht 1900 g. Gut genährt. Am 14. März 1911 durch Verblutung getötet. Gewicht der Leber: 92,50 g. Zur Glykogenbestimmung verarbeitet: 44,5 g. Glykogengehalt: 10,9%. Versuch XXI. (Schilddrüsenlos.) Kaninchen V. Gewicht 1250 g. Exstirpation der Schilddrüse am 2. März 1911. Gut genährt. Am 13. März durch Verblutung getötet. Gewicht der Leber: 93 g. Zur Glykogenbestimmung verarbeitet: 36,75 g. Glykogengehalt: 7,180. Versuch XXII. (Normal). Kaninchen W. Gewicht 1600 g.. Am sechsten Hungertag, 15. März 1911, durch Verblutung getötet. Die ganze Leber, im Gewicht von 42,20 g, zur Glykogenbestimmung verarbeitet. Glykogengehalt: 0. Versuch XXIH. (Schilddrüsenlos.) Kaninchen X. Gewicht 1150 g. Am sechsten Hungertag, 15. März 1911, durch Verblutung getötet. Die ganze Leber, im Gewicht von 21 g, zur Glykogenbestimmung verarbeitet. Glykogengehalt: 0. Wir finden also an den schilddrüsenlosen Tieren gegenüber den normalen keine Spur einer Glykogenanhäufung. Schliesslieh musste noch ein Einwand gegen unsere Annahme berücksichtigt werden. Es könnte nämlich angenommen werden, dass nach Exstirpation der Schilddrüse die Niere eine Funktions- störung erfährt, infolge welcher die Ausscheidung von Endprodukten der Eiweisszersetzung nur in beschränktem Maasse vor sich gehen kann. Dass dies jedoch nicht der Fall ist, zeigten Versuche, welche auf Anregung von einem von uns (Mansfeld) Dr. Elisabeth Hamburger ausgeführt hat. Sie hatte die Frage zu untersuchen, ob nieht die sogenannte prämortale Eiweisszersetzung auch eine Folge gesteigerter Schilddrüsenfunktion sei. Zu diesem Zwecke untersuchte sie die Stickstoffausscheidung von hungernden Kaninchen, welche ihrer Schilddrüse beraubt waren. Es ergab sich aus diesen Versuchen, dass nach Exstirpation der Schilddrüse die Eiweiss- zersetzung vor dem Hungertod genau in gleicher Weise in die Höhe geht als bei normalen Tieren, dass also eine Störung der Nieren- funktion, welche unsere Ergebnisse erklären könnte, nach Exstir- pation der Schilddrüse nicht besteht. Nach all diesen Untersuchungen gewann unsere Annahme, dass es sich nämlich um eine Reizung der Schilddrüse infolge O,-Mangels Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 12 17 G. Mansfeld und Friedrich Müller: handle, sehr an Wahrscheinlichkeit, und diese Wahrscheinlichkeit wurde durch die nachfolgenden Untersuchungen — wie uns scheint — noch gefestigt. V. Der Angriftspunkt des O,-Mangels. In jüngster Zeit schienen die Untersuchungen von Asher und Flack!) einiges Licht auf die Innervation der Schilddrüse geworfen zu haben. Sie beschrieben und demonstrierten am VII. inter- nationalen Physiologenkongress in Wien Versuche, welche den Schluss gestatteten, dass der N. laryngeus sup. als sekretorischer Nerv der Schilddrüse zu betrachten sei, nachdem die elektrische Reizung dieses Nerven von Wirkungen begleitet war, welehe wir durch wirksame Schilddrüsensubstanz hervorrufen können. Nachdem wir nun im O,-Mangel einen physiologischen Reiz der Schilddrüse erkannt haben, drängte sich uns die Frage auf, ob der Angriffs- punkt dieses Reizes direkt in der Schilddrüse — also peripher — oder aber im Zentralnervensystem seinen Sitz hat und von da auf dem Wege des N. laryngeus sup. zur Drüse fortgeleitet wird? Zur Entscheidung dieser Frage boten sich uns zwei Wege: erstens die Untersuchung der Kiweisszersetzung infolge von Os- Mangel nach Durchtrennung der Nn. laryngei superiores, zweitens aber die Prüfung jener Frage, ob eine Asphyxie der Schild- drüse allein schon genügt, um die charakteristische Eiweisszersetzung zu beobachten? Wir entschieden uns für den letzteren und führten die Versuche in folgender Weise aus: Um die Schilddrüse einer lokalen Erstickung auszusetzen und die Wirkung dieses Eingriffes auf den Fiweissstoffwechsel zu prüfen, mussten wir während des Stoffwechselversuchs für eine kurze Zeit das zur Schilddrüse strömende arterielle Blut absperren. Um den Stoffwechselversuch durch den operativen Eingriff nicht zu stören, hatten wir 5 Tage vor dem Stoffwechselversuch beide Karotiden freigelegt und jede einzelne Schnittwunde in der Weise versorgt, dass die Haut mit den die Karotis deckenden Muskelrändern ver- näht wurde, wodurch auf beiden Seiten eine ca. 3—4 em lange Fensteröffnung offen blieb, durch welche die Karotis leicht gefasst und mit kleinen Klemmen abgesperrt werden konnte. Die Öffnung 1) Zentralbl. f. Physiol. 1910. S. 211 und 826. Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. 1. al wurde mit steriler Gaze leicht tamponiert und ein Kollodiumverband angelegt. Um nun während des Stoffwechselversuchs die Karotiden zu sperren, musste nur beiderseits der Verband gelüftet werden und an die freipulsierende Karotis kleine Bulidogklemmen angelegt werden — ein Eingriff, welchen die Tiere ohne jedwede Erregung erduldeten. | Die Versuche teile ich im folgenden mit. Zunächst musste untersucht werden, ob die Absperrung der Karotiden an Tieren ohne Schildrüse nicht auch eine Änderung auf den Fiweissumsatz zur Folge hat, vielleicht durch die gestörte Hirnzirkulation: Versuch XXIV. (Schilddrüsenlos.) Kaninchen Y. Gewicht 2000 gs. Exstirpation der Schilddrüse am 1. Dez. 1910. Freilegung der Karotiden am 9. Dezember 1910. | | Datum Harnmenge N-Ausscheidung Bemerkungen 1910 ccm g 13. Dezember 119 0,89 Me .., 132 0,89 I 1 2 Stunde beide Karotiden 15. ” 140 Lat { abgeklemmt. 16. A 100 0,89 17. 5 140 0,89 18. n 120 0,89 Wir sehen, dass die Absperrung des Karotidenblutes für eine halbe Stünde nicht die geringste Änderung der Stickstoffausscheidung zur Folge hat, falls die Schilddrüse exstirpiert worden war. Die Änderung der Hirnzirkulation durch die Karotisabklemmung blieb also ohne Einfluss auf den Eiweissstoffwechsel. Versuch XXV. (Normal.) Kaninchen Z. Gewicht 2150 g. Freilegung der Karotiden am 9. Dez. 1911. Datum Harnmenge |N-Ausscheidung Bemerkungen 1910 ccm g 13. Dezember 70 | 0,59 14. x 116 0,89 ee a 3 2 Stunde beide Karotiden 15. n 135 0,89 abgeklemmt | 16. 5 115 1,06 Anstieg 19 %o ze 5 70 0,83 18. 2 100 0,89 12 * 172 G. Mansfeld und Friedrich Müller: Versuch XXVI. (Normal.) Kaninchen «. Gewicht 1550 g. Freilegung der Karotiden am 17..Jan. 1911. Datum Harnmenge |N-Ausscheidung Beiberkunsen 1911 ccm | g a we 22. Januar 70 | 0,74 Te 78 | 0,75 5) !/g Stunde beide Karotiden u y u nz { abgeklemmt - DI. 82 | 0,91 Anstieg 24 %/o 26; 75 | 0,70 ZU 79 0,73 28 s0 0,75 . Aus diesen Versuchen sehen wir also, dass die Asphyxie der Sehilddrüse allein zu denselben Störungen des Eiweissumsatzes führt wie der O,-Mangel des ganzen Organismus, und erblieken darin den Beweis, dass wir 1. im O,;-Mangel einen physiologischen Reiz der Schilddrüse erkannt haben, 2. dass die Eiweisszersetzung bei O,-Mangel mässigen Grades in einer Hyperfunktion der Schilddrüse ihre Ursache findet. VI. Schlussbetrachtungen. In Erkenntnis dieser Tatsachen drängten sich einige Fragen auf, welche kurz besprochen werden mögen. Zunächst fragen wir, wie wir uns den Wirkungsmechanismus-: des O,-Mangels zu denken haben. Dass der O,;-Mangel nicht prinzi- piell anders auf die Zellen der Schilddrüse wirkt als auf andere: Zellen des Organismus, scheint uns sehr wahrscheinlich. Wir sind auch davon weit entfernt, anzunehmen, dass wir die Zellen der: Schilddrüse durch O,-Mangel zu einer „Sekretion“ reizen, wie etwa die Speicheldrüsen durch Pilokarpin. Die Zellen des Organismus- leben während der Anoxybiose auf Kosten fermentativer Spaltungen und müssen ihr Eiweiss auf diese Weise preisgeben. Besteht die Anoxybiose lange Zeit, so kommt es zur vollständigen Einschmelzung — zur Liquidation der Zellen, wie uns die klassischen Untersuchungen Miescher’s am Rheinlachs belehren. Auch die Zellen der Schild- drüse erleiden unseres Erachtens dieselbe Schädigung, nur sind diese dem Sauerstoffmangel gegenüber weit empfindlichgr als- Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. I. 3 die anderen Zellen des Organismus. Die fermentative Eiweissspaltung beeinnt in diesen schon bei jenem Grade des O,-Mangels, welcher noch in physiologischen Grenzen liegt und, wie aus unseren Ver- suchen hervorgehr in anderen Organen sogar eine Einschränkung des Eiweissumsatzes zur Folge hat. Für die besondere Empfindlich- keit der Schilddrüse gegenüber O;-Mangel spricht auch ihre be- deutende Blutversorgung, welche, wie bekannt, der des Zentralnerven- systems nahekommt. i | “Ausser diesem Unterschied müssen wir noch eine zweite Sonder- stellung der Schilddrüse annehmen, um den Wirkungsmechanismus des O,-Mangels zu verstehen. Während nämlich die Spaltungs- produkte des Eiweisses anderer Organe entweder ausgeschieden oder aber weiter oxydiert für den Stoffwechsel indifferent sind, vermögen die-anoxybiotischen Produkte der Schilddrüse den Eiweissumsatz des sesamten Organismus mächtig anzuregen. Wir glauben also in diesen Spaltungsprodukten die sogenannte „wirksame Substanz“ oder das „Sekret“ der Schilddrüse zu erblicken, eine Auffassung, welche mit der Entstehung des Jodothyrins aus Jodthyreoglobulin durch spaltende Mineralsäure, als auch mit den interessanten Befunden von Fürth und Schwarz!) in vollem Einklang steht. In diesem Sinne können wir wohl von einer Reizung der Schild- drüse durch O,-Mangel sprechen, dürfen aber nicht vergessen, dass es sich prinzipiell um denselben Vorgang handelt, den wir in jeder erstickenden Zelle unseres Organismus beobachten können. Fine berechtigte Teleologie — nämlich im Sinne Darwin’s — muss, falls wir die Reaktion eines Organs auf äussere Einflüsse er- blicken, nach der Bedeutung dieser Einrichtung für das Leben fragen. Den Nutzen einer gesteigerten Eiweisszersetzung in Fällen von O;- Mangel können wir jedoch schwerlich einsehen, glauben aber die physiologische Bedeutung dieser Einrichtung in einer anderen Wirkung der Schilddrüse zu erblicken. Ein bekanntes Symptom der Kachexia thyreopriva ist die Ab- nahme der Zahl der roten Blutkörperehen, und wir wissen, dass durch Zuführung von Schilddrüsensubstanz die Anämie rasch auf- gehoben wird. Diese und noch andere Erfahrungen lassen keinen Zweifel über die Rolle der Schilddrüse auf die blutbildenden Organe. _ Anderseits ist jedem die blutbildende Eigenschaft des O,-Mangels 1) Otto v. Fürth, Ergebn. d. Physiol. Bd. 8 S. 585. 174 6. Mansfeld und Friedrich Müller: Beiträge zur Physiologie etc. wohl bekannt, ohne jedoch Näheres über den Mechanismus dieser Re- aktion zu wissen. Wir glauben nach den Ergebnissen unserer Ver- suche annehmen zu dürfen, dass wir in der Empfindlichkeit der Schild- drüse O,-Mangel gegenüber das Wesen jener Einrichtung kennen gelernt haben, welche — entdeckt durch P. Bert — dem Organismus zu Gebote steht, um sich in höheren Regionen vor der inneren Er- stiekung zu schützen. Der gesteigerte Eiweisszerfall, den wir be- obachteten, ist eben auch eine Wirkung (vielleicht sogar eine schäd- liche) jener Substanz, welche in der Schilddrüse gebildet wird, welche aber auch durch Neubildung roter Blutkörperchen den Organismus vor der Erstickung rettet. „Nil prodest quod laedere posset idem“, der leitende Satz der Pharmakologie soll auf seine Richtigkeit auf diesem Gebiet der Physiologie demnächst geprüft werden. (Aus dem pharmakoloeischen Institut der Universität Budapest.) Narkose und Sauerstoffmangel. III. Mitteilung. Die Wirkung von Narkotika und 0,-Entziehung auf keimende Samen. Nach zum Teil in Gemeinschaft mit B. Farkas ausgeführten Versuchen. Von 6. Mansfeld - Budapest. Fragestellung: Jene Erkenntnis, dass die Auflösung von ehemisch indifferenten Stoffen in den Lipoiden der Zelle genügt, um deren Tätigkeit zu hemmen (Meyer und Overton) rollte auch die Frage auf, was wohl die lebenswichtige Funktion der Lipoidstoffe sei. In einer früheren Mitteilung!) hatte ich als direkte Konsequenz der grundlegenden Untersuchungen von Meyer?) und Overton?), gestützt durch die physikalischen Untersuchungen von Exner?) und Vernon?’) und auf Grund allgemein biologischer Kenntnisse, die Hypothese aufgestellt, dass die Lipoide das stete Ein- dringen des Sauerstoffs in das Innere der Zelle er- möglichen oder doch wesentlich erleichtern. Wird dieses Lösungmittel des Sauerstoffs durch Narkotika in Beschlag ge- nommen, so muss — nach dem Gesetz der Physik — seine Absorptions- fähigkeit für O, abnehmen, und dieser O,-Mangel, welcher sich haupt- sächlich auf die Nervenzelle beschränkt (werden doch die Narkotika zum grössten Teil von diesen aufgenommen), führt zur Narkose. 1) G. Mansfeld, Narkose und Sauerstoffmangel. I. Mitteilung. Pflüger’s Arch. Bd. 129 S. 69. 2) H. Meyer, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 42. 3) E. Overton, Studien über die. Narkose. Jena 1900. 4) Exner, Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. in Wien Bd. 106. 5) Vernon, Proc. of the Roy. Soc. vol. 79. 176 REN G. Mansfeld: Versuche, welche einerseits die Synergie von O,-Mangel und Narkotika, anderseits die antagonistische Wirkung von O0, und Narkotika (welche auch schon aus klinischen Beobachtungen bekannt waren) darlegten, boten eine Stütze für diese Erklärung der Narkose. In einer zweiten Arbeit!) konnte weiter gezeigt werden, dass der O,-Mangel den sogenannten Ruhestrom der Froschhaut auch quanti- tativ in gleicher Weise ändert, wie es die Narkotika der Fettreihe tun. Hans Meyer hatte vor geraumer Zeit die Ansicht aus- gesprochen ?), dass den Lipoiden noch eine weitere Rolle zukommt, indem sie nicht nur als „Ventilationskanäle“ der Zellen dienen, sondern auch durch Bildung von Scheidewänden im Innern der Zelle die Fermente von ihren Substraten in gewisser, für die normale Funktion notwendiger Entfernung halten. Werden nun diese Scheide- wände durch Narkotica gelockert, so muss es notwendig zu einer gestörten Funktion, zur Narkose kommen. Eine Stütze für diese Erklärung der Narkose boten ihm die Untersuchungen von Johannsen und Molisch?) an den blühenden Zweigen von Corylus avellana, dann die interessanten Ver- suche, welche unter seiner Leitung Chiari*) ausgeführt hat. Ebenso wie eine kolossale Beschleunigung in der Entwickelung der Blüten durch Ätherdämpfe erzielt werden kann, so hatte Chiari gezeigt, dass die Autolyse der Leber durch vorheriges Narkotisieren seiner Zellen wesentlich beschleunigt wird. Diese Versuche zeigen also, dass die Narkotika unter Umständen Veränderungen schaffen, welche zu einer Beschleunigung der chemischen Prozesse in der Zelle führen. Hans Meyer erblickt diese Veränderung in einer Lockerung der Lipoide durch Narkotika und hält diese für die letzte Ursache der Narkose. Nachdem meine Versuche bisher nur die funktionshemmende Wirkung des O,-Mangels und deren Analogie mit der Wirkung von Narkotika darlegten, war noch zu untersuchen, ob jene Lebensprozesse, weiche durch Narkotika beschleunigt werden, dureh O,-Mangelebenfallseine Beschleunigung erfahren können. 1) G. Mansfeld, Narkose und Sauerstofimangel. II. Mitteilung. Pflüger’s Arch Bd. 131.3. 457: 2) Hans Meyer, Münchener med. Wochenschr. 1909 Nr. 31. 3) Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. in Wien 1908, 4) Richard Chiari, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 60 S. 256. “u Narkose und Sauerstofimangel. Ill. 787 Die Untersuchung dieser Frage an Leberzellen auszuführen, - sehien mir deshalb nicht zweckmässig, weil wir es bei der Autolyse nieht mit lebenden, sondern mit absterbenden Zellen zu tun haben und auch nicht entscheiden können, ob die Wirkung der Narkotika in Chiari’s Versuchen nicht die Grenze jener reversiblen ' Erscheinung überschritt, welehe wir als Narkose im Gegensatz zum Tod zu bezeichnen berechtigt sind! Nachdem auch Tierversuche nur selten genau messbare physiologische Änderungen der Zelltätigkeit zu beobachten ge- statten, hatten wir uns entschlossen, um weitere zahlenmässige Belege für die Analogie zwischen Narkose und O,-Mangel zu ge- winnen, die Untersuchungen an keimenden Samen anzustellen. An diesen kann die Intensität des Keimungsprozesses — in dem wir ‚den Verbrauch von chemischer Energie oder die Abnahme energie- liefernder Stoffe bestimmen — genau gemessen, also auch die Wirkung verschiedener Eingriffe, welche den Keimungsprozess ändern, quantitativ verglichen werden. Versuchsanordnung: Die Versuche wurden an den fett- reichen Kürbissamen (Cucurbita pepo) angestellt. In Samen von hohem Fettgehalt wird die Betriebsarbeit während der Keimung be- kanntlich zum grossen Teil durch die Oxydation des Fettes be- stritten, und so kann die Verminderung des Fettgehaltes während der Keimung als Maass der Intensität des Keimungsprozesses be- trachtet werden. Zur Fettbestimmung bedienten wir uns der Liebermann- Szekely’schen Methode). Die Ausführung der Versuche geschah in folgender Weise: Die ‘Samen wurden zwischen befeuchteter Watte im Thermostaten einer "Temperatur von 31° C. ausgesetzt. Die Versuche führten wir in grossen, luftdicht verschliessbaren Gefässen aus, welche sonst als Exsikkatoren benutzt werden. In jenen Versuchen, welche zur Fest- stellung der Wirkung des O,-Mangels angestellt worden sind, wurden diese Gefässe evakuiert und mit N,-Gas ausgefüllt. Am Boden der Gefässe befand sich eine konzentrierte Lösung von KOH zur Absorp- tion der gebildeten CO,.. Das zur Befeuchtung der Watte dienende Wasser wurde durch Kochen vom O, befreit und im Stickstoffstrom abgekühlt. 1) Pflüger,s Arch. Bd. 72. 178 G. Mansfeld: Von Narkotieis wurde die Wirkung von Alkohol, Äther und Urethan untersucht. In den Versuchen mit Alkohol und Urethan wurde die Watte statt mit reinem Wasser mit 1°/oiger Lösung dieser Narkotika be- feuchtet. Die Versuche mit Äther wurden derart ausgeführt, dass am Boden der Gefässe in einer Schale mit Äther gesättigtes Wasser sich befand, so dass die Samen nur mit den Dämpfen des Äthers in Berührung kamen. | Von Zeit zu Zeit wurden je zwei Portionen zur parallelen Fett- bestimmung genommen. Vor der Fettbestimmung wurden die Samen von ihrer Schale befreit, in einer kleinen Hackmaschine zerkleinert: und bei 50° C. im Vakuum bis zur Gewichtskonstanz getrocknet. Versuche. Die Versuche, welche im folgenden mitgeteilt werden sollen, müssen in zwei Hauptgruppen eingeteilt werden. In der ersten Gruppe stehen diejenigen Versuche, in welchen während”der ganzen Keimungsperiode die von Anfang an gesetzten äusseren Bedingungen (Luft, Narkose oder O,-Entziehung) nicht ge- ändert wurden. Die zweite Hauptgruppe umfasst jene Versuche, in welchen: während der Keimung das äussere Milieu geändert wurde. Der Zweck dieser Versuche war, festzustellen, wie sich die Wirkung einer temporären Närkose resp. O,-Entziehung auf die Keimung der Samen gestaltet, wenn wir die Narkotika oder die Ent- ziehung des Sauerstoffs in verschiedenen Zeitpunkten des Keimungsprozesses wirken lassen. I. Hauptgruppe. Aus der folgenden Tabelle I (S. 179) sehen wir den Verlauf einer normalen Keimung, wie sie sich an der Luft vollzieht. Das Fortschreiten in der Entwicklung ersehen wir aus der vierten Kolumne, in welcher die prozentuelle Abnahme des ursprüng- lichen Fettgehaltes verzeichnet ist. Aus dieser Versuchsreihe ersehen wir folgendes: Zu Beginn der Keimung in den ersten 98 Stunden ist keine Abnahme des Fett- gehaltes zu beobachten; vielmehr zeigen uns die Werte, welche wir nach 50 und 74 Stunden erhalten haben, eine geringe Fettneubildung an. Die ersten 98 Stunden der Keimung ist also — betreffs der Narkose und Sauerstoffmangel. III. 179 | Tabelle I. | Keimung an der Luft. Dauer Fettgehalt Fett- Zur Be- Verbrauchte e & der | gehalt der verbrauch in | stimmung N ewogene 2 Kei- | trockenen man da Proz. zu des | gebrauchte Menge 10 neo! Seifen er | mung Samen Keimung ursprünglich| Menge | in Kubikzentim. Std. 0, 0% Fettgehaltes g (1 cem = 0,035 g-Kal.) g | S 2 99,80 \ >: { 1,7558 19,3 ‚3983 | u a. { 52,30 = 1,7790 org} 0,4201 92,79 1,8500 23,05 0,4351 \ 51 { 379) \ u) Sg ’ N 5 51,45 N 1,9251 22,85 0,4403 5 1,6173 20,4 0,3723 9 ae [1 206 (1 2 a 0 | o 50,00 u 1,4648 17,3 0,3201 0,9854 10,25 0,1781 5 9 zl { 45,11 \ 11,7 { ’ a Be 35,00 0,8699 11,00 0,1682 | £ 1,5650 13,4 0,2200 j 4 51 { 31,02 \ 37,1 { er er 33,66 j 1,0580 10,4 0,1622 | 186 Kl { 31,75 \ 378 { 1,4125 121 0,2054 198 ol { 31,20 \ 38.8 { ‚1345 14,4 0,2975 30,9 0,6075 Toll 0,0882 . | 92 51 { an \ 40,0 { x 0,0882 30,6 1,1210 10,3 0,1418 27,9 1,5416 9,5 0,1926 270 51 { ei \ 46,0 { 1,5416 BE 0,1926 \ 97,1 1,3043 Re — 23,1 r 0,8200 1,3 0,0888 Bi sıs 51 { 2 \ 55,7 { IL It 0,0888 9,2 Io 0,6327 4,15 0,0586- Fettverbrennung — eine latente Periode, welche jedoch alsbald einer bedeutenden Dissimilationsperiode den Platz räumt. In den folgen- den 14 Stunden vermerken wir einen Fettverlust von 11,1°/o, und diese stürmische Verbrennung dauert noch weitere 36 Stunden, so dass in diesen 50 Stunden 37,1°o des Fettes verbrannt wird. Hierauf tritt wieder eine Ruhepause ein; denn in der Zeit zwischen der 148. Stunde und 222. Stunde, also in 74 Stunden, ist bloss ein Fettverbrauch von 2,9°/ zu beobachten. Die vierte Periode ist wieder durch eine rasche Oxydation der Fette gekennzeichnet, er- reicht jedoch nicht die Intensität der zweiten Periode. In diesen 96 Stunden (222.—318. Stunde) wurde 15,7°/o Fett verbraucht. In den 13 Versuchstagen wechseln also während der normalen Keimung der Samen von Cucurbita pepo zwei Ruheperioden mit zwei Perioden der intensiven Dissimilation ab. 180 Versleichen wir nun diese normale Keimung mit derjenigen, G. Mansfeld: welche bei O,-Mangel einerseits unter der Wirkung von Narkotika anderseits beobachtet wurde. Ausseres Milieu Tnft: - . ‘Stickstoff Alkohol . Urethan . Äther . . Luft. . Stickstoff Alkohol . Urethan . Äther . . Luft. . . Stickstoff Alkohol . Urethan . Äther. . Tabelle I. | vn % lt Ä 1 Fer Zur Be- Verbrauchte ee I verbrauch in ander Mense KOH Gewogen. Samen vor ; Proz. des ur- | verwendete | " "8° j0 Seife der Keimung Keimung sprünglichen | Menge Jin Kubikzentim. | M og Fettgehaltes 8 (1ccm =0,00381 g-Kal.) sn Keimungsdauer 120 Stunden. er 4 { 45,11 \ 117 $| 99854 10,25 0,1781 45,00 ’ X] 0,8699 11,00 0,1682 N an 14,17 0,2777 | 5er ZEN 7176110 16,8 0,3855 (| 51,65 N el, 213099 15,55 0,3237% Zn | 17,20 ME a 51,96 \ 5 Se 120m 19,05 0,4140 ° | 53,03 ZI 29135 19,00 0,4044 a 565 | gg S| 1822 19,20 0,4568 | 54,48 |f 2: 1 7920874 23,50 0,5124 | Keimungsdauer 240 Stunden. | 5 (| 30,9 | \ (| 0,6075 | 77 0,0882 N na N nem 10,3 0,1418 2 48,10 | 0,7797 7,8 0,1614 2 \ u { 0,8127 8,8 0,1788 55 { > \ 559 | 1,5877 8,9 0,1758 | 55 | 32,20 41,4 1,6852 11,9 0,2462 55 |. 3145 37,3 | 1,3539 10,6 0,2127 Keimungsdauer 320 Stunden. Jj 231 0,8200 [058 0,0888 al aa: (yo 0,6327 4,15 0,0586 55 47,64 13,4 1,2130 14,7 0,2611 55 12,20 77,8 1,3627 4,4 0,0772 2 | 71697 IN 2er ai 23.5250 6,6 0,1210 > \ ma ee N nom 6,6 0,1213 fi 26,68 10 2150 8,2 0,1497 N | ee | 1,3400 8,4 0,1612 Aus diesen Versuchen sehen wir Folgendes: Wie zu erwarten war, hemmt die vollständige Entziehung von O, während der ganzen Keimung sehr bedeutend die Entwicklung der Samen. In den 320 Narkose und Sauerstoffmangel. III. 181 Stunden wurden unter vollständigem Luftabschluss bloss 13,4 °/o des Fettes verbraucht, während bei der Luftkeimung in derselben Zeit -55,7°/o Fett verbraucht wurde. In der ersten Periode der Keimung wirkt der Äther noch stärker hemmend als der O,-Mangel, die übrigen Narkotika in gleicher Richtung, aber etwas weniger intensiv. In der zweiten Periode sehen wir jedoch eine interessante Wendung eintreten. Die Keimung der narkotisierten Samen trotz unveränderter Einwirkung der Narkotika erfährt eine sehr bedeutende Beschleuni- gung, so dass nach 240 Stunden die Samen im Äther die an der Luft keimenden in der Entwicklung fast erreicht haben, die mit Alkohol und Urethan vergifteten sogar den normalen Entwicklungs- grad überholten. Die beschleunigende Wirkung von Alkohol und Urethan zeigt sich noch deutlicher in der dritten Periode, während die unter der Wirkung von Äther stehenden Samen die normalen in ihrer Entwicklung nicht vollständig erreichen. Es fragt sich nun, ob nicht durch geringere Grade des O,-Mangels dieselbe beschleunigende Wirkung erreicht werden kann als durch die Narkotika, welche doch — im Sinne unserer Hypothese — das Eindringen des Sauerstoffs nur erschweren, nicht aber vollständig: verhindern. Die folgenden Versuche beantworten diese Frage. HI. Hauptgruppe. Die erste Gruppe dieser Versuche umfasst jene, in welchen die Keimung an der Luft von solchen Samen untersucht worden ist, welche in den ersten 50 Stunden der Keimung Sauerstoffmangel resp. Narkose erlitten haben. Es wurde also untersucht, wie die vorüber- gehende Wirkung von O,-Entziehung und der Narkotika (zu Beginn der Keimung angewendet) die weitere Entwicklung an der Luft zu beeinflussen vermag. (Siehe Tab. III auf $. 182.) Diese Ergebnisse zeigen uns folgendes: Einmal sehen wir, dass die temporäre Wirkung der Narkose und jene des O,-Mangels in allen drei Perioden vollständig identisch ist. In der ersten und zweiten Periode ist diese Wirkung eine hemmende. Am stärksten hinderte die Samen in der Entwicklung .die Äthernarkose, am schwächsten — aber immer :noch sehr deut- lich — der OQ,-Mangel. Dann sehen wir aber in der Zeit von 182 G. Mansfeld: Tabelle II. Fettgehalt | Fettgehalt Fett- Zur Be- Verbrauchte e Ä der trock. | der trock. | verbrauch in | stimmung N ewore, Or Samen ‚vor |Samennach]| Proz. des ur- | gebrauchte Menge 10 KOH Seil Milieu d. Keimung|d. Keimung | sprünglichen | Menge |in Kubikzentim. y 00 Fettgehaltes g (1 eem= 0,00381 g-Kal.) 8. Keimungsdauer 98 Stunden. y| 5148 } f| 1,6173 20,4 0a 98 Std. Luft. . sl sono u TE: oe 50Std. Stickstoff sh an 0. dj 2.voes 15,6 0,26 48Std. Luft . le 55 yo oss 16,1 0,98 50 Std. Alhohol |} L = 2 3 \ ne > 54,72 0,5 1,6456 1,3 0,41. 50 Std. Äther . |} 5 “3 ee | 54,97 01 1,4125 | 16,7 0,35. Keimungsdauer 146 Stunden. 31,02 1,5650 13,4 0,220 146 Std. Luft . 51 { 366 N 371 { 6580 mn 0 508td.Stickstoft || „, J| 445 N gg; 1,8636 16,9 0,350 | 96 Std. Luft. . \: 023 | 2,0290 17,2 0,36 50 Std. Alkohol |\ „, $| 43,08 a 13,8 0,291 96 Stdt. Luft... | ” 1 4431 Ze ml: 15006 13,8 0,200 50 Std. Äther . \ | Zups \ 1er 1,4772 14,6 0,309 96 Std. Luft. . I 58 1,5286 14,8 0310 Keimungsdauer 270 Stunden. | 270 Std. Luft . 51 27,5 46,0 1,4712 7,8 0,179 508td. Stickstoff [N ... go 2088 | „ug Kl] 10584 6,4 0,099 220 Std. Luft . |$ N ano. | 2m nl Em0s0 8,0 0,18 50 Std. Alkohol |\ 5; 11a |) 295 1,0955 3,4 0,070 220 Std. Luft „|J aan 1,1499 5,5 0,080 50 Std. Äther . I} = & 290 Sta, Luft 5 © 16,18 | 70,7 0,9394 | 3,7 0,069, 124 Stunden der dritten Periode alle — gleichviel ob mit Narkotika oder O,-Mangel — vorbehandelte Samen eine kolossal beschleunigte Tätigkeit entwickeln, so dass sie schliesslich die normalen in ihrer Entwicklung weit überholen. In diesen 124 Stunden verbrauchten die Samen, welche 220 Stunden — also 9 Tage — vorher der Wirkung von O,-Mangel resp. Narkotika ausgesetzt waren, eine Menge von Fett, welche den. Fettverlust der Normalen in derselben Zeit um das Vielfache übertrifft. ne > Narkose und Sauerstoffmangel. I. 183 Um diese anfangs hemmende, dann erregende Wirkung zu ver- anschaulichen, stellte ich die Fettverluste der zweiten und dritten Periode in folgender Tabelle zusammen. Tabelle IV. Vor- Fettverbrauch Fettverbrauch behandelt der II. Periode. der III. Periode. ; Von 98—146 Std. Von 146— 270 Std. mit 0/9 0% Mut. 36,5 8,9 Stickstoff. . 27,0 32,5 Alkohol . . 20,2 5,1 Ather. . 16,6 54,0 Wir sehen aus diesen Versuchen deutlich hervorgehen, dass die vorübergehende — zu Beginn der Keimung gesetzte — Schädlichkeit von Narkose oder O,-Entziehung eine zuerst hemmende, dann stark erregende Wirkung zur Folge hat und (was für uns von besonderem Interesse ist), dass die Narkotika und der O,-Mangel in vollständig gleicher Weise die Tätigkeit der Zellen beeinflusst. In den folgenden, Versuchen wurden die Samen für längere Zeit der Asphyxie und der Wirkung von Narkotika ausgesetzt als in den bisherigen Versuchen; sie unterscheiden sich auch noch in der Be- ziehung von den eben mitgeteilten, dass die Behandlung der Samen dann erst geschah, nachdem sie schon eine normale Luftkeimung von 48 Stunden hinter sich hatten. Wir wollten nämlich erfahren, wie die Wirkung von O,-Mangel und der Narkotica ausfällt, wenn sie in _ einer Periode zur Wirkung gelangen, in welcher, wie wir aus den Normalversuchen wissen, die dissimilatorischen Vorgänge am stärksten vor sich gehen, und ob auch die Schädigung der Zellen in diesem Zeitpunkt von einer erregenden Nachwirkung begleitet wird. In diesen Versuchen wurde ausser der O,-Entziehung auch die Wirkung von Blausäure untersucht, von welcher aus Schroeder’s!) Untersuchungen bekannt ist, dass sie die O,-Aufnahme auch von Pflanzenzellen auf ein Minimum herabzusetzen vermag, In diesen Versuchen wurde die Watte mit Aqua amyedal. amarar. von 1°/ooigem CNH-Gehalt befeuchtet. 1) H. Schroeder, Jahrb. f. wissensch. Botanik Bd. 44 S. 409. Zit. nach Fr. Özapek in den Ergebn. d. Physiol. Jahrg. 9 S. 599. 154 G. Mansfeld: Tabelle V. Fettgehalt | Fett- Fett- Zur Be- Verbrauch & Ä FOR der trock. | gehalt | verbrauch in | stimmung wogene u Samen vor| nach der | Proz. des ur- | gebrauchte Denen 10 0 KOH Seife Milieu d. Keimung | Keimung | sprünglichen Menge |in Kubikzentim. 0/0 0/9 Fettgehaltes g (Leem=0,00381 g-Kal.) g Keimungsdauer 136 Stunden. 48 Std. Luft + 83 Std. Narkose resp. O,-Mangel. e 5 37,49 \ Die [ 2,2466 19,2. 0,3766 | 186 Std. Luft. .| 55 | | 31 m. 48 Std. Luft . . Ä 25 [ 49,56 \ 1 { 1,3604 12,9 0,3013 | 88 Std. Stickstoff 47,47 = 1,7770 16,1 0,3768 48 Std. Luft er [ 55,44 \ : [ 1,8566 20,8 0,4627 83 Std. Blausäure 55,64 } 2,0670 23.1 0,5166 48 Std. it 3 | 55 { 40,89 \ 945 { 1,4348 11,5 0,2628 | 88 Std. Ather . 42.37 2 1,6431 13% 0,3120 | Keimungsdauer 208 Stunden. 48 Std. Luft + 88 Std. Narkose resp. Os-Mangel + 72 Std. Luft. 30,9 (| 0,6075 un 0,0882 ' D) j ? 3 BER Br 208 Std. Luft . 5 | 8 \ 200 || Zion 05 1a, 48 Std. Luft . | S8 Std. Stiekstoff |N 55 32,83 40,3 2,6596 18,7 0,3951 | 72 Std. Luft 48 Std. Luft . 88 Std. Blausänre 55 38,45 39,2 2,4473 17,2 0,3696 72 Std. Luft ; 48 Std. Luft . i 38 Std. Alkohol. 55 31,74 42,3 1,9686 12,2 0,2758 72 Std. Luft Er für |) se Sl 2840 N 211505 7,55 0,1491 8 5 er 55) Dar : Zi TE Keimungsdauer 320 Stnnden. 48 Std. Luft + 88 Std. Narkose resp. O,-Mangel + 184 Std. Luft. R | la] f 0,8200 | 18 0,0888 320 Std. Luft. .| 51 \| 22 ' 55,7 Tarr : 0,0588. 48 Std. Luft . . 38 Std. Stickstoff 55 12,38 77,6 1,9845 7,9 0,1176 184 Std. Luft. . 88 Std. Äther. . 48 Std. Luft . . 55 16,02 72,7 1,3739 3,3 ‚0,1408 184 Std. Luft . . Narkose und Sauerstoffmangel, III. 185 In der Periode der stürmischen Fettverbrennurg wirken Nar- kotika und O,-Mangel stark hemmend auf die Entwicklung der Samen. Die hemmende Wirkung beider dauert aber nur so lange, _ bis die Samen von diesem Milieu befreit werden. Wir sehen, dass, sobald sie wieder mit reiner Luft in Berührung kommen, sofort dieser narkotischen Wirkung eine sehr starke Erregung folgt, der zufolge schon in 72 Stunden die normalen Werte erreicht, in 154 Stunden diese sogar bedeutend überholt werden. Die hemmende Wirkung und die 'erregende Nachwirkung soll wieder in einer Tabelle veranschaulicht werden. abelle VI. EEE Fettverbrauch in Prozent Ausseres während | nach nach Milieu . .ı der Narkose in | der Narkose in:| der Narkose: in 136 Stunden 72 Stunden 184 Stunden ma, .. 31,8 | 82 0 Tan Suekstole een... 1a I 288 | 65,6 Blausanren.: .., al. wel)! . —0,9 39,7 | —_ EN:cholen. u. 0 ..0.02 14,0 26,0 | — bes! De a AR 24,5 22,9 | 48,2 Wir sehen also, dass die Wirkung von O,-Mangel ebenso wie die der Narkotika in: der Zelle Veränderungen schafft, welche zu einer Beschleunigung der chemischen Prozesse führen. Hans H. Meyer hatte die Erklärung dieser beschleunigenden Wirkung der Narkotika, wie schon erwähnt wurde, in einer Lockerung der Lipoid-Membranen erblickt. Die Tatsache, dass auch diese „er- regende“ Wirkung der Narkctika durch einfache Entziehung des Sauerstoffs erzielt werden kann, spricht mehr für die Möglichkeit, dass die katalytische Wirkung der Narkotika (beobachtet in Chiari’s Versuchen) auch nur die Folge von O,-Mangel sei, nachdem doch von diesem aus Fr. Miescher’s Untersuchungen bekannt ist, dass er zur gesteigerten Fermentbildung, also zur Beschleunigung chemischer (ins- besondere autolytischer) Prozesse führt; die Annahme jedoch, dass die einfache Entziehung von O, zu einer Lockerung von Zelllipoiden führt, wäre mit unserem heutigen Wissen nicht gut in Einklang zu bringen. Gleichviel aber, was das Wesen dieser beschleunigenden Wirkung sei, müssen wir uns vorläufig mit der Tatsache begnügen, dass die Narkotika und der O,-Mangel — auch in bezug auf diese erregende . Wirkung — vollständig identisch wirken. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 13 186 Elisabeth Hamburger: (Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Budapest.) Narkose und Sauerstoffmangel. IV. Mitteilung. Von Dr. Elisabeth Hamburger. Eine wesentliche Bedingung für die Richtigkeit jener Theorie der Narkose, welche G. Mansfeld?*) auf Grund der Untersuchungen von Meyer?) und Overton°), von Exner?) und Vernon?°) vor geraumer Zeit aussprach, war die Voraussetzung, dass das für Elektrolyte gültige physikalische Gesetz, nach welchem „jede Lösung weniger Gase absorbiert als das Lösungsmittel selbst“, auch für die Narkotika der Fettreihe zu Recht besteht. Mansfeld hatte nämlich die Annahme gemacht, dass die Lipoide der Zelle, durch welche der O, infolge seiner Lipoidlöslichkeit (Exner und Vernon) normaler- weise in die Zelle gelangt, dieser ihrer physiologischen Rolle beraubt werden, wenn Narkotika sich in ihnen auflösen, da sie nunmehr kein reines Lösungsmittel, sondern eine Lipoid-Narkotikum-Lösung dar- stellen. Es musste also untersucht werden, ob die Absorptionsfähig- keit der Lipoide O, gegenüber tatsächlich herabgesetzt wird, falls wir in ihnen narkotisch wirkende Substanzen auflösen. Über die Ergebnisse meiner Untersuchungen, welche ich auf Anregung des Herrn Dr. Mansfeld angestellt habe, berichte ich im folgenden. Die Versuche batte ich selbstverständlich nieht mit Hirnlipoiden, sondern, ebenso wie Meyer und Overton die ihrigen, mit reinstem Ol. oiivarum ausgeführt. Da ich während meiner Vorversuche er- 1) Vgl. Pflüger’s Arch. Bd. 129 S. 69. 2) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 42. 3) Studien über die Narkose. Jena 1900. 4) Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. in Wien Bd. 106. 5) Proc. of the Roy. Soc. vol. 79. 1907. Narkose und Saverstoffmangel. IV. I 187 fahren habe; dass die Gasabsorption der verschiedenen im Handel ‚vorkommenden Olivenöle zwar nicht erheblich, aber immerhin etwas verschieden ist, hatte ich stets das reine öl, welches ich als Lösungs- mittel verwandte, auf seine Absorptionsfähigkeit O,; gegenüber unter- sucht. In diesem Öl wurden dann die Narkotika gelöst und die O,- Absorption der Lösungen ebenfalls bestimmt. War die Löslichkeit des Narkotikums relativ gering, so hatte ich gesättigte Lösungen hergestellt. Die leicht löslichen wurden in verschiedenen Kon- zentrationen untersucht. Die Bestimmung der Gasabsorption geschah nach jenem Verfahren, welches in Oswald-Lutter’s: „Physikochemischen Messungen“ S. 247 beschrieben ist. Die Löslichkeit des Sauerstoffs wurde als das Verhältnis des Volums des aufgenommenen Gases zu dem der aufnehmenden Flüssigkeit ausgedrückt. Das Volum unseres Ab- sorptionsgefässes betrug 187 cem. Es wurden stets 100 ccm des Öles herabgelassen und 87 ccm mit dem O, geschüttelt. Das zu prüfende Öl wurde im Vakuum durch Schütteln von seinem Gas- gehalt befreit und mittels Stiekstoffdruckes in das Absorptionsgefäss übergeführt. Untersucht wurden nur solche Narkotika, welche keine Dämpfe entwickeln, nämlich: Sulfonal, Trional, Tetronal, Monochlor- hydrin, Diehlorhydrin und Phenylurethan. Ausser diesen narkotisch wirkenden Substanzen hatte ich noch die Wirkung von Kampfer und Ölsäure auf die O,-Absorption des Olivenöls untersucht. Die Versuchsergebnisse sind aus der Tabelle ersichtlich: see und’ Kan- Löslichkeit des Sauerstoffes | Abnahme der } 5 : E I Löslichkeit i 2 zentration der Lösung INSEL SINEN in der en Lösungsmittel Lösung 0/0 a Sulional 0,840. 2... 9,69 4,59 51,9 2. Sulfonal 0,8%. . .... 9,69 9,68 41,9 SSulfonall0,8%or .. ... 9,69 6,25 35,3 4. Trional (gesättigt) . . . . 9,10 4,55 90,0 5. | Trional (gesättigt) . . . . 9,10 9,68 37,9 6. ietronale2%0 aan 9,67 9,10 5,8 7: iRetronak 2er a a 9,67 9,20 4,8 8 | Monochlorhydrin 5°%/o : 9,10 7,50 17,5 9. | Monochlorhydrin 2,50. . 9,10 7,50 17,5 10. | Monochlorhydrin 1,25°/0 . 9,10 7,96 12,5 11. | Dichlorhydrin 10% .. 9,10 7,96 12,5 12. | Dichlorhydrin 5%o. . . 9,10 8,00 12,0 13. | Phenylurethan 5%. . . . 8,93 6,25 2 14, Phenylurethan 2,5°%0. . . 8,53 7,50 12,0 oe Kampfer 10%. ..... . 8,593 7,96 6,6 I Olsäure 10%... ... 9,10 8,53 6,2 Ina Olsäure 20% 2... 0. 9,10 8,53 6,2 % er wo 188 Elisabeth Hamburger: Narkose und Sauerstoffmangel. IV. Es'scheintdürch diese Ergebnisseerwiesen zusein, dass die untersuchten Narkotikader Fettreiheähnlich dem’Elektrolyten die Absorptionsfähigkeit ihres Lösungs- mittels O0, gegenüber hemmen. Diese hemmende Wirkung der verschiedenen Substanzen ist ver- schieden gross. Am intensivsten wirkte das Sulfonal und das Trional, am schwächsten unter den Narkotieis das Tetronal. Zu diesem steht am nächsten die hemmende Wirkung des Kampfers und der Ölsäure, welche trotz hoher Konzeniznnug nur eine sehr schwache Wirkung haben. a 189 (Aus dem physiologischen Institut der Universität Tübingen.) Über die verschiedenen Methoden, Pepsin und Trypsin quantitativ zu bestimmen, nebst Beschreibung einer einfachen derartigen Methode. Von cand. med. Wilhelm Waldschmidt. (Mit 2 Textfiguren.) Mit der Erkenntnis, dass bei Untersuchungen von Mageninhalt es keineswegs genügt, eine genaue Bestimmung der Salzsäure zu machen, sondern dass man den Inhalt nach jeglicher Richtung unter- suchen muss, begann man auch klinisch die Feststellung der zur Verdauung nötigen Fermente. Zur quantitativen Bestimmung des Pepsins waren von Physiologen schon verschiedene Methoden an- gegeben worden, trotzdem entstanden immer wieder neue, da die früheren Methoden der Physiologen den Klinikern vielfach nicht ge- nügten. Sie erstrebten ein Verfahren, das für den Praktiker durch- aus einfach zu handhaben sei und trotzdem nichts an Genauigkeit zu wünschen übrig liess. Und diese Vorzüge schien keine Methode in sich vereinigt zu haben; denn in den letzten 15 Jahren entstand eine Hochflut von neuen Angaben über quantitative Bestimmungen des Pepsins und Trypsins. Wenn im folgenden alle mir bekannten Verfahren zu quanti- tativen Pepsin- und Trypsinbestimmungen einer eingehenden Be- sprechung und Beurteilung unterzogen werden, so geschieht dies teils auf Grund eigener Erfahrung, grösstenteils aber auf Grund einer Zusammenstellung der Urteile von denjenigen Forschern, welche mit diesen Methoden gearbeitet haben. Dabei erstrebte ich, wie gesagt, möglichste Vollständigkeit, da mir diese von allgemeinem Interesse zu Sein schien. Zuerst sollen die Methoden für das Pepsin, darauf die für das _Trypsin, dann eine eigene, die gleichzeitig für das Pepsin und Trypsin gilt, kurz beschrieben werden. | 190 Wilhelm Waldschmidt: A. Quantitative Bestimmungen des Pepsins. Es ist mit recht bedeutenden Schwierigkeiten verknüpft, alle diese Methoden zweckmässig in eine kleine Anzahl von Gruppen ein- zuordnen. Sie könnten ja geschichtlich, d. h. nach der Reihenfolge ihrer Entstehung, durchgesprochen werden; doch da ist der Zu- sammenhang der einen mit irgendeiner anderen nicht zu über- blicken. Dann wäre es möglich, diejenigen, welche gleiches Substrat, Gelatine, Fibrin, festes und flüssiges Eiweiss usw. benutzen, zu- sammenzustellen, was aber auch nieht als recht geeignet erscheinen will. Es ist vielleicht am besten, wenn ich, wie das in ähnlicher Weise Korn!) schon getan hatte, folgende Einteilung vornehme: I. Die erste Gruppe bilden diejenigen Methoden, bei denen nach einer bestimmten Zeit der Einwirkung der Verdauungslösung auf den zu verdauenden Körper das noch übriggebliebene unverdaute Substrat be- stimmt und dureh Subtraktion von der Anfangsmenge die verdaute Menge festgestellt wird. Hierher gehören unter anderen die Methoden von Bidder und Schmidt, Thomas und Weber, verschiedene Methoden, die den Stickstoffgehalt des Unverdauten bestimmen, die Methode der Fest- stellung des Abnehmens der Viskosität von Spriggs, der Abnahme der elektrischen Leitfähigkeit während der Pepsinverdauung von OÖker-Blom und die Hammerschlag’sche mit ihren Modifika- tionen. Die älteste quantitative Bestimmungsmethode für das Pepsin ist die von Bidder und Schmidt?). Sie wird folgendermaassen aus- geführt: Ein durch Hitze koagulierter Eiweisszylinder wird in gleich grosse Stücke zerlegt, so dass jedes der Verdauungsflüssiekeit gleich grosse Oberfläche darbieten muss. Eines der Teilstücke wird bei 120° getrocknet und dann sein Trockengewicht festgestellt. Die übrigen werden in Musselinsäckchen eingenäht mit Verdauungsflüssig- keit übergossen. Das Einnähen geschieht um jedes mechanische Abreiben zu verhindern. Die Flüssigkeiten werden von Zeit zu Zeit umgeschüttelt. Nachdem der Magensaft eine gewisse Zeit auf die 1) A. Korn, Über Methoden, Pepsin quantitativ zu bestimmen. Med. Inaug.-Dissertation. Tübingen 1902. 2) F.Bidder und C. Schmidt, Die Verdauungssäfte und der Stoffwechsel S. 75. Mitau u. Leipzig 1852. Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 191 Eiweissstücke eingewirkt hat, werden die Musselinsäckehen aus der Flüssigkeit entfernt. Der in den Säckchen vorhandene ungelöste Rückstand wird in jedem Falle sorgfältig gesammelt, bei 120° ge- trocknet und dann gewogen. Aus der Differenz des ursprünglichen Trockengewichtes und des Gewichts des getrockneten unverdauten Rückstandes lässt sich berechnen, wiewiel Prozent Eiweiss gelöst sind. Wie man schon aus der Beschreibung ersieht, ist dies Verfahren recht umständlich und mühsam, was auch Jastrowitz!), Dietze?) betonen und Ebstein und Grützner?) zu einer Modifikation ver- anlasste, die eine, wenn auch geringe Vereinfachung schaffte. Dies gilt auch für die anderen Methoden, welche durch Wägung des Ver- dauungsobjektes vor und nach der Verdauung die relative Pepsin- menge bestimmen. Thomas und Weber) lassen eine bestimmte Kaseinlösung — in 1900 ccm Wasser und 5,04 g Salzsäure (= 138 cem !/ınHCI) werden 100 & Kasein aufgelöst — verdauen und bestimmen nach Ausfällung und Filtrieren das Gewicht des getrockneten Filter- rückstandes. Krüger’) nimmt statt der Kaseinlösung eine solche von käuflichem Eiereiweiss, Kühne‘) und Rachford’) verwenden getrocknetes, zu Pulver verriebenes Fibrin, Hoffmann?) in kochen- den Alkoholdämpfen koaguliertes Eiereiweiss. Eine Vereinfachung dieser Methode gibt Grützner?) an: Man stellt sich Eiweisswürstehen her, indem man das flüssige Eiweiss in Glasröhrchen von etwa 1) H. Jastrowitz, Die Hemmung der peptischen Verdauung infolge der Bildung freier Salzsäure durch amphotere Aminokörper. Biochemische Zeitschr. Bd. 2 S. 157. 1907. 2) A. Dietze, Einfluss von Bariumoxydhydrat, Calciumoxydhydrat, Stron- tiumoxydhydrat auf die tryptische Verdauung. Inaug.-Diss. Leipzig 1900. 3) W. Ebstein und P. Grützner, Über den Ort der Pepsinbildung im Magen. Pflüger’s Arch. Bd.6 S.1. 1872. 4) F. Thomas und W. Weber, Neue Methoden zur quantitativen Be- stimmung der tryptischen und peptischen Enzymwirkung. Zentralbl. f. Stoff- wechsel- und Verdauungskrankh. Bd. 2 S. 365. 1901. 5) Fr. Krüger, Zur Kenntnis der quantitativen Pepsinwirkung. Zeitschr. t. Biol. Bd. 41 S. 378. 1901. 6) W. Kühne, Über die Verdauung der Eiweissstoffe durch den Pankreas- saf. Virchow’s Arch. Bd. 39 S. 130. 1897. N) B.K. Rachford, The influence of bile, of acids, and of alkalis on the proteolytic action of pancreatic juice. The Journ. of Physiol. vol. 25 p. 165. 1900. 8 F. A. Hoffmann, Über Säurewirkung bei der Pepsinverdauung. Schmidt’s Jahrb. der Medizin Bd. 233/234 S. 268. 1892. 9) In A. Korn, Med. Inaug.-Diss. S. 22. Tübingen 1902. 192 - . Wilhelm Waldschmidt: 5 mm Weite gerinnen lässt und dann nach dem Herausstossen gleich lange Stücke abschneidet. Diese annähernd gleichen Stücke werden in ihrem Volumen bestimmt, indem man sie in Messgläschen von entsprechender Weite bringt und aus der verdrängten Wasser- menge das Volumen erfährt. Stündlich oder zweistündlich wird während der Verdauung ihr Volumen und somit der Volumensverlust in gleicher Art wie zu Anfang bestimmt, womit man einen Einblick in den Gang der Verdauung erhält. Neuerdings hat Kohlenberger!) ein anderes Verfahren vor- geschlagen: In ein weites Reagenzglas mit dem zu untersuchenden Magensaft wird ein Eiweissstückchen von 100 cmm gebracht, welches mit einem starren, nach drei Seiten offenen, genau 100 emm fassen- den, handlichen Metallbehälterchen aus hartgesottenem Eiweiss aus- gestochen wurde. Die Probe wird tüchtig geschüttelt und nun 12 Stunden bei 37° stehen gelassen. Nach dieser Zeit wird aus der Probe die Verdauungsprodukte enthaltende Flüssigkeit entfernt. Das zurückbleibende Eiweissstückehen wird mit destilliertem Wasser unter Zusatz von Alkohol nachgespült und in eine tiefe Küvette mit 100 emm Inhaltsraum gebracht. Man entfernt aus der Küvette das Wasser, dessen Rest man mit Fliesspapierstreifen und eventuell noch dureh vorsichtiges Verdunstenlassen beseitigt, und macht mit einem Glasstäbehen das Eiweiss gleichmässig die Küvette ausfüllend. Für den Fall, dass das Eiweissstückehen durch die Proteolyse bis auf einige ganz kleine Restchen verdaut worden ist, führt ein vorsichtiger, ininimaler Zusatz von essigsaurem Blei zum Spülwasser und Frhitzen, um wieder der Konsistenz von hartgesottenem Eiweiss gerecht zu werden, zur rascheren Ausführung der Probe. Zu diesem Versuch dienen Zentrifugierspitzgläschen,. an. deren Spitze, die 1 em lang ist, 100 emm fasst und eine genaue Einteilung enthält, abgelesen wird, wieviel Kubikmillimeter verdaut sind. | Meines Erachtens kann diese Methode nicht genau sein; denn wenn ein Eiweissstückchen 12 Stunden lang während der Verdauung am Boden eines Reagenzglases liegt, so sammeln sich dort die Peptone an, wodurch die Verdauung, wie ein einfacher Versuch lehrt, in bedeutendem Maasse gestört wird. Sehr bequem scheint das Ver- fahren auch nicht zu sein, da ein gleichmässiges Verteilen des Ei- 1) L. Kohlenberger, Über die Proteolyse im Magen. Deutsches Arch. f. klin. Medizin Bd. 99 8.148. 1910. : : I } 1 , | f Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 193 weisses in den Küvetten, das Verdunstenlassen der Flüssigkeit usw. doch einige Zeit erfordert. | ® Hierher ist auch das Verfahren von Schiff zu rechnen. «Schiff!) lässt gekochtes Eiweiss verdauen und setzt die Verdauung solange fort, bis sich keine nachweisbaren Eiweissmengen mehr auf- lösen; er bestimmt also die Menge Eiweiss, die von einer bestimmten Menge der verdauenden Lösung überhaupt gelöst wird, wogegen alle anderen Forscher die Verdauung immer nach einiger Zeit unter- brochen hatten. Diese Versuche von Schiff dauern daher sehr lange; auch ist es zweifellos sehr schwierig zu sagen, wann nun keine Weiterverdauung stattfindet, da sie doch gegen Ende der Ver- dauung nur sehr langsam fortschreitet; damit ist dann wieder die Genauigkeit in Frage gestellt. In diese Gruppe gehören weiter die Maheden welche auf der Bestimmung des Stickstoffs des zu verdauenden Substrates und des nach der Verdauungszeit zurückgebliebenen Unverdauten beruhen; diese Art wurde zuerst von Oppenheimer und Aron?) vor- seschlagen, die aber in ihrer Arbeit erwähnen, dass auch dieses Ver- fahren nicht allen Anforderungen genüge. Es wurde dann weiter von Stutzer und Merres°) und A. Müller‘) benutzt. Interessant ist der Weg, den Oker-Blom?) eingeschlagen hat, um Pepsin quantitativ zu bestimmen. Er bestimmte die verdauende Kraft des Pepsins mit Hilfe der Erfahrung, dass bei der Pepsin- ‘ digestion die elektrische Leitfähigkeit ein stetes Abnehmen zeigt, was auf das Bindungsvermögen der entstehenden Spaltungsprodukte für Salzsäure zu beziehen ist. Nach Arrhenius*) wird die elek- 1) m. Schiff, Lecons sur la physiologie de la digestion t. 2 p- 240. Berlin 1867. 2) C. Oppenheimer und H. Aron, Über ie Verhalten des genuinen Serums gegen die tryptische Verdauung. Hofmeister’s Beitr. zur chem. Physiol. Bd. 4 S. 279. 1904. 3) A. Stutzer und E. Merres, Untersuchungen über die Diekine der Enzyme der Magenschleimhaut und des Bauchspeichels auf vegetabilische Ei- weissstoffe. Biochem. Zeitschr. Bd. 9 S. 127. 1908. 4) A. Müller, Der Einfluss der Salzsäure auf die. Pepsinverdauung. Deutsches Arch. f, klin. Medizin Bd. 94 S. 27.. 1908. 5) M.Oker-Blom, Tierische Säfte und Gewebe in ninallellech: -chemischer _ Beziehung. Skandinav. Arch. f. Physiol. Bd. 13 S. 359. 1902. 6)8. Arrhenius, Über die Änderung des elektrischen Leitungsvermögens usw. Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 9 S. 487. 1893. 194 Wilhelm Waldschmidt: trische Leitfähigkeit eines Elektrolyten von der Gegenwart eines Nichtleiters, wie des Eiweisses, in der Lösung herabgesetzt, und zwar um so mehr, eine je grössere Menge von diesem vorhanden ist. Oker-Blom ermittelte nach den Angaben von Bugarsky und Liebermann!) die elektrischen Leitfähigkeiten mit der Wechsel- stromtelephonmethode und bezog sie auf eine Einheit, deren Würfel von 1 em Seitenlänge einen Widerstand von 1 Ohm darbietet. Spriggs?) bestimmt auf Anregung von Prof. Kossel die Viskosität einer Verdauungslösung. Verwendet wurde das Ost- wald’sche Viskosimeter°), und die ganze Anordnung entsprach dem von Hirsch und Beck) zur Bestimmung der Viskosität des mensch- lichen Blutes angewandten Verfahren. Die Flüssigkeit wurde durch das Kapillarrohr unter einem Druck von 450 mm Benzol getrieben; das Viskosimeter wurde bei gleichmässiger Temperatur in einem Wasserbade gehalten. Die Zeit des Durchströmens durch die Kapillare gab ein Maass der Viskosität. Es wurde gefunden, dass die Viskosität einer Proteinlösung in Gegenwart von Pepsin und schwacher Salzsäure schnell fällt. Herzog’) stellte ähnliche Ver- suche an und fand, dass die Viskosität einer 5 '/oigen Gelatinelösung z. B. auf Zusatz von Pepsinsalzsäure in der ersten Zeit rapide, später langsam abnimmt. Die wichtigste Methode dieser Gruppe ist die von Hammer- schlag‘). Mit ihr sind eine Anzahl klinisch bemerkenswerter Arbeiten entstanden, und es ist über diese Methode allerlei für und wider geschrieben worden. Die Hauptmomente will ich hier hervor- 1) St. Bugarsky und L. Liebermann, Über das Bindungsvermögen eiweissartiger Körper für Salzsäure, Natriumhydroxyd und Kochsalz. Pflüger’s. Arch. Bd. 72 S. 51. 1898. 2) E. J. Spriggs, On a new method of observing peptic activity. The Journal of Physiol. vol. 28 p. IV. 1902. 3) W. Ostwald und R. Luther, Hand- und Hilfsbuch zur Ausführung physiko-chemischer Messungen S. 260, 2. Aufl. Leipzig 1902. 4\C. Hirsch und C. Beck, Eine Methode zur Bestimmung des inneren Reibungswiderstandes des lebenden Blutes beim Menschen. Münchner med. Wochenschr. Bd. 47 S. 1685. 1900. 5) R. 0. Herzog, Über proteolytische Enzyme. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 39 S. 305. 1903. 6) A. Hammerschlag, Über eine neue Methode zur quantitativen Pepsin- bestimmung. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 1 S. 72. 1894, und Bd. 2 S. 1 und Ss. 198. 1896. a RE Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 195: heben. Das Prinzip der Methode ist folgendes: Von einer etwa 1°oigen Eiweisslösung, die etwa 4°/o freie Salzsäure enthält, werden zwei Proben von je 10 ccm abgemessen; zu der einen, die als. Kontrollprobe dient, fügt man 5 ccm destilliertes Wasser, zu der anderen 5 eem Magensaft hinzu und lässt beide Proben 1 Stunde im Brutofen stehen. Sodann wird in beiden der Eiweissgehalt mit dem Esbach’schen Albuminometer bestimmt. Die mit Wasser versetzte: Probe gibt den ursprünglichen Eiweissgehalt der Mischung an; die Differenz zwischen beiden ist gleich der Menge des verdauten Eiweisses. Diese kann dann leieht in Prozent ausgerechnet werden. Kövesi') urteilt über diese Methode: Das Verfahren ist ein- fach genug, um klinisch verwertet werden zu können, obgleich nicht. zu leugnen ist, dass gewisse Fehlerquellen bestehen, welche die Ge- nauigkeit der Ergebnisse einigermaassen beeinflussen. Bei Be- stimmung einer grösseren Anzahl von Pepsinlösungen sind die - Albuminometer auf ihre Gleichheit zu prüfen. Ganz ähnlich lautet das Urteil von Schüle?). Auch Robin?), Schiff*), Gint]?), Riegel®), Bachmann’) halten die Ham merschlag’sche Methode: für den Praktiker für ausreichend, wünschen nur eine gründliche Kontrolle der Esbach’schen Gläschen, die in bezug auf Grösse und Einteilung recht ungenau seien. Kuttner°), Roth°’), Jung !°), 1) G. Kövesi, Untersuchungen aus dem Gebiet der Magenpatholosgie. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 5 S. 190. 1899, 2) A. Schüle, Über die Pepsinabsonderung im normalen Magen. Zeitschr. f. klin. Medizin Bd. 33 S. 538. 1897. 3) W. Robin, Über das Verhalten des Pepsins bei verschiedenen Magen- krankheiten. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 10 S. 242. 1904. 4) A. Schiff, Beiträge zur Physiologie und Pathologie der Pepsin- _ sekretion usw. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 6 S. 107. 1900. | 5) F. Gintl, Über das Verhalten des Pepsins bei Erkrankungen des- Magens. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 4 S. 251. 1898. 6) F. Riegel, Die Erkrankungen des Magens Bd. 1 S. 146, 2. Aufl. Wien 1903. 7) W. Bachmann, Experimentelle Studien über die diätetische Behandlung: bei Superazidität. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 5 S. 336. 1899. 8) L. Kuttner, Zur Frage der Achylia gastrica. Zeitschr. f. klin. Medizin: Bd. 45 S. 1. 1902. 9) Roth, Zur Frage der Pepsinabsonderung bei Erkrankungen des Magens.- Zeitschr. f. klin. Medizin Bd. 39 S.1. 1900. 10) W. Jung, Pepsinbestimmung nach modernen Methoden und relativ digestive Insuffizienz. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 8 S. 605. 1902. 196 Wilhelm Waldschmidt: Heichelheim und Kramer!), die anfangs auch fast ausschliess- lieh nach Hammerschlag gearbeitet hatten, gingen später ganz zur Mett’schen Methode über. Illoway?) hält die Vorbereitungen. für das Hammerschlag’sche Verfahren, wenn sie genau gemacht werden sollen, für sehr zeitraubend.. Fuld und Levison?) be- zeichnen das verwendete Präparat Eieralbumin als sehr schlecht, weswegen auch schon verschiedentlich nach einem Ersatz gesucht wurde. So benutzt Troller*) das leicht lösliche Protogen — durch Einwirkung von Formalin auf Eiereiweiss gewonnen —,. welches Sehiff schon deswegen für nicht brauchbar hält, weil es sich auf Zusatz mancher Magensäfte stark trübt; v. Aldor°) erklärt nach jahrelangen Versuchen mit filtriertem Fleischsaft Puro diesen als geeigneten Ersatz für die Fiweisslösung. Jastrowitz®) und Oppler’) verwerfen die Hammerschlag’sche Methode ganz wegen der Ungenauigkeit der Eiweissbestimmung nach Esbach, die Hammerschlag?°) selbst nicht ableugnen kann; immerhin liegen auch Versuche von Gintl und Schüle vor, welche zeigen, dass Untersuchungen von Eiweisslösungen nach Esbach und Kjel- dahl keineswegs sehr grosse Differenzen geben. Schorlemmer’), 1) Heichelheim und Kramer, Über den Einfluss von Salzsäure- eingiessungen auf den Pepsingehalt des Mageninhalts bei Achylien usw. Münchner med. Wochenschr. Bd. 51 8. 330. 1904. 2) H. Illoway, Einfache Methoden zur Bestimmung der vom Magen aus- geschiedenen Enzyme. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 11 S. 144. 1905. 3) E. Fuld und L. A, Levison, Die Pepsinbestimmung mittelst der Edestinprobe. Biochem. Zeitschr. Bd. 6 S. 473. 1907. 4) J. Troller, Zur Pepsinfrage bei Achylia gastrica. Arch. f. Verdauungs- krankh. Bd.5 S. 151. 189. 5) L. von Aldor, Besitzt das Pepsin eine antizymotische Kraft gegenüber den Gärungen des Magens? Berliner klin. Wochenschr. Bd. 35 S. 638. 1898. — L. von Aldor, Über die künstliche Beeinflussung der Magensaftsekretion. Zeitschr. f. klin. Medizin Bd. 40 S. 248. 1900. 6) S. oben S. 191. x) B. Oppler, Beitrag zur Kenntnis des Pepsins bei Erkrankungen des Magens. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 2 S. 40. 1896. i 8) A.Hammerschlag, Erwiderung auf Schorlemmer’s Arbeit: Unter- suchungen über die Grösse der eiweissverdauenden Kraft des Mageninhalts usw. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. S S. 643. 1902. 9) R. Schorlemmer, Untersuchungen über die Grösse der eiweiss- verdauenden Kraft des Mageninhalts Gesunder wie Magen- und Darmkranker Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 197 der die Methoden von Hammerschlag und Mett einer eingehen- den vergleichenden Untersuchung unterzogen hat, bestätigt die von Roth ausgesprochene und von Schiff bestrittene Behauptung, dass- ‚die Fermentwirkung nach Zusatz von Esbach’schem Reagens nicht ‚sofort zerstört wird und so die Pepsinverdauung bei Zimmertemperatur noch fortbesteht. Bettmann und Schroeder!) bringen nun eine- Modifikation, in der wenigstens die Ungleichheit der Esbach’schen 'Gläschen ausgeschaltet ist: Nachdem ein Hammerschlag’sches- "Verdauungsgemisch 1 Stunde im 'Thermostaten gestanden hatte, ‘wurde es auf die übliche Weise mit Esbach’schem Reagens ver- setzt. Der Niederschlag wurde durch die Zentrifuge gefällt; zum Zentrifugieren wurden Spitzgläschen mit ganz genauer Einteilung in 15 eem mit Unterteilung, die mit Lupe abgelesen wurde, benutzt. ‘Man muss zentrifugieren, bis keine weiteren Änderungen mehr ein- ‘treten, bis 2 Stunden lang. Ich will über diese Methode nur noch: den eigenen Ausspruch Hammerschlag’s?) hinzufügen, welcher sagt: Bei Anwendung der beschriebenen Methode gelingt es auf eine einfache Weise, die Peptonisationskraft des Magensaftes ab- zuschätzen. I. Diese Methoden bestimmen die Pepsinmengen. nach der Zeit, welche nötig ist, ein bestimmtes Quan- tum Substrat vollkommen aufzulösen. Hierher gehören z. B. die Methoden von Brücke, A. Mayer.,. Illoway mit festem und die von Jacoby, Fuld, Gross u. a. mit flüssigem Substrat. Brücke?) stellte sich eine Pepsinstammlösung her, die er immer weiter auf die Hälfte verdünnte, so dass er sieben saure- Pepsinlösungen erhielt von dem relativen Pepsingehalt 1, "/a, Yı—!/sa. Aus der zu untersuchenden Pepsinlösung wurden in gleicher Weise: unter kritisch vergleichender Benutzung der Hammerschlag’schen und Mett’schen Methode. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 3 S.299 u. 447. 1902, und Berliner klin. Wochenschr. Bd. 39 S. 1193. 1902. 1) H. W. Bettmann und J. H. Schroeder, Über die Bestimmung der proteolytischen Kraft des Magensaftes usw. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 10 S. 599. 1904. 2) A.Hammerschlag, Über eine neue Methode zur quantitativen Pepsin- -bestimmung. Internat. klin. Rundschau Bd. 80 8. 1392. 1894. 3) E. Brücke, Beiträge zur Lehre von der Verdauung. Sitzungsbericht der k. Akad. d. Wissensch. zu Wien Bd. 37 S. 131. 1859. 198 Wilhelm Waldschmidt: ‚sieben Verdünnungen hergestellt; dann in alle Lösungen möglichst gleiche Fibrinflocken eingelegt und nun beobachtet, in welchem 'Gläschen die Verdauungsgeschwindigkeit die gleiche war. Diese hatten den gleichen Pepsingehalt. Da es nicht immer leicht ist, genau gleiche Fibrinflocken auszusuchen, so verwendete Brücke ‚auch statt dessen koaguliertes Hühnereiweiss, das er in gleich grosse Würfel zerschnitt, und beobachtete dann ebenfalls die zur völligen Auflösung nötige Zeit, die hier natürlich bedeutend grösser war. Ähnlich geht A. Mayer!) vor, der, um möglichst gleich grosse Eiweissstückcehen zu erhalten, Hühnereiweiss in Kapillaren, die vorher gut eingefettet waren, koaguliert; danach kann das erstarrte Eiweiss leicht aus der Röhre in Form kleiner Zylinder gestossen werden, die über Schwefelsäure getrocknet, in gleiche Stücke geschnitten und so zu den vergleichenden Verdauungsversuchen benutzt werden. Illoway?) stellte in vielen Versuchen fest, dass ein 10 eg schweres Eiweissstückchen bei 37° 5—5"s Stunden zur völligen Verdauung in 10 cem normalen, filtrierten Magensaftes braucht, welcher eine ‘Stunde nach Aufpahme des Probefrühstücks gewonnen wurde. So. konnte er, je nachdem der zu untersuchende Magensaft das 10 eg schwere Eiweissstückchen vor oder nach der gefundenen Zeit auf- gelöst hatte, feststellen, welcher Magensaft besser oder schlechter als normaler verdaut. In gleicher Weise macht Johannesen?) :seine Versuche, und ähnlich verfährt Maequairet). Boas?) geht von einem Stammmageninhalt eines Gesunden aus, den er auf- bewahrt und dessen Verdauungsfähigkeit er kennt. Mit dieser ver- gleicht er die Verdauungsfähigkeit des zu prüfenden Mageninhaltes. Verdaut ersterer eine Eiweissprobe in 1 Stunde, letzterer in 2, 3 ‚oder mehreren, so ist die Verdauungsfähigkeit des zu prüfenden Mageninhalts gleich !/e, '/s usw. des normalen. 1) A. Mayer, Einige Bedingungen der Pepsinwirkung quantitativ studiert. Zeitschr. f. Biol. Bd. 17 S. 351. 1831. 2) H. Illoway, A further contribution to my simple method for the -quantitative determination of pepsin in a given gastric juice. Americ. Journ. Med. Sciences vol. 138 p. 231. 1909. 3) A. Johannesen, Studien über die Fermente des Magens. Zeitschr. f. klin. Medizin Bd. 17 S. 304. 1890. 4) P. Macquaire, Titration de Pepsine. Journ. pharm. chim. t. 16 p. 289, nach Biochem. Zentralbl. Bd. 1 S. 273. 1903. 5) J. Boas, Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten S. 187. ‚Leipzig 1894. TG: Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 199 Eine Zwischenstufe zwischen den Methoden dieser Gruppe mit festem und flüssigem Substrat bildet die sogenannte Schaummethode von Bettmann und Schroeder!), welche diese gleichzeitig mit der vorhin beschriebenen Sedimentierungsmethode angaben. Sie be- nutzen die schaumtreibende Wirkung einer durchschüttelten Eiweiss- lösung. 1 cem des dreifach mit schwacher Salzsäure verdünnten Magensaftes wird in ein Gläschen gebracht und 2 ecm einer 1°/oigen Lösung getrockneten Hühnereiweisses in 0,2% Salzsäure hinzu- gegeben. Das Gläschen wird heftig geschüttelt, bis sich eine Lage Schaum von ungefähr 2 cm Höhe gebildet hat. Darauf wird das Fläschehen in einen Thermostaten von 37—40° gebracht und die Zeit beobachtet, in welcher der Schaum verschwindet. In der !/a- Verdünnung normalen Magensaftes schwindet der Schaum nach 20 Minuten. Nach den Angaben der Autoren ist die Probe sicher und gibt mit ziemlicher Genauigkeit den Pepsingehalt im Magensafte an. Den jetzt zu nennenden Methoden ist gemeinsam, dass nicht, wie bei Brücke, ein festes Substrat (Fibrin oder geronnenes Ei- weiss) verwendet wird, sondern ein flüssiges, welches auch hier voll- ständig verdaut wird. Die Zeit, innerhalb welcher sich dieser Pro- zess vollzieht, dient als Maass für die Menge des Fermentes. Um das Vorrecht, diese Art des Vorgehens zuerst erdacht zu haben, streiten sieh Gross?), Fuld®) und Jacoby). ‚Kurz will ich die Beschreibung dieser Methoden folgen lassen. Gross?) hatte seine Methode zuerst für die quantitative Bestimmung des Trypsins aus- gearbeitet, konnte diese aber leicht für das Pepsin®) modifizieren. 1) H. W. Bettmann and J. H. Schroeder, Two new methods of deter- mining the digestive activity of gastric juice. Medical Record vol. 64 p. 685. 1903. 2) ©. Gross, Berliner klin. Wochenschr. Bd. 45 S. 858. 1908. 3) Bemerkung im Referat von Pincussohn über O. Gross, Die Wirk- samkeit des Trypsins und eine einfache Methode zu ihrer Bestimmung. Biochem. Zentralbl. Bd. 7 S. 173. 1908. — K. Togami, Über den Einfluss einiger Genuss- mittel auf die Wirksamkeit der Verdauungsenzyme. Biochem. Zeitschr. Bd. 9 8. 453. 1908. — E. Fuld, Erwiderung zu der einfachen Pepsinbestimmung des Herrn Gross. Berliner klin. Wochenschr. Bd. 45 S. 857. 1908. 4) E.Solms, Über eine neue Methode der quantitativen Pepsinbestimmung und ihre klinische Verwendung. Zeitschr. f. klin. Medizin Bd. 64 S. 159. 1907. 5) 0. Gross, Die Wirksamkeit des Trypsins und eine einfache Methode -zu ihrer Bestimmung. Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 58 S. 157. 1907. 6) 0. Gross, Die Wirksamkeit des Pepsins und eine einfache Methode zu ihrer Bestimmung. Berliner klin. Wochenschr. Bd. 45 S. 643. 1908. 200 Wilhelm Waldschmidt: Gross stellt sich aus Caseinum purissimum Grübler (nach 'Hammarsten) eine 1°/ooige Lösung her. 1: g Kasein wird mit 16 eem einer 25°/oigen Salzsäure (spezifisches Gewicht 1,124) in 1 Liter Wasser auf dem Wasserbad gelöst. Je 10 eem dieser auf 39—40° vorgewärmten Flüssigkeit kommen in eine Reihe von 'Reagenzgläsern, die mit steigenden Mengen ’des zu untersuchenden Magensaftes beschiekt werden. Nach einviertelstündigem Verweilen im Thermostaten bei 40° werden einem jeden Gläschen einige Tropfen einer konzentrierten Lösung von essigsaurem Natron zu- gesetzt. Das unverdaute Kasein fällt dabei aus. Eine Einheit der verdauenden Kraft gibt die Saftmenge an, die in 15 Minuten 10 cem Kaseinlösung (— 0,01 g Kasein) so verdaut, dass auf Zusatz von 'Natriumacetatlösung keine Trübung mehr eintritt. Bei Versuchen, die ich nach Angaben von Gross im Tübinger physiologischen Institut anstellte, bemerkte ich verschiedentlich, dass kleine Mengen von Kasein durch das Ausfällen gar nicht bemerkt werden. Habe ich z. B. 5 cem einer schwachen Kaseinlösung, die mit konzentrierter Lösung von essigsaurem Natron noch einen deut- lich siehtbaren Niederschlag gibt, so kann. man vielleicht schon bei doppelter Verdünnung dieser Kaseinlösung keine Trübung mehr wahrnehmen. | Fuld und Levison!) geben ihre Methode in folgender Art an: Es wird eine Lösung einer abgewogenen Menge kristallinischen Edestins (1: 1000) in dreihundertstel Normalsalzsäure hergestellt. Die Stärke eines Magensaftes oder einer Pepsinlösung wird nun da- durch bestimmt, dass man die zu untersuchende Lösung in fallenden Verdünnungen in einer Reihe von Proben auf eine gleiche Menge der Edestinlösung wirken lässt und das Minimum an Saft ermittelt, das erforderlich ist, um binnen einer halben Stunde bei Zimmer- temperatur ein bestimmtes Quantum der Edestinlösung so weit zu verdauen, dass bei Zusatz festen Kochsalzes nach einmaligem Um- schütteln keine Ausfällung mehr eintritt. Statt des festen Koch- salzes ziehen Wolff und von Tomaszewski?) einen Zusatz von l)E. Fuld und L. A. Levison, Die Pepsinbestimmung mittelst der Edestinprobe. Biochem. Zeitschr. Bd. 6 8. 473. 1907. 2) W. Wolff und Zd. von Tomaszewski, Über Pepsin und Pepsin- bestimmung mittelst der Edestinprobe. Berliner klin. Wochenschr. Bd. 45 S. 1051. 1908. Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. za bestimmen etc. 20] 0,3 cem einer kaltgesättigten Kochsalzlösung zu jeder Probe vor. Zum schärferen Nachweis des Unverdauten überschichten Fuld und Levison die Edestinlösung nach einiger Zeit der Verdauung mit starkem Ammoniak; es entsteht dann durch Diffusion zwischen den beiden Flüssigkeiten eine neutrale Schicht, und in dieser fällt etwa vorhandenes unverdautes Eiweiss als ringförmige Trübunge aus. Um den Unannehmlichkeiten des Arbeitens mit Ammoniak zu entgehen, kann man nach ihren Angaben ebensogut eine 10 /oige Boraxlösung zum Unterschichten benutzen, wodurch man auch eine Ringbildung erhält. Sie halten immerhin den Zusatz von festem Kochsalz als hinreichend scharf zum Nachweis des noch nicht Verdauten. Jacoby!) löst 1g Riein in 100 ecem 1,5 '/oiger Kochsalzlösung, wodurch man eine schwach trübe Lösung bekommt. Von dieser Rizinlösung gibt man in mehrere Reagenzgläschen je 2 cem, sowie n 10 leicht opaleszierende Ricinlösung in eine dichte milchige Trübung um. Dann Zusatz von je 1 cem von verschieden verdünntem Magensaft- filtrat. Solms?), der die Methode von Jacoby ausgearbeitet hatte, nennt 100 Pepsineinheiten den Pepsingehalt eines Kubikzenti- meters Magensaft, bei dem nach 3 Stunden Aufenthalt im Brut- schrank 1 cem einer 100fachen Magensaftverdünnung die Rizinlösung serade aufhell. Nach mannigfachen Untersuchungen gibt 1 ccm einer Verdünnung (1:100) normalacider Magensäfte (40—60 Ge- samtacidität) nach 3 Stunden vollständige Aufklärung, also 100 Pepsin- einheiten. 0,5 eem Salzsäure Durch den Salzsäurezusatz wandelt sich die Als Ersatz für das Rizin glaubte Jacoby°) Rinderblutserum verwenden zu können, das mit Wasser auf das Dreifache verdünnt und aufgekocht wurde, wodurch eine diek-trübe Flüssigkeit entsteht, die sich bei Zusatz von proteolytischem Ferment aufklärt, kommt 1) M. Jacoby, Über den Nachweis des Pepsins S. 655. Arbeiten aus dem pathologischen Institut zu Berlin. Festschrift. Verlag Aug. Hirschwald. 1906. — M. Jacoby, Über die Beziehungen der Verdauungswirkung und der Lab- wirkung. Biochem. Zeitschr. Bd. 1 S. 53. 1906. 3) E. Solms, Über eine neue Methode der quantitativen Pepsinbestimmung und ihre klinische Verwendung. Zeitschr. f. klin. Medizin Bd. 64 S. 159. 1907. 3) M. Jacoby, Zur Kenntnis der Fermente und Antifermente. Biochem. Zeitschr. Bd. 2 S. 144. 1907. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 14 202 Wilhelm Waldschmidt: davon später aber wieder zurück'). Hata?) hält eine dünne auf 60° erwärmte Eiweisssuspension, die sich mit Chloroform aufbewahrt wochenlang ohne Zustandsänderung hält, für empfindlicher als die Rizin- und Edestinlösung. Rose?°) schlägt als Eiweisskörper das Globulin der gewöhnlichen Erbse (Pisum sativum) vor und unter- nimmt alle Untersuchungen von Mageninhalt von gleicher Gesamt- acidität (0,2°/o HCl), wodurch er dann nicht die Verdauungsflüssig- keit, sondern ihren relativen Gehalt an Pepsin bestimmt. Eine von Einhorn) vorgeschlagene Vereinfachung der Rizin- methode besteht darin, dass die Verdauungsproben gleichzeitig in einem hierfür konstruierten Apparat ohne Thermostat vorgenommen werden können, und dass die hierzu nötige Zeit von 3 Stunden auf !/s Stunde abgekürzt wird. Der Apparat besteht aus einem Vakuum- elasgefäss, das mit Wasser von 50—60° gefüllt und in welches ein Gestell mit graduierten, gut verschliessbaren Proberöhrcehen gebracht wird. Diese enthalten die Rizinlösung, das verdünnte Mageninhalts- filtrat und die n Salzsäure. Man notiert, wie schnell die betreffen- den Niederschläge in den Röhrchen verschwinden. Im allgemeinen werden diese Methoden für den praktischen Gebrauch als hinreichend bezeichnet. Doch zieht z. B. Fubini?) die Edestinprobe vor, da dieser Eiweisskörper eine vollkommen klare Lösung gibt, während Rizin und Kasein lediglich Auf- schwemmungen darstellen, die stets leicht opaleszierend sind. Bei der Rizin- und Edestinprobe lässt sich kein reiner Magensaft ver- wenden, da man, sobald die Verdünnung !/4ıo überschritten wird, einen Niederschlag erhält, der von den Eiweisskörpern im Magen- saft herrührt. Jacoby nimmt ja deswegen eine Verdünnung des Magensaftes von 1:100. Nicht ganz zuverlässige Resultate liefert 1) M. Jacoby, Über den Nachweis des Trypsins. Biochem. Zeitschr. Bd. 10 S. 229. 1903. 2) S. Hata, Über die Bestimmung des Pepsins durch Aufhellung von trüben Eiweisslösungen. Biochem. Zeitschr. Bd. 23 8. 179. 1909. 3) W. C. Rose, A modified method for the clinical estimation of pepsin. Archiv. Int. Medic. vol. 5 p. 459. 1910, nach Biochem. Zentralbl, Bd. 10 8. 741. 1910. 4) M. Einhorn, Über eine Vereinfachung der Jacoby-Solms?schen Rizin- methode der Pepsinbestimmung. Berliner klin. Wochenschr. Bd. 45 S. 1567. 1908. 5) A. Fubini, Neue klinische Methoden für die Pepsinbestimmung. Gazz. Osp. t. 30 p. 409, nach Biochem. Zentralbl. Bd. 9 S. 348. 1909/1910. Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 203 nach Witte!) die Jacoby-Solms’sche Methode in den Fällen, bei denen der zu prüfende Magensaft nicht völlig klar zu filtrieren ist. Für sehr gut wird die Fuld’sche Methode erklärt von Feig]?) und Reeve-Ramsay°), für genau die Rizinmethode von Lef- mann*) und Oguro?°); nach der Ansicht von Fuld und Levison ist das Edestin schon deswegen dem Rizin vorzuziehen, weil das von Prof. M. Jacoby angegebene „Rizinpräparat“ der Vereinigten chemi- schen Werke in Charlottenburg ein unreines Produkt, ein Gemenge von allerlei Substanzen, unter anderen dem hochgiftigen Rizin, ist. Ver- suche von K. Meyer‘) liefern genau übereinstimmende Resultate mit der Edestinprobe von Fuld und der Gross’schen Kasein- methode. Rosenstern’) fand bei Untersuchungen der Pepsin- sekretion bei Säuglingen mit der Jacoby-Solms’schen Methode sleiche Ergebnisse wie A. H. Meyer°) mit dem Hammerschlas- schen Verfahren; doch waren zu letzteren Versuchen nicht genaue quantitative Resultate nötig, um eine gewisse Gleichheit feststellen zu können. Schliesslich liefert Reicher’), der neben den ver- schiedenen Eigenschaften der Jacoby’schen und Fuld’schen Methode die geringe Erfordernis von bloss 11/—2 cem Magensaft, als zweckmässig hervorhebt, einige Zahlen über die Empfindlichheit der genannten Verfahren; bei der Jacoby ’schen Rizinmethode genügen 0,000021 g Pepsin zur Aufhellung, mit der Fuld’schen Probe wird eine Wirkung von 0,000017 g Pepsin noch angezeigt. 1) J. Witte, Über die neue Methode quantitativer Pepsinbestimmung nach Jacoby und Solms. Berliner klin. Wochenschr. Bd 44 S. 1338. 1907. 2) J. Feigl, Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss von Arznei- ' mitteln auf die Magensaftsekretion. Biochem. Zeitschr. Bd. 6 S. 17. 1907. 3) W. Reeve-Ramsey, Über das Vorhandensein von Pepsin im Magen des Säuglings usw. Jahrb. für Kinderheilk. Bd. 68 S. 191. 1908. 4) G. Lefmann, Der Pepsingehalt des nüchternen Magens. Mediz. Klinik Bd. 4 S. 823. 1908. 5) Y. Oguro, Über die Wirkung des Pepsins bei niederen Temperaturen. Biochem. Zeitschr. Bd. 22 S. 279. 1909. 6) K. Meyer, Ist das Schütz’sche Gesetz der Pepsinverdauung ungültig ? ' Berliner klin. Wochenschr. Bd. 45 S. 1485. 1908. 7) J. Rosenstern, Untersuchungen über die Pepsinsekretion des gesunden und kranken Säuglings. Berliner klin. Wochenschr. Bd. 45 S. 542. 1908. 8) A. H. Meyer, Zur Kenntnis der Magensaftsekretion der Säuglinge. Arch. f. Kinderheilk. Bd. 35 8. 79. 1903. 9) K. Reicher, Über neuere Methoden quantitativer Pepsinbestimmung. Wiener klin. Wochenschr, Bd. 20 S. 1508. 1907. 14 * 204 Wilhelm Waldschmidt: Vielleicht lässt sich hier noch die Bemerkung von Liebmann!) anschliessen, der eine feststehende Emulsion koagulierten Eiweisses als Substrat verwendet, dass eine Bestimmung der Zeit, die bis zur völligen Wasserklarheit der Mischung vergeht, nicht praktisch sei und nur einigermaassen mit Genauigkeit bei sehr kräftig wirkenden Pepsinlösungen vorgenommen werden könne. Deswegen misst Liebmann den Aufhellungsgrad dadurch, dass er nach Verlauf einer bekannten Zeit untersuchte, wie stark eine nicht verdaute Emulsion verdünnt werden muss, um dieselbe Klarheit zu zeigen wie die verdaute. II. Die Methoden dieser Gruppe beruhen darauf, nach einer bestimmten Zeit oder nach bestimmten Zeiten mehreremal hintereinander die Menge der Verdauungsprodukte zu bestimmen, wie dies auf die ver- schiedenste Weise geschehen ist, z. B. mit dem Polariskop von Schütz, spektrophotometrisch von Klug, mit der Bestimmung des spezifischen Gewichts der gebildeten Peptone von Nussbaum, durch Bestimmung des Stickstoffs in den Peptonlösungen nach Sjöquist u. a. Dann gehören hierher die Methoden von Grünhagen und Grützner und schliesslich auch die von Volhard. Schütz?) verwendet als Verdauungsobjekt eine Lösung von slobulinfreiem Eieralbumin, von dem er gleiche Mengen durch ver- schiedene Mengen Pepsinlösung verdauen lässt. Nach. bestimmter Zeit werden aus dem Verdauungsprodukt alle Eiweisskörper mit Ausnahme des Peptons als Eisenoxydsalze ausgefällt, die Lösung des rückständigen Peptons in allen Fällen auf ein und dasselbe Volumen gebracht und ihre Drehung mit dem Hofmann-Wild’schen Polaristrobometer bestimmt. Schütz stellte dabei fest, dass sich nach einer bestimmten Verdauungszeit die Peptondrehungen, oder was dasselbe ist, die Peptonmengen verhalten wie die Quadrat- wurzeln aus den Pepsinmengen. Zweifel?) lässt eine Kaseinlösung 1) P. Liebmann, Eine neue Methode klinischer Pepsinbestimmung. Mediz. Klinik Bd. 5 S. 1784. 1909. 2) E. Schütz, Über den Pepsingehalt des Magensaftes bei normalen und pathologischen Zuständen. Zeitschr. f. Heilk. Bd. 5 S. 401. 1884. — E. Schütz, Eine Methode zur Bestimmung der relativen Pepsinmenge. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 9 S. 577. 1885. 3) Zweifel, Untersuchungen über den Verdauuugsapparat der Neugeborener S. 28. Berlin 1874. Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 205 dreimal 24 Stunden bei 40° mit Pepsin verdauen, neutralisiert, kocht nach Hinzufügen eines Tropfens Essigsäure und prüft im Soleil- Ventzke’schen Polarisationsapparat. Nach demselben Prinzip verfahren Abderhalden und Koelker!), die als sehr geeignet zur Verdauung das d-Alanyl-d-Alanin verwenden, das stark links- drehend ist, während das entstehende Alanin nur sehr schwach dreht. Johannesen?) versuchte die Biuretreaktion zu benutzen, die ja an und für sich eine sehr feine Reaktion ist; aber er überzeugte sich durch zahlreiche Versuche, dass sie sich dennoch nicht dazu eignet, durch die Modifikation der Farbe die grössere oder geringere Menge von Pepton zu zeigen, da die Farbe ziemlich gleichartig bleibt, sobald eine solche Menge von Peptonen aufgetreten ist, dass die Reaktion überhaupt zustande kommen kann. Später be- nutzte Kaufmann?) diese Reaktion gleichmässig zu Parallel- versuchen nach der Mett’schen Probe und betont, dass die Stärke ‚der Biuretprobe der Stärke der Eiweissverdauung nach Mett ziem- lich parallel läuft. Auch Vernon*) glaubt die Pepton spaltende Kraft des Ferments vermöge der kolorimetrischen Biuretreaktion ab- schätzen zu können. Dass eine Peptonlösung mit Kali und Kupfervitriol im Spektral- apparat eine starke Absorption des Grün hervorruft, die sich mit abnehmender Intensität auf das Gelb und Blau erstreckt, erwähnt schon Brücke?°). Dies ist die Grundlage der Methode von Klug‘) zur quantitativen Bestimmung der Verdauungsprodukte. Eine Eiweiss- lösung wird eine bestimmte Zeit verdaut, zur Ausfällung des un- verdauten Eiweisses aufgekocht und neutralisiert; davon werden etwa 4 ccm genommen, 2 ecm konzentrierte Natronlauge und sechs 1)E. Abderhalden und A. H. Koelker, Die Verwendung optisch aktiver Polypeptide zur Prüfung der Wirksamkeit proteolytischer Fermente. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 51 S. 294. 1907. 2) S. oben 8. 198. 3) J. Kaufmann, Zur Frage der quantitativen Pepsinbestimmung nach Mett. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 9 S. 562. 1903. 4) H. M. Vernon, The peptone-splitting ferments of the pancreas and intestine. The Journal of Physiology vol. 30 p. 330. 1904. 5) E. Brücke, Einige Versuche über sogenannte Peptone. Sitzungsberichte der k. Akad. der Wissensch. zu Wien Bd. 61 S. 250. 1870. 6) F. Klug, Untersuchungen über Pepsinverdauung. Pflüger’s Arch, Ba. 60 5.43. 1895. — F. Klug, Beiträge zur Pepsinverdauung. Pflüger’s Arch. Bd. 65 S. 330. 1896. 206 Wilhelm Waldschmidt: Tropfen einer 10°/oigen Kupfersulfatlösung hinzugefügt, gut um- geschüttelt und filtriert. Das reine Filtrat wird in einem Schultze- schen Trog vor dem Glan’schen Spektrophotometer untersucht und diese Ablesung mit einer anderen, bei der der Glastrog mit destil- liertem Wasser gefüllt war, verglichen. Die Differenz dieser beiden Ablesungen eibt dann das Maass der Verdauung an. Nur zur Bestimmung eben noch nachweisbarer Spuren von ent- standenem Pepton benutzt Jaworski!) die Biuretreaktion. Er will nachweisen, in welcher Verdünnung ein Magensaft eben nicht mehr imstande ist, Eiweiss zu lösen. Gibt die Verdauungsflüssigkeit nach 24 Stunden bei 40° kein Zeichen von Abdauung des Eiweissstückes und bei Prüfung auf Biuretreaktion weder einen rosa noch violetten Schimmer mehr, und zeigt sie sich so als ganz verdauungsunfähig, so ist diese Lösung als die Grenze der Verdauung zu betrachten. E. Müller’) verdünnt das zu prüfende Material so lange mit ab- gemessenen Mengen physiologischer Kochsalzlösung, bis auf der glatten Oberfläche einer Löfflerplatte (Petrischale, die erstarrtes Blutserum und etwas Traubenzuckerbouillon enthält) jede Dellenbildung ausbleibt. Landerer°) führt die Verdünnungen so lange fort, bis von Grützner’- schem Karminfibrin eben nichts mehr verdaut wird. Im Gegensatz zu diesen Methoden lässt Herzen*) Eiweiss oder Fibrin bis zur völligen Erschöpfung des peptonisierenden Fermentes verdauen. In eine verdauende Lösung wirft er Fibrin- flocken; sind diese verdaut, dann wieder einige Fibrinflocken und dies so lange, bis keine Lösung mehr eintritt. Mit dieser Methode erhält Herzen, wie er sich ausdrückt, „die unbekannten Millieramm Pepsin in Gramm Eiweiss“. Nur kurz soll hier das Verfahren von Nussbaum?) erwähnt werden, der durch Feststellung des verschiedenen spezifischen Ge- 1) W. Jaworski, Methoden zur Bestimmung der Intensität der Pepsin- ausscheidung aus dem menschlichen Magen usw. Münch. med. Wochenschr. Bd. 34 S. 634. 1887. 2)E. Müller, Über das Verhalten des proteolytischen Leukocythen- fermentes usw. Deutsches Arch. f. klin. Mediz. Bd. 91 S. 291. 1907. 3) R. Landerer, Über das Verhalten von Pepsin und Lab im Fundus und Pylorus usw. Deutsches Arch. f. klin. Mediz. Bd. 93 S. 563. 1908. 4) A. Herzen, Le chimisme stomacal. Revue medicale de la Suisse romande t. 11 p. 153. 1891. 5) M. Nussbaum, Über den Bau und die Tätigkeit der Drüsen. Arch. f. mikroskop. Anat. Bd. 15 S. 119. 1878. Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 307 wichts der Verdauungslösung vor und nach der Verdauung bei gleicher Temperatur mit dem Pyknometer eine Zunahme des spezi- fischen Gewichtes findet. Mit Recht betont Grützner!), dass diese Methode nicht sehr genau und dabei schwierig auszuführen ist, da die Unterschiede im spezifischen Gewicht zweier verschieden starker Peptonlösungen äusserst gering sind. Sonderbar ist es, wie einige Forscher allen anderen quantita- tiven Pepsinbestimmungsmethoden die doch recht umständliche und zeitraubende Bestimmung des Stickstoffgehalts der Peptone nach Kjeldahl vorziehen. Katz?) verfuhr bei seinen Versuchen über den Einfluss verschiedener Medikamente auf die künstliche Verdauung so, dass er nach stattgehabter Verdauung mittelst Hof- meister’s Methode) (Ausfällung mit Eisenchlorid und essigsaurem Natron) die Eiweisskörper abschied. Dann bestimmte er die Menge der in dem Filtrat enthaltenen Peptone, indem er deren Stickstoff- sehalt nach der Kjeldahl’schen Methode feststellte. Bei Sal- kowski*) wird zur Verdauung abgewogenes feuchtes Fibrin benutzt, 5 Stunden bei 33° mit Magensaft verdaut, dann schnell mit der er- forderlichen, vorher ermittelten Quantität T Natronlauge neutrali- siert, gekocht, mit Essigsäure schwach angesäuert und durch ge- wogene Filter heiss filtriert. Der Rückstand auf dem Filter wird nach gründlichem Auswaschen bis zum konstanten Gewicht getrocknet und gewogen oder’) auch sein Eiweissgehalt nach Kjeldahl er- mittel. Das Filtrat und Waschwasser werden eingedampft, darin der Stickstoff bestimmt, mit 6,25 multipliziert und so das peptoni- sierte Eiweiss berechnet. Nach diesen Angaben arbeiten Hahn®), 1) P. Grützner, Über Bildung und Ausscheidung von Fermenten. Pflüger’s Arch. Bd; 20 S. 395. 1879. 2) A. Katz, Über den Einfluss verschiedener Medikamente auf die künst- liche Verdauung. Wiener mediz. Blätter Bd. 12 8.419. 1889. 3) F. Hofmeister, Zur Lehre vom Pepton. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 6 S. 51. 1882. 4) E. Salkowski, Über die Zusammensetzung und Anwendbarkeit des käuflichen Saccharins. Virchow’s Arch. Bd. 120 S. 325. 1890. 5) E. Salkowski, Über die Bindung der Salzsäure durch Amidosäuren. Virchow’s Arch. Bd. 127 S. 501. 189. 6) M. Hahn, Über die Einwirkung verschiedener Säuren auf die Pepsin- verdauung. Virchow’s Arch. Bd. 137 S. 597. 1894. 308 Wilhelm Waldschmidt: CGroner!), Levites?), mit flüssigem Hühnereiweiss Bertels?°), Dubs*, Oppler’), J. Schütz‘). Sjöquist”) verwendet pulverförmiges Eiweiss und hält die Gläser während der Verdauung in dauernder Bewegung, um ein Sinken auf den Boden zu ver- hindern. Um eine noch grössere Genauigkeit zu erzielen. bestimmt er ausserdem, wie auch O’Sullivan°), den Gehalt des Pepsins an Eiweiss, den er dann in Rechnung zieht. Diese Methode ist zweifel- los recht genau — Brodzki’) und Benfey!?) benutzen sie sogar zur quantitativen Bestimmung proteolytischer Fermente im Urin —, für den Praktiker wird sie indessen wegen der grossen Schwierigkeit und Umständlichkeit kaum in Betracht kommen. Auf eine ganz andere Art weiss Grünhagen!!) seine Versuche anzustellen. Er benutzte weiss gewaschenes Blutfibrin, liess es in 0,2%0 Salzsäure zu einer Gallerte aufquellen, von der er gleiche Volumina auf Filter von gleicher Grösse in gleiche Glastrichter brachte. Zu diesen Fibrinmengen setzte er verschiedene Volumina von Pepsinlösungen z. B. 0,05, 0,1, 0,2 eem hinzu. Das Pepsin ver- flüssigte nun das Fibrin und dieses filtrierte ab. So konnte er die in einer Zeiteinheit abgeflossenen Mengen bestimmen. 1) W. Croner, Zur Frage der Pepsinverdauung. Virchow’s Arch. Bd. 150 S. 260. 1897. 2) S. Levites, Peptische Spaltung des Eiweisses. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 48 S. 187. 1906. 3) A. Beitels, Über den Einfluss des Chloroforms auf die Pepsin- verdauung. Virchow’s Arch. Bd. 130 S. 497. 189. 4) Dubs, Der Einfluss des Chloroforms auf die künstliche Pepsinverdauung. Virchow’s Arch. Bd. 134 8. 519. 1894. 5) S. oben S. 196. 6) J. Schütz, Zur Kenntnis der quantitativen Pepsinwirkung. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 30 S. 1. 1900. 7) J. Sjöquist, Physiologisch-chemische Beobachtungen über 'Salzsäure. Skandinav. Arch. f. Physiol. Bd. 5 8. 277. 1895. Ss) J. O’Sullivan, A method of determining the proteolytic action of pepsin. Journ. Soc. chem. Ind. vol. 24 p. 330, nach Biochem. Zentralbl. Bd. 4 S. 368. 1905/1906. 9) J. Brodzki, Über urotryptische Fermente. Zeitschr. f. klin. Medizin Bd. 63 8. 537. 1907. 10) A. Benfey, Über eiweissspaltende Enzyme im Säuglingsharn. Virchow’s Arch. Bd. 150 S. 260. 1897. 11) A. Grünhagen, Neue Methode, die Wirkung des Magenpepsins zu veranschaulichen und zu messen. Pflüger’s Arch. Bd.5 8. 203. 1872. a Pe sinne rn ini Te en me Über die versch. Methoden, Pepsin und T'rypsin quantit. zu bestimmen etc. 209 Wenn man, wie dies zuerst v. Wittich (mündliche Mitteilung an Grützner), später Grützner selbst und Korn!) getan haben, statt gewöhnlichen Fibrins das Grützner’sche Karminfibrin an- wendet, so tritt, worauf Grützner zuerst aufmerksam machte, die merkwürdige Erscheinung auf, dass die durch mehr Pepsin erzeugten grösseren Filtratmengen dunkler sind, als die durch weniger Pepsin erzeugten geringeren. Die Grützner’sche Methode?), mit der dann Korn auch ausführliche Versuche anstellte, ist unvergleichlich genauer und ein- facher. Eine grössere Menge Blutfibrin wird in der Fleischhack- maschine fein zerkleinert, dann sorgfältig ausgewaschen und in Glycerin aufbewahrt. Für eine grössere Versuchsreihe wird sodann eine entsprechende Menge von diesem Fibrin in einer Y/a—!/a °/o ammoniakalischen Karminlösung, die möglichst wenig überschüssiges Ammoniak enthalten soll, ad maximum gefärbt, bis es ganz dunkel- rot aussieht. Nach abermaligem, gutem Auswaschen in gewöhn- lichem, dann mit etwas Essigsäure angesäuertem Wasser wird das gefärbte Fibrin in Glycerin aufbewahrt. So hergestellt hält sich das Karminfibrin jahrelang gebrauchsfähig; man kann es auch von der Firma E. Merck-Darmstadt beziehen. Bei deu Versuchen wird nun dieses Karminfibrin durch sorgfältiges Auswaschen vom Glycerin befreit, sodann mit der etwa 5—6fachen Menge Salzsäure von 0,1 übergossen und nochmals während des Quellens mit der Schere Sanz gut zerkleinert. Dadurch erhält man nach einiger Zeit eine schön karmoisinrot gefärbte, durchscheinende, gallertartige, durchaus oleichartige Masse, die aus ganz kleinen, gleichmässigen Flöckehen bunten Fibrins besteht. Von dieser Masse nimmt man nun gleich srosse Häufchen, die man am einiachsten nach dem Augenmaass auf einer Glasplatte zurecht macht. Diese Häufchen bringt man in Reagensgläser von gleicher Weite, in denen sich je 15 cem 0,1 °o Salzsäurelösung befinden und überzeugt sich, dass in den Gläschen die zu Boden gesunkenen Fibrinmengen (was einige Zeit in Anspruch nimmt) gleich hoch stehen. Sollte dies nicht der Fall sein (leichtes Aufklopfen fördert das zu Boden sinken), so bringt man durch Hinzu- 1) S. oben Korn S8. 27. 2) P. Grützner, Über eine neue Methode, Pepsinmengen kolorimetrisch zu bestimmen. Pflüger’s Arch. Bd.8 S. 452. 1874. — P. Grützner, Neue Untersuchungen über die Bildung und Ausscheidung des Pepsins. Habilitations- schrift. Breslau 1875. 310 Wilhelm Waldschmidt: fügen von ein paar Flöckchen alle Fibrinmengen auf gleiche Höhe und macht sie dadurch einander vollkommen gleich. Dann wird in steigenden Mengen Pepsinlösung, die mit 0,1°o HCI immer auf das gleiche Volumen gebracht sein müssen, hinzugefügt. Es löst sich dann unter der Einwirkung des Pepsins das Karminfibrin auf; das frei- werdende Karmin färbt die Flüssigkeit rot, und aus dem Grad der Färbung lässt sich dann leicht ein Schluss auf den Gang und Stand der Verdauung in den verschiedenen Gläscher ziehen. Um sich die Sehätzung des Färbungsgrades der untersuchten Flüssigkeiten zu erleichtern und ein für allemal zu sichern, empfiehlt es sich, eine Stammfarbenskala anzufertigen aus 0,1°/o Karmingelyzerin. Da diese sich, besonders in erellem Licht, nicht sehr lange hält, muss man sich ab und zu eine neue aus Karminglycerin, das in starker Lösung unbegrenzt seine Farbe behält, herstellen. Wojwodoff!), der vergleichende Untersuchungen über die Mett’sche, Grützner’sche und Volhard’sche Pepsinbestimmungsmethode anstellte, empfiehlt die beiden letzteren, besonders für kleine Pepsinmengen, sehr, er- klärt nur bei der Grützner’schen die schnelle Veränderung. der Farbenskala als einen Übelstand. Doch ich meine, eine solche ist schnell nach der eben erwähnten Beschreibung hergestellt. Saw- jalow?), der zu seinen Versuchen getrocknetes Karminfibrin ab- wiegt, benutzt das Dusbosq’sche Kolorimeter, um die Intensität der Farben leichter bestimmen zu können. Neuerdings hat Grützner?) ein Kolorimeter angegeben, mit dem man allerdings um ein gut Teil einfacher und staunenswert genau zwei Farben mit- einander vergleichen kann. Ausser der irrigen Beurteilung der Grützner’schen Methode von Oppenheimer), der eine nach seiner Art veränderte Grün- hagen’sche Methode als die Grützner’sche beschreibt und sie 1) St. Wojwodoff, Über die Methoden der Pepsinbestimmung und das Fermentgesetz. Med. Inaug.-Diss. Berlin 1907. 2) W. Sawjalow, Zur Frage nach der Identität von Pepsin und Chymosin. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 46 S. 307. 1905. 3) P. v. Grützner, Mediz.-naturwissensch. Verein Tübingen, Sitzung vom 23. Jan. 1911. Münchener med. Wochenschr. 1911 Nr. 14. 4) C. Oppenheimer, Die Fermente und ihre Wirkungen, 2. Aufl. Leipzig 1903. 3. Aufl., 1909, S. 128. — R. Tigerstedt, Handbuch der physiologischen Methodik Bd. 2 Abt.2 8.67. Leipzig 1908. — P. v. Grützner, Versuche und Betrachtungen über meine Methode, Pepsin kolorimetrisch zu bestimmen. Estratto dall’ Archivio di Fisiologia vol. 7 p. 223. 1909. Über die versch. Methoden, Pepsin und T'rypsin quantit. zu bestimmen ete. 211 als unbrauchbar bezeichnet!), spricht besonders Nussbaum?) sich gegen sie aus, welcher behauptet, dass ihr nicht der Grad von Genauig- keit zukomme, den ihr Erfinder dafür in Anspruch nimmt; doch scheint es, als ob Nussbaum selbst mit ihr nie einen Versuch an- gestellt hat?). Um einige Forscher zu nennen, welche die Grützner- sche Methode erprobt und als genau anerkanut haben, seien hier ausser R. Heidenhain, Langley, C. Voit (mündliche Mit- teilung an Grützner) z. B. Partsch®, Wroblewski?°). Pfleiderer‘), Hohmeier’) erwähnt. Doch dies sind etwas ältere Arbeiten, und um die Gültigkeit einer Methode in der Jetzt- zeit zu erfahren, muss man auch Urteile hören, die aus der Zeit stammen, in der die vielen neuen Methoden schon entstanden waren. So bezeichnet Cohnheim°) sie in Nagel’s Handbuch der Physiologie des Menschen als bequem und wohl nicht ungenauer als die Mett- sche Methode; Oguro°) empfiehlt von allen besonders die Karmin- fibrin- und die Rizinprobe; A. Müller!) fällt über sie folgendes Urteil: Die Grützner’sche Methode gibt bei exakter Ausführung völlig zuverlässige Resultate, sie gestattet sehr geringe Unterschiede in Vergleichsproben zu erkennen, sie arbeitet ungemein rasch und mühelos. Vor allem gestattet sie einen Einblick in den ganzen Ver- 1) Neuerdings hat sich Oppenheimer, wie mir Herr Prof. v. Grützner eben mitteilt, von seinem Irrtum überzeugt. Siehe Zentralbl. f. Biochem. u. Biophys. Bd. 12 Nr. 1442, 2) M. Nussbaum, Über den Bau und die Tätigkeit der Drüsen. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 13 S. 721. 1877. 3) P. v. Grützner, Über Bildung und Ausscheidung von Fermenten. Pflüger’s Arch. Bd. 16 S. 105. 1878. 4) 0. Partsch, Beiträge zur Kenntnis des Vorderdarms einiger Amphibien und Reptilien. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 14 S. 179. 1877. 5) A. Wroblewski, Zur Kenntnis des Pepsins. Zeitschr. f. pbysiol. Chemie Bd. 21 S.1. 1895/1896. 6) R. Pfleiderer, Ein Beitrag zur Pepsin- und Labwirkung. Pflüger’s Arch. Bd. 66 S. 605. 1897. 2) Fr. Hohmeier, Über die Änderungen der Fermentmengen im Magen- inhalt. Inaug.-Diss. Tübingen 1901. 8) O0. Cohnheim, Die Physiologie der Verdauung und Aufsaugung. In Nagel’s Handb. der Physiol. des Menschen Bd. 2 S. 516. 1907. 9) Y. Oguro, Über eine Methode zum quantitativen Nachweis des Anti- pepsins im Serum. Biochem. Zeitschr. Bd. 22 S. 266. 1909. 10) A. Müller, Der Einfluss der Salzsäure auf die Pepsinverdauung. Deutsches Arch. f. klin. Medizin Bd. 88 S. 522. 1907. 313 Wilhelm Waldschmidt: lauf des Vorganges, während die meisten anderen Verfahren, speziell die vom chemischen Standpunkt aus exaktesten, nur einen End- zustand festhalten. Auch sei hier noch das Urteil von Wojwodoff!) erwähnt, welcher in dem Laboratorium von Krauss eingehende uni sorgfältige Untersuchungen über verschiedene quantitative Methoden angestellt hat und zu folgendem Ergebnis kommt. Er sagt: „Was die Handlichkeit der Methoden betrifft, so ist die Grützner’sche Methode zweifellos die einfachste. Man kann sie im Reagenzglas wie irgendeine andere einfache chemische Probe anstellen, um schon nach wenigen Minuten die Reaktion zu bekommen.“ „Vergleicht man die Empfindlichkeit der Proben (von Grützner, Mett, Vol- hard), so ist zu bemerken, dass die Grenzen, innerhalb welcher die Reaktion eintritt, sehr verschieden sind. Am empfindlichsten ist die Grützner’sche Methode, die selbst bei Spuren von Pepsin in kürzester Zeit noch brauchbare Resultate gibt. Fehler der Methode sollen darin liegen, dass die Farbenskala nicht haltbar ist (aber siehe S. 210), und dass sie keine absoluten Werte gibt, was streng ge- nommen aber von jeder quantitativen Pepsinbestimmung gilt. Die Volhard’sche Pepsinbestimmungsmethode ?) ist aus dem Ver- fahren von Meunier, sowie dem von Thomas und Weber?) kombiniert. Meunier’s*) Methode beruht darauf, einen Fiweissstoff, das Kasein, im Magensaft, dessen Wert an Pepsin man sucht, ver- dauen zu lassen, den Gehalt an freier Salzsäure vor und nach der Verdanung zu bestimmen und aus der Abnahme der Salzsäure, welche durch die Peptone gebunden wird, den Wert an Pepsin des Magensaftes zu berechnen. Zur Bestimmung der freien Salz- säure dient eine Kombination der beiden Reagentien Diemethyl- amidoazobenzol und Phlorogluein-Vanillin. Glaessner?°) behauptet, dass der einzige Unterschied zwischen der alten Meunier’schen und der Volhard’schen Methode der ist, dass Meunier die freie 1) St. Wojwodoff, Über die Methoden der Pepsinbestimmung usw. S. 24 ff. Medizin. Inaug.-Diss. Berlin 1907. 2) F. Volhard, Über eine neue Methode der quantitativen Pepsin- bestimmung usw. Münchener medizin. Wochenschr. Bd. 50 8. 2129. 1903. 8) S. oben 8. 191. 4) L. Meunier, Recherche quantitative de la pepsine dans le suc gastrique. Compt. rend. de la soc. de biol. t. 53 p. 960. 1901. 5) K. Glaessner, Über eine Methode der quantitativen Pepsinbestimmung usw. Münchener med. Wochenschr. Bd. 50 S. 2298. 1908. | | | | | | | Uber die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 2]3 Säure im Filtrat bestimmt, während Volhard die Gesamtaeidität berechnet, worauf Volhard!) erwidert, dass seine Methode auf dem keineswegs selbstverständlichen Prinzip beruhe, dass bei Fällung des Kaseins durch Natriumsulfat die gebundene Salzsäure in äquivalenten Mensen am ausgefällten Eiweiss haften bleibt und nur so weit durchs Filter geht, als Eiweiss verdaut worden ist. Ein Versuch nach Volhard stellt sich nun so dar: Zu 100 ecm der von Thom'as und Weber gebrauchten Natriumkaseinlösung werden zur Pepsin- verdauung 11 ccm Normalsalzsäure zugesetzt. Nach Hinzufügen einer genau abgemessenen Menge Magensaft stellt man das Ver- dauungsgemisch für eine bestimmte Zeit in ein Wasserbad von 40°. Durch Zusetzen von 20°/o Natriumsulfatlösung fällt das bis dahin unverdaute salzsaure Kasein in Flocken aus, während die wasser- löslich gewordenen salzsauren Verdauungsprodukte ins Filtrat über- gehen. Demgemäss ist der Kaseinniederschlag um so geringer und das Filtrat um so saurer, je mehr Kasein verdaut wurde. Das Filtrat und eine Vergleichslösung ohne Fermentzusatz werden mit n 19 halten sich dann die Aeiditätszunahmen wie die Quadratwurzeln aus den Pepsinmengen. Diese Methode wird wegen ihrer Genauigkeit allgemein sehr gelobt; es soll nur auf die Arbeiten von Löhlein?), Schütz?), Afonski®), Küttner°), Molnar‘) hingewiesen werden; doch die Zeit, welche die Vorbereitungen zu einem solchen Versuch ein- nehmen und die derselbe selbst mit dem Ausfällen, Filtrieren, Titrieren sebraucht, machen ihn für die allgemeine Anwendung nicht geeignet. Natronlauge mit Phenolphtalein als Indikator titriert. Es ver- 1) F.Volhard, Erwiderungen auf die Bemerkungen Glaessner’s usw. Münchener med. Wochenschr. Bd. 51 S. 157. 1904. 2) W. Löhlein, Über die Volhard’sche Methode der quantitativen Pepsin- und Trypsinbestimmung durch Titration. Hofmeister’s Beitr. z. chem. Physiol. Bd. 7 S. 420. 1906. 3) J. Schütz, Über Pepsinverdauung bei Abwesenheit freier Salzsäure. Wiener klin. Wochenschr. Bd. 20 S. 1361. 1907. 4) N. P. Afonski, Materialien zur Frage über den relativen klinischen Wert der quantitativen Pepsinbestimmung im Magensaft. Diss. Petersburg 1907. Nach Biochem. Zentralbl. Bd. 6 S. 940. 1907. 5) 8. Küttner, Über die Volhard’sche Pepsinbestimmung. Zeitschr. f. - physiol. Chemie Bd. 52 S. 63. 1907. 6) B. Molnar, Über die Frage des Übertritts von Pankreassaft in den Magen. Zeitschr. f. klin. Medizin Bd. 37 S. 188. 1909. 214 Wilhelm Waldschmidt: IV. Gesondert von den übrigen ist noch eine Me- thode zu besprechen, die sich dadurch von allen anderen unterscheidet, dass bei ihr die Oberfläche des zu verdauenden Objektes so gut wie konstant bleibt. Dies ist die Mett’sche Methode. Mett, der schon 1889 sein Verfahren in einer russischen Arbeit: : „Beiträge zur Physiologie der Bauchspeicheldrüse“ veröffentlicht hatte, beschrieb diese 1594 in deutscher Sprache!). In ein Glas- röhrehen mit einem inneren Durchmesser von I—2 mm wird durch Einsaugen das flüssige Eiweiss von möglichst frischen Eiern auf- genommen, die Röhre genau auf 1 Minute in bis 95° C. erhitztes Wasser eingetaucht, und darauf wird die Röhre mit dem Eiweiss langsam abgekühlt. Hierauf zerteilt man dieselbe mit Hilfe einer Feile in einzelne Stücke, wobei sorgfältig darauf zu achten ist, dass die Eiweisszylinder sich genau am Durchschnitt der Glasröhre teilen und keine Räume sich zwischen dem Eiweiss und dem Glase bilden. Diese kleinen Stückchen werden in 1—2 cem der zu untersuchenden Flüssigkeit getan. Die Proben werden gewöhnlich auf 10 Stunden in den auf 37—38° C. regulierten Thermostaten gestellt und be- dürfen nun keiner weiteren Beobachtung. Mit Hilfe eines Milli- meterlineals und eines schwach vergrössernden Mikroskopes misst man die Länge des ganzen Röhrchens und die Menge des in ihm unverdaut zurückgebliebenen Eiweisszylinders. Ihre Differenz drückt in Millimetern und Bruchteilen die Länge des verdauten Eiweiss- zylinders aus. Pawlow2) und seine Schüler?) benutzten diese Methode wegen der Bequemlichkeit der Anwendung, ihrer Objektivität und Genauig- keit der Resultate ausschliesslich. Doch muss hier gieich hinzu- gefügt werden, dass zu der Zeit nur einige Methoden der Pepsin- bestimmung bekannt waren. Und so ist in den letzten Jahren ein auseedehnter Streit über ihren Wert und Unwert entstanden. 1) S. G. Mett, Beiträge zur Physiologie der Absonderungen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1394 S. 58. 2) J. P. Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen S. 3. Übersetzt aus dem Russischen von A. Walther. Wiesbaden 1898. 3) Koudrewetzky, Materiaux pour la physiologie de la glande sous- stomacale. Inaug.-Diss. St. Petersbourg 1890. — Ketscher, Reflexe de la cavit& buccale sur la secretion stomacale. Inaug.-Diss. St. Petersbourg 1890. — Borissow, La substance zymogene et sa transformation en pepsine active. Inaug.-Diss. St. Petersbourg 1891. Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 215 Es sind verschiedene Fehler, die der Mett’schen Methode zum Vorwurf gemacht werden. 1. Bei Herstellung der Röhrchen bilden sich in dem Eiweiss oft kleine Luftbläschen, die dann während der Verdauung das Heran- treten des Magensaftes an das Eiweiss hindern. Um diese zu be- seitigen, saugt Grützner!) in die Röhrchen Eiweiss, das längere Zeit auf 40° erwärmt war, damit die Blasen aufstiesen, und legt die zerschnittenen Glasstückchen in 0,2°/o Salzsäure, wo das Eiweiss etwas quillt und sich an die Wandungen anlest. Tronow?) findet, dass die Luftbläschen verschwinden, wenn man die Röhrchen erst drei Tage nach der Koagulation verwendet. Meier?) erwärmt, um die sehr störenden Luftblasen in den Eiweissröhrchen zu vermeiden, diese, die zum Aufhängen an beiden Enden umgebogen sind, im Wasserbade auf ca. 70°. 2. Auch die Messung des unverdauten Eiweisses gibt zu Un- genauigkeiten Anlass*). Erscheint die Grenze zwischen nicht Verdautem und Unverdautem dem blossen Auge scharf, so ist man, wenn man unter der Lupe keine scharfe Grenze zwischen geronnenem Fiweiss und Flüssigkeit sieht, sondern einen allmählichen Übergang von dem noch undurchsichtigen Eiweiss in mehr durchscheinendes und schliess- lich flüssiges, oft im Zweifel, welchen Punkt man als Grenze annehmen soll. Deswegen begnügt sich von Rzentkowski?’) mit einer Ablesung mit blossem Auge auf einem in Millimeter ein- geteilten Maassttab. Samojloff‘), spannt, um die Grenze 1) P. Grützner, Ein Beitrag zum Mechanismus der Magenverdauung. Pflüger’s Arch. Bd. 106 S. 463. 190». 2) Tronow, Contribution A Jetude du suc gastrique. Inaug.-Diss. St. Petersbourg 1892. 3) H. Meier, Über eine Verbesserung des Mett’schen Verfahrens zur Be- stimmung der verdauenden Kraft von Flüssigkeiten. Berliner klin. Wochenschr. Bd. 43 S. 347. 1906. 4) A.Samojloff, Determination. du pouvoir fermentatif des liquides conte- nant de la pepsine par le proced& de M. Mett. Arch. des sciences biolog. de St. Petersbourg t. 2 p. 700. 1893. — M. Potapow-Pracaitis, Influence de quelques aliments et principes alimentaires sur la quantite et qualit€ du suc gastrique. These de Lausanne. Geneve 1901. 5) C. v. Rzentkowski, Studien über die proteolytische Kraft des Magen- inhaltes. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 9 S. 348. 1903. 6) A. Samojloff, Einige Bemerkungen zu der Methode von Mett. Pflüger’s Arch. Bd. 85 S. 86. 1901. 216 Wilhelm Waldschmidt: zwischen Unverdautem und Verdautem besser einstellen zu können, zwischen Mikroskop und Glasröhrchen ein Haar aus. Schor- lemmer!) baut einen geeigneten Messapparat, der gleichzeitig mit einer Schneidevorrichtung versehen ist, Jung?) ein „Pepsinometer“, Meier ein „Mettmeter“. 3. Eine ziemlich erhebliche Fehlerquelle entsteht durch die schädigende Wirkung der Peptone, die in den Röhrchen sitzen bleiben. Dies beweist deutlich ein Versuch von Grützner?). In den Röhr- chen wird mit Karmin gefärbtes Eiweiss koaguliert, ein Röhrchen senkrecht in die Verdauungslösung aufgehängt und der Verdauung überlassen. Es zeigt sich, dass die oberen Eiweisspartieen weniger weit verdaut sind als die unteren, und dass sich an Stelle des ver- dauten Eiweisses oben eine ziemlich intensiv gefärbte Flüssigkeit befindet, die genau bis zur Abschnittfläche des Glaszylinders reicht, während im unteren Teil des Gläschens die Stelle des verdauten Eiweisses von einer schwach rötlichen Flüssigkeit eingenommen ist, die sich allmählich durch die ganze Verdauungsflüssigkeit verbreitet. Die Ansammlung der Peptone in den Enden der Röhrchen wird verhindert durch Apparate, die während der Verdauung dieselben in dauernder Bewegung halten. Solche wurden von Schorlemmer und Jastrowitz*) angegeben. Dass der Verdauungsprozess nicht gleichmässig von beiden Seiten fortschreitet, wird an in Reagenz- gläsern schräggestellten Röhrehen aus dem eben beschriebenen Grund immer beobachtet?). So empfiehlt Meier eine horizontale Lage der Röhrchen während der Verdauung; doch müssen nach Schorlemmer die Enden von der Wandung der Glasschalen gleich weit entfernt liegen, damit beiderseits das Mageninhaltsfiltrat gut zutreten kann. Wie Korn nachweisen konnte, ist es zu beachten, ob die Röhrchen auf dem Boden des Gefässes liegen oder sich in höheren Schichten der verdauenden Flüssigkeiten befinden. Oben wird schneller verdaut als unten. 4. Schliesslich kann man bei stärkeren Verdünnungen des Magensaftes oder überhaupt bei pepsinarmen Säften deren Wirkung, 1) S. oben S. 196. 2) S. oben 8. 195. 3) in A. Korn, Inaug.-Diss. 8. 33. Tübingen. 1902. 4) S. oben S. 191. 5) Illoway, s. oben S. 196. — Troller, s. oben 8. 196. — Witte s. oben S. 203. — H. Wojwodoff, Inaug.-Diss. S. 14. Berlin 1907, Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen ete. 317 mit den Mett’schen Röhrchen nicht oder kaum nachweisen, da koaguliertes Hühnereiweiss ein schlechter Indikator für Pepsin ist !), Nierenstein und Schiff?) erklären die Mett’sche Methode deshalb in ihrer ursprünglichen Form für vollkommen unbrauchbar, da sie nicht selten fanden, dass, wenn man die Röhrchen in reine Magensäfte legte, der stärker verdauende der pepsinärmere und der weniger verdauende der pepsinreiche war. Sie verdünnten deshalb die Magensäfte auf das l6fache und gelauben so zu genaueren Er- gebnissen zu gelangen. Mag man übrigens vorgehen, wie man will, bei kleinen Pepsinmengen dürfte die Mett’sche Methode immer versagen. Für die Zweckmässigkeit der Verdünnung der Magensäfte, welche seinerzeit auch Grützner bei der Bestimmung des Pepsingehaltes von Hundemagensäften anwendete, sprechen sich verschiedene Forscher aus und arbeiten nach den Vorschriften von Nierenstein und Schiff. Ich will hier nur auf die Arbeiten von Blum und Fuld?), Sailer und Fair*), Mantovani°’), Wohlgemuth und Roeder®) aufmerksam machen. Über die kleinsten Mengen Pepsin, welche noch nach Mett und mit Fibrin nachweisbar sind, stellte Borrino”) Versuche an. Die Mett’schen Röhrchen waren noch 'zum Teil verdaut in einer Pepsinlösung von 0,005 &, dagegen unangegriffen bei 0,002 g nach 1) Vgl. hierüber z. B. Grützner, Pflüger’s Arch. Bd. 106 8. 478 u. ff. 1905, sowie H. Leo, Über die Säurebestimmung im Mageninhalt. Münchener mediz. Wochenschr. Bd. 52 S. 1491. 1905. 2) E. Nierenstein und A. Schiff, Über die Pepsinbestimmung nach Mett und die Notwendigkeit ihrer Modifikation für klinische Zwecke. Arch f. Verdauungskrankh. Bd. 8 S. 559. 1902, und Berliner klin. Wochenschr. Bd. 40 5.268. 1903. 3) L. Blum und E. Fuld, Über das Vorkommen eines Antipepsins im Magensaft. Zeitschr. f. klin. Mediz. Bd. 58 S. 505. 1906. 4) J. Sailer and C. B. Fair, Mett’s method for estimating the activity of pepsin. Univers. of Pensylvania. Med. Bull. vol. 19 p. 190. 1906, nach Biochem. Zentralbl. Bd. 5 S. 857. 1906/1907. 5) M.Mantovani, Attivitä proteolitica delle pepsine del commercio. Bull. Sc. Med. Bd. 78 Heft 9, nach Biochem. Zentralbl. Bd. 8 S. 146. 1909. 6) J. Wohlgemuth und H. Roeder, Über das Verhältnis von Lab zu Pepsin im Magen des Kindes. Biochem. Zeitschr. Bd.2 S 421. 1907. 7) A. Borrino, Proteolytische Fermente im Säuglingsurin. Monatsschr. f. Kinderheilk. Bd. 6 S. 177. 1907. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 15 218 Wilhelm Waldscehmidt: 12—24 Stunden; das Fibrin dagegen war noch bei 0,0002 g Pepsin vollkommen verdaut, nicht mehr bei 0,0001 g, also ganz ähnliche Resultate, wie sie Reicher!) bei der Prüfung der Empfindlichkeit der Jakoby’schen und Fuld’schen Methode gefunden hatte. Jastrowitz glaubt die guten Resultate von Pawlow und seinen Schülern mit der Mett’schen Methode darauf zurückführen zu können, dass diese stets mit den pepsinreichen und sehr wirk- samen Magensäften von Hunden arbeiteten. Kaufmann?) erhielt selbst hei Röhrchen, die peinlichst unter gleichen Bedingungen und zu gleicher Zeit hergestellt waren, Differenzen, welche in der gleichen Untersuchungsreihe bis 1 mm betrugen. Roth?) hatte bei Versuchen mit einer Verdauungszeit von 24 Stunden bei 37°C. im allgemeinen Unterschiede von 2—10 °/o, bei einzelnen sogar Diffe- renzen bis zu 27,4 °/o zu verzeichnen. Bei Jung ist der Normalwert der Pepsinverdauung 5,5—5,9 mm in 24 Stunden, bei v. Rzentkowski durchschnittlich 7,5 mm. Man kann wohl schon hieraus entnehmen, wieviel mit der Mett’schen Methode gearbeitet worden ist und wie eingehend man sich damit beschäftigt hat, um ihre Fehler zu beseitigen. Die An- sicht von Herrn Prof. v. Grützner geht, wie ich weiss, auch jetzt noch dahin, dass die Mett’sche Methode bei sorgfältiger Verwendung aller Fehlerquellen innerhalb gewisser Grenzen recht gut und durchaus brauchbar ist. (S. oben 8. 217 und Pflüger’s Arch. Bd. 106, S. 489). B. Quantitative Bestimmungen des Trypsins. Um die quantitativen Bestimmungsmethoden für das Trypsin kurz zu besprechen, kann man sich grösstenteils an die für das Pepsin beschriebenen Verfahren halten, da diese meistens auch für das Trypsin, nur in alkalischer statt saurer Lösung anwendbar sind. Ab und zu wird auch eine neue Methode hinzuzufügen sein. I. Oben ist eine Methode, obwohl man sie auch einige Male zu Pepsinbestimmungen benutzt hat*), nicht erwähnt worden, weil‘ sie von ihrem Entdecker nur für das Trypsin angewendet wurde. 1) S. oben 8. 203. 2) S. oben S. 205. 3) S. oben 8. 19. 4) A. Korn, s. oben 8.190. — P. v. Grützner, Über Fermentgesetze. Pflüger’s Arch. Bd. 141 8.76. 1911. Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 319 Vernon!) nämlich bemerkte, dass reiner Pankreassaft in den Mett’schen Röhrchen während einer 10stündigen Verdauungszeit bei 38° in der Regel nur 2 mm löst und sah sich wegen dieser geringen Verdaulichkeit von koaguliertem Eiweiss nach einem anderen Verfahren um. Von fein zerschnittenem Fibrin wird eine bestimmte Menge in einem kleinen graduierten Zentrifugengläschen 2 Minuten zentrifugiert, eine gleiche Menge von Fibrin lässt man 1 Stunde von Pankreassaft verdauen und zentrifugiert dann 2 Minuten. Nach Umschütteln lässt man 1 Stunde weiter verdauen, zentrifugiert wieder, liest ab und so fort. Die Differenz der Ablesungen an den Gläs- chen gibt dann ein Maass für die Fermentwirkung. Fermi?) verwendet erstarrten Leim zur Verdauung. 7 g reiner Gelatine in 100 & gesättigter wässriger Thymollösung werden durch Erwärmen verflüssigt, die Lösungen in die Reagenzgläschen gefüllt, wo sie erstarren, und, nachdem die Höhe der Gelatine an den :Gläschen bezeichnet war, mit der verdauenden Lösung übergossen. Der erstarrte Leim verflüssigt sich dann in Zimmertemperatur, und zwar um so schneller, je stärker die Fermentwirkung ist; diese Versuche ‚dauern dabei einige Tage, ja Wochen lang. Zur Ablesung bringt , man am einfachsten an jedem Röhrchen der Länge nach einen Streifen Papier an und notiert darauf die ursprüngliche Niveauhöhe der immer in einer Menge von 1 cem eingebrachten Gelatine. Wegen der verschiedenen Lichtbrechung kann man die Grenzlinie zwischen starrer und verflüssigter Gelatine scharf sehen und so eine genaue Ablesung erhalten. Um die Wirkung sehr geringer Mengen Ferment sichtbar zu machen, benutzt Schouten?) eine 7,5 /o Gelatine, die mit fein zerriebenem Zinnober versetzt ist. Ausserdem lässt er zur. Ver- grösserung der Oberfläche .der Gelatine und zur Erhöhung der Empfindlichkeit dieselbe schief erstarren. Fermi erhöht die Emp- findlichkeit durch Kontaktverbesserung zwischen Gelatine und Enzym ‚durch einen Zusatz von geringer Menge Knochenkohle. Auf diese 1)H. M. Vernon, The conditions of action of trypsin on fibrin. The ‚Journal of Physiologsy vol. 26 p. 405. 1901. 2) Cl. Fermi, Die leim- und fibrinlösenden und die diastatischen Fermente der Mikroorganismen. Arch. f. Hygiene Bd.10 S.1. 1890. — Cl. Fermi, Alte uzd neue Methoden zum Nachweis der proteolytischen Enzyme. Zentralbl. f. Bakteriol. Bd. 16 S. 176. 1906. 8) Schouten nach F. Fuhrmann, Vorlesungen über Bakterienenzyme. Jena 1907. 196 2320 Wilhelm Waldschmidt: ‚Weise ist noch der Nachweis von Trypsin in einer Verdünnung von 1:1000000 bei Verwendung von 1 cem der verdünnten Trypsin- lösung gestattet, wogegen geronnenes Hühnereiweiss nur bei einer Verdünnung dieser Lösung von 1:500 gelöst wird. Verschiedentlich ist die Fermi’sche Methode für nicht einwandfrei und höchstens. zum qualitativen Nachweis proteolytischer Fermente für genügend erklärt worden). Hankin und Wesbrook?) benutzten ebenfalls Leim, mit welchem eine Glasplatte in dünner Schicht überzogen wurde; auf die schräggestellte Platte wurde dann ein Tropfen Fermentlösung gebracht und in bestimmter Zeit die Grösse der dellenförmigen Einsenkung abgeschätzt. Statt Gelatine verwenden Müller und Jochmann?) Blut- serum, auf dessen glatte Oberfläche sie mit einer Platinöse Tropfen der Verdauungslösung bringen. Das von Oker-Blom angegebene Verfahren der Bestimmung der Änderung der elektrischen Leitfähigkeit während der Pepsin- verdauung eignet sich nach Henri und Largnier des Bancels‘) zur Trypsinbestimmung, und zwar nicht nur für die Verdauung von Gelatine, sondern auch für Kaseinlösungen (2°/o Kaseinlösung nach Hammarsten in Sodalösung). II. In dieser Gruppe ist .als neues Verfahren das von Mandel- baum?) angegebene zu erwähnen. In zwei Röhrchen werden 5 ccm verdünnte Milch gefüllt, zu dem einen 2 cem der Fermentlösung, zu dem anderen dieselbe Menge der Lösung, nachdem durch Kochen das Ferment zerstört war, hinzugefügt. Nach !/z Stunde zeigt das 1) T. Hattori, Kann die Gelatinemethode zur Wertbestimmung des Trypsins angewendet werden? Arch. int. de Pharm. et de Therap. t. 18 p. 255. 1908, nach Biochem. Zentralbl. Bd.S S. 373. 1909. — Thomas und Weber, s. oben 8.191. 2) F. Hankin etE. Wesbrook, Sur les albumoses et les toxalbumines etc. Annales de Institut Pasteur t. 6 p. 633. 189. Nachweis proteolytischer Fermentwirkungen. Münchener med. Wochenschr. Bd. 53 S. 1393. 1906. 4) V. Henri et Largnier des Bancels, Loi d’action de la trypsine sur ia gelatine. Compt. rend. de la Soc. de biol. t. 55 p. 563 et 787. 1903. — V. Henri et Largnier des Bancels, Etude de la digestion de la caseine pour la methode de conductibilite electrique. Ibid. p. 789. 5)M.Mandelbaum, Neue Methoden zum Nachweis proteolytischer Fermente und deren Antifermente. Münchener med. Wochenschr. Bd. 36 S. 2215. 1909. 3) E. Müller und G. Jochmann, Über eine einfache Methode zum Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 221 erste einen schmutzig graugelben Ton, das zweite die gewöhnliche Milchfarbe. Fügt man zu beiden Röhrchen Äther und schüttelt gut durch, so setzt sich in dem ohne Ferment die Milch ab; darüber ist die klare Ätherschicht. In dem anderen Röhrchen entstehen zwei Schichten, die durch einen Ring getrennt sind. In dem Falle, dass völlige Verdauung eingetreten ist, sind beide Schichten klar und durchsichtig; sobald die Verdauung des Eiweisses unvollständig ist, ist die untere Schicht getrübt. Ganz feine Unterschiede in der Trübung kann man dadurch wahrnehmen, dass man ein weisses, mit schwarzer Tinte beschriebenes Papier hinter die Röhrchen hält und durch die Flüssigkeit hindurch die Buchstaben betrachtet. Bierry und Henri!) bedienten sich zentrifugierter, entfetteter und sterilisierter Milch, um die Trypsinwirkung durch Aufhellung, welche bei einer Temperatur von 40° in 10—15 Minuten eintritt, zu be- obachten. Die Gross’sche Kaseinmethode ist vielfach ?) zum quantitativen Nachweis des Trypsins verwendet worden; ebenso die Methode von Fuld°). III. Ein dem Verfahren von Sjöquist für die Pepsinbestimmung analoges, das auf der Stickstoffbestimmung nach Kjeldahl in der Verdauungsflüssigkeit vor und nach der Verdauung beruht, ist das von Kühne‘); später wandten dasselbe Dietze’) und Hedin®) an. Da die kolorimetrische Karminfibrinmethode von Grützner in alkalischer Lösung nicht verwendbar ist, suchte Gehrig”) nach einem Farbstoff zum Färben des Fibrins und fand Magdalarot als 1) H. Bierry et V. Henri, Le lait reactif sensible du suc pancr&atique. Compt. rend. de la soc. de biol. t. 54 p. 667. 1902. 2) O.Gross, Zur Funktionsprüfung des Pankreas. Deutsche med. Wochenschr. Bd. 35 S. 706. 1909. — S. Koslowski, Der Nachweis des Trypsins in den Fäces und seine diagnostische Bedeutung. Inaug.-Diss. Greifswald 1909. — R. Goldschmidt, Über den Nachweis von Trypsin und eine einfache Methode usw. Deutsche med. Wochenschr. Bd. 35 S. 522. 1909. 3) T. Kudo, Über den Einfluss von Säuren, Alkalien, neutralen Salzen und Kohlehydraten auf das Trypsin. Biochem. Zeitschr. Bd. 15 S. 473. 1909. 4) S. oben S. 191. 5) A. Dietze, Inaug.-Diss. Leipzig 1900. 6) S. G. Hedin, Further observations on the time-relations in the action of Trypsin. The Journal of Physiology vol. 34 p. 370. 1906. 7)F. Gehrig, Über Fermente im Harn. Pflüger’s Arch. Bd. 38 S. 35. 1886. 2322 Wilhelm Waldschmidt: sehr geeignet; da dieses Magdalarot in der früheren Beschaffenheit nirgends mehr zu erhalten war, benutzte Palladin!) eine Färbung mit alkoholischer Lösung von Spritblau-bläulich. Nach Roaf?) wird das Fibrin mit Kongorot gefärbt und durch Erwärmen auf 80° fixiert; dieses Präparat lässt sich in alkalischer und saurer Lösung: gebrauchen. Die Volhard’sche titrimetrische Methode benutzten Löhlein?), und Faubel*) zur Trypsinbestimmung; auch Molnar?°) bestimmte: nach Gewinnung von Trypsin durch den Ölmagensaft ©) dieses quanti- tativ nach Volhard. IV. Auch der Mett’schen Methode in ihrer alten Form be- dienten sich einige Autoren’), obwohl Verdauungserscheinungen oft erst nach 5—6 Tagen auftreten und bis 28 Tage lang dauern°). Linossier?) vereinigte dann die Fermi’sche und Mett’sche Methode, indem er schwach mit Methylviolett gefärbte Gelatine in Mett’schen Röhrchen erstarren lies. Fermi!) selbst hält dadurch seine Methode gar nicht für verbessert, und wenn auch manche 1) A. Palladin, Über eine einfache quantitative Trypsinbestimmung usw. Pflüger’s Arch. Bd. 134 S. 337. 1910. 2) H. E. Roaf, A new colorimetric method to show the activity of either- peptic or tryptic enzymes. Biochem. Journal vol. 3, nach Biochem. Zentralbl. Bd.7 S. 609. 1908. 3) S. oben 8. 213. 4) OÖ. Faubel, Untersuchungen über den menschlichen Bauchspeichel usw- Hofmeister’s Beitr. z. chem. Physiol. Bd. 10 S. 35. 1907. 5) B. Molnar, Über die Frage des Übertritts von Pankreassaft in den Magen. Zeitschr. f. klin. Medizin Bd. 87 8. 188. 1909. 6)-E. Volhard, Über die Untersuchungen des Pankreassaftes beim Menschen usw. Münchener med. Wochenschr. Bd. 54 S. 403. 1907. 7) B. B. Kudrewetzky, Beiträge zur Physiologie der Absonderungen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1894 8.83. — A. Walter, Exeitabilite secretoire: specifique de la muqueuse du canal digestif. Arch. d. sciences biol. de St. Peters- bourg t.7 p.1. 1899. — K. Glaessner, Über die antitryptische Wirkung des Blutes. Hofmeister’s Beitr. z. chem. Physiol. Bd. 4 S. 79. 1904. 8) G. Eiranian, Über den Nachweis der Darmfermente, speziell des Trypsins,, in den Fäces usw. Inaug.-Diss.. Halle 1909. 9) M. G. Linossier, Sur un procede de recherche et de dosage de la trypsine etc. Compt. rend. de la soc. de biol. t. 52 p.288. 1900. 10) Cl. Fermi, Reagentien und Versuchsmethoden zum Studium der proteo- lytischen und gelatinolytischen Enzyme. Arch. f. Hygiene Bd. 5 S. 140. 1906. Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 923 Versuche !) auf diese Weise ausgeführt sind, so ist doch sicher, dass hier die Verfahren mit flüssigen Eiweisslösungen oder mit Fibrin zu schnellerem und besserem Ziel führen. C. Eine einfache Methode zur quantitativen Bestimmung von Pepsin und Trypsin. Diese Methode stellt ihrer Art nach eine Modifikation des Grützner’schen Verfahrens mit Karminfibrin dar. Zu ihrer Aus- führung kam ich bei Arbeiten mit der Trypsinbestimmung nach Palladin, welcher nach einem Vorschlag von Prof. Bülow zur Färbung des Fibrins Spritblau-bläulich verwendete. Dieser Farb- stoff, der ein schönes dunkelviolettes Pulver darstellt und von den Farbenfabriken vorm. Bayer u. Co. in Elberfeld geliefert wird, ist Diphenyl-Rosanilin; er ist unlöslich in Wasser und wässerigen Lösungen, dagegen leicht löslich in Alkohol und etwas schwerer in Glyzerin. 100 g des Präparates kosten etwa 1,10 Mark. Palladin verfuhr nun bei der Färbung des Fibrins, indem ich mich an seine eigene Beschreibung halte, folgendermaassen: „Der Farbstoff wurde in Alkohol aufgelöst und das saubere, zerschnittene und in Glyzerin aufbewahrte Fibrin nochmals mit einer Schere fein zerschnitten und in dieser gesättigten Farbstofflösung 48 Stunden liegen gelassen, wodurch es eine schöne dunkelviolette Farbe annimmt. Dieses blaue Fibrin wurde in Glyzerin, in welchem Spritblau bis zur Sättigung selöst war, aufbewahrt, da solches Fibrin weicher bleibt und besser verdaut wird als dasjenige, welches dauernd in Alkohol liegt.“ Als ich im physiologischen Institut zu Tübingen unter Leitung von Herrn Prof. v. Grützner über Fermentwirkungen arbeitete, schien mir bei Benutzung des Palladin’schen Fibrins, besonders bei geringen Fermentmengen, seine Wirkung nicht kräftig genug. Dies rührt sicherlich daher, dass das Fibrin durch die Färbung in alkoholischer Lösung seine Weichheit verliert, die es auch in dem Glyzerin nicht wieder erlangt. \ Ich färbte daher das Fibrin in Glyzerin, welches mit Sprit- blau-bläulich im Überschuss versetzt und dann filtriert war, damit nicht ungelöste Farbteilchen sich an das Fibrin anhafteten und eine 1) R. Kaufmann, Über den Einfluss von Protoplasmagiften auf die Trypsin- verdauung. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 39 S. 434. 1903. — L. Pollak, Zur Frage der einheitlichen und spezifischen Natur des Pankreastrypsins. Hof- meister’s Beitr. z. chem. Physiol. Bd. 6 S. 95. 1905. 294 Wilhelm Waldschmidt: gleichmässige Färbung hinderten. Indessen kam dies bei diesen sehr starken Farblösungen wohl doch vor. Späterhin änderte ich daher auf Anraten von Herrn Professor v. Grützner dieses Verfahren und verwendete eine viel schwächere Lösung des Farbstoffes in Glyzerin. Es genügt vollständig, wenn 0,5 g Spritblau-bläulich auf 1000 eem Glyzerin verwendet werden, um eine tief dunkelblaue Flüssigkeit zu erhalten, in welcher sich das Fibrin so dunkelblau-violett färbt, dass man es gut zur Ver- dauung verwenden kann. Diese äusserst einfache Färbung geht nun so vor sich: Un- sefärbtes, durch Zerschneiden und sorgfältiges Auswaschen von allem Blutfarbstoff befreites Blutfibrin, das in Glyzerin aufbe- wahrt war, wird auf einer Glasplatte mit einer Schere fein zer- schnitten, auf einem Sieb gut mit Wasser zur Befreiung von Glyzerin ausgewaschen und kräftig ausgedrückt; so wird es in die mit Sprit- blau-bläulich gefärbte Glyzerinlösung gebracht. Die durch das Ausdrücken zusammengeballten Fibrinmassen sind mit einem Glas- stab zu verteilen und schon nach 24 Stunden gebrauchsfähig. Da- bei gilt die Färbelösung gleichzeitig als Aufbewahrungsflüssickeit. Über die Haltbarkeit dieses so gefärbten und aufbewahrten Fibrins kann ich nach meinen bisherigen Erfahrungen nur sagen, dass von mir im November 1910 gefärbtes Spritblaufibrin !) jetzt, September 1911 noch ebenso gut ist wie damals. Zum Gebrauch wasche ich dieses Spritblaufibrin auf einem Seiher mit Wasser aus, drücke es etwas aus und bringe es in 0,1 /oige Sodalösung, in der ich es unter öfterem Umrühren einige Zeit lasse, und spüle auf einem Seiher mit 0,1 /oiger Sodalösung nach. Dieses Fibrin, das von blauroter Farbe ist, wird auf einer Glasplatte fein zer- schnitten. Es wird von kleinen Fermentmengen viel besser angegriffen und färbt die umgebende Flüssigkeit viel eher als das Palladin’sche, welches offenbar durch den Alkohol hart geworden ist. Vergleichende Versuche mitPalladin’schem und meinem Fibrin zeigten das deutlich. So ergab sich z. B., dass schwache Trypsinlösungen (0,4 ccm einer Trypsinlösuug von 1°/o, 11,2 eem Sodalösung von 0,1°/o) das Palladin’sche Alkoholfibrin etwa 7 mal so langsam lösten wie mein Glyzerinfibrin; doppelt so starke Fermentlösungen brauchten dagegen 1) Die Herstellung des Präparates unter dem Namen „Spritblaufibrin für Verdauungsversuche“ hat die Firma E. Merck- Darmstadt übernommen. Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 295 für die Lösung des ersteren etwa 5,5 mal so viel und 4 mal so starke etwa 5mal so viel Zeit. Mit einem Worte, der Verdauungsprozess des Glyzerinfibrins vollzog sich hier etwa ebenso schnell wie derjenige des Karminfibrins in saurer Pepsinlösung, eignete sich also vor- trefflich zur Beobachtung und Registrierung. Bei allen diesen Versuchen wurde übrigens zur Bestimmung der verdauten Fibrinmenge, die sich in der mehr oder weniger starken Färbung der umgebenden Flüssigkeit zeigte, das Grützner’sche Keilkolorimeter verwendet, das die früher gebrauchte verhältnis- mässig umständliche Vergleichung mit einer Farbenskala ganz be- deutend vereinfacht. In das Keilglas wird durch Verdauung von Sprit- blaufibrin gefärbte Flüssigkeit gebracht. Lässt man eine bestimmte Menge Spritblaufibrin von einer bestimmten Menge Trypsin, z. B. einer 1°/oigen Lösung von Trypsin siee. Grübler in 0,1 '/oiger Sodalösung, in immer gleich viel Fiüssigkeit verdauen, und bringt diese Lösung in das Keilglas, so wird man immer eine gleiche Farbe zum Ver- gleich erhalten. Aus der grossen Anzahl von Versuchen sei hier einer heraus- georiffen, der auch in der Grützner’schen Arbeit „Über Ferment- ‚gesetze“ erwähnt und in der umstehenden Kurve (s. Fig. 1) dar- gestellt ist. Versuch. Zur Verdauung wurde eine 1°%/o ige Trypsinlösung von Trypsin siec. Grübler in 0,1%/oiger Sodalösung verwendet. In sechs gleich weite Reagenzgläschen wurde gleich viel Spritblaufibrin gebracht, welches in allen Gläschen gleich hoch, ‚etwa 1 cm hoch, stand. Man bringt am geeignetsten zuerst in die Reagenzgläser die Flüssigkeit, hier schwache Sodalösung, und kann dann durch Hinzufügen von kleinen Mengen Spritblaufibrin bis zu derselben Höhe wie beim Karminfibrin s. S. 209) gleiche Mengen von Fibrin in allen Gläschen erhalten. Über die Genauigkeit dieses Verfahrens stellte Palladin Versuche an, die er in seiner Arbeit beschreibt. Der Versuch wurde bei Zimmertemperatur, wie dies auch Grützner mit dem Karminfibrin tat, ausgeführt; bei Körpertemperatur wären sie natürlich noch bedeutend schneller beendigt. 1% ige ? Trypsinlösung ccm 0,1 °/0 ige Sodalösung ccm Glas DDUTPBODn m LS > (Vergleichsglas) 2926 Wiihelm Waldschmidt: Die Gläschen wurden alle 5 Min. umgedreht — sie waren mit Gummistöpseln verschlossen; man kann dies auch mit dem jedesmal gut gereinigten Daumen tun — und mit dem Kolorimeter verglichen. Ich will hier einige von den ge- fundenen Werten — die Farbenabtönung ist durch römische Zahlen ausgedrückt — folgen lassen. Beginn des Versuches 10h 45’ bei 16° C. | | an nt 11h 11h 5’ 111.10’ | 112 15° 114 20’ | 11h 30’ | 1140’ | | | | 1 [0,2ecm 02 or Se 9.1020, DAR E20 a FIT a II 3.108, a Ne Im ° 10% | = NTT ng 4 116 „ al ne ae Se | van 52132 5) SEIN: IN-IVd| eV | vwd va va av 6 N) Der oe RO 0,0 Um 11h 40’ ist in Glas 5 das Fibrin fast ganz verdaut. Eine übersichtliche Darstellung dieser Angaben kann man sich verschaffen, wenn man sie in Kurven aufzeichnet. Auf die Abszisse sollen die Ferment- mengen, auf die dazu gehörigen Ordinaten die Farben der Gläschen als Zeichen der verdauten Mengen Fibrins aufgezeichnet werden. A VIII _!_.» nach 55 Minutem Yır vo > » 45 92 | VI VI E „ 30 kr} B= E V un Ey; 2 > » 20 » aut | II | Tı A 2 4 8 16 32 AL Trypsin — > Hig. 1. In schwacher Sodalösung gibt das Spritblaufibrin nach einigen Stunden ein klein wenig Farbe ab, die aber gegenüber der von kleinsten Fermentmengen in kurzer Zeit hervorgerufenen ver- schwindend ist. In dem eben beschriebenen Versuch ist nach 55 Minuten das Vergleichsglas noch farblos. Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 297 In 0,1% Salzsäure quillt das Spritblaufibrin ähnlich dem ge- wöhnlichen Fibrin zu einer Gallerte auf und ist nach Auswaschen. mit 0,1°/o Salzsäure vorzüglich zu Verdauungsversuchen mit Pepsin geeignet. Es bleibt ein dunkelblaues gallertiges Fibrin zurück, das sich nur in der Farbe von dem Grützner’schen Fibrin unter- scheidet und behufs von Verdauungsversuchen ganz wie dieses be- handelt wird. Im übrigen behält es seine Farbe noch besser als das alkalische Fibrin; denn selbst nach 24 stündiger Einwirkung der Salzsäure von 0,1°/o hat diese keinen Farbstoff ausgezogen und ist noch ganz farblos. Ein Versuch möge die Einfachheit und Kürze dieses im übrigen sehr genauen Verfahrens zeigen. Versuch. Die Verdauungslösung wird durch einstündige Extrahierung zerkleinerter Magenschleimhaut (Pars media des Schweinemagens) mit 0,1%oiger Salzsäure ge- wonnen. Im Kolorimeter befindet sich eine Lösung von mit Pepsinlösung ver- dautem Spritblaufibrin. In den gleich weiten Reagenzgläschen steht das Fibrin: überall gleich hoch (etwa 1!/s cm). 0,1/o ige EN Glas Salesalre Pepsinlösung ccm ccm 1 16,5 0,1 2 16,4 0,2 B) 16,2 0,4 4 15,8 0,8 5 15,0 1,6 6 16,6 0 (Vergleichsglas) Die Verdauung geht bei Zimmertemperatur (13° C.) vor sich. Beginn 3h 45’. Ferment- < Bw) < 7 ’ Glas gehalt 3h 50 3h 55 4h 4h 5 1 0,1 ccm >>? III-IV V VI 2 Da, 1 a ya VI-VI 3 RR II V en » nach 15 Minuten AyAyı Mn VI -VI v 5 ’ I-V 1 4 8 16 + Fon ee —— nn Fig. 2. Bei den Versuchen mit der Grützner’schen Methode und deren Modifikation erhält man einen bequemen Einblick in den ganzen Verlauf des Verdauungsvorganges, wie dies kein anderes Verfahren in ähnlicher Weise zeigt. Bei der Mett’schen Methode könnte man durch Ablesung der Eiweissröhrchen z. B. alle 2 Stunden sich auch eine ähnliche Übersicht verschaffen, doch wird durch dieses öftere, im übrigen ziemlich umständliche Herausnehmen der Gläschen aus der Verdauungsflüssigkeit die Genauigkeit der Methode auch nicht grösser, ausserdem aber hat die lange Dauer doch etwas Unbefriedigendes. Auch in ähnlicher Weise liessen sich Versuche nach dem Verfahren von Vernon darstellen. Doch ist diese Methode mit dem Zentrifugieren recht umständlich, und die Resultate, wovon ich mich in einer ganzen Anzahl von Versuchen überzeugeu konnte, sind nie so genau wie solche mit dem gefärbten Fibrin. Bei den zweifellos recht einfachen Methoden von Gross, Jacoby-Solms und Fuld-Levison kann man schwer den richtigen Zeitpunkt des Endes der Verdauung feststellen und ist dabei ziemlich leicht Täuschungen ausgesetzt. Über die Genauig- keit, aber zu schwierige Ausführbarkeit des Volhard’schen Ver- fahrens für den Praktiker machte ich schon oben eine Bemerkung; deswegen werden sich auch die Stiekstoffbestimmungen einer bestimmten Eiweissmenge vor und nach der Verdauung für klinische Untersuchungen kaum einbürgern. Dass die Grützner’sche Methode noch nicht genügend ge- Über die versch. Methoden, Pepsin und Trypsin quantit. zu bestimmen etc. 229 würdigt wurde, glaube ich darin sehen zu dürfen, dass im allgemeinen die Herstellung des Fibrins für zu umständlich gehalten wurde, was seit einigen Jahren, wo man es fertig beziehen kann, wegfällt, und auch darin, dass die Vergleiehung mit der nicht ganz konstanten Farbenskala nicht sehr vorteilhaft!) schien. Immerhin besitzt dieses Verfahren mit dem neu eingeführten Kolorimeter und mit dem Spritblaufibrin, das sich durch seine ungemein einfache Herstellungs- weise sowie namentlich durch die doppelte Verwendbarkeit sowohl zur Pepsin- als auch zur Trypsinverdauung dem Karminfibrin über- legen zeigt, alle wünschenswerten Eigenschaften, die man von einem solchen zur quantitativen Bestimmung von eiweissspaltenden Fermenten verlangen kann. Und es ist zweifellos, dass viele, wenn sie durch Versuche mit dieser Methode sich einmal davon überzeust haben, sie den anderen quantitativen Methoden vorziehen werden. Zum Schluss habe ich die angenehme Pflicht meinem hoch- verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. von Grützner, für die gütige Unterstützung und das meiner Arbeit entgegengebrachte Interesse auch an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank auszu- sprechen. 1) Vgl. übrigens auch v. Grützner, Versuche und Betrachtungen usw. Archiv. di fisiologia vol. 7 p. 249. 1909. 230 Adolf Basler: ' Über die Verschmelzung zweier nacheinander erfolgender Tastreize. Von Prof. Dr. Adolf Basler, Assistent am physiologischen Institut Tübingen. (Mit 3 Textfiguren.) Seit über einem halben Jahrhundert hat die Frage die Gelehrten- welt beschäftigt, wie schnell verschiedene Berührungen der Haut einander folgen müssen, damit sie nicht mehr als getrennt von- einander unterschieden werden können. Valentin!) befühlte verschieden schnell gedrehte Zahnräder mit dem Finger und stellte fest, ob dieselben dabei einen glatten oder rauhen Eindruck machen. Je nach der Geschwindigkeit, mit .der sich das Zahnrad drehte, traten verschiedene Empfindungen auf. War die Bewegung verhältnismässig langsam, hatte man ein Gefühl, das mit „zahnig“ charakterisiert wurde; bei zunehmender Schnellig- keit der Rotation traten die Empfindungen „wollig*, „glatt“, „poliert“ auf. Sollte die Empfindung „glatt bis poliert“ zustande kommen, durfte die Zeit vom Einsetzen des einen Reizes bis zum Auftreten des nächsten nicht mehr als 0,00 128 Sekunden betragen ?). v. Wittich®) führte Untersuchungen aus, die denen Valentin’s ähnlich waren. Er verwendete Zahnräder und Scheiben aus Holz- pappe, die, im Kreise anzeordnet, in regelmässigen Abständen sehr flache Erhabenheiten aufwiesen. Gingen diese Erhöhungen langsam über den leicht berührenden Finger hin, dann fühlte man sie alle einzeln. Von einer gewissen Geschwindiskeit ab verschmelzen jedoch ‚die einzelnen durch sie hervorgerufenen Tasteindrücke zu einer 1) 6. Valentin, Über die Dauer der Tasteindrücke. Arch. f. physiol. Heilk. Bd. 11 S. 438. 1852. 2) G. Valentin, l.c. S. 444. 8) v. Wittich, Bemerkungen zu Preyer’s Abhandlung über die Grenzen des Empfindungsvermögens und Willens. Pflüger’s Arch. Bd. 2 $. 329 (835). 1869. Über die Verschmelzung zweier nacheinander erfolgender Tastreize. 231 einzigen Empfindung. Dies war der Fall, wenn in der Sekunde 1915— 3840 Stösse erfolgten). Nach kurzer Zeit änderte sich aber die Art der Empfindung. Es trat das Gefühl von Wärme und sehr bald von Schmerz auf. Weiterhin liess v. Wittich die Vibrationen von tönenden Stimmgabeln, von angeblasenen Zungen und schwirren- den Saiten auf den tästenden Finger einwirken?). Auch hierbei wurden Öszillationen von 500 Stössen in der Sekunde noch als Sehwirren wahrgenommen. Damit stimmen die Ergebnisse von Schwaner°) gut überein, der die getrennte Wahrnehmbarkeit von Stimmgabelschwingungen am ganzen Körper bei verschiedenen Personen untersuchte. Er fand, dass eine Stimmgabelreizung an den Fingerspitzen nur als konti- nuierliche Reizung empfunden wird, wenn mehr als 800 Schwingungen in der Sekunde erfolgen. An anderen Körperstellen trat nach Schwaner schon bei kleinerer Schwingungszahl eine Verschmelzung ein. So genügten an der Volarseite des Vorderarmes, z. B. schon 300—600 Sehwingungen, um eine Verschmelzung hervorzubringen. Sergi*) führte kurz nachher, jedoch unabhängig vonSchwaner ebenfalls Untersuchungen mit Stimmgabeln aus und hatte auch ähn- liche Ergebnisse. Auch er fand, dass im Gegensatz zu anderen Körperstellen die Frequenz an den Fingerspitzen sehr gross sein muss, damit die einzelnen Schläge verschmelzen. Im Gegensatz zu den mitgeteilten Beobachtungen kam Bloch?), der mit einer speziell für diesen Zweck konstruierten verstimmbaren Stimmgabel arbeitete, zu anderen Ergebnissen. So fand er, dass am Handrücken Stimmgabelschläge vereinigt wurden, wenn das Intervall !/sı Sekunde betrug. Er konnte mit seiner Stimmgabel, deren Schwingungen auf eine Frequenz bis zu 70 in der Sekunde eingestellt werden konnten, an der Volarseite der Finger allerdings keine Verschmelzung erzielen, ein Beweis dafür, dass hier die D)v. Wittich, l.c. S. 338. 2) v. Wittich, 1. c. S. 339. 3) R. Schwaner, Die Prüfung der Hautsensibilität vermittelst Stimm- gabeln bei Gesunden und Kranken. Inaug.-Diss.. Marburg 18%. 4) @. Sergi, Über einige Eigentümlichkeiten des Tastsinnes. Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorgane Bd. 3 S. 175. 1892. 5) A. Bloch, Durde de la persistance des sensations de tact dans les differentes regions du corps. Physiologie experimentale. Travaux du laboratoire de M. Marey 1878/79 p. 259 (260). Paris 1880. 2339 Adolf Basler: Frequenz grösser sein muss. Dass unter anderen Bedingungen auch am Handrücken Schwingungen bei einem weit kleineren zeitlichen Abstand noch nicht verschmelzen, davon kann man sich leicht über- zeugen, wenn man eine kräftig schwingende Stimmgabel, z. B. eine solehe, die auf 100 Schwingungen in der Sekunde gestimmt ist, an die Haut schlagen lässt. Der Grund, weshalb Bloch trotzdem bei 70 Schlägen in der Sekunde eine Verschmelzung beobachtete, lässt sich nach einer Er- klärung, die Sergi!) gegeben hat, leicht einsehen. Nach ihm rührt der Unterschied daher, dass eine schnell schwingende Stimmgabel weniger weit ausschlägt als eine solche, die in der Sekunde nur wenig Oszillationen ausführt. Eine Stimmgabel von 1000 Schwingungen hat naturgemäss eine sehr kleine Amplitude. Diese Exkursionen sind aber immer noch gross genug, um die empfindliche Fingerspitze in Erregung zu versetzen, sind aber zu klein, um von den weniger leicht reizbaren Tastapparaten des Handrückens oder gar des Armes empfunden zu werden. Die berührenden Teile der Stimmgabel ent- fernen sich dabei nie vollständig von den äussersten Schichten der Haut und werden deshalb als kontinuierlicher Druck gefühlt. Man muss also nach diesen Erwägungen sagen, die Stiinmgabel von Bloch hatte einfach eine zu kleine Exkursion und war deshalb für diese Untersuchungen ungeeignet. Auf den Schluss von Sergei, dass die Nachwirkung der Haut- empfindung ausserordentlich klein und für sämtliche Stellen der Haut gleich gross ist, soll im Verlaufe dieser Arbeit noch einmal eingegangen werden. Alle bisher erwähnten Versuche wurden so ausgeführt, dass die Haut von zahlreichen rhythmischen in gleichen Zwischenräumen er- folgenden Schlägen getroffen wurde. Diese Art der Erregung will ich der Kürze halber als Serienreizung bezeichnen. Solche Reizungen müssen, wie aus den erwähnten Arbeiten hervorgeht, sehr häufig erfolgen, damit die Empfindung des Schwirrens einem gleichmässigen Druckgefühl Platz macht. Wenn Lalanne?) fand, dass die Tastempfindungen bei einer 1) G. Sergi, Über einige Eigentümlichkeiten des Tastsinns. Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorgane Bd. 3 S. 175 (182). 1892. 2) L. Lalanne, Sur la durde de la sensation tactile. Compt. rend. de l’academie des sciences t. 32 p. 1314. 1876. Über die Verschmelzung zweier nacheinander erfolgender Tastreize. 233 Reizfrequenz von Yıo bis "ss Sekunde verschmelzen, so weichen diese Ergebnisse so erheblich von denen aller anderen Forscher ab, dass sie nur auf einen Irrtum oder Versuchsfehler zurückgeführt werden können. Es frägt sich nun, wie verhalten sich nur zwei Tasteindrücke, die nacheinander die gleiche Stelle unserer Haut treffen? Eine solehe Art der Erregung soll im Gegensatz zur Serienreizung als Doppelreizung bezeichnet werden. Man wird von vornherein geneigt sein, anzunehmen, dass diese Reize als getrennt empfunden werden, so oft die Pause zwischen denselben ebenso lang ist wie die Pause zwischen den noch als Schwirren empfundenen Serienreizen. Bloeh!).suchte eine Tatsache festzustellen, die mit obiger Frage direkt zusammenhängt, nämlich die Dauer der Nachwirkung eines Tastreizes. Zu diesem Zweck liess er auf zwei symmetrische Teile des Körpers, z. B. auf den rechten und linken Zeigefinger je einen ein- maligen Reiz einwirken. Der eine der beiden Reize wurde nur etwas später gesetzt als der andere, und es musste angegeben werden, ob die Reize gleichzeitig erfolgen oder nicht. Es ergab sich, dass Schläge, welche die Haut der Fingerkuppe trafen, für gleichzeitig gehalten wurden, wenn sie !/4ass (= 0,022) Sekunden auseinander- lagen?). Daraus schloss Bloch, dass die Nachwirkung des Reizes !/ss Sekunde betrug. Weiterhin setzte Bloch eine und dieselbe Stelle der Haut zweimal nacheinander in Erregung und stellte fest, ob die beiden Reize verschmolzen. Dabei verwendete er aber, abgesehen von einem unvollkommenen und nur flüchtig erwähnten Versuch, keine mechanischen, sondern elektrische Reize. Dabei trat an den Fingern eine Verschmelzung ein, wenn die Reize !/sı (= 0,032) Sekunden auseinanderlagen ?). 1) A. Bloch, Experiences sur la vitesse du courant nerveux sensitif de ’homme. Arch. de physiol. norm. et pathol. serie II t. 2 p. 588 (603). 1875, und Caractöres differentiels des sensations &lectriques et tactiles. Physiologie - experimentale. Travaux du labor. de M. Marey t.3 p. 123. 1877. 2) A. Bloch, Caracteres differentiels des sensations, 1. c. p. 124. 3) A. Bloch |.c. p. 180. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 16 234 Adolf Basler: v. Vintschgau und Durig!), die sich in einer sehr sorg- fältigen Untersuchung der gleichen Methode bedienten, konnten als kleinsten eben erkennbaren zeitlichen Unterschied zweier elektrischer Hautreize eine Zeit von 0,022—0,056 Sekunden feststellen. Vergleicht man diese Ergebnisse mit denen der erstgenannten Gruppe von Versuchen, so ergibt sich, dass, wenn es sich nur um zwei Reize handelt, die eben noch als getrennt empfunden werden sollen, der Zwischenraum viel grösser sein muss als bei Serien- reizung. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass bei den Ver- suchen über Doppelreizung eigentlich nur elektrische Reize Anwendung fanden, bei Serienreizung dagegen mechanische, Um in diese Ergebnisse Klarheit zu bringen, schien es mir richtig, die Verschmelzung von zwei mechanischen Reizen, welche die gleiche Hautstelle treffen, zu untersuchen. Versuchsanorinung. Der Apparat, den ich verwendete, um rasch hintereinander zwei Schläge auf die gleiche Stelle der Haut einwirken zu lassen, besteht aus einem starken Elektromagenet A (Fig. 1), über dessen oberen Pol ein leichtes Eisenstäbchen D, das an der leicht beweglichen Achse C befestigt ist, hinläuf. An dem Eisenstäbchen B ist ein kleiner Hammer D und weiterhin ein 2 cm langes Stück eines Strohhalmes E mit einer Schreibspitze aus Papier befestiet. Über die Rückseite der Achse ( geht ein Faden, an dem ein Gewicht F' angehängt ist, .. das den langen Hebelarm dieses Hebels, also das Stäbchen B gegen die Schraube 7 drückt. Über dem Magnetpol ist an das Stäbchen B eine dünne Platte aus weichem Eisen als Anker angelötet. So oft nun ein elektrischer Strom durch den Elektromagnet A hindurchgeht, wird der Anker angezogen, und der Hartgummihammer führt einen Schlag nach abwärts aus. Unter diesen Hammer wird der zu untersuchende Körperteil, etwa die Hand, gelegt. Damit der den Elektromagnet umkreisende Strom zu der ge- wünschten Zeit geschlossen wird, sind an einem Uhrwerk zwei ver- stellbare Kontakte angebracht, deren Einstellung es ermöglicht, den Schluss des Stromes und somit das Schlagen des Hammers zu be- I) M. v. Vintschgau und A. Durig, Zeitmessende Versuche über die Unterscheidung zweier elektrischer Hautreize. Pflüger’s Arch. Bd. 69 S. 307 (364). 1898. Über die Verschmelzung zweier nacheinander erfolgender Tastreize. 2335 ‚stimmter Zeit eintreten zu lassen und gleichzeitig den Zwischenraum zwischen den zwei Schlägen beliebig zu verändern. Der Strom wurde von drei Leelanch&- Elementen geliefert. Die Sehreibspitze, die vorn an dem Eisenstäbehen angebracht ist, hat den Zweck, die Bewegung des Hammers auf einer berussten ‘Trommel, die durch ein Uhrwerk gedreht wird, aufzuschreiben. So war ich jederzeit genau über die zeitlichen Verhältnisse unterrichtet a D 7 ae zo Fig. 1. Ergebnisse. Zuerst führte ich meine Versuche an der Kuppe des Zeige- fingers aus. Dabei ergab sich, dass ich im allgemeinen die beiden Schläge als getrennt erkannte bei einem zeitlichen Intervall von 0,055 Sek. Erfolgten sie aber rascher, konnte ich sie nicht mehr, Jedenfalls nicht immer als getrennt erkennen. Das Intervall stellt die Dauer zwischen dem Anfang des ersten und dem Anfang des Zweiten Reizes dar, so dass das, was als Intervall bezeichnet wird, gleich der Summe von Zeit des Reizes und Zeit des reizfreien Zwischenraums zu setzen ist. Das Ergebnis einer Versuchsreihe sei in Tabellenform wiedergegeben. 116 236 Adolf Basler: Basler. Volarfläche der Nagelphalanx des Zeigefingers. Intervall Gefühlt Zahl der Be- in Hundertstel ae Sekunden doppelt | zweifelhaft einfach obachtungen | | 4,0 — | — 1 mal 1 4,5 1 mal | 1 mal | 4 „ 6 5,0 1 ” | 2 ”„ 1 ” 4 5,5 les | — — 1 6,0 3 ” | ZEIT 3 6,5 Sr 2 mal — d 7,0 d D) DE, B 7,5 5 ” ER. 7 d 8,0 2 7 Ex 2 9,0 8, = 3 10,0 AR — = 4 12,0 1%, — — 1 14,0 il: E 1 15,0 I | an = | 1 An der Dorsalseite des Zeigefingers musste die Pause zwischen den beiden Schlägen noch grösser werden, wenn sie als getrennt erkannt werden sollten. Namentlich aber war man in der Beurteilung, ob es sich um einen oder zwei Schläge handelte, viel weniger sicher, was sich auch dadurch zu erkennen gibt, dass die Aussagen weniger gut übereinstimmen, wie aus folgender Tabelle zu ersehen. Basler. Dorsalfläche der dritten Phalanx des Zeigefingers. Gefühlt Zahl der Be- Intervall in-Hundertstel see Sekunden doppelt zweifelhaft einfach obachtungen 4,5 | — | —_ 1 mal 1 5,0 Er en l „ 1 DD —_ — 1ER 1 6,0 2 mal — — 2 6,5 E= 1 mal lmal 2 7,0 I mal — ® 3 2,9 10% | — | _ 1 9,0 IE | — | — 1 10,0 2, _ 2 mal 4 12,0 1% _ — 1 14,0 2 ” nr 2 15,0 1 | a 1 = Das Ergebnis dieser sowie auch aller anderen Versuchsreihen stimmt also mit den Resultaten von Bloch!) und denen von v. Vintschgau MIA, Bloch, 1.c: Über die Verschmelzung zweier nacheinander erfolgender Tastreize. 237 und Durig*), die mit elektrischen Schlägen reizten, insofern überein, als die Zeit, die zwischen den beiden Reizen liegen musste, viel länger dauerte als bei Serienreizung. Der besseren Übersichtlichkeit wegen sei dieses Ergebnis graphisch wiedergegeben. Denken wir uns die Zeiten auf eine horizontale Linie abgetragen und die Reize durch dieke Punkte darauf dargestellt, dann werden die beiden eben als getrennt erkennbaren Schläge durch die obere Linie angedeutet, die eben noch als Schwirren erkennbaren ‘Serienreize durch die untere. Q 5 a ı Fig. 2. a als getrennt erkennbare Doppelreize. d als diskontinuierlich empfundene Serienreize. Erörterung der bisherigen Ergebnisse. Aus den bisher beschriebenen Versuchen geht hervor, dass auch für mechanische Reizung der zeitliche Zwischenraum, um erkannt zu werden, bei Doppelreizen viel grösser sein muss als bei Serien- Teizung. Diese Tatsache bedingt natürlich den Wunsch nach einer Er- 'klärung. Als solche kommt zunächst eine Vermutung in Betracht, ‚die nach den Ergebnissen von Egger?) nahe liegt. Derselbe hat verschiedene Rückenmarkskranke, welche an teilweiser Störung der ‘Sensibilität litten, auf ihre Empfindlichkeit für das Schwirren von ‘Stimmgabeln untersucht, indem er den Fuss der Stimmgabel auf den betreffenden Körperteil aufsetzte. Dabei wurde hauptsächlich eine ‚stark ausschlagende Stimmgabel von 128 Schwingungen verwendet. Egger fand, dass bei vielen Kranken, bei denen die Hautsensibilität vernichtet war, eine tief lokalisierte Empfindlichkeit für Stimmgabel- ‚erzitterungen fortbestand und andererseits bei solchen Patienten, bei ‚denen die Haut eine normale Empfindlichkeit zeigte, die Stimmgabel- ‚schwingungen doch nicht an allen Körperstellen wahrgenommen werden konnten. Daraus schliesst er, dass dieschwirrende Empfindung während 1) M. v. Vintschgau und A. Durig, l. c. 2) M. Egger, De la sensibilite osseuse. Journ. de physiol. et de pathol. #.1 p.511. 1899. 238 Adolf Basler: _ des Tönens einer Stimmgabel nicht durch die Haut übermittelt wird, sondern durch die Knochen resp. die Nervenendigungen in dem Periost. Diese Hypothese scheint auch Thunberg'!) für möglich zw halten, wenn er sagt: „Übrigens ist bei allen Versuchen an der Haut wit Stimmgabeln oder ähnlichen Apparaten die Möglichkeit zu berück- sichtigen, dass das Gefühl von Zittern nicht durch die Haut, sondern- dureh tiefere Gewebe ausgelöst zu werden scheint.“ Unter der: Voraussetzung, dass diese Auffassung richtig ist, müsste man an- nehmen, dass die Nervenendigungen des Periostes die Eigentümlich- keit besitzen, dass die Reize weniger leicht verschmelzen als bei dem Tastapparat der Haut, und dass weiterhin durch die Doppel- schläge nur die perzipierenden Organe der Haut, nicht auch die des- Periostes in Erregung versetzt werden. Leider konnte ich diese Versuche nicht nachprüfen, da mir kein Krankenmaterial zur Verfügung steht. Doch scheinen mir sehr viele Tatsachen dafür zu sprechen, dass das Schwirren der Stimmgabel auch an der Haut empfunden wird. Es soll durchaus nicht bestritten werden, dass, wenn man eine: grosse schwingende Masse, also etwa den Fuss einer Stimmgabel auf einen Körperteil aufsetzt, auch die Nervenendigungen im Periost auf diesen Reiz reagieren. Deshalb habe ich eine Stimmgabel benutzt, an deren einem Zinken eine dünne, zugespitzte Metallamelle an- gelötet ist. Wird nun die Spitze dieser Lamelle, während die Stimm- gabel schwingt, mit der Haut des Fingers in leichte Berührung ge- bracht, so fühlt man ein Schwirren, das lediglich auf die Haut. lokalisiert wird. Es wäre auch nicht einzusehen, warum bei dieser: ausserordentlich leichten Berührung der Haut tiefere Partien mit er- regt werden sollten. Ja, man kann noch weiter gehen. Hält man die schwingende Lameile an ein Haar, etwa des Armes, ohne die Haut zu berühren, dann fühlt man ebenfalls wieder durch das Haar: übertragen das Schwirren. Das Haar wird hierbei in Schwingungen versetzt, die wohl durch das Nervengeflecht des Haarbalges empfunden werden. Zu allen diesen Versuchen verwendete ich eine Stimmgabel von 100 Schwingungen. 1) T. Thunberg, Physiologie der Druck-, Temperatur- und Schmerz- empfindungen. Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd. 3 S. 647 (668). 1905. Die weitere Literatur ist zu finden bei T. Thunberg, Nagels Handb. d. Physiol. Ergänzungs-— band S. 113 (120). 1910. Über die Verschmelzung zweier nacheinander erfolgender Tastreize. 239 Einen ‘ähnlichen Versuch machte schon vor längerer Zeit v. Frey!), indem er auf einen Tastpunkt eine Borste aufsetzte und diese durch einen Elektromagnet, der durch eine Stimmgabel angeregt wurde, erschütterte. Dabei wurden die einzelnen Stösse ebenfalls noch gesondert wahrgenommen. Übrigens lässt sich die Haut ja auch elektrisch reizen. Während als Doppelreize häufig Induktionsströme verwendet werden, sind mir in der Literatur nur wenig Versuche über elektrische Serienreizung begegnet. Rumpf?) verwendete solche für Zwecke der klinischen Diagnostik. Er konnte aber mit seinem Apparat nicht über 32 Schläge in der Sekunde erhalten. Ich führte nun auch solche Versuche aus, liess jedoch durch eine eingeschaltete Stimmgabel den primären Strom 100 mal in der Sekunde unterbrechen. Gereizt wurde mit zwei nadelförmigen Metallelektroden. Bei dieser Art der Reizung hatte man jedenfalls keine kontinuierliche Empfindung, wenn auch das Schwirren bei weitem nicht so überzeugend gefühlt wurde wie bei mechanischen Stössen. Auch hier war der Reiz sicher der Hauptsache nach in den vom Strom durchflossenen Cutispartien vorhanden. Denn wenn selbst auch einige Stromschleifen durch das Periost gingen, so war hier die Stromdichte gegenüber der Haut ausserordentlich gering. Aus diesen Versuchen scheint mir mit grosser Sicherheit hervor- zugehen, dass die Serienreizung auch von den Nervenendigungen der Haut als diskontinuierlich empfunden werden kann. Auch die von v. Frey?) ausgeführten isolierten elektrischen Reizungen von Tast- punkten lassen sich in ähnlicher Weise deuten. Somit fällt die oben erwähnte Erklärung fort, dass zeitlich getrennte Reizungen der Haut leichter verschmelzen als solche des Periostes. Es scheint vielmehr den Ergebnissen eine allgemeine Er- scheinung zugrunde zu liegen, nämlich die, dass bei Serienreizung überhaupt die einzelnen Reize viel rascher aufeinander folgen müssen, wenn sie verschmolzen werden sollen als bei Doppelreizung. Von diesem Gesichtspunkte aus habe ich auch eine Versuchsreihe 1) M. v. Frey, Beiträge zur Physiologie des Schmerzsinnes. II. Mitteil. Verhandl. d. kgl. sächs. Gesellsch. d. Wissensch., mathem.-phys. Classe Bd. 46 S. 283 (294). 1894. 2) Rumpf, Über einen Fall von Syringomyelie nebst Beiträgen zur Unter- suchung der Sensibilität. Neurol. Zentralbl. Jahrg. 8 S. 185 (224). 1889. S)EMEy. Brey.,.i.c. S. 293. 340 Adolf Basler: mit optischen Doppel- und Serienreizen ausgeführt und bin zu ganz analogen Ergebnissen gelangt !). Aus dem Mitgeteilten geht hervor, dass es ganz verkehrt ist, aus dem Erfolg von Serienreizen einen Rückschluss zu machen auf die Art des Abklingens von Hautreizen, eine Sache, die für die entsprechenden optischen Untersuchungen schon lange anerkannt ist. Reizung verschiedener Körperstellen. Nach meinen bisherigen Ergebnissen warf sich die Frage auf, wie gross die Zeitschwelle für mechanische Doppelreize an den ver- schiedenen Stellen des Körpers ist. Ich konnte für meine Untersuchungen nur die Hand heranziehen, denn leider ist mein Apparat in seiner gegenwärtigen Form noch nicht geeignet, die verschiedenen Stellen des Körpers zu untersuchen. Immerhin schien es mir interessant, die einzelnen Teile der Hand miteinander zu vergleichen. Dabei ergab sich, dass die Tendenz zur Verschmelzung im allgemeinen um so grösser ist, je proximaler der untersuchte Punkt liegt. Bei den meisten Beobachtungsreihen wurden Punkte verglichen, die auf der Verbindungslinie zwischen der Zeigefingerspitze und der radialen Seite des Handgelenkes liegen. Es wurden demnach der Reihe nach folgende Stellen geprüft; die dritte, zweite und erste Phalanx des Index, die Haut über dem zweiten Metakarpalköpfchen, ein Hautgebiet aus der Mitte zwischen diesem Metakarpalköpfehen und dem Handgelenk, also entsprechend dem unteren Drittel des Metakarpus II und schliesslich die radiale Seite des Handgelenkes. Diese Stellen wurden auf der Volar- und Dorsal- seite der Hand untersucht. Als Beispiel, wie diese Ergebnisse gewonnen wurden, sei ein Versuch vom 28. Juni 1910 angeführt. Versuchsperson Basler. Rechte Hand. Intervall in Hundertstel Sekunden Hautstelle — - 15,0 10,0 6,0 5,0 4,5 6,0 Vola Mitte zwischen Köpfchen und Handgelenk. . . . [doppelt einfach | einfach einfach | einfach | einfach Metakarpalköpfchen . . . = doppelt | doppelt i 5 doppelt Ehalanxılı 72, ae 5 e »„ doppelt? doppelt? 5 Ihalanz Io me ne 5 5 = doppelt | doppelt 5 Bhalanz Ile 0 een „ $)) ” | » ” u 1) Vgl. Pflüger’s Arch. Bd. 143 S. 245. Über die Verschmelzung zweier nacheinander erfolgender Tastreize. 241 Hautstelle Intervall in Hundertstel Sekunden rc 60 Mn) 25 100 Rücken Mitte zwischen Köpfchen | und Handgelenk. ... . . einfach | einfach | einfach | einfach | einfach | einfach Metakarpalköpfchen . . . [doppelt 5 * 5 > n Eanlamz | ee »„ doppelt? 4 n „ 5 ala leerer rn 3 ; „ „ leinfach? Ball... 0.0. .: > doppelt | doppelt Sa n doppelt In dieser Tabelle bezeichnet die erste Kolumne die Hautstelle, an der die Untersuchung vorgenommen wurde In dem übrigen Teil der Tabelle sind in der obersten Linie die angewendeten zeitlichen Intervalle verzeichnet, und unter jedem derselben ist an- gegeben, ob dabei an dem in der ersten Kolumne ver- zeichneten Bezirk die Schläge als einfach oder doppelt ge- fühlt wurden. | Der Übersichtlichkeit hal- ber habe ich einen an mir an- ® gestellten Versuch in Form einer Kurve gezeichnet. Auf (der Abszissenachse sind die Hautstellen in gleichen Ab- 4 ständen voneinander angege- ben. Die ÖOrdinaten, deren Höhen in Zentimetern aus den ‚dazugeschriebenen Zahlen zu e: ersehen sind, stellen die zeit- lichen Intervalle dar, und zwar entspricht jeder Zentimeter 2/ıoo Sekunde. So zeigt die obere Kurve den Zwischenraum der gerade als doppelt wahrgenommenen Schläge, die untere den der als einfach empfundenen. ‘ Man ersieht hieraus, dass von den proximalen Teilen nach den distalen zu die eben wahrnehmbaren zeitlichen Abstände immer kleiner werden. or © 25 2 1 Phalanx II Phalanx I köpfchen Hohlhand Handgelenk en = = 4 = Ei = (57 5 5 Metakarpal- E (or {ee} 249 Adolf Basler: En Bei der Zusammenstellung meiner Versuche ergab sich, dass ich bei diesen Reihen auf der Volarseite an der zweiten und dritten Phalanx zwei Schläge als getrennt erkannte, wenn das dazwischen liegende zeitliche Intervall 0,045 Sek. betrug, nicht mehr dagegen bei einem solchen von 0,040 Sek. An der ersten Phalanx und über den Metakarpalköpfehen lag die Grenze bei 0,06 Sek. An der Stelle zwischen Metakarpalköpfehen und Handgelenk bei 0,14 und am Hand-- gelenk selbst wurden zwei Schläge, die um 0,15 Sek. auseinander- lagen, noch als einfach empfunden. ; Auch auf diese Tatsache lässt sich demnach die Darstellung von Vierordt!) gut anwenden, nach welcher die Empfindlichkeit um so: grösser wird, je beweglicher der Abschnitt eines Gliedes ist. Für die- Hand wenigstens, an der ich bisher allein die Versuche ausgeführt habe, gilt dieser Satz. Es sei noch erwähnt, dass ich diese Unterschiede zwischen proximaler und distaler Reizung bei allen von mir unter-- suchten Personen (Studenten) erhielt. Die absoluten Grössen zeigten jedoeh in einzelnen Fällen kleine individuelle Abweichungen. Nur einer der untersuchten Herren konnte die Doppelschläge bei einem so kleinen zeitlichen Intervall erkennen, dass zu seiner Prüfung mein Apparat nicht ausreichte. Am Handrücken waren die Ergebnisse wesentlich unsicherer als- an der Volarseite. Ursache der Verschiedenheit. Überblicken wir die mitgeteilten Ergebnisse, so geht aus ihnen. hervor, dass bei einem bestimmten Intervall, z. B. einem solchen. von 0,08 Sek., von der Fingerspitze ein Doppelschlag gefühlt wird. Am Handgelenk oder in der Mitte des Handtellers wird aber bei dem gleichen Intervall nur ein einziger Schlag gefühlt. Diese Tat- sache bildet eine Widerlegung der Auffassung von Sergi?), nach der die einzelnen Schwingungen einer hohen Stimmgabel an weniger empfindlichen Hautpartien nur deshalb nicht als einzelne Stösse empfunden werden, weil die Exkursion zu klein ist und der be-- rührende Teil der Stimmgabel immer an der oberflächlichen Epidermis- schicht liegen bleibt. 1) K. Vierordt, Über die Ursache der verschiedenen Entwicklung des. Ortssinnes der Haut. Pflüger’s Arch. Bd. 2 S. 297. 1869. 2) G. Sergi, Über einige Figentümlichkeiten des Tastsinnes. Zeitschr. f.- Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorgane Bd. 3 S. 175 (181). 1892. Uber die Verschmelzung zweier nacheinander erfolgender Tastreize. 243 Für die Stimmgabel mag dieser Faktor mit in Betracht kommen; bei meinen Versuchen aber liegen die Verhältnisse wesentlich anders. Denn der Hammer fällt immer mit der eleichen Kraft herunter. Selbstverständlich wurde auch dafür gesorgt, dass er während des reizfreien Intervalls so. hoch gehoben wurde, dass keine Berührung der Haut stattfand. Es liesse sich aber ein anderer Einwand erheben, nämlich der, dass die Hammerschläge doch für eine weniger empfindliche Haut- stelle einen schwächeren Reiz darstellen als für eine empfindliche, wie die Fingerspitze. Schwache Reize verschmelzen aber leichter als starke. So ergibt, um ein Beispiel aus der Optik zu gebrauchen, eine aus weissen und schwarzen Sektoren bestehende Scheibe erst bei schnellerem Drehen ein einheitliches Grau, als wenn die Scheibe aus grauen und schwarzen Sektoren besteht. Auf das Tastgefühl übertragen, würde das Schwarz dem freien Intervall entsprechen, die weissen Sektoren wären die starken Tast- reize, also kräftige Schläge, die grauen Sektoren nur schwache Schläge. Für den Handteller werden vielleicht die Schläge, die für . die empfindlichere Fingerspitze schon ziemlich stark sind, noch relativ schwach sein und deshalb schon bei grösserer zeitlicher Distanz ver- schmelzen. Nach dieser Auffassung wären also die Schläge für das Hand- gelenk relativ zu schwach, während sie nach Sergi absolut zu schwach sind. Es ergibt sich demnach die weitere Frage: Ist an den weniger empfindlichen Hautpartien der Ablauf der Erregung immer so lang- sam, oder kann es durch entsprechende Verstärkung der Reize dahin gebracht werden, dass auch an diesen Partien das Intervall nicht grösser zu sein braucht als an den empfindlichsten. Um diese Frage zu entscheiden, ist es nötig, verschieden starke Reize einwirken zu lassen, und dabei für jede einzelne Stelle zu ermitteln, welches die günstigste Reizintensität ist. Werden dann die Ergebnisse bei dieser optimalen Reizung ver- schiedener Hautstellen miteinander verglichen, so sieht man ohne weiteres, ob die zur Unterscheidung notwendige zwischen zwei Schlägen liegende Zeit auch für verschiedene Bezirke die gleiche sein muss. Von diesem Gesichtspunkt ausgehend, habe ich einen Apparat konstruiert, der es ermöglichen sollte, diese Reizungen mit genau bestimmbarer Intensität vorzunehmen. Nun stellte sich aber heraus, 244 A. Basler: Über die Verschmelzung zweier nacheinander erf. Tastreize. dass derselbe in theoretischer Hinsicht so schwer zu übersehen ist, dass ich vorgezogen habe, die Ergebnisse vor der Veröffentlichung ‚durch eine bessere Versuchsanordnung zu kontrolieren. Zusammenstellung der Ergebnisse. Bei mechanischer Reizung der Zeigefingerspitze mit nacheinander erfolgenden Schlägen auf genau die gleiche Hautstelle musste das Intervall, d. h. die Zeit zwischen Anfang des ersten und Anfang des zweiten Reizes meistens grösser sein als rund 0,05 Sek., wenn die beiden Schläge als getrennt erkannt werden sollten. 2. Bei diesen Doppelreizen musste also das zeitliche Intervall viel grösser sein als bei periodisch erfolgenden Reizungen der Haut (Serienreize), wie sie etwa durch die Stösse von schwingenden Stimm- gabeln hervorgerufen werden. 3. Die Ursache dieser Erscheinung dürfte in einer allgemein gültigen Gesetzmässigkeit der Sinnesphysiologie zu suchen sein, denn auch in der Optik lässt sich eine analoge Tatsache nachweisen. 4. An verschiedenen Stellen der Hand war auch die eben er- kennbare Intermittenzzeit verschieden, und zwar war sie um So grösser, je mehr das untersuchte Gebiet von der Fingerspitze ent- fernt war. Die Verschiedenheit je nach der gereizten Hautstelle war vor- handen, trotzdem die Schläge mit stets gleicher Kraft auf die Haut erfolgten. ID > [br i Über die Verschmelzung von zwei nacheinander erfolgenden Lichtreizen. Von Prof. Dr. Adolf Basler, r Assistent am physiologischen Institut Tübingen. (Mit 2 Textfiguren.) Mit Untersuchungen über die Verschmelzung von mechanischen Hautreizen beschäftigt, wurde ich durch die auffallende Tatsache überrascht, dass zwei nacheinander erfolgende Berührungen der Hand als eine einzige empfunden wurden, wenn das zeitliche Intervall, d.h. der Zwischenraum zwischen dem Anfang des ersten und des zweiten Reizes, kleiner war als etwa !/so Sekunde, dass aber von derselben Stelle der Haut die Erzitterungen einer Stimmgabel, die zu mehreren Hunderten in der Sekunde erfolgen, noch deutlich als Schwirren emp- funden werden. Die erste Art der Erregung, bei der es sich also nur um zwei aufeinanderfolgende Schläge handelt, wurde als Doppel- reizung bezeichnet, im Gegensatz zur Serienreizung;, bei der, wie etwa bei einer schwingenden Stimmgabel die Haut, von einer längeren Reihe von rhythmischen Stössen getroffen wird. Diese Beobachtung legte die Vermutung nahe, dass es sich dabei vielleicht um eine Erscheinung handelt, die sich auch bei einem anderen Sinnesorgan feststellen lässt, und dabei war in erster Reihe zu denken an das Auge. Wie schnell sich periodisch erfolgende Lichtreize in der Zeit- einheit wiederholen müssen, damit sie unter verschiedenen Bedingungen als gleichmässige Belichtung von der mittleren Helligkeit erscheinen, ist schon so eingehend untersucht, dass es überflüssig ist, auf die geradezu erdrückende Literatur im einzelnen einzugehen. Es dürfte genügen, wenn erwähnt wird, dass nach Helmholtz!) die Zeit- dauer einer ganzen Periode !/sa—!/so Sek. betragen muss, damit die 1) H. v. Helmholtz, Handb. d. physiol. Optik, 2. Aufl, S. 489. 1896. 246 Adolf Basler: einheitliche Empfindung zustande kommt. Baader!) konnte bei der gleichen Periodenzeit noch deutlich das Flimmern erkennen, was nicht wunderbar ist, da ja für das Zustandekommen eines ein- heitlichen Eindrucks noch viele andere Momente mitsprechen. Was geschieht aber bei Doppelreizung, wenn es sich also nur um zwei nacheinander erfolgende Lichtreize handelt? Sollen diese als getrennt erkannt werden, dann muss ein gewisser zeitlicher Zwischenraum sich zwischen diesen befinden. Muss nun das Inter- vall, damit die beiden Reize zu einem einzigen verschmelzen, gleich gross, grösser oder kleiner sein als bei den Versuchen der ersten Art? Diese Fragen liegen so nahe, dass sich zweifellos schon manche Forscher mit ihrer Beantwortung beschäftiet haben. Da ich aber in der Literatur keine Angaben über diesen Gegenstand gefunden habe, so entschloss ich mich, selbst Versuche in dieser Richtung aus- zuführen. Versuchsanordnung. Eine Scheibe aus Karton von nahezu 20 cm Durchmesser wurde auf der einen Seite mit schwarzem Papier überzogen, darauf wurden zwei Sektoren aus weissem Barytpapier aufgeklebt, so dass zwischen ihnen ein schwarzer Sektor von 30° freiblieb (Fig. la). Jeder der beiden Sektoren hatte ebenfalls einen Winkel von 30°. Auf der anderen Seite der Scheiben wechselten sechs weisse Sektoren mit sechs schwarzen gleichmässig ab (Fig. 1b). Alle zwölf Sektoren waren gleich gross und hatten demnach auch wieder einen Winkel von 30°. Diese Scheibe A (Fig. 2) konnte in ihrem Zentrum an einer drehbaren Achse BD angeschraubt werden, an welcher dreı Räder (, D und E befestigt waren. Das Rad ( hatte einen Radius von 0,85 em, das Rad D einen solchen von 1,75 cm, während der Radius von E 2,5 em gross war. Die Achse und die an ihr befestigte Scheibe wurde in Bewegung versetzt, dadurch dass eine Transmission ‚einerseits um eine horizontal liegende, durch ein Uhrwerk gedrehte Kymographiontrommel #7‘, andererseits um eines der erwähnten Räder lief. Die Trommel hatte einen Radius von 10 cm. Da es möglich war, die Bewegung der Trommel an und für sich mit verschiedener 1) E.G. Baader, Über die Empfindlichkeit des Auges für Lichtwechsel S. 26. ‚Diss. Freiburg 1891. . Über die Verschmelzung von zwei nacheinander erfolgenden Lichtreizen. 947 ‘Geschwindigkeit vor sich gehen zu lassen, so konnte die Um- drehunesgeschwindigkeit der Scheibe in für meine Zwecke genügender "Weise variiert werden. Um die Umlaufszeit für jeden einzelnen ‘Versuch bestimmen zu können, brachte ich an der Achse B ein Metallstäbehen H an, das bei jeder Umdrehung gegen ein federndes Platinplättehen schlägt. In einem Stromkreis stand nun mit dem a Fig. 1. b NINE NN NEN | S Fig. 2. einen Pol die Achse B mit dem anderen das Platinstäbchen in leitender Verbindung, so dass jedesmal beim Anschlagen der Strom für kurze Zeit geschlossen wurde, wobei ein ebenfalls eingeschaltetes elektrisches Signal auf einer rotierenden Trommel einen Ausschlag verzeichnete. Dicht vor der Scheibe war ein Schirm g aus schwarzer Pappe aufgestellt, der an einer Stelle ein rundes Loch von 1,5 em Durch- messer aufwies. Der Beobachter sass in einiger Entfernung vor dem Schirm und sah bei langsamer Drehung der Scheibe das Loch ab- wechselnd einmal hell werden, wenn ein weisser Sektor dahinter zu liegen kam, dann wieder eine Verdunkelung eintreten, so oft ein schwarzer Sektor erschien. DA8 Adolf Basler: | N Zum Versuch setzte ich die Scheibe so auf, dass die Fläche, welehe nur zwei weisse Sektoren enthielt, durch das Loch hindurch sicht- bar wurde. Durch das Kymographionuhrwerk liess ich sie jetzt mit! verschiedener Geschwindigkeit drehen und konstatierte dabei jedes-- mal, ob die kleine hinter dem runden Loch sichtbare Fläche einfach) hell wurde, oder ob sich jedesmal beim Durchgang der beiden! weissen Sektoren hinter dem Loch zwei Aufhellungen erkennen: liessen, die durch einen dunklen Schatten, der dem schwarzen! Zwischenraum entsprach, getrennt waren, mit anderen Worten, ob man den Lichtreiz einfach oder doppelt empfand. Hierauf wurde die Scheibe umgekehrt, so dass die Seite sichtbar wurde, auf welcher‘ sechs schwarze und sechs weisse Sektoren regelmässig abwechselten.. Dabei musste auch wieder unter den gleichen Bedingungen an- gegeben werden, ob die Scheibe flimmerte, oder ob das Gesichtsfeld gleichmässig erschien. Solche vergleichende Untersuchungen zwischen Serien- und’ Doppelreizung sind durchaus notwendig, weil — wenigstens bei Serienreizung — die Verschmelzung von sehr vielen Faktoren abhängt. So stellte Baader!) fest, dass die Verschmelzung/um so eher eintritt) je ähnlicher die wechselnden Lichtintensitäten sind. Bei Verwendung von möglichst kurzen Lichtreizen von hoher Intensität beobachtete Cords?) eine Verschmelzung erst bei 160 Reizen in der Sekunde. Aber auch die resultierende Gesamthelliekeit ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung®). Weiterhin soll auch der Adaptations- zustand des Auges*), unter gewissen Bedingungen die Grösse des Gesichtsfeldes?) und die Helliekeit der Umgebung), einen Einfluss auf die Verschmelzung ausüben. | 1) E.G. Baader, Über die Empfindlichkeit des Auges für Lichtwechsel 8. 31. Diss. Freiburg 1891. 2) R. Cords, Über die Verschmelzungsfrequenz bei periodischer Netzhaut- reizung durch Licht oder elektrische Ströme. Graefe’s Arch. für Ophthalmo- logie Bd. 67 S. 149 (158). 1908. 8) E.G. Baader, l.c. 8.29. — F. Schenck, Über intermittierende Netz- hautreizung. 3—7. Pflüger’s Arch. Bd. 63 S. 32 (40). 1897. 4) M. Schaternikoff, Über den Einfluss der Adaptation auf die Er- scheinung des Flimmerns. Zeitschr. für Psychol. u. Physiol. der Sinnesorgane Bd. 29 S. 241 (247). 1902. 5) E. G. Baader,l. c. S. 34. 6) F. Schenck, Über intermittierende Netzhautreizung. I. Mitt. Über den Einfluss der Augenbewegungen auf die Beobachtung rotierender Scheiben Pflüger’s Arch. Bd. 64 S. 165 (163). 1896. Über die Verschmelzung von zwei nacheinander erfolgenden Lichtreizen. 949 Auch die beiden letzten Punkte konnten keinen Unterschied bedingen, da stets der Teil der Scheibe beobachtet wurde, welcher hinter dem in dem Pappschirm angebrachten Loch sichtbar war, so dass das Gesichtsfeld immer die gleiche Grösse hatte. Und die Hellig- keit der Umgebung war bedingt durch die Farbe des Schirmes. Es ist bei meiner Anordnung natürlich nicht zu erreichen, dass das Hellwerden resp. die Verdunklung momentan erfolet, sondern der schwarze und der weisse Sektor schiebt sich bei der Drehung der Scheibe von der einen Seite ausgehend über den Ausschnitt in (dem Karton. | | Wenn ich weiterhin von einem reizfreien Intervall spreche, so ‚ist darunter ein Gesichtsfeld zu verstehen, das verhältnismässig wenig Licht reflektiert und deshalb schwarz erscheint; von absolutem Fehlen jeder Strahlung kann ja bei meiner Anordnung nicht die Rede sein. Ergebnisse. Alle meine Versuche mit verschiedenen Versuchspersonen an- gestellt, zeigten, dass sich die optischen Reize in bezug auf Ver- sehmelzbarkeit tatsächlich ähnlich verhielten wie Tastreize. ‚Da sämtliche Ergebnisse auffallend gut übereinstimmten, so mag es genügen, einen meiner Versuche in Tabellenform wiederzugeben. Versuch vom 5. August 1911. Versuchsperson Basler. Zahl der Um- | | Nummer | @rehungen der | Intermittenz- Scheibe mit Scheibe mit . Scheibe zeit zwei Sektoren | sechs Sektoren in der Sek. 1 5,0 | 0,033 einfach Flimmern 2 2,5 0,066 einfach Plimmern sehr deutlich 5) 8,5 0,019 einfach glatt 4 1,5 0,11 doppelt Flimmern 5 2,3 0,071 einfach n 6 2,0 0,083 doppelt h 7 4,0 0,042 einfach a 6) 1,4 0,12 doppelt 3 doppelt I 2,0 0,083 N (durch leichten } » Schatten getrennt) 10 2,7 0,061 einfach 5 11 5,0 0,0383 einfach = 12 39 0,050 einfach R 3 3,0 0,055 einfach x 14 2,0 0,083 doppelt “ Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 17 250 Adolf Basler: Aus diesem sowie aus zahlreichen anderen Versuchen geht hervor, dass zwei zeitlich nacheinander erfolgende Lichtreize bei viel grösserer Intermittenzzeit verschmolzen als eine ganze Reihe von Reizen der gleichen Art. Die Intermittenzzeit, bei der ich, günstige Beleuchtung voraus- gesetzt, Doppelreize gerade noch als getrennt erkannte, betrug 0,083 Sek. Bei Serienreizung dagegen sah ich bei einer Inter- mittenzzeit von 0,033 Sek. noch deutliches Flimmern. An trüben Tagen war allerdings bei dieser Frequenz das Gesichtsfeld gerade gleichmässig grau. Unter Intermittenzzeit wurde bisher stets diejenige Zeit ver- standen, welche einen Reiz und ein reizloses Intervall umfasst, also eine ganze Periode. Dies geschah, weil ich es für wichtig hielt, meine Ergebnisse mit denen anderer Untersucher direkt vergleichen zu können. Denn bekanntlich wird bei Serienreizen allgemein nach ganzen Perioden gerechnet, aus Gründen, auf die Helmholtz!) hingewiesen hat. & Ob dieses aber speziell für meine Zwecke das Richtige ist, scheint mir. ohne genauere Versuche hierüber noch nicht sicher zu sein. Denn es ist zunächst nicht ausgeschlossen, dass es bei Doppel- reizung in erster Reihe von der Dauer des reizfreien Intervalls ab- hängt, ob die Reize als doppelt oder einfach empfunden werden. Denkt man sich nun das eine Mal die beiden Reize sehr lang fort- gesetzt, das andere Mal nur kurze Zeit dauernd, so wird, wenn in beiden Fällen das reizlose Intervall gleich oder nahezu gleich ist die ganze Periode trotzdem durchaus verschieden ausfallen. Ich halte es deshalb für richtiger, bei meinen Ergebnissen auch die Zeit des reizfreien Intervalls anzugeben, die der Hälfte der ganzen Peri- oden entspricht, weil alle Sektoren eleich gross waren. Auf Grund dieser Erwägungen müsste die von mir beobachtete Tatsache in folgender Weise beschrieben werden. Bei Doppelreizung wurden zwei Reize eben als getrennt er- | kannt, wenn das lichtfreie Intervall 0,042 Sek. lang war, dagegen als einfacher Reiz empfunden bei einem Zwischenraum von 0,035 Sek. Bei Serienreizung dagegen war bei gleicher Dauer und Intensität der Reize und bei gleicher Reizpause noch starkes Flimmern vor- 1) H. v. Helmholtz, Handb. der physiol. Optik, 2. Aufl, S. 489. Ham- burg u. Leipzig 1896. Über die Verschmelzung von zwei nacheinander erfolgenden Lichtreizen. 251 handen. Es verschwand erst bei ungefähr dreimal so schneller Drehung der Scheibe. Es kam mir hauptsächlich darauf an, die beschriebenen Tat- sachen festzustellen, und deshalb liegt es auch nicht in meiner Ab- sicht, eine Erklärung dafür zu versuchen, die allen Einzelheiten ge- recht wird. Immerhin sei hervorgehoben, dass das Ergebnis meiner Untersuchung gar nicht so wunderbar ist, wie es auf den ersten Bliek erscheint. Wir dürfen uns nämlich durchaus nicht. vorstellen, dass bei Serienreizung sich die Nachwirkung eines jeden einzelnen Reizes so abspielen muss, wie sie ablaufen würde, wenn der be- treffende Reiz allein gesetzt würde. Diese Auffassung vertritt auch Marbe!), wenn er sagt: „Mit Rücksicht auf unsere geringe Kenntnis der retinalen Vorgänge müssten wir immerhin die Möglichkeit offen lassen, dass die bei grösseren Sukzessionsgeschwindigkeiten der Reize entstehenden retinalen Vor- cänge infolge irgendwelcher sekundär wirkender physiologischer Prozesse ganz andere seien, als sich aus dem Verlauf des An- und Abklingens schliessen lässt.“ Es scheint tatsächlich der Fall vorzuliegen, dass bei mehrfacher Wiederholung die Nachwirkungen der einzelnen Reize kürzer werden als bei nur einmaligem Reize. Bei Doppelreizung dagesen haben wir zuerst einen Reiz vor uns. Dieser bedingt nach seinem Aufhören die verschiedenen erst seit den Untersuchungen von Hess richtig gewürdigten Erscheinungen, die wir mit dem Namen des Abklingens bezeichnen. Soll der zweite Reiz als solcher sichtbar werden, dann muss er natürlich zu einer Zeit erfolgen, in der die Nachwirkung der ersten Reizung bis zu einer bestimmten Grösse abgenommen hat. Denn anderenfalls ist das reizfreie Intervall mit einer Empfindung ausgefüllt, die dem durch die beiden Reize gesetzten Sinneseindruck so nahe kommt, dass die ganze Folge: erster Reiz, reizfreies Intervall und zweiter Reiz nur eine einzige kontinuierliche Empfindung auslöst. 1) K. Marbe, Tatsachen und, Theorien des Talbot’schen Gesetzes. Pflüger’s Arch. Bd. 97 S. 335 (844), 1903. Kr nıitr ” 3 ”. 252 Fritz Verzär: (Aus dem physiologischen Institut der kgl. Universität Halle a. S.) Über die Natur der Thermoströme des Nerven. Von Fritz Verzar. (Mit 2 Textfiguren.) Der Einfluss der Temperatur auf die bioelektrischen Ströme gibt uns ein Mittel die Natur derselben zu erkennen. Auf diesem Wege hat bekanntlich Bernstein!) sowohl für den Muskel- als für den Nervenstrom bewiesen, dass dieselben osmotischer Natur sind, denn ihre Kraft wächst proportional der absoluten Temperatur, was unter den hier in Betracht kommenden Faktoren nur bei Konzentrationsketten der Fall ist. Die bioelektrischen Ströme sind also Konzentrationsströme. Muss man nun auf diese Weise die recht erheblichen elektromotorischen Kräfte erklären, so ist man genötigt, grosse Konzentrationsunterschiede innerhalb der Organe anzunehmen. Die Annahme von semipermeablen Membranen, wie es Bernstein in seiner Membrantheorie ausgeführt hat, macht diese grossen Konzentrations- und die entsprechenden Potentialunterschiede ver- ständlich. Ihre Überlegenheit über die anderen Theorien der bioelektrischen Ströme hat die Membrantheorie bewiesen, als Bernstein?) zeigen konnte, dass dieselbe auch die Thermoströme des Muskels erklärt, welche, wie ihr Entdecker Hermann selbst bekennt, für die Alterationstheorie eine grosse Schwierigkeit waren, die auch bisher nieht beseitigt wurde. Hermann?) beschrieb, dass zwischen zwei Punkten eines un- versehrten Muskels, welche auf verschiedene Temperatur gebracht 1) Untersuchungen zur Thermodynamik der bioelektrischen Ströme. I. Teil. . Pflüger’s Arch. Bd. 92 S. 521. 1902. 2) Die Thermoströme des Muskels und die „Membrantheorie“ der bio- elektrischen Ströme. Pflüger’s Arch. Bd. 131 8. 589. 1910. 3) Versuche über den Einfluss der Temperatur auf die elektromotorische Kraft des Muskelstromes. Pflüger’s Arch. Bd.4 S. 163. 1871. Über die Natur der Thermoströme des Nerven. 953 werden, ein elektrischer Strom entsteht, der im Muskel gegen die warme Stelle fliesst; diese ist also positiv. Nur eine Temperatur- änderung des Längsschnittes gibt eine Änderung des Längs-Quer- schnittstromes. Temperaturänderung des Querschnittes ist unwirksam. Wäre der Sitz des Potentialsprunges, wie es die Alterationstheorie annimmt, der Querschnitt, so wäre dieses Verhalten unverständlich. Die Membrantheorie jedoch, nach welcher der Potentialsprung am unversehrten Längsschnitt sitzt, erklärt diesen Fall vollkommen und gibt damit einen Beweis für ihre prinzipielle Richtigkeit, um so mehr als auch bei diesen Strömen sich eine Proportionalität mit der ab- soluten Temperatur nachweisen liess. Ich untersuchte nun, wie sich bei Temperaturdifferenz zwischen den Ableitungsstellen der Nerv verhält, um daraus weitere Anhalts- punkte für die Natur der Nervenströme zu gewinnen. Bereits Grützner!) hat gefunden, dass der Nerv sich quali- tativ ebenso verhält wie der Muskel, dass nämlich zwischen zwei _ verschieden temperierten Nervenstellen ein Strom entsteht, welcher im Nerven gegen die warme Stelle fliesst; die warme Stelle ist also positiv. Er erwähnt einige ähnliche, bereits von Worm-Müller aus- geführte Versuche, welche jedoch keinen wesentlichen Erfolg hatten. In allerjüngster Zeit (bereits nach Beginn meiner Versuche) haben G. Galeotti und F. Porcelli?), ohne die Grützner’schen und Worm-Müller’schen Versuche zu kennen, die Frage wieder aufgenommen. Sie hatten auch den Wunsch, aus dem Verhalten der Thermoströme auf die Natur der Ströme zu schliessen. Sie kamen indes zu direkt entgegengesetzten Resultaten wie Grützner, da sie finden, dass die warme Stelle negativ gegen die kalte sei. Wir werden im Laufe dieser Untersuchungen wiederholt Gelegenheit haben, auf die Versuche von Galeotti und Porcelli näher ein- zugehen?). Das Programm meiner Versuche gestaltete sich also folgender- maassen: Erstens musste den widersprechenden Angaben gegenüber entschieden werden, welche Richtung die Thermoströme haben. 1) Beiträge zur allgemeinen Nervenphysiologie. Pflüger’s Arch. Bd. 25 8.265 ff. 1881. 2) Influenza della temperatura sulle correnti di demarcazione dei nervi. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 11 S. 317—338. 1910. 3) Die Angabe von Worm-Müller, dass bei Froschnerven, nicht aber bei Kaninchennerven die warme Stelle negativ sei, hat bereits Grützner widerlegt. 254 Fritz Verzär: Zweitens musste untersucht werden, wo sich beim Nerven der Potentialsprung befindet, ob am Quer- oder Längsschnitt, oder ob sich der Querschnitt ebenso thermisch inaktiv verhält wie beim Muskel. Drittens, lässt sich auch bei den Thermoströmen der Nerven eine Proportionalität mit der absoluten Temperatur nachweisen, wo- mit bewiesen wäre, dass auch diese Ströme Konzentrationsströme sind ? Methodik. Bei diesen Versuchen, wo es darauf ankam, die Temperatur des abgeleiteten Nervenstückes selbst genau zu kennen, um danach eine Berechnung auszuführen, konnte man sich nicht mit einer Methode begnügen, wo die Nerven auf Kästchen lagen, durch welche verschieden temperiertes Wasser floss. Diese Methode hat sich bei den qualitativen Versuchen Grützner’s gut bewährt; zu quanti- tativen Versuchen schien sie mir jedoch nicht so geeignet, denn man wird aus der Temperatur des Wassers im Kästchen kaum auf die des Nerven folgern können. — Eine ähnliche Methode wie Grützner haben auch Galeotti und Porcelli benutzt. Die Ableitunes- stellen der Nerven lagen auf zwei Metallröhren, durch welche kaltes oder warmes Wasser floss. Die ersten Vorversuche, welche Herr cand. med. Schön aus- führte, wurden nach der Hermann'schen Methode so gemacht, dass der abgeleitete Längs- oder Querschnitt des Nerven in ein mit kaltem oder warmem Olivenöl gefülltes Gefäss ein- und ausgetaucht und so abwechselnd auf verschiedene Temperaturen gebracht wurde. An dem gleichzeitig eintauchenden Thermometer wurde die Tem- peratur des Öles abgelesen, und man hatte alle Berechtigung, sie | mit der des Nerven nach kurzer Zeit gleichzusetzen. Diese Ein- tauchmethode hat sich indessen beim Nerven nicht bewährt. Das Ein- und Austauschen führt durch die hierbei wirkende starke Ober- flächenspannung des Öles zu einem Verschieben bzw. Anliegen von: anderen Nerventeilen an die ableitende Stelle, wodurch Stromes- änderungen vorgetäuscht werden. Es musste deshalb nach einer Methode gesucht werden, bei welcher der abgeleitete Teil unverrückbar liegen bleibt, während seine Temperatur geändert wird. Langsames Abkühlen und Er- wärmen des Öles, wobei der Nerv eingetaucht blieb, führte nicht zum Ziele, denn die Temperaturänderungen folgten zu langsam auf- Über die Natur der Thermoströme des Nerven. 255 einander, um gute Vergleichswerte liefern zu können. Nach vielen Versuchen hat sich folgende Methode bewährt: An ein N-förmiges, enges Glasrohr (Abb. 1) wurden an beiden Enden kurze Gummiröhrchen mit je einer Seitenöffnung befestigt. Dureh dieses N-Rohr wurde der Ischiadieus von Fröschen durch- gezogen. Durch die Seitenöffnung der Gummischläuche wurde der Nerv mit je einem ableitenden, mit physiologischer Kochsalzlösung getränkten Baumwollfaden umschlungen, welcher zu einer Du Bois’schen Tonelektrode führte. Beide Ableitungsstellen tauchten Baumwollfäden -- === zu denElektroden. >> Thermometer. Fig. 1. in je ein mit Olivenöl gefülltes Näpfchen. Letztere waren so gewählt, dass das darin enthaltene Öl seine Temperatur möglichst langsam ver- änderte, und dass ausser dem Nerven ein Thermometer Platz hatte. Es wurde nun zuerst der Strom bestimmt, wenn beide Ölgefässe, also auch beide abgeleiteten Nervenstellen, die gleiche Temperatur hatten. Dann wurde das eine Gefäss mit einem anderen ausgetauscht, welches Öl von niederer oder höherer Temperatur enthielt. Auf diese Weise konnte in kurzen Zwischenräumen die Temperatur der Ableitungsstellen geändert werden, ohne dass hierbei der fest in der _ Röhre liegende Nerv verschoben worden wäre. Kontrollversuche haben gezeigt, dass das Ein- und Austauchen selbst keine Stromes- änderung bewirkt. Da die Elektroden, von dem verschieden tem- 256 Fritz Verzar: perierten Öl weit entfernt, nur durch Baumwollfäden mit dem Nerven verbunden waren, so konnte die Temperaturänderung auf die Rlek- troden selbst keinen Einfluss haben, wodurch ja sonst sehr bedeutende Stromesänderungen hätten entstehen können. Auch in dieser Hin- sicht haben mich Kontrollversuche beruhigt. Legte ich an Stelle des Nerven einen mit physiologischer NaCl-Lösung getränkten Baumwoll- faden, so bekam ich bei derselben Versuchsanordnung keine Thermo- tröme bzw. Stromänderungen. Ein Nachteil dieser Methode war, dass sich eine ganz gleiche Temperatur auf beiden Ableitungsstellen nicht erreichen liess, denn das Thermometer und die eintauchende Glasröhre, welche erwärmt oder abgekühlt worden waren, veränderten natürlich immer auch die Temperatur des folgenden Ölbades. Daher kommt es, dass auch bei den gleichen Temperaturen immer noch Temperaturunterschiede von einigen Zehnteln bis über einen Grad vorkommen, welche aber hier kaum eine nennenswerte Rolle spielen und darum auch bei der Berechnung immer als gleich betrachtet werden. Eine weitere schwierige Frage war, wie die Ableitung vom Nerv zu den Du Bois’schen Elektroden herzustellen sei. Hermann hatte gezeigt, dass eine Kochsalzelektrode mit dem Muskel schon T'hermoströme gibt, und benutzte deshalb zur Ableitung tote Muskeln. Hiervon ausgehend, benutzte auch ich in einer grossen Anzahl von Nervversuchen Nerven zur Ableitung, welche durch Erwärmen auf 70° GC, abgetötet worden waren. Es zeigte sich aber, dass man zwar auch auf diese Weise Stromesänderungen bei Temperatur- änderung erhält, dass diese aber durchaus unregelmässig sind. Es erklärte sich das daraus, dass die ableitenden toten Nerven selbst nie stromlos sind, sondern nicht unbeträchtliche Ströme geben, welche sich hier auf ganz unkontrollierbare Weise zu den Strömen der lebenden Nerven addierten, wodurch sogar die Richtung des Nerven- stromes unbestimmbar wurde. Versuch Nr. 28 und 23 zeigen, dass es nicht gelingt, durch Abtöten mittelst Erwärmens Nerven ganz stromlos zu machen. Bei weiterer Erwärmung über 70 bis über 100° C. verstärkt sich gewöhnlich der Strom wieder und wendet sich auch manchmal (Versuch Nr. 23). Dieses Wenden des Stromes hat an in siedendes Wasser getauchten Nerven bereits E. Du Bois Reymond!) beschrieben. Da hierbei die verschiedensten Fällungen, 1) Nach Hermann, Handb. d. Physiol. Bd. 2 (1) S. 148. Über die Natur der T'hermoströme des Nerven. 357 Schrumpfungen, Extraktionen eintreten, so kaun man daraus keinerlei Folgerungen ziehen. Das für mich in Betracht kommende praktische Ergebniss war jedoch, dass tote Nerven zur Ableitung nicht be- nutzbar sind, und ich musste deshalb zur Ableitung mit Kochsalz oetränkte Baumwollfäden benutzen. Versuch 28, Temperatur 5 e Zeit 6 | 105 Volt Anmerkungen 4h 16’ 177,5 1104 — > Querschnitt- 4 91° 19,5 1120 Längsschnitt 4h 24' 22,0 1104 4h 25' 27,0 1079 ah 98’ 33,5 1060 4h 30' 31,5 1035 4h 32’ 41,5 1010 4h 33,9' 43,0 783 4h 39' 48,0 630 4h 41’ 50,5 316 4h 44' 52,0 132 4h 50’ 58,0 201 4h 53’ 65,9 179 Au 55. 74,0 255 4h 56’ 82,0 273 4h 58’ 87,0 301 5h 00’ 90,0 322 Versuch 23. Zeit | Sa | | Ben | Anmerkungen 9a Sl 18 880 — > Querschnitt- en 42" 32 in Längsschnitt 12h 45’ 41 12h 50’ 48 230 jeh 0), 60 — Der Strom wendet sich m, al) 63 351 +— in 6) 69 198 1h 10’ 78 198 1h 26’ | 86 435 | Dass jedoch hierdurch keine Fehler vorgetäuscht wurden, zeigt der zweite Teil von Versuch 34, 35, 36 und 40. Nachdem zuerst regelmässige Thermoströme am lebenden Nerv erhalten waren, wurde der Nerv, ohne seine Lage zu ändern, durch Erwärinen auf 70° C. abgetötet. Der Strom sank beträchtlich; ein kleiner Strom, wie bei jedem toten Nerven, blieb aber vorhanden. Mit dem Abtöten ver- schwand jedoch jegliche regelmässige Beeinflussbarkeit durch Tempe- 958 Fritz Verzär: raturdifferenzen an den Ableitungsstellen; die Thermoströme ver- schwanden, zum Zeichen, dass sie durchaus biologischer Natur sind und nicht durch die Ableitung mit Kochsalzelektroden hervorgerufen werden. Ähnliche Ergebnisse hatte bereits Grützner bei seinen qualitativen Versuchen über die Wirkung der Temperaturänderung erhalten. Die elektromotorische Kraft wurde mit der Du Bois Rey- mond-Poggendorf’schen Kompensationsmethode gemessen. Die Ausführung eines Versuches gestaltete sich also folgender- maassen: Der Nerv wurde in das Röhrchen eingeführt und durch beide Seitenöffnungen mit in physiologischer Kochsalzlösung getränkten Baumwollfäden abgeleitet. Es wurden zwei Temperaturintervalle, zwischen ea. 0—20° GC und ca. 20—35° C, benutzt. Wir wollen der Kürze halber die ersteren als Kühlungsversuche, die letzteren als Erwärmungsversuche bezeichnen. Zuerst wurde der Strom be- stimmt, wenn beide Ableitungsstellen in Öl von gleicher (meist Zimmer-) Temperatur tauchten. Daun wurde die eine Ableitungs- stelle in eisgekühltes Öl getaucht, der Strom bestimmt, dann wieder in Öl von Zimmertemperatur, und diese zwei Messungen gewöhnlich dreimal wiederholt. Dieselbe Prozedur folgte mit der anderen Ab- leitungsstelle. Dann wurden ebenso beide abwechselnd in erwärmtes Öl getaucht. Alles Nähere ersieht man aus den Versuchsprotokollen. Unter den sechs Versuchen jeder Versuchsreihe befindet sich je ein Versuch, bei welchem die gleiche Temperatur der beiden Ableitunssstellen nicht die Zimmertemperatur, sondern die niedrige oder hohe Temperatur war. Endlich muss hier auch noch über die Art der Berechnung der Stromesänderung einiges gesagt werden. Da die untersuchten Nerven nie vollkommen stromlos waren, addierten oder subtrahierten sich die entstandenen Thermoströme von ihnen. Um nun aber die Grösse dieses Thermostromes zu kennen, musste darauf geachtet | werden, dass inzwischen der Strom sich auch ohne den hin- zukommenden Thermostrom geändert haben konnte. Dieser Fehler wird eliminiert, wenn man jenen Wert des Nervenstromes, welchen er bei verschiedener Temperatur der Ableitungsstellen hat, sowohl mit dem Wert bei gleicher Temperatur vorher als auch nachher vergleicht und den Mittelwert dieser beiden Differenzen nimmt. Dividiert man den so gewonnenen Wert des Thermostromes mit der Über die Natur der Thermoströme des Nerven. 359 in ° C gemessenen Temperaturdifferenz, so erhält man die in der Tabelle I zusammengestellten Werte der Stromesänderung pro 1°C. Der störende Einfluss der spontanen Veränderung des Nervenstromes wurde noch weiterhin dadurch zu eliminieren gesucht, dass die Zeit- intervalle zwischen den einzelnen Ablesungen möglichst klein ge- nommen wurden. Der Nerv nimmt die Temperatur des Ölbades sehr schnell an, wofür der beste Beweis ist, dass die Änderung des Stromes sehr schnell, bereits nach einigen Sekunden beginnt und bereits nach '/—1 Minute einen beständigen Wert erreicht, so dass eine Ablesung möglich ist. In manchen Fällen änderte sieh der Nervenstrom spontan so stark, dass eine Berechnung der Thermo- ströme unmöglich wurde. In den Tabellen sind solche Fälle immer bezeichnet. Versuche. Wir wollen nun zuerst die Versuche betrachten, welche mit dieser Methode ausgeführt wurden, und dann untersuchen, ob die sewonnenen Resultate uns Aufklärung über die Natur der Nerven- ströme geben. Den drei verschiedenen Ableitungsarten gemäss wollen wir die drei Versuchsgruppen mit Ableitung von zwei Längs-, Längs- Quer-, und zwei Querschnitten gesondert behandeln. Ableitung von zwei Längsschnitten. Mit meiner Methodik war es nicht möglich, zwei Punkte des Nerven aufzusuchen, zwischen welchen keine Potentialdifferenz herrscht, so wie es z.B. Galeotti und Porcelli getan haben. Ich musste mich damit begnügen, möglichst lange Nervenstücke ohne abgehende Äste auszusuchen. Hierfür eignet sich besonders das lange Stück des Frosch - Ichiadieus zwischen dem Knie und den Femoralästen. Bei grossen Eskulenten kann man ein genügend langes Stück erhalten. Versuch 34. eım0 Zeit Henpeyi & av 8 Anmerkungen links | rechts 1075 Volt an 8 17,5 17,0 297 98 ——— (Nervenstrom) le 17,4 3,2 493 <-— (Thermostrom) 11h 12° 17,0 16,0 301 Inu 17,0 | 4,2 476 11h 16’ 16,8 | 16,8 5) 11h 18’ 16,8 4,1 498 = = 360 Fritz Verzar: a Temperatur ° ©. € R 1 ei 2 au rn ee nmerkungen links rechts 1075 Volt 1 I 16,8 16,6 396 | 111.n724% 3,4 16,8 242 ——_ 11h 26’ 1559) 16,4 407 11h 28’ 4,4 16,3 276 al Sal 15,4 16,3 394 INUhz33% 5,9 16,93 268 11h 36’ 15,2 16,0 376 1747397 15,7 30,0 323 ah 15,9 17,8 346 11h 43’ 15,9 38.0 384 IRA 16,0 19,0 296 11h 48' 16,0 30,2 282 lany 0% 16,1 19,0 293 11h 52’ 29,4 18,5 830 — 11h 54’ 18,0 18,0 279 11h 56’ 34,8 18,0 821 11h 58’ 18,1 18,0 269 Erwärmung des ganzen Nerven auf 70° C. in Öl. 12h 20’ 18,0 | 18,2 189 I 12h 22’ 6,3 18,2 189 12h 24’ 17,0 18,0 159 121267 9,9 18,0 170 12h 28° 15,3 17,8 170 12h 29' 16,3 80 170 12h 33 16,6 17,0 159 12h 37 16,3 42,0 125 121 39’ 16,3 20.0 127 12h 40' 16,3 34,0 114 lanaar | 270 182 161 12h 46' 18.1 182 161 12h 48° 36,0 18,2 140 Versuch 35. Temperatur ° ©. Zeit an 3 Anmerkungen links rechts 105 Volt 5 49 20,2 199 12 ne = 2 © 3: 46, 9,3 19,9 142 ed) SE) = oh 48 19,2 19,8 42 a ERS, 5h 51’ 61 19,6 193 +12338<°= His 18,8 19,5 34 + 2,5% .0 5h 56’ 13 19,5 13 "asike 2 Ha2or 5h 59’ 18,8 19,2 ve re Saren Gr 1’ 19,0 72 269 6h 3’ 19,0 18,6 225 (Nervenstrom behält kon- 6h 6’ 19,0 2, 342 stante Richtung) Gh 8’ 18,8 181 261 u 64 10’ 18,8 5,0 366 Uber die Natur der Thermoströme des Nerven. 261 | r Temperatur ° C. e Zeit Anmerkungen links - rechts 10—5 Volt 6h 14’ | 18,7 18,2 | Er 6h 17’ 18,8 \ 29,5 172 65 20’ 19,0 20,0 157 6h 22’ 19,0 39,0 184 6h 25’ 19,0 | 21,0 202 De 19,0 37,0 227 64 29’ 19,2 22,2 242 6h 31’ 30,9 21,2 312 6h 32’ 20,6 21,2 243 —— 6h 34' 32,0 21,2 333 6h 36’ 21,0 21,0 253 | Eintauchen des ganzen Nerven in 70° C. in Öl. 6h 517’ 22,2 6,2 278 | KT Fe 6h 53’ 22,3 | 22,0 191 6h 55’ 22,0 | 8,2 191 6h 57’ 22,0 20,0 191 6h 58’ 9,3 21,0 191 2! 20,0 46,0 132 3, 20,0 23,0 132 UN oR 20,0 36,0 132 u Qu 20,0 24,0 132 un! 31,9 21,0 184 7h 10’ 21,6 20,6 184 za12’ | 410 0 | >54 Versuch 36. 0 Zeit ne | | am = a R Anmerkungen links rechts 1075 Volt 3h 15’ 18,1 13,2 2 > > 3h 17’ 1,5 182 161 3h 19' 17,3 18,2 42 + — 3h 21’ 4,6 18, 2 107 — 3h 24' 17,5 18.2 45 (Nervenstrom behält kon- 3h 26’ 4,9 18,2 150 stante Richtung) 3h 28' 17,2 18,0 s0 a 3h 30’ 17,8 4,8 25 sh 92’ 17,8 17,0 126 3h 34’ 17,8 3,9 59 3h 37’ Il 17,0 108 3h 39’ 17,6 5,8 55 3h 41’ 17,6 17,0 100 I—— 3h 45’ 17,5 32,1 47 3h 47' 17,5 19,0 116 3h 50' 17,5 27,0 s4 3h 52’ 18,0 20,0 3 3h 54’ 18,0 34,5 68 262 Fritz Verzär: 0) Zeit = aulear N 2 Anmerkungen links | rechts 105 Volt 3h 56’ 18,2 | 20,4 142 +— 3h 58’ 29,0 | 20,1 106 Am 19,5 | 20,0 148 4h 3° 34,9 19,9 121 4h 6’ 20,0 | 19,9 141 4h 8’ 32,0 | 19,3 124 Eintauchen des ganzen Nerven in 70° C. in Ol. 4h 33’ | 20,0 | 20,0 134 4h 35 ' 4,6 | 20,0 134 — 4h 37° 18,1 | 19,8 119 4h 39’ 5,9 | 19,6 108 4h 41’ 17,8 | 19,2 96 4h 43’ 18,1 6,0 86 4h 45 ' 18,1 18,0 17 4h 48' 18,1 6,3 59 4h 50’ 18,1 46,0 86 4h 52’ 18,1 13,0 S6 | 4h 54’ 18,1 | 35,0 sl 4h 55 18,1 16,5 sl 4h 58’ 43,0 16,0 89 5h 0' 20,0 16,8 79 Hihsn9 32,0 6,8 ie) Versuch 37. {) Zeit Temper Dan 3 f Anmerkungen links rechts 10-5 Volt 4h 5’ 19,2 19,2 327 _— 4h 9’ 1,0 19,2 375 > An 18,0 19,0 DAN. 4h 13 3,4 19,0 317 4h 15’ 17,3 19,0 287 4h 18’ 4,4 18,9 342 4h 19 ' 17,0 18,8 208 4h 21’ 17,8 DA 390 4h 24' 17,9 18,0 448 | Zur Berechnung werden 4h 27’ 15,2 9,1 413 Zu ‚aiese Werte benutzt Ah 99 18.0 18.0 458 I 4h 31’ 17,8 5,7 342 4h 35’ 17,8 17,8 312 4h 37' 17,9 6,8 258 4h 39’ 18,0 17,0 254 4h 41' 18,0 34,0 168 oo 4h 43' 18,0 20,0 296 4h 45’ 18,0 29,2 254 4h 47' 18,0 20,7 307 4h 49' 18,0 31,0 273 4h 52' 18,0 20,5 299 4h 54' 32,0 20,1 391 —>+ 4456’ | 20,7 20,0 300 4h 58' 32,4 20,0 354 4h 59' 20,8 20,0 288 bus], 28,0 20, 0 322 Über die Natur der Thermoströme des Nerven. 263 Versuch 38. . Temperatur ° C. e Zeit — < Anmerkungen links | rechts 1075 Volt 11h 13’ 19,6 19,8 43 mn 11h 16’ 4,9 | 19,8 128 + 11h 18’ 18,0 | 19,2 7 11h 20’ 2,7 19,5 148 11h 22' 18,0 | 19,3 33 11h 24’ 3,4 | 195 176 11h 26’ 1,3 | 19,0 44 11h 28’ 18,0 2,6 58 + a8. 11h 31' 18,0 18,0 54 — [22852 11h 33’ 18,0 2,0 53 m 8, 1352 18,0 16,8 61 >| 32528 11h 37’ 18,0 | 3,7 45 BEE 5 11h 45' 18,0 | 17,6 65 ee 11h 48’ 18,1 | 30,5 25 ey 11h 50’ 18,1 | 19,8 64 11h 53’ 18,6 | 35,0 0 11h 56’ 188 | 20,6 M 11h 58’ 18,8 | 28,5 19 RE 19,0 | 21,0 21 12h 5’ 32,9 | 20,8 76 ze, Dom 6 21,2 | 20,6 19 en 12h 9’ Sılkolı = 20,6 4 Are za I By 2081 20,4 40 12h 13’ 30,0 | 20,5 44 12h 16’ 21,2 | 20,2 52 Versuch 41. 0 Zeit E Lenperaiun 1. x Anmerkungen links rechts 1075 Volt + 12h 46’ 9,3 | 15,6 196 =) 12h 48' 6,3 6,3 302 12h 50’ 7,8 15,6 290 12h 52’ 8,8 8,8 348 12h 54’ 9,6 15,8 346 12h 56’ 6,5 6,5 398 12h 53’ 8,3 15,6 397 In2 ! 8,2 8,2 437 ih 4' 15,2 9,83 520 So 6’ 9,0 9,0 467 8 15,2 9,8 520 RI! HRS) 5,0 399 ' bei der Berechnung Ih 14’ 15,2 IN 717 nicht benutzt Ih 22’ 30,5 30,5 637 1h 23’ 15,0 28,2 562 ——h 1h 25’ 27,0 27,0 620 1h 27' 15,2 24,8 618 1b 30’ 30,0 30,0 676 1h 32’ 15,5 27,0 628 Er _ 2654 Fritz Verzar: 5 Temperatur ° C. e Zeit — Anmerkungen links rechts 1075 Volt 1h 34' 24,0 24,0 713 1h 35’ 23,0 17,0 767 + — 1h 86’ 28,0 28,0 2183 15 39’ 25,0 16,8 730 Ih 41’ 30,0 50,0 640 1h 43’ 27,5 16,5 662 1h 44’ 26,0 26,0 619 Betrachten wir in diesen Versuchen vorerst nur die Abkühlungs- versuche, so sehen wir, dass der Strom des Nerven sich regelmässig ändert, wenn die eine Ableitungsstelle abgekühlt wird. Bei der Abkühlung aller zwölf Längsschnittstellen war regelmässig in bezug auf den Thermostrom die warme Stelle positiv gegen die kalte, d. h. der neu entstandene Thermostrom floss im Nerven zur warmen Stelle. Hier muss ich näher darauf eingehen, was ich als Thermostrom bezeichne. Die Nerven selbst waren — wie erwähnt — nicht voll- kommen stromlos. Wurde nur die eine Längsschnittstelle abgekühlt, und floss der Strom vorher schon gegen diese (immer im Nerven!), so wurde er nun schwächer: denn der entstandene Thermostrom war ihm entgegengesetzt, da er gegen die warme Stelle floss. Es konnte dabei sogar vorkommen, dass der ganze Strom sich wendete. Umgekehrt, floss der Bestandstrom von dieser Stelle weg, und wurde nun diese Stelle abgekühlt, so verstärkte sich dieser Strom, denn der entstandenene Thermostrom hatte dieselbe Richtung wie im vorigen Fall (gegen die warme Stelle) und verstärkte nun den Be- standstrom. In den Protokollen ist durch grosse Pfeile die Richtung der Bestandströme und durch kleine Pfeile jene der Thermoströme angegeben. Man sieht, letztere gehen ganz unabhängig vom Be- staudstrom immer gegen die warme Stelle. Im Gegensatz zu diesen durchaus regelmässig verlaufenden Ab- kühlungsversuchen haben die Erwärmungsversuche, wo die eine Ableitungsstelle von Zimmertemperatur auf Temperaturen zwischen 20—835° C gebracht wurde, zu keinen einheitlichen Ergebnissen geführt. Manchmal sind die Änderungen des Stromes sehr klein, fast unmerklich, oder es ist — in fünf Fällen von zwölf — die warme Stelle negativ gegen die kalte, oder in anderen fünf Fällen positiv. Über die Natur der Thermoströme des Nerven. 265 Ableitung von Länges- und Querschnitt. Versuch 31. sera Zeit Temperatur v c. e N k ei nmerkungen links | rechts 10-5 Volt . Querschnitt-Längsschnitt 12h 39' 21,0 21,0 1405 — 12h 41’ 3,4 21,0 1484 —>+ 12h 437 20,0 21,0 1405 loss 3,8 20,5 1424 12h 47' 18,8 20,2 1283 12h 50' 6,8 20,2 1359 12h 52' 19,0 20,0 1266 12h 54’ ze 20,0 1266 a 19,0 20,0 1235 Bei der Berechnung nu 0) 7,5 19,5 1260 wurden diese Werte Ih 3’ 18,7 19,7 1933 nicht benutzt. a 19,0 10,1 1232 her}! 19,0 19,6 1252 1b 10’ 19,0 10,0 1168 —— 12 19,0 19,2 1200 1h 15’ 19,0 10,6 1146 1h 18’ 18,8 19,0 1172 12h 22. 18,6 10,0 INS) 1h 95’ 18,6 18,6 1172 Ih 27° 18,6 10,8 1159 D der Du an 1eser ert nicht be- ie a en a nutzt. (Zwischen Ih 27’ a: 163 138 538 und 4b 2’ wurde der An ja’ 919 160 484 Nerv unverändert auf den Ah 17’ 176 165 596 Elektroden gelassen.) 4h 20’ 30,7 16,7 526 4h 23' 18,0 167 526 4h 25’ 30,6 17,0 483 4h 297’ 19,0 17,0 483 44h 31' 31,4 17,0 478 4h 34' 19,0 17,0 516 4h 38' 18,8 29,2 530 4h 40' 18,8 19,0 530 4h 49’ 18,8 29,0 530 4h 44’ 18,6 19,5 530 4h 45’ 18,8 28,0 530 Versuch 32. Zeit Temperatur 3 y Anmerkungen links rechts. 105 Volt 5h 42’ 19,0 18,0 1350 —: 5h 46’ 33,9 18,0 1581 Se 5h 48’ 19,0 18,0 1668 5>h 50’ 36,4 18,0 1420 5h 52’ 21,0 18,0 1573 5h 54’ 30.9 18,0 1439 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 15 Ps 266 Fritz Verzär: © 0 Zeit Temperatur ° C. e ne | links rechts 10-5 Volt 5h 55’ 20,8 18,0 1543 5h 57’ 19,2 39,0 1543 | 5h 58’ 19,2 20,0 1601 6h 0’ 19,0 29,8 1601 6h 2’ 19,0 20,0 1691 6h 4’ 19,0 32,0 1584 6h 7 19,0 20,2 1648 6h 14’ 9,6 19,2 1648 — 6h 17’ 17,0 19,0 1583 | 6h 19’ 3,1 19,5 1683 6h 33’ 17,0 18,2 1581 6h 25’ 2,4 18,5 1650 6h 26’ 16,1 18,2 1599 66 30’ 17,1 6,0 1491 un 6h 38’ ein 17,2 1651 6h 36’ 17,1 5,0 1557 6 38’ 17 17,0 1659 6h 40’ 17,1 4,5 1575 6h 42’ 17,1 16,5 1659 Versuch 33. 0 Zeit DIT % Anmerkungen links rechts 105 Volt el 15,9 16,0 1236 une, 4h 49' 15,9 3,0 1139 a 5h 1’ 15,6 15,0 1240 Sue) 15,4 4,2 1157 DT 15,3 15,0 1220 ah 9° 15,3 5,0 1105 5 KIN] 15,1 14,8 1201 5h 14' 15,1 5,5 1120 Dr 10 15,1 14,8 1159 sralar 3,9 15,0 1185 ge“ az 21, 14,1 15,0 1113 oh 28! 4,4 15,0 1136 öh 25’ 13,6 15,0 1001 oh 27’ 4,4 15,0 1065 5h 30. 14,1 15,0 980 Ah 88’ 8,7 15,0 1018 5h 35’ 14,1 15,1 39 5h 39’ 29,0 15,5 788 Mn 5h 41’ 16,6 15,6 830. DE AB 32,9 16,0 726 5h 45’ 17,0 16,0 787 5h 47! 39,4 16,0 696 5h 48' 18,0 16,0 749 5h 51’ 30,0 16,2 661 Über die Natur der Thermoströme des Nerven. 267 er Temperatur ° C. 2 Kt ei nmerku | - links rechts 10-5 Volt 2 5h 54’ 18,0 16,5 716 5h 56’ 17,5 30,0 690 5h 58’ 17,5 | 18,0 698 6h 0’ 17,0 25,0 705 6h 4’ 17,0 | 17,5 705 6h 6’ 17,0 30,0 644 6h 8’ 17,0 | 17,0 644 6h 10’ 17,0 29,7 637 Versuch 39. () Zeit | En peter S : | Anmerkungen | links rechts 105 Volt | 12h 25’ 21,5 20,2 1491 — aaa! al 20,1 1561 > damnz29 18,2 20,0 1512 12h 30’ 5,9 20,0 1551 1a Bl 18,2 19,8 1536 12h 34 ' 4,2 19,9 1573 12h 37’ 17,7 19,8 1536 12h 39' 18,1 4,1 1420 —— 12h 41’ 18,1 18,1 1542 12h 44’ 18,0 4,0 1412 12h 46’ 18,2 17,8 1534 12h 48’ 18,0 4,0 13883 12h 50’ 18,1 17,0 1518 na I: 181 31,6 1464 - 12h 55’ 18,1 | 19,5 1494 12h 57’ 18,2 33,0 1450 12h 59’ 18,4 20,8 1501 1 a 18,6 | 28,0 1486 En 74! 18,6 20,8 1477 18 (94 36,9 20,2 1452 1.0 Sl 20,8 | 20,2 1391 1h 10’ 30,0 20,1 1353 1a 19% 20,5 20,0 1360 Ih 14’ 33,9 | 20,0 1321 1a 119% 21,8 20,0 1321 Ih 16’ 34,3 20,0 1306 Versuch &0. 10) Y Zeit aaa REN 5 Anmerkungen links rechts | 10-5 Volt 11h 38° 17,5 18,0 1276 — 11h 40’ Ole 18,0 1327 + 11h 43’ 16,1 18,0 1276 11h 45’ | 18,0 1327 11h 47' 16,2 18,0 1312 11h 49' 3,6 18,0 1341 Fritz Verzär: °C | h TemDaalu 2 | x Anmerkungen links IN rechts FI] 105 Volt 16,1 18,0 1323 16,6 5,0 1220 — 16,6 16,0 1325 16,7 | 6,1 1234 16,8 | 16,0 1329 16,3 6,5 1243 16,9 16,2 1326 17,0 16,8 1388 ? Nullpunkt des Galvano- 17,0 | 30,0 1380 meters hat sich geändert. 17,0 | 18,8 1413 17,0 32,0 1413 17,2 192 133 178 32,5 1414 17,6 20,2 1332 30,9 20,0 1401 19,0 19,8 1410 34,9 19,8 1413 21,0 | 19,5 1403 31,9 19,4 1411 20,0 | 19,4 1408 30,0 | 19,2 1383 20,8 19,2 350 Eintauchen des ganzen Nerven in 80°C. Ol. 19,2 19,2 348 — 9,3 19,2 399 17,8 19,0 350 6,8 19,0 341 re: 18,9 341 5,2 18,7 322 { 17,0 18,2 342 j 17,0 5,0 342 i 17,0 16,5 342 ! 17,0 6,0 342 ‘ Il 16,5 377 | 17,0 5,0 348 16.9 | Versuch 46. Temperatur ° C. Anmerkungen Inka Mech ee] 158 1,8 1361 a — 13,2 6,0 1462 de 5,0 5,0 1361 12,6 | 7,0 1410 3,9 | 3,9 1260 12,1 5,0 1410 6,2 6,2 1310 8,3 19,0 1240 —+ 9,9 9,9 1260 6,5 16,8 1155 8,3 83 1205 8,6 | 16,0 1155 = er Über die Natur der 'Thermoströme des Nerven. 369 Temperatnr ° C. | e - Anmerkungen Zeit UI links | rechts | 103 Volt 5h 14’ | 10,3 | 10,3 | 1110 5h 18’ 31,0 | 31,0 1046 32 192 29,0 | 16,5 1100 +— Hal 28,0 | 28,0 1046. Hi a 25,0 15,5 1120 5h 26’ 33,0 33,0 1013 5h 28' 29,0 1) 1101 5h 30' 28,0 28,0 1000 32 16,0 27,0 1000 ah 34’ 37,0 37,0 340 DE HN 15,5 33,0 1010 — 5h 38’ 30,0 30,0 1046 Bei der Berechnung nicht 5h 40' 15,9 27,9 1100 benutzter Wert, weil der Sn ah) 26,0 26,0 1046 Strom sich konstant : ändert. Vom Längsschnitt wurde ebenso wie in der vorangehenden Ver- suchsreihe mittelst eines umschlingenden Baumwollfadens abgeleitet. Ein Querschnitt wurde hergestellt, indem mit einem Baumwollfaden der Nerv fest umbunden und dann dicht am Knoten abgeschnitten wurde. Nun wurde, ebenso wie bei der vorigen Versuchsreihe, zuerst die eine und dann die andere Ableitungsstelle wiederholt abgekühlt und wiederholt erwärmt. Hierbei zeigte es sich, dass nicht nur Änderung der Temperatur des Längsschnittes, sondern auch des Querschnittes eine Änderung des Stromes bewirkt. Das ist also ein wesentlicher Unterschied dem Muskel gegenüber, bei welchem nach Hermann nur der Längsschnitt thermisch aktiv ist. Der Längsschnitt verhält sich ebenso wie bei den Längs-Längs- schnittströmen. Zwischen 0—20° C. (Kühlungsversuche) ist immer die warme Stelle positiv gegen die kalte, natürlich nur, was den Thermostrom betrifft, welcher die starken Bestandströme nur relativ wenig ändert. Bei der Erwärmung über 20° C. ist dagegen auch hier das Verhalten ein höchst wechselndes. Die Änderungen sind teils minimal, teils liegen sie in verschiedener Richtung. Ganz anders verhält sich jedoch der Querschnitt. Vor allem fällt auf, dass er in fast allen Fällen auch bei den Erwärmungs- versuchen (also über 20°) noch Thermoströme gibt. Ferner sind bei den Kühlungsversuchen die Änderungen (mit Ausnahme von "Versuch 46) am Querschnitt beständig kleiner als am Längsschnitt, und man findet in den Erwärmungsversuchen pro 1° C. denselben Wert wie in den Kühlungsversuchen (allerdings bedeutend un- 2,1 | S regelmässiger). Am Längs- 13,0 f 6' 3 I schnitt waren bei Er- 5 / 2 wärmung, wie erwähnt, : 5 keine genauen Werte mehr = 3 8 zu bekommen. Ich habe 3 2 einen dieser Versuche E S > graphisch wiedergegeben S (Fig. 2). Dadurch ist der Se \ - = --3--|” ganze Verlauf eines sol- 5 1: chen, wie”'er für alle € = Versuchsreihen gilt, auch \ = 15 übersichtlicher und es / geht daraus auch klar der Unterschied zwischen Längs- und Querschnitt- änderung hervor. Was aber die Richtung der ent- standenen Thermoströme betrifft, so ist diese auch bei der Temperaturände- | I x I a Se, j j j | 16,9 | 35’ Fig. 2. Versuch 33. & 5 E % : rung des Querschnittes die- N = = |s selbe wie bei der Tempera- Se = turänderung des Längs- z 3 Sn schnittes. Der Thermo- \ E strom fliesst immer gegen { die warme Stelle; es ist see also bei Abkühlung des \ = Querschnittes der Längs- 10-53 Volt ) 3 = © schnitt, bei Erwärmung A 5 - des Längsschnittes der 2 E in N Querschnitt in bezug auf. = er die Thermoströme positiv. = ı= Da sich hier der Thermo- = = ie strom nur als eine rela- 2 Kos) tiv kleine Änderung des a | Br ganzen Nervenstromes ? 2 offenbart, so kann man Se u 8 2 8 = = alle hier gefundenen Fälle aan ER 3 auch so ausdrücken: Ab- Über die Natur der Thermoströme des Nerven. 371 kühlung des Querschnittes und Erwärmung des Längsschnittes (unterhalb 20° C.!) vergrössert den Längs-Querschnittstrom des Nerven. Erwärmung des Querschnittes und Abkühlung des Längs- schnittes vermindert denselben. Dieses aus meinen Versuchs- protokollen ohne weiteres herauszulesende Ergebniss bestätigt also nicht die Angabe von Galeotti und Porcelli (l. e. S. 337), welche lautet: „Die Demarkations-E.-K. in den Nerven wächst ebenso bei Erwärmung der Querschnittoberfläche, wie bei Erwärmung der Längsschnittstelle und erhöht sich noch, wenn die Querschnittober- fläche oder die Längsschnittstelle abgekühlt werden.“ Über den mutmaasslichen Grund der Verschiedenheit unserer Ergebnisse wird weiter unten die Rede sein. Der Befund, dass einesteils die Unterschiede der Stromes- änderung pro 1° C. (des Temperaturkoeffizienten) zwischen Längs- und Querschnitt, die besonders, wenn man die einzelnen Versuche betrachtet, recht auffallend sind, aber auch im Mittelwert gut zum Ausdruck kommen (s. Tab. I und II), und andererseits der Unter- schied im Verhalten bei Temperaturen über 20°C. weist darauf hin, dass zwischen dem thermisch aktiven Faktor am Längs- und Quer- schnitt gewisse Unterschiede bestehen müssen, deren Besprechung weiter unten folgt. Ableitung von zwei Querschnitten. Versuch 43. Temperatur ° C. | e | Anmerkungen Inkann rechts 21 10,5oltz) | 4h 15’ 1,5 1,5 575 —) 4h 17’ 4,4 19,0 610 —__. 4h 19' 63 | 6,3 559 4b 20' 7,8 22195 600 4h 22’ 10,0 10,0 542 4h 25’ Is | 19,0 566 4h 29’ 9,5 9,5 508 4h 31’ 18,0 11,5 485 Bei der Berechnung nicht 4h 36’ 8,0 8,0 450 benutzt. 4h 38° 19,0 8,6 423 Fr 4h 40’ 6,0 6,0 444 4h 42' 19,0 8,0 399 4h 44' 10,0 10,0 450 4h 46’ 19,0 11,0 424 Er 2 Fritz Verzar: Temperatur ° C. 5 x n Zeit ee R nmerkungen links rechts Da: 4h 48' 30,5 30,9 439 4h 51’ 19,0 29,0 412 —- 4h 52’ 28,0 28,0 433 4h 55’ 19,0 25,9 456 4h 57' 53325) 339 424 4h 59' 19,5 31,0 425 5h 0’ 29,8 29,8 387 5h 92! 97,0 21,0 395 N, au 4! 32,9 32,9 347 5h 6’ 3700316205 372 OR 29,5 | 29,5 256 Orhan 9R 28,0 | 20,0 308 no 21,2 21,2 264 Versuch 4. Temperatur ° C. ? Zeit — e Anmerkungen links rechts ad 5h 99’ 0,3 16,8 283 PR a 5h 41’ 15,5 16,8 378 BORN 59h 43’ 2,4 16,8 294 5h 45' 15,0 16,5 339 5h 46’ 3,6 16,9 23 5h 48’ 15,0 17,0 287 5h 50' 15,3 5,0 356 = ah 52 15,6 15,6 272 5h 54' 8 6,8 288 5h 56’ 15,8 | 16,0 217 5h 58’ 160.0 6,8 31 6h 0 16,0 16,0 159 \ spontane Stromes- 6h 3’ 16,0 16,0 100 I: änderung 6h 5’ 16,2 28,0 ) —),5® 6h 7’ 16,5 18,0 24 Pe an: o 6 9’ 1002077450 48 _ a, an 6 11’ 17,0 1022018 58 en Zr23ı2 6h 13’ 700 00 22 a mise 6h 14’ 17,2 20,2 ul KB 6h 16’ 27,5 19,8 28 RAR nicht 64 19" 18,5 19,2 98 \ berechnet Gh 92’ 33,9 19,0 14 en nl Ele 6h 25° 19,9 | 19,0 46 > 23% 6h 96’ 29,5 19,0 63 PERDERERES \027 2 6h 98’ 20,0 1 200190 33 EER= Gh 30’ 30,2 18.8 79 Son 62 20,5 18,8 62 En Uber die Natur der T'hermostöme des Nerven. Versuch 4. [S) SI a i Temperatur WC. | e Zeit - u Anmerkungen links 23| rechts | 105 Volt ö ah 43’ 16,1 16,3 98 + 2r45,! Il 16.2 59 Sat ah 47' 14,9 16,0 152 . 2h 50’ 3,6 15,8 97 22 5277 14,9 15,9 122 Oh 55’ 6,1 15,3 55 2h 57' 15,0 15,2 89 + — 3h 00’ 15,0 6,9 126 ah 3' 15,0 14,9 74 San ro). 15,0 4,0 136 Sn 15,0 14,5 74 3h 10’ 15,0 4,0 140 Sul, 14,9 14,2 83 4 3h 16’ 14,9 32,0 ) ah 19’ 15,0 16,0 53 3h 22' 15,0 32,0 59 ah 24' 15,0 17,0 14 ah 26’ 15,0 26,0 51 3h 29 15,0 17,0 24 + 3h 32’ 28,0 16,7 87 ah 34’ 16,0 16,5 3 3h 37' 29,5 16,5 106 ansag 17,0 16,5 62 3h 44' 32,9 16,0 172 Versuch 47. Tem ” Zeit Sauber S Tale Anmerkungen links | rechts 1075 Volt we Dan ea TR TEE EEE NIE RT AN EISER KEIN CT TER 3h 47’ 19,8 | 20,8 69 on rt 3h 48’ 6,3 | 20,1 106 a 3h 51’ 18,2 19,8 101 3h 53’ 5,9 19,6 122 3h 54' 5 19,0 96 3h 56’ 18, 6,3 126 nicht zur Berechnung bc- 3h 59’ 15,2 18,3 180 nutzt dan]! 18,3 6,0 170 +— ? 4h 2’ 18,5 | 17,0 216 4h 4' 15,9 7,0 210 4h 5’ 18,5 17,9 223 4h 10’ 19,0 35,0 21 4h 12' 19,0 21,5 21 | 4h 14’ 19,0 31,3 44 4h 15’ 19,2 22,1 39 4 16° 19,3 33,0 : Fritz Verzär: Temperatur ° C. e = = = 5 Anmerkungen links rechts 1075 Volt | 19,6 23,0 26 29,0 | 22,0 51 ——? 22,0 | 22,0 20 34,8 | 22,0 90 22,0 | 21,7 ®) 29,0 21,7 9) 3:5 | 21,5 9 Versuch 48. Temperatur ° C. € = Anmerkungen links rechts 105 Volt 19,8 19,8 276 + 5,4 138 178 —> 17,6 19,3 225 5,4 19,3 130 12 19,2 160 i 5,4 19,2 115 17,0 19,2 143 | 18,0 | zei 164 + | 17,1 | 17,8 112 18,2 6,3 154 18,2 17,8 95 18,3 6,8 122 | 18,2 18,0 75 | 18,4 29,6 3 — 18,6 20,3 65 1 18,6 39,5 3 Ih: 18,8 22,0 un Ih 18,5 34,0 51 Ih 19,0 22,0 78 Ih: 28,9 21,0 120 a 1h 20,2 20,6 98 ih 31,8 20,5 139 ih 21,8 20,5 106 1h 31,0 20,3 160 ih 22,7 20,2 123 Versuch 49. Temperätur ° C. € N k SER Bea Sa nmerkungen links rechts 10-5 Volt s 19,5 | 19,8 45 | — 30 | 20,0 540 —>+ 18,0 | 19,8 487 36 2) 19,6 620 16,5 19,5 592 4,6 19,2 628 (dr: Über die Natur der Thermoströme des Nerven. 57 Ä Temperatur ° C. e Zeit - ll Anmerkungen links rechts 10=5 Volt 6h 26’ oa 190 588 6n 28’ LT 5,9 547 a 6h 30° 18,0 18.0 641 6h 32’ 18,0 3,8 589 . 6h 33’ 18,0 17,4 659 6h 36’ 15,2 10,6 676(®) | Nicht zur Berechnung be- 6h 38° 18,2 18,2 671 nutzt. 6h 40’ 18,2 7,0 605 6h 42’ 18,2 17,3 665 6h 44’ 18,2. 28,8 665 6h 46’ ia 00900 676 Gh ag’ To 5 Ssaı n) 6h 50° 18,6 | 21,0 572 6h 53’ 18,8 | 29,8 640 6h 557 18,8 22,0 590 6h 56’ 19,0 34,0 650 6h 57’ 19,0 | 21,0 602 6h 58’ 27,9 21,0 394 + — Th 0’ 20,5 20,8 554 2 33,8 20,8 520 Tu 8 21,2 20,5 Sl an 52 32,0 20,7 494 Th 6' 22,2 20,6 505 Die Anlegung der Quersehnitte erfolgte in der in der vorigen Versuchsreihe beschriebenen Weise. Das Ergebniss der Temperatur- änderung der Querschnittstellen war dasselbe wie beim Querschnitt- teil der Längs-Querschnittströme. Auch hier erwies sich der Quer- schnitt thermisch aktiv. Die warme Stelle war bei den Abkühlunges- versuchen immer positiv, bei den Erwärmungsversuchen meistens auch; jedoch ist bei letzteren das Verhalten kein so gesetzmässiges wie bei den Kühlungsversuchen. Ergebnisse, Fassen wir nun die Versuchsergebnisse zusammen und unter- suchen wir, welche Folgerungen sich aus denselben ziehen lassen. Wir konstatieren vor allem, dass bei Änderung der Temperatur einer Ableitungsstelle des Nerven ein Strom entsteht bzw. der schon vorhandene Strom sich ändert. Diese Änderung ist durchaus rever- sibel und lässt sich beliebig oft wiederholen. Sie ist sicher bio- logischer Natur, denn der abgetötete Nerv, welcher zwar auch schwache Ströme hat, gibt keine merkbaren Thermoströme. Wir fragen nun: welche Richtung haben diese Thermoströme ? Es hat sich ein auffallender Unterschied zwischen Abkühlungs- und 376 Fritz Verzär: Erwärmungsversuchen herausgestellt. Zwischen 0—20 °C (Kühlungs- versuche) ist ohne Ausnahme in bezug auf den Thermostrom die warme Stelle positiv gegen die kalte; der Thermostrom fliesst also im Nerven gegen die warme Stelle. Hierin entspricht der Nerv vollkommen dem Muskel. Oberhalb 20° C. jedoch (Erwärmungs- versuche) ist das Verhalten des Längsschnittes im höchsten Grade unregelmässie. Manchmal ist auch hier die warme Stelle positiv, oder die Änderungen sind verschwindend klein, oder es ist auch öfters die warme Stelle negativ gegen die kalte, also das Gegenteil des Ergebnisses der Kühlungsversuche. Ich glaube dieses Ver- halten ungezwungen damit erklären zu können, dass die höhere Temperatur teils selbst schnell schädigend wirkt, teils den spontanen Absterbeprozess beschleunigt. Auf diese Weise ist es wohl möglich, dass durch höhere Temperatur z. B. bei den Längs-Querschnitt- strömen der Längsschnitt schneller abstirbt, wodurch eine Negativität der warmen Stelle vorgetäuscht wird. Der Querschnitt verhält sich ja etwas anders. Doch davon später. Jedenfalls berechtigen diese Versuche zu der sicheren Formulierung: Zwischen O0 und 20°C. ist bei den Thermoströmen des Nerven ohne Aus- nahme die warme Stelle positiv gegen die kalte. Mit der hier gegebenen Erklärung der schnell abtötenden Wir- kung der höheren Temperatur lässt sich auch die sonst durchaus unverständliche Tatsache erklären, warum Galeottiund Porcelli entgegen diesen Befunden und entgegen den älteren Versuchen von Grützner gefunden haben, die warme Stelle sei immer negativ gegen die kalte. Galeotti und Porcelli haben in fast allen Versuchen sehr grosse Temperaturdifferenzen benutzt. Sie haben meist weit über 20° C. erwärmt, in Versuch 15—15 (Tab. I) sogar auf die sicher stark schädigende Temperatur von 53° C.! Ausser in ihrem Versuch 16, 18 (Tab. I) und 6, S (Tab. II), welche sich allerdings dieser Erklärung nicht fügen, haben sie in allen anderen Versuchen über 20° C. erwärmt und sind also damit in den Tem- peraturbereich gelangt, in welchem auch nach meinen Versuchen oft die warme Stelle negativ ist, eben wegen der schädigenden Wirkung der höheren Temperatur !). 1) Man könnte auch an einen Versuchsfehler denken, welcher eventuell ein solches Verhalten vortäuschen könnte. Galeotti und Porcelli äussern sich nicht darüber, ob ihre Elektroden nicht mit den Kästchen, auf welchen die Nerven lagen, und durch welche das verschieden temperierte Wasser floss, in | | | , | | TEE — Fan EEE Rn RR Uber die Natur der Thermoströme des Nerven. Dr Tabelle Il. Änderung des Nervenstromes pro 1° C., bei Temperaturänderung der einen Ableitungsstelle. 105 Volt. Ableitung von 2 Längsschnitten . ! Versuch N dr Mittel 34 35 36 | 37 38771 Längsschnitt A | Abkühlung | +10,5 +12,1| +48 | +6,0 ı +7,1 Ir 4,8] +7,6 Erwärmung| + Segeln | Inge. n - Abkühlung | +13,1 + 52| +95 | +3,11 +78 | +10,6| +5,7 angeschnitt Bf Erwärmuns| ? | 2? + == — ze Ableitung vom Längs- und Querschnitt EHEN Versuch Nee RR Mittel sr 232012537 239 46 | | 1 Abkühlung | -+4,2 I Se oe ee Längsschnitt . { Erwärmung in Is Ss eo ar Br is le tn: ühlung 40 |+ 391 46,0) +9, 2 +16,9|+6, Querschnitt . { Erwärmung| +3,2() 1108. 551+@|40 + 56|+63) | | Ableitung von 2 Querschnitten Versuch Nr. R Mittel SIT rer ren | IKe 5 NS. Abkühlung| +33|+52 +45| 4351761 +56| +47 Querschnitt A | Erwärmune| + 33|+46 +51| ? | +85 +45 4423 | Abkühlung| + 43 +57) +56 +16,+3,7 +39 [+41 Querschnitt BI | Hrwarmune| 58 | 31 #340) +20 4274889 | | Richtung des Bestandstromes im Nerven immer A+-—— B. + bedeutet, dass die warme Stelle in bezug auf den Thermostrom positiv, — dass sie negativ war, ? — unbestimmt. nahe Berührung kamen. Bei verschiedener Temperatur der Elektroden können aber beträchtliche Ströme entstehen. Doch haben wir, wie gesagt, in der Arbeit von Galeotti und Porcelli keinen Anhaltspunkt für diese Erklärung. In meinen eigenen Versuchen konnte — wie ich oben bemerkt habe — dieser Fehler nicht entstehen. I) Mittel aus Versuch 31, 32, 33, 46. 2) Mittel aus Versuch 43, 44, 45, 48, 49. 3) Mittel aus Versuch 44, 45, 48, 49. 278 Fritz Verzär: Hätten Galeotti und Porcelli ihre Temperaturintervalle mehr variiert und besonders mehr Temperaturen unter 20° C. be- nutzt, so wären sie wohl nicht zu diesem Resultat gekommen. Ferner konnten die Autoren aus demselben Grunde, wegen der Verwendung zu hoher, schnell schädigender Temperaturen, keine Werte bekommen, mit welehen eine Berechnung möglich gewesen wäre. Ein sehr auffallendes Ergebniss dieser Versuche war, dass ebenso wie der Längsschnitt, auch der Querschnitt des Nerven sich thermisch aktiv erwies, d. h. dass auch dessen Temperaturänderung zu Thermoströmen führte. Darin be- steht ein prinzipieller Unterschied dem Muskel gegenüber, bei welchem die Temperaturänderung des Querschnittes keinen wesentlichen Erfolg hat. Gerade dieser Punkt war es, welcher der „Alterationstheorie“ Schwierigkeiten gemacht hatte, mit der „Membrantheorie* dagegen sich befriedigend erklären liess. Hier beim Nerven sehen wir aber, dass auch an der Querschnittstelle ein Potentialsprung ist. Es soll hier noch besonders hervorgehoben werden, dass auch bei Erwärmung und Abkühlung des Querschnittes bestehen bleibt, dass der Thermo- strom im Nerven immer gegen die warme Stelle zu fliesst. Wir haben nun Anhaltspunkte dafür, dass dieser einen Potentialsprung bewirkende Faktor am Querschnitt ein anderer ist als am Längsschnitt. Wir haben nämlich gesehen, dass, während der Längsschnitt bei Erwärmung über 20° C. ganz unregelmässige Werte gibt, der (uersehnitt auch bei diesen höheren Temperaturen sich mit einigen Ausnahmen ebenso verhält wie bei den Abkühlungsversuchen. Man erhält also auch hier Thermoströme, bei denen die warme Stelle positiv ist. Zweitens haben wir bei den Längs-Querschnittversuchen gesehen, dass die Änderungen am Querschnitt kleiner sind (mit Aus- nahme von Versuch 46, in welchem aber auch eine deutliche Differenz zwischen Längs- und Querschnitt zu seheu ist) als am Längsschnitt. In der Tabelle I wurde für sämtliche Versuche die Änderung des Stromes pro 1° C. berechnet; man ersieht daraus, dass die Änderungen pro 1° C. an allen Querschnitten im Durch- schnitt ziemlich gleich und kleiner sind als an allen Längsschnitt- stellen, an welchen die Änderungen pro 1° C. ebenfalls untereinander gleich sind. Tabelle II ist eine Zusammenstellung aller Mittelwerte und zeigt das ganz überzeugend: Uber die Natur der 'Thermoströme des Nerven. 279 Tabelle I. Änderung des Nervenstromes pro 1° €. in 10-5 Volt. Längs- Quer- schnitt schnitt Längslängsschpittstrom A . . 7,6 _ N Bio 8,7 — les Längsquerschnittstrom. HR 7,6 6,1 es Querquerschnittstrom A. . . — 4,7 5 Be: = 4,1 ee. | 80 5,0 4 Längsquerschnittstrom. . . . 6,3 Erwärmungs- = re AR : che Querquerschnittstrom A . . | = = me. | = | 48 Während also bei Temperaturänderung des Längsschnittes ein Thermostrom von 8,0 - 10° Volt im Mittel entsteht, gibt der Querschnitt einen Strom von 5,0 (bzw. 4,8) - 10-° Volt im Mittel. Da diese Differenz recht deutlich ausgeprägt ist, sowohl in diesen Mittelwerten, als auch beim direkten Vergleich bei der Längs-Quer- schnittableitung, so scheint sie uns mit grosser Wahrscheinlichkeit auf einen Unterschied zwischen dem thermisch aktiven Faktor am Längsschnitt und Querschnitt hinzuweisen. Vom Standpunkte der Membrantheorie muss man daraus, dass auch am Querschnitt ein Potentialsprung ist, folgern, dass auch am Querschnitt eine Membran vorhanden ist, im Gegensatz zum Muskel, und zwar muss dieselbe nach dem Obigen anders gebaut sein, wie die Längsschnittmembran. Geben unsere morphologischen Kenntnisse uns nun irgendwelchen Anhaltpunkt für diese Annahme? Allerdings; man könnte annehmen, dass die Ranvier’schen Einschnürungen es sind, welche hierbei als Membran wirken; denn allein diese sind ein den Nerv quer durchsetzendes, andersartiges Gewebe. Prinzipiell ist es ja höchst wahrscheinlich, dass jede andersartige Substanz bioelektrisch als Membran funktioniert. Dass aber die Ranvier’schen Einschnürungen eine vom übrigen Nervengewebe abweichende Struktur haben, beweist einesteils ihre vom übrigen Nerven differente Färb- barkeit und zweitens das von Engelmann gefundene Stehenbleiben des Absterbeprozesses an diesen Stellen. Es ist inseressant, dass Cremer!) im Anschluss an die Engel- 1) Nagel, Handb. d. Physiol. Bd. 4 S. 865. 280 Fritz Verzär: mann’schen Versuche (allerdings Engelmann widersprechend) zu der folgenden Betrachtung kommt: „— Im Sinne der Membran- theorie müssten also die Ranvier’schen Segmente mit einer ge- schlossenen Membran versehen sein ... .“ Meine Versuche sprechen für das Bestehen einer solchen Membran. Wir gelangen damit zu der Frage, ob sich diese Thermoströme für die osmotische Theorie der bioelektrischen Ströme verwerten lassen. Bernstein hat beim Muskel gefunden, dass die am Längs- schnitt entstehenden Thermoströme proportional der absoluten Tem- peratur sind, dass sie sich also ebenso mit der Temperatur ändern wie der Muskelstrom bei Änderung der Temperatur des ganzen Muskels. Schon aus der Tatsache, dass nur der Längsschnitt thermisch aktiv ist folgt, dass also der Potentialsprung am unversehrten Längs- schnitt ist, und da dies ferner der einzige Potentialsprung ist, so musste eine Änderung seiner Temperatur auch den ganzen Strom pro- portional der absoluten Temperatur ändern. Beim Nerven liegen nun, wie wir sahen, die Verhältnisse durch- aus anders, denn hier gibt es nicht nur einen, sondern zwei Potential- sprünge, je einen am Längs- und am Querschnitt. Die elektromotorische Kraft des ganzen Nerven(Längs-Querschnitt)stromes setzt sich also zusammen aus den beiden Potentialsprüngen. ENerv —=/JI Längsschnitt ar II Querschnitt Während, wie erwähnt, beim Muskel die Temperaturänderung des einzigen Potentialsprunges naturgemäss denselben Erfolg haben müsste wie die Temperaturänderung des ganzen Muskels, ist das beim Nerven nicht der Fall. Ändern wir die Temperatur an der einen Potentialsprungstelle, so wird dieser sich wohl ändern, während der andere konstant bleibt. Die Summe bzw. Differenz der beiden, also der gemessene Nervenstrom, wird sich demgemäss nicht pro- portional der absoluten Temperatur ändern, sondern immer nur ein Teil desselben, zu welchem dann noch ein konstant gebliebener Faktor hinzuzurechnen ist. Man hat es also beim Nerven etwa mit einem Fall zu tun, als wenn man in einer Konzentrationskette von Ag, =E AgNO;; n 100 ändert. Auch dieser Strom wird sich nicht proportional der absoluten Temperatur ändern, während er bei Temperaturänderung des Ganzen es tut. AgNO,, Ag nur die Temperatur der einen Seite Über die Natur der Thermoströme des Nerven. ° 981 Eine diesbezügliche Berechnung wäre nur möglich, wenn das Verhältnis bzw. die Grösse der beiden Potentialsprünge bekannt wäre. Eine Berechnung derselben ist aber unmöelich, da die ge- messene elektromotorische Kraft sicher die Differenz von zwei ent- gegengesetzten Potentialen ist. Die Potentiale selbst können aber eben deshalb auch jeden beliebigen Wert haben. Berechenbar bleibt in diesem Fall nur die Proportionalität mit der gewöhnlichen Temperatur bzw. die Änderung pro 1°C. Es ist nämlich, wenn e,, €; die beiden Potentiale, % eine Konstante, T, T, absolute und ?, is gewöhnliche Temperaturen sind: | ec — kl, &n— (BJle also der Nervenstrom m: el N) Es ist aber T—-T, —=t—t, und darum auch 4—&—k (tı—ts). Die Bestandströme des Nerven ändern sich also, da hier zwei Potentialsprünge vorhanden Sind, bei Temperaturänderung der einen Ableitungsstelle pro- portional der gewöhnlichen Temperatur. Es lassen sich also konstante Werte für die Temperaturänderung pro 1° C. be- rechnen, wie sie in der Tabelle I und II zu finden sind. Während dieser Befund der osmotischen Membrantheorie nicht widerspricht, kann er andererseits nicht direkt für sie verwertet werden, da eine der gewöhnlichen Temperatur proportionale Temperatur- änderung ja auch anderen Strömen zukommt. Dagegen spricht der Nachweis eines Potentialsprunges am Längsschnitt, allerdings neben einem am Querschnitt, für die Membrantheorie. Ich fasse meine Ergebnisse in folgendem zusammen: 1. Bringt man zwei Stellen eines Nerven auf verschiedene Tem- peratur, so ensteht. zwischen beiden ein elektrischer Strom. 2. Diese Thermoströme sind sicherlich biologischer Natur, denn Abtöten des Nerven durch hohe Temperaturen beseitiet sie end- gültig. 3. Unterhalb 20° C. ist immer die warme Stelle positiv gegen die kalte. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 19 282 Fritz Verzär: Über die Natur der Thermoströme des Nerven. 4. Höhere Temperaturen jedoch (über 20° C.) wirken unregel- mässig (vielleicht dadurch, dass sie schädigen). 5. Gegenüber dem Muskel ist nicht nur der Längsschnitt, sondern auch der Querschnitt des Nerven thermisch aktiv. 6. Man muss annehmen, dass der thermisch aktive Faktor am Querschnitt ein anderer ist als am Längsschnitt, denn der Quer- schnitt verhält sich höheren Temperaturen gegenüber resistenter als der Längsschnitt, und die Stromesänderungen bei Temperaturänderung am Querschnitt sind kleiner als am Längsschnitt. Es wird die Hypothese aufgestellt, dass dieser differente Faktor am Querschnitt die als Membran wirkenden Ranvier’schen Einschnürungen sind. 7. Dadurch, dass beim Nerven zwei Potentialsprünge sind, deren Einzelgrösse unbekannt ist, wird die Berechnung der Proportionalität mit der absoluten Temperatur unmöglich. Dagegen lässt sich eine der Theorie entsprechende Proportionalität mit der gewöhnlichen Temperatur nachweisen. Herrn Geheimrat Prof. Dr. J. Bernstein spreche ich für die Anregung und manniefaltige gütige Unterstützung bei der Ausführung dieser Arbeit meinen aufrichtigsten Dank aus. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Lemberg.) Versuche über die gegenseitige funktionelle Beeinflussung von Gross- und Kleinhirn'). Von Prof. Dr. A. Beck und Prof. Dr. &. Bikeles. (Mit 2 Textfiguren.) Ohne hier auf die verschiedenen Theorien über das Wesen der Kleinhirnfunktion überhaupt?) einzugehen, wollen wir die Ergebnisse einer, so weit uns bekannt, in dieser Frage bis nun nicht zur An- _ wendune gekommenen Untersuchungsmethode mitteilen. Wir meinen nämlich das Verfahren des Nach weises von Aktionsströmen, entstanden im Kleinhirn bei Reizung des Grosshirns und umgekehrt. Zu diesem Zwecke stellten wir zunächst Vorversuche mittels elektrischer Reizung sei es des Grosshirns, sei es des Kleinhirns an. Jedoch überzeugten wir uns alsbald, dass auf diese Weise irgendwie sichere Resultate infolge von in das Galvanometer übergehenden Stromschleifen gar nicht zu erwarten sind. Wir sahen uns daher gezwungen, ein anderes — wie die viel- fachen nachfolgenden Untersuchungen zeigten — sicheres Verfahren einzuschlagen. Die Grosshirn- bezüglich Kleinhirnrinde wurde nicht elektrisch, sondern thermisch gereizt mit Temperaturen, von etwa 55—58°C. und -zwar in der Weise, dass die zu reizende Stelle der Rinde mit dem stumpfen Ende einer mit zu- und abfliessendem warmem Wasser gespeisten nach der Art eines Thermästheriometers 1) Vorgelegt der Krakauer Akademie der Wissenschaften in der Sitzung vom 6. Oktober 1911, erscheint in poinischer Sprache in den Abhandlungen der Akademie Ba. 51 B. 2) Da wir mehrfache Versuche, betreffend die Funktion des Kleinhirns, vorhaben, gehen wir in diesen Arbeiten auf die Literatur vorläufig nicht ein. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Pd. 143. 20 384 A. Beck und G. Bikeles: [2 konstruierten Doppelröhre vorsiehtig durch etwa 1—2 Sek. berührt wurde. Dabei wurde zur möglichsten Vermeidung einer Alteration der Rinde dafür gesorgt, dass innerhalb eines gewissen für die Untersuchung gewählten Bezirkes, verschiedene Stellen abwechselnd gereizt werden. Wiederholt gereizt wurde eine und dieselbe Stelle der Rinde nur nach einer längeren Pause. In manchen Versuchen zeigte sich nach etwas länger statt- gehabten Reizapplikationen Hyperämie eventuell leichtes Ödem der auf obige Weise gereizten Rindenpartie; natürlich wurde bei dem Eintreten der geringsten sichtbaren Veränderung jede weitere Unter- suchung eingestellt. Häufig und überwiegend behielt aber die gereizte Rindenpartie auch bei länger fortgesetzter Untersuchung ihr gewöhnliches Aus- sehen, und es gelang uns sogar wiederholt nachfolgend von einer solchen Stelle der Grosshirnrinde aus bei Reizung des zentralen Stumpfes eines entsprechenden peripheren Nerven Aktionsströme zu erhalten von einer Intensität, wie von einer eben erst blossgelesten Hirnrinde. Die hier mitzuteilenden Versuche zerfallen in zwei Serien: In der einen Serie wurde thermisch die Grosshirnrinde gereizt, vor allem in der psychomotorischen Region, häufig aber auch zum Vergleich die hinter dem Gyrus sigmoideus befindliche Gegend. (Vgl. das Schema Fig. 1.) Abgeleitet wurde dann von der Klein- hirnrinde, vor allem der kontralateralen Hemisphäre, sehr oft auch von der gleichseitigen Hemisphäre und in manchen Versuchen zum Vergleich auch vom Vermis posterior (Lobus medianus posterior nach Bolk). In der zweiten Serie wurde thermisch die Kleinhirnrinde (Hemisphäre) gereizt. Abgeleitet wurde dann von der kontralateralen eventuell auch der gleichseitigen Grosshirnrinde, vor allem wieder von der psychomotorischen Region, zum Vergleich aber auch von einem hinter der psychomotorischen Region gelegenen Bezirk. Da zum Nachweis von Aktionsströmen, das ist der Negativität einer bestimmten Rindenstelle, es notwendig ist, eine der unpolarisier- baren Elektroden auf eine indifferente nicht in Aktionszustand ge- ratende Gegend zu setzen, wählten wir dazu in beiden Versuchs- serien einen Punkt am Hinterhauptslappen kontralateral von der blossgelesten psychomotorischen Region. Versuche über die gegenseitige funkt. Beeinflussung von Grosshirn etc. 285 Das spezielle Vorgehen und die Versuchsanordnung in beiden Serien war folgende: Am curaresierten Hunde wurde einerseits, in der Regel links, die psychomotorische Region und noch dazu ein bedeutender Bezirk hinter derselben (Fig. 1 horizontale Schraffierung) blossgelest. Auf der zweiten Seite (gewöhnlich rechts) wiederum wurde am Hinterhauptslappen eine runde etwa 2 em im Durch- messer betragende Stelle freigeleet. Darauf wurde die hintere Oberfläche des Kleinhirns, d, i. Vermis poster. (Lob. medianus post.) und beide hinteren Hemisphärenabschnitte bis zum Tentorium bloss- präpariert. Selbstverständlich wurde bei der Blosslegung ängstlich darauf geachtet, dass die Rinde vollständig unversehrt blieb. Von den unpolarisierbaren Elektroden, deren Enden dicke mit _ Ringer’scher Lösung durchtränkte _ Wollfäden bildeten, wurde hierauf die / eine an den Hinterhauptslappen als in- ‚ differente Stelle, die andere je nach | dem Versuchszweck an die zu unter- | suchende Stelle der Gross- resp. Klein- hirnrinde angelegt. Die primäre Ab- | lenkung des auf diese Weise mit der Rinde | verbundenen Galvanometers wurde nun ' vor jedem (thermischen) Reizversuch a ! abgelesen und notiert. Ebenfalls wurde - die während der jedesmaligen stattgehabten Reizung erfolgende Gal- ‚ vanometerschwankung, wie diejenige unmittelbar nach der Reizung, ‚ abgelesen und notiert. Der auf diese Weise konstatierte Unterschied (in der Richtung) | der Galvanometerschwankung während der Reizdauer galt für uns ‚nur dann als Ausdruck von infolge der Reizung auftretenden Aktions- strömen, wenn die entsprechende für die funktionelle gegenseitige "Abhängigkeit in Frage kommende Rindenstelle des Gross- resp. Kleinhirns elektronegativ wurde. In unseren im weiteren an- - zuführenden Ergebnissen bezeichen wir eine derartige Galvanometer- ‚sehwankung mit dem Zeichen — bei der Zahl, welche die Grösse i des Ausschlages in Skalenteilen ausdrückt. Als negativ bezeichnen wir aber nur solche während der Reiz- - ‚dauer erfolgten Ablenkungen, bei denen das Galvanometer unmittel- ‚bar nach der Reizung in der Richtung zur primären Ablenkung zurückkehrte. Falls aber eine solche Rückkehr nicht stattlıatte, sei | 20 * 286 A. Beck und G. Bikeles: dass das Galvanometer auf derselben Stelle wie am Ende der Reizung beharrte, sei es in derselben Richtung weiterging, dann be- zeichnen wir die betreffenden während der Reizung abgelesenen Galvanometerschwankungen als in ihrer Bedeutung zweifelhaft mit einem Fragezeichen (?). Das Ausbleiben einer Galvanometer- ablenkung während der Reizung, ebenso jede erfolgte "Ablenkung | von einer Richtung, welche zeigte, dass die in Frage kommende Rindenregion elektropositiv wurde, bezeichnen wir mit Null. I. Serie. Versuche mittels Reizung der Grosshirnrinde und Ableitung von der Kleinhirnrinde. In 21 Versuchen wurde bei thermischer Reizung der in der Regel linksseitigen psychomotorischen Region von der kontralateralen, (rechten) Kleinhirnhemisphäre und zwar sei es vom Lobulus para- medianus Bolk (Lobulus semilunaris inferior), sei es vom Crus secun-. dum lobi ansiformis Bolk (Lobulus semilunaris sup.) abgeleitet. — In 17 von denselben ‚Versuchen wurden ausserdem auch von der gleichseitigen (linken) Kleinhirnhemisphäre und zwar von identischen. Stellen wie an der kontralateralen abgeleitet. Um den Erfolg der Ableitung von einer gegebenen Rindenstelle des Kleinhirns festzustellen, wurde die psychomotorische Region (wie. bereits hervorgehoben an verschiedenen Stellen) mehrmals hinter- einander — im Durchschnitt etwa achtmal, manchmal mehr, seltener weniger — gereizt und auf das Auftreten von Aktionsströmen an der abgeleiteten Stelle geachtet. Dasselbe Verfahren wiederholte sich, so oft irgendeine Kleinhirnrindenpartie neuerlich mit dem. (ralvanometer verbunden wurde. Es zeigte sich nun, dass bei Ableitung von der kontralateraiit und sehr häufig ebenfalls bei Ableitung von der gleichseitigen Klein- hirnhemisphäre sich bei der erwähnten Versuchsanordnung das Auf- treten von Aktionsströmen in der entsprechenden Kleinhirnrinden- region aufs deutlichste nachweisen liess. Natürlich erfolgte nicht ausnahmslos auf jede einzelne Reizung Ä ein unzweifelhaftes Negativwerden der untersuchten Stelle; manch- - mal war der Erfolg einzelner Reizungen zweifelhaft, oder manchmal blieb die Reizung erfolelos, wie dies gewöhnlich bei den Versuchen \' über die elektrischen Erscheinungen im Zentralnervensystem zu be- a Versuche über die gegenseitige funkt. Beeinflussung von Grosshirn ete. 287 obachten ist, im grossen und ganzen aber war das Erscheinen von Aktionsströmen ein prägnantes. Alle unsere Versuche im einzelnen gedenken wir nicht hier an- zuführen; wir begnügen uns damit, zur Illustration als Beispiele Aus- züge von Versuchen als Ubersichtstabelle anzugeben. In dieser Übersichtstabelle (Tab. 1) sind die Gesamtergebnisse aller dieser Versuche auch dem Prozente nach angegeben. Man er- sieht daraus, dass bei dieser Versuchsanordnung die Aktionsströme auf der kontralateralen Kleinhirnhemisphäre meist prävalieren. Und zwar ist das Überwiesen an der kontralateralen Seite ein aus- gesprochenes in neun (auf 17) Versuchen, nur geringfügig in zwei Versuchen. Tabelle I. Häufigkeit und Stärke der Aktionsströme bei Ableitung von der gleich- seitigen und kontralateralen Kleinhirnhemisphäre. Reizung der linken psychomotorischen Region. Ableitung von der rechten Klein- | Ableitung von der linken Klein- = hirnhemisphäre hirnhemisphäre N ee r = 7 = 1 Ta El Ge Negativwerden ds | 2. | Ge- | Negativwerden des & Aa ' 2 De Kleinhirns E E | Kleinhirns E 3 © | on | l = nn > wurde | in Grösse der $ © | wurde | | : \ Grösse der | © N | | Ablenk ge ma] ‚mal Proz. aeg | Er mal | m ı Proz. in Skalent, < Te EEREEEESEEERNE k | Ü El 5 ı 4 | 80 | 10-55 1 Nicht untersucht 2 15 7 | 46,66 | 10-34 | 2 1007.25 250251021015 1 - 8 ) 2. 8 9—40 | 1 Sur 1502 512 1 4 7. oe a Se ed 4 5) 10 zo 0) 9-2 | 1 102252) 200 1, 0015 1 E66 16 6 | 375 5-11 | 4 1071°.89185808 219...102216 1 I | 4 | 444 10—19 1 10.,.| 5.) 50 4—12 2103 |:5°| 50 en 9 50 555 9 75: |,.70 6,5—16 | 72.\6 |. 8,8 | ba Da 106 | 00 7-4 1 10 |0 | 1 6148 Ja al Nicht untersucht 1295| 8 9 Br 6% 8—16 1 \ | | | | { 9 5-56 210 | 2 a | | 9... 78 11—16 | 1 ve 4-12 14 8 en 95—12 | 8 6. 25.088149) 1 a) 6 b) 83 9—12 | \ \1 rsucl 4 { b) ! 5. 71 Be Nicht untersucht a >| GB een S & Ba | Ba | 5 1. | 8 | Ns | 5,|,825 | 65-12 | 17 8 | 4 | 50 6-5 | a le N | 18 8 4 , 50 7—16 | r 4 | Bas 8 > | 2 19 I 9. | .88.0 6—17,5, 1 86 Ta 20 6 6 100 7—1l | 8 1.62 | 90 5-5 | 1 21 5) 4 |.80 4—1 | Nicht untersucht l DAR A. Beck und @. Bikeles: Ein Ergebnis ohne wesentlichen Unterschied in der Zahl der erfolgreichen Reizungen bei Ableitung von der einen und der anderen Seite war in drei Versuchen zu konstatieren. Hervorzuheben ist, dass in drei Versuchen (Versuchszahl 6, 9 und 19) die Aktionsströme auf der der Reizung gleichseitigen Klein- hirnhemisphäre und zwar in zwei in auffallender Weise häufiger als \ auf der kontralateralen auftraten. Dies besagt in anderen Worten: Der Einfluss einer Grosshirn- hemisphäre erstreckt sich auf beide Kleinhirnhemisphären und zwar in der Art, dass dieser Einfluss auf die kontralaterale Kleinhirn- hemisphäre meist überwiegt. In einer Minorität der Fälle aber be- trifft dieser zerebrale Einfluss beide Kleinhirnhemisphären ohne wesentlichen Unterschied; in manchen kann sogar das Verhältnis ein umgekehrtes sein, d. h. gerade die gleichseitige Kleinhirn- hemisphäre wird dann in stärkerem Maasse als die kontralaterale be- einflusst. Diese Konstatierungen bezüglich der funktionellen Verhältnisse stehen in gutem Einklang mit den anatomischen Tatsachen von einer nicht kompleten, sondern nur überwiegenden Kreuzung der ponto-zerebellaren Bahnen. Dass individuelle Variationen in dem Grad der Kreuzung vorkommen, darauf weisen die Angaben von Hitzig und Gudden (zitiert nach Mingazzini, Neurolog. Zentralbl. 1895, p. 658—659) hin; diesen beiden Autoren zufolge führt nämlich nicht immer Atrophie einer Grosshirnhemisphäre eine solche am Kleinhirn herbei. und manchmal soll die atrophische Kleinhirnhemisphäre nicht die kontralaterale, sondern die gleich- seitige sein. Hervorheben müssen wir an dieser Stelle, dass bei Reizung der Extremitätenregion der Hirnrinde und Ableitung von einer und derselben Stelle der Kleinhirnhemisphäre wir niemals irgendeinen Unterschied im Auftreten resp. Ausbleiben von Aktionsströmen, welchrr von dem Reizungsort abhängig wäre, beobachteten. Reizung der Region für die vordere oder für die hintere Extremität verursachte an derselben abge- leiteten Stelle des Kleinhirns das Auftreten von Aktionsströmen von gleicher Intensität und Häufig- keit. Mit bekannten anatomischen Tatsachen ebenfalls gut überein- stimmend sind unsere Versuchsergebnisse bezüglich des differenten Versuche über die gegenseitige funkt. Beeinflussung von Grosshirn etc. 289 Verhaltens betreffend das Auftreten von Aktionsströmen bei Ab- leitung von der Kleinhirnhemisphäre und bei Ableitung vom Mittel- stück während der thermischen Reizung derselben Bezirke der psychomotorischen Region. Das Vorgehen bei dieser Versuchsreihe war folgendes: Zuerst leiteten wir von einer Kleinhirnhemisphäre ab. Nach Konstatierung, dass an dieser Partie unter dem Einfluss thermischer Reizung der Grosshirnrinde Aktionsströme häufig zum Vorschein kommen, verbanden wir wiederum mit dem Galvanometer den hinteren Vermisabschnitt (L. med. post. Bolk). Endlich wurde hierauf abermals von einer Kleinhirnhemisphäre abgeleitet. Auf diese Weise erhielten wir eine sichere Grundlage zum Vergleich des zerebralen Ein- flusses auf Hemisphäre einerseits und auf das Mittelstück andererseits. Das Endresultat in drei derartigen Versuchen war der Nach- weis ausgesprochener und häufiger Aktionsströme in den Kleinhirn- hemisphären sowohl vor als auch nach der eingeschalteten Ableitung vom Mittelstück bei Fehlen resp. sehr zweifelhaftem Auftreten von Aktionsströmen bei Ableitung vom Mittelstück selbst. Nur in einem Falle zeigten sich auch bei Ableitung vom Mittelstück Aktions- ströme doch jedenfalls etwas geringer als von den Hemisphären (vel. Tab. ID). Tabelle II. Verhalten der Aktionsströme bei Ableitung von Kleinhirnhemisphäre und Mittelstück (Vermis). Reizung der linken psychomotorischen Region. Ver: Ablenkung bei Ableitung vom Kleinhirn, und zwar suchs- von der von der nochmals von zahl rechten Klein- | linken Klein- vom Vermis | der Kleinhirn- hirnhemisphäre | hirnhemispbäre | hemisphäre 165 | 0) rechten — 35 1) 0) — 3,7 — 12 | —4 ? —S ? —8 1) 0) 0 — ll 0 —4 0 | 2 linken () | 2 —6,5 0 ) 0) — 10,5 0) Bee | — 1,9 — 6,3 | a ) — 1% A. Beck und G. Bikeles: 290 Ver Ablenkung bei Ableitung vom Kleinhirn, und zwar suchs- von der von der | nochmals von zahl rechten Klein- | linken Klein- | vom Vermis der Kleinhirn- hirnhemisphäre | hirnhemisphäre hemisphäre f 0 0 | 0 linken 0 — 12 — 8 | —ı1 0 ? ? | —9 — 10 el) — 16 =-12 0 — 15 So) — 12 % —6 0 ® —8 | 0 —4 0 —8 — 6,5 —5 L — 1 0 ( =, 7.) —5 linken —5 — 10 0 —6 9 —i — 8 St : ) — 6, — 0 2 m an, 0 ? — 9,5 —5 —9I —6 Von grosser Wiehtigkeit schien uns die Beantwortung der Frage, ob für das Auftreten von Aktionsströmen in der Kleinhirnrinde eine Reizung speziell nur an der psycho- motorischen Region wirksam sei. Zu diesem Zwecke wurde ausser der psycho- , motorischen Region auf derselben Seite ein ziemlich grosser Bezirk hinter der psychomotorischen Region (vel. Schema) blossgelegt. Der Versuchsvorgang selbst war nun wie folgt: Abgeleitet wurde von der Kleinhirnhemisphäre. Ther- misch gereizt wurde an der kontra- lateralen Grosshirnrinde die psycho- motorische Region und zum Vergleich der Bezirk hinter der psycho- motorischen Region, und zwar häufig gesondert die an die psycho- motorische Gegend unmittelbar angrenzende Partie (Fig. 2A) und wiederum gesondert die weiter hinten gelegene Rindenpartie (Fig. 2 B). Nach Möglichkeit wurde endlich abermals die psychomotorische Region gereizt. In vier Versuchsfällen, bei denen das Ergebnis von Reizungen an der psychomotorischen Region zu Anfang und am Schluss dieses Versuche über die gegenseitige funkt. Beeinflussung von Grosshirn etc. 291 Versuchsverfahrens festgestellt werden konnte, zeigte sich die zwischen diese beiden erfolgreichen Reizungsreihen eingeschaltete Reizung be- sonders an dem weiter hinter dem Gyrus sigmoideus befindlichen Bezirk (B) entweder ohne jedweden oder von ausgesprochen gering- fügicem Erfolg. In zwei Versuchsfällen, wo eine Wiederholung der Reizung an der psychomotorischen Region nicht möglich war, kon- statierten wir jedenfalls — übereinstimmend mit dem oben ange- führten Resultat — einen bedeutend verringerten resp. minimalen Erfolg bei Reizung von der weiter hinter dem Gyrus sigmoideus gelegenen Rindenpartie (5) im Vergleich zum Erfolge bei Reizung der psychomotorischen Region. In einem Versuch (Versuchszahl 3) wurde zum Vergleich nur die unmittelbar an den Gyrus sigmoideus angrenzende Partie (A) gereizt; auch da ist die Intensität (und Häufig- keit) der erhaltenen Aktionsströme geringer als bei Reizung der eieentlichen psychomotorischen Region (Tab. II). Rapelle it Vergleich der Reizungserfolge bei Reizung der psychomotorischen und der hinter derselben gelegenen Region. Ableitung von der rechten Kleinhirnhemisphäre. Ablenkung bei Reizung der Grosshirnrinde, und zwar Ver- A suchs- der psycho- | der hinteren Rindenpartie | nochmals der zahl motogisehene 2 1 Wu mn psychomotorischen Resion A | B Region ) | | un ? | 0 | 0 — 16 | | 2 — 8 — 114 | 0 2 ? | | — 12 0 ? — 1 | 8 19 | g) | ©) Sr Cner | co {=>} ei O@QRAÄ-IO u nme u Von mmmmrmentuuu m m mm \om mmmemamnc m me u Vor n, el oo | -1 | L 292 A. Beck und G. Bikeles: Ablenkung bei Reizung der Grosshirnrinde, und zwar Ver- suchs- der psycho- der hinteren Rindenpartie nochmals der zahl motorischen psychomotorischen Region A B Region | ( 5 = 0 | — 10 —4l 0 —9 5,9 —6 — 2 — 49 4 3 —)) — 95 —9 l —6 ( 0 —n (0) 0) ) ? — 15 0) SE — 15 Sn as — 1 — 11,5 L ? —4 —6 | ? | —6 0) —4 : ) ? —8 6 7 = — 7 — 25 ? { — 1% 0) — 10 — 16 | 0) aA — 14 | 0) ? a 0) — 11,5 — 11 — 1% —ß 0 ll L —4 Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass wenigstens beim Hunde vor allem die psychomotorische Region es ist, welche vermittels der Brückenarme mit den Kleinhirnhemisphären in funktioneller Ver- bindung steht. Wir glauben diese Eruierung — die sich auf dem Wege ana- tomischer Untersuchung, da es sich um unterbrochene Bahnen handelt, nicht leicht durchführen lässt — besonders hervorheben zu dürfen und weisen zugleich darauf hin, dass beim Hunde die psycho- motorische Region auch Fühlsphäre und für den Muskelsinn von Versuche über die gegenseitige funkt. Beeinflussung von Grosshirn etc. 293 grosser Bedeutung ist‘). Wir behalten uns vor, in weiteren Arbeiten über Kleinhirn, die wir vorhaben, auf diese Konstatierung und deren etwaige Bedeutung für die Kleinhirnfunktion zurückzukommen. II. Serie. Versuche mittels Reizung der Kleinhirnrinde und Ableitung von der Grosshirnrinde. In elf Versuchen wurde die Rinde der Kleinhirnhemisphäre thermisch gereizt bei Ableitung von Grosshirnrinde. In allen diesen Versuchen waren es mehr oder weniger identische Stellen der Klein- hirnhemisphäre, welche gereizt wurden und zwar am Lobulus para- medianus Bolk (Lobulus semilunaris inf.) und am Crus seeundum Lobuli ansiformis Bolk (Lobulus semilunaris sup.), also an Bezirken, in denen bei Reizung der psychomotorischen Region der Grosshirn- rinde Aktionsströme deutlichst beobachtet worden waren. Gereizt wurde in dieser Serie die Kleinhirnhemisphäre sowohl gleichseitig als auch kontralateral zu der abgeleiteten Grosshirnhemisphäre. Das Ergebnis war aber hier im grossen und ganzen ein sehr abweichendes von dem in der Serie I. Nur in drei Ver- suchen gelang es bei diesem Versuchsverfahren Aktionsströme von einer Intensität und Häufigkeit annähernd wie bei Serie I nach- zuweisen, während in acht Versuchen, also in der weit überwiegen- den Mehrzahl, die eventuell zum Vorschein gekommenen negativen Galvanometerablenkungen von Sehr ge- ringer Häufigkeit waren (Tab. IV). Diese so auffällige Differenz im Erhalten von Aktionsströmen zwischen beiden Versuchsanordnungen (Serie I und II) suggeriert förmlich die Annahme, dass beim Hunde wenigstens das Zuströmen 1) In einem Falle von gekreuzter Kleinhirnatrophie beim Menschen mit- geteilt von Andre Thomas und G. Cornelius (Revue neurol. 1907, nach Ref. im Neurolog. Zentralbl. 1908 S. 170) betrafen die ausgesprochensten Ver- änderungen an der Grosshirnrinde, den Stirnlappen, Parietallappen und einen Teil der Schläfenwindung, während die motorische Region wenig betroffen war. Dies könnte also gegen einen innigeren Zusammenhang zwischen psychomotorischer Region und Kleinhirnhemisphäre geltend gemacht werden. Es muss aber berück- sichtigt werden, dass gerade die Ausdehnung des Gebietes für den Muskelsinn "beim Hunde und beim Menschen eine sehr verschiedene ist. Beim Hunde deckt sich dasselbe mit der sogenannten psychomotorischen Region, während beim Menschen der Muskelsinn vor allem im Parietallappen lokalisiert ist. 294 A. Beck und G. Bikeles: Tabelle IV. Ableitung von der psychomotorischen Region (links). Reizung der rechten Kleinhirn- Reizung der linken Kleinhirn- za heiisphäre hemisphäre 3 Ge- Negativwerden der | 8 Ge- | Negativwerden der 3 2 bee Grosshirnrinde ae | Grosshirnrinde S 0 2 | reizt 2 25] reizt 38 S 2 e | Grösse der | 85 ß he | Grösseder 55 = ln “e mal | Aa SH pucde mal | a Ablenkire s= mal Proz. | in Skalent. | £ mal Proz. | in Skalent. e nn — | Bere 1-18.) 8615 515 20. 080.4 50. | 2 10 4140 , 5-1 4 22020 7— 9 3 9 3 | 3 a El) | 2 4 6 213 6— 9585|. 3 ben 33 0) 2 > { a) 9 6 | 66,7 4— 9 | N b) 4 317% s—115| 1 6) 5 625 | 7— 13 6 11 8.1 88: | 8— 8 | 12.2180 5— 6 1 7 31181 088 14, 4,0..56.10 118 2) 3 |.83 5—11 2 8 19,08 Bu 3 9.1, 4 | 44 Bl 2 ®) 6 2:1 8 2— 4 1 ls 622003 10 11 2 | 13, |. 5-10 2 69.1.0, | hl Ga ll 10 De 16,7 3 von Reizen vom Grosshirn zum Kleinhirn für die normale Funktion des letzteren belangreicher sei, als die umgekehrte Reizzuleitung für die Funktion des Grosshirns und dass die sensorischen Erregungen eher und leichter vom Grosshirn zum Kleinhirn als umgekehrt zu- fliessen. Jedoch möchten wir — obwohl wir zu einer solchen An- nahme entgegen der Ansicht mancher Autoren geneigt sind — aus diesen hier mitgeteilten Versuchen keine definitive Schlussfolgerung ziehen. Man könnte auch gegen eine solche Schlussfolgerung even- tuell mancherlei Einwände geltend machen wollen. Auf die mög- lichen Einwände selbst resp. deren Widerlegung wollen wir hier um so weniger eingehen, als wir hoffen, demnächst dieser Frage auf anderem Wege näher zu treten. Ir zwei (von den drei) Versuchen, in denen bei Reizung der Kleinhirnrinde Aktionsströme von der Grosshirnrinde häufiger er- halten wurden, wurde hintereinander und abwechselnd von der ge- wöhnliehen, d. i. von der psychomotorischen Region und zum Ver- gleich von der Gegend hinter derselben abgeleitet. Es zeigte sich nun in diesen Fällen, dass bei Reizung deı Kleinhirnhemisphäre die Ableitung von der psychomotorischen Region Aktionsströme häufiger zum Vorschein kommen lässt, als bei Ab- leitung von dem nach hinten von dieser Region gelegenen Rinden- Versuche über die gegenseitige funkt. Beeinflussung von Grosshirn etc. 295 Tabelle V. Reizung der Kleinhirnhemisphäre. Auftreten der Aktionsströme bei Ableitung von der von der nochmals von der psychomotorischen ' hinteren Rinden- psychomotorischen Region | partie B Region 66,6. %/o | 31 % 50% 75 lo 16,5 %/0 50 °/o bezirk, obwohl der Ableitung von letzterer Gegend eine erfolg- reichere Ableitung von der psychomotorischen Region voranging und auch nachfolgte (Tab. V). Ist auch in dieser Serie die Anzahl der Versuche mit abwechselnder Ableitung von der psychomotorischen und der hinter derselben befindlichen Region eine sehr geringe und an und für sich zu keiner Schlussfolgerung berechtigende, so gewährt es doch ein Analogon zum Verhalten in der ersten Versuchsserie, wo für das Erhalten von Aktionsströmen von der Kleinhirnrinde eine Reizung gerade der psyehomotorischen Region sich erfolgreich zeigte. 296 A. Beck und G. Bikeles: (Aus dem physiologischen Institut der Universität Lemberg.) Versuche über die sensorische Funktion des Kleinhirnmittelstücks (Vermis)!). Von Prof. Dr. A. Beck und Prof. Dr. @. Bikeles. (Mit 2 Textfiguren.) In vorliegender Arbeit stellten wir uns zur Aufgabe die Lösung folgender Fragen: l. Lassen sich bei Reizung irgend eines peripheren Nerven Aktionsströme vom Mittelstück des Kleinhirns (Vermis), zu dem bekanntlich die spinocerebellaren Bahnen hinziehen, erhalten ? 2. Wie ist das Verhältnis etwaiger solcher Aktionsströme zu denen von der psychomotorischen Region bei Reizung desselben peripheren Nerven erhaltenen ? 3. Lässt sich bei Reizung verschiedener peripherer Nerven für das Erhalten von Aktionsströmen an verschiedenen Bezirken des Kleinhirnmittelstückes irgend eine sensible Lokalisation konstatieren ? Das Versuchsverfahren war hierbei folgendes: Beim kuraresierten Hunde wurde die hintere Kleinhirnfläche und nebst dem eine kleine Partie am Hinterhauptlappen der einen Seite, in einer Reihe von Fällen auch die psychomotorische Region der anderen Seite blossgelest und unter einen entsprechenden peri- pheren Nerv (meistens Ischiadieus), am häufigsten auf der dem blossgelesten Hinterhauptlappenteile gleichen Seite, Reizelektroden untergeschoben. Hierauf wurde die Rinde des Kleinhirnmittelstückes (Lobus med. post. Bolk, Vermis posterior) und als indifferente Stelle die Hirnrinde des Hinterhauptlappens vermittels unpolarisierbarer Elektroden mit dem Galvanometer verbunden. 1) Vorgelegt der Krakauer Akademie der Wissenschaften in der Sitzung vom 6. Oktober 1911, erscheint in polnischer Sprache in den Abhandlungen. der Akademie Bd. 51 B. Versuehe über die sensor. Funktion des Kleinhirmmittelstücks (Vermis.. 297 Auf den Vermis wurde überwiegend der als Elektrodenende dienende Wollfaden quer in frontaler Richtung aufgelegt!). (S. Fig. 1.) Hierauf wurde der entsprechende Nerv mehrfach hintereinander mit schwachen Induktionsströmen gereizt und die jedesmalige Gal- vanometerablenkung beobachtet und notiert in derselben Weise, wie es in der vorangegangenen Arbeit ausführlich angegeben wurde. In den ersten Versuchen gelang uns nicht eine Negativität der Kleinhirnrinde bei solchen Reizungen nachzuweisen, wahrscheinlich weil die Kleinhirnrinde trotz des makroskopisch normalen Aussehens vielleicht doch während des Blosslegens irgendwie gelitten hat. Hin- gegen konnten wir bei einer enormen Zahl der später nachfolgenden Versuche ein reichliches Auftreten von Aktionsströmen am Kleinhirn- mittelstück bei Reizung des peripheren Nerven konstatieren. In sehr vielen Versuchen wurde zum Vergleich bei Reizung eines und desselben Nerven ab- wechselnd vom Hinterwurm und von der dem gereizten Nerven kontralateralen psychomotori- schen Region abgeleitet. Das Er- gebnis, welches in der Tabelle I übersichtlich dargestellt ist, war, dass im grossen und ganzen die Aktionsströme an der psychomo- torischen Region etwas häufiger und intensiver zum Vorschein kamen als am Vermis. Jedoch war ‘in manchen Fällen ein Unterschied kaum vorhanden (Versuchs- ‚ zahl 5, 6), und in zwei Fällen zeigten sich die Aktionsströme gerade | | | il Fie. 1. ‚ am Kleinhirn etwas beträchtlicher (Versuchszahl S und 10). In einer Reihe von Versuchen wurden abwechselnd mit dem ‚ Ischiadieus auch Nerven vom Plexus brachialis (meist Medianus und N \ ‘ Ulnaris) derselben Seite mit schwachen Induktionsströmen gereizt - und zunächst ebenfalls vom Vermis poster. abgeleitet. Nebst dem , waren wir auch bestrebt, sowohl bei Reizung des Ischiadieus als | 1) In einer Minderheit von Versuchen wurde auch der Elektrodenfaden \ einseitig in sagittaler Richtung, manchmal auch punktförmig auf den Vermis ‚aufgelegt; doch zogen wir das Auflegen in frontaler Richtung (beiderseits von ‚ der Medianlinie) — da uns die Kreuzungsverhältnisse der afferenten Bahnen vi weniger interessierten — vor. 998 A. Beck und G. Bikeles: Tabelle]. Zum Vergleich der Aktionsströme erhalten: a) vom Vermis posterior, b) von der psychomotorischen Region. Reizung eines peripheren Nerven, Anleitung vom Mens Ableitung von der psychomotorischen = Region N e E (er Negativwerden des 3 Ge- | Negativwerden der & = i Kleinhirns EBEN) R psychomotor. Region = zZ reizt | | = Ss reizt er ER = S oO r | . rös r = - D ardse a == } > med | ar nn ee er Te ee ma] Proz. in. skalent.| 8 mal | Proz. in Skalent. © 1 6) b) 62;5 7—10 2 4 4 | 100 13—25 2 11 5 45,4 10-13 2 8. 20200262,5 2 3 10 6 60 | 58 [02 zu 2 1093 4 ) b) 590 | 7—14 1 8 3 | 62,5 5—15 | > 6) 5) 62,5 | 79 7 5 62,5 12—19,5 6 see u 71 | 8105 1 4 3 75 12—18 | 1 7 bed: 66,6 | 6,595 1 62 05 3. 16 I 1 I 5, oe 6a Sohn 8) 1,6 bee 5a 100 3—11 | 10 Ser 50 4—11 | 1 MD 30 35— 7 | al 10 7 | 70 7—16,5 7 | 6 89 929 nl | | | auch bei der der Armnerven (Medianus und Ulnaris), das etwaige Auftreten von Aktionsströmen an der oberen Fläche des Vermis zu studieren und deren Verhalten bei abwechselnder Rei- zung erwähnter Nerven festzustellen. Da das Anlegen des Wollfadens der unpolarisierbaren Elektrode an der oberen Vermisfläche — ohne Berührung des Nachbargewebes — unmöglich war, bedienten wir uns zu diesem Zwecke unpolari-. sierbarer Chlorsilberelektroden. Dieselben bestanden aus 40 mm langen, 3 mm breiten glattpolierten, etwa 1 mm dicken Silberstreifen von .entsprechender Krümmung, welche durch ihre ganze Länge mit. einer ziemlich dieken Chlorsilberschichte bedeckt waren. Die ganze Oberfläche der Elektrode war vermittels eines Lackes isoliert bis auf eine 3 mm lange Stelle am Ende der Elektrode und zwar an der Fläche, welche mit der zu untersuchenden Stelle des Vermis- in Berührung kommen sollte. Während die. eine von dem Elek- trodenpaare auf den Hinterhauptlappen angelegt wurde, wurde die andere, mit der Concavität zum Kleinhirn gewendet, behutsam zwischen dasselbe und das Tentorium je nach Bedarf verschieden tief hinein- geschoben. Bei jeder derartigen Elektrodeneinschiebung wurde das herausragende Stück der Elektrode genau gemessen und notiert; nach Ablauf des Versuches wurde wiederum durch abermalige An- Versuche über die sensor. Funktion des Kleinhirnmittelstücks (Vermis).. 299 lesung der Elektrode an den gänzlich freigelegten Vermis die während des Versuches mit dem nichtisolierten Elektrodenende in Berührung gekommene und abgeleitete Stelle markiert. Auf diese Weise wurde in verschiedenen Versuchen fast die ganze Länge der oberen Fläche des Vermis abgetastet. Die Ergebnisse dieser Versuche veranschaulichen die in Tabelle II in Kürze beigefügten Prozentzahlen, betreffend das Auftreten von Aktionsströmen während der Reizung der peripheren Extremitäten- nerven, d. i.: des N. Ischiadieus einerseits und der Armnerven . andererseifs. Tabelle I. Häufigkeit der Aktionsströme in Prozenten. Reizung Reizung des Ischiadicus der Armnerven Max. | Min. | Mittel | Max. | Min. | Mittel | Ableitung von der oberen Fläche des Wurmes . . . 85 f Fecene vom Eunterwurm . | 100 | 50 ar | | Man ersieht daraus, dass Reizung von Nerven sowohl der hinteren als auch der vorderen Extremität das Erhalten von Aktions- strömen in fast gleicher Häufig- keit und Intensität gestattet. Ein Überwiegen der Aktionsströme, abhängig davon, ob ein Nerv einer hinteren oder einer vorderen Fx- tremität gereizt wurde, ist weder bei Ableitung von der hinteren, noch von der oberen Fläche des Vermis vorhanden. Bemerken wollen wir an dieser Stelle, dass von der hinteren Vermispartie die Ableitung von der Gegend der beim Hunde nach rechts gerichteten Curvatur (Fig. 2A) im all- gemeinen sowohl bei Reizung der Nerven der vorderen lals auch der hinteren Extremitäten gewöhnlich bessere Aktionsströme er- halten liess als von der unterhalb derselben befindlichen Partie des Vermis posterior. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 21 Fig. 2. 300 A. Beck und G. Bikeles: Besonders hervorheben wollen wir noch, dass Reizung der Nn. vagi ebenfalls vom ganzen uns zugänglichen Kleinhirn- mittelstück unzweifelhafte Aktionsströme, wenn auch im allgemeinen in einem etwas schwächeren Grade als bei Reizung der Fxtremitätennerven erhalten lässt und zwar in Pro- zenten ausgedrückt bei Ableitung vom Vermis posterior: Maximum 85, Minimum 37,5, Mittel 46,6, bei Ableitung wiederum von der oberen Fläche des Mittelstücks: Maximum 87,5, Minimum 30, Mittel 53. Dies verdient um so mehr Beachtung, als wir bei wiederholten Versuchen einer Ableitung von der Grosshirn- rinde (d. i. von der psychomotorischen und der angrenzenden Region) bei Reizung des N. vagus Aktionsströme gänz- lich vermissten. Nebstbei liefert dies eine physiologische Bestäti- gung der Angabe Edinger’s, wonach vom Kern des N. vagus sekundäre Bahnen an den Vermis cerebelli gelangen. Das Auftreten nun von Aktionsströmen an jeder beliebigen, überhaupt irgendwie zugänglichen Partie des Kleinhirnmittelstückes bei Reizung von Nerven der hinteren, der vorderen Extremität und sogar des N. vagus spricht entschieden gegen jede sensible Lokalisation am Vermis. Auch Mae Nalty und Horsley!) gelangen auf Grund anato- tomischer Untersuchungen zum Ergebnis, dass es eine sensible Lokalisation im Kleinhirn (korrekt sollte es eigentlich lauten im Kleinhirnmittelstück) nieht gibt. Doch behalten wir uns die Würdi- gung anatomischer Verhätnisse und deren Vergleich mit den Er- gebnissen physiologischer Untersuchungen für spätere Arbeiten vor. Im Verlaufe der obigen Untersuchungen wurde in acht Versuchen (vgl. Tab. III, S. 301 und 302) bei Reizung eines Extremitätennerven nach Ableitung vom Lobus medianus posterior (Vermis posterior) eine solche noch vom Lobulus paramedianus Bolk, also schon im Bereich der Hemisphäre, vorgenommen. In zwei Versuchen erhielten wir wohl vom Vermis Aktions- ströme, nicht aber von der Hemisphäre; in vier Versuchen waren die am Paramedianus beobachteten Aktionsströme bedeutend seltener 1) MacNalty and Horsley, Brain vol. 32 p. 237. On the cervical spino-bulbar and spino-cerebellar tracts and on the question of topographical representation in the cerebellum. Versuche über die sensor. Funktion des Kleinhirnmittelstücks (Vermis).. 301 Tabelle II. Reizung peripherer Nerven rechtseitig. Ablenkung bei Ableitung von Va dem Klein- der der abermals zahl [hirnmittelstück | rechten Klein- , linken Klein- | vom Kleın- (Vermis) hirnhemisphäre | hirnhemisphäre | hirnmittelstück 0 ? _ — 0 0 E — 0 0 — — — 10 0 _ — NG LO nn Kai \ 0 0 = x — 10 0 —_ — 9 = = ( 0 2: — 10 0 _ — AT: N) Pe SE ? 0) — = 0 0 — — Zu) 2210 0 = = ? —5 _ | — 10 0 = — ( mel = ( — 8 0 0 — — 10,9 | ) Je — 9 0 — 2 = 0 — 6 —. — 3 | 0 0 = — 10 0) ? — ? us _ en { 06 0 = (. eg N) ) — Da 6 0 FE — 6,5 _5 wi —; 0 0 = 7 =: 7 0 0 — — 8 0 — 1 Fr aiehen a, { 0 ze) ( — 11,5 0) 7 —4 6 —ı® ? 0 — 16 — 11 — 8 —9) | ? 105 55 rg — 10 0 0 —17 — 12 — 10,5 0 —7 5 — 16 R 0 x Zen S —6 E=| — 10 —6 = tl, v6 ei ,5le 2 0 _— 0 (ES er == 0 ® E= = \ m 7 3 Zul 3023 .A. Beck und G. Bikeles: Versuche über die sensor. Funktion ete. Versuchs- zahl 7 me ibm on Von Rn Jr nn Ablenkung bei Ableitung von dem Klein- hirnmittelstück (Vermis) Fi ee | DD AS JOHOOoUmm Sr Press der rechten Klein- hirnhemisphäre | | | Sasse HVorBoon® OOo wmoo — | der linken Klein- hirnhemisphäre 0 — 2 ? — © 0 — — 11 0 SUTOonmoOd |loow.Sou oo or abermals vom Klein- hirnmittelstück | < Homo or | IIIlsono- | DO®AIJIOUTOR als am Vermis posterior; in zwei Versuchen war jedenfalls ein ausgesprochener Unterschied in der Häufigkeit der Aktionsströme zu Gunsten des Mittelstückes zu konstatieren. ’ Dabei wurde in vier Versuchen nach stattgehabter Ableitung vom Lobulus paramedianus neuerdings vom Lobus medianus post. (Vermis post.), abgeleitet, und zwar mit durchgehends deutlich besserem Resultate als bei Ableitung vom Lobulus paramedianus. 303 (Aus dem zoologischen Institut der Universität Leipzig.) Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere, mit besonderer Berück- siehtigung der Anpassungserscheinungen. Von Alfred Dernoscheck. (Mit 20 Textfiguren.) In erster Annäherung lassen sich bei der Betrachtung der wasserbewohnenden Organismen je nach der chemischen Beschaffen- heit ihrer „Lebenssphäre“ (Ratzel) zwei resp. drei grosse Gruppen unterscheiden, die Süsswasser- und die Salzwasserbewohner. Die letzte Gruppe kann weiterhin geteilt werden einerseits in die Be- wohner der Ozeane, deren quantitativer Salzgehalt nur in Ausnahmen stark variiert und deren Zusammensetzung in qualitativer Be- ziehung nach van’t Hoff eine über die ganze Erde überraschend konstante ist, andererseits in die Bewohner kleinerer Wasserbecken mit meist nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ abnormem Gehalt an Mineralsalzen (Salzseen, Limane, Salzlagunen, Mineral- quellen usw.). Im Gegensatz dazu enthält das als Süsswasser be- zeichnete Medium zwar auch geringe Salzmengen, in typischen Fällen aber nie mehr als 0,03 0 [siehe z. B. Steuer!)]. Von besonderem wissenschaftlichen Interesse in verschiedener, ‚so z. B. phylogenetischer, systematischer, biologischer (ökologischer), Hinsicht erscheinen die Beziehungen, die zwischen den Süsswasser- bewohnern und den Bewohnern der Ozeane, im folgenden als See- wassertieren bezeichneten Organismen, bestehen. Als nächstliegende Probleme ergeben sich die Fragen nach dem Verhalten dieser Orga- nismengruppen bei einem Wechsel ihres Mediums. Je nach der Geschwindigkeit dieses Wechsels lassen sich folgende Gruppen von Erscheinungen unterscheiden: l) Steuer, Planktonkunde S. 24. Leipzig 1910. 304 Alfred Dernoscheck: 1, Der langsamste Wechsel der Lebenssphäre einer dieser Orga- nismengruppen ist die paläontologisch-prähisterische Ver- änderung des Mediums. So kennen wir einige Seen, sogenannte Reliktenseen, die sich einst vom Meere abgetrennt haben und durch das stete Zuströmen von Süsswasser im Laufe langer Zeit ganz salz- arm geworden sind. Obgleich nun ein grosser Teil der einstigen Fauna infolge des Mediumwechsels zugrunde gegangen ist, so be- obachtet man doch, dass sich einige Spezies den veränderten Ver- hältnissen angepasst haben. Wir bezeichnen sie als Reliktenfauna. So kommen in den Schweizer Seen marine Turbellarien, im Garda- see marine Kruster vor; Römer und Schaudinn fanden im Re- liktensee Mogilnoje (auf der Insel Kildin an der Murmanküste) massenhaft Medusen; der Tanganjikasee beherbergt marine Gastro- poden; Böhm fand in ihm auch eine kraspedote Meduse, Limno- enida tanganjicae!),, Man nimmt überdies heute allgemein an, dass das Limnoplankton in letzter Linie aus dem Meere stammt, wenn auch die Frage nach der Art und Weise der Einwanderung noch nicht ganz klargelegt ist. 2. Nächst dem prähistorischen oder säkularen Wechsel müssen die Erscheinungen der historischen Einwanderung von See- wasserorganismen in Süsswasser und umgekehrt erwähnt werden. Als schönstes Beispiel hierfür wäre wohl Cordylophora zu nennen, eine Polypenart, von der Semper?) berichtet: Zu der Zeit, da er noch Student war, wurde Cordylophora lacustris nur in Ästuarien und am Eingange der Flüsse, wo also wenigstens zeitweilig See- und Brackwasser gemischt war, gefunden; gleichzeitig beobachtete man es auch in Belgien, England und in Schleswig. Seit 1854 wanderte das Tier in die Flüsse; in der Seine kam es bald bis Paris und drang hier in die Süsswasserbecken des Jardin des Plantes, wo es bald sehr gemein wurde. Noch merkwürdiger war seine Wanderung in der Elbe. Nachdem es in dieser bis nach Hamburg und selbst in die Alster gedrungen war, ergriff es Besitz von den Wasserleitungsröhren der Stadt, in denen es infolge seines massen- haften Auftretens die Zirkulation des Wassers hemmte. In ganz 1) Steuer, Planktonkunde S. 425 u. 432. Leipzig 1910. — v. Fürth, Vergleichende chemische Physiologie der niederen Tiere S. 618. Jena 1903. 2) Semper, Die natürlichen Existenzbedingungen der Tiere Bd. 1 S. 187. Leipzig 1880. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere et. 305 ähnlicher Weise war auch Dreyssensia !) um 1825 aus dem Schwarzen Meere ins Süsswasser eingewandert. Auch die Ohrenqualle, Aurelia aurita, gewöhnt sich sehr gut an Brack- und Süsswasser, gelangte sie doch in der Ostsee bis zum Finnischen und Bottnischen Meer- busen, wo der Salzgehalt nur 0,5 °/o beträgt; sie ging sogar in den Preeel- und Memelfluss 2). 3. Sodann seien die Erscheinungen des periodischen Wechsels angeführt. Es ist allgemein bekannt, dass eine Anzahl Fische, wie z. B. die Lachse, regelmässig zur Laichzeit von den Flussmündungen stromaufwärts wandern, während der Flussaal, um sich fortzupflanzen, das Meer aufsucht. 4. Schliesslich ergeben sich noch die Beobachtungen bei einem plötzlichen Wechsel des Mediums, d. h. bei einem direkten Über- tragen von Süsswassertieren in Seewasser und umgekehrt. Hier wechselt das Verhalten der verschiedenen Spezies ganz ausserordent- lich. Einerseits gibt es Süsswasser bewohnende Tiere, die ohne merkbar schädliche Einwirkung direkt in Seewasser oder in noch konzentriertere Lösungen gebracht werden können. Ich erwähne da vor allem Fundulus, mit dem J. Loeb seine bekannten Experimente anstellte, und einen Stichling (Gasterosteus trachurus), den Giard?) mehr als 50 Tage hintereinander abwechselnd in Meer- und Süss- wasser setzte, ohne dass das Tier irgendwelche Schädigung hätte erkennen lassen. Ebenso glückte es auch, im See bei Acqua (bei Padua), der rein süsses Wasser enthielt, Seefische in grossen Mengen für den Marktbedarf zu züchten. Auf der anderen Seite ist aber der grösste Teil der Organismen schon gegen eine kleine, positive oder negative, Änderung ihres Mediums recht empfindlich, ein plötz- licher Wechsel hat ihr Absterben zur Folge. Die unter 1—3 zusammengefassten Erscheinungen pflegt man auch als Anpassungsvorgänge zu bezeichnen. Wir hätten da die phylogenetische, historische und periodische Anpassung an ein anderes Medium. Dabei können wir zwischen einer erweitern- den und einer auswechselnden Anpassung unterscheiden. Die erweiternde Angewöhnung verleiht als Resultat den Organismus die 1) Steuer, Planktonkunde S. 423. Leipzig 1910. 2) Steuer, Planktonkunde S. 37. Leipzig 1910. 3) A. Giard, Sur l’adaption brusque de l’Epinoche aux eaux alternative- ment douces et marines. Compt. rend. Soc. Biol. t. 52 p. 46—48. 1900. 306 . Alfred Dernoscheck: Fähigkeit, in beiden Medien zu existieren. Derart angepasst ist z. B. der oben erwähnte Fundulus und der Stichling; vermutlich sind die periodisch wechselndeu Tiere ebenfalls in diesem Sinne akklimatisiert. Inı Gegensatz dazu verliert bei auswechselnder Anpassung der Organismus die Fähigkeit, in seinem früheren Medium weiterzuleben. Sodann sei auch schon hier erwähnt, dass die experi- mentelle Anpassung, z. B. von Süsswassertieren an Salz- lösungen, eine analoge auswechselnde Beschaffenheit hat. So zeigte z. B. schon P. Bert!), dass für Süsswasserdaphnien, die an sich gegen Salz sehr empfindlich waren, welche er aber allmählich an eine Kochsalzlösung von ungefähr 1,3°/o angepasst hatte, Süsswasser ein Gift war. Die experimentelle Untersuchung der Wirkungen eines Mediumwechsels zerfällt aus natürlichen Gründen zunächst in die Untersuchung der plötzlichen Änderungen, im Speziellen also der Giftwirkungen, dann erst in diejenigen der Reaktionen auf die langsameren Mediumvariationen, d.h. also der Anpassungs- erscheinungen. Im Folgenden sind ausschliesslich nur die Wirkungen von Seewasser auf Süsswassertiere in Betracht gezogen worden. Die vorliegende Arbeit enthält dementsprechend zunächst Untersuchungen über die Giftwirkung von Seewasser auf Süsswasserorganismen, SO- dann Versuche über Anpassungserscheinungen dieser Organismen an das fremde Medium. Es ist wohlbekannt, dass über die Giftwirkung von Seewasser auf Süsswassertiere bereits eine grosse Anzahl von Forschern ge- arbeitet hat?). Mit wenigen neueren Ausnahmen handelt es sich bei diesen Untersuchungen fast stets nur um solche qualitativer und unsystematischer Art. Die meisten älteren Arbeiten beschränken sich auf eine kursorische Bestimmung der Lebensdauer weniger In- dividuen von möglichst verschiedenen Spezies im fremden Medium. Es ist aber augenscheinlich, dass für eine nähere Kenntnis der Wirkungen eines plötzlichen Mediumwechsels möglichst quantitative Untersuchungen nötig sind, die sich weniger auf die Bestimmung der Lebensfähigkeit möglichst verschiedener Arten als vielmehr auf 1) P. Bert, Sur la cause de la mort des animaux d’eau douce qu’on plonge dans l’eau de mer et r&ciproquement. Compt. rend. t. 97 p. 133—136. 1883. 2) Diesbezügliche Literaturangabe siehe v. Fürth, Vergleichende chemische Physiologie der niederen Tiere und in dieser Arbeit weiter unten. Studien über dıe Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 307 maximal genaue Feststellung der Giftwirkung auf zahlreiche Indivi- duen einer Spezies beziehen. Im Gegensatz zu den früheren Arbeiten erschien weiterhin noch die Berücksichtigung und möglichst weite Konstanthaltung der Versuchsfaktoren von ausschlaggebender Wichtig- keit. Ganz analoge Erörterungen gelten auch für die Untersuchungen über Anpassuneserscheinungen, wie aus Abschnitt II hervorgehen wird. Schon an dieser Stelle soll besonders darauf hingewiesen werden, dass speziell auch eine physiologische oder physiologisch-chemische Theorie sowohl der Erscheinungen der Giftwirkung als auch der Anpassung nur auf Grund systematischer und möglichst quantitativer Versuche zu erhoffen ist. I. Versuche über die Giftigkeit von natürlichem Seewasser für Daphnia magna. 1. Versuchstechnik und Methodik. Zu den Versuchen wurde Nordseewasser benutzt, das bei einer Temperatur von 17,5° C. eine Dichte von 1,0245 zeigte. Nach der Formel!) 17,5 So ($7 5 1) beträgt der Salzgehalt 3,2%. Er wurde als Normalsalzgehalt angenommen und wird in der Folge als solcher bezeichnet werden. Die verschiedenen Konzentrationen wurden durch Verdünnen mit destillierttem Wasser bzw. durch Eindampfen des Seewassers her- gestellt. Als Versuchsmaterial diente Daphnia magna aus der Umgebung von Leipzig. Die Tiere wurden stets vorher mindestens 24 Stunden lange in Aquarien bei Zimmertemperatur gehalten, so dass zu den Versuchen niemals Individuen benutzt wurden, die bis dahin in freien Becken gelebt hatten. Um eine möglichst grosse Gleich- mässigkeit des Versuchsmaterials zu erreichen, wurden immer Tiere von möglichst gleicher Grösse ausgesucht, von denen man also an- nehmen konnte, dass sie ungefähr ein gleiches Alter besassen. Denn, wie zu erwarten, waren jüngere Tiere weniger resistenzfähig als ältere. Diesem Verhalten entspricht auch der Befund von Plateau), 1) Siehe Supan, Physische Erdkunde, 3. Aufl., S. 259. 1903. 2) Plateau, Recherches sur les Crustacees d’eau douce de Belgique. M&m. publ. par l’Acad.. de Belg. t. 35 p. 60-64. 1870. 308 Alfred Dernoscheck: nach dem junge Asseln weit früher starben als die älteren, wenn sie zusammen plötzlich in Meerwasser gebracht wurden. Da man ferner vermuten konnte, dass Weibehen mit Ephippien, Eiern und solehe ohne beides eventuell einen Unterschied in ihrem Verhalten zum Versuchsmedium zeigen könnten, so wurden Einzelversuche mit jeder dieser drei Formen angestellt. Sie führten jedoch zu keinem merklichen Unterschiede, so dass ohne Bedenken Tiere von allen drei Arten eleichzeitie benutzt werden konnten. Einzelversuche mit Männchen machten sich infolge ihres seltenen Auftretens überflüssig, vielleicht hätten sie ein anderes Verhalten erkennen lassen. Wo. Ostwald!) fand nämlich bei seinen Versuchen mit Gammarus, dass sich Männchen und Weibchen in bezug auf ihre Lebensdauer gegenüber Seewasser verschieden verhielten: ohne Ausnahme zeigten sich die Weibchen empfindlicher gegen den Einfluss des Salzes als die Männchen. Da die Untersuchungen von Bullot?) über die Giftigkeit von destilliertem Wasser für Gammarus ergeben hatten, dass die An- zahl der Tiere, die gleichzeitig in ein Gefäss gesetzt wurden, einen Einfluss auf deren Lebensfähigkeit hatte, so wurde stets die- selbe Anzahl von Tieren benutzt, nämlich 25. Die Zahl dürfte viel- leicht als etwas zu hoch gewählt erscheinen; denn es könnte mit Recht der Einwand gemacht werden, dass es nicht möglich sei, gleichzeitig so viele Individuen genau beobachten zu können. Doch ist demgegenüber zu bemerken, dass es, wenn als Kriterium des eingetretenen Todes das Aufhören der Antennenbewegung gewählt wurde, bei einiger Übung leicht möglich war, auch eine so grosse Zahl von Versuchstieren gut übersehen zu können. Ausserdem ist noch Folgendes in Betracht zu ziehen: Da die Untersuchungen quantitativer Art sein sollten, so durfte die Zahl der zu untersuchen- den Individuen nicht zu niedrig gewählt werden, da sonst die in- dividuellen Schwankungen eine zu grosse Rolle spielen, wie man in recht deutlicher Weise bei den Versuchen von Warren?) sehen kann. Dieser Autor machte Versuche, die sich auf die Wirkungen 1) Wo. Ostwald, Versuche über die Giftigkeit des Seewassers für Süss- wassertiere. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 106 S. 570. 2) Bullot, On the toxieity of distilled water for freshwater Gammarus. Univ. of Calif. Publ. Physiol. vol. 1 p. 199. July 1904. 3) Warren, On the relation of Daphnia magna to certain changes in its environment, Quart. Journ. of Micr. science 1900 p. 199—224. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 309 von NaCl-Lösungen auf Daphnia magna erstreckten. Er experimen- tierte mit verschiedenen Konzentrationen von 0,5—20°%o NaCl und beobachtete hierbei eine allmähliche Abnahme der Lebensdauer von unendlich bis auf einige Minuten. (Bemerkt sei, dass sich die von ihm angegebenen Werte auf die maximal beobachtete Lebensdauer aller seiner Versuchstiere beziehen. Dieses Mass ist offenbar nicht nur ganz willkürlich, sondern auch falsch.) Bei seinen Versuchsreihen benutzte er nun jedesmal 25 Tiere in fünf Portionen zu je fünf In- dividuen. Bei Betrachtung seiner Resultate findet man, dass sie, ganz abgesehen von drei ganz herausfallenden Beobachtungsreihen, deren extreme Werte 30 und 360 Stunden sind, durchschnittlich um nicht weniger als 80 °/o schwankten. Dass solche Beobachtungen nicht als quantitativ bezeichnet werden können, leuchtet ohne weiteres ein. Demzufolge wurden in der vorliegenden Untersuchung zu jedem Versuche 25 Tiere benutzt; ausserdem wurden bei jeder Ver- suchsreihe fast immer zehn Versuche gemacht, so dass im Ganzen stets ungefähr 250 Tiere bei einer einzigen Konzentration beobachtet wurden. Wie die Lebensfähigkeit der Tiere von der Anzahl der Indivi- duen beeinflusst wird, so ist auch, nach den oben erwähnten Unter- suchungen von Bullöt!) die Menge der Versuchsflüssigkeit nicht ohne Einwirkung. Schon Semper’) stellte es als allgemein be- kannte Tatsache hin, dass das Wasservolumen einen bestimmenden Einfluss auf die Lebenstätigkeit der Tiere, vor allem auf das Wachs- tum, habe. Es wurde deshalb auch hier immer dasselbe Flüssigkeits- volumen (100 cem) benutzt, ebenso auch dieselbe Glasschale von 9,35 em Durchmesser. Die letzte Massnahme machte sich auch noch notwendig, da man bei verschiedener Flüssigkeitsoberfläche, die mit der Luft in Berührung kommt, verschiedene Resultate erhielt. Ex- perimente, bei denen die Versuchstiere in eine runde Schale von nur 4,4 em Durchmesser, die aber auch 100 eem normales See- wasser enthielt, gesetzt wurden, zeigten, dass der Tod hier nach durchschnittlich 15 Minuten eintrat, während die Lebensdauer in der sonst verwendeten Glasschale 17 Minuten betrug. Die Beobachtung, dass Volumen der Versuchsflüssigkeit und Art des Gefässes die Lebens- fähigkeit der Versuchstiere beeinflusst, konnte auch schon P. Bert?) DBullot, 1..c. 2) Semper, |. c. 3) P. Bert, Note sur la mort des poisons de mer dans l’eau douce. Mem. de la soc. des sc. phys. et nat. de Bordeaux t.4, 1 cah., suite. 1866. 310 Alfred Dernoscheck: bei seinen Experimenten mit Süsswasser an Seefischen machen. Brachte er sie nämlich in ein zylindrisches Gefäss mit einem Inhalt von 1,5 Liter, so starben die einen (les grisets) nach 43 Minuten, die anderen (les rougets) nach 14 Minuten, während sie in ungefähr 5 Liter fassenden Aquarien eine Lebensdauer von 86 bzw. 44 Minuten aufwiesen. Wie Wechsel des Volumens und Anzahl der Tiere ver- ändernd auf die Lebensdauer speziell bei Daphnia magna wirkt, wird später in zwei besonderen Abschnitten erörtert werden. Ein dritter Variabilitätsfaktor, der bei den Versuchen mitbe- rücksichtigt werden musste, war der Einfluss der Temperatur. Es wurde deshalb das Seewasser, in das die Versuchstiere gesetzt wurden, stets bei einer konstanten Temperatur von 19°C. gehalten. Sie wurde als die am günstigsten gelegene gefunden, erstens einmal, weil sie ungefähr der Temperatur entsprach, bei der die Tiere vorher in den Kulturen gehalten worden waren, und man deshalb beim Einsetzen in das Versuchsmedium einen Einfluss einer positiven oder negativen Temperaturvariation nicht zu befürchten brauchte, anderer- seits weil eine Versuchstemperatur von 19° C., die also ungefähr der Zimmertemperatur entsprach, sowohl im Winter als auch im Sommer am besten konstant gehalten werden konnte. Um dies zu erreichen, wurde die Versuchsschale in eine zweite grössere gesetzt, letztere war ihrerseits mit Wasser von 19°C, gefüllt, und zwar so, dass die Oberfläche des Wassers in der äusseren Schale über dem Niveau der Versuchsflüssigkeit stand. Die Schwankungen betrugen in den kurzen, selten über 1 Stunde betragenden, Versuchszeiten kaum einen halben Grad. Der Einfluss wechselnder Temperatur auf die Giftigkeit des Seewassers wird in einem besonderen Abschnitte eingehender besprochen werden. Der Gang der Versuche war nun folgender: Die Tiere wurden mittels Pipette auf Filtrierpapier gebracht, hier sehr schnell getrocknet, um das ihnen anhaftende Süsswasser so weit wie möglich zu be- seitigen; sodann wurden alle 25 Individuen gleichzeitig in die Ver- suchsschale mit Seewasser gesetzt. Die Bestimmung der Lebens- dauer bzw. «er. Giftigkeit erfolgte in der Weise, dass alle zwei Minuten die Anzahl der inzwischen verstorbenen Tiere festgestellt wurde. Letztere wurden stets sofort nach Eintritt des Todes heraus- genommen, um so eine Verunreinigung des Wassers etwa durch die aus den gestorbenen Tieren austretenden Stoffe möglichst zu vermeiden. Die folgende Tabelle 1 veranschaulicht den Gang derartiger Versuche. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 311 Tabelle. Beispiel zur Veranschaulichung der Versuchsanordnung. : Anzahl der B Anzahl der ze , gestorbenen Tiere A gestorbenen Tiere 10 Uhr 4 Min. eingesetzt 10 Uhr 16 Min. A. 10 $)) 6 „ TA 10 ” 18 ” 5 10 ” 8 ” Ts 10 ” 20 ” 1 kuss 10, — IE 2 3 ker 12.:, 1 103 m 2a, 2 Ur... 14, 1 10253, 2000: 2 Man erkennt aus der Tabelle, dass die grösste Anzahl von Tieren zwischen der 14. und 16. Minute des Versuchs starb. Noch deut- licher ergibt sich das Resultat aus Figur 1, in welcher als Abszisse die Zeit, als Ordinate dagegen die Anzahl der in der Zeiteinheit ge- storbenen Individuen aufgetragen wurde. Anzahl der in der Zeiteinheit gestorbenen Tiere. > 2 4 6 3 10 12 14 16 18 20 22 24 Minuten > Fig. 1. Beispiel zur Veranschaulichung der Versuchsanordnung. Waren nun von einer Versuchsreihe zehn Wiederholungen ge- macht worden, so konnte die Bestimmung der mittleren Lebensdauer noch in verschiedener Weise erfolgen. So kann man aus den zehn Einzelkurven eine einzige Sterblichkeitsfrequenzkurve Konstruieren, und der Zeitpunkt, der einem Gipfel der Kurve entsprach, also das Maximum, kann als die durchscehnittliche Lebensdauer angenommen werden ‘(in Figur 1 würde dies also 16 Minuten sein). Gegen diese Methode ist jedoch einzuwenden, dass zu einer solchen Bestimmung die Anzahl der untersuchten Individuen noch nicht gross genug ist, Sl Alfred Dernoscheck: und dass deshalb hier die individuellen Verschiedenheiten der Tiere zu sehr ins Gewicht fallen. Es wurde deshalb zur Gewinnung einer mittleren Lebenszeit folgendermassen verfahren: Aus jeder Einzel- kurve wurde das arithmetische Mittel genommen (in Fig. 1 wäre dies 15 Minuten) und aus diesem erst ein mittlerer Wert berechnet. Es schien diese Methode diejenige zu sein, welche die beste Reproduzierbar- keit der Versuchsresultate gestattete, und ihr wurde deshalb der Vor- zug gegeben. Nebenbei sei nur noch erwähnt, dass beim Vergleich der auf beide Arten gewonnenen Resultate nur selien eine Abweichung von mehr als einer Minute festgestellt wurde (verel. Tabelle 2), so dass die etwa vorhandenen methodischen Fehler nicht sehr gross sein können, zumal wenn man in Berücksichtigung zieht, dass es sich hier um biologische Messungen handelt. Im übrigen zeigt z.B. Tabelle 2, dass beim Vergleich einer grossen Anzahl von Messungen sowohl die Berechnung der Giftigkeit durch das arithmetische Mittel als auch nach dem Frequenzmaximum der Sterblichkeit weitgehend übereinstimmende Resultate ergibt. 2. Versuche über die Giftigkeit von natürlichem See- wasser (inNormalkonzentration) bei konstanter Tem- peratur. Um ein genaues Bild von der Giftwirkung des Seewassers auf Daphnia magna zu gewinnen, wurden zunächst Versuche mit normalem Seewasser bei einer konstanten Temperatur von 19° (Zimmer- temperatur) gemacht. Im Verlaufe der weiteren Untersuchungen, speziell der später zu besprechenden Anpassungsvorgänge, wurden nun, um die normale Lebensdauer der Tiere im Seewasser zu kontrollieren, diese Versuche des öfteren wiederholt, und es liess sich dabei konstatieren, dass die Lebensdauer um einige Minuten schwankte. Die genauen dabei gefundenen Resultate finden sich in folgender Tabelle 2 (S. 315). Es ergibt sieh aus der Tabelle zunächst, dass sowohl die Be- rechnung der Giftiekeit mit Hilfe des arithmetischen Mittels als auch des Frequenzmaximums zu übereinstimmenden Resultaten führt. Die durehsehnittliche Lebensfähigkeit von Daphnia magna in Normal- seewasser von 3,2 %/o beträgt also bei 19°C. 17 Minuten, die Giftigkeit 1 des Seewassers ( gleich der reziproken Lebensdauer — Lebensdauer dementsprechend — Für die trotzdem beobachteten Variationen in Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere et. 313 Tabelle 2. Giftigkeit von normalem Seewasser für Daphnia magna. Tem- Anzahl Nreihll Arithmet. Frequenz- Datum peratur der Dan Mittel maximum Y ii. 0 .| Versuche, Versuche Be Tiere ee |, STR Min. 13. Juli 1909 | 18%4—19 6 6x 25 15 16 22. Jan. 1910 19 8 8>x<25 13 18 24. Febr. 1910 19 3 3>x<25 19 18 25. April 1910 19 5 3x 25 18 16 80. Mai 1910 19 4 4><25 17 14 6. Juni 1910 19 4 4x.25 15 18 21. Juni 1910 19 3 3x25 16 17 22. Aug. 1910 19 1 12225 15 14 23. Aug. 1910 19 2 2 >= 25 18 19 28. Okt. 1910 19 3 >< 25 17 18 2. Nov. 1910 19 3 3 ><25 16 16 MaRebr. 1911 |. +. 19 1 on RD ee Gesamtzahl der Tiere: Mittel: Mittel: ER 1175 16,8 Min. 17 Min. der Resistenzfähigkeit der Tiere können nun verschiedene Gründe geltend gemacht werden. Erstens muss die Temperatur in Rücksicht gezogen werden, bei der die Versuchstiere vorher in den Kultur- gläsern gehalten worden waren. Aus technischen Gründen war es nämlich nieht möglich, diese Zuchttemperatur völlig konstant zu be- kommen. Zweitens hat wahrscheinlich auch die Ernährung einen Einfluss auf die Widerstandsfähigkeit der Tiere, ebenso wohl auch die Anzahl der Tiere, die sich zusammen im Zuchtglas befanden. 3. Einfluss der Konzentration. An die im vorigen Abschnitte beschriebenen Versuche über die Giftiskeit von normalem Seewasser schliessen sich unmittelbar die im Folgenden beschriebenen an, die den Einfluss der Konzentration des Seewassers näher kenntlich machen sollen. Begonnen wurde mit einer Konzentration von 0,4 normal = 1,28) und stufenweise fortzefahren bis zu einer ungefähr gesättigten Lösung von ca. 35 /o, letztere wurde nicht durch Eindampfen von natürlichem Seewasser gewonnen, sondern durch Lösen von käuflichem Seesalz (nicht Koch- salz) in destilliertem Wasser. Eine noch verdünntere Lösung als die oben erwähnte Anfangskonzentration in die quantitative Untersuchung einzubeziehen, erschien nach entsprechenden Vorversuchen nicht rat- Sam; denn bei 0,3 normal —= 0,96 °/ war die Giftwirkung schon eine recht geringfügige, die Lebensdauer erstreckte sich auf länger als eine Stunde, eine Tatsache, die das Erreichen möglichst grosser 2314 Alfred Dernoscheck: Genauieckeit, wie sie in der vorliegenden Untersuchung angestrebt wurde, unmöglich machte. Denn die Variabilität der Lebensfähigkeit nimmt. natürlich stark zu mit der Zeit, während der die Tiere der Untersuchung unterzogen werden (siehe weiter unten). Die folgende Tabelle 3 enthält die genauen Resultate dieser Versuche. Tabelle 3. Giftigkeit des Seewassers auf Daphnia magna bei wechselnder Konzentration. Konzentration natürlichen Anzahl Anzahl Seewassers —n, n— 3,2% Lebensdauer der Versuche der Tiere in Minuten N fo 10 10 >25 0,4 1,28 65 10 10 >25 0,5 1,60 34 10 10 >25 0,6 1,92 25 2 225 0,65 2,08 23 6 6>=25 0,7 2,24 22 2 2.><25 0,75 2,40 20 10 10 >25 0,8 2,56 19 10 10x25 1,0 320 17 3 3>—<258 1,3 4,16 14 4 4><25 1,5 4,80 11 10 10 >25 2,0 6,40 9 4 4><25 4,0 12,80 8 2 2>=<25 11,0 35,20 5 Wie erwähnt, zeigten bei den niedrigen Konzentrationen die Werte der Lebensdauer ganz bedeutende Schwankungen. So betrug z. B. bei 1,28°/o die kleinste beobachtete mittlere Lebensdauer 50 Minuten, die grösste dagegen 75 Minuten, das würde also einen Unterschied von 50° ergeben. Die Erklärung für dieses Verhalten ist offenbar folgende: mit abnehmender Konzentration wird auch die schädigende Wirkung des Seewassers auf Süsswassertiere eine weniger intensive. Infolgedessen kommen bei der entsprechend längeren Versuchsdauer die individuellen physiologischen Verschiedenheiten der Einzeltiere viel mehr zur Geltung als bei den kürzeren Versuchs- zeiten, welche den höheren Giftigkeiten entsprechen. Ausserdem wurde hier auch wegen der langen Versuchsdauer bis auf 2 Stunden nicht wie sonst aller 2 Minuten kontrolliert, sondern nur aller 5 Minuten wurde die Zahl der in dieser Zeit verstorbenen Tiere festgestellt. Vielleicht sind auch auf diese etwas andere Versuchs- anordnung manche Fehler zurückzuführen. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 315 Die Abhängiekeit des toxischen Effektes des Seewassers von der Konzentration kann in anschaulicher Weise durch eine Kurve dargestellt werden, in der als Abszissen die Konzentrationen, als ÖOrdinaten die entsprechenden Lebenszeiten aufgetragen wurden. Tabelle 3 und Figur 2 zeigen nun, dass die Giftigkeit, die bei 0,4 normal (= 1,28 /o) noch ziemlich geringfügig ist, etwa bei der Konzentrationserhöhung auf 0,5 normal (= 1,6°/0) recht rasch zu- nimmt. Die Lebensdauer geht von 65 auf 34 Minuten, also un- ıl 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Konzentration (1 = norm. = 3,2%) —_ Fig. 2. Veranschaulichung der Abhängigkeit der Giftigkeit des Seewassers von der Konzentration. gefähr auf die Hälfte, herab. Ausserdem zeigt die Kurve auch noch, dass die Wirkung der Konzentrationsunterschiede bei den mittleren Konzentrationen am grössten und deshalb auch hier die Krümmung der Kurve am stärksten ist; allmählich wird sie flacher und verläuft schliesslich assymptotisch und fast geradlinig zur Abszissenachse. Eine weitere Untersuchung der extremen, hier nicht in Betracht gezogenen Konzentrationen würde also bei graphischer Darstellung ‚ nur eine ungefähr geradlinige Verlängerung der beiden Kurvenäste ‘ ergeben. Es ist mithin das für die quantitative Untersuchung hier ausgewählte Konzentrationsgebiet das wichtigste und interessanteste. Bei der grossen Steilheit des ersten Schenkels könnte man von einem kritischen Konzentrationsgebiete sprechen, in welchem die Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 22 316 Alfred Dernoscheck: Giftigkeit des Seewassers sich auf Daphnia magna merkbar zu machen beginnt. Dies wäre ungefähr die niedrigste, hier noch herangezogene Konzentration oder eine nur wenige kleinere, also etwa 0,4 norm. (= 1,280/o) oder vielleicht noch richtiger ca. einprozentiges See- wasser. Unterhalb dieser Konzentration wären also nur erst nach Tagen oder Wochen schädliche Effekte zu erwarten. In der Tat haben noch weiter unten zu besprechende Versuche gezeigt, dass z. B. in Lösungen von einer Konzentration von "/ıs norm. (= 0,2 °/o) erst nach Wochen merklich schädigende Effekte nachzuweisen waren. Es ist von Interesse, dass nicht nur Wo. Ostwald!) bei seinen Versuchen mit Gammarus eine ganz ähnlich gestaltete Kurve erhielt; sondern auch J.; Loeb°) in seinen Untersuchungen über die Giftig- keit umgekehrt von Süsswasser auf Seewasseramphipoden ein analoges Verhalten feststellen konnte, da „up to a certain limit of dilution the duration of life decereases but little with additional dilution; then, however, from a certain limit on, the decrease in the duration of life takes place very rapidly“. Ostwald glaubte daraus schliessen zu können, dass der starke Abfall der Kurven, der in beiden Fällen ganz gleichartig ist, auch eine gemeinsame Ursache haben werde, und hielt in beiden Fällen den Vorgang für einen Koagulations- vorgang, der jain analoger Weise bei Verdünnung oder Konzentrations- erhöhung der in kolloiden Lösungen vorhandenen oder zugesetzten Elektrolyte plötzlich auftreten kann. Doch sollen derartige Er- wägungen erst später, bei der Besprechung der Theorie der Gift- wirkungen, angestellt werden. 4. Einfluss der Temperatur. Im Folgenden seien die Resultate der Versuche über den Ein- tluss wechselnder Temperatur auf die Giftwirkung des Seewassers wiedergegeben. Die Versuche wurden angestellt mit normalem Seewasser von 5, 15, 25, 35 und 45° C.; die dabei erhaltenen Resultate ersieht man aus folgender Tabelle 4 (S. 317). Zu dieser Tabelle ist nun zunächst zu bemerken, dass das über- aus schnelle Sterben der Versuchstiere bei der höchsten Temperatur | von 45° C. weniger auf die Vermehrung der giftigen Wirkung des 1) Wo. Ostwald, 1. c. 2) J. Loeb, On the relative toxieity of distilled water, sugar solutions and sol. of the various constituents of the sea-water for marine animals. Univ. of Calif. Publ. vol. 1 no. 7 p.58. 1903. 72 Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 317 Tabelle 4. Giftigkeit des Seewassers bei wechselnder Temperatur. Anzahl Anzahl Temperatur | Lebensdauer der Versuche | der Tiere °C Min. 15 15 x 25 5) 41 10 10 x 25 15 18 10 10 >< 25 25 10 b) 9>< 25 35 b) 2 2>< 25 45 2 | Salzgehaltes zurückzuführen ist, als vielmehr auf die für den lebenden Organismus an und für sich schädliche hohe Temperatur. So zeigten auch Parallelversuche, bei denen die Versuchstiere in Süsswasser von 45° C. gebracht wurden, dass auch hier genau so wie bei den vorhergehenden Versuchen mit Seewasser nach Veriauf von 2 Minuten alle Individuen abgestorben waren. Dies erscheint plausibel, da es allgemein bekannt ist, dass die meisten Organismen, die nicht durch ständigen Aufenthalt an hohe Temperaturen au- gepasst sind, bei plötzlicher Temperaturerhöhung auf ca. 4—50°C. sehr schnell sterben, sehr wahrscheinlich einfach infolge Gerinnung des Protoplasmas. Nach Semper!) tritt in der Tat diese Ge- rinnung des tierischen Plasmas gewöhnlich bei 40—50 °C. ein, eine Tatsache, die ganz mit dein übereinstimmt, was auch vom pflanz- lichen Plasma bekannt ist. Von Einzelheiten sei noch erwähnt, dass die ınittlere Lebens- dauer bei den Versuchen bei 5° C. recht bedeutende Schwankungen zeiste. Die Erklärung dafür ist offenbar analog der auf Seite 314 für die Variabilität bei niederen Konzentrationen gegebenen. Die Abhäneickeit der Lebensdauer der Tiere von der Tempera- tur wird in folgender Fig. 3 graphisch dargestellt, wobei als Ab- szissen die Temperaturen, als Ordinaten die entsprechenden Lebens- zeiten abgetragen wurden. Die Kurve zeigt, dass einer Erhöhung der Temperatur um 10° ungefähr eine Verdoppelung der Giftigkeit entsprieht. Bilden wir nämlich die Verhältnisse der Lebensdauer bei einer bestimmten Temperatur zu derjenigen bei einer um 10° höheren, so finden wir dafür immer ungefähr den Wert zwei. Es ergeben sich nämlich . die Quotienten: l) Semper, l. c. 318 Alfred Dernoscheck: Lebensdauer bei 5° 41 Lebensdauer bei 150 18 Lebensdauer bei 15° En 18 2 le Lebensdauer bei 25° 10 Bun Lebensdauer bei 25° 10 Lebensdauer bei 5° 5 lk Man bezeichnet diese Verhältnisse pro 10° Temperaturerhöhung nach dem Gebrauch in der physikalischen Chemie als Temperatur- koeffizienten. Der numerische Wert dieser Temperaturkoefhi- zienten beträgt nun bei der Mehrzahl reiner physikalisch-chemischer Reaktionen nach van’t Hoff zwei bis drei. Wie bekannt, hat sich 50 1 o 30 20 Lebensdauer in Minuten > 10 50 100 15° 200 250 300 359 409 450 Temperatur > Fig. 3. Veranschaulichung der Abhängigkeit der Giftigkeit des Seewassers von der Temperatur. auch bei der Berechnung des Temperatureinflusses auf eine ganze Anzahl biologischer Erscheinungen, wie Trockensubstanzneubildung, Längenwachstum, Atmung, Resorption von Nährstoffen, Kohlensäure- produktion, weiterhin enzymatische Zersetzung bei Emulsin usw., ein numerisch häufig zwischen zwei und drei liegender Temperatur- koeffizient ergeben!). Der hier gefundene Wert schliesst sich diesen Feststellungen an. Allerdings soll hervorgehoben werden, dass im 1) Nähere Angaben darüber siehe Przibram, Anwendung der elementaren Mathematik auf biologische Probleme. Roux, Vorträge und Aufsätze über Entwicklungsmechanik S. 29. Leipzig 1908. — Höber, Chemische Physiologie der Zelle. Leipzig 1906. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 319 Gegensatz zu einigen neueren Autoren (wie J. Loeb) aus der Über- einstimmung der Temperaturkoeffizienten chemischer und biologischer Vorgänge nicht ohne weiteres gefolgert werden darf, dass auch die letzteren „rein chemisch“ sind. Denn abgesehen davon, dass es sehr kleine Temperaturkoeffizienten auch für offenkundig chemische, z. B. photochemische, Reaktionen gibt, lassen sich auch physikalische Reaktionen mit ähnlich hohen Temperaturkoeffizienten namhaft machen. Zu gleichen Resultaten betreffend den Einfluss der Temperatur kam auch Warren!'). Die folgende Tabelle 5 bringt seine Be- funde, wobei jedoch seine Versuchsdaten umgerechnet wurden, d.h. aus ihnen das arithmetische Mittel genommen wurde. Tabelle 5. Einfluss der Temperatur auf die Giftigkeit von NaCl auf Daphnia magna (nach Warren). ; Lebensdauer Lebensdauer Temperatur in 1,6% NaCl | in 2,0% Nacı DIE Min. Min. 2 E= 74 3 94,5 = 7 70 — 14 46,5 30,3 21 29,8 21 25 22,5 18,5 29,5 15,9 14,5 33 14,5 ® 35 = 9,5 Es zeigt sich, dass auch hier der Temperaturkoeffizient ungefähr zwei ist. Es sei darauf hingewiesen, dass nach den vorliegenden Unter- suchungen die Wirkung von normalem Seewasser bei 5° C. genau denselben Effekt hat wie halbnormales bei der gewöhnlichen Ver- suchstemperatur von 19° C., während eine Steigerung der Tempera- tur auf 35°C. die Giftigkeit in dem Masse hob, dass sie gleichkam derjenigen des gesättigten Salzwassers. Es ist in diesem Zusammenhange von Interesse, einige Beob- achtungen in Erinnerung zu bringen, die Schmankewitsch?) DoWarren, ]. c. 2) Schmankewitsch, Zur Kenntnis des Einflusses der äusseren Lebens- bedingungen auf die Organisation der Tiere. Zeitschr. für wissenschaftl. Zool. Bd. 29 S. 429-494. 1877. 390 Alfred Dernoscheck: ud über die Wechselwirkung von Temperatur und Salzgehalt in der freien Natur machte. In der Umgebung von Odessa fand er Daphnia reetirostris sowohl in Süsswasserbassins als auch in Salzpfützen und im Chadschibaisky-Salzsee, der eine Salzkonzentration von 5—8 Jo besass. Die in den verschiedenen Medien lebenden Tiere zeigten manche Eigentümlichkeiten, von denen uns hier nur die von der Temperatur abhängenden interessieren. Er konnte konstatieren, dass die für Daphnia reetirostris günstige Temperatur in den Salz- tümpeln und in dem noch salzreicheren See eine viel niedrigere war als die für Süsswassertiere günstige, so dass die, eigentlich eine Sommerform der Süsswasser-Daphnia darstellende, Daphnia im Salz- wasser zu einer Herbstform wurde. Sie fand sich im Salzsee bei einer Konzentratrion von 4—8°/o bis zum Spätherbst vor und gebar selbst noch bei einer Temperatur lebendig, bei der die Süss- wasserform nicht mehr zu leben vermochte. Weiterhin fand er, dass Daphnia reetirostris im Sommer eine Konzentration des Salzsees von 6°/o nieht aushalten konnte, während sie in einer ungeheuren Zahl von Exemplaren ganz gut in demselben Salzsee Ende Oktober und Anfang November bei 8°o ausdauerte und da sogar noch lebendige Junge gebar. Bei der Zucht von Daphnia reetirostris konnte er sich auch überzeugen, dass die aus dem Salzsee stammen- den Tiere auch bei einer niedrigeren Konzentration leben konnten: nur forderten sie hierbei eine höhere Temperatur. In derselben Arbeit berichtet Schmankewitsch auch noch über seine Befunde an Artemia, von denen hier nur folgendes er- wähnt sein mag. Verdünnte er bei der Zucht dieser Salzwasserform zu stark, so wurden die Tiere zusehends entkräftet. Erhöhte er aber im rechten Augenblick, anstatt die Konzentration zu verstärken, die Temperatur um einige Grade, so wurden die Tiere wieder munter und lebten im verdünnten Salzwasser bei entsprechend er- höhter Temperatur ganz gut. Das Entgegengesetzte bemerkte er bei zu grosser Verstärkung der Konzentration. Erniedrigte er in diesem Falle, an Stelle der Verdünnung des Salzwassers, die Tem- peratur, so erholten sich die Individuen und lebten bei einer niedrigeren Temperatur ganz ausgezeichnet in dem für sie eigentlich zu konzentrierten Salzwasser. Sehmankewitsch bringt auch eine Erklärung des Temperatureinflusses, die jedoch schon Semper für nicht einwandfrei hielt. Er sagt nämlich: Diese Erscheinungen, abhängig von der Temperatur, zeigen durchaus nichts Ungewöhnliches, Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere et. 321 wenn man bedenkt, dass Daphnia rectirostris zum Leben einen be- stimmten Luftgehalt des Wassers nötig hat, und dass es ganz gleich- gültig ist, wie dieser reguliert wird. Der Luftgehalt des Salzwassers ist nun um so kleiner, je grösser die Konzentration ist, woraus folgt, dass Süsswasser mehr Luft enthalten muss als irgendein Salzwasser bei derselben Temperatur. Es ergibt sich nun ferner, dass auch in einem Salzwasser von bestimmter Konzentration bei entsprechend niederer Temperatur eine ebenso grosse Luftmenge enthalten sein kann wie im Süsswasser. Somit ist es nun auch verständlich, dass der Gehalt an Luft im Salzwasser des Chaidschibaisky-Sees Ende Oktober bei 8°/o annähernd derselbe sein kann wie der des Süss- wassers im Sommer. Er versucht also alles durch den wechselnden Luftgehalt bei verschiedener Temperatur zu erklären, übersieht aber - bei seiner Deutung die zweifellos vorhandene Giftwirkung des Salzes und ihre Variation mit der Temperatur gänzlich. Analoge Temperatureinflüsse auf andere Giftwirkungen sind mehrfach bekannt geworden. So fand z. B. Richet!): Setzt man bei verschiedener Temperatur Frösche in eine Mischung von Wasser und Chloroform, so ist der Effekt, entsprechend der Temperatur, ein recht verschiedener. Ist die Temperatur 0°, so kann man fast keine Giftwirkung konstatiereu, während sie bei ungefähr 32° eine sanz unmittelbare ist. Dasselbe gilt auch für ein Gemisch von Wasser und Alkohol. Bei 0° ist die toxische Wirkung gleich Null; sie nimmt aber entsprechend der Erhöhung der Temperatur zu. 5. Theorie der Giftwirkung. Die Dynamik dieser Giftwirkungen des Salzwassers ist nun zu den verschiedenen Zeiten verschieden erklärt worden. Die älteren Physiologen sahen die deletäre Wirkung des Seewassers als den Effekt eines rätselhaften spezifischen Giftes an, eine Ansicht, mit der P. Bert?) brach, indem er darauf hinwies, dass der Kochsalzgehalt 1) Nähere Angaben s. Davenport and Neal, Acclimatization of Organisms to poisonous chemical Substances. Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 2 Heft 4 S. 564-583. 1896. 2) P. Bert, Note sur la mort des poisons de mer dans l’eau douce. Mem. de la soc. des sc. phys. et nat. de Bordeaux t. 4, 1 cah., suite. 1866. — P. Bert, Sur les phenome£nes et les causes de la mort des animaux d’eau douce que l’on plonge dans P’eau de mer. Compt. rend. t. 73 p. 382—385, 464—467. 1871. — P. Bert, La mort des animaux d’eau douce que l’on immerge dans l’eau de mer. Compt. rend. Soc. Biol. t. 23 p. 59-61. 1873.. 322 Alfred Dernoscheck: des Meerwassers allein schon genüge, um die Wirkung, wie er meinte, „rein physikalisch“ zu erklären. Und zwar sah er in der grossen Dichte des Seewassers das schädigende Moment, allerdings ohne des näheren auszuführen, in welcher Weise ein grösseres spezifisches Gewicht des Mediums ein Erlöschen der physiologischen Funktionen der Versuchstiere zur Folge haben kann. Es ist indessen zu vermuten, dass dieser Forscher die osmotischen, d. h. wasserentziehenden Effekte konzentrierterer Salzlösungen hier im Auge gehabt hat. P. Bert wurde mit diesen Ansichten der Begründer der Theorie von der „rein physikalischen oder osmotischen Natur“ der Giftwirkungen der Salze. Plateau!) konnte sich damit nicht einverstanden erklären, denn er schreibt: Der Unterschied der Dichte zwischen Süss- und Meerwasser erklärt keineswegs den Tod der Süsswasser-Artikulaten im Salzwasser. Um diesen seinen Satz zu stützen, stellte er folgenden Versuch an: Mit Hilfe eines Fahrenheit’schen Areometers machte er eine Zucker- lösung von derselben Dichte wie frisches Seewasser; in diese brachte er nun seine Versuchstiere. Wäre nun der Dichtenunterschied der einzire Grund des eintretenden Todes, so müsste man eine Parallele beobachten können zwischen der Lebensdauer der Tiere im See- wasser und in der Zuckerlösung von derselben Dichte. Diese existierte nicht, und er schloss deshalb folgendermassen: Es finden sich im Meerwasser Salze, NaCl und MgC],, die auf diejenigen Süss- wassertiere schädigend wirken, welche sie schnell absorbieren. Frei- lich ist hier zu bemerken, dass seine Schlussfolgerung nicht ganz einwandfrei ist; denn bekanntlich hat eine Rohrzuckerlösung, auch wenn sie die gleiche Dichte wie Seewasser besitzt, wegen des hohen Molekulargewichtes des Zuckers einen niedrigeren osmotischen Druck. Die meisten Autoren hielten aber doch an der osmotischen Er- klärung der Wirkung des Salzwassers fest, und so finden wir auch noch bei v. Fürth?) die Ansicht vertreten, dass die Giftwirkung des Seewassers, wenn auch nicht ausschliesslich, so doch zum grössten Teil in seiner Hypertonizität bestehe, oder, mit anderen Worten, dass der Tod der Tiere herbeigeführt würde durch einen über- mässigen Wasserentzug seitens der hypertonischen Salzlösung. In seiner Meinung wurde v. Fürth auch noch bestärkt durch die 1) Plateau, Recherches physico-chimiques sur les Articules aquatiques. Mem. publ. de l’Acad. de Belgique p. 36. 1871. Damkäuntih>Rleue: Studien über die Giftigkeit von Seewasser für ‚Süsswassertiere etc. 3923 Arbeit von Warren!), die zeigte, dass die deletäre Wirkung des Salzwassers um so grösser erschien, je mehr der osmotische Druck durch Erhöhung der Temperatur gesteigert würde; im Sinne der kinetischen Anschauung vom Wesen des osmotischen Druckes ver- möchte ja auch eine Steigerung der Temperatur wie die der Kon- zentration die Anzahl der in der Zeiteinheit gegen die Oberfläche des Tieres anprallenden Moleküle zu erhöhen. So waren ihm die Versuche von Warren eine schöne Illustration der rein physikali- schen Natur der Salzwirkungen. In der Folgezeit wurde nun die Annahme von der vorwiegend physikalischen Natur der Giftwirkungen mehr und mehr erschüttert. Durch das Vorhandensein der zuerst besonders von J. Loeb?) studierten und allgemeiner charakterisierten sogenannten ant- aconistischen Salzwirkungen wurde die Rolle des osmotischen Druckes bei der Dynamik der Salzwirkungen allmählich illusorisch gemacht. Es gelang nämlich, die Giftwirkung eines Salzes, so z. B, des NaCl, dadurch wenigstens teilweise aufzuheben, dass man KCl oder MseCl, zu der Lösung hinzusetzte, wodurch jene natürlich osmotisch konzentrierter wurde. Die Gültigkeit dieses Prinzips der Entsiftung von Salzlösungen durch Zusatz weiterer Salze fand sich nicht nur bei der Giftwirkung gelöster Salzmengen auf Süsswasser- organismen, sondern auch bei den Salzwirkungen auf Seewassertiere und ganz besonders auf Pflanzen. J. Loeb°) konnte konstatieren, dass eine mit Seewasser isotonische NaCl-Lösung auf Seewasser- organismen fast ebenso giftig wirkte wie destilliertes Wasser. W. Ostwald‘) fand, dass eine Lösung, die nur das Kochsalz des Meerwassers enthielt, ganz bedeutend eiftiger war als selbst kon- zentrierteres Seewasser. Beide Male konnte die Giftigkeit der NaCl- Lösungen durch Zusatz anderer Salze bedeutend vermindert werden. Im speziellen konnte gezeigt werden, dass die Giftigkeitskonzentra- tionskurve des Seewassers auf Süsswasser-Gammarus hypothetisch l) Warren, ]. c. 2) J. Loeb, Vorlesungen über die Dynamik der Lebenserscheinungen S. S1 und 112. Leipzig 1906. 3) J. Loeb, Über die relative Giftigkeit von destilliertem Wasser, Zucker- lösungen und Lösungen einzelner Bestandteile des Seewassers für Seetiere. Pflüger’s Arch. Bd. 97 S. 394. 1903. 4) Wo. Ostwald, Versuche über die Giftigkeit des Seewassers für Süss- wassertiere. Pflüger’s Arch. Bd. 106 S. 570. 394 Alfred Dernoscheck: aufgebaut werden konnte, dadurch, dass man zu einer NaÖl-Lösung von einem Gehalt, welcher der im normalen Seewasser enthaltenen NaCl-Menge entsprach, die anderen Salze in entsprechenden Quanti- täten hinzufügte. Ganz besonders schlagend waren die Beweise, , die für derartige antagonistische Salzwirkungen auf botanischem Ge-- biete Osterhout!) gegeben hat. Alle diese Tatsachen schlossen es offenbar gänzlich aus, dass osmotische Vorgänge hier irgendwie eine‘ ausschlaggebende Rolle spielen könnten. Weiterhin wurde geltend gemacht, dass, wenn die wasserentziehende Wirkung konzentrierter Lösungen der einzig ausschlaggebende Faktor der Giftwirkung wäre, dann die Giftigkeit der hypertonischen Lösung unbedingt proportional sein müsste ihrer Konzentration. Es müsste demnach die Giftiekeits- kurve, wenn auch nicht eine gerade, so doch mindestens eine‘ = stetige Form aufweisen. Dies fand sich nun keineswegs bestätigt, sondern ganz im Gegenteil zeigten alle gefundenen Kurven bei einer! 2 bestimmten Konzentration einen ausgesprochenen, ganz rapiden steilen Abfall. Letzterer trat nun nicht, wie man eigentlich an- nehmen sollte, bei gleicher osmotischer Konzentration der Aussen- lösung ein, sondern unter Umständen wirkte im Gegenteil eine ver- dünnte Lösung bedeutend giftiger und liess demnach den kritischen Punkt, bei welchem die vorher kaum nachweisbare Giftwirkung plötzlich einen ganz ausserordentlich schnellen Zuwachs erfuhr, ent- sprechend eher erscheinen. Ferner konnte J. Loeb?) zeigen, dass, ı wenn er Seewasseramphipoden plötzlich in Süsswasser oder destil- liertes Wasser brachte, keineswegs, wie man bis dahin allgemein seglaubt hatte, die Wasseraufnahme seitens des Tieres der einzige schädliche Faktor war, sondern dass mit grosser Wahrscheinlichkeit einige Salze, die der Organismus zum Leben unbedingt nötig hat, aus ihm herausgewaschen wurden. Zu ähnlichen Resultaten ge- langte auch Quinton?), der konstatieren konnte, dass die äussere 1) Nähere Angaben siehe Wo. Ostwald und A. Dernoscheck, Über die Beziehungen zwischen Adsorption und Giftigkeit. Zeitschr. f. Chemie u. Industrie der Kolloide Bd. 6 Heft 6 S. 305. 1910. 2) J. Loeh, Über die relative Giftigkeit von destilliertem Wasser, Zucker- - lösungen und Lösungen einzelner Bestandteile des Seev/rassers für Seetiere. Pflüger’s Arch. Bd. 97 S. 394. 1903. — J. Loeb, On the relative toxicity of ! distilled water, sugar solutions and sol. of the various constituents of the sea- - water for marine animals. Univ. of Calif. Publ. vol. 1 no. 7 p. 58. 1903. 3) Quinton, Permeabilit de la paroi exterieure de l’Invertebre marin, non | seulement ä l’eau mais encore aux sels. Compt. rend. t. 131 p. 952. 1900. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 325 Membran der Seetiere nicht nur für Wasser, sondern auch für Salze durchlässig sei. Analoge Verhältnisse ergaben sich ferner bei der Wirkung des Seewassers auf Süsswassertiere, und somit war festgestellt, dass die rein physikalische Erklärung keineswees den Tatsachen entsprechen konnte. In neuerer Zeit sind nun von Wo. Ostwald!) die Konsequenzen aus dieser Sachlage gezogen und eine neue physikalisch-chemische Theorie der Giftwirkung von Neutralsalzen auf Süsswasserorganismen entwickelt worden. Vergleicht man die Zunahme der Giftigkeit mit derjenigen der Salzkonzentration, so ergibt sich, dass die Giftigkeit in den relativ verdünnten Lösungen sehr viel stärker zu- nimmt als in den konzentrierteren. Der steile Abfall in der Fie. 2 (S. 315) ist offenbar die graphische Darstellung dieser Tatsache. Nun sind aber in neuerer Zeit eine Gruppe physikalisch-chemischer Erscheinungen näher untersucht worden, welche genau die gleiche charakteristische Konzentrationsabhängigekeit zeigen. Dies sind die Vorgänge der Adsorption, wie sie z. B. in typischer Weise bei der Entfärbung von Flüssiekeiten durch Tierkohle usw. auftreten. Auch für diese Erscheinungen ist charakteristisch, dass bei kleinen Konzentrationen des Adsorpendums (z. B. des Farbstoffes) re- lativ grosse Mensen adsorbiert werden, und dass das Verhältnis zwischen aufgenommenen (adsorbierten) und in der Lösung zurück- gelassenen Stoffmengen bei höheren Konzentrationen immer auch unsünstiger für die aufgenommenen Mengen wird, so dass bei sehr hohen Konzentrationen schliesslich die aufgenommene Menge prak- tisch unabhängig von der Konzentration, d. h. mit anderen Worten konstant wird. Offenbar entsprechen die Giftigkeits-Konzentrations- kurven zunächst rein äusserlich vollkommen diesen Adsorptionskurven. In der Tat wird z. B. auch die Giftigkeit bei sehr hohen Konzen- trationen nur um ein relativ Geringes grösser. Die Kurve nähert sich mit anderen Worten bei den höchsten Konzentrationen einer Horizontalen. Es liess sich also eine rein äusserliche Übereinstimmung zwischen den gefundenen Giftigkeitskurven und den Adsorptions- kurven feststellen, und der Versuch, die deletäre Wirkung von Salz- lösungen auf Organismen zu vergleichen mit den Adsorptionsvorgängen, wurde dureh weitere Befunde anderer Forscher gestützt. Schon l) Wo. Ostwald. Über die Beziehungen zwischen Adsorption und Giftig- keit von Salzlösungen für Süsswassertiere. Pflüger’s Arch. Bd. 120 S.19—30. 1907. 326 Alfred Dernoscheck: 1899 gelangten unabhängig voneinander J. Loeb!) und Wo. Pauli?) zur Ansicht, dass das Eiweiss und speziell das tierische Gewebe im- stande sei, mit den Ionen der das Eiweiss umspülenden Salzlösung lockere Verbindungen, sogenannte Additionsverbindungen, einzugehen. Auf Grund seiner Untersuchungen über die Rolle der Ionen bei den verschiedenen physiologischen Vorgängen entwickelte J. Loeb die Vorstellung, dass im Plasma Salzionen-Eiweissverbindungon existierten. Unter diesem Gesichtspunkte stellte auch sein Schüler T. B. Robert- son?) eine grosse Reihe physiologischer und biologischer Versuche an und vermochte die. Angemessenheit der bezeichneten Idee in viel- facher Hinsicht zu bestätigen. Aus anderen Experimenten war nun schon bekannt, dass Eiweissstoffe sowohl mit ganzen Salzmolekeln (Schwermetalle) als auch mit vielen anderen Stoffen (wie Farb- basen und Säuren) lockere Verbindungen in nichtstöchiometrischen Verhältnissen einzugehen vermögen. Wo. Ostwald suchte diesen Beeriff der „lockeren, nicht stöchiometrisch zusammengesetzten Ionen- Eiweissverbindungen“ insofern näher zu präzisieren, als er sie unter die Klasse der sogenannten „Adsorptionsverbindungen“ einreihte, d. h. unter die Produkte von Adsorptionsvorgängen, wie sie z. B. häufig beim Vermischen von Kolloiden mit molekular aufgelösten Stoffen entstehen. Auf Grund dieser Erwägungen ergab sich die Möglichkeit, die Gesetzmässigkeiten der Adsorptionserscheinungen zum theoretischen Verständnis der Giftwirkungen der Salze heran- zuziehen. Man konnte z. B. annehmen, dass die Eiweissstoffe in den Zellen der Süsswasserorganismen die in dem sie umgebenden Medium im Überschuss enthaltenen Salze aufspeichern (adsorbieren). Als Folge dieser anormalen Salzaufnahme sind nun aber nachdrück- lich physikalische und chemische, z. B. auch kolloidehemische, Ver- änderungen im Stoff- und Kraftwechsel des Organismus anzunehmen. Erreicht diese adsorbierte Salzmenge gewisse kritische Quantitäten, so sind die normalen regulatorischen Fähigkeiten des Organismus nicht mehr imstande, einen Ausgleich der veränderten physikalisch- 1) J. Loeb, Über die Ähnlichkeit der Flüssigkeitsresorption in Muskeln und ın Seifen. Pflüger’s Arch. Bd. 75 S. 303—809. 1899. 2) Wo. Pauli, Die physikalischen Zustandsänderungen der Eiweiss- körper. Pflüger’s Arch. Bd. 78 S. 315. 1899. 3) T. B. Robertson, Studien zur Chemie der Ionen-Eiweissverbindungen. 1.‘ Ptlüger’s Arch. Bd. 110. S: 610. 1905..M., Ill., IV. Journ. ‚Biol.-/Chemie Bd. 1, 2. 1906/07. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 327 chemischen Bedingungen herbeizuführen und ein Fortbestehen der Lebensfunktionen zu gewährleisten. Dass nun diese Beobachtungen auch wirklich den Tatsachen entsprachen, ging daraus hervor, dass Wo. Ostwald'!) die Abhängigkeit der Giftiekeit von der Salz- konzentration durch eine Formel darstellen konnte, die formal identisch derjenigen für die Adsorption in-Lösungen war. Letztere lautet bekanntlich a = R - c”, worin a die pro Gewichtseinheit ad- sorbierte Menge, c die Konzentration, R und m Konstanten bedeuten. Setzt man nun im Sinne der obigen Ausführungen, nach denen eine Lösung um so giftiger ist, je stärker sie adsorbiert wird, die Giftig- 1 1 keit, — Perser proportional der adsorbierten Menge «a, > \ 1 so stellte die neue Formel Se R..c" oder R, =t- c" auch wirk- lieh mit. ziemlicher Genauiekeit die Lebenszeiten des von Wo. Ost- wald beobachteten Gammarus in den verschiedenen Salzkonzentra- tionen dar. Auf die von ihm benutzte Berechnungsmethode ein- zugehen, würde zu weit führen (siehe die zitierten Arbeiten). Obgleich nun die Übereinstimmung zwischen Beobachtung und Berechnung nach der normalen Adsorptionsformel genügte, um die Angemessenheit der letzteren zu erweisen, — denn mit wenig Aus- nahmen bei den extremen Konzentrationen überstieg die Abweichung niemals die für biologische Vorgänge relativ kleine Fehlergrenze von 10% —, so war doch zu bemerken, dass bei den grossen Ver- dünnungen Beobachtung und Berechnung stets und systematisch ab- wichen. Dieser Umstand und die folgende Überlegung legten nun die Vermutung nahe, dass die oben gegebene Giftigkeitsformel noch nicht ganz den Tatsachen Ausdruck verleihe und daher einer Ver- besserung bedürfe. In der Tat zeigte eine Diskussion der einfachen Adsorptionsgiftigkeitsformel ihre Ungültiekeit bei extremen Konzen- trationen. Nimmt man nämlich einmal den Konzentrationswert Null, so erhält man auch eine Giftigkeit gleich Null. Dies würde völlig stimmen, wenn man als salzfreies Medium, das also: die Konzentra- tion Null zeigte, natürliches Wasser annähme, in dem die Tiere ja leben. Es ist nun aber hinlänglich bekannt, dass das natürliche Wasser keineswegs salzfrei ist, sondern vielmehr eine zuweilen ganz 1) Wo.Ostwald, Über die Beziehungen zwischen Adsorption und Giftigkeit von Salzlösungen für Süsswassertiere. Pflüger’s Arch. Bd. 120 S. 19—30. 1907. 3938 Alfred Dernoscheck: i ansehnliche Menge Salz enthält. Andererseits ist völlig salzfreies, d. h. destilliertes Wasser, wie die diesbezüglichen Arbeiten von J. Loeb, Bullot, Ringer, Buxton, Sainsbury, Phear usw.)) zeigen, für die meisten Organismen stark giftig, und es ergibt sich daraus, dass der Nullwert der Giftigkeit nicht zusammenfallen kannı mit der Salzkonzentration Null, sondern mit einem positiven Gehalt, . der im engen Konnex stehen muss mit der Salzmenge, die normaler- weise in den Geweben des lebenden Organismus enthalten ist. Auf! Grund dieser Betrachtungen suchten W 0. Ostwald und A. Derno- scheck?) eine neue Giftiekeitsadsorptionsformel aufzustellen, in der den obigen Tatsachen Rechnung getragen wurde. Es ergab sich 1 . } die Formel re - (e—n)", worin wiederum £ — Lebensdauer, ce = Konzentration, R und m Konstanten sind, n aber die normaler- : weise in den Geweben vorhandene Salzmenge bedeutet. n musste hierbei vorläufig durch Rechnung bzw. durch Probieren gefunden: werden®), Es ist jedoch zu betonen, dass » nicht nur eine rech- nerische Konstante, sondern auch eine Grösse von der angegebenen, definierbaren physiologischen Bedeutung ist. In der Tat ermöglicht nun auch die neue Giftigkeitsadsorptionsformel eine bedeutend bessere Übereinstimmung zwischen Beobachtung und Berechnung. Vor allem fielen die Abweichungen, die sich bei Anwendung der alten Gleichung bei grossen Verdünnungen stets zeigten, weitgehend weg. Diese besonders günstige Wirkung der neuen Formel ist dadurch zu erklären, dass der Fehler, der durch Ausserachtlassen der Eigen- konzentration » entstand, natürlich um so grösser ist, je kleiner € | ist, und dass die substraktive Konstante n» in der Differenz cn eine um so grössere Rolle spielt, je kleiner c ist. Nach dieser Formel wurden nun auch die von mir gefundenen Versuchsdaten bei Abhängig- keit der Giftigkeit von der Konzentration des Seewassers berechnet. Die dabei erhaltenen Resultate finden sich in folgender Tabelle 6. 1) Nähere Angaben siehe Bullot, On the toxicity of distilled water for freshw.ater Gammarus. Univ. of Calif. Publ. Physiol. vol. 1 p. 199. - July 1904. 2) Wo. Ostwald und A. Dernoscheck, Über'die Beziehungen zwischen | Adsorption und Giftigkeit. Zeitschr. für Chemie u. Industrie der Kolloide Bd. 6 | Heft 6 S. 305. 1910. | 3) Über die Schwierigkeiten der direkten Bestimmung von n siehe die zitierte : Arbeit von Wo. Ostwald und A. Dernoschek, Über die Beziehungen | zwischen Adsorption und Giftigkeit. Zeitschr. f. Chemie u. Industrie der Kolloide ı Bd.:6 Heft:6 S. 305. 1910. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere ete. 329 Tabelle 6. Giftigkeit des natürlichen Seewassers verschiedener Konzentration auf Daphnia magna. all Konzentration natürlichen Lebensdauer £ Seewassers — n, n—=3,2 /o in Minuten Differenz der % x Typ Versuche N Oo Bei | N 10 0,4 1,28 65 | 46 +19 10 0,5 1,60 34 32 +2 10 0,6 1592 25 | 25 E50) 2 0,65 2,08 23 23 = 0 6 0,7 2,24 22 | 22 +0 2 0,75 2,40 20 20 ae) 10 0,8 2,56 19 118) EI) 10 1,0 3,20 17 16 +1 3 1,3 4,16 14 | 13 +1 4 1,5 4,80 a | 12 —1 10 2,0 6,40 9 10 —1 4 4,0 12,80 8 7 +1 2 LO) 39,20 5 5 +0 Für die schlechte Übereinstimmung der in der ersten Zeile wiedergegebenen Versuche mit der Rechnung (bei der grössten Ver- dünnung) muss zunächst wiederum einerseits die grössere physio- logische Variabilität zur Erklärung herangezogen werden. Ander- seits aber macht die beträchtlich grössere beobachtete Lebensdauer es sehr wahrscheinlich, dass bei diesen Verdünnungen noch die regulatorischen Fähigkeiten des Organismus, d, h. mit anderen Worten bereits Anpassunngserscheinungen, in Frage kommen. Anhang. 6. Einfluss des Volumens des Mediums auf die Giftigkeit. Wie schon erwähnt, hat Bullot!) bei seinen Untersuchungen über die Giftiskeit von destilliertem Wasser gefunden, dass die Menge der Versuchsflüssigkeit von Einfluss auf die Lebensfähigkeit ist und deshalb besonders berücksichtigt werden muss. Er konnte feststellen, dass unterhalb eines bestimmten Grenzvolumens die Tiere um so länger lebten, jegeringer das Quantum war; oberhalb der Grenze hatte das Volumen keinen Einfluss mehr auf die Lebensdauer. Seine ‚Resultate lassen sich am besten in folgender Tabelle 7 wiedergeben. 1) Bullot, On the toxieity of distilled water for freshwater Gammarus Univ. of Calif. Publ, Physiol. vol. 1 p. 199. July 1904, 330 Alfred Dernoscheck: Tabelle 7. Einfluss des Volumens auf die Giftigkeit von destilliertem Wasser (nach Bullot). In 5 cem In 20 cem In 50 ecm Im in Glas destillierten | noch am Leben | bereits gestorben | bereits gestorben Wasser war dieHälfie | nach 10 Tagen nach 2!/s Tagen | nach 1" Tagen der Tiere | IminKupferdestillierten | nach 3 Tagen | nach 1'/s Tagen | in weniger als Wasser war die Hälfte 1 Tage der Tiere gestorben Was die Lebensdauer in 100 cem anbetrifft, so gibt Bullot folgendes an: In 100 eem von sowohl in Glas als auch in Kupfer destilliertem Wasser war nach einer bestimmten Zeit das Verhältnis der gestorbenen und der noch lebenden Tiere genau dasselbe wie in 80 cem. Dass das Wasservolumen überhaupt bestimmte physiologische Einflüsse, so besonders auf das Wachstum und auf die vom er- wachsenen Tier erreichte Grösse, ausübt, ist schon länger bekannt. So experimentierte z. B. Semper!) über diese Frage mit Lvmnaeus stagnalis und fand, dass das Wachstum um so schneller erfolgte und die Tiere eine um so beträchtlichere Endgrösse erreichten, je grösser das ihnen zur Verfügung stehende Wasservolumen war. In Anbetracht speziell der Befunde von Bullot wurden nun auch in der vorliegenden Arbeit Untersuchungen über den Einfluss des Volumens des Versuchsmediums angestellt. Es sei hier schon bemerkt, dass diese Versuche ebenso wie die später noch zu be- sprechenden, betr. die Anzahl der Versuchstiere, nur einen gering- fügigen Finfluss der genannten Faktoren auf die hier benutzte Tier- Spezies zeigten. Die Versuchsanordnung wurde so getroffen, dass die gleiche Anzahl von Tieren ?), 25, in Volumina von 25, 50, 100 und 200 eem normalen Seewassers gebracht wurden. Von jeder der Versuchsreihen wurden stets zehn Einzelversuche hintereinander ge- macht. Die dabei erzielten Resultate ersieht man aus Tabelle 8. 1) Semper, Über die Wachstumsbedingungen des Lymnaeus stagnalis. Arbeiten aus dem Zool. Inst. zu Würzburg Bd. 1. 1874. 2) Bullot scheint jedesmal eine willkürliche Zahl von Tieren auf ihre Lebensdauer geprüft zu haben; jedenfalls teilt er Näheres darüber nicht mit. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 33] Tabelle 8. Einfluss des Volumens des Versuchsmediums auf die Giftigkeit bei kon- stanter Anzahl der Tiere. Anzahl Anzahl ee Lebensdauer der Versuche | der Tiere cem Minuten 10 10 x 25 25 14 10 10 x< 25 50 11 10 10 x 25 100 15 10 10 x 25 200 15 Aus dieser Tabelle geht hervor, dass die Lebensdauer in kom- plizierter Weise vom Volumen des Mediums abzuhängen scheint. Während nämlich bei einer Verdoppelung des Volumens die Giftig- keit zunimmt, verringert sie sich bei einem vier- oder achtfachen Volumen. Es lag nahe, für dieses etwas unerwartete Resultat Versuchsfehler verantwortlich zu machen. Es wurden daher die sanzen Versuchsreihen nochmals wiederholt, indessen mit folgender Modifikation. Bei den in Tabelle 8 wiedergegebenen Versuchen wurden die Experimente für einen Volumenwert stets hinter- einander angestellt; man untersuchte z. B. zehnmal hintereinander die Giftigkeit von 25 cem Seewasser, dann zehnmal hintereinander diejenige von 50 cem usw. (immer bei konstanter Anzahl der Tiere). Bei der Wiederholung der Versuche wurde nun derart vorgegangen, dass alle Volumenwerte hintereinander untersucht wurden, und dass dann diese Reihen an verschiedenen Tagen wiederholt wurden. Wie die folgende Tabelle 9 zeigt, ergab sich überraschenderweise ein ganz analoges Resultat. Auch bei dieser Versuchsanordnung wurde ein Maximum der Giftigkeit (Minimum der Lebensdauer) bei einem Volumenwert von 50 cem gefunden. Diese grundsätzliche Tabelle 9. Einfluss des Volumens des Versuchsmediums auf die Giftigkeit bei kon- stanter Anzahl der Tiere. Angabe des Anzahl Anzahl Volumens Lebensdauer der Versuche | der Tiere ccm Minuten 5 5>=25 25 15 5 5><25 50 14 5 DE< 100 16 5 9525 200 16 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 148. 23 3323 Alfred Dernoscheck: Übereinstimmung zeigt, dass wir es hier nicht mit Beobachtungs- fehlern, sondern mit einer gesetzmässigen Erscheinung zu tun haben. Die tatsächliche Existenz dieser merkwürdigen Abhängigkeit der Lebensdauer vom Volumen des Seewassers liess sich auch noch in anderer Weise indirekt dartun. Wo. Ostwald!) hatte gefunden, dass Gammarus unter dem Einflusse von Seewasser und Salzlösungen eine erhebliche Säuremenge ausschieden, über deren chemische Natur (Kohlen-, Harn-, Milehsäure) bisher allerdings noch nichts Näheres festgestellt werden konnte. Diese Säureproduktion liess sich nun auch bei den vorliegenden Versuchen sehr deutlich nachweisen, z. B. durch Titrieren der Versuchsflüssigkeiten mit Kalilösung und Phenolphtalein. Es wurden also bestimmte Mengen des durch die Säureabgabe der sterbenden Tiere angesäuerten Seewassers mit einigen Tropfen Phenolphtalein versetzt und dann die Anzahl der Kubikzentimeter einer sehr schwachen Kalilösung festgestellt, die notwendig waren, um bei den verschiedenen Lösungen eine bestimmte Rotfärbung hervorzurufen. Es ergaben sich dabei folgende in Tabelle 10 wiedergegebenen Resultate. Tabelle 10. Säureproduktion bei verschiedenen Volumina. Volumen des Säuregehalt in Versuchsmediums Kubikzentimetern Lebensdauer ccm Kalilauge Minuten 25 5,4 15 50 9,9 14 100 5 16 200 4,5 16 Ein Vergleich der beiden rechten Spalten der Tabelle zeigt, dass in der Tat eine Parallelität, bez. Reziprozität, zwischen der Säureabgabe und der Giftigkeit in ihrer Abhängigkeit vom Versuchs- volumen besteht, wenigstens in erster Annäherung. Vor allem findet sich auch bei der Säureabgabe unverkennbar ein ausgezeichneter Punkt beim doppelten Volumen (50 ecem). Der grössten Giftigkeit entspricht also auch die grösste Säureabgabe. 1) Wo. Ostwald, Versuche über die Giftigkeit des Seewassers für Süss- wassertiere. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 106 S. 570. | Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 333 Es geht aus diesem Parallelismus deutlich hervor, dass der Ein- fluss des Versuchsvolumens durchaus eine tatsächliche, physiologische Bedeutung hat, zu deren Aufklärung es allerdings noch weiterer Untersuchungen bedarf. 7. Einfluss der Anzahl der Tiere auf die Giftigkeit bei konstantem Volumen. Eine Nachprüfung der Befunde von Bullot usw. ergab für den Einfluss der Anzahl der Tiere bei einem gegebenen Flüssigkeits- volumen sehr komplizierte Resultate, die überdies untereinander stark abwichen, und zwar anscheinend entsprechend der Jahreszeit, zu der die Versuche angestellt wurden. Tabelle 11 enthält die im Juli 1909, November 1910 und Februar 1911 angestellten Versuchs- reihen. Das Volumen betrug dabei stets 100 cem. Tabelle 11. Einfluss der Anzahl der Tiere auf die Giftigkeit bei konstantem Volumen, Säuregehalt in Anzahl \ _ Kubikzentimetern Lebensdauer der Tiere i Kalilauge | Minuten ee ae | 7 -- | 14 Versuche vom Juli 1909 (Mitt- | 13 2 13 lere Werte aus'ca. zehn Einzel- 1 25 — 15 versuchen) | a = 1 Versuche vom Noveniber 1910 A 2 n (mittlere Werte aus acht Einzel- 95 68 15 versucher) L 50 67 15 Versuche vom Februar 1911 { 1 In IS (mittlere Werte aus fünf Einzel- \ 05 117 18 versuchen) L 50 nal 17 Die Tabelle lehrt zunächst, dass die beobachteten Unterschiede absolut genommen nur klein sind; die Abweichungen schwanken innerhalb 2—3 Minuten. Es lässt sich aber keineswegs ein so regelmässiges Verhalten aus ihnen ableiten, wie dies Bullot bei Gammarus gefunden zu haben glaubt. Die Lebensdauer ist keines- wegs um se grösser, je grösser die Anzahl der Tiere ist, die in ein segebenes Volumen gesetzt wurden. Vielmehr zeigen die Mittel- werte der Versuchsreihen, dass alle Möglichkeiten eintreten können- ausschliesslich derjenigen, die Bullot angibt. So zeigt die Versuchs, 9% 23 * 334 Alfred Dernoscheck: e)r reihe vom Juli 1909 ein Minimum der Lebensdauer bei 13 Tieren, die vom November 1910 eine allgemeine Abnahme mit steigender Anzahl der Tiere und die vom Februar 1911 ein ausgesprochenes Maximum bei 13—25 Tieren. Es sei bemerkt, dass diese Befunde das endgültige Resultat von ca. 23 Einzelbestimmungen sind. Trotz dieser grossen Anzahl von Versuchen ergab sich kein einfaches Resultat, sondern die oben erwähnte Mannigfaltiekeit der Beziehungen zwischen der Anzahl der Tiere und der Lebensdauer bei konstantem Flüssigkeitsvolumen. Es ist von Interesse, auch in diesem Falle die Säureproduktion der Tiere beim Absterben und ihre Beziehungen zu den erhaltenen Lebenszeiten zu vergleichen. Die Säurezahlen finden sich ebenfalls in Tabelle 11 bei den entsprechenden Versuchsreihen (bei der ersten im Juli 1909 fand keine Messung der betr. Säuremengen statt). Sie stellten ebenfalls das Mittel von ca. acht Einzelbestimmungen dar. Der Vergleich zwischen Lebenszeit und Säureproduktiou ergibt hier wiederum, analog den vorher geschilderten Versuchen über Abhängig- keit der Lebensdauer vom Volumen, einen ganz deutlichen Zusammen- hang zwischen Lebensdauer und abgeschiedener Säuremenge. So nimmt z. B. bei der mit besonderer Genauigkeit ausgeführten letzten Serie vom Februar 1911 die Säuremenge regelmässig zu mit der Resistenzfähiekeit. Bei den Versuchen vom November 1910 ist der Parallelismus zwar nicht ersichtlich, doch ist zu bedenken, dass auch hier die Lebenszeiten nur zwischen 15 und 16 Minuten schwankten, d. h. praktisch konstant waren, ein Verhalten, das ebenfalls bei der Säuremenge zu beobachten ist, die auch nur zwischen 6,7 und 6,8 cem variierte. Dieser Parallelismus zeigt, dass die bei den biologischen Versuchen erhaltenen Zahlen tatsächlichen Verhältnissen entsprechen. Wie regelmässig speziell der Zusammenhang zwischen Säureproduktion und Lebensdauer ist, geht daraus hervor, dass das Verhältnis aus Lebenszeit und produzierter Säuremenge bei den genauesten Ver- suchen vom Februar 1911 einen konstanten Wert darstellt, die be- treffenden Quotienten sind nämlich 1,50, 1,49, 1,54 und 1,53. 8. Vergleich von 6 und 7. Es liegt nahe, die in Abschnitt 6 und 7 geschilderten Versuche unter folgendem Gesichtspunkte zu vergleichen. Nennt man das Anzahl der Tiere Volun die „Dichtigkeit“ der Tiere bei Volumen des Mediums die „Dichtigkeit“ der Ti Verhältnis Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 355 den Versuchen, analog z. B. den verschiedenen Dichtigkeiten ver- schiedener Tierspezies des Planktons in einem gegebenen Wasser- volumen, so könnte man vermuten, dass bei den obigen Versuchen über den Einfluss des Versuchsvolumens und der Anzahl der Tiere nur gerade dieser Faktor in Frage käme. Denn offenbar ist es für die „Dichtigkeit“ gleichgültig, ob man 25 Tiere in 50 cem einsetzt (25:50), oder ob man 50 Tiere mit 100 eem behandelt (50 : 100) usw. Die Entscheidung der Frage, ob tatsächlich die „Dichtigkeit“ der bestimmende Faktor bei den verschiedenen Versuchen ist, scheitert einmal an der Geringfügigkeit der beobachteten absoluten Unter- schiede, andererseits an der erwähnten, auch durch Einzelbestimmungen nicht eliminierbaren Variabilität der Resultate vermutlich mit der Jahreszeit und ihren physiologischen Konsequenzen. Immerhin aber zeiet die folgende Tabelle 12, in der die arithmetischen Mittel aus allen Versuchsreihen wiedergegeben - sind, eine gewisse Überein- stimmung bei den mittleren „Dichtiekeiten“. Tabelle 12. Einfluss der Dichtigkeit auf die Giftigkeit des Seewassers. Wechsel des Volumens £ | Wechsel der Anzahl der mad Diehusken „ebensdauer Dichtigkeit | Lebensdauer | . — 4 | 14,5 | 7 7 —_ u) | 16,0 R 0 12,5 | | 05 I u | n 0800 15 | \ m — dB |. 160 ıE a 0185 a] oe | | ® | | Deo | Ä er | Man beobachtet übereinstimmend bei einer Dichte von 0,5 (25 Tiere in 50 ecm oder 50 Tiere in 100 eem) ein Minimum der | Lebensdauer, während sowohl bei der nächst grösseren als auch bei | der nächst kleineren „Dichtigkeit“ die Lebensdauer zunimmt. Aller- ‚ dings bezieht sich diese Regelmässigkeit bzw. Übereinstimmung nur | auf den Gang der Zahlen, nicht auf ihre absoluten Werte. | Es ist augenscheinlich, dass zur Entscheidung dieser interessanten ‘ Frage nach dem Einflusse der „Dichtigkeit“ der Tiere auf ihre 336 Alfred Dernoscheck: Lebensdauer Versuche an einer anderen Tierspezies angestellt werden müssen, bei der vor allem die absoluten Unterschiede bei der Variation der Faktoren — Anzahl der Tiere und Volumen — grösser sind. Offenbar eignet sich Daphnia magna gerade dafür nicht, da sie zu unempfindlich für diese Einflüsse ist Immerhin erschien angesichts der Befunde von Bullot usw. eine experimentelle Kennzeichnung dieser zwei Versuchsfaktoren auch bei den vor- liegenden Versuchen von einigem Interesse und ihre anhangsweise Mitteilung auch hier nicht unnütz. Wie erwähnt, müssen für eine genauere Untersuchung dieser Faktoren andere Tierspezies heran- gezogen werden. Man kann vermuten, dass eulimnetische Tiere, die z. B. in der Natur an grössere Wasserbecken und geringere Dichtig- keit angepasst sind, für die genannten Faktoren empfindlicher und daher für solche Versuche geeigneter sein werden als Daphnia magna. Hierfür spricht unter anderem die praktische Erfahrung, dass eulimnetische Tiere viel schwieriger in kleineren Aquarien zu halten sind als die Bewohner kleinerer Pfützen und Teiche. II. Versuche über die Anpassungserscheinungen von Daphnia magna an natürliches Seewasser. 9. Besprechung der bisherigen Anpassungsversuche an Salzlösungen. Neben der Giftwirkung des Seewassers auf Süsswassertiere be- anspruchen die bei langsamer Steigerung des Salzeehaltes zu beobach- tenden Anpassungserscheinungen das grösste Interesse. Sehen wir ent- sprechend den Ausführungen zu Anfang vorliegender Untersuchungen (siehe Einleitung) von den prähistorischen Anpassungserscheinungen ab, so ergeben sich hier als nächstliegende Fälle die Anpassungsvorgänge, die z. B. bei einer periodischen Änderung der Beschaffenheit des Mediums zu beobachten sind. Höchst interessante Beobachtungen hat Schmankewitsch!) an den südrussischen Salzseen angestellt, und zwar nicht nur in der freien Natur, sondern in der Folge auch im Laboratorium. Seine Untersuchungen knüpfen sich an folgende Begebenheit an: Im Jahre 1871 zerriss bei Gelegenheit einer Früh- jahrsüberschwemmung der Damm, der das weniger salzreiche Wasser des oberen Teiles des Kujalniker Limans von dem bereits mit ab- 1) Schmankewitsch, Über das Verhältnis der Art. sal. zur Art. Mühlh. und dem Genus Branchipus. Zeitschr. f. wiss. Zool. Supplbd. 25 8. 103— 116. 1875. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 337 gesetztem Salze erfüllten unteren Teile dieses Limans trennte, wodurch dessen Wasser von ca. 30°/o auf 8°/o verdünnt wurde. Zu gleicher Zeit erschienen in ihm grosse Mengen von Artemia salina, die aus dem oberen Teil und aus den Salztümpeln in der Nähe herbei- geschwemmt worden waren. Allmählich erhöhte sich die Konzentra- tion wieder, so dass sie nach wenigen Jahren (September 1874) schon ca. 27° betrug, ein Punkt, bei dem sich das Salz wieder von selbst abzusetzen begann. Währenddessen hatte sich Artemia salina von Generation zu Generation an das neue Medium angepasst, gleichzeitig hatte sich die Spezies morphologisch verändert und zum grossen Teil alle Art-Kennzeichen der Artemia Mühlhausenii an- senommen. Schmankewitsch begann nun, die Sache eingehender zu studieren, und durch allmähliche Gewöhnung erreichte er es, dass Branchipus, ein Krebs aus salzarmem Medium, sich an ein salz- reicheres akklimatisieren liess und dabei mehr und mehr den Charakter der in diesem Medium heimischen Artemia salina annahm. Er ging aber noch weiter und experimentierte in umgekehrter Weise mit Artemia salina; durch Verminderung des Salzgehaltes erhielt er aus ihr eine Form ganz ähnlich der des Branchipus, steigerte er hin- segen die Konzentration, so modifizierte sich Artemia salina zum Typus der in ziemlich konzentriertem Salzwasser lebenden Artemia Mühlhausenii. Nach seinen eigenen Angaben war Schmankewitsch selbst weit davon entfernt, zu behaupten, dass es ihm durch Ver- änderungen des umgebenden Mediums gelungen sei, die willkürliche und experimentelle Umbildungsmöglichkeit ganzer systematischer Familien herbeizuführen, eine Behauptung, die man ihm fälschlicher- weise immer zuschreibt. Auch nach den zusammenfassenden Be- merkungen von Samter und Heymons!) ist Artemia Mühlhausenii nichts anderes als eine der zahllosen Variationstypen, die bei Artemia salina auftreten können. In ihr erscheint die Rückbildung der Borsten- zahl und die Undeutlichkeit der Seementierung am Abdomen am weitesten fortgeschritten; dennoch gehört dieser Mühlhausenii-Typus ganz und gar in den Formenkreis der Artemia salina hinein und ist auch unzweifelhaft durch alle möglichen Übergänge mit anderen Variationstypen der Artemia salina verbunden. Der Mühlhausenii- l) Samter und Heymons, Variationen bei Artemia sal. und ihre Ab- hängigkeit von äusseren Einflüssen. Abhandl. der Berliner Akad. der Wissen- schaften 1902. 338 Alfred Dernoscheck: Typus ist auch nach Ansicht von Samter und Heymons das Er- gebnis des Einflusses des stark salzhaltigen Wassers. Was Branchi- pus — Artemia salina anbetrifit, so übte auch hier der veränderte Salzgehalt einen nachweisbaren Einfluss auf den morphologischen Charakter aus; er zeigt sich besonders in gewissen Umgestaltungen, was Formen- und Grössenverhältnisse des Körpers anbetrifft. Nach den Untersuchungen von Samter und Heymons, welche die Versuche von Sehmankewitsch in übersichtlicher Weise zusammenfassten, ist die Einwirkung des Salzgehaltes eine relative. Man konnte sie zwar bei der Mehrzahl der Tiere mehr oder weniger deutlich in überein- stimmender Weise beobachten, doch kamen individuelle Schwan- kungen noch häufig und in ziemlich grossem Masse vor. Es zeigten auch die Einzelindividuen keineswegs die gleichen Veränderungen in ihren Grössen- und Formenverhältnissen. Die geschilderten Anpassungsversuche von Schmankewitsch sind besonders berühmt geworden durch ihre morphologischen Be- gleiterscheinungen. Sehr interessante hierher gehörige Versuche mehr physiologischen Charakters sind schon im Jahre 1815 von Beudant!) angestellt worden. Er fand, dass verschiedene Süss- wassermollusken schnell starben, wenn sie plötzlich aus dem Süss- wasser, in dem sie lebten, in konzentriertes Mittelmeerwasser ge- setzt wurden. Er versuchte, die Tiere durch allmähliche Steigerung des Salzgehaltes an das neue Medium zu akklimatisieren und erhielt dabei für die einzelnen Arten recht verschiedene und abweichende Resultate. Er begann damit, die Individuen in eine 1°/o ige Kochsalz- lösung zu setzen. Durch langsames Zusetzen hatte er im Laufe von fünf Monaten die Anfangskonzentration auf 4 %/o gesteigert. Er konnte nun konstatieren, dass Arten der Gattung Lymnaeus, Physa, Planorbis und Ancylus hier ebensogut zu leben vermochten wie im süssen Wasser; im Gegensatz dazu waren von Paludina virip., Bythinia tentaculata und Neritina fluv. ein grosser Prozentsatz gestorben, während von Unio, Anodonta und Oyelas alle zugrunde gegangen waren, noch bevor das Wasser seine höchste Konzentration von 4°/o erreicht hatte. Erwähnt sei gleichzeitig, dass es demselben Forscher selang, marine Mollusken an eine Salzkonzentration von ca. 31 o 1) Beudant, Sur la possihilit de faire vivre des Mollusques d’eau douce dans les eaux saldes et des M. marines dans les eaux douces. Ann. de Chimie et de Phys. (2) t.2 p. 33—41. 1816. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 339 anzupassen , eine ganz erstaunliche Tatsache, wenn man bedenkt, dass 100 Teile Wasser bei 0° 30 Teile NaCl lösen. In analoger Weise experimentierte Henneguy!) mit einer in salzigen Tümpeln einheimischen Infusorienart und brachte durch stete Steigerung des Salzgehaltes die Tiere so weit, dass sie noch am Leben waren, als sich bereits Kristalle am Boden absetzten und die Oberfläche der Flüssigkeit mit einer Salzkruste bedeckt war. Dieser ungemein hohe Grad von Anpassung muss besonders merk- würdig erscheinen, wenn man in Betracht zieht, dass viele lösliche Fiweissstoffe im Organismus durch Sättigung ihrer Lösungen mit NaCl gefällt werden. Plateau?), dessen Arbeiten schon einmal erwähnt wurden, gewöhnte erwachsene Tiere von Asellus aquaticus allmählich an salzreiches Wasser, so dass sie hier nicht nur zu leben vermochten, sondern sogar auch Eier ablegten. Brachte er nun die unter diesen Umständen geborenen Individuen in Mittelmeerwasser, so betrug hier ihre Lebensdauer ungefähr 108 Stunden, während dasselbe Medium im Süsswasser geborene Junge schon nach 5 Stunden tötete. Czerny°) fand, dass die von ihm untersuchten Süsswasser- amöben bei plötzlichem Mediumwechsel eine Konzentration von 20%0 NaCl nieht auszuhalten vermochten; er konnte aber dieselben Tiere durch langsame Erhöhung des Salzgehaltes so weit bringen, dass sie sich selbst an eine Konzentration von 4° NaCl, die also doppelt so gross war als die auf unakklimatisierte Individuen tödlich wirkende Lösung, anpassten. Nicht so weit kam Florentin*), der Süsswasserinfusorien wie Hyalodiseus, Cyclidium, Anisonema und Loxophylium innerhalb 15 Monate an eine NaCl-Lösung von 2,90 gewöhnte. Glücklieher war da Massart°), der durch allmähliche Er- 1) Henneguy, Sur un Intusoire heterotriche. Ann. de Micrographie t. 3 p. 118--135. 1890/91. 2) Plateau, Recherches physico-chimiques sur les Articules aquatiques. Mem. publ. de l’Acad. de Belgique p. 36. 1871. 3) Czerny, Einige Beobachtungen an Amöben. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 5 S. 158—166. 1869. 4) Florentin, Etudes sur: la faune des mares saldes de Lorraine. Ann. des sciences nat. t. 10 p. 209—349. 1900. 5) Massart, Sensibilit€ et adaption des organismes A la concentration des solutions salines. Arch. de Bioı. t. 9 p. 515—570. 1889. 340 Alfred Dernoscheck: höhung der Konzentration der Kulturflüssigkeit Infusorien wie Glau- coma, Vorticella usw. derart an konzentrierte Salzlösungen anpasste, dass sie schliesslich in KNO,;- und NaCl-Lösungen von einem acht- bis zehnfach über das ursprüngliche Maximum gesteigerten osmotischen Druck zu existieren vermochten. Sehr schöne Resultate erzielte P. Bert!). Ihm gelang es, gegen Salz sehr empfindliche Daphnidenformen (Daphnia pulex) nach und nach an eine ca. 1,2°/oige NaCl-Lösung anzupassen. Er konnte nun zeigen, dass für solche akklimatisierte Individuen Süsswasser ein Gift war. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, ist dies ein besonders glänzender Beweis für die Erscheinung der „auswechseln- den“ Anpassung. Im Gegensatz dazu finden sich in der Literatur auch Angaben über Anpassungsversuche mit negativem Erfolg. So behandelte Warren?) Daphnia magna in 17 Tagen mit einer 0,25 /oigen NaCl-Lösung und setzte sie dann in eine 1°/oige Lösung. Sie starben hier innerhalb S3 Minuten, während die Kontrolltiere, die direkt aus dem Süsswasser in dasselbe Medium gebracht worden waren, 98 Minuten darin zu leben vermochten. Eine 1,2 /oige NaCl-Lösung tötete die mit 0,25°/o NaCl behandelten Tiere in 35 Minuten, die Kontrolltiere dagegen erst in 55 Minuten. Aller- dings erscheint der von Warren gezogene Schluss, dass im Gegen- satz, z. B. zu den Versuchen von P. Bert, Daphnia magna eine Anpassung an Salzlösungen nicht ermögliche, etwas verfrüht, wie sich unter anderem sehr deutlich aus den Resultaten der später noch zu schildernden Versuche ergeben wird. Im Vergleich mit den Versuchen mit niederen Tieren sei er- wähnt, dass bei niederen Pflanzen eine Angewöhnung an steigende Konzentrationen von NaCl anscheinend sehr viel leichter gelingt. A. Richter?) fand, dass Diatomeen eine 7°/oige Lösung 1 Jahr, eine 10°%oige 1 Monat lang vertrugen. Chara lebte in einer 0,5 °/oigen Kulturflüssigkeit 1 Jahr, in einer 1°/oigen 4 bis 5 Monate. Zygnema stell. konnte allmählich an eine 2°/oige Lösung angepasst 1) P. Bert, Sur la cause de la mort des animaux d’eau douce qu’on plonge dans l’eau de mer et reciproquement. Compt. rend. t. 97 p. 133—136. 1885. 2) E. Warren]. c. 3) Nähere Angaben darüber siehe Loew, Ein natürliches System der Gift- wirkungen S. 114. München 189. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 341 ‚werden, in einer 3°/oigen starb sie nach und nach ab. Spirogyra zeigte in einer Konzentration von 5°o nach 7 Monaten nur noch wenig lebende Zellen, Cosmarium vertrug eine S°/oige Lösung 1 Monat. | Höherstehende Tiere sind gegen NaCl ziemlich tolerant; die tödliche Dosis für eine Maus ist nach Emmerich!) 0,06 g, das ist etwa 20 mal so viel, als eine Maus normalerweise in ihrem Blut ent- hält, und sechsmal so viel, als im ganzen Körper vorhanden ist. 10. Allgemeines über Anpassungsvorgänge. Das Hauptziel der bisher angeführten Autoren bestand darin, ihre Versuchsindividuen an möglichst hohe Salzkonzentrationen zu gewöhnen, und zwar in möglichst kurzer Zeit. Der praktische Effekt der Anpassung war mit anderen Worten der Hauptgegen- stand ihres Interesses. Es ist indessen ersichtlich, dass für das nähere Verständnis der physiologischen Vorgänge, die zusammen die Anpassungserscheinungen ausmachen, nicht nur das Resultat der maximalen Angewöhnung wichtig ist, sondern mindestens ebensosehr auch die Wege, auf denen dies Ergebnis erreicht wird. Es sind hiermit besonders die zeitlichen Eigentümlichkeiten der An- passungsvorgänge gemeint. Die Wichtiekeit gerade der zeitlichen Eigenschaften ist auch schon in praktischer Hinsicht plausibel. So erscheint es einleuchtend, dass allgemein ein um so höherer Grad der Anpassung erreicht werden wird, je lang- samer die Änderung der betreffenden Lebensbedingungen er- folet. In der Tat erscheinen die bei prähistorischer (säkularer) Anpassung erzielten Erfolge bei weitem am grössten und eigen- artigesten. Man kann weiterhin auf Grund von allgemeinen prak- tischen Erfahrungen von vornherein annehmen, dass die ersten Änderungen der Lebensbedingungen verhältnismässig grössere Be- träge ausmachen dürfen als die späteren, ohne dass eine nachträg- liche Schädigung der Tiere erfolgt. Der Grund hierfür liegt in der bekannten regulatorischen Fähigkeit der Organismen, die eine ge- wisse Variationsbreite der Aussenbedingungen gestattet. Diese beiden herausgegriffenen Punkte zeigen deutlich, wie wichtig und charakteristisch die zeitlichen Eigenschaften für die Anpassungs- erscheinungen sind. 1) Loew, Ein natürliches System der Giftwirkungen S. 114. München 1893. 342 Alfred Dernoscheck: [2 Irgendwelche systematische quantitative Untersuchungen über Anpassungserscheinungen von Süsswassertieren gerade an salzhaltige Medien scheinen bisher von niemand angestellt worden zu sein. Von P. Bert!) rührt nur die qualitative Feststellung her, dass Salz- zusatz bei Daphnia pulex bis zu ungefähr 1° sehr schnell ohne schädliche Wirkung erfolgen kann, dass aber von da ab eine weitere Vermehrung nur äusserst langsam vor sich gehen darf. Auf eine einzelne Beobachtung von Warren ?) an Daphnia maena wird weiter unten zurückzukommen sein. Wohl aber finden sich Untersuchungen über die Kinetik anderer Anpassungsvorgänge. So haben z. B. Davenport und Neal?) Versuche über die Anpassungsgeschwindig- keit von Stentor an Sublimat, Daniel*) solche mit Stentor an Alkohol angestellt. Auf die nicht sehr zahlreichen und quantitativen Befunde, die zu den vorliegenden Untersuchungen in näherer Be- ziehung stehen, wird später zum Vergleich mit den hier eriangten Resultaten eingegangen werden. Schliesslich wären noch die An- passungsversuche von höheren Tieren an Gifte (pflanzliche Gifte, Toxine, Medikamente usw.) zu erwähnen, von denen besonders die fundamentalen Arbeiten von Ehrlich?) über Anpassung von Mäusen an Riein und Abrin zu nennen sind [siehe die Zusammenfassung und allgemeine Darstellung von Oppenheimer®)]. ll. Anpassungsversuche mit Daphnia magna. Die hier mitzuteilenden Versuche wurden auf Grund folgender Überlegung angestellt: Die erwähnten Experimente von P. Bert usw. zeigen, dass Anpassungen namentlich an niedrige Salzlösungen ohne grössere Schwierigkeiten praktisch zu erreichen sind. Der nächst- 1) P. Bert, Sur la cause de la mort des animaux d’eau douce qu’on plonge dans l’eau de mer et reciproquement. Compt. rend. t. 97 p. 133—136. 1883. 2) E. Warren, lc. 3) Davenportand Neal, Acclimatization of Organisms to poisonus chemical Substances. Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 2 Heft 4 S. 564—583. 18%. 4) Daniel, Adaption and immunity of lower organisms to ethyl alcohol. Journ. of Exper. Zoology vol. 6 p. 571. 1899. 5) Ehrlich, Experimentelle Untersuchungen über Immunität gegen Riein und Abrin. Deutsche med. Wochenschr. Bd. 17 S. 976—979, 1218—1219. 6) ÖOppenheimer, Handbuch der Biochemie des Menschen und der Säugetiere Bd. 2 S. 277 u. 344. Jena 1909. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 343 liegende Schluss aus diesem Verhalten ist die Annahme, dass der- artige, an niedrige Salzkonzentrationen angepasste Tiere eine Über- tragung z. B. in normales Seewasser besser vertragen werden, als wenn sie direkt aus dem Süsswasser, ohne eine Vorbehandlung, in das fremde Medium gebracht würden. Es sei schon hier erwähnt, dass dieser Schluss nur eine bedingte Richtiekeit hat, immerhin er- scheint er als Ausgangspunkt für die experimentelle Bearbeitung der Kinetik der Anpassung. Im einzelnen war die Versuchsanordnung die folgende: Eine möelichst grosse Zahl von Daphniden wurde in die Kulturlösung eineesetzt. Aus praktischen Gründen wurde dazu nicht ein, sondern mehrere Gefässe benutzt; starben aus irgendwelchen Gründen die Tiere in einem Glase, so konnten die Versuche wenigstens mit dem anderen Teile des Materials fortgesetzt werden. Nach be- stimmten gleichmässigen Intervallen wurden die so vorbehandelten Individuen auf ihr nunmehriges Verhalten gegenüber normalem See- wasser geprüft, und zwar wurden dazu, wenn nicht anders bemerkt, stets zweimal 25 Tiere benutzt. Um gleiche Bedingungen zu schaffen, wurden die Versuchstiere in gleichen Portionen aus allen Gefässen genommen. Zuvor wurden stets nichtvorbehandelte Tiere auf ihre Lebensdauer im Seewasser untersucht, um so eine Kontrolle des Steigens bzw. des Fallens der Resistenzfähigkeit zu haben. A. Versuche bei Vorbehandlung mit '/z2o norm. Seewasser (— 0,16 °/o). Zunächst wurden Versuche angestellt, bei denen die Kultur- lösung, d. h. die zur Vorbehandlung benutzte Lösung, !/zo normales Seewasser (— 0,16 °/o) betrug. In diesem Medium war die schädi- sende Wirkung unbestimmbar klein. Wie aus den folgenden Experi- menten hervorgeht, konnten sich die Beobachtungen auf Individuen beziehen, die länger als 2 Wochen in der Kulturflüssigkeit gelebt hatten. 1. Beim ersten Versuch (12.—22. Januar 1910) wurden die Messungen aller 2 Tage vorgenommen; das dabei gefundene Resultat ist aus Tabelle 13 und Fie. 4 zu ersehen; bei letzterer wurde auf der Abszisse die Zeit der Vorbehandlung und auf der Ordinate die gegenüber normalem Seewasser beobachtete Lebensdauer aufgetragen. - Die eestrichelte Linie bezeichnet die entsprechende Lebensdauer der ‚ normalen Kontrolltiere. 344 Alfred Dernoscheck: Tabelle 13. Anpassungsversuch. Kulturlösung — !/so norm. Seewasser. Dauer der Vorbehandlung Lebensdauer Tage Min. | 2 17 4 18 6 19 8 18 10 17 20 jan so m 1 Lebensdauer in Minuten > je an a en a, ee 9 Zeit der Vorbehandlung in Tagen > Fig. 4. 10 Die Kurve zeigt ein stetiges Steigen und ebenso nach dem Maximum am sechsten Tage ein ganz gleich- mässiges Sinken der Lebens- dauer. Es ist dabei zu be- achten, dass alle Werte ober- halb der Normalen eine Zu- nahme der Resistenzfähigkeit der vorbehandelten Tiere gegenüber den nichtvorbehan- ‚delten anzeigen. Sehen wir von der spezifischen Gestalt der Kurve ab, so ergibt sich also aus diesem Versuche der allgemeine Schluss, dass eine Vorbehandlung mit Y/so norm. Seewasser die Widerstandsfähigkeit von Daphnia magna gegen- über normalem Seewasser steigert. ein Anpassungsphänomen vor uns. Wir haben mit anderen Worten 2. In einem zweiten Versuche (14.—29. Januar 1910) wurde aller 5 Tage nachgeprüft und dabei folgendes gefunden: Tabelle 14. AnpassungsVersuch., Kulturlösung — so norm. Seewasser. Dauer der Vorbehandlung Lebensdauer Tage Min. h) 15 10 18 15 17 Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 345 m nn —ı [0] Lebensdauer in Minuten > [7 [o7) 15 os MA 6 IE 1OEEITESTSZETSIETT Zeit der Vorbehandlung in Tagen > Die Kurve zeigt ihr Maximum von fünften bis zehnten Tage, nimmt also einen relativ flachen Verlauf, die Kontrollinie schneidet sie erst am fünfzehnten Tage, im Vergleich zum vorigen Versuch ziemlich spät. 3. Beim dritten Versuch (12.—20. Februar 1910) wurden stets 75 Tiere untersucht; ausserdem wurden die Experimente täglich an- gestellt. Tabelle 15. Anpassungsversuch. Kulturlösung — !/ao norm. Seewasser. Dauer der R Dauer der Vorbehandlung u daue: Vorbehandlung Lebensdauer Tage Min. Tage Min. 1 18,6 5 19 2 19 6 18,6 3 13,6 Mn | 17,6 4 18,6 8 | 17,6 Es konnte also beobachtet werden, dass die Tiere schon nach einem Aufenthalte von einem Tage in der Kultur- lösung eine Anpassung in- sofern zeigten, als ihre Lebens- fähiekeit gegenüber den ge- wöhnlichen Tieren etwas zu- genommen hatte. Mit einigen Serinsfügisen Schwankungen blieb dies auch so bis zum Lebensdauer in Minuten > U ES A ON NO RSG) Zeit der Vorbehandlung in Tagen — Fig. 6. 346 Alfred Dernoscheck: sechsten Tage. Von da aus geht die Kurve nach unten und schneidet bald die Normallinie. Es sank mit anderen Worten die Lebens- dauer hier unter diejenige der Kontrolltiere. Leider war es mir infolge Aussterbens der Kulturen nieht möglich, weitere Unter- suchungen an demselben Material anzustellen. 4. Im nächsten Versuch (3.—14. Juni 1910) wurden die Messungen am ersten, dritten, fünften Tage usw. gemacht. Es fand sich dabei folgendes: Tabelle 16. Anpassungsversuch. Kulturlösung = !/: norm. Seewasser. Dauer der 5 Dauer der | Vorbehandlung I eu Ben Vorbehandlung | Lebensdauer Tage Min. Tage Min. 1 14,5 7 19 3 ılz 9 19 5 18 10 18 2 Der Versuch zeigt insofern etwas Neues, als die Tiere am ersten Tage kurzlebiger waren als die Kontrolltiere; ausser- dem nahm dann die Lebensdauer in unge- wöhnlichem Masse zu / und erreichte am 7.—9. Tage, also zu einer Zeit, wo beim ersten und dritten Versuch bereits wieder die Abnahme der ı 2345 6 7 8 9 10 11 Lebensfähigkeit statt Zeit der Rn in Tagen > al, Ah Maximum. | Leider reichte auch hier das Material nicht mehr aus, um weitere Messungen anzustellen und 2. B. den Tag zu bestimmen, an dem die Tiere eine ebenso grosse Lebensdauer besassen wie die Kontrolltiere. Wahrscheinlich wäre dies ungefähr am fünfzehnten Tage eingetreten. 5. In der nächsten Versuchsreihe (20. Juni bis 3. Juli 1910), bei der die Messungen am ersten, dritten, fünften Tage vorgenommen wurden, fand sich folgendes Bild: u fen a © IE een en [e?} Zap Lebensdauer in Minuten > u -1 Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc, 347 Tabelle 17, Anpassungsversuch. Kulturlösung = !/so norm, Seewasser. Dauer der Dauer der e Vorbehandlung Lebensiauer | Vorbehandlung Lebensdauer ger FBuuee Tage Min. 1 3 9 17,5 3 18 11 16,5 7 17 19 18 er I m [e>) m [18 Lebensdauer in Minuten > m > 13 1 DNB A me hee 07 EIS EOS 23 Zeit der Vorbehandlung in Tagen > Fig. 8. Bemerkenswert war hier die verhältnismässig grosse Steigerung der Empfindlichkeit der Tiere zu Anfang der Vorbehandlung, speziell am ersten Tage. Während z. B. bei den vorausgehenden Versuchen bei 4 nach dem ersten Tage die Lebensdauer nur von 15 auf 14" Minuten gefallen, ja bei 3 zu dieser Zeit überhaupt keine Ab- schwächung der Resistenzfähiekeit festzustellen war, findet sich hier ein Abfall von 16!/s auf 13 Minuten. Sonst ist der Verlauf der Kurven in den Hauptzügen derselbe wie bei den vorangegangen Versuchen. 6. Der letzte Versuch (21. November bis 7. Dezember 1910) zeigte im Verlauf der Kurve grosse Ähnlichkeit mit 4, als auch hier die Lebens- ' dauer in ganz erstaunlicher Weise zunahm, nur trat hier im Unter- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 24 348 Alfred Dernoscheck: schiede zu dort das Maximum 2 Tage später ein. Übereinstimmend mit 5 war aber auch in den ersten Tagen die Empfindlichkeit der Tiere eine verhältnismässig recht grosse. Lebensdauer in Minuten > Tabelle 18. Anpassungsversuch. Kulturlösung — !/zo norm. Seewasser. Dauer der Dauer der : Vorbehandlung Lebensdauer Vorbehandlung Lebensdauer Tage Min. Tage Min. 1 13,5 9 21,5 3 13,5 11 21,5 5 17,5 13 21 7 19,5 15 19 SIWA HE NONIEEE Zeit der Vorbehandlung in Tagen > Fig. 9. 9 10 11 12 15 14 15 Versucht man, sich Rechenschaft zu geben, woher die grössere Emp- findlichkeit der Tiere zu Anfang der Vorbehand- lung, die sich beim letz- ten Versuch bis auf den dritten Tag erstreckt, stammt, so kann man wohl mit Recht darauf hinweisen, dass dieser letzte Versuch, bei dem die anfängliche Abnahme der Resistenzfähigkeit . eine So enorme ist, im Winter angestellt wurde. Obgleich nun die Ver- suchstiere stets min- destens einen Tag, bevor sie in die Zuchtlösung gesetzt wurden, bei Zimmertemperatur gehalten worden waren, so erscheint es doch gut möglich, dass sie durch den immerhin plötzlichen Temperaturwechsel ungünstig beeinflusst wurden. Hierüber könnten eventuell weitere Untersuchungen, die sich auf die Kombination von Temperatur- und Salzvorbehandlung erstrecken, Aufschluss geben. 1 Die Zusammenfassung dieser sechs Anpassungsversuche mit 20 norm. Seewasser als Kulturmedium gibt folgende Kurve (Fig. 10). Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. (349 Als mittlere Lebensdauer der Kontrolltiere (Schwankung von 15 bis 18 Minuten) wurden 17 Minuten angenommen (genauer 16,7 Minuten) und die übrigen Lebenszeiten auf diese Zahl als Normale bezogen. Die Zahlen für die Lebenszeiten stellen das arithmetische Mittel aus allen sechs Versuchsreihen dar. 20 19 18 Lebensdauer in Minuten > 16 2 3 A EEE OS INES OERIIE ZEN Zeit der Vorbehandlung in Tagen > Fig. 10. Es resultiert eine durchaus charakteristische Kurve von liegender S-förmiger Gestalt. In den ersten Tagen der Vorbehandlung ergibt sich eine Steigerung der Giftiekeit (Herabsetzung der Lebens- dauer) des normalen Seewassers verglichen mit derjenigen auf nicht vorbehandelte Tiere. Nach weiterer Behandlung erreicht die Lebens- dauer ihren normalen Wert (die Kurve schneidet die Normallinie), um dann in ausgezeichneter Weise zuzunehmen. Diese Zu- nahme stellt die eigentliche Anpassungserscheinung dar. Interessanterweise bemerkt man aber bei noch längerer Vor- behandlung wieder einen Abfall der Kurve, d. h. eine Abnahme der Lebensfähigkeit, wennschon die letztere — wenigstens bei den hier gewählten Zeiten bis 14 Tage — kaum unter die normale sinkt, sondern in der Regel in der Nähe dieses Wertes sich nur ganz allmählich verringert. Dies zeigt das flache Auslaufen der Kurve. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass bei noch längerer Versuchsdauer auch hier die unternormalen Lebenszeiten auftreten können, und es ergibt sich also das interessante Resultat, dass einer- seits eine Lösung von 0,16 °/o in letzter Linie noch schädliche Wir- kungen auf die Tiere hat, sowie andererseits, dass die Anpassung ein Zustand ist, der bei konstanten Aussenbedingungen nach ge- 24 * 350 Alfred Dernoscheck: wisser Zeit wieder verschwinden kann. Auf die theoretische Diskussion dieser Kurve wird weiter unten nach Besprechung der übrigen Anpassungsversuche eingegangen werden. B. Versuche bei Vorbehandlung mit "ıs norm, Seewasser (= 0,21/0). Weiterhin wurden Experimente angestellt, bei denen die Versuchs- tiere vorher in einer Kulturlösung von "}/ıs norm. Seewasser (— 0,21 °/o) gehalten wurden, d.h. also in einem konzentrierteren Medium. Die übrige Anordnung blieb dieselbe wie bei den vorigen Versuchen. Die dabei gefundenen Resultate finden sich in folgenden Tabellen und Kurven wiedergegeben. 1. Bei der ersten Versuchsreihe (12.—19. Februar 1910) wurden täglich 75 Individuen auf ihr Verhalten gegenüber normalem See- wasser geprüft (siehe Tab. 19 und Fig. 11). Tabelle 19. Anpassungsversuch. Kulturlösung — "ıs norm. Seewasser. Dauer der 2 Dauer der j Vorbehandlung Lebensdauer Vorbehandlung | Lebensdauer Tage Min. | Tage | Min. ] 14,3 5 16 3 153 : 4 16 3 | 18,3 Schon der erste Blick lehrt, dass die Kurve, wenn man gleiche Vorbehandlungszeiten in Betracht zieht, eine ganz andere Gestalt aufweist als die bei !/so Kulturmedium erhaltene. Sie beginnt hier viel tiefer, steigt viel Jangsamer nach oben, um erst am siebenten Tage die Nor- male zu erreichen. Mangel an Versuchsmaterial verhinderte en —1 Lebensdauer in Minuten > 1 2 3.04 5 6 7 8 Q 0 & . Zeit der Yorbehandlung ın masnı$ leider ein weiteres Experimen- Fig. 11. tieren "). 1) Naturgemäss war auch die spontane Sterblichkeit der Individuen in dieser konzentrierteren Lösung eine grössere als bei der vorhergehenden. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere et. 351 2. Die nächsten Messungen (22. Februar bis 8. März 1910) wurden aller zwei Tage vorgenommen, und zwar wurden auch hier stets 75 Tiere dazu verwendet. Tabelle 20. Anpassungsversuch. Kulturlösung = !/,; norm. Seewasser. Dauer der Dauer der Vorbehandlung Lebensdauer | Vorbehandlung | Lebensdauer Tage Min. Tage Min. 2 16,3 10 19 4 16,3 12 | 18 6 18,3 14 | 18 8 | 19 19|-- ---- -- - = --- - - [0 ) je -] Lebensdauer in Minuten > je {>>} 15 a Ze SEA 08 er SIE OTTO STE Zeit der Vorbehandlung in Tagen > Fig. 12. Auch hier ergab sich analog wie bei dem vorausgegangenen Versuche zunächst eine wesentliche Abnahme der Widerstandsfähigkeit; die Lebenszeit erreichte vom achten bis zehnten Tage ihr Maximum, das zusammenfiel mit der Resistenzfähigkeit der gewöhnlichen Tiere. Wie gut reproduzierbar die Versuche waren, ergibt sich daraus, dass sowohl bei 1 als auch bei 2 der Unterschied der Lebensdauer nach 2 Tagen 3 Minuten betrug, und dass auch das Maximum in beiden Fällen am selben Tage (8.) eintrat. Diese beiden Kurven zeigen zwar noch keine absolute An- passung, insofern als der Normalwert der Lebensdauer nicht oder nur ganz wenig überstiegen wurde, wohl aber sehr deutlich eine relative, da die Widerstandsfähigkeit zusehends eine Steigerung 9359 Alfred Dernoscheck: erfuhr. Auf der anderen Seite ist auch eine gewisse Übereinstimmung mit der im vorigen Abschnitt beschriebenen Kurvenform unverkenn- bar, insofern als auch hier die Kurve nach Erreichen des Maximums wieder abfällt, und ihr Ende fast horizontal auszulaufen scheint. .Der ganze regulatorische Vorgang findet aber unterhalb der Normal- Jinie statt. 3. Bei Versuch 3 (29. Mai bis 22. Juni 1910) wurde die Lebens- dauer am ersten, dritten, fünften Tage usw. beobachtet. Tabelle 21. Anpassungsversuch. Kulturlösung = "ıs norm. Seewasser. Dauer der Dauer der Vorbehandlung IL dbenegemte: Vorbehandlung Lebensdaueı Tage Min. Tage Min. 1 15,5 13 19 > 15,5 15 11,5 3 16 17 11 2 16 19 11,5 I 15,5 21 11,5 1 14,5 3 11,5 mi [0,0] - —ı „ [o}) - ot 14 13 Tıebensdauer in Minuten > 123456 78 9 101 12 1314 15 16 17 18 19.20 21 22 23 Zeit der Vorbehandlung in Tagen > Fig. 13. Die Versuchstiere zeigten hier insofern ein ganz anderes Ver- halten, als sie nicht einmal die Normallebensdauer erreichten, und daher die ganze Kurve nach unten verschoben, d. h. im Sinne einer allgemeinen Herabsetzung der Resistenzfähigkeit verändert worden ist. Der Grund für dieses anormale Verhalten liegt sehr wahr- Lebensdauer in Minuten > Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 3553 scheinlich darin, dass zur Zeit der Anstellung dieses Versuches eine "ausserordentlich hohe Temperatur herrschte, deren Wirkung sich natürlich auch auf die Tiere in den Kulturen äusserte. Bei den nächsten drei Versuchsreihen wurde am ersten, dritten, fünften Tage usw. nachgeprüft. 4. 27. Juni bis 15. Juli 1910. Tabelle 22. Anpassungsversuch. Kulturlösung — !/ı: norm. Seewasser. Dauer der Dauer der 2 Vorbehandlung Lebsmntangr Vorbehandlung | Lebensdauer Tage Min. Tage Min. 1 16 13 15 3 16 15 15,5 2 16 17 14,5 7 16,5 19 13,5 9 16,5 9] 12,5 11 16 17 fer [e) jan or je » m [4 12 DE SE ARE SE 6 E89 1081112725187, 14 190 1617018192021 Zeit der Vorbehandlung in Tagen > Fig. 14. 5. 20. Juli bis 2. August 1910. Tabelle 23. Anpassungsversuch. Kulturlösung — '/s norm. Seewasser. Dauer der Dauer der Vorbehandlung Lebensdauer Vorbehandlung Lebensdauer Tage Min. Tage | Min. 1 13 3 16,5 3 13,5 9 16 5 15 11 16,5 7 16 13 14 354 Alfred Dernoscheck: 17 | - oa en [DS fen He Lebensdauer in Minuten > 13 12 ee ee ee Zeit der Vorbehandlung in Tagen > Fig. 15. 6. 23. November bis 8. Dezember 1910. Tabelle 24. Anpassungsversuch. Kulturlösung = "ıs norm. Seewasser. Dauer der Dauer der = Vorbehandlung EB uelaer Vorbehandlung | Lebensdauc: Tage Min. Tage I, 22Min, 1 13 ) 17,5 3 13 11 17,5 5 15,5 13 17 7 13 15 147 18 fer Ex} - [o>) Lebensdauer in Minuten > ee I ERITED ae aEN Zeit der Vorbehandlung in Tagen > Fig. 16. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 355 Als besonders bemerkenswert ist bei diesen Versuchsreihen hervorzuheben, dass in allen drei Fällen das Maximum der Kurve über der Normallinie liest, wennschon nur beim Versuch 5 die hier- durch angezeigte absolute Anpassung erheblicher ist. Im übrigen zeigen diese letzten Versuche ebenfalls eine S-förmige Grundform mit einem unterhalb der Normalen liegenden Minimum, einem Maximum und schliesslich wiederum einem allmählichen Abfall. In ganz analoger Weise wurden auch hier die beobachteten Lebenszeiten auf eine mittlere Kontrollebensdauer von 17 Minuten ‚umgerechnet — Versuch 3 wurde hierbei wegen seines anormalen Verhaltens nicht mitberücksichtigt —, die so gefundenen Werte führten zur folgenden Kurve (Fig. 17). 18 m —ı Lebensdauer in Minuten > en [e7 1 Da ENT STIEFEL Zeit der Vorbehandlung in Tagen > Fig. 17. C. Versuche bei Vorbehandlung mit !/ıs norm. Seewasser (= 0,21%) innerhalb der ersten 24 Stunden. Da alle bisherigen Versuche nur mit Tieren gemacht worden waren, die mindestens einen ganzen Tag in der Kulturflüssiekeit gelebt hatten, so wurden, um die Lücke zwischen 0 und 24 Stunden (in den graphischen Darstellungen als punktierte Linie zu finden) auszufüllen, mit anderen Worten, um das Minimum näher zu kenn- zeichnen, auch noch Untersuchungen angestellt, die das Verhalten der Versuchstiere im Verlauf der ersten 24 Stunden klarlegen sollten. Benutzt wurde hierzu eine Kulturlösung von "/ıs norm. Seewasser, ungefähr aller 4 Stunden wurden Messungen mit je 3 X 25 Tieren vorgenommen. Das Resultat ist in folgender Kurve (Fig. 18) graphisch dargestellt. Es zeigt sich also, dass die Lebensdauer ganz allmählich sinkt. 18 F Lebensdauer in Minuten > PB Alfred Dernoscheck: Ve een en esroone===-- 2 4 ö 8 10 12 14 16 18 20 22 24 Zeit der Vorbehandlung in Stunden > | Fig. 18. D. Versuche bei Vorbehandlung mit "/ıio norm. Seewasser (= 0,32°/o.) Es wurden auch noch Versuchstiere aus einer Kulturlösung von !/io norm. Seewasser (= 0,32 °/0), d. h. also aus einer noch konzen- trierteren Lösung, in normales Seewasser gebracht. Die Messungen wurden täglich angestellt, die beiden folgenden Tabellen 25 und 26 lassen die dabei gefundenen Resultate erkennen. Tabelle 25. Anpassungsyersuch. Kulturlösung —= "ıo norm. Seewasser. Dauer der i Dauer der | ä Vorbehandlung Lebensdauer Vorbehandlung | Lebensdauer Tage Min. Tage | Min. 1 | 13 6 | 12,3 2 105 7 | 11,3 3 | 12:3 > 13,3 4 12,3 9 | 13 5 14 Tabelle 26. Anpassungsversuch. Kulturlösung — !/ıo norm. Seewasser. Dauer der Dauer der Vorbehandlung | Lebensdauer Vorbehandlung Lebensdauer Tage | Min. Tage Min. 1 | 11,3 5 12,3 2 | 3 6 | 11,6 2 13 7 11 4 | 12,6 Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 357 Kombinieren wir die beiden Ver- 18 suehsreihen und rechnen sie gleich- falls auf eine mittlere Kontroll- I lebensdauer von 17 Minuten um, so erhalten wir folgende Kurve (Fig. 19). Sehen wir von den Unregel- mässigkeiten des ersten Versuches, die vermutlich nur zufällige sind, ab, so ergibt sich auch hier die - [e>) er He Lebensdauer in Minuten > — or erundsätzlichke $- Form (steiler " Abfall, Anstieg zum Maximum und weiterer Abfall. Weiterhin aber 12 zeigt sich, dass in dieser kon- I ZEN So F 3 2 Zeit der Vorbehandlung in Tagen > zentrierten Kulturlösung eine ab- Fig. 19 solute Anpassung in keinem Falle zu beobachten war, wennschon auch hier eine relative Fr- höhung der Widerstandsfähigkeit der Tiere auftrat. E. Versuche bei Vorbehandlung mit '/ norm. Seewasser (= 0,080). Schliesslich sei noch bemerkt, dass einige Versuche auch mit einer sehr verdünnten Kulturlösung, nämlich "4 norm. Seewasser (—0,08°/o) angestellt wurden. Um das allgemeine Resultat dieser Versuche mit kurzen Worten zu bezeichnen, so sei hervorgehoben, dass auch nach etwa einer Woche ein nennenswerter Unterschied in der Lebensdauer der vorbehandelten Tiere verglichen mit den gewöhnlichen nicht festzustellen war. Die erhaltenen Zahlen schwankten vielmehr innerhalb der normalen Variationsbreite un- regelmässig um die Normale (13 Minuten) herum, z. B. ergaben sich die Zahlen 16 (erster Tag), 16 (zweiter Tag), 17 (dritter Tag), 18 !/e (vierter Tag), 18 (fünfter Tag), 18 !/s (sechster Tag), 19 (siebenter Tag), 18!/2 (achter Tag) und 18 (neunter Tag). 12. Übersicht über die Anpassungsversuche. Fassen wir die bei verschiedenen Kulturkonzentrationen ge- wonnenen Resultate zusammen, so erhalten wir die in Fig. 20 zu- sammengestellte Kurvenschar. Wie erwähnt, zeigen alle den $-Typus, nur in verschieden ausgesprochener Form. Im einzelnen ergeben sich folgende Unter- schiede zwischen den einzelnen Kurven: 358 Alfred Dernoscheck: Das Minimum in der Lebensdauer zu Anfang der Vorbehand- lung wird sowohl relativ als auch absolut um so tiefer, je höher die Kulturkonzentration ist. In gleicher Weise ist auch die Breite des Minimums um so grösser, je höher die Konzentration der Kultur- flüssigkeit ist. Die „negative Phase“ der Anpassungserscheinung nimmt also in jeder Beziehung an Umfang zu mit zunehmender Zuchtkonzentration. Zahlengemäss zeigt sich dies darin, dass die 18 - Laun} {=>} 1 u a Lebensdauer in Minuten > 14 Ra El oe sen nern hl a Zeit der Vorbehandlung in Tagen > Fig. 20. Abnahme der Lebensdauer nach einem Tage bei !/so norm. See- wasser nicht festzustellen ist, dass sie bei !/zo norm. Seewasser 1"/se Minute (= 9/0), bei Yıs norm. Seewasser 2 Ya Minute (= 15 /o) und bei Y/ıo norm. Seewasser 3!/a Minute (—21°/o) beträgt. Die „positive Phase“ der Anpassung oder die gewöhnlich als Anpassung bezeichnete „absolute Anpassung“ beginnt allgemein beim Wiedererreichen der normalen Lebensdauer. Die Steigerung der Resistenzfähigkeit über das normale Mass beginnt um so früher, je geringer die Kulturkonzentration ist. So wird die Normallinie bei Vorbehandlung mit !/so norm. Seewasser wahrscheinlich sofort, mit '/so norm. Seewasser nach 2!/s Tagen, mit !/ıs norm. Seewasser nach 6'/ und mit Yıo überhaupt nicht erreicht. a Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 359 Das Maximum der Lebensdauer ist erstens um so grösser, je niedriger die Konzentration der Kulturflüssigkeit ist. Dieser Befund entspricht ungefähr der allgemeinen praktischen Erfahrung, dass eine Anpassung um so eher erreicht wird, je geringer die Ver- änderungen des betreffenden Mediums sind. Über den Zeitpunkt des Eintretens des Maximums lassen sich bestimmte Schlussfolgerungen noch nicht ziehen. Dagegen ist die Breite der „positiven Phase“ um so grösser, je verdünnter die Zuchtlösung ist. Der Abfall der Kurve schliesslich tritt um so eher ein, je konzentrierter die Kulturlösung ist. Der Zustand des An- sepasstseins erlischt mit anderen Worten um so eher, je höher die Zuchtkonzentration ist. 13. Vergleich mit anderen Anpassungserscheinungen. Es ist von Interesse, die hier erhaltenen Resultate mit den Er- sebnissen anderer Forscher über den quantitativen Verlauf von An- passungserscheinungen zu vergleichen. Es ergibt sich hier eine sanze Reihe von Analogien, die um so bemerkenswerter sind, als es sich einerseits um ganz andere Versuchstiere, andererseits um Gewöhnungen an Neutralsalze oder aber auch an ganz andere chemische Gifte handelt. Allerdings sind die betreffenden Versuche nur zum kleinen Teil in systematischer Weise angestellt worden, doch lässt sich immerhin häufig das Auftreten von — graphisch ge- sprochen: — gleichartigen Kurvenstücken feststellen. Besonders deutlich sind die Analogien auf anderen Gebieten für den zweiten Teil der Anpassungskurve, für die „positive Phase“, die mit dem Erreichen der Normallinie beginnt. Es haben andere Forscher bei ganz anderen Anpassungserscheinungen nicht nur eine allgemeine Steigerung der Resistenzfähigkeit mit der Dauer der Vorbehandlung gefunden, sondern, was noch viel wichtiger erscheint, auch einen zweiten entgültigen Wiederabstieg der Kurve. Hierfür seien folgende Beispiele angegeben: Davenport und Neal, die Anpassungsversuche mit Stentor an Sublimat machten, konnten dabei konstatieren, dass die Tiere nach einer Vorbehandlung von 1—2 Stunden eine grössere Wider- standsfähigkeit besassen als die Kontrolltiere, welche direkt aus reinem Wasser ins Versuchsmedium, 0,00125%o HgCl,, gebracht worden waren, und auch als diejenigen Tiere, die in derselben ‘ Kulturflüssigkeit 4 Stunden zugebracht hatten. Die näheren An- gaben darüber enthält die folgende Tabelle 27. 3650 Alfred Dernoscheck: Tabelle 27. Anpassungsversuch mit Stentor (nach Davenport und Neal). Vorbehandelt mit 1—2 Stunden 4 Stunden feinem Wasser. Dee 35 Min. | 35 Min. 0.000025 — 50% HeCh ... .... Zoe | DS 0,000075 — 0,0001 Yo HeCk,. . . . . I | Sa F. Daniel experimentierte mit Spirostoma und benutzte als Versuchsmedium Alkohol. Er machte Anpassungsversuche, indem er seine Versuchstiere verschieden lange Zeit mit 1°/oigem Alkohol vorbehandelte. Um eine bessere Übersicht zu erlangen, habe ich die von Daniel in Einzelversuchen erlangten Resultate in Tabelle 28 zusammengefasst, die in Parenthese gesetzten Zahlen geben die Lebensdauer der jeweiligen Kontrolltiere an. Da nun letztere zwischen 61 und 104 Minuten schwankte, und dadurch das Bild weniger über- sichtlich wurde, so rechnete ich seine Angaben auf eine mittlere ! Kontrollebensdauer von 80 Minuten um; die letzte Rubrik in Tabelle 28 enthält die so gefundenen Werte. Tabelle 28. Anpassungsversuch mit Spirostoma. Kulturlösung = 1% Alkohol. Versuchsmedium 8°o Alkohol. (Nach Daniel). Yorbehandiäne Lebensdauer in Minuten 2 Tage 124 (104) 3 Aus 156 0) | 156 3 165 (83) 159 7. 168 (65) | 207 I 1452 (69): 1.0, 281 14” loch 167 | Was den Einfluss der Konzentration der Kultur- flüssigkeit auf Höhe, Breite und Eintritt der positiven Phase | anbetrifft, so lassen sich aus den zitierten Arbeiten von Daven- port, Neal und Daniel nur teilweise bestimmte Schlüsse ziehen, da in der Regel keine systematischen Versuchsreihen vorliegen. \ Immerhin geht aus ihnen hervor, dass das Maximum innerhalb ge- wisser Grenzen um so höher liegt und um so früher eintritt, je ver- | dünnter die Kulturlösung ist. Indessen machen beide Autoren darauf Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere etc. 361 aufmerksam, dass es eine untere Grenze eibt, unterhalb der eine weitere Verdünnung keine merkliche Anpassung ermöglicht, Daniel sagt: Der Grad der Resistenzfähigkeit entspricht in einem bestimmten Masse der Konzentration des Alkohols, der als „Akklimatisations- medium“ benutzt wird. Im Vergleich zu der Widerstandsfähigkeit, verursacht durch ein 1°/oiges Zuchtmedium, ist diejenige, die auf ein }/a /oiges zurückzuführen ist, eine geringere. In einem Medium, das konzentrierter als 1° ist, dauert aber diese Steigerung der Lebensdauer nicht an, da konzentriertere Kulturlösungen die Re- sistenzfähigkeit dadurch vermindern, dass sie schädigend auf die Organismen einwirken. Dieselbe Tatsache, dass eine niedrigere Konzentration, die aber über einer bestimmten Grenze liegen muss, eine bessere Anpassung gestattet als eine höhere, konnten auch Davenport und Neal konstatieren, wie aus Tabelle 27 und 29 hervorgeht. Sie fanden auch ein Analogon zu dem obigen Befunde, dass man die Kulturkonzentration nicht zu niedrig wählen darf, um ein möglichst günstiges Resultat der Anpassung zu erhalten. Die beiden Tabellen 29 und 30,.die ihren Arbeiten entnommen sind, zeigen dies in anschaulicher Weise. Tabelle 29. Anpassungsversuch mit Stentor (nach Davenport und Neal). 2 Tage vorbehandelt Versuchsmedium mit 0,1% Quinin | 0,05% Quinin 0,0000001 °/o Quinin . 25 Min. | 48 Min. 0,000001 %0 Quirin. . 20005 UBoler 0,00001 % Quinin . . Sl dee (50 | Tabelle 30. Anpassungsversuch mit Stentor (nach Davenport und Neal). Vorbehandelt mit | 20-44 Stunden | 72-96 Stunden | 0.000005 %0 HgCl,. | 49 Min. | 70 Min. “ | g 0,00001 %o HgÜlz . DAS, SEN Diesen Angaben entsprieht durchaus das bei den vorliegenden Untersuchungen «efundene Resultat mit sehr verdünnter Kultur- 362 Alfred Dernoscheck: En flüssigkeit ("/so norm. Seewasser). Auch hier war nur ein unregel- mässiges Schwanken um die Normallinie, aber keine merkliche positive Anpassungsphase zu konstatieren. Was nun das Auftreten der in der vorliegenden Untersuchung so deutlich feststellbaren „negativen Phase“ bei anderen An- passungsversuchen anbelangt, so sind Angaben darüber viel spärlicher. So machen Davenport und Neal keinerlei Bemerkungen darüber. Es ist indessen ganz und gar nicht ausgeschlossen, dass auch hier eine solche negative Schwankung in der Resistenzfähigkeit auftrat, nur haben diese beiden Forscher in der sachgemässen Erwartung, dass absolute Anpassungsvorgänge erst nach einiger Zeit auftreten werden, die erste Stunde ausser Untersuchung gelassen. In anderen Fällen finden sich über das Verhalten in den ersten Tagen der Vor- behandlung unbestimmte Angaben. So sagt Ehrlich!) in seinen berühmten Untersuchungen von Mäusen, dass an den ersten 4 Tagen von einer erhöhten Widerstandsfähigkeit noch nichts zu merken war, am 5. Tage zeigte sich eine noch ins Gebiet der Fehlerquellen fallende Andeutung, erst am 6. Tage trat eine ausgesprochene Im- munität auf, die dann sehr rasch an Intensität zunahm, so dass die Tiere am 10. Tage schon eine zehnfache Resistenzfähigkeit auf- wiesen. Interessanterweise sind aber von diesem Forscher und später auch von anderen bei den so besonders wichtigen Anpassungs- erscheinungen, die man unter dem Namen „Immunisierung“ zu- sammenfasst, sehr deutlich auch negative Phasen festgestellt worden. Der Antitoxingehalt nimmt nämlich, nach den Feststellungen von Ehrlich und Brieger°), nach einer erneuten Injektion zunächst recht erheblich ab, um nach einigen Tagen wieder anzusteigen zu einer Höhe, die den vorher vorhandenen Antitoxingehalt nicht un- erheblich übertreffen kann (positive Phase). Diesem Stadium des Anstiegs folgt dann ein Stadium des Abfalls bis zu einer gewissen Höhe, die dann längere Zeit hindurch bestehen bleiben kann. Aus dieser Schilderung geht hervor, dass bei diesen ganz andersartigen Vorgängen nicht nur ebenfalls eine negative Phase eintritt, sondern dass auch der weitere Verlauf der Anpassungskurve grundsätzlich 1) Ehrlich, Experimentelle Untersuchungen über Immunität gegen Ricin und Abrin. Deutsche med. Wochenschr. Bd. 17 S. 976—979, 1218—1219. 2) Oppenheimer, Handbuch der Biochemie des Menschen und der Säugetiere Bd. 2 S. 277 u. 344. Jena 1909. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere ete. 363 identisch ist mit der bei den vorliegenden Untersuchungen be- obachteten, als wir auch hier ein Ausklingen des Maximums sowie ein fast horizontales Kurvenende beobachten können. Es ist zweifel- los sehr interessant, dass sich so verschiedenartige Anpassungs- erscheinungen wie Immunisierung und Gewöhnung von Süsswasser- tieren an Salze in bezug auf den zeitlichen Verlauf der Anpassung so überaus ähnlich verhalten. Schliesslich wäre noch bezüglich des Versuches von Warren zu bemerken, dass seine nur einmalige Bestimmuag der Lebens- dauer der Versuchstiere am 17. Tage der Vorbehandlung schon in die negative Phase fiel, wodurch die Abnahme der Lebenszeit er- klärlich ist. Es ist aber mit Bestimmtheit anzunehmen, dass auch seine Anpassungsvorgänge vorher eine positive Phase gezeigt hätten, wenn sie daraufhin untersucht worden wären. 14. Bemerkungen zur Theorie der Anpassungs- erscheinungen. Ein Versuch, die allgemeinen Ergebnisse der hier beschriebenen Anpassungsversuche theoretisch zu deuten, muss sich insbesondere auf zwei Fragen erstrecken. Einerseits erhebt sich das Problem, nach den allgemeinen physiologischen und möglichst physikalisch- chemischen Kräften zu suchen, die diese Regulationsveränderungen hervorrufen; anderseits kann man fragen, auf welche Ursachen die komplizierte Gestalt der Anpassungskurven (mit negativer und positiver Phase) zurückzuführen ist. Was die Frage nach der Natur der physiologischen oder physi- kalisch-chemischen Faktoren anbelanet, durch deren Änderung die Anpassung an ein salzhaltiges Medium erfolgt, so liegen einige Fr- klärungsversuche vor, die sich an die oben besprochene osmotische Theorie der Giftwirkungen der Salze anschliessen. Balbiani‘), der seine Anpassungsversuche mit Paramaecien machte, äusserte sich dahin, dass die Akklimatisation offenbar dadurch zustande käme, dass der osmotische Druck der Zellflüssigkeit durch Salzaufnahme gesteigert würde. Zu derselben Auffassung kam auch Yasuda?) 1) Balbiani, Action des sels sur les Infusoires. Arch. d’Anat. micer. t. 2. Paris 189. 2) Yasuda, Studien über Anpassungsfähigkeit einiger Infusorien an konzen- ‚ trierte Lösungen. Journal of the College of Science. Imperial Univ. Japan vol. 13 . p. 101—140. 1900. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 25 364 Alfred Dernoscheck: bei seinen Experimenten mit Infusorien. Massart!) stellte An- passungsversuche mit verschiedenen Infusorien an Salzlösungen an und kam zu dem Schlusse: die Anpassung an konzentrierte Lösungen vollzieht sich durch Adsorption der äusseren Salzlösung in der Weise, dass die innere Konzentration dadurch allmählich der äusseren gleich wird. Auch bei Steuer?) fand ich eine auf physikalische Erklärung hindeutende Bemerkung Hübner’s, dass es sich bei der Akkli- matisation von Infusorien an Salzlösungen um die Herstellung einer Isotonie zwischen äusserem Medium und innerer Zellflüssigkeit handele. Phillipson?°), der in neuester Zeit Versuche über An- passung von Anodonta eygnea an Meerwasser anstellte, gibt seine Frklärung dahin ab: die äusseren Salze dringen ins Innere des Organismus ein und tragen dazu bei, den osmotischen Druck des inneren Milieus zu erhöhen. Man kann schon aus den Erörterungen auf Seite 323, welche die Unangemessenheit der rein osmotischen Natur der Giftwirkung des Seewassers darlegen, folgern, dass auch eine osmotische Theorie der Anpassung den Erscheinungen nicht gerecht werden kann. Im speziellen zeigt schon die Form der Anpassungskurven die Un- möglichkeit der Auffassung, dass nur durch einen allmählichen Aus- gleich der osmotischen Drucke infolge Hineindiffundierens der Salze die Anpassung erfolgt. Denn wäre dies der Fall, so könnte weder die negative Phase noch das Ausklingen des Maximums eintreten. Es erscheint zwar nicht zweifelhaft, dass beim Vorhandensein von Zellmembranen auch osmotische Vorgänge bei Behandlung mit Salzlösungen auftreten, doch können diese aus den angegebenen Gründen jedenfalls nicht die ausschlaggebende Rolle spielen. Schon Davenport und Neal?) wiesen darauf hin, dass der Vorgang der Anpassung nicht osmotischer Natur sein kann, und be- gründeten dies durch folgendes Experiment: Sie hielten 2 Tage lang den einen Teil ihrer Versuchstiere in einer 0,00001 %/oigen Sublimat- 1) Massart, Sensibilit& et adaption des organismes ä la concentration des | solutions salins. Arch. de Biol. t.9 p. 515—570. - 1839. 2) Steuer, l.c. 8.423. 3) Phillipson, Sur l’adaptation d’Anodonta cygnea A l’eau de mer. Arch. internat. de Physiol. 1910 p. 410. 4) Davenport and Neal, Acclimatization of Organisms to poisonous cheinical Substances. Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 2 Heft 4 S. 564—583. 1896. Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere ete. 365 lösung, den anderen dagegen in einer dieser Sublimatlösung iso- tonischen NaCl-Lösung (= 0,0000021 °/o). Brachten sie nun die so vorbehandelten Tiere in eine 0,001 bzw. 0,0008 /oige HgCl,-Lösung, so hätte nach der Theorie der Osmose die Lebensdauer der mit NaCl vorbehandelten Tiere genau so gross sein müssen wie die der im HsCl, gezüchteten Individuen. Dies war aber keineswegs der Fall, wie aus der folgenden Tabelle 31 hervorgeht. Tabelle 31. Anpassungsversuch mit Stentor (nach Davenport und Neal). 2 | Versuchsmedium Vorbebandelt mit |0,00125°% HgC1, | 0,0008/ HgCl, 0,00001%/o HgCl, . 90 Min. 807 Min. 0,0000021 % NaCl 66 370 ” ” | Sie schlossen daraus, dass die Akklimatisation als ein chemischer und nicht als ein physikalischer Prozess aufzufassen sei. Weiterhin zeisten sie auch, dass die Anpassung eine rein spezifische sei, dass also die Tiere nur an das betr. Gift angepasst seien, nicht aber damit zuseleich an ein anderes. Diese Tatsache steht in Parallele mit der sogenannten Immunität, mit der Erscheinung, dass man Tiere durch wiederholtes Darreichen von geringen Dosen eines Giftes gegen dasselbe immun machen kann. Ehrlich!) fand, dass weisse Mäuse, die er abrinfest gemacht hatte, dadurch nun keineswegs auch gegen die Wirkung eines ganz ähnlichen Giftes, des Riein, unempfind- lich waren und umgekehrt. In ihren weiteren Ausführungen kamen Davenport und Neal zu dem Schlusse, dass das Protoplasma durch direkte Wirkung des chemischen Agens eine Veränderung erfahre, diese sei nun keine bloss osmotische, sondern eine „wirklich molekulare“. Das Plasma werde durch die Einwirkung einer chemischen Substanz so beeinflusst, dass es gegenüber derselben später ein modifiziertes Verhalten zeige. Analog wie bei der Theorie der Giftwirkung (S. 325) lassen Sich aber auch zur Deutung der Anpassungserscheinungen Gesichts- punkte aus einem anderen Gebiete, nämlich solche aus der Kolloid. 1) Ehrlich, Experimentelle Untersuchungen über Immunität gegen Ricin ‚und Abrin. Deutsche med. Wochenschr. Bd. 17 S. 976—979, 1218—1219. 25 * 366 Alfred Dernoscheck: chemie, heranziehen. . Interessanterweise sind nämlich auch an nicht organisierten 'Kolloiden „Gewöhnungserscheinungen‘ mehrfach be- obachtet worden!). So ist z. B. die Fällbarkeit der Kolloide durch Salze in hohem Grade abhängig davon, ob ınan die betr. Salz- menge auf einmal oder allmählich in kleinen Portionen hinzufügt. Was die hier besonders wiehtige Koagulation des Eiweisses durch Neutralsalze anbetrifft, so ist von R. Höber und D. Gordon?) gefunden worden, dass die Geschwindiekeit, mit der ein koagulierendes Neutralsalz zu Eiweisslösungen hinzugesetzt wird, von beträchtlichem Einfluss’ auf die Vollständiekeit der Fällung ist. Und zwar wird beim plötzlichen Zusatz ein und derselben Salzmenge bei weitem mehr ausgefällt als bei einem allmählichen. Die zur vollständigen Koa- gulation nötige Salzkonzentration steigt mit anderen Worten bei langsamer Zugabe. Aber auch bei den Adsorptionserscheinungen, die bei den Giftwirkungen der Salze eine besonders wichtige Rolle zu spielen scheinen?), sind solche Anpassungsvorgänge beobachtet worden. Schliesslich sei noch daran erinneıt, dass auch in der Immunitätslehre bei Reagenzglas-Versuchen (nicht nur in vivo) solche Gewöhnungserscheinungen im grossen Massstabe festgestellt (so- genanntes Danysz-Phänomen) und mit kolloidehemischen Zustands- änderungen in Analogie gesetzt worden sind. Es ist demnach nicht unwahrscheinlich, dass eine nähere, zu- künftige Theorie auch der Anpassungsvorgänge von Süsswassertieren an Seewasser derartige kolloidehemische Gesichtspunkte heran- ziehen muss. Was nun die Erklärung der komplizierten Variation der Giftig- ‚keit je nach der Länge der Vorbehandlungszeit anbetrifft, so er- scheint zunächst das Minimum nach kurzer Vorbehandlung am leichtesten verständlich. Denn man braucht nur anzunehmen, dass die regulatorischen physiologischen Veränderungen, die zur Anpassung \ führen, während dieser kurzen Zeit noch oder noch nicht vollständig | sich vollzogen haben, sondern dass vielmehr die Giftwirkung der | 1) Wo. Ostwald, Grundriss der Kolloidchemie, 1. Aufl., S. 411, 467, 485. \ Dresden. 2) R. Höber und D. Gordon, Zur Frage der physiologischen Bedeutung { der Kolloide. Hofmeister’s Beiträge zur chem. Physiol. Bd. 5 S. 432—441. 3) Siehe die Arbeit von Wo. Ostwald und A. Dernoscheck, Über die Beziehungen zwischen Adsorption und Giftigkeit. Zeitschr. f. Chemie und Industrie der Kolloide Bd. 6 Heft 6 S. 305. 1910. | | Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere et. 9367 verdünnten Lösung, welcher Art sie auch sein mag, sich einfach addiert zu der schädigenden Wirkung des normalen Seewassers. Sehr viel schwieriger erscheint die Deutung der zweiten Hälfte des zeitlichen Verlaufes der Anpassung und insbesondere des entgültigen Abklingens bei den gewählten, allerdings relativ hohen Konzen- trationen. Allgemein lässt sich nur sagen, dass, soweit bekannt, alle regulatorischen Vorgänge periodisch verlaufen müssen, wie 2. B. von W. Ostwald!) hervorgehoben worden ist. Zusammenfassung. Es wird darauf hingewiesen, dass zu einer näheren Aufklärung der Wirkungsweise eines plötzlichen Mediumwechsels quantitative Untersuchungen nötig sind, die eine möglichst genaue Feststellung der Giftwirkung des Seewassers auf zahlreiche Individuen einer Tier- spezies gestatten. Bei Erörterung der Versuchstechnik und Methodik _ wird: das Konstanthalten von drei Versuchsfaktoren: Anzahl der Tiere, Volumen des Mediums und Temperatur besonders betont. Öfter wiederholte Versuche über die Giftigkeit von normalem Deewasser zeigen, dass die Lebensdauer je nach der Jahreszeit um wenige Minuten schwankt. bei den Untersuchungen über den Einfluss der Konzentration wird begonnen mit einer solchen von 1,28°o und stufenweise fort- gefahren bis zu ca. 35 °/o. Es lässt sich konstatieren, dass die Giftig- keit, die anfangs noch ziemlich gering und daher nicht quantitativ messbar ist, bei einer Konzentrationserhöhung auf 1,6°/o rasch zu- nimmt, weiterhin, dass die Wirkung der Konzentrationsunterschiede bei den mittleren Konzentrationen am grössten ist. Die Krümmung der Kurve ist hier am grössten; bei weiterer Steigerung des Salz- gehaltes wird die Kurve immer flacher und verläuft schliesslich fast geradlinig zur Konzentrationsachse. Es wird festgestellt, dass einer Erhöhung der Temperatur um 10° ungefähr eine Verdoppelung der Giftigkeit entspricht, dass also der Temperaturkoeffizient ungefähr 2 beträst. Es zeigt sich also annähernd eine Übereinstimmung des Temperaturkoeffizienten mit dem chemischer Vorgänge, wennschon der Wert bei letzteren meist über 2 beträgt. Doch wird darauf aufmerksam gemacht, dass daraus 1) W. Ostwald, Vorlesungen über Naturphilosophie, 3. Aufl., S. 272 805 usw. 1905. 368 Alfred Dernoscheck: nicht ohne weiteres gefolgert werden darf, dass die Giftwirkung der Salze | „rein chemisch“ ist. Denn einerseits gibt es auch für offenkundig chemische Prozesse sehr kleine Temperaturkoeffizienten, anderer- seits lassen sich physikalische Reaktionen mit ähnlich hohem Tem- | peraturkoeffizienten namhaft machen. Im Anschluss daran werden noch einige Befunde von Sehmankewitsch über Temperatur- einfluss in Erinnerung gerufen. Bei der Theorie der Giftwirkung wird ausgegangen von P. Bert’s rein physikalischer oder osmotischer Erklärung. Es werden die Gründe geltend gemacht, die gegen diese Auffassung sprechen. Im speziellen wird näher eingegangen auf die von J. Loeb allgemeiner charakteri- sierten antagonistischen Salzwirkungen, auf die weiteren diesbezüglichen Arbeiten von Wo. Ostwald, Osterhout J. Loeb und Quinton, auf die Untersuchungen von W 0. Ostwald, die eine Übereinstimmung zwischen der Giftigkeits- und Adsorptionskurve konstatieren konnten. Auf Grund dieser Befunde und der Feststellungen von J. Loeb und Wo. Pauli über die mögliche Fxistenz von Salzioneneiweiss- verbindungen wird geschlossen, dass es sich hier um physikalisch- chemische (Adsorptions-) Vorgänge handelt, die wahrscheinlich mit osmotischen Prozessen verknüpft sind. Dass diese Erwägungen den Tatsachen angemessen sind, geht daraus hervor, dass die Abhäneig- keit der Giftiegkeit von der Salzkonzentration durch eine Formel dar- gestellt werden kann, die formal identisch ist derjenigen für die; Adsorption in Lösungen. Anhangsweise wird berichtet über den Einfluss des Volumens, des Mediums und der Anzahl der Tiere auf die Giftigkeit; die erhaltenen Resultate zeigen, dass die Abhängigkeit keine so einfache ist, wie sie z. B. Bullot gefunden zu haben glaubt. Ein Vergleich von Volumen und Anzahl der Tiere lässt erkennen, dass eine gewisse Regelmässig- keit herrscht; doch bezieht sich diese Übereinstimmung nur auf den Gange der Zahlen, nicht aber auch auf die absoluten Werte. Es wird weiterhin darauf hingewiesen, dass zur Entscheidung dieser‘ Fragen Versuche mit einer anderen Tierspezies notwendig sind, bei der vor allem die absoluten Unterschiede bei der Variation der Versuchsfaktoren (Volumen des Mediums und Anzahl der Tiere) grösser sind als bei Daphnia magna, bei der sie nur wenige Minuten be-? tragen. | Die nun folgenden Anpassungsversuche werden unter der An-ı . . . | nahme angestellt, dass für das nähere Verständnis der physiologischen Studien über die Giftigkeit von Seewasser für Süsswassertiere et. 369 Vorgänge, welche die Anpassungserscheinungen ausmachen, nicht nur das praktische Resultat der maximalen Anpassung wichtig ist, sondern mindestens ebenso auch die zeitlichen Erscheinungen der Anpassungsvorgänge. Im allgemeinen wurde so verfahren, dass man die Tiere mit verdünnten Salzlösungen, die entweder noch un- schädlich waren, oder an die sich die Tiere angepasst hatten, vor- behandelte; von Zeit zu Zeit wurde dann ihre Resistenzfähigkeit gesenüber normalem Seewasser festgestellt. Im spezillen muss auf den ausführlichen Text hingewiesen werden. Die hauptsächlichsten Resultate sind folgende: die Versuche bei den drei Kulturkonzen- trationen (Y/eo, Yıs, Y/ıo norm. Seewasser) zeigen alle den S-Typus, nur in verschieden ausgesprochener Form. Das Minimum der Lebens- dauer zu Anfang der Vorbehandlung wird sowohl relativ als auch absolut um so tiefer, je höher die Kulturkonzentration ist. Ebenso wird die Breite des Minimums um so grösser, je grösser die Konzen- tration der Zuchtlösung ist. Die Steigerung der Resistenzfähigkeit über das normale Maass beeinnt um so früher, je geringer die Kulturkonzentration ist. Das Maximum der Lebensdauer ist um so grösser, je niedriger die Zuchtkonzentration ist; die Breite der positiven Phase ist um so grösser, je verdünnter die Zuchtlösung ist. Der Abfall der Kurve tritt um so früher ein, je konzentrierter die Kulturlösung ist, und somit erlischt der Zustand des Angepasst- seins um so eher, je höher die Zuchtkonzentration ist. Was die Theorie der Anpassungserscheinungen anbelangt, so wird darauf hingewiesen, dass gemäss den Erörterungen über die Unangemessenheit der rein osmotischen Natur der Giftwirkung des Seewassers auch eine osmotische Theorie der Anpassung den Er- scheinungen nicht gerecht werden kann. Es lassen sich auch hier zur Deutung Gesichtspunkte aus einem anderen Gebiete, aus der Kolloidehemie geltend machen (Abhängigkeit der Fällbarkeit der Kolloide durch Salze von der Geschwindigkeit des Zusatzes usw.). Es ist deshalb zu erwarten, dass eine Theorie der Anpassung von Süsswassertieren an Seewasser derartige kolloidehemische Gesichts- punkte mit heranziehen muss. 370 H. E. Hering: Ueber die Unabhängigkeit der Reizbildung und der Reactionsfähigkeit des Herzens. Von Prof. MH. E. Hering (Prag). Die in der Ueberschrift genannte Thatsache scheint mir von fundamentaler Wichtigkeit zu sein. Da sie, wie wohl wiederholt er- wähnt, noch nie Gegenstand einer ausführlicheren Besprechung war, möchte ich letztere hier vornehmen. Engelmann!), der wohl zuerst auf diese Thatsache auf- merksam machte, hat jedoch hierfür eine von ihm gemachte Be- obachtung angeführt, die keineswegs eindeutig ist, es ist das die Beobachtung, dass Vagusreizung die Automatie im Sinusgebiet des Froschherzens aufheben kann bei erhaltener oder selbst gesteigerter Anspruchsfähigkeit dieser Gegend gegenüber elektrischen Reizen. Als Kriterium der Anspruchsfähigkeit benützte er die Grösse der Ueber- leitungszeit vom Venensinusgebiet zum Vorhof; es ist klar, dass durch dieses Kriterium die Beweiskraft seines Versuches sehr leidet. Uebrigens hat Engelmann später als Beweise für jene Unabhängig- keit Versuche von Loeb angeführt, auf die ich weiter unten noch zu sprechen komme. Im Jahre 1904 kam Harnack’°) auf jene Thatsache bei der Diseussion der Beobachtungen zu sprechen, dass eine gewisse Dosis Chloroform, Chloralhydrat oder Jodal die Automatie des Frosch- herzens aufhebt bei erhaltener Anspruchsfähigkeit des Ventrikels für mechanische Reize. Böhme?°) hat dann 1905 die Versuche mit Chloralhydrat be- stätigt und dabei noch festgestellt, dass nicht nur der Ventrikel, sondern auch der Sinus während des Chloralhydratstillstandes ebenso anspruchsfähig auf elektrische Reize (Oeffnungsinductionsschläge) ist wie vorher am schlagenden Froschherzen. 1) Engelmann'’s Arch. 1900 S. 315. 2) Engelmann’s Arch. 1904 S. 415. 3) Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. Bd. 52 S. 346. 1905. Ueber die Unabhängigkeit der Reizbildung und der Reactionsfähigkeit ete. 371 Ausserdem erwähnt und bestätigt Böhme die bekannte That- sache, dass am Froschherzen die elektrische Anspruchsfähigkeit des Sinus eine wesentlich geringere ist als die der Kammer. Am Säugethierherzen habe ich eine Anzahl einschlägiger Beobachtungen mitgetheilt. So beobachtete ich!) 1901 beim Muscarin- stillstand am Kaninchenherzen, dass während des Stillstandes der linke Ventrikel für Oeffnungsinductionsschläge bei 11 em R.-A. noch an- spruchsfähig war, nachdem vor der Vereiftung der Schwellenreiz 8 cm R.-A. betragen hatte. Am 31. Mai 1905 beobachtete ich?) am isolirten, mit Ringer’scher Lösung durchströmten Katzenherzen, dass die auto- matisch schlagenden Kammern nach Digitalinzufuhr auch bei R.-A.-0 auf Einzelinductionsschläge nicht mehr reagirten, während die Kammern 30 Schläge in der Minute machten. Ausserdem theilte ich damals mit, dass an schlaelosen, mit Ringer’scher Lösung durchströmten Hundeherzen die Kammern auf Oeffnungsinduetionsschläge elektrisch normal anspruchsfähig waren. Ich?) habe ferner schon wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass die oft so grosse Länge der präautomatischen Kammerpause d. h. jener Pause, welche man an den Kammern beobachtet, wenn sie nicht mehr durch den vom Vorhof kommenden Leitungsreiz errest werden, nicht darauf beruhen kann, dass die Kammern nicht entsprechend reactionsfähig wären, sondern darauf, dass die Kammern auf die sich in ihnen erst allmählich entwickelnde Reizbildung warten müssen. Ferner wies ich?) auf Beobachtungen von mir an künstlich durch- strömten Katzenherzen hin, welche zeigten, dass die supraventrieulären Herzabschnitte unter Umständen nicht mehr automatisch schlagen, aber von dem nun automatisch schlagenden Kammern rückläufig zum Schlagen angeregt werden können. Also fehlende Reizbildung der supraventriculären Herzabschnitte bei Anspruchsfähigkeit für den natürlichen Leitungsreiz. Dasselbe habe ich auch am Hunde- herzen beobachtet. Aus diesen Beispielen, die ich noch leieht vermehren könnte, er- giebt sich der, wie es mir scheint, fundamentale Satz: Die Reiz- bildung im Herzen und seine Reactionsfähigkeit sind 1) Physiol. Centralbl. H. 7 Juli 1901. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 116 S. 149. 2. Juni 1907. 372 H. E Hering: zwei grundsätzlich von einander verschiedene Vor- gänge. Damit ist Folgendes gesagt. Steigt die Reactionsfähigkeit (An- spruchsfähigkeit, Erre?barkeit, Reizbarkeit, oder wie man es in diesem Falle immer nennen will) auch noch so sehr, ohne hinzukommenden ı Reiz tritt keine Reaction ein. Die Vorstellung, die man öfters findet, dass die Steigerung der Erregbarkeit so weit gehen könne, dass es schliesslich zur Reaetion kommt, ist demnach nicht richtig). Bei der Unabhängigkeit der beiden Vorgänge wäre es möglich, dass Reizbildung vorhanden ist bei fehlender Reactionsfähiekeit. Da wir jedoch nur in letzterer ein Kriterium besitzen, ob eine Reiz- bildung besteht, so lässt sich hierfür kein strikter Beweis erbringen; aber gewisse Beobachtungen von mir unterstützen jene Art der Un- abhängigkeit. So kann man am absterbenden Säugethierherzen be- obachten, wie successive die Reactionsfähigkeit der einzelnen Herz- abschnitte auf den natürlichen Leitungsreiz abnimmt, bis schliesslich nur noch eine ganz kleine Stelle in der Gegend des Keith- Flack’schen Knotens pulsirt; endlich hört auch diese Pulsation auf. Jene successive Abnahme der Reactionsfähigkeit spricht nun eher dafür, dass das Aufhören der Pulsation jener Stelle auf das Fehlen der Reactionsfähiekeit als auf das Fehlen der Reizbildung zu beziehen ist, d. h. dass letztere vielleicht noch einige Zeit vor sich geht. — Engelmann?) sah durch die Untersuchungen von J. Loeb?°) | | den Beweis geliefert, „dass die beiden Functionen der Automatie und der Reizbarkeit an zum Theil verschiedene chemische Bedingungen 1) So hat z. B. O0. Langendorff im Jahre 1902 gemeint: „dass doch schliesslich eine jede mit einer gewissen Geschwindigkeit auftretende Erregbar- keitssteigerung zum Reiz wird“. (Ergebn. von Asher-Spiro 1902 S. 284.) Verfolgt man die Geschichte jener Ansicht von Langendorff, so ergibt sich, dass Langendorff sie nach seiner Angabe von Pflüger hat. Im Jahre 1895 sagte Langendorff nämlich auf S. 336 des Pflüger’schen Arch. Bd. 61; „Doch darauf möchte ich hinweisen, dass gewiss die meisten Physiologen mit mir die Pflüger’sche Ansicht theilen, dass Umstände, welche die Erreg- barkeit schnell steigern, auch erregen können.“ Pflüger hat diese An- sicht in Bd. 115 seines Archivs auf $. 89 folgendermaassen ausgedrückt: „Nach allen anderen Erfahrungen darf man aber schliessen, dass ein Umstand, welcher die Erregbarkeit der Nervensubstanz schnell und bedeutend steigert, auch gleichzeitig erregt.“ (Siehe weiter unten S. 378.) 2) Deutsche Klinik Bd. 4 Abth. 2 S. 227. 1903. 3) Beiträge zur Physiologie. Festschrift für A. Fick 8. 101. Würzburg 1899. Ueber die Unabhängigkeit der Reizbildung und der Reactionsfähigkeit etc. 373 seknüpft sind.“ Engelmarn übersah aber, wie so viele andere, dass jener „Beweis“ von J. Loeb nur für den Skelettmuskel, nicht für das Herz erbracht worden war, ganz abgesehen davon, dass der Ausdruck Automatie bei den Versuchen am Skelettmuskel nicht an- gebracht erscheint. Allerdings hat zu dieser unzutreffenden Auffassung Loeb selbst beigetragen, denn auch er glaubte, dass seine aus den Untersuchungen am Skelettmuske] gezogenen Schlüsse auch für den Herzmuskel richtig seien. Dass seine Meinung jedoch nicht zutrifft, lässt sich leicht zeigen. Loeb, der zuerst die Meinung ausgesprochen hatte, dass die schon von Hering 1873 und Biedermann 1880 beobachteten rhythmischen Zuekungen von Skelettmuskeln in gewissen Salzlösungen wohl durch Ionen ausgelöst werden, sah 1899 unter Anderem, dass Ca das in entsprechenden Na-Verbindungen zu beobachtende Auf- treten rhythmischer Contractionen verhindert. Schon das Calcium des Blutserums reicht dazu aus. Dabei machte Loeb S. 111 die Bemerkung: „Wir verdanken es also dem Ca-Gehalte unseres Blutes, dass unsere Muskeln nicht fortwährend in zuckender Bewegung sind.“ Gerade das Gegentheil ist nun für das Herz richtig. In derselben Flüssigkeit (Blut, Ringer’sche Lösung), in der die Skelettmuskeln nicht rhythmisch zucken, zuckt das Herz rhythmisch. Schaltet man das Ca aus der Ringer-Locke’schen Lösung aus, dann hört das Säugethierherz auf zu schlagen, wie E. Gross!) 1903 in meinem Institute gezeigt hat. Für das Kaitblüterherz haben dies schon vorher Ringer 1885, Howell 1893, Locke 1895, Greene 1898, Göthlin 1901 sowie Langendorffund Branden- burg 1903 gezeigt. Aus allen bisher vorliegenden Untersuchungen geht mit Sicher- heit hervor, dass Ca auf das Herz nicht zuckungshemmend wirkt, wie es Loeb für den Skelettmuskel gefunden hat; Ca wirkt auf das Herz vielmehr erregend. Ich komme nun auf einen anderen mir sehr wichtig erscheinenden Punkt zu sprechen. Loeb beobachtete, dass die in NaCl auftretenden rhythmischen Zuekungen des Skelettmuskels bei Zusatz von etwas - CaC], aufhörten; in beiden Fällen war der Muskel reizbar; die Art des Reizes war aber in beiden Fällen verschieden, und dieser Punkt 1) Pflüger’s Arch. Bd. 99 S. 264. 1909. 374 H. E. Hering: (3) scheint mir von wesentlicher Bedeutung zu sein. Im ersten Falle war der Reiz ein chemischer (wenigstens der gesetzte Reiz), im zweiten ein elektrischer; in diesem zweiten Falle reacierte der Muskel auf den angewendeten chemischen Reiz (NaCl) nicht mehr, wohl aber noch auf den elektrischen. Es handelt sich also um eine Verschiedenheit der chemischen und elektrischen Reizbarkeit. Demnach geht aus jenen Versuchen hervor, dass jene beiden Arten von Reizbarkeit des Skelettmuskels an verschiedene Bedingungen geknüpft sind. Diese beiden Arten von Reizbarkeit lassen sich nun vorläufig schon insofern nicht mit einander ver- gleichen, als uns ein Vergleich der Reizgrösse fehlt. Man kann eigentlich nur gut feststellen, ob die eine Art der Reizbarkeit vorhanden ist oder nicht. So lässt sich eben feststellen, dass der Skelettmuskel die chemische NaCl-Reizbarkeit bei etwas Zusatz von CaCl, verliert, seine elektrische Reizbarkeit aber erhalten bleibt. Falls es richtig ist, was im Anschluss an die Arbeiten von Hering, Biedermann und Anderen z.B. v. Frey!) für den Skelettinuskel nicht für unwahrscheinlich ansieht, „dass Erregung durch chemische Stoffe nur dann stattfindet, wenn sie zur Entstehung eines Verletzungs- stromes Veranlassung geben,“ würde die ehemische Reizbarkeit auch eine elektrische Reizbarkeit darstellen und die Verschiedenheit der beiden Arten von Reizbarkeit sich auf die Verschiedenheit der Reizbarkeit auf in verschiedener Weise erzeugte elektrische Reize erstrecken. Ich wies schon weiter oben darauf hin, dass der Ausdruck Automatie für die Reizbildung der in NaCl rhythmisch zuckenden Skelettmuskeln nicht angebracht erscheint; wenigstens sollte man hier von einer künstlichen Automatie sprechen, da der Skelett- muskel normaler Weise nieht rhythmisch zuckt wie das Herz mit seiner natürlichen Automatie. Zwischen jener künstlichen Auto- matie des Skelettmuskels und der natürlichen Automatie des Herzens _ besteht der schon erwähnte Unterschied, dass die erstere durch CaC], inhibiert wird, die letztere nieht. Diese beiden Automatien sind also sicher verschieden. Eine Analogie zeigen die beiden Automatien jedoch insofern, als sowohl der Skelettmuskel wie auch das Herz in einer alkalischen NaCl-Lösung rhythmisch thätig sein können; letzteres ist für das Kaltblüterherz lange bekannt und für das Säugethierherz 1) Handbuch der Physiologie des Menschen Bd.4 Hälfte 2 Theil 1 S. 509. 1907. Ueber die Unabhängigkeit der Reizbildung und der Reactionsfähigkeit ete. 375 von H. Rusch!) sowie von E. Gross?) gezeigt worden; allerdings hört das Herz ohne Caleiumzusatz früher zu schlagen auf. Man könnte nun der Meinung sein, dass die Automatie des Herzens in einer alkalischen Kochsalzlösung auch eine künstliche sei. Das lässt sich jedoch mit den thatsächlichen Verhältnissen nicht in Einklang bringen. Durchströmen wir nach einander ein und dasselbe Säugethier- herz mit Blut, Ringer’scher Lösung und alkalischer Kochsalzlösung, so sieht man nur quantitative Unterschiede, indem die Stärke des Herzschlages abnimmt und die Dauer abnimmt, während welcher man das Herz schlagend erhalten kann. Ohne dies hier noch weiter auszuführen, so geht aus diesen Darlegungen genügend hervor, dass Engelmann’s Berufung auf jene Untersuchungen von Loeb nicht zutreffend war. Ich erwähne dies um so mehr, als jener Satz von Engelmann, „dass beide Funetionen der Automatie und der Reizbarkeit an zum Theil ver- schiedene chemische Bedingungen geknüpft sind“, für das Herz nach meiner Meinung gewiss Richtiges enthält; nur geht dies nicht aus jenen Untersuchungen Loeb’s am Skelettmuskel hervor. Ueber das Maass, welches wir für die Reizbildung und für die Reactionsfähigkeit des Herzens besitzen. Als Maass für die Reizbildung besitzen wir nur die Reactions- fähigkeit auf den adäquaten Reiz, i. e. den Ürsprungsreiz. Ueber den Ursprungsreiz erfahren wir dadurch nur, ob ein solcher vorhanden ist oder nicht, und, wenn er vorhanden ist, wie oft er in der Zeiteinheit auftritt. Worüber wir jedoch in Unkenntniss bleiben, das ist die Stärke des Ursprungsreizes. Als Maass für die Reactionsfähigkeit im Sinne der Anspruchs- fähigkeit benützen wir aber die Stärke des Reizes, und zwar eines künstlichen. Wenn wir also von einer Steigerung oder Abnahme der Anspruchsfähickeit sprechen, meinen wir immer die auf den künst- lichen Reiz. Das ist ein Umstand, der bei der Erörterung der Un- abhängigkeit der Reizbildung von der Reactionsfähigkeit zu berück- Sichtigen ist. Aus diesem Grunde sind für diese Un- abhängigkeit zunächst auch nur die zwei zuletzt an- geführten, von mir gemachten Beobachtungen maass- 1) Pflüger’s Arch. Bd. 73 8. 547. 1898. 1. c. 376 H. E. Hering: sebend, denn es handelt sich bei diesen beiden Beispielen um die Anspruchsfähigkeit auf den natürlichen Reiz. In allen anderen angeführten Beispielen wurde die Anspruchs- fähiekeit mit Hilfe des elektrischen oder mechanischen Reizes be- stimmt. Nun wird im allgemeinen stillschweigend die Voraussetzung gemacht, dass sich die Anspruchsfähiekeit auf den natürlichen und auf den künstlichen, speciell elektrischen Reiz geleichsinnig ändert. Diese gleichsinnige Änderung bestehtaberingewissen Fällen sicher nicht. So reagirten in einem der weiter oben angeführten Versuche die automatisch schlagenden Kammern nach Dieitalinzufuhr auch bei R.-A. — 0 auf Einzelinductionsschläge nicht, während sie auf den Kammerursprungsreiz ansprachen. Uebrigens ist am Froschherzen, an dem ich diese Beobachtung auch gemacht habe, von Brandenburg die Erscheinung schon beobachtet worden, dass unter der Einwirkung des Digitalin die Anspruchsfähigkeit nicht nur der Kammer, sondern auch des Venensinus auf Einzelinductions- schläge selbst bei R.-A.— (0) aufgehoben werden kann. Da diese Herzen schlagen, fehlte also nur die Anspruchsfähigkeit auf den ge- wählten elektrischen Reiz, während die natürliche Anspruchsfähigkeit vorhanden war. Die Nichtbeachtung dieses Umstandes hat schon oft zu Irrthümern Anlass gegeben !). In der Physiologie ist die verschiedene Anspruchsfähigkeit er- regbarer Gebilde auf verschiedene elektrische Reize bekannt, und es wäre daher noch zu untersuchen, wie sich der constante Strom bei den Digitalinherzen verhält. Wir haben es aber in jenen Ver- suchen auch mit einer Verschiedenheit der Wirksamkeit der natür- lichen und der künstlichen Reize, speciell der Inductionsschläge, zu thun, und dies ist in der Physiologie noch verhältnissmässig wenig beachtet worden. Aus jener Verschiedenheit der Wirksamkeit der beiden Reize geht wohl auch hervor, dass der natürliche Reiz, hier der Ursprungsreiz (selbst wenn er in letzter Linie ein 1) So hat Brandenburg aus seinen Versuchen geschlossen, dass sich zwei Grundvermögen des Herzens, die Anspruchsfähigkeit und die Contractiliät, im entgegengesetzten Sinne ändern können, während es sich in jenen Versuchen um die Aenderung der elektrischen, nicht der natürlichen Anspruchsfähigkeit handeite. Auch andere Schlüsse in seiner Arbeit leiden unter dieser Verwechs- lung. (Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 53. 1904.) Die mechanische Anspruchs- fähigkeit ist meines Wissens noch nicht untersucht worden. i Ueber die Unabhängigkeit der Reizbildung und der Reactionsfähigkeit ete. 377 elektrischer sein sollte) kein elektrischer Reiz von der Art der Inductionsschläge ist. In Anbetracht des Umstandes, dass in gewissen Fällen die elek- trische und die natürliche Anspruchsfähigkeit sich nicht gleichsinnig ändert, entsteht die Frage, ob die elektrische Anspruchsfähigkeit überhaupt als ein Maassstab für die natürliche Anspruchsfähigkeit angesehen werden darf? Leider lässt sich diese Frage nicht entsprechend beantworten, da sie, soviel mir bekannt ist, noch nicht bearbeitet worden ist, Es ist das auch insofern begreiflich, da die Bearbeitung auf grosse Schwierigkeiten stösst, denn da die Stärke des natürlichen Reizes nicht bekannt ist, lässt sich der natürliche und der elektrische Reiz nur durch den Reizerfolg vergleichen. Aber auch bei gleichem Reiz- erfolg könnte man nur unter gewissen Voraussetzungen aus der Stärke des elektrischen Reizes einen Schluss auf die Stärke des natürlichen Reizes ziehen. Eine solche Untersuchung stösst nun wieder bei den verschiedenen erregbaren Gebilden auf die ver- schiedensten Schwierigkeiten. Relativ am einfachsten lässt sich anscheinend eine solche Unter- suchung noch am Herzen ausführen, da es ein Organ ist mit ständiger natürlicher Reizbildung und mit allseitiger Erregungsausbreitung. Hätten wir z. B. an einem in bestimmtem Rhythmus schlagenden Herzen die Stärke der Kammercontractionen festgestellt und würden den kleinsten Reiz bestimmen, der unmittelbar vor Beginn der Con- traction am Vorhof wirksam ist, und würden nun den Vorhof mit diesem Schwellenreize im gleichen Rhythmus reizen, in dem das Herz spontan schlug, und erhielten wir hierbei die gleiche Stärke der Kammer- eontractionen, so würden wir aus diesem Versuche nur unter der Vor- aussetzung einen Schluss auf die Stärke des natürlichen Reizes ziehen können, dass der natürliche Reiz ein elektrischer Reiz von derselben qualitativen Beschaffenheit ist wie der verwendete elektrische Reiz. Da auf Grund der vorhandenen Kenntnisse die Anschauung, der Ursprungsreiz sei ein elektrischer, nicht ganz unbegründet ist, wäre es vielleicht möglich, dass wir einmal per analogiam dahin gelangen, einen elektrischen Reiz von derselben Qualität und Quantität zu finden wie den Ursprungsreiz. Vorläufig müssen wir aber sagen, dass es noch ungewiss ist, ob unter normalen Verhältnissen die elektrische Anspruchsfähigkeit ein Maassstab für die natürliche An- -spruchsfähigkeit ist; unter pathologischen Umständen ist sie es, so 378 ’ H. E. Hering: weit es bis jetzt feststeht, in gewissen Fällen sicher nicht, wenigstens nieht für Induetionsschläge. In den oben angeführten Beispielen fehlte die elektrische An- spruchsfähigkeit für Inductionsschläge bei Erhaltensein der natürlicher Anspruchsfähigkeit. Das umgekehrte Verhalten: Fehlen der natür- lichen Anspruchsfähigkeit bei Erhaltensein der elektrischen ist bis jetzt, soviel mir bekannt ist, nicht nachgewiesen. Ist das still- stehende Herz elektrisch anspruchsfähig, so wissen wir nicht, ob es für den natürlichen Reiz anspruchsfähig ist, da uns unbekannt ist, ob in dem betreffenden Falle Reizbildung vorhanden ist oder nicht. Nehmen wir aber statt des Ursprungsreizes den Leitungsreiz, so fehlt uns bis jetzt noch die Erfahruug darüber, ob dort, wo der Leitungs- reiz nicht anspricht, der elektrische Reiz dies thut; es ist das noch nicht untersucht. Ueber Umstände, welche die Reizbildung und die Reactionsfähigkeit beeinflussen. Es ist kein Zweifel, dass es Umstände giebt, welche die Reiz- bildung und die Reactionsfähigkeit gleichsinnig beeinflussen; wenigstens wissen wir dies von den Grenzfällen, z. B. dass Sauer- stoffmangel beide Funetionen aufhebt, und Sauerstoffzufuhr beide Funetionen wieder in Erscheinung treten lässt; dasselbe gilt z. B. auch von der Abkühlung und Erwärmung. Wie ich weiter oben in der Anmerkung (S. 372) angeführt habe, war Pflüger der Meinung, „dass ein Umstand, welcher die Er- regbarkeit der Nervensubstanz schnell und bedeutend steigert, auch gleichzeitig erregt“. Als einen solchen Umstand sah Pflüger z. B. den Sauerstoffmangel an. Entsprechend dem eben eitirten Satze und seinen weiteren Aus- führungen hat Pflüger wohl gemeint, dass Erregbarkeitssteigerung zur Erregung führe, was, wie oben ausgeführt, nicht richtig ist. Wenn nun auch die Reizbildung und die Reactionsfähigkeit durch einen Umstand gleichsinnig beeinflusst werden kann, so lässt sich dies doch immer nur bei den Grenzfällen mit Sicherheit be- haupten, nicht in den übrigen Fällen; wir pflegen es bei letzteren nur per analogiam anzunehmen. Schläet z. B. bei Erwärmung das Herz schneller, so steigt die Reizbildung, und wir nehmen an, dass auch die Reactionsfähigkeit steigt. Diese Annahme hat aber je nach den Umständen nur innerhalb gewisser Grenzen ihre Berechtigung. Ueber die Unabhängigkeit der Reizbildung und der Reactionsfähigkeit ete. 379 Wie ich erst kürzlich anführte, schlägt bei localer Erwärmung der Reizbildungsgegend das ganze Herz rascher, obwohl das übrige Herz nicht mit erwärmt worden ist; geht jedoch die Steigerung der Reiz- bildung zu weit, so kommt es zu Ausfällen; erst letztere zeigen uns, dass die Anspruchsfähigkeit — wenigstens an einer Stelle — nicht entsprechend mit gesteigert worden ist. Zu Beginn dieser Mittheilung sind Beispiele augeführt, aus denen hervorgeht, dass Gifte ein Herz zum Stillstand bringen können bei erhaltener Anspruchsfähigkeit für künstliche Reize. Da wir es als noch nicht entschieden ansehen mussten, ob der künstliche, speciell der elektrische Reiz!) als ein Maassstab für die natürliche Anspruchs- fähigkeit zu gelten habe, so können wir, ob nun die elektrische Anspruchsfähigkeit nach der Vergiftung stieg oder abnahm, dies doch nicht von der natürlichen Anspruchsfähiekeit sagen. Wohl aber weist das Erhaltensein der künstlichen Anspruchsfähigkeit darauf hin, dass überhaupt Anspruchsfähigkeit vorhanden ist; insofern zeigen also auch jene Beobachtungen ein verschiedenes Verhalten der Reiz- bildung und Reactionsfähigkeit und lehren, dass es Umstände giebt, welche jene beiden Functionen ungleich beeinflussen. Diejenigen Umstände, welche beide Funetionen gleiehmässig be- einflussen, geben uns Anhaltspunkte dafür, dass beiden Funetionen etwas Analoges zu Grunde liegt; dieses Analoge erstreckt sich jeden- falls auf das, was man allgemeine Lebensbedingungen zu nennen pfleet. Daher werden wir mehr aus den speciellen Bedingungen, unter deren Einfluss sich die beiden Funetionen verschieden ver- halten, etwas über das verschiedene Geschehen erfahren, das jenen beiden Functionen zu Grunde liest. Hier sei noch auf einen Punkt hingewiesen. Wie die Reaetions- fähigkeit, so ist auch die Reizbildung ein lebendiges Geschehen, an lebendige Substanz geknüpft. Nun reagirt gewiss die lebendige Substanz, an welche die Reizbildung geknüpft ist, auf verschiedene Einwirkungen, und insofern besitzt auch sie eine Reactionsfähigkeit. Die Reactionsfähigkeit der Reizbildungssubstanz ist jedoch eine speeifische, und wir erkennen sie an ihrer speeifischen Action der Reizbildung, wie wir die Reactionsfähigkeit des Muskels an der l) Es ist interessant, dass gerade der elektrische Reiz am meisten aus ge- wissen Gründen in der Physiologie benützt wird, obwohl er ein Reiz ist, von dem wir bis jetzt in keinem Falle sagen können, dass er ein adäquater sei. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 26 380 H. E. Hering: Ueber die Unabhängigkeit der Reizbildung etc. Muskelaction erkennen. Nur diese letztere Reactionsfähigkeit ist in der vorstehenden Mittheilung gemeint, wenn wir von einer Un- abhängigkeit der Reizbildung und Reactionsfähigkeit sprachen. Zusammenfassung. 1. Es besteht eine Unabhängigkeit der Reizbildung und der Reactionsfähigkeit des Herzens. 2. Diese beiden Funetionen sind so von einander verschieden, dass nicht etwa die Steigerung der Reactionsfähigkeit zur Reizbildung führen kann, wie man das geglaubt hat. 3. Da wir bis jetzt genötigt sind, zur Prüfung der Reactions- fähigkeit im Allgemeinen künstliche Reize zu verwenden, welche zu- meist elektrische sind, wird darauf hingewiesen, dass sich die natürliche und die künstliche Reactionsfähigkeit, speciell die auf Induetionsschläge, am Herzen in gewissen Fällen nicht gleichsinnig ändert. 4. Es ist überhaupt noch fraglich, ob man unter normalen Ver- hältnissen die elektrische Reactionsfähigkeit als einen Maassstab für die natürliche Reaectionsfähigkeit ansehen darf. Es ist sicher, dass, wenn man diese Annahme unter pathologischen Umständen macht, dies zu weitgehenden Irrthümern Anlass geben kann. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Jena.) Der Erregungsvorgang in der Magenmuskulatur nach Versuchen am Frosch- und am Vogel- magen. Von Hans Stübel. (Mit 2 Textfiguren und Tafel III und IV.) Während die mechanischen Leistungen der glatten Muskeln von jeher Gegenstand eines eingehenden Studiums gewesen sind. kennen wir erst seit kurzer Zeit auch elektromotorische Wirkungen dieses Gewebes, welche bis jetzt nur an verhältnismässig wenigen Objekten festgestellt worden sind. Fuchs!) hat gezeigt, dass bei den Kontraktionen verschiedener glattmuskeliger Organe wirbelloser Tiere Aktionsströme entstehen. E. Th. von Brücke?) wies zuerst Aktionsströme an glatten Muskeln von Warmblütern, dem Musculus retraetor penis des Hundes und dem Ureter, nach. Am Retractor penis laufen rhythmische Aktionsstromwellen über den Muskel hin, während er sich im Zustande tonischer Kontraktion befindet. Hier konnte also zum ersten Male gezeigt werden, dass der Tonus eines glattmuskeligen Organes in Rücksicht auf die Diskontinuität seiner elektromotorischen Wirkung als ein dem Tetanus quergestreifter Muskeln analoger Vorgang aufzufassen ist. Die hemmenden und 1) Fuchs, Die elektrischen Erscheinungen am glatten Muskel. Sitzungs- berichte d. physik.-med. Sozietät in Erlangen Bd. 40. 1908. Pflüger’s Arch. Bd. 136 S. 65. 1910. 2) E. Th. von Brücke, Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. I. Die elektromotorischen Wirkungen des Musculus retractor penis im Zustande tonischer Kontraktion. Pflüger’s Arch. Bd. 133 8. 313. 1910. — II. Die Aktionsströme der Uretermuskulatur während des Ablaufes spontaner Wellen. Pflüger’s Arch. Bd. 133 8.341. 1910. — III. Uber die Wirkungsweise der fördernden und hemmenden Nerven. Pflüger’s Arch. Bd. 136 S;502. 1910. 26 * 382 Hans Stübel: fördernden Nerven des Retractor penis wirken auf den elektrischen Vorgang in demselben Sinne wie auf den mechanischen ein. Diese grundlegenden Untersuchungen haben uns gezeigt, dass zwischen olatter und quergestreifter Muskulatur in bezug auf die elektro- motorische Wirkung kein prinzipieller Unterschied besteht, wie man früher vielfach anzunehmen geneigt war, sie haben aber ferner auch darauf hingewiesen, dass das Studium der elektrischen Frscheinungen glatter Muskeln ein wertvolles Hilfsmittel für die Erkenntnis des Erresungsablaufes in diesem Gewebe und damit auch für seine Funktionsweise ist. Es dürfte daher die Erforschung der elektrischen Erscheinungen glatter Muskeln auch für die spezielle Physiologie der verschiedensten Organe von Bedeutung werden. Im folgenden will ich kurz über einige Versuche berichten, die ich zum Zwecke des Studiums der elektromotorischen Erscheinungen am Magen unternommen habe. Die ersten Versuche stellte ich am Magen des Frosches an, in- dem ich mit unpolarisierbaren Baumwollfadenelektroden zu einem emp- findliehen Thomson’schen Spiegelgalvanometer ableitete. Die Ableitungsstrecke betrug 0,5—1 em. Der Magen wurde entweder in situ belassen (nach Zerstörung des Zentralnervensystems) oder herausgeschnitten und auf eine Glasplatte gelegt. Mägen, die von kräftigen Exemplaren stammen (die Untersuchung wurde während der Frühjahrsmonate und zu Beginn des Sommers ausgeführt), sind dann meistens tonisch kontrahiert. Dieser Zustand dauernder Kon- traktion, in dem sich, soweit man es sehen kann, die gesamte Mus- kulatur des Magens befindet, wird unterbrochen durch den Ablauf peristaltischer Wellen, die in mehr oder weniger ausgeprägtem Rhythmus über den Magen hinlaufen; sie entstehen in der Regel am Übergang des Magens in den Ösophagus oder am Übergang des Cardiateiles in den Pylorusteil und laufen je nach ihrer Stärke vom Orte ihres Entstehens über den ganzen Magen bis zum Pylorus hin- ab oder erlöschen bereits in mehr oder weniger grosser Entfernung vor dem Pylorus. Wird nun von einem tonisch kontrahierten Magen zum Galvanometer abgeleitet, so führt der Magnet rbythmische Schwankungen um seine Ruhelage aus. Bei Zimmertemperatur hatte eine ganze Schwankung bei dem oben angegebenen Elektroden- abstand eine Dauer von 1—1"s Minute. Treten nun unter diesen Umständen spontan oder auf Reize (mechanische oder elektrische) peristaltische Bewegungen auf, so bleiben diese Schwankungen be- . Der Erregungsvorgang in der Magenmuskulatur etc. 333 stehen; zuweilen werden die Ausschläge auch nach beiden Seiten hin grösser. In allen Fällen aber lässt sich feststellen, dass die Schwankungen nun isochron mit den Kontraktionswellen ablaufen, und zwar in der Weise, dass sich die kontrahierte Stelle negativ zu der erschlafften verhält. Es entspricht also dann jeder peristaltischen Welle ein diphasischer Aktionsstrom unter der Voraussetzung, dass die Kontraktionswelle nicht innerhalb der Elektrodenstrecke erlischt. Leider ist man bei der Beobachtung dieser Erscheinung in hohem Grade von der Beschaffenheit des Materiales abhängig. In den späteren Soınmermonaten war der Magen der Versuchstiere zumeist nicht mehr in dem gewünschten Zustande tonischer Kontraktion, und auch an Präparaten, welche eine wohlausgebildete spontane Peri- staltik zeigten, liess sich dann die elektromotorische Wirkung nicht mit voller Deutlichkeit beobachten. Winterfrösche erwiesen sich gleichfalls als ungeeignet. Da sich eine genauere Kenntnis des zeit- lichen Verlaufes sowie der Grösse der elektromotorischen Kraft dieser Aktionsströme nur mit vollkommneren Methoden gewinnen lässt, so beabsichtige ich, meine Untersuchung in dieser Beziehung noch zu erweitern, sobald mir geeignetes Material wieder zur Verfügung steht. Ein in vieler Hinsieht sehr günstiges Objekt zum Studium der elektromotorischen Wirkungen der glatten Muskulatur fand ich im Muskelmagen der Vögel. Über die mechanischen Leistungen des Magens der Vögel sind wir vor allem durch die Untersuchungen von Mangold!) unter- richtet worden, der die verschiedensten Vogelarten (Huhn, Krähe, Dohle, Bussard) in den Kreis seiner Untersuchungen einbezogen hat. Bei allen Arten fand Mangold den Magen in rhythmischer Bewegung begriffen, jedoch ist dieser Rhythmus seiner Frequenz nach verschieden, und auch durch den Einfluss bestimmter Reize (Vagusreizung, mechanische Reizung, Hunger, Fütterung) in sehr verschiedener Weise beeinflussbar. Am empfindlichsten zeigt sich der Magen des Huhnes ; hier wird der Magenrhythmus nach den meisten Eingriffen 1) Mangold, Der Muskelmagen der körnerfressenden Vögel, seine motorischen Funktionen und ihre Abhängigkeit vom Nervensystem. Pflüger’s _ Arch. Bd. 111 8. 163. 1906. — Über den Einfluss verschiedenartiger Fütterung auf die Bewegungen des Hühnermagens. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 23. — Die Magenbewegungen der Krähe und Dohle und ihre Beeinflussung vom Vagus. Pflüger’s Arch. Bd. 138 S. 1. 1911. — Die funktionellen Schwankungen der motorischen Tätigkeit des Raubvogelmagens. Pflüger’s Arch. Bd. 139 S. 10. 1911. 384 Hans Stübel: verlangsamt oder auch völlig unterbrochen. Bei der Krähe ist diese Empfindlichkeit viel geringer entwickelt, und noch weniger ausge- prägt erscheint sie beim häutigen Magen des Bussard. Der direkten Beobachtung sind die Kontraktionen des Vogelmagens unzugänglich, da bei Eröffnung der Bauchhöhle die Bewegungen sofort dauernd sehemmt werden; man ist vielmehr ausschliesslich bei der Unter- suchung der Magenbewegung der Vögel auf die Ballonsondermethode angewiesen. Ich stellte die ersten Versuche am herausgeschnittenen über- lebenden Hühnermagen an, in der Absicht, durch lokale Reize Kon- traktionen einzelner Muskelpartien und damit auch elektromotorische Wirkungen zu erzielen. Hierbei ergab sich nun das überraschende Resultat, dass bei Ableitung des vollkommen in Ruhe befindlichen herausgeschnittenen Hühnermagens zum Saitengalvanometer die Saite rhythmische, allerdings oft nur eben merkliche Schwankungen aus- führte. Um die Natur dieser Schwankungen eingehender beobachten zu können, erwies es sich als notwendig, den Magen in möglichst intaktem Zustande, also bei erhaltener Zirkulation, zu untersuchen. Zu diesem Zwecke wird das Versuchstier ceuraresiert, und nach Einleitung der künstlichen Atmung wird die Bauechhöhle so weit als möglich eröffnet. Bei grösseren Vogelarten (Huhn, Ente) wird so der Magen ohne weiteres zugänglich. Bei Tauben muss man ausser- dem einen M. peetoralis vom PBrustbeinkiel abtrennen und das Sternum der Länge nach durchschneiden, da hier der Magen vom Sternum fast vollkommen überlagert wird. Ferner empfiehlt es sich, bei Tauben zwischen Leber und Herz ein Glasplättchen, etwa einen Objektträger von gewöhnlicher Grösse, möglichst tief einzuführen, wodurch, wie ich mehrfach beobachtete, Aktionsströme von seiten des _ Herzens, die die Untersuchung eventuell stören könnten, abgehalten werden. Der Magen wird nun unter Schonung seiner Blutgefässe von dem ihn umhüllenden Fettgewebe befreit und möglichst schonend aus der Bauchhöhle hervorgezogen. Ein Stück dem unteren Zwischen- muskel anhaftendes Fettgewebe wird mit dem Magen in Verbindung gelassen und dient zur Befestigung des Magens an einem Klemm- stativ. Die Luftsäcke der Bauchhöhle werden möglichst vollständig zerstört, um eine passive Bewegung des Magens bei der Atmung zu vermeiden. Werden so vorbereitete Tiere in einen mit Feuchtigkeit gesättigten Wärmekasten gebracht, so können sie stundenlang am Leben erhalten werden, ohne dass die Blutzirkulation irgendwelche Der Erregungsvorgang in der Magenmuskulatur etc. 385 Störungen erleidet. Zur Ableitung dienten unpolarisierbare Pinsel- elektroden. In den meisten Fällen wurde symmetrisch von den beiden seitlichen Flächen des vorderen Hauptmuskels abgeleitet, und zwar zwischen den Sehnenspiegeln und dem oberen Zwischen- muskel; wurde vom hinteren Hauptmuskei abgeleitet, so wurden die Flächen zwischen den Sehnenspiegeln und dem unteren Zwischen- muskel gewählt. Bei diesen beiden Ableitungsformen liegen möglichst viele Faserzüge mit ihrer Längsachse parallel zu der Verbindungs- linie der Elektrodenspitzen !). Als fast ebenso günstig erwies sich, vor allem auch am herausgeschnittenen Magen, die Ableitung von beiden Zwischenmuskeln, als weniger geeignet die Ableitung von beiden Sehnenspiegeln oder unsymmetrische Ableitungen. - Als Galvanometer diente ein kleines Edelmann ’sches Saiten- salvanometer mit einer Platinsaite, die zumeist ziemlich stark ent- spannt war. Leitet man unter den soeben beschriebenen Bedingungen vom Magen ab, der nach Eröffnung der Bauchhöhle bei Hühnern, Tauben und Enten keine sichtbaren Bewegungen mehr ausführt, sich vielmehr in einem Zustande tonischer Kontraktion befindet, so erhält man in allen Fällen deutliche Stromsehwankungen. Bei photographischer Re- sistrierung ergibt sich eine Kurve von charakteristischer Beschaffenheit (Fig. 1—4, 7). Beim Einschalten zeigt sich, dass ein Bestandstrom vorhanden ist, dessen Stärke und Richtung je nach Art der Ab- leitung, nach der Grösse des Magens und nach nicht näher analysier- baren Faktoren verschieden ist, der aber bei ein und derselben Ab- leitung sich in der Regel über lange Zeit nicht verändert. Die auf- genommene Kurve lehrt nun ebenso wie die subjektive Beobachtung der Saite, dass die Saite nie zur Ruhe kommt, sondern umdas durch den Bestandstrom gegebene Niveau nach beiden Saiten hin Schwankungen ausführt. Diese Schwankungen können bezüglich ihrer Grösse als ihres zeitlichen Verlaufes sehr verschieden sein. Die Grösse einer ein- zelnen Schwankung entspricht einer Potentialdifferenz, die selten mehr als "/ıooo D., in den meisten Fällen weniger beträgt. Bei der Taube beträgt die Frequenz der Schwankungen im Durchschnitt 90—140 pro Minute, beim Huhn 70—120, bei der Ente S0—130. Auch die Form der Schwankungen ist bei ein und derselben Kurve oft sehr verschieden. Nur selten sieht man Kurven, die man ohne weiteres 1) Vgl. hierzu Mangold, Pflüger’s Arch. Bd. 111 Taf. II vor allem Abb. 5 und 6. 386 Hans Stübel: als Ausdruck diphasischer Aktionsströme ansehen könnte. Zumeist wechseln in unregelmässiger Reihenfolge grosse Schwankungen mit kleinen ab. Bei der komplizierten Anordnung der Muskelzellen in der Magenwand der Vögel ist es von vornherein unwahrscheinlich, dass man hier den Ablauf einzelner Erregungswellen feststellen kann. ı Die Schwankungen, die man mit Hilfe des Saitengalvanometers : photographisch registrieren kann, werden vielmehr zumeist durch die Interferenz mehrerer Erregungswellen zustande kommen. Die oben angeführten Zahlen dürften daher nur ganz annäherungsweise die Zahl der Erregungswellen, die in Wirklichkeit die Muskulatur des tonisch kontrahierten Vogelmagens durchsetzen, erreichen. Unter den wenigen bis jetzt an elattmuskeligen Organen be- obachteten elektrischen Vorgängen sind die Aktionsströme des Re- tractor penis!) wohl am ehesten mit den soeben beschriebenen Er- scheinungen vergleichbar. Es scheint sich geradezu um zwei völlig analoge Voreänge zu handeln, da in beiden Fällen über ein tonisch kontrahiertes glattmuskeliges Organ fortdauernd Frregungswellen ı ablaufen. Häufig wiederholte Versuche, mittelst der Ballonsonder- methode auch an laparatomierten Vögeln eine, wenn auch noch so geringe Bewegung des Vogelmagens zu verzeichnen, blieben stets erfolglos. Über die Art des Erregungsablaufes während der spon- tanen rhythmischen Bewegung des Magens lässt sich also bei den von mir untersuchten Objekten nichts Bestimmtes aussagen, wir sind hier leider vorläufig auf Vermutungen angewiesen. Bei den von Fuchs?) am Sipuneulusretraktor erhaltenen Strömen handelt es sich um Einzelaktionsströme, bei denen also eine Aktionsstrom- welle einer Bewegung entspricht. Ebenso geht eine Ureterkontrak- tion mit einem Einzelaktionsstrom von allerdings komplizierterem Verlaufe einher). In allerletzter Zeit hat Dittler*) gezeigt, dass auch den spontanen peristaltischen Wellen von Aplysia Einzel- erregungen zugrunde liegen. Die von mir weiter oben am Frosch- magen beschriebenen Erscheinungen sprechen in ganz demselben Sinne; auch hier entspricht einer peristaltischen Welle ein Aktions- strom. Andere Verhältnisse finden wir beim Retraetor penis des Hundes. v. Brücke spricht die Vermutung aus, dass die träge l) v. Brücke, Irc: 2) Fuchs, l.c. 3) Dittler, Über den Erregungsablauf am Kropfe der Aplysia. Pflüger’s Arch. Bd. 141 S. 527. 1911. Der Erregungsvorgang in der Magenmuskulatur etc. 387 verlaufenden rhythmischen Spontankontraktionen dieses Muskels nicht Einzelkontraktionen, sondern Tonusschwankungen, d. h. also Tetani sind. . Nach Mangold!) beträgt die Dauer einer einzelnen „Magen- revolution“ (d. h. der aufeinanderfolgenden Kontraktion und Er- schlaffung der Haupt- und Zwischenmuskeln) während normaler rhythmischer Tätigkeit beim Huhn 20—30 Sek., bei der mit der Taube ungefähr gleich grossen Dohle 15 Sek. Der Rhythmus der Bewegungen ist also ein unvergleichlich viel langsamerer als der Rhythmus der das tonisch kontrahierte Organ durchsetzenden Er- regungswellen. Würde der elektrische Vorgang im Vogelmagen bei der Kontraktion in derselben Weise verlaufen wie im Froschmagen, so müsste der Ablauf der einzelnen Erregungswellen ganz unverhältnis- mässie verlangsamt werden, oder es müsste noch eine zweite Art von Aktionsströmen auftreten. Eine viel grössere Wahrscheinlichkeit hat daher die Annahme für sich, dass jede einzelne spontane Kon- traktion des Vogelmagens mit einer Summe von Aktionsströmen einhergeht, dass also eine derartige Kontraktion in diesem Sinne einem Tetanus vergleichbar ist, ebenso wie dies Brücke von den Tonusschwankungen des Retraetor penis annimmt. Allerdings ist andererseits nicht anzunehmen, dass die Aktions- ströme während des Ablaufes von Kontraktionen sich überhaupt nicht verändern. Ob sich nun diese Veränderung lediglich auf die Stärke der Aktionsströme oder aber auch auf ihren zeitlichen Ver- lauf bezieht, darüber lässt sich zurzeit nichts Bestimmtes aussagen. In zahlreichen Versuchen wurde das periphere Ende des am Halse präparierten und durchschnittenen N. vagus mit Induktions- strömen gereizt (vel. Fig. 5 und 8). Der Erfolg war stets eine charakteristische Veränderung des Flektrogrammes. Nach einer ca. 0,25 Sek. betragenden Latenzzeit, nach Beginn der Reizung, ändert sich das Niveau, in welchem die Saite die rhythmischen Schwankungen ausführt, und diese Veränderung bleibt während der ganzen Dauer der Reizung erhalten. Es muss also die Potentialdifferenz zwischen den beiden Ableitungsstellen sich erheblich ändern. Nach Schluss der Reizung erreicht die Saite mehr oder weniger schnell das vorher "innegehabte Niveau wieder; öfters geht sie dabei erst für einige Sekunden in entgegengesetztem Sinne über dieses Niveau hinaus. 1) Mangold, .c. 388 Hans Stübel: Dass sich ein bestimmter Teil der Magenmuskulatur während der Vagusreizung stark negativ, ein anderer positiv verhält, habe ieh nicht feststellen können. Sowohl bei Ableitung vom vorderen als vom hinteren Hauptmuskel entspricht der Ausschlag wäh- rend der Reizung einmal einer Negativität der linken, ein anderes Mal einer Negativität der rechten Seite. Ebenso wechselnd ist das Verhalten bei Ableitung von beiden Zwischenmuskeln. Bei Ab- leitung von den Sehnenspiegeln 5 3 habe ich während der Reizung 5 in einem Falle zuerst eine E 3 starke Negativität der linken, = 2 dann der rechten Seite be- E 5 ghacuten können: Im Verlaufe S 3 einer Vagusreizung bleibt die & Saite durchaus nicht immer 3 = in derselben Entfernung von e 3 ihrem ursprünglichen Niveau 5 Z& (natürlich abgesehen von den .. rhythmischen Stromschwan- 5 kungen) (vgl. Fig. 10). Das E Elektrogramm beschreibt viel- mehr eine mehr oder weniger stark gekrümmte Kurve. Auch der nieht gereizte Magen gibt zuweilen derartige dann ganz langsam verlaufende Niveau- schwankungen, deren Dauer 1 Minute und mehr betragen kann. Alle diese Tatsachen sprechen dafür, dass während der Vagusreizung der Tonus in den einzelnen Teilen der Magen- muskulatur in verschiedener zeitlicher Reihenfolge verändert wird. Auch die einzelnen rhythmischen Stromschwankungen werden durch die Vagusreizung verändert, sowohl in bezug auf ihre Grösse Der Erregungsvorgang in der Magenmuskulatur ete. 389 als auf ihre Dauer. In charakteristischer Weise ändert sich vor allem die Grösse dieser Schwankungen sofort nach Beginn und so- fort nach Schluss der Reizung (Fig. 8). In beiden Fällen sieht man das Auftreten sehr erheblicher Schwankungen, wie man sie am un- sereizten Magen nur in seltenen Fällen beobachten kann. Die Zahl dieser starken Schwankungen und ihre Grösse nimmt mit wachsender Reizstärke zu; in der Regel treten zu Beginn der Reizung die grossen Schwankungen nur so lange auf, als die Saite noch nicht das der Reizung entsprechende Niveau erreicht hat, und ebenso hören andererseits die nach Schluss der Reizung entstehenden grossen Schwankungen dann auf, wenn die Saite wiederum auf ihrem ur- sprünglichen Niveau angelangt ist. Es ist daher in vielen Fällen nicht ersichtlich, ob tatsächlich die Grösse dieser Schwankungen da- durch bestimmt wird, dass die Stärke der einzelnen Aktionsströme zunimmt, oder ob die Grösse der Schwankungen nur vorgetäuscht wird, weil die Saite sehr rasch ein anderes Niveau einnimmt. In anderen Fällen wieder sieht man deutlich, dass in der Tat die Grösse jeder einzelnen Schwankung erheblich zunimmt. Wird nach dem Auftreten dieser grossen, zu Beginn fast jeder Vagusreizung auf- tretenden Schwankungen die Reizung noch weiter fortgesetzt, so kann nun die Saite auf dem neuen der Reizung entsprechenden Niveau Schwankungen ausführen, die sich in keiner Weise von den Stromsehwankungen, die der ungereizte Magen liefert, unterscheiden. Zuweilen bleiben die Schwankungen während der ganzen Dauer der Reizung umfangreicher, in vereinzelten Fällen wurden sie dagegen kleiner. Ebenso inkonstant ist der Einfluss der Vagusreizung auf die Frequenz der rhythmischen Stromschwankungen. Der Rhythmus kann derselbe wie vor der Reizung bleiben, er kann aber auch be- sehleunist oder verlangsamt werden. So stieg beispielsweise bei einem Versuch die Zahl der Wellen von 112 in der Minute vor der Reizung auf 145 in der Minute während der Reizung, in einem anderen Falle betrug sie während der Reizung 57 gegen 100 vor der Reizung. Aus allen diesen an einem grossen Material (22 Tauben, 8 Hennen, 2 Enten) gewonnenen Tatsachen geht hervor, dass man nur selten zwei während einer Vagusreizung aufgenommene Elektro- gramme findet, die in jeder Beziehung einander gleich sind. Die -konstantesten Erscheinungen sind die Veränderung des Niveaus der Saite und das Auftreten grosser Schwankungen zu Beginn und nach Schluss der Reizung. 390 Hans Stübel: Durch die Untersuchungen Mangold’s wissen wir, dass die Vagi sowohl einen hemmenden als einen fördernden Einfluss auf den Rhythmus der spontanen Magenbewegungen ausüben. Die Er- scheinungen, welche wir am FElektrogramm bei Vagusreizung be- obachten, lassen sich gleichfalls nur in diesem Sinne erklären. Ebenso wie periphere Vagusreizung meist erregend auf den Rhyth- mus der Bewegungen einwirkt, wirkt sie meist auch fördernd auf die rhythmischen Erregungswellen des tonisch kontrahierten Magens, wie sich aus der oft erheblichen Grössenzunahme dieser Wellen folgern lässt. Neben dieser inotropen Wirkung auf die Erregungs- wellen ist zumeist auch eine chronotrope Wirkung (positiv oder negativ) festzustellen. Zahlreiche Versuche, eine Beeinflussung des Magenelektro- “grammes durch zentrale Vagusreizung (bei intaktem zweitem Vagus) zu beobachten, hatten bis jetzt kein eindeutiges Resultat. Beiderseitige Vagusdurchschneidung führt stets zu einer Verlang- samung des Rhythmus, die jedoch mehr oder weniger erheblichseinkann (Fie. 6 und 9). So sank z. B. bei einer Taube die Frequenz von 170 in der Minute vor der Durchschneidung auf 41, bei einer anderen von 72 auf 20, bei einer Henne von 115 auf 45. Die einzelnen Sehwankungen sind nach der doppelseitigen Vagotomie in der Regel bedeutend grösser und viele kleine Erhebungen und Zacken der Kurve fallen weg. Es werden also nach doppelseitiger Vagotomie weniger Aktionsstromwellen interferieren. Diese Tatsachen stehen in voller Übereinstimmung mit den Ergebnissen Mangold’s, welcher fand, dass die Durehschneidung beider Vagi den Rhythmus der Magenbewegungen verlangsamt. Es besteht also ein weiteehender Parallelismus in der Wirkung des Vapus auf die rhythmischen Aktionsstromwellen einerseits und die rhythmischen Spontankontraktionen andererseits. Mit grosser Wahrscheinliehkeit lässt sich daher annehmen, dass der Rhythmus der Aktionsstromwellen und der der Kontraktionen bis zu einem gewissen Grade demselben Erregungsvorgang ihren Ursprung ver- danken. Die weiter oben ausgesprochene Vermutung, dass einer einzelnen Spontankontraktion des Vogelmagens mehrere Erregungs- - wellen entsprechen, dass es sich dabei also um einen diskontinuierlichen Erregungsvorgang handelt, erhält hierdurch eine wesentliche Stütze. Wie schon oben erwähnt wurde, lassen sich auch am heraus- geschnittenen Muskelmagen die rhythmischen Stromschwankungen Der Erregungsvorgang in der Magenmuskulatur etc. 391 noch feststellen (Fig. 11). Allerdines nimmt der Umfang der Wellen sehr rasch erheblich ab. Die Frequenz ist am herausgeschnittenen Magen natürlich in derselben Weise verlangsamt wie nach doppel- seitiger Vagotomie. Durchtrennung der Magenmuskulatur in den verschiedensten Richtungen hebt die rhythmischen Aktionsströme nicht auf, sowohl an dem in situ befindlichen als am herausgeschnittenen Magen (Fig. 16). Der Rhythmus der Magenmuskulatur entsteht also in der Magenwand selbst, und zwar scheint jede Gegend der Magen- muskulatur imstande zu sein, selbst der Ausgangspunkt rhythmischer Aktionsströme zu werden. Zu einigen Versuchen gebrauchte ich Tiere (2 Tauben, 1 Henne), welche über 48 Stunden vor Beginn des Versuches kein Futter mehr erhalten hatten. In keinem Falle liess sich eine Beeinflussung der rhythmischen Erregungswellen durch den Hungerzustand feststellen, ja eine Taube zeigte sogar besonders erhebliche Stromschwankungen Mel. Fie. 7—1]). Nach Mangold wird der Rhythmus der Magenbewegung durch Hungern bei verschiedenen Vogelarten in sehr verschiedener Weise beeinflusst. Bein Huhn tritt im Hungerzustand stets eine Verlang- samung auf, während nach Fütterung der Rhythmus beschleunigt wird. „Dass diese Regulation der Magenfunktion in erster Linie ' oder ausschliesslich dem Einflusse der Vaguszentren zuzuschreiben | ist, scheint daraus hervorzugehen, dass nach Vagusdurehschneidung ‚eine Beschleunigung des Rhythmus nicht mehr zu erzielen war.“ | Im Gegensatz hierzu konnte Mangold bei der Krähe und Dohle keine Veränderung des Rhythmus im Hungerzustand nachweisen. In seiner letzten Arbeit über den Bussardmagen weist Mangold be- | sonders „auf die geringen Veränderungen des Rhythmus im Gegen- ‚satze zu den grossen Veränderungen der Stärke der Magenbewegungen ‚unter verschiedenen chemischen Einflüssen wie durch den jeweiligen N Verdauungszustand“* hin. „Auch beim völlig leeren Magen scheint ‚eine im gewöhnlichen Rhythmus ablaufende, wenn auch bezüglich der Intensität nur sehr geringe Tätigkeit vorhanden zu sein.“ „Es ‚erhebt sich die Frage, ob nicht hier (beim Bussard) wie bei anderen ‚Tieren und dem Menschen, bei denen wir von einem vollkommenen | ‚Stillstande der Magenbewegungen im Hungerzustande sprechen, doch noch eine minimale rhythmisch automatische motorische Tätigkeit ‚dauernd fortbesteht.“ „Biologisch und physiologisch scheint mir die ‚Annahme einer minimalen rhythmischen Bewegungstätigkeit des 392 Hans Stübel: Magens auch im Hungerzustande viel für sich zu haben. Die peri- pheren Zentren der Magenbewegung werden um so leichter auf die mechanischen und chemischen Reize der Nahrungszufuhr ansprecher und mit Erhöhung der Kraft der Kontraktionen antworten, und um so schneller wird die aufgenommene Nahrung nutzbar für den Orga- nismus.“ Diese Vermutungen Mangold’s gewinnen dureh die oben angeführten Tatsachen, dass in der Magenwand ständig rhythmische Aktionsstromwellen entstehen, die durch den Hungerzustand nicht beeinflusst werden, ganz erheblich an Wahrscheinlichkeit; man wird in diesen Tatsachen geradezu einen Beweis für die Richtiekeit der Mangold’schen Anschauungen finden können. Insofern dürfte auch an diesem Organ die Methode der elektrophysiologischen Unter- suchung uns einen tieferen Einblick in das Wesen des Erregungs- vorganges geben, und dürfte das, was wir durch das Studium der mechanischen Vorgänge wissen, ergänzen. In einem Versuche wurde der Einfluss der Vaci nicht durch Durchsehneidung, sondern durch Bepinselung beider Vagusstämme mit 1°/oiger Nikotinlösung ausgeschaltet. Auch hier trat sofort eine erhebliche Verlangsamung des Rhythmus (135 pro Minute vor der Bepinselung, 100 nach der Bepinselung) hervor, wobei die einzelnen Schwankungen an Grösse zunahmen. Noch viel deutlicher kam diese Wirkung zutage, als nun 0,5 eem 1P/ooige Nikotinlösung in den M. peetoralis injiziert wurde. Es erfolgten darauf über einen , Zeitraum von etwa 10 Minuten ca. 64 sehr grosse Wellen pro Minute. Nach weiteren 10 Minuten waren die Wellen wieder viel kleiner geworden und die Frequenz auf 110 gestiegen. Stärkere Nikotinvergiftung rief nun keine deutliche Beeinflussung des Elektro- sramms hervor, bis das Versuchstier infolge der Vergiftung starb. Nach Aufhören der Herztätigkeit wurden auch die Zacken des Magen- elektrogrammes zusehends kleiner und verschwanden rasch voll- kommen. Äthernarkose, und zwar Inhalationsnarkose, welehe nach Man- &old die Bewegungen des Hühnermagens hemmt, beeinflusst auch den Rhythmus der Aktionsströme in hohem Grade. Schon bei sehr | geringen Dosen tritt fast sofort eine sehr rasche Abnahme in der Grösse der Aktionsstromwellen auf, und man muss ausserordentlich vorsichtig verfahren, wenn man die Wellen nicht sofort zum völligen Verschwinden bringen will. Eine Veränderung der Frequenz konnte während der Narkose nicht festgestellt werden. In seiner letzten Der Erregungsvorgang in der Magenmuskulatur etc. 393 Veröffentlichung über die Narkoselähmung des Magens lässt Man- sold!) die Frage noch offen, „ob nicht die lähmende Wirkung der Inhalationsnarkose auf die Motilität des Magens eine vorwiegend periphere ist und direkt am Muskel- und Nervensystem desselben angreift“. Die ausserordentlich energische, sofortige Beeinflussung der Aktionsströme spricht sehr für die Annahme einer vorwiegend peri- pheren Wirkung der Inhalationsnarkose. Zusammenfassung. Die wesentlichsten Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung sind folgende: . Über den tonisch kontrahierten Muskelmagen der Vögel laufen ständig rhythmische Aktionsstromwellen hin, und zwar sowohl bei in situ befindlichem, als bei herausgeschnittenen (überlebenden) Magen oder Teilen desselben. Der Rhythmus der Magenmuskulatur entsteht also in der Magenwand selbst. Reizung und Durchschneidung des Vagus zeigen, dass der Vagus diesen Rhythmus in chronotroper und inotroper Weise beeinflusst. Tafelerklärung. Die Zeitmarkierung gibt Sekunden an. Tafel II. Fig. 3. Henne, normale Kurve, Ableitung vom vorderen Hauptmuskel. Fig. 4. Taube, dasselbe. Fig. 5. Henne, Ableitung vom vorderen Hauptmuskel, periphere Vagusreizung links (15 cm R.-A.). Fig. 6. Taube, beiderseits vagotomiert, Ableitung vom vorderen Hauptmuskel, die kleinen Zacken sind durch die Aktionsströme des Herzens bedingt. Tafel IV. Die Figuren 7—11 sind um die Hälfte verkleinerte Reproduktionen von genauen Durchzeichnungen der Originalphotographien. Die in Fig. 7—11 wieder- gegebenen Kurven wurden sämtlich von ein und demselben Vogel erhalten. 1) Mangold, Die Lähmung des Magens durch die Inhalationsnarkose. Münchener mediz. Wochenschr. 1911 Nr. 55. 394 Hans Stübel: Der Erregungsvorgang in der Magenmuskulatur etc. Fig. 7. Taube, normale Kurve, Ableitung vom vorderen Hauptmuskel. Fig. 8. Taube, periphere Vagusreizung links (10 cm R.-A.), Ableitung vom vorderen Hauptmuskel. (Die Saite war stärker gespannt als bei der Auf- nahme von Fig. 7.) Fig. 9. Taube, beiderseits vagotomiert, Ableitung vom vorderen Hauptmuskel. Fig. 10. Taube, Ableitung von der oberen Hälfte des hinteren Hauptmuskels, nachdem der Magen in der Mitte in transversaler Richtung durchschnitten worden war. Fig. 11. Taube, Ableitung vom oberen Zwischelmuskel des herausgeschnittenen und in transversaler Richtung halbierten Magens, 15—20 Minuten nach Herausnahme des Magens. 395 (Aus dem physiologischen Institut der. Universität Halle.) Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. Von Ernst Laqueur und Fritz Verzär. (Mit 1 Textfigur.) Vor einiger Zeit hat H. Winterstein!) Versuche angestellt, aus denen er schliesst, „dass weder der Sauerstoffmangel noch die Kohlensäurespannung als solche, sondern einzig und allein die Wasserstoffionen-Konzentration des Blutes die chemische Regu- lierung der Atmung besorge, indem die Erregbarkeit der Atemzentren mit der Konzentration der Wasserstoffionen innerhalb gewisser Grenzen parallel geht.“ Damit wäre nach Winterstein die erregende Wirkung einerseits der Kohlensäure und andererseits des Sauerstoffmangels, bei welchem sich bekanntlich saure Produkte bilden, auf eine gemein- same Ursache zurückgeführt. Die normalerweise den Atemreiz bildende Kohlensäure würde nur durch ihre Säurenatur wirken. Zu dieser Auffassung ist Winterstein dadurch gelangt, dass er mittelst künstlicher Durchströmung junger Kaninchen zeigen konnte, dass Sauerstoffmangel allein, bei genügend schneller Durchströmung, kein Atemreiz ist, jedenfalls darum, weil, wie er mit Recht hervorhob, die als Reiz wirkenden Abbauprodukte genügend rasch weg- geschwemmt werden. Andererseits bewirkte ein ganz geringer Kohlen- säurezusatz zu der mit Sauerstoff gesättigten Ringer-Lösung rhyth- mische Atmung, und dieselbe Wirkung wie Kohlensäurezusatz hatte auch ein Zusatz von Salzsäure oder Weinsäure. Daraus schloss nun 1) Pflüger’s Arch. Bd. 138 S. 167. 1911. Die Regulierung der Atmung durch das Blut. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 27 396 Ernst Laqueur und Fritz Verzär: Winterstein, dass alle diese Fälle: der Sauerstoffmangel, die Anhäufung von Kohlensäure und die injizierten Säuren nur durch die Steigerung der H-Ionen-Konzentrationen des Blutes reizend auf das Atemzentrum wirken. Da dem einen von uns bei anderen Versuchen!), bei der Steigerung der Autolyse durch Kohlensäure, ihr spezifischer Einfluss im Vergleich zu einer anderen Säure aufgefallen war, hatte für uns die Angabe Winterstein’s besonderes Interesse, dass bei der Funktion der Kohlensäure als Atemreiz nur ihre so ausserordentlich schwache Säurenatur der wirksame Faktor sei. — Als völlig be- wiesen konnten wir die Anschauung Winterstein’s allerdings nicht ansehen, denn beim Vergleich der Kohlensäure mit den anderen Säuren ist die Verschiedenheit ihrer Stärke nicht hinlänglich in Rechnung gezogen: in den von Winterstein angewandten Ver- dünnungen enthalten nämlich Salzsäure wie Weinsäure erheblich mehr Wasserstoffionen als Kohlensäure. | Die H'-Konzentration in einer "/ıooo normal Salzsäure ist etwa !/ıooo und die einer 0,01°/o Weinsäure ungefähr dieselbe, d. i. eben- falls [HJ] = 1 103, da in dieser Verdünnung schon die Dissoziation des zweiten Wasserstoffatoms eine beträchtliche Rolle spielt (Abegg, Theorie der elektrolytischen Dissoziation S. 30 u. 36). In der 2 bis 3'/oigen Kohlensäure ist aber die H'-Konzentration, wie die folgende Rechnung zeigt, etwa 1,7 - 10°. Der Absorptionskoeffizient der Kohlensäure ist nach Bunsen bei 20° C. 0,9014. In der Ringer-Lösung ist er etwas kleiner; setzen wir ihn zu rund 0,9. 1 Liter CO, wiegt bei 20° C 1,79056 (nach Regnault). Es ist also in 1 Liter an CO, gesättigter Lösung 0,9-1,79056 —= 1,6115 g gelöst. Da das Molekular- 1,6115 44» Konzentration in einer gesättigten CO,-Lösung 3,663 - 10°. Eine 2 bis 3 %0 CO, enthaltende Lösung ist daher 7,326 bis 10,989 - 10-* | gewicht der CO, 44 beträgt g Mol. im Liter enthalten, also die normal, im Mittel 9,157. 10-2 = ca. )- Bei schwachen Säuren ist der Dissoziationsgrad annähernd « = ja wobei k die Dissoziationskonstante, c die Konzentration (Äquivalent normal in Litern) bedeutet. Da bei CO, nur die erste Dissoziation, die des einen H, merklich ist 1) E. Laqueur, Schriften der physik.-ökonom. Gesellsch. Königsberg i. Pr. Jahrg. 50 und Zentralbl. f. Physiol. Bd. 22 S. 23; siehe auch die nächstens er- scheinende, ausführliche Arbeit in Zeitschr. f. physiol. Chemie. Über die spez. Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. 397 (nämlich in H* und HCO',), so ist die Konzentration c gleich der Konzentration in, Gramm-Mol. Mithin ist in einer 2—3 Y/oigen CO,-Lösung EEE Be 7 also die H‘-Konzentrationen [H°] = 1,67 - 10° !), ( 3 Unsere Berechnung zeigt also, dass die H-Ionen-Konzentration in den von Winterstein verwendeten Kohlensäurelösungen ea. 60 mal so klein ist wie in den zum Vergleich herangezogenen Säurelösungen. Der Schluss Winterstein’s, dass die H-Ionen das wirksame Agens bei der Kohlensäurewirkung auf das Atemzentrum seien, ist daher so lange nicht berechtigt, als nicht mit Säuren, die der Kohlensäure isohydrisch sind, dieselbe Wirkung erreicht wird, bzw. bis nicht gezeiet wird, dass auch andere Säuren bereits bei einer H-Ionen-Konzentration von ca. 1,7 - 10° als Atemreiz wirken. Wir betonen ausdrücklich, dass wir in den Rechnungen, beim Vergleich mit anderen Säuren, immer den von Wintersteinan- segebenen Wert der 2—3°/oigen Kohlensäure benutzt haben. Wir können bestätigen, dass bereits diese Konzentration Atembewegungen hervorruft. Man muss also diese unterste, bereits sicher wirksame Konzentration als Vergleichswert heranziehen. Wir betonen das darum ausdrücklich, weil wir in unseren Versuchen die Konzentration der benutzten Kohlensäurelösungen nur ungefähr angeben können. Die in unseren Protokollen angeführten recht hohen Kohlensäure- konzentrationen (5, 8 ja 12/0 CO,) bedeuten nur, dass im ganzen so viel CO, zugesetzt ‚wurde. Ein solcher Prozentwert ist aber nicht einmal im Beginn der Durchströmung, d. i. unmittelbar nach dem Zugiessen der gesättigten CO,-Lösung, vorhanden, denn schon hierbei geht etwas Kohlensäure verloren. Und weiterhin muss aus der verdünnten Lösung dauernd Kohlensäure entweichen, da ja darüber ein Raum mit Sauerstoff besteht. Wenn nun im Laufe der Durchströmung dessen Grösse immer zunimmt, wird der Kohlensäuregehalt immer mehr, und zwar in steigendem Grade, abnehmen. Deshalb musste auch öfters im Laufe des Versuches ein .. neuer Kohlensäurezusatz gemacht werden. . Übrigens macht eine 1) Chiari (Biochem. Zeitschr. Bd. 23 S. 173) stellte vor kurzem eine ähnliche Rechnung an, wobei er aber durch einen zu hohen Ansatz des Ab- sorptionskoeffizienten für CO, .(bei 20° 0,941: 'statt--0,9014) auf eine etwas zu grosse H'-Konzentration gelangt. 27 * 398 Ernst Laqueur und Fritz Verzär: Änderung der Kohlensäurekonzentration von 2—10°/o nur einen sehr geringen Unterschied in der H-Ionen-Konzentration der Lösung aus, wie die folgende Zusammenstellung zeigt. Konzentration Normal 10-3 [HE] - 10-5 2—3 0 0,915 1,67 50/0 1,831 2,36 8%0 2,939 2,98 10 %0 3,663 3,34 Wenn nur stärkere H-Ionen-Konzentrationen, als in der Kohlen- säure vorhanden sind, zur Erregung des Atemzentrums führen, ist daran zu denken, dass durch diese H-Ionen erst Kohlensäure in den Geweben freigemacht wird. Diese frei gewordene Kohlensäure könnte für die beobachtete Wirkung verantwortlich gemacht werden; zum mindesten könnte sich ein ihr spezifischer Einfluss zu dem der H-Ionen hinzuaddieren. Auf diese Möglichkeit hat der eine von uns!) bereits 1908 bei Beschreibung des erwähnten steigernden Ein- flusses der Kohlensäure auf die Autolyse hingewiesen. Winter- stein diskutiert nur die Möglichkeit, dass in das Blut injizierte Säuren aus dem NaHCO, des Blutes CO, freimachen könnten. Auf eine solche Wirkung führen z. B. auch neuestens Schwarz und Lemberger?) die von ihnen beobachtete gefässerweiternde Wirkung von Säuren, die in das Blut injiziert werden, zurück. Diese Möslichkeit ist freilich weder in Wintersteins noch in unseren Versuchen vorhanden, denn da die zur Durchströmung benutzte Ringer-Lösung kein NaHCO, enthält, so kann daraus keine Kohlen- säure freigemacht werden. Es ist aber daran zu denken, dass, wenn auch nicht aus dem Blut (bzw. der Durchströmungsflüssigkeit), so doch aus den Geweben Kohlensäure durch die stärkeren Säuren freigemacht werden kann, unı dann eventuell an Ort und Stelle eine spezifische Wirkung zu entfalten (s. a. S. 415). Bei dem Interesse, das die Frage nach einer einheitlichen Ur- sache für die Erregung des Atemzentrums einerseits, wie nach einer l) E. Laqueur, l.c. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 141 S. 149. Über die Wirkung kleinster Säure- mengen auf die Blutgefässe. S ni — ul EINE Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. 399 etwaigen spezifischen Wirkung der Kohlensäure andererseits hatte, erschien uns eine Wiederaufnahme und Ergänzung der Versuche wünschenswert. Methodisch folgten wir hierbei durchaus den Angaben von Winterstein. Kaninchen, die nicht unter 6 und keinesfalls über 14 Tage alt sein dürfen, wurden von der Aorta aus mit O gesättigter Ringer-Lösung von Zimmertemperatur (abgekürzt O.R.-L.) durch- strömt. Die Lösung enthielt 0,90 NaCl, 0,41 °/o CaCl, (wasserhaltig) und 0,042 0 KCl. Zur Durehströmung bei konstantem O-Druck improvisierten wir uns einen Apparat, wie ihn Fig. 1 zeigt. ILLITLII Ep 3 ( k Kamiule Drei dickwandige, 800 ccm fassende, Flaschen mit dreifach durchbohrtem Stopfen stehen durch die kurzen Glaskniestücke a bzw. die langen b und Gummi- schläuche ar—aıır bzw. br—bırı mit den Verbindungsstücken ©, bzw. v, und da- durch miteinander in Verbindung. Durch Quetschhähne ist jede einzelne Flasche abzuschliessen. Zu v, geht von der Sauerstoffbombe die Zuführung o, die durch einen Ansatz mit dem Manometer m und dem Quecksilber-Überlaufventil q in Verbindung steht. v, führt durch % zur Kanüle und damit zur Aorta des Tieres. k hat einen Seitenansatz s. Die drei kurzen Knierohre c der drei Flaschen sind meist verschlossen; sie gestatten aber jede, einzelne Flasche, nachdem sie gefüllt ist, und die Verbindungen hergestellt sind, nochmals von k aus mit OÖ zu durchströmen. — Wurden in einem Versuch mehr als drei Flaschen benutzt, so standen sie verschlossen bereit und konnten ohne erheblichen Zeitverlust ı gegen eine der ersten ausgetauscht werden. — Die Ringer-Lösung wurde durch mehrstündiges Durchleiten von O damit gesättigt und meist nach Einfüllen in die einzelnen Flaschen nochmals mit O ‘ durchströmt; dann wurden die verschiedenen Zusätze gemacht, und zwar CO, ‚ in der Form von gesättigtem CO,-Wasser, wobei gleichzeitig, um eine Ver- 400 - Ernst Laqueur und Fritz Verzär: dünnung der O.R.-L. zu vermeiden, ein entsprechender Zusatz von konzentrierter R.-L. gemacht wurde. — Hierauf wurden die Röhren und Schläuche dbr—-bızı und % mit den zugehörigen Lösungen gefüllt. Sollte z..B. das Tier, nachdem es mit O.R.-L., die in Flasche I war, mit C0;-0.R.-L. aus Flasche II durchströmt werden, so wurde nur der Quetsch- hahn von b7 verschlossen, der von 5rr und aır geöffnet, und dann noch für einen Augenblick das Seitenrohr s geöffnet, um die vorhergehende Lösung zu ver- drängen. Aus der Zahl der Kubikzentimeter, die während eines Versuches aus- flossen, und der Dauer des Versuches konnte unter Vernachlässigung der geringen Mengen, die zum Verdrängen der Lösungen aus dem gemeinsamen Rohr ab- ‘gelassen wurden, meist die Durchströmungsgeschwindigkeit pro Minute angegeben werden. o Die Versuchsprotokolle sind in folgender Weise wiedergegeben: Es ist Alter und Gewicht der Tiere, die Durchströmungsgeschwindig- keit, der Durchströmungsdruck und, zur Beurteilung der Grösse des entstandenen Ödems, auch das Gewicht des Tieres nach dem Ver- such angegeben. Einige Bemerkungen beziehen sich auf das Herz, weil dabei öfters deutlich die Giftwirkung der benutzten Substanz zu beobachten war. Der Kürze halber schreiben wir: Ö.R.-L. —= mit O gesättigte Ringer - Lösung. 00; R.-L. = CO, enthaltende und mit O gesättigte Ringer-Lösung. Essigsäure usw. R.-L. — Essigsäure usw. enthaltende und mit O ge- sättigte Ringer- Lösung. A, = Atmung. rfixergb. — reflexerregbar. Versuche, bei denen keine Apnöe zu erzielen war, und Versuche, bei denen die Kohlensäure keine deutliche Wirkung hatte, sind nicht mit angeführt. 1. Versuche mit Salzsäure. Versuch 1. 21. Mai 1911. 6V2 Tage alt. 11% 46’ 00” Beginn der Operation. 58’ 00” 0. R.-L. 45” A., 59’ 10” A., 25’’ A., nicht rflxergb. Druck 100 mm. . FB2R 0 15 Ar, 1 5! TA, 20 80 JA. 12h 3’ 30” CO, R.-L. (ca. 4%) 4’ 0" A., 30" A., 5’ 0" A. 25’ A., 45" Au 6’ 35” A. 7’ 15’ A., bis 8’ 25” noch drei A. 8’ 2” 0. R.-L. Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. 401 10’ 25’ En HÜl R.-L. 25” A., 55” A.,. aa’ A,, 52’ A., 11’ 3” A, 20" A., rflxergb. bis 12’ 20 12’ 20” 0. R-.L. 14' 20’ CO, R.-L. (ca. 4°) wirkungslos, nicht rflxergb. 16’ 20” Som HCl R.-L. 30” A., 17’ s” A., »5’’ A., nicht rfixergb., 40’’ A 13’ 00'’ bis 19’ 50” drei A. 21’ 00” bis 24’ o0’’ keine Durchströmung. 24’ 00" O0. R.-L. 15" A., 45’’ A. (langsame Durchströmung). 22 noch sieben A. 27’ 00" so HCl R.-L. 40” A., 55'’ A., 28’ s0’’ A., rflxergb. 34 0" CO, R.-L. verstärkt (ca. 7,7 %0), ıfixergb. Starkes Ödem, keine A. Herz pulsiert. Versuch abgebrochen. - [Ergebnis: som HCl. Einmal sicher +, zweimal +(?).] Versuch 2. 29. Mai 1911. 8/’e Tage alt. Gewicht 105 g. (Nach dem Versuch 184 g.) Durchströmungsgeschwindigkeit pro Minute ca. 41 ccm. 11h 15’ oo’ Beginn der Operation. 20’ 00’ O0. R.-L. rfixergb. 22’ 00" 0006 m HCl R.-L. Unruhe. Schwache Rippenbewegungen, Unruhe, - sicher keine Atemzüge. 23’ 00’ O0. R.-L. 23’ A., 30’ A., Unruhe. ’ 7 Zaun 25’ 00 Sm HCl R.-L. Keine Atmung. 27’ 00” CO, R.-L. (ca. 8%). Starke Atembewegungen; von 27’ oo” bis 27’ ı5' fünfmal, dann 0 A., Unruhe [wahrscheinlich Lähmung des Atemzentrums durch zu hohe CO,-Konzentration]. 28’ 00’ O. R.-L. Rifixergb., keine Atmung. 30’ 00" Sun HCI R.-L. Ödem, rflxergb., 30’ 45” bis 31’ 15” fünf geringe Rippenbewegungen, die sich deutlich von den vorherigen Atemzügen unterscheiden. 32’ 00” CO, R.-L. (ca. S%o). In 25 Sek. zehn regelmässige Atemzüge. 33’ 00” O0. R.-L. Stärkeres Ödem. 34’ 00” zog HCIR.-L. 40” A., Unruhe 35’ 10”(?) A., 367 00”(?) A. 36’ 20” CO, R.-L. (ca. So) 35" A., 40” A., 45” A., 55” A. 37’ 20” A., 35’ A. 38’ 00” 0. R.-L. rflxereb. 40’ oo 0 HC] R.-L. 402 Ernst Laqueur und Fritz Verzär: 41’ 40” 00; R.-L. (ca. 8°/o). 42” A., 45” A., wiederholte kleine Atemzüge. Versuch abgebrochen. [Ergebnis: IT HCl dreimal 0, —— m dann viel schwächer als die CO,, einmal 0, danach aber CO, +.] HCl einmal vielleicht +, aber wenn, Versuch 3. 14. Juni 1911. 5(2) Tage alt. 12h 46’ 00’ Beginn der a 54' 00" O. R.-L. 55’ 00” A., 20” A., 56’ 20'' A., nicht rfixergb. 57’ 00’ A 58.00, A., 09. '5/% ’ 122 39’ 30 1006 HCl R.-L. 1b 1’ 00” CO; R.-L. (ca. a 8A. 157 A. 85 A, 27007 Ar, 15. A. 200 Aw 4' 00" O0. R.-L. Non A.,.25''.A., 30 A. 45" A., 55” A, 5015 A, 2 0A 801. 2A,, an Au,.6/8% A.,0000, And 00er. r nm [4 20 r n 7 en = 287 00.28.,,912500 9' 30" CO, R.-L. (ca. 5%0). 10’ 35” A., 11’ 20” A. 14’ 30" CO, R.-L. verstärkt (ca. 7 io). 15’ 40” A., 16’ 40” A., 17’ 25" A., 55” A. [X » 1000 HCl R.-L. 10 A. 21’ 30’ CO, R.-L. (ca. 12%). 22’ 00” A., 30” A., 24’ 00” A. so” A, 25’ 00°. A., 27" 00." A., 30’ A., bis 28” 45’ noch vier. A., 297 30.2A8 30’ 00” O0. R.-L. Keine A. 33’ 00” CO, R.-L. (ca. 12%0). Alle 15” regelmässig A. 35' so" O0. R.-L. 36’ 00” A. 5” A. HCl R.-L. nn 1000 40’ 00" CO; R.-L. 20” A., 41’ 5” A. Versuch abgebrochen. [Ergebnis: om HCI zweimal 0, ET HCl zweimal 0.] Versuch 4. 15. Juni 1911. 6 (?) Tage alt. 10h 29’ 00’ Beginn der ee 43’ 5” O.R.-L. 44' 15” A., 30” A., 45’ 00” A., nicht rflxergb. r 20 47’ 10 mm HC1 R.-L. (Druck 105 mm). 49' 45" CO,R.-L. (ca. 3%). 50’ 45” A., 55” A., 51’ 5’’ A., 20” A., 35’ A., a5, Ar; 52% 001% Ass 920% Assaol A, 53’ 00" O.R.-L. 25” A., ss” A. 54’ 20’! A., so” A., s2'' A, 55’ 25” An 55’ 45’ Unruhe, rflxergb., 56’ oo A. 59’ 30 um HCI R.-L. Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. 403 11 2’ 10” CO; R.-L. (ca. 3/0). 30% sr R.-L. verstärkt (ca. 6,400). 55” A., 6’ 5" A., 15” A, 5" A. 40” A. 50” A. 7’ 00" A., 10’ A., 20’ A. 9’ 20 A., 35” A. 11’ 20" —— HÜCIR.-L. 30” A., 35” A., a0” A. 45” A. as"" A., 50” A,, 1000 | 8’ A., 127 25”’ A., 35” A., 50” A., ss” A. 13’10” A. Versuch ab- hen. : nV A [Ergebnis: 10000 HCl zweimal 0, —— Im HC1 einmal +.] Versuch 5. 15. Juni 1911. 60) Tage alt. Gewicht 70 g (nach dem Versuch 143 g), Durchströmungsgeschwindigkeit ca. 63 cem pro Minute. 11h 30’ 00’ Beginn der Operation. 40’ 00" O0. R.-L. (Druck 95 mm). 45” A., schwaches Ödem, 55” A., 41’ 25’' A. 43’ 30" vom HEIR. eL. 55’ A., 44’ 25" A., 45’ 25” A., 30’ A., 40’ A. 43” A., ar” A., 55”’ A., dabei Unrube. Während bis ca. 44’ die Durchströmung eine schnelle war, war sie von 44—46’ kaum merklich. Nach 46’ wieder stärkeres Fliessen. Es folgte dann 2’ lang Apnöe. 48’ 00’ CO, R.-L. (ca. 6,40). 5" A.,ı5”’ A., a = A., 25” je 50’ A., 49° 00. rflxergb., 5” A., 35" A., a5 A,5 DOES HRAS ISLA SE 102 OS R.-L. 16” A., so” A. 45" A., 527 Na NG o” A., Unruhe. ’ 54’ 30" 0 HC1R.-L. 58’ 36" CO, R.-L. 125 00’ oo’ CO, R.-L. verstärkt (ca. 7,800). 15” A., 50” A., 1'5” A, 18!" A., 30 A., 40" A., 50” A., 27 00” A., riixerob. Ds 0” 0.R eL. r 2 4' 30’ m HC1 R.-L. Stark rfixergb. 6’ 50” CO, R.-L. (ca. 7,5%0). 7’ 30" A AHÄL, nr A., 5” A,„8’10'" A BEE a5 Au, aa A... 52’ A,, he Olgsıı 9’ 15” 0. R.-L. 30” A. 12’ 10’ Kanüle herausgezogen, 15’ ı5” A., so” A. Neue Einführung und 0. R.-L. 15’ 50”. 16’ 15’' A., so" A. 18’ 50'' — SuM HCIR.-L. rfixergb. Starkes Ödem. Regelmässige, aber sehr schwache Atembewegungen, zuerst 14 und dann 11 pro Minute; sie werden sehr deutlich und regelmässig. 23’ 50" 0. R.-L. Atmungen beschleunigt und hören endlich auf; rflxergb. | 27750" 00, R.-L. (ca. 7,8%). 28’ 00" A., 10” A., 20°’ A. Versuch | abgebrochen. [Ergebnis: —— HCl zweimal 0 HCl einmal +.] 40 0 ; 2000 404 Ernst Laqueur und Fritz Verzär: Versuch 6. 16. Juni 1911. 7 Tage alt. Gewicht 100 g (nach dem Versuch 250 g) Düurchströmungsgeschwindigkeit 54 ccm pro Minute. 11h 00’ oo’ Beginn der Operation. 11’ 00” 0. R.-L. 13’ 00” rflxergb. 14’ 30" — om HCl R.-L. 18’ 00’ CO, R.-L. (ca. 3°%0) so” Unruhe, rflxergb. 21’ 40” CO, R.-L. verstärkt (ca. 12%). 22’ 15’ Unruhe, 45” A., 55” A., 23" 57. A..ı10” A, 015. A.ıs' SA, 21 A, 26 A., 30. A., sale 40’ A., (schwer asphyktische Atmung, Bauchmuskeln arbeiten stark mit). 24' 0" 0. R.-L. 15” A., 45" A., a8” A., Ödem, 25’ 35” rflxergb., 40” A. 26’ 50” — Ton HCl R.-L. 28’ ı0” rflxergb., 40” Unruhe. 29’ 10" CO; R = (ca. 12%). 30” A., 40" A., 48” A., b2' A., vol 3027 Ar, 8 DAN u12. 0 Aue 1o% ZAR, a8 A EBOL WÄR 31’ 10" 0. En 30’ starkes Ödem am Kopf und Hals, kaum rflxergb. ın 1000 HCl R.-L. 56” Unruhe, 34’ 00’ wahrscheinlich A., s’”’ desgl., ı2'’ desgl. Die Bewegungen unterscheiden sich jedenfalls von den durch CO, hervorgerufenen und sind nur solche des Bauches. 20’ bis 40” wogende Bewegungen der Brustmuskulatur. Atembewegungen(?). 36’ 2’ CO, R.-L. (ca. 12%0). Undeutliche Bewegungen an den Thorax- seiten. Nachher in 30'’ viermal Bewegungen der Bauchseiten, wahr- scheinlich Atmungen, vermischt durch das starke Ödem, dann Apnöe. 38’ 50" O0. R.-L. Keine Bewegungen. aa el 40' 40" —— A HCl R.-L. Unruhe, rhythmische Bewegungen des linken Vorderbeines, ca. jede Sekunde; wahrscheinlich durch das Ödem verwischte Atembewegungen. 42’ 52” CO; R.-L. (ca. 12%). 43’ 5” bis 40” dieselben rhythmischen Fussbewegungen, Herz schlägt, Versuch abgebrochen. [Ergebnis: rm HCI zweimal 0, m wahrscheinlich +.] HCl zweimal(?) +, davon einmal Versuch 7. 20. Juni 1911. Gewicht 75 g (nach dem Versuch 173 g). Durchströmungs- geschwindigkeit 15—20 ccm pro Minute. 115 00’ oo” Beginn der Operation. 30" 0. R.-L. 50” A., 5’ 10” ® nn A., 20''-A., 40”: A., 50. A RE re Es, as! Takeine a on \ 115 a 9' 15” rfixergb. 12’ 10" Sp HOI RL. Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. 405 13’ 15” CO, R.-L. (3%). 14’ 00” A. 15’ 20” CO, R.-L. verstärkt (ca. 6,3%). 16’ 15". A., 5" A., 30” A., EB og Es N A 18’ 10" EB R.-L. 47’ A. auf Reiz, rflxergb., 20’. ı0” rflxergb. 21’ 00” U HCl R.-L. Unruhe, geringes Ödem am Halse. 23’ so” CO; R.-L. (ca. 6,3 %/0). 40’ starke Unruhe, Ödem wächst, Durch- N 110 mm, 25’ 5" A., 25” A., a8’ A,, 35’ 45, A. 58. A. 26. 10” A. 20" A., 30” A. 27" 00" 27’ 00" ©. u 10” A., ne. A., rflxergb. 29’ 20" — omW HC R.-L. 40” IA 30" or AR 82 yAss 1000 As Laoy PAR, 22 50’ A. Ganz schwache Rippenbewegungen, welche vielleicht als Atmungen aufgefasst werden sie werden allmählich etwas stärker; sehr starkes Ödem. 32’ oo” pro Minute zwölf schwache Atemzüge (? s. o. vor. Versuch). 33’ 40" 0. R.-L. ca. 9 A. (?) pro Minute. 35’ 15” keine Atmungen mehr, rfixergb., spontane Bewegungen, Herz schlägt regelmässig. 37' co” wieder schwache häufige Rippenbewegungen, 18 pro !/s Minute (Atmungen ?). 39’ 10” CO, R.-L. verstärkt (ca. 10%). Sehr starkes Ödem, rflxergb., keine Atmung. . 42' 00 — 700 HCl R.-L. Keine Atmung. Versuch abgebrochen. Q 2 = [Ergebnis: SORT HC einmal 0, um HCl einmal 0, einmal (2); zweifel haft, weil auch die folgende O0. R.-L. keine dauernde Apnöe mehr bewirkt.] (Siehe Tabelle I auf S. 12.) Überblicken wir die tabellarische Zusammenstellung der Ver- suche, so sehen wir, dass erst eine — ——- a 0 HCl Ringer-Lösung Atmung bewirkt, dass aber andererseits selbst eine m HCI Lösung nicht immer Erfolg hat, wenn eine danach durchströmende CO,-Lösung prompte Wirkung zeigt. Schon aus diesen Versuchen scheint hervor- zugehen, dass die H-Ionen-Konzentrationen, wie sie in den an- gewandten Kohlensäurelösungen bestehen, allein nicht genügen, um Atembewegungen hervorzurufen; ja selbst eine sechsmal so grosse H'-Konzentration, wie sie in einer -—_— __— HCl besteht, (verglichen mit om einer 2—3°/o CO,) vermag es augenscheinlich nicht, und auch die etwa 60 mal stärkere ——— 1000 HCi bleibt noch gegen die CO, zurück. 406 Ernst Laqueur und Fritz Verzär: Tabelle I Versuche mit HCl (aus Versuch 1—8). Molekulare [H°] Zahl der Posit. Erfolg .| Negat. Erfolg Konzentration | Konzentration Versuche (Atmung) (keine Atmung) N \ 2% en 50000 2,0. 10-3 B) 3 N 70000 2,2. 10,3 6 _ 6 m 5,0.10-5 2 ae 2 20.000 i N me . 10- ? 10000 1,0. 210,52 4 10) 3 ee 104 : >) Eur 5000 2,0 -10 3 1+20) n RER 25.10- 22 wa 1000 2,5. 10 2 (2) N RER. .10-4 pe- 5000 5,0 -10 1 1 N . 10-4 2 s 1000 10,0 -10 5 1+10) 3 Durch diese Versuche war aber noch keine entscheidende Ant- wort auf unsere Frage gegeben, denn bei der Salzsäure ist der Ein- wand möglich, dass in den Geweben durch Bindung der Säure die H-Ionen-Konzentration herabgesetzt wird, trotzdem ja die schnelle Durehströmung gegen diesen Einwand spricht. Dadurch könnte eine so niedere H-Ionen-Konzentration entstehen, dass diese nicht mehr wirksam ist. Wir werden daher auf eine spezifische Wirkung der Kohlensäure erst dann schliessen dürfen, wenn es gelingt nach- zuweisen, dass eine Säure, die weit stärker als die Kohlensäure ist (also bei gleicher Normalität eine erheblich grössere H-Ionen-Kon- zentration hat), in ähnlicher molekularer Konzentration wie die gerade noch wirksame CO, angewandt, keine Atmung hervorruft. Eine in dieser Hinsicht geeignete Säure ist die Essigsäure. 2. Versuche mit Essigsäure. Die Dissoziationskonstante der Essigsäure ist 1,8-10-°. Da der Disso- ziationsgrad nicht gegen 1 verschwindet wie bei der Kohlensäure, so genügt bei k der Berechnung nicht die oben angewandte vereinfachte Formel « — V: —k+vVk® +4ke 2.C Tabelle II zu findenden H°- Konzentrationen berechnet. . Nach dieser Formel sind die in sondern die genauere « —= Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. 407 Versnch 8, 21. Juni 1911. 7 Tage alt. Gewicht 108 g. 10% 53’ 00” Beginn der Operation. 41h 2'000. Re-L. 3° 5" nn ı7" A, 21” A., 40” A. keine Reflexerreg- barkeit. SEE A, ss! A. ar A, DE A oT, 7' 25’ vflxergb., a s5'' stark rflxergb. 9 15” sag HOL 12’ 15’ rfixergb. 4” (0; R.-L. ): 13’ 20" A., :. A., 14’s"’A., 35” A., 50" A,, I N A N a al 16’ 35” 0. R.-L. 17’ 00’ rflxergb., 19’ a rfixergb. 20’ 15" Am Essigsäure R.-L. Unruhe. 21’ 35” Fussbewegungen, Herz schlägt regelmässig. 22” 10” A., 23’ 00’’ Kopfbewegung, 15’ rflxergb., 25 A. 2580" A. 25’ 32’ CO, R.-L. (ca. 7 0). Se 26 SEA. 18 LA, 2a Ar leo Aa Ar 50” A., 56” A., 27’ 5" A., 18’ A., 20’ A., 22’’ A. (etwas Ödem), SS An, 42 A), 52 A., 2 00" A. 8’' A., 28’ A., 26’ A., se” ab- gesperrt bis 21 OR. 29710. A, 15 A, 28 A,, 5 A,, a7 A., 30, 250% starke Reflexerregbarkeit, 31’ 45'’’ Bewegung der Vorderfüsse, 33’ 20” son Essigsäure R.-L. #5” Unrube, 35’ 15" A., 23” A., 35” A., ION 50, Ar, 57 A., 86 TU A. 10 A, 9 Als) Au As NO RE-L. 85. A. 20" A. 46’ Di 38’ 25” ıflxergb. Ödem. 1 2 ’ MM >. ei ee wa . x h 40’ 40 70 ” Essigsäure + 100 n Natriumacetat R.-L. 45” Unruhe, AIDA, 12 A.,087 A, BA an Ar sol AL, AD EEN, starkes Ödem, 43’ 5” A., keine Reflexionserregbarkeit. Versuch a. Essigsäure einmal 0 Essigsäure [Ergebnis: Son HCl einmal 0 : m 1 einmal +, n Essigsäure + n Natriumacetat-Gemisch einmal +.] 100 Versuch 9 22. Juni 1911. 8 Tage alt. Gewicht 116 g (nach dem Versuch 195 g). Durchströmungsgeschwindigkeit 30 ccm pro Minute. 55 10’ 00” Operation. 14’ 00" 0. R.-L. Druck 90 mm. 14’ 30” sehr starke Reflexerregbarkeit. 15’ 00’ I Essigsäure R.-L. 2” A., etwas Unruhe, Zuckungen der Nase. Oel A 102 As auf Reiz. 12! 00% Ay 13. Au all Ansı Ar; ala Ar, 57 A, 408 Ernst Laqueur und Fritz Verzar: 18’ 15" 0. Be-L. 18! A,, 20. A, a0 Ar ss A as Au ol. 19’ 6” A., etwas Ödem. Druck wird um 5 mm vermindert. 20' 55" A. Herz schlägt stark und regelmässig. | 97" 15" Unruhe; 20 A, 22" A,, 35 Ar, 80 A, 05 A, ao A as A. (wahrscheinlich -Asphyxie wegen zu langsamer Durchströmung), starkes Ödem, Sekret aus der Nase. 22' 20" rfixergb. 22' 50" CO, R«-L. (ca. 5/0). 55” A., 23’ 00” A., 10” A. 13" A, a1’ A, 33 WA, 86 A, a8 A850" A,.ss’ A, 2A! A), el A, a0 Am INS, El AN el Ne BEN 26’ 30’ O0. Re-L. 30” A. 27' 00’’ rfixergb., auf Reiz Atmung, 28’ 00” A., 45” A., 29’ 5’ A., Druck 90 mm, as’ A., 55” A., 30’ 15’ A., 20” A., 50” A., keine Reflex- erregbarkeit! (wahrscheinlich Asphyxie), 31’ 5” A., s’’ A., 32’ 00” A,, 15" A, 32" 30. Tu0n Essigsäure R.-L. 45. A., 557..A.: 13378 A, 17 SA So 34’ 20" A. 35’ 20” CO, R.-L. 36’ 20” A., 58’ A., 38’ 20” A., nicht rfixergb. Ver- such abgebrochen. n [Ergebnis: 1000 Essigsäure einmal + (?); unsicher, da keine dauernde Apnöe.] Versuch 10. 22. Juni 1911. 8 Tage alt. Gewicht 119 g (nach dem Versuch 230 g). Durchströmungsgeschwindigkeit 22—24 ccm pro Minute. 65 30’ 00’’ Operation. 40’ 00” 0. R.-L. Spontane Bewegungen. A. 41’ 30”, auf Kneifen Be- wegungen des Mundes. 42" 12” Som Essigsäure R.-L. Herz schlägt stark und kräftig. 44’ 15" im Vorderbein spontane Streckbewegungen. 45' 25" CO; R.-L. (ca. 11,4 lo). 26’, a7", 28’, 29”, 30’, 40”,-12”, 45", 50’ je eine sekr starke dyspnöische Atmung. 46’ 22’ O0. R.-L. Nicht ıflxergb. n ee . 50’ 00" 500g Essigsäure R.-L. 51’ 00'’ schwaches Odem, 45'’ rfixergb., 51" A., 52’ so” CO, R.-L. (ca. 11,400). 40”, au”, 42”, 43”, 44” usw. bis 53’ 10". pro Sekunde je eine Atmung. - 583’ 10’ O0. R.-L. 19” A., 25'' A., 32’ A., 54' s0’’ A., schwach rilxergb. 55’ 00’’ A. 55’ 20” 570 Essigsäure R.-L. 45’ A.,: starkes Odem, Sekret aus der Nase, o 57' 3" A., rfixergb., 55” A. Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. 409 -58’.s0” CO, R.-L. (ca. 11,4 9/0). 59’ 00’ A., ı3” A., sehr starkes‘ Ödem, 21'' A., so” A., 38’’ A., as”’ A., 55’ A., 7h 00’ 5” A., keine Reflex- .. erregbarkeit. 5 00’ 35" O0. R.-L. 1’ 00”. A., 10” A., 20” A., 30” A. ss’’ A., 3’ 30’ keine Reflexerregbarkeit, sehr starkes Ödem. 47 30” mm Essigsäure + m Natriumacetat R.-L. ((H'] = 0,9: 10-3). Dias Ne DSL Ar 30, A838" A, aa A, 50 A; 6’ 5" 0. R.-L. 35” A., 45’ A., 8’ so” nicht rfixergb. 9'ı 5" In 100 Natriumacetat R.-L. Nicht rfixergb. Versuch abgebrochen. [Ergebnis: —— Essigsäure zweimal 0, Essigsäure einmal 0, UT) n Essigsäure + 570 2 ar In” Natriumacetat-G@emisch einmal +.] “Versuch 11. 28. Juni 1911. 14 Tage alt. Gewicht 180 g (nach dem Versuch 315 g.) 9b 15’ 00” Beginn der Operation. DON 00’ 0. R.-L. 24’ 00" a MM 5 — IT Essigsäure R.-L. 45’ Herz schlägt gut, Druck 105 mm. 26’ ı0”’ CO; R.-L. (ca. 2,500). 27’ 00’ rflxergb. Auf Reiz 1 A., 55” A. 28’ 00'' etwas CO2 hinzugesetzt. 25” A., 50” A., 57” A., 29’.10" A., 25” A., 35" A., 52” A., 80’ 15” A., 25”. A., keine Reflexerregbarkeit. 31’ 00” 0. R.-L. Ödem der linken Seite, Herz schlägt langsamer. 33’ 00” keine Reflexerregbarkeit. So 10 m Essigsäure R.-L. har a" A, 34'5" A," A," A, 35’ 20" A. 39" 45" 0% Dan Sehr starkes Ödem links, keine Rfixergb. 36’ 50’ A. 38’ 25’ CO, R.-L. Keine Reflexerregbarkeit, Herz schlägt kaum. ’ 77 N . .. = MR 40' 35 10% Essigsäure R.-L. 44' 00" keine Reflexerregbarkeit. Versuch abgebrochen. [Ergebnis: Essigsäure einmal 0, einmal +.] ZECHE 1000 Versuch 12. 28. Juni 1911. 14 Tage alt. Gewicht 232 g (nach dem Versuch 300 g). 10h 25’ 00” Beginn der Operation. 31’ 00’ 0. R.-L. 70 mm Druck. Rebe m Essigsäure R.-L. Sehr schnelle Durchströmung, pro Minute ca. 100 ccm. 410 Ernst Laqueur und Fritz Verzär: SUAITESA., ni: A. nicht rflxergb., 38’ 10” A., 35” .A., 50 mm Druck, 397.5” 39’ 5" 0. ni 04 A, AQN BA 5 AR AL 1 Ar, 30 Ar 41’ 45" COs . (ca. 5%). 42’ 00" A., 16” A., 5” A, 43 A. nicht rflxergb., 29” A., 46” A., 44’ 40" A., 45’ 00'" A., 48’ 00” 0O,-Lösung verstärkt, kein Erfolg, nicht rflxergb. Versuch ab- gebrochen. [Ergebnis: Essigsäure einmal 0.] 1000 Versuch 13. 28. Juni 1911. 14 Tage alt. Gewicht 187 g (nach dem Versuch 210 g). 12h 35’ 00” Beginn der Operation. 38’ 00” 0. Re-L. 10” A. 45" A., 39’ 5" A, 20’ A, 25” A, 41’ 5" A, o” A., Druck 60 mm, auf Reiz A. 42’ 57 — m Essigsäure R.-L. 26” A., 53’’ A., 43’ 5" A., 50’ A., nicht rflxergb., 44’ 15" 45’ 5" CO, R.-L. er = °/o). 15”’A., Herz schlägt lebhaft, keine Reflex- erregbarkeit, 47’ 5”. 48’ 5" CO; R. en verstärkt (ca. 11%). 30” A., 49’ 10’ A., 40” A,, 50’ a OR ol’ so” su Essigsäure R.-L. ı5" A., »5’”’ A., 5” A., 52’ 10” A., Herz steht, s30”’ A., 52”’ A., 53’ ıs’ A. 54’ 00" O.R.-L. 25” A., 55’ 15” A., 56’ 15" A. 57’ 20. zu Essigsäure R.-L. 30” A., Herz schlägt unregelmässig, 58’ 55" A., 59’ 35’ A. Nicht rfixergb. Versuch abgebrochen. [Ergebnis: 7000 Essigsäure einmal 0, IT Essigsäure einmal +.] Versuch 14, 14. Juli 1911. 7 Tage alt. Gewicht 93 g (nach dem Versuch 119 g). Durchströmungsgeschwindigkeit 13 ccm pro Minute. 10h 35’ 00” Beginn der Operation. 38’ 15’ O0. R.-L. Druck 75 mm. 40” A., 52” A., 39’ 40” gute Reflex- ee 50 A, Mo" A., 207 A,, 550 A, All2an As aA, A210 EA, 43’ 20" Sm Essigsäure R.-L. 50” A., 44’ 5" A. 45’ 00” A., 15" Ay 30" nA.,20 Ass 50 A, NAHER As, a0 mA, 46' 22” O0. Re-L. 40” A., 47’ 10’ A., 5’ A., 48’ ı0” A. nicht rfixergb. AO IAR Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum.. 411. 49’ 25" = R.-L. er. 40” A. 50’ ı5’’ A., Druck 95 mm, 51’ 10” A!, IEREEDZUSU A., 80" As 557 A, 88200 Ausg. 53’ 50" ©0, R.-L. a (ca. 6,5%0). 54’ 40” A, se’ A., 88 21 A.,, 56’ 5” A., 25” A., 50” A. Versuch abgebrochen. [Ergebnis: ET Essigsäure einmal +.] Versuch 15. 14. Juli 1911. 7 Tage alt. Gewicht 84 g (nach dem Versuch 107 g). Durchströmungsgeschwindigkeit ca. 19 ccm pro Minute. 31% 10’ vo’ Beginn der Operation. 14’ oo” O0. R.-L. Druck 90 mm. 20’ 5” A., nicht rfixergb., 21’ 25’ Zul a5 '” 5000 Essigsäure R.-L. 22’ 00” A., 32'’A., 23’ 00” A., 20'’ A., DAN TOLL END DEE DAR DE 00, R.-L. (ca. 6,5 0). 20” A., 35” A., 15" A, 58” 2» 20 Sy keine Reflexerregbarkeit, 20” A., 35” A., as” A., 27’ 00’ A., 15” n ZB AR 10 AL, 83" A. 23’ 10’ O0. B.-L. 30” A., 29’ 10” A., Herz schlägt sebr schwach, 50’ A. 30’ 90” — 210 Essigsäure. 30” A., 31’ 15" A. 35” A., 5" A. 32' 5" A, DAS BB. 15.A. 33° 35” 0. R.-L. 42’ A. 89. 40" CO; R.-L. 52” A., 36’ 5" A., 18’ A., 25” A., se’ A, 45” A, 55'"A,, Ss AN, go A., 38’ 5” A., 25” A., 50” abgesperrt. 39’ 25 — um Essigsäure. Ödem am Halse. 50” A., 40’ 15” A., 50” A., Herz steht. Nicht rflexergb. 42' 30” IN R.-L. Kein Erfolg. Versuch abgebrochen. [Ergebnis: som Essigsäure zweimal + ; beidemal die CO, dahinter schneller und stärker wirksam.] Versuch 16. 14. Juli 1911. 7 Tage alt. Gewicht 103 g (nach dem Versuch 115 g). Durchströmungsgeschwindigkeit ca. 24 cem pro Minute. 12h 15’ 00” Beginn der Operation. 16’ 00” 0. R.-L. 17’ 10” A., 18’ 00’ A., ı0” starke Reflexerregbarkeit, 30” A., 50’ A. Druck 94 mm 20’ 30’ —— Sum Essigsäure. Herz schlägt schneller. 21’ 50” rflxergb. 23’ 35" CO, R.-L. (ca. 8/0). 40” A., 24’5" A. 25” A., 5" A., 25’5" A 25'' A., a0” A. Ds OSB: O6 EA, 50" A, as x Druck 103 mm. 238’ 20” nicht rfixergb. 28’ 5 — 1000 Essigsäure. 29’ 00" A. 5" A. 5’ A., 30’ 00’ A., 20’ A. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 28 u 412 Ernst Laqueur und Fritz Verzär: 31’ 55” CO; R.-L. (ca. 80). 32’ 25” A., nicht rfixergb. 34' 40” CO, R.-L. verstärkt. Kein Erfolg. Versuch abgebrochen. [Ergebnis: 500 Essigsäure einmal 0, —— m Essigsäure einmal +.] Versuch 17. 15. Juli 1911. S Tage alt. Gewicht 103 g (nach dem Versuch 153 9). Durchströmungsgeschwindigkeit 37 ccm pro Minute. 11h 58’ 00” Beginn der Operation. 125 1’ 00” 0. R«L. 2’ 00” A., 25” A., 5” A., 3’ 10” auf Reiz A., 4' s0'' rfixergb. 4’ 50" 000 Essigsäure R.-L. 5’ 5” Unruhe, Druck 90 mm, 6’ 20” stark rflxergb. n Bee: Asorn 5000 Essigsäure R.-L. 35” Unruhe, 9’ 00” Unruhe, ıs” A., 40” auf Reiz A., 10’ s5” A. 10125. 1000 Essigsäure. 35” A., 45” A., 58” A., 11’ 10” A., 23’ A. 11’ 35" O0. R.-L. 40” A., Ödem am Hals, rflxergb. 12’ 50” CO, R.-L. (ca. 500). 55’ A., 13’3"A., s" A, 15’’A., ıs’’ A., 22” A., PN di 13' a5" O0. R.-L. 45” A., 50’ "A, 1473! A, 13’ A.,028; A, sole 15’ 25’ auf Reiz A., a0’ A Soll Aen Ag ” 16’ 55'' AT Essigsäure R.-L. 17’ 10” A., ı3” A., ıs” A., 25” Unruhe, ° 40" A. 17' 50” 0. R.-L: 18’ 20” auf Reiz A. 19" 35” 5005 Essigsäure R-L. 20° 19” A., 21’ 00” 21’ 0” CO, R.-L. (ca. 5°0). 22’10” A., ı8”’ A., 28” A., 40” A., 2300” A sehr starkes Ödem, 22” A., a5" A. 24' 10" CO, R.-L. verstärkt. Kein Erfolg, nicht rflixergb. Versuch ab- gebrochen. [Ergebnis: —_ Essigsäure einmal 0, —- Essiesäure zweimal 0 = " 4000097 2000. 0.6 i 2) ee S 1000 Essigsäure zweimal +.] Versuch 18. 15. Juli 1911. 8 Tage alt. Gewicht 103 g (nach dem Versuch 142 9). Durchströmungsgeschwindigkeit 26 ccm. 12h 55' 00” Beginn der Operation. 58’ 00" 0. RL. 59’ 20” ıflxergb. Spontane Schluckbewegungen, Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. 413 59" 50” m Essigsäure R.-L. Druck 90 mm. Herz schlägt kräftig und regelmässig. 14 1’ 25” schwache spontane Bewegungen, gute Reflexerregbarkeit. 2 15.) 5000 Essigsäure R.-L. 30” Armbewegungen. nr Essigsäure R.-L. Stark rflxergb., auf Reiz A., 5’ 20” A., 6’ 00” A., 25” A, 7’ 00” CO; R.-L. (ca. 11%). 3” A., 10” A., 15” A., sehr starke Inspirationen, 24” A., 30” A., ss” A, 5” A, 55” A. 8’ 00” 0. R.-L. 10" A., 15” A., 9’ 00” rflxergb. 4’ 45" 45" m Essigsäure R.-L. 12’ 20’ CO; R.-L. (ca. 1190). 28” A., 32” A., ss’ A, a5” A. 52” A. | TORE 005.7 A 10,0 A194. A., 24" A.,82 A, 3235.20. Bu Tas A, 28%. A. 15’ 5" — = Essigsäure R.-L. Rflxergb. 16’ ı7’ A., Ödem am Kopf, 17' 35'' A., 18’ 00’ auf Reiz A. 18’ 15" CO, R.-L. (ca. Bo 24” A., s0”.A, (sehr langer inspiratorischer Stillstand), 19’ 3’’ A., 25” A., a5" A,, a oo” A, 20” A. 20’ 22’ 0. R.-L. 43’ A., 21’5” A., 35" A., 22’ 20” A., starkes Ödem, Sekret aus der Nase, 23’ o0o’’ auf Reiz A., 24’ 30” auf Reiz A. Versuch e [Ergebnis: Essigsäure einmal 0 Essigsäure zweimal 0, SLLIE ’ 1000 —— Essigsäure einmal 0.] 1000 Versuch 19. 15. Juli 1911. 8 Tage alt. Gewicht 97 g (nach dem Versuch 148 g). Durchströmungsgeschwindigkeit 13 ccm pro Minute. 6b 14’ 00” Beginn der Operation. 18’ 00” 0. R.-L. Druck > mm 30 A LOLTOOL LAN, DAS ar As SA 20L 10. A., 25. A., keine ee a5. AR Herz 2) Sg sehr gut, ar 33’ rflxergb. 21’ 54 m Essigsäure R.-L. 24’ 3" — SM Essigsäure R.-L. Sehr stark rflxergb. 26” 25" —"_ Essigsäure R.-L. 20” A., 45” A, 58” A, 27’ 10” A, 1000 SB NE AEG 27’ 35" O0. R.-L. 28’ 10'’ A., schwach rfixergb. 29’ 50” CO; R.-L. (ca. 5/0). 59" A., 30’ 50" As EN N NS BEENEO IBAN us A u 56" Au, 8202 A alas Aus one as ae SEN sl Ar a5 A., 50, A. ISH U 414 Ernst Laqueur und Fritz Verzar: 32’ 50" O0. Re-L. 33’ s’ A., 30” ıflxergb. Beginnendes Ödem. DEREN, Sa = 5 5 h [22 f "A, [77 IN, 34" 55 00 Essigsäure R.-L. 35’ 5" A., s”" A., ıı’’ A., 22’" A, A, s2’' A. 36’ 10” CO; R.-L. (ca. 50). 35” A., rflixergb. (Langsame Durchströmung.) 37’ 20’ CO, R.-L. Hertäckt (Ken 3 YET Ne BEUTE Aa v A., starkes Ödem, 35” A, 45” A. 38’ 55” O0. R.-L. a EN TEN. 41’ 5" So Essigsäure R.-L. 42’ 25’ A., 43’ 25” A. 44' 20" — 1% Essigsäure R.-L. Nicht rfixergb. 52’’ A., 45’ ı6” A. 46’ 50’ CO, R.-L. (ca. 10 90). 55’ A., 47’ 15" A., so” A., 50" A., 48'5"A., 180. A, 2850 Ar, 50, A AIN 10 AS ss A 49' 40" 0. R.-L. Starkes Ödem. . aus der Nase. Nicht rfixergb. 50’ ss’ A. 52 rm Essigsäure R.-L. 53’ 45” CO, R.-L. Keine Wirkung, keine Reflexerregbarkeit. Versuch ae [Ergebnis: mm Essigsäure einmal 0, „7 Soon Essigsäure zweimal 0, om Essigsäure zweimal +, einmal (0.] Tabelle I. Versuche mit Essigsäure (aus Versuch 8—19). Molekulare [H]%) Zahl der | Posit. Erfolg | Negat. Erfolg Konzentration | Konzentration Versuche (Atmung) (keine Atmung) £ 5,86 . 10-3 3 nn 1000 5,86 - 10 3 3 % u r 5000 8,61: 10 10 3 7 EURO 2.60 10-5 5 2 S um 12,69 - 10 15 6 und 1(?) 8 2 2 ® —5 > Aus den Versuchen ersehen wir, dass die 7000 Essigsäure immer, 2 n S die 5000 in der überwiegenden Mehrzahl wirkungslos bleibt, ja 1) Berechnet nach Formel auf S. 406 unten. n { ; 2) Zu -——— ist auch der eine Versuch mit der eine Versuch mit h 1000 70» 2U 500 655 gerechnet. Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. 415 auch die 1000 noch öfter versagt, und selbst die 500 Essigsäure nicht absolut zuverlässig wirkt, auch wenn die sogleich darauf folgende Kohlensäure einen prompten Effekt hat. Dabei sind die molekularen Konzentrationen der Essigsäuren nur vier- bzw. zweimal so klein als die einer 2—3°/o Kohlensäure bzw. ihr gleich (bei der —- Essigsäure) oder sogar grösser (bei der „ Essigsäure). Die 500 H-Ionen-Konzentrationen sind aber 3.5, 5.2, 7.5 und 10.8 mal so gross. Wir machten auch mehrere Male die Erfahrung, dass die Säure erst nach längerer Zeit, bis zu 2 Minuten nach Beginn der Durchströmung, wirkte, während die CO,-haltige Ringer- lösung schneller Atmungen auslöstte. — Daher warteten wir auch mindestens zwei Minuten, ehe eine Lösung für wirkungslos erklärt und die Durchströmungsflüssigkeit gewechselt wurde. (Für die schnellere Wirkung von CO, siehe besonders Versuch 8: e 7 N y . =£ r [7 CO, wirkt nach 23”, 500 Essigsäure nach l2e55 Essigsäure deutlich nach 2’; Versuch 14: CO, ; Versuch 9: (6107 nach 5, sm nach 50”, Essigsäure deutlich erst nach 1’ 40”; Versuch 15: CO, zu00 nach ı5" und ı2”, - Essigsäure, nach 25” und 30”; vgl. hierzu auch n 2000 die schnelle Wirkung der stark CO;-haltigen Ammoniakgemische der späteren Versuche 20—23.) Betrachtet man alle zwölf positiven Er- folge der Essigsäure, so trat die Wirkung in sieben Fällen langsamer, in zwei Fällen schneller und dreimal ebenso rasch als bei der Kohlen- säure ein. Der Grund der langsamen Auslösung der Atmungen kann nicht eine ungenügende Durchströmungsgesehwindigkeit sein, d. h. dass die Essigsäure erst nach so langer Zeit zum Atemzentrum gelangte, denn dann könnte die Kohlensäure doch auch keinen schnelleren Erfolge haben. Die langsam eintretende Wirkung legt vielmehr den Gedanken nahe, dass die Säure allmählich immer mehr gebundene Kohlensäure in den Geweben frei macht, und dass diese aus- getriebene CO, bzw. H,CO, das wirksame Agens ist (s. 0. S. 393). Es ist hier noch zu erwähnen, dass der Einwand, den wir uns oben selbst gemacht haben: man dürfe keine viel schwächer molekular 416 Ernst Laqueur und Fritz Verzär: konzentrierte Säurelösungen zum Vergleich mit der Kohlensäure heran- ziehen, weil ja die Gewebe von jener relativ mehr binden können und so die H'-Konzentration herabsetzen, keine zu grosse Bedeutung hat. Es wird dies deutlich, wenn man bei den Versuchen Wirkung und Durchströmungsgesehwindigkeit vergleicht; wir sehen dann nämlich gerade bei langsamer Durchströmung, wobei doch am meisten von der Säure gebunden werden könnte, Wirkung eintreten. [Versagen der Essigs. in Versuch 10 (Geschwindigkeit 20—24 cem pro N 2000 Minute), in Versuch 16 (24 eem), in Versuch 17 (37 cem), dagegen positiver Erfolg in Versuch 14 (13 eem), Versuch 15 (19 eem.)] — Zu erklären ist wohl die grössere Wirksamkeit der Säuren bei lang- samer Durchströmung damit, dass die hierbei in den Geweben entstehende Kohlensäure langsamer herausgeschafft wird. — Noch stringenter zeigen die folgenden Versuche, dass die H-Ionen bei der Kohlensäurewirkung nicht das Wesentliche sind. Diese Versuche sollten die Frage entscheiden, ob die Kohlen- säure noch eine positive Wirkung ausübt, wenn gleichzeitig die H-Ionen-Konzentration nahe an der des Neutralpunktes ist, ja sogar wenn sie noch kleiner ist, d. h. bei Überwiegen der OH-Ionen, also bei schwach alkalischer Reaktion. 3. Versuche mit Ammoniak und Kohlensäure. Wir benutzten Gemische von Ammoniak und Kohlensäure bzw. von Ammoniumkarbonat und Kohlensäure, die uns gestatteten, be- stimmte Kohlensäure-Konzentrationen bei einigermaassen bestimmter H-Ionen-Konzentration berzustellen. A. Mischungen von NH, + CO... Wird z. B. norm. !/ıooo NH, mit 50/0 CO, zusammengebracht, so bildet sich (NH,)HCO,, ausserdem aber ist überschüssige CO, vorhanden. Da bei diesen Versuchen die Temperatur ziemlich hoch, ca. 25° war, so ist die molekulare Konzentration der 5 /oigen CO,-Lösung 1,75 - 10-31). 1) Nach Bunsen ist der Absorptionskoeffizient der CO, 1,797 —0,0776 - t + 0,00164 t?, also bei 25° = 0,882; in der Ringerlösung rund 0,88. 1 Liter CO, wiegt nach Regnault bei 25° 1,746 g; also sind in 1 Liter gesättigter COs- Lösung 1,538 g, in 1 Liter der nur 5°0o der zur Sättigung nötigen Merge ent- haltenden Lösung 0,05 - 0,88 - 1,746 — 0,0769 g — g-Mol enthalten. Die Lösung ist also 1,748 - 10-° normal. Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. 417 In einem solchen Gemische müssen folgende Gleichgewichte gleichzeitig gewahrt sein (s. Abegg-Sackur, Physikalisch-chemische Rechenaufgaben S. 63. Feipzig 1909), u L AN Ion Ko re rue (1) EHETHCO HE TERN. a — ks le re AN eh ete (2) [HE] [OH] >) Hierbei sind ko die Dissoziationskonstante des Ammoniaks, %ks die erste der Kohlensäure, kw die Gleichgewichtskonstante bzw. das Ionenprodukt des Wassers. Unbekannt sind die sechs Konzentrationen der Gleichungen (1) und (2). Zu ihrer Lösung stehen uns aber ausser den Gleichungen (1) bis (3) noch drei weitere zur Verfügung. DBezeichnen wir die Gesamtkonzentrationen des NH, mit c,, die der CO, mit c.. Da Ammoniak wie Kohlensäure sehr schwach dissoziiert sind, so werden aus ihnen sehr wenig OH’ und H‘, also auch NH; und HCO,', entstehen. Die letzteren werden verschwindend wenig sein im Ver- gleich zu der Zahl Ionen, die aus dem stark dissoziierten Salz, aus (NH,)HCO,, hervorgehen. Es ist daher INH;] + (NH,OH] = [1 . . . 7} . . ® . (4) NICOSJEESIEECOS ie ee) Endlich muss die Summe der überhaupt vorhandenen Kationen gleich der der Anionen sein, also NE] [HE] — ECO: (OH Tr er6) Da [H°] wie [|OH’] klein ist gegen [NH;'] und [HCOy], so vereinfacht sich (6) zu EINER) THECOSUR e eri(6a) Da CO, im Überschuss vorhanden ist, also kein übriges NH,OH da ist und wie schon erwähnt, das Salz (NH,)HCO, so gut wie ganz gespalten ist, so geht (4) über in INH] ea ame Ara) Danı entsteht auch aus der vereinfachten Gleichung (6a) KENIA EHICOS) ee (610) Nach Gleichung (2) ist ks [H>CO;] U meoag also nach Gleichung (5) und (6b): [HJ] = %s: re EN ll) Nach den vorangehenden Rechnungen ist also in einem Gemisch von Ammoniak und so viel Kohlensäure, dass die Lösung N 1000 5% der zur Sättigung für eine wässerige Lösung nötigen Menge Kohlensäure enthält, [H'] —= 3,04 - 107. 0,75 — 2,28 . 10°. Und in -418 Ernst Laqueur und Fritz Verzär: einem Gemische, das Ammoniak und 10°/o der zur Sättigung N 1000 nötigen Kohlensäure enthält, ist [HJ = 3,04 - 107. 2,5 — 17,6 - 10". B. (NH,)CO, mit und ohne Zusatz von CO,. Das Salz (NH,)CO, ist stark hydrolytisch gespalten. Es entstehen hier- durch NH,OH und (NH,)HCO,, aber auch Karbamate. Das Wesentliche für uns ist, dass hierbei die OH’-Konzentration die H‘-Konzentration überwiegen muss, wie das auch schon die einfache Prüfung mit Lackmus zeigt. Setzen wir nun CO, zu (NH,,CO, hinzu, so ist entweder noch relativ mehr NH, vorhanden, als zur Erzeugung des Salzes (NH,)HCO, nötig ist, dann bleibt NH; im Überschuss; oder es ist relativ zu wenig NH, vorhanden, dann bleibt CO, im Überschuss. Der letztere Fall stellt den bereits oben unter A. behandelten Fall dar. Wenn wir zu einer 3:10 n (NH,)sCO;-Lösung so viel CO, zu- setzen, dass die entsprechende wässerige Lösung 10°o der zur Sättigung nötigen Menge enthält (es wären dies bei 25° 3,5:10° g-Mol CO,), so können wir das entstandene Gemisch dann auffassen als zusammengesetzt aus 6 10? Mol NH; + (3+ 3,5) : 107 Mol CO,;, 0,5 60 und nach obiger Formel (7) ist also [H’J] — 3,04 - 107. 2,8 - 1078. Setzen wir dagegen zu einer 3:10” n (NH,)sCO;-Lösung nur 5° CO,, so bleibt, im Hinblick auf das sich bildende (NH,)HCO,, NH, im Überschuss. Die H'-Konzentration wird also in diesem Falle noch geringer sein. Versuch 20. 21. Juli 1911. 9 Tage alt (sehr schwächlich. Gewicht 55 g (nach dem Versuch 98 g). Durchströmungsgeschwindigkeit 12,7 ccm pro Minute, 11% 45’ 00” Beginn der Operation. 53’ 00" Os. Re-L. . 54, 00‘ rüxergb., 28" A., 08/00. A., 06. 45.0408 57' 10” A., 59’ ı6” gut rfixergb. n 100U 3’ 15" CO, R.-L. (ca. 590). 55” A., 4’ 40" A, 5’ 00” CO, R.-L. verstärkt (ca. -8%0). 45” A., 6’ 10” A., so” A, 55” A., 7’ 138’ A., so” A., Druck 100—110 mm, sehr langsame Durcbströmung. 8’ ı6” A., 40” A. 8’ 40” O0. Ro-L. 55.0 A. 9020” rixergb.,:: 10” 10’ HA, 148’,A., 112 1508 spontane Bewegungen, 12’ 5’ A., a5” A. NH, + (ca. 10°0) CO; R.-L. 55’ A., 110” A., 45” rfixergb. ” 10V ee A N NL NH; + (ca. 10%) CO: R.-L. 22’ A., 2s’’ A., Unruhe, 40” A., Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. 419 19 70 IT 0” 19 5 22" 00" —— DA 0 257 50 28' 00” Bl En I. Ay [Ergebnis: [27 0. R.-L. 55” A., 16’ 20” spontane Bewegung, 17’ 10” spontane Bewegung. N l Y [77 [27 [27 ı 0." ung NH; + (ca. 10%) CO, R.-L. 40” A., 45" A, 55" A., 18 A., SEN AO A 5A, 19% 102 A 0. R.-L. 25” A., 50” A., 20’ 35'’ A., sehr starke Reflexerreg- barkeit. on NH; + (ca. 10°0) CO; R.-L. Unruhe. 30” A., 40’ A., 55” A, ZOO LA., 25 A, as A, 50 A. 0. R.-L. 5’ A., Ödem der linken Seite, 25” A., Unruhe, 25’ 25” Unruhe. CO, R.-L. (ca. So). 26’ 00’ Unrube, ı2" A., 30” A., 43” A, ZI EAN al NE AL, 38 u Ar, 15000 A. 0. R.-L. 25” A., 29’ 00’ Unruhe, 30’ A., 50” Unruhv. Sehr starke Reflexerregbarkeit. 31’ 10’ Unruhe. RE T 0/ \ In e ul 5 [27 997 [27 [7 1000 NH; + (ca. 10°%0) CO; R.-L.: 55" A., 58’ A., 32’ı" A., 10” A., TO AU OB Ar, 808 A860. 450 HALB 000 Ans DAL, 23 A, BORN AS A. vo 10. wAr 25. A800 Ar, a0 Ar nase, BEN NN a NT VE RE-Ie 1506 Ass AR. Bol el AN 1a BA a AR HbIsao9L 16% fortwährend starke ne eh abgebrochen. m NH, + (10%) €0, viermal +, einmal 0(2), zweifelhaft, da Durchstiömung langsam und CO, zunächst auch nicht wirksam. ] Versuch 21. 22. Juli 1911. 10 Tage alt. Gewicht SO g (nach dem Versuch 117 g). Durchströmungsgeschwindigkeit 50 ccm pro Minute. sh 25’ 00’ 29’ 00" 33 OR 34’ 0" 3 38 00° Beginn der Operation. O0. R.-L. Druck 85 mm. 30” sehr stark rfixergb. m NH; + (ca. 10/0) CO, R.-L. Spontane Bewegungen, Unruhe, TA 90 A 05 A, 85" A., 20: A, a5 A, 500 A. 002, 00,2 OIRE-DE 15 A. 28 A... 33 A.) a3 Ar Sg 34’ 00” Unruhe. On NH; + (ca. 10%) CO; R.-L. 40” A., 45” A., as’ A., grosse UmsuhersslrAr, sol A. 39. 54 A., 10 AL, a8 Asor Ar 0. R.-L. 55” A., 36’ 45” sehr starke Reflexerregbarkeit. [23 SORR NH,CI R.-L. 5” Unruhe, 39’ 20” schwach rfixergb. [Ergebnis: 22. Juli S Ernst Laqueur und Fritz Verzär: um NH; + (ca. 10°) CO; R.-L. 25’’ Unruhe, 35’ A., 40” A., 42” A., 44 A, a5. A. an A, 49 Ar 81 Ar, 550 A, En A Aloe Ss Au 12 Ar a8 JAN OBEN, 0. R.-L. 43’ ı5'' rflxergb. To NH,Cl R.-L. Odem am Kopf. on NH; + (ca. 10%) CO; R.-L. 47’ 15" A., 20" A., 25” A., 30” A., 35, Ar, 88 A. as A. 46. A.,180. A,,.58l Ar, BINGEN, O0. R.-L. 40’ A., 50” A., 55" A. 49'5""A., as’’A., an 10’ rfixergb. | 60; R.-L. (ca. 5/0). 50" A., 51’ 10" A., 37” A., es’ A., 52'400” A,, schwache Reflexerregbarkeit, 53’ 00’ A. NH; + (ca. 10%) CO; R.-L. 40” A., 50" A., 55" A., 54’ 00’ A. 1000: 10° A. 15 A. 23 A. 30% A., 35" A, as A. s5’@ A. Versuch ab gebrochen. 00 NH; + (10%) CO, fünfmal +, oo NH,C1 zweimal 0.] Versuch 22. 1911. 10 Tage alt. Gewicht 135 g (nach dem Versuch 170 9). Durchströmungsgeschwindigkeit 38 ccm pro Minute. 115 30’ oo 40’ 00 42' 20 44' 3 " Beginn der Operation. „ " " 0. R.-L. Sehr schnelle Durchströmung. A., 43’ 30" rflxergb., 44’ ı5” rflxergb. Auf Reiz A. m (NH,):CO; R.-L. 45’ 10” vier Schluckbewegungen, 40” A. Schluck- und Nasenbewegungen, 46’ 25’’ Schluckbewegung. in (NH,)sC0O; R.-L. 47’ 00” sehr stark rflxergb., 20” A., fort- währende Nasenbewegungen. - " CO; R.-L. (ca.5%0). 16” A., 20” A., 23’ A., 28’’A., so’’A., ss’’ A, 40” O0. R.-L. 50’ 30” spontane Bewegungen, Nasenbewegungen, 51’ 30" sehr stark rflxergb. = NH; + (ca. 5°/0) CO, R.-L. 53’ 10” stark rflxergb. im NH, + (ca. 10/0) CO, R.L. 54' 45" A., 50’ A 55 A. N DO E00 AS BLU AR TA BL A As A 0. R.-L. 15” A., 57’ rfixergb. 1000 (NH,):C0; R.-L. 40” Unruhe, 12h 00’ 25’ rfixergb. is (NH,).C0; + (ca. 5%) CO; R.-L. 45” A., 2’ 30” A., 3' Ol 3 rflxergb. Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. 421 4’ 00” A (NH,)>C0; + (ca. 10%) CO; R.-L. 3” A., 15” A, 5” A., SEWEAN ABEL AL, 56.0 A., NL RAN, BL Ar AAN 5’ 40’ 0. R.-L. 50” a Ha INA EINE 3n 7 40" 5 (NH), CO, + (ca. 10%) CO, R--L. 50” A,, Unruhe, 8’ 5'' A., 45” A., nicht rflxergb. a0, nn R.-L. (ca. 5%). 10’ 5” A., nicht Versuch abgebrochen. n 3n [Ergebnis: 7999, 509: np NH: CO; je einmal 0, —— (NH,):C0O; + 590 CO; ’ To & einmal 0, an (NH,)sC0O; + 10°%/o CO, einmal +, —— on NH; + 5°/o CO, einmal 0; Tabelle I. Versuche mit NH; + CO; (aus Versuch 20—22). [H°] : Neg. Erfolg Molekulare Konzentration Konzentra- Zahl der | Pos. Erfolg (keine lan Versuche | (Atmung) Atmung) OR. —7 =— in NH, +5% CO, ... 2,2810 1 1 10 NH, + 10% CO3,. .. 7,60 - 10-7 11 10 10) ) zu INERBCOSEI RR. 1 — 1 INENBEOSER EN 2... 1 — 1 500 Sn weniger In H: als im 10m (NHEECOSII N. en 1 — 1 Wasser (NH,)CO3 ar 5%/o 00, . 1 SaS 1 _ (NH,CO; + 10% 00, i 1 & m No 8,12 10-7 1) 2 ai 2 Überblieken wir die Resultate, so sehen wir eine deutliche Atem- wirkung eintreten, wenn zu ——— 1 - - 0 — —— Ammoniak 10 %/oigeKohlensäure und ebenso, wenn zu an Ammoniumkarbonat 10 °/oige Kohlensäure zu- - gesetzt wurde. Dagegen war wirkungslos die Ammoniumkarbonatlösung allein oder mit geringerem Kohlensäurezusatz und ebenso die Ammoniak- « lösung mit geringerem Kohlensäuregehalt. Obwohl schon hieraus 1) Siehe Rechnung auf der folgenden Seite. 492 Ernst Laqueur und Fritz Verzär: hervorgeht, dass nicht etwa das NH, bzw. die Base NH,OH noch das NH,-Ion eine Wirkung auf das Atemzentrum hat, so machten wir trotzdem auch noch zwei Versuche (s. Versuch 21), in welchem die NH,-Konzentration ebenso gross wie in der wirksamen (Au NH, + 1000 100 00,) - Lösung und die H-Ionen-Konzentration höher war, die CO, aber ganz fehlte. Hierzu benutzten wir eine SH Ammonium- chloridlösung. Diese ist in NH,OH und HCl hydrolysiert. Da der Hydrolysengrad Do 3 » ist, und die entstehende HCl als ganz dissoziiert anzusehen ist, so b ee & Deo 1st [HJ] = .-c= FRE V en - R s,12 . 10 . NH,C] erwies sich aber als wirkungslos. — Es geht also aus diesen Versuchen absolut zuverlässig hervor, dass die Kohlensäure eine spezifische Wirkung hat und das Atem- zentrum nicht durch ihre H’-Konzentration erregt. Wir wollen an dieser Stelle darauf hinweisen, dass durch grössere Variationen der Versuche mit Gemischen von NH, und CO, bzw. (NH,) CO, und CO, auch die Frage sich lösen lassen würde, ob der ungespaltenen Säure H,CO, bzw. den Ionen HCO, oder CO3” der ı spezifische Einfluss zukommt. Aus Mangel an Versuchstieren, und da wir zunächst keine Aussicht hatten, die Arbeit gemeinsam fort- zusetzen, haben wir diese Frage nicht bis zu Ende verfolgt. Indessen ist es wahrscheinlich, dass die ungespaltene Säure H,CO, die spezi- fische Wirkung auf das Atemzentrum hat. Von Interesse wäre zweifellos auch die Untersuchung des Ein- flusses anderer Säuren auf die Atmung, namentlich solcher, wie sie im Körper bei verschiedenen Zuständen (Coma, Muskelarbeit u. dgl.) entstehen, möglichst unter gleichzeitiger Messung der H-Ionen- - Konzentration in den Lösungen. Anhang. Versuche mit Natriumacetat und Gemischen von Natriumacetat und Essigsäure. Die Möglichkeit, eine bestimmte H-Ionen-Konzentration fest- zuhalten, selbst wenn gewisse Mengen der Säuren durch die Gewebe: gebunden werden, ist am besten in Gemischen schwacher Säuren mit Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atnmzentrum. 493 ihrem Salze gegeben!). Wir benutzten daher mehrere Male Gemische von Natriumacetat und Essigsäure, und zwar insolehen Konzentrationen, 5 Ä s R 2 dass die Konzentration der Sauerstoff-Ringerlösung ——- n an Natrium- 100 1l- 2 1 acetat und 100 n an Essigsäure bzw. 1000 n an Salz und 1000” an der Säure war. In beiden Fällen ist Sf Bössiesäurej]agn u 2 nk: [Natriumacetat]| el er Die H‘-Konzentration ist also etwas schwächer als in der 2 bis 3'oigen CO,-Lösung. Ausser den folgenden Protokollen siehe auch Versuch 8 und 10. Versuch .23. 27. Juli 1911. Angeblich 3 Tage alt (hat aber schon offene Augen!) Ge- _ wicht 106 g (nach dem Versuch 148 g). Durchströmungsgeschwindigkeit 52 ccm pro Minute. 105 30’ 00” Begiun der Operation. 40’ 00’ O.R.-L. Seltene Atemzüge. Nicht riixergb. 46’ 00’ CO, R.-L. (ca. 500). 3’ A., 16” A., 24’’ A., 32” A. 32" r R.-L. 2 Y e"”lLie 5 h A , . 100 ” Natriumacetat R.-L. ı5” Unruhe, A, DOES A, S0K A. ss Ass Auıde Alası WA, AS EOR-D. 500 A.,.50/..00" A, 5” Au, 107. A., 20” A., 400 A., Do A 49' 20” — n Essigsäure + — 592' 00” 1 n Natriumacetat R.-L. 5” A., Unruhe, ı0’’A., ı5"’A., 25” A., 35" A. a5" A. BO OVRe-D. 2" A., 10. A., nicht rflxergb., 18‘ A., 30. A, 40. A., DAN AR 1a Ar os! A, 35" A, 45 A, 00 A. 59.8. Au 150 AN, ZN AR 500 AN, 050L 5 Ass 10, AN, 20 Auoslu A Su N, a5'' A., 57' 10” A., 22’ A., 30” A., ss’’ ganz oberflächlich A., 45" A., DO Ay AR hast AN, 250, AA ar A Was, Ar Ödem. SO A 0 1005 AL, 350 A, 1 10/0 Ar, as A. u 1’ 30’ _ nr Natriumacetat R.-L. 35” A., 37" A., 40" A., 43” A. auf- fallend tiefe Atemzüge, Unruhe, 4s8’’ A., sı"" A., 55" A., 3’ 00" A 10’ A., 20’ A., 30’ A. (Die Atemzüge sind ganz anders; tiefer als bei der O. R.-L. Lösung.) l) Sörensen, Biochem. Zeitschr. Bd. 21 S. 167 und Michaälis in Abderhalden’s Handb. d. biochem. Arbeitsmethoden Bd. 3 S. 1341. 494 Ernst Laqueur und Fritz Verzär: 3’ a0" CO, R.-L. (ca. 5%). 45" A., as" A., 51” A,4’00" A,5"A., ı5’’ A. Versuch abgebrochen. : 1 e t [Ergebnis: en n Essigsäure + n Natriumacetat) einmal +, u rv Natriumacetat zweimal — |. | Versuch 24. 27. Juli 1911. Angeblich 8 Tage alt (offene Augen!). Gewicht 156 g. Durch- strömungsgeschwindigkeit 25 ccm pro Minute. 11h 50’ 00” Beginn der Operation. 12h 00’ so” O0. R.-L. 50” A. 1’ 10” A., a8” A., a5” A., 2’ 5” nicht rflxergb., 3'1ı o"’ A. OD A,, 4’ OL 4A’ 5" Rn a Natriumacetat R.-L. 50” A., 55” A., 5’ 15” A. (tiefe Atemzüge), 40” Maulbewegung, 6’ 20’ Fussbewegung, rflxergb. A., 7’ so” Unruhe. 2 1 24 r ee siesäur zer 01 ‚L. ff = as I ” Essigsäure + In Natriumacetat R.-L. 36’ starke Un ruhe, 45” A., 50” A., 8° 5” A., 15” A., nicht rfixergb., =’ A,, ss” A. 8’ 55" CO, R.-L. (ca. 5°/0). 9'535” A., nicht rilxergb. Versuch abgebrochen. 3 1 Is iesäure [Ergebnis: 10” Natriumacetat einmal + (?), = n Essigsäure + 2 ed, im” Natriumacetat ) einmal +.] Versuch 25. 27. Juli 1911. Angeblich 8 Tage alt (offene Augen!). Gewicht 111 g (nach dem Versuch 176 g). Durchströmungsgeschwindigkeit ca. 40 ccm pro Minute. 12h 20’ 00” Beginn der Operation. 27' 00. O0. R.-L. 30” A., s6'' A., as!" A. .28’ 15" A, s0’A., 297 a0. aus Reiz A. 29" 45" . n Natriumacetat R.-L. 50” A. Inspiratorischer Stillstand. Krampf. Herz schlägt sehr stark. 31’ 00” CO, R.-L. (ca. 4%). 15” Unruhe, 35” A., 40’’ A., 43” A., a8” A., 53", A., 32.00 A, 10 A, 32" 15" O0. R.-L. 45” A., 33’ s’' A., rfixergb., 40’ A. Auf Reiz A. © 34’ 10" 100 ” Natriumacetat R.-L. ı5' A., Unruhe, Streckbewegungen, Nasenbewegungen. Herz schlägt schneller. Ödem. 35’ 15" 0. R.-L. Starke Unruhe, 36’ 10” rflixergb., 45'’ Unruhe. n IE Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. 425 2 33 m n Essigsäure + m” Natriumacetat R.-L. 5” Unruhe. Inspiratorischer Krampf. ı5” A., 20’ A, 3” A. 30” A. a0” A,, a3’ A., 55’ A. (Krampfhafte Atemzüge.) 38’ 25’ O0. R.-L. Keine Reflexerregbarkeit. Herz steht still. 40’ 00” Ödem. Sekret aus der Nase. Herz schlägt wieder. 40’ 30’ CO, R.-L. (ca. 4/0). Nicht rfixergb. Keine Atmung mehr, Ver- such abgebrochen. n Natriumacetat R.-L. zweimal (?), ; 3 [Ergebnis: 100 (m n Essigsäure + os n Natriumacetat) einmal +]. Versuch 26. 27 Juli 1911. Angeblich 5 Tage alt (offene Augen!)., Gewicht 127 g. 6& 16’ 00'’ Beginn der Operation. 22’ 00” 0. R.-L. Druck 100 mm. 23’ 00” A., ı0'’ A., 24’ 30" A., rfixergb., SON 20 . nv Natriumacetat R.-L. ı5” schwache Unruhe, rhythmische h Bewegungen des linken Armes. 27' 45’ starke a ak) ' 1 n 28’ 10’ 'n n Essigsäure + nn. nv Natriumacetat R.-L. 55” schwache . A., gute Reflexerregbarkeit. 29’ 5” A., s0’’ A., 55” A., 30’ 25” 31’ 50" O0. R.-L. Versuch elrocher weil ein Schlauch le ge- worden. rn Natriumacetat einmal (?) 0 n Essigsäure + i 3 [Ergebnis: 1000 ; (m Tr 7) Natriumacetat) einmal(?) +.] Diese Gemische zeigen immer eine Wirkung auf das Atemzentrum. — Aber auch hier galt es nun festzustellen, ob die Wirkung den H-Ionen, deren Konzentration hier sogar kleiner als in der 2—3 °/o Kohlen- säure war, zuzuschreiben ist. Versuche mit Natriumacetat, in denen ‚keine H-Ionen, sondern nur die gleiche Konzentration an Acetionen (C;H,s0,)) vorhanden war wie in dem Gemisch, also Lösungen, die r nund 1 = 00 n an Natriumacetat waren, zeigten mehrere Male einen ‚Erfolg. Allerdings war er nicht immer ebenso deutlich wie beim Gemisch, es traten vielmehr zweimal allgemeine Erscheinungen her- or; Bewegungen der Nase, Schlucken und vor allem nach einem 426 Ernst Laqueur und Fritz Verzär: tiefeu Atemzuge inspiratorischer Stillstand, der wohl weitere Atem- bewegungen inhibierte. Man hatte deutlich den Eindruck, dass es sich um einen Krampf handelte, der sich allmählich löste. Es ist also jedenfalls neben einer möglicherweise erregenden Wirkung der H-Ionen ein spezifischer Einfluss der Essigsäure bzw. der Acetionen erkennbar. In den Natriumacetatlösungen genügt dieser allein, um eine Wirkung zu entfalten; denn in ihnen ist sogar die H-Ionen- Konzentration noch unter der des reinen Wassers, da Natriumacetat infolge geringer Hydrolyse in Essigsäure und Natronlauge gespalten wird. Da diese letztere in dieser Verdünnung als völlig dissoziiert anzusehen ist, ergibt sich ein, wenn auch sehr geringer, Überschuss an OH’-Ionen. Es ist deren Konzentration, wenn x den Hydrolysengrad be- deutet: Na e@ k, 1,2. 1014 OH x. VE. "— 3. a el. (SEN e>Kk el) 18105 also [H*] —= 0,85 - 10-8. Haben nun die Acetionen oder die undissoziierte Essigsäure diesen spezifischen Einfluss ? Wir sahen, dass infolge der Hydrolyse auch in der Lösung ihres Natriumsalzes freie Essigsäure auftritt. Ihre Konzentration ist die gleiche wie die der OH-Ionen, also 1,41 - 10%. Da wir in den oben besprochenen Versuchen mit Essigsäure auch nieht bei viel grösserer H-Ionen-Konzentration, jedenfalls aber niemals, wenn dieselbe nur 1,8 - 10% betrug !), eine Wirkung bekamen, so ist die hier ein- tretende Wirkung auf Rechnung der C,;H,O;-Ionen zu setzen. Fassen wir unsere Ergebnisse zusammen, so müssen wir sagen: 1. Das Atemzentrum wird durch Kohlensäure und ebenso auch dureh andere Säuren (Salzsäure, Essigsäure) erregt. Hierin bestätigen unsere Versuche nur die von Winterstein. 2. Die gemeinsame Ursache bei der Wirkung auf das Atem- zentrum ist aber nicht das H-Ion, wie Winterstein angiebt, sondern, falls diese verschiedenen Substanzen überhaupt eine gemein- same Ursache haben, ist dieselbe darin zu suchen, dass CO;, l) Eine 2,5-10-* n Essigsäure war stets wirkungslos. Da deren Disso- ziationsgrad etwa 27/0 beträgt, so sind ca. 1,8-10-* ungespaltene 0sH,0; darin enthalten. Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. 427 H,CO, bzw. HCO, in einer die Norm überschreitenden Menge in den Geweben frei gemacht wird. 3. Die Kohlensäure hat jedenfalls auf das Atenm- zentrum eine spezifisch erregende Wirkuns, die sie auch bei neutraler, ja selbst ganzschwachalkalischer Reaktion auszuüben vermag. 4. Es wird auch bei der Essigsäure ein spezifischer Faktor in den Acetionen nachgewiesen, der neben den möglicherweise wirksamen H-Ionen bei der Erregung des Atemzentrums in Betracht kommt. — Auf den hier bewiesenen Einfluss auf Säuren, den dieselben ihrem Anion bzw. dem undissoziierten Anteile verdanken, ist auch von anderer Seite schon mehrfach hingewiesen worden. Wir erinnern an Arbeiten von Loeb!), der eine solche bei der Wirkung schwacher Säuren auf die Muskelquellung und auf die Membranbildung bei See- igeleiern festgestellt hat, ferner an Befunde von Baratt?) bei der verschiedenen Giftiekeit der Säuren auf Paramaezien, an Unter- suchungen Overtons°) und seine Erklärung der spezifischen Ein- flüsse. Ebenso hat Szili*) nachgewiesen, dass die Giftigkeit or- sanischer Säuren beim Warmblüter nicht einfach von ihrer Säure- natur abhängt. Sehr deutlich geht auch die Spezifität mancher Säuren aus einer vor wenigen Monaten erschienenen Arbeit von Ehrmann’) über experimentelles Coma hervor; ein solches liess sich durch In- jektion von buttersaurem Natrium hervorrufen, und zwar gerade mit der halben Menge von der, die bei isobuttersaurem Natrium nötig ist (dabei ist die Dissoziationskonstante der beiden Säuren fast die gleiche 1,5 - 10° bzw. 1,45 - 1075 [s. Abege |. e. S. 22]). Alle diese Untersuchungen weisen deutlich darauf hin, dass es nicht angeht, alle Wirkungen von Säuren auf deren Säurenatur zurückzuführen, sondern dass sich oft im Gegenteil eine spezifische Wirkung des Säureanteils nachweisen lässt. Eine solche spezifische Wirkung hat auch die Kohlensäure. 1) Loeb, Pflüger’s Arch. Bd.69 8.1, Bd.71 S.547. Biochem. Zeitschr. Bd. 15 S. 254. 2) Baratt, Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 4 S. 438. 3) Overton, Pflüger’s Arch. Bd. 92 S. 115. 4) Szili, Pflüger’s Arch. Bd. 131. 5) Ehrmann, Zeitschr. f. klin. Medizin Bd. 72 H. 5—6. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 29 428 Eduard Kahn: (Aus dem physiologischen Institut der Universität Strassburg i. E.) Untersuchungen über den Einfluss des Calciums auf die Wirkung der Muskel- reizung mit konstantem Strom. Von Eduard Kahn. (Mit 3 Textfiguren.) Fragestellung. Klinische Betrachtungen haben den ersten Anstoss zu diesen Untersuchungen gegeben: immer wahrscheinlicher ist es in der letzten Zeit geworden, dass Zusammenhänge zwischen der manifesten Tetanie der Kinder — die sich klinisch äussert in den „eklamptischen An- fällen“, im Laryngospasmus, Carpopedalspasmen, mechanischer und elektrischer Übererregbarkeit der Muskeln — und einer relativen Verminderung des Kalkgehalts der Organe und Körpersäfte bestehen [Quest, Cybulski, Cattaneo, Neurath, Weigert, Rosenstern?)]. Da diese Änderung des Kalkgehalts anscheinend ziemlich parallel geht demjenigen Symptom, das klinisch am meisten hervortritt, nämlich der elektrischen Übererregbarkeit, lag es nahe, an einen kausalen Zusammenhang zwischen diesen beiden Erscheinungen zu denken, das um so mehr, als oft innerhalb kürzester Frist das Symptom der elektrischen Übererregbarkeit bei geeigneter Ernährungs- therapie schwindet [Thiemich und Mann’), Gregor°)]. Was bei den üblichen Untersuchungsmethoden als Steigerung der Erregbarkeit erscheint, kann zwei ganz verschiedene Ursachen 1) Siehe Literatur darüber bei Escherich, Die Tetanie der Kinder. Hölder, Wien 1909. — Ferner bei Neurath, Zeitschr. f. Kinderheilk. Bd 1. 1910. 2) Thiemich und Mann, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 51. 8) Gregor, Monatsschr. f. Psychiat. u. Neurol. Bd. 10. 1901. TE EEE | | | } Untersuchungen über den Einfluss des Caleiums auf die Wirkung etc. 429 haben. Erstens können die Organe wirklich erreebarer für den elektrischen Strom geworden sein; zweitens kann es sich aber auch nur um eine einfache Herabsetzung des Leitungs- widerstandes handeln, was zur Folge hätte, dass bei derselben Spannung mehr Elektrizität durch den Körper strömte. Es wurde von mir zunächst die zweite Möglichkeit geprüft. Meine bisherigen Untersuchungen an Kindern, die sich bis jetzt leider nur auf ein beschränktes Material erstrecken konnten, das mir Herr Professor Czerny in dankenswertester Weise zur Verfügung stellte, haben die Annahme der Widerstandsänderung nicht bestätigt; die mit Gleich- und Wechselstrom gemessenen Wider- stände glichen ungefähr denen von normalen Kindern. Immerhin war. mein Material (vier Tetaniekinder) nicht umfangreich genug, um den Punkt mit Sicherheit zu entscheiden; daher versuchte ich auf experimentellem Wege, bei Fröschen, den Beziehungen zwischen Kalkgehalt und Widerstand des Körpers nachzugehen. Änderungen des normalen Kalkgehalts herbeizuführen suchte ich auf verschiedener Weise: es wurden 2 °/o bzw. 3 /oige CaC],-Lösungen iu den subkutanen Lymphsack und intravenös appliziert (Injektionen direkt ins Herz hatten, wie vorauszusehen war, systolischen Herz- stillstand zur Folge); eine Vermehrung des Kalkgehalts wurde ferner erstrebt,: indem die Frösche nach Entblutung mit einer Locke- schen Lösung, deren Kalkgehalt vermehrt war, stundenlang durch- strömt wurden; alle diese Versuche ergaben weder für Gleich- strom noch für Wechselstrom irgendeine wesentliche Widerstands- änderung. Auf diese Weise liess sich eine Klärung der Beziehungen zwischen dem geänderten Kalkgehalt und dem geringen Stromverbrauch also nicht erhoffen. Auf Anregung des Herrn Professor Gildemeister nahm ich das Problem jetzt von der anderen Seite in Angriff: wenn es keine Wider- standsänderung war, dann konnte vielleicht die Erregbarkeit selber eine Änderung durch den geänderten Kalkgehalt erfahren haben. Es waren also von diesem Gesichtspunkt aus genaue quantitative Versuche anzustellen. Seitdem Ringer (1884) zum ersten Mal die Einwirkung des Kalkes auf die Erregbarkeit gezeiet hat, haben sich schon viele Autoren mit diesem Problem beschäftigt. Es kann auf die Geschichte der Forschung an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, sie hat eine Darstellung gefunden durch M. v. Frey in 29€ 430 -Eduard Kahn: W.Nagel’s Handbuch der Physiologie des Menschen, 1909, Bd. 4, S..510. Für unser Problem kommen 'nur die neueren Arbeiten dreier Autoren in Betracht, von Keith Lucas!). Mines?) und Reiss°); aber auch in diesen Arbeiten sind sowohl die Frage- stellungen als auch die Versuchsbedingungen anders als in den vor- liegenden Untersuchungen. Zu den Arbeiten von Keith Lucas und Mines werde ich später noch (S. 441 u. 450) Stellung nehmen; die Arbeit von Reiss enthält zwar sehr viel Änregendes, aber die Untersuchungen können hier nicht berücksichtigt werden, weil der Autor gewisse Versuchsfehler, auf die Boruttau*) aufmerksam ge- macht. hat, nicht vermieden hat (die Muskeln wurden in Lösungen versetzt, die sicher auf der Oberfläche Ätzungen verursachen mussten, nicht aber in die Tiefe eindringen konnten, vor allem nicht in der kurzen Zeit, die für die einzelnen Versuche verwendet wurde). Es sei mir gestattet, zuerst einige Tatsachen aus der neueren Reizphysiologie zum Verständnis meines Gedanken- ganges hervorzuheben. Wenn man sich über die elektrische Erregbar- keit eines Organs und ihre Veränderung unter verschiedenen Um- ständen orientieren will, so genügt es nicht, den Schwellenreiz für eine Stromart, z. B. den konstanten Strom, allein zu bestimmen; denn es gibt Fälle, wo die Schwelle für die eine Stromart steigt, während sie für die andere sinkt (z. B. Entartungsreaktion); um einen genaueren Einblick zu erhalten, muss man mehrere Reiz- stıröme von verschiedener, genau bekannter Form benutzen. Ich knüpfte darum an eine Beobachtung von Gildemeister an?°), der fand, dass ein normaler, indirekt gereizter Muskel (Gastroenemius), der bekanntlich im allgemeinen in desto grössere Erregung gerät, je steiler der Reizstrom ansteigt (Gesetz von du Bois-Reymond), eine Verringerung der Stromessteilheit bis zu einem ge- wissen Betrage sozusagen noch nicht bemerkt. Es stellte sich bei den Versuchen Gildemeister’s heraus, dass der Muskel ebenso zuckte, wenn die Endintensität sofort oder wenn sie in !/sooo Sekunde 1) Keith Lucas, Journ. of physiol. vol. 36 p. 253. 1907, ferner vol. 37 p. 454. 1908, und vol. 40 p. 225. 1910. 2) G. R. Mines, Journ. of physiol. vol. 37 p. 408. 1908. 3) E. Reiss, Die elektrische Entartungsreaktion. J. Springer, Berlin 1911. 4) H. Boruttau, Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiat. Bd. 5 S. 350. 5) M. Gildemeister, Pflüger’s Arch. Bd. 101 S. 203. 1904. Untersuchungen über den Einfluss des Caleiums auf die Wirkung etc. 431 ‚erreicht war, dass er dagegen weniger erregt wurde, wenn diese Zeit überschritten, d. h. die Abrundung der Stromkurve bei einem Versuch noch stärker war. Diese Beobachtung Gildemeister’s ist unter- dessen von Keith Lucas!) für direkte Muskelreizung (Sartorius) bestätigt worden. Nun schien es mir angezeist, für den Muskel mit geändertem Kalkgehalt gerade diese Verhältnisse zu untersuchen, d. h. ihn zuerst mit ganz steilen, dann mit immer sanfter ansteigenden Strömen zu reizen, und festzustellen, ob der veränderte Muskel eine Abrundung der Stromkurve früher oder später merkt als der normale. Davon handelt der erste Teil meiner Abhandlung. Im Laufe der Untersuchungen stellte es sich mir auch als wichtig dar, ‘zu erfahren, welchen Einfluss der Kalk habe auf die Nutzzeit, d. h. die Stromdauer, die bei der Schwellen- intensität eines Stromes hinreichend und notwendig ist, um eben eine Zuckung hervorzurufen. Davon soll im zweiten Teil die Rede sein. Methodik. Ich versuchte zuerst, Änderungen des Kalkgehaltes zu er- zielen, indem ich Schenkelpräparate des Frosches in Näpfe versenkte, die mit entsprechenden Lösungen gefüllt waren. Zur direkten Reizung wurden die Präparte auf einen kleinen Glastisch gehoben, die Reizung mittelst unpolarisierbarer Elektroden nach Oker-Blom vorgenommen (dabei war die Anordnung so, dass die Kathode an der medialen Seite des Gastroenemius anlag, einer Stelle, die erfahrungsgemäss für den elektrischen Reiz am empfindlichsten ist). Die ganzen Untersuchungen fanden in einer doppelwandigen Kühlkammer, die von Wasserleitungswasser durchflossen war, statt. Dabei zeigte sich bald, dass die Resultate sehr schwankend waren, und zwar hatte es den Anschein, als ob die Lösungen für den beabsichtigten Zweck viel zu kurze Zeit nur eingewirkt hätten (3—4 Stunden), so dass sie durch die allseits mit straffen Faseien umgebene Wadenmuskulatur nicht durchdringen konnten. Als ich die Zeit verlängerte, trat bald eine solche Herabsetzung der Erreg- barkeit ein, dass ich die Versuche aufgeben musste. (Diejenigen Versuche, in denen die Präparate sich aber frisch hielten, fielen 1) Keith Lucas, Journ. of Physiol. vol. 37 p. 459. 1908. 432 Eduard Kahn: positiv aus in dem Sinne meiner späteren Untersuchungen). Eine bessere Untersuchungsmethode wurde erreicht durch Ver- wendung des dünnen und parallelfaserigen Sartorius vom Frosch; er wurde daher in den folgenden Untersuchungen allein benützt. Nach einigem Umhertasten kam ich endlich zu einer Anordnung, die gute Resultate lieferte; sie ist von mir in der Zeitschrift für biologische Technik und Methodik !) beschrieben worden. Das Wesentliche dabei war, dass der Muskel dauernd von Flüssigkeit umspült wurde, wie das auch schon Keith Lucas in seinen Versuchen als vorteilhaft erprobt hatte; meine Anordnung war nur viel handlicher als die von Keith Lucas; sie hatte ausserdem das Gute, dass die Flüssig- keiten leicht gewechselt werden konnten. Die Stromzuleitung ge- schah mit unpolarisierbaren Elektroden. Um die Steilheit des Stromanstiegs zu variieren, ver- wandte ich eine Versuchsanordnung, die von Gildemeister?°) schon beschrieben worden ist. Wenn man in einen Stromkreis eine Spirale einschaltet, wird durch die Selbstinduktion die Entwicklung des Stromes verzögert; aus dem senkrechten Stromanstieg wird ein ab- gerundeter. Man kann nun den Grad der Abrundung des Strom- anstiegs beliebig ändern, wenn man in den Gesamtstromkreis einen von Fall zu Fall geänderten Widerstand eingeschaltet. Die Strom- wt kurve verläuft dann nach der Formel = J ( —e. .), wobei 2 die Stromstärke zur Zeit t bedeutet, J die Endintensität, die sofort erreicht würde, wenn keine Spirale im Kreise wäre, e ist die Basis der natürlichen Logarithmen, © der Widerstand des Gesamtstrom- kreises, p bedeutet den Selbstinduktionskoeffizienten der Spirale. Aus dieser Formel geht hervor, dass der Anstieg um so mehr ver- zögert ist, je grösser die Selbstinduktion der Spirale, je kleiner der Widerstand des Kreises ist. In meinem Falle war die Selbstinduktion immer dieselbe (5,5 Henry); der Widerstand dagegen wurde un- sefähr zwischen 400 und 3000 Ohm variiert; wie dann die Strom- kurven sich für diese Widerstände darstellen, erläutert Fig. 1. Die Anordnung war praktisch so, wie sie Fig. 2 andeutet. . Der Strom geht von den Elementen E zu dem Widerstand Ah, 1) E. Kahn, Zeitschr. f. biol. Technik und Methodik Bd. 2 8. 209. 2) M. Gildemeister, Pflüger’s Arch. Bd. 101 S. 203. 1904; siehe auch Bd. 140 S. 616. 1911. 433 Untersuchungen über den Einfluss des Caleciums auf die Wirkung ete. ‘I91948UB WOAS A9P A9]LoIs ol ‘a9zany 0S89p Ozaper 91p IST ‘40192 ANSLT OP OIM : Ye ITOTO1I9 RASUSFUIPUT 9qfey oIp HAanywong Hp wop 194 “yyundyıaz uop 'ı 'p ‘uw JTOZAqJeH oIp SIToMol uog9s uoAmy] Aap oyyung usuayas1aA >< ur ol "Ing wgO 00F SSoJq puwgsıopıy A0soIp uuom “7 y -uOIeM Stoamydne wr purysaopıy WUO 0008 Ssep “Te Up any Sonsuewongg woppunasge 199 YP ‘ep Sonsueworg wofloIs MIosqe 19q FNEIOAWOAIS UHP 9][948 T P 9AMMy Alq "198 (T P—) 9q[PSIIP A9WWTIBITSUIFUTWOLS HFUOTIAIO TOISSOIYIS 9Ip SSep “uswwouas -uR IST AOqeg NOYUIEFUT Aop :uopana uoLWmou9s (uONaOqUm WOTDTamsgTTTMm U) PRIISUSJULWoNg 9JU9T9A1D oz uopuayoayag anz op SLUPAGQ spe Epunyag v00r/;, — 0 [ Nayumm) 49Z oIp ossızsqy Se wopur ‘uo9uuoMmaR PuIs UHAIMY Org UOpanm J9PU9MA9A UAUINSTOA U9PU9S[OF OP 19q 9IS OIM “HAINNWONS dep Sunpunmqgy U9LLOIS UOJSFLUHM we Adop pun uo9s[loJs aop Sunjjogsıee] oyosıqdeay °T "SL 908 S7 o7 si 68 2 SH ce rs MV 434 Eduard Kahn: dann durch den Widerstand Zh, und einen kleinen mit Gleitkontakt versehenen Widerstand von insgesamt 100 Ohm (G), von da zur Wippe ohne Kreuz (P). Bei der einen Stellung der Wippe, bei steilem Stromanstieg, durchläuft der Strom einen Widerstand W von gegen 93 Ohm und kehrt zum Element zurück. Wenn die Wippe nach der andern Seite liest, durchläuft der Strom dagegen die Spirale 5p (von gleichem Widerstand wie W, also 93 Ohm): der Stromanstieg ist in diesem Falle nicht steil, sondern abgerundet. CH | IEIBIEITIE Fig. 2. Schaltungsschema für den ersten Teil der Untersuchungen. - # Elemente, Rh, und Rh, Stöpselrheostaten, 5 Platinschlüssel, @ kleiner Widerstand mit Gleitkontakt; von Rh, und G@ wird zum Muskel (M) abgezweigt. F Wippe ohne Kreuz; liegt die Wippe wie in der Figur, so durchläuft der Strom die Spirale 5»; liegt sie nach der andern Seite, den induktionsfreien Widerstand W. Zum Muskel wurde vom einen Ende des Rheostaten Rh, und vom Gleitkontakt @ abgezweigt, wie es die Fig. 2 zeigt; je mehr Widerstand sich zwischen diesen beiden Punkten befindet, desto stärker ist, unter sonst gleichen Umständen, der durch den Muskel fliessende Strom. Um die Selbstinduktion der Spirale auf den vorhin angegebenen Wert von 5,5 Heury zu bringen, wurde sie mit einem Eisenkern aus dünnem, ausgeglühtem Blumendraht versehen. Zur Erreichung eines ganz steilen Stromanstiegs bei der einen Anordnung war un- bedingt nötig, dass der Stromschluss sich plötzlich und ohne Klirren oder Funkenüberspringen vollzog. Ich verwendete zu diesem Zwecke den vielfach erprobten Edelmann’schen Platinschliesskontakt mit den Verbesserungen von Weiss und Gildemeister!). 1) Siehe Ann. d. Physik (4) Bd. 17 S. 174. 1905. Untersuchungen über den Einfluss des Calciums auf die Wirkung etc. 435 Auf die spezielle Methodik beim zweiten Teil mein Unter- suchungen soll später eingegangen werden. Die Untersuchungen wurden im Sommer ausgeführt, an Sommer- fröschen, die besonders gut gefüttert und in kühlem Wasser frisch gehalten wurden; während der erste Teil der Untersuchungen unter günstiger Witterung stattfand, war die drückende Sommerhitze bei dem zweiten Teil oft sehr störend. Immerhin hielten sich die Präparate so erregbar, dass die Resultate unzweideutig zu erkennen waren. Der Sartorius wurde, möglichst mit Ursprungs- und Insertionssehne herauspräpariert, in der 7-Röhre meines Apparats mittelst lackierten Drahtes befestigt. Da es mir darauf ankam, diejenigen Bedingungen einzuhalten, die bei der klinischen Untersuchung vorliegen, wurde der Muskel nicht eurarisiertt. Keith Lucas und Mines reizten immer das nervenfreie Beckenende; ich vermied aus dem eben _ angeführten Grunde diese Reizstelle. Beim ersten Teil sass die Kathode an der Grenze vom mittleren und unteren Drittel, bei _ den Nutzzeitversuchen ungefähr in der Mitte der Präparate. Allgemeines über die Untersuchungen. Die ersten Prüfungen wurden meist einige Stunden nach An- fertigung des Präparats vorgenommen, nachdem der Muskel die ganze Zeit über in Locke’scher Lösung gelegen hatte. Die Flüssigkeit wurde unmittelbar nach der ersten Prüfung gewechselt, entweder kalkreicher oder kalkärmer gemacht. Die Versuche wurden zur Kontrolle meist an demselben Präparat noch einmal wiederholt, eventuell wurde noch ein weiterer Versuch daran angeschlossen. Ich habe Lösungen verwendet, bei denen nur der Caleium- gehalt geändert war in seinem Verhältnis zum Natrium, während der Kaliumgehalt immer unverändert blieb. Es wurden folgende Variationen gebraucht: 1. Locke’sche Lösung (Ag. dest. 1000,0; NaCl 6,0; KC1 0,1; CaCl, 0,2); 2. „kalkreiche Lösung“ (Ag. dest. 1000,0; NaCl 5,5; KCl 0,1; CaCl, 0,7); 3. „kalklose Lösung“ (Ag. dest. 1000,0; NaCl 6,2; KC1 0,1); Da die bei der „kalklosen Lösung“ wiederholt aufgetretenen rhythmischen Zuckungen die Untersuchungen störten, verwendete ich bei den letzten Untersuchungen eine A436 Eduard Kahn: 4. „kalkarme Lösung“ (Ag. dest. 1000,0; NaCl 6,2; KCl 0,1; CaCl; 0,1). . Dabei waren die rhythmischen Zuckungen sehr selten geworden und gaben zu Irrtümern sicher keine Veranlassung mehr. I. Untersuehungen über den Einfluss des Caleiums auf die Empfindlichkeit des Muskels gegenüber ab- serundetem Stromanstieg. Wie schon oben erwähnt wurde, ist es für den Erfolge der Reizung eines normalen Muskels gleichgültig, ob der Reizstrom ganz senkrecht oder mit einer mässigen Abrundung ansteigt. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man Jh, (s. Fig. 2) auf einen grossen Widerstandswert (mehrere Tausend Ohm) stöpselt, und nun, während die Wippe P nach oben, also auf senkrechtem Stromanstieg, liest, durch passende Einstellung von Ah, und @ die Schwelle des Schliessungsreizes aufsucht. Legt man jetzt die Wippe P nach unten (also auf abgerundeten Stromanstieg) um, so wird man die Schwelle bei derselben Einstellung Ah, und G finden. Hier wirkt also, als Schwellenreiz „Steil“ ebenso wie „Rund“. Ganz anders, wenn in Ah, nur einige hundert Ohm gestöpselt sind. Zuekt jetzt bei einer gewissen Einstellung von Rh, und G@ der Muskel minimal, wenn die Wippe auf Steil liegt, so bleibt er in Ruhe bei der andern Wippenstellung. Jetzt merkt der Muskel also die Abrundung. Man kann nun durch systematisches Variieren des Widerstandes, indem man ihn beispielsweise zuerst sehr gross, dann jedesmal um 5°/o kleiner wählt, den kleinsten Wider- stand bestimmen, bei welchem Steil noch ebenso wirkt wie Rund. Der um 5°/o kleinere Wert wird dann der grösste Widerstand sein, bei dem noch ein Einfluss der Abrundung zu erkennen ist. Diese Methode der Grenzwertbestimmung ist in den nachfolgenden Unter- suchungen: angewendet worden. Ich bin aber, um den Versuch nicht unnötig in die Länge zu ziehen, gewöhnlich in sehr viel grösseren Sprüngen als 5°/o vorgegangen. Will man aus den Grenz- werten die zugehörigen Stromkurven berechnen, so ist zu beachten, dass es für den Verlauf des Stromes auf den Gesamt widerstand des Kreises ankommt, also auf Rh, + Rh, + Sp + @. Es wurde also bei diesen Versuchen immer zuerst bei steilem Stromanstieg ein Widerstand von einigen hundert bis tausend Ohm in den Hauptkreis eingeschaltet und nun bei diesem Widerstand f # Untersuchungen über den Einfluss des Caleiums auf die Wirkung etc. 437 die Reizschwelle bestimmt; dann wurde durch Umlegen der Wippe geprüft, ob bei rundem Stromanstieg, bei demselben Widerstand, auch eine Zuckung erfolgte. War dies der Fall, dann wurde der Wider- stand so lange erniedrigt (d.h. also der Strom wurde noch mehr abgerundet), bis eben ein Wert gefunden wurde, bei dem zwar bei steilem Stromanstieg eine Zuckung erfolgte, bei dem sie aber unterblieb, wenn die Stromkurve allmählich anstieg. Im um- gekehrten Fall, d. h. wenn sich schon bei der ersten Prüfung ein Unterschied zwischen „Steil“ und „Rund“ gezeigt hatte, wurde der Widerstand so lange erhöht (d. h. die Abrundung vermindert), bis „Steil“ und „Rund“ als Schwellreize gleich wirkten. Vielleicht: gibt über die Art der Messungen das Protokoll eines Versuches am besten Aufschluss. Versuch II vom 16. Juni 1911. $h 15’ morgens wird das Präparat in Locke’sche Lösung gebracht. Gut ge- nährter, blutreicher Frosch (von dem Futter, das 2 Tage vorher gereicht worden war, sind noch angedaute Reste im Magen). Die Kathode sitzt dem Fussende des Frosches genähert zwischen dem unteren und mittleren Drittel des Muskels. Temperatur im Kühler 13° GC, [Zur Erläuterung der Abkürzungen: „Steil“ bedeutet bei steilem Stromanstieg, d. h. wenn die Wippe nach W (Fig. 2) lag, „Rund“ all- mählich ansteigende Stromkurve, die Wippe lag nach Sp; Z Abkürzung für Zuckung; R das Präparat zuckt bei Schliessung des Stromes nicht, bleibt in Ruhe; Rh,, Rh., G s. Fig. 2; Widerstände iu Ohm.] 10h 45’. Mit vier Akkumulatoren ist die Schwelie gefunden, wenn Rh,—= 1000; Rh,—=0; G=60. Dabei Steil Z.Z., Rund Z.Z. Rh,— 500; Rı,—=0; = 32. Steil Z.Z., Rund Z.Z. Rh,= 300; Ru=0; G= 22. Steil Z.Z., Rund Z.Z, Steil 2.2. Rh,= 40; Rh,—=0; G = 26. SteilZ.Z., Rund R. R., Steil 2.2. Rhh= 50%; Rha=0; G = 32. steilZ. Z., Rund Z. Z., Steil 2.2. [In Locke’scher Lösung sind also die beiden Grenzwerte, von denen oben die Rede war, Rh, —=400 und Rh, =500 Ohm.| 11h 15’ kommt das Präparat in kalkreiche Lösung. DER=B0N Ari 500; Rh= 0; G=39. Steil ZZ., Rund R.R,, Steil Z. Z. Rh, 100; Rn—= 0; G=52. Steil Z.Z., Rund R.R,, Steil 2.2. Rh, = 1000: Rh,= 0; @=68. Steil Z.Z., Rund R.R., Steil Z. 2. Ra 1200. 107@=12. Steil’ 7.7, Rund RaR., Steil’ 777. Rh, =1350; Ru = 0;G=%. Steil Z.Z., Rund R.R., Steil 2.2. Rh, —= 2000; Rh;,—=50; @=68. Steil Z.7., Rund Z. Z., Steil 2.2. [Hier ein grosser Unterschied gegenüber Locke’sche Lösung. Die Grenzwerte sind hier 1500 und 2000 Ohm. | 11% 45’ zurück in Locke’sche Lösung. 433 Eduard Kahn: 12h 5’ Rh, = 1500; Rg—=0; G—=84. Steil: Z.Z., Rund R.R., Steil Z. Z. 12h 30’. Rh, = 150; Ra —=0; G—=89. Steil Z.Z., Rund 2. Z., Steil 2.2. Rn, = 1000; Rhe=0; @=67. Steil 2.7., Rund ZZ. Rund 7.7. Rh= 7%; Ruy—=0; G=50. Steil Z.7., Rund R.R., Steill 2.2. 1» 157 Rh, = 0, Ri, — 02.G— 90. Stel” 712. RundıR.Rrssteile72: [In Locke’scher Lösung sind die Grenzwerte wieder auf 1000 und 700 Ohm herabgesunken.] 1h 20’ zurück in kalkreiche Lösung. 3h 5’. Rhh,=1W00; Rn, = 0; G=69. Steil Z.Z:, Rund R.R., Steil’ 2.2. Rh,=1500; Rh,=50; @=56. Steil Z.7., Rund R.R., Steil 7.2. Rh, =2%000; Rhz—=50; G=83. Steil 7.7, Rund ZR., Steil 2.2. [Die Grenzwerte betrugen wieder 1500 und 2000 Ohm.] Temperatur am Schlusse des Versuches: im Kühler 12,75° C., in der T-Röhre 13° C. Es wurden fünf Untersuchungen, die in übereinstimmender Weise alle in demselben Sinne sprachen, ausgeführt; ihre Resultate gibt nachstehende Tabelle wieder. Temperatur immer 12—14° C. Tabelle]. Zeitseit Widerstand Halbzeiten Num- i des Hauptkreises in 6 Lösung Beginn | Y A Bemerkungen mer des Ver- Bi | B | B, suches |$teil > Rund steil —Rund| “3 .| Locke J|4noo'| 1050 | 1100 | 3,68 | 3,47 kalkreich | 44 40'| 1550 2050 | 2/46 | 1,86 Locke 5h 30’ 500 | 600 1,62 | 6,95 kalkreich 65h 00’ 1100 | 1550 3,47 | 2,46 1. Locke 2h 30' 600 | 700 6,35 | 5,45 kalkreich 35 00’ 1700 2250 2,24 | 1,69 Locke 4h 50' 900 1200 4,24 | 8,18 kalkreich 6h 15’ 1750 2250 2,18 | 1,69 1. kalkreich 2h 15’ 2900 3350 ak alalleh Locke 2h 45' 1800 2300 2,12 | 1,66 kalkreich 3h 35’ 2850 3400 1,34 | 1,12 | kalklos 5h 55' 1250 1800 3,05 , 2,12 | Keine rhythm. Zuekungen. 7 IV.| Locke |3»00'| 1800 2350 | 2,12 | 1,62 | f Raythmischo Zuckungeril kalklos 4h 10’ 1200 1800 Se ın kalkloser Lösung, Locke 5h 00’ 1250 1800 3,05 | 2,12 IS allem weni; MN kalklos | 5430°| 600 | 700. ! 6835| 5/45 || "seiten auch spontan Vv.| Locke |sn00'| 600 | 700 | 635 | 5,07 kalkreich | 3440| 2250 | 3350 | 149 | 1,17 Locke ]|4n05'’| 1400 2000 | 372 1,9 # "kalklos |5u35'| 750 1300 | 5,07 | 9,93 KjRrrhmische Zu Locke |6»00’| 1500 1800 |:254 | 212.1 Untersuchungen über den Einfluss des Caleiums auf die Wirkung ete. 439 Erklärung der Tabelle I. Die ersten beiden Stäbe bedürfen wohl keiner Erklärung. In dem dritten und vierten sind die Grenzwerte der Wider- stände angegeben, von denen vorhin die Rede gewesen ist. A bedeutet den Gesamtwiderstand des Hauptkreises, wenn der abgerundete Strom als Schwellenreiz weniger wirkt als der senkrecht ansteigende; bei dem Wider- stand B dagegen merkt der Muskel keinen Unterschied zwischen Steil und Rund. Wie schon einmal erwähnt ist, setzt sich der Gesamtwiderstand zusammen aus Ahı + Rhz, + Sp +G; die beiden letzten Summanden betragen zusammen immer etwa 200 Ohm. Um sich über die Form der Ströme zu orientieren, ist aus den Stäben 3 und 4 mit Hilfe der auf S. 432 angegebenen Formel die Halbzeit ausgerechnet und in den Stäben 5 und 6 angegeben worden. Es ist dann unter Halbzeit zu verstehen (in 0,001 Sek. = 10 angegeben) die Zeit, in der die Stromkurve die Hälfte der Endintensität erreicht hat (es ist also in der Formel i = ii gesetzt); die Halbzeit ist natürlich um so kürzer, je schneller die Stromkurve ansteigt. A, gebört zu A, B, zu B. Aus der Tabelle ergibt sich, dass die Halbzeiten in kalkreicher Lösung kleiner und in kalkloser grösser sind als in Locke’scher Flüssigkeit. Berücksichtigt man, dass die Stromkurve um so weniger abgerundet verläuft, je kleiner die Halbzeit ist, so geht aus meinen Untersuchungen unzweideutig hervor, dass der Muskel, der kalkreicher gemacht worden ist, eine Abrundung des Stromanstiegs sozusagen schon bemerkt, die er in normaler Locke’scher Lösung noch nicht als solche empfindet; in kalkloser Lösung ist es umgekehrt. Versuch I zeigt, dass in Locke’scher Lösung der Muskel noch ebenso reagiert bei einer Abrundung mit der Halbzeit 0,00347 (bzw. 0,00635) Sekunden wie bei ganz steilem Strom; erst bei einer Abrundung mit der Halbzeit von 0,00363 (bzw. 0,00762) Sekunden tritt ein Unterschied gegenüber dem plötzlichen Stromschluss zutage. In kalkreicher ist die Möglichkeit, mit abgerundeter Stromkurve noch denselben Effekt zu erreichen wie mit ganz steiler, eine viel geringere, denn schon bei einer Halbzeit von 0,00186 (bzw. 0,00246) Sekunden ist die Grenze erreicht, bis zu der beide Stromformen gleich wirken. Noch deutlicher ist. der Unterschied beim Versuch II, der ja in extenso mitgeteilt ist. Interessant ist auch der Versuch III ‚ bei dem das Präparat direkt in die kalk- reiche Lösung gebracht worden war: in kalkreicher Lösung reagierte der Muskel gerade nicht mehr bei einer Abrundung mit der halben Anstiegszeit von 0,00131 (bzw. 0,00134) Sekunden, während diese Grenze bei Locke’scher ‚Lösung erst bei 0,00212, in kalkloser gar bei 0,00305 Sekunden lag. Im Versuch IV hatte ich das Präparat aus der Locke’schen Lösung direkt in die kalklose gebracht; auch hier tritt deutlich das verschiedene Verhalten in der kalkreicheren (Locke’schen) und der kalkarmen Lösung zutage, vor allem, wenn man die Zahlen der Spalte A berücksichtigt. Um gewissermaassen zusammen- 440 Eduard Kahn: fassend das Verhalten in den drei, in diesen Versuchen gebrauchten, Lösungen noch einmal zu prüfen, habe ich im letzten Versuch die Empfindlichkeit gegen die Abrundung des Stromanstiegs in den verschiedenen Lösungen nacheinander untersucht: Wenn bei steilem Stromanstieg das Präparat zuckte, blieb die Zuckung aus, wenn in Locke’scher Lösung dis Stromkurve ihre halbe Intensität erreichte in 0,00507 (bzw. 0,0019 und 0,00212) Sekunden, in kalkloser Lösung aber erst bei 0,00293 Sekunden, — in kalkreicher dagegen schon bei 0,00117 Sekunden. Durch die Kalkanreicherung gewinnt der Muskel also anscheinend eine neue Eigenschaft einem langsam ansteigenden Strom gegenüber. U | = C B D 9 A 1 3 & ’e Fig. 3. Graphische Darstellung derjenigen Stromformen (AE, AD, AO), die ebenso wirken wie die Schliessung des momentan ansteigenden konstanten Stromes ABF. AKE kalkarme, AD normale, AC kalkreiche Lösung. Der Ein- fachheit wegen sind die Kurven auf denselben Maassstab gebracht worden, so dass die Endintensität in allen Fällen dieselbe ist. Nach Versuch III. Einheit der Abszisse: 1 o—=!/ıooo Sek. > bedeutet Halbzeit. Ein Strom, der so wenig abgerundet ist, dass er auf einen normalen (in Locke’scher Lösung befindlichen) Muskel eben noch gerade so wirkt wie ein ganz steiler, wird den kalkreicheren nicht mehr zu einer Zuckung veranlassen. Es ist also im letzteren Falle leichter, durch Abrundung in einen Strom einzuschleichen. Umgekehrt, bei kalkloser Lösung, geht diese Fähigkeit mehr und mehr verloren !). 1) Wenn man die Resultate im Sinne der-Nernst’schen Theorie deuten, wollte, könnte man sagen, dass der Kalk die Akkommodationsfähigkeit erhöht, ee Untersuchungen über den Einfluss des Calciums auf die Wirkung etc. 441 Man kann sich die Verhältnisse noch etwas deutlicher und über- siehtlicher vor Augen führen, wenn man sich ein Bild macht von den runden Stromkurven, die gerade noch so wirken, wie ein plötzlich zuderselben Höheansteigender Strom (Fig. 3). (Das Bild wäre prinzipiell dasselbe, wenn statt dieser oberen Grenz- werte D der Tabelle I die unteren Werte A dargestellt würden; der Übersichtlichkeit wegen ist nur eine von den beiden Grenzkurven gezeichnet.) In meiner Figur ist dabei der Einfachheit halber an- senommen, dass die Stromintensität, die schliesslich erreicht wird, in den drei Fällen die gleiche sei. Nachdem ich über meine Versuchsresultate berichtet habe, ist 'esan der Zeit, zu den erwähnten beiden Arbeiten Stellung za nehmen (siehe S. 430). Es seien in aller Kürze die Übereinstimmungen und Unter- schiede in den Versuchsbedingungen, der Fragestellung und den Re- sultaten der genannten englischen Autoren und meiner eigenen erörtert. 1. Versuehsbedingungen. Keith Lucas und Mines haben auch Untersuchungen angestellt über den Einfluss des Caleiums auf die Muskelerregbarkeit, sie haben aber bei ihren Versuchen reine NaCl-Lösung teils mit Ringer’scher (NaCl + KCI + CaCl];- haltiger) Lösung, teils mit einer Lösung, die nur NaCl + CaCl], ent- hielt, verglichen; sie haben also das Kalium entweder beide Male aus den Lösungen weggelassen oder wenigstens einmal. Nun ist das Kalium, wie Mines selbst gezeigt hat, auf die Erreebarkeit von Einfluss. Daher habe ich bei meinen Untersuchungen als Aus- ' gangslösung eine (NaCl + KCI + CaCl, enthaltende) Locke’sche Lösung benützt und habe nur das Calcium variiert in seiner Kon- zentration im Verhältnis zum Natrium, habe also den Kaliumgehalt in allen Lösungen unverändert gelassen; diese Bedingungen schienen mir einfacher, auch den physiologischen Verhältnissen besser ent- sprechend. Auf diesem Unterschied der Bedingungen beruht viel- leicht zum Teil der Unterschied im Resultat, von dem noch die Rede sein wird (ich fand nämlich keine wesentliche Schwellen- erniedrigung durch Verminderung des Kalkgehaltes wie die beiden englischen Autoren!). d. h. die Fähigkeit des Gewebes, sich an die reizende Konzentrationsänderung der Elektrolyten anzupassen; die Herabsetzung des Kalkgehaltes (wie sie z. B. für die Tetaniekinder angenommen werden darf) übt dann umgekehrt auf ‚ die Akkommodationsfähigkeit eine lähmende Wirkung aus. A442 i Eduard Kahn: Weiter haben Keith Lucas und Mines zwar auch Sartorien untersucht, aber sie: haben immer das nervenfreie Becken- ende gereizt; ich habe dacegen die nervenhaltisen Teile des Muskels gereizt (S. 435), so dass bei mir die Reizung in Wirklich- keit wohl eher eine indirekte als eine direkte war. Das schien mir für meine Zwecke vorteilhafter, weil es den klinischen Verhältnissen mehr entspricht. 3. Fragestellung. Über den Einfluss des minder steilen Stromanstiegs auf den Reizerfolg hat nur Keith Lucas Unter- suchungen angestellt. Ihm kam es darauf an, diejenige Steilheit zu ermitteln, die überhaupt nicht mehr, auch nicht bei beliebiger Ver- stärkung des Stromes, zur Zuckung führt. (Es zeigte sich, dass diese „Grenzsteilheit“ durch Kalk erhöht wird, durch Kalkmangel umgekehrt erniedrigt.) Ich dagegen wollte feststellen, wie viel die Steilheit von der eines gewöhnlichen Kettenstromes abweichen muss, ehe diese Verminderung (kurz: Abrundung genannt) überhaupt empfunden wird. /E b e nd Fig. 4 Zur Erläuterung der Fragestellung von Keith Lucas. Der Autor benutzt zur Reizung, Ströme, die in den Winkeln Aad, Bad, Cad, Dad, Ead ansteigen. Die Minimalzuckung tritt ein, wenn die Stromstärken resp. Aa, bb, Oc, Dd erreicht sind. Für den Winkel Had lässt sich überhaupt keine wirk- same Stromstärke mehr finden. Bei Keith Lucas kam es auf Ermittlung dieses Grenzwinkels an; mein Ziel war, den Punkt 2, bei dem die Kurve ABOD... die Horizontale verlässt, zu bestimmen. Untersuchungen über den Einfluss des Calciums auf die Wirkung etc. 443 Bei Gelegenheit seiner Untersuchungen hat Keith Lucas einige Beobachtungen gemacht, die sich auf mein Problem beziehen; er hat aber diesen. Punkt seiner Untersuchungen nicht. weiter hervor- gehoben. Vielleicht lässt sich an der Hand einer Skizze (Fig. 4) das Wesentliche erläutern. Aus einem Protokoll von ihm!) folgt, dass, wenn bei senkrechtem Anstieg die Intensität « A zur Minimal- reizung nötig war, es bei etwas schrägem Anstieg a B der ebenso grossen Intensität b_B bedurfte (wobei a A—=b DB), dagegen war beim noch mehr geneigten Anstiez a C die grössere Intensi- tät cC, beim Anstieg « D die noch grössere dD nötig, um eine Minimalreizung hervorzurufen. War die Steilheit geringer als a E, so war überhaupt keine wirksame Intensität mehr zu finden. Auf die Ermittlung dieses Grenzwertes kam es Keith Lucas an. — Man sieht, dass die Kurve A BU D zuerst wagrecht verläuft, das ist, wie schon erwähnt, zuerst von Gildemeister gefunden worden. Mein Ziel war nun, die Ausdehnung des wagrechten Stückes A B und seine Veränderung durch den Kalk zu ermitteln. Durch Kalk wird es verkürzt, durch Kalkmangel ver- längert. 3. Resultate. Meine Hauptresultate stimmen, wie dies eben schon angedeutet wurde, mit denen von Keith Lucas überein. Er wie ich fanden ‚ dass der Muskel in der kalkreichen Lösung bei einer geringeren Abschrägung des Stromanstiegs sich ebenso verhält wie in der kalkärmeren bei starker Abschrägung. | In einem Nebenresultat findet sich aber eine Differenz. Mines | und Keith Lucas geben an, dass durch den Kalkmangel die Schwelle für den konstanten Strom sinkt; nach meinen Unter- ‚ suchungen ändert sich die Stromstärke in den kalkärmeren Lösungen nieht wesentlich. Der Unterschied mag zum Teil dadurch erklärt werden, dass, wie erwähnt, das Kalium eine Rolle spielt. Es ist aber vielleicht noch ein anderer Grund dafür vorhanden: Es findet "sich bei Mines die Angabe, dass bei ihm in reiner NaCl-Lösung } rhythmische Zuckungen auftraten, dass es ihm aber trotzdem mög- lich war, seine Untersuchungen in der Pause zwischen zwei Gruppen rhythmischer Zuckungen anzustellen. Nun ist auch mir bei meinen | Untersuchungen in der „kalklosen Lösung“ aufgefallen, dass es in \ der Zeit, da das Präparat rhythmische Zuckungen ausführte, schon mit \ 1) Journ. of physiol. vol. 37 p. 470. 1908. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 148. 30 444 Eduard Kahn: ganz besonders schwachen Strömen gelang in dem Intervall zwischen zwei Gruppen rhythmischer Tätigkeit Zuckungen auszulösen (siehe Bemerkung zu Versuch IV und V, Tabelle I, S. 438). Wenn ich aber lange genug — länger als 1 Stunde — wartete, bis überhaupt nie mehr rhythmische Zuckungen auftraten, war die zur Reizung nötige Stromstärke eher grösser (in den meisten Fällen) als in den kalkhaltigen Lösungen. Es ist nun sehr leicht möglich, dass die beiden Autoren nur die Übererregbarkeit zur Zeit der rhythmischen Zuckungen gemessen haben. II. Nutzzeitversuche. Wenn man den konstanten Strom durch ein Präparat strömen lässt, so tritt bei einem gewissen Schwellenwert die Schliessungs- zuckung auf. Nun hat aber schon A. Fick!) festgestellt, dass man schon nach relativ kurzer Zeit diesen Strom unterbrechen kann, ohne dass die Zuckung ausbleibt. Ebenso ist es, wenn der Strom, wie im vorigen Abschnitt beschrieben, in einer Exponentialkurve ansteigt. Man nennt nun die Zeit, die gerade hinreichend, aber auch notwendig ist, damit ein Strom, der bei Dauerschliessung eben als Schwellenreiz wirkt, eine Zuckung hervorruft, die Nutzzeit?). Die Nutzzeit ist bei steilem Stromanstieg kürzer als bei abgerundetem, sie ist auch nicht für alle Muskeln gleich, sondern sie ist für Kröten- muskeln grösser als beim Frosch, aber beim Frosch selber wieder für die verschiedenen Muskeln verschieden. Ihre Bestimmung scheint ein gutes Charakteristikum für die Eigenschaften eines reizbaren Gewebes abzugeben, daher suchte ich festzustellen, welehe Änderung sie (bei konstantem und bei abgerundetem Stromanstieg) durch die Kalkanreicherung des Muskels erfährt. Man bestimmt die Nutzzeit im allgemeinen so, dass man erst den Schwellenwert des Stromes, der bei Dauerschliessung eben noch reizt, feststellt. Dann verkürzt man durch passende Apparate die Stromdauer bis auf ein mögliches Minimum, d. h. so lange, bis die Minimalzuckung zu verschwinden im Begriff ist. 1) A. Fick, Beiträge zur vergl. Physiologie der irritablen Substanzen. Braunschweig 1863. 2) Man vgl. dazu M. Gildemeister, Münchener med. Wochenschr. 19147 Nr. 21. Untersuchungen über den Einfluss des Caleiums auf die Wirkung etc. 445 Ich ging in meinem Falle so vor, dass ich mit derselben An- ordnung wie bei den vorhergehenden Versuchen, für plötzlichen und für ‘allmählich ansteigenden Strom, den Schwellenreiz feststellte. (Ich hatte im Hauptkreis immer einen grossen Widerstand, d. h. eine so geringe Abrundung. dass die Schwelle für steilen und runden Stromanstieg zusammenfiel.) Dann erst wurde für diesen Schwellen- reiz bei steil und allmählich ansteigender Stromkurve die Nutzzeit bestimmt und zwar mittels eines Fallapparates (mit zwei Kontakten, einen für Schliessung und einen für Öffnung), die in die vorher be- schriebene Anordnung (Fig. 2) einfach als Schlüssel eingeschaltet wurden; der Schlitten eines Myographions schloss erst den Strom nach dem Prinzip des Edelmann’schen Schliesskontaktes und öffnete ihn dann gleich wieder. Man konnte nun die Zeit zwischen Stromschluss und Stromöffnung dadurch beliebig variieren, dass man die Entfernung der beiden Kontakte veränderte, so dass also das Myographion beim Fall einen grösseren oder kleineren Weg durch- laufen musste, bis es den Stromkreis wieder öffnete. Es entsprach in meinem Falle ein Abstand der Kontakte von 1 mm dem Zeit- wert von 0,00046 Sekunden, wenn eine Feder den Fall des Schlittens beschleunigte; war die Feder herausgenommen, so betrug 1 mm = 0,0016 Sekunden. Ich gebe ein Versuchsprotokoll wieder zur Erläuterung des Untersuchungsganges. Nutzzeitversuch II vom 29. Juni 1911. 11h 00’ morgens Sartorius von gut genährtem blutreichem Frosch in Locke- sche Lösung gebracht. Kathode sitzt ungefähr in der Mitte des Muskels. 3b 25’ nachmittags Temperatur im Kühler 131/;° C. Schwelle für Steil und Rund mit zwei Akkumulatoren bei Rh,h= 1000; Rlg—= 100; G=831. Dabei (mit Feder) 4h 35' Nutzzeit: Steil 83 mm: R.R.) 39 mm: 2.2.2. Rund (49 mm: R.R.) 51 mm: Z.Z. [In Locke’scher Lösung Nutzzeit also für Steil 39 >< 0,00046 — 0,015 Sek. für Rund 51 > 0,00046 —= 0,023 Sek.] 1) Das bedeutet: Wenn der Fallapparat zwischen Schliessung und Öffnung 38 mm zurücklegt, so bleibt das Präparat bei zwei Versuchen in Ruhe; beträgt der Weg 39 mm, so zuckt es zweimal. Immer ist der Strom so bemessen, dass bei Dauerschliessung gerade eine Minimalzuckung auftritt. Die Nutzzeit beträgt also 39 >< 0,00046 = 0,018 Sek. 30 * 446 4h 45’ 5h 00' 5h 20' 5h 30' 5h 50° 6h 25’ 6h 35’ 6h 50’ Eduard Kahn: in kalkreiche Lösung. Schwelle für Steill und Rund: zwei Akkumulatoren; Rh, = 1000; Rh,=100; @= 62. Dabei Nutzzeit: Steil (20 mm: R.R.) 21 mm: Z.Z. Rund (27 mm: R.R.) 2S mm: Z.Z. [In der kalkreichen Lösung war die Nutzzeit also viel kürzer als in Locke’scher Lösung, denn sie betrug für Steil nur 0,0096 Sek., für Rund 0,013 Sek.] in Locke’sche Lösung zurück. Schwelle für Rund und Steil bei Ah,= 1000; RAR,—= 100; @ —=56. Nutzzeit: Steil (37 mm: R.R.) 33 mm: Z.Z. Rund (47 mm: R.R.) 48 mm: Z.Z. [Beim Kontrollversuch in der Locke’schen Lösung stieg die Nutzzeit also wieder in die Höhe, denn sie war für Steil 0,017 Sek., für Rund 0,022 Sek.] in kalklose Lösung. Als untersucht werden soll, treten bei der Schwelle von Rh, = 1000, Rh, — 100, @ —= 44 immer sofort ganz grosse, rhythmische Zuckungen auf. Bei mechanischer Berührung mit der beinernen Nadel rhythmische Zuckungen; bei Reiz mit ganz schwachem Strom fortdauernde rhythmische Zuckungen, die nach einiger Zeıt sistieren, selten auch spontan auf- treten. Gegen 7° 20’ keine rhythmischen Zuckungen mehr. 7.0725% sh 00’ In den kalkreicheren Lösungen war also die Nutzzeit weit ! kürzer als in den kalkärmeren — das zeigt dieser Versuch wohl eindeutig. Das eing aus allen Versuchen hervor, die ich anstellte ) und deren Resultate Tabelle II erkennen lässt. 1) 1 mm bedeutet jetzt immer 0,0016 Sek., weil ohne Feder. Schwelle für Steil und Rund: Rh, = 1000; Rh —= 100; G@ = 64. Nutzzeit (ohne Feder): Steil ( 34 mm: R.R.) 37 mm: 2.2. Rund (100 mm: R.R.) Also Nutzzeit > 100 mm. Nutzzeit: Steil ( 60 mm: R.R.) 70 mm: Z.Z. Rund (100 mm: R.R.) Also Nutzzeit > 100 mm. [Beim Übergang von der noch immer kalkhaltigen Locke’schen Lösung zu der kalkfreien zeigte sich eine enorme Verlängerung der Nutzzeit, denn sie stieg für Steil auf 37 x 0,0016 ) = 0,0585 Sek., für Rund war sie mit meinem Apparat gar nicht mehr zu bestimmen, war also sicher grösser als 0,16 Sek. f Nach Ya Stunde war in der kalklosen Lösung die Nutzzeit dann ı noch weiter gestiegen, nämlich für Steil von 37 auf 70 mm, d.h. | von 0,0568 auf 0,104 Sek.] Untersuchungen über den Einfluss des Caleiums auf die Wirkung etc. 447 Tabelle I. a. Nutzzeit Nm: Bent in Sekunden Lösung En steiler d Bemerkungen mer der Ver- LUNCET Strom- | Strom- suche anstieg | anstieg I. | Locke | 55 00’ 0,041 0,045 kalkreich | 55 30’ 0,010 0,015 kalkreich | 5& 55’ 0,019 0,022 Locke | 65 25’ 0,048 0,064 12 Locke ! 5% 35 0,019 0,028 kalkreich | 6h 25’ 0,010 0,013 Locke’| 7h 25’ 0,018 0,022 kalklos sh 95' 0,059 > 0,160 Rhythm. Zuckungen. Vgl. Protokoll. kalklos 9h 00’ 0,112 |> 0,160 II. | Locke | 2h 10’ 0,017 0,022 kalkarm | 2b 45’ 0,020 0,023 Locke | 3b 10’ 0,019 0,022 kalkreich | 5b 40’ 0,020 0,025 Locke 7h 30’ 0,032 0,037 IV. Klocke | 35 30’ 0,120 |> 0,160 kalkreich | 5h 15’ 0,016 == kalkreich | 5h 35’ 0,032 0,064 | Hier traten spontane Zuekungen in regelmässigen Abständen ein; Grund nicht klar. Schlotternder Kontakt? Locke | 6h 45’ 0,048 —= Locke E05, 0,032 0,048 | Neue Elemente eingeschaltet! kalkreich |20b 00’ 0.096 0,120 Hier deutliche Einwirkung der Zeit ’ (siehe S. 448). Die Betrachtung dieser Tabelle lehrt, dass im allgemeinen beim Übergang von einer kalkärmeren zu einer kalk- reicheren Lösung die Nutzzeit kürzer wird und um- gekehrt. Das zeigen vor allem deutlich die beiden ersten Versuche. Es bestätigt sich auch, dass die Nutzzeit für Rund immer länger ist als für Steil, und zwar anscheinend in allen Fällen, un- abhängig vom Kalkgehalt, um etwa gleich viel (meistens 25—50 Jo). Auf das Verhältnis der Nutzzeiten bei plötzlich und bei allmählich ansteigendem Strom scheint das Calcium also keinen Einfluss aus- zuüben. Der dritte Versuch war mit der „kalkarmen“ Lösung angestellt; _ da sie aber immerhin noch 0,01 °/o CaCl, enthielt, blieben hier die rhythmischen Zuckungen aus, die Versuche waren also ungestört. Der vierte Versuch scheint eine Ausnahme gegenüber den anderen zu bilden: während der Muskel in der Locke’schen Lösung (zum , 448 Fig. 5. Einfluss der Versuchsdauer auf die Nutzzeit in Locke’scher Lösung. Die Kurven sind gewonnen, indem als Abszisse die Versuchsdauer (seit Beginn des Versuches), als Ordinaten die Nutz- zeiten in o (1 o = !/ı000 Sek.) genommen wurden. Die durch Versuche festgestellten Punkte sind durch Kreuze markiert. Kurve A für plötzlichen Stromschluss, Bb für abgerundeten Stromanstieg. Die Beobachtung fing erst in der vierten Versuchsstunde an. Die Kurve zeigt deutlich ein Grösserwerden der Nutzzeit mit der Dauer des Versuchs. Eduard Kahn: zweitenmale) war, nahm seine Nutzzeit ab; dieses abweichende Verhalten ist dadurch erklärt, dass in der Zwischenzeit die Elemente, die sich als schadhaft erwiesen, entfernt und durch neue ersetzt werden mussten. Die Messung ist deshalb wohl nicht ganz zuverlässig. Bei dem- selben Versuch seheint aber auch auffällig (wie schon beim Ver- such III), dass schliesslich die Nutzzeit in der kalkreichen Lösung grösser war (0,096 Se- kunden) als in Locke’scher Lösung (0,032). Es lag nahe, anzunehmen (auch bei anderen Versuchen, vgl. Versuch I für kalkreich!), dass auch die Ver- suchsdauer einen wesent- lichen Einfluss auf die Nutzzeit ausübt. Um das zu untersuchen, habe ich in einigen Fällen die Nutzzeit in derselben (Locke- schen) Lösung zu verschiedenen Zeiten geprüft; dabei zeigte sich tatsächlich eine auffallende Einwirkung der Zeit. Ich habe das in der Fig. 5 graphisch darzustellen versucht (die Ab- szisse stellt die Zeit dar, die das Präparat in der Lösung war, die Ordinaten sind gegeben durch die Nutzzeiten [in "/ıooo Se- kunden]). Wenn man demgegen- über Fig. 6 und 7 vergleicht, in denen das Verhalten in den verschiedenen Lösungen (Versuch I und III) in derselben Weise graphisch dargestellt ist, so wird man auch hier unschwer erkennen, dass mit der fortschreitenden Dauer jedes Versuchs die Nutzzeitkurve die Tendenz hat, anzusteigen. Untersuchungen über den Einfluss des Calciums auf die Wirkung etc. 449 Kalkreich 5 6 zr Fig. 6. Einfluss des Kalkes auf die Nutzzeit (nach Versuch I). Die Kurven sind gewonnen wie bei Fig. 5. Um den Übergang von einer Lösung in die andere zu markieren, ist jedesmal eine senkrechte Linie gezogen. Die Beobachtung be- gann in der fünften Stunde. — Die Kurve macht nicht nur anschaulich, dass in der kalkreichen Lösung die Nutzzeit verkürzt wird, sondern zeigt auch deutlich den Einfluss der Versuchsdauer auf die Nutzzeit (man vergleiche das dritte Punkte- paar mit dem zweiten, das vierte mit dem ersten). a 1606 z | 5 ) 140 20 x | / + j00 “ | / sl Y / 80 „ 60 £ * 40 | a. x. B Ä Rat 225 + 8: SHE 5% z h is | a oh Locke |Kalkreichi Locke ı Kalklos Fig. 7. Einfluss des Kalkes auf die Nutzzeit (nach dem Versuch II). Erklärung wie bei Fig. 6. — Bedeutende Erhöhung der Nutzzeit beim Übergang von Locke’scher zu der kalklosen Lösung. 450 Eduard Kahn: Einige mehr zufällige Beobachtungen über den Einfluss des Kalkes auf eine Grösse, die mit der Nutzzeit identisch ist, liegen schon von Mines!) vor, doch bestehen erhebliche Unterschiede zwischen seinen Untersuchungen und den meinigen. Es ist schon bei der Besprechung der Arbeit von Keith Lucas?) darauf hin- gewiesen worden, dass die äusseren Versuchsbedingungen bei Fig. 8. Zur Erläuterung der Fragestellung bei Mines. Abszisse gegeben durch die Dauer des zur Minimalreizung nötigen Stromstosses, Ordinaten — Strom- intensitäten. Bei der Stromdauer von za ist eine Intensität von aA = x24') nötig zur Reizung; bei der grösseren Stromdauer xD tritt schon bei bB (= «xB') eine Zuckung ein, bei zc schon bei c® (= x). Bei einer Stromdauer von xd bedarf es zur Reizung dD = xD'); wenn man den Strom noch grösser macht als xd, z. B. ze, dann sinkt die Intensität nicht weiter, denn bei &e braucht man eE = dD zur Reizung. Die Kurve ABCDE verläuft also von D ab horizontal, D ist der Grenzpunkt, bei dem eben, wenn man von E£ herankommt, eine Erhöhung der Intensität zur Reizung noch nicht nötig ist; diesen Punkt festzustellen, war mein Ziel; Mines bestimmte vor allem den absteigenden Teil der Kurve. Mines andere waren als bei mir (eine Einwirkung des Kaliums | war nicht berücksichtigt; er reizte am nervenfreien Ende, ich am nervenhaltigen); aber auch die Fragestellung bei Mines war grundsätzlich verschieden von der meinigen. Es ist bekannt, dass ein Strom, der bei einfacher Schliessung einen Muskel zu lebhafter Kontraktion anregt, seine physiologische Wirksamkeit mehr und mehr einbüsst, wenn die Dauer seines Fliessens 1) G. R. Mines, Journ. of physiol. vol. 37 p. 408. 1908. 2) s. S. 441. Untersuchungen über den Einfluss des Caleiums auf die Wirkung etc. 451 verkürzt wird. Bei einer gewissen Dauer wird er gerade ein Minimal- reiz sein. ‘Wird er nun verstärkt oder abgeschwächt, so ändert sich auch seine Mindestdauer; das Gesetz dieser Abhängigkeit ist zuerst von G. Weiss formuliert worden. Mines untersuchte nun, ob die Veränderung des Caleiumgehalts auf dasselbe einen Einfluss habe. Er trug seine Resultate in ein Koordinatensystem ein, so dass die Ordinate die Stromintensität, die Abszisse die dabei zur Minimal- reizung nötige Stromdauer bedeutete. Dadurch resultierte (siehe Fig. 8) eine nach rechts abfallende Kurve, die von einem gewissen Punkt an horizontal verlief. Die zu diesem Punkte gehörige Zeit stellt nach der obigen Definition die Nutzzeit dar. Aus den Kurven von Mines ist zu entnehmen, dass in reiner Kochsalzlösung (also ohne Kalk) das horizontale Stück erst viel weiter rechts beginnt. Das deckt sich mit meinen Befunden. Da es dem Autor mehr auf das abfallende Stück ankam, hat er dem erwähnten Befund keine Beachtung weiter geschenkt; erst später hat Keith Lucas darauf aufmerksam gemacht. Er nennt das, wofür in dieser Arbeit die Bezeichnung Nutzzeit gebraucht ist, „the eurrent-duration at which the jowest limit of the exeiting current is first reached“, Dass ich ein Nebenresultat (die Verringerung der zur Reizung nötigen Stromintensitäten in den kalkärmeren Lösungen) nicht bestätigen kann, habe ich schon bei der Besprechung der Arbeiten von Keith Lucas!) erwähnt. An Es scheint, dass der Kalk die Muskeln von mehr „trägen“ zu „flinken“ Kontraktionselementen umwandelt: denn die grössere Empfindlichkeit gegen die Abrundung der Stromkurve und die kürzere Nutzzeit, die der Kalk bei den Muskeln bewirkt, sind offenbar verschiedene Erscheinungsformen desselben veränderten Zustandes. ‚Vielleicht sind in diesem Sinne auch die Resultate von Bazett?) von Bedeutung, der eine Verkürzung der „refracetory period“, der refraktären Phase zwischen zwei Muskelkontraktionen, unter der Ein- wirkung des Kalkes fand. | Zum Schlusse gestatte ich mir, Herrn Professor Gildemeister für seine freundliche Leitung und Unterstützung meinen besten Dank auszusprechen. 1) Keith Lucas, Journ. of physiol. vol. 40 p.225. 1910. 2) H. C. Bazett, Journ. of physiol. vol. 36 p. 429. 1907. 30 +** 452 Eduard Kahn: Untersuchungen über den Einfluss des Calciums etc. Zusammenfassung. 1. In einer Reihe von Versuchen ist untersucht worden, ob für den uneurarisierten Sartorius des Frosches, der sieh in einer kalk- reichen physiologischen Lösung befindet, der Unterschied in der Reizwirkung eines steil und eines allmählich ansteigenden elektrischen Stromes grösser oder kleiner ist als in normaler oder kalkarmer physiologischer Lösung. Es ergab sich, dass der Muskel desto kleinere Unterschiede bemerkt, je kalkreicher die ihn umspülende Flüssigkeit ist. Der Stromanstieg wurde dadurch verzögert, dass eine Spirale in den Stromkreis eingefügt wurde, deren Wirkung noch durch ein- seschaltete Widerstände abgestuft werden konnte. Schon durch geringe Abschrägung wird also in kalkreicher Lösung ein Strom unwirksam. Man kann also in diesem Falle einen Muskel leichter in den Strom einschleichen. 2. Unter dem Einfluss einer kalkreichen Lösung wird die Nutzzeit, d.h. die Mindestdauer, die ein auch bei unendlicher Dauer gerade überschwelliger Reizstrom haben muss, verkürzt. Unter normalen Umständen ist bei allmähliehem Stromanstieg die Nutzzeit länger als bei plötzlichem; dieses Verhältnis wird durch Veränderung des Caleiumgehaltes anscheinend nicht wesentlich be- einflusst. | Bei lange dauernden Versuchen in Locke’scher Lösung steigt die Nutzzeit auch ohne äussere Einwirkungen an, vermutlich infolge der unvermeidlichen, durch den Versuch gesetzten Schädigungen. Welche Ausblicke diese Beobachtungen für die Erklärung der Verhältnisse bei der Tetanie der Kinder bieten, darauf kann hier nicht des weiteren eingegangen werden; es sei nur an- gedeutet, dass das Verhalten gegenüber der Abrundung der Strom- kurve den geringen Stromverbrauch bei der Reizung der Tetanie- kinder wohl erklären kann; die Analogie mit den hier geschilderten Verhältnissen geht übrigens auch darin noch weiter, dass beim gesunden Kind, gegenüber dem Tetaniekind, die Nutzzeit anscheinend verkürzt ist, wie meine, freilich noch wenig ausgedehnten, Untersuchungen lehren. Doch soll hierüber, wie auch über die Zusammenhänge zwischen rhythmischen Zuckungen und den eklamptischen Anfällen an anderer Stelle berichtet werden. ä * ‘ Taf.IT. Pflüger's Archiv für die ges. Physiologie. Bd.143. “an Ze Henne, normale Kurve. Taube, normale Kurve. ’ fig. 5. A re Fee Te TE er er Se are ee je ee ee ee] 0 5 vi Ti T” Henne, periphere Vagusreizung links Fig.6. LITT 1 —11- zu. JI u 1 TA u um! IT Va an Taube, nach beiderseitiger Vagusdurchschneidung. gv jer, Bann (Die kleinen Zacken sind durch die Aktionsströme des Herzens bedingt) Lith.AnstvF.Wirtz ‚Darmstadt. Taf.V. AlügersArchiv für die ges. Physiologie Bd 143 7 ——r fig.7. no - a — - T m + ee — r r - ——— + - T T — je r ı 1 ı R ee H Taube, normale Kurve Ya natürl, Grölse —— Im Taube, periphere Vagusreizung links Y2 natürl. Gröfse Fig3 Fig. - r r r — r IE 7 Taube, nach: heidenäBllgenAyagdedurchschneräung nn Se Va natur. Gröfse Taube, Magen transversal durchschnitten % natürl. Grölse Fig.1l u — a N nL—ah un — n ı N A u nen rn u Taube, herausgeschniltener, transversal durchtrennter Magen V2 natürl. Gröfse lag v. Martin Hager ‚Borm Lith_Anst v F Wirtz Darmstadt (Aus dem physiologischen Laboratorium der physiko-math. Fakultät der kais. Universität Kasan.) Über die Verspätung des zweiten Aktions- stromes bei Doppelreizungen des quer- gestreiften Muskels. Von Prof. A. Samojloff. (Mit 4 Textfiguren und Tafel V—VII.) I. Stand der Frage. In meiner!) Arbeit „Aktionsströome bei summierten Muskel- zuckungen“ beschrieb ich unter anderem die Erscheinung der Ver- spätung des zweiten Muskelaktionsstromes bei zwei rasch aufeinander folgenden Reizen. Die Versuche wurden vermittelst des Kapillar- elektrometers am indirekt gereizten Froschgastroenemius unter An- wendung der mehrmaligen Photographie ausgeführt. Für jeden Doppelreizversuch wurden drei Aufnahmen auf demselben Film ge- macht: die erste bei Einwirkung des ersten Reizes, die zweite bei Einwirkung des zweiten Reizes und die dritte bei Einwirkung beider Reize. An solchen Aufnahmen konnte man sich auch ohne jede Messung überzeugen, dass bei kurzem Reizintervall diejenige Er- hebung, die in der summierten Kurve als elektrische Beantwortung des zweiten Reizes anzusehen war, erheblich später, als die Be- antwortung bei alleiniger Wirkung des zweiten Reizes einsetzte. Die Messung ergab, dass die Verspätung sehr erhebliche Werte an- nehmen kann. Von dem in der angegebenen Arbeit ausführlich be- schriebenen Versuche seien einige Zahlen angeführt. Die refraktäre Periode des Nervenmuskelpräparates dauerte 0,001 Sek. Wurde - das Reizintervall grösser genommen, nämlieh 0,002 Sek., so äusserte 1) A. Samojloff, Aktionsströme bei summierten Muskelzuckungen. Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., Suppl. 1908 S. 1. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 31 454 A. Samojloff: sich die Wirkung des zweiten Reizes in der kombinierten Kurve bereits deutlich, trat aber mit einer grossen Verspätung auf: die Latenz des zweiten Reizes dauerte hier 0,0109 Sek., wogegen die normale Latenz bloss 0,0048 Sek. betrug. Diese verspätete Be- antwortung war ihrer Grösse nach sehr reduziert im Vergleiehe mit dem einem Einzelreize entsprechenden normalen Ausschlage. Wurde das Zeitintervall des Doppelreizes sukzessive grösser gemacht, so nahm die Verspätung des zweiten Aktionsstromes allmählich ab und die Ausschlagsgrösse desselben zu. Bei der Reizdistanz 0,0048 Sek. war die Verspätung bloss 0,0021 Sek. und bei der Reizdistanz 0,0155 Sek. war überhaupt keine Verspätung mehr zu konstatieren: der zweite Reiz bewirkte in der kombinierten Kurve eine nach normaler Latenz einsetzende Erhebung. Die beschriebene Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizen ist also im ganzen eine sehr flüchtige Erscheinung, die unmittelbar nach Ablauf der Refraktärperiode am stärksten aus- gesprochen ist; nach Zunahme des Reizintervalls wird die Verspätung geringer und schwindet bald ganz. Anderthalb Jahre später hat Keith Lucas!), der, wie man auf Grund seiner letzten Publikation (s. u.) schliessen kann, meine oben angeführte Arbeit nicht kannte, die Erscheinung der Verspätung noch einmal, allerdings am direkt gereizten Froschsartorius, be- schrieben, wobei die über den Charakter und die Grösse der Ver- spätung gemachten Angaben und Zahlen keinen Zweifel zuliessen, dass es sich bei mir und Keith Lucas um eine und dieselbe Er- scheinung handelte. Keith Lucas ging aber weiter und bemühte sich anknüpfend an die Erscheinung der Verspätung einen neuen Begriff aufzustellen, nämlich den der „irresponsiven Periode“. Lucas stellte sich näm- lich vor, dass nach Ablauf der refraktären Periode der Muskel wohl durch einen neuen Reiz in Erregung versetzt werde, die Erregung könne aber nicht eher manifest werden, bis eine bestimmte Zeit- periode, die „irresponsive Periode“, vorbei sei. Sendet man deshalb dem Muskel eine Reihe von Doppelreizen mit zunehmender Reiz- distanz, so beobachtet man nach Lucas, dass die Beantwortung des zweiten Reizes in der kombinierten Kurve für eine bestimmte An- l) Keith Lucas, On the refractory period of muscle and nerve. The Journ. of Physiol. vol. 39 p. 331. 1909. Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 455 zahl von Doppelreizen immer nach Verlauf einer und derselben vom Momente des ersten Reizes gerechneten Zeitdauer geschieht. Er hat diese Behauptung durch eine Kurvenschar von übereinander kopierten, summierten Aktionsstromkurven illustriert, in welchen man den An- fang der verspäteten zweiten Aktionsströme immer von einem und demselben Punkte ausgehend sieht [vel. Fig. 74]. Diese Deutung der beobachteten Verspätung von Keith Lucas, die zur Aufstellung eines neuen Begriffes „der irresponsiven Periode“ führte, schien den Ergebnissen meiner Versuche zu widersprechen, weshalb ich in einem neuen, demselben Gegenstande gewidmeten Artikel?) über Tatsachen, die gegen die Lucas’sche Auffassung sprachen, berichtete. Ich stützte mich hierbei auf mein früheres Versuchsmaterial, sowie auf neue Versuche mit dem Saitengalvano- meter. Ich stellte mir den ganzen Sachverhalt folgendermaassen vor. Nach Einwirkung des ersten Reizes und nach Ablauf der re- traktären Periode stellt sich im Nervmuskelpräparat ein neuer Zu- stand ein; wir wollen einstweilen denselben Verspätungszustand nennen, der dazu führt, dass der zuerst wirksame zweite Reiz mit einer starken Verspätung beantwortet wird. Nun ist es klar, dass wenn dieser Verspätungszustand im Laufe der Zeit sukzessive ab- geschwächt wird, d. h. die Verspätungsdauer immer kleiner und die Reizdistanz zugleich immer grösser wird, so können anfangs die Zeit- intervalle zwischen dem ersten Reiz und dem Beginn des zweiten Aktionsstromes nicht weit voneinander differieren, es ist sogar wohl möglich, dass sie dann und wann einander gleich sind, — in der Regel stellt sich aber, wie es in dem zuletzt zitierten Artikel?) an einem Beispiele gezeigt wird, ein ganz anderes Verhalten ein. Der Verspätungszustand schwindet nämlich mit rascherem Schritt, als die Reizdistanz zunimmt, infolgedessen bleibt bei Doppelreizen die Zeitdauer der „irresponsiven Periode“ von Lucas nicht konstant, sondern dieselbe wird immer kleiner. Dieses Verhalten wurde in Fig. 3 meines Aufsatzes®) dureh ein Diagramm auf Grund von Aus- messungen der saitengalvanometrischen Kurven erläutert. 1) Keith Lucas, On the refractory period of muscle and nerve. The _ Journ. of Physiol. vol. 39 p. 331. 1909. 2) A. Samojloff, Über die Aktionsströme des quergestreiften Muskels bei zwei rasch aufeinanderfolgenden Reizen. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 26 Nr. 2 >. 1. 1910. 91* 456 A. Samojloff: In demselben Aufsatz) lenkte ich aber weiter die Aufmerksamkeit auf einiee Einzelheiten der Kurven, die die ganze Frage über die Ver- spätung der Beantwortung des zweiten Reizes in einem anderen Lichte erscheinen lassen. Bei Anwendung der kleinsten Reizdistanzen, bei denen der zweite Reiz bereits wirksam ist, bemerkt man ausser der von demselben bewirkten verspäteten Erhebung im kombinierten Elektrogramm noch eine Veränderung des absteigenden Schenkels- der ersten Erhebung. Wenn es angeht, den Beginn der elektrischen. Äusserung des zweiten Reizes an denjenigen Punkt zu verlegen, wo die kombinierte Kurve zuerst vor der beim Einzelreiz erhaltenen in ihrem Verlaufe divergeiert, so muss man selbstredend zugeben, dass dadurch der Grad der Verspätung zu einem ganz anderen wird. Der Anfang des zweiten Elektrogramms kommt dann be- deutend näher dem zweiten Reize zu liegen, und die Verspätung wird sehr gering. Es kann sogar der Zweifel auftauchen, ob es überhaupt noch eine nennenswerte Verspätung gibt. Ich sagte des- halb am Schluss des Aufsatzes!): „Den ganzen Vorgang der elek- trischen Reaktion des Muskels auf zwei rasch aufeinanderfolgende Reize könnte man sich also bezüglich des in Rede stehenden Punktes. folgendermaassen vorstellen. Der erste Reiz hinterlässt eine 0,001 bis 0,002 Sek. dauernde refraktäre Periode. Nach Ablauf derselben beantwortet der Muskel auch einen zweiten Reiz. Die diesem Reize entsprechende Reaktion erscheint aber bei kurzen Zeitintervallen etwas verspätet, wenn man den Beginn der Reaktion vom Anfang des zweiten Höckers zählt; es lässt sich dagegen kaum eine Ver- spätung konstatieren, wenn man den Beginn der zweiten Reaktion von dem Anfang der Deformation der Dekreszente des ersten Höckers zählt.“ Wie ich am angegebenen Orte!) hervorhob, waren die angefühten saitengalvanometrischen Versuche nur als provisorische anzusehen, die- ich überhaupt nur anstellte, üm die früheren kapillarelektrometrischen Kurven vermittelst einer vollkommneren Methode zu kontrollieren. Ich betrachtete die Versuche durchaus nicht für abgeschlossen und nahm mir vor, namentlich wegen der bemerkten Deformation des absteigenden Schenkels und also damit verbundenen anderen Deutung der Verspätungs- grösse des zweiten Effektes den Gegenstand noch einmal zu bearbeiten. 1) A. Samojloff, Über die Aktionsströme des quergestreiften Muskels bei zwei rasch aufeinanderfolgenden Reizen. Zentraibl. f. Physiol. Bd. 24 Nr. 2 8:1...1910; Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 457 Als meine neuen weiter zu beschreibenden Versuche im ganzen und grossen abgeschlossen waren, erschien eine neue Arbeit von Keith Luceas!), die ebenfalls demselben Gegenstande gewidmet ist und in mancher Beziehung eine Kontrolle meiner Versuche ent- hält. Es war mir sehr erfreulich, in der Arbeit von Keith Lucas manche Bestätigung meiner Angaben zu finden. Er beschreibt eine Reihe von Versuchen mit indirekten Doppelreizen des Froschgastro- enemius und findet, dass in diesem Fall die Regel der „irrespon- siven Periode“ sich nicht bewährt hat; diese Periode bleibt bei Zu- nahme der Reizdistanz nicht konstant, wie es nach früheren Ver- suchen von Lucas am Froschsartorius sein sollte, sondern sie wird immer kleiner, bis schliesslich die normale Latenzdauer erlanet wird. Dieser Satz, illustriert durch Kurven, Ausmessungszahlen und Dia- gramme, wird freilich nicht als Bestätigung meiner Behauptung dar- gestellt, sondern figuriert ganz unabhängige von den Versuchen irgend- eines Vorgängers. Dagegen werden meine Versuche in denjenigen Punkten, die Keith Lucas nicht bestätigen konnte und die ihm deshalb unrichtig erscheinen, sehr fleissig zitiert. So konnte er sich nicht überzeugen, dass die Deformation der Dekreszente der ersten Erhebung durch den zweiten Reiz eine derartige Grösse annehmen kann, wie ich es angegeben habe. In seinen Kurven kommt der Divergenzpunkt entsprechend dem Einzelreiz und dem Doppelreiz niemals so hoch zu stehen, dass die Dekreszenten schon von ihrem Anfangspunkt, d. h. vom Gipfelpunkt der Kurve, auseinandergehen. Der Divergenzpunkt liest in den Lucas’schen Kurven bedeutend weiter, im Bereiche der zweiten Phase. Der Grad der Verspätung ist deshalb bei Keith Lucas, auch wenn er die Verspätung vom Divergenzpunkt rechnet, genau von demselben Betrage, wie er den- ‚selben in seinen früheren Arbeiten definierte, d. h. einigemal grösser als die normale Latenz; seine Resultate seien deswegen mit den meinigen, da ich meine Ansichten über die Dauer der Verspätung änderte, in direkter Opposition, was ich in der Tat bezüglich dieses Punktes zugebe. Wie erwähnt, hat Lucas die „irresponsive Periode“ bei in- direkter Reizung des Gastrocnemius nicht Konstatieren können. Da- 1) Keith Lucas, On the recovery of muscle and nerve after the passage of a propagated distrubance. I. The electric response of the gastrocnemius muscle of the frog to two stimuli applied to the sciatic nerve. The Journ. of Physiol. vol. 41 p. 368. 1910. 458 A. Samojloff: gescen fand er auf Grund neuer Versuche die Erscheinung der „irresponsiven Periode“ am direkt gereizten Froschsartorius und am Frosehherzmuskel, welcher letzterer ebenfalls zu den Versuchen über die Verspätung herangezogen wurde, verwirklicht. Allerdings hat der Verfasser seine Ansichten über die „irresponsive Periode“ ganz wesentlich geändert und hält es für gut, überhaupt den Namen „irresponsive Periode“ zu verwerfen, da dieser ihm nicht ganz treffend gewählt erscheint [vgl. die Bemerkung auf S. 386%]. Auf manche Einzelheiten der neuen Keith Lucas’schen Arbeit kommen wir später zu sprechen. II. Versuche am indirekt gereizten Froschgastroenemius. Die Versuchsanordnung bei der indirekten Reizung des Frosch- gastroenemius mit zwei rasch aufeinanderfolgenden maximalen Reizen war im allgemeinen dieselbe wie in meinen früheren Arbeiten ?), so dass hier nur einige Momente zur Sprache kommen mögen. Der Muskel war an einem isotonischen Myographion angebracht und nach isotonischem Prinzip mit 6 g belastet. Der Nerv befand sich in einer kleinen sargartigen feuchten Kammer mit Platindrahtelektroden und einer Hering’schen Platinschleife zum Abfangen. der Strom- zweige. Die Aktionsströme wurden abgeleitet von der Mitte und dem Achillessehnenende des Muskels vermittelst Fadenelektroden, die am Muskel angebunden waren; die freien Enden der Fäden waren an den Ton der Tonelektroden angedrückt. Von den Zinkelektroden führten Drähte zum Einthoven’schen Saitengalvanometer (grosses Modell von Edelmann). Die photographische Aufnahme geschah auf Papier oder Film, die an die Trommel meines Reeistrierwerkes befestigt waren. Letzteres war mit einer Anordnung zum Auslösen von Reizen während der Trommelumdrehung versehen. Die ausführliche Beschreibung 1) Keith Lucas, On the recovery of muscle and nerve after the passage of a propagated distrubance. I. The electric response of the gastrocnemius muscle of the frog to two stimuli applied to the sciatic nerve. The Journ. of Physiol. vol. 41 p. 368. 1910. 2) A. Samojloff, Aktionsströme bei summierten Muskelspannungen. Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., Supplbd. S.1. 1908. — A. Samojloff, Über die Aktionsströme des quergestreiften Muskels bei zwei rasch aufeinanderfolgenden Reizen. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 24 Nr.2 S.1. 1910. Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 459 des Registrierwerkes kann man in der unter!) angeführten Arbeit finden. Da man bei den in Rede stehenden Versuchen stets mit kleinen Zeitdistanzen, zu etwa !/ıooo Sek. zu tun hat, so kommt es sehr viel darauf an, dass die Apparate tadellos funktionieren, und dass man ganz sicher ist, dass die eine Trommelumdrehung (Feder- mechanik) genau wie die andere geschieht. Das war um so mehr erforderlich, als ich mich der mehrmaligen Photographie auf einer und derselben Filmplatte bediente und es klar ist, dass in diesem Fall jede kleinste Inkongruenz der Art der Trommelumdrehung zu bedeutenden Fehlern in den erhaltenen Kurven führen kann. Während meiner mehrjährigen Arbeit mit dem beschriebenen Re- gistrierwerke habe ich aber gerade in bezug des berührten Punktes so viele Beweise der exakten Funktionierung desselben erhalten, dass ich sicher bin, in dieser Hinsicht keinen methodischen Fehler be- sangen zu haben. Die Trommel bewegte sich rascher als in meinen früheren ‚Versuchen. Die Schnelligkeit der von der gespannten Feder ge- schleuderten Trommel war während der Dauer der Aufnahme, berechnet nach den Zeitmaassen (jede Welle gleich 0,02 Sek.), etwa 1.Am in 1 Sek. Das Bild der Saite des Galvanometers wurde projeziert vermittelst eines Objektivs, Zeiss S mm, und eines Projektionsokulars Zeiss Nr. 2; das Bild war in etwa 1,5 m Projektionsentfernung 400mal vergrössert aufgenommen. Die Spannung der Saite war so bemessen, dass 20,0 Millivolt einen Anschlag von 1 em beim Einschalten des Widerstandes der Elektroden und des Muskels bewirkten. Die Ein- stellungszeit, die man auf Grund von Eichungskurven bei jeder Versuchsreihe bestimmte, war sehr gering (fast durchweg etwa 0,005 Sek.) und die Kurve selbst so gut wie aperiodisch. In den verschiedenen Versuchsreihen wurde die mehrmalige Photographie in verschiedener Weise angewandt. Einmal wurden die Aktionsstromkurven vom ersten Reiz allein und vom Doppelreiz herrührend, ein andermal vom zweiten Einzelreiz und vom Doppel- reiz herrührend zusammen aufgenommen. Die dreimalige Photo- 1) A. Samojloff, Praktische Notizen zur Handhabung des Saitengalvano- meters und zur photographischen Registration seiner Ausschläge. Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1910 S. 477. 460 A. Samojloff: graphie, die Aufnahme der vom ersten, vom zweiten und vom Doppelreiz herrührenden Elektrogramme, die eigentlich die sichersten und anschaulichsten Resultate liefert, habe ich in sehr vielen Ver- suchen angewandt, hahe aber in diesen Fällen viel mit photographisch technischen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, weil die dreimal belichteten Films nicht kontrastreich genug waren. [Über den Grund, weshalb sich das Kapillarelektrometer mehr für mehrmalige Photographie eignet als das Seitengalvanometer, s.!) S. 426.] Aber auch dieser Mangel ist in vielen Aufnahmereihen gut behoben worden. Aus dem Material, welches ich über Aktionsströme bei Doppel- reizen mit kurzen Intervall besitze, möchte ich an erster Stelle eine Versuchsreihe mit dreimaliger Photographie in extenso und mit Wiedergabe sämtlicher Aufnahme schildern, weil diese Versuchs- reihe sämtliche Einzelheiten des ganzen Vorganges sehr demon- strativ aufweist. Der ganze Versuch wird in neun Kurvengruppen, entsprechend neun Einzelversuchen mit Doppelreizen, bei verschiedenem Reiz- intervall dargestellt (s. Taf. V Fig. A, Bund (©). Die neun Kurvengruppen sind verteilt auf drei Filmplatten von 15x13 em Grösse (auf den Tafeln sind die Abdrücke nur der mittleren Teile der Filmplatten wieder- geceben, die Seitenteile sind weegeschnitten), von welchen jede je drei Gruppen von Kurven enthält; jede Gruppe besteht aus drei auf- einander aufgenommenen Kurven. Jede Filmplatte war in folgender Weise ausgenutzt: bei jeder Trommelumdrehung war nicht die ganze Filmfläche dem Lichte ausgesetzt, sondern bloss etwa der dritte Teil, was dadurch erreicht wurde, dass zwei Drittel des 13 cm hohen Spaltes des Registrierwerkes verdeckt werden. Zuerst wurden die oberen zwei Drittel des Spaltes zugedekt und auf dem unteren Drittel drei Kurven während dreimaliger Schleuderumdrehung der Trommel auf- einander photographiert; während der ersten Umdrehung wird der Kontakt, der mit der primären Spirale für den ersten Induktions- schlag verbunden ist, gelöst; bei der zweiten Umdrehung trifft den Nerven der zweite Reiz; bei der dritten erfolgt die Erregung des Nerven mittelst des Doppelreizes. Nunmehr werden das obere 1) A. Samojloff, Praktische Notizen zur Handhabung des Saitengalvano- meters und zur photographischen Registration seiner Ausschläge. Arch. f. Anat u. Physiol., physiol. Abt., 1910 S. 477. Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 461 und untere Drittel des Spaltes zugedeckt, das Bild der Saite wird darauf vermittelst der Okularschraube des Galvanometers auf das mittlere freie Drittel des Spaltes verschoben, und nach Vergrösserung der Distanz zwischen den Reizkontakten (der erste Kontakt blieb die ganze Zeit an seiner Stelle, während der zweite vermittelst einer Schraube von dem ersten entfernt werden konnte) wiederum eine Gruppe von drei Kurven aufeinander aufgenommen. In derselben Weise wird auch bei der Aufnahme der drei Kurven im oberen Drittel verfahren, allerdings mit der Komplikation, dass zugleich mit der kombinierten Kurve im oberen Drittel auch der Hebelschatten des Chronographen von 50 Schwingungen in der Sekunde registriert wird. Selbstredend dient die Zeitlinie für die Beurteilung der zeitlichen Verhältnisse in den sämtlichen neun Kurven auf der Filmplatte. Jetzt liess man gewöhnlich die Trommel noch eine Umdrehung bei unverdeektem Spalt ausführen, um auf der Filmplatte in ihrer ganze Höhe das Garten’sche Liniensystem aufzuzeichnen, und zwar wurde zu diesem Zwecke ein Episkotister besonderer Konstruktion gebraucht. Es stellte sich nämlich beim geschilderten Verfahren bald heraus, dass das vierte Vorbeiführen der Platte vor dem Spalte zur Aufnahme des Garten’schen Netzes vermittelst eines gewöhn- lich für. diesen Zweck gebrauchten Episkotisters, d. h. einer Scheibe mit schmalen Speichen und breiten Ausschnitten das Bild der Elektro- myoegramme, die auch ohne dem nicht genügend kontrastreich sind, sehr schädigte.e Um letzteres zu beseitigen, benutzte ich bei diesen Versuchen eine Scheibe, die man als ein Negativ des gewöhnlichen Episkotisters betrachten könnte, d. h. dieselbe besass ganz schmale Auss- schnitte und breite Speichen. Die Platte war also auf diese Weise beim vierten Vorbeiführen nur während ganz kurzer Momente dem Lichte ausgesetzt. Selbstredend musste das Liniensystem auf den Abdrücken von dem Filmnegativen nicht wie gewöhnlich Schwarz auf Weiss, - sondern Weiss auf Schwarz oder richtiger Weiss auf Grau erscheinen. Die horizontalen Linien des Netzsystems wurden dureh horizontale l em voneinander abstehende Linien auf einer Glasplatte hinter der Zylinderlinse des Spaltes erzeust und erscheinen deshalb, wie gewöhn- lich, schwarz. Diese horizontalen Linien sind also durch viermaliges Aufeinanderschreiben, die Nullinien der Kurven durch dreimaliges Aufeinanderschreiben, die Kreszente der ersten Erhebung und in einigen Kurvengruppen auch ein Teil oder beinahe die ganze De- kreszente durch zweimaliges Aufeinanderschreiben entstanden. Die 462 A. Samojloff: tadellose Kongruenz der aufgezählten Teile spricht doch, wie es scheint, sehr für die genügende Exaktheit der Technik. Die zweimal aufeinandergeschriebene Kreszente der ersten Er- hebung ist nicht breiter als die einmal registrierte beim Einzelreiz; sie ist nur dunkler, und das erklärt sich dadurch, dass die der Kreszerte entsprechende Linie der Filmplatte zweimal vom Seiten- bilde beschattet wurde und im ganzen weniger Licht bekommen hat als die übrigen Teile der Kurvengruppe. Die Reizmomente wurden nicht extra registriert, denn es kam ja gar nicht auf die Reizmomente als solche an, sondern auf die Zeitdistanz zwischen den Reizmomenten; diese konnte aber aus den Kurven mit genügender Genauigkeit ohne Reizmarkierung abgelesen werden. Die Reizdistanz ist selbstredend gleich der Distanz zwischen den aufsteigenden Schenkeln des ersten und zweiten Aktionsstromes. bei Einzelreizen (resp. der Distanz zweier anderer hervorragender Punkte dieser Kurven). Zu gleicher Zeit ist die Abschätzung der etwaigen Verspätung der zweiten Erhebung in der kombinierten Kurve dadurch ungemein erleichtert, dass man den Punkt, wo die- selbe sich beim Einzelreiz erhebt und wo sie sich also beim Fehlen einer Verspätung erheben müsste, unmittelbar vor den Augen hat. Betrachten wir zunächst die Form der Kurven beim Einzelreiz: in den Aufnahmen ], 2, 3, Fig. A, Taf. V, so können wir vor allem konstatieren, dass es gut ausgebildete zweiphasische Schwankungen sind, die durchaus keine Komplikationen, irgend eine zweite Er- hebung oder del. erkennen lassen. In den mehreren Hunderteu von Aufnahmen, die ich von verschiedenen Gastroenemiuspräparaten in den verschiedenen Jahreszeiten unter den angegebenen Ableitungs- bedingungen aufgenommen habe, kam mir nur vereinzelt vor, dass die Kurve eine irgend kompliziertere Form aufwies. Und in derartigen Fällen war auch meistens ein Versehen in der Methodik als Ursache dafür zu finden; nach Beseitigung des letzteren traten wiederum normale diphasische Kurven ein. Ich kann deshalb Judin!) nicht beipflichten, dass die Aktionsstromkurve des Gastrocnemius eine zweigipfelige, einem Elektrokardiogramm ähnliche Form besitzt; übrigens scheint mir die von diesem Autor abgebildete Kurve der Gastroenemiusschwankung trotz ihres zweiten Gipfels sehr wenig Ähn- 1) A. Judin, Zur Erklärung der Form des Elektrokardiogramms. Zentral- blatt f. Physiol. Bd. 22 Nr. 12 S. 365. 1908. Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 463 lichkeit mit einem Herzelektrogramm zu haben. Dagegen muss ich die Ansaben von P. Hoffmann!), der ebenfalls nur ungestörte Formen des diphasischen Ablaufes der Gastroenemiussehwankung beobachtete, bestätigen. Nur fand ich, dass durchweg die zweite Phase relativ nicht so stark ist wie in den Hoffmann’schen Kurven. In Über- einstimmung mit den Angaben von Hoffmann dauert die ganze Schwankung etwas weniger wie 0,02 Sek. In den Kurven der Taf. V beträgt die Dauer einer ganzen Einzelschwankung 24 Skalenteile, somit also 0,0168 Sek. (1 Skalenteil ist gleich 0,0007 Sek. und die Schnelligkeit der Plattenbewegung ist 145 cm in 1 Sek.). Vergleicht man die Kurven der Figuren A, D und (© Taf. V miteinander, so ist eine Verkleinerung des Ausschlages zu konstatieren, weshalb auch in D und in Ü die Kuppe etwas breiter erscheint als in A. In verschiedenem Grade der Ausbildung tritt diese Er- scheinung ziemlich häufig auf: die später erhaltenen Kurven sind etwas niedriger. Es ist mir nicht ganz klar, worauf das beruhen mag. Möglich ist es, dass man hier schon eine Äusserung der be- sinnenden Ermüdung vor sich hat; jedoch muss bemerkt werden, dass die Dauer der Schwankung trotz der Verkleinerung der ersten Erhebung, wie man an den Kurven ablesen kann, nicht grösser ge- worden ist. Einigemal fand ich, dass die Verkleinerung des Aus- schlages mit dem Grösserwerden des Widerstandes des Kreises im Zusammenhange war; denn eine Benetzung der Ableitungsfäden, die vom Muskel zum Ton der Elektroden führten, führte sofort eine Ver- srösserung des Ausschlages zur Anfangsgrösse herbei. Ich habe in- folgedessen später durch die feuchte Kammer nach Einthoven’s Vor- sang (mündliche Mitteilung) während der Versuchszeit mit Wasser- dämpfen geschwängerte Luft hindurchgeleitet. Das Kleinerwerden der Ausschläge im Laufe des Versuches kam danach doch hie und da wieder, jedoch seltener vor. Wir gehen nun zur Besprechung der elektrischen Reaktion des Muskels auf zwei kurz nacheinanderfolgende Reize über. Hier möchte ich vor allem auf eine Erscheinung hinweisen, die am ausgeschnittenen Froschmuskel immer zu beobachten, ist und die man der Kürze wegen als die Wanderung des Fusspunktes der zweiten Erhebung nennen könnte. 1) P. Hoffmann, Über das Elektromyogramm des Gastrocnemius des Frosches. Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1909 S. 499. 464 A. Samojloff: A. Die Wanderung des Fusspunktes der zweiten Erhebung. Es ist ohne weiteres zu sehen, dass bereits beim ersten Doppel- reiz der ganzen Versuchsreihe der zweite Reiz wohl eine Wirkung entfaltet (s. Taf. V, A 2). Wir erkennen es daran, dass die kom- binierte Kurve hier nicht mehr das Aussehen einer zweiphasischen Kurve wie bei der Einzelschwankung hat, sondern in ihrem Verlaufe durch eine freilich nicht scharf sich ausnehmende, aber dennoch un- zweifelhafte Erhebung unterbrochen wird. Diese Erhebung beginnt erst dann, wenn das Seitenbild bereits unterhalb der Nullinie sich befindet. Mit der Lupe kann man den Abstand zwischen Anfang der Erhebung beim einzelnen zweiten Reiz und Anfang der zweiten Erhebung in der kombinierten Kurve auf elf Teilstriche, d. h. 0,0077 Sek. schätzen; der Reizabstand beträgt 0,0011 Sek. und ist also augenscheinlich um einen sehr geringen Wert grösser als die refrak- töre Periode. Die Zeitdauer, 0,0077 Sek., kann als eine Verspätung der Beantwortung des zweiten Reizes, und zwar als eine ziemlich bedeutende Verspätung aufgefasst werden. Die Kurvengruppe A 2 ist nicht vollkommen ausgefallen, es fehlt hier nämlich die Kurve bei alleiniger Wirkung des ersten Reizes, da durch ein Versehen bei der ersten Umdrehung der Apparat zum Öffnen des Spaltes nicht in Gang gesetzt wurde. Das mittlere Drittel der Filmplatte war also um ein Mal weniger beleuchtet, weshalb es auch im Positiv dunkler erscheint als die anderen zwei Drittel derselben Aufnahme A. Doch sieht man, worauf es uns in diesem Moment ankommt, deutlich, dass der Fusspunkt der zweiten Erhebung in der kombinierten Kurve etwas höher als in AZ anfängt. Er fällt jetzt in die Nullinie. In A353 ist der Beeinn des Fusspunktes über der Nullinie deutlich zu sehen. Also schon in der Platte A ist die Wanderung des Fuss- punktes der zweiten Erhebung nach oben in der Richtung zum | Gipfelpunkt der ersten Erhebung nicht zu verkennen. Dasselbe Ver- halten des Fusspunktes setzt sich in D4, 5 und 6 fort. Der Fuss- punkt der zweiten Erhebung erreicht in 56 die halbe Höhe der Dekreszente der ersten Erhebung. Zu gleicher Zeit sehen wir, dass die Verspätung geringer wird und die zweite Erhebung an Grösse allmählich gewinnt. In 07, 8 und 9 erblicken wir, dass der Fuss- punkt der zweiten Erhebung seinen Weg in umgekehrter Richtung zurücklegt, er wandert nach unten und erreicht in der letzten Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 465 Kurvengsruppe C9 fast die Nullinie. Die Grösse des zweiten Aus- schlages nimmt immer weiter zu. Man kann sich also vorstellen, «dass bei sukzessiver Zunahme der Reizdistanz der Fusspunkt jeden Ördinatenwert bei seiner Wanderung zweimal passiert; der Unterschied im Verlaufe der Fr- hebung von dem Fusspunkte an besteht dabei darin, dass bei der ersten Passage die Erhebung klein und flach ist, und bei der zweiten Passage derselben Höhe bei der Wanderung nach unten die Er- hebung grösser und steiler erscheint. Diese Wanderung des Fusspunktes nach oben und darauf nach unten ist eine konstante, immerhin eine verschieden stark aus- gesprochene Erscheinung. Wenn der Fusspunkt der zweiten Er- hebung schon bei kürzester wirksamer Distanz hoch oben nicht weit vom Gipfel, wie es beim Frosch übrigens nur selten passiert, sich befindet, dann kann augenscheinlich die Wanderung nach oben nicht besonders ausgebildet sein; dieses Verhalten tritt vermutlich dann auf, wenn bereits beim kürzesten wirksamen Intervall der zweite Reiz eine ansehnliche Wirkung ausübt. Damit hängt es zusammen, wie wir vorgreifend bemerken möchten, dass bei analogen Versuchen am menschlichen Muskel die Wanderung des Fusspunktes des zweiten Effektes nicht so in die Augen springt, wie es im Froschmuskel- versuch der Fall ist. Wir haben beim Besprechen der Arbeiten von Keith Lucas erwähnt, dass er den Sachverhalt bei Doppelreizung des Muskels so schildert, als ob dabei trotz der Verschiedenheit der Reizdistanz die Beantwortung des zweiten Reizes in der kombinierten Kurve immer von einem und demselben Punkte aus geschehe. Die Wande- rung des Fusspunktes widerspricht einer solchen Behauptung voll- ständig; anderseits und im Zusammenhange damit zeigt die beschriebene Wanderung, dass diejenige Dauer, die man mit Keith Lucas als „irresponsive Periode“ bezeichnen könnte, nicht von einem konstanten Werte sei. Man würde hier natürlich die „irresponsive Periode“ nicht vom ersten Reizmoment zur zweiten Beantwortung, sondern was im Prinzip auf dasselbe hinauskommt, diese Periode von der ersten Beantwortung zur zweiten zählen dürfen. In folgender Tabelle s. S. 466 bezeichnet die erste Kolonne die Nummern der Kurvengruppe in Taf. V, die zweite die Reizdistanz, die dritte den Abstand vom zweiten Einzeleffekte zum zweiten Effekte in der kombinierten Kurve, also die Verspätungszeit; die dritte Kolonne 466 A. Samojloff: Tabelle zu den Kurven auf Tafel V. I | II 1001 ING 1 0,0011 0,0077 0,0088 An 0,0014 0,0063 0,0077 b) 0,0021 0,0056 0,0078 4 0,0028 0,0042 0,0070 B2>5 0,0055 0,0035 0,0070 6 0,0042 0,0028 0,0070 7 0,0047 0,0021 0,0067 038 0,0056 0,0011 0,0067 $) 0,0063 0,0003 0,0062 stellt die Summe der zwei vorhergehenden Grössen dar; es ist also in ihr die Dauer vom ersten Einzeleffekt bis zum zweiten Effekt in der kombinierten Kurve, d. h. die Dauer der „irresponsiven Periode“, enthalten. Man sieht die Abnahme der Verspätung, die auf die Zu- nahme der Reizdistanz folgt. Die „irresponsive Periode“ wird immer kleiner, was im Einklang mit meinen früheren Angaben steht; dass dieselbe so allmählich geringer wird, hängt davon ab, dass die Zu- nahme der Reizdistanz ebenfalls nur mit geringen Schritten grösser wird D). Immerhin verkleinert sich die „irresponsive Periode“ von 0,0088—0,0066 Sek., sie wird also um etwa 25 '/o kleiner. Dass diese Periode in den Platten A und B immer geringer wird, hängt gut mit der vorhin besprochenen Wanderung des Fusspunktes nach oben zu- sammen. Man müsste glauben, dass entsprechend der darauffolgenden Wanderung des Fusspunktes nach unten in der Figur C die Periode wiederum wird anwachsen müssen; es entspricht aber, wie wir ge- sehen haben, den Ausmessungen nicht. Wie die nähere Betrachtung ergeben wird, braucht es auch nicht immer der Fall zu sein, denn die Wanderung des Fusspunktes nach oben und nach unten geschieht eigentlich nicht auf einem und demselben Wege: der Fusspunkt der zweiten Erhebung passiert also nicht einen und denselben Punkt zweimal, sondern er passiert bloss eine und dieselbe Ordinatenhöhe zweimal, und zwar indem er dabei einen verschiedenen Abszissenwert aufweist. Dieses Verhalten kommt dadurch zustande, dass der Fuss- punkt der zweiten Erhebung nicht den Zeitmoment markiert, wo i) Selbstredend würden die Zahlen der dritten Kolonne bei weiterer Zu- nahme der Reizdistanz anwachsen, wie es auch in der hier nicht wiedergegebenen Fortsetzung des Versuches der Fall war. es cr Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 4657 der zweite Reiz tätig zu werden beginnt. Wir kommen somit zur Besprechung einer anderen Seite der Erscheinung bei Beantwortung eines Doppelreizes seitens des Muskels, nämlich zur: B. Abflachung des absteigenden Schenkels der ersten Erhebung der kombinierten Aktionsstromkurve. Bei näherer Betrachtung der Kurvengruppen stellt sich heraus, dass, bevor noch die zweite Erhebung in der kombinierten Kurve sich deutlich ausbildet, wir bereits bei dem kürzesten Reizintervall die Äusserung des zweiten Reizes in einer ganz anderen Form er- blicken können, nämlich in einer Deformation der ersten Erhebung, — der absteigende Schenkel senkt sich langsamer nach unten und divereiert in einem Punkte mit der Kurve der ersten einfachen Er- hebung. Wir wollen der Kürze wegen diesen Punkt den „Divergenz- punkt“ nennen. Ich habe auf diesen Punkt schon früher hingewiesen !) (vgl. S. 8) und hervorgehoben, dass wenn man die Wirkung des zweiten Impulses nicht vom Fusspunkt der zweiten Erhebung, sondern, wie wir jetzt sagen können, vom Divergenzpunkt rechnet, die ganze Frage nach der Verspätung des zweiten Effektes in einem durch- aus anderen Lichte erscheinen muss. Der Wert der Verspätungs- dauer wird dabei ungemein degradiert, da die Divergenz, wie die Fig. 2 in der zitierten Arbeit!) zeigt, vom Gipfel der ersten Er- hebung anfängt. Auch in der Kurvengruppe AZ Tafel V sehen wir dasselbe. In seiner letzten Abhandlung antwortet mir Lucas’), dass man gewiss vom Divergenzpunkt aus die Aktion des zweiten Reizes rechnen muss, dass er es als einzig richtig betrachtet und es niemals auch irgendwie anders genommen hat. In seinen früheren Messungen, sagt Lucas, habe er auch immer die Verspätung vom Divergenz- punkt aus gerechnet und in den neuen Versuchen mit indirekter Gastro- 1) A. Samojloff, Über die Aktionsströme des quergestreiften Muskels bei zwei rasch aufeinanderfolgenden Reizeo. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 24 Nr. 2 Si 2) Keitn Lucas, On the recovery of muscle and nerve after the passage of a propogated distrubance. I. The electric response of the gastrocnemius muscle of the frog to two stimuli applied to the sciatic nerve. The Journ. of Physiol. vol. 41 p. 368. 1910. 468 A. Samojloff: enemiusreizung, die er besonders zum Zwecke der Nachprüfung meiner Angaben unternommen hat, ebenfalls dasselbe getan. Sein Resultat geht dahin aus, dass, wena man die Wirkung des zweiten Reizes vom Divergenzpunkt aus rechnet, man dennoch eine ganz be- deutende Verspätung findet, und das hängt damit zusammen, dass der Divergenzpunkt bei der kürzesten wirksamen Zeitdistanz des Doppelreizes in seinen Kurven, nicht, wie ich angegeben habe, am Gipfel, sondern bedeutend weiter in der Gegend der zweiten Phase sich befindet. Ich glaube, dass das in der Tat derjenige Punkt ist, in welchem ich und Lucas uns im direkten Gegensatze befinden; denn auch in meinen neuen Kurven finde ich, wie oben angedeutet, dasselbe, was ich früher behauptete. Keith Lucas meint, und ich möchte das zugeben, dass die Ursache der verschiedenen Resultate bei uns wohl damit zusammenhänet, dass ich mit dem Saitengalvanometer, er mit dem Kapillarelektrometer gearbeitet hat. Er wundert sich, dass ich meine kapillarelektrometrischen Kurven mit dem Saitengalvanometer auf ihre Richtigkeit geprüft habe; im (Gegenteil meint er, dass der Kapillarelektrometer mehr Sicherheit in der Beurteilung des Verlaufes einer elektrischen Kurve gebe, weil man die damit erhaltenen Kurven zu korrigieren imstande ist. Diese Äusserung bekommt man in der letzten Zeit sehr häufig zu lesen. Es wird aus früheren Erinnerungen erzählt, dass zu der Zeit, als die Trockenplatte in der photographischen Technik weit ein- gedrungen war, manche sehr bedeutende Photographen vom Fach nichts davon wissen wollten und beim nassen Verfahren blieben, weil es ihnen sicherer erschien. Manche Forscher wollen auch ge- wissermaassen beim nassen Verfahren, beim Kapillarelektrometer bleiben. Gewiss ist es wichtig, dass man die Kapillarelektrometerkurven zu korrieieren im stande ist, denn ohne diese Korrektion würden manche von solchen Kurven, z. B. das menschliche Elektrokardio- gramm, infolge der Entstellung überhaupt kaum eine Bedeutung haben. Es scheint aber leider nicht allen klar zu sein, dass die Korrektur in vielen Fällen den Schaden der unmittelbaren Entstellung der Kurve zu reparieren gar nicht fähig ist. Im Falle, wenn das Kapillarelektrometer infolge seiner geringen Empfindlichkeit eine kaum wahrnehmbare Kurve schreibt (z. B. die Elektrokardiogramm- kurve des Frosches bei uneröffneter Bauchhöhle), nützt die Korrektur Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 469 nicht. Dasselbe gilt für den Fall, wenn manche Feinheiten der Kurve vom Kapillarelektrometer nicht wiedergegeben werden [s. z. B. S. 89 bis 91 der Piperschen Kritik !) mancher Kurven von F. Buchanan?|. Sehen wir aber von diesen extremen Beispielen, obwohl dieselben prinzipiell hier am Platze sind, ab. Nehmen wir, um näher an den uns interessierenden Fall zu treten, an, wir hätten zwei identische und also miteinander total zusammenfallende kapillarelektrometrische Kurven vor uns. Wir führen die Korrektur derselben aus. Wird jemand zweifeln können, dass auch die korrigierten, jetzt also anders und zwar richtig aussehenden Kurven miteinander zusammenfallen werden? Wohl nicht. Nehmen wir nun weiter an, dass wir zwei Kurven haben, die beim Übereinanderlegen anfangs miteinander kongruieren, dann aber von einem bestimmten Punkte auseinander- gehen, also einen Divergenznunkt entstehen lassen. Wir korrigieren die Kurven und legen die korrigierten Kurven übereinander. Kann die Korrektur die Lage des Divergenzpunktes ändern? Nun, gewiss nicht, denn bis zum Divergenzpunkt laufen ja die Kurven identisch. Die Korrektur ist nur imstande, den Verlauf der Kurven zu ändern, indem sie dieselben in richtiger Form darstellt; der Divergenzpunkt der Kurven muss aber in den Originalkurven und in den korrigierten an derselben Stelle liegen bleiben. Wo es also nur auf die Be- stimmung des Divergenzpunktes zweier anfangs zusammenfallender Kurven ankommt, wie in den Versuchen mit Doppelreizen in unserem Fall, so ändert die Korrektur an der Sache absolut gar nichts, die Korrektur ist hier nutzlos und überflüssig. Wenn es also Keith ‚Lueas nur auf die Bestimmung der Verspätungszeiten ankam, was auch in der Tat zutrifft, so muss man es wirklich bedauern, dass er sich der überflüssigen Mühe der Korrektur, die mit Messungen, Tangentenziehungen und vielem Rechnen verbunden ist, unter- zogen hat. Ja, ich glaube sogar, dass für die Bestimmung des Divergenz- punktes die korrigierten Kurven weniger geeignet sind als die un- mittelbar erhaltenen kapillarelektrometrischen Kurven. Wenn man bedenkt, dass zur Korrektur einer Kurve irgendwelche 10 bis 1) H. Piper, Zur Kenntnis der tetanischen Muskelkontraktion. Zeitschr. f. Biol. Bd. 52 S. 86. 1908. 2) F. Buchanan, The electrical response of muscle to voluntary reflex and artificial stimulation. Quarterly Journ. of exper. Physiol. vol. 1 p. 211. 1908. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 148. 32 470 A. Samojloff: 15 Kurvenpunkte bestimmt werden und darauf eigentlich willkürlich miteinander zu einem Kurvenzug verbunden werden, so wird man mit Recht zweifeln, dass beim Übereinanderlegen solcher Kurven der Divergenzpunkt richtig bestimmt wird. Ich würde, was die Divergenzpunktbestimmung anbetrifft, dem Übereinanderkopieren zweier einfach resp. vermittelst der mehrmaligen Photographie un- mittelbar erhaltenen Kurven mehr Glauben schenken. Nun hat aber Keith Lucas, nachdem er mit meiner Arbeit bekannt wurde, ebenfalls „mehrmalig“ photographiert. Er blieb mit der Methode augenscheinlich sehr zufrieden und äusserte sich dahin, dass man auf diesem Wege ganz feine Abweichungen der Kurven voneinander erkennen kann. Aber auch in so gewonnenen Kurven erscheint bei Keith Lucas der Divergenzpunkt bei kurzem Intervall des Doppelreizes weit vom Gipfel, so dass die Verspätung diejenigen Werte erreicht, die ich ‘unter Benutzung des Fusspunktes der zweiten Erhebung als Beantwortung des zweiten Reizes zur Bestimmung der Verspätung erhalte. Bei dieser Verschiedenheit der Resultate wage ich meinen Kurven nur deshalb mehr zu trauen, weil meine Kurven unter Zuhilfenahme der mehrfachen Photographie mit einem voll- kommneren Instrumente als die Lucasschen erhalten sind. Das Saitengalvanometer besitzt bei seiner eminenten Empfindlichkeit eine Einstellungszeit, mit deren Kürze (in meinem Falle 0,0056, s. Taf. V, D) die des Kapillarelektrometers gar nicht zu vergleichen ist. Wenn unsaber die Eigenschaften beider Instrumente auch unbekannt wären, so hätten wir in unserem Falle dennoch dem Saitengalvanometer den Vorzug geben müssen, weil eben letzterer Unterschiede aufweist, wo das Kapillarelektrometer nur Gleiehheit anzeigt. Wenn wir aber mit einem Instrumente bei irgend einer Untersuchung Unterschiede finden, die von einem anderen Instrumente nicht angezeigt werden, so ist das erste Instrument empfindlicher, und wir trauen ihm mehr _ als dem zweiten. Zwei elektrische Widerstände erweisen sich beispiels- weise bei der Brückenmessung einander gleich; wir vertauschen ceteris paribus das Galvanometer und finden nun, dass die Widerstände ver- schieden gross sind; wir dürfen schliessen, dass das zweite Galvano- meter empfindlicher sei, und wir trauen ihm deshalb mehr. Ähnliches haben wir in unserem Fall. Das Kapillarelektrometer sagt in unserem Fall, dass beide Kurven gleichen Ablauf haben und nur ganz zuletzt auseinandergehen; das Saitengalvanometer zeigt, dass ceteris paribus — allerdings muss letzteres, wie auch in obigen Beispielen, selbstredend Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 471 unbedingt vorausgesetzt werden — die Kurven schon am Anfange vom Gipfel auseinandergehen. Die divergierenden Kurven entfernen sich immer voneinander: das Kapillarelektrometer entdeckt die Divergenzen, wenn die Entfernung derselben schon gross ist; — das Saitengalvanometer tut das schon ganz am Anfange, bei ganz kurzem Abstande der Kurven, wo sie eben auseinanderzugehen beginnen. In der Kurvengruppe A 1, Taf. V, liegt der Divergenzpunkt am Gipfel, in der Kurvengruppe A3 (A 2 ist wegen Mangels der ersten einfachen Schwankung nicht zu verwerten) nicht weit vom Gipfel. Ähnliche Verhältnisse meiner früheren Kurven!) veranlassten mich den Wert der Verspätung so einzuschränken, dass ich im Zweifel war, ob man’ überhaupt dann noch von einer Verspätung reden darf. Obwohl die Zweifel auch berechtigt waren, scheint dennoch die ein- gehende Prüfung der Frage auf Grund der letzten Versuche dafür zu sprechen, dass eine Verspätung allerdings von nur einem ge- ringen Betrage, wie wir es gleich auseinandersetzen werden, an- zunehmen sei. Alles hängt bei Beurteilung dieses Punktes davon ab, ob der Muskel schon während des aufsteigenden Schenkels der ersten Er- hebung ünd namentlich in seinem Anfangsteil für einen zweiten Reiz empfänglich ist. Die Reizdistanz 0,0011 Sek. fanden wir bereits srösser als die Refraktärperiode (Fig. A 7), denn der zweite Reiz äussert bereits seine Wirkung. Der Reiz fällt hier auf den Anfangs- teil der Kreszente. Bei der Reizdistanz 0,0014 und 0,0021 (Fig. A2 und A3) fällt der zweite Reiz auf den höheren Teil der Kreszente und wird natürlich ebenfalls beantwortet. In Fig. B4 und B5 fällt der Reiz hoch oben, in B6 ganz im Gipfel. In Fig. © 7 sowie C8 und 09 fällt er bereits auf den absteigenden Teil. Die refraktäre Periode dauert also bei weitem nicht so lang als der aufsteigende Schenkel der ersten Erhebung. Auch in den Kurven von Keith Lucas sehen wir dasselbe. Dieses Ergebnis ist von einem prinzipiellen Interesse, wie wir noch weiter darauf hinweisen werden, und muss noch deshalb hier hervorgehoben werden, als Angaben entgegen- cesetzten Charakters von anderer Seite geäussert wurden. So finden wir in einer neulich erschienenen Arbeit von R. Dittler und 1) A. Samojloff, Über die Aktionsströme des quergestreiften Muskels bei zwei rasch aufeinanderfolgenden Reizen. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 24 Nr. 2 Se 1. 71910: 32 * 472 A. Samojloff: S. Oinuma [vgl. S. 3021] folgende Stelle: „Nach älteren Er- fahrungen (Samojloff) wäre nämlich wohl zu erwarten, dass die refraktäre Periode bei Verwendung sehr starker Reize noch im auf- steigenden Teil wenigstens der nicht analysierten Kurven ihr Ende erreicht. Einen dahingehenden Befund haben wir jetzt. aber in keinem Fall gemacht, wenn man nicht den unter Nr. 25 in der Tabelle III aufgeführten in diesem Sinne deuten will.“ Zur Er- klärung sei angeführt, dass die Autoren an langen Muskeln der Schildkröte vermittelst eines Kettenstromes an einem Ende des Muskels eine Dauerkontraktion erzeugten und die auf diese Weise erweckten, durch den Muskel mit einem bestimmten Rhythmus ziehenden Erregungswellen vom anderen Muskelende zum Galvano- meter in Form von Aktionsströmen ableiteten. In verschiedenen Momenten wurde. nun der Muskel durch einen Induktionsschlag nach Art eines Extrareizes gereizt. Wie man sieht, handelt es sich hier nicht um Reizung mit zwei rasch aufeinanderfolgenden gleichen Maximalreizen, wie bei unseren Versuchen, sondern um die Ein- wirkung von einem anders beschaffenen Doppelreiz. Das wird wohl die Ursache des abweichenden Resultates bei den Autoren bezüglich der Dauer der refraktären Periode bei Ablauf des elektrischen Effektes am Muskel sein. Ich kann ganz sicher sagen, dass ich ebenfalls keinem einzigen Ausnahmefall im geschilderten Verhalten der refraktären Phase begegnet bin: immer war der Muskel bereits im aufsteigenden Teil des Aktionsstromes erregbar. Das am meisten Interessante betrifft den Versuch A 7, Taf. V. Denn wenn hier der zweite Reiz ganz am Anfange der ersten Schwankung manifest werden musste, wogegen die ersten Zeichen des Effektes am Gipfel sich bemerkbar ınachen, so darf man sagen, dass hier eine Verspätung vorliegt. Die maximale Dauer der Ver- spätung darf man gleich der Dauer vom Anfang bis zum Gipfel der ersten Erhebung setzen; dieses Maximum wird äber niemals erreicht, weil es um die Länge der Refraktärperiode die beobachtete Ver- spätung übertrifft. Nennt man, wie es v. Kries bei einer anderen (elegenheit getan hat, die Zeit vom Anfang einer Kurve bis zun Gipfel derselben die Gipfelzeit, so könnte man sagen, dass die 1) R. Dittler u. $S. Oinuma, Über die Eigenperiode quergestreifter Skelettmuskeln nach Untersuchungen an der Schildkröte. Pflüger’s Arch. Bad. 139 S. 279. 1911. Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen ete. 473 Grenzzeit: der Verspätung des zweiten Effektes bei Doppelreizen etwa der Gipfelzeit der ersten Erhebung der Aktionsstromkurve gleich zu setzen ist. Diese Verspätung wird mit zunehmendem Reiz- intervall kleiner, und wenn der zweite Reiz auf den absteigenden Schenkel verschoben wird, so wird in einem nicht näher anzugebenden Punkte die Verspätung gleich Null. Gewiss kann man sich noch die Frage vorlegen, ob die an- genommene Verspätungsgrösse nicht noch mehr gekürzt werden darf, denn es liesse sich vorstellen, dass der Effekt der Doppelreizung bei kurzem Intervall bereits im Verlaufe der Kreszente beeinnt und nur infolge seiner geringen Grösse unbemerkbar bleib. Wenn der zweite Reiz in der Kreszente der kombinierten Kurve seine Wirkung beeinnt, dann muss der Gipfel der kombinierten Kurve höher liegen als der in der einfachen Kurve. In vereinzelten Fällen habe ich ein derartiges Verhalten gesehen, da aber meistens sich die Sache anders verhält, so möchte ich diesem Umstande keine besondere Be- deutung beilegen. Man könnte noch in einer anderen Weise den Anfang des zweiten Effektes beurteilen, nämlich in der Art, wie es Keith Lucas [vel. S. 3731] vorschlug. Er ging von der Behauptung von Gotch aus, dass submaximaler und maximaler Effekt gleiche Dauer haben. Nun subtrahiert man von der kombinierten Kurve die einfache Kurve, um den Anteil des zweiten Efiektes in der kombinierten Kurve in Form einer selbständigen Kurve zu er- halten. Da diese Kurve infolge ihrer kleinen Höhe im allgemeinen schwer in allen ihren Punkten richtig zu bestimmen ist, so kann man doch wenigstens annehmen, dass derjenige Punkt, wo die durch Subtraktion erhaltene Kurve ihr Maximum hat, am richtigsten bestimmt ist. Nun verlegt man den Anfang dieser Kurve nicht dort- hin, wo er durch Subtraktion gefunden worden ist, sondern man misst vom Maximum eine Strecke ab, die gleich ist der Strecke vom Maximum bis zum Beginn in der einfachen Kurve, da doch nach Gotch die Dauer vom Maximum bis zum Anfang in maximalen und submaximalen Effekten von gleicher Grösse ist. Ich versuchte diese 1) Keith Lucas, On the recovery of muscle and nerve after the passage of a propagated distrubance. I. The electric response of the gastrocnemius muscle of the frog to two stimuli applied to the sciatic nerve. The Journ. of Physiol. vol. 41 p. 368. 1910. 474 A. Samojloff: Art der Berechnung auszuführen und bekam dann tatsächlich eine Verkleinerung der Verspätung. Ich lege aber auf diese Berechnung keinen besonderen Wert und zweifle, ob es überhaupt zutreffend ist, eine derartige Korrektur einzuführen. Erstens ist es kaum zulässig, die Aktionsstromkurven, die wir als Ausdruck des Erregungsvorganges betrachten, im Falle eines Doppelreizes nach den Regceln der algebraischen Addition, wie mechanische Kurven, zu behandeln. Zweitens ist der submaximale Effekt in unserem Falle durchaus nicht als Antwort auf einen submaximalen Reiz anzusehen, in welchem Falle die Regel von Gotch anwendbar wäre, sondern der submaximale Effekt tritt hier als Beantwortung eines zweiten maximalen Reizes auf und erscheint gering, weil der Muskel nach Ein- wirkung des ersten Reizes in einem geänderten Zustande sich be- findet. In so einem Falle kann die erwähnte Regel von Gotch nicht herangezogen werden. Trifft z. B. ein Reiz einen Muskel im ermüdeten Zustande, so erscheint der Effekt nicht nur geringer, sondern auch gedehnter als im normalen Zustande. Für die Annahme einer Verspätung im Betrage etwa der Gipfel- zeit kann anderseits der Umstand sprechen, dass mit dem Anwachsen des Reizintervalls des Doppelreizes die Abflachung des absteigenden Schenkels nicht zunimmt. Der Divergenzpunkt, der beim kürzesten wirksamen Intervall am Gipfel liegt, verlässt denselben schon bei geringer Zunahme der Reizdistanz und verschiebt sich längs der Kurve des absteigenden Schenkeis. Es scheint überhaupt, dass unsere Methodik für die ganz sichere Entscheidung der Frage, ob eine Verspätung geringeren Grades etwa im Betrage der Gipfelzeit existiert oder ganz fehlt, nicht emp- findlich genug anzusehen sei. Die FEinstelluneszeit des Saiten- galvanometers ist absolut genommen kurz, aber für so flüchtige Vor- gänge, wie der elektrische Effekt eines quergestreiften Muskels beim Einzelreiz, doch noch zu gross. Anderseits sind die Aktionsstrom- kurven bei scheinbar gleichen Bedingungen, wenn auch sehr ähnlich einander, doch nicht immer von dem Grade der Identität wie etwa zwei Münzen. Wenn man sich also für die eine oder die andere Alternative entscheidet, so kann man sich dabei nicht auf eine ganz bedingungslos sprechende Tatsache stützen, sondern wählt die- jenige Möglichkeit, die unter Zuhilfenahme einer grösseren Anzahl von Versuchen mit anderen Nebenumständen im Einklange steht und auf keine Widersprüche stösst. In diesem Sinne ist die von uns Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 475 vorhin gemachte Annahme einer Verspätung im Betrage der Gipfel- zeit zu verstehen. Wie wir gesehen haben, verschiebt sich der Divergenzpunkt längs der Kurve des absteigenden Schenkels nach unten. Hier auf dem absteigenden Schenkel tritt der Divergenzpunkt mit einer ganz seringen Verspätung auf und fällt bald mit dem Punkte zusammen, wo :der zweite Effekt beim Einzelreiz anfangen würde. Es sei er- wähnt, dass auch in den oben zitierten Versuchen von R. Dittler und S. Oinuma [vgl. S. 3031)] es sich herausstellte, dass beim wirksamen zweiten Reize, wenn derselbe auf die Dekreszente fällt, keine Verspätung zu konstatieren sei. Es heisst dort: „Bezüglich des Beginnes der Extraerreeung scheinen unsere Kurven in Über- einstimmung mit den Angaben von Samojloff dafür zu sprechen, dass eine Verspätung im Sinne der Lucas’schen These nicht existiert. Auf Kurven, bei welchen der Wendepunkt nicht unmittel- bar mit dem Momente zusammenfällt, in dem nach Maassgabe der Kontrollkurven der Extrareiz wirksam werden müsste, bemerkt man meist eine deutliche Verzögerung im Abfall der der Extraerregung voraufgehenden Aktionsstromzacke (vgl. Fig. 10 a). Dies kann durch einen Vergleich mit den früheren und späteren Zacken derselben Kurve sicher beurteilt werden. Sulze hat bei seinen Doppelreiz- versuchen am Ölfactorius des Hechtes übrigens entsprechende Fest- stellungen gemacht.“ Auf die Versuche von Sulze?) habe ich ebenfalls seinerzeit?) bereits hingewiesen. Was den Zusammenhang der Verschiebung des Divergenzpunktes nach unten und der früher beschriebenen Wanderung des Fusspunktes der zweiten Erhebung nach oben anbetrifft, so kann man sich vor- stellen, dass im allgemeinen mit Zunahme der Reizdistanz der zweite Effekt in seinem Beginn verschoben wird und zugleich stärker er- scheint, — die Wanderung des Fusspunktes ist der Ausdruck der Ver- stärkung des zweiten Effektes. 1) R. Dittler und S. Oinuma, Über die Eigenperiode quergestreifter Skelettmuskeln nach Untersuchungen an der Schildkröte Pflüger’s Arch. Bd. 139 S. 279. 1911. 2) W. Sulze, Über die elektrische Reaktion des Nervus olfactorius des Hechtes auf Doppelreizungen. Pflüger’s Arch. Bd. 127 S. 57. 1909. 3) A. Samojloff, Über die Aktionsströme des quergestreiften Muskels bei zwei rasch aufeinanderfolgenden Reizen. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 24 Nr. 2 S212 1910. 476 A. Samojloff: Es scheint zwecekmässig, jetzt noch eine Versuchsreihe zu de- monstrieren, die allerdings im ganzen und grossen dasselbe enthält, was wir beschrieben haben; es sind aber einige Punkte, auf die es mir namentlich wegen widersprechender Angaben von Keith Lueas sehr ankommt, in dieser Versuchreihe bedeutend schöner ausgesprochen als in den Versuchen Taf. V. Jede Kurvengruppe wurde durch zweimalige Photographie erhalten: es sind der erste Aktions- strom allein und die kombinierte Kurve nach Einwirkung des Doppel- reizes aufgenommen. Da die Kurve des zweiten Aktionsstromes nicht aufgeschrieben, so fehlen die Daten für die Reizdistanz. Was hier sehr deutlich ist, ist die Abflachung der Kurve, die Deformation des absteigenden Schenkels, das Auftreten des Divergenzpunktes im Gipfel bei kleinstem wirksamen Reizintervall, s. A 7, Taf. VI. Mit zunehmender Reizdistanz vergrössert sich nicht die Abflachung, sondern man bemerkt nur, dass die kombinierte Kurve nicht so weit nach unten reicht wie früher; dieses Verhalten ist sehr deutlich in 435, B4 und 55. Es kommt also in diesem Reize ziemlich spät zur Ausbildung der zweiten Erhebung mit ihrem Anfangspunkte oder, wie wir früher immer sagten — Fusspunkte; das Auffallendste in der Äusserung des zweiten Reizes ist die Bildung des Divergenzpunktes im Gipfel. In D5 ist der Divergenzpunkt vom Gipfel längs der Kurve nach unten verschoben. In B6 und C©7 sehen wir die Wanderung des Fusspunktes nach oben, in C8 und C9 nach unten. In C9 erscheinen der Divergenzpunkt und Fusspunkt mit- einander fast verschmolzen. Das, was Keith Lucas also bei Wiederholung meiner Ver- suche nicht finden konnte: die Ausbildung des Divergenzpunktes im Gipfel, tritt in der Versuchsreihe Taf. VI mit einer Klarheit und Sicherheit auf, die man überhaupt von einem graphischen Versuche fordern kann. In Fig. A 1, Taf. VI, finden wir den früher erwähnten Fall, dass die kombinierte Kurve höher nach oben ausschlägt als die einfache Kurve; in A2 ist es weniger ausgesprochen, in 43 fallen die Gipfel zusammen. Da wir aber in A4 den Gipfel der kombinierten Kurve wiederum höher finden, so verliert die Erscheinung in A 7 ihre Be- deutung, wie wir es früher bei der Auseinandersetzung der ersten Versuchsreihe erwähnten. Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 477 Der ganze Vorgang der elektrischen Beantwortung des Doppel- reizes, wir wir ihn vorhin auf Grund der angeführten Versuche ge- schildert haben, kann in folgender schematischer Konstruktion dar- oestellt werden, s. Taf. VI. Die Kurve ONP stellt die erste Phase des Aktionsstromes, der auf einen Einzelreiz erfolgt, dar. Die Punkte 1., 2., 3., 4. geben die- jenigen Punkte an, von denen die Einzelkurve sich abheben würde, wenn der zweite Reiz allein wirksam wäre. Die Reizdistanzen sind also 0—1, 0—2, 0—3, 0—4. Die Linien 7,, 2,, 3, und #, schneiden die Kurve O PN in denjenigen Punkten, wo der zweite elektrische Effekt in der Tat manifest wird. Es sind also in den Schnittpunkten die entsprechenden vier Divergenzpunkte gegeben: der Divergenz- punkt fällt bei der kürzesten wirksamen Distanz auf den Gipfel und wandert dann nach unten. Die erste Verspätung ist also gleich 1—4 — AJ, sie ist etwas geringer als die Gipfelzeit 0—4; weiter wird die Verspätung sukzessive kleiner: UK, EL, GM, um bei N Null zu werden. Wenn dann der zweite Reiz auf den absteigenden Schenkel so fällt. dass bei seiner alleinigen Wirkung die Schwankung von N, beginnen würde, so fehlt jede Verspätung. Bei Reizdistanz 0—1 bekommen wir eine Kurve 7’ mit einer zweiten Erhebung, deren Fusspunkt mit dem Punkte 5 auf einer Vertikalen liegt. Rechnet man die Verspätung von B, so ist dieselbe gleich AD. Die so definierte Verspätung wird ebenfalls immer kleiner: CD, EF, GH; bei N ist dieselbe auch Null. Diejenige Grösse, die man nach Keith Lucas „irresponsive Periode“ nennen könnte, A,B, C,D, E,F, G, H, wird immer kleiner; bei ON erreicht sie das Minimum und wird dann bei Zunahme der Reizdistanz wiederum erösser. Wird die Reizdistanz grösser als ON, so wandert der Fusspunkt, der mit dem Divergenzpunkt jetzt immer zusammenfällt, längs der Kurve NP, z. B. in den Kurven 5’, 6', 7. Die Wande- rung des Fusspunktes nach oben und nach unten geschieht, wie man sieht, auf verschiedenen Wegen. Die Verbindung der Fusspunkte stellt also eine besondere Kurve in Form einer Zacke dar, deren Gipfel in N° liest. Die zweiten Erhebungen der kombinierten Kurven, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7' werden immer stärker und beginnen steiler. ‚Zwei Erhebungen, deren Fusspunkte gleichen Abstand von der Abszissenachse besitzen, haben also verschiedenen Verlauf: die Kurve mit weiter von der Ordinatenachse liegendem Fusspunkt ist flacher und kleiner, die andere ist steiler und kürzer. Würden wir noch die 478 A. Samojloff: Kurven $', 9, 10’ usw. ziehen, so würden die zweiten Erhebungen ebenso steil beginnen wie die erste Erhebung. III. Versuche an indirekt gereizten Muskeln des Menschen. Da die Versuche mit Doppelreizen in bezug auf die elektrische Reaktion des Muskels bisher nur am Kaltblüter, und zwar am dem Kreislauf entzogenen Muskel desselben vorgenommen wurden, so war es gewiss von Interesse, den Ablauf der Erscheinung auch am normal durchströmten Säugetiermuskel zu verfolgen. Nach einigem Probieren wählte ich für diese Versuche die menschlichen Muskeln. Dieses Objekt war in der letzten Zeit von Garten und namentlich von Piper mehrfach in Untersuchungen verschiedener elektro- physiologischer Fragen mit Erfolg herangezogen worden. In der Tat erwiesen sich auch für meine Zwecke die Muskeln des Menschen als ein sehr geeignetes Objekt. Die Treue und Exaktheit in der elek- trischen Beantwortung eines Reizes war seitens des menschlichen Muskels vielleicht noch vollkommener als seitens des Frosch- muskels. In methodischer Hinsicht sei in aller Kürze nur das Wichtigste mitgeteilt. Die Aktionsströme wurden von den Flexoren des Unter- armes so, wie es Piper mehrfach beschrieben hat, abgeleitet. Nur habe ich, um die gegenseitige Elektrodendistanz zu sichern, die Elektroden etwas anders konstruiert und folgendermaassen befestigt. Von einem stärkeren Reagenzglas war der obere Teil etwa 6 em lang abgeschnitten, und um den oberen umgebogenen Rand, wie er immer an den Reagenzgläsern angebracht ist, eine tierische Blase angebunden. Zwei solche Elektrodengefässe wurden durch entsprechende, 3 cm voneinander entfernte Öffnungen in einer etwa 1 em dieken Ebonit- platte so hindurchgeführt, dass die Platte an den umgebogenen mit der Blase gepolsterten Rand des Gefässes sich anstemmte. Die Platte konnte dann auf dem Unterarm mit Bändern befestigt werden, wobei die Elektrodengefässe, die fest in den Löchern der Ebonitplatte sassen, gut fixiert waren. Die Ebonitplatte war der Form und Grösse nach gut dem Arm angepasst und so aufgesetzt, dass die eine Elektrode, wie Piper es empfiehlt, unterhalb der Ellenbogenbeuge, die andere handbreit oberhalb des Handgelenkes zu liegen kam. Durch die die Gefässe verschliessenden Korke führten amalgamierte Zinkstäbe zur Zinksulfatlösung in den Gefässen. Die Reizung wurde durch ein- zelne Induktionsschläge und Doppelreize des Nervus medianus im | ET EI N, a setzung aus den fast gleichen, ent- Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 479 suleus bieipitis vermittelst einer hier befestigter Knopfelektrode aus geführt; die andere breite Plattenelektrode lag oben auf der Schulter. Die Registration war im allgemeinen ebenso vorgenommen, wie es für die Versuche mit‘ dem Froschmuskel beschrieben ist. Nur erwies es sich zweckmässig, die Vergrösserung der Galvanometerseite zu steigern, wesbalb man das Projektions- okular Zeiss 4 anstatt 2 anbrachte; die Vergrösserung war also jetzt SO0 mal. Ich war imstande, bei Gelegenheit meiner Versuche vieles, was Piper beschrieb, zu bestätigen —, so vor allem die Kurvenform des Aktionsstromes beim Einzelreiz. Es ist gerade zu verwundern, wie meine Kurven ähnlich dem seinigen sind. Sie unterscheiden sich tatsächlich von einander nieht mehr als die Kon- traktionskurven irgend zweier Frosch- gastroenemien. In der Textfigur 1 sind bei a und b zwei Aktionsstromkurven nach Einzelreizen wiedergegeben. Wir finden hier den Verlauf, die Zusammen- gegengesetzt gerichteten Phasen und die kleinen Unebenheiten der Kurven so, wie es Piper beschrieben hat. Bei dieser Gelegenheit konnte ich an sehr vielen Kurvenbeispielen die von Piper!) am Menschen nach Her- mann’s Vorgang festgestellte Leitungs- geschwindigkeit der Erregungswelle im Muskel bestätigen. So finden wir n den Textfiguren 1, 2 und 3, bei a und db Fig. 1. sechs Einzelschwankungen; der Abstand vom Gipfelpunkt der ersten Phase zum Gipfelpunkt der zweiten Phase ist gleich neun Distanzen des vertikalen Liniensystems. Nimmt man mit Piper an, dass die Frregungswelle für den Weg von der ersten 1) H. Piper, Über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktions- welle im menschlichen Skelettmuskel. Zeitschr. f. Biol. Bd. 52 S. 42. 1908. 480 A. Samojloff: zur zweiten Elektrode eine Dauer braucht, die durch die Gipfel- distanz definiert wird, so findet man, dass die Welle in 9x 0,0009 Sek. — 0,0081 Sek. (ein Skalenteil ist gleich 0,0009 Sek.) einen Weg von 8 em (Elektrodenabstand) zurückgelegt hat; die Geschwindigkeit ist somit 988 em. Machen wir dieselbe Berechnung b a-+b ee a Fig. 2. Fig. 3. für die Kurve Taf. VIII Aa resp. b, so bekommen wir für den Weg von S em, die Dauer von zwölf Skalenteilen (ein Skalenteil — 0,0007 Sek.) — 0,0084 Sek., was eine Geschwindigkeit von 952 em in 1 Sek. ergibt. In beiden Fällen war also die Geschwindigkeit der Er- regungswelle etwa 10 m in der Sekunde . Dagegen erwies sich die Dauer der ganzen Schwankung in meinen Kurven nicht 0,02 Sek., wie bei Piper, sondern im Falle Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 48] Textfigur 1a resp. b gleich 18 Skalenteilen zu 0,0009 Sek. jede, also gleich 0,0162 Sek., im Falle Taf. VIII Aa resp. b = 24 Skalen- teilen zu 0,0007 jede, also gleich 0,0168 Sek. Diese Abweichung könnte man auf die bei mir kleiner gewählte Elektrodendistanz 8 cm (bei Piper 10 cm) beziehen; vgl. dagegen die Auseinandersetzung von Piper!) S. 152. Die Dauer der ganzen Schwankung erwies sich fast zweimal so gross als der Gipfelabstand der beiden Phasen; das dürfte für den unmittelbaren Übergang der einen Phase in die andere ohne gegen- seitige Überdeckung sprechen. Für unseren speziellen Zweck der Versuche mit Doppelreizen hätte gerade dieses Verhalten einen sehr srossen Wert besessen; denn wir hätten also vom unversehrten blut- durehströmten Muskel, infolge seiner Länge und der günstig ge- wählten Elektrodendistanz, die einzelnen Phasen [die erste und darauf die zweite], ableiten können, was sonst gewöhnlich an kurzen Muskeln nur durch Anlegung eines Querschnittes mit Vernichtung der zweiten Phase möglich ist. Was für die Versuche mit Doppelreizen am Menschenmuskel weiter sehr günstig war, das ist, was wir schon anfangs erwähnten, die Konstanz der Form der Einzelschwankung, ohne die die Prüfung der Wirkung des zweiten Reizes überhaupt unmöglich wäre. In Textfiour 1, 2, 3 finden wir unter «a und b sechs Kurven der Einzel- schwankung in einem Versuch aufgenommen, die untereinander so eleich sind wie etwa sechs nacheinander geschriebene Kontraktions- kurven eines Froschgastroenemius in einem sehr gelungenen Ver- suche. Dasselbe muss man von den acht Einzelschwankungen des Versuches in Taf. VIII A, B, C und D bei « und b sagen. Ungünstig waren dagegen die Stromschleifen des Induktions- stromes, die in den Galvanometerkreis hineinbrachen und die Kurven komplizierten. Jede Kurve beginnt mit einer so entstandenen Zacke. Als Zeichen für die Reizdistanzbestimmung waren diese Zacken bei Doppelreizen nicht immer nützlich; bei kleinen Reizintervallen waren die Stromschleifenzacken jedenfalls nicht hinderlich. Bei grösseren Reizdistanzen waren dieselben insofern störend, als sie die Kurve an manchen Punkten verunstalteten. Am meisten aber ungünstig waren bei der Beurteilung der kom- binierten Schwankung nach Doppelreizen die leichten Störungen im 1) H. Piper, Verlauf und Theorie des Elektromyogramms der Unter- armflexoren. Pflüger’s Arch. Bd. 120 3.145. 1909. 482 A. Samojloft: Verlaufe der Kurven, so z. B. ist in den Fig. A, B, C, D, Taf. VIII «a und 5 die kleine Zacke (die in den Figuren mit einem Stern be- zeichnet ist) an dem Teil: der Kurve, der die beiden Gipfel mit- einander verbindet, störend, da das erste Auftreten der Summation bei Doppelreizen durch Änderung des Verlaufes der Sternchenzacke kompliziert erscheint. Nichtsdestoweniger konnte man die Hindernisse bekämpfen und sich eine Vorstellung davon, wie der menschliche Muskel bei Doppelreizen mit kurzem Reizintervall sich in bezug auf seine elek- trische Äusserung verhält, wenigstens in den Hauptzügen bilden. Wir betrachten zunächst die drei Kurvengruppen in den Text- figuren 1, 2, 3, die aus einer grösseren Versuchsreihe herausgegriffen sind. An dem Beispiel dieser Figuren ist es gerade leicht zu sehen, wie der durch die kleine Zacke (*) gestörte Verlauf der Kurve es dennoch nicht ganz unmöglich macht, die Summationserscheinungen zu beurteilen. Auf jeder der Figuren wurden sukzessive von unten nach oben fortschreitend, mit partieller Verdeckung des Spaltes (s. 0. S. 460), je drei Kurven aufgenommen: die untere « vom ersten Reiz, die mitt- lere 5 vom zweiten und die obere a und 5 vom Doppelreiz her- rührende Kurve; in der im vorigen Abschnitt erklärten Weise war darauf über die ganze Platte noch das Liniensystem aufgenommen. Die Reizdistanz kann bei dieser Art der Aufnahme aus den Strem- schleifenerhebungen in a und b sowie aus dem gegenseitigen Ab- stande irgend zweier hervorragender Punkte der Kurven, wie z. B. der Beginn oder Gipfelpunkt, berechnet werden. Wenn die Reizdistanz in Fig. 1 auf 1,5 Skalenteile (jeder Skalenteil — 0,0009 Sek.) ge- schätzt werden kann, so macht das 0,0014 Sek. aus. Diese Distanz ist grösser als die refraktäre Periode des Muskels des Menschen, die ich zu 0,001 Sek. als Maximum gefunden habe. Bei dem Reiz- intervall in Fig. 1 erscheint die kombinierte Kurve «+5 insofern. verändert gegenüber der Einzelschwankung, als erstens die Zacke mit dem Stern nicht mehr ausgesprochen ist. Es ist das eine ziemlich konstante Erscheinung, dass bereits bei der kleinsten Veränderung der Schwankung infolge des hinzukommenden zweiten Reizes die kleine Zacke nicht mehr deutlich aussieht; sie wird gewissermaassen in die neue auftretende Form der Kurve hineingezogen. Weiter ist die Linie, die die Gipfel der Phasen verbindet, gerade am Gipfel breiter geworden. Bei den Saitengalvanometerkurven ist die Breite des Saitenbildes auf den Aufnahmen ceteris paribus der Ausdruck Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 483 der Bewegungsschnelligkeit der Saite. Beim Stillstehen der Saite ist das Abbild der Saite am breitesten, bewegt sich die Saite sehr rasch, so ist ihre Spur sehr dünn; wenn man wollte, könnte man in mathematischer Sprache die Abhängigkeit der Breite des Saiten- bildes einer Kurve von der Schnelligkeit ihrer Bewegung ausdrücken. In unserem Fall bedeutet die Zunahme der Breite des Saitenbildes am absteigenden Schenkel der ersten Phase, dass derselbe in der kombinierten Kurve vom Gipfel weniger steil als in a resp. in 5b läuft; mit anderen Worten hätten wir eine Deformation des ab- steigenden Schenkels resp. einen Divergenzpunkt am Gipfel, wie wir es am Froschmuskel beschrieben haben. Damit übereinstimmend erscheint in «+ b die ganze nach oben sehende Zacke breiter, mehr abgerundet als in a und in b. Der Beeinn der Kurve 5b fällt auf den aufsteigenden Schenkel der Kurve der Einzelschwankung a; also ist der Muskel während der Periode des aufsteigenden Schenkels der ersten Phase reizbar. In Fig. 2, bei der Reizdistanz 0,0024 Sek., fällt der Beginn der Einzelschwankung b entsprechend dem zweiten Reize nahe am Gipfel der ersten Kurve a. Die Verbreitung der Zacke, der flache Abfall des absteigenden Schenkels der ersten Phase in der Kurve a+b ist noch deutlicher. Bei der Reizdistanz 0,0036 Sek. in Fig. 3 sehen wir (der Beeinn der kombinierten Kurve ist durch die Stromschleifen etwas verunstaltet), dass am absteigenden Schenkel der ersten Phase sich noch eine Erhebung ausgebildet hat. Es kommt also hier zum erstenmal zum Vorschein das, was wir in den Versuchen am Frosch- muskel zweite Erhebung und Fusspunkt derselben nannten. Wenn wir mit a, die erste, mit a, die zweite Phase der ersten Einzel- schwankung und mit 5, und d, die erste und zweite Phase der zweiten Einzelschwankung bezeichnen, so können wir sagen, dass in Fie. 3 in der kombinierten Kurve die erste und die zweite Phase der zweiten Schwankung als selbständige Zacken auftreten; wir werden letzteres Verhalten beim Betrachten der folgenden Versuchs- reihe eingehender auseinandersetzen. Gehen wir nun zur Taf. VIII über, die die Bilder einer grösseren Reihe von Versuchen mit 13 Doppelreizungen, welche den Vorgang der Summation zweier Reize vom Anfang bis zu Ende darstellt, enthält. Die Fig. A, B, C und D sind genau so gewonnen wie die be- sprochenen Textfiguren 1, 2 und 3. Es ist also hier nicht das Ver- fahren der mehrmaligen Photographie der Kurven aufeinander, wie 484 A. Samojloff: bei den Frosehmuskelversuchen, angewandt, sondern die Kurven sind nebeneinander mit partieller Bedeckung des Spaltes und gemeinschaft- lichem Vertikalliniensystem photographiert; ich führe nach dieser Methode aufgenommene Kurven hier hauptsächlich deshalb an, weil sie infolge des stärkeren Kontrastreichtums sich mehr für die Re- produktion eignen. In jeder Figur A, B, ©, D sind drei Kurven enthalten: die untere Einzelschwankung 5 (zweiter Reiz), die mitt- lere a (erster Reiz) und die kombinierte Schwankung a + 5 (Doppel- reiz). Die Figuren &, £, G, Taf. VIII, sind in anderer Weise er- halten worden. Jede Figur enthält je drei kombinierte Kurven bei immer zunehmendem Reizintervall. Die Zunahme des Intervalls ge- schieht so, dass der zweite Reiz an derselben Stelle bleibt, wogegen der erste immer weiter vom zweiten wegrückt. Die Kurven 5, 6,7 (Fig. E), 8, 9, 10 (Fig. F) und 11, 12, 13 (Fig. G) stellen also kombinierte Aktionsstromkurven bei zunehmendem Reizintervall dar. Um die Stelle zu markieren, wo die zweite Schwankung 5b bei zweitem Einzelreiz beginnen würde, habe ich auf jeder Filmplatte FE, F, @ unten auch den mittleren Teil der zweiten Einzelschwankung auf- genommen (es war also in diesem Fall der Spalt in vier Teile ge- teilt, drei obere grössere für die kombinierten Kurven und eine kleinere unten für die zweite Einzelschwankung). Fs ist durch diese Anordnung möglich, auch, abgesehen von den Stromschleifenzacken, die Reizdistanz gut aus dem Abstande des Beginnes jeder kom- binierten Kurve vom Begiun der Schwankung 5b unten zu berechnen, was durch das gemeinschaftliche Liniensystem ungemein erleichtert wird. Die acht Einzelschwankungen, je zwei a und 5 in den Figuren A, B, C, D haben wir schon einmal erwähnt. Jede besitzt eine mit einem Sternchen bezeichnete Zacke. Wie in der früheren Reihe, so ist auch hier schon bei dem kürzesten Reizintervall, 0,0015 Sek., in A die kombinierte Kurve verändert als Zeichen dafür, dass 0,0015 Sek. grösser ist als die Refraktärperiode. Auch hier be- merken wir, wie in der früheren Reihe, dass der vom Gipfel ab- steigende Schenkel der Kurve «+5 flacher abfällt, die Linie ist breiter und die Sternchenzacke ist nicht mehr da (die Sternchen- zacke trat wiederum in dieser Reihe erst in der Kurve 72 auf, als die Reizdistanz so gross war, dass die den beiden Reizen entsprechen- den Kurven nichts mehr miteinander gemein hatten). Würden also die Kurven a, b und «+ b mehrmalig aufeinander photographiert, so hätten wir einen Divergenzpunkt am Gipfel. Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 485 Es sei hier noch auf einen besonderen Punkt hingewiesen, der bei dem Besprechen der Textfiguren unberührt blieb. Da die Aktionsstromkurve des menschlichen Muskels zwei gleiche Phasen aufweist, so sind wir imstande, die Wirkung des Doppelreizes nicht nur an der ersten Phase, sondern auch an der zweiten zu studieren. Dasjenige Verhalten, welches wir an der ersten Phase der Kurve A a+b finden, d. h. den flacheren Abfall des absteigenden Schenkels, sehen wir auch an dem aufsteigenden Schenkel der zweiten Phase: wir hätten also auch hier, am unteren Gipfel, einen Divergenzpunkt. In B und in ©, wo der Beginn der zweiten Einzelschwankung in den aufsteigenden Schenkel der ersten Einzelschwankung fällt, sind diese Verhältnisse. mit Zunahme der Reizdistanz noch deutlicher: ausser dem Flacherwerden des absteigenden Schenkels der ersten Phase und des aufsteigenden Schenkels der zweiten Phase haben wir in der kombinierten Kurve schon die Andeutungen neuer sekundärer Zacken. In D finden wir oben und unten je zwei Zacken, deren Auffassung als zwei erste Phasen (a,, b,) und zwei zweite Phasen (as, b;) der Einzeleffekte wir in der Figur angedeutet haben. In ähnlicher Weise geht es auch weiter: überall symmetrisches Aussehen der kombinierten Kurven, die aus zwei etwa gleichen nach entgegengesetzten Seiten gerichteten Teilen bestehen. Die d, und as kommen natürlich immer näher zueinander, in Kurve 20 sind sie sanz nebeneinander, und in Kurve 77 überlagern sich die Einzel- schwankungen gegenseitig nur ganz wenig; die zweite Phase der ersten Schwankung in 27 deckt einen ganz unbedeutenden Teil der ersten Phase der zweiten Schwankung, weshalb auch die Linie Gb, so steil aufsteist. In 72 liegen die erste und die zweite zweite Schwankung bloss nebeneinander. Zufällig ist hier in 72 fast keine Pause vorhanden (was in 75 der Fall ist); nach Beendigung der einen beginnt die zweite. Der symmetrische Aufbau der kombinierten Kurven von Anfang bis zu Ende, die gleiche Beantwortung des zweiten Reizes in beiden Phasen, spricht, scheint mir, dafür, dass die Einzelschwankuug des menschlichen Muskels unter den angegebenen Ableitungsverhältnissen in der Tat aus zwei Phasen besteht, die einander nicht wesentlich überlagern, sondern unmittelbar ineinander übergehen: die zweite abgeleitete Stelle wird also etwa in dem Moment negativ, in welchem die erste abgeleitete Stelle ihren Erregungsprozess eben vollendet hat. co [S%) Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 486 A. Samojloff: Fragen wir uns nunmehr, ob man auch am menschlichen Muskel eine Verspätung in der Beantwortung des zweiten Reizes anzunehmen hat. Die refraktäre Periode ist hier auch sehr kurz, der in den aufsteigenden Schenkel fallende Reiz ist wirksam, und der Divergenz- punkt beim Doppelreiz mit kürzester Reizdistanz fällt auf den Gipfel. Ähnliehe Verhältnisse fanden wir auch beim Froschmuskel. Einen erossen Unterschied bildet aber der Umstand, dass wir am Elektro- myogramm des Menschen eine Verschiebung des Divergenzpunktes längs der Kurve nicht erblicken können. Überall in den kombinierten Kurven 2, 2, 3, 4, 5 und 6 geht der absteigende Schenkel der ersten Phase flacher als in der Einzelschwankunge, und überall also würde der Divergenzpunkt am Gipfel liegen, und nur wenn der zweite Reiz auf den absteigenden Schenkel zu fallen beginnt, wie in 7, dann erst bemerkt man einen steileren Ablauf der Dekreszente, und der Divergenzpunkt darf also schon als verschoben angenommen werden. Die Textfigur 4, die eine Episode aus dem Versuche Taf. VIII dar- stellt (nur wurde die Empfindlichkeit des Saitengalvanometers ge- steigert), zeigt vermittelst mehrmaliger Photographie (Aufnahme der ersten Einzelschwankung und der kombinierten Kurve aufeinander), dass, wenn der zweite Reiz in den Gipfel fällt, — ganz bestimmt keine Verspätung auftritt, denn der Divergenzpunkt liegt ebenfalls im Gipfel. Die Reizdistanz kann hier, da die zweite Einzelschwankung nicht registriert wurde, aus den Stromschleifenzacken berechnet werden; sie beträgt sechs Skalenteile. Die Distanz vom Beginn bis zum Gipfel der ersten Phase beträgt ebenfalls sechs Skalenteile, folglich wäre bei alleiniger Wirkung des zweiten Reizes der Beginn der zweiten Einzelschwaukung gerade dort, wo der Gipfel der ersten Schwankung sich befindet, zu verlegen. Wir sehen nun, dass in Fig. 4 in der kombinierten Kurve der zweite Effekt vom Gipfel be- ginnt, der Divergenzpunkt liegt am Gipfel, und es fehlt also in diesem Falle jede Verspätung. Wenn man also von einer Verspätung reden dürfte, so könnte man es nur bezüglich derjenigen Reizdistanzen tun, die kürzer wie die Gipfelzeit ist. Man könnte sagen, dass, wenn bei diesen Intervallen der zweite Effekt ohne Verspätung seinen Beginn hätte, so müsste auch der Divergenzpunkt der kombinierten Kurve vor dem Gipfel der ersten Einzelschwankung liegen, und der Ausschlag selbst müsste grösser werden, während beides nicht zutrifft. Diese Überlegung haben wir schon einmal bei der Analyse der Versuche am Frosch- Über die’ Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen ete. 487 muskel angeführt. Die Tatsachen, die wir bei unseren Versuchen am Froschmuskel feststellen, sowie diejenigen am menschlichen Skelettmuskel gewonnenen ergeben, dass es trotz der möglichsten Verkürzung der Reizdistanz des wirksamen Doppelreizes nicht ge- lingt, den Divergenzpunkt von der Gipfelspitze in der Richtung zum Anfang der Kurve zu verschieben. Andererseits und im Zusammen- hange damit kann durch den neu hinzugekommenen zweiten Reiz die Höhe des Gipfels im kombinierten Aktionsstrom nicht gesteigert werden. Der einfachste Schluss daraus wäre, dass die durch einen maximalen Reiz erzeugte maximale Erregung des Muskels, deren Grösse wir nach dem Werte der erzeugtenelektrischen Potentialdifferenz beurteilen, dureh einen neu hinzukommenden zweiten maximalen a A488 A. Samojloff: Reiz nicht erhöht werden kann: die Erregungen addieren sieh nieht und die denselben entsprechenden Aktionsstromkurven weisen keine einfache Superposition auf. Nach dieser Vorstellung würde ein zweiter Reiz die Wirkung des ersten bezüglich des Aktionsstromverlaufes nur dann beeinflussen können, wenn das Maximum der Erregung infolge des ersten Reizes im Begriffe ist, sich zu verkleinern, resp. bereits kleiner geworden ist. Deshalb sehen wir auch die ersten Zeichen des zweiten Effektes am Gipfel der ersten Schwankung, wo auch der Reiz vor dem Gipfel zu liegen kommen mag. Wenn man eine Verspätung hier annimmt, so muss man sich vorstellen, dass dieselbe nur davon herrührt, dass die Wirkung des zweiten Reizes den Ablauf des Maximums der ersten Erregung überdauern muss, bis auch sie ihren Einfluss als wirksame Komponente in der abgeleiteten kombinierten Kurve her- vortreten lässt. In welchem Momente die Wirkung des zweiten Reizes zuerst manifest werden kann, ob im Gipfel, also im Maximum der ersten Schwankung oder später, hängt vermutlich in Konsequenz mit dem obigen davon ab, wie gross die Reizdistanz und wie stark die Wirkung des zweiten Reizes ist. Ist die durch den zweiten Reiz bewirkte Erregung im Momente des Gipfels der ersten Schwankung bereits zu einem hohen Grade angewachsen, so kann sie schon in diesem Punkte manifest werden, in dem sie einen Divergenzpunkt hier bildet. Dieses Verhalten haben wir bei dem Froschmuskel und beim menschlichen Muskel gefunden: in beiden Fällen war beim kürzesten wirksamen Reizintervall der Divergenzpunkt der kom- binierten Kurve im Gipfel der einfachen zu finden. Erreicht die Reizdistanz ungefähr die Werte der Gipfelzeit, so kann der zweite Reiz, wenn er eine ausgiebige und steil anwachsende Erregung er- zeugt, auch in diesem Falle einen Divergenzpunkt im Gipfel bilden, wie das am menschlichen Muskel der Fall war (s. Textfigur 4); ist. dagegen die Wirkung des zweiten Reizes schwächer, so muss die vom ersten Reiz herrührende Erregung von ihrem Maximum auf merklich niedrigere Werte sinken, bis die inzwischen angewachsene Erregungsgrösse des zweiten Fffektes sich in der kombinierten Kurve bemerkbar machen kann: es resultiert dadurch eine Verschiebung des Divergenzpunktes längs der Kurve der Einzelschwankung nach unten, wie wir es bei den Versuchen am Froschmuskel beobachten konnten. .. Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 489 IV. Beziehungen zum Herzmuskel. In einer vor mehreren Jahren erschienenen kleinen Schrift hat F. B. Hofmann!) mit Recht auf die Bedeutung der bekannten Tatsache aufmerksam gemacht, dass das Verhältnis der Kontraktious- dauer zur Dauer des elektrischen Fffektes beim quergestreiften Skelettmuskel und beim Herzmuskel ganz verschieden ist. Der elektrische Fffekt des tätigen Herzmuskels beginnt im mechanischen Latenzstadium und endet nicht früher, bis das Maximum der Kon- traktion zu Ende sei, zuweilen noch bedeutend länger, ja unter Umständen bis kurz vor dem Schluss der Kontraktion. Anders ist es beim Skelettmuskel: auch hier beeinnt der Aktionsstrom im mechanischen Latenzstadium, seine ganze Dauer ist aber nur um ein weniges länger als die Dauer des Latenzstadiums, so dass der eigentliche Kontraktionsvorgang nach dem Ablaufe des elektrischen Effektes sich vollzieht. F. B. Hofmann hat die Sachlage mit folgenden Worten charakterisiert: „Wir können dies vielleicht so aus- drücken, dass der eigentlich kontraktile Apparat des Skelettmuskels auf den Erregungsvorgang relativ träger reagiert als der Herz- muskel.“ [Vgl. S. 42]. Nehmen wir an, wir wären bei der Erforschung des Erregungs- prozesses am Herzen nicht in der Lage gewesen, von der elektrischen Äusserung desselben Näheres zu erfahren und wären also bei unseren Studien hauptsächlich auf die mechanischen Leistungen des Herz- muskels angewiesen. In so einem Falle hätten wir in bezug auf den Herzmuskel einen leidlichen Ersatz in der Kontraktionskurve des Herzens, weil diese im allgemeinen konform mit dem Aktions- strom (einphasischen) verläuft; dagegen würde die Kontraktionskurve des Skeletimuskels mit ihrem relativ trägen Verlaufe nur wenig von den mehr intimen Einzelheiten im Verlaufe seiner Erregung auf- decken können. Es liegt deshalb auf der Hand, dass, wenn wir diejenigen Eigenschaften des Herzmuskels, die wir vermittelst der mechanischen Kurve aufgeklärt haben, auch am Skelettmuskel prüfen, wir nicht die träge Kontraktionskurve desselben zu Hilfe nehmen dürfen, sondern die Aktionsstromkurve, die treuer den Erregungs- vorgang des Skelettmuskels wiedergibt, zu Rate ziehen müssen. Es 1) F. B. Hofmann, Zur Theorie der Muskelkontraktion. Sonderabdruck aus: Berichte der naturwissenschaftl.-medizin. Vereins in Innsbruck. 30. Jahre. 1905/1906. 490 A. Samojloff: ist also zweckmässig, die Kontraktionskurve des Herzmuskels in ge- wissem Sinne auf eine Stufe mit der elektrischen Kurve des Skelett- muskels bei vergleichenden Studien über die Erregungsprozesse in beiden Gebilden zu setzen. In manchen Beziehungen ist es bereits geschehen, und es stellte sich auch bald dabei heraus, dass zwischen beiden Gebilden mehr Ähnlichkeit besteht, als man früher nur auf Grund des Vergleiches der Kontraktionskurven glauben konnte. Um nun ein Beispiel anzuführen, sei die refraktäre Periode erwähnt, die zuerst an der mechanischen Äusserung des Herzmuskels endeckt, später auf Grund der elektrischen Effekte auch am Skelettmuskel und am Nerven beobachtet und danu schliesslich als eine funda- mentale allgemeine Eigenschaft der erregbaren Gebilde anerkannt wurde. Es schien mir am Platze, die oben gegebene Schilderung der elektrischen Beantwortung des Skelettmuskels bei Doppelreizen in ihren Beziehungen zur elektrischen Reaktion des Herzmuskels auf Doppelreize, soweit letztere bekanut ist, zu prüfen. Am meisten bemerkenswert scheint mir dabei diejenige Schluss- folgerung aus unseren Versuchen zu sein, nach welcher das Maximum der Erregung, das durch einen Maximalreiz erzeugt ist, durch den hinzukommenden zweiten Reiz bei beliebiger (im allgemeinen ge- ringen) Reizdistanz unter keinen Umständen gesteigert werden kann. Die Wirkung des zweiten Reizes kann nur nach dem "Ablauf des Maximums der ersten Erregung bemerkbar werden. Ähnliche Ver- hältnisse treffen wir auch beim Herzmuskel. Auch hier kann man durch einen zweiten Reiz die Kontraktion als Antwort auf den ersten Reiz niemals in die Höhe treiben, eine Superposition gibt es hier nicht. Wenn der Skelettmuskel so leicht die Superpositions- erscheinungen der Kontraktionen aufweist, dass letztere schon bei den ersten Untersuchungen mit graphischer Aufzeichnung entdeckt | wurden, so muss diese Erscheinung weniger als Ausdruck der Summa- tion der Erregungen aufgefasst werden, als vielmehr auf rein mecha- nische Momente (der Selbstunterstützung und dergleichen) der träge verlaufenden Kontraktion zurückgeführt werden. Als ich vor mehreren Jahren die Untersuchung über die Aktions- ströme bei summierten Muskelzuckungen unternahm, hatte ich schon damals die Absicht, den Vergleich des Herzmuskels mit dem Skelett- muskel bei Doppelreizen mit kurzem Reizintervall anzustellen. Die erhaltenen Resultate waren aber nicht imstande, ein klares Bild der Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 49] Beziehungen beider Gebilde im erwähnten Punkte zu liefern, wes- halb die betreffende Frage in der Abhandlung unberührt blieb. Jetzt scheint die Sache anders zu liegen, und die erhaltenen oben besprocheren Ergebnisse lassen wohl den Versuch zu, die Verwandt- schaft beider Muskelarten in manchen Beziehungen zu beleuchten. Die refraktäre Periode des Herzmuskels unterscheidet sich ihrer Dauer nach in hohem Grade von der des Skelettmuskels, und zwar nicht nur absolut, sondern auch relativ. Während des grössten Teils seiner Tätigkeit ist der Herzmuskel unerregbar; die Erreebarkeit wacht auf nur während der Abnahme der Kontraktion des Herzens und erhält den maximalen Wert am Ende der Erschlaffung, ja nach Engelmann noch später, nach dem Ende der Diastole. Vergleichen wir damit die Ergebnisse der Doppelreizung des Skelettmuskels auf Grund der Aktionsstromkurven, so müssen wir vor allem einen grossen Unterschied hervorheben. Die refraktäre Periode dauert hier nur einen minimalen Bruchteil der dem aufsteigenden Schenkel antsprechenden Zeit, so dass ein zweiter Reiz während des weitaus grössten Teils der Kreszente den Muskel im erregbaren Zustande findet. Was aber ander- seits an die Verwandtschaft mit dem Herzmuskel erinnert, ist folgendes: der zweite in den aufsteigenden Schenkel des Aktions- stromes eines Skelettmuskels fallende Reiz ruft wohl eine neue Fr- reeung hervor, er ist aber nicht imstande, trotzdem einen bedeutenden Effekt zu erzeugen. Erstens tritt seine Wirkung spät auf und jeden- falls nicht. vor dem Gipfel der ersten Schwankung. Zweitens ist der Effekt des zweiten Reizes klein. weil die beim kurzen Intervall ihm entsprechende Erreeung an sich nur von geringem Grade ist; nur bei gerösserer Reizdistanz wächst die Wirkung an, ein Verhalten, das wir auch am Herzen finden. Daher kommt es auch, dass die kombinierten elektrischen Kurven des Skelettmuskels mit ihren niedrigen zweiten Erhebungen, die nur allmählich sieh vergrössern, so sehr den durch wirksame Doppelreize erzeugten Doppelkontrak- tionen am stillstehenden Stannius’schen Herzen resp. einer Kon- traktion mit aufgesetzter Extrasystole bei normaler Schlagfolge des Herzens ähneln. Beim Skelettmuskel folgt also auf die refraktäre Periode zuerst eine Periode der erwachten Erregbarkeit, die aber den Muskel nur zu verspäteten und verkümmerten Effekten ver- anlassen kann; beim Herzmuskel ist diese Periode mit in die re- fraktäre Periode hineingezogen, so dass dessen refraktäre im all- gemeinen länger dauert und jedenfalls nicht kürzer ist als die 492 A. Samojloff: Gipfelzeit der Kontraktionskurve, meistens noch länger. Wenn also in dem Skelettmuskel die Verspätungsperiode unter Umständen auch in eine Unerregbarkeitsperiode sich verwandeln könnte, so hätten wir dieselben Verhältnisse der refraktären Periode wie beim Herzmuskel vor uns. Merkwürdigerweise ist ein derartiger Fall neulich beobachtet worden und befindet sich in der zitierten Arbeit von R. Dittler und S. Oinuma beschrieben. Wie oben angegeben, wurde von diesen Autoren ein Schildkrötenmuskel durch Einwirkung eines konstanten Stromes in einen Zustand rhythmischer Erregung versetzt. Der mehr oder weniger regelmässige Ablauf der Erregungswellen wurde durch in verschiedene Momente applizierte Einzelreize, also Extrareize, gestört. Die mit dem Saitengalvanometer ausgeführte Unsersuchung zeigte, worauf wir früher schon eingingen, dass unter solehen Umständen der Extrareiz, wenn derselbe in den aufsteigenden Schenkel der Aktionsstromwelle fällt, erfolglos bleibt; fällt dagegen der Extrareiz auf den absteigenden Schenkel, so resultiert eine Extra- aktionsstromwelle, wobei sich folgendes herausstellt: „Wie man sieht, scheint die Extraerregung um so schwächer ausgebildet zu sein, je dichter an den Gipfel der gerade ablaufenden rhythmischen Erregungs- welle sie sich anschliesst. Die nicht analysierten Kurven zeigen in dieser Beziehung im Prinzip dasselbe Verhalten wie die Suspensions- kurven schlagender Herzen bei Interpolation von Extrareizen“ |[vgl. 8.2303]. Die oben gegebene Auffassung des Zusammenhanges der Er- scheinungen der elektrischen Beantwortung des Doppelreizes beim quergestreiften Skelettmuskel und der mechanischen Beantwortung beim Herzmuskel führte uns zu dem Schluss, dass beide Muskelarten insofern Ähnlichkeit aufweisen, als zur Zeit, wo der Herzmuskel refraktär bleibt, der Skelettmuskel nur verspätete und reduzierte Reaktionen zu erzeugen imstande ist; unter besonderen Umständen kann sich aber diese reduzierte Reaktionsfähigkeit des Skelettmuskels in eine Unerregbarkeitsperiode verwandeln, und in so einem Falle tritt die Verwandtschaft und Ähnlichkeit der Funktion beider Muskel- gattungen noch mehr herver. Diese Betrachtungsweise musste selbst- l) R. Dittler und S. Oinuma, Über die Eigenperiode quergestreifter Skelettmuskeln nach Untersuchungen an der Schildkröte. Pflüger’s Arch. Rd. 139 S. 279. 1911. Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 493 redend auf der Voraussetzung beruhen, dass der Herzmuskel nach Ablauf der Refraktärperiorde nun ohne merkliche Verspätung mit normaler Latenz den Reiz beantwortet. Ich war der Meinung, dass die uns aus der Herzphysiologie bekannten Tatsachen in Wirk- lichkeit in diesem Sinne sprechen. Nun machte aber Keith Lucus neulich in seiner letzten Arbeit Angaben über die elektrische Reaktion des Herzens auf Doppelreize, die in einem direkten Gegensatze zu der obigen Auffassung stehen, indem er eine ganz ausserordentliche Verspätung der Beantwortung des zweiten Reizes seitens des Herzens gesehen haben will [vgl. S. 3811)]. Gewiss müssen diese interressanten Ergebnisse in Betracht gezogen werden. Ich fürchte aber für meinen Teil, dass, falls ich den Verfasser richtig verstanden habe, in seiner Versuchsanordnung irgendein Missverständnis mit unterlaufen sein muss. Da der Gegen- stand wichtig erscheint, so möchte ich noch diese seine Versuche kritisch kurz besprechen. Im Kapitel III der zitierten Arbeit „the eleetrie response of cardiac muscle to two stimuli“ beschreibt Keith Lucas folgende Versuche. Erstens hatte er an einem nach der Stannius’schen Ligatur stillstehenden Froschherzen die Reizung mit Doppelinduktionsschlägen der Ventrikelbasis oder des Vorhofs vorgenommen und dabei die vom Ventrikel abgeleiteten Aktionsströme mit dem Kapillarelektrometer registriert. Zwei Originalkurven illustrieren den Versuch. „In Fig. 12 the second stimulus occurs before the end of the refractory period, and there is no second response. In Fig. 13 the second stimulus is just after the end of the refractory period, and provokes a second response after a delay many times as long the delay between the first stimulus and first response.“ Ich zitiere diese Stelle wörtlich , um zu zeigen, dass der Verfasser im allen Ernst auf Grund dieses Versuches eine ganz kolossale Verspätung des Effektes des zweiten Reizes im Herzmuskel anzunehmen geneigt ist. Nach meiner Berechnung der Kurve 13 von Keith Lucas näm- lich finde ich, dass die normale Latenz des Aktionsstromes 0,037 Sek. 1) Keith Lucas, On the recovery of muscle and nerve after the passage of a propagated distrubance. I. The electric response of the gastrocnemius muscle of the frog to two stimuli applied to the sciatic nerve. The Journ. o Physiol. vol. 41 p. 368. 1910. 494 A. Samojloff: dauert; nach dem zweiten Reiz des Doppelreizes ist dagegen die Latenz 0,33 Sek., also etwa 10 mal so gross wie die normale. In einem zweiten Versuch wurden bei derselben Ableitung der Ströme des Ventrikels eines spontan klopfenden Froschherzens in ver- schiedenen Phasen der Ventrikelsystole Extrasystolen durch Einzel- reize der Ventrikelbasis hervorgerufen. Wenn der Reiz sofort nach Ablauf der Refraktärperiode appliziert war, so vereingen zwischen dem Reiz und der elektrischen Beantwortung 0,94 Sek.; reizte man später, so war die Zeitdauer kürzer und schliesslich 0,56 Sek. Der dritte Versuch ist in derselben Weise ausgefuhrt mit dem Unterschiede jedoch, dass jetzt der Vorhof gereizt wurde. Die latente Periode des elektrischen Effektes dauerte jetzt genau so lange, wie im zweiten Versuch, die Zeit zwischen Extrareiz und Extraeffekt schwankt je nach dem, auf welchen Moment der ersten Schwankung der Reiz fällt, zwischen 0,91 Sek. und 0,55 Sek. Reizt man also einmal den Ventrikel, ein anderes Mal den Vorhof, so erhält man vom abgeleiteten Ventrikel in beiden Fällen dieselbe elektrische Latenz. Dieses merkwürdige Resultat wird mit derselben Ruhe mitgeteilt wie das Ergebnis, nach welchem die elektrische Latenz des Ventrikes '/s Sek. oder auch eine ganze Sekunde dauern soll, wie im ersten und zweiten Versuch. Im Grunde genommen handelt es sich doch bei Keith Lucas um die Feststellung der Latenzdauer der Extrasystolen. Nun ist die Frage durchaus nicht neu una wurde allerdings auf Grund der mechanischen Latenz des Herzmuskels mehrfach geprüft. Wenn Lucas sich um die betreffende Literatur umgesehen hätte, so hätte er gefunden, dass Behauptungen, die den seinigen ganz ähnlich sind, nieht nur vor vielen Jahren geäussert wurden, sondern bereits widerlegt sind. Marey war der erste, der sich die Frage nacb den Latenz- zeiten der Extrasystolen vorlerte und sie in Lucas’schem Sinne gelöst hat; widerlegt wurde die Marey’sche Angabe von Engel- mann. Es wird am besten sein, wenn ich die betreffende Stelle in der klassischen Arbeit von Engelmann!) wörtlich anführe: „Aus unseren Versuchen ergab sich noch ein anderes die Dauer der re- fraktären Phase betreffendes Resultat, welches um so mehr nähere 1) Th. W. Engelmann, Beobachtungen und Versuche am suspendierten Herzen. Dritte Abhandlung. Refraktäre Phase und kompensatorische Ruhe in ihrer Bedeutung für den Herzrhythmus. Pflüger’s Arch. Bd. 59 S. 309. 189. er Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 495 Besprechung verdient, als es zu Marey’s, Dostre’s und Kaiser’s Angaben im Widerspruch zu stehen scheint. Es betrifft die Dauer des Stadiums der latenten Reizung des Ventrikels bei direkter Erregung mit elektrischem Strömen im Verlauf der Systole und Diostole. Wie schon erwähnt, sah Marey bei hinreichend starkem Reize, namentlich leicht beim erwärmten Herzen, das refraktäre Stadium ganz schwinden, so dass nun schon ein im Anfang einer spontanen V,einfallender Induktionsschlag eine Systole auslösen konnte. Diese begann aber immer erst nach Beendigung der im Gang befindlichen Systole, ja eventuell erst am Ende der Diastole, derart, dass die Dauer der Latenz um so länger war, je länger vor Ablauf der Systole der Reiz einfiel. Am erwärmten Herzen konnte sie von Anfang der Systole bis zum Ende der Diastole nach den beigegebenen Kurven gewiss mehr als 0,5 Sek. dauern. Überhaupt hängt nach Marey die Dauer des Latenzstadiums bei jeder Reizstärke von der Phase ab, in welche der Reiz fiel, und zwar so, dass sie auch für solche Reize, die während einer Diastole einsetzen, um so länger ist, je weiter vor dem Ende der Viastole letzteres geschieht“ [vel. S. 317 %)]. Die Ähnlichkeit mit den Lucas’schen Resultaten ist nicht zu verkennen. Beim weiteren Lesen der Engelmann’schen Arbeit finden wir den Beweis, dass diese Resultate nicht richtig sind, und es wird auch der prinzipielle Fehler erklärt, welehen Marey bei seiner Versuchsanordnung begangen hat. „An der Richtigkeit der tatsäch- lichen Angaben von Marey ist nicht zu zweifeln, um so weniger, als sie durch Abbildungen von Kardiogrammen belegt sind, welche keine andere Auffassung zuzulassen scheinen als die ihnen von ihrem Autor gegebene. Irrtümlich nur würde es nach meinen Erfahrungen sein, wenn man meinen wollte, dass es sich hier um ein der Kammermuskulatur überhaupt zukommendes Verhalten handle. Wenn man die Reizung auf die Herzspitze beschränkt, sei es nun, dass man an abgeschnittener oder abgebundener Kammer- spitze experimentiert oder mit solchen Stromstärken und in solcher Entfernung -von der Kammervorkammergrenze reizt, dass die hier 1) Th. W. Engelmann, Beobachtungen und Versuche am suspendierten Herzen. Dritte Abhandlung. Refraktäre Phase und kompensatorische Ruhe in ihrer Bedeutung für den Herzrhythmus. Pflüger’s Arch. Bd. 59 S. 309. 1895. 496 A. Samojloff: oelegenen Teile (Atrien, Bulbus, Kammerbasis) nicht direkt erregt werden können, so finde ich ausnahmslos folgendes, von Marey’s Befunden abweichendes Verhalten. Gleichviel in welche Phase der Reiz fällt und welches seine Stärke ist, wenn er überhaupt Erfolg, d. h. eine V, zur Folge hat, so tritt dieser sogleich ein, d. h. nach einem sehr kurzen Latenz- stadium, durchschnittlich etwa nach 0,1 Sek.“ [vgl. S. 3189). Darauf könnte Lucas erstens erwidern, dass es sich bei Marey und Engelmann doch um die mechanische Latenz handelt, wogegen er von der elektrischen spricht. Ich glaube aber, dass dieser Unterschied hier kaum maassgebend sein kann. Wenn ein Reiz, der sofort nach der refraktären Periode fällt, elektrisch nach der zehnmal längeren Dauer als beim später einsetzenden Reiz vom Ventrikel beant- wortet wird, wie das Lucas fand, so müsste doch auch die mecha- nische latente Periode entsprechende Unterschiede in beiden Fällen aufweisen. Anderseits sind ja doch in der letzten Zeit von einer ganzen Reihe von Autoren die Aktionsstromkurven bei spontanen und künstlich hervorgerufenen Extrasystolen des Warmblüterherzens ge- prüft, es seien nur Einthoven, Nicolai, Rothberger und Winterbere, Kahn genannt. Niemand von diesen Autoren hat eine Zunahme elektrischer Latenz bei Extrasystolen von so einem Betrage erwähnt. Am Froschherzen habe ich selbst mehrfach Extrasystolen hervorgerufen und die Ventrikelströme registriert ?)?). Es sei in dieser Beziehung ein Versuch erwähnt, der genau so ausgeführt ist, wie es Lucas in seiner fast gleichzeitig (etwas später) erschienenen Arbeit beschrieben hat. Ein nach der Stannius’schen Ligatur still- stehendes Herz wurde mit Doppelreizen gereizt und die Aktions- ströme des Ventrikels sowie die Kontraktionskurven registriert. Wer sich die Mühe geben wird, in der Tafel XVI die Fig. 12 meiner Abhandlung durchzusehen, der wird sich überzeugen, dass weder an den mechanischen, noch an den elektrischen Kurven eine merk- liche Zunahme der Latenz nach dem zweiten Reiz gegenüber dem 1) Th. W. Engelmann, Beobachtungen und Versuche am suspendierten Herzen. Dritte Abhandlung. Refraktäre Phase und kompensatorische Ruhe in ihrer Bedeutung für den Herzrhythmus. Pflüger’s Arch. Bd. 59 S. 309. 1895. 2) A. Samojloff, Beiträge zur Elektrophysiologie des Herzens. Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., Suppl. S. 207. 1906. 3) A. Samojloff, Weitere Beiträge zur Elektrophysiologie des Herzens. Pflüger’s Arch. Bd. 135 S. 417. 1910. Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 497 ersten (von einer zehnmaligen gar nicht zu reden) vorhanden ist. Auch etwas Ähnliches, wie die absolute Zahl 0,3 Sek., oder wie im zweiten Lucas’schen Versuch etwa 1 Sek. für die elektrische Latenz nach dem zweiten Reiz ist mir kein einziges Mal vor- gekommen. Allerdings habe ich die Reizung des Ventrikels an der Spitze und nicht an der Ventrikelbasis ausgeführt. Ich will damit nicht sagen, dass man bei ähnlichen Versuchen die Basis nicht reizen soll; man muss nur sicher sein, dass man dabei nicht auch den Vorhof durch Stromschleifen mitreizt: wenn ich eine beim zweiten Reiz des Doppelreizes zehnmal grössere elektrische Latenz (besonders bei Reizung der Basis) als beim ersten Reiz erhalten hätte, so würde ich nicht auf eine Verspätung der Beantwortung des zweiten Reizes seitens des „eardiae musele“ zu schliessen mich beeilen, sondern mich bemühen aufzuklären, ob nicht der zweite Reiz den Ventrikel im refraktären Zu- stande getroffen hat und die „verspätete“ Ventrikelaktion von der vom mitgereizten Vorhof übergeleiteten Erregung herrührt. Nun könnte aber anderseits Lucas sagen, dass es ihm gar nicht auf die absolute Grösse der Latenz ankommt, er interessiere sich nur für die relativen Werte. Er reizt beispielsweise am klopfenden Herzen den Vorhof und liest die Zeit ab vom Momente der Reizung bis zum Beginn des Aktionsstromes vom abgeleiteten Ventrikel. Wenn es sich dabei herausstellt, dass diese summarische Latenz beim früh eintreffenden Extrareiz grösser ist als beim später eintreffenden, so schliesst er auf Verspätung der Beantwortung des zweiten Reizes. Aber auch bei dieser Auffassung wäre es unerlaubt zu schliessen, dass der „cardiac muscle“ den zweiten Reiz spät beantwortet. Welcher Teil des Herzens den zweiten Reiz so spät beantwortet, kann man bei der Lucas’schen Versuchsanordnung gar nicht ent- scheiden, denn er misst die summarische Latenz vom Moment der Vorhofreizung bis zur elektrischen Reaktion des Ventrikelmuskels. Wir wissen aber, dass diese summarische Latenz von der Übergangs- periode A,— V, sehr beeinflusst werden kann, denn die Leitungs- seschwindigkeit in dem Übergangsgebilde zwischen Atrium und Ven- trikel ungemein leicht veränderlich ist. Ich meine deshalb, dass die Behauptung von Keith Lucas über die Verspätung der Beantwortung des zweiten Reizes und namentlich über den Betrag der Verspätung seitens des Froschherz- muskels infolge einer ungünstigen Versuchsanordnung seiner Experi- mente nicht genügend begründet ist. 498 A. Samojloff: Ich will mit dem Obigen nicht sagen, dass beim Herzmuskel jegliche Verspätung im definierten Sinne “überhaupt fehlt. Meine eigenen Versuche, die dieses Thema berühren, waren zu einem ganz anderen Zwecke unternommen und sind auch nicht gross genug an Zahl, um diese Frage zu entscheiden. Die Frage nach der Ver- spätung der elektrischen Reaktion des zweiten Reizes bei Doppel- reizen seitens des Herzmuskels hat ein gewisses prinzipielles Interesse, und es wäre in der Tat wünschenswert, dieselbe noch einmal einer exakten und allseitigen Prüfung zu unterwerfen. Der Inhalt des vorliegenden Aufsatzes kann kurz mit folgenden Worten resümiert werden: Es wird auf Grund von Versuchen mit indirekter Reizung des ausgeschnittenen Froschgastroenemius sowie soleher mit indirekter Reizung der menschlichen Vorderarmmuskeln gezeigt, dass beim kürzesten wirksamen Reizintervall des Doppelreizes die erste Ver- änderung der kombinierten elektrischen Kurve gegenüber der Einzel- sehwankung darin besteht, dass die Kurve vom Gipfelpunkt der Er- hebung weniger steil nach unten verläuft. Beim Übereinanderkopieren resp. bei mehrmaliger Photographie der ersten Einzelschwankung und der kombinierten Schwankung bekommt man also einen Divergenz- punkt am Gipfel der ersten Erhebung; von diesem Divergenzpunkt gehen die weiteren Teile der Einzelschwankung und der kombinierten Kurve auseinander. Dieses Resultat bestätigt meine früheren An- gaben !). Nimmt man den Divergenzpunkt als Beginn der Manifestation des zweiten Reizes beim Doppelreiz an, so erweisen sich die früheren Angaben über den Betrag der Verspätung der Aktion des zweiten Reizes als übertrieben. Da der mit einem Einzelreiz gereizte Skelettmuskel nach Ver- lauf einer kurzen Refraktärperiode bereits während des grössten Teils des aufsteigenden Schenkels der Aktionsstromkurve für einen zweiten Einzelreiz erregbar ist, während die erste Aktion des zweiten Reizes im Momente des Gipfels der Kurve sich bemerkbar macht, so muss man wohl eine Verspätung der zweiten Aktion annehmen; der Be- 1) A. Samojloff, Über die Aktionsströme des quergestreiften Muskels bei zwei rasch aufeinanderfolgenden Reizen. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 24 Nr. 2 3.1: 1910: -Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes bei Doppelreizungen etc. 499 trag derselben ist aber sehr gering, und zwar kleiner als die Gipfel- zeit der ersten Erhebung des Aktionsstromes. Die verspätete Aktion des zweiten Reizes ist gleichzeitig in ihrer Grösse bedeutend reduziert. Diese Ergebnisse werden in Zusammenhang mit der Vorstellung gebracht, nach welcher eine maximale Erregung infolge eines Einzel- reizes durch Hinzukommen eines zweiten Reizes nicht grösser ge- ınacht werden kann: die Wirkung des zweiten Reizes kann erst nach Ablauf des Maximums der Erregung vom ersten Reize manifest werden. Auf Grund der beobachteten Periode der verspäteten und ver- kleinerten Wirkung des zweiten Reizes bei kleinen Zeitintervallen des Doppelreizes seitens des Skelettmuskels werden einige Be- ziehungen zwischen dem Skelett- und Herzmuskel beleuchtet. Erklärung der Figuren in den Tafeln V, VI und VIII. Sämtliche Kurven auf den Tafeln I, II und IV sind von links nach rechts zu lesen. Die Wellen der Zeitlinie bedeuten in sämtlichen Figuren 0,02 Sek. Tafel V. Die Figuren A, B und © enthalten neun Kurvengruppen, von denen jede aus drei aufeinander photographierten Kurven der Aktionsstrom- schwankung des Froschgastrocnemius bestehen: zwei derselben entsprechen den Einzelschwankungen bei alleiniger Einwirkung des ersten resp. zweiten Einzel- reizes, die dritte kombinierte stellt die auf den Doppelreiz geschriebene kombi- nierte Kurve dar. Die Kurvengruppen von 1—9 wurden bei sukzessiver Zunahme der Reizdistanz des Doppelreizes aufgenommen. Jeder Skalenteil des vertikalen Netzsystems entspricht 0,0007 Sek., und die Schnelligkeit der Bewegung der Filmplatte ıst gleich 145 cm in der Sekunde. — Fig. D stellt eine Eichungs- kurve dar. 20 Millivolt bewirkt einen Ausschlag von 1 cm. Der Abstand der vertikalen Linien entspricht 0,0007 Sek., die Schnelligkeit der Bewegung der Filmplatte ist gleich 145 cm in der Sekunde. Tafel VI. Die Figuren A, B und CÜ enthalten neun Kurvengruppen, von denen jede aus zwei aufeinander photographierten Kurven des Aktionsstroms des Froschgastrocnemius besteht; die eine derselben entspricht dem ersten Reize, die andere dem Doppelreize. Die Zeitdistanz des Doppelreizes nimmt von Fig. 1 bis Fig. 9 in ganz kleinen Schritten zu. Tafel VIII. Die Fig. A, B, €, D, E, F und @ enthalten Aktionsstrom- kurven der menschlichen Armflexoren bei indirekter Reizung derselben. Jede von den Fig. A, B, C und D enthalten drei Kurven: die untere b bei Einwirkung des zweiten Eınzelreizes, die mittlere « bei Einwirkung des ersten _ Reizes und die obere a + b bei Einwirkung des Doppelreizes; ausserdem enthält 500 A. Samojloff: Über die Verspätung des zweiten Aktionsstromes etc. jede der aufgezählten Figuren ein für die vier Kurven gemeinschaftliches Vertikal- liniensystem, dessen jede Einheit 0,0007 Sek. entspricht. Die Figuren &, F' und @ enthalten jede drei Kurven bei Doppelreizen a+ b und den mittleren Teil einer Kurve b entsprechend dem zweiten Einzelreize. Die zeitlichen Verhältnisse des Netzsystems sind wie in der ersten Hälfte der Tafel. Die 13 kombinierten Kurven der Tafel VIII sind bei sukzessiver Zunahme der Reizdistanz des Doppelreizes aufgenommen. a bedeutet die Schwankung beim ersten Reiz; a, die erste, a, die zweite Phase der ersten Schwankung. b bedeutetet die Schwankung beim zweiten Reiz; b, die erste, b, die zweite Phase der zweiten Schwankung. a + b bedeutet die Kurve der kombinierten Schwankung beim Doppelreiz. 501 Beiträge zur Regenerationsphysiologie. VI. Mitteilung. Über das Verhältnis des Nervensystems zur Regeneration !). Von Dr. Sergius Morgulis. (Mit 2 Textfiguren und Tafel IX und X.) Es gibt kaum interessantere Probleme als das Problem des Verhältnisses der Körperteile und ihrer funktionellen Beziehungen im Leben des Organismus. Die Entdeckung der Wichtigkeit der Drüsen ohne Ausführgang für das organische Gleichgewicht und der Einfluss ihrer Sekrete auf die lebenswichtigen Funktionen hat neue Horizonte sowohl für das theoretische Nachdenken als auch für praktische Zwecke eröffnet. Das Zerlegen des Organismus in ver- schiedene Organsysteme ist bloss eine Abstraktion, die auf irgend- welcher auffallenden Besonderheit einer jeden gegründet ist; und die altrömische Fabel vom Streit der verschiedenen Glieder des Körpers um die Herrschaft, der endlich zum allgemeinen Verfall des Körpers führte, ist ebenso richtig vom Standpunkte des natürlichen Verstandes also auch vom Standpunkt der Wissenschaft. Unser Begriff des relativen Wertes der Organsysteme ist stark teleologisch. Es ist z. B. bekannt, dass während des Hungerns die einzelnen Körperteile an Gewicht mit sehr verschiedenen Geschwindigkeiten abnehmen; das Fett verliert am meisten, während das Nervensystem nur einen geringen Verlust erleidet. Es kann nicht gerechtfertigt werden, diese unzweifelhafte Tatsache für einen Beweis der verschiedenen Wichtig- keit des Fettes oder des Nervensystems zu halten, weil die andere Erklärung, nämlich, dass Fett eine geringere Widerstandskraft besitzt 1) Diese Arbeit wurde in der Stazione Zoologica zu Neapel gemacht, und ich wünsche die Gelegenheit zu benutzen, der Smithsonian Institution, dessen Arbeitsplatz ich besass, meinen Dank auszusprechen. Es ist eine angenehme Pflicht der Harvard University, U. S. A., die mir die Gelegenheit zum Ausführen von Studien in Europa gewährt hat, meinen innigsten Dank dafür aussprechen zu dürfen. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 34 502 Sergius Morgulis: und wegen seiner chemischen Eigenschaften leicht oxydiert wird, richtiger zu sein scheint, Was uns am ersten Augenblick als Folge einer grösseren „Wichtigkeit“ des Nervensystems erscheinen könnte, ist dieser Ansicht nach einfach von dem grösseren Widerstand oder von der grösseren Fähigkeit, Nahrung aus dem gemeinsamen Vorrat zu absorbieren, abhängig. In ähnlicher Weise zeigt der Kern mehr Stabilität während des Hungerns als das Zytoplasma; es wäre aber voreilig, den Schluss zu ziehen, dass der eine mehr, der andere weniger wichtig für die Existenz der Zelle sei. Dem Nervensystem mit seinen zahlreichen Verzweigungen im ganzen Körper verdankt der Körper in hohem Grade seine Voll- ständigkeit. Es ist von grosser Bedeutung für die Tätiekeit und das Leben des Organismus, und die Lostrennung eines Organs von seiner Verbindung mit dem Nervensystem kann einen vollständigen Verlust der Funktion, ja selbst die Atrophie des Organs zur Folge haben. Dieses Verhältnis ist sogar so innig, dass Fehler des Nervensystems manchmal auf andere Organsysteme reflektiert werden, so dass es der Kriminologie, welche die Bedeutung der körperlichen Degenerations- zeichen anerkannt hat, gelungen ist, den Typus des Verbrechers, dessen geistige und sittliche Natur, sowie dessen äusserliche Merk- male von denen der normalen Menschen abweichend sind, festzulegen. Die Untersuchung einiger Monstra, die entsprechende Fehler in der Nervenorganisation offenbarte, hat den weiteren Beweis für diese Annahme gegeben. Die eigentümliche anatomische Struktur des Nervensystems wie auch seine leitende Rolle in dem Zusammen- wirken von verschiedenen Teilen hat natürlich die Anregung zur Voraussetzung seiner funktionellen Herrschaft über die anderen Organsysteme gegeben; und so schrieb man ihm Wirkungen zu, die weit über die Grenzen seines tatsächlichen Wirkungskreises hinausreichten. Die unmittelbare Beobachtung der Monstra, so wertvoll sie auch war, war aber unfähig, das kausale Verhältnis zwischen der ent- sprechenden Monstrosität und dem Mangel im Nervensystem fest- zustellen; und die experimentelle Analyse dieses Problems brachte keinen bestätigenden Beweis für die Abhängigkeit der Entwicklung der Organe vom Vorhandensein des Nervengewebes. Jedenfalls hat Schaper!) (1897) die frühen Entwicklungsstadien unabhängig vom 1) A. Schaver, Experimentelle Studien an Amphibienlarven. I. Haben künstlich angelegte Defekte des Zentralnervensystems oder die vollständige Beiträge zur Regenerationsphysiologie. VI. 503 Einfluss des Nervensystems gefunden. „Das Zentralnervensystem in einer gewissen frühen Entwicklungsperiode hat keinerlei bestimmenden Einfluss auf die typische Entwicklung des embryonalen Organismus“ (s. 178). Auch Loeb!) (1896) fand, dass die Metamorphose der Molche in normaler Weise fortschreitet, wenn die Verbindung des hinteren Körperteils mit dem Zentralnervensystem unterbrochen wurde. Die negativen Ergebnisse des Studiums über den formativen Einfluss des Nervensystems auf die frühe Entwicklungsgeschichte regte zur Verbreitung der Analyse innerhalb des Regenerations- prozesses an. In einer verhältnismässig kurzen Zeit ist eine Anzahl von Arbeiten, die sich mit dieser Frage beschäftigten, erschienen, deren Inhalt für unser Thema sehr wichtig ist, weshalb eine mehr oder weniger ausgedehnte Zusammenfassung derselben mit kritischen Bemerkungen im folgenden vorgenommen werden soll. Ist die Regeneration vom Nervensystem abhängig? Das ist die allgemeine Frage, deren Lösung von verschiedenen Forschern unter- nommen worden ist. Doch ist die Fragestellung nicht einwandsfrei, weil damit nicht klar gemacht wurde, ob die Abhängigkeit qualitativer oder quantitativer Art ist, oder vielmehr auf beide Weisen sich äussert. Tatsächlich entspringt die erste Quelle der Meinungsverschiedenheiten aus dieser Unklarheit der Frage selbst. Grösserer Genauigkeit wegen müssen wir Fälle, welche eine qualitative Abhängigkeit der Regenera- tion vom Nervensystem von denen, die nur eine quantitative Ab- hänsiekeit zeigen, scharf trennen. Unsere erste Frage soll deswegen sein: Ist die Qualität des Regenerates in irgendwelcher Weise vom Nervensystem abhängig? Die richtigste Lösung dieses Problems finden wir in Herbst’s?) Forschungen über die Regeneration des Crustaceenauges (1901). Herbst hat entdeckt, dass ein antennaähnliches Organ statt eines Elimination desselben einen nachweisbaren Einfluss auf die Entwicklung des Gesamtorganismus junger Froschlarven. Arch. f. Entwicklungsmechanik des Organismus Bd. 6 S. 151—197. 1897. 1) Jacques Loeb, Hat das Zentralnervensystem einen Einfluss auf die Vorgänge der Larven-Metamorphose? Arch. f. Entwicklungsm. d. Org. Bd. 4 Ss. 502—505. 1896. 2) ©. Herbst, Über die Regeneration von antennenähnlichen Organen an Stelle von Augen. V. Weitere Beweise für die Abhängigkeit der Qualität des Regenerates von den nervösen Zentralorganen. Arch. f. Entwicklungsm. d. Org. Bd. 13 S. 436—447. 1901. 34 + 904 Sergius Morgulis: Auges regeneriert, wenn das Auge zusammen mit dem Stiel exstirpiert wurde. Demgegenüber regeneriert ein neues Auge an der Stelle des amputierten, wenn der Augenstiel unverletzt geblieben ist. Da das liehtempfindliche Ganglion im Stiele gelagert ist, so schloss Herbst, dass die Ab- oder Anwesenheit des Zentrums der Photorezeption für die Qualität des Regenerates verantwortlich ist. Diese Hypothese wurde weiter geprüft und völlig bewiesen durch Experimente an anderen Crustaceen, z. B. Porcellana, bei welcher das liehtempfindliche Ganglion innerhalb des Cephalothorax liegt. Die Exstirpation des Auges zusammen mit dem Stiele bringt bei diesen Tieren eine Regeneration eines antennaähnlichen Organs nieht hervor. Es kann auch hier erwähnt werden, dass beim Regenwurm, wie Morgan!) entdeckte d 902), der Kopf nur dort regeneriert, wo der Bauchnerv blossgelest wurde; von einer Wundfläche aber, von welcher mittels einer besonderen Operation der Nerv zuerst entfernt wurde, wächst nur ein Schwanz hervor. Die Experimente mit der Crustacee Alpheus heterochelis über das Verhältnis der Umkehrbarkeit der Assymmetrie der Scheren zum Nervensystem können als Beweis eines quantitativen Einflusses des Nervensystems auf die Regeneration kaum angenommen werden. Es ist wohl bekannt, dass bei diesem Tiere eine kleine Schere anstatt der amputierten grossen Schere nachwächst, während die zurück- gebliebene kleine Schere sich vergrössert. Wilson?) (1903) glaubte, diese Umkehrung sei durch einen Nervenreiz eingeleitet. Fr fand, dass „if, after removal of the large chelae, the nerve of the remaining small chela be cut at the base, the reversal in some cases at least does not take place, or isincomplete“ (s. 200). Insofern aber, als die Durchschneidung des Nervs fast immer mit einer mehr oder weniger grossen Verletzung der Blutgefässe des Fusses verbunden ist, kann diese letztere ebensogut wie die Ver- letzung des Nervs die unmittelbare Ursache dieses Resultates sein. Wir können vom Vorhergehenden aus den Schluss ziehen, dass das Nervensystem einen quantitativen Einfluss auf die Regeneration 1) T.H. Morgan, Experimental Studies of the internal Factors of Regenera- tion in the Earthworm. Arch. f. Entwicklungsm. d. Org. Bd. 14 8. 562—591. 1902. 2) E. B. Wilson, Notes on the reversal of asymetry in the regeneration o the chelae in Alpheus heterochelis. Biol. Bull. vol. 4 p. 197—210. 1903. Beiträge zur Regenerationsphysiologie. VI. 505 ausüben kann, welcher Schluss auch durch den Umstand nicht un- gültig gemacht wird, dass in anderen wohl bekannten Fällen (Carriere!), 1880, bei Molusken; Przibram?), 1901, bei Cerustaceen) keinerlei Abhängigkeit des Regenerates von der An- oder Abwesenheit des entsprechenden Ganglions nachgewiesen wurde. Die andere Frage ist, ob die Regeneration quantitativ vom Nervensystem abhängig sei? Die „Quantität“ in dieser Verbindung soll entweder den verkleinerten Zustand des Regenerates sowie den vollständigen Mangel an Regeneration oder eine gewisse Verzögerung des Regenerationsprozesses bedeuten. Der Lösung dieser Frage stehen viel mehr Schwierigkeiten im Wege als der Lösung der ersten, und. die wissenschaftliche Meinung ist gerade bezüglich dieser Frage in entgegengesetzte Parteien gespalten. Die Meinungs- verschiedenheit ist nicht nur durch Missverständnisse, sondern viel- mehr durch die technischen Schwierigkeiten der Lösung dieses Problemes bedingt. Die Sache scheint dennoch weniger verworren zu Sein, wenn jede Tatsache in passende Beziehungen gebracht wird, und der Grund von nutzlosen Argumenten frei gemacht worden ist. Wir müssen zunächst scharf unterscheiden zwischen zwei Operationsarten, 1. solchen ÖOperationsarten, bei welchen die Verletzung des Nervensystems von der allgemeinen Wundfläche ent- fernt ist, und 2. solchen, bei denen die Verletzung mit derselben zusammenfällt. Dass dieser Unterschied in der Öperationsmethode den Erfolg des Experimentes in starkem Grade bestimmt, wird bald klar werden. Barfurth?°) (1901), der mit dem Axolotl und mit Larven von Raua fusca experimentierte, hat gefunden, dass, wenn das Rücken- mark an einer oder zwei Stellen zerstört und ein Stück des Schwanzes abgeschnitten wurde, der operierte Schwanz in ganz normaler Weise regeneriert. In diesen Experimenten wurde das Nervensystem in einer Entfernung vom amputierten Ende verletzt. 1) Carriere, Studien über die Regenerationserscheinungen bei den Wirbel- losen. I. Mitteilung. Würzburg 1880. 2) Hans Przibram, Experimentelle Studien über Regeneration. II. Mit teilung. Crustaceen. Arch. f. Entwicklungsm. d. Org. Bd. 13 S. 507—527. 1901. 3) D. Barfurth, Ist die Regeneration vom Nervensystem abhängig? Verhandl. d. anat. Gesellsch. Jena S. 197—201. (Ergänzungsheft zum 19. Band d. Anat. 'Anz.) 906 Sergius Morgulis: Wolff!) (1902) studierte die Regeneration abgeschnittener Glieder bei Tritonen, wenn ein Teil des Rückenmarkes mit oder ohne die dorsalen Ganglien entfernt wurde. Einige Tiere regenerierten nicht; diejenigen aber, die regenerierten, zeigten eine Wiederkehr von Sensibilität. Wolff glaubte, dieser Umstand beweise, dass die normale unterbrochene Nervenverbindung wieder hergestellt wurde, und dass dadurch der bei diesen Tieren zur Regeneration notwendige nervöse Impuls gegeben wurde. Jedoch war seine Operationsmethode zu erob und roh, als dass die Experimente hätten normal verlaufen können; überdies ist seine Interpretation der Resultate nicht über- zeucend, und der Schluss, dass die Regeneration der Extremitäten vom Nervensystem abhängig sei, kann nicht ohne weiteres angenommen werden. Rubin?) (1903) schnitt Teile des Zeutralnervensystems bei Larven von Rana fusca ab und fand, dass Tiere mit solchen Defekten in ihrer Nervenorganisation die amputierten Schwänze regenerieren; dass „. . . die operierten, enthirnten Larven wie die normalen Vergleichstiere ihre Schwänze regeneriert hatten, und zwar bestand in dem Umfang und in der Geschwindiekeit der Regeneration zwischen beiden nieht der geringste Unterschied“ (S. 36). Und ferner sagt er: „Es hatte die vollständige Entfernung des Gehirns in keinem einzigen Falle einen hemmenden Einfluss auf die Regeneration des Schwanzes... in einer gewissen früheren Entwicklungsperiode das Gehirn und wahr- scheinlich das ganze Zentralnervensystem keinerlei Einfluss auf die Vorgänge der Regeneration im übrigen Körper ausübt“ (S. 37). Diese Meinung von Rubin, dass in frühen Entwicklungsstadien das Nerven- system keinen Einfluss auf die Regeneration verlorener Teile des Körpers hat, teilt auch Goldstein (1904). Beim erwachsenen Siredon pisciformis beobachtete Rubin eine unvollständige Regeneration der amputierten Glieder nach der Durch- schneidung des Nervs. Bei solchen Tieren schreitet die Regeneration des Gliedes zuerst normalerweise fort, bald aber nimmt die Geschwindig- keit ab, und die Regeneration kommt zu einem Stillstand. Der Ein- fluss der Durehschneidung des Nervs ofienbarte sich besonders in I) Gustav Wolff, Die physiologischen Grundlagen der Lehre von den Degenerationszeichen. Virchow’s Arch. Bd. 169 S. 308—331. 1902. 2) R. Rubin, Versuche über Beziehung des Nervensystems zur Regeneration bei Amphibien. Arch. f. Entwicklungsm. d. Org. Bd. 16 S. 21—76. 1903. Beiträge zur Regenerationsphysiologie. VI. 507 einer mangelhaften Entwicklung der Muskulatur. Diese Resultate von Rubin sind mit Goldfarb’s!) Beobachtungen der Extremitäten- regeneration bei Diemyetylus nicht in Übereinstimmung. Godlewski’s?) Experimente mit Molchen sind von grossem Interesse, weil dieser Forscher das Nervensystem in der unmittel- baren Nähe der Wundfläche zerstört hat. Die Operation wurde nach einer dieser zwei Methoden ausgeführt. In einer Serie wurde ein dreieckiges Gewebestück vom Schwanze herausgeschnitten und den Lappen die Möglichkeit zum Verwachsen gegeben; infolgedessen war das distale Ende des Schwanzes ohne Rückenmark. In diesem Falle fand Godlewski, dass „die Regeneration am distalen Ende so lange nicht vor sich geht, bis zwischen den beiden terminalen Schwanzstücken das Zentralnervensystem sich herausdifferenziert hat“ (S. 495). In der zweiten Serie wurde der Schwanz mittels eines einfachen Querschnittes amputiert und das Rückenmark mit einer heissen Nadel, die in den Wirbelkanal eingeführt worden war, ausgeschaltet. Die abgeschnittenen Schwänze haben bei keinem einzelnen Exemplare reseneriert, und die histologische Untersuchung zeigte, dass das Rückenmark ebenso nieht regeneriert hat. Diese Serie von Experi- menten ist noch darum merkwürdig, weil sie demonstriert, dass die sensiblen, dorsalen Ganglien, die hier unverletzt geblieben sind, das Rückenmark nicht vertreten können und den notwendigen Impuls zum Regenerieren nicht zu liefern vermögen. Godlewski’s all- gemeiner Schluss aus seinen Forschungen ist: „Das Vorhandensein des unverletzten oder regenerierten Rückenmarks ist eine Bedingung des normalen Verlaufs des Regenerationsprozesses der peripheren Organe bei Triton.“ Godlewski hat auch das folgende Experiment angestellt. Er unterbrach den Zusammenhang des Rückenmarkes durch eine recht- winklige Inzision des Schwanzes, so dass der distale und proximale Teil des Schwanzes nur durch ein schmales Gewebsband an der ventralen Seite verbunden waren. Wurde jetzt der Schwanz posterior zur Inzision amputiert, so wuchs ein neuer Schwanz nicht nur von 1) A. J. Goldfarb, The influence of the nervous system in regeneration. Journ. Exp. Zool. vol. 7 p. 643— 722. 1909. 2) E. Godlewski, Versuche über den Einfluss des Nervensystems auf die Regenerationserscheinungen der Molche. Bull. Intern. Acad. Sc. Cracovie p. 492—505. 1904. 508 Sergius Morgulis: der distalen (vollständigen), sondern auch von der proximalen (teil- weisen) Wundfläche hervor. Dieses Experiment, welches nach Barfurth’s etwas modifizierter Methode durchgeführt worden ist, bestätigt dessen Resultate und ist von besonderer Bedeutung, wenn es in Verbindung mit Godlewski’s ersten zwei Serien von Ex- perimenten betrachtet wird. Später werden wir noch mehr darüber zu sagen haben; vorläufig wird es genügen, die Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass die verschiedenen Resultate, nämlich der totale Mangel der Regeneration des abgeschnittenen Schwanzes oder seine Regeneration, dem Umstande entsprechen, dass im ersten Falle das Nervensystem unmittelbar bei der Wundfläche, im anderen Falle in einer gewissen Entfernung von der Wundfläche verletzt wurde. Nussbaum!) (1908) entdeckte, dass bei Nereis ein neuer Schwanz regeneriert, wenn ein Teil der ventralen Wand mit dem Nerv zusammen entfernt wurde; das geschieht aber nur dann, wenn die Nervenfasern bis zur Wundfläche herangewachsen sind und die Epidermis, welche bald nach der Operation die Wunde verschlossen hatte, berührten. Morgulis?) (1908) experimentierte mit Schlangensternen und fand, dass, wenn der Radialnerv (durch Einführung einer heissen Nadel in den Neuralkanal) in einiger Entfernung von der Amputations- stelle verletzt wurde, eine Regeneration des Armes stattfindet. Wenn aber der Arm am Punkte der Verletzungsstelle des Nervenstammes ab- gebrochen wurde, so erfolgt von dieser Wundfläche aus, trotzdem die Tiere die gleiche Zeit unter Beobachtung waren, keine Regeneration. Der letzte Beitrag zur Frage über den Einfluss des Nerven- 1) Josef Nussbaum, Beitrag zur Frage über die Abhängigkeit der Regeneration vom Nervensystem bei Nereis diversicolar ©. F. Müller. Arch. f. Entwicklungsm. d. Org. Bd. 25 S. 632—642. 1908. 2) S. Morgulis, Regeneration in the brittle-star Ophiocoma pumila, with special reference to the influence of the nervous system. 1 Plate. Proc. Amer. Ac. Arts and’ Sc. vol. 44 no. 23 p. 655-—659. 1908. — Contributions to the physiology of regeneration. I. Experiments on Podarke obscura. Journ. Exp. Zool. vol. 7 p. 595—642. 1909. — II. Experiments on I,umbriculus. Arch. f. Entwicklungsm. d. Org. Bd. 28 S. 396—439. 1909. — Il. Further experiments on Podarke obscura. Journ. Exp. Zool. vol. 10 p. 7—22. 1911. — IV. Regu- lation of the water content in regeneration. Journ. Exp. Zool. vol. 10 p. 321—348. 1911. — V. Regeneration isolierter Segmente und kleiner Stücke von Würmern. Arch. f. Entwicklungsm. d. Org. Bd. 31 S. 669—679. 1911. Beiträge zur Regenerationsphysiologie. VI. 509 systems auf die Regeneration ist von Goldfarb '), der seine Unter- suchungen auf Tiere verschiedener Gruppen ausbreitete und die Wichtiekeit des histologischen Studiums des Materials betonte. Die Resultate seiner Experimente sind sehr interessant, doch werden wir nur die Experimente über die Schwanzregeneration bei Diemyetylus, die in Verbindung mit unseren eigenen Untersuchungen von Be- deutung sind, näher besprechen. Goldfarb verletzte das Nervensystem durch Einbohren in den Wirbelkanal, wodurch er das Rückenmark für beliebige Entfernungen von der Wunufläche ausschaltete. Der Schwanz regenerierte fast nie. „The absence of the cord from the end is associated with the absence of the new tail* (p. 675). Da war auch ein unverkennbarer Beweis dafür, dass das Rückenmark bis zur Amputationsfläche hinaus wächst, und wenn genug Zeit dazu gelassen wurde, regenerierte das Rückenmark, und dann erst fing der Schwanz zu regenerieren an. Bei einen Salamander, dem 8 mm des Rückenmarkes ausgeschaltet waren, wuchs wirklich in 79 Tagen ein neuer Schwanz von 3 mm aus, und es fand sich, dass „the cord thins very gradually to and beyond theamputatedend to the very tip of the amputated tail*“. Der Impuls des wachsenden Rückenmarkes ist nicht genug, um eine Regeneration hervorzubringen, so lange es proximal von der Amputationsfläche geblieben ist. „But as soon as the cord actually reaches the end, regeneration begins“ (p. 680). Wenn aber der Nervenkanal, von welchem das Rückenmark ausgeschaltet worden war, mit Paraffın verstopft wurde, um das Hervorwachsen des Rückenmarks zu ver- meiden, konnte kein einziges operierte Tier den anıputierten Schwanz regenerieren. In den vorhergehenden Seiten haben wir die Meinungen der verschiedenen Forscher bezüglich des diskutierten Problems dargelegt und haben ihre positiven oder negativen Ergebnisse in Beziehung zur angewandten Operationsart zu stellen versucht. Diejenigen, die den Einfluss des Nervensystems auf die Regeneration leugnen, weisen oft darauf hin, dass auch bei einzelligen Organismen und bei Eiern, welche jede Spur eines Nervensystems entbehren, eine Regeneration vorkommt. Dieser Argument ist dennoch nicht logisch. Es ist selbst- redend klar, dass ein Ei oder ein einzelliger Organismus ohne Nervenimpuls regenerieren kann; von welcher Bedeutung soll aber 1) A. J. Goldfarb, 1. c. 510 Sergius Morgulis: diese Tatsache für die Regeneration der Organismen mit einem hoch differenzierten Nervensystem, welches im gewissen Maasse einen regulatorischen Einfluss auf das organische Leben ausübt, sein? Es ist gleichfalls unzulässig, die an Larven und ganz jungen Tieren gewonnenen Resultate zu verallgemeinern und auf das ganze Tier- reich zu übertragen. Man muss immer bedenken, dass die Re- generation erwachsener Tiere nur mit derselben anderer erwachsener Tiere verglichen werden darf; und diese Regel ist auch für Larven anzuwenden. Andererseits streiten auch die Anhänger der Meinung, dass das Nervensystem für die Regeneration notwendig sei, nicht selten mit unzuverlässigen Argumenten. Herbst’s Entdeckung der Regeneration von antenuaähnlichen Organen bei Crustaceen an Stelle eines ver- lorenen Auges wurden von einigen als unbestreitbarer Beweis dafür, dass die Regeneration im allgemeinen von einem Nervenreiz abhängig ist, betrachtet. Auch King’s!) Experimente mit Asterias, in welchen die Verfasserin bewiesen hat, dass nur der orale Teil des Armes, der die eetodermale Nervenplatte enthält, regenerationsfähig ist, während der aborale Teil, ohne den Nerv, gar nicht regeneriert, sind als Beweis des ’kausalen Verhältnisses zwischen Regeneration und Nervenreiz angeführt worden. Was immer auch diese Experimente bedeuten mögen, jedenfalls ist aus der Acht gelassen worden, dass wir gar keinen Beweis dafür haben anzunehmen, dass gerade die An- oder Abwesenheit der Nervenplatte für die erwähnten Resultate mit den oralen oder aboralen Teilen eines Armes verantwortlich sei. Wenn wir jetzt alles, was bisher gesagt wurde, zusammenfassen, so scheint es gerechtfertigt, an einen formativen oder qualitativen Einfluss des Nervensystems auf die Regeneration zu glauben; ferner ist auch eine unverkennbare quantitative Abhängigkeit wahrzunehmen, wenn die Verletzung des Nervensystems in die Fläche der Wunde zu liegen kommt. In den Experimenten, die weiter unten beschrieben werden, wird ein weiterer Beweis für diese Hypothese gegeben werden, aber die Interpretation der Rolle des Nervensystems wird von der gewöhnlichen etwas abweichen. Wie schon früher erwähnt wurde, haben die technischen Schwierig- keiten der Untersuchung des Verhältnisses zwischen Regeneration 1) H. D. King, Regeneration in Asterias vulgaris. Arch. f. Entwicklungsm d. Org. Bd. 7 S. 351—363. 1898. Beiträge zur Regenerationsphysiologie. VI. 511 und Nervensystem viel dazu beigetragen, um das Problem zu verwirren. Eine zu schwere Verletzung des operierten Tieres oder Verletzung der Blutgefässe und anderer Organe muss man soweit wie nur möglich vermeiden, sonst kann dies den normalen Verlauf der Regeneration hindern. Die Experimente wurden meist an Tieren, die ein hoch- entwickeltes Nervensystem besitzen, angestellt; dennoch gäbe es viel weniger Gelegenheit zu Irrtümern und weniger Veranlassung zu Miss- verständnissen, hätte man Tiere mit einer einfachen Nervenorganisation gewählt. Aus diesem Grunde habe ich Ophiuroiden für meine Ex- perimente gewählt. Ausser den Vorteil, welchen die Tiere wegen der grossen Anzahl von Armen, die zur selben Zeit operiert werden können, gewähren, sind sie noch besonders günstig für unseren Zweck, L EDEN: ED LEE BE ZEHN EN HE FAR HR NER EIZ RS PRHEEE BIER Er Ber en long. = ı stonvach. Er 7 ı 2 ö > ! erih kerrr €) ek anar. errih ' RB L ISPHEN ie IR q d: ° P . W.Vvr. Fig. 1. Ein Sagittalschnitt eines Ophiuroiden-Armes. Kopiert aus der Oambridge Natural History vol. 1 p. 486 (Fig. 213). ep. Epineuralkanal; nerv.r. Nervenring; perih. Perihämalkanal; gang. r. Ganglion des radialen Nervenstammes; coe. Cölom- aum; vert. Wirbel; muse. long. Zwischenwirbelmuskeln ; w. vor. radialer Wasser- gefässstamm. wie uns die Übersicht ihrer Morphologie bald zeigen wird, weil das Nervensystem kann leicht ohne wesentliche Beschädigung anderer Strukturen entfernt werden. Das Nervensystem der Ophiuroiden besteht aus einem zentralen Teil, dem Nervenring, der den Ösophagus umfasst, und von welchem fünf radiale Nervenstämme in jeden Arm ausgehen. Das Nerven- system ist nicht so difus wie bei den Asteroiden und ist in einem bestimmten Kanal enthalten. Auch andere gangliöse Gruppen sind überall im Körper zerstreut, aber uns interessieren nur der Nerven- rine und die Nervenstämme, die ein wohl definiertes und konzen- triertes System bilden. Fig. 1, die einen etwas schematischen sagittalen Sehnitt durch einen ophiuroiden Arm darstellt, bietet einen guten Überblick seiner Morphologie. Der Arm besteht aus einer Reihe von verkalkten Ringen oder Segmenten, die im oberen Teil das Coelom, im unteren Teil den ol2 Sergius Morgulis: Epineuralkanal, durch welchen der radiale Nervenstamm bis zur Spitze des Armes läuft, einschliessen. Neben und über dem radialen Nervenstamm liegt der perihämale Raum und der radiale Wasser- gefässkanal. Die obere und untere Hälfte des Armes sind von- einander durch eine Reihe von Wirbeln und Zwischenwirbelmuskeln, die zur Bewegung des Armes dienen, getrennt. Der Nerv, der aus einem ektoneuralen und hyponeuralen System, die überein- ander liegen, besteht, ist in Wirklichkeit eine doppelte Struktur. Das ektoneurale System ist durch eine einzelne Zellenschicht, die sich nur auf die Ganglien beschränkt, dargestellt, und ist angeblich der sensible Teil des Nerves. Das hyponeurale System ist wahr- scheinlich der motorische Teil und besteht aus einer Anhäufung von Nervenzellen, die sich den ganzen Nerv entlang erstrecken. Die Operationsmethode am Nervensystem der Ophiuroiden folst direkt aus dieser anatomischen Beschreibung: man führt einfach einen Draht oder eine Nadel bis zur beliebigen Tiefe in den Neural- kanal hinein, wobei keine Verletzung anderer Organe stattfindet. Ich glaubte, dass eine grosse Art von ÖOphiuroiden sich besser für diese Operation eignen werde, weswegen ich Ophioderma longicauda wählte, die nicht nur wegen ihrer Grösse, sondern auch wegen ihrer Unfähigkeit zu autotomisieren vorzuziehen ist. Tatsächlich konnten diese Tiere mittels eines Platindrahtes von passender Dicke sehr leicht operiert werden, und sogar grosse Stücke des Nervenstammes wurden ausgekratzt. Leider fing bald der nervenlose Teil des Armes zu degenerieren an, und der schnelle Verfall der Gewebe verursachte oft den Tod der Tiere. Die Experimente mit Ophioderma longicauda haben deshalb keine Resultate ergeben, weswegen für diese Studien wir nun die viel kleinere Art Ophioglypha lacertosa benutzt haben. Der Neuralkanal bei diesen Tieren ist klein, weshalb für die Operation eine dünne Nadel mit gezackter Oberfläche anstatt des Platindrahtes verwendet wurde. Die wichtigste Schwierigkeit, beim Experimentieren an Ophioglypha lag nieht so sehr in ihrer geringen Grösse, als viel-. mehr in ihrer ausserordentlichen Fähigkeit, die amputierten Arıne zu autotomisieren, und es war viel Übung notwendig, um die Operation erfolgreich ausführen zu können. Die Tiere kann man entweder anästhesieren, oder wenn man sie gut behandelt, kann man sie auch im normalen Zustande operieren. Drei Arme wurden in dem- selben Niveau mit einem scharfen Messer abgeschnitten (der mittlere diente immer als Kontrolle). Um das Abwerfen des zurückgebliebenen Beiträge zur Regenerationsphysiologie. VI. RR Stumpfes zu vermeiden, musste derselbe zwischen den zweiten und dritten Finger der linken Hand gelegt und durch Zusammendrücken steif und gerade gemacht werden. Nun wurde die Nadel, die man in der rechten Hand hält, gerade über den Nerv an die Wundfläche angelegt. Unter dem leichten Druck der Nadel lässt der Neural- kanal etwas nach und dehnt sich aus, in welehem Augenblicke die Nadel geschwind bis zur erforderlichen Tiefe hineingetrieben werden muss. Wenn dies nieht schnell genug geschieht, wird der operierte Arm fast ausnahmslos durch die heftigen Kontraktionen der Zwischen- wirbelmuskeln abgeworfen. Der Teil des Armes, durch den die Nadel durchging, ist sofort gelähmt; er wird steif und bewegungslos. Zwei Arme wurden immer in derselben Weise operiert, und ein dritter mit den intakten Nerven diente zur Kontrolle. Fig. 2. Schematische Darstellung des Zustandes des Nervensystems bei Tieren, die nach der ersten (a) oder nach der zweiten (b) Methode operiert wurden; rad. n. radialer Nervenstamm; n.r. Nervenring. Nach dieser Methode wurde die Operation ausgeführt, um den unmittelbar an die Wundfläche anliegenden Teil des radialen Nerven- stammes zu entfernen. Ausserdem wurde eine andere Operation ausgeführt, um die Verbindung des Nerves eines Armstumpfes mit dem Nervenring zu unterbrechen. Der Zweck dieses Experimentes war, in der Nähe der Wunde einen unverletzten Teil des radialen Nerven zu lassen, der vom übrigen Nervensystem getrennt war. Um dies zu erreichen, war es notwendig, in der Mitte der oralen Seite eines Armes und dicht an der Scheibe zwei kleine Inzisionen zu machen. Das abgesplitterte Stückchen der Wand konnte ohne weiteres entfernt und so ein Zugang in den Neuralkanal geschaffen werden. Die Nadel konnte dann durch diese Öffnung in den Kanal eingeführt werden; und der Nerv wurde durch Ein- und Ausstossen der Nadel bis zur Hälfte des Stumpfes ausgeschaltet. In diesem Falle war der Teil des Armes in der Nähe der Scheibe 914 Sergius Morgulis: paralysiert, und Tiere, die nach einer oder der anderen Seite operiert worden waren, konnte man dadurch unterscheiden, wie sich der operierte Stumpf bewegte. In dem Diagramm, Fig. 2, sind beide ÖOperationsarten veranschaulicht. Die Resultate dieser Experimente waren durchaus übereinstimmend und wiederholten sich ohne Abweichung in verschiedenen Serien. Tafel IX enthält Photographien einiger Tiere aus einer Serie, denen ca. 26—28 Tage zum Regenerieren überlassen wurden. Die ersten drei (Fig. 1—5) wurden nach der zweiten Methode operiert, und der Zustand ihres Nervensystems ist in Figur 25 des Diagramms dar- gestellt. Es hat sich gezeigt, dass die abgeschnittene, mit einem vom übrigen System getrennten Stück des Nervenstammes versehenen Arme in jedem Fall regenerieren; doch ist der regenerierte Teil bedeutend kleiner als im Kontrollversuche (mittlere Arme). Bei den andern fünf Tieren (Fig. 4—7) haben wir den Nerv von der Wund- fläche nach einwärts verletzt, wie in Figur 2 a des Diagramms gezeigt, ist. Bei diesen Tieren wurde keine Regeneration konstatiert, ob- schon alle Kontrollarme grosse Regenerate gebildet hatten. Die Resultate waren immer so deutlich, wie hier beschrieben ist: wo kein Nerv an der Wundfläche vorhanden ist, kommt keine Regeneration vor; wo hingegen nur die Ver- bindung des radialen Nervenstammes mit dem ganzen System unterbrochenist, da erscheint der Regenerat bloss verkleinert, und die Regeneration bleibt gewöhnlich nicht aus. Selbstverständlich war es von Bedeutung, zu unter- scheiden, ob der Nerv wirklich ausgeschaltet war, und ob er später vielleicht nicht regenerierte. Die Arme wurden deswegen in Sublimat konserviert, entkalkt, in Celloidin eingeschlossen und in sagittale Schnitte zerlegt. Die Schnitte wurden dann mit Delafield’s Hämotoxylin gefärbt; es konnten aber ungefärbte Schnitte ebenso- gut studiert werden. Die mikroskopische Untersuchung offenbarte ziemlich interessante Tatsachen, die am besten aus den Zeichnungen auf Tafel X entnommen werden können. Fig. 1 ist eine Zeichnung eines normalen, regenerierenden Armes. Wir beobachten, dass der alte Nerv in das Regenerat hineinwächst und regeneriert wird. Der Cölomraum und der Neuralkanal dehnen sich in das Regenerat aus, ein unverkennbarer Beweis, dass das Skelettsystem, das gleichfalls direkt vom System des alten Armes stammt, vorhanden ist. Die neue Epidermis ist mit der alten Epidermis kontinuierlich. Beiträge zur Regenerationsphysiologie. VI. >> Fig. 2 stellt zwei Zeichnungen aus verschiedenen Abteilungen eines Armes vor, bei dem der Nerv ungefähr die Hälfte von der Scheibe zur Wundfläche ausgekratzt wurde. Die Regeneration ist bedeutend geringer als in der Kontrolle. In der unteren Zeichnung, Fig. 2a, sehen wir den Nerv, der, genau wie im normalen Arm, ins Regenerat hineinwächst. Die Räume sind alle deutlich begrenzt und stehen mit denjenigen im alten Arme in Verbindung. Das Skelett ist auch eine direkte Proliferation vom Skelettsystem des Stumpfes. In der anderen Hälfte der Zeichnung, Fig. 2b, welche vom selben Arm stammt, aber einen näher zur Scheibe gelegenen Teil darstellt, finden wir das proximale Ende des Nervs, die noch Spuren der Ver- letzung zeigt. Das Gewebe ist dort etwas locker, und von einer Masse körniger, degenerierter Substanz umhüllt. Hier sind weder Zeichen einer Regeneration von dem verletzten Ende des Nervs proximalwärts, noch irgendwelche Beweise, dass ein Nerv vom Nervenring in dem Neuralkanal hervorwächst, denn der Kanal ist ganz leer. Das abgetrennte Stück des Nervs an der Wundfläche genügt vollkommen, um eine Regeneration des Armes zu versichern, obschon der verkleinerte Zustand des Regenerates zeigt, dass die Operation und Verletzung des Nervs einen ungünstigen Einfluss ausübte. Einen ganz verschiedenen Anblick empfangen wir, wenn wir die Fig. 3 betrachten. Diese stellt gleichfalls zwei Abteilungen desselben Armes dar, in dem der Nerv von der Wundfläche einwärts zerstört wurde. Die obere Fig. 35, die einen Schnitt durch den Arm dicht an der Scheibe darstellt, zeigt den radialen Nervenstamm, wie dieser aus dem Nervenring hervorkommt (der Nervenring liegt etwas höher als der radiale Nerv) und eine kurze Strecke in den Neuralkanal hineinläuft. Sein freies Ende ist körnig; hier ist kein Zeichen einer Regeneration vorwärts vorhanden. Die Fig. 3a zeigt den Zustand desselben Armes am amputierten Ende. Hier ist kein Regenerat vorhanden, nur die Epidermis ist über die Schnitttläche gewachsen und hat die Wunde geschlossen, aber das Skelett regenerierte nicht. Die Räume der oberen und unteren Hälfte des Armes sind vereinigt, und der Neuralkanal, soweit die Nadel eingeführt wurde, ist leer, obschon in einigen anderen Fällen er stellenweise mit Massen von körnigem Material, den Überresten des verletzten Nervs, verstopft war. Die Vergleichung der drei Zeichnungen genügt, um jeden Zweifel bezüclich der Verhältnisse des Nervensystems zur Regeneration 516 Sergius Morgulis: zu entfernen. Im letzten Fall (Fig. 3a) sind die vorbereitenden Phasen der Regeneration vollendet, und die Wunde ist durch eine Proliferation der alten Epidermis verschlossen. Dennoch zeiet das Skelett keine Spur einer Proliferation und Produktion eines neuen Armes. Dies ist die Folge, dass am Schnittende kein Nerv vor- handen ist, der am regenerativen Prozesse teilnehmen könnte. Der Erfolg dieser Untersuchung über die Regeneration bei Ophiuglypha lacertosa ist ein wichtiger Beweis für die Hypothese, dass die Anwesenheit des Nervs an der Schnittfläche eine conditio sine qua non der vollkommenen Regeneration ist. Diese Hypothese haben wir zuerst auf die Analyse fremder Resultate gegründet. Die Gleich- mässigkeit der Resultate unserer eigenen Experimente spricht für ihre Wichtigkeit als Grundlage dieser Theorie. Diese Untersuchung hat die quantitative Abhängigkeit der Re- generation vom Nervensystem ganz deutlich nachgewiesen; es wäre dennoch falsch, den Schluss noch weiter zu treiben und die Unerlässlich- keit eines Nerventriebes, möge er nun als funktioneller Reiz oder als tropkischer Einfluss auf die Regeneration betrachtet werden, vorauszusetzen. Denn wenn wir so verführen, würden wir die sichere Grenze der Logik verlassen und Hypothesen aufeinander häufen. Wir gelangen somit zur Ansicht, dass die Regeneration eines Örganes von der Anwesenheit des Nervs an der Schnittfläche be- dingt ist, dort wo der Nerv schon vollkommen entwickelt ist. Sind wir aber damit gezwungen eine vorherrschende Rolle des Nerven- systems bei der Regeneration einzunehmen? Wir versuchten am Anfang der Abhandlung klar zu machen, dass der Begriff der Wichtig- keit des Nervensystems ein teleologischer ist. Wir möchten jetzt hinzufügen, dass das Nervensystem für die Regeneration nur als ein Element des organischen Komplexes, welcher den neuen Teil pro- duziert, unerlässlich ist. Die Durchsicht der Zeichnungen in Tafel X zeigt, dass eine gemeinschaftliche Tätigkeit von verschiedenen Elementen notwendig ist, und wenn irgendeines (in unseren Versuchen der Nerv) gänzlich fehlt, so ist eben dieser Komplex vernichtet, und keine Re- generation erfolgen kann. Theoretisch ausgedrückt, kann man sich den regenerierenden Komplex als aus den Elementen a, b, c, d usw., deren eines das Nervensystem darstellt, zusammengesetzt vorstellen. Die vollkommene Entfernung eines Elementes würde, indem es die organische Einheit zerstört, die Regeneration verhindern; man kann Beiträge zur Regenerationsphysiologie, VI. 517 folglich keinem dieser Elemente mit Berechtigung eine grössere Be deutung vor den andern beimessen, weil alle im gleichen Grade not- wendig sind, um das Endresultat hervorzubringen. Der Einfluss des Nervensystems auf die Regeneration hängt von seiner An- oder Abwesenheit an der Wundfläche ab, aber nicht von seinem vermuteten funktionellen Über- gewicht. Und ich wage zu behaupten, dass man ähnliche Resultate bei vollständiger Entfernung eines anderen Elementes er- halten würde. Erklärung der Tafel IX und X. Tafel IX. Eine Photographie von sieben Schlangensternen Ophiulypha lacertosa. Bei den Tieren 1—3 wurde die Verbindung des Nervenringes mit dem radialen Nervenstamm zerstört; trotzdem findet in den operierten Armen eine Regeneration statt. Tiere 4—7 zeigen keine Spur von Regeneration; bei diesen Tieren wurde der radiale Nervenstamm von der Wundfläche nach einwärts zu zerstört. Der mittlere der drei operierten Arme diente immer zur Kontrolle. Tafel X. Die Figuren wurden mit einer Camera lucida Abbe gezeichnet. Fig. 1, 2@ und 25 unter 45facher Vergrösserung; Fig. 3a und 35 unter 24 facher Vergrösserung. Die Figuren wurden dann alle bis auf zwei Drittel ihrer Grösse reduziert. Fig. 1. Ein Sagittalschnitt durch das Regenerat eines Kontrollarmes. Fig. 2a. Ein Sagittalschritt durch einen regenerierenden Arm, dessen radialer Nervenstamm in der Nähe der Scheibe ausgekratzt wurde. Fig. 25. Dasselbe, aber ein mehr proximal gelegener Abschnitt. Fig. 3a. Ein Sagittalabschnitt durch einen regenerierenden Arm, dessen Nervenstamm bei der Wundfläche zerstört worden ist. Fig. 3b. Dasselbe, aber ein proximaler Abschnitt. ep. Epineuralkanal; r.n. radialer Nervenstamm; perih. Perihämalraum; w.vr. radialer Wassergefässstamm:; coe. Cölomraum; s.s. Skelettsystem; d.n. degenerierendes Nervenende; r.a. Regenerat. Literaturverzeichnis. (Im Texte nicht zitiert. 1) C. Davydoff, Beiträge zur Kenntnis der Regenerationserscheinungen bei den Ophiuren. 2 Tafeln. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 69 S. 202—234. 1901. 2) K. Goldstein, Kritische und experimentelle Beiträge zur Frage nach dem Einfluss des Zentralnervensystems auf die embryonale Entwicklung und die Regeneration. Arch f. Entwicklungsm. d. Org. Bd. 18 S. 57—110. 1904. Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 143. = © [371 518 Sergius Morgulis: Beiträge zur Regenerationephysiologie. VI. 3) C. Jacobson, The rate of healing of wounds in denervated skin areas and its bearing on the theory of trophic nerves. Amer. Journ. Physiol. vol. 26 p. 413—419. 1910. 4) Otto Hamann, Die Schlangensterne in Bronn’s Klassen und Ordnungen des Tierreichs. II, 3. Buch III. 1901. 5) C. 8. Hines, The influence of the nerve on the regeneration of the leg of Diemyctylus. Biol. Bull. vol. 10 p. 44—47. 1905. 6) Ss. Samuel, Das Gewebswachstum bei Störungen der Innervation. Virchow’s Arch. Bd. 113 8. 272—314. 1888. 7) P. Wintrebert, Sur la regeneration des members posterieurs chez Vaxolotl adulte, apres ablation de la moelle lombro-socr&ee. Compt. Rend. Soc. Biol. t. 56 p. 725—126. Paris 1904. 519 (Aus dem Hamburger medico-mechanischen Zander-Institut.) Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sogenannte arterielle Hypertension; zugleich ein Beitrag zur Frage der aktiven Arterienbewegung. Von Dr. K. Hasebroek. (Mit 5 Textfiguren.) In früheren Arbeiten habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass der Charakter der klinischen Blutdrucksteigerung mit vorzugsweise beteiligtem Druckmaximum, zurückbleibendem Minimum und ver- grösserter Druckamplitude physikalisch gegen erhöhte periphere Widerstände spricht. Schon nach den Versuchen Volkmann’s mit rhythmischem Durchfluss durch ein elastisches Rohrsystem nehmen mit steigenden Widerständen Maxima und Minima gleichzeitig zu, die Amplituden ab!). Ich schloss daraus, dass bei der klinischen Blutdrucksteigerung eine besondere Energie sich zum Maximum des herzsystolischen Druckes hinzuaddieren müsse. Ich habe nach- zuweisen versucht, dass eine solche Energie in einer aktiven konstriktorischen Tätigkeit der Gefässwände besteht, ausgelöst durch den Reiz der andrängenden primären Pulswelle?). Die Volkmann’schen Versuche haben nur die Widerstände berücksichtigt, die am elastischen System durch verschieden grosse Ausflussöffnungen variiert werden. Man kann einwenden, dass der- artige Widerstände nicht den Widerständen entsprechen, wie sie am Arteriensystem in Spannungsveränderungen in Frage kommen. Dieser Einwand ist besonders für die sogenannte „arterielle Hyper- 1) Volkmann, Hämodynamik S. 103. Leipzig 1850. 2) Hasebroek, Die Blutdrucksteigerung vom ätiologischen und thera- peutischen Standpunkt. Preisarbeit der Hufeland’schen Gesellschaft 1910. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1910. 30“ 520 K. Hasebroek: tension“ berechtigt. Dies hat mich veranlasst, die folgenden Ver- suche mitSpannungsänderungeninrhythmisch mit Wasser durehflossenen elastischen Gummischläuchen anzu- stellen. Im ersten Teil dieser Arbeit gebe ich experimentelle Fest- stellungen, inwieweit physikalische Veränderung der Wandspannung den Druckablauf in den Schläuchen beeinflusst; zugleich das Resultat, dass erscheinende Drucksteigerungen sich von denjenigen am lebenden Arteriensystem wesentlich unterscheiden. Im zweiten Teil der Arbeit zeige ich, dass man experimentell durch Hinzufügen einer bestimmten rhythmischen pressorischen Energie, die während der Durchströmung auf die Schlauchwandungen von aussen wirkt, auch an dem toten System gesetzmässig Drucksteigerungen er- hält, die vollkommen den Charakter der klinischen Druck- steigerung haben. Im dritten Teil der Arbeit ziehe ich die Konsequenzenim Hinblick auf meine Theorien der klinischen Blutdrucksteigerung und der Blutbewegung schlechthin. Allgemeine Versuchsanordnung. Von einem ca. 60 Liter Wasser enthaltenden Druckgefäss wurden durch intermittierend sich öffnenden Hahn mittels durchschnittlich gleichlaufenden Elektromotores ca. 2 m lange Schläuche durehflossen. Hahnöffnung (Querschnitt reckteckig 20 x 10 mm) auf 54- und 144 mal in der Minute einstellbar. Die Schläuche ruhten der Länge nach auf einer Brettunterlage. Zur Widerstandsbestimmung dienten die Zeiten und die Zahl der Hahnöffnungen — in den Tabellen als Pulse bezeichnet —, in denen ein !/s-Liter-Gefäss durch das ausströmende Wasser gefüllt wurde. Die Drücke wurden als Maximum und Minimum an den rhyth- misch in .gläsernen Steigrohren steigenden und fallenden Wasser- ständen bestimmt. Die Wandspannung der Schläuche wurde verändert: 1. in der Längsspannung: durch Ausrecken der Schläuche, 2. in der Ringspannung: durch Umwickeln der ganzen Länge des Schlauches mit einem 1!/a cm breitem stoffdurchwirkten Gummiband. Die Einzel- touren wurden unter mässiger Anspannung möglichst glatt, sich nicht oder kaum deckend, spiraförmig herumgelegt. Die Umwicklung kam in ein, zwei und drei Lagen zur Anwendung. Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension etc. 521] I. Der Druckablauf in rhythmisch durchflossenen Gummi- schläuchen unter variierter Wandspannung. 1. Wandspannung und Stromwiderstände. Es ist vorauszuschiecken, wie sich Ausreckune und Um- wieklung der Schläuche als Spannungsveränderungen zu den Stromwiderständen verhielten; es war anzunehmen, dass Material, Wanddicke des Schlauches und deren Verhältnis zum Lumen eine Rolle spielen würden. Ich halte die Mitteilung dieser Beziehungen für wiehtig sowohl zum Verständnis des Ganges der späteren Unter- suchung als zum Nutzen für etwaige Nachuntersucher. Es haben sich manche auffallende Erscheinungen gezeigt, deren Bearbeitung mit einer entwickelteren Versuchstechnik schon an sich sicher dank- bar wäre. Sämtliche Zahlenwerte sind Mittelzahlen aus zwei bis fünf Einzel- bestimmungen, die übrigens nur geringe Abweichungen unter sich zeigten; Füllungszeit und Strompulswerte stimmten so gut überein, dass ich schliesslich nur die Zeitwerte registriert habe. Da bei diesen Widerstandsversuchen die Einzelbestimmungen sich rasch aneinander- schlossen, und es sich dabei nur um den Abfluss von zwei bis drei Liter aus dem Druckgefäss handelte, so benutzte ich anfangs den direkten Wasserdruck im Druckgefäss. Später und bei den Haupt- versuchen ausschliesslich, verwandte ich den gleichbleibenden Höhen- druck der Mariotte’schen Flasche. Bei diesen Bestimmungen wurde die absolute Höhe des Druckgefässes noch nicht notiert: hieraus erklären sich die vorkommenden Verschiedenheiten der absoluten Zeiten und Pulse des Durchfiusses. Die technische Anordnung ersieht man aus Fig. 1 S. 529, in der man sich für diese Versuche das Steigrohr noch fortzudenken hat. A. Älterer grauer Gummischlauch A. Lumen 7 mm. ‘Wanddicke 3!/s mm. Länge anfangs 191 cm, später (aus äusseren Gründen gekürzt) 156 cm. a) Einfluss der Ausreckung des Schlauches A auf die Füllungszeit des £ l/o-Liter-Gefässes. Das Ausrecken geschah so, dass der Gehilfe, der gleichzeitig am Ausfluss die Beendigung der Füllung des untergestellten Gefässes mir zuzurufen hatte, den Schlauch an seinem Ende fasste, sanft aus- 523 K. Hasebroek: zog und in der ausgezogenen Länge festhielt, ohne ihn von der Unterlage abzuheben. Um jedes Zusammendrücken der Wandungen an der gefassten Stelle zu vermeiden, war das Schlauchende auf 5 cm mit Il mm starkem, weichen Eisendraht derartig umwickelt, dass das “Lumen nicht kleiner wurde und die Drahtspirale dennoch so fest an der Schlauchoberfläche sich hielt, dass der Schlauch dem Längszug mit seiner Dehnung folgte. Tabelle 1. Motor —= 54 Hahnöffnungen in der Minute. Zahl der Sekunden (und Pulse) Datum Aus- zur Füllung des !/s-Liter-Gefässes 1910 reckung Se Een rn il vor der | nach der cm Ausreckung | Ausreckung | 24. Okt. | 191:5199 27 (24) | 28,5 (25) 2. 191: 199 22 (20) 25,5 (22) 26: 0% 186: 193 27 (24) | » (22) 2 N 186: 199 25 (22) | 27 (24) Tabelle 2. Motor — 144 Hahnöffnungen in der Minute. Zahl der Sekunden (und Pulse) Datum Aus- zur Füllung des !/e-Liter-Gefässes 1910 reckung REN! vor der | nach der cm Ausreckung | Ausreckung 23. Okt. 186 : 205 23 59) | 21 (48) 1. Nov. 186 : 205 23 (59) 21 (48) 4: 186 : 205 20,5 (48) | 19 (44) Resultat: Bei niedriger Frequenz der Strompulse unsicheres Ergebnis. Bei höherer Frequenz wurden am Schlauch A durch ver- mehrte Längsspannung die Stromwiderstände herabgesetzt. b) Einfluss der Umwicklung des Schlauches A auf die Füllungszeit des Y/a-Liter-Gefässes. Da die Länge des Schlauches bei der Umwicklung zunimmt — in den Tabellen als sekundäre Verlängerung bezeichnet —, so war bei den Versuchen die Länge einstimmig festzulegen. Ich erreichte dies in der Weise, dass ich die Versuchsreihe jedesmal mit dem be- wickelten Schlauch begann, dessen Längenzunahme durch einen Kreide- strich auf der Unterlage markierte und bei der sich anschliessenden Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension etc. 523 Vergleiehsdurchströmung, die nach Abnahme der Binde gemacht wurde, den Schlauch durch Ausrecken allemal auf die Marke einstellte. Tabelle 3. Motor — 54 Hahnöffnungen in der Minute. Zahl der Sekunden (und Pulse) zur Füllung Datum Sekundäre des !/a-Liter-Gefässes Verlängerung 1910 3 : zweite erste ohne cm Umwicklung | Umwicklung | Umwicklung 24. Okt. | 191 :199 | 45,589) | 32 (30) 28 (25) Da, 191 :199 sl 23) | 27 (24) 25 (22) 2b, 186 :193 32 (28) 27 (24) 25 (22) DER 186: 199 32 (28) 27 (24) 25 (22) Tabelle 4. Motor — 144 Hahnöffrungen in der Minute. Sekundir Zahl der Sekunden (und Pulse) zur Füllung Datum un la des Y/s-Liter-Gefässes 1910 Verlängerung 2 ER zweite erste ohne em Umwicklung | Umwicklung | Umwicklung 27. Okt. 186 : 199 31 (73) 28 (67) = ET 186 : 195 28 (73) 23 (53) 20,5 (47) Sl, 186 : 199 32 (73) 23 (58) 20 (47) Resultat: Bei niedriger und höherer Frequenz der Strompulse werden am Schlauch A durch vermehrte Ringspannung die Strom- widerstände erhöht. B. NeuerroterGummischlauch 5, frischausder Fabrik bestellt. Lumen 8mm, Wanddicke4mm, Länge anfangs 201 em, später (aus äusseren Gründen gekürzt) 188 cm. a) Einfluss der Ausreckung des Schlauches B auf die Füllungszeit des !/s-Liter-Gefässes. Tabelle 5. Motor — 54 Hahnöffnungen in der Minute. (Mariotte’sche Flasche.) Zahl der Sekunden zur Füllung des !/s-Liter-Gefässes Datum 1911 ungereckt | ausgereckt | ausgereckt | ausgereckt | ungereckt Länge188cm| auf 192 cm | auf 200 cm | auf 205 cm | Länge 188cm 26. Juli 44 | 42 | 41 | 41 | 4 Bl, 45 42 | 41 41 | 43 Ze 44 | 43 | 42 42 | 43 524 K. Hasebroek: Tabelle 6. Motor — 144 Hahnöffnungen in der Minute (Mariotte’sche Flasche). Zahl der Sekunden zur Füllung des !/a-Liter-Gefässes Darum 1911 en | ausgereckt | ausgereckt | ausgereckt un 188 a | auf 192 cm | auf 200 cm | auf 205 cm 188 S 8. Mai 150 — 122 130 25. Juli 145 | 133 123 120 138 26.7 %, 220 | 200 165 145 215 2. , 133 | 132 123 118 135 Resultat: Bei niedriger und höherer Frequenz der Strompulse werden am Schlauch D durch vermehrte Längsspannung die Strom- widerstände herabgesetzt. b) Einfluss der Umwicklung des Schlauches B auf die Füllungszeit des /.-Liter-Gefässes. Tabelle 7. Zahl der Sekunden (und Pulse) zur Füllung Sekundäre des !/e-Liter-Gefässes Datum SR - Sr r Verlängerung zweite erste ohne Umwicklung | Umwicklung | Umwicklung Motor — 54 Hahnöffnungen in der Minute 29.2.Dezu01910.11,72201: 204727] 17 (15) 15 (16) 20 (18) Motor — 144 Hahnöffnungen in der Minute 31. Dez. 1910 201 : 204 58 (131) 58 (131) 67 (152) 10. Jan. 1911 201: 205 — 60 (132) 63 (138) 1320, 1918 201 : 209 64 (136) 61 (132) 65 (139) 19 201 : 208 64 (136) 62 (132) 68 (152) 162.2 1911 201 : 208 56 (119) 60 (125) 61 (136) al len 201 : 207 64 (136) 62 (132) 66 (139) 24:2, 1981 201 : 207 64 (136) 62 (132) 66 (139) 2300219 201 : 207 64 (136) 62 (132) 65 (139) Resultat: Bei niedriger und höherer Frequenz der Strompulse werden am Schlauch B durch vermehrte Ringspannung zunächst die Widerstände herabgesetzt, alsdann durch weitere Zunahme der Spannung (mittelst zweiter Bindenlage) meistens wieder erhöht. Da hieraus sich ergeben hatte, dass es auf den Grad der Erhöhung der Ringspannung ankam, so machte icb einen Umwicklungsversuch mittelst eines kräftigeren, 2!/g em breiten Gummibandes, welches Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension etc. 525 erst durch ein Gewicht von 920 & maximal gedehnt werden konnte, im Gegensatz zu dem zarteren Gummiband, das schon auf 325 g sich voll ausdehnte. Tabelle 8. Motor — 144 Hahnöffnungen in der Minute (Mariotte’sche Flasche). Zahl der Sekunden zur Füllung Datum des !/e-Liter-Gefässes 1911 mit ohne Umwicklung Umwicklung | 25. Juli "298 140 ZU 260 133 Resultat: Wie zu erwarten war, werden am Schlauche 5 durch maximal vermehrte Ringspannung die Widerstände erhöht. C. Dünnwandigerschwarzer Gummischlauch (© (Irrigator- schlauch). Lumen 6 mm, Wanddicke lmm, Länge 198 cm, später 157 em. a) Einfluss der Ausreckung des Schlauches C auf die Füllungszeit des 1/e-Liter-Gefässes. Bei diesem dünnen Schlauch fügte ich, um bei dem zur Aus- reckung nötigen Ergreifen des Schlauchendes die Kompression der Wandungen zu vermeiden, ein diekeres Glasrohr in die Ausfluss- öffnung ein, an dem der Zug ausgeübt werden konnte (das Glasrohr war natürlich auch bei der Durchströmung ohne Ausreckung am Schlauch). Tabelle 9. Motor —= 54 Hahnöffnungen in der Minute. Zahl der Sekunden (und Pulse) zur Datum Ausreckung Füllung des "a-Liter-Gefässes 1911 vor der | nach der cm Ausreckung Ausreckung 27. Januar 193 : 207 16 (32) | 16 (32) höherer 29. 5 198 :208 47 (36) 49 (38) Wasser- 29. März 198 : 208 35 (27) | 35 (27) druck 26. Juli 187:197:207:217 | 50—52 Sek.. | resp. 97-68-67 "' niedriger Ben 187:197:207:217 | 92—55 „ „..98-64-72 ' Wasserdr. 526 K. Hasebroek: Tabelle 10. Motor — 144 Hahnöffnungen in der Minute. Zahl der Sekunden (und Pulse) zur Datum Ausreckung Füllung des Y/s-Liter-Gefässes 1911 vor der nach der cm Ausreckung Ausreckung 10. März 198 : 208 87 (182) 71 (147) 13005 198 : 208 48 (103) 43 ( 8) Teer 198 : 208 72 (146) 68 (142) 2: 198 : 208 75 (156) 65 (136) 290 5, 198 : 208 50 (105) 45 ( 83) 3. April 198 :208 66 (140) 63 (134) 25. Juli 187 :197 : 207 : 217 57 Sek. resp. 97—99—54 Resultat: Bei niedriger Frequenz der Strompulse nicht ganz eindeutiges Ergebnis. Bei höherer Frequenz werden am Schlauch C durch vermehrte Längsspannung die Stromwiderstände herabgesetzt. b) Einfluss der Umwicklung des Schlauches © auf die Füllungszeit des !/e-Liter-Gefässes. Tabelle 11. Zahl der Sekunden (und Pulse) zur Datum Sekundäre Füllung des V/e-Liter-Gefässes 1911 Verlängerung ; zweite Um- |; erste Um- | ohne Um- cm wicklung wicklung wicklung Motor — 54 Hahnöffnungen in der Minute 9. März | 198:210 I 35@) | 32 (9) 30 (27) | Motor = 144 Hahnöffnungen in der Minute. 29. März | 198:211 | 146 809 | 138 @85) | 75 (156) { 2 Wasserdruck BR | = ee Wasserdrack Resultat: Bei niedriger und höherer Frequenz der Strom- pulse werden am Schlauche € durch vermehrte Ringspannung die Stromwiderstände erhöht. Überblicken wir diese Resultate, so bemerken wir, dass inner- halb der experimentellen Breite zunehmende Längsspannung der Schläuche die Stromwiderstände durchweg herab- setzt, dass zunehmende Ringspannung bis zu einer ge- Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension ete. 527 wissen Höhe der Zunahme die Stromwiderstände herab- setzt, dann aber erhöht. Bestimmend scheint für die RingspannungdasVerhältnisderZunahme der Spannung zu dem Grade der ursprünglichen Nachseiebigkeit der gespannten Wände des unbewickelten Schlauches zu sein. Dafür spricht, dass der ältere Schlauch A trotz seiner un- gefähr gleichen Wandstärke wie D sich wie der dünnwandige Schlauch C verhielt. Der Schlauch A glich nämlich physikalisch im Material gar nicht mehr dem neuen straffen Schlauch 5, sondern dem Schlauch (€, denn ich konstatierte, dass ein 40 cm langes Stück von A durch ein angehängtes Gewicht von 2,7 kg um 11 em sich verlängerte, während ein gleiches Stück von D durch dasselbe Gewicht nur um 1 cm ge- dehnt wurde. Eine Bestätigung dieses Einflusses der inneren elastischen Beschaffenheit des Schlauchmaterials hat sich mir noch nachträglich ergeben: Als ich nach Ab- schluss meines Manuskriptes die Tabelle 7, in welcher sich nur ein einziger Ver- such mit niedriger Frequenz befindet, durch einige weitere Versuche ergänzen wollte, machte sich bei der Umwicklung des Schlauches B auffallend überwiegend Verlangsamung der Strömung geltend: Tabelle 12. Motor — 54 Hahnöffnungen in der Minute. Zahl der Sekunden (und Pulse) zur | Datum Sekundäre Füllung des !/s-Liter-Gefässes Verlä z 1911 E22] zweite Um- | erste Um- | ohne Um- cm wicklung | wicklung wicklung 19. Sept. | 188:194 | 84 (74) 83 (73) | 79 (69) { Bi all 2072, 183 : 196 37 (50) 32 (45) | 91 (44) { ohne Mariotte- 203, 188 : 195 36 (31) 88 (33) | 838.83) sche Flasche Und nun zeigte sich bei der Untersuchung des Schlauchmaterials, dass die Elastizität des Schlauches B in den 9 Monaten so sehr abgenommen hatte, dass 40 cm seiner Länge durch die angehängten 2,7 kg jetzt um 5 cm gedehnt wurden gegenüber 1 cm im Dezember 1910. Um sicher zu gehen, dass nicht die Veränderungen der durch Ausreckung und Umwicklung beeinflussten Lumina der Schläuche die Ursache der veränderten Stromwiderstände seien, machte ich noch folgenden Versuch, und zwar unter verschiedenen Druckhöhen des Druckgefässes, mit kontinuierlichem Durchfluss unter Aus- reckung und Umwickelung. 528 K. Hasebroek: Den älteren Schlauch A schaltete ich von jetzt an aus. Um so mehr durfte ich dies, als in den beiden Schläuchen B und C von verschiedener Wanddicke zwei Typen grundverschiedener Grade von Materialwandspanhung genügend vertreten waren. Tabelle 13. Ausreckung stets um 10 cm. Verschiedene Höhen des Druckgefässes. | Zahl der Sekunden zur Füllung des !/s-Liter-Gefässes bei kontinuierlichem Durchfluss Datum En Schlauch B | Schlauch € Schlauch B Schlauch € un- aus- | un- | aus- mit Um- | ohne Um- | mit Um- | ohne Um- gereckt | gereckt | gereckt | gereckt | wieklung | wicklung | wieklung | wicklung | | | | | Me a a Eee 13 13 14 14 |I S | jene Se wel — — — — [I ] Do a7 49 43 | a el ze 2 en ae == a | Resultat: Die Veränderungen der Lumina sind innerhalb der von mir benutzten experimentellen Bedingungen ohne in Betracht kommenden Einfluss. : Es war somit möglich, wie ich es in Aussicht genommen hatte, unter den von mir getroffenen Anordnungen der Ausreekung und Umwieklung die Wandspannungswiderstände an den Schläuchen zu variieren. i 2. Hauptversuche. Wandspannung und Druckhöhen. Es wurde zwischen Hahn und Schlauch — im starren Ver- bindunesstück, um stets in der gleichen Entfernung stromabwärts zu messen — ein gläsernes Steigrohr von !/a m Höhe eingesetzt. Zur Ablesung dienten am Steigrohr zwei bewegliche Schieber, die auf dem Maximum und Minimum des oszillierenden Wasserstandes ein- gestellt wurden. Die Zeigerfortsätze der Schieber griffen auf eine Millimeterskala über. Das Druckgefäss wurde von jetzt an aus- schliesslich als Mariotte’sche Flasche benutzt. Zugleich wurde es nötig, durch Drehkurbel das Druckgefäss in verschiedene Höhe bringen zu können, um die Schwingungen der Wassersäule während einer Versuchsreihe im Maximum und Minimum im Steigrohr gut sichtbar einstellen zu können. Ich musste in dieser Beziehung trotzdem noch bisweilen, natürlich innerhalb einer Versuchsreihe, mit einem Quetsch- hahn die Ausflussöffnung kleiner oder grösser machen. (Siehe Fig. 1.) Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die seg. art. Hypertension etc. 529 Es zeigte sich bei orientierenden Versuchen, dass mit der Ein- fügung des Steigrohres und der oszillierenden Wassersäule die Versuchs- bedingungen überaus empfindlich werden, so dass es grösster Auf- merksamkeit bei den Beobachtungen bedarf. Schon eine leichte Torsion des Schlauches verändert die Höhen- und Tiefenstände der steigenden Wassersäule. Es wurde besonders Bedacht darauf genommen, den Schlauch in seiner ganzen Länge auf der Unterlage :unverrückbar zu belassen und jede überflüssige Manipulation am Versuchssystem zu vermeiden. Mariottesche Flasche Steig rohr - Druckmesser. Starr2s Schlauch Rohr Kick. Der Gang der Untersuchung war folgender: Nach Antrieb des Motores und Auslösung der Ausströmung gab ich, nachdem die Schwingungen im Steigrohr konstant geworden waren, dem am Ende des Schlauches postierten Gehilfen das Zeichen, die Füllung des !/s-Liter-Gefässes beginnen zu lassen; zugleich setzte ich den Sekunden- zeiger meiner Stoppuhr in Bewegung. Ich stellte, während die Füllung vor sich ging, die Steigrohrzeiger wiederholt ein und notierte die Werte. Der Zeitpunkt der vom Gehilfen beobachteten Beendigung der Füllung wurde mir zugerufen, worauf ich den Sekundenzeiger arretierte. Notiert wurden somit: Durchflusszeit, Maximum- und Minimumdruck. In den Tabellen habe ich die berechneten Differenzen der Maximum- und Minimumdrücke, desgleichen der Amplituden, den erhaltenen absoluten Werten in je einer Kolumne 530 K. Hasebroek: beigegeben. Man beachte in den Tabellen besonders diese fettgeduckten Differenzwerte, auf die es mir ankommt. a) Einfluss der Ausreckung des Schlauches B auf die Maximum- und Minimumdrücke. Tabelle 14. Motor — 144 Hahnöffnungen in der Minute. Ausreckung stets um 10 cm. Ki : ERIE . | Differ. | Differ. Differ. 5. Juli | Zeit in| Max. Min. Max Min. | Ampl. Ampl. 1911 Sek. mm mm mm mm mm mm 2 = (| ungereckt 105 | 160 105 012.795 22250 35, | SZ ausgereckt %% | 18 95 40 ER | ungereckt 105 159 125 +20 | +30 30 —10 = ausgereckt 98 130 35 35 5 ll ungereeke | 105 | 155 | os 2205 | so oe; Ss ungereckt 59 220 145 +35 | +4 15 — 1 er ausgereckt 50 185 100 | foB) #8 ]! ungereckt 53 225 145 +40 | +45 80 —5 = | ausgereckt 3 175 95 80 & | {| ungereckt ss | 215.100 | .2a0 | 2a ee, 28 (| ungereckt 62 180 125 +35 | +30 59 +95 5 = || ausgereckt 59 145 95 50 =& 7 | ungereckt 61 175 125 | +30 | +30 50 1) = l ausgereckt 60 145 95 | 50 je) ungereckt 62 175 125 +30 |, +30 50 0 Resultat: Entsprecheud der durch zunehmende Längsspannung herabgesetzten Widerstände haben wir am Schlauche B die höheren Druckwerte im ungereckten Zustande. Die Zunahme des Minimums ist meistens grösser als die desMaximums, wenigstens ihr gleich. Die Amplitude wird meistens kleiner oder bleibt unverändert, nur einmal ist sie um ein geringes grösser. b) Einfluss der Umwicklung des Schlauches B auf Maximum- und Minimumdrücke. Tabelle 15. Motor — 144 Hahnöffnungen in der Minute. Höhe des Druckgefässes 92 cm. Ä le Diff. | Diff. Dift. 1911 Zeit | Max. | Min. Main Ampl. Ampl. Sek mm mm mm mm mm mm = 2. Umwicklung | 63,9 | 200 15 | —20.| —18S 6 1 —2 ir 1. Umwicklung | 64 220 1535 | +20 | +3 67 +7 = ohne Umwickl. | 65,5 200 140 60 oe 2. Umwicklung | 73 250 15 | +27 +20 45 0 m 1. Umwicklung 70,5 203 158 +8/+3 45 +5 > ohne Umwickl. | 73,3 195 155 40 = 2. Umwicklung | 72 230 190 | +25 | +30 40 —5 Er 1. Umwicklung | 68 205 160 0|+5 45 —9d = ohne Umwickl. | 69,5 205 155 50 Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension ete2 313 Tabelle 16. Motor — 144 Hahnöffnungen in der Minute. BD Datum Zeit | Max. Min. Max Dit. | Bo Er 1911 Sek. mm mm mm mm | mm | mm 3. Umwicklung | 54,5 250 175, +23 | +18 75 +5 19. Juli 2. Umwicklung | 58,5 227 157 +2| +2 70 0 ‚+&1% | 1. Umwicklung | 60 a er | — ohne Umwickl. | 64 |! 206 130 76 3. Umwicklung | 6 | 195 15 +5! +35| 5 ) 21. Juli 2. Umwicklung | 6 | 160 1301, +10| +10 50 | (N ‚Jalig | 1. Umwicklung | 66 | 170 | 120 | +10 +10| 50 0 {| ohne Umwickl. | 66 |, 160 110 ı 50 Resultat: Mit einer Ausnahme (in Tab. 15) steigt am Schlaueh B zunehmend mit der Zunahme der Ringspannung der Druck. Höchst merkwürdig ist es, dass trotzdem bisweilen die Stromwiderstände in den Durchflusszeiten um ein geringes sinken können. Ich komme später noch auf diesen Punkt. Die Zunahme des Minimums ist meistens grösser als die des Maximums oder ihr gleich, nur in zwei Fällen kleiner. Die Amplitude wird meistens kleiner oder bleibt unverändert; nur in drei Fällen ist sie um 7—12°/o grösser geworden. c) Einfluss der Ausreckung des Schlauches C auf Maximum- und Minimumdrücke. Tabelle 17. Motor = 144 Hahnöffnungen in der Minute. Ausreckung stets um 15 cm. Max. | Min. Dift. | Dift Ampl.| Diff. 17. Juli Druckh.=90cm Datum Zeit Max. | Min. 1911 Sek. | mm | mm | mm | mm | mm | mm | ungereckt 68 15 | 15 | +85 +50| 10 1 —5 14, Juli ausgereckt 67,5| 150 | 185 | 15 | uli IN > ungereckt 69 | 195 | 150 I|+5| + 5| 85 0 Druckhöbe || ausgereckt | 69 | 190 | 145 45 ungereckt 67 | 195 | 145 0|+5| 40 1—5 ausgereckt | 70 | 195 | 150 | 45 15. Juli ungereckt 105 | 165 135 [+15 | +20| 30 | —5 Dr Sn —59Iem ausgereckt | 102 | 150 | 115 | 35 Juli ungereckt 6 | 17| 15 )+2/+5|I| 92 | —3 Dh —90cem ausgereckt | 63 175 , 110 65 ungereckt | 65 335 | 180 I1+0|1+6| 5 |-3 ausgereckt | 59 | 295 | 115 80 | 532 K. Hasebroek: Resultat: Entsprechend der durch zunehmende Längsspannung herabgesetzten Widerstände haben wir bei Schlauch € die höheren Druckwerte im ungereckten Zustande. Die Zunahme des Minimums ist mit nur eiuer Ausnahme grösser als die des Maximums. Die Amplitude ist kleiner geworden, in einem Fall gleich geblieben. d) Einfluss der Umwicklung des Schlauches C auf die Maximum- und Minimumdrücke. Tabelle 18. Motor — 144 Hahnöffnungen, nur im letzten Versuch 54 in der Minute. : | DM, Dift. Diff. Datum Zeit | Max. | Min. Mas en Ampl. Ampl 1911 Sek. mm mm mm mm mm ı mm 2. Umwicklung 67,5 265 210 | +60| +65 5 | —5° 14. Juli 1. Umwicklung 67,5 205 1455 !+20|+100 60 | +10 ohne Umwickl. 67 185 135 | 50 2. Umwicklung 70 232 177+5| +8 5 ı—7 15. Juli 1. Umwicklung | 63,5 | 177 | 115 0 N) 62 0 ohne Umwickl. 63 1karzı 15 62 2. Umwicklung | 116,5 410 390 | +145 | +165 20 | —20 16. Juli 1. Umwicklung 34 265 >25 | +20| +15 40 |+5 ohne Umwickl. 18 245 21050 35 2. Umwicklung | 65 340 170 | + 10! + 201] 170 | —10 17. Juli 1. Umwicklung 60 330 150 | + 35 | + 35 | 180 0 ohne Umwickl. 59 295 115 180 Tabelle 19. Motor — 144 Hahnöffnungen in der Minute. Bag ff. | Diff. Diff. Datum Zeit , Max. | Min. In Min Ampl. Amp 1911 Sek. mm mm mm mm mm mm 19: Juli | 3. Umwicklung | 85,5 | 375 | 340 |+140 + Druckhöh 2. Umwicklung | 75 235 | 195 |+ 10/+ rue&hene | j. Umwicklung | 73 | 225 | 185 |+ 238! + 18| 40 +1 + 2 > + — 92 cm | ohne Umwickl. | 72 197 | 167 9. Umwicklung | 69 225 , 1795 i Ar 21. Juli : Druckhöhe 2. Umwicklung | 67 195 145 fe 81) — 96 cm = = or oO Sı9© 1. Umwicklung | 57 165 | 115 ohne Umwickl. | 55 150 105 45 Resultat: Die Drücke steigen am Schlauch © mit der Zu- nahme der Ringspannung. Die Zunahme des Minimums ist grösser als die des Maximums oderihr gleich, nurin Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension etc. 533 einigen Fällen kleiner. Die Amplitude wird über- wiegendkleineroder bleibt unverändert; nur bei mittlerer Spannungszunahme steigt sie mehrfach um ein geringes, einmal um ein Drittel ihrer Grösse. 3. Gesamtresultat und „arterielle Hypertension“. Erstens: An den Schlauchversuchen zeigte sich, dass eine Spannungszunahme der Wandungen keineswegs schlechthin Wider- stände und Drücke steigert. Innerhalb der experimentellen Breite verhält sich die Längsüberspannung anders als die Ringüberspannung, indem erstere die Drücke zurückgehen, letztere sie steigen lässt. Dies physikalische Ergebnis gibt hinsicht- lich der klinischen Hypertension schon zu bedenken, dass Niemand bisher an eine etwaige Unterscheidung von Längs- und Ringspannung gedacht hat, obgleich Längsmuskeln und Ringmuskeln vorhanden sind. Praktisch dürfte auch kaum eine solche Trennung möslich sein. Zweitens: Vermehrte Ringspannung steigert allerdings die Drücke, doch können bisweilen die Stromwiderstände trotzdem (beim relativ wandungsdicken Schlauch 5) herabgesetzt sein. Wie diese Erscheinung zu deuten ist, vermag ich nicht zu sagen. Es handelt sich bier sicherlich um ein physikalisches Problem. Ein Versuchsfehler kann nicht vorliegen, da es sich um beschleunigtes Fliessen handelt, das be- obachtet wurde. Ein technischer Fehler hätte sich kaum anders als in Ver- langsamung der Strömung äussern können, z. B. durch Undichtiskeit der Mariotte’schen Flasche (womit man oft Schwierigkeiten hat) oder in einer bei der Umwicklung etwa vorkommenden lokalen Einschnürung des Schlauches durch Verengerung des Lumens. Es besteht vielleicht die Möglichkeit, dass es sich um Vorgänge handelt, die, unter der Komplikation von Ringspannung mit Längs- spannung, sich im fliessenden Strom selbst abspielen. Dergleichen sogenannte „Strömungslinien“ und „Wirbelfäden“ kennt man mathematisch durch Helm- holtz als zweierlei Bewegungsarten in Massensystemen von Flüssigkeiten und Gasen. Es könnte sich daherz. B. durch die Verknüpfung von Wirbeln und Strömungen um die Entstehung von schraubenförmigen Gleitflächen handel», die dieinnere Reibung herabsetzen. Vielleicht ist hier an die bekannte Erscheinung an Rauchringen zu erinnern, an denen man oft bei besonders hoher Geschwindigkeit die in sich rück- läafige Bewegung des Rauches bemerkt. Fest steht aber sicher, dass bei höheren Graden von Ring- spannung auch die Gesamtwiderstände regelmässig mit der Zunahme der Spannung zunehmen. Es kommt also das Verhältnis derSpannungszunahme zur absoluten Elastizitätresp. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 143. 36 934 K. Hasebroek: der Wandstärke in Betracht. Das sieht man daran, dass bei dem dünnen Schlauch © ausnahmslos die Drucksteigerungen mit der Steigerune der Widerstände zusammenfallen. Will man also die klinische arterielle Hypertension und Drucksteigerung mit einer physikalischen stationären Üperspannung elastischer Rohrwandungen in Parallele setzen, so darf man mindestens nicht ver- allgemeinern und jede Hypertension mit erhöhten Widerständen zusammenwerfen, wie man es für die klinische Drucksteigerung allgemein tut. Es ist dies wichtig für die ganze Auffassung, ob bei der Hypertension die Strömung beschleunigt oder verlangsamt ist, d. h ob man be- rechtiet ist, dieDrucksteigerungalsKrankheitsaffekt oder alsAbwehrreaktion desKörpers, teleologisch be- trachtet, anzusehen. Drittens: Es ist überhaupt nicht angängig, den physikalischen Begriff der Überspannung eines Rohrsystems als allein in Frage kommenden Faktor für die Verhältnisse am lebenden Arteriensystem anzuwenden, um die klinische Drucksteigerung zu erklären. Denn es ergeben meine Zahlen, dass, wenn bei einer Spannungs- veränderung an Schläuchen eine Drucksteigerung auf- tritt, das Minimum so hervorragend beteiligt ist, die Amplitude so überwiegend kleiner wird, dassdadurch ein ganz anderer Charakter entsteht als bei der klinischen Drucksteigerung. Ich kann dies ausführlich durch die nackten Zahlen beweisen: Ich bin in der Lage, nach dem Schema meiner Versuchstabellen klinische Blutdrucksteigerungswerte aus einer Arbeit über das „Symptom der Hypertension“ zu entnehmen, die aus der Strassburger Klinik stammt!). Ich habe die täglichen Druck- schwankungen ausgezogen, so weit sie also zwischen zwei zeitlich nicht weit auseinander liegenden Bestimmungen eine Steigerung zutage treten lassen. Ich habe sämtliche Fälle ohne jede Auswahl ge- nommen, wie sie sind, was Objektivität meinerseits wohl genügend garantiert. Diese klinischen Werte bedeuten Wasserdrücke in Zenti- metern. Da es nur auf die relativen Werte ankommt, so darf 1) Israel, Klinische Beobachtungen über das Symptom der Hypertension. Dissertation. (Refer. Prof. Krehl), Volkmann’s klin. Vortr. f. innere Med Bd. 135/136. Leipzig 1907. Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension etc. 525 ich sie mit meinen Werten, die in Millimetern sind, direkt ver- gleichen‘ (vgl. übrigens auch S. 546). Man wird zugeben, dass, wenn wirklich im Gefässsystem des Organismus für die Blutdruck- steigerungen die Spannungszustände im Vordergrunde stehen, wie man für die Hypertension allgemein annimmt, die klinischen Veränderungen von Maximum, Minimum und Amplitude wenigstens annähernd eine Übereinstimmung mit meinen an den Schläuchen gemachten Beobachtungen zeigen müssten. Das ist nun aber nicht der Fall, wie sich aus den folgenden Tabellen Israel’s ergibt: Tabelle 20. Fall 1. Bleiintoxikation. Arteriosklerose. ernen Maximum | Minimum nucız en Ampl. Differenz cm cm cm cm cm cm | i 230 130 De > 100 (N) 19 Juni { 295 195 | or 100 16 250 130 +5 0) 100 +9 ee { 225 130 | | 95 | 90 { 240 13 2110 | ) 110 210 Bent? 230 130 | | 100 | 99 { 240 | 140 I 224102 | 0) 100 +10 » 23 140 | 90 96 260 150 | +25 +10 110 + el 235 140 | | 95 99 255 145 +20 |. +5 110 +15 I 235 140 | 95 Tabelle 21. Fall 2. Arteriosclerosis cerebri. s ee | Differenz | Differenz Differenz Datum Maximum | Minimum Maximum | Minimum Ampl. Ampl. cm cm | cm cm cm cm 30 907, ara ) | 140 +40 8. Juni { | 90 100 9 200 | 95 I SD ll) 105 +10 2? { 180 | 8 | | 95 10 220 | 90 +30 | ) 130 | +30 Ra) 190 | 90 | | 100 | 12 200 90 +15 +5 110 | +1 Be? 155 | 85 | 100 | 13 195 85 | +10 ı 0 110 +1 a 185 8 100 14 210 100 +20 +5 110 +1 > { 190 95 95 | 15 230 115 +45 +15 115 | +30 Pe { 185 100 8 | 16 200 95 +15 0 105 +1 ee { 185 95 90 | 18 200 100 +25 +5 100 | +20 2 { 175 95 | 80 | 536 K. Hasebroek: Tabelle 22. Fall 3. Tabes dorsalis. Gastr. chron. : ERS Differenz | Differenz Differenz Den. || ee | aka Maximum | Minimum Sup. Amp). cm cm | cm cm | cm cm 5 210 150 +10 +20 60 —10 5. Juli { 200 130 70 7 175 120 +5 0 55 +9 ” 170 120 50 g 210 130 +20 N) 80 +20 » 190 130 | 60 Tabelle 23. Fall 4. Myocarditis. Hyperglobulie. | ? a Differenz | Differenz Differenz Datum Maximuın | Minimum Masimim | nen Ampl. Ampl. cm cm cm cm cm cm { 275 160 | +20 0 115 20 4. Juli { | 255 160 | 95 5 Tabelle 24. Fall 5. Arteriosklerose. Embolia central. retinae. f Differenz | Differenz Differenz Datum Ang Brenn Maximum | Minimum Ampl. Amypl. cm cm cm cm cm cm E | 265 140 +10 0 | 125 +10 23. Juni { 255 140° | 115 95 250 140 | +1 1) 115 +15 SOaBERE.] 240 140 100 96 { 250 145 +10 +10 105 1) 9 240 135 105 08 255 145 +15 +5 110 +10 2 eu? 240 140 110 09 230 145 +15 +15 85 1) en 215 130 8 0 235 155 +20 +15 80 +5 A 215 140 | 75 Tabelle 25. Fall 6. Chronische Bronchitis. i Sr Differenz | Differenz Differenz Datum | Maximum | Minimum | y,ximum | Minimum | Atpl Ampl. | cm cm cm cm cm cm : | 235 135 +40 0 100 | 40 20. Juli { 195 135 60 94 { 240 130 +30 —5 110 +35 : 210 135 75 Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension etc. 537 re Eile Differenz | Differenz Differenz Datum Maximum’ |" Minimum Maximum |; Minimum ale, | Ampl. cm cm cm | cm cm cm Sr 230 140 +20 ) 90 +20 = gu { 210 140 | 70 230 135 +45 0 95 +45 96 185 135 50 2 230 140 +40 +5 90 +45 L 190 joy z 59 97 215 140 | +1 0 75 +10 en 205 140 | 65 230 130 | 30 0 100 +30 58 200 130 10 a? 240 130 +40 1) 110 +40 2‘) 130 70 Tabelle 26a. Fall 7. Hypertonie. Chronische Nephritis. ee Differenz | Differenz | Differenz Datum AbEzÜHNTEL | Minimum | yyximum | Minimum | AmPl. | Ampl. cm | cm | cm cm cm | cm | | | = 3 2 g on 3 | 95 7 Juli { 235 no any IT / Mu 150 +10 0 110 ı +10 n 2600 | 150 ro = 0, | 10 +30 N) 130 +30 {| 2350 150 100 Tabelle 26b. Fall Ss. Arteriosklerose. Arterioskler. Schrumpfniere. ; Is Differenz | Differenz Differenz De raum Minimum | Yaximum | Minimum | Ampl | Anpl. cm cm | cm cm cm | cm 230 140 | su en Rule ui { 295 140 u SS 236 138 Stans 98 0 17. Okt. {| 58 130 | 18 225 148 +7 +53 717 | +4 9 918 145 | 13 | 0 320 140202 +19 5 OR Hr eg en 208 135 | 13 2 220 138 Sr 538 K. Hasebroek: Tabelle 27. Fall 9. Insufficientia cordis. Chronische Nephritis. 2 ie | Differenz | Differenz | Differenz Datum | Maximum | Minimum | yarimum | Minimum | AmPl Ampl. | m cm cm cm cm cm er DE DEZE 1 { 295 180 +25 a +25 Saw 270 180 u 9 { 290 180 0 +10 110 —10 Ze 290 170 120 le ae ae Ze ” 97 { 260 155 +10 +5 105 +5 A » 250 150 100 -. | 5 u u) } en. ads „ } | a 4 270 165 +20 +15 105 +5 “ra 250 150 100 Tabelle 28a. Fall 10. Chronische Nephritis. | Re r | Differenz | Differenz Differenz Datum NIESARNEN | Yllnnaene Maximum | Minimum Ampl. . Ampl. cm | cm | cm cm cm cm eu Fee 96 230 145 +20 +10 85 +10 Fe 210 135 75 Tabelle 28b. Fall 11. Chronische Nephritis. Insuflicientia cordis. | Differenz | Differenz | Differenz Datum Maximum | Aueh | ı Maximum | Minimum Ampl. Ampl. cm RED cm cm cm cm cm RR se a 33 a: +32 | +30 127 —8 300 1055| | 19900 | Tabelle 29. Fall 12. Chronische Nephritis. alle ug Differenz | Differenz Differenz Datum Mlösäisuenge | Allan a ı Minimum | up: Ampl. | cm | cm | cm | cm cm cm a 270 165 | 0.90, 0 DE, 105 | +35 a (| 240 | 0 | | 70 Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension etc. 539 Vergleicht man diese Zahlen der Maxima-Minima-Amplituden- differenzwerte mit denjenigen in meinen Tabellen Nr. 14—19, so fällt ohne weiteres:auf, dass im Organismusinerdrückender Überzahl der Fälle das Maximum in erster Linie be- teiligt ist, dasMinimum weitzurücktritt, ja bisweilen negativ wird, während bei den Schläuchen das Um- gekehrte der Fallist, undein negatives Minimum über- haupt nicht vorkommt. Fast noch eklatanter als in meinen ausgezogenen Zahlenwerten ergibt ein Überblick über die gesamten Originaltabellen Israels das Überwiegen der Maximunm- steigerung bei gleichbleibendem Minimum. Es wird im Text besonders auf dies Faktum aufmerksam gemacht. Auch heisst es bei Israel, z. B. bei Fall 6 und Fall 7 (ehron. Nephritis-Hypertonie), dass bei jeder Messung das Maximum steigt und fällt, und dass „häufig bloss ein Pulsschlag bis 280, ein zweiter erst bei 265 fühlbar“ wird. Ein derartig isoliertes Hinauf- schnellen des Maximums wäre bei den stationären Spannungs- veränderungsen an den Schläuchen undenkbar. Auch die Amplitudengrössen unterscheiden sich durchaus: Beim Organismus: überwiegend bedeutende Zunahme; bei den Schläuchen: überwiegende Abnahme. Je eine grösste Ausnahme mit negativer Amplitudendifferenz findet sich beim Organis- mus in den Fällen Nr. 3, 8, 9 und 11. Ich komme später ausführlich auf diese zurück (S. 554 ff). Ich stelle zur Illustrierung sämtliche Amplitudendifferenzen gesammelt nebeneinander: Amplitudendifferenzen Amplitudendifferenzen an den Schläuchen klinische | | —5 0 0 — 1% 0° +15. +10 +25 +10 —10 +5 —5 0 =, +30 0 | +10 +5 —9 —5 —5 | 5 +10 | +15 +5 +30 | +10 —10 —) — 3 0 +10 | +20 | +40 +5 +5 5) 28 | Does ao os u) 0 —5 0 +15 | +5 +20 a ar +5 —6 +10 0 +40 +20 | +45 +7) +3 0 0 — 17 +5 +10 +20 +45 —2 |+1%0 0 0 OBE| +30 +10 +10 Mo 2 — 2 0 —2ı0 | +10 +15 | +30 +25 0 —8 7 5 5 One ae Nach solchen prinzipiellen Unterschieden zwischen den physi- kalischen Versuchen und den Beobachtungen am Organismus muss man sagen: Es ist unmöglich, dass am Organismus die 540 K. Hasebroek: vorliegenden klinisehen Drucksteigerungen allein durch stationäre Spannungsvorgänge an den Arterien hervor- gerufen werden. Um weitere Sicherheit zu erlangen, habe ich die alten Versuche Volkmann’s, der noch elastische Ziegendärme benutzte, einerseits mit zunehmenden Höhen des Druckgefässes — also verstärkten Strom- stössen —, anderseits mit Verkleinerung der Ausflussöffnaungen — also gesteigerten Abflusswiderständen — an meinem Schlauchsystem wiederholt. Vielleicht konnten besonders die gesteigerten Druckhöhen Beziehungen zu den erhöhten Maximumsteigerungen ergeben. Schlauch B. Tabelle 30. 20. Juli 1911. Steigerung der Höhe des Druckgefässes. Höhe Zeit Max. Min. cm Sek. mm mm Strom- 45 es | 25 | 15 pulsen 57 52 345 150 71 46 | 420 | 190 92 38 | 535 | 260 49 oe 05 66 5 | 210 | 160 76 70 0275. 3515 Bei 144 91 58 | 300 | 285 Strom- 109 145 110 89 195 155 . 74 245 195 335 275 51 | 58 | 310 | ıs0 63 5° ss 165 78 || 0 .| al Bei 54 92 37 | 535 | 265 | +++ +++ > Tabelle 31. 20. Juli 1911. Steigerung der Höhe des Druckgefässes. Amp). mm 180 210 245 270 170 195 Dift. Amp). mm Schlauch €. Höhe | Zeit | Max. | Min. cm Sek. mm mm 44 63 370 110 60 51 350 150 73 45 410 180 es 99 38 Sisl 045 on 43 64 265 110 pulsen 66 53 335 145 | 73 45 45 185 (| 92 38 515 | 250 Diff. Min. mm +40 +30 +65 +3 +40 +65 Amp]. mm 160 200 230 270 155 190 230 265 Diff. Amp!. mm +40 +30 + +35 +40 +35 Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertensionetc. 541 £ | : Diff. | Dif. | Diff. Höhe Zeit Max. | Min. Na Min. Ampl. Ampl. cm Sek mm mm mm | mm mm mm 51 129 145 105 40 9 92 200 165 +55 + 60 35 —95 Bei 144 92 69 290 250 + 90 +8 40 +5 Strom 43 152 125 100 235 pulsen 62 105 175 145 +01 +8 30 +5 78 - 87 2'910. 2180 +40 +35 35 +5 L 92 70 285 250 +70 +70 35 N) Auch in diesen Zahlen spielt der Minimumdruck eine ganz andere Rolle als bei den Drucksteigerungen am Körper. Wenn er auch in seinem Werte bei den langsamen Strompulsen gegenüber dem Maximum- druck beträchtlich zurücktritt, so kommt es dennoch niemals zu einem Herabsinken bis oder unter den Nullwert. Daher unterscheiden sich auch die vorhandenen Vergrösserungen der Amplituden fundamental von denen am Organismus darin, dass sie nicht ohne gleichzeitige Auf- wärtsbewegungen des Minimums auftreten. Und etwas schwerwiegendes kommt noch hinzu: Die hohen Werte der Amplituden treten an den Sehläuchen niemals bei der höheren Frequenz auf, während wir am Organismus aus den Israel’schen Aufzeichnungen ersehen können, dass sie z. B. bei körperlicher Arbeit des Hypertonikers am Ergostaten, wo die Pulsfrequenz sehr steigt, besonders ausgesprochen und zwar wiederum nur durch das Maximum vergrössert sind: Ruhe Arbeita. Ergost. Pause Arbeit Pause 1 1 —- N: TTT A RE DUDEN WAIBZID ZRRrIIR a HA SAHERTSEFEIEHFF Bel ale een HH RHrHH Fig. 2. Anerkn „Etwas schematisch.“ (Nach as 185) Chronische Bronchitis. Arteriosklerose. 542 K. Hasebroek: Da aber immerhin an meinen Schläuchen sich eine gewisse Tendenz zum prävalierenden Steigen des Maximums unter Zunahme der Kraft der primären Strompulse zeigte, so lieferte mir das einen Hinweis darauf, dass beim Organismus irgendeine systolische Energie mit im Spiele ist. Dies wird noch deutlicher, wenn wir den Kontrast mit den folgenden Druckwerten berücksichtigen, die unter er- höhten Widerständen durch Verkleinerung der Ausflussöffnung ge- wonnen Sind: Tabelle 32. Druckhöhe — 92 cm. 144 Strompulse. Durch Quetschhahnstellung am Schlauchende die Ausflussöffnung zunehmend verkleinert. a SO DEN DIES Diff. Datum Schlauch Zeit | Max. Min. Max Min Ampl. Ampl. 1911 Sek. | mm mm mm mm mm mm 60 175 125 50 27. Juli B 82 310 285 +135 | -+160 25 — 3 102 390 370 | +80 | +8 2 |—- 5 63 165 115 50 21. 05 C 71 230 195 +65 | + 8 35 — 15 90 330 315 +100 | +120 15 —20 Dieses Resultat ist .absolut eindeutig: Ausnahmslos über- steigen die Minima die Maxima und verkleinert sich die Amplitude bedeutend. Aus allem bis hierher Ausgeführten geht hervor: Hinsichtlich der chronischen Blutdrucksteigerungen, die in vor- wiegena erhöhten Maximumdrücken bestehen, kann manaufkeine Weise mehr an dem Begriff einer ‚arteriellen Hypertension“ als primäre Arterienüberspanuung festhalten. ll. Experimentelle Erzeugung einer Drucksteigerung am Schlauchsystem mit dem Charakter der klinischen Blutdrucksteigerung. Ich hatte bei langsamem Gang des Motors und 54 Strompulsen konstatiert, dass es durch geschickt abgepassten intermittierenden Fingerdruck auf den Schlauch gelinst, in einem stromabwärts ein- gefügten Steigrohr das Maximum der oszillierenden Wassersäule bei gleichbleibendem Minimum hinaufzutreiben. Ich richtete das Schlauchsystem nun folgendermaassen ein: Der Versuchssehlauch wurde 24 em stromabwärts vom Hahn in ein 20 mm Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension etc. 543 weites und 20 em langes Mantelrohr eingeschlossen, welches zwei An- sätze hat. Dieses wurde mit Wasser gefüllt, der eine Ansatz verschlossen, der andere durch Gummischlauch mit einem Gummiballon verbunden. Der Gummiballon kann mit Hilfe von zwei Stahlplatten, zwischen denen er liegt, intermittierend zusammengedrückt und wieder frei- gelassen werden. Das geschah vermittelst desselben Motores, der die Hahnbewegung treibt, derartig, dass auf der Hahnachse selbst eine Triebscheibe angebracht wurde, die durch zwei Nasen die Kompression des Ballons vollführte.. Da die Nasen mit dem zwei- maligen Öffnen des Hahns in einer Umdrehung korrespondierten, so fielen die Intervalle der Kompression mit denjenigen der Strompulse ı!Steigrohr SS ..Mantelrohr. mit Wasser gefullt Fig. 3. zusammen. Dadurch, dass das Triebrad an der Achse nach einer Skala verstellbar war, liessen sich die Kompressionen des Ballons zeitlich zu der Zeit der Strompulse verschieden einstellen. Durch die Luftübertragung in Ballon und Zuführungsschlauch konnten mit der Kompression innerhalb des Mantelrohres rhythmische Drücke auf das eingeschlossene Schlauchstück ausgeübt werden. Es liessen sich somit in einem bestimmten Augenblick kurze pressorische Stösse auf den strömenden Inhalt aus- üben. Das Steigrohr wurde etwas stromabwärts vom Mantelrohr in die Schlauchwand selbst eingesetzt mit Hilfe eines kleinen durch Gummilösung eingekitteten Ansatzstückes. (Siehe die Anordnung in Fig. 3, in der die punktierte Skizzierung zunächst noch fort- zudenken ist.) Treffen nun an diesem System die von aussen neu hinzugefügten pressorischen Drücke mit denprimären 544 K. Hasebroek: im Sehlauceh verlaufenden höchsten Stromdrücken in sewisser Weise zusammen, so addieren Sichdiebeiden Drücke derart, dass in dem stromabwärts von dem Mantelrohr befindlichen Steigrohr nur das Maximum in die Höhe geht, das Minimum dagegen unverändert bleibt, ja sogar sinkt. Folgende Tabellen aus vielen ähnlichen geben Übersicht über die erhaltenen Werte. Ich benutzte nur den Schlauch © wegen seiner leichteren Kompressibilität. Tabelle 33. Motor — 54 Hahnöffnungen in der Minute. A | 5. September | Max. | Min. | Dr | Di Ampl. | a 1911 mm mm mm mm mm | mm Höhe d ohne Pression 220 110 110 | Due lamie B 260 120, +40 +1 140 +30 Druck- ohne h 220 10) 110 gefässes mit > 270 115 +50 +5 155 | +45 = 99cm ohne » 220 115 | j 105 mit & 270 115 +50 0 155 +50 Höhe d ohne 5 395 230 | 165 Sea lEmit e 430 235 +35 +5 195 +30 Druck- ohne N 400 | 230 | 170 | gefässes mit n 425 235 +25 +95 190 +20 en ohne 4 395 230 165 mit » 425 | 235 +30 +5 190 +25 Tabelle 34. Motor — 144 Hahnöffnungen in der Minute. j Dim a 0 Dıfk iff. >. September Max. | Min. en nn | Ampl. In 1911 mm | mm mm | mm mm mm '| ohne Pression 190251552] 45 Druck: mit “ 230 150 +40 —5 s0 +35 höhe ohne " 190 | 155 45 | mit 5 225 150 +35 —5 75 +30 —40 cm|| ohne „ 190 | 155 | 35 mit 5 240 | 155 +50 0 85 +50 ohne ” 185 | 125 | 60 Druck- mit ie 235) lo +50 | — 120 +60 höhe ohne „ 185 |ı 125 | 60 mit 5 225 115 +40 | —1W 110 +50 — 0 cm|[| ohne is50 01120 65 mit 5 2320|, 15 | +85 |—5 115 | +50 Die Tabellen bedürfen beim Vergleich mit einerseits den klinischen Tabellen 20—29, anderseits meinen experimentellen Tabellen Nr. 14 bis 19 keines Kommentars: Die Differenzwerte der Drücke Physikälisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension etc. 545 lassen den Charakter der klinischen Verhältniszahlen der Israel’schen Tabellen sofort erkennen. Auch treffen, was bemerkenswert ist, die so bedeutsamen negativen Minima mit der hohen Frequenz zusammen. Ich habe auch am Schlauch Pulskurven mit festgeschraubtem und un- verrückbar aufliegendem Sphygmograph, 20 cm stromabwärts vom Druckmantel- rohr, aufgenommen, in denen die spezifische Einwirkung der Pression auf die Druckschwankungen ebenfalls zum klaren Ausdruck kommt: 54 Strompulse : 144 Strompulse ohne Pression | mit Pression ohne Pression | mit Pression Fig. 4. Übrigens macht es fast den Eindruck, als wenn in der frequenten Kurve eine Art „Rückstosselevation“ sich auszubilden anschickt. Sollte sich unter weiteren Versuchen tatsächlich ein solcher Einfluss der Pression heraus- stellen, so könnte das von Bedeutung für die Theorie der Rückstosselevation der normalen Pulskurve werden, für die es zurzeit nicht weniger als vier Auf- fassungen gibt. Dürfen wir nun die Vorgänge bei meiner rhythmischen Pression am Schlauchsystem auf die Israel’schen klinischen Beobachtungen am Körper, die mit Zentimeterwasserdrücken gegenüber meinen Millimeterwasserdrücken rechnen, übertragen? Und dürfen wir mit- hin die klinischen Blutdrucksteigerungen der Tabellen 20—29 aus der Analogie der Drücke in den Schläuchen erklären? Ich meine: Unter einer solchen prinzipiellen Übereinstimmung der relativen Werte gewiss! Eine mechanische Erscheinung wird am sichersten erklärt, wenn wir sie künstlich hervorrufen können. In den hämodynamischen Druckschwankungen handelt es sich um Äusserung mechanischer Gesetze. Indessen habe ich dennoch zur grösseren Sicherheit noch einige Versuche am Schlauchsystem mit so hohen absoluten Zentimeterdrücken angestellt, wie wir sie am Körper haben. Zu diesem Zweck erhöhte ich, indem ich unter ziemlichen Schwierigkeiten das Mariotte’sche Druckgefäss in einem Zimmer des über meinem Versuchsraum gelegenen Stockwerkes aufstellte, 546 K. Hasebroek: den Wasserspiegel auf 3,45 m über dem Ausfluss. Ich erhielt so die folgenden Druckwerte in Zentimetern. Ich benutzte sowohl den Schlauch DB und dessen Ausreckung als den Schlauch © mit Aus- reckung und Umwiceklung unter 144 Strompulsen in der Minute, weil bei diesen Versuchsbedingungen die früheren Resultate am übereinstimmendsten sich gestaltet hatten. Tabelle 35. 24. Sept. 1911. Motor = 144 Hahnöffnungen in der Minute. Ausreckung des Schlauches B stets um 10 m. Er Zeit des . © E Höhe des Durch | Max. | Min. | Di Die amp | Die Druckgefässes AleRer Max. Min. Amp]. — 345 cm Sek. cm cm cm cm cm cm Ungereckt 22 123 110 +10 +9 13 +1 Ausgereckt 20 113 101 12 Ungereckt 22 123 110 +10 +9 13 al Ausgereckt 19 110 97 | Nayıı u) Ungereckt 22 123 110.|+3| +B 135 0 Tabelle 36. 1. Okt. 1911. Moter — 144 Hahnöffnungen in der Minute. Schlauch ©. Ausreckung um 12 cm. Einmalige Umwicklung. 2 Zeit des | 6 IR | sole Durch- | Max. | Min. Di Die Ampl Dir Druckgefässes Asses | | Max. Min. Ampl. — 345 cm Sek. cm cm cm cm cm | cm | Ungereckt 51 82 78 Er a 4 —;j] Ausgereckt 50 78 73 | Umwiıcklung 61 91 88 +3 +4 | OhneUmwicklung 56 88 84 | 4 Resultat: Die Tabellen in Zentimetern unterscheiden sich in den Verhältnissen in nichts von meinen Tabellen 14—19 in Milli- metern: Das Minimum ist in seinem Pluswert von annähernd gleicher Valenz oder höher als das Maximum und die Amplitude kaum vergrössert oder kleiner. Meine Resultate haben also auch für die annähernd gleiche absolute Druckhöhe, wie wir sie am Körper haben, Gültigkeite Damit darf ich wohl die Vorgänge meiner experimentellen Erzeugung der charakteristischen Maximum- druckerhöhung auf die Verhältnisse des Körpers übertragen. Von Bayliss ist festgestellt, dass die Arterien, selbst isoliert von ihren nervösen Verbindungen, auf vermehrten Innendruck mit Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension etc. 547 Kontraktion antworten !): Damit ist die Annahme erlaubt, dass am Organismus eben diese Kontraktion die pressorische Energieist, diemeinemkünstlichen Mantelrohrinnen- druck entspricht und die den chronischen Blutdruck- steigerungen mit vorwiegend erhöhten Maxima ihr charakteristisches Gepräge gibt. III. Konsequenzen und Ausblicke auf den normalen und pathologischen Blutkreislauf. Die Notwendigkeit, für die chronische Blutdrucksteigerung mit vorzugsweise beteiligtem Maximum eine zum herzsystolischen Druck hinzukommende aktive Arterienkontraktion anzunehmen, muss dazu führen, auch für die normale Funktion des Gefässsystems auf eine prinzipiell vorhandene aktive Beteiligung der Arterienkontraktion zu schliessen. 1. Verschiedene Drücke in verschiedenen Arterien. Durch eine solche Auffassung werden zunächst mit einem Schlage die bereits physiologisch und klinisch aufgefallenen Differenzen der Drücke an den verschiedenen Arterien verständlich, über die man sich seit langem den Kopf zerbricht. Das bekannteste physiologische Beispiel ist der beobachtete höhere Druck in der Art. cruralis gegen- über dem Druck in der Carotis. Auch hier handelt es sich nur um ein erhöhtes Maximum ?) — 220 und 249 mm He zu resp. 168 und 183 mm — und höhere Amplitude?) mit 65 mm: 38 mm. Klinisch liegen aus neuester Zeit Arbeiten vor, die Unterschiede der Maximum- drücke um 32—34 mm Hg in unteren und oberen Extremitäten ge- funden haben*). Fine sorgfältige Prüfung dieser Werte ist von Münzer vorgenommen worden mit dem Resultat, dass tatsächlich 1) Journ. of Physiol. Bd. 28 zitiert bei Alwens, Über die mechanische Theorie der nephritischen Blutdrucksteigerung. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 98 S. 152. 2) Hürthle, Pflüger’s Arch. Bd. 47. 3) 0. Frank, Der Puls in den Arterien. Zeitschr. f. Biol. Bd. 46 S. 491. 4) Williamson, Klinische Beobachtungen über den Einfluss der Gefäss- wand auf die sogenannten arteriellen Blutdruckwerte. Proc. Roy. Soc. Bd. 2 Nr. 7. Deutsch von Schütz, Fortschr. d. Med. 1910 Nr. 8. 548 K. Hasebroek: der Druck, und zwar nur im Maximum, in der Oberschenkelarterie ein etwas höherer ist als in der Brachialis'). Dass es nun mittels meiner lokal einwirkenden pulsatorischen Balionpression, die mit der primären Systole zusammenfällt, möglich ist, auch am Schlauchsystem stromabwärts ein höheres Maximum als stromaufwärts zu erzeugen, zeigt die folgende Tabelle. Ich erhielt diese Zahlen dadurch, dass ich vor einem um 40 cm stromabwärts vom Steigrohr A gelegenen Steigrohr BD ein kleines nur 5 em langes Druckmantelrohr einschaltete und in diesem durch den Ballon die Pression auf der Höhe der Strompulse einwirken liess. (Versuchs- anordnung siehe Fig. 3 S. 543, in der punktierten Skizzierung. Das grössere Mantelrohr vor dem stromaufwärts. gelegenen Steig- rohr A, mit dessen Drücken die Drücke in D zu vergleichen sind, ist natürlich jetzt fortzudenken.) Tabelle 37. Steigrohr A Steigrohr 5 : Distanz 52 cm vom Hahn | Distanz 94 cm vom Hahn Pression Max. Min. Ampl. Max. Min. Ampl. mm mm mm mm mm mm ohne | 16 | 0 6 14,5 7,5 7 mit 17 10 7 17,5 8 9,5 ohne 16,5 g 7,5 15 6 I mit 17 9 8 17 6 11 ohne 17 %) Ro) 15,5 6 9,5 a al mie 17 9 8 15 | 6 115 een ohne 17 9 8 16 6 10 a mit 17 9 8 18,5 6,5 12,5 ohne 23 15 8 19,5 14 3,9 mit 23 15 8 23 14 D) ohne res 35 9 15 6,3 85 mit 17,5 8,5 9 18 6,5 11,5 ohne 16,5 12,5 4 13 12 1 ne ec 5 18 7,50) 10,5 lee En ohne 17 12,5 4,5 13 12 1 ne mit 165 | 12 45 | 165 | 1 6,5 mit 19 13 6 18,5 9,5 9 Resultat: Im stromabwärts gelegenen Steigrohr B ist viermal das Maximum absolut höher, viermal gleich dem Maximum in Steig- l) Münzer, Sphygmo-tonographische Studien. Pflüger’s Arch. Bd. 136 S. 445/446. Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension ete. 549 rohr A geworden. Die Amplituden sind in B sämtlich höher als in A. Wir haben also dasselbe Verhalten der Drücke, wie es respektive von Hürthle und Frank in der Cruralis gegenüber der herznahen Carotis beobachtetist. Allein schon die häufig auffallende Konstanz aller absoluten Werte in Steig- rohr A unter Pression und Nichtpression, gegenüber den beweglichen Drücken im Steigrohr D, wäre an sich genügend für die Annahme der Möglichkeit einer isolierten Beeinflussung der Drücke im Verlauf eines Systems. 2. Die Aorta. Eine weitere wichtige Konsequenz meiner Resultate ist die, speziell in die Aorta eine Einwirkung pressorischer Gefässwand- energie auf den normalen Kreislauf zu verlegen. Schon früher war ich durch kritische Betrachtung der physiologischen intrakardialen Druckkurve dazu gekommen), die von Frank festgestellte ?) physio- logische Rückschwankung des Aortendruckes vor dem Klappenschluss in den linken Ventrikel nieht auf Wellenreflexion, sondern auf eine aktive Energie der Aorta zurückzuführen. Nach meinen physikalischen Resultaten an den Schläuchen hat nunmehr meine Ansicht an Boden gewonnen. Denn: bei der Drucksteigerung unter Muskelarbeit, dem vornehmsten Typus höchst gesteigerter physiologischer Funktion des Organismus, ist übereinstimmend nach allen Untersuchungen das Maximum in erster Linie beteiligt. Und bei dem Hypertoniker finden wir das gleiche Verhalten (siehe S. 541). Eine intensive aktive Betätigung der Aorta neben derjenigen der Arterien, wie ich sie in meiner Monographie über die Drucksteigerung theoretisch ausführlich erörtert habe, erscheint mir hiernach anzunehmen berechtigt. Bei einer Zunahme von Widerständen durch etwaige Behinderung des Abflusses, wie Traube sie durch Kompression der Gefässe dureh die Muskelkontraktion annahm, wäre ein Druckablauf mit nur hohem Maximum physikalisch unmöglich. Und wird nicht auch durch eine solche maximale Auslösung der Aorten- pression überaus gut verständlich, dass bei körperlicher UÜberanstrengung durch eine derartig aktiv forcierte gleichzeitige Rückschwankung des Druckes in den Ventrikel die Überdehnung eines schwächeren Herzens zustande kommt? Ein Vorgang, dessen bisherige Erklärung, aus der Systole eines schwachen Herzens selbst, physikalisch sicher unzureichend war. 1) Hasebroek, Die Blutdrucksteigerung usw. S. 24/25. 2) Frank, Der Puls in den Arterien. Zeitschr. f. Biol. Bd. 46. Pflügers’ Archiv für Physiologie. Bd. 143. 37 550 K. Hasebroek: 3. Das Herz. Wenn man die Arterienwandungen nicht mehr nur als gespanntes Rohrsystem betrachten darf, so muss das die Anschauungen über die absolute Souveränität des Herzens, besonders der Aorta gegenüber, erschüttern. Man muss irre werden an dem Dosma der bisher wissenschaftlich notwendigen Auffassung von der Riesenarbeit des kleinen Herzens. Denn es ist klar, dass, wenn die Aorta als ein Hohlorgan von so bedeutenden Dimensionen nicht nur als „Wind- kessel“, sondern mit beträchtlicher Eigenkraft für den Kreislauf Arbeit leistet, ihre Dienität als Zentralmotor zunimmt. A DiernBurs: Auch die pressorische Arbeit der kleineren arteriellen Gefässe muss für lokale biologisch gesteigerte Bedürfnisse höchster Durch- blutung so berücksichtigt werden, wie ich es in meiner Arbeit über die Blutdrucksteigerung systematisch unter Heranziehung einer neuen Auslegung des Pulsus celer durchgeführt habe‘). Und zeigen nicht tatsächlich die S. 545 mitgeteilten Strompulskurven, wo sie unter lokaler Einwirkung der Pression aufgenommen sind, den Charakter der „Celerität“? Auch die Lehre von der Energetik der Pulswelle würde in eine veränderte Beleuchtune treten. 9. Der Vorgang der Kompensation. Kompensation kann hämodynamisch nur heissen: Erhöhung der Blutstromgeschwindigkeit. Können wir es physikalisch wahrscheinlich machen, dass eine gesteigerte pulsatorische Arterienpression die Blut- geschwindigkeit erhöht? Es ist diese Frage zu bejahen, wen: ı sich an meinem Schlauchsystem eine Zunahme der Stromgeschwind igkeit unter Hinzufüzung der pulsatorischen Pression auf die Schlauch wand nachweisen lässt. Ich benutzte wieder den Schlauch (€ und verfuhr so, dass ich zunächst mit Hilfe des resp. stromabwärts befindlichen Steigrohrs die Triebscheibe resp. die Pressionsdrücke so einstellte, dass sie im Sinne der isolierten Erhöhung der Maximumdrücke wirk- sam waren. Alsdann wurde das Steigrohr selbst entfernt, um — wie am Körper — ein geschlossenes System zu haben, und nunmehr unter „Pression“ und „Nichtpression“ die Strom- geschwindigkeit in der üblichen Weise durch die Füllungszeit des 1) Hasebroek, Die Blutdrucksteigerung usw. S. 37/38. Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension etc. 551 !/a Liter Gefässes bestimmt. Ich stellte den Einfluss sowohl des 20 em als des 5 em langen Druckmantelrohres fest. Ich untersuchte bei hoher und niedriger Frequenz, unter verschiedenen absoluten Drücken, niedrigen und hohen, bis zu Werten, die mit SO’—100 em Steigrohrdrücken an den Blutdruck heranreichen: Tabelle 38 a. Tabelle 38 b. Motor = 144 Hahnöffnungen in der Minute. Zeiten der Füllung des !/s-Liter-Gefässes in Sekunden. 1. Oktober Kurzes Druckmantel- 8. Oktober Langes Druckmantel- 1911 rohr 75 cm Hahn- 1911 rohr 30 cm Hahn- . Höhe des’ abstand Höhe des abstand Druckegfässes mit ohne Druckgefässes mit ohne cm Pression Pression cm Pression Prestion 25 195 Sek. 270 Sek. 50 118 Sek. 122 Sek. 38 ODE lad, 50 alle 134 „ 38 N D2, 50 120% 192 nr 38 a2 345 a 50 90 „alla 345 DI 30 ,„ 345 SUB 32, 345 ZU Sl 345 Ole 345 DO 23a Resultat: Bei 144 Strompulsen steigen unter der Pression ‚ausnahmslos dieGescehwindigkeiten und zwar um so mehr, je kräftiger die Pression im Verhältnis zum absoluten Stromdruck, d. h. zu der Geschwindigkeit vor dem Eintritt der Pression ist. Tabelle 39 a. Tabelle 39 b. Motor — 54 Hahnöffnungen in der Minute. Zeiten der Füllung des !/g-Liter-Gefässes in Sekunden. 1. Oktober Kurzes Druckmantel- 8. Oktober Langes Druckmantel- 1911 rohr 75 cm Hahn- 1911 rohr 30 cm Hahn- Flöhe des abstand Höhe des abstand Druckgefässes mit ohne Druckgefässes mit ohne cm Pression | Pression cm Pression Pression | 25 207 Sek. | 150 Sek. 38 178 Sek. | 189 Sek. 38 lo |. 9027, 50 Hose 120," 50 Some ah olu:,, 345 40 ,„ 40 „ 345 SU 345 40, 40 ,„ 345 SI Re 345 Say, aa, Resultat: Bei 54 Strompulsen ergab sich — gegenüber dem ausnahmslos positiven Resultat der Tabelle — folgendes: Bei absolut niedrigen Drücken trat nur bei dem 20 em langen Druckmantelrohr (9) Sen 552 K. Hasebroek: Geschwindigkeitserhöhung ein: bei 5 em langem Druck- mantelrohr zeigte sich Gesehwindigkeitsherabsetzung; bei absolut hohen Drücken ist mindestens kein beschleunigender Einfluss bemerkbar. Die hier vorliegenden Unstimmigkeiten zwischen hoher und niedriger Frequenz vermag ich nicht zu erklären. Es liegen sicher- lich so komplizierte hydrodynamische Verhältnisse vor, dass man schwer alles übersehen kann. Es kommen mindestens vier Faktoren in Betracht: 1. Das Verhältnis der Stärke der Pression zu dem absoluten Druck; 2. die Frequenz der Strompulse; 3. die Länge des Manteldruck- rohres und 4. dessen Abstand vom Hahn resp. vom Schlauchende. Für die höheren Drücke, also die Höhe des Blutdruckes, konnte ich feststellen, dass auch bei niedriger Frequenz das Resultat positiv wurde, wenn ich durch Quetschhahn dafür sorgte, dass der Abfluss kontinuierlich und nicht unterbrochen erfolgte, wie es bei den langsamen Pulsen leicht vorkommt; ich fand: Tabelle 40. Motor — 54 Hahnöffnungen in der Minute. Zeiten der Füllung des !/s-Liter-Gefässes in Sekunden. 1. Okt. 1911 Föherdes Kurzes Druckmantelrohr Langes Druckmantelrohr Druckgefässes a en R mit Pression | ohne Pression | mit Pression | ohne Pression | 345 72 Sek. | 78 Sek. 61 Sek. 63 Sek. 345 1 | Te a 65 „5 Resultat: Strombeschleunigung unter der Pression. Aus den Versuchen über die Stromgeschwindiekeit folgt daher für mich: Da am Körper ein unterbrochener Aus- resp. Durchfluss überhaupt nicht vorkommt, so darf wohl das positive Resultat der Beschleunigung der Strömung, zumal diese bei höherer Frequenz der Pulse und vollends bei niedrigen absoluten Drücken so eklatant ist, genügen, um daraus abzuleiten, dass am Körper eine ge- steigerte pulsatorische Pression der Arterienwände, mit dem Effekt einer Erhöhung nur der Maximum- drücke, ein wirkungsvoller Kompensationsvorgang durch Beschleunigung der Blutströmung sein kann. Hinzu kommt, dass am lebenden Arteriensystem die pulsatorische Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension etc. 553 Pression, da sie nur von der primären Welle ausgelöst sein kann, der Wellenbewegung viel vollkommener folgen kann, als bei meinen Schläuchen. Sie muss dadurch auch für die Massenbewegune des Blutes peripherwärts wirksam werden. Nach allem diesem glaube ich in meinen Versuchsresultaten eine experimentelle Stütze gewonnen zu haben, um physikalisch und hämodynamisch die von mir systematisch durchgeführte Analyse der chronischen Blutsteigerung!) als kompensatorischen resp. regulatorischen Vorgang, somit als eine Abwehrreaktion des Körpers, aufrecht zu erhalten. Übrigens stellt, scheint mir, das methodologische Prinzip der Einschaltung von solchen pulsatorisch lokalen Pressionsvorrichtungen an einem Versuchs- system von Schläuchen eine grosse Zahl interessanter Aufgaben, deren Be- arbeitung für die Lehre von der Blutstrombewegung von Bedeutung sein könnte. Folgende Fragen müssten hier zu beantworten sein: Wie stellen sich die Ge- schwindigkeiten in einem elastischen Rohrsystem, wenn die Pression zentral oder peripher einsetzt? Wie an einem ringförmig angeordneten System? Wie stellen sich die Geschwindigkeiten, wenn experimentell zugleich am Ausfluss stark aspiriert wird? Wie verhalten sich die Geschwindigkeiten vor und hinter einer lokalen pulsatorischen Pression? Alles das sind Aufgaben, die mit physikalisch vollendeterer Methodik, als ich sie bieten kann, in Angriff genommen, vielleicht Licht auf manche Vorgänge im normalen, pathologischen und kompensierten organischen Kreislauf werfen können. Eine derartige physikalische Betrachtung kann für die Auffassung des Arterienwandarbeit neue Anhaltspunkte ergeben. Man erinnere sich nur ein- mal des Rätsels, dass wir am Organismus auch bei höchsten Blutdrücken schwerste Dekompensation, d. h. Stromverlangsamung haben können. 6. Das Adrenalin. Wie notwendig es ist, offenbar kompensatorische druck- steigernde Vorgänge am Organismus überhaupt vom Gesichtspunkte einer pressorischen Arterien- inkl. Aortenenergie zu betrachten, an- statt dass man — als sei es selbstverständlich — die Widerstände durch Kontraktion und Überspannung, sei es mit oder ohne ge- steigerte Herzarbeit, heranzieht, zeigt die klinische Drucksteigerung beim Adrenalin. Selbst hier, wo die Abflusswiderstände so gesteigert zu sein scheinen, dass dieser Umstand am Froschpräparat als Reagens auf Adrenalin benutzt werden kann, finden wir am Körper nicht den Typus einer Drucksteigerung, wie er physikalisch unter hohen Widerständen sein müsste. Es liegen ausführliche Zahlenreihen über 1) Hasebrock, Die Blutdrucksteigerung usw. 554 K. Hasebroek: Maximum -Minimumdrücke vor, die aus je vierfach kontrollierten 15 Fällen von bakteriologisch geschädigtem Kreislauf gewonnen sind !): Tabelle 41. Drücke unter Suprarenineinwirkung. Werte in Millimeter Hg. i : Differenz Differenz ‚Differenz| Puls- Zeit | Max. Min. Max. Min. Ampl. | Ampl. |frequenz | Vor der Ein- | | wirkung . . 135 95 I = 4.0 — 88 Nach der Ein- wirkung . . 135 95 0 0 40 0 88 5h 19% 140 92 +5 — 3 48 +3 83 5h 14’ 140 | 8 0 — 17 Dan 96 516, 145 ı,.75 >58 —10 70 +15 104 5h 20°’ 155 75 +10 0 &0 +10 108 5h 24’ 165 70 +10 —5 95 +15 120 Sn 29n 180 75 +15 +5 105 +10 116 5h 32’ 180 tell 0 nr) 100 —5 112 5h 36’ 160 | 80 — 20 0 s0 —20 112 5h 40’ 160 80 0 0 80 0 116 5h 50' 150 85 —10 +5 75 —5 116 64h 00’ 140 | 9 —10 +59 50 —25 116 6h 30’ 140 | 0 +98 45 —5 116 6h 50’ 35 Ja 0 _ _— 116 Diese Tabelle, mit ihrer Umkehr der Vorzeichen der Differenzwerte nach Erlöschen der Adrenalinwirkung, ist geradezu ein klassischer Beweis dafür, dass die Drucksteigerung im Organismus unter Umständen genau so sich abspielt, wie in meinem Schlauehsystem mithinzugefügten pressorischen Drücken. Nie und nimmer könnte ein soleher Druckablauf eingetreten sein, wenn es sich nur um die allgemeine Beziehung zwischen Herzkraft schlechthin und Gefässüberüberspannung oder -kontraktion handelte. Ich sehe in dieser Adrenalintabelle eine physikalische Bestätigung meiner bereits früher aus klinischen Tatsachen gezogenen Schlüsse auf die Natur der aktiven Arterienmitarbeit unter Adrenalinwirkung?). 7. Tabes. Nephritis. Hiermit komme ich auf die bereits S. 539 erwähnten vier grössten Ausnahmen, je eine in den Israel’schen Fällen 3, 8, 9, 11, mit l) van den Velden, Zur kreislaufanaleptischen und telehämostyptischen Wirkung des Nebennierenextraktes. Münchener med. Wochenschr. 1911 S. 184.: 2) Hasebroek, Über die Selbständigkeit der Peripherie des Kreislaufes und ihre Beziehungen zum zentralen System. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 102 S. 589 ff. Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension ete. 555 ihren negativen Amplitudendifferenzwerten, zurück, in denen die Blutdrucksteigerung wie die Drucksteigerung unter Spannungs- veränderungen der Schläuche erscheint. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass im Organismus, wie die Experimente der Physiologen dartun, durch räumlich ausgedehnte Arterienkrämpfe die Drucksteigerung wie bei den reinen Spannungsveränderungen sich gestalten könnte. Haben wir wirklich die Ausnahmefälle von diesem Standpunkt aus zu betrachten? Wir haben im Fall 3 (Tabelle 22) einen Tabiker: bei diesem ist das ganze vasomotorische System notorisch sehr labil und zu Krampfzuständen geneigt. Es könnte die Ausnahmestellung also so erklärt werden. In der Tat fällt in der Orieinalarbeit die Ausnahme mit der Notiz „Starke Schmerzen, Krisen (?)“ zusammen. Bei den Fällen S (Tab. 26b), 9 (Tab. 27) und 11 (Tab. 28b) fällt übereinstimmend auf, dass essich um schwerer erkrankte Nephritiker mit Herzinsuffizienz, Ödem, auch wohl Dyspnoe, handelt. Es ist von Israel oft notiert: „sehr schlechtes Befinden“. Bei Fall 9 (Tab. 27) fällt die Ausnahme des ausschliesslichen Steigens des Minimums sogar mit der Notiz „Übelkeit, sehr schlechtes Befinden“ zusammen. Fall 11 (Tab. 23b) zeigt solche Unsicherheiten in den Druckbestimmungen, dass ich nur zwei Tagesschwankungen für meine Zwecke verwerten konnte. Das sprieht für das Vorhandensein von kurz vorübergehenden Vorgängen, um so mehr, als an den übrigen Drueckaufzeichnungen Israel’s eine überwiegende Beteiligung des Maximums gegenüber dem Minimum immer wieder durchklingt. Die Nephritis hat der Ergründung ihrer Drucksteigerung schon so viele Rätsel aufgegeben, dass es nicht wunderbar wäre, wenn hier ein weiteres dazu käme. Es scheint mir aber nicht ganz un- möglich, dass meine Resultate neue Gesichtspunkte liefern können. In einer die neueste Literatur ausgiebig berücksichtigenden Arbeit gelangte Senator!) zu folgenden Schlüssen: 1. Durch die Ersehwerung des Blutstromes im Nierenparenchym bei ungehindertem Blutzufluss zur Nierenarterie wird der Druck nicht erhöht. 1) Senator, Über die Beziehung des Nierenkreislaufs zur arteriellen Blut- drucksteigerung und über die Ursachen der Herzhypertrophie. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 72. 1911. 556 K. Hasebroek: 2. Lediglich der Ausfall von genügender Masse von Nieren- parenchym führte experimentell zur Drucksteigerung. Von einer Giftwirkung konnte dabei nicht die Rede sein, sonderr es sind Ver- änderungen im Stoffwechsel, die in Betracht kommen. 3. Es müssen sich entweder pressorische Elemente in abnorm starker oder depressorische in abnorm schwacher Weise geltend machen. Als die drucksteigernden kommen die Nebennieren, Para- ganelien der Aorta, Hypophysis, vielleicht auch Milz, Thymusdrüse oder die Leber eventuell in Frage. Für die depressorischen wäre an das Pankreas zu denken. | Aus allem diesen folgt für mich: Es handelt sich um physio- logische Substanzen, die die Blutdrucksteigerung auslösen und für die man, in Hinsicht auf die überwiegende Zahl der Möglichkeiten, an die pressorischen Flemente denken muss. Hierdurch würde man Berechtigung haben, die Nephritisdrucksteigerung auf die Steigerung der physiologisch-mechanischen Vorgänge im System zurückzuführen. Hierfür sprieht auch, dass Strasburger auf die Übereinstimmung der Ruhedruckkurve des Nephritikers mit der- jenigen des arbeitenden Menschen aufmerksam machen konnte!). Unter diesen Umständen kann man die Drucksteigerung beim noch subjektiv gesunden Nephritiker als Regulations- und Kom- pensationsvorgang betrachten, wie es auch von klinischer Seite viel- fach schon geschieht. Welcher Abschnitt des Systems kommt hämodynamisch für die Kompensation bei der Nephritis in Frage? Wenn es nach den Untersuchungen über das Ödem wirklich feststeht, dass für die Auslösung und Anregung der spezifischen Tätigkeit der Kapillaren als kolloidale Membranen in den Nieren die Sauerstoffversorgung und zwar lediglich auf Grund der Geschwindigkeit der Blut- strömung, das ausschlaggebende Moment ist?), so kann es kaum zweifelhaft sein, dass für eine hämodynamische Kompensation durch erhöhten Druck die erhöhte Triebkraft rückwärts von der Niere, d. h. in der Aorta und im linken Herzen ein- setzen muss. Wenn nun meine Versuche ergeben haben, dass 1) Zitiert bei Israel, Klinische Untersuchungen usw. 8. 20. 2) M.H. Fischer, Das Ödem. Eine experimentelle und theoretische Unter- suchung der Physiologie und Pathologie der Wasserausscheidung im Organismus 8. 186 ff. und 217. (Aus dem Englischen von Schorr und Ostwald.) Stein- kopf, Dresden 1910. Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension etc. 557 zu einer vorwiegend im Maximum stattfindenden Blutdruckerhöhung eine neu hinzutretende Energie angenommen werden muss, so könnte diese bei der Nephritis nur an der Aorta gesucht werden: und tatsächlich finden wir, dass meistens eine Aortenhypertrophie die Herzhypertrophie begleitet). Die Notwendigkeit, nach der Form der hypertropischen Elemente, diese Wandungshypertrophie der Aorta als eine aktive Arbeitshypertrophie und nicht als lediglich durch einen „Windkesselbetrieb“ bedingte, aufzufassen, habe ich an einer anderen Stelle ausführlich begründet). Alsdann aber darf man weiter schliessen, dass bei der kompensierenden Nephritisdrucksteigerung mit ihrem vorzugsweise beteilistem Maximum die Aorta eine Rolle spielt. So: würde sich erklären, dass wir in den Israel’schen Tabellen unter den typischen chronischen Drucksteigerungen so viele Nephritiden vertreten finden. Und ich schliesse weiter: Das Verloren- gehen des Charakters mit hohem Maximum könnte in den Ausnahme- fällen der klinischen Tabellen durch die Dekompensation bedingt worden sein, im Sinne von nunmehr eingetretenem Missverhältnis zwischen den zentralpressorischen Kräften schlechthin und irgend- welchen Widerständen des Gesamtsystems im landläufigen Sinne. Es muss weiteren klinischen Beobachtungen vorbehalten bleiben, ob man in der Verfolgung des Charakters der Blutdrucksteigerungen differentialdiagnostische Unterschiede machen kann und muss. Mir scheint das ein neuer Gesichtspunkt zu sein. Ich darf darauf aufmerksam machen, dass derartige Auffassungen vollkommen in den Rahmen der von mir in meiner Monographie gegebenen Erwägungen über die Blutdrucksteigerung bei Nephritis fallen. Speziell der Umstand scheint mir jetzt von grösster Wichtig- keit, dass ich dort mit auf Grund der fehlenden Celerität des Pulses im Gegensatz zur Bleivergiftung schloss, dass bei der Nephritis für die kompensatorische Blutdrucksteigerung nicht das ganze Arteriensystem, sondern nur das System rückwärts von der Niere in Betracht kommen könnte®). Dass ich das teleologisch-mechanische Prinzip des Körpers mehr betonte, tut der Sache keinen Abbruch Die Teleologie bedeutet für mich immer nur ein Provisorium, eine 1) Zitiert nach Bruns und Genner, Der Einfluss des Depressors auf die Herzarbeit und die Aortenelastizität. -Münchener med. Wochenschr. Nr. 37. 1910. 2) Hasebroek, Über die Selbständigkeit der Peripherie usw. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 102 S. 592. 3) Hasebroek, Die Blutdrucksteigerung usw. S. 66 u. 67. 558 K. Hasebroek: Etappe auf dem Wege zur kausalen Erklärung: Ich meine, dass ich in den vorliegenden Untersuchungen in dieser Beziehung eine experi- mentelle fortschrittliche Basis gewonnen habe. 8. Schlussbemerkungen. Man beeinnt auch klinisch allmählich die Aktivität der Gefässe mehr und mehr in den Vordergrund zu rücken. Man ist über die „Weitbarkeit“ und „Anspruchsfähigkeit“ neuerdings schon zu einer „aktiven Tonisierung“ gelangt. Man möge es mir zugute halten, wenn ich hieraus die Hoffnung schöpfe, dass die Lehre vom Kreis- lauf auf dem Wege ist, sich zu den meinigen ähnlichen Ansichten zu entwickeln. Die Physiologie ist, so weit sie auch sonst in der Kenntnis der Blutverteilung durch die Vasomotoren gekommen ist, hinsichtlich der Kenntnis des Um- und Durchtriebes des Blutes selbst bei Annahme spezifischer Gefässarbeit!) noch nicht zur Klarheit gelangt. Das beweisen auch die Rätsel der klinischen Pathologie. Man lese z. B. die Krankengeschichten und Sektionsprotokolle, die Bäumler einer neuesten Arbeit zugrunde legt?): Sowohl der anatomisch schwer veränderte linke Ventrikel bei jahrelang vorhandener symptomenloser Kompensation und normalem Puls, als, funktionell betrachtet, das unveränderte Bestehen der Schwäche des ersten Tones auch bei vor- handenem hebenden Spitzenstoss°?) sprechen gegen eine muskuläre Kompensation von seiten des Herzens. Dürfte man für diese Fälle der Aorta einen Teil der Kompensation zuschreiben, so würden die Widersprüche zwischen offenbar funktionell schwachem Herz- muskel — weil mit schwachem ersten Ton — und einer gleichzeitig bestehenden Kompensation mit hebendem Spitzenstoss fort- fallen. Der hebende Spitzenstoss kann physikalisch sehr wohl der Ausdruck der Rückschwankung des Druckes einer verstärkten Aorten- tätigkeit sein. Für die Peripherie als aktive aspiratorische Komponente des Kreislaufes habe ich kürzlich neues Beweismaterial herbeigebracht ®). 1) Grützner, Betrachtungen über die Gefässmuskulatur usw. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 89. 2) Bäumler, Das Krankheitsbild der reinen chronischen sogenannten Wandendokarditis. Deutsches Arch. f. klin. Med. Pd. 103 Heft 1/2. 3) Ebenda S. 31. 4) Hasebroek, Über die Selbständigkeit der Peripherie usw. Physikalisch-experimentelle Einwände gegen die sog. art. Hypertension ete. 559 Ich hoffe, dass ich in der vorstehenden Arbeit auch zwingende physikalische Gründe für die Annahme der aktiven pressorischen Komponente im Arteriensystem habe geben können. Beide Kom- ponenten ergänzen sich für mich immer klarer zu demjenigen Bilde des Kreislaufs, das bereits in meiner ersten Arbeit lebendig vor mir stand: dass, vom Gesichtspunkt der Funktion aus, der Betrieb des Systems aufsteigend von der aspiratorischen Peripherie nach dem Zentrum zunehmend propulsatorisch sich entwickelt, bis er am Herzen selbst in höchster und vollendetster Form in der reinen pressorischen Propulsion zum Ausdruck kommt!). Es erscheint mir nicht ganz ausgeschlossen — allerdings wage ich es kaum aus- zusprechen — dass eventuell die Lehre vom Tonus der Arterien revidiert werden muss. 1) Hasebroek, Versuch einer Theorie der gymnastischen Therapie auf Grund einer neuen Darstellung des Kreislaufes. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bda3.. 1903. 560 K. Ishimori: (Aus dem physiologischen Institut der Universität Strassburg i. E.) Über die Muskelaktionsströme bei übermaximalen Zuckungen. Von Professor K. Ishimori (Nagoya, Japan). (Mit 4 Textfiguren.) Wenn man einen Muskel indirekt mit absteigenden elektrischen Strömen reizt und die Reize allmählich immer mehr verstärkt, so sieht man im allgemeinen ein Ansteigen der Zuckungshöhe bis zu einem Maximum. Unter Umständen tritt aber von einer gewissen Reizstärke an ein neues Ansteigen der Zuckungshöhe ein, es zeigen sich „übermaximale Zuekungen“. A. Fick!) ist bekanntlich der Entdecker derselben. Vor einigen Jahren hat M. Gildemeister?) gefunden, dass logarithmisch ansteigende Ströme besonders geeignet sind, den Muskel zu abnorm hohen Zuckungen zu veranlassen. Er schaltete, um solche Ströme zu erhalten, in den Stromkreis eine Spirale ein; bei starken Strömen und guten Präparaten war die Zuckungshöhe dann immer grösser als bei steilem Stromanstieg auf dieselbe Endintensität. In einer neueren Arbeit konnte er zeigen, dass derartige Zuckungen, die er als die Fick’schen übermaximalen ansieht, auch durch solche langsamen Reize hervorgebracht werden können, die nicht einfach logarithmisch ansteigen, so z. B. durch sehr ver- langsamte Schliessungsschläge und verzögerte Kondensatorentladungen. Besonders stark zeigt diese Erscheinung der Krötenmuskel, und das ist der Grund, weshalb viele Autoren der Meinung sind, für die langsame Kröte seien die langsamen Reize die adäquaten. Man kann also allgemein sagen, dass starke Zeitreize zu über- maximalen Zuekungen Anlass geben, während starke Momentanreize 1) A. Fick, Ges. Abhandl. Bd. 3 S. 136. 2) M. Gildemeister, Pflüger’s Arch. Bd. 101 S. 203. Über die Muskelaktionsströme bei übermaximalen Zuckungen. 561 nur manchmal, unter besonderen, noch nicht bekannten Bedingungen, denselben Erfolg haben. Von grossem Interesse ist nun die Frage, wie die Aktionsströme der übermaximalen Zuckungen aussehen. Vor kurzem hat P. Hoff- mann!) eine Arbeit über die Aktionsströme der Kontraktionen auf Zeitreiz veröffentlicht. Dieser Autor verlanesamte die reizenden Kettenströme durch Flüssigkeitsrheonome (nach v. Kries und v. Fleisehl) und registrierte die Aktionsströme des Muskels mit dem Saitengalvanometer. Sie erwiesen sich als vervielfältigt: während ein Momentanreiz nur einen (doppelphasischen) Aktionsstrom hervor- bringt, erzeugt ein Zeitreiz vier bis sechs. Dabei waren die „Zeit- zuckungen“ oft höher als die „Momentzuckungen“; offenbar ist dieses dieselbe Erscheinung, die schon Gildemeister beschrieben hat. Man kann also nach diesen Versuchen sagen, dass übermaximale Zuckungen von mehrfachen Aktionsströmen begleitet sind. Zeitreize, die durch Flüssiekeitsrheonome hervorgebracht werden, sind aber nicht ganz einwandfrei. Man könnte allenfalls daran denken, dass durch Verspritzen, Wellenbildung u. dgl. Diskontinuitäten im Stromverlauf auftreten können, wodurch dann die Stromkurve zackig würde. Auf diese Weise wäre Gelegenheit zu mehrfachen Reizen geboten. Deshalb habe ich auf Anregung von Herrn Professor Gildemeister die Angaben von Hoffmann mit solchen Zeit- reizen nachgeprüft, gegen die derartige Einwände nicht erhoben werden können. Ich will gleich im voraus bemerken, dass ich die Befunde dieses Autors durchaus bestätigen kann. Methodik. Allgemeines. Es wurde das übliche Ischiadieus-Gastroenemius- präparat von Fröschen und Kröten benutzt. Die Tiere wurden un- - mittelbar vor dem Versuch aus dem kühlen (13° C.) Keller geholt; dann schloss sich sofort das Experiment an, so dass diese Temperatur, oder eine nur wenige höhere, ohne wesentlichen Fehler als die Versuchs- temperatur angesehen werden kann. Wie es auch Hoffmano tat, leitete ich vom Muskel zum Saiten- galvanometer?) ab durch Fäden, die um die Mitte der Wade und um die Achillessehne seschlungen und mit physiologischer Kochsalz- 1) P. Hoffmann, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1910 S. 247. 2) Grosses Edelmann’sches Modell mit Elektromagneten. 62 K. Ishimori: lösung getränkt waren. Der (indirekte) Reiz erfolgte zuerst durch un- polarisierbare Elektroden; da es sich aber nicht um Kettenströme, sondern um flüchtigere Reize handelte, erwiesen sich später Metall- nadeln als ausreichend. Es wurde natürlich darauf geachtet, dass der Reizstrom nicht in den Galvanometerkreis hereinbrechen konnte, was an feuchten Tagen nur durch peinliche Isolation mittels Paraffın zu vermeiden war. Die Saite bestand aus Platin; sie hatte ca. 3 « Dicke und un- sefähr 4000 Ohm Widerstand. Sie wurde stark gespannt (20 Milli- volt bei 500facher Vergrösserung und 5 Ampere Maenetisierungs- strom 39 mm Dauerablenkung). Da sie dann stark periodisch war, wurde sie nach Einthoven’s Angaben durch einen Kondensator von 0,75 Mikrofarad gedämpft!). Diese Methode bewährte sich aus- gezeichnet. Der halbe Ausschlag wurde dann in 0,003 Sek., der ganze in 0,016 Sek. ganz periodisch erreicht. Das photographische Papier, auf dem das Bild des Fadens auf- gefangen wurde, hatte eine Geschwindigkeit von 500 mm/Sek. Die annähernd isotonischen) Zuckungen wurden zugleich auf einem Kymo- graphion aufgeschrieben. Reize. Zur Hervorbringung von Zeitreizen, ohne die um- ständliche Verwendung variabler Widerstände, standen drei Methoden zur Verfügung: 1. Einschaltung einer Spirale in einen Kettenstrom; 2. Schliessungsinduktionsschlag; 3. Verzögerte Kondensatorentladung. An und für sich sind alle drei Methoden für den vorliegenden Zweck gleich brauchbar; aus technischen Gründen entschied ich mich aber nach einigen Vorversuchen für die dritte. Denn man kann bei ihr ganz einfach, nur durch Öffnung eines Schlüssels, vom Zeitreiz zum Momentanreiz übergehen ; ferner werden beide Reize, was von grosser praktischer Wichtigkeit ist, durch Öffnungskontakte aus- gelöst (bei 1 und 2 ist es nicht so); dann hat der Strom in beiden Fällen (steiler und langsamer Anstieg) dieselbe Richtung, während man bei Methode 2 noch einen Umschalter einschalten muss; und schliesslich sind Kondensatorentladungen, selbst wenn sie verzögert werden, doch relativ flüchtige Reize, die den Nerven weniger 1) Einthoven, Annalen d. Physik (4) Bd. 16 S. 20. 1905. Über die Muskelaktionsströme bei übermaximalen Zuckungen. 563 schädigen als die langdauernden Kettenströme der Methode 1, bei welcher überdies noch oft eine ermüdende Öffnungszuckung auftritt. Die Methode der verzögerten Kondensatorentladungen. Diese von Lapicque angegebene, von Gildemeister zweckmässig modifizierte Methode soll hier nicht näher erörtert werden, da sie ja kürzlich von Gildemeister!) in diesem Archiv ausführlich be- schrieben worden ist. Es mag die Augabe genügen, dass ich gleich- falls zwei Widerstände von 10000 Ohm und zwei Kondensatoren von 2 Mikrofarad benutzte. Die Theorie lehrt dann, dass die steile Kondensatorentladung unmessbar schnell ihr Maximum er- reicht, um dann allmählich abzufallen, während die verzögerte Ent- ladung so langsam ansteigt, dass sie ihr Maximum erst in 0,017 Sek. erreicht. EI EI TTS Fig. 1. Mit dem Saitengalvanometer registrierte Kondensatorentladungen, die als Reize benutzt wurden. A gewöhnliche, B verzögerte Entladung („Momentan-“ und „Zeitreiz“). Stimmgabel 50 Schwingungen pro Sekunde. Um mich davon zu überzeugen, dass die theoretischen Über- legungen der Wirklichkeit entsprechen, habe ich die Entladungen direkt in das Saitengalvanometer hineingeschickt (Fig. 1). Man sieht, dass ihre Form befriedigend mit der Theorie übereinstimmt. Das Maximum der steilen Kurve wird selbstverstäudlich hier scheinbar nicht momentan erreicht, weil die Trägheit der Saite sich geltend macht; die runde Kurve dagegen wird anscheinend ziemlich treu registriert. Wenigstens erreicht sie das Maximum, wie es sein soll, nach 0,017 Sek. Um die Reizstärke zu variieren, wurde von dem im Hauptkreise zirkulierenden Strom ein mehr oder minder grosser Teil mit Hilfe eines Schiebekontaktes zum Nerven abgeleitet. Die Form des Reiz- stromes blieb also immer dieselbe, nur die Elektrizitätsmenge änderte sich. 1) M. Gildemeister, Pflüger’s Arch. Bd. 140 S. 609. 564 K. Ishimori: Resultate. Bei sehr starken Zeitreizen habe ich immer, bei sehr starken Momentanreizen manchmal mehrfache Aktionsströme gesehen. Ehe ich meine Beobachtungen beschreibe, möchte ich zur Erläuterung des Folgenden auf die schematische Fig. 2 hinweisen, die nach den Untersuchungen von Gildemeister und nach eigenen Versuchen gezeichnet ist. Dieselbe stellt dar, wie mit allmählicher Ver- stärkung des Reizes die Zuekungshöhen wachsen. Die beobachteten Zuckungshöhen sind als einfache senkrechte Striche eingezeichnet; die dünnen entsprechen Zeitreizen, die dicken Momentanreizen. AA % L Fig. 2. Kurve, die das Ansteigen der Zuckungshöhen (Ordinaten) mit der Ver- stärkung der Reize darstellt. Dick: Momentanreize; dünn: Zeitreize. Die Abszissen bedeuten Reizstärken (Elektrizitätsmengen) in willkürlichem Maass, von links nach rechts zunehmend. Ah Grösse der „Maximalzuckung“. Die Aktions- ströme der Zuckungspaare a, b, c sind auf Fig. 3a, b und c abgebildet. Man kann der Figur folgendes entnehmen: Wie bekannt, wirken bei geringer Reizstärke (links) nur die Momentanreize. Die von diesen hervorgerufenen Zuckungen steigen dann rasch an, verharren dann längere Zeit auf derselben Höhe (Maximalzuckungen), um schliess- lich nochmals zu steigen (übermaximale Zuckungen, ganz rechts auf der Figur). Bei den Zeitreizen gibt es kein längeres horizontales Stück, sondern die submaximalen gehen sehr schnell in die über- maximalen Zuckungen über, von denen jede grösser ist als die zugehörige (durch die gleiche Elektrizitätsmenge hervorgerufene) Momentan- zuckung. Was nun die Aktionsströme der verschiedenen Zuckungen anbetrifft, so kann ich meine Beobachtungen kurz so zusammen- fassen: A. Momentanreize. Die Aktionsströme sind einfach, so- lange die Zuckungen nicht übermaximal sind (also im ganzen Ge- Über die Muskelaktionsströme bei übermaximalen Zuckungen. 565 biet links von 5, Fig. 2). Ist erst diese Reizstärke erreicht, so wächst mit ihr (also nach rechts hin) auch die Anzahl der Aktions- ströme. B. Zeitreize. Hier fängt unter den bei meinen Versuchen vorliegenden Bedingungen die Vervielfältigung der Aktionsströme an- scheinend schon etwas früher an, ehe die Zuckung die Höhe A der Maximalzuckung erreicht hat (s. die Fig.), also schon unmittelbar Z M a a 2 zo b VER BER e Y) 1/50 Fig. 3. «a Aktionsströme des Zuckungspaares a der Fig. 2. Z "Zeitreiz, M Momentanreiz. b wie Fig. a, aber Zuckungspaar b. c wie Fig. a, aber Zuckungspaar c. nr 1/50 „ Fig. 4. Aktionsströme von zwei übermaximalen Reizen, Gebiet c der Fig. 3a. Bei Z4, bei M 3 (nach unten gerichtete) Zacken. M hinter a. Je stärker man jetzt den Reiz macht, desto mehr Aktions- ströme zeigen sich; ich habe als Minimum 2, als Maximum 8 be- obachtet. Natürlich entsprechen einem Zeitreiz immer mehr Aktions- ströme als dem zugehörigen Momentanreiz, da seine Zuekung ja die grössere ist. Zur Veranschaulichung des Gesagsten gebe ich die Abbildungen einer Versuchsreihe. Es sind dabei drei Paare von Aufnahmen ge- Pflüger’s Arehiv für Physiologie. Bd. 143. 38 566 K. Ishimori: Über die Muskelaktionsströme bei übermax. Zuckungen. macht worden: 1. Fig. 3a: Zeitreiz submaximal, Momentanreiz maximal, entsprechend dem Gebiet a der Fig. 2. Resultat: Einfache (zwei- phasische) Aktionsströme von ungleicher Grösse. 2. Fig. 3b: Gebiet 5 der Fie. 2, Zeitreiz ein wenig übermaximal, Momentanreiz maximal. Resultat: Der Zeitreiz löst zwei Aktionsströme aus. 3. Fig. 3e: Zeit- reiz sehr stark, Momentanreiz ziemlich stark übermaximal (Gebiet c). Resultat: Im ersten Falle acht, im zweiten vier Aktionsströme. Dem Gebiet c eines anderen Versuches ist die Fig. 4 ent- nommen. Sie zeigt vier resp. drei Aktionsströme. Die Periode der elektiischen Oszillationen betrug bei Frosch und Kröte (Sommertiere) etwa 5—6 o. Ähnliche Werte kann man auch den von Hoffmann abgebildeten Kurven entnehmen. Zusammenfassung. In der vorliegenden Arbeit sind Frosch- und Krötenmuskeln in- direkt abwechselnd mit Momentan- und Zeitreizen verschiedener Intensität gereizt worden. Diese Reize waren gewöhnliche und ver- zögerte Kondensatorentladungen. Zu gleicher Zeit wurden die Aktionsströme des Muskels und die mechanische Zuckung registriert. Sobald sich die Zuckung als übermaximal erwies, zeigte das Saiten- salvanometer mehrfache (zwei bis acht) Aktionsströme an. Mit der Reizstärke (die Langsamkeit des Stromanstiegs wurde nicht variiert) stieg die Anzahl der Aktionsströme zugleich mit der Zuckungshöhe. Die Zeitreize lassen manchmal schon dann eine Andeutung von Periodik erkennen, wenn ihre Zuckungen noch nicht übermaximal sind. Die Periodenlänge (Sommertiere, Temperatur 13° C. oder ein wenig höher) betrug 5—6 0. Diese Befunde sind im wesentlichen eine Bestätigung früherer Angaben von P. Hoffmann. Übermaximale Zuckungen sind also von mehr- fachen Aktionsströmen begleitet. Ich halte es aber, da der elektrische Vorgang manchmal nur verdoppelt ist, nicht für glücklich, sie tetanisch zu nennen; ich möchte sie lieber als summiert bezeichnen. Ich gestatte mir, Herrn Professor Gildemeister für die An- regung zu dieser Arbeit und die freundliche Hilfe bei der Ausführung derselben meinen besten Dank auszusprechen. 367 (Aus der Universitäts-Augenklinik zu München.) Über das Verhalten der Unterschiedsschwelle | bei der Helladaptation. Von Dozent Dr. W. Lohmann, Oberarzt der Klinik. Die Adaptationen (Akkommodationen des Auges für verschiedene Helliekeiten [Aubert] kann man in positive (Dunkeladaptationen) und negative (Helladaptationen) Phasen einteilen, je nachdem das Auge schwachen Lichtreizen gegenüber empfindlicher wird oder um- eekehrt eine höhere Empfindlichkeit gegenüber einer niedrigeren einbüsst. | Damit allein sind aber die einzelnen Adaptationen nicht ge- kennzeichnet. So kommt bei der Helladaptation vor allem eine Überwindung der sich einstellenden Blendung als belangreich hinzu. Des weiteren kommen alle jene Unterschiede des Hell- und des Dämmerungssehens hier in Frage, die besonders an den beiden End- punkten der Adaptation (Zustand vollkommener Helladaptation und jener vollkommener Dunkeladaptation) sich darbieten. Charakteristisch für die Adaptationen ist die zeitliche Dauer, innerhalb deren sich die Umwandlung des Sehorgans abspielt. So ist die Zeit, während welcher eine Adaptation des Auges, das an Tageshelligkeit akkommodiert war, an völlige Lichtlosiekeit sich vollzieht, bedeutend grösser als jene, welche für eine Adaptation in umgekehrter Folge notwendig ist. Untersuchungen über den zeitlichen Verlauf der Umwandlung der Reizschwelle sind schon früher von Aubert und Charpentier, in neuerer Zeit von Piper!) u. a. mit Bezug auf die Dunkeladap- tation angestellt worden; die umgekehrten Verhältnisse bei der Hell- 1) Piper, Über Dunkeladaptation. Zeitschr. f. Physiol. u. Psychol. d. Sinnesorgane Bd. 31. 38 * 568 W. Lohmann: adaptation habe ich im Laboratorium von Nagel!) festzustellen versucht. In dieser Arbeit teilte ich Kurven mit, die die Empfindlichkeits- abnahme des Auges schwachen Reizen gegenüber zur Anschauung bringen sollten. Sie beruhten auf fraktionierten Bestimmungen, da eine Helladaptation so schnell verläuft, dass man keine genügende Sicherheit für eine fortlaufende Bestimmung der einzelnen Phasen des Prozesses gewinnen konnte. Die Empfindlichkeitswerte, die unter verschiedenen Helligkeitsbedingungen studiert wurden, sind jeweils 10 Sekunden nach Unterbrechung der jeweils verschieden langen und verschieden intensiven Helladaptation gewonnen worden, da auf diese Weise der Faktor einer sich einstellenden Blendung eliminiert werden sollte. Aus den Kurven war zu schliessen, dass der Abfall der Emp- findlichkeitswerte bei der Helladaptation — namentlich im ersten Drittel der ersten Minute — ein jäher war. Schon nach der ersten oder zweiten Minute zeigten die Kurven starke Knickungen und Übergänge zu horizontalem Verlauf; immerhin aber konnten noch nach der 80. Minute seringe Senkungen der Empfindlichkeitswerte festgestellt werden. Mit diesen, eben kurz referierten Untersuchungen ist nun natür- lich nieht der Verlauf der Helladaptation in ganzem Umfange, sondern nur eben die Empfindlichkeitsabnahme des Auges bei der Helladap- tation studiert worden; es lag nahe, nun auch den zeitlichen Verlauf von Änderungen der Unterschiedsschwelle festzustellen. Dass in der Tat nicht nur die Reizschwelle — in der oben charakterisierten Art —, sondern auch die Unterschiedsschwelle bei der Helladaptation Schwankungen unterworfen ist, geht schon daraus hervor, worauf Hering?) besonders hinweist, dass man beim Übergang von schwächer beleuchteten zu stärker beleuchteten Räumen neben einem Blendungs- gefühl zunächst weniger unterscheidet als vorher bei schwächerer Be- leuchtung. Ich konnte mich davon überzeugen, dass ich nach genügender Dunkeladaptation bei plötzlich einsetzender bestimmter Hellickeit 1) Lohmann, Über Helladaptation. Zeitschr. f. Physiol. u. Psychol. d. Sinnesorgane Bd. 41. 2) Grundzüge der Lehre vom Lichtsinn. Gräfe-Sämisch, Handb. d. Ancenheilk., 2. Aufl. Über das Verhalten der Unterschiedsschwelle bei der Helladaptation. 569 nicht mehr den auf einer rotierenden Scheibe für diese Helligkeit vorher eingestellten und als schwach grauen Kreis sichtbaren Unter- schiedsschwellenwert erkennen konnte. Ich sah die Farbe des Papieres sich ändern, bemerkte aber den Kreis zunächst nicht, bis er nach einer gewissen kurzen Zeit, wie durch einen Schleier, hervorbrach. Nun erschien es mir zunächst zwecks Eruierung der zeitlichen Änderungen der Unterschiedsschwellen passend, etwa die von Donders angegebenen Modifikation der Masson’schen Scheibe in Anwen- dung zu bringen, die darin besteht, dass ein gleich dicker, schwarzer Strich, vielfach unterbrochen, im Sinne eines Radius, auf der Scheibe verläuft. Ich nahm an, dass das in bestimmten Intervallen vor- genommene Zählen der gesehenen Ringe einen Maassstab für den zeitlichen Ablauf des Prozesses ergäbe. Aber die Geschwindiekeit, mit der eine Helladaptation abläuft, liess mir nieht genügend Spiel- raum für eine sichere Beobachtung, wie ja auch ohnedies die Ge- nauigkeit der Resultate durch den Umstand der eingestellten Schwellen leiden musste. Ein andere Weg, den ich darauf einzuschlagen gewillt war, erwies sich mir ebenfalls als ungangbar. Es war nämlich meine Absicht, an genügend grosser Scheibe die Änderung der Unterschieds- schwelle dadurch registrierbar zu machen, dass bei ununterbrochenem schwarzen Radius auf weisser Scheibe die fortschreitende Grenze zwischen den beiden Helligkeiten die Möglichkeit einer direkten graphischen Aufzeichnung "bieten sollte. Indessen war der schon normalerweise allmähliche Übergang von Weiss zu Grau bei der skizzierten Versuchsanordnung so verschwommen, dass ich von dieser Methode Abstand nehmen musste. So habe ich dann endlich wieder eine fraktionierte Bestimmung gewählt. Ich ermittelte jeweils für verschiedene, bestimmte Zeiten nach Einleitung der betreffenden Helladaptation eine Schwelle und suchte mir so auf synthetischem Wege eine Anschauung über die zeitlichen Verhältnisse der Unterschiedsschwellenuänderung bei der Helladaptation zu verschaffen. Ich bediente mich bei diesen Untersuchungen des von Marbe!) angegebenen Farbenkreisels, der es gestattet, auch während der Rotation das quantitative Verhältnis der beiden ineinander geschobenen Scheiben zu variieren. Die eine Scheibe war weiss, die beizumischende 1) Zeatralbl. f. Physiol. 1894 Nr. 25 und 1895 Nr. 26. 570 W. Lohmann: trug einen 3 mm breiten, schwarzen Ring von einem Radius von 4 em. Die Scheibe wurde aus einer Entfernung von beiläufig 1 m betrachtet. Der Eruierung jeder einzelnen Zahl ging einer genügend lange Dunkeladaptation voraus. Die gleichmässige Einwirkung der be- treffenden Helliekeit wurde dadurch erstrebt, dass der Kreisel und die betreffende Versuchsperson in einer durch weissen Karton und Leinwandtücher umspannten und ausgekleideten Zelle sich befanden, die von oben und hinten beleuchtet werden konnte. Die Schwellenwerte wurden unter Kontrolle der Versuchsperson eingestellt, entweder direkt beim Übergang von Lichtlosigkeit zu der betreffenden Helligkeit, oder nachdem das Auge die vorher bestimmte, und durch Metronomschlag gekennzeichnete Zeit auf der weissen Leinwand leicht hin und her bewegt worden war. Als bemerkens- wert muss der Umstand erwähnt werden, dass bei den Unterschieds- schwellenbestimmungen ebenso wie bei jenen der Reizschwelle!) der Wert ein viel höherer ist, wenn von unterschwelligen Zahlen aus- gegangen wird als umgekehrt. Ich bin bei meinen Bestimmungen stets von unterschwelligen Zahlen ausgegangen. Von meinen Untersuchungsprotokollen teile ich das folgende in Form einer Tabelle mit: ; Einwirkende Helligkeit: 150 Meterkerzen. Damit ein grauer Kreis sichtbar wurde, mussten von der den schwarzen Kreis tragenden Scheibe Dauer der Einwirkung des Lichtes nach ausreichender Dunkel- adaptation beigemischt werden: Direkter Übergang $ 0 Sekunden \ 7 Grad 2 » 6 ,„ 6 ” 6 ” 8 ” 4 ” 10 ” 3 ” 20 ” 3 b2] 40 3 Was die Intensitäten des zur Helladaptation verwendeten Lichtes angeht, so zeigte sich mir eine Ahhängiekeit derartig, dass Höhe und zeitliche Ausdehnung der Änderungen der Unterschiedsschwellen 1) Siehe z. B. Piper, |. c. Über: das Verhalten der Unterschiedsschwelle bei der Helladaptation. 571 mit der Zunahme des Lichtes in gleichem Sinne sich ändern. Schon bei einer Helligkeit, die sich ergab, wenn die Zelle aus 2-3 m mit den Beleuchtungsbirnen (drei Osmiumlampen von je 25 Meterkerzen Beleuchtungsstärke) beleuchtet wurde, konnte ich nur schwer mehr Unterschiede der Unterschiedsschwelle erkennen. Monokulare Schwellen fand ich höher als binokulare; mit peri- pherer Blickrichtung fand ich Erhöhung der Schwelle und zeitlich grössere Dauer der Veränderbarkeit. Allein die Unsicherheit der peripheren Bestimmung einer Unterschiedsschwelle bei meiner Ver-. suchsanordnung erscheint mir so gross, dass ich dieser letzten Eru- jerung keinerlei Sicherheit beilegen möchte. Während ich — wie oben referiert wurde — bezüslich der Reizschwelle bei der Helladaptation noch nach 60—80 Minuten Schwankungen registrieren konnte, erreichte ich bei den Unterschieds- schwellenbestimmungen schon nach S—10—12 Sekunden die Werte, die sich auch bei fortlaufender Helladaptation ergaben. Das von mir zu den Versuchen erster Art benutzte Nagel’sche Adapto- meter bietet so grossen Spielraum der Variation feinster Unterschiede der Lichtintensität, dass die Verschiedenheiten bezüglich des Ergeb- nisses für die endgültige Herstellung einer Helladaptation erklärlich werden, wenn man bedenkt, dass die ausgeführten Unterschieds- schwellenbestimmungen nur gröbere Abstufungen der Intensitäten gestatteten. Ich will noch bemerken, dass ich nicht wesentlich differente Zahlen, was die zeitlichen Verhältnisse betrifft, erhielt, wenn ich auf der beizumischenden Scheibe an Stelle des schwarzen Kreises einen Kreis in Anwendung brachte, der ein Grau, das die Mitte zwischen Schwarz und Weiss hielt, aufzeiete. Der zeitlich ausgedehntere Verlauf der Dunkeladaptation bietet eine gewisse Möglichkeit der Einteilung von Adaptationsstörungen !) je nach dem Sitz der Erkrankung. A priori erscheint ein solches verschiedenes Verhalten von Retinal- und Sehnervleiden einerseits und Chorioidealleiden andererseits bei dem sekennzeichneten Ver- halten der Helladaptation weniger wahrscheinlich. Diese Vermutung -- fand ich bei diesbezüglichen Untersuchungen als gerechtfertiet. Als bemerkenswert und theoretisch interessant will ich immerhin mitteilen, dass ich zweimal bei genuiner 1) Lohmann, Untersuchungen über Adaptation und ihre Bedeutung für Erkrankungen des Augenhintergrundes. v. Gräfe’s Arch. f. Ophthalm. Bd. 65. 572 W. Lohmann: Hemeralopie eine Zeit von 70—100 Sekunden notwendig fand, bis die Unterschiedsschwelle gleich blieb. Das bei der Helladaptation eintretende schnelle, aber immerhin einer messenden Bestimmung zugängliche Fallen der Unterschieds- schwelle lässt bezüglich der Erklärung dieses Verhaltens zwei Fragen entstehen. Es könnte sich erstens um eine analoge Erscheinung handeln, wie sie sich bei der „Maximalzeit“ einer Lichtempfindung äussert; oder die zeitlich festgestellten Differenzen könnten der Ausdruck einer Ermüdung, etwa in dem von Hering gegebenen Sinne, sein. Das mit dem Ausdruck „Maximalzeit“ benannte Phänomen be- ruht darauf, dass ein Lichtreiz einer gewissen Zeit bedarf, damit das Maximum seiner Helligkeitsempfindung erzeugt wird. Nun haben aber Exner!) und Büchner?) nachgewiesen, dass beim Steigen der Intensität des Reizes die Maximalzeit kleiner wurde. Intensität und Extensität der Veränderung der Unterschiedsschwelle ist bei Erhöhung der zur Helladaptation verwendeten Lichtintensität aber nach meinen Untersuchungen grösser. Eine Analogisierung meiner Untersuchungen mit jenen über die Maximalzeit lässt sich aus diesem Gıunde nieht durchführen. Es erübrigt noch, sie in das Licht der Anschauungen zu setzen, die Hering über den Lichtsinn?) niedergeleet hat. Überwiegen die von Hering supponierten „dissimilatorischen“ Momente des Stoffwechsels in der Retina, so handelt es sich um eine absteigende, ermüdende Änderung; beim Überwiegen der assimilatorischen Momente besteht eine erholende, aufsteigende Ände- rung des Sehorgans. Durch „Selbststauung“ des Stoffwechsels kommt es jedoch bald wieder zu einem Gleichgewicht, so dass also auch füglich die Helladaptation (absteigende Änderung) nicht schlecht- weg als „Ermüdung“ bezeichnet werden darf. Bei der Helladaptation erfährt der Stoffwechsel zunächst eine Störung; die gesteigerten Dissimilationsvoreänge mindern indessen die Dispositionen zur Dissimilation und steigern jene zur Assimilation; es entsteht das Streben nach aufsteigender Änderung. Mit wach- 1) Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. Abt. 2 S. 58. 2) Wundt’s Psychol. Studien Bd 2. 1907. 3) Zuerst: Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. Abt. 2 Bd. 69. Über das Verhalten der Unterschiedsschwelle bei der Helladaptation. 573 sender Dauer des gleichmässig fortwirkenden Lichtreizes nimmt die Geschwindigkeit der absteigenden Änderung ab und sinkt schliesslich auf Null. Zur Erklärung meiner mitgeteilten Versuche im Sinne der Hering’schen Anschauung müssen wir des weiteren des Simultan- kontrastes gedenken. In unmittelbarer Nähe einer beleuchteten Stelle der Netzhaut wird in der nieht beleuchteten (oder weniger beleuchteten) Netzhaut eine gesteigerte Assimilation induziert; dadurch wird dem schäd- lichen Einfluss der Irradiation entgegengearbeitet. So erscheint der graue Ring auf weisser Scheibe durch Simultankontrast besonders sinnfällig. Sind nun aber bei Beginn einer Helladaptation gesteigerte Dissimilationsvoreänge im Spiel, dann können zunächst da, wo der graue Ring erscheint, nicht gesteigerte Assimilationsvorgänge induziert werden, weil ihre Grösse von der Menge des zur Assimilierung bereit- stehenden Materials abhängig ist. Die Irradiation kann sich also zunächst ungehindert geltend machen: die Unterschiedsschwelle ist höher. Erst, wenn das Assi- milierungsmaterial aus dem Blute ergänzt ist, kann an jener Stelle ein simultaner Kontrast der störenden Wirkung der Irradiation ent- gegentreten. Das wird im Moment eintreten, wenn durch die Selbst- steuerung des Stoffwechsels Gleichgewicht eingetreten ist. — Übrigens will ich zum Schluss noch andeuten, dass auch die theoretische Möglichkeit des Zusammenfallens der von mir zeitlich bestimmten Unterschiedssehwellenänderungen mit den bekannten ob- jektiven Veränderungen der Netzhaut durch Lichteinwirkung, be- sonders der Längenveränderung der Zapfen, zugegeben werden muss, eine Anschauung, die sich in den Kreis der Beobachtungen und Er- wägungen bringen liesse, welche zur Aufstellung der „Duplizitäts- theorie“ geführt haben. Meinem Instituts-Vorstand, Herrn Geheimrat Prof. Dr. Evers- busch, erlaube ich mir, für das dieser Arbeit entgegengebrachte Interesse bestens zu danken. 574 Leop. Auerbach: Zu dem Aufsatz von Rudolf Höber: UNISTEL SAU erregbarer Nerven bei Dunkel- feldbeleuchtung. (Pflüger’s Archiv Bd. 133 S. 254. 1910.) Von Leopold Auerbach (Frankfurt a. M.). Bei genauer Durchsicht der Literatur zum Zwecke der Be- arbeitung einer wissenschaftlichon Aufgabe stosse ich auf die oben genannte Publikation Höber’s, von der ich zu meinem Bedauern so verspätet erst Kenntnis erhalte. Nun habe ich zwar nicht den Ablauf der elektrischen Reizwellen zum Gegenstand ultra- mikroskopischer Studien gemacht, mich dagegen schon vor dem ge- nannten Forscher im Jahre 1908 als erster damit beschäftigt, die Ultramikroskopie zur Sichtbarmachung des normalen Strukturbildes der lebenden Nervenfaser sowie zur Erforschung seiner kolloidalen Veränderungen während funktioneller Phasen heranzuziehen. Ich habe über meine Ergebnisse auf der 80. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Cöln ausführlich berichtet und meine Photogramme sowohl dort wie auch anderwärts öffentlich demonstriert (vgl. Neurolog. Centralbl. 1908, S. 994). Da ich annehmen muss, dass meine diesbezüglichen Arbeiten nicht allein Herrn Professor Höber, auf dessen allgemeine Anschauungen ich übrigens dabei ausdrücklich Bezug nahm, sondern auch einem weiteren Kreise von Fachgenossen nicht bekannt geworden sind, so wird man es wohl nicht missdeuten, wenn ich an dieser Stelle hierauf verweise. Was den Gegenstand selbst anbelangt, so ergaben meine Unter- suchungen, welche durch das Entgegenkommen der Firma Carl Zeiss in dankenswerter Weise gefördert wurden, im Gegensatz zu dem wenig befriedigenden Befunde Höber’s tatsächlich ein klares strukturelles Blld des Achsenzylinders (Ischiadicus vom Frosch), das auch auf der photographischen Platte ausgezeichnet schön zu fixieren war. Meine Hoffnungen jedoch, in diesen Strukturen Änderungen zu gewahren, die der Einwirkung von Elektrolyten, narkotischen Zu dem Aufsatz von R. Höber, Untersuchung erregbarer Nerven etc. 575 Stoffen usw. in gesetzmässiger Weise parallel verlaufen, erfüllte sich nur in beschränktem Umfang, so dass ich von einer Fortsetzung der immerhin mit mancherlei Schwierigkeiten verknüpften Versuche zu- nächst Abstand nahm, bevor ich mein eigentliches Ziel nach Wunsch erreicht hatte. Nach meinen Erfahrungen sind selbst bei Anwendung der ge- eignetsten Apparatur und des allerstärksten Lichtes die Fehlerquellen, die man nicht auszuschalten vermag, nicht zu unterschätzen. Das Zerfasern des Nerven, der Einschluss des Präparates und die Be- strahlung (auch wenn man diese durch Einschaltung stark absorbierender Medien auf ein Mindestmaass zu reduzieren sucht) bilden so viele schädliche Faktoren, dass man sich des Zweifels, ob man es am Ende wirklich mit einem einigermaassen unversehrten Gebilde zu tun hat, nicht völlig erwehren kann. Immerhin bin ich überzeugt, dass meine Resultate für die Lehre vom Bau des Achsenzylinders zu verwerten sind. Gerade zu dieser Frage bin ich neuerdings zurück- geführt worden, und ich beabsichtige, sie demnächst im Zusammen- hang an anderer Stelle noch des näheren zu erörtern. Altenburg _ Sg - © = 2 E - =} E=| L>} 2) B =} - oO joe) © = >32 un = © = © .- Pr S oO 3 - © = © hd} = 3 E=] m o ehe) U Verlag von Martin Hager, Bonn, "uuogg ‘1oseyf une UA SRfaoA _ Pflüger's Archiv für die ges. Physiologie. Ba.143. Ta£.VI. va E Verlag v: Martin en Bon \ Lith.Anst.v.F. Wirtz Darmstadt. IA 1981 SFT pg ’s13ofoısäyug 'SO3 'p I Alyady SISSnyA Verlag von Martin Hager, Bonn. % - N ER ET a ER u Bd. 148. Tafel IX. Pflüger's Archiv f. d. ges. Physiologie. Verlag von Martin Hager, Bonn. 1, 4 Pflüger's Archiv für die ges. Physiolo gie. Bd. 143, Verlag v. Martin Hager, Bonn. Lith_Anstv.F. Wirtz, N armstadt. DC) W ! 7 | 0